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Library of Dr. Karl von Ruck
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The J. Hillis Miller
Health Center Library
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f MEDIZINISCHE KLINIK
WOCHENSCHRIFT
FÜR PRAKTISCHE ÄRZTE
HERAUSGEGEBEN VON
F B. ABDERHALDEN W.ANSCHÜTZ TH. AXENFELD ST. BERNHEIMER A.BIER E.BUMM 0.DE LA CAMP P.EHRLICH H. BICHHORST
HALLE RS. KIEL FREIBURG i.B. INNSBRUOK BERLIN BERLIN FREIBURG i. Br. FRANKFURTaM. ZÜRICH
Fi BELSCHNIG C. FRAENKEN 0. v. FRANQUÉ P. FRIEDRICH G. GAFFKY R. GOTTLIEB H.v.HABERER C.v.HESS 0. HILDEBRAND K. HIRSCH
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F F, MARCHAND F. MARTIUS M. MATTHES 0. MINKOWSKI A. NEISSER K. v. NOORDEN E.OPITZ N. ORTNER A.PASSOW E.PAYR
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3 -P.RÖMER H.SCHLOFFER AD. SCHMIDT R.SCHMIDT W.STOECKEL A.v. STRÜMPELL M. VERWORN M. WILMS G. WINTER
É GREIFSWALD PRAG HALLE 8.8. INNSBRUOK KIEL LEIPZIG BONN a. Rh. HEIDELBERG KÖNIGSBERG
REDIGIERT VON
PROFESSOR DR. KURT BRANDENBURG IN BERLIN
VIIL JAHRGANG 1912 — BAND Il
MIT REGISTER ZU BAND I UND U
BERLIN
URBAN & SCHWARZENBERG
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Alle Rechte vorbehalten.
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INHALTS-VERZEICHNIS. `
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SACHREGISTER.
Die fettgedruckten Zahlen bezeichnen Originalartikel. — Die Abkürzung B.-H. bedeutet Beiheft.
Ang des Charakters als Krankheitssymptom
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` Abdomen s. Fettgewebsnekrose.
Abdominalchirurgie, acht Jahre - in der Provinz
Posen 1902/1909 von Rich. Lampe 1004.
Abdominalmuskulatur, schlaffe 1640.
Abdominaltyphus, über den (Hochhaus) 1893.
— 8. Serumtherapie. x;
Abdominaluntersuchung s. Hohlkompressorium.
Abführmittel s. Röntgenuntersuchungen.
Abort, Behandlung des 1037. Behandlung des
fieberhaften — 960. Behandlung des infizier-
ten — 840. Fieberbafter — 1682. Indika-
tion und Technik des artifiziellen — 1005.
— 8. Schwangerschaftspsychosen. — s.
Uterus. |
Aborte, kriminelle 211.
Abortiv- und Kombinationsbehandlung s. Syphilis.
Absceß, appendicitischer — in einer Nabelhernie
T Extraduraler — 1321. Subperlostaler
Absencen, nervöse 1688, |
bstammungslehre, moderne Gesichtspunkte in
der (Franz) 147.
Abtreibung s. Intrauterinpessare.
bug der — zur Geschwulstätiologie
Achseibohle, Thermometerhaltung in der (Kausch)
Achselhöhlen s. Temperaturmessung.
Achselschweißdrüsen, Veränderungen der —
während der Schwangerschaft 967.
Achylie, über die konstitutionelle (Schmidt) 595.
Acotonurie und ihr Einfluß auf die Behandlung
des Diabetes mellitus 2045.
Acstylkresotinsäure als Antirheumaticum (Rau-
‚tenberg) 568.
Acidum,camphoricum 284.
„elinomyeosis lleocoecalis 502.
Aansticusaffektion bei Salvarsanbehandlung 1604.
TTR 54i. 1881. Schlafmittel — 498.
am-Stokesscher Symptomenkomplex 210.
nn ein neues Sedativum (Bogner) 64. — 2083.
‚auisonsche Krankheit ohne Bronzefärbung 168.
nu und Tonsillenoperation, über einen
xtus unmittelbar nach vollendeter — in
Narkosesektion (Kafemann) 1420,
K aut, metastatisches Carcinom der 212.
orla 205. Blutregeneration nach — 119.
kan 8. Hautkrankheiten.
Ina. lebostase, unblutige (Lilienstein) 316.
an a nen Gallenblasenhals und Duo-
Adhäsionsbildungen, typi eri j
„eatin g er ypische peritoneale — im
positas cerebralis, über — und Adipositas
N cerebrogenitalis (v. Jaksch) 1931.
r irankongen, Erfolge der operativen Be-
13 ung chronisch- entzündlicher (Ebeler)
Adrenalin 1557.
Stoffwechsel.
Adrenalinartige Substanzen im Blute 79.
Afridolseife 794.
Agar als Vehikel für Medikamente 540.
Akkommodationsvorgang, direkte Beobachtung
des — bei kongenitaler Aniride 1089.
Akromegalie 1291. 1441. Angeborene — mit
Sektionsbefund 337. — s. Neurofibromatose.
Aktinum-X-Behandlung s. Anämie.
Aktionsströme vom Labyrinth der Frösche bei
Schallreizung 84.
Albinpuder, desodorisierende und desinfizierende
Wirkung des (Stolpe) 445.
Albuminurie 1331. Einiges über —, Pulsfrequenz,
Kniereflex, vasomotorisches Nachröten, Augen-,
Zungen-, Händezittern, MacBruneyschen und
Erbschen Druckpunkt, Mastodynie, Ovarie;
nach Untersuchungen an Gesunden (Schellong)
1902. Lordotische — 1331. — der Neuge-
borenen 1684. Physiologische und patholo-
gische — 1007. Renalpalpotorische — nach
Tierexperimenten 634. Verhalten von — und
Cylindrurie beim Gebrauche von Sulfatwässern
— s. Diphtherietoxin. — s.
29.
Aleudrin 1329. 2083. —, ein neues Hypnotikum
und Sedatirum (Gutowitz) 1911.
Alkalescenz s. Blut.
Alkalibildung, enzymatische 674.
Alkaptonurie 2009.
Alkohol, absoluter 627. — und Entartung 1846.
— s. Immunität. — bei Pneumonie 1169.
Alkohole s. Methylalkohol.
Alkoholismus, Folge des 387. — s. Pupillen-
starre. — und Tuberkulose 1251.
Alkoholvergiftung s. Lebereirrhose 1969.
| Alltagsleben, Zur Psychopathologie des —, von
Sigm. Freud 1558.
Alopecia seborrhoica, zur Therapie der — und
über vorbeugende Haarpflege mit Sapalcol-
präparaten (Mayer) 1352.
Alopecie und Defluvium (Luithlen) 343.
Alkoholinjektionen s. Trigeminusneuralgien.
Altersblase 634.
Altersschwachsinp, den (Mattauschek)
über
Altersstar, der gegenwärtige Standpunkt in der
Therapie des (Elschnig) 1097. 1332.
Altkeltische Medizin (Baas) 762. 804.
Altruismus im tierischen Körper 706.
Altruistische Erkrankungen 706.
Alypin, Wirkung des 160.
Ameisenpflanzen (Wangerin) 858.
Amidobenzaldehydreaktion s. Serumexantheme.
Aminosäuren s. elektrische Entladung. Experi-
mentelle Beiträge zur Frage über das Schick-
sal der — im Darme.
Ammenmilch, konservierte 1844. Verwendung
konservierter — zur Ernährung von Bäug-
lingen 1254.
Ammenwahl, über — und Ammenwechsel vom
Standpunkt einer Physiologie und Pathologie
des Milchapparats, von K. Basch 1804.
Ammoniaksalze, Frage der Eiweißbildung bei
Fütterung von 882.
Amnesie, traumatische 1843.
Amoebiasis cerebralis 626. eha i
Amphibienauge in der Entwicklungsmechanik
(Franz) 1077 z
Amphotropin 1803.
Ampullenhalter 247. |
Amyloidtumoren des Larynx und Pharynx 168.
Analekzeme 879. k
Anaemia posthaemorrhagica neonatorum, Eisen-
behandlung der 2006. — splenica geheilt
durch Milzexstirpation 802. — splenomega-
lica durch Fragilität der Blutkörperchen beim
Kinde 2006. Ä
Anämie, Aktinium-X-Behandlung der perniciösen
1849. — aus alimentären Ursachen 2005.
Beitrag zur experimentellen — 797. Geheilte
perniziöse — 1645. Initialsymptome und Patho-
genese der perniziösen — 74. Leishmansche
— 2005. — nach Tropenkrankheiten
(Schilling) 1305. Perniziöse — und Rücken-
markserkrankung 422. — — nicht Unfall-
folgo 1883. Spinale Affektion bei letaler —
Anämien s. Herzkrankheiten. — im Kindesalter
2005. — im Säuglingsalter 2005. Unter-
suchungen über die. Genese der perniziösen —
197. orkommen und Bedeutung aplasti-
“ scher oder aregenerativer — bei Tropenkrank-
heiten 926. | |
Anamnese 1285. | u oi
Anaphylaxie, Beitrag zur Frage der — mittels
Linseneiweiß 1480. — s. Kuhmilch-Idiosyn-
krasie. —, Ungerinnbarkeit des Bluts un
Fermentgiftigkeit (Salus) 1355. 3
Anästhesie 159. Chirurgische — 1362. Extra-
durale — 668. Neuere Methoden der lokalen
— und der allgemeinen Narkose 701. 745.
872. 1469. Ueber die — mit Chininpräpa-
raten, speziell mit Sinecain (Schepelmann) 1748.
ra nn in englischer Beleuchtung
041.
Anästhesierungsverfahren, über einige neuere —
mit besonderer Berücksichtigung der Plexus-
anästhesie (Siebert) 1945.
Anästhesin 1437. - |
Anastomosenzange 961.
Anatomie, Beitrag zur pathologischen — der
militärischen Selbstmörder 966. Fr
‘Aneurysma, Exstirpation eines — der Art. popli-
tea und Ersatz des Defekts durch freie Trans-
plantation eines Stückes der Vena saphena
(Goecke) 105. Symptom des — der Aorta
539. |
Aneurysmen, ein Beitrag zur Behandlung der
— mittels Gefäßnaht (Wiewiorowski) 185.
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INHALTS-VERZEICHNIS.
Angina, Folgekrankheit nach 497.
Angiome, Pathologie der 38. Gefahren der
Radiumbehandlung der — 1557.
Angiosarkom der Netzhautcentralgefäße 294.
Angstzustände, nervöse — und ihre Behandlung
von Wilhelm Stekel 758.
Anikure 1085.
Aniride s. Akkomodationsvorgang.
run, progressive — der Wirbelsäule
Ankylostomen- und Strongyloideslarven, Verbrei-
tungsweise der 1046. |
Ankylostomiasis, neuere Forschungen über die
—, ihre Verbreitung und Bekämpfung in den
deutschen Kolonien (Külz) 969.
Anlage, mangelhafte, von J. Veit 881.
Anomalien der Ureteren und Niere 634.
Anorexie bei einem 22monatigen Kinde 626.
Anorganische Säure, Vergiftung mit 458.
a rn bei Mikroorganismen
Anschlagen, neue Erfindung mittels des — an
den Brustkorb, als ein Zeichen, verborgene
Krankheiten zu entdecken, von Leopold Auen-
brugger 1086.
Anstaltsarzt, inwieweit muß ein — vor seiner
Anstellung über. seine persönlichen Verhält-
nisse Aufschluß geben? 1649.
Antiberiberitherapie der Beriberikrankheit 926.
Antidiarrhoicum s. Tanargentan.
Antiformin 707.
Antigene und Antikörper beim Typhus abdomi-
nalis 586.
Antigonorrhoicum s. Blenotin.
Antikonzeptionelle Mittel 2049.
Antikörper s. Antigene.
Antimeristemfrage 712.
Antineuralgica 532.
Antiperistaltik im Dickdarme 125.
Antipyrin 1474.
Antirheumaticum s. Acetylkresotinsäure.
Antistreptokokkenserum per os und lokal in
Pulverform 580
Antisyphiliticom, internes 1044,
Antitoxin, diphtheritisches 1246.
Antitrypsingehalt s. Blutserum.
Antitrypsinreaktion 293.
Antrittsrede, gehalten bei Eröffnung der Medi-
zinischen Klinik zu Straßburg i. Els. am
2. November 1911 (Wenckebach) 171.
Anus praeternaturalis 1762.
Aorta s. Aneurysma.
Erkrankung der (Goldscheider), 471. Zur
klinischen Diagnose der hypoplastischen —
bei Lymphatikern (Stoerk) 1227.
Aorteninsuffizienz 294.
Aortenwellen, Vergleich der centralen und peri-
pheren — mit denen des Herzens, Ent-
stehung der sekundären Wellen der Dicrotie,
mit und ohne Seminularklappen 1009.
Apepsia simplex s. Carcinoma ventriculi.
Aphasie und Apraxie 82.
'Apoplexie, Behandlung der 884.
Apparatotherapie, Demonstration aus dem Ge-
biete der 508. |
Appendektomie, Beitrag zur Frage der prophy-
- Jaktischen — bei gynäkologischen Operationen
1444 |
Appendicitis, Behandlung der akuten 74. — bei
gleichzeitigem Vorhandensein von Typhus
abdominalis 1329. — s. Coecum mobile. —
in englischer Beleuchtung 1435. Experimen-
telle — 883. Familiäre — 883. — s. Krämpfe.
— s. Peritonitis. Schwangerschaft mit —
s. Tumoren. Ueber experimentelle
Appendicitisfälle, operierte 1442,
Appendicitis-Peritonitiden 2050.
Appendix 1689. — s. Duodenum. Kriterien der
gesunden und kranken — 716. i
'Apraxie, Aphasio und 82.
Arber ern erBicherung, staatliche — in England
Arbeiterversicherungsgesetz, der Widerstand der
englischen Aerzte gegen das neue 551.
Arbeitsstätte, die — des Chirurgen und Ortho-
päden, von Oskar Langemak 1599.
Ueber die syphilitische
Argentarsyl 665.
Argentum nitricum 282.
Argentum proteinicum Heyden 1923.
Arsen, Anhäufung von — in den Organen 540.
— s. Injektion. — 2083.
Arsenhämatose 160. |
a a Beobachtungen über
Arsenverbindungen, die aromatischen, von Hans
Schmidt 1558.
Arsenvergiftung durch Einatmen von Rauch aus
Koksöfen 664. —, medikamentöse chronische
— bei einem Lueskranken (Brodfeld) 2070.
— durch Tapeten 1565. Arterien, Beziehung
zwischen Druck und Geschwindigkeit in den
291.
Arteriosklerose 1332. — und Aorteninsuffizienz
294. Beiträge zur experimentellen — 965.
— 8. Herzneurose. Tod an — nicht Folge
einer vor neun Jahren erlittenen Kopfver-
letzung und des angeblichen Kampfes um die
Rente 881. — und Verdauungsstörungen
(Pick) 767.
Arteriosklerotiker s. Gehirnblutung.
Arthigon 665.
Arthritis deformans s. Knochen-Knorpelnekrose.
War eine hochgradige — der rechten Hüfte
und ein geringer Grad desselben Leidens des
linken Hüftgelenks auf einen vor i4 Jahren
erlittenen Unfall zurückzuführen? 500.
Arthritis gonorrhoica s. Epididymitis,
Arthropathie des Schultergelenks durch Syringo-
myelie bei einem Arzte (Kienböck) 1509.
Arthropathien des Fußgelenks 1565.
Arzneiexanthem, charakteristisches — nach sub-
cutaner Pantoponinjektion 1753.
Arzneigemische, Ueber wirkungspotenzierende
Momente in (Bürgi) 2037. 2073.
Arzneimittel s. Farbstoffe. — und Gifte 1371.
Kombination von — 1597.
Arzneimittellehre, Lehrbuch der — und Arznei-
verordnungslehre, von H. von Tappeiner 1004.
Arzneimittelsynthese auf Grundlage der Be-
ziehungen zwischen chemischem Aufbau und
Wirkung, von Sigmund Fränkel 1289.
Arzneivertrieb, die beabsichtigte Reform im
(Brandenburg) 1011 |
Arzneiwirkung, Beschleunigung der — bei Be
handlung innerer Krankheiten (Saenger) 944.
a — ein Künstler (Gruber) 1648. 1690.
Aerztekammer, 25 Jahre 2013.
A ennmenon und Krankenkassenverbände
Aerztewahl, freie — vor dem Reichsgericht 591.
Arztgrab, Fundstücke aus einem antiken 2089.
Aerztlich-soziale Umschau 1766.
Aerztliche hygienische Forderungen 1885.
Ascaridenepilepsie 1369.
Aschoff, Geh. Sanitätsrat Dr. Ludwig + 1411.
Ascites s. Dauerdrainage.
Ascites, neue Palliativbehandlung des 168. Ope-
rationen bei — 1760. Operative Behandlung
des durch Lebercirrhose verursachten — 498.
Spontane Heilung eines hochgradigen — 374.
Ascitesflüssigkeit hypodermatisch dem Körper
einzuverleiben 330.
Aseitis, chirurgische Behandlung des —, ins-
besondere mittels Dauerdrainage unter die
Haut 885.
Askariden, Toxikologie der 464.
Asphyxie, Schwere — eines Säuglings bei Re-
position eines Nabelbruchs (Israel) 404.
Aspirin, löslich 1210. 1363. 1401.
Assanierung großer Arbeitermassen in tropischen
Ländern 1368.
Asthma, Bemerkungen zu dem Artikel von
Cholewa über (Posselt) 1589. — bronchiale
1557. Behandlung des — bronchiale 1253.
Zur Pathologie und Therapie des — bronchiale
127. Kardiales — 961. — bei Kindern 1964.
Vibrationsmassage bei — 752. Ueber — (Cho-
lewa) 1150. Beitrag zur Therapie des — 2086.
Asthmatiker 3. Atmung.
Asthmatherapie, endonasale 868.
Asthmolysin 1717.
Astigmatismus, rechtsseitiger gemischter 1606.
Ataxie, Demonstration von zwei Fällen hereditärer
1849. Isolierte alkoholisch bedingte — 87
Atembewegungen, Zur Lehre der intrauterinen 166.
Atemgeräusch, Auscultation des oralen und
nasalen (Petersen) 1664.
Atemlähmung, Behandlung der — bei Hirnope-
rationen mittels Insuffiation 2090.
Atemreaktion, sogenannte — des Herzens 13832.
Atemübungen als therapeutisches Hilfsmittel bei
Erkrankungen der Nase und Nachbarorgane
(Reimers) 194.
Atmungsstörungen der Urämischen (Pal) 2022.
Aethyl- und Methylalkohol, Beteiligung des —
am tierischen Stoffwechsel und die Ursache
der Giftigkeit des Methylalkohols (Völtz) 697.
Aethylchloridnarkose, Verwendung der — in der
Hals-, Nasen- und Öhrenpraxis 1406.
Atlas der normalen Histologie der weiblichen
Geschlechtsorgane, von Moraller, Hohl,
_R. Meyer 841. — typischer Röntgenbilder
m normalen Menschen, von Rudolf Grashay
Atmung, subcutane 119. — des gesunden
Menschen, der Emphysematiker und Asthma-
tiker 1251.
Atmungsflasche für ätherische Oele und andere
fltchtige Stoffe 499.
Atonia uteri und ihre Behandlung (Jolly) 1731.
Atonie der Prostata (Marcuse) 1818.
Atophan 368. 498. Variationen des exogenen
Purinstoffwechsels durch — 883,
Atophanharn 1329.
Atophantherapie beim akuten Gelenkrheumatismus
(Oeller) 2029. — bei der Gicht 297.
Atresie 1689.
Atropinpräparate 1209.
Atropinwirkung bei Herzirregularität 584.
ru R neuer Apparat zur — des.Ohres
04.
Aetzsonde 1550.
Aufmeißelung, Modifikation der — bei akuter
Mastoiditis 417.
Augapfel, Anatomie und Histologie des mensch-
lichen, von Maximilian Salzmann 629.
Auge, Anleitung zur Begutachtung von Unfällen
des — von M. zur Nedden 332. — s. Massage.
— s. Nase. — s. Nebenhöhlenerkrankungen.
— 8. Salvarsan. Syphilitische Rezidive am —
nach Salvarsanbehandilung (Fehr) 942. — s.
Tuberkulose. Zur Technik der Jontophorese
des — (Wirtz) 103. E
Augen, Schädigungen der — durch Chrysarobin585.
Augendruck s. Flüssigkeitswechsel.
Augenerkrankungen im Kindesalter, von Oskar
Eversbuch 370. Therapeutische Technik und
Pflege bei —, von R. Possek 542.
Augenheilkunde, Aus dem Gebiete der 27. Der
Verband in der — (Feilchenfeld) 1237. Hand-
buch der — von Gräfe-Saemisch 76. Hand-
buch der gesamten — 753. — s. v. Michels.
Augenhintergrund, hereditärluetischer 422,
Augenhöhle, Auf welche Weise lassen sich
brauchbare Röntgenaufnahmen des unteren
Abschnitts der — gewinnen? 212. Dermoid
der — 1090. — s. Nebenhöhlenerkrankungen.
Wirkungsweise der glatten Muskeln der —
mit Projektionen 79.
Augenkrankheiten, Nachrichten über — aus tro-
pischen und subtropischen Gegenden Afrikas
und Asiens 492. 533. '
Augenlider, Ueber die Wirkungsweise der glatten
Muskulatur der — auf Grund der Anatomie
mit Projektionen 715.
Augenmißbildungen 585.
Augenmuskelstörung s. Sklerose.
Augenschädigungen durch Sonnenlicht 1291.
Augenmuskelreaktion, Zur Bewertung der — bei
Labyrinthreizung nach experimentellen Unter-
suchungen am Affen 543.
Augenspiegel, Demonstration eines neuen — für
Unterrichtszwecke 464.
Augenspiegelvorrichtung, binoculare 1971.
Augenstörungen 1925.
Augen-, Zungen-, Händezittern s. Albuminurie.
Augustahospital, Geschichte des — und des Ber-
a Frauen-Lazarettvereins, von Ernst Küster
INHALTS-VERZEICHNIS.
y
na a aaa
Aus der guten alten Zeit (Elschner) 880.
Ausbildung, Eine zeitgemäße Reform der medizi-
nischen (Beschoren) 1218.
Ausfallerscheinungen 1717.
Ansflockung s. Lues.
Ausfluß, Pulverbehandlung beim — aus der
Scheide (Nassauer) 1872.
Ausheberungen s. Stauungsinsuffizienz.
Auskultation s. Atemgeräusch. |
Auskultation, Ein Vortrag Laennecs im Jahre 1820,
betreffend die Entdeckung der 1218,
Auskultieren 367.
Ausstellung, Die — „Die Frau im Haus und
Beruf“ in Berlin vom 24. Februar bis 24. März
1912 382. l
Autohämotherapie bei Krebskranken 1881.
Autoinfektion s. Ulcus molle.
Azodermin 581.
Azodolen 1754.
Bach, Ludwig t 1219. .
Bacillendysenterie 664.
Bacillenrubr, Epidemiologie der 463.
Bacillenträger 1133. 1174.
un pyocyaneus, Menschenpathogenität des
1292.
Bacteriology, A laboratory guide in, von P. G.
Heinemann 1475.
Bacterium coli, Auftreten von — im Magen 842.
Bedeutung des — und seiner Toxine für die
menschliche Pathologie 1519.
Bad s. Frauenkrankheiten.
Badeapparat, neuer elektromedizinischer 1830.
. Bäder, Einfluß verschiedener — auf das Herz
(Nicolai) 859. — s. Hautkrankheiten.
Böderregulator, eine neue Vorrichtung zur di-
rekten und indirekten Erwärmung und Ab-
Kung des Kohlensäurebades (Nenadovics)
Biderwirkung, Physiologische Untersuchungen
zur — auf den Kreislauf (Bickel) 998.
Bakterien-Anaphylatoxin und seine Bedeutung
für die Infektion, von H. Dold 1845.
Bakterien s. Bodenbakteriologie. Untersuchungen
über Zehl, Art und Virulenz der aus asepti-
schen Operationswunden bei dem heutigen
Desinfektionsverfahren züchtbaren — 711.
Bakterienausscheidung durch die Magendarm-
mucosa 707.
Bakteriengehalt s. Haut.
Bakterienproteine 456. — s. Salvarsan.
Bakteriologie, klinische — und Protozoenkunde,
von Julius Citron 1129. — s. Peritonitis.
Balantidium coli 1681.
Balkankrieg, das Rote Kreuz im 1851.
Palnenlogenkongreß in Berlin, 8. bis 11. März
Balneologie und Klimatologie 1634.
eotherapeutische Maßnahmen, über den Ein-
ub —, besonders des Wechselstrombads auf
das Herz und die Form des Elektrokardio-
gramms, sowie über die Bedeutung des
Blsktrokardiogramms für die Klinik der Herz- |
j krankbeiten (Strubell) 1280.
alneotherapie der chronischen Herz- und Ge-
fäßkrankheiten (Groedel) 815. 856. — für
Rekonvaleszenten 532.
men se
andage bei
= g! = un angehauch und großen Bauch-
Bandwurmkuren 205.
Bandwurmmittel 1557.
Bantikrankheit 1886. |
antische Krankheit 1007. Ueber einen Fall von
3 = (Steinhauer) 2072.
Bar ra, Krankheit s. Hämatologie. Sym-
Rtomatologie und Aetiologie der — (Bendix)
pasadowkrankheit 8. Jod.
»edowsche Krankheit beim Mann 626. Chirur-
a Behandlung der — 2052. Leistungen
M chirurgischen Bebandlung bei der —
oyar) 862, — s, Röntgentiefenbestrahlung.
rurgische Behandlung der — 1964. Sind
d Name der — beizubehalten?
B e o
asedowstatistik s, Cachexia thyreopriva.
Basel, Medizinische Gesellschaft 166. 293. 1251.
1331. 2086.
Bassinische Radikaloperation s. Leistenbrüche,
Bauch s. Darmruptur.
| Bauchbinde, Demonstration einer pneumatischen
1253.
Bauchbrüche s. Bandagen.
Bauchdecken, Desmoid der 883. — s. Tumoren.
| Bauchdeckenresektionen nach Entfernung von
Riesentumoren 1765.
Bauchfell, Pinselung des — mit Jodtinktur bei
tuberkulöser Peritonitis 665.
Bauchgeschwülste, klinische Diagnose der —, von
Ernst Pagenstecher 121.
Bauchgröße und Ernährungszustand (von Sohlern
Jun.) 1541.
Bauchhöhle s. Cholecystektomie 887. — s. Mast-
darm. Schuß durch die — 375.
Bauchverletzungen 497.
von Bauer, Josef T 1052.
Beamte, Begutachtung nervöser 752.
Becken, Therapie des engen 1796.
e orthopädische — nach Bracco
Beckeneiterung, Kolpotomie bei 1726. _
Beckenendlage s. Geburt.
Beckenhochlagerung, Ileus im Anschluß an 968,
Beckenorgane s. Morbus Basedowii.
Befruchtung. künstliche 1043. Künstliche — bei
Epididymitis duplex 1681. — s. Schwanger-
schaft.
Begutachtung, ärztliche — in Invaliden-, Hinter-
bliebenen- und Krankenversicherungssachen,
von Sielmann 248,
Behandlungszwang (Siefart) 881.
Beinverband, ein neuer (Arndt) 1237.
Belladonna- und Atropinpräparate 1209.
Bemerkungen zu dem in Nr. 6 dieser Wochen-
schrift erschienenen Bericht über mein auf
dem französischen Kongreß für innere Medizin
gehaltenes Referat; (Blum) 425. — zur Mit-
teilung von W. Koch: Zur Anatomie und
Physiologie der intrakardialen motorischen
Centren 531.
Benzol bei Leukämie 1557.
Beriberi, Neuere Forschungen über die Aetio-
logie der (Külz) 509.
Beriberikrankheit 926.
Berichtigung zu dem Aufsatze: „Die Nachfolge
Prof. von Michels auf dem Lehrstuhle der
Augenheilkunde in Berlin“ (Nr. 7) 373.
Berlin, Demonstrationsabend im Krankenhaus
Hasenheide 169. Freie Vereinigung der Chi-
rurgen — 885. 506. 545. 967. 1293. Ge-
sellschaft für Chirurgie — 2080. 2109. Hufe-
landische Gesellschaft — 335. 422. 672. 1334.
1408. 1565. 2009. Medizinische Gesellschaft
— 85. 127. 170. 213. 255. 297. 334. 377. 423.
465.506. 546.589. 761. 802. 845. 887. 927. 1009.
1048. 1091. 1183. 1174. 1215. 1253. 1295.
1809. 1849. 1888. 1927. 2010. 2051. Ophthal-
mologische Gesellschaft — 212. 422. 507. 634.
1480. 1606. 1971. Orthopädische Gesellschaft
— 336. 507. 633. 1446. 2010. Physiologische
Gesellschaft — 84. 423. 587. 673. 1009. 1175.
1294. 1333. 1446. 1481. 1726. 1971. 2050.
Urologische Gesellschaft —633. 1481. 1970.
Verein für Innere Medizin und Kinderheil-
kunde — 170. 297. 337. 424. 688. 803. 968.
1254. 1370. 1525. 1606. 1926.
Bern, Aerzteschaft des Kantons 250. 293. 418.
Medizinisch - pharmazeutischer Bezirksverein
— 1088.
Berufsgeheimnis, ärztliches — und Tuberkulose-
fürsorge (Liebe) 1972. —, ärztliches 2054.
Berufsvormundschaft, Pflegekinderaufsicht und
Mutterberatungsstelle 1884.
Beschäftigungsbuch für Kranke und Rekon-
valeszenten, Schonungsbedürftige jeder Art,
sowie für die Hand des Arztes, von Anna
Wiest 1289. RR
Bescheinigung, ärztliche — über geistige Krank-
heit oder Gesundheit (Mercklin) 1975.
Bestrafung eines Verletzten wegen eines vor
einem Schiedsgericht ausgeübten Betrugs-
versuches 425.
Bestrahlung, Technik der 1646.
Betriebsunfall, Begriffsbestimmung des 416.
Beurlaubung und Pensionierung 752.
Bewegungsreize, wo entstehen die normalen —
im Warmblüterherzen und welche Folgen für
die Schlagtolge hat ihre reizlose Ausschaltung?
. (Brandenburg und Hoffmann) 16
Bindehautentzündungen, bakterielle Befunde und
Verlauf gutartiger — und Tränensackeiterung
bei Neugeborenen 420.
Biochemie, Grundriß der, von C. Oppenheimer
1882. — für Zahnärzte und Studierende, von
Kurt Hoffendahl 1437.
Biochemische Arbeitsmethoden, Handbnch der,
von Emil Abderhalden 1008.
et Unterricht, Ziele und Wege des
nn S Blutgefäße. Erkrankungen der — 238.
Blasendivertikel, congenitales 960.
Blasenektopie, Behandlung der 1764.
Blasengeschwülste, Zur Theorie der (Kutner)
858. Erwiderung hierauf (Casper) 858.
Blasenschleimhautverletzungen 1603.
Blasenpunktion, capilläre 1469,
Blasenscheidewand 1288.
Bone, Behandlung der — des Weibes
Blasenstein 1213.
Blasentoniecum, Pitnitrin als 1363.
Blasentuberkulose s. Harnblase.
Blasentumoren, Behandlung der gutartigen —
mit Hochfrequenzstrom 1970.
Blasenwand s. Sarkom.
Blaudsche Pillenmasse 2047.
Blei, Ausscheidung des 840. |
Bleiintoxikation s. Wassermannsche Reaktion.
Bleischrumpfniere 840.
Blendenveriahren, über ein neues — bei Röntgen-
durchleuchtungen (Bucky) 1745.
Blendung s. Retinitis.
Biennorrhagie, Traite de la — et de ses com-
plications, von Georges Luys 583.
Blennorrhde, doppelseitige 1809.
Blenotin, ein neues reizloses Antigonorrhoicum
(Berger) 694. |
Blepharitis squamosa des Lidrandes 665.
Blinddarmanhbang, Folgezustände nach mechani-
Abschluß des — bei Mensch und Tier
Blumreichsches Phantom 1603.
Blut, adrenalinartige Substanzen im 79. — s.
Anaphylaxie. Bactericide Kraft des —, ab-
hängig von der Alkalescenz 1721. — s.
Cholinsalze. — s. Ferment. — s. Gelatine.
— s. Gerinnzeit. Harnstofibestimmung im —
578. — s. Radiumemanation. — s. Visco-
sitätsuntersuchungen.
Blutausfluß s. Brustdrüse.
Blutbild s. Schilddrüsensubstanz.
Blutbildung s. Eisenstoffwechsel.
Blutbild, das — und seine klinische Verwertung,
von V. Schilling 2106.
Blutdruck 1755.
Blutdruckmessungen bei Thermalbädern und
Thermal-Duschemassage (Rothschuh) 1814.
Blutdruckuntersuchungen 1640.
Blutfleckenkrankheit s. Werlhofsche.
Blutgefäße, kystoskopisch sichtbare — der weib-
en Blase und ihre didaktische Verwertung
Blutgefäßerweiterungen s. Röntgenstrahlen.
Blutgerinnung, über (Unger) 1993. Chemische
Bedingungen der — 927. —, Versuche einer
exakten Zeitbestimmung nebst Vorführung
hierzu geeigneter Apparate 927.
Blutkörperchen s. Anaemia splenomegalica.
Blutkrankheiten und Blutdiagnostik 1522.
Blutkreislauf s. Seeklima.
Blutmorphologie der Laboratoriumstiere, von Carl
Klineberger und Walter Carl 1683.
Blutplättchen, klinische Untersuchungen über 669.
Bluprebe in den Faeces 413. Guajaktinktur zur
Blutregeneration nach Aderlaß 119. l
Blutserum, diagnostische Bedeutung des Anti-
trypsingehalts des — beim Krebs und bei
andern Erkrankungen (Citronblatt) 1888. Das
m ——
er r
un
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er er emp Ee eae ee ea e e ee ae-
i
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+
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I
VI
fettspaltende Ferment des — 1880.
Harnsäure. — s. Kaninchenimpfung.
Blutstrom, ist eine experimentelle Umkehr dəs
— möglich? 1291.
Blutströmung s. Salvarsan.
Bluttransplantation, direkte 247.
Blutung, peritoneale 1761. Ueber seltenere For-
- men von gastrointestinaler (Singer) 893.
Blutungen, Diagnose und Behandlung der — in
der Schwangerschaft, Geburt und Wochen-
bett 333. — s. Fibromyome. Innere — s.
Polygonum hydropiper 1247. . Kalktherapie
bei — 1682. — und mäßigwarme Thermal-
kuren (Schulhof) 1849. — bei Prostatahyper-
trophie 1469. — s. Rückenmark. Spontane,
diffuse — in die weichen Hirnhäute 1801.
Blutuntersuchung, Methodisches zur 797.
Blutveränderungen, typische, wenig gekannte —
im Senium (Hammer, Kirch, Schlesinger) 140.
Blutzellen s. Speichelkörperchen.
Blutzuckerbestimmungen bei Diabetischen 1.764.
Bodenbakteriologie, neuere Untersuchungen über
— und die dem Luftstickstoff assimilierenden
Bakterien [III] 71.
Bolus alba 708.
Bolusmethode, Liermannsche 1596.
Bolusseife „Liermann“ 369.
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft
und Heilkunde 166. 543. 584. 668. 1291.
1331. 1764. 2007.
Boerhaves, Herrmann — Ansichten vom Krebs
und Krankheiten der Knochen (Roth) 465.
Borsäurevergiftung 1001,
Botryomykose 1477.
Boxstation der neuen Wiener Kinderklinik 1684.
Brachykardie 1721. _
Bradykardie 664. Postpneumonische — 1681.
Braunschweig, Aerztlicher Kreisverein 124. 333.
418. 799. 844. 885. 1089. 1406. 1885.
2108.
Brechdurchfälle s. Darmkatarrhe.
Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländi-
sche Kultur 78. 167. 333. 418. 966. 1005.
1046. 1089. 1172. 1212. 1368. 1441. 1562.
1603. 1724. 1764. 2007. 2086. 2049.
—S.
Brightsche Nierenkrankheit s. Nierendekapsu- |
lation.
Bromausschlag bei einem Säugling 1246.
Brombehandlung der Epilepsie 21.
Bromberg, Aerztlicher Verein 419. 1604. 1925.
Bromberger Diakonissenanstalt, in der — im
Jahre 1911 ausgeführten dringenden Opera-
tionen 419.
Bromoderma tuberosum vegetans aut papilloma-
tosum 1753.
Bromsalze, Beitrag zur Frage des Verhaltens
der — im Organismus (Wolff u. Opp.) 647.
nn. über die Unschädlichkeit des (Fischer)
Bronchislasthma 28.
Bronchialbaum, Extraktion eines flottierenden
Fremdkörpers aus dem — mit Hilfe einer
Kombination von Brochoskopie und Röntgen-
verfahren 883. Topographie des — 1685.
Bronchialdrüsentuberkulose, Röntgendiagnostik
der kindlichen 1685.
Bronchialerkrankungen, chronische — mit Aus-
schluß der Tuberkulose [Forts. aus Nr. 48,
1911] 69. 201. — s. Durstkuren.
Bronchialfremdkörper, zur Diagnose der — unter
Mitteilung eines Falles von Ueberwanderung
eines Fremdkörpers vom rechten Bronchus
in den linken (Bannes) 276.
Bronchialrupturen 2086.
Bronchiektasen, zur chirurgischen Behandlung
der 293. Ä
Bronchiektasien, Behandlung der 1606,
Bronchien, Krankheiten der, von Friedr. Albin
Hoffmann 2003.
Bronchiolitis und die Bronchopneumonie der
kleinen Kinder (Feer) 639.
Bronchitis, akute spastische — des frühesten
Kindesalters im Anfall 922. Chronische —
1557. |
Bronchopneumonie s. Bronchiolitis.
Bronchoskopie s. Bronchialbaum.
Bronchoskopische Mitteilung 460.
für Natur-
INHALTS-VERZEICHNIS.
Bronchus s. Bronchialfremdkörper. — s. Fremd-
körper.
Brophenin 1755.
Brown-Sequardsche Halbseitenläsion 423.
Tri Radiumemanation und (Lazarus)
Brustdrüse, Cholesteatom der 1477. Langdau-
ernder Blutausfluß aus der — 1370.
Brusternährung 1964.
Brustkorb s. Anschlagen.
Brustquetschung s. Empyem.
Budapest, Gesellschaft der Spezialärzte 502. 717.
Königliche Gesellschait der Aerzte 39. 295
373. 1214. 1647.
‘ Bulbärparalyse, Fall von akuter 1647.
Cachexia thyreopriva, Blutbild bei — und De-
monstration zur Basedowstatistik 760.
Caissonkrankheit, über — mit pathologisch-ana-
tomischer Beschreibung eines Falles,
E. Stettner 1171.
Calcaneus, Architektur des — unter normalen
und pathologischen Verhältnissen 1446.
Calciumsalze 1436. — beim Heufieber 1085.
Campheröl, Verwendung von — bei der An-
legung und Naht von ÖOperationswunden 711.
Cancroid, primäres — des Niereubeckens mit
Hydronephrose und Oxalatstein 1331.
Carboneol 1687.
Carcinom 625. — s. Kehlkopf. Metastatisches
— der Aderhaut 212. — s. Ulcus ventriculi.
— s. Volvulus. — am Wurmfortsatz 886.
— de Flexura sigmoidea 1409.
Carcinoma oesophagi 760. — ventriculi, zur
Differentialdiagnose zwischen — und Apepsia
simplex (Einstein) 484.
Careinome, Beiträge zur Multiplizität primärer
(Altschul) 854 Ueber atypische — des Ver-
dauungskanals (Friedrich) 563. Zur Lehre
von den Ursachen und Behandlung der —
der weiblichen Genitalien 125.
Careinomoperationen s. Hyperämiebehandlung.
Carcinosis peritonei 418.
Cardiolyse 37.
Cardiospasmus, Zur Kenntnis des chronischen
6
8.
Carrelsche Gewebskultur 802.
Cataracta senilis s. Organtherapie.
Centralblind 37.
Centralnervensystem 1978. Experimentelle trau-
matische Schädigungen des — mit besonderer
Berücksichtigung der Commotio cerebri und
der Commotionsneurose 1213. — s. Salvarsan.
— 58. Syphilogene Erkrankungen.
a elektrische Erregbarkeit der
17
Centrifugenglas mit eingeschliffener Pipette 1248.
Cephalopagus, Fall von 632.
Cerebrospinalmeningitis 2008.
Cervicalkatarrh, akuter 451. — chronischer 451.
Cervicalkatarrhe, die akuten und chronischen
Erscheinungsformen der (Zoeppritz) 451.
Charakter s. Abartung, — und Nervosität, von
Jenö Kollarits 841.
Chemie, neuere Arbeiten aus dem Gebiete der
physiologischen 999. Probleme der physio-
logischen und pathologischen —, von Otto
von Fürth 880.
Chemotherapentische Einwirkung auf septische
Prozesse 1255. — Probleme 425. — Ver-
suche an tumorkranken Tieren 170.
Chemotherapie der bakteriellen Infektionen 1046,
— der Lues oculi (y. Szily) 1868. — s.
Infektionen. — s Vitalfärbung. Weitere
Ergebnisse der — der bakteriellen Infektion
2049.
Chineonal 1044. —, die chemische Verbindung
von Chinin und Veronal (Winternitz) 614.
— als Mittel gegen Keuchhusten (Fraenkel
und Hauptmann) 1871.
Chinin s. Chinsonal. Erfahrungen mit einige
Derivaten des — 885.
Chininblindheit, Fälle von 1169.
Chininderivate s. Trypanosomen.
Chininpräparate s. Anästhesie.
Chininprophylaxe, neuere Erfahrungen über 884.
Chininverabreichung 119. :
von.
nu
a ——m m >—
Chininvorbeugung der Malaria 1640, |
Chirurgie, Bericht über einige neuere Arbeiten
aus dem Gebiete der orthopädischen 2043.
— des Gehirns und Rückenmarks, von
F. Krause 581. — s. Hormonal. Lehrbuch
der allgemeinen —, von Erich Lexer 206.
Neuere Arbeiten aus dem Gebiete der —
1960. — s. Radium. — und Rassenpsychiatrie
in den Tropen (Külz) 214.
rue Demonstrationen 124. — Therapie
Chloräthylrausch 160. — und seine Bedeutung
für die Praxis (Stieda u. Zander) 479.
Chloroformnarkose 1721.
Chloro-Leukämie, myeloische — unter dem Bild
eines malignen Mammatumors 1173.
Chlorose 1682. — und Pseudochlorose nebst
Untersuchungen über accidentelle Herzge-
räusche (Rolly und Kühnel) 556.
Chlorzink s. Färbungen.
Chocolin 752. Verwendung des — bei der The-
rapie der akuten Gonorrhöe und ihrer Kom-
plikationen (Mulzer) 1892.
Cholangitis 159.
Cholecystektomie. Verschluß der
nach der einfachen 887.
Cholecystitis 329.
Cholelithiasis 8329. 1285. Differentialdiagnose
und Komplikationen der — (Umber) 1055. —
s. Frühoperation.
Cholestearinämie und deren Beziehungen zur
Nebennierenrinde 1525.
Cholesteatom der Brustdrüse 1477.
Cholinsalze, über die Wirkung von — auf das
Blut und über die Beeinflussung von Mäuse-
ann durch kolloidale Metalle (Szécsi)
Bauchhöhle
en des Larynx 372. — der Schädelbasis
Chorea minor 250. 1001. Behandlung der — —
197. Beitrag zur Aetiologie und Symptoma-
tologie der — — (Westphal) 604.
Chorionepitheliome mit langer Latenzzeit 1726.
Chorionepitheliom, nach normaler Geburt ent-
standenes 373.
Chromocystoskopie s. Nierenerkrankungen.
Chrysarobin s. Augen.
Circulation s. Thrombenbildung.
Cocaineinspritzung, fahrlässiger Tod einer Pa-
tientin nach wiederholter 971.
Cocainismus 1681. Ä
Coecum mobile und chronische Appendicitis 253.
Coecumresektionen, über —, insbesondere mit
ng auf den genannten Darmmilzbrand
Codeonal 457. 498. 627. Klinische Erfahrungen
mit — (von Oy) 1991.
Colchicum 330.
Coliinfektion der Harnwege 209.
Collitis mercurialis 2086. _
Coma diabeticum 165. 458. — — im Verlaufe
akuter Infektionskrankheiten (Siebelt) 828.
Commotio cerebri s. Centralnervensystem.
Commotionsneurose s. Centralnervensystem.
Congenital luetisches Kind 252.
Conjunktivitis (Adam) 158.
Conjunctivitis eccematosa 1682.
aang der — gonorrhoica 40.
Neue Behand-
— tuberculosa
Coronarkreislauf s. g-Strophantin.
Corpus liberum im Talo-Cruralgelenk 1446.
Coxa vara congenita 1291. — — traumatica
1762. Behandlung der — — traumatica
mittels Reposition und Extension 925.
Cramer, August, t 1607.
Creosotal, Anwendung von — in der Kinder-
praxis (Hunaeus) 1586.
Cubitus varus 374.
Curettement ohne vorherige Austastung 671.
Cylindroide im Urin (Boros) 444.
Cylindrurie s. Albuminurie.
Cyste, über einen Fall von .intermittierender
intravesicaler —, gebildet durch einen über-
a Harnleiter 504. — mit Hydrosalpynx
Cysten, Klinik der — des Wolffschen Ganges
1445
m m
INHALTS-VERZEICHNIS.
VI
0 N eaaa mm
Oystenniere, Demonstration einer kongenitalen —
und eines Hypernephroms 2049.
Cysticereus, freier — der 1V. Hirnkammer 1645.
Cystitis 1469. Postoperative — 1520. 1726.
Cystoskopie 288. Handbuch der —, von Leopold
Casper 370. Lehrbuch der —, von S. Jacoby
ð
Cystoskope, orientierendo und verdeutlichende
34
„Cytax“, die erste Zähl- und Rechenmaschine
im Dienste def Medizin (Tojbin) 442.
Dekryocystitis, chronische 1680.
Pämmerschlaf s. Geburtshilfe.
Dampfheizung 1880. un |
Dampfsterilisator zum Sterilisieren kleiner Mengen
Verbandsmaterial 415. - u
Darm s. Aminosäuren. — s. Eisenresorption. Ex-
perimentelle Beiträge zur Physiologie des —
587. — s. Hernie. Neurotische Zustände des
— 540. — s. Radiumemanation. — s. Tu-
moren.
Darmbewegung, Physiologie der 1447. Zur Kennt-
nis der Entstehung der — 757. — s. Röntgen-
untersuchungen.
Darmearcinom 1925,
Darmerscheinungen, schwere 2089.
Darmflora, Bedeutung der — für den Menschen
117.
Darminvagination infolge von Invagination eines
Meckelschen Divertikels 1369.
Darminvaginationen 420.
Darmkatarrhe, akute — und Brechdurchfälle
589. i
_ Darmmilzbrand, s. Coecumresektionen. Ein ope-
ne gewonnenes Präparat von primärem —
5
Darmmotilität s. Stuhlbild.
Darmruptur, indirekte — bei perforierender Schuß-
verletzung des Bauches 883.
Darmtumoren, über neue Gesichtspunkte in der
Behandlung suspekter (Brosch) 690.
Darmwand, was schützt die — gegen die tryp-
tische Verdauung? 79. |
Dauerdrainage, Versuche mit — bei Ascites 843.
Dauerkatheter 1468,
Deeerebrierte Kaninchen, Versuche an 1888.
Deflurium, Alopecie und (Luithlen) 848.
Deformität, über Madelungsche (Magnus) 2069.
Doformitäten, allgemeine Aetiologie der 718.
Einige neuere Arbeiten über Wesen und Ur-
sache von — 1897.
Degeneration, maligne — bei Uterusmyom und
Röntgentherapie bei Myomen 334.
Dekompression, suboceipitale 296.
Deltoidesparese 294.
Demenz s. Elektrizität. Pseudoparalytische —
bei Stirnhauttumoren 1568.
Denken, das konditionale — in der Medizin und
seine Bedeutung für die Praxis, von Dr. v.
Tree 666. Neues — in der Medizin
Dentikel 872,
Dentition 152.
Dentitionskrankheiten (Hoffendahl) 53.
Dermatitis exfoliativa 1689. — — generalisata
8T. — papillaris capilitii 1717.
Dermatologie (Pinkus) 700. 744. — s. Kohlen-
sänreschnee.
ermatologischer Jahresbericht, von P. G. Unna
und W. Tamms 923,
Dermatosen s. Mundhöhle.
Dermoid der Augenhöhle 1090.
ermoideyste mit Dermoidkugeln 968.
Dermoide s. Fisteln.
estendenztheorie, die neueren Forschungen auf
i dem Gebiete der (Jacobsohn) 1873.
esinfektion, von M. Christian 923. Beaufsich-
sichtigung der — am Krankenbett 502. —
und Sterilisation nach neuen Versuchen 1245.
psnfektionsverfahren s. Bakterien.
esinfektoren, Leitfaden für, von Hensgen 459.
ý Merkbuch für — 1211.
er der Bauchdecken 883.
Dona apparat 1598. |
8 j 3 die == i . Y
iaia am Eingange des 20. Jahr
Diabetes 369. 665. 1839. Fermentiherapie bei —
1965. Einige neuere Arbeiten über — insi-
pidus 1554. Eunuchoidismus bei — insipidus
1444, — insipidus und ähnliche Polyurien 2106.
— insipidus s. Hypophyse. — insipidus s8.
Hypophysiserkrankung. Ueber experimentellen
— und seine Beziehungen zu den Drüsen mit
innerer Sekretion 1713. 1749. Ueber neu-
rogenen — (v. Noorden) 1. Weitere Beiträge
17 a ren Therapie des — (Funck) 1344.
Diabetesforschung, neuere Ergebnisse der 375.
Diabetes mellitus 28. — s. Acetonurie. Bei-
träge zur Lehre vom — 883. Bemerkungen
zu der Abhandlung —, von K. v. Noorden
in Nr. 1 489. — s. Thermalbadekuren. Zur
Theorie und Therapie des — 295.
Diabetes s. Pankreasveränderungen.
Diabetestherapie 707.
Diabetes und Trauma 121.
Diabetiker 665. 707. Indikationen und Prophy-
laxe bei chirurgischen Eingriffen an — 967.
Innulinkuren bei — 1409.
Diabetische, Blutzuckerbestimmungen bei 1764.
Diagnose durch Besichtigung 2045. — s. Wasser-
mannsche Reaktion.
Diagnostik, Neuerungen für das Studium der gy-
näkologischen 1048. Taschenbuch der spe-
ziellen bakterio-serologischen —, von Georg
Kühnemann 1438.
Diagnostische Fortschritte, Verwertung — in
versicherungsärztlicher Hinsicht (Flesch) 1619.
Diagnostisches Hilfsmittel, neues 210.
Diapbysenfrakturen, die chirurgische Behandlung
der geschlossenen 366.
Diarrhöe, Ursache von chronischer 839.
Diät, kohlehydratarme 1001. |
Diätbehandlung bei Herz- und Gefäßkrankheiten
(Strauß) 723.
Diätetik 1203.
Diathermieapparat s. Hochfrequenztherapie.
Diathese, Casuistischer Beitrag zur Frage der
hämorrhagischen (Löffler) 233. — s. Eosino-
philie.
Diätmodifikation, Diätform, Diätverordnung, Diät-
durchführung (Jürgensen) B.-H. 7.
Diazoreaktion, Technik der 1964.
Dickdarm, Antiperistaltik im 125. Röntgenunter-
suchung des — 118. Zur Diagnose und The-
rapie der Erkrankungen des — 1564
Dickdarmerkrankungen, zur Therapie akuter (Ra-
schofszky) 830.
Dickdarmfunktion, experimentelle Untersuchungen
der — beim Affen 758.
Dickdarmperistaltik, anatomische Grundlage der
925.
Diekdarmresektionen, zwei — bei Hirschsprung-
scher Krankheit 1562.
Dickdarmstenose, ein Fall von Payrscher 253.
Dickdarmtumoren 209.
Dierotie s. Aortenwellen.
Digalen 961.
Digestionstraktus, Röntgenuntersuchung des 672.
Digifolin 1682.
Digipuratum (Knoll) 330.
Digitalis, wirksame Bestandteile und Verord-
nungsweise der 1479.
Digitalistherapie 375.
Dikotyledonenblätter, Anatomie der — mit
Krystallsandzellen, von Fritz Netolitzky 1086.
Dilatatoren s. Mestall-—.
Diluierende Mittel 283.
Dionin, Wirkung des — auf den Schnupfen 794.
Diphtherie, Behandlung der 1209. — s. Di-
phtheriebacillen. Drei weitere Jahre — 2108.
Neue Gesichtspunkte zur Behandlung der —,
des Sebarlachs und von eitrigen Prozessen
(Lorey) 1069, Schule und — 549.
Diphtheriebacillen, neuseinzeitige Doppelfärbungs-
methode für die Polkörperchen der 539.
Untersuchungen auf — und Bekämpfung der
Diphtherie (Neißer) 1621.
Diphtheriebehandlung 1407.
Diphtheriebekämpfung in den Schulen 540.
Diphtheriediagnose 1001. u
Diphtheriedurchseuchung und Diphtherieimmuni-
tät 715.
Tip h th eree pidomig, die zurzeit herrschende (Lux)
07.
Diphtherieforschung, neuere Ergebnisse der 411.
Diphtherieheilserum 794.
Diphtherieserum 1519. — s. Serumexanthem.
Diphtherietherapie, Stand der 1606.
Diphtberietoxin, über den Einfluß von — auf die
Abscheidung von Adrenalin durch die Neben-
nieren 246. —-Intracutanreaktion beim Men-
schen 1643. f
Diphtheritis, aktive und passive Immunität bei
— in der ärztlichen Praxis (Dittrich) 951.
Diplegie, spastische 759.
Diplokokkenperitonitis 883.
Diurese, Tagesschwankungen der — bei gesunden
und kranken Nieren 882.
Diuretische Heilmittel (Mayor) 1139.
Divertikel s. Darminvagination.
Divisor 1288. |
Doppelschutzkappen für die Gebärmutter 752.
Dortmund, Demonstrationsabend der städt.
Krankenanstalten 251. 760. 1604. |
Dresden, Gesellschaft für Natur- und Heilkunde
35. 209. 252. 462. 502.
Drseurmeihede, Verwendung der — bei Hunden
Druckschwankungen, Verlauf der — in den Hohl-
räumen des Herzens und in den großen Ge-
fäßen (Piper) 1630.
Drusen des rechten Sehnervenkopfes 422,
Drüsen s. Diabetes. Erkrankungen der — mit
innerer Sekretion 1969. Ueber die Wechsel-
beziehungen der — mit innerer Sekretion
(Fleischmann) 177.
Drüsen- und Narbenrezidive, durch Radium-
Ena beseitigte — nach Ca. pharyngis
Duboische psychotherapeutische Methode, Wesen,
Wert und Grenzen der 669.
Ductus thoracicus, operativ entstandene Ver-
letzungen des 1002.
Dünndarm s. Haargeschwulst. Perforation des
— . — 8. Vagina 254.
Dünndarmstück, 160 cm langes gangränöses 2009.
a une operativ geheilter Fall von
Duodenalgeschwür, Durchbruch eines 2009.
Duodenalgeschwüre 808.
Duodenalkatheter, Gebrauch eines einfachen —
in der Klinik und im Experiment 1684,
Duodenalstenose, Röntgenbilder eines geheilten
Falles von spastischer 296.
Duodenum s. Adhäsionen, Beitrag zur Be-
handlung der —- und Pankreaszerreißung
579. Röntgendarstellung des — und Appen-
dix 296. — s. Ulcus. '
Dura mater cerebri, Befunde an der 1645. Sar-
kom dər — 79.
Duraersatz, Versuche über 759.
Durchfall 540.
Durchfälle s. Kalomel.
Durchnässung s. Gehirnblutung.
Durchsichtigmachung von menschlichen und
tierischen Präparaten, von Werner Spalteholz
Dürkheimer Max-Quelle 2047.
Durstkuren bei chronischen Bronchialerkran-
kungen 1091.
Dysbasia arteriosklerotica 423,
Dyschezie s. Torpor recti.
Dysmenorrhöe, schwerste 119.
Dystrophia adiposo-genitalis 1441.
Eccema vulvae 1474.
Ecksche Fistel s. Lebereirrhose.
Echinococeusinfektion, Serodiagnose der 1047.
Ektasie, spindelförmige — des Oesophagus 1566.
al! a sin — und das erste
rzəębnt seiner Rechtsprechun
rn 8. a Pe
ifersucht, über die Psychologi —
M. Friedmann 247. E E E A
Eisen s. Ivjektion.
Eisenausscheidung im Urin während der Pneu-
- monie 1400.
Eisenmangel s. Eisonstoffwechsel.
Eisenresorption vom Darm aus 2088.
vol
Eisenstoffwechsel, Organe des — und die Blut-
bildung bei Eisenmangel 964.
Eisenwirkung 2047.
ie Unfallkasuistik der modernen (Zander)
Eiterungen, Beitrag zur Beurteilung metastatischer
— in der Unfallbegutachtung 1599. Metasta-
tische extradurale — 545.
Eitrige Prozesse s. Diphtherie.
Eiweißbildung s. Ammoniaksalze.
Eiweißkochprobe, Niederschlagspuren bei der 497.
Eiweißreaktion in tuberkulösem Sputum 73.
- Eklampsie mit Nephritis 961. Behandlung der —
1292. Behandlung der — nach Stroganoff 626.
Schwerste puerperale — 1247. Therapie der
— 752. Ursache und Behandlung der — 579.
Eklampsiebehandlung, abwartende 1292.
Eklampsiefrage 1603. |
Eklampsietherapie 876.
Ektropions des Oberlides 1971.
Ekzem 879. Behandlung des — 793. Fort-
schritte in der Therapie des — 418 Therapie
des —, von Theodor Veiel und Fritz Veiel
2085. — s. Thyreoidtabletten.
a am Bindegewebe des Lebenden
Elbon 1330, |
Elektrische Entladung, chemische Wirkung der
nn — und die Bildung von Aminosäuren
au Erregung, die allgemeinen Gesetze
er 84.
Elektrizität, ein Fall von Verletzung durch —.
Ausgang in Demenz 207.
Elektrodiagnostik, Leitfaden der — und Elektro-
therapie, von Toby Cohn 161.
Elektrokardiogramm s. Balneotherapeutische Maß-
nahmen. Klinik des — 462. — von Situs
inversus 2007.
Elektrokardiogramme 1721.
Elektrolyse s. Oesophagusstenose.
Elektromedizinischer Badeapparat, neuer 1330.
Elfenbein, über Inplantation von — zum Ersatz
von Knochen- und Gelenkenden 711.
Ellbogengelenk, typische Nebenverletzung bei
Luxation im 1925.
Emanationstherapie, Fortschritte auf dem Gebiete |
der 787.
Embolie 414. 1525. — s. Thrombose.
Emphysem, umschriebenes 2082, — der Harn-
blase 2086.
Emphysematiker s. Auge. |
Empyem, Tod an — und Tuberkulose nicht Folge
einer geringfügigen drei Monate zurück-
liegenden Brustquetschung 2048.
Enchondrom des Schultergelenks 1258.
Eindemieität 1043,
Endokarditis, septische 297.
Endotheliom, mit Erfolg operierter Fall eines —
des Felsenbeins 417. Pflaumengroßes — der
Orbita 1090. Ä
Energieaufwand des Rindes bei Arbeit 1294.
Enophthalmos traumaticus 422 1080.
Entartung s. Fernreaktion. Ueber nervöse —,
von Oswald Bumke 2084.
DEIN UNBRANEINIE) Ursache der — der Schulter
713
Entfettung durch eine modifizierte Milchkur 502.
Entfieberung s. Tuberkulin.
Entwicklung, normale und abnorme — des.
Menschen, von Ivar Broman 75.
Enucleation s. Tonsillen.
Enuresis nocturna, Diät bei der. 2082.
Eosinophilie und exsudative Diathese 1684. Lo-
kale — beim anaphylaktischen Versuch 842.
Epididymitis duplex, künstliche Befruchtung bei
1681. Ueber eine neue Behandlungsart der
— und Arthritis gonorrhoica (Braendle) 487.
— erotica sive antiperistaltaticae 123. —
gonorrhoica 665. i
Epigastrium s. Adhäsionsbildungen.
Epilepsie, Aetiologie und Therapie der 1923.
Brombehandlung der — 21. -Fragen 620.
Gemeine allgemeine — 1557. Neue Behand-
lungsweise der —, unter Berücksichtigung der
hysterie- und neurasthenieähnlichen Krank-
heitserscheinungen, von Josef Rosenberg 1170.
INHALTS-VERZEICHNIS.
Neuere anatomische und klinische Forschungen
auf dem Gebiete der — 1478. — und Unfall
332, — — — Ein Fall von Täuschung 1967.
A: Proguose der — im Kindesalter (Zappert)
Epiphora 1680.
Epitheliom der Tibia 1807.
Epithelkörperchen. Schutz der — und des Re-
currens bei der Kropfoperation 925.
Epitbelwucherungen, Transplantation von experi-
mentell erzeugten atypischen 1525.
Erblindung, akute toxische 1681. Transitorische
— nach Beobachtung der Sonnenfinsternis
(Bondi) 1817. |
Erbrechen, nervöses (Wolff) 11%. Ueber nervöses
— (Kuttner) 809. Verhinderung des — bei
der Sondenernährung 922.
Erbsyphilis 959. |
Hego damai, klinisches Bild und Therapie des
Erlangen, Aerztlicher Bezirksverein 374. 1831.
1407. 2008.
Ernährung, das biologische Prinzip der 1846.
Fleischlose — 2008. — s. Gewürze. Tech-
nik der — 2007. — s. Wachstum 1644.
Ernährungstechnik s. Unterernährung.
Ernährangszustand, Bauchgröße und (von Sohlern
Jun.) 1541.
Erregung, die allgemeinen Gesetze der elektri-
schen (Boruttau) 489. 580. 571. 617.
Ertaubung, bilaterale — und Vestibularausschal-
-tung 290.
Ertüchtigung, körperliche — der Frau 1724.
Ervasin 1640. 1753.
Erweichungen s. Blutungen.
Erweichungsprozesse im Knochensystem 718.
Erwerbsheschränkung s. Unfallnervenkrankheiten.
Erysipel latentes. 2109.
Erysipelas gangreaenosum scroti et penis 418,
Erystypticum (Hirschberg) 1629.
Erythema nodosus, Aetiologie des 1168. Ueber
2 öminöse Form des — nodosum (Kober)
Eßgeschirre als Infektionsverbreiter 28.
Esterasen, zur Kinetik der 588.
Esmarchsche Binde am spastisch-paretischen
Gliedmaßen 626.
Euakust 160.
Eunuchoidismus bei Diabetes insipidus 1444.
Eusemin als Lokalanästheticum (Neuhann) 780.
Ewald Boassches Probefrühstück, ist das — im
Magen geschichtet? 883.
Exanthome, allgemeines und akute 574.
Excisio recti carcinomatosi s. Kontinenz 335.
Exkremente, Desodorierung von 707.
Exostosen, multiple 254.
Exstirpation s. Mastdarmcareinom. — s. Mast-
darmkrebs. `
Exsudate s. Harnsäure.
Extensions- und Abduktionsapparat, ein frei-
tragender — für die unteren Extremitäten 74.
Extrasystolen. über die Ursprungsorte der
(Nicolai) 822. — s. Vagus.
Extrauteringravidität s. Röntgenstrahlen.
Extremitäten. einige neue Mitteilungen über
interessante kongenitale Mißbildungen der 287.
Extremitätenveränderungen, distale 1566.
Extremitätenverletzung, Beitrag zur konservativen
Chirurgie schwerster 925.
| Faeces, Blutprobe in den 418.
Facialiskonvulsionen 1640.
Facialislähmung 418.
Fadenhalter 1086.
ed: der außerordentlichen Professoren
Farbenblindheit, centrale 1213.
Farbensinn s. Lichtsinn. Störungen des —, ihre
klinische Bedeutung und ihre Diagnose, von
H. Köllner 1004.
Farbstoffe, Wirkung der — in Verbindung mit
Giften und Arzneimitteln (Sellei) 1887.
Färbungen, Verbesserung der — durch Fixierung
des Gewebes mit Chlorzink (Reimann u.
P. G. Unna) 1819.
Fascie s. Transplantation.
Felsenbein s. Endothenium.
Femur, Transplantation des oberen Drittels des
— von der Leiche 1761.
Femurende 8. Osteomyelitis.
Ferment s. Blutserum. Cholesterinesterspaltendes
— des Bluts 1764. Ä
Fermentgiftigkeit s. Anaphylaxie.
Fermentschwächung 669.
Fermenttherapie bei Diabetes 1965.
Fermentuntersuchungen des Magensaftes, dia-
gnostische Bedeutung der — speziell des
Labferments, zugleich ein Beitrag zur Frage
der Wesenseinheit von Lab und Pepsin beim
Menschen 2086. |
Fernreaktion, über die klinische Bedeutung der
He auf Entartung“, von Ghilarducei (Forli)
Fornthrombose nach endovenöser Salvarsaninjek-
tion 456.
Fettansammlung, enorme, auffallend schnell sich
entwickelnde, symmetrische 1441.
Fettgewebe s. Plombieren.
Fettgewebsnekrose, tumorbildende — im Ab-
domen 1761. _
‚Fett-, Kalk- und Stickstoffwechsel des Säuglings
1644.
Fettleibigkeit, Demonstrationen der elektrischen
Behandlung der 2010. Eine einfache Me-
thode der Bekämpfung der — (Galisch) 1909.
Feuerbestattung und ihre Ausführung 1723.
Fibrin, über die Bedeutung der Verminderung
des —, der mangelhaften Retractilität des
Blutgerinnsels und der Abnahme der Blut-
plättchen in der Diagnose des Typhus abdo-
minalis (Steiger) 655. |
Fibrom, angeblich nach Unfall entstanden, Zu-
sammenhang verneint 1720. Stecknadelkopf-
großes — von der linken Stimmlippe 211.
Fibromyome des Uterus 626.
Fibromyose, Röntgentherapie der — und der
uterinen Blutungen 1127.
Fibula, vermehrtes Wachstum der — bei Tibia-
defekt 1006.
Fibuladefekt, angeblicher 298.
Fieber, zur Theorie des 544,
Fieberthermometer als Quelle der Weiterver-
breitung von Krankheiten 414. |
Filarien, Untersuchungen bei 926.
Filarienerkrankungen, Beiträge zur Klinik und
Therapie der — in der Südsee 926.
Filmaron 205. 1557.
Finger s. Nase.
Fingerphänomen 413. |
Fischgenuß. zur Bewertung des 174.
Fischnetz 498. i
Fissur 374.
Fissura ani, Behandlung der 1209.
Fisteln und Dermoide in der Sacrococcygeal-
gegend: 1721. | |
Flasche, liegende — und Ampullenhalter 247.
Flexura sigmoidea s. Volvulus.
Fluß, zur trockenen Behandlung des weißen
(Wille) 198.
Flüssigkeitswechsel, Beiträge zur Lehre vom
intraocularen — und vom Augendrucke 463.
Folliclis 2049,
Follikulitiden 1924.
Forensisch-psychiatrische, neuere — und kriminal-
psychologische Arbeiten 789. Aus der —
Tagesgeschichte (Placzek) 11. 60.
Formaldehydvergiftung, akute 1681. |
Formalindämpfe, nervöse Störungen nicht auf
Einatmung von — zurückzuführen, daher als
Unfallfolge nicht anerkannt 2107.
Formamintwirkung 1753.
Foerstersche Operation 1090,
Fortbildungs- und Haushaltungsschulen 1884.
Frakturen 713.
Frakturenbehandlung, das funktionelle Moment in
der (Jottkowitz) 776.
Frambösie, Behandlung der 1810. Salvarsan-
behandlung der — 1848.
Frambösiefrage, gegenwärtiger Stand der 884.
Frankfurt, Aerztlicher Verein 36, 78. 209. 502.
632. 669. 885. 1005. 1173. 1213. 1252. 1291.
1331. 1476. 1524. 1605. 1687. 1807. 1846.
1887. 1969. 2008.
Franksche Nadel 2088.
— mm mm M nn m nn nn a ea
Seas = _
S ra pn Dune ml TI IT pamai
Frauenkrankheiten, über konservative und ope-
rative Behandlung der — im Bade (Daude)
1112,
Frauenmilch, Ernährung mit 579,
Fremdkörper s. Bronchialbaum. Extraktion nicht
magnetischorr — aus dem Glaskörper 584.
— aus der Lunge 86. Bemerkenswerter Fall
von — des linken Bronchus 78. — s. Bron-
chialfremdkörper. — s. Tumoren.
Fremdkörperhäkchen s. Otiatrie.
Fremdkörperperforation s. Oesophagus.
Fremdkörperverletzung s. Hernie.
Freuds Lehren 578.
Friedrich der Große und die Aerzte (Richter)
130
Frühaufstehen s. Umfrage. — der Wöchnerin
1681. Zur Frage des — nach Geburten und
Operationen 1476.
Frühoperation bei Cholelithiasis und Ulcus duo-
deni 1287.
Gualaktosurie s. Leberfunktion. Zwei Typen von
1370
Gallenabsceß, retroperitonealer 968.
Gallenblase extrem gespannt und gezerrt 1286.
— s, Salzsäureabscheidung.
Gallenblasen, Röntgenbilder von sieben entzün-
deten, steinhaltigen 253.
Gallenblasenentzündung, chronische 1286.
Gallenblasenhals s. Adhäsionen.
Gallensteine 6. Diagnose der — 1444. Genese
der — 1325.
Gallensteinkrankheit, über die Bedeutung der
Schwangerschaft für die Entstehung der
(Grube) 646. — und ihre Behandlung, von
Karl Grube und Henry Graff 1045. Behand-
lung der — 457.
Gallensteinleiden 1285. — s. Kombinations-
steine. Welche Indikationen für die innere
und chirurgische Behandlung des — müssen
wir auf Grund der neueren pathologischen
Untersuchungen aufstellen? 887. 1009.
Gallensteinoperationen, Rezidive nach 328.
Galvanotherapie 582.
Gangliom Gasseri, Tumoren des 793. — s. Tri-
geminusneuralgien. . l
Gangrän s. Hernien. Verhütung der — erfrore-
ner Glieder 1006. Drohende — für Beseiti-
gung der venösen Stase 2106.
Gastralgie, menstruelle 581.
Gastrektasie s. Gastroptose.
Gastritis aleoholica, Magenschmerzen bei 1718.
Gastroenteritis s. Oedem.
Gastroenterostomie s. Ulcus ventriculi. — im
Röntgenbilde 668.
Gastroenterostomose s. Ulcus ventriculi 166,
Gastroptose, Bandagenbehandlung der 627. Rönt-
gensymptome der — und Gastrektasie im
Vergleich zu den übrigen klinischen Unter-
suchungsmethoden 757.
Gaumenmandeln, totale Enukleation der 1755.
Vollständige Ausschälung der — 373.
Faumenspaltverschluß, Spätfolgen des operativen
Gebärmutter, Doppelschutzkappen für die 752.
obührenordnung s. Honorarforderungen.
Gebührenpflichtigkeit eines verspätet gemachten
ärztlichen Besuchs 1178.
Geburt, Abwarten der — in Beckenendlage
(Hannes) 851. Bemerkungen hierzu (Rheins)
r 1159, — s. Blutungen.
oburten s, Morphium-Scopolamindämmerschlaf.
Rückgang der — 1846, Rückgang der —
N ie Preußen und seine Ursachen 1604.
sturtenrückgang in Deutschland im allgemeinen
a. in Halle im besonderen und dessen
en 1763. — und seine Bekämpfung
Geburtenzifter Säugli ichkei
auier, Säuglingssterblichkeit und 551.
"eburtshilf 7193. Abhandlungen aus dem Ge-
Fe der — und Gynäkologie, von W. Tauffer
aan s. Hypophysenextrakt. Hypopbysen-
er pi und Dämmerschlaf in der praktischen
196 k — der Klinik und — der Praxis
Pru oderne — 717. Operative — der
vas und Klinik, von H. Fehling 1211. —
ie
8. Pituitrin, — g, Röntgenstrahlen. Schmerz-
INHALTS-VERZEICHNIS.
linderung und Schmerzverhütung in der —
und Gynäkologie (Bondy) 1454.
Geburtsschmerz, Herabsetzung des 1247.
Geburtsstörungen. drei seltene 632.
Geburtswehen, Pituitrin bei schwachen 1209.
Gedächtnis, über das (Morgenthaler) 1538. 1575.
Gefälligkeitsdienste, haftet der Arzt für? 636.
Gefäßchirurgie und Transplantation 670.
Gefäße s. Unfalltatsache. ~-
Gefäßerkrankungen 30.
Gefäßkrisen 1689.
Gefrierfleisch 1608. Aerztliche Urteile über die
Bewertung des — 1891.
Gefrierschnitte 1760.
Gefühle, über Erziehung der (Vogt) 607.
Gehirn s. Tuberkulose.
Gehirnabscesse 124. `
Gehirnblutung bei einem Arteriosklerotiker als
Folge einer Durchnässung anerkannt. Tod
an erneuter Blutung nicht Unfallfolge 1805.
Gehirnerkrankungen, Diagnose und Fehldiagnose
von — aus der Papflla nervi optici 371.
Gehirnhautentzündung, Tod an eitriger — als
Folge einer 2t/2 Monate zurückliegenden
Kopfverletzung 1364. 1403. 1438. 1522. 1559.
Gehirn- und Rückenmarksveränderungen bei In-
fektionskrankheiten 996. -
Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten s. Lumbal-
punktion.
Gehirntumor 1168.
nern Endresultat der Operationen von
40.
Geisteskranke, Fürsorge für 82. Projekt einer
Gesetzgebung betr. — 82. Gynäkologische
Erfahrungen bei — 2082.
Gefäßnaht s. Aneurysmen.
Gelatine, Wirkung der internen Darreichung der
— auf die Viscosität des Bluts (Cmunt) 1893.
Gelenkeinklemmung und: ihre Behandlung mit
besonderer Berücksichtigung der Interposition
des verletzten Meniscus im Kniegelenk 761.
ea aanlunz: chronischer deformierender
Gelenkerkrankungen, statische 2010. — — von
G. Preiser 458. — durch Preßluft 1441. Zur
Klinik der — (Schmidt) 1485.
Gelenkkrankheiten, physikalische Therapie der —,
von Eduard Weiß 923.
Gelenkrheumatismus s. Atophantherapie. Be-
handlung des akuten — mittels rektaler
Applikation einer 5 O/oigen Kollargollösung
1923. — s. Nase.
Gelenksteifigkeiten. Mobilmachung von — während
Thermalkuren (Bosänyi) 1196.
Gelenktuberkulose 1762.
Gelenkwunden s. Naht.
Gelonida 330. — Sulfonals und Veronals 330.
Gemüsekost im Säuglingsalter 1644.
Generalversammlung. 16. — des Deutschen Cen-
tralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose
am 14. Juni 1912. 1130.
Genese, zur Klärung der kausalen — von Miß-
bildungen bei Säugetieren 376.
Genitalapparate s. Nebenniere.
Genitalien s. Carcinome. l
Genitaltuberkulose 1251. Pathologische Anatomie
der männlichen — 1482. Weibliche — 1831.
Zur pathologischen Anatomie der männlichen
— 1970.
Genossenschaftsmolkereien s Milch. -
Gerichtliche Medizin, aus der 156, 537.
Gerinnzeit, eine einfache Methode zur Bestimmung
der — des Blutes 1437.
Gertzsches Keratoskop 422.
Geruchshalluzinationen (Kutzinski) 394.
Geschlecht, Vererbung und Bestimmung des 1602.
Geschlechtsapparat, Beziehungen zwischen den
Funktionen des weiblichen — und verschie-
denen Hautkrankbeiten 1088.
Geschlechtsdifferenzierung, Versuch der utra-
uterinen 1726.
Geschlechtskrankheiten, Handbuch der 195. Ver-
hütung der —, von Felix Pinkus 196.
I
Geschlechtsleben des Menschen, von Gerhard
Hahn 1641.
Geschlechtsorgane s. Nervensystem. — 8. Nen-
rosen.
Geschwulstätiologie s. Acari.
Geschwulstbildung, über einen seltenen Fall
von pararenaler 516.
Geschwulstdiagnose, über die Fortschritte in
der serologischen 1875,
Geschwülste, Anwendung des Radiums und des
Mesothoriums bei 1295. Behandlung von —
mit Mesothorium und Thorium X 840. Ex-
perimentelle Beiträge zur Biologie der — 965.
Neuere Publikationen zur Chemotherapie der
malignen — (Werner und Szécsi) 1466. Nicht-
operative Behandlung der — 1602. — s. Um-
frage.
Geschwür, duodenales — im Säuglingsalter 373.
— s. Scheide.
Gesichtslage, Umwandlung der — in der Schädel-
lage 1252.
Gesichtsneuralgien, Behandlung schwerer 1927.
Gesichtsplastik 760,
Gesichtstätowierung durch Unfall.
Gesundheitspflege, öffentliche — der Stadt Char-
lottenburg im Jahre 1910.-255.
Gewächse s. Trauma. i
Gewebszerfall, über aseptischen — und seine
Giftwirkung 711.
Gewerbekrankheiten, internationale Uebersicht
über —, von Ernst Brezina 2084.
Gewerkschaftsbeiträge 1448,
Gewichtsbezeichnungen, Verbesserung der — auf
Rezepten 1803.
Gewichtszunahme, Normalzablen über — der
Säuglinge 1286.
rue, Bedeutung der — in der Ernährung
Gicht s. Atophantherapie. Behandlung der —
368. Chronische — 368. Die neueren Wen-
dungen in der Pathologie und Therapie der
— (Frank) B.-H. 10. — s. Natrium. Patho-
genese der — 792. —, Pathologie und Thera-
pie der 2050. Wesen der — 578,
Gichtanfall, akuter 330. Pathogenese der akuten
— (Adler) 1833.
Gichttherapie s. Urosemin.
Gifte, Arzneimittel und 1371. — s. Farbstoffe,
Nachweis und Bestimmung von — auf bio-
‚ logischem Wege, von Hermanu Fühner 206.
Gipsverbände, hochkant gekrümmte Raspel zum
Oeffnen und Bearbeiten von 1882.
Gipsverbandtechnik, praktische Winke zur 457.
Glasdrains 1760. i
Glaskörper s. Fremdkörper.
Glasphlegmone 1173.
Glaukom bei hoher Myopie 422, Einige neue
a auouen gegen das — 791. Primäres —
Gleit- und Tiefenpalpation, topographische 757.
a ihre klinische Bedeutung (Hausmann)
Glutannin 1248.
Glykoheptonsäure, Lacton der 369.
Glykosyse, Beiträge zur Kenntnis der 84.
Gonitis 28.
Gonokokkämie, ein Fall von rapid verlaufender
— mit akuter Leberatrophie (Weitz) 192.
Gonokokkendokarditis 802.
Gonokokkenvaceine 246. Diagnostische und
therapeutische Bedeutung der — bei der
Gonorrhöe der Frau 845. — s. Gonorrhöe.
Gonorrhöe, die Behandlung der — und ihrer
Komplikationen mit Gonokokkenvaccin (Hagen)
22, — s. Chocolin. Diagnose der chroni-
schen — des äußeren Urogenitale beim Weibe
5388. — s. Gonokokkenvacein. — des
Mannes, von W. Karo 1641. — s. Thermo-
penetration. — s. Vaccination.
T Allgemeinerkrankungen (Zieler)
Goercke, Dr. Johann (1750—1822) und die Be-
eron ang des preußischen Sanitätswesens
rn Medizinische Gesellschaft 294. 548,
Granulocytensystem s. Leukämie.
Granolom, Bemerkungen zum venerischen 884,
Granulom, malignes 1181.
Granuloma, Pathologie und Astiologie der so-
genannten teleangiektatischen 1477. l
x
Graziella 541.
Groccosches Phänomen s. Herzperkussion.
Großhirnfunktion, Demonstration zur Beziehung
der — zur Kleinhirnfunktion 1726.
Grundgewebe, latente Entzündungen des — ins-
ee der serösen Häute, von Buttersack
Grundzüge der pathologisch-histologischen Tech-
nik, von Arthur Mülberger 1438.
g-Strophantin, hat — eine Einwirkung auf den
Coronarkreislauf (Meyer) 869.
Guajaktinktur zur Blutprobe 290.
Gummiballon, Anwendung des — in der geburts-
hilflichen und gynäkologischen Praxis 1213.
Gummischwamm 1127.
Gutachterbandmaß 794.
Guyonsche Tropfspritze 282
Gymnastik s. Massage.
Gynäkologie 1169. — s. Geburtshilfe. Krank-
heitsbilder aus dem Grenzgebiete zwischen —
und Orthopädie 1047. Noviform in der —
(Lamers) 1834. — und Psychiatrie (Peretti)
1857. Röntgenbehandlung in der — 1409.
Röntgenstrahlen in der — 1646. — s. Röntgen-
strahlen. s.Röntgentherapie. Röntgentherapie
in der — 1482. — s. Tuberkulose. Ueber
praktisch wichtige, aber wenig bekannte Krank-
heitsbilder aus dem Grenzgebiete der —
und der Orthopädie (Preiser) 981.
Gynäkologische Behandlung einst und jetzt, von
Schauter 161. Leukrol in der — Praxis
(Keilpflug) 64.
MHoaarentfernungsmittel (Saalfeld) 785.
Haargeschwulst des Dünndarms mit ungewöhn-
lichen Folgeerscheinungen 883.
Haarpflege s. Alopecia seborrhoica.
Hackenfuß, Behandlung des 1969.
Haftet der Arzt bei obno Erlaubnis oder troiz
verweigerter Erlaubnis vorgenommener Se-
zierung einer Leiche (Block) 86.
Haftpflicht des Arztes 426. 1093. 2054.
Haftung des Arztes aus einem Kunstfehler bei
der Behandlung 217.
Halle a. S., Verein der Aerzte 167. 333. 584.
670. 926. 1369. 1476. 1524. 1687. 1763. 2049.
Halluzinationen s. Geruch.
Halsmark s. Tumor.
Hals-, Nasen- und Ohrenpraxis s. Aethylchlorid-
narkose.
zu retrouterina, Ovarialgravidität mit
ri :
Hämatologie, Arbeiten aus dem Gebiete der 1911.
1123. — und Knochenveränderungen bei
Barlowscher Krankeit 2006. Vorlesungen
über klinische —, von W. Türk 796.
Hämatologische Diagnostik, Ausbau, Entwick-
lung und der jetzige Stand der — 1809.
Hämatometra einer atretischen Uterushälfte bei
einem i5jährigen normal menstruierenden
Mädchen 1645.
Hämatomyelie-Sehnenplastik 1562.
Hämatosalpingen s. Uterus.
Hamburg, Aerzlicher Verein 37. 210. 374. 503.
e 1046. 1213. 1292. 1441. 1606. 1925.
2108.
Hämoglobinbestimmung, Beitrag zur Methodik
der (Malý) 281.
Hämophilie 1925. 2008. Klinisch-experimentelle
Untersuchungen bei — 797. Kniegelenke
eines alten — 800.
Hämorrhagische Formen, ungewöhnliche — m-
nerer Krankheiten 1809.
Hämorrhoiden, Enstehung der 1085.
Handbuch der physiologischen Methodik 709.
Händedesinfektion 627,
Händezittern s. Albuminurie.
Handgelenk s. Tendovaginitis.
Handvibrationsapparat, ein neuer 1558.
Hängebauch s. Bandagen.
Harn, Chemie des, von W. Autenrieth 415. —
s. Paralytiker. — s. Phosphaturie. — s. Serum-
exantheme.
Harnantiseptica 283.
Harnblase, Ausschaltung der — bei schweren
Formen von Blasentuberkulose 298, —, Em-
~ physem der 2086.
Harnleiter s. Cyste.
Harnorgane, Erkrankungen der — bei Säuglingen
252. Die Kraukheiten der —, von Rudolf
Jahr 161.
Harnröhre, seltene Fremdkörper der (Berg) 104.
Harnröhrenruptur, subcutane komplette — in
15 Tagen geheilt 502.
Harnsaure Kristalle s. Perinephritis fibrosa 1214.
Harnsäure, qualitativer Nachweis der — im Blut-
serum und in Exsudaten 2001.
Harnsteine 6. —, ihre Physiologie und Patho-
genese, von O. Kleinschmidt 1129.
Harnstoffbestimmung im Blute 578.
Harntraktus, Studie über die eitrigen Infektionen
des kindlichen 497.
Harnverhaltung 1469.
Harnwege, aufsteigende Infektion der 1208. Coli-
infektion der 209. Erkrankung der — im
Säuglingsalter 1923.
Harvey William und die Entdeckung des Kreis-
laufs 844.
Haut, experimentelle Untersuchungen über die
Beeinflussung des Bakteriengehalts der —
durch dermatologische Behandlungsprozeduren
(Hidaka) 1894. — s. Immuwnisierung. — s.
Röntgenstrahlen.. — s. Temperaturempfind-
lichkeit. — s. Toxinempfindlichkeit.
Hautdefekte, ausgedehnte 498.
Hautdesinfektion mit Jodtinktur (Pickenbach) 487.
Hautgangrän, lokale — nach subcutaner Luminal-
injektion 1475. |
Haut- und Geschlechtskrankheiten, Therapie der
—, von Reinhold Ledermann 500.
Haut- und Lichtschutzmittel, Lichtschädigungen
der 456.
Hautkrankheiten und Bäder (Vollmer) 1309.
Demonstration von seltenen — mittels Pro-
jektion 1253. Ergebnisse der Behandlung von
— mit Aderlaß und Kochsalzinfusion bezie-
hungsweiss intravenöser Seruminjektion 1605.
— 38. Geschlechtsapparat. Massage der —
(Rosenthal) 1101. —, Radium- und Meso-
thoriumbehandlung bei 2089. Seltene — 327.
Zur Behandlung einiger — im Kindesalter
(Cramer) 909.
Hautsarkom, multiples 1887.
Hauttherapie 1084.
Hauttumoren s. Leukämie.
Hautveränderungen bei Erkrankungen der Leber,
von S. Jessner 1559. i
Hebamme s. Verurteilung.
Hebammenunterricht, Leitfaden für den, von
Friedrich Kirstein 1129,
el über wiederholte Geburten nach
1725.
Hediosit 1881.
Hedonalinfusion, intravenöse 1596.
Heer s. Tuberkulose.
Hefen, pathogene 1603.
Heftpflaster, einfache Methode zur schmerzlosen
. Entfernung 290.
Heilsera, Ueber Beziehungen zwischen der anti-
toxischen Funktion und dem Eiweiße der 715.
Heilstättenauswahl s. Lungentuberkulose.
Heilstättenbehandlung s. Tuberkulose.
Heißwasserspülung s. Thermopenetration.
Helminthen aus Bahia 926.
Helmitol und Hetralin 283.
Hemianopsien s. Pupillenstarre.
Hemiparese, linksseitige spastische 670.
Hermaphroditismus 1760. Wahrer — 2082.
Hernia diaphragmatica 1084. — diaphragmatica
congenitalis 1645. — gangränosa phlegmonosa
cruralis 253.
Hernie 1689. Innere —, Fremdkörperverletzung
des Darmes als Unfallfolge 2085. Raritäten
aus der Lehre von der freien und eingeklemm-
ten — 1173 l
Hernien, epigastrische 839. Operationsmethode
Pe oder auf Gangrän verdächtiger
Herz s. Aortenwellen. — s. Atemreaktion. —
s. Baeder. — s. Balneotherapeutische Maß-
nahmen. — s. Druckschwankungen. — s.
Kranzarterien.e — und Morphium (Siebert)
B.-H. 6. — s. Organgelühle. Pathologie
des —, von A. Vogt 1330. — s. Reiz-
leitungssystem. — s. Salvarsan 1640. Sport
und — 1762. Ueber den Einfluß dauernder
körperlicher Leistungen auf das — 1762. —
s Venenstauung. Zur Anatomie und Physio-
logie der intrakardialen motorischen Centren
des — (Koch) 108.
Herzaktion, paroxysmale 1721.
Herzaneurysma, Diagnose des chronischen 842.
Herzbeutelexsudat, Punktion eines 1247.
Herzchirurgie 209.
Herzcontractionen s. Koeffizienten. Ueber post-
ne — beim Menschen (Drozynski) 1416.
1458.
Herzentzündung s. Lungenentzündung.
Herzerkrankungen, akut entzündliche — im
Kindesalter 578.
Herz- und Gefäßerkrankungen, Zur Begutachtung
und Behandlung des traumatischen (Rumpf)
1815. — s. Balneotberapie. — s. Diät-
behandlung. — Handbuch der allgemeinen
Pathologie, Diagnostik und Therapie der, von
N. v. Jagic 1438. — s. Klimatotherapie. —
physikalische Behandlung der (Brieger) 679.
— Unfall (Hoffmann) 1569. Wichtige Ar-
beiten über — 158. 749. 1165. 1798. — Ge-
fäßtherapie, Moorbäderindikation in der 915.
Herzgeräusche s. Chlorose. — s. Kardiophon
797. Lokalisation der — am Rücken 545.
Herz- und Herzbeutelchirurgie, Beitrag zur 1524.
Herzhypertrophie, primäre 926.
Herzirregularität s. Atropinwirkung.
Herzklappenfehler bei einem Kinde 664. — s.
Zuckergußleber.
Herzklappenzerreißung, traumatische 1887.
Herzkranke s. Phlebostase.
Herzkrankheiten, von Max Herz 1289. — s.
Balneotherapeutischo Maßnahmen. Fort-
schritte in der Diagnostik der — 1173. Neue
Behandlungsmethoden von — und Anämien
842. Die physikalische Therapie der —
(Kahane) 1748. 1795. 1838. 1917. 1994.
Herz- und Lebernähte s. Muskelplastiken.
Herzmassage, direkte 1760.
Herzmißbildung, Demonstration einer 844.
Herzmißbildungen, von J. G. Mönckeberg 628.
Herzmuskel, Regeneration des 1443.
| Herzneurose, zwischen — und Arteriosklerose
(Herz) 854
Herzneurosen, zur Behandlung von (Schurig)
2102.
Herzperkussion, neue — . und das Groccosche
Phänomen 73.
Herz- und Pulskurve s. Phlebostase.
Herzschall, Registrierung des —, von H. Ger-
hatz 881
Herzschwäche s. Lungensaugmaske.
Herzstörungen, Hochfrequenzbehandlung der ner-
vösen und organischen (Grabley) 1031.
Herztätigkeit, neuere anatomische und physio-
logische Daten der 1479.
Herztöne s. Kardiophon.
Herzveränderungen bei Diphtherie 1848.
Heufieber, Caleiumsalze beim 1083.
Hexal 1718. —, ein sedatives Blasenantisepti-
kum 1520.
Hexamethylentetramin 283.
Hexenwahn, zur Geschichte des (Deichert) 1765.
Hg, intravenös einverleibte Mengen 1401.
Hinterbliebenenrente, zur Beurteilung des An-
spruchs auf — gemäß RVO. Buch 4 511.
Hirn s. Littlesche Krankheit.
Hirnanatomie, Idee einer neuen, von Charles
Bell 1086.
Hirndruck, zur Frage des 758.
Hirnerkrankungen s. Hirnpunktion.
Hirngliome 1926.
Hirnhäute, extraduralo Erkrankungen der 1321.
Hirnkammer IV s. Cysticercus.
Hirnoperationen s. Atemlähmung.
Hirnpunktion, histologische Diagnose diffuser
Hirnerkrankungen durch 333.
Hirnpunktionen, weitere Erfahrungen über —
bei Fällen von Hirntumoren 1524.
Hirntumoren 1721. — s. Hirnpunktionen. —
s. Trauma. Vor längerer Zeit operierte Fälle
von — 1445. Zur Frage der Operabilität
der — 1563.
Bart. Ne
iav
E EA
Fe RE u
SR
Ee
Veh
Leiln- %
a G
ee 2 en Ge
Hirnventrikel, breite Freilegung der —, nament-
lich der vierten 759.
Hissches Bündel, vergleichende Anatomie und
Histologie des 1294.
Hirschsprungsche Krankheit 2007. Zwei Dick-
darmresektionen bei — 1562.
Hitze, große 626.
Hochfrequenzapparat, ein neuer kleiner 369.
Hochfrequenzbehandlung s. Herzstörungen.
Hochfrequenzströme, intravesikale Behandlung
mit 634, Lokale Applikation von — 1362,
Hochfrequenztherapie, zur technischen Kritik der
—, mit Demonstration eines neuen, einfachen
Diathermieapparats 1526,
Hochwuchs, eunuchoider 1565.
Hodgekinsche Krankheit 508,
Höhenklima 538.
Hohlfuß auf paralytischer Basis 667.
Hohlkompressorium als Hilfsmittel für die kom-
binierte röntgenoskopisch-palpatorische Ab-
dominaluntersuchung (Silberberg) 166.
Holzgewächse s. Winterruhe,
Homburg v. d. H., Brief aus 931.
Homöopathie und ihre scheinwissenschaftlichen
Argumente (Harnack) 889. 929. 971. Wert
der — für die biologische Hygiene 1846.
Honorarforderungen der Spezialärzte und Pro-
fessoren der Medizin unterliegen der ärzt-
lichen Gebührenordnung 1177.
Honorierung „erster ärztlicher Autoritäten“ 174.
Hormonal 1085. Ueber die Anwendung des —
in der Chirurgie (Groth) 1425.
Hormonalinjektion, Todesfall nach intravenöser
1001. — 1169.
Hornhaut s. Staphylome. .
Hornhautersatz, über den — durch anorganisches
Material 1563.
BEER. über die Transplantation von
Hörprüfung, über — und ihre Verwertung in
T Aa und zivilärztlichen Praxis (Biehl)
Hörrohr, zusammenschiebbares 30.
Höspital Herold, Besichtigung des 2006
Hüftgelenkentzündung, eitrige 1689.
Hüftverrenkung, angeborene 668.
Hühner s. Quecksilberpräparate.
Humerusfraktur s. Arthropatbie.
Hungerschmerz 1286.
Husten 794.
Hycyn 1557.
Hydrastinin s. Hydrastis. |
Hydrastig und synthetisches Hydrastinin (Ziegen-
speck) 1742,
Hydrocele, neue Methode zur Behandlung der 80.
— s, Phimose — mulieris 2049.
Hydrocephalus, atonisch-astatischer Symptomen-
komplex bei 1563. — bei einem zirka zehn-
jährigen Mädchen 250. x
. Hydronephrose s. Cancroid.
Hydronephrosen, rupturierte 1482.
Hydropyrin-Grifa 1169. Praktische Erfahrungen
mit — (Roth) 107.
Hydro- und Pyonephrosen, Entstehung der —
nach röntgenologischem Studium 924.
Hydrorrhoea uteri amnialis 211. Beitrag zur
Kenntnis der — — — (Linzenmeier) 989.
Hydrosalpyax, Cyste mit 2088.
ygiene, aus dem Gebiete der sozialen (Hoff-
mann) 718. Grundriß der —, von C. Flügge
2048. Grundzüge der — unter Berücksich-
tigung der Gesetzgebung des Deutschen
Reichs und Oesterreichs, von P. Th. Müller
wd W. Prausnitz 753. Handbuch der —
666. 795. — in 8 Bänden 841. — s. Homödo-
pathie. Neuere Arbeiten auf dem Gebiete
der — 1898. Soziale — in Nordamerika
x (Haenlein) 1811. 1889. — des Weibes 459.
Jgienische Morgentoilette, von Arthur Sperling
1924. — Vorkehrungen und ärztliche Ver-
H sorgung in abgelegenen Kurorten 1373.
jperämiebehandlung, Lehrbueh der — akuter
chirurgischer Infektionen, von E: Joseph 666.
100 Narben nach Carcinomoperationen
Hyperemesis 838,
Hypernephrom 79.
INHALTS-VERZEICHNIS.
Hyperglobulie, Beiträge zur Frage der experi-
mentellen (Steiger) 1746.
Hyperidrose, Behandlung der 1329,
Hypernephrom s. Cystenniere.
Hyperol (Zweythurm) 527.
Hypersekretion des Magens 879. — der Magen-
schleimhaut 707.
Hypophysenoperationen, Technik der 1686.
Hypophysiserkrankung, ein Fall von — mit Dia-
betes insipidus 1848,
Hypertonie 840. 964.
Bann, zur Deutung seltener (Schickele)
Hypnotica 1169.
Hypnotismus, Kritik des — und dessen thera-
peutischer Wert 82.
Hypophyse, Beziehungen der — zum Diabetes
insipidus 1046. Veränderungen der — wäh-
u der Schwangerschaft und nach Kastration
Hypophysenextrakt, Einwirkung des — auf die
"Wehentätigkeit 74. — s. Geburtshilfe.
— s. Osteomalacie. Verwertung des — in
der praktischen Geburtshilfe 1130. — als
Wehenmittel 458. Wirkung des — in der
Geburtshilfe 1718.
Hypophysentumor 1370. — mit Krankenvor-
stellung 1477.
Hypophysis s. Tumor.
Hysterie 578 1291. Einiges über — vom Stand-
punkte der Lehren S. Freunds 35. — 8.
Neurastbenie. — s. Neurosen. — und Praxis
ee 1267. Traumatische — 36. Wesen
er — 8.
Ichthynat-Heyden 2046.
Idiosynkrasie s. Kuhmilch—.
Idiotie, amaurotische 502..
1.-K.-Behandlung, von Sophie Fuchs-W olfring 542.
Ikterus, Behandlung des 211. Chronischer achol-
urischer — mit Splenomegalie 294. Ein Fall
von syphilitischem — (Brodfeld) 1742. Ka-
tarrhalischer — 329. — symplex und seine
Behandlung beim Kinde (Niemann) 1624. —
s. Xanthoma multiplex planum.
Ileus s. Beckenhochlagerung.
Immunisierung, Heilversuche mit der lokalen —
der Haut nach von Wassermann (Beck) 907.
Immunität, Beziehung des Alkohols zur 1519.
Impfgesetz, Auslegung des 1891. st.
Impfung s. Virulenzprüfung Vorschriftswidrige
Entziehung von der — 591.
Impotenz, Behandlung der sexuellen 1008.
Ineontinentia alvi und ihre chirurgische Behand-
lung 1092.
Index, über pharmakodynamische Einflüsse auf
den opsonischen (Strubell) 1430.
Indikationsstellung, operative — zu ausgedehnter
Rippenresektion bei der Lungentuberkulose
(Friedrich) 599.
Induratio penis plastica 1761.
Infanterie s. Sehschärfe.
Infektion 368. — s. Chemotherapie. Endogene
— 793. Pathologie der rheumatischen —
837.
Infektionen s. Infiltrationen. Zur Chemotherapie
bakterieller — 546
Iofektionskampf s. Keime
Infektionskrankheiten, Bekämpfung der — in
Theorie und Praxis (Söchting) 930. — s.
Coma diabetieum. — s. Ohr, Ueber Ge-
hirn- und Rückenmarkveränderungen bei —
996.
Infektionstheorie des Kropfes und des Kretinis-
mus 296.
Infektionswege s. Tuberkulose.
Infiltrationen, Heilung von — im Kindesalter
nach akuten Infektionen (Baumgarten) 15.
Infiltrationsanästbesie s. Spritze.
Influenza, von Otto Leichtenstern 1129.
Influenzabacillus 28.
Infusion 159.
Inguinalbernie, Radikaloperation der (Dreesmann)
2032
Inhalation, feuchte — von der trockenen unter-
scheiden 1246.
Injektion s. Spritze.
XI
DO aaa
Injektionen, subeutane — von Eisen und Arsen
414. Technik der endovenösen — 2046.
Injektionsspritzen, Prüfung der 1286.
Innere Sekretion s. Drüsen. Ueber den Einfluß
der — auf die Psyche (v. Frankl-Hochwart)
1953. |
Innervation s. Nervensystem.
Inokulation 368. .
Insuffzienz s. Pylorusstenose, Relative — des
Magens (Schüle) 429.
Insuiflation s. Atemlähmung. — s. Thoraxwand-
resektion.
Intervalloperationen 420.
Intoxikationen, akute — nach 0,4 Salvarsan intra-
venös 290.
Intoxikations-Psychosen, von Friedrich Kann-
gießer 962.
ra Abtreibung mit — (Bürger)
6
Introitus vulvae s. Metalldilatatoren.
Inulin 665.
Inulinkuren bei Diabetikern 1409.
Inunctionskur 1287.
Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung, die
neuen Bestimmungen über die — nach der
Reichsversicherungsordnung 40.
Iriscaliarkörpertumoren 1809.
Tritis (Adam) 1079. — syphilitica s. Salvarsan.
Irresein, manisch-depressives und periodisches —
als Erscheinungsform der Katatonie 1087. —
s. Symptomenkomplexe.
Irrigationsurethroskopie, Goldschmidtsche, von
A. Schlenzka 1249.
Isapogen 1127.
Ischias 160. Aetiologie der — 968. Fehldiagnosen
bei — 336. 921.
Ischias scoliotica 294. Zur Behandlung der —
durch epidurale Injektionen 759.
Ischuria paradoxa 37.
Isolierung s. Ventilation.
J ahresversammlung des Deutschen Vereins für
Psychiatrie 1087.
Jarisch-Herxheimersche Reaktion 1286.
Jena, Naturwissenschaftl.-med. Gesellschaft 503.
Jod und Tbyreoidin als Ursache der Basedow-
u bei Kropfbehandlung (Pulawski)
Jodanstrich ohne jeden Verband 1127.
Jodausscheidung, über — bei Anwendung von
Jodsalben (Herzfeld und Blin) 355.
Jodbehandlung bei Lungentuberkulose 2083.
Joddosen, steigende 540.
Jodipin bei Gefäßerkrankungen 30.
Jodipin-Olivenöllösung 1329.
Jodipinreste s. Lungen.
Jodkali bei adenoiden Vegetationen 878.
Jodkalium 1209.
Jodmenthol, klinische und therapeutische Unter-
suchungen über die Behandlung der Tuber-
kulose mit dem radioaktiven 798.
Jodnatrium und Ozon bezw. Wasserstoffsuper-
oxyd 580.
Jod-Neol Böer, Beiträge zur therapeutischen Ver-
wendung des (Müller) 403.
Jodoform 282,
Jodoformknochenplombe, Erfahrungen mit der —
nach v. Mosetig-Moorhof 198. 239.
Jodostarin 1881. — „Roche“ 1755. Versuche
mit — (Herzfeld und Makler) 1428.
Jodquecksilberverbindungen, über —, speziell di-
en edler Quecksilber, in
ihrem Verhalten zum Organism
en ganismus (Koch) 1589.
Jodsalben s. Jodausscheidung.
Jodtinktur 840. — s. Bauchfell. — s. Haut-
en: Präparationsmethode des
perationsfeldes mitt — i
S els —, von Antonio
u San Kur anjek cn 627.
oha, unangenehme Begleiterscheinun
intramuskulärer Injektion von 1718. er
lersches — 879.
y EE onen 2083.
onenlehre, angewandte, von Georg Bu
Jonentherapie, enterale HR T SR
Jantophorese s. Auge.
1:4
Juckreiz, Beseitigung von 1362. Starker — an
Handtellern und Fußsohlen im Anschluß an
eine Salvarsaninjektion 921.
Jugendwandern, von Eugen Doernberger 161.
Kachexie, gastrogene 456.
Kaiserschnitt s. Uterus.
Kalichlorieumvergiftung, Beitrag zur Hämatologie
der (Gaisböck) 1906.
Kalium s. Natrium.
Kali-chlorieum-Vergiftung 1255.
Kalkgehalt s. Mineralwässer.
Kalkstoffwechsel 1644. — bei Verdauungsstö-
rungen (Krone) 1350.
Kalktherapie bei Blutungen 1682.
Kalomel, Verwendung von — bei Durchfällen im
Jahre 1821 889.
Kamerun s. Medizinalwesen. Bericht über eine
anderthalbjährige ärztlich - wissenschaftliche
Tätigkeit in — 1090.
Kaninchenimpfung mit Syphilitikerblut und Blut-
serum (Aumann) 1710.
Kapselfüllung zur Erleichterung der Reposition
EA ganz frischer und veralteter Luxationen
88.
Kardiacarcinom, inoperables 251.
Kardiastenose, entzündliche 118.
Kardiophon, graphische Registrierung der Herz-
töne und Herzgeräusche mittels des 797.
Kardiospasmus, Behandlung des 883.
Karlsbader Kurim Hause, von Oscar Simon 1330.
Kassel 800. Aerzteverein — 210. 252. 504. 544,
1442, 1476. 1563. 1645.
Kassenärztliche Frage, von Arthur Gabriel 1720.
Kastration s. Hypophyse.
Kastrierte Frauen s. Ovarientransplantation.
Katatonie s. Irresein. Manisch-depressives und
periodisches Irresein als Erscheinungsform
der von M. Urstein 1210.
Katheter, sterilisierte 1409.
Katheterpinzette (Mankiewiez) 357.
Kehlkopf s. Nase. Totalexstirpation des — bei
Carcinom 1686. s. Uterus mens. V. Vor-
träge über Pathologie und Therapie der Er-
krankungen des — (Frese) B.-H. 1.
Kehlkopfexstirpation s. Oesophagusfistel
Kehlkopfhinterwand s. Tumor.
Kehlkopfkrebs, vor 15 Jahren operierter 502.
Kehlkopf- und Nasenkrankheiten, die neue Wiener
Klinik für, von O. Chiari und O. Kähler 961.
Kehlkopfpapillome, mit Radium geheilte 40.
Kehlkopftuberkulose 580. Behandlung der —
588. Therapie der — (Hajek) 385.
Keime, Virulenz der — im Infektionskampfe 1726.
Keloidbildung, ausgedehnte 36.
Keratitis parenchymatosa 1887.
Keratoplastik, zur Frage der 1563.
Kernikterus, über den — der Neugeborenen 333.
Keuchhusten 1923. — s. Chineonal. Heilung
des 1718.
Kieferankylose, doppelseitiger 1008.
Kieferbruchverbände 1120.
Kiefereyste 1925.
Kiel, Medizinische Gesellschaft 38. 211. 375.
585. 714 1006. 1408. 1443. 1477. 1645. 1807.
1847. 1887.
Killiansche Tracheo-Bronchoskopie, Atlas zur
Klinik der —, von Mann 76.
Kind, Schutz für das 1884.
Kindbettfieber 373. Aetiologie, Begriff und Pro-
phylaxis des —, von Ign. Phil. Semmelweiß
1402.
Kinderärzte s. Ozaenasammelforschung.
Kinderlähmung, akute 38. Epidemiologie der
sogenannten spinalen — 2006. Epidemische
—, von Paul H. Roemer 331. Orthopädische
Behandlung der spinalen — 667. Spinale —
2050. Spinale — und ihre chirurgische Be-
handlung 1441. Symptomatologie des Früh-
stadiums der epidemischen — 2006. Sym-
ptomatologie, Pathogenese, interne Therapie
der akuten epidemischen — 667. 21/a Jahre
altes Kind mit cerebraler — 294.
Kinderpharyngoskop 625.
Kinderpraxis s. Creosotal
Kindersterblichkeit 1596.
Kindertuberkulose, Pathologie der 1685.
INHALTS-VERZEICHNIS.
m — nn mn e a
Kinderzahl, kritische Betrachtungen über die
freiwillige Beschränkung der 801.
Kindesalter s. Augenerkrankungen. — s. Epi-
lepsie. — s. Hautkrankheiten. — s. Herz-
erkrankungen. — s. Infiltrationon. — s.
Nervensystem. — s. Nierensteine.
Kinokongreß, zum ersten deutschen — in Berlin,
17. bis 22. Dezember 1912 2054.
Klappenfehler bei Eheschließung 664.
Klebesalbe 368.
Kleinhirn-Brückenwinkel, Tumoren im 2108.
Kleinhirnfunktion, eine neue Methode der Aus-
schaltung der 673.
Kleinlebewesen, über den Reichtum der Gewässer
an (Kolkwitz) 195.
Klimakterische Beschwerden des Weibes 839.
Klimatologie, Balneologie und 1634.
Klimatotherapie bei Herz- und Gefäßkrankheiten
(Determann) 770.
Klimax 1717.
ie Behandlung des 1721. Operierter —
Klumpfußbehandlung, Diskussion über die 713.
Kniegelenk, chirurgisch-orthopädische Behandlung
von Versteifungen und Lähmungen im Be-
reiche des 713. — s. Gelenkeinklemmung.
— 8. Meniscus. Operative Mobilisierung des
ankylosierten 925.
Kniegelenkresektionen, Spätfolgen von — im
frühen Kindesalter 633.
Kniegelenksverstauchung 1556.
Kniegelenkzüge s. Oberschenkelhals- und Schaft-
frakturen.
Kniereflex s. Albuminurie.
Knieverletzungen (Koenig) 553.
Knochenbrüche, blutige Behandlung der sub-
cutanen (Steinmann) B.-H. 3. Die „funktio-
nelle“ Behandlung von — (Bum) 1573. Nach-
teile der bisher angewandten Behandlungs-
methoden bei 1722.
Knochenerkrankung, Röntgenbilder von — der
unteren Extremitäten 2088.
Knochenerkrankungen im Röntgenbilde 2108.
Knochenerweichung, über — und ihre Behand-
lung 337,
Knochen- und Gelenkenden s. Elfenbein. — und
Gelenktuberkulosen s. - Sonnenbehandlung.
— und Gelenkveränderungen bei Syringo-
myelie 1446.
Knochenhöhlen s. Plombieren.
Knochen-Knorpelnekrose, über aseptischa —,
Osteochondritis dissecans und Arthritis de-
formans 711.
Knochenkrankheiten s. Boerhaven.
Knochenregeneration 2089. — autogene 2109.
Knochensystem, Erweichungsprozesse im 713.
Knochentransplantationen 965. 1007.
Knochentumor, Demonstration eines 712.
Knochenveränderungen s. Hämatologie. — bei
hereditärer Lues 1446.
Koalitionspflicht 805.
Koch, gesammelte Werke von Robert 880.
Kochen s. Nahrungslipoide.
Kochsalzinfusion 205. Apparát zur — 205. — s.
Hautkrankheiten.
Kochsalzlösung, physiologische 205.
Kochsalzlösungsinjektionen, kritiklose Anwendung
von 414. |
Koeffizienten, über die — für das Auftreten
T Herzcontractionen (Hering)
1
Kohlehydratkuren 707.
Kohlenoxydgasvergiftung s. Psychose.
Kohlensäure, Technisches zur Behandlung mit
fester (Kretzmer) 1196.
Kohlensäurebad s. Bäderregulator. — s. Reiz-
leitungssystem.
Kohlensäureschnee s. Naevi. Ueber die Dar-
stellung des — und die Anwendung des-
. selben in der Dermatologie (Merian) 481.
Koksöfen s. Arsenvergiftung.
Kollargol, Erfahrungen über — auf Grund
15jähriger Anwendung (Fehde) 1951. — 282.
Kollargollösung s. Gelenkrbeumatismus. — 120.
Soung 1085. Schwerer — nach Stovaininjektion
Kollapsinduration s. Lungenspitzen.
= ==. get ea PIE aL E = x
ZZ mn rn
Kolloide in Biologie und Medizin, von H. Bech-
hold 582. — und Mineralquellen (Krieg)
1238. l
Kolloidforschung 1969. |
eu: ärztlicher Verein 79. 1007.
Kolon, Chirurgie des 844.
Koloncareinome 290.
Kolonien s. Missionsärzte.
Kolospasmus, die objektiven Symptome des chro-
nischen 757.
Kolpotomie bei Beckeneiterung 1726.
Kolumnisation 1169.
Kombinationssteine, welche Bedeutung besitzen
die — für die Auffassung des Gallenstein-
leidens? (Aschoff) 4.
Kongreß, XI. — der Deutschen Gesellschaft für
orthopädische Chirurgie am 8. und 9. April
1912 im Langenbeckhaus in Berlin 667. 712.
Der 6. Internationale — für Geburtshilfe und
Gynäkologie in ‘Berlin vom 9. bis 13. Sep-
tember 1912 1483. 1561. 1603. — der eng-
lischen Hygieniker in Berlin, 24. bis 27. Juli
1299. Der 3. — für Säuglingsfürsorge, Darm-
stadt, September 1912 1884. — für Familien-
forschung, Vererbungs- und Regenerations-
lehre. Gießen, 9. bis 13. April 1912 965.
1. — für biologische Hygiene in Hamburg
vom 12. bis 14. Oktober 1912 1846. 6. —
des Deutschen Reichsverbandes zur Be-
kämpfung der Impfung vom 5. bis 8. Sep-
tember `in Hamburg-Altona, verbunden mit
der 2. Jahresversammlung des Internationalen
Impfgegnerbundes 1566. Konstituierung des
Deutschen Reichskomitees tür den XVII. Inter-
nationalen medizinischen — (London, 6. bis
12. August 1913) 5ii. XII. französischer —
für innere Medizin, Lyon, 22. bis 25. Okto-
ber 1911 35. 165. 249. XI. — zur wissen-
schaftlichen Erforschung des Sports und der
Leibesübungen in Oberhof i. Thür., 20. bis
23. September 1912 1762. Erster — der
Association Internationale de Pédiatrie in
Paris vom 7. bis 10. Oktober 1912 2005.
Ill. — der Deutschen Gesellschaft für Uro-
logie, Wien, i1. bis 13. September 1911 123.
29. Deutscher — für innere Medizin vom
16. bis 19. April zu Wiesbaden 710. 757.
197. 842. 882.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche
Heilkunde 375. 462. 671. 1130. 1969.
König, Lebenserinnerungen von Franz — 1804.
Konstitution als Grundlage von Krankheiten
(v. Hansemann) 933.
Konstitutionsbegriff, über den humoralen 1846.
Kontagion 1043.
Kontinenz, Wiederherstellung der — nach Ex-
cisio recti carcinomatosi 335.
Kopf, Tod nach Fall auf den — ohne schwerere
Erscheinungen in den ersten Tagen nach dem
Unfall 1756. .
Kopfdrehkrampf 294. |
Kopflichtbad, ein handliches (Determann) 1080.
Kopfschmerz, muskulärer, von A. Müller 31.
Kopftrauma s. Pupillenstarre.
Koprostase 28.
Körperentwicklung s. Pubertätsjahre.
Körperwuchs und Lungentuberkulose 1926.
Körperzellen, Kultur lebender 418.
Korpusamputation s. Landausche Operation.
u Handbuch der —, von Max Joseph
Krampfadergeschwüre, neue Behandlung von
(Stephan) 527. es
Krämpfe, epileptische — infolge Appendicitis
(Berger) 278.
Er unter, kleine und mittlere, von Setz
4
Kranzarterien, plötzlicher Verschluß der — des
Herzens intra vitam zu diagnostizieren 245.
Krebs s. Blutserum. — s. Boerbaven. Zur Chomo-
therapie des — (Ribbert) 1981. — des Eier-
stocks bei einem fünfjährigen Mädchen 539.
— s. Tbyrochromtabletten. Ueber die che-
mische Imitation der Strahlenwirkung und
Chemotherapie des — (Werner) 1160.
Krebsforschung 1646.
el az x En
a A a
ee FE Aal ig =
INHALTS-VERZEICHNIS.
ne
Krebskranke, Autohämotherapie bei 1881. — s.
Zellersches Verfahren. |
Krebsproblem 1926.
Krebsstatistik aus Pensylvania 1400.
Krefeld 167. — Aerzteverein 801. 1131. 1332.
Kreislauf s. Bäderwirkung. — s. Harvey. — s.
Miste. — und Schwangerschaft (Jaschke)
808.
Kreislaufschwäche, akute 1754.
Kreislaufstörungen s. Lungensaugmaske. — s.
Unterdruckatmung. , u
Kreislaufzeit, Messung der — in der Klinik 842.
Kreosotklistiere 30.
Kretinismus s. Infektionstheorie. -
Kriegschirurgie 1603. Leitfaden der praktischen
—, von W. von Oettingen 1845.
Kriegschirurgisches vom Balkan 2109.
Kriegs-Sanitätsdienst, Organisation des türkischen
1812. |
Kriminalpsychose, aus dem Gebiete der — und
Strafrechtsreform (1911, 1912) 624.
Krippenwesen, Aufgaben, Entwicklung und der-
zeitiger Stand des 1885. Durchführung einer
behördlichen Reglung des — 1885. Gesetz-
liche Reglung des — 1885.
Kropf, der endemische — mit besonderer Be-
rücksichtigung des Vorkommens im König-
reich Bayern, von A. Schittenhelm und
W. Weichhardt 1599. — s, Infektionstheorie.
Klinische Untersuchungen über den endemi-
schen — in Tirol 882,
Kropfbehandlung s. Jod. Ä
Kropfoperation s. Epithelkörperchen.
Kropfoperationen, klinische Studien über — nach
600 Fällen (Demmer) 1948. 1988. 2034. 2071.
Zur Technik der — 293.
. Krüppelfürsorge, Leitfaden der —, von Konrad
Biesalski 628.
Krüppelheim, Schule und Handwerksstuben des
— in Verbindung mit der ärztlichen Tätig-
keit 508. |
Krystallsandzellen s. Dikotyledonenblätter.
Lu er und Anaphylaxie (Lust)
Kuhmilchkasein, Schwerverdaulichkeit des 1644.
Kuhpocken, Edward Jenners Untersuchung über
die Ursachen und Wirkungen der —, von
- V. Fossel 121. l
Kurpfuschertum und Reichsgericht 1527.
Lab s. Formentuntersuchungen.
Labferment s. Fermentuntersuchungen.
Labyrinth, Ueber Indikationen zur Eröffnung
des entzündlich erkrankten — (Lange) 1224.
Labyrinthentzüundungen, Klinik der serösen und
eitrigen —, von Erich Ruttin 1559. `
Labyriothreizung s. Augenmuskelreaktion.
Lactopheninikterus 883,
Lähmung des M. deltoides und der Rotatoren
‚des Öberarms 294. — s. Stoffels Operation.
Lähmungen, Behandlung spastischer — mittels
Resektion hinterer Wurzeln 667. Behand-
lung der spondylitischen — 1007. Pathologie
T Therapie der schlaffen und spastischen —
laktation, über zwei Fälle von abnormer 1525.
ampe, elektrische — zur Beleuchtung von
kleinen Wundhöhlen 923.
Landausche Operation der vaginalen Korpus-
amputation 1608. |
andesgesundheitsamt, Errichtung eines — im
Königreich Sachsen 41.
üdjugend s, Leibesübungen.
andkra ‚kenkassen, empfiehlt es sich, neben den
Ortatı ankenkassen — zu gründen (Petersen)
Landschaftsbild, das mitteleuropäisch — in
seiner pflanzengeographischen Entwicklung
(Wangerin) 1791.
augesche Methode 539,
Landrysche Lähmung 2108.
s gache Paralyse infolge Parotitis epidemica
laparotomien s. Peritoneum.
agitis subchordalis acuta, Beitrag zur 1645.
“Jogofissur wegen Fremdkörper im Larynx
ae nn nn
Laryngologie, Fortschritte der — und Rhinologie
im 20. Jahrhundert (Kahler) 1616. 1657.
Laryngo-rhinologische Literatur 1284.
Larynx s. Amyloidtumoren. Chondrom des —
372. — s. Laryngofissur. — s; Wachsparaffn-
ausgüsse.
ne Therapeutische Empfehlung
ei 74,
Leben und Beseelung 1602.
Lebensversicherungsuntersuchung, Winke zur
vertrauensärztlichen 1286.
Leber. Funktionsprüfung der — (Ronbitschek)
948. Mechanismus einiger Degenerations-
zustände der — 883. — eines Paratyphus-
kranken 2008.
Leberatrophie s. Gonokokkämie. |
Lebercirrhose 539. — s. Ascites. Behandlung
der — durch Anlegung einer Eckschen Fistel
843. Experimentelle — nach chronischer
A STEE 1969. Operativ behandelte
Lebererkrankungen, Ikterische 588. Leberfunk-
tion, Prüfung der — mittels der Probe auf
alimentäre Galaktosurie 1370.
Leber- und Milzschwellung s. Xanthoma multi-
plex planum..
Lebertran 752.
Lecithin s. Nicotinamblyopie.
Lehrbuch der chirurgischen Operationen an der
Hand klinischer Beobachtungen, von Fedor
Krause und Emil. Heymann 1966. — für
Heilgehilfen und Masseure, Krankenpfleger
und Bademeister 76. — der speziellen Patho-
logie und Therapie der inneren Krankheiten,
von A. Strümpell 1521. — der Therapie
innerer Krankheiten, von P. Krause und
C. Garre 666.
Leibesübungen, Bedeutung der — für die Land-
jugend 1763. |
Leichen s. Pestbacillus. -
Leipzig, Medizinische Gesellschaft 124. 295. 376,
504. 671. 801. 927. 1090. 1292. 1444. 1688,
1808.
Leipziger Verbaud, zwölfte Hauptversammlung
des 2052. 2090. Ä
Leistenbruch, operative Behandluug des 1760.
Leistenbrüche als Unfallfolge abgelehnt 371. Ur-
sache der Rezidive nach der Bassinischen
Radikaloperation der — 924.
Leisten- und Nabelbrüche, Operationen der —
im frühesten Kindesalter 1597.
' Leistuugsfähigkeit 1331.
Leitorganismen, über die pflanzlichen — der
Wasserverunreinigung (Wangerin) 833.
Leitungsanästhesie am Rumpfe 1006.
Lenicetbolus 922.
Lepra, Therapie der 246
Leptomeningitis purulenta 1321. a
Leseproben für die Nöhe aus der Universitäts-
Augenklinik Bern, von Rud. Birkhäuser 1683.
Leukämie 1557. Akute — mit zahllosen Tu-
berkelbacillen 964. Aleukämische — 2009.
Behandlung der — mit Thorium 672. Grund-
lagen und Erfolge der Röntgentherapie der —
1291. Lymphatische — mit Hauttumoren
1753. — s. Thorium X. Zur Differential-
diagnose zwischen akuter — und Sepsis, mit
besonderer Berücksichtigung der Sepsis bei
Verkümmerung des Granulocytensystems
(Stursberg) 520. 543.
Leukoplakia oris et linguae 1803.
Leukocyteneinschlüsse, diagnostische Bedeutung
der Döhleschen — bei Scharlach 1643.
Leukrol in der gynäkologischen Praxis (Keil-
pflug) 64.
Lichen ruber verrucosus 1407.
Licht, Experimentelle Untersuchungen über die
Wirkung des 1847. Ueber die Einwirkung
des — auf den menschlichen Organismus 587.
Lichtquelle s. Ötiatrie.
Lichtschädigungen der Haut- und Lichtschutz-
mittel 456.
Lichtsinn, Ueber — und Farbensinn in der Tier-
reihe (Hess) 1511.
Liebigscher Fleischextrakt 1169..
Liegekuren s. Liegekurschiffe.
Liegekurschiffe und Liegekuren auf See 802.
-A 1 m a,
DT ——,Z,——————annen
XII
>
Liermannsche Bolusmethode 1596.
Ligaturklemme für Aluminiumagraffen 1401.
Linguatula rhinaria Pilger s. Parasitismus.
Linseneiweiß s. Anaphylaxie.
Lipoiden, experimentelle Untersuchungen über
den Aufbau von — im Tierkörper 883.
Liquor, Bedeutung der Untersuchung des 1088.
Neuere Arbeiten zur Physiologie und Patho-
logie des — cerebrospinalis 25.
Lister, Joseph + 341. Zur Erinnerung an J. —
927
Literarische Hilfsarbeit, ein neuer Spezialberuf
(Berger) 1872. `
Literaturbeschaffung, neue Zeitschriften und die
Schwierigkeit der — für den Mediziner
(Hirschfeld) 129.
Lithokeliphopädion 2010.
Littlesche Krankheit, Präparate und Bilder von
Hirn und Rückenmark eines an kongenitaler
— verstorbenen Mannes 1331.
Löbker, Karl t (Haker) 1728.
Lokalanästhesie, die neueren Errungenschaften
auf dem Gebiete der -1970.
Lokalnarkose, Tod in (Ritter) 1236. Tod nach
— (Schlesinger) 1746.
Lues 120. — hepatis hereditaria 252. — here-
ditaria tarda 168. — s. Knochenverände-
rungen. Kutan überimpfte — 37. — s.
Muskelatrophie.. — s. Nervensystem. Chemo-
therapie der — oculi (Szily) 1868. Beitrag
zur —-Paralysefrage 464. Poliklinische Be-
handlung der kongenitalen — mit Neosalvarsan
1643. — s. Salvarsan. — s. Sehnerven-
atrophie. Serodiagnose der — mittels der
Ausflockung (Schmidt) 1548.
Lueskranke s. Arsenvergiftung.
Luftdruckdauermassage s. Thrombenbildung.
Luftembolie, klinische und experimentelle Unter-
suchungen über 711. |
Luftheizung 2046.
Luftstickstoff s, Bodenbakteriologie.
Luftwege s. Nase. Obere — s. Mundhöhle. Ver-
engerung der oberen — nach dem Luftröhren-
schnitt und ihre Behaudlung, von Thost 629.
Lumbalanästhesie, Ueber — (Schütte) 2065.
Lumbalpunktion, die Bedeutung der — für die
Diagnose von Gehirn- und Rückenmarks-
krankheiten (Stertz) 133. — bei Urämie 1436.
Luminal 922. 1001. 1002. 1085. 1127. 1253. 1718.
1754. 1844. 1845. Ein neues Schlafmittel
— (Raecke) 865. Kurze Bemerkungen über
das neue Schlafmittel — (Dockhorn) 1274.
Luminalinjektion s. Hautgangrän. .
Lunge, Fremdkörper aus der 36. — s. Pleura-
empyeme.
Lungen, über die Möglichkeit der Täuschung
durch Jodipinreste bei der Röntgenunter-
suchung der — (Arnsperger) 2027. Wechsel-
beziehung zwischen —- und Genitaltuber-
kulose 1251. — s. Magenerkrankungen. —
s. Uterus mens. V. Blutcirculation in atmen-
den und aus der Atmungsfunktion ausgeschal-
teten — 2088.
Lungenaktinomykose 1565.
Lungenblutung und Unfall 2004.
Lungenchirurgie, Demonstrationen zur 798. —,
von Č. Garrè und H. Quincke 1683. Gegen-
wärtiger Stand der — 218.
Lungencireulation, Beiträge zur Physiologie und
Pathologie der — und ihre Bedeutung für
die intrathorakale Chirurgie 798,
Lungenechinokokken 2009.
Lungenechinokokkus 1008,
Lungenembolien, Demonstration zweier Versuche
über Lokalisation der 586.
Lungenemphysem 966. Physikalische Behand-
lung des — 1803.
Lungenentzündung, fünt Monate nach einer
Rippenkontusion, nicht als Unfallfolge aner-
kannt 34. — nach angeblichem Verheben
nicht als Unfallfolge anerkannt 32. — nach
Sturz als Unfallfolge anerkannt 33. Tod an
— und Herzentzündung nicht Folge einer
Unterleibsquetschung 292.
Lungengangrän 210. Heilung einer — durch
künstlichen Pneumothorax 633. Spontan ge-
heilte akute — 423,
XIV
ü _
Lungen- und Gehirnhautentzündung, war eine
zum Tode führende — als dio Folge eines
erlittenen Unfalls aufzufassen? 962.
a zur Diagnostik der primären
Lungenherd, der primäre — bei der Tuberkulose
der Kinder, von Anton Ghon 1044.
-Lungenkollaps bei Phthise durch Resektion kleiner
Rippenstücke 798.
Lungenkrankheiten s. Pneumothorax.
Lungenpest, Infektionsmodus für die 664.
Lungenphthise s. Thoraxbau.
Lungensaugmaske, die Behandlung von Herz-
schwäche und Kreislaufstörungen mit Unter-
druckatmung vermittels der (Kuhn) 1585.
Lungenschwindsuchtfrage, Experimentelles und
Epidemiologisches zur 1047.
Lungenspitze 2082,
Lungenspitzen, Kollapsiuduration und Tuberku-
lose der (Maier) 142. — s. Perkussion.
Rasselgeräusche über den — 159. |
Lungenspitzendämpfung, diagnostische Schwierig-
keiten bei 79.
Lungentuberkulose 294. Behandlung der — mit
künstlichem Pneumothorax 1291. Bedeutung
des Röntgenverfahrens für die Diagnose der
— 927. Chirurgische Behandlung der —
1803. Chirurgie bei — und Schwanger-
schaft 1592. 1656. Chirurgische Behandlung
der — 462. Chirurgische Eingriffe bei — 463.
Diagnose der — im Kindesalter 1717. Ex-
perimentelle — 1291. Freudsche Operation
bei — 798. Frühdiagnose der akuten — mit
besonderer Berücksichtigung der Heilstätten-
auswahl (Hoffmann) 1853. — s. Indikations-
stellung. —, Jodbehandlung bei 2083. Körper-
wuchs und — 1926. Neuere Arbeiten zur
Kenntnis der — 1997. — s. Pneumothorax
Serumbehandlung der — 457. Specifische Be-
handlung der — 1127. — s. Sputum-Koch-
salzlösung-Filtrat. — s. Tuberkulin. Unfall
und — 161. Zur chirurgischen Behandlung
der chronischen — 797. Zur Prophylaxe der
— (Löffler) 1191. Prognosestellung bei der
Lungentumoren, Zur Frühdiagnose der primären
Lupus, Wie soll man den — nicht behandeln?
(Jungmann) 1942.
Lupus miliaris seu follicularis disseminatus 1292,
Luxation s. Ellbogengelenk. Habituelle — des
Schultergelenks als Unfallfolge anerkannt 583.
‚Luxationen s. Kapselfüllung 1688.
Lymphatiker s. Aorta.
Lymphdrüsenerkrankung 1208.
Lymphdrüsentuberkulose, indurierende — des
Mediastinums 964.
Lymphdrüsentumoren, über Behandlung von —
mit Thorium X (Falta, Kriser und Zehner)
1504.
Lymphogranulomatose 964.
Mac Burneyscher und Erbscher Druckpunkt s.
Albuminurie. |
Macula lutea, anatomisch verlagerte 1607.
Magen s. Organgefühle. Bewegungsvorgänge am
normalen und pathologischen — im Lichte
der Röntgenstrahlen 757. Der heutige Stand
der Röntgenuntersuchung des — 1645. Eine
neue Methode zum Studium des Chemismus
und der Motilität des — 797. Form des —
757. Form des menschlichen — 421. Funk-
tionsprüfung des — nach Probekost, von G.
Lefmann 292. Hypersekretion des — 879.
— s. Insuffizienz. — und Kolonearcinome
290. Lage des — röntgenoskopisch 246.
Motilitätsprüfung des — 424. — s. Phä-
nomene. Polyposis des — 293. — s. Py-
lorusstenose. Radiologische und klivische
Beobachtungen zur Mechanik des — (Sick)
682. 732. Röntgenbilder von durch Luit ge-
blähtem — 1762. — s. Röntgenuntersuchungen.
— 3. Salzsäureabscheidung. Spastischer —
1286. — s. Stauungsinsuffizienz. — s. Ulcus
curvat. minor. — s. Volvulus.
Magencarcinom, Diagnostik des — mittels der
Röntgenkinematographie 757, — s. Röntgen-
INHALTS-VERZEICHNIS.
bestrahlung. Röntgenologische Fehldiagnosen
bei — 757. Symptomatologie und Behand-
lung des 1603. |
Magendarmbewegungen s. Vagusreizung. |
Magen- und Darmblutungen als ungewöhnliches
Fr ptom innerer Krankheiten (Meinertz) 1502.
Magendarmerkrankungen 1437. Röntgenbefunde
bei — 1725. — s. Röntgenverfahren.
Magen- und Darmkrankheiten, Diagnose und
Therapie der —, von W. Zweig 370. Taschen-
buch der —, von Walter Wolff 1804.
Magendarminhalt s. h haaa
Magendarmkanal, Experimentelle Studien über die
Funktion des 1370. Funktionsprūfungen des
— ernährungsgestörter Säuglinge 1684. — s.
Radiologie. — s. Röntgenuntersuchung.
Magendarmmucosa, Baktorienausscheidung durch
die 707.
Magendarmradiologie, Praktische Winke aus dem
Gebiete der 757.
Magen- und Darmradiologie, Fortschritte auf dem
Gebiete der — im Jahre 1911. 454.
Magendiagnostik, Polygramme zur 797.
Röntgenbilde 2108.
Magenentleerung bei Ulcus ventriculi und Ulcus
duodeni 797.
Magenerkrankungen, Die röntgenologischen Sym-
ptome der nicht chirurgischen (Grödel und
Schenk) 1147.
Magenerweiterung und ihre Behandlung 1923.
— s. Magenpumpe. — beiPylorusstenose 1684.
Magenfälle, Röntgenbilder mehrerer 1605.
Magenfibrom, Fall von operiertem 296.
Magengeschwür, chirurgische Therapie des — 504.
—, das nach außen durch die Bauchdecken
hindurch perforiert war 800. — s. Schmerz-
druckpunkte,
Magengeschwüre s. Magenperforationen.
Magencarcinom, diagnostische und operationspro-
gnostische Bedeutung der Röntgenkinographie
beim 757.
Magenkolonfistel, über einen operativ geheilten
Fall von 799.
Magenkrämpfe 1084.
Magenkrankheiten, Diagnostik und Therapie der
—, von J. Boas 31. Funktionsstörungen der
Lungen und Reizerscheinungen am Thorax im
Bereiche der Lungen bei — 883.
Magenkrebs und Schwangerschaft 1001. — von
ungewöhnlicher Größe 760.
Magenperforation, gedeckte 843.
Magenperforationen, gedeckte — und die Ent-
stehung der penetrierenden Magengeschwüre
(Schnitzler) 988.
Magenpumpe, Behandlung der Magenerweiterung
durch eine neue Methode mittels der —, von
Adolf Kussmaul 1086.
Magenradiologie, Bedeutung der — für die Chir-
urgie, von P. Clairment und M. Haudek 121.
Magensaft s. Fermentuntersuchungen.
Magensaftfluß, intermittierender 1564.
Magenschlauch 1287. |
Magenschleimhaut, Hypersekretion der 707.
Magenschmerzen bei Gastritis alcoholica 1718.
Magenspannung, über die durch abnorme — her-
vorgerufenen Herzbeschwerden bei Neur-
asthenikern (Roemheld) 569.
Magenspülung, erweiterte therapeutische Ver-
wendung der 883.
Magenulcera, Häufigkeit der — in Basel 2086.
Magenverdauung, über die Rolle der Säure bei
der 883.
Maggiwürze 1597.
Magnetiseur, Sitzung im Hause eines — in Heidel-
berg im Jahre 1818 (Pagenstecher) 1092.
Malaria, Chininvorbeugung der 1640. — quar-
tana 369.
Malaristherapie, Grundzüge der 1401.
Mal franzoso in der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts. Ein Blatt aus der Geschichte der
Syphilis, von Karl Sudhoff 1967.
Malopterurus electricus, Verlauf des Schlages
von 1727. |
Maltyl, Erfahrungen mit — und Maltyl-Mat6
(Nippe) 1546.
Malyl-Mats s. Maltyl.
— im
nn ee mer rn en ee nn e S a e e a
Malzsuppe, Kellersche 1923. —, — beim soge-
nannten Milchnährschaden: 1964.
Mammacarcinome, Spätrezidive von 1173.
Mammaplastik 2049.
Mammatumor s. Chloro-Leuk&mie.
Mandeln, Soll man alle drei — in einer Sitzung
entfernen? (Bruck) 1589.
Marburg, Aerztlicher Verein 79. 505. 715. 1047.
1252. 1477. 1563. 1848. 2050. 2088.
Marschleistungen s. Pubertätsjahre.
Masern, von Tbeodor von Jürgensen 291.
Massage, Einfluß der — auf die Tension des
Auges 1251. —, Gymnastik und Uebungs-
therapie 22. — der Hautkrankheiten (Rosen-
thal) 1101, Leitfaden der —, von M. Boehm
1249. — und Mechanotherapie 532.
Massenblutungen in das Nierenlager 924.
Massenerkrankungen, die — im Städtischen Asyl
für Obdachlose in Berlin, 24. bis 31. De-
zember 1911 (Pinkus) 41. — durch Nahrungs-
und Genußmittel 1722.
Massenvergiftung, die — im Städtischen Obdach
zu Berlin vor Gericht 592.
Massenvergiftungen, über die in der Weihnachts-
zeit vorkommenden 127.
Mastdarm, kombinierte Methode der Exstirpation
des carcinomatösen — mit präventiver peri-
tonaler Abdeckung der Bauchhöhle 884,
Mastdarmcareinom, über die abdomino-sakrale
Runner Methode der Exstirpation des —
Mastdarmkrebs, über die abdomino-sakrale Me-
thode der Exstirpation des — und über
Sphinkterplastik 505.
Mastisol 209. 708.
Mastitis 1286. — puerperalis, zur Aetiologie
und Therapie der — — (Nohl) 1862.
Mastodiene s. Albuminurie.
Mastoiditis s. Aufmeißelung.
Musturbation, von H. Rohleder 459.
Mattanmilch 1044.
Maul- und Klauenseuche (Fischer) 14.
Mäusecarcinom, Heilversuche bei — mit tumor-
affinen Substanzen 1253.
Mäusetumoren s. Cholinsalze. Demonstrationen
von 584. |
Mediastinum s. Lymphdrüsentuberkulose.
Medico-chirurgicale, Pratique — à la campagne,
von Legraud 1882.
Medikamente, Heranbringung und Schnellwirkung
von — in konzentrierter Form 1408
Medikamentenlehre für Krankenpfleger, von Paul
Fleißig 1288.
Medizin, Biblisch-talmudische — von Julius
Preuß 1211. Theorie und Praxis der inneren
—, von Erich Kindborg 1004. Ueber die
ann diragen der —, von Cornelius Celsus
5
Medizinalabteilung, Geschäftsverteilung in der —
des Ministeriums des Innern 41.
Medizinalarchiv für das Deutsche Reich 962.
Medizinalstatistische Mitteilungen vom Jahre 1911
aus der Stadt Braunschweig 1406.
Medizinalverwaltung, Veröffentlichungen aus dem
Gebiete der 629.
Medizinalwesen der Kolonie Kamerun (Külz)
1810. 1850. 1928.
Medizinisches aus dem Feldzuge gegen Rußland
im Jahre 1812 (Richter) 1010. 1050. --- vom
Kriegsschauplatze 1972.
Melubrin 795 1965. — (Treber) 1833.
ae Vererbung beim Menschen (Hammer)
nn rankenhell mit verstellbarer Liegefläche
Meningealerkrankungen 73. Neuere Arbeiten
über 1282.
Meningitis, Epidemiologie und Prophylaxe der
— cerebrospinalis epidemica in der franzöd-
sischen Armee 35. Operative Behandlung
der otogenen — 1525. — serosa circum-
scripta cerebralis 758. Ueber den gegen-
wärtigen Stand der Therapie der eitrigen —
(Henke) B.-H. 2. Zur operativen Behandlung
der traumatischen 1687. Syphilitischo —
acuta 1563. — luetica 251.
Meningitische Reizung 1362.
Meningitiden, Diagnostik der — mittels der
Taurocholnatriumreaktion 1802.
Meniscus s. Gelenkeinklemmung. Verletzung
des äußeren — des Kniegelenks 2009.
Meniscusverletzungen 423. (Bockenheimer) 898.
Mensch, der —, von Johannes Ranke 248. |
Menschen- und Säugetierkörper, physiologische
Histologie des —, von Fr. Sigmund 1086.
Menstruation, zur Pathologie der 125.
Menthol- oder Koryfinanwendung, lokale — in
der Nase gefährlich 499.
Mercinolbehandlung der Syphilis 1605.
Merjodin 1044.
Mesbé zur Behandlung der Tuberkulose 1474.
Mesotan 1127,
- Mesothorium s. Geschwülste.
Mesothoriumtheräpie 506,
Meßbesteck, alkoholometrisches 1682.
Messungen, neue Methoden von anthropometri-
schen 1763.
Metalldilatatoren zur instrumentellen Erweite-
rung des Introitus vulvae 1170.
Metalle, kolloidale s. Cholinsalze.
Metalues s. Nervensystem.
Methylalkohol 1246. — s. Aethyl- und —. Ist
der — giftig? (Rost) 129. Todesfall nach
dem Genuß von — enthaltendem Schnaps
(Schlichting) 1316. Ueber die Verwendungs-
gefahren des — und anderer Alkohole (Lewin)
9».
Methylalkoholintoxikation, Diagnose und Behand-
lung der 2105.
Metbylalkoholvergiftung 507. Sektionsbefunde
bei 671.
Methylalkoholvergiftungen 497. 801.
Methylenblau, Zusatz von 1845.
Metropathien s. Myome.
na Handlexikon des allgemeinen Wissens
v. Michels, Die Nachfolge Prof. — auf dem
Lehrstuhl für Augenheilkunde in Berlin 299.
Mikrobismus s. Salvarsan. |
Migräne, von Edward Flatau 1756. — ophthalmo-
plögique 1925,
Mikroorganismen, Anpassungserscheinungen bei
1446. Handbuch der pathogenen —, von
Kolle und v. Wassermann 582, 1756.
Milch, tuberkelbacillenhaltige 626. Untersuchungen
über den Tuberkelbacillengehalt der — und
der Molkereiprodukte einer Kleinstadt nebst
Bemerkungen über die Rolle der Genossen-
schaftsmolkereien bei der Verbreitung der
Tuberkulose 1688, Untersuchungen zur Hy-
giene und Kenntnis der 967. |
Milehfütterung, experimentelle Untersuchungen
„über Sensibilisierung durch 1644.
Milchkur 665. — s. Entfettung.
Milchnährschaden s. Malzsuppe.
Milchorgane, Kenntnis der 2007.
Milchsekretion, zur Physiologie der — und der
Ernährung der Neugeborenen in den ersten
‚ Lebenstagen (Sauermann) 280.
Milchstauung 1286.
Miliartuberkulose, Diagnose der 1252. Diagnose
„der — (Matthes) 1769.
Militärärzte, die sanitätstaktische Ausbildung der
„ Tussischen 2091.
Militärärztlicher Dienstunterricht für einjährig-
freiwillige Aerzte und Unterärzte, sowie für
Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes, von
„Kowalk 1045.
Militärbygiene, Lehrbuch der —, von H. Bischoff,
„V. Hoffmann, H. Schwiening 1882.
litärsanitätswegen, aus dem Gebiete des 1281.
zi - Organisation des — in Oesterreich-
3 Spari 2014. ‚— und Psychiatrie 953.
A Zur Kasuistik posttraumatischer isolierter
r pätrupturen der (Strauß) 904. l
send, Behandlung des äußeren 960. Be-
andlung des äußeren — (Peričić) 1890.
5 und Salvarsan (Becker) 1790. — bei
„Schweinen 1046.
Milzersatz 883.
Ülzexstirpation s. Anaemia splenica.
und Ovarialenzyme, zur Kenntnis der 84.
filzregeneration j
ilzreg und
ruptur 375, AA
INHALTS-VERZEICHNIS.
ey im Tier- und Pflanzenreich (Wangerin)
Minderjährige, Operation an 848.
Mineraldiätetik 1252.
Mineralquellen, Kolloide und (Krieg) 1288.
Mineralwässer, Kalkgehaltunserer (Schütze) 1386.
Mischnarkosen (Mühsam) 975.
Mißbildungen s. Extremitäten. — s. Genese.
Missionsärzte in deutschen Kolonien 381.
Missionskrankenanstalten, deutsche und englische
— in den Tropen 926.
Mistel, über die Wirkung der — auf den Kreis-
lauf (Selig) 991.
Mittelohreiterung, chronische 1240. Meine Me-
thode der konservativen Radikaloperation bei
chronischer — (Bárány) 726. Ueber die
Komplikationen der akuten — (Stenger) 1181.
Mittelstand, Tuberkulosebekämpfung im — 1130.
Molares, erschwerter Durchbruch des dritten
unteren 657.
Molke und Zelle 1643.
Molkereiprodukte s. Milch.
Molyform (E. Lamp6 und H. Klose) 831.
Moorbäderindikation in der Herz- und Gefäß-
therapie 915.
Morbus Basedowii, zur Umfrage über die Be-
handlung des (Otto) 991. Zusammenhang von
— mit Krankheiten der Beckenorgane 1596.
Morgenbrause, kalte 1002,
Morphinismus 1681.
Morphium s. Herz.
Morpbiumentziehung 1437. Ä
Te bei Geburten
174.
Mosettigplombe 1760.
Moskau 81.
Motilitätsprüfung, Methode und praktische Be-
deutung der radiologischen 757.
Mückenplage und ihre Bekämpfung 1723.
München, Aerztlicher Verein 253. 544. 632 715.
1008. 1478. 1525. 1969. Bayer. Gesellschaft
für Geburtshilfe und Gynäkologie — 1564.
1725. Gynäkologische Gesellschaft — 125.
834. 1174. 1444.
Mund, Krankheiten des, von J. v. Mikulicz und
W. Kümmel 582. — s. Syphilis.
Mundhöhle, Chirurgie der, von H. Kaposi und
G. Port 962. Krankheiten der — und der
oberen Luftwege bei Dermatosen mit Berück-
sichtigung der Differentialdiagnose gegenüber
Syphilis, von Gottfried Trautmann 415. — s.
Typhusbacillen.
Muskelatrophie 1213. Spinale — in ihrer Be-
ziehung zur Lues 1562.
Muskelgeräusche bei der Auskultation 539.
Muskeln s. Augenhöhle Elektrische Eigen-
schaften roter und weißer — 1481.
Muskelplastiken, freie — bei Herz- und Leber-
nähten 711.
Muskelsarkome 1761.
Muskelsinn, Ermittlung des 84.
Muskeltransplantation, freie 1760.
Muttermundlippe, Myom der hinteren 1765.
Myalgien 921.
Myasthenie 927.
Myelitis migrans (Bing) 2025.
Myeloblastenchlorom 543.
Myom der hinteren Muttermundlippe 1765. — s.
Uterus.
Myoma uteri mit Röntgenstrahlen behandelt 1803.
Myome 589. — s. Degeneration. Röntgen-
behandlung der — 423. 922. Röntgenbehand-
lung der — und hämorrhagischen Metro-
pathien 1085. — s. Uterusblutungen.
Myomnekrose während der Schwangerschaft, von
. Ed. Ihm 1289.
Myotomie, abdominale 1253.
Myotonia atrophica 422. — congenita 1687.
Myotonie 1764.
Nabelbruch 1926. — s. Asphyzie.
Nabelhernie s. Absceß. wa
Nachröten, vasomotorisches s. Albuminurie.
Nachtrag, zweiter — zu den in Nr. 44 und 5i
(1911) erschienenen Arbeiten: Die Bedeutung
der Eierstöcke für die Entstehung des Ge-
schlechts (Linke) 236,
XV
Nachwehen, Therapie schmerzhafter 1474.
Nahrung, über die körperliche Anpassung des
Menschen an die Ausnutzung pflanzlicher
(Friedenthal) 196. ee
Nahrungslipoide, Experimente über die Einwir-
kung langdauernden Kochens auf lebenswich-
tige 883.
Nahrungsmittel 368. Bessere Ausnutzung der —
Nahrungsmittelchemisches Praktikum, von Hugo
Bauer 292,
Naht, Gefahren der —, speziell bei frischen Ge-
lenkwunden 1172.
Narben s. Hyperämiebehandlung.
Narcophin 1248. 829.
Narkose, von Max Verworn 1598.
ästhesie.
Narkosefrage, kritische Bemerkungen zur 1407.
Narkotica 282.
Narkotische Mittel, neuere Arbeiten über —, be-
sonders Schlafmittel 1920.
Nase und Auge in ihren wechselseitigen patho-
logischen Beziehnngen, von A. Brückner 1086.
— s. Atemübungen. Aetiologische Beziehun-
— s. Àn-
Beziehungen der — zur Pathologie des Kehl-
kopfs und der tieferen Luftwege (Barth) 566.
Gogenseitiges Verhältnis von —, Schlund und
- Ohren 664. Kleinen Finger mit gutem Er-
folg an die Stelle der — eingepflanzt 293.
— s. Nebenhöhlen.
Nasenbluten (Kobrak) 914. Stillung des — 1881.
Nasenersatz, Beitrag zum seitlichen und voll-
ständigen 293.
Nasenhöhle s. Zahn.
Nasenhöhlen, unblutige Erweiterung der 540.
Nasenkonkremente 1406.
Nasennebenhöhleneiterungen, über die Bedeutung,
Erkennung und Behandlung der (Wertheim)
431. 475.
Nasenoperationen, korrektive (Köhler) 949.
Nasenscheidewand, Perforationen der — infolge
von Rhinitis sicca anterior und von Tuber-
kulose 126.
Nasentuberkulose, Diagnose und Behandlung der
(Koerner) 1259.
Natrium, Bedeutung des — und Kaliums für die
Entstehung und Heilung der Gicht mit be-
sonderer Berücksichtigung des Radiums 377.
— und Kalium 792.
Natriumrhodenid 1965.
Natron, nucleinsaures — bei Scharlach 1169.
Naturforscherversammlung 84. — in Münster
1602. 1643. 1684. 1721.
Naturheilbewegung s. Schulmedizin.
Naturheilkunde vor dem Reichsgericht 1691.
Naturheilkundige s. Privatheilanstalten.
eai a andlig der — mit Kohlensäureschnee
N ebenhöhlen der Nase beim Kinde, von A. Onodi
Nebenhöhlenempyeme s. Sehnervenschädigung.
Nebenhöhlenerkrankungen, Beziehungen der —
zu den Erkrankungen des Auges und der
Augenhöhle 412.
Nebenniere, über gewisse physiologisch-histolo-
gische Vorgänge in der — und deren Be-
ziehungen zum Genitalapparate 376.
Nebennieren s. Diphtherietoxin. Ueberfunktion
der — 28. 2038.
Nebennierenrinde s. Cholestearinämie.
Nekrosen an der Hand infolge Anwendung von
eo ngei mit essigsaurer Tonerde (Esau)
Neoanastomosa zwischen Vena renalis und Vena
cava 2109.
Neo-Rheostat 1966.
Neosalvarsan 751. 1361. 1362. 1764. 2089. Be-
handlung der Syphilis mit — (Fabry) 1885,
— 8, Lues. — s. Salvarsan. Schwere toxische
Nebenwirkungen 1400. — s. Syphilis.
Neosalvarsaninfusion, Todesfall nach 1881.
Nephrektomie, 60 Fälle von — für Nierentuber-
kulose 1331.
Nephritis, Behandlung der chronischen 1168.
Chirurgie der — 884. Chirurgische Behand-
lung der verschiedenen Formen der — 1925,
gen von — und Gelenkrheumatismus 297. `
XVI
INHALTS -VERZEICHNIS.
Luetische — 109i. Neuere klinische An-
schauungen über — (Schlayer) B.-H. 9. —
parenchymatosa chronica s. Proktitis. The-
rapie der akuten — 1401. Zur Frage der
akuten infoktiösen — (Pawlicki) 1788.
Nephrose, chronische — im Kindesalter 1643.
Nephrotomie, probatorische — mit Naht 924.
Nerven, Operation an den peripheren 668.
N en Entstehung der, von H. Braus
Nervenkranke, klinische Untersuchung, von Otto
Veraguth 248, Ä
Nervenkrankheiten, neuere Beiträge zur Klinik
der syphilogenen 203. Neue Beiträge zur
Symptomatologie und Diagnostik: der — 659.
— s. Scharlach. |
Nervensystem, aus der Pathologie des vegeta-
tiven — im Kindesalter 337. Beteiligung des
vegetativen — an der Innervation der männ-
lichen Geschlechtsorgane 758. Diagnostische
und therapeutische Fortschritte auf dem Ge-
biete der Lues und Metalues des centralen
. — 717. Erfahrungen über Salvarsanbehand-
lung syphilitischer uud metasyphilitischer Er-
krankungen des — 1005. Pharmakologie des
vegetativen — (Meyer) 1773. Welche Vor-
sichtsmaßregeln sind bei der Untersuchung
des — Unfallverletzten zu beobachten?
(Schuster) 1693.
Nervöse Störungen s. Formalindämpfe.
es Charakter, über den, von Alfred Adler
i
Nervosität, über die — unserer Zeit (Rheins)
1255.
~ -Nervus mandibularis, über die Leitungsanästhosie
des — mittels Kälte (Neumann-Kneucker) 698.
Netzhautcentralgefäße, Angiosarkom der 294.
Netzhauterkrankungen bei Tuberkulösen 585.
Neubildungen, angeborene 2008.
NEUE eburene s. Milchsekretion. Syphilitische —
Neuralgien der täglichen Praxis, von O. Schel-
long 16i. Weitere Mitteilungen zur Injek-
tionsbehandlung der — 758.
Neurasthenie, Demonstrationen zur Differential-
diagnose der — und Hysterie 167. Sexuelle
—, von Georg Flatau 1248.
Neuritis retrobulbaris, Aetiologie der 1090. Spe-
cifische multiple —. — optica nach Salvar-
saninjektion 205.
Neuroaffnität des Salvarsans 1287.
Neurofibromatose mit Akromegalie 428.
Neurologie 197. 996. — (Bing) 21. 532. 834.
Aus dem Gebiete der — und Psychiatrie 495.
Ergebnisse der — und Psychiatrie, von H.
Vogt und R. Bing 2003. Praktische — für
Aerzte, von M. Lewandowsky 880.
Neurolytische Injektionen 532,
Neuronal 1754.
Neurorezidiv. Salvarsan und 1090. — nach Sal-
varsaninjektion 2007,
Neurorezidive, Entstehung, Verhütung und Be-
handlung von — nach Salvarsan 1846. —
nach Salvarsanbehandlung 752. — nach Sal-
varsan- und nach Quecksilberbehandlung, von
J. Benario 459.
Neurosen, Bedeutung der funktionellen — bei
der Begutachtung Versicherter 124. Be-
ziehung der funktionellen — respektive der
Hysterie zu den Erkrankungen der weiblichen
Geschlechtsorgane 85. Die Rolle des vege-
'tativen Systems der Pathologie der vaso-
motorisch-tropischen — (Cassirer) 1898.
v. Neuber, Edmund + 1837.
Nickelbearbeitung, Gefahren der 1873.
Nicoladoni, zur Erinnerung an C. (Payr) 2012.
Nicotinamblyopie, Behandlung der — mit Leci-
thin 1363.
Niederschlagspuren bei der Eiweißkochprobe 497.
Niere s. Anomalien. Hydronephrotische — 2049,
Operative Behandlung der akut-septisch-infek-
tiösen — 924. Teratom der — 2050. Tuber-
kulose der linken — 2050. Ueber Indika-
tionen zur Dekapsulation der — 383, — s.
Umfrage.
Nieren s. Diurese. Regenerationsvorgänge in
den — des Menschen, von A. Tilp 1171.
Nierenbecken s. Cancroid..
Nierenchirurgie, Beiträge zur 924. Dauererfolge
der — 884.
Nierendekapsulation bei chronischer Brightscher
Nierenkrankheit 29. Edebohlsche — 2049.
Nierendiagnostik, Begriff und Grenzen der funktio-
nellen 633.
Nierendiagnostik und — -chirurgie 425.
Nierendystopie, congenitale 125.
Nierenentzündung s. Niere. — s. Umfrage.
Nierenerkrankungen, Diagnose chirurgischer —
mit Hilfe der Chromocystoskopie 170. —
des Kindesalters 1603.
Nierenfunktion, Ermüdbarkeit der 882. — Ex-
perimentelle Studie zur 123. — Prüfung
der 413.
Nierengefäßveränderungen und Hypertonie 964.
Niereninfektion 626. — pyogene 3833,
Nierenkranke, Diätetik der 1717.
Nierenkrankheit s. Nierendecapsulation.
Nierenlager s. Massenblutungen.
Nierenleiden, Tod an — nicht Folge einer zwei
Jahre vorher erfolgten geringen Kopfver-
letzung 1045.
Nierennerve, Folgen der Unterbindung der — in
BE ee: und therapeutischer Hinsicht
924.
Nierenprüfung, funktionelle — mittels Phenol-
sulfophthalein 1844.
Nierensekretion 626.
Nierenstein 504.
Nierensteine im Kindesalter (Ebert) 899.
Nieronsyphilis 589.
Nierentuberkulose 2049. — s. Nephrektomie.
Pathologisch-anatomische Befunde — bei 845.
Nieren- und Uretersteine (Casper) 1611.
Nikotin 204.
Nitrogiycorin gegen Seekrankheit (Burwinkel)
1199. ; |
Ninhydrin 2002.
Noviform 665. 1475. Erfahrungen mit — (Boro-
vansky) 992. Erfahrungen mit — (Cammert)
1912. — in der Gynäkologie (Lamers) 1884.
Novocainlösungstiegelchen 330.
Nucleinsäure s. Peritoneum.
Nürnberg, Klinischer Demonstrationsabend im
allgemeinen Krankenhaus 420.
Nylandersche Zuckerprobe, Anwendung der 579.
Nystagmus, Der vestibuläre — und seine Be-
deutung für die neurologische und psychi-
atrische Diagnostik, von (M. Rosenfeld) 371.
Obduktion s. Unfalltatsache,.
Obduktionsprotokoll, von O. Busse 1045.
Oberarm s. Lähmung. |
Oberlid, Ektropion des 1971.
Oberschenkel, angeborener Defekt des einen 294.
Oberschenkelbrüche, Demonstration einer neuen
Schiene für 925.
Oberschenkelhals- und Schaftfrakturen, Behand-
Jung der — mittels der Bardenheuerschen
Extension in Flexionsstellung, verstärkt durch
Grunesche Kniegelenkzüge 925.
Obstipation, chirurgische Behandlung schwerer
Formen chronischer 2011. Die physikalische
Therapie der habituellen — (Kahane) 1683.
1675. — Neuere Arbeiten über die Behand-
lung der cbronischen — 955. Röntgenbefunde
bei — 757. Spastische — 1209. _
Se 2009. — beim Menschen und Tier
Oedem, allgemeines — im Anschluß an Gastroen-
-teritis 540. Hartes — der linken Hand 1722.
— und seine Entstehung 1602.
Oedemfrage, Physikochemische Beiträge zur 882.
Ohr und akute Infektionskrankheiten (Eschweiler)
1339. Anleitung zur Funktionsprüfung des
—, von A. Sonntag und H. J. Wolff 1641.
— s. Attikspülung. l
Ohren- und Augenheilkunde, Forschungsergeb-
nisse der Vererbungslehre in der 657.
Ohrengeräusche, neurasthenische 1923.
Ohren s. Nase 664,
Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten, Lehr-
buch der —, von Otto Körner 1924.
Ohrenschmerz und seine diagnostische Bedeutung
(Kobrak) 1037.
Ohrgymnastik 29.
Ohrsonde 1550.
Ohrtricbter s. Otiatrie.
Ohrpinzette s. Otiatrie.
Ohrspritze s. Otiatrie.
Okkultismus und Medizin 719.
Okular, neues — von starker Vergrößerung und
großem Gesichtsfelde für Mikroskope 797,
Oligodipsie, zur Frage der (Jungklaus) 357.
Onycholysis 1681.
Onychomadesis 1681.
Operation an Minderjährigen 848,
Operationen, endovesicale 1331. — s. Schaden-
ersatzansprüche.
Operationscystoskop 1970.
Öperationsfeld s. Jodtinktur.
ÖOperationskastration 368.
Operationswunden s. Bakterien. — s. Campheröl.
Ophthalmie, bakteriologische Untersuchungen über
die Pathogenese der sympathischen 1551.
Serologische Untersuchungen über die Patho-
genese der sympathischen — 1357.
Ophthalmoblennorrhoea neonatorum, Sophol als
Prophylaktikum der 1753. Zur Prophylaxe
der — 1564.
Ophthalmologische Diagnostik an der Hand typi-
scher Augenhintergrundbilder, von Adam 1804.
Neue — Literatur 577. Aus der neusten
— 958. 1716. 2081. |
PB mennig mittels Pantopon (Frankenstein)
Opon 960.
Orbita s. Endotheliom.
Orbitaldach, Perforation des 119.
Orbitalinhbalt, Erkrankungen des — nach Zahn-
extraktionen 634. |
Orbitaltumoren, Demonstration seltener 1090.
Organeiweiß 1046.
ÖOrganextrakte 708.
Organgefühle, Nachweis latenter — des Magens
und des Herzens 1091.
Organismus, über Beziehungen zwischen Wasser
und Kochsalz im —, nach Untersuchungen in
den Monte-Rosa-Laboratorien 1212.
Örgantherapie bei Cataracta senilis 1090.
Orthonal 627.
Orthopädie, Erfolge der modernen (Boehm)
B.-H. 8. — s. Gynäkologie.
Ortskrankenkassentag und Arztfrage 1607.
Osmotische Eigenschaften s. Zellen.
Oesophagoskopie. Bedeutung der — für die Dia-
gnose und Therapie der Fremdkörper im
Oesophagus 878.
Oesophagus, Beitrag zur Fremdkörperperforation
des (Inrasz) 1264. Bewegung des — unter
normalen und pathologischen Bedingungen
1175. Idiopathische Dilatation des — 760.
Spindelförmige Ektasie des — 1566.
Oesophagusdivertikel, Fall von geheiltem 335.
ÖOesophagusfistel, Fall von Plastik bei — nach
Kebhlkopfexstirpation bei Ca. laryngis 1562.
Oesophagusstenose, Behandlung der — mittels
Elektrolyse 843. |
lt meine letzte, von J. Martin
42
Osteochondritis dissecans s. Knochen-Knorpel-
nekrose.
Osteogenesis imperfecta 1008. ;
Osteomalacie 502. 1640. 2049. Behandlung der
— mit Hypophysenextrakt 414. Zur Be-
handlung der — mit Hypophysenežtrakt
(Koch) 1022.
Osteomyelitis, Frühoperation der — des oberen
Femurendes 1476.
Östitis chronica metaplastica der menschlichen
Labyrinthkapsel, von Paul Manasse 1882.
Ötiatrie (Linck) 1514. 1550.
Otitis media acuta 785. — media acuta purulenta
sen perforation 2076. — simplex 2040.
Otologie (Barth) 785. 1240. 1321. 2040 2076.
Otologische Literatur, neuere 368.
Övarialcyste s. Paratyphus-B-Bacillen.
Ovarialenzyme s. Milz 84.
et mit Haematocele retrouterina
2010.
Ovarie s. Albuminurie,
Ovarien, Lagebestimmung der 1847.
mig
Oyarientransplantatior, kann die — als erfolg-
reiche Behandlung der Ausfallerscheinungen
kastrierter Frauen angesehen werden? 546,
Oxalatstein s. Cancroid.
Ozalsäurevergiftung. -über einige Beohachtungen
bei (Wichern) 900.
Oxuris vermicularis (Jödicke) 64.
Osyuris vermicularis 1001.
Ozaenasammelforschung, Beteiligung der Kinder-
ärzte an der internationalen 1254.
Ozofluin 120.
Ozon s. Jodnatrium.
Pädiatrie, aus dem Gebiete der 574. 622. 661.
1241. 1958.
Palliativbehandlung, neue — des Ascites 168.
Panaritismus, Operation des 2088.
Pankreas, Pathologie und Therapie des 801.
Pankreascysten s. Röntgenuntersuchung. ° -
(Decker) 1827.
Pankreasdiabetes, neuere Forschungsergebnisse
über den 113. 1
Pankreasnekrose 1885.
Pankreasveränderungen bei Diabetes 589.
Pankreaszerreißung 579.
Pankreatitis, Diagnose und Therapie der chroni-
schen 843. Zur Kenntnis der akuten
hämorrhagischen — (Hellwig) 2102.
Pankreon, neues über 72.
Pantopon, morphinfreies 960. Opiumentziehung
mittels — (Frankenstein) 1669. Ueber Wir-
kung und Anwendung. des — 116.
Pantoponinjektion s. Arzneiexanthem.
Papierkorb, mein 1528. -
Papilla nervi optici 371.
Papillo-makuläres Bündel s. Salvarsan.
Papillom, bandnußgroßes — der linken Stimm-
lippe 2i1. i
Paracelsus und Paracelsuskritik (Richter) 339.
Paracentesennadel 1551.
Paradentale Entzündung 574.
Paraffinplastik, Dauerresultate der 508.
Paraffinum liquidum in der Wundbehandlung
(Auerbach) 1957.
Paralyse, Bedingungen für die Entstehung der
progressiven (Pilez) 644. Behandlung der
progressiven — 1087. DisgnoseundDifferential-
diagnose der progressiven — (Arndt) 1377. Ju-
venle — 1258, Die juvenile — (Kliene-
berger) 1531, Ueber juvenile — (Rosenfeld)
1784. — s. Landrysche. — s. Sehnerven-
atrophie,
Paralysis agitans 1808. — — als Folge eines
Den enluchen Traumas 1641. — — und Trauma
Paralytiker, Reaktion im Harne von 1329,
Parasitismus der Linguatula rhinaria Pilger im
Vergleich zu dem der tropischen Poroce-
phalen 925.
Paratyphus, Sektionsbefund bei Infektion dureh
802. —-B Bacillen in einer carcinomatösen
Orarialcyste (Seiffert) 853.
Paratyphusforschung, neue Ergebnisse der 2079.
Paratyphuskranker, Leber eines 2008,
Paris 80,
Parotis, Tuberkulose der 28.
Parotitis 664. — epidemica s. Landrysche Para-
lyse, Postoperative — 1178.
Pasta „Liermann“ 290.
Patella, Spaltbildungen an der 337.
rn Anpemeine T von Ernst Schwalbe
. Dpezielle — i è
nagel 1598 und Therapie, von H. Noth
ologisch-anatomische Demonstrationen 669.
. — histologische Unterhaltungsmethoden,
w G. Schmorl 709. Technik der — —
Path ntersuchung, von G. Herzheimer 1129.
D ologisches Porträt 1480,
aukenrölirchen 1550,
Paa Plastik 8. Schenkelhernien.
0513 capiti . Le .
kung 66 Omas charakteristische Hauterkran-
pelido! und Azodolen 1754,
A oT, ein neuer Apparat zur Diathermie
pentosurie 1126. i
=
psin s, Fermentuntersuchungen.
INHALTS-VERZEICHNIS.
Perichondritis s. Tracheotomie.
Perinealhernien 924.
Perinephritis fibrosa, durch harnsaure Krystalle
hervorgerufene Fälle von 1214.
Periodontitis 1202.
Peristaltikhormon, Nebenwirkung des 840.
Peritonealdrainage, zur Frage der — bei Peri-
tonitis diffusa 835,
Peritoneum, Resistenzerhöhung des — vor La-
parotomien durch subcutane Injektion von
Nucleinsäure 1048. — s. Tuberkelbacillen.
Peritonitis, adhäsive 840. — s. Bauchfell. Be-
deutung der Bakteriologie für die Klinik der
— 884. Chirurgische Behandlung der eitrigen
— bei Appendicitis (Pupovac) 518. Chirur-
gische Behandlung der puerperalen — 1807.
Die diffuse gonorrhoische — 1565. — diffusa
s. Peritonealdrainage. Prophylaxe und Be-
handlung der eitrigen — 715. Sogenannte
idiopathische — 799.. — tuberkulosa 418.
Peritonsillarabscesse, zur Technik der Eröffnung
von. (Krause) 231.
Perkussion, kurzer Abriß der — und Auskul-
tation, von H. Vierordt 1966. — der Lungen-
spitzen bei Tuberkulose (Janowski) 1786.
Phonoskopische —, eine neue Untersuchungs-
methode 1214.
Perkussionshammer 1808. — mit Maßstab und
Sensibilitätsprüfern 1755.
Pes calcaneus 293.
Pestbacillus, Lebensdauer des — in Leichen 246.
Pestepidemie, epidemiologische Erfahrungen üher
an erste — in Niederländisch Ost-Indien
Pflanzen s. Winterruhe.
en Entwicklung s.Landschafts-
Pfropfbastarde, über (Wangerin) 286.
Phänomene, peristaltische — am Magen und
deren diagnostische Bedeutung 757.
Pharmakodynamische Einflüsse s. Index.
Pharyngoskop 1717.
Pharynx s. Amyloidtumoren. — und Kehlkopf-
tuberkulose, neuere Literatur über 1751.
Phenyldimethlpyrazolonamidomethansulfonsaures
an ein neues Antipyreticum (Krabbel)
Phimose und Hydrocele im Säuglingsalter 1168.
Phlebostase s. Aderlaß 316. Einwirkung der
Venenstauung mittels — auf die Herz- und
Pulskurve bei Herzkranken 842,
Phlegmonen 498.
Phobien, über —, besonders Platzangst, ihr
Wesen und ihre Beziehungen zu den Zwangs-.
vorstellungen (Rohde) 2062. 2098.
Phobrol (Cblormetakresol), Versuche mit (Zahn)
1913.
Phonasthenie und Uebungen zu ihrer Heilung
1367
Phosphat- und Carbonations, Verhalten des —
— im Serum 1448.
Phosphaturie, das schillernde Häutchen auf dem
Harn bei 882. |
Phosphor 1127. Einfluß des organischen — auf
das Ulcus ventriculi 247.
Phosphorwolframsäure 1126.
Phthise s. Lungenkollaps.
Phthisiker 1286.
Physikalische Heilkunde von Fritz Frankenhäuser
120.
Physikalische Therapie 703. 1878.
Physiologie, kleines Praktikum der —, von
F. Schenck 1363. Pathologische —, von
Ludolf Krehl 1558. Vergleichende —, von
August Pütter 1004.
Physiologische Methoden, Handbuch der, von
Robert Tigerstedt 331.
Physiologische Methodik, Handbuch der, von
Robert Tigerstedt 961.
Physiologisch - chemisches Prakticum, von H.
Steudel 1363.
Physiologisches Practicum, von Emil Abderhalden
Pilzvergiftung 166.
Pipette s. Centrifugenglas. Graduierte und un-
graduierte — und Pipettenflaschen mit auto-
matischer Saugvorrichtung 1719.
—[7
XVII
v. Pirquetsche Reaktion bei chirurgischer Tuber-
kulose 1556. i .
Pittylen, Behandlung des Pruritus vulvae mit
(Herzberg) 1870.
Pituglandol 1252.
Pituitrin 251. 330. 670. 922. 1247. — als Blasen-
tonicum 1363, — bei schwachen Geburts-
wehen 1209. — in der Geburtshilfe 961. Mit
— erfolgreich behandelter Fall von Osteo-
malacie 502. — s. Sekakornin.
Pituitrinum glandulare s. Stoffwechsel.
fundibulare s. Stoffwechsel.
Placenta praevia in situ 2010.
Plastik und Medizin, von Eugen Holländer 928.
Plesniadho Operationen, von Ph. Bockenheimer
20
—_ in
Plattenwechselmaschine 1476. 3 |
Plattfuß und Dysbasia arteriosklerotica 423.
Plattfußbehandlung (Stephan) 1871. Plattfuß-
beschwerden und — 544.
Platzangst s. Phobien.
Pleura, Streptothrixinfektion der 664.
Pleuraempyeme, langsamer Durchbruch kleiner
in die Lunge 1328. Ueber die spontane Aus-
heilung kleiner — bei Kindern 1563.
Plethora abdominalis und ihre praktische Be-
deutung (Schütz) 1654.
Pleurahöhle s. Pseudohydronephrose.
Pleurainfektion, operative — und Thoraxdrainage
798.
Pleuratumoren, Klinik und pathologisch-anato-
mische Diagnose-maligner 1007.
Pleuritis 28.
Pleuritiden, zur balneologischen Nachbehandlung
der (Isserlin) 905.
Plexusanästhesie s. Anästhesierungsverfahren.
Plexus brachialis, Anästhesierung des — in der
Achselhöhle bei operativen Eingriffen an der
oberen Extremität 925. Säugling mit schwerer
Verletzung des — 251.
Plexus coeliacus, pharmakologische Studien über
den 119.
Plombieren s. Stirnhöhle.
i von Knochenhöhlen mit Fettgewebe
Pneumin 541. |
Pneumokokkenserum s. Pneumonie. —, zur in-
travenösen Anwendung des Römerschen —
bei croupöser Pneumonie (Dorendorf) 1579.
Pneumonie, Alkohl bei 1169. Bebandlung der —
mit intravenösen Injektionen des Neufeld-
Haendelschen Pneumokokkenserums (Weitz)
072. — s. Eisenausscheidung. Genuine —
457. — bei Kindern 2002. — s. Pneumo-
kokkenserum.
Peumoniebehandlung, zur Frage der (Loewen-
stein) 145. Zur Frage der —, von Walter
Löwenstein (Wachter) 403.
Pneumonien, Behandlung der — durch Sauer-
stoffinhalationen 2007. Zur Beurteilung trau-
matischer — (Engel) 31.
Pneumothorax, Bebandlung schwerer Lungen-
‘ krankheiten mit künstlichem 1408. Experi-
mentelle Erzeugung von doppelseitigem —
587. Geheilter — 1173. Künstlicher — bei
Kindern — 1369. — s. Lungengangrän. — s.
Lungentuberkulose. Neuer Apparat zur An-
legung des künstlichen — 585. Ueber künst-
lichen — beim Kinde 2007. Ueber den künst-
lichen — bei Lungentuberkulose. 585.
a a in Frankfurt a. M. 1449. Kleine
Poliklinik, Königliche — in München, von Stempel
und Kollmann 541.
Polioencephalomyelitis, Epidemie von 579.
Poliomyelitis 2006. Akute — 414.839. — acuta,
Diagnose der (v. Starck) 2057. Pathologische
Anatomie und experimentelle Pathologie der
— 2006. Traitement chirurgical des suites
des — 2007.
Poliomyelitisepidemie, Bemerkungen zum Ablau:
der — in Schleswig-Holstein 714.
Politische Betätigung des Arztes 848.
Politzer-Ballon 1551.
Polyartbritis gonorrhoica im frühen Säuglings-
alter 715.
Polyeythämie und Plethora, von H Hirschfeld 1599
XVII
Polycythaemia rubra (Löwy) 1464. |
SOTE nug hydropiper bei inneren Blutungen
Polygramme zur Magendiagnostik 797.
Polyurien s. Diabetes insipidus.
POMEN Mi hochgradige 294. Zur Kenntnis der
Poliomyelitis acuta, Urotropin bei 330.
Polyposis des Magens 293.
Porencephalie 1008.
Porocephalen s. Parasitismus.
Porro, Fall von — bei nachfolgendem Kopf 682.
Prag, Verein deutscher Aerzte 1332. — Wissen-
schaftliche Gesellschaft deutscher Aerzte in
Böhmen 967.
Präparate s. Durchsichtigmachung.
Praktische Winke! (Niewerth) 1875.
Präparationsmethode s. Jodtinktur.
Präzisions-Gärungs-Saccharimeter 581.
Preßluft, Gelenkerkrankungen durch 1441.
Pribram, Hofrat Professor Dr. Alfred F 765.
Primärherd, tuberkulöser 1689.
Prismenphänomen s. Pupillenstarre.
Privatheilanstalten, Errichtung von — durch,
„Naturheilkundige“ 131. |
Projektion s. Hautkrankheiten.
Projektionen s. Augenhöble.
Proktitis, ein Fall von gonorrhoischer — mit
konsekutiver hämatogener Nepbritis paren-
chymatosa chronica (Wiener) 1029.
Prostata, Atonie der (Marcuse) 1818.
Prostatahypertrophie 1881. 2406. — (Lissauer) 889.
— (Portner) 1467. — Ihre Pathologie und
Therapie, von W. Karo 1364. Die Indika-
tionsstellung zur operativen Behandlung der
— (Janssen) 349. Das Wesen der — und
deren Therapie (Karo) 787.
Prostataektomie, perineale 1970.
Prostatitis s. Thermopenetration.
Prostatitis gonorrhoica chronica, Thermopene-
tration bei (Simmonds) 1832.
Prostituierte, Geisteszustand der 2008.
Prostitution, von Iwan Bloch 2008.
Protargol 1758.
Protbämien 665.
Protozoeninfektionen, Immunität bei 926.
Protozoenkunde s. Bakteriologie.
Pruritis, Pasten gegen 627. .
Pruritus ani 1127. Zur Behandlung des — ani
335. — ani mit Röntgenstrahlen behandelt
960. — vulvae 879. 1474. — vulvae s.
Pittylen.. — vulvae et ani Urotropin 1002.
Pseudarthrosen 713.
Pseudo-Appendicitis, IJymphatische 1332.
Pseudochlorose s. Chlorose.
Pseudohydronephrose mit der Pleurahöhle kom-
munizierend 965.
Pseudoleukämie, sogenannte 964.
Pseudotabes hysterica 802.
Pseudotermaphroditen, Tumoren bei 168.
Pseudotetanus 1689. Diphtherischer — 73.
Psoriasis 700. 744. 2088. —. ein Hautsymptom
konstitutionell-bakterieller Erkrankungen 798.
Psyche s. innere Sekretion.
Psychiatrie, Gynäkologie und — (Peretti) 1857.
Kurzgefaßtes Repetitorium der —., von
J. Bresler 1830. Lehrbuch der speziellen —,
von A. Pilez 1363. Militärsanitätswesen und
— 953. — s. Neurologie. — s. Symptomen-
komplexe.
Psychiatrisch-genealogische Untersuchung der
Abstammung König Ludwigs II. und Otto I.
von Bayern, von W. Strohmayer 1521.
ne zur Behandlung krimineller Kin-
er 78.
Psychischkranke, deutsche Heil- und Pfiege-
anstalten für 416. Deutsche Heil- und Pflege-
anstalten für —, von J. Bresler 1249.
Psychologie s. Psychotherapie. Stimmen zur —
der Tiere (Franz) 1671.
Psychologische Theorien Freuds und verwandte
Anschauungen, von Arthur Kornfeld 1883.
a durch Kohlenoxydvergiftung (Quensel)
Paychotherapie, über — und medizinische Psycho-
ogie
Psychotische Krankheitszustände 1043.
INHALTS-VERZEICHNIS.
Pubertätsjahre, Einfluß gesteigerter Marsch-
leistungen auf die Körperentwicklung in den
— schwächlicher Kinder (Meyer) 946.
Publizistik, Auswüchse der modernen tropen-
medizinischen — (Külz) 805.
Puerperalfieber in Ostpreußen und seine Be-
kämpfung 671.
Pulmonalstenose 926.
Pulpenpolyp 872.
Pulpitis 872.
Puls, centraler — und Schlagvolumen 842.
Pulsfrequenz s. Albuminurie.
Pulskurve s. Phlebostase.
Pulsverlangsamung 1168. |
Pulswelle, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der —
in gesunden und krankhaft veränderten Ge-
fäßen 842,
Pulverbehandlung s. Ausfluß. Vaginale — 922
Pulverzerstäuber „Siceator‘‘ 708,
Punktion eines Herzbeutelexsudats 1247.
Pupillarabstand, weiterer Beitrag zur Bestim-
mung des (Helmbold) 1354.
Pupillenabblassung, beiderseitige 37.
Pupillenerweiterung 1437.
Pupillenmembran, peristierende 1090.
Pupillenstarre, die hemianopische — und das
Wildbrandsche Prismenphänomen als Hilfs-
mittel zur topischen Diagnose der Hemia-
nopsien 81. Reflektorische — nach Kopf-
trauma 670. — — allein durch Alkoholismus
bedirgt 37.
Pupillenweite, ungleiche 1286.
Pupillometer, ein neuer einfacher (Axmann) 696.
Purinkörpergehalt 8368.
a OBR s. Atophan. — beim Menschen
Purpuraepidemie (Ernst) 1272.
Pyämie, ein Fall von 1687. Operative Behand-
lung der puerperalen — 1807.
— (Hoehne) 1462.
Pyelographie 464.
Pyelotomie als Methode der Wahl bei der Stein-
niere (Baum) 1984.
Pylorospasmus 1084.
Pylorusstenose, angeborene 1761. Benigne und
maligne — 2001. Magenerweiterung bei —
1684. — mit hochgradiger Erweiterung des
Magens ohne motorische Insuffizienz 29. Zur
Operation derangeborenen — (Rammstedt)1702.
Pyocyanase (Schulhof) 1274.
Pyonephrose 1605.
Pyonephrosen 924.
Pyorrhoea alveolaris 491.
Pyramidonbehandlung des Typhus 961.
Pyrogallolsalbe s. Spina ventosa.
Quadriceps s. Sehnentransplantationen.
Quarzlampe s. Ulcera cruris.
Quasinjektor 458.
Quecksilber s. Salvarsan. — s. Syphilis. — s.
Tuberkulin.
Quecksilberinunktionskur 540.
Quecksilberpräparate, experimentelle Untersuchun-
gen über die therapeutische Wirkung ver-
schiedener — bei der Spirochätenkrankheit
der Hühner (Kolle, Rothermundt, Dale) 65.
Quecksilberverbindungen, neuere Anschauungen
über den Chemismus der Gift- und Heil-
win tag organischer (Schoeller und Schrautt)
1200.
Quermyelitis, Mädchen mit in Heilung begriffener
akuter 294.
Quertracheotomie 374.
Wachenmandel, Vergrößerung der 1208.
Rachenring, weitere Gesichtspunkte zur Patho-
logie und Therapie des Jympbatischen 848.
Radialislähmung,. totale 423.
Radioaktive Stoffe, Wirkung 758.
Radioaktivität, Erscheinungen der — und ihre
Anwendung in der internen Medizin 671.
Radiographie von Bewegungsvorgängen innerer
Organe nach einem neuen Verfahren 797.
La — de Precision, von Th. Nogier 1864.
Radiolarie 586.
Radiologie, chirurgische Erfahrungen mit der —
des Magendarmkanals 710. |
Radium 414. Anwendung des — in der Chi-
rurgie 712. Anwendung des — in der Chi-
rurgie (Sticker) 1266. — s. Geschwülste.
Mit — geheilte Kehlkopfpapillome 40. — s.
Natrium. — und Radiumtherapie 1131. — s.
Röntgenstrahlen.
Radiumbäder, Wirkung der natürlichen — und
ihre Anwendung 797. |
Radiumbehandlung s. Angiome.
Radiumemanation, Gehalt des arteriellen Blutes
an — bei Inhalation, und bei Einführung der
Emanation in den Darm 1046. — und
Brunnengeist (Lazarus) 1152. — s. Uraten.
Zur Frage der Anwendung großer oder
kleiner Dosen von — (Benedikt) 143.
Radium- und Mesothoriumbehandlung bei Haut-
krankheiten 2089.
Radiumnormalmasse und deren Verwendung bei
radioaktiven Messungen, von E. Ruther-
ford 30. `
Radiumstrahlung s. Drüsen- und Narbenrezidive.
Radiumtherapie 408. Die experimentellen Grund-
lagen der — 797. Diskussion über — 424.
Moderne — 334. — s. Radium.
Radiusfraktur, Behandlung der — mit der Schede-
schen Schiene (Decker) 1668.
Radiussarkom, Einheilung der großen Zehe nach
Operation eines — vor zehn Jahren 1562.
Ramazzini Bernardino, der Vater der Gewerbe-
hygiene, von F. Koelsch 1883.
Raspel s. Gipsverbände.
Rasselgeräusche über den Lungenspitzen 159.
Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Arbeiten über
365. 1517.
Rassenhygiene 421.
Rassenpsychiatrie s. Chirurgie.
Rassenverbesserung, Mission der Frau bei 1846.
Ratten- und Mäusetumoren, Untersuchungen über
Immunität und Chemotherapie bei experi-
mentell erzeugten (Uhlenhuth) 1496.
Rauch s. Arsenvergiftung.
Rauchen Hg-getränkten Tabaks 1043.
Recessus cochlearis n VIII, Beitrag zum Kapitel:
— und Salvarsan (Levinstein) 1198.
Recto-Romanoskopie, Technik und Indikationen
der — und der endoskopischen Behandlung
(v. Aldor) 98.
Rectum, Scheidenbildung aus dem 1764.
Rectummetastase 290.
Recurrens s. Epithelkörperchen.
Reflektor 1363. — s. Otiatrie.
Refraktions- und Akkommodationsanomalien,
kurzer Leitfaden der — von H. Schiess
1882.
Register s. Zitate. f
Reichsgerichtsentscheidungen, betreffend die Aus-
übung der Heilkunde durch approbierte Aerzte
721. 890. 1012. 1298. 1449.
Reichspostkrankenkasse, Bedeutung der neuen —
- für die Aerzte 1297.
Reichsversicherungsamt, die Leitsätze des —,
betreffend das „Heilverfahren während der
Wartezeit“ in ihrer ärztlich-sozialen Bedeu-
tung 260. Spruchpraxis des — bei Augen-
verletzungen und Sehstörungen, von G. Pfalz
1558.
Reichsversicherungsordnung, das vierte Buch der
1134. Durchführung der — 764.
Reizleitungssystem, Beeinflussung des — des
Herzens durch das natürliche Koblensäurebad
mit indirekter Abkühlung 842.
Replantation 1281.
Respiration, aus !der Geschichte der — und der
Ernährung, von Alfred Gigon 1599.
Retinitis centralis specifica, rezidivierende 1090.
Drei Fälle von — durch Blendung 1441.
Retrodeviationen s. vaginale Operationen. _
Revierdienst, Diagnose und Therapie beim —,
von W. v. Mielecki 371.
Revulsiva 532. !
Rezepte s. Gewichtsbezeichnung.
Rezepttaschenbuch für Klinik und Praxis, von
Ziemssen 500.
Rheumatische Erkrankungen, Wesen 2001.
Rheumatismus, über den sogenannten 124.
Rhinitis sicca anterior s. Nasenscheidewand.
Rhinologie s. Laryngologie.
eare
errat
a
INHALTS-VERZEICHNIS.
Rhinoplastik, eine dritte Methode der totalen
20 :
Rhinologische Literatur, neuere 190.
Rhinophyma 418,
Rhinosalbe 418. |
Rhodalzid, über —, eine neue Rhodanverbindung
und dessen Anwendung (Nerking) 235.
Riba-Malz, Erfahrungen mit — bei Öperierten
(Hirsch) 2108.
Riesentumoren s. Bauchdeckenresektion.
Riesenwuchs der linken oberen Extremität 1446.
Riesenzellensarkom des Oberarmkopfes. 2010.
Rippe, überpflanzte 1721.
Rippen s. Spontanfrakturen.
Rippenknorpeln, Wundgestaltung bei Operationen
an der 925. `
Rippenresektion s. Indikationsstellung.
Riviera, Frühlingstage an der österreichischen
764. 848. 891. 1050. 1178.
Rohrzucker 707,
Roemersches Pneumokokkenserum 457.
Röntgenaufnahmen s. Augenhöble.
Röntgenbefunde bei Obstipation 757.
Röntgenbehandlung in der Gynäkologie 1409.
— s. Myome. — der Myome 922, — s.
Uterusblutungen.
Röntgenbestrahlung s. Splenomegalie. — eines
vorgelagerten Magencareinoms 1445.
Röntgenbild, Gastroenterostomie im 668.
Röntgenbilder, stereoskopische 2049.
Röntgendiagnose s. Speiseröhrenerweiterungen.
Röntgendiagnostik der kindlichen Bronchial-
drüsentuberkulose 1685. Kompendium der
—, von Edgar Ruediger 1522.
Röntgendurchleuchtungen s. Blendenverfahren.
Röntgenkastration 368.
Röntgenkinographie s. Magencarcinom.
Röntgen-Literatur, von H. Gocht 1559.
Röntgenologen, Blut der 1362.
Röntgenologisch oe Symptome s. Magenerkran-
kungen.
Röntgenphotograpbisches über die Vorgänge beim
Schluckakte 671.
Röntgenschnellaufnahmen s. Thorax.
Röntgenstrahlen 1474. Durch — verursachte
Blutgefäßerweiterungen in der Haut 39. Ex-
perimentelle Studien zur Feststellung eines
biologischen Normalmaßes für — 1477. Fort-
schritte auf dem Gebiete der — 1678. —
in der Gynäkologie 1646. — in der Gynä-
kologie, von M. Fränkel 2047. Körperver-
letzung durch — 426. Leistungsfähigkeit
der — zur Diagnose der Extrauteringravidität
in späteren Monaten bei abgestorbener Frucht
1765. — s. Magen. — s. Myoma uteri
1803. — s. Pruritus ani. — und Radium
in der Diagnostik und Therapie 716. — s.
Tiefenbestrahlung. Ueber die Verwendung
der — in der Geburtshilfe und Gynäkologie
(Runge) B.-H. 12. — s. Umfrage. — s.
Uterusmyome.
Röntgenstrahlenanwendung 1603.
Röntgenstrahlendiagnose s. Verdauungskrank-
heiten.
Röntgensymptome s. Gastroptose.
Röntgentherapie s. Degeneration. Der derzeitige
Stand der — in der Gynäkologie (Immel-
mann) 233. — s. Fibromyome. — in der
Gynäkologie 840. 1432, — s. Leukämie.
Mitteilungen aus dem Gebiete der — 1925.
Röntgentiefonbestrahlung der Schilddrüse bei
asedowscher Krankheit (Schüler und Rosen-
berg) 1986.
Onigenuntersuchung, Beitrag zur Bewertung
5 — bei der Diagnose von Pankreascysten
(Schlesinger) 1027, — des Dickdarms 118.
lè experimentellen Grundlagen der — des
„eendarmkanala 110. — s. Lungen. — s.
en.
Röntgenuntersuchungen über den Einfluß von
bführmitteln auf die Darmbewegung 797.
Ra des kindlichen Magens 757.
Int Verbrennung, eine hysterische 334.
ci vorfahren s. Bronchialbaum. — in der
‚Turgie, von Alban Köhler 1756. — im
Dienste der Erkennung und Behandlung der
Magen-Darmerkrankungen 710. Leitfaden des
—, von F. Dessauer und B. Wiesner 1475.
=- — 8. Lungentuberkulose.
Rostock, Aerzteverein 126. 1008. 1479. 1809. 2088.
Röteln, Varizellen, von Franz Hamburger 206.
Rotes Kreuz, das — im Balkankriege 1851. Das
— und der praktische Arzt in Friedenszeiten
(Weigand) 887 928. 968.
Rotlaufserum s. Schweinerotlauf.
Rubeolen, maligne 73.
Rückblick auf das Jahr 1911 87. — 2089.
Rücken s. Herzgeräusche.
Rückenmark s. Littlesche Krankheit. Röhren-
förmigo Blutungen der Erweichungen im —
1848. Verletzung des — mit Kugel (Eisen-
gräber) 1991.
Rückenmarkserkrankung s Anämie,
AUS LBS SBESCHUAAE, operativ behandelte
Rückenmarkskrankheiten s. Lumbalpunktion.
Rückenmarksquerläsion s. Wirbelsäule.
Rückenmarkstumoren, Diagnostik der 759.
Rückenmarkswurzel, Dauerresultate der Durch-
trennung der hinteren 1173.
Rückenmarksmuskulatur, skoliotischer 329.
Rückengratsverkrümmung und Schule 1604.
Ruheübungen und Ruheübungsapparate, von L.
Hirschlaff 1683. |
Ruhr mit tödlichem Ausgange 1681.
Ruminatio, Demonstration eines Säuglings mit
1688. — humana :1008.
Rumpf, Leitungsanästhesie am 1006,
Russischer Verband der Neuropathologen und
Psychiater und S. S. Korsakoff 81.
Sacrococeygealgegend s. Fisteln.
Sahlisches Hämometer, Modifikation des 1562.
Salben und Pasten, von J. Jeßner 292,
Salieylsäure s. Typsanosomeninfektion.
Salol 284.
Salvarsan 119. 120. 368. 369. 1001. 1044. 1247.
Abhandlungen über — von Paul Ehrlich 1559.
Anwendung des — in der ärztlichen Praxix,
von Richard Lenzmann 121. Anwendung von
— beim Versagen des Quecksilbers bei se-
kundärer Lues 498. Ausscheidung injizierten
— 1287. Behandlung der Krankheiten des
Centralnervensystems mit — 82. Dosierung
des — 1524. Behandlungsversuche mit —
bei Scharlach 842. Erfahrungen mit — 1091.
Erfahrungen über — in der Praxis (v. Stokar)
1910. — und Fieber 540. Gibt es eine
toxische Wirkung des — auf das papillo-
makuläre Bündel? (Gebb) 1423. — s. In-
toxikationen. — und latenter Mikrobismus
(Ruhemann) 486. Lösen des — für die intra-
venöse Injektion 544. Milzbrand und —
(Becker) 1790. Mit — behandelte Iritis sy-
pbilitica 290. Mikroskopische Beobachtungen
am lebenden Tier über die Wirkung des —
und des Neosalvarsan auf die Blutströmung
(Ricker u. Knape) 1275. Neuroaffinität des
— 1287. — und Neosalvarsan bei Lues con-
genita 1643. — in der Neurologie 544. —
s. Neutorezidivee — und Neurorezidiv 1090..
— s. Recessus cochlearis n. VIII. Schäd-
liche Wirkung des — auf das Auge 839. —
s. Syphilis. Syphilisbehandlung mit — 376.
— s. Srphilistherapie. Todesfall nach — 1475.
1688. Toxische Wirkung des — 540. — bei
Typhus recurrens 246. Ueber Kupierung
initialer Syphilis mit — 252. — s. Wasser-
mannsche Reaktion. Weitere Erfahrungen
über Behandlung der Sypbilis mit — (Rissom)
439. Wirkung des — auf das Herz und die
Gefäße 1640. Zusammenwirkung des — und
der Bakterienproteine 456. Zwei Todesfälle
nach — 1475. Zwei Todesfälle nach Verab-
reichung von — 839.
Salvarsanbehandlung, Acusticusafleetion bei —
1604. — s Auge. — der Frambösie 1848.
— s. Nervensystem. Neurorezidive nach —
752. — des Scharlachs 2108. — s. Syphilis.
Ueber intravenöse — (Goldbach) 612. 649.
Vorteile und Gefahren der — 543.
Salvarsanfieber, Zur Frage des (Hecht) 401.
Salvarsaninjeklion 120. — s. Fornthrombose. —,
Instrumentarium für intgavenöse 2083. — s.
XIX
Juckreiz. Neuritis optica nach — 205. —
s. Neurorezidiv. — 8. Stauungspapille.
Salvarsaninjektionen 540. Bericht über 216 intra-
muskuläre — (Fuchs) 740. — s. Scharlach.
Tod nach — 627.
Salvarsantherapie, zwei Jahre 1211. _
Salvarsanwirkungen s. Auge. Experimentelle
Untersuchungen über — am Auge 585.
Salze, Nomenklatur medizinischer 1844.
Salzsäure 368. f
Salzsäureabscheidung des Magens bei Erkran-
kungen und nach Exstirpation der Gallen-
blase 883. i
Samenblasen, Chirurgie der —, von F. Völcker
1599. Operationen an den — 924.
Sanatorium, Kombination von — und Tuberkulin-
therapie 1363.
Sanatoriumbehandlung, einfache 1363.
Sanduhrmagen, Ulcus mit 1565.
Sapalcolpräparate s. Alopecia seborrhoica.
Sarkoid, Boecksches 2094.
Sarkom 414. — der Blasenwand 1292. — der
Dura 79.
Sauerstoff, das Leben ohne 423. Das Leben ohne
(Lesser) 445.
Sauerstoffinhalationen s. Pneumonien.
Sauerstofforte, Darstellung der — im tierischen
Gewebe (Unna) 951.
Säuferherz von einem elfjährigen Knaben 36.
Säugling, Lehrbuch der Krankheiten des —, von
A. Lesage 2083. — s. Plexus brachialis.
Säuglinge s. Ammenmilch. — s. Gewichtszu-
nahme. Morbidität und Mortalität der — 290.
— s. Sommersterblichkeit. — s. Thyreoid-
tabletten. Unterernährung der — 1758.
Säuglingsalter s. Phimose. Spasmophilie im —
168. — s. Unterernährung.
Säuglingsernährung 1604.
Säuglingskrankheiten, Lehrbuch der —, von
H. Finkelstein 206. 1008.
Säuglingsmilch, Einfluß der Zubereitung auf die
Verlabbarkeit von 1644.
Säuglingspflege als Lehrgegenstand in den Unter-
richtsanstalten für weibliche Jugend 1884.
Säuglingspflegerinnen, Ausbildung von 1884. Ein-
ne Organisation der Ausbildung von
Säuglingspflege, Wie ist die Bevölkerung über
— und Säuglingsernährung zu belehren? von
L. Langstein 248.
Säuglingssterblichkeit und Geburtenziffer 551.
Kritisches zu der Abhandlung über den Einfluß
der Hitze auf die — (Spanier) 1199. Lokali-
sation der — in Berlin und ihre Beziehungen
zur Wohnungsfrage (Liefmann, Lindemann)
1074. 1115. 1158. — und Säuglingsfürsorge
in Pommern, von Erich Peiper 1830. Ur-
sachen der — in Pommern und ihre Be-
kämpfung. 256. 298. 837. 378. — Was
lehrt das Jahr 1911? 1685.
Säuglingszelte 1596.
Säure s. Magenverdauung.
Sa und von Tendagurn in Deutsch-Ostafrika
Scarification des Uterus 922.
Schädel s, Zähne.
Schädelatrophie, senile 1848. -
Schädelbasis, Chondrom der 1721.
Schädelbildung s, Zahnentwicklung.
Schädelbruch und Gehirnerschütterung — Tod
nach einem Jahr an Hirnhautentzündung und
Lungenentzündung. Kein ursächlicher Zu-
sammenhang 629.
Schädellage s. Gesichtslage.
Schädelschüsse 886.
Schadenersatzansprüche bei fehlerbaften Ope-
rationen 1851.
Schallplessimeter 1521.
Schallreizung s. Aktionsströme 84.
Schallsichere Bauten 1723.
Scharlach 831. Bilutbefande bei — 1443. — s.
Diphtherie. Infektionsdauer des — 588. —
s. Leukocyteneinschlüsse.e Nucleinsaures
Natron bei — 1169. Rolle des — in der
Aetiologie der Nervenkrankheiten 421. — s.
Salvarsan. Salvarsanbebandlung des — 2108.
— s. Serumexantheme. Ueber —, von Dionys
XX
INHALTS-VERZEICHNIS.
IIIA LL ŮŮŮĖŮŮŮ——_—— M MMIII aaa a iaaa aaa
Pospischill und Fritz Weiß 709. Ueber die | Schwangerschaftstoxämie, experimentelle Unter- Sexualpädagogik, Grundzüge der — für Aerzte,
Beeinflussung des — durch intravenöse Sal-
varsaninjektionen (Lenzmann) 687.
Scharlachfragen in England 1519.
Scharlachrotsalbe, Die — und ihre Modifikationen
(Deeker) 1990. we
Schedesche Schiene s. Radiusfraktur.
Scheide s. Ausfluß. — s. Siebhohlkugeln. Ueber
urämische Geschwüre auf der Schleimhaut
der — (Eichhorst) 1586.
Scheidenbildung aus dem Rectum 1764.
Schenkelhernien, Radikaloperation der — durch
Pectineusplastik 546.
Schielen, Uebungstherapie des 462.
Schilddrüse s. Röntgentiefenbestrahlung. Tiefe
Lage der — 159. — und weibliche Ge-
schlechtsorgane von E. Engelhorn 1249.
Schilddrüsensubstanz, Experimentelle Beiträge
zur Veränderung des normalen Blutbildes
beim Menschen nach Verabreichung von
(Staehelin) 994.
Schiller, der Schädel 1136.
Schizotrypanum cruzi, Entwicklung von — in
Säugetieren 885. .
Schläfelappenabsceß, Linksseitiger, symptomlos
verlaufender —, Operation, Heilung211.— 1565.
Schläfenschuß 670.
Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika beziehungs-
weise Kamerun 925. — in unseren neu-
erworbenen Gebieten 86. |
Schlafkrankheitsbekämpfung, der gegenwärtige
Stand der — in Deutsch-Ostafrika592.
Schlafmittel s. Luminal. — s. narkotische Mittel.
Schlaganfall als Unfallfoige anerkannt 1171.
Schlagfolge s. Bewegungsreize.
Schlagvolumen s. Puls.
Schlangenbiß 878.
Schleimhaut s. Scheide.
Schluckakt s. Roentgenphotographisches,.
Schluckpneumonie 374.
Schlund s. Nase.
Schmerz, der Kampf gegen den — bei opera-
tiven Eingriffen vom Altertum bis zur Gegen-
wart mit besonderer Beziehung auf die Zahn-
heilkunde, von J. Wolfram 2084.
suchungen zur Frage der (Grube und Reiffer-
scheid) 569.
Schwebelaryngoskopie 506. 2049.
von Hermann Rohleder 796.
Sexualwissenschaften, Handbuch der —, von
Albert Moll 1128.
Schweinerotlauf, ein Fall von — beim Menschen | Sezierung s. Haftet.
behandelt mit Rotlaufserum (Voss) 1910.
Siecator 708.
Scheide 841.
Schwerhörige in der Schule und der Unterricht | Siebhoblkugeln als Ersatz für Tampons der
für hochgradig Schwerhörige in Deutschland,
von Arthur Hartmann 1599.
Schwimmhosennävus 1689.
Schwindel, Diagnostische Erörterungen über —
(Erben) 1064.
Schwindsuchtsdisposition, Beiträge zu der Lehre
- von der 798. |
Scoliosis spastica, Demonstration eines Falles
von 124, 2
Scopolamin, hydrobrom. 1437.
Scopolaminnarkose, protrahierte 1437.
Scopolamin-Pantoponnarkose 1209.
Scrofulderma 507. l
Secacornin 1252.
Sechstagerennen 1762. |
Sectio caesarea cervicalis 1253.
„Sector“ Pinzettenmesser 628.
Sedatirum s. Adamon.
Sedo-Roche-Tabletten 1718.
Seeklima, über den Einfluß des — auf den Blut-
kreislauf (Ide) 1233.
Seekrankheit, Behandlung der 369. Nitroglycerin
gegen — (Burwinkel) 1199.
Seelenstörungen, einfache 204.
a der Tuberkulösen (Weygandt) 91.
137.
Sehen der wirbellosen Tiere 423.
Sehnenplastik, Verwendung der freien 712.
Sehnentransplantationen, durch — erreichten Re-
sultate des Ersatzes des gelähmten Quadri-
ceps 1007.
Sehnervenatrophie, Urachen der — bei Tabes
und Paralyse und die Beziehungen der Tabes
und Paralyse zur Lues 38.
Sehnerveneintritt, schwarzer 212.
Sehnervenkopf s. Drusen.
VOL Serena g durch Nebenhöhlenempyeme
008. |
Schmerzdruckpunkte, Diagnostische Bedeutung | Sehschärfe und Refraktion der Infanterie 626.
na dorsalen — beim runden Magengeschwür
Schmerzlinderung s. Geburtshilfe.
Schmerzverhütung s. Geburtshilfe.
Schmierkur 1001.
Schnaps s. Methylalkohol.
Schnellentbindung 1603.
Schnupfen s. Dionin.
Schröpfschnepper, aseptischer 250.
Schrumpfniere, Sypbilis und (Hirsch) 1146.
Schule und Diphtherie (Peters) 549.
Schulhygiene 1256. — von L. Burgstein 1364.
Schulmedizin, Verständigung der — mit der
Naturheilbewegung 1846.
Schultergelenk s. Arthropathie. — s.Enchondrom.
— 3. Luxation.
Schulterluxation, Behandlung der habituellen 925.
Schulturnen, Feststellung des hygienischen
Wertes des 1724.
Schußverletzung s. Darmruptur.
Schutzfermente des tierischen Organismus, von
Emil Abderhalden 1475.
Schwangere s. Toxicodermien 1247.
Schwangerschaft 329. — mit Appendicitis 2082.
— 8. Achselschweißdrüsen. — s. Blutungen.
Chemische Diagnose der — 926, — s. Gallen-
steinkrankheit.. — s. Hypophyse. Kreislauf
und — (Jaschke) 308. — s. Lungentuber-
kulose. Magenkrebs und — 1001. — — s.
Myomnekrose. — nach künstlicher Befruch-
tung 1175.
Schwangerschaftsblutungen, über seltenere Ur-
sachen von — (v. Franqué) 1451. 1490.
Schwangerschaftsdermatosen 2010.
Schwangerschaftsdiagnose, biologische — nach
T und ihre klinische Bedeutung
Schwangerschaftsintoxikation 838.
Schwangerschaftsspychosen mit besonderer Be-
rücksichtigung der Indikation zum künst-
lichen Abort (Raecke) 1456.
Seitenventrikel, Deckung des rechten 759.
Sekakornin oder Pituitrin unter der Geburt? 499.
Sektionstechnik, von C. Nauwerck 1558. Grund-
riß der —, von E. v. Gierke 1249.
Sekretion s. Drüsen.
Selbstkatheterismus 1468.
Selbstinfektion, sogenannte puerperale 760.
Selbstmörder s. Anatomie.
Seminularklappen s. Aortenwellen,
Senator, Erinnerungen an Hermann — Jugend-
Jahre 1837.
Sensibilität des Verdauungstraktus 28.
Senium s. Blutveränderungen.
Sepsis, operative Behandlung puerperaler 2049.
Frühoperation der laryngealen — 461. Ge-
heilter Fall von kryptogenetischer — 250.
— s. Leukämie.
'Septumresektion, 872. — —,
(v. Eicken) 528
Sep, Grundriß der —, von Alberto Ascoli
submuköse
Serumbehandlung der Lungentuberkulose 457.
Serumexanthem, ein Fall von eigentümlichem —
nach Einspritzung von Diphtherieserum 1643.
Serumexantheme, scharlachartige — und ihre
Unterscheidung vom echten Scharlach durch
die Ehrlichsche Amidobenzaldehydreaktion im
Harn (Umber) 322.
Serumipjektion s. Hautkrankheiten. |
Serumtherapie 153. Fortschritte der — 1602.
— — — der letzten fünf Jahre 452. 1120.
1163. Grundlagen und Verwertung der —
beim Abdominaltyphus 464. Handbuch der
— und Serumdiagnostik in der Veterinär-
Medizin, von M. Klimmer und A. Wolf-
- Eisner 1683. — s. Streptokokkeninfektionen.
Seuche, die — im Lager der Carthager vor
Syrakus, 396 v. Chr. (Kanngießer) 677.
Sexualia aus dem Tierreiche, (Franz) 698.
Sexualität und Dichtung, von O. Hinrichsen 1967.
Sport und — 1768, Ä
Silberatoxyl 119.
Simulation s. Taubheit. Ueber — 82.
Sinecain s. Anästhesie.
Situs inversus 2007. 2089.
Skilauf 1763,
Sklerodermie 1292. Eifjähriger Knabe mit pro-
gressiver, diffuser — 420. Herdweise —
1604. Therapie der — 835.
Sklerose, Diagnose und Behandlung der multiplen
— 1918. Multiple — 1689. Multiple — und
ihre Beziehungen zur weiblichen Genitalsphäre
251. Multiple — mit eigentümlicher Augen-
muskelstörung 1444.
Skoliose, Behandlung der schweren — bei älte-
ren en 800. Besprechungen über die
Skoliosis, 1000 aufeinanderfolgende Fälle von 29.
Skoliotische 329.
Sojabohne, der Nährwert und die Verwendung
der — beim Menschen 1215.
Solitärnieren 2010.
Soltmann, Otto t 1567.
Sommerhitze, Einwirkung der — auf Säuglinge
und ältere Knaben 420.
Sommer-Säuglingssterblichkeit, Verbreitung der
— in Deutschland 1684.
Sommersterblichkeit, Problem der — der Säug-
linge 1807. — der Säuglinge (Rietschel)
517. 560 602. |
Sondenernährung s. Erbrechen.
Sonnenbehandlung, neuere Arbeiten über die —
der chirurgischen Tuherkulosen, im besonde-
ren der Knochen- und Gelenktuberkulose 919.
— der Tuberkulose 1685.
Sonnenblendung 1246. 1808.
Sonnenfinsternis 1925. — s. Erblindung.
Sonnenlicht, Augenschädigungen durch 1291.
Sonnenlichtbehandlung der chirurgischen Tuber-
kulose 254.
Sophol 1753.
Sotopan 205.
Spaltbildungen an der Patella 337. |
Spasmophilie 1689. — im Säuglingsalter 168.
Schwerere Fälle von — 1247.
Spasmus nutans 2082.
Spätlues s. Wassermann.
Speichelkörperchen, Natur der —, ihre Beziehun-
gen zu den Blutzellen 885.
Speiseröhre, die Divertikel und Dilatationen der,
von Hugo Starck 76.
Speiseröhrenerweiterungen, Pathologie der —
mit besonderer Berücksichtigung der Röntgen-
diagnose 757.
Speiseröhrenverengung (Ewald) 2017.
Spezialärzte s. Honorarforderungen. |
Spezialist für äußere und innere Tuberkulose,
die Bezeichnung — widerspricht den Vor-
schriften der Standesordnung und ist somit
unstattbaft 1767.
Sphincternaht 335.
Sphincterplastik s. Mastdarmkrebs.
Spina bifida occulta 800. Behandlung der —
ventosa mit Pyrogallolsalbe 665.
Spinalflüssigkeit, Bedeutung der Untersuchung
der (Eichelberg) 1187. Entstehung und Funk-
tion der — 1088,
Spinalparalyse, syphilitisch-spastische 503.
Spirochaeta pallida, Färbung der 2001.
Spirochätenkrankheit s. Quecksilberpräparate.
Splenektomie, Bewertung der — und ihrer Folgen
in der Unfallpraxis 119.
Splenomegalie s. Ikterus. Durch Röntgenbestrah-
lung geheilte — 580.
Spondylitis 1762. — deformans 374. un
Spontanfrakturen, Demonstration eines Falles
von — von Rippen bei einer Tabischen 124.
Ueber — bei Jugendlichen 545. i
Sporenfärbung, zur Technik der 1808.
Sporenfärbungsmethode, einfache 1808.
EN ne N a s aT
a
H Gire a a E ana
rotrichose 118.
ort und Herz 1762, Die neubegründete Ver-
einigung zur wissenschaftlichen Erforschung
des — und der Leibesübungen und der Sport-
kongreß in Oberhof i. Th., 20. bis 23. Sep-
tember 1912 1567. — und Sexualität 1763.
— und Unfallversicherung 847. — s. Weib-
liches Geschlecht.
Sportkongreß Oberhof 1724. — s. Sport.
Sportübertreibungen 1724.
Spracheentrum 758. Ä
Sprachheilkunde, von H. Gutzmann 1045.
Sprachsphäre, kongenitaler Mangel der 204.
Sprachstörungen, dysarthritische, von Hermann
. Gutzmann 206. >
Spritze für subcutane Injektion und für Infiltra-
tionsanästhesie 2047.
Spülungen s. Stauungsinsuffizienz.
Sputum, Chemie des 883. — s. Eiweißreaktion.
Sputum-Kochsalzlösung-Filtrat, Herstellung eines
— zur Behandlung der Lungentuberkulose
(Hoffmann und Martin) 867.
Standesfragen 468. |
Standespflichten, ärztliche — und Standesange-
legenheiten, von J. Fischer.
Staphylokokkenerkrankungen, Serodiagnose der
712.
Staphylokokkensepsis 293.
Staphylome. angeborene — der Hornhaut 1971.
Star, wann darf der graue — operiert werden?
(Goldzieher) 1418.
Starbildung 1607.
Starkstrom, zwei Fälle von Verletzungen durch
elektrischen 1562.
Staroperation, neues von der 1594.
Stase s. Gangrän.
Ststus epilepticus 1002. 1754.
Stäupchen 2082.
Stauungshyperämie 1209.
Stauungsinsuffizienz, sind bei der chronischen —
des Magens die gebräuchlichen häufigen
Spülangen und Ausheberungen entbehrlich?
(Gockel) 1281. Ä
Stauungspapille, drei Fälle von höchstgradiger
— nach Salvarsaninjektion 1682,
Stechapfelvergiftung mit anfänglich paralyseähn-
lichem Bilde (Scherwinzky) 62.
Steinbildung, entzündliche 6. Nichtentzündliche
Steinkohlenteer 879,
Steinniere s. Pyelotomie.
Sterilisation 2089. — s. Desinfektion.
Sterilität des Weibes 1680,
tettin, Wissenschaftlicher Verein der Aerzte
‚168. 463. 716. 1090. 1131. 1253. 1925. 2009.
Stickhustenkranke Kinder, zur Frage der Ver-
‚sorgung (Galisch) 488.
aeva und Wachstum bei einem Säug-
ling 1644.
Stickstoffpneumothorax, künstlicher 369.
Stickstoffwechsel 1644,
Stimmbildung und Stimmpflege, von Hermann
‚Autzmann 1641.
timme, Einführung in die Physiologie, Patho-
logie und Hygiene der menschlichen —, von
‚Ernst Barth 370,
Stimmgabeln 1551.
ümmlippe s. Fibrom. Linke — wegen Tuber-
kulose endolaryngeal entfernt 210. — s. Pa-
pillom.
tirahauttumoren s. Demenz.
Stirnhöhle, empfiehlt sich die Plombierung der
Som nach Citelli? (Engelhardt) 1352.
sechelm, Schwedische Gesellschaft der Aerzte
Stoffels Operation zur Beseitigun r i-
5 schen Lähmung 1006. aa
toffwechsel, Einwirkung von Adrenalin, Pitui-
pinan Infundibulare und Pituitrinum glandu-
are auf den respiratorischen 882, — der
ee Bu Tieres 1438, Untersuchungen
W. Birk 1989 es neugeborenen Kindes, von
Stoffwechsellehre "Entwi i
, Entwick u
Sto es Kindes 716. en
nechselversuche an neugeborenen Kindern
= - =.
Stovaininjektion s. Kollaps.
Strafgesetzentwurf, Glossen. zum (Ziemke) 547.
589. 635. 675.
Strafrechtsreform s. Kriminalpsychose.
Strafprozeß 971.
Strasburger, Eduard f 973.
Straßburg, Naturwissenschaftlich - medizinischer
Verein 376. 421. 716. 1479. 1646. Unter-
elsässischer Aerzteverein 168. 420. 632. 844.
1253, 1369. 1688. 1848. 2088.
Streik der Medizinstudierenden in Halle 2093.
Streptokokkeninfektionen, der heutige Stand der
Serumtherapie bei (Heimann) 1375.
Streptothrixinfektion der Pleura 664.
Strongyloideslarven 1046,
Struma echinococcus 502. — suprarenalis 1760.
Men Behandlung von 414. Uebergroße —
Studiendauer unserer Medizin-Studenten 340.
Stuhlbild, radiologische Beobachtungen zum Ver-
hältnis zwischen — und Darmmotilität 757.
Subduralblutung, Diagnose und Operation der
traumatischen 759.
Sublimat 282.
Subluxatio mediotarssa 800.
Sulfatwässer s. Albuminurie.
Sycosis parasitaria 86.
Symptome, physikalische Therapie tabischer
(Weiß) 619.
Symptomenkomplex s. Ueberleitungsstörungen.
Symptomenkomplexe, Bedeutung der — in der
Psychiatrie, besonders im Hinblick auf das
manisch-depressive Irresein 1087.
Syphilis 1206. 1208. Behandlung der — mit
Neosalvarsan 1605. Beiträge zur Salvarsan-
behandlung der — (Haccius) 1346. Fram-
bösiegruppe — 884. Frühbehandlung der —
mit Salvarsan 878. — s. Mal Franzoso. Mer-
cinolbehandlung der — 1605. — s. Mund-
höhle. — s. Neosalvarsan. Neue Probleme
in der Geschichte der — 876. Nomenklatur
der — 74. — s. Salvarsan. — und Schrumpf-
niere (Hirsch) 1146. Spätrezidive, sekundäre
Symptome bei — 246. La Sterilisation de
la —, von Leredde 1720. — und syphilis-
äbnliche Erkrankungen des Mundes, von F.
Zinßer 1402. Tätowierung und — 1474.
Therapie der — 1520. Experimentelles aus
dem Gebiete der —-, Tuberkulose- und Krebs-
forschung 1646. Ueber Coupierung initialer
— mit Salvarsan (Fabry und Jerzycki) 189.
Zur Abortiv- und Kombinationsbehandlung
der — mit Salvarsan und Quecksilber (Oppen-
heim) 985.
Syphilisbehandlung, moderne (Buhns) 1015. 1062.
— mit Salvarsan 376
Syphilisdiagnose, praktische Anleitung zur —,
von P. Mulzer 583,
Syphilisreste, über — in den Geweben und ihre
prognostische Bedeutung (Ehrmann) 1221.
Syphilistherapie, moderne — mit besonderer Be-
rücksichtigung des Salvarsan, von A. Neißer
459
Syphilisübertragung im Spätstadium 1925.
Syphilisverhütung, zur Geschichte der persön-
lichen —, von Gaston Vorberg 1211
Syphilisverlauf, Eindrücke und Erfahrungen über
— und Behandlung, von Orlowski 1599.
Syphilitikerblut s. Kaninchenimpfung.
Syphilitische Rezidive s. Auge.
Syphologene Erkrankungen des Centralnerven-
systems (Schultze) 1936.
Syringomyelie s. Arthropathie. Knochen- und
Gelenkveränderungen bei — 1446.
Syringomyeliefall 2108.
Systogen 1170. 1287.
Toabakraucher, die nervösen Erkrankungen der
—, von L. v. Frankl-Hochwart 499.
Tabes 1208. — bei einer Jungfrau 129i. —,
Behandlung der Schmerzen bei — 996. —
der Frauen, von K, Mendel und E. Tobias
1521. — s. Sehnervenatrophie.
Tabesarbeiten, neuere 1472.
Tabische s. Spontanfrakturen.
Tagung, 15. — der Deutschen Pathologischen
- Gesellschaft in Straßburg vom 15. bis 17. April
— mn U nn U e iS IM
XXI
me nn
Fast E e ai a a
1912. 964. — der Deutschen tropenmedizi-
nischen Gesellschaft in Hamburg vom 4. bis
6. April 884. 925.
Talma-Drummondsche Operation 374.
Talo-Cruralgelenk, Corpus liberum 1446.
Tampol-Roche 1964.
Tanargentan als Antidiarrhoicum (Hoppe) 1117.
Tapeten, arsenhaltige 2001. Arsenvergiftung
durch — 1565.
Tastlähmung 2104.
Tätowierung und Syphilis 1474,
Taubheit, Behandlung der 29.
Simulation einseitiger — 1126.
Taurocholnatriumreaktion s. Meningitiden.
Tebean (Immunisierungs- und Heilmittel gegen
menschliche Tuberkulose 879.
Telegrapbie, drahtlose 1602.
Temperaturempfindlichkeit, Prüfung der — der
Haut 878.
Temperaturempfindung, zur Ermittlung der 84.
Temperaturmessung, gleichzeitige — in beiden
Achselhöhlen 2001. —, rektale 1753.
Tendovaginitis crepitans, Behandlung der 1247.
Stenosierende — am Handgelenk 293.
Tentoriumrisse bei Neugeborenen 211. 2086.
Teratom der Niere 2050.
Tetanie 1291. Experimentelle — 965. — und
Ruminatio humana 1008.
Tetanus 418. Experimentelle Beiträge zur Seram-
therapie des — 712. Drei Fälle von — puer-
peralis 1369.
Theobromin 626. |
Therapeutische Leistungen des Jahres 1911, von
A. Pollatschek und A. Charmatz 1924.
Verdacht auf
Therapeutisches Almanach, Dr. G. Becks —,
von F. Walther und O. Rigler 1559.
Therapia causalis, über die von Prof. Dr. Kro-
mayer und Dr. Trinchese vorgeschlagene —
der pseudo-negativen Wassermannschen Re-
aktion (Sormani) 1398.
Therapie der Wiener Spezialärzte, von Otfried
O. Fellner 370.
Thermalbadekuren, Einwirkung von — auf den
Diabetes mellitus (Pfeiffer) 1115.
Thermalbäder s. Blutdruckmessungen.
Ihermal-Duschemassage s. Blutdruckmessungen.
Thermalkuren s. Blutungen. — s. Gelenksteifig-
keiten.
ne alang in der Achselhöhle (Kausch)
538.
Thermopenetration, Physik und Technik der —,
von H. Simon 1170. — bei Prostatitis go-
norrhoica chronica (Simmonds) 1832. Ueber
eine neue Behandlungsweise der akuten und
chronischen Gonorrhöe, der akuten und chro-
nischen Prostatitis und der akuten und chroni-
schen Urethritis mit — und Heißwasser-
spülung (Kyaw) 1829.
Thermotherapie 532.
Thorax s. Magenerkrankungen. Röntgenschnell-
aufnahmen des — und ihre diagnostische Be-
deutung 1370. Versuche, den — operativ zu
erweitern 925. |
Thoraxanomalien, orthopädische Prophylaxe und
Therapie bei 1446.
Thoraxbau Ind tuberkulöse Lungenphthise (Hart)
Thoraxchirurgie, Technik der —, von F. Sauer-
bruch und E. D. Schumacher 248.
Thoraxdrainage s. Pleurainfektion.
Pa narssekugn mit Melzerscher Insufflation
Thorium, chemische und biologische Versuche mit
— und seine Zerfallprodukte 797. — s.
Leukämie.
Thorium X, einige Ergebnisse über experimentelle
und histologische Untersuchungen zur Wir-
kung des — auf den tierischen Organismus
mit mikroskopischen Demonstrationen 1133.
— 8. Geschwülste. — s. Lymphdrüsentumoren.
Therapeutische Versuche mit —, mit beson-
derer Berücksichtigung der Leukämie 758.
Thorium-X-Therapie 1844.
Thoriumbehandlung, Resultate der 1725.
Thbromben, Bau und Entstehung von 967.
Tbrombenbildung, Luftdruckdauermassage und
künstliche Circulation gegen 711.
Thrombose 2049. — und Embolie 414. Experi-
mentelles zur — 1331. Wesen und Früh-
symptome der — und Embolie 78.
Thrombosen 539.
Thymusdrüse, biologische Bedeutung der — auf
ud neuerer Experimentalstudien (Lamp6)
Thymusdrüse, Pathologie der 1369. |
Thymusforschung, neue Ergebnisse der 284.
Thyreoidin s. Jod.
Thyreoiditis, akute 28.
Thyreoidtabletten zur Behandlung des Ekzems
der Säuglinge und kleinen Kinder 246.
Thyreotoxikosen, die große Verbreitung der —
bei den Gestellungspflichtigen und ihre Besse-
rung durch den Militärdienst 882.
Thyrochromtabletten, Wirkung von — bei Krebsen
des Verdanungstraktus (Kelling) 654.
Tibia, Epitheliom der 1807.
Tibiadefekt s. Fibula.
Tic rotatoire (Torticollis spastica) 418.
Tiefenbestrahlung, neuere Arbeiten auf dem Ge-
biete der — mit Röntgenstrahlen 1476.
Tod, pbysiologische Untersuchungen über den —,
von x. Bichat 1086.
Tondressur der Affen 673.
Tonerde, essigsaure s. Nekrosen.
Tonsillarcareinom, Exstirpation eines 670.
Tonsillen, Entfernung der — durch digitale Enu-
cleation 1127.
Tonsillenoperation s. Adenoid.
Torpor recti-Dyschezie (Singer) 1940.
Totalexstirpetion s. Uterus mens. V.
Tozicodermien nach Salvarsaninjektion 120. —
von, Schwangeren und Wöcbnerinnen 1247. |
— 205
Toxikologie, Kompendium der praktischen —, von
Rudolf Kobert 1522.
Toxinempfindlichkeit der Haut des tuberkulös
infizierten Menschen 81.
Trachea s. Wachsparafinausgüsse.
Trachealkanülenstück, Aspiration eines 545.
Trachealstenosen, Behandlung der 460.
Tracheo-Bronchoskopie s. Killiansche.
Tracheobronchialtuberkulose, histolologische Un-
tersuchungen über die Häufigkeit der — des
Menschen im Alter von 6 bis 16 Jahren 964.
Tracheocele 1085.
Tracheotomie bei idiopathischer Perichondritis 760.
Tracheotomia transversa bei Kindern 1253.
Tracheotomie, schnelle Ausführung der 2049.
Trachialkompression 664.
Trachompatientin 1971.
Tränenableitung, Störungen der —, ihre Dia-
gnose und moderne Therapie 1089.
Tränensackeiterung s. Bindehautentzündung.
Trans-Condomoskopie 1603.
Transplantation s.. Epithelwucherungen. — von
freien Lappen von Fascie 1719. — s. Ge-
fäßchirurgie. Die heteroplastische und homöo-
plastische —, von G. Schöne 1170.
Transplantationen 1172.
Traubenzuckerlösung, isotonische 961.
Trauma, ätiologische Rolle des — bei Hirntumoren
584. Bedeutung des — für Entstehung und
Wachstum krankhafter Gewächse (Lubarsch)
1651. — s. Paralysis agitaus. Paralysis
agitans und — 753.
rn Entstehung innerer Krankheiten
41
Trepanation, zwei Fälle von dekompressiver 1606.
Trichoschisis 2105.
Trigeminusneuralgien, Behandlung schwerer —
durch Alkoholinjektionen ins Gangliom Gras-
seri 2109.
Trien, Trockenbehandlung des Vaginal- und
Uteruskatarrhsmittels 2052.
Trikuspidalinsuffzienz, muskuläre 842,
Tripolis, medizinisches aus 1604.
N a des Deutschen Roten Kreuzes
56.
Trivalin 1002.
Trommelfelle, künstliche 1127.
Trommelfellanästhesie 1401.
Tropen s. Chirurgie.
Tropenkrankheiten s. Anämien. — und Tropen-
hygiene, von R. Ruge und M. zur Verth
INHALTS-VERZEICHNIS.
1402. Wichtigere therapeutische Fortschritte
und Neuheiten auf dem Gebiete der — im
Jahre 1911 (Külz) 1216. |
Tropen-medizinisch-hygienische Sammlung, Be
gründung einer — in Berlin 636.
Tropical Medicin, von Balfour and Archibald 1924.
Tropical Research, von Balfour 1924.
Te Krankheiten und Krankheitserreger
Trypanosomen, Arzneifestigkeit von — gegen
Chininderivate 1046.
Trypanosomenarten, Specifität der Immunitäts-
reaktionen bei verschiedenen 926,
Trypanosomeninfektion, Beeinflussung der experi-
mentellen — durch Salicylsäure und ver-
wandte Substanzen 1764.
Tubarabort 375.
Tubargravidität 1926.
Tubarschwangerschaft, anderthalb Jahre getragene
achtmonatliche —; -Exstirpation 502.
Tubenkatheter 1550.
Tubenverschluß 1331.
Tuberkelbazillen s. Leukämie. — s. Vaginal-
sekret. Verhalten der — im Peritoneum ge-
sunder und tuberkulöser Meerschweinchen1048.
Tuberkelbacillengehalt s Milch.
Tuberkelbacillus, der gegenwärtige Stand der
Typenfrage des 1647.
Tuberkulin, Entfieberung bei Lungentuberkulose
mittels —, insbesondere mit kleinen Dosen
1849. Diagnostische und therapeutische Er-
fahrungen mit dem — Rosenbach 798. — in
Kombination mit Quecksilber 2106. — s.
Tuberkulose. Versuche mit — in der Behand-
lung der chirurgischen Tuberkulose 960.
Tuberkulinbehandlung, unliebsame Vorkommnisse
bei der 1209. — s. Urochromogennachweis.
Tuberkulinkur, in welcher Weise führt der prak-
tische Arzt am besten eine — durch? (Hol-
lensen 818. i !
Tuberkulinreaktion, experimentelle Untersuchun-
gen über das Wesen der 1525.
Tuberkulinstudien, experimentell-klinische 1685.
Tuberkulintberapie s. Sanatorium.
Tuberkulose, aktive und sogenannte inaktive 798.
Alkoholismus und — 1251. Ausgeheilte -—
des Auges und des Gehirns 1090. Bakterio-
logische Untersuchungen bei — 1676. Bei-
trag zur Heilstättenbebandlung der chirurgi-
schen — (Jerusalem) 823. — s. Bronchial-
erkrankungen. Chirurgische Eingriffe in der
Gynäkologie bei — 1995. 2041. 2077. Diagnose
der — 1685. — s. Empyem. Erfahrungen
und Gedanken über — und Tuberkulin (Heine)
1777. 1822. Fortschritte in der Diagnose
und Therapie der — der letzten fünf Jahre
: 118. 361. 837. 1514. Heil- und Schutzimpfung
der — 1888. — s. Jodmenthol. Klinik der
—, von B. Bandelier und O. Roepke 1756.
— der linken Niere 2050. — s. Lungenherd.
— s. Lungenspitzen. — s. Mesbe. — s. Milch.
Nachträgliche — 28. — s. Nasenscheidewand
126. — der Parotis 28. — s. Perkussion.
s. Sonnenlichtbehandlung. Soziale Behandlung
der — im Heere 1251. — s. Stimmlippe.
Therapie der — mit specifischen Seris 1212.
— s. Tuberkulin. Ueber die Beziehungen der
— des Menschen und des Rindes 1172. Ueber
einen Fall von miliarer — mit Typhusbacillen-
ausscheidung im Urin (Schott) 1426. Ueber
„sekundäre‘' — (Liebermeister) 1018. Unter-
suchung über die Infektionswege der — 964.
— des Urogenitaltraktes 1251. — s. Uterus
mens. V. Wie man in New York die —
Bde 1802. Sonnenbehandlung der —
Tuberkulosebekämpfung, die körperliche Fort-
bildung der schulentlassenen Jugend im Lichte
der —, von C. Hart 583. — im Mittelstande
1130, Soziale — 1251. |
Tuberkuloseforschung 1646. Jahresbericht über
die Ergebnisse der, — von F. Köhler 248.
Neuere Ergebnisse der — 1842,
Tuberkulosefürsorge s. Berufsgeheimnis.
Tuberkulosekonferenz, 10. Internationale —, Rom,
10. bis 14. April 1912 1172. 1212. 1251.
Tuberkulosen s. Sonnenbehandlung.
Tuberkulosevirus, granulärer 539.
Tuberkulöse, Netzhauterkrankungen bei 585.
Seelenzustand der — (Weygandt) 91. 187;
Tulisan 879.
Tumor, endolaryngeale Entfernung eines tuber-
kulösen — der Kehlkopfhinterwand.210. Intra-
medullärer — des obersten Halsmarks 1331,
Kalkhaltiger — in der Gegend der Hypo-
physis 1370. — in der Vorderkammer 422.
Tumoraffine Substanzen s. Mäusecareinom.
Tumoren, entzündliche — der Bauchdecken bei
Fremdkörpern in Darm und Appendicitis 1173.
— des Ganglion Gasseri 793. — im Klein-
hirn-Brückenwinkel 2108. Maligne — konser-
vativ behandelt 1721. Ueber — bei Pseudo-
termaphroditen 168. Versuche zur Physio-
logie der — 1214.
Turnen s. weibliches Geschlecht.
Tussis convulsiva, Therapie der (Lenzmann) 1789.
Typhus abdominalis 1844. — abdominalis s. Anti-
gene. — abdominalis s. Appendicitis. — ab-
dominalis s. Fibrin, Komplikationen bei —
abdominalis (Schuster) 58. Pyramidonbehand-
lung des — 961. Salvarsan bei — recurrens 246.
Typhusbacillen s. Vaccination. Vorkommen der —
in der Mundhöhle bei Typhuskranken 1964.
Typhusbacillenausscheidung s. Tuberkulose.
Typhusbacillenträger 1640.
Typhusbacillenträgerin 625.
Typhuskranke s. Typhusbacillen.
Apiu sepsi; über einen Fall von — (Natonek)
Typhusvaccination 2046.
Ueberleitungsstörungen und Adam-Stokesscher
Symptomenkomplex 1126.
Uebungstherapie s. Massage.
Ulcera cruris, Behandlung der — mit der Quarz-
lampe (Braendle) 1270.
Uleus cruris varicosum, zur Lokalisation des —
(Freuder) 820. Das jetzige Verhalten von
18 wegen — curvat. minor. mit Entfernung
des mittleren Teils vom Magen behandelten
Kranken 798. — duodenale 1969. — duo-
deni 1285. — duodeni s. Frühoperstion. —
duodeni s. Magenentleerung. Der radiologi-
sche Nachweis des — duodeni (Haudeck) 181.
224. Ein durch Autoinfektion entstandenes
— molle am Finger (Brodfeld) 1156. —
penetrans ventriculi 1565. Stark ausgedehn-
ter — rodens 40. — mit Sanduhrmagen
1565. Tuberkulöser — am unteren Ende des
Duodenums 1760. — ventriculi 418. 706.
1640. Biutungen aus einem — ventriculi
1287. Differentialdiagnose zwischen — ven-
trieuli und Carcinom 2102. Fall von — ven-
trieuli 1005. — ventriculi und Gastroenter-
ostomie 799. — ventriculi, für — gibt es
keine regionäre Disposition 2086. — ventri-
culi s. Magenentleerung. — ventriculi s.
Phosphor. Ueber einen Fall von — ventriculi
und einige Bemerkungen über die Wirkung
der Gastroenterostomose bei — ventriculi 166.
— vulvae chronicum 2105,
Ulcustherapie, Erfolge der — in Jena 503.
Umfrage über die Behandlung der bösartigen
Geschwiülste mit Röntgenstrahlen 610. —
über die Entkapselung der Niere bei akuter
und chronischer Nierenentzündung 1104. 1159.
— über das Frühaufstehen nach Operationen
und Geburten 1499. 1547. 1584. 1628. 1669.
1709. 1952. 1992. 2036.
Unfall, Epilepsie und 332. — s. Epilepsie.
Herz- und Gefäßkrankheiten und — (Hof-
mann) 1569. — und Lungentuberkulose 161.
— 8. Wange. _
Unfallfolge s. Schlaganfall.
Unfallfolgen, Anpassung und Gewöhnung an —
(Bum) 47. Einige allgemeine Gesichtspunkte
bei der Beurteilung von — 1250. 1289. Heil-
barkeit nervöser —. Dauernde Rente oder
nge Kapitalabfindung? von L. Laquer
Unfallkongreß, vom 3. Internationalen — zu
Düsseldorf, 6. bis 10. August 1912 1371.
Unfallkunde und Begutachtung 244.
Unfallnervenkrankheiten, objektive Befunde und
[|
die Einschätzung der Erwerbsbeschränkung
bei 886.
Unfalltatsache, Feststellung der — durch die
Obduktion bei Erkrankungen der Gefäße
(Feilchenfeld) 1864.
Unfallvergiftungen, Obergutachten über —, von
L. Lewin 1363.
Unfallverletzte s. Nervensystem. Ratgeber zur
Technik der Begutachtung — 416.
Unfallversicherungsstreitigkeiten, Entscheidungen
des Reichsversicherungsamts und der Landes-
versicherungsanstalten in 76.
Ungerinnbarkeit des Bluts s. Anaphylaxie.
Universalapparat für mechanotherapeutische Be-
handlung und Nachbehandlung 291.
Universalspritze, neue 665
Unterdruckatmung, Bedeutung der — in der
Behandlung von Kreislaufstörungen (Bruns)
827. — s. Lungensaugmaske.
Unterernährung der Säuglinge 1753. — im
Säuglingsalter und Ernährungstechnik 1254.
Unterkiefer 1721.
Unterkieferfraktur, doppelseitige 210.
Unterleibsquetschung s. Lungenentzündung.
Untersuchung, Einschränkung der inneren —
und ihr Einfluß auf die Morbidität des
Wochenbetts 1726.
Uraten, Ueber das Verhalten von — in der vor-
deren Augenkammer unter der Einwirkung
von Radiumemanation und ohne dieselbe 758.
Urämie, Beitrag zur Lehre von der 964. Lum-
balpunktion bei — 1436.
Urämische, Atmungsstörungen der (Pal) 2022.
Ureteren 8.. Anomalien.
Uretersteine, Operationen bei 1481.
Urethan 922. — in der Kinderheilkunde 457.
Urethralstein bei einem Kinde 1848.
Urethritis s. Thermopenetration.
Urethroskop 1970.
Urethroskopie der männlichen Harnröhre. Tech-
nisches, Klinisches, Therapeutisches 128.
Urin, Cylindroide im — (Boros) 444. — s.
‚Eisenausscheidung. — s. Tuberkulose.
Urinbefund, recht ungewöhnlicher 1808,
Urinseparator 1288,
rochromogennachweis, Verwertung des — bei
der Indikationsstellung der Tuberkulinbehand-
lung 1844.
Urogenitele s. Gonorrhöe.
Urogenitaltraktus, Tuberkulose des 1251.
Urologenkongreß, III. 123.
Urologie, neue 1395. Ueber die Entwicklung
und Bedeutung der — als selbständige Diszi-
plin (Cohn) 215. Wichtige Hilfsmittel auf
dem Gebiete der 1288.
rosemin, Beiträge zur Gichttherapie mit —
(Wolfer) 1581.
Urosepsis 1469.
rotropin bei Poliomyelitis acuta 330. — s.
t ruritus vulvae,
Urticaria, örtliche Behandlung der 1287.
terus, akute Inversion des 793. Ein Fall von
Uterusruptur bei — bibartitus (Seyberth)
279. Fibromyome des — 626. Gebärender
— 1608. Totalexstirpation des graviden —
mens. V. wegen Tuberkulose der Lungen und
des Kehlkopfes 1887. — mit Narbe nach
extraperitonealem Kaiserschnitt 377. — mit
submukösem Myom und beiderseitigen Hä-
matosalpingen 1218.
‚ Totalexstirpation eines instrumentell
periorierten — nach kriminellem Abort 1887.
U — 8, vaginale Operationen.
erusblutungen, chirurgische Bebandlung der —
ie Schwangerschaft, der Geburt und dem
ochenbett 1561. Röntgenbehandlung von
— und Myomen 1647. — syphilitischen Ur-
Sprungs 1286,
teruskatarrh s. Trien.
erusmyome, konservative Behandlung der —
Mittel Röntgenstrablen (Runge) 1107. — s.
egeneration,
terusruptur 1765. Ein Fall von — bei Uterus
bipartitus (Seyberth) 279 ;
doppelter — 160 4. ) . Zwei Fälle von
Uterustonica
‚ mode
zara 1754 rne 241.
Scarification des —
INHALTS-VERZEICHNIS.
XXI
Vaccination mit lebenden sensibilisierten Typhus- | Verrufserklärung eines Vereins von Standes-
bacillen 1844. Die therapeutische und dia-
gnostische Bedeutung der — bei Gonorrhöe
des Mannes (Müller) 1789.
Ya T onaehenanie, Erfolge und Mißerfolge der
Vaccinebehandlung bei gonorrhoischen Erkran-
kungen 246.
Vaccinetherapie 879. Allgemeines und Be-
sonderes über — (Menzer) 311.
Vademecum der speziellen Chirurgie und Ortho-
pädie für Aerzte, von H. Ziegner 291.
Vagina, Bildung der — aus dem Dünndarm 254.
Vaginacarcinom 968.
Vaginale Operationen, Resultate der — wegen
Retrodeviationen des Uterus 377.
Vaginalfluß bei Kindern 2082.
Vaginalkatarrh s. Trien.
Vaginslkeime, die zu prophylaktischen Zwecken
vorgeschlagene Züchtung der 1408.
Nagin okeeE tötet das — Tuberkelbacillen ab?
Vagus, klinische Beobachtungen über die Be-
ziehungen des — zu Extrasystolen 842.
Vagusreizung, Einfluß der — auf die Magen-
darmbewegungen und die Weiterbeförderung :
des Magendarminhalt 757.
Varizen, Behandlung der 1557.
Variolafälle 1687.
Varizellen 206.
Vasenol-Brandbinde 628.
Vegetationen s. Jodkali 878.
Vena cava s. Neoanastomose. — renalis s. Neo-
anastomose — saphena s. Aneurysma.
Venedig und Lido als Klimakurort und Seebad
vom Standpunkte des Arztes, von Johannes
Werner 1845.
ae o nach Moritz und v. Tabora
Venenkompressor 1128.
Venenpunktionsnadel 2088.
Venenstauung s. Pbhblebostase. Ueber therapeu-
tische Beeinflussung des insuffizienten Herzens
durch — (Engel) 1667.
Ventilation, Wichtigkeit der — für die indivi-
duelle Isolierung 2006.
Verantwortlichkeit, strafrechtliche — des Arztes
bei nachgewiesener Fahrlässigkeit des ärzt-
lichen Hilfspersonals 1335.
-Verbandmaterial s. Dampfsterilisator.
Verbrennungstod, über die Ursachen des (Heyde)
263.
Verdauung s. Darmwand. Weitere Unter-
suchungen über tryptische — 883.
Verdauungsapparat, Störungen des — als Ur-
sache und Folge anderer Erkrankungen, von
H. Herz 1003. Ueber die Wirksamkeit der
physikalischen Bebandlungsmethoden bei Stö-
rungen des — (Landsberg) 1194.
Verdauungskanal s. Carcinome.
Verdauungskrankheiten, Untersuchungen zur
Röntgenstrahlendiagnose der 757.
Verdauungsstörungen s. Arteriosklerose. — s.
Kalkstoffwechsel.
Verdauungstraktus, Sensibilität des 28. — s.
Thyrochromtabletten.
Vereinigte Staaten, Studienreise eines deutschen
Chirurgen nach den (Lick) 1336. 1482.
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte
zu Köln 372. 417. 460. 1367. 1406. 1685.
Vererbung erworbener Eigenschaften 204. — s.
Mendelsche. — u. Rassenhygiene 421.
Vergiftung mit anorganischer Säure 458. —
durch Beeren der Atropa Belladonna 246.
Verhandlungen der Vereinigung der Lungenheil-
anstaltsärzte auf der VI. Versammlung zu
Düsseldorf am 3. und 4. September 1911
1249
Veriabilität des menschlichen Körpers 2088.
Verkleidungstrieb, der erotische —, von Magnus
Hirschfeld und Max Tilke 542. —
Verletzter, ein dem — durch unrichtige Be-
handlung entstandener weiterer Schaden ist
von dem Versicherungsträger zu entschädigen
131
Veronacetin 697.
Veronal s. Chineonal.
genossen gegen einen Arzt verstößt gegen
die guten Sitten 1929.
Versammlung, 41. — der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin vom 10. bis 13. April
1912 711. 758. 798. 843. 883. 924. 87. —
des Deutschen Vereins für öffentliche Ge-
sundheitspflege in Breslau, 3. bis 6. Sep-
tember 1912 1722. 12. — des Deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege und die
4. Jahresversammlung der Schulärzte Deutsch-
lands 972. 84. — Deutscher Naturforscher
und Aerzte in Münster i. W., 15. bis 21. Sep-
tember 1912 1529. 1602. 1643. 1684. 1721.
1760.
Versicherte s. Neurosen. Die Untersuchung —
124
Versicherung der in geschlossenen Anstalten
untergebrachten Pfleglinge bei ihrer Be-
schäftigung innerhalb oder außerhalb der
Anstalt gegen Unfall 591.
Versicherungsträger s. Verletzter.
Verstopfung 540.
Vertigo, die —, ihre Pathologie und Therapie
(Laache) B.-H. 4.
Verurteilung einer Hebamme wegen fahrlässiger
Tötung 1256.
Vesikuläratmen, experimentelle Untersuchungen
über die Entstehung der 883.
Vestibularausschaltung 290.
Vibrationsmassage bei Asthma 752.
Villarets Leitfaden für den Krankenträger in
Fragen und Antworten, von v. Tobold 962.
Virulenzprüfung, über — mittels intraarticularer
Impfung 712.
Viscositätsuntersuchungen, Bedeutung von —
des Bluts bei gewissen chirurgischen Erkran-
kungen (Süssenguth) 987.
Vitalfärbung, neue Methode der — und ihre Be-
ziehungen zur Chemotherapie 966.
Vitium cordis in graviditate, elektrokardio-
graphische Kurven bei 1603.
VO un: die Auswahl für die (Grau)
Volksschulen, höhere
Frauenschulen 1884.
Volkswirtschaft und Volksgesundheit 1846.
Volvulus des Magens bei Carcinom 848. Therapie
des — der Flexura sigmoidea 884.
Vor hundert Jahren (Bloch) 1176. 1296. 1409.
Vorderarmknochen, Defekte der 633.
Vorlesungen über spezielle Therapie innerer
Krankheiten, von Norbert Ortner 1521.
Vormundschaftswesen, Einrichtung des 1885.
Vulvadiphtherie 2049.
Mädchenschulen und
a von Larynx und Trachea
Wachstum s. Stickstoffansatz. Weitere Unter-
suchungen über die Beeinflussung des —
z un die ERSbLUnE 1644.
ahnsinn, gynäkologische Prophylaxe bei —
von L. M. Bossi 1004. a
Wanderniere, Behandlung der 1760.
Wange, Völlige Zerstörung der linken — Tod.
Zusammenhang mit einem Unfall? 76.
Wearmblüter, Verhalten von — in einem kleinen
abgesperrten Luftraum 376.
Warmblüterherz s. Bewegungsreize.
ee 1880.
artezeit, das Heilverfahren währe
Warzen 160. 1292. m
Wassermann, der negative (Kromayer und Trin-
chese 404. Der negative — von Prof. Dr.
Kromayer und Dr. Trinchese (Epstein) 1854.
— und Therapie der Spätlues (Krebs) 1109.
ae — Kromayer und Trinchese)
Wassermannsch oe Komplementbindungsreaktion
205. — Reaktion bei Bleiintoxikation 579.
— Reaktion bei im Blute kreisendem Sal-
varsan (v. Gutfeld) 526. Entgegnung auf
den Artikel von B. P. Sormani „Ueber die
von Prof. Kromayer und Dr. Trinchese vor-
geschlagene Therapie causalis der pseudo-
negativen — Reaktion (Kromayer und Trin-
chese) 1746. — Reaktion 2018. — Reaktion und
XXIV
Erbsyphilis 959. — Reaktion beim Neugeborenen
und Säugling 2007. Praktische Bedeutung der
— Reaktion 113i. — Reaktion, über das
Vorkommen und die Bedeutung der — bei
internen Erkrankungen (Dreesen) 2067. Unter-
suchungen über das Wesen der — Reaktion
1764. Verwendung der — Reaktion in der
inneren Medizin (Steinitz) 1834. Wertlosig-
keit der positiven — Reaktion für die lokale
Diagnose (Bruck) 1318. Zur Frage der ver-
feinerten — Reaktion (Alexander) +88.
— Syphilisreaktion mit aktiven Seren (Hecht
und Lederen) 782.
Wasserstoffsuperoxyd s. Jodnatrium.
Wasserstofisuperoxydlösungen 1330. Verordnung
von — 1044,
Wasserversorgung, die Frage der — vom hy-
gienischen Standpunkt unter Berücksichti-
eung des preußischen Wassergesetzentwurfs
Wasserverunreinigung s. Leitorganismen.
Wattestäbchen s. Otiatrie.
Wechselstrombad s. Balneotherapeutische Maß-
_ nahmen.
en , Hypophysenextrakt als 458. Neues
Wehentätigkeit s. Hypophysenextrakt.
Weibliches Geschlecht, Beziehungen des — zu
Turnen und Sport 1768.
Weltnaturschutzparke 1603.
Werlhofsche Biutfleckenkrankheit, über eine
nephritische Form der (Eichhorst) 7.
Wettbewerb, unlauterer 971.
Wie die Saat, so die Ernte! 1094.
Wiederbelebungsversuche, unzureichende — bei
Unfällen durch Elektrizität 847.
Wien, geburtshilflich-gynäkologische Gesellschaft
377. — Gesellschaft für innere Medizin und
Kinderheilkunde 83. 421. 464. 545. 633. 760.
1008. 1091. 1214. 1292. 1688. — K. k. Ge-
sellschaft der Aerzte 82. 126. 254. 296. 464.
505. 586. 672. 1048. 1132. 1370. 1445. 1480.
— Laryngo - rhinologische Gesellschaft 254.
— Morphologisch-physiologische Gesellschaft
876. — Oesterreichische Otologische Ge-
sellschaft 211. Wissenschaftlicher Verein der
Militärärzte der Garnison — 966.
Wiener Brief 258. 806.
a
Woghurtgebrauch in den Tropen 926.
INHALTS-VERZEICHNIS.
u
Wildbrandsche Prismenphänomen s. Pupillenstarre.
v. Winckel Franz 7 89. Nachruf auf — 671.
wu über den Wärmecharakter der (Schubert)
Windels, Geheimer Sanitätsrat Dr. Ernst 7 427.
Winke für den ärztlichen Weg aus 20jähriger
Erfahrung, von Knauer 1086.
Winterkuren und Wintersport 1763.
Winterruhe unserer Pflanzen, insbesondere der
Holzgewächse (Wangerin) 528.
Wirbellose Tiere, Sehen der 423.
Wirbelsäule, Fixation der 1762. Der röntgeno-
logische Nachweis von Verletzungen der —
(Gräßner) 1699. Progressive Ankylosierung
der —- 294. Verletzung der — mit totaler
Rückenmarksquerläsion 418.
Wochenbett s. Blutungen.
Wöchnerinnen, Frühaufstehen der 1681. — s.
Toxicodermien.
Wobnungsfrage s. Säuglingssterblichkeit.
Wolffscher Gang s. Cysten.
Wundbehandlung, erste Veröffentlichung über
antiseptische, von Joseph Listers 1402. Pa-
rafinum liquidam in der (Auerbach) 1957.
Peritoneale — 1561.
Wunden, eitrige 1753.
Wundhöhlen s. Lampe.
Wundinfektion, puerperale, von A. Hamm 1845.
Wurmfortsatz, Carcinom am 886.
Würzburg, pbysikalisch-medizinische Gesellschaft
81. 463. 586.
Xanthoma multiplex planum et tuberosum, De-
monstration eines Falles von — bei chroni-
en Ikterus mit Leber- und Milzschwellung
927.
Xeroderma pigmentosum 422,
Yohimbin 1965. Eine bisher nicht bekannte
Wirkung des — 1848. — (Spiegel) 2106.
Yohimbininjektion, epidurale 1287.
Zäbl- und Rechenmaschine s. Cytax.
Zahn, in die Nasenhöhle eingewachsener 1214.
Zahnärztliche Literatur, eine Umschau über aus-
au Kapitel der neuesten internationalen
324. | |
= PA a u se zus ng
m m a — M
Zahncaries 361.
Zahneyste mit Durchbruch durch den harten
Gaumen nach der Mundhöhle 420.
Zähne, Einfluß der — auf die Entwicklung des
Schädels 85.
Zehnentwicklung, Korrelation zwischen — und
Schädelbildung 1215.
Zahbnextraktionen s. Orbitalinhalt.
Zahnheilkunde (Hoffendahl) 861. 491. 574. =
872. 1120. 1202. 1281. Taschenbuch der —
von K. Hoffendahl 1756. — s. Schmerz.
Zabnmangel, ein Fall von angeborenem 1252.
Zahnpulpa, Erkrankungen der 872. 1202.
Zähne, reimplantierte 1252.
Zebromal 627.
Zelle, Molke und 1643. Physikalische Chemie
der — und der Gewebe, von R. Höber 542,
Zellen, Versuche über die osmotischen Eigen-
schaften von 882.
Zellersches Verfahren zur Behandlung Krebs-
kranker in der ärztlichen Praxis 1609.
Zellmembran, Bedeutung der — für die Wirkungen
chemischer Substanzen 1602.
Ziegenmilch 1209.
Ziehen, Abschiedsfeier für Theodor —, den
1. März 1911 426.
Zink-Perhydrol 2082.
Zitate und Register (Ruediger) 469.
Zoologie und Paläontologie 846.
Zoologisches System, das neue — von Berthold
ee und seine Vorgeschichte (Wundsch)
Zuckergußleber bei chronischen Herzklappen-
feblern 1444.
Zuckerkrankheit, zur Inseltbeorie der 586.
Zuckersynthese im Tierkörper 2050.
Zunge, Totalexstirpation der 670.
Zungenzittern s. Albuminurie.
a und Geschäftsfähigkeit
Zürich 1257. Brief aus — 547.
Zwangsvorstellungen s. Phobien.
Zweckverband, Gründung eines kassenärztlichen
— in Berlin 1197.
Zwergsträucher, Lebensdauer von — aus der
ler Heide (Lauche und Kanngießer)
Zwillingsplacenta, eineiige 2010.
AUTOREN-REGISTER.
Die fettgedruckten Zahlen bezeichnen. Originalartikel. — Die Abkürzung B.-H. bedeutet Beiheft.
Aaser 663.
Abadie 792. 611.
Abbott 2045.
Abderhalden, Emil 926. 1000.
‚ Albers- Er (Hamburg) Alt und Sauer 418.
Albrecht 125.955. — Ehrenfr.
—__
| Althoff 1330. 1923.
(Bremen) 854.
Altschul 502. — Walter | Armstrong 55. 58.
Mönckeberg 1244.
Ara) Delille, P. F. (Paris) | Ascho,ff, L. (Freiburg ı.B.) 4.
06.
Ascoli : Alberto 542.
— und | Ashby 663.
Assmann 251. 760.
1008. 1363. 1475. — E.
und Mikikiutsi 1000.
Abel 2052,
Abramowski 1998.
Achelis 159.
Adam 422. 577. 1607. 1804.
2081.
— C. 27: — C. (Berlin)
158. 412. 791. 958. 1079.
1594. 1716. — u. Wätzold
212. 959.
Adams 414,
Adler, Alfred 1719. — Arthur
(Berlin) 1833.
Albanese 27,
1801. — (Leipzig) 757. —
(München) 1565. H
(Wien) 964.
Albu 73. — A. 1084.
ut Reg. (Staffordshire)
v. a luon Ludwig (Karlsbad)
Alexander 24. 497. 1254. —
Arthur (Charlottenburg)
783. 879. — W. 336. 921.
— W. und E. Unger 1927.
Allard 28. 838.
Allin 1596.
Almkvist, Johan 456.
Alsberg, Adolf 800.
— H. | Alwens, W. und J, Husler
(Frankfurt a. M.) 757.
Alzheimer 1478.
Amici, G. B. 289.
Anglada, J. u. Baumel 1284.
Anschütz 1006. — (Kiel)
1106.
Anton 670. — und von Bra-
mann 497.
Aoki, T. (Tokio) 1474.
App el 37.
Krchangolilr 1244. — W.
A. 1284
Arco, Graf 1602.
| Arendt, E. 410.
Arndt.H. (Berlin-Lichterfelde)
1287. — M. (Nikolassee-
Berlin) 1877.
Arning, E. 37.
Arnold 1399.
Arnsperger, H. (Dresden)
2027.
Aron 1636. — Hans (Breslau)
1.644.
Asch 2049.
Aschenheim 1125. — Erich
(Heidelberg) 1644. 1684.
Ascher, Bernhard (Berlin) 207.
Aschheim 1432.
d’ Astros, Léon undTeissonnier
(Marseille) 2007.
| Aubertin 1362.
Aubourg 456.
Auenbrugger, Leopold 1086.
Auer 955.
Auerbach (Detmold) 1957.
Aufrecht 367. 838.
Augstein 2082,
Aulhorn 118,
Aumann (Hamburg) 1710. —
2080.
Austrian 1244,
Autenrieht, W. 415
2010.
(Berlin) 1561. 1603. 1796. | Averill, C. Macchshold) 1048.
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BEER,
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INHALTS-VERZEICHNIS.
Avierinos 1803.
Ayenfeld 27.
3.
Axhausen (Berlin) 711. 925.
Axmann (Erfurt) 696.
Baas, K. (Karlsruhe) 762.
804.
N 943. 414.
Babinski 626. — J. 661.
Babonneix, L. u. Q. (Paisseau)
1284.
Bach 578. — H. 1556. 1880.
— Hugo 706. — L. i361.
Bachem, C. 457,
Bächer, St., u. M. Laub 412,
Bachmann (Harburg) 1846.
Backmann (Jakobstad) 29.
- Bagger- oren di
Baginsky 588
Bähr 1925.
Babrdt 1444.
Bail und Loewenthal 2108.
Baines 663.
Baisch 1639.
Balfour 1924. — and Archi-
bald 1924.
Balser 878.
Bot F. 136i. — u. Condat
0 l
Bandelier, B., u. O. Roepke
838. 1640. 1756,
Bandi, Ivo 412.
Bannes, F. (Breslau) 276.
Bantlin 1754.
en 1999, wi Max 627.
rang, R. (Wien) 726.
Barbie. 1284. }
Barbour 1168.
Barcanovich 665.
Bardachzi 456.
v. Bardeleben, H. (Berlin)
1592, 1636, 1640. 1995.
2041. 2077.
Bardenheuer — B. 921. (Köln)
1106. 1501.
Barjou 118,
Barlow und Cunnigham (Los
Angelos) 414.
Barlozzo Amerigo 412,
nd G. (Deli) 1868.
Barret und Taven 456.
Bársony, J. 378.
Bartels 420,
Barth, E. 1821. — Ernst 370.
— Ernst (Berlin) 566. 785.
1240. 2040, 2076.
Baruch (Breslau) 759.
Basch, K. 1804.
Baschieri. -Salvadori, G. 204.
Bashenoff 82,
Bashford 1926,
Baeskow 245,
Basler 1801.
Bataski 878,
Bauer 1999, — Hugo 292.
— Julius (In
0. us g und 882.
— (Freiburg
aum 1970, — G. 40. —
Br Egmont (Buda-
Do t) 15. — u. Grund
Blumen. Ch. 589,
wi 421. — Karl (Prag)
Ba 792.
Beardsley (Philadelphi 29
Beasley (Balti Fra
he 5 a 10097) 414.
Bechhold 1969. — H. 582.
ie a — Oskar 290.
298 (Königsberg)
07 J c (Budapest)
Becker 456. — G. 703. —
Georg (Plauen i. V.) 1790.
Beckmann 877.
Bednarski 1716.
Beer 1327. — ©. 869. —
Edwin (New York) 1970.
Ba oa) 1562.
Behr 171
Behrend Bo,
mn .999. — (Lausanne)
Bell 241. — Charles 1086.
Belot und Woiman 456.
Beltz, L. 457.
Benacchio 1126.
Benario, J. 459.
Benczur 706. 1880.
v. Benczür, J. 410. 1808.
Benda, C. 1482. — Th. 2107.
Bendas, ©. 1970.
Ba B. (Charlottenburg)
Benedikt, W. 706. — Wil-
helm (Wien) 143.
Beneke 333. 2049. 2086.
Bénesi 791.
(Berlin) 1241.
Benfey, A.
1958.
Benjamin, E. un) 1644.
— E., und H. Drey (Mün-
chen) 1644.
Bennecke — À. 1843.
H. (Jena) 9 Ä
Benthin Aa
Bentzen 792.
Berblinger 1848.
Bercke, R. 1401.
Berdez u. Exchaquet 1803.
Berg, Georg 104.
Berger, Fritz (Köln a. Rh.)
278. 694.
— Hermann
(Berlin-Friedenau) 1872.
Bergien 118.
v. Bergmann 456. — Alt-
mann 757. — und Lenz
456.
Bering 1847. — Fr. und
H. Meyer 706.
Berka, F. 1843.
Berlin 2000.
Bernhard, Oskar 706.
Bernheim 2000. — (Paris)
Bernhuber, Karl 625.
Bernstein 544. 664. — und
W. Falta (Wien) 882.
Bertelsmann 252. 504. 1442.
1476.
Bertling, Franz 457.
Bertrand 664.
Besangon, Fern. 838.
Bon (Neuwedell) 1218.
Bessau, G. (Breslau) 1685.
Besserer 670.
Betr6mieux 792.
Beuth (Königsberg) 883.
Beyerhaus, G. 627,
Bibergeil 1446. —, Eugen
(Berlin) 667. 712,
Bichat, X. 1086.
Bickel 506. — A 410, —
À. (Berlin) 993. — A. und
Minami 410.
Biedi, A. 1370.
Biehl, Karl Ken) 1696.
de Biehler 663
Bieling (Friedrichroda) 1763.
Bier (Berlin) 711. — A. 703.
2089. — A. (Berlin) 1585.
— August 1209.
Bierast 1399.
Biesalski 507. — Konrad 628.
Bing, Rob. (Basel) 21. 197.
03. 532. 659. 884. 1282,
2003. 2025. 2104.
Bingel 124. 2108.
Birch-Hirschfeld 1808. 2082.
Boas 424.
Birk 714. — W. 1289.
Birkenthal 58.
Birkhäuser, Rud. 1683.
Birtch und Juman 1640.
Bischoff, H., W. Hoffmann,
H. Sch wiening 1882.
Bisgaard 26.
Bitot und Petges 73.
Bitter 1808.
Bittorf 28. 144i.
Schidorsky 1764.
Bittrolff und Momose 539.
Bland (Philadelphia) 2082.
v. Blaskovics 1596.
Blau 1639.
Blegvad, N. Rh. 1401.
Bleichröder, F. 1408.
Bloch 119. 209. 456. —
Iwan (Charlottenburg) 1176.
1296. 1409. 2003.
Blochmann 663.
Block 86.
Blühdorn, Kurt 1209.
Blum 1206. — F. 840. —
— und
L. (Straßburg) 425. — V.
289.
Blumenau 663.
Blumenfeld 1208.
Blumenthal 425. — Ferdi-
nand 119.
Blumm, Rich. (Bayreuth) 156.
537.
Blumreich, L. 1048.
— J. 31. 290.
— und Lied 26.
Boeck jun. 1253.
Boeckel, André et Jules 2045.
Bockenheimer 423. — Ph.
(Berlin) 898. 1720.
Boecker 2045.
Le Bocq 959.
Bogatsch 27. 1090.
Bogner (München) 64.
Bohač, Carl (Prag) 328.
Böhler, A. (Lörrach) 30.
Böhm, Johann 1843.
Boehm, M. 1249. — Max
(Berlin) nn 8.
Boehme. A. 3
Boit 1131. — >. (Berlin)
492. 538.
v. Bokay, J. 663.
v. Bókay, Zoltán 1244,
Bokelmann, W. 1680.
Bondi, Max (Iglau) 1317.
Bondy, G. 211. — Oskar
(Breslau) 1454.
Bonhöffer 167.
Bonhoeffer, K. 1043.
Aunmger (Pankow - Berlin)
75
Borchers, Eduard 1755.
de Boris 367.
Boermann (Sumatra) 884.
Bornstein, A. 706. — (Ham-
burg) 842.
Boros, L. (Temesvár) 444.
Borovansky, Vladislav (Wien)
992.
Borst 965. en
Borszöky, ©. 296.
Borthen 792.
Boruttau 84. 1686, — H.
ern) 489. 530. 571.
617.
Bosányi, Béla (Blocksbad)
196.
Bai. S. 1718,
Bossi, L. M. 1004,
Bowman (Baltimore) 1681.
— aor und Evans
1843
Box, Ch. R. 204.
Brackenhoeft, Ed. (Hamburg)
1723.
Brady (St. Louis) 1964.
Braitmaier 330.
XXV
Brandenburg, Kurt 1011. — | Cahn 633. 2089. — Arnold
und Paul Hoffmanu (Berlin) | 869. 1880. l
16. — W. 1645. Caldera 791. — u. Gaggia
Brandenstein, S. 423.
Brandes 1007.
Brändle 2049.
Braendle, E. (Breslau) 487.
1084. 1270
Branson Br House (Jowa
City) 329.
Brauer 37. 118. 210. 374.
1606. 2000.
H. und E. Teichmann
Bräunig, K. 1961.
Bräuning 1556.
Braus, H. 1438.
Bredow 118,
Breemen 22.
Bregman, L. E. 661.
Brenner, Alexander (Linz)
1629.
Brennemann (Chicago) 497.
Brentano, A. 1482
Bresler, J. 1249. 1830.
Brewer (New York) 626.
Brezina, nn 2084,
Brieger. L en 679.
Brill und iia 1880.
Brisson, Pierre 1084.
Broeckaert 791.
Brocks (Erlangen) 1726.
Brodfeld, Eugen (Krakau)
1156. 1742. 2070.
Broman, Ivar 75.
Brosch, A. (Wien) 690.
Brown und Orven 71.
Bruck, Franz (Berlin-Char-
lottenburg) 1318. 1589.
Brückler, O. 1208.
Brückmann, Erwin 540.
Brückner, A. 1086.
Brugsch 24. 1125.
Bruhns, v ga rario tenung)
1015. 1
Brüning 708. 1008.
‚| Brünings 503.
Brunk Jun. 420. 1925.
Bruns 2088. — 0.158. —
(Marburg a. L.) 827.
Brästlein 118.
Buchner, Georg 1475.
Buecheler 632.
Buchholz 156.
Bucky, G. (Berlin) 1745.
Buday, R. 2081.
Büdingen 24.
Büdinger 1328.
Bühler 1880.
Bum, A. 1511. — Anton
(Wien) 47. 1573.
Bumke 1474. — Oswald
2084.
Bumm, E. (Berlin) 1501.
Bunert, J. L. (London)
1520.
Bungart 960.
Burchhardt 2088.
Bärger, L. 1660.
Bürgi, Emil (Bern) 2087.
2078.
Burgstein, L. 1364.
Bürker (Tübingen) 797.
Burnaschoff 1247,
Burwinkel 72, — O. (Nau-
heim) 1199.
Burzi 1640.
Busch 57.
Buschke und Hirschfeld
1125
Busse, O. 1045. — Otto
und Louis Merian 1881.
Buttersack 838, 2106.
Büttner 126.
Buxbaum 1880.
Buys 865.
1285.
Callomon 420. 1925.
Callum, Mac 965.
Calmann 671.
Calvary 663.
Cammert, Elisabeth (Halle
1912.
a. S.)
Camp bell-Horsfall, C. E. (New-
Quay) 1002.
Camphausen (Görbersdorf)
205.
Canestrini 497. 1474.
v. Capelle, Th. J. 1843.
Caro, Leo (Berlin-Wilmers-
Son 244. Tii. 758. 798.
843
Carter, A. H. 707.
Caspar, L. 634.
Caspari 1254,
ne L a) 298. 358.
1611 1. — Leopold
370.
Cassirer, R. (Berlin) 1898.
Casten 26.
Cathelin 1287. 1472.
Cavara 27.
Celsus, Cornelius 1521.
Charlet 578.
Chatelet u. Friand 1284.
Chevassu (Paris) 1251.
Chiari 168. 1848. — H. 844.
— (Straßburg) 964. — O.
‘ und O. Kahler 961.
Chilaiditi 456.
Chittenden, T. 1209,
Cholewa (Nauheim) 1150.
Christen 458.
Christensen 71.
Christian, M. 923.
Chrom, J. P, 412.
Chronis 27.
Chvostek 73.
Ciaccio 999.
Cimbal 886.
Citron 73. 1565. 1636. —
Julius 1129.
Citronblatt, A.(Moskau) 1888.
Clairmont, P., und M. Hau-
dek 121. 456.
Claus 1596,
Clausen 422.
Ciemens und Gould 663.
Clingestein, Otto 1208.
Clintock, Chas. T. Mc. und
Newell S. Ferry 412.
Clothien 663.
Cloetta vaurion) 798.
Cloves, F. (Wottan) 878.
Cmunt, B, (Luhačovic) 1893.
Coats 959
Cobb Farrar 839,
Cobliner 1409.
Cohen, Curt 205.
Cohn 456. 1998.
— J.634. — Max 337.2109.
— S. 377. 792. — Theo-
Toby i (Königsberg) 215. —
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Coleburn 204,
Colla 1258.
Colley u. Egis 663.
Comby 626. 1244., 1246.
Comoto 578.
Coenen 1721.
1760.
Constantin 365.
Conzen, K., und Schwarz
1444.
Cordier 1474.
Cords 1291.
Cornet, G. 838.
Cornillot u. Montéli 838.
Corter 330.
— H. 1870.
— (Breslau)
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XXVI
Cosco, Guiseppe 1843.
Cramer 668. 1765. — A. 752.
— H. (Zehlendorf) 909.
Crämer 253. — (München)
1923.
Creite 294.
Cremer, M. 2050.
1727.
Croner, Fr. 1246.
Curschmann 581. 1168. —
— Max
Hoi 1247. — (Mainz)
Czerny 716. 1721.
v. Czerny 706.
Czerny, Ad. 707. — Adal-
rn (Straßburg) 2005. —
V. (Heidelberg) 1467. 1602.
— (Straßburg) 752. —
Vinzenz, und Albert Caan
840,
v. Czyhlarz 1244. 1998.
rs John 412. — J. (Bern)
Dalmaty 1686.
v. Dalmedy 1965.
Dalmer, Max 2082.
Damask 1091.
Danielopolu 1802.
Dapper, M. (Neuenahr) und
G. Schwarz (Wien) 757.
Däubler 1636.
Daude, Otto (Berlin-Pyrmont)
1112
David 865.
Davis, John Strige 1719.
Debré 1284. — Rob. 1284.
Decker, C. (Köln) 1663. 1827.
1990. |
Deetjen 657.
Deichert, H. (Hannover) 1765.
Dejerini, J., und A. Baudoin
661.
Delbanco 1292.
Delcourt 663. —
(Brüssel) 2007.
Deltendre 1294,
Demmer, Fritz (Wien) 1948.
1988. 2034. 2071. .
Denker 1687. 2049.
Denks 545.
Deschwander 118.
Deseniss 375.
Desenitz 210.
Dessauer 1476. — Friedrich
(Frankfurt a. M.) 369. —
F., und B. Wiesner 1475.
Desternes 456,
Determann, H. 706. — H.
(Freiburg i. B.) 770. 1030.
Dettmer 1925.
Deutsch 1435. 1844.
Deutschländer 374, 1441.
Deutschmann 959.
Devaux 1248.
Dick 663.
Dieterichs, M. 245.
Dietlen (Straßburg) 757.
Dietrich 37. 967.. — A.540.
Dietschy, Rudolf (Sanatorium
Allerheiligen) 1676.
Dieulaf& und Herpin 57.
Dirk 800.
Dittrich, Paul (Jonitz) 951.
Dockhorn, Willi (Schlachten-
see) 1274.
Doederlein, A. 1043. —
(München) 1709.
Doehle 1443.
Dold, H. 1647. 1845.
Dolganoff 497.
Dollinger 497.
Albert
` Domaye 1754.
Donáth, J. 717.
Dorendorf, H. (Berlin) 1579.
Dorn, Paul 1208.
Doernberger 55. — Eugen 161.
Dornblüth 118.
Dreesen, H. (Köln) 2067.
Dreesmann (Köln) 801. 1721.
1760. 2032.
Drehmann (Breslau) 713.
Dreuw 22. 368. 1924.
Dreyer (Breslau) 711. 712,
Dreyfuß 1524. — G. L. 1846.
Drozynski, L. (Leipzig) 1416.
1458.
Dubar 1845.
Dufaux 538.
Dunger 252.
Dunn 663.
Dünner 1566.
Dünzelmann (Leipzig) 1643.
A. (Lausanne) 35.
165. 284. 366. 657. 959.
Dutoit,
1080. 1857. 1551.
Duval 1085.
Dzerschagowski 1246,
Dzierzbicki 71.
Eason 1596.
Ebeler 251. — Fritz (Dort-
mund) 1811.
Eber 1688. — A. 1843.
Ebert 504. — Clara (Koburg)
1846. — Otto (Kassel)
399.
Ebertz und Stürtz 1168.
Eblin, J. B. (Zürich) 855.
Ebstein, Erich (Leipzig) 1444.
1755. 1808. — Wilhelm 28,
Eckert 1606.
-| Eden, R. 1962.
Edens (München) 159.
Edinger 78.
Ehrenberg 1801.
Ehrenreich, M.
797.
Ehringhaus 1446.
Ehrlich, Paul 1559.
Ehrmann 1556. — Rud. 707.
— S. (Wien) 1221.
Ehrnrooth 1244.
Eichelberg, F.
1088. 1187.
Eichholz 410. 706.
Eichhorst, Hermann (Zürich)
7. 1586.
Eichler 55.
706.
von Eicken (Gießen) 372. 523.
Einhorn 73. — Max 540.
Einstein, Gustav (Berlin) 484.
v. Eiselsberg, A. 1445. 1952.
Eisengräber (Eisleben) 1991.
Eisenreich (München) 1725.
Eklund 498,
Elischer, J. 296.
v. Elischer 1168.
Elliot 792.
Elschner (Dühringshof) 380.
Eischnig 1332. 1596. — A.
(Prag) 1097.
Emanuel 922.
Emöry 1361.
Emrich (München) 1726.
Emsmann 706.
Enderlen 247. — E. (Würz-
burg) 1106. 1547.
Enelmann, W. 411.
Engel, x S. (Berl) 842. 1667.
— Emil 546. 92. —
Hermann 161. 881. 1045.
1599. 1883. — Hermann
(Berlin) 31. 292. 371. 2048.
— St. (Düsseldorf) 1685.
Engelen 1362. 1880. —
(Düsseldorf) 160.
Engelhardt (Ulm a.D.) 1352.
Engelhorn 1331. — E. 1249,
— (Erlangen) 1564.
Engelmann 251. 252. 760.
878. 1604. 1880. — (Dort-
mund) 1992.
(Göttingen)
(Kissingen)
— u. Schemel
INHALTS-VERZEICHNIS.
Ephraim 78. 791. 1441. —
A. 1557. — (Breslau) 797.
Eppenstein 959.
Eppinger 1401. — Hans und
G. Schwarz 1286.
Epstein, Emil (Wien) 1854.
Erb 159.
Erben,Siegmund (Wien)1064.
Erdös, Adolf 1044,
Ernst, Alexander (Warasdin)
1272
Esau (Oschersleben) 1156.
Eschenbach 835.
Escherich 58.
Béla Schick 331.
Eschweiler 372.
1339.
d’Espine, A. 1284.
Mallet 1244.
Esser 543.
Etienne, G. u. M. Lucien 1208.
Eugling, Max 1246.
Eulenburg, A. (Berlin) 624.
1963.
Everall 663. .
Eversbuch, Oskar 370.
Ewald 118. 2009. — C. A.
(Berlin) 2017. — Karl
(Wien) 1501. — P. 1556.
— und Bier 808.
Eymer und Menge 1435.
Exner (Wien) 924. -
F'aber 1244. 1435.
Fabricius, J. (Wien) 1958.
Fabry 252. 1604. — Joh.
(Dortmund) 1885. — Joh.
und Edmund Jerzycki
(Dortmund) 189.
Fahr (Mannheim) 965.
Falk, Edmund 423. 922. —
(Ems) 1406.
Falkenstein 368.
Falta und Fleming 243. —
und Freund 1880. — W.,
Kriser und Zehner 672.
758. 1504. — W. und
G. Schwarz 410.
Faltin (Helsingfors) 879.
Fausa 1474.
Federmann 2009. — A. 1174.
Fedinsky 663.
Feer, E. 794. — E. (Zürich)
639.
Fehde (Berlin) 1951.
zelus 632. 2089. — H. 1211.
H. (Straßburg) 1629.
Fehr 1971. — Oscar (Berlin)
942.
Feilchenfeld, Hugo (Berlin)
a — Leopold (Berlin)
v. Feilitzen 72.
Fejer, Julius 839.
Fellner 1640. — Otfried O. 370.
Fergusson, Robert H. 1362.
Fernet 29.
Feri 1964.
Ferrata und Viglioli 1126.
Feulgen, R. 585. 715.
Fiessinger 1284,
Fimmen 1753.
Finder 497.
Finger 157.
Finizio 663.
Fink 1596.
Finkeluburg 584. 1556.
Finkelstein 1206. — H. 206.
— Heinrich 1003.
Finsterer, H. 1445. — (Wien)
884.
Fioravanti 28.
Fischer 36. 56. 291. 885.
1252. — B. 1807. — C.
838. — Franz 328. — J.
76. — Martin (Zehlendorf)
14. — Philipp 1044.
— Th. und
— (Bonn)
— und
Fischl 663.
Fischler (Heidelberg) und
Wolf (Now-York) 883.
Fisichella 120.
Flachs, Richard 752.
Flamm, Richard 2083.
Flatau, Edward 1756. —
Georg 1248. — G. (Berlin)
1558.
Fleischer 1716.
Fleischhauer 211.
Fleischmann 58. 177.
Fleischner, Josef 1209.
Fleissig 1636. — Paul 1288.
Flemming 1636.
Flesch, A. 373. — Julius
(Wien) 1619. — und Peters
de “Fleury, Maurice 626.
Flexner 6698. — und Clark
(New York) 330.
Flügge, C. 2048.
Flury 464.
Foges und Hofstätter 241.
Földes, Des. 502.
Forell 751. — A. (München)
578. 1244.
Forli, Vasco (Rom) 1868.
Forschbach 113. 1173. — und
Weber 1556.
Forster 1640.
Förster 1968. — (Breslau)
667.
Foerster, O. 1173. 1562.
Fossel, V. 121.
Foster, Harold 1127.
Foy 791.
Franck, Erwin 245. 764. 848.
891. 1050. 1178. 2109. —
E. (Breslau) 883.
Francke, Karl 118.
Frangenheim 125.
Frank 210 211. — (Berlin)
1603. — E. 1046. 1556.
— (Breslau) B.-H. 10. —
und F. Heimann 1725. —
E. R. W. 289. 2083. — Paul
(Berlin-Charlottenburg)332.
416. 629. 1720. — Rudolf
(Wien) 19538. — und
Schittenhelm.
Franke 124. 670. 885. 1885.
— (Braunschweig) 843. —
Roche) 712. — (Wien)
1603.
Fraenkel, Alb. (Badenweiler)
797. — Ernst 459. —
Eugen 999. — H. und K.
Hauptmann (Halle) 1871.
— M. 1435. 2047.
Fränkel 23. 37. 374. 503.
1292. — A. 751. 1640.
— Arthur (Berlin) 757. —
E. (Hamburg) und C. Stern-
berg (Brünn) 964. — L.
78. — Manfred 1409. —
Sigmund 1289.
Frankenhäuser 706. — Fritz
120.
Frankenstein, J. F. (Berlin)
166
9.
v. Frankl-Hochwart, L. 499.
1958. — und Fröhlich
24i.
v. Franqué 1764. — (Bonn)
1451. 1490.
Franz 156. — V. (Frank-
furt a. M.) 147. 698. 1077.
1671.
Franzoni 921.
en: E. P. 663. — E.T.
French, Herbert 1755.
Frenkel 1244. |
Frese, O. (Halle a. S.) B.
H. 1.
Freud, Sigm. 1558.
Freudenthal 1285.
u Koloman (Wien)
Freund 1168. — E. 663.
— G. 168 — H. 1369
— Leop. 456. — L. (Wien)
456. 611. 627. 1678. —
R. 1603. 2010. an
241. 876. 878. — W. A
1446.
Frey, Konrad (Aarau) 28. —
Walter 1436.
Friberger 1801. — und Veiel
1801.
Frieboes, W. 1208.
Friedenthal ra ‚1763.
— Hans (N ikolassee-Berlin)
196.
Friedmann, . M. 247, —
Friedr. Franz 1888.
re 462. — H. (Berlin)
63
— P. L. (Königs-:
berg) 599. 1105.
Friedstein, D. 1126.
Fries 243.
Friese, Hermann 1843.
Frisch 1753. — G. 2106.
von Frisch 1328.
Fritsch 1173.
Fröhlich, Alfred 204.
Fromm, E. 502. 1605.
Fromme 845. 1482. — Ar-
nold 1437. —.F. (Berlin)
1709.
Froning 417.
Frumkin 1126.
Fründ 2007. |
Fuchs 1474. — Bernhard
— Ernst
(Przemysl) 740.
1208
Fuchs-Wollfring, Sophie 542.
Fübner, Hermann 206.
Fuld, E. 927.
Fülleborn 1046.
Fumarola und Tramonti 26.
Funck, Carl (Köln) 883. 1844.
1383.
Fürer 1475.
Furno 1126,
Fürstenberg, Alfred (Berlin)
787. — und Schemel
1880.
von Fürth, Otto 880.
Füth 1646.
Gabriel, Arthur 1720.
Gaisböck, Felix (Innsbruck)
1906.
Galisch, Adolf (Bad Rothen-
felde) 488. 1909.
Gallemaerts 1596.
Galli 2046.
Galus, G. 967.
Ganter und Zahn 1168.
Gantz, M. 1285.
Garasch 160.
Garré, C. 666.
Quincke 1683.
Gastou 1361.
Gáti, G. 502.
Gaucher 627.
ADP; Otto 498.
Gauß 1 a
Gay, Me 6
Gebb, H. (Greifswald) 1423.
Gebhardt 2045.
Geijerstam 1964.
Geisse 2046. l
Gekler, W. A. 838.
Genewein, Fr 160.
Gennerich, W. 1362
Genter 1209.
Georgopulos 75i.
Gérad u. Kramer 1327.
Geraghty u. Rowntree (Balti-
more) 413.
Gerhardt, D. 1168.
— und H.
y al ear a SFF 2 JJe 2e arra f
zu 727-7737
Gerhartz, Heinrich 118. 361.
881. — (Berlin) 837. 1514.
— und Elisabeth Reinike
. (Berlin) 1997.
Geormann 413.
Gestewitz 418.
Ghon, Anton 1044,
Giemsa und Werner 885.
y. Gierke E. 1249.
Gitfin 1084.
Gigon (Basel) 883. — Alfred
1599
Ginsberg 422.
Gilbert 1716.
Gisevius (Berlin) 1846.
Gisler, G. (Basel) 1041. 1485.
Gismondi, A. 2082.
Glaye 1046.
Blnsaget jr. (Münster a. St.)
19
Gleiß 1292.
Glingar, A. (Wien) 128.
Glombitza, Erich 498.
Glücksmann (Berlin) 883.
Gluzinski 1998. 2001.
Goebel 1007. 1408.1474.1604.
Goebell, Kiel 1721. 1760.
Gobiet 78.
Gocht, H. 1559.
Goecke (Mülheim a. Rh.) 105.
are Matthias (Aachen)
Goldbach 612 649.
Goldenberg (Nürnberg) 759.
Goldmann 897.
Goldscheider 23. 838. 471.
1880
Goldschmidt 1801. — R.
(München) 1602.
Goldstein 1474. 1969,
Goldzieher, M. 1214. — W.
40, — (Budapest) 965.
1418
Golovin 418,
Golte 72.
Goodall 663.
Goodman 1397. — Edward
H. 1400.
Göpel 505.
Göppel (Leipzig) 884.
Goeppert, F. 922. 2088.
Gorbatow 30.
Gorbunoff, A. 246.
anm (Philadelphia) 413.
Qörges 1363.
Gothein 1125,
Götjes (Köln) 1760.
Gött u. Rosenthal 1801.
Gotthilf, Willy (Cassel) 2047.
Gottschalk 2000.
Gottstein, A. (Charlotten-
gere) 972.
m Qualls (St. Louis)
Goyanes 703.
o Paul (Wol-
ersdor
One o. chleuse) 1081.
Grafo, B. (Heidelberg) 882.
~ 4%, und V.
1000 und V. Schläpfer
Gräfe 1768, — -Sämi
Gröfenberg 118, Bu
Y. Grati, E. 1048. — (Wien)
Graff, He
Gras er a 1045.
Grancher 838,
Grant Dundas 74,
araa Rudol 1558.
T 1046. — (Köln) 1699
Gr
ra — H. (Ronsdorf)
Grober 1880. — J. 1001
J. (Jena) 1602. 1762.
Grocco 73.
Groedel III (Frankfurt a. M.)
757. — (Bad-Nauheim) 815.
856. — Franz M., und Ed.
Schenck (Frankfurt a. M.)
1147. — Theo 1168. — u.
en 456. — und Seybert
Groenouw 1441.
Gros, Oskar 1472.
Grosser 1252. 1807.
Grossich, Antonio 31.
Groth (Berlin) 1425.
Grube, Karl (Bonn-Neuenahr)
646. — Karl (Bonn-Neuen-
ahr) und Henry Graff (Bonn)
1045. — Karl, und Karl
. Reifferscheid 569.
Gruber, G. B. (München)
1648. 1690. 1729. 1969.
Gruhle 625.
Grünbaum, D. 1708.
Grünberg 365.
Grund 1687.
Grune (Köln) 925.
Grunewald 1328.
Grünwald 1168.
Grüter 1477.
Gudden, H. 160. — H. (Mün-
chen) 541.
Gudzent 410. 706. — F.
(Berlin) 797.
Guggenheimer, Hans 1565.
Guisez 118. — (Paris) 878.
Gulecke, H. 1369.
Gulicke (Straßburg) 843.
Günzburg 1605.
Gürtler (Berlin) 1884.
von Gutfeld, Fritz (Berlin)
526.
Gutmann, Adolf 212. 413. 634.
Gutowitz (Leipzig) 1911.
Guttmann, L. 1963. u
Gutzmann, Hermann 206.
1045. 1641.
v. Maberer (Innsbruck) 759.
843. 924. 1501.
Häberle, A. 840.
Haberling 706. 921.
Habermann 2007.
Haccius, Alexander (Tübin-
gen) 1346
Hachtel und Hayward 663.
Haeckel 1090.
Hackenbruch (Wiesbaden)
1722
Hadda 418.
Hafter 625.
Hagemann 1253. -- (Mar-
burg) 844.
en 13. — Felix (Berlin)
2
Hahl, C. 74.
Hahn 410. 589. 715. 1047.
2l
08.
— Gerhard 1641.
Haik 1596.
Haim (Budweis) 884.
Hajek, M. (Wien) 385.
Haker, Friedrich (Berlin)
1728. 2052. 2090.
Halban, J. 254.
Hallé und Schreiber 1244.
| Hallervorden 118.
Hamburger 497. 19711. —
Franz 206.
u 168. 243. — A. 960.
Hammer, Friedr. 1475. —
Fr. (Stuttgart) 1083. —
W., J. P. Kirch und Her-
mann Schlesinger 140.
Hammesfahr 166. 1291.
Hampeln 751.
Hänisch 37. 456.
naeh G. F. (Hamburg) | Herman (Brüssel) 73.
Haenlein (Berlin) 363. 790.
1284, 1751. 1811. 1889.
re Walther (Breslau)
Hansberg 760. — (Dortmund)
460. 1367.
v. Hansemann 589. — D.
666. 706. — D. (Berlin)
933.
Hanssen, Olav (Kristiania).
Happe 1089.
Harnack 1206. — Erich
(Halle a. S.) 889. 929. 971.
1681. 1803. |
Harris, Wilfrid 878.
Hart 118. — C. 583.
ario Schöneberg) B.-H.
Haertel 703. 2109.
Hartmann, Arthur 1599.
Hartung, C. 1682.
Hasebroek 23. 1801.
Hasselbalch, K. A., und Axel
Reyn 1084.
Hasslauer 365.
Hässner 1008.
Hasting, Freedy (Dublin) 579.
Hauck 1407. 2008.
Haudek 456. 2105. — Martin
(Wien) 181. 224. 757.
Haupt (Soden) 883.
Hauptmann 26. 1284. —
Alfred 1718. — K. (Halle)
1871.
Häusener (Barmen) 925.
Haußmann (Rostock) 757.
-
Hayem 657.
Haymann 118.
Hecht, Hugo (Prag) 401. —
= und Otto Lederer (Prag)
782.
Hedinger (Baden-Baden) 882,
Heermann 23. — G. 1474.
Hegler 210.
Hegner 959.
Heiberg 1556. — und Grön-
holm 27,
Heidenhain 160. 1718.
Heilbronn 27.
Heilbronner, K. 1168.
Heile (Wiesbaden) 759. 883.
Heimann 1640. — Ernst
1287. — Fritz (Breslau)
1375. — Willy 2081.
Heine (Kiel) 1777. 1822.
Heinecke und Laewen 1472.
Heinemann, P. G. 1475.
Heinicke 625.
Heinz 293.
Hell 36. 243. 1252.
Hellendali 751.
Heller 1443. 1681.
Hellin, Dionys 587.
Hellström. Nils 1962. —
Thure 38.
Hellwig (Neustrelitz) 2102.
Helly 586.
Helmhold (Danzig) 1354.
Henderson 497.
Henggo (München) 1564.
Henke 1285. — Fritz(Königs-
berg) B.-H. 2.
Henkel (Jena) 1953.
Henking 1406.
Henle (Dortmund) 1760. 1762. | Hoffmann 543. 1640,
Henschen (Zürich) 759.
Hensgen 459.
Herbert 792.
v. Herczel, E. 502.
v. Hor 1753. — Otto 368.
— (Basel) 1500.
Herzog 751. 1808.
1511.
Hesse 209. 423. 456. 668. —
1168. — (Prag) 1788.
Hermann 546. 1474.
Herschel 1525.
Hertz 28. — (London) 757.
Hertzler (Kansas City) 1596.
Herxheimer 1687. 1887. —
G. 1129. — (Wiesbaden)
964. -
Herz, H. 1008. — M, 72.
1244. — Max 664, 1289.
— (Wien) 854.
Herzberg (Berlin) 1870.
Herzen 1682.
Herzfeld, E. und J. B. Elin
(Zürich) 355. — und K.
S. Makler (Zürich) 1428:
— K. A. (Wien) 1547.
Hesnard, A. 1284.
Heß 1596, — (Hagen i. W.)
1882. — (New York) 626.
1684. — C. (Würzburg)
F. 7038. — Friedrich Adolf
840. 1961.
Hessen, Robert (Berlin) 1846.
Heubner 337. 544. 1603.
1636. — Otto (Berlin)
1643.
Heuck 1764.
Heusgen 1474.
Heyde, M. (Marburg) 263.
71i. .
Heymann. Bruno. (Berlin)
1723. — Emil 1966.
Heynemann (Halle) 1608.
Hidaka, S. (Japan) 1394.
Higier, H. 661.
Hildebrand, O. (Berlin) 1993.
Hilgermann (Koblenz) 579.
Hill 663.
Hiller 625.
Hiltner 72.
Hinrichsen, O. 1967.
Hinsberg 1285.
v. Hippel 584. 585.
Hirsch 365. — A. 365. —
C. 413. — (Göttingen)
1146. — und Thorspecken
1801. — Cäsar 1126. 2108,
— E. 961. — Franz 1475.
Hirschberg, A. 1169. —
(Berlin) 1629. — J. 507.
Hirschel (Heidelberg) 925.
Hirschfeld, A. 1880. — Felix
(Berlin) 129. — H. 1125.
1599. — H. (Berlin) 964.
— Hans 422. — Magnus,
und Max Tilke 542.
Hirschlaff 24. — L. 1683.
Hirz, F. 410. — Otto 1754.
His 410. 751. 1206.
Hitchinson und Miller 71.
Höber, R. 542,
Hoche 204.
Hochhaus 158. 838. — H.
245. — H. (Köln) 1898.
Hodgson 663.
Hofbauer 242. 1130. 1327.
1640
Hoffendahl, Kurt 1437. —
(Berlin) 58. 324. 861. 491.
574. 657. 872. 1120. 1202.
1281. 1756.
wu
1961. — Arthur 751. —
August 1754. 1801. — Aug.
(Düsseldorf) 1853. — Friedr,
Albin 2008. — Karl Frie-
drich 2105. — Ludwig
(Stettin) 583. — . Paul
INHALTS -VERZEICHNIS. XXVII
Haenel, Fr. 209. — Hans 36. | Horing, H. E. 158. 531. 842. | (Berlin) 16. — Rudolf
1085. — W. (Berlin) 718.
1898. — und Martin 867.
Ho pan 1474. — Arthur
66
Ho (mei, Max (Würzburg)
1
85.
Hofstätter 242. 1363.
Höhl 841.
Hohlweg (Gießen) 883.
Hohmeier 2050.
Hoehne 1807. 1847.
(Kiel) 1462.
Hoke 1168. 1332.
Holl 1168.
Holländer, Eugen 923. 2089.
Holle (Bremerhaven) 1846.
Hollensen, M. 1556. — Marie
(Heidelberg) 318.
De G., und M. Head
Holt 663. - Ä
Holzknecht, G. (Wien) 757.
Holzmann 26. Zn
Homuth, O. 1960.. — (Frank-
furt) 712.
Hönck 663.
Hönz 1173.
Höpfner 1964.
Hopmann II 373. 1367.
Hoppe, Fritz (Berlin) 1117.
Hoppe-Seyler 211. 329. 657.
v. Horff, Otto, und Louis
Hell 499.
Hörrmann 1444. 1445. —
(München) 1726.
v. Hoeßlin 706. 1474. -- R.
— 0.
539. 751. — (München
842.
Hotter 625,
Hotz 7083. °
Hounsfield, S. C. (Stormarket)
579 |
Houzel 2045.
Van der Hoeve 413.
Howard, Tasker (Brooklyn)
1436.
Huber 1244. 1255.
Hübner 1848. 1965.
Hübscher 293. |
Hübschmann 1444.
Hueck 1525,
Hudelo, Montlaur u. Bodineau
1361
Hughes, Henry 1246.
Huismans 1007. |
Hüls 668.
Hume, Wm. E. 540.
Hunaaus, Georg (Hannover)
1586
Hunner (Baltimore) 497.
Hunziker 166.
Hurler, Konrad 2081.
Hürthle 1168. 129i.
Hussy (Basel) 1726.
Hutinel 668, 1244.
Hutter 1753.
Ebrahim (München) 1884.
Ide (Amrum) 1288,
Igersheimer 585. _
Ihm, Ed. 1289.
Dijn 878.
Illyés, G. 1214.
Ilmer, W. 1472.
Imhofer 1753.
an (Berlin) 283.
Inouyi 959.
Isakowitz 422. 1246. 1606.
Iselin 2938. — H. 706.
Israel, J. 1481, — James
(Berlin) 1106. — Paul
(Berlin) 404. — Wilhelm
2109.
Isserlin (Soden a. T.) 905:
Ito 1557.
XXVII
Jacob 1213. — J. (Kudowa)
1009.
Jácobs 335.
Jacobsen, K. A. 412.
Jacobsohn, A. (Berlin) 1873.
— Leo 1565. — L., und
A. Caro 661.
Jacobson und Keller (Toledo)
1520.
J or Max 1682. — S. 289.
415. 1970.
Jacqueau 792. 2082.
Jaeger 118. 670. — Franz
= 458. Ea Hr
er eipzig) 1763
v. Jagic, N. 1438. -
Jahr, Rudolf 16i.
Jakoby 23.
v. Jaksch, R. (Prag) 1981.
Jamin 2008.
Jankau u. Thomas 1327.
Jannis 1407.
Janowski, Th. G. (Kiew)
1786.
Jansen 544. 1328. — Hans,
und Ove Strandberg 1246.
Janson, Adolf 1208.
Janssen, Peter (Düsseldorf)
849.
Japha 22.
Jaquet 23. — A. 205.
Jaschke, Rud. Th. (Düssel-
dorf) 808. — (Gießen)
1037.
v. Jaworski, J. 1286,
J eanselme u. Vernes 1208.
Jemma (Palermo) 2005.
Jenckel (Altona) 848.
Jendralski 1090,
Jerusalem 1636. — M. 254.
— Max (Wien) 828.
J Er Edmund (Dortmund)
Jesionek 328,
Je 81. 1646. — Adolf
959
Jessen u. Rabinowitsch 1640.
Jeßner, S. 292. 1559.
Joachimstbal 337. 1446, —
(Berlin) 713.
Jochmann 297. 663. 1284. —
u. Blühdorn 1125.
Jödicke, P. 1002. — (Stettin)
64. 627.
John, M. 961.
J okowlew und Jasnicki 246.
Jolasse 37. 456.
Jolly, R. (Berlin) 1781
Joltrain 1361.
Jonas 456, — (Wien) 757.
Jonaß 751.
Jones, Arthur T., (Mountain
Ash) 1169.
Jordan 456.
Joseph, E. 666. — Eugen
170. — Max 2048,
J ... aral (Charlotten-
burg) 7
J A an Otto 1002.
Jumenti6, J. 661
es (Göttingen)
Junghanns, O. i023.
Junghans, Paul 1923.
Jungklaus (Bielefeld-Gadder-
P baum) 857. Pr
ungmann, red ien
1942. 2083. un
Junker, F. 1209.
Juracz 802.
Jurasz, A. T. (Leipzig) 1001.
1264.
J oronim, Chr. (Kopenhagen)
y. Jürgensen, Theodor 291.
J usti, K. 1401.
T A 1420.
Kafka (Hamburg) 108
Kahane 706. — Max Wien)
1638. 1675. 1718. 1795.
1838. 1917. 1994.
Kabler, u. ru) i. Br.)
1616 1
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Kakowski 1206. — A. 1717.
Kalb 463. 1925.
Kalischer, O. 84. 673.
Kalker. E. 1880.
Kall, A. 1362.
Källmark 1126.
Kalowski, A. (Kiew) 1084.
Kaminer 1640.
Kanngießer, Friedrich 246.
828. 677. 962. 2075.
Kape, W. (Magdeburg) 1275.
Kaposi, H. und G. Port 962.
Kappis 1006.
Kardos 1126.
Karewski 2011.
Karo, W. 1364. 1641. —
Wilhelm (Berlin) 737.
Kaschtschenko 82.
Kaserer 71.
Kaspar 663.
Kaeß (Gießen) 1641.
Kassowitz und Langstein
(Berlin) 1644.
Kästner 1880.
Katz-1598. — A. (Wien) 123.
Katzenstein, M.761. — (Pitts-
burg) 497.
Kaufmann 669. —. 1801.
1997. 1998. 2000. — (Wil-
dungen) 797.
Kausch 423. — W. (Berlin)
1106. 1538. 1669. 1721.
— (Charlottenburg) 798.
Kawashima 999.
Kayser, Curt (Berlin) 1325.
Keen, S. F. Me. 663.
Kehr 1009. 1327. — Hans
328. 887. 1285. 1286. 1287.
Keilpflug (Berlin) 64.
Keiner 1253. 1848. — (Straß-
burg) 1685.
Keining en 1.760,
Kelen, B. 1647.
Keller 168. 878. 1643. 2088.
— Arthur 1684. — A.
(Berlin) 2005.
Koling, ‚Georg (Dresden) 654.
Kemmetmüller 1689,
Kempf 124.
Kerien und Ungermann 1678.
Kersling 58.
v. Kétly, ©. 1647.
Kienböck 456. — Robert
U 611. 1509. 1511.
oji 410.
Killian 506. 588. 1244. 1758.
— Gustav 540.
Kinberg 625.
Kindborg, Erich 1004.
o 1845.
Kionka 410.
Kirch, J. P. (Wien) 140.
Kirchheim 79. 1564. — (Mar-
‚burg) 883.
Kirmisson (Paris) 1557,
Kirsch, O. 1689.
Kirstein, Friedrich 1129.
Klapp (Berlin) 925.
Klausner, E. 456. 1753.
Klecki 1880.
Kleczkowski 27,
Klee (Tübingen) 757.
Eo 125. 1294. — Gustay
Kleinhaus, F, (Prag) 1547.
a S 1952. 1563.
— Q. — (Leipzig)
111. — era 1644.
IN HALTS-VERZEICHNBS.
Kleinschrod (München) 1846.
Klemperer, Felix und Hans
Woita (Berlin) 842. — G.,
und R Mühsam 802. —
und Hirschfeld 1844.
De Kleyn und Gerlach 413.
Klieneberger 26. 167. 1005
— Carl, und Walter, Carl
1683. — Otto (Königsberg)
1581.
Klimmer, M., und A. Wolf-
Eisner 1683.
Klingmüller, Viktor 119.
Klose 287. — u. Vogt 287.
Klotz 242. 717.1206. — Max
2082.
Knape Denen) 7 290.
Monk J
Knapp 1 A
(New York) 2045. — P.
626.
Knauer 1086.
„Knipe Sa 1640.
'Knopf, S. A. 118
Kober (Halle a. S) (81.
Kobert 1479. — Rudolf 1522.
Koblanck 1408.
Kobrak, Franz (Berlin) 914.
1037.
Koch 71. — A., u. C. Hoff-
mann 72. — C. (Gießen)
1022. — C. A. (Surinam)
1810. — E. (Aachen) 72.
1589. 1631. 1674. — M.
(Berlin) 925. — Walter
(Freiburg i. Br.) 108.
Kocher (Bern) 760. — Albert
(Bern) 799. — Rudolf A.
999. — (Bern) 1501.
Kochmann, Martin 1597.
Kofend, A. 1511.
Kögel 1997. 1998. 2000.
Köhler 1006. 1999. — Alban
(Wiesbaden) 611. 1756.
— Be (o mgdeburg) 949.
ea Arnt 1481.
Kojo 706.
Kulde (Erlangen) 1726.
Kolff (Heidelberg) 712.
Kolisch 73.
Kolkwitz (Berlin) 195.
Kollarits, Jeað 841.
Kolle, W. 1602. — M.
Rothermundt und J. Dale
65. — -Wassermann 1756.
— und v. Wassermann 582.
Koellner 422. — H 1004.
Kolmer 668. — W. 376.
Kolossoff 1126.
Koelsch, F. 1883.
Komoto 2082
König 1477. 2050.
Koenig (Marburg) 711. —
e (Marburg a. L.) 558.
König, H. 1754. — S. 1962.
Koenig und Matthes 1564.
Koeniger 374. 1408. 2000.
Koenigsfeld, Harry 1848.
1875.
Konjetzny 88. 1477.
Konrich 1246.
Kooperberg 244.
v. Koränyi 1557.
Korb, Paul 665.
Koerber 959.
Koerner 126.
Körner, Otto 1924. — 0O.
(Rostock) 1259.
Kronfeld, A. 1480.
Kornfeld, Arthur 1883,
Koerte, W. 213. 1584.
Kosanow, W. N. 1962.
Kost (Alsbach) 1846.
Kowalk 1045.
Kowarschik 706.
Krabbel, M. 654.
Kramer 167.
Krämer, Felix (Frankfurt a. M.)
415
— (Berlin)
24. — F. 1175. 1926.
— R.. und G. Hofer 1048.
Krause 668. 1291. — (Berlin)
Kraus 79. 1999.
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759. — F. 581.
Krause, Fedor 85.
Emil Heymann 1966. —
H. (Reichenhall) 231. S
Paul (Bonn) 667.
und C. Garrö 666.
Krauß 715.
Krawkoff 1247.
Krebs, Walter (Falkenstein
09.
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Krecke, A. (München) 268.
Krehl, Ludolf 1558.
Kreidl, A., und A. Neumann
376.
Kretschmer 456.
Kretz 586.
Kretzmer 1605.
mund) 1196.
Kreuzfuchs 1168.
197.
— E. (Dort-
— (Wien)
Krieg (Baden-Baden) 1288.
— (Hamburg) 1763.
v. Kries 158.
Kriser, A. 1504.
Krogius (Helsingfors) 960.
Kroiß, F. 579
Krokiewiez 1881.
Kroll 82.
Kromayer und Trinchese (Ber-
lin) 404. 1670. 1746.
Krömer 242.
Kroemer (Greifswald) 1992.
Krone (Sooden-Werra) 1350.
Kronenberg 1406.
Kroenig 838. 878.
Krönig und Gauß 1085.
Krösing 168. 1091.
Krzemieniewska 71.
Kudisch 1758.
Kugel 1717.
Kubn (Berlin) 882. —
(Kassel) 711. — E. (Berlin-
Schlachtensee) 1585.
Kühn 72.
Kühnel, K. (Leipzig) 556.
Kühnemann, Georg 1438.
Kuhnt 1596.
Külbs 159. 838. 1168. 1294.
1370
Kulebjakin 1169.
Kulenkampff. D. 160.
Külz, Ludwig (Kribi-Süd-
kamerun) 214. 509. 805.
969.1216. 1810. 1850.1928.
Kümmel, W. 582. — (Ham-
burg) 884. 1105.
Kümmel! 670. 1925. — Herm.
1500.
.| Künne 508.
Kupfer 246.
Küpferle (Freiburg) 797.
Küppers 955.
Kurdjumoff 1999.
Kure 1168.
Kurt, L. 545. 1091.
Kußmaul, Adolf 1086.
Küster 78.159. — Ernst 331.
— und En Geiße 1596.
Küstner, O . (Breslau) 1992.
ns R. 634. — (Berlin)
Kuttner, L. 1565. 2001.. —
(Berlin) 809. — R. 289.
— und A. Koehler 289.
Küttner 1172. 2008. — Her-
mann (res) 1106. 1603.
1628.
Kuteinski ch (Berlin)
894
Kyaw (Dresden) 1829,
— und
Laache, 8.
Labarrière 365.
Lagrango 792.
Lagriffe, L. 1284.
Lamers, A. J. M. (Halle)
1834.
Lampe 419.
711.
Lampe, Arno Ed. (Halle)
1117.
Lampe, E., und H. Klose
(Frankfurt a. M.) 831.
Lampe, Richard 74. 1004.
Landmann, Paul 1286.
Landois (Breslau) 1761.
Landsberg (Thalheim - Lan-
deck i. Schl.) 1194.
(Christiania)
— (Bromberg)
Landsberger, Richard 88.
1215.
Lang, Ed. 2083.
Lange 365. — Carl 1208.
— F. 544. — (Greifswald)
1224. 1863. — Fritz (Mün-
chen) 667. — Jér. (Leip-
zig) 758. — (München)
713.
Langemak, Oscar 1599.
Langenbeck 1090.
Langes 1645.
Langstein (Berlin) 1884. —
L. 48. — L., und A.
Benfey (Berlin) 574. 622.
661. 1241. 1958. — und
Hörder 579.
Lapeyre (Tours) und Posner
(Berlin) 1251.
Laquer, L. 1966.
Laqueur, A. 703. 706. 1880.
— A, (Berlin) 1878.
Laser, Ed. 838.
Lattorff 212. 422.
Latzko (Wien) 1669.
Lauche, R. (Muskau) und
F. Kanngießer (Braunfels)
2075.
Lauritzen 1206.
Laewen 124. — A. 1472.
A, und W. v. Gaza
1472, (Leipzig) 711.
Lazarus, Paul 334. 706. 797.
1152. 1849.
Leber 926,
Ledderhose H. 844.
Lederer 1717. — Otto (Prag)
782. — und Stolte 1244.
— und Vogt 1244.
| Ledermann, Reinhold 500.
Leede 374. — W. 412.
Leegaard 1285.
van Leersum 1801.
Lefmann, G. (Heidelberg)
205. 292. 883.
Legrand 1882.
Lehle (München) 1564.
Lehmann 333. 1008. —
(Düsseldorf) 1685.
Leiber 1284.
Leichtenstern, Otto 1129.
Lemke 1399.
Lemoine 30. — G. H. 838.
— H. 1251.
v. Lenhossék, M. 1085.
Lenk. R. 1556.
Lenkei 1636.
Lenné (Neuenahr) 489.
'Lennhoff, C. (Berlin) 2083.
Lenz 632. 1213. — E. 706.
Lenzmann (Duisburg) 500.
687.962. 1789. — Richard
121.
le 2049.
Lepage (Paris) 1603,
Leredde 1361. 1720.
Künemann 1208.
Leriche 18083.
Lesage, A. 2083.
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INHALTS-VERZEICHNIS.
Lesage, A. (Paris) 2006. —
und Collin 663.
Lesser, E. F. (Mannheim)
423. 445. — Fritz 752,
1286.
Leuenberger, S. G. 1960.
Levinstein 1285. — Oswald
(Berlin) 1198.
Levy, Carl 663. — R. 1173.
2049. — Richard 1046.
— R, und K. Ludloff
1511.
Lévy, L. 497.
Levy-Dorn (Berlin) 610. 797.
Lewandowski (Berlin) 752.
Lewandowsky, M. 880.
Lewaschoff 1127.
Lewin, L. 1363. — L. (Berlin)
5
95.
Lexer 504. — Erich 206.
— (Jena) 712. 760.
Leydhecker 663.
Lichtenstein 878. 1292,
T EN; R., und A. Katz
Lichtwitz 294. 669. 1636. —
L 1556. — (Göttingen)
Liebe, Georg (Waldhof El-
gershausen) 1972.
v. Liebermann, L., jun. 665.
ei und B. v. Fenyvessy
Listermeister (Düren) 798.
p 1332. — V. (Prag)
Liebmann 1168.
Liefmann, H., und Alfred
T 1074. 1115.
5
Liek 2106. — a) 1386.
1410. 148
Liermann 290.
711.
Lieven, F, 1472,
Lilienfeld, J, 124.
Lilienstein (Nauheim) 8316.
197. 968.
a A. (Königsberg) 1514.
Lindemann 1678. — Alfred
T 1115. 1158.
indenmayer, Joseph 794,
Lindner, H 4 H. 706. i
Lindstedt, Folke (Stockholm)
Linetaky 158,
Linzenmeier 211.
ipman 71.
Lissauer 1969. — Max (Kö-
nigsberg) 889.
Lissmann 1008.
Lister 1596.
Listers, J en 1402,
Litzner 1999,
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Loeb, O. re — Walther
a, ‚ Arthur (Dorna-Wien)
— (Dessau)
84 1
Löfler, Gustav
a M) 288. 119 g rankint
Lone aei Austin) 884.
Töhlein 1090.
Löhning 79,
Löhnis und Suzuki 79,
Lohnstein, H, 1870.
Lombroso 190.
Longu 878,
pez '
Long re) 1608.
Lörensen 663.
Lorenz, Hans (Wi
ien) 1547.
Lorey (Eppendorf 100), 2108.
ovenb
2002 urg, H. (Philadelphia)
Loewe, S. 1085.
Loewenstein, C. 999. —
Walter (Danzig) 145.
Loewenthal 706.
Lowinsky 1474.
Loewy 118. — A. 706. —
A., und J. Plesch 410. —
Julius (Prag) 1464.
Lubarsch (Düsseldorf) 1651.
Lubinus 1006.
Lublinski, W. 499.
Lübs 1244.
Lucas und Amos 668.
Luce 2108.
Lüders (Wiesbaden) 417.
Luedke 463. 464.
Lüdke (Würzburg) und L.
Fejes (Budapest) 797.
Ludloff (Breslau) 668.
Luithlen, Friedrich (Wien)
348.
Lukens 1596.
Lust, F. (Heidelberg) 1684.
1735.
Lux, F. (Rostock) 307.
Luxemburg 1007.
Luys, Georges 583.
Maag 168. — Th. A. 1329.
Maccas 1764.
Macdonald 663.
von Mach 1604.
Madelung, O. (Straßburg)
1993.
Magnus, Georg (Marburg)
2069. — R. (Utrecht) 710.
Magnus-Levy 127.
Magyar, Fr. 1689.
Mahler 365.
Maier 625. — Gottfried
(Freiburg i. B.) 142. —
Hans W. 1718.
Maillet und Gneit 1284.
Maixner 1168.
Makai, A. 502.
Makkas 166.
Makler, K. S. (Zürich) 1428.
Maley (Vilbel) 632.
Malkwitz 2045.
Mallwitz (Berlin) 1763.
Maly, Gottlieb (Prag) 281.
Manasse 497. — Paul 1882.
Mandel 410. — H. 1880. 2071.
Mankiewicz, A. 1395. —
Otto (Berlin) 288. 857.
Mann 76. 1284.
Mantelli, C. 703.
Manulescu 27.
Marchand 671. — Fritz 458.
— und Meyer 1168.
Marcellos 791.
Marcus, C. 416.
Marion 289, |
Mark und Pap 1329.
Markus 2049.
Markuson und Agopoff 663.
Marmetschke (Breslau) 121.
Marr 72.
Martens 425. — Max (Ber-
lin) 1669.
Martin 867. 1640. — A.
1717.
Marx 365. 413.
Masing, E. 838,
Massier 365.
eng: Emil (Wien)
— B., und A. Pilez
ri
Matte 365.
Matthes 2050. — M. (Mar-
burg) 1769.. — Wollen-
weber und Dorsch 1399.
Matthews, H. 204. |
MatzdorfiSchmalkalden)1763.
Mauthner 663.
Mautner (Düsseldorf-Aachen)
1723. |
May, Clarence E. 1126.
Mayer 625. 1640. — (Mün-
chen) 172%. — A. 878.
— M., u. H. da Rocha-Lim-
gabe 8 — O. 1399.
— Theodor (Berlin) 1852.
Mayor, A. (Genf) 1189.
Mc.Clanahan, H. M. 1964.
Mehnert 663.
Meier (München) 1885.
Meinertz 1809. — J. (Rostock)
1502. 1539.
Meisel (Konstanz) 883.
Meißen 1999.
Meißner 959. — und Sattler
959.
Melchior (Breslau) 883.
Mendel, F. 410. — K., und
E. Tobias 204. 497. 1521.
Mendel-Tobias 1474.
Mendelsohn, Ludwig 1557.
Menge (Heidelberg) 1501.
v. Menz, Felix 1127
Menzel 1285.
Menzer, A. (Halle) 311. 798.
Mercklin, A. (Treptow) 1975.
a Louis E. (Hamburg)
Merkel 2008. — H. 1284.
Merle, Emile 663.
Mesernitzky 706. 1880.
Messerschmidt, Th. 2081.
Metzger 456.
Meyer 955. 1472. — A.
1753. — Arthur W.
(Heidelberg) 862. — E.
1253. 1848. — Felix
aenn Berlin) 689.
946. — Fritz 663. — F.,
und Schmitz 1525. — H.
1961. — Hans H. (Wien)
17738. — Karl 1246. —
. — Ludwig 1044.
— Ludwig F. 290.
— 0. 1131. 1926. 2009.
— R. 84i. —-Betz und
n Gebhardt (München)
Meyerhof 27.
Michaud 375.
v. Mielecki, W. 371.
Miklaschewski 498.
v. Mikulicz, J., und W.
Kümmel 582
Milian 1361.
Million, H. 1475.
Milner, J. 124.
Miloslavich, E. 966.
Minami 410.
Mingazzini, G. 661.
Minkowski 966. 1556. 1725.
2007.
Minnich 1330.
Miriel, M. 1284.
Mirowski 1206.
Miyata 287.
Mohr 926. 1369.
Möhring 800.
Moll, Albert 1128.
Moeller, Alfr. 838.
Möller, S. 375.
Momburg 7u3.
. | Mönckeberg, J. Q. 628.
Montenegro 1999.
Monti, R. 1689.
Montigel 57.
Moon 1244.
Moraller, Höhl, R. Meyer 841.
Moravek 244.
Moerchen, Friedrich 380.
Mordhorst (Hamburg) 1846.
Moreau 1596.
Morgenroth 546. 1446. —
und Richard En 412.
Morgenthaler, (Basel)
1533. 1575.
Morian (Essen) 1722.
Moro 1206. — (Heidelberg)
1643.
Morris (New York) 1519.
Mosenthal 1446.
Moses, Bruno 627.
838
Mosler 1801.
Mosse, M. (Berlin) 457, 580.
Motte ce) und "Mery
(Paris) 125
Muck 751. — O0. (Essen)
923.
Mühlhäusler 330.
Mühsam, R. 1565. — Richard
(Berlin) 975.
Mülberger, Arthur 1438.
Müller 703. 838. 1688. 2050.
2088. — (Darmstadt) 1885.
Eduard 1001. — Eduard
(Marburg) 2006. — Her-
mann (Halle) 1739. —
Hugo 868. — J. 539. —
Johannes (Halle) 1965. —
Julias 540. — M. 2081.
— (Metz) 2089. — Ottfried
(Tübingen) 842. — Otfr.,
u. Finckh i801. — Ot-
fried u. E. Veiel 706. —
Otfr. und Eug. Weiss 751.
— Otto (Berlin) 408. —
P. Th., und W. Prausnitz
753. — R. 794. — Reinh.
2082. — R. L., und W.
Dah! (Augsburg) 758.
Rob. 124. — W. (Rostock)
— Leo
1106. 1585.
Mulzer 2088. — P. 583. —
Paul 878. — P. (Strab.
burg) 1392.
Munk 153. — Fritz 452.
1120. 1163.
Münzer (Prag) 842.
v. Muralt 663. — L, 838.
Murray (Minneapolis) 664.
Mutel 287.
Naamö6 663.
Näcke 497.
Naegeli, Otto 1522.
Nagelschmidt 2010.
Nahm 1998.
Nasetti, F. 703,
Nassauer, Max 708, 922. 1872.
Natonek, Desider (Czerno-
witz) 170
Naunyn 1897. — B. 159.
Nauwerck, ©. 1558.
zur Nedden, M. 332.
Neißer, A. 459. — M. (Frank-
furt a. M.) 1621.
Nemenoff 1127.
Nenadovicz(Franzensbad) 842,
1545.
Nerking, J . (Düsseldorf) 284.
Netolitzky, Fritz 1086.
Neu 24i. — und Wolff
751.
Neuberg 1253. — C. 674.
Neuberger 36.
Neubürger, Theodor 87.
Neuhann (Münster i. BE 708.
Neukirch P., und P. Rona
1000.
Neumann, A. (Berlin) 1709.
— dan) 1215.
— Rudolf 2
Neumann - Kia A.
(Wien) 698.
von Neumark 1399.
Neupert 968.
Neurat 421.
Neurath, R. 663.
Neustädter, M., und William
C. Thro 839.
Newbold (Philadelphia) 418,
Newton 1880,
Nicolai (Berlin) 1762. — F.
(Berlin) 859. — Georg Fr.
(Berlin) 322,
Niculescu 57.
Niedem 456.
Niemann, Albert (Berlin) 1624.
v. Nießl-Mayendorf 802.
Nieveling 2083.
Niewerth (Teterow) 1875.
Niklewski 72.
Nippe (Dresden) 1546.
Nitze, Max 289. — Oskar
1964.
Nobécourt (Paris) 2006.
Nobel, E. 1689. — Nobel
(Wien) 1721.
Noegerath, C. T. (Berlin) 1644.
Noeggerath und Salle 1244.
Nogier, Th. 1364.
Nohl((Müllheimi.Baden) 1862.
Nonne 25. 37. 1474. — M.
204.
v. Noorden, Carl ER .
1640. 2045. — und F
706. 2108.
Nordmann, O. 1519. 2090.
Nößke 498.
Nothmann, Hugo 1923.
N othnagel, H. 1598.
Nötzel (Saarbrücken) 711.
Nowak und Ranzel 1640.
Nuel und de Waele 1363.
Nürnberger 716,
v. Ofenheim 118.
Ogata 706.
Oehlecker 374.
Ohm, Reinh. 1801.
Oigaard 159.
Olin 878.
Olivet (N ortheim i i. H.) 2004.
Oeller, H. (Leipzig) 2029.
Olpp 926. — (Tübingen) 1253.
lshausen 752. 1127.
Oltramare und Caraven 839.
e (Paris) 2007.
Onodi, A. 628.
Opitz, E. (Gießen) 2036.
Opp, Osmar 647.
Oppel 703.
Oppenheim, M. (Wien) 123.
328. 985.
Oppenheimer 365. — C..
188
— Hans 2046.
Oppikofer 2086.
Orkin 1168.
Orlowski 1599.
Ország, Oskar 118. 1880. 20892.
Orth 845.
Oertel 413. 1717.
Ortner 751. — Norbert 1521.
Oseki 999,
Oser, E. G. 1247.
Ostali 74.
Oesternes 456.
Oestreich, R., u. O. de la
Camp 838.
Ostrowski 1244.
Otten 751.
v. een 209. 708. —
(Berlin) 718.
von Oettingen, W. 1845,
Otto, E. (Jena) 991.
von Oy (Elberfeld) 1991.
Poderstein 422,
Page 663. — Charles M.
596. — C. M., und S. G.
Mac Donald 708.
Pagenstecher 376. — Alexan-
er (Braunschweig) 889,
rs 1092. 1218. — Ernst
u J. Di 2022,
Palmer, Fin diey (Omaha) 2082.
Paniewski (Posen) 1126.
XXX
Pankow 1640.
. 798.
Panuz 1285.
Papanagiotu 663.
Pape 791. 1640.
— u. Krönig
Pappenheim 1126. — A.
1809. — A., u. J. Plesch
1133.
Paremusoff 1126.
Pascheff 1126.
irre R., und F. Necker
Pawlicki, F. (Bonn) 1738.
Pawlow, G. A. 1208.
Payne (Norfolk) 626.
Payr 124. 505. 927. 1688.
— E. (Leipzig) 925. 1962.
2012. 2086.
Pechowitsch 24.
Peiper, Erich 1330. — Erich
Grm 256. 298. 387.
Peirce 1327.
Peiser, J. 1168. 1844. 2082.
Pels-Leusden 457. — (Greifs-
wald) 1106.
Peltesohn, Siegfried (Berlin)
287. 919. 1327. 2043.
Penford, W. J., und E. C.
Hort 414.
Penkert 2049.
Peretti, J. (Düsseldorf-Grafen-
berg) 1857.
Peričić, B. (Zara) 1890.
Perthes (Tübingen) 1547.
Perussia 456.
Pesci, G. 1843.
Peters 1008. 1971. — A. 1437.
— Ernst 1843. — (Halle
a. S.) 549.
Petersen (Frankfurt a. M.)
541. — Carl (Lehe) 1664.
— (Leck) 676. — Matthias
(Leck) 1134.
Petersohn 633.
Petry (München) 1726.
Petzold (Berlin) 925.
Peusquens ae 22. 408.
1208. 163
Pezzi es
Pfähler 1597.
Pfalz, G. 1558.
‘ Pfannenstill, S. A. (Malmö)
580.
Pfeifer 242.
Pfeiffer 1524. — (Düssel-
dorf) 76. — Emil (Wies-
baden) 1115. |
Pfister 57.
Pilanz, E. 29.
v. Pfiugk 462.
Philippi 1998.
Phillips, C. H. 1519.
Piccardi, G. 1287.
Pichler 1689. .
Pick 410. a — Alois
(Wien) 76
Pickenbach (Berlin) 487.
Picqué, L. 1843.
Piel 2000.
Pilez 73. — A. 1363. —
Alexander (Wien) 644.
Pinkus, Felix (Berlin 41.
327. 700. 744, 796. 1084.
1206. 1361.
Pinzani, Gino 1246.
Piper, H 84. 1481. 1680.
von Pirquet, C. (Wien) 1684.
Placzek (Berlin) 11. 60.
Plagemann 716.
Plaschke, S. 254.
Plate 874. 1441.
Plehn 498. 884. — A. 422.
Plenz 968. |
Plesch, J. 410. 706. — und
‘Karczag (Berlin) 758.
Ploeger 1327.
Piönies (Hannover) 883.
Podzahrradzky, Otto 1474.
Pohl 1044. — J. 1046.
Pöhlmann, A. 205.
Polák, O. 663.
Polano (Würzburg) 1726.
Poljakoff 1169.
Pollak, L. und H. Januschke
127. — R. 1689.
Pollatschek, A. und A. Char-
matz 1924.
Pollitzer, H. 1370.
Polya 924. — Eugen (Buda-
pest) 1962,
Pólya, E. 296.
Polyák, L. 40.
Pontius, D. (Nervin) 1596.
Popielski, L. 708.
Popoff 1801.
Poppen 246,
Port, G. 962. — u. Akiyama
669. — F. (Göttingen) 797.
Porter (Fort Wayne) 414.
Portner, Ernst (Berlin) 238.
282. 1167.
Posner 289. — H.L. (Heidel-
berg) 1970.
Pospischill, Dionys und Fritz
Weiß 709.
Possek, R. 542:
Posselt, A (Innsbruck) 69.
201. 1589.
Pottenger, F. M. 118.
Pradella 1640.
Prašek und Jatelli 663.
Preiser 1047. — G. 458.
—- (Hamburg) 2010. —
Georg (Hamburg) 981.
Preuß, Julius 1211.
Preysing 1686.
Prigge 1400.
Prince (Birmingham) 2082.
Pringsheim 369. — Hans
(Berlin) 71. 72. 411. 1245.
1842. 2079. — J. 2049.
ETOK (Soden) 883.
ym, 0. (Bonn) 883.
Puporae a) 518.
1629
Purjesz und Perl 1964.
Pürkhauer 1969.
Aa (Warschau)1235.
4
Pütter, August 1004.
Putzig 1168.
Quadflieg, Leo 2080.
Quensel (Leipzig) 434. 753.
de Quervain, F. (Basel) 293.
710. 921. 925. 1105.
Queyrat 1361.
Quincke 1331.
| Quiring 456.
Raabe 1206. 1247.
Rabe 2088,
| Raecke 78. 497. 790.
(Frankfurt a.M.) 865. 1456.
Radcliffe, J. A. D. 1363.
Ramsauer und Caan 410.
ee (Münster) 1702.
Ranke 1997. — Johannes
248. — Karl 838.
Rankin und Pryce 663.
Ranschoff, Louis 703.
Ransome und Corner 663.
Rapin 119.
Roschofszky, W. (Wien) 830.
Rasmus (Bukowitz) 1604.
Ratkowski, L. 1566.
Rautenberg, E. (Berlin) 568.
Ravant, P. 1284.
Rave 335. — Werner 960.
Regenstein, Hans 1246,
Regnault 663. — und Lepinay
287.
INHALTS-VERZEICHNIS.
Rehfisch 158.
Rehn nn — (Jena) 759.
. (Frankfurt a. M.)
Reich, Josef 369.
Reiche 456. 1640. 2108.
Reichmann 25.
e Kar) (Bonn)
569
Reifferscheidt 1435. 1765.
Reimann, Th., und P. G. Unna
1319.
Reimers (Osnabrück) 194.
Reinecke, W. 333,
Reiner 1446.
Reinhold, Wilhelm 2081.
Reinike, E. 1130. — Elisa-
beth (Berlin) 1997.
Reiß 1291. 1687.
Renner (Breslau) 784.
Renterghem 1963.
Renvers 1327.
Rethi 1753.
Retzlaff 297. — K. 710. 757.
797. 842. — Karl (Berlin)
1554.
v. Reuß, A. (Wien) 1684.
Rheinboldt, M. 706. — und
Goldbaum 158.
Rheindorf 801.
Rheins (Neuß) 1159. 1255.
Rhese 1680.
Ribbert 1291. — Hugo 204.
— Hugo (Bonn) 1981.
Richartz 1206. — H.L. 879.
Richet und Saint Girons
707.
Richter 375. 1285. 1753. —
Paul 74. 130. 339. — Paul
(Berlin) 1010. 1050. —
Paul Friedrich 330. 368.
578. 633.
Ricker, G., und W. Knape
(Magdeburg) 1275.
Rieck 922.
Riedel 497. — (Jena) 799.
Rieder 456. — H. (München)
710.
Rieländer 1640. — A. 1472,
Riese, Heinrich (Groß-Lichter-
felde) 1670.
Rietschel. Hans (Dresden)
517. 560. 602. 1567.
Riff, H. 1369.
Rihl 158. 1801. — J. (Prag)
842.
Rue 251. 252. 760.
— W. 456.
Ringleb, O. 289. 634. 2010.
Risel, H. (Leipzig) 1684.
Risseeuw 878.
Rissmann 1247.
Rissom (Mainz) 439.
Ritschl] 1881. — A. 28.
Ritter, C. (Posen) 1105. — G.
(Berlin) 1236. — Hans 540.
1477. — (Posen) 924.
Roberg (Münster) 1643.
Robertson, W. S. 28.
Rocaz 246.
Rock, Hans (Wien) 454.
Rodari 118.
Rodenwaldt 926.
Röder 2001. — H. (Eiber-
feld) 842,
Rohde 625. 1168. — Max
(Zehlendorf) 2062. 2098. —
Erwin, und Ogawa 1801.
Röhl (Elberfeld) 883.
Rohleder 1681. — H. 459.
— Hermann 796.
Röhmann 1764.
Rohmer 1801. — 2 1684.
v. Rohr, M. 289
Rohrbach 1001.
Rolleston 663.
Rollier 921. — (Leysin) 1685.
Rolly 295. — Fr., und K.
Kühnel (Leipzig) 556.
v. Romberg 1880.
kombers, Ernst 1168. —
und Otfr. Müller 1168.
Roemer, Paul H. 331.
Römer 715. 1047. 1480. 1607.
1997.
Roemheld (Schloß Hornegg)
569
Römheld 1168.
Rona, P. 587. 588. 674. 999.
1448
Ronbitschek, R. (Karlsbad)
948
Rood, Felix 159.
a Edvin (Helsingfors)
Roepcke (Jena) 925.
Roepert 801;
Roepke, O 1756. — (Barmen)
1762.
Roerdansz, Walter 1286.
Rosanoff 539
Röse 58.
Rosenberg 588. — Josef
1170. — (Berlin-Friedenau)
1986. — = (Berlin) 1713.
1749. 1839
Rosenblum 1125.
Rosendorff und Unna 1556.
Rosenfeld 1005. 1253. 1844.
— und E. Gilg 1009.
v. Rosthorn 1640.
A. Fränkel 1640.
Roth, E. (Halle a. S.) 465.
— L. (München) 107. —
Paul B. 29.
Rothermundt, M. 65.
Rothmann 1291. — M. 673.
1726. 1727.
Rothschuh, E. (Aachen) 1314.
er en 1884.
Rotter 335.
Rouget, M. (Paris) 35.
Rousset und P. Puillet 204.
Rubesch, R. 1961.
Rabin 1519.
Rubow und Sonne 1168.
Ruediger, Dez mn
stadt) 469. 1522
— und
— Fritz 663. — G. 1603
2008. — M. 371. — M.
(Straßburg) 1784.
Rosenhaupt ir — (Frank-
farta M.} i
Rosenkranz B
Rosenmeyer 1887.
Rosenstein 1255. — (Berlin)
.. 843.
Rosenstern, J. 1254. — Iwan
1753.
Rosenthal 1005. — A. 1556.
— Felix 1046. — und
Josef Severin 1764. — O.
1287. — (Berlin) 1101.
Rosin, Heinrich 961.
Roskin, Marie (Petersburg)
539.
Rösler 927.
Roß 242.
Rost, E. (Berlin) 129. — G.
1848. — (Heidelberg) 925.
Rudas 1716.
Rüder 878.
Rüdin und Kundt 790.
Rugari 365.
Ruge, R. 84. — R., u. M.
zur Verth 1402.
Ruhemann, J. (Berlin-Wil-
mersdorf) 486
Ruehle, H. 838.
Rumpel, O. 634.
Rumpf 1829. — E. 838. —
(Bonn) 1815.
Rundström 1285.
Runeberg 118.
Runge 1435. — Ernst (Ber-
lin) 1107. 1474. B.-H. 12.
Ruppin 1604.
Rupprecht 157.
Rusca 663. 1284.
Russel (Washington) 2046.
Rutherford, E. 30. — Mo-
rison 498.
Rütimeyer, L. 2086.
Ruttin 3865. — Erich 1559.
I raoi G. St. (Toronto)
Saalfeld, Edmund (Berlin)
735. 1881. 2089.
Saccone 1287.
Sachse 57.
Safranek 1753. — J. 1214.
Sahli 118. 657. 1168.
Salkowski 665.
Salkowsky 1126.
Salle 337.
Salomon, O. (Koblenz) 664.
Salus, Gottlieb (Prag) 1855.
Salvini 1681.
—- (Wien)
Salzer, Fr. 371.
883.
Salzmann, Maximilian 629.
Sameh Bey 792.
Samson, J. W. 1849.
Sandelin (Helsingfors) 74.
Sanders, D. Herbert 1001.
de Sandro 119.
Saenger 1525. — M. (Magde-
burg) 944
Sarbo 26.
v. Sarbö, A. 661.
Sarnizin 456.
Sasse und S. Auerbach 1606.
Sattler 1596,
Sauerbruch (Zürich) 798.
F. k und E. D. ‚Schumacher
Sauermann (Merzig) 280.
Saugmann 838.
| Saul 1370.
| Schade 375. 1327.
882.
Schäfer 243.
Schaefer, P. 1169.
Schaffer, K. 661.
Schaeffer 420.
Schasse 508.
Schaumann 74.
Schauta 161. 1640. — F. 877.
Scheel II 1008.
Schof 57.
Scheffen 1213,
un. 335.
Schelble, H. (Bremen) 1685.
Schellong, O. 161. 1902.
Schenck, Ed. (Frankfurt a. M.)
757. 1147.
Schenck, F. 1363,
Schendell 1604.
En 706. 1284. —
‚Emil 663. — Emil (Halle)
1401. 1748.
Scherer 27. 419.
Scherf 1285.
Schern, Kurt 2080.
Scherwinzky, Bonaventura
(Dalldorf-Berlin) 62.
Scheuer, Oskar (Wien) 328.
Scheunemann 1253.
Schick (Wien) 1643. |
Schickele, G. 589. — G.
(Straßburg) 1262.
Schieck 294.
Schick, Béla 381.
Schieß, H. 1882.
Schilling, C. 926. — Claus
86. — V. (Torgau) 1305.
vV. chi D Torgau
1125. ir, u
— (Kiel)
N. rl
ler: E p
en
pP“
„m
i
EG R
Schindler, Carl 2083.
Schirokauer 1206.
Schittenhelm, A., und W.
Weichhardt 1599.
Schlagintweit, F. 289.
Schlayer, Tübingen 882. B..
H. 9.
Schlecht (Kiel) 842.
Schlee 1089. 2108.
Schlenzka, A. 1249.
Schlesinger 420. 456. 1801.
— Arthur 703. 2052. 2109.
— Arthur (Berlin) 1746.
— Emmo (Berlin) 1097,
— Erich 997. — H. 661.
1511. — Hermann (Wien)
140.
Schlichting, R. (Berlin-Rei-
_ niekendorf) 1316.
Schlieps 668. 1244.
Schlimpert 1472. 1640. —
Hans, und Karl Schneider
1472
Schloffer (Prag) 1159. 1628.
Schlöß 790. |
Sch!oßmann (Düsseldorf)1685.
Schmey 1049. |
Schmid 243.
Schmidt 412. 586. 1246. —
Ad. 1328. — E. A. (Bonn)
1724. — H. E. 1084. —
Hans 1558. — H. (Karls-
ruhe) 1548. — M. B. (Mar-
burg) 964. — R. (Inns-
bruck) 595. 1485. — und
Wagner 1717.
Schmiedeberg 1246.
Schmieden (Berlin)
1761
Schmiedt, W. 504,
Schmiegelow 365,
Schmilinsky 37.
Schminke 1525.
Schmitt, Artur 879.
Schmitz-Pfeiffer 886.
Schmorl, G. 709.
Geißel 1640. -
Schmuckert, Karl 625.
Schnee 1965.
Schneickert 1963,
Schneider, P, 1244, — Victor
N Da) 1412. _
chnitzler. J. 988. — (Wien
843. 1547, en
Schob 502,
Schoeller, Walter u. Walther
Schräuth (Berlin) 1200.
en W. (Königsberg)
Scholz 376. 1887.
Schönberg 2086.
Schöne, G. 1170.
Schönfeld, Rich, (Schöneberg)
Schoenhals 26,
aoit Ed. 751. 1801. —
ihelm (Groß - Li E
falde) N roß - Lichter
N ;
ran, Walther (Berlin)
Schreiber 671. — F, (M
.—E de-
burg) 751. — G Ge ö
Srrooder 167.
« — Kurt 1597
Schubert, Joh
walde) sie. en
Schüle, A. 429.
Seemann, Werner 966.
"ptler und Rosenberg (Ber-
5 n-Friedenau) 1986.
y ‚Bad Heviz) 1849.
Sehne ee A,
Multheß (Zürich) 667
Sehultz, J. H. (Chemnitz)
en Werner (Char-
onburg-Westend) 1128.
1092,
— und
. | Siebert 884.
Schultze 584. 1831. — Ernst
(Greifswald) 1936. 1978.
— (Duisburg) 1760. 1762.
— m Stursberg (Bonn)
1805.
Schulz 1998. — (Barmen)
1721.
Schumacher, E. D. 248.
Schumberg 627.
Schuppius 955.
Schurig (Berlin) 2102.
Schurupow 246.
Schuster (Chemnitz) 58. —
P. 706. — Paul (Berlin)
1693.
Schütte, Christoph (Gelsen-
kirchen) 2065.
Schütz, Julius (Marienbad)
1654. — (Wien) 883.
Schütze, Carl (Kösen) 1886.
Schwalbe 421. 1008. — Ernst
500.
Schwartzkopf 1809.
Schwarz 456. 2009.
. 672
1802.
Schwarzkopf 1961.
Schwarzwäller 1926.
Schweden 1095.
De Schweinitz 413.
Schwenke, Johanna (Berlin)
1643
Schwenter, J. (Bern) 757.
Scott 1126. — Thompson
und Hydrick 1126.
Seelmann 248.
Sehrt, E. (Freiburg) 1960.
Seidel 790. — (Dresden)
924.
Seidl, Friedrich (Wien) 797.
Seiffert, G. (Bremen) 358.
Seige, Max (Dresden) 25. 789.
953. 1754. — (Parten-
kirchen) 1920.
Seitz, L. 838. 1681. — (Er-
langen) 1628.
Selig, Arthur (Franzensbad)
1.
Seligmann, E. 412.
Sellei 22. — Josef (Buda-
pest) 1837.
Sellheim, H. (Tübingen) 1603.
1709.
Semmelweis, Ign. Phil. 1402.
Senator, Max 297. 802.
Serbski 81.
Serog, Max (Breslau) 1918.
Setz 541.
Seufferheld, Friedr. 888.
v. Seuffert 715.
Severin 1764.
Sewell (Lindley) 663.
Seyberth, Ludwig (Groß-
Lichterfelde-West) 279.
Sheffield (Neave) 1168.
Shepherd 1596.
Shursberg 25.
Sichel 2008.
Sick, K. 682. 7832.
Bub 1801. — (Heidelberg)
Siebelt (Flinsberg) 828.
— Kurt 1472.
— Kurt (Magdeburg) 1945.
— (Salzuflen) B.-H. 6.
Siefart 625. — G. (Char-
lottenburg) 881. i
Siefert 790.
Siegel 1605.
hall) 752.
Siegert, W. 706.
Diel 1244.
Siemon (Kottbus) 499.
iems 791.
Sigalin 24.
Sigmund, Fr. 1086.
Sigwart, H. 412.
Be
— und Novascinsky
— (Reichen-
Tr Es gr na ae re ee nn zes nu Fe Mr es m la Me ne a a sehr rn nn Fer
INHALTS-VERZEICHNIS.
Silberberg 2049. —
(Berlin) 1664.
Silberstein 2010.
(Berlin) 2085.
Da Silva 926.
Simmonds 886. 1640. — Otto
(Frankfurt a. M.) 1832.
Simon 663. 1178. — H. 1170.
1961. — Julius 205. 665.
— Oscar (Karlsbad) 1330.
— (Nürnberg) 1726.
Simons, Gustav 1846.
Singer 1474. — 6.1091. —
G. (Wien) 757. 893. —
Gustav 1209. — Gustav
(Wien) 1940. — Kurt
(Berlin) 116. 495. 620. 996.
1472
Sippel 1218. — Albert 961.
1208
Sittig, O. 1284.
Sitzenfrey 1640.
Sitzler, K. 1753.
Sivén (Helsingfors) 793.
Skljar 82.
Skoff, Th. 502.
Skörczewski 1636.
= und J. Sohn 1329.
Slawyk 1281. 1322.
Smith 1596. — und Brown
663.
Sobernheim, G. 1133. — und
. Blitz 1285.
Max
—, Adolf
— W,
Sobotta 2000. — E. (Gör-
bersdorf) 457.
Söchting, Erhard (Berlin-
Wilmersdorf 930. 1095.
Sodemann, R. 1844.
von Sohlern jun. (Niederlöß-
nitz) 1541.
Sonnenburg 2089.
Sonntag, A., und H. J. Wolff
1641.
Soper (St. Louis) 290.
Sorge 210.
Sorgo, Josef 1803.
Sormani, B. P. (Amsterdam)
1593.
Spalteholz, Werner 1249.
Spanier, Julius (München)
1199
Spartz 706. 1880.
Spengler 2000.
Sperling, Arthur 1924.
Spielmeyer (Freiburg) 1.087.
Spier 1801.
Spieß, G. (Frankfurt a. M.)
580.
Sprengel 799. — (Braun-
schweig) 883. 925.
Springels, H. 1370.
Ssokolow 1244.
Stadelmann E., Berlin 2105,
Sa und Magnus-Levy
127.
Stadler, Ed. (Leipzig) 158.
365. 749. 1517. 1798,
Staehelin, Willy (Zürich) 994.
Stähelin und Schütze 1251.
Stanculeano 1596.
Starck, Hugo 76. — (Karls-
ruhe) 757.
v.Starck 714. 715. 2057.
Stargardt 38 und Oloff 2082.
Stark, Nathan (Neuville) 1802.
Starkloff 2000.
Stäubli, Carl 538. 2086.
Stegmann 35. — A. 578.
Steiger, M. 1088. — Otto
1718. — Otto (Zürich)
655. 1746.
Stein 365.
365.
Steiner 1753. 1849.
Steinhauer (Seligenstadt)
1171. 2072.
Steinitz, Ernst (Berlin) 1834.
— und Fellner
Steinmann, Fritz (Bern) Be-
Stekel, Wilhelm 758.
Stempel und Kollmann 541.
Stenger 1285. — (Königs-
berg i. Pr.) 1181
Steffenhagen 1678.
Steffens 1880.
Stephan (Ilsenburg a. H.) 527.
1871
Stepp 497. — W. (Gießen)
883
Stern 242. 1640.
Sternberg, Max (Wier) 842.
Sternthal 418.
Stertz 1764. — (Bonn) 133.
Stettiner, Hugo 1001.
Stettner, E. 1171.
Steudel, H. 1368.
Ziemann 925.
Stevens und Withers 72.
en Armin (Kleinen)
7
Stich 670, — R. (Göttingen)
1669 i
Stickel, Max 2010.
Sticker 170. 1295. 1809. —
(Berlin) 712.. — Anton
(Berlin) 1266.
Stiedar, A., und P. Zander
(Halle a. S.) 479.
Stier 955.
Stierlin 456. 497. — (Basel
758. |
Stoeber 586.
Stock 27.
Stöckel 1472. 1807. 1887.
Stoeckel (Kiel) 1585.
Stockmayer 1284.
Stoffel 497. 668.
von Stokar (München) 1910.
Stolpe (Hamburg) 445.
Stolz 420.
Stonkus, J. K. 120.
Stoerk, Erich (Wien) 1297.
Stoerver, P. 1843.
Strachow 413.
Stradiotti 664.
Strasburger 706.
Straßbdrger 410. — J. 1046.
Strasser 22. |
Strassmann 878. 1284.
Straub, Hermann 158. —
W. (Freiburg) 1602. —
W., Zehbe und Hans
Schlimpert 1329.
Strauch 584. 1407.
Straus, H. 1409. 2106.
Strauß 665. 1206. 1556. 1565.
— H. 665. 707. 1556. —
H. (Berlin) 728. — E.
(Frankfurt a. M.) 579. —
und Brandenstein 456. —
Siegfried (Hersfeld) 904.
Stroganoff 878.
Strohmayer, W. 1521.
Strong und Teagne 664.
Strotford 78.
Strörer, W. 541.
Strübe, Karl (Köln) 883.
Strubell 462. — A. (Dres-
den) 1230. — Alexander
(Dresden) 1430.
v. Strumpell 707.
v. Strümpell 927.
Strümpell, A. 1521.
Stubenrauch (München) 888.
Stuber, B. 1556.
Studeny 1247.
Stümpke, Gustav 540. —
Gustav, und Erwin Brück-
mann 540.
Stursberg 548. 1168. 2007.
— H. (Bonn) 520. 1805.
Stürz 79.
Stüsser, F. 1962.
— und
XXXI
Sugi, K. 1961.
v. Sulschinsky 1880.
Sultan 545.
Sulzer und Chappe 959.
Sumita, M. 1962,
v. Sury 119.
Süssenguth, Ludolf (Altona)
987.
Suter, F. 1331. ,
Sutton, R. L. (Kansas City)
328. |
Suzuki 72.
Svenson, N. A. 246,
Szécsi 25. — Stephan (Hei-
delberg) 1162. 1466.
Szili, E. 373. |
von Szily, Paul (Pest) 1868.
von Tabora und Tilp 168.
Tachau, Paul 1753.
Tait, Arthur Ed. (Chelten-
ham) 204. Ä
Takata, Koan 838.
Takehiko-Tanaka 999.
Talma 456.
Tamms, W. 923.
von Tappeiner, H. 1004. 1961.
Taube (Leipzig) 1884.
Tauber 73.
Tauffer, W. 121.
Taussig 296. — St. Louis
2082.
Tavel 1557. |
Taylor, William 1640, —
J. G., und K. V. Trubshaer
(Chester) 664.
Teichinger 72.
Teilhaber (München) 1603.
on 2082.
eissier et Arloing (Lyon
1212. E Aon)
Terrien u. Bourdier 1284.
Terson 792.
Tessier 664.
Theilhaber 125. — A. 625.
Thielemann 1563.
Thiemich (Magdeburg) 2007.
Thost 629.
Thudichum 1327.
Tièche 1208.
Tiegel 251.
798.
Tietze 78. 333. 414. 1562.
2049. — (Breslau) 1105.
Tigerstedt, Robert 331. 961.
Tiling 1565. |
Tilke, Max 542, RES
Tilmann (Köln) 1721.
Eule, R. H. (Leipzig)
— (Dortmund)
Tilman (Köln) 758.
Tilp, A. 1171.
Timberman 1596.
Tischer, Hugo (Berlin) 782.
Titowitsch 365.
itus, Hermann 1329.
Tivnen (Chicago) 1682,
Tixier, Léon (Paris) 2005.
Tobler 1212.
von Tobold 962.
Toby-Cohn 423,
Tojbin (Berlin) 442.
Tollens 585.
Tomaschny 118.
Tomaszewski 1195,
Tomes 56.
Tornai, J. 1214.
v. Töth, St. 717.
Touton 540. 1987.
Traube 1371.
Trautmann 1985.
fried 415.
Treber, EH. (Berlin) 1838.
head: Ernst (Leipzig)
Trétrop 791.
Sudhoff 376. — Karl 1967. | Treupel 1173,
— Gott- -
EE p
ee ie
mc —
u nen nn nn nn =
XXXII
INHALTS-VERZEICHNIS.
Trillmilch 800.
Trinchese 1670. 1746.
Trinchese (Berlin) 404.
Troisfontaines 1361.
Trömner 503. 1292.
Tscheboksaroft, N. 246.
Tschlenoff 2105.
Tschmarke 840. — (Magde-
burg) 883.
Tsiminakis und Zografides
(Athen) 1923.
Tsuzuki 926.
Tunicliff, Ruth anche) 2001.
Turban, K.
Türk, W. Te
Turner 57.
Tysou, James 29.
Uffenorde 543. 791.
Uhland, Gustav 1246.
Uhlenhuth 539. — H. 1646.
— Paul (Straßburg) 1496.
Uhthoft 1089.
Uibeleisen 24,
Ulriei 1999. |
Umber 78. 967. — F. (Char-
lottenburg) 322. 1055.
Ungar 166.
Unger 2090. — Ernst 1409.
— (Berlin) 1993.
Dizere 1678.
Unna, P. G. (Hamburg) 951.
1319. — P. G. und W.
Tamms 923. — W. 37 .671.
Urstein, M. 1087. 1210.
Valentin 365.
Vaucaire 581.
Veiel 751. — Theodor und
Fritz2085. — und Zahn 24.
Veit 878. 1476. — J. 881.
von den Velden 751. 838.
u i Velden (Düsseldorf)
van Velzen (Thoden) 758.
' Veraguth, Otto 248,
Vers 1090.
zur Verth, M. 1402.
(Kiel) 1761.
Verworn, Max 1598.
Vidal 1286.
Viereck 337.
Viernstein 790.
Vierordt, H. 1966.
Vigot 1984.
Virchow, Hans 329.
Vogel 71. — Willy 921.
(Dortmund) 1760.
——
Vogelweidt 546.
Vogt 243. 1244. — A. 1330.
— Emil 8330. — H. 663.
1369. — Hans 1717. —
—
— (Straßburg) 2007.
H. (Wiesbaden) 607. 669.
und R. Bing 2003.
— und Jaffé 1716.
Voigt 243.
Voisin, Roger 1284.
Voit, W. 1556.
Voituret 1886.
To (Heidelberg) 924. —
Vollert, R 1682.
Vollmer,E. (Kreuznach) 1809.
Völtz, W. (Berlin) 69.
Voorhoeve, N. 1682.
Vorberg, Gaston 1211.
Vörner 1208.
Vorschütz (Köln) 1721.
Voss, Julius (Leopoldshöhe)
1910. . 290.
Wachtel 1437.
Wahi, Adolf (München)
Wagner, G. (Berlin) 1967.
Wagner u J Jauregg 21.06.
Walker, H. F. B. (Kapkolo-
Waelsch 967.
Walter 1881.
Walther, F., u. O. Rigler 1559.
Walz (Stuttgart) 964. 965.
Wangerin, W. (Königsberg
i. P.) 286. 858. 528. 748. |
838. 1791.
Warrington, W. 1284.
Warschauer 1284.
Warschawsky 23.
Warthin 1244,
Wassermann, Maximilian 368.
v. Wassermann 582.
Watt, James (Aberden) 1681.
Wätzold 212. 507.
Weber, A. 1843. — Adolf
1209. — Franz 840.
u. v. Bergmann 456.
und Dieterlen 1678.
und Stefienhagen 1678.
und Wirth 751.
yan. Sn 1208.
un (Düsseldorf) 752.
—
—
nn
Weekers 27.
Weibel, W. 377.
Weichert 2049.
Weichhardt, W. 1843.
Weidenbaum (Neuenahr) 883.
Mn (Straßburg i. E.)
887. 928. 968.
W igent 1596.
va melden) 1131.
2 — und Kafka
Weiland 158. 1888. — W.
(Utrecht) 757.
Weile (Bad Elster) 842.
Weinmann, S. 1472.
Weiß 24. — Eduard 923.
— Karl (Wien) 619.
Moriz, und Alfred 1844.
— Q. 1717.
Weißmann, R. 879.
Weißwange 35.
Weiß M., Wien 2095.
Weitz 159. — (Hamburg)
192. — W. (Hamburg)
1072.
Welda 663. — (Berlin) N
Wenckebach 1253.
844. 1479. — K. F. m
Wendel (Magdeburg) 758.
Wendenburg, K. 661.
Werndorff (Wien) 7 13,
Werner, Johannes 1845.
R. (Heidelberg) 1160.
— R, und St. Szécsi
(He.delberg) 1466. — u.
Caan 706.
Werner-Bedburg 878.
Wertheim, Edmund (Breslau)
431. 475.
Wertheimer-Raffalovich 118.
Werther (Dresden) 328.
Werzberg 1126.
Wesel (Kopenhagen) 627.
Wessely 463. — K. (Würz-
burg) 758.
en John, . und Kolmer
| Westhoff (Münster) 1762.
Westmann 72.
Westphal 1291. — A. (Bonn)
604.
Wettstein, Albert (St. Gallen)
198. 239. 701. 745. 872.
1469.
Wetzel, A. 1001.
Wexberg, Erwin 1963.
Weygandt 625. — W. (Ham-
burg) 91. 137.
Weyert 955.
Whnaton, C.L. 118.
Wicherkiewiez 578. 1716.
Wichern 158. 1801.
Heinrich (Leipzig) 900.
Wichmann, P
Widal 578.
Widmer 1636.
Wiegemann 578.
Wiener, Emerich (Budapest)
1029.
Wiest, Anna 1289.
Wieting 57.
Wiewiorowski (Breslau) 185.
de Wild und Mol 72.
Wilde (Kiel) 1250. 1289.
Wildenrath 157.
Wildt(Andernach) 1364.1403.
1438. 1522. 1559.
Wile (New York) 1964.
Wilke 1645.
Willaume-Jantzen 365.
ur Otto (Braunschweig)
| —
333.
Willner (Berlin) 1762.
Wilmanns 625.
von Wilmowski (Berlin) 1885.
Wan (Heidelberg) 798.
Wilson 497. — Thomas 119.
Winsch (Berlin) 1846.
Winter 671.
Winternitz 1474. 2047.
H. 960. — (Halle a. S.)
614. — Wilhelm 1002.
Wirths 1809.
Wirtz, Robert (Düren) 108.
Wißmann 1090.
Witmer 921.
Wittgenstein 1645.
Wittmaack 1923.
Witzel, Oskar (Düsseldorf)
‚Wolfer 1168. — Leo 1286.
— P. (Basel) 1581.
Wolff 1131. 1253. 2045.
A., und P. Mulzer 1400.
— Walter (Berlin) 112.
— und Osmar Opp 647.
— (Griesheim) 1213.
Hans 1169. — (Reibolds-
grün) 798. — Walter
1804.
Wolff-Eisner, A. 118. 1880.
— und Ingenieur Voigt
- 1870.
Wolfram, J. 2084.
Wolfsohn, G. 423. 1849.
Wollenberg 633,
Wollstein, Marta 663.
Wolpe 247. 1127.
Wolter, F. 1043.
U Sims (Cambridge)
Wrede O a 1760.
Wulffen l
a ST H. (Berlin) 910.
Würtz 1688.
Wyder (Zürich) 1500.
Young 792. — Simon J.
703.
Zahn, Kurt a) 1913.
Zalewski 2001.
— P. (Halle
Zander, C. 637.
a. 8.) 479.
Zangemeister 1247. 1252. —
W. 368. 878. — (Mar-
burg) 1629.
Zappert, J. 1688. — Julius
(Wien) 229. 2006.
Zarfl, M. 1689.
Zdanowitsch 30.
Zehner, L. (Wien) 1504.
Zesas, Denis 1002.
Ziegenspeck, Rob. (München)
1742.
Ziegner, H. 291.
Ziehen 790. Ä
Zieler 81. — Karl (Würz-
burg) 219.
Ziemke (Kiel) 508. 547. 589.
625. 635. 675.
von Ziemßen 500.
Zimmer, . Arthur (Wien)
1025
Zimmern u. Cottenot 2083.
Zinßer 878. — F. 1402.
Zipperling, Wilhelm 2082.
Zoja 1125.
Zondeck (Berlin) 924.
Zoeppritz 878.
— (Göttingen) 451.
Zuelzer, G. 1169.
Zuntz 1686. — N. 587.
Zurhelle 1765.
Zweifel 671. 1174. 1292,
Zweig, Alexander 1681.
W. 370
Zweythurm, Max (Graz) 527
. 626.
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VIII, Jahrgang.
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edizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
1. Juli 1912.
Nr. 27 (396).
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin l Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: A. Elschnig, Der gegenwärtige Standpunkt in der Therapie des Altersstars. O. Rosenthal, Die Massage der Haut-
krankheiten. Umfrage über die Entkapslung der Niere bei akuter und chronischer Nierenentzündung. Antworten von: Kümmell, P. Friedrich,
de Quervain, C. Ritter, Tietze, W. Kausch, Bardenheuer,'A. Neumann, W. Müller, J. Israel, E. Enderlen, Witzel, H. Küttner, Pels-
: Leusdon, Anschütz. E. Runge, Konservative Behandlung der Uterusmyome mittels Röntgenstrahlen. W. Krebs, Wassermann und Therapie der
Spätlues. O. Daude, Ueber konservative und operative Behandlung der Frauenkrankheiten im Bade. E. Pfeiffer, Die Einwirkung von Thermalbadekuren
auf den Diabetes mellitus. H. Liefmann und A. Lindemann, Die Lokalisation der Säuglingssterblichkeit in Berlin und ihre Beziehungen zur
Wohnungsfrage (Fortsetzung). F. Hoppe, „Tanargentan“ als Antidiarrhoicum. A. E. Lamp6, Die biologische Bedeutung der Thymusdrüse auf
Grund .neuerer Experimentalstudien. — Aus der Praxis für die Praxis: Hoffendahl, Zahnheilkunde: Kieferbruchverbände. — Referate: F. Munk,
Fortschritte der Serumtherapie der letzten fünf Jahre. W. Schultz, Arbeiten aus dem Gebiete der Hämatologie 1911. — Diagnostische und the-
rapeutische Einzelreferate: Die Ueberleitungsstörungen und der Adam-Stokessche Symptomenkomplex. Verdacht auf Simulation einseitiger
Taubheit. Pentosurie.. Phosphorwolframsäure. Das klinische Bild und die Therapie des Ergotismus. Künstliche Trommelfelle aus Gummischwamm.
Jodanstrich. : Pruritus ani mit Mesotan behandelt. Spezifische Behandlung der Lungentuberkulose. Röntgentherapie der Fibromyome und der uterinen
Blutungen. Luminal. Einwirkung des organischen Phosphors (Phytin). - Entfernung der Tonsillen durch digitale Enucleation. — Neuerschienene phar-
mazeutische Präparate: Isapogen. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Venenkompressor. — Bücherbesprechungen;s A. Moll, Handbuch
der Sexualwissenschaften. F. Kirstein., Leitfaden für den Hebammenunterricht. J. Citron, Klinische Bakteriologie und Protozoenkunde.
G. Herxheimer, Technik der pathologisch-histologischen Untersuchung. O. Kleinschmidt,. Die Harnsteine, ihre Physiologie und Pathogenese.
weil. 0. Leichtenstern. Influenza. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 16. Generalversammlung des Deutschen Centralkomitees
zur Bekämpfung der Tuberkulose am 14. Juni 1912. Königsberg i. Pr. Krefeld. Stettin. Wien. Berlin. — Medizinalgesetzgebung, Medizinal-
‚ statistik und Versicherungsmedizin: M. Petersen, Das vierte Buch der Reichsversicherungsordnung. — Anthropologie: Der Schädel Schillers.
(Mit 1 Abbildung der Totenmaske des Dichters.) — Aerztliche Tagesfragen: E. Söchting, Gründung eines kassenärztlichen Zweckverbandes
m | in Berlin. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten. s
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Deutschen Universitäts-Augenklinik zu Prag
(Vorstand: Prof. A, Elschnig). |
Der gegenwärtige Standpunkt in der Therapie
| des Altersstars')
von
Prof. Dr. A. Elschnig.
~. M.H! Die enormen Fortschritte und Errungenschaften
der theoretischen Medizin in den letzten Jahren sind nicht
spurlos an der praktischen Heilkunde vorübergegangen, auch
nicht an der Augenheilkunde. Scheinbar feststehende Maximen
sind gestürzt worden, neue Heilverfahren oder Modifikationen
aufgekommen. Es erscheint: also auch gerechtfertigt, eine
Rückschau zu halten über die Veränderungen, welche .in den
letzten Jahrzehnten auf dem Gebiete der Altersstarbehandlung
eingetreten sind, und festzustellen, auf welchem Standpunkte
wir heute angelangt sind. Ä
i Es sind zwei Hauptfragen, welche da in Betracht
un Die eine ist die der. Beeinflußbarkeit des Alters-
stars durch friedliche Maßnahmen, die andere die der ope-
rativen Therapie.
ii er sagte: Die Beeinflußbarkeit des Altersstars
kei friedliche Maßnahmen. Denn an eine Heilbar-
ia FA glauben, dazu gehört eine wissenschaftliche Naivität,
Pra p wir Jetzt wohl ganz fern sind. Die Antwort auf diese
Dii er Beeinflußbarkeit wird am leichtesten zu geben
Alte wenn wir uns über die Aetiologie und Pathologie des
ersstars genau orientieren. | '
a verstehen unter Altersstar jene Linsentrübungen,
| jenseits des 40. Lebensjahrs an anscheinend gesunden
19, All Vortrag, geSaiten im Verein [Deutscher Aerzte in Prag am
Individuen in sonst normalen Augen auftreten, allmählich
beginnen, langsam fortschreiten, aber in absehbarer Zeit zu
vollständiger Linsentrübung führen. Es treten noch hinzu
analoge Starbildungen an sonst kranken Individuen, an denen
aber der Verlauf der Starbildung von dem eben geschilderten
sich nicht unterscheidet und die wir daher in dieselbe Klasse
einreihen können — so Starbildungen bei Individuen, welche an
Diabetes, Nephritis oder Stoffwechselanomalien nebenbei leiden.
Die Entwicklung des Altersstars halte ich für eine reine
Alterserscheinung. Wir wissen, daß die Linse im jugend-
lichen Alter gleichmäßig weich ist, aber schon um das
20. Lebensjahr sich ein Kern auszubilden beginnt, der sich
verdichtet und größer wird. Mit der Verdichtung des Kernes
ist wohl Volumsverkleinerung mitverbunden, die jedenfalls
mit dem Fortschreiten der Verdichtung auch zunehmen dürfte.
Aber die Volumsabnahme wird im normalen Auge wett-
gemacht oder übertroffen durch die regeneratorische Tätig-
keit des Linsenepithels. Wenn dieselbe genügend entwickelt
ist, wird die Linse trotz Schrumpfung des Kernes an Volumen
nicht abnehmen, eher zunehmen — es wird ja von manchen
Autoren (Pristley Smith) angenommen, daß die Linse be-
ständig wachse, also in höherem Alter größer sei als in der
Jugend. Die Entstehung des Altersstars ist also als ein
Mißverhältnis zwischen Verdichtung des Kernes und regene-
ratorischer Tätigkeit der Linsenepithelien aufzufassen. Daß
letztere Mangel leidet, dafür kann die im Greisenalter zurück-
gehende Vitalität der Gewebe mitverantwortlich gemacht
werden. Im Exzesse der physiologischen Kernsklerose und
dem Ausbleiben der regeneratorischen Tätigkeit der Linsen-
opithelien liegt die Ursache der Altersstarbildung, sie ist
demnach eine reine Alterserscheinung. Wenn dies richtig
ist, werden wir natürlich durch keine Therapie die Entwick.
lung des Altersstars aufhalten können.‘ , Ä
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1098
Tatsächlich waren alle neuen Verfahren in dieser Hin-
sicht wirkungslos. So hatte Römer eine Theorie aufgestellt,
dahingehend, daß mit dem Altersprozesse bestimmte Cysto-
toxine im Blut auftreten, welche zufolge der durch das
Senium bedingten abnormen Durchlässigkeit des Ciliarkörper-
epithels ins Auge gelangen, in der Linse verankert werden
und den Star erzeugen. Die Möglichkeit dieser Theorie bat
R., Salus durch experimentelle Versuche vollständig wider-
legt und auch die Ausführbarkeit der therapeutischen Ver-
suche, die Cytotoxine des Bluts durch Fütterung mit Linsen-
substanz im Darmkanal abzufangen, negiert. Die wenigen
Beobachtungen über das lokale Verfahren von v. Pflugk,
welcher meinte, durch Injektion von Jodkaliumlösung in die
Bindehaut oder Einträuflung derselben in den Bindehautsack
den Prozeß in der Linse aufzuhalten, haben ergeben, daß es-
wirkungslos ist. Das jüngste Verfahren ist die Anwendung
von Augenbädern mit Jodnatrium und Calciumchlorat nach
Dor jun. — ein Verfahren, das wie die vorhergenannten,
bisher fast nur in den Händen der Erfinder sicheren Erfolg
gebracht haben dürfte. Ä
Wenn aber auch diese lokalen Methoden wie die all-
gemeine Methode Römers keinen Erfolg zu haben scheinen,
halte ich doch eine gewisse Beeinflußbarkeit der Entwick-
lung des Altersstars für möglich. Das fortschreitende Senium
ist die Ursache der Altersstarbildung; wenn also die Zu-
nahme der Altersveränderungen im senilen Organismus auf-
gehalten wird, kann auch etwas für die Folge derselben, die
Starbildung, geleistet werden. Demnach können wir durch
die Besserung der allgemeinen Lebensverhältnisse, die Beob-
achtung vielleicht geringfügigerkrankhafter Veränderungen im
Organismus: Arteriosklerose, Blutdruckvermehrung, harnsaure |
Diathese, Diabetes, Verdauungsstörungen usw., also durch all-
gemeine Maßnahmen, welche den Organismus kräftig er-
halten, den Verlauf des Altersstars beeinflussen und durch
Aenderung der Lebensweise und Ernährung wenigstens Still-
stand oder langsameres Fortschreiten der Altersstarbildung
erzielen. Und wenn auch diese allgemeinen Maßnahmen er-
folglos wären, hätten sie doch eine Bedeutung für das In-
dividuum, indem sie den Erfolg der operativen Therapie
wesentlich günstiger gestalten. Und sie ermöglichen außer-
dem die dauernde Ueberwachung des Kranken, welche des-
halb ganz besonders wichtig ist, weil so häufig unbemerkt
vom Kranken und Arzt im Verlauf der Altersstarbildung sich
Glaukom einstellt. |
Das Glaukom kann bedingt sein, wie ich zuerst gefunden,
durch das Aufquellen der Linse in der Kapsel, wodurch es
— vielleicht in schon zu Glaukom disponierten Augen — zu
einem akuten (inkompensierten) Glaukom kommen kann, und
wir haben tatsächlich in einer größeren Reihe von Fällen
von akutem Glaukom als Ursache die Linsenschwellung er-
kennen können, Viel wichtiger, weil gewöhnlich unbemerkt
verlaufend, ist die neben der Altersstarentwicklung, wohl
von ihr unabhängig, eintretende Drucksteigerung ohne so-
genannte entzündliche Erscheinungen, das Glaucoma simplex
oder compensatum, welches an solchen Augen nur durch
speziell daraufhin gerichtete Untersuchung festgestellt werden
kann, und daher erschreckend häufig, auch von Augenärzten,
übersehen wird.
Operative Behandlung. In derselben hat sich in
den letzten Jahren eine Reihe von Veränderungen ergeben.
Bezüglich des Zeitpunkts der Operation lauteten die
Angaben der alten Ophthalmologen: Der Star solle dann
operiert werden, wenn er reif ist, und dies sei dann der
Fall, wenn die Rinde dicht bis an die Kapsel heran getrübt
ist, die Linse wieder normales Volumen hat, die Kammer
tief ist, die Linsenfasern "Ohne Glanz sind. Heute aner-
kennen wir diese Zeichen der Starreife nicht mehr. Jeder
Star ist reif, das heißt zur Operation geeignet in
dem Moment, wo nicht mehr genug Sehvermögen
vorhanden ist. Wir operieren, wenn die Operation
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
notwendig ist. Temporär sind von der Operation jene
Formen auszuschließen, bei denen der Altersstar gerade in
Quellung begriffen, also die Kammer seicht ist. Wir werden
die Operation verschieben, bis die gequollene Linse wieder
normales Volumen hat; dies ist deshalb notwendig, weil wir,
wie wir später darlegen werden, eine Iridektomie vermeiden
wollen und bei sehr seichter Kammer ein genügend großer
Lappenschnitt, ohne daß sich die Iris vors Messer legen
würde, .nicht auszuführen ist.
Ich perhorresziere alle sogenannten Reifungsver-
fahren beim Altersstar. Die Förstersche Iridektomia
maturans ist wertlos und vernichtet überdies die runde
Pupille, die Discission ist schädlich. Ueberdies sind sie
überflüssig, jeder Star älterer Individuen kann in jedem
Stadium, genügende Sorgfalt vorausgesetzt, wie dies zu-
erst Schnabel gelehrt hat, extrahiert werden. Insbeson-
dere der so enorm langsam fortschreitende senile Kernstar
ist jederzeit gut operabel. Eine Iridektomie als Voroperation
halte ich für wünschenswert, wenn der Altersstar in einem
Auge sich entwickelt, in welchem nach lIritis hintere
Synechien zurückgeblieben sind, und für notwendig, wenn `
der Alterstar mit Glaukom kompliziert ist. Ist das Glaukom
kompensiert (= Glaucoma simplex), so soll vorher Cyklo-
dialyse oder Iridektomie gemacht werden; bei inkompensiertem
(akutem) Glaukom hat sich mir die hintere Skleralpunktion,
eventuell nur eine halbe Stunde vor der Extraktion vor-
genommen, besonders bewährt.
Der körperliche Zustand der Starkranken bedarf
‚einer gewissen Beachtung bezüglich des Zeitpunkts der Ope-
ration; so werden wir, wenn Katarrheoder andere akute Störun-
gen vorhanden sind, nicht operieren. Wir sind aber eigentlich,
wenn, wie vorher angegeben, die allgemeinen somatischen
Verhältnisse des Kranken schon vom Starbeginn an beach-
tet wurden, von dem körperlichen Zustande desselben voll-
kommen unabhängig.
Zur Operation werden wir eher drängen, wenn es sich
um eine langsam fortschreitende Starform handelt, wenn
wir sehen, daß das zweite Auge auch schon ergriffen ist
und wir gewärtigen müssen, daß der Kranke, bis das Seh-
vermögen an beiden Augen schon fast erloschen ist, bereits
in einem Zustande sein wird, der die Operation schwieriger
gestalten würde. Ob an beiden Augen gleichzeitig operiert
werden soll, darüber ist zu sagen, daß man, wenn das
Sehvermögen an beiden Augen stark herabgesetzt ist, an .
beiden Augen gleichzeitig operieren soll, da wir vom
Stadium der Starbildung ganz unabhängig sind.
Es wird immer noch die Frage diskutiert, ob wir ein
Auge allein operieren sollen, dessen Partner noch gutes
Sehvermögen hat. Ich bejahe die Frage unbedingt. Gründe
dafür sind: Erstens ist einseitige Altersstarbildung ohne Spur
einer Trübung am zweiten Auge eine große Seltenheit, und
zweitens ist, was das wichtigste Moment darstellt, wenn
der Star nicht operiert wird und man jahrelang wartet, bis
das zweite Auge erkrankt ist, der Patient schon älter,
schlechter an Körperkräften, und wir müssen in diesem Zu-
stande doch operieren, was wir früher unter für den
Kranken noch weniger beschwerlichen Umständen tun
konnten. Drittens stellt sich, wenn der Star nicht operiert
und das Stadium der sogenannten Hypermaturität erreicht
wird, nicht so selten durch Atrophie der Zonula partielle
Linsenluxation ein, die deshalb die Operation schwieriger
und weniger günstig gestaltet, weil dabei in einem sehr
hohen Prozentsatze Glaskörperverlust zu gewärtigen ist.
Auch die senilen Veränderungen der Iris, deren Zunahme zu
erwarten ist, kommen da in Betracht, da sie eventuell die
Erhaltung der runden Pupille unmöglich machen würden.
Unbedingt so bald als möglich soll man operieren am
hochgradig myopischen Auge. Dieses sieht dann in die
Ferne ohne Brille sehr gut, also ein wesentlicher Vorteil,
auch wenn es sich um rein einseitige Stare handelt.
|
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J i
7, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
1099
Gegengründe gegen die Operation einseitiger Katarakte
kenne ich nicht — es sei denn, daß man wie die alten
Ophthalmologen den Umstand berücksichtigt, dab dem
Kranken der Operationserfolg einen „weniger großen Ein-
druck“ macht, wenn er nicht schon fast erblindet war.
Ich habe noch nie erlebt, daß ein einseitig operierter
Patient, auch wenn das zweite Auge völlig normal war,
vor das operierte Auge eine Scheuklappe nehmen mußte,
damit er nicht durch das operierte Auge gestört werde.
Gerade die jüngeren Individuen, bei denen eher noch ein-
seitige Starbildung vorkommt, gewöhnen sich an eine gewisse
Mitbenutzung des zweiten Auges recht leicht. In aller-
jüngster Zeit ist es den Zeißschen Werken in Jena ge-
lungen, eine Starbrille herzustellen für einseitig Operierte,
die das Netzhautbild des bewaffneten Auges so sehr dem
des normalen, nichtoperierten Auges ähnlich oder gleich
macht, daß eine binokulare Verschmelzung, damit Binokular-
sehen möglich ist. Dieser Umstand würde, wenn die Brillen
sich bewähren, demnach ein wichtiges Argument für die
früzeitige Operation einseitiger Katarakte sein.
Wenn wir aber auch den Allgemeinzustand des
Patienten genauestens beachten, so sind wir doch an keine
Altersgrenze gebunden. Heute, da der Kranke nicht mehr
zu liegen braucht — einige Stunden Ruhe nach der Ope-
ration genügen —, können wir es wagen, auch allerälteste
Individuen einer Staroperation zu unterziehen. Der älteste
von mir an beiden Augen gleichzeitig Operierte war
931, Jahre. Die Operation ist nicht schwieriger, die Nach-
behandlung ebenfalls nicht. Anderseits sehen wir, daß In-
dividuen, die durch Starbildung beider Augen in ihrer
ganzen Intelligenz hochgradig zurückgegangen sind, also
durch das Schlechtsehen psychisch senil geworden sind,
geradezu aufblühen, wenn sie wieder sehen. Es gibt dem-
nach kaum eine Kontraindikation gegen die Vornahme der
Staroperation. Bei alten Leuten müssen wir aber den Blut-
druck genauer beachten. Eine einzige schwere Komplikation
ist da zu befürchten: die expulsive Blutung bei sehr rigiden
Gefäßen, bei sehr rigider Sklera, die sich nicht zusammen-
zieht und ihrer Funktion, den intraokularen Druck in einer
gewissen Höhe zu erhalten, nicht gerecht wird; in etwa
a), der Fälle (oder in noch weniger) kommt es bei oder
nach der Operation durch Bluterguß in die Chorioidea dazu,
daß der Inhalt des Bulbus herausgeschleudert wird. Diese
expulsive Blutung, ein Schreckgespenst der Operateure,
können wir vielleicht ausschalten durch die Beseitigung des
hohen Blutdrucks durch einen Dyesschen Aderlaß, dessen
prompte Wirkung auf den Blutdruck und intraokularen
Druck, von Gilbert jüngst ausführlicher geschildert, auch
ich bei Glaukom feststellen konnte.
Man entnimmt ein dem Körpergewicht entsprechendes
(3 g pro Kilo Körpergewicht) Quantum, etwa 180 bis 200 g
Blut durch Venae sectio, dann 20 Minuten bis eine Stunde
Sehwitzkasten ; die Blutdruckherabsetzung ist meist so be-
beträchtlich, daß wir 12—24 Stunden nach einem solchen
Vorgehen unbedenklich jede Operation vornehmen können.
Von größter Wichtigkeit ist die Verhütung der
postoperativen Entzündungen. Wir haben sicher er-
kannt, daß. die Hauptursache derselben im Bindehautsacke
gelegen ist. Seitdem die Instrumente gekocht werden und
wir mit Mundschutz und allenfalls Handschuhen arbeiten —
aseptisch operieren, ist die einzige Infektionsquelle der Binde-
hautsack, Schon Czermak hat mit Sicherheit festgestellt,
daß im Bindehautsacke die Hauptursache der postoperativen
aktion gelegen sei und dieselbe durch Abänderung, durch
y ponierte Verbesserung der Operationstechnik (subconjunc-
ivale Extraktion) zu beseitigen gesucht. Wir haben einen
= ern Weg eingeschlagen, indem wir konsequent alie Binde-
autsäcke der, zu operierenden Kranken bakteriologisch
erumbonillonkultur) untersuchten, und haben in fast 40%, .
or Fälle in anscheinend normalen Bindehautsäcken Strepto-
FE m En gg EEE SETS EEE SE a CE Dam GES rg Ener er. BRETT S Re SEE EEE EEE ET RT Et TAA m a oa O
kokken (Pneumokokken), sehr häufig Staphylokokken, selten
andere pathogene Keime gefunden. Seitdem wir diese Mikro-
organismen feststellen und erst dann operieren, wenn der
Bindehautsack von ihnen befreit ist, sind die spärlichsten
operativen Infektionen, ‚die wir beobachten, ausschließlich
durch bakteriologisch-technische Fehler bedingt.
Außerdem müssen wir natürlich auch auf den Tränen-
sack achten. Bei Tränensackblennorrhöe oder eitriger Binde-
hautentzündung können wir selbstverständlich nicht operieren,
aber nicht auf die Quantität des Sekrets kommt es an,
auch nicht auf die Tränensackblennorrhöe als solche, sondern
nur auf die Feststellung, ob im Bindehautsacke pathogene
Keime vorhanden sind oder nicht. Sind sie nachweisbar, .
und das ist bei Tränensackblennorrhöe immer der Fall, so
wird der Tränensack exstirpiert (aber auch da muß nachher
erst festgestellt werden, ob der Bindehautsack noch keim-
haltig ist!), bei normalem Tränensacke die pathogenen Keime
aus dem Bindehautsacke durch täglich mehrmalige Ein-
träufelung von Hydrargyrum oxycydatum 1:4000 bis 1:2000,
und falls sich die Mikroorganismen dagegen länger refraktär
verhalten, durch Pyocyanase weggeschafft. Ausspülung mit
Oxyceyanidlösung ungefähr eine Woche lang beseitigt in
der.Regel die Keime. In meiner Wiener Zeit schon operierte
ich nicht, wenn ich nicht 8 bis 14 Tage vorher durch Oxy-
cyanid Keimfreiheit des Bindehautsacks erreicht glaubte;
bakteriologische Untersuchungen waren mir damals nicht
möglich, ich habe aber niemals eine Infektion erlebt. Wir
können also für die Praxis am Lande, wo man nicht immer
bakteriologisch untersuchen kann, sagen, daß der Binde-
hautsack bei normalem Tränensacke dann ziemlich
sicher keimfrei ist, wenn etwa 14 Tage hindurch
zwei- bis dreimal täglich Hydrargyrum oxycydatum
angewendet worden ist. | |
Mit den beschriebenen infektiösen Entzündungen sind
die postoperativen Entzündungsmöglichkeiten noch nicht er-
schöpft. Die Untersuchungen des Kammerinhalts bei Irido-
cyclitis haben ergeben, wie es wahrscheinlich war, daß es eine
rein traumatische, rein operative Entzündung gibt. Gerade-
so wie ein nichtperforierendes Trauma zu Iritis führen kann,
geradeso wie es eine „idiopathische“ Iritis gibt, genau so
gut muß es auch nach dem Operationstrauma eine Ent-
zündung geben, wenn die Disposition hierzu vorhanden ist.
Zu diesen auf endogener Grundlage entstehenden, aber
doch rein traumatischen Entzündungen treten noch post-
operative Entzündungen, deren Ursache im Zurtckbleiben
von Startrümmern liegt. Gegen diese schützen wir uns
durch exakte Entfernung der Corticalisreste, möglichst ge-
ringfügige Schädigung des Auges selbst, also glatte Wunden, -
Vermeidung von Irisquetschung und dergleichen mehr. Auch
die abnorm stürmische Reaktion des Auges auf derartige
chemische Reize dürfte sich durch vorhergehende Beachtung
eventueller Allgemeinstörungen vermindern oder verhindern
lassen, wie wir dies schon eingangs angedeutet haben; aber
der Wert einer exakten, schonenden operativen Technik darf
darüber nicht unterschätzt werden. |
Von den inneren Ursachen traumatischer Iritis wäre noch
besonders der Diabetes zu erwähnen. Schon Uhthoff hat
gezeigt, daß die postoperative Iridocyelitis bei Diabetes nicht so
häufig ist bei aseptischem Verfahren. Ich habe 14 Diabetiker
operiert mit bis 7°/, Zuckergehalt zur Zeit der Operation (Fälle
mit spurweiser Zuckerausscheidung oder „alimentärer Glyko-
surie“ wurden nicht mitgezählt), einzelne darunter an beiden
Augen gleichzeitig, und keine einzige postoperative Irido-
eyelitis erlebt. Jedenfalls soll man aber versuchen, den
Zuckergehalt vor der Operation durch entsprechende Diät
oder eine Karlsbader Kur herabzusetzen, und ich operiere
keinesfalls, wenn Aceton im Harne nachweisbar ist. Ich
möchte hinzufügen, daß ich auch bei den charakteristischen
diabetischen Katarakten (jugendliche Individuen, rapid fort-
schreitende Linsentrübung) keine postoperative Iritis beob-
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
7. Juli.
achtet habe, daß. ich ‘aber in einem Fall Exitus letalis im.| operative Irisprolaps. Er. erfolgt dadurch, daß unter der
Coma diabeticum eintreten sah — ohne Operation, welche
ich wegen Acetongehalts des Harnes, verschoben hatte. _
.. Bezüglich der Operationstechnik möchte ich mich.
in diesen für den praktischen Arzt bestimmten Ausführungen
nur mit Andeutungen begnügen, ohne in Details einzugehen.
Vorausschicken möchte ich, daß jedenfalls der Operation
gründliche Entleerung des Darmkanals vorausgehen soll und.
daß ängstliche Patienten die Nacht vor der Operation ein
Schlafmittel erhalten sollen. In der Regel lasse ich etwa
zwei Stunden vor der Operation !/, g Veronal oder Adalin.
geben. Nur bei ganz unvernünftigen Patienten verwende ich
eine Allgemeinnarkose und zwar am besten Pantoponskopo-.
lamin- oder Skopomorphindämmerschlaf. |
Die Schnittführung. In dem verflossenen Jahr-
hundert hat sich eine bemerkenswerte Aenderung der Ansichten
über die Schnittlage vollzogen. Die ersten Operateure legten
den Schnitt unmittelbar am Hornhautrande nach unten an —
notgedrungen, da die Kranken nicht betäubt waren. Die größte.
Leistung in der operativen Technik. schien in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts durch v. Graefe geschehen, welcher.
seinen sogenannten Linearschnitt nach oben verlegte und
methodisch mit der Iridektomie kombinierte. Es sind über
20 Jahre her, daß Schweigger zur Rückkehr vom Graefe-
schen Linearschnitte zum alten Lappenschnitte gemahnt hat.
Seine Mahnung war aber eigentlich überflüssig, denn der
v. Graefesche Linearschnitt hatte nur wenig seine Publi-
kation überdauert, nur wenige, speziell Graefeschüler, haben
den Originalschnitt gemacht, alle andern einen Lappen-
schnitt, ungefähr wie er jetzt üblich ist, ausgeführt. Das
Haupterfordernis eines guten Schnittes ist nach meiner Mei-
nung: genügende Größe (der Bogenschnitt muß etwa 1/, bis
2/; der Hornhaut umkreisen); der Schnitt soll womöglich
dicht am Hornhautrande, also höchstens 1/, mm außerhalb
des Randes, liegen und wenigstens in seinen mittleren Par-
tien von einem breiteren Bindehautlappen gedeckt sein.
Die Erhaltung der runden Pupille Die Meinung
v. Graefes, daß die Iridektomie antiphlogistisch wirke, ist
lange widerlegt., Wir wissen, daß dadurch nur der Star-
austritt speziell bei zu kleinem Schnitt erleichtert und
der Irisvorfall post extractionem verhindert wird. Die
runde Pupille soll erhalten werden vorerst aus optischen
Gründen. Denn ein breites Kolobom legt die ganz peri-
pheren, schlecht gekrümmten Hornhautpartien frei. und be-
dingt unscharfe Netzhautbilder. Der Wert der runden Pu-
pille zeigt sich aber auch besonders in der. Deutlichkeit des
Sehens bei nicht ganz scharfer Einstellung. Die. Größe der
Zerstreuungskreise ist bekanntlich unter sonst gleichen Um-
ständen proportional der Weite der Pupille.e So kann man
nicht so selten sehen, daß nach Extraktionen mit runder
Pupille der Operierte mit einer einzigen Brille für die Ferne
und Nähe auskommt, indem er sie nur.in letzterem Falle
etwas weiter vom Auge abrückt.
in staroperierten Augen nicht zu vernachlässigen. Nach
Extraktionen mit runder Pupille habe ich nie Erythropsie
auftreten gesehen. Es ist dies ja a priori erklärlich, denn
wir wissen, daß die Kristallinse die schädlichen ultravio-
letten Strahlen absorbiert; fehlt die Linse, so wird wenigstens
die Quantität der zur Netzhaut gelangenden Lichtstrahlen unter
sonst gleichen Umständen um so kleiner, also um so weniger
schädlich sein, je kleiner die Pupille ist. Weiter ist das
kosmetische Moment zu beachten, insbesondere bei jüngeren
Leuten, z. B. bei Bahnbeamten, die allenfalls entlassen wer-
den, wenn man aus dem .Kolobom erkennt, daß sie star-
operiert sind. Ä
Nachteile der Operation ohne Iridektomie sind einer-
seits die vielleicht etwas geringere Möglichkeit der Heraus-
schaffung: der Linsenreste; anderseits wird, wenn Iritis auf-
tritt, natürlich das kleine Pupillarbereich leichter verschlossen.
als das breite Kolobom. Der größte Nachteil ist der post-
Ferner ist die Blendung
: Iris sich Kammerwasser neu ansammelt und bei leichtem
Druck mit dem Lide, Zukneifen des Patienten, die Iris aus
der Wunde vordrängt. Deshalb hatte ich als Indikation
aufgestellt, bei fettleibigen Individuen, bei Leuten, welche
husten, welche einen hohen Blutdruck haben und die Lider
zukneifen, immer zu iridektomieren. Auch gewisse promi-.
nente Augen mit straff anliegenden Lidern geben eine Indi-
kation zur Iridektomie.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, habe ich bis vor
zirka zwei Jahren nur etwa 44°, mit runder Pupille operiert,
56 °/o der Fälle mit Kolobom. Trotzdem hatte ich unter
233 Fällen von Extraktion mit runder Pupille 11. Irispro-
lapse, also fast 5°0/! Durch Heß’ Empfehlung einer peri-
pheren Iridektomie veranlaß, mache ich seit fast zwei Jahren
eine periphere Incision der Iris. Sie wird so ausgeführt,
daß nach Vollendung. der Extraktion mit dem Bindehaut-
lappen die Hornhaut aufgeklappt und mit der Weckerschere
an der Wurzel der Iris eine kleine Incision angelegt wird.
Es ist selbstverständlich, daß nach der Extraktion die Iris
durch Einträufeln von Eserin ausgespannt erhalten wer-
den soll.
Obwohl ich die Indikationen zur einfachen Extraktion
sehr ausgedehnt habe, habe ich, wobei ich ungefähr 78%,
mit runder Pupille und etwa 22 °/, mit Kolobom extrahierte,
unter 245 Operationen mit runder Pupille und Iriswurzel-
incision nur drei Irisprolapse erlebt. Zwei waren wahrschein-
lich einer mangelhaften Technik zuzuschreiben. . Es waren
sehr unruhige Patienten und es war wahrscheinlich die In-
cision nicht durchgreifend ausgeführt worden. Im dritten
Falle hat Patient trotz Iriswurzelineision die Iris heraus-
gepreßt, und sie konnte nach 24 Stunden reponiert werden,
sodaß eigentlich nur zwei eine Irisausschneidung notwendig
machten. Ebenso oft, wie in meinen Fällen, kommt aber
auch nach den Statistiken erfahrener Operateure Irisprolaps .
| bei Extraktion mit Irisausschneidung vor.
Ich pflege für 24 Stunden beide Augen durch einen
lockeren Pflasterverband zu schließen. Bei sehr alten Leuten
kann, wenn einseitig operiert wird, auch das zweite Auge
sofort offen gelassen werden. Am vierten bis fünften Tage
wird auch das operierte Auge nur mehr durch. eine Kapsel
oder das Fuchssche Gitter oder eine Brille geschützt. Gerade
die Lage des Schnittes und. der deckende Bindehautlappen
gewährleisten einen raschen Wundverschluß und ermöglichen
ein sehr liberales Verhalten in der Nachbehandlung. Ich
pflege den Patienten nur wenige Stunden liegen zu lassen,
jedenfalls am nächsten Tage ihn heraussetzen, allenfalls im
Zimmer auf und ab führen zu lassen. Glatten Verlauf vor-
ausgesetzt, werden einseitig Extrahierte gewöhnlich am
zehnten bis vierzehnten Tage von der Klinik entlassen. De-
tails der Nachbehandlung interessieren hier wohl nicht,
ebensowenig die Behandlung .allfälliger Komplikationen.
Und nun zuletzt noch über die Verhütung von
Nachoperationen. In manchen Fällen bleiben Starpartikel
oder die verdickte Linsenkapsel zurück. Dadurch, daß wir
durchgehends bei der Eröffnung der Linsenkapsel ein mög-
lichst großes Stück derselben herausreißen, wird die Mög-
lichkeit des Zurückbleibens von Starresten außerordentlich
verringert, und es kommt Nachstar außerordentlich selten
vor, da die in der weit offenen Kapsel befindlichen Reste
leicht aufgesaugt werden. Es sind höchstens 5 °/, der Fälle,
in welchen Nachoperationen notwendig sind. Und das ist
noch manchen Operateuren zu viel. Es herrscht in jüngster
Zeit das Bestreben. vor, Nachoperationen dadurch auszu--
schalten, daß man die Linse in der Kapsel extrahiert.
Pagenstecher versuchte es zuerst in ausgedehnterer Weise, -
indem er einen Löffel hinter die Linse geschoben und nun
die Linse auf dem Löffel entbunden hat. Vor einem De-
zennium .etwa hat Smith die Expression der Linse in der
Kapsel neuerlich empfohlen, indem er einen Lappenschnitt
7. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
1101
mit dem Scheitel in der Hornhaut anlegt und durch die | stumpfen Kapselpinzette gefaßt, die Linse gelockert und durch
runde Pupille oder nach Iridektomie die Linse durch Druck
mit einem Schielhaken auf den untern Hornhautrand ent-
bindet. Ich habe das Verfahren nachgeprüft und es für
unsere Verhältnisse ungeeignet gefunden. Nur in Ausnahme-
fällen kann man es versuchen, und zwar dann, wenn man
a priori eine Iridektomie für nötig hält; ich stehe aber von
der Vollendung der Expression sofort ab, wenn die Linse
nicht leicht sieh entbinden läßt und vollende die Extraktion
nach Eröffnung der Linsenkapsel. Nachteile des Verfahrens
nach Smith sind: Glaskörpervorfall und beträchtliche
. Quetschung des Auges. In allerneuester Zeit hat Stancu-
leanu ein Verfahren angegeben, welches mitunter unab-
sichtlich ausgeübt wird. Es wird die vordere Kapsel mit einer
Druck mit einem Löffel am untern Hornhautrande die Linse
in der Kapsel geholt. Die Methode ist nur für hypermature
Katarakte brauchbar. Ich werde sie weiter nachprüfen,
glaube aber auf Grund der wenigen bisherigen Beobachtungen,
daß sie wahrscheinlich ebenso nur für Ausnahmefälle geeignet
sein wird wie das Smithsche Verfahren.
So haben wir also den Standpunkt in der Frage der
Starbehandlung geschildert, der heute wohl ziemlich all-
gemein als geltend angesehen werden dürfte, Die angeführten
Momente werden so lange als feststehend betrachtet werden,
bis der unaufhaltsame Fortschritt uns zwingen wird, von
dem jetzt als feststehend Geltenden neuerlich wieder abzu-
gehen.
Abhandlungen.
Die Massage der Hautkrankheiten!)
von
Sanitätsrat Dr. 0. Rosenthal, Berlin.
Nachdem ich in meiner im Jahre 1887 in der Vierteljahrs-
schrift für Dermatologie erschienenen Arbeit „Ueber die mecha-
nische Behandlung der Hautkrankheiten“ auf die Massage
die allgemeine Aufmerksamkeit der Dermatologen lenken konnte,
ist es mir eine Genugtuung, nach 25 Jahren, bei Gelegenheit der
Besprechung der physikalischen Therapie der Dermatosen mit einem
Referat über dasselbe Thema betraut zu sein. :
_ Eine geraume Zeit — und trotzdem hat sich diese Methode
noch nicht durchgerungen, sie hat noch nicht die allgemeine An-
erkennung gefunden. Denn während ich damals ausführte, daß
in den Lehrbüchern der Hautkrankheiten über Massage nichts
zu finden ist und ihr in unserer Disziplin eine gewisse Zukunft
voraussagte, so kann ich heute zwar sagen, daß sich diese letzte
Erkenntnis bewahrheitet hat, daß aber immer noch in den Lehr-
büchern diesem Zweige der physikalischen Therapie der Hautkrank-
heiten nicht der ihm gebührende Platz der Vollwertigkeit neben
den andern Methoden eingeräumt worden ist.
Allerdings ist das nicht erstaunlich, denn um nur eine
Methode zu nennen, die Lichttherapie z. B. übt einen so
mächtigen Einfluß aus, daß sie alle andern Behandlungsmethoden
in den Hintergrund zu drängen scheint, gerade so wie der Arsenik
ın der Syphilisbehandlung das Quecksilber. Wie aber das
Quecksilber, wie die weniger optimistischen Autoren bald sahen,
Mmer mehr und mehr den ihm gebührenden Platz zurückgewinnt,
so werden auch die älteren mechanischen Methoden in der
Behandlung der Hautkrankheiten nicht verdrängt werden. Mancher
Dermatologe wird z. B. gern bei Acne, nachdem die Photo-
therapie ihn in dem einen oder andern Falle im Stiche gelassen
hat oder er sie aus verschiedenen Gründen nicht mehr anwendet,
zur Massage greifen, nachdem er gelernt hat, sie in richtiger
Weise bei dieser Affektion zu gebrauchen. Allerdings muß von
vornherein, um jedem Mißverständnis vorzubeugen, betont werden,
daß die Massage nur ein mächtiges Adjuvans oder auch das
Hauptagens bei der Behandlung verschiedener Affektionen ist,
aber in keiner Weise den anderweitigen Gebrauch einer örtlich
auzuwendenden arzneilichen Medikation oder allgemeiner kon-
stitutioneller Behandlungsmethoden überflüssig macht.
ch werde, um nicht zu weitschweifig zu werden, in meinen
folgenden Ausführungen prinzipiell auf alle anderen neben der
assage anzuwendenden Methoden nicht eingehen.
í Daß der Einfluß der Massage ein ziemlich beträchtlicher ist,
dt sich schon daraus ersehen, daß nach verschiedenen experi-
mentellen Arbeiten, so z. B. von Eccles, Fiocco und Locatelli
m Anderen die Massage zum Unterschied von den gewöhnlichen
„methoden die Vitalität der Gewebe erhöht und alle konsti-
„ıerenden Elemente der Epidermis vermehrt, ohne daß sie,
wie durch andere Methoden, besonders die arzneiliche Medikation,
eine Gleichgewichtsstörung erleiden. Alle dermoepidermischen
mente zeigen eine aktive Neubildung, die von einer leichten
it nakulären Infiltration polymorpher Leukocyten begleitet
2% 0 entsteht eine keratoplastische Wirkung, eine Hyper-
Produktion der einzelnen Elemente, besonders der Kerne und
vn .) Referat, erstattet auf dem im April 1912 stattgefandenen
- Internationalen Dermatologenkongreß. I
des Protoplasmas, der Malpighischen Schicht und eine Vermehrung
der Keimkraft der Basalschichten. Durch die Kompression wird
aus dem Gewebe die Flüssigkeit, das Blut und das Plasma,
verdrängt, die schnell wieder zurückströmen, wenn die Papillen
ihr ursprüngliches, normales Volumen wieder einnehmen. Mecha-
nisch wird auch die Flüssigkeitsströmung in den COapillaren,
den Blut- und Lymphgefäßen, beschleunigt und zugleich ein
Reiz auf die sensitiven, die Gefäß- und Muskelnerven, aus-
geübt. Hierdurch entsteht zuerst eine reflektorische Gefäßver-
engerung, die sehr schnell von einer Erschlaffung, einer Gefäß-
erweiterung, gefolgt ist. An Stelle der durch die Vasoconstriction
bedingten Blässe tritt eine erhöhte Röte auf, als Anzeichen
einer beschleunigten Blutcirculation und einer arteriellen Hyper-
ämie. Die Muskelcontraction der Arrectores pilorum bewirkt
die Entwicklung der Gänsehaut, der Cutis anserina. Wird die
Massage weiter fortgesetzt und verstärkt, so wird das auf der
Haut liegende Fett und das lockere Epitel der Epidermis mecha-
nisch entfernt und der Inhalt der Talgdrüsen, die während der
Dauer der Cutis anserina komprimiert waren, herausgepreßt. Durch
die Entlastung der Lymphgefäße, die mechanische Einwirkung
und die Beschleunigung der Circulation werden die angesam-
melten Öödematösen Flüssigkeitsmengen auf größere Zwischenräume
und Flächen verteilt und dadurch ihre Resorption angeregt.
Koaguliertes Blut, chronische Entzündungsprodukte und halb
organisierte Gebilde verschwinden auf diese Weise. Die vermin-
derte Elastizität wird wieder hergestellt und die Muskulatur
der Haut gewinnt ihren herabgesetzten oder verlorenen Tonus
wieder. i
Der besonders günstige Einfluß auf die Hautnerven zeigt
sich auch in einer jucklindernden Wirkung bei verschiedenen
Dermatosen,
Während eine leichte Massage die Hauttemperatur herab-
setzt, wird durch fortgesetztes Kneten und Reiben der Haut die
Wärme erhöht. Ebenso steigt der Tast- und Ortssinn nach
fortgesetzter Massage. Auch der Leitungswiderstand gegen
den elektrischen Strom wird vermindert. Auf diese Weise gelingt
es, ein Medikament, das mittels des elektrischen Stromes durch
Kataphorese eingeführt werden soll, schneller durch die Haut zur
Resorption zu bringen. Auch die nach der Massage auftretende
Wärme vermehrt beträchtlich, wie Colombo fand, die Schweiß-
sekretion, die auf einer Zunahme der serösen Elemente beruht,
So bewirkt die Massage, und das ist ihr hoher Wert, eine
Wachstumsvermehrung und Regenerierung aller anato-
mischen Elemente sowie eine Steigerung aller physiologi-
schen Funktionen der Haut. In welcher Weise der Stoff-
wechsel infolge von Massage angeregt und vermehrt, wird,
darüber sind schon mehrfach Untersuchungen angestellt worden;
ob aber besonders die Chloride im Harne vermehrt werden,
darüber ist eine Einigkeit der Meinungen noch nicht erzielt worden
(Keller, Bum).
Die Anregung der Hauteirculation, die Erhöhung der Wärme
und die Beschleunigung des organischen Wechsels üben an erster
Stelle, wie schon erwähnt, eine keratoplastische Wirkung aus
und begünstigen eine Wiederbildung des elastischen Gewebes der
Haut, des Elastins, wie schon Unnas Untersuchungen beweisen.
Nach diesen Ausführungen kommen für die Behandlung mittels
Massage in erster Linie in Betracht Narben, Keloide, schwie-
lige, hyperplastische Bindegewebsverdickungen in der
Umgebung von Ulcera cruris, durch welche das Wiederaufbrechen
1102 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
za
1T. Juli.
der Geschwüre begünstigt wird, erworbene Elephantiasis, , Reizmittel für das motorische, das sensible und das vasomotorische
Stauungsfibromatose, Sklerodermie und ihr verwandte ! Nervensystem wirkt.
Affektionen, und indurative Prozesse der Schädelhaut, die
seborrhoische Alopecie, bei der die Massage .als ein wirk-
sames prophylaktisches und therapeutisches Mittel zu betrachten
ist. Narben empfahl schon Bourguet im Jahre 1869 mit schwedi-
scher Heilgymnastik zu behandeln, besonders wenn sie entstellend
wirken. Neben einer knetenden Bewegung zwischen Daumen
und Zeigefinger und gleichmäßigen radiären Streichungen
werden von mir bei dieser Affektion und auch sonst, besonders
wenn es sich um Entfernung von entzündlichen oder sekretorischen
Produkten oder um Anregung der Resorption handelt, rotierende
Bewegungen durch den auf einem Punkt festgehaltenen Zeigefinger
mit allmählich steigendem Drucke bevorzugt. Bei den Narben
muß man allerdings in Betracht ziehen, daß keineswegs alle für
die Methode geeignet sind, da ein Teil derselben absolut unbe-
einflußt bleibt. Auch kann bei Narben eine von mir angegebene
Methode, auf die später noch ausführlich eingegangen werden soll,
mit Erfolg versucht werden.
- Bei der Sklerodermie, den sklerodermatischen Affek-
tionen und dem Sclerema neonatorum, das bekanntlich nicht.
‚zur Sklerodermie gehört, spielt im Infiltrationsstadium die Massage
eine ganz besonders wichtige Rolle, ohne daß hierbei die ander-
weitige Behandlung vernachlässigt oder unterschätzt werden soll.
Man kann zur Massage auch nach Unna ein 1/20lọiges Sublimatöl
oder Sublimatsalbe oder auch 2—5 P/yige Salicyl-Vaseline nehmen.
So sah in einem Falle von Sklerodermie Breda nach drei-
monatlicher Massage Heilung auftreten, nachdem vorher Pilo-
carpin, Jodkali, heiße Bäder usw. ohne Erfolg angewendet waren.
Auch bei chronischem Ekzem mit Verdiekung des Chorium
habe ich mitunter bei vorsichtiger Massage gute Erfolge gesehen,
obgleich ich bei diesen Formen in neuerer Zeit die Röntgenbehand-
lung vorziehe.
Von Affektionen, bei denen das Blut- und Lymphgefäßsystem
sowie die Nervenelemente der Haut beteiligt sind, kommen in
Betracht alle vasomotorischen Störungen, die mit Anämie,
Cyanose und Störungen der Bluteirculation zusammenhängen, so
die Akrocyanosen der Nasenspitze und der Finger, der tote
Finger (Reihl), die sogenannte lokale Asphyxie (Raynaud),
ferner die Perniosis der Zehen, der Finger und der Ohren, die
Form der Rosacea, die mit angioneurotischer Parese einhergeht,
die Erythromelalgie, sowie einzelne Fälle von Pruritus und
Hautveränderungen, die mit einer Neuritis oder einer Peri-
neuritis zusammenhängen.
In allen diesen Fällen hat die Massage den Zweck, eine
Hyperämie zu erzeugen, gestaute Lymphe und Oedeme zu beseiti-
gen und die normale Circulation wieder herzustellen. Der durch die
Massage angeregte und beschleunigte Blutkreislauf beruht auf
Zufluß arteriellen Blutes, das dem fortgeschafften venösen Blute nach-
strömt, und auf einer Erweiterung der spastisch verengten Arterien.
Bei der Erfrierung soll die Erwärmung nur langsam
durch Massage geschehen, da eine rasche Erwärmung schädlich
sein kann.
Bei Prurigo berichtete Hatschek aus der Kaposischen
Klinik nach einer Empfehlung von Murray in Stockholm von
elf Fällen, die mit nachdrücklichen centripetalen Streichun-
gen 10—15 Minuten täglich behandelt wurden, wodurch eine Be-
seitigung des Juckens in allen Fällen eintrat. Von diesen litten
sieben an Prurigo agria. Bei mehreren dieser Fälle war der
Juckreiz schon nach zwei bis vier Sitzungen geschwunden. Der
Erfolg hing nicht mit der Schwere der Erkrankung zusammen.
Die ganze Hautinfiltration nahm zu gleicher Zeit ab; trotz der
fortgesetzten Massage traten aber mitunter neue Knötchen auf,
die nach ein bis zwei Sitzungen wieder verschwanden. Rezi-
dive erfolgten bei einigen Patienten schon nach einigen Wochen,
konnten indessen bald wieder beseitigt werden. Selbst bei starkem
Ekzem wurde von den Pruriginösen die Massage gut vertragen.
Vaseline wirkte natürlich besser als trockene Massage.
Breda hat bei einer schweren Psoriasis durch energische
Massage vollständige und lang anhaltende Heilung erzielt, ein
Erfolg,- der von andern Autoren nicht bestätigt werden konnte.
In einem Falle von ausgedehnter Verbrennung bei
einem Kinde hat Casati die gesunden Körperteile massiert und
glaubt dadurch den Kollaps, die Ansammlung schädlicher Stoffe
im Organismus, eine Kongestion nach den inneren Organen und
die von den Meningen, dem Darmkanal und den Nieren zu fürch-
tenden Erscheinungen verhindert zu haben, da durch die Massage die
Circulation in dem Blut- und Lymphgefäßsystem reguliert und als
Dann machte Jacquet besonders darauf aufmerksam, daß
bei der Seborrhöe der Erwachsenen ein hypotonischer
Zustand der Hautdecken als ein konstantes und wichtiges Faktum
zu betrachten ist. Infolgedessen muß die Alopecie sowohl in
ihren lokalen Symptomen als auch in den ihr zugrunde liegenden
Anomalien behandelt werden. Oertlich soll der normale Tonus
wieder hergestellt werden und so die Vitalität der hypotonischen
kahlen Stellen wieder erweckt werden. In diesem Falle wird die
Massage ohne besondere spezielle Technik ausgeübt; die Haut am
Kopf, im Gesicht oder an irgend einer andern Stelle soll ge-
strichen, gerollt, gefaltet, geknetet und in allen Richtungen unter
den Fingern zerwalkt werden, und zwar mit zuerst sanftem und
dann allmählich steigendem Druck. Diese Prozedur wird am
besten täglich mehreremal über die kahlen Stellen hinaus vor-
genommen. Hierbei ist das Rasieren oder das Kurzschneiden der
Haare in der Umgebung vorzuziehen, aber nicht notwendig. Auf
diese Weise wird eine Hyperämie und eine Hyperthermie der
Haut erzeugt, was als Hauptbedingung für die Kur zu betrachten
ist. Selbstverständlich muß neben einer lokalen noch eine All-
gemeinbehandlung für die verschiedenen somatischen Störungen,
die der Affektion zugrunde liegen können, und eine Regulierung der
Lebensweise und der Lebensgewohnheiten vorgenommen werden.
Ferner hat Pohl-Pinkus, wie auch Unna später bestätigt hat,
hierbei neben einer Hypertrophie der Fettdrüsen eine starke Ver-
dickung des subcutanen Fettpolsters zuerst beschrieben.
Und hiermit hängt auch eine fortschreitende Verlötung der Kopfhaut
mit der Unterlage zusammen. Diese Momente verhindern die Entwick-
lung der jungen Haarbälge. Deshalb muß im Hypoderm für die
Entwicklung des jungen Haares Raum geschafft werden. Auch
hierauf wirkt die Massage, die am besten mehreremal täglich
vorgenommen wird, ebenso wie auch bei der „neurotischen“ Form
der Alopecie ohne begleitende Seborrhöe.
Ein außerordentlich dankbares Gebiet findet die Massage bei
der Affektion der Talgdrüsen, den Comedonen, der Seborrhöe
des Gesichts, der Acne vulgaris und indurata und der im
Verlauf derselben auftretenden Hypertrophie von Fett- und
Bindegewebe, wie man besonders am Kinn häufig sieht. Auch
hier ist Jacquet ein besonderes Verdienst zuzusprechen, der auf
den Zusammenhang der Acne mit der Magenverdauung hinwies,
respektive den Unsitten, wie man sie besonders bei jungen Mäd-
chen häufig trifft und die in dem schlechten Kauen, dem schnellen
Essen, dem vielen Sprechen während desselben bestehen usw.
Barthélemy nahm als Ursache der Acne die Magenerweite-
rung, sowie die Elimination und Ansammlung anormaler Gärungs-
produkte an. Allein diese Ansicht war irrig und beruhte offenbar
auf einer fehlerhaften Deutung des Plätschergeräusches (Bruit de
succeussion). Jedenfalls ist in einer Reihe von Fällen die Auto-
intoxikation möglich, aber nicht bewiesen.
Die Massage hat bei diesen Fällen in ähnlicher Weise zu
geschehen wie bei der Seborrhoe. Die Haut muß gestrichen
werden, zuerst in der Richtung der Ausführungsgänge der Talg-
drüsen, und dann zwischen Daumen und Zeigefinger oder zwischen
Daumen, Zeige- und Mittelfinger gerollt und gewalkt werden, eben-
falls unter allmählich steigendem Druck. Auch kann man beide
Hohlhände flach wölben und 2—3 cm voneinander gegenüber auf
die Haut fest aufstellen. Je nach dem zur Verfügung stehenden
Raume, nimmt man hierzu nur die Zeigefinger oder die zweiten und
dritten Finger oder alle vier Finger hinzu, dann nähert man die
Hände ruckweise, um sie ebenso wieder zurückgehen zu lassen.
Hierbei wird die Haut kräftig verschoben und von ihrer Unterlage
abgehoben. So wird eine Stelle nach der andern behandelt, Auch
die von mir vorhin beschriebenen rotierenden Bewegungen mit
einem oder zwei Fingern finden z. B. bei der Acne indurata mit
Vorteil Verwendung. Es liegt auf der Hand, daß auf diese Weise
nicht nur eine Fortschaffung der angesammelten und gestauten
Sekrete in den Talgdrüsen, sondern eine regelrechte, normale
respektive erhöhte Funktionierung aller Elemente in ihren anato-
mischen und physiologischen Eigenschaften erzielt wird, wodurch
auch zugleich eine stetige, mechanische Verkleinerung der Drüsen
selbst vor sich geht. Aber es gelingt nicht nur auf diese Weise,
dieser entstellenden Affektion Herr zu werden, sondern auch das
Aussehen der betreffenden Patienten zu bessern, indem z. B. das
vorstehende Kinn, das dem Gesicht einen wenig schönen, mitunter
sogar entstellenden Ausdruck verleiht, durch Resorption der dort
angesammelten hypertrophischen Gewebe verkleinert wird und da-
durch auch ästhetisch angenehmer wirkt.
Dan a a
= mE
1; Juli: 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 1103
Die von Pospeloff herausgegebenen Schemata, in denen
die Talgdrüsenrichtungen durch Pfeile angegeben sind, damit die
Patienten selbst die Massage ausführen können, erscheinen mir
nach den soeben gemachten Ausführungen überflüssig. Auf dem
Straßburger Kongreß der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft
empfahl Sack die Methode, der von Veiel dort dagegen erhobene
Einwand, daß die Krankheitserreger dadurch in der Haut weiter
verbreitet würden, ist aber durch die Praxis leicht widerlegt
worden. |
Wenn wir auch wohl wissen, daß eine Anzahl von Autoren
und Patienten dieser Methode der Behandlung der Acne nicht die
Anerkennung zollt, die ihr. gebührt, so liegt der Fehler darin, daß
von beiden Seiten die nötige Ausdauer und Geduld gefehlt
haben. Mit wöchentlichem ein- bis zweimaligen Massieren kann
man keinen Erfolg erzielen: Um in einem ziemlich ausgedehnten
Falle von Acne zu einem günstigen Resultat zu gelangen, muß
täglich mindestens einmal mit Ausdauer und Verständnis die
Methode angewendet werden. |
Wenn ich jetzt auf den Einfluß der Massage, auf die Ver-
mehrung des Stoffwechsels und so auf die allgemeine
Hypertrophie des Fettpolsters, was mit den Dermatosen. schein-
bar nichts zu tun hat, mit wenigen Worten eingehe, so geschieht
es aus dem Grunde, weil Schweninger und Buzzi darauf hin-
gewiesen haben, daß eine auf diese Weise eingeleitete Entfettungs-
kur dazu beiträgt, die Rezidivfähigkeit von Ekzem und Psoriasis
bei Fettleibigen herabzusetzen. In ähnlicher Weise bekämpft man
auch, wie Shoemaker gezeigt hat, in der Constipation bei Magen-
und Darmstörungen die Ursache von schwer zu beseitigenden und
rebellischen Dermatosen, wie Acne, Rosacea, Ekzeme, Hyper-
idrosis und Urticaria. | |
Bei bakteriellen und parasitären Affektionen, so z. B.
bei der Lepra und bei der Sycosis parasitaria, dient die
Massage als Unterstützungsmittel, um die Haut von einem Teil
der bacillären Infarkte respektive der Spaltpilze zu befreien.
Auch bei der kosmetischen Massage kommt nach Za-
bludowski eine Fernwirkung auf den Teint und den Ausdruck
im Gesichte zustande. Stauungserscheinungen verschwinden oft
nach kräftiger Bauchmassage, bei der auch der Rücken und die
Hüften mit einbezogen werden. Die Farbe des Gesichts wird
gleichmäßiger und frischer; auch eine energische Massage der Fuß-
= Sohlen mit Klopfungen und Knetungen soll dieselbe ableitende
Wirkung hervorrufen.
Diese Indikation tritt besonders hervor in den klimakte-
rischön Jahren, in denen die veränderte Bluteireulation Kon- `
gestionen nach dem Kopfe bedingt und hierdurch Störungen im Aus-
‚sehen hervorruft, aber auch eine Ursache der in diesem Alter
häufigen Rosacea abgibt. Nebenbei möchte ich bemerken, daß
gegen die Wallungen bei dieser Affektion auch regelmäßige heiße
Fußbäder wirken, wie ich in dem Abschnitt über Rosacea in
meiner Arbeit über die Anwendung des heißen Wassers bei
Hautkrankheiten eingehend ausgeführt habe. Ä
‚.,. Die Gesichts massage, die allerdings den Erwartunge
nicht voll entspricht, die man von ihr hegen durfte und sich sehr
viel in ungeeigneten Laienhänden befindet, ist indiziert bei Ver-
hütung und Vorhandensein von Runzeln, Falten, zur Resorp-
tion von Exsudaten bei abgelaufenen entzündlichen Prozessen in
der Haut und des Unterhautzellgewebes, bei Abnahme oder Zu-
nahme des Fettpolsters zur Erhöhung des Turgors und der
Blastizität der Haut und schließlich zur Wiederherstellung
eines frischeren und belebteren Gesichtsausdruckes.
Bei dieser der Kosmetik gewidmeten Massage hat Zablu-
dowski die genauen Manipulationen angegeben, aber bei ihrer
Anwendung kommen auch Uebung, Anlage und eigene Erfahrung
zur Geltung, um die für jeden Fall notwendigen Normen zu finden
und dementsprechend die Methode zu modifizieren. Im allgemeinen
ann man sagen, daß die Stirnhaut parallel zu den Augenbrauen
von der Mitte nach außen, die Schläfen von den äußeren Augen-
winkeln von innen oben nach. außen unten und halbkreisförmig in
der Gegend der sogenannten Krähenfüße, die Augenlider von den
Inneren Augenwinkeln halbkreisföormig nach den äußeren, die
„angen In demselben Sinne von der Gegend des inneren Augen-
winkels bis zum Ohr, die Nasolabialfalte von oben innen nach
unten außen und das Kinn von der Mittellinie aus dem horizontalen
Aste des Kiefers entlang zu streichen ist.
‚ Ver Tonus der welken Haut wird am besten durch regel-
mäßige, erschütternde Bewegungen wieder hergestellt,. wobei die
Jnger bessere Dienste als ein Vibrationsapparat leisten. Die
vielfachen zur Gesichtsmassage angegebenen Apparate, von welcher
Form und aus welchem Stoffe (Elfenbein, Gummi, Celluloid usw.)
sie auch sein mögen, sind in keiner Weise imstande, die Hand zu
ersetzen, da eine weiche, geschmeidige, nicht zu große und doch
kräftige Hand alle Stärkegrade viel besser zu ermessen und sich
den einzelnen Gegenden leichter anzupassen vermag, besser in die
Tiefe dringt und bei gewissen Manipulationen, wie der Durch-
knetung der Haut in den verschiedenen Schichten, durch kein In-
strument ersetzt werden kann. | | |
Auch das lästige Erblassen und Erröten kann nach Za-
bludowski durch die Zitterbewegung der Finger oder. eines
Vibrationsapparates beeinflußt werden. Hierdurch werden die
Gefäße veranlaßt, sich zusammen zu ziehen und zu gleicher Zeit
ein Nervenreiz ausgeübt, der auch seinerseits wiederum reflektorisch
eine Contraction der Gefäße hervorbringt.
Wenngleich sich Frauenhände besonders gut zur Ausübung
der Massage eignen, so wird doch durch Laien oft viel mehr
Schaden als Nutzen gestiftet, da sie leicht zu oberflächlich
oder, und das ist häufiger, zu stark und zu oft ausgeführt
wird, so daß kleinste punktförmige Blutungen und Reizungen ent-
stehen. i
Zur Behandlung sind bei manchen Dermatosen von ver-
schiedenen Autoren lineare Scarificationen mittels Skalpells
oder mittels Instrumenten, die eine verschiedene Zahl von Messern
enthalten, angegeben worden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit
an die Methode erinnern, die ich in meiner im Jahre 1887 ein-
gangs erwähnten Arbeit angegeben habe, die sich aber nur wenig
eingeführt hat. Ich kann nach 2öjähriger Erfahrung meine
Empfehlung nur wiederholen. |
Die Methode setzt sich zusammen aus Scarificationen,
denen sofort eine Massage folgt. Man kann unschwer begreifen,
daß auf diese Weise im gegebenen Fall eine doppelte und inten- .
sivere Wirkung hervorgebracht wird. Der Vorgang ist folgender:
Man macht zuvörderst Vidalsche Scarificationen, oberfläch-
lich linear, parallel und in allen Richtungen. Die betreffende
Stelle sieht nach einem .treffllichen Vergleich Besniers wie der
Schatten einer Federzeichnung aus. Die gewöhnlich ziemlich starke
Blutung wird durch Watte oder Gaze und Wattetampons zum
Stillstand gebracht. Im sofortigen Anschluß hieran werden die
betreffenden Teile massiert, indem man zwischen den Fingern
“Watte nimmt, die zum Aufsaugen des von neuem hervorsickern-
den Blutes bestimmt ist, und ziemlich schnell zweckentsprechende
Bewegungen ausführt. Dann erfolgt die definitive Blutstillung.
Zum Schluß wird ganz wenig Borvaseline und Puder auf die
scarificierten Stellen gebracht, ein Verband ist nie nötig. Zwischen-
fälle irgendwelcher Art sind nie vorgekommen. Die genauen
Details sind in meiner angeführten Arbeit zu ersehen. Erwähnen
will ich nur, daß für diese Methode besonders geeignet sind: die
verschiedenen Formen der Rosacea, die vasomotorischen
sowohl als die hypertrophischen, die Sycosis vulgaris und
parasitaria, besonders die hartnäckigeren und chronischen
Formen, da man in den leichteren Fällen mit weniger eingreifen-
den Methoden auskommt, die schweren Formen von Acne, be-
sonders von Acne indurata, sowie solche Prozesse, bei denen
ausgeprägte Stasen und entzündliche pathologische Pro-
- dukte hervorgebracht werden, die eliminiert oder zur Resorption
gebracht werden sollen. |
Ich wiederhole zum Schluß, daß auch diese Methode, wie
überhaupt die Massage, nur selten an sich ein Heilmittel, in
der größten Anzahl der Fälle aber ein nicht hoch genug zu schätzen-
des Unterstützungsmittel für alle therapeutischen Maß-
nahmen abgibt.
Was die technische Ausführung der Massage anbetrifft,
so kommen, wie schon beschrieben wurde, hauptsächlich streichende,
reibende, rotierende und knetende Bewegungen in Betracht, Schla-
gungen und Klatschungen dagegen nur sehr selten. Welche:
dieser Formen in Anwendung zu ziehen ist, hängt natürlich von
der Natur des vorliegenden Prozesses und der beabsichtigten
Wirkung ab. | | |
Zum Schutze der Haut sind von den Autoren die ver-
schiedensten Fette angegeben und bevorzugt worden. Zablu-
dowski verwendet weiße Vaseline mit Wasserzusatz, Kirch-
berg empfiehlt in neuerer Zeit Lenicet-Vaseline, sonst wurden
verwendet flüssiges Paraffin, Boroglycerin-Lanolin, flüssi-
ges Vasenol usw. Man kann sehr häufig z. B. bei der Acne
und andern Affektionen ohne irgend ein Fett auskommen, was ich
am liebsten tue. Sonst bevorzuge ich gelbe Vaseline oder, wo
angängig, so z. B. bei kosmetischen Manipulationen, eine Mischung
. von Wismut, Zinkvaseline oder ein Goldoreme wie Eucerin
"w
—
1104 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27,
Goldereme. Zusätze von Borsäure halte ich nicht für geeignet;
denn man beobachtet bekanntlich infolge technisch mangelhafter
Massage sowie durch den Gebrauch unzweckmäßiger Fette Derma-
titis, Ekzeme und nicht selten Furunkulose. Im ganzen
kann man nur sagen, daß die Hautmassage praktisch erlernt
werden muß, aber nicht immer gelehrt werden kann, denn eben-
sowenig wie sich jede Hand zur Ausübung dieser technischen
Methoden eignet, ebensowenig ist jeder Arzt zur Ausführung ge-
eignet, denn Geduld, ein feines Gefühl und das richtige Verständ-
nis müssen mitgebracht werden. Es gehört zur Ausübung der
Massage ein gewisses angeborenes Talent, sodaß der Ausspruch
voll berechtigt ist: Die Massage ist eine wahre Kunst, die nicht
leicht zu handhaben ist. l
| Ä | Thesen:
Bei der Behandlung von Dermatosen hat die Massage die
ihr gebührende. Anerkennung noch nicht gefunden, sie ist den
übrigen physikalischen Behandlungsmethoden als vollwertig an die
Seite zu stellen.
Sie übt ihren Einfluß auf alle anatomischen Bestandteile und
auf die physiologischen Funktionen der Haut aus.
Speziell wirkt sie keratoplastisch und begünstigt die Wieder-
bildung des elastischen Gewebes.
Sie ist indiziert bei allen Affektionen, die mit einer Hyper-
trophie des Kollagens im weitesten Sinne verbunden sind.
Sie reguliert das Blut- und Lymphgefäßsystem und übt einen
Einfuß auf die nervösen Elemente der Haut aus.
Sie wirkt bei den Affektionen, besonders bei Hypertrophien
der Talgdrüsen. |
So hebt sie den Tonus und den Stoffwechsel und beeinflußt
die trophischen Vorgänge, speziell die Hypertrophie des Fett-
polsters; sogar bei bakteriellen Affektionen dient sie mitunter als
Unterstützungsmiittel.
Bei der Kosmetik übertrifft die Handmassage, mit gelegent-
T. Juli,
licher Ausnahme des Vibrators, alle zu diesem Zweck angege-
benen Instrumente.
Multiple parallele Scarificationen in allen Richtungen unter-
stützen bei einigen Dermatosen die Massage.
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krankheiten. (Vierteljahrsztschr. f. Derm. 1876, S. 582—599.) — 2. Balzer,
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masaggio sopra la cute. (Giorn. ital. delle mal. vener. e della pelle. 1902,
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kl. Woch. 1904, S. 927.) Technik der Massage. (Leipzig 1903, S. 110—111.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Umfrage
über
die Entkapslung der Niere bei akuter und chronischer Nierenentzündung.
Ist die Behandlung der Nierenentzündung eine Domäne des inneren Mediziners oder ist sie ein Grenzgebiet geworden? ‘In der
Aufstellung und Beantwortung dieser Frage liegt für den Arzt eine praktisch wichtige Entscheidung: Gibt es Fälle von Nieren-
entzündungen, bei denen dem Kranken ein operativer Eingriff angeraten werden darf oder angeraten werden muß?
Die selbstverständlichen und naheliegenden Anzeigen für den chirurgischen Eingriff bei den akuten Entzündungen der Niere
und des Nierenbeckens, bei der Tuberkulose und den bösartigen Neubildungen des uropoetischen Apparats sind hier nicht gemeint,
sondern die akute und chronische Nierenentzündung. Die aufsehenerregenden Behauptungen, die der amerikanische Chirurg Edebohls
aufstellte, sind von keiner Seite bestätigt worden und niemand wird an die Möglichkeit glauben, durch Entkapslung der Niere und
Resektion der Kapsel eine akute oder chronische Nephritis zur Heilung zu bringen. Daß es aber anderseits innerhalb dieses Rahmens
gewisse Zustände gibt, die mit Erfolg einem operativen Eingriff unterzogen worden, hat James Israel gezeigt, der über schöne
Erfolge bei einseitigen Nierenschmerzen und Nierenblutungen ohne bekaunte gröbere Ursachen berichten konnte. Aber seine Methode
war die Nierenspaltung. Es scheint als ob die Berichte Israels dazu geführt haben, die Entkapslung der Niere als operativen Eingriff
aufzunehmen und engere Anzeigen dafür aufzustellen.
Was nun zunächst die experimentell-physiologischen Grundlagen dieses operativen Eingriffs anlangt, so kann ich mich einer
etwas skeptischen Beurteilung nicht erwehren. Die bisher aufgestellten Anschauungen halte ich nicht für zutreffend.
Diejenige Theorie, die eine fördernde Wirkung der Entkapslung durch die Annahme erklären wollte, daß mit der neuen
bindegewebigen Bekleidung der Nierenoberfläche zugleich auch kollaterale Bahnen entstehen und der Blutdurchströmung der Niere
neue Wege eröffnen, ist sicher falsch. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, daß sich eine neue Kapsel zwar sehr rasch
wieder bildet, daß aber von einer nennenswerten Entwicklung kollateraler Bahnen dabei keine Rede sein kann. Eine andere Vorstellung
geht davon aus, daß die Niere im Zustand frischer Entzündung im ganzen geschwollen sei und daß infolge der Unnachgiebigkeit der
Kapsel die Schwellung zu einer Stauung und akuten Anschoppung führe. Dieser Zustand von Schwellung bedinge eine Art Nieren-
sperrung und auf diese Weise sollen die Zustände von Anurie zustande kommen. Die Dekapsulation würde dann im Sinn einer
Entspannung wirken. | |
Ich kann mich der hier entwickelten Anschauung nicht anschließen. Eine so tiefgreifende Sekretionsstörung aus dem
mechanischen Moment einer innerhalb ihrer Kapsel entzündlich gesehwollenen Niere zu erklären, ist mir nicht verständlich. Den
experimentellen Beweis für diese Entstehungsweise der Anurie ist man bisher schuldig geblieben.
Nun wäre es ja zunächst von geringerer Bedeutung, eine gangbare Hypothese zu finden, viel wichtiger ist der einwandfreie
Nachweis für den therapeutischen Nutzen dieses Eingriffs aus der praktischen Erfahrung am Krankenbette.
Daß eine chronische Nierenentzündung durch die Entkapslung zur Heilung gebracht werden könnte, ist, so lehrt die Erfahrung,
abzulehnen. Die Bedeutung des Eingriffs ist also demnach einzig nach der Richtung hin zu suchen, inwieweit plötzlich in den Vorder-
grund tretende Symptome schwerer Funktionsstörung zeitweilig beseitigt werden können. Hier ist in der Tat von verschiedenen Seiten
die Ansicht ausgesprochen worden, daß eine Linderung der Schmerzen und Besserung des Allgemeinzustandes und der Diurese er-
reicht werden kann. Ueber die Bedeutung einer bloß symptomatischen Behandlung aber soll, wie man behauptet hat, die Entkapslung
hinausgehen bei den Zuständen von Urämie, Anurie und verminderter Urinabsonderung bei akuter Nierenentzündung. Hier soll sie
lebensrettend und dauernd heilend wirken. Wir begegnen bei diesem Kapitel jenen trostlosen Zuständen bei der toxischen Nephritis,
vor allem bei der Sublimatniere. Das tagelange Versiegen der Urinausscheidung stellt sich uns hier in besonders krasser Form dar.
Wir fürchten diesen Zustand ferner bei gewissen Zuständen von Nierentuberkulose und bei der Scharlachniere. Wir sehen schließlich
7. Jali. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 1105
die Oligurie zwar nicht immer, aber doch in den meisten Fällen von Urämie und Eklampsie. Für diese Zustände wird nun die Ent-
kapslung der Niere als heilbringende Operation vorgeschlagen. Als theoretische Rechtfertigung des Eingriffs wird jene Anschauung
der Entspannung und Druckentlastung der akut-entzündlichen Schwellung aufgestellt. Daß die akute Anschoppung für die Entstehung
der bedrohlichen Symptome von Vergiftung eine Rolle spielt, bezweifle ich. Daß die einseitige Dekapsulation auch auf die andere
Niere im Sinne einer Entspannung wirken sollte, kann ich schwer begreifen. Ich hekenne mich zu der Ansicht, daß das plötzliche
Einsetzen einer Urämie durchaus nicht den postulierten Zustand von abnorm gesteigerten Spannungszuständen in der Niere beweist
und damit die Entspannung indiziert, Aber anderseits erkläre ich, daß während und nach der Operation andere nicht näher er-
kannte Faktoren in Wirksamkeit treten können, die günstig auf das allgemeine Befinden und die Krämpfe einwirken. Hierzu rechne
ich die zur Anwendung kommenden Narkotika, die Blutentziehung, die Bettruhe, die Aenderung der Ernährung. Ich verweise neben-
bei auf die bekannte Tatsache, daß Zustände von Urämie nach akut entstandener, unbeachtet gebliebener Nierenentzündung auch bei
interner Behandlung restlos zurückgehen, und ähnliche plötzliche Besserungen sehe ich bei den akut-urämischen Zuständen, die im Ver-
laufe iner chronischen Nephritis auftreten und schließlich bei den während des langgezogenen Krankheitsverlaufs der Schrumpfniere
in wechselnder Stärke intermittierend einsetzenden chronisch-urämischen Krankheitszeichen. |
Ueber die therapeutische Bedeutung eines chirurgischen Eingriffs bei der akuten und chronischen Nephritis zu urteilen, ist
schwer. Die unvorhergesehenen Aenderungen, die plötzlich einsetzenden Besserungen, die Ueberraschungen nach der einen oder andern
Seite hin erschweren ungemein die Beurteilung der therapeutischen Maßnahmen. Hier kann nur eine größere praktische Erfahrung
eine Entscheidung bringen. Es schien uns geboten, durch eine Umfrage bei einer Reihe Chirurgen festzustellen, welche Anschau-
ungen auf Grund der besonderen Erfahrungen des einzelnen erwachsen sind. Dadurch kann der Arzt in den Fällen der Entscheidung
eine gewisse Stütze gewinnen. Die rechtzeitige und richtige Indikationsstellung für den chirurgischen Eingriff bildet auf diesem wie
auf verwandten Gebieten häufig die Hauptaufgabe des Arztes. Wir geben im folgenden die Antworten, die uns auf unsere Anfrage zu-
gegangen sind. In den Zuschriften wurden von uns die folgenden Fragen gestellt:
1. Haben Sie bei akuter Nierenentzündung und bei Urämie von der Dekapsulation der Nieren Erfolg gesehen ?
2. Wie urteilen Sie über die therapeutischen Aussichten des Eingriffs ?
3. Unter welchen Voraussetzungen und bei welchen Krankheitsfällen würden Sie zur Dekapsulation der Nieren schreiten ?
Wir bringen, wie in früheren Umfragen, die Antworten nach dem zeitlichen Eingang geordnet.
Prof. Dr. Kümmell, I. chirurgischer Oberarzt des Allgemeinen
Krankenhauses Hamburg-Eppendorf:
1. Ja. Bei Urämie und Anurie ist der momentane Effekt
oft ein sehr auffallender und überraschend günstiger. Dauernde
Heilung des Grundleidens wurde nicht bemerkt. Bei akuter
Nephritis mit Kapselschonung ist der Erfolg gut und oft dauernd.
2. Die Dekapsulation wird bei richtiger Indikationsstellung
immer eine gewisse Bedeutung und als typische Operation ihre
Berechtigung behalten. Die optimistischen Auffassungen früherer
Jahre, basierend auf nicht einwandfreier Diagnosenstellung, sind
einzuschränken.
3. Bei Urämie und Anurie, bei chronischer Nephritis,
wo interne Behandlung erfolglos, speziell bei der Nephritis
dolorosa und hämorrhagica, bei welcher der Erfolg gut ist,
wenn duch bei letzterer Form Nephrotomie vorzuziehen ist.
Bei akuter Nephritis (Scharlach) und der toxischen Form
mit Anurie nach Sublimat-, Carbol- und dergleichen Intoxikationen.
are bei Eklampsie und Nephritis und ihren bekannten Folge-
. zuständen.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. P. Friedrich, Direktor der Chirurgischen
Universitätsklinik, Königsberg i. Pr.:
1. Eigne Erfahrungen bei akuter Entzündung der Nieren
stehen mir nur von drei Fällen zur Verfügung, zwei davon be-
trafen multiple Absceßbildungen, und hat der eine von diesen nach
der beiderseitigen Dekapsulation vollständige Ausheilung gezeigt.
Man ist nicht berechtigt, hieraus weitere Schlüsse zu ziehen und
doch würde ich gegebenenfalls in ähnlichen Fällen den gleichen
Weg wieder empfehlen, da hierdurch zum mindesten ein Teil
des erkrankten Nierenparenchyms funktionsfähig erhalten werden
kann. Der Eingriff läßt sich rasch und ohne größere Neben-
verletzungen ausführen.
2, Siehe 1.
.» Siehe 1. Die Ueberweisung von Fällen akuter und chro-
er Nephritis an die Chirurgen zwecks Dekapsulation hat bisher
eine Verallgemeinerung erfahren. Am meisten erfolgversprechend
erscheint die Dekapsulation in Fällen multipler, kleiner Absceß-
embolien, aber auch da reicht wohl die bisher erzielte Erfahrung
zu einem abschließenden Urteil noch nicht aus.
Prof, Dr. de Quervain, Direktor der Chirurgischen Universitäts-
klinik, Basel:
(Stre ei Ich habe bei akuter, infektiöser Nephritis mit Urämie
Sr . okkeninfektion) vor der Dekapsulation sofortige, aber nur
and ergehende Wiederherstellung der Urinsekretion gesehen. Bei
ern Formen von Urämie habe ich den Eingriff nicht versucht.
nicht u 3. Die Dekapsulation scheint mir besonders, wenn
omme usschließlich ' bei septischer Erkrankung in Frage zu
n. Obwohl ein bleibender Erfolg nicht mit einiger Be-
Brandenburg.
stimmtheit vorausgesehen werden kann, so läßt sich doch der
Fall denken, daß bei nicht zu schwerer Infektion gelegentlich
Heilung erzielt werden kann.
Prof. Dr. C. Ritter, Dirig. Arzt der Chirurgischen Abteilung des
| Stadtkrankenhauses, Posen.
1.. Daß die Dekapsulation der Nieren sowohl bei akuter
Nierenentzündung als auch bei Eklampsie, Urämie und Anurie
nach Vergiftungen günstig wirkt, geht für mich aus den schweren
und doch geheilten Fällen, die ich operiert habe, hervor.
2. Vorbedingung für eine richtige Bewertung der therapeu-
tischen Aussichten des Eingriffs ist die Beantwortung der immer
noch unentschiedenen Frage nach der eigentlichen Wirkung des
Eingriffs. Seit ich beobachtet habe, daß in einem Falle schwerster
Anurie nach Sublimatvergiftung, bei dem die Operation wegen
schlechten Allgemeinbefindens abgebrochen werden mußte, die
Aethernarkose allein schon imstande war, die Sekretion der Niere
wieder in Gang zu bringen, bin ich über den Wert der Dekapsu-
lation selbst skeptisch geworden. Es spielen bei dem Verfahren
eine ganze Reihe von Faktoren mit, über deren Wirkung wir noch
wenig orientiert sind, die aber vielleicht wichtiger sind als die
Vornahme der Dekapsulation selbst.
3. Nephritis, Eklampsie, Urämie, Anurie, Rindenabscesse der
Niere, septische Nephritis.
Prof. Dr. Tietze, Primärarzt am Allerheiligen-Hospital, Breslau:
1. Die Bedeutung der Nierendekapsulation beruht auf einer
Druckentlastung der Niere und ist imstande, bei Fällen akut ein-
setzender intrarenaler Drucksteigerung wieder normale Circula-
tionsverhältnisse herzustellen. Bei Urämie beziehungsweise akuter
Nephritis habe ich die Operation nur zweimal ausgeführt. Einmal
handelte es sich um eine chronische Nephritis, im Verlauf deren
Urämie eintrat. Patient starb noch in der Nacht nach der
Operation. Nieren beiderseitig hochgradig verändert. Im
zweiten Fall urämische Erscheinungen bei akuter Nephritis.
Patientin bewußtlos. Erlangt am fünften Tage nach der Ope-
ration das Bewußtsein wieder, stirbt aber am nächsten infolge
von Apoplexie.
2. Die Dekapsulation ist nicht imstande, eine chronische
Nephritis zu heilen. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß manchen
Patienten der Eingrifi erheblich genutzt hat, so auch in drei von
mir operierten Fällen. Schmerzen, Oedeme verschwanden, All-
gemeinbefinden hob sich. In allen Fällen handelte es sich um
Patienten, die nach längerem Bestande der Krankheit wegen zu-
nehmender Beschwerden zur Operation kamen. Vielleicht war
das der Moment, wo es notwendig war, den intrarenalen Druck
herabzusetzen.
3. a) Nephralgie beziehungsweise angioneurotische Nieren-
blutung.
1106
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
7. Juli.
b) Oligurie beziehungsweise Anurie (Urämie) auf reflektori-
schem Wege oder durch akute Nephritis entstanden.
c) Eklampsie.
d) Bei Urämie im Verlauf einer chronischen Nephritis, so-
bald es sich um eine akute Exacerbation des Leidens handelt.
Prof. Dr. W. Kausch, Direktor des Auguste-Viktoria-Kranken-
hauses, Berlin:
'1. Ich habe die Operation noch nicht ausgeführt,
2. Sehr skeptisch.
3. Bei Anurie, die durch nichts anderes zu heben ist. In
keinem der ziemlich zahlreichen Fälle von Eklampsie, die ich sah,
konnte ich mich zu dem Eingriff entschließen, weil ich fürchtete,
den Patienten zu schaden. Einige Fälle, die ich fast dekapsuliert
hätte, kamen durch; sie wären durch die Operation vielleicht ge-
storben. g
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bardenheuer, Oberarzt im Bürgerhospital,
Köln a. Rh.:
1. Nein.
2. Einen besonderen Erfolg verspreche ich mir von dem-
selben nicht.
3. Ich werde diese Operation nicht mehr vornehmen.
Prof. Dr. A. Neumann, Direktor der Chirurgischen Abteilung des
Städtischen Krankenhauses am Friedrichshain, Berlin.
1. Eindeutige Erfolge habe ich nicht gesehen. Ä
2. Ich stehe den therapeutischen Aussichten sehr skeptisch
gegenüber.
3. In Fällen, in welchen ich eine einfache akute Nephritis
ohne Eiterung nach dem klinischen Krankheitsbilde diagnostizieren
müßte, würde ich kaum, selbst bei urämischen Zuständen nicht,
zur Dekapsulation der Nieren schreiten. In Fällen jedoch, in
welchen ich eine akute eitrige Nephritis vor der Operation an-
nehmen müßte, würde ich, wenn nicht die Ausdehnung der Eite-
rung eine Nephrotomie oder Nephrektomie erheischte, dann eine
Dekapsulation für angebracht halten, wenn die freigelegte Niere
im Stadium der Stauung (Cyanose usw.) vorgefunden wird und die
fibröse Kapsel derselben abnorm gespannt erscheint.
Prof. Dr. W. Müller, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik,
Rostock:
1, Nur in einem Falle von akuter, schmerzhafter (ascen-
dierender) Nephritis. Der Erfolg war überraschend gut, sonst
stehen mir keine persönlichen Erfahrungen zu Gebote, da ich mich
reserviert in der Frage verhalten habe.
Prof. Dr. James Israel, Direktor der Chirurgischen Abteilung
des Israelitischen Krankenhauses, Berlin.
1. Ich habe bei Anurie und Urämie von der Incision der
Niere Erfolge gesehen; die einfache Dekapsulation habe ich bei
diesen Zuständen nicht angewendet.
2. Bei chronischer Nierenentzündung (Morbus Brightii) habe
ich keinen Nutzen gesehen und glaube nicht an die Wirksamkeit
des Verfahrens in Hinsicht auf Heilung oder Besserung des Krank-
heitsprozesses. Aber in symptomatischer Beziehung nutzt die De-
kapsulation bisweilen; a) bei schmerzhaften Nierenaffektionen
(chronischer Nephritis mit Schmerzen und Koliken oder Blutungen,
polyeystitischer Niere mit Schmerzen, heftigen Nierenschmerzen ohne
sicheren histologischen Befund); b) ferner bei Nierenblutungen,
denen keine der bekannten gröberen Ursachen, wie Stein, Tuber-
kulose, Neoplasma zugrunde liegt, sondern meistens herdweise
gelagerte interstitielle Entzündungsherde. Diese Fälle sind öfters
ünilaterale Erkrankungen. |
3. a) Anurie, Urämie bei akuten Nephritiden, Eklampsie
(ich halte aber die Incision des Parenchyms für sicherer).
b) Schmerzen bei chronischen Nephritiden (Morb. Brightii)
oder einseitigen Affektionen (herdweisen interstitiellen Veränderungen,
polycystitischer Niere oder sklerotischer Perinephritis).
c) Nierenblutungen bei hämorrhagischer Nephritis oder
solchen, die in das Gebiet der fälschlich als „essentielle“ bezeich-
neten gehören.
Prof. Dr. E. Enderlen, Vorstand der Chirurgischen Universitäts- .
klinik, Würzburg:
1. Habe sie nie gemacht, kann mir aber denken, daß bei
akuter Nephritis die Entspannung Nutzen stiften kann; allerdings
nach den Tierexperimenten, die Thelemann auf meine Veran-
lassung machte, nur vorübergehend. Eine Kapsel kommt wieder
zustande, womöglich straffer als die ursprüngliche Bei urämi-
schen Symptomen operierte ich zweimal auf speziellen Wunsch
und sah Besserung für zwei Monate, dann kehrten die Anfälle
wieder, ebenso die Kopfschmerzen. |
2. Einmal bei Nierenblutung brachte die Freilegung der
Niere ohne Kapseldekapsulation Stillstand der Blutung. Die
Aussichten scheinen mir nicht besonders günstig zu sein.
3. Patient darf nicht zu elend sein, es muß sein Wunsch
sein, operiert zu werden — als Versuch; — bei schwerer Eklampsie in
extremis lehnte ich ab; im Beginne würde ich den Versuch
machen. Einen solchen auch bei akuter Nephritis, Urämie und
Blutung (sogenannte essentielle).
Geb. Med.-Rat Prof. Dr. Witzel, Direktor der Chirurgischen Klinik
der Akademie für praktische Medizin, Düsseldorf:
1. Wir haben vielfach bei akuter Nephritis und bei Urämie
die Dekapsulation vorzunehmen Gelegenheit gehabt, ohne daß wir
eine nennenswerte Beeinflussung des Krankheitsbildes beobachten
konnten.
2. Wir vermögen daher die therapeutischen Aussichten des
Eingriffs nicht besonders hoch zu bewerten und schreiben ihm
einen eventuellen Wert nur zu für diejenigen Fälle, in denen durch
die Dekapsulation eine direkte Entspannung des Organs vorge-
nommen werden kann. Bessere Aussichten verspricht der Eingriff
bei eklamptischen Anfällen. | |
3. Bei Auswahl der Fälle unter Berücksichtigung des sub 2
Angeführten würden wir bei akuter Nephritis (Urämie) und bei
Exacerbation chronischer Entzündungsformen:-den Eingrifi eventuell
vornehmen. Außerdem bei Eklampsie.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hermann Küttner, Breslau:
Ueber die Dekapsulation bei akuten Nierenaffektionen habe
ich leider gar keine Erfahrung. Bei chronischer Nephritis sah
ich zweimal wesentliche, aber nicht dauernde Besserung. Ich ver-
halte mich gegenüber der Berechtigung des Eingriffs skeptisch.
Prof. Dr. Pels-Leusden, Direktor der Chirurgischen Universitäts-
klinik, Greifswald: | en
1. Nur in einem einzigen Falle von Anurie bei Nierentuber-
kulose habe ich Gelegenheit gehabt, den Wert der Nierenspaltung
mit partieller Dekapsulation kennen und schätzen zu lernen. Der
Fall ist in den Charite-Annalen etwa 1901 veröffentlicht worden.
Die Wirkung der Entlastung des unter dem enormen Urindrucke
stehenden Parenchyms war hier allerdings ein eklatanter. Die
Entleerung. auf dem normalen Wege stellte sich sehr bald
wieder her. |
2. Darüber kann ich mir leider ein selbständiges Urteil noch
nicht anmaßen. Ich halte aber nach allgemein pathologiseh-ana-
tomischen Reflexionen derartige Eingriffe im letzten Notfalle für
rationell. eu
3. Bei allen schweren, sonst nicht zu beseitigenden Anurien,
eventuell auch bei den schweren Intoxikationsanurien, wie z. B.
bei den Sublimatvergiftungen.
Prof. Dr. Anschütz, Direktor der Königlichen Chirurgischen Klinik,
Kiel:
1. Wir haben bei einer Reihe von etwa zehn Fällen niemals
einen Erfolg der Dekapsulation gesehen, weder bei Anurie noch
bei Urämie oder akuter Nephritis. In einem Falle von chronisch-
parenchymatöser Nephritis haben wir doppelseitige. Dekapsulation
angewandt ohne jeden Dauererfolg. |
2. Nach diesen Erfahrungen scheinen mir die therapeutischen
Aussichten des Eingriffs ziemlich gering. |
3. Trotzdem würde ich in geeigneten Fällen schwerer akuter
Nephritis oder Urämie die Dekapsulation ausführen, für die Anurie
scheint mir die Nephrotomie sicherer zu sein.
1. Juli. . 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. 1107
Aus: der Univ.-Frauenklinik der Kgl. Charite zu Berlin.
g (Direktor: Prof. Dr. Franz.)
Konservative Behandlung der Uterusmyome
mittels Röntgenstrahlen
von
Dr. Ernst Runge, Assistent der Klinik.
Lange Zeit mußte verstreichen, ehe sich die Röntgen-
strahlen auf gynäkologischem Gebiete Geltung verschaffen
konnten. Und noch heute wird ihr Wert bier von manchen
Autoren angezweifelt oder sogar bestritten. Trotzdem finden
sie immer mehr Anhänger, was nicht Wunder nehmen kann,
da die Resultate ständig bessere werden. Wir haben sie im
ganzen 137 mal angewandt und zwar 93 mal bei Uterus-
myomen, 26 mal bei klimakterischen Blutungen, 6 mal bei
Dysmenorrhöe, 7 mal bei Pruritus vulvae, 2 mal bei Krau-
rosis vulvae, 2 mal bei Eccema vulvae und 1 mal bei Vulva-
carcinom.
Uns soll hier nur die Behandlung der Uterusmyome
mit diesem neuen Verfahren beschäftigen.
Der Gedanke, den man hierbei verfolgt, ist folgender:
Bekanntlich hat man die Beobachtung gemacht, daß inten-
sive Bestrahlung der Eierstöcke von Tieren zu einer völligen
Atrophie derselben führt (Halberstädter, Bergoniö et
Tribondöau, Specht, Lengfellner, Krause und Ziegler
und Andere). Dieselbe Erscheinung konnte man dann auch
beim Menschen konstatieren (Faber, Reifferscheid,
Fränkel, Meyer). Anderseits hat Hegar aber darauf hin-
gewiesen, daß Myome beim Eintritt der Trägerin in die
Menopause schrumpfen und kleiner werden, und daraufhin
seinerzeit den Vorschlag gemacht, in Fällen, besonders von
großen Myomen, wo die Exstirpation derselben zu gefährlich
erscheint, wenigstens die Ovarien zu exstirpieren. Auf diese
Weise: müsse es gelingen, die Frauen künstlich in die Meno-
pause zu bringen. Die Folge hiervon müßte einmal ein
Schrumpfen der Myome, vor allem aber -ein Sistieren der
Blutungen sein. Auf Grund dieser Beobachtungen und
Ueberlegungen entwickelte sich die Röntgentherapie der
Myome. Gelang es durch die Bestrahlung der Ovarien, diese
atrophisch zu machen, so konnte man hiervon denselben
Erfolg erwarten, wie von der Hegarschen Kastration. Die
Myome müssen kleiner werden und die Blutungen 'sistieren.
Und die Praxis hat dann diese Erwartungen zum großen
Teil bestätigt. Bringt man durch geeignete Bestrahlung
die Ovarien zur Atrophie, so hören auch fast stets die Blu-
tungen auf und die Tumoren nehmen in einer Anzahl von
Fällen an Umfang ab. Warum dies nicht stets geschieht,
ist für. die Röntgenkastration ebenso unaufgeklärt, wie für
die operative Kastration oder die physiologische Menopause.
Außerdem scheint auch eine direkte Beeinflussung der
Myome durch die Röntgenbestrahlung möglich zu sein. We-
nigstens sprechen hierfür eine Reihe von Beobachtungen.
So fand R. Meyer in bestrahlten Myomen, auch in ganz
kleinen, was besonders auffallend ist, einen starken Ersatz
der muskulären Elemente durch Bindegewebe.
Wie schon angedeutet, ist dieses neue Verfahren nicht
ohne Gegner geblieben. So wurde darauf hingewiesen, daß
die gar nicht so seltenen Fälle von sarkomatöser Degeneration
der Myome bei der Verwendung von Röntgenstrahlen der
techtzeitigen operativen Behandlung entgehen. Dieser Vor-
wurf ist an sich berechtigt. Durch genaue Diagnosen-
Wellung und sorgfältige Beobachtung der Patientin während
er ganzen Zeit der Bestrahlung wird er sich aber sehr ein-
Sebränken lassen. Feinste Indikationsstellung ist eben das
aupterfordernis in der Röntgenbehandlung.
i Des 'weiteren hat man gegen diese eingewandt, daß
RES Rezidive auftreten könnten. Das ist natürlich mög-
S bedeutet aber nicht viel. Tritt nach einigen Monaten
“a einmal eine Blutung auf, so appliziert man eben noch
eine Dosis und wird dann wohl stets dauernde Amenorrhöe
erzielen.
Sodann ist das Bedenken erhoben worden, daß Fehl-
diagnosen wie bei der Operation nicht korrigiert werden
können. Dies muß und kann durch eine genaue Dia-
gnose und durch weitere sorgiältige Beobachtung der
Patientin vermieden werden. Einzig und allein in Frage
käme nur die Verwechslung mit Corpuscareinom. Entsteht
auch nur der leiseste Verdacht nach dieser Richtung, so
muß natürlich sofort eine Probecurettage vorgenommen wer-
den, die dann absolute Sicherheit in bezug auf Diagnose
‚und Therapie bringen wird.
Aus alle dem geht hervor, daß bei der Röntgenbehand-
lung gute Diagnose und genaueste Ueberwachung der Pa-
tientin nötig ist. Dies kann aber nie von einem Röntgeno-
logen, sondern nur von einem Gynäkologen geleistet werden.
Daher darf auch nur ein Gynäkologe diese Behandlung
vornehmen, da nur er die Patientin vor unberechenbaren
Schäden bewabren kann.
An sich nicht ganz unberechtigt ist die Furcht, daß
durch die Bestrahlung schwere Schädigungen der Haut und
eventuell der Intestina hervorgerufen werden können. Wir
glauben jedoch, daß sich dies bei richtiger und vorsichtiger
Dosierung der Strahlen stets vermeiden läßt. Wir haben
bei weit über 1000 Bestrahlungen nie eine Verbrennung der
Haut erlebt, nur einmal ein leichtes Erythem; dagegen in
den weitaus meisten Fällen starke Pigmentation der Haut
an der Einstrahlöffnung, hin und wieder auch verbunden
mit feinstem Abschilfern der oberflächlichsten Epidermis-
schichten. Anscheinend neigt schlaffe, atrophische Haut
mehr zu diesen Erscheinungen, wie jugendliche, straffe.
Natürlich spielt die Disposition der Patientin zu Pigment-
anlagerung überhaupt hierbei eine wichtige Rolle. An
Schädigungen der Intestina hat Eymer-Menge einige Male
Durchfälle beobachtet; sonstige schwere Störungen nach
dieser Richtung sind in der Literatur nicht verzeichnet; auch
wir haben nie ernstliche Erscheinungen von seiten der In-
testina konstatieren können. |
Sehr wichtig hingegen erscheint uns eine Ueberlegung
von Fießler. Bestrahlt man die Ovarien jüngerer Frauen,
bei denen die Möglichkeit späterer Gravidität doch nicht
ausgeschlossen ist, so stammt dann das befruchtete Ei aus-
einem durch die Röntgenstrahlen schwer geschädigten Ova-
rium und ist wohl sicher auch selbst pathologisch verändert.
Aus einem derartigen Ei könnten aber womöglich schwer
geschädigte Früchte sich entwickeln. Dieser Gedankengang
erscheint uns so wichtig, daß wir uns vorgenommen haben,
jüngere Frauen in Zukunft nicht mehr mit Röntgenstrahlen
zu behandeln. |
Des weiteren ist die Befürchtung ausgesprochen worden,
daß nach der Röntgenkastration erhebliche Ausfallerschei-
nungen auftreten könnten. Die Praxis spricht jedoch da-
gegen. Wohl haben fast alle Autoren und auch wir in den
meisten Fällen Ausfallerscheinungen beobachtet, aber nicht
auffallend intensiver, als beim Einsetzen der physiologischen
' Menopause. Im “übrigen kann man ihr Auftreten als ein
günstiges Vorzeichen betrachten, daß bald der Erfolg der
Bestrahlung eintreten wird. | |
Für kontraindiziert halten wir die Behandlung mit
Röntgenstrahlen nur 1. bei Verdacht auf sarkomatöse De-
generation der Myome, Adenomyome und auf Bestehen von
Corpuscarecinom, 2. bei unsicherer Diagnose, 3. bei ver-
“eiterten und verjauchten Myomen, 4. bei jüngeren Frauen,
speziell wenn es sich um größere Myome handelt, 5. bei
submukösen Myomen, 6. bei schweren Kompressionserschei-
nungen, die eine schleunige Besserung erfordern, 7. wenn
schwerere Nebenerscheinungen auftreten sollten, muß mit der
Röntgenbestrahlung entweder vorübergehend oder womöglich
dauernd ausgesetzt werden. 8. Bei gleichzeitig bestehenden
Adnexerkrankungen ist der Erfolg zweifelhaft. Ob hier die
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1108 oo 1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 21.
7. Juli,
Röntgenstrahlen indiziert sind, muß erst die Zukunft lehren.
9. Bei ausgebluteten Frauen tut man besser, diese zu ope-
rieren, da man sonst nach der ersten Bestrahlung, wo die
Menstruation nicht selten abundanter ist, die unangenehm-
‘sten Folgen erleben kann. Außerdem verlangen diese Fälle
auch baldigste Heilung. 10. Muß die soziale Stellung der
Patienten berücksichtigt werden. Drängen die äußeren Ver-
hältnisse auf eine schleunigste Wiederherstellung derselben,
so dürfte die Operation in ihr Recht treten.
Die Vorteile des Röntgenverfahrens gegenüber opera-
tiven Eingriffen bestehen einmal in der absoluten Gefahr-
losigkeit der Methode, richtige Technik vorausgesetzt, so-
dann in der Möglichkeit, auch messerscheue Patientinnen
von ihrem Leiden zu befreien, und schließlich in ihrer Ver-
wendbarkeit bei Komplikation mit Erkrankungen, die eine
‘Operation kontraindizieren,
Für den Erfolg der Röntgenbestrahlung spielen ver-
schiedene Momente eine Rolle. Vor allem das Alter der
Patientinnen. Je älter die Frau ist, um so weniger wider-
standsfähig werden ihre Ovarien sein, um so mehr werden
sie sich schon im Zustande der beginnenden Atrophie be-
finden. Daraus folgt aber, daß sie auch der Einwirkung
der Röntgenstrahlen um so eher erliegen werden; das heißt,
es wird um so eher die Menopause eintreten, je älter die
Patientin ist. Des weiteren kommt die Größe der Tumoren
und die Lage der Ovarien in Betracht. Je näher diese den
Bauchdecken und damit dem Focus der Röntgenröhre liegen,
um So intensiver wird die Einwirkung der Strahlen auf sie
sein. Denn für diese gilt dasselbe Gesetz, wie für die Licht-
strahlen, nämlich daß die Intensität im Quadrate der Ent-
fernung zu- respektive abnimmt. Aus demselben Grund
spielen auch das Fettpolster und der Füllungszustand der
Därme eine nicht unwichtige Rolle. Sind die Bauchdecken
sehr stark und die Därme sehr gefüllt, so muß man natür-
lich mit der Röhre weiter von den Ovarien entfernt bleiben,
und die Beeinflussung derselben wird geringer sein.
In welcher Weise äußern sich nun die Wirkungen der
Röntgenstrahlen? Die Blutungen sind besonders bei jün-
geren Frauen nach der ersten, hin und wieder auch nach
der zweiten Sitzung nicht selten stärker, um erst nach der
‘ dann folgenden zur Norm zurückzukehren. Bei weiterer
Bestrahlung werden sie dann immer geringer und ver-
schwinden schließlich ganz. Diese Angaben bedeuten natür-
lich nur Durchschnittswerte, denn wie schon oben be-
sprochen hängt der Erfolg der Bestrahlung von verschiede-
nen Momenten ab. Ist nach der sechsten Bestrahlung keine
Amenorrhöe oder wenigstens ausgesprochene Oligomenorrhöe
erreicht, so sind die Aussichten bei weiterer Bestrahlung
gering. Die Schmerzen lassen zumeist parallel den Blu-
tungen nach. Die Druckerscheinungen können natür-
lich erst geringer werden oder verschwinden, wenn der
Tumor kleiner wird. Das Allgemeinbefinden. hebt sich
allmählich, was auch nicht wundernehmen kann; denn die
Frauen werden sich natürlich wohler befinden, wenn ihre
- Blutverluste geringer werden und die Schmerzen nachlassen.
Die auftretenden Ausfallerscheinungen sind, wie schon
erwähnt, nach unsern Erfahrungen nicht stärker, als sonst
beim Einsetzen des physiologischen Klimax. Treten sie auf,
so kann man sie als günstiges Zeichen für den baldigen
Erfolg der Bestrahlung betrachten. Sonstige schwere Stö-
rungen, wie Blasentenesmus, Verschwinden der Libido
sexualis und bedeutende Gewichtsabnahme haben wir
nie beobachtet.
Viel umstritten ist die Frage, ob die Tumoren nach
der Bestrahlung kleiner werden. In einer Reihe von Fällen
konnten wir dies sicher beobachten. Merkliche Verkleine-
rungen darf man aber während der Bestrahlung nicht er-
warten, denn sie können doch erst nach Eintritt der Meno-
pause sich entwickeln. o |
Was nun unsere Resultate im einzelnen betrifft, so
haben wir im ganzen 93Myompatientinnen bestrahlt. Von diesen
schalten fünf aus, die nicht wieder erschienen, sodaß wir
nicht wissen, wie bei ihnen der Erfolg war. Von den übrig
bleibenden 88 Fällen kommen vier des weiteren nicht in
Betracht, da sie erst einmal bestrahlt worden sind und wir
von ihnen noch nichts über die folgende Menstruation er-
fahren haben. Somit verbleiben für unsere Betrachtung
84 Fälle (siehe Tabelle).
Zahl : Menses Ver-
Amenor- ligo- .
der ; normal schlim- Unbeeinflußt
Fälle rhöe | menorrhöe | veəworden | merung.
|
T | 1 1 1 | 1 (operiert)
6 3 (A 2 | l
5 6 (8 8 3 1 (Operation abgelehnt)
4 14 (6) 2 2 1
3 5 o 3 5 2
2 8 (5) 8 3 1
| | 3 (Operation abgelehnt)
1 2 2 5 1 1 i
Summe | 309% | a | a8 | 4 |»
(Die Zahl der sicher beobachteten Verkleinerungen der Tumoren
ist in Klammern gestellt.)
Von diesen 84 Patientinnen wurden 39 amenorrhoisch
— 46,40. Bei 13 Patientinnen bestehen nur noch ganz
geringe Blutungen und bei 18 hat das Menstruationsbild
wieder normale Formen angenommen. Bei weiterer Bestrah-
lung wird sich der Erfolg hier auch wohl noch bessern und
in manchen Fällen Amenorrhöe eintreten. Eine günstige
Beeinflussung der Blutungen konnten wir also in 70 Fällen
konstatieren = 83,5%). In vier Fällen haben die Blutungen
an Intensität zugenommen. Da es sich hier aber um Frauen
handelte, die erst ein- respektive zweimal bestrahlt worden
sind, so wird sich wahrscheinlich auch in diesen Fällen das
Blutungsbild noch nach der guten Seite hin ändern. Un-
günstig darf man diese Zunahme der Blutungen, wie schon
erwähnt, keineswegs deuten. In zehn Fällen = 11,4 /, ist
bis jetzt der Erfolg ausgeblieben. Fünf dieser Patientinnen
wollen wir noch weiter bestrahlen. Fünf andern dagegen
haben wir die Operation vorgeschlagen. Vier haben sich
jedoch derselben entzogen. Eine Patientin haben wir ope-
riert. Bei der Untersuchung des gewonnenen Präparats
zeigte es sich, daß der Mißerfolg der Röntgenbestrahlung
aufdas Vorhandensein eines Schleimhautpolypen und eines nahe
unter der Schleimhaut gelegenen nekrotischen Myomknotens
zurückgeführt werden mußte. Die Ovarien wiesen völlig
atrophische Zustände auf. Es fand sich auch nicht ein ein-
ziger Follikel trotz Serienuntersuchung in ihnen. Am häufig-
sten trat der Erfolg nach der vierten bis sechsten Bestrah-
lung auf. Absolut sichere Verkleinerung der Tumoren
konnten wir in 19 Fällen = 22,6 %/, konstatieren, das heißt
bei der Hälfte der amenorrhoisch gewordenen Frauen. Nicht
uninteressant ist es, wenn man die amenorrhoisch gewordenen
Fälle nach ihrem Alter zusammenstellt.
Es wurden amenorrhoisch von den
31 bis 35 Jahre alten Frauen 33 ho
36 ” 40 ” N) ” 37 °/o
40 ” 45 ” ” ” 37 %/ 0
46 „ 50 „ „ „ 66 0/ (
51 „ 55 2) „ » 66 4 0 E
Nun noch einige Worte zur Technik. Als Apparat be-
nutzen wir den sogenannten unterbrecherlosen Idealapparat
von Reiniger, Gebbert und Schall, der sich uns sebr
gut bewährt hat und das Röhrenmaterial äußerst schont.
Als Röhren haben wir ausschließlich große Müllersche
Wasserkühlröhren in Gebrauch, die trotz der hohen Be-
lastung, mit der wir arbeiten, sehr konstant bleiben. Um
eine dauernde Kühlhaltung der Antikathode zu erzielen,
haben wir uns eine permanente Durchspülung des Wasser-
reservoirs der Röhre eingerichtet. Damit die Wand der
Röhre nicht zu heiß wird, ist in den Stromkreis ein auto-
matischer Unterbrecher von Reiniger, Gebbert und Schall
eingeschaltet, der zirka alle vier Sekunden den Strom
auf zirka eine Sekunde unterbricht, wodurch die Glas-
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1, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
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wand Zeit erhält, sich genügend abzukühlen.
tientin befindet sich bei der Bestrahlung in einer schwachen
Beckenhochlagerung auf einem Sofa, um ein spontanes
Heraussinken der Därme aus dem kleinen Becken zu
begünstigen. Außerdem üben wir durch einen am Röhren-
stativ angebrachten Tubus eine Kompression aus, um ein-
mal die Därme noch mehr aus dem Bestrahlungsbereiche
herauszudrücken, und zweitens, um die Haut zu anämisieren.
Bekanntlich disponiert anämische Haut viel weniger zu
Röntgenschädigungen, als hyperämischh. Um jedoch ein
Hineinquellen der Bauchhaut in den Tubus und damit eine
Hyperämisierung derselben zu verhindern, haben wir ihn an
seinem peripheren Ende mit einer Metallplatte, dem Aluminium-
filter, abgeschlossen, auf das noch ein Luffaschwamm be-
festigt ist, um die Kompression und Anämisierung zu er-
höhen. Die Röhre selbst ist in einem impermeablen Kasten
derart placiert, daß die Entfernung ihres Fokus von der
Hautoberfläche konstant 18 cm beträgt, und wird mit 5 M.-A.
belastet. |
Wir bestrahlen nicht, wie es noch von einigen Autoren
geschieht, das ganze Abdomen auf einmal, sondern benutzen
die von Fränkel angegebene und von Gauß weiter emp-
fohlene Felderbestrahlung. Diese hat den Vorzug, daß man
sehr viel mehr Strahlen in das Abdomen, also zu den Ovarien
hineinsenden kann. Wir wählen im ganzen sechs Felder
auf der Haut des Unterleibes von je 7 cm Durchmesser, ent-
sprechend dem Durchmesser unseres Tubus. Von einer Be-
strahlung per vaginam, wie sie z.B. von Gauß empfohlen
wird, haben wir bisher aus verschiedenen Gründen abgesehen.
Nach unsern Berechnungen werden auf diese Weise in jeder
Sitzung die Ovarien viermal, der Uterus sechsmal getroffen.
Daraus geht also wohl deutlich der Vorteil der Felder-
bestrahlung gegenüber der Gesamtbestrahlung des Ab-
domens hervor, denn hier werden Uterus und Ovarien natür-
lich nur einmal bestrahlt.
Sehr wichtig ist die Wahl des Filters. Bekanntlich
sendet jede Röntgenröhre harte und weiche Strahlen aus.
Da die letzteren nur die Haut schädigen, aber nicht die
Penetrationskraft besitzen, um bis zu den Ovarien zu ge-
langen, so sind sie für uns völlig unbrauchbar und sogar
gefährlich. Um sie daher möglichst zu eliminieren, benutzen
wir einmal sehr harte Röhren (11—12 Wehnelt) und schalten
zweitens in den Bestrahlungskegel ein sogenanntes Filter
ein, wozu wir früher eine Schicht von vierfach Wildleder
verwendeten, die ungefähr 5 0, der Strahlen resorbierte. Auf
Grund der Mitteilungen von Gauß erschien uns dies jedoch
nicht genügend. Wir benutzen daher jetzt als Filter ein
mm starkes Aluminiumblech, das ungefähr 65°/, der
Strahlen zurückhält. Dadurch dürfen wir hoffen, daß wir
fast nur noch solche Strahlen zur Verwendung bringen,
welche genug Penetrationskraft besitzen, um bis zu -den
Ovarien respektive zum Uterus zu gelangen, und anderseits
die Haut fast unbeeinflußt lassen. |
‚ Zur Messung der applizierten Strahlenmenge verwenden
wir ausschließlich das von Holzknecht modifizierte Ver-
fshrenvonSaboureaud-Noir6, das sich uns sehr gut bewährt
hat, Wir haben stets so genau dosieren können, daß wir,
wle schon erwähnt, unter weit über 1000 Bestrahlungen nie
rs Verbrennung, nur einmal ein leichtes Erythem erlebt
n;
, Auf jede Hautstelle, also Einstrahlöffnung applizieren
Wir vier Holzknecht-Einheiten gefilterter Strahlen = einer
knappen Erythemdosis, sodaß wir in jeder Sitzung 24 Holz-
knecht-Einheiten oder fünf Erytiiemdosen verabfolgen. Die
ungefilterte Strahlenmenge, die hierbei zur Verwendung
kommt, beträgt ungefähr 66,6 Holzknecht - Einheiten =
183,2 Kienböck-Einheiten — 13,3 Erythendosen. Ä
., An jedem Tage benutzen wir zwei Hautstellen, sodaß
rn Sitzung drei Tage dauert. Wir wiederholen dann die
estrahlung nach 3 Wochen, beabsichtigen aber mit diesem
Die Pa-
Intervall auf zwei Wochen zurückzugehen, da von andern
Autoren diese Zeit auch gewählt wird, ohne daß sie Haut-
schädigungen dadurch gesehen haben, und die cumulierende
Wirkung der Strahlen natürlich zunimmt, je geringer die
Intervalle sind. Anfangs waren wir bemüht, möglichst bald
nach der Menstruation zu bestrahlen. Da jedoch die Blu-
tungen manchmal recht lange anhalten und unregelmäßig
auftreten, so haben wir schließlich diesen Vorsatz ganz auf-
gegeben und bestrahlen jetzt notfalls sogar während der
Blutung, wovon wir bisher nie einen Schaden gesehen haben.
. Literatur: 1. Albers-Schönberg, Die Röntgentechnik. (Hamburg,
L. Graefe & Gillem, 1910 und Zbl. f. Gyn. 1911, Nr. 27.) — 2. Bergoni6 et
Tribondeau, Comptes rendues de la soc. de biologie, 1904 und 1905. (A.
d’elöctrieite méd. 1906.) — 3. Doederlein (Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. 33, S. 413).
— 4; Eymer-Menge (Mon. f. Geb. u. Gym. Bd. 85, H. 3). — 5. Faber (Zt. f.
Röntg. u. Radiumforsch. an — 6. Fiessler (Zbl. f. Gym. 1912, Nr. 15). —
7. Fränkel, Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie.. (Berlin, Schoelz 1911 und
Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 17, und Th. d. G. 1911, S. tf und 1910, Nr. 10.) —
8. Gauß (M. med. Woch. 1911, S. 1528 und Diskussion. Mittelrheinische gynäk.
Gesellsch., Sitzung vom 19. Nov. 1911 und Zbl. £ Gyn. 1911, Nr. 10, und Dis-
kussion. Berl. gyn. Gesellsch. vom 26. April 1912). — 9. Henkel (Diskussion.
Berl. gyn. Gesellsch. vom 26. April 1912). — 10. Holzknecht (Röntgenologie,
Jahreskurse für ärztliche Fortbildung, August 1910, J. F. Lehmann [München],
und Wr. med. Woch. 1911, Nr. 35). — il. Kelen (Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. 34,
und M. med. Woch. 1912), — 12. Krause und Ziegler, Fortschritte auf dem
Gebiete der Röntgenstrahlen 1906, H. 3. — 18. Krönig und Gauß (M. med.
Woch. 1912, Nr. 14, und 1910, Nr. 29, und D. med. Woch. 1912, Nr. 20). —
14, Lengfellner (M. med. Woch. 1906, Nr. 44). — 15. Maokenrodt (Dis-
kussion. Berl. gyn. Gesellsch, vom 26. April 1912, und daselbst vom 10. Mai
1912). — 16. R. Meyer (Zbl. f. Gyn. 1912, Nr; 17, und Berl. gyn. Gesellsch, _
vom 26. April 1912)..— 17. Reifferscheid, Die Röntgentherapie in der
Ge alogie (Leipai, J. A. Barth 1911.) — 18. E. Runge (Berl, gyn. Gesellsch.
vom 26. April 1912, und Berl. med. Woch. 1911, Nr. 52, und M. med. Woch.
1912, Nr. 7 und Klin.-therap. Woch. 1912, Nr. 1). — 19. Specht (A. f. Gyn.
1906, Bd. 78).
Wassermann und Therapie der Spätlues
von
Dr. Walter Krebs, Oberstabs- und Chefarzt, Falkenstein i. T.
In welch hohem Maße die Erkennung syphilitischer Er-
scheinungen in allen Stadien durch die Entdeckung der Wasser-
mannschen Reaktion gefördert worden ist, wird je länger je mehr
offenbar. Besonders in den späteren Lebensjahren eines alten
Sypbilitikers dürfte bei Zweifeln in der Deutung etwaiger ver-
dächtiger oder auch in der Aetiologie nur dunkler Krankheits-
erscheinungen der positive Ausfall der Wassermannschen Reaktion
von ausschlaggebender Bedeutung sein. Und dabei ist in den
meisten Fällen einer specifischen Therapie der Weg geebnet. In
einer erheblichen Anzahl derartiger Erkrankungen gelingt es so,
noch helfend eingreifen zu können, wo andernfalls unabsehbare
Folgen zu gewärtigen sind.
Von den 51 Patienten innerhalb zweier Jahre, bei denen
entweder die Vorgeschichte frühere syphilitische Infektion ergab
oder bei denen ein Symptomenkomplex vorlag, der dafür ver-
dächtig war, zeigten 27 WaR. +, 21 WaR. —. Von den 27 posi-
tiven leugneten sieben jede syphilitische Ansteckung und waren
bisher ohne jede Behandlung geblieben. Von diesen sieben
litten vier an beginnender Paralyse, einer an Neur-
asthenie, die binnen drei Vierteljahren auch in Paralyse
ausklang, einer an Neurasthenie und Neuritis, einer an
Aortitis und Myokarditis. Von jenen 51 waren fernerhin
19 = 37°), Neurastheniker, während diese unter dem andern
Krankenmaterial nur 27°), ausmachten. Bei allen positiv
Reagierenden wurde, wie schon angedeutet, eine specifische Behand-
lung inauguriert durch Salvarsan, Hg, Jod beziehungsweise durch
eines von dreien. Ueber den Verlauf und Erfolg einiger dieser
Kuren mögen die nachstehenden kurzen Krankengeschichten das
Nähere besagen. |
1. Patient K. leugnet jede syphilitische Infektion in der J ugend,
gibt aber eine Gonorrhöe vor der Ehe zu. Frau zweimal abortiert. Patient
mehrfach in den letzten Jahren wegen Osteomyelitis operiert, bei der
vorletzten Operation 1909 hat angeblich die Untersuchung des Eiters
dessen Sterilität ergeben, in gleicher Weise i910 bei der Aufmeißelung
des linken Unterschenkels. Beginn der Behandlung 20. Juni 1910. An
den verschiedensten Körperstellen tiefe, bis auf den Knochen reichende
Narben, eine am linken Unterschenkel befindliche Narbe, noch nicht völlig
geschlossen, sondert eine wäßrige Flüssigkeit ab. Allgemeinzustand
leidlich, Aussehen frisch. Die Angaben des Patienten über die Sterilität
. seines Eiters, die zwei Aborte seiner Gattin und schließlich die Mitteilung,
daß er sich von der letzten Operation besonders nach dem innerlichen
Gebrauch von Jod gut erholt habe, leiteten zu dem Gedanken über,
die Wassermannsche Reaktion anzustellen. Die Antwort des Unter-
1110 WR 19182 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
7. Juli.
suchers lautete etwas drastisch: Wassermann haushoch positiv.
Die sofort eingeleitete Therapie bestand in Hg-Schmierkur und später
Jod. Die Erholung war glänzend. Abgang 10. August 1910 in vorzüg-
lichem Zustande, | Ä
Seit dieser Zeit besteht dauerndes Wohlbefinden, seit 1. Juli 1911
tut Patient jeglichen Dienst ohne Nachteil. Eine im November 1911
erneut durch seinen Hausarzt entnommene Blutprobe ergab wiederum
positive Reaktion des Wassermann, weswegen Hg und Salvarsan zur
Anwendung kamen, wonach sich der Patient ganz besonders wohl fühlte.
| 2. Herr D. gibt vor mehreren Jahren überstandene syphilitische
Infektion zu und klagt seit Herbst 1909 über Verdauungsbeschwerden,
in Verfolg deren er erheblich abgemagert sei. Aufnahme 28. Februar 1910.
Elend blasser Mann, der in deprimierter Stimmung kommt, da er sich
‚bereits wochenlang in magenspezialistischer Behandlung befindet und bei
ihrer Erfolglosigkeit die Ueberzeugung der carcinomatösen Natur seines
‚Magenleidens gewonnen hat, das sich in Druckgefühl direkt nach dem
‚Essen schwerer Speisen, Abmagerung und Appetitlosigkeit äußert. Die
Magenausheberung nach Probefrühstück ergibt schlechte Verdauung, fünf
Gesamtacidität, freie Salzsäure fehlt, desgleichen Milchsäure. Zwölf Tage
‘später trotz strenger Diätkur usw. Gesamtacidität nur 0,3, der übrige
Befund war wie der erste. Um nichts zu versäumen, zumal ein Tumor
oder dergleichen von außen nicht zu fühlen war, wird Wassermann an-
gestellt, der zweifelsfrei positiv ausfällt. Die infolgedessen vorgenommene
Hg-Einreibungskur mit Jod ergab ein überraschend gutes Resultat. Be-
reits 13 Tage später nach der letzten Untersuchung war eine Gesamt-
acidität von 26, weitere 15 Tage eine solche von 44 zu konstatieren und
Spuren freier Salzsäure nachzuweisen. Der Allgemeinzustand besserte
sich dementsprechend auch, die Magenbeschwerden schwanden. In sehr
gutem Zuständ erfolgte die Entlassung am 25. April. Mehrfach seitdem
angestellte Blutuntersuchungen ergaben stets wieder: positiven Wasser-
mann, infolgedessen jedesmal erneute Kuren unternommen wurden. Sein
jetziges Allgemeinbefinden ist gut, seine Magenverhältnisse sind be-
friedigend. er
Charakteristisch schreibt dieser Patient Ende 1911, daß er
ein recht zufriedener und glücklicher Mensch sei, wenn das zu
erwartende Resultat der vor Weihnachten angestellten Wasser-
mannschen Reaktion negativ ausfallen würde. Diese Bemerkung
weist auf einen Umstand hin, den zu erörtern von Wert sein
dürfte. Die Vornahme der Wassermannschen Reaktion geht
gemeinhin nicht spurlos an dem Patienten vorüber. Er schaut mit
einem gewissen Bangen den Untersuchungen, die eventuell so oft
-wiederholt werden müssen, entgegen und ist naturgemäß, besonders
in späteren Jahren, deprimiert, wenn er sieht, daß selbst nach
-energischen, specifischen Kuren das Blut immer wieder die Zeichen
'syphilitischen Giftes aufweist. Und doch darf der Arzt von der
Wiederholung dieser Untersuchung selbst in späteren Jahren nicht
‚absehen, wenn die vorhergehende Reaktion noch positiv ausge-
fallen war. Ja, selbst wenn die letzte. Reaktion negativ ausge-
‚fallen sein sollte, würde es sich wohl empfehlen, alljährlich einmal
‘die Wassermannsche Reaktion anzustellen, um eventuell recht-
zeitig therapeutische Maßnahmen zu treffen und so vor unange-
‘nehmen Ueberraschungen im Krankheitsverlauf sicher zu gehen.
Denn, wie Anton sehr richtig bemerkt, sichtbaren Rezidiven der
: Syphilis vorbeugen, heißt der Paralyse vorbeugen. Und in welchem
‘Maße gerade die leichten Syphilisfälle, die kaum ein- bis zweimal,
oder überhaupt nicht specifisch behandelt worden sind, zu schweren
Erkrankungen ‘in der Spätzeit disponiert sind, geht auch aus
meiner Statistik (siehe z. B. Paralyse) hervor. Die beiden eben
"aufgeführten Patienten sind gewiß Beweis, welch eminenten Wert
die Anstellung dieser Probe für ihre Krankheit gewonnen hat; sie
werden fraglos sich willig diesen wiederholten Untersuchungen
unterziehen, da sie selbst am eignen Körper es erfahren haben,
welch segensreiche Schlüsse aus ihnen für die Therapie gezogen
worden sind. Bei beiden Kranken hat es sich vermutlich um
gummöse Prozesse gehandelt — das eine Mal in der Magenschleim-
‘haut, das andere im Knocheninnern etabliert —, die durch Sal-
varsan beziehungsweise Hg und Jod zur Ausheilung gelangt sind.
Ich möchte hierbei noch eine weitere gummöse Erkrankung
‚erwähnen, die die Nase ergriffen hatte. |
3. Patient P. gibt an, früher nicht syphilitisch infiziert gewesen zu
sein, erkrankte Ende 1910 an Influenza und im Anschluß daran angeblich
an beiderseitigem Stirnhöhlenkatarrh; Entfernung eines Nasenpolyps;
Nierenentzündung. Bei der Aufnahme am 2. September 1911 wies der
' kleine, zartgebaute, blasse und wenig gut genährte Mann keine Er-
"'scheinungen seitens der Nieren mehr auf, dagegen sah man hoch oben
an der rechten Nasendecke schleimig eitriges Sekret, das ein Ulcus be-
deckte. Durch eine notwendige Reise wurde die Kur und Beobachtung
unterbrochen, sodaß erst am 3. März 1911, zumal bis dahin eine Ver-
änderung des Nasenbildes nicht eingetreten war, die Wassermannsche
Untersuchung angestellt werden konnte. Sie fiel positiv aus. Unter An-
wendung von Salvarsaninjektion ging das Geschwür bald zurück, sodaß
“es bei der Entlassung am 26. März 1911 geheilt, das Körpergewicht um
2,8 kg gestiegen war und der Patient sich völlig wohl befand. Seitdem
hat dieser seinen äußerst anstrengenden Dienst ohne Unterbrechung getan.
Da eine im September 1911 erneut vorgenommene Blutentnahme wieder
Wassermannsche Reaktion ergab, ist er infolgedessen von einem
Spezialarzt in seiner Heimat zum zweitenmal einer specifischen Be-
handlung mit Salvarsan und Hg unterzogen worden, ohne daß äußerlich
sichtbare Zeichen von Syphilis vorhanden waren.
Eine spätsyphilitische Erkrankung der Leber — Schwel-
lung —, bei der wohl die Anamnese eine vor 18 Jahren erfolgte
Syphilisinfektion ergab, welche aber bisher als alkoholische Cir-
rhose angesprochen und dementsprechend behandelt worden war,
führte einen weiteren Patienten am 11. April 1911 in meine Be-
handlung. | f
. 4. St. Klagen über Mattigkeit und Appetitlosigkeit, 1889 Ikterus,
angeblich seit 1906 zeitweises Drücken in der Lebergegend, die sich nach
dem Essen steigern. Nach dem Gebrauche von Karlsbad 1909 erhebliche
Besserung. Bei der Aufnahme überragte die Leber den unteren Rippen-
rand um 3 cm, war glatt, nicht empfindlich, während es der eben fühl-
bare Milzrand war. Die sofort bei seiner Aufnahme vorgenommene
Wassermannsche Reaktion fiel positiv aus, weswegen zweimal intravenös
Salvarsan gegeben wurde. In sehr gutem Zustand und beschwerdefrei
verließ der Patient einen Monat später meine Behandlung. Ein vor
kurzem von ihm eingetroffener Krankheitsbericht bemerkt, daß er sich
seit der Entlassung aus der Bebandlung andauernd recht wohl fühle und
der untersuchende Arzt zurzeit auch „nichts habe finden können“.
Schließlich mag noch ein Patient in dieser Reihe Erwähnung
finden, der aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls an einem gum-
mösen Prozeß erkrankt gewesen war. | |
5. O. kommt Januar 1912 als Rekonvaleszent nach Spaltung einer
großen Absceßhöhle in der rechten Hinterbacke dicht am After in die
Behandlung. Seit Juli 1911 hat er eine orst harte, allmählich sich er-
weichende, trotz mehrmaligen Zurückgehens doch wachsende Geschwulst
an der erwähnten Stelle bemerkt, die schließlich Oktober 1911 operiert
wurde. Es zeigte sich nach Entleerung reichlichen Eiters eine faust-
große Höhle. Langsame Heilung. Bei der Aufnahme strahlige Narbe
dicht am After, bei der pfennigstückgroße, nicht epidermisierte Schleim-
haut des Mastdarms vorliegt. Hämorrhoiden. Lues anfangs negiert,
späterhin Infektion vor 26 Jahren zugegeben, drei Hg-Kuren. Ver-
heiratet, fünf Kinder, von denen eins minderwertig ist, ein Abort.
Wassermann positiv. Daraufhin Salvarsan zweimal intravenös und Jod
innerlich.
Auch in diesem Falle lag trotz anfänglichen’ Ableugnens
jeder luischen Ansteckung wegen des ersten Aborts und der
Minderwertigkeit eines Kindes es nicht so ganz fern, an eine
etwaige syphilitische Grundlage der harten, sich langsam er-
weichenden Geschwulst, die ihm Wochen hindurch so wenig Be-
schwerden verursachte, daß er stundenlang und anstrengend darauf
hatte reiten können, zu denken. Nach dem zweimaligen positiven
Ausfall der WassermannschenReaktion gab der Patient, wie gesagt,
auch richtig die frühere syphilitische Infektion zu. Nach Beendi-
gung der Kur — 45 Tage — schied er als frischer, lebensfroher
Mann aus der Behandlung, versprach das Blut seiner Kinder unter-
suchen zu lassen und weiß, daß er von nun ab in gewissen
Zwischenräumen dieWassermannscheReaktion anstellen lassen muß.
So schwer auch diesem Patienten es zuerst wurde, an die Mög-
lichkeit einer jetzt noch vorhandenen Virulenz des Syphiliserregers
in seinem Körper zu denken, so befreit und froh warer nach der
Kur und nach den wiederholten Rücksprachen, in denen ich ihm
reinen Wein über alle in Betracht kommenden Fragen schonend
eingeschenkt hatte. Ein kürzlich eingetroffener Brief ist auf den
gleichen Ton gestimmt, trotzdem die erneut angestellte Wasser-
mannsche Reaktion wieder positiv ausgefallen ist. Er weiß, woran
er ist, und diese Gewißheit ist für den energischen Charakter stets
von größerem Wert als das — freilich weitaus bequemere — Gegenteil.
Während bei den obengenannten Krankheitsfällen nach posi-
tivem Ausfall der Wassermannschen Reaktion die Therapie einen
prompten und anhaltend günstigen Erfolg erzielt hat, ist die The-
rapie bei den Kranken mit Erscheinungen seitens des Nerven-
systems nicht immer von gleich guter Wirkung. Auch hier mögen
einige Krankheitsgeschichten das Gesagte unterstreichen.
6. Der jede syphilitische Infektion leugnende Patient W. bemerkte
seit einem Vierteljahr eine zunehmende leichte Erregbarkeit und Er-
'schöpfbarkeit durch den Dienst. Vor sechs Wochen trat anscheinend
eine leichte Hemiparese der linken Seite auf, vor vier Wochen starke
bohrende Schmerzen über dam linken Auge. Auf Jodgebrauch wesent-
liche Besserung. 19. April 1911 Eintritt in meine Behandlung. Großer,
'stattlicher, frisch aussehender Mann, der sich öfter verspricht und, dessen
Lippen beim Sprechen zittern. Romberg —, Pat.-Refl. +, Pup.-Reakt. —,
r. Pap. > 1. Die angestellte Wassermannsche Reaktion zeigt posli-
tiven Ausfall, woraufhin sofort mit intravenöser Infektion von Salvarsan
und Hg-Inunction begonnen wurde. Der Erfolg der Kur war der, daß
bereits in den ersten Wochen die Kopfschmerzen schwanden und auch
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DR’ AG" Kee
7. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 9.
1111
bald danach das alte Frischegefühl wieder zurückkehrte. Er verließ die
"Behandlung am 3. Juni 1911 in ausgezeichnetem Befinden, von den ob-
‚jektiven cerebralen Symptomen blieben die Pupillenerscheinungen be-
stehen, während das Zittern der Lippen und das Versprechen kaum noch
zu beobachten waren. Angeblich ging es dem Patienten auch weiterhin
gut. Die im Spätsommer in Aussicht genommene Wiederholung der
Kur konnte er jedoch leider nicht mehr beginnen, da sich kurz vorher
flagrante paralytische Symptome bemerkbar gemacht hatten, die eine
UVeberführung in eine psychiatrische Klinik erforderten.
Die zu wirklicher Hoffnung berechtigende anfängliche Besserung
des Allgemeinbefindens war also hier trügerisch und das Fortschreiten
des Prozesses nicht aufzuhalten gewesen. |
Ob der Umstand, daß seit der Entlassung aus meiner Be-
handlung bis zum Spätsommer der Patient keine specifische Kur
wieder gebraucht hatte, eine wichtige Rolle bei der schnellen Ver-
schlimmerung seines Leidens gespielt hat, läßt sich natürlich nicht
erweisen. Jedenfalls wäre es wohl angezeigt gewesen, bei dem
guten Einfluß der speeifischen Kur schon früher diese zu wieder-
holen und nicht vier bis fünf Monate damit zu warten. Aehnlich
erging es zwei andern Kranken mit paralytischen Erscheinungen:
Unverkennbare Besserung während oder direkt nach der specifi-
schen Kur — später unaufhaltsame Verschlimmerung. Von der
Kategorie der cerebralen Erkrankungen möchte ich nur noch zwei
Krankengeschichten in Kürze geben, die wegen des Verlaufs ein
gewisses Interesse beanspruchen.
l 7. Patient O. Aufnahme 6. Juni 1911. 1906 längere nervöse Erkran-
kung. Winter 1910/11 desgleichen mit Depression. Geringe Besserung
im Frühjahr an der Riviera, leugnet jede luische Infektion. Frau ein
Abort, keine Kinder. Kräftiger, frisch aussehender Mann mit gesunden
inneren Organen. Nervensystem objektiv, ohne Veränderungen. Klagen
über seelische Verstimmung und mangelhaften Schlaf. Die Wasser-
mannsche Reaktion stark positiv beiihm, schwach positiv bei der Frau. Sie
erhielt Jod, er zwei intravenöse Salvarsaninjektionen und Einreibungen
von Hg. Am Schlusse der Kur 15. August 1911 Wassermann bei der
Gattin negativ, bei ihm noch positiv. Seine Erholung war aber trefflich, die
Stimmung gehoben und fast fröhlich, der anfängliche Kopfdruck so gut
wie behoben, sodaß das Befinden als günstig bezeichnet werden konnte.
Dieser -Zustand hielt bis 1912 (Frübjahr) an, sodaß man zu den besten
Hoffnungen berechtigt war. Wassermannsche Reaktion war zu dieser
Zeit schwach positiv, bei ihr andauernd negativ. Eine erneute Kur war in Aus-
sicht genommen. Da zeigten sich plötzlich — kurz nach der Blutunter-
suchung — verdächtige psychische Erscheinungen, die eine Ueberführung
in’eine Irrenklinik wegen Paralyse notwendig machten.
8. Herr K. suchte am 22. März 1910 die Behandlung mit Klagen
über .deprimierte Stimmung und Mangel an rechter Lebenslust auf.
Stimme heiser. Kräftig gebauter und gut genährter, jugendlich aus-
sehender Mann. Linke Pupille größer als rechte. Romberg —, Pat.-Refl.
l. —, r. mit Jendrassik schwach. Auf bezügliche Frage wird luische In-
fektion vor 13 Jahren zugegeben. Wassermann ergibt positive Reaktion.
Daraufhin Jod und Hg-Inunction. Mit frischem Aussehen und in Wohl-
befinden sowie mit wesentlich gebesserter Heiserkeit am 6. Mai 1910
entlassen. Frühjahr 1911 Doppelsehen infolge Augenmuskelschwäche.
Salvarsan intravenös. Zwei Tage später völlige Beseitigung der
ugensymptome bis auf die erweiterte Pupille — ein Zu-
stand, der bis jetzt angehalten hat, Zwei darauffolgende Schmier-
kuren mit Jodgaben konnten nicht verhindern, daß Anfang März 1912
wiederum die Wassermannsche Reaktion positiv war. Gesamtzustand
zurzeit vortrefflich, volle Leistungsfähigkeit in anstrengendem und ver-
antwortungsvollem Amt. A
In gleicher Weise wie dieser Fall verliefen zwei andere Er-
krankungen des Centralnervensystems recht günstig, bei denen die
‚Therapie auf Grund der Wassermannschen Reaktion ganz andere
ege gewiesen wurden, als sie bisher verfolgt waren.
‚ „ % Herr N. hat 1907 eine Gehirnerschütterung erlitten, desgleichen
im September 1910, Im Oktober 1910 kommt er mit Klagen über un-
sicheren Gang und Schlaffheit zur Behandlung. Gang spastisch paretisch,
e Pupille > recht. Reflexe regelrecht, Sensibilität an den Beinen
herabgesetzt. Macht etwas trotteligen Eindruck. Das Leiden bisher als
is der zweimaligen Gehirnerschütterungen aufgefaßt. Lues vor
Jahren zugegeben. WaR. 4+. Eine intravenöse und eine intramusku-
m Salvarsaninjektion folgen daraufhin. Zustand bessert sich Hand in
i and mit der übrigen Therapie erheblich. Mitte November gibt er die Be-
andlung auf. Keine Klagen mehr. Sensibilität regelrecht, Gang entschieden
gebesert, Hebung der geistigen Verfassung unverkennbar. Da im März
Wessermannsche Reaktion wieder positiv ist, kommt er im April
erneut zur Behandlung. Sieht frisch aus, macht geistig belebten Eindruck.
ang zeigt kaum noch Anomalien. Pupillen fast gleich weit. Refiexe
regelrecht, Erhält Salvarsan zweimal intravenös und reibt 60 g Hg ein.
p "lligem Wohlbefinden verläßt der Patient im Mai die Behandlung.
a8 Befinden und der Zustand blieben weiter günstig, sodaß er in diesem
in eine hohe verantwortliche Dienststelle befördert werden konnte.
he 10, Patient G. zeigt außer den nervösen Erscheinungen negative Pa-
ai Be und Pupillenreflexe, Romberg posisiv. Keine Sprachstörungen,
gelrechter Gang. Euphorie. Klagen seit acht Jahren über krampf-
artige, neuralgische Schmerzen in den Beinen. Mehrere Badekuren.
Lues negatur. Der sofort angestellte Wassermann fiel positiv aus. Inner-
halb vier Tagen zwei intravenöse Einspritzungen. Entlassen nach drei
Wochen Kur am 17. Dezember 1910 mit wesentlicher Besserung des All-
gemeinbefindens und im besondern Aufhören der Beinbeschwerden. Ein
Jahr später berichtet Herr G., der inzwischen in eine höhere Stelle ver-
setzt ist, daß seit der Kur sein Befinden mit kurzer Unterbrechung be-
deutend besser gewesen und noch sei, und daß er, da ein halbes Jahr
nach der Entlassung die Wassermannsche Reaktion wieder positiv
ausgefallen war, eine Hg-Einreibungskur daraufbin vorgenommen habe.
Man darf wohl sagen, daß ` die letzten drei Kranken mit
Affektion des Centralnervensystems mit der angewandten Therapie
‘recht gut gefahren sind. Der Widerspruch des Patienten G. gegen
jede specifische Therapie konnte noch dadurch überwunden werden,
daß ich ihm auf Grund der positiven Wassermannschen Reaktion
frühere syphilitische Infektion als ziemlich sicher, jedenfalls als
hochwahrscheinlich, darstellen konnte. Daß er auf Grund seiner
Erfahrungen mit Hg und Salvarsan jetzt aus einem Saulus ein
überzeugter Paulus geworden ist, brauche ich wohl kaum zu be-
tonen. Nicht weniger Patient N., dessen Erkrankung stets als
Folge seiner mehrfachen Gehirnerschütterungen angesehen war,
bis ich ihm durch die positive Wassermannsche Reaktion
die Wahrscheinlichkeit plausibel machen konnte, daß zum min-
desten eine Mischursache anzunehmen sei und die angeblich längst
überwundene Syphilisinfektion vor 33 Jahren! — noch eine Rolle
bei ihm spielte. Durch die nunmehr zwei Jahre andauernde 'gute
Wirkung der vorgenommenen Kuren ist er nicht nur ein anderer
Mann geworden, sondern auch ein dankbarer und begeisterter An-
hänger der eingeschlagenen diagnostischen und therapeutischen
Wege. |
Aus allen unsern Krankengeschichten und den Beobachtungen
ist vor allem eins zu entnehmen: Der große Wert genauester
Anamnesenerhebung. Gewiß werden viele Ehegatten zuerst viel-
leicht erstaunt oder gar indigniert sein ob der ihnen reichlich in-
diskret erscheinenden Fragestellung; und doch ist bei allen Krank-
heitsfällen, in denen die Syphilis für die Astiologie irgendwie in
Betracht kommen kann, erforderlich, nach früherer syphylitischer
Infektion zu fragen. Auch. wenn sie geleugnet wird, dürfen die
Fragen, ob Kinder vorhanden, ob diese gesund sind oder Ano-
malien ihrer körperlichen, geistigen und physischen Entwicklung
geboten haben, ob die Gattin abortiert hat usw., nicht unterlassen
werden. Desgleichen nicht die Wassermannsche Reaktion, die
einen so harmlosen Eingriff zur Blutentnahme bedingt, daß es
unschwer gelingt, auch den ängstlichsten Patienten dazu zu be-
stimmen.
Fällt die Reaktion positiv aus, so ist syphilitische Infektion
als vorliegend anzusehen. Fällt sie negativ aus, so ist trotz-
dem die vorangegangene Infektion nicht auszuschließen, und bei
noch vorhandenem Zweifel die Jodmedikation zu empfehlen. In
einer Reihe von Fällen gelingt es auch, durch eine provokatorische
Kur — an drei hintereinanderfolgenden Tagen je 4 g Hg ein-
reiben — die negative Phase der Wassermannschen Reaktion in
eine positive umzuwandeln und so nachträglich den Beweis für
syphilitische Infektion zu erbringen. Bei Ehegatten empfiehlt es
sich bei positivem Ausfall des Wassermann, auch etwaige Kinder
und den andern Ehegatten daraufhin zu prüfen.
Nach den Untersuchungen der verschiedensten Autoren ist
anzunehmen, daß die Kinder syphilitischer Eltern oft eine positive
Wassermannsche Reaktion zeigen, ohne daß sie bis in die späteren
Jugendjahre hinein flagrante syphilitische Erscheinungen darbieten
oder dargeboten haben. Desgleichen haben die Erfahrungen ge-
lehrt, daß die Ehefrauen syphilitisch infiziert gewesener Männer
und umgekehrt auch ohne sichtbare Zeichen einer solchen In-
fektion in erheblicher Zahl Wassermannsche Reaktion in posi-
tivem Sinne gezeigt haben. Ich erwähne hier den Erklärungs-
versuch Hauptmanns!), der sagt, daß die Spirochäten bei ihrer
Passage durch das Centralnervensystem des daran Erkrankten so viel
an Virulenz verlieren, daß sie beim Zweitinfizierten keine primäre
oder sekundäre Erscheinungen hervorrufen können. Daß auch bei
den Ehegatten mit positiver Wassermannscher Reaktion die spe-
cifische Kur in ihre Rechte treten muß, ist klar, wenn anders man
überhaupt aus dem positiven Ausfall der Reaktion therapeutische
Konsequenzen zu ziehen gewillt ist. Und sei es, daß man nur
Jod in solchen Fällen gebraucht — siehe Fall O.
Bei allen Kranken wurde die specifische Kur durch allge-
meine diätetische, physikalisch-therapeutische Maßnahmen unter-
stützt: reichliche Ernährung, Liegeluftbäder, Massage, Kiefernadel-,
1) Zt. f. d. ges.gNeur. u. Psych. Bd. 8.
1112 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27,
T. Juli.
kohlensaure Bäder usw. Ich darf dabei bemerken, daß nach den
Vorbildern der Wiesbadener und Aachener Kuren auch bei Queck-
silbereinreibungen zwei- bis dreimal wöchentlich Kiefernadelbäder
zum Teil nach vorheriger Verabreichung von milden und kurz-
dauernden Lichtbädern gegeben wurden. Daß sie von den Kranken
mit Freuden begrüßt wurden, brauche ich kaum zu betonen. Daß
sie aber auch methodisch kalkuliert sind, muß jeder zugeben, der
auf regen Stoffwechsel bei Einverleibung des Quecksilbers in den
Körper auch nur einigen Wert legt. Und die Erfahrungen der
obengenannten und anderer Bäder mit heißen Quellen sprechen
jedenfalls dafür, daß während’ des Gebrauches von Quecksilber-
kuren, ob sie nun in Einspritzungen oder selbst in Einreibungen
bestehen, heiße Bäder von bestem Erfolge begleitet sind. Ich be-
vorzuge die Einreibungskuren am Abend wochentäglich, während
der Sonntag frei bleibt und verordne zweimal wöchentlich ein
Lichtbad von 30 bis 450 C von 12 bis 15 Minuten Dauer; nach-
folgendes Halb- oder laues Bad mit Schlußabkühlung nach 10 Mi-
nuten auf 280 C, unter Schwankbewegungen des Körpers. An
zwei andern Tagen der Woche lasse ich gern ein mildes Fluinol-
(Kiefernadel)bad oder ein einfaches warmes Bad (56° C) nehmen
mit der obeü beschriebenen Abkühlung nach 20 bis 25 Minuten
Dauer. Dabei Luftliegekur auf Balkon oder im Zimmer bei weit
geöffneten Fenstern, mindestens täglich drei Stunden. Im Laufe
des Tages 1—11/2—2 Stunden Bewegung im Freien; leichte Diät,
von Jod verwende ich Jodipin, Sajodin und in letzter Zeit Jod-
‘ lecin innerlich. |
' Die Salvarsaninjektionen erfolgten stets intravenös durch
einen befreundeten Spezialarzt 0,3- 0,4—0,5 g pro dosi. Es
wurden in 8 bis 14 tägigen Zwischenräumen zwei bis fünf Ein-
spritzungen bis zur Gesamtsumme von 2,0 g Salvarsan gegeben;
‚blieb auch trotzdem noch die WaR. +, so wurde der Patient mit
der Weisung aus der specifischen Behandlung entlassen, nach zwei
bis drei Monaten erneut die Blutprobe vornehmen zu lassen, um
dann bei etwa wiederholter positiver Reaktion des Wassermann eine er-
neute specifische Kur vorzunehmen. Ich kann mich nicht den
Ausführungen von Goldbach in Nr. 16 der Med. Kl. 1912 an-
schließen, der wohl im Frühstadium der Lues mit allen Mitteln
danach strebt, die negative Wassermannsche Reaktion zu er-
zielen, nicht aber im späteren Stadium. Ich meine, es ist nicht ganz
logisch, anzunehmen, daß die positive Wassermannsche Reaktion
ein Symptom noch bestehender aktiver Syphilis nur in den ersten
‚Jahren der Erkrankung sein soll, in den späteren Jahren nicht.
Meines Erachtens liegt die Frage so: Ist die positive Wassermann-
sche Reaktion als ein Anzeichen vorhandener Spirochäteninfektion
anzusehen, so muß die Umkehrung der positiven Reaktion in die nega-
tive Phase angestrebt werden, ob nun in den ersten Jahren, ob
später. Nur wird man sich, falls die Krankheitserscheinungen
nicht etwa drängen, in den Spätstadien etwas mehr Zeit lassen
und vielleicht ein Vorgehen einschlagen müssen, wie ich oben er-
wähnt habe. 1
Ein Wort noch über die Bedeutung der Aortitis für die An-
nahme früherer syphilitischer Infektion. Von den 29 Patienten
mit derartiger Erkrankung hatten acht frühere syphilitische In-
fektion zugestanden oder positive WassermannscheReaktion gezeigt.
Gewiß wird man also sagen dürfen, daß ein großer Teil, bei mir
27,50/, der Kranken mit Aortitis, syphilitisch gewesen und dem-
entsprechend therapeutisch vorzugehen ist; doch vermag ich nicht
den Standpunkt zu teilen, daß diese Krankheit gemeinhin als eine
metaluische angesprochen wird. Meines Erachtens spielen in
späteren Jahren die allgemeine Arteriosklerose, in mittleren Al-
kohol und Adipositas eine erhebliche Rolle bei der Aetiologie der
Aortitis. Bei meinen Kranken mit Aortitis und WaR. + habe ich
‚ausnahmslos eine specifische Kur gebraucht. In leichteren Fällen
allein Jod, in solchen mit stärkeren Erscheinungen und Be-
schwerden Salvarsan beziehungsweise Hg und Jod. Ferner die
von der Therapie sonst in die Hand gegebenen Mittel: Herz-
kühlungen, Bäder, von einfachen Sol- oder Kiefernadelbädern
fortschreitend zu CO2 und Halbbädern, Massage, Medikomechanik
usw. Der Erfolg war gut (s. z.B. Fall S.).
' Gleich gut auch bei den Neurasthenikern mit positiver Wasser-
.mannscher Reaktion, die eigentlich alle durch die Kur völlig
ns frisch und gesund wurden, und bei den Gummösen (s. Fall
Se SE )
l Die weniger günstigen Resultate bei der Paralyse, auch mit
Salvarsan, sind von fast allen Seiten jetzt zugegeben. Immerhin
kann ich doch sagen, daß für einige Monate in allen Fällen eine
wesentliche Hebung des Befindens und vielfach auch eine Be-
seitigung paralytischer Symptome bei unsern Kuren zu konsta-
tieren war. Ich empfehle, vor Beginn der Salvarsan- oder Hg-
Kur zwei bis drei Wochen energisch Jod zu geben, um dadurch
nach Möglichkeit etwaige Gefäßveränderungen im Gehirn zu beein-
flussen. Denn steht man auf dem Standpunkte, daß die Ver-
änderung der Gefäße und das Wuchern des Bindegewebes das
Primäre bei der Paralyse sind, so erscheint das refraktäre Ver-
halten der paralytischen Erscheinungen gewissermaßen erklärt. Je
größer die Circulationserschwerungen im Gehirne sind, um so
schwieriger ist naturgemäß das Hingelangen und die Einwirkung
des Hg und Salvarsan auf die infizierten und affizierten Teile.
Deswegen erscheint es zweckmäßig, durch die erfahrungsmäßig er-
probte Beeinflussung des Gefäßlumina usw. mittels des Jods den
Versuch zu machen, der Einwirkung des Hg und des Salvarsans
die Wege zu bereiten. Und dabei heißt es nicht rasten. Es gilt
zu retten, was zu retten ist: so lange und so oft WaR. + aus-
fällt, muß erneut mit Specificis vorgegangen werden, wie bereits
oben dargelegt. Der verstorbene Bardeleben pflegte bei Ope-
rationen mit zweifelhaftem Ausgang in schweren Krankheitsfällen
zu sagen: ich operiere, denn der Patient kann schlimmstenfalls
nur sterben; das tut er aber ganz sicher, wenn icht nicht operiere.
Ich komme zum Schluß und betone: |
1. Die positive Wassermannsche Reaktion ist ein Beweis
noch vorhandener und wirksamer Spirochäteninfektion, ob diese
nun lange zurückliegt oder vor kurzem stattgehabt hat.
2. Es ist mit allen Mitteln dahin zu streben, sie in die
negative Phase umzuwandeln: sei es mit Jod, sei es mit Salvarsan,
Quecksilber oder mit allen dreien zusammen.
3. Die Erhebung der Vorgeschichte muß bei allen irgendwie
verdächtigen oder klinisch unklaren Erkrankungen mit der größten
Genauigkeit erfolgen. Aborte der Frau, Kinderlosigkeit, Minder-
wertigkeit der oder eines der Kinder, Erscheinungen der Aortitis
und des Aneurysma fordern gebieterisch dazu auf, die Wasser-
mannsche Reaktion anzustellen. Desgleichen im besonderen Er-
krankungen des Centralnervensystems sowie der einfachen Nerven-
schwäche mit zugegebener früherer syphilitischer Infektion.
4. Eine nicht unwesentliche Unterstützung findet die speci-
fische Therapie durch physikalisch-therapeutische Maßnahmen: Luft-
liegekur, Kiefernadel- und milde Halbbäder, bei Hg eventuell ver-
bunden mit vorhergehenden Lichtschwitzbädern.
Ueber konservative und operative Behandlung
der Frauenkrankheiten im Bade‘)
von
Dr. med. Otto Daude, Berlin-Bad Pyrmont.
Den Anlaß zu der nachfolgenden Besprechung gibt mir der
lange gehegte Wunsch, den Badearzt vor einseitiger Behandlung
der ihm anvertrauten Frauenleiden zu bewahren und ihm einzeln
vor Augen zu führen, in welchen Fällen die natürlichen Heil-
mittel des Bades allein und in welchen dieselben in Verbindung
mit den übrigen physikalischen Heilmethoden zum Ziele
führen können. Vor allem will ich aber die Fälle festlegen, in
welchen der Arzt vor die dringende Notwendigkeit zum sofortigen
operativen Eingriff gestellt wird. Ä
| Vorerst will ich die gesamten konservativen Behand-
lungsmethoden der Frauenkrankheiten im Bade, namentlich die
Bäderbehandlung und ihre Indikationen, ausführlicher be-
sprechen. Die Badekuren, die zu den ältesten Heilmitteln der
ärztlichen Kunst gehören, wurden schon im frühen Altertume
häufig angewandt; besonders haben sich die Schwitzbäder bis in
die neuere Zeit im Volke Vertrauen auf ihre große Heilwirkung
zu erhalten gewußt. In neuester Zeit wird dagegen auch auf
andere wichtige Heilfaktoren des Bads, namentlich seine che-
mische Zusammensetzung, ja sogar auf seine Radioaktivi-
tät, viel Wert gelegt. Ä |
Die große Bedeutung, welche dem Radium bis vor kurzem bei-
gelegt wurde, halte ich allerdings wie auch andere Autoren für über-
irieben; gibt es doch viel wichtigere Heilfaktoren der natürlichen Mineral-
bäder als gerade die Radioaktivität, der meines Erachtens nur ein mäßiger
zerstörender Einfluß auf einzelne Mikroorganismen und gewisse krank-
hafte Gewebe zugesprochen werden kann. |
Während in früheren Zeiten besonderer Wert auf Bäder von
hoher Temperatur gelegt wurde, da dieselben durch Schwitzen
die schlechten, krankhaften Körpersäfte aus dem Körper treiben
‚sollten, ist die heutige Medizin mehr zu den gemäßigten Bädern
I) Vortrag, gehalten auf der 38. Versammlung der Balneologischen
| Gesellschait in Berlin 1912.
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7. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
1113
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von mittlerer Temperatur übergegangen, welehe möglichst indiffe-
rent auf den Körper einwirken. m
Auch die chemische Zusammensetzung der natürlichen
Mineralbäder ist zweifellos auf den Körper von großem Einflusse,
wenn man auch in neuerer Zeit mehr der Ansicht zuneigt, daß
die Resorption des Körpers an chemischen Stoffen im Mineralbade
nur eine geringe ist. Viele Moor-, Stabl- und Solbäder sind in-
folge ihrer heilkräftigen Wirkung namentlich bei Frauenleiden,
Anämie und Chlorose, welche letzteren ja meistens in Begleitung
der Unterleibsleiden auftreten, zu großem Ansehen gelangt, sodaß
es sich wohl lohnt, diese Bäderarten einzeln auf ihre Wirkung bei
den verschiedenen F'rauenleiden zu betrachten.
Besondere Wertschätzung genießen die Moorbäder, vor
allem die Eisenmoorbäder, wie sie auch Pyrmont in trefflicher
Zusammensetzung liefert, bei der Behandlung der Frauenleiden.
Dieses Mineralmoor entsteht durch Durchströmen eines Mineral-
wassers, welches den durch Vergehen von luftdicht abgeschlossenen
Pflanzenresten entstandenen Torf chemisch verändert; um gebrauchsfähig
zu werden, muß dieses Moor nach dem Ausstechen erst längere Zeit an
der freien Luft lagern, um der vollständigen Verwitterung anheimzufallen.
Nun erst kann das vorher gemahlene Moor je nach Bedarf mit Mineral-
wasser vermischt in der Badewanne zu einem gleichmäßigen Brei ver-
rührt werden.
Ich unterscheide drei Dichten beim Moorbade: die dichte Moor-
mischung, welche nur geringe Mengen Mineralwasser enthält, die mittel-
starke und eine dünne Mischung. Wie ich schon an anderer Stelle be-
tonte, gebrauche ich fast ausschließlich das mittelstarke Moorbad, welches
vom Patienten am wenigsten unangenehm empfunden wird und meines
Erachtens den gleichen, wenn nicht infolge seines größeren Anschmie-
gungsvermögens sogar größeren Einfluß auf den Körper wie das dichte
Moorbad hat.
Erfahrungsgemäß setzen flüssige und nicht zu heiße Moorbäder
die Körpertemperatur eher etwas herab, während dichte Moorbäder,
namentlich solche von hoher Temperatur, ein wesentliches Ansteigen der
Körpertemperatur bewirken, |
Besonders wichtig ist bei den Moorbädern der chemische Hautreiz,
den die mineralischen Bestandteile des Moors durch Verengerung der
Hautgefäße bewirken. So wird eine wesentliche Vermehrung des Blut-
zullusses zu den tiefer gelegenen Organen hervorgerufen, eine Tatsache,
nn gerade bei der Behandlung der Frauenleiden von großer Wichtig-
eit ist.
Eine wertvolle Eigenschaft des Moores ist die eines schlechten
Wärmeleiters; durch sie wird es dem Patienten möglich. wesentlich
höhere Temperaturen als im Wasserbad ohne nennenswerte Beeinträchti-
gung des Allgemeinbefindens zu ertragen. Trotzdem lösen natürlich allzu
warme Moorbäder (über 40° C), namentlich solche von großer Dichte,
leicht Herzklopfen und Schwindelgefühl aus, während, wie schon er-
wähnt, die Bäder mittlerer Stärke, wie ich sie meist verordne, in einer
Temperatur von 36 bis 88°C einen beruhigenden Einfluß haben.
Alle diese günstigen Eigenschaften des Moorbads machen die
guten Erfolge, welche bisher mit ihm bei Frauenleiden, besonders bei der
nme chronischer Entzündungen und Exsudate, gemacht sind, leicht
rlich.
. Nun will ich die besonderen Indikationen des Mineralmoorbades
noch etwas eingehender betrachten. Sehr gute Erfolge lassen sich mit
- den Moorbädern bei Amenorrhöe, Dysmenorrhöe sowie bei Neigung zur
Fehl- und Frühgeburt erzielen. Auch bei langdauernder Sterilität läßt
sich öfter ein wirksamer Einfluß des Moores feststellen, den man sich
wohl mit dem Verschwinden krankhafter Veränderungen oder mit der
Hebung des Allgemeinbefindens erklären muß.
Den größten Einfluß haben die Moorbäder aber, wie schon er-
wähnt, bei allen chronischen Katarrhen und Entzündungen der Unter-
leibsorgane sowie auch bei ihren Folgeerscheinungen. So läßt sich,
wenn das Moorbad dem Einzelfalle genau angepaßt wird, bei allen Ent-
zUndungen des Uterus und der Adnexe, bei Para-, Perimetritis und Pel-
e oolus ein guter Erfolg, bei Adnextumoren sogar oft eine wesent-
che Verkleinerung erreichen. Auch bei narbigen Bindegewebsschrump-
fangen und allen entzündlichen Adhäsionen, welche meist mit Lagever- -
änderungen sowie Vergrößerung der Gebärmutter und der Adnexe
einhergehen, läßt sich durch die Moorbäderbehandlung eine wesentliche
inderung der Beschwerden, wenn auch keine direkte objektive Besse-
rung des Palpationsbefundes erzielen. Selbst Neigung zu Gebärmutter-
j utungen, welche früher eine direkte Gegenindikation für den Gebrauch
er Moorbäder bildete, gibt nach den günstigen Erfahrungen, welche in
eizter Zeit damit gemacht sind, keinen genügenden Grund, um einen
aa ‚zu unterlassen. Bei Blutungen, welche auf Chlorose zurückzu-
‚ren sind, wird sich durch Behebung derselben beim Gebrauche der
enmoorbäder eine Verminderung der Blutung erreichen lassen. Blu-
ungen, welche auf alten, entzündlichen Veränderungen der Unterleibs-
„eane beruhen, lassen sich ebenfalls durch Moorbäder günstig beein-
ussen, insbesondere Blutungen bei mangelhafter Involution des Uterus
und bei nicht zu großen Myomen.
Dicht Daß bei allen diesen letzteren Fällen nur Moorbäder von mittlerer
ein è und geringerer Temperatur angezeigt sind, leuchtet ohne weiteres
- Belbst feine hestehende Schwangerschaft bildet meiner Erfahrung
nach, wenn nicht von vornherein eine mangelhafte Haftung des Eis vor-
handen ist, keine direkte Gegenindikation. |
Absolute Kontraindikationen für den Gebrauch der Moorbäder
bilden nur alle akut entzündlichen Prozesse der Unterleibsorgane, das
Unwohlsein sowie allgemeine große Körperschwäche. Außerdem sind an
Allgemeinerkrankungen nur noch Tuberkulose, Hämoptöe, Arteriosklerose,
sowie nicht oder wenigstens mangelhaft kompensierte Herzfehler von der
Moorbehandlung auszuschließen.
Außer den Moorbädern halte ich die natürlichen Solbäder
für wichtige Heilmittel bei der Bäderbehandlung der Frauenleiden.
Sie enthalten außer einer geringen Menge Kohlensäure besonders
reichlich Kochsalz und regen infolge ihrer chemischen Zusammen-
setzung die Sekretion des gesamten Körpers kräftig an. |
Während bei anämischen Patienten, namentlich solchen, welche
gleichzeitig skrofulös sind, sowie bei Amenorrhöe, Sterilität und Neigung
zu Abort und Frühgeburt nur leichtere Solbäder — die natürlichen
meist stark verdünnt — in Frage kommen, läßt sich durch stärkere Sol-
bäder, wie es auch die Pyrmonter sind, bei vielen chronischen Leiden,
so bei Endometritis, Para- und Perimetritis, Perioophoritis und auch Peri-
salpingitis viel erreichen.
‘ Für kontraindiziert halte ich dagegen den Gebrauch der Solbäder
bei allen Aufregungszuständen, namentlich auch im Klimakterium.
Daß allerdings der Erfolg der Solbäder dem der vorher ausführlich
behandelten Moorbäder bei Behandlung der Frauenleiden keineswegs
gleichkommt, steht meines Erachtens außer Frage; das Meiste werden
sie stets bei Amenorrhöe und Sterilität anämischer Patienten. leisten,
wenn keine Eisenmoorbäder zur Verfügung stehen. |
Wertvoller sind meiner Erfahrung nach bei Frauenkrank-
heiten die Kohlensäurebäder und noch mehr die natürlich
kohlensauren Stahlbäder. Sie üben auf den gesamten Orga-
nismus einen wohltuenden, belebenden Reiz aus, der sich anfangs
in einem kräftigen Hautreiz äußert. Dieser ruft sehr bald ein
angenehmes Wärmegefühl hervor, welches einen wohltätigen Ein-
flug auf den ganzen Körper, besonders auf das Herz und die
Unterleibsorgane hat.
Gerade die Tatsache, daß sich in der nächsten Nähe der be-
kanntesten Moorlager stets auch natürliche Kohlensäurequellen an-
finden, ist die Veranlassung, daß in den meisten dieser Bäder
neben den Moorbädern auch Kohlensäurebäder und, wenn vor-
handen, noch lieber kohlensaure Stahlbäder mit gutem Erfolge
angewandt werden.
Von besonderem Wert ist bei dem Gebrauch des kohlensauren
Bades, daß gerade seine ersten Einwirkungen auf den Körper an der
Haut, namentlich der zarten Haut der Beckengegend, sich äußern. Es
ist daher leicht verständlich, daß die kohlensauren Bäder durch eine
kräftige lokale Anregung der Circulation einen guten und zwar resor-
bierenden Einfluß auf die entzündlichen Prozesse ausüben.
Die Indikationen für die Kohlensäure- und kohblensauren Stahlbäder
bilden daher namentlich Anämie und Chlorose, allgemeine Körperschwäche,
mangelhafte Entwicklung der Genitalien und als natürliche Folge der-
selben die Amenorrhöe. Direkte Kontraindikationen bilden dagegen
ebenso wie bei den Solbädern alle starken Erregungszustände, besonders
solche, welche vor oder während des Klimakteriums auftreten. Außer-
dem schließen aber auch alle frischeren Entzündungen der Unterleibs-
organe, Meno- und Metrorrhagien sowie besonders die Anlage zur Hä-
moptdöe die Anwendung der Kohlensäure- und kohlensauren Stahlbäder
in jedem Falle aus. 7
Wenn ich nun noch kurz die Trinkkuren erwähne, welche
bei der Behandlung der Frauenleiden im Bade eine wenn auch
geringere Rolle als die Bäderbehandlung spielen, so kommen hier
an erster Stelle die Kochsalztrinkquellen in Betracht, die eine
Steigerung der Sekretion der Darmschleimhaut bewirken und da-
durch den meist sehr gehemmten Stoffwechsel anregen. Aber
auch die Stahltrinkquellen tragen, namentlich bei Anämischen
und Chlorotischen, welche sich ja bekanntlich sehr zahlreich unter
den unterleibskranken Frauen befinden, durch Aufbesserung des
Blutes wesentlich zur Hebung des Allgemeinbefindens bei. Aller-
dings muß bei Kranken, deren Verdauungsorgane mangelhaft ar-
beiten, mit der Stahltrinkkur sehr vorsichtig vorgegangen werden,
Bezüglich der übrigen hauptsächlichsten konservativen Heil-
methoden, welche zur Unterstützung der Bäderbehandlung in Frage
kommen, kann ich mich auf die Anführung der einzelnen Behand-
lungsarten und ihre wesentlichsten Indikationen beschränken.
Von diesen hat zweifellos die manuelle Massage die
größte Bedeutung; sie hat namentlich bei allen Verlagerungen
und Abknickungen der Gebärmutter sehr gute Erfolge, voraus-
gesetzt natürlich, daß die vorhandenen pathologischen Symptome
nicht durch eine schon längere Zeit bestehende Hysterie bewirkt
werden. Auch bei den meisten Fällen von Amenorrhoe hat die
Massage des Unterleibes, namentlich bei gleichzeitiger elektrischer
Behandlung, eine gute Wirkung,
—
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a nE
1114 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
7. Juli.
Auch durch die Belastungstherapie wird die Bade-
behandlung in vielen Fällen nicht unerheblich unterstützt.
Ihre auf einer methodischen Kompression der Beckenorgane be-
ruhende Wirkung hat immer eine Anregung der gesamten Circulation
und eine Hyperämie der Unterleibsorgane zur Folge, welche die Resorp-
tion der vorhandenen Krankheitsstoffe wesentlich fördert. Bei chro-
nischen Entzündungen der Parametrien und der Adnexe hat diese Be-
handlungsweise bei vorsichtigem Vorgehen oft die besten Erfolge aufzu-
weisen, ebenso bei Aufrichtung der Retroflexio uteri in den Fällen, wo
durch die Dieke der Bauchdecken die manuelle Aufrichtung erschwert ist.
Selbst die Elektrotherapie, welche zurzeit in der Gynä-
kologie recht stiefmütterlich behandelt wird, wirkt auf einige
Unterleibsleiden günstig ein.
So eignet sich der galvanische und auch der faradische Strom be-
sonders zur Behandlung von Blutungen, die durch kleinere Myome her-
vorgerufen werden. Auch bei durch mangelhafte Entwicklung der Eier-
stöcke bewirkter Amenorrhöe, membranöser Dysmenorrhöe, Vaginismus
und Pruritus vulvae leistet die elektrische Behandlung mit dem positiven
galvanischen Strom gute Dienste.
Mit Recht vermeidet der Arzt jedoch die elektrische Behandlung
bei frischeren Entzündungen .der Adnexe, des Endo- und Myometriums
sowie bei Parametritis, Extrauteringravidität und Hämatocele. Weitere
Kontraindikationen jeder elektrischen Behandlung sind Schwangerschaft
und Unwohlsein. Auch allgemeine Körperschwäche, Herzschwäche und
akute Nierenentzündung schließen diese Behandlung aus.
Wichtiger ist meines Erachtens wieder die Heißluft-
behandlung, welche namentlich in Verbindung mit vorsichtiger
Massage eine starke aktive Hyperämie der Unterleibsorgane be-
wirkt und den Stoffwechsel energisch anregt.
Ihr Hauptgebiet sind die puerperalen Erkrankungen des Becken-
bindegewebes, besonders solche mit starken Schrumpfungen. Auch ältere
Fälle von Perimetritis sowie akute und chronische Adnextumoren werden
durch sie öfter günstig beeinflußt.
Kontraindiziert ist die Heißluftbehandlung dagegen bei allen fieber-
haften Erkrankungen des Unterleibes, bei der Menstruation und andern
Uterusblutungen, außerdem auch bei nicht kompensierten Herzfehlern
und Lungentuberkulose.
Ich will nicht unterlassen, auch die Liegekur zu erwähnen,
welche ich wie jede körperliche Ruhe für einen wesentlichen Heil-
faktor bei der Behandlung der Frauenkrankheiten halte.
Zweifellos werden am häufigsten geburtshilfliche Indi-
kationen den Anlaß zum operativen Eingriff geben. Wenn auch
nur ein verhältnismäßig geringer Teil der weiblichen Kurgäste
den Badeort im schwangeren Zustande aufsucht, muß der Bade-
arzt doch immer damit rechnen, daß bei einer oder der andern
dieser schwangeren Patientinnen, namentlich durch eigne Un-
vorsichtigkeit während der Bäderbehandlung, unvorhergesehene
plötzliche Zwischenfälle eintreten können, welche ein sofortiges
Eingreifen erforderlich machen.
Kommt es doch oft genug vor, daß eine Patientin, welche zu Be-
ginn der Badekur noch nichts von dem Vorhandensein ihrer Schwanger-
schaft ahnte, plötzlich von einer starken Blutung überrascht wird, die
sich als Folge einer unterbrochenen Schwangerschaft heransstellt.
In diesem Falle muß der Badearzt, wenn er seine Patientin möglichst
schnell wiederherstellen und zur Fortsetzung der unterbrochenen Badekur
‚ befähigen will, energisch eingreifen. Durch eine gründliche Auskratzung
der Gebärmutter wird dies bei einer solchen beginnenden Schwanger-
schaft am ehesten zu erreichen sein. In den Fällen aber, wo der Abort
erst später, etwa im zweiten bis vierten Monat eingetreten ist, halte ich
die digitale Ausräumung nach guter Erweiterung der Cervix mit darauf-
folgender Auskratzung für dringend notwendig.
Auch in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft tritt
während einer noch so vorsichtigen Bäderbehandlung des öfteren eine
Unterbrechung (Frühgeburt) ein, welche sich daun meist ebenfalls
durch starke Blutungen äußert.
Endlich kommt es auch nicht selten vor, daß eine Frau, welche
sich im Zeitpunkte der zu erwartenden Geburt getäuscht hat, noch kurze
Zeit vor der reifen Geburt ein Bad aufsucht und unvorhergesehen
dort plötzlich niederkommt. Diese Möglichkeit besteht namentlich bei
solchen Frauen, deren Unwohlsein stets unregelmäßig gewesen ist und
die daher keine Möglichkeit haben, den Zeitpunkt der Geburt genau vor-
her zu bestimmen. f
Die Ursache der vorzeitigen Schwangerschaftsunterbrechung bilden
bei der Bäderbehandlung meist zu niedrige oder sehr hohe Temperaturen,
welche ganz gleich, ob sie auf die Gebärmutter von der Scheide oder
von den Bauchdecken aus einwirken, durch Reizung der Uterusnerven
vorzeitige Contractionen der Uterusmuskulatur auslösen.
Daß der Badearzt bei der Bäderbehandlung Schwangerer, seien sie
nun noch zu Beginn oder schon in der zweiten Hälfte der Schwanger-
schaft, besonders vorsichtig vorgehen muß, erhellt hieraus zur Genüge.
Trotzdem kommt es selbst bei der größten Sorgfalt des behandelnden
Arztes, wie schon erwähnt, oft genug vor, daß durch Unvorsichtigkeit
der Patienten, welche ja nicht immer unter Aufsicht bleiben können, Un-
heil herbeigeführt wird.
Allein die Bäderbehandlung wird nicht immer an der vorzeitigen
Unterbrechung der Schwangerschaft im Bade die ausschließliche Schuld
tragen; auch Allgemeinerkrankungen der Schwangeren, namentlich solche
mit hohem Fieber, wie sie ja auch während des Kurgebrauchs jeden
Tag auftreten können, bewirken oft nicht nur ein Absterben der Frucht,
sondern nicht selten auch vorzeitige Uteruscontractionen. Ebenso geben
alle stärkeren Entzündungen der Uterusschleimhaut häufig den Anlaß zu
frühzeitigen Contractionen der Gebärmutter; insbesondere können oft
größere Tumoren des Abdomens und Myome durch Hindernisse, welche
sie der Ausbildung des Organs entgegenstellen und die dabei meist
vorhandene starke Endometritis die vorzeitige Ausstoßung der Frucht
bewirken.
Schließlich können auch starke Gemütsbewegungen, heftiges Er-
schrecken und schwere Traumen, welche eine Erschütterung auf den
ganzen Körper ausüben, die Fehl- und Frühgeburt im Bade veranlassen.
Aus diesen Ausführungen ist deutlich zu ersehen, daß der Bade-
arzt oft genug in allen Stadien der Schwangerschaft in die Lage kommen
kann, operativ einzugreifen. Daher ist es meines Erachtens durchaus
notwendig, daß der Badearzt, will er seine Patientinnen in allen Krank-
heitsfällen, welche ihnen im Bade zustoßen können, mit Erfolg behandeln,
vor allem auch ein guter Geburtshelfer sein muß. i
Verschiedene gynäkologische Indikationen können den
Badearzt zum operativen Eingreiten veranlassen. |
Hier sind es ebenfalls die zahlreichen verschiedenartigen
Blutungen, welche hohe Grade erreichen und die Gesundheit,
wenn nicht das Leben der Patientin gefährden können.
Die häufigste Ursache dieser Blutungen sind Menorrhagien, die ja
eine besonders starke Menstruation darstellen, und dann die Metrorrhagien,
atypische Blutungen in der intermenstruellen Zwischenzeit. Beide sind
fast regelmäßig auf hyperplastische Erkrankungen der Uterusschleimhaut,
gut- oder bösartige Schleimhautwucherungen zurückzuführen.
Hier muß der Badearzt, nachdem er die genaue Differenzialdiagnose
gestellt, sofort energisch gegen die die Blutung bedingende Ursache vor-
gehen, da durch Verzögerung die schwersten Folgen für die Patientin
entstehen können. In einigen Fällen wird eine Auskratzung zur Be-
hebung der Blutung genügen, in andern aber wird eine eingreifendere,
radikale Operation am Platze sein.
Allein nicht nur die äußeren Blutungen können die operative
Hilfe des Badearztes erfordern, auch innere Blutungen, welche aller-
dings seltener sind, können einen schleunigen Eingriff verlangen. Sie
werden in den meisten Fällen durch eine Extrauteringravidität
(Tubargravidität) bedingt, welche, ohne oft vorher größere Beschwerden
zu verursachen, durch plötzliche Loslösung des in der Tube einge-
hefteten Eies den Tubenabort und damit die Blutung bewirkt. Die beim
Tubenabort entstandene Blutung sammelt sich, namentlich wenn der
Austritt des Blutes in das Abdomen erschwert ist, zum größten Teil in
der Tube an und bildet hier bei längerem Verweilen ein großes das Ei
nmgebendes Blutkoagulum.
Ist jedoch der Blutaustritt in die freie Bauchhöhle unbehindert,
so ergießt sich das Blut je nach der Stärke der Blutung in die Becken-
höhle oder in das gesamte Abdomen.
Typisch ist hierbei die reichliche Blutansammlung im hinteren
Douglas, welche Haematocele retrouterina genannt wird. Seltener
sammelt sich das Blut auch im vorderen Douglas (Haematocele ante-
uterina), noch seltener setzt es sich zwischen den Blättern des Liga-
mentum latum fest, um dort ein Hämatom zu bilden.
Das gefährlichste Vorkommnis ist beim Tubenabort die Ruptur
der Tube; bei ihr treten meist äußerst starke Blutungen in die Bauch-
höhle auf, welche in kurzer Zeit den Tod durch Verkluten herbeiführen
können.
In den meisten Fällen von Tubenabort, namentlich wenn größere
Blutnngen nachweisbar sind, halte ich die sofortige radikale Operation
für dringend notwendig.
Hier ist die Laparotomie zweifellos der vaginalen Operation vor-
zuziehen, da sie den besten Ueberblick über die eingetretenen Verände-
rungen gewährt.
Die Hauptaufgaben der Operation sind zunächst die bestmöglichste
Entfernung des angesammelten Blutes und dann die radikale Entfernung
der erkrankten Tube und des Eies. Schließlich ist die breite Eröffnung
des hinteren Scheidengewölbes und die Drainage desselben mit Jodoform-
gaze für eine gute Heilung von großem Wert. Eine alleinige Eröffnung
und Entleerung der Hämatocele kommt meines Erachtens heute wegen
der Unvollkommenheit der Operation nicht mehr in Frage; ebenso ist die
gleichfalls sebr einseitige Konservative Behandlung einer Hämatocele
wegen ihrer überaus langen Dauer nicht der Erörterung wert.
Besondere Beachtung verdienen ferner zwei sehr plötzlich
und meist unter heftigen Erscheinungen auftretende Krankheits-
formen, welche bei Rekonvaleszenten häufig genug einige Zeit
nach der Operation auftreten, der Ileus (Darmverschlingung) und
der Appendicitis (Blinddarmentzündung); auch sie verlangen in
den meisten Fällen im Interesse der Patientin ein sofortiges ope-
ratives Eingreifen.
Der Ileus wird meist nach abdominalen Operationen durch
peritoneale Adhäsionen, welche infolge lokaler Reize und Keim-
wirkung entstehen, herbeigeführt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten
=: vB EB di
t4-
E1.
tai-
7. Juli.
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1115
EEE
des Ileus, die Abknickung des Darmrohres, welche das
Passieren von Kot und Winden unmöglich macht, und sodann die
innere Einklemmung einer Darmschlinge zwischen den Ad-
häsionen des Peritoneums oder denen des Netzes, welche die
Schlinge direkt ausschalten.
Bei besonders günstig liegenden Verhältnissen kann es wohl vor-
kommen, daß das mechanische Hindernis durch Sprengung oder Dehnung
der dünneren und wenig widerstandsfähigen Adhäsion behoben wird.
Allein ohne eine geeignete Therapie kann auf einen solchen glücklichen
Ausgang des Krankheitsfalles nicht gerechnet werden, da die Prognose
durchweg eine sehr zweifelhafte und schlechte ist.
Die einzige Behandlung, welche in kürzester Zeit die leben-
bedrohende Krankheitsursache beseitigen kann, ist die sofortige
Laparotomie.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird die Abknickung des Darm-
rohres oder die eingeklemmte Darmschlinge aufgesucht und korrigiert,
sodann werden die das Hindernis bewirkenden Adhäsionen am Peritoneum,
Netz oder Bauchwand gelöst und entfernt, In den Fällen, wo der Ileus
nach ungestörter Rekonvaleszenz auftritt, sind die Adhäsionen die einzige
Krankheitsursache. Anders aber, wenn der Verlauf der Rekonvaleszenz
Temperatursteigerungen und peritonitische Erscheinungen aufwies; dann
ist zweifellos die Darmlähmung als eine Folge der peritonealen Reizung
aufzufassen.
Daß bei der Operation zur Prophylaxe des wiederholten Ileus jede
unnütze Irritation des ohnehin schon gereizten Bauchfells nach Möglich-
keit vermieden werden muß, bedarf keiner Erörterung.
Auch die Appendicitis, welche sich leider oft genug nach
abdominalen, aber auch zuweilen nach vaginalen Operationen ein-
stellt, ist eine Folge der peritonealen Reizung. Viele Operateure -
schließen daher heute prophylaktisch an die Laparatomie die
Appendektomie an, auch wenn der Appendix zurzeit keine wesent-
lichen entzündlichen Veränderungen aufzuweisen hat. Diese pro-
phylaktische Maßnahme ist nach den bisherigen schlechten Er-
fahrungen durchaus gerechtfertigt.
In den Fällen, wo trotz entzündlicher Erkrankungen der Adnexe
bei der Operation, sei es wegen vaginalen Vorgehens oder aus andern
Gränden die Appendektomie unterlassen und später plötzlich eine schwere
Appendicitis auftritt, ist auch im Bade nicht selten die unverzügliche
Radikaloperation notwendig.
Zweifellos gibt auch hier die möglichst frühzeitig vorgenommene
Operation für die Patientin die beste Prognose.
Aus diesen Ausführungen ist deutlich zu erkennen, daß ich
vom Badearzt, welcher Frauenleiden mit Erfolg behandeln will,
vor allem eine gute Kenntnis der Wirkungen der natürlichen Heil-
mittel, dann aber auch aller übrigen physikalischen Heilmethoden,
welche sich zur wirksamen Unterstützung einer Badekur eignen,
verlange. Ein operatives Vorgehen soll der Badearzt, auch wenn
er ein tüchtiger Operateur ist, nach Möglichkeit vermeiden und es
nur auf die angeführten dringenden Indikationen beschränken.
Erfordert abor Gesundheit und Leben der Patientin nach seinem
pflichtmäßigen Ermessen ein sofortiges operatives Eingreifen, so
soll er nicht zögern, auch in dieser Beziehung sein Können zu
verwerten.
Die Einwirkung von Thermalbadekuren auf
den Diabetes mellitus’)
von
Geh. Sanitätsrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden.
In kurzen Worten wollte ich berichten über Beob-
achtungen, welche ich gemacht habe über die Einwirkungen von
Thermalbadekuren bei Diabetes mellitus. Die Beobachtungen
wurden an Patienten gemacht, welche aus irgend einem Grunde
einen Kuraufenthalt in Wiesbaden gebrauchten. Wenn es sich
a auch hier ausschließlich um Beobachtungen bei Wiesbadener
adekuren handelt, :so bin ich doch weit davon entfernt, Wies-
a irgendeine specifische Wirkung in dieser Richtung zuzu-
rei on. Im Gegenteil glaube ich, daß alle Thermalbäder im
g es Sinne wirken und daß meine Beobachtungen vielleicht andere
ater veranlassen werden, auf diese Dinge mehr Gewicht zu legen
und also teils einschlagende Beobachtungen zu verzeichnen, teils .
m tie Bäderbehandlung der Diabetiker größeres Gewicht zu legen.
Dila lesbaden ist ja kein Bad, zu welchem Diabetiker nur ihres
sähe ir wegen gesandt werden. Die Beobachtungen wurden mehr
Anden 1o solchen Patienten gemacht, welche entweder wegen
a eine Badekur in Wiesbaden gebrauchen mußten
1) Vortr ;
Gesellschaft in Ba en u der 33. Versammlung der Balneologischen
ı oder welche als Begleitpersonen anderer Patienten nach Wiesbaden
kamen und hier für ihren Diabetes etwas tun wollten.
Die schon seit langen Jahren geübte Praxis, solche Patienten
einer strengen diätetischen Behandlung zu unterwerfen und sie
Kochbrunnen mit Karlsbader Salz trinken zu lassen, gab außer-
ordentlich günstige Resultate, indem solche Patienten fast aus-
nahmslos ihren Zucker verloren. |
In den letzten Jahren babe ich nun eine ganze Reihe von
Fällen beobachtet, in welchen ohne jede weitere medikamentöse
oder diätetische Maßregel durch die Bäderbehandlung allein der
Zucker aus dem Urin’verschwand. Es waren dies Fälle, welche
entweder schon zu Hause ohne Erfolg mit diätetischen Maßregeln
behandelt worden waren und deswegen zu solchen nicht bereit
waren, oder welche zu Hause oder an andern Kurorten schon.
Trinkkuren gebraucht hatten und dieselben daher in Wiesbaden
verweigerten. Auch in diesen Fällen trat in einem hohen Prozent-
satze völliges Verschwinden des Zuckers ein. Es handelt sich
natürlich hier nicht um Hunderte von Beobachtungen, sondern um
einige Dutzende. Der Erfolg aber war in allen Fällen ein so
eklatanter und die Zahl der Fälle doch eine so beträchtliche, daß
ein bloßer Zufall ausgeschlossen ist.
Es sind diese Beobachtungen insofern von.Interesse, ‚als den
' Stoffwechselkrankheiten, welche mit Thermalbädern mit Erfolg be-
handelt werden, also der Gicht, der Oxalurie, Phosphaturie, dem
Rheumatismus usw. sich nun auch der Diabetes einreiht. Auch
die diabetische Stoffwechselstörung wird durch Thermalbäder allein
in der Mehrzahl der Fälle in günstiger Weise beeinflußt.
Ich ziehe aus meinen Beobachtungen die Folgerung, daß
nicht nur die Thermalbadeorte, auch die indifferenten Thermen,
den Diabetes in den Kreis ihrer Indikationen aufnehmen sollen,
sondern daß auch die speeifischen Diabeteskurorte, wie Karlsbad,
Neuenahr und andere auf die gleichzeitig mit der Trinkkur ange-
wandten Thermalbäder größeres Gewicht legen sollen.
Aus der Bakteriologischen Abteilung (Leiter: Priv.-Doz. Dr.
Liefmann) und der Ersten inneren Abteilung (Direktor: Prof.
Dr. L. Kuttner) des Rud.-Virchow-Krankenhauses in Berlin.
Die Lokalisation
der Säuglingssterblichkeit in Berlin und ihre
Beziehungen zur Wohnungsfrage
von
Priv.-Doz. Dr. H. Liefmann und Dr. Alfred Lindemann.
(Fortsetzung aus Nr. 26,)
Die Berliner Verhältnisse bieten ungemein reiche Gelegen-
heit, zu beobachten, wievielerlei verschiedene Faktoren in dieser
Frage in Betracht kommen. Es ist keine Uebertreibung, wenn man
sagt, daß fast in jeder Wohnung andere Bedingungen vorliegen.
Versuchen wir, über dies vielgestaltete Bild einen Ueber-
blick zu gewinnen.
Besprechen wir zunächst die Bebauungsfrage. Meinert hat
darauf hingewiesen, daß im allgemeinen die Stadtzentra im
Gegensatz zur Peripherie eine besonders ungünstige Sterblichkeits-
ziffer aufweisen) weil die Zufuhr frischer Luft zu ihnen oft sehr
erschwert ist. Bekanntlich ist auch im Sommer in Berlin, nament-
lich in den Abendstunden, die Hitze im Zentrum ungleich höher
als in der Umgebung. Dennoch ist bei uns die Säuglingssterb-
lichkeit in den inneren Stadtbezirken gering. Ein Blick auf
unsere Karte lehrt dies ohne weiteres. Gewiß hängt diese Tat-
sache mit der Citybildung zusammen, aber auch im Verhältnis
zur Zahl der Lebendgeborenen herrscht eine günstige Mortalität.
Zum Teil ist dies sicherlich durch die meist sehr günstige
materielle Lage der hier Wohnenden, zum andern Teil durch
die geringere Wohnungsüberfüllung bedingt.
Aber auch nach der entgegengesetzten Seite stimmen die
Sterblichkeitsverhältnisse der Säuglinge in Berlin mit Meinerts
Anschauung nicht überein. Denn gerade die Peripherie der
‘Stadt zeigt an einigen Punkten die allergrößte Mortalität.
Freilich liegen die peripheren Stadtbezirke nicht überall in Wirk-
lichkeit frei. Im Südosten z. B. stößt Berlin an Rixdorf, im
Osten an Boxhagen, im Südwesten an Wilmersdorf. Aber auch
da, wo, wie z. B. im Norden, die Häuser unmittelbar freistehen
und die Straßen zum Teil noch sehr wenig bebaut sind, wo also
die den Häusern zuströmende Luft keinerlei Hindernisse findet
die sich ihr in den Weg stellen, auch da herrscht sehr oft eine
hohe Kindersterblichkeit. Wir haben genau dasselbe früher auch
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Heft 4
- nur 4 Todesfälle in den Monaten Juli und August beobachtet worden.
1116
in Halle gefunden in einem Gebäudekomplex, der vollkommen frei
lag und in dem dennoch sehr viele Kinder starben.
Man könnte nun sagen, die Häuser in Berlin stellen so ge-
waltige Komplexe dar, daß, wenn auch die äußeren Mauern von
Luft umspült werden, in den engen Höfen eine Stagnation vor-
handen sein muß. Das ist auch zum Teil zweifellos richtig. Aber
auch da, wo die Höfe nicht geschlossen sind, weil die Nachbar-
häuser fehlen, auch da kommen hohe Sterblichkeitsziffern vor.
Und auf der andern Seite gibt es Häuser in Berlin, die ebenso
eingebaut sind wie viele andere, die ebenso viele Hinterhäuser
haben, in denen eine gleich große Menge Menschen wohnt, in
denen aber eine Ueberfüllung der einzelnen Wohnung vermieden
wird und die Mieter sich nicht aus dem allerärmsten Proletariat
: rekrutieren — und da ist die Sterblichkeit nur gering. Wir
würden es deshalb für verkehrt halten, wenn man glauben würde,
‘für die hohe Sterblichkeit in einzelnen Gebäuden in dem Ausdruck
„Mietskaserne“ eine genügende Erklärung gefunden zu haben.
Die hohe Säuglingssterblichkeit ist ein viel komplizierteres Phänomen.
Vielfach treten auch die Faktoren, die einen Einfluß auf die
Wohnungsbedingungen, insbesondere auf die Temperaturverhält-
nisse ausüben, miteinander gewissermaßen in Konkurrenz. Z.B.
ist die- zu enge Bebauung wohl oft imstande, das Wohnungsklima
ungünstig zu beeinflussen. Aber auf der andern Seite wird durch
die enge Bebauung die Wirkung eines andern Faktors, nämlich
die allzu starke Besonnung verhindert, die auch ihrerseits die
Temperatur in den Räumen, wie Flügge?) gezeigt hat, er-
heblich steigern kann. Gewiß ist ein Mangel an Licht und Sonnen-
schein zumal im Winter ein höchst beklagenswerter Zustand, aber
die allzu starke Sonnenbestrahlung im Sommer ist darum doch
durchaus nicht immer vörteilhaft. Nicht ohne Grund pflegen wir in
guten Wohnungen uns durch Vorhänge und Markisen vor einer Belästi-
gung durch die Sonne zu schützen und unsere Räume kühl zu halten.
Für einen wichtigen Faktor halten wir auch die Wohnungs-
überfüllung, die in Berlin, wie auch in andern Großstädten ein
häufiges Uebel darstellt. Sie erschwert nicht nur die Reinhaltung
der Räume, sondern verschlechtert das Wohnungsklima ebenso wie
die andern schon genannten Faktoren, die mangelnde Durchlüft-
barkeit, die Enge der Höfe und die starke Besonnung. l
Kaum minder wichtig ist die Art und Weise des Be-
wohnens. Es würde zu weit führen, alle Verstöße gegen die
Hygiene des Wohnens, die teils auf Unbildung, teils auf Lässigkeit
zurückzuführen sind, hier zu erörtern. Aber auch durchaus nicht
immer handelt es sich um solche ohne weiteres vermeidbaren Fehler.
Vielfach führt die Beschäftigung, die notwendigerweise im Hause
vorgenommen werden muß (Kochen, Bügeln, Heimarbeit), zu einer
erheblichen Verschlechterung des Wohnungsklimas.
Sehen wir hieraus schon, wie kompliziert die Verhältnisse
liegen und wieviele Momente wirksam sind, so darf man zudem
nicht vergessen, daß noch zwei weitere Faktoren, die nur in lo-
‚serer Beziehung zur Wohnungsfrage stehen, für die Säuglinge von
größter Wichtigkeit werden: Nämlich erstens die allgemeine
materielle und soziale Lage der Eltern, die es z. B. ent-
scheidet, ob die Mutter sich der Kinderpflege widmen oder
außerhalb des Hauses Arbeit suchen muß, und zweitens die
Anschauungen der Eltern über die Bekleidung,und Pflege der
Säuglinge.
Suchen wir nun, soweit dies möglich ist, das Wirksamwerden
einer Anzahl der genannten Faktoren statistisch zu verfolgen.
Zunächst sei erwähnt, daß von 1577 im Juli und August gestor-
benen Kindern 1114 in Hinterhäusern und nur 463 im Vorderhause ge-
storben sind.
Da nach neueren Feststellungen (in Groß-Berlin wenigstens) nur etwa
45 0/ der Bevölkerung im Hinterhause wohnen’), ist die Tatsache, daß etwa
70% unserer Säuglinge in Hinterhäusern starben, recht bezeichnend.
Die Verteilung auf die Stockwerke war die folgende:
Es starben von 1592 Säuglingen: (Juli u. August 1911)
. 4
im Keller . . . . 9 = 3 %
Parterre. . . . . . 240 = 15 ,
I. Stock. . . . . . 295 = 185,
U. 2 2 2020... 32 = 195 „
323 20,2 „
III. =... vu E =
IV. (u. V.*) Stock . . 373 = 23,4 „
I) Bei diesen Fällen spielt die starke Besonnung oft eine
große Rolle. , ; SE
2) Flügge, Beiträge zur Hygiene. Leipzig 1879.
3) Nach Kuseinsky, Brauns Annalen der Sozialpolitik, 1912, Bd. 1,
u. 5.
4) Das fünfte Stockwerk ist in Berlin sehr selten bewohnt; es sind dort
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
T. Juli.
Es zeigt sich also ein gleichmäßiges Ansteigen der Zahl der
Sterbefälle mit der Höhe der Stockwerke. Daß fast ein Viertel
der Kinder im vierten (oder fünften) Stock stirbt, dürfte auch
nicht völlig in Einklang stehen mit der Verteilung der Bevölke-
rung auf die verschiedenen Stockwerke, auch nicht mit der der
Säuglinge. Wichtiger als diese Zahlen sind aber diejenigen, aus
denen man einen Schluß ziehen kann auf den Grad der Ueber-
füllung, die in den Wohnungen der gestorbenen Säuglinge
bestand. |
Vor allem auffällig ist die große Zahl von Kindern, die
in den Sommermonaten in Einzimmerwohnungen starben.
Während nämlich (1905) nur 2,9 %o aller Säuglinge!) (mit Ausnabme
der in fremden Haushaltungen und Anstalten untergebrachten) in Ein-
zimmerwobnungen?) lebten, war die Zahl der in dieser Wohnungskate-
gorie gestorbenen im Angust 1911 35,1 °/o.
In Wohnungen mit 2 Räumen (die Küche auch als
Raum gerechnet) starben . . . 2 2.2... 516%
In Wohnungen mit 3 Räumen (die Küche auch als
Raum gerechnet) starben 11 „
In Wohnungen mit 4 und mehr Räumen (die Küche
auch als Raum gerechnet) starben ee E 1,„
Demgegenüber war die Verteilung der lebenden Säuglinge (1905)
die folgende: | |
In Wohnungen mit 2 Räumen lebten 56 °/, aller Säuglinge
n ” 2 „ ” 3 n n ”
Die Größe der Berliner Wohnungen ist aus der folgenden Za-
sammenstellung (aus dem Jahre 1905) ersichtlich.
Von den Berliner Wohnungen hatten
39426 nur eine Küche oder nur 1 Zimmer = 745%
190 529 1 Zimmer und Küche = 363 „
172 389 2 »„ Tnit oder ohne Küche = 328 „
62 405-3 A = 119 ,
58 397 4 oder mehr Zimmer mit oder ohne Küche 2 111 ns
Diesen Zahlen seien nun die Belegungsziffern hinzugefügt.
Von 1038 im August verstorbenen Säuglingen starben in Woh-
nungen mit
2 Bewohnern. . . . 2 . . 29
Bonn nn... 160,
4 en. . 29,
5 Š 18,2 „
6 > 16,7 „
7 95,
8 und mehr Bewohnern . . . 10,1 „ |
Wir haben des weiteren die Zahl der im Juli und August
gestorbenen Kinder nach der Größe und Belegung der Räume er-
mittelt, und zwar getrennt für beide Monate.
Das Ergebnis veranschaulicht uns die folgende Tabelle:
Zahl der Bewohner
Zahl der Räume a
Nur 1 Küche . . .. ..I-|I-|-|-|-1|1-1-|-1-|- - | -|— B.
„ 1 Zimmer. .... 8| 30 |40|834]|18] 6| 2|—]|—| 1ı)-|-|—
331 Zimmer und Küche i | 32 | 36 ; 30 | 21| 14) 8| 4| | — ı —| - | - -A
»)j2 Zimmer. . ..... 8 | 15 | 15 | 24 | 14| 11) 5j- |) 2) 1) — | —|-1I*
2 Zimmer und Küche . .|—| 2] 5/10!10/11| 7| 1| 2|1-| - | -|- 18
3 und mehr Zimmer . —|—| 3| — 8| 1I1-!— | —- | —-|I—|1— 2
©
ei
Nur 1 Küche .. ., |5| 2| 58J-|-|-|-|-|-|-|-!-|- ”
» » ” 1 Zimmer. . . . .[19]|77|98j67)56]23| 5| 4| 1|—|—|--|1 m
7 1 Zimmer und Küche . .; 6/61| 92168146122: 165| 6| 2|— | — —|-—-Iis
8112 Zimmer. . 2. 2... 1|28|658]42]43|35|19| 9| 9| 1) 2|-|—|JE.
<1j2 Zimmer und Küche . .|—| 3/238{11|25|14| 3! 7) 4| 1| 4| 1/1 B
8 und mehr Zimmer . .|—| 1| 2| 1| 83| 5| 7!ı!l-| 2/-[!—-|I|-I ©
Wenn man zusammenhält, daß erstens 35,1 %/o der im August
gestorbenen Säuglinge in Einzimmerwohnungen gelebt hatten, und
zweitens diese Wohnungen doch relativ oft 6, 7, 8 und noch mehr
(ja in einem Falle gar 14) Bewohner aufwiesen, wird man sich
nicht dem Eindruck verschließen können, daß in vielen Fällen eine
Wohnungsüberfüllung bestanden habe, die auf die Gesundheit
des Kindes nicht ohne Einfluß geblieben ist. Und doch haben uns
unsere Ermittlungen gelehrt, daß man die Bedeutung dieses Faktors
auch nicht überschätzen darf. Wir gingen von der Idee aus, daß
gerade im heißen August die überfüllten Wohnungen im Gegen-
satz zum kühleren Juli und zu den weniger überfüllten Woh-
nungen eine besonders hohe Sterblichkeit aufgewiesen haben müßten.
Diese Vermutung bestätigte sich nicht. Die Zahl der Todes-
fälle stieg in beiden Wohnungskategorien ungefähr gleichmäßig an.
1) Diese Zahlen wie die folgenden aus dem Jahre 1905 sind der
Berliner amtlichen Wohnungsstatistik entnommen.
2) Das heißt in solchen Wohnungen, die nur aus einem Zimmer
oder nur aus einer Küche bestanden. | |
a S, |
7. Juli, 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 97. 1117
' Fe:
. i E
Man sieht daraus von neuem, daß es nicht etwa ein einzelner
Faktor ist, dem in dieser Frage eine überwiegende Bedeutung zu-
geschrieben werden. kann. Im Gegenteil, es sind nicht nur viele
Umstände, die belangreich sind, sondern häufig macht sich auch
ihr Einfluß erst dann geltend, wenn sie in Kombination mitein-
ander zur Wirkung gelangen.
Zusammenfassend möchten wir sagen, daß sich aus unsern
Ermittlungen ergibt, daß in vielen Wohnungen der ärmeren Be-
völkerung Berlins sich ‘unhygienische Zustände finden, die im
Sommer manches Kindes Krankheit ünd Tod verursachen. Die
Gründe dieser Erscheinung sind ungemein zahlreich, neben Fragen
baulicher Natur spielt die Art der Wohnungspflege, die soziale
‘und materielle Lage der Eltern, der Grad ihrer Bildung und
manches andere eine Rolle. Gerade diese Vielgestaltigkeit des
Problems setzt uns aber — wie wir glauben — in den Stand, in-
dem wir bald hier bald dort helfend eingreifen, einen wesentlichen
Nutzen zu stiften. | |
Unsere weiteren Ausführungen sollen zeigen, wie man sich
diese "Hilfe vorzustellen hat. (Schluß folgt.)
Aus der I. medizinischen Abteilung des städtischen allgemeinen
Krankenhauses im Friedrichshain in Berlin.
(Direktor: Prof. Dr. Stadelmann.)
„Tanargentan“ als Antidiarrhoicum
von
Fritz Hoppe, Medizinalpraktikant.
.- Das große Material der Anstalt an Liuungentuberkulose aller
Stadien ermöglichte es uns, das uns von der .„Fabrik chemisch-
pharmazeutischer Präparate Dr. R. und Dr. O. Weil, Frankfurt a. M.“
zur Verfügung gestellte Darmadstringens „Tanargentan“ in seiner
Wirkung auf die bei der Lungentuberkulose recht häufigen tuber-
kulösen Enteritiden zu beobachten. Wir gaben: das Mittel um so
unbedenklicher, als wir bereits vor einigen Monaten mit ihm bei
einer allerdings nicht systematischen Anwendung bei akuten
Enteritiden verschiedener Arten die besten Erfolge erzielt und ein
Versagen in keinem Falle zu verzeichnen hatten. Es handelt sich
bei dem Mittel um ein Tanninsilberalbuminat, das etwa 6°, Ag
und 200), Tannin, an Eiweiß chemisch gebunden, enthält. Es
passiert den Magen unverändert, um erst im alkalischen Darmsafte
gelöst zu werden, und läßt neben. der adstringierenden Tannin-
wirkung noch eine desinfizierende Wirkung der Silbereiweiß-
komponente erwarten!),. Um ein reines Bild seiner Wirkung zu
erhalten, wurde es nur bei Diarrhöen gegeben, die auf eine rein
diätetische Behandlung hin nicht standen. Außerdem war eine
erfolgreiche Darreichung bei solchen Fällen besonders beweisend,
da diese doch als nicht leicht angesehen werden mußten. Gegeben
wurde täglich 3 mal 0,5 g vor dem Essen. Trotz der recht
häufigen Anwendung ist kein Mißerfolg beobachtet worden. Ge-
wöhnlich war die Wirkung so, daß nach zwei- bis dreitägiger
Darreichung die Leibschmerzen, sowei sie bestanden, aufhörten,
die Zahl der Stühle auf 1, höchstens 2, reduziert wurde, und
ihre bis dahin dünnflüssige Beschaffenheit einer festen, zum min-
desten aber breiigen Konsistenz wich. Die angegebenen Dosen
haben stets genügt, um in einigen Tagen die Durchfälle zu be-
seitigen; nur in einem besonders hartnäckigen Falle war es nötig,
zu größeren Gaben zu schreiten. Hier gelang es, nachdem mehrere
Tage lang täglich 3 mal 0,5 g ohne Erfolg gereicht war, durch
Steigen auf täglich 4 mal 0,5 langsam die Besserung herbeizu-
führen. Das Tanargentan hat ferner, wie durch Versuche festge-
stellt werden konnte, auch in solchen Fällen seine Schuldigkeit
getan, wo andere Mittel versagten. So waren wir mehrmals in
der Lage, durch Tanargentan einen raschen und vollen Erfolg zu
erzielen, nachdem wir Mittel wie Tannalbin, Wismut, Pantopon usw.
längere Zeit hindurch vergeblich verabfolgt hatten. In mehreren
Fällen, bei denen wir die Wirkung des Tanargentans mit der
anderer Mittel vergleichen konnten, erwies sich das Tanargentan
als überlegen, jedenfalls hat es niemals weniger prompt gewirkt
als diese. Hervorzuheben ist endlich seine gute Bekömmlichkeit.
Es ist stets von den Patienten gern. genommen worden und hat
niemals auch nur zu den geringsten Störungen im Allgemein-
befinden Anlaß gegeben. Selbst in Fällen, in denen es längere Zeit
hindurch gegeben werden mußte, sind nie Uebelkeit oder Erbrechen
aufgetreten. In einem progressen Falle, in dem Tanargentan und
Tannalbin des Vergleiches wegen abwechselnd gegeben wurden,
zeigte es sich, daß Tanargentan jedesmal die immer wieder-
kehrenden Durchfälle in der für den Patienten angenehmsten
Weise beseitigte, während Tannalbin zwar auch die Diarrhöen zum
Stehen brachte, aber Uebelkeit hervorrief und schließlich sofort
nach dem Einnehmen wieder erbrochen wurde Man kann nach
alledem wohl sagen, daß sich das Tanargentan bei den schweren
chronischen Diarrhöen der Phthisiker durchaus bewährt hat, und
man darf deshalb eine gleich günstige Wirkung bei akuten und
subakuten Enteritiden mit Sicherheit annehmen. Wir selbst haben
es, wie schon oben erwähnt, vielfältig auch bei diesen Erkrankun-
gen mit gutem Nutzen verordnet. Nach unsern Erfahrungen ist
demnach das Tanargentan ein recht sicher wirkendes, gut bekömm-
liches Antidiarrhoicum.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem Physiologischen Institut zu Halle a. S.
(Direktor: Prof. E. Abderhalden).
‚Die biologische Bedeutung der Thymusdrüse
auf Grund neuerer Experimentalstudien’)
von.
Dr. Arno Ed. Lampe.
Im Jahre 1905 mußte man auf Grund der vorliegenden
zahlreichen Experimentalarbeiten folgendermaßen über die
physiologische Bedeutung der Thymusdrüse resumieren: der
Thymus ist ein lebensunwichtiges Organ; seine totale Ent-
fernung ist ein für den Organismus und das Leben in jeder |
Beziehung belangloser Eingriff. Dieses Fazit konnte sich je-
- doch der biologisch denkende Forscher im Hinblick auf die
Untogenese des in Frage stehenden Organs nur mit Wider-
streben zu eigen machen. Diese lehrt uns, daß der Thymus
ch beim Menschen bis zum Ende des zweiten Lebensjahres
in aufsteigender Phase entwickelt, um von da an der soge-
nannten Altersinvolution zu verfallen, die in der Zeit der
Pubertät ihren Abschluß erreicht. Das bedeutet, daß der
1) Preise:
| Rp. Tanargentan-Tabletten
| 1 Orig.-Sch. & 0,25 g (12 Tabletten)
„ Rezepturpreis: HN g Tanargentan . ar
0
-M.AL—
= y —,15
Hall ) Vortrag, gehalten am 15. Mai 1912 im Verein der Aerzte zu
ə a. S, |
| Thymus ein Jugendorgan ist. Diese Tatsache ist von
größter Wichtigkeit und bedarf immer wieder der Betonung.
Denn wir dürfen wohl mit Recht annehmen, daß die anato-
mische Vollentwicklung der Drüse mit ihrer funktionellen
Höchstleistung Koinzidiert. Daraus ziehen wir den wichtigen
Schluß, daß es gerade der jugendliche, reifende, wachsende
Organismus ist, der des Thymus bedarf. In der Nichtbeach-
tung dieses Faktums, das sich bei dem Verfolg des ganzen
Thymusdaseins ergiebt, liegt der eine Grund für die sich
widersprechenden, negativen Resultate der experimentellen
Thymusstudien bis zu dem angeführten Zeitpunkt. Einer
exakt wissenschaftlichen Thymusforschung, die sich
auf Erscheinungen stützt, dienach der Thymektomie
auftreten, muß daher das Postulat gestellt werden,
daß Eingriffe an der Drüse zur Zeit ihrer Maximal-
entwicklung stattfinden. Aber noch an einem Zweiten
kranken die meisten Arbeiten: an einer mangelhaften chirur-
gischen Technik bei der Ausschaltung des topographisch-
anatomisch schwierigen Organs. Die Ekthymisierung
muß unter Berücksichtigung aller chirurgischen
Kautelen und von technisch bestgeübter Hand vor-
genommen werden. Betont man schließlich noch die Not-
| wendigkeit der quantitativen Entfernung der Drüse,
so sind die Grundprinzipien zusammengefaßt, welche die er-
folgreichen Thymusforscher der letzten Jahre, unter denen
wir vor allem Basch und Klose nennen, für das Studium der
Ausfallserscheinungen nach der Thymusausrottung aufstellen.
en F- An o y OM
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S X d i = aea hte: Pe = BF EEE E Be o e HE Be x sdti u SE . iu, Pas Acer He y
Ihre Anwendung hat das Thymusproblem in seinen Hauptzügen
geklärt und zu dem bedeutsamen Ergebnis geführt, daß der
Thymus total auf der Höhe seiner Entwicklung ent-
fernt specifische pathologische Erscheinungen her-
vorruft und schließlich den Tod zur Folge hat; daß
der Thymus ein lebenswichtiges Organ ist. Der ex-
perimentelle Beweis dieses Satzes, der die Schlußthese jüng-
ster Thymusstudien darstellt, und der im folgenden erbracht
werden soll, ist geeignet, uns die Rolle, welche die Thymus-
drüse im organischen Haushalte spielt, erkennen zu lassen.
Entfernt man Hunden die Thymusdrüse zur Zeit ihrer
Maximalentwicklung, das heißt zwischen dem zehnten und
vierzehnten Lebenstage, so entsteht folgendes interessante
Krankheitsbild: |
. Anfänglich entwickeln sich die operierten Tiere genau
wie die Kontrollhunde Weder Körpergewicht noch Wachs-
tum zeigen irgendwelche erkennbare Anomalien. Man be-
zeichnet deshalb mit Klose diese ersten zwei bis vier
Wochen als das sogenannte „Stadium der Latenz“. Beob-
achtet man die Hunde weiter, so unterscheiden sich bald in
sehr charakteristischer Weise die thymektomierten von den
Vergleichstieren. Bei den Thymushünden entwickelt sich zu-
nächst ein reichliches Fettpolster. Bei der Betastung fühlen
sie sich schwammig-weich an, die Muskulatur ist schlaff.
Sehr auffallend ist die rasche Ermüdbarkeit der operierten
Tiere gegenüber den gesunden; man sieht förmlich, wie
ihnen die Kräfte versagen, daß sie an Schwächezuständen
leiden. Allmählich wird der Gang breitspurig und unbeholfen.
Bei dem Versuch, die Extremitäten zu biegen, wird eine
auffallende Knochenelastizität deutlich. Der kranke Hund
legt ferner eine enorme Freßsucht an den Tag; er nimmt
ohne Beschwerden ungewöhnlich große Nahrungsmengen zu
sich. In der Wahl seiner Kost zeigt er sich hie und da
etwas pervers. Dieses zweite Stadium, das die thymekto-
mierten Tiere auszeichnet, nennt man nach der mächtigen
Entwicklung des Fettpolsters „Stadium adipositatis“.
Ungefähr im dritten bis vierten Lebensmonate greifen auf-
fallende Veränderungen Platz: die bisher gleichmäßig an-
steigende Gewichtskurve fällt plötzlich trotz enormer Nah-
` rungsaufnahme ab. Die Körper- und vor allem die Knochen-
schwäche steigert sich. Die Tiere werden in ihren Bewe-
gungen ungeschickt, sie fallen leicht und stoßen sich. An-
fallsweise überfällt sie ein universelles Muskelzittern. Der
Gang wird immer breitspuriger und mühsamer. Die Extremi-
tätenknochen biegen sich unter der Last des Körpers; sehr
häufig treten Spontanfrakturen auf. Dieses schwere Krank-
heitsbild hält monatelang an. Im äußersten Fall währt es
bis zum 14. Lebensmonat. In den letzten Wochen treten
ausgedehnte psychische Veränderungen in Erscheinung. Die
Tiere sind völlig verbiödet. Sie liegen wie komatös da
und fallen bei dem Versuch sich aufzurichten sofort zur
Seite. Augenscheinlich liegen ausgedehnte Paresen vor. Das
Körpergewicht nimmt trotz reichlichster Nahrungszufuhr
immer mehr ab. Schließlich erfolgt der Tod im Koma.
Diese letzte Phase bezeichnet man als „Stadium cachecti-
cum“ mit der „Idiotiathymica“ und dem „Coma thymi-
cum“ oder als „Cachexia thymopriva“. Bei den in der
dritten bis vierten Lebenswoche -operierten Tieren zeigen sich
dieselben Erscheinungen, nur treten sie später und langsamer
ein. Bei solchen Tieren kann das „Stadium adipositatis“ bis zu
sechs Monaten, das „Stadium cachecticum“ bis zum 26. Lebens-
monate sich erstrecken. Den Eingriff noch später vorzu-
nehmen ist — wie wir bereits eingangs betonten —, um
eventuell bindende Schlüsse zu ziehen, unstatthaft. Der
großen Wichtigkeit wegen seien die Gründe hierfür kurz
zusammengefaßt: einmal — und das ist das wichtigste —
hat der Thymus nach der vierten Lebenswoche bei den
Hunden bereits zu involvieren begonnen und ein anderes
Organ fängt an, wie wir noch sehen werden, für ihn vica-
riierend einzutreten. Weiterhin ist es eine technische Un-
1118 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 7- Juli.
möglichkeit, in dieser Zeit den Thymus vollständig zu. ent-
fernen. Und schließlich überstehen die Tiere kaum den.
Eingriff; denn es bildet sich bei der Operation ein doppel-
seitiger Pneumothorax, den wohl ganz junge, aber sehr
selten ältere Tiere ertragen.
Wir haben hervorgehoben, daß als eines der ersten
Symptome nach Thymektomie die Knochenschwäche auf-
tritt. In der Tat bilden die Knochenveränderungen das
hervorragendste Krankheitszeichen der thymusberaubten Tiere.
Bei diesen zeigt das ganze Skelett, vor allem aber die langen _
Röhrenknochen ein Zurückbleiben im Längenwachstum.
So mißt der Femur der ekthymisierten Tiere durchschnittlich
104 mm, der der gesunden 132 mm, der Unterschenkel
68 mm gegen 102 mm beim Normaltiere. Dabei sind diese
Knochen brüchig wie morsches Holz. Nimmt man eine
Längsdurchsägung der langen Röhrenknochen vor, so macht
man folgende Beobachtungen: die Spongiosa weist ver-
schieden große Cysten auf wie wir sie bei der Osteoporose
sehen. An der Stelle der großen Cysten sitzen die bei der
klinischen Beschreibung der operierten Tiere erwähnten
Spontanfrakturen. Weiterhin fällt auf, dab die Compacta
unregelmäßig, abnorm breit und unscharf begrenzt ist. Im
Röntgenogramm erscheint die Spongiosa stark aufgehellt, die
Diaphyse verdickt, verbreitert. Dadurch machen die Knochen
einen plumpen Eindruck. Die Epiphysenknorpel sind un-
gleich und oft auffallend breit, die Epiphysenlinie ist erhalten.
Mit einem Wort: es handelt sich um eine ausgesprochene
Hypoplasie der Knochen. Mikroskopisch dokumentiert sich
neben der Osteoporose eine Erweiterung der primordialen
Markräume und eine Wucherung der Knorpelgrundsubstanz.
Durchmustert man das Skelettsystem weiter, so trifft man
auf Erscheinungen, die eine Einheitlichkeit der ossalen Ver-
änderungen ablehnen lassen. So erweisen sich die Rippen
als abnorm biegsam und weich. Es liegt dies daran, daß
sie, wie auch der Proc. ensiformis des Sternums, durchaus
knorpeligen Charakter tragen. Infolge dieser Weichheit und
Nachgiebigkeit kommt es zu ausgedehnten Deformationen
des ganzen Brustkorbs. Am Schädel findet man neben
einem Zurückbleiben im Breitenwachstume sehr häufig offene
Fontanellen. Bei der mikroskopischen Betrachtung solcher
Knochen von thymektomierten Tieren fällt auf, daß die
Osteoplasten platter und spindelförmiger sind als bei den
Kontrollknochen. Die Knochenbälkchen sind von größerer
Feinheit, die Riesenzellen erscheinen spärlicher und von
geringer Größe. Es ist deutlich zu erkennen, daß der
Prozeß der Ossifikation eine starke Verzögerung
erlitten hat.
Für die Beurteilung dieser Knochenerkrankungen in
ihrer Gesamtheit ist die chemische Analyse von großer Be-
deutung. Unterwirft man die Knochen der ekthymisierten
und gesunden Hunde einer exakten vergleichenden chemi-
schen Untersuchung, so ergibt sich ein großer Unter-
schied in der Quantität der anorganischen Be-
standteile.
Es ist bekannt, daß der Knochen hauptsächlich aus
phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk besteht. Das Ver-
hältnis der beiden Kalkarten zueinander ist nun bei den
thymektomierten Tieren genau so, wie bei den gesunden,
doch die Gesamtmenge des Kalkes des gesamten Skeletts
des thymuslosen Hundes beträgt nur die Hälfte der Kalk-
menge, die bei dem Kontrolltiere gefunden werden. So finden
sich in 100 g des getrockneten, gesunden Knochens 65 g
Kalksalze, in 100 g Thymusknochen nur 32 bis 34 g.
Fassen wir nunmehr die genannten Skelettverände-
rungen beurteilend zusammen, so müssen wir folgendes sagen:
Nach der totalen Thymusentfernung beim jugendlichen Tier
entwickelt sich ein specifischesthymektogenesKnochen-
leiden, das charakterisiert ist durch eine universelle Hypo-
plasie. Pathologisch-anatomisch bietet sich ein Bild dar,
das man nicht von der Rachitis und Osteomalacie unter- '
LM} ns Er OS ENTE NEA a
scheiden kann. Es besteht fernerhin eine Osteoporose. Auf
Grund der chemischen Analyse lassen sich diese Verände-
rungen zurückführen auf den Mangel an ungelöstem Kalke.
Dieser Mangel kommt zustande entweder. dadurch, daß den
knochenbildenden Zellen die Zufuhr an ungelöstem Kalk
eingedämmt wird — dies sehen wir z. B. an den im
knorpeligen -Zustand beharrenden Rippen — oder dadurch,
daß der ungelöste, gefällte Kalk in gelösten übergeführt
wird, wie sich das an den langen Röhrenknochen dokumen-
tiert. Daß in der Tat eine ausgesprochene Kalkstoffwechsel-
anomalie vorliegt, zeigen in sehr schöner Weise folgende
Versuche: bringt man thymektomierten Tieren künstlich
Frakturen bei, so heilen diese nicht wie normal durch kalk-
haltigen Knochenkallus, sondern die Bruchstellen werden
überwuchert von Bindegewebe: sie bleiben dauernd gegen
einander beweglich, der Organismus hat die Fähigkeit, Kalk
abzulagern, verloren. Ferner konnte man feststellen, daß
die Ausfuhr von Kalksalzen bei Thymustieren doppelt so
groß ist wie bei gesunden Hunden. |
Unserm Kausalitätsbedürfnis entsprechend fragen wir
nach dem Zustandekommen dieses Geschehens. Die Be-
antwortung dieser Frage führt uns auf den Boden der
Theorie, Klose deduziert folgendermaßen: Die Fällung der
Kalksalze wird herbeigeführt durch Alkalien, als Kalklöser
kommen nur Säuren in Betracht. Nach der Thymektomie
kommt es zu einer Säureüberladung des Organismus, zu
einer Säurevergiftung. Es kommt hier hauptsächlich die-
im Organismus freiwerdende Phosphorsäure in Betracht,
- denn es ist sehr wahrscheinlich, daß die Thymusdrüse eine
entsäurende Funktion hat und zwar dadurch, daß sie
die freie Phosphorsäure durch komplizierte Verbindungen,
speziell Nucleinsynthese, „maskiert“. Diese Hypothese ist,
vielfach angegriffen worden im Hinweis auf eine Darlegung
Levys, daß bei der Einwirkung einer Säure auf ein Gemisch
von phosphorsaurem und kohlensaurem Kalke der letztere
rascher gelöst werden muß als der erstere. Nun ergibt aber
die Knochenanalyse bei ekthymisierten Tieren, daß das
Mengenverhältnis von phosphorsaurem Kalke zu kohlensaurem
stets das gleiche ist. Infolgedessen, sagte man, kann bei
dem abnormen Kalkstoffwechsel der Thymustiere einer Säure
eine dominierende Rolle nicht zugeschrieben werden. Nun
konnte aber Liesegang zeigen, daß Levys chemische Ab-
leitung nur für ein wäßriges Milieu Geltung hat. Läßt man
den Vorgang in einem gelatinösen Milieu sich abspielen, so
findet man, daß phosphorsaurer und kohlensaurer Kalk von
Säuren immer in gleichen Mengenverhältnissen gelöst werden.
Ein solches gallertiges Milieu haben wir in dem Bindegewebe
der Knochen vor uns. Somit ist die Klosesche Theorie
durch die Levysche Deduktion noch nicht widerlegt. Wir
müssen sie vorderhand als sehr plausibel anerkennen.
Neben den Knochenveränderungen treten bei den thymus-
beraubten Tieren die Alterationen des Nervensystems
hauptsächlich in den Vordergrund. Bei der Schilderung des
klinischen Verlaufs der „Cachexia thymopriva“ haben wir
bereits der „Idiotia thymica“ Erwähnung getan. Wir haben
auch geschildert, wie der Gang der Tiere immer plumper
und unbeholfener wird, daß Ermüdungserscheinungen und
Paresen auftreten. Damit ist gegeben, daß die Thymektomie
motorische Störungen im Gefolge hat. Ferner ließ sich nach-
weisen, daß die Schmerzempfindung der Tiere 'nachläßt, dab
sich eine Hypalgesie, zuweilen eine Analgesie einstellt. Das
auffallendste Symptom am Nervensystem ist jedoch das ver-
änderte Verhalten der peripherischen Nerven gegenüber dem
elektrischen Strom. Es zeigt sich, daß bald nach der Ope-
ration eine Erhöhung der elektrischen Erregbarkeit
Kuh, die sich in einem Herabgehen der Werte für die
i 2 bis auf 1,5 bis 2 MA. gegen 6,5 MA. in der Norm
Okumentiert, Auch für die AÖZ gehen die Werte, wenn
auch in geringerem Maße, zurück. Anatomisch-pathologisch
aden sich entzündliche Erscheinungen. Im Central-
nervensystem fällt eine eigentümliche Quellung und Ver-
flüssigung der Nervensubstanz auf. Dadurch ist das Gehirn
relativ größer als beim gesunden Tiere. Für diese letzt-
genannten Erscheinungen machen Klose und Vogt dieselbe
Ursache wie für den Kalkmangel der Knochen verantwort-
lich. Sie erinnern daran, daß Martin Fischer zeigen
konnte, daß eine abnorme Anhäufung von Säuren in einem
Gewebe zu Oedem und Quellung führt, ferner daran, daß
Kolloide durch Säuren bei Anwesenheit von Wasser quellen.
Sie betrachten deshalb die Quellung der Hirnsubstanz als die
unmittelbare Folge der universellen Säurever-
giftung. Mit dieser Annahme sind dann allerdings die Be-
ziehungen zwischen Thymus und Nervensystem insLicht gestellt
und man muß mit den genannten Autoren zu dem Schluß
kommen, daß die säurebindende Funktion des Thymus von
lebenswichtiger Bedeutung für das Centralnervensystem_ ist.
Wir haben gesehen, daß es gelingt unter Zugrunde-
legung der Arbeitshypothese einer Säurebindung durch die
Thymusdrüse die sinnfälligsten Veränderungen, die nach der
Ekthymisierung auftreten, zu erklären. Diese Anschauung,
die sich aus der experimentellen Forschung ergeben hat,
macht uns die physiologische Bedeutung und Lebenswichtig-
keit des Thymus klar. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzu-
nehmen, daß dies die einzige Funktion der Drüse wäre. Sie
zeigt noch mannigfaltige andere Beziehungen. Wir wollen
zunächst in Kürze der Relationen gedenken, die zwischen
Thymus und Blut!) bestehen: Man hat die Thymusdrüse
als die Bildungsstätte fast sämtlicher Species der corpus-
culären Blutelemente angesprochen. Sie soll die Wiege roter
Blutkörperchen, polynucleärer Leukocyten und schließlich
lymphatischer Zellen: darstellen. Wir wollen all die Dis-
kussionen übergehen und uns dahin aussprechen: Auf Grund
des uns zur Verfügung stehenden histologischen Unter-
suchungsmaterials kommen wir zu dem Schluß, daß die
Thymusdrüse als ein Organ aufzufassen ist, dem jede häma-
tologische Begabung fehlt, das jede aktive Beteiligung bei
der Blutbildung vermissen läßt. Damit ist nicht entschieden,
daß der Thymus überhaupt keinen Einfluß auf die Be-
schaffenheit und Zusammensetzung des Bluts hat. Der
Thymus ist ein Organ mit innerer Sekretion. A priori ist
die Möglichkeit zuzugeben, daß das specifische Sekretions-
produkt des Thymus auf die blutbildenden Organe einen
Einfluß ausübt. Hier kann natürlich nicht die anatomisch-
histologische Untersuchung die Entscheidung treffen, sondern
nur das Experiment und die Klinik. Zahlreich angestellte
Untersuchungen haben denn ergeben, daß die Thymus-
drüse das Organ ist, welches das Iymphatische
System beherrscht. Dieser Einfluß auf den lymphatischen
Apparat kann ein direkter sein oder aber ein indirekter da-
durch, daß das Thymus sekret von Bedeutung für den Er- -
regungszustand des Vagus ist. Wir sehen, daß Kranke, die
mit einem großen Thymus behaftet sind —, ich nenne den
Thymus hyperplasticus, den Basedowthymus, den Thymus bei
der Lymphadenose — eine auffallende Vermehrung der lympha-
tischen Zellen im Blut aufweisen. Nimmt man den Thymus ope-
rativ in Angriff, das heißt entfernt man ihn, so tritt eine Ver-
minderung der Lymphocyten ein. Dieses Schauspiel zeigt
sich unter anderm auch bei den thymektomierten Tieren.
Vor dem Eingriff konstatiert man stets eine beträchtliche
Lymphocytose. Bei der Verfolgung des postoperativen Blut-
bildes über Wochen und Monate hinaus zeigt es sich, daß
die Lymphocyten allmählich abnehmen und schließlich einen
relativ sehr niedrigen stationären Wert aufweisen. Das um-
gekehrte ist der Fall, wenn wir Thymus implantieren oder
Thymuspreßsaft injizieren. Ein akutes Aufschnellen der
Lymphocytenzahl ist die Folge.
Schließlich haben wir noch der Beziehungen zu ge-
1) Des näheren sollen diese Verhältnisse in einer demnächst er-
scheinenden Sonderarbeit besprochen werden.
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denken, die zwischen der Thymusdrüse und andern Or-
ganen mít innerer Sekretion bestehen. Wir können
hier nur einige Tatsachen registrieren: Es hat sich heraus-
gestellt, daß nach der Thymektomie das Pankreas, die Schild-
drüse, die Keimdrüsen und die Milz hypertrophisch werden.
Besonders deutlich sieht: man die Wechselwirkungen von
Thymus und Geschlechtsdrüsen. Diese Organe nehmen
nach der Thymusentfernung oft das Doppelte bis das Drei-
fache des Gewichts der korrespondierenden Organe der ge-
sunden Hunde an. Umgekehrt findet man bei menschlichen
Thymusträgern eine auffallende Kleinheit der Keimdrüsen.
Kastraten — dies ist eine alte Erfahrung — haben stets
einen großen Thymus. Wir dürfen aus diesem Verhalten
wohl mit Recht den Schluß ziehen, daß ein Antagonismus
zwischen Keimdrüsen und Thymus besteht.
Besonderer Berücksichtigung bedarf schließlich noch
die Milz. Denn allem Anschein nach ist sie das Organ,
das vikariierend für die Thymusdrüse eintritt. Man kann
dies aus dem anatomisch-histologischen Verhalten der Milz
nach Thymusexstirpation und aus folgendem schließen: Ex-
stirpiertt man vier bis sechs Wochen alten Tieren — also
zu einer Zeit, in der der Hundethymus bereits der Involution
verfallen ist — den Thymusdrüsenrest, so treten nur un-
gefähr drei Monate anhaltende rachitisähnliche Wachstum-
störungen ein, nach denen sich die Hunde wieder erholen.
Es muß also ein Organ für den Thymus eingetreten sein,
und dieses Organ ist mit großer Wahrscheinlichkeit, wie ge-
sagt, die Milz. Denn. entfernt man diesen spätektomierten
Tieren sekundär dieses Organ, so tritt innerhalb weniger
Wochen der Tod unter schwerer Kachexie ein. Es erfolgt
also eine Ueberstürzung der Krankheitserscheinungen, die
nach der Exstirpation des Thymus zur Zeit seiner Höchst-
entwicklung sich einstellen.
Wir haben gesehen, daß die Funktionen des Thymus
nicht einheitlich sind, daß mannigfache Beziehungen ihn mit
anderen, lebenswichtigen Organen verknüpfen. Lassen Sie
mich noch einmal das Gesagte zusammenfassen. Wir resu-
mieren dahin: Die Thymusdrüse ist ein lebenswichtiges
Organ. Auf der Höhe ihrer Entwicklung exstirpiert
hat sie schließlich den Tod zur Folge Allem An-
schein nach besteht ihre Hauptfunktion darin,
säurebindend und somit entgiftend zu wirken.
Diese supponierte Funktion gibt uns eine Er-
klärung ab für die nach der Ausschaltung des Or-
gans auftretenden Störungen des Kalkstoffwechsels,
für die Knochenalterationen und die Veränderungen
des Centralnervensystems. Die Thymusdrüse nimmt
gegenüber dem Iymphatischen Apparat eine domi-
nierende Stellung ein. Zwischen Thbymusdrüse
einerseits und den innersekretorischen Organen
anderseits bestehen komplexe Beziehungen. Be-
sonders interessante Relationen ergeben .sich
zwischen Thymus und Milz. Dieses Organ wird
durch die Thymusdrüse gewissermaßen „vorbe-
reitet“, um nach deren Altersinvolution in noch
ungeklärten Beziehungen für sie einzutreten.
Aus der Praxis für die Praxis,
Zahnheilkunde
von
Dr. Hoffendahl
Lehrer der Zahnheilkunde an der Kgl. Universität, Berlin.
Kieferbruchverbände.
| Um einem Patienten mit einem Kieferbruche sogleich durch
Fixierung der Bruchstücke Linderung in seinem qualvollen Zu-
stande zu verschaffen, lassen sich provisorische Notverbände in
Anwendung bringen. Sind die der Bruchstelle benachbarten Zähne
fost und gesund, so genügt nach Reponierung der Frakturstücke
eine einfache Seiden- oder Drahtligatur, die um die Zahnhälse ge-
legt wird, um eine weitere Dislokation zu verhindern. Besser wird
die Fixierung der Fragmente durch den Sauerschen Notverband
erreicht: Ein 11/2 bis 2 mm starker verzinnter Eisen- oder Aluminium-
bronzedraht wird in Form des normalen Unterkiefers gebogen, labial
bis zu den zweiten Molaren entlanggeführt und mit Bindedraht
an den Zahnhälsen sämtlicher Zähne befestigt, ohne daß ein Druck
auf die Interdentalpapillen oder das Zahnfleisch ausgeübt wird.
Stehen nur wenige oder nur lockere Zähne in dem ge-
brochenen Kiefer, so wird der Morel-Lavall6esche Guttapercha-
verband bei großer Einfachheit mehr Aussicht auf einen guten
Erfolg bieten. Man bindet hierzu mittels Drahtligaturen die dem
Bruche zunächststehenden Zähne untereinander fest, um sie in
der richtigen Lage zu erhalten, dann erweicht man einen Streifen
Guttapercha von etwa 8 bis 12 em Länge und 1 bis 2 cm Dicke
in heißem Wasser und drückt ihn auf die Zahnreihe, sodaß die
Zähne fast hindurchdringen. Hierauf läßt man den Mund schließen,
um Eindrücke der Zahnkronen des andern Kiefers zu gewinnen,
und begünstigt den Erstarrungsprozeß der Guttapercha durch Eis
oder kaltes Wasser. Nach dem Erhärten modelliert man die aus
dem Munde herausgenommene Schiene und drückt sie dann wieder
fest auf die Zahnreihe.
Ist ein zahnloser Unterkiefer gebrochen, dessen Besitzer gut
artikulierende Ersatzstücke trägt, so erreicht man eine Fixierung
der Bruchstücke dadurch, daß man die Prothese in den Mund
bringt und den gebrochenen Unterkiefer mittels eines Kinntuchs
oder ähnlichem fest gegen die Basis des mit den Oberkieferzähnen
artikulierenden Unterstücks drückt. Da hierbei die Kiefer fest
geschlossen bleiben müssen, ist für eine Lücke im Bereiche der
Frontzähne — durch Ausbrechen eines künstlichen Zahnes usw. —
Sorge zu tragen.
Referateniteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Fortschritte der Serumtherapie der letzten fünf Jahre 1)
von Dr. Fritz Munk.,
Antimeningokokkenserum.
Die Machtlosigkeit, in der sich der Arzt bei der Therapie
der epidemischen Genickstarre befindet, läßt es begreiflich er-
scheinen, daß die erst seit einigen Jahren in Aufnahme gekom-
mene Anwendung einer specifischen Serumtherapie dieser Krankheit
bald eine nicht unbeträchtliche Ausbreitung gefunden hat. In
Deutschland haben sich insbesondere Jochmann, Kolle, Wasser-
mann sowie auch Aronson, in Amerika Flexner und Jobling
um die Herstellung und Einführung eines Meningokokkenserums
bemüht. | | l
Zurzeit sind verschiedene Meningokokkensera im Handel.
Das nach den Angaben von Jochmann von Merck hergestellte
1) Vgl. 1911, Nr. 48; 1912, Nr. 4, 11.
Serum wird dadurch gewonnen, daß Pferde intravenös erst mit
steigenden Dosen abgetöteter Meningokokken von möglichst zahl-
reichen, frisch gezüchteten Stämmen, später mit den gleichen
Mengen lebender Kulturen immunisiert werden.
Das Höchster Meningokokkenserum wird erzeugt durch
Immunisierung mit einem Stamme, der durch Züchtung auf einem
bestimmten flüssigen Nährboden eine sehr hohe Virulenz er-
reicht hat. | |
Flexner behandelt seine Pferde zur Gewinnung des Serums
zuerst mit subcutanen, später intravenösen Injektionen von ab-
getöteten, später von lebenden, schließlich von autolysierten
Kulturen. Be
Diese Sera sind im Handel zu haben. Unentgeltlich
liefert das Institut für Infektionskrankheiten in Berlin
auf Bestellung ein Meningokokkenserum, dessen antitoxische Quote
dadurch gesteigert sein soll, daß die Pferde außer mit den Bak-
terien selbst noch mit wäßrigen, die wasserlöslichen toxischen Stoffe
der Bakterien enthaltenden Extrakten behandelt werden.
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7. Juli.
Ueber die Wirkungsart des Meningokokkenserums sind wir
noch keineswegs aufgeklärt. |
Für die baktericide Wirkung des Serums konnten von
Joehmann und Neufeld (1) keine deutlichen Beweise gefunden
werden. Dagegen konnten diese Autoren sowohl im Reagensglase
wie im Pfeifferschen Versuch eine sehr ausgesprochene bakterio-
trope Fähigkeit des Serums beobachten. Es ist nun bekannt,
daß beim Absterben der Meningokokken eine beträchtliche Menge
Gift frei wird, dessen Wirkung man einen großen Teil des Krank-
heitsbildes der Genickstarre zuschreibt. Darum ist es wünschens-
wert und, wie es scheint, auch möglich, mit dem Serum auf das
Gift einzuwirken. Von Jochmann sowie von Flexner konnte
nachgewiesen werden, daß das Meningokokkenserum eine neu-
tralisiorende Fähigkeit für dieses Gift enthält, die Wasser-
mann in seinem Serum, wie schon erwähnt, zu verstärken sucht.
Die heute beinahe allgemein übliche Anwendungsweise des
Serums ist die lumbale Injektion. Man läßt dabei vorher stets
‚dieselbe, bei hohem Druck im Lumbalsacke sogar eine größere
Menge Lumbalflüssigkeit ausfließen, als man Serum zu injizieren
‚beabsichtigt. Das Serum wird vorher auf Körperwärme gebracht.
Es soll nun möglichst frisches, jedenfalls nicht über drei Monate
altes Serum angewandt werden. Die Dosis ist für Erwachsene
20 bis 40 cem, für Kinder 10 bis 25 cem pro Einspritzung, die
‘aber öfters, am Anfange täglich zu wiederholen ist. Nach der
Einspritzung soll zweckmäßig 8 bis 10 Stunden Beckenhochlage-
rung eingehalten werden.
Die Wirkung: des Serums kommt nach Jochmann dadurch
zum Ausdruck, daß die benommenen Kranken wieder zum Be-
wußtsein kommen, die heftigen Kopfschmerzen sowie die Steifig-
keit des Nackens und der Wirbelsäule meist nachlassen. Auch
der Appetit stellt sich wieder ein. Da wo Fieber besteht, tritt
häufig ein Abfall der Temperatur ein, was als Beginn der ent-
gültigen Genesung angesehen werden darf, doch ist der Einfluß
des Serums auf die Körpertemperatur, wie diese selbst bei der
Meningitis, sehr wechselbhaft und nicht immer den übrigen
klinischen Symptomen entsprechend.
Durch fortlaufende Untersuchungen der Lumbalflüssigkeit
konnte von Jochmann (2), Kovarizek, Levy, Flexner und
Andern der Einfluß des Serums auf die Meningokokken direkt
beobachtet werden. Während die Flüssigkeit vor der Einspritzung
meist stark eitrig und trübe ist, wird sie mit jeder neuen Injektion
klarer, die Bakterien selbst nehmen an Zahl ab, erscheinen dege-
‚neriert und meist intracellulär. ;
l Wie bei jeder Serumbehandlung, so ist auch hier die mög-
lichst frühzeitige Anwendung des Serums von größter Bedeutung
für seine Wirksamkeit [Wassermann und Leuchs (17)]. Der
Unterschied in der Wirksamkeit der verschiedenen Sera scheint
nicht sehr augenfällig zu sein.
Ueber die praktischen Erfolge des Meningokokkenserums
‘geben uns folgende Berichte verschiedener Autoren Aufschluß,.
> Als erster berichtete Jochmann auf dem Kongreß für
innere Medizin im Jahre 1906 über günstige Erfolge mit seinem
Serum bei der Behandlung von 38 Fällen während -einer damals
in Schlesien herrschenden Epidemie. Sehön hatte bei 30 Kranken
im Krankenhause zu Ratibor mit demselben Serum eine Sterklich-
keit von 270/, der behandelten gegenüber 53 0/, der unbehandelten
Patienten,
Eine Aufstellung von Levy (3) über eine große Anzahl von
'Krankheitsfällen, die bei einer Epidemie in Essen vom 1. Januar
‚bis 1. November zur Behandlung kamen, veranschaulicht die Er-
‚folge der Serumbehandlung mit Kolle-Wassermann-Serum.
Es wurden im ganzen 55 Fälle mit 29 Todesfällen = 52,72 %/o
Mortalität behandelt:
außerhalb der Infektionsbaracken 15 Fälle mit 12 Todesfällen —
‚ 80%, Mortalität,
Innerhalb der Infektionsbaracken 40 Fälle mit 17 Todesfällen =
` 42,50/, Mortalität,
von diesen wurden nicht mit Serum behandelt
14 Fälle mit 11 Todesfällen — 78,60%, Mortalität,
mit Serum wurden behandelt |
28 Fälle mit 5 Todesfällen — 21,7 %/, Mortalität,
avon In unvollkommener Weise subeutan mit
kleinen Dosen 6 Fälle mit 3 Todesfällen = 50?/ Mortalität,
Systematisch intralumbal mit großen Dosen
Ä dagegen 17 Fälle mit 2 Todesfällen — 11,8% Mortalität.
hi Ein günstiger Einfluß des Serums auf die Mortalität ist
or nverkennbar. Später hatte Levy bei 48 behandelten Kranken
eine Mortalität von nur noch 16,27 fo erreicht.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
4121
| Krohne (5) zählte bei der Epidemie im Regierungsbezirke
Düsseldorf bei 59 Fällen eine Mortalität von 40,6 %/, gegenüber
66 0/5 der unbehandelten Patienten, Többen beobachtete diesen
Unterschied bei 29 Fällen von 34/5, gegenüber 56 9/o.
Ebenfalls zu günstigen Resultaten bei mehr oder weniger
vereinzelten Fällen kamen Lenzmann (6), O. Mayer (7),
Stelzle (8), Leik (9), Quenstadt (10) und Arnold (11). Aller-
dings kann keiner dieser Autoren über eine zuverlässige Heil-
wirkung des Serums berichten. Sie empfehlen jedoch die Anwen-
dung des Serums wegen der deutlich günstigen Wirkung auf be-
‘stimmte Krankheitssymptome, insbesondere wegen der dadurch
ermöglichten Hebung der Somnolenz.
Sehr wenig befriedigt durch die Wirkung des Serums sind
dagegen Schulz (12) sowie auch Raczynski (13), welche aller-
dings die subcutane Injektion ausführten. |
Bei der Epidemie in Köln wurden von Mathes (14) nicht
nur sämtliche Arten Moeningokokkensera, sondern auch alle An-
‚wendungsmethoden an Kranken der verschiedensten Stadien durch-
geführt. Leider führten seine Beobachtungen, die. von täglichen
genauesten und weitgehenden klinischen Untersuchungen der Tem-
peraturen, des Urins, des Bluts usw. gestützt wurden, zu einem
negativen Resultat für eine specifische Serumtherapie der epidemi-
schen Meningitis. Ein deutlicher Einfluß auf die verschiedenen
Symptome konnte nicht konstant, eine Heilwirkung gar nicht fest-
gestellt werden. Auch Hochhaus (15) konnte bei der gleichen
Epidemie keine günstigen Erfahrungen machen.
Oskar Orth (16) hat Versuche mit dem Aronsonschen
Serum angestellt und kam bei einzelnen Krankheitsfällen zu einem
günstigen Resultat.
Weit günstiger als diese Berichte lauten jene amerikanischer
Autoren, deren Beobachtungen sich auf eine weit größere Zahl von
Fällen erstrecken. |
So kann Flexner (17) über den Verlauf von 712 Krank-
heitsfällen berichten. Von diesen wurden 488 gesund, während
224 starben. Es zeigt sich bei diesen Fällen ein deutlicher Zu-
sammenhang zwischen der Mortalität und dem Zeitpunkt des
Beginns der Serumbehandlung: |
bei 241 Fällen, die in den drei ersten Tagen der Erkran-
kung injiziert wurden, war die Mortalität = 25,8 t/o,
bei 248 Fällen, die zwischen dem vierten und siebenten Tage
Serum bekamen = 27,8 0/o,
bei 223 Fällen, die nach dem siebenten Tage mit Serum be-
handelt wurden, stieg die Mortalität schon auf 42,1 0/0.
Aehnlich günstige Mortalitätsziffern der behandelten Fälle
werden von Jobling sowie von Robb angegeben, die unter 90
behandelten Fällen die Mortalität mit 30%, gegenüber 750, der
unbehandelten beziffern konnten.
Schädliche Wirkungen des Serums werden nicht berichtet,
wenn auch einige Male nach den intraduralen Injektionen Kollapse
eintraten und in manchen. Fällen die schon besprochenen anaphy-
laktischen Erscheinungen der Serumwirkung sich einstellten.
Angesichts der mangelhaften Therapie bei der Meningitis
cerebrospinalis epidemica dürfte darum jedenfalls ein Versuch mit
einem der genannten Sera geboten sein. | |
Antipneumokokkenserum.
Die Serumbehandlung der Pneumonie ist bisher nur in sehr
beschränktem Maße ausgeübt worden.
Die von A. Fränkel entdeckte aktive Immunität nach einer
überstandenen Pneumonie, die sich durch einen mitunter so be-
trächtlichen Gehalt von Schutzstoffen im Blute des Pneumonie-
kranken nach dem Verlauf der Krisis kundgibt, daß es gelingt,
mit solebem Blutserum Tiere gegen die tödliche Infektionsdosis zu
schützen, geben -der theoretischen Vermutung Raum, daß durch die
Zufubr dieser Schutzstoffe in gewissen besonders schweren Fällen
der Verlauf einer Pneumonie begünstigt werden könne.
Von Emmerich und Foa konnte außerdem gezeigt werden,
daß das Serum von Tieren, die mit abgetöteten Pneumokokken
immunisiert waren, andere Tiere gegen den Tod durch Pneumo-
kokkeninfektion schützen konnte,
Daraufhin versuchte Klemperer die croupöse Pneumonie
des Menschen mit Serum zu behandeln. Diese Versuche ergaben
aber kein befriedigendes Resultat.
Die Serumtherapie der Pneumonie wurde darum in Deutsch-
land beinahe allgemein aufgegeben, während dagegen die experi-
mentellen Forschungen über das Wesen der Pneumokokkeninfektion
insbesondere von Römer, Händel, Neufeld und Andern fort-
gesetzt wurden.
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1122 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
Als Ergebnis dieser Forschungen wird heute durch die Firma
Merck nach den Angaben von Römer ein polyvalentes Serum her-
gestellt, das durch Immunisation mit frischen Originalstämmen der
croupösen Pneumonie und des Ulcus serpens sowie auch von in
der Tierpassage fortgezüchteten Stämmen von Pferden, Rindern
und Schafen gewonnen wird.
- In ähnlicher Weise werden Pneumokokkenseren duch‘ vom
Seruminstitut in Bern und von den Höchster Farbwerken her-
gestellt und in den Handel gebracht.
Ueber die Wirkungsweise des Pneumokokkenserums sind wir.
ebenfalls noch nicht zu einer sicheren Kenntnis gelangt.
Während Neufeld vor allem eine bakteriotrope Wirkung für
das Wesentliche des Serums hält, kommt Römer auf Grund seiner
Beobachtungen bei der Heilung des Ulcus serpens, sowie beim
Pfeifferschen Versuch mit Pneumokokken zu der Ansicht, daß
beim Einfluß des Serums auf die Kokken die Erscheinungen der
Bakteriolyse in den Vordergrund treten.
Außerdem aber nimmt er mit Sauerbrei noch eine anti-
toxische Wirkung des Serums in Erwägung.
Ueber die Wirksamkeit des Antipneumokokkenserums bei
der croupösen Pneumonie lauten die Berichte im allgemeinen
nicht günstig. |
Ein überzeugter Anhänger des Serums ist Crux (19), der
„einen unzweifelhaft günstigen, fast souveränen specifischen Einfluß
des Serums bei Lungenentzündung im Kindesalter (12 Fälle) beob-
achten konnte“. Auch Monti (20) sah bei 12 behandelten Kindern,
daß die Entwicklung der Pneumonie durch das Serum zwar nicht
verhindert, aber nach mehrmaligen Injektionen doch meist am
dritten oder vierten Beobachtungstage der Prozeß zum Stillstand
und zur Lösung kam.
Brüning (21), dessen Erfahrungen sich allerdings nur auf
sechs Fälle von behandelten Kinderpneumonien erstrecken, konnte
‘sich dagegen nicht von der Wirksamkeit des Pneumokokkenserums
überzeugen. Er weist darauf hin, daß die berichteten Erfolge in
einzelnen Fällen möglicherweise nur vermeintlich dem Serum zu-
kommen, da ja in sehr häufigen Fällen von Pneumonie die Krisis
schon nach drei bis vier Tagen auftrete, zumal man die Patienten
nicht immer gleich bei Beginn der Krankheit in Beobachtung be-
komme. Der gleichen Ansicht ist Jürgens (22) der selbst eben-
falls von einer Serumtherapie keinen Erfolg sah.
Päßler (23) beobachtete einen günstigen Einfluß des Serums
auf das Verhalten der Temperatur. Er sah sechs bis zwölf Stun-
den nach der Einspritzung in 70°, der Fälle ein Sinken der
Temperatur meist bis zu 20 C.
Er stellt folgende Statistik über die Entfieberung behandelter
und 'unbehandelter Fälle auf:
ohne Serum mit, Serum
| 0
Entfieberung bis einschließlich 4. Tag. . . 141 23,1
5 $ » 5. p >. . 225 40,0
o a = (1) 44,4
Auch an den Kreislauforganen sah Päßler die günstige
Wirkung des Serums. Damit stimmen auch die Beobachtungen
von Knauth (24) überein. °
Lindenstein (25) empfiehlt die Anwendung des Serums
schon wegen der von ihm beobachteten auffallenden Besserung des
Allgemeinbefindens, auch Krische (26) sah bei seiner Anwendung
des Serums in der Landpraxis günstige Erfolge.
Winkelmann (27) hält die Serumbehandlung „höchstwahr-
scheinlich für unschädlich, die Heilwirkung des Serums sicher nicht
für zuverlässig“, doch bei den von ihm behandelten schweren Fällen
hier und da deutlich erkennbar. Er empfiehlt daher das Serum
für schwerere Fälle von Pneumonie.
May (28) kommt auf Grund seiner eingehenden Unter-
suchungen über den Einfluß des Römerschen Antipneumokokken-
serums zu der Erkenntnis, „daß die Serumbehandlung der Pneu-
monie die erste Versuchsära noch nicht überschritten hat und daß
keine derartigen Erfolge vorliegen, welche die Berechtigung geben
würden, dasselbe schon jetzt in das allgemeine, unumgängliche
Rüstzeug gegen die Pneumonie aufzunehmen“.
Die bisher besprochenen Beobachtungen der verschiedenen
Autoren betreffen nun allerdings meist Fälle, bei denen relativ
kleine Dosen Serum zur Anwendung kamen. Neuerdings fordern
Neufeld sowie Römer selbst, daß weit größere Dosen (100 cem
und mehr) in intravenöser Injektion in Anwendung kommen
sollen.
Ueber den Erfolg dieser Applikationsweise berichtet uns
Beltz (29) nach seinen Erfahrungen an 25 gleich nach der je-
7. Juli.
weiligen Einlieferung mit 400 I.-E. intravenös behandelten Kranken.
Diese Dosis wurde am zweiten, in einigen Fällen auch am dritten
Tage wiedergegeben oder sogar verdoppelt.
Dafür beobachtete Beltz eine bemerkenswerte Besserung
des Allgemeinbefindens, freiere Atmung, Klärung des Sensoriums,
Euphorie. |
Von den Behandelten starben vier, die jedoch teils Tuber-
kulöse waren.
Eine Beeinflussung der Leukocytenkurve durch die Serum-
injektionen konnte er nicht bemerken.
Dagegen sah er bei einer Gegenüberstellung der behandelten
und der unbehandelten Fälle des Vorjahrs eine Verschiebung der
Krise nach früheren Tagen.
Deutlicher als bei der Pneumonie scheint die Wirkung des
Antipneumokokkenserums bei dem Ulcus serpens zutage zu treten,
Römer selbst konnte sowohl in klinischen Fällen als im
Tierexperiment die untrügliche Beobachtung machen, daß die
Heilung des Uleus serpens durch die Serumbehandlung nicht nur
möglich ist, sondern daß die Narbentrübung in der Hornhaut bei
dieser Heilung eine viel geringere ist als in den Fällen, wo der
Infektionsherd mit dem Galvanokauter zerstört wurde,
Die Beobachtungen von Gebb (30) sprechen dafür, daß auch
beim Uleus serpens größere Serumdosen angewendet werden müssen.
Er gab meist 100 bis 300 ccm des Serums subceutan und bemerkte
davon außer einer kleinen Temperatursteigerung keinerlei Schädlich-
keiten. Dafür gelang es ihm, von 14 Fällen mit Ulcus serpens
zehn Patienten durchschnittlich am neunten Tage geheilt aus der
Klinik zu entlassen. Marx hatte früher bei kleineren Dosen von
neun Patienten nur zwei Heilungen zu verzeichnen.
Typhusserum.
In noch geringerem Umfang als die Pneumonie wurde der
Typhus in der Praxis der Serumbehandlung unterzogen. Es hat
dies zuletzt größtenteils seinen Grund in der bisher noch mangel-
haften Kenntnis des Wesens der Bakterienwirkung bei der Typhus-
erkrankung. Das Krankheitsbild des Typhus wird beherrscht:
i. durch die lokolen Infektionsherde und
2. durch die Allgemeinerkrankung, die unzweifelhaft ihre
Ursache in einer gewissen Intoxikation hat.
Ueber die Art und die Herkunft des Giftes besteht unter
den Autoren nun noch keineswegs Uebereinstimmung.
‚ Während Pfeiffer und seine Schule die Giftwirkung des
Typhusbacillus ausschließlich auf sogenannte Endotoxine, die bei
der Auflösung der Baeillen aus den Bakterienleibern frei werden,
zurückführt, ist von Rodet, Aronson, Meyer und Bergell,
Krauß und Anderen mit Sicherheit nachgewiesen, daß die lebenden
Typhusbacillen auch echte Toxine, ähnlich wie der Diphtherie- und
Tetanusbacillus, abscheiden.
Diesen Toxinen werden darum von diesen Autoren die ty-
phösen Erscheinungen, den Bakterienleibern und den in ihnen ent-
haltenen Substanzen dagegen die lokalen Gewebsalterationen zuge-
schrieben.
Wenn nun wirklich die Endotoxine eine für das Gewebe
oder selbst für das Allgemeinbefinden schädliche Wirkung ent-
falten, so ist es klar, daß ein Serum mit starken bakteriolyti-
schen Eigenschaften direkt eine Gefahr für den Patienten be-
deuten würde,
Obwohl über die Bedeutung der Endotoxine für das Krank-
heitsbild die Ansichten der Autoren verschieden sind, haben es
die meisten bei der Herstellung ihrer Typhusheilsera vermieden,
bakteriolytische Eigenschaften des Serums zu erzeugen. Ihr Be-
streben geht vielmehr dahin, antitoxische Sera sowohl gegen die
secernierten Toxine als auch gegen die Endotoxine zu gewinnen,
die außerdem zur Bekämpfung der Infektion bakteriotrope Wirkung
entfalten. |
Die Erfolge, die in Frankreich mit dem von Chantemesse
und mit einem andern, von Rodet hergestellten Typhusserum
beobachtet wurden, sind im ganzen sehr günstige. Mehr oder
weniger lange nach der Einspritzung (Stunden bis zu vier Tagen)
ist ein dauerndes oder vorübergehendes Absinken der Temperatur
bemerkbar. Der Puls soll sich bessern, Diarrhöen und alle die
dem Typhus eignen Krankheitserscheinungen zurückgehen, sodaß
die Krankheitsdauer wesentlich verkürzt wird. Das Serum soll
allerdings vor Rezidiven keinen Schutz bieten und muß, um zu
einer deutlichen Wirkung gelangen zu können, noch vor dem achten
Krankheitstage gegeben werden. Rodet hebt besonders die
günstige Wirkung des Serums auf die Diurese hervor.
Hral it aA
=
i
1. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 1123
Meyer und Bergell haben mit ihrem Serum in zwei ver-
zweifelten Fällen Heilung erzielen können.
Neuerdings liegen auch Berichte über das Serum von.
Kraus vor.
Nach den Mitteilungen von Kraus und Stenitzer (33)
kommt dem Serum ein günstiger Einfluß auf den Verlauf eines
Typhus, insbesondere bei unkomplizierten Fällen und bei früh-
zeitiger Injektion, insofern zu, als häufig unmittelbar oder einige
Tage nach der Injektion ein Temperaturabfall, begleitet von sub-
jektirem Wohlbefinden, zu beobachten ist. Ein neuerer Bericht
dieser Autoren teilt günstige Erfahrungen mit, welche von Ungar
bei einer Typhusepidemie in Hermannstadt, von Ruß bei einer
solchen in Jassy, sowie von Forßmann (34) an 20 Typhusfällen
in Stoekholm beobachtet wurden.
Die Serummengen, die hier in Anwendung kamen, waren
allerdings bedeutend größer als sie von Rodet und Chantomesse
angewandt worden. Die Patienten bekamen durchschnittlich 20 cem
Serum entweder subcutan oder intravenös injiziert.
Im übrigen sind die praktischen Erfahrungen mit dem Typhus-
serum noch sehr spärlich, doch dürfte ein Versuch bei schweren
Epidemien, wo man die Patienten meist sehr früh und mit sicher-
gestellter Diagnose in Behandlung bekommt, immerhin zu empfehlen
sein, da nach Forßmann „die früh (erste Woche) behandelten
Fälle fast alle eine Leichtigkeit des Krankheitsverlaufs zeigten,
die sonst in der Epidemie nur als Ausnahme vorkommt“.
Choleraserum.
Ganz ähnliche Schwierigkeiten, wie sie der Herstellung eines
wirksamen Typhusserums entgegenstehen, kommen auch bei den
serotherapeutischen Bestrebungen bei der Cholera zur Geltung. Auf
die Gewinnung eines bakteriolytischen Serums hat man angesichts
der durch die Lokalisierung der Bakterien einerseits und der mit
der durch die Bakteriolyse freiwerdenden Endotoxinen bedingten
Gefahr für den Organismus anderseits vollkommen verzichtet. Die
Choleraserumforschung bemüht sich lediglich auf dem Wege nach
einem wirkungsvollen antitoxischen Serum. Diesem Bestreben steht
die mangelhafte Antitoxinbildung der Endotoxine. entgegen, es
dürfte darum ein Antitoxin hauptsächlich nur gegen die von den
lebenden Vibrionen secernierten Toxine zu erzielen sein. Am
besten gelang dies bisher Kraus mit seiner Methode. Allein die
Erfolge des Krausschen Serums sind selbst im Tierversuche nur
äußerst geringe. Er stellte darum ein antitoxisches Serum mit
El Tor-Vibrionen her, das auch bei der Behandlung der Cholera
in Rußland 1907/08 schon praktische Anwendung fand.
Albanus, Chanutius, Krewer, Zeidler und Kernig (86)
fassen ihre Erfahrungen, die sie im Obuchowhospital in Petersburg
anläßlich dieser Epidemie machten, dahin zusammen: Wir müssen
gestehen, daß ein deutlich günstiger Einfluß auf den Verlauf der
Krankheit und auf die Sterblichkeit nicht zu bemerken gewesen
ist, Immerhin hatten wir bei der Reihe äußerst schwerer Fälle,
die mit Serum behandelt wurden, eine Sterblichkeit von 57,5%
gegen 84,3 0/0 bei ebenso schweren, aber ohne Serum behandelten.“
Die Autoren behielten sich die Möglichkeit offen, daß ein Teil
dieser günstigen Wirkung allein der mit dem Serum injicierten
Kochsalzlösung zukommen könnte, (Schluß folgt.)
Sammelreferate.
Arbeiten aus dem Gebiete der Hämatologie 1911
von Oberarzt Dr. Werner Schultz, Krankenhaus Charlottenburg- Westend,
Von klinischen Arbeiten sei auf eine ausführliche Zu”
sammenstellung über aplastische Anämie von H. Hirsch"
feld (1) hingewiesen. Bei der aplastischen Anämie bleibt die re-
generative Umwandlung des Fettmarks der langen Röhrenknochen
m rotes Mark aus. Schwer verändert wurde in solchen Fällen
auch das Rippenmark gefunden. Es bestand aus einer dünn-
flüssigen, schwach rosa gefärbten Flüssigkeit, die nur vereinzelte
Iymphoide Elemente und kernlose rote Blutkörperchen enthielt.
0 nicht nur „Aplasie“, sondern vielmehr außerdem Schwund
der Zellen des Knochenmark!
Nach experimentellen wie klinischen Erfahrungen Können so-
wohl toxische Einwirkungen wie vielleicht auch Unterernährung
Ken Erschöpfung sowie angeborene Minderwertigkeit der Blut-
ie ngsorgane die Regeneration des Bluts bei Anämien beein-
in tigen beziehungsweise verhindern. Die aplastische Anämie
it zu definieren nicht als eine besondere Anämieform, sondern sie
% eine durch ungewöhnliche Reaktion von seiten der
Blutbildungsorgane gekennzeichnete Abart der Biermer-
schen kryptogenetischen Anämie wie verschiedener
Formen sekundärer Anämien mit bekannter Aetiologie.
Was das Blutbild betrifft, so ist dasselbe durch eine sehr
erhebliche Herabsetzung der Erythrocytenzahl und niedrigen Hb-
Gehalt charakterisiert. Man findet abnorm blasse, meist in ihrer
Größe nicht erheblich voneinander unterschiedene rote Blutkörper-
chen ohne nennenswerte Poikilocytose und Polychromatophilie.
Bisweilen wurden ganz vereinzelte Normoblasten gefunden. Die
Leukoeytenzahl ist meist stark herabgesetzt, in der Mehrzahl der
Fälle bestand erhebliche Lymphocytose. Die Kombination schwerster
Anämie mit extremer Leukopenie bei Fehlen der für Anämien
charakteristischen Erythrocytenformen spricht für aplastische
Anämie. |
In der Kasuistik der Leukämien ist ein Fall von myeloider
Leukämie bemerkenswert, den Jochmann und Blühdorn (2) als
akute Myeloblastenleukämie beschreiben. Die Krankheit ver-
lief so rasch, daß vom Beginn des Leidens bis zum tödlichen Ende
nur drei Wochen verstrichen. Der Fall ging mit einem gangrä-
nösen Schleimhautprozeß her, der zuerst für Lues, dann für
Diphtherie gehalten wurde. Es fand sich auf der linken Seite des
harten Gaumens, dicht hinter der Zahnreihe, ein markstückgroßes,
mit einem nekrotischen, schwärzlich verfärbten Belag bedecktes
flaches Ulcus von üblem Geruch, außerdem ein etwas kleineres
schmutziggelb belegtes Geschwür in der Schleimhaut der linken
Backe. Das Blutbild zeigte die Charakteristika einer akuten mye-
loiden Leukämie, vorherrschend Myeloblasten. Die Probe auf pro-
teolytisches Ferment mit der Löfflerplatte fiel negativ aus, ebenso
war die Oxydasereaktion negativ.
Ueber einen Fall von Mastzellenleukämie berichtet
Zdzislaw Tomaszewski (3). Es handelte sich um den Fall einer
myeloiden Leukämie bei einer 50 jährigen Patientin. Die tabella-
risch aufgeführten Leukocytenzahlen zeigen ein Schwanken der
Mastzellen zwischen 28,7 %/,.und 40 /, der gesamten weißen Blut-
elemente. Die basophilen Granula zeigten die typische Löslich-
keit in Wasser und die sonstigen für die Mastzellengranulation
charakteristischen färberischen Eigenschaften. Infolge Röntgen-
bestrahlung nahm die Zahl der Mastzellen in Bestätigung eines
von Joachim erhobenen Befundes relativ etwas weniger ab, als
die der übrigen weißen Elemente. Tomaszewski läßt es dahin-
gestellt, ob die Joachimsche Annahme von der Schädlichkeit der
Röntgenstrahlen bei Mastzellenleukämie zu Recht besteht.
Einen seltenen Fall von gemischtzelliger Leukämie mit
Bildung von großen Geschwülsten beschreibt M. B. Rosen-
blum (4). Die Geschwulstbildung betraf zum Teil das retroperi-
toneale Gewebe und umfaßte die Aorta und Vena cava inf. Ferner
bestand an der Abgangsstelle der Urethra eine papilläre Geschwulst
von der Größe einer Walnuß. Die Geschwülste bestanden mikro-
skopisch aus einem relativ schwach entwickelten Stroma und aus
eosinophilen und neutrophilen Myelocyten, polynucleären Leuko-
cyten, Lymphocyten und einigen Erythroblasten, ferner einer be-
deutenden Anzahl von Riesenzellen.
Hervorragendes Interesse bietet ein Fall von „Leukosarco-
matosis cutis“ von Buschke und Hirschfeld (5). Bei einem
22 jährigen Mädchen mit doppelseitigem Spitzenkatarrh entwickelten
sich in Anschluß an eine Tuberkulinkur auf der Haut des ganzen
Körpers kirschkern- bis pflaumengroße Tumoren. Der Blutbefund
war zunächst normal. In den Tumoren wurden durch Punktion
eigenartige lymphocytäre Zellen von ungewöhnlicher Größe mit
Azurgranulis nachgewiesen. Die Zellen zeigten starke amöboide
Beweglichkeit. Bei einer späteren Untersuchung fanden sich 29 %/,
solcher „Tumorzellen“ im Blut. Eine scharfe Grenze zwischen
diesen und den großen mononucleären Elementen des Bluts, sowie
den großen Lymphocyten zu ziehen war unmöglich.
Bei der Sektion fanden sich in den Abstrichen sämtlicher
Organe, besonders der Blutbildungsorgane, massenhaft jene als
Tumorzellen bezeichneten Elemente von leukocytoidem Typus. Die
Tumoren bestanden hauptsächlich aus solchen. Nach dem patho-
logischen Befunde handelte es sich um eine Sarkomatose ohne
nachweisbaren Primärtumor. Die Autoren lehnen es ab, die be-
schriebenen Zellen als Zellen der lymphadenoiden oder der mye-
loischen Reihe zu klassifizieren. Der Ausdruck Leukosarkomatose
wird in einem von der Sternbergschen Auffassung abweichenden
Sinne definiert.
Aus dem Gebiete der Milzerkrankungen beschreibt
Aschenheim (6) einen eigenartigen Fall von „chronischem
toxisch-hämolytischen Ikterus mit Megalosplenie“ bei
einem Kinde.
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1124 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. | T. Juli.
Das Leiden begann im zweiten Lebensjahr angeblich in An-
schluß an eine Erkältung mit Ikterus und Leibschmerzen. Es be-
stand keine Acholie. Der Harn war ohne Bilirubin. Damals be-
stand keine Milz- oder Drüsenschwellung.
Im Laufe der nächsten Jahre traten Anfälle mit Schüttel-
frost, Fieber, Ikterus, Milzschwellung und Allgemeinerscheinungen
auf, ferner wiederholt Anschwellung und Schmerzhaftigkeit der
axillären(?) und cervicalen Lymphdrüsen. Die Stühle waren ge-
färbt, der Harn ohne Bilirubin, Urobilin und Urobilinogen. Die
Milz war dann später dauernd vergrößert, es bestand stets leichter
Ikterus der Skleren.. Im Blute fanden sich die Zeichen einer
mäßigen Anämie mit degenerativen Erscheinungen im roten Blut-
bild. Einmal waren dann Urobilin und Urobilinogen im Harne
positiv. In den letzten Jahren war eine deutliche Besserung zu
konstatieren. Die Drüsenschwellungen traten zurück, der Ikterus
wurde geringer, schwere Anfälle blieben aus. Leberveränderungen
sind nicht nachweisbar geworden. Wassermann war stets negativ.
Eine Resistenzverminderung der Erythrocyten bestand nur vor-
übergehend. Aschenheim nimmt an, es handelt sich um ein
chronisches, wiederholt exacerbierendes Leiden infektiöser oder
toxischer Natur mit wahrscheinlich enterogenem Sitze (eventuell
auch Gallengänge), das zu einem chronischen Ikterus mit oder
durch Zerfall von Erythrocyten und wahrscheinlich sekundärem
Milztumor geführt hat. .
Die für die klinische Beurteilung in manchen Fällen inter-
essierende Arnethsche Leukocyteneinteilung bearbeitete
V. Schilling-Torgau (7) unter Uebernahme einer Modifikation
derselben (Pappenheim, Zelenski) und erleichtert die prak-
tische Handhabung der Zählung durch Einführung eines „Diffe-
rentialleukocytometers“. Arneth teilte die Leukocyten nach
der Zahl der in denselben vorhandenen (runden) Kernteile (K) und
Schlingen (S) (länglichen Kernteile) in ein bis fünf Klassen, von
denen die erste Klasse mit einem Kernteil in drei Untergruppen
zerfiel: M-Zellen (rund- oder ovalkernige Myelocyten),, W-Zellen
(Myelocyten mit wenig gebuchtetem Kern) und T-Zellen (neutro-
phile Uebergangsformen mit tief gebuchtetem, aber zusammen-
hängendem stabförmigen Kern). Aus der prozentualen Ver-
schiebung der verschiedenen Klassen las Arneth wichtige patho-
logische Zeichen ab.
Auch nach Schilling besitzt die Feststellung der Ver-
schiebung einen hohen differentialdiagnostischen Wert durch die
Konstanz ihres positiven oder negativen Verhaltens gegenüber der
Inkonstanz der Zahlen. Wertvoll ist nach ihm die Methode für
die fortlaufende Beobachtung solcher Krankheiten, die mit einer
ausgesprochenen neutrophilen Leukocytenaffektion einhergehen,
z. B. prognostisch bei Appendicitis, Typhus, Malaria und zur Kon-
trolle eingetretener Heilungen (Tuberkulose). |
Schilling verfcht die aus theoretischen Gründen zweck-
mäßigere Einteilung in folgende Klassen:
i. Myelocyten (rund- und buchtkernig),
2. (Jugendliche) Metamyelocyten (stärker differenzierte
W-Zellen und jugendliche T-Zellen), |
3. Stabkernige (pathologisch undifferenziert gereifte,‘ re-
spektive degenerative) T-Zellen, die eigentlichen „Verschiebungs-
zellen“ der Krankheiten, mit bizarrem pyknotischen oder innerlich
verflüssigtem Kerne,
4. Segmentkernige (Arneths Klasse 2 bis 5).
Nach Gothein (8) ist beim Einsetzen der Malariainfek-
tion (bei Tertiana, Quartana und Tropica) eine Verschiebung
des neutrophilen Blutbilds nach links (das heißt prozen-
tuale Vermehrung der ersten Klassen) zu konstatieren,- die sich
nach Abklingen des Fiebers zur Norm zurückbildet. Lange nach
Beendigung der Fieberperiode besteht nach Gothein bei Malaria
noch eine Vermehrung der großen einkernigen Zellen, welche even-
tuell bei larvierten und chronischen Formen die Malariadiagnose
erleichtern sollen.
Bezüglich der Frage der Urobilinogenausscheidung,
welche in naher Beziehung zur Frage des Hämoglobinabbaues
steht, sei auf eine bemerkenswerte Diskussion zwischen Zoja (9)
und Brugsch (10) verwiesen. Brugsch sieht, ohne zu bezweifeln,
daß Urobilinogen parenteral aus Blutergüssen oder aus einer Blut-
dissolution entstehen kann, in Uebereinstimmung mit Zoja die
hauptsächliche Quelle für die Entstehung des Urobilinogens in
der Reduktion des Bilirubins durch die Darmbakterien,
die im wesentlichen im Dickdarme statthat. Das Urobilinogen
wird zum Teil hier durch Bakterientätigkeit wieder zerstört. Ein
weiterer Teil wird durch die Pfortaderäste resorbiert und geht in
den großen Kreislauf über. Hier wird es zum Teil durch die
Nieren ausgeschieden, teilweise von der Leber reabsorbiert, geht
in die Galle über oder wird in der Leber zerstört. Auch andere:
.Organe können sich an der Zerstörung des Urobilinogens beteili-
gen. Die Urobilinurie besagt also entweder, daß eine In-
suffizienz der Urobilinzerstörung (z.B. bei Leberschädi-
gung) vorhanden ist, oder, daß ein stark vermehrter Umsatz
von Gallenfarbstoff beziehungsweise Blut stattfand. Wo
im Einzelfalle die Störung liegt, muß dahingestellt bleiben. Zoja
legt das Hauptgewicht seiner Anschauung darauf, daß vermehrte
Urobilinogenausscheidung als Anzeichen einer vermehrten Hämo-
lyse und daraus folgender stärkerer Erzeugung von Bilirubin auf-
zufassen ist. Eine Stütze dieser Anschauung sieht er in Unter-
suchungen, die einen Parallelismus dartun zwischen Uro-
bilinogenausscheidung und dem Vorkommen solcher Ery-
throcyten im Blute, die granulo-filamentöse Reaktion
als Jugendlichkeits-, also Regenerationszeichen aufweisen, also
indirekt vermehrten Erythrocytenuntergang anzeigen sollen.
Brugsch hält Anführung der granulo-flamentösen Substanz hier-
für nicht für beweisend.
Auf dem Gebiete der experimentellen Physiologie und
Pathologie beschäftigt sich eine Arbeit von Källmark (11)
mit dem Verhalten der weißen Blutkörperchen, insbesondere
der Lymphocyten bei Inanition. Jonson hatte in Bestätigung
früherer Autoren gefunden, daß ein wichtiges lymphoides Organ,
die Thymusdrüse, unter dem Einfluß der Inanition eine beträcht-
liche Atrophie erfährt. Källmark fand, daß bei Kaninchen
während des Hungers der Lymphocytengehalt des Bluts
im allgemeinen normal bleibt. Beim Eintritt des Hungers findet
eine vorübergehende Abnahme, beim Aufhören eine vorübergehende
Zunahme der Blutlymphocyten statt. Der Autor nimmt an, daß
beim Beginne der Hungerperiode eine vorübergehende Insuffizienz,
beim Ende derselben eine vorübergehende Ueberkampensation der
Tätigkeit der lymphoiden Organe eintritt. Aehnlich verhalten sich
die neutrophilen Zellen.
Im Hungerzustande stellt sich nach Källmark ein
neuer Gleichgewichtszustand her dadurch, daß einerseits mehr
Lymphocyten zugeführt werden, wofür der Lymphocytenreichtum
der Venen und Lymphwege der Thymusdrüse spricht, anderseits
mehr Lıymphocyten zugrundegehen.
Mit der experimentellen Herstellung von Anämien
beschäftigt sich eine Arbeit von Dora Friedstein (12). In Be-
stätigung von Versuchen früherer Autoren wurden bei Versuchs-
tieren mit Pyrodin, Hydroxylamin und Pyrogällol Blut-
bilder erzielt, die in weitgehendem Maße mit dem perniciös-
anämischen Blutbilde des Menschen übereinstimmen.
Farbstudien ergaben, daß die im Blute pyrodinvergifteter junger
Katzen und Hunde befindlichen Ehrlichschen hämoglobinämischen
Innenkörper, die im fixierten Präparat stark hyperoxyphil sind,
und die freien Schicocyten mit den vitalfärbbaren Heinzschen
Körperchen identisch sind.
Ferner wird die Frage behandelt, ob das Auftreten von
Megaloblasten im Blute, die nach Ehrlich bei perniciöser
Anämie aus atypisch embryonaler Blutbildung resultieren, durch
Blutgifte bei jugendlichen Tieren (Jugenddisposition) leichter hervor-
gerufen wird als bei älteren. Friedstein kommt im Gegensatz
zu Reckzeh zu dem Resultat, daß eine besondere Prädis-
position des jugendlichen Organismus zur Megalo-
blastenbildung nicht besteht. Die Weidenreich schen
Napfformen der Erythrocyten konnten im Gegensatz zu
Weidenreich weniger am normalen als besonders gerade
am vergifteten Blute beobachtet werden.
| Die Morphologie des Bluts bildet den Gegenstand zahl-
reicher sorgfältiger Untersuchungen, die durch minutiös ausge-
führte Abbildungen illustriert werden.
Pappenheim (13) bildete Lymphocyten im scheinbar
normalen Blut ab, die sich durch relativ hellfarbig und zart-
netzig strukturierte Kerne sowie einen dunkelgefärbten basophilen
Rand auszeichnen und möglicherweise myeloischen kleinen
Lymphoidzellen entsprechen (Mikrolymphoidocyten im Reiz-
zustande). Mit der Morphologie der großen mononucleären
Leukocyten beschäftigen sich neben Pappenheim Frumkin(l4)
und Kardos(15). Pappenheim teilt diese Zellart ein in:
1. Typische mononucleäre Leukocyten (Monocyten)
mit blassem Kern, breitem Protoplasma und azurophilen Granulis.
2. Aeltere breitleibige Formen großer Lympho-
cyten mit dunklem, rundlich-ovalem Kern und Azurgranulis,
3. Leukoblasten (im pathologischen Blute!), patho-
logische myeloische Monoeyten. Letztere haben einen un-
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7. Juli.
regelmäßig konturierten Kern von myelocytärem Charakter. Das
Plasma soll in Unterscheidung von typischen Monoeyten stärker
basophil sein und grobe „myeloische* Azurkörnung zeigen, im
Gegensatz zur : feinen Azurkörnung der Monocyten. Das Auf-
treten von Leukoblasten kann bei Polynucleosen vorkommen,
Als Mittelwerte für mononucleäre Leukocyten bei Nor-
malen werden 3,1 bis 4,7%/o angegeben. Bei Gefäßwanderkran-
kungen (Arteriosklerose) soll vielfach eine Monocytose gefun-
den werden. . |
Im Zusammenhang mit der Frage der großen monocleären
Leukocyten des Normalbluts bringt Paremusoff(16) eine Studie
über die Zellen der Milzpulpa in Untersuchungen an Meer-
schweinchen und Kaninchen. Nach diesen Ergebnissen werden die
normalen Monocyten vermutlich im interfollikulären Gewebe der
Lymphdrüsen, vielleicht zum Teil allenfalls auch im Milzpulpa-
gewebe gebildet. Die eigentliche Milzpulpazelle besteht aber
in überwiegender Menge nicht aus großen Lymphocyten und lym-
phatischen Monocyten, sondern aus Iymphoidocytären (Stamm-
zellformen) und leukoblastischen Zellformen, die sich zu
Granuloeyten entwickeln können, aber normalerweise meist im
Lymphoidzustande, nämlich basophil und ungranuliert, bleiben.
(Unter Leukoblasten werden solche zur „Myeloblasten“gruppe ge-
hörige Zellen verstanden, die den eigentlichen Stammzellen [Lym-
phoidocyten] nahestehen, breitleibiger und mit beginnendem Mye-
loeytenkern versehen sind.)
Durch die Iymphoidocy tären und leukoblastischen Zellformen :
bildet die Pulpa die myeloide Metaplasie und die pathologischen
Monoeyten des pathologischen Blutes.
Auch in serösen Höhlenexsudaten finden sich nach
Pappenheim Zellen, die den „myeloischen“ Pulpazellen gleichen,
aber stärker polymorphkernig sind, und vermutlich lokal aus dem
Serosaendothel oder gewissen perivasculären Subserosazellen ent-
standen sind.
Ueber die Polychromophilie und verwandte Zustände
veröffentlicht V. Schilling-Torgau (17) neue interessante Beob-
achtungen. Nach ihm ist die echte Polychromophilie der
Erythrocyten eine durch Erhaltung einer rein basisch färbbaren
Protoplasmasubstanz jugendlichen Charakters (Spongioplastin) her-
vorgerufene basische Färbbarkeit der Erythrocyten, deren ver-
mehrtes Auftreten als sicheres Zeichen einer jugendlichen
oder regenerativ gesteigerten Erythropoese aufgefaßt
werden muß. Wie andere Autoren nimmt Schilling-Torgau
‘das Bestehen eines nahen Zusammenhangs zwischen Poly-
chromasie und vitalfärbbarer basischer Netzstruktur
(Substantia reticulo-filamentosa) an und tritt für deren substantielle
Identifizierung ein (Protoplasmasubstanz jugendlichen Charakters).
Schilling-Torgau bringt die bei Malaria bekannte Schüffner-
‚tüpfelung der Erythrocyten mit der letztgenannten Substanz
in Zusammenhang. Die Schüffnertüpfelung kann (bei stundenlang
oft erneuter Giemsafärbung) netzartig dargestellt werden. Sie ist
nach Schilling-Torgau sozusagen eine Fortsetzung der Vital-
struktur und eine Siehtbarmachung ihrer Grundlage. Ihr
stärkeres Auftreten beruht auf reichlichen Spongioplastingrund-
substanzen in jugendlichen Zellen. Nebeneinanderliegende parasiten-
freie, fein vitalgezeichnete Erythrocyten und Parasitenträger mit
mittlerer Schüffnertüpfelung sind oft bis auf die Färbung frappant
' ähnlich in der Struktur. Schilling-Torgau wendet sich gegen
die Pappenheimsche Ansicht vom gänzlichen Verschwinden des
Spongioplastins und meint, daß die basophile Substanz des Spongio-
plasting auf einer anfangs deutlich basophilen, später farblosen
bis oxyphilen Grundsubstanz beruht. Im Gegensatz zu bestehenden
andersartigen Anschauungen (siehe vorjähriges Referat) nimmt
Schilling-Torgau ferner nach Versuchen der experimentellen
Umwandlung der Polychromasie in basophile Punktierung
außerhalb des Körpers an, daß die basophile Punktierung ein
direktes Derivat der Polychromasie respektive vitalen Struktur ist,
welches mit diesen nicht morphologisch, wohl aber substantiell
identisch sein soll. Der Angabe nach gelang die Umwandlung
von Polychromasie in basophile Punktierung durch Einwirkung
von KOH (1%) 1:10 NaCl 0,9 0/0.
| Mit der Farbstoffehemie der vitalfärbbaren Sub-
stanzen der Erythrocyten beschäftigt sich Pappenheim (18).
Er hält nach seinen Ergebnissen die vitalfärbbare Reticulär-
Substanz für Fettsäuren, die Substantia metachromatica
(Pappenheim, Fol. Haem. Bd. 4, Suppl., Tafel 3, Abb. 9 bis 15)
ür Cholesterinolein. Ebenfalls zu den vitalfärbbaren Lipoid-
substanzen stellt Pappenheim die Heinz-Ehrlichschen Degene-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 97.
‚oxyphilen $-Körnchen) mehr zerstreut.
Bd. 1
‚Bildung von großen Geschwülsten. (Fol. Haem. Bd. 12,
1125
rationen der Erythrocyten, die „vermutlich aus einer Amalgamierung
veränderten Hämoglobins mit Protoplasmalipoid bestehen.“
Ferrata und Viglioli (19) beschäftigen sich mit der Frage
der Cabotschen Ringkörper, der azurophilen Granula-
tionen und der azurophilen Polychromatophilie der Ery-
throcyten. Bezüglich der Cabotschen Ringkörper sind sie
zu der auch von andern Autoren geteilten Ansicht gekommen,
daß diese den peripheren Teil des Kernes darstellen, welcher
nach centraler Vacuolisierung zurückbleibt. Die Ringkörper sind
nach Ferrata und Viglioli das Merkmal eines atypischen
und pathologischen Reifungsprozesses der Erythrocyten
und kommen nur bei den schwersten Anämien vor.
Wenig bekannt sind die von Naegeli beschriebenen „azuro-
philen Granulationen in den roten Blutkörperchen“. Bei
kombinierter May-Grünwald- und Giemsafärbung fanden Ferrata
und Viglioli die azurophilen Granulationen der Erythrocyten bei
akuter großzelliger Leukämie und bei perniziöser Anämie. Die
'azurophil gekörnten Erythrocyten können sowohl ortho- wie poly-
chromatisch sein, mit oder ohne CGabotschen Ringkörpern. Aus-
nahmsweise kommen die azurophilen Granulationen zusammen
mit den (bei Bleikranken usw.) bekannten blaubasophilen vor. Erstere
sind nach Ansicht der Autoren Kernabkömmlinge, Zeichen
‚pathologischer Entkernung (Chromatinorhexis).
Es kann auch zu einer azurophilen Polychromato-
philie der Erythrocyten kommen, bei der diese anstatt des blauen
Tons der gewöhnlichen Polychromatophilie mit Giemsa eine mehr
oder weniger rote Färbung annehmen, welche nach Ansicht von
Ferrata und Viglioli auf einer Auflösung des Kernchro-
matins beruht (Chromatinolysis). Die klinische Bedeutung soll
gleich derjenigen der Cabotschen Körper und der azurophilen
Granulationen sein.
Im Hinblick. auf die noch unentschiedene Frage der Her-
kunft der Mastzeilen im Blute bringt Benacchio (20) Studien
über die Reifung und Entwicklung der Leukocytengranulationen
bei Meerschweinchen und Kaninchen. Bei beiden Tier-
arten kommen im Knochenmarke neben «-eosinophilen die
pseudoeosinophilen Zellen vor. Bei Meerschweinchen ist der
Unterschied der beiden Granulaarten besonders prägnant. Während
die eosinophilen Granula grob, stark lichtbrechend sind und dicht
nebeneinander liegen, sind die pseudoeosinophilen (die spezial-
Es gibt keine Zellen, die
diese beiden Granula gemischt enthalten. Im Knochenmarke
kommen nach Benacchio nun lediglich basophile Vorstufen
dieser Granulaformen vor, dagegen keine echten y-Mast-
zellen. Dieser Ansicht schließt sich auch Kardos (21) an. Die
Autoren stehen in Gegensatz zu der älteren Ehrlichschen Ver-
mutung von der Entstehung der "Mastzellen im Knochenmarke.
Zur Frage der lokalen Eosinophilie untersuchte Pascheff
(22) entzündliche Augenprozesse (conjunctivale, intraoculäre, orbi-
tale, palpebrale) und findet nach seinem Ergebnisse das Vor-
kommen zahlreicher eosinopbiler Elemente im Gewebe durch die
Lehre von der chemotaktischen Provenienz aus dem Blut allein
nicht genügend erklärt. Er glaubt auf Grund morphologischer
Befunde (Vorkommen zahlreicher eosinophiler Myelocyten, eosino-
pbiler Zellen in Form von Mononucleären und Lymphocyten in
Keimcentren und anderes) eine histiogene Enstehung dieser
Zellformen verteidigen zu müssen.
Auf umfangreiche vergleichende morphologische Studien
über die Blutmorphologie von Amphibien, Reptilien und
Fischen mit zahlreichen instruktiven Abbildungen von Werz-
berg (23) an dieser Stelle nur kurz verwiesen werden.
Das gleiche gilt von einer Arbeit von Furno (24), welche
die Spezialleukocytengranulationen von Meerschweinchen,
Kaninchen, Hund, Katze, Weißmaus und Ratte vergleichend mor-
phologisch behandelt. |
Färbemethoden behandeln die Arbeiten von Pappen-
heim (25) (Panchrom) und Kardos (15) (Pappenheims
Kardosmischung), ferner von Scott, Thompson und Hydrick
(26 und 27) (Romanowsky).
Literatur: 1. H. Hirschfeld, Ueber „aplastische Anämie“. (Fol. Haem.
H. 3.) — 2. Jochmann und Blühdorn, Akute Myeloblastenleukämie.
(Fol. Haem. Bd. 12, H. A — 3. Tomaszewski, Fall von Mastzellenleukämie.
(Fol. Haem. Bd. 12, H. 1.) — 4. Rosenblum, Gemischtzellige Leukämie mit
H. 1.) — 5. Buschke
und Hirschfeld, Leukosarkomatosis cutis. (Fol. Haem. Bd, 12, H. 1) —
6. Aschenheim, Ueber toxisch-hämolytischen Ikterus mit Megalosplenie.
(Fol. Haem. Bd. 11, H. 1) — 7. Schilling-Torgau, Kritik der Arnethschen
Leukocytenlehre.
(Fol. Haem. Bd. 12, H. 1.) — 8. Gothein, Neutrophiles
Biutbild bei Malaria. (Fol. Hasm. Bd. 11, H. 3.) — 9. Zoja, Hämoglobinstoft-
wechsel und Bilinogenausscheidung. (Fol. Haem. Bd. 12, H.1.) — 10.Brugsch,
1126 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nt. 27. 7. Juli,
Urobilinogenausscheidung. (Fol. Haem. Bd. 12, H. 1.) — 11. Källmark, Ver- | selbst wie folgt beschreibt: „Hält man vor jedes Ohr eine Stimmgabel
: halten der weißen Blutkörperchen bei Inanition. (Fol. Haem. Bd. 11, H. 3.) | yon derselben Tonhöhe, so werden diese beiderseits gehört nur bei
— 12, D. Friedstein, Beitrag zur Kenntnis der perniziösen Anämie und zur gleichem Anschlage, gleicher Entfernung und beiderseits normaler Hör-
Pathologie der Erythrocyten. ol. Haem. Bd. 12, H. 2) — 13. Pappen- ; a >
: heim, Verschledens Typen en an und Monocyten, zum Teil im | fähigkeit. Es genügt aber schon die minimalste ‚Veränderung auf der
EN eaeinnar aee gute (Fol. en ea I T ze res einen Seite, die entweder in geringer Verschiebung, in der Entfernung
orphologie der großen mononucleären Leukocyten. ol. Haem. Ä e m :
=. H. P) = 15. Kardos, Neutrophile und azurophile Körnung. Färbemodi- oder un stärkeren Anschlage liegen ae Ear ma -r zugunsten
= fikation. (Fol. Haem. Bd. 12, H. 1.) — 16. Paremusoft, Die Zellen der Milz- | einer Seite ausschlagen lassen zu können. t man z.B. von zwei
E pulpa, (Fol. Haem. Bd. 12, H. 2) — 17. Schilling-Torgau. Polychromo- | gleichgestimmten Stimmgabeln die eine vor das rechte Ohr in 10 cm
| h as Deber Vitalfärbung Ool ea Bact, o Bo 2.) 0 Ar p ana Entfernung, die andere vor das linke Ohr in 5 cm Entfernung, so wird
A Viglioli, Cabotsche Ringkörper, azurophile Granulationen und azurophile | nur die in 5cm Entfernung befindliche links gehört. Rechts wird nichts
n Polychromatophilie der Erythrocyten. (Fol. Haem. Bd. 11, H. 2.) — 20. Be- | gehört. Zur Anstellung des Versuchs nähert man einem Manne mit
Ä 2 in e ITOE O. Maan Pol Baam, Bi Py T PA — | zweifelhafter linksseitiger Taubheit, bei nicht verschlossenen Ohren, zu-
ia ; ochenmark. (Fol. Haem. Bd. 11, H. 2.) — te e :
iR 22. Pascheif, Recherches sur l’&osinophilie locale oculaire, (Fol. Haem. nächst die eine Stimmgabel von rechts her dem rechten Ohre soweit,
thermer Vertebraten. (Fol. Haem. Bd. 11. H. 1.) — 24. Furno, Spezialleuko- | so stellt man die Entfernung fest, in der sie rechts gehört wurde; diese
cytengranulationen von Laboriumssäugetieren. (Fol. Haem. Bd. 11, H. 2) — | sei 20 cm. Hält man nun dicht vor das an eblich taube Ohr (etwa i
25. Pappenheim „Panchrom‘-Färbung. (Fol. Haem. Bd. 11, H. 1) — i : : 5 a
26. Scott, On Romanowsky staining. (Fol. Haem. Bd. 12, H. 3.) — 27. Scott, | 5 em Entfernung) eine gleichgestimmte Stimmgabel. und nähert man
Thompson und Hydrick, On Romanowsky staining for blood-cells. (Fol. | nun von rechts her eine gleichzeitig und gleich stark angeschlagene
= Haem. Bd. 12, H. 2.) Stimmgabel, so wird diese, falls das linke Ohr wirklich taub ist, in
Ä | . . . j 20 cm Entfernung gehört. Ist das linke Ohr nicht taub, sondern besitzt
= Diagnostische und therapeutische Einzelreferate. dasselbe noch Hörfähigkeit, so wird die rechts genäherte Stimmgabel
nicht eher rechts gehört werden, als bis sie ebenfalls auf 5 cm oder noch
näher an das rechte Ohr herangerückt ist. Es muß also die Stimmgabel
komplex. Da die Affektionen in neuerer Zeit vermehrte Aufmerksamkeit | ¥ echts statt bis auf 20 cm aui weniger Dr j Ean gennhort werden Bei
auf sich lenken, sei in Kürze über den Vortrag referiert. His jun. ent- dem Versuche stellt man sich, damit die Stimmgabeln nicht gesehen
deckte im Jahre 1893 das wichtige Muskelbündel, welches eine Brücke werden, hinter den zu Untersuchenden.” (M. med. Woch. 1912, Nr. 22.)
bildet zwischen der sonst vollständig voneinander getrennten Muskulatur | R , j F. Bruck.
des Vorhofs und der Kammer. Dieses Hissche Bündel entspringt im Seit dem ersten von Salkowsky (1892) mitgeteilten Falle von
Vorhof am vorderen Rande des Sinus coronarius und gelangt durch das | Fentosurie sind ungefähr 30 weitere Fälle beschrieben. Alle haben
Septum membranaceum zum Ventrikelseptum, teilt sich gleich in einen ähnliche Eigenschaften. Da die Pentosurie meist keine körperlichen
rechten und linken Schenkel, die entlang der beiden Seiten zu den Pa- | Störungen hervorruft, wird die Anomalie oft nur zufällig entdeckt oder r
pillarmuskeln ziehen und sich dann in ein Netz von feinsten Muskel. | wenn der Patient infolge falscher Diagnose für diabetisch gehalten wird. B
| fasern, in der ganzen Kammerwand subendokardial auflösen; diese Aus- | Der Urin hat reduzierende Eigenschaften, doch tritt die Reduktion mit r
| läufer heißen Purkinjesche Fäden, und das ganze System wird Reiz- | Fehlingscher Lösung erst nach zirka einer halben Minute Kochen ein, i
|
Med.-Rat Dr. Panienski in Posen sprach in einem Vortrag über
die Ueberleitungsstörungen und den Adam-Stokesschen Symptomen-
‘i
|
|
|
|
|
fia | Bd. 11, H. 3.) — 23. Werzberg, Vergleichende Hämocytologie einiger poikilo- | bis der Untersuchte angibt, die Stimmgabel zu hören. Ist das der Fall
|
|
leitungssystem genannt. Es unterscheidet sich von den Herzmuskel- | die Lösung sieht gelb aus und das Kupferoxyd fällt erst beim Stehen |
fasern durch den Bau, die chemische Zusammensetzung und funktionelle | aus. Nylandersches Reagens wird nur schwach reduziert. Mit Hefe |
Te en m ED TR S S O
| f Selbständigkeit. Der die Kontraktion auslösende Reiz wird durch das | tritt keine Gärung ein. Mit Phloroglucin und Salzsäure gekocht gibt “
ea einströmende venöse Blut auf die Ursprünge des Reizleitungssystems der Urin eine starke Reaktion (Rotfärbung, in Alkohol löslicher roter a
| ausgeübt und weiter fortgepflanzt. Wird das Hissche Bündel durch- | Niederschlag) und mit Phenylhydrazin erhitzt ein Osazon, das bei zirka a
schnitten, so hört die Fortleitung auf, Vorhof und Kammer können sich | 150° C schmilzt. Polarisation ist negativ. Nur in einem der früheren a
jo. dann automatisch und unabhängig voneinander kontrahieren. Diese Er- | F älle (Neuberg) wurde die Pentose isoliert und als die optisch inaktive | h
| j scheinungen, Dissoziationen, treten nun auch auf bei pathologischen Vor- | Arabinose erkannt. In dem von Elli ot und Raper mitgeteilten Falle i
| gängen im Bereiche des Hisschen Bündels oder seiner Umgebung. Der | wurde ebenfalls der Versuch einer Isolierung gemacht, doch handelte es -
| | Adam-Stokessche Symptomenkomplex ist das häufigste Beispiel davon. sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach um die optisch inaktive Ribose. a
f Es geht mit Schwindel und Ohnmachtsanfällen einher und zeigt eine auf- Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Fällen, aa denen die Krank- ni
oa fallende Differenz beim Vergleich des Radialpulses und des meist auf- heit familiär auftrat, wurde hier bei den Angehörigen der Patientin der Š
a - fälligen Venenpulses an der rechten Halsseite, dabei hat die Atmung Urin frei von Pentose gefunden. (J. of biol. Chemist. 1912, Bd. 11, Nr. 3.) =
Ä den bekannten Gheyne-Stokesschen Charakter. Der Radialpuls ist H. Koenigsfeld. .
| stark verlangsamt. Während die Dissoziation auf endokardiale Reizung Zur Klärung von Urinen, die neben reichlich Uraten und Krea- il
o zurückzuführen ist, ist die Verlangsamung des Pulses ein Vagussymptom. | tinin geringe Mengen von Eiweiß enthalten, was auf eine Zuckerbestim- i
ur Die Ursache der Erkrankung kann also im Vaguscentrum oder im Verlauf | mung störend einwirkt, benutzt Clarence E. May Phosphorwolfram- |
: des Vagus nach Verlassen der Medulla, oder im Herzen liegen. Je nach | säure: 50 ccm Urin werden mit einigen Tropfen konzentrierter Salzsäure i
der Reaktion, die auf mechanische Reizung des Vagus und Atropin- | angesäuert. Bei Zimmertemperatur werden 50 cem Phosphorwolframsäure 3
| injektion folgt, kann auf den Sitz der Krankheitsursache geschlossen | zugefügt, bis 150 cem aufgefüllt und filtriert. Von dem Filtrat werden i
ros werden. Wirkt Druck auf den Vagus verlangsamend und Atropin be- | 100 com abgenommen, mit Bariumhydroxyd neutral oder schwach alka-
schleunigend, so ist die Ursache außerhalb des Herzens, tritt kein Effekt | lisch gemacht, auf 200 ccm aufgefüllt, filtriert und direkt zur Titration
auf, so liegt sie im Herzmuskel. Der Fall ist aber auch denkbar, daß | oder Polarisation benutzt. 50 cem des Reagens genügen in der Regel,
eine Kombination von Herz- und Hirnerkrankung vorliegt, oder eine gegen- | um alles Eiweiß, Harnsäure und Kreatinin zu fällen. Ein eventueller
4 seitige Beeinflussung im Sinn eines Circulus vitiosus. Ueberschuß von Phosphorwolframsäure wird durch das Bariumhydroxyd
; Eine Dissoziation kann aber auch auftreten bei erhaltenem Bündel | ausgefällt. (J. of biol. Chemist. 1912, Bd. 11, Nr. 1.) H. Koenigsfeld.
i und Erkrankuug der Ventrikularmuskulatur, namentlich bei Schwielen. Das klinische Bild und die Therapie des Ergotismus schildert
i Vorübergehende Störungen im Rhythmus können auch durch vor- | Kolossoff auf Grund seiner während der Epidemien 1909 bis 1910 ge-
|
|
|
Sa übergehende Veränderungen der Herzmuskulatur, z. B. akute Dilatation, sammelten Beobachtungen. Kurz anhaltende Vorboten, in allgemeiner
erfolgen, auch nach schwerer Erkrankung. ne Schwäche, Kopfschmerzen und Störungen des Geschmacksinns bestehend,
s Sehr häufig sind auch Reizleitungsstörungen durch arteriosklero- | im Anschluß daran tonische Krämpfe mit Erbrechen und Diarrhöe; in
Ä a tische Prozesse an verschiedenen Stellen des Herzmuskels. der Regel pflegen die Krämpfe die Erscheinungen von Diarrhöe und Er-
a |
|
.
Dieser myogenen Anschauung der Auslösung der Herzkontraktionen brechen zu überdauern.
u d steht eine neurogene gegenüber, die alle Reize ausgehen lassen will von Rezidive ohne nachweisbare Ursache oder unter dem Einflusse
er den in der ganzen Herzmuskulatur zerstrouten Ganglienzellen und Nerven- | von Gemütsbewegungen oder Erschöpfung werden nicht selten beob-
| fibrillen. Voraussichtlich wird sich herausstellen, daß beide Systeme, die | achtet. Intervalle von einigen Wochen oder such Monaten. In einem
Muskeln und Nerven, Erregungsqualitäten besitzen, jedenfalls ist aber | relativ geringen Teil der Fälle hinterläßt die Krankheit keine Folgen.
sicher, daß dem Herzen ein hoher Grad von Automatie innewohnt, die Häufigste Nachkrankheiten: epileptische Erscheinungen und Anoınalien
dem Skelettmuskel vollständig abgeht. (Zt. f. Fortb. 1. Februar 1912, | ger Psyche.
d Nr. 3, S. 75.) Gisler. Bei Kindern ist der Verlauf ernster, durch an ge
E f it fiehlt | häufige Bewußtlosigkeit und hohe Temperaturen charakterisiert. In
Bei Verdacht auf Simulation einseitiger Taubheit empfie g g s i 3
pa Cäsar Hirsch unter anderm den Stengerschen Versuch, der auf un- | vom Verfasser beobachteten Fällen boten alle Kinder ein schweres Krank
antastbaren theoretischen Voraussetzungen aufgebaut ist und den Stenger | heitsbild.
7. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 97.
1127
Die Therapie bestand in typischen Fällen in der Anwendung von
warmen Bädern und Oleum Ricini einerseits und in der Verordnung von
Brom, Hedonal oder Chloralbydrat per os oder (bei Kieferklemme) per
rectum anderseits. In sehr schweren Fällen physiologische Kochsalz-
lösung. Bemerkenswert ist, daß die Bäder zunächst eine Steigerung der
Krämpfe herbeiführen können; nachträglich tritt aber dann in fast allen
Fällen Besserung ein. (Russki Wratsch. 1912, Nr. 6 u. 7.)
Schless (Marienbad).
Felix v. Menz empfiehlt künstliche Trommelfelle aus einem
Stückchen Gummischwamm (der engmaschigere eignet sich besser
dazu). Dies sind kleine, bei der Firma Leiter (Wien IX, Mariannengasse 11)
erhältliche, Stückchen, am besten in Form von cylindrischen Longuetten,
die dann noch dem einzelnen Falle angepaßt zugeschnitten werden.
Diese Stückchen werden ausgekocht und dann mit einem nicht reizenden
Antiseptikum, auch Glycerin, getränkt eingeführt, und zwar vom Kranken
selbst. Sie adaptieren sich der Umgebung vorzüglich. Bei noch be-
bestehender Eiterung wird das Sekret durch die Maschen drainiert, und
nicht retentiert, wie bei künstlichem Trommelfell aus Watte, die aller-
dings in funktioneller Beziehung ausgezeichnet wirkt.
Dieses neue künstliche Trommelfell wird zunächst täglich
abends entfernt und morgens gesäubert wieder eingeführt. Zeigt sich,
daß der Patient das Trommelfell reaktionslos im Ohr verträgt, so kann
man den Versuch machen, es auch durch einige Tage im Ohre zu be-
lassen in Fällen, wo die Ohreiterung seit Jahren geheilt ist. (M. med.
Woch. 1912, Nr. 21.) F. Bruck.
Reg. Alcock (Staffordshire) empfiehlt eine neue Methode zur Be-
handlung der Operationswunden, und zwar nur den Jodanstrich,
von Zeit zu Zeit in den ersten Tagen nach der Operation appliziert, ohne
jeden Verband. An Hand von 81 Fällen weist Alcock nach, daß bei
Wunden, die durch Naht vollständig geschlossen wurden, diese Nach-
behandlung ideale Resultate gebe; er habe nie eine Nahteiterung ge-
sehen; Jod garantiere die bestmögliche Desinfektion durch Vernichtung
der Mikroben, die bis in den Eingang der Schweißdrüsen, der Fettgänge
und der Haarfollikel gelangen. Am wichtigsten sei die Berücksichtigung
der Schweißdrüsen, auf trockener Haut wachsen viel weniger Mikroben
als auf feuchter, Jodtinktur dringe ebenso tief wie die Hautmikroben.
Alcock benutzt die sehr billige 2°/ ige Lösung (mit 90 °/, methyliertem
Industriesprit).. Damit dieser Jodanstrich kein Ekzem verursache, darf
kein Verband darüber gemacht werden. \
Der zu Operierende erhält am Tage vor der Operation ein Bad
und frische Wäsche; am andern Morgen wird er trocken rasiert, das
Operationsfeld mit Aether abgewaschen und zum ersten Male mit Jod
bepinselt. Die zweite Pinselung erfolgt vor dem Hautschnitte, die dritte
nach Schluß der Wunde, von da an täglich eine Pinselung bis nach drei Tagen
(Vulva und Perineum machen eine Ausnahme), dann noch einmal nach Ent-
fornung der Nähte. (Brit. med. j., 3. Februar 1912, S. 233.) Gisler.
v. Olshausen hat viele schwere Fälle von Pruritus ani nur
mit Mesotan behandelt, und zwar mit bestem Erfolge. (Bericht über die
freie Vereinigung der Chirurgen Berlins; D. med. Woch. 1912, Nr. 21.)
= F. Bruck.
Einen Beitrag zur specifischen Behandlung der Lungentuberku-
lose liefert Lewaschoff, der mit Trypanosan in einer Reihe von Fällen,
die anderweitiger Therapie nicht zugänglich waren, wesentliche Besserung
erzielen konnte. Trypanosan gehört zur Gruppe der Triphenylmethane,
ist weniger giftig, aber bactericid wirksamer als Parafuchsin. Es wurde
vier- bis achtmal täglich (in Oblaten) in Dosen zu 0,5 bis 1,0 durch
Wochen, zuweilen auch Monate hindurch eine halbe Stunde nach dem
Essen verabreicht. Von Nebenwirkungen waren Appetitlosigkeit und in
einzelnen Fällen masernexanthemähnliche Flecke auf der Haut, die sich
Jedoch sehr rasch zurückbildeten, zu verzeichnen. Das Präparat wurde
dem Verfasser ursprünglich zur Anwendung bei Typhus exanthematicus
von Ehrlich überlassen. (Russki Wratsch. 1912, Nr. 7.)
| Schless (Marienbad).
Ueber die Indikationen und Kontraindikationen zur Röntgen-
„rapie der Fibromyome und der uterinen Blutungen spricht sich
a noll auf Grund eines reichhaltigen Beobachtungsmaterials aus.
ntschieden angezeigt ist sie bei Menorrhagien des präklimakterischen
a bei denen eine maligne Neubildung ausgeschlossen werden kann,
ex ei Fibromyomen, bei denen mit Rücksicht auf eine gleichzeitig be-
ehende Komplikation, wie hochgradige Anämie, Nephritis oder Myo-
“arditis, ein operativer Eingriff? nicht unbedenklich erscheint. Bei
eh Individuen — etwa bis zum 40. Lebensjahre — ist diese Be-
ne nur bei sehr starken Blutungen und in Fällen, die einen opera-
Kor nicht zulassen, anzuraten.
Mv ontraindikationen für die Röntgenbehandlung bilden submuköse
yome und Salpingo-Oophoritis. (Russki Wratsch. Nr. 16 u. 17.)
Schless (Marienbad).
Das neue Schlafmittel Luminal empfiehlt Graeffner. Seine
Anwendung ist aber zwecklos, wo Schmerzen oder Reizzustände
Jedweder Art ihren schlafstörenden Einfluß geltend machen. Mit warmem
Getränk innerlich genommen, bewirkt Luminal meist schon nach einer
halben Stunde festen Schlaf von vielstündiger Dauer. Der. Schlaf der
folgenden Nächte steht noch unter der erst allmählich abklingenden
Wirkung des Mittels. In gleicher Weise wie per os wirkt Luminal
auch als Suppositorium. Es empfiehlt sich, mit kleinen Dosen von
0,2 zu beginnen und decigrammweise zu steigen bis zur wirksamen
‘Dosis von 0,4 bis 0,5. Kumulation erscheint nicht ausgeschlossen, da es
‘sich um einen Abkömmling des Veronals handelt. Deshalb sollte man
da, wo das Mittel oft hintereinander gereicht werden muß, nach Ablauf
von vier bis fünf Einnehmetagen eine zweitägige Pause machen, in
der reichliche Zufuhr von Getränken unter Zusatz von doppeltkohlen-
saurem Natron, 1 bis 2 g dreimal täglich, zu empfehlen ist. Dieses
Vorgehen gewährleistet mit größter Sicherheit. die Ausscheidung noch
eirculierenden unzersetzten Luminals und damit Wegfall der kumulieren-
den Wirkung. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 20.) F. Bruck.
Wolpe stellte Untersuchungen über die Einwirkung des organischen
Phosphors (Phytin) beim runden Magengeschwür an und beobachtete
bei dieser Darreichung eine Steigerung der freien Salzsäure. Das Prä-
parat wurde gut vertragen, das Selbstgefühl aller Kranken hob «ich, und
bei sieben von zwölf Kranken verschwand die Blutreaktion als Zeichen
eingetretener Vernarbung. Nebenher ergab die Blutuntersuchung eine
Vermehrung der Formelemente des Bluts und eine Erhöhung seines Ge-
halts an Hämoglobin. Dabei bleibt anzunehmen, daß dank der Eingabe
des organischen Phosphors auch der Gehalt an Lecithin im Organismus
zunimmt. Die Dosierung ist 1,0 bis 1,5 am Tage in Einzelgaben von
0,25, am besten in Geloduratkapseln. (A. f. Verdkr., redigiert von Prof.
Boas, 1912, Bd. 17, Ergänzungsheft.) F.
Die operative Entfernung der Tonsillen durch digitale Enu-
eleation empfiehlt Harold Foster:
Operation im Aetherrausche bei Rückenlage des Patienten. Bei
eingelegtem Mundspekulum wird durch die Spitze des rechten Zeige-
fingers der vom vorderen Gaumenbogen entspringende muköse Ueberzug
der Tonsille (ähnlich wie bei der Freyerschen Prostatektomie) durch-
scheuert. Das gelingt meist leicht, erfordert aber bei atrophischen und
narbigen Tonsillen hier und da doch eine ziemliche Kraftanstrengung.
Nun wird die in einem Bette lockeren Zellgewebes liegende Tonsille
durch schabende Bewegungen des Fingers allmählich ausgelöst; nur der
zum Schluß bleibende Stiel macht manchmal etwas Schwierigkeiten. —
Die linke Tonsille wird in analoger Weise mit dem linken Zeigefinger
herausgelöst.
Die Operation dauert gewöhnlich nicht mehr als zwei Minuten.
Irgendeine ernstlichere Blutung hat Foster auf 1500 so operierte Fälle
nicht erlebt.
Gestaltet sich die Operation schwer, so fehlt es nicht an der Ton-
sille, sondern an der Technik. Denn es gibt keine Tonsille, die sich
durch Fingerenucleation nicht entfernen ließe. (Am. journ. of surg. 1912,
April.) A, Wettstein (St. Gallen).
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Isapogen.
Patentnummer: Wortschutz.
Rp.-Formel: 6°/, Jod, 6° Campher.
Eigenschaften: Isapogen, ein Jodpräparat für den äußerlichen
Gebrauch, stellt eine klare, sirupdicke Flüssigkeit dar von unbegrenzter
Haltbarkeit. Sein Geruch ist nicht unangenehm, an Jod erinnernd.
Isapogen ist mit Wasser emulgierbar und mit Wasser abwaschbar. Es
läßt sich wegen seiner eigenartigen Konsistenz und leichten Durchdring-
barkeit der Haut schnell in dieselbe einreiben und gelangt, wie der Ver-
such zeigt, auffallend frühzeitig in die Säftemasse des Körpers, sodaß es
unter den vielen bereits vorhandenen Jodpräparaten einen besonderen
Platz beansprucht.
Indikationen: Zur Ableitung bei akuten entzündlichen, nament-
lich rheumatischen Affektionen; dann besonders bei allen subakuten und
chronischen Erkrankungen, bei denen Jod bisher zur Beförderung der
Aufsaugung und Entfernung von flüssigen und zelligen Entzändungs-
produkten in Anwendung gezogen worden ist. Auch zum Verbande bei
syphilitischen und tuberkulösen Haantgeschwüren beziehungsweise tuber-
kulösen Abscessen und zur Behandlung von Frostschäden ist Isapogen
anzuwenden. Der bei gewissen Krankheiten bevorzugte innerliche Gə-
brauch von Jodpräparaten läßt sich durch die perkutane Anwendung in
den Fällen umgehen, in welchen der innerliche Cebrauch sehr störende
Nebenwirkungen, besonders bei der Verdauungsfähigkeit, hervorruft,
Hier ist namentlich der Gebrauch von Jod als Antisyphiliticum, bei
nn nn vu un
= Tr nn ne a © =
1128
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
1. Juli.
Arteriosklerose, bei Asthma, chronischer Bronchitis zu berücksichtigen.
In der zehnärztlichen Praxis hat sich Isapogen bei Periostitis und deren
Folgeerscheinungen hervorragend bewährt.
Prüfung der Resorptionsfähigkeit: 5 g Isapogen wurden
durch kräftiges Massieron (etwa fünf Minuten lang) in die Haut ein-
gerieben; der auf der Haut verbleibende Rest wurde mit Wasser ab-
gewaschen. Von dem nach einer bis zwei Stunden entleerten Harne
wurden 100 cem mit 1 g Natrium carbonicum zur Trockne eingedampft
und gelinde geglüht. 5 ccm des klaren von der Kohle befreiten Filtrats
wurden mit 1 ccm verdünnter Schwefelsäure (1:4) und drei Tropfen
Natriumnitritlösung (1: 500) versetzt und nach Zusatz von etwas Chloro-
form kräftig geschüttelt, welch letzteres darauf eine deutliche violette
Färbung Jodreaktion) zeigte.
Gebrauchsanweisung: Zweimal täglich einen halben bis einen
Teelöffel voll (oder mehr, je nach Art der Erkrankung), durch Massieren
in die Haut einzureiben. Bei sehr empfindlicher Haut empfiehlt es sich,
-nach der Einreibung die betreffende Partie abzuwaschen oder mit Lanolin
oder Vaseline einzufetten.
Preis: 1/3 Flasche M 0,65, Y/ı Flasche M 1,10.
Rezeptformel: Rp. Isapogen original. Dos. ?/s oder !ı.
Firma: Apotheker Carl Peltzer, chem.-pharm. Laboratorium,
Köln a. Rh., Neue Mastrichterstr. 17.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Der Venenkompressor nach Dr. Ernst Treibmann in Leipzig.
(Zur Technik der venösen Stauung.)
Der Kompressor besteht aus zwei Branchen (I und Ia), welche
durch ein Scharnier (II) verbunden sind. Diese Branchen sind ent-
sprechend der Rundung des UÜberarms geschweift, da die Kompression
wohl fast ausschließlich am Oberarme vorgenommen wird. Die Branchen
tragen zu beiden Seiten des Scharniers je einen Handgriff (III und lIa).
Zwischen den beiden Handgriffen befindet sich eine Feder (IV), die die
Handgriffe auseinander drängt. Ueber dieser Feder befindet sich eine
Schraube (V), welche je nach Bedarf gedreht, entweder die Handgriffe
noch über die Wirkung der Feder hinaus auseinander drängt und so’ die
Branchen immer fester schließt oder umgekehrt die Branchen Öffnet, bis
G nur noch die Federwirkung sie um den
an 4 Arm schließt. An diesem Punkte hört
Zu j dann die Wirkung der Schraube auf.
A Bevor man nun das Instrument
}" aut den Arm setzt, lege man um die
NONE Aufsatzstelle eine gewöhnliche Kom-
dh presse um den Arm. Auf diese Weise
7 kommt nicht das kalte Metall des In-
struments direkt auf die Haut, ander-
seits gestaltet die Kompresse den
Druck angenehmer und gleicht ihn
aus. Schließlich erleichtert die Kom-
presse bei dünnem Arm das Anlegen
des Instruments.
Man setzt dann das durch Zu-
sammenziehen der Handgriffe geöffnete
Instrument an der von der Kompresse
umschlossenen Stelle des Armes auf,
läßt die Handgriffe allmählich los, sie werden durch die Feder aus-
einandergedrängt, und die Branchen schließen sich um den Arm. Man
achte jetzt darauf, daß keine Hautfalte eingeklemmt ist, eventuell drehe
man das geschlossene Instrument hin und her um den Arm, um sich so
zu vergewissern, daß nirgends eine Einklemmung vorliegt. Dann bleiben
die Handgriffe nach oben und außen gerichtet, und man zieht die Schraube
(V) an, bis man bei erhaltenem Pulse gute Schwellung der Venen erhält.
Hat man dann die Injektionsnadel in die Vene eingeführt, so hält man mit
der linken Hand die Nadel in ihrer Stellung und schraubt mit der rechten
Hand die Schraube zurück bis an ihr Ende, zieht die Handgriffe zusammen
und, ohne daß der Arm und somit die eingeführte Nadel der geringsten
Bewegung ausgesetzt sind, hebt man den Kompressor nach oben ab.
1. Wie oben auseinandergesetzt, bleibt bei intravenösen Injektionen
der Arm nach Einführung der Nadel völlig ruhig liegen, die Nadel bleibt
mit Sicherheit im Gefäße, die Stauung wird durch einfaches Zurück-
schrauben und Abheben des Kompressors aufgehoben.
2. Anlegen und Lösen des Apparates, sowie eventuell feinere Do-
sierung der Kompression geht schnell und sehr einfach vor sich.
8. Jede Assistenz ist überflüssig. |
4, Das Verfahren ist sehr sauber, da das Instrument ganz aus
Metall besteht, geputzt und im Bedarfsfall ausgekocht werden kann,
5. Das Instrument ist sehr haltbar und widerstandsfähig.
6. Infolge der leichten Dosierbarkeit des Stauungsgrads eignet es
sich auch zur Bierschen Stauung.
7. Das Instrument eignet sich auch zum Verschlusse der Arterien
bei blutenden Extremitätenwunden. Jeder Laie kann das Instrument: an-
setzen und zuschrauben, ein Nachgeben wie bei Gummischläuchen usw.
ist nicht möglich, so würde es auch im Kriege recht brauchbar sein, zu-
mal zerschmetterte Glieder zur Anlegung der Kompression nicht gehoben
zu werden brauchten. -
8. Gute Dienste kann es auch zur Abstauung des Bluts in die Ex-
tremitäten bei Lungen- und andern Blutungen leisten. Hierbei würde
sich die Möglichkeit, nach Stillung der Blutung das abgestaute Blut ganz
allmählich durch langsames Zurückdrehen der Schraube wieder in den
allgemeinen Kreislauf zu lassen, als eine besonders günstige Eigenschaft
des Instruments dokumentieren.
Preis M 13,50.
Fabrikant: Bernhard Schädel, Leipzig, Georgiring 6b.
Bücherbesprechungen.
Dr. Albert Moll, Handbuch der Sexualwissenschaften mit be-
sonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Beziehungen.
Leipzig, 1912. Verlag von F. C. W. Vogel. 1029 S. Preis brosch.
M 27,—, gebunden M 30,—.
Wer selbst in so hervorragender Weise zum Aufbau der heutigen
„Sexologie“ — um mich dieses neuerdings beliebt gewordenen Ausdrucks
zu bedienen — beigetragen hat, wie der Herausgeber dieses Handbuchs,
der durfte wohl zur Lösung einer solchen, auch nach manchen trefflichen
Vorgängern immerhin schwierig erscheinenden Aufgabe als besonders
berufen erachtet werden. Indessen, wer immer uns heutzutage mit einem
Handbuch irgendeiner Spezialwissenschaft beschenken will (oder soll —
denn die „Anregung“ dazu pflegt bekanntlich oft von verlegerischer
-Seite auszugehen) —, der glaubt in der Regel von Umfang und Bedeutung
seiner Spezialität nicht groß genug, von sich selbst nicht bescheiden
genug denken zu können, sich überwiegend nur noch als Spezialisten
innerhalb des engeren Rahmens der Spezialität zu empfinden — und
pflegt deshalb, wie auch noch aus manchen sonstigen Opportunitäts-
gründen, die Lösung der Gesamtaufgabe mit einer mehr oder minder
zahlreichen Mitarbeiterschar freiwillig zu teilen. Auf solche Weise ent-
stehen dann Werke, die freilich den Charakter der Geschlossenheit,
Einheitlichkeit und inneren Notwendigkeit bis zu einem gewissen Grad
entbehren, dafür aber durch Vielseitigkeit, Vollständigkeit und unbe-
dingte Genauigkeit in allen Einzelheiten oft reichlich entschädigen. Diesen
Weg hat auch Moll eingeschlagen; er hat sich zu Mitarbeitern den ver-
dienstvollen englischen Sexualforscher Havelock Ellis, den rühmlichst be-
kannten schwedischen Sexualhygieniker und Sexualethiker Seved Ribbing,
den ausgezeichneten Anthropologen Buschan in Stettin, sowie ferner
R. Weißenberg in Berlin und Zieler in Würzburg erkoren und hat
mit diesen Hilfskräften ein Werk zustande gebracht, das wohl als ein
den heutigen Wissensstandpunkt in vorzüglicher Weise repräsentierendes
„Handbuch der Sexualwissenschaften“ — wie es sich selbst be-
zeichnet — anerkannt werden darf. — In einem im vorigen Jahr in
Dresden gehaltenen Vortrag über Sexualwissenschaft als Grundlage der
Sexualreform hat Magnus Hirschfeld den Umfang dieses ganzen weiten
Gebiets abzugrenzen und abzuteilen gesucht. Er rechnet hierher die Sexual-
anatomie, sexuelle Physiologie, Sexualpsychologie, die sexuelle Evolution, den
sexuellen Chemismus, die vergleichende Sexualbiologie, sexuelle Hygiene,
Sexualpädagogik, sexuelle Prophylaxe, Sexualpolitik, sexuelle Gesetzgebung,
Sexualethik, die sexuelle Ethnologie, die sexuellen Varietäten und die
sexuelle Pathologie, endlich die Sexualstatistik. Legen wir diese Ein-
teilung zugrunde — und ich wüßte nicht, was man Erhebliches dagegen
einwenden könnte — so wird man bei Moll unter freilich anders ge-
wählten Stichworten und Kapitelüberschriften kaum etwas Wesentliches
davon vermissen. Dagegen wird man auf zwei „Hauptabschnitte“ stoßen,
die von Hirschfeld wenigstens nicht ausdrücklich in den Kreis der
„Sexualwissenschaft“ im engeren Sinn einbezogen werden — nämlich
eine sehr ausführlich gehaltene Darstellung der Geschlechtskrankheiten
(aus der Feder von Zieler) und den besonders interessanten, wenn auch
— streng genommen — wohl kaum hierhergehörigen Abschnitt über die
Erotik in der Literatur und Kunst vom Herausgeber selbst, den
dabei wohl der sehr begreifliche Wunsch und das Verlangen geleitet
hat, von den unvergleich reichhaltigen Schätzen seiner Privatsammlung
auf diesem Gebiete dem Leser wenigstens durch ausgesuchte Proben Kennt-
nis zu geben. Die getroffene Auswahl ist eine sehr gute, wie denn über-
haupt die Bearbeitung gerade dieses Abschnitts und des sich ihm un-
mittelbar anschließenden über „weitere Beziehungen des Sexuellen
zur Kultur“ zu den bestgelungenen Partien des Werkes gerechnet
werden darf. Dagegen ist auffälligerweise der in praktischer Beziehung
besonders wichtige, die Psychopathia und Neuropathia sexualis umfassende
vv ao
2.3 = u- w
-Jat oo: NR i
on nn nn a-
L Ki Fi. 7. Te:
è. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 97.
1129
Hauptabschnitt anscheinend nicht ganz zu seinem Rechte gelangt,
mindestens im Verhältnis etwas knapp gehalten, sodaß dem auf diesem
‘Gebiete gerade wohl am meisten der Belehrung und genaueren Unter-
weisung bedürftigen ärztlichen Praktiker hier und da vielleicht manches
zu wünschen bleibt. — Die Ausstattung des nicht weniger als 418 Ab-
bildungen und 11 Tafeln enthaltenden Werkes ist in jeder Hinsicht
mustergültig. | A. Eulenburg (Berlin).
Friedrich Kirstein, Leitfaden für den Hebammenunterricht.
Auf Grund des preußischen Hebammenlehrbuches für Aerzte, Me-
dizinalbeamte, Hebammenlehrer und Hebammen. Berlin 1912. Julius
Springer. M 2,—.
Kirstein bezweckt mit seinem Leitfaden, den Inhalt des
preußischen Hebammenlehrbuchs in übersichtlicher Kürze
für Arzt und Hebamme wiederzugeben, um diesen eine rasche
Orientierung und bequemere Handhabung bei Wiederholungen zu er-
möglichen. Es ist ihm gelungen, den Inhalt auf weniger als die Hälfte
der Seitenzahl im Original zusammenzuziehen und gleichzeitig erschöpfend
darzustellen. Unter fortlaufendem Hinweis auf die Paragraphen des
preußischen Hebammenlehrbuchs schließt der Leitfaden sich streng an
dieses an und unterliegt daher inhaltlich der gleichen Kritik wie das
Original. Daß letzteres weder in der Darstellung noch der Einteilung
des Stoffes das Richtige trifft, ist hinlänglich bekannt und der Wunsch
nach einer baldigen Neubearbeitung oder nach Einführung des unver-
gleichlich besseren Hebammenlehrbuchs von B. S. Schultze auch für
Preußen nur zu berechtigt.
Um die wesentlichsten Punkte hervorzuheben, so bedarf vor allem
das Kapitel der Schädellagen einer Revision, in welchem die zweiten
Unterarten noch als Vorderhauptlagen serviert und diese deshalb bei-
den Deflexionslagen, wohin sie gehören, vermißt werden. Die drei De-
flexionslagen könnten passend unter der Bezeichnung „Kopfstrecklagen“
besprochen werden. Ungenügend präzisiert ist ferner die Leitung der
Nachgeburtperiode (Zeichen der Nachgeburtlösung und Hilfeleistung in
logischer Begrüudung) und des Wochenbetts; Zahlen werden bevorzugt,
als ob die Natur sich nach unsern Durchschnittszahlen richtete! Die
Abschnitte tiber Wassersucht, Syphilis, vorzeitige Lösung der normal
sitzenden Placenta sind unvollkommen und zum Teil fehlerhaft abge-
handelt. Der Begriff von zwei Arten von Desinfektion (einer gewöhn-
lichen und einer verschärften), ebenso das Herausziehen von Hohlwarzen
mit den Fingern ist so unerziehlich wie möglich. Maßnahmen wie die
äußere Wendung, Seitenlagerung bei Vorfall kleiner Teile, Aufsuchen
und Tamponade von inneren Rissen müssen ganz in Wegfall kommen;
vielleicht auch „der Hosenträger“ (!), zu dem die Hebamme zwecks
Umsebnürung blutender Gliedmaßen greifen soll.
Es wäre darum wünschenswert, wenn mit einer baldigen
Verbesserung des preußischen Hebammenlehrbuchs auch eine
solche des vielen sicherlich willkommenen Leitfadens Hand
in Hand ginge, in welchem praktische Neuerungen wie beispielsweise
zwei tabellarische Uebersichten über Schwangerenuntersuchung be-
'ziehungsweise Untersuchungsbefunde bei Schädellagen jetzt bereits her-
vorgehoben zu werden verdienen. Auch ist durch den Hinweis auf die
In Jedem Gebärmutterkrebs befindlichen Eiterspaltpilze die Gefahr der
Infektionsverschleppung auf andere Kreißende hier viel plausibler ge-
schildert als im Lehrbuche selbst, nach dessen Wortlaut sämtliche
Schülerinnen der Meinung waren, daß die Krebskrankheit als solche
übertragen werden könne. — Bei der Lehre vom engen Becken genügt
für die Hebamme die Kenntnis der zwei Haupttypen, des platt-rhachitischen
und des allgemein zu engen, allenfalls noch der häufigeren Mischform
dieser beiden, vollkommen; die Aufführung des auch im Lehrbuche nicht
enthaltenen, für die Hebammen unwichtigen, „einfach-platten“ Beckens
hätte Kirstein besser unterlassen. Prof. Dr. R. Freund (Berlin).
Julius Citron, Klinische Bakteriologie und Protozoenkunde.
Leitfäden der praktischen Medizin, Bd. 5. Leipzig 1912, Dr. Werner
Klinkhardt. 172 S. M 6,40,
Wie das vorzügliche Werk des gleichen Verfassers über „die Me-
thoden der Immunodiagnostik und Immunotherapie“, so wurde auch das
vorliegende Buch nach seines Autors Absicht aus der Praxis für die
Praxis geschrieben. Die Erfahrungen über die bakteriologischen Bedürf-
ge im Betriebe einer Klinik gaben die Leitschnur und den Maßstab
ür die Auswahl und den’ Umfang des Stoffes. Dadurch ist die schwierige
Aufgabe, das große Gebiet der Bakteriologie in einer praktischen Form
"usammenzufassen, dem Autor so vorzüglich gelungen.
äh Klar und kurz im Ausdruck gibt das Werk nur das Wissenswerte
1 er die Biologie der einzelnen Bakterien. Ausführliche Genauigkeit
‚Segen zeichnet die Beschreibung der Methoden aus, was von jedem,
ar nach diesen. Methoden arbeiten will; gewiß als angenehme Erleichte-
rung der Arbeit dankbar empfunden wird. So ist das Werk so recht ein
atgober für das Laboratorium der Klinik und des Krankenhauses, aber
auch der praktische Arzt, sowie der Studierende findet darin eine be-
queme Information über das, was ihm die Bakteriologie am Krankenbette
zu leisten vermag und auf welche Art er sich ihrer Hilfe bedienen kann.
Ein ganz besonders instruktiver Faktor des Buches sind die aus-
gezeichneten Illustrationen und farbigen Bilder von Bakterienpräparaten,
die das Buch geradezu zu einer angenehmen Lektüre eignen.
Dr. Fritz Munk.
G. Herxheimer, Technik der pathologisch-histologischen Unter-
suchung. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 393 Seiten. M 10,—.
Das Buch ist als Ergänzung des von Herxheimer fortgeführten
„Grundrisses der pathologischen Anatomie“ von Schmaus gedacht und
soll teils als Einführung in die pathologisch-histologische Technik, teils
als Vorsehrift für die Farbmethoden dienen. Demgemäß ist der Ent-
stehung des Schnitts und seiner Fortführung bis zur Färbung fast ein
Drittel des Buches gewidmet. Alles Wesentliche und Wichtige ist in
fließender Darstellung gebracht; recht lehrreich ist die kurze Darstellung
der Herkunft und — soweit bekannt — chemische Konstitution der ge-
bräuchlichsten Farben. Der übrige Teil des Buches bringt Vorschriften
zur Herstellung und Anwendung der Farben. Die Gliederung des Stoffes
nimmt Rücksicht auf einzelne Organe, Organsysteme und pathologische
Prozesse; dieser Teil ist so ausführlich, daß das Buch auch als Nach-
schlagebuch im Laboratorium benutzt werden kann. Recht praktisch,
namentlich zur Orientierung, sind die kurzen Ausführungen über den
Zweck der einzelnen Farbmethoden, deren wichtigste und gebräuchlichste
durch den Druck hervorgehoben sind. Bonnecke (Jena).
0. Kleinschmidt, Die Harnsteine, ihre Physiologie und Patho-
genese. Mit einem Vorwort von L. Aschoff, Mit 3 Textabbildungen und
16 vielfarbigen Tafeln. Berlin 1911,. Julius Springer. 88 Seiten. M 20,—.
Die interessante und lesenswerte Studie des Verfassers lehnt sich
auf Grund der Untersuchung von 56 Steinen an die Darlegungen Aschoffs
über die Genese der Gallensteine an. Die Harnsteine wurden teils che-
misch, teils an über 100 Schliffen untersucht; von diesen und den Haupt-
repräsentanten der Harnsteine bringt Verfasser vorzügliche, vielfarbige
Abbildungen. Die chemischen Untersuchungen bezwecken teils die Auf-
deckung der qualitativen, teils der quantitativen Zusammensetzung der
Steine und ihrer Schichten (Kern, Schale). Von den homerkenswerten
Resultaten dieser Untersuchungen sei nur erwähnt, daß die überwiegende
Zahl der Steine beziehungsweise Kerne aus Harnsäure besteht, und daß
durch Apposition die verschiedensten Kombinationssteine entstehen können;
in allen Fällen, die überhaupt den Namen von Steinen verdienen, ließ
sieh bisher nicht näher definierbares Eiweiß in den chemisch verschiedenen
Krystallen, und zwar in wechselnder Menge nachweisen. Der Bedeutung
dieses Eiweißes widmet Verfasser den größeren Teil seiner Ausführungen,
die sich zum Teil auf Experimente stützen. Eintsprechend den Dar-
logungen Aschoffs bei den Gallensteinen weist er nach, daß nicht das
Eiweiß als primärer Steinbildner, dem sich die Krystalle anlagern, in
Betracht kommt, sondern daß die Krystalle die primären Steinbilduer
sind, die beim Ausfallen das Eiweiß in sich einschließen. Je mehr ge-
löstes Eiweiß vor dem Ausfallen der Krystalle vorhanden ist, desto
reicher sind die Steine an den wahrscheinlich nicht einheitlichen, keine
Formelemente darstellenden Körpern; so erklärt es sich, daß, für die pri-
märe Steinbildung an sich irrelevante, entzündliche Prozesse einen größeren
Reichtum an Eiweiß bedingen. Als letzte Ursache für die Steinbildung
kommen Stoffwechselstörungen in Betracht; sie können. auch einen be-
stimmenden Einfluß auf die Zusammensetzung des Steins bei seinem
Wachstum ausüben, doch können hierzu, was oft der Fall ist, auch andere
Krystalle beitragen, falls ihnen (z. B. durch veränderte Reaktion des Urins
bei sekundärer Entzündung) Gelegenheit zum Ausfallen gegeben ist.
Wahrscheinlich entstehen alle Steine, auch die der Blase, primär im
Nierenbecken. Bennecke (Jena).
weil. Otto Leichtenstern, Influenza. Als zweite Auflage vervoll-
ständigt und neu herausgegeben von G. Sticker. Mit dem Porträt
weil. Prof. Leichtenstern. 4 Textabb. u. 1 Tafel. Wien und Leipzig
1912. 250 S. M 8,50.
Das Buch ist eine recht brauchbare Monographie, von Leichten-
stern begonnen und in seinem Sinn und Geist weitergeführt und durch
neue Beobachtungen ergänzt von Sticker. Die Lektüre macht einem.
erst recht die ganze Vielgestaltigkeit und die wechselnden Erscheinungs-
formen der Influenza klar. Bei der enormen Fülle des einschlägigen
Materials bedurfte es natürlich einer gewissen Konzentration und Ein-
schränkung. Immerhin verdient vielleicht noch hervorgehoben zu werden,
worauf Siebenmann seine Schüler aufmerksam zu machen pflegt, daß.
wenn eine Influenzaepidemie einsetzt oder auch nur gehäufte sporadische
Fälle vorkommen, es sich oft durch ein gehäuftes Auftreten von Häma-
tomen dəs Trommelfells bemerkbar macht, ein Umstand, der auch dem
praktischen Arzt zu wissen wichtig ist und für die Differentialdiagnose ver-
wertet werden kann. Das Buch sei angelegentlich empfohlen. Gisler,
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1130 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
T. Juli.
Kongreß-, Vereins- und auswärtige Berichte.
16. Generalversammlung des Deutschen Centralkonitees
zur Bekämpfung der Tuberkulose am 14. Juni 1912.
Berichterstatter E. Reinike.
Geh. Reg.-Rat Dr. Dietz (Darmstadt): Tuberkulosebekämpfung
im Mitielstande. Redner griff zunächst auf die am 5. Januar d. J. im
Reichsamt des Innern abgehaltene Sitzung zurück. In dieser Erdffnungs-
sitzung des Komitees zur Einleitung einer Fürsorge für tuberkulöse An-
gehörige des Mittelstandes hielt Reg.-Rat Bergemann (Stettin) einen
einleitenden Bericht. Als Hauptaufgabe wurde die rasche Errichtung
einer Mittelstandsheilstätte hervorgehoben. |
Schon am 25. Januar wurde vom Roten Kreuz eine neue Abteilung
(Mittelstandsheim) gegründet.
Der Vortragende betont, daß das Centralkomitee von Anfang an
die Tuberkulosebekämpfung nicht nur auf Arbeiterstände hat beschränken
wollen. Es hat Heilstätten errichtet für Unbemittelte wie auch für
Minderbemittelte.
Schon im Jahre 1899 wurde auf dem Internationalen Tuberkulose-
kongreß ein Wort zugunsten des Mittelstandes eingelegt. Es erging ein
Aufruf zur Errichtung eines Sanatoriums für den Mittelstand.
Der Begriff Mittelstand ist so weit als möglich zu fassen. Dazu
zu rechnen sind alle diejenigen, die nicht in der Lage sind, teure Sana-
torien aufzusuchen: untere und mittlere Beamte, Handwerkermeister;
Landwirte, dazu eine große Zahl akademisch Gebildete ohne Privat-
vermögen. Bei manchen von diesen kommt noch erschwerend hinzu,
daß sie nicht nur der Mittel für eine Kur bedürfen, sondern daß sie
noch für Ersatzkräfte zu sorgen haben; hier ist also Hilfe beson-,
ders nötig.
Wieweit der Mittelstand mit Tuberkulose belastet ist, ist bisher
zahlenmäßig noch nicht zuverlässig festgestellt.
Nur ein kleiner Teil aller Mittelstandsangehörigen fällt unter die
sozialen Gesetze, ein weiterer unter das Angestelltenversicherungsgesetz.
Eine Versicherung weiterer Kreise kann nur auf Grundlage des
gesetzlichen Zwanges herbeigeführt werden.
Bisher ist der Mittelstand im wesentlichen auf sich selbst an-
gewiesen gewesen. Es hat sich durch Nachforschungen ergeben, daß im
Jahre 1911 etwa 6300 Mittelstandsangehörige in Lungenheilstätten ver-
pflegt wurden. Ein sehr geringer Teil des Mittelstandes wurde also auch
bisher behandelt.
Es ergeben sich die Fragen:
Ist die Erbauung weiterer Heilstätten für den Mittelstand nötig?
Sind neue Betten erforderlich? |
Ist die Heilstättenbehandlung festzuhalten? |
Der Wert der Heilstättenbehandlung steht außer Zweifel. Für
den Mittelstand kamen bisher in Betracht die Volksheilstäiten und die-
jenigen Privatanstelten, die auch für mäßiges Geld Aufnahme bieten.
Statistiken der letzten Jahre haben ergeben, daß in den Sommer-
monsten der Andrang zu den Heilstätten so groß ist, daß viele auf die
Aufnahme monatelang warten müssen, daß dagegen im Winter eine
große Zahl von Betten leersteht.
Wie es dem Vortragenden scheint, sind wir an einem bedeutsamen
Wendepunkt angekommen. Die Zahl der leerstehenden Betten wird von
Jahr zu Jahr eine größere, die Ausgaben für Heilverfahren sind für
Hessen für das Jahr 1911 erheblich geringere als für 1910; ähnliche Be-
richte liegen aus Baden und Württemberg vor. Der Behauptung, dies
sei im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß von den praktischen
Aerzten die Tuberkulinbehandlung immer mehr angewandt werde, kann
der Redner, wenigstens für Hessen, nicht zustimmen. Er führt den
Rückgang auf den seit 15 Jahren energisch geführten Kampf gegen die
Tuberkulose zurück.
Der Umstand, daß im Winter ein Teil der Betten leersteht, be-
weist, daß die Zahl der Betten -—- wenigstens für die, männlichen
Kranken — genügt. Für Frauen und Kinder ist bisher in weniger aus-
reichendem Maße gesorgt; die Frauen sind weniger leicht zur Heilstätten-
behandlung zu bestimmen.
Ist es zweckmäßig, Angehörige des Arbeiterstandes und des
Mittelstandes gemeinsam in einer Heilstätte unterzubringen? Aus prak-
tischen Gründen erscheint eine Trennung der Stände geboten.
Größere bauliche Aenderungen zur Umwandlung von Volks-
heilstätten in Mittelstandsheilstätten werden nicht nötig sein. Die
- großen Schlafsäle können durch Einschieben von Zwischenwänden leicht
in Einzelzimmer verwandelt werden.
Mit der Heilstättenbehandlung allein ist noch nicht alles getan.
Wie Robert Koch es forderte, muß die Ansteckung verhütet werden.
Gerade im Mittelstande wird man wegen der besseren Wohnungen in
dieser Beziehung erfolgreich wirken können.
Schwer wird es sein, die Mittel zum Kampfe gegen die Tuberku-
lose im Mittelstande zu beschaffen. Die Kaufmannserholungsheime be-
weisen, was geleistet werden kann. Der Mittelstand selbst steht bisher
der Bewegung noch ganz fern.
Der Vortragende ist kein Gegner der Errichtung von Mittelstands-
heilstätten. Doch ist mit Vorsicht vorzugehen. Zunächst wären einzelne
Volksheilstätten für den Mittelstand einzurichten und zu erstreben, in
den Privatanstalten Betten für Mittelstandsangehörige zu erlangen.
Dringend nötig ist die Beschaffung eines Freibettenfonds. Es muß eine
Form der Unterstützung gefunden werden, die das Gefühl, unterstützt
zu werden, nicht aufkommen läßt. Mit einer Verzinsung des Anlage-
kapitals darf von vornherein nicht gerechnet werden.
Diskussion. Reg.-Rat Bergemann (Stettin) betont die Not-
wendigkeit eines Zusammenschlusses aller Mittelstandsverbände
zu gemeinsamer Hilfe. Die mangelhafte Besetzung der Heilstätten im
Winter führt er zum Teil darauf zurück, daß der Wert der Heilstätten-
behandlung im Winter in weiteren Kreisen zu wenig bekannt sei. Eine
Statistik der Tuberkulosefälle im Mittelstande sei nötig. Der Redner macht
dann Vorschläge zur Beschaffung von Mitteln für einen Tuberkulosefonds.
Prof. Lennhoff (Berlin) weist darauf hin, daß in Holland und in
Schweden Versicherungsgesellschaften bestehen, die gegen Prämien-
zuschlag Mittel zu Anstaltsbehandlung geben. Nach dem Beispiel
einer Versicherungsanstelt für Geisteskranke, die gegen geringe Prämien
die Anstaltskosten bezahlt, wie sie seit 25 Jahren in Nürnberg besteht,
könnte für tuberkulöds Erkrankte Aehnliches geschaffen werden. Die
nötigen Mittel seien in der Hauptsache durch Selbsthilfe zu beschaffen,
heranzuziehen seien die Handwerks- und Gewerbekammern wie auch die
Handelskammern. Von der Regierung müsse durch einen Erlaß auf die
Notwendigkeit dieser Ausgaben hingewiesen werden.
Geh. Rat Pütter (Berlin) spricht für die Ausdehnung der
Zwangsversicherung auf den Mittelstand. Sollte das undurch-
führbar sein, so empfiehlt er die Privatversicherung und zwar nicht nur
gegen die Tuberkulose, sondern zugleich gegen Alkoholismus und Krebs.
Dr. Liebe (Waldhoff-Elgershausen) befürwortet warm die Tren-
nung von Arbeitern und Mittelstandsangehörigen. Er erklärt
den Rückgang der Inanspruchnahme der Heilstätten dadurch, daß die
Leute, die in Heilstätten waren, vielfach wirtschaftlichen Schaden haben.
Z. B. hat der Besuch der Heilanstalten durch Lehrer abgenommen, weil
eine Bewegung besteht, diejenigen Lehrer, die in Heilstätten waren, zu
pensionieren.
Direktor Dr. Brecke (Ueberrub) ist auch für Trennung der Ver-
sicherten von Mittelstandsangehörigen.
Chefarzt Dr. Schudt (Vogelsang) machte günstige Erfahrungen
mit der gemeinschaftlichen Unterbringung von weiblichen Ver-
sicherten und Selbstzahlern in einer Anstalt, seit in dieser für die Selbst-
zahler eine Privatabteilung gegründet wurde,
Königsberg i. Pr.
Verein für wissenschaftliche Heilkunde. Sitzung vom 18. März 1912.
Tagesordnung: Hofbauer: Die Verwertung des Hypophysen-
extrakts in der praktischen Geburtshilfe. Das in der Geburtshilfe zur
Verwendung gelangende Hypophysenextrakt Pituitrin wird aus dem infundi-
bularen Teile der Hypophysis hergestellt und meist subeutan, aber auch
intramuskulär und intravenös verabfolgt. Bei intravenöser Darreichung
tritt der Erfolg sofort ein, ist jedoch häufig von unangenehmen Neben-
wirkungen, wie Benommensein, Apathie usw. begleitet. Die Wirkung des
Hypopbysenextrakts auf den schwangeren Uterus besteht in der Aus-
lösung tetanischer Contractionen, die später von rhythmischen Zusammen-
ziehungen abgelöst werden. Der Extrakt übt seine Wirkung auch in der
Narkose aus und beseitigt die durch Temperatursteigerung bedingte
Wehenschwäche. Zur Behebung der Schmerzhaftigkeit der Wehen wird
der Extrakt zweckmäßig mit Pantopon zusammen gegeben. Die wehen-
erregende Wirkung warmer Umschläge und des Chinins wird durch den
Extrakt wesentlich gesteigert. Das Mittel ist nunmehr an über 700 Fällen
zur Anwendung gelangt. Vorzugsweise soll es verabfolgt werden bei:
1. Primärer und sekundärer Wehenschwäche;
2. relativ engem Becken, das anatomisch noch die Möglichkeit eines
normalen Geburtsverlaufs bietet;
3. gewissen Formen von Placenta praevia, sofern durch sie weniger
als die Hälfte des halbwegs erweiterten Muttermunds gedeckt wird. In
diesen Fällen wird der Kopf nach dem Blasensprunge bei Verabreichung
des Mittels fest gegengedrückt und die Frucht schnell ausgestoßen;
4. manchen Formen von Gesichts- und Steißlage;
5. Fieber und drohender Eklampsie, in welchen Fällen besondere
Beschleunigung erwünscht ist;
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7. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 1131
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6. „Gefälligkeitsindikationen“, wo eine möglichst schnelle Entbindung
zur Berahigung der Gebärenden oder ihrer Umgebung angezeigt ist.
‘An der Frucht sind nach Verabfolgung des Mittels nur Sinken der
Pulszahl bis auf. 60 beobachtet, Asphyxie und Nachgeburtsblutungen sind
nie beobachtet. In einem Fall ist über vorzeitige Placentarlösung berichtet.
In der Diskussion hebt Schütz gleichfalls die abkürzende Wir-
kung des Mittels auf den Geburtsverlauf hervor. Bei frühzeitigem
Blasensprunge dagegen hat es meist versagt. Er erwähnt außerdem seinen
Wert als Blasentonicum bei gynäkologischen Operationen.
Boit: Ueber experimentelle Appendicitis. Die experimentelle
Erforschung der Appendicitis beim Hunde, wo die anatomischen Verhält-
nisse denen des Menschen am meisten gleichen, führt Heile zu der An-
nahme, daß dauernder und absoluter Abschluß kotigen Inhalts im Wurm-
-= fortsatze das auslösende Moment destruierender Entzündung sei. Bak-
terien allein bewirken eine destruierende Entzündung nicht, das Vor-
handensein von Kot sei notwendig. Die Entzündung als solche sei auf-
zufassen als die Wirkung gewisser unter Virulenzsteigerung oder Massen-
entwicklung angezüchteter Bakterien, unter denen Fäulniskeime die Haupt-
rolle spielten. Zu anderm Ergebnis führten den Vortragenden Versuche
beim Hunde. Er wandte als Infektionsmaterial Gewebssaft aus Phleg-
monen oder frisches, peritonitisches, zellarmes, aber reichlich bakterien-
haltiges Material an, und führte es vom Üoecum aus ein, um eine pene-
trierende Verletzung der Wurmfortsatzwand zu vermeiden. Durch eine
mäßig kräftige Ligatur des Fortsatzes am proximalen Ende unter beson-
derer Schonung der Gefäße wurde das infektiöse Material zurückgehalten.
In einigen Fällen wurden erst sterile Mullstückchen mit dem phlegmonösen
oder peritonitischen Gewebssafte getränkt und eingeführt beziehungsweise
Gewebsstückchen aus phlegmonösen Herden entnommen und in den Wurm-
fortsatz eingebracht. Vor der Einführung des Materials wurde darauf
hingewirkt, daß der Anhang kotfrei war.
Bei 14 so angelegten Versuchen ist es dreimal gelungen, diffuse
Gangrän des Anhangs mit diffuser Peritonitis zu erzeugen.
In den Fällen, da Phlegmonengewebsstücke eingeführt waren, ent-
wickelte sich einmal eine lokale Gangrän an der Lagerungsstelle. In vier
andern Fällen entwickelte sich eine schwere Entzündung, die in einem
Falle mit Peritonitis einherging. In einem Falle wurde nekrotisierende
Entzündung mit Peritonitis gefunden. In zwei weiteren Fällen war nach
24 Stunden akute Entzündung mit Epithelnekrose eingetreten. Drei Ver-
suchsfälle zeigten keine Veränderungen.
Wandveränderungen des Wurmfortsatzes verschiedenen Grades bis
zur totalen Gangrän waren also in der Mehrzahl der Versuche entstanden.
Stagnation des Wurmfortsatzinhalts war hierbei sehr wesentlich; Okklu-
sion des Lumens und Vorhandensein von Kot waren für das Zustande-
kommen nicht notwendig.
‚. Im Infektionsmateriale, das zur Verwendung gelangte, befanden
sich vorwiegend Streptokokken, Bacterium coli und anaerobe Buttersäure-
baeillen. Bei den nach Injektion von Kot entstandenen Phlegmonen ent-
wiekelte sich nur ein kleiner Prozentsatz der Darmbakterienflora, unter
denen sich auch Fäulnisbakterien befanden. Die Anwesenheit von Fäulnis-
bakterien ist nach den gewonnenen Resultaten zur Erzeugung destruieren-
der Prozesse keineswegs notwendig; ihre Wirkung auf das lebende Ge-
webe ist nur eine sekundäre. Das erklärte auch die Erfahrungstatsache,
daß die Abscesse mit foetidem Exsudat oft weniger gefährlich sind als
die mit geruchlosem.
Weiter konnte festgestellt werden, daß die Art der vorbandenen
Bakterien neben dem Grad ihrer Virulenz von wesentlichem Einflusse go-
rade auf die peritonitischen Erscheinungen war; als drittes Moment ver-
dient hierbei noch die Verschiedenheit der Reaktionsfähigkeit der einzel-
nen Individuen beachtet zu werden. |
‚In mehreren Fällen waren bei Verwendung von Gewebsstücken als
Infektionsmaterial ausgesprochene Veränderungen der Schleimhaut des
urmfortsatzes gerade und ausschließlich an der Stelle gefunden, da das
Infektiöse Material auflag. Diese Beobachtung ist als bakterielle Kon-
taktwirkung zu deuten und in gleicher Weise dürfte auch das Kotstein-
bild aufzufassen sein.
‚Schließlich glaubt Referent in seinen Versuchen auch Beweis-
material dafür genug zu haben, daß in der Mehrzahl der Fälle die Appen-
icitis lokal entsteht und die hämatogene Infektion eine untergeordnete
Rolle spielt, A.
Krefeld.
Aerzteverein. Sitzung vom 20. April 1912.
F. Weil (Düsseldorf): Radium und Radiumtherapie. Schwieriger
rege sonst bei therapeutischen Neuerungen der Fall ist, kann der Arzt
ilde u kritisches Urteil über Radium- und Radiumemanationstherapie
cs ; Die physikalischen Grundlagen, die W. ausführlich auseinander-
pe orst nach eingehender Beschäftigung mit der Physik der radio-
ven Erscheinungen zu überschauen. Aus der Ueberzahl medizinischer
Publikationen über Radiumtherapie ist nur mit Mühe ein Urteil über den
Wert dieser Methode zu gewinnen, die mehr von Tageszeitungen und
vom Publikum als von den Aerzten mit Begeisterung aufgenommen
wurde. Die biologischen Wirkungen der Emanation lassen- zwar auch
eine Beeinflussung pathologisch gestörter Funktionen erwarten, aber
zwischen den Resultaten physiologischer Experimente und ihrer Ueber-
tragung in Pathologie und Therapie gähnen weite Lücken. Das einzige,
was scheinbar klar war, der Mechanismus der Emanationswirkung bei der
Gicht, ist nach den neuesten Arbeiten wieder zweifelhaft geworden. Aber
wenn wir auch nicht wissen, wie und warum, so steht die Tatsache. doch
fest, daß manche gichtische und rheumatische Erkrankung durch konse-
quent durchgeführte Emanationstherapie günstig beeinflußt wird. Redner
sah an der Düsseldorfer medizinischen Klinik besonders bei chronischem
Gelenkrheumatismus gute Erfolge, in andern Fällen aber wieder Ver-
sager, ohne daß festgestellt werden konnte, welche Formen der chronisch
rheumatischen Erkrankungen sich für die Emanationstherapie eignen und
welche nicht. Bedauerlich sind die übertriebenen Blüten, welche die in-
dustrielle Ausbeutung gezeitigt hat. Entsteht so doch die Gefahr, dab
unter der Masse des Wertlosen auch das wenige Gute verschwindet.
Der Arzt, der über radioaktives Bier und radioaktive Stuhlzäpfchen, über
radioaktiven Zwieback, radioaktivos Emser Salz und radioaktive Vaginal-
kugeln mit Recht die Achseln zuckt, ist nur zu leicht geneigt, auch an
der häufig wertvollen Emanationstherapie durch Inhalations- und Trink-
kuren achtlos vorüberzugehen. Der Streit um Emanatorium, Einzel-
inhalation oder Trinkkur kann nicht durch Blutuntersuchungen ent-
schieden werden. Zu wünschen wären noch Mitteilungen über therapeu-
tische Erfolge mit den verschiedenen Formen der Emanationstherapie,
damit der Praktiker sich ein eignes Urteil bilden kann und sich nicht
mehr fast ausschließlich auf Fabrikprospekte verlassen muß. Allem An-
schein nach wird das Thorium als billigeres Element dem Radium bald
wirksame Konkurrenz bieten. Wedel.
Stettin.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte. Sitzung vom 2. April 1912.
1. Kalb stellt eine Patientin vor, deren mittelgroße Nabelhernie,
kompliziert mit breiter Diastase der Recti, er nach der Methode Menge-
Graser durch Fascienquerschnitt und Aushülsung der Recti erfolgreich
operiert hat.
2. Wolff, Die praktische Bedeutung der Wassermannschen
Reaktion. An Beispielen aus allen Spezialfächern der Medizin wird der
große praktische Wert der Serodiagnostik gezeigt, doch nur Original-
methode genau nach Vorschrift des Autors ist zuverlässig (gewarnt wird
vor der Methode von Dungerns), Versager durch unsicheres Ergebnis
(+ —) und Selbsthemmung fand Redner in 3,6 °/0. Bei positivem Resultat
ist die Reaktion beweisend, doch nur konstitutionelle, keine Organ-
diagnose; unsicher ist ihre Bedeutung in der Therapie, da die Resultate
bei vorhandener Lues zu schwankend sind. Besserung in dieser Hinsicht,
scheint zu versprechen die intensive Salvarsan-Quecksilbertherapie von
Gennerich (Kiel) und die provokatorische Salvarsaninjektion desselben
Autors. Vortragender hält die positive Reaktion nicht für hinreichend,
bei sonst günstigen Verhältnissen die Ebe zu verbieten, stellt die Vor-
bedindungen zur Erlaubnis (Wartezeit, Behandlung) aber strenger bei
positiver Reaktion als bei negativer.
Diskussion. Lehmann: Der negative Ausfall des Wassermann
kann nur dann Heilung der Syphilis bedeuten, wenn die Probe bei einem
lange Zeit symptomfrei gebliebenen sowie gründlich und genügend bei
handelten Kranken in Abständen von jeweils einigen Monaten vor-
genommen und wiederholt negativ geblieben ist.
Pust: Die Blutprobe muß mehr als bisher auch vom praktischen
Arzte benutzt werden; der Kostenpunkt spielt nicht mehr die Rolle wie
früher, da das serologische Institut der Königlichen Universitätsklinik
für Hautkranke in Breslau die Probe umsonst respektive für 1,50 bis
5 M ausführt.
3. O. Meyer, Demonstration von anatomischen Präparaten von
drei Fällen reinen, das heißt nicht mit Tuberkulose komplizierten
malignen Granuloms: Tier- und Kulturversuche sind hierbei positiv
ausgefallen.
Diskussion. K.Meyer demonstriert die Kulturen.
Neißer hält es danach für erwiesen, daß der Erreger einer be-
stimmten Krankheit gefunden ist und daß aus der Reihe der pseudo-
leukämischen Krankheitsformen eine große Gruppe als fest charakteri-
sierte Infektionskrankheit erkannt ist. Diese ist nach seiner Erfahrung
eine durchaus häufigere als bisher angenommen wurde, hat er doch seit
einem Jahre zehn sichere Fälle dieser Art gesehen. Dazu gehören außer
dem bekannten Hodginschen Typus mit Halsdrüsentumoren gerade jene
Fälle, die als mehr oder weniger isolierte Milztumoren oder als „inter-
mittierende Rückfallfieber“ ohne änßere Drüsen in die Erscheinung treten,
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1132
und für den Arzt wird der diagnostische Gewinn der neueren Forschungs-
resultate nicht darin bestehen, daß er, was früher Hodgin oder Pseudo-
leukämie hieß, nunmehr als malignes Granulom bezeichnet, sondern viel-
mehr darin, daß er eine Reihe dunkler Krankheitsfälle der geschilderten
Art als dem Krankheitsbilde des malignen Granuloms zugehörig erkennen
wird. Wer bei der Autopsie eines solchen Falles neben den Milztumoren
die mächtigen Veränderungen der abdominellen Lymphdrüsen gesehen
hat, bei denen der Pathologe vor der mikroskopischen Untersuchung
nicht entscheiden konnte, ob eine maligne Umbildung oder ein Granulom
vorlag, dem würde es nicht zweifelhaft sein, daß auch bei den zu den
malignen Tumoren gezählten Lymphosarkomen eine ähnliche infektiöse
Aetiologie wie beim Granulom vermutet werden muß.
OÖ. Meyer führt aus, daß gegen die Tumornatur des malignen
Granuloms die histologische Struktur spricht und weiter das Fehlen von
Metastasen, der Beweis, daß Zellen, von einem primären Herde ver-
schleppt, an anderer Stelle sich ansiedeln und aus sich heraus durch
Teilung neue Geschwülste von gleichem oder ähnlichem Bau ent-
stehen lassen.
4. Scheunemann demonstriert drei Präparate von Extrauterin-
gravidität: a) geplatzte, ausgetragene Gravidität im rudimentären linken
Nebenhorn, dadurch ausgezeichnet, daß die frei in der Bauchhöhle ge-
legene Frucht den Beginn der Abkapselung aufweist; b) protrahierten
Tubenabort (Tubenmole) der rechten Seite, Menses II, mit Beginn der
Hämatocelenbildung; c) Tubenruptur fünf bis sechs Wochen, kleine
Fruchtanlage in der geplatzten Tube sichtbar, in der Bauchhöhle etwa
1 ] flüssiges und geronnenes Blut. |
5. Schwarzwäller zeigt ein von Angerer (München) angegebenes»
von Döderlein verbessertes Hebammendesinfektionskästchen, welches
die zur Desinfektion notwendigen Gegenstände enthält, für jede Geburt
neu angeschafft werden soll und die Weitverschleppung von Kindbett-
fieber durch Gegenstände verhindern soll. Preis 1,35 M. Buß.
Wien.
K. k. Gesellschaft der Aerzte. Sitzung vom 3. Mai 1912.
S. Erben stellt drei Fälle von Tetanie vor. Einem der Kranken
wird am Oberarm eine Staubinde angelegt, sodaß der Radialispuls er-
halten bleibt. Es zeigt sich danach kein Krampf. Wenn der Kranke
aber den Arm erhebt, stellt sich unter Muskelwogen und Unruhe der
Finger allmählich das Trousseausche Phänomen ein. Läßt Patient den
Arm sinken, so schwindet der Krampf trotz der Staubinde. Dieser Ver-
such kann mit gleichem Erfolge mehrmals wiederholt werden. Am er-
hobenen Arme fehlt der Puls, darum hält E. das Phänomen für eine
Folge der eingetretenen Anämisierung. Durch mannigfache Versuchs-
anordnung beweist er, daß nicht Vorgänge am Plexus brachialis (Debnung
oder Druck) beim Erheben des Armes die Ursachen des Krampfes sein
können. Noch reiner wird der Anämieversuch, wenn man medialwärts
von Plexus brachialis in der Schlüsselbeingrube einen Finger nach innen
und abwärts gegen die erste Rippe drückt; an dieser Stelle trifft man
die Arterie von den Nerven gesondert. Beim Drucke verschwindet der
Puls am Handgelenk und innerhalb einer Minute ist die Stellung der
Geburtshelferhand ausgebildet. Durch die beiden Versuche ist die Be-
deutung der Anämie für die Genese des Trousseauschen Phänomens
veranschaulicht. Man kann auch, ohne die Blutzufuhr zu alterieren,
durch Druck auf den. Nervenstamm allein den Krampf erzeugen, so vom
Ulnaris hinter dem Epikondylus int. oder durch Druck der fünften und
sechsten Cervicalwurzel gegen den Querfortsatz. Im letzteren Fall stellt
sich ein Trousseau ein, welcher die Finger freiläßt, aber die Hand in
Streckstellung zieht, eine Elibogenbeugung und extreme Supination er-
zeugt. Je nach dem Nerven, den man komprimiert, erhält
man einen Krampf mit verschiedener Muskelbeteiligung. Diese
Tatsache ist neu und stützt nicht die Auffassung, daß im Trousseau-
schen Phänomen eine Reflexerscheinung gelegen ist. — Vortragender
holt eine alte Beobachtung F. Schultzes aus der Vergessenheit, daß
das Ghvosteksche Symptom durch Erschütterung der Wange her-
vorgerufen wird und bei Dämpfung der Erschütterungsfähigkeit (mittels
Aufsetzens mehrerer Finger auf die Wange, Aufhebens einer Falte, Ein- |
schiebens eines Fingers zwischen Wange und Oberkiefer) nicht auszulösen
ist, Spannt man die Wangenhaut auseinander, so wird das Facialis-
phänomen lebhafter, da die Erschütterungsfähigkeit durch solche Manipu-
ation gesteigert ist. Hat man von einer Stelle aus ein lebhaftes Chvo-
steksches Phänomen erzeugt, so verschwindet die Uebererregbarkeit dieser
Stelle durch Beklopfen und durch den galvanischen Strom für 1/a bis
1 Minute, wenn man sie vorher einige Zeit hindurch mit dem Finger
niedergedrückt hat; Vortragender nennt diese Erscheinung Kompressions-
empfindlichkeit.
L. v. Frankl-Hochwart bemerkt, daß im Tierversuche durch
Kompression eines freipräparierten Nerven oder eines Gefäßes kein
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27,
Trousseausches Phänomen hervorgerufen werden kann. Bei schweren
Fällen von Tetanie sieht man manchmal ein „doppeltes Trousseausches
Phänomen“; wenn man das Phänomen auf einem Arme durch Druck auf
den Nerven hervorruft, so tritt es manchmal spontan auf dem andern
Arme ein. Die neurogene Theorie der tetanischen Krämpfe ist daher
nicht ganz von der Hand zu weisen.
R. Türkel weist darauf hin, daß die Stauungsbinde nicht anämi-
sierend, sondern hyperämisierend wirkt.
E. Redlich führt als Beweis dafür, daß es sich bei den tetani-
schen Krämpfen nicht ausschließlich um Anämisierung handelt, an, daß
bei frischer Tetanie durch Kneipen der Haut, ohne den Nerven zu drücken
das Trousseausche Phänomen hervorgerufen werden kann. Ebenso
sprechen elektrische Versuche sowie der „doppelte Trousseau* gegen die
Annahme der Anämisierung als Ursache der Krämpfe. Freilich kann das
Phänomen durch Anämisierung hervorgerufen werden.
H. Schlesinger bemerkt, daß er das von Erben demonstrierte
Phänomen im verflossenen Jahr an den unteren Extremitäten festgestellt
und demonstriert hat. Kombinierte Anlegung einer Gummibinde am
Oberschenkel und Beugen des im Knie gestreckten Beins in der Hüfte
konnten das von Sch. beschriebene „Beinphänomen“ auslösen, während
jede einzelne der Maßnahmen für sich allein erfolglos war. Er glaubt
auch, daß der Anämie eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des
Phänomens zukommt. |
S. Erben erwidert, daß die Meinung der Diskussionsredner sich
auf frühere Erfahrungen stützt. Durch die heute demonstrierten neuen
Tatsachen ist eine neue Basis für die Bewertung der Anämie beim Ent-
stehen des Trousseauschen Phänomens gewonnen, Türkel scheine
übersehen zu haben, daß neben der Stauung noch durch das Erheben
des Armes die arterielle Blutzufuhr vermindert oder gar aufgehoben
wurde.
H. Königstein stellt aus dem Rothschildspital eine Frau mit
Pagetscher Erkrankung vor. Die Patientin hat seit zwölf Jahren
an einer Mamma eine ekzemähnliche Affektion, welche an der Brustwarze
als kleine Erosion begonnen hat. Die Mammilla ist jetzt durch eine
granulierende Fläche ersetzt, die übrige Haut der Mamma ist erodiert
oder narbig verändert, die Affektion setzt sich gegen die normale Haut
scharf ab. Histologisch findet man atypische Wucherung von Epithelien
wie bei Cancroid.
W. Zweig stellt einen Mann mit operativ geheilter Co-
litis ulcerosa vor. Patient erkrankte vor sechs Jahren unter den Er-
scheinungen von Typhus, daran schlossen sich Fieber, Diarrhöen mit
blutigen und eitrigen Stüblen, in welchen sich Kolibacillen fanden. Im
Lauf des nächsten Jahres folgten Besserungen und Verschlimmerungen
aufeinander, dabei wurde das Leiden von keinem Mittel beeinflußt. Im
Jahre 1908 wurde die Laparotomie vorgenommen, bei welcher der tuber-
kulös erkrankte Wurmfortsatz exstirpiert wurde. Dann wurde ein Cöcal-
after angelegt und nun der Dickdarm durch systematische Spülungen be-
handelt. Sodann machte Patient eine Tuberkulinkur durch. Nach dem
Verschwinden der Symptome wurde der Anus praeternaturalis geschlossen.
Patient hat seit der Anlegung desselben um 20 kg an Körpergewicht zu-
genommen. Vortragender hat bisher sieben Fälle von Colitis ulcerosa
operieren lassen. Ein Fall wurde geheilt, zwei stehen noch in Behand-
lung und vier starben; die Todesursache war unstillbare Diarrhöe, Herz-
schwäche, Pneumonie, septische Peritonitis. Die operative Behandlung
soll nur für solche Fälle reserviert werden, welche auf keine andere
Weise zur Heilung zu bringen sind.
L. Moszkowicz hat drei Fälle von Kolitis operativ behandelt,
zwei mit gutem Erfolg, einer starb. Die Indikation zur Operation soll
nicht zu spät gestellt werden. M.legt nur eine kleine Fistel am Coecum
an. Er machte die Beobachtung, daß die ins Rectum injizierte Flüssig-
keit sebr rasch in der Coecalfistel erscheint. Die Ausspülungen sollen
mehrmals täglich vorgenommen werden.
R. Frank hat in zwei Fällen die Kolostomie ausgeführt, beide
Fälle heilten aus, ohne daß eine lokale Behandlung durchgeführt worden
wäre. Das Wichtigste scheint das Ableiten der Faeces aus dem Dick-
darme zu Sein.
R. Paltauf weist auf die Wichtigkeit der Untersuchung des
Stuhles hin, um eine ätiologische Diagnose stellen und eine ätiologische
Therapie einleiten zu können. Dysenterische Kolitiden können, wenn sie
auch sehr ausgedehnt sind, vollständig ausheilen. |
J. Tandler demonstriert einen stereographisch reprodu-
zierten Schädel. Der Schädel eines Lebenden oder Toten wird rönt-
genographisch aufgenommen und dann wird aus den vielfachen Aufnahmen
nach einem langwierigen Verfahren der Schädel rekonstruiert, wobei auch
die Innenwand der Schädelhöble zur Darstellung gelangt. Auf diese
Weise ist es möglich, ein Archiv von Schädeln lebender berühmter Per-
sönlichkeiten anzulegen. Vortragender beabsichtigt, eine derartige Samm-
lung zustande zu bringen. Wir haben die Verpflichtung, für unsere
7. Juli.
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7. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 97. 1133
Nachkommen Material zu sammeln, welche aus den gegebenen Daten
später eine Anatomie und Physiologie des Genies schreiben werden. Die
Vergleichung von Schädeln, welche zuerst stereographisch reproduziert
und dann maceriert wurden, ergab höchstens eine Differenz von !/s mm
in den einzelnen Massen. Vortragender demonstrierte die Röntgenauf-
nahmen der Schädel von Haydn und Beethoven und zeigt, wie die-
selben sich harmonisch in die Röntgenaufnahme der Totenmaske ein-
fügen.
| Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 26. Juni 1912.
Vor der Tagesordnung demonstrierte Friedrich (als Gast) ein
Verfahren zum Nachweis der freien Salzsäure im Mageninhalte, das darin
besteht, daß ein mit Kongorot gefärbter Faden, der an einem kleinen
Metalloylinder befestigt ist, eine Stunde nach Einnahme des Boasschen
Probefrähstäcks von den Patienten heruntergeschluckt wird. Bei vor-
handener freier Säure ist der wieder herausgezogene Faden blau, und
zwar richtet sich die Intensität der blauen Farbe nach der Menge der
vorhandenen Säure. Die Reaktion muß sofort nach Herausnahme des
Fadens abgelesen werden.
2. A. Pappenheim und J. Plesch: Einige Ergebnisse über ex-
perimentelle und histologische Untersuchungen zur Wirkung des
Thoriums X auf den tierischen Organismus mit mikroskopischen
Demonstrationen. Um die Ursache beziehungsweise das Prinzip der
anscheinend specifischen Wirkung des Thoriums aufzuklären, wurden in
größerem Maßstab experimentelle Untersuchungen an Kaninchen ange-
stellt, die bis zu einem gewissen Abschluß gelangt sind und im großen
und ganzen das Prinzip der Thoriumwirkung aufdecken. Es wurden
Dosen zwischen 7 und 15 Millionen Macheeinheiten, also riesige Dosen,
verabfolgt, in der Erwartung, etwaige Elektivität zu bestimmten Geweben
zu sehen. Die Tiere starben sämtlich um den vierten Tag herum, Vom
dritten Tag an fehlten bei sämtlichen Tieren die farblosen Blutkörperchen
im Blut, also auch die Lymphocyten. Degenerationen und Jugendformen
treten in auffallender und specifischer Art bei diesen großen Dosen nicht
auf, An den roten Blutelementen wurden keine pathologischen Ver-
änderungen gefunden. Dagegen verschwanden auch die Blutplättchen
aus dem Blute. Bei einem am vierten Tage spontan gestorbenen Tiere
zeigte das Knochenmark sämtlicher Röhrenknochen auch in den Dia-
physen das Aussehen des roten Iymphoiden Reizungsmarks. Milz und
mesenteriale wie inguinale Lymphdrüsen zeigten makroskopisch nichts
Pathologisches, sodaß eine elektive Wirkung des Thoriums auf das Knochen-
mark vorzuliegen schien. Die nähere Untersuchung ergab, daß es sich
nicht um ein dem anämischen vergleichbares Knochenmark handelt. Das
Mark war sehr dünnflüssig, gelatinds, floß fast aus der aufgebrochenen
Knochenkapsel, mit der es am Periost kaum verwachsen erschien, heraus
und erwies sich so mehr als ein Blutcylinder wie als wirkliches Mark-
gewebe. Mikroskopisch bestand die Masse fast ausschließlich aus kern-
losen Erytrocyten; ganz vereinzelt fanden sich einige tiefstehende lym-
phoide Markzellen. Im Schnittpräparate zeigte es sich, daß nicht eine
einfache Stauung vorlag, sondern daß es sich um eine hämorrhagische
Infarzierung des Gewebes infolge Stauung handelte. Es ließen sich die
verschiedenen Phasen der prall gefüllten Bluträume und der schließlichen
Effusion deutlich verfolgen. Das Markgewebe selbst befand sich nicht in
einem reaktiven Reizzustande, sondern in einer passiven Atrophie. Das
Markzellenparenchym an den Zwischenwänden und Eckpunkten der zum
Teil noch wohlerhaltenen Fetträume ist bis auf spärliche Reste völlig
verschwunden, die stromatische Grundsubstanz schleimig entartet. Die
orbaltenen zelligen Elemente sind fixe Bindegewebszellen, große und
kleine Iymphoide Rundzellen.. Es geht daraus hervor, daß das Knochen-
mark total und elektiv wenigstens in allen Röhrenknochen zerstört ist.
Als Grund für diese Zerstörungen ist neben der toxischen oder stagnieren-
den Crreulationsstörung eine direkte toxische Degeneration der Mark-
zellen selbst anzusprechen, analog den parenchymatösen Veränderungen
anderer parenchymatöger Organe. Die Wirkung auf das Knochenmark
St somit den therapeutischen Effekt, den das Thorium bei den Krank-
heiten des Bluts und der blutbildenden Organe besitzt, durchaus begreif-
lieh erscheinen. Ungeklärt ist noch die Frage, wieso auch die Lympho-
sten aus dem normalen Blute verschwinden. Es ist möglich, daß infolge
der Blutstauung in der Milz eine verminderte Mobilisation und Abfuhr
Ins Blut stattfindet, während für die Leukocyten eine gestörte Bildung
genommen werden muß. Ob die im Knochenmarke restierenden kleinen
ndzellen echte Lymphocyten sind, darüber sind die Hämatologen noch
nicht einig, Hier dürfte die Thoriumforschung weiteren Aufschuß bringen.
‚Die Veränderungen an den parenchymatösen Organen dokumentieren
Sich hauptsächlich durch allgemeine Blutungen, ferner an den drüsigen
Tganen durch trübe Schwellung und allgemeine diffuse Nekrobiose der
ellen. Besonders auffallend sind die Blutungen im unteren Drittel des
Dickdarns Dünndarm und Magen erscheinen frei. In der Leber fanden
sich auch einmal nekrotische Herde, und zwar nur im Centrum der
Loboli ähnlich wie bei einer akuten gelben Atrophie und Phosphorvergit-
tung. Bei der Verabfolgung des Giftes per os mittels Schlundsonde
waren die Blutungen in Darm, Leber und Niere womöglich noch stärker,
während die Nekrosen im Centrum der Leberläppchen fehlten. Dagegen
war das Zellparenchym in toto schwer degeneriert. In den Hoden wurden
im Gegensatz zu der Radiumwirkung auffällige Veränderungen nicht fest-
gestellt. Im großen und ganzen beruht also die Wirkung des Thoriums
auf einer mit Blutungen und Zellzerstörungen in den parenchymatösen
Organen einhergehenden Circulationsstörung, die sich in ihrer Knochen-
markswirkung am deutlichsten in der Entvölkerung des Bluts von Leuko-
cyten dokumentiert. Plesch weist darauf hin, daß man in Rücksicht
darauf, daß man den Einfluß des Thoriums auf das Knochenmark histolo-
gisch beweisen kann, in dem Thorium ein Präparat hat, welches in ge-
eigneter Dosierung bei perniziöser Anämie von Einfluß ist. Selbstver-
ständlich liegt es fern, zu glauben, daß man je einen Fall von perniziöser
Anämie retten kann.
8. Hirschfeld und Meidner. Die Untersuchungen der Vor-
tragenden beziehen sich gleichfalls auf die Wirkung des Thoriums. Bei
Tumoren von Ratten und Mäusen konnte eine Wirkung erst von Dosen
gesehen werden, die sehr schnell tödlich wirkten. Im übrigen schließen
sich die erhaltenen Resultate an diejenigen an, die von Pappenheim
und Plesch angegeben sind. Es kam also ein Schwund der Leuko-
cyten zur Beobachtung, der aber kein vollständiger war. Daneben
wurden aber auch pathologische Formen im Blute beobachtet, wie Zellen
mit stark zerklüftetem und granulafreiem Protoplasma, große Lympho-
cyten, Myelocyten, zum Teil mit Mytosen. Ferner fand sich ein Sinken
' der Zahl der Erytrocyten uud des Hämoglobins. Bei der Sektion zeigte
das Knochenmark dasselbe Verhalten, wie oben beschrieben. Die Milz
war auffällig verkleinert. An den übrigen inneren Organen wurde gleich-
falls ein Befund erhoben, der sich demjenigen von Pappenheim und
Plesch anschließt. Die angewandten Thoriumdosen waren kleine, mittlere
und sehr große. |
4. Fuld demonstrierte einen operativ entfernten Tumor der Magen-
wand, der wahrscheinlich als Myom anzusprechen ist. Die Klagen des
Patienten hatten die Diagnose einer Hernia der Linea alba wahrschein-
lich gemacht, ganz besonders deshalb, weil der Tumor an der charakte-
ristischen Stelle fübibar war.
Tagesordnung. G. Sobernheim: Bacillenträger. Unter
Bacillenträgern versteht man Individuen, bei denen es zu einer Infektion
mit Krankheitserregern gekommen ist, ohne daß klinische Krankheits-
erscheinungen zutage treten. Auf diese Bacillenträger ist man zum
erstenmal im Jahre 1892 gelegentlich der damaligen Choleraepidemie
allgemein aufmerksam geworden; weitere Beobachtungen, z. B. bei der
Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches, haben ergeben, daß auch
bei den meisten andern Krankheiten Bacillenträger vorkommen können,
Es liegt auf der Hand, daß Bacillenträger eine außerordentlich große
Gefahr für ihre Umgebung darstellen, sogar eine größere, als sichtlich
erkrankte Personen; denn diese letzteren kennt man als infektionsfähig
und kann sich nach Möglichkeit vor ihnen schützen. Als Dauerausscheider
bezeichnet man diejenigen Personen, die nach klinischer Genesung die
Erreger noch längere Zeit ausscheiden. In hygienischer Hinsicht erfordern
Bacillenträger und Dauerausscheider die gleiche Einschätzung. Beide
sind durch bakteriologische „Nach-“ und „Umgebungsuntersuchung“ zu
ermitteln. Werden bei der Seuchenbekämpfung Bacillenträger und Dauer-
ausscheider vernachlässigt, so sind auch die andern Maßnahmen, wie Ab-
sonderung, Desinfektion usw., vielfach illusorisch.
An einem großen Materiale hat das Untersuchungsamt der Stadt
Berlin Gelegenheit gehabt, die Bedeutung der Bacillenträgerfrage kennen
zu lernen und praktische Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Gefahr zu
erproben.
Speziell die Diphiherie soll in den Vordergrund der Erörterungen
gestellt werden und gewissermaßen als Paradigma dienen. Gegen die
Bedeutung der Bacillenträgerfrage werden bei dieser Krankheit gewöhn-
lich zwei Einwände erhoben, die „Ubiquität“ der Bacillen und ihre geringe
Infektiosität bei gesunden Bacillenträgern. Was zunächst den Einwand
der Ubiquität betrifft, so läßt sich kurz sagen, daß von einer solchen
nicht die Rede sein kann. Die Erfahrungen des Untersuchungsamts
haben in Uebereinstimmung mit den anderweitig gemachten Beobachtungen
gelehrt, daß Bacillenträger stets in Beziehungen zu Krankheitsfällen
stehen und daß es selbst bei den verwickelten Verkehrsverhältnissen der
Großstadt oft gelingt, die Infektionsquelle für den Bacillenträger aufzu-
finden. Gegen die Ubiquität spricht auch der Umstand, daß zwischen
der Zahl der Erkrankten und der Zahl der Bacillenträger gelegentlich
ein Parallelismus besteht und daß bei besonders häufiger oder dauernder
Berührung z. B. in Schulen und geschlossenen Anstalten die Zahl der
* RE $ - EEE e & BA PaaS
ES Fe E N a:
1134 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. T. Juli.
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Bacillenträger ansteigt, wie sich leicht zahlenmäßig feststellen läßt. Zur
Prüfung der Infektiosität der Bacillen stehen uns zwei Wege offen: ein-
mal der Tierversuch, weiterhin epidemiologische Beobachtungen. Wenn
auch bezüglich der Diphtheriebacillen bekannterweise Meerschweinchen-
patbogenität nicht unbedingt mit Menschenpathogenität zu identifizieren
ist, so darf doch der Tierversuch nicht als gänzlich bedeutungslos be-
trachtet werden. Wir können sagen, daß im allgemeinen Diphtherie-
bacillen aus Krankheitsfällen und solche von Bacillenträgern und Aus-
scheidern die gleiche Virulenz gegenüber Meerschweinchen besitzen. Daß
die Bacillen der Bacillenträger für den Menschen gleichfalls hochinfektiös
sind, zeigen verschiedene epidemiologische Beobachtungen: es können
z. B. gesunde Bacillenträger nachträglich an schwerer Diphtherie er-
kranken, es gehen gar nicht selten von Bacillenträgern Erkrankungen
und selbst Epidemien aus und in vielen Fällen gelingt es erst, durch
Ermittlung und Absonderung der Bacillenträger, nachdem alle andern
Maßnahmen vergeblich gewesen sind, eine Epidemie zum Stillstand zu
bringen. _
Der Kampf gegen die lebenden Zwischenträger des Virus richtet
sich nach der Infektionskrankheit, sowie nach den besonderen Umständen.
Für Diphtherieepidemien in Schulen lassen sich folgende drei Leitsätze
aufstellen:
i. Verdächtige Halserkrankungen sind stets, auch in epidemiofreien
Zeiten, bakteriologisch zu untersuchen.
2. Bei gehäuftem Auftreten von Diphtheriefällen ist durch Um-
gebungsuntersuchungen der Mitschüler und des Lehrers auf Bacillenträger
zu fahnden.
3. Alle mit Bacillen behafteten Personen — erkrankte und ge-
sunde — sind von der Schule fernzuhalten, und erst nach dreimaligem
negativen bakteriologischen Untersuchungsergebnissse zum Schulbesuche
zuzulassen.
Diese wiederholte Untersuchung ist unerläßlich, weil eine ein-
malige Untersuchung erfahrungsgemäß nicht genügt, um mit völliger
Sicherheit die Anwesenheit von Diphtheriebacillen auszuschließen. Viel-
fach fällt die erste Untersuchung negativ aus, während erst weitere
Untersuchungen das Vorhandensein der Krankbeitserreger ergeben. Die
Persistenz der Bacillen ist eine verschieden lange. Gewöhnlich sind die
Diphtheriebacillen nach längstens einigen Wochen verschwunden. Daß
Bacillen mehrere Monate lang ausgeschieden werden, gehört zu den
größten Seltenheiten. Es ist daher die heute noch vielfach geübte Maß-
nahme, die Zulassung zum Unterrichte lediglich von einer vier- bis sechs-
wöchentlichen Karenzzeit abhängig zu machen, nur ein Notbehelf, denn
diese ist unter Umständen zu laug bemessen, kann aber auch gelegent-
lich zu kurz sein. Die Bekämpfung der Diphtherie in der Schule soll
unterstützt werden durch Maßnahmen im Haus und in der Familie. Die
Erfahrung hat gelehrt, daß vielfach schon eine Kennzeichnung der
Bacillenträger genügt. Wenn auch die Gefahr einer Ansteckung auf
Straßen, Spielplätzen usw. besteht, so darf deswegen die Diphtherie-
bekämpfang in Schulen nicht vernachlässigt werden.
Für Anstalten, wie Waisenhäuser usw., haben die erwähnten Maß-
nahmen sinngemäße Anwendung zu finden. Dabei ist zu berücksichtigen,
daß hier die Gefahr einer Infektion wegen des innigeren Konnexes noch
größer ist. Durch bakteriologische Kontrolle verdächtiger Krankheitsfälle
sind drohende oder bestehende Endemien zu bekämpfen, wenn die er-
mittelten Keimträger in entsprechender Weise isoliert werden. Alle Neu-
aufnahmen sind in Epidemiezeiten, soweit irgendmöglich, bakteriologisch
zu untersuchen und zunächst in Quarantänestationen unterzubringen. In
analoger Weise lassen sich bei Ruhrepidemien Irrenanstalten vollständig
sanieren. Bacillenträger dürfen keinesfalls entlassen werden, solange sie
Bacillen ausscheiden. Dies gilt auch für Krankenhäuser. In der Praxis
können sich allerdings große Schwierigkeiten in den Weg stellen (Mangel
an Raum, Kosten usw.). Aber auch diese lassen sich überwinden; even-
tuell müssen, wie dies schon verschiedentlich angeregt (Heubner) wurde,
Genesungsstationen geschaffen werden.
Sehr wichtig erscheint auch der Kampf im Haus und in der
Familie. Während heute bei Erkrankungsfällen wesentlich zur Sicherung
der Diagnose von den Untersuchungsämtern Gebrauch gemacht wird,
müßten in erster Linie Nacbuntersuchungen zur Feststellung der bakte-
riologischen Genesung und auch, soweitangängig,Umgebungsuntersuchungen
der Familienmitglieder und Hausgenossen viel häufiger vorgenommen
werden. Es liegt hier ein ganz besonderes öffentliches Interesse vor,
namentlich bei solchen Personen, die in Bäckereien, Fleischereien usw.
beschäftigt sind.
Ein einfaches Mittel, die Bacillenträger mit Sicherheit von ihren
Bacillen schnell zu befreien, haben wir leider noch nicht; eine lokale Be-
handlung scheint gewöhnlich mehr Erfolg zu versprechen als eine speci-
fische Serumbehandlung. Immerhin bedeutet die Kennzeichnung eines
Bacillenträgers, wie bereits erwähnt, schon sehr viel, denn eine Gefahr
kennen heißt sie schon halb besiegen. Hier kann der praktische Arzt
durch sein Zusammenarbeiten mit dem Hygieniker und durch Aufklärung
und hygienische Erziehung des Publikums sehr segensreich wirken. Wo
eine ausreichende Isolierung außerhalb des Hauses oder im Hause nicht
möglich ist, kommt für die Diphtherie die Serumimmunisierung der be-
drohten Kinder in Betracht. Im übrigen sind alle Anordnungen von Fall
all zu treffen; allgemein gültige Regeln lassen sich nicht geben.
Bei Diphtherie sind z. B. andere Gesichtspunkte maßgebend als bei
Typhus.
Die empfohlenen Maßnahmen stellen durchaus kein Novum dar.
Sie sind z. B. in Amerika seit vielen Jahren durch die Gezetzgebung ein-
geführt und auch in Europa haben sie längst die Feuerprobe bestanden.
In Deutschland sind diese Maßnahmen speziell für die Diphtheriebekämp-
fung in Schulen in Halle, Charlottenburg, Breslau usw. anerkannt und
eingeführt. (Autoreferat.) Fritz Fleischer.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Das vierte Buch der Reichsversicherungsordnung
von
Dr. Matthias Petersen, Leck (Schleswig-Holstein).
Das vierte Buch der RVO., betreffend Invaliden- und Hinter-
bliebenenversicherung, ist mit dem 1. Januar d. J. in Kraft ge-
treten. Leider hat die Regierung ihr Versprechen, die Witwen- und
Waisenversorgung aus den Erträgen des neuen Zolltarifs zu bestreiten,
nicht halten können, und so ist es gekommen, daß man die Invaliden-
versicherungsanstalten auf eigne Einnahmen hat verweisen müssen. Die
Folge ist eine Erhöhung der Wochenbeiträge
von i6 20 24 30 386
auf 20 24 30 36 48
Pfennige gewesen. Aber die weitere beklagenswerte Folge war die, daß die-
jenigen Versicherten, die vor dem 1. Januar 1912 eine Invalidenrente
bezogen und daher durch Verwendung der erhöhten Beiträge der RVO.
zu den Kosten der Hinterbliebenenfürsorge nicht hatten beitragen können,
von dieser Fürsorge ausgeschlossen wurden.
So konnte es geschehen, daß ein Rentner, dessen Invalidität am
31. Januar 1911 anerkannt wurde, weder für seine Kinder unter 15 Jahren
je t/o seiner eignen Rente bekam, noch Aussicht hatte, daß seinen Nach-
gebliebenen irgend eine Fürsorge gewährt wird, während sein Nachbar,
der so schlau war, seine Rentenansprüche erst am 1. Januar 1912 geltend
zu machen, alles das bezieht, was ihm versagt wurde.
Genau ebenso ist es gegangen mit den Leuten, die im alten Jahre
starben. Das sind offenbar Härten des Gesetzes, die der gewöhnliche
Mann nicht versteht. | Ä
Das Prinzip, daß jeder nicht invalide Arbeiter kleben muß,
sobald er versicherungspflichtige Arbeit verrichtet, für die er mehr als
. nur freien Unterhalt bezieht, ist in der RVO. zur vollen Geltung ge-
bracht, demnach sind auch die Altersrentner der Versicherungspflicht
unterworfen, sobald und solange sie Lohnarbeit leisten. Bisher sind sie
bekanntlich von der Klebepflicht befreit gewesen. Die Konsequenz ist
die, daß sie teilnehmen an den Wohltaten der Hinterbliebenenfürsorg®,
sobald sie nach dem 1. Januar 1912 sterben.
Diese von Altersrentnern verwendeten Marken wird man auf den
ersten Blick für nutzlos halten, sie sind aber durchaus kein weggeworfenes
Geld, da jeder rechtsgültig angebrachter Beitrag eine Steigerung der
Hinterbliebenenrente bewirkt. ,
Eine Hinterbliebenenrente besteht, wie man weiß, aus zwel
Komponenten:
1. Dem Reichszuschusse (50 M für Witwen und 25 M für jede
Waise).
2. Dem Anteile der Versicherungsanstalt, das ist bei Witwen-
renten °/ıo, bei Waisenrenten für die erste Waise 3/0, für jede weitere
Waise !/so des Grundbetrags und der Steigerungssätze der Invalidenrente,
die der Ernährer bezog oder bei Invalidität bezogen hätte. Ich will das
an einem Beispiel erläutern:
Gesetzt, es hätte ein Versicherter, der nach dem 1. Januar 1912
stirbt, 500 Marken der fünften Lohnklasse rechtsgültig geklebt, so würde
seine Invalidenrente, nach der die Hinterbliebenenrente berechnet wird,
betragen:
7. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. 1135
ReichszuschuUß . - © x 2 . . . 5000M
Grundbetrag (500 >< 0,20 M). .= 100,00 „
Steigerungssätze (500 >< 0,12 M) = 60,00 „
Summa . . 210,00 M i
Darnach würden die Hinterbliebenenrenten ausmachen: Die Witwe
bezieht, sobald sie invalide wird oder länger als 26 Wochen krank ist:
Reichszuschuß 22 .. . . 5000M
3/10 des Grundbetrags und der Stei-
gerungssätze der Rente ihres Man-
nes, also 82<160 ‚= 48,00,
10 ee,
Summa . . 9800 M
Die älteste Waise bezieht:
Reichszuschuß . . . . . . . . 2500M
83/2 des Grundbetrags und der Stei-
gerungssätze, also 3 a .= 2400 „
` Summa . . 49,00 M
Dio weiteren Waisen bekommen:
Reichszuschuß 202020. 200M
lo des Grundbetrags usw., also
160 |
SE e S .= 400,
40
Summa . . 29,00 M
Die ganze Rente dieser Familie würde also bei fünf Kindern unter
15 Jahren ausmachen:
Wit . a... . 9800M
Erste Waise . . . ! 2... 49,00 „
Vier Waisen je 29 M . . . .= 11600 „
Jährliche Rente . . 263,00 M
Sind noch mehr Kinder vorhanden, dann würde die Höhe der
Gesamtrente begrenzt werden durch $ 1294 RVO., der besagt, daß die
Renten der Hinterbliebenen nicht mehr betragen dürfen als das Andert-
halbfache der Invalidenrente, die der Verstorbene zur Zeit seines Todes
bezog oder bei Invalidität bezogen hätte.
Waisenrenten allein dürfen zusammen nieht mehr betragen als
diese Invalidenrente.
Man sieht, es ist durch diese Beschränkung der Gesamtrenten eine
Art Strafe statuiert für reichen Kindersegen, während eine progressive
Steigerung wünschenswert gewesen wäre. Ä
‚. Ich bin an dieser Stelle leider genötigt, in den Wein der Be-
geisterung über eine so üppige soziale Fürsorge für Witwen und Waisen
— denn 263 M ist eine große Summe gegenüber einer Ausgabe von ins-
gesamt 250 M, von denen noch dazu der Arbeitgeber die Hälfte bezahlt
hat —, also in diesen Wein etwas Wasser zu schütten.
Es werden nämlich vorläufig die obenberechneten Hinterbliebenen-
renten wesentlich niedriger sich stellen, denn der Artikel 69 des Ein-
führungsgesetzes zur RVO. bestimmt, daß bei der Berechnung der
Hinterbliebenenrenten die Steigerungssätze der Invalidenrente nur für
diejenigen Beiträge gewährt werden, die nach dem 1. Januar 1912 ge-
leistet sind, _
Also auch wieder der Satz:
‚_ Ohne Leistung keine Gegenleistung, ein Grundsatz, der ver-
Sicherungstechnisch sicher unanfechtbar ist, hier aber in einem sonst so
großzügig angelegten Werk etwas kleinlich wirkt, zumal es sich bei der
Reduktion der Renten um Beträge bandelt, die für das Reich gering, für
die Versicherten aber wesentlich sind. |
Die finanzielle Wirkung dieser beschränkenden Gesetzesvorschrift
soll wieder an dem obigen Paradigma demonstriert werden.
Die Witwe, deren Mann keine nennenswerten Beiträge nach dem
1. Januar 1912 verwendet hatte, würde an Rente nicht 98,00 M, sondern
18.0 M weniger beziehen, denn sie bekommt nur
Reichszuschuß ber a E 50,00 M
und ®/ıo des Grundbetrags der Rente
ihres Mannes Fi) .= 3830,00 „
Summa 80,00 M.
Von den Steigerungssätzen profitiert sie nichts, weil die Marken
Ihres Mannes alle vor dem 1. Januar 1912 geklebt waren. Aus demselben
Grande würde die Rente der ersten Waise 9,00 M, die Renten der
weiteren vier Waisen zusammen 6,00 M weniger bringen. Der Minder-
betrag der ganzen Familienrente würde also 33,00 M betragen.
-
Die volle Höhe der Renten für Hinterbliebene wird also erst aus-
gezahlt, wenn Versicherte sterben werden, deren Marken sämtlich nach
dem 1. Januar 1912 geklebt sind oder, juristisch ausgedrückt, wenn das
Gesetz seine Ruhelage eingenommen hat.
Nach diesen Ausführungen wird jetzt die Bedeutung des Klebens
seitens der Altersrentner einleuchten. Ein Altersrentner nämlich, der auf
Grund versicherungspflichtiger Arbeit nach dem 1. Januar dieses Jahres
Marken verwendet, steigert die Rente seiner Witwe mit jedem Wochen-
beitrag um °/ıo von 9, 6, 8, 10, 12 Pf. oder um den Erfolg seines Kle-
bens nach Verlauf eines Jahres zu berechnen, wenn er beispielsweise in
der fünften Lohnklasse 52 Wochenbeiträge geleistet hat, so würde der
Mehrbetrag der Rente seiner Witwe betragen
52x12x83 |
— M BTM.
Da die Versicherung in der fünften Lohnklasse jährlich 25,00 M
kostet, so würde die Markenverwendung für ihn eine sehr schlechte Kapitals-
anlage sein, die man widerraten müßte.
Aber auch wenn der Altersrentner selbst invalide würde und nun
Umwandlung seiner Altersrente in eine Invalidenrente bewirkte, würde
einer Ausgabe von jährlich 25,00 M eine Rentensteigerung von jährlich
52 >< 12 = 6,24 M gegenüberstehen, er würde also vier Jahre leben müssen,
um seine Auslagen wieder hereingebracht zu haben, also auch das wäre
durchweg verfehlt. |
Man kann daher diesen alten Leuten nur raten, möglichst wenige
und möglichst geringe Marken zu kleben, anderseits müssen sie aber un-
bedingt so kleben, daß die nach dem 1. Januar verwendeten Beiträge
rechtswirksam bleiben und dazu gehört, daß im Laufe von zwei Jahren
mindestens 20 Marken verwendet werden, und ferner, daß!die Quittungs-
karte innerhalb von zwei Jahren, vom Ausstellungstag an gerechnet, der
Polizei zum Umtausch gegen eine neue vorgelegt wird.
Fällig sind die Beiträge nur für versicherungspflichtige
Arbeitszeiten, Bescheinigte Krankheiten gelten auch für Altersrentner
als Beitragszeit und das ist wieder sehr wichtig bei dem meistens doch
sehr labilen Gesundheitszustand alter Leute. ii
Ich komme nunmehr zu einem weiteren wichtigen Kapitel der
RVO., das handelf vom Erlöschen und Wiederaufleben der An-
wartschaft auf Rente. Die Bestimmungen über diesen Punkt sind
nach meiner Ansicht weitaus die wichtigsten des ganzen vierten Buches,
sie sind außerdem am schwerverständlichsten.
Der $ 1280 lautet: |
Die Anwartschaft auf Rente erlischt, das heißt sämtliche geklebten
Marken sind wertlos, wenn während zweier Jahre nach dem auf der
Quittungskarte verzeichneten Ausstellungstage weniger als 20 Wochen-
beiträge auf Grund der Versicherungspflicht; oder der Weiterversicherung
entrichtet sind. | |
§ 1283:
Die Anwartschaft lebt wieder auf, das heißt jemals ge-
klebte Marken haben wieder vollen Wert, wenn der Versicherte ‘wieder
eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt oder durch freiwillige
Beitregsleistung das Versicherungsverhältnis erneuert und danach eine
Wartezeit von 200 Beitragswochen zurücklegt.
Bis hierher ist keine Veränderung gegen früher vorgenommen,
jetzt kommen aber sehr böse Verschlechterungen des Zustandes, die mit
dem 1. Januar nächsten Jabres in Kraft treten. Im $ 1983 heißt es
nämlich weiter:
Hat der Versicherte bei der Wiederaufnahme der versicherungs-
pflichtigen Beschäftigung oder bei der Erneuerung des Versicherungs-
verhältnisses durch freiwillige Beitragsleistung das 60. Lebensjahr voll-
endet, so lebt die Anwartschaft nur auf, wenn er vor dem Erlöschen der
Anwartschaft mindestens tausend Beitragsmarken verwendet hatte.
- Sind also weniger als 1000 geklebt, etwa 900, so ist das ganze
Geld, das sind 150,00 M bis 350,00 M, einfach der Versicherungsanstalt
geschenkt.
Weiter heißt es:
Hat der Versicherte das 40. Jahr vollendet, so lebt die Anwart-
schaft nur auf, wenn mindestens 500 Beitragsmarken verwendet waren
und danach eine Wartezeit von 500 Beitragswochen zurückgelegt wird.
Diese ‚rigorosen Vorschriften treten aber erst mit dem 1. Januar
nächsten Jahres in Kraft. Bis dahin gilt der milde $ 46 Absatz 4 des
alten Invalidenversicherungsgesetzes, nach dem die geklebten Marken
wieder gültig werden, sobald die früher Versicherten durch Aufnahme
versicherungspflichtiger Beschäftigung oder durch freiwillige Beitrags-
leistung das Versicherungsverhältnis erneuern und dann eine Wartezeit
. von .200 Beitragswochen zurücklegen, ganz gleichgültig wie alt sie
sind und einerlei,: wie viele Marken sie früher verwendet
hatten.
an
=
= falle
.
tel.
Teee BEE Te ER nn un nn a ae nn eh E S Ta To En up
ua in nen VE
stücke und um ihre Zugehörigkeit zu dem
1136 a: 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27. a
Wer also, und sei er 70. Jahre — invalide darf er freilich nicht | darauf hin, daß beide unmöglich zusammengehören könnten. Welcker
sein — irgendwo in einem Winkel alte Aufrechnungsscheine liegen hat,
‚der suche sie schleunigst und ehe es zu spät ist auf und lasse sich auf
- Grund dieser „Wertpapiere“ eine neue Quittungskarte ausstellen; er hat
‚jederzeit das Recht, auch ohne daß er noch Lohnarbeit verrichtet, weiter-
. zukleben und dann eventuell eine Rente zu verlangen, sobald er 200 ueue
Marken dazu geklebt hat. |
Allerdings eine Bedingung muß erfüllt sein, ehe Rente gewährt
wird: Es muß stets nachgewiesen werden, daß 100 Marken auf Grund
der. Versicherungspflicht oder des Versicherungsrechts verwendet sind,
sonst ist Rente ausgeschlossen. | T |
Ich brauche nicht- zu erwähnen, daß sich alle angeführten Vor-
schriften der $$ 1280 und 1283 lediglich beziehen auf die vor Erlöschen
-~ der Anwartschaft verwendeten Marken,. die für sehr viele über 40 Jahre
alte Versicherte verloren. sein werden, wenn sie ihr Versicherungsver-
hältnis nicht vor dem 1. Januar nächsten Jahres regeln. —
Auf diese Weise werden Millionenwerte in Gestalt ungültiger
Marken zugunsten der Versicherungsanstalten verfallen. Deshalb muß es
als Aufgabe aller Einsichtigen angesehen werden, die lauen Kleber noch
in letzter Stunde zur Sicherung ihrer Rechte. aufzurütteln. Möchten sich
viele Aerzte an dieser dankbaren Arbeit beteiligen.
Anthropologie.
| ` Der Schädel Schillers.
. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt wurde, hatte die Versamm-
lung der Anatomen in München vom 22. April 1912 und in ihr vor allem
Waldeyer (Berlin) zu den Untersuchungen des Tübinger Anatomen
A. v. Froriep Stellung genommen und sich dahin ausgesprochen, daß
‚der von Froriep gelegentlich seiner Ausgrabungen im Weimarer Kassen-
gewölbe im August/September 1911 zutage geförderte und dem Kongreß
vorgelegte Schädel mit Sicherheit als derjenige Friedrich v. Schillers
anzusehen sei. Maßgebend für diese Auffassung blieb insbesondere die
Tatsache, daß dem Oberkiefer des Schädels der zweite linke Vorbackzahn
‚fehlte, der Unterkiefer jedoch noch lückenlos bezahnt war, anatomische
Verhältnisse, wie sie von den Zeitgenossen des Dichters als bei diesem
vorliegend wiederholt angegeben worden sind.!) Auch der Umstand, daß
die vorhandene Totenmaske Schillers mit dem Schädel gut übereinstimmte,
wurde zum Beweise der Identität mit heran- |
gezogen. RE
Neuerdings begegnet nun diese Auf-
fassung wieder erheblichen und berechtigten
Zweifeln und zwar ist es der bekannte
Ethnologe und Forschungsreisende
Prof. Neuhauß, welcher denselben in
der Sitzung der Berliner Anthropologischen
Gesellschaft vom 28, Juni d. J. auf Grund
von ihm beigebrachter neuer Unterlagen
entsprechenden Ausdruck gibt.
‚Neuhauß ging in seinem Vortrage
davon aus, daß Schillers Gebeine nach Ab-
nahme einer Totenmaske des Gesichts am
12. Mai 1805, nachts 12 bis 1 Uhr — wie
dies damals in Weimar üblich war —, in
dem Landschaftskassengewölbe beigesetzt
wurden. Im Jahre 1826 erfolgte dann ihre -
Ausgrabung und erneute Bestattung in der
Fürstengruft zu Weimar, nachdem vorber
von dem Schädel ein Gipsabguß angefertigt
worden war. Diese Totenmaske (1805),
wie der Schädelabguß (1826) sind die
zurzeit einzig benutzbaren Beweis-
in der Fürstengruft beigesetzten Schädel
handelt es sich in der ganzen Streitfrage.
Der im Jahre 1897 verstorbene Anatom
und Anthropologe Hermann Welcker in
Halle hatte nun 1882 Gelegenheit, den
Schädelabguß mit der Totenmaske zu ver-
gleichen und wies in einer Abhandlung?) .
1) Vergl. hierzu „Von Aerzten und
Patienten“ am Schluß dieses Heftes.
3) Horm. Welcker, Schillers Schädel
und Totenmaske nebst Mitteilungen über
Schädel und Totenmaske Kants, Braun-
schweig 1883.
am Tage nach seinem Tode, den 10. Mai 1805, abgegossen durch
Ludwig Klauer.
begründete damals seine Auffassung wie folgt:
1. Die Profilliniien von Schädelabguß und Totenmaske decken sich
nicht ganz.
‚4. Die linke Ohröffnung steht an der Totenmaske 1/2 cm tiefer als
am Schädelabgußb. em =
3. Die Nase der Maske weicht stark nach links ab.
Diese Anschauung, die sich nunmehr auch neuerdings v. Froriep
zu eigen macht, führte den letztgenannten Forscher überhaupt dazu, noch
einmal Nachfragungen anzustellen und im Verfolg derselben den von ihm
aufgefundenen Schädel nunmehr für den allein richtigen zu halten.
Neuhauß entgegnet hierauf, daß die Totenmaske eine Arbeit des
unbedeutenden Bildhauers Ludwig Klauer, eines Sohnes des berühmten
WeimarerBildhauers Martin Klauer (gestorben 1801), seiund, wiedies auch
` aus andern Merkmalen hervorgehe, nur sehr flüchtig angefertigt ist, da die ein-
zelnen Stücke der Maske nicht einmal genau zusammengesetzt sind und ver-
schiedentlich in treppenförmigen Absätzen voneinander abstehen, auch die
Ohren erscheinen nur unvollkommen herausmodelliert. Von der Totenmaske,
deren Original nicht mehr vorhanden ist, da sie seinerzeit nach Paris an den
berühmten Phrenologen Gall zur Untersuchung geschickt wurde und dabei
verloren ging, sind überhaupt nur noch zwei Exemplare vorhanden, deren
‚ eines, die sogenannte schwabische Maske (im Besitze der Familie Schwabe),
aus Terrakotta besteht, das andere, als Weimarer Maske bezeichnete, ein
Gipsabguß ist. Da der Ton nun beim Brennen zusammenschrumpft, ist
die Terrakottamaske, wie dies natürlich, etwas kleiner als die Gipsmaske
und paßt deshalb nicht ganz auf den Kopfabguß herauf, was denn auch
Welcker in mangelnder Berücksichtigung dieser technischen Verhältnisse
zu der vorstehend angeführten. Bemängelung brachte, Kopfabguß und Maske
paßten nicht zusammen.
Die ungenaue Profillinie beider erklärt sich nun einmal hieraus,
dann aber auch aus dem Umstand, daß zu dem Gipsabgusse das sehr
reichliche Haar Schillers durch Ueberdecken mit Staniol zurückgehalten
werden mnßte. Ebenso blieb dabei das Tuch, welches den Unterkiefer
andrückte, umgelegt, wodurch allein schon der Schiefstand eines Ohres,
desgleichen der Schiefstand der Nase ihre Erklärung finden. Es sind
dies auch, wie Neuhauß überzeugend nachweisen konnte, bei der Gips-
technik so häufige Zufälle, daß bekannte und maßgebende Bildhauer
bereits lange als unvermeidlich mit ihnen rechnen. | /
Neuhauß erinnert dann ferner mit
Recht an die nicht belanglose historisch
erwiesene Tatsache, daß 1826 der Bürger-
meister Schwabe, ein Freund Schillers, bei
der Exhumierung der Gebeine drei her-
vorragende Aerzte zu sich beschied und sie
bat, vor der erneuten Einsargung den
Schädel mit der in seinem Besitze befind-
lichen Terrakottamaske zu vergleichen und
seine Identität noch einmal endgültig fest-
zustellen. Diese -drei Gelehrten nahmen
die notwendigen Messungen auch vor und
gaben ihr Urteil bestimmt dahin ab, daß
Schädel und Maske genau miteinander über-
einstimmen.
Neuhauß kommt somit auf Grund
seiner eingehenden, hier nur gekürzt wieder-
gegebenen Ausführungen zu dem Endergeb-
nisse, daß der von Froriep aufgefundene
Schädel nicht derjenige. des Dichters sein
könne, der echte Schillerschädel viel-
mehr seit seiner Beisetzung im Jahre 1826
in der Fürstengruft ruht. Eine völlig
zweifelfreie Klarstellung erscheint indessen
auch jetzt, worin. die Professoren Hans
v. Virchow und v. Luschan Prof. Neu-
hauß beistimmten, nur dann möglich, sobald
beigesetzten Schädel mit dem von Froriep
aufgefundenen. zu vergleichen. Ein dies-
bezüglicher an die Großherzogliche Regie-
rung in Weimar unter dem Mai 1911 ge-
richteter Antrag blieb bislang unbeantwortet.
So besteht in dem gegenwärtigen Streit
über das caput Schiller mehr denn je der
alte Spruch zu Recht: Quot capita, tot
sonsus! ;
OOO GJ
es möglich ist, den in der Fürstengruft.
7. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
1137
Aerztliche Tagesfragen.
_ Gründung eines kassenärztlichen Zweckverbandes in Berlin.
Wiederholt konnten wir in letzter Zeit mit Befriedigung fest-
stellen, daß es vorwärts geht mit den Bestrebungen, die deutsche Aerzte-
schaft zu einer fostgeschlossenen Gruppe und damit zu einem Achtung
gebietenden Machtfaktor zu. einigen für die zu erwartende Neureglung
der kassenärztlichen Verhältnisse gelegentlich der Durch-
führung der Reichsversicherungsordnung.
Man ist im Reiche gewohnt, in allen Fragen ärztlicher Standes-
organisation die Groß-Berliner Aerzteschaft als Außenseiter zu betrachten,
die Hoffnung von vornherein als aussichtslos zu bezeichnen, daß auch
hier wie sonst überall im Reiche, selbst in den andern Großstädten, die
Aerzteschaft sich als ein geschlossenes Ganzes fühlen und zusammentun
würde, sodaß sogar einmal das Wort geprägt wurde von Berlin als „dem
Capua der ärztlichen Organisation“. Aber schon seit einiger Zeit stimmt
diese früher vielleicht nur allzu richtige Meinung nicht mehr ganz. Seit
mehreren Jahren bereits arbeiten die Vertreter der verschiedenen Kassen-
arztsysteme zusammen in der Vertragskommission der Aerztekammer
und daneben bezüglich allgemeinerer Standesfragen im sogenannten Fünf-
zehner- beziehungsweise seit kurzem „Achtzehnerausschuß“. Dieses
Zusammenarbeiten hat im stillen zu einem besseren gegenseitigen Ver-
ständnis und Entgegenkommen geführt, sodaß damit die so sehr schäd-
lichen Befehdungen und die rücksichtslose Konkurrenz der kassenärzt-
lichen Gruppen bei Ablauf von Kassenverträgen schon aufgehört; hatten.
Nun aber ist ein wesentlicher Schritt vorwärts getan!
Am 25. Juni tagte eine Versammlung von Vertretern aller kassenärzt-
lichen Gruppen, um den in einer Reihe von Sonderbesprechungen bereits
vorbereiteten Plan der Einigung endlich zu verwirklichen. Das Resultat
dieser einen Markstein in der Geschichte der Berliner Aerzteschaft
bildenden Zusammenkunft war die Gründung des Zweckverbandes
aller kassenärztlichen Gruppen Berlins unter Leitung eines
sofort gewählten Ausschusses. In der Versammlung, welcher J. Stern-
berg das Referat erstattete, wurden folgende Beschlüsse gefaßt:
1. Die Versammlung erklärt sich mit der Bildung des Kassenärzte-
ausschusses einverstanden.
2. Grundlage der Bildung ist die Parität der Kassenarztsysteme.
Es wird hier folgende Definition angenommen: „Der Ausschuß des zu
gründenden Zweckverbandes hat die Aufgabe, die Verträge jeder Arzt-
gruppe ohne Rücksicht auf das von ihr vertretene kassenärztliche Prinzip
nach Möglichkeit zu fördern. Demnach soll der Ausschuß nicht das
Recht haben, über das kassenärztliche System zu befinden.“
3. Der Ausschuß soll einen Berliner Normalvertrag ausarbeiten.
Der Ausschuß soll auch die Aufgabe haben, eine Vereinbarung mit der
Centralkommission oder einer eventuell neu gebildeten Kassenorganisation
über den Normalvertrag anzustreben. Den Abschluß der Verträge sollen
aber die einzelnen kassenärztlichen Organisationen übernehmen. Die
Vertragskommission der Aerztekammer prüft, ob die Einzelverträge dem
Normalvertrag in den Grundlagen entsprechen. |
‚ & Der Ausschuß soll zunächst aus 15 Mitgliedern bestehen; je
drei entsendet der Verein der freigewählten Kassenärzte, der Verein
Berliner Kassenärzte und der Verein der Berliner Gewerksärzte. Die
übrigen sechs werden von den andern kassenärztlichen Vereinigungen
delegiert, und zwar je zwei von Gruppen mit dem System der freien
Arztwahl, der beschränkten freien Arztwahl und des fixierten Kassen-
arzisystems,
ð. Die bei den Tarifkassen des Leipziger Verbandes tätige Gruppe
gehört, da jeder dem Leipziger Verband beitreten kann, zum System der
freien Arztwahl, l
‚ Die Versammlung nahm sofort die Nominierung von 15 Ausschuß-
uitgliedern vor, |
Das Wichtigste bei dieser neuen Gründung ist also, daß ein
otmalvertrag ausgearbeitet werden soll, der für alle kassenärztlichen
Systeme bindende Kraft hat. Dieser Normalvertrag wird diejenigen For-
derungen enthalten, auf deren Durchführung die Aerzte angesichts der
Ausdehnung der Versicherungspflicht auf weite Schichten der Bevölke-
rung, zur Wahrung ihrer eigenen Existenzmöglichkeit, zur Verhinderung
einer weiteren Proletarisierung des Standes und zur Erhaltung desselben
als eines freien akademischen Berufs unbedingt bestehen müssen. Gegen-
über diesen lebenswichtigen Forderungen tritt die Frage des Arzt-
systems vollkommen in den Hintergrund. Scheidet aber die Forderung
der Durchführung der organisierten freien Arztwahl völlig aus, die auf
viele Kassen unbegreiflicherweise noch immer wie ein rotes Tuch wirkt,
30 werden die Verhandlungen mit den Kassen beziehungsweise der von
ihnen hierfür zu bestimmenden Kommission sich wesentlich vereinfachen.
Es stehen sich nach dem nun vollzogenen Zusammenschluß der
Aerzte zwei gleichwertige Organisationen gegenüber, und nicht mehr
hat, wie früher, die starke einige Kassenorganisation die Möglichkeit,
eine Aerztegruppe gegen die andere auszuspielen. Wie im Leben der
Völker der Friede umso gesicherter ist, je stärker und machtvoller die-
zur Verfügung stehenden Streitkräfte etwaiger Gegner sind, so liegt
jetzt auch bei uns in dieser Stärke beider Vertragschließender die
Gewähr für einen dauernden Frieden zum Wohle aller Beteiligten:
Kassen, Aerzte und nicht zum wenigsten der Versicherten. Der fried-
liche Grundgedanke bei Gründung des neuen Zweckverbandes wurde
denn auch ganz besonders wiederholt hervorgehoben. Daß auch auf
Seiten der Kassen der beste Wille bestehen dürfte, mit dem neuen Ver-
bande zusammen tüchtige und erfolgreiche Arbeit unter Wahrung aller
berechtigten Interessen zu leisten, läßt sich aus einem Artikel des
„Vorwärts“ entnehmen, der mit den Worten schließt: ,„. .. Demnach
bieten die Beschlüsse eine Grundlage für eine Verhandlung mit den
Kassen.“ |
Vor Wochen konnten wir berichten, daß im Anschluß an die Wil-
mersdorfer Bestrebungen sich um Berlin ein Ring von wirtschaftlichen .
Vereinigungen der Aerzte in den Vororten geschlossen hat, wie solche
Verbände im ganzen Reiche bereits gegründet wurden oder doch in
Gründung begriffen sind entsprechend den Weisungen des Aerztevereins- `
bundes. Nun hat dieser Ring der Vorortverbände auch einen festen,
starken Mittelpunkt erhalten, der nicht für sich isoliert steht, sondern
durch das starke Band gemeinsamer, wirtschaftlicher Interessen verknüpft
ist mit den Organisationen des Außenrings. Diese nunmehr ganz Groß-
Berlin umfassende, von dem Bewußtsein gesammelter Energie getragene
Organisation wird den mit der wichtigen Aufgabe der Ausarbeitung neuer
Kassenverträge betrauten Kollegen treue Gefolgschaft leisten und ihnen
dadurch bebilflich sein, in ruhiger Entschiedenheit die Würde und die
Rechte der Aerzte bei den in Aussicht stehenden Verhandlungen zu
wahren.
Wir sind aber auch der Ueberzeugung, daß es sich dabei um einen
Gewinn nicht nur lokal begrenzten Wertes handelt. War es möglich,
sogar hier in Berlin die widerstrebendsten Geister zu sammeln zu einem
einmütigen, festen Zusammenschluß, so muß doch dieses glänzende Bei-
spiel die größten Pessimisten überzeugen und begeistern, nun auch die
letzten Lücken unserer Organisation zu schließen. Ebenso werden jetzt
unsere Widersacher die Hoffnung aufgeben müssen, daß es ihnen gelingen
könnte, ihre Sonderinteressen durchzusetzen gegen die maßvollen, dafür
aber unerschütterlichen, einheitlichen Forderungen der deutschen Aerzte.
Erhard Söchting (Wilmersdorf).
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Bonn. Der Senior der Bonner medizinischen Fakultät, Professor
der Pharmakologie, Geh. Med.-Rat Dr. med. Karl Binz, begeht am
1. Juli seinen 80. Geburtstag. Binz, ein geborener Rheinländer, ist
ein Schüler von Virchow, Köllicker und Helmholtz, auf dessen
Anraten er 1856 in Bonn Assistent der Medizinischen Klinik wurde. Bald
darauf ging er nach Neapel, um hier bis 1861 als Arzt der deutschen
Kolonie tätig zu sein. Es folgten dann umfangreiche Studien bei
Frerichs und Traube in Berlin, worauf Binz sich 1862 endgültig als
Privatdozent für innere Medizin und Arzneimittellehre in Bonn habilitierte.
Hier setzte Binz alsbald die Errichtung eines eignen pharmakologischen
Instituts durch — für damalige Universitätsverhältnisse ein No-
vum — und erweckte durch die lebendige Art der Darstellung, wie sie
auch in seinen bekannten weitverbreiteten Monographien und Lehrbüchern
sofort auffällt, die zu jener Zeit noch recht sterile Wissenschaft der
Pharmakologie zu neuem Leben. So ahnte auch Binz die Malariaplasmo-
dien gewissermaßen voraus, indem er bereits lange vor ihrer Entdeckung
durch Laveran allein aus der Wirkungsweise des Chinin auf das
Vorhandensein ganz spezieller und besonders gearteter Lebewesen schloß.
Auch anßerhalb seiner wissen schaftlichen Tätigkeit erfreute sich Binz
stets ganz besonderen Ansehens in der Bonner medizinischen Fakultät,
und ungezählte Schüler über das gesamte Deutschland verstreut werden
sich mit dem Verfasser dieser Zeilen heut in Dankbarkeit der ebenso
genuß- wie lehrreichen Zeiten erinnern, da sie zu Füßen des hoch-
verehrten Lehrers sitzen durften. Mögen dem Altmeister der Pharma-
kologie noch viele ungetrübte Lebensjahre beschieden sein! Fr.
Berlin. Die Arbeiten zur Einführung des zweiten Buches
der Reichsversicherungsordnung über die Krankenversicherung
sind in vollem Gange. Nach den Bestimmungen der Reichsversicherungs-
ordnung sind grundsätzlich in dem Bezirk eines Versicherungsamts. all-
gemeine Orts- und Landkrankenkassen nebeneinander zu errichten. Es
ist nun, wie die „N.P.K.“ mitteilt, von der preußischen Staatsregierung
nicht in Aussicht genommen, für Preußen ganz oder teilweise die Land-
krankenkassen auszuschließen. Auch in andern Bundesstaaten wird in
gleicher Weise verfahren werden. Die zur Errichtung der Kassen zu-
ständigen Gemeindeverbände und die bei der Errichtung mitwirkenden
1138 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 27.
Versicherungsbehörden werden sich bei der Durchführung der Neuorgani-
sation der Krankenkassen schlüssig zu machen haben, wo etwa besonderen
örtlichen Verbältnissen Rechnung zu tragen sein wird. Nach $ 229 der
der Reichsversicherungsordnung kann die Errichtung von Landkranken-
kassen mit Genehmigung des Oberversicherungsamts unterbleiben, wo
das Versicherungsamt (Beschlußausschuß) nach Anhören beteiligter Arbeit-
geber und Versicherungspflichtiger das Bedürfnis verneint und $ 236
Abs. 2 bestimmt, daß die oberste Verwaltungsbehörde für ihr Gebiet oder
für Teile davon einzelne Gruppen Landkassenpflichtiger den allgemeinen
Ortskrankenkassen zuweisen kann.
Berlin. Die 37. Versammlung des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege findet in Breslau vom 3. bis 6. Sep-
tomber 1912 statt. Die Tagesordnung ist wie folgt bestimmt: Dienstag. den
3. September: i. Massenerkrankungen durch Nahrungs- und Genußmittel.
Referent: Stabsarzt Dr. Mayer, Dozent an der militärärztlichen Akademie
München. — 2. Die Feuerbestattung und ihre Ausführung. Referent:
Dr. Ed. Brackenhoeft (Hamburg). Mittwoch, den 4. September: 3. Schall-
sichere Bauten. Referent: Dr. Mautner (Düsseldorf). — 4. Die Mücken-
plage und ihre Bekämpfung. Referent: Prof. Dr. Heymann (Berlin).
Donnerstag, den 5. September: 5. Die Frage der Wasserversorgung vom
hygienischen Standpunkt unter Berücksichtigung des preußischen Wasser-
gosetzentwurfs. Referenten: Geh. Hofrat Prof. Dr. Gärtner (Jena), Stadt-
rat Dr. Luther (Magdeburg). Freitag, den 6. September: Gemeinsamer
Ausfiug nach Salzbrunn-Fürstenstein.
Düsseldorf. Eine bemerkenswerte Verfügung erließ im Hinblick
auf den Rückgang der Geburtsziffer in Preußen der hiesige Re-
gierungspräsident. Er untersagt darin den Standesämtern seines Re-
gierungsbezirks, Geburten und Eheschließungen durch die Zeitungen
künftig anzukündigen. Es soll hierdurch verhindert werden, dab Fa-
milien Broschüren und sonstige Angebote zugesandt werden, die zumeist
die Verhütung von Kindersegen betreffen. Angesichts der Bewegung,
die Zahl der Geburten künstlich niederzuhalten, müsse diesem Treiben
mit aller Schärfe entgegengetreten werden. Infolge dieser Verfügung
haben die Standesämter ihre Mitteilungen eingestellt. Es ist anzunehmen,
daß dieses Verfahren auf das ganze preußische Staatsgebiet ausgedehnt
wird. Entsprechend der vielfältigen allgemeinen ärztlichen Erfahrung läßt
sich hierzu nur sagen, daß diese Maßregel um vieles wirkungsvoller or-
scheint als die Mehrzahl der bisher vorgeschlagenen, da sie in der Tat
den Hebel dort ansetzt, wo dies am notwendigsten erscheint: der beab-
sichtigten Beschränkung der Kinderzahl (facultative Sterilität) entgegen-
zuarbeiten. —
München. Das bayerische Kultusministerium trägt sich
mit dem Plan, eine Reform der ärztlichen Schulhygiene ein-
treten zu lassen, und zwar in dem Sinne, daß die ärztlichen Schüler-
untersuchungen, die bisher nur in den Volks- und Fortbildungsschulen
stattzufinden hatten, in Zukunft auch auf die staatlichen höheren Lehr-
anstalten ausgedehnt werden sollen. Der Versuch dieser Ausdehnung
der ärztlichen Schuluntersuchung soll sich zunächst nur auf drei Städte
erstrecken, und zwar Nürnberg, Ludwigshafen und Kempten. In ärzt-
lichen wie auch pädagogischen Kreisen sieht man diesen Versuchen mit
großem Interesse entgegen.
Rostock 3.M. An Stelle des bisherigen Institus für öffentliche
Gesundheitspflege wurde hierselbst ein Mecklenburgisches Landes-
gesundheitsamt eröffnet. Dasselbe umfaßt drei Abteilungen: 1. Die
Abteilung für Erforschung und Bekämpfung von Menschenkrankheiten;
2. die Abteilung für Erforschung und Bekämpfung von Tierkrankheiten
und 3. die Abteilung für technische Untersuchung von Nahrungsmitteln,
Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, mit einer Nebenabteilung für
forensische Untersuchungen. Der Direktor des Universitätsinstituts für
Hygiene in Rostock ist zugleich Direktor des Landesgesundheitsamts
(zurzeit Prof. Dr. L. Pfeiffer).
Tokio. Zu Ehren von Robert Koch,. der am 27. Mai 1910 in
Baden-Baden verschied, wurde am 27. Mai hierselbst eine Feier vor einem
Schrein veranstaltet, der kürzlich auf dem Grundstücke des Tokioer
Institnts für Infektionskrankheiten im Stadtteile Schiba errichtet
und dem Andenken des Verstorbenen geweiht worden ist. Frau Koch,
die Witwe des berühmten Gelehrten, war bei der Feier zugegen, ebenso
der deutsche Botschafter Graf Rex. Der Veranstalter der Feier war
Prof. Dr. Kitasato, Kochs großer Schüler und Japans berühmtester
Bakteriologe, Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten und des
Serum- und Lymphegewinnungsinstituts sowie Präsident der Japanischen
Medizinischen Gesellschaft. Die im Schintostil abgehaltene Zeremonie
begann mit Schintomusik. Ehrwürden Sonko Senge öffnete die Tür des
Schreins, der eine Photographie und eine Haarlocke des deutschen Ge-
lehrten enthielt, und verlas eine Adresse, die von dem Professor aus der
Adelsschule, Herrn Heise, verdeutscht wurde. Darauf wurden vor dem
Schreine verschiedene Opfer dargebracht, während die religiöse Musik
spielte. Am Schluß legten Frau Koch, Graf Rex, Prof. Kitasato und
die übrigen Anwesenden, die sich insgesamt auf etwa 40 beliefen, Blumen-
spenden oder Zweige des Sakakibaums am Altare nieder. , Der dem Ge-
dächtnisse Robert Kochs geweihte und auf Anordnung Dr. Kitasatos
errichtete Schrein ist aus Zypressenholz gezimmert und mit Kupferplatten
belegt. Er erhebt sich auf einem aus malerischen Steinen aufgeschichteten
Fundament. ve ee stehen immergrüne Bäume, die dem Ganzen einen
stimmungsvollen Charakter verleihen.
7. Juli,
Hochschulnachrichten. Berlin: Prof. Dr. Franz Kramer
habilitiert für Psychiatrie, Nervenkrankheiten mit einer Antrittsvorlesung:
Die psychologischen Untersuchungsmethoden bei kindlichen Defekt-
zuständen. — Breslau: Prof. Alois Alzheimer (München) nahm den
Ruf als Ordinarius und Nachfolger Bonhöffers (Psychiatrie) an und
wird sein neues Lehramt den 15. August d. J. übernehmen. — Frei-
burg i. B.: Prof. Ernst Gaupp (Anatomie) erhielt einen Ruf als Ordi-
narius und Direktor des Anatomischen Instituts nach Königsberg i. Pr. —
Dr. Johannes Schlimpert (Gynäkologie) habilitiert. — Greifswald:
Prof. Georg Kallius (Anatomie) bat den Minister, von seiner Ver-
setzung nuch Königsberg als Nachfolger Stiedas Abstand zu nehmen. —
Gießen: Dr. Rudolf Jaschke (Gynäkologie) habilitiert mit einer
Probevorlesung über „Der klimakterische Symptomenkomplex in seiner
Bedeutung und seinen Beziehungen zur allgemeinen Medizin“. —
Halle a. S.: Dr. Hans Willige zum Oberarzt der Psychiatrischen und
Nervenklinik ernannt. — Heidelberg: Dr. Ludwig Schreiber,
Privatdozent für Augenheilkunde, zum nicht etatmäßigen außerordent-
lichen Professor ernannt. — München: Dr. Werner Hueck, Assistenz-
arzt am pathologischen Institut, habilitiert für Pathologie. — Straß-
burg i. Els.: Dr. August Tilp, I. Assistent am pathologisch-
anatomischen Institut, habilitiert für dieses Fach mit einer Arbeit
„Ueber die Regenerationsvorgänge in den Nieren des Menschen“. —
Prof. Ernst Hertel, Direktor der Augenklinik, erhielt einen Ruf nach
Marburg als Nachfolger des Prof. Bach. — Dorpat: Priv.-Doz. Dr.
Adolfi zum Professor der Anatomie ernannt. — Graz: Professor eo.
Dr. Rudolf Matzenauer (Dermatologie und Syphilis) zum Professor od.
ernannt. — Wien: Priv.-Doz. Dr. Ernst Pick, Adjunkt am sero-
therapeutischen Institut, zum Professor eo. für angewandte medizinische
Chemie ernannt. — Dr. Leopold Moll, bisher an der medizinischen
Fakultät der Deutschen Universität Prag, als Privatdozent für Kinderheil-
kunde an der Wiener Universität zugelassen.
Berlin. Sanitätsrat Dr. Theodor S. Flatau, Spezialarzt für
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, wurde zum Professor und Ab-
teilungsleiter der Ohrenklinik der Charité ernannt. Prof. F. war bisher
Lehrer der Stimmphysiologie an der Königlichen Hochschule für Musik,
Dozent des staatlichen höheren Fortbildungskursus für Lehrer und
Generalsekretär der Humboldt-Akademie. Es stammen von ihm eine
Reihe zum Teil umfangreicher und maßgebender Arbeiten über die
Hygiene des Kehlkopfs, Stimmstörungen der Sänger und anderer zu
diesem Spezialgebiete gehöriger Erkrankungen. — Prof. Dr. Sigmund
Gottschalk, Privatdozent für Frauenheilkunde, wurde die Leitung der
gynäkologischen Poliklinik des Krankenhauses der jüdischen Gemeinde
übertragen, gleichzeitig wurde er zum dirigierenden Ärzte der gynäkolo-
gisch-geburtshilflichen Abteilung des im Neubau befindlichen Kranken-
hauses ernannt. |
Hamburg. Dr. Luce, Oberarzt der medizinischen Abteilung im
Vereinshospital am Schlump, wurde dirigierender Oberarzt daselbst.
Dr. Eversmann übernimmt an Stelle von Dr. Matthäi die Leitung
der gynäkologischen Abteilung, Dr. Ringel der chirurgischen Abteilung,
Dr. Matthäi zum dirigierenden Arzte der gynäkologischen Abteilung am
St. Georg-Krankenhaus ernannt.
Von Aerzten und Patienten.
Schillers äußere Gesamterscheinung.
Schillers Gestalt war schön proportioniert. Arme und Beine
standen zum Rumpf im besten Verhältnis. Hier findet sich also nicht
die bekannte stämmige Kurzbeinigkeit, wie bei so vielen Genies, auch
wenn sie sonst nicht klein waren. Die Brust wird trotz der Kränklich-
keit wiederholt als gewölbt geschildert, „seine Hände waren mehr stark
als schön“ heißt es bei Karoline von Wolzogen. Die Haltung er-
schien in besseren Tagen militärisch aufrecht, doch wird Schiller die `
fast übertriebene Geradheit eines Goethe und Luther nicht gehabt
haben. In der letzten Lebenszeit sollen Gang und Haltung nachlässig
gewesen Sein.
Schillers Körpergröße war mit 21 Jahren 1,79 m; Goethe hatte
in diesem Alter oder etwas später 1,77 m nach dem Maß im „Garten-
haus“, als Greis von 75 Jahren immer noch 1,74 nach Rauchs Auf-
zeichnungen.: Das Weimarer Doppelstandbild gibt also den geringen
Größenunterschied ziemlich richtig wieder.
Karoline von Wolzogen böschreibt uns auch das Organ unseres
großen Dramatikers: Schillers Stimme war nicht hell, noch voll-
klingend, doch ergriff sie, wenn er selbst gerührt war oder überzeugen .
wollte. Etwas vom schwäbischen Dialekt hat er immer beibehalten. Von
eigentlicher Lesekunst besaß er wenig; er legte auch keinen Wert
darauf..... Seine Stimme folgte nur der inneren Rührung seines Ge-
müts und wurde tonvoller, wie dieses sich lebendiger regte. l
Schillers Handschrift ist heute noch das Entzücken aller Grapho-
logen durch die freie königliche Art ihrer Züge, wie durch die Synthese
ihrer Zeichnung und deron Bedeutung.
(Dr. Wilhelm Bode, Stunden mit Goethe, Bd. 6,
Aufsatz Karl Bauer: Physiognomisches über Schiller. Diesem Bande
ist auch der vorstehende Nachdruck von Schillers Totenmasko
entnommen.)
Terminologie. Auf Seite 21 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
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VII, Jahrgang.
edizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
14. Juli 1912.
Nr: 28 (397).
redigiert von Verlag von |
Professor Dr. Kurt Brandenburg : Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: A. Mayor, Diuretische Heilmittel. C. Hirsch, Syphilis und Schrumpfniere. F. M. Groedel und E. Schenck, Die
röntgenologischen Symptome der nichtchirurgischen Magenerkrankungen. (Mit 1 Tafel). Cholewa, Ueber Asthma. P. Lazarus, Radiumemanation
und Brunnengeist. E. Brodfeld, Ein durch Autoinfektion entstandenes Ulcus molle am Finger. (Mit 1 Abbildung). Esau, Nekrosen an der
Hand infolge Anwendung von Umschlägen mit essigsaurer Tonerde. (Mit 1 Abbildung). H. Liefmann und A. Lindemann, ‚Die Lokalisation der
Säuglingssterblichkeit in Berlin und ihre Beziehungen zur Wohnungsfrage (Schluß). Umfrage über die Entkapslung der Niere bei akuter und
chronischer Nierenentzündung. (Antwort von Schloffer, Prag.) (Schluß). Rheins, Bemerkungen zu der Abhandlung: Ueber die Abwartung der
Geburt in Beckenendlage von Prof. Hannes in Nr. 21, 1912. Schlußwort von Prof. Hannes. R. Werner, Ueber die chemische Imitation der
Strahlenwirkung und Chemotherapie des Krebses. St. Szécsi, Ueber die Wirkung von Cholinsalzen auf das Blut und über die Beeinflussung von
Mäusetumoren durch kolloidale Metalle. — Referate: F. Munk, Fortschritte der Serumtherapie der letzten fünf Jahre. (Schluß). Ed. Stadler,
Wichtige Arbeiten überr Herz- und Gefäßkrankheiten. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Gehirntumor. Aetiologie des Erythema
nodosum. Phimose und Hydrocele im Säuglingsalter. Behandlung der chronischen Nephritis. Alkohol bei Pneumonie. Hormonalinjektion. Hydro-
pyrin-Grifa. Drei Fälle von Chininblindheit. Liebigs Fleischextrakt. Nucleinsaures Natron bei Scharlach. Hypnotica. — Neuerschienene phar-
mazentische Präparate: Systogen. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Metalldilatatoren. — Bücherbesprechungen: J. Rosenberg, Neue
Behandlungsweise der Epilepsie, unter Berücksichtigung der hysterie- und neurasthenieähnlichen Krankheitserscheinungen. G. Schöne, Die hetero-
plastische und homdoplastische Transplantation. H. Simon, Physik und Technik der Thermopenetration. E. Stettner, Ueber Caissonkrankheit mit
pathologisch-anatomischer Beschreibung eines Falles. A. Tilp, Ueber die Regenerationsvorgänge in den Nieren des Menschen. — Aerztliche Gut-
achten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: Steinhauer, Schlaganfall als Unfallfolge anerkannt. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige
Berichte: 10. Internationale Tuberkulosekonferenz. Rom, 10. bis 14. April 1912. Breslau. Frankfurt a. M. München. Berlin. — @eschichte der
Medizin: Iwan Bloch, Vor hundert Jahren. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Honorarforderungen
der Spezislärzte und Professoren der Medizin unterliegen der ärztlichen Gebührenordnung. Die Gebührenpflichtigkeit eines verspätet gemachten
ärztlichen Besuchs. — Reisebriefes Frühlingstage an der Pen) een V. (Schluß.) — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und
Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge. en |
Aus der Medizinischen Poliklinik der Universität Genf.
Diuretische Heilmittel
von
Prof. Dr. A. Mayor.
‚M.H.! Es ist durchaus nicht meine Absicht, eine er-
schöpfende Besprechung aller tiber die Diurese aufgestellten
Theorien vorzunehmen; das würde viel zu viel Zeit und Raum
beanspruchen. Aber bevor ich zu meinem eigentlichen Thema
übergehe, möchte ich in aller Kürze die meiner Ansicht nach
der Wahrheit am nächsten kommenden Theorien darlegen,
die gegenwärtig über das noch vielfach dunkle Wesen der
Harnabsonderung in der Wissenschaft vorherrschen.
. Die Niere, eine secernierende Drüse, besteht aus zwei
Innigst miteinander verbundenen Elementen, den Malpighi-
schen Gefäßknäueln und ihrer Kapsel (Glomeruli), und den
Harnkanälchen (Tubuli). |
~- Den Harnkanälchen wurde während ziemlich langer
Zeit eine ausschließlich resorbierende Tätigkeit zugeschrieben
(Ludwig). Aber diese Theorie ist gegenwärtig unhaltbar
geworden. Die Heidenhainschen Arbeiten über die Aus-
scheidung von gewissen Farbstoffen durch die Bürstensaum-
zellen, die, obgleich von verschiedenen Seiten angegriffen,
er Hauptsache nach von zahlreichen Autoren bestätigt
worden sind; die unbestreitbare Tatsache, daß die Harn-
ii ‚von denselben Zellen secerniert wird; die Beobachtung,
Ab während der Harnabsonderung die Epithelien der Harn-
> nälchen jene Veränderungen aufweisen, die für echte
rüsenzellen charakteristisch sind; alle diese Untersuchungen
weisen darauf hin, daß der Glomerulusharn, während er
© Kanälchen und den aufsteigenden Ast der Henleschen
un durchfließt, durch die secernierende Tätigkeit von
pithelialzellen mit verschiedenen Stoffen angereichert wird.
Mit all dem ist aber nicht gesagt, daß die Ludwig-
sche Theorie völlig zu verwerfen sei. Der Glomerulusharn
wird nämlich ‘durch Rückresorption von Wasser in den
Harnkanälchen eingedickt, das heißt, seine osmotische
Spannung übersteigt schließlich diejenige des Blutplasmas.
Nicht nur Wasser, sondern auch einige gelöste Bestandteile
des Harns werden zu gleicher Zeit rückresorbiert. Diese
selektive Resorption ist von Grünwald!) für das Kochsalz,
von Nishi?) für den Zucker festgestellt worden.
Die überwiegende Mehrheit der Forscher nimmt an,
daß der Glomerulus Wasser durch eine Art Filtration ab-
gibt und daß dieses Wasser jedenfalls Kochsalz enthält.
Gleichzeitig mit dem Natriumchlorid soll, wie gegenwärtig
vielfach angenommen wird, eine ganze Anzahl anderer
Kristalloide vom Glomerulus ausgeschieden werden, freilich
nur in geringen Mengen. Diesem dünnen Glomerulusfiltrat
werden dann, während ès die Harnkanälchen durchfließt,
durch die Tätigkeit der secernierenden Epithelialzellen die
gleichen Kristalloide in größerer Menge, und dazu noch
andere, die sich im ursprünglichen Harne nicht vorfinden,
beigemischt. | =
Die Gesamtmenge des Glomerulusfiltrats, das heißt die
Harnmenge, hängt aber nicht, wie man früher oft behauptet
hat, von dem im Malpighischen Knäuel bestehenden Biut-
druck ab, sondern von der in der Zeiteinheit den Glomerulus
durchfließenden Blutmenge.. Anderseits muß aber, nach
einem allgemein gültigen physiologischen Gesetze, jede erhöhte
Diurese von einer gleichzeitig erhöhten Nierendurchblutung
begleitet sein und dabei ist es gleichgültig, von welcher
- 1) Grünwald, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie ¿
Niere. (A. f. exp. Path. u. Phar. 1909, Bd. 80, S. 360.) Ti =
2) Nishi, Ueber die Rückresorption des Zuckers in der Niere.
(Ibid. 1910, Bd. 62, S, 329)
~
1140 1912 — MFDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28,
14. Juli.
Substanz die vermehrte Harnabsonderung erzeugt wird und
auf welche Weise diese Substanz wirkt. Denn wir kennen
kein einziges Organ, das nicht um so mehr Blut erhält, je
stärker es gerade arbeitet. Es ist daher ein Irrtum, die-
jenigen Diuretica, die gleichzeitig, die Harnmenge und die
Nierendurchblutung vergrößern, als ausschließlich vascu-
läre Diuretica zu bezeichnen; und dennoch wurde diese
falsche Ansicht öfter geäußert. Man könnte ebensogut die
Gedankenfülle eines Gelehrten der Hirngefäßerweiterung zu-
schreiben, die jede intensive cerebrale Tätigkeit begleitet.
Die Nierendurchblutung ist dem Einfluß von Gefäß-
nerven unterworfen. Diese Nerven scheinen vollständig zu
genügen, um die sekretorische Tätigkeit dieser Drüse zu
regulieren. Wenigstens ist es noch nie gelungen, die An-
wesenheit von wirklichen Absonderungsnerven in den Nieren
festzustellen. Corin hat vermutet, daß die Niere sekretions-
hemmende Nerven enthalte, und Anten glaubte sie nach-
gewiesen zu haben; aber die äußerst genauen Untersuchungen
von Beco!) haben die Haltlosigkeit dieser Vermutung zweifel-
los dargetan.
_ Unter welchen Umständen suchen wir eine diuretische
Wirkung zu erzeugen?
Die Harnabsonderung hat zum Zwecke: erstens, den
Wassergehalt des ganzen Organismus in physiologischen
Grenzen zu halten; zweitens, die Ausscheidung von Gift-
stoffen aus dem Körper zu befördern, gleichviel, ob sie zu-
fällig von außen in den Organismus gelangt, oder ob sie
Endprodukte des normalen oder pathologischen Stoffwechsels
seien. Wir verordnen Diuretica, wenn unter Einfluß von
gewissen Krankheiten die Niere ungenügend arbeitet und
infolgedessen Wasseransammlungen im Körper oder eine
Aufhäufung von Giftstoffen entstanden sind. Die Diurese
wird im ersteren Falle wasserentziehend, depletiv, im
andern Fall entgiftend wirken. Nebenbei wird die ver-
mehrte Harnabsonderung eine Verdünnung des Urins her-
vorrufen, welche sowohl der Infektion der Harnwege als der
Bildung von Konkrementen entgegenwirkt (antiseptische
Diurese). |
I. Depletive (wasserentziehende) Diurese. Die
verschiedenen Arten von Wasseransammlungen im Körper
(Oedeme), welche die depletive Diurese bekämpfen soll, sind
entweder mechanischen Ursprungs (nichtkompensierte Herz-
fehler), oder osmotischen (Bsp. Kochsalzretention).
A. Oedeme mechanischen Ursprungs, Stauungs-
ödeme. Vor ungefähr 40 Jabren glaubten Vulpian und
nach ihm Lauder Brunton und Power, und zwar im
Gegensatz zur herrschenden Meinung, festgestellt zu haben,
daß die Digitalis auch beim gesunden Menschen eine
geringe Vermehrung des Harns zu erzeugen imstande sei.
Die Richtigkeit dieser Ansicht ist gegenwärtig durch
die Arbeiten von Jonescu und Loewi nachgewiesen. Diese
beiden Forscher haben nämlich gefunden, daß das Stro-
phanthin und das Digalen diuretisch wirken, und zwar nach
Gaben, die zu klein sind, um eine Blutdrucksteigerung hervor-
zurufen, aber die durch Reizung der peripheren gefäß-
erweiternden Nierennerven eine erhöhte Nierendurchblutung
bewirken. |
Klinisch wird freilich die Digitalis als Diureticum
ausschließlich in Fällen von Herzinsuffizienz angewandt,
und dieses Medikament wirkt am besten und augenschein-
lichsten bei Kranken mit allgemeinem Hydrops oder mit
latenten Oedemen. Unter solchen Umständen ist die harn-
treibende Wirkung der Digitalis leicht zu erklären. Die
Digitalis verstärkt die Energie der Herzcontraction, regu-
liert ihren Rhythmus, erhöht damit die Arbeitsleistung des
Herzens und beschleunigt den peripheren Blutkreislauf. Die
Flüssigkeiten der Stauungsödeme können unter solchen Um-
1) Lucien Beco und Léon Plumier, Action du pneumogastrique
sur la circulation rénale te sur la diuröse. (A. intern. de Phys. 1906—1907,
Bd. 4, S. 265.)
ständen‘ vom circulierenden Blute wieder aufgenommen
werden. Die Nierendurchblutung wird verbessert, und als
notwendige Folge des beschleunigten Blutstroms im Glomerulus
entsteht alsbald eine mächtige Harnabsonderung. Bekanıt-
lich ist aber die Digitalis nicht ausschließlich ein Herzmittel,
sie wirkt auch auf die Gefäße im Sinne einer Verengerung
derselben. Diese Gefäßcontraction gestattet dem unter er-
höhtem Druck aus dem Herzen fließenden Blute, den Wider-
stand zu überwinden, den ihm das an der Peripherie auf-
gestaute Venenblut entgegensetzt. „Sie gestattet also eine
Umlagerung des Bluts von der venösen auf die arterielle
Seite unter Erhöhung des Druckgefälles und der Blutge-
schwindigkeit“ (v. Tappeiner). Würde aber diese Gefäß-
verengerung in der Niere selbst vorzeitig und in bedeutendem
Maße auftreten, so wäre jede vermehrte Harnabsonderung
verunmöglicht. Nun haben Gottlieb und Magnus nach-
gewiesen, daß die Gefäßverengerung der Digitalis zuerst in
den Darmgefäßen auftritt. Das im Splanchnicusgebiet auf-
gehäufte stagnierende Blut kommt wieder in Bewegung und
wird, wie die beiden Autoren beifügen, in andere Gebiete,
Gehirn und Nieren hauptsächlich, übergeführt, die dann
stärker durchblutet werden. Aber diese erhöhte Durch-
blutung ist nur möglich, wenn die Gefäße dieser Gebiete
gut durchgängig bleiben. Würden sie sich ebenfalls und in.
gleichem Maße wie die Darmgefäße verengern, so würde
natürlich die pathologische Blutverteilung bestehen bleiben,
und es wäre absolut kein Grund vorhanden, eine vermehrte
Harnabsonderung zu erwarten. Aber wir wissen durch die
Feststellungen von Jonescu und Loewi, daß die Nieren-
gefäße Digitalissubstanzen gegenüber anders reagieren als
die Darmgefäße. Die Nierengefäße erweitern sich unter
Einfluß von kleinen Dosen dieser Medikamente, und das
Gefäßgebiet der Niere gehört somit zu denjenigen Provinzen,
denen das aus den primär verengten Darm- und Leber-
gefäßen verdrängte Blut zugute kommt (Meyer und
Gottlieb).
Zur Erklärung der diuretischen Wirkung der Digitalis
haben einige Autoren (Bum, Henrijean und Honoré,
Kasztan) noch folgende Hypothese aufgestellt: Die resor-
bierten Oedemflüssigkeiten enthalten harntreibende Stofte,
die beim Durchtritte durch die Niere ungefähr wie Purinbasen
wirken. Diese Theorie ist nicht von vornherein abzulehnen,
aber durchaus nicht bewiesen.
Wenn die Digitalis ihren wohltätigen Einfluß auf den
Kranken verloren hat, wird sie oft durch einige zur gleichen
Gruppe gehörige glykosidhaltige Herzmittel ersetzt, so durch
die Strophanthussamen, das Maiglöckchen (Convallaria
majalis) und die Adonis vernalis, deren Wirkung im
Grunde. genommen eine Digitaliswirkung ist. Wenn man
aber die galenischen Präparate dieser verschiedenen Drogen
anwendet, so beobachtet man oft, daß sie, außer der eigent-
lichen Herzwirkung des Glykosides, noch gewisse reizende
Nebenwirkungen ausüben, die wahrscheinlich in gewissen
Fällen von Herzinsuffizienz den Zustand des Kranken nicht
ungünstig beeinflußen. Die Strophanthuspräparate scheinen
die Niere etwas zu reizen und dadurch bei vielen Kranken
noch eine vermehrte Harnabsonderung hervorzurufen, bei
denen die Digitalis nicht mehr diuretisch wirkt. Jede Sub-
stanz nämlich, welche während ihrer Ausscheidung durch
die Niere deren Epithelien reizt, bewirkt eine vermehrte
Harnabsonderung, so lange die Reizung nicht eine Struktur-
veränderung der Drüse nach sich zieht. Die Quecksilber-
salze, die ätherischen Oele der Terpentingruppe sind Bel-
spiele von solchen Körpern, und man ist berechtigt anzu-
nehmen, daß die reizende Wirkung dieser Stoffe eine örtliche
Gefäßerweiterung und damit eine stärkere Durchblutung
der Niere hervorruft, die natürlich eine vermehrte Harnab-
sonderung zur Folge hat. i
Bei vielen Herzkranken kann eine zur richtigen Zeit
bewirkte Ableitung auf den Darm das Eintreten der Diurese
4 E.3L
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1489. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
begünstigen. Diese bekannte Erfahrungstatsache ermahnt
uns; den Gebrauch von gelinde reizenden ableitenden Ab-
führmitteln nicht zu vernachlässigen. Nun sind aber die
Maiblumen- und Adonispräparate, wenigstens für eine ganze
Anzahl von Patienten, ziemlich starkwirkende magen- und
darmreizende Mittel.
Die Meerzwiebel, Bulbus scillae, übt eine dreifache
Wirkung aus: Durch ihren Gehalt an Seillitoxin (Seillain)
beeinflußt sie das Herz in der Weise der Digitalis; daneben
erzeugt sie eine erhebliche Nieren- und zugleich eine be-
deutende Darmreizung. Dieses uralte harntreibende Mittel
wird deshalb immer noch, besonders bei motorischer Herz-
insuffizienz, mit Erfolg verschrieben. Nach Pic!) vermehrt
die Meerzwiebel gleichzeitig die Stickstoffausscheidung durch
den Harn. |
In der Praxis sind sowohl die Maiblumen- als die
Adonispräparate, und zwar besonders die letzteren, von ge-
ringem Werte. Die in der Schweiz offizinelle Adonistinktur
(1:5) ist nur dann von einiger Wirksamkeit, wenn sie in
Gaben verabreicht wird, die sozusagen immer recht be-
denkliche Nebenerscheinungen in Form von Magen- und
Darmstörungen hervorrufen [Roch?)].
Ganz anders verhält es sich mit der Strophanthus-
tinktur (1:10), von der ein Tropfen ungefähr wie das Infus
von 0,01 Digitalisblättern wirkt. Die Strophanthustinktur ist
infolge ihrer bedeutenden nierenreizenden diuretischen
Wirkung oft noch da von großem Nutzen, wo die Digitalis
versagt. Nur fragt es sich, ob man nicht besser die letztere
zusammen mit irgend einem die Nieren nicht reizenden
Diureticum, von denen ich bald sprechen werde, verordnet.
Nach N. Yernaux ist die Herzmuskelwirkung des Strophan-
thins bedeutender als die des Digitoxins; aber sie ist be-
kanntlich auch gewaltsamer, und nach Verordnung von
Strophanthus zeigen sich die Intoxikationserscheinungen,
Arhythmie mit oder ohne Herzbeschleunigung, sogar Ohn-
machtsanfälle und plötzlicher Herzstillstand, häufiger als
nach Anwendung von Digitalis. Nichtsdestoweniger ist der
Strophanthus oft ein ganz vorzügliches Mittel, das ich nicht
entbehren möchte. |
Bulbus seillae, besonders in Verbindung mit Digitalis,
wird meistens in Form von Pillen oder von diuretischen
Weinen verordnet und kann oft ganz ausgezeichnete Dienste
leisten [His3)]. |
Anderseits darf man aber nicht vergessen, daß bei
‚gewissen Kranken, bei denen die gebräuchliche Digitalis-
anwendung ohne allen Erfolg auf die Harnabsonderung
blieb, eine starke Diurese eintritt, sobald die Art und Weise
der Digitalisverabreichung geändert wird. So hat schon
0. Fräntzel®) in zahlreichen Fällen von hartnäckiger Herz-
insuffizienz, besonders bei idiopathischer Herzvergröberung,
durch kleine aber täglich und lange Zeit verabreichte
Digitalisgaben vortreffliche Erfolge erzielt, während viel
größere, aber nach der gewöhnlichen Verordnungsweise in
Zwischenräumen gegebene Dosen bei den gleichen Kranken,
versagt hatten.
Es mag genügen, die von Magnus und Schäfer zu-
erst beobachtete diuretische Wirkung des Hypophysen-
extrakts zu erwähnen.: Der gefäßverengernde Einfluß
dieses Stoffes gleicht demjenigen der Digitalis, aber über-
trifft ihn an Stärke. Die Niere hingegen wird von dieser
Wirkung nicht betroffen; im Gegenteil, die Nierendurchblutung
wird erhöht. Diese letztere Eigentümlichkeit erklärt uns,
warum ein so stark gefäßverengerndes Mittel zugleich Diu-
reticum sein kann. Schäfer und Hering schreiben dem
).A. Pic, Les médicaments diurétiques. (Rapport au Congrès
français de médecine, XIl. Session, Lyon 1911. f
M. Roch, De 'inofficacité de la teinture d’adonis vernalis comme.
tonicard aque. (Semaine médicale, 15. November 1911, p. 5ti.)
p His, Moderne Herzmittel. (Th. d. G. 1908, S. 433.)
- %)0.Fräntzel, Vorlesungen über die Krankheiten des Herzens.
(Berlin 1889—1892, Vol. I.) nn: ea
1141
Hypophysenextrakt außer seiner Gefäßwirkung noch einen
die Nierenepithelien zur Tätigkeit anregenden Einfluß zu.
Die wasserentziehende Diurese kann ebenfalls durch
Kalomel hervorgerufen werden, wenn es sich um Be-
kämpfung von Oedemen handelt, die nicht von einer Er-
krankung der Niere selbst bedingt sind.
Trotz gegenteiliger Behauptungen scheint das Kalomel
bei Hydrops infolge von Leberkrankheiten wenig zu wirken.
Hingegen beeinflußt es die Stauungsödeme von Herzkranken
sehr günstig. Es scheint mir aber etwas gewagt, anzu-
nehmen, daß bei der Kalomeldiurese die von dieser Queck-
silberverbindung auf die Nierenepithelien ausgeübte Reizung
von keiner Bedeutung sei. Anderseits halten H. Meyer und
sein Schüler Fleckseder 1) dafür, daß unter dem Einflüsse —____
des Kalomels eine hochgradige Dünndarmsaftsekretion statt-
findet, die alsdann im Dickdarme resorbiert wird, insbeson-
dere, wenn man durch Opium die Neigung zu Diarrhöe
unterdrückt. „Diese resorbierten Flüssigkeiten verdünnen
nun das Blut, welches mittlerweile seinen früheren Wasser-
gehalt, der durch die Dünndarmsekretion vermindert worden
war, aus den ödematösen Geweben rasch wiedererlangt hat.
Das jetzt hydrämisch gewordene. Blut entledigt sich dann
des Wassers durch die Nieren.“ (Meyer und Gottlieb.)
Mag nun diese Ansicht richtig sein oder nicht, jeden-
falls muß zur Erreichung einer Kalomeldiurese das Entstehen
einer Kalomeldiarrhöe verhindert werden. Daher ist es
äußerst wichtig, die Diät des Kranken strenge zu regeln.
Patienten, bei welchen die Milch Verstopfung erzeugt,
wer-
den auf reine Milchnahrung gesetzt; bei den andern müssen
Mehlspeisen in Breiform, aber auch diese in mäßigen Quanti-
täten, vorgeschrieben werden. Wenn nötig, soll Opium der
verstopfenden Wirkung der Kost nachhelfen.
Die Dosis von 0,20 Kalomel, zwei- oder dreimal täg-
lich, ist am empfehlenswertesten. Gewisse Kranke vertragen
höhere Gaben und können dieselben ohne Nachteil mehr als
drei Tage nacheinander erhalten. Bei dieser Kur muß
großes Gewicht auf die Verhütung von Stomatitis gelegt
werden; zu diesem Zweck ist auf gehörige Mundpflege zu
achten und Kalium chloricum zu verabreichen. Ich füge
noch bei, daß Erich Meyer?) zu seinem Erstaunen, wie er
sagt, die Beobachtung gemacht hat, daß bei zwei von seinen
Kranken unter Einfiuß des Kalomels der Kochsalzgehalt des
Harns zunahm.
Die übrigen diuretischen Salze bewirken eine er-
höhte Harnabsonderung, nicht etwa, wie man früher an-
nahm, durch Reizung der Nierenepithelien, sondern durch
Erzeugung ‘von Hydrämie (Lo ewi). Nach ihrem Eintritt
ins Blut vergrößern diese Salze dessen osmotische Spannung.
Direkt oder durch Vermittlung des Lymphstroms vermehren
sio den Wassergehalt des Bluts. Dieses überschüssige
Wasser wird dann durch die Nieren wieder ausgeschieden.
Mit ihm verlassen auch diese Salze den Körper, und zwar
entweder in der Form, in der sie in den Organismus einge-
führt wurden, oder nachdem sie gewisse Umsetzungen er-
fahren haben. Sobald diese Salze ins Innere der Harn-
kanälchen gelangt sind, können sie daselbst, je nach ihren
osmotischen Eigenschaften, die Rückresorption von Wasser
verhindern und eine Tubulusdiarrhöe, wie H. Meyer diesen
Vorgang nach Analogie mit der Darmdiarrhöe genannt hat,
bewirken. Diese „Diarrhöe in tubulis“ soll bei schwefel-
‘sauren Salzen besonders stark ausgeprägt sein. Da diese
Salze aber nur schwer diffundierbar sind, so treten sie auch
nur in geringen Mengen ins Blut über und können daher
auch nur in geringen Mengen durch die Niere ausgeschie-
den werden. Daher hat Loewi?) vorgeschlagen, diese Salze,
1) Fleckseder, Wr. kl. Woch. 1911, Bd. 24, S. 1421.
2) E. Meyer, Beitrag zur Wirkungsweise einiger gebräuchlicher
"Diuretica. (Th. Mon. 1911, 8. 11.)
3) O. Loewi, Ueber den Mechanismus der Salzdiurese.
exp. Path. u. Pharm. 1905, Bd. 58, 8. 38)
(A. f,
1142 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28,
und zwar beim Menschen, direkt in die Blutbahn einzu-
führen. Schwefelsaure Salze werden nach Ansicht dieses
Autors vom Tier anstandslos ertragen und auch ihre Ionen-
wirkungen sind völlig unschädlich. Ihre diuretische Wir-
kung wäre bei solcher Anwendung unendlich viel stärker
als die der eingenommenen essigsauren Verbindungen. Die
schwefelsauren Verbindungen könnten sogar die Diuretica
der Purinreihe ersetzen, wenn die letzteren, was oft vor-
kommt, Angewöhnung erzeugt haben. Da unsere gebräuch-
lichen Diuretica leider oft ihre Wirkung schnell verlieren,
so könnte man versucht sein, den Vorschlag von Loewi
praktisch zu verwerten, nur würde die Vorsicht gebieten,
keine hypertonischen Lösungen anzuwenden, um nicht die
Blutkörperchen zu schädigen. Tierversuche haben übrigens
festgestellt, daß isotonische Glaubersalzlösungen ebenfalls
harntreibend wirken.
Innerlich verabreicht verursachen die salpeter- und
die essigsauren Salze die stärkste Diurese. Beim Ge-
brauche der Kaliumsalze ist jedenfalls die herzerregende und
gefäßverengernde Wirkung der Base nicht: ohne Einfluß.
Ferner muß man nicht vergessen, daß nach Einnahme von
salpetersaurem Kalium dieses Salz mit dem Natriumchlorid
des Organismus eine teilweise Umsetzung eingeht (Bunge,
Schmiedeberg). Dadurch entsteht annähernd die doppelte
Menge von Natrium nitricum und Kalium chloratum, zwei
für den Körper unverwendbaren Salzen. Der Organismus
entledigt sich derselben, indem er sie hauptsächlich durch
die Nieren ausscheidet. Diese beiden Salze führen eine
Menge Wasser mit sich fort, welche die vom Kalium
nitricum in seiner ursprünglichen Form beanspruchte, bei
weitem übersteigt. u |
Das essigsaure Kalium ist ein sehr leicht diffundier-
bares Salz. Es tritt mit großer Schnelligkeit ins Blut über,
wo es sich in das schwer diffusible Kaliumcarbonat verwan-
delt, das, infolge dieser Eigenschaft, die Rückresorption von
Wasser in den Harnkanälchen viel stärker beeinträchtigt.
H. Meyer und Loewi erklären durch diesen Vorgang die
bekannte Neigung der Aerzte, in der Praxis das essigsaure
Kalium dem salpetersauren vorzuziehen.
Von allen Chloriden ist nur das Calciumchlorid
zu erwähnen. Dieses Salz soll nicht nur leicht diuretisch .
wirken, sondern in täglichen Gaben von 0,50 bis 2,0 g eine
nicht unbeträchtliche Kochsalzausscheidung hervorrufen
(Imbert und Bonnamour, Perrin und Blanchard, Vitry,
Jourdan). | E
B. Osmotische Oedeme. Unter dem Einflusse von
Circulationsstörungen in der Niere oder im Verlaufe von
gewissen Nephritiden kann es zu einer Kochsalzretention im
Körper und damit zur Bildung von Oedemen kommen.
Lange Zeit bestand die klassisch-empirische Behandlung von
Nephritiden jeder Art in der Milchdiät. Solange nämlich
die Nierenschädigung nicht allzuweit fortgeschritten . ist,
scheint wirklich die Milch dasjenige Nahrungsmittel zu sein,
das am besten den von den beiden Hauptformen der Ne-
phritis gegebenen Indikationen entspricht. Die Milch enthält
bekanntlich nicht wie das Fleisch direkt giftig wirkende
'stickstoffhaltige Bestandteile. Anderseits führt sie, in
mäßigen Mengen genossen, nur wenig Kochsalz in den
Körper ein. Diese beiden Umstände genügen, um die lang-
‚jährige Vorliebe der Aerzte für Milchkur in der Behandlung
von Nierenleiden zu erklären. Aber seitdem wir wissen,
daß nicht die Milch an und für sich, sondern die durch
Milchdiät bedingte kochsalzarme Ernährung die Haupt-
ursache der dabei beobachteten Diurese ist, sind wir geneigt,
die Kost unserer Kranken etwas mannigfaltiger zu gestalten.
Vielleicht sind wir in dieser Beziehung sogar eher etwas zu
weit gegangen, denn wir dürfen nicht vergessen, daß die
bereits pathologische Niere für viele in unsern Nahrungs-
mitteln und besonders in den Gewürzen enthaltene reizende
"Stoffe empfindlich und verwundbar geworden ist.
14. Juli.
Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe von diuretisch
wirkenden Mitteln, deren Anwendung bei der Bekämpfung
von Oedemen osmotischen Ursprungs vortreffliche Dienste
leistet. Da möchte ich vor allem die Purinderivate er-
wähnen. Ihre Wirkung besteht in der Vermehrung des
Harns, der zugleich kochsalzhaltiger wird, ohne daß das
bereits pathologisch veränderte Nierenparenchym von ihnen
gereizt wird. Die Diuretica der Puringruppe. bestehen aus
drei Körpern: dem Coffein, dem. Theobromin und dem
Theophyllin oder Theocin; alle drei sind, wie bekannt,
methylierte Xanthine oder Dioxypurine und daher der Harn-
säure, Trioxypurin, nahe verwandt, Paai
Coffein und Theobromin besitzen eine ganz ausge-
sprochene Herzwirkung. Beide erhöhen zuerst . den Blut-
druck und verlangsamen den Puls, jedoch in viel geringerem
Maße als die Digitalis. In einem. späteren Stadium ihrer
‘Wirkung beschleunigt sich der Puls, während der Blutdruck
erhöht bleibt. Die Blutdrucksteigerung ist nämlich größten-
teils von einer allgemeinen Gefäßverengerung bedingt; sie
fehlt in allen Versuchen auf dem isolierten Säugetierherzen,
die vermittels des Bockschen Apparats angestellt wor-
den sind. SE
In der Niere bewirken die beiden Alkaloide, anstatt
einer Verengerung, eine Erweiterung der Gefäße, die natür-
lich die Diurese begünstigt. Aber die vermehrte Harn-
absonderung ist durchaus nicht die direkte Folge der Herz-
und Gefäßwirkung des Coffeins und des Theocins, denn das
Theobromin, das weder den Blutdruck, noch den Puls irgend-
wie beeinflußt, ist ein mächtig wirkendes Diureticum. Die
wahre Ursache der erhöhten Nierenabsonderung nach Ein-
nahme von Purinbasen muß also anderswo liegen. v. Schroe-
der schrieb sie einer specifischen Erregung. der secer-
nierenden Nierenepithelien zu. Die v. Schroedersche An-
sicht ist teilweise heftig bekämpft worden, hauptsächlich von
denjenigen Autoren, die alle Xanthinderivate, unter deren
Einfluß die Nierendurchblutung unzweifelhaft‘ bedeutend er-
höht wird, zu den vaskulären, das heißt ausschließlich durch
Gefäßerweiterung wirkenden Diureticis rö6chnen. Nun wurde
aber außer acht gelassen, daß, wie ich schon oben bemerkt,
jedes arbeitende Organ eine stärkere Durchblutung aufweist
als das ruhende Wenn daher in irgendeinem ‚Organ eine
sehr. lebhafte Bluteirculation beobachtet wird, so folgt daraus
durchaus nicht, daß die erhöhte Tätigkeit desselben aus-
schließlich dieser „Arbeitshyperämie‘‘ zuzuschreiben sei.
Die von v. Schroeder aufgestellte Theorie der .diure-
tischen Wirkung der Purinbasen scheint mir hingegen der
Wahrheit am nächsten zu kommen; sie findet eine starke
Stütze in folgenden Beobachtungstatsachen: Coffein, Theo-
bromin und Theocin ‘werden im Körper teilweise abgebaut
und erscheinen im Urin als Monometbylxanthin, das auch
noch diuretisch wirkt; bei verschiedenen Tierarten haben die
Purinderivate verschieden starke diuretische Wirkung, Je
nach der Menge dieser Basen, die jeweilig in den Harn
übertritt; die den Purinbasen so nahe verwandte Harnsäure
wird von den Epithelien der Harnkanälchen ausgeschieden
(Minkowski, Spiegelberg, Anten usw.); J. Bock hat
beobachtet, daß die Theocindiurese die Ausscheidung der
phosphorsauren Salze, die ebenfalls von den Bürstensaum-
zellen secerniert werden, bedeutend erhöht, daß aber diese
erhöhte Phosphatsekretion durchaus nicht gleichlaufend ist
mit der vom Theoein bedingten Harnvermehrung selbst.
Eine andere Theorie wird von Sobieranski ver-
fochten; dieser Forscher betrachtet die Purindiurese als eine
Folge der in den Harnkanälchen gehemmten. Wasserrück-
resorption. Dieser Ansicht widersprechen gewisse Ergebnisse
der Versuche von Loewi, v. Schroeder, Anten, J. Bock.
Hingegen scheinen wirklich die Purinbasen eine Hemmung
der Rückresorption in den Tubulis zu bewirken: diejenige
des Kochsalzes nämlich. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
‘die Purinbasen mehr als‘ irgendein anderes Diureticum
Te o- m eee e e
die Natriumehloridausscheidung begünstigen. Von den ge-
wöhnlichen: harntreibenden Mitteln wird im allgemeinen die
Gesamtmenge des in 24 Stunden ausgeschiedenen Kochsalzes
erhöht, und zwar ist diese erhöhte Absonderung proportional
der vergrößerten Harnmenge. Die Xanthindiurese hingegen
vermehrt den Prozentgehalt des Harnes an Natriumchlorid.
Widal'), unter Andern, hat schon in seinen ersten Arbeiten
auf diese Tatsache aufmerksam gemacht. Anderseits hat
Grünwald?) nachgewiesen, daß chlorarme Kaninchen, die
einen völlig chlorfreien Harn entleeren, durch Theobromin-
behandlung gezwungen werden, einen ziemlich stark koch-
salzhaltigen Urin zu secernieren. Man könnte vermuten,
daß unter solchen Umständen der Glomerulus einen stärker
kochsalzhaltigen Harn filtrieren läßt. Aber wenn man die
Nierenrinde des Kaninchens untersucht (Glomeruli), so findet
maù, daß unter dem Einfluß der Purinbase ‘ihr Gehalt an
Natriumehlorid nicht- zugenommen hat; hingegen weist die
Marksubstänz, (Tubuli) einen höheren Gehalt an Kochsalz auf.
Aus diesen’ Versuchen geht mit absoluter Sicherheit hervor,
daß es sich ùm eine in den Harnkanälchen stattfindende
Hemmung der Kochsalzrückresorption handelt. Diese hem-
ende Eigenschaft gibt den Diureticis der Puringruppe,
andern harntreibenden Stoffen gegenüber, eine unbestreitbare
Ueberlegenheit in der Behandlung von hydropischen Ne-
phritiden. à | ne
~ In der Therapie der Nierenentzündungen gewähren also
die Xanthinderivate, den doppelten Vorteil, die kranke Niere
nicht zu reizen, und bei Retention von Kochsalz: die Aus-
scheidung desselben zu begünstigen. Sind sie aber unter
sich von gleichem therapeutischen Wert? Und, wenn ge-
wisse klinische Umstände ihrer Anwendung entgegenstehen,
durch -welche Mittel können sie ersetzt werden? |
-~ , Die erste Frage kann ganz bestimmt verneint werden;
das geht mit aller Deutlichkeit aus den vergleichenden Ver-
suchen hervor, die Dreser3) mit gleichen Dosen (0,50 g)
der drei Medikamente angestellt hat. Theobromin bewirkt
eine langsam auftretende und allmählich abklingende Harn-
vermehrung; die Theocindiurese tritt mit großer Schnellig-
keit ein, sie ist äußerst intensiv, aber nicht nachhaltig; nach
Coffein ist die Diurese bald mehr, bald weniger ausgesprochen,
sie kann derjenigen der beiden Dimethylxanthine gleichen.
Das verschiedene Verhalten dieser drei Körper hängt teil-
weise davon ab, daß Coffein und Theocin Herz- und Gefäß-
wirkungen besitzen, die dem Theobromin abgehen. Die im
ganzen geringe direkte Nierenwirkung des Coffeins wird
durch seine Herzwirkung niemals derart verstärkt, daß
die Coffeindiurese die Mächtigkeit der Theobromindiurese er-
reichte. Der ganz bedeutend nierenerregende Einfluß des
Theoeins hingegen wird durch die stark ausgeprägte Herz-
wirkung dieser Base ganz beträchtlich gehoben. Deshalb
erregt oft Theocin noch Harnvermehrung da, wo alle andern
Diuretica versagt. haben. Um aber in solchen Fällen die
vorteilhaftesten Erfolge zu erzielen, muß man das Theocin
In täglichen Gaben von 0,75 g in drei Dosen von je 0,25
verabreichen [Roch und Cottin?]. Da ferner das Theoein
Infolge seines stark erregenden Einflusses auf den Herz-
muskel und die Herznerven unangenehme, ja beunruhigende
Nebenwirkungen erzeugen kann, so muß seine Anwendung
auf sorgfältig ausgelesene Fälle, die von allen andern Medi-
kamenten unbeeinflußt blieben, beschränkt werden.
i ‚Wenn man eine wasserlösliche Verbindung des Theo-
Tomins. anwendet, so tritt die Diurese schneller ein, hält
aber auch weniger lange an. Es ist also kein Grund vor-
er ') F. Widal et Javal, La chlorur6mie et la cure de döchloru-
rakon dans le mal de Bright. (Presse médicale S. 701—705, 7. Okt. 1903.)
Grünwald, loc. cit.
Mensch rosser, Versuche über die Theocindiurese am gesunden
eneg Ion. (Berl. kl. Woch. 1908, Nr. 42, S. 953.) po
Te M. Roch et Mile. E. Cottin, De la thöoeine comme diurstique.
* 800. de Méd, Oetohre-Novembre 1908) - a we
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 1143
handen, unter allen Umständen das Theobromin durch das
Diuretin, das Theobrominnatriumsalicylat, zu ersetzen. Ob-
gleich dieses Doppelsalz den Magen etwas stärker angreift,
ist seine Verwendung in gewissen Fällen doch unzweifelhaft
von großem Nutzen. Es kommt nämlich vor, daß Diuretin
da.noch' wirkt, wo Theobromin keinen Einfluß mehr zu haben
scheint. Hingegen gibt es wiederum Kranke, bei denen die
zwar langsam einsetzende, aber viel länger dauernde Diurese
des reinen Alkaloids größere Vorteile bietet.
- Als Ersatz der Diuretica der Puringruppe hat man
eine ganze Reihe von Mitteln vorgeschlagen, unter andern
das Caleciumchlorid. Wenn dieses die Niere nicht reizende
Salz wirklich den so günstigen Einfluß auf. die Natrium-
chloridausscheidung ausübt, der ihm zugeschrieben wird, so
dürfte es gelegentlich zur Bekämpfung der Kochgalzretention
an Stelle der Diuretica der Purinreihe verschrieben werden.
Das Kalomel hingegen, das nach den Beobachtungen von
Erich Meyer ebenfalls den Natriumchloridgehalt des Harnes
erhöht, könnte in solchen Fällen natürlich nicht verwendet
werden. |
Zu den Diureticis, die auf die Nierenepithelien wirken
ohne sie zu reizen, wird noch der Harnstoff und der Milch-
zucker gerechnet.
Der Harnstoff, dem man den Namen eines physiolo-
gischen Diureticums gegeben hat, wurde zuerst von Sögalas
(1822), dann später von Laënnec angewandt. Aber er ist
höchst unzuverlässig in seiner Wirkung, und Stokvis wirft
sogar die Frage auf, ob die seiner Anwendung nachfolgende
Diurese nicht ausschließlich dem Wasser zuzuschreiben sei, in
dem man den Harnstoff vor seiner Verabreichung gelöst hatte.
Die von vielen Autoren angenommene diuretische Wir-
kung des Milchzuckers habe ich von jeher als ziemlich
zweifelhaft angesehen. Ich habe deshalb die Herren Cramer
und Mallet gebeten, bei Erwachsenen und bei Kindern die
Wirkungen dieses Mittels einer Prüfung zu unterziehen. Die
Versuche wurden ausgeführt indem sowohl während der
Zeit der Verabreichung des Milchzuckers als auch in den
Zwischenperioden die Menge der von den Kranken ge-
nossenen Flüssigkeiten genau gemessen wurde. Die Ergeb-
nisse dieser Versuche zeigen das vollständige Fehlen irgend
welcher diuretischen Wirkung des Milchzuckers. Sie stimmen
genau mit dem überein, was Fleig!) über diese Frage ver-
öffentlicht hat, und zwar in einer Nachschrift zu seiner
Arbeit über die diuretische Wirkung der intravenösen Ein-
spritzungen von verschiedenen Zuckerarten. Die früher kon-
statierten günstigen Ergebnisse lassen sich zwanglos er-
klären: Die mit dem Milchzucker eingenommene Wasser-
menge wurde nicht genügend in Betracht gezogen; ferner
trug die Milchzuckerverabreichung jedenfalls oft dazu bei,
den Kranken unbeabsichtigt auf eine kochsalzarme Kost,
deren Bedeutung man eben noch nicht erkannt hatte, zu
setzen; endlich hat wahrscheinlich die starke Gabe von
Milchzucker bei gewissen Hydropischen mit mangelhafter
Leberfunktion nicht selten, wenn auch ungewollt, eine ali-
mentäre Glykosurie (glycosuria e saccharo) hervorgerufen.
In der Tat hat Cramer bei drei von seinen Kranken,
den einzigen, die eine verstärkte Diurese aufwiesen, Zucker-
ausscheidung durch den Harn vorgefunden.
Wenn hingegen die verschiedenen Zuckerarten direkt
in die Blutbahn infundiert werden, so wirken sie unzweifel-
haft diuretisch. Die intravenöse Einspritzung von Zucker-
lösungen, und zwar auch von hypertonischen bis 25 0
zuckerhaltigen, hat schon oft gute Dienste geleistet, beson-
ders in Fällen, wo die Einführung von physiologischen Koch-
salzlösungen nicht angezeigt war.
Zur Therapie von Nephritis mit Wasserretention hat
man, so widersinnig die Sache zu sein scheint, sogar ein die
') C. Fleig, Diuröse par injections intraveineuses hypertoniques de
sucre chez l’homme et chez l'animal (glucose, lactose, mannite,
gén. de Thérapeutique. 1909, Bd. 158, S. 59.) = en
1144
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14. Juli,
Nieren äußerst stark angreifendes Mittel vorgeschlagen, näm-
lich das Kantharidin. Die angewandte Dosis ist zwar
immer sehr klein, acht bis zehn Tropfen der Spanischfliegen-
tinktur im Tag. Aber.von einer großen Anzahl von Klinikern
wurde das je nach der subjektiven aber unberechenbaren
Empfindlichkeit ihrer Kranken wertlose oder geradezu schäd-
liche Mittel gänzlich verworfen. |
In schweren Fällen von Nephritis mit Anurie muß man
oft zu operativen Eingriffen auf die Niere selbst Zuflucht
nehmen, wenn sowohl lokale Blutentziebung durch blutiges
Schröpfen oder Blutsauger als Aderlaß erfolglos geblieben
sind. Diese Operationen, die Nierenentkapselung und die
Nephrotomie, bewirken nicht nur eine lokale sehr reich-
liche Blutentziehung, sondern sie beseitigen auch die intra-
renale Spannungserhöhung. Die Versuche von Biberfeld?!)
und die nach Nephrotomie gemachten Beobachtungen von
Pousson?) weisen nach, daß diese Eingriffe den in den
Nierenkanälchen zurückgehaltenen Flüssigkeiten einen Aus-
weg verschaffen und die von der Stauung bedingte Kom-
pression der Nierengefäße. beseitigen.
C. Oedeme gemischten Ursprungs. . Es gibt Fälle,
in denen eine wasserentziehende Diurese angezeigt ist zur
Bekämpfung von Symptomen, die als Folge gleichzeitiger
Herzschwäche und Niereninsuffizienz auftreten. Unter sol-
chen Umständen sind entweder beide Organe erkrankt oder
lange dauernde Kreislaufstörungen in der Niere haben ihre
secernierende Tätigkeit beeinträchtigt. Anderseits kommt es
häufig vor, daß ungenügende Nierenfunktion auf das Herz
zurückwirkt und dasselbe sozusagen ermüdet. In diesen
Fällen ist die erfolgreichste und in der Praxis am meisten
befolgte Behandlung diejenige, welche die Diuretica der
Puringruppe in Verbindung mit herz- und gefäßbeeinflussen-
den Diureticis anwendet. Zu gleicher Zeit werden dem
Kranken diätetische Vorschriften gegeben, welche die Diurese
unterstützen sollen. Den größten Erfolg hat in dieser Be-
ziehung die Karellkur, denn sie vereinigt eine gelinde
Hungerkur mit einer salzarmen Ernährung, freilich nur,
wenn man sich nicht allzu strenge an die ursprünglichen
‘Vorschriften ihres Erfinders hält, der nach den ersten zwei
Wochen gesalzenes Brot und Salzheringe gestattete. Die
Hauptwirksamkeit dieser Kur ist meiner Ansicht nach durch
die starke Verminderung der Nahrungsaufnahme bedingt, die
bei dieser Kur stattfindet. Unter dem Einfluß dieser Kur
habe ich ganz ausgezeichnete Erfolge gesehen, sogar bei
- Kranken, bei denen die salzarme Ernährung nur in den
ersten drei Tagen der ausschließlichen Milchkur durchgeführt
werden konnte, das heißt während der drei Tage, an wel-
chen die Patienten höchstens 600 g Milch erhielten, also
etwas mehr als Karell erlaubt. Die Karellkur ist ebenfalls
am geeignetsten, die infolge von Herzinsuffizienz auftretenden
Oedeme bei Fettleibigen mit Obesitas cordis rasch zu be-
geitigen.
Abwechselnde Behandlung mit Digitalis und Coffein
wirkt ganz vorzüglich gegen Kompensationsstörungen bei
kombinierten Klappenfehlern, besonders wenn bei bestehen-
der Aorteninsuffizienz der Herzschlag sich allzusehr verlang-
samt, was bekanntlich auf den gesamten Blutkreislauf
störend wirkt und dazu beiträgt, die schon vorhandenen
Oedeme zu vergrößern.
. I. Entgiftende Diurese. Giftstoffe, deren be-
schleunigte Ausscheidung durch die Niere von Wichtigkeit
sein kann, können zufällig von außen in den Organismus
eingedrungen sein (Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, Gewerbe-
vergiftungen, absichtliche oder unabsichtliche Selbstvergif-
tungen usw.); oder aber sie sind Endprodukte des normalen
oder pathologischen Metabolismus und werden unter Einfluß
1) Biberfeld, Die Leistung der entkapselten Niere. (Pflügers A.
1904, Bd. 102, S. 116—122.) ,
2) Pousson, Ier Congrès de l'Association internationale d’Urologie.
Paris 1908, wor
' von gewissen Stoffwechselstörungen in außerordentlichen
Mengen im Körper aufgespeichert; oder endlich entstehen sie
im Verlauf von infektiösen Krankheiten. |
Da die meisten exogenen Giftstoffe durch die Epi-
thelien der Nierenkanälchen ausgeschieden werden, so wäre
es logisch, bei solchen Vergiftungen häufiger als es gegen-
wärtig der Fall ist, die Diuretica der Puringruppe zu ver-
wenden, um so mehr als nach J. Bock!) dieselben gerade
die secernierende Tätigkeit dieser Zellen anzuregen scheinen.
Bei Autointoxikationen könnten die Iymphagogen Wir-
kungen der salinischen Diuretica auch mehr in Betracht ge-
zogen und diese Salze etwas konsequenter verschrieben
werden. Die Mineralwässer, die wir mit unzweifelhaftem
Erfolg bei der Behandlung von konstitutionellen Stoffwechsel-
störungen anwenden, enthalten oft Salze mit Iymphagogen
Eigenschaften; aber es wäre etwas gewagt, ihrem Gehalt an
diesen Salzen allein die Heilwirkung zuzuschreiben. Die
Mineralwassertrinkkuren beeinflussen eben den Stoffwechsel
aller unserer Organe, ohne daß wir die Art ihrer Wirkung
genau kennen. An vielen Kurorten wird durch Genuß von
sehr großen Mengen Mineralwassers eine wahre Organismus-
auswaschung vorgenommen; die derartig erhaltene ganz be-
deutende Diurese spielt natürlich eine große Rolle in der
entgiftenden Wirkung der Kur. Zugleich mit den Geweben
wird wahrscheinlich auch die Epithelzelle der Harnkanälchen
ausgeschwemmt, denn die Untersuchungen von Frey,
Mayer und Rathery, Loeb, scheinen darzutun, daß bei
namhafter Wasserdiuresse ein Teil des ausgeschiedenen
Wassers durch die Epithelien der gewundenen Harnkanäl-
chen austritt. | | |
An vielen Heilquellen sind, neben den Trinkkuren,
Bäder, Duschen und oft die Massage im Gebrauch. Nun
wirken die Bäder auf den Blutkreislauf und dadurch in-
direkt auf die Menge und die Beschaffenheit des Urins. Nach
Strasser?) und Blumenkranz vermehrt das Dauerbad von
indifferenter Temperatur (34—360) die Harnmenge in ganz
erheblicher. Weise. Die genannten beiden Forscher erklären
diese Beobachtungstatsache durch Annahme einer Nieren-
gefäßerweiterung, die von keiner Veränderung, jedenfalls
von keinem Sinken des Blutdrucks begleitet wird und die
höchst wahrscheinlich als Reflexerscheinung anzusehen ist.
Man hat sie auch als einen primären Vorgang aufgefaßt,
der dazu bestimmt ist, den auf die Hautgefäße verengernd
wirkenden Effekt des Bades auszugleichen; oder aber sie
soll einer vorausgehenden primären Nierengefäßverengerung
als Reaktion nachfolgen. Sicherlich hat jeder Hautreiz Rück-
wirkung auf das Nierenvolumen, wie das Onkometer nach-
weist, und je nach Umständen können die registrierten Ver-
änderungen positiv oder negativ sein. Heiße Bäder bewirken
ebenfalls eine Vermehrung der Harnabsonderung, aber nur
so lange ihre Temperatur nicht übermäßig hoch ist; sonst
wäre eine Nierenanämie mit gleichzeitiger Oligurie die Folge.
Bäder von indifferenter Wärme beeinflussen nicht nur
die Menge, sondern auch die Zusammensetzung des Harns.
In Fällen von akuten und chronischen Nephritiden haben
Strasser und Blumenkranz nach Anwendung solcher
Bäder Zunabme der Kochsalz- und Stickstoffausscheidung,
wenigstens vorübergehend, beobachtet.
Durch die Massage werden die in den Geweben vor-
handenen Säfte in Bewegung gesetzt; eine große Menge von
Abbauprodukten wird dadurch den Nieren zugeführt und
von diesen aus dem Körper entfernt.
Eine weitere Beeinflussung des Stoffwechsels kann
durch Obstkuren erreicht werden, die auch diuretisch
wirken. Die in den Früchten enthaltenen pflanzensauren
1) J. Bock, Ueber die Ausscheidung der Phosphate bei gesteigerter
Harnflut. (A. f. exp. Path. u. Pharm. 1908, Bd. 58, S. 227.) ;
2) Alois Strasser, Physikalische Therapie der Krankheiten der
Niere und Harnwege (physikalische Therapie in Einzeldarstellungen).
Herausgegeben von J. Marcuse und A, Strasser, Stuttgart 1906/08.
- aa Sir Pg
e It me 7° E
er en
14. Juli. | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 1145
Salze verbrennen zu Alkalicarbonaten. Die Erfolge der
Obstkuren können deshalb mit denen verglichen werden,
die durch Gebrauch .der alkalischen Heilquellen erzielt
werden; doch muß man, mit Linossier!), nicht außer acht
lassen, daß die alkalischen Mineralwässer größtenteils Na-
triumsalze enthalten, also Salze, die sich hauptsächlich in
unsern Körpersäften vorfinden, während in den Früchten
die Kalisalze, an denen die Zellen der Gewebe besonders
reich sind, überwiegen. Obstkuren werden daher vor allem
die alkalische Reaktion des Zellprotoplasmas erhöhen; und
gerade durch ihren Gehalt an Kalisalzen werden sie, wie
ich schon oben auseinandergesetzt habe, verhältnismäßig um
so stärker diuretisch wirken.
Wenn bei interstitieller oder gichtiger Nephritis die
Niere für stickstoffhaltige Abbauprodukte schwer durch-
lässig geworden ist, so könnte man versucht sein, eine er-
höhte Diurese durch Theobromin erzeugen zu wollen, ge-
stützt auf die schon oben. angeführte Erwägung. Nur ist
im Auge zu behalten, daß, nach den Untersuchungen von
Bester, Schittenhelm und Röthlisberger?), die Purin-
basen die Gesamtmenge der Harnsäure entschieden zu ver-
mehren scheinen. Deshalb ist es in solchen Fällen am vor-
teilhaftesten, eine an und für sich schon die Harnmenge
vermehrende Kost zu verschreiben und dabei alle die-
jenigen Nahrungsmittel strengstens zu verbieten, welche er-
fahrungsgemäß einen großen Gehalt an toxischen, dem von
Urämie bedrohten Kranken so gefährlichen Extraktivstoffen
aufweisen. Unter solchen Umständen ist die Gemüsekost
das beste Diureticum. Doch soll sie, um innegehalten zu
werden, eine nicht allzu strenge sein. ‘Wenn die Stickstoff-
retention nicht einen zu hohen Grad erreicht hat, darf man
Bier und Milch erlauben. Besteht hingegen erhebliche
Harnstoffretention, so muß der Kranke auf rein vegetabi-
lische Kost gesetzt werden, und zeitweise können dann auch
Obstkuren hervorragende Dienste leisten. Nur muß man
ticht vergessen, daß bei Schrumpfniere früher oder später
‚ eine allzu wasserreiche Kost gefährlich werden kann. Diese
Gefahr tritt ein, wenn mit dem Fortschreiten der Krankheit
die kompensatorische Gefäßerweiterung, welche die Anfälle
von plötzlicher Blutdrucksteigerung bekämpfen soll, allmäh-
lich unzulänglich geworden ist. v. Noorden hat schon
längst auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, und
Widal legt ihm großes Gewicht bei, indem er schreibt:
„Die genaue Regulierung der Flüssigkeitszufuhr wird viel
zu sehr vernachlässigt“. Es ist daher von großer Wichtig-
keit, im richtigen Moment die Menge der Getränke genau
zu regulieren, während der Kranke bei ausschließlicher
Gemüsekost bleibt.
Die Umstände, die eine Beschränkung der Flüssigkeits-
zufuhr gebieterisch verlangen, werden am bequemsten nach
der Methode bestimmt, die in Evian [Vaquez und Cottet3)]
gebräuchlich ist, um den Rhythmus der Diurese festzustellen.
Mit Hilfe dieser Methode erkennt man sehr leicht den Zeit-
punkt, in welchem ein Kranker, nach einer Periode von
mäßigen nächtlichen Harnentleerungen, das morgens früh
a genossene Wasser nicht mehr in der normalen
bei en Sondern trotz der günstigsten Umstände
= absoluter Bettruhe) einen Teil in seinem Organismus
z Kochert, um ihn dann erst allmählich, im Verlauf der
6 sten 24 Stunden, auszuscheiden. |
en Bei Infektionskrankheiten beschränkt sich erfah-
ssgemäß die diuretische Behandlung auf die Anwendung
en A
de Prysioih > T Te Ne de fruits (Ile Congrès international
°) P. Röthlisb i
de privat- dosent, denan on et Pathogénie de la goutte (thèse
aquez et J. Cottet, Recherches et considérations cliniques
sur à , h q
le rythme de la sécrétion urinaire (R. de méd. 10 juillet 1910).
von kalten und lauen Bädern, und auf die subcutane oder
intravenöse Einspritzung von isotonischen Salz-
lösungen. Dieselben können von reichlichen Flüssigkeits-
zufuhren per os in Gestalt von Aufgüssen, Tisanen,
unterstützt werden. Die vorzügliche Wirkung aller dieser
Heilmittel ist bekannt und unbestritten. Sie erklärt sich
aus dem, was ich schon oben gesagt habe. Die Bäder
wirken durch ihren Einfluß auf den Blutkreislauf und auf
das Nervensystem. Die Flüssigkeitsinfusionen und die reich-
lichen Getränke bewirken eine Hydrämie, die ihrerseits alle
jene Organe, welche den Körper gegen allzu große Blutver-
dünnung schützen, zu erhöhter Tätigkeit anregt. Es fragt
sich nur, ob wirklich die durch die erhöhte Diurese ge- -
steigerte Ausscheidung von Giftstoffen zur Heilung der
Krankheit wesentlich beiträgt. Nach schon ziemlich alten
Untersuchungen [Roque und Weil!), Ausset?)] scheint in
der Tat, unter Einfluß von Bädern, der Gehalt des Harns
an Giftstoffen sich zu steigern, und es wäre der Mühe wert,
diese Versuche wieder aufzunehmen. Die den Kranken be-
stimmten reichlichen Getränke bestehen gewöhnlich in so-
genannten harntreibenden Tees. Aber es ist noch streitig,
welchen Anteil die verschiedenen Drogen, die zur Bereitung
dieser Getränke benutzt werden, an der diuretischen Wir-
kung haben. Wahrscheinlich sind die ätherischen Oele des
Apium graveolens, des Fenchels, der Petersilie, des Ruscus
aculeatus, des Wacholders nicht ohne einen ganz bedeuten-
den Einfluß auf die harntreibende Wirkung, die man den
Aufgüssen dieser Pflanzen zuschreibt. Anderseits wäre der
erhebliche Gehalt an essig- und salpetersaurem Kalium der
Hauhechel (Radix ononidis), der Judenkirsche (Physalis Alke-
kengi), der Queckenwurzel (Rhizoma graminis), des Glas-
krauts (Herba parietariae) in Betracht zu ziehen. Das im
Sarothamnus scoparius enthaltene Scoparin ist ein heftig
reizender Stoff, dessen Einfluß auf die Niere wohl die Diu-
rese erklären könnte, die man nach Einnahme von Besen-
ginsteraufguß beobachtet.
II. Antiseptische Diurese. Wie bekannt, ver-
teidigen sich die Drüsen gegen eine Infektion ihrer Kanäle
und Ausführgänge durch Erhöhung ihrer secernierenden
Tätigkeit. Von dieser Regel macht die Niere keine Aus-
nahme. Deshalb werden Eiterungen der Harnwege oder
Nephrolithiasis mit Mineralwasserkuren behandelt, wobei man
hauptsächlich Wässer mit geringen Mengen von gasigen
oder festen Bestandteilen (Wildwässer) verwendet. In Fällen
von Eiterung ist aber die Anwendung von antiseptischen
Medikamenten nicht zu vernachlässigen; und wir verfügen
über eine ganze Anzahl von harntreibenden Stoffen, die zu-
gleich antiseptisch wirken. Zu diesen gehört der Bären-
traubenblättertee, Aufguß von Folia uvae ursi. Seine anti-
septische Wirkung verdankt er seinem Gehalt an Arbutin
und Methylarbutin, zwei Glykosiden, die, vielleicht unter
dem Einflusses von Nierenenzymen (Schmiedeberg), Hydro-
chinon abspalten. Kobert und Stokvis freilich schreiben
diese Umwandlung größtenteils der Wirkung der alkalischen
Reaktion des Harnes zu, der gewöhnlich ammoniakalische
Gärung zeigt.
Andere Antiseptica gehören zu den Terpenen (Ter-
pentinöl, Copaivabalsam, Kubeben, Kawa-Kawa); sie wirken
gleichzeitig diuretisch infolge von Nierenreizung. Sobald
aber diese Reizung einen gewissen Grad übersteigt, kann
Nephritis entstehen. In mäßiger Stärke erzeugt sie hin-
gegen eine vermehrte Nierendurchblutung mit Gefäßerweite-
rung, welche die Harnabsonderung begünstigt, während
gleichzeitig die desinfizierende Eigenschaft dieser Körper
ihre Wirkung entfaltet.
t) G. Roque et Weil, De l'élimination des produits toxiques dans
la fiòvre typhoide & (R. de méd. 1891, S. 753).
2) Ausset, Socióté médicale des hôpitaux de Paris, 3 Novembre 1894.
1146
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14. Juli.
Abhandlungen.
Aus der Medizinischen Klinik in Göttingen.
Syphilis und Schrumpfniere
von
‘ Prof. Dr. C. Hirsch.
Wenn auch schon Morgagni, Rayer und Andere aus-
gesprochene Nierenveränderungen bei Syphilis beschrieben
haben, so darf doch E., L. Wagner — Anatom und Kliniker
zugleich — als der wirkliche Begründer der Lehre von der
Nierensyphilis angesehen werden. Er gibt uns nicht allein
eine ausgezeichnete Schilderung der akuten, syphilitischen
Nephritis, sondern er sieht auch in der Syphilis eine Ur-
sache der Schrumpfniere. _
| Die akute syphilitische Nephritis kann schon im An-
fang der sekundären Periode zu den allerschwersten nephriti-
schen Erscheinungen führen (sehr hoher Eiweißgehalt, viele
Cylinder, Oedeme, urämische Symptome usw.). Aus ihr kann
sich natürlich auch eine sekundäre Schrumpfniere entwickeln.
‚Die Syphilis kann aber auch — wie schon Wagner
lehrte — in ganz schleichender Weise zu einer Schrumpf-
niere führen, ohne daß bei der sorgfältigsten Anamnese
irgendein Anhaltspunkt für eine vorausgegangene akute
Nephritis gefunden wird.
Es ist mir in der Sprechstunden- und Consiliartätigkeit
-schon seit geraumer Zeit aufgefallen, wie häufig uns Schrumpf-
nierenkranke begegnen, die früher eine luetische Infektion
durchgemacht haben. Dabei spielten Alkoholismus und
andere Intoxikationen oder Infektionen in ihrer Anamnese
anscheinend keine besondere Rolle. Es handelte sich zudem
fast ausschließlich um Jüngere, im dritten, vierten und fünften
Dezennium stehende Männer.
Alle boten die typischen Erscheinungen der Schrumpf-
niere (Herzbypertrophie, Hypertonie usw.).
Wagner selbst registrierte unter
syphilitischen Nierenveränderungen
Schrumpfniere. |
Auch Senator, Orth, Lancereaux, Bamberger,
Bartels und Andere führen die Syphilis als Ursache der
Schrumpfniere an.
Virchow wies schon 1852 auf die Bedeutung der
syphilitischen Infektion für interstitielle Nierenprozesse
hin. Die sypbhilitische interstitielle Nephritis sei
rein anatomisch gar nicht von nichtsyphilitischer
zu unterscheiden.
Diese Schwierigkeit bei der anatomischen Diagnose mag
auch dazu geführt haben, daß man nur dann einen ge-
sicherten ätiologischen Zusammenhang zwischen Lues und
Schrumpfniere annahm, wenn die Nierenerkrankung
mit Amyloid verbunden war.
Aschoff macht aber ausdrücklich darauf aufmerksam,
daß auch bei der syphilitischen Amyloidschrumpfniere eigent-
lich nichts für Syphilis Charakteristisches zu finden sei.
Leichter wird die anatomische Diagnose, wenn es sich
um herdförmige, interstitielle Erkrankung handelt (Ne-
phritis interstitialis chronica fibrosa multiplex).
Auf diese Form hat in neuerer Zeit Löhlein wieder auf-
merksam gemacht; er hat zugleich auf die Bedeutung einer
primären syphilitischen Gefäßerkrankung für syphilitische
Schrumpfniere hingewiesen.
Die Löhleinsche Auffassung wird gestützt durch die
Beobachtungen von einseitiger Schrumpfniere nach Syphilis
(Greene). Weigert beschrieb zwei Fälle von Nieren-
schrumpfung mit ausgesprochenen Veränderungen an den
größeren Gefäßen (Arteria renalis). Auch Herxheimer be-
richtet in seinem ausgezeichneten Referat über derartige Fälle.
In der schon erwähnten Kasuistik E. L. Wagners
finden sich auch zwei Fälle von syphilitischer Nierenschrump-
fung mit schweren Veränderungen an der Arterie,
63 Fällen mit
bereits siebenmal
In drei Fällen meiner Beobachtung waren zugleich
Veränderungen an der Aorta beziehungsweise Coronaria
klinisch nachzuweisen, die gleichfalls auf Lues zurück-
zuführen waren (Erweiterung und Elongatio aortae, Anfälle
von Angina pectoris).
In einem Falle war, bevor ich zugezogen wurde, auf
Grund der Anamnese (Lues vor acht Jahren!) und „syphilis-
verdächtiger* Veränderungen im Augenhintergrund eine
Schmierkur eingeleitet worden. Bei der Insuffizienz der
Nieren, das Quecksilber auszuscheiden, war hier eine schwere
Quecksilbervergiftung mit profusen Darmblutungen (Dick-
darmgeschwüre) aufgetreten.
Angesichts eines solchen Falles entsteht die Frage, ob
man in derartigen Fällen überhaupt etwas von einer anti-
syphilitischen Kur erwarten darf und ob der dadurch mög-
liche Schaden nicht weit größer sein kann als der zu er-
wartende Nutzen.
In meiner Darstellung der Behandlung der Nierenkrank-
heiten in dem Krause-Garröschen Handbuche bin ich
selbstverständlich auf Grund der Wagnerschen und eigner
Erfahrungen für eine vorsichtige Hg- und fraktionierte
Salvarsankur bei allen akuten und subakuten Fällen von
Nierensyphilis eingetreten. Bei Nierensymptomen im tertiären
Stadium ist natürlich auch eine Jodkur durchaus angezeigt.
Man muß aber in der Dosierung zunächst vorsichtig
sein, solange man die Störung des Ausscheidungsvermögens
der kranken Niere nicht übersieht. Also zunächst kleinere
Dosen und allmählich steigern!
Anders liegen die Dinge bei Fällen, wo der Symptomen-
komplex der Schrumpfniere das Krankheitsbild beherrscht
und andere luetische Veränderungen neueren Datums nicht
bestehen. |
In solchen Fällen empfiehlt es sich, die Vornahme einer
antiluetischen Kur zunächst von dem Ausfall der Wasser-
mannschen Reaktion abhängig zu machen.
Ueberall da aber, wo der Infekt weit zurückliegt, wo
wiederholt Kuren gemacht wurden, wo sich die Schrumpfniere
schleichend entwickelt hat, muß man sehr vorsichtig sein!
Ich bin überzeugt, daß unter den sogenannten „arterio-
sklerotischen Schrumpfnieren“ mancher Fall von syphilitischer
Schrumpfniere steckt. Und gerade hier weiß man schon
seit langer Zeit, daß die Jodtherapie oft sehr schlecht ver-
tragen wird [Jodismus, Gefabr von Lungenödem).
An einen Heileffekt des Jods bei Arteriosklerose glauben
zudem nur noch sehr wenige.
So überzeugt wir festhalten an dem mächtigen Einfluß
des Jods auf gummöse Prozesse, ebenso bedingt erkennen
wir seine Einwirkung auf ältere interstitielle Veränderungen
an. Auf Grund von merkwürdigen Erfahrungen bei inter-
stitiellen specifischen Leberveränderungen will ich sie aber
durchaus nicht allgemein bestreiten.
In den Fällen, wo die Nierenschrumpfung Folge einer
schweren Veränderung der großen Gefäße ist, wird man
aber von einer antisyphilitischen Kur nicht mehr viel er-
warten dürfen.
Wenn Virchow schon unterschied zwischen specifischen
und unspecifischen Gewebsveränderungen bei Lues, so sind
es hier gerade die dauernden Bindegewebsveränderungen,
die fibrösen Hyperplasien, die uns hier interessieren. Die
neueren anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Unter-
suchungen, belehren uns immer mehr über die große Be-
deutung des „Zwischengewebes“ für das Organparenchym.
Die ganz ähnliche Reaktion dieses Gewebes auf alle mög-
lichen toxischen und infektiösen Schädigungen mit nach-
folgender allgemeiner Organschädigung weist eindringlich
darauf hin, daß in dieser „Anfälligkeit“ auch zugleich seine
vitale Bedeutung für das Gesamtgewebe, das heißt auch für
das Epithel des Organs, gegeben erscheint,
see
14. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1147
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Bei den vorwiegenden Bindegewebsveränderungen hat
man sich schon längst daran gewöhnt, von einer chroni-
schen Giftwirkung zu sprechen. Und speziell bei den nach-
syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems, wo
Untergang von specifischen Systemelementen und Binde-
gewebsvermehrung Hand in Hand gehen, hat man sogar
den Begriff einer sogenannten „metasyphilitischen“ Er-
krankung statuiert. Also eine besondere, späte Giftwirkung.
Hier entsteht sofort die Frage, ob das primäre Gift in dem
Organismus mit der Zeit eine Aenderung erfuhr oder ob die
Schädigung mehr als eine indirekte (durch Schädigung ge-
wisser drüsiger Organe, der inneren Sekretion, der inter-
mediären Stoffwechsel; man hat ja auch neuerdings bei der
Arteriosklerose wieder mehr für eine „chemische“ als für
eine ausschließliche Abnutzungstheorie plädiert) aufzufassen
sei, das heißt, ganz klar ist der Begriff der Metasyphilis nie
zu fassen gewesen. Er erinnert mich immer an Metaphysik.
Wie Lewandowsky mit Recht betont, ist der Begriff der
metasyphilitischen Erkrankungen um so schwieriger geworden,
als der häufige positive Ausfall der Wassermannschen
Reaktion bei Tabes und progressiver Paralyse festgestellt
wurde.
Klinische Beobachtungen scheinen mir dafür zu sprechen,
daß wir auch in den drüsigen Organen (Leber, Niere) mit
solchen luetischen Späterkrankungen rechnen müssen. Die
diffusen hyperplastischen Processe im interstitiellen Gewebe
mit „Organschrumpfung“ gehören wohl zum Teil hierher.
Marchand hat bekanntlich auf die Möglichkeit einer syphi-
litischen Ursache beginnender diffuser Lebereirrhose (speziell
des sogenannten Morbus Banti) hingewiesen. Aehnliches mag
auch für die Pathologie gewisser Formen von Schrumpfniere
zutreffen. Bei der Bedeutung des „interstitiellen“ Gewebes
für das eigentliche Drüsengewebe erscheint das auch durch-
aus plausibel. Weigert und vor allem Ribbert haben uns
ja in ihren wichtigen Untersuchungen besonders eindringlich
auf die Bedeutung der interstitiellen Erkrankungen für das
Gesamtorgan hingewiesen.
Man wird auf die Arbeiten von Roux über Gewebs-
mechanik und auf Merkels Untersuchungen über das Binde-
gewebe zurückgreifen müssen, um klarere Vorstellungen
von sogenannten Parenchymschädigungen zu erhalten,
die anscheinend spät, das heißt langsam einsetzen und
einen unaufhaltbar fortschreitenden Proceß darstellen.
Literatur. Aschoff, Lehrbuch der path. Anatomie. I. Aufl. —
Herxheimer, In Lubarsch-Ostertags Ergebnisse. XI. Jahrgang. I. Abt. 1906. —
Kaufmann, Patholog. Anatomie. VI. Aufl. — Fr. Müller, Referat über Morbus
Brigthii auf der Meraner Tagung der Deutschen pathologischen Gesellschaft. —
Neumann, Syphilis in Nothnagels Handbuch. — Senator, Die Nieren-
erkrankungen in Nothnagels Handbuch. — E. L. Wagner, Der Morbus Brigthii
in von Ziemssens Handbuch.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der inneren Klinik (Direktor: Prof. Treupel) des Hospitals
zum heiligen Geist in Frankfurt a. M.
Die röntgenologischen Symptome der nicht-
chirurgischen Magenerkrankungen
von
Dr. Franz M. Groedel,
Vorstand des Röntgenlaboratoriums der Klinik und Arzt in Bad Nauheim,
und
Dr. Ed. Schenck,
Oberarzt der Klinik.
(Mit einer Tafel.)
Die Diagnostik jener Magenerkrankungen, die ein chirurgi-
sches Eingreifen erfordern, ist von jeher von Seiten der Röntgeno-
logen besonders gefördert worden. Anders die nichtchirurgischen
Magenerkrankungen, also — abgesehen von den rein nervösen
Formen — die Ptose, Ektasie und Dilatation des Magens, wie auch
die Sekretionsstörungen.
Daß speziell die große Gruppe der unter dem Namen Ptose
und Ektasie zusammengefaßten Magenaffektionen lange Zeit rönt-
genologisch nicht näher erforscht wurde, erklärt sich wohl aus der
bis vor wenigen Jahren bestehenden Unsicherheit bezüglich der
normalen Form des im Stehen röntgenuntersuchten gesunden Magens.
Erst nachdem jetzt eine endgültige Lösung dieser Frage in dem
Sinn erreicht sein dürfte, daß die von Rieder beschriebene Haken-
form respektive die Siphonform (Groedel) des Magens für den
Erwachsenen durchaus als normal zu bezeichnen ist, können auch
die pathologischen Formveränderungen des Magens mit Erfolg dis-
tiert werden.
Wohl der erste Autor, der sich mit dieser Frage befaßte,
var der eine von uns (Groedel). In zahlreichen Arbeiten hat der-
selbe Im Laufe der letzten vier Jahre die Ansicht vertreten, daß
"ir röntgenologisch eine Gastroptose nicht anerkennen können, daß
sich nur eine Pyloroptose vorfindet, daß die Gastrektasie weiter-
hin sich in zwei Formen nachweisen läßt, als mechanische Ektasie
und als atonische Ektasie; daß endlich von der Ektasie scharf zu
trennen ist die Dilatation = Volumvergrößerung des Magens.
„Dieses Einteilungsschema ist von verschiedener Seite be-
ih von manchen Autoren auch modifiziert worden. Im Ver-
Altnis-zur Wichtigkeit der Frage, besonders für den Internisten,
sind aber die vorliegenden Mitteilungen doch spärlich zu nennen.
I beschlossen daher, eine gemeinsame Nachprüfung an möglichst
umfangreichem Material vorzunehmen, über deren Ergebnis wir im
olgenden berichten wollen. |
Di Ta Gang der Untersuchung sei zunächst kurz skizziert.
lo Fatienten wurden stets von dem einen von uns klinisch genau
untersucht. Dann wurde die Röntgenuntersuchung ohne Kenntnis
der klinischen Erhebungen ausgeführt und endlich die beiden Proto-
kolle verglichen. Bei der klinischen Untersuchuug wurde der
Magen nach den verschiedenen Methoden perkutiert, palpatorisch
und mittels Sonde untersucht. Die röntgenologische Untersuchung
erstreckte sich in Sonderheit auf das Eintreffen des ersten Bissens
im Magen, seine Wanderung zum kaudalen Pol, die allmähliche
Anfüllung des Magens, die Form des mit der Normalmahlzeit ge-
füllten Magens im Stehen und Liegen respektive die Verschieb-
lichkeit des Magens in toto, wie auch seiner einzelnen Teile.
Auf alle Einzelheiten unserer Beobachtungen können wir
nicht näher eingehen. Es sei jedoch voraus bemerkt, daß sich die
klinischen und röntgenologischen Befunde nur bis zu einem ge-
wissen Grade decken, worüber der eine von uns (Schenck) auf
dem letzten Kongreß für innere Medizin berichtet hat.
Wir haben für einzelne Krankheitsgruppen stets wieder-
kehrende typische röntgenologische Symptome feststellen können,
die wir an Hand der halbschematischen Abbildungen der beiliegen-
den Tafel erörtern wollen. Es bedarf aber sicherlich keiner be-
sonderen Erwähnung, daß sich häufig auch Uebergänge von einer
zur andern Krankheitsform aus den Röntgensymptomen erkennen
lassen, auf die im Einzelnen einzugehen unmöglich ist.
Wir beginnen mit der Schilderung der Verhältnisse beim
normalen Magen. Es erscheint hier der erste Bissen, der auf
nüchternen Magen genommen wird, als breiter mit der Spitze nach
unten gerichteter Keil (siehe Tafel Kolonne I, Bild a) am Boden
der Magenblase. Letztere stellt ein quergestelltes, nach unten
mehr geradlinig begrenztes Oval dar. Hier verweilt der erste
Bissen in der Regel nur wenige Sekunden und wandert dann lang-
sam in Form eines dicken Iropfens zum unteren Magenpol (I, b).
Die nächstfolgenden Bissen gelangen schneller nach abwärts und
schichten sich über dem ersten Bissen auf, sodaß meist schon
nach sechs bis acht Bissen (etwa 150 g) der Magen in seiner
ganzen Länge sichtbar ist (I, c). Erst bei weiterer Nahrungs-
zufuhr wird der Magen transversal verbreitert, die große Kurvatur
rückt von der kleinen weiter ab (I, d) und es entsteht die bekannte
Haken- oder Siphonform. Der normale Tonus der Magenmusku-
latur sorgt somit stets für einen innigen Kontakt zwischen Magen-
wand und Inhalt. Während der Magenfüllung muß der Tonus
reflektorisch dauernd wenig herabgesetzt werden. Als Zeichen
normaler tonischer respektive peristolischer (Stiller) Funktion des
Magens gilt die Sichtbarkeit aller Magenteile die totale Auf-
füllung des Magens nach Zuführung einer Normalröntgenmahlzeit
(Groedel). Weiterhin erkennen wir die Wirkung des normalen
Muskeltonus bei der seitlichen Durchleuchtung und bei der Unter-
suchung im Liegen. Bei seitlicher Durchleuchtung erscheinen die
oberen Magenpartien stärker ausgedehnt als die unteren; der Magen
verteilt also seinen Inhalt derart, daß die Pylorusgegend den gc-
1148 l 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
ringsten Druck auszuhalten hat, wofür ja auch nach den Unter-
suchungen des einen von uns schon die siphonartige Form des
Magens sorgt. Im Liegen sehen wir eine wesentlich andere Magen-
gestalt wie im Stehen (I, e). Hier nimmt der Magen eine San-
dalen- oder Hornform an. Sein kaudaler Pol steht weit oberhalb
des Nabels, die Schattenfläche erscheint viel kleiner, der Pylorus
wird nur sehr wenig verschoben. Diese Erscheinung kann nur so
gedeutet werden, daß der Magen eine Drehung um eine ideelle,
von der Kardia zum Pylorus verlaufende Achse ausführt, wodurch
der kaudale Pol nach der Wirbelsäule zu verlagert wird.
Bei Hypersekretion sehen wir zunächst ein schnelleres
Vordringen der Speisen im nüchternen Magen. Infolge der vor der
Nahrungsaufnahme bereits abgesonderten oder verschluckten Sekret-
und Speichelmengen oder infolge der bei Beginn der Mahlzeit ver-
stärkt und abnorm schnell einsetzenden Magensaftsekretion ist der
anfängliche Widerstand des normal tonischen Magenmuskels herab-
gesetzt. Die Kontrastmahlzeit fließt leicht in den Magen ein, wie
etwa dicker Sirup in Wasser (II, a) und sammelt sich dann am
unteren Ende des Magens mit horizontalem Niveau an (II, b).
Längere Zeit sehen wir nur die unteren Magenpartien mit Brei
gefüllt (II, c) und selbst bei Zufuhr der Normalmahlzeit bleibt
stets eine schattenfreise oder schattenschwächere Zone zwischen
dem Breischatten und der Magenblase bestehen (II, d). Unter-
suchungen von Schlesinger haben gezeigt, daß diese „inter-
mediäre Zone“ durch Magensekret hervorgerufen wird, das also
während der Magenfüllung nach oben steigt und sich dem Röntgen-
brei auflagert. Bei der Untersuchung in horizontaler Körperlage
verschwindet aus leicht begreiflichen Gründen die Intermediärzone
(II, e) und es erscheint dasselbe Bild wie beim normal secernieren-
den Magen.
Seltener läßt sich die Achylie durch die Röntgenbeobachtung
feststellen. Als einziges charakteristisches Merkmal können wir
die verlangsamte Füllbarkeit des Magens nachweisen. Während
bei Hypersekretion der erste Bissen infolge der größeren Wand-
feuchtigkeit den Magen leichter entfalten kann, ist sein Eindringen
bei Achylie erschwert (II, b). Ist aber die Magenwand einmal
durch den Chymus benetzt, dann gelangen die folgenden Bissen
(III, c) in normaler Weise in den Magen, dessen Form sich weder
bei Untersuchung im Stehen (III, d), noch im Liegen (III, e) von
der Normalform unterscheidet.
Als konstitutionelle Formanomalie des Magens wäre zunächst
der vollkommen vertikal gestellte Magen zu nennen, wie wir ihn
bei asthenischem Habitus und überhaupt bei mageren Individuen
sehen. Infolge der im Verhältnis zur Körpergröße geringen
Breite des Abdomens liegen Kardia und Pylorus dicht neben der
Körpermittellinie, sodaß der Magenschlauch einen größeren Bogen
beschreiben muß. Selbstverständlich wird hierdurch der Füllungs-
vorgang, die Beweglichkeit des Magens usw. in keiner Weise
verändert.
Meist oder wenigstens sehr häufig finden wir aber bei solchen
Personen nicht nur eine anormale Gestaltung der Leibeshöhle,
sondern auch anormale Lageverhältnisse der verschiedenen im
Abdomen befindlichen Organe, die kaudalwärts verlagert sind. Bei
diesen Patienten mit enteroptotischem Habitus ist dann der untere
Magenpol weniger gut gestützt und der Magen wird in der Längs-
richtung stärker ausgedehnt. Wir erkennen die reine mecha-
nische Ektasie bereits an der Formation des ersten Bissens in
der Magenblase, während die letztere selbst in sehr charakteristi-
scher Weise klein und rund erscheint. Der erste Bissen nimmt
die Form eines besonders langen und spitzen Keils an (IV, a),
wandert aber in der üblichen Weise nach unten (IV, b). Nach
vollendeter Füllung (IV, d) sehen wir dann, daß der Magen in toto
in der Längsrichtung ausgedehnt und dementsprechend in den
Breitendimensionen verschmälert ist. Jedoch ist er — und das
ist der wesentlichste Punkt — in allen seinen Teilen durch den
Röntgenbrei ausgefüllt. Wenn wir endlich bei solchen Patienten
auch im Liegen (IV, e) eine Hakenform finden, so ist dies ohne
weiteres so zu deuten, daß der Magen im abnorm schmalen Ab-
domen keine Möglichkeit besitzt, sich gleich dem normalen Magen
um seine ideelle Längsachse zu drehen. Ä
Eine andere häufige Eigentümlichkeit der Abdominalorgane
bei enteroptotisch-asthenischem Habitus ist ihre mangelhafte Fixation
respektive ihre abnorme Beweglichkeit. Wir finden infolgedessen
bei derartigen Patienten die einzelnen Organe mehr oder weniger
ptotisch. Auch der Magen nimmt an dieser Ptose Teil, aber —
was bei richtiger Würdigung der Fixationsart des Magens ohne
weiteres klar sein dürfte — nicht in seiner Gesamtheit, sondern
nur mit seinem pylorischen Teil (Groedel). Nur der Pylorus wird
14. Juli.
sich entsprechend seiner relativ geringen Fixation kaudalwärts
verlagern können. Am Durchleuchtungsschirme sehen wir daher
— der Entfaltungs- und Füllungsakt ist natürlich unverändert —
auch den Pylorus abnorm tief stehen (V, d) und die Umbiegungs-
stelle der kleinen Kurvatur oft unterhalb des Nabels. Die Frage,
ob der Tiefstand des Pylorus nur die seltenere Folge einer Steil-
stellung der Leber ist oder aber auf einer mangelhaften Pylorus-
fixation beruht, läßt sich durch die Beweglichkeitsprüfung leicht
eruieren. Im letzteren Falle nämlich wird der Pylorus unter dem
Einflusse der Bauchpresse weit nach oben verlagert, sei es, daß
wir den Leib vom Patienten aktiv einziehen lassen oder passiv
von links unten her mittels des Glenardschen Handgriffs den
Magen nach oben schieben. Wohl am einwandfreiesten fällt aber
die Probe aus, wenn wir das Resultat der Vertikaluntersuchung
mit dem der Horizontaluntersuchung vergleichen. Dann finden
wir, daß bei Pyloroptose der Pylorus im Liegen weit höher steht
als im Stehen.
Jedoch ist auch die isolierte Pyloroptose sehr selten.
Meist ist sie vielmehr mit der oben (1V) beschriebenen
mechanischen Ektasie verbunden, sodaß wir dann die Röntgen-
symptome beider Krankheitsgruppen (VI) vor uns sehen. Es ent-
spricht wohl auch dieser Symptomenkomplex am besten dem
klinisch als Gastroptose bezeichneten Krankheitsbild. Ob sich
dieses häufiger auf Basis der Pyloroptose oder der mechanischen
Ektasie entwickelt, müssen wir dahingestellt sein lassen. Werden
die ursächlichen Momente beseitigt, nimmt also die Breiten-
dimension des Abdomens zu, wird das Abdomen durch Fettansatz
besser ausgepolstert, der Stützapparat des Magens voluminöser
oder wird der Aufhängeapparat des Pylorus gekräftigt, dann
stellen sich wieder vollkommen normale Verhältnisse ein.
Während der Magen bei der mechanischen Ektasie (respek-
tive der Gastroptose, i. e. mechanische Ektasie plus Pyloroptose)
vollkommen normaltonisches Verhalten zeigt und nur durch die
anormalen Stütz- respektive Belastungsverhältnisse unter dem
Einfluß der Schwerkraft seiner Kontenta in der Längsrichtung
stärker als normal ausgedehnt wird, sehen wir bei mangelhaftem
Muskeltonus außerordentlich typische Röntgensymptome auftreten.
Schon beim Eindringen des ersten Bissens in den Magen wird der
verminderte Entfaltungswiderstand des Magens an dem regellosen
Einfließen der Röntgennahrung erkenntlich. Es bildet sich kein
Speisenkeil. Der Kontrastbrei fließt vielmehr als zerrissenes
Schattenband von der Magenblase aus nach unten (VII, a) und
sammelt sich sehr bald unter Bildung eines horizontalen Niveaus
als schmale quergestellte Schattensichel über dem kaudalen Magen-
pol an (VII, b). Auch die nachfolgende Nahrung gelangt außer-
gewöhnlich schnell zu den tiefer gelegenen Magenpartien und
schichtet sich nicht wie beim normotonischen Magen schon früh-
zeitig bis zur Magenblase übereinander. Infolgedessen wird lange
Zeit (VII, c) hindurch nur der Magensack angefüllt, während auf-
und absteigender Magenteil leer bleiben. Selbst nach Zuführung
der ganzen Normalmahlzeit (VII, d) ist der Magen noch nicht voll-
kommen mit Röntgenspeisen ausgefüllt. Während so unter dem
Einfluß der Speisenbelastung eine abnorme Breitendehnung bei
gleichzeitig verminderter Höhenentfaltung des Magens statthat,
erscheinen gleichzeitig die oberen Magenpartien außergewöhnlich
stark durch Luft ausgedehnt. Die Magenblase ist — ohne Hoch-
stand des Zwerchfells — stark vergrößert, und zwar hauptsäch-
lich verlängert und zeigt eine Keilform, wobei die Spitze des
Keils pyloruswärts gerichtet ist. Es entsteht schließlich eine Art
Sanduhrform, und zwar ist die untere Sanduhrkugel durch den
Nahrungsbrei, die obere mit Luft ausgefüllt. Durch mechanische
äußere Beeinflussung des Magens wird zwar der Mageninhalt nach
oben gedrängt. Im Gegensatz zur mechanischen Ektasie bleiben
aber selbst dann die oberen Magenteile minder gut gefüllt. Trotz-
dem wird bei ausschließlich röntgenographischer Beobachtung die
atonische Ektasie leicht übersehen, weil aus dem Andrängen
des Abdomens an die Kassette eine starke Veränderung der
Raumverhältnisse des Abdomens resultiert. Endlich ist noch zu
erwähnen, daß wir auch bei der Untersuchung im Liegen (VII, e)
den verminderten Tonus der Magenmuskulatur erkennen, und zwar
an der unregelmäßigen Gestaltung des Magenschattens. Meist
sammelt sich der Brei in der linken Hypochondriumgegend an —
es kann dann eventuell ein abnorm .kleiner Magen vorgetäuscht
werden — oder er erscheint in zwei unregelmäßig geformten
Schattenflächen links und rechts neben der Wirbelsäule.
° Während, wie erwähnt, die mechanische Ektasie in der Regel
die Folge einer Konstitutionsanomalie ist und die Frage, ob es
sich um einen pathologischen Zustand oder nur um eine zwar anor-
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1150 | | 1512 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. | 14. Julı
male, aber doch physiologische Magenform handelt, häufig kaum zu
lösen ist, handelt es sich bei atonischer Ektasie stets um einen
pathologischen Magenzustand. Das geschilderte Röntgenbild ent-
spricht wohl ziemlich der klinischen Gastrektasi. Nur ist zu
bemerken, daß der für die letztere postulierte Tiefstand des kau-
dalen Poles durcbaus nicht immer im Röntgenbild nachweisbar ist,
besonders dann nicht, wenn es sich um eine einfache Alters-
erscheinung handelt, die übrigens auch oft ohne subjektive Er-
scheinungen zu bestehen scheint. Tiefstand des kaudalen Magen-
pols (bei Untersuchung im Stehen!) spricht vielmehr meist für
das gleichzeitige Bestehen einer Pyloroptose (VILI, a-e). Im
Gegensatz zur reinen atonischen Ektasie — der häufigen Alters-
erscheinung — entsteht die mit Pyloroptose kombinierte atonische
Ektasie wohl in der Regel auf Basis einer lange bestehenden
mechanischen Ektasie respektive einer primären Pyloroptose.
Es sei auch hier besonders betont — ausführlicher hat der
eine von uns (Groedel) auf dem letzten Kongresse für innere Medizin
hierüber berichtet — daß die Motilität des Magens in keinem
direkten Verhältnis zu seiner Form steht, daß für die bisher auf-
geführte röntgenologische Gruppierung entsprechende Entleerungs-
und Bewegungsnormen nicht aufgestellt werden können. Und das
dürfte ja auch der früheren klinischen Erfahrung entsprechen.
Umgekehrt läßt sich sagen, daß bei mäßiger Mageninsuffi-
zienz (IX, a—e) röntgenologisch keinerlei Abweichungen vom Ver-
halten des normalen Magens festgestellt werden kann. Selbst In-
suffizienz zweiten Grades manifestiert sich im Röntgenbilde meist
nur durch verstärkte peristaltische Bewegungen des gefüllten
Magens. Erst wenn bei längerer Stagnation des Mageninhalts der
Magenmuskel erlahmt, sehen wir die anfänglich verstärkten Magen-
bewegungen sistieren und das Bild der’ Magendilatation auftreten
(X, d).
Besonders ausgeprägt finden wir natürlich die Symptome der
Magendilatation bei Insuffizienz dritten Grades. Schon an
der Art, wie der erste Bissen in den Magen gelangt, erkennen wir
die dauernde Erweiterung des Magens. Es bilden sich keine Speisen-
keile, da jeder Widerstand fehlt. Die Nahrung fällt vom Magen-
eingang aus senkrecht zum kaudalen Pole hinunter (X, a) und
breitet sich hier sofort unter Bildung eines horizontalen Niveaus
aus (X, b). Weitere Nahrungszufuhr bewirkt nur geringe Schatten-
zunabme (X, c) und selbst die Normalmahlzeit scheint wie Flüssig-
keit in einer weitbauchigen Flasche nur die untersten Magenpartien
auszufüllen. Die Untersuchung im Liegen zeitigt noch weit un-
regelmäßigere Bilder (X, e), als wir sie bei der atonischen Ek-
tasie fanden.
Es wäre noch kurz zu besprechen, wieweit das von uns
aufgestellte Schema der Röntgensymptome einiger wichtiger nicht
chirurgischer Magenerkrankungen mit den Angaben anderer Autoren
übereinstimmt. In dieser Beziehung können wir sagen, daß die von
dem einen von uns (Groedel) seinerzeit vorgeschlagene Einteilung
durchaus berechtigt erscheint und auch durch die weitere Beobachtung
bekräftigt wird, wie sich ja auch schon zahlreiche Autoren mehr
oder weniger zustimmend geäußert haben. Dagegen zeigen unsere
Untersuchungen, daß die röntgenologische Gruppierung Schle-
singers, in hyper-, normo-, hypo- und atonische Magenform durch-
aus unhaltbar ist. Denn unsere Beobachtungen haben auch neuer-
dings wieder ergeben, daß die Magenform keineswegs ausschließ-
lich vom Tonus des Magenmuskels bedingt wird, daß vielmehr für
dieselbe auch die Raumverhältnisse des Abdomens und die Wir-
kungsart der verschiedenen Stützapparate von ausschlaggebender
Bedeutung sind.
Zusammenfassend wäre als Ergebnis unserer Untersuchungen
folgendes zu sagen. Die Sekretionsverhältnisse des Magens
können mit Hilfe der Röntgenmethode nur sehr wenig geklärt
werden. Die Hyposekretion ist selten röntgenologisch zu er-
kennen, und zwar an dem verlangsamten Eindringen der Speisen
in den Magen. Häufiger ist die Hypersekretion zu diagnosti-
zieren, wenn wir ein anormal schnelles Eindringen der Speisen in
den nüchternen Magen und eine intermediäre Zone am gefüllten
Magen feststellen können. Die klinisch als Gastroptose be-
zeichneten Fälle lassen sich durch die Röntgenuntersuchung in
verschiedene Gruppen einteilen. Als vollkommen physiologische
Form ist der vertikal stehende Magen bei asthenischem Habitus
zu bezeichnen. Ist dabei gleichzeitig der Dünndarm nach unten
verlagert, so wird der gefüllte belastete Magen in der Längs-
richtung ausgedehnt. Diese „mechanische Ektasie“ macht
nicht immer Beschwerden und es ist oft schwer zu entscheiden,
ob bereits pathologische Verhältnisse vorliegen. In der Regel ist
die mechanische Ektasie mit einer erhöhten Beweglichkeit des
.
-
Pylorus kombiniert und wir finden dann diesen bei gefülltem Magen
sehr tief stehen (Pyloroptose). Es entspricht wohl dieses Röntgen-
syndrom am meisten dem klinischen Bilde der Gastroptose. Bei
dem klinisch als Ektasie bezeichneten Krankheitsbilde finden wir
die Zeichen einer Atonie des Muskels und infolgedessen eine (ato-
nische) Ektasie des gefüllten Magens, vorwiegend in der Breiten-
dimension. Als Dilatation ist dagegen die dauernde Erwei-
terung des Magens — also auch im nüchternen Zustande — zu
bezeichnen, die wir vorwiegend bei Insuffzienz dritten Grades
finden.
Ueber Asthma
von
Sanitätsrat Dr. Cholewa, Nauheim.
Eine der wunderbarsten Erscheinungen in dem Gebiete der
Klinik ist wohl die Hartnäckigkeit, mit welcher der Broncho-
spasmus Biermers seine führende Rolle in der Lehre vom Asthma
bis in die neueste Zeit behauptet hat. Er wirkt faszinierend und
besonders auf diejenigen, die sich über Forderungen, wie sie
Professor v. Krehl auf dem vorigen Kongreß für Innere Medizin
in seinem Konstitutionsbegriffe zusammenfaßte, hinwegzusetzen
belieben. |
In dem Referat fordert v. Krehl für jede Hypothese, die
Anspruch auf heuristischen Wert macht, eine anatomische Grund-
lage, auf welcher die krankhaften Funktionen der Organe sich
physiologisch begründet abspielen. Im allgemeinen trifft dies be-
kanntlich bei dem Biermerschen Bronchospasmus nicht zu und
man hat deshalb neuerdings das Bedürfnis empfunden, ihm durch
. eine Verknüpfung mit einem Teilbegriff der Konstitution, der
Diathese, in seiner Unzulänglichkeit zu Hilfe zu kommen.
Vor allem sind es drei Richtungen, die sich hierbei den
Rang streitig machen, die Vagotonie, der eosinophile Katarrh und
die vasomotorisch sekretorische Neurose. Alle drei aus der Empirie,
das heißt aus der Beobachtung am Krankenbett hervorgegangen,
haben das Bestreben, Syndrome des Asthmas als ätiologische
Momente desselben zu verwerten. |
Wenn Poßelt hierbei nun versucht, die maßgebende Stellung
der Nasenpolypen in dem ätiologischen Gruppenbilde des Asthma
zu bezweifeln, so tut er dies eben auf Kosten der Empirie. Die
Ansicht an sich mag gelten, seine Motivierung ist aber grundwegs
falsch. Denn wenn Poßelt behauptet, daß ungezählte Mengen
von mit Nasenpolypen versehenen Individuen nie an Asthma leiden,
so zeigt die „Empirie“, daß es nur wenige Asthmatiker gibt, die
nicht ein oder das andere Residuum entzündlicher Nasenaffektionen
aufzuweisen haben. Der Vorwurf, den Poßelt den Polypen gegen-
über macht, ist ebenso zutreffend für die Vagotonie, den eosino-
philen Katarrh und für seine eigne Theorie. Es wird immer
Asthmafälle geben, die ein oder das andere dieser — Syndrome
vermissen lassen, deren ätiologische Bedeutung jedenfalls nicht der
der Polypenbildung gleichwertig an die Seite zu setzen ist. Denn
wir dürfen nicht vergessen, daß nicht der Polyp an sich für die
Asthmaattacke in Betracht kommt; sondern die chronische Ent-
zündung des Nasenskeletts, der er sein Dasein verdankt. Sie ist
es, die jene vasomotorische Empfindlichkeit mit sich bringt, die
wir bei keinem Asthmatiker vermissen und die auch bei ver-
wandten Affektionen, wie dem Heuasthma, eine große Rolle spielt.
Die Schleimhaut der Nase ist bekanntlich kraft ihres Schwell-
körperreichtums von einschneidender Wichtigkeit für vasomoto-
rische Reflexe im autonomen Nervensystem. Seit der Entdeckung
Heads kann hierüber kein Zweifel mehr sein. Ist sie atrophiert,
wie bei der Ozaena genuina, sind Knochen und Markräume ge-
schwunden und die nervösen Strata auf ein Minimum reduziert,
so sehen wir keine Polypen sich bilden, aber auch Asthmaattacken
sind bei solchen mit Ozaena behafteten Individuen von der größten
Seltenheit. Ein besserer Beweis für die ätiologische Wichtigkeit
der Polypen kann wohl kaum erbracht werden, von den thera-
peutischen Erfolgen nasaler Behandlung ganz zu schweigen. Es
geht infolgedessen nicht an, die Polypenbildung, wie es Poßelt
tut, als Quantité négligeable zu behandeln. Diese von der Nasen-
schleimhaut dominierte Reflextätigkeit muß selbstverständlich bei
chronischer Entzündung derselben sich stärker geltend machen
und wir sehen in der Folge sehr häufig Zustände auftreten, die
als vasomotorische Neurasthenie von einschneidender individueller
Bedeutung für das erworbene Asthma sind. Es geht hieraus
hervor, daß die allgemein sanktionierte „neuropathische Veranlagung
der Asthmatiker die Folge einer akuten Infektionskrankheit, bier
der Influenza, sein kann, welche erworben respektive vertieft wird
ein
CPEE. CTS, STR, re A aan er
14, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1151
und somit ein Faktor in den Vordergrund tritt, ohne den weder
die Vagotonie noch die vasomotorische sekretorische Neurose
Poßelts zu verstehen ist.
Die „Neuropathie“* der Asthmätiker zeigt sich gemäß den
Lehren der Vagotonie hauptsächlich in einer außerordentlichen
Labilität der Vasomotoren. Dieselbe gipfelt in einer großen Ueber-
empfindlichkeit gegen Reize jeglicher Art, nicht allein in den vom
Vagus innervierten Organen, sondern des ganzen pereipierenden
Nervensystems, die Psyche nicht ausgeschlossen, Für diese über-
große Reizbarkeit würde es falsch sein, eine Schwäche des Vagus,
als Nervengruppe gedacht, anzunehmen, vielmehr müssen wir an
einseitig verstärkte, sich momentan äußernde Sympathicusaction
denken, sofern diese Idee wenigstens für den Asthmaanfall anato-
misch und physiologisch haltbar ist. Daß dies in der Tat der Fall
ist, hat uns von Cyon durch seine Untersuchungen über den
Verlauf des Nervus depressor gezeigt. Durch ihn wissen wir, daß
der Depressor außer seiner Verknüpfung mit dem Nervus laryngeus
superior noch eine dritte Wurzel besitzt, welche direkt in den
Ganglion supremum des Sympathicus eintritt und sich im Central-
organ verliert. Es liegt hiernach der Gedanke nahe, daß bei
Reizungen des Nervus depressor durch den irgendwie erhöhten
Blutdruck im Bulb. aortae respektive der Pulmonalarterie die
gewöhnliche Wirkung der Depressorreizung ausbleibt und dafür
das Gegenteil eintritt. ‚Seine Hauptleistung, die Herabsetzung des
Tonus im Splachnicusgebiete, wird nicht nur nicht vermindert, sondern
muß immens verstärkt und durch eine hinzutretende Accelerans-
reizung verallgemeinert werden.
Daß dieses kein physiologischer Saltomortale meinerseits, sondern
ein experimentell sicher gestelltes Faktum ist, hat uns Langley be-
wiesen. In seiner Studie „On the union of Cranial autonomic fibres
(visceral fibres) with the nerv cells of the superior cervical ganglion“
berichtet er über folgenden Versuch. Langley verband das centrale
Ende des durchschnittenen Nervus vagus mit dem peripheren Ende des
Sympathieus und brachte eine Verwachsung zustande. Bei Reizung des
centralen Vagusendes oder seiner Wurzeln im Hirn erhielt er dann alle
die Effekte, welche sich sonst bei Reizung des Halssympathicus einstellen.
Er fährt dann fort: „Some X. fibres must change their function, there
is reason to think that some of the inhibitory fibres of the heart become
motor (accelerans) fibres after the union with the cervical sympathetic.“
Er fährt dann fort: „Probably some of the dilatator fibres had changed
their function and become vasoconstriotor nerves.“ Er, Langley, schließt
seine Studie mit den Worten: „I conclude that the function of autonomic
nery fibres, depends not so much upon its inherent properties as upon
the nerv-cells with which it has an opportuinty of becoming connected
in the proceß of development.“
Es geht aus diesen Darlegungen hervor, daß bei einem an
sich labilen vasomotorischen Nervensystem, zum Beispiel bei einem
Vagotoniker, eine solche Variante des Depressorverlaufs ganz
unvorhergesehene Wirkungen auslösen muß. Die Spannung im
Gefäßsystem wird eine derartige werden, daß nicht allein eine
Summation der Reize, sondern schon die geringsten Veränderungen
im Blutdruck einen Reiz für den Depressor bilden werden. Seine
Reizschwelle bleibt konstant erniedrigt und er wird infolgedessen
auf Reize reagieren, die sonst für das vasomotorische Centrum
scheinbar wirkungslos sind.
Daß diese Reize nicht bloß dem Vagusgebiete zu ent-
sprechen brauchen, versteht sich von selbst. Jeder sensible Reiz
wie Jeder psychogene Reiz genügt hierfür; aber auch Reizquoten
von geringem Umfange, wie eine borometrische Depression, ein
Odeur, ein mit.Unlustgefühl verknüpftes Erinnerungsbild werden
mit starkem Ausschlage vom Erfolgsorgan beantwortet werden.
n allgemeinen wird sich der Haupteffekt naturgemäß im Splach-
Weusgebiet abspielen. Der Tonus desselben wird immens ver-
stärkt werden, und die aus dem Darmgebiete verdrängte Blutsäule
wird sich in das regulatorische Blutreservoir der Lungen und in
das Capillargebiet der äußeren Haut flüchten. Binnen einer Minute
muĝ dio Capacität der Lungen erschöpft und die Lungenblutsäule
in ihrer Bewegung stark gehemmt sein. Das Herz muß mit
eberdruck arbeiten, bis der linke Ventrikel sich insuffizient er-
weist, und da er nun schlechter schöpft, wird sich die Blutmasse
im linken Vorhof und der Pulmonalarterie erhöhen und stauen.
Sofort folgt erhöhter Druck in den Lungenvenen mit Insuffizienz
e rechten Ventrikels und überfülltem rechten Vorhofe, der dem
„hrückenden Blutgehalte von Leber und Niere nicht gewachsen
St Auch ‚der Ductus thoracicus nimmt an der allgemeinen
8 teil. Da es für die Lungengefäße keine Vasaconstrictoren
SIDt, müssen dieselben alsbald prall bis zum Bersten gefüllt sein.
en nun entwickelt sich sehr rasch jener Zustand der Lunge,
echen von Basch in seiner Physiologie des Kreislaufs als :
Lungenstarre bezeichnet hat. Der größte Druck wird hierbei
neben dem Herzen auf dem alveolären Gebiete der Lunge lasten
und Verhältnisse schaffen, die für eine Diapedese der wandständigen
Leukocyten in das Lumen der Alveolen äußerst günstige sind.
Selbstverständlich muß hierbei die Respiration besonders schwer:
leiden, doch kommt noch ein anderes Moment hinzu, welches der
In- und besonders der Exspiration stark entgegenwirkt. Das ist
die veränderte Sekretion der bronchialen Schleimdrüsen. Dieselbe
ist vom Sympathicus abhängig und findet hier ihr Analogon in
der Colica mucosa des Diekdarms. Da der Sympathicus eine Ab-
scheidung von Wasser und Salzen nicht vermittelt, veranlaßt er
indirekt die Ansammlung organischer Stoffe in den Drüsen. Es
wird dadurch ein sehr dickflüssiger, zäher, fadenziehender Schleim
von den Becherzellen abgesondert, wie wir ihn gelegentlich auch
bei verschiedenen Affektionen der Nasenschleimhaut antreffen.
Böninghaus hat dieser Materie einen besonderen Artikel gewid-
met, und kann sich jedermann an den daselbst beigegebenen schönen
Abbildungen überzeugen, zu welcher enormen Größe hierbei die Becher-
zellen anzuschwellen vermögen.
Bei der uns vorliegenden allgemeinen Blut- und Lymphstauung
im Brustraume dürfen wir ähnliche charakteristische Veränderungen
im ganzen Respirationstraktus, besonders aber an den Becherzellen
der Bronchiolen usw., voraussetzen. Die spärlichen Sektions-
ergebnisse A. Fränkels widersprechen wenigstens dem nicht.
Im Hinblick nun auf den spitzwinkligen Abgang der Infundibuli
müssen an den Ausmündungsstellen derselben sich solche ge-
schwollenen Zellenpakete ventilartig verhalten. Sie werden die
Passage der Luft, besonders bei der Exspiration enorm hindern,
und jene Geräusche, die wir dabei wahrnehmen, die Ronchi sibi-
lantes, sind nur die Ouvertüre des Asthmaanfalls selbst.
Dem ventilartigen Abschlusse der Infundibuli folgt eine
ballonförmige Erweiterung der Alveolen, welche neben Schleim
(Spiralen) und Leydenschen Krystallen massenhaft jene eosino-
philen Zellen enthalten, die zur Aufstellung des eosinophilen
Katarrhs geführt haben. Sie sollen nach E. Schwarz (Wien) ein
Hormon enthalten, welches die mitbestimmende Ursache der er-
höhten Bronchodrüsentätigkeit ist. Höchstwahrscheinlich indes
sind sie nur akzidenteller Natur, denn es gibt Asthmafälle, wo sie
nicht vorhanden sind. Wie bei allen Knochenentzündungen wird
auch hier, je nach der Intensität und Verbreitung derselben, eine
Leukocytose nebenheorgehen, die für längere Zeit eine eosinophilie
hervorrufen kann. Selbstverständlich wird das Gros des Materials
an Leukocyten nicht bloß von der Entzündung des Os ethmoideum
herrühren, nach Frank (Braunschweig), Ponfick, von Strümpell
und meinen eignen Untersuchungen beteiligen sich auch andere
Teile des Knochenskeletts hieran, und zeichnen sich diese Osteoiden
durch eine ungemein verzögerte Ausheilung aus — sofern es
überhaupt zu einer solchen kommt. Da ist es nun bei dem
kolossalen Ueberdruck und der Stagnation der Blutsäule nicht zu
verwundern, wenn diese Zellen aus den an sich schon dünn-
wandigen Gefäßen in die Alveolen wandern, um später mit dem
übrigen Inhalt im Auswurfe zu erscheinen. Die Konstanz ihres
Auftretens ist insofern von nicht geringer Wichtigkeit, als sie das
Material für die Asthmakrystalle liefern sollen, welche für die
weitere Ausgestaltung des Asthmaanfalls von besonderer Bedeu-
tung sind. Man nimmt an, daß sie von ihrer Bildungsstätte, den
Alveolen aus, einen starken Reiz auf den centralen Vagus und
seine Unterstationen auszuüben vermögen, der nicht die vielum-
strittene Lungenblähung (wir brauchen ja dieselbe nicht mehr),
sondern nach Edinger-Riegel einen Tetanus des Zwerchfells
auslöst. Dasselbe rückt, sich abflachend, herab, und die Lungen-
starre wird hierdurch komplett. Demnach ist es nicht der
Bronchospasmus, der eine Lungenblähung vermittelt, sondern ein
-Spasmus des Zwerchfells, welcher, wie wir annehmen müssen,
sekundär. auftritt und der den Kulminationspunkt des Asthma-
anfalls darstellt.
Was nun folgt, ist allzu bekannt, als daß ich mich lange
dabei aufzuhalten brauche.
Mit der beginnenden Kohlensäureintoxikation löst sich der
Krampf des Zwerchiells, die Becherzellen platzen in görßeren Par-
tien, und der atmosphärische Luftdruck sucht Ausgleich mit dem
der überspannten Lunge, die Respiration beginnt freier zu arbeiten,
und Hustenstöße entleeren die Alveolen von ihrem angesammelten
Sekret. Langsam folgt die Regulierung der Circulation. Es
schwindet der Druck, der auf Niere, Leber und dem ganzen
Intestinaltraktus gelastet, eine Harnflut tritt ein, und abgehende
Flatus erleichtern die Bewegungen des Zwerchfells. Die Durch-
blutung aller Organe nimmt wieder ihren regelrechten Verlauf.
dr iatea a a ne u m
. Opiate zu setzen ist.
Asthmaanfall beendet, aber wenn auch eine Reihe solcher Anfälle
1152 nn 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
Es tritt eine Euphorie ohnegleichen und ein wohltuender Schlaf
ein, der allerdings oft auf Rechnung überreichlich gegebener
Hiermit ist gewöhnlich der eigentliche
stattfindet, immer ist die nachfolgende Euphorie ein Zeichen, daß
eingreifende Veränderungen im Organismus — vorläufig wenigstens —
nicht Platz gegriffen haben.
Ich glaube in dieser Skizze den Anforderungen v. Krehls
entsprochen und in etwas zur Enträtselung des Asthmas bei-
getragen zu haben. Ist die anatomische Basis in der Variante
des Depressor gegeben, so gibt es trotz der unendlichen Ver-
schiedenheiten des Einzelfalls nur ein Asthma. Die Disposition
zum Asthma ist also angeboren und wird unvermittelt oder durch
„Nervosität“ vermittelt zum Ausbruche kommen. Jedenfalls ist
die Zuhilfenahme einer Diathese nur für Einzelerscheinungen im
Asthmakomplexe zulässig, sie hindert nur die restlose Lösung
des Asthmarätsels, indem sie neue Rätsel an seine Stelle setzt.
Wie weiter oben auseinandergesetzt, liefert der Befund der Nasen-
schleimhaut eine Reihe von Indizien, welche über die Provenienz
und die Entwicklung des betreffenden Asthmafalls Auskunft zu
geben vermögen. Es ist deshalb bei jeder Asthmaerkrankung eine
sachkundige Durchmusterung des Naseninneren geboten. der sich
eine mikroskopische Blutanalyse anzuschließen hat. Die thera-
peutische Bewertung des Befundes darf jedoch nicht zu operativen
Eingriffen verleiten, welche oft unnützerweise neue Asthmaattacken
hervorrufen, ebenso ist die Allgemeinatropinisierung zu verwerfen.
Sie wirkt schädlich, ist unangenehm und kann leichtlich durch
einfachere Methoden ersetzt werden.
Radiumemanation und Brunnengeist')
von
Prof. Dr. Paul Lazarus, Berlin.
Die Entdeckung der Radioaktivität der Gasteiner Thermen
gab den Anlaß zu der Meinung, daß in ihr das specifische Agens
der Heilquellen, insbesondere der Wildbäder gefunden sei. Aber
gerade eine Betrachtung des Emanationsgehalts der indifferenten
Thermen hätte lehren können, daß bei diesen der Aktivitätsgehalt
innerhalb weiter Grenzen schwankt. Wildbäder, wie Ragaz und
Krapina-Teplitz, deren glänzender Heilwert, insbesondere bei gich-
tischen und rheumatischen Erkrankungen durch jahrhundertlange
Erfahrungen fest begründet ist, haben einen Emanationsgehalt von
nur 0,3 bis 0,66 M.-E., ungefähr so stark wie der des Wiener
Tagwassers.
Außerdem hat uns die Natur selbst in den Bädern Wild-
bad Gastein und Hof-Gastein ein klassisches Exempel für diese
Frage geliefert. Seit dem Jahre 1830 bis zum Jahre 1906 bezog
Hofgastein sein Thermalwasser aus der Hauptquelle des Wild-
bads. Auf dem etwa 21/4 Stunden dauernden Transport durch die
81/, km lange Lärchenholzröhrenleitung ging fast die ganze Ema-
nation verloren, sodaß nur noch 30/9, der Wildbademanation in Hof-
gastein anlangten. Trotzdem wurden in beiden Orten die gleichen
Reaktionen und Heilerfolge erzielt. Noch 1894 erklärte die Kur-
kommission in Hofgastein: „Ausdrücklich muß hervorgehoben und
mit aller Entschiedenbeit der absolut unrichtigen Anschauung ent-
gegengetreten werden, daß das Thermalwasser auf seinem Wege
von Bad- nach Hofgastein an seiner Wirksamkeit etwas verlöre“2).
Selbst ein so erfahrener Kliniker, wie Wick, der seit Jahrzehnten
in Gastein praktiziert und in ausgezeichneten Arbeiten seine Er-
fahrungen niedergelegt hat, konnte in der Wirkung der Thermen
keinen Unterschied feststellen).
In seinem jüngsten Werke „Die warmen Quellen Gasteins,
1907“ wendet sich Wick gegen die Auffassung, als sei die
Radioaktivität die einzig heilbringende Eigenschaft der Gasteiner
Thermen. Mit Recht betont er, daß die primären Badewirkungen
besonders von der Temperatur abhängen und deren Bestimmung
somit den wichtigsten Punkt des Kurverfahrens bildet. Der Ge-
samterfolg der Kur ist auf einen Komplex von Ursachen zurück-
zuführen und nicht auf den Radiumemanationsgehalt allein. Seit 1906
hat übrigens Hofgastein, dem Geiste der Zeit folgend, durch eine
neue eiserne Fassung der Leitung, fast dieselbe Aktivität seines
Thermalwassers wie die der Hauptquelle in Bad Gastein (84,7 bis
12,9 M.-E.) erlangt; dank ausgezeichneter Isolierleitungen geht
1) Vortrag, gehalten am 10. März 1912, auf der 33. Versammlung
der Balneologischen Gesellschaft in Berlin.
2) Hofgastein, herausgegeben von der Kurkommission 1894,
3) Die Bäder von Hofgastein 1883,
14, Juli.
auch auf dem Wege vam Reservoir bis zum Wannenauslaufe nichts
an Emanation verloren.
Der therapeutische Wert starker Radiumbäder ist nicht
anzuzweifeln, ebenso sicher ist, daß v. Neußer mit seinen künst-
lichen Gasteiner Bädern, die wie die natürlichen etwa 33000 M.-E.
enthielten, und besonders mit den im Bade befindlichen 5 kg Uran-
erzrückständen eine erhebliche Strahlenwirkung erzielte.
Eine Aenderung dieser empirisch bewährten und von vornherein
richtig dosierten Radiumtherapie setzte ein mit dem Eingreifen der
Industrie. So hat dievon Loewenthal zurDurchführung seiner thera-
peutischen Ideen begründete Radiogenfabrik gleichfalls künstliche
Gasteiner Bäder erzeugt, die auch 30000 bis maximal 100000
sogenannte Einheiten enthielten. Diese Einheiten waren aber nicht
die Mache-Einheiten, in denen, wie auch aus Sommers ausge-
zeichneter Zusammenstellung hervorgeht, bereits 1908 sämtliche
Quellenanalysen angegeben waren, sondern es waren „Volts“, von
denen erst 75 bis 150 eine Mache-Einheit bilden. Die 30000 be-
ziehungsweise 100000 Einheiten entsprachen somit nur etwa 286
beziehungsweise 860 M.-E., somit pro Liter Badewasser etwa 1 bis
3'4 M.-E.! Selbst die heutigen fast von der gesamten Industrie
gelieferten Radiumbadezusätze enthalten maximal nur 5000 M.-E,,
wobei noch Meßmultiplikationen zu berücksichtigen sind; sie ver-
mögen nicht mit den natürlichen Bädern (250 1 pro Bad gerechnet),
z. B. Joachimsthal (150 000 M.-E.), Landeck (etwa 40 bis 50 000
M.-E.), Gastein (bis 40 000 M.-E.), Kreuznach (bis 12 000 M.-E.,
wozu sich noch die Strahlenwirkung der Radiumsalze gesellt), zu
konkurrieren. |
Die Wirkung der Bäder beruht nur zum geringen Teil auf
der Absorption der Emanation durch die Haut oder der In-
halation der aus dem Bad entweichenden Emanation. Im wesent-
lichen kommt es auf die direkte Strahlenwirkung der Ema-
nation und ihrer insbesondere stundenlang auf dem Hautmantel
haftenden Zerfallsprodukte an, die möglicherweise ähnlich wie
das Licht durch Erregung der Haut- und Gefäßnerven von der
Körperoberfläche ausreflektorischeWirkungen erzielenkönnen. Dieser
Strahlenreiz darf aber insbesondere bei schwach dosierten Bädern
nicht als zu groß angesehen werden. Die «-Strahlen der Emanation
sowie des Radium A u. C werden bereits von 1/10 mm dünnen Wasser-
schichten absorbiert und auch die von den kurzlebigen Zerfall-
produkten herrührenden $- und y-Strahlen spielen im Verhältnisse
zum Emanationsaufwande keine sehr erhebliche Rolle, da während
der gewöhnlich halbstündigen Badedauer nur 1/25 der Emanation
zerfällt. Auch die vom Radium D ausgesandten spärlichen $-Strahlen
werden bereits von weit unter 1 mm dünnen Wasserschichten
absorbiert. Bei den insbesondere industriell erzeugten, schwach
aktiven Radiumbädern stellt somit das warme Wasser die
wertvollste Substanz dar.
So konnte es auch nicht ausbleiben, daß man sich bald der
Trinkkur zuwandte. Auch mit dieser wurden in der ersten Periode
des Radiumenthusiasmus eine Reihe von staunenerregenden Erfolgen
beschrieben und zwar mit Dosierungen, von denen wir heute mit Be-
stimmtheit wissen, daß sie ziemlich indifferent waren. So berichtet
Löwenthal unter anderm auch in einer für Laien bestimmten Zeit-
schrift. „Bei fortgesetzter Verabreichung von emanationshaltigem
Wasser — (86 M.-E.) — trat in den meisten Fällen — von chroni-
schem Gelenkrheumatismus — Heilwirkung auf, und zwar etwa in
der gleichen Zeit wie bei den Thermalbadekuren in Baden, Gastein
usw. Gleiche Resultate wurden bei chronischen Nervenentzündungen
(Ischias usw.) erzielt. Auch chronische Entzündungen des Herz-
muskels zeigten sich günstig beeinflußbar“!), Mit Radiogen „wäre
auch den weniger Bemittelten die Wohltat einer vollwertigenBade-
kur ohne Badereisen zugänglich?). In der gleichen Arbeit sind
eine Reihe von Indikationen für die Anwendung der Radiumemanation
aufgestellt, die alsbald in den Broschüren der Radiogen-Gesell-
schaft noch weiter ausgestaltet wurden, von denen ich folgende
entnehme.
„Unser Radiogen soll diesen Brunnengeist ersetzen.“
Chronischer und subakuter Gelenkrheumatismus, Gicht, harnsaure
Diathese, alle chronisch entzündlichen Krankheiten der Knochen
und Weichteile, chronische Nervenentzündung (Ischias), Rück-
stände von Entzündungen und Verletzungen aller Art (z. B. von
Knochenbrüchen, Apoplexien, Operationsnarben). Verzögerte Hei-
lung von Exsudaten und chronischen Eiterungen (Empyeme, Nasen-
und ÖOhreneiterungen), chronische Pleuritis, Parametritis, Perito-
nitis, chronische Katarrhe der Luftwege, des Verdauungs- und
—
1) Loewenthal, Umschau 1908,
3) Ebenda.
137° 5
12:47 21
14. Juli.
Genitaltraktus. Chronische Entzündungen des Herzmuskels und
der Blutgefäße (Myokarditis, Arteriosklerose), Drüsenerkrankungen,
Skrofulose. Schwächezustände der verzögerten Rekonvaleszenz und
des Alters („Jungbrunnen“), Chlorose, Anämie und andere Krank-
heiten des Bluts. Diabetes, Fettsucht und ähnliche Stoffwechsel-
krankheiten, innere Desinfektion, Carcinome, Sarkome, Haut-
krankheiten (Psoriasis, Lupus, Ekzeme) geben eine weitere Reihe
von Indikationen für äußeren und besonders für den inneren
Gebrauch.“ |
. Dabei handelte es sich nicht um Radiumlösungen, sondern um
. unkaltbares Emanationswasser von der Aktivität von 1000 Ein-
heiten = 8,6 M.-E. (somit etwa so aktiv wie das gewöhnliche
Brunnenwasser in Mülhausen i. E. = 8 M.-E.) bis 10 000 Einheiten
= 86 M. - E., bis 15000 Einheiten = 129 M.-E. pro die als Mazi-
maldosis! Es konnte daher nicht ausbleiben, daß bald zahlreiche
andere Radium-Gesellschaften erstanden, welche ebenfalls den
- „Brunnengeist“ auf Flaschen füllten und behaupteten, daß auch sie
mit ihren Bade-, Trink- sowie Inhalationsanwendungen glänzende
Heilwirkungen gleichfalls bei fast allen Krankheiten erzielen.
Die Reaktion konnte nicht ausbleiben. Bald erfolgte ein
Umschwung, indem nunmehr erklärt wurde, „die in den Körper
(Atmung, Verdauungstraktus, Injektion) aufgenommene Emana-
tion verläßt ihn mit der Ausatmungsluft innerhalb weniger
Minuten fast restlos“ 1) und daß es daher nötig sei, den Organis-
mus in eine dauernd mit Emanation gefüllte Atmosphäre zu
bringen (das Emanatorium), damit „die Emanation den Körper
nicht verlassen kann“?). Alle andern Inhalationssysteme wurden
als höchst unzweckmäßig erklärt, trotzdem bereits aus dem
Briegerschen Institut Studien von Lion über die Inhalation der
Radiumemanation?) vorlagen und Bulling*) durch einfaches Zer-
stäuben von Radiumlösungen in einem gewöhnlichen Inhalations-
raume bei 38 Gichtikern unter 112 Patienten deutliche Reaktionen -
und zum Teil Heilerfolge erzielt hatte. Man glaubte nun die
rationellste Methodik für die interne Radiumtherapie, insbesondere
der Gicht gefunden zu haben. Gudzent?) erklärte wörtlich, daß
„gerade die Quellen, die den besten Ruf als Gichtbäder haben
(man muß das in Abzug bringen, was eine geschickte Reklame
aufgebauscht hat), als stark radioaktiv befunden worden sind.
Die Trinkkur scheint im allgemeinen bei der Gicht zu
versagen. Es liegen Mitteilungen vor, in denen vor Anwendung
der Trinkkur direkt gewarnt wird, weil sie zwar Gichtanfälle
(Reaktionen) hervorrufen, aber nicht zur Besserung geführt habe.
Erst die von mir und Loewenthal zum erstenmal angewandte
Inhalationsbehandlung im geschlossenen Raume mit 4 bis 5 M.-E.
pro Liter Luft brachte die schönen Resultate“. „Wir hatten Gelegen-
heit, das Blut eines Gichtkranken nach einer Trinkkur, ferner nach
einer Behandlung in Pistyan und nach einer solchen in Kreuznach
zu untersuchen und dabei festaustellen, daß die Harnsäure aus dem
Blute nicht verschwunden war. Diesen Effekt scheint also nur die
Behandlung der Patienten im Emanatorium zu haben®).“
Die Anschauung, daß gerade die Quellen, die den besten Ruf als
Gichtbäder genießen, als stark radioaktiv befunden worden sind, ist
durch die Erfahrung nicht bestätigt. Ich habe in den folgenden
Tabellen diese Quellen zusammengestellt; bei deren Abfassung
stützte ich mich zum Teil auf die grundlegenden Arbeiten Som-
mers’), zum Teil entnehme ich sie offiziellen Berichten aus den
betreffenden Kurorten. Es geht aus ihnen hervor, daß
-L gerade die bewährtesten Heilquellen oft nur so ge-
ringe Spuren von Radiumemanation enthalten, daß sie als
therapeutisches Agens nicht wesentlich in Betracht
kommen. Die angegebenen Aktivitätswerte beziehen sich stets
auf einen Liter, eine Menge, die wohl gegenwärtig nur in den
seltensten Fällen als Einzeltrinkdosis verordnet wird.
, , Manche Quellen, die seit alters her erfolgreich gegen gich-
tische Beschwerden verabfolgt wurden, haben sogar eine geringere
Aktivität als die andern Quellen dieses Ortes. Ich verweise z. B.
auf die Rudolfsquelle in Marienbad (0,66 bis 1,09 M.-E.), auf die
ataliequelle in Franzensbad (2,8 M.-E.), auf den Kochbrunnen in
mee
i) Gudzent, Med. Kl. 1910, 42.
His, Med.
Zt. £. Kl. Med. 1910.
2 Lion, Dissertation. Leipzig 1908.
x Bulling, Berl. kl. Woch. 1909, 3.
Gudzent, Berl. kl. Woch. 1911, 47.
Gudzent, Th. d. G. 1910.
Sommer, bei Gmelin 1908 und 1910. i
Wiesbaden (1,23 M.-E.), auf die Friedrichsquelle in Baden - Baden
KI. 1910, 16, s. ferner Löwenthal und Gudzent,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1153
(6,7 M.-E.), auf den Sprudel in Karlsbad (0,4 M.-E.). Selbst Quellen
mit einem Emanationsgehalt von 30 M.-E. pro Liter können bei der
'Trinkkur wohl kaum eine besondere Wirkung entfalten. Gewöhnlich
wird als Einzeldosis ein Becher verordnet (somit enthält bei 30 M.-E.
im Liter, 1/5 l = 6 M.-E.), die im Organismus mit der Körperflüssig-
keit fast unwirksam verdünnt und außerdem in kurzer Zeit aus-
geschieden werden.
| Rationeller wäre deren Zerstäubung in entsprechend großen
und gut ventilierbaren Quellinhalatorien, wobei die Luftaktivität
entsprechend den Gasgesetzen sogar auf höhere Werte gebracht
werden kann wie die Wasseraktivität. Der Löslichkeitskoeffizient der
Emanation in Wasser beträgt nur etwa ein Fünftel der Luftabsorption.
Die Inhalation von 30 M.-E. pro Liter Luft während einer Stunde ist
natürlich nicht zu vergleichen mit der einmaligen Aufnahme von
30 M.-E. per os, da in der Stunde etwa 4001 Luft — 12000 M.-E.
eingeatmet werden, von denen allerdings nur ein den physikali-
schen Gasgesetzen entsprechender Teil zur Blutabsorption gelangt.
Außerdem wäre zur Erzielung einer Luftaktivität von 30 M.-E. pro
Liter die Zerstäubung von mindestens 100001 Wasser von 30M.-E. für
10 cbm Luftraum erforderlich.
Noch zweckmäßiger ist die-
direkte Verwendung emana-
tionsreicher Quellgase für In-
halatoriumszwecke. Derartige
Quellinhalatorien sind in Tep-
litz-Schönau, Landeck, Kreuz-
nach, Münster a.St. u. a. Orten
eingerichtet worden. .
2. Der Heilwert der
Quellen ist nicht pro-
portional dem Emana-
tionsgehalt. (S. Abb.1 u.2.)
Quellen mit gleichem Emana-
tionsgehalt haben je nach
ihrer sonstigen Zusammen-
setzung oft ganz verschiedene
Wirkungen, Quellen mit
hohem Emanationsgehalt
haben oft ähnliche Wirkungen
Abb. i. Radioaktivitätsmaxima
der Wildbäder
ANN
TES RRNNRAN
Außer Gastein haben sämtliche andern Wild-
bäder keinen therapeutisch wesentlichen Emana-
tionsgehalt; ihre Heilkraft beruht somit nicht
wesentlich auf dem letzteren, sondern auf ihren
altbewährten sonstigen balnischen und klima-
tischen Vorzügen.
wie solche mit niedrigem, die Radiumemanation ist nur bei den
hochaktiven Quellen und bei den radioaktive Salze gelöst ent-
haltenen Quellen als Heilfaktor anzuerkennen.
Tabelle I. Radioaktivität der Wildbäder.
quelle . . s su .. 1380 „
Chorynski-Quelle, Haupt-
. Stollen .-.. . 2 2.0. 121,9
Wasserfall-Quelle . . . 106,0 „
Rudolf-Stollen . . . - - 68,8
Franz-Joseph-Stollen . . 64,5
Chirurgen-Quelle. . . . . 54,5
Fledermaus Stollen. . . 323,8
Doktor-Quelle . . . . . 31,6
2. Badenweiler
(22,5 bis 27,5°0) . 7,5 bis 10,1
8. Warmbrunn
(86,200)... .. 52 „ 82
(S. Abb.1.)
4, Teplitz-Schönau*) `
(21,9 bis 32,500) . 3,13 bis 6,56 M.-E.
5. Johannisbad
2900)... ... 0%, 404 „
6. Wildbad (Württ.)
(35,8 bis 87,900) . 16 „ 38 ,„
7. Villach .
0 ) . . . . » f} % 2,0 3
8 Ragaz-Pfäfers
(37.50 O) . .. . 0,88, OTG „
9. Vöslau Re:
(240)... .. 07 „071 „
10. Krapina-Teplitz
(87 bis 470) . . 0665M.-E.
*) Nach neueren Messungen 9—25 M.-R.
Tabelle II. Radioaktivität der übrigen bei Gicht und
Rheumatismus bewährten Quellen. (S. Abb. 2.)
Alkalische Trinkquellen.
1. Karlsbad
| Kochsalzquellen.
1. Baden-Baden
a) Mühlbrunnen . . . . 81,5 M.-B. a) Büttquelle . . . .. 126,— M.-E
b) Vordere Quelle, Schloß- b) Murquelle .. . . .. > y
brunnen. . s.s so’ 174 „ c) außerdem acht Quellen
c) Felsenquelle . . ., . . All y. | 99 bis 38 „
d) Hinterer Mühlbrunnen . 3,11 „ 2, Kreuznach 5
e) Marktbrunnen . . . . 245 „ a) Quelle a. Gradierhans2 568
f) Franz Josephsquelle. . 1,76 „ ‘b) 2 1 299 ”
g) Sprudel (72,5° O) . . . 04 „ c) ur 5 276 i
2, Mergentheim 710 n d) ee Bein Te 228 j
l 6
3. Marienbad N Oranienauells ne 1m f
a) Waldquelle . ....’ 4,57 „ g) Elisabethquelle . . . 13, —
b) Kreuzbrunnen . . . . 426 „ 3. Nauheim u.
c) Ambrosiusquelle . . . 162 „ a) Karlsbrunnen or
d) Rudolphsquelle 1,09 bis 0,66 „ b) Kurbrunnen. =" I F
. >è +% òè ə% p]
e) Ferdinandsbrunnen . . 0,66
4. Salzschlirf, Bonifac.ca. 3,—
5. Salzig, Quelle 2 14
6. Passug, VILQuell. 1,31 bis 0,73
7. Taras
a) Oarolaquelle. . . . » 1,13
b) Lucius . s.e.’ 1,01:
c) Emerita. . ... «I. 0,93
d) Bonifacius. . . . x. 02
Vergl. Wiener Tagwässer . . 0,26
16,2 bis 0,29 „
Badestrudel VIT . 18 s
5 XIL . 16 ,
s XIV . 15 „
4, Münster a. St. l
a) Hauptbrunnen . . . 2B
b) Solyuelle 2.. .. 1865 ”
5. A i. T,
a) Champagnerbrunnen . 219
b—f die übrigen 5 Quel- =
len. .... 164 bis 0,79 „
1154 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
Tabelle II (Fortsetzung).
6. Wiesbaden 6. Baden b. Wien ,
a) Kurzquelle . . . . . 11,95 M.-E. 6 Quellen . . . 7,88 bis 1,94M.-R.
b\ Kochbrunnen . . .. 128 „ 7. Trenczin-Teplitz
c) Schützennofquelle . . 78 , Quelle IT... 2. 2... 1,02 „
d) Par ser Hofquele . . 3,2 „ Oas oo 00 ern. 159 ,
©) Spiegelquelle . . . . 08 „ 8. Weilbachi Taunus 8,40 bis 1,70 „
7. Homburg k nn Que . 877 „ 081 »
a) Elisabethhrunnen . . 80 „ . Baden üric
D 6, 1 die übrigen ne Br ; 15 Quellen. . . - 058 „ 0,08 „
a . b e 8 „ a &
8, ne d Alkalisch-erdige Quellen.
a) Maxquelle ..... 43 „ Wil dengen, Helenenquelle
b) Raootzy . . x 2... 2,85 „ o en vol) oa, dog 2,5 M.-E.
eorg - Victor-
9. Sulza, 5 Quellen 5,15 bis 1,16 „ hise7 i Volt, Plesch) ca. 2— ,
me Eisenquellen u. Moorbäder.
5 nali Eee 206,—M.-E. 1. Joachimsthal
Friedrichsquelle . . . .1198 „ ee al eat 600,— M.-E.
Wiesenqueile . . . » . 538 „ 2 !ranzensbä 8.16
Marienguelie . .. .. 515 „ ne ee
Mariannenquelle . . . . 194 ,„ Dearne 11 Be Sri
Trinkquelle . . . . 2,6 bis 17 , Stenhanleynelle ENT:
2. Talheim s.es.. 163 „ Loimannsquelle . . . . 282 „
8. Nenndorf Nataliequelle . . . . - B >
Gewölbequelle. . . . - 20,— y Eisenmineralmoor . . . 592 ,
4. Aachen. ...... (?) 8. Altheide . . . 248 bis 115 „
5. Pistyan 4. Kudowa. . . .25 u 3— p»
Schöpfbrunnen. . . . . 2,18 „ 5. Leukerbad, Lorenzqu.
Schlammbassina d Ober. 48 „ (auch arsenhaltige Gips-
Bodensatz . . 2.2... 88 „ therme). . . 2... 0,26 „
HE, Abb. 2. Radioaktivitätsmaxima von gegen Gicht und
beumatismus erfolgreichen Quellen
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Wir ersehen somit aus dieser Zusammenstellung, daß die
meisten gegen Gicht und chronischen Rheumatismus ver-
wandten Heilquellen, z. B. Franzensbad, Homburg, Kissingen,
Tarasp, Karlsbad, Leuk, Marienbad, Pistyan, Salzschlirf, Trenczin-
Teplitz, Wiesbaden, ferner Aix les Bains (8,7 M.-E.), ihre oft
durch jahrhundertelange Erfahrung erprobten Erfolge
entweder gar nicht oder höchstens nur zu einem ganz ge-
ringen Teil ihrer Radioaktivität zu verdanken haben und daß
nur fünf Kurorte: Joachimsthal, Landeck, Gastein, Baden-Baden,
Kreuznach zum Teil Quellwässer mit über 50 M.-E. pro Liter
enthalten. Nur bei diesen Quellwässern ist ein Teil ihrer Wirkung,
keineswegs aber ihre Gesamtwirkung auf die Radioaktivität
zu beziehen. Bei allen andern Quellen mit geringen Aktivitäten
(insbesondere unter 10 M.-E. pro Liter) spielt die Emanation als
Heilfaktor nur eine ganz unwesentliche Rolle, zumal wir
keineswegs imstande sind, mit der Emanation allein in der-
artigen und selbst größeren Dosierungen Kurerfolge zu erzielen,
wie sie diese Badeorte zu verzeichnen haben.
Die Radioaktivität ist eben eine Heilenergie für sich und
gehört in die Gruppe der aktinotherapeutischen Mittel.
Verschiedene chemisch wirksame Strahlen. insbesondere die ultra-
violetten können qualitativ ähnliche biologische Wirkungen ent-
falten, mögen sie vom Sonnenlicht, der Bogen-, Finsen-, Queck-
silberlampe, der Röntgenröhre und ihren Sekundärstrahlungen oder
dem Radium (bzw. dem Thorium) entstammen. Letzteres birgt bei
kleinster Masse das relativ konzentrierteste Energiequantum.
Es ist somit unrichtig, in der Radiumemanation das speci-
fische Heilagens der Quellen zu sehen, weil diese unter vielen an-
dern Bestandteilen auch Emanation entbalten. Es ist daher auch
unrichtig, die Emanationsbehandlung zu einer Anti-Bäder-
bewegung auszugestalten und wie es sogar in Laienblätter lan-
ciert wurde, zu behaupten, daß die Kuren in den Emanatorien
jene in den Kurorten sogar übertreffen, weil bei ihnen „die ein-
geatmete und ins Blut übergegangene Radiumemanation die Harn-
säure auflöst und ihre Ausscheidung aus dem Körper befördert
— Erfolge — die durch eine Badekur niemals erzielt werden, da
beim Baden und Trinken nicht genug Emanation in den Körper ge-
14. Juli.
langen kann,“ trotzdem Krieg und Wilke zuerst (1909) die Ver-
mehrung der Harnsäureausscheidung bei der Radiumtrinkkur nach-
gewiesen haben. Es ist somit nicht zu verwundern, daß die Ema-
natoriumsbewegung große Fortschritte gemacht hat, daß in Deutsch-
land weit über 300 und in Berlin allein über 40 Emanatorien ein-
gerichtet worden sind, deren Kostenaufwand (3000 bis 80000 Mark
- pro Stück) in keinem Verhältnis zu dem nur einen minimalen
Bruchteil betragendem Radiumwerte steht.
Die 2 M.-E. Emanatoriumstherapie verdankt ihren Sieges-
lauf den wissenschaftlichen Arbeiten von Gudzent und Löwen-
thal, und insbesondere einem vor zwei Jahren an dieser Stelle
von His gehaltenen Vortrage!). Nichts liegt mir ferner, als die
Verdienste dieser Autoren schmälern oder gar an deren Arbeiten
Kritik üben zu wollen. Nur vom Standpunkt der historischen Ent-
wicklung derRadiumbewegung bringe ich die folgenden Tatsachen vor.
° Die große Ausbreitung der 2 M.-E. Emanatorien ist zum
Teil einer übereifrigen Industrie zuzuschreiben, welche die wissen- _
schaftlichen Arbeiten von Radiumforschern zu ihren Zwecken
fruktifizierte, zum Teil ist sie auch auf einen weite Kreise sugge-
stionierenden Radiumenthusiasmus zu beziehen?). Wurde doch das
Radium auf dem Gebiete der Naturwissenschaften das Centrum
einer wissenschaftlichen Revolution im besten Sinne des Wortes;
so geriet auch die moderne Medizin in eine Strömung, in die sie
bereits so oft im Anschluß an umwälzende naturwissenschaftliche
Entdeckungen, z. B. des Sauerstoffs, der Elektrizität usw. ver-
fallen war. Daß in der Entwicklungsgeschichte einer neuen
Wissenschaft der Weg zur klaren Erkenntnis über Irrtümer führt,
ist auch sonst häufig der Fall. Solchen Irrtümern sind aber oft
indirekt Fortschritte zu verdanken, sie wirken wie Fermente akti-
vierend auf die- Forschungsbestrebungen der wissenschaftlichen
Welt. Von diesem Gesichtspunkt aus bitte ich die folgenden Aus-
führungen zu betrachten.
Die Grundlagen, auf welche das Zweimacheemanatorium von
den genannten drei Autoren gestellt wurde, halte ich nicht für richtig.
1. Die physikalische Grundlage. Es ist nicht nötig,
zwecks Erzielung der Blutaktivierung den Kranken in einen eignen,
luftdicht geschlossenen Raum zu bringen, denn es ist gleichgültig,
ob die Ausatmung in emanationshaltige oder emanationsfreie Atmo-
sphäre erfolgt. Der springende Punkt ist die konstante inspira-
torische Emanationszufuhr und diese kann man in der einfachsten,
wohlfeilsten Weise herstellen, ähnlich wie bei allen andern Gas-
inhalationen, z.B. mit einem mit In- und Exspirations-Ventil
versehenen Inhalationsfläschehen. Die Effekte des Emanatoriums
beruhen im wesentlichen auf der Inhalation, und diese lassen
sich in jedem gewöhnlichen Wohnzimmer, in welchem eine be-
stimmte Emanationsmenge zerstäubt wurde, erzielen, wobei die
auf die Hautoberfläche wirkende Strahlung gleichfalls zur Geltung
kommt. (Meine diesbezüglichen Anschauungen sind jetzt von
Na vollinhaltlich bestätigt worden. D. med. Woch. 1912,
r. 24).
2. Die experimentelle Grundlage, wonach sich im Blut
eines Kaninchens nach dem Emanatoriumsaufenthalt „900 Volt“
fanden (His), ist, wie erst aus einer späteren Arbeit von Fofanoff
hervorging, überhaupt nicht im Zweimacheemanatorium erzielt
worden, da dieses Kaninchen in either strahlenundurch-
lässigen Bleikammer drei Stunden lang in einer Atmosphäre
von 3000 Volt pro Liter gehalten wurde; auf das Kaninchen wirkte
somit eine etwa 15 mal so starke Luftaktivität ein, als es in dem
für den Menschen bestimmten Emanatorium mit so minimaler
Aktivität (200 Volt) der Fall war.
Ebenso ist die Mitteilung nicht zutreffend, daß es in diesem
Versuche gelungen sei, das Blut auf die Aktivitätshöhe einer
mittleren Gasteiner Quelle zu bringen, denn die therapeutisch ver-
wendeten Gasteiner Quellen sind mindestens zehnmal so aktiv.
Die genannte Mitteilung gab im Verein mit der Auffassung,
daß die Radiumemanation tatsächlich die specifische Heilkraft der
Heilquellen sei und daß, wie Löwenthal (l. c.) vermutete, auch
„ein Teil der Wirkung von Neuenahr und Karlsbad bei Diabe-
tes, von Wiesbaden, Homburg, Kissingen bei Magen- und
1) Med. Kl. 1910.
2) Es besteht ein Widerspruch zwischen der von His am Natur-
forscher-Kongreß 1900 aufgestellten These „Die Veröffentlichungen in der
medizinischen Presse sind soweit gesetzlich möglich, gegen Nachdruck zu
Reklamezwecken zu schützen. Aerzte, deren Erfindungen industriell
ausgebeutet werden, sind für die Form der Reklame verantwortlich“ und
der in Zehntausenden von Exemplaren in mehreren Sprachen erfolgten
Propagierung des Hisschen Vortrags in Reklamebroschüren und Annoncen.
et,
14. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1155
Unterleibserkrankungen, von Kreuznach, Münster a. St. u.a. bei
Skrofulose, Frauenkrankheiten auf die Wirkung von Emanation
zurückzuführen ist“, den Anlaß zu einem mächtigen Aufschwunge
der Emanationstherapie, um so mehr, als diese mit einer Reihe
von weiteren wissenschaftlichen Argumenten belegt wurde; hier-
her gehören:
8. Die biologischen Grundlagen, die von His wohl ver-
sehentlich dem Zweimacheemanatorium auf Grund der Studien von
Silbergleit und Kikkoyi zugeschriebene Erhöhung des Stoff-
wechsels, welche aber, wie aus den ÖOriginalarbeiten hervorgeht,
gerade mit der als minderwertig hingestellten Trinkkur erzielt
wurde, während nach Löwy und Plesch der respiratorische Stoff-
wechsel im Zweimacheemanatorium unbeeinflußt blieb. Ebensowenig
fundiert (s. sub 5) ist die weitere Stütze des Emanatoriums,
wonach in ihm „in idealer Weise die Bedingung erfüllt
werde“, daß sich Radium D in genügender Menge im Orga-
nismus ansammeln könne, welches die Zerstörung der Harn-
säure zu CO, und NHs bewirke?).
4. Auch die Behauptung, daß die in den Körper (durch Atmung,
Verdauungstraktus, Injektion) aufgenommene Emanation ihn mit
der Ausatmungsluft innerhalb, weniger Minuten fast restlos ver-
läßt und daß es daher nötig sei, den Organismus in eine mit
£imanation gefüllte Kammer, das Emanatorium, zu bringen, und
daß in diesem, entgegen den andern Einführungsarten eine speci-
fische Blutanreieherung (nach einer Viertelstunde enthält das
Blut bereits soviel Emanation wie die Luft, nach zwei Stunden das
vier- bis fünffache, nach drei Stunden das sechs- bis siebenfache,
Gudzent) stattfinde, ist unrichtig. Der Gehalt des Blutes an
Emanation ist abhängig von der ihm zugeführten Emanationsmenge,
mag die Emanation auf dem Wege der Alveolarkapillaren oder der
_ Pfortaderkapillaren oder auf dem Lymphwege oder durch die Haut
erfolgen, auf jedem Wege kann man Emanation ins Blut bringen;
namentlich die im Zweimache-Emanatorium erfolgende Blutaktivie-
rung läßt sich in viel einfacherer, wohlfeilerer und bequemerer
Art durch das Trinken in Schlückchen (Sippingkur alle 20 bis
30 Minuten hintereinander durch zwei bis drei Stunden während
und nach den größeren Mahlzeiten) erzielen, wie ich bereits im
Juli v. J. nachgewiesen habe (ref. Berl. kl. Woch. 1911, 30. Juli
und l. c.). In ausgezeichneten Arbeiten haben Straßburger,
Spartz, Kemen, Eichholz und Andere die gleichen Av-
schauungen exakt begründet. Ich erlaube mir auch auf meine
diesbezüglichen Arbeiten?) zu verweisen, in denen sich eine
ausführliche Darstellung meiner Versuche findet. Insbesondere
konnte ich nachweisen, daß die für die sog. Blutanreicherung
beschriebenen höheren Werte auf eine unrichtige Meßmethodik (Mit-
zählen der etwa 500/9 betragenden Induktion, Blutentnahme mittels
eines Vacuums, wodurch eine Entgasung des ganzen, am Kanülen-
ende vorbeiströmenden Blutquantums, sowie des perivasculären
Gewebes ferner Venencollaps herbeigeführt wurden) Umrechnungs-
fehler usw. zu beziehen sind. (S. Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 25.)
ð. Die biochemische Grundlage, das heißt die von His-
Gudzent angenommene durch das Radium D bewirkte Umwandlung
der Schwerlöslichen Lactimform des Mononatriumurats in die leicht
Iösliche Laetamform und deren Umwandlung in Kohlensäure und
Ammoniak, hat sich nach den Untersuchungen von Kerb und mir
(in Prof. Neuberg’s Laboratorium) als unrichtig erwiesen.
Radium D ist bei keimfreien Arbeiten keineswegs imstande,
Irgendwie das Mononatriumurat zu zersetzen. Die beschriebene
paltung ist auf bakterielle Verunreinigungen zurückzuführen?).
ach unsern Untersuchungen können die aus der Luft stammen-
em Schimmelpilze ebenso Fäulnisbakterien das Urat zu
Kohlensäure und Ammoniak abbauen, niemals aber das Radium D.
Auch die Behauptung, daß das Verschwinden der Blutharn-
Sure auf das Radium D zurückzuführen und daß es ein maß-
gebender Faktor für die Beurteilung des Erfolgs der Radium-
ren sei, ist nicht zutreffend. Die Untersuchungen Mandels
aus der ersten medizinischen Klinik in München haben selbst in
kein j Allen von klinischer Besserung nach Emanatoriumskuren
Tab ei Beeinflussung der Harnsäureausscheidung im Urin er-
n und ebensowenig konnte Brasch in der gleichen Klinik ein
i gjo winden der Blutharnsäure nachweisen. (S. Berl. kl. Woch.
2, 8.1108, Nr. 23.)
—_
) Gudzent, Radium in Biol. 1911/8.
ii . Verhand). d. Kongress. f. inn. Medizin 1911 und 1912. Vor-
Bie Im 17. Juli 1911, D. med. Woch. 1912, Nr. 8; Berl. kl. Woch.
‚Ar 12 u. i4 und 25, Biochem. Zt. Bd. 42, S. 82,
) 8. Verh. d. Kongr. f. inn. Med. 1912.
'6. Auch die klinischen Resultate, insbesondere was die
Dauerwirkungen betrifft, rechtfertigen nicht den großen Aufbau
der Emanatoriumstherapie. Die von His-Gudzent beschriebenen
Erfolge sind fast in allen Fällen gleichzeitig mit andren
physikalischen, diätetischen und arzneilichen Methoden behandelt
worden, insbesondere bei der Gicht mit purinfreier Diät und den
sehr wirksamen Radiumsalzinjektionen. Ebensowenig wie Kionka
in seinem vorjährigen, ausgezeichneten Referat!) ausführte, habe
ich eklatante absolut sichere Dauererfolge der mit so minimalen
Dosen arbeitenden Emanatoriumstherapie gesehen.
Selbst die Stoffwechselanregung nach Radiumkuren hat nichts
vor den gegenwärtig etwas in den Hintergrund gedrängten andern
physikalischen Heilmitteln voraus. Insbesondere sind die Emana-
toriumskuren nicht imstande, die Wirkungen der Kurorte zu er-
setzen. Anderseits ist es nicht verständlich, warum man auch
in manchen Badeorten die Kranken stundenlang in die ge-
schlossenen und unhygienischen, schwachdosierten Inhalations-
kästen tagtäglich hineinsetzt, die sie tatsächlich auch daheim, sogar
in weitaus stärkerer Konzentration benutzen können, während
ihnen die specifischen altbewährten Vorzüge des betreffenden
Kurorts durch den Emanatoriumsaufenthalt vermindert werden. Da-
zu gesellt sich der Umstand, daß kein Badeort eine so starke
Radioaktivität besitzt, wie wir sie leicht mit Radiumsalzen in
Substanz oder Thorium erzielen können. Es unterliegt keinem
Zweifel, daß schon im Lauf der nächsten Jahre immer mehr
Radium aus dem Erdreiche herausgefördert wird. Ist doch das
Radium ein allverbreiteter Stoff, der sich in der Erde, in der Luft,
im Wasser, kurz überall vorfindet. Mit einem Gramm Radium
kann man theoretisch jede Stunde 1000 Bäder à 26 000 Mache-
Einheiten herstellen. Die Zukunft der Radiumtherapie liegt in
der höheren Dosierung, wie ich es bereits 1911 (Kongr. f. inn.
Med.) vorgetragen habe und wie es die therapeutischen Resultate
der von v. Noorden und Falta erfolgreich geübten Behandlungsart
sowie neuerdings die Thorium-Arbeiten Bickels, Kraus’ und
Pleschs beweisen. |
Die biologischen Effekte der Radium- und Thoriumtherapie
bewegen sich hierbei im Aktionskreise der strahlenden Materie.
Die Radiumemanation bildet bestenfalls nur einen Teil in der
komplexen Mosaikwirkung der Bäder, keinesfalls aber stellt
sie den Brunnengeist dar. Wir müssen unsere Therapie nicht mit
diesem Brunnengeist erfüllen, sondern mit dem Geiste wahrhafter
Wissenschaft. Nicht frühreife Erfahrungen, unsichere Experimente,
voreilige Schlußfolgerungen sollen die Grundlagen unseres thera-
peutischen Handelns bilden, sondern kritische Empirie, exakte For-
schung und vor allem konstante Tatsachen. Eine solche Tatsache
ist, daß die Radiumemanation zwar ein Quellenbestandteil, aber
keineswegs der Brunnengeist ist. Es ist der Geist des Arztes,
der aus dem besonderen klimatischen, hygienischen und balnischen
Vorzügen seines Kurorts in Verbindung mit physikalischen, psychi-
schen, diätetischen und sonstigen therapeutischen Maßnahmen eine
möglichst vollkommene Gesamtwirkung zu erzielen vermag.
Anmerkung während der Korrektur. Meine hier vorgetragenen
Untersuchungen haben (vergl. auch Verh. d. Kongr. f. inn. Medizin 191i und
Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 12, 14 und 25) durch die von berufenster Seite aus-
gehenden Arbeiten der jüngsten Zeit vollste Bestätigung erfahren.
Ich erlaube mir diesbezüglich zu verweisen:
1. In der Frage der Applikationsart der Emanation (Trinkkur, In-
halationstechnik, Blutanreicherung) auf Strasburgers und Kemens
Ausführungen am jüngsten Kongr. f. inn. Med. 20. IV. 12 sowie auf
Kionkas Arbeit in der D. m. Woch. 1912, Nr. 24.
2. In der Frage der Unwirksamkeit der Eman. (in der bisher üblichen
Dosierung) sowie des Radiums D auf die „Auflösung des Urats zu COs
und NHs“ auf die Arbeit von Knaffl-Lenz und Prof. Wiechowski
aus dem Wiener pharmakologischen Universitäts-Institut, Zt. f. phys. Chem.
1912, 77, sowie auf die experimentelle Prüfung am Tier durch Prof.
Wessely (Kongr. f. inn. Med. 1912).
3. Bezüglich der Richtigkeit meiner Meßmethodik (Abz ug der
etwa 50°/o betragenden Zerfallsprodukte, während Marckwald-Gudzent
sie mitgezählt hatten) auf Prof. H. Meyers Arbeit aus dem Wiener
rasen (Sitzungsber. der Kgl. Akad. d. Wiss. Wien 1919
Bd. y, . ® i
4. In der Frage der Ueberschätzung der Wirksamkeit der bis-
herigen schwachdosierten Emanatoriumstherapie auf die Ausführungen
Rumpels gleichfalls auf dem Kongr. f. inn. Med.d. J.und Prof. v. Bauers
und Braschs (Münch. med. Univ.-Klinik — Berl. kl. Woch. 1912,
S. 1108) sowie auf Goldscheiders Reserve bei der Besprechung der
Radiumtherapie der Gicht (Zt. f. phys. u. diät. Ther. 1912, S.415)
1) Med. KI. 1911.
2 A 4 Ere ps S ..
aha run z PS t
1156 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
g
p
14. Juli:
. 5. Betreffs der Bedeutung der höheren Dosierung und der Iu-
jektion radioaktiver Stoffe verweise ich auf die Arbeiten aus derKrausschen
und v. Noordenschen Klinik sowie auf die Ausführungen Bickels in der
Berl. kl. Woch. 8. VII. 1912 der die therapeutische Beeinflussung des Blut-
bildes bei einem Falle von pernieiöser Anämie demionstrierte, der mit
der Thorium - Trinkkur behandelt worden war (50,000 M.-E. pro die).
Aus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des k. u. k.
y Garnisonspitals Nr. 15 in Krakau
(Kommandant Oberstabsarzt 1. Kl. Dr. Nikolaus Thomän).
_ Ein durch Autoinfektion entstandenes Ulcus
molle am Finger.
VOR -
Fe k. u. k: Regimentsarzt Dr. Eugen Brodfeld,
` -` Chefarzt der Abteilung.
Primär entstandene extragenitale Ulcera mollia gehören zu
den seltenen Vorkommnissen; sie kommen meistens bei Aerzten,
Hebammen usw. vor, welche sich bei Untersuchungen infizieren,
' indem der Infektionsstoff in Excoriationen der Haut übertragen wird.
‚ „Häufiger ist dagegen das Vorkommen extragenitaler veneri-
scher Geschwüre durch Autoinfektion,. durch Uebertragung des In-
fektionsstoffs eines. genitalen Geschwürs an andere Körperstellen
desselben Individuums. = | |
= . In letzter Zeit berichtet Ramazzotti-Virginio im Giorn.
ital. delle mal. ven. e della pelle über einen Kranken, der neben
einem Ulcus molle ad genitale ein Ulcus molle an der Streckseite
des Mittelfingers und eines an der Innenseite des rechten Unter-
schenkels hatte. |
` Nachstehende Mitteilung halte ich deswegen der Veröffent-
lichung wert, weil sie zeigt, daß infolge Beobachtung des Krank-
heitsvörlaufs eine ‚auch .ohne Absicht unwahre Angabe des
Patienten richtig gestellt werden konnte, was vielleicht manchmal
in’ forensischer Hinsicht von Bedeutung sein könnte.
-Infanterist K. des Inf.-Regts. Nr. 100 hat beim Hantieren mit
Kohlestücken eine kleine Rißwunde an der Dorsalfläche des rechten
Daumens erlitten. Die Rißwunde soll innerhalb weniger Tage unter einem
aseptischen Verbande geheilt haben. Kurze Zeit darauf acquirierte der
Patient drei venerische Geschwüre, die an der Lamina interna praeputii
ihren Sitz hatten; die Geschwüre waren gut erbsengroß. Im weiteren
Verlauf kam es auch zu einer Vergrößerung und eitrigen Einschmelzung
der rechtsseitigen Leistendrüsen. Dieser Bubo erforderte eine Incision;
die Incisionswunde heilte innerhalb 19 Tagen. Um diese Zeit war noch:
ein Ulcus molle am Penis nicht geheilt; es war jedoch schon ein
gereinigtes Geschwür vorhanden, das von den Rändern her
zu epithelisieren begann. -
Bei einer Visite wurde bemerkt, daß der Mann den rechten Daumen
verbunden hatte. Auf Befragen gab Patient an, seit drei Tagen sei
seine, ursprünglich bereits geheilte Rißwunde wieder aufgebrochen, „sie
eitere und vergrößere sich immer mehr“. |
Die Untersuchung ergab nachstehenden Befund: An der Rücken-
fläche des Daumens ein zirka zehnhellerstückgroßes Geschwür, dessen
Grund stark eitrig belegt ist, dessen Ränder entzündet, Tendenz zur
eitrigen Einschmelzung und Vergrößerung des Geschwürs in die
Fläche zeigten; an einzelnen Stellen waren die Ränder untermi-
niert. Die Drüsen der Achselhöhle derselben Seite waren geschwellt und
schmerzhaft. > - | | Foa
Schon das klinische Bild ließ im Verein mit der Anamnese
die Diagnose auf Ulcus molle stellen. Zur Sicherstellung der
Diagnose wurde der Eiter mikroskopisch untersucht und ergab
neben -Staphylokokken das Vorhandensein von Ducreybacillen,
Auch ein: Kulturversuch auf Blutagar ergab diesen Bacillus?).
Auf Anwendung von Jodoformsalbe reinigte sich das Geschwäür
binnen drei Tagen und erfolgte die vollständige Heilung in 14 Tagen.
Der Bubo der Achselhöhle ging auf essigsaure Tonerdeumschläge
in vier Tagen gänzlich zurück. Es ist ‘einleuchtend, daß das
Ulcus am Daumen bei nicht gehöriger Sorgsamkeit' seitens des
Patienten durch Uebertragung des Eiters des Ulcus am Penis in die
bestandene Excoriation (Rißwunde) entstand. Berücksichtigt man
jedoch, daß zur Zeit, als das Daumenulcus vom Arzte gesehen
wurde, das Ulcus am Penis bereits gereinigt, in Epithelisierung
begriffen war,.so war die Angabe des Mannes, daß das Daumen-
uleus erst seit drei Tagen bestehe, eine unrichtige; denn in dem
Maß, als der Schanker älter wird, verliert sein Eiter die Virulenz
immer mehr. Von einem gereinigten Geschwür ist eine Auto-
infektion um so weniger möglich. Mradek behauptet auch, daß
die Entstehung der Adenitis selten in die ersten zwei Wochen
nach dem Auftreten des Geschwürs fällt. |
Diese Bedenken wurden dem Manne vorgehalten, und gab er
auch dann zu, daß das Ulcus am Daumen kürze Zeit nach der
Infektion am Penis, etwa nach zehn Tagen, aufgetreten war.
Aus der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses
| Oschersleben. i
Nekrosen an der Hand infolge Anwendung
von Umschlägen mit essigsaurer Tonerde -
. von
Dr. Esau.
(Mit einer Abbildung.)
Nachdem die Carbolsäurelösungen glücklicherweise nur
mehr selten, auch vom Laien, zur Verwendung kommen, sieht man
die früher so häufige Carbolgangrän nur in Ausnahmefällen; un-
gefährliche Mittel haben allgemeine Aufnahme gefunden, haben die
antiseptischen Methoden verdrängt, je mehr die Asepsis an Boden
gewann. Lösungen von Borsäure, als einfachstes Mittel das ab-
gekochte Wasser wurden zu Umschlägen verwendet; auch der Al-.
koholverband, technisch richtig angelegt, das heißt Vermeidung
vollkommen luftdichten Abschlusses, ist sehr beliebt, wenn auch
bei ihm Schädigungen der Haut beobachtet wurden. Derartige
Vorkommnisse lassen sich aber immer vermeiden, wenn die Vor-
schriften der Technik befolgt werden. MIR
Als ganz harmloses Mittel gilt allgemein, in gewissen Ver-
dünnungen benutzt, die Lösung der essigsauren Tonerde; sie
ist ein fast in jeder Hausapotheke vorrätiges und von Laien sehr
fleißig benutztes Heilmittel. Daß auch eine essigsaure Tonerde-
lösung Unheil stiften kann, ist der Zweck dieser Zeilen zu beweisen.
Die erste böse Erfahrung mit dieser Flüssigkeit machte ich andernorts
vor mehreren Jahren: Es handelte sich um einen sonst gesunden Jungen, dem.
wegen eines unbedeutenden Panaritiums an einem Finger vom vorbehan-
delnden Arzt ein Umschlag mit essigsaurer Tonerdelösung um alle Finger ge-
macht wurde. Der Verband war so angelegt worden, daß mit der Lösung
getränkte Watte um die ganze Hand und darüber ein dichtabschließender
Billrothbatistlappen gelegt wurde; ein Bindenverband wurde nicht beson-
ders fest darüber gelegt. Das ungewollte Resultat dieser Behandlung
nach 24 Stunden war eine Nekrose sämtlicher Fingerkuppen
beziehungsweise der Nagelglieder, und die Zerstörung war eine
derartig hochgradige, daß später ausgedehnte Plastiken nötig wurden.
Der erste Gedanke war natürlich, als der Kranke in die
klinische Behandlung aufgenommen wurde, es könne sich nur um
Verwendung von Carbol handeln; das vom Apotheker auf Ver-
langen des vorbehandelnden Arztes übersandte Rezept klärte uns
jedoch dahin auf, daß eine stark verdünnte, auch sonst übliche
. Lösung an Liq. alumin. acet. verwendet war. |
Bei der Beurteilung des Effekts ließ sich immerhin an
irgendwelche unglücklichen .Zufälle denken; es konnte sich um ein
Individuum mit besonders empfindlicher Haut, um nervöse Ver-
änderungen handeln, nichts davon war festzustellen. Irgendwelche
Sensationen, Kribbeln oder das Gefühl des Eingeschlafenseins,
Taubheit der Finger waren von dem Knaben nicht bemerkt worden;
auf einen zu fest angelegten Verband sich zu versteifen, ist eben-
sowenig angängig. | E S =i
Ehe weitere Schlüsse zu ziehen waren, mußte man zunächst
einmal mehrere derartige Fälle beobachten, da dieser einzige die
Sachlage nicht klärte.
1) Für die Vornahme dieser Untersuchungen bin ich Herrn .Regi-
mentsarzt Dr. Rozehnal zu Dank verpflichtet.
N
trag
aaua war De Vie ge
Gr EEE Ei
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—_
wo.
Pr er
f
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|
14. Juli.
. Vielleicht war es nun ein Zufall, wenn innerhalb kurzer Zeit
wieder drei Fälle. uns zugewiesen wurden, die gleiche und schwere
Beeinträchtigungen durch. Verwendung essigsaurer Tonerdelösung
aufwiesen. Wie gleich vorausgeschickt. werden soll, haben ‚wir bei
früher ziemlich ausgedehnter Verwendung der Lösung niemals
irgendwelche üblen Erfahrungen gemacht. Die Verbände wurden so
angelegt, daß diein der Lösung getränkten, ziemlich kräftig ausge-
drückten ‚Watterollen.lose umgewickelt und mit Billrothbatiststreifen
in Bindenform gedeckt wurden; das ganze wurde durch ebenfalls
locker umgelegte Gazebinden ‚gehalten. Der freien Verdunstung
waren somit keine wesentlichen Schranken gesetzt. Unter Um-
ständen wurde vor Umlegen der Gazebinden nochmals trockene
Watte übergelegt; auch bei: sehr. beschleunigtem Austrocknen der
Umschläge war innerhalb 24 Stunden höchstens ein zweimaliger
Verbandwechsel nötig. |
Nicht viel anders sollen nach Angabe der Patienten die Ver-
bände gemacht worden sein, unter denen sich die Nekrosen er-
eigneten. Daß es sich in den Fällen keinessfalls oder auch nur
hauptsächlich um Schädigungen handelt, die in der Natur des.
Leidens lägen,. geht aus der bereits mitgeteilten Beobachtung her-
vor, wo außer dem einen kranken noch vier gesunde Finger er-
krankten. Die Gangrän, wie wir sie nicht selten bei
heftigen Entzündungen im Bereiche dünner Gewebsteile
als Folge der gestörten Circulation sehen, ist in unsern
Fällen als Ursache auszuscheiden. | Zr
Zunächst mögen die Krankengeschichten folgen: |
1. 24jühriges Mädchen; es erkrankte einige Tage vor der Aufnahme
die am 18. Mai 1909 erfolgte, mit Schmerzen im Grundglied
der Zeigefingerstreckseite; die Beschwerden waren ziemlich groß,
der ganze Zeigefinger und der dem Zeigefinger zugehörige Handrücken-
teil schwoll an. Vom Arzte wurde ein Verband von essigsaurer
Tonerdelösung angelegt, der auch den Mittelfinger einbezog,
obwohl.er nicht krank war. Nach kürzester Zeit war die Haut des
ganzen Zeigefingerendglieds und ‘das halbe Mittelfingerend-
glied blauweiß verfärbt und 'gefühllos. Die Schmerzen dauerten
an, das Mädchen wurde dem Krankenhaus überwiesen.
Bei der Aufnahme wurde folgender Befund erhoben: Die rechte
Hand zeigt eine starke ödematöse Schwellung und Rötung im Bereiche
des ganzen Handrückens, des zweiten und dritten Fingers; alle Be-
wegungen sind sehr schmerzhaft. Das ganze Endglied des Zeige-
fingers und mehr als das halbe Mittelfingerendglied zeigt eine
blauschwarze Verfärbung, die Epidermis ist zum Teil in
Blasen abgehoben. Das Gefühl für Berührung wie für tiefe Stiche ist
vollkommen geschwunden. Im Uebergange zur normalen Haut beginnt
bereits eine demarkierende Entzündung.
‚. „Unter trocknem Verband und -Ruhigstellung gehen die entzünd-
lichen Erscheinungen rasch zurück, die Schmerzen schwinden. Da mög-
lichst. viel vom Finger erbalten bleiben soll, verfolgt man abwartende
Therapie, Nach Abstoßung der Hautnekrosen zeigt sich, daß auch die
Endphalangen teilweise abgestorben sind; nach Loslösung mehrerer kleiner
Sequester werden die Defekte gedeckt.
2, 3ljährige Frau; Aufnahme am 9. Juni 1909. Patientin erkrankte
nach einer. Verletzung am Rücken des Zeigefingerendgliedes drei Tage vor
der Aufnahme mit heftigen Schmerzen an der Verletzungsstelle. Vom
Arzte wurden zwei Einschnitte am Fingerrücken gemacht und Umschläge
mit essigsaurer Tonerdelösung angeordnet. Da sich Zeichen einer
sehwereren Infektion, Lymphangitis des ganzen Armes mit Achseldrüsen-
schwellung und Temperaturen bis fast 40° einstellten, wurde die Frau ins
ankenhaus geschickt. | Ä |
| Neben den schweren entzündlichen Veränderungen am Handrücken
und Unterarme sah man am Zeigefinger folgendes: das Mittel- und
Endglied ist blauschwarz verfärbt, stark geschwollen und
vollkommen gefühllos, eine Incision von 3/ cm Länge am Dorsum
des Endglieds ist schmierig belegt. Be
Unter Rühigstellung geht nach zwei Tagen die Temperatur auf die
Norm zurück, die Demarkierung beginnt; acht Tage nach der Aufnahme
. die Wunde sauber und läßt sich decken. Dabei stellt sich heraus,
aß auch die Phalangen teilweise nekrotisiert sind.
., „Dieser Fall ist ätiologisch nicht so unbestritten eindeutig
A Fall 1: es läßt sich nicht bestreiten, daß die Nekrose auch
durch die Entzündung allein verursacht werden konnte. Doch
schien mir seinerzeit eine Schädigung durch die Anwendung der
essigsauren Tonerde sehr naheliegend, zumal die Nekrose central-
wärts weit über den Infektionsherd hinaufging.
jeid 3. 19jähriges Mädchen;. Aufnahme am 7. Juli 1909. Patientin
eidet seit drei Monaten an einem Ekzem der linken Hand; es konnte seine
bee dabei verrichten, die Schmerzen waren nicht erheblich. Zwei Tage
ie or Aufnahme warde von einem Hautspezialisten ein essigsaurer Ton-
š verband um die ganze Hand gelegt; als .der Verband am folgenden
Ne porn war, bemerkte das Mädchen eine schwarze Verfärbung auf
tefi andrücken von mehr als Talergröße. Es stellte sich dann eine
ge Entzündung des Handrückens, des Armes und eine schmerzhafte
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —. Nr. 28.
‘rote Streifen sichtbar.
| allen Fällen einfache Fol-
die nur kurz erwähnte
1157
Schwellung. der Achseldrüsen ein und das: Mädchen wurde dem Kranken-
haus überwiesen. x Kae | 1
Das Mädchen klagt über starke Schmerzen im ganzen linken Arme;
die Achseldrüsen sind stark geschwollen, die Lymphbahnen als lebhaft
Der Handrücken und die Finger zeigen ein
mächtiges Oedem und sind gerötet. Auf dem Handrücken mehr nach
der radialen Seite hin bemerkt man eine fast kreisrunde: schwarze
Verfärbung der Haut von etwas mehr als 4 cm Durchmesser.
Diese Stelle fühlt sich lederartig derb an und ist gefühllos;
die angrenzende Hant ist intensiv gerötet; und beginnt sich an einzelnen
Teilen bereits von-der abgestorbenen Haut ’abzulösen. Fünf Tage: nach
Krankenhausaufnahme läßt sich die nekrotische Hautplatte (siehe die
gleichzeitig gemachte Abbildung) mit einigen Scheerenschlägen ab-
heben; es liegt ein tiefer = = '
Defekt vor, auf- dessem ua
Grunde die Strecksehnen
eben von Granulationen be-
deckt zu sehen sind. Hei-
lung durch Thiersch.
l Das sind die drei
Fälle, über die ich berich-
ten kann, in den folgenden
Jahren sah ich keinen der- -
artigen Fall mehr. Ä
DieEntkräftung des
Einwandes, es lägen in
gen einer schweren Ent-
zündung vor, erleichtert
Beobachtung bei dem i
Knaben und die erste der mitgeteilten Beobachtungen, indem außer
dem einen kranken einmal weitere vier, das andere Mal ein gesunder
Finger von der Nekrose befallen wurde. Im zweiten Fall entwickelte
sich die Nekrose über den eigentlichen Entzündungsherd centralwärts
hinauf. Bei dem dritten Falle schloß sich direkt an die Anwendung
der essigsauren Tonerde die Nekrose an, ein bis dahin chronisches,
auf dem Handrücken lokalisiertes, unmerklich schmerzhaftes Ekzem -
wurde über Nacht in ein schwer entzündliches, den ganzen Arm
ergreifendes Leiden umgewandelt, bei dem die Besserung mit dem
Fortlassen der wahrscheinlich schädigenden Flüssigkeit einsetzte.
Eine schwere Entzündung bestand, mit Ausnahme der zweiten
Beobachtung vielleicht, keineswegs, wesentlich verschlimmert wurde
bei allen Fällen der Zustand durch die Umschläge
Ob die Verbände fehlerhaft angelegt wurden, entzieht sich
meiner Beurteilung, es liegt aber kein Grund zu dieser Annahme
vor; ebenso fehlen alle Anhaltspunkte zur Annahme, daß die ver-
wendeten Lösungen eine über das Gewöhnliche hinausgehende
Konzentration gehabt hätten. _ | |
Möglicherweise spielen nervöse Abweichungen eine Rolle,
wie auch eine Idiosynkrasie gegen das Mittel nicht von der
Hand: zu weisen ist. I LTR = i
Am wahrscheinlichsten jedoch ist, daß die schädigende Wir-
kung in unsern Fällen so zustandegekommen ist, wie wir es von
andern chemischen Mitteln kennen. Auch in starker Verdünnung
noch sind sie gefährlich; wesentlich mehr dann, wenn der Schutz
der. Epidermis fehlt, oder wenn durch entzündliche‘ Prozesse
Störungen der Circulation begünstigt werden. Durch Entziehung
von Wasser und Schrumpfenmachen gibt dann die chemische
Schädlichkeit der Lebensfähigkeit des Gewebes den tödlichen Stoß,
der Anämie beziehungsweise Stase folgt die trockne Gangrän. `
Befördern kann diese Vorgänge ein Verband. der zu fest-an-
gelegt oder luftdicht abgeschlossen ist; der erste Fehler läßt sich.
bei unsern Fällen ausschalten; niemals ‘war der erkrankte Teil
allein eingebunden, sondern entweder war der Nachbarfinger: mit
einbezogen oder der Verband deckte die ganze Hand. ` |
Nach allem können wir uns der Auffassung nicht
verschließen, daß gelegentlich die essigsaure Tonerde
in gebräuchlicher Lösung Schädigungen anrichtet, die
denen: nach Anwendung von Carbolsäure nicht nach-
stehen sowohl was Schnelligkeit wie Tiefenwirkung'
anlangt. Es ist daher wohl angebracht, ein Mittel, dessen bak-
terientötende Wirkungen, dessen Einfluß auf den Ablauf von Ent-
zündungen nicht sehr hoch anzuschlagen ist, auszumerzen oder
jedenfalls mit der nötigen Reserve anzuwenden. Indifferente Mittel,
abgekochtes Wasser oder dünne Borsäurelösungen leisten dasselbe
und sie bewahren uns vor derartig unliebsamen Überraschungen,
die Patienten vor Schädigungen. |
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1158 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14. Juli.
Aus der Bakteriologischen Abteilung (Leiter: Priv.-Doz. Dr.
Liefmann) und der Ersten inneren Abteilung (Direktor: Prof.
Dr. L. Kuttner) des Rud.-Virchow-Krankenhauses in Berlin.
Die Lokalisation
der Säuglingssterblichkeit in Berlin und ihre
Beziehungen zur Wohnungsfrage
von
Priv.-Doz. Dr. H. Liefmann und Dr. Alfred Lindemann.
(Schluß aus Nr. 27.)
Praktischer Teil.
-Wenn wir im folgenden im Anschluß an unsere Ermittlungen
über die Verteilung der Sterbefälle und die Wohnungsverhältnisse
der Gestorbenen einige praktische Gesichtspunkte besprechen
sollen, so müssen wir dabei die Erfahrungen der letzten Jahre
über die schädlichen Folgen der unmittelbaren Ein-
wirkung der Hitze auf die Kinder zugrunde legen. Aus den
Beobachtungen Finkelsteins, L. F. Meyers und unsern eignen
hat sich ja ergeben, daß gerade bei uns in Berlin diese Art
der Wirkung der meteorologischen Faktoren eine gewichtige
Rolle spielt.
Man kann die Maßnahmen, die bisher vom Staate, der Kom-
mune oder von Privaten zur Minderung der Säuglingssterblichkeit
in Berlin ergriffen worden sind, einteilen in solche mit prophy-
laktischen und mit. therapeutischen Zwecken. Die Kranken-
häuser für Kinder repräsentieren den letzteren Typus der Für-
sorgebestrebungen, die Säuglingsfürsorgestellen den ersteren.
| Wir glauben nun, daß die Erfahrungen des Jahres 1911 ein-
dringlich dafür sprechen, daß die Organisation der prophy-
laktischen Einrichtungen eine Erweiterung und Ver-
besserung erfahren sollte. Wie notwendig dies ist, läßt sich
leicht in einwandfreier Weise zeigen. Von sämtlichen 989 Kindern,
die in den Tagen der größten Hitze des vergangenen Sommers
(vom 22. Juli bis 15. August) starben, sind nach Ausweis der
Totenscheine 129 innerhalb der ersten 24 Stunden, 236 innerhalb
48 Stunden zugrunde gegangen. Also. fast ein Viertel aller
Fälle starb in den ersten beiden Tagen der Erkrankung ').
Bei einem so rapiden Verlauf vieler Fälle ist es ohne
weiteres klar, daß jede Fürsorge, die den Kindern erst im Laufe
ihrer Erkrankung zugute kommen soll, zu spät kommen muß.
Hier gibt es nur ein Mittel, das helfen kann, und dies heißt:
rechtzeitige Prophylaxe. Man wird nun einwenden, wir
haben ja in Berlin eine ganze Reihe von Fürsorgestellen, deren
eigentliche Aufgabe die Prophylaxe ist, Gewiß! Wenn aber
trotzdem in einem heißen Sommer eine so große Zahl von Säug-
lingen wie im letztvergangenen stirbt, so ist das unseres Er-
achtens ein Beweis dafür, daß die Fürsorgestellen ihrer Aufgabe
noch nicht in’ einem genügenden Umfang oder in der besten
Weise gerecht werden.
Es sind zwei Forderungen, die man unseres Erachtens in
Zukunft an die Berliner Fürsorgestellen stellen muß. Die erste
lautet, daß sie einen viel größeren Kreis von Säuglingen umfassen
müssen, als es bisher der Fall war. 1909 beaufsichtigten die
sieben Anstalten noch nicht einmal ganz ein Drittel aller Berliner
Säuglinge. Man müßte den Versuch machen, die Kinder alsbald
nach ihrer Geburt in Fürsorge zu nehmen und so lange wie mög-
lich darin zu behalten.
Dieser Forderung wird man an einigen Orten bereits ge-
recht. Die Erfolge waren dabei in kühlen Jahren auch zweifellos
gute. Jedoch hat sich im vergangenen Jahre deutlich gezeigt, ‚daß
diese Einrichtung trotzdem nicht ausgereicht hat, um den mächtigen
Einfluß der Hitze des letzten Sommers zu paralysieren. Die Sterb-
lichkeit ist auch in diesen Gemeinden wiederum erheblich ge-
stiegen. Es liegt dies unseres Erachtens daran, daß dort noch
nicht in genügender Weise der zweiten Forderung genügt wird,
die man an die Säuglingsfürsorgestellen richten muß. Diese lautet
kurz: Berücksichtigung der Wohnungsverhältnisse.
Ist eine solche Forderung berechtigt? Wir glauben in dem
ersten Teil unserer Arbeit gezeigt zu haben, daß sie es ist. Die
meisten Mißstände, die das Leben der Kinder in den Wohnungen
der ärmeren Bevölkerung bedrohen, sind keineswegs derartige,
daß eine Abstellung derselben nur unter Aufbringung ‚gewaltiger
Mittel oder erst im Laufe einer längeren Zeit zu erzielen wäre.
1 Wirklichkeit sind die Zahlen noch höhere. Auf einer nicht
ie Zahl von Totenscheinen fehlt eine Angabe über die Dauer der
Frkrankung,
Der Gedanke, daß diese Zustände erst verschwinden werden, wenn
man die Armut ausgerottet haben wird, hat für die Säuglings-
sterblichkeit keine Berechtigung. Durch eine vernünftige Wohnungs-
hygiene kann unseres Erachtens auch heute schon ein erheblicher
Nutzen gestiftet werden. Ein Teil dieser Aufgabe sollte den Säug-
lingsfürsorgestellen zufallen. |
Es ist ohne weiteres klar, daß zu ihrer Lösung die bisherige
Tätigkeit dieser Anstalten nicht ausreicht. Von der Sprechstunde
aus lassen sich die Wohnungsverhältnisse nicht beurteilen und
noch weniger beeinflussen. Das kann nur geschehen durch Be-
suche in den Wohnungen, und diese müssen ausgeführt werden
durch besonders geschulte Beamte oder Beamtinnen. Bekanntlich
werden schon jetzt in Berlin die Säuglinge von den Fürsorge-
stellen aus gelegentlich in ihrer Wohnung aufgesucht. Aber diese
Recherchen haben wesentlich den Zweck, die tatsächliche Durch-
führnng der gegebenen Ratschläge zu kontrollieren!). An diese
Institution sollte angeknüpft und mit der Kontrolle eine sorgfäl-
tige Inspektion der Wohnungsverhältnisse verbunden werden.
Dann müßte der Versuch unternommen werden, durch prak-
tische Ratschläge, eventuell durch zweckmäßige Unterstützung die
Wohnungsmängel zu beheben oder zu mildern. Das Verfahren
würde im wesentlichen dem in der Tuberkulosefürsorge üblichen
ähneln. Während aber dort die Verhütung der Tuberkuloseüber-
tragung das Ziel darstellt, würde es hier lauten: Verhütung
der Ueberwärmung des Kindes. Die Wege, auf denen dies
erreicht werden kann, wollen wir nur kurz andeuten. Soweit man
von guten Ratschlägen einen Erfolg sich versprechen kann?),
würden diese die Reinhaltung der Wohnung, die Lüftung, den
Schutz vor zu starker Besonnung, die Vermeidung hoher Wärme-
grade beim Kochen, Bügeln und sonstiger Hausarbeit, die zweck-
mäßigste Bekleidung des Kindes (ein sehr wichtiger Punkt) und
seine Pflege betreffen. Der Wohnungsüberfüllung müßte durch
Mietszuschüsse (Vermeidung des Schlafstellenwesens, Hinzu-
mieten eines Raumes usw.) bekämpft werden. In Fällen, in denen
eine Verbesserung der Wohnungszustände nicht durchführbar er-
scheint, könnte schließlich die Entfernung des Kindes aus der
Wohnung (Verbringung in Krippen) in Frage kommen. Daß neben
allem diesem die Sorge für die zweckmäßigste Ernährung des Säug-
lings (Brustnahrung, Vermeidung der Ueberfütterung im Sommer
usw.) nicht vernachlässigt werden darf, sei ausdrücklich betont.
Eine derartige Fürsorge sollte nicht nur möglichst vielen
Säuglingen zuteil werden, sondern auch so früh wie möglich
nach der Geburt Platz greifen. In erster Linie würden natürlich
diejenigen Säuglinge eines Schutzes bedürfen, die einer natürlichen
Ernährung nicht teilhaftig werden können. Aber auch die Brust-
nahrung verleiht in Zeiten großer Hitze keinen völligen
Schutz.
Das hat das vergangene Jahr wiederum klar gezeigt.
Es starben nämlich 1911 in Berlin im
N . N Sep- Ok- Zu-
| Mei | Juni | Juli | August tember tober jera
| ;
a) nur mit Muttermilch
ernährte Säuglinge . 53 51 74 107 66 69 409
b) mit Ammenmilch er-
nährte Säuglinge . . 3 5 6 11 3 2 30
c) mn ernährte
äuglinge . :» .» à 44 42 | 79 202 138 13 573
| 10 | 28 | 159 | 320 | 201 | 184 | 102
Die natürlich ernährten Kinder zeigten also im August eine
doppelt so hohe Sterblichkeit als in der kühlen Zeit, die gemischt
ernährten sogar eine um das Vierfache erhöhte,
Wil man das hier skizzierte Programm durchführen, so
muß man unterscheiden, ob in einer Gemeinde bereits eine be-
sondere Wohnungsfürsorge (Inspektion) besteht oder nicht. Ist
dies der Fall, so dünkt es uns am besten, wenn die Säuglings-
fürsorgestellen in möglichst nahe Beziehungen zu den Wohnungs-
ämtern treten und deren Organen die praktische Durchführung Im
wesentlichen überlassen. | ,
Damit dies aber mit gutem Erfolg geschieht, ist es eine not-
wendige Voraussetzung, daß die Beamten (oder besser Beamtinnen)
der Wohnungsinspektion durch die Leiter der Bäuglingsfärsorg”"
stellen eine gründliche Belehrung über die speziellen Anfor a
rungen der Säuglingsbygiene erfahren. Kenntnisse in der Gesun
heitslehre sind überhaupt für diejenigen, die Wohnungsfürsorge
1) An andern Orten finden auch sogenannte Geburtsrecherchen res
2) Und die Erfolge der le a in piron sprechen sehr )
daß oft auch bloße Ratschläge großen Nutzen stiften.
rt u vr. ch Een ana d
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14. Juli
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 1159
treiben, unbedingt erforderlich. Die schwersten Uebelstände, die
schlechte Wohnungsverhältnisse zur Folge haben können, sind
doch schließlich Krankheit und Tod. Darauf sollte viel mehr, als
es bisher geschieht, Rücksicht genommen, und die mit der Für-
sorge Beauftragten aufs gründlichste über die Ursachen und die
Verhütung der ansteckenden Krankheiten, der Säuglingssterblich-
keit usw. aufgeklärt werden. |
In Gemeinden, in denen ein besonderes Amt nicht besteht,
wird die Wohnungsfürsorge den Organen der Säuglingsfürsorge-
stelle selbst zu übertragen sein. Dabei wird eine spezielle Aus-
bildung sich gleichfalls als nötig erweisen. Aber auch hier wird
die Fürsorgestelle, deren Mittel ohnedies beschränkte sind, nur
dann Ersprießliches leisten, wenn sie in engsten Konnex mit
andern Fürsorgebestrebungen und Wohltätigkeitsanstalten tritt.
Durch ein planmäßiges Handinhandarbeiten der vielen,
spezielle Zwecke verfolgenden Vereinigungen kann unsers Erach-
tens großer Nutzen gestiftet werden. Darauf haben einsichtige
Hygieniker und Pädiater wie Pütter!), Baginsky?) und Andere
schon seit langem aufmerksam gemacht. Eine CGentralisierung
oder Vereinheitlichung der Fürsorgebestrebungen in einer
Gemeinde oder wenigstens eine zweckvolle Leitung derselben von
einer Centralstelle aus ist gerade auf dem Gebiete der Wohnungs-
fürsorge am meisten wünschenswert. Denn die Wohnungsfrage
(im weitesten Sinne des Wortes) ist das Grundproblem, auf das der
Hygieniker bei der Untersuchung der verschiedensten gesundheit-
lichen Fragen immer wieder zurückkommt. Wie sehr sich die
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit mit der anderer gesund-
heitlicher Mißstände berührt, das geht klar aus der folgenden
Beobachtung hervor. Herr Geh. Rat Nesemann — dem wir für
diese Mitteilung zu bestem Danke verpflichtet sind — hat für die
letzten fünf Jahre die Lokalisation der Diphtherie- und Scharlachfälle
in Berlin einem Studium unterworfen und dabei gefunden, daß
diese Krankheiten vorwiegend in ganz bestimmten Stadtteilen
nisten, Die Bezirke, die Herr Geh. Rat Nesemann uns als die
Hauptherde der Diphtherie und des Scharlachs bezeichnete, sind
nun genau dieselben, die wir als Centren der Säuglingssterblich-
keit angegeben haben. Ganz Aehnliches scheint für Halle zuzu-
treffen, wie wir den Ausführungen des dortigen Stadtarztes, Prof.
v. Drigalski®), entnehmen. Die Häuser, in denen dort eine
hohe Kindermortalität herrscht, sind auch zugleich der Sitz vieler
Tuberkulosefälle. Das zeigt uns von neuem, daß für die Entwick-
lung der Säuglingssterblichkeit durchaus nicht nur die baulichen
Momente, auf die Meinert aufmerksam gemacht hat, in Betracht
kommen. Denn die Entstehung des Scharlachs, der Diphtherie,
der Tuberkulose ist eine wesentlich andere als die des Sommer-
gipfels der Kindersterblichkeit, und doch sind es dieselben Häuser
und Stadtteile, in denen alle diese Uebel ihren Sitz haben.
‚ Die Wohnungsfürsorge, die in diesen Bezirken ausgeübt
Has wird daher der Bekämpfung zahlreicher Krankheiten zugleich
ienen,
Dies zeigt klar, daß die so verschiedene Ziele verfolgen-
den modernen Fürsorgebestrebungen viel mehr als bisher zusammen-
arbeiten sollten und ihr Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung der
zahlreichen Wohnungsschäden richten müßten. Auf diesem Gebiet,
auf dem auch der Kampf gegen die Tuberkulose und so manche
andere Krankheit ausgefochten wird, wird auch die Entscheidung
über die Säuglingssterblichkeit fallen.
Nachtrag zur:
Umfrage
über
die Entkapslung der Niere bei akuter und chronischer
Nierenentzündung. |
(Schluß aus Nr. 27.)
Prof, Dr. Schloffer, Direktor der chirurg. Universitäts-Klinik, Prag:
‚ Wenn es im Verlauf einer akuten Nierenentzündung
zu einer Verschlechterung der Circulationsverhältnisse in der Niere
mit renaler Blutstauung kommt, die zur Anurie führt, so ist die
ekapsulation oder die N ephrotomie nicht selten imstande,
en Spannungszustand zu beheben und die Nierenfunktion wieder
Im
. ‚) Patter, Die Vereinigung der Fürsorgebestrebungen in einer
wel (Die Hygiene 1911, H.2 bis 4.) : l a AR
plege in pai 8 ky, ‚Vortrag im` Deutschen Verein f. öff. Gesundheits-
iet A Drigalski, Verhandlungen des Deutschen Centralkomitees
ekämpfung der Tuberkulose. 1909, S. 87.
in Gang zu bringen. Dies gilt vor allem, aber keineswegs aus-
schließlich, für die Nephritis der Schwangeren mit Eklamps»ie.
Bei dieser kommt man, wie es scheint, mit der Dekapsula-
tion aus. Bei andern Fällen steht die Frage noch offen, ob nicht
die Nephrotomie — freilich der größere Eingriff — dem eingepreß-
ten Parenchym besser Luft macht. Ich würde bei Anurie wegen
akuter Nephritis, wenn die interne Therapie versagt, kein Be-
denken tragen, zu enthülsen oder, wenn der Kräftezustand noch
günstig ist, zu nephrotomieren (unvollkommener Sektionsschnitt).
Auch bei akuter pyogener Nephritis, urogen oder
metastatisch, kommt die Euthülsung in Frage, doch ist hier die
Nephrotomie der wirksamere Eingriff. Auf diesem Gebiete ver-
danke ich der Nephrotomie bescheidene, jedoch über allen Zweifel er-
habene Erfolge. Am besten wird die Nephrotomie gemacht, so-
lange es noch zu keiner richtigen Absceßbildung in der Niere ge-
kommen ist. Bei Vorliegen corticaler Abscesse ist unbedingt auch
die Kapsel abzustreifen.
Bei der chronischen Nephritis kann die Dekapsulation
oder die Nephrotomie vor allem zur Beseitigung gewisser Sym-
ptome, wie Schmerzen und Blutungen, sehr wertvolle Dienste
leisten, wie ich selbst an mehreren Fällen (Nephrotomie) erfahren
habe. Weniger günstig sind die Aussichten der Operation in
bezug auf die Beeinflussung des chronischen Morbus Brightii als
solchen. Allerdings hat der Pessimismus, der in dieser Hiusicht
in den letzten Jahren fast überall Einzug gehalten bat, durch
Kümmells Ausführungen am letzten Chirurgenkongreß einen
Stoß erhalten. Auch ich verfüge über einen Fall von anatomisch
sichergestellter chronisch-parenechymatöser Nephritis mit äußerstem
Verfall der Kräfte, der vor sechs Jahren beiderseits operiert
wurde und seither subjektiv völlig geheilt und allen körperlichen
Strapazen gewachsen ist.
Bemerkungen zu der Abhandlung:
Ueber die Abwartung der Geburt in Beckenendlage von
Prof. Hannes in Nr. 21, 1912
von
Dr. Rheins, Geh. San.-Rat, Neuß.
In dem Vortrage vermisse ich gänzlich die Expressionsmethode,
nachdem der halbe Steiß geboren ist, welche in den weitaus meisten
Fällen, richtig angewendet, vorzügliches leistet.
Kristellers Verdienst ist es (1874), die Expressionsmethode bei
Beckenendlagen, welche nach Floß schon von den ältesten Naturvölkern
geübt wurde, von neuem eingeführt zu haben. Sie war schon bekannt
Albacasis, Rodericusa Castro, Jacob Rüff, Ambroise Paré und
Joh. van Horn. Kristeller trat mit seiner Methode hervor, nachdem
Crede einige Jahre früher den äußeren Druck für die Placenta emp-
fohlen. — Vogel (Würzburg) und Opitz (Marburg) sowie Andere sagen
mit Recht, daß, sobald der vorliegende Teil tief im Becken steht und auf
den Damm drückt, bei vollständig erweitertem Muttermunde die Expres-
sion sehr wirksam sei und Zange und Steißextraktion erspare.
Die Methode wird indessen noch immer viel zu wenig ausgeübt
bei Beckenendlagen, trotzdem sie älter ist, wie die Wendung auf die
Füße. Sie erspart das oft schwierige Lösen der Arme mit ihren Humerus-
und Fossa glenoidalis-Brüchen, verhindert größere Dammrisse, die bei
Erstgebärenden durch Eingehen der Hand beim Armlösen leicht vor-
kommen, und sie ist die schonendste Methode, weil sie während der
Wehe angewendet wird, wo der Druckschmerz den Wehenschmerz kaum
steigert. |
Ich übe sie so, daß ich die Kreißende anweise, mir nicht in die
Hände zu greifen, und während der Wehen, welche Brust, Arme und den
Kopf befördern sollen, auf das Kommando: Drücken, Drücken, Drücken!
energisch selbst mit zu pressen. Auf diese Weise gelang es mir, bei
87 Beckenendlagen seit dem Jahre 1882 29 Expressionen ohne Arm-
lösungen mit gutem Erfolg auszuführen. Drei hiervon waren Erst-
gebärende. Folgt der Kopf nicht zugleich, was selten der Fall, so kann
er jetzt sehr leicht durch den Smellie-Veitschen Handgriff entwickelt
werden, da er sehr tief steht.
„Den vorstehenden Bemerkungen über meinen Aufsatz in Nr. 21
d.Bl.: „Die Abwartung der Geburt in Beckenendlage“ möchte
ich folgendes gewissermaßen als
Schlußwort
anschließen. Ich habe nur die bei uns geübten und erprobten Methoden
erörtert; zu diesen gehört. der Kristellersche Handgriff nicht. Es lag
nicht in meiner Absicht, eine alle Methoden erschöpfend behandelnde Dar-
stellung zu geben. Der Kristellersche Handgriff stellt meines Erachtens
1160 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14, Juli.
ein oft nicht gleichgültiges Eingreifen in den geregelten Mechanismus
der Uteruscontractionen vor. Die Folge sind dann oft Wehenanomalien,
_ Dauercontractionen, eventuell auch vorzeitige Lösung der Placenta. Alles
für Mutter und Kind wenig gleichgültige, oft sogar recht verhängnisvolle
Vorkommnisse. Wollen wir im einschlägigen Falle und zwar nicht nur bei
Beckenendlagen die vis a tergo verstärken, mit andern Worten die nicht ge-
nügend ausgiebig wirkenden Wehen bessern, so stehen uns heute in Ge-
stalt der Hypopbysenextrakte — im Pituitrin und Pituglandol — sehr
brauchbare Mittel zur Verfügung, denen Gefahren für Mutter und Kind
trotz prompter Wirkungsweise nicht anhaften. Hannes.
- Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
. Aus dem Samariterhause zu Heidelberg
. (Direktor Geheimrat Prof. Dr. V. Czerny, Exzellenz).
Ueber die chemische Imitation der Strahlen-
- wirkung und Chemotherapie des Krebses‘)
u von |
Priv.-Doz. Dr. R. Werner,
‚Oberarzt am Samariterhause zu. Heidelberg.
Schwarz hat im Jahre 1903 bei der Bestrahlung von
Hühnereiern mit Radium eine Zersetzung des Dotterlecithins
beobachtet und die Vermutung ausgesprochen, daß die
Lipoide den primären Angriffspunkt der Strahlen bilden, und
daß ihre Zersetzungsprodukte durch ihre Giftwirkung die
Hauptträger der biologischen Strahlenwirkung sind. Wäh-
rend zeitweise die Möglichkeit der direkten Zersetzung des
Leeithins bezweifelt wurde, da manche Autoren keine deut-
lichen Veränderungen wahrnehmen konnten ünd den Abbau
des Lecithins in den Zellen für eine Wirkung der Autolyse
hielten, ist durch die ausgedehnten Versuche von Orlow
und Mesernitzky nun wohl definitiv entschieden worden,
daß den Strahlen ein direkter Einfluß auf die Lipoide zu-
geschrieben werden muß. Insbesondere sind es die Strahlen,
welche” sowohl in vitro, wie in gekochten Eiern, in denen
jede Mitwirkung von Fermenten ausgeschlossen erscheint,
das Leeithin vollkommen zu zerstören vermögen.
Es ist allerdings mit Sicherheit anzunehmen, daß wir
in der Veränderung der Lipoide nur einen Heilfaktor der
biologischen Strahlenwirkung zu sehen haben, wie ich wieder-
holt auseinandergesetzt habe, aber immerhin war. es von
Interesse, die Wirkung der Zersetzungsprodukte des Leci-
thins genauer zu untersuchen, und gelegentlich dieser
Studien konnte ich nachweisen, daß dieselben tatsächlich
imstande sind, an der Haut nach subepidermaler Injektion
Entzündungen hervorzurufen, welche der Radiodermatitis
ähneln. Nach sechs- bis achttägiger Latenzzeit entwickelte
sich ein Erythem mit Schuppung. Haarausfall, später Blasen-
bildung und Nekrose der Epidermis. Die zugrunde ge-
en Hautpartien stießen sich sehr langsam ab und
ührten zu pigmentarmen, unelastischen Narben mit pigmen-
tierter Umgebung. Aber nicht nur das makroskopische,
sondern auch das mikroskopische Bild ähnelte jenem nach
intensiven Bestrahlungen. Ich nannte daher das Verfahren
eine chemische Imitation der Strahlenwirkung.
Es wurde später festgestellt, daß die Zersetzungspro-
dukte des Lecithins diese Wirkung auch dann haben, wenn
der Abbau nicht durch eine Bestrahlung vorgenommen
worden war. Ferner gelang es, den Prozeß auch durch
einen einzigen Bestandteil, das basische Cholin, einzuleiten.
Dasselbe wurde in 2—5 %/,iger wäßriger Lösung verwendet.
Es zeigte sich bei Kaninchen eine Veränderung des Blut-
bildes, die zunächst in einer Leukopenie, nach fünf Stunden
aber in einer rasch ansteigenden Hyperleukocytose bestand,
genau wie nach Röntgenbestrahlung. Ferner wurden die
Iymphoiden Elemente der Milz und der Lymphdrüsen, sowie
deren Keimzentren zerstört, während die bindegewebigen
Anteile erhalten blieben. Es gelang auch, weibliche Kanin-
chen monatelang steril zu. halten, wobei es freilich fraglich
ist, ob nicht die mechanischen Insulte und die Beunruhigung
1) Nach einem am 5. Juli d. J. in der Gemman -
historisch-medizinischen Vereins in Heidelberg gehaltenen a zu
. der Tiere durch die Injektionen mitspielten. Bei Verminde-
rung der Dosen kam es jedoch zu Würfen mit teilweise
verkrüppelten Embryonen, die speziell auch an den Augen
jene Starbildungen zeigten, welche v. Hippel und Pagen-
stecher als Röntgenstare beschrieben haben.
Am schwierigsten war es, die Wirkung der Strahlen
auf die männlichen Geschlechtsorgane zu imitieren. Lokale
Injektionen führten allerdings leicht zur Zerstörung der
Spermatozoen und zur Schädigung: der Keimzellen unter
Erhaltung der Stützsubstanz, aber die Wirkung war von
jener der Strahlen durch eine stärkere entzündliche Infiltra-
tion unterschieden. Die Versuche, das gleiche Ziel durch
Injektionen am Orte der Wahl zu erreichen, scheiterte zu-
nächst an dem Umstande, daß hierzu enorm hohe Dosen
nötig waren, die bei dem geringsten Zerfall des Cholins
unter Abspaltung von Trimethylamin oder bei Uebergang
des ersteren in Neurin zum Tode der Versuchstiere führten.
Nur einmal erzielte ich fast völlige Aspersie mit Degene-
ration der epithelialen Elemente ohne stärkere entzündliche
Reaktion.
Die Parallele zwischen der Cholinwirkung und jener
der Strahlen wurde auch zu einer Anzahl von therapeuti-
schen Versuchen bei carcinom- und sarkomkranken Menschen
benützt. Das basische Cholin wurde in 10 oder 50°/siger
Lösung intratumoral eingespritzt, bewährte sich jedoch in
dieser Form nicht, da es nur starke lokale Nekrose hervor-
rief und auf die Umgebung verhältnismäßig wenig wirkte.
2 bis 50/yige Lösungen konnten hingegen zu intra- und para-
tumoraler Injektion verwendet werden sowie zu einer solchen
am Orte der Wahl. 1/, bis 1°/oige Lösungen wurden nur
subeutan oder intramuskulär am Oberschenkel eingespritzt.
Die höchste verwendete Tagesdosis betrug 2 g der reinen
Substanz. Wir wagten nicht, darüber hinauszugehen, und
diese Vorsicht erwies sich als sehr berechtigt, da wir trotz
derselben bei zwei Patienten schwere Neurinvergiftungen
erlebten, die zwar glücklich verliefen, aber doch eine ernste
Warnung bildeten.
Die Wirkung auf die Geschwülste war bei Injektionen
am Orte der Wahl gering: sie bestand nur in einer leichten
Schrumpfung der Geschwülste, größer jedoch bei para- und
intratumoraler Injektion, wobei es je nach der Eigenart der
Tumoren zu Schrumpfung und Induration oder zur Ver-
flüssigung kam. Hohe Dosen führten mitunter zu ausge-
dehnten Nekrosen. Stets blieb jedoch ein Rest von Tumor-
zellen zurück, die innerhalb der von uns gewagten Dosierung
nicht beeinflußbar waren und einen vollen Erfolg verhinderten.
Im ganzen wurden bis Ende 1907 74 Kranke, von denen
55 an Careinom und 19 an Sarkom litten, behandelt, durch-
wegs hoffnungslose Fälle, bei denen jede andere Therapie
von vornherein aussichtslos war. 43mal wurden vorüber-
gehende Besserungen, in einer Verkleinerung der Tumoren
und Abnahme der Beschwerden bestehend, konstatiert, neun-
mal hingegen eine Vermehrung des Wachstums, achtmal eine
Verschlechterung des Allgemeinbefindens in Form eines Re-
sorptionsmarasmus infolge einer Verflüssigung großer Tu-
moren, 14mal kam es zu keiner Beeinflussung, offenba
wegen zu kurzer Dauer der Behandlung. l
Mit Rücksicht auf die erwähnte Labilität der Cholin-
lösung wurden diese Versuche schließlich aufgegeben und
ich suchte, einen zuverlässigen Ersatz für diese zu finden.
Schon damals dachte ich an die Verwendung von Cholin-
=-
O =
14. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 1161
salzen, ging aber,- da das salzsaure Cholin sich als zu
wenig wirksam erwies, zunächst daran, zu untersuchen, ob
nicht andere NH3-Verbindungen geeigneter wären. Es
zeigte sich, daß der Amonijak sowie einige seiner Salze, die
ich prüfte, nicht imstande sind, das Cholin zu ersetzen, da
sie nur eine streng lokale Wirkung besitzen und im Körper
offenbar sich nicht so lange unverändert erhalten, wie das
_ Cholin selbst.
Im Vorjahre konnte ich endlich meinen Plan, ver-
schiedene Verbindungen des Cholins mit schwachen Säuren
zu erproben, durchführen, da ich durch Vermittlung meines
Chefs, Exzellenz Czerny, und des Herrn Dr. Hans Czerny
von den Vereinigten Chemischen Werken in Charlottenburg
eine Reihe der gewünschten Verbindungen des Cholins er-
hielt, die der Chemiker Herr Dr. Lüdecke hergestellt hatte.
Nach orientierenden Versuchen über die Toxiecität er-
wiesen sich Verbindungen von Borsäure, Ameisensäure,
Glykochol, Jodbenzoesäure, Atoxylsäure sowie Nucleinsäure
als besonders geeignet. |
. Herr Dr. Szécsi prüfte zunächst den Einfluß dieser
Substanzen auf das Blutbild und fand eine vollkommene
qualitative und quantitative Uebereinstimmung der Verände-
rungen mit jenen, die nach Röntgenbestrahlungen und der
Injektion radioaktiver Substanzen aufzutreten pflegen.
Die Wirkung auf die Haut zeigte sich bei lokaler In-
filtration im allgemeinen jener der Base ähnlich, doch hatte
das Borcholin eine eigenartige Fernwirkung, indem manchmal
es nicht allein in der Umgebung des Stichkanals, sondern
an entfernten Punkten, die von der direkten Infiltration
nicht mehr mitgetroffen sein konnten, Erytheme und Epi-
dermisnekrosen hervorrief. In Gemeinschaft mit Herrn
Dr. Ascher suchte ich den speeifischen Einfluß der Strahlen
auf den Hoden zu imitieren. Es wurden bei Ratten ein-
seitige Kastrationen vorgenommen und der erhalten ge-
bliebene Testikel vom Orte der Wahl aus d. h. durch intra-
venöse Injektionen in die Schwanzvene oder, weil diese bei
Ratten sehr schwierig sind, durch subcutane Injektionen an
welt entfernten Körperstellen mit 2 °/,iger Borcholinlösung
behandelt. Es wurden zwei bis dreimal wöchentlich je 2 cem
iniziert, sodann wurde der zweite Hoden exstirpiert, die
Tunica vaginalis communis entfernt, das Organ in kleine
Plättchen zerschnitten, in Zenker fixiert, in Paraffin ein-
gebettet und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. In der Mehr-
zahl der Fälle waren in den behandelten Testikeln keine
Opermatozoen mehr zu sehen, wohl aber starke Degene-
ralionen an den Epithelien bei Intaktheit der Stützsubstanz
und ohne wesentliche entzündliche Veränderungen. Es unter-
liegt somit keinem Zweifel, daß das borsaure Cholin im-
stande ist, die Wirkung der Strahlen auf die Testikel zu
Initieren. Diese Versuche sollen noch an anderer Stelle
ausführlich veröffentlicht werden.
Am wichtigsten schienen uns die Experimente an Tier-
tumoren zu sein, deren Ausführung im großen Maßstabe
leider an dem Umstande scheiterte, daß wir mit Seuchen zu
änpfen hatten, welche unsern Bestand an Tumortieren
dezimierten.
. [ch möchte hier nur die hauptsächlichsten Beobachtungen
mitteilen. Von Rattensarkomen wurden zwei etwa klein-
apfelgroße (5 bis 7 cm lange, 3 bis 4 cm breite und ebenso
cke) Geschwülste in der Weise zum Verschwinden gebracht,
daß die Tiere vier Wochen lang in Abständen von drei bis
vier Tagen je 2 com der2%/yigen wäßrigen Borcholinlösung sub-
eutan injiziert erhielten, wobei die Seite des Unterleibs, welche
von der Geschwulst am meisten entfernt war, zur Einspritzung
rl wurde. EndeMärz wurde dieBehandlung abgeschlossen.
y Geschwülste wuchsen zunächst noch einige Zeit weiter,
. sich jedoch im Laufe des Mai vollständig
. ck, ohne daß die Tiere auch nur die gering-
en Störungen ihres Befindens zeigten. Bei einer
Reihe von Tumorratten, die an Darmerkrankungen zugrunde
gingen, ehe die Geschwülste noch sich zurückgebildet hatten,
konnten wir mikroskopisch nachweisen, daß sich an den Ge-
schwülsten stets schwere Degenerationserscheinungen zeigten,
die in einer centralen Nekrose und in einer peripheren leuko-
cytären Infiltration mit enormen Hyperämien, Hämorrhagien
und Trombosen der Gefäße bestanden.
. Nebenbei sei auch bemerkt, daß eine Ratte mit einem
sehr großen Sarkom auch nach subcutaner Injektion von
Thyreoideapreßsaft (Merck) geheilt wurde. Es scheint also
in der Schilddrüse Substanzen zu geben, welche eine ähn-
liche Wirkung besitzen, wie das Cholin. |
Am 15. Mai d. J. wurden zwölf Mäuse mit großen Tu-
moren (Adenocarcinoma mammae) in Behandlung genommen
und je vier derselben im ganzen dreimal mit je 0,1 bis
0,15 cem der 2°/,igen Borcholinlösung, der 2°/gigen Glykokoll-
cholinlösung und der 2°/,igen Ameisensäurecholinlösung sub-
cutan gespritzt, und zwar in Intervallen von drei bis vier
Tagen. Die kleinsten Geschwülste waren fast wallnußgroß,
die größten aber reichlich über kastaniengroß (5 cm lang, 3 cm
breit und ebenso dick). Bis Ende Mai waren die Tumoren eher
noch gewachsen. Um diese Zeit starben drei der Mäuse an inter-
kurrenten Erkrankungen. Während der ersten Hälfte des Juni
bildeten sich nun sämtliche Geschwülste zurück, die
meisten ohne auch nur Spuren eines Knötchens zu
hinterlassen. Von den neun geheilten Tieren, welche vollkom-
men munter blieben, waren vier mit Glykokolicholin, zwei mit
ameisensaurem Cholin und drei mit Borcholin gespritzt worden.
Von 32Kontrolltieren hatten fünf ganz kleine Knötchen, die von
selbst schwanden. Von 27 deutlichen Tumoren gingen nur drei
bohnen- bis haselnußgroße spontan zurück. Die Rückbildung
erfolgte bei den behandelten Tieren stets ohne Ulceration
und war meist so vollkommen, daß auch nicht eine
Andeutung von Verdickung oder Narbenbildung zu-
rückblieb.
Daß wir es hier mit einer zufälligen Spontanresolution
zu tun haben, wird außer durch die Kontrollversuche schon
durch die Größe der Geschwülste sowie durch die unge-
wöhnliche Form der Rückbildung durchaus unwahrscheinlich
gemacht. Die Erfolge beim Rattensarkom und Mäusekrebs
beweisen jedoch noch nichts für die Wirksamkeit beim -
Menschen. Es sei daher auch nebenbei erwähnt, daß wir speziell
das borsaure, das benzoesaure sowie das atoxylsaure Cholin
bei menschlichen Careinomen und Sarkomen ange-
wendet haben, und zwar das borsaure bei 25, das jodbenzoe-
saure bei 15 und das atoxylsaure bei zwölf Kranken, sowohl
in Form intravenöser und subcutaner Injektionen am Orte
der Wahl, wie auch als intra- oder paratumorale Ein-
spritzungen. Im allgemeinen wurde bisher nicht über eine
Dosis von 25 bis 40 ccm der 2°/,igen Lösung pro die hinaus-
gegangen und die Einspritzung meist zwei- bis viermal in
der Woche wiederholt. Irgendwelche Störungen des Ge-
samtbefindens wurden bisher nicht beobachtet N, Zur In-
jektion am Orte der Wahl wurden drei- bis vierfache, zu
jenen in die Vene 10- bis 15fache Verdünnungen mit phy-
siologischer Kochsalzlösung angewandt.
Da die Spätwirkungen der Präparate noch zu wenig
erforscht sind und solche nach den Tierversuchen bei den
Tumoren nach sechs bis acht Wochen auftreten können. so
dab eine Kumulierung wahrscheinlich ist, wagten wir es
bisher noch nicht, über die genannten Dosen hinauszugehen
obwohl die direkte Toxizität so gering ist, daß zweifelsohne
noch viel höhere Dosen möglich wären.
| Bei jenen Fällen, welche vier bis sechs Wochen lang
behandelt wurden, konnten wir Rückbildungserscheinungen
an den Tumorknoten beobachten, weniger durch Zerfall und.
1) Ein jodatoxylsaures Cholin, das in sechs Fällen und ein Dijod-
cresolcholin, das in einem Falle eingespritzt wurde, erwiesen sich als un-
geeignet. i
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1162 u 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28,
14 Juli,
Nekrose, als durch Schrumpfung und Induration. Bei einem
bereits dreimal operierten Mammacarcinomrezidiv, das eine
multiple Aussaat von etwa haselnußgroßen Knoten an der
Haut besaß, gingen diese Rezidive nach kombinierter Behand-
lung mit Mesothorbestrahlung, Jodbenzoesäure- und Borcholin-
injektion binnen zwei Monaten vollkommen zurück. Zur
Erweichung und Ulceration von Tumoren kam es nur einige
Male bei direkter intra- oder paratumoraler Infiltration. Ver-
schlimmerungen durch Steigerung des Wachstums
haben wir bisher noch nie gesehen. Es ist jedoch
derzeit nicht möglich, irgendein Urteil über den Wert der
Methode beim menschlichen Krebs zu fällen. Die Behand-
lung wird gut vertragen, so daß die Versuche unter all-
mählicher Erhöhung der Dosen fortgesetzt werden.
Um einen Indikator für die Ausbreitung des Cholins
im tierischen Körper zu erhalten, wurden von Dr. Szécsi
Vitalfarbstoffe teils in wäßriger Lösung, teils mit Cholin-
salzen zusammen gelöst, bei Ratten subcutan eingespritzt.
Während die wäßrige Lösung den tierischen Körper nur
ganz langsam färbt, gelingt dies mit Hilfe der kombinierten
Lösung der Farbstoffe mit den Cholinsalzen überraschend
schnell und leicht. Die Cholinsalzlösungen haben hier so-
mit eine Art von Transporteurwirkung gezeigt, wobei es
bemerkenswert ist, daß es sich um in weiten Grenzen un-
giftige und mit einer therapeutisch günstigen Eigenwirksam-
keit begabte Substanzen handelt.
Am besten bewährte sich vorläufig das aus syntheti-
schem Cholin hergestellte borsaure Salz, sowie das nuclein-
saure Cholin.
Da nach den Versuchen von Wassermann, Neuberg
und Caspary und Anderen gewisse Schwermetallverbindungen
einen besonderen Einfluß auf den Mäusekrebs besitzen,
wurden auch kolloidale Lösungen von Selen, Vanadium, Ko-
balt usw., die uns von der Firma Clin in Paris zur Ver-
fügung gestellt wurden, teils in der ursprünglichen Form,
teils mit Cholinsalzen zusammengelöst geprüft und auch hier
beim Rattensarkom und Mäusekrebs eine Ueberlegenheit der
Mischung jeder einzelnen ihrer Komponenten gegenüber fest-
gestellt.
Aus der histoparasitologischen Abteilung Ä
(Vorstand: Prof. v. Wasielewsky) des Instituts für Krebsforschung
Š (Direktor: Exz. Czerny) in Heidelberg.
Ueber die Wirkung von Cholinsalzen auf das
Blut und über die Beeinflussung von Mäuse-
tumoren durch kolloidale Metalle‘)
von:
Dr. Stephan Szécsi, Assistenten der Abteilung.
I.
Im Jahre 1903 wies als erster Senn darauf hin, daß
Leukämien durch Röntgenstrahlen günstig beeinflußt werden,
und zwar in dem Sinne, daß die Zahl der Leukocyten nach
Röntgenstrahlen rapid sinkt und an Stelle der früheren Ver-
mehrung der Leukocyten eine Leukopenie respektive Hypo-
leukocytose tritt. Die Ansichten darüber sind noch nicht
abgeschlossen, ob die Zerstörung der Leukocyten im Knochen-
mark und in den andern blutbildenden Organen oder ob sie
im circulierenden Blute selbst geschieht. Heineke vertritt
die erste, Aubertin und Beaujard die letztere Ansicht.
Wie dem auch sei, das eine ist sicher erwiesen, daß nach
Röntgenbestrahlung nach einer kurzen allgemeinen Leuko-
penie und nachfolgender neutrophiler Polynucleose eine Je
nach der Stärke und Dauer der Bestrahlung länger oder
1) Nach einem in der Gesamtsitzung des Naturhistorisch-medi-
zinischen Vereins in Heidelberg am 5. Juli dieses Jahres gehaltenen
Vortrag.
kürzer dauernde Hypoleukocytose eintritt. Am schwersten
geschädigt werden dabei die reifen Iymphoiden Zellformen
(Lymphocyten und Monocyten) des normalen Biutes, am
resistentesten erweisen sich die polynucleären neutrophilen
Leukoecyten. |
In allerletzter Zeit fanden diese Blutbefunde bei
Röntgenbestrahlung eine weitere Bestätigung durch die
Blutuntersuchungen, die bei Thorium-X-Behandlung gemacht °
wurden. Plesch, Bickel und in der letzten Sitzung der
Berliner medizinischen Gesellschaft Pappenheim kon-
statieren alle die deletäre Wirkung von Thorium X auf die
Leukocyten. Speziell weist Pappenheim darauf hin, daß
auch hier wie bei den Röntgenstrahlen zuerst die Lympho-
cyten aus dem Blute verschwinden, während die polynucleären
Spezialzellen (also beim Menschen die neutrophilgranulierten)
sich am resistentesten erweisen.
Ich untersuchte nun das periphere Blut unserer Patienten,
die mit Röntgenstrahlen, Thorium X und mit Cholinein-
spritzungen behandelt worden sind. Es zeigte sich dabei,
daß die Cholineinspritzungen eine der Röntgenwir-
kung ähnliche Veränderung des Blutes verursachen.
Es tritt eine starke Verminderung der Gesamtleukocytenzahl
ein, und zwar schon kurz nach der Einspritzung, etwa ein bis
zwei Stunden nachher. In der vierten bis fünften Stunde steigt
die Leukocytenzahl wieder, fällt nach einigen Stunden und
es tritt eine ziemlich lange dauernde generelle Hypoleukocytose
ein. Die einzelnen Leukocytenformen werden dabei folgender-
maßen beeinflußt: es tritt gleich (ein bis zwei Stunden) nach der
intravenösen Einspritzung eine Lymphopenie ein, die Leuko-
cyten werden erst einige Stunden später beeinflußt, es tritt
sogar vorübergehend eine Leukocytose (neutrophile Poly-
nucleose) ein, während die Lymphopenie weiter besteht.
Also genau wie bei der Röntgenbestrahlung oder bei der
Behandlung mit Thorium X sind auch hier die neutrophilen
polynucleären Leukocyten am resistentesten, in erster Linie
werden die Iymphoiden Zellformen zerstört.
Von den untersuchten Cholinsalzen erwies sich am
geeignetsten, was diese Wirkung anbelangt, das borsaure
Cholin und das jodbenzolsaure Cholin, während
andere Cholinsalze, so z. B. das nucleinsaure Cholin,
qualitativ und auch quantitativ ein etwas anderes Ver-
halten zeigen. Bei der ausführlichen Mitteilung unserer
Resultate, insbesondere auch über die Einwirkung auf das
Knochenmark und die Milz, werde ich auch auf diese Unter-
schiede zwischen den einzelnen Cholinsalzen noch näher ein-
gehen. In dieser vorläufigen Mitteilung wollte ich nur
kurz über die Befunde im peripheren Blut berichten.
u
Nach den interessanten Mitteilungen von Wassermann
und Keysser sowie von Neuberg und Caspari wurden
verschiedentlich Versuche gemacht, Tumoren, insbesondere
Mäuse- und Rattentumoren, durch Selensalze oder auch
durch andere Metalle in ihrem Wachstume zu hindern.
Neuberg hatte im Jahre 1904 die Beobachtung ge-
macht, daß das Radium eigentlich nur indirekt auf die Tu-
moren wirkt, und zwar dadurch, daß es in den Tumorzellen
die Autolyse fördert. Nach diesen Untersuchungen von
Neuberg und nach späteren Mitteilungen von Petry,
Jaeger, Brahn usw. lag der Gedanke nahe, die Tumoren
dadurch in ihrem Wachstume zu verhindern, daß man durch
specifische, in den Tumoren selbst wirkende Substanzen die
Autolyse der Tumoren zu erhöhen versucht. Nach den
Untersuchungen von Salkowski sowie Ascoli und Izar
besitzen die kolloidalen Schwermetalle diese Fähigkeit. Diese
Ueberlegungen führten Neuberg und Caspari dazu, thera-
peutische Versuche mit kolloidalen Metallen anzustellen, und
sie konnten tatsächlich in manchen Fällen eine Beeinflussung
der Tumoren durch Gold, Platin, Silber, Rhodium, Ruthe-
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geheilt und 54 0o gebessert waren.
14. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1163
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nium, Iridium, Blei, ganz besonders aber durch Kupfer und
Zinn beobachten. Neuberg und Caspari nannten diese
Metalle „tumoraffine Substanzen“.
Aus ähnlicher Ueberlegung wie Neuberg und Cas-
pari und auf Grund ihrer ermutigenden Versuche habe ich
neben Cholin Tumoren auch mit kolloidalen Metallen be-
handelt. Die Firma Clin (Paris) kam mir darin in liebens-
würdiger Weise entgegen, indem sie mir die Präparate
in der liberalsten Weise zur Verfügung stellte.
Ich habe Untersuchungen angestellt mit Selen, Kobalt,
Vanadium, Tellur und einem Gemisch von Selen und Vana-
dium. Es sind Untersuchungen im ganzen mit Kupfer,
Arsen und schwefligem Arsen (Thiarsol). Alle diese Metalle
wurden in kolloidaler Form angewandt.
Von diesen Präparaten fanden wir bis jetzt am gün-
stigsten das Selen und das Vanadium. Beide Präparate ent-
halten 0,20 g Metall pro Liter in kolloidaler Form. Sie sind
(für Kaninchen, Meerschweinchen, Ratte und Maus) relativ
ungiftig, speziell wird das Selen von Kaninchen in ganz
hohen Dosen vertragen; ein etwa 2000 g schweres Kaninchen
vertrug gänz gut acht bis zehn intravenöse Injektionen täg-
lich 5 ccm pro dosi. Für Mäuse ist die letale Dosis sub-
cutan bei etwa 1,5 bis 1,8 cem.
Nach den Untersuchungen von Duhamel zeigte es sich,
daß keine schweren Organschädigungen auch bei wieder-
holter Injektion erfolgen. Das Selen lagert sich mit Vor-
liebe in der Leber. |
Auf das Blut hat das Selen einen ziemlich irregulären
Einfluß. Ich konnte sowohl eine Leukocytose, wie Leuko-
penie beobachten.
Auf -meine Veranlassung stellte die Firma Clin noch
‘ein kolloidales Präparat her, welches gemischt Selen und Va-
nadium enthielt, ebenfalls 0,20 g Metall pro Liter. Es er-
wies sich diese Lösung am wirksamsten. Wir konnten da-
bei einen langsamen, aber sicheren Rückgang der Tumoren
beobachten. Beschleunigt wurde dieser Einfluß, wenn wir
das kolloidale Selenvanadium zu gleichen Teilen mit bor-
saurem Cholin mischten, und zwar gelingt die Beeinflussung
bei dieser Art von Anwendung nicht nur intravenös, sondern
auch subeutan eingespritzt.
Unsere Versuche sind noch im Gang und wir werden
erst später in extenso — auch über den chemischen und
histologischen Teil derselben — berichten. Bis jetzt konnten
wir bereits feststellen, daß die Cholinsalze sowie die kol-
loidalen Schwermetalle auf die Tumoren zerstörend wirken.
Ganz besonders effektiv wird diese Einwirkung, wenn wir
beide Substanzen gemischt anwenden. Nach unsern bis-
herigen Beobachtungen können wir als die günstigste
Kombination ein Gemisch von Cholin mit kolloidalem
Selen-Vanadium bezeichnen.
Referatenteil.
Uebersichtsreferat.
Fortschritte der Serumtherapie der letzten fünf Jahre
von Dr. Fritz Munk. (Schluß aus Nr. 27.)
Antituberkuloseserum.
‚Schon im Jahre 1890 nahmen Versuche ihren Anfang, die dahin
zielten, menschliche Tuberkulose durch passive Immunisierung thera-
peutisch zu beeinflussen. Nach verschiedenen Vorversuchen mit
Normalsera brachten Richet und Hericourt, Darenberg end-
lich Bernheim (1894) zuerst ein Immunserum zur Anwen-
dung. ‚ Nach den ersten Berichten soll das durch Immunisierung
von Tieren mit bei 80° abgetöteten Kulturen gewonnene Serum
beginnende Tuberkulose günstig beeinflußt haben.
Niemann stellte im Gegensatz zu diesem antibakteriellen
Serum als erster ein antitoxisches Serum durch Behandlung von
Ziegen mit Tuberkulin sowie mit einem alkoholischen Extrakt
dieses Tuberkulins dar. Auch dieses Serum wurde bei vereinzelten
Tuberkulösen angewandt und soll günstig gewirkt haben.
‚ Maragliano unterscheidet - zweierlei Abwehrstoffe des Or-
ganlsmus im Kampfe gegen die Tuberkelbacilleninfektion, die einen
gegen die Toxine, die andern gegen die Bestandteile des Bacillus,
die Tuberkelproteine, gerichteten. Er sucht darum ein doppelseitig
de Serum dadurch zu gewinnen, daß er Pferde, Kühe und
: ber mit Filtraten virulenter, junger Tuberkelbaeillen und außer-
Fe mit einem wäßrigen Extrakt aus virulenten, abgetöteten Tu-
rkelbacillen immunisiert. Maragliano empfiehlt; zuerst die
Passive, dann die aktive Immunisierung bei der Behandlung der
„überkulose, Das Serum von Maragliano hat in Italien eine
asgedehnte Anwendung gefunden. Bis zum Jahre 1905 sollen
ort schon 20000 Tuberkulöse damit behandelt worden sein.
Mireoli gab auf dem Tuberkulosekongreß in Neapel (1905) eine
Tal, nach der von 250 Fällen mit umschriebener, fieberloser
“ 2 ulose 38 Oo geheilt und 49 %/, auf dem Wege der Besserung,
n {38 Fällen mit umschriebener, fieberhafter Tuberkulose 189/0
ah Gegenüber diesen günstigen
ngl rungen ist es auffallend, daß von den Autoren in Frankreich,
and und Deutschland dem Serum jede specifischo Wirkung
abgesprochen wird.
dur p eporoschny nimmt an, daß die Heilung der Tuberkulose
ch aktive Phagoeytose, insbesondere durch die Tätigkeit der
7 mphocyten, zustande kommt. Er will daher durch sein Serum
| aktion ernigen Leukocyten für den Kampf gegen die Tuberkulose
vieren beziehungsweise mobilisieren. Ein solches Serum ge-
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
gewann er von Hunden durch Immunisieren mit tuberkulösen Endo-
toxinen, später mit präparierten und zuletzt mit lebenden Tuberkel-
bacillen. Praktische Bedeutung hat dieses Serum bisher noch
nicht erlangt.
Eine um so größere Verwendung in der Praxis hat das Anti-
tuberkuloseserum von Marmorek gefunden, das in der Literatur
der passiven Tuberkulosetherapie weitaus den größten Raum ein-
nimmt.
Marmorek (37) sieht in dem Tuberkulin eine Substanz,
die auf die im Organismus vorhandenen Tuberkelbacillen in der
Weise einwirkt, daß sie ein Gift absondern, welcher Vorgang kli-
nisch in der Tuberkulinreaktion zum Ausdruck kommt. Diese An-
nahme findet er dadurch bestätigt, daß Gesunde auf Tuberkulin nicht
reagieren ebenso Tuberkulöse mit solch ausgedehntem Krankheits-
prozeß, bei dem dieBacillen ganz und gar vom Toxin umgeben sind, so-
daß das Tuberkulin keinen Reiz mehr auf sie ausüben kann. In dem
ausgeschiedenen Toxin aber erkennt er den für das Krankheitsbild
am meisten verantwortlichen Faktor. Ein Tuberkuloseserum muß
darum, um wirksam zu sein, gegen diese Toxine- möglichst starke
antitoxische Eigenschaften haben. Er fand nun, daß junge Tuberkel-
bacillen das Toxin am reichlichsten abschieden, wenn sie in einer
Glycerinbouillon gezüchtet wurden, die mit Leberbrei und einem
von Kälbern durch Einspritzen von Meerschweinchenleukocyten ge-
wonnenen leukotoxischem Serum versetzt ist. Durch Filtration
solcher Kulturen gewann er das Toxin und immunisierte damit
Pferde während mehrerer Monate zur Erzeugung seines anti-
toxischen Serums. Mit diesem Serum konnte er Kaninchen und
Meerschweinchen vor Tuberkulose schützen. In Anbetracht der
häufigen Mischinfektionen bei Tuberkulose mit Streptokokken ver-
besserte Marmorek sein Serum dadurch, daß er die Pferde vor
der Tuberkultoxinimmunisierung noch 21/, Jahre lang mit den ver-
schiedensten Streptokokkenstämmen vorbehandelte. Er erhält von
diesen Tieren daher ein Doppelheilserum.
Die Anwendung des Serums geschah anfangs in Form der
subcutanen Injektion. Da diese aber im Verlauf der Behandlung
doch häufig wiederholt werden mußte, zeigten sich nicht selten
anaphylaktische Erscheinungen. Nach dem Vorschlage von
Hoffa (38) und Frey (39) wurde darum das Serum auch rektal
angewandt, wobei diese Komplikationen umgangen werden können
die Wirkung des Serums aber erhalten bleiben soll. Der Darm
muß vor dieser Darreichung zuerst entleert werden, der Patient
nach dem Einführen des Serums für eine Stunde die Bauch- oder
Seitenlage einnehmen.
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1164 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
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Die Behandlung mit dem Serum wird in drei Serien von ! gestellt, das in seinem Wesen vom Marmorekserum erheblich ab-
12 bis 15 täglichen rectalen Serumeinverleibungen durchgeführt,
—n sollen Pausen von zwei bis drei Wochen eingehalten
werden. |
Marmorek empfiehlt, die Serumkur mit zwei bis drei
intravenösen Seruminjektionen zu beginnen, besonders bei der
Meningitis tuberculosa.
Ueber die praktischen Erfahrungen mit dem Marmorek-
serum liegt eine sehr große Literatur vor, die hier nur zusammen-
fassend berücksichtigt werden kann. Monod (40) faßt in einem
Berichte die Resultate von 38 Publikationen über 592 Fälle zu-
sammen und kommt dabei zu folgendem Resultat:
1. Die Anwendung des Mormorekserums ist absolut un-
schädlich. |
2. Eine Wirkung zeigt sich bei allen Formen der Tuberku-
lose. Sie erstreckt sich
3. auf funktionelle und physikalische Erscheinungen der
Lungentuberkulose, ferner auf Schmerz, Eiterung und Fistelbildung.
4. In einer großen Zahl von Fällen sind alle Symptome
verschwunden, eine Heilung war in chirurgischen Fällen nicht
selten, während man bei Lungentuberkulose lediglich von Besse-
rung sprechen kann.
Eine weitere Zusammenstellung der Berichte über die Er-
fahrungen mit dem Marmorekserum verdanken wir Frey. Sie
erstreckt sich auf die Arbeiten von 70 Autoren, von denen 59
günstige und elf ungünstige Erfahrungen zu verzeichnen haben.
Von den letzteren haben allerdings sechs die subeutane Anwen-
dung des Serums ausgeführt, und es wird nicht mit Unrecht
darauf hingewiesen, daß anaphylaktische Erscheinungen, die ja bei
den erforderlichen häufig wiederholten Injektionen begreiflicher-
weise auftreten, als Folgen der immunisatorischen Komponente
des Serums irrtümlicherweise angesehen werden können.
Ueber Mißerfolge mit dem Marmorekserum berichten Krokie-
wiez und Engländer (41), ferner Quido Mann (42) und
insbesondere Hohnboe (43).
Bemerkenswert sind ferner die Beobachtungen von Köhler-
Holsterhausen, die sich auf 60 Fälle erstrecken, die der Autor
Gelegenheit hatte, nach zwei Jahren einer Nachuntersuchung zu
unterziehen. Er resümiert wie folgt: „Von den 60 mit Marmorek-
serum behandelten Fällen waren nach zwei Jahren: 33 tot,
7 waren arbeitsunfähig, 9 hatten mit häufigen Unterbrechungen
gearbeitet, 5 hatten mit kurzen Unterbrechungen gearbeitet und
waren gegenwärtig voll arbeitsfähig, 6 hatten ständig gearbeitet.
Man kann somit sagen, daß 40 gänzliche Mißerfolge, 9 teilweise
Mißerfolge und 11 zufriedenstellende Resultate bei den Ersatz-
kontrollen nach zwei Jahren festzustellen waren.
Das Ergebnis ist im ganzen nicht sonderlich zufrieden-
stellend und muß das Serum Marmorek nicht als hervorragend
wirksam charakterisieren. Von irgendwelcher Ueberraschung
kann nieht die Rede sein, vielmehr erhält mein zurückhaltendes
Urteil über das Serum, wie ich es in der Arbeit von 1908 vertrat,
eine neue Stütze.“
Von verschiedenen Autoren werden über so günstige Er-
folge der Serumbehandlung bei chirurgischer Tuberkulose be-
richtet, daß diese Art der Tuberkulose beinahe als das eigentliche
Gebiet der Serumtherapie dieser Infektion angesehen werden darf.
So empfiehlt insbesondere von Huellen (45) die Serumbehand-
lung in Gemeinschaft mit der übrigen üblichen chirurgischen
Therapie der Knochentuberkulose. Auch Hoffa erkennt das
Marmorekserum als ein willkommenes Adjuvans in der Behand-
lung der Knochen- und Gelenktuberkulose an. Bei seinen Fällen,
die neben andern Behandlungsmethoden auch mit Marmorekserum
behandelt wurden, erzielte er keine Besserung in 18 %/,, Besserung
in 86 %0, große Besserung in 37°/, und Heilung in 18 /,!
Demgegenüber konnten Hohmeyer (46), Ganghofer (47),
Grüner (48) und Andere auch bei der chirurgischen Tuberkulose
keine nennenwerte Heilwirkung des Serums beobachten.
Mit der Serumtherapie . tuberkulöser Augenerkrankungen
konnte Ullmann (49) in 20 Fällen gute Erfolge erzielen, die
Narbenbildung verlief sehr günstig, die conjunctivalen Erkrankungen
hinterließen nur geringe Trübungen nach der Abheilung. Auch
Schwartz (50) berichtet über eine eklatante Heilung tuberkulöser
Conjunctivitis. = `
Neuerdings wird von den Höchster Farbwerken ein Tuber-
kuloseserum nach den Angaben von Ruppel und Richmann her-
weicht. Diese beiden Autoren halten das Herstellen eines Tuber-
kuloseserums durch Immunisieren gesunder Tiere für prinzipiell
falsch, da nur tuberkulöse oder tuberkulinempfindliche Tiere im-
stande sind, Antituberkulin zu bilden. Sie gewinnen daher ihr
Serum von Rindern und Pferden, die durch intravenöse Injektion
von lebenden Tuberkelbacillen tuberkulinempfindlich gemacht sind
und dann mit abgetöteten Tuberkelbacillen und Tuberkulinpräpa-
raten immunisatorisch behandelt werden. In dem auf diese Weise
gewonnenen Serum findet sich eine Anhäufung von Immunstoffen,
insbesondere Opsonine, Präcipitine und Agglutinine. Das Serum
soll imstande sein, Tuberkulin seiner Qiftigkeit für tuberkulöse
Tiere vollkommen zu berauben.
Ueber das Höchster Tuberkuloseserum liegt ein Bericht von
Sobotta (51) vor, der das Serum bei 20 Fällen, meist bei schwer
kranken, zur Anwendung brachte. Die Erfolge waren zweifelhaft.
Der bedeutungsvollste Faktor in der Heilwirkung des Serums er-
scheint ihm die auffallende Hebung des Appetits, daneben die Er-
leichterung der Expektoration. Immerhin glaubt er, daß man
keinen Fall von Lungentuberkulose aufgeben dürfe, ohne einen
Versuch mit der Serumbehandlung gemacht zu haben.
Während Wolff-Eisner der Ansicht ist, daß die Erfolge
der Serumtherapie in einem günstigeren Lichte stehen würden,
wenn bei der Auswahl der zu behandelnden Patienten seine
Reaktionsfähigkeit auf Tuberkulin als Maßstab dienen würde,
kommt Pawlowski zu folgendem Urteil über die Erfolge und
die Möglichkeit einer Serumtherapie bei Tuberkulose: „Die ganze
Frage der Serumtherapie muß vorläufig wiederum ins Laboratorium
zurückverlegt werden. Dem Erfolge der Immunisierung und der
Serotherapie der Tuberkulose stehen die häufig beim Kranken be-
obachteten Mischinfektionen bei Tuberkulose im Wege, denen
gegenüber sich die specifische Serotherapie als machtlos erweist.
Die passive Immunisierung mittels der Serotherapie ist in einigen
Fällen von initialer und rein lokaler (Augen- und chirurgischer)
Tuberkulose nützlich, doch wir besitzen vorläufig kein starkes
Antitoxin bei der Tuberkulose zur Neutralisierung der tuberku-
lösen Gifte, wie wir es beispielweise im Diphtherieserum besitzen.“
Pawlowsky regt dafür Versuche mit Vaccinen aus verschiedenen
Sera und verschiedenen Tuberkulinen zur specifischen Therapie
der Tuberkulose an. |
Von den übrigen specifischen Sera sei nur noch der zur
Bekämpfung des Heufiebers angewandten Erwähnung getan. Es
sind zwei Sera im Handel, das Pollantin und das Graminol.
Praktisch haben beide keine große Bedeutung erlangt, da sie
weder prophylaktisch noch kurativ das Auftreten des Heufiebers
verhindern und höchstens in gewissen Fällen, lokal angewandt,
als Linderungsmittel wirken können.
Ebenso sollen hier gemäß ihrer praktischen Bedeutung die
Bestrebungen, mit nichtspeeifischen oder indifferenten Sera In-
fektionskrankheiten zu bekämpfen, nur kurze Erwähnung
finden.
Unter diesen nimmt durch sein Wesen das Deutschmann-
serum eine Sonderstellung ein. Deutschmann will die der Bier-
hefe bei gewissen Krankheiten (primären und sekundären Eiterungen)
zugeschriebene Heilwirkung potenzieren und für den Menschen
verträglich machen. Er glaubt eine Anhäufung derjenigen Stoffe,
welche bei der Hefetherapie wirksam sein sollen, im Serum von
Pferden dadurch zu erreichen, daß er die Tiere längere Zeit reich-
lich mit Bierhefe füttert. Um dem Auftreten der Serumkrankheit
bei Anwendung dieses Serums zu begegnen, wird aus dem Serum
das wirksame Prinzip durch Verdünnen mit Wasser ausgeschieden
und nach Zusatz von wenig Alkali in Wasser aufgenommen. Als
Indikation für die Anwendung des Serums gilt nach Deutsch-
mann derjenige Zustand des Organismus, in welchem seine Zellen
der Unterstützung im Kampfe mit irgendwelchen krankmachenden
Potenzen bedürfen, also besonders septische und pyämische Infek-
tionen, Erysipel, Influenza, Pneumonie, Angina, Scharlach, Masern,
Typhus, Furunkulose, Ekzeme usw. Aus den Kliniken von
Deutschmann (53), von A.v. Hippel(54), ebenso von Zimmer-
mann (55) liegen günstige Berichte über die Wirkung des Serums
bei Augenaffektionen vor.
Auf Gilbert (56) und später Fede (57) zurückzuführen ist
eine therapeutische Methode, die wir als Autoserotherapie be-
zeichnen können. Diese Autoren entnahmen Patienten mit Ex-
sudaten (insbesondere tuberkulöser Peritonitis und Pleuritis) eine
geringe Menge (1 bis 2 ccm) der Flüssigkeit durch Punktion und
injizierten diese in das Unterhautzellgewebe. Dadurch konnten
14. Juli.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. | 1165
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diese Autoren die Resorption der Exsudate außerordentlich be-
schleunigen. Nach Döbove und Remond soll die Wirkung der
Injektion hauptsächlich auf tuberkulinäbnliche Stoffe, die sich
im Exsudate befinden, zurückzuführen sein. Senator und
Schnütgen (58) können diese Therapie auf Grund eigner Er-
fabrung an 25 Fällen, die meist ambulant behandelt wurden,
ebenfalls empfehlen.
Die Behandlung ist, auch wenn mehrmalige Injektionen er-
forderlich sind, jedenfalls durchaus w@schädlich und überdies außer-
ordentlich einfach.
_ Endlich seien noch die Berichte der Autoren erwähnt, die
ihre therapeutischen Versuche lediglich auf die Wirkung des
Serums selbst begründen. So wurde von Freund (59) frisches
Pferdeserum zur Behandlung von Schwangerschaftstoxikosen, von
Mayer und von Linser dasselbe zur Behandlung von Dermatosen
und Urticaria angewandt und empfohlen. Rehak (60) sowie
Barankow (61) sahen günstige Erfolge bei Behandlung des Ery-
sipels mit Diphtherieheilserum. Benjamin und Witzinger (62)
behandelten mit diesem Serum Scharlach mit günstigem Erfolge.
Ueber die theoretische Begründung dieser Therapie besteht
noch keine Klarheit, auch müssen erst weitere Berichte abgewartet
werden, ehe diese Art der Therapie angesichts der noch immer
drohenden Serumkrankheit allgemein empfohlen werden kann.
Ueberblicken wir zum Schlusse den heutigen Stand der
Serumforschung, so läßt sich der staunenswerte Fortschritt in der
Erkenntnis des Wesens der Infektionskrankheiten und der durch
sie bedingten biologischen Vorgänge im Organismus nicht ver-
kennen, zumal wenn wir sie der Dunkelheit der Anschauungen, die
noch vor wenigen Jahren über diesem Gebiete lag, entgegen-
halten. Leider sind die praktischen therapeutischen Erfolge
hinter diesen experimentellen und theoretischen Fortschritten weit
zurückgeblieben. Mögen die anfangs zu hoch gespannten Er-
wartungen und die darum unausbleiblichen Enttäuschungen die
Ursache dafür sein, daß das Interesse und das Vertrauen des
Praktikers für beziehungsweise zur Serumtherapie nachgelassen
hat, oder stehen dem ärztlichen Vermögen auf diesem Wege tat-
sächlich unüberbrückbare Hindernisse entgegen? Man wird diese
Frage heute noch nicht entscheiden können. Die Entdeckung einer
neuen Methode, eines neuen biologischen Faktors kann hier mit
einem Schlage die Wege zu ungeahntem Fortschritt ebnen. Es
wäre darum zu bedauern, wenn, wie es den Anschein hat, das
Interesse für die Serumforschung auch im Laboratorium erlahmen
sollte. Die jüngsten Erfolge der Chemotherapie dürften allerdings
zu diesem Abfall nicht unerheblich beitragen, indem sie den
kag ein dankbareres Feld ihrer Tätigkeit zu versprechen
scheint.
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Zt. f. Kind. Bd. 2, H. 2—4.
Sammelreferat.
Wichtige Arbeiten über Herz- und Gefäßkrankheiten
(2. Bericht aus 1912)
von Priv.-Doz. Dr. Ed. Stadler, Leipzig.
Holl (1) bringt eine ausführliche Beschreibung des makro-
skopisch darstellbaren Verlaufs des atrioventrikularen Verbindungs-
bündels am Herzen des Menschen sowie vom Schaf, Kalb und
Hund. Der Arbeit sind eine größere Anzahl vorzüglicher Licht-
drucke beigegeben, die den Verlauf des Bündels in klarer Weise
erkennen lassen.
-Die Beziehungen des Nervus vagus zu intrakardialen Nerven-
zellen beim Säugetier sind von Fritz Marchand und Arthur
W. Meyer (2) anatomisch und experimentell untersucht worden.
Sie glauben gefunden zu haben, daß die im Kaninchenherzen an
der Hinterwand der Vorhöfe und im Vorhofsseptum gelegenen
Gangliengruppen das „Zwischenstück“ des Nervus vagus darstellen.
Betupfen dieser Stellen mit einer schwachen Nicotinlösung be-
wirkte sehr leicht eine Unwirksamkeit der Vagusreizung, die bei
‚der Applikation von Nicotin an andern Herzteilen ausblieb oder
viel schwerer erreicht wurde. Die Autoren meinen, daß es sich
bei den genannten Vorhofganglien um ein hemmendes Koordina-
tionscentrum handelt, das beiden Vagi untersteht und von dem
aus eine hemmende Wirkung auf alle Herzteile ausgehen kann.
Ganter und Zahn (3) haben sehr eingehende experimentelle
Untersuchungen über den Entstehungsort der Herzreize an Herzen
von Katzen, Kaninchen, Ziegen, Hunden und Affen in situ ausge-
führt. Als Reiz wurde eine lokalisierte Temperaturbeeinflussung
mittels Thermode verwandt. Bei systematischem Absuchen der
Herzoberfläche fand sich am rechten Vorhof im Sulcus terminalis
vom Herzohr-Cavawinkel bis zur Mitte der Einmündungsstellen
beider Hohlvenen eine umschriebene Gegend, die auf verschiedene
Temperatur mit Frequenzänderung des ganzen Herzens reagierte.
Dieses Gebiet stimmte mit der anatomischen Ausdehnung des
Sinusknotens überein. Bei Ausschaltung dieses Gebiets des Sinus-
knotens durch Kälteeinwirkung übernahm ein zweites, tiefer gele-
genes Centrum die Führung des Herzens; Vorhof und Kammer
schlugen dann gleichzeitig mit verminderter Frequenz. Dieses
Centrum mußte der Atrioventrikularknoten sein, denn bei direkter
Temperaturbeeinflussung des Tawaraschen Knotens während des
atrioventrikulären Rbythmus wurde die Frequenz beider Herz-
abschnitte durch Wärme gesteigert, durch Kälte vermindert. Bei
Führung durch den Sinusknoten ließen sich durch verschiedene
Temperatureinwirkung auf den Atrioventrikularknoten alle Arten
von Ueberleitungsstörung hervorrufen.
Hürthle (4) hat die Beziehungen zwischen Druck und Ge-
schwindigkeit des Bluts im Arteriensystem einer erneuten Unter-
suchung unterzogen. Bekanntlich ist im Tierversuch die Abhän-
gigkeit der Strömung vom Druck und von der Blutviscosität fest-
zustellen wegen des schwankenden Gefäßquerschnitts bisher nicht
gelungen. Hürthle hat nun mit Hilfe eines Modells Stromkurven
und Druckkurven konstruiert und durch Gleichungen es ermög-
licht, den Einfluß der Elastizität auf die Strömung zu berechnen
und damit die Abhängigkeit der Strömung vom Druck und von
den Widerständen im Verlauf eines Pulsschlags zu untersuchen.
Bei Uebertragung dieser Methode auf den Tierversuch stellte es
sich aber heraus, daß die konstruierten Kurven der Stromstärke
und die mit Hilfe einer Stromuhr gemessenen wesentlich vonein-
ander abweichen, daß also keine einfache Beziehung zwischen
Druck und Geschwindigkeit wenigstens im Blutstrome der Carotis
und Cruralis des Hundes besteht. Die Strömung nimmt vielmehr
mit sinkendem Druck rascher ab als dem Druck entspricht, wohl
infolge der elastischen Eigenschaften der Biutbahn. Das
Poiseuillesche Gesetz gilt also nicht für den Blutstrom des
lebenden Körpers. |
Experimentelle Untersuchungen Erw. Rohdes (5) am isolier-
ten Katzen- und Kaninchenherzen dienen dem Studium der Gesetz-
mäßigkeiten, die zwischen den physikalisch meßbaren Leistungen
und den chemischen Umsetzungen des tätigen Warmblüterherzens
bestehen. Die Messung der Druckleistung des Herzens bei wech-
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1166 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14. Juli.
selndem Anfangsdruck wurde durch Konstruktion isometrischer
und isotonischer Dehnungskurven nach dem Vorgange von O. Frank
mit der Methode von Gottlieb und Magnus durchgeführt. Sie
ergab, daß der Herzmuskel des Warmblüters wie der Skeletmuskel
in gesetzmäßiger Weise auf Aenderung der mechanischen Bedin-
gungen auch mit Aenderung seiner Contractionsgröße reagiert und
daß innerhalb gewisser Grenzen des Anfangsvolumens ein Optimum
der Leistung besteht. Die Größe der chemischen Umsetzungen
wurde aus dem Sauerstofiverbrauch bestimmt. Als wichtigstes
Resultat ergab sich, daß weder zwischen der Anfangsspannung,
noch der Pulszahl oder dem Pulsdruck einerseits und dem Sauer-
stoffverbrauch anderseits ein direkter Zusammenhang besteht, wohl
aber, daß die Druckleistung (Pulszahl mal Pulsdruck) in annähernd
einfacher Proportion zum gleichzeitigen Sauerstoffverbrauch steht.
Dieses Gesetz gilt, solange das Herz auf einen hohen Anfangs-
druck mit entsprechend hoher Druckleistung reagiert. Sobald aber
der Anfangsdruck sich über das Optimum weit erhöht und die
Druckleistung des Herzens deutlich kleiner wird, verbraucht das
‚Herz ganz unverhältnismäßig mehr Sauerstoff als in der Norm bei
mittlerem Anfangsdruck.
Wolfer (6) hat die Frage nach der Reservekraft des byper-
trophischen Herzmuskels einer experimentellen Nachprüfung unter-
zogen. Romberg hatte mit Hasenfeld in Tierversuchen ge-
funden, daß die Reservekraft des normalen und hypertrophischen
Herzmuskels gleich hoch sei und daß die Hypertrophie als solche
nicht den Keim späterer Herzschwäche durch allmähliche Ermüdung
in sich trage. Martius schätzt dagegen auf Grund klinischer
Erfahrung die Reservekraft des hypertrophischen Herzens geringer.
ein und leitet davon seine leichtere Ermüdbarkeit ab. Wolfer
erzeugte die Herzhypertrophie teils durch fortgesetzte Adrenalin-
injektionen, teils durch künstliche Verengerung der Aorta ascen-
dens, teils durch künstliche Aorteninsuffizienz. (Die erzielten
Hypertropbien sind im ganzen nicht besonders hochgradig.) Er
prüfte dann die Leistungsfähigkeit der Herzen durch Abbindung der
Aorta am Bogen. Es zeigte sich, daß die meisten Herzen nach vor-
übergehendem Druckanstiege stundenlang die Mehrarbeit zu leisten
vermögen. Zwischen normalen und hypertrophischen Herzen be-
stand kein Unterschied. Damit waren die Resultate Rombergs
und Hasenfelds vollauf bestätigt.
Külbs (7) weist in eingehenden anatomischen Untersuchungen
nach, daß auch im Herzen niederer Tiere, bei Amphibien, Rep-
tilien und Vögeln, eine specifische muskulöse Atrioventrikular-
verbindung, ein Hissches Bündel, vorhanden ist. Eine experimen-
telle Begründung dieses Fasersystems als Reizleitungssystem ist
sehr schwer durchzuführen bei diesen Tierarten, da sich hier
Nerven und specifische Muskelfasern nicht so gut trennen lassen
wie beim Säugetierherzen. Daß die Durchschneidung der Haupt-
nerven aber nicht zur Rhythmusstörung führt, kann als Beweis
für die Reizleitung der specifischen Muskulatur auch bei diesen
Tierarten angeführt werden.
Putzig (8) hat die Aenderung der Pulsfreguenz durch die
Atmung an einer größeren Zahl herzgesunder Menschen geprüft.
Bei normaler Atmung und mittlerer Pulsfrequenz tritt während
der Inspiration eine Beschleunigung, während der Exspiration eine
Verlangsamung auf. Bei hoher Pulsfreguenz und schneller ober-
flächlicher Atmung fehlt die Aenderung, bei tiefer Atmung nimmt
die inspiratorische Beschleunigung zu. Für die Wirkung der
Atmung auf die Herztätigkeit kommen reflektorisch bedingte, aber
auch central ausgelöste Einflüsse in Betracht; Sauerstoff setzt die
Erregbarkeit der Centren herab, Kohlensäure erhöht sie; die
Schnelligkeit des Einsetzens der Reaktion spricht für die Be-
teiligung eines peripheren Reizes an ihrer Auslösung. Im einzelnen
kommen nun bei Gesunden Abweichungen vor. Während meist
die Beschleunigung überwiegt, kann bisweilen eine Verlangsamung
der Pulsfrequenz vorherrschen. Sicher ist an dem Zustandekommen
der Reaktion vor allem der Nervus vagus beteiligt; ob auch der
Sympathicus, bleibt fraglich. Vielleicht kann man mit Hilfe der
Atmungsreaktion einen Einblick in die nervöse Regulation des
Herzens beim einzelnen Individuum erhalten und aus Größe und
Schnelligkeit der Reaktion Schlüsse auf Tonus und Erregbarkeit
der Herznerven ziehen.
Aus Moment-Röntgenbildern des gesunden und kranken Her-
zens zieht v. Elischer (9) Schlüsse auf die intrathorakalen Vor-
gänge der Bluteireulation. Zur Deutung der Serienaufnahmen
konstruiert er aus den Größenveränderungen der einzelnen Herz-
abschnitte während der verschiedenen Phasen Kurven und berech-
net so die Veränderungen ihrer Füllung. Seine Ergebnisse sind:
Die Veränderungen des Herzschattens sind unter physiologischen
Verhältnissen ziemlich unbedeutend, ebenso bei kompensierten
Klappenfehlern, woraus folgt, daß die regurgitierende Blutmenge
nicht allzu bedeutend sein kann. Bei Dekompensation wachsen
sie. Die Füllung des rechten Vorhofs hängt nicht mit der Kammer-
systole, sondern mit dem Ausströmen des Bluts aus dem Thorax
zusammen, sie ist also eine physikalische Folge der Blutbewegung
in der Aorta.
v. Romberg und Otfr. Müller (10) verteidigen ihre Me- .
thode der plethysmographischen Funktionsprüfung gesunder und
kranker Arterien gegenüber @en Ausstellungen, die Nicolai und
Stähelin in ihrer Arbeit über die Wirkung des Tabaks auf das
Gefäßsystem und Martha Hellendall in einer jüngst erschiene-
nen Abhandlung machten. Sie betonen die Notwendigkeit, mit
einwandfreiem Apparat und unter scharfer Kontrolle aller den
Kranken psychisch erregenden Momente zu arbeiten und stellen
einige mißverstandene Auslegungen ihrer Resultate richtig.
Pezzi (11) stellt seine Auffassung über die Entstehung der
Herztöne unter gesunden und krankhaften Verhältnissen dar. Er
hält den ersten Herzton hauptsächlich -für einen Klappenton, ent-
standen durch die Vibration der Atrioventrikularklappen am Ende
der Anspannungszeit, also nicht am Anfange der Systole. Der
zweite Heraion ist kein diastolischer Ton, sondern erfolgt schon
während der Verharrungszeit durch den Rückprall des Bluts auf
die bereits am Ende der Austreibungszeit geschlossenen arteriellen
Klappen. Der sogenannte präsystolische Ton bei der Mitralstenose
ist nichts anderes als der verfrüht eintretende Mitralton. Die
Spaltung des zweiten Tons bei der Mitralstenose und bei Druck-
steigerung in der Pulmonalis aus anderer Ursache kommt durch
die Verspätung der Schließung der Pulmonalklappen zustande.
Eine Arbeit Egm. Münzers (12) beschäftigt sich mit Puls-
unregelmäßigkeiten. Münzer unterscheidet zwei Formen der
durch die Atmung; veranlaßten Irregularitäten: eine neurogenetische,
durch inspiratorische Verminderung des Vagustonus bedingte und
eine mechanische, durch extrathoracische Ursachen veranlaßte
(Pulsus paradoxus). Bei ersterer Form besitzen die dem Inspirium
entsprechenden Pulswellen eine geringere Größe und dauern kürzere
Zeit, bei der zweiten ist die Höhe ebenfalls geringer, die Zeit-
dauer gegenüber den andern Pulsschlägen aber nicht verändert.
Weiterhin wird ein Fall von Ueberleitungsstörung mit elektro-
kardiographischer Untersuchung mitgeteilt, bei dem es sich um
regelmäßigen Ausfall jeder zweiten Kammersystole handelte.
D. Gerhardt (13) beschreibt einige interessante Beob-
achtungen von Adams-Stokesscher Krankheit, darunter mehrere
mit Sektionsbefund. In einem Falle handelte es sich um Erschei-
nungen totaler Dissoziation während weniger Tage im Anschluß
an schwere Magenblutungen. Die Dissoziation verschwand aber
wieder vollständig; es blieb nur noch eine Verlängerung des
A—-C-Intervalls.. Anatomisch fand sich ein großer Degenerations-
herd in unmittelbarer Nähe des Reizleitungssystems mit stellen-
weiser Unterbrechung des linken Schenkels. Auch bei einem
zweiten Falle kam es zu häufigem Wechsel zwischen normalem
Herzschlag, partiellem und totalem Herzblock erst kurze Zeit vor
dem Tode, während die Autopsie einen ganz chronischen Prozeß,
einen großen Kalkherd im Septum mit mehrfacher Unterbrechung
des Bündels aufdeckte. Die Adams-Stokesschen Anfälle traten
nach Adrenalingaben auffallend zurück. Bei einem weiteren Falle
wurden die Anfälle fast regelmäßig durch psychische Erregungen
(Besuch des Arztes) ausgelöst. Vielleicht war hier bei zweifel-
loser anatomischer Läsion des Reizleitungssystems an einen beson-
ders starken Einfluß des leitungshemmenden Nervus vagus zu denken.
Ein vierter Fall schließlich bot klinisch die Zeichen eines in-
operablen Careinoms der Halsgegend. Beim Rückbeugen des Kopfes,
auch nachts im Schlafe traten Anfälle von Herzstillstand mit
tiefer Ohnmacht für ein bis zwei Minuten auf, dann kam es rasch
wieder zur gewöhnlichen Pulszahl. Die Sektion ergab eine Krebs-
geschwulst in nächster Nachbarschaft des Nervus vagus. Das Reiz-
leitungssystem war intakt. Die Anfälle von Herzstillstand (wahr-
scheinlich lag keine Dissoziation vor) wurden wohl durch Druck
auf den Vagus ausgelöst. Durch eine geeignete Kopflagerung und
Atropin schwanden die Anfälle. i
Hugo A. Freund (14) hat mehrere Fälle von Arhythmia
perpetua aus der Klinik Friedr. Müllers klinisch und anatomisch
untersucht. Er unterscheidet zwischen einer Arhythmia perpetua
mit langsamer und einer mit rascher Pulsfrequenz. Es ergab sich
anatomisch in allen Fällen eine starke Veränderung im Sinus-
knoten (Sklerosierung und kleinzellige Infiltration). Außerdem
wurden sklerosierende Prozesse im atrioventrikulären Reizleitungs-
system gefunden, daneben zweimal kleinzellige Infiltration. Je
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14. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1167
stärker die Erkrankung der Gegend des Atrioventrikularbündels
wer, um so niedriger war in der Regel intra vitam die Puls-
freguenz. Damit findet die Ansicht Wenckebachs, daß die
Arhythmia perpetua auf eine Ausschaltung der im Sinusknoten
lokalisiorten Ursprungsreize zurückzuführen sei, eine weitere
Stütze, Die niedrige Pulsfrequenz entsteht wahrscheinlich durch
gleichzeitige Schädigung des Reizleitungssystems. In einem Fall
entstand so ein dem Adams-Stokesschen Symptomenkomplex
ähnliches Krankeitsbild; es fehlten nur im Sphygmogramm die
Vorhofssystolen, die Jugularis zeigte den sogenannten Kammer-
venenpuls. — Die Arbeit wird eingeleitet durch eine Zusammen-
fassung über die normalen Verhältnisse und Störungen im Reiz-
leitungssystem, zum Teil mit Wiedergabe eigner anatomischer
Befunde.
Kure (15) teilt einen Fall von paroxysmaler Kammertachy-
systolie mit bei einem elfjährigen Mädchen. Die Tachykardie ließ
sieh durch psychische Erregung des Kindes stets prompt auslösen
und betraf nur den Ventrikel-, nicht den Vorhofsrhythmus. Kure
nimmt an, daß sie ausgelöst: sei durch Acceleransreizung. Es kam
infolge der Ventrikeltachysystolie sekundär zum Bild einer tempo-
rären vollständigen Dissoziation, da die vom Vorhofe kommenden
Erregungen die Kammern stets im refraktären Stadium trafen.
Bei einem Falle von Verengerung der Aorta in der Gegend
der Einmündung des Ductus Botalli hat Stursberg (16) Puls-
kurven mit dem Sphygmographen von Frank und Petter auf-
genommen. Er fand in den Arteriae fomorales einen verlangsamten
Pulsanstieg und eine Verspätung des Kurvengipfels, keine eigent-
liche Verspätung des Pulses. Dasselbe wurde auch in der Arteria-
subclavia beobachtet, deren Kurve sich außerdem noch durch eine
eigenartige, rechts fehlende Unterbrechung des aufsteigenden
Schenkels auszeichnete. Letztere ist wahrscheinlich durch eine
Brechung der Pulswellen an einer verengerten Stelle der Gefäß-
a in der Aorta oder am Abgange der Subelavia selbst zu er-
ären,
Experimentelle Untersuchungen über das Auftreten des
Pulsus paradoxus hat Hoke (17) an Kaninchen angestellt. Es
gelang ihm, Pulsus paradoxus zu erzeugen bei starker inspiratori-
scher und exspiratorischer Behinderung der Atmung, bei beider-
seitiger Phrenieusdurchschneidung, bei Erhöhung des negativen
Pleuradrucks, durch Verziehung, des Perikards mit Erweiterung
des Herzbeutels durch Luft oder Kochsalzlösung und schließlich
durch Verziehung der großen Halsvenenstäimme. Danach kommt
der Pulsus paradoxus also rein mechanisch zustande entweder
durch Aenderung der Cireulationsverhältnisse in der Lunge —
die aufgeblasene Lunge setzt dem Blutstrom einen größeren
Widerstand entgegen als die kollabierte — oder durch Behinde-
rung des venösen Bluteintritts in den Thorax oder in das Herz.
a stimmen die klinischen Beobachtungen des Pulsus paradoxus
überein,
. H. E. Hering (18) teilt einen Fall von plötzlichem Tode
bei einem Mädchen mit Herzfehler und Status thymico-Jymphaticus
nit, bei dem die Sektion keinen Aufschluß über die Todesursache
gab. Hering glaubt als solche Herzkammerflimmern vermuten zu
dürfen. Experimente an Tieren und an wiederbelebten mensch-
lichen Herzen haben plötzliches Absterben des Herzens durch
Kammerfliimmern festgestellt. Die Herztätigkeit hört im Tierver-
suche stets vor der Atmung auf, da die flimmernde Herzkammer
kein Blut mehr austreibt. Der Beweis für das Bestehen des
ammerflimmerns kann allerdings beim Menschen nur mit Hilfe
der elektrokardiographischen Methode erbracht werden.
a Eine günstige Beeinflussung der Kreislaufinsuffzienz bei
ärioventrikulärem Blocke durch Kohlensäurebäder konnte Theo
Groedel (19) in drei Fällen beobachten. In einem Falle von
totalem atrioventrikulärem Blocke wurde mehrmals durch Kohlen-
säurebäder die normale Reizleitung für längere Zeit wiederherge-
stellt, während Medikamente ohne Wirkung waren.
Hans Curschmann (20) teilt vier interessante Fälle von
szsudativer Perikarditis mit, bei denen eine Punktion des Herz-
outels sich notwendig machte, Besondere, teils zufällige Vor-
ommnisse — ein sehr starkes Troikart, ein dickes Oedem der
AR Brustwand, dann ein sehr schmaler Brustkorb und schließ-
ch ein Pneumohämoperikard — ließen die Punktion an der von
emr. Curschmann meist bevorzugten Stelle zwischen linker
=. und Axillarlinie ungeeignet erscheinen. Die Punktion
e ras deshalb am Rücken links hinten unten im achten ICR.
"genommen, einer Stelle, bei der große perikarditische Exsudate
owöhnlich der Brustwand anliegen, bei deren Wahl aber auch
r allem eine Verletzung des selbst stark vergrößerten Herzens
ausgeschlossen ist. Die Punktion des 'Herzbeutels vom Rücken
ber erwies sich als sehr vorteilhaft, eine Durchbohrung der kom-
primierten Pleurablätter ist nicht zu fürchten,
Orkin (21) macht statistische Mitteilungen über die Bə-
deutung der Syphilis für Erscheinungen von Herzinsuffizienz auf
Grund von Beobachtungen in der II. Medizinischen Poliklinik der
Charité. Bei 94 Myopathien fand er in 34 Fällen Syphilis als
Ursache. (Freilich ergeben die kurzen Krankenprotokolle manche
andere Ursache der Herzschwäche, wie Alkoholismus, Adipositas
usw. Vor allem hat Orkin keine scharfe Trennung zwischen
primärer Herzsyphilis und Herzschwäche bei syphilitischer Aorten-
erkrankung gemacht, die in einer größeren Zahl der Fälle nach-
gewiesen wurde. Wine Beurteilung der therapeutischen Erfolge
mit antisyphilitischen Heilmitteln ist deshalb kaum möglich.)
= Sahli (22) beschreibt ein verbessertes und vereinfachtes
klinisches Sphygmobolometer, ein Taschensphygmobolometer, das
sich von den früheren Konstruktionen vor allem unterscheidet
durch Verwendung einer flachen Aufnahmepelotte, durch Einschal-
tung eines „gedämpften“ Quecksilbermanometers, das an den Pul-
sationen der Luftsäule im übrigen Systeme nicht teilnimmt und
dadurch jederzeit die Eichung der Maximaldrucke gestattet und
schließlich durch Konstruktion eines neuen Indexmanometers, das
für alle Druckwerte genügt. Sahli bestimmt bekanntlich mit
‘ Hilfe der pneumatischen Sphygmobolometrie die Arbeit oder den
Energiewert der einzelnen Pulswelle, die berechnet wird aus der
Größe der durch den Puls in einem Luftraum erzeugten Druck-
schwankungen und aus der Größe des pulsierenden Luftvolumens.
Ebertz und Stuertz (23) fanden bei der röntgenologischen
Untersuchung von Rekruten mit gesunden Herzen bisweilen ein
auffallend weites Ausladen des linken mittleren, dem linken Herz-
ohr entsprechenden Schattenbogens, sodaß man zunächst an einen -
Mitralklappenfehler denken mußte. Umgekehrt fehlte die Vergröße-
rung dieses Bogens, wenn es sich um relativ frische Mitralklappen-
fehler handelte, die Bettruhe eingehalten hatten. Man soll des-
halb mit der Beurteilung von Herzfehlern aus dem Röntgenbefund
allein vorsichtig sein.
Römheld (24) glaubt einen schwachen Schatten im Röntgen-
bilde links und unterhalb der Herzspitze als Kontur des normalen
' Perikards ansprechen zu dürfen, er konnte diesen Schatten in Tele-
röntgenogrammen bei 8/4 bis 11/9, Sekunden Expositionszeit in etwa
einem Drittel aller Fälle feststellen. u
Kreuzfuchs (25) beschreibt ein neues Verfahren der Herz-
messung. Bei median eingestellter Röntgenröhre verhalten sich
auf dem Frontalbilde des Thorax die Distanz des Herzens vom
rechten Thoraxrande, der Transversaldurchmesser des Herzens und
die Distanz des Herzens vom linken Thoraxrand, alle drei bezogen
auf den Breitendurchmesser des Thorax, wie 4:5:3. Diese Me-
thode kann die Ausmessung mittels des Orthodiagraphen gut er-
setzen.
Rubow und Sonne (26) wollen durch Behandlung mit
starkem Bogenlichte bei Herzkranken eine langsamere und tiefere
Respiration erreicht haben mit wesentlicher subjektiver Erleichte-
rung. Die besten Resultate erzielten sie bei Kranken, deren Herz-
tätigkeit zunächst durch Digitalis und Reglung der Lebensweise
sich bereits merklich gebessert hatten. Eine merkliche Wirkung
trat nur auf, wenn ein Lichterythem durch die Bestrahlung entstand.
Seine Erfahrungen über die Endocarditis maligna ulcerosa
teilt Maixner (27) unter ausführlicher Schilderung der einzelnen
Krankheitszeichen und Besprechung der älteren Literatur mit.
Henry Gray Barbour (28) stellte im Freiburger patho-
logischen und pharmakologischen Institut Untersuchungen an über
die Struktur verschiedener Abschnitte des Arteriensystems in Be-
ziehung auf ihr Verhalten zum Adrenalin. Er wählte dazu die
Gefäßstreifenmethode von O. B. Meyer und Gefäße vom Menschen
und vom Kalbe. Der Unterschied der Adrenalinwirkung an Ar-
terien ist nur ein gradueller und hängt ab von der relativen Ent-
wicklung der elastischen und muskulären Gewebselemente in den
Arterien. Die Gefäße des elastischen Typus (Aorta, Hauptstämme
der Arteria coronaria und Arteria pulmonalis und die Carotis
communis) geben keine oder geringe Reaktion, die Gefäße des
muskulären Typus eine stärkere. Die Wirkung besteht stets in
einer Contraction der Gefäße mit Ausnahme der absteigenden
kleineren Zweige der Arteria coronaria, die eine deutliche Dila-
tation erkennen läßt. Diese hängt wohl von einer besonderen
Vasomotoreninnervation ab.
Aus Durchströmungsversuchen am Froschherzen mit Digi-
talinlösungen schwacher Konzentration schließt H.F.Grünwald (29),
daß eine Digitalisspeicherung im Herzen tatsächlich vorhanden sei.
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14168 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
Die Annahme, die Digitaliswirkung hänge nur von der Konzentration
der Giftlösung ab, könne nicht aufrechterhalten werden. Es sei
vielmehr auch die absolute Giftmenge von Bedeutung. Bei Durch-
strömung der Froschherzen mit sauerstoffreicher Digitalinlösung trat
die Digitaliswirkung schneller ein, und waren geringere Giftmengen
schon wirksam als bei fehlender Sauerstoffspeisung der Lösung.
Experimentelle Untersuchungen an Hunden, Katzen und Ka-
ninchen über den Einfluß des Camphers auf den kleinen Kreis-
lauf führten Liebmannn (30) zu dem Ergebnis, daß der Campher
eine Lungenhyperämie infolge beträchtlicher Erweiterung der
Lungengefäße herbeiführt. Die gleichzeitige Blutdrucksenkung in
der Carotis und in der rechten Herzkammer weisen ferner darauf
hin, daß auch im großen Kreislauf eine Gefäßerweiterung eintritt.
Die Gefäßerweiterung hält namentlich im Lungenkreislauf ziem-
lich lange an. Liebmann findet in diesen Beobachtungen viel-
leicht eine Erklärung für die günstige Wirkung des Camphers bei
der Lungentuberkulose, die ja vielfach bestätigt ist. Die Lungen-
hyperämie, vereint mit einer Entlastung der rechten Herzkammer
und eventuell vermehrter Blutzufuhr zum linken Ventrikel, läßt
den Campher wohl geeignet erscheinen, in der Tuberkulosetherapie
eine Rolle zu spielen.
Literatur: 1. Holl, Atrioventrikulares Verbindungsbündel am Herzen.
(A. f. Anat. u. B. 1912.) — 2. Marchand und Meyer, Beziehungen zwischen
Vagus und intrakardialen Nervenzellen beim Säugetier. (Pflügers A. Bd. 145.)
— Ganter und Zahn, Ueber Reizbildung im Säugetierherzen. (Ebenda.) —
4. Hürthle, Beziehungen zwischen Druck und Geschwindigkeit des Bluts im
Arteriensystem. (Berl. kl. Woch. Nr. 17.) — 5. Rohde, Einfluß der mechani-
schen Bedingungen auf Tätigkeit und Sauerstoffverbrauch des Warmblüter-
herzens. (A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 68.) — 6. Wolfer, Reservekraft des
hypertrophischen Herzmuskels. (Ebenda.) — 7. Külbs, Reizleitungssystem bei
Amphibien, Reptilien und Vögeln. (Zt. f. exp. Path. Bd. 11.) — 8. Putzig,
Aenderung der Pulsfrequenz durch die Atmung. (Evonda) — 9. v. Elischer,
Momentröntgenbiider des Herzens. (Zt. f. kl. Med. Bd. 75.) — 10. Romberg
und Otfr. Müller, Plethysmographische Funktionsprüfung gesunder und kranker
Arterien. (Ebenda.) — 11. Pezzi, Entstehung der Herztöne. (Ebenda.) —
12. Münzer, Pulsunregelmäßigkeiten. (Ebenda.) — 13. D. Gerhardt, Adams-
Stokessche Krankheit und Vagusbradykardie. (D. A. f. kl. Med. Bd. 106.) —
14. Freund, Arhythmia perpetua. (Ebenda) — 15. Kure, Psychisch ausge-
löste paroxysmale Kammertachysystolie. (Ebenda.) — 16. Stursborg, Spayemo.
graphische Befunde bei Verengerung der Aorta am Isthmus. (Ebenda Bd. 107.)
— 17. Hoke, Experimentelle Untersuchungen über den Pulsus paradoxus.
(Wr. kl. Woch. Nr.26.) — 18. H. E. Hering, Plötzlicher Tod durch Herz-
kammerflimmern. (M. med. Woch. Nr. 14 u. 15.) — 19. Theo Groedel,
Kohlensäurebäder bei atrioventrikulärem Block. (Ebenda Nr. 14.) — 20. Cursch-
mann, Herzbeutelpunktion. (Th. Mon. Mai.) — 21. Orkin, Syphilis des Her-
zens. (Berl. kl. Woch. Nr. 25.) — 22. Sahli, Verbesserter Sphygmobolometer.
(D. A. f. kl. Med. Bd. 107.) — 23. Ebertz und Stuertz, Abnorme Gestaltung
des linken mittleren Horzschattenbogens bei Herzgesunden. (Ebenda) —
24. Römheld, Röntgenbild des Perikards. (Ebenda Bd. 106.) — 25. Kreuz-
fuchs, Neues Verfahren der Herzmessung. (M. med. Woch. Nr.19.) — 26. Ru-
bow und Sonne, Wirkung des Lichterythems auf die Respiration bei Herz-
kranken. (Zt. Í. kl. Med. Bd. 75.) — 27. Maixner, Endocarditis maligna ulce-
rosa. (Ebenda.) — 28. Barbour, Struktur der Arterien und Adrenalinwirkung.
(A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 68.) — 29. Grünwald, Digitalisspeicherung im
Herzen. (Ebenda.) — 30. Liebmann, Einfluß des Camphers auf den kleinen
Kreislauf. (Ebenda.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
K. Heilbronner weist darauf hin, daß man sehr vorsichtig mit
dem Ablebnen einer Diagnose, zumal im frühen Stadium, sein sollte,
wenn etwa das eine oder andere wirklich oder vermutlich „dazugehörige“
Symptom fehlt. Oft wird fälschlich die Vermutung eines Gehirn-
tumors mit dem Einwand zurückgewiesen, daß die Pulsverlang-
samung fehle, während diese bei langsam zunehmendem Hirndruck
nicht nur fehlen kann, sondern sogar fast stets zu fehlen pflegt.
(D. med. Woch. 1912, Nr. 22.) F. Bruck.
Ein gewisses Licht auf die Aetiologie des Erythema nodosum
wirft folgender Fall, den Sheffield Neave (Ingatentone) berichtet: Ein
zwölfjähriges Mädchen wurde mit der Diagnose: Vitium cordis und An-
zeichen von Pleuritis mit einer Temperatur von 38,8 dem Spital über-
wiesen. Beide Großeltern mütterlicherseits waren phthisisch gewesen,
das Kind hatte 21/s Jahre früher Chorea und später einen Anfall von
rheumatischem Fieber durchgemacht. 24 Stunden nach Eintritt begannen
die ersten Flecken von Erythema nodosum aufzutreten, und zwar an den
Beinen. Sofort wurde eine Blutkultur angelegt, die einen Streptokokkus
ergab, der alle Zuckerreaktionen des Str. salivarius zeigte. (Br. med. j.
20. April 1912, S. 891.) Gisler.
Ueber Phimose und Hyärocele im Säuglingsalter berichtet
J. Peiser. Eine gewisse Phimose ist bei Säuglingen physiologisch,
Jeder Knabe wird normalerweise mit enger Präputialöffnung geboren,
die aber nur dann zu einem Eingriff berechtigt, wenn die Urinent-
leerung erschwert ist. Ist dies aber nicht der Fall, so verhalte man
sich abwartend, da sich die enge Präputialöffnung mit dem allge-
meinen Wachstum des Körpers, im einzelnen der Glans penis, spontan
14, Juli.
weitet. Aber nicht jede Erschwerung des Urinierens beim Säugling ist
auf eine Phimose zurückzuführen. Sehr häufig beruht sie auf einer
Darmerkrankung und wird durch Beseitigung dieser behoben. (Der
Verfasser möchte die Erscheinung dadurch erklären, daß durch einen
Reiz vom Mastdarm aus ein Krampf der Beckenbodenmuskulatur
ausgelöst werde, der die Urinentleerung erschweren kann.)
Die Hydrocele des Säuglings ist in der Regel primär, „idio-
pathisch“ und angeboren. Da der Processus vaginalis peritonei bei
der Geburt des Kindes selbst normalerweise noch nicht völlig geschlossen
ist — er schließt sich erst zirka sechs Wochen post partum, bei 50%
aller Neugeborenen sogar erst sechs Monate nach der Geburt —, so ist
die Häufigkeit der Hydrocelenbildung begreiflich. Der Umfang der
Hydrocele kann Schwankungen unterworfen sein. In der Ruhelage
kann nämlich die Hydrocelenflüssigkeit durch den Kanal des Processus
vaginalis in die Peritonealhöhle abfließen; bei verstärkter Anwendung
der Bauchpresse, z. B. bei erschwerter Defäkation, bei lebhaftem
Schreien, wird sie aber in das Scrotum zurückgetrieben. An der
Hydrocele selbst ist ein therapeutischer Eingriff nicht erforderlich, Die
Hydrocele des Säuglings heilt spontan, und zwar die überwiegende
Mehrzahl noch innerhalb des ersten Lebensjahres, der Rest innerhalb des
zweiten. Sehr oft kommt die Heilung bereits im ersten Lebenshalb-
jahre zustande. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 23.) F. Bruck.
Albuminurie, Hämaturie und Cylindrurie dürfen nicht die alleinigen
Führer in der Behandlung der chronischen Nephritis sein, wie Ernst
Romberg auseinandersetzt. Wichtiger für die Therapie ist die Ver-
folgung der von den Nieren ausgeschiedenen Stoffe: Wasser und
Kochsalz.
Sind die Nierengefäße, speziell die Glomeruli, schwer ge-
schädigt, so scheiden sie weniger Wasser aus, es besteht Oligurie.
Ist die Schädigung der Nierengefäße nur geringfügig, so sind diese
gegen den diuretischen Reiz des Bluts überempfindlich und scheiden
mehr Wasser aus (Polyurie).
Das Kochsalz wird ganz überwiegend von den Nierenkanälchen
ausgeschieden. Beim Gesunden entspricht die Kochsalzausfuhr durch
den Urin der Kochsalzaufnahme, die durchschnittlich 15 g in 24 Stunden
beträgt. Bei starker Erkrankung der Kanälchen bleibt die Kochsalzaus-
scheidung hinter der Aufnahme zurück. |
Die beiden wichtigsten Folgen der Nierenerkrankung für den Ge-
samtkörper, die Oedeme und die Urämie, sind nun in der Regel
weniger zu befürchten, wenn die Sekretion der Nieren befriedi-
gend von statten geht. (Aber die Entstehung der Oedeme kann nicht
allein von einer ungenügenden Wasser- und Kochsalzausscheidung durch
die Nieren abhängig gemacht werden. Auch eine Schädigung der
Wand der Körpergefäße ist zu ihrem Auftreten erforderlich.)
Die Wasser- und Kochsalzausscheidung durch die Nieren ist aber
nicht nur von der Tätigkeit der Nieren und dem Verhalten der Körper-
gefäße abhängig, sondern auch von der Herztätigkeit, der Wasser-
resorption im Darme, der Reichlichkeit der Wasserverluste durch Darm,
Haut, Atemluft. we
Wichtig ist die Beurteilung der Blutdrucksteigerung bei
chronischer Nephritis. Aber die Höhe des Blutdrucks hat gar keine Be-
ziehung zur Reichlichkeit der Harnausscheidung. Sehr oft besteht bei
Urämie beträchtliche Zunahme der Hypertension. Bei der Therapie sind
alle Maßnahmen zu vermeiden, die unliebsame Steigerungen und damit
Gefahren für lebenswichtige Organe nach sich ziehen können. Ebenso
muß aber jedes einseitige Bestreben abgelehnt werden, die Blutdruck-
steigerung herabzusetzen, wie das neuerdings bei der Empfehlung des
Vasotonins geschah.
Bei der Therapie chronischer Nephritis ist das Stadium der
Nierensuffizienz zu trennen von dem der Oedeme und der Urämie.
Ist die Nierentätigkeit noch suffizient, so muß sie geschont
werden. Aber nur das Uebermaß der stickstoffhaltigen Nahrung und
des Flüssigkeitsquantums dürfte schädlich sein. Ganz unbedenklich kann
man der großen Mehrzahl der Nierenkranken eine tägliche Fleischquantität
von 100 bis 150 g gestatten. Nur bei Gichtkranken ist die Zufahr
purinhaltiger Nahrung noch weiter einzuschränken. Die Furcht vor
schwarzem Fleisch und vor Eiern ist in keiner Weise gerechtfertigt. Bei
der Passage durch die Nieren dürften sich die Endprodukte dieser
Nahrungsmittel von denen weißen Fleisches nicht unterscheiden.
Das Quantum der täglich in Form von Getränken, Suppen, Milch usw.
zuzuführenden Flüssigkeit sollte im allgemeinen auf 2 Liter in 24 Stunden
bemessen werden; unter 1!/s Liter sollte aber nie heruntergegangen werden.
Eine zu reichliche Flüssigkeitszufuhr ist aber zu vermeiden; sie ist
auch im Kompensationsstadium der chronischen Nephritis eine unnötige
Inanspruchnahme des kranken Organs. Denn auch die Wasser-
ausscheidung in der Niere ist ein überwiegend sekretorischer Vor-
gang und beruht auf einer aktiven Tätigkeit der Nieren.
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14, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 116
Bei kompensierter chronischer Nephritis verbietet der Verfasser
im allgemeinen nur das Uebermaß von Kochsalz. Auch ist es ge-
stattet, von dem normalen Quantum (15 g) auf 8 bis 12 g in 24 Stunden
herunterzugehen. Eine weitere Reduktion ist dagegen nicht ge-
rechtfertigt.
Dringend zu warnen ist vor Schwitzprozeduren im Stadium
der Nierensuffizienz. Seitdem man von der Durchspülung der Nieren
im alten Sinne keinen Nutzen mehr erwartet, haben auch Trinkkuren
mit Mineralwässern ihre Berechtigung verloren. Auch das warme
Klima als solches (z. B. Aegypten) scheint für die chronische Nephritis
kaum von Nutzen zu sein.
Bei insuffizienter Nierentätigkeit dagegen spielt in einer Reihe
von Fällen die Beschränkung der Kochs alzzufuhr zweifellos die her-
vorragendste Rolle, und zwar besonders bei Oedemen und bei Urämie.
Oft allerdings vermißt man den Nutzen einer Kochsalzbeschränkung.
Ein Versuch in dieser Beziehung ist aber immer gerechtfertigt.
' Zur medikamentösen Anregung der Nierentätigkeit bei ne-
phritischen Oedemen und bei Urämie dienen in erster Linie die
Xanthinverbindungen, vor allem das Diuretin und das Theocin. In
zweiter Linie sind die Digitaliskörper zu nennen. Die Xanthinkörper
erweitern die Nierengefäße und steigern die Ausscheidung des
Wassers und des Kochsalzes (in dieser Steigerung der Harnmenge nur
eine Folge besserer Durchgängigkeit des Nierenfilters zu sehen, ist nicht
riehtig). Wird durch die Diuretica in vorsichtiger Weise die Nieren-
tätigkeit geübt, so treten länger anhaltende Besserungen in der
Funktion ein. Man gibt vom Diuretin im Laufe des Nachmittags ein-
oder zweimal 0,5 g (wenn nötig wird bis auf achtmal 0,5 g gestiegen).
Die ganze Menge wird zweckmäßig im Laufe eines halben Tages, am
besten nachmittags, genommen, weil man bei dem nicht sehr kräftig
wirkenden Mittel nur bei derartiger Häufung der Dosen ausreichende Er-
folge erzielt. Das Theocin (das meist sehr energisch wirkt) wird da-
gegen über den Tag verteilt, und zwar gibt man zweimal täglich 0,1,
eventuell steigend bis viermal täglich 0,2. Aber man reiche es immer
nur einen Tag um den andern! Die Digitaliskörper wirken auch
allein durch unmittelbare Einwirkung auf die Nieren diuretisch. Ist
der Blutdruck erhöht, so gebe man immer nur kleine Dosen, aber man
verzichte nicht darauf; denn der Blutdruck sinkt mit der Besserung
der Nierentätigkeit. Die Darreichung ist folgende: Ein- bis dreimal
täglich Pulv. folior. Digital. titr. (Siebert und Ziegenbein) 0,05 oder
Digalen 0,5 oder Digipurat !/ə Tablette. Vor dem Kalomel, das
bei Herzkranken bisweilen so ausgezeichnet diuretisch wirkt, ist bei
Nierenkranken dringend zu warnen. Die durch das Mittel verur-
sachte Polyurie beruht auf einer Ueberempfindlichkeit der Nieren als
dem ersten Zeichen einer Nierenreizung, die bei weiterer Entwicklung
zur Quecksilbernephritis führt. Schwitzprozeduren zur Bekämpfung
der Oedeme sind schädlich, da bei raschem Schwinden dieser urämi-
sche Erscheinungen auftreten können. Bei schwerer Urämie mit
Benommenheit, Krämpfen, Asthma ist ein genügend reichlicher Ader-
laß ein sehr schätzbares Mittel. Sonst empfiehlt sich beim nächtlichen
urämischen Asthma unter anderm Dionin 0,02, gegen Uebelkeit und Er-
brechen möglichst trockne Ernährung und drei-. bis fünfmal täglich
fünf bis sieben Tropfen Opiumtinktur, gegen allgemeine Erregbarkeit
(schlechter Schlaf) unter anderm am Abend 2,0 g Bromkalium. (D.
med. Woch. 1912, Nr. 28.) | F. Bruck.
Dr. Arthur T. Jones (Mountain Ash) bespricht die Frage,
ob Alkohol bei Pneumonie verabreicht werden soll oder nicht, an Hand
von 86 Fällen, Es handelte sich immer um lokäre Formen. Es gab
eine Zeit, wo er reichlich Alkohol verabreichte, während dieser Periode
behandelte er 36 Fälle mit einer Mortalität von 38°), und eine spätere
Zeit, in der er nur bei bestimmter Indikation Alkohol braucht; während
dieser Periode waren es 50 Fälle mit einer Mortalität von 180%. In
der ‚letzteren Serie waren drei Fälle mit ausgesprochenem schweren
söptischen ‚Charakter. Er gewann die Ueberzeugung, daß es unweise
und unnötig sei, in jedem Fall Alkohol zu verschreiben, er schade oft
er als er nütze. Bei vier schweren Alkoholikern führte er die Be-
tab ung ganz ohne Spirituosen erfolgreich durch und war sicher,. aus
en Erfahrungen, daß, wenn er diese verordnet hätte, Delirium aus-
gebrochen wäre. (Br. med. J- 23. März 1912, S. 667.) Gisler.
Ta von verschiedenen Seiten mitgeteilten Beobachtungen, in denen
ie p oder unmittelbar nach einer intravenösen Hormonalinjek-
Tode ee Kollaps auftrat, der sogar in einem Falle zum
selbst in = hat G. Zuelz er insofern bestätigt gefunden, als auch ihm
ar ae ‚Zeit bei vorsichtigster, tropfenweise erfolgender intra-
gel Ormonalinjektion in vier hintereinander folgenden Fällen
lee schwere N ebenerscheinungen (heftiger Kopfschmerz,
ae 8) usw. vorkamen, die nur eben infolge der außerordentlich
gen Anwendungsweise nicht zum Kollaps führten.
Diese plötzlich und gehäuft aufgetretenen Störungen konnte der
Verfasser nun auf eine Aenderung im Präparat während der fabrik-
mäßigen Herstellung zurückführen, und zwar wurde als Ursache eine
Albumose entdeckt. Es wird daher in Zukunft nur noch ein Hormonal
abgegeben, das frei von dieser schädlichen Beimengung ist. Auch hat
es der Verfasser übernommen, das Präparat dauernd zu kontrollieren
und besonders auch vor der Abgabe klinisch zu prüfen. Dieses
neue Hormonal wurde in Mengen von 20 bis 40 cem intravenös injiziert
und hat sich bis jetzt bewährt. Die auch hiernach eintretende gering-
fügige Blutdrucksenkung beruht darauf, daß die peristaltik-
anregende Wirkung des Hormonals mit einer starken Blutzufuhr
zum Darm einhergeht, daß also eine Blutverschiebung stattfindet.
Sie ist also gleichsam die physiologische Forderung für die Wirksamkeit
des Mittels. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26.) F. Bruck.
In der Gynäkologie verwendet A. Hirschberg mit gutem Erfolg
das Salicylpräparat Hydropyrin-Grifa bei akuter wie subakuter Becken-
zellgewebsentzündung, Salpingitis, Oophoritis, Parametritis, Dysmenorrhoe.
(Die Wirkung tritt wegen der leichten Resorbierbarkeit des Mittels
rascher als beim Aspirin ein.) Die Dosis ist: meist dreimal täglich
zwei Tabletten à 0,5 g in Wasser aufgelöst. Kombiniert wird die Salicyl-
therapie äußerst erfolgreich mit der „Kolumnisation“, die aus Frank-
reich stammt. Diese besteht darin, daß man die Scheide durch Jodo-
formgaze und zwei Tampons ziemlich fest tamponiert; man erreicht
dadurch, daß die entzündlich erkrankten Teile ruhig gestellt werden,
indem sis auf den Tampons gewissermaßen wie auf einer Säule
(Columna) ruhen. Es ist also hier der gleiche mechanisch-therapeutische
Effekt wie beim Suspensorium: die entzündlich-kranken Teile sind nicht
so sehr der Druck- und Zerrwirkung ausgesetzt. Die Tampons
bleiben drei Tage liegen, werden dann entfernt, um nach einer Scheiden-
spülung erneuert zu werden. Die Frauen brauchen dabei nicht im Bette
zu liegen. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 23.) F. Bruck.
Drei Fälle von Chininbliudheit teilt Kulebjakin aus eignen
Beobachtungen mit. Durch Verwechslung mit Soda wurden 6,5 respek-
tive 10,0 und im dritten Fall ein Eßlöffel Chinin eingenommen; ?/4 bis
!/a Stunde darauf Erscheinungen allgemeiner Intoxikation, nach zwölf
Stunden Erblindung, die 10 respektive 48 Stunden anhielt. Centrale
Sehschärfe erreichte in allen Fällen wieder die Norm, jedoch nach ver-
schieden langem Zeitraum — eine Woche bis zu mehreren Monaten.
Augenhintergrund: Blässe und bedeutende Gefäßverengerung. Therapie:
Strychnin in Form von Injektionen in der Schläfengegend. In dem
einen Falle bewährte sich Fibrolysin.
Die Mitteilungen stammen aus der Augenklinik der Universität
Kasan. (Wjestnik Ophtalmologii 1911, Nr. 1.) Schless (Marienbad).
Ueber die Wirkung des Fleischextrakts auf die bessere Aus-
nutzung vegetabilischer Nahrung veröffentlicht Hans Wolff die Resul-
tate seiner Untersuchungen an Hunden. Es fand sich, daß durch Zu-
führung von 5 bis 10 g Liebigschen Fleischextrakts zu sonst vegetabi-
lischer Nahrung die Kohlehydrate besser ausgenutzt wurden. Diese
bessere Ausnutzung wird etwas durch eine erhöhte Fettausscheidung
ausgeglichen, jedoch niemals vollkommen. Auch vegetabilische Proteine,
die sonst ungenutzt den Verdauungstraktus passieren, werden durch
Extraktzusatz besser verwertet. Endlich trägt auch der Stickstoff des
zugefügten Extrakts selbst zu einer wesentlichen Bilanzverbesserung bei.
Wird das Verhältnis der Extraktgaben zu der Proteinmenge der Nahrung
zu groß, so wird die Bilanzverbesserung dadurch verringert. (Zt. f. kl.
Med. Bd. 74.)
Ueber seine mit nucleinsaurem Natron bei Scharlach erzielten
Resultate berichtet Poljakoff. Am deutlichsten trat der Erfolg in den
Fällen auf, die nicht später als am zweiten Tage nach der Erkrankung
zur Aufnahme kamen. Hier wurde die Affektion gewissermaßen plötz-
lich unterbrochen, die Temperatur sank und die Erscheinungen traten
zurück. Sicher wirkte die herbeigeführte Leukocytose im Sinne einer
Steigerung der Widerstandsfähigkeit des Organismus gegenüber der
Infektion.
Bei Patienten, die am dritten bis sechsten Erkrankungstage zur
Beobachtung kamen, war der Erfolg wesentlich geringer; immerhin wurde
die Mortalität beeinflußt; von 71 Fällen endeten nur fünf letal. Im
Biute fand sich bei allen Untersuchungen 12 bis 24 Stunden nach der
Injektion Hyperleukocytose. Die Schmerzbaftigkeit an der Injektions-
stelle pflegt ein bis zwei Tage zu bestehen. Infiltrate waren nicht zu
beobachten.
Die Beobachtungen beziehen sich auf 90 Fälle. Einen günstigen
Einflaß scheinen die Injektionen auch bei Polyarthritis rheumatica und
Erysipel zu haben. (Russki Wratsch. Nr, 9.) Schless (Marienbad).
Bisher waren es, wie P. Schaefer auseinandersetzt, besonders
drei Arten von chemischen Stoffen, die als Hypnotica anzusehen waren:
Er Dee Er A
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ee eMM
1170
1. die Alkoholgruppe, beim gewöhnlichen Aethylalkohol an-
fangend, das Amylen, Amylenbydrat, Chloral, Chloralhydrat und Paraldehyd
einschließend bis zum Isopra];
2, die Disulfone, besonders Sulfonal und Trional;
8. die Harnstoffgruppe, vom reinen Urethan bis zum Veronal
und Proponal.
Durch Vereinigung des einen oder andern dieser Stoffe mit den
sedativ wirksamen Bromsalzen und den antineuralgisch wirksamen Salicyl-
präparaten, Phenacelin und dergleichen, entstanden neue Hypnotica, wie
das Adalin (Diäthylbromacethylharnstoff).
Dadurch, daß nun in ein gut wirkendes Schlafmittel, die Diäthyl-
barbitursäure, als erheblich verstärkende Komponente eine Phenyl-
gruppe eingeführt beziehungsweise in diesem Hypnoticum die eine Aethyl-
gruppe durch Phenyl ersetzt wurde, entstand das neue Hypnoticum
Luminal. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 22) F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Systogen.
Formel: GsH1s.0NCI. |
Eigenschaften: Hämostaticum, Herztonicum, Uterusexeitans.
Indikationen: Hämorrhagie des Uterus und anderer Organe,
Wehenschwäche, Retentionen von Eihautresten, Kaiserschnitten, Hämo-
ptysis, Vitium cordis. Ä
Pharmakologisches: Ungiftig. Als Vasoconstrictor wirkt es
auf die glatte Muskulatur des Uterus, Verstärkt die Diastole und Systole.
erhöht die Amplitude der Herzschläge und vermindert ihre Zahl.
Nebenwirkungen: Keine, da die Injektionen vollkommen
schmerz- und reizlos sind.
Dosierung und Darreichung: t/a bis 1 ccm per injectionem,
subcutan, intramuskulär, intravenös. Per os: !/2 ccm dreimal täglich in
einem halben Glase Wasser. |
Literatur: Burmann, Schweiz. Woch. f. Chem. u. Ph. 1912,
Nr. 6; Derselbe, Schweiz. med. Rundsch. 1912, Nr. 24; Heimann,
M. med. Woch. 1912, Nr. 25.
Firma: Chemische Fabrik Zyma, A.-G., St. Ludwig i. Ris., Aigle
(Schweiz).
_—
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Metalldilatatoren
zur instrumentellen Erweiterung des Introitus vulvae.
Kurze Beschreibung: Hohlgearbeitete, das heißt aus Metall-
röhren hergestellte Instrumente, die in der Form den Hegarschen Uterus-
dilatatoren entsprechen. Der ganze Satz, aus fünf Instrumenten be-
stehend, kann ineinandergeschoben werden. Der dünnste Dilatator hat
a Zu 24, der diekste 40 mm
im Durchmesser; die
einzelnen Nummern dif-
forieren um 3 bis 5 mm.
Die Spitze der Instru-
mente ist abgerundet,
um ein schmerzloses
Einführen in den Introi-
tus zu gewährleisten.
Das Instrumentarium ist
praktischer als die bisher zu diesem Zwecke benutzten Holzdilatatoren,
läßt sich anderseits bequemer verwenden als Spekula.
Anzeigen für die Verwendung: Bei abnormer Enge des In-
troitus vaginae oder bei Vaginismus wird das Instrumentarium eventuell
nach operativer Erweiterung der Vulva in der Weise verwandt, daß vor-
sichtig steigende Nummern eingeführt werden.
Firma: Neumann & Co., Köln.
Bücherbesprechungen.
Josef Rosenberg, Neue Behandlungsweise der Epilepsie, unter
Berücksichtigung der hysterie- und neurasthenieähnlichen
Krankheitserscheinungen. Berlin 1912, Leonhard Simion Nf. 330 S.
Es ist zwar ein ziemlich dickes Buch (330 Seiten) — man kann
sich aber trotzdem darüber kurz fassen. Was nämlich sonst noch darin
steht, ist weder für den Verfasser selbst, noch für den Leser (wenigstens
den ärztlichen) von besonderem Belang; worauf alles hinauskommen soll
und praktisch binauskommt, das ist ausschließlich die vom Verfasser pro-
pagierte „neue Behandlungsweise der Epilepsie“ mit dem von ihm ange-
wandten Antiepilepticum, dem „Epileptol“. Jeder ärztliche Leser wird
1912 — MEDIZINISCHR KLINIK — Nr. 28.
14. Juli.
natürlich zuerst wissen wollen, was „Epileptol“ ist; darüber erfährt er
aber aus dem Werke nicht das geringste — und wenn er in dem zur
Erleichterung des Laienverständnisses angehängten „Wortregister (Ueber-
setzung der Kunstausdrücke und sonstigen Fremdwörter ins Deutsche)“
nachschlägt, so findet er auch da über das Mittel, dessen Anwendung und
angebliche Wirksamkeit den Hauptinhalt des Buches bildes, nur (S. 301)
die frostige Bemerkung: Epileptol: bromfreies Heilmittel der Epilepsie,
Wie es nun mit diesem angeblichen Heilmittel steht, haben Hebold und
Bratz durch ihre in Wuhlgarten angestellten methodischen Versuche,
deren Ergebnis ein negatives war, genügend dargetan. Des Verfassers
Polemik dagegen, wie gegen die „Schulbehandlung‘ überhaupt, ist so
charakteristisch, daß ich mir nicht versagen kann, einen Passus daraus
anzuführen. Die Erfolge müßten nämlich ausbleiben, weil „der gegen-
wärtige Stand der Wissenschaft keine Handhabe dazu bietet, sich vorzu-
stellen, welche molekular-physikalischen Gesetze bei den der Epilepsie
zugrunde liegenden qualitativ verschiedenen cortical-molekularen Gleich-
gewichtsstörungen sich geltend machen, in welcher Weise die schwächerer.
und die stärkeren Reize auf das molekulare Lagerungsverhältnis der Hirn-
rinde einwirken, mit welches Steigerung der Epileptoldosen man in jedem
einzelnen Falle den Folgen stärkerer Reizeinwirkungen entgegenzutreten
hat?“ — Eine breite Phraseologie dieser Art erfüllt einen großen Teil
des Buches und wird natürlich dem nichtärztlichen Leser in hohem Grad
imponieren, A. Eulenburg.
G. Schöne, Die heteroplastische und homdoplastische Trans-
plantation. Mit 29 Textfiguren und 1 Tafel. Berlin 1912, Julius
Springer. 161 S. M8—.
Die Fragen der Transplantation stehen heute mehr denn je im
. Vordergrund des medizinischen Interesses. Die Schwierigkeit dieser
Probleme lehrt die vorliegende Arbeit Schönes, der daran seit zehn
Jahren selbst aktiv mitarbeitet.
Nach einer kurzen Erörterung über Polarität bespricht Verfasser
die hetero-, dann die homdoplastische Transplantation und schließt daran
ein Kapitel über die gegenseitige Beeinflussung von Transplantat und
Wirt nach der Transplantation. Das da beigebrachte Versuchs- und
Tatsachenmaterial ist so reichlich, daß sich ein Herausgreifen von Einzel-
heiten von selbst verbietet.
Der Hauptwert der Arbeit liegt darin, daß sie in großzügiger Weise
das ganze Problem vergleichend betrachtet und dazu nicht nur die Er-
gebnisse der experimentellen Geschwulstpathologie, sondern auch die Re-
sultate der botanischen und zoologischen Forschung mit verwertet. Auf
knapp 100 Seiten wird so eine Uebersicht des bisher Erreichten gegeben
und zugleich die Richtung für ein weiteres zielbewußtes Arbeiten an-
gedeutet.
Keiner wird das Buch beiseite legen, ohne davon starke An-
regungen empfangen zu haben. A. Wettstein (St. Gallen).
H. Simon, Physik und Technik der Thermopenetration. Mit
1 Tafel. Leipzig 1912, J. A. Barth. 38 Seiten. M 1,—.
Den Zweck, die physikalischen Grundlagen des Thermopenetrations-
verfahrens in möglichst einfacher Form darzulegen und dem Arzte das
Verständnis der in Frage kommenden Erscheinungen zu erleichtern, hat
Verfasser mit seiner vorliegenden Arbeit erreicht. — Nach einigen all-
gemeinen Bemerkungen ‚über die physiologischen Wirkungen des elektri-
schen Stroms und einem kurzen geschichtlichen Rückblicke, kommt er
auf die Hochfrequenzströme zu sprechen. An der Hand mehrerer graphi-
schen Darstellungen und einfacher Schemata, die das Verständnis der
physikalischen Erscheinungen ungemein erleichtern, erläutert Verfasser
in kurzen, klaren Worten das, was für den Mediziner, der sich mit
Thermopenetration beschäftigen will, von Interesse ist. — Als Grund
für die Erwärmung des von Hochfrequenzströmen durchflossenen Körpers
glaubt er, gestützt auf seine Versuche, den Ohmschen Widerstand des
Körpers annehmen zu dürfen, nicht etwa dielektrische Verluste, doch
rät er selbst nicht zur bedingungslosen Annahme dieser Ansicht. — Im
zweiten Teil seiner Arbeit beschreibt Verfasser den technischen Aufbau
eines Thermopenetrationsapparats, der nach den vorhergegangenen theore -
tischen Erklärungen leicht verständlich ist. Die vom Verfasser angegebenen
Blektrodenhalter für länger dauernde Behandlung erscheinen zweckmäßig;
die von ihm vorgeschlagene Methode, zur Messung der erzeugten Wärme
ein in Temperaturgraden geeichtes elektrisches Thermoelement zu ver-
wenden, das nach Art einer Sonde in den Körper eingeführt wird, dürfte,
wie Verfasser auch selbst zugibt, keinen Anspruch auf Vollkommenheit
machen. — Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Art des-
Thermopenetrationsapparats, ob Funken- oder Lichtbogenthormopenetra-
tionsapparat. sowie einem Anhang über Hochfrequenzkaustik schließt die
Arbeit, deren Lektüre allen, die sich für Physik und Technik der Thermo-
penetration interessieren, nur empfohlen werden kann.
Dr. Peusquens (Köln).
- en A ne
14. Juli.
E, Stettiner, Ueber Caissonkrankheit mit pathologisch-
anatomischer Beschreibung eines Falles. Würzburg Abh. XI,
Bd. Nr. 12. Würzburg 1911, Kurt Kabitzsch. 85 Pf.
Verfasser benutzt die Gelegenheit der Veröffentlichung eines
Falles von Caissonkrankheit, um unter Berücksichtigung der gesamten
den Gegenstand behandelnden Literatur die Physiologie, pathologische
Anatomie und Klinik dieser immerhin seltenen Erkrankungsform abzu-
handeln. Angesichts der nur spärlichen kasuistischen Mitteilungen muß
die überaus gründliche und auf Grund eingehender Studien abgefaßte
Arbeit dankbar begrüßt werden. Erwin Franck.
A. Tilp, Ueber die Regenerationsvorgänge in den Nieren des
Menschen. Jena 1912, Gustav Fischer. 69 Seiten. M 3,—.
Tilp bringt zunächst eine gedrängte Uebersicht der wesentlichsten
Angaben der älteren und jüngsten Literatur zu seinem Thema, die eine
gute, lesenswerte Orientierung gestattet. Dann teilt er seine eignen, an
1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 8. | 1171
89 doppelseitigen Nierenerkrankungen erhobenen Befunde mit. Regene-
rative Prozesse beobachtete er sehr häufig bei den verschiedensten akuten
und chronischen Veränderungen; eine Ausnahme machten die Fälle von
Nierenabscessen, in denen die Nieren durch die schwere. Allgemein-
infektion offenbar zu sehr geschädigt waren. Regeneration funktions-
fähigen Gewebes kommt, wenn auch nicht regelmäßig, vor, namentlich
bei diffusen Parenchymdegenerationen, in Form intracanaliculären Ersatzes
des Epithels; dabei treten neben Mitosen und epithelialen Riesenzellen
Gebilde auf, die weitgehende Uebereinstimmung mit Nierenepithelien auf-
weisen („neue Epithelien*). Außerdem gibt es bei den herdförmigen Er-
krankungen (interstitielle Nephritis, Infarkte usw.) frustrane Regenera-
tionen, die sich in Bildung von morphologisch und funktionell minderwer-
tigen Kanälchen, Epithelsprossen usw. äußern. Zwischen diesen Gebilden
und den höher differenzierten Adenomen finden sich fließende Ueber-
gänge. Die Regenerationen finden sich zwar in allen Lebensaltern, indessen
sind sie im Groisenalter seltener anzutreffen. Bennecke (Jena).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung)
Redigiert von Dr. Hormann Engel, Berlin W 80,
Schlaganfall als Unfallfoige anerkannt
von
Dr. med. Steinhauer, Seligenstadt (Hessen).
Der am 30. Oktober 1881 geborene Maurer R. (29 Jahre alt)
ist am 4. Juli 1910 beim Entladen eines mit sogenannten Schwemm-
steinen geladenen Wagens zusammengebrochen und verlor
alsbald das Bewußtsein. Am fraglichen Tag arbeitete R. an einem
Neubau. Von mittags 1 Uhr war er mit Ausrollen und Ver-
schalen beschäftigt, und zwar in der Mansarde, wo an diesem Tag
eine außergewöhnlich schwüle, drückende Hitze herrschte. Diese
Arbeit — wegen schräger Wände meist in gebückter Haltung aus-
geführt — wechselte R. mit dem Fuhrknechte, der die Schwemm-
steine vom Wagen zu langsam ablud. Es war abends gegen
6 Uhr und die Arbeit sollte noch beendet werden. Der an Stelle
des Fuhrknechts getretene, jetzt mit Abladen und Weiterschocken
der Steine beschäftigte R. arbeitete nach Aussage von Mit-
arbeitern so rasch, daß man meinte, er müßte zusammenbrechen.
Nach einbalbstündiger, angestrengter Arbeit trat der Unfall ein.
Die Hitze betrug an diesem Tag und an diesem Orte nach Fest-
stellung der meteorologischen Station mittags um 2 Uhr 24,50 R.
Nach gerichtlicher Aussage von Augenzeugen und Mitarbeitern
fiel R. plötzlich zusammen. Man trug ihn in einen benachbarten
Laden und setzte ihn auf einen Stuhl. Einen dargereichten Likör
erbrach er sofort. Den rechten Arm und das rechte Bein ließ
Patient wie gelähmt hängen; die Sprache, anfangs deutlich, wurde
lallend und das Bewußtsein getrübt.
Etwa eine Stunde nach dem Unfalle traf ich den Patienten
auf einem Bauernwagen, der ihn in die eine halbe Stunde von hier
entfernte Heimat bringen sollte. Ich hatte den Eindruck, daß es
sich um eine typische Hemiplegie handelte. Eine genaue Unter-
suchung zu Hause, in der Wohnung des Patienten, ergab folgen-
des: Lähmung des rechten Beins und des rechten Armes, rechts-
seitige Nacialislähmung, die herausgestreckte Zunge weicht nach
der gelähmten Seite. Die Sensibilität ist an der gelähmten Körper-
hälfte herabgesetzt. Fußklonus und Patellarreflexe sind vorhanden.
ie Atmung ist vertieft, stertorisch in der Trachea. Der Puls
geht voll und langsam wie bei starkem Blutdrucke; die Pupillen
eng und reaktionslos, das Bewußtsein getrübt, die Sprache im
Stadium der Aphasie,
Nach diesen Erscheinungen mußte es sich um eine Läsion
des ‚Gehirns, und zwar der linken Seite handeln. Hier waren
zweifellos im Versorgungsgebiete der Arteria fossae sylvii, direkt,
lektorisch und vasomotorisch, die Insula, zum Teil die Parietal-
or Tal-Temporal-Windungen (Aphasie), sowie die äußere Kapsel,
fall insenkern und der vordere Abschnitt der inneren Kapsel be-
Fa Dieses betroffene Gebiet ist der typische und Lieblingssitz
ihr s emiplegie auslösenden Prozesses, wobei die gesamte in
er Wirkung gekreuzte Pyramidenbahn durchtrennt ist.
m Patient wurde natürlich, wenn auch die Lähmungserschei-
Eee besserten und Contracturstellungen der befallenen
= es Platz machten, wenn auch die Sprache wiederkehrte
und das een sich auf hellte, zunächst völlig arbeitsunfähig
wurde ma ge lsiahren kam in Gang. Ende September 1910
eier in Gutachten von der Baugewerksberufsgenossenschaft
gefordert und lautete etwa dahin:
ER a kenno den Patienten etwa vier Jahre und habe ihn nie-
als dessen Kassenarzt — an einer ernstlichen Erkrankung
behandelt. Die ganze Familie war mir immer als solid und ge-
sund bekannt. Am 4. Juni 1910 hat R. zweifellos und nachweis-
lich sehr angestrengt gearbeitet, und zwar bei einer außerordentlich
schwülen Temperatur.
Hauptsächlich führte ich in diesem Gutachten die Hemi-
plegie auf die angestrengte Arbeit und die Hitze zurück — wenn
auch die bestehende allgemeine Arteriosklerose die meiste
Ursache hierfür bietet — und befürwortete die Rente, da doch
der Unfall vorwiegend auf die Arbeit im Betriebe zurückzufüh-
ren sei.
Daraufhin wurde ein zweiter Sachverständiger, Medizinalrat
Dr.K., vernommen, der die Hemiplegie wesentlich als Folge der
bestehenden Arteriosklerose begutachtete. Die Arbeit des R. sei
keine übernatürliche Leistung und könne bei so jungen Menschen
keinen Schlaganfall hervorrufen. Die Rente wurde daraufhin von
dem Vorstande der Berufsgenossenschaft abgelehnt. Gegen diesen
Bescheid legte R. bei dem Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung
Berufung ein.
Eine mehrtägige klinische Beobachtung bei Geheimrat v. L.
war die Folge. Am 9. März 1911 erstattete dieser sein Gutachten
etwa wie folgt: |
R. leidet an den Folgen eines Schlaganfalls (Hemiplegia
dextra obne Sprachstörung, die vorübergegangen ist). Ein Schlag-
anfall kommt entweder durch eine Gefäßzerreißung (Gehirnblutung)
oder durch eine embolische respektive thrombotische Verstopfung
der betreffenden Hirnarterie (Gehirnerweichung) zustande. Ruptur
und Thrombose setzen eine Gefäßerkrankung voraus, die Embolie
bedarf einer embolischen Quelle, die entweder in einem Thrombus,
der sich an einer atheromatösen Gefäßwand, zumeist wohl an der
Aorta niedergeschlagen hat, gegeben ist oder in Herzthromben,
wie sie bei Endokarditis, Herzschwäche und dergleichen sich bilden.
Wodurch R. zu seiner Arteriosklerose gekommen ist, wissen wir
nicht, nur soviel kann behauptet werden, daß er daran leidet. So
zeigt Patient einen enorm hohen Blutdruck von über 190 mm Hg,
wie er vor allem bei chronischer Nephritis, die hier nicht vorliegt,
und universeller Gefäßverkalkung vorkommt, welche beträchtliche
Blutdrucksteigerung mit zu den Hilfsursachen der Gehirnblutung
zählt, wie man auch des öfteren Schlaganfälle bei solch hohem
Blutdruckesich gerade an starken Muskelanstrengungen, seelischen
Aufregungen, opulenten Mahlzeiten usf. anschließen sah. Es darf
angenommen werden, daß die bei R. bestehende allgemeine Arterio-
sklerose mit der beträchtlichen Blutdrucksteigerung als prädispo-
nierendes Moment zum Schlaganfall anzusehen ist, wie wir ferner
mit ausreichender Wahrscheinlichkeit annehmen möchten, daß die
Art der Arbeit sowie die Temperaturverhältnisse am 4. Juni 1910
eine wesentlich mitwirkende Ursache, das eigentlich auslösende
Moment, zum Ausbruche des Leidens bilde Es ist unsers Er-
achtens wohl denkbar, daß die mit einer solchen Blutüberfüllung
verbundene körperliche Anstrengung, zumal bei der hohen Tem-
peratur, der Anlaß zum Auftreten des Schlaganfalls gewesen ist.
‚Auf dieses Obergutachten nimmt das Schiedsgericht für
on Kar > der zur Begründung der Entschädi-
gungspflicht erforderliche Zusammenhang gegeben war und bewil-
ligte daher die Vollrente. ne mem:
Erwähnt sei noch, daß der zweite Gutachter, Medizinalrat
Dr. K., sich in der mündlichen Verhandlung des Schiedsgerichts
dem Obergutachten anschloß,
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1172 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28,
14, Juli.
Kongreß-, Vereins- und auswärtige Berichte.
10. Internationale Tuberkulosekonferenz.
Rom, 10. bis 14. April 1912.
I.
Ueber die Beziehung der Tuberkulose des Menschen und des
Bindes.
Kossel (Heidelberg), Referent: Uebar die Beziehung der mensch-
lichen zur bovinen Tuberkulose äußerte sich Robert Koch anläßlich des
internationalen Kongresses zu London 1901 wie folgt: „Die Frage, ob
der Mensch überhaupt für Perlsucht empfänglich ist, ist noch nicht voll-
kommen entschieden, jedoch dürfte, falls eine derartige Empfänglichkeit
besteht, die Infektion selten vorkommen“. Den gleichen Standpunkt ver-
traten Koch und Pannwitz 1908 in Washington und betonten, daß die
Lungentuberkulose, die Hauptform der Menschentuberkulose, nicht durch
die Bacillen der Rindertuberkulose, sondern durch den Typus humanus,
den Tuberkelbacillus, hervorgerufen werde. Demgemäß müssen unsere
Bestrebungen dahin gehen, die Infektion von Mensch zu Mensch zu ver-
hüten. Die Beschaffang einwandfreier Milch und Milchprodukte steht
deshalb nicht im Vordergrund. Die Untersuchung der Sputa in großen
Laboratorien bewies die Ansicht Kochs. Nach Koch spielt die Auf-
nahme boviner Tuberkelbacillen in der Nahrung nur eine untergeordnete
Rolle. Die bovine Infektion ist nur beim Kinde häufig, insbesondere bei
Halsdrüsentuberkulose (40%), die wohl eine Schädigung des Kindes,
nicht aber eine letale Infektion bedeutet. Die Mesenterialdrüsentuber-
kulose, die in 40 bis 50° bovinen Ursprungs ist, führt nur selten
zum Tode. l
Calmette (Lille, Korreferent: Calmette kennt keinen
morphologischen Unterschied zwischen dem Typus humanus
und bovinus, wohl aber unterscheiden sich beide Arten kulturell und
in der Verimpfung. Das Kaninchen kann selbst durch 1 mg einer frischen
Kultur des Typus humanus nicht infiziert werden. Wird diese Kultur
auf das Euter einer Ziege verimpft, entsteht bloß eine lokale Infektion
mit Erkrankung der regionären Drüsen, während der Rindertuberkel-
. bacillus eine extensive, letale Infektion setzt. Yio g des Bacillus der
Perlsucht, intravenös dem Kaninchen einverleibt, verursacht in vier bis
acht Wochen eine generalisierte Tuberkulose, Katzen, Schweine und die
meisten Säugetiere reagieren stärker auf den bovinen Bacillus. Nur der
Affe zeigt die gleiche hochgradige Sensibilität gegenüber beiden Formen.
Die Experimente zur Steigerung der Virulenz des humanen Typus bis
zur Erzeugung einer letalen Infektion beim Kinde haben keine sicheren
Resultate gebracht, Bei den Obduktionen von an allgemeiner Tuber-
kulose gestorbenen Kindern wird an den infizierten Drüsen häufig der
Rinderbacillus gefunden. Nach Parker beträgt der Prozentsatz bei
Kindern bis fünf Jahren im Verhältnis zur Gesamtzahl der tuberkulösen
Fälle 26,5°%, von 5 bis 16 Jahren 25°, über 16 Jahre nur mehr
1.31), während 98,69%, auf den humanen Typus entfallen. In den
chronischen Fällen wird letzterer — praktisch genommen — nur allein
angetroffen. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht der Perlsucht-
bacillus im Organismus in den frühen Jahren zwar anfangs keine Lungen-
tuberkulose schaffe, sich nach Verlauf einer gewissen Frist aber in den
Typus humanus transformiere. Experimentell suchte Eber die Frage zu
beantworten. C. kommt mit Rücksicht auf obige Zahlen zu dem Schluß,
daß die Propbylaxe hauptsächlich die Infektion von Mensch zu Mensch,
namentlich in der Familie zu verhüten habe; dabei soll eine mögliche
Infektion des Kindes durch Milch und Milchprodukte ebenfalls nicht
außer acht gelassen werden. Die größte Gefahr bietet das Zusammen-
wohnen mit Trägern einer offenen Tuberkulose.
Sims Woodhead (Cambridge) bespricht die Berichte der British
Royal Commission on Tuberculosis (1901, 1904, 1907, 1911). Redner
unterscheidet den Typus humanus, bovinus und avinus. Der erste ge-
deiht im Gegensatz zum zweiten ausgezeichnet auf Glycerin und ist für
Kaninchen sehr infektiös. Die Bacillen des Lupus des Menschen sind
in manchen Fällen den bovinen Formen,in manchen denen des Menschen
ähnlich. Die Virulenz ist gering. W. betrachtet den humanen und
bovinen Typus als Variationen desselben Bacillus. In zwei Fällen von
Lungentuberkulose mit letalem Verlauf wurde im Sputum nur der Typus
bovinus gefunden. |
Francis Harbitz (Norway) bespricht die Obduktionsbefunde des
pathologisch-anatomischen Instituts in Christiania. Die Tuberkulose ist
im Kindesalter sehr häufig und nimmt mit dem Alter schnell zu. Im
ersten Lebensjahre wurde in 20°), von 161 Fällen Tuberkulose konstatiert,
im zweiten und dritten Jahr in 27,5°/, unter 91, im vierten und fünften
Jahre in 44 °/, unter 34, im sechsten und siebenten Jahr in 75°/, unter
158 Fällen. Unter 46 gezüchteten Reinkulturen wurde 41 mal nur der
Typus humanus, dreimal der Typus bovinus und zweimal Mischkulturen
Lg are
vorgefunden. In den letalen Fällen lag die Quelle der Infektion in der
Mutter des Kindes, bei der latenten Tuberkulose konnte gewöhnlich kein
Infektionsherd in der Umgebung des Kindes nachgewiesen werden, H.
berichtet über einen Fall von Tuberculosis verrucosa cutis, in dem der
bovine Tuberkelbaeillus gefunden wurde.
Gosio (Rom) erörtert die Arbeiten des italienischen Gesundheits-
amts. Unter den Famigli, Leuten, die sich mit der Pflege der erkrankten
Rinder abgeben, wird die Tuberkulose selten beobachtet. In Gegenden
mit gesundem Vieh ist anderseits oft die Tuberkulose weit verbreitet.
Die Tuberkulose ist eher in industriereichen Bezirken und bei ungün-
stigen sozialen Verhältnissen anzutreffen. G. kommt zu dem Schluß,
daß die Tuberkulose als Volkskrankheit durch den Bacillus des Menschen
bedingt wird, daß demnach die Verhütung der Ansteckung von Mensch
zu Mensch namentlich in der Familie in erster Linie hintangehalten
werden muß. Die bovine Infektion ist weniger häufig; nichtsdestoweniger
ist es notwendig, alle Maßnahmen gegen die Infektion bovinen Ursprungs
beizubehalten.
Breslau.
Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur. (Medizin. Sektion.)
Klinischer Abend 23. Februar 1912 (Chirurgische Klinik).
Küttner: 1. Die Gefahren der Naht, speziell bei frischen Ge-
lenkwunden. Vortragender knüpft daran an, daß die Naht akzidenteller
Wunden einen großen Vorteil und einen großen Nachteil hat, daß einer-
seits die Heilungsdauer abgekürzt werden kann, anderseits die Gefahr
der Propagierung einer Infektion vorliegt. Dazwischen muß die richtige
Linie gefunden werden. Es ist ja jede Wunde als infiziert anzusehen,
ebenso aber in Betracht zu ziehen, daß der Körper infolge seiner Schutz-
kräfte in der Lage ist, die Infektion zu überwinden. Unter keinen Um-
ständen ist die Naht vorzunehmen, wenn die Erscheinungen einer gröberen
Infektion sichtbar sind. Um so geeigneter ist die Wunde: erstens wenn
der verletzende Fremdkörper und die durchtrennte Haut sauber sind,
zweitens je weniger grobe Verunreinigungen in der Wunde sind, drittens
je besser ernährt die durchtrennten Gewebe sind, viertens je besser er-
nährt die Wundränder sind, fünftens je schneller Hilfe einsetzt. Ganz
besonders für die Naht geeignet erscheint der Mensurschmiß, bei dem
die Resultate auch ganz ausgezeichnete sind, wenn auch gelegentlich
mal ein Unglücksfall vorkommt. In zweiter Linie bieten ganz leidliche
Verhältnisse glatte Schnittwunden, ferner Schädelverletzungen, auch solche,
die durch stumpfe Gewalt hervorgerufen sind. Dann gehören hier-
hin solche Verwundungen, wo der Fremdkörper gar nicht in die Wunde
hineinkommt, wo die Wunde entfernt von der Einwirkungsstelle auftritt,
z. B. am Schädel durch Ueberdehnung der Kopfschwarte. Die primäre
Naht am Schädel soll man anwenden bei Lappenwunden, auch bei Wunden,
wo mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Infektion vorliegt, wegen der
Gefahr einer Defektbildung. Mit der Anfrischung, die neben der sorg-
fältigsten Reinigung als wichtig zu betonen ist, soll man speziell bei
Maschinenverletzungen nicht zu weit gehen. Bei Gelenkwunden kann
man gar nicht vorsichtig genug sein. Bei vier von K. vorgestellten Pa-
tienten mußte nach der Naht reseziert, beziehungsweise amputiert werden;
es treten zur Pyämie führende Infektionen, Sehnenscheidenphlegmonen
usw. auf. Keine Pleura, kein Peritoneum, keine seröse Höhle ist so emp-
findlich wie ein Gelenk.
2. Transplantationen.
a) Ersatz eines kongenitalen Defekts der Fibula bei einem kleinen
Kinde durch die Fibula eines Affen; glatte und ungestörte Einheilung.
Eventuell kommt Redressement des Fußes durch sekundäre Operation
zur Verbesserung des Resultats noch in Betracht. Ideal wäre natürlich die
Verwendung von anthropomorphen Affen; doch muß man sich wegen der
Kosten mit Makaken begnügen, die aber auch eine enorme Achnlichkeit
der Knochenformen bieten. Der Knochen wird aus dem lebenden Tier in
Narkose herausgenommen, die Sektion sofort angeschlossen; so kann man
sich überzeugen, ob das Tier wirklich gesund ist.
b) Das Implantat bei einem offenbar lokal sehr malignen Chondro-
sarkom des Hüftgelenks ist, trotzdem es eine Spontanfraktur durch-
gemacht hat und drei Rezidivoperationen vorgenommen wurden, fest oln-
geheilt geblieben. Man sieht die Callusmassen vom Implantat m
Röntgenbilde, die Knochenform des Implantats hat sich umgeformt, und
auch Aenderungen der Knochenstruktur scheinen vor sich zu gehen; an
dem eingepflanzten Teil bildet sich, sofern er nicht fest ist, eine Arthritis
deformans. ,
c) 3/4 Jahre zurückliegende Implantation eines Leichengelenks m
einem Falle von Tuberkulose des Schultergelenks — leidlich günstiges
funktionelles Resultat, guter kosmetischer Erfolg.
ag — — nn o-
14, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. 1173
d) Vor drei Wochen vorgenommene Plastik bei einem Fall von
Chondrom des fünften Metatarsus, bei dem eine gleichzeitig vor-
handene Hammerzehe entfernt und in den Defekt eingepflanzt
wurde; es erfolgt Bolzung mit feinem Elfenbeinstifte. Schon jetzt fast
normale Beweglichkeitsverhältnisse; im Röntgenbild kaum Abstechen vom
Normalen.
3. Gasphlegmone im Anschluß an Durchscheiden der Pulsader;
die Entzündungserscheinungen stehen ganz im Hintergrunde gegen die
Gangrän. Bakteriologischer Befund: Anärobe Streptokokken und anärobe
Fäulnisbakterien der verschiedensten Art. Es kommt bei diesen in Kriegs-
zeiten oft, im Frieden selten beobachteten Fällen nur die hohe Ablatio
in Frage, die vom Patienten hier leider verweigert wird, sodaß die Pro-
gnoso ungüinstigt liegt. HSSE
4. Raritäten aus der Lehre von der freien und eingeklemmten
Hernio. In der Breslauer Chirurgischen Klinik wurden in den letzten
1'/ Jahren 60 eingeklemmte Brüche beobachtet; nur sieben kommen zum
Ezitus. Nur zehnmal erfolgte Resektion, immer sehr ausgiebig, nie mit
circulärer Naht, immer unter seitlicher Anastomose. Es wird heute viel
mehr reponiert, man kann viel weiter gehen und sieht immer noch in
zweifelhaften Fällen Erholung. Die Resultate sind gut auch bei sehr
jungen und sehr alten Individuen. Nach Besprechung des außerordentlich
reichhaltigen Materials von besonderen Bruchformen mit eigenartigen
Bruchsackinhalten betont K. unter Hinweis auf die schweren Folge-
erscheinungen der zu gewaltsam und zu spät ausgeführten Taxis die Not-
wendigkeit des schonenden und so früh wie möglich nach der Einklemmung
einsetzenden Versuchs.
0. Förster: Dauerresultate der Durchtrennung der hinteren
BRückenmarkswurzeln (der Försterschen Operation bei Littlescher
Krankheit). Im Anschluß an zwei Fälle, in denen die Operation schon
eine Reihe von Jahren (bei einem Knaben vier Jahre) zurückliegt, be-
merkt Vortragender, daß die Kinder möglichst lange nach der Operation
unter ständiger Uebungsbehandlung gehalten werden müssen. Dann
kehren die Contracturen, die durch die Operation beseitigt sind, nicht
wieder, und die Gleichgewichtsstörung bessert sich sichtlich weiter.
Diskussion. Kobrak fragt an, bis zu welchem Alter sich die
Operation machen läßt und wie es mit der Intelligenzentwicklung steht.
Förster: In zu jugendlichem Alter ist die Vornahme der Ope-
ration nicht empfehlenswert, weil für die Gehübungen doch gewisse In-
telligenz Vorbedingung ist; eine gewisse Besserung der Intelligenzverhält-
nisse scheint einzutreten dadurch, daß man sich mit den Kindern so viel
beschäftigt. Nach oben besteht wohl keine Altersgrenze.
Küttner: Die Resultate in der Privatpraxis sind noch viel bessere,
weil die Eltern am Ueben viel mehr Interesse haben.
Forschbach: Geheilter Pnenmothorax. Vortragender plädiert
im Anschluß an einen Fall, in dem bei einer Frau ohne Zeichen von
Tuberkulose oder Emphysem ein geschlossener Pneumothorax nach Heben
eines schweren Waschschaffs entstanden und durch zunächst vorsichtige,
dann kräftigere Aspiration der Luft geheilt ist (auf kleine letzte Reste
kann in Anbetracht der Aussicht spontaner Resorption verzichtet werden),
dafür, die Aspiration in solchen Fällen von geschlossenem Pneumothorax,
wo nicht in absehbarer Zeit die Resorption von selbst erfolgt, die Aspi-
ration zu versuchen,
l Diskussion: Dreyer berichtet über Versuche am Hund, eine
Drainage nach breiter Thoraxeröffnung durchzuführen, ohne daß Pneumo-
thorex entsteht,
Fritsch: Spätrezidive von Mammacarcinomen, das heißt, ein
Fall zwölf Jahre nach der Operation und ein 22 Jahre rezidivfrei ge-
wesener, veranlassen dazu, die Zeit von fünf Jahren, die für Dauerheilung
angenommen wird, in vielen Fällen als zu kurzfristig zu betrachten; es
kommt eben nur zu einer langdauernden Heilung, nicht einer Dauer-
heilung. Die Spätrezidive sieht man desto eher, je länger das Carcinom
vor der Operation besteht.
‚Diskussion: Küttner weist auf die auffallend spät an unzu-
gänglichen Stellen (Schädel) auftretenden Metastasen hin. |
‚.. R.Levy: Postoperative Parotitis. Die kritische Würdigung des
reichen Materials der Breslauer Klinik (24 Fälle in den letzten 10 Jahren,
& in den letzten 5 Jahren unter Küttner, von letzteren vier spontan,
vier auf Incision zurückgegangen, sechs gestorben), ergibt in Anbetracht
der bakteriologischen Untersuchungsresultate (Staphylokokkus sechsmal),
er klinisch-geptischen Erscheinungen und auch des pathologisch-ana-
mischen Befundes, daß die Parotitis nicht gleichbedeutend ist, mit einer
Infektion vom Mund aus, sondern eine wesentliche Teilerscheinung einer
hämatogen Infektion ist.
Diskussion: Bondy unterstützt diese Ansicht, führt gegen die
anderwärts gegebene Erklärung der Narkoseschädigung an, daß die Fälle
sehr oft nach Lumbalanästhesie beobachtet sind.
Gottstein mahnt zur Vorsicht in der Beurteilung der Aetiologie,
Namentlich die Fälle, die 24 Stunden nach der Operation zutage treten,
können ganz andere Ursachen haben.
Hönz: Entzündliche Tumoren der Bauchdecken bei Fremd-
körpern im Darm und Appendicitis. Erstere Art entstanden dürch
perforierte Knochenstückchen. Die zweite Form ist in diagnostischer Be-
ziehung besonders erschwert durch die Lokalisation; sie entsteht durch
Fortlaufen von Verwachsungen und Entzündungsprozessen auf die Bauch-
decken; ifn Centrum der Infiltrate bilden sich kleine Abscesse.
Simon: Myeloische Chloro-Leukämie (Chlorom) unter dem
Bild eines malignen Mammatumors. Außerordentlich schnell wachsender
Mammatumor wurde als sehr malignes Ca angesehen; nach Mamma-
amputation sah das Präparat auffallend grün aus. Es kam der Verdacht
auf Chlorom auf, er bestätigte sich. Damals zeigte das Blutbild nur eine
mäßige Hyperleukocytose; erst nach drei Wochen war es bei der schnell
verfallenden, inzwischen verstorbenen Patientin für myeloische Leukämie
typisch. ERT Emil Neißer.
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 1. April 1912.
Treupel: Fortschritte in der Diagnostik der Herzkrankheiten.
In den letzten Jahren sind eine Reihe neuer Herzuntersuchungsmethoden
ausgearbeitet worden, die die Diagnostik wesentlich verfeinert haben.
Man kann sich jetzt nicht mehr nur auf die Bestimmung der Herzgröße
und die Feststellung von Geräuschen beschränken. Bei der Inspektion
ist zu beachten, daß bei starken Hypertrophien Herzspitze und die äußerste
Grenze des sichtbaren Herzstoßes nicht immer zusammenfallen, da die
ganze Brustwand erschüttert wird. Die Auskultation soll nicht nur im
Stehen, sondern auch im Sitzen und Liegen vorgenommen werden.
Manche Geräusche erscheinen überhaupt erst, nachdem man einige Be-
wegungen hat vornehmen lassen. Die Perkussion ist durch die Kon-
trollierung der Befunde durch die Orthodiagraphie wesentlich ge-
fördert und verfeinert worden. Die Schwellenwertsperkussion ist
zweifellos die beste Art der Herzperkussion, viel deutlicher tritt aber die
Form des Herzens im ÖOrthodiagramm selbst vor Augen, das ganz
charakteristische Bilder für die verschiedenen Herzfehler liefert. Die
Auskultation ist durch Liliensteins Kardiophon gefördert worden,
das es ermöglicht, die Herztöne auf größere Entfernungen hin zu hören.
Eine viel genauere Analyse der Herzkrankheiten wird durch die Elektro-
kardiographie nach Hinthoven gestattet, bei der der Aktionsstrom
des Herzmuskels registriert wird. Durch die Analyse der elektrokardio-
graphischen Kurve und Messung der Ausschläge lassen sich sehr genaue
Schlüsse auf den Ort und die Art der Herzerkrankung ziehen und auch
für die Beurteilung der Herzkraft Anhaltspunkte gewinnen. Die Zu-
sammenziehung der Vorhöfe und der Ventrikel kommt dabei getrennt in
der Kurve zum Ausdruck, jede Störung des Rhythmus tritt scharf in
die Erscheinung. Auch der Blutdruck kann mittels des Elektrokardio-
gramms genauer bestimmt werden als durch andere Methoden. Dis ver-
schiedenen Herzfehler rufen typische Aenderungen der normalen Kurve
hervor. In allen diesen Beziehungen erweist sich die elektrokardio-
graphische Untersuchung der ‚Aufnahme von Puls-, insbesondere von
Venenpulskurven überlegen. Besonders gut sind die Leitungsstörungen
im Hisschen Bündel festzustellen, und sehr klar ist die Darstellung der
Extrasystolen, und es läßt sich bestimmen, an welchem Orte sie auftritt.
Am schwierigsten ist die Bestimmung der Reservekraft des
Herzens. Alle früheren Methoden hierzu und auch die neueren, wie
die Plethysmographie, die .Tachographie, die Sahlische Sphygmobolo-
metrie haben bedeutende Fehlerquellen. Puls und Blutdruck sind vor
allem von einer großen Reihe von Umständen abhängig, die außerhalb
des Herzens liegen. Man suchte bisher die Reservekraft des Herzens
hauptsächlich aus dessen Verhalten gegenüber vermehrten Ansprüchen
zu erschließen. Neuerdings schlägt man den umgekehrten Weg ein,
indem man sein Verhalten bei Erleichterung der Arbeit beobachtet.
Durch Abschnüren eines oder beider Arme schaltet man ein Stück des
Kreislaufs aus und führt auf diesem Wege eine Entlastung der Vorhöfe
und Ventrikel herbei. Man läßt die Abschnürung mehrere Minuten be-
stehen und beobachtet nun, ob dies genügt, um für längere Zeit ein
normales Funktionieren des Herzens zu bewirken. Ganz ähnlich ver-
sucht man auch eine Erleichterung des Lungenkreislaufs zu erzielen,
indem man in verdünnte Luft ausatmen läßt und den Erfolg feststellt.
Endlich hat man versucht, durch einen Bespirationsversuch und die Be-
stimmung des Sauerstoffverbrauchs in der Minute die Blutmenge zu be-
stimmen, die in einer Minute die Lungen durchströmt, und hieraus das
Schlagvolumen des Herzens zu berechnen. — Zusammenfassung: Zur _Be-
urteilung eines Herzens genügt nicht eine einmalige kurze Untersuchung.
Die Beobachtung, am besten klinische, muß sich über mehrere Tage_er-
strecken und mehrere Untersuchungsmethoden zu Hilfe nehmen. Je
länger nach der Anamnese die ersten Anzeichen von Herzbeschwerden
zurückliegen, um so eher ist anzunehmen, daß der Herzmuskel bereits
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1174
geschädigt ist. Gewöhnlich kann man mit den feinen Eiweißproben schon
sehr frühe Spuren von Eiweiß im Urin nachweisen. Das Auftreten
solcher Spuren nach Körperbewegungen kann schon auf das allmähliche
Entstehen eines Herzleidens hindeuten. Hainebach.
—
München.
Gynäkologische Gesellschaft. Sitzung vom 21. März 1912.
Zweifel: Morphium-Scopolamindämmerschlaf bei Geburten.
Zur Anwendung gelangten bei 200 Versuchen der hiesigen Frauenklinik
zwei Lösungen, deren erste zusammengesetzt war aus Morphium 0.1,
Scopolamin 0,004 und Aqua dest. 10,0, die zweite aus Scopolamin 0,008
auf Ag. dest. 10.0. Bei Fünfmarkstückgröße des Muttermundes wurde
von der ersten Lösung 1,0 injiziert und eine halbe Stunde später 0,75
der zweiten Lösung; manchmal wurde nach zwei bis drei Stunden noch
eine dritte Injektion gemacht, wieder mit etwas Morphium vermischt,
aber meistens genügten zwei Injektionen, wenn die Geburt in drei bis
vier Stunden zu Ende ging; auch nach acht Stunden war oft noch ge-
nügende Schmerzlosigkeit vorhanden. Wichtig für den Erfolg ist die
Ferphaltung aller äußeren Reize, Verstopfung der Ohren, Verdunklung
des Zimmers oder Anwendung einer blauen Brille usw. |
Die Resultate bei 200 Fällen waren nun folgende: 125 mal, das
ist in 62,5 °/o, war der Erfolg ein sehr guter (darunter 60 mal mit völliger
Amnesie verbunden, während in den übrigen Fällen mehr oder weniger
deutliche Erinnerung bestand), 26 mal, das ist in 13°), wurde gar keine :
Wirkung erzielt und in den tibrigen 49 Fällen, das ist in 24,5°/0, eine
gewisse Herabsetzung der Schmerzen erreicht.
Die durchnittliche Dosis betrug bei Erstgebärenden 0,011 Morph. ;
+ 0,00068 Scopolamin bei einem durchschnittlichen Zeitraume von sechs
Stunden zwölf Minuten zwischen der ersten Injektion und der Geburt
des Kindes (die höchste Dosis war 0,022 Morph. + 0,0014 Scopolamin).
Bei Mebrgebärenden war die Durchschnittsdosis 0,01 Morph. + 0,000585
Scopol. bei einer mittleren Zeitdauer von drei Stunden einer Minute von
der ersten Injektion bis zur Geburt des Kindes.
Die ganze Geburtsdauer betrug bei Erstgebärenden im Mittel 18 Stun-
den 5 Minuten, bei Mehrgebärenden 14 Stunden 7 Minuten (nach Gauß in
Freiburg 18 Stunden 22 Minuten beziehungsweise 13 Stunden 58 Minuten),
Obwohl in manchen (34 = 17°/,) Fällen die Wehen vorübergehend
ungünstig beeinflußt wurden, fand eine Verlängerung der Geburtsdauer
nur selten statt. Auf die Nachgeburtsperiode war kein Einfluß festzu-
stellen. Von den Geburten wurden 17 = 8,5°/, operativ beendigt.
- Ungünstige Nebenwirkungen auf die Mutter wurden — abgesehen
von heftigem Durstgefühl — im allgemeinen nicht beobachtet. 16 mal,
das ist in 8°/» stellte sich Erbrechen ein, 18 mal, das ist in 6,5%,
sehr unangenehme Aufregungszustände, welche durch Morphium und
eventuell etwas Chloroform zu bekämpfen sind.
' Schädigungen der Kinder konnten nicht festgestellt werden.
25 Kinder, das ist 12,5°%/,, wurden in Oligepnoe, acht in Asphyxie ge-
boren. Zwei Todesfälle, welche sich ereigneten, waren nicht dem Dämmer-
schlafe zur Last zu legen.
Neuerdings worden in der Universitäts-Frauenklinik Versuche mit
Pantopon-Scopolamin angestellt, die noch nicht abgeschlossen sind, aber
bisher keine besonderen Vorteile gegenüber der Verwendung von Mor-
phium erkennen lassen.
In der Diskussion teilt Zweifel auf eine Anfrage des Herrn
Liebl mit, daß keinerlei spätere F'olgeerscheinungen des Dämmerschlafs
bekannt wurden, und auf eine Frage des Herrn A. Müller, daß in der
Klinik keine eigentliche Cyanose, wohl aber häufig Rötung des Gesichts
usw. beobachtet wurde. Eggel berichtet über eine eigne Beobachtung,
wo sich nach Injektion der vorschriftsmäßigen Dosis des Scopomorphins von
Riedel alsbald bedrohliche Pulsverlangsamung und starke Cyanose ein-
stellte, während bei Verwendung des Merckschen Präparats niemals der-
artige Erscheinungen beobachtet wurden, ein Beweis dafür, daß die
Folgen sehr von der Beschaffenheit des Präparats abhängen. Baisch
frägt an, ob sich die unangenehmste Nebenwirkung des Scopolamins,
nämlich ein schwerer Aufregungszustand voraussehen lasse. Er selbst
erlebte einen solchen einmal bei einer sehr zarten und nervösen Patientin.
Zweifel bestätigt, daß es auch in der Klinik meist schwächliche Pa-
tientinnen waren, wo sich Aufregungszustände einstellten, darunter zwei
mit verengtem Becken. In solchen Fällen empfiehlt sich die vorherige
Injektion von Morphium. Außerdem ist das Eintreten der unerwünschten
Nebenwirkungen aber sicher sehr abhängig von der Reinheit des verwen-
deten Präparats. Doederlein erzählt von Versuchen, die er als Assi-
stent der Zweifelschen Klinik in Erlangen 1885 mit Stickoxydul und
Sauerstoff zur Herbeiführung schmerzloser Geburten anstellte und die
geradezu ideale Geburten im Dämmerschlaf ergaben, aber wegen der
großen Umständlichkeit des Verfahrens wieder aufgegeben wurden.
es Eggei (München),
| 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28. i4. Juli
ER 2 £ å IE DEREN DE N SEE S ET = ` i i
Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 3. Juli 1912.
Vor der Tagesordnung: A. Federmann: Operativ geheilter
Fall von Duodenalblutung. Patient, 34jährig, ist vor drei Wochen
wegen schwerer, seit Monaten bestehender Darmblutungen operiert.
Sonstige wesentliche Symptome bestanden nicht. Interne Behandlung
ohne Erfolg. Die Operation ergab, daß der Magen frei von Veränderun-
gen war, der obere Teil des Duodenums zeigte die Residuen einer lokalen
Peritonitis. Das Duodenum war ganz mit Blut erfüllt. Es wurde die
hintere Gastroenterostomie ausgeführt, das Duodenum durch quere Durch-
trennung des Pylorus ausgeschaltet. Heilungsverlauf sehr günstig.
Patient hat seit dem Eingriff keinen Tropfen Blut mehr verloren. F. hat
dreimal aus dieser Indikation bei Ulcus Duodeni operiert. Die Patienten
sind seit längerer Zeit gesund. Vortragender rät, foudroyante Blutungen
im allgemeinen nicht im Anfall zu operieren und glaubt, daß nur dann
ein voller Erfolg gewährleistet ist, wenn der Pylorusverschluß in korrekter
Weise ausgeführt wird.
Tagesordnung: Diskussion über den Vortrag Sobern-
heims: Bacillenträger. Ritter spricht sich in demselben Sinne wie
Sobernheim aus. Eckert: Den Ausführungen Sobernheims stehen
technische Schwierigkeiten im Wege. Zunächst ist von Wichtigkeit, daß
die Untersuchung des Rachenschleims oft bezüglich der Anwesenheit von
Diphtheriebacillen negativ ist, während man in den Tonsillarkrypten viru-
lente Bacillen findet. Der zweite Teil der Schwierigkeiten liegt mehr
auf gesetzlichem und sozialem Gebiete. Die Kinder können nicht länger
als sie krank sind im Krankenhause zurückgehalten werden. Es ließen _
sich aber im Durchschnitt die Bacillen 61 Tage lang nachweisen, in einem
Falle gelang dieser Nachweis sogar 91 Tage. Eckert empfiehlt bei
dieser Sachlage einen andern Ausweg zur Lösung des Diphtherieproblems.
Wenn man sich darauf beschränkt, in dem Diphtherieproblem die Verhin-
derung von Erkrankungen zu sehen, so kommt man zu einer Lösung
dadurch, daß man das Serum als Prophylaktikum verwendet. Dieser
Methode steht zwar ein Moment hindernd im Wege, nämlich die Erzeugung
einer Ueberempfindlichkeit durch die fraktionierten Dosen. Da aber die
antitoxische Kraft an einen minimalen Teil des Serums gebunden ist
und erfolgverheißende Bestrebungen im Gange sind, diesen antitoxischen
Teil zu isolieren, so ist zu erwarten, daß man in kurzer Zeit im
Besitz eines Serums sein wird, das zur prophylaktischen Be-
handlung geeignet sein wird, weil es keine Anaphylaxie erzeugen wird.
Fritz Schlesinger: Die gesunden Bacillenträger bilden nicht eine so
große Gefahr, wie das hier ausgesprochen worden ist; es besteht ein.
großer Unterschied zwischen ihnen und den wirklich Kranken mit den
stark secernierenden Schleimhäuten. In der Praxis besucht man die
Diphtheriekranken etwa zwei Wochen. In dieser Zeit ist naturgemäß eine
bakteriologische Untersuchung überflüssig. Es müßten also zur Durch-
führung der Thesen von Sobernheim noch längere Zeit Extrabesuche
gemacht werden. Das würden sich die Leute aber in der Regel nicht
gefallen lassen, ganz abgesehen davon, daß man nicht weiß, wer die Be-
suche bezahlen soll. Die Vorschläge sind also in praxi nicht durchführbar.
Das einzige, was zu tun ist, bleibt die Aufklärung des Publikums.
Plehn. Im allgemeinen wird der Entlassungstermin durch den Bacillen-
befund außerordentlich selten herausgeschoben. Die Möglichkeit, durch
lokale Sterilisation Bacillenfreiheit zu erzielen, ist nicht aussichtslos-
Für Diphtherie bat Plehn Pyocyanase und in letzter Zeit auch Salicyl
angewendet. Beim Typhus kombiniert er salinische Abführmittel mit
Calomel und hat damit in einer Reihe von Fällen Erfolge gehabt. So
vor kurzem in einem Falle von Cholecystitis auf typhöser Basis. Plebn
hält die Gefahren, die von den gesunden Bacillenträgern ausgehen, nicht
für sehr groß und beweist dies durch die geringe Anzahl von Haus-
infektionen in seinem Krankenhause. Eugen Israel schlägt vor, Pflege-
rinnen nur dann zur Krankenpflege zuzulassen, wenn sie in letzter Zeit
keine Diphtheriekranken gepflegt hatten. Meyer: Die meisten Leute
werden sich eine längere Isolierung, das Halten einer Krankenschwester usw.
eine gewisse Zeit gefallen lassen aber schließlich wird ihnen das zu
teuer werden. Dann wird man die Quarantäne aufheben müssen. Es
gibt ferner eine ganze Reihe von Diphtheriefällen, die unter dem Bilde der
Anginen verlanfen und nicht als Diphtherie erkennbar sind. Demnach
müßten alle Fälle von Halserkrankung bakteriologisch untersucht werden.
Das ist aber undurchführbar. Zu betonen ist auch, daß eine einmalige
Untersuchung nicht genügt. Richard Cohn: Wenn sich ein so schweres
Gift, wie es die Diphtherie ist, bei Kindern an den für diese Erkrankung
wichtigsten Stellen findet, ohne daß die Kinder krank sind, so ist die
Frage nieht unberechtigt, ob die Virulenz der Diphtheriebacillen nicht
überschätzt wird. Er möchte also glauben, daß zwischen Bacillen und
Erkrankung vielleicht kein direkter Zusammenhang besteht. Sobernheim
(Schlußwort). .
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14. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 28. Ä 1175
Josef Hirsch: Schwangerschaft nach künstlicher Befrachtung.
Vortragender berichtet über eigne Erfahrungen mit dem Versuche der
künstlichen Befruchtung. Vortragender hat im ganzen 16mal Unfrucht-
barkeit von Ehen mit dem Versuche der künstlichen Befruchtung be-
handelt und zwar sechsmal mit Erfolg. Dies würde einer Operations-
statistik von zirka 331/3%/0 Erfolgen entsprechen, in Uebereinstimmung
mit der Prozentzahl, die Rohleder nach den aus der Literatur gesam-
melten Fällen sowie den eignen berechnet (65 Fälle mit 21 Erfolgen).
Die Statistik ist aber durch eine verbesserte Technik günstiger zu ge-
stalten. Unter den letzten neun Fällen hat Vortragender sechs Erfolge,
von denen allerdings der eine nur ein vorübergehender war, indem es in
der neunten Schwangerschaftswoche zum Abort kam. Vortragender be-
richtet dann über die subtile Technik und weist darauf hin, daß es vor
allen Dingen wichtig sei, jede Verletzung der Gebärmutterschleimhaut zu
vermeiden, sowie, daß die Fernhaltung einer jeden scheinbar noch so in-
differenten Flüssigkeit notwendig sei, um den physiologischen Vorgang
nicht violent zu stören. Bezüglich der Indikation stellt Vortragender
‚den Satz auf, daß die künstliche Befruchtung nach Erschöpfung aller an-
dern Behandlungsmethoden dann angebracht sei, wenn die Wanderung
des Spermas in den Uterus auf mechanischem oder chemischem Wege
Hindernisse erleidet und wenn nach erfolgter Befruchtung eine ungestörte
Schwangerschaft und Niederkunfi mit lebendem, gesundem Kinde zu er-
‚warten sei. Voraussetzung für den Erfolg sei bei dem Manne das Vor-
‚handensein eines befruchtungsfähigen Spermas, bei dem Weibe das Vor-
handensein einer Ovulation und als Zeichen dieser einer Menstruation, mag
sie auch nur schwach angedeutet sein. Wenn man annimmt, daß 10°/,
aller Ehen steril sei und 5° dieser sterilen Ehen durch die üblichen
Behandlungsmethoden nicht geheilt werden, so kommt Vortragender zu
dem Schluß, daß bei diesen bisher scheinbar unheilbaren Fällen die künst-
liche Befruchtung eine aussichtsreiche Behandlung sei. (Autoreferat.)
Diskussion. Fürbringer: Die Frage der künstlichen Befruch-
tung hat F. seit langen Jahren studiert und selbst ein Verfahren ange-
geben, das dem des Vortragenden nicht entspricht und nur für Fälle
‘männlicher Impotenz berechnet ist. Es besteht darin, daß ein mit dem
Sperma getränkter Wattebausch mittels Spekulum vor die Cervix uteri
gebracht wird. Das Verfahren hatte meist Mißerfolge. Engel hat sich
gleichfalls mit derartigen Versuchen beschäftigt. Straßmann: Bei seinen
Versuchen künstlicher Befruchtung hatte er nur einen einzigen Erfolg.
In vielen Fällen hilft aber die einfache Sondierung. Oft sogar eine ein-
malige. In demselben Sinne wirkt auch eine Dilatation des Uterusmundes.
Um den Fall der künstlich herbeigeführten Befruchtung beweiskräftig zu
machen, muß man die Kohabitation bis zur nächsten Menstruation ver-
meiden, weil vielleicht die Einführung der Injektionsspritze in den
‘ Muttermund schon den Weg für die natürliche Befruchtung frei gemacht
hat, Liebmann: Drei eigne Fälle von künstlicher Befruchtung waren
negativ. Man muß auf den Einfluß des Vaginalsekrets gegen die Sperma-
tozoen achten. Man darf also die künstliche Befruchtung nur dann vor-
nehmen, wenn eine Kohabitation von seiten des Mannes nicht geleistet
werden kann oder ein chemisches Agens in der Vagina vorliegt, die eine
Lehensfähigkeit der Spermatozoen unmöglich macht. Auch nach seiner
Erfahrung wird durch bloße Sondierung öfter eine Sterilität aufgehoben.
Gottschalk mahnt zur großen Zurückhaltung. Die Zurückhaltung wird
begründet durch eine Erfahrung von Fritsch, der bei einer in Paris
künstlich befruchteten Dame eine Peritonitis beobachtete, die drei Monate
dauerte, Fritz Fleischer.
—
Physiologische Gesellschaft. 6. Sitzung am 17. Mai.
(Offizieller Sitzungsbericht.)
F. Kraus: Die Bewegung des Oesophagus unter normalen
und pathologischen Bedingungen. (Mit Lichtbildern) Vortragender
hat sieh zum Studium des Schluckakts der Röntgenkinomatographie be- .
dient. Er unterscheidet auf Grund seiner Untersuchungsergebnisse zwei
Hauptperioden des Schluckens: die buccopharyngeale und die ösophageale.
Der wichtigste Teil der ersten Periode ist die (von Kindermann so-
genannte) Austreibungsphase. In dieser wird beim einmaligen Schlucken
emer weichen, flüssigen, genügend groß gewählten Masse zusammen mit
dem Pharynx der Oesophagus ohne eigne muskuläre Tätigkeit
des letzteren bis zur Kardia gefüllt. Und zwar geht der Bissen in der
ersten Periode nicht bloß bis zum geschlossenen Oesophagusmund, sodaß
dor Uebertritt” der Schluckmasse aus dem Hypopharynz in den Oeso-
Phagus abgesetzt vor sich ginge und vom Speiseröhrenmund ab die
Speiseröhre mittels einer alsbald einsetzenden peristaltischen Tätigkeit
die weitere Fortbewegung des Bissens übernehmen würde, sondern unter
dem Stempeldrucke der Mm. mylohyoidei und der hypoglossi wird, unter
gleichzeitigem aktiven Erschlaffen des Tonus des Killianschen Sphink-
Is n Schluckmasse in einem Zuge bis tief hinab in den Oesophagus
orfeon. .
. Die zweite ösophageale Periode des Schluckakts kennzeichnet sich
durch wirkliche Bewegungsvorgänge des Oesophagus und durch das
charakteristische Verbalten des Kardiaverschlusses. Von dem nunmehr
wieder geschlossenen Killianschen Oesophagusmund läuft eine typische,
jedesmal an derselben Stelle einsetzende Contractionswelle (Peristole) den
Oesophagus hinab. |
Der die Flüssigkeit vorübergehend zum Stocken bringende tonische
Verschluß des Kardiasphinkters wird überwunden durch die Muskelkraft
des Oesophagus, die in Form der stets von oben nach unten fortschrei-
tenden peristaltischen Welle den Speisebrei, und zwar immer mit darüber
befindlicher Luftblase, in den Magen gewissermaßen ausstreift. Das Ver-
halten des Kardiatonus schwankt bei Gesunden in merklicher Breite. Bei
Leuten, die größere Mengen rasch hinabtrinken können, ist der Tonus
labiler, anderseits bietet er Uebergänge zu dem im Spasmus cardiae sich
zeigenden Verschlußgrade. Der Verschluß des Oesophagusmundes ver-
hindert beim Beginne der Oesophaguscontraction jedes Regurgitieren.
Bei Würgbewegungen bleibt er ebenfalls zunächst geschlossen.
Ä Im Anschluß demonstriert Vortragender die obigen Ausführungen
zugrunde liegenden röntgenkinematographischen Bilderserien und darnach
angefertigten halb schematischen Zeichnungen von normalen und patho-
logischen Fällen. Eine genaue Wiedergabe der Röntgenbilder und Zeich-
nungen findet sich in der Zt. f. exp. Path. Bd. 10, H. 3, S. 363ff. Hier
sei nur der normale Schluckakt wiedergegeben.
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1176 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
14. Juli.
REN E e N a A E E ou a E E a e 2 nn a Zn a ae
Diskussion zu dem Vortrage von Rost und Gilg: Ueber die
Giftwirkungen der hautreizenden Pflanzen Rhus toxicodendron und
Primula obconica, Zürn::M. H.! Die Frage, die der bewußte Prozeß
aufgerollt hat, ob Toxicodermien auch ohne direkte Berührung der be-
treffenden Pflanze entstehen können, hat naturgemäß auch die Dermato-
logie in hohem Grad interessiert. Lesser und mehrere andere Derma-
tologen haben die Luftübertragung hinsichtlich des wirksamen Agens bei
der Primula obconica für möglich gehalten und wurden bestärkt in ihrer
Ansicht durch mehrere Fälle in der Literatur, in denen Kontakt mit
Primeln angeblich nicht stattgefunden hatte. Wir haben nun ein Jahr
lang in der Hautpoliklinik jeden zugehenden Fall von Primeldermatitis
in dieser Hinsicht nachgeprüft, eine Klärung der Frage konnte aber durch
die oft sehr unbestimmten Angaben unserer poliklinischen Patienten
nicht erbracht werden. Da entschloß sich Lesser, der Frage durch ein
Experiment auf den Grund zu gehen, wofür eine Portierfrau geeignet
schien, die zweimal an schwerer Dermatitis erkrankt war, nachdem sie
im Hausflur unbewußt nur ganz vorübergehend mit Primeln in Berührung
gekommen war. Diese also durch die ganze Vorgeschichte für Primel-
reiz nunmehr disponiert erscheinende Frau wurde von mir am 26. März
1911 unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, die eine andere Ueber-
‚tragung des Giftstoffs ausschließen ließen, mit ihrem entblößten Gesicht,
Hals und Armen in die Nähe zweier Primeln gebracht, die !/a m entfernt
von ihr zu beiden Seiten etwa in Gesichtshöhe aufgestellt wurden. Die
beiden Exemplare gehörten zur Klasse der Primula obconica, hatten 12
beziehungsweise 15 reichbehaarte Blütenstenge. An Blumenblättern.
hatte jedes Exemplar 25 beziehungsweise 23, die sich von mir mit Ab-
sicht so gewählt zum kleineren Teil in ganz beziehungsweise am Rande
vertroecknetem Zustande befanden. Sie zeigten an der unteren Seite ent-
sprechend den Blattnerven reichliche Behaarung. Etwa eine halbe Stunde
befanden sich die entblößten Körperteile in unmittelbarer Nähe der
Blumen und durch künstlich durch Fächeln erzeugte Luftbewegung
wurde versucht, die Uebertragungsmöglichkeit noch zu vergrößern. Die
noch am selben Abend und in den nächsten Tagen bis zum Verlauf von
drei Wochen vorgenommenen Untersuchungen ergaben nicht das geringste
Anzeichen einer eingetretenen Primeldermatitis.
Was ist durch dieses negative Ergebnis des Experiments bewiesen?
Eine Frau, die durch ganz flüchtige Berührung mit Primeln zweimal hef-
tige Dermatitis bekam, reagiert in keiner Weise auf den Hautreiz dieser
Pflanze, da direkte Berührung nicht erfolgt, obwohl die Bedingungen für
Luftübertragung: die Nähe, die Länge der Sitzung, die künstliche Luft-
bewegung außerordentlich günstige waren; obwohl der Zustand der
Pflanzen ein besonders geeigneter war; denn einmal hatten sie schon
zahlreiche dürre Blätter, die nach der Literatur besonders wirksames
Sekret enthalten sollen, dann hatten sie sich schon eine ganze Reihe
von Tagen vorher in trockner Wärme, nämlich auf einem mäßig ge-
heizten Ofen befunden, was nach pflanzenphysiologischen Forschungen
die Sekretbildung der Trichomen stark erhöhen soll.
Und trotz dieser drei Momente, die im praktischen Leben wohl
kaum zusammentreffen werden: der hohen Primeldisposition des Mediums,
des ausgewählt geeigneten Zustandes der Pflanze, der möglichst gün-
stigen Anlage des Experiments ist es zu keinerlei Hautaffektion ge-
kommen. Ich glaube also, daß auch dieser Versuch geeignet ist, die
Behauptung, es könne eine Primeldermatitis ohne Berührung zustande
kommen, gegenstandslos zu maclıen.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Geschichte der Medizin.
Vor hundert Jahren.
Die ärztlichen Heroen der napoleonischen Epoche
von
Dr. Iwan Bloch, Charlottenburg.
I.
Vor hundert Jahren! 1812 und 1813! Es sind die letzten Akte
des gewaltigen Geschichtsdramas, die vor unserm geistigen Auge vor-
überziehen, es ist die Riesengestalt Napoleons, die noch in ihrem tief-
sten Falle die Zeitgenossen fasciniert und hinreißt, ein Bild von höchstem
ästhetischen Reize. Denn hier wird die aus der Revolution geborene
elementare Tatkraft bezwungen; das Neue, Jugendkräftige, Zu-
kunftsreiche, das trotz allem fort und fort wirkt, noch nach Jahr-
zehnten, und auch für die Gegner und Sieger sich als ein Ferment der
fortschreitenden Entwicklung erweist. Ich glaube an einen tiefinneren
Zusammenhang zwischen den Taten und Heroen der Geschichte und den
Gestaltungen der Kunst und Wissenschaft. Spiegeln nicht die Bilder
eines Jacques Louis David, die heroischen Posen eines Talma die
ganze antike Strenge und Kraft eines Zeitalters wieder, in dem alle
Strahlen von einem Mittelpunkt auszugehen und zu ihm zurückzukehren
scheinen? Der Kaiser, der Kaiser! Er war nach dem bewundernden Worte
Klebers der Inbegriff der Welt. So schauten ihn in dichterischem Nach-
erleben Heinrich Heine in den „Grenadieren“ und Balzac in der „Frau
von dreißig Jahren“. So sah ihn wirklich im Jahre 1813 auf dem Markt-
platze zu Leipzig ein junger deutscher Arzt, Carl Gustav Carus.
„Noch jetzt (nach 52 Jahren), wenn ich die Augen schließe, kann ich ge-
nau den Ort, wo der Kaiser stand und wie er stand, mir visionsartig
hervorrufen! Sein Bild, gleichsam das Phantasma von ihm, besteht noch,
während seine eigne Erscheinung längst in die zeugenden Elemente
wieder aufgelöst ist!)!*
Wer sub specie Napoleonis diese Zeit betrachtet, dem belebt sie
sich auf einmal auch für die Medizin, von deren tiefstem Verfall und
dogmatischer Erstarrung in den Fesseln der Naturphilosophie man so
gerne spricht, während man die frischen, lebenskräftigen Keime, das
Heraufkommen eines neuen, jugendmutigen Geschlechts von Forschern
und Denkern übersieht. Es ist von Interesse, daß Carus gerade für das
Jahr 1812 einen merkwürdigen Umschwung in der deutschen medizini-
schen Literatur verzeichuet, ein Hervortreten der jüngeren Generation
gegenüber der älteren, und daß er diese Bewegung direkt auf die
von der französischen Revolution ausgegangene Erschütte-
rung zurückführt und aus ihr die ungeheuren Fortschritte
der Medizin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts er-
1) Carl Gustav Carus, Lebenserinnerungen und Denkwürdig-
keiten, Leipzig 1865, Teil I, 5. 180.
klärt!), die dem Auge des Historikers gleichsam eine neue Jugend der
Heilkunde offenbaren und keineswegs allein auf Frankreich beschränkt
waren, wo die „Revolution und der Ruhmesglanz der napoleonischen Pe-
riode auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Lebens einen kaum ge-
ahnten Aufschwung erzeugten‘“?).
Wir können im Rahmen unserer anspruchslosen Skizze diesen Zu-
sammenhang zwischen geschichtlichem und wissenschaftlichem Geiste nur
i flüchtig andeuten. Er verdient aber mehr als bisher gewürdigt zu wer-
den, wenn man wirklich die inneren Triebkräfte in der Entwicklung der
Wissenschaft aufdecken will?). Es ist kein Zufall, daß das große Monu-
ment der napoleonischen Epoche, daß der „Arc de Triomphe“ auch die
Namen zweier Aerzte trägt: Desgenettes und Larrey. Denn wie man
von Napoleon und seinen Marschällen spricht, so könnte man auch von.
Napoleon und seinen Aerzten sprechen. Gewisse Namen sind unzer-
trennlich mit seiner Person verknüpft, andere wieder geben seiner Zeit
das charakteristische Gepräge. In diesem Sinne mögen die folgenden,
auf Wunsch der Redaktion verfaßten Aperçus über einige im Jahre 1812
wirkende prominente Persönlichkeiten der französischen Medizin auf-
genommen werden. Sie sollen zeigen, wie reich an führenden Geistern
auch in der Medizin die napoleonische Epoche war, und daß darin das
Jahr 1812 wahrlich nicht hinter dem Jahre 1912 zurücksteht, vielleicht
sogar dieses überragt.
Vom Kaiser Napoleon I. selbst kann man nicht behaupten, dab
er ein großes persönliches Interesse für die Medizin als Wissenschaft
bekundet hätte, obgleich ihn doch schon seine Eigenschaft als Feldherr
oft in Berührung mit dem Krankenwesen brachte, wie ihn z. B. das be-
rühmte Gemälde von Gros inmitten der Pestkranken von Jaffa zeigt, da
nach seiner Ueberzeugung die Pest nur durch die Atmungsorgane über-
tragen werden könne und daher die Berührung des Kranken nicht an-
stecke‘). Ueberhaupt spielte der Kaiser bei seiner skeptischen Auf-
fassung der damaligen offiziellen Heilkunst, seiner „Unehrerbietigkeit
gegen Galen“, wie er es nannte, gelegentlich selbst den Arzt. So ver-
1) C. G. Carus, a. a. O. I, S. 111—112. S
2) Heinrich Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin,
8. Aufl., Jena 1881, Bad. II, S. 808. Ä
3) Natürlich gilt das nicht nur für die Medizin, sondern auch für
andere Wissenschaften, so z. B. bezüglich der hier betrachteten Epoche
für die Naturwissenschaften und die Technik, deren Unterricht Fourcroy
vorbildlich organisierte, und für die Statistik, deren Aufschwung die Ge-
waltherrschaft Napoleons „eher förderte als hinderte‘. Vergl. Alexan-
der Bauer, Fourcroy (Oesterreich. Chem.-Ztg. 1909, Nr. 24); Adolf
(Günther, Geschichte der älteren bayrischen Statistik, München 1910,
Ref. in Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissen-
schaften, Bd. X, S. 297—298). |
- 4) Vgl. Erwin Franck, Anschauungen über die Pest vor hundert
Jahren (Med. Kl. 1911, S.400); Reproduktion des Grosschen Bildes
bei E. Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei (Stuttgart
1903, S. 267). |
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14. Juli. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28, 1177
teilte er an die fleberkranken Soldaten vor Mantua eigenhändig Chinin-
pulver und empfahl seinem Bruder Jérôme aus eigner Erfahrung das
Ansetzen von Blutegeln als vorzügliches Mittel gegen sein Hämorrhoidal-
leiden‘), Ob er selbst, wie vielfach behauptet wird, an Epilepsie litt?),
ist noch nicht mit Sicherheit bewiesen. Ebenso wird neuerdings auch
die allerdings nach den darüber vorliegenden Berichten wahrscheinliche
Todesursache Magenkrebs?) bestritten und statt dessen die Hepatitis
tropica als solche angenommen‘).
| In der ganz von Kriegen erfüllten napoleonischen Zeit spielten
naturgemäß die Militärärzte eine bedeutende Rolle, und unter diesen
wiederum die drei: großen Leibärzte Napoleons und Chefärzte der
Armee, Desgenettes, Larrey und Percy, die bedeutendste.
Ren6-Nicolas-Dufriche Baron Desgenettes®) ist wohl der ,
typischste ärztliche Vertreter einer cäsarischen . Epoche, die im Leben
und in der Schriftstellerei die antike, Größe nachzuahmien suchte. Des-
genettes übertrumpfte gewissermaßen Bonaparte, indem er zu Jaffa
(1799) wie dieser die Pestkranken nicht nur berührte, sondern sich auch
den Buboneneiter eines solchen einimpfte, welche heroische Tat nur da
durch beeinträchtigt wurde, daß er später zu oft damit renommierte.
Auch in seinen Schriften trug er eine gesuchte Einfachheit und Größe
zur Schau und ahmte darin den Stil eines Thukydides nach. Das gilt
besonders von seiner „Histoire médicale de armée d'Orient" (Paris 1802).
Er war unstreitig ein Mann von Geist und literarischer Bildung, Besitzer
einer großen und ausgewählten Bibliothek, ein Bibliophile, der überall
auf seltene Ausgaben fahndete, ein geistreicher Causeur. Aus diesem
Grunde war er dem Kaiser nicht sympathisch. Er nannte ihn einen
Schwätzer, und anfänglich war ihr Verhältnis kein besonders freund-
liches. Auch weigerte sici Desgenettes, den Auftrag Napoleons
auszuführen, die nicht transportablen Verwundeten von Saint-Jean-d’Acre
mit Opium zu vergiften, damit sie nicht lebendig in die Hände der
Türken fallen sollten. Dennoch machte er eine schnelle Karriere, wurde
Chefarzt der Orientarmee, 1804 Generalinspektor des Militärsanitäts-
wesens und außerordentlicher Professor an der Ecole de sante, als
welcher er durch Inspektionsreisen und Vorträge eine bedeutende Wirk-
samkeit entfaltete. Später machte er die Feldzüge nach Preußen, Polen,
Spanien und 1812 die russische Campagne mit, wo er in Gefangenschaft
geriet. Während der hundert, Tage erlangte er noch einmal die Stellung
eines Chefarztes in der Armee. In den Tagen des Unglücks bewahrte
er dem Kaiser die Treue, wurde aber trotzdem unter der Restauration in
seine Stellung beim Militärsanitätswesen wieder eingesetzt und durfte
sogar als Examinator tätig sein. Als solcher hatte er oft Gelegenheit, .
seinen natürlichen Witz auf französisch und auf lateinisch zu betätigen,
50 fragte er eines Tages bei einem Examen über die Gesundheitslehre
einen Kandidaten, wo die Verdauung beginne. — „Im Mund“ antwortete
T a — „Nein, mein Herr, die Verdauung beginnt in der
che“,
Als der berühmteste Arzt des großen Korsen gilt Jean Domi-
nique Larrey (1766 bis 1842)5), sein ständiger Begleiter auf allen
1) Der ‚Interessante Brief, datiert Finkenstein, 26. Mai 1807, lautet
„Mon frère, j'apprends que vous avez des hömorrhoides. Le moyen le
Plus simple de les faire disparaitre, c’est de vous faire appliquer trois
ou quatre sangsues. Depuis que jai usé de ce remède, il y a dix ans,
Jô nen ai plus été tourment6“. Vgl. Batuaud, Une Consultation de
Napoléon ler (Chronique médicale 11903, S. 346).
) M. Loeb, Litt Napoleon I. an Epilepsio? (Frankfurter Zeitung
Nr. 136 vom 17. Mai 1905). l
ns Vgl. darüber die ausgezeichnete kritische Abhandlung von
twin Franck, Das Carcinom im Hause Napoleon Bonaparte. Medizi-
not Historisches aus der Familie des ersten Konsuls (Med. Woche 1904,
T. 14 bis 16), wo die Diagnose Magenkrebs bei Napoleon und seinem
ator als ‚bewiesen angesehen‘, aber das „Carcinom der Napoleoniden“ be-
stritten wird.
4) Vgl. Ravarit, Napoléon était-il malade à Waterloo? (Chron.
méd, 1909, S. 66 bis 70.)
Pa Vgl. den berühmten „Eloge du baron Desgenettes“ von Pariset,
. 1838; Artikel „Desgenettes“ im Biographischen Lexikon der her-
orragenden Aerzte von August Hirsch, Wien 1885, Bd. 2, S. 163;
Stutta Véron, Memoiren eines Pariser Bourgois übersetzt von G. Fink
ok tgart 1854, Bd. 1, S. 816 bis 818; Chron. inéd. 1903, S. 136. (Notiz
n Panl Berner, Ueber die Pestinokulation in Jaffa.) : .
als Die Literatur über ihn ist außerordentlich groß. Wir erwähnen
5 neueste Schriften: Paul Triaire, Dominique Larrey et les cam-
k Ft de la révolution et de ’empire, Tours 1902 (große Monumental-
Deraphie von 756 Seiten); E. Dupeyroux, Le baron Dominique Larrey.
Mone son œuvre, Paris:1904; H. Kritzler, Jean Dominique Larreys
a und das Sanitätswesen des französischen Heeres unter Napoleon
en e (D. militärärztl. Zt. 1911, S. 7—14); Félix Chambon,!Dominigue
1904 A D’après des documents inédits (Chron. méd. 1903, S. 737—742;
Feldzug 3-19), — Vgl. auch Paul Richter, Medizinisches aus -dem
Ver 5° gegen Rußland im Jahre 1812 (Med. Kl. 1912, Nr. 24 u. 25);
On a a O. I, BU 2. | te er
Feldzügen und durch seine persönlichen Eigenschaften dem Herzen des
Kaisers besonders nahe, wie dieser in der berühmten Stelle seines Testa-
ments zum Ausdruck brachte, wo er ihn mit einem Legat von 100000
Francs bedenkt und ihn als „L'homme le plus vertueux que j’ai connu:
il a laissé dans mon esprit l’id&s du véritable homme de bien“ bezeich-
net. Gerade vor hundert Jahren, 1812, erschien Larreys bedeutendstes
Werk, die „Mémoires de médecine et de chirurgie militaire et de cam-
pagnes“ (Paris 1812 bis 1813, vier Bände), der Niederschlag der über-
reichen Erfahrungen dieses eigentlichen Schöpfers der modernen Kriegs-
chirurgie, dem wir unter anderm die Einrichtung der fliegenden Am-
bulanzen und ersten Krankentransportwagen !), bedeutende Verbesserungen
der Amputations- und Resektionstechnik und rationelle Grundsätze für
die Behandlung der Schußverletzungen verdanken. Larrey hat nur auf
den Schlachtfeldern studiert, er war ein Mann, wie der Kaiser ihn ver-
langte, gehorsam, geschmeidig, unermüdlich. Er besaß im höchsten Grade
die Religion der Pflicht und blieb oft täglich 14 bis 15 Stunden auf dem
Schlachtfelde: So machte er nach der Schlacht an der Moskwa allein an
einem Tage 200 Amputationen und wurde selbst dreimal vor dem Feinde
verwundet. Er war in 25 Feldzügen, 60 Schlachten und mehr als 400
Gefechten der unzertrennliche Gefährte Napoleons. Ohne ihn konnte,
wie er behauptete, nichts geschehen. Er kannte nur seine. Operationen,
seine Verbände und seine Verwundeten. Das blieb auch so, áls er im
hohen Alter im Hospital der Invaliden eine seiner würdige Stellung als
Chirurg fand. Recht anschaulich schildert dies der deutsche Arzt Dr.
Robert Av6-Lallemant (1812 bis 1884) in seinen „Wanderungen durch
Paris aus alter und neuer Zeit“ (Gotha 1877, S. 87—88).
„Als Student besuchte ich im Sommer 1836 ziemlich regelmäßig
Larreys Klinik in den Invaliden, und das war ein wunderbarer Genuß.
Der alte berühmte Chirurg und seine Invaliden bildeten wirklich
ein einheitliches Ganzes, was diesem Ganzen auch an Armen, Beinen,
Nasen, Ohren und andern Körperutensilien abgehen mochte. In vier
Weltteilen war Larrey mit den Franzosen gewesen und hatte die zer-
fetzten Soldaten wieder zusammengeflickt oder ihnen die nur halb abge-
schossenen Extremitäten und Fleischlappen völlig abgeschnitten. Da
glaubten denn die alten Sansculotten an ihren „major“ wie an den lieben
Herrgott. Philemon und Baucis konnten sich nicht inniger lieben, wie
die alten Kriegskameraden ihren Larrey... Nach wenigen Besuchen
dort im Invalidenhause wird man schon bekannt, Larrey hatte selbst
gern Ausländer um sich und zeigte ihnen gern seine Raritäten und Anti-
quitäten. Einmal war ich dabei, wie er einem Invaliden eine Kugel aus
der Kniehöhle entfernte, die derselbe noch von dem Schlachtfelde von
Wagram mit sich getragen hatte; bisher hatte das Projektil nie zum
Vorschein kommen wollen. So kamen wir denn auch zu manchem Fra-
ternisieren mit den alten Ruinen und gern zeigten sie uns ihren Palast.“
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Honorarforderungen der Spezialärzte und Professoren der Medizin
unterliegen der ärztlichen Gebührenordnung.
Urteil des Landgerichts in Gießen (1.Z.-K.) vom 17. Oktober 191i.
Kläger, ein Professor der Medizin, war nach auswärts zu einer
Konsultation berufen worden. Die Patientin, die Ehefrau des Beklagten,
war aber bereits in der- Nacht vorher in die Klinik verbracht worden,
weshalb der Kläger unverrichteter Dinge wieder zurückfahren mußte.
Er verlangt für Zeitversäumnis von zwei Stunden 40 M. Das Amts-
gericht hat ihm jedoch nur 12 M zugebilligt, hinsichtlich des Mehr-
betrags die Klage abgewiesen, indem es annahm, daß mangels besonderer
Vereinbarung gemäß $ 80 Absatz 2 der Gewerbeordnung die Gebühren-
ordnung für approbierte Aerzte usw. vom 30. Dezember 1899 (Rog.-Bl,
'1900, S. 13) auf den Kläger Anwendung zu finden habe; nach pos. B.
Ziffer 19 dieser Gebührenordnung habe der Arzt, wenn er außerhalb
seines Wohnorts tätig wird, Anspruch auf Enjschädigung für Zeit-
'versäumnis im Höchstbetrage von M 3 für jede angefangene halbe Stunde
sodaß der Kläger bei Zugrundelegung dieses Höchstbetrags für 2 Stunden
Versäumnis nur M 12 zu beanspruchen habe. Hiergegen Berufung des
Klägers, die als unbegründet verworfen wurde.
Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Hessische Gebührenordnung
für approbierte Aerzte, auch auf Spezialärzte und Professoren der Medizin
‘Anwendung zu finden hat, falls eine besondere Honorarvereinbarung nicht
erfolgt ist; einmal, weil diese Gebührenordnung keine Ausnahmen für
Spezialisten macht, dann ergibt sich dies auch aus $ 4 der Gebühren-
ordnung. Hiernach sind Verrichtungen, für welche diese Taxe Gebühren
nicht auswirft, nach Maßgabe derjenigen Sätze, welche für- ähnliche
1) Vgl. darüber Alb. Köhler, Grundriß einer Geschichte der
Kriegschirurgie,, Berlin, 1901, 8. 103, D e l l
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eu ERBEN
1178 | = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
druck gebracht, daß die Taxe eine erschöpfende Regelung enthalten soll.
Schließlich geht es aus der Gebührenordnung selbst hervor, die eine
ganze Reihe von ärztlichen Leistungen anführt, die erfahrungsgemäß aus-
schließlich von Spezialärzten ausgeführt werden.. Die Anwendung der
Gebührenordnung könnte nur dann nicht in Frage kommen, wenn eine
Honorarvereinbarung vorläge. Ausdrücklich ist eine solche nicht ge-
troffen worden. Eine stillschweigende Vereinbarung dahin, daß der Kläger
eine höhere Vergütung beanspruchen dürfe, als sie ihm nach der Ge-
bührenordaung zusteht, ist aber gleichfalls nicht anzunehmen, da keine
Umstände hierfür sprechen. Anzunehmen wäre wohl eine solche still-
schweigende Vereinbarung, wenn dem Beklagten bekannt gewesen wäre,
daß der Kläger über die Taxe zu liquidieren pflegte (was aber gar nicht
einmal feststeht); der Beklagte braucht auch nicht etwa schon deswegen,
weil der Kläger ein Professor der Medizin ist, von vornherein ohne
weiteres damit zu rechnen, daß der Kläger ihm höhere Sätze, als die bei
praktischen Aerzten üblichen, anrechnen werde, konnte dies doch immer
noch innerhalb der einen weiten Spielraum gewährenden Taxe ge-
schehen. |
Die Gebührenpflichtigkeit eines verspätet gemachten ärztlichen
l Besuchs.
-Ein Hamburger Arzt war zur Behandlung eines kranken Kindes in
seiner Abwesenheit „bis spätestens 8 Uhr abends“ bestellt worden. Das
die Bestellung annehmende Dienstmädchen sagte auch das Erscheinen
des Arztes bis zu dieser Zeit zu. Der Arzt konnte den Besuch aber
erst um 91/3 Uhr absolvieren und wurde infolgedessen von den Eltern des
erkrankten Kindes, das bereits schlief, wieder zurückgeschickt und ihm
auch das Besuchshonorar verweigert, da er verpflichtet gewesen sei, bis
spätestens 8 Uhr zu kommen. Der Arzt klagte, wurde aber von der
ersten Instanz, dem Amtsgericht, abgewiesen, während das Landgericht
als Berufungsinstanz den Honoraranspruch als berechtigt anerkannte.
Aus dem a. a. O. in extenso wiedergegebenen Urteile heben wir folgende
Stelle von grundsätzlicher Bedeutung hervor: „Die Eigenart des ärzt-
lichen Berufs verbietet es auch, daß dritte Personen über die Zeit der
Arbeitstätigkeit eines Arztes disponieren können. Ein Besuch bei einem
Patienten kann sich länger hinziehen, als der Arzt erwartet hat und als
ihm selbst im Interesse seiner anderweitigen Praxis lieb ist. Das weiß
jedermann. Will eine Person den Besuch eines Arztes zu einer fest-
gesetzten Stunde oder bis zu einer bestimmten Zeit haben, so muß sie
dies ausdrücklich mit dem Bemerken erklären, daß sie sonst auf die
Dienste des Arztes verzichte und die Hilfe eines andern in Anspruch
nehmen. werde. Andernfalls muß der zuerst angenommene Arzt der
Meinung sein, daß seine Dienste immer noch willkommen seien und
auch noch beansprucht würden.“ Fr.
Reisebriefe.
- Frühlingstage an der österreichischen Riviera.
| vV. . (Schluß,)
Wohl jeder Arzt macht immer wieder die Beobachtung, daß der
gute Erfolg peinlich und vorschriftsgemäß durchgeführter Bade- und
Brunnenkuren nicht selten dadurch in das gerade Gegenteil verwandelt
wird, daß nunmehr die Rückreise der Patienten in unzweckmäßigster
Weise vor sich geht. Längere, wiederholte Nachtfahrten, „um den Tag
besser ausnutzen zu können“, anstrengende Besichtigungen von Städten in
Staub und Sonnenglut, Wiedersehen alter Universitätsfreunde mit obli-
gater Auffrischung schlecht bekömmlicher Jugendgewohnheiten — — —,
sie erscheinen wohl im Augenblick sehr reizvoll, erweisen sich jedoch in
ihrer Nachwirkung als wenig förderlich für die eben durchgemachte Kur.
‚So vollzieht sich denn auch die Wiederaufnahme der täglichen Berufs-
arbeit ohne die erwünschte notwendige Erfrischung und Arbeitsfreudig-
keit, ja, es tritt an ihre Stelle nicht selten eine Verdrossenheit und Un-
lust, die in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse zu der Anschau-
ung führen kann, die betreffende Kur wäre nicht bekommen, die Wahl
des Badeorts eine unrichtige gewesen usw. Obwohl die medizinische
Publizistik der letzten Jahrzehnte, von Mantegazza angefangen, die
Physiologie und Hygiene der verschiedenartigsten Körperzustände bereits
ausgiebig in Angriff nahm, harrt die, wie ich glaube, nicht unwich-
tige Diätetik der Rückkehr vom Bade und einer anschließenden Nachkur
immer noch ihres Autors.
So beschränkte sich auch die Unterbrechung meiner Rückreise auf
nur zwei Aufenthalte, die sich zwanglos der Reiseroute einfügten und in
ihrer Art eine weitere Erholung, wie erneute Anregung boten. .
Ä Es war dies vor allem das berühmte Adelsberg, etwa zwei bis
drei Stunden,\von Abbazia an der Südbahnstrecke nach Wien im Krainer
1&'Juli.
-— |
. | i ; it ist zum klaren Aus- | Karst gelegen. Wie ich bereits in meinem ersten Brief ausführte, wird
Leistungen gewährt werden, zù vergüten. Damit ist z | der Karst infolge seines „geologischen Aufbaues von zahlreichen unter-
irdischen Höhlen durchzogen, deren größte — und dieser Rekord gilt für
ganz Europa — die Adelsberger Grotten sind. Hier vollzog der Poik-
fluß im Laufe der Jahrtausende die Verwitterung und Auswaschung des
Kalkgesteins und schuf so einen Höhlenkomplex, der eine Länge von
20,5 km besitzt, von denen 4,5 km noch jetzt als unerforscht gelten
können. Die gewöhnliche „Gasttour“ der Höhlenbesucher erstreckt sich
über 4km (hin und zurück 8km) und wird dadurch nicht zu anstrengend,
daß der Weg gut gehalten ist und die elektrische Beleuchtung in zweck-
mäßiger Anordnung, einen vortrefflichen Ueberhlick über die in den ver-
schiedenartigsten Formen herab- und hinaufwachsenden Tropfsteingebilde
(Stalaktiten— Stalagmiten) gewährt. | S
Wir passieren da nacheinander den „großen Dom“, „Tartarus“,
„Belvedere“ und den „Tanzsaal“, eins Grotte von insgesamt 790 qm
und bis zu 12 m Höhe. Hier findet am Pfingstmontag sowie am
15. August jedes Jahres eine größere Tanzfestlichkeit statt, für welche
der glatte, harte Boden sich besonders eignet. So wurden 1909 im
Tanzsaal am Pfingstmontag 12000 Personen gezählt und das „unter-
irdische Grottenpostamt“,. wohl das einzige derartige Institut der
Welt, nahm an diesem Tage nicht weniger als 87 000 Ansichtspostkarten
entgegen. Die sogenannte Namenhalle der Grotte weist noch Inschriften
auf, die bis in das Jahr 1323 zurückreichen, so lange sind demnach die
Höhlen bereits bekannt und besucht ! | |
Zwei gelegentlich des Kaiserbesuchs vom Jahre 1857 in die Fels-
wand geschlagenen Eisenhaken gestatten durch die inzwischen vor sich
gegangene Kalkablagerung von 1—2 mm Dicke den Schluß, daß ein
Stalaktit von 1 m Höhe im Durchschnitt 15000 bis 25000 Jahre zu
diesem Wachstum nötig hatte. Daß diese Zahlenangaben nicht rein
hypothetischer Natur sind und in Wirklichkeit kaum meßbare Zeiträume
an dem Zustandekommen der Grotten mitarbeiten, beweist anderseits der
in den Wasserpfützen und Tümpeln der Adelsberger Grotten lebende,
in dieser Form einzig auf der Welt vorkommende Grottenolm (Proteus
anguineus), ein den Salamandern nahestehender etwa 80 cm langer Re-
präsentant der Schwanzlurche. Er wurde 1797 hier entdeckt und zählt
zu den Kiemenfischlingen (Branchiata). Infolge dauernden Aufenthalts in
der Finsternis sieht der Grottenolm bleich und wachsfarben aus nnd sein
Sehorgan liegt unter der Haut, das heißt es ist nur rudimentär. entwickelt,
Neugeborene Tiere besitzen noch sehr kleine Augen, die jedoch, je älter
das Tier wird, immer mehr unter der Haut und dem Fette verschwinden
und sich überdies noch rückbilden, indem namentlich die winzig kleine
Augenlinse kleiner wird und von einem gewissen Stadium ab völlig ge-
schwunden ist. | | cz
Diese Gestaltung dient im Sinne der Darwinschen Anpassungs-
lehre zum Beweise dafür, daß bei den seltsamen Tieren infolge den seit
Jahrtausenden platzgegriffenen Höhlenlebens auch tiefgehende Einflüsse
auf ihren Organismus durch Gebrauch oder Nichtgebrauch einzelner Or-
gane sich geltend gemacht haben. P. Kammerer (Wien) hat nun im
Verfolg einer exakt physiologischen Versuchsreihe solche Olme von ihrer
Geburt an in hellem Tageslichte gehalten und hierbei zu seinem Staunen
ein allmähliches Größerwerden der sonst winzig kleinen Augen bemerkt,
dieses bei gleichzeitig eintretender Dunkelfärbung der Haut. Schließlich,
und zwar im Lauf von etwa fünf Jahren, waren Olme entstanden mit
Augen wie junge Salamander, also Tiere, wie. sie noch niemand gesehen
hatte. Die mikroskopische Untersuchung dieser Augen ließ alle Bestand-
teile, wie Hornhaut, Linse, Glaskörper, Netzhaut usw. in wohlausgebildetem
Zustande erkennen. Zweifellos stammen demnach die heute noch leben-
den blinden Olme von sehenden, mit guten Augen ausgestatteten Tieren
ab. Immerhin bleibt es erstaunlich, daß ihnen die Sehkraft, nachdem sie
durch den unberechenbar langen Aufenthalt in den nächtlichen Höhlen
bereits einmal verloren gegangen war, durch die bloße Einwirkung
des Lichts und noch dazu in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder-
gegeben werden konnte. Dieses ist indessen, wie schon erwähnt, nur bei
den neugeborenen Olmen möglich. Der ausgewachsene Grotten-
olm gerät, sobald man ihn einem grellen Lichtstrahl aussetzt, in große
Unruhe, und gesteigerte Temperatur der ihn umgebenden Flüssigkeit hat
alsbald heftige Zuckungen zur Folge, unter denen dann sein Tod eintritt‘).
Es muß dankbar anerkannt werden, daß die Grottenbesucher Gelegenheit
haben, in einer der zahlreichen flachen Wasserbecken der Höhle diese
interessante Tierspecies umherschwimmen zu sehen und genau besichtigen
zu können. ,
Außer dem Grottenolm werden in den Adelsberger Höhlen Im
ganzen noch 19 Tierarten angetroffen, Insekten, Arachniden, Krusta-
ceen und Mollusken, von denen indessen nur ein Teil des Sehorgans ont-
behrt. Da das Tageslicht im allgemeinen ein unbedingtes Erfordernis für
- 1) Q. And. Perk 0, Die Adelsberger Grotte in Wort und Bild. —
ı Max Seber, Adelsberg 1910. 77 S. Preis K 2,—. $ je $
‚Dr. Richard
14, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
1179
die Entwicklung von Tieren und Pflanzen ist, so erscheint es leicht er-
klörlich, daß sich nur verhältnismäßig wenige und niedrigstehende Lebe-
wesen an die in der Grotte herrschende Dunkelheit zu gewöhnen vər-
mochten und dieses auch nur mit beträchtlicher Anpassung und Um-
wandlung ihres Organismus. | |
"Alles in allem muß. der Besuch des auch landschaftlich reizvollen
= Adelsberg, wie nicht weniger der nahegelegenen Grotten von St. Can-
zian als außerordentlich lohnend bezeichnet werden. Es offenbaren sich
dort auf Schritt und Tritt Naturwunder, wie sie in dieser Häufung wohl
nur-selten in der Welt vorkommen dürften. Der große, in seinen An-
klängeh am das geologisch verwandte Griechenland mehr heroische Zug,
der durch die ganze Karstlandschaft geht, offenbart sich eben auch hier
und erweckt damit das besondere Interesse jedes Reisenden, der über
das notwendige Natur- und Schönheitsgefühl verfügt.
Auf der immer wieder bewunderungswürdigen Südbahnstrecke
führte mich dann mein Weg über Graz, dem zweiten Salzburg, und den
nahezu 1000 m hohen Semmering nach Wien, dem letzten Ruhepunkt
meiner Reise. Hier war ich wieder von erstaunlichem Glücke begilnstigt,
da ich gerade zum ersten Blumentag eintraf und sich sogleich eine Fülle
fescher Frauen- und Mädchengestalten mit ungezählten — leider nicht
ungezahlten — Margeriten an mein Knopfloch hefteten. Dazu der
strahlend blaue Himmel, die von Menschen und Gefährten aller Art be--
lebten Straßen, das interessante Städtebild. — alles vereinigte sich zu
einem Gesamteindruck, wie: ich ihn vollkommener mir nicht wünschen
konnte. Da trieb es mich auch hinaus auf die im ersten Grün strahlen-
den Höhen des Wiener Waldes, den Kahlenberg und Kobenzl, sowie
in don Park von Schönbrunn, den ständigen Aufenthalt des greisen Mo-
narchen. Auch ein Besuch der botanisch in hohem Maße interessanten
nd berühmten Rothschildschen Gärten, einer Sehenswürdigkeit Wiens,
warde nicht ausgelassen. | /
Damit aber der Kontakt mit der Wissenschaft wieder langsam
hergestellt würde, folgte ich alsdann einer liebenswürdigen Einladung des
Priv.-Doz. Dr. Anton Bum, Herausgeber der Wiener Ausgabe der „Med.
KI.“ in dio K. k. Gesellschaft der Aerzte, die in der Frankstraße
ihr eignes patriarchalisch-vornehmes Heim besitzt und gerade unter Vor-
sitz. von Hofrat Prof. v. Eiselsberg ihre gewohnte Sitzung abhielt.
Einige genußreiche Stunden im engeren Kreise Wiener Kollegen be-
schlossen diesen Abend und damit — meinen Aufenthalt in Wien.
Die Wissenschaft und Arbeit, der wir Aerzte nun einmal mit Leib
und Seele verschrieben sind, sie hatte auch mich wieder in ihren Bann
‚genommen und. nun hielt es mich nicht länger, auch die längsten Früh-
Äingstage müssen eben ihr Ende erreichen! Und doch, in gewisser Weise
erreichten sie es noch nicht, indem sich mir jetzt erst der norddeutsche
‚Frühling mit seiner kraftvollen Schönheit eröffnete und ich im Bunde mit
der Erinnerung an das Genossene nunmehr die Frühlingstage in der
Heimat noch auskosten durfte. Diese aber wollen erlebt und nicht be-
schrieben gein .... —: p Erwin Franck.
Kleine Mitteilungen.
„(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
Í mit genauer Quellenangabe gestattet.)
.,. Berlin, Wir sind heute schon in der erfreulichen Lage, vor-
stehend ‚unter „Forschungsergehnisse aus Medizin und Naturwissenschaft“
zum ersten Male den authentischen Wortlaut der beiden wich-
gen Vorträge wiederzugeben, die von dem Privatdozenten
i Werner und. Assistenten Dr. Stephan Szécsi vom
Her torhause beziehungsweise Institut für Krebsforschung in
eidelberg am 5, Juli. über durchweg bedeutsame und weittragende
gebnisse der neuesten experimentellen und klinischen Geschwulst-
öhandlung gehalten wurden. Ausgehend von der bekannten Beeinflussung.
. der Leukämie, wie anderseits des Dotterlecithins durch die Bestrahlung,
D Wg es W., diesen Prozeß nunmehr durch einen einzigen chemischen
a das Borcholin, einzuleiten. Insbesondere reagierten Ka-
= on auf. die 2—50/yige wäßrige Cholinlösung mit einer rasch an-
igenden Hyperleukocytose, genau wie nach Röntgenbestrahlung. Die
i vriragung dieser Versuche auf Rattentumoren lag nahe und es er-
ie en der Tat bei Rattensarkomen bereits nach verhält-
RE ìg kurzer Zeit die vollständige Rückbildung der Ge-
‚cawülste. Ebenso verschwanden unter Borcholin Mäusetumoren,
Je- nicht einmal Narbenbildung oder Verdiekungen blieben
a Geschwulststelle zurück. Die weitere Ausdehnung dieses
alelismus . von Cholinwirkung und Bestrahlung anch auf die
menschlichen Geschwulstbildungen ergab sich von selbst. Wenn
~Y., Sich hinsichtlich der hierbei ‚erzielten Beeinflussungen naturgemäß
Pr a ‚vorsichtig ausläßt, so steht doch jetzt schon als zweifellos
sch ‚einerseits eine Einwirkung statthat und anderseits Ver-
an Immerungen oder Steigerung des Wachstums der Ge-
wülste nie beobachtet wurden. Diese mehr klinischen Unter-
‚uöhungsergehnisse W.s erläutert ein zweiter Aufsatz von Dr. Stephan
"Avosl nach der pathologisch-histologischen Seite hin, und der genannte
un. ..
T we aga
ľa
Sehnerven.
Forscher vermag auch hierbei den Parallelismus von Borcholinbehend-
lung und der Bestrahlung mit Radium oder Thorium X nur zu be-
stätigen. |
m Es bedeuten diese Forschungsergebnisse einen guten Schritt weiter
in der Erkenntnis und Behandlung von Geschwulstleiden. Ihr unzweifel-
hafter Wert muß in jedem Falle darin erblickt werden, die doch nur
schwer dosierbare und deshalb therapeutisch immerhin diffe-
rente Verwendung der Strahlen mit einem chemischen Agens
zu vertauschen, womit sich der Krebsforschung naturgemäß nun viele
weitere und nicht weniger aussichtsreiche Wege eröffnen. Fr.
Heidelberg. (Geheimrat Prof. Theodor Leber (Heidelberg), der
‚hervorragende Augenarzt, begeht am 18. Juli die Feier seines 50jährigen
Doktorjubiläums. L., welcher 1840 zu Karlsruhe geboren würde,
studierte unter von Helmholtz,C. Ludwig, Knapp und Albrecht von
Gräfe. Von 1862 ab war er Assistent bei Knapp in Heidelberg und
unternahm anschließend Studienreisen nach Wien, Berlin und Paris. 1867
wurde L. alsdann Assistent bei Gräfe in Berlin, woselbst er sich 1869
für Augenheilkunde habilitierte. 1871 erfolgte. seine Ernennung zum
ao. Professor, 1872 zum Ordinarius für Augenheilkunde in Göttingen.
1890 folgte er von hier einem Rufe nach Heidelberg an Stelle des ver-
storbenen Prof. Otto Becker. Seit 1910 lebt L. im Ruhestand in
Heidelberg. Neben einer großen Zahl kleinerer Arbeiten physiologischen
und pathologischen Inhalts veröffentlichte er „Anatomische Unter-
suchungen über die Blutgefäße des Auges“ und schrieb in dem „Gräfe-
Saemischschen Handbuch“ über die Krankheiten der Netzhaut und des
Wir wünschen dem hervorragenden Ophthalmologen noch viele Jahre der
wohlverdienten Ruhe, — Fr.
Berlin. Die preußische Akademie der Wissenschaften hat
durch die physikalisch - mathematische Klasse unter andern bewilligt:
dem ord. Honorarprofessor für Physiologie Geh. Med.-Rat Dr. Gustav
Fritsch in Berlin zur Herausgabe eines Werkes über das Haupthaar
und seine Bildungsstätte bei den verschiedenen Rassen des Menschen
1200 M; Dr. Otto Kalischer in Berlin zur Fortsetzung seiner Ver-
suche betreffend die Hirnfunktion 600 M; dem Chemiker Geh. Rat Prof.
Dr. Willy Marckwald in Berlin zu Untersuchungen über das Ver-
hältnis von Radium zu Uran 800 M; dem Anatomen Dr. Paul Röthig
in Berlin zur Fortsetzung seiner Untersachungen über die vergleichende
un Anatomie des Zentralnervensystems der Wirbeltiere
— Am 25. Juni hielt der Austauschprofessor von der Har-
vard-Universität in Cambridge, Mass., Prof. TheobaldSmith, im Hygieni-
schen Institut der Universität vor einem großen Auditorium seine letzte
Vorlesung über vergleichende Parasitologie. In überaus an-
regender Form besprach er die Art und Weise, wie die Parasiten sich
gegen die Schutzkräfte des von ihnen befallenen Wirtes wehren, und
kennzeichnete neue Richtlinien für weitere erfolgversprechende Forschun-
gen auf dem Gebiete der Serumtherapie. Hierauf ergriff der Direktor
des Hygienischen Instituts, Geh. Med.-Rat Prof, Flügge, das Wort, um
dem verdienstvollen Forscher namens der Versammlung zu danken und
ihm die besten Wünsche für seine Rückkehr in die Heimat auszusprechen.
Vom Kultusministerium war Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Elster er-
schienen, um sich von Herrn Prof. Smith zu verabschieden.
— In Ausführung der Bestimmungen von Buch III der RVO.
sind in Preußen am 1. Juli 1912 an Stelle der bisherigen Schiedsgerichte
für Arbeiterversicherung die Ober-Versicherungsämter ins Leben getreten.
Es wird deren in jedem Regierungsbezirke je eines errichtet, nur im
‚ Reg.-Bez. Arnsberg und im Reg.-Bez. Potsdam mit Groß-Berlin je zwei, also
zusammen 38. Das OVA. Groß-Berlin wird die Versicherungsämter Berlin,
Charlottenburg, Berlin-Wilmersdorf, Köpenick, Berlin-Lichtenberg, Neu-
kölln, Niederbarnim (Landkreis), Berlin-Pankow, Berlin-Schöneberg, Span-
dau, Berlin-Steglitz, Teltow (Landkreis) und Berlin-Weißensee umfassen.
Das OVA. Hannover umfaßt auch das Fürstentum Pyrmont und das OVA.
in Kassel das Fürstentum Waldeck.
Außer diesen 38 Allgemeinen Oberversicherungsämtern
sind als besondere Oberversicherungsämter vier Knappschafts-
Oberversicherungsämter mit den betreffenden Oberberghauptmännern an
der Spitze in Halle, Clausthal, Dortmund und Bonn errichtet (Schlesien
erhält kein Knappschafts-OV A.) und 20 Eisenbahn-Oberversicherungsämter
für die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft je für die Eisenbahn-
direktionsbezirke mit dem Sitz an dem Orte des Regierungspräsidenten
und diesem unterstellt. EHER |
— Die Feuerbestattung im großdeutschen Kultur-
gebiet ergab für den Monat Mai 1912 insgesamt 881 Einäscherungen
das heißt eine Zunahme von 190 Fällen gegenüber dem gleichen Zeit.
raum im Jahre 1911. Von den Leichen kamen aus Bayern 37, aus
Oesterreich 24, die Mehrzahl von 820 entstammte dem Deutschen Reich
und der Schweiz (99 Fälle. ——.
— An den Berliner Hochschulen sind in dem laufenden
Sommerhalbjahr insgesamt 819 Frauen eingeschrieben. Die Mehr-
zahl davon fällt auf die Universität, wo 717 Frauen immatrikuliert und
88 als Gasthörerinnen mit einem Erlaubnisscheine des Rektors auf vier
Semester zugelassen sind. Dazu kommen die 9 weiblichen Studierenden
Seit 1871 ist er geschäftsführender Redakteur von Gräfes A. -
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i180 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 28.
der Technischen Hochschule, 2 an der Bergakademie, 3 an der Akademie |
der "Künste — die akademische Hochschule für die bildenden Künste
nimmt; keine Frauen als Studierende auf. In der Theologenfakultät, die
früher immer nur eine Dame aufwies, sind es jetzt schon 3, bei den
"Juristen sogar 15, anffälligerweise alle ohne eih Gymnasialreifezeugnis,
bei den Medizinern 156 und in der philosophischen Fakultät 543. Den
größten Prozentsatz unter den weiblichen Kommilitonen stellen die Höre-
rinnen aus Berlin und Brandenburg: es sind 270. Zu
Berlin. Die Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins hat sich,
wie bereits. mitgeteilt wurde, in die Berliner Gesellschaft für
Chirurgie umgewandelt. Der Vorstand besteht aus den Herren:
'Sonnenburg, I. Vorsitzender, J. Israel, Körte, stellvertretende Vor-
sitzende, F. Krause, Hildebrand, Hermes, Riese, Schriftführer,
Rotter, Kassenführer. Die Sitzungen finden am zweiten und vierten
Montage jeden Monats statt, die erste Sitzung am 11. November. Der
Jahresbeitrag beträgt 12 M. — — —
— Der nächste internationale Kongreß für Hygiene
und Demographie wird vom 24. bis 28. September in Washington ab-
gehalten werden. Die Reichsregierung wird zu den Beratungen Delegierte
entsenden und der. deutsche Nationalausschuß für den Kongreß setzt sich
aus Vertretern der beteiligten Reichsämter, Ministerien, Behörden und
-der Wissenschaft zusammen, |
| Bonn. Geheimrat Binz erhielt zu seinem 80. Geburtstage
außerordentlich zahlreiche Ehrungen. Der Kaiser hat ihm den Stern zum
Roten Adler-Orden 2. Klasse mit Eichenlaub verliehen. Der Orden und
ein Glückwunschschreiben des Unterrichtsministers wurden durch den
Universitätskurator, Geheimrat Ebbinghaus, übersandt. Telegraphische
‘oder schriftliche Glückwünsche haben ferner gesandt der Oberpräsident
Frhr. v. Rheinbaben. der Regierungspräsident Dr. Steinmeister
(Köln), der Rektor der Universität, der Dekan der medizinischen Fakultät, .
mebrere auswärtige wissenschaftliche Institute und andere mehr. Wir
haben die Bedeutung des Prof. Binz aus Anlaß seines 80. Geburtstages
in Nr. 27 dieser Wochenschrift bereits in längerer Ausführung ge-
würdigt. Zen |
Breslau. Das von dem GQgh. Məd-Rat Prof. Albert Neißer
bekleidete persönliche Ordinariat für Dermatologie und Syphilis
ist nunmehr in ein otatmäßiges umgewandelt worden. Diese
Tatsache erscheint für die gesamte Entwicklung des Spezialfachs der
Haut- und Geschlechtskrankheiten von hervorragender Bedeutung, da auf
diese Weise zum erstenmal in Preußen die volle Gleichberechtigung der
‚genannten Disziplin mit den übrigen durch Ordinarien vertretenen Sonder-
fächern anerkannt wird. So ist auch das hiermit geschaffene Ordinariat
.für Dermatologie an der Universität Breslau bisher das erste und leider
noch einzige in Deutschland. ———
München. Die medizinische Fakultät der hiesigen Universität
“hat die Münchener Rechtsräte August Steinhauser und Gotthard
Wölzl zu Ehrendoktoren der Medizin ernannt. Rechtsrat August
Steinhauser hatte sich bei den Verhandlungen zwischen Staat und
Stadt über die Errichtung der neuen Frauenklinik die größten Verdienste
'um die Fakultät erworben, und dem Rechtsrate Gotthard Wölzl ist die
"Fakultät für seine langjährige einsichtsvolle und wohlwollende Tätigkeit
als Krankenhausreferent zu Dank verpflichtet. |
Frankfurt a. M. Hierselbst sind in der Familie eines Arztes,
‘Dr. R. Spohr, übrigens eines Impfgegners, zwei Fälle von Pocken-
erkrankungen vorgekommen. Der Arzt selbst erkrankte zunächst und
. dann eines seiner Kinder. Auch wurden, allerdings leicht, mehrere in der
Nähe wohnende Personen von der Krankheit ergriffen. Die Krankheits-
erscheinungen traten jedoch in sehr milder Form auf, und man glaubt,
‘daß eine Weiterverbreitung ausgeschlossen ist.
Meran. Am 16. Juni verstarb hierselbst im 75. Lebensjahre
.San.-Rat Dr. Raphaël Hausmann, der Nestor der hiesigen Aerzte.
Als Leidender war er in den Kurort gekommen und hatte dort allmählich
das Glück der Genesung gefunden. Und dort gewann er sich auch eine
Lebensgefährtin von gemütvollem und liebenswürdigem Wesen, die, wie
er, als Kranke nach Meran gekommen war und dort gesundete. Die
Gattin ist ihm im Tode vorausgegangen. Mit San.-Rat Hausmann
‘schied ein überaus begabter, gewissenhafter und wissenschaftlich hervor-
-ragender Arzt, der durch nahezu ein Halbjahrhundert der Stätte seines
Wirkens zur Zierde gereicht und um die Förderung und Ausgestaltung
Merans als Kurort in dieser Zeit sich unvergängliche Verdienste er-
worben hat. Be
Paris. Der Vorsteher der Pasteuranstalt, Prof. Roux, teilte der
Akademie der Wissenschaften mit, daß seine Mitarbeiter an der Anstalt
‚Charles Nicolle, Conor und Conseil, neue, vielversprechende Ver-
. suche über Immunisierung gegen die Cholera ausgeführt haben.
Ausgehend von der Beobachtung, daß der Kochsche Kommabacillus sich
nur.im Darminhalt, nicht aber im Blut entwickelt, dort vielmehr rasch
- getötet wird, machten die genannten Aerzte in dem Pasteurinstitut zu
-Tunis bei lebenden Individuen Einspritzungen lebender Cholerabacillen, '
Die erste Einwirkung war ein Fieberanfall, der nach 24 Stunden vorüber-
g. Drei der behandelten Patienten erhielten alsdann innerlich lebende
- Cholerabacillen und blieben vollkommen gesund danach, in ihrem Blute
wurden zahlreiche Gegenkörper entdeckt. Die Versuche sollen fortgesetzt
14, Juli:
‘werden und man nimmt an, "dadurch, daß man den Menschen lebende
Koclische Baeillen in den Blutumlauf einspritzt, sie immun gegen die
Cholera machen zu können.
Lissabon. In Pörtugal ist die Schutzpockenimpfung ein-
geführt worden. Sie hat bei allen Kindern innerhalb des ersten Lebens-
jahres, die Wiederimpfung zischen siebeitem und achtem oder vierzehntem
und fünfzehntem: Jahre zu erfolgen.
London, Am 28, Juni fand das Jahresfost des Deutschen
Hospitals in London statt. Die dabei übliche Sammlung ergab mehr
als 100000 M, der. höchste bisher erzielte Betrag. Dem Feste, dem
auch der deutsche Botschafter v. Marschall beiwohnte, präsidierte der
englische Minister Lord Haldane, dessen dabei gehaltenen Reden in der
politischen Presse lebhaft besprochen werden. i
Jaffa (Palästina). Die deutsche Kolonie in und bei Jaffa, der
‚Hafenstadt Palästinas, plant den Bau eines Krankenhauses, das nicht
nur der Krankheitsnot unter den deutschen Kolonisten Linderung schaffen,
sondern auch den Leidenden aller Nationen und Bekenn$nisse offenstehen
soll. Die Kolonisten, einschließlich Frauen und Kinder 800 an der Zahl
und zumeist in bescheidenen Verhältnissen lebend, haben durch eigne
Zeichnungen und Zuwendungen von Gönnern und Freunden bisher die
Summe von 10000 M aufgebracht. Die Diakonissenanstalt Kaiserswerth
wird voraussichtlich später die Leitung des Hospitals übernehmen. Die
Gesamtkosten des Hospitals, das zunächst mit 24 Betten geplant ist, sind
auf 120000 M veranschlagt. Zum Empfang von Gaben sind unter andern
bereit: die Deutsche Palästina-Bank in Berlin, Hamburg und Jaffa und
das deutsch-evangelische Pfarramt in Jaffa.
- Hochschulnachrichten. Berlin: Priv.-Doz. Dr. I. Katzen-
‚stein, Abteilungsvorsteher an der Klinik für Ohren- und Nasenkrank-
heiten der Charité, erhielt den Professortitel. — Freiburg i. Br.:
Dr. Paul Trendelenburg aus Bonn, habilitiert für Pharmakologie.
— Gießen: Ernst Leitz, Mitinhaber der bekannten Öptischen
Werkstätte in Wetzlar, zum Dr. he. ernannte — Greifswald:
Dr. Ernst Walter, habilitiert für Hygiene auf Grund einer Schrift
„Die Verwendung der Färbemethoden, im besonderen der Körnchen-
färbung, zum kulturellen Nachweise der Diphtherisbacillen.* — Königs-
berg i Pr.: Prof. Ernst Gaupp (Freiburg i. Br.) hat den Ruf auf den
Lehrstuhl der Anatomie zu Königsberg i. Pr. als Nachfolger. Prof.
L. Stiedas angenommen. — Marburg a. L.: Der praktische Arzt
Dr. I. Zeissler wurde zum Abteilungsvorsteher am Institut für Hygiene
und experimentelle Therapie ernannt. Dr. Z., früher Assistent am
Eppendorfer Krankenhause, hatte seit Januar 1911 die Abteilungsvor-
steherstelle an dem genannten Institute vertretungsweise inne. —
München: Dr. Rudolf Bestelmeyer, Oberarzt am I. Schweren Reiter-
Regiment, habilitiert für Chirurgie. — Tübingen: Oberamtsarzt Dr.
Hermann Stoll habilitiert für gerichtliche Medizin mit einer Probe-
'vorlesung über: „Gerichtsärztliche Beurteilungen der Geburtsverletzungen
des Kindes“ — Würzburg: Dr. Paul Vonwiller zum Prosektor
am Anatomischen Institut der Universität berufen. Vonwiller war
bisher Assistent am Laboratorium für Histologie und Embryologie der
Universität Genf.
Von Aerzten und Patienten.
„Eine Eigenschaft vor allen ist dem bildenden Künstler und dem
wahren Arzte gemeinsam und in ihrer vollsten Ausbildung eigentlich nur
-diesen beiden gegeben, das wirklichkeitsoffene Auge, der alles erfassende
Blick, die große Kunst des Sehens, die ihn zwingt, alle Hüllen zu
durchdringen, unter der Schale den Kern, unter der Oberfläche das
spielend sich regende Leben zu sehen — eine Himmelsgabe, die wie
jedes hohe Geschenk auch zur Quelle der Qual werden kann für den
Feinnervigen, Feinempfindenden, der die Gabe des durchdringenden
.Schauens in besonderem Maße besitzt, zur Qual, weil er sie nicht
-schlummern lassen kann, weil er sie immer und allerorten üben muß,
auch wo die holde Illusion das Glück ist. — Daß der große Künstler,
auch der überirdisch-idealste, diese Gottesgabe des Schauens, der un-
bewußt stets geübten Erfassung des Wirklichen unter allen Umständen
besitzt und nicht etwa nur beim Schaffen eines Genrebildes, eines „Bildes
aus dem Leben“ oder gar eines Stillebens übt, macht ihn ungewollt zum
‚Chronisten der Wirklichkeit seiner Zeit, auch wenn er nicht etwa ihr
‚Sittenschilderer‘ zu sein wünscht.....
die großen Aerzte und Naturforscher in ihren äußeren Erscheinungen UR
in ihrer geistigen Persönlichkeit festgehalten hat. Nein, die Porträt-
galerien sind uns lange nicht das Wichtigste, wenn auch etwas rocht
Wesentliches für unsere Zwecke: die Gemäldegalerien sind noch 1m einem
viel weiteren Sinne Arsenale der Kulturgeschichte und in einem kleinen,
aber recht beachtenswerten Teil auch der Geschichte der Medizin ..---
| Karl Sudhoff, Malerei und Geschichte der Medizin.
Katalog zur Ausstellung der Geschichte der Medizin in Kunst und
/ Kunsthandwerk. Berlin, 1. März 1906.
. Stuttgart, Ferdinand Enke. M 1,50.
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich die
| Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker,, Berlin W 8,
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%1. Juli 1919. VII. Jahrgang.
Nr. 29 (398)
Medizinisehe Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
i Berlin
Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: Stenger, Ueber die Komplikationen der akuten Mittelohreiterung. F. Eichelberg, Die Bedeutung der Untersuchung
der Spinalflüssigkeit. G. Löffler, Zur Prophylaxe der Lungentuberkulose. Landsberg, Ueber die Wirksamkeit der physikalischen Behandlungs-
methoden bei Störungen des Verdauungsapparats. E. Kretzmer, Technisches zur Behandlung mit fester Kohlensäure. (Mit 1 Abbildung.)
B. Bosänyi, Mobilmachung von Gelenksteifigkeiten während Thermalkuren. O. Levinstein, Beitrag zum Kapitel: R cochlearis n. VIII und
Salvarsan. O. Burwinkel, Bad Nauheim, Nitroglycerin gegen Seekrankheit. J. Spanier, Kritisches zu der Abhandlung über den Einfluß der
Hitze auf die Sterblichkeit der Säuglinge. (Med. Klin. 1911 Nr. 42.) W.Schoeller und W.Schrauth, Neuere Anschauungen über den Chemismus
der Gift- und Heilwirkung organischer Quecksilberverbindungen. — Aus der Praxis für die Praxis: Hoffendahl, Zahnheilkunde. Erkrankungen
der Zahnpulpa. — Referate: Peusquens, Diätetik. F. Pinkus, Syphilis. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Vergrößerung
der Rachenmandel. Tabes und Syphilis. Aufsteigende Infektion der Harnwege. Spastische Obstipation. Behandlung der Fissura ani. Stauungs-
hyperämie. Behandlung der Diphtherie. Wirkung des Pituitrins bei schwachen Geburtswehen. Ziegenmilch. Unliebsame Vorkommnisse bei der
Tuberkulinbehandlung. Scopolamin-Pantoponnarkose. — Neuerschieneno pharmazeutische Präparate: „Aspirin löslich.“ — Bücherbesprechungen:
M. Urstein, Manisch-depressives und periodisches Irresein als Erscheinungsform der Katatonie. Zwei Jahre Salvarsantherapie, herausgegeben von
P. Ehrlich, F. Kraus, A. v. Wassermann. H Fehling, Die operative Geburtshilfe der Praxis und Klinik. J. Preuss, Biblisch-talmudische
Medizin. G. Vorberg, Zur Geschichte der persönlichen Syphilisverhütung. Merkbuch für Desinfektoren. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige
Berichte: 10. Internationale Tuberkulosekonferenz. Rom, 10. bis 14. April 1912. II. Breslau. Frankfurta. M. Hamburg. Budapest. Wien. Berlin. —
Koloniale Medizin. L. Külz, Wichtigere therapeutische Fortschritte und Neuheiten auf dem Gebiete der Tropenkrankheiten im Jahre 1911. —
Aerztlich-soziale Umschau: Beschoren, Eine zeitgemäße Reform der medizinischen Ausbildung. — Geschichte der Medizin: A. Pagenstecher:
Ein Vortrag Laennecs im Jahre 1820 betreffend die Entdeckung der Auskultation. — Aerztliche Tagesfragen: Ludwig Bach t. — Kleine Mit-
teilungen. — Von Aerzten und Patienten. |
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Königlichen Universitätsohrenklinik Königsberg i. Pr.
Ueber die Komplikationen der akuten
Mittelohreiterung |
von
Prof. Dr. Stenger.
‚ MH! Der Verlauf einer akuten Mittelohreiterung,
einer Erkrankung, die am einfachsten als eine in Form der
phlegmonösen mit kleinzelliger Infiltration der Mittelohr-
schleimhaut einhergehenden Entzündung charakterisiert wird,
ist unabhängig von der eingeleiteten Behandlung überaus
mannigfach. In der Mehrzahl der Fälle tritt frühzeitig eine
Spontanperforation des Trommelfells ein mit nachfolgender
eitriger Sekretion, eine Erscheinung, die unser therapeuti-
sches Vorgehen zur Anwendung der Paracentese veranlaßt
hat. In andern Fällen bilden sich die lebhaften Krankheits-
erscheinungen ohne Durchlöcherung des Trommelfells zurück,
an Vorgang, der es berechtigt erscheinen läßt, diesen
Neilungsmodus durch entsprechende Behandlung als den
Sachgemäßeren anzustreben. Wir sehen, daß auf beiderlei
Weise die Ausheilung einer akuten Mittelohreiterung sich
vollziehen kann, und zwar erfolgt diese Heilung in durch-
Schnittlich drei bis vier Wochen, in einem für den behan-
delnden Arzt charakteristischen Verlaufe. Abnorme Störun-
gen werden als Komplikationen der akuten Eiterung be-
zeichnet. Sie zeigen sich in allen Stadien der Eiterung ent-
weder durch abnorme Symptome oder dadurch, daß die an-
scheinend gutartige Eiterung nicht zur Ausheilung kommt,
sodaß diese in das Stadium der subakuten oder chronischen
r
Biterung- übergeht. |
Die Komplikationen sind bedingt: 1. durch Erkrankun-
gen der-Paukenhöhle selbst, 2. durch Uebergang der Eite-
rung auf die Zellen des Warzenfortsatzes, 3. durch Ueber-
greifen auf die benachbarten Weichteile, 4. durch Ueber-
greifen auf die Organe der benachbarten Schädelhöhlen
(Sinus, Hirnhäute, Hirn), 5. durch Uebergang auf das innere
Ohr (Labyrinth). Für die Beurteilung einer etwaigen Kom-
plikation der akuten Mittelohreiterung muß grundsätzlich
hervorgehoben werden, daß das zeitliche Auftreten beson-
derer Symptome nie maßgebend ist. Es können im Anfangs-
stadium einer akuten Entzündung sehr schwere Symptome
auftreten, die in dem einen Falle belanglos sind, im andern
sehr ernst beurteilt werden müssen. Selbst die verhängnis-
vollsten Komplikationen zeigen sich oft unerwartet frühzeitig
und schnell verlaufend. Deshalb ist es unbedingt notwendig,
für den Begutachter von vornherein auf alle Möglichkeiten
gefaßt zu sein. Zn --
Die Untersuchung muß zunächst berücksichtigen:
1. den allgemeinen Krankheitszustand, 2. Ursache der Er-
krankung, Dauer und bisherige Entwicklung, 3. Temperatur,
4. Puls, 5. subjektive Beschwerden, 6. äußerliche, örtlich
nachweisbare Veränderungen, 7. Beschaffenheit des Trommel-
fells, 8. Beschaffenheit der Funktion des Gehörorgans. Je
nach der Art des soweit festgestellten Befundes ist die
weitere Untersuchung auszudehnen, wobei stets etwa gleich-
zeitig nachweisbare Erkrankungen anderer Organe darauf
beurteilt werden müssen, ob die vorgefundenen Symptome
von hier aus mit Sicherheit erklärt sein können, sodaß die
Ohrerkrankung als sekundäres Leiden aufzufassen ist, `
Der normale Verlauf einer akuten Mittelohrentzündung
ist dadurch charakterisiert, daß selbst bei anfänglich
schweren Symptomen durch die sachgemäß eingeleitete Be-
handlung Besserung. eintritt. Schweres Krankheitsgefühl,
lokale Ohr- und Kopfschmerzen, lokale Druckempfindlichkeit
des Warzenfortsatzes, Fiebererscheinungen und eitrige Sekre-
nn BE nn O ar e a a a a a
1182 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
tion müssen innerhalb bestimmter Grenzen bleiben und den
Einfluß der Behandlung erkennen lassen. Jede Störung und
abnorme Beschaffenheit eines dieser Symptome muß den
Verdacht eines abweichenden Heilverlaufs und die Entwick-
lung einer Komplikation vermuten lassen.
Die einfachste Form der Komplikation ist die Behin-
derung des Sekretabflusses aus der Paukenhöhle
(akute Retention). ur
Wenn im Anschluß an eine akute Mittelohrentzündung,
deren erste akute Symptome durch die sachgemäß einge-
leitete Behandlung mit oder ohne Paracentese (die früh-
zeitige Paracentese ist für den praktischen Arzt, zumal
wenn eine tägliche öftere Beobachtung nicht möglich ist,
unbedingt zu empfehlen) zurückgegangen sind, von neuem
Krankheitserscheinungen in Form von lokalen Schmerzen
. und Fieber auftreten, indem gleichzeitig die Sekretion gänz-
lich aufhört oder sich vermindert, so hat man zunächst an
eine Sekretverhaltung in der Paukenhöhle zu denken. Ge-
sichert wird die Diagnose durch die lokale Untersuchung
des Trommelfells, dessen stärkere Vorwölbung bei vermin-
derter oder trotz profuser Sekretion den Grad der Verhal-
tung anzeigt. Man findet diesen Zustand meist als Folge
ungenügend ausgeführter Paracentese, oder einer unzureichen-
den und unzweckmäßigen Spontanperforation. Die hierdurch
bedingten Symptome gleichen meist denen bei akutem Beginn
der Erkrankung beobachteten, zeigen indessen oft bereits
eine stärkere Druckempfindlichkeit des Warzenfortsatzes in
Verbindung mit diffusen Kopfschmerzen.
Die erneute, rechtzeitig ausgeführte Paracentese ist
unter diesen Umständen indiziert. — - |
Besonders bei Kindern ist die akute Sekretverhaltung
eine häufige Erscheinung. Es ist aber dringend not-
wendig, darauf hinzuweisen, daß man in solchen
Fällen nie versäumen soll, das gesunde Ohr zu
untersuchen, um auf diese Weise grobe Irrtümer
in der Beurteilung des erkrankten Ohres zu ver-
meiden.
Die akute Retention kann in jedem Stadium der akuten
Mittelohrentzündung eintreten, immer aber kennzeichnet sie
sich durch den Erfolg der dementsprechend eingeleiteten
Behandlung, deren Versagen ohne weiteres eine andersartige
Komplikation vermuten läßt. In den späteren Stadien . der
Eiterung ist die akute Retention vielfach durch eine stärkere
Afiektion der Paukenhöhlenschleimhaut in Form der den
Defekt ausfüllenden „zitzenförmigen Vorwölbung* charak-
terisiert, eine Erscheinung, die zur Verhütung ernsterer
Komplikationen eine spezielle Behandlung notwendig macht.
Geht die akute Mittelohrentzündung (mit oder ohne
Perforation des Trommelfells) von der Paukenhöhle auf die
Zellen des Warzenfortsatzes über, so bildet sich die Kom-
plikation der akuten Mastoiditis aus. Dieser Ueber-
gang der Erkrankung auf das Zellsystem des Warzenfort-
satzes kann in der verschiedenartigsten Weise vor sich
gehen. Vor allem: ist hervorzuheben, daß diese Komplika-
tion durchaus ohne jede Fiebererscheinung erfolgen
kann, auch die subjektive Schmerzempfindlichkeit und der
lokale äußere Druckschmerz kann völlig fehlen. Oft lassen
nur gänzlich unbestimmte subjektive Sensationen (Völle und
Schwere im Kopf) auf eine derartige Komplikation schließen.
In typischer Entwicklung bietet die akute Mastoiditis
jedoch sicher kenntliche Anzeichen in ihrem Verhalten zu
der Körpertemperatur, zu subjektiven Schmerzempfindungen
und lokalem Druckschmerz, weiterhin durch die Beschaffen-
heit des Trommelfells, äußeren Gehörgangs und der Weich-
teile im Bereiche des Warzenfortsatzes. Zeigt eine akute
Mittelohrentzündung von vornherein trotz sachgemäß ein-
geleiteter Behandlung keinen Nachlaß in der Tem-
eratur, nimmt trotz reichlicher Eiterung die Schmerzhaftig-
keit und Druckempfindlichkeit im Bereiche des Warzenfort-
satzes andauernd zu, so bildet sich die Komplikation der
Eindruck des „Herabgedrängtseins“ macht.
akuten Mastoiditis aus. Dieses typische Bild der beginnen-
den Mastoiditis ist verhältnismäßig selten. Es findet sich vor-
'zugsweise im Anschluß an sehr bösartige Infektionen (Angina,
Influenza, Diphtherie, Scharlach). Es kennzeichnet sich durch
die Schwere des allgemeinen und lokalen Krankheitsbildes, das
durch keine Therapie merklich beeinflußt wird.. In solchen
Fällen ist die möglichst frühzeitige Ausräumung des Krank-
heitsherdes durch Eröffnung des W arzenfortsatzes unbedingt in-
diziert, da die Gefahr eines fortschreitenden schnellen Ueber-
greifens auf Dura und Sinus unmittelbar bevorsteht. Die
Temperatur ist abnorm erhöht (39,5° bis 40,0°). Lokale
und Allgemeinbeschwerden haben einen bedrohlichen Cha-
rakter. Die rechtzeitig eingeleitete operative Therapie ist
stets von momentanem Erfolg.
Parallel zu: diesem stürmischen Verlaufe bildet sich
die akute Mastoiditis aus, indem trotz eingeleiteter Behand-
lung das innerhalb normaler Grenzen bestehende Fieber
nicht nachläßt, vielmehr einen pyämischen Charakter an-
nimmt, während gleichzeitig die Druckempfindlichkeit des
Warzenfortsatzes andauernd bestehen bleibt. Sehr häufig
finden sich dann auch noch otoskopisch nachweisbare Ver-
änderungen, die auf ein Uebergreifen des Entzündungs-
prozesses auf die Nebenräume der Paukenhöhle hinweisen,
insofern als der obere Trommelfellabschnitt ohne kenntliche
Grenzen in die obere Gehörgangswand übergeht, die so den
Oft ist der
Gehörgang von oben her stark verengt. Ein derartiger Be-
fund ist als sicheres Zeichen einer ausgebildeten Mastoiditis
anzusehen, deren Vorhandensein bereits die sonstigen ab-
normen Symptome im Verlaufe vermuten ließen.
In anderer Weise kennzeichnet sich die akute Mastoi-
ditis, wenn im Verlauf einer bisher scheinbar normal ver-
laufenden Mittelohrentzündung plötzlich abnorme subjektive
Beschwerden mit gleichzeitiger Temperatursteigerung sich
einstellen. Läßt sich die Komplikation der einfachen Re-
tention ausschließen, so muß eine beginnende Mastoiditis
angenommen werden, selbst wenn lokale Druckempfindlich-
keit feht.
Häufig stellt sich im Verlauf einer scheinbar normal
verlaufenden Mittelohreiterung eine zunehmende Druck-
empfindlichkeit des Warzenfortsatzes ein, ohne Fiebererschei-
nungen: oder lokale Beschwerden. In solchen Fällen muĝ
man diesem Symptom größte Beachtung schenken und das
um so mehr, wenn weiterhin unbestimmte in der Umgrenzung
des Warzenfortsatzes auftretende neuralgische Beschwerden
hinzukommen, Sehr häufig sieht man, daß diese Symptome
als nervös-neuralgische Begleitzustände der Ohrerkrankung
aufgefaßt und behandelt werden, während sie in Wirklich-
keit Anzeichen dafür sind, daß die bereits bestehende Mastoi-
ditis von ihrem ursprünglichen Knochenherd aus sich auf
die Umgebung in Form von Senkungsabscessen auszubreiten
bestrebt ist. Diese Senkungen entwickeln sich oft äußerst
langsam, entweder dem Verlaufe des Sinus. entlang oder
unter Durchbruch der allseitig von Muskelansätzen und
Muskeln umgebenen freien Warzenfortsatzspitze. Als Vor-
bereitung dieses Durchbruchs zeigen sich die unbestimmten
neuralgischen Beschwerden. Der erfolgte Durchbruch kenn-
zeichnet sich durch äußerlich sichtbare Schwellung der
Weichteile meist unter erneuten Schmerzen und Fieber.
Schwieriger gestaltet sich die Diagnose einer akuten
Mastoiditis, wenn keinerlei markante äußere Merkmale auf
diese Komplikation hinweisen, und doch sind es oft gerade
diese Fälle, bei denen die. ausgeführte Operation eine un-
erwartet ausgedehnte Zerstörung des Warzenfortsatzes auf-
deckt. Hier kann nur die sorgfältigste Ueberwachung der
Ohreiterung und die .Bobachtung des Allgemeinzustandes
maßgebend werden. Bleibt nach Abklingen der ersten akuten
Krankheitssymptome die Ohreiterung unverändert profus,
zeigt sich auch im Allgemeinbefinden keine Besserung, 80
ist die Annahme einer Ausdehnung des Krankheitsprozesse8
91. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. 1183
auf den Warzenfortsatz berechtigt und das um so mehr;
wenn die Eiterung in das subakute Stadium übergeht, das
heißt die normale Durchschnittsdauer einer Ohreiterung
überschreitet.
So gering in solchen Fällen die diagnostischen . An-
zeichen einer bestehenden Komplikation sind, um so wert-
voller ist ihre sachgemäße Beachtung.
Sehr häufig schließen sich an eine solche schleichend
verlaufende Mastoiditis die verschiedenartigen Senkungs-
abscesse aus, mehr noch verbirgt sich auf diese Weise der
extradurale Absceß, das heißt diejenige Form der kompli-
zierten Mastoiditis, die zu einer Einschmelzung der die
Zellen des Warzenfortsatzes gegen die Dura und den Sinus
abgrenzenden Knochenlamelle führt. Diese Knochen-
einschmelzung kann in breiter Ausdehnung erfolgen derart,
daß der Einschmelzungsherd vom Woarzenfortsatz aus in
größter Ausdehnung direkt dem Sinus und der Dura anliegt
(als perisinuöser Absceß) oder es bildet sich die Form des
fistulösen Durchbruchs aus, ähnlich dem Eiterdurchbruche
nach außen mit Abheben des Periosts, sodaß durch diese
Fistel hindurch der Absceß sich nach innen unter Abdrängen
der Dura und des Sinus, zwischen Knochen und Dura ein-
schiebt und sich hier in oft erstaunlicher Größe ausdehnt.
Dieser Durchbruch kann in die hintere und mittlere Schädel-
grube hinein erfolgen. Allein aus der Art dieser Entwick-
lung unter Verdrängung des Gehirns erklärt sich dann die
Tatsache, daß die diagnostischen äußeren Anzeichen, die
vom Gehirn selbst ausgehende Symptome vermissen lassen,
so geringfügig sind.
Um so wertvoller ist die otoskopische Untersuchung,
die Beobachtung der Eiterung und des Allgemeinzustandes.
Was zunächst die otoskopische Untersuchung in solchen
Fällen anbetrifft, so finden sich dabei häufig die oben er-
wähnten Anzeichen einer bestehenden Mastoiditis. Um so-
wichtiger aber ist es, daß gerade als Folge der nach innen
hin erfolgten Entlastung der Warzenfortsatzeiterung ein
plötzlichker Nachlaß der Ohreiterung nach außen hin
mit oft völliger Verheilung des Tommelfells eintreten kann.
Diese Beobachtung ist durchaus nicht selten und von mir
auf Grund einschlägiger Fälle besonders hervorgehoben).
Auch die Art der Eiterung gibt oft bestimmte Anhaltspunkte.
Wenn eine bis dahin sehr profuse Eiterung plötzlich nach-
läßt, um periodisch wieder stärker zu werden, dann ist eine
größere Eiteransammlung im Bereiche des Warzenfortsatzes
m Zusammenhang mit dem Schädelraume zu vermuten.
Unterstützt werden diese Symptome durch gleichzeitige
Beobachtung des Allgemeinzustandes. Wir sehen bei jeder
ernsteren Ohrerkrankung eine erhebliche Beeinflussung des
Allgemeinkörperzustandes. Je mehr sich diese geltend macht,
um so mehr muß an eine von der Ohreiterung indizierte
Komplikation gedacht werden. Ganz besonders gilt dies für
die Diagnose des extraduralen Abscesses.
i Der extradurale Absceß macht an sich keine typischen
Jmptome. Die Dura weicht aus, der Absceß breitet sich
zwischen Dura und Knochen aus und bedingt weder all-
semeine Druck- noch lokale Hirnsymptome, wohl aber macht
Sich sein Bestehen in der Beschaffenheit des allgemeinen
a zustandes geltend. Es besteht allgemeines Mattig-
ern Krankheitsgefühl trotz scheinbarer Besserung der
iea rung, insbesondere zeigen sich unbestimmte Be-
l des Kopfes und Kopfschmerzen, Charakteristisch
Ba die Kopfschmerzen während der Nacht an Heftigkeit
und behindern den Schlaf. |
Beech an muß deshalb allen diesen scheinbar unbestimmten
eschwerden im Gefolge einer akuten Mittelohreiterung un-
te ogte Beachtung schenken, selbst wenn der Trommelfell-
u die Ausheilung des Ohrprozesses annehmen läßt.
n einfachster Form dokumentiert sich die Mastoiditis
Siehe Stenger, A; £ Ohr. Bd, 74, S. 204,
durch ihre Entwicklung nach außen hin infolge Uebergreifens
der Entzündung. durch den Knochen hindurch auf die den
Warzenfortsatz bedeckenden Weichteile, oder durch Ein-
schmelzen des Knochens und Durchbruch des Eiters unter
das Periost. Man findet dann eine teigige, schmerzhafte
diffuse Anschwellung, die ihren Zusammenhang mit dem.
Knochen im Bereiche des Warzenfortsatzes erkennen läßt,
oder als Zeichen des erfolgten Eiterdurchbruchs eine fluk-
tuierende Anschwellung über dem Knochen. Die Durch-
bruchstellen sind außerordentlich mannigfaltig. Am häufigsten
findet der Durchbruch nach dem Planum zu statt. Die Ohr-
muschel steht weit ab und die Anschwellung liegt hinter
dem Ohr. Ist die Durchbruchstelle über der äußeren Ge-
hörgangsöffnung gelegen, oder noch weiter nach vorn, von
den nach dem Jochbogenansatze befindlichen Zellen aus er-
folgt, so erstreckt sich die Weichteilschwellung oft bis zum
Auge hin unter Schwellung der Augenlider. Von der Spitze
des Warzenfortsatzes aus können je nach der Lokalisation
der Durchbruchstelle Senkungsabscesse in mannigfaltigster
Form sich entwickeln, sodaß alle im Anschluß an eine
Ohreiterung beobachteten Anschwellungen der Ohrgegend
unbedingt auf ihren Zusammenhang mit dieser Erkrankung
untersucht werden müssen. Bei Kindern der ersten Lebens-
jahre sieht man, ohne daß Anzeichen einer Mastoiditis vor-
handen sind, außerordentlich ausgedehnte Drüsenschwellungen
der Hals- und Nackengegend auftreten, die nicht als Senkungs-
abscesse, sondern als entzündliche Resorptionsschwellungen
aufzufassen sind und nach Eröffnung des Warzenfortsatzes
sich sofort zurückbilden.
Die bei akuter Mastoiditis indizierte Eröffnung des
Warzenfortsatzes kann nur bei sachgemäßer Ausführung
ihren Zweck erreichen, indem: 1. der Krankheitsherd im
Warzenfortsatze so ausgeräumt wird, daß eine weitere Ver-
breiterung verhütet wird; 2. die Operation am Wearzenfort-
satze stets auf die Erkrankung des Mittelohrs Rücksicht
nimmt, um die nötige Funktion des erkrankten Ohrs wieder:
herzustellen, Ä
Dieser zweite Punkt ist in der modernen Ohrchirurgie
von größter Wichtigkeit insofern, als eine derart vor-
genommene Operation mit Sicherheit die völlige Wieder-
herstellung der Hörfähigkeit unter normaler Ausheilung des
Trommelfells erreichen läßt, während durch unsachgemäße
Operation wohl die Eiterung am Warzenfortsatze beseitigt
werden kann, die Eiterung des Mittelohrs aber nicht beein-
flußt wird, sodaß diese weiter fortbesteht und in die chroni-
sche Form übergeht. Gerade dieser letzte Umstand läßt es
so dringend nötig erscheinen, daß sowohl die erste Warzen-
fortsatzoperation als auch die Nachbehandlung nur spezia-
‚listischer Hilfe überlassen werden sollte. Es ist eine alte
und selbstverständliche Erfahrung, daß die Technik der
Mastoidoperation, so schwierig sie auch in komplizierten
Fällen ist, leicht von jedermann erlernt und beherrscht
werden kann, trotzdem kann der Nichtspezialist, so sehr er
auch die Technik beherrscht, stets den eigentlichen Zu-
sammenhang und das Wesen einer Mastoiditis unmöglich
richtig beurteilen. Er wird dadurch leicht Fehler begehen,
die der Fachmann mit Sicherheit vermeidet. Viel wichtiger
als die Technik ist die sorgfältigste Indikationsstellung, die
dem Fachmann oft schon die einzuschlagende Operations-
methode anweist. Ebenso wichtig ist die Berücksichtigung
der Tatsache, daß es sich in solchen Fällen nicht um eine
einfache chirurgische Eröffnung vereiterter Knochenhohl-
räume handelt, sondern daß es bei dieser Operation haupt-
sächlich darauf ankommt, gleichzeitig die Funktion des Ohres
unter Erhaltung völliger Hörfähigkeit wieder herzustellen.
Die Erfahrung lehrt leider bisher noch oft genug, daß
gerade dieser, für das kranke Individuum so außerordent-
lich wichtige Faktor völlig unbeachtet bleibt.
Der Ohrchirurg sieht seine Hauptaufgabe nicht darin,
möglichst schnell die Knochenwunde des Warzenfortsatzes .
f CA
ai Pr Gi EE
1184 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli,
zur Ausheilung zu bringen, sondern sein Bestreben geht
auch dahin, das durch die Eiterung geschädigte, so äußerst
wichtige Sinnesorgan funktionell wieder herzustellen. Es ist
ein dringendes Erfordernis, daß jeder Operateur, nur von
diesem Gesichtspunkt aus geleitet, sich zu einer Warzen-
fortsatzoperation entschließt; fehlt ihm die Vorbedingung
otiatrischer Wissenschaft und richtiger Beurteilung, so bleibt
sein technischer noch so geschickt ausgeführter Eingriff am
Warzenfortsatz ein Flickwerk, dem sich ein gewissenhafter
Operateur nicht unterziehen sollte. Jeder Mißerfolg
in funktioneller Beziehung am operierten Ohre muß
unter diesen Umständen als Kunstfehler angesehen
werden. Wie schwer ist oft die Entscheidung, welcher Art
die im übrigen diagnostisch klare Mastoiditis in ihrem Ver-
hältnisse zu der ursprünglichen Ohreiterung ist. Was hilft
die Operation, wenn sie ohne Bewertung und Berücksichti-
gung der Mittelohrerkrankung nur im Sinn einer rein chirur-
gischen Knochenoperation ausgeführt wird?
Zu den unmittelbar lebensgefährlichen und ernsten
Komplikationen der Mittelohreiterung gehört der Uebergang
der Erkrankung auf die Hirnblutleiter in Form der Sinus-
phlebitis und Sinusthrombose. In Betracht kommt der
Sinus sigmoideus (transversus), petrosus superior und in-
ferior und der Bulbus venae jugularis. Die Erkrankung
erfolgt derart, daß die Entzündung unmittelbar von den
Zellen des Warzenfortsatzes aus auf die Sinuswand über-
geht und zu einer Entzündung derselben unter Bildung einer
wandständigen oder obturierenden Thrombose führt. Der
Bulbus venae jugularis kann unmittelbar von der Pauken-
höhle aus, deren Boden er zum Teil bildet, infiziert werden.
Eine andere Form der Sinuserkrankung läßt sich durch
Einschleppung auf dem Wege kleinster Knochenvenen im
erkrankten Warzenfortsatz erklären. |
Die Entstehung der otitischen Sinuserkrankung
zeigt sich fast ausnahmslos durch abnormes Ver-
halten der Temperatur an. Die Komplikation kann in
jedem Zeitpunkt der Mittelohrerkrankung auftreten. Infolge-
dessen ist die sorgfältige Ueberwachung der Temperatur
unbedingt erforderlich, und zwar muß entsprechend den bei
dieser Komplikation unregelmäßig sich einstellenden Tempe-
ratursteigerungen eine häufigere (dreistündige) Temperatur-
messung vorgenommen werden. Ebenso wichtig ist die Kon-
= trolle des Pulses. Während bei der unkomplizierten Ohreite-
rung und einfachen Mastoiditis der Puls im entsprechenden Ver-
hältnis zur Temperatur bleibt, zeigt sich bei der beginnenden
Sinuserkrankung der Puls auffallend labil und beschleunigt,
ohne diese Beschaffenheit auch in den fieberfreien Perioden zu
ändern. Der allgemeine Krankheitszustand ist subjektiv und
objektiv erheblich schwerer, ist jedoch nicht selten, besonders in
den fieberfreien Perioden, im Gegensatz zu den objektiven
schweren Krankheitssymptomen subjektiv außerordentlich
günstig, sodaß er leicht zu einer falschen Auffassung des
Krankheitsbildes Anlaß gibt. Lassen diese allgemeinen
Krankheitssymptome bereits den Verdacht einer ernsteren
Komplikation aufkommen, so sichert die weitere spezialisti-
sche Untersuchung aus dem Vorhandensein lokaler Anzeichen
die Diagnose. Für den praktischen Arzt ist es wichtig, die-
jenigen Symptome erkennen zu können, die bei einer be-
stehenden Ohreiterung auf eine drohende Sinuskomplikation
hinweisen, fernerhin alle Krankheitserscheinungen, die an-
scheinend ohne deutlich nachweisbare Ursache selbständig
aufgetreten zu sein scheinen, daraufhin beurteilen zu lernen,
daß die Möglichkeit ihres Zusammenhangs mit einer Ohr-
eiterung in Erwägung gezogen wird. Die Art der Sinus-
komplikationen erklärt es, daß derartige Kranke in dem vor-
geschrittenen Stadium der Krankheit ein Krankheitsbild
geben, das in keiner Weise auf das Ohr als Ausgangspunkt
hinweisen läßt. Ich kann deshalb meine so oft schon aus-
gesprochene Forderung hervorheben, daß bei allen unklaren
fieberhaften Krankheitszuständen sowohl die anamnestische
Berücksichtigung des Gehörorgans als auch die rechtzeitige
Ohruntersuchung unerläßlich sein muß.
Wer auf Grund meiner bisherigen Ausführungen den
Verlauf einer akuten Ohreiterung beobachtet, wird selten in
die Lage kommen, eine Sinuskomplikation zu übersehen, da
jeder abnorme Verlauf der Erkrankung zu einer vorsichti-
gen Beachtung und zu spezialistischer Beurteilung veran-
lassen wird.
Es ist durchaus falsch, aus der Beschaffenheit und
Höhe der Temperatur eine bestimmte Norm bezeichnen zu
wollen, die unbedingt auf eine Sinuserkrankung hinweisen
müsse. Die Erfahrung und die sorgfältige Beobachtung
des allgemeinen Krankheitsbildes läßt in dem einen Falle
selbst bei abnorm hohen Temperaturen ruhig abwarten, in
andern Fällen schon frühzeitig eine derartige Komplikation
annehmen. Immerhin bietet die Beschaffenheit der Tem-
peratur das wichtigste Anzeichen der otitischen Sinus-
erkrankung.
Wenn im Beginn einer eitrigen Mittelohrentzündung
von vornherein die Temperatur abnorm hoch bleibt, so ist
neben der entstehenden Mastoiditis der Uebergang auf den
Sinus mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, ebenso ist die
Entwicklung dieser Komplikation zu befürchten, wenn die
Temperatur einen ausgesprochenen pyämischen Charakter
annimmt. In beiden Fällen kann nur sorgsamste Beob-
achtung den Zeitpunkt bestimmen, wo ein längeres Abwarten
unmöglich ist und nur durch rechtzeitige Ausräumung des
erkrankten Warzenfortsatzes der Uebergang auf den Sinus
verhindert wird.
Weiterhin gibt jede plötzliche hohe Temperatursteige-
rung im Verlaufe einer bisher scheinbar ungefährlichen Ohr-
eiterung Anlaß, eine Sinuserkrankung zu vermuten, insbe-
sondere ist dies der Fall, wenn es sich um eine nicht ganz
regelrecht verlaufende oder subakute Eiterung handelt. In
solchen Fällen lassen auch oft die lokalen, dem Spezialisten
wertvollen Anzeichen im Stich. Wichtig ist die Beachtung
der Beschaffenheit des Pulses, der oft ein untrüglich früh-
zeitiges Warnungszeichen abgibt. Ein absolut sicheres
Zeichen für eine ausgebildete Sinuserkrankung ist das Auf-
treten von Schüttelfrösten mit den entsprechenden Tempe-
raturanstiegen und -abfällen. Solche Fälle bedürfen keiner
weiteren Beobachtung, sondern müssen schleunigst operativ
behandelt werden.
Sehr schwierig gestalten sich für den praktischen Arzt
die Fälle, bei denen eine bestehende Ohreiterung nicht be-
achtet oder nicht erkannt ist. Meist liegen die ersten, oft
überhaupt nicht schmerzhaften Anfänge der akuten Ohr-
erkrankung längere Zeit zurück. Die neu auftretenden Be-
schwerden werden als selbständige Krankheitserscheinungen
aufgefaßt, da keinerlei direkte Anzeichen auf ein Ohrenleiden
als Ursache hinweisen. |
Es bestehen allgemeine heftigste Kopfschmerzen, die
bei gleichzeitigem Fieber an eine Meningitis denken lassen,
die dann auch häufig infolge der Mastoiditis und Sinus-
erkrankung tatsächlich in Erscheinung tritt, falls eine recht-
zeitige richtige Beurteilung die eigentliche Ursache nicht er-
kennen läßt.
Oft finden sich unter Fiebererscheinungen lebhafte
Gelenkschmerzen mit Schwellung in der Umgebung der Ge-
lenke. Die Heilung erfolgt nur in sehr seltenen Fällen,
während die rechtzeitige Sinusoperation all diese Folgezu-
stände verhütet hätte. Ebenso lassen sich die nicht erm-
wandfreien, erklärten pyämischen Fieberzustände meist auf
eine bestehende Sinuserkrankung zurückführen. Die schwer-
ste Form der Lungenerkrankung, die Lungenabsceb-
bildung, zeigt uns die ernsteste Folgeerscheinung der Sinus-
thrombose. So sehen wir, daß die otitische Hirnsinusthrom-
bose sich in der verschiedenartigsten Weise bemerkbar
macht. Erfahrungsgemäß zeigt die möglichst frühzeitige
operative Behandlung den besten Erfolg, deshalb kann ohren-
21. Juli. | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29, 1185
Arztlicherseits nicht genügend auf die Bedeutung dieser
ernsten Komplikation und ihre Beziehungen zu Allgemein-
erkrankungen hingewiesen werden. Je nach der Art der
Blutleitererkrankung zeigen sich die Folgeerscheinungen und
dementsprechend ist die operative Behandlung einzurichten.
Entweder muß man durch ausgiebige Entfernung des im
Warzenfortsatze gelegenen Krankheitsherdes die weitere
Zufuhr von Infektionsmaterial beseitigen, wobei der Sinus
ausgedehnt freizulegen ist, oder der Sinus muß eröffnet
werden unter Entfernung des bereits vorhandenen Thrombus.
Besteht die Befürchtung oder sind bereits Anzeichen vor-
handen, die auf Verschleppung zerfallener Thrombosenteil-
chen hinweisen, so muß, um weiterer Metastasenbildung
vorzubeugen, die Vena jugularis unterbunden werden unter
gleichzeitiger Ausschaltung des gesamten erkrankten Gefäß-
bezirks. Die verschiedenartigsten Operationsverfahren je
nach. dem Sitz der Erkrankung haben in. der Hand des
modernen Ohrchirurgen: für die früher als absolut aussichts-
los angesehene Sinusthrombose eine günstigere Prognose ge-
geben, die noch besser sein würde, wenn diese Komplikation
rechtzeitiger erkannt und sachgemäßer Behandlung zuge-
führt würde. |
Eine der Otochirurgie noch unzugängige Komplikation
der akuten Mittelohreiterung ist die otogene Meningitis,
eine Erkrankung, deren absolute Gefährlichkeit Veranlassung
geben sollte, jede akute Ohreiterung als eine ernste Krank-
heit aufzufassen. Die Meningitis ist das Chamäleon der
Ohrkomplikationen. Oft verrät kein irgendwie bemerkens-
wertes Symptom ihren Ausbruch, der überraschend in der
Gesamtheit seiner Symptome erfolg. Ebenso sieht man
schon nach nur mehrere Tage langem Bestehen einer Ohr-
eiterung die Symptome der Meningitis plötzlich sich ent-
wickeln. Allein aus dieser Erfahrung ergibt sich die Not-
wendigkeit, jede fieberhafte Ohreiterung sachgemäß zu be-
handeln und solche Fälle, bei denen der Allgemeinzustand
dem scheinbar geringfügigen Ohrenleiden nicht entspricht,
erst recht in Beobachtung zu halten. Insbesondere läßt
uns diese Komplikation den Wert der rechtzeitigen Ohr-
operation erkennen, da die Meningitis von jeder Stelle aus
infolge der zahlreichen Kommunikationswege zur Schädel-
höhle sich entwickeln kann. Nur die rechtzeitige prophy-
laktische Operation verspricht Erfolg. i
Nach meinen Erfahrungen ist für die Diagnose der
Meningitis die Beschaffenheit der Temperatur nicht maß-
gebend. Nöch vor wenigen Tagen operierte ich einen Pa-
tienten mit kaum bedrohlichen meningitischen Erscheinungen,
dessen Temperatur von der Aufnahme bis zu seinem zwei
Tage später erfolgten Ende 36,80 nicht überschritt. Die
Temperatur ist meist, so, daß sie nur wenig die Grenzen
des bei einer akuten Mittelohreiterung beobachteten Fiebers
übersteigt, häufig zeigt sich ein ganz unregelmäßiger Typus,
In andern Fällen bestehen nur unregelmäßige abendliche
Steigerungen. Viel wichtiger ist die für die frühzeitige
Erkennung dieser Komplikation die Beachtung des Allge-
Meinzustandes und des Pulses.
Macht ein an akuter Ohreiterung erkrankter Patient
‚von vornherein einen schwerkranken Eindruck, bestehen leb-
hafte Kopfschmerzen, die trotz freien Eiterabflusses und
‚fehlender Anzeichen einer Mastoidkomplikation gleichmäßig
weiterbestehen oder an Heftigkeit zunehmen; ist der Puls
eschleunigt und labil, so muß man eine Affektion der
Meningen in Betracht ziehen.
Sehr häufig bildet sich die Meningitis im Verlauf einer
akuten Mittelohreiterung aus, wenn nach Nachlaß der ersten
Beschwerden von neuem Fieber auftritt. Es zeigen sich
vorübergehend leichte Zeichen einer beginnenden Mastoiditis
m Form von Druckempfindlichkeit des Warzenfortsatzes.
‚Diese Beschwerden, ihrer Bedeutung nach nicht sachgemäß
erkannt, lassen nach, doch bleibt andauernd ein unregel-
mäßiger Fieberzustand bestehen, kompliziert durch wechselnde
Kopfschm erzen. Allmählich treten Uebelkeit, Brechneigung
und weitere Symptome der entstehenden Meningitis in Er-
scheinung, sodaß das wahre Leiden erst jetzt erkannt wird.
In solchen Fällen verspricht nach den bisherigen Erfahrungen
jede Art von operativem Eingreifen keinerlei Erfolg. Um
so mehr muß sich die Aufmerksamkeit des praktischen
Arztes dahin richten, bei jedem atypischen Verlauf einer
akuten Mittelohreiterung die Entstehung einer meningitischen
Komplikation in Erwägung zu ziehen. Es ist falsch, in
solchen Fällen abnorme Fiebersteigerungen und unbestimmte
Allgemeinbeschwerden als unabhängig von der Ohreiterung
in anderer Weise erklären zu wollen. Eine derartige An-
nahme ist nur dann berechtigt, wenn die sorgfältigste Unter-
suchung unzweideutig eine gleichzeitige andere Erkrankung
als Ursache erkennen läßt. Ä Ä
Von besonderer Bedeutung ist diese Beurteilung, wenn
der Arzt auf Grund dieser sekundären Beschwerden hinzu-
gezogen wird, dann wird ihm die rechtzeitige richtige Auf-
fassung des anscheinend unklaren Krankheitsbildes nur mög-
lich sein, wenn er sich daran gewöhnt hat, anamnestisch
auch das Ohr für seine Diagnose zu verwerten. Diese
anamnestische Bewertung des Gehörorgans muß
unbedingt Allgemeingut des praktischen Arztes
werden. Ich mache auch hier speziell darauf aufmerksam,
wie Krampfzustände und meningitische Symptome im frühesten
Kindesalter bei richtiger Berücksichtigung des Gehörorgans
anders beurteilt werden würden. |
Für die Beurteilung der otogenen Meningitis nimmt die
Lumbalpunktion eine allgemein anerkannte Stellung ein,
deren Bedeutung selbst durch vielfache zum Teil unerklärte
Befunde bisher nicht erschüttert ist.
Die Therapie der otogenen Meningitis ist trotz mehr-
facher anscheinend günstiger Erfolge noch aussichtslos.
Gerade aus diesen Beobachtungen ergibt sich aber, daß
selbst schwerste meningitische Symptome, auch bei völlig
positiver Lumbalpunktion uns über die Ausdehnung und
Gefährlichkeit der Meningitis keinen Aufschluß geben, und
daß, so lange noch ein günstiges Anzeichen besteht, un-
bedingt ohrenärztlicherseits der Versuch gemacht werden
muß, den Krankheitsherd im Bereiche des Gehörorgans aus-
zuschalten, den Weg der Ueberleitung auf- die Hirnhäute
aufzusuchen und den Versuch der freien Drainage nach
außen einzuleiten.
Selbst scheinbar aussichtslose Operationen, unter diesen _
Gesichtspunkten ausgeführt, haben uns die bisherigen Fälle
von operativ geheilter Meningitis gegeben. Noch ist zwar
die Frage unentschieden, ob sich auf diese Weise eine ent-
stehende Meningitis aufhalten läßt, oder ob es sich in solchen
Fällen um einen circumscript abgekapselten meningitischen
Herd gehandelt hat. Die Ausbreitung der Meningitis erfolgt
entweder unter stürmischen Erscheinungen auf dem Wege
der unaufhaltsam und schnellen allgemeinen Propagation
oder in äußerst langsamem Zuge ohne auffallende Sym-
ptome. Diese Tatsache ist für die Indikation eines opera-
tiven Eingriffs äußerst wichtig und läßt die Berechtigung
zu, gegebenenfalls den Versuch der Operation zu unter-
nehmen. Für den praktischen Arzt ergibt sich deshalb die
Notwendigkeit, Fälle akuter Ohreiterung mit Anzeichen einer
Meningitis nicht als aussichtslos anzusehen, sondern erst
recht spezialistischer Beurteilung zuzuführen.
Bemerkenswert ist, daß die sogenannte „seröse Menin-
gitis“ Symptome hervorrufen kann, die denen der eitrigen
Meningitis durchaus ähnlich sind. Diese Komplikation kommt
den Ohrenärzten verhältnismäßig häufig zur Beobachtung
und gibt um so mehr einen Grund ab, meningitische Begleit-
symptome einer akuten Öhreiterung rechtzeitig sachgemäßer
Behandlung zuzuführen. |
Eine durch die Gefahr für die Funktion des Gehör-
organs und ihre Fortleitung auf die Hirnhäute erst in neuerer
Zeit voll bewertete Komplikation ist die Ausd ehnung der
1186
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
akuten Ohreiterung auf das innere Ohr (Labyrinth)
in Form der Labyrinthentzündung. Diese Komplikation
ist deshalb so außerordentlich gefährlich, weil sie oft plötz-
lich entsteht und ebenso schnell auf die Hirnhäute über-
gehend in einer foudroyanten Meningitis endigt oder unter
schleichenden, anscheinend unbedenklichen Symptomen in
allmählicher Entwicklung zu völliger Zerstörung der Funktion
des Gehörorgans führt oder eine spät und unerwartete
Meningitis ausbrechen läßt. Es ist deshalb im Verlauf einer
akuten Öhreiterung andauernd auf etwa bemerkliche so-
genannte Labyrinthsymptome zu achten. Als solche be-
zeichnet man Schwindelgefühl, Neigung zu Uebelkeit, plötz-
lich auftretende quälende subjektive Gehörempfindungen und
Störungen seitens der Augenmuskelinnervation in Form des
Nystagmus. Tritt noch eine abnorme Steigerung der Tempe-
ratur hinzu, so liegen die Anzeichen einer beginnenden La-
byrintherkrankung vor. Nur selten zeigt sich dieser Sym-
ptomenkomplex, der dem Allgemeinpraktiker unter der Be-
zeichnung der Menirereschen Krankheit wohl bekannt ist,
bei akuten Eiterungen in ausgeprägter Form. Um so mehr
muß jedes einzelne Symptom beachtet werden, da durch das
Auftreten dieser Komplikation die vorliegende Eiterung einen
durchaus ernsten Charakter annimmt. Nach den bisherigen
Erfahrungen bildet meist das runde Fenster die Eingangs-
pforte der akuten Labyrintherkrankung. Die neueren Beob-
achtungen zeigen, daß die Komplikation keineswegs selten
ist. Wenn sie auch nicht regelmäßig zu einer lebensgefähr-
lichen Meningitis führt, so lassen sich doch viele Fälle von
völliger Ertaubung des erkrankten Ohres feststellen, ein
Ausgang, der immer noch als günstiger Abschluß anzusehen
ist, selbst wenn, wie es häufig der Fall ist, quälende sub-
jektive Gehörempfindungen zurückbleiben.
Häufig läßt sich aus der Art der ersten Anzeichen
dieser Komplikation prognostisch die Gefahr der weiteren
Entwicklung beurteilen. Sind die ersten Symptome äußerst
stürmisch unter gleichzeitig hohen Fiebererscheinungen und
allgemein schwerem Krankheitszustande, so muß mit einer
schnell fortschreitenden Entwicklung gerechnet werden, die
unbedingt operativ sofortige ausgiebigste Maßnahmen er-
fordert. Geringfügige Symptome lassen langsames Fort-
schreiten erwarten, das durch geeignete Behandlung aul-
gehalten werden kann, demgemäß ist auch die Indikation
für die Therapie gegeben, insofern als unter der Annahme
einer schnellen Weiterentwicklung nur rücksichtsloses aus-
giebigstes Vorgehen im Operationsverfahren anzustreben ist.
` Durch welche Ursachen die Komplikation der akuten
Labyrintherkrankung begünstigt wird, ist noch ungeklärt.
Augenscheinlich spielt die Beschaffenheit des runden Fensters
eine bemerkenswerte Rolle. Für mich ist es deshalb maß-
gebend geworden, alle an akuter Ohreiterung Erkrankten
zu äußerster Schonung und Ruhe zu veranlassen, insbeson-
dere Erwachsene mit starker Eiterung. Die Patienten müssen
sich bewußt werden, daß eine derartige, selbst schmerzlose
Ohrerkrankung, jederzeit gefährlich werden kann. In der
ersten Woche ist unbedingt jede körperliche Anstrengung zu
vermeiden. In zwei Fällen sah ich bei ländlichen Besitzern,
die entgegen der ärztlichen Anordnung auf nicht federnden
Wagen nach stundenlanger Fahrt zur poliklinischen Behand-
lung kamen, akute, schnell tödlich verlaufende Labyrinth-
eiterungen auftraten. In dem einen Falle konnte mikro-
skopisch der Durchbruch durch das runde Fenster fest-
gestellt werden. Da der Allgemeinzustand und die
Beschaffenheit der zwar profusen Ohreiterung nichts Be-
merkenswertes bot, so ist die Vermutung nicht unberechtigt,
daß die mechanische lebhafte Erschütterung ursächlich in
Betracht kommt.
Treten demnach derartige Labyrinthsymptome im Ver-
lauf einer akuten Ohreiterung auf, so kann nur durch recht-
zeitige spezialistische Beobachtung die Therapie bestimmt
werden. Diese muß, abgesehen von der Allgemeinbehand-
r
lung, darauf hinzielen, möglichst schnell und einfach den
ursächlichen Krankheitsherd durch Entlastung des Mittel-
ohrs eventuell unter Eröffnung des Warzenfortsatzes zu ent-
fernen. Dadurch wird die weitere Zufuhr von Krankheits-
material unterbunden und die Möglichkeit zur Ausheilung
eines noch beschränkten Herdes geschaffen. Maßgebend ist
der Grad der Krankheitssymptome und der Befund des
funktionellen Ausfalls seitens des vestibulären und cochlearen
Teils des Gehörgangs. Ebenso läßt sich gegebenenfalls die
drohende Gefahr der Weiterentwicklung beurteilen.
| Bestehen gefahrdrohende Anzeichen, sei es gleich im
Beginne der Erkrankung oder im weiteren Verlaufe der-
selben, dann kann die einfache Entfernung des ursächlichen
Krankheitsherdes unmöglich genügen. In solchen Fällen
bleibt als einziges Mittel die völlige Entfernung des bereits
erkrankten Labyrinths übrig. Diese in ausgedehntem Maße
zu erreichen, muß der operative Eingriff erstreben. Die
neuerdings auf diese Erwägungen aufgebauten Operations-
verfahren haben durch ihre Erfolge die Berechtigung eines
derartigen eingreifenden Vorgehens deutlich bewiesen.
Eine den bisher beschriebenen Komplikationsformen
gegenüber seltene Erkrankungsart bildet die durch eine
akute Mittelohreiterung bedingte Erkrankung der eigentlichen
Hirnsubstanz in Form des otitischen Hirnabscesses.
Wenn auch diese Erkrankung als Komplikation der akuten
Ohreiterung nicht häufig beobachtet wird, so muB auf die
Möglichkeit dieses Vorkommens um so mehr hingewiesen
werden, als der Hirnabsceß sich durch äußerst unsichere
Symptome im Verlaufe seiner Entstehung bemerklich macht,
während anderseits je nach der Lage des Abscesses früh-
zeitig unfehlbar sichere-Anzeichen auftreten. Ohne auf die
diagnostischen Einzelheiten einzugehen, will ich diejenigen
Zeichen besonders hervorheben, die dem praktischen Arzte
geläufig sein müssen und ihm unbedingt zu einer weiteren
exakten Untersuchung Anlaß geben sollen.
Gehe ich zunächst von der Beurteilung des Allgemein-
zustandes aus, so muß jede diesbezügliche auffallende Ver-
änderung, die nicht mit den vorgefundenen lokalen Erschei-
nungen im Einklang steht und auf keine der oben beschrie-
benen Komplikationen hinweist, stets an eine Hirnkomplikation
denken lassen. Läßt sich die Meningitis ausschließen, so
kommt der extradurale Absceß und der eigentliche Hirn-
absceß in Betracht. Zwischen beiden Formen ist die Diffe-
rentialdiagnose oft sehr schwer und kann in letzter Linie
oft nur der operative Befund endgültig entscheiden.
Zur Beurteilung des Hirnabscesses ist das Verhalten
der Temperatur wichtig. Fast ausnahmslos besteht beim
otitischen Hirnabsceß kein bemerkenswertes Fieber.
Trotzdem ist der Temperaturverlauf in Verbindung der
übrigen Symptome überaus charakteristisch, insofern als die
im übrigen fast normale Temperaturkurve unregelmäßige
leichte Steigerungen bis 37,8 zeigt. Nur in ganz seltenen
Fällen besteht höheres Fieber, besonders in den seltenen
Fällen, bei denen der Absceß in dem ersten Stadium der
Ohreiterung beobachtet wird. Im allgemeinen wird der
Absceß erst im sogenannten subakuten Stadium bemerklich.
Diagnostisch von größter Wichtigkeit ist die Be-
urteilung des Pulses, dessen Beschaffenheit bei
allen Ohrkomplikationen nicht‘ genügend berück-
sichtigt werden kann. Anzeichen des verlangsamten
Druckpulses, Uoregelmäßigkeit lassen auf eine Hirnkompli-
kation hinweisen. Weiterhin sind bestimmt lokalisierte
Kopfschmerzen und Druckempfindlichkeit der Schädelknochen
beim Beklopfen beachtenswert. Die objektiv kenntlichen
speziellen Symptome sind abhängig von dem Sitze des
Abscesses. Die von akuten Ohreiterungen ausgehenden
Abscesse entwickeln sich entweder in der zweiten Schläfen-
windung als Schläfenlappenabscesse oder in dem Kleinbirn.
Unfehlbar sichere Symptome zeigt der linksseitige Schläfen-
lappenabsceß. Besteht bei einer linksseitigen Ohreiterung
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A. Jali.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
1187
auf Grund der allgemeinen Untersuchung Verdacht auf eine
. Birnkomplikation, so fordert man den Patienten auf, ver-
schiedene ihm vorgehaltene bekannte Gegenstände mit Namen
zu bezeichnen. Besteht ein linksseitiger Absceß, so ist der
Kranke nicht imstande, die Namen der gezeigten und von
ihm richtig erkannten Gegenstände anzugeben, er umschreibt
denselben in andersartiger Erklärung. Z. B. sagt er bei
vorgehaltenem Schlüssel nicht „der Schlüssel“, sondern „das
ist zum Schließen“ — Messer, „das ist zum Schneiden“ usw.
Da diese Störungen der sensorischen Aphasie bei rechtsseitiger
Lokalisation des Abscesses nicht bestehen, ist die Diagnose
derartiger Abscesse sehr viel schwieriger.
Rleinhirnabscesse zeigen sich an durch anhaltende
Kopfschmerzen, auffallende Schwindelerscheinungen mit Hin-
fallen nach der erkrankten Seite und Augenstörungen in
Form des Nystagmus nach beiden Seiten; die im einzelnen
exakte Diagnose muß sich nunmehr aus der weiteren
spezialistischen Untersuchung ergeben. Ä
Was die Therapie der otitischen Hirnabscesse anbelangt,
so haben die Fortschritte der ohrenärztlichen chirurgischen
Technik den Beweis erbracht, daß die sachgemäße, recht-
zeitig eingeleitete Behandlung der Hirnabscesse durch Ope-
rationsverfahren, die auf Berücksichtigung des ätiologischen
Zusammenbangs derartiger Komplikationen mit Mittelohr-
eiterungen aufgebaut sind, fortschreitend günstigere Resul-
tate aufweisen kann.
Für die Gesamtbeurteilung der Komplikationen nach
akuten Eiterungen ist es überaus wichtig, daß die klinische
Erfahrung uns kennen gelernt hat, wie durch sachgemäße
Behandlung akuter Mittelohreiterungen Komplikationen fast
gänzlich vermieden werden können. Die poliklinischen Er-
hebungen zeigen, daß im Verlaufe der exakten poliklinischen
Behandlung außerordentlich selten Komplikationen sich aus-
bilden In der Behandlung muß demnach alles vermieden
werden, was eine Schädigung im Verlaufe der Ohreiterung
verursachen kann.
Nach meiner Erfahrung muß jede akute Ohreiterung
zum mindesten in den ersten acht Tagen als eine ernste
Erkrankung angesehen werden. Niemals läßt sich aus dem
ersten Befund über den Verlauf eine sichere Prognose stellen.
Dringend ist Ruhe anzuempfehlen. Wie sich auch die
Therapie gestaltet, die möglichst frühzeitige Paracentese ist
unsern allgemeinen chirurgischen Anschauungen durchaus
angepaßt. In einer überaus großen Zahl von Fällen, gerade
der letzten Jahre meiner Beobachtungen in Ostpreußen, wo
as rein äußeren Gründen ärztliche Hilfe nicht möglich war
ud eine Spontanperforation nicht erfolgt ist, sah ich oft
bei scheinbar anfänglichem günstigen Verlaufe noch spät
auftretende Komplikationen. Am häufigsten entstehen Kom-
plikationen bei unbehandelten Fällen, zum mindesten der-
art, daß aus der akuten die chronische Eiterung entsteht.
Ebenso häufig sieht man nach nicht sachgemäß behandelten
Eiterungen verhältnismäßig häufiger Komplikationen in jeder
Form auftreten. Insbesondere ist therapeutisch jede Reiz-
einwirkung zu vermeiden. Auf die in dieser Beziehung
schädlichen Mittel ist vielfach hingewiesen. Borsäure, Höllen-
stein, Alkohol usw. können nur auf bestimmte Indikation
hin gebraucht werden. Ebenso ist meiner Erfahrung nach
bei akuten Eiterungen vor der Anwendung des für chronische
Ohreiterungen so wertvollen Perhydrols zu warnen. Ent-
sprechend der Wirkungsweise dieses Mittels ist äußerste
Vorsicht in seinem Gebrauche geboten. Unter den in meiner
Klinik im letzten Jahre beobachteten Komplikationen von
Mastoiditis ergab die anamnestische Nachfrage, daß ein auf-
fallend hoher Prozentsatz dieser Fälle mit Perhydrol behandelt
war, ein Prozentsatz, der dem der nicht behandelten völlig
entsprach. In andern Fällen zeigte die andersartig ein-
geleitete Behandlung eine auffällige Besserung.
Auf jeden Fall ist die Zahl der Komplikationen ab-
hängig von der Art der Behandlung.
Die im Verlauf einer akuten Mittelohreiterung auf-
tretenden Komplikationen werden dem sorgfältigen Beob-
achter rechtzeitig kenntlich werden und ihn in Rücksicht
auf die gefahrdrohende Entwicklung veranlassen, die ge-
eignete Behandlung einzuleiten. Noch aber sehen wir, daß
die abnormen Symptome einer akuten Ohreiterung in Ver-
kennung ihres Zusammenhangs fälschlich beurteilt werden.
Wie selten wird die otogene Meningitis, der otogene Hirn- .
absceß und noch viel mehr die Hirnsinusthronbose der
rechtzeitigen sachgemäßen ohrenärztlichen Hilfe überwiesen.
Die für die Therapie wichtigste Zeit verstreicht nutzlos, bis
endlich die ausgesprochenen Symptome an eine Ohrerkrankung
denken lassen zu einer Zeit, wenn die Therapie bereits aus-
sichtslos ist.
Die Gefahr der otitischen Komplikationen und ihre
überaus große Häufigkeit wird zu sehr unterschätzt, da die
Mehrzahl der Komplikationen derartige Symptome hervor-
ruft, die mehr an eine interne oder allgemeine Erkrankung
denken lassen und somit der Beurteilung des Spezialisten
erst dann zugängig gemacht werden, wenn es überhaupt
su spät ist. Deshalb muß ohrenärztlicherseits dringend ge-
fordert werden, daß für jede erste ärztliche Untersuchung
anamnestisch und diagnostisch die Beschaffenheit des Gehör-
organs berücksichtigt wird. |
Abhandlungen.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für psych. u. Nervenkrankheiten
in Göttingen (Direktor: Geheimrat Cramer).
Die Bedeutung der Untersuchung der
Spinalflüssigkeit')
VOR.»
Priv.-Doz. Dr. F. Eichelberg, Oberarzt der Klinik.
Nachdem Quinke seine verhältnismäßig einfache Me-
hatte a Gewinnung der Cerebrospinalflüssigkeit angegeben
a von vielen Seiten die verschiedenartigsten Unter-
m on dieser Flüssigkeit vorgenommen worden. Ich
sondern Be: nicht auf alle Einzelheiten eingehen,
Kran mich beschränken, die allgemein anerkannten
punkte we zusammenzufassen, um dann auf die Differenz-
suchungen See die noch durch weitere Unter-
ur. werden müssen. Gleichzeitig will ich
thode
1) Nach ei
Deu einem Vortrage, gehalten auf der Jahresversammlung des
tschen Vereins für Psychiatrie am 80, Mai 1912 in Kiel, j
auch berichten über unsere eignen Erfahrungen, die sich
auf Untersuchungen von 1020 Spinalflüssigkeiten erstrecken.
Was zunächst die Gefährlichkeit der Lumbalpunktion
angeht, so haben wir bei unsern Untersuchungen nur in ganz
vereinzelten Fällen unangenehme Nebenerscheinungen go-
sehen. Einigemal wurde nach der Punktion über Kopf-
schmerzen geklagt und drei Patienten hatten hinterher noch
ein bis zwei Tage unter Erbrechen zu leiden. Bei einem
Tumor der hinteren Schädelgrube haben wir einen Todesfall
erlebt, der wohl mit der Punktion in Zusammenhang ge-
bracht werden mußte. Von den meisten Autoren wird ja
auch die völlige Ungefährlichkeit der Lumbalpunktion be-
tont. Es ist jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen. daß
die Lumbalpunktion niemals ambulant ausgetührt werden
darf, und daß die Patienten nach Ausführung derselben
‚mindestens 24 bis 48 Stunden rubig im Bette liegen müssen.
Läßt man die Patienten gleich nach der Punktion aufstehen
und umhergehen, so treten häufig sehr unangenehme Neben-
erscheinungen ein, welche oft mehrere Wochen dauern
können, Da bei Tumoren der hinteren |Schädelgrube mehr.
1188 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
fach Todesfälle kurz nach der Lumbalpunktion beob-
achtet sind, so dürfte es sich empfehlen, daß man von der
Punktion absieht, sobald man das Vorliegen eines derartigen
Tumors vermutet. Weiterhin ist zur Vermeidung unan-
genehmer Nebenerscheinungen erforderlich, daß man zu
diagnostischen Zwecken nur geringe Mengen Spinalflüssig-
keit, etwa 3 bis 5 cem, entnimmt. | |
Bei der Untersuchung der Spinalflüssigkeit selbst ist
zunächst die Bestimmung: des Druckes von Wichtigkeit. Nor-
malerweise beträgt derselbe 100 bis 150 mm, sofern die
Untersuchung in Seitenlage vorgenommen wird. Wenn die
Punktion im Sitzen ausgeführt wird, so ist der Druck be-
trächtlich höher. Eine nennenswerte Drucksteigerung finden
wir besonders bei raumverengenden Erkrankungen innerhalb
der Schädelhöhle, so bei Tumoren und dergleichen. Aber
auch bei degenerativen Gehirn- und Rückenmarksprozessen
ist häufig eine nicht unerhebliche Drucksteigerung festzu-
stellen. Es ist das die Erhöhung des Lumbaldrucks beim
sogenannten Hydrocephalus ex vacuo. So finden wir bei
Paralyse, Tabes verhältnismäßig häufig eine nennenswerte
Drucksteigerung bis auf 250 und 300 mm. Auch bei den
entzündlichen Veränderungen, besonders bei den Meningi-
tiden und bei der Meningitis serosa ist meistens eine Druck-
steigerung festzustellen. Ebenso fanden wir, wie auch an-
dere Autoren vorübergehende Drucksteigerung bei Epilepsie.
Meist war diese Steigerung kurz vor einem Anfall fest-
zustellen, aber auch in der anfallfreien Zeit war vereinzelt
der Druck erhöht.
Eine leichte Drucksteigerung bis auf 180 und 200 mm
konnten wir auch mehrfach bei Leuten finden, die an keiner
organischen Erkrankung des Centralnervensystems litten.
Hauptsächlich handelte es sich hier um Fälle, bei denen
ein erhöhter Blutdruck festzustellen war. Auch bei chro-
nischem Potatorium und bei Bleichsucht ist öfter eine ge-
ringe Drucksteigerung vorhanden. In vereinzelten Fällen
haben wir auch eine leichte Erhöhung des Lumbaldrucks
bei Leuten gefunden, bei denen irgendwelche krankhafte
Erscheinungen nicht nachweisbar waren. Hieraus sehen
wir, daß eine leichte Drucksteigerung der Spinalflüssig-
keit allein uns nicht berechtigt, eine organische Ver-
änderung des Centralnervensystems anzunehmen. Bei der
Begutachtung von Unfallnervenkranken ist die Kenntnis
dieser Tatsache von größter Wichtigkeit. Ich möchte hierbei
auch erwähnen, daß wir es überhaupt für nicht gerecht-
fertigt halten, bei nervösen Erkrankungen nach Unfall eine
Lumbalpunktion vorzunehmen. Häufig klagen derartige
Leute noch hinterher über nervöse Rückenschmerzen und,
da man die Grundlosigkeit dieser Beschwerden nicht mit
Sicherheit wird nachweisen können, ist in diesem Falle dann
eine indirekte Verschlimmerung der Unfallfolgen hervor-
gerufen.
Therapeutisch wird die Lumbalpunktion ja häufig be-
nutzt, um den erhöhten intrakraniellen Druck bei Gehirn-
tumoren, Meningitiden und dergleichen herabzusetzen. Bei
Gehirngeschwülsten ist der hierdurch erzielte Erfolg aber nur
ganz vorübergehender Natur. Wir können im allgemeinen
diesen Eingriff hierbei nicht empfehlen. Anders liegt die
Sache bei den verschiedenen Meningitiden. Hier kann be-
sonders bei der Meningitis serosa durch häufig wiederholte
Lumbalpunktionen öfter eine nennenswerte Besserung erzielt
werden. Es ist hierbei nur darauf zu achten, daß man nicht
zu viel Flüssigkeit in einer Sitzung abläßt. Auf jeden Fall
darf der Druck nicht unter dem normalen, etwa 150 mm
heruntergehen.
Die Farbe der Spinalflüssigkeit ist normalerweise
wasserklar. In nicht ganz seltenen Fällen ist aber eine Bei-
mengung von Blut vorhanden. Diese kann durch die Punk-
tion selbst verursacht sein, sie kann aber auch durch eine
subarachnoideale Blutung, durch einen Schädelbruch, durch
eine Apoplexie oder dergleichen bedingt sein, Verhältnis- .
mäßig einfach ist der Unterschied zwischen einer frischen
und älteren Blutung festzustellen. Scheidet sich beim Zentri-
fugieren die Flüssigkeit wasserklar ab, so handelt es sich
um eine frische Blutung, im andern Falle zeigt sie auch
nach dem Zentrifugieren eine leicht gelbliche Verfärbung, die
auf einen bereits stattgefundenen Austritt von Hämoglobin
hindeutet. Eine Verwechslung, ob die Blutbeimengung
durch die Punktion oder durch eine Blutung in den sub-
arachnoidealen Raum bedingt ist, kann daher praktisch kaum
vorkommen, da man ja frische, nicht durch die Punktion
bedingte Blutungen meist aus dem Vorhandensein anderer
klinischer Symptome wird diagnostizieren können.
In verschiedenen Fällen von extramedulären Rücken-
markstumoren konnte ebenfalls eine gelbliche Verfärbung
(Xantochromie) und eine auffallend leichte Gerinnbarkeit der
Spinalflüssigkeit festgestellt werden. Bei einem hierher ge-
hörigen Falle konnten wir ebenfalls diesen Befund erheben,
während in zwei ganz ähnlichen Fällen die Spinalflüssigkeit
nach dieser Richtung normalen Befund bot. Trotzdem läßt
sich diese Tatsache sicherlich auch jetzt schon für die Dia-
gnose von Rückenmarktumoren verwerten, da sonst Gerin-
nungen in der Spinalflüssigkeit niemals zur Beobachtung
kommen. Wir haben wenigstens etwas derartiges niemals
gesehen, auch wenn die Flüssigkeit mehrere Tage stehen
blieb. Nur bei der tuberkulösen Meningitis scheidet sich fast
immer im Lauf der ersten 24 Stunden nach der Punktion
ein feines spinnwebenartiges Fabrinnetz aus, indem sich dann
fast regelmäßig Tuberkelbacillen nachweisen lassen.
Sehr wichtig ist die bakteriologische Untersuchung der
Spinalflüssigkeit zur Differenzierung der verschiedenen Arten
von Meningitis. Hierbei handelt es sich aber im allgemeinen
um feststehende bekannte Tatsachen und ich brauche des-
wegen hier nicht näher darauf einzugehen.
Der Vollständigkeit halber will ich noch erwähnen, daß
von einzelnen Autoren (Stertz, Kafka) Cystycercusblasen
und Tumorzellen in der Spinalflüssigkeit gefunden sind, die
in den betreffenden Fällen die Stellung der richtigen Dia-
gnose ermöglichten. Diese Befunde sind aber naturgemäß
außerordentlich selten. Wir haben bei unserm Material nie-
mals ähnliches gesehen.
Ich komme nun zur Untersuchung der Spinalflüssig-
keit auf Zellgehalt, Eiweißgehalt und Wassermannsche
Reaktion. Hierbei muß ich auch auf die Ergebnisse der
Wassermannschen Reaktion im Blut eingehen, da eine dia-
gnostische Verwertung dieser verschiedenen Methoden nur
im Zusammenhang möglich ist.
Wir haben auf die „vier Reaktionen“ 1020 Spinalflüssigkeiten-
untersucht, davon waren 124 Dementia paralytica, 84 Tabes dorsalis un
40 Lues cerebro spinalis. Bei den übrigen Fällen handelte es sich um
organische und funktionelle Erkrankungen des Nervensystems, oder zum
Teil auch um allgemeine Erkrankungen, bei denen eine Beteiligung
nervöser Organe nicht vorlag. In 359 Fällen war Lues in der Anamnese
vorhanden, während 413mal Lues anamnestisch nicht nachweisbar war.
Die Blutuntersuchung nach Wassermann haben wir bei etwa 3100 Seren
Yorgen ommon, davon waren 140 Paralysen, 95 Tabes und 43 Lues cerebro
spinalis.
Normalerweise finden sich in der Spinalflüssigkeit nur
vereinzelte Zellen. Bei gewissen Erkrankungen und be-
sonders bei luetischen und metaluetischen Erkrankungen des
Centralnervensystems findet eine stärkere Vermehrung der
Zellen statt. Zur Bestimmung derselben gibt es verschie-
dene Methoden, die ursprünglich von Widal und Ravaut
angegebenen Methoden, die Zählung in der Fuchs-Rosen-
thalschen Zählkammer und die neuerdings von Kafka und
Geißler angegebenen Untersuchungsarten. Alle Methoden
geben nach unsern Erfahrungen gleichmäßig zuverlässige
Resultate. Bei der Widalschen Methode ist nur zu be
rücksichtigen, daß die gewonnenen Ergebnisse zu Vergleichs-
werten mit andern Untersuchungen nicht genügend exakt
sind, da die Zahl der im Gesichtsfelde vorhandenen Zellen
davon abhängt, wie lange zentrifugiert ist, wieviel Um-
drehungen die Zentrifuge gemacht hat und dergleichen. Mn
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21. Juli.
der Hand ein und desselben Untersuchers gibt diese Methode
aber auch praktisch völlig ausreichende Ergebnisse. Neben
einer Vermehrung der Lymphocyten sehen wir auch bei den
erwähnten Erkrankungen das Auftreten von Zellelementen,
welche normalerweise gar nicht vorkommen.
Alzheimer, Szécsi und Rehm haben besonders sich dem Stu-
dium dieser Zellen gewidmet. Da ich selbst eine größere Erfahrung auf
diesem Gebiete nicht besitze, will ich hier nicht näher darauf eingehen.
Ich verweise auf die hier in Betracht kommenden Spezialarbeiten. Zur-
zeit hat allerdings diese Differenzierung der einzelnen Zellen eine prak-
tische Bedeutung noch nicht erlangt. Ebenso ist auch der Streit, woher
die verschiedenen Zellen stammen, mehr theoretischer als praktischer Natur.
Eine erhebliche Zellvermehrung (Pleocytose) haben - wir
bei Paralyse fast regelmäßig gefunden. Bei zwei Fällen
konnte bei der ersten Punktion nur eine ganz geringe Zell-
vermehrung festgestellt werden. Die Punktion wurde nach
einiger Zeit deswegen wiederholt. Wir konnten dann beide-
mal eine ganz erhebliche Pleocytose finden. Ich glaube
daher, daß eine Zellvermehrung bei der Paralyse regelmäßig
vorhanden ist, wenn man mehrfach untersucht. Die Stärke
der Vermehrung schwankt allerdings erheblich. Sie scheint
auch in gewisser Uebereinstimmung mit dem klinischen Ver-
lauf der Erkrankung zu stehen, da wir bei stationären Fällen
und bei Remissionen fast regelmäßig eine geringere Zellver-
mehrung gefunden haben, als bei rasch verlaufenden. Auf
diese Erfahrung ist ja auch von anderer Seite schon öfter
hingewiesen worden.
Nicht ganz so regelmäßig ist eine Zellvermehrung bei
der Tabes und der Lues cerebrospinalis zu finden. Bei
zwei Fällen von einwandfreier Tabes konnten wir eine Zell-
vermehrung bei mehrfachen Untersuchungen nicht feststellen.
Bei frischen Fällen von Lues cerebrospinalis konnten wir
immer eine starke Pleocytose finden. Bei mehr chronisch
verlaufenden Fällen dieser Art, also bei Strangdegenerationen,
endarteriitischen Prozessen und dergleichen war die Zell-
vermehrung durchschnittlich eine geringere und in drei Fällen
konnte überhaupt eine Vermehrung nicht gefunden werden.
Eine Zellvermehrung wird aber auch häufig gefunden
bei Leuten, die an Lues erkrankt gewesen sind, bei denen
aber keine luetische oder metaluetische Erkrankung des
Öentralnervensystems vorliegt. Eine derartige Zellvermeh-
rung scheint aber darauf hinzudeuten, daß noch eine all-
gemeine Lues vorliegt. Bei einigen Fällen von frischer
Lues konnte ich vor der Behandlung eine Zellvermehrung
feststellen, die nach energischer Schmierkur verschwand.
Ganz ähnliche Erfahrungen hat ja in neuester Zeit Spiet-
hof mitgeteilt. Würden weitere Untersuchungen diese Er-
fahrung bestätigen, so würde man vielleicht auf diese Weise
auch einen Prüfstein erhalten, ob eine Lues ausreichend
behandelt ist oder nicht. Auffallend muß auf jeden Fall
die Tatsache sein, daß eine große Anzahl von Luetikern
(etwa 40 0/0) Lymphocytose in der Spinalflüssigkeit aufweisen,
während bei den übrigen eine Vermehrung der Zellen nicht
vorhanden ist.
Rn Eine Zellvermehrung ist dann weiterhin noch verhältnis-
mäßig häufig zu finden bei multipler Sklerose, Hydrocepha-
lus, Tumoren und selbstverständlich auch bei allen entzünd-
lichen Prozessen. Bei den übrigen organischen Nervenerkran-
kungen habe ich eine Zellvermehrung nur ganz vereinzelt
gefunden, während ich sie bei funktionellen Erkrankungen
ohne Lues in der Anamnese überhaupt niemals gesehen habe.
À Aehnliches, wie die Cytodiagnostik leistet: auch die
jg suchung der Spinalflüssigkeit auf Eiweißvermehrung.
1 re habe bei einer großen Versuchsreihe die Bestimmung
er Gesamteiweißmengen nach Nissel, die Magnesiumsulfat-
afällung nach Guillain, die von Noguchi angegebene
fa und die von Nonne-Apelt zuerst beschriebene
wendung der Globulinausfällung durch Ammoniumsulfat
ausgeführt o | |
Ent i praktisch zuverlässigsten Resultate gibt nach unsern
ahrungen die Nonne-Apeltsche Reaktion.. Wir fanden
1912: — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29, 1189
dieselbe im Gegensatz zu den übrigen genannten Unter-
suchungsmethoden niemals bei funktionellen Nervenerkran-
kungen, auch wenn eine Lues vorausgegangen war. Leider
ist ihr Vorkommen aber nicht beschränkt auf die syphili-
tischen und metasyphilitischen Erkrankungen des Central-
nervensystems. In Uebereinstimmung mit andern Autoren
konnten auch wir in mehreren Fällen von multipler Sklerose,
Gehirntumoren und Gehirnarteriosklerose dieselbe positiv
finden. Bei extramedullären Rückenmarkstumoren ist sie
nach unsern allerdings nur kleinen Erfahrungen sogar So
regelmäßig, daß man sie zur Diagnose derartiger Fälle ver-
werten kann, worauf ja Nonne auch schon hingewiesen
hat. An unserm Material war die Reaktion positiv in 97%,
der Fälle von Dementia paralytica, in 92°/, der Fälle von
Tabes und in 80°/, der Fälle von Lues cerebrospinalis.
Die zuverlässigsten Resultate bei Erkennung syphili-
tischer und metasyphilitischer Erkrankungen des Central-
nervensystems gibt uns unzweifelhaft die Wassermannsche
Reaktion. Dieselbe ist ja in verschiedener Weise modifiziert
worden. Auf Grund unserer Erfahrungen möchte ich aber
dringend dazu raten, die Wassermannsche Reaktion so
zu verwenden, wie sie ursprünglich angegeben ist. Man kann
an Stelle des wäßrigen Leberextrakts allerdings ebenso gut
alkoholischen Organextrakt verwenden. Wir haben aus-
gedehnte Kontrolluntersuchungen mit den Modifikationen
nach Stern, Bauer und Jacubäus und auch mit der
Dungerschen Methode vorgenommen. Wir sind aber zu
der Ueberzeugung gelangt, daß die ursprüngliche Wasser-
mannsche Reaktion die besten und einwandfreiesten Resul-
tate gibt. Es ist meines Erachtens nicht notwendig, diese
Methode noch weiter zu verfeinern; wir werden dann nur
häufig auch in solchen Fällen positive Resultate bekommen,
bei denen Syphilis niemals vorgelegen hat.
In bezug auf die Blutuntersuchung nach Wassermann
können wir in unserer Gegend im allgemeinen behaupten,
daß der positive Ausfall darauf hindeutet, daß das betreffende
Individuum zu irgendeiner Zeit einmal mit Lues in Berüh-
rung gekommen ist. Die Syphilis braucht bei positivem
Ausfall der Reaktion aber nicht erworben zu sein, sie kann
auch, wie gerade neuere Untersuchungen gezeigt haben, er-
erbt sein. Dieser Punkt scheint mir außerordentlich wichtig,
Ich halte es nicht für richtig, wenn man auf Grund eines
positiven Ausfalls der Wassermannschen Reaktion bei
einzelnen Erkrankungen annimmt, daß sie Folgen ererbter
Syphilis seien, wie das ja bei Idiotie in letzter Zeit -mehr-
fach behauptet ist. Ich habe bei 150 Idioten die Wasser-
mannsche Reaktion ausgeführt und habe sie in 12°/, der
Fälle positiv erhalten. Anderseits habe ich aber bei 43 Kindern,
die geistig und körperlich völlig gesund waren, die aber
von sicher syphilitischen Eltern stammten, die Wasser
mannsche Reaktion in 15 °/, der Fälle positiv erhalten. Da-
her glaube ich nicht, daß zum Zustandekommen der Idiotie
die Syphilis eine so große Rolle spielt, wie das neuerdings von
verschiedenen Seiten behauptet wird. Es ist natürlich sehr
wichtig, die Kinder, bei denen der Wassermann positiv ist,
die aber keine Zeichen einer Erkrankung bieten, weiter zu
beobachten. Es wäre ja möglich, daß gerade diese dazu
neigen, eine juvenile Tabes, Paralyse oder dergleichen zu
bekommen. Ich will aber schon hier betonen, daß ich bei
älteren Leuten im Alter von 20 bis 25 Jahren die W asser-
mannsche Reaktion positiv erhalten habe, ohne daß die be-
treffenden selbst eine Lues akquiriert hatten. Es bestand
in allen diesen Fällen aber die größte Wahrscheinlichkeit
für die Annahme, daß sie luetische Eltern gehabt hatten.
Die diagnostische Verwertbarkeit der Wassermann-
schen Reaktion im Blutserum ist für unsere in Betracht
kommenden Erkrankungen nur beschränkter Natur. Sie sagt
ja in der Hauptsache nur, daß das betreffende Individuum
irgendeinmal Lues gehabt hat oder ererbt hat, sie sagt
aber nicht, ob die vorliegende Erkrankung luetischer Natur
1190 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29,
21. Juli.
——— ua Tr mm a
ist. Selbstverständlich ist es oft von großer Wichtigkeit für
die Diagnose, einen anamnestischen Aufschluß zu erhalten,
ob Syphilis vorgelegen hat oder nicht, und in vielen Fällen
kann daher auch die Wassermannsche Reaktion im Biut-
serum zur Unterstützung der klinischen Diagnose heran-
gezogen werden. Bei unsern Untersuchungen haben wir bei
der Paralyse die Wassermannsche Reaktion in 97°/, der
Fälle positiv erhalten, während wir sie bei Tabes und Lues
cerebrospinalis in 90°/, der Fälle positiv sahen.
Besonders wichtig für unsere Diagnostik ist das Vor-
kommen der Wassermannschen Reaktion in der Spinal-
flüssigkeit. Wir sehen dieselbe nur auftreten bei Paralyse,
Tabes und Lues cerebrospinalis. Bei der Paralyse haben
wir sie in etwa 98°], der Fälle gefunden. Bei meiner letzten
Zusammenstellung hatte ich sogar keine einzige Ausnahme
feststellen können. In der Zwischenzeit habe ich aber doch
bei einigen einwandfreien Fällen von Paralyse trotz wieder-
holter Untersuchungen die Reaktion in der Spinalflüssigkeit
negativ erhalten. Bei der Tabes, und zwar sind hier nur
die reinen Fälle von Tabes gerechnet, haben wir die Reak-
tion im Gegensatz zu den Angaben von Nonne in 48°,
der Fälle positiv erhalten, während bei. der Lues cerebro-
spinalis wir sie in Uebereinstimmung mit andern Autoren
nur in 8°/, erhielten. Die Reaktion scheint in frischen
Fällen von Lues cerebrospinalis regelmäßiger aufzutreten,
als bei den chronischen Fällen, wo es schon zu Strang-
degenerationen und endarteritischen Prozessen gekommen ist.
Von Hauptmann und ZeißBler ist eine Methode angegeben,
bei denen unter Anstellung der erforderlichen Kontrolle
größere Mengen des Liquor zur Reaktion verwandt werden.
Ich habe bei 50 Spinalflüssigkeiten verschiedener organischer
Erkrankungen diese „höhere Auswertung des Liquor“ vor-
genommen. Wenn dasMaterial ja auch nichtgroß genug ist, um
ein abschließendes Urteil über den Wert dieses Verfahrens
geben zu können, so möchte ich doch betonen, daß ich in
zwei Fällen von einwandfreier multipler Sklerose bei Ver-
wendung von 0,6 cem Liquor die Reaktion positiv erhielt.
Außerdem sah ich bei vier Fällen Selbsthemmung des Liquors
bei Anwendung von 1,0 cem eintreten. Anderseits können
wir aber auch die Angabe Nonnes und seiner Schüler be-
stätigen, daß in den Fällen von Tabes und Lues cerebro-
spinalis, wo bei Verwertung von 0,2 ccm eine Hemmung
noch nicht eintritt, dieselbe bei Verwertung höherer Liquor-
mengen regelmäßig zu finden ist.
Ich glaube, daß ein abschließendes Urteil über den
Wert dieser Methode noch nicht gefällt werden kann; die Re-
aktion scheint aber bei der Differentialdiagnose von Lues
cerebrospinalis und Paralyse gut verwertbare Resultate zu
eben.
€ Von Weil und Kafka sind neuerdings Untersuchungen
über den Hämolysingehalt der Cerebrospinalflüssigkeit bei
progressiver Paralyse angestellt worden. Auch nach dieser
Methode habe ich 50 Fälle verschiedener organischer Nerven-
erkrankungen untersucht. Ich habe diese Reaktion positiv er-
halten nur bei Paralyse, während ihr Ausfall bei Tabes und
Lues cerebrospinalis immer negativ war. Bei 16 unter-
suchten Fällen von Paralyse war dieselbe aber auch
nur in neun Fällen positiv. Auch diese Reaktion scheint
mir daher noch weiter nachgeprüft zu werden müssen, bevor
man ein abschließendes Gutachten über ihren praktischen
Wert fällen kann.
Wir sehen also, daß die verschiedenen Untersuchungs-
methoden der Spinalflüssigkeit wohl geeignet sind, diagno-
stische Anhaltspunkte zu geben. Es muß aber betont werden,
daß auch bei allen Untersuchungen gewisse Ausnahmen |
vorkommen und daß also völlig zuverlässige Resultate
auch hierbei nicht immer gewonnen werden. Bei den meisten
Fällen der hier in Betracht kommenden Erkrankungen wird
man ja auf Grund der klinischen Untersuchung schon die
richtige Diagnose stellen können, und es wird daher prak-
tisch die Untersuchung der Spinalflüssigkeit nur in einer
verhältnismäßig kleinen Anzahl von Fällen zur Stellung der
Diagnose herangezogen werden. Bei kritischer Würdigung
wird man in diesen Fällen dieselbe dann aber sehr gut ver-
werten können. Die Hauptsache ist, daß man den Wert der
Untersuchung der Spinalflüssigkeit nicht überschätzt und daß
man sie ‘immer nur als ein Glied in der ganzen klinischen
Untersuchungsreihe ansieht.
Weit wichtiger ist ja nun die Frage, gibt uns das Ver-
hältnis der Spinalflüssigkeit bei den syphilitischen und meta-
syphilitischen Erkrankungen eine Richtschnur für unser thera-
peutisches Handeln.
Nach. den bisherigen Erfahrungen müssen wir diese
Frage leider im wesentlichen mit „nein“ beantworten. Bei
der Besprechung des Zellgehalts habe ich allerdings schon
darauf hingewiesen, daß die Pleocytose bei frischen Luetikern
in der Regel stärker ist, als nach einer energischen Be-
handlung. Weitere Untersuchungen müssen ergeben, ob es
möglich ist, durch intensive Behandlung die Pleocytose in
der Spinalflüssigkeit völlig zu beseitigen. Es muß weiter
festgestellt werden, ob die Individuen, die nach einer über-
standenen Lues vermehrten Zell- und Eiweißgehalt in der
Spinalflüssigkeit haben, dazu neigen, eine syphilitische oder
metasyphilitische Erkrankung des Centralnervensystems zu
bekommen. Dasselbe gilt von den Fällen, bei denen trotz
energischer Behandlung die Wassermannsche Reaktion im
Blutserum entweder überhaupt nicht, oder nur für ganz
kurze Zeit negativ wird. Erfahrungen auf diesem Gebiete
sind naturgemäß überhaupt nicht oder nur in geringer, nicht
beweisender Zahl vorhanden. Ich halte es aber für die
Aufgabe weiterer Forschung und besonders auch für die
Aufgabe der dermatologischen Kliniken, diese Fälle be-
sonders im Auge zu behalten. Persönlich glaube ich an
einen derartigen Zusammenhang nicht, da ich zum Beweise
des Gegenteils schon zwei einwandfreie Fälle gesammelt
habe. Es handelt sich hier um zwei Leute, die sicher eine
Lues gehabt hatten, die gut behandelt waren, bei denen die
Wassermannsche Reaktion im Blutserum negativ war und
die auch keine Vermehrung des Eiweißes und der Zellen
in der Spinalflüssigkeit aufwiesen. Diese beiden Individuen
sind dann später an Paralyse mit positiver Wassermann-
scher Reaktion im Blutserum und in der Spinalflüssigkeit
mit Eiweißvermehrung und Pleocytose erkrankt.
Eine Beeinflussung der Reaktionen in der Spinalflüssig-
keit durch Schmierkuren und Salvarsan habe ich bei Para-
lyse und Tabes nur insofern gesehen, als die Zellvermehrung
geringer geworden ist, ich habe aber niemals beobachten
können, daß die Wassermannsche Reaktion oder die Glo-
bulinreaktion unter einer derartigen Behandlung negativ ge-
worden wäre. Anders verhält es sich bei der Lues cerebro-
spinalis. Hier konnten wir meist auch das Verschwinden
der Wassermannschen Reaktion und der Globulinreaktion
in der Spinalflüssigkeit beobachten. Bei drei Fällen blieben
jedoch diese Reaktionen positiv, trotzdem sie mehrfach
behandelt waren und trotzdem sie klinisch als geheilt
anzusehen waren. Es läßt sich demnach auch bei der Lues
cerebrospinalis noch nicht als allgemeingültiger Grund-
satz die Behauptung aufstellen, daß solange specifisch
behandelt werden müßte, bis die „vier Reaktionen“ ver-
schwunden sind.
Die Wassermannsche Reaktion im Blutserum sehen
wir auch nur in ganz vereinzelten Fällen bei Paralyse und
Tabes durch Behandlung von Schmierkuren oder Salvarsan
verschwinden. Das Fehlen der Reaktion war dann aber
nur vorübergehender Natur. Bei der Lues cerebrospinalis
konnte durch geeignete Behandlung auch die Wassermann-
sche Reaktion dauernd zum Schwinden gebracht werden,
doch haben wir nach dieser Richtung bei Schmierkuren und
gleichzeitiger Darreichung von Jod bessere Resultate ge-
sehen als bei Salvarsaninjektion. Bei einigen Fällen von
FF
u ch ko a E T TH. i - a - =
91. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
1191
—
Paralyse, die mit Tuberkulin behandelt worden sind, konnte
ich ein Verschwinden der Wassermannschen Reaktion aus
dem Blutserum nicht feststellen.
Wir sehen hieraus also, daß die Wassermannsche
Reaktion bei der Paralyse und Tabes nur wenig beeinflußbar
zu sein scheint und daß es vornehmlich nur möglich ist, die-
selbe auf kurze Zeit zum Schwinden zu bringen. Wir glauben
auch nicht, daß es berechtigt ist, das Schwinden der Wasser-
mannschen Reaktion allein als ein Zeichen für eine Besserung
der Paralyse oder Tabes anzusehen. Zur Beurteilung dieser
Frage kommt unseres Erachtens nur das klinische Zustands-
bild in Betracht. Wir wissen ja auch jetzt noch nicht, um
was es sich eigentlich bei der Wassermannschen Reaktion
handelt. Es ist daher an und für sich sehr leicht möglich,
daß diese Reaktion durch irgendwelche Stoffe, weiche dem
Körper einverleibt werden, zum Schwinden gebracht wird.
Eine Beeinflussung der vorhandenen Paralyse oder Tabes
wird hierdurch aber nicht erzielt.
Wenn uns also auch die Untersuchung der Spinal-
flüssigkeit bei der Diagnose organischer Nervenerkrankungen,
besonders bei den syphilitischen und metasyphilitischen Er-
krankungen von großem Werte sein kann, so ist sie leider
als Prüfstein für unser therapeutisches Handeln bisher nur
in sehr beschränkter Weise verwertbar. Ich erachte es
daher für. sehr wichtig, daß grade nach dieser letzten Rich-
tung weiter gearbeitet wird. In der Hauptsache wird das
aber nur dann möglich sein, wenn sich die Dermatologen
mit den Psychiatern und Neurologen noch mehr, wie das
bisher der Fall gewesen ist, zu dieser Arbeit zusammen-
schließen.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Zur Prophylaxe der Lungentuberkulose')
Dr. Gustav Löffler, Frankfurt a. M.
Seit durch klinische Beobachtungen und Experimente
festgestellt ist, daß die Tuberkulose keine angeborene, sondern
eine erworbene Krankheit ist (erworben durch Inhalation oder auf
intestinalem Wege erfolgtes Eindringen von Tuberkelbacillen), seit-
dem konnten die prophylaktischen Maßnahmen gegenüber der
Tuberkulose auf eine rationelle und breite Basis gestellt werden.
Trotzdem lassen die Erfolge der Prophylaxe bei dieser verheerenden
Volkskrankheit noch viel zu wünschen übrig. Dies ist zum Teil
auf die Machtlosigkeit unserer sozialhygienischen Maßnahmen
gegenüber dem Wohnungselend und der Indolenz der Massen
zurückzuführen. Zweifelsohne aber entgingen auch dadurch, daß
das schwerwiegende Moment der Veranlagung zu Tuberkulose nicht
oder nicht genügend in präzisen pathologisch-anatomischen Formeln
ausgedrückt werden konnte, der Prophylaxe manche feste An-
griffspunkte,
Mehrere Arbeiten der letzten Jahre suchten hier in beachtenswerter
Weise Wandel zu schaffen. So tat Hansemann (1) vor etwa Jahresfrist
die bedeutsame Aeußerung, daß der Tuberkelbacillus als ausschließlicher
ätiologischer Faktor für. deletäre Lungenerkrankungen nur bei der
Miliartuberkulose und der akuten käsigen Bronchitis in Betracht komme;
bei allen ‚andern, zur Phthise führenden tuberkulösen Prozessen — und
das ist die große Mehrzahl — spielen nach Hansemann disponierende
Bedingungen zum mindesten die gleiche Rolle wie die Tuberkelbacillen.
Als solche disponierende Bedingungen betrachtet er zunächst einmal alle
chronischen, primär nicht tuberkulösen Lungenerkrankungen, in der An-
nahme, daß durch diese chronischen Krankheiten den Tuberkelbacillen
ein Locus minoris resistentiae bereitet werde. Für die häufigste Lokali-
sation der Phthise in den Lungenspitzen aber sieht er die hauptsächliche
rsache in mechanisch-funktionellen Mißverhältnissen der oberen Thorax-
apertur. Er begegnet sich in dieser seiner Auffassung mit der von
Freund (2) und Hart (3). Diese vertreten auf Grund klinischer Beob-
achtung die Ueberzeugung, daß die als „Stenose der oberen Thorax-
apertar“ bezeichnete ungenügende Beweglichkeit, ja Starrheit des nor-
malerweise knorpeligen Teils der ersten Rippe und die damit zusammen-
ängende Kompression’ der darunter liegenden Lungenspitze vielfach an
der Lungenspitzentuberkulose schuld sei. Daß tatsächlıch der Starrheit
et ersten Rippe diese verhängnisschwere Rolle in der Aetiologie der
hthise zuzuschreiben ist, dafür spricht zunächst einmal der wiederholt
beobachtete Stillstand der Tuberkulose, ja ihre Ausheilung in den Fällen,
wo sich rechtzeitig spontan ein Gelenk in dem abnormerweise ver-
nöcherten Teil der ersten Rippe bildete und so wieder normale Expan-
onsmöglichkeit der Lungenspitze gegeben war; es sprechen weiter dafür
die von Freund, Seidel (8) und Päßler angeführten, freilich bislang
ae nelisn: Fälle, wo nach Resektion der starren ersten Rippe Heilung
er Spitzentuberkuloge eintrat. Für die große Bedeutung des mechani-
schen Moments gerade für die Entstehung der Lungenspitzenaffektion
Sprechen sodann besonders überzeugend die Experimente, die Bac-
meister (4) in Freiburg während der letzten Jahre anstellte.
E Er ließ heranwachsende Kaninchen langsam in eine Drahtschlinge
ne achgen, die lose um den ersten Rippenring gelegt war. Der Draht
2 te allmählich als Stenose und bedingte seinerseits eine Stenosierung
Qu ng der oberen Thoraxapertur, eine Verschmälerung ihres
> urchmessers, steileren Abfall der ersten Rippe und Abflachung der
en paravertebralen Gruben, in denen die Lungenspitzen liegen.
__ “rück der stenosierten ersten Rippe erzeugte auf der Lungenspitze
1919 ') Nach einem im Aerztlichen Verein Frankfurt a. M. am 6. Mai
gehaltenen Vortrage.
eine deutliche Druckfurche, deren Lage genau der von Schmorl be-
schriebenen Furche bei Menschen mit erheblicher Stenose der oberen
Thoraxapertur entsprach. In der Lungenspitze oberhalb der stenosierten
Partie fand Bacmeister bei seinen Versuchstieren Atelektasen und
deutliche Zeichen für die Behinderung der Blut- und Lymphcirculation.
Wenn er nun solchen Tieren mit einer experimentell erzeugten Enge der
oberen Thoraxapeıtur und ihren Folgen an der Lungenspitze eine stark
verdünnte Emulsion von Tuberkelbacillen in eine Vene einspritzte, so
erfolgte ausschließlich in der Lungenspitze an der Stelle der Druckfurche
ein Festsetzen der Bacillen. Und weiter vermochte Bacmeister fest-
zustellen. daß bei dergestalt künstlich disponierten Kaninchen nach In-
fektion einer beliebigen Lymphdrüse — er nahm die Leistendräse — mit
dem tuberkulösen Virus auch auf dem Lymphwege eine auf die Spitze
isolierte tuberkulöse Peribronchitis und Bronchitis entstand, also das Bild
der menschlichen Phthise. Nicht dagegen gelang es ihm bisher bei
seinen Experimenten, auf aörogenem Wege (also durch Inhalation
bacillenhaltigen Materials), die Spitzentaberkulose hervorzurufen, trotz
erzeugter mechanischer Disposition. Nichtsdestoweniger dürfen. wir die
Feststellungen Bacmeisters als das letzte und vielleicht wichtigste
Glied in der Reihe der Argumente betrachten, die auf. die hochbedeut-
same Rolle der mechanischen Disposition durch die Stenose der oberen
Thoraxapertur für die Entstehung der Lungenspitzentuberkulose und
damit der häufigsten Form aktiver menschlicher Tuberkulose überhaupt
hinweisen.
. Aus der Ueberzeugung nun, daß in einem mechanischen
Moment die hauptsächliche Disposition der Lungenphthise beruht,
resultieren schwerwiegende Schlußfolgerungen für die Prophylaxe
dieser Krankheit. Wir müssen uns sagen, daß wir mindestens in
zahlreichen Fällen die Phthise verhüten können, wenn wir die
mechanische Disposition hierzu, also vornehmlich die Stenose der
oberen Thoraxapertur verhüten oder beseitigen. Wenn nun aber
die von Freund und Hart aus solchen Erwägungen gezogene
praktische Konsequenz, für die Fälle von beginnender Lungen-
spitzenaffektion bei Stenose der oberen Thoraxapertur die Resek-
tion eines Teils des starren, sonst knorpeligen Stückes der ersten
Rippe vorzuschlagen, bislang nur vereinzelt in die Tat umgesetzt
wurde (von Seidel, Päßler, Mohr), so waren dafür wohl mehrere
Gründe maßgebend. Zunächst einmal ist der operative Eingriff
bei der durch die Clavicula verdeckten Lage der ersten Rippe in
technischer Hinsicht nicht als leicht zu bezeichnen. Zudem wird
' man, gerade weil bis jetzt nur erst wenige Fälle zur Operation
gelangten, in denen aber auch wirklich Stillstand und Heilung der
Tuberkulose erzielt wurde, eine Garantie für den-Zuten Erfolg des
Eingriffs nicht geben können. Es kommt als hemmender Faktor
die Forderung Seidels und Päßlers hinzu, denen sich Freund
anschließt, daß die Operation nicht zu spät vorgenommen werden
dürfe, das heißt nur dann, wenn die Spitzentuberkulose noch nicht
vorgeschritten sei. Hansemann präzisiert dieses Postulat dahin,
daß die Lungenphthise nach Behebung der Stenose nur dann heile,
wenn sie nicht unter die zweite bis dritte Rippe herabreiche, Wer
aber möchte bei solcher Ausdehnung nicht Zweifel hegen, ob es
tatsächlich ausschließlich durch die Operation gelingt, den Bacillen
Einhalt zu gebieten, während anderseits bei wesentlich geringerer
Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses die Frage nahe liegt, ob
nicht durch bhygienisch-diätetische Maßnahmen Stillstand und
Heilung zu erzielen sei. Letztere Erwägung erscheint um so be-
rechtigter, als gerade Hansemann sagt, „bei frühzeitiger Be-
handlung der Aperturstenose des Thorax bedürfe es keines chirur-
gischen Eingriffs“, sondern es könne durch orthopädische Stärkung
der Halsmuskulatur, die an der obersten Rippe ansitze, Mobili-
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1192 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29,
21. Juli.
sation der ersten Rippe erzielt werden. Auch Bacmeister er-
wartet eine wirksame Prophylaxe für die gefährdete Lungenspitze
beispielsweise bei jugendlichen Individuen mit tuberkulösen Drüsen
von „systematischen Uebungen, die den Thorax weiten und die
Lungen entfalten“. Somit ist es wohl gerechtfertigt und begründet,
wenn wir der Tuberkulosegefahr, die in der mechanischen Dispo-
sition der Lungenspitze liegt, zuvörderst einmal nicht-chirurgisch
zu begegnen suchen. Und dies um so mehr, als — wie Bac-
meister (5) auch schon ausführt — neben der Stenose der oberen
Thoraxapertur auch skoliotische Verbiegungen der Wirbelsäule
(wie sie durch Muskelschwäche oder schlechte Haltung zumal am
Schreibtische hervorgerufen sein können) und schließlich auch noch
andere, die Lungenspitzenatmung behindernde Momente als mecha-
nisch-disponierende Faktoren für Spitzentuberkulose in Betracht
zu ziehen sind. Der Notwendigkeit freilich, die mechanische Be-
hinderung der Lungenspitze wenigstens durch konservative Methoden
zu beheben, wird man sich nach den eben erwähnten klinischen,
anatomischen und experimentellen Erfahrungen nicht mehr ver-
schließen können und dürfen. |
Wenn man sein Augenmerk mehr als bisher nach dieser
Richtung hin lenken wird, so dürfte wohl zweierlei konstatiert
werden: 1. Daß gerade in Familien, in denen Tuberkulose ein
ständiger Gast ist, sich schon bei ganz jugendlichen Individuen
Veränderungen an den Lungenspitzen finden, die auf einer behin-
derten Lüftung dieser Lungenteile und nur darauf beruhen, und
2. wird man die gleichen abnormen Verhältnisse auch bei manchen
Individuen finden, deren persönliche und Familienanamnese von
vornherein einen Verdacht auf Tuberkulose nicht aufkommen läßt.
Im einen wie im andern Fall aber wird man aus Gründen der
Tuberkuloseprophylaxe dem Befunde gebührende Beachtung und
Behandlung zuteil werden lassen müssen und wird mit Freuden
wahrnehmen, durch welch einfache Mittel, wenn diese nur kon-
sequent durchgeführt werden, normale Verhältnisse herbeizu-
führen sind. |
Diese meine Meinung stützt sich auf Wahrnehmungen. die
ieh im Lauf des letzten Jahres zu machen Gelegenheit hatte, und
deren Mitteilung im Zusammenhang mit der Frage der Tauber-
kuloseprophylaxe vielleicht einiges Interesse beanspruchen darf.
Meine Beobachtungen stammen aus dem Ettlingerschen Erholungs-
heime für israelitischoe Schulkinder zu Hofheim a. Taunus. Diese An-
stalt wurde vor etwa 2!/a Jahren gegründet und verpflegt während der
Frühlings-, Sommer- und Herbstmonate erholungsbedürftige schulpflich-
tige Kinder. Das Haus ist am Fuße des Kapellenbergs gelegen, mit
Veranden an seiner Gartenseite versehen und läßt nur darin zu wünschen
übrig, daß vorläufig aus räumlichen Gründen nicht mehr als 23 Kinder
pro Monat aufgenommen werden können. Diese relativ kleine Zahl bietet
anderseits den Vorteil, daß eine genauere Beobachtung des einzelnen
Pfleglings und eventuell individualisierende Behandlung möglich ist.
Mir lag die Aufgabe ob, die für das Heim geeigneten Kinder
unter den von deren Eltern, Schulärzten oder Lehrern gesandten
kleinen Erholungsbedürftigen auszusuchen, die Pfleglinge selbst
während ihres Aufenthalts in Hofheim hie und da zu besuchen
und bei diesem Anlaß etwa angebracht erscheinende Ordinationen
zu treffen. Ich verfolgte nun in beziehungsweise mit diesem Er-
holungsheime von vornherein den Plan, es in den Dienst der
Tuberkuloseprophylaxe zu stellen, — nicht etwa, indem ich Kinder mit
ausgesprochener, initialer Tuberkulose aufnahm, diese sind viel-
mehr, wie auch andere infektiöse Krankheiten, statutarisch ausge-
schlossen, — sondern indem ich diejenigen Kinder bevorzugte, die aus
notorisch mit Tuberkulose behafteten Familien stammten und selbst
einen schwächlichen Eindruck erweckten, ohne direkt krank zu
sein, oder aber die durch einen schmalen, flachen, rachitisch ver-
krümmten Thorax oder durch frühere skrofulöse Prozesse zur
Phthise disponiert erschienen.
Schon im Verlauf der Erholungssaison 1910 fiel mir wieder-
holt auf, daß mehrere dieser Kinder bei der zweiten oder dritten
Untersuchung einen abnormen Befund über der oder den Lungen-
spitzen vermissen ließen, den ich bei der erstmaligen Untersuchung
erhoben und in meinem Journal gewöhnlich als Schallverkürzung,
verdächtigen perkutorischen, auch auskultatorischen Status oder
Dämpfung verzeichnet hatte. Ich war damals geneigt, diese Diffe-
renzen im Ergebnisse der Spitzenperkussion und -auskultation auf
einen anfänglichen Irrtum meinerseits zurückzuführen, hatte mir
auch die Selbstkritik erschwert, indem ich anfänglich ungenügende
Notizen machte. Immerhin dachte ich auch an die Möglichkeit,
daß durch die Atemgymnastik, die ich von fast allen Kindern täg-
lich unter Aufsicht der Anstaltsleiterin ausführen ließ, diese Aende-
rung im Untersuchungsergebnisse herbeigeführt worden sein könne.
Ich nahm mir dann vor, im kommenden Jahre den Lungenspitzen
unserer Schutzbefohlenen genaueste Aufmerksamkeit zu schenken
und durch genaue Aufzeichnungen mir ein verläßliches Urteil über
die etwaigen Veränderungen und deren Ursache während des Auf-
enthalts im Erholungsheime zu bilden. Gleich einer der ersten
. Fälle, den ich im Frühjahr 1911 zu beobachten Gelegenheit hatte,
sollte mir zeigen, daß meine Wahrnehmungen nicht auf einer
Selbsttäuschung beruht hatten. |
Es handelte sich um ein i4jähriges Mädchen (Selma K.), das aus
einer kinderreichen Familie stammt, die keine Tuberkulose unter ihren
Mitgliedern aufweist. Das Kind wurde mir vom Schularzte wegen Verdachts
auf einen doppelseitigen infiltrativen Lungenspitzenprozeß tuberkulöser Natur
zur Aufnahme in Hofheim empfohlen. Da das Mädchen nicht hustete,
auch keine katarrhalischen Erscheinungen an der Lunge aufwies, so glaubte
ich mich zur Aufnahme berechtigt, trotzdem ich den Fall für äußerst
tuberkuloseverdächtig hielt. Der Lungenbefund ergab sowohl bei der
ersten Untersuchung in meiner Sprechstunde als auch einige Wochen
später beim Eintritt in unserm Heime kompakte Dämpfung über der
R. Spitze, V. und H., sowie leicht verschärftes Exspiriam daselbst, und
über der L. Spitze deutliche Schallfeldeinengung. Eine durch die Poli-
klinik des Israelitischen Gemeinde-Hospitals ausgeführte Röntgenaufnahme
ergab an der R. Spitze eine fleckige Trübung. Das Mädchen wies neben
dem abnormen Lungenstatus Blässe der Haut, nervös erregte Herzaktion
und eine auffallend schmale Nase auf, die aber kein nachweisliches
Hindernis für die Nasenatmung abgab. Ich verordnete Atemgymnastik,
und zwar nach einem System, das ich auf Grund der Schreberschen
Uebungen zusammengestellt habe. Höchst überrascht war ich nun, als
ich bereits nach 14 Tagen eine starke Aufhellung über den gedämpften
Lungenteilen feststellen konnte, die weiterhin fortschritt, sodaß nach vier
Wochen absolut normaler Perkussionsschall zu konstatieren war, und auch
bezüglich des Atemgeräusches kein Abweichen von der Norm mehr be-
stand. Das Mädchen verließ dann unser Heim, wurde aber wieder-
holt von mir in Frankfurt nachuntersucht und vier Monate später noch-
mals im Heim aufgenommen, ausschließlich zur Sicherung des Erfolges,
denn der normale Lungenbefund blieb erhalten; freilich hatte das Kind
die Weisung erhalten, die Atemübungen zu Hause fortzusetzen.
Waren auch in den übrigen von mir beobachteten Fällen die
physikalisch nachweisbaren Lungenspitzenveränderungen und ihr
Schwinden während des Erholungsaufenthalts nicht derartig ekla-
tante, so erhob ich doch bei einer Reihe von Kindern abnorme
physikalische Spitzenbefunde und andere Regelwidrigkeiten, die
über jeden Zweifel erhaben waren und durch ihre Häufung ein
charakteristisches Gepräge erhielten; auch war bei den meisten
von ihnen der Kurerfolg zwar nicht so rasch und überraschend wie
bei dem vorhin geschilderten Mädchen, aber doch unzweifelhaft
und oft recht erfreulich. Um nicht durch Wiederholungen zu er-
müden und die mir zur Verfügung stehende Zeit eines Vortrags
nicht zu überschreiten, will ich von meinen Beobachtungen bei den
andern ins Bereich unserer Betrachtung fallenden Kindern mehr
kursorisch berichten, will sie zusammenfassen und gleich unter ge-
wisse, für die kritische Betrachtung zweckmäßige Gesichtspunkte
ordnen. |
Von den 117 im Jahr 1911 bei uns verpflegten Kindern hatten
insgesamt 29 überhaupt einen von der Norm abweichenden Befund an der
oder den Lungenspitzen (davon waren 16 Knaben und 13 Mädchen). Drei
dieser Fälle möchte ich von der Betrachtung ausscheiden, da sie nichts
weiter als eine allerdings nach meiner Ueberzeugung einwandfreie Ver-
schärfung des Atemgeräusches aufwiesen (obwohl dieses sich in dem
einen, von namhafter Seite als sicher tuberkulös bezeichneten Fall über
beiden Spitzen vorfand).
Meinen weiteren Ausführungen liegen somit 26 Fälle mit ab-
normem Lungenspitzenstatus zugrunde. Bei sechs von diesen Kindern
war eines der Eltern oder beide notorisch tuberkulös, bei sechs andern
besteht nur Verdacht auf tuberkulöse Belastung.
Das von der Norm abweichende Ergebnis der Lungenspitzenunter-
suchung bestand dreimal — und zwar inklusive des zu Eingang der
Kasuistik eingehender erörterten Falles — in ausgeprägter Dämpfung über
beiden Lungenspitzen, zweimal in kompakter Dämpfung über der R. und
Schallfeldeinengung über der L. Spitze; in einem Falle fand ich R. starke
Dämpfung, L.H. über der Grätengrube tympanitisch-gedämpften Schall,
in einem Falle über beiden Spitzen deutliche Schallfeldeinengung; 17m
fand sich eine Dämpfung nur der R, Spitze, einmal nur eine solche der L.
Das Ergebnis der Auskultation bei den perkutorisch abnorm befundenen
Lungenspitzen war folgendes: zweimal notierte ich Atemgeräusch von
unbestimmtem Charakter, dreimal normal vesikuläres, zweimal mäßig ver-
schärftes Vesikuläratmen, in den übrigen 19 Fällen verschärftes oder stark
verschärftes Exspirium oder auch Verschärfung in beiden Phasen der
Atmung. Einen Parallelismus zwischen Intensität der Dämpfung un
Charakter des Atemgeräusches vermochte ich nicht zu konstatieren.
Mit Rücksicht auf die Frage nach der Ursache der Spitzen-
veränderungen, zumal nach einer mechanischen Disposition, riehtet®
ich meine besondere Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Nasen-
atmung und Thoraxkonfiguration.
94, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
1198
m —— ———_ _ —— —— — — — — ___ — —
Hierbei ergab sich nnn folgendes: In den drei-Fällen mit doppel-
seitiger Spitzendämpfung war in dem einen zu Anfang ausführlich er-
örterten die Nase schmal, bot aber dem Luftstrome kein nachweisliches
Hindernis, im zweiten die Nase normal, aber der Thorax schmal und flach,
dio Clavikeln stark vorspringend und gerade medianwärts verlaufend, die
1. Rippe — soweit ich sie durch Palpation beurteilen konnte — in ihrer
Exkursion behindert; im dritten der unter diese Gruppe rangierenden
Fälle waren die Nasengänge beiderseits, besonders aber links, stark ver-
engt und die Atmung infolgedessen erschwert.
In zwei Fällen, bei denen es sich um einseitige Schallfeldein-
engung beziehungsweise Dämpfung und verschärftes Atmen handelte, war
auf der gleichnamigen Seite die Nasenatmung behindert, in zwei weiteren
Fallen mit der gleichen Spitzenveränderung waren beide Nasenhälften
verlegt, einmal aber gerade die der gedämpiten Spitze entgegengesetzte
Nasenhälfte intensiver; in diesem Falle war allerdings auch der Thorax
flach und die Schultergegend eingeengt, die obere Apertur schien steno-
siert, (In Parenthese will ich hier übrigens bemerken, daß bei dreien der
in unserm Heime .befindlichen Kinder die Nasenatmung stark behindert
war, einmal sogar doppelseitig, ohne daß der Lungenbefund irgendwelche
Veränderung aufwies; eine absolute Gesetzmäßigkeit besteht somit in
dieser Hinsicht nicht )
Ausschließlich abnormen Befund am Thorax ohne normwidriges
Verhaltön der Nase stellte ich in acht Fällen fest. Bei einem derselben,
der R. starke, L. geringe Schallfeldeinengung und R.V. verschärftes
Atmen aufwies, zeigte der Schulterring fast elliptische Form; hier hatte
offenbar eine schwere Rachitis ihre Spuren hinterlassen. Bei zwei Mäd-
chen von sieben und acht Jahren war, offenbar auch infolge früherer
Rachitis, der Brustkorb seitlich eingedrückt und flach, bei dem einen von
ihnen die obere Thoraxaper.ur stenosiert. Von zwei Knaben und drei
Mädchen notierte ich flachen, schmalen Thorax und ziemlich queren Ver-
lauf der Clavicula.
Somit zeigten sich bei sechs von den ins Bereich unserer
Betrachtung gezogenen Kindern normales Verhalten der Nasen-
atmung, wobei zweimal auch gleichzeitig Thoraxveränderungen vor-
lagen, und bei zehn Kindern konnten wir auffälliges Verhalten der
Thoraxconfiguration konstatieren, dabei zweimal zugleich Verände-
rungen an der Nase. p
Wie ich bereits andeutete, habe ich therapeutisch den
Eungenveränderungen gegenüber, neben guter Verpflegung und
möglichst ausgedehntem Aufenthalt im Freien, das Hauptgewicht
auf regelmäßige, jeden Tag durchgeführte Atemgymnastik gelegt;
hierbei ließ ich, um erweiternd auf die obere Thoraxapertur zu
wirken, besondere Sorgfalt auf die Uebungen verlegen, welche die
an der ersten Rippe entspringenden Muskeln in Anspruch nehmen.
Bei Behinderung der Nasenatmung ließ ich jeden Tag die Nasen-
schleimhaut mit Lanolineröme massieren und erzielte damit regel-
mäßig erhebliche Besserung, das heißt Erleichterung der Atmung
durch die Nase. Als unterstützende therapeutische Faktoren kamen
in manchen Fällen, zumal bei bestehender Anämie oder Drüsen-
schwellung, Salzbäder, Salzwasserabreibungen und Dürkheimer Max-
quelle oder Jodeisenleberthran zur Verwendung.
Bei Betrachtung der Kurerfolge müssen wir drei Kinder
ausscheiden, da sie aus äußeren Gründen nur zu kurze Zeit in
Hofheim bleiben konnten. Bei den übrigen war das Resultat zu-
nächst bezüglich des Allgemeinzustandes, des Aussehens, der Ge-
wichtszunahme recht befriedigend.
Ich erwähne beiläufig, daß ein Mädchen von 14 Jahren während
szos achtwöchigen Aufenthalts bei uns 11 Pfund (!von 76 auf 87 Pfund)
nahm.
Quoad pulmones war in elf Fällen der Erfolg ein sehr guter, in-
sofern als die Dämpfungen schwanden, und kein abnormer Atmungsbefund
blieb; zweimal wurde dies gute Ergebnis schon in 14 Tagen erzielt, in
der Mehrzahl in vier bis sechs Wochen. Völlige Aufhellung der Dämpfung,
doch Restieren -von verschärftem oder unbestimmtem Atmen — war das
Resultat in sieben Fällen, und es wurde erreicht einmal schon in 14 Tagen,
einmal aber erst in 10 Wochen. In fünf unserer Fälle ließ der Erfolg
Isoferu zu wünschen übrig, als der Dämpfungsbezirk wohl eine Ein-
schränkung erfuhr, aber nicht völlig beseitigt wurde. Bei einem dieser
, letzteren Falle darf ich den teilweisen Mißerfolg wohl auf das Unter-
Fer der Atemgymnastik zurückführen, das durch eine komplizierende
EA Herzaffektion geboten war; ich bin zu dieser Annahme berechtigt,
a ich nachträglich hier in Frankfurt noch eine Aufhellung beobachten
Er nachdem ich dem Mädchen die Atemübungen gestattet und ver-
Be hatte, Bei den vier andern Kindern mit nicht ganz befriedigendem
= lge handelt es sich bei dem einen (erst 7'/ajährigen) Kinde, wie ich
P, a. ) behaupten möchte, wohl um einen tuberkulösen, infiltrativen
es der aber nicht weiter verwunderlich ist, nachdem Vater und
it er mit Tuberkulose behaftet sind, und auch einige Geschwister be-
reits den Keim zu diesem Leiden bergen. — Bei den drei andern Fällen,
“in denen die Dämpfung nicht völlig schwand, dürfen wir vielleicht den
and beschuldigen, daß diese Kinder erst im Oktober im Heim Auf-
Nied ) Die Gewißheit erbrachte inzwischen die etwa drei Wochen nach
erschrift dieser Ausführungen erfolgte erste Hämoptöel
nahme finden konnten und infolge der kürzeren, kühleren Tage des Ge-
nusses der frischen Luft nicht mehr in so ausgedehntem Maße teilhaftig
werden konnten wie die früheren Gruppen. Hervorheben will ich an
dieser Stelle schließlich noch, daß bei sämtlichen Fällen mit anfänglich
behinderter Nasenatmung völlige Aufhellung des Lungenschalls erfolgte.
Wenn ich nun eine Erklärung meiner Wahrnehmungen
und damit zugleich ihre Wertung für praktische Schlußfolgerungen
versuche, so tue ich es mit der Reserve, die immer geboten ist,
wo man nicht das anatomische Substrat eines klinischen Befundes
vor Augen hat. In allen Fällen der Art, wie ich sie schilderte,
drängt sich einem zunächst der Gedanke auf, es könne sich um
einen tuberkulösen Prozeß handeln, und dies um so mehr, als -—
wie ich ja erwähnte — bei einer ganzen Reihe unserer Pileglinge
die Tuberkulose in der Anamnese eine bedenkliche Rolle spielt,
zudem die meisten Kinder anämisch, dürftig ernährt, verschiedene
auch mit Drüsenschwellungen behaftet waren.
Trotzdem halte ich außer bei dem vorhin erwähnten siebenjährigen
Mädchen nur noch bei einem neunjährigen den Verdacht auf einen be-
ginnenden tuberkulösen Spitzenprozeß für begründet; dieses Kind, dessen
Mutter an einer durch hochgradige Kyphoskoliose komplizierten Pneu-
monie starb, dessen Bruder ich im Vorjahr an einem skrophulösen
Drüsenabsceß behandelte, war trotz vorzüglicher Pflege in einer hiesigen
Waisenanstalt stark abgemagert, litt an Nachtschweißen und Mattigkeit.
Der auf die rechte Lungenspitze beschränkte, abnorme Befund bestand
in Dämpfung und verschärftem Atemgeräusch, wies keine Rhonchi auf;
auch hustete das Kind nicht, noch hatte es Auswurf. Obwohl also die
objektiven Veränderungen denen bei den andern Fällen unserer Zu-
sammenstellung analog waren, so scheint mir doch erstens die starke Be-
einträchtigung des Allgemeinzustandes und zweitens die Dauer von zehn _
Wochen bis zum Schwinden der Dämpfung, während das verschärfte
Atemgeräusch blieb, für beginnende Tuberkulose der rechten Spitze zu
sprechen. Bezüglich des definitiven Erfolges blieb übrigens dieses Kind
nicht hinter den andern zurück.
In allen übrigen Fällen sprach das Fehlen von Husten, Aus-
wurf, Nachtschweißen, das rasche Schwinden auch der doppel-
seitigen Spitzenveränderungen in durchschnittlich vier Wochen,
ohne daß — was ich noch besonders betonen möchte — Zeichen
von Vernarbung hinterblieben, gegen die Auffassung von der
tuberkulösen Natur der Veränderungen an den Lungenspitzen
unserer Pfleglinge.
Bei Ablehnung der Tuberkulose ist weiterhin zu erwägen,
ob unsere Fälle nicht in die Kategorie der Lungenspitzenverdich-
tungen zu zählen sind, für die der unlängst verstorbene glänzende
Diagnostiker Krönig (6) den Begriff der Kollapsinduration auf-
gestellt hat und deren öfteres Vorkommen bei angeblich Tuber-
kulösen dann Blümel (7) aus der Anstalt in Görbersdorf be-
stätigte. Als Kollapsinduration bezeichnet Krönig den „Effekt
rein lokaler, mit Kollaps einsetzender, chronischer interstitieller
Entzündungsvorgänge“ an der rechten Lungenspitze, „verursacht
durch gewohnheitsmäßiges Einatmen von mit Staubpartikeln jeg-
licher Art geschwängerter Luft“ bei Mundatmern.
Gegen die bedingungslose Anwendung des Krönigschen
Begriffs auf unsere Fälle spricht das Fehlen verschiedener, nach
Krönig für die Kollapsinduration charakteristischer, pathognomoni-
scher Zeichen: 1. War in der Mehrzahl unserer Fälle keinerlei
Behinderung der Nasenatmung zu konstatieren; es fehlte bei allen
der für Mundatmer typische Gesichtsausdruck, auf den sich Krönig
bei seinen Fällen beruft; 2. beschränken sich die Spitzenverände-
rungen bei unsern Fällen nicht — wie bei Krönig — nur auf die
rechte Lunge, waren vielmehr mehrfach beiderseitig, einmal nur
linksseitig; 3. blieben bei unsern Kindern, im Gegensatz zu den
Krönigschen Fällen, die Spitzenveränderungen nicht konstant,
sondern schwanden während des Aufenthalts im Heime. — Und
doch, glaube ich, sind bei einer gewissen Erweiterung der Krönig-
schen Symptomatologie und bei Modifikation seines Begriffs in
„Kollapsinfiltration“ unsere Fälle in die gleiche Gruppe wie die seinen
zu rechnen. Das von ihm gezeichnete, allerdings auch nicht durch
Autopsie begründete, pathologisch-anatomische Bild bei seinen
Fällen von Kollapsinduration kommt jedenfalls der Vorstellung
entgegen, die ich mir von den pathologischen Vorgängen in den
Lungen unserer Fälle machte. Es handelte sich offenbar in unsern
Fällen, ganz allgemein ausgedrückt, um die Folgezustände unge-
nügender Lüftung der Lungenspitzen. Bedingt war dieser Mangel
durch mechanische Mißverhältnisse, wie sie sich uns bei der Mehr-
zahl der besprochenen Kinder in abnormer Thoraxkonfiguration,
namentlich Enge des Schulterringes, in andern Fällen wieder durch
Behinderung der Nasenatmung — allein oder kombiniert mit
Thoraxanomalie — präsentierten. Unter dem Einflusses der
schlechten Spitzenventilation, namentlich der verringerten Exspi-
rationsmöglichkeit, häufte sich eingeatmeter Staub in den feinen
1194 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli,
Bronchialverzweigungen an, wozu die Stadtluft und besonders die
Luft in den Wohnungen mancher unserer armen Pflegebefohlenen
reichlich Gelegenheit bietet; dieser Staub bedingte katarrhalische
Schleimhautschwellung, die allmählich das Lumen der feinsten
Bronchiolen verlegte und dann zum Kollaps der Alveolen führte.
Mitunter mag es auch zu einer sekundären Infiltration in der Um-
gebung der Bronchiolen gekommen sein, wie sie Krönig als Regel
annimmt, und die für ihn das Vorstadium der Induration, also
eirrhotischer Veränderung bedeutet. In einigen unserer Fälle, wo
der von der ersten Rippe beschriebene Bogen eng und starr er-
schien, diese also möglicherweise das Lungengewebe des Ober-
lappens komprimierte, mag es auch stellenweise zu kompletten und
inkompletten Atelektasen in der Spitze und zu Lymphstauungen
daselbst gekommen sein, wie sie Bacmeister bei seinen experi-
mentell komprimierten Lungen fand.
Die Vorgänge, die zur Aufhellung des Perkussionsschalles
über den Spitzen führten, denke ich mir dergestalt, daß unter dem
Einflusses der günstigen Luftverhältnisse Hofheims, zweifelsohne
auch gefördert durch die Atemgymnastik, sich die Lungenbläschen
entfalteten und wieder lufthaltig wurden; in den Fällen, wo ver-
~ mutlich eine sekundäre Infiltration vorlag, dürfte es weiterhin unter
dem Einflusse des durch die vertiefte Atmung angeregten kräf-
tigeren Blut- und Lympheirculation zur Resorption des Infiltrats
gekommen sein, (Vielleicht wäre in den Krönigschen Fällen unter
den gleichen günstigen Außenumständen auch noch eine Aufhellung
des Lungenspitzenschalles zu erzielen gewesen, vielleicht aber auch
wäre es in unsern Fällen bei längerem Bestande der abnormen
Lüftungszustände zu nicht mehr zu beseitigender Induration des
Lungengewebes gekommen, wie sie Krönig annimmt.)
Daß speziell die Atemgymnastik berufen ist, in solchen Fällen, wie
ich sie heute schilderte, eine nicht zu unterschätzende, fördernde Rolle
zu spielen, dafür möchte ich zum Beweise außer dem bereits angeführten
Falle, in dem erst nach Einleitung der Atemübungen nachträglich hier
in Frankfurt völliges Schwinden der Spitzenveränderungen erfolgte, noch
Wahrnehmungen erwähnen, die ich jüngst erst bei zwei erwachsenen
Patientinnen machen konnte.
Die eine hatte eine hartnäckige Oberlappen-Influenza-Pneumonie
durchgemacht und wurde von mir zur Nachkur noch mit einer starken
Spitzendämpfung an einen unserer bestrenommierten Luftkarorte geschickt.
Von da kehrte sie nach zwei Monaten in gutem Allgemeinzustand,
aber noch mit ausgeprägter Dämpfung zurück; ich ließ dann täglich
Atemübungen ausführen und hatte die Genugtuung, in etwa 14 Tagen die
Aufhellung der Dämpfung feststellen zu können,
Bei der zweiten Patientin fand ich ursprünglich eine — offenbar
durch Behinderung der Nasenatmung infolge chronischen Schnupfens be-
dingte — Schallfeldeinengung über beiden Lungenspitzen und konnte
durch Anordnung von Atemübungen bereits nach 14 Tagen völlig normalen
Befund herbeiführen.
- Zusammenfassung:
1. Es begegnet uns in der Praxis, namentlich unter jugend-
lichen Individuen, eine Reihe von Fällen, die auf den ersten Blick
den Verdacht einer tuberkulösen Lungenspitzenaffektion erwecken,
bei genauerer Untersuchung und im Lauf der Beobachtung aber
sich als Folgezustände mangelhafter Spitzenlüftung darstellen.
2.. Dieser Mangel liegt meistens in einem mechanisch-funk-
tionellen Mißverhältnisse des Schulterrings oder des obersten Luft-
wegs (der Nase oder des Nasenrachenrauns).
3. So erfreulich auch bei schwächlichen Individuen aus
tuberkulös veranlagten Familien die Feststellung ist, daß die von
uns gekennzeichneten Lungenveränderungen nicht specifischer Natur
sind, so dürfen letztere doch nicht unterschätzt werden. Vielmehr
haben die Beobachtungen Hansemanns bei Obduktionen und die
Experimente Bacmeisters die Gewißheit erbracht, daß wir in
mechanischen Mißverhältnissen einen der beachtenswertesten An-
lässe zu Lungenspitzentuberkulose haben.
4, Die Tuberkuloseprophylaxe muß diesem Momente daher
ihre regste Aufmerksamkeit schenken. Sie kann auch erfolgreich
dagegen ankämpfen und zwar in der Regel durch die konservativen
Methoden der Freiluftkuren und Atemübungen. In Fällen, wo auf
diese Weise ein Dauererfolg nicht zu erzielen ist, sollte bei Vor-
handensein einer Stenose der oberen Thoraxapertur die Frage der
operativen Mobilisierung der ersten Rippe erwogen werden.
Ich darf nicht schließen ohne ein Wort wärmster Empfeh-
lung für die Schülererholungsheime. Ueber ihre Bedeutung im
allgemeinen, ihre Vorzüge gegenüber den Walderholungsstätten,
Wanderungen und Kolonien ausschließlich während der Ferienzeit
— worüber ich persönlich vergleichende Beobachtungen anstellen
konnte — sich zu äußern, bietet sich vielleicht später einmal Ver-
anlassung. Auf Grund meiner heutigen Ausführungen bin ich
wohl berechtigt, den Erholungsheimen eine führende Rolle bei der
Tuberkuloseprophylaxe zuzuerkennen und den Wunsch zu äußern,
daß sich bald eine größere Zahl solcher Heime auftun möchte,
Literatur: 1. Hansemann, Ueber typische und atypische Lungen-
phthise. (Berl. kl. Woch. 1911.) — 2. W. A. Freund, Beiträge zur Behandlung
der tuberkulösen Lungenspitzenphthise.usw. (M. med. Woch. 1907.) — 3. Karl
Hart, Zur Frage der chirurgischen Behandlung der beginnenden Lungenspitzen-
phthise. (M. med. Woch. 1907.) — 4 Sonderabdruck aus den Verhandlungen des
deutschen Kongresses für innere Medizin: Experimentelle Lungenspitzentuber-
kulose von Adolf Baomeister. — Derselbe: Die mechanische Disposition der
Lungenspitzen und die Entstehung der Spitzentuberkulose. (Mitt. a. d. Gr. 1911.)
— 5. Derselbe, Entstehung und Verhütung der Lungenspitzentuberkulose.
(D. med. Woch. 1911.) — 6. Krönig, Die deutsche Klinik am Eingange des
20. Jahrhunderts, Bd. 11.) — 7. Blümel, Differentialdiagnose von Kollaps-
induration der rechten Spitze und Tuberkulose. (M. med. Woch. 1908.)
Ueber die Wirksamkeit der physikalischen
Behandlungsmethoden bei Störungen des
Verdauungsapparats!)
von
Dr. Landsberg, Sanatorium Thalheim -Landeck i. Schl.
In der Behandlung der Störungen des Verdauungsapparats
steht die Diätetik mit Recht obenan. Aber ihre Wertschätzung,
die mit der fortschreitenden Einsicht in die Chemie der Verdau-
ung immer mehr gewachsen ist, hat, bewußt oder unbewußt, all-
mäblich zu einer Verdrängung der physikalischen Behandlungs-
methoden geführt. Zwar an dem theoretischen Standpunkt der
Autoren hat sich kaum etwas geändert. Auch die neuesten Lehr-
bücher der Verdauungskrankheiten heben die Wirksamkeit der
Hydrotherapie, Mechanotherapie und verwandten Disziplinen rühmend
hervor. Aber zwischen dieser ideellen Bewertung und dem Maß
ihrer Umsetzung in die Praxis wird, wie mich eine vielfältige Er-
fahrung lehrt, der Abstand immer größer, und die physikalischen
Behandlungsmethoden könnten, wenigstens bezüglich ihrer Anwen-
dung bei den Verdauungsstörungen, in Abänderung des bekannten
Lessingschen Spruchs von sich sagen: Wir wollen weniger er-
hoben und fleißiger betätigt sein. Die Gründe für diese Divergenz
liegen auf der Hand. Die pbysikalischen Methoden stehen in bezug
auf ihre exakte wissenschaftliche Begründung der Diätetik weit
nach. Soweit experimentelle Untersuchungen stattgefunden haben,
sind ihre Ergebnisse vielfach unsicher und einander widersprechend.
So entbehren die praktisch unzweifelhaft feststehenden Resultate
des zwingenden Gefühls kausaler Verknüpftheit und ermangeln
daher scheinbar der vollen Beweiskraft. Aber eine derartige An-
schauung widerspricht an sich schon dem Wesen aller physikali-
schen Anwendungen, die — als Summe kombinierter Einzelreize —
sich kaum je, wie es das Experiment verlangt, in ihre Kompo-
nenten auflösen lassen und rechnet vor allem nicht mit der mut-
maßlichen Angrifisstelle ihrer Wirkung auf die feinsten und in-
timsten Vorgänge der Organe, deren Kenntnis sich der Forschung
vorläufig noch verschließt. So wird sich über den in Rede stehen-
den Gegenstand noch auf lange Zeit hinaus vornehmlich nur an
der Hand umfangreicher praktischer Erfahrung ein Urteil gewinnen
lassen. Um so gerechtfertigter erscheint jede Aeußerung zu dem
fraglichen Thema.
Im Rahmen einer kurzen Darstellung kann ich selbstverständlich
aus dem großen Gebiete der Störungen des Verdauungsapparats nur
Bruchstücke herausgreifen. Zugleich erscheint mir eine Einschränkung
auf die Betrachtung lokaler Anwendungsformen angezeigt, da nur von
einer unmittelbaren Einwirkung die Rede sein soll, während der Einfluß
allgemeiner Prozeduren auf den Gesamtorganismus und damit indirekt
auch auf die Verdauungsorgane nicht bestritten werden kann. Betrefis
der örtlichen Wärme- und Kälteapplikationen ist zunächst die Vorfrage
zu erörtern, ob ihnen überhaupt eine erheblichere Tiefenwirkung zukommt.
Die meisten Untersucher (Ewald, Chelmonski, Winternitz, Wend-
riner und Andere) sind zu einer bejahenden Antwort gelangt. Ganz
neuerdings haben aus dem Briegerschen Institut Eichler und Schemel?)
unter Benutzung des automatischen Fieber-Registrierapparats der Firma
Siemens & Halske umfassende Versuchsreihen darüber veröffentlicht. Sie
konstatierten bei lokaler Anwendung der Dampfdusche und Bogenlicht-
bestrahlung ein Steigen der Innentemperatur des Magens, unter Appli-
kation einer einfachen Stammpackung, des Winternitzschen Magen-
mittels und besonders des Eisbeutels ein Sinken. Damit ist für die Mög-
lichkeit der Beeinflussung innerer Magenvorgänge durch äußere örtliche
hydro- und thermotherapeutische Prozeduren eine einwandfreie Basis ge-
geben. Die Tiefenwirkung der Massage und Elektrotherapie kann meines
Erachtens ebenfalls nicht in Abrede gestellt werden.
') Vortrag, gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin 1912.
2) D. m. Woch. 1911, S. 2371.
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21. Jali. ._
Wenn ich nun die Funktionsstörungen des Magens, und zwar zu-
nächst die sekretorischen, in den Kreis meiner Betrachtung ziebe, so er-
geben die angestellten Untersuchungen recht widersprechende Resultate.
Puschkin!) und Lindemann?) fanden nach feuchten beziehungsweise
trockenen heißen Kompressen eine Steigerung der Gesamtacidität und
-der freien HCl, Pentzoldt®) konstatierte unter der Anwendung heißer
Breiumschläge ein früheres Auftreten der HClI-Reaktion. Demgegen- |
über konnten Laqueur®) in Tierversuchen, Gilardoni’®) und An-
dere bei Menschen einen Einfluß der erwähnten Anwendungen auf die
Magensekretion nicht bestätigen und auch Eichler und Schemel°)
kamen bezüglich der Dampfdusche in Fällen von subacidem Maugenkatarrh
zu einem negativen Ergebnis. Diese auffällige Differenz der Meinungen
beruht natürlich darauf, daß die Magensaftsekretion in Quantität und Qua-
lität schon normalerweise bei einem und demselben Individuum erheb-
lichen Schwankungen unterliegt, sodaß es häufig dem subjektiven Br-
messen des Beobachters anheimgestellt bleibt, wie er eine gefundene Ab-
weichung deuten will. Bei unbefangener Würdigung der Veröffent-
lichungen muß man indessen zu dem Schluß kommen, daß zwar bei er-
heblicheren Säureherabsetzungen die erwähnten Wärmeprozeduren ver-
sagen, in Fällen leichterer Sekretionsanomalien dagegen durch feuchte
Wärme eine Rückkehr zur Norm erzielt werden kann. Dieser Ansicht
gibt, so reserviert er sich sonst äußert, auch Neumann’) Ausdruck, deni
wir die umfassendste Experimentalarbeit über den Gegenstand meines
heutigen Themas verdanken. — Den Kälteapplikationen sprechen alle
Untersucher übereinstimmend einen Einfluß auf die Magensekretion ab,
l Eine Einwirkung der Massage auf die Qualität des Magensafts ist
von ausländischen Autoren [Vas und Gara), Kopadze?) und Andere]
mehrfach behauptet worden, nach den Untersuchungen von Pentzoldt
ud Neumann dagegen nicht nachzuweisen.
Was dio Wirksamkeit der elektrischen Lokalbehandlung anbetrifft,
so haben Ziemssen!0) im Tierexperiment und Hoffmann!!) am Men-
schen eine Anregung der Saftsekretion durch lokale Galvanisation beob-
achtet. Auch Crämer!?) sah in einem Falle von Anacidität nach zehn
Minuten langer Einwirkung des konstanten Stromes deutliche Reaktion
auf freie HCI auftreten. Einhorn!?) wies der Faradisation einen för-
dernden Einfluß zu und auch Pentzoldt konstatierte in einer allerdings
nur kurzen Versuchsreihe nach Faradisation der Magengegend einen ver-
frühten Eintritt der Salzsäurereaktion. Darnach erscheint, trotzdem auf
der andern Seite Goldschmidt!4), Neumann und Andere jede Ein-
wirkung der Elektrizität auf die Sekretion in Abrede stellen, eine solche,
namentlich für den konstanten Strom, zum mindesten wahrscheinlich.
Besser fundiert ist der Einfluß der physikalischen Therapie auf die
motorische Funktion des Magens, die bekanntlich für den Ablauf der Ge-
semtverdauung die weitaus wichtigere ist. Puschkin, Fleischer")
und Neumann konnten nach heißen Umschlägen eine Abkürzung der
Verdauungszeit des Magens nachweisen. Pentzoldt, der dies bestätigte,
sah. den gleichen Effekt von der Anwendung eines warmen Bades und ge-
langt zu der Schlußfolgerung, daß dieser therapeutische Faktor in der
Behandlung mauchermit Verzögerung der Verdauung einhergehenden Magen-
erkrankungen einen ausgedehnteren Gebrauch verdiene. Wendriner'®) fand
die Quantität des Mageninhalts bei Anlegung des Winternitzschen
Stammumschlags geringer als ohne diese; Eichler und Schomel beob-
achteten nach Applikation des Dampfstrahls mit nachfolgender wechsel-
warmer Fächerdusche eine Verminderung der Inhaltsmenge; Burgonzio'”)
konstatierte eine Besserung der motorischen Kraft des Magens nach
wechselwarmen Duschen auf das Epigastrium.
Ob es gelingt, durch Massage des Magens eine Austreibung seines
Inhalts zu erzielen, erscheint fraglich. Die Versuche von Vas und Gara,
Kopadze und Andern ergaben positive Resultate, auch Zabludowski!®)
glaubte, allerdings rein empirisch, durch eine von ihm beschriebene Me-
thode Mageninhalt durch den Pylorus hindurchpressen zu können. Die
Mehrzahl der Untersucher, vor allem Neumann, stellen einen direkten
Efekt jedoch in Abrede. Auch Penzoldt konnte einen Erfolg nicht
onstatieren und meint, daß die Einwirkung der Massage von der Indi-
Yidualität oder der zufälligen Art der Ausführung abhängig sei. Die er-
wähnten. Beobachtungen beziehen sich in der Hauptsache auf eine un-
mittelbare Verkürzung der Austreibungszeit beziehungsweise direkte Ex-
pression des Mageninhalts. Daß es möglich ist, durch systematische
R Bl. f. kl. Hydrother. 1897, S. 181.
3) Ibidem 1901, S. 92. |
K Festschrift der Universität Erlangen 1901.
- y Zäiert nach Bichler-Schemel 1. c.
| fi he f, diät. phys. Th., Bd. 7.
c
i Zt. f. diät. phys. Th., Bd. 7.
a) BI. f. klin. Hydrother. 1897, S. 121.
A Ibidem 1891, S. 15.
y. Kl. Vortr. 1888, Nr. 12.
H B. kl. Woch. 1889, Nr. 12 u. 13.
1) Crämer, Magenerweiterung 1903.
2 A. f. Verdkr., Bd. 2; D. med. Woch. 1893.
s D. A. f. kl. Med., Bd. 56, S. 295.
aa Berl. kl. Woch. 1882, Nr. 7.
w Bl. f. kl. Hydrother, 1895, Nr. i.
y ) Ibidem 19083.
°) Berl, kl. Woch, 1886,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. | 1195
Massage die Muskulatur des Magens zu kräftigen, wird von allen Autoren
zugegeben, wenngleich direkte Untersuchungen darüber nicht vorliegen.
Der von verschiedenen Seiten behaupteten Einwirkung des faradi-
schen Stroms auf die Motilität des Magens ist von Meltzer ') auf
Grund von Tierexperimenten und Goldschmidt nach Versuchen am
Menschen widersprochen worden. |
Um die Uebersicht experimenteller Forschungen über den in Rede
stehenden Gegenstand zum Abschluß zu bringen, möchte ich anhangs-
weise noch hervorheben, daß auch über die Beeinflussung rein pathologi-
scher Magenvorgänge durch physikalische Applikationen vereinzelt exakte
Untersuchungen vorliegen. Als besonders wichtig und interessant er-
wähne ich wieder die Beobachtungen Eichlers und Schemels, die bei
ihren Kranken nach Anwendung der Dampfdusche fast durchgängig eine
Verminderung der Schleimsekretion feststellten.
Wenn wir uns nun die Summe der angeführten Experimental-
resultate vergegenwärtigen, so bietet sich gewiß kein einheitliches
und unzweideutiges Bild, aber es hieße meiner Ansicht nach die
Skepsis übertreiben, wenn man von einem negativen Gesamtergebnis
sprechen wollte. Trotz aller Widersprüche und Zweifel im ein-
zelnen herrscht annähernde Gleichmäßigkeit in den Grundzügen,
sodaß sich, wie ich glaube, die Richtlinien der Beeinflussungs-
möglichkeiten und damit auch der Behandlung deutlich heraus-
heben. Mehr darf man von seinem wissenschaftlichen Rüstzeug
nicht verlangen, am wenigsten im Bereiche physikalischer Therapie.
Das Uebrige muß die praktische Erfahrung an die Hand geben
und diese entscheidet in unserer Frage unzweifelhaft positiv.
Dieser Ansicht huldigen gerade die besten Kenner des Gebiets,
unter Andern Brieger?), der auf Grund klinischer Erfahrungen zu
der Annahme kommt, daß „die Lokalanwendungen auch durch
direkte Veränderung der motorischen und sekretorischen Funk-
tionen ihre therapeutische Wirksamkeit ausüben“.
Einer ausnahmslosen Anerkennung aber erfreut sich die
physikalische Therapie, soweit es sich um die Beeinflussung der
Sensibilität des Magens und damit überhaupt um die symptomati-
sche Behandlung der Magenaffektionen handelt. Hier herrscht
weitgehende Uebereinstimmung und die Zahl der von verschiedenen
Seiten empfohlenen Prozeduren ist so reichhaltig, daß, wenn ich
so sagen darf, das Angebot den Bedarf übersteigt. Die lange
Reihe der subjektiven Magenbeschwerden, von leichtem Unbehagen,
Völle- und Druckgefühl angefangen, bis zu den schwersten
Gastralgien und Koliken, von Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Uebel-
keit bis zu unstillbarem Erbrechen, ist in der Mehrzahl der Fälle
ein außerordentlich dankbares Objekt physikalisch-therapeutischer
Betätigung. Was man zur Besserung dieser Symptome wie zur
Hebung der sekretorischen und motorischen Funktionsstörungen
aus dem reichen Arsenal physikalischer Applikationen im Einzel-
fall auszuwählen hat, ist Sache der individualisierenden ärztlichen
Kunst und läßt sich nicht in Regeln zwingen. Aus diesem
Grunde möchte ich bezüglich der speziellen Anwendungsformen
nur ganz summarisch das hervorheben, was sich mir in persön-
licher Erfahrung bewährt bat.
Bei Hyperchlorhydrie und Gastrosuccorrhöe wird man im
wesentlichen symptomatisch verfahren müssen und weniger auf
die Sekretionsstörung selbst als auf die begleitende Hyperästhesie
durch Leibbinden, Stammpackungen, temperierte Sitzbäder und
ähnliches Einfluß zu gewinnen suchen. Bei Hypochylie sind da-
neben die Aciditätsverhältnisse durch feuchtwarme Umschläge und
Anwendung des konstanten Stromes nach Möglichkeit zu bessern.
In Fällen von Atonie und motorischer Insuffizienz haben wir
einerseits den Magen durch Beschleunigung seiner Entleerung zu
entlasten und anderseits eine Kräftigung seiner Muskulatur anzu-
streben. Der ersten Indikation werden wir durch heiße Um-
schläge und warme $Sitzbäder gerecht, die ich in geeigneten Fällen
unmittelbar beziehungsweise einige Zeit nach der Hauptmahlzeit
nehmen lasse, ebenso durch Anwendung des Winternitzschen
Magenmittels, bekanntlich einer Stammpackung mit eingelegtem
Heißwasserschlauch. Den Tonus der Muskulatur erhöhen kalte
oder wechselwarme Duschen, Dampfduschen mit nachfolgender
Fächerdusche sowie Faradisation und Massage, wobei ich nicht
unterlassen möchte, auf die in der Therapie der Magenstörungen
bisher nicht nach Gebühr gewürdigte Vibrationsmassage besonders
hinzuweisen. Gegen chronische Magenkatarrhe sind erregende
Umschläge, kalte Sitzbäder und Dampfduschen mit anschließender
Fächerdusche am Platze. Bei Uebelkeit und Erbrechen läßt das
Winternitzsche Magenmittel selten im Stich. In der Behand-
lung von Gastralgien bevorzuge ich neben Umschlägen und Sitz-
1) A. f. Verdkr. Bd. 3.
2) Berl. kl. Woch. 1905, Nr. 44a.
1196 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
bädern hauptsächlich lokale Hitzeanwendungen, in erster Linie
wieder die Dampfdusche, die nach Brieger 1) und seinen Schülern
den entsprechenden trocknen Prozeduren an Tiefenwirkung weit
überlegen ist und nach Klug?) eine- eminent schmerzstillende
Wirkung aufweist. Daneben möchte ich in schweren Fällen mit
Rosenheim) der Anwendung des konstanten Stromes das Wort
reden. Auch gegen Appetitlosigkeit haben mir Winternitzsches.
Magenmittel, Dampfdusche mit nachfolgendem kühlen Regenbad und
konstanter Strom gute Dienste geleistet.
Auf die Beeinflussung der Darmfunktionen durch die physi-
kalischen Behandlungsmethoden kann ich nur noch in gedrängtester
Kürze zu sprechen kommen. Die Ausbeute an theoretischen
Untersuchungen ist hier entsprechend unserer geringeren Einsicht
in die Physiologie und Pathologie der Darmverdauung eine weit-
aus kleinere als beim Magen. Ueber die Einwirkung physikali-
scher Anwendungen auf die Darmsekrete existieren nur betreffs
der Galle Tierversuche von Kowalski®), die den günstigen Ein-
fluß heißer Prozeduren auf die Absonderung und kurzer kalter‘
Applikationen auf die Ausscheidung der Galle nachwiesen. In
bezug auf die Motilität des Darmes sind unsere Kenntnisse zwar
durch Anwendung des Röntgenverfahrens in ungeahnter Weise ge-
wachsen, eine einheitliche Auffassung aber ist vorläufig nicht er-
zielt worden. Ueber die Beeinflussung der Darmmotilität durch
hydro- und thermotherapeutische Prozeduren sind experimentelle
Untersuchungen nicht angestellt, dagegen berechtigen uns prakti-
sche Erfahrungen zu dem Schlusse, daß kurze lokale Kälte- und
Hitzereize eine Erhöhung, länger dauernde Wärme- und Kälte-
anwendungen eine Herabsetzung der Darmperistaltik zur Folge
haben. Bezüglich der Wirkung der Massage haben uns Röntgen-
untersuchungen dahin belehrt, daß durch manuelle Leibmassage
weder eine Verschiebung des Diekdarminhalts noch eine unmittel-
bare Auslösung der Peristaltik zu erzielen ist, wohl aber ist
letzteres von Groedel°) für die Vibrationsmassage des Abdomens
nachgewiesen worden. In der symptomatischen Behandlung
des Darmes schließlich sind dieselben Gesichtspunkte maßgebend
wie in der des Magens.
Von den speziellen Störungen des Darmes will ich nur noch
auf die Diarrhöe und die Obstipation mit wenigen Worten ein-
gehen, Zur Behandlung der Diarrhöe empfehlen sich warme be-
ziehungsweise erregende Umschläge und Packungen, daneben ist
hier das Hauptanwendungsgebiet der langdauernden warmen oder
kalten Sitzbäder. Als besonders brauchbar erweist sich in vielen
Fällen die von Winternitz angegebene Kombination kalter Sitz-
bäder mit anschließender Anlegung einer feuchten Leibbinde.
Gegen Obstipation kommen kurze kalte Sitzbäder, Hitzeanwen-
dungen, 2. B. Heißluftduschen, vor allem aber solche Prozeduren
in Betracht, die den thermischen Reiz mit dem mechanischen
kombinieren, wie kalte oder wechselwarme Strahl- öder Fächer-
duschen und dergleichen. Daneben ist, je nachdem stärkere Reiz-
erscheinungen fehlen oder vorhanden sind, die manuelle oder
Vibrationsmassage des Abdomens angezeigt.
Ich bin am Schlusse meiner Ausführungen. Trotz der ge-
botenen Kürze in theoretischer Begründung und praktischer Schluß-
folgerung wird der Sinn meiner Darlegungen, wie ich hoffe, ein-
leuchten. Bei den Störungen des Verdauungsapparats sind die
physikalischen Behandlungsmethoden nicht berufen und nicht im-
stande, die diätetische Therapie zu verdrängen und zu ersetzen,
wohl aber sie in wirkungsvollster Weise zu unterstützen und zu
ergänzen.
Aus der Abteilung für Hautkrankheiten des städt. Luisenhospitals
zu Dortmund (Oberarzt: San.-Rat Dr. Fabry).
Technisches zur Behandlung mit fester
Kohlensäure
von
Dr. med. E. Kretzmer, I. Assistent.
Wie bei vielen therapeutischen Neuerungen, so.sind auch für.
die Behandlung von Hautaffektionen mit fester Kohlensäure zahl-
reiche mehr oder weniger zweckmäßige Apparate zur leichten Auf-
fangung und Applikation des Kohlensäureschnees angegeben worden.
1) Med. Kl. 1911, S. 528.
3) D. med. Woch. 1911, S. 974.
3) Berl. Kl. 1894.
4) Blätt. f. klin. Hydrother. 1898, Nr. 11.
5) Mon. f, d. phy.-diät. Heilmeth. 1909, S. 218.
Es ist daher durchaus nicht meine Absicht, höchst überflüssiger
Weise hier noch ein weiteres neues Instrumentarium den bereits
vorhandenen anreihen zu wollen, sondern im Gegenteil zu betonen,
daß das Alte, Einfachere, das Bessere zu sein scheint.
Wir haben früher auf unserer Abteilung lange Zeit einfache
Glasspritzen, deren konischen Ansatz wir entfernt: hatten, zur
Kohlensäureschneebehandlung benutzt und sind damit stets zu-
frieden gewesen. Dann gebrauchten wir einige Zeit eine der
neueren Formen, mit welchen man den Schnee unmittelbar aus der
Bombe auffangen kann. Das Material war Stabilit. Andere
Autoren haben Metallformen angegeben. E
~. Neuerdings sind wir wieder zur einfachen Glasspritze zurück-
gekehrt und halten diese für das einfachste und zweckmäßigste
Instrumentarium zur Anwendung des Kohlensäureschnees. -Einmal
ist die Glasspritze ein bequemes, handliches Instrument, was man
nicht won allen den anderen Formen, die zur Applikation fester
Kohlensäure dienen sollen, behaupten kann. Ferner ist unseres
Erachtens Glas das geeignetste Material für den eigentlichen Be-
hälter des Kohlensäureschnees. Es ist ein schlechter Wärmeleiter,
ebenso wie der Kautschuk- oder Hartgummistempel der Spritze
und bedarf nicht wie die Metalleylinder einer isolierenden Gummi-
hülse. Schließlich ist die Durchsichtigkeit des Glascylinders eine
große Annehmlichkeit. Bei kleinen, umschriebenen Hautaffektionen,
die mit einmaligem Aufsetzen des Cylinderquerschnitts völlig be-
deckt werden sollen, ist es viel leichter, das Verhältnis zwischen
Größe der Aflektion und Größe des Cylinders festzustellen, wenn
dieser aus durchsichtigem Glase besteht. Es ist also die Wahl
eines Instruments von richtiger Größe, dessen Rand die Affektion
nach allen Seiten hin genügend überragt, erleichtert. Ist der Glas-
cylinder mit Schnee gefüllt, so ist er natürlich undurchsichtig und
dann in dieser Hinsicht dem Metall- oder Stabilitmaterial nicht
mehr überlegen. Wohl aber gestattet er, jederzeit leicht zu sehen,
wieviel feste Kohlensäure noch im Cylinder sich befindet.
Den Schnee fangen wir im Tuch- oder Lederbeutel auf und
füllen ihn dann in die Glascylinder hinein, indem wir ihn mit dem
Stempel festkneten. Das mag vielleicht gegenüber den Instrumen-
tarien, die ein direktes Auffangen des Schnees aus der Bombe er-
möglichen, als Nachteil erscheinen. Der Nachteil ist aber sehr
gering; namentlich ist das Verfahren wohl kaum weniger sparsam,
da beim Ausströmen der Kohlensäure in einen Tuchbeutel viel
reichlicher Schnee entsteht als beim Ausströmen in glattwandige
Metall- oder Stabilitgefäße.
| Um das etwas primitive Vorgehen, von gewöhnlichen
sein können, zu er-
langen, hat Herr
Die Herstellung von Glascylindern mit quadratischem Querschnitt
war technisch nicht ganz leicht. Die quadratische Querschnitts-
besserten, neuen Instrumentarien aus Metall, Stabilit, Holz usw.
die großen Formen, die recht wertvolle Dienste leisten, fehlen.
Spritzen die Ansätze abzunehmen, zu vermeiden, und außerdem
um auch die For- |
men mit quadrati-
schem Querschnitt,
die ja zweckmäßig
San.-R. Dr. Fabry |
von der Firma | |
F. A. Eschbaum in Bonn Glascylinder verschiedener Größe und
verschiedenen Querschnittsmit Hartgummistempel herstellen lassen.
Sie sind von eleganter Form und leicht völlig auseinanderzunehmen.
form ist nicht so scharf wie bei Metall oder Stabilit. Das spielt
aber keine Rolle, da die Ränder der einzelnen Quadrate sich beim
Frieren größerer Flächen doch etwas decken müssen, Wir betonen
noch die Annehmlichkeit der Formen mit großem Querschnitt für
die Behandlung großer Flächen. Es scheint mir, daß bei den ver-
Mobilmachung von Gelenksteifigkeiten während
Thermalkuren!)
= von en a
Königl. Rat Dr. Béla Bosänyi,
Direktor und Chefarzt des städtischen Heilbades Blocksbad in Budapest:
Die Benutzung von Thermalbädern nach abgelaufenen ‚akuten
Gelenkerkrankungen erfolgt fast häufiger, als der Gebrauch der-
selben seitens solcher Kranken, die an chronischen, oder präziser
1) Vortrag, gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin, 1912 ur
. —
sen. zu 05 NK“ Tr —Mm393
=
oj, Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. 1197
bezeichnet, an definitiven Gelenkversteifungen leiden. Es würde
zu weit führen, wollte ich hier auseinandersetzen, inwieferne und
welche Formen der Gelenkaffektionen und Steifigkeiten zum
Thermengebrauche geeignet sind. Es würde dies die weite und
schwierige Frage der Thermenwirkung bei Erkrankungen von Ge-
lenken aufrollen. Aus diesem Grunde will ich mich nur auf die
. knappe Erörterung jener mit Versteifung einhergehenden Gelenk-
leiden beschränken, welche erfahrungsgemäß in Bädern oft Heilung
suchen und jene Prinzipien bezüglich der Behandlung kurz auf-
zählen, die sich mir seit längerer Zeit als vorteilhaft erwiesen
haben. Eine Besprechung dieses Gegenstandes scheint mir um so
berechtigter, weil einerseits der an der Therme wirkende Arzt ein
je positiveres Resultat zu erzielen bestrebt sein muß und weil
anderseits die Verbältnisse nicht stets so einfach liegen, daß er
auf sein Ziel — dem Kranken möglichst rasch zu einem mobilen
Gelenk zu verhelfen — lossteuern könnte.
Die vorkommenden Fälle hat Schawlow (1) aus Gesichtspunkten
der Badepraxis in vier Gruppen eingeteilt, und zwar Gelenkrheumatismus,
Arthritis deformans, Polyarthritis chronica progressiva und traumatische
Gelenkerkrankungen. Diese Einteilung entspricht meinen Bedürfnissen
nicht hinreichend, denn es handelt sich in erster Linie darum, die soge-
nannten postakuten Zustände, welche in Rücksicht auf die
Gelenkmobilisierung hauptsächlich in Betracht kommen,
von den übrigen auszuscheiden. Im Gegensatz zu den :chronischen
Fällen möchte ich also eine Gruppe von postakuten Erkrankungsfällen
unterscheiden, wobei die Aetiologie des Falles außer Betracht bleiben
kann. -In diese Gruppe möchte ich alle jene Patienten einreihen, die kurz
nach Verschwinden der akutesten Symptome jener Krankheit, welche die
Versteifung verursacht hat, sich in die Bäder transportieren lassen, um
dort je eher zu genesen. Will man allen Interessen gerecht werden,
erfordern solche Fälle nebst einer weisen Beschränkung des Tatendranges
auch etwas praktische Erfahrung, von welcher hier hauptsächlich die
Rede sein wird. Wenn auch eine große Zahl von akuten und chronischen
Gelenkerkrankungen zur Immobilisation führen kann, so sind es doch
par excellence die infektiösen Prozesse, welche die Hauptrolle bei Ver-
steifungen spielen. Von diesen können diejenigen tuberkulöser und
syphilitischer Natur, als nicht in den Kreis dieser Betrachtungen fallend,
ausgeschaltet werden. Anatomisch unterscheidet man die infektiösen
Gelenkprozesse nach der Art des Exsudats, das sie bilden, als seröse
und als eitrige.e Klinisch dagegen werden je nach der Intensität und
Schwere der Erscheinungen laut Verebélyi und Manninger (2), die
Arthralgie, die rheumatische Arthritis, der Hydarthros und als böseste
Form die artikuläre Phlegmone angenommen. Alle diese genannten
Formen können zu Contracturen und Ankylosen führen; die Erscheinungen
am Krankenbett und Ausgang der Krankheit stehen miteinander nicht
immer im Verhältnis. Aus diesem Grunde hat die Einteilung für den
Balneotherapeuten keinen entscheidenden praktischen Wert, da er aus
der Schilderung des Krankheitsbildes sich nicht mit Bestimmtheit zu
orientieren vermag. So erinnere ich mich unter. anderen eines Falles,
wo bei einem jungen Mädchen von 17 Jahren nach etlichen Wochen an-
dauernden Schmerzes im linken Ellbogengelenke, ohne daß andere
Symptome aufgetreten wären, das Gelenk komplett ankylotisch wurde.
enn auch ein solcher Verlauf mehr zu den Ausnahmen gehört, zeigt
er deutlich, daß das klinische Bild allein uns nicht genügend in die Lage
versetzt, bezüglich des künftigen Schicksals des Gelenks eine sichere
rognose aufstellen zu können. Wir müssen vor allem in Betracht ziehen,
die. obenerwähnten einzelnen Krankheitsformen nicht scharf abge-
grenzt sind, daß sie ineinander übergehen, daß nicht alle Gelenkteile
gleichmäßig ergriffen werden und daß die subjektiven Klagen und die
objektiven Befunde häufig stark kontrastieren. Wenn man einen solchen
anken nach erloschenem Fieber und nach dem Aufhören der spontanen
eimerzen, mit Wärmeerhöhung um die Gelenkgegend und Schwellung
der-gelenksbildenden Teile — und das ist das Bild in gröbsten Zügen
von jenem Zustande, in welchem viele Kranke zum Thermalgebrauch an-
gen — untersucht, erlebt man oft, daß nur eine Spur von Beweglich-
keit in solchen Gelenken vorhanden ist, wo später eine Restitutio ad
Integrum erfolgt, Umgekehrt gehört es nicht zu den Seltenheiten, daß
a. leichten Symptomen eine komplette und irreparable Ankylose
ultiert, | |
_ Unter allen Umständen aber bildet es eine Pflicht, möglichst sicher
zu konstaiieren, ob eine reparable Contractur vorliegt oder ob fibröse,
narbige ‚oder noch schlimmere Verwachsungen alle Bestrebungen schon
m vorhinein illusorisch machen. Im ersteren Falle wird man nichts un-
che lassen, um die Störungen in der Beweglichkeit je eher zu be-
eiligen, während bei notorischer Ankylose der Bädergebrauch in der
che nur die Bestimmung haben kann, die Resorption zu be-
3 eunigen. Man wird aber von allen überflüssigen und nutzlosen Be-
gungsversuchen ein für allemal absehen, denn sie sind meistens mit
geradezu [ürchterlichen Schmerzen verbunden und die Erinnerung des
= a an die qualvollen und resultatlosen Beugungs- und Streckungs-
A Hi 8 bleiben lange, aber in nicht gerade dankbarer Erinnerung. Ist
a schon die ganz unentbehrliche Feststellung dessen, ob ‚Beweglich-
a nur Spurweise vorhanden ist, im postakuten Stadium ein so
een erzhafter Eingriff, daß man mit der größten Schonung die Unter-
ug vornehmen soll, In zweifelhaften Fällen und bei besonders
empfindlichen Patienten wird die Narkose zu Hilfe genommen, doch bin
ich bei einer relativ großen Zahl postakuter Zustände ohne dieser aus-
gekommen. Selbst bei den stabilisierten Contracturen, wo eine Ankylose
vorgetäuscht werden kann, findet .sich zum Unterschiede von der Anky-
lose stets eine, wenn auch minimale Beweglicheit. auf welche ein großes
Gewicht zu legen ist. Ist nämlich im postakuten Zustande auch nur eine
mäßige Spur von passiver Beweglichkeit vorhanden, darf auf eine heilbare
oder besserbare Contractur gefolgert werden; bei den durch Muskelzug
verursachten Contracturen ist der Widerstand mehr elastisch und bis
zu einem, wenn auch minimalen Grade nachgiebig, die aussichtslosen
Steifigkeiten dagegen bieten einen brettartigen, harten Widerstand, der
auf Zusammenklebung der Gelenkflächen oder der knöchernen Teile beruht.
Wenn man in zweifelhaften Fällen die Narkose, zu der man sich in der
.Thermalpraxis nicht leicht entschließen wird, vermeiden will, ist zur
besseren Orientierung das Röntgenbild bis zu einem gewissen Grad ein
guter Behelf. Obschon dio frischen Adhäsionen sich auf der Platte nicht
wiedergeben lassen, kann das Bild über den Gelenkraum selbst, Stellung
der Knochenenden zu einander usw. Aufschluß geben. Noch nützlicher
zur Diagnosenstellung ist das Röntgenverfahren bei schwereren Verände-
rungen. Destruktion der Knorpel, ostale Veränderungen können auf den
ersten Blick erkannt werden und jedes überflüssige Probieren und
Experimentieren verhindern, sowie gleichzeitig den Weg zur richtigen
Behandlung weisen.
Ich will nicht länger bei der Frage der Bestimmung des Gelenk-
zustandes verweilen, nur nochmals betonen, daß eine genaue Entscheidung
dessen, ob heilbare Contractur oder eine der chirurgischen oder sonstigen
Behandlung zugehörige Veränderung vorliegt, für den Balneotherapeuten
von fundamentaler Bedeutung ist.
Wenn nun nach sorgsamer Erhebung der ätiologischen Momente,
deren Wichtigkeit ich in diesem Kreise nicht besonders betonen muß,
ferner der Anamnese und endlich nach einer umsichtigen Untersuchung
auch der wichtigste Punkt festgestellt ist, daß nämlich keine Ankylose
oder unheilbare Contractur vorliegt und daß die Unbeweglichkeit nur
durch eine lösbare Contractur bedingt ist, daun darf gleichzeitig mit der
Thermalkur die Mobilmachung der Versteifung in Angriff genommen
werden. Vorerst möchte ich noch die Bemerkung machen, daß meinen
Beobachtungen gemäß bei postakuten Zuständen die lokale Applikation
von thermalen Heilmethoden mir wesentlich vorteilhafter scheint, als die
Benutzung von Vollbädern. Namentlich haben sich die hochtemperierten
Schlammumschläge als sehr wirksam erwiesen. Sie können selbst bei
Gelenken verwendet werden, wö die Temperatur um die erkrankte Stelle
herum noch erhöht ist, wo also die Entzändung nicht total abgeklungen
ist. Die örtliche Erhitzung durch feuchte Wärme trägt in hohem Maße
zur Entfernung der angesammelten krankhaften Produkte bei, möglicher-
weise bewirkt sie auch die Abtötung noch vorhandener Mikroben. Meiner-
seits erkläre ich die überlegene Wirkung der lokalen Applikation dadurch,
daß man durch diese in die Lage versetzt ist, viel höhere Temperaturen
als bei dem Bad anwenden zu können; während diese kaum über 400 C
reichen dürfen, ist es lokal möglich, bei feuchter Wärme bis 520 und
selbst etwas darüber zu gehen. Erheblich höhere Grade können mit
Hilfe der trockenen Hitze appliziert werden, doch habe ich den Eindruck
gewonnen, daß nur gewisse, mit viel Exsudation einhergehende Prozesse
durch sie günstig beeinflußt werden, dagegen die übrigen Formen in un-
erwünschter Weise reagieren. Sehr wertvoll erweisen sich die Alkohol-
umschläge, die nach erfolgter Thermalapplikation für die übrige ganze
Tagesdauer angewendet werden. Sie sind bekanntlich während der akuten
Entzündung ein souveränes Mittel, aber auch später leisten sie Vorzüg-
liches. Die Umschläge verwende ich in Kombination mit Goulardschem
Wasser bis zu 60°/, Alkoholgehalt und trachte ich, einen womöglichen
luftdichten Verband herzustellen. Sehr gute Wirkung sah ich auch von
den Bierschen Apparaten, welche im akuten Zustande und in den Nach-
stadien als unentbehrlich bezeichnet werden dürfen.
Durch alle diese Methoden wird die Empfindlichkeit der erkrankten
Teile herabgesetzt und findet man bei wiederholter Untersuchung, daß
die anfängliche geringe Beweglichkeit um einige Grade zugenommen hat.
Zur Erzielung der totalen Funktion des Gelenks genügt jedoch weder
das Thermalverfahren noch die genannten Hilfsmittel, und ist man darauf
angewiesen, durch Massage beziehungsweise passive Bewegungen nach-
zuhelfen. Selbst bei Krankheitsprozessen gutartiger Natur entwickelt
sich teilweise durch die Inaktivität, noch mehr aber durch die konstante
Beugestellung eine Degeneration und Retraktion der Muskeln, welche in
der Abnahme der kontraktilen Elemente besteht. Bei intensiveren Er-
krankungen dagegen kommt es infolge der Immobilisation und durch Ab-
lagerung plastischen Exsudats zu Verklebungen und zwar nicht allein
in den Gelenken, sondern auch in der Umgebung derselben, namentlich
um die Sehnenanheftungsstellen herum. Diese sind bis zu einem ge-
wissen Grade lösbar, aber im Laufe der Jahre bin ich zu der Ueber-
zeugung gekommen, daß in der Ueberzahl der Fälle es der sicherste
Weg ist, wenn man jede gewaltsame, größeren Schmerz hervorrufende
Bewegung absolut meidet und nur andauernde Gelenkübungen, das heißt
sogenannte Pendelbewegungen, bis zur Schmerzgrenze vornimmt. Diese
können zu Beginn natürlich nur passive sein, später aber aktive und
auch mit Widerstand kombinierte. Selbstredend bildet hierbei die
gleichzeitige Massage der betreffenden Extremität einen stark unter-
stützenden Faktor. Die varhin erwähnte minimale Beweglichkeit, welche
zum Unterschiede von unbeweglich gewordenen Gelenken bei reparablen
Contracturen zu finden ist, bildet den Ausgangspunkt dieser Behandlungs-
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übungsweisen Dehnungen, durch welche, wenn sie mit Ausdauer
1198 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
art. Veranlaßt wurde ich hierzu hauptsächlich dadurch, weil nach for-
cierten Beugungen oder Streckungen fast ausnahmslos eine mehr oder
minder heftige Reaktion Platz greift, welche nicht nur die Wiederholung
der Bewegungen hindert, sondern auch den Fortgang der Badekur un-
möglich macht. Man ist dann gezwungen, die Extremität für mehrere
Tage in Ruhe zu lassen, und nach Ablauf dieser Zeit zeigt es sich, dab
trotz der großen Schmerzen, die durch den gewaltsamen Vorgang vor-
ursacht wurden, kein Fortschritt erreicht wurde, ja sogar im Gegenteil
das Gelenk noch empfindlicher wurde und fixierter ist als vordem. Die
Ursache ist ziemlich klar: Durch die brüske Bewegung werden Ad-
häsionen und Verkürzungen zerrissen, das heißt ein Trauma verursacht,
dem notwendigerweise eine Rückwirkung folgen muß. Das Gelenk wird
wieder etwas wärmer, die bereits geschwundenen spontanen Schmerzen
treten neuerdings auf, kurz, man provoziert für eine gewisse Dauer das
verminderte akute Bild. Bei der übungsweisen Dehnung dagegen, wie
‘ich den durch mich befolgten Vorgang nenne, wird die Exkursion in
sanfter Weise ausgeführt, allmählich erhöht, und entsteht niemals eine
reaktive Störung. Die Uebungen dauern einige Minuten und werden
täglich ein- bis dreimal vorgenommen. Sie können ebensogut manuell
wie durch Apparate, durch den Arzt oder geschultes Pflegepersonal aus-
geführt werden. Ganz langsam, fast unmerklich erweitert sich der Ex-
kursionswinkel, ohne daß der Patient darunter leiden würde. Bei einer
ganzen Reihe von Kranken, bei denen die Fixation des Gelenks durch
verschiedenartige Prozesse hervorgerufen wurde, habe ich diese systema-
tischen Beugeübungen mit befriedigendem Resultat durchgeführt und,
wenn auch nicht stets in der allerersten Zeit, so doch nach etlichen
Wochen einen Erfolg zu verzeichnen gehabt. Meiner Ansicht nach
leisten diese Uebungen gerade so viel wie die forcierten, mit dem sehr
wesentlichen Unterschiede, daß man durch diese Schmerz, Reaktion und
Unterbrechung der Kur vermeiden kann. Fälle, die nicht in dieser
Weise behandelt oder gebessert werden können, gehören nicht in den
Wirkungskreis der Thermen. Solche müssen unter Narkose mobilisiert
oder operativ der Heilung zugeführt werden. Diesbezüglich sind die
Fortschritte der letzten Jahre sehr beachtenswert. Es soll nur auf die
von Hoffa (3) inaugurierten Transplantationen hingewiesen sein, welche
Liexer wesentlich vervollkommnet hat. Auch bei uns zulande hat
Verebölyi (4) eine ganze Reihe von Knochen und Gelenktransplan-
tationen jüngst im Aerzteverein vorgeführt, welche das Schicksal der
versteiften Extremitäten nicht mehr so hoffnungslos erscheinen lassen
wie ehedem.
Nicht so empfindlich und in bezug auf Toleranz ganz anders auf-
zufassen sind die chronischen Steifigkeiten, wo man Energie und Kraft
eher entfalten darf. Diese Fälle werden jedoch meiner Beobachtung
nach in den Bädern immer seltener und suchen sie naturgemäß die Kur-
plätze mehr wegen Schmerzlinderung und Kräftigung auf. Aber auch
bei dieser Sorte von Kranken sind die erwähnten Uebungen gut an-
gebracht, und bleibt meine Devise: Suaviter in modo und suaviter in re
Aus dem Gesagten ist die Folgerung zu ziehen, daß nur
bei solchen Gelenksteifigkeiten während der Thermalbehandlung
die Mobilmachung versucht werden soll, wo die vorausgegangene
genaue Untersuchung festgestellt hat, daß eine reparable oder er-
heblich besserbare Contractur vorliegt und daß keine definitiven
Verwachsungen vorhanden sind. Bei Vermeidung von brüsken
und foreierten Bewegungsversuchen bewähren sich am besten die
vorgenommen werden, in heilbaren Fällen gute Erfolge erzielt
werden.können. Man eliminiert hierdurch den großen Schmerz
und die Reaktion, welche nicht allein den Fortgang der Badekur
stört, sondern oft heftigen Rückfall verursacht.
Literatur: 1. Schawlow, Ueber die Behandlung schwerer Arthri-
tiden. (D. med. Woch. 1909, Nr. 14.) — 2. Manninger-Verebölyi, Lehrbuch
der Chirurgie. (Budapest 1912, in ungarischer Sprache) — 3. Lexer, Ueber
freie Transplantation. (A. f. kl. Chir. 1911.) — 4. Verebölyi, Ueber Knochen-
transplantation. (Bull. der Budapester Aerztegesellsch., Februar 1912.)
Beitrag zum Kapitel: R. cochlearis n. voii
und Salvarsan
von
Dr. Oswald Levinstein, Berlin.
Die Frage ob das von Ehrlich in die Behandlung der Sy-
philis eingeführte Salvarsan außer der für eine Therapia sterilisans
magna notwendigen spirillotropen Wirkung auch eine — nicht er-
wünschte — organotrope Eigenschaft besitzt, ist bis heute nicht
einwandfrei geklärt. Insbesondere ist es die Annahme einer
neurotropen Eigenschaft des Mittels, an der von manchen
Autoren, die auf die unzweifelhafte, auch von den Gegnern dieser
Ansicht zugegebene Zunahme der nervösen Störungen, die seit
Einführung der Salvarsantherapie der Syphilis beobachtet werden,
hinweisen, festgehalten wird. Ehrlich, der eine neurotoxische
Eigenschaft seines Mittels bei vorschriftsmäßiger Herstellung und
Dosierung desselben nicht anerkennt, erklärt die Zunahme nervöser
Störungen im Verlaufe der Syphilis seit Einführung des Salvarsan
21. Juli.
in die Behandlung dieser Krankheit dadurch, daß die im Central-
nervensystem angesiedelten Spirochäten infolge der ungenügenden
Blutversorgung der betreffenden Partien, leichter als dies im übrigen
Körper der Fall ist, der Sterilisation entgehen, eine Ansicht, der
sich z. B. Knick und Zaloziecki!) anschließen. Hierbei müßte
aber außerdem, um die Zunahme der während der Salvarsanära
beobachteten nervösen Störungen im Verlaufe der Syphilis zu er-
klären, eine Zunahme der Virulenz der der Sterilisation entgehenden
Spirochäten angenommen werden oder aber, was Ehrlich glaubt,
ein rasches und starkes Auskeimen der übriggebliebenen Spiro-
chäten im Gebiete des Centralnervensystems stattfinden, eine Er-
'scheinung, die Ehrlich mit dem Wachstum ‚von Bakterienkolonien
auf Platten vergleicht, die vereinzelt auf der Platte viel größer
werden, als wenn sie sehr zahlreich und dichtgedrängt stehen.
Daß überhaupt Spirochäten der Sterilisation durch Salvarsan ent-
gehen, führen Knick und Zaloziecki darauf zurück, daß die in-
jizierte Salvarsandosis zu gering gewesen sei und empfehlen dem-
nach zur Beseitigung der nervösen Störungen erneute Darreichung
des Mittels. Die genannten Autoren haben in den von ihnen be-
obachteten Fällen von im Verlauf einer mit Salvarsan behandelten
syphilitischen Erkrankung auftretenden nervösen Störungen, bei
denen es sich stets um eine ziemlich frische, meist bis höchstens
ein Jahr alte Lues handelte, stets die entstandenen Lähmungen
auf eine derch Lumbalpunktion diagnostizierte luetische Menin-
gitis zurückführen können. Die letztere bewirkt nach den ge-
nannten Autoren eine Infiltration der Nervenscheiden, die ja nur
eine Fortsetzung der Meningen sind, also eine Perineuritis, die die
Funktionsunfähigkeit des betreffenden Nerven zur Folge hat. Auch
auf dem kürzlich stattgefundenen 7. Internationalen Dermatologen-
kongreß zu Rom wurde die These aufgestellt, daß die im Verlauf
einer mit Salvarsan behandelten Lues auftretenden nervösen Störungen
nicht notwendigerweise auf eine neurotoxische Wirkung des Mittels
zurückzuführen seien, sondern vielmehr auf die dem Mittel inne-
wohnende Eigentümlichkeit, ganz neue Formen luetischer Er-
krankungen, wie Neuritiden, Cerebralerkrankungen usw., zutage
treten zu lassen. |
| Unter denjenigen Nerven, die, sei es durch die dem Sal-
varsan etwa innewohnende neurotoxische Eigenschaft, sei es durch
die soeben erwähnte Eigentümlichkeit des Mittels, neue Formen
luetischer Erkrankungen, insbesondere des Nervensystems hervor-
zurufen, besonders häufig und in besonders ausgesprochener Weise
zu leiden haben, fällt vor allem der N. acusticus, und zwar weniger
der vestibulare als der Schneckenast dieses Nerven, auf. Vorüber-
gehende oder dauernde Schädigungen des Gehörs infolge der Sal-
varsanbehandlung der Lues sind in letzter Zeit zahlreich be-
schrieben worden. Der nachfolgend mitgeteilte Fall, den ich ge-
meinsam mit Herrn Kollegen Albesheim jüngst zu beobachten
Gelegenheit hatte, scheint mir nun deshalb von einiger Wichtig-
keit zu sein, weil er die geringere Widerstandsfähigkeit des R. coch-
learis n. VII im Vergleich zu einer großen Anzahl anderer Ge-
hirnnerven der durch das Salvarsan direkt oder indirekt erzeugten
Noxe gegenüber auf das eklatanteste beweist: FRE
Es handelt sich um eine 26jährige Kaufmannsfrau, die im März
dieses Jahres die Kassensprechstunde des Herrn Dr. Alb esheim auf-
suchte. Im Juni 1910 Infektion mit Lues. August/September Schmier-
kur, worauf die Erscheinungen (Haut- und Schleimhauteruptionen)
schwanden. Januar 1911 Rezidiv. Patientin ging darauf zum „Homdo-
pathen“, der ihr eine Pflanzensaftkur verordnete. Im Juni 1911 ging
Patientin, da die Erscheinungen durch die erwähnte Kur nicht völlig zum
| Schwinden gebracht wurden, zum Hautarzt, der eine Blutuntersuchung
anstellte (Wassermann schwach +) und die Patientin einer Salvarsankur
unterwarf; Patientin erhielt im Verlaufe von acht Tagen drei Einspritzungen
subeutan von je 0,4 g Salvarsan. Dieselben wurden, abgesehen von .lo-
kalen Schmerzen an der Einstichstelle, gut vertragen. Im September 1911
stellten sich nun bei der Patientin unerträgliche Kopfschmerzen ein, die
trotz Anwendung von Antineuralgica in unveränderter Intensität bis No-
vember anhielten. Dann trat, während allmählich die Kopfschmerzen
nachließen, um schließlich ganz zu verschwinden, im Laufe weniger Tage
eine Lähmung der rechten Gesichtshälfte auf, die sich in einem
„schiefen Gesicht“, in der Unfähigkeit, die Backen aufzublagen, die rechte
Stirnhälfte in Falten zu legen, das rechte Auge zu schließen, dokumen-
tierte; die Zunge wurde schief (nach rechts) herausgestreckt. Berührun-
gen wurden auf der rechten Gesichtshälfte nur undeutlich gefühlt,
ebenso auf der rechten Zungenhälfte, auf der auch der Geschmack er-
heblich herabgesetzt war. Ferner trat Doppeltsehen auf, und. auch
die Fähigkeit, scharf zu sehen, war auf dem rechten Auge her-
abgesetzt. Das Doppeltsehen dauerte nur einige Tage, das unscharfe
Sehen einige Wochen. Außerdem klagte Patientin über Uebelkeit, Er-
brechen, starkes Schwindelgefühl, das ibr das Gehen ohne
1) Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 14 u. 15.
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24. Juli.
Führung unmöglich machte, ferner über Rauschgefühl im
rechten Ohr und starke Schwerhörigkeit auf demselben.
Sämtliche erwähnten Beschwerden bis auf die Schwerhörig-
keit verschwanden im Verlaufe von drei bis vier Wochen, das
Doppeltsehen, wie schon gesagt, in einigen Tagen. Die
Schwerhörigkeit allein blieb in unveränderter Intensität bis
heute bestehen. — Objektiver Befund: Gesunde, kräftige Frau, bei der
von der vorhanden gewesenen rechtsseitigen Gesichtslähmung nichts mehr zu
bemerken ist: Fähigkeit zu lachen, die Backen aufzublasen, zu pfeifen, die
Stirn zu runzeln, das rechte Auge zu schließen, intakt. Sensibilität auf der
rechten Gesichts- und. Zungenhälfte normal, die Zunge selber wird gerade
herausgestreckt. Geruch und Geschmack intakt. Augenmuskelbewegungen
ungestört, Augenhintergrund normal. Keinerlei Gleichgewichtsstörung;
Patientin kann, genau so gut, wie dies vor ihrer Erkrankung der Fall war, .
tanzen. "Trommelfell leicht getrübt,' beweglich. Kein spontaner Ny-
stagmus; kalorischer sowie Drehnystegmus auf beiden Seiten normal.
Rinne R. +, L. +, Weber vom Scheitel im Kopfe, RFlıoo = 20 cm,
RFI pig verschärft ad concham. R c p. L. verklingt in 6“, R ct p. L. ver-
klingt in 4“. Galtonpfeife: je höher der Ton, desto schlechtere Percep-
tion, Hörschärfe links normal. Diagnose: Nervöse Schwerhörigkeit rechts:
Wir haben es im vorliegenden F'alle mit einer Patientin zu
tun, die 5/4 Jahre nach der luetischen Infektion und !/, Jahr nach
einer aus drei subeutanen Injektionen von je 0,4 g Salvarsan be-
stehenden Salvarsankur plötzlich zunächst an heftigen Kopf-
schmerzen und sodann an einer Lähmung der rechten Gesichts- .
hälfte, die zugleich eine Herabsetzung der Sensibilität zeigt, ferner
an Störungen von seiten des Sehnerven und der Augenmuskulatur,
von seiten des Geschmacksnerven, ferner des N. hypoglossus (Un-
fähigkeit, die Zunge gerade herauszustrecken), sowie des N. acu-
stieus (Vestibularis + Cochlearis) erkrankt. Die Erkrankung doku-
mentiert sich als eine Polyneuritis, die nach dem Angeführten
folgende Nerven ergriffen hat: 1. Opticus (unscharfes Sehen),
2. Osulomotorius (Doppeltsehen), 3. Trigeminus (sensibler Teil,
4. Facialis (Gesichtsmuskellähmung), 5. Acusticus, und zwar so-
wohl R. vestibularis (Gleichgewichtsstörungen, Erbrechen usw.) als
auch R. cochlearis (Schwerhörigkeit, besonders für hohe Töne usw.
[vergleiche Gehörprüfung]), 6. Glossopharyngeus, 7. Hypo-
glossus. An dem ursächlichen Zusammenhang dieser ausgedehnten
polyneuritischen Erkrankung mit dem injizierten Salvarsan kann kein
Zweifel sein: Die Syphilis hatte ja vor der Behandlung mit Sal-
varsan schon ein Jahr bestanden, ihre Symptome-waren schon ein-
mal mit Hilfe einer Quecksilberkur wirksam bekämpft worden,
ohne daß irgendeine Nervenaffektion zur Beobachtung gekommen
wäre. Daß sie nun nach Sjsjährigem Bestand, zu einer Zeit, wo
eine besondere Virulenz der Spirochäten nachweislich nicht mehr
bestanden hat (Wassermann schwach -H), plötzlich aus heiler
Haut zu einer ausgedehnten Polyneuritis führen sollte, kaun wohl
als ausgeschlossen gelten. |
Daß das Salvarsan mithin die Ursache für die
Nervenerkrankung abgegeben hat, kann- als sicher ange-
sehen werden: freilich ist hiermit noch nicht mit Sicherheit ent-
schieden, ob das Mittel nur die mittelbare oder aber die unmittel-
bare Ursache für die Polyneuritis gewesen ist. Trifft die erstere
Annahme zu, so hätten wir es in unserm Falle mit einer durch.
infolge unvollständiger Sterilisation durch das Salvarsan übrig-
gebliebene Spirochäten erzeugten Meningitis mit Fortsetzung der
Entzündung auf die Nervenscheiden der betroffenen Nerven, wobei
auch die Nervenfasern selber nicht unbeteiligt bleiben (Neuritis);
zu tun; trifft die letztere .zu, so wären die Lähmungen durch eine
auf das Salvarsan zurückzuführende Polyneuritis toxica erzeugt.
Für erstere Annahme sprechen in unserm Falle die nach Angabe
der Patientin unerträglichen Kopfschmerzen, die der Lähmung
vorangingen und die auf. das Vorhandensein der erwähnten Me-
ningitis mit 'Wahrscheinlichkeit schließen lassen. Die außer-
gewöhnliche Intensität dieser Kopfschmerzen, sowie das völlige
‚asagen der Antineuralgica usw. lassen die Annahme, daß es
sich hierbei lediglich um eine Reizung des sensiblen Teils des Tri-
geminus — der übrigens, da eine leichte Parästhesie der rechten
Gesichtshälfte vorübergehend bestanden hat, sicherlich auch affiziert
war — handelte, als wenig plausibel erscheinen, besonders deshalb,
weil in diesem Falle die Affektion dieses Nerven derjenigen der übrigen
um viele Wochen vorausgegangen sein müßte, wofür eine Erklärung
schwer zu finden wäre. Wenn demnach auch in unserm Falle
üicht, wie dies in den von Knick und Zaloziecki beobachteten
rin geschehen ist, die Diagnose Meningitis luetica durch Lum-
„Punktion und Nachweis von Spirochäten in der Punktionsflüssig-
ak sichergestellt ist, so muß nach dem ganzen Verlauf der Krank-
t m Vorliegen einer Meningitis luetieca mit folgender
4 tion der Nervenscheiden einer großen Anzahl, von
°üirnnerven als in hohem Maße wahrscheinlich angenommen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.. 29.
,
1199
werden. Auffallend. ist die völlig einseitige -Lokalisation der
Lähmung, für die eine befriedigende Erklärung schwer zu geben ist.
: Was die Behandlung der im: Verlauf einer mit Salvarsan .
behandelten Syphilis eintretenden Lähmungen anbetrifft, so raten
Knick und Zaloziecki dazu; erneute Injektionen nicht zu: kleiner
Salvarsannengen vorzunehmen, um die durch die ersten Injek-
tionen .nur unvollkommen bewirkte Sterilisation der Spirochäten
zu vervollkommnen. Unser Fall beweist, daß auf Salvarsan zu-
rückzuführende nervöse ‚Störungen ziemlich schwerer Natur ganz
von selbst zur Heilung zu: kommen die Neigung haben. .Von den
zahlreichen Gehirnnerven, die in unserm Fall- affiziert
waren — Opticus, Oculomotorius, ‘Trigeminus (sensibler Teil),
Facialis, Acusticus (R. vestibularis: -+ R. cochlearis), Glosso-
pharyngeus, Hypoglossus — blieb lediglich — auch nach aller-
dings erst spät (im April 1912) wiederholter Salvarsaninjektion —
der Hörnerv dauernd geschädigt, wodurch für die schon
wiederholt beobachtete Tatsache, daß von allen Gehirnnerven, die
infolge der Behandlung der Syphilis mit Salvarsan ge-
schädigt werden, der R. cochlearis n. acustici sich dem
durch dieses Mittel mittel- oder unmittelbar hervor-
gerufenen Insulte gegenüber am wenigsten widerstands-
fähig erweist, ein neuer und, wie mir scheint, einwandfreier Be-
weis geliefert wird: oo | |
Nitroglycerin gegen Seekrankheit:)
pag ea von i > F
Dr. 0. Bürwinkel, Bad Nauheim.
=- Bei der Seekrankheit handelt es sich um einen vasomotori-
schen Gefäßkrampf und Anämie des nervösen Centralapparats, wie
kürzlich Peters wieder hervorgehoben hat?). Von diesem Gesichts-
punkt aus versuchte ich auf meiner. letzten Ozeanreise das Nitro-
glycerin, dessen gefäßerweiternde Wirkung allbekannt und speziell
bei Angina pectoris sehr geschätzt ist. Die seekranken Passagiere
nahmen je nach Bedarf einen Eßlöffel von folgender Lösung:
Rp. Solut. alcohol. Nitroglycerin (1/0) gtt. 20 Aq. dest. 150,0.
Die unangenehmen Symptome der Seekrankheit wurden dann auch
schnell und auffallend gebessert. Allerdings hielt dieser wohl-
tuende Effekt nicht lange an und es ist nötig, öfter von der
Medizin einzunehmen, was ganz unbedenklich öfter am Tage ge-
schehen kann. Noch wirksamer dürfte meines Erachtens Amyl-
nitrit sein, das leider nicht an Bord war. Dies Mittel ruft in
noch höherem Maße’ als Nitroglycerin Hirnhyperämie hervor und
ist zudem sehr bequem in seiner Anwendung: Man zerbricht die
in den Apotheken erhältlichen Glasphiolen im Taschentuch und
atmet die darin enthaltenen wenigen Tropfen Amylnitrit ein.
Kritisches zu der Abhaudlung über den Einfluß -der Hitze
auf die Sterblichkeit der Säuglinge
(Medizinische Klinik 1911, Nr. 42)
| ‚von > F
Dr Julius Spanier,
| praktischer und Kinderarzt in München.
' "Hitzeschädigung der Kinder oder Milchzersetzungshypothese? Das
ist .die Frage, die erst in jüngster Zeit aufgeworfen und unter Anderen.
unter obengenanntem Thema auch von Liefmann und Lindemann an
dieser Stelle behandelt wurde. |
| Wenn man in vieler Hinsicht beistimmen muß, so drängen sich bei
der Durchsicht der Thesen Zweifel auf, -dioe es rechtfertigen, auf einige
Behauptungen einzugehen. l Sa
So kann man nicht ohne weiteres einverstanden sein, wenn von
den Autoren dargetan wird, die Brustkinder seien deshalb weniger zu
Hitzeschädigung und deren Folgen geneigt, weil die mütterliche Brust-
drüse wie alle andern menschlichen Drüsen in der Hitze eine Minder-
funktion aufweisen, die für den Säugling zweckmäßig sei. Das mag an
sich eine sehr richtige Beobachtung sein, aber, so fragen wir uns, wie
steht es denn dann mit den’ Darmdrüsen des Brustkindes? Leiden diese
nicht im selben Maße unter der Hitze, sodaß die günstige Minder-
funktion der mütterlichen Brustdrüse wieder in ungünstigem Sinne kom-
pensiert wird? Und dennoch die Mindersterblichkeit der Brustkinder?
Hier scheint mir schon der bestechenden Theorie Gewalt angetan! Man
sollte glauben, daß eigentlich gerade die Brustkinder durch die Hitze;
C- Ci) Vortrag, gehalten. auf der 38, Versammlung der Balneologischen’
Gesellschaft in Berlin 1912. - cv. M En
9) Technik der Seekrankheitstherapie. (D. med. Woch, 1912, Nr. 5.)
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21: Juli.
mehr gefährdet sein sollten als andere, weil gerade gutgenährte Kinder
besonders der Gefahr des Hitzschlags ausgesetzt sein sollen; und trotz-
. dem ist das Brustkind den andern gegenüber im Vorteil! Wenn den-
noch die Zahl der Brustkinder unter den Gestorbenen im Sommer relativ
vermehrt ist, was die Autoren als einen Beweis für die Hitzeschädigung
ansehen, so möchte ich auch dieses nicht ohne weiteres gelten lassen.
Kann sich doch eine derartige Mehrsterblichkeit auch ergeben, wenn man
diese Fälle nach der Häufigkeit der im Sommer alljährlich. zu beob-
achtenden infektiösen Darmkatarrhe registriert, die von der Mutter oder
sonstigen Angehörigen garnicht so selten auf Brustkinder übertragen werden.
Als ein weiteres Argument für die Theorie der Hitzeschädigung
der Säuglinge bezeichnen die Autoren die Tatsache, daß die im Keller
lebenden Säuglinge in der heißen Jahreszeit eine nur wenig vermehrte
Sterblichkeit im Gegensatz zu andern aufweisen. Ohne Zweifel kommt
dem im Keller lebenden Säugling die kühlere Temperatur zustatten; aber
kommt denn nicht dieselbe kühlere Temperatur auch der Milch, der
Nahrung zustatten ?
Wie steht es mit jenem Argument, das die mit der Temperatur-
steigerung auffallend rasch ansteigende Sterblichkeit mit der Hitze-
schädigung der Säuglinge in Verbindung bringt? Könnte man da wirk-
lich nicht ebensogut die rasch einsetzende Schädigung der Säuglinge
durch zersetzte Milch als Gegenbeweis anschuldigen? Vielleicht nicht
wegen der Schnelligkeit des Einsetzens von Krankheitssymptomen?
Warum sollte aber eine bakterielle Schädigung beim Säugling. nicht ebenso
rasch einsetzen können, wie wir dies beim Erwachsenen unter Umständen
sehen, bei denen zwischen dem Moment der bewußten Darmschädigung
und dem des Ausbruchs von Erscheinungen oft nur Stunden dazwischen-
liegen. Warum sollten da die steilen Kurven der Morbiditäts- und Mor-
talitätstabellen unhedingt eine beweisende Kraft besitzen? Zudem werden
— und das ist meines Erachtens gerade für diesen Punkt sehr beachtens-
wert — jene steilen Kurven gerade durch Krankheitsfälle — rasch ein-
setzende und ebenso rasch endende Brechdurchfälle — bewirkt, die in
ihrem Beginne für gewöhnlich Krankheitssymptome aufweisen — Er-
brechen und Durchfall —, die gerade zunächst mehr für eine bakterielle
Darmschädigung sprechen als für eine Schädigung durch Hitzschlag, der
nach eigner Erfahrung wie nach der Beschreibung fast aller Autoren den
Ausbruch von Krämpfen in den Vordergrund stellt, während doch be-
kanntlich bei dem typischen Sommerbrechdurchfall die Krämpfe erst das
Krankheitsbild sozusagen beschließen. Also gerade die Fälle, die im
Sommer durch ihren raschen Beginn und ihren ebenso raschen letalen
Ausgang die steilsten Kurven bewirken, haben eigentlich genau genommen
am wenigsten Aehnlichkeit mit dem Bild eines echten Hitzschlags, so-
wohl durch den Mangel der im Vordergrunde stehenden Krämpfe als
auch durch die Tatsache, daß sich bei den meisten derartigen Fällen
gleich bei Beginn der Krankheit eher eine Untertemperatur des Körpers
statt einer Ueberhitzung feststellen läßt, die denn meiner bescheidenen
Ueberzeugung nach als ein Symptom des Hitzschlags schlechterdings
nicht gut entbehrt werden kann,
Daß Jahre mit abnorm kühlen Temperaturen ein abnormes Ver-
halten der Säuglingssterblichkeit zeigen — was die Autoren weiterhin
als einen Punkt in ihrem Beweismaterial für die Hitzeschädigung des
Säuglings bezeichnen — dürfte eigentlich für die wenigsten Kinderärzte
befremdend sein und kann meiner Ansicht nach mindestens in gleichem
Maße für die Theorie der Milchzersetzung angeführt werden, wie es die
beiden Autoren für ihre Zwecke auszunutzen bestrebt sind.
‚Endlich muß auch jener Fall besprochen werden, den die beiden
Autoren als typischen Fall eines Hitzschlags bezeichnen, bei dem aber
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschafit.
| Salvarsan trotz des in ihnen allen enthaltenen Arsenbestandteils
Aus dem Chemischen Institut der Universität Berlin.
Neuere Anschauungen über den Chemismus der
Gift- und Heilwirkung organischer Quecksilber-
| verbindungen
von
Dr. Walter Schoeller und Dr. Walther Schrauth.
Wer heute die dermatologische Fachliteratur verfolgt, wird
bei allen denjenigen Autoren, welche für die Behandlung der
Syphilis die „kombinierte Therapie“ empfehlen, dem Ausdruck be-
gegnen „Salvarsan und Quecksilber“, und damit folgen jene Au-
toren einem leider in der medizinischen Fachpresse schon chronisch
gewordenen Brauche, vom Quecksilber fast immer nur generell zu
sprechen. Und doch wird es wohl niemand bestreiten, daß ähnlich
wie die arsenige Säure (Fowlersche Lösung), das Atoxyl und das
meines Erachtens diese Bezeichnung nicht ganz unbestritten bleiben darf,
Mit Fleiß und anerkennenswerter Genauigkeit erörtern die Autoren ein-
gehendst die Lage, Größe, Durchlüftung, Temperatur des Zimmers, in dem
sich der erkrankte Säugling befunden. Nach Aussage der Angehörigen
erkrankt das Kind mit dünnen, weißen Stühlen und Erbrechen. Die
Stühle werden auch nach der im Krankenhaus erfolgten Aufnahme als
braundünn bezeichnet — wie oft die Stühle erfolgt sind, wie dünn, ob
suppig, oder breiig oder flüssig, was den Kinderarzt eigentlich doch
interessiert und für ihn nicht gleichgültig ist, das wird leider unerwähnt
gelassen. Betont wird allerdings, daß die Temperatur am zweiten Abend
der Erkrankung 40,4 ° betragen habe und daß das Kind am zweiten Tage
auch Krämpfe hatte. Ist dies, so frage ich, wirklich Hitzschlag? Viel.
leicht weil bei dem fünf Monate alten Kinde die Temperatur von 40,4 °
„durch immer erneut applizierte kühle Umschläge und kühlende Rectum-
ausspülungen“ innerhalb zwölf Stunden unter 37 ° herabzudrücken war,
bis dann die Atmung — was vorauszusehen war — ruhiger wurde und
‘das Kind einem akut einsetzenden Anfall von Herzschwäche doch erlag?
War das Kind —. so frage ich — nicht von Anbeginn an doch darm-
krank? Rechtfertigt sich wirklich in jeder Beziehung die Diagnose Hitz-
schlag, oder gar die für einen so jungen Säugling nicht gleichgültige,
vielleicht sogar auf falscher Voraussetzung basierende, unter Umständen
sogar zur Herzschwäche führende, weitgehende künstliche Abkühlung?
Typische Fälle von Hitzschlag — und einen solchen zu beschreiben, lag
wohl in der Absicht der Autoren — sind ganz anders, sind solche, wie
ich sie seinerzeit an Neumanns Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte
und wie sie Neumann und Japha auch beschrieben. Zwei gesunde
Brustkinder erkranken und sterben im heißen Sommer 1905 innerhalb
zweier Tage unter initialen Krämpfen und einer Temperatur von zirka
43 bis 44° C in einer Dachwohnung, deren Hitze mir ein längeres Ver-
weilen förmlich unmöglich machte. Die ärztliche Untersuchung (Neu-
mann) hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt einer sonstigen Erkran-
kung ergeben.
Und was schließlich Liefmann und Lindemann über die som- |
merlichen Infektionen der Säuglinge sagen, die gleichfalls einer Hitze-
schädigung mit zur Last gelegt werden, braucht man wahrlich nicht der
Hitzetheorie zugute zu schreiben. Ohne Zweifel erkranken im Sommer
eine weit größere Anzahl von Säuglingen an Infektionen jeglicher Art,
die aber zumeist auch nach Ansicht der Autoren von Darmerkrankungen
ausgehen. Ist denn diese Art der Allgemeininfektion etwas Bofremdendes?
Hängt die größere Häufigkeit dieser Infektionen nicht mit der Darm-
erkrankung zusammen? Und sehen wir den nämlichen Vorgang nicht
fast täglich zum Beispiel an Typhuskranken? Warum sollte da, so frage
ich, nicht auch beim Säugling bei der Häufigkeit der sommerlichen Darm-
erkrankungen die Häufigkeit der Allgemeininfektionen mit ihren deletären
Wirkungen Hand in Hand gehen; warum sollten nicht auch dis durch
die Nahrung eingebrachten Kokken und Bakterien zur Infektion führen
können auch ohne Hitzeschädigung, wenn wir diesen Vorgang doch auch
bei Erwachsenen sehen, ohne daß wir hier eine Hitzeschädigung an-
nehmen? Mich dünkt es, daß gerade der kindliche Körper solchen Mög-
lichkeiten noch mehr zugängig sei, ohne daß man nötig hätte, noch nach
weiteren veranlassenden Momenten — Hitzschlag — besonders suchen
zu müssen.
So wie jetzt die Dinge vor uns liegen, ist man berechtigt, das -
Hauptaugenmerk auf das zu richten, was dem Säugling bei der großen
Hitze als Nahrung gereicht wird, ohne daß man dabei allerdings vergesse,
daß die Hitze auch für den Körper des Kindes selbst unzweifelhaft ge-
wisse Bedingungen und Vorsichtsmaßregeln zu beachten uns gelehrt hat.
verschiedene Individuen mit sehr verschiedener und streng speci-
fischer Gift- und Heilwirkung vorstellen, beispielsweise auch das
Sublimat, das Quecksilberoxycyanid (Injektion Hirsch) und das
Hydrargyrum salicylicum des Arzneibuches in ihrem Gift- und Heil-
typus erhebliche Unterschiede aufweisen. l
Naturgemäß gehen die pharmakologischen und damit auch
die therapeutischen Unterschiede aufs engste Hand in Hand mit
der chemischen Konstitution der einzelnen Quecksilberverbindungen,
und zwar ist es zunächst die Art der Bindung des Quecksilbers
im Molekül, welche neben dem Einfluß der physikalischen Eigen-
schaften die gegebenen Differenzen bedingt. Unzweifelhaft be-
sitzen die reinen Metallsalze, deren Lösungen also das Metall In
ionisiertem Zustande enthalten, die stärksten physiologischen
Wirkungen, eine Tatsache, die beim Sublimat z. B. in der starken
Aetz- und Reizwirkung und auch dadurch in Erscheinung tritt,
daß bei ihm und den ihm verwandten Salzen die Toxieität am
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größten ist. - Aber schon mit Eiweißstoffen oder deren Komponenten, | = ~ Aber die Bindungsart des Qüecksilbers ist für die Gift-
den Aminosäuren, zusammengebracht, verlieren diese Salze von wirkung seiner Verbindungen allein: nicht maßgebend.- Denn
ihrer chemischen‘ Beweglichkeit, das- heißt- die Metallionen sind, ! gerade zu der Klasse der -vollkomplexen Verbindungen gehören
falls überhaupt noch vorhanden, nur von. so geringer Konzen- | die Quecksilberdialkyle, Stoffe, die zu den gefährlichsten Giften
° tration, daß die sonst‘ mit Alkalien erfolgende Oxydfällung der | zählen, welche wir überhaupt kennen.- Aus den Krankengeschichten
Quecksilbersalze ausbleibt.. - Empfindlichere Reagentien indessen, | zweier englischer Chemiker, die beim Experimentieren mit Dimethyl-
wie Schwefelwasserstoff oder Ammoniumsulfid, vermögen die noch | quecksilber, Hg (CHs):, Dämpfe der Verbindung eingeatmet hatten,
vorhandenen Quecksilberionen zum Niederschlag zu ‘bringen und | wissen wir nämlich, daß viele Monate danach der Tod infolge
in -fortlaufender Reaktion das Quecksilber praktisch vollständig | schwerster Schädigung des Centralnervensystems, erfolgte. Bei 4
in Sulfid überzuführen. : Da diese Verbindungen, zu denen neben | der Sektion wurde Quecksilber im Gehirn nachgewiesen, und. somit o EEG
den Quecksilberverbindungen der Aminosäuren — des Glyko- | ist-der Beweis erbracht, daß der Organismus die Fähigkeit besitzt, Si
kolls, Alanins. und’ anderer — auch das Quecksilberoxycyanid | selbst derartig vollkomplexė -Verbindungen zu ‚zersetzen, wenn
gehört, jedenfalls .noch Quecksilberionen, wenn auch in sehr ge- | ihm die dazu nötige Zeit verbleibt t). I Men
ringer' Konzentration, an ihre Lösung abgeben, so möchten ir | Damit kommen wir nun zu dem zweiten Faktor, der für die ZZ
diese mit Natronlauge nicht mehr, wohl aber noch mit Schwefel- | Giftigkeit der Quecksilberverbindungen von entscheidenstem Einfluß
wässerstoft reagierende Körperklasse mit dem Namen „Pseudo- | ist, zu der Besprechung der Ausscheidungsgeschwin digkeit.
komplexe“ bezeichnen‘. , a | = | Denn es ist wohl ohne weiteres klar, daß das Dimethylquecksilber
` Anders wird nun aber das Bild, wenn das Quecksilber mit | eine Quecksilbergiftwirkung nicht entfalten würde, wenn sich 3
einer Valenz an Kohlenstoff und speziell an den Benzolkern ge- | der Organismus desselben rechtzeitig, das heißt also noch vor seiner j
bunden- ist. - Hier- ist die- Fähigkeit der Ionisation nicht mehr | Zersetzung wieder entledigen könnte, wie dies z. B. nach der le k
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vorhanden, ‚und dementsprechend reagieren solche „halbkomplexen | Injektion von Quecksilberdicarbonsäuren der Fall ist. . Diese be-
Verbindungen“ in der Kälte weder mit Natronlauge noch mitSchwefel- | sitzen nämlich auf Grund der leichten Löslichkeit’ ihrer Alkali-
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wasserstoff beziehungsweise Ammoniumsulfid, wohl aber kann man | salze in Wasser eine so hohe Ausscheidungsgeschwindigkeit, daß |
sio zerlogen; wenn man ihre wäßrigen Lösungen mit diesen letzt- | sie, wie wir gemeinsam mit Franz Müller am Beispiel der
genannten ‚Reagentien kocht. Mit der Festlegung einer Valenz | Quecksilberdibenzoesäure zeigen konnten, schon nach 24 Stunden |
des ‘Metalls. durch den organischen Rest entfällt: aber- gleich- | zu 85 0/, den Organismus wieder verlassen 'haben?). Gewisse |
zeitig auch ‘ein Teil seiner physiologischen Wirkung. Denn im | Unterschiede in der physiologischen Wirkung sind allerdings auch ;
Gegensatz zu den Salzen und den „pseudokomplexen Verbindungen“ | hier möglich. Denn wie das Quecksilber in den entsprechenden i
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besitzen ihre wäßrigen. Lösungen keine lokale Aetzwirkung mehr | halbkomplexen Oxyquecksilbercarbonsäuren mit sehr verschiedener
(eine etwaige. Schmerzwirkung entsteht durch Alkali), indem sie | Festigkeit dem Benzolkern anhaftet, eine. Tatsache, die durch die
Eiweiß nicht mehr fällen. Die Affinität der zweiten Valenz reicht | Geschwindigkeit der Quecksilbersulfidbildung mit Schwefel-
jedoch noch immer ‘aus, um einerseits eine in den meisten Fällen | ammonium bewiesen- ist®), ebenso zeigen auch die Quecksilber-
recht erhebliche. Desinfektionswirkung pathogenen Keimen gegen- | dicarbonsäuren verschieden großen Widerstand den spaltenden
über "auszuüben (Afridol), anderseits im Organismus des Warm- | Kräften des Organismus gegenüber, ganz abgesehen davon, daß
blüters: die bekannten Giftwirkungen, wenn auch in gemilderter | die Nebengruppierung im Benzolkern naturgemäß auch die Organo-
Form, auszulösen. -7 - yag i IF tropie, das heißt den Teilungskoeffizienten der Gesamtverbindung
Sehr interessant gestalten sich nun aber die Verhältnisse | beeinflussen kann. Denn, wie wir zeigen konnten, besitzen so-
bei: der letzten Klasse, den „vollkomplexen Verbindungen“, das | wohl die 'halbkomplexen wie die vollkomplexen organischen Queck- |
heißt, -bei : denen, welche. beide Valenzen des Metalls an orga- | silberpräparate zunächst eine reine Wirkung .der komplexen Mole-
nische Reste gebunden enthalten. Diese geben nämlich auch bei | külə, eine Tatsache, die auch von anderer Seite für eine ganze h!
|
|
längerem Kochen ..mit Schwefelalkalien keine Quecksilbersulfid- | Anzahl anderer ` organischer Metallverbindungen bestätigt wird*).
fällung, das Metall muß also hier als chemisch abgesättigt gelten, | Erst im Anschluß an diese primären Erscheinungen treten in den
und dementsprechend. ist nicht nur :die Desinfektionskraft so voll- | meisten Fällen die Wirkungen der einander stets wohl ähnlichen |
ständig verloren ‘gegangen, ‚daß man z. B. noch in Lösungen, | Zersetzungsprodukte -zutage,. und zwar meist in Form einer Heh
welche 1%, Hg enthalten, Hefepilze züchten kann, sondern auch | starken Reizung der Ausschéidungsorgane (Darm, Nieren, Mund- | |
die Giftwirkung im Organismus .des Warmblüters ist so herab- | schleimhaut), da der Organismus ‘das Bestreben hat, sich dieser | |
gemindert, daß Versuchstiere in dieser Form bis 1 g Quecksilber | Fremdstoffe zu entledigen. Physiologische Wirkungen, die be- |
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ohne Schädigung .ertragen?). 5 | | sonders bald. nach intravenöser Injektion komplexer Quecksilber-
‚. Aus .alledem ist. nun. zu 'folgern, daß die physiologische | verbindungen beobachtet. werden, können also sehr ‘wohl Wir-
Wirkung. eines: Quecksilberpräparats in hohem Maße abhängig | kungen der noch unzersetzten Moleküle sein’), zum typischen
ist von dem Grade der Reaktionsfähigkeit, welche das Metall | Bilde einer Quecksilbervergiftung führen aber erst ihre Umwand-
dem Organismus "gegenüber noch besitzt, das heißt von dem | lungsprodukte, die am ehesten dem Typus der Pseudokomplexe
Gehalt an disponibler chemischer Energie, ein Faktor, den wir | angehören dürften, niemals aber Metallionen sein können, da nach
seinerzeit. mit dem Begriffe „Restaffinität“ bezeichnet haben®), | dem Gesetz der Massenwirkung bei dem ungeheuren Eiweißüber-
ohne bisher allerdings auf die physikalisch-chemischen Grundlagen | schuß im Organismus die Existenzfähigkeit der Metallionen hier
dieser Erscheinung. näher einzugehen‘). Diese Restaffinität stellt | vollkommen ausgeschlossen erscheint. Zusammenfassend läßt sich
also beim “Wärmblüter die dem: Quecksilber verbliebene Fähigkeit | daher die Giftigkeit der Quecksilberverbindungen, von der pri-
dar, mit dem Organismus in Reaktion zu treten, ihn zu schädigen, | mären Molekularwirkung abgesehen,. auffassen als eine Resultante
und oB ist wohl -öhne weiteres klar, daß sie bei den Salzen ihr | aus der Zersetzlichkeit und der Ausscheidungsgeschwindigkeit
tüeoretisches Maximum, in den vollkomplexen Verbindungen ihr | wobei wir unter Zersetzlichkeit die Möglichkeit verstehen wollen.
Inimum erreicht, in den pseudo- und halbkomplexen Verbindungen | das Quecksilber an den. Organismus abzugeben. Die Aus-
| aber eine große Skala.physiologischer Wirkungen durchläuft. Aa E E ein ist abhängig vom Teilungskoeffizienten
ee RB an, | angewandten Verbindung, der nur in | en einen
wi e er 6, Biochen Di un Bd. in Er A Anhalt bietet, da die eingeführten bee A hen, E
auch Blumenthal. on un übernommen "hat 6. D. mad. Woch. 1912, | im Organismus Veränderungen erfahren können. Am. basten läßt
Nr. 38,.8. 543) erfährt ‚hier:also eine Erweiterung, indem wir für die | Sich dieser Satz vielleicht ausdrücken durch die Gleichung:
ther als halbkomplex bezeichneten Substanzen die Bezeichnung „Pseudo- Zersetzlichkeit
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E. Fischer, Ueber #-Quecksilberdipropion; | On vd p Hepp. a ee ee 3 BE
propionsäure. (Ber. d. Deutsch. | . _1) Vgl. P. Hepp, Ueber Quecksilberäthylverb
Ba en. 1907 , Nr, 40, S. 888). — F. Blumenthal, Biochem: Zt. 1911, | exp. Path. u.`Pharmakol. 1887, Nr. 23, S. 91.) ylverbindungen. (A. f
eh >), hetreffend-Quecksilberdi-p-amidobenzoesäure. — F. Müller, | | 2) Biochem. Zt. 1911, Bd. 33, S. 402, .
toffend Oaet a- Schřaùth, Biochem. Zt.-1911, Bd. 83, 8.402, be- | ` > ®) Biochem, Zt. 1911, Bd. 38, S. 401, - o a,
à; Does aerdibenzoossure.. N! SI ‚) Vgl. z. B. E. Harnack, Ueber die Wirkungen des Bleis anf
Verbindungen. die Desinfektionskraft komplexer organischer-Quecksilber- | den tierischen Organismus,- (A. f. exp. Path. u, Pharmakol, 1878, Nr. 9
vr isi
) a et Hyg.u.- Infektionskrankh.' 1910, Nr..66, S. 497). S. 152.) | ER 5 u
ist für 4j: Ro diesbezügliche Publikatien in einem | geeigneten Fachblatt | ) Vgl. L.'Meyer, Zur.endovenösen Therapie. der Lues mit Hg-
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©- nächste-Zeit vorgesehen; - 2 : Präparaten. (Dorm. Zt. Bd. 19, Heft 5, S. 898.)
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1202 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. 21. Juli,
Versuchshundes, während Harn, Blut und Nieren quecksilberfrei
waren.
Es bleibt nun in der Voraussetzung, daß diese Verhältnisse
auch beim Menschen ähnlich liegen, zu berücksichtigen, daß sich
eine Einwirkung auf die Syphilisspirochäten in der kurzen Zeit,
in der solche Quecksilberpräparate aus dem Blute verschwinden,
nicht hat nachweisen lassen, und somit liegt der auch von
Blumenthal!) unlängst ausgesprocheue Gedanke nahe, daß sich
der Organismus aus den dargereichten Quecksilberverbindungen
mit Hilfe der Leber erst den eigentlichen Heilstoff bereitet, das
heißt das wirksame Prinzip „entwickelt“. Vom chemischen Stand-
punkt aus hätten wir alsdann mit zwei Möglichkeiten zu rechnen,
. Im allgemeinen ist es also möglich, schon aus der che-
mischen Konstitution und den physikalischen Eigenschaften einer
komplexen Quöcksilberverbindung die ungefähre Giftigkeit der-
selben herzuleiten und so einen Anhalt für die Höhe der toxischen
Dosis zu erhalten. Eine Quecksilberverbindung, welche, wie z. B. das
Asurol schnell ausgeschieden wird, wird selbst bei der ihm eignen,
relativ. lockeren Quecksilberbindung wesentlich ungiftiger sein,
als ein vollkomplexes Präparat, wie beispielsweise das Queck-
silberdiphenyl, dessen sich der Körper auch in Monaten noch nicht
vollständig entledigen kann. Trifft hohe Stabilität, wie in den
Quecksilberdicarbonsäuren, mit größter Ausscheidungsgeschwindig-
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_ keit zusammen, so muß die Giftigkeit ein Minimum darstellen, weil
nunmehr Quecksilber an den Organismus. nicht mehr abgegeben
wird, und umgekehrt werden sich hochlipoide Verbindungen mit
relativ lockerer Quecksilberbindung, wie beispielsweise halbkomplex
mercurierte Fette, auf einer mittleren Toxizitätsstufe bewegen,
ohne die schweren Erscheinungen der Quecksilberdialkyle hervor-
zübringen, was mit den unsrerseits beobachteten Tatsachen auch
vollständig übereinstimmt.
Anschließend mag es hier erwähnt sein, daß das oben aus-
gesprochene Gesetz anscheinend nicht nur auf Quecksilberpräparate
beschränkt ist, sondern auch für andere komplexe Verbindungen
Gültigkeit besitzt, hängt doch auch bei den Arsenpräparaten
Ehrlichs die Giftigkeit eng zusammen mit der Festigkeit der
Arsenbindung am Benzolkern. So berichtet Ehrlich ausdrücklich
über die außerordentliche Beweglichkeit der Arsenoxydgruppe im
p-Aminophenylarsenoxyd, die beim Kochen mit Salzsäure schon in
einer Minute abgespalten wird, während aus dem Atoxyl auch
durch stundenlanges Kochen mit Salzsäure der Arsenrest nicht
herausgelöst wirdt). In strenger Parallele mit dieser Stabilität
der Komplexbindung steht auch hier die Giftigkeit, indem die
Dosis letalis für die labile Verbindung 4 mg pro kg Maus, für das
Atoxyl aber 250 mg pro kg Maus beträgt?).
Betrachten wir nun die mit den oben besprochenen Queck-
silberpräparaten zu erzielende Heilwirkung, so sehen wir, daß
bis heute kein vollkomplexes Präparat bekannt ist, das bei mensch-
licher Syphilis eine Wirkung gezeigt hätte, und wir möchten daher
hier der Ansicht Ausdruck geben, daß solche zweifach an Kohlen-
stoff gebundene Quecksilberpräparate nur dann zu einer Wirk-
. samkeit gelangen können, wenn sie der Organismus zu halb-
"komplexen spalten kann’).
Diese besitzen wohl fast alle eine
mehr oder weniger intensiv antiluetische Wirkung, wie die Erfah-
rungen mit dem in Körpersäften leicht löslichen Hydrargyrum
saliceylicum, dem Asurol und anderen zeigen. Werden solche
Präparate injiziert, so befinden sie sich eine kurze Zeit in Zirku-
lation, werden dann aber sehr bald von der Leber absorbiert,
eine Tatsache, auf die in letzter Zeit auch Blumenthal?)
hingewiesen hat und die wir selbst beweisen konnten. Wir fanden
nämlich nach intravenöser Injektion eines bei menschlicher Syphilis
besonders wirksamen Präparatess 3 Stunden post injectionem
nahezu 50 0/ọ der injizierten Quecksilbermenge in der Leber des
entweder werden die komplexen Moleküle in gleichartiger Weise
umgewandelt (Kuppelung oder Reduktion), oder es wird aus allen
das Quecksilber abgespalten und in eine ganz neuartige Ver-
bindung übergeführt. Die verschiedene Intensität der Heilwirkung
auch bei Stoffen der gleichen Gruppe wie beispielsweise den Deri-
vaten der Oxyquecksilbersalicylsäure (Asurol, Enesol, Embarin)
würde alsdann zurückzuführen sein entweder auf die Unterschiede
in der Molekularwirkung, das heißt auf eine verschiedene Affinität
der entsprechenden Umwandlungsprodukte den Spirochäten gegen-
über, oder aber auf die nach Zeit und Menge verschiedene Pro-
duktion desselben neuartigen Abbauproduktes. Ob diese Wirkung
dann eine mittelbare oder unmittelbare ist, das heißt ob diese
Präparate als innere Autiseptica wirken, oder, was durchaus nicht
ausgeschlossen erscheint, als Antigen eine Umstimmung des Serums
veranlassen, muß auch heute noch weiterer Forschung vorbehalten
bleiben. Schon jetzt, da sich die Chemotherapie organischer Queck-
silberverbindungen noch im Anfangsstadium befindet, läßt sich
aber so viel sagen, daß beim Zustandekommen der Heilwirkung
einer Quecksilberkur der menschliche Organismus die che-
mische Hauptarbeit zu leisten hat, so lange, bis man in der
Lage ist, das wirksame Prinzip von vornherein darzureichen. |
Somit ist es auch besonders schwierig, Quecksilberpräparate,
deren Wirkung sich gegen menschliche Syphilis richten soll, an
Tieren auszuwerten, die mit der Syphilisspirochäte verwandten
Erregern infiziert wurden. Denn wie wir aus den Versuchen von
Kolle und seinen Mitarbeitern?) und auch aus eignen recht um-
fangreichen Untersuchungen, die Professor Schilling und Dr.
v. Krogh gemeinsam mit uns ausgeführt haben), entnehmen
müssen, sind viele Stoffe, die in der Syphilistherapie eine bevor-
zugte Stellung einnehmen, in solchen Tierversuchen meist ganz
wirkungslos, und umgekehrt haben wir Stoffe gefunden, die im
Tierversuch von guter Wirkung sind, am Patienten aber eine ent-
sprechende Wirkung kaum zeigen.
Indessen glauben wir auch heute, daß sich die Lösung all
der interessanten Fragen, weiche sich an das Rätsel der Queck-
silberwirkung knüpfen®), aus einem weiteren konsequenten Studium
der aromatischen Quecksilberverbindungen am ehesten ergeben
dürfte, deren systematische Erforschung wir vor etwa fünf Jahren
als die ersten) begonnen haben.
Aus der Praxis für die Praxis.
Zahnheilkunde
von
Dr. Hoffendahl
Lehrer der Zahnheilkunde an der Kgl. Universität, Berlin.
Erkrankungen der Zahnpulpa.
Periodontitis.
Periodontitiden entstehen in der Hauptsache als Folge der
Zahncaries respektive der Pulpaerkrankungen dadurch, daß putride
Pulpareste durch das Foramen apicale dringen und das Periodon-
tium infizieren;.sie können auch verursacht werden durch mecha-
nische Einflüsse, Kieferwunden, Zahnfleischerkrankungen, chemische
Einwirkungen, Fremdkörper und ähnlichem.
Symptome: Auf die subjektiven und objektiven Symptome
einer Periodontitis üben die verschiedenen Stadien der Entzündung
einen Einfluß aus. Im Anfange wird der betreffende Zahn gegen
Berührung empfindlich, er schmerzt beim Aufbeißen und erscheint
1) Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 1910, Nr. 43, S. 928. Ber. d.
Deutsch. Chem. Ges. 1907, Nr. 40, S. 3293.
2) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 1911, Nr. 44, S. 1267,
3) Auch beim Salvarsan wird unserer Auffassung nach die Spirillo-
tropie erst durch Aufspaltung der doppelten Arsenbindung „entwickelt“.
4) D. med. Woch. 1912, Nr. 88, S. 548.
verlängert. Dann treten spontane Schmerzen (im Gegensatz zur
Pulpitis) meist nachts auf, es wird in der fraglichen Kieferpartie
ein pulsierendes Klopfen und ein Gefühl der Schwere empfunden.
Kalte Speisen üben keinen besondern Reiz aus, warme dagegen
verursachen Schmerzen. In akuten Fällen fühlen sich die Patienten
häufig matt und unwohl. Diese Erscheinungen können durch
hinzutretendes Fieber noch erhöht werden.
Objektiv zeigen sich bei der Periodontitis folgende Symptome:
Ein Druck auf die Alveole und den Zahn ist schmerzhaft, die be-
treffende Partie des Alveolarfortsatzes ist aufgetrieben, eventuell
besteht eine Öödematöse Schwellung der Weichteile des Gesichts.
Im Gegensatz zu Zähnen mit lebender Pulpa geben die periodon-
titischen Zähne beim Beklopfen mit einem locker gehaltenen Stahl-
instrument einen dumpfen, toten Klang, erstere einen hellen.
weiteren Verlauf findet sich im Zahnfleisch eine feine Fistel-
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2) Experimentelle Untersuchungen über die therapeutische Wirkung
verschiedener Quecksilberpräparate bei der Spirochätenkrankheit der
Hübner. (Med. KI. 1912, Nr. 2, S. 65ff.)
® Zt. f. Chemotherapie Band 1, Heft 1.
4) Vgl. Neißer, (B. z. Path. u. Ther. d. Syph., Berlin 1911,
S. 227 u. 288f. un
5) Vgl. Biochem. Zt. 1911, Bd. 82, S. 509 und 1911 Ba. 87, S. 510.
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ZET es per CEE Pwo L Eere in
21.-Juli, FR u 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29. er? 1203
öffnung, eine Zahnfleischfistel, bisweilen bilden sich Wangen-
fisteln, Kinnfsteln usw. oder. der Eiter senkt sich oder entleert sich in
die Nasenhöhle, in den Sinus maxillaris usw. Auch die Schwellung
der regionären Lymphdrüsen ist ein Symptom der Periodontitis.
Die Diagnose ergibt sich aus den geschilderten Sym-
tomen, f | |
j Differentialdiagnostisch ist zu erwähnen, daß im
Stadium des Eiterdurchbruchs die sich im Zahnfleische bildende
Parulis zur Verwechslung mit einer Epulis oder Oyste führen
kann. Eine Epulis ist eine feste Neubildung, eine Parulis ein
fuktuierender Absceß, der sich im Gegensatz zu der sich langsam
und wenig schmerzhaft entwickelnden Cyste, nach voraufgegangener
sehmerzhafter Entzündung rasch bildet. Eine Probepunktion sichert
die Differentialdiagnose. a
. Ein durch Periodontitis bedingtes Wangenödem könnte
Erysipelas facili vortäuschen. Unterscheidend sind hier das Fehlen
eines periodontitischen Zahnes und eine scharfe Abgrenzung der
geröteten Anschwellung gegen die. normale Haut. _
- Therapie: Die Extraktion des Zahnes ist die einfachste und
Radikalbehandlung. Bei periedontitischen Milchzähnen ist die
Extraktion wohl meist indiziert. Häufig schwinden die Schmerzen
nach der Extraktion nicht. sofort, wenn sich die Periodontitis in
dem Anfangsstadium befunden hat, sondern bleiben noch ein bis
zwei Tage bestehen, weil die entzündeten Weichteile der Alveole
' durch den Eingriff verletzt sind. Ausspritzen der Alveole mit
kaltem 30/%igem Carbolwasser oder Austupfen der Wunde
nur heißes Wasser.
mit konzentrierter Carbolsäure oder Orthoform behebt diese Nach;
‘schmerzen, auch kalte Spülungen, Eis usw. mildern den Schmerz. `
Hat die Periodontitis aber schon zur Eiterung geführt, so
' muß nach der Extraktion des Zahnes der Eiter durch warme
| Spülungen, feuchtwarme Kataplasmen, durch Incision, Drainage
oder ähnlichem möglichst aus den Geweben entfernt werden. |
-~ Soll der Zahn erhalten werden, so muß die Pulpenkammer
freigelegt, die Wurzelkanäle mechanisch gereinigt und .des-
infiziert werden. Auch hierzu ist eventuell die Trepanation des
Zahnes am Zahnhalse erforderlich. Ä i 4
| Zur Beseitigung der periodontitischen Schmerzen sind ferner
zu empfehlen lokale Blutentziehung, Applikation von Jodtinktur,
Cantharides usw., kalte Spülungen oder Eisstückchen in den Mund
zu nehmen und Abführmittel oder warme Fußbäder. | |
Allgemeines: Allgemein gesprochen, läßt sich durch Bei
spritzen mit kaltem und lauem Wasser die Diagnose einer Zahn-.
nerverkrankung stellen, und zwar verursacht Kälte Schmerzen .be-
einer Hyperämie und partiellen Pulpitis. ‚Ist die Entzündung
metastatisch geworden oder hat sie die ganze Pulpa ergriffen,
reagiert der Zahn auf kaltes und warmes Wasser. Ist die Pulpa
teilweise oder ganz vereitert oder gangränös zerfallen, schmerzt
Um bei ausstrahlenden Schmerzen. den schuldigen Zahn
herauszufinden, untersucht .man auf diese Weise einen verdäch-
tigen Zahn nach dem andern, indem man die übrigen mit Watte
oder dergleichen isoliert. Gr i |
Referatenteil.
_ Uebersichtsreferat.
Diätetik
. von Dr. Peusquens, Köln.
Bei der Behandlung des Diabetes mellitus, d. h. bei
dem Bestreben, die Hyperglykämie der Diabetiker zu beseitigen
und dadurch den Organismus wieder in Stand zu setzen, Kohle-
hydrate zu verbrennen, sind wir fast ausschließlich auf diätetische
Maßnahmen angewiesen, und seit den Mitteilungen von Noordens,
der gefunden hatte, daß Hafermehl von manchen Diabetikern über-
raschend gut vertragen wurde, ist die Frage der Behandlung des
Diabetes durch Kohlehydratkuren naturgemäß in den Vordergrund
des Interesses getreten, und vor allem hat man sich die Frage zu
beantworten gesucht, wie die Heilwirkung der Haferkuren zu er-
klären ist, und ferner, ob die therapeutische Wirksamkeit der
Haferkur eine specifische ist oder nicht.
= Die Kohlehydratkuren verfolgen, wie Strauß (1) ausführt,
das Ziel, durch alleinige beziehungsweise fast alleinige Benutzung
einer bestimmten Kohlehydratart, sowie durch eine sonst zweck-
entsprechende Zusammensetzung der Nahrumg eine möglichst gute
Ausnutzung der zugeführten Kohlehydrate zu erreichen und damit
die Toleranz des Diabetikers zu stärken. Neben der Milchkur und
der Kartoffelkur ist die Haferkur am bekanntesten geworden durch
ihre Erfolge, wenn auch hierbei die Zahl der Fehlschläge nicht
gering ist. Die jetzt geübte Anwendung der Haferkur besteht
nach von Noorden in 250 g Hafermehl mit 200—300 g Butter
und manchmal etwa 100 g Pflanzeneiweiß (Roborat, Glidin, Reis-
eiweiß usw.). Außerdem ist an Hafertagen etwas schwarzer Kaffee
oder Tee, Oitronensaft, guter, alter Rotwein oder. etwas Kognak,
Whisky usw. gestattet. Ob in der Haferkur ein specifisches, nur
dem Hafer eigenes Moment das wirksame ist, diese Frage glaubt
erfasser auf Grund seiner eigenen Versuche sowie auch gestützt
auf die ‚Versuche andrer Autoren verneinen zu dürfen. Vor allem
hat J. Blum (2) festgestellt, daß dem Hafermehl ein specifisches
therapeutisches Moment nicht zukomme. Er hat die Wirkung des
aformehls mit der des Weizenmehls verglichen und konnte
F den, daß -das Weizenmehl, das in der gleichen Menge und unter
enselben Bedingungen verabreicht wurde, nicht minder ‚gut ver-
{ragen wurde. Die Art des Mehls ist nach seiner Ansicht von
Unfergeoräneter Bedeutung für den günstigen Erfolg. Daß kleine
i nterschiede in dem Verhalten der Mehlarten bestehen können,
streitet Verfasser nicht. Als Hauptgrund kommen jedoch andere
aktoren für die gute therapeutische Wirksamkeit der Kohlehydrat-
a ‚in Betracht. Wenn auch diese Kur den einfachsten,
aschesten und relativ ungefährlichsten Weg zur Entzuckerung
tstellt, so ist es doch zur Erreichung eines guten therapeutischen
Molges nötig, daß man nicht an einem Schema festhält, sondern
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
daß man je nach der Schwere der Erkrankung die Menge der
Kohlehydratzufuhr regelt. Besonders wichtig und erfolgreich ist
die Anwendung der Mehlkuren in mittelschweren und schweren
Fällen, die mit Acidose einhergehen. Verfasser- spricht nicht von
Haferkuren im besonderen, sondern von Mehlkuren allgemein (vor
‘ deren wahlloser Anwendung er übrigens mit Recht warnt). Blum
kommt auf Grund seiner Versuche über die Mehlkuren zu dem
Schluß (3), daß die Erfolge der Hafermehlkuren in der Abwesen-
heit- des animalischen Eiweiß, insbesondere von Fleisch, ferner in
der Einschaltung von Gemüsetagen zur Beseitigung der Hyper:
glykämie und Einwirkung auf die Diurese zu suchen sei. Er teilt
eine Anzahl von Versuchen über die Wirkung von verschiedenen
Eiweißkörpern, insbesondere von Pflanzeneiweiß und Fleisch mit.
Er zeigte, daß zwischen Fleisch und Roborat in bezug auf ihre
Wirkung auf die Glykosurie ein deutlicher Unterschied besteht.
Ein Einfluß auf dieselbe “geht auch dem Roborat nicht völlig ab,
er ist aber viel geringer als der des Fleisches. Zwischen Eiern
und Roborat wurde kein Unterschied gefunden. Blum fordert
“Auf Grund seiner Untersuchungen, daß das Pflanzeneiweiß in der
Kost des Diabetikers als Ersatz des Fleischeiweißes eine größere
Verwendung finden sollte, als dies bisher geschehen ist.
. Baumgarten und Grund kommen auf Grund ihrer sehr
eingehenden Ernährungsversuche, die sie zur Klärung der Frage
über die wirksamen Faktoren der Haferkur bei Diabetes mellitus‘
angestellt haben, zu folgenden Ergebnissen (4):
1. Die Haferstärke. ist in der überwiegenden Zahl der Fälle,
die für die Anwendung einer Haferkur geeignet sind, dem genuinen.
Hafermehl an Wirkung nicht ebenbürtig. Nur in einzelnen leich-
teren Fällen kann die Stärke bereits ähnliche Wirkungen ent-.
falten wie das Vollpräparat. 2. Haferstärke und Weizenstärke
lassen in der Regel auch bei kurmäßiger Anwendung keinen Unter-
schied in der Wirksamkeit erkennen. Nur in den einzelnen Fällen,
in denen die Haferstärke dem genuinen Haferpräparat an Wirkung
‚ähnlich ist, läßt sich eine, wenn auch nicht sehr bedeutende Diffe-.
renz zugunsten der Haferstärke erkennen. 3. Bei Zulage: zu.
strenger und gemischter Diät ist ein Unterschied zwischen Häfer-
stärke und Weizenstärke nicht nachweisbar. 4. Vergleiche zwischen
Weizenstärkeverabreichung in kurmäßiger Form einerseits und ge-
mischter Kost von äquivalentem Kohlehydrat, Fett. und Eiweiß-:
werten anderseits, lassen in der Regel, aber nicht immer, eine.
Differenz zu ungunsten der gemischten Kost erkennen. 5. Stärke-
arme Haferpräparate, die durch besondere Art des Zentrifugierens
gewonnen waren, ließen nur in solchen Fällen, die schon vorher
eine Tendenz zur Besserung der Toleranz hatten, anscheinend eine.
fördernde Wirkung auf diese Tendenz erkennen; sonst blieben diese
Präparate unwirksam. 6. Das Hafermehl entfaltet .seine volle
specifische Wirksamkeit in allen ihm zugänglichen Fällen nur dann,
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1204
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
wenn es in genuiner Form gegeben wird. Die isolierten Bestand-
teile desselben können in einzelnen Fällen bereits einen Teil der
specifischen Wirksamkeit in sich tragen. In der Mehrzahl der
Fälle versagen sie, wo das genuine Präparat noch die volle Wir-
kung entfaltet. 7. Kohlehydratbestimmungen in den Faeces von
Diabetikern ließen nur in wenigen Fällen einen erhöhten Stärke-
gehalt erkennen. Derselbe war aber auch dann zu unbedeutend,
um im Zuckerhaushalt eine irgend wesentliche Rolle zu spielen;
auch gesetzmäßige Gärungsvorgänge erheblicher Art konnten aus
ihnen nicht erschlossen werden. 8. Die von Klotz angegebene
Differenz im Verhalten von Haferstärke und Weizenstärke bei der
Verfütterung an phlorizinvergiftete Hungerhunde konnten Ver-
fässer nicht bestätigen.
Klotz (5) hatte bei phlorizinvergifteten Hungerhunden einen
Unterschied zwischen Hafermehl und Weizenmehl in der Wirkung
auf die Leberverfettung konstatieren können, sodaß man also nach
seinen Versuchsergebnissen berechtigt war, von einer Specifität
des Haferstärkekohlehydrats zu sprechen. Dazu kommt noch, daß
die Enzyme und die Bakterien des Darmes eine Rolle bei dem
Abbau der Kohlehydrate spielen müssen. Das Kohlehydrat des
Weizens wird ganz erheblich anders abgebaut als das des Hafers.
Klotz hält, wie er an anderer Stelle (6) mitteilt, überhaupt die
günstige Wirkung der Weizenmehlkur nur dann für möglich, wenn
gewisse Faktoren zufällig zusammentrefien: kräftige saccharoly-
tische Darmflora, erleichterte Ausnutzungsmöglichkeit durch vor-
herige Aufschließung des Kohlehydrats, Anwesenheit geeigneter,
die Darmgärung begünstigender Salze.
Schon für die Haferkur ist eine kräftige, auf Gärungsprozesse
zugeschnittene beziehungsweise eine auf Hafermehl mit starker
Vermehrung reagierende Darmflora Vorbedingung. Bei dem schwer
vergärbaren, schwer encymatisch spaltbaren und auf katalytische
Substanzen nur träge reagierenden Weizenmehle sind die Chancen
viel geringer. — Es scheint also nach den Versuchsergebnissen
des Verfassers von Noorden mit der Annahme einer relativen
Specifität des Haferstärkekohlehydrats das Richtige getroffen zu
haben. Eine andere Möglichkeit, die von Noorden bei dem
Mechanismus der Haferkur ins Auge gefaßt hat, war die, daß die
Haferkur durch die Dichtung des Nierenfilters wirkt. Diesen
Punkt hat Schirokauer (7) eingehender behandelt und bei seinen
Versuchen vor allem auch den Blutzucker in den Kreis seiner
Betrachtungen gezogen. Aus seinen Versuchen ist zunächst
wieder der Einfluß der Haferkur auf die Toleranz im Diabetes
mellitus auch in leichteren Diabetesfällen klar ersichtlich. Er
konnte ferner zeigen, daß in der Haferperiode stets eine, wenn
auch nur geringe Glykosurie, die in der Vorperiode stets gefehlt
hatte, auftrat. Auch war im Anschluß an die Hafertage niemals
eine starke Ausschwemmung von Zucker, wie sie von Noorden
beobachtet hat, zu verzeichnen. Verfasser hat schließlich in
keinem der Fälle während der Haferperiode eine Oedembildung
wahrgenommen. Die Frage, ob das Nierenfilter wirklich unter
dem Einfluß des Hafers eine Dichtung erfährt, scheint nach des
Verfassers Versuchen noch keineswegs als gelöst. Jedenfalls
scheint dieses Moment der Haferwirkung gänzlich in den Hinter-
grund zu treten vor den Wirkungen, wie sie durch den Diabetes
selbst unter dem dauernden Einfluß des Zuckerharns einerseits
und anderseits durch eine begleitende Nephritis auf den filtrieren-
den Apparat der Niere hervorgerufen werden. In einem seiner
Fälle war trotz ausgesprochener Nephritis chronica die Zucker-
durchlässigkeit eine große, während umgekehrt in einem andern
Fall eine absolute Zuckerdichtigkeit der kranken Nieren bestand.
Aus den verschiedenen Versuchen geht hervor, daß die
Frage nach der Ursache der guten therapeutischen Erfolge der
Hafer- oder, allgemein gesagt, Kohlehydratkur noch keineswegs
ganz geklärt ist. Ueber die tatsächlichen ausgezeichneten Erfolge
der Kuren sind sich alle Autoren einig, eine Ansicht, die die
wenigen Mißerfolge und die bei den Haferkuren. zuweilen auf-
tretenden Nebenerscheinungen nicht zu ändern vermag. Was die
Wasserretention bei Haferkuren der Diabetiker anbetrifft, so hat
Mirowsky (8) versucht, der Ursache dieser Erscheinung auf den
Grund zu kommen und hat zu diesem Zweck 1. bei Diabetikern
verfolgt, ob die Verabreichung von Natrium bicarbonicum oder die
Haferkur zur Wasserretention führt, und 2. das Verhalten von
nichtdiabetischen Individuen, deren Herz und Nieren gesund
waren, in ihrem Verhalten bei Haferkuren und Verabreichung von
Natrium bicarbonicum bei verschiedenen Diätformen geprüft. Er
konnte zeigen. daß bei Diabetischen das Natrium bicarbonicum an
sich nicht zu Woasserretention führt. Die Wasserretention ist
vielmehr streng an die Hafermehlzufuhr gebunden, Nach Beob-
achtungen von andern Autoren erfolgt auch bei Weizenmehlzufuhr
dieselbe Gewichtsvermehrung durch Wasserretention. Bei .den
Versuchen an Nichtdiabetischen zeigte sich, daß die einfache Hafer-
kur ohne Einfluß auf den Wasserhaushalt des Körpers ist. Auch
eine Haferkur mit Zulage von täglich 30 g Natrium bicarbonicum
führt nicht zur Wasserretention.e Wie die normalen Individuen
verhält sich auch ein Kranker mit Diabetes insipidus. Der Grund
für dieses entgegengesetzte Verhalten zwischen diabetischen und
normalen Individuen und Kranken mit Diabetes insipidus glaubt
Verfasser in einer bestimmten Veränderung der Gewebe . oder
Gefäße bei der Zuckerbarnruhr suchen zu können, die den Kranken
zur Retention von Wasser disponiert. Dazu kommen noch als
zweites Moment wahrscheinlich engere Beziehungen zwischen
Kohlehydraten (Hafer, Weizen, Traubenzucker) und: Wasserreten-
tion. — Als wirksames Mittel gegen die bei der Haferkur auf-
tretenden Oedeme empfiehlt Lauritzen (9) Theocin, und zwar
zweimal täglich 0,2 bis 0,3. Er warnt davor, während der Kur
mehr Natron zu geben, als unbedingt notwendig ist. Bei ge-
schwächter Herzfunktion gibt Verfasser gleichzeitig Tinctura Stro-
phanti oder Digitalis. — Als wichtigste Indikationen für die Hafer-
kuren nennt Lauritzen zunächst den Diabetes bei Kindern. Es
sind vorzugsweise die Fälle mit mittelschwerer Glykosurie, die
überraschend gute Resultate geben. Es ist jedoch notwendig, die
Haferkur in monatlichen Zwischenräumen zu wiederholen. Auch
bei schwerer Glykosurie der Kinder kann man bedeutende Besse-
rungen sehen. — Bei Diabetes bei Erwachsenen ist. die Haferkur
indiziert: 1. In den leichten Fällen, die auf der Grenze zu den
mittelschweren stehen und wo die Acetonurie einen solchen Cha-
rakter behält, daß man die progressive Tendenz des Diabetes ver-
muten muß. 2. In den mittelschweren Fällen, wo die Glykosurie
Neigung hat, sich trotz einer dem Fall angepaßten Diät zu zeigen.
3. In schweren Fällen, die trotz starker Beschränkung des Eiweißes
der Kost nicht zuckerfrei werden, muß eine Haferkur oder wieder-
holte Haferkuren angewandt werden. Ferner in den schweren
Fällen, wo strenge Diät schlecht vertragen wird und Steigerung
der Acidose beunruhigt. Als dritte Hauptindikation nennt Ver-
fasser weiter das Coma diabeticum incipiens. Besonders in mittel-
schweren Fällen, wo aus ein oder der andern zufälligen Ursache
(Reise, Ueberanstrengung, akute Krankheit) Symptome beginnen-
den Komas auftreten, wird die Haferkur ziemlich sicher günstige
Resultate geben.
Ueber die Diät bei Nierenkrankheiten (besonders bei
Nierenentzündungen) äußert sich Strauß (10) etwa folgender-
maßen: Der diätetisch-therapeutische Plan setzt sich in allen
Formen von Nephritis ganz allgemein aus den Grundsätzen der
Nierenschonung sowie aus denjenigen Grundsätzen zusammen,
welche einerseits auf Verhütung der Urämie, anderseits auf eine
Verhütung der Hydropsie hinauslaufen. Für die Zwecke der
Nierenschonüng ist die Frage der Form, in welcher das Eiweiß-
quantum gegeben wird, wichtiger als die Frage des Eiweiß-
quantums. „Weißes Fleisch“ ist insofern empfehlenswerter als
rotes, weil die weißen Fleischsorten im allgemeinen infolge ihres
zarteren Gefüges auch leichter verdaulich sind als die roten. Das
ausgekochte Fleisch ist dem saftigen Braten vorzuziehen. Auf
Bouillon und extrakthaltige Saucen soll man möglichst verzichten.
Von Wild und Wurstsorten nimmt man am besten ganz Abstand.
Eier darf man ruhig zwei bis drei, allenfalls auch vier in ge-
kochtem oder gebackenem Zustande geben. Meerrettich, Rettich,
Radieschen, Sellerie, Petersilie, Lauch, Zwiebeln usw. enthalten
schädliche Nierenreize Es ist ferner dringend Mäßigkeit ım
scharfen Gewürzen jeder Art geboten in Fällen, wo es auf eine
stärkere Schonung der Niere ankommt. Spargel glaubt Verfasser
— wenigstens in der Mehrzahl der Fälle — nicht mit in das Ver-
bot einziehen zu brauchen. Milchkuren, seien es exklusive oder
modifizierte, sind nur in besonderen Fällen notwendig, hierfür sind
die klinischen Verhältnisse des einzelnen Falles maßgebend, zumal
da, wo eine gründliche Durchspülung der Nieren und des Gesamt-
organismus angezeigt ist. — Zum Zweck der Urämieverhütung
wird man die Eiweißsubstanzen der Nahrung im ganzen, und Im
besonderen Grade die Menge des Fleisches und derjenigen Nah-
rungs- und Genußmittel, welche größere Quantitäten von Ex-
traktivstoffen des Fleisches enthalten, ganz besonders einschränken.
Bei Urämie oder drohender Urämie ist auch bei Hydropischen
durch reichliche Flüssigkeitszufuhr eine gute Diurese vor allem
zu veranlassen. Bewährt haben sich dem Verfasser zu- diesem
Zweck Tropfklistiere mit einfachem Wasser oder mit analepti-
schen Zusätzen, Wein oder Kaffeezusatz usw. Für die auf den
Aderlaß folgende intravenöse Flüssigkeitszufuhr benutzte Verfasser
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21. Juli
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1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 29, 0.0.0.0... 1205
stets eine 5P/oige Traubenzuckerlösung. Verfasser bespricht. dann |
zum Schluß die Mengen, der Flüssigkeitszufuhr bei Schrumpfnieren-
kranken bei guter. Leistungsfähigkeit des Herzens und bei be-
sinnender Herzschwäche, -sodann die Indikationen zur Beschrän-
kung der Kochsalzaufnahme und die Technik der ehlorarmen Er-
nährung. Kaffee, Tee. und Kakao. haben eine spezielle nieren-
schädigende. Wirkung nicht, Alkohol soll nicht oder doch mit
großer Vorsicht gegeben werden. BE.
-Mit der Frage über die Wirkung der Gewürze bei Nephritis
hat sich Kakowski (11) eingehender beschäftigt und den Ein-
fluß von Petersilie und Dill auf den. ‘Verlauf der-Nierenkrankheiten
“klinisch geprüft. Nach einer eingehenden Darstellung. über: die
Art und Weise, wie er seine Versuche anstellte, und über seine
Methode der Harnsedimentuntersuchung weist er auf Grund seiner
Versuchsergebnisse nach,: daß we, Samen wie Kraut der. Peter-
silio für Nierenkranke schädlich sind, vor allem der Samen, Ver-
fasser glaubt, daß das ätherische Oel den Hauptfaktor der Reiz-
' wirkung. der :Petersilie_bildet, da es’ in: den Samen’ in größerer
Menge vorhanden ist, als im-Kraut. Aus dem gleichen Grunde
ist der Dill bei Nierenkrankheiten schädlich, da auch ‘bei ibm der
Gehalt an ätherischen Oelen nierenreizend wirkt. BE
Bei. Fällen von .höchgradiger- Hyperchlorhydrie. des
Magens, die zum Teil jeder -andern Therapie trotzten, hat
Richartz (12) mit gutem Erfolge. eine Chlorentziehungskur an-
gewandt. Es wurde gemischte Kost gereicht, die nach den Strauß-
Levaschen Tabellen möglichst kochsalzarm zusammengesetzt war.
Alle Mineralwässer wurden wegen ihres Chornatriumgehalts ver-
boten und als Getränk ‘vorwiegend Wasser mit Cognac und Tee
gereicht.. Regelmäßig einmal. täglich, und zwar 21/2 Stunden nach
der Hauptmahlzeit wurde der Magen durch Ausheberung gänzlich.
entleert. — Durch Darreichung chlorfreier Salze, zum Beispiel
Bromnatrium, das in Substanz mit den Mahlzeiten gegeben wurde,
war es möglich, diese an sich technisch schwere und an die Energie
des Patienten ziemlich hohe Anforderungen stellende Ernährungs-
weise etwas zu mildern. nr | | |
Ohne einen derartigen Kochsalzersatz wird“es wohl in der
Praxis auch kaum möglich sein, bei Patienten mit Hyperchloridie
eins. erfolgreiche Chlorentziehung anzuwenden. Auch eine andere
diätetische Maßnahme hat bisher aus ähnlichen Gründen die ihr ge-
bührende Verbreitung in der Praxis nicht gefunden, nämlich die
Karellsche Milchkur bei Herzkrankheiten. Wie His (13)
ausführt, sind. die Hauptgründe für die Abneigung dagegen vor
allem die Furcht vor Hunger und die Angst vor Unterernährung;
68 lehrt jedoch die praktische Erfahrung, daß beide Gründe nicht
aufrechtzuerhalten sind. Man gibt im allgemeinen 800 bis 1000 cem
Milch in den ersten fünf bis sechs Tagen. Bleibt dann die Stei-
gerung der Diurese und die Minderung der Dyspnöe aus, dann ist
in der Regel die Behandlung auch später vergeblich; man wird sie
nach einigen Tagen kräftiger Ernährung nochmals in der oft wirk-
samen Kombination mit Digitalis oder Diuretin wiederholen, even-
tuell völlig Abstand nehmen müssen. Es kommt allerdings auch
vor; daß erst nach zwei bis drei Wochen der gewünschte Erfolg
sich einstellt. Das .Indikationsgebiet der Karellkur ist nach His
keineswegs begrenzt auf hydropische Kranke; die Anwendung ist
vielmehr auf zahlreiche Fälle kardialer, renaler und kardiopulmo-
naler Insuffizienz zu erweitern. Das sind: Die Herzbeschwerden
der Fettleibigen, das Emphysem und die chronische Bronchitis bei
nachlassender Kraft des ‘rechten: Herzens, Asthma cardiale bei
Degeneration des Myokards,. echte Angina pectoris, bei milder Form
und schwachen Anfällen, renale Insuffizienz, bei insuffizientem Herz-
muskel, wenn der Kranke hydropisch wird, jedoch ist Dauer und
Intensität ‚der Kur von Fall zu Fall zu erwägen, hartnäckige Ex-
sudate. seröser Höhlen, besonders der Pleura und des Perikards.
Schließlich ist die Milchdiät zu empfehlen zur Unterstützung der
Digitalisbehandlung. — Die Milchdiät wirkt wahrscheinlich so-
wohl mechanisch durch Besserung. der Circulation, als auch
chemisch durch Verringerung der Giftproduktion. Dazu kommt als
zweites Moment die verminderte Füllung des Abdomens. — Jeden-
falls ist ein mehrtägiger Versuch in passenden Fällen unbedenk-
sn wie lange die Einschränkung fortgesetzt, wie sie durch Zu-
agen gemildert werden soll, das ist" Sache des ärztlichen Taktes.
Zur Diätetik der: Skrofulose äußert sich Moro (14)
folgendermaßen. Die" Skrofulose ist die Kombination zweier ihrer
ar Nach" grundverschiedener Komponenten, die Kombination von
„sudativer Diathese mit Tuberkulose, die im skrofulösen Orga-
ismus in innigste’ Wechselbeziehung zueinander treten. Die exsu-
dative Diathese ist die Quelle der großen Empfindlichkeit. der |
2: der, ‚die Ursache ihrer ausgesprochenen Neigung zur"reaktiven.
EEEREN Toe Ee ee aa Bd eh a is aaa s aA a Pa ra ee
Entzündung und der. gesteigerten Reizbarkeit ‚des Iymphatischen
Apparats. Die Tuberkulose wirkt im Organismus des exsudativen
Kindes als ständiger Reiz, führt immer wieder.zu neien Mani-
festationen der Diathese und ist der Grund des specifischen.Cha-
rakters der skrofulösen Entzündungserscheinungen. Moró konnte
nun folgendes feststellen: Bei reichlicher, einseitiger Milch-Eiköst
treten ‘weder im Blütestadium . noch in der Abheilungsperiode der
Skrofulose neue’ exsudative Symptome zutage. Manifeste Erschei-
nungen der 'exsudativen Diathese - Skrofulöser heilten bei dieser
Ernährung vollständig ab, aber nur unter einer Bedingung: wenn
die betreffenden Kinder an Körpergewicht rasch und ständig zZü-
nahmen, das heißt wenn sich in .den betreffenden Fällen bei Milch-
Eikost das erzielen ließ, was mai gemeinhin als Mast bezeichnet.
Der Umstand, daß eine sölche Milch-Eikost, die. bei der Diäthese:
kontraindiziert ist, trotzdem zur Besserung geführt hat, dürfte:
seinen Grund darin. haben, daß die exsudativen Erscheinungen "bei.
Skrofulose in erster Linie nicht alimentärer sondern: specifiächer -
Natur sind. Die gute Wirkung der abundanten Milch-Eikost. auf
.die exsudative Diathese skrofulöser Kinder erklärt sich eben aus
der Tatsache, daß durch eine Mästung die, Tuberkulose günstig
beeinflußbar ist. Die einseitige Milch-Eikost, die Verfasser nur
experimenti causa gewählt hatte, um das Gegenteil zu erreichen,
stellt allerdings eine relativ kohlehydratarme, eiweiß- aber auch
ziemlich fettreiche Diät dar, und gerade eine Fettmast wirkt auf
die Tuberkulose günstig, reichliche Kohlehydratfütterung dagegen’
ungünstig ein. Moro empfiehlt seinse.Milch-Eikost, das heißt die
Fettmast, ausschließlich. bei echter Skrofulose, also nur dort, wo
im Organismus Tuberkulose und exsudative. Diathese in innigste
Beziehung zueinander treten, und miteinander zu einem einheit--
lichen Krankheitsbilde verschmelzen. Streng davon auseinander-
zubalten sind jene Fälle, wobei es sich nur um ein gegenseitig,
unbeeinflußtes Nebeneinandersein von exsudativer“ Diathese- und
Tuberkulose handelt. S o A ie
- Eine vollständig milchlose Kost empfiehlt Raabe (15) bei
der Spasmophilie. Betrefis der alimentären. Beeinflussung dieses
‘Zustandes erscheint immer noch der Satz zu Recht zu bestehen,
‚daß wir in der Kuhmilch den häufigsten akuten Erreger der
Spasmophilie erblicken müssen. Es ist aus diesem Gesichtspunkte
heraus zweckmäßig, abgesehen von der Brustmilch, eine milchlose
Ernährung anzuwenden, die trotzdem imstande ist, sämtliche Be-
dürfnisse des Säuglings. zu decken - und ein besseres Gedeihen als
vorher zu gewährleisten. Dies ist möglich vom neunten bis zehnten
Monat an. Die Durchführung der milchlosen Kost, die sich auf
acht Fälle erstreckte, begegnete, wie Verfasser angibt, Keinen
großen Schwierigkeiten und das Resultat war recht zufrieden-
stellend. Welche andern Faktoren bei der Heilung außerdem noch
mitgespielt haben mögen, 1äBt sich natürlich nicht sagen, sehr.
wahrscheinlich ist gerade das Fehlen der. Milch ein -sehr wichtiger
Faktor, und sicher ist jedenfalls, daß. sich der Gesamtzuständ des
Kindes unter dieser Kost wesentlich besserte, und daß die Kinder
nicht im Sinne eines Mehlnährschadens geschädigt wurden. Das
Optimum dieser Ernährung liegt um die Wende des ersten Lebens-
jahres und im zweiten, ist aber auch noch im dritten Jahr an-
zuwenden. Wenn Verfasser für eine Reihe freilich gerade der
schwersten Fälle von Spasmophilie. diese mannigfaltig' zusammen-
gesetzte, aber milchlose Nahrung empfiehlt, so tut er.es mit der
ausdrücklichen Einschränkung, daß sie nur für die Fälle päßt, in
denen auch sonst durch sie der körperliche Zustand des Kindes
auf die Dauer günstig beeinflußt wird. | i
l Eine molkenarme Milch empfiehlt Finkelstein (16) zur
"Behandlung des Säuglingsekzems.' Der Grundgedanke dieser
Methode besteht darin, daß den Kranken eine möglichst molken-
beziehungsweise 'salzfreie Nahrung gegeben werden soll, während
gleichzeitig ein reichliches Angebot von Eiweiß, Fett und Kohle-
bydrat stattfindet. Unbeeinflußt bleiben alle trockenen und alle
spärlich absondernden Ekzeme, während die stark secernierenden,
entzündlich gereizten Formen, die man gewöhnlich als impetiginöse
zu bezeichnen pflegt, energisch zu bessern sind. Hier wirkt die
Nahrung deutlich sekretionsbeschränkend, sie macht das nässende
Ekzem zu einem trocknen. Die „Ekzemsuppe“ soll erst’ nach einem:
Versuche mit den gewöhnlichen Methoden angewandt werden, und
zwar nur bei entzündlich gereizten, stark .nässenden impetiginösen
Ekzemen, ‘wenn innerhalb 14 Tagen auf einfachere Art keine be-
friedigende Besserung zu erreichen war. Bestehende Durchfälle
‚oder. Ernährungsstörungen schwerer Art bilden eine Gegenanzeige-
_ Die Mengen der Ekzemsuppe sind reichlich zu bemessen; mäßige
Beigaben . von Mehlsuppen, (Gemüsen, -Breien in- salzfreier: Zube-
reitung und von Obst sind, wenn nicht schon von Anfang an, so.
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21. Juli.
1206 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
doch wenigstens nach kurzer Zeit erforderlich, Abnahme, abge-
sehen von solchen mäßigen Betrags, in den ersten Tagen, sollen
nicht zugelassen werden und gegebenenfalls durch Zulagen, nament-
lich von Kohlehydrat, beseitigt werden, es sei denn, daß es sich
um vorher schwer überfütterte Kinder handelt, bei denen man
übrigens von der Vorperiode mit gewöhnlicher, knapper Kost nie
absehen sollte. Auch bei ihnen wird man extreme Gewichtsver-
luste durch.. Kohlehydratzulagen hemmen müssen. Abnahmen in
Begleitung von Appetitlosigkeit, Erbrechen und Apathie deuten
auf Salzhunger, sind bedenklich, und geben eine dringende Anzeige
für sofortige Zulagen von reichlich Molke oder Buttermilch, Die
Anwendungsdauer der Suppe kann bei geeigneter Zukost beliebig
ausgedehnt werden, unter drei bis vier Wochen soll sie nie herab-
gehen. Später wird an Stelle der Suppe am besten Buttermilch
gesetzt. Beim Uebergang kommt es oft zu einer vorübergehenden
Verschlimmerung, die dadurch vermieden werden kann, daß man
sich nach vollkommenem Aussetzen der Suppe mit der Buttermilch
in langsam steigenden Gaben einschleicht.
Ueber die Brauchbarkeit tief abgebauter Eiweißpräpa-
rate für die Ernährung haben Frank und Schittenhelm (17)
sehr interessante Untersuchungen angestellt, Sie konnten, gestützt
auf monatelange Tierversuche, die Brauchbarkeit von Eiweiß-
präparaten, welche durch Fermente bis zu abiureten Spaltprodukten
abgebaut wurden, zeigen. Sie wiesen ferner nach, daß das Nahrungs-
protein durch die Verdauung außerhalb des Körpers bis zu abiureten
Spaltprodukten nichts an seiner Wertigkeit für den Eiweißersatz
verliert, sondern das verdaute Produkt sich dem nativen Eiweiß
in der quantitativen Verwertung vollkommen gleichwertig verhält.
Die ersten Versuche nun, abgebautes Eiweiß auch für die mensch-
liche Ernährung nutzbar zu machen, fielen günstig aus. Bei den
weiteren Untersuchungen am erwachsenen Tiere zeigte sich, daß
die einzelnen Präparate ungleichmäßig vertragen werden. Auch
beim wachsenden Tiere konnten Verfasser an einer Reihe von
Versuchen feststellen, daß die abgebauten Eiweißpräparate zur Be-
friedigung des Stickstoffbedarfs herangezogen werden können. .
Namentlich sprechen die Versuche mit abgebautem Eiereiweiß für
diese Annahme, während das abgebaute Fleisch (Erepton) sich
weniger brauchbar erwies. Die Versuche scheiterten schließlich
daran, daß die Tiere die Nahrungsaufnahme verweigerten, woran
teilweise der scharfe Geschmack, der Salzgehalt usw. die Schuld
ist, anderseits auch noch der Umstand, daß diese abgebauten Prä-
parate intensiv auf die glatte Muskulatur einwirken, und zwar
noch in hohen Verdünnungen. Letzteres zeigte sich auch im bio-
logischen Versuch bei intravenösen Einspritzungen an Meer-
schweinchen. Verfasser glauben diese Wirkung den diesen Prä-
paraten beigemengten Stoffen zuschreiben zu müssen, die der
Amingruppe angehören. Sie halten deshalb eine Verwendung der
Präparate bei jungen Individuen nicht für ratsam. Sie glauben,
daß die Verwendung von reinen Proteinen als Ausgangsmaterial
der abgebauten Präparate am zweckmäßigsten ist. Bei Durch-
führung der Eiweißspaltung muß besonders darauf Rücksicht ge-
nommen weıden, die Entstehung sekundärer Abbauprodukte mög-
lichst zu verhindern.
Eins unserer Hauptgetränke — der Kaffee — wirkt, wie
neuerdings in medizinischer Hinsicht genauer festgestellt und
bygienisch in höherem Grade gewertet, worden ist, in nicht selten
zu nennenden Fällen entschieden nachteilig, zumal wenn er in
starker Konzentration oder heiß getrunken wird. Unter den mannig-
fachen Verfahren, eine Kaffeereinigung und -verbesserung herbei-
zuführen, verdient nach Harnack (18) das Thumsche Verfahren
eine besondere Beachtung. Dieses Verfahren besteht darin, daß die
Bohne in dem Zustand, in dem sie sich als Handelsware befindet,
nur wenige Minuten lang in einer Trommel unter Berührung mit
Wasser von 65 bis 70° Č einem energischen Bürstprozeß unter-
worfen und dadurch gesäubert wird, das heißt von einer erstaun-
lichen Menge unnützer Stoffe an der Oberfläche befreit wird. Un-
mittelbar darauf wird sie in der nämlichen, aus dem Waschwasser
genommenen Trommel der Maschine etwa zehn Minuten lang so-
weit getrocknet, daß sie noch leicht feucht (handtrocken) ist. In
diesem Zustande kommt sie sofort in den Röstapparat. Das Er-
gebnis der Untersuchungen, die Verfasser mit derartig vorbereitetem
Kaffee angestellt hat, faßt er in folgenden Sätzen zusammen:
1. Die speziell nachteilige Wirkung des Kaffees erstreckt sich auf
den Magen und mittelbar durch diesen auf das Herz. 2. Die
Wirkung geschieht durch die flüchtigen Röstprodukte der Bohne.
3. Das Kaffeegetränk ist in physikalischer Hinsicht etwas durch-
aus anderes als der Tee. Kaffee ist weit mehr hypertonisch und
hat eine-viel geringere Oberflächenspannung als Wasser (Traube),
Tee ist stets hypertonisch und hat die gleich hohe Oberflächen-
spannung als Wasser. Tee ist daher für den Magen unschädlich.
4. Das Thumsche Verfahren liefert reinen Kaffee unter Erhaltung
seines Koffeinbesitzes. Durch den Wegfall der Röstprodukte aus
den der Oberfläche der Bohne adhärierenden Substanzen ergibt
sich eine gleichmäßigere Röstung und ein Getränk, das einen
reineren Geschmack besitzt und, soweit sich das jetzt schon be-
urteilen läßt, auch vom Magen usw. besser vertragen wird.
Literatur: 1. Strauß, Ueber Kohlehydratkuren bei Diabetikern. (D.
med. Woch. 1912, Nr. 11.) — 2. Blum, Ueber Weizenmehlkuren bei Diabetes
mellitus. Beitrag zur Theorie der Verwendung der Kohlehydrate in der The-
rapie der Zuckerkrankheit. (M. med. Woch 58. Jahrg., Nr. 27.) — 3. Blum,
Ueber die Verwendung von Pflanzeneiweiß in der Behandlung des Diabetes
mellitus. (Berl. kl. Woch. 48, Jahrg., Nr. 31.) — 4. Baumgarten und Grund,
Ueber die wirksamen Faktoren der Haferkur bei Diabetes mellitus. (D. A, f.
kl. Med. Bd. 104, H. 2.) — 5. Klotz, Studien über Mehlabbau. (Zt. f. exp.
Path. Bd. 8, H. 3.) — 6. Klotz, Hafer- oder Weizenmehlkur? (M. med. Woch.
58. Jahrg., Nr. 51.) — 7. Schirokauer, Haferkur und Blutzuckergehalt bei
Diabetes mellitus. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 24) — 8. Mirowski, Ueber
Wasserretention bei Haferkuren der Diabetiker. (D. med. Woch. 1912, H. 10.)
— 9. Lauritzen, Ueber die Indikationen der Anwendwig der Haferkur bei
Zuckerkranken. (Z. f diät. phys. Th. 1912, H. 4) — 10. Strauß, Die Diät bei
Nierenkrankheiten (besonders bei Nierenentzündungen). (D. med. Woch. 87. Jahrg.,
Nr. 52.) — 11. Kakowski, Gewürze bei Nephritis. (Zt. f. diät. phys. Th. 1912,
. N. 2 u. 3) — 12. Richartz, Zur Frage der Chlorentziehuug bei Hypersekre-
tion des Magens. (D. med. Woch. 1912, Nr. 15.) — 13. His, Zur Anwendung
der Karellschen Milchkur bei Herzkrankheiten. (Th. Mon. 1912, H.1) —
14. Moro, Zur Diätetik der Skrofulose. (Mon. f. Kind. 1912, Bd. 11, H. 1.) —
15. Raabe, Ueber die Durchführung einer milchlosen Kost bei Spasmophilie
(Krampfbereitschaft). (Th. Mon. 1912, Nr. 5.) — 16. Finkelstein, Zur Indi-
kation und Technik der Behandlung des Säuglingsekzems mit molkenarmer
Milch. (Th. Mon. 1912, H. 1.) — 17. Frank und Schittenhelm, Ueber die
Brauchbarkeit tief abgebauter Biweißpräparate für die Ernährung. (Th. Mon.
1912, Nr. 2) — 18. Harnack, Ueber die besonderen Eigenarten des Kaffee-
getränks und das Thumsche Verfahren zur Kafloereinigung und -verbesserung.
M. med. Woch. 58. Jahrg., Nr. 35.)
Sammelreferat.
Syphilis
vön Priv.-Doz. Dr. Felix Pinkus, Berlin.
Von Wechselmann (15), der unter seiner außerordentlich
großen Menge von Patienten diese Erscheinungen wohl häufiger
sieht, werden sonst kaum beschriebene Spätreaktionen nach intra-
venöser Salvarsananwendung berichtet, wie er auch gleich anfangs
auf die eigentümlichen scarlatiniformen, manchmal mit Fieber und
Angina verbundenen Ausschläge 10 —14 Tage nach intramusku-
lärer Salvarsananwendung aufmerksam gemacht hatte, von denen
er eine größere Zahl als andere Beobachter gesehen hatte.
Die Affektion stellt sich nach der ersten Einspritzung (Wechsel-
mann berichtet über sechs Fälle, und immer von intravenösen
Salvarsandosen von 0,3) am siebenten Tage, bei wiederholter Ein-
spritzung anscheinend schon nach wenigen Stunden ein, meistens mit
Fieber (bis gegen 40% und rotem Ausschlag, und vergeht in
zwei bis drei Tagen. Die Ueberempfindlichkeitssymptome scheinen
bei intravenösem Salvarsan geringer zu sein als bei den Depot-
methoden. In zwei Fällen, deren einer die starke Reaktion sofort
nach der Einspritzung, der andere erst sieben Tage nach der Ein-
spritzung gezeigt hatte (starke dunkelrote Gesichtsschwellung),
erfolgte bei einer zweiten Einspritzung (31 und 18 Tage nach der
ersten) gar nichts. Das Nichtmehrvorhandensein einer Ueber-
empfindlichkeit hatte Wechselmann durch Pirquetsche Cutan-
impfung und durch Injektion von 1 com der gewöhnlichen Lösung
subeutan festzustellen gesucht. Bei einem andern Falle wieder-
holte sich nach der 21 Tage später erfolgenden zweiten Ein-
spritzung sofort Fieber und Ausschlag, während diese bei der
ersten sieben Tage hatten auf sich warten lassen. Wechsel-
mann vergleicht diese Erscheinungen den Anaphylaxie- und Serum-
überempfindlichkeitsphänomen: passive Aanaphylaxie mit dem
Serum solcher Kranken hat sich aber noch nie nachweisen lassen.
In späteren Aufsätzen (Hufelandische Gesellschaft und D. med.
Woch. Nr. 25, 1912) gibt er neuere Erklärungen: Vasomotorische
Reize oder Reizung des Nervus depressor. Neosalvarsan soll
sehr empfindlichen Kranken weit weniger schaden. ;
Balzer und Condat (1) beschreiben eine der bedauerlichen
Reaktionen gegen Salvarsan, die unter den Zeichen schwerer
Hirnstörungen zum Tode führen. In diesem Falle wurde nicht
das Höchster Salvarsan, sondern das Arsenobenzol von Mouneyrat
(in Frankreich stellen verschiedene Fabriken das Dioxydiamido-
arsenobenzol dar und diese Fabrikate werden als dem Salvarsan
identisch betrachtet und verwendet) eingespritzt, der Verlauf scheint
den vom Salvarsan bekannten Vorkommnissen ganz gleich zu sein.
Die erste Injektion von 0,3 bei einer frischen Lues (extragenitaler
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21 Juli.
1912" MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29 2
Primäraffekt? frische sekundäre Erscheinungen) wurde unter
Sehüttelfrost und 39,2 Temperatursteigerung sonst gut ertragen.
Eing Woche danach: wiederum 0,3. Höchsttemperatur am Nach-
mittag nach leichtem Frost 37,6. Am Morgen des zweiten Tages
somnolenter Zustand, der sich rapide verschlimmert, 37,6—37,8.
Am folgenden Tage starke Verschlimmerung, 37,6—38,8 und 112 Puls-
schläge in der Minute, Schluckbeschwerden, Nacken- und Rücken-
‚steifigkeit, tonische Krämpfe: nach Lumbalpunktion, die hohen
Druck, aber keine Zellvermehrung ergab, etwas Beruhigung. Die
vorher starren und ungleichen Pupillen reagieren wieder. Therapie
namentlich -Blutentziebung und große Einläufe. Am folgenden
Tage Harninkontinenz, langsame Atmung (16), Puls 92—120, Tem-
peratur 38,6—88,8. Spinalpunktion ergibt starken Gehalt an 'poly-
nukleären Zellen (30—50 pro Oelimmersions-Gesichtsfeld); gleich da-
nach allgemeine (rechts stärkere) Konvulsionen, Cyanose, Mydriasis.
Abends Tod. ‚Sektion nicht gestattet. a TAr
... Frieboes (6) beobachtete außerordentlich starke zum. Teil
geradezu urtikarielle Aufschwellungen von vorhandenen syphili-
tischen Exanthemen nach der Salvarsaninjektion. Mikroskopisch
zeigten. sich in solchen Fällen (es wurden drei histologisch unter-
sucht; in dem einen der Fälle war auch eine Effloreszenz in ihrem.
gewöhnlichen, ruhigen Zustande vor der Salvarsaninjektion ent-
nommen worden) Verbreiterung der Räume zwischen den Epithel-
zellen ` (Oedem),- Verquellung und schlechtere Färbbarkeit der
Zpidermiszellen; in der Cutis erweiterte Lymphspalten, Zusammen-
pressung der. Papillen durch das Oedem der Epidermis, Ueber-
füllung der Blutgefäße des subpapillären und tiefen venösen Netzes
mit Blutkörperchen, aber nicht mit roten, sondern mit (meist poly-
nukleären) Leukocyten,' die vielfach auch die Gefäßwand durch-
brechen. An der Effloreszenz, die vor der Salvarsaneinspritzung
exeidiert worden war, fanden. diese Veränderungen sich nicht. Die
Blutgefäße waren von Rundzellinfiltrat eingescheidet, ihre Endothel-
schicht vielfach gewuchert (Mitosen). Das Bild, welches Frieboes
hinzufügt, stellt eine außerordentlich starke Füllung eines kleinen
Gefäßes mit Eiterzellen dar; eine solche Veränderung dürfte .man
wohl auch in den schlimmen Fällen von ‘sogenannter lokaler Re-
aktion in.den Hirnnerven vermuten, vielleicht auch bei besonders
hyperämischer Form Blutungen in diesen diffizilen Organen,
welche denen bei der Encephalitis ähnlich sind und vielleicht den
eigentümlichen Verlauf der Hirnnervenerkrankungen, die wir bisher
Neurorezidive nennen, besser zu deuten erlauben.
Dorn (4) fand in den ersten Stunden nach intravenöser
Salvarsaninjektion eine Herabsetzung des Hämoglobingehalts, eine
Verminderung der roten und der weißen ‚Blutkörperchen, zuweilen
Urobilinurie und Urobilinogen im Urin, also eine Leukopenie und
Hämolyse. Diesen Verminderungen der zelligen Elemente folgte
bald danach eine Vermehrung sowohl der roten als auch der weißen
Blutkörperchen. Nach intramuskulären Injektionen folgt eine frühe
Leukocytose geringen und eine manchmal mehrere Tage anhaltende
Leukocytose etwas höheren Grades. |
Brückler (2) erweitert unsere Kenntnisse von den Reaktionen
nach Salvarsan durch wichtige -Feststellungen. Die schnell im
Laufe der ersten zwei Stunden auftretenden Fieberreaktionen
schaltet er als Folgen des sogenannten Wasserfehlers ganz aus,
da sie dem Salvarsan selbst nieht zuzuschreiben sind. Die übrigen
zutage tretenden Reaktionen haben ein anderes Gepräge. Sie er-
eignen sich nur bei der ersten Dosis und folgen der Infusion
später, nach 4—8 Stunden; sie treten. nur bei zugleich einsetzen-
der Herxheimerscher Reaktion (Verstärkung eines bestehenden
oder Hervorschießen eines noch nieht vorhandenen Exanthems) ein
ind werden durch vorhergehende Quecksilberbehandlung ganz ver-
mieden, Sie sind Reaktionserscheinungen des Spirochätenzerfalls.
Sie erscheinen nur im Anfang der Syphilis und fehlen in späteren
Stadien fast ausnahmslos,
-Bei vornehmlich älterer Syphilis und Tabes haben Leredde
ud Künemann einen recht erheblichen Prozentsatz‘ von Ffeber
nach Salvarsan, Die Verwendung frisch destillierten Wassers hat
einen gewissen Nachlaß, aber bei weitem kein völliges Verschwinden
er Reaktionen erzeugt. Sie haben bei erster Injektion vor der
efwendung frisch destillierten Wassers 29%, über 390, 480),
zwischen 88 und 39 gehabt, nachher 80, über 899, 27 0/o zwischen.
und 380. Bei der zweiten Injektion hatten sie vorher 44 0/0,
nachher 160/, bis 39°, keine über 390. Bei der dritten Injektion
vorher 46%, nachher 40/0 bis 390, Man erkennt an diesen Zahlen
gaz besonders klar die Bedeutung, die der Wasserfehler in ein-
zelnen Kliniken gehabt hat, u | | | |
lich Jeanselme und Vernes (8) haben glänzende Resultate bezüg-
der fleberhaften Reaktion nach Salvarsan. Unter 180 intra-
`~
venösen Infusionen haben sie nur siebenmal Fiebersteigerung, und
auch diese bis auf eine unter 38,7 rectal, nur eine bis 39,9 rectal,
gehabt. Unter Berechnung auf erste Injektionen erhalte ich bei
der allerdings sehr geringen Zahl der Fälle nur zirka 14 /, fieber- `
hafte Reaktionen bei frischer Syphilis, .was .nach meifien 'Er-
fahrungen auch noch als ein sonst‘ nicht erreichter Rekord zu bo-
zeichnen wäre. > A u
Pawlows (12) Bericht bezieht ` sich ‘auf 39 intramuskulär
behandelte Fälle und 80 intravenöse 'Infusionen und auf die Zeit
nur weniger Monate. Trotzdem hatte er unter 63 Fällen 24 Re-
zidive und dabei, einige Hirnnervenerkrankungen. ` Gute Heil-
wirkung sah er unter anderem bei specifischer . Alopezie.
‘ Unter Beeinflussung der Lues mixta versteht Vörner (14) die
Einwirkung des Salvarsans auf Krankheiten, die zugleich mit ‘der
Lues bestanden, die neue Eiterung einer eiternden Kopfwunde
nebst erhöhter Temperatur, die Exacerbation einer merküriellen Sto-
matitis für 24 Stunden, die Neuanschwellung einer Epididymitis
gonorrhoica, in deren Punktionssaft sich Gonokokken finden. In
einem vierten Falle, der einen Tabiker betrifft, entstand nach
0,6 Salvarsan die oft beschriebene Reaktion mit Schüttelfröst,
Fieber von 38,9 und Erbrechen. Nach sechs Tagen waren die
hauptsächlich vom Darm ausgehenden Erscheinungen geschwunden,
von der vierten Woche an zeigte sich aber ‘wieder abendliches
Fieber, Brechreiz, Tenesmus mit Durchfall, Schmerzen im Leib,
bis der Kranke starb. Die Obduktion ergab Tuberkulose des’
Bauchtfeils, des Darmes, der Leber und der Milz.. Die Salvarsan-
injektion scheint die Empfindlichkeit gegen latente Keime zu
erhöhen. _ A u x u
Langes (9) Ausführungen über die zur Wassermannschen:
Reaktion brauchbaren Herzextrakte erklären viele Eigentümlich-
keiten, welche wohl jedem Beobachter schon aufgefallen sind, die
aber bisher als Ausnahmen angesehen würden. Die hauptsäch-
lichsten Feststellungen Langes. sind folgende: Der alkoholische
Herzextrakt (1:10 Alkohol) ist eine konzentrierte Lösung (nach
Verdunsten braucht man zur völligen Wiederauflösung dieselbe
Alkoholmenge, die vorher vorhanden gewesen ist). Er ist in der
Dosis von 0,2 auf 0,2 Serum anzuwenden; in dieser Dosis hemmt
er selbst, doch muß die Hemmung sowie die Eigenhemmung des
Serums durch starken Komplementzusatz (0,1) ausgeglichen werden;
eine genaue Austitrierung von Extrakt und von Komplement ist
deshalb ganz überflüssig. Die Extrakte schwanken fast gar nicht
in ihrer Wirkung, sie ergeben schärfere Reaktionen als’ die Leber-
. extrakte und auch leichte, nicht vollkommene Hemmungen sind
schon als positiv anzusehen. |
Von Tiöches (13) außerordentlich ausgedehnten Unter-
suchungen, die zum großen Teil auch vorher schon bekanntes be-
stätigen oder kontrollieren, sind einige Ergebnisse von großer
Wichtigkeit. Das erste ist, daß zuweilen an unklaren Hauterup-
tionen es durch die Spirochätenversilberung gelingt, den positiven
Nachweis der Syphilis zu erbringen, daß es aber vielfach nicht
genügt, nur einige wenige Schnitte zu betrachten, sondern oft aus-
gedehnteres Suchen in vielen Schnitten nötig ist, weil die Spiro-
chäten manchmal nur an kleinen Stellen,. namentlich am Rande
der Herde vorhanden sind und die ganze übrige Effloreszenz frei
lassen können. Sie werden sowohl durch hinzukommende Ent-
zündungen (so in der Mitte der Primäraffekte, im Centrum ulceröser
Syphilide), als auch schon durch ganz geringe Therapie zum Ver-
schwinden gebracht oder wenigstens unauffindbar gemacht. Dabei
halten sie sich eher noch längere Zeit im Epithel auf als im
Bindegewebe und im Infiltrat, ja sie finden sich bis in die obersten
Epithellagen hinein auch bei trocknen Effloreszenzen, sodaß deren
Schuppung. ganz wohl eine Syphilisübertragung. verursachen könnte.
Auch die äußere Wurzelscheide der Haare kann länger als der
Rest der Effloreszenzen Spirochäten beherbergen, sodaß eventuell
Quecksilbereinreibungskuren für gewisse Fälle Vorzüge vor der
rein subcutanen Methode besitzen können, da diese lokale Behand-
lung das die Spirochäten besser schützende Epithel sterilisiert. In
der Roseola fand er nie Spirochäten, ebensowenig in alten organi-
sierten Papeln. Dagegen sind sie unter Umständen in sehr spät
(12 bis 18 Jahre nach der Infektion) auftretenden Gebilden
von papulösem Typus zuweilen zu finden. ` Rezidive können durch
Neuansiedlung von Spirochäten, die durch die Blutgefäße (häma-
togen) an diese Stellen neu hingetragen werden, entstehen, aber
auch aus alten Resten dort von früher her lagernder und‘ wieder-
auflebender Spirochäten. In den Lymphgefäßen liegen sie häufig,
zuweilen auch in den Nerven. Letztere Lokalisation deutet aber
nicht, wie der weitere Verlauf beweist, auf eine besondere Er-
griffenheit des Nervensystems gerade dieser Syphilitischen hin.
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1208 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nf. 29.
21, Juli,
Auch in den nässenden Papeln eines kongenitalsyphilitischen Kindes
fand Tiöche einmal reichliche Spirochätenmassen. Auffallender-
weise mißlang bei zwei macerierten Feten von Müttern, deren se-
kundärsyphilitische Eruptionen reichlich Spirochäten äufwiesen, der
Spirochätennachweis in den inneren Organen. Ä
‘In letzter Zeit sind, durch die intravenöse Salvarsandar-
reichung veranlaßt, vielfach wieder Hg-Präparate direkt in die
Blutbahn gespritzt worden. Diese sehr bequeme und bei der
: Schmerzhaftigkeit der unter die Haut gespritzten Quecksilber-
präparate sehr erwünschte schmerzlose Therapie ist schon früher
wegen ihrer auffallend geringen Wirkung wieder aufgegeben worden.
Sie wird jetzt mit weit höheren Dosen wieder aufgenommen, aber
erstaunlicherweise ist der Erfolg ganz ebenso Schlecht wie früher.
Meyer (11) hat Afridol (53 0/, Hg-haltiges Oxy-Hg-O-toluylsaures
Natrium) in Dosen von 0,04 bis 0,12 täglich oder in Pausen von
mehreren Tagen injiciert, und ebenso Enesol (Clin), in Dosen von
0,06 bis 0,3 (10 cem). Der Erfolg war in allen Fällen gering,
und besonders beim Afridol durch schwere Nebenerscheinungen von
Seiten des Darmes verschlechtert. Meyer und in einem Nachwort
Blaschko schließen aus den Mißerfolgen, daß beim Hg nicht die
schnelle Ueberschwemmung, sondern eine allmähliche Aufsaugung
vorzuziehen sei; ‘so richtig diese Anschauung ist, kann sie doch
aus der hier mitgeteilten Versuchsanordnung nicht gefolgert
werden, weil die gegebenen Dosen zu selten und trotz ihrer an-
scheinenden Höhe nicht groß sind. Es ergibt sich beim Afridol
eine Injektion alle vier Tage, das heißt mit drei injektionsfreien
Tagen zwischen je zwei Injektionstagen, mit durchschnittlich 0,14
Afridol jedesmal, beim Enesol eine Injektion alle drei Tage mit
durchschnittlich 0,2 Enesol jedesmal. Das ist beides nicht viel
mehr, als von diesen Mitteln subcutan eingespritzt werden soll
und oft gut ertragen wird. Bei täglichen intravenösen Injektionen
sind die Resultate nach dem, was ich selbst gesehen habe, besser,
und erheblich besser wären sie wohl bei dreimal täglicher Ein-
führung auf dem Venenwege, indessen brauche ich nicht zu sagen,
um wieviel diese theoretische Forderung das praktische Können
von Arzt und Patient übersteigen dürfte,
Die mit einer Lueseruption (meist der ersten Attacke der
Krankheit) verbundenen Erytheme, besonders das Erythema nodo-
sum, sind oft besonders schwerer Art. Sie werden durch die
specifische Therapie, ganz besonders Jod, günstig beeinflußt. Daß
diese Erytheme mit irgendeiner Syphilistoxinwirkung zusammen-
hängen, ist sehr wahrscheinlich. Einen wichtigen Fall dieser Art
berichtet Janson (7). ` o
`. In Etienne und Luciens (5) Fall handelt es sich um einen
38 jährigen kräftigen, fast athletischen Mann, Alkoholiker und
13 Jahre zuvor mit Lues infiziert, sechs Jahre laug mit ver-
schiedenen Einreibungskuren behandelt. Seit drei Jahren Anfälle
von intermittierendem Hinken und krampfartigen Schmerzen im
linken Beine. Zuletzt trat ein heftiger Schmerzanfall in beiden
Beinen auf, der den ganzen Tag dauerte. Der linke Fuß. und
Unterschenkel waren eiskalt, Arterienpuls an der Femoralis nicht
zu fühlen. Am Tage darauf Cyanose, zwei Tage später heftiger
Schmerzanfall und Entwicklung großer anämischer Zonen mit
Gangrän im Centrum am Unterschenkel. Unter Schlaflosigkeit,
Schmerzen, Entstehen neuer Gangränstellen an den Zehen ver-
schlechtert sich der Allgemeinzustand; drei Wochen nach dem Be-
ginn wird der Oberschenkel im unteren Drittel amputiert. ' Die
Haut war zu dieser Zeit bis zum Knie mumifiziert. Nach seiner
Entfernung kam kein Tropfen Blut. Trotzdem Heilung per pri-
mam. Die Arteria femoralis war von einem langen Gerinnsel aus-
gefüllt. Die Poplitealgefäße waren stark verengt durch End-
arteriitis und Endophlebitis und durch festanhaftende organisierte
Thromben. Die engste Stelle ist in der Höhe der Kniegelenks-
falte. Die Verfasser können als Ursache nur die Syphilis ansehen;
die Syphilis ist in 73 Fällen von Arterienerkrankung der Extremi-
täten 47 mal nachgewiesen worden, einige Fälle Charcots von
intermittierendem Hinken haben Arteriitis obliterans bei Syphili-
tischen zur Ursache gehabt, Gangrän ist in jugendlichem Alter
(20 bis 39 Jahre) in acht Fällen als Folge syphilitischer Gefäß-
verlegung bekannt. Histologisch, bestand in dem hier behandelten
Falle vor allem Endarteriitis, daneben aber auch Entzündung der
Media und Adventilia. So verhält es’ sich meistens bei Lues, Be-
fallensein aller drei Gefäßhäute mit Bevorzugung der Intima. Viel-
fach hat starke antisyphilitische Behandlung allein eine aus-
reichende Heilkraft. Zuweilen aber genügt sie nicht und die Am-
putation muß lebensrettend eingreifen.
Clingestein (3) beschreibt eine sebr merkwürdige und
offenbar auch seltene Folge der Salvarsaninj ektion, die aber döch `
nicht ganz isoliert steht. Vier Tage nach reaktionsloser Infusion
von 0,3 Salvarsan entstanden bei einem 22 Jahre alten, bisher
unbehandelten Mädchen mit etwa 1/, jähriger Syphilis Schmerzen
im rechten Oberschenkel. Acht Tage nach der Infusion. entwickelte
sich dort -eine circumscripte, handtellergroße, derbe Schwellung,
die trotz antiphlogistischer Behandlung zunahm und am zwölften
Tage nach der Infusion ineidiert wurde. ‘Die Fascie über dem M.
vastus lateralis war nekrotisiert, über ihr ein Absceß. Die Heilung
erfolgte sehr langsam, erst nach fünf Monaten war die Affektion
ganz zugeheilt. In 2 ccm aufgefangener Absceßflüssigkeit waren
Spuren von Arsen nachweisbar. Septische Infektion weisen Clinge-
stein und Harttung zurück. Angelegte aërobe Kulturen blieben
steril. Aehnliche Fälle sind von Gaucher (mit Gougerot und
Guggenheim), von Dreuw und Hattwich bekannt. mu
Literatur: 1. Balzer u. Condat, Meningo-encöphalite mortelle consé-
cutive à denx Injections intraveneuses d’arsenobenzol. (Bull. de la Soc. de
Dermat. et de syphiligr. 1912, S. 48 bis 58.) — 2. O. Brückler (Rostock):
Beitrag zur Kenntnis der fieberhaftten Reaktionen nach intravenösen Salvarsan-
injektionen. (Derm. Zt., Februar 1912, S. 127 bis 1388.) — 3. Otto Olinge-
stein (Breslau). Fall von Thrombose à distance nach intravenöser Salvarsan-
injektion. (Ebenda 1911, S. 1050 bis 1053.) — 4. Paul Dorn, Zum Blutbild
bei Lues nach Salvarsaninjektion. (A. f. Derm. u. Syph., Bd. 3, S. 263 bis 282.)
— 5. Q. Etienne u. M. Lucien, Art£rite et phl&bite oblit&rantes syphilitiques
dans un cas de gangrène massive du membre inférieur. (Ann. de derm. 1909,
S. 545 bis 553.) — 6. W. Frieboes, Beltrag zur Klinik und Histopatbologie
. der lokalen Salvarsan - Hautreaktion. (Derm. Zt. 1911, S. 1043 bis 1049.) —
7. Adolf Janson (Frankfurt a. M.), Ueber Erythema nodosum bei Lues secun-
daria. (Ebonda 1911, S. 1053 bis 1064.) — 8. Jeanselme et Vernes, 606 et
fiövre. (Bull. de la Soc. franç. de Dermatol. et de Syphiligr., S. 84 bis 40.) —
9. Carl Lange (Berlin), Die Bedeutung der Herzextrakte für den heutigen
Stand der Wassermaunschen Reaktion. (A. f. Derm. u. Syph., Bd. 3, S. 288
bis D — 10. Leredde et Künemann, La fièvre du Salvarsan. (Bull. de
la Soc. franç. de Dermatol. et de Syphiligr. 1912, S. 30 bis 84.) — 11. L. Moyen
Zur endovenösen Therapie der Lues mit Hg-Präparaten. (Derm. Zt., Mai 1912,
Bd. 19, S. 394 bis 404.) — 12. G. A. Pawlow (Moskau), Resultate längerer
klinischer Beobachtungen über die Behandlung der Syphilis mit Salvarsan.
(Ebenda, Februar 1912, S. 149 bis 166.) — 13; Tische, Untersuchungen über
die Spirochaete pallida im Gewebe bei primärer und sekundärer Syphilis.
(A. f. Derm. u. Syph., Bd. 3, S. 223 bis 246.) — 14. Vörner (Leipzig), Ueber
den Einfluß von Salvarsaninjektionen auf Lues mixta. (Mon. f. pr. Derm.
1911, Bd. 53, S. 591 bis 595.) — 15. Wechselmann (Berlin), Ueber Ueber-
empfiudlichkeit bei intravenöser Salvarsaninjektion. (A. f. Derm. 1912, Bd. 3,
S. 155 bis 160.) l
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
‚ Blumenfeld hat bei 50 Fällen von röntgenologisch und physi-
kalisch nachweisbaren Endothorakaldrüsen nur in einem Fall eine
Vergrößerung der Rachenmandel vermißt. Bei zehn Kindern mit
endothorakalen Drüsen, die an Bronchitis und unregelmäßigem
Fieber litten, kam er mit der Allgemeinbehandlung nicht zum Ziel.
Heilung trat erst nach der Adenotomie ein. Die systematische Lymph-
drüsenerkrankung ist demnach als Indikation zur Adenotomie zu be-
trachten, auch wenn die Rachenmandel nur mäßig vergrößert ist. (Be-
richt über die Gemeins. Tagung der Vereinig. niederrheinisch-westfälischer
und südwestdeutscher Kinderärzte; D. med. Woch. 1912, Nr. 21.)
| F. Bruck.
Ernst Fuchs weist darauf hin, daß meist nur solche Syphilitiker
von Tabes befallen würden, deren Syphilis einen besonders milden
Verlauf genommen hatte. Man sehe niemals bei einem Tabiker hintere
Synechie als Rest einer überstandenen Iritis syphilitica oder eine einge-
sunkene Nase oder einen perforierten Gaumen. (Bericht aus der
k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien; M. med. Woch. 1912, Nr. 14.)
| F. Bruck.
Die -aufsteigende Infektion der Harnwege bei frisch ver-
heirateten Frauen („Cohabitationseystitis und -pyelltis“) beapricht
Albert Sippel. Sie beruht fast immer auf Colibakterien, hat jeden-
falls aber mit Gonorrhöe absolut nichts zu tun. Es handelt sich dabei
meist um eine Cystitis mit verhältnismäßig geringfügigen Veränderungen
der Blasenschleimhaut, wie sie für Coliinfektion charakteristisch ist. Der
Urin ist sauer, mehr oder weniger getrübt, mit Blasenepithelien und
Leukocyten durchsetzt, enthält massenhafte in lebhafter Bewegung bə-
findliche Colibakterien verbreitet den charakteristischen penetranten
Geruch (namentlich nach längerem Stehen im warmen Zimmer). Die
Cystitis wird häufig übersehen, weil Beschwerden beim Urinlassen bei
frisch verheirateten Frauen an und für sich nicht selten sind und gewöhn-
lich durch eine Läsion der Harnröhrenmündung hervorgerufen werden.
-Dio Coliinfektion kommt nun meist durch den Cohabitationsakt
zustande, und zwar bei Frauen, bei denen die Harnröhrenmündung un-
mittelbar vor dem vorderen Rande des Scheideneingangs frei und
breit zutage tritt. Dieses Zurückliegen des Scheideneingangs beruht zum
Teil darauf, daß Frauen, denen der Coitus Schmerzen verursacht, ‚auch
bei der Untersuchung ihre Genitalien ängstlich einziehen. Und geschieht
dies beim Coitus mit gleichzeitiger Spannung der Adductoren, 80
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4; Juli.
wird'’es dòm Penis erschwert, in’ den Introitus einzudringen. Er muß
daher die Urethralmündung treffen und zufällig vorhandene Colibakte-
rien mechanisch in diese hineinpressen. Werden die Frauen daher be-
lehrt, die Genitalien aktiv dem Penis entgegenzubringen mit gleich-
geitiger ausgiebiger Abduction der Schenkel, wodurch eine Er-
schlaffung der Muskulatur des Beckenbodens und eine Erweite-
rung des Introitus zustande kommen, so verhütet man den schmerz-
haften Coitus und eine Coliinfektion (besonders wenn sich die Frau noch
jedesmal selbst das Membrum virile manuell in den Introitus einführt).
Wird die Coliinfektion frühzeitig erkannt, so ist sie vollständig zu.
heilen, und zwar durch die üblichen Harndesinfizientien (Urotropin usw.)
oder durch Spülungen mit 3°/,iger Borsäurelösung.
Hervorzuheben ist, daß auch die Schwangerschaftspyelitis
hänfig: ihren Ursprung nimmt von einer vor der Cohabitation entstehenden
Coliinfektion des Urins. (D. med.: Woch. 1912, Nr. 24) F. Bruck.
. Es ist nach Gustav Singer ein Unterschied, ob man die gegen
die spastische Obstipation (Colospasmus) empfohlenen Belladonna- und
Atropinpräparate per os oder per rectum reicht. Denn rectal erzielt
man mit kleinen Dosen in den meisten Fällen weitaus bessere Wir-
kungen. Man gibt beispielsweise von dem wenig giftigen Atropinammo-
niumsulfat, dem Eumydrin, ein halbes Milligramm pro dosi in Form
von Suppositorien ein- bis zweimal, und zwar größtenteils mit sehr
promptem Erfolge. Ja, von dem wenig Atropin enthaltenden Ex-
tractum Belladonnae genügen schon ein bis anderthalb Zenti-
gramm bei Spastikern, um Nachlaß der Beschwerden und prompte Stuhl-
entleerung zu erzielen. Nicht selten rufen so kleine Eumydrin- und Bella-
donnagaben Akkommodationsstörungen, Trockenheit im Halse
und Heiserkeit hervor. Ueberhaupt reagieren die Vagotoniker, jene
nervös qualifizierten Individuen, in deren klinischem Gepäck der Colo-
spasmus kaum je fehlt, auf Atropin und Belladonna mitunter sehr
heftig. Dagegen müssen beim Ileus erst Dosen von Atropin, die die
medizinal. zulässigen manchmal erheblich übersteigen (8 bis 5 mg des
reinen Atropinum sulfuricum), gegeben werden, um eine komplette
Lähmung der stark kontrahierten Muskeln und dadurch Abfließen
des Inhalts aus dem Darmrohre zu bewirken. (D. med. Woch. 1912,
Nr. 23.) i F. Bruck.
T. Chittenden, Hill (Boston) gibt als Behandlung der Fissura
ani folgendes Verfahren als sehr erfolgreich an: Bei der ersten Kon-
sultation soll eine langsame und sorgfältige Erweiterung mit dem Finger
“und leichte Massage probiert werden. Etwa vorhandene Granulationen
sind zu entfernen durch leichte Kurettage. Wichtig ist die Regulierung
. des Stuhlgangs, wobei in erster Linie auf Ordnung der Diät zu sehen ist.
Dann. kommen in Betracht allnächtliche Einläufe von Olivenöl. Wo das
nicht hilft, greife man zu Cascara oder Plv. liquir. comps. Drastika sind
zu vermeiden, da flüssiger Stuhl reizt und schmerzt. Der Anus muß
morgens .und abends. mit warmem Wasser gebadet werden, dann lege
man Gaze ein, mit Kalomel- oder Borsalbe bestrichen, oder wenn die
Schmerzen. sehr groß sind, mit Cocain- oder Morphiumsalbe. Alle
vie oder fünf Tage müssen weitere Dehnungsversuche gemacht werden,
nach vorausgegangener Cocainisierung des Geschwürs und mit nach-
folgender Behandlung mit Ichthyolglycerin (15/0) oder Perubalsam in
Ricinnsdl (200/,), in Form eines damit getränkten Tampons, der eine
Stunde liegen bleibt. . (NY. med. j. 8. Juni 1912, S. 1207.) Gisler.
Die bei: der Behandlung chirurgischer Tuberkulosen (Gelenk-
und Sehnenscheidentuberkulosen) mit Stauungshyperämie dabei häufig
auftretenden gefährlichen Komplikationen, wie namentlich der kalte
Abscoß, aber auch die — besonders bei offenen Tuberkulosen — mäch-
tigen Granulationswucherungen, können nach August Bier mit großer
Sicherheit vermieden werden durch innerliche Gaben von Jodkalium
(bei: Erwachsenen gewöhnlich 3 g pro die, bei Kindern entsprechend
weniger). Die Stauungshyperämie kann dann dreimal täglich vier
Stunden, im ganzen also täglich zwölf Stunden, angewandt werden.
Sie muß. recht kräftig sein, zu starker Hyperämie und Oedem
en, darf aber keinerlei Schmerzen und Unannehmlichkeiten
machen, (D. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Berli Aus der Infektionsabteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses in
i rin (Prof. Jo chmann) berichtet Kurt Blühdorn über die Behand-
wg der Diphtherió., Er hat bei starken Belägen auch schon am
ersten oder zweiten Tage relativ. hohe Dosen Serums (bis 9000 1.-E.)
un und diese Gabe eventuell am nächsten Tage wiederholt. Trotz
an Serumdosen konnten jedoch Komplikationen in einer An-
einzi auch früh eingelieferter Fälle nicht verhindert werden. So ist der
go Fall (80 jährige Frau), den der Verfasser an einer universellen
Postdiphtherischen Lähmung verloren hat, nach der Anamnese am
‚neiten Krankheitsteg in seine Behandlung gekommen und wegen des .
Aweron Lokalbefundes sofort mit 10000 I-E. gespritzt worden. Er :
'1912-- -MEDIZINISCHE KLINIK =- Nr. 29;
hat in diesem Falle schwerer Lähmung und-auch' ih mehreren Fällen von |
postdiphtherischer Herzschwäche nach den günstig lautenden Angaben
französischer Autoren im Verlaufe der Krankheit verschiedentlich noch-
mals sehr hohe Serumdosen (20 bis 30000 1.-E.) injiziert, ohne jedoch
je einen Erfolg gesehen zu haben.: (M. med.. Woch. 1912, Nr. 23.)
= Ea po U7 | F. Bruck.
' Zu den zahlreichen Mitteilungen über die Wirkung des Pitultrins
bei schwachen Geburtswehen fügt Genter seine an einem größeren
Krankenmaterial gewonnenen Beobachtungen hinzu: Ohne Zweifel ver-
stärkt das Pituitrin, in den Organismus der Kreißenden eingeführt, die
Wehen sowohl bei primärer als bei sekundärer Wehenschwäche. Die
Uteruscontractionen sind rhythmisch und werden von Intervallen voll-
ständiger Ruhe abgelöst. Eine schädliche Einwirkung auf die Kreißende
beziehungsweise auf die Frucht hat G. auch bei größeren Dosen nicht
beobachtet. Kontraindiziert ist das Pituitrin bei größeren Hinder-
nissen seitens des knöchernen Beckens und bei drohender Uterusruptur.
(Wratschebnaja Gaseta 1911, Nr. 50.) Schless (Marienbad.)
Die Ziegenmilch bezeichnet Adolf Weber als bestes Ersatzmittel
der Frauenmilch, da sie ihrer Zusammensetzung nach der Frauen-
milch ähnlicher ist als die Kuhmilch, da ferner die Ziege, bei guter
Pflege, nur ‘äußerst selten im Gegensatz zur Kuh ‘von Tuberkulose be-
fallen wird (Hufeland nennt in seiner 1798 erschienenen „Makrobiotik“
als Ersatzmittel der Frauenmilch nur Ziegen- und Eselinnenmilch, wäh-
rend er die Kuhmilch überhaupt nicht erwähnt). Da die meisten Lämmer
während der Monate Februar, März und April geworfen werden, so gibt
die Ziege gerade in den heißen Sommermonaten reichliche Milch.
Soll die Ziege jedoch richtig gedeihen, so darf sie nicht in dumpfer,
lichtloser Stallung gehalten werden. Sie muß hinaus auf die sonnige
Weide, wo ihr die besten Kräuter zur Verfügung stehen und Gift-
pflanzen nicht anzutreffen sind. (Die Pflanzengifte sollen, ohne dem
Tiere wesentlich zu schaden, in die Milch übergehen; dann erinnern
bei den Säuglingen tiefer Sopor und stecknadelkopfgroße Pupillen an eine
Opium-, große Unruhe und weite Pupillen an eine Belladonnaver-
giftung) Von Unkraut- oder Giftpflanzen kommen hier in Betracht:
die lila, rot und. weiß blühenden Mohngewächse, die schön violett
blühende Herbstzeitlose, der gelb und auch der purpurviolett blühende
Fingerhut, mehrere gelb blühende Hahnenfußgewächse, die hell- und
dunkelviolett blühende Wiesenschelle, die gelb blühende -Dotterklume,
die Kornrade, die Wolfsmilcharten, der schwarze Nachtschatten, die
Tollkirsche, das schwarze Bilsenkraut, der Wasserschierling
und andere. (M. med. Woch. 1912, Nr. 28.) - F. Bruck.
Ueber unliebsame Vorkommnisse bei der Tuberkulinbehand-
lung berichtet F. Junker. Zur Anwendung kam das Tuberkulin A. F.
(albamosenfrei), das ‚letzte von Koch selbst angegebene Tuberkulin-
präparat. Bei Benutzung einer neuen Sendung (Höchster Farbwerke)
traten nun bei vorsichtigster Dosierung und bei Kranken, die die seit-
herige Kur nahezu reaktionslos ertragen hatten, gänzlich unvermittelt
ganz außerordentlich heftige Reaktionen ein mit mehrtägigem
sehr hohem Fieber und starkem Krankheitsgefühle. (Bei zweien dieser |
Kranken haben sich jetzt Erscheinungen angeschlossen, die nur als eine
durch die außerordentlich heftige Tuberkulinreaktion verursachte
Propagation des Prozesses. gedeutet; werden können.) Auf Anfrage
erklärte die liefernde Firma, daß das neue Präparat doppelt so stark. sei
wie das früher gebrauchte, weil die staatliche Wertbestimmung neuer-
dings einen hohen Gehalt an specifischer. Substanz verlange. Darauf
wurde das ältere wieder angewandt und auch bei diesem auf mehr als
die Hälfte der früheren Dosen zurückgegangen. Trotzdem traten wieder
mehrfach heftige Reaktionen auf. Die einzelnen unter der gleichen
Kontrollnummer in den Handel kommenden Lieferungen sind also unter
sich nicht gleichwertig. Es scheint also für das Tuberkulin keine
Methode zu geben, die eine in dieser Hinsicht genügend sichere Prüfung
gewährleistet. | ~
Aehnliche Vorkommnisse sind dem Verfasser auch schon früher
beim Alttuberkulin passiert. Es geht daraus hervor, daß die Tuberkalin-
therapie zur Empfehlung in der allgemeinen Praxis noch nicht reif ist.
(M. med. Woch. 1912; Nr. 23.) C R Brack.
Aus der Deutschen oto-rhinologischen Klinik zu Prag (Prof. Piffl)
berichtet Josef Fleischner über die Scopolamin-Pantoponnarkose bei
schweren operativen Eingriffen (Aufmeißlungen des-Warzenfortsatzes und
Eröffnung des Antrums, Radikaloperationen, Labyrinthoperationen, endo-
nasalen Eingriffen). Wenn auch hierbei die Kombination der Scopolamin-
Pantoponnarkose mit der regionären Leitungsanästhesie als die
günstigste Anästhesierungsmethode anzusehen ist, so ist doch da, wo diese
nicht ausführbar ist, die Anwendung des Scopolamins und Pantopons in
Verbindung mit der Chloroform-Aethertropfnarkose als ein be-
deutender Fortschritt in der Narkosentechnik anzusehen.
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1210 - 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
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Zur Injektion verwendet der Verfasser eine 1°/oige Lösung des !
Merckschen Scopolaminum hydrobromicam und die 2%yige Sahlische
Pantoponlösung, und zwar in möglichst frisch bereitetem Zustande (die
in Ampullen eingeschlossenen Lösungen haben sich ihm nicht so gut be-
‘ währt). 1'/, bis 11/2 Stunden vor Beginn der Narkose bekommen Männer
0,02 Pantopon und 0,0003 bis 0,0004 Scopolamin, Frauen 0,02 Pantopon
und 0.0002 bis 0.0008 Scopolamin subcutan injiziert. !/a Stunde vor
Beginn der Narkose wird die zweite Injektion gemacht, falls die erste
nicht genügen sollte. Zur Inhalation wurde fast ausschließlich die
Billrothmischung verwendet. Es genügten meist kleine Mengen
(wenige Kubikzentimeter) davon, um eine vollständige Anästhesie zu er-
zielen. Bei endonasalen Eingriffen hat man dabei den nicht zu unter-
schätzenden Vorteil, daß der Kranke gewissen Aufforderungen, die man
an ihn stellt, nachkommt (z. B. Oeffnen des Mundes, Schlucken von
Flüssigkeiten, Einstellen des Kopfes). (M. med. Woch. 1912, Nr. 23.)
F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
„Aspirin löslich“ (Fr. Bayer & Co.).
Eigentlich nicht mit einem „neuen“ Arzneipräparat haben wir es
hier zu tun, sondern nur mit einer — allerdings nicht ganz unwesent-
lichen — Verbesserung eines schon vorhandenen: des bekanntlich zuerst
1899 durch H. Dreser als Salicylsäureersatz empfohlenen „Aspirin“
(Acetylsalicylsäure, Salicylessigsäure — von der Formel CsH4 oc nn
Jeder Arzt weiß, welche Bedeutung die Anwendung dieses Mittels als
Antirheumaticum. Antipyreticum und Antineuralgicum seither erlangt hat,
in welchem ungeheuren Maße Bedarf und Konsum dieses Mittels — das
man wohl geradezu als ein Lieblingsmittel des Publikums, namentlich bei
Influenza, acuten und chronischen Gelenkrheumatismen, Gicht, Migräne,
Ischias usw. bezeichnen kann — fort und fort zugenommen hat und in
wie unzähligen Fällen es leider auch ohne ärztliche Aufsicht und Kon-
trolle, und zuweilen nicht ganz frei von Nachteilen und Gefahren, fort-
dauernd gebraucht wird. Während man nun im Anfange die Empfehlung
des Aspirins als Salicylsäureersatz ganz besonders darauf stützen zu
können meinte, daß es als im sauren Magensaft unlöslich, die Magen-
schleimhaut nicht reize und erst im alkalischen Darmeaft in seine Kom-
ponenten zerfalle — hat die Erfahrung doch allmählich ergeben, daß bei
innerem Gebrauche des Aspirins selbst und noch mehr beim Ge-
brauche der damit als gleichwertig angesehenen, in einer größeren
Anzahl von Fabriken und Offizinen hergestellten „Acetylsalicylsäure“
doch verhältnismäßig nicht ganz selten Magenbeschwerden von mehr oder
minder ernster Beschaffenheit auftraten und den Fortgebrauch des Mittels
damit kontraindizierten. Diese Beschwerden entsprangen aus der freien
COOH-Gruppe (vergleiche die obenstehende Formel), die durch ihren
stark sauren Charakter gerade wegen Schwerlöslichkeit des Präparats in
neutralen und sauren Medien bei dafür empfindlichen Personen gelegent-
lich lokale Reizungen und selbst Anätzungen der Magenschleimhaut wohl
hervorrufen konnte. Man hat sich auf verschiedenem Wege bemüht,
diese Säuregruppe abzustumpfen, zum Beispiel in der Form mehr oder
weniger unhaltbarer Magnesium-, Natrium- und Lithiumverbindungen; ein
wesentlicher Fortschritt ist aber erst neuerdings seitens der Einführungs-
firma des Aspirins (Bayer & Co.) durch Herstellung eines Calcium-
salzes des Aspirins erzielt worden, das unter der Firma „Aspirin lös-
lich“ in den Handel gebracht wird. Dieses lösliche Aspirin — oder
Aspirin-Caleium — von der Formel l
OEK
0a
GH
O * COCE; |
bildet ein weißes krystallinisches Pulver, das in Wasser leicht löslich ist;
es enthält, wie die Formel zeigt, in zwei Molekülen Aspirin ein Atom
Calcium, der Calciumgehalt beträgt rund 10°. Seine interne Anwen-
dung geschieht, wie die des alten Aspirins, in Tabletten, die je 0,5 ent-
halten (Röhrchen zu 20 Tabletten); auch die Dosierung ist natürlich ganz
die nämliche. Dieses neue, lösliche Aspirin besitzt nur eine ganz schwach-
saure Reaktion, sodaß es praktisch als neutral reagierend bezeichnet
werden kann, da die zwei Carboxylgruppen, wie die Formel zeigt, durch
das Caleium gesättigt werden. Infolge dessen kommt es bei seinem Ge-
brauche nicht zu örtlichen Reizungen der Magenschleimhaut, wie sie sich
bei dem alten Aspirin und noch mehr der Acetylsalicylsäure in Form von
Uebelkeiten, Erbrechen usw. mitunter geltend machten und den Fort-
gebrauch der Medikation für einzelne Patienten erschwerten oder sogar
ausschlossen. Ich habe seit Verwendung des löslichen Aspirins derartige
Magenbeschwerden niemals beobachtet; im Gegenteil ist mir von Patienten,
und namentlich von empfindlichen Patientinnen, die früher damit zu
kämpfen hatten, spontan versichert worden, daß sie den Ersatz durch das
neue Präparat als ein Wohltat empfinden, und es ist das Ausbleiben der
früheren störenden Nebenerscheinungen auch durch Görges (D. med.
Woch. 1912, Nr. 26) neuerdings bestätigt worden. Einiges Gewicht dürfte
übrigens auch dem Umstande beizumessen sein, daß Patienten, die Pulver
und Tabletten nicht gut schlucken können, namentlich Kinder, oder die
beim Hinabschlucken leicht Schlundreizung bekommen, nunmehr in den
Stand gesetzt werden, das Mittel auch in der Form von Lösungen anzu-
wenden, zumal die daraus bereitete wäßrige Lösung so gut wie neutral
und fast gänzlich geschmacksfrei ist. Man kann für diesen Zweck sehr
gut die Formel verwenden: |
Rp.: Aspirini solubilis 8,0
Aq. dest.. . . 175,0
Syr. Cerasorum 15,0
MDS. 8—4mal täglich 1 Eßlöffel (bei Kindern ein Kinderlöffel),
das heißt also eine auf zwei bis drei Tage berechnete Lösung,
die sich so lange unverändert erhält! Statt dessen kann man sich
natürlich auch aus den Tabletten selbst jedesmal eine Lösung für die
Einzeldosis herstellen, was aus Zweckmäßigkeitsgründen wohl zu bevor-
zugen sein dürfte. Ob, wie Görges annimmt, auch der mäßige Calcium-
gehalt einen für die Gesamtwirkung wesentlich fördernden Einfluß in
- zahlreichen Fällen ausüben kann, wage ich bei der noch ziemlich großen
Unsicherheit in Betreff der internen Wirkungen der Üalciumpräparate
nicht zu entscheiden. A. Eulenburg (Berlin).
Bücherbesprechungen.
M. Urstein, Manisch-depressives und periodisches Irresein
als Erscheinungsform der Katatonie. Berlin und Wien 1912,
Urban & Schwarzenberg. 650 Seiten. M28,—.
Das vorliegende Werk bringt auf 420 Seiten Krankengeschichten,
auf 230 Seiten epikritische Zusammenfassungen und eine klinische Dar-
stellung der Krankheitsform, die Verfasser monographisch bearbeitet hat.
Ein derartiges Mißverhältnis in der Anlage der Arbeit bedarf der Be-
gründung. Verfasser behandelt diejenigen Fälle psychischer Erkrankung,
die unter dem Bilde des manisch-depressiven und des periodischen Irre-
seins verlaufen und nach vielfachen Remissionen und scheinbaren Heilungen
schließlich in dauernde Defektzustände übergehen, die alle charakteristi-
schen Züge der katatonen Verblödung aufweisen. Es liegt in der Natur
der Sache, daß eigentlich nur ein betagter Psychiater auf diesem Gebiete
eine ausreichende eigene Erfahrung haben kann, denn es vergehen oft vier
bis fünf Jahrzehnte und mehr bis die hierhergehörenden Krankheitsfälle |
abgeschlossen vorliegen und eine endgültige Beurteilung ermöglichen.
Selten nur werden in solchen Fällen Krankengeschichten so geführt,
daß sie die eigene Beobachtung und Erfahrung einigermaßen ersetzen
können. Verfasser hat sich nun der sehr mühevollen aber ebenso dankens-
werten Aufgabe unterzogen, in 30 Fällen der gekennzeichneten Art den
gesamten Krankheitsverlauf zu erforschen und darzustellen, und zwar auf
Grund von Krankengeschichten, die zum Teil von Psychiatern geführt
wurden, die zu den bedeutendsten Vertretern des Faches gehörten, von
Heinrich Laehr und Kahlbaum. Diese vom Verfasser mit grober
Sorgfalt mitgeteilte Kasuistik wird unter allen Umständen ihren dauern-
den Wert als Forschungsmaterial behalten, selbst wenn die Auffassung
und Ausdeutung der Fälle, zu der Verfasser gelangt, sich schließlich als
irrig erweisen sollte. Denn wenn auch die älteren Psychiater manches
Symptom, was zurzeit von besonderem Interesse ist, wenig beachteten
und manche jetzt übliche systematische Prüfung unterließen, so wird
dieser Mangel dadurch reichlich wettgemacht, daß die Beobachtungsgabe
und die Fähigkeit, psychotische Zustände zu schildern, bei jenen alten
Irrenärzten oft eine ganz hervorragende war. ,
Die Schlüsse, die Urstein aus seinem Materiale zieht, sind Im
wesentlichen bereits in der 1910 erschienenen Studie des Verfassers über
die Dementia praecox dargelegt worden. Sie beziehen sich auf das zurzeit am
meisten im Vordergrunde stehende Problem der klinischen Psychiatrie,
das heißt auf die Differentialdiagnose der Katatonie und des manisch-
depressiven Irreseins. Im Gegensatze zur Kraepelinschen Schule vor-
tritt Verfasser die Ansicht, daß ein großer Teil der periodisch und rezi-
divierend verlaufenden Psychosen mit manisch-depressiven Syndromen
der Katatonie und nicht dem manisch-depressiven Irresein im engeren
Sinne zuzurechnen sind. Insonderheit gilt dies von den Fällen, in denen
sich die von Kraepelin und seinen Schülern beschriebenen Mischzustände
geltend machen. Die Diagnose Katatonie läßt sich in den in Rede
stehenden Fällen nach Verfasser auch in den initialen Attacken stellen.
Entscheidend ist der Nachweis von intrapsychischen Spaltungen und Stö-
rungen des harmonischen Zusammenspiels der einzelnen Elemente.
Das Buch Ursteins bildet eine nicht unwesentliche Bereicherung
der psychiatrischen Literatur. Abgesehen von dem bleibenden Werte der
darin niedergelegten Kasuistik bringt es auch für den Leser, der sich den
Auffassungen des Verfassers nicht anschließt, mannigfache Anregung UN
neue Gesichtspunkte. Die Lektüre kann daher jedem, der sich für die
21. Juli.
}
von Urstein behandelten Fragen interessiert, angelegentlichst empfohlen
werden, p Henneberg (Berlin).
Zwei Jahre Salvarsantherapie, herausgegeben von P.Ehrlich, F. Kraus,
A,v. Wassermann. Leipzig 1912, G. Thieme. 195 Seiten. M 6,50.
In dem vor einem Jahre referierten ersten Sammelbande der
Salyarsanabbandlungen der M. med. Woch., der unter Ehrlichs eigner
Leitung herausgegeben wurde, fanden wir den Ausdruck der Bewunderung
der starken symptomatischen Wirkung -des Salvarsans als leitenden Ge-
danken. Diesem hier vorliegenden Band aus der neuen Zeitschrift für
Chemotherapie "dient ein weit höheres Ziel als Grundlage. Er be“
handelt in seinen wichtigsten Teilen die Frage, wie die frische Syphilis
“behandelt werden müsse, um eine völlige Heilung zu gewähr-
leisten. Dieses Ziel ist das höchste, welches wir überhaupt 'in der
Medizin haben, und manche Zeichen deuten darauf hin, daß es’ tatsäch-
lich erreichbar ist (langdauernde vollkommene Symptomenfreibeit und
negative Blutreaktion, ganz besonders aber die weit häufigere Beob-
achtung anscheinend sicherer Reinfektionen mit Syphilis, die in früheren
Jahren als unendlich selten galten). Als Einleitung berichtet Alt über
„Weitere Erfahrungen mit 606 (Salvarsan)“, ohne gerade Neues zu
bringen. Aus seinen Ausführungen leuchtet sein vorsichtiges Vorgehen
in den besonders diffizilen Fällen der nervösen syphilitischen und para-
` syphititischen Krankheiten hervor. Schreiber spricht über speziellere
Anwendungsfragen. - Von größter Wichtigkeit ist Benarios Aufsatz
über die Neurorezidive. Aus seinen Mitteilungen gewinnt man das Bild,
‚daß die Syphilisbehandlung in ganz andere Bahnen gelenkt werden muß
- als bisher eingeschlagen wurden. Das ist nicht mehr die Krankheit, die
vor allem äußerlich erscheint und durch Beseitigung der äußeren Zeichen
zum Verschwinden gebracht schien. Hier erscheint die Syphilis als eine
von vornherein viel tiefer anzugreifende Invasion des Körpers mit dem
besonders Hirn und Rückenmark attackierenden Virus. Die Spinal-
punktion zeigt die frühe Erkrankung dieser edelsten Teile des Körpers ;
neben der Wassermannschen Reaktion muß der Gehalt der Cerebro-
spinalflüssigkeit. an. abnormen ‘Bestandteilen die Leitung für die einzu-
schlagenden Maßnahmen abgeben, in die erste Zeit der Erkrankung muß
die wirksame Behandlung fallen, viel intensiver und dauernder muß der |
‚Körper mit all unsern alten und neuen Mitteln angegriffen werden, wenn
en wirklich ausgiebiger Erfolg erzielt werden soll. — Eine ebenso starke
Behandlung gleich von Anfang an verlangt Gennerich in seinen „Re-
sultaten der Abortivbehandlung der Syphilis mit Salvarsan beziehungs-
weise kombinierter Behandlung“. Seine Ergebnisse erscheinen ziemlich
günstig, soweit die kurze Zeit von höchtens zwei Jahren das zu beur-
teilen erlaubt. Im ganzen scheint, wie sich auch aus den Mitteilungen
Tomasczewskis aus der deutschen Literatur, Me Intoshs aus den
englischen, Iversens aus den russischen, Fordyces aus den amerika-
nischen, Ascolis aus den italienischen und Emerys aus den französi-
schen Beriehten ergibt, die Zeit bis zur Beurteilung, ob ‘die Syphilis
wirklich ausgetilgt sei, viel zu kurz bemessen zu sein. Wenn Fordyce
in seinem vertrefflichen Referat, das eine wirkliche, gründliche praktische
Kenntnis aller in Betracht kommenden Fragen verrät, mit Craig be-
hauptet, daß die meisten Rezidive bis zum sechsten bis siebenten Monat
auftreten, so hat er zum Teil Recht, aber Craig hat sicher nicht Recht,
wenn er bei ein Jahr langer Symptomfreiheit und negativ gewordener,
vorher positiv gewesener Wassermannscher Reaktion glaubt, daß auf
weitere Rezidive nicht zu rechnen sei. Gerade im Beginne des zweiten
es kommen oft unerwartet wieder neue Eruptionen hervor, die die
s0 lange gehegte Hoffnung völliger Zerstörung des Virus zuschanden
werden lassen. Dieses Warten auf Rezidive oder vielmehr die Erwartung
des Fortbleibens von Rezidiven macht ohne Zweifel die glänzenden Er-
olge der Salvarsanbehandlung. vielfach zunichte, denn wir wissen aus.
der Zeit der energischen Quecksilbertherapie, besonders in chronisch-
Iermittierender Form, daß bei jahrzehntelanger Beobachtung nur die
Alle gut sind, in welchen ès- stets gelang, die Rezidive zu verhüten,
daß aber allo: andern vielbehandelten Fälle, in denen vor jeder neuen
Behandlung ein Rezidiv auftrat (sogenannte symptomatische Behandlung
im Gegensatz zur chronisch-intermittierenden), sich bezüglich des Prozent-
‚Satzes der tertiären Syphilis nicht von weit weniger Stark behandelten
len unterscheiden: vor Tabes und Paralyse freilich scheint oft wieder-
holte symptomatische Quecksilberbehandlung fast sicher zu schützen. Von
‚großem Interesse ist der hier zuletzt erwähnte Bericht des stilgewandten
mery, welcher den französischen Gegnern der Ehrlichschen Behandlung
Schritt für Schritt ihre-Fehler nachweist. Die Verlagsbuchhandlung hätte‘
aber noch eine Korrektur mehr zugehen lassen sollen, denn die französi-
sche Orthographie, die uns hier dargeboten wird, ist kein gutes Zeugnis
ür unsere Schulbildung. Dies neue Werk erfordert tiefstes, ein-
gehendstes Studium, es ist ein würdiger Beginn der von Ehrlich,
raus und v, Wassermann herausgegebenen neuen Zeitschrift für
Chemotherapie, - Pinkus.
1912 — MEDIZINISCHE KLINTK — Nr. 29.
H. Fehling, Die operative Geburtshilfe der Praxis und Klinik.
In 22 Vorträgen. Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage, Mit
80 Abbildgn. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 225 S.. M 5,—.
Die zweite Auflage des: Fehlingschen Buches hat eine. wertvolle
Bereicherung zunächst durch zwei weitere Vorträge über Eklampsie und
Placenta praevia erhalten, die alle Vorzüge der übrigen Kapitel teilen:
eine klare, erschöpfende, aber nicht weitschweifige Darstellung, einen
selbständigen, auf reicher Erfahrung basierenden Standpunkt, eine allem
Ultramodernen abholde, aber keiner Neuerung sich verschließende
Stellungnahme und die scharfe Herausarbeitung der für den ‚praktischen
Arzt wichtigen Therapie. Auch die alten Vorträge sind teilweise umge-
arbeitet und insbesondere durch Berücksichtigung der neuesten Literatur
bereichert worden. B a FC
Es gibt wenige Fächer in der Medizin, die in wenigen Jahren so
viele Umänderungen in der Therapie und so viele neue Operationsmetho-
den entwickelt haben wie die Geburtshilfe. Diese zu kennen ist beson-
ders für den praktischen Arzt, der tagtäglich komplizierte geburtshilfliche
Fälle zur Behandlung bekommen: kann, von Bedeutung, Wenn er auf
der Höhe unseres heutigen Wissens und Könnens sich behaupten will,
kann ihm kein besseres Buch empfohlen werden. als diese Vorträge
Fehlings. Baisch.
Julius Preuß, Biblisch-talmudische Medizin. Beiträge zur Qə- _
schichte der Heilkunde und der Kultur überhaupt. . Berlin 1911, S. Karger.
Gr.8°. VI, 735 S. Preis M 20,—. _ =
Dieses imponierende Werk, das Ergebnis vieljähriger quellen-
kritischer Forschungen des auf dem Gebiete der allgemeinen Geschichte
der Medizin, der Kulturgeschichte und der Bibel- und Talmudforschung
gleich bewanderten Verfassers, eines tüchtigen Arztes und gründlichen
Hebraisten, ist die erste ärztliche Gesamtdarstellung der biblisch-talmu-
.dischen Medizin, die unmittelbar aus den Quellen geschöpft ist. Schon
allein als solche wird sie fortan den Ausgangspunkt für jede Beschäfti-
gung mit diesem Gebiete bilden. Aber dariiber hinaus haben wir es
durch die außerordentlich wertvollen und zahlreichen kulturgeschicht-
lichen Parallelen, die der Verfasser überall nachweist, mit einem
Buche zu tun, das fortan auch für das Studium der allgemeinen -Kultur
des Orients unentbehrlich sein wird. In 19 Kapiteln behandelt der Ver-
fasser dus System der biblisch-talmudischen Medizin, wie er es aus Bibel
und Talmud zusammengestellt hät, die ja keine ärztlichen Schriften. sind,
sondern Gesetzbücher, die ärztliche Dinge nur insoweit behandeln,
als sie dem Gesetz unterstellt waren. Nach einem Kapitel über den Arzt
und das übrige Heilpersonal folgen die Darstellungen der biblisch-talmudi-
schen Biologie, allgemeinen und speziellen Pathologie und Therapie,
Chirurgie, Augen-, Zahn- und Ohrenheilkunde, Rhinologie, Neurologie,
Psychiatrie, Dermatologie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Pharmakologie;
gerichtliche Medizin, Hygiene, Diätetik. Den Schiuß bildet. eine wert-
volle vollständige Bibliographie, ein Stellen-, Namen- und Sachregister: '
— Mit. Recht hat der Verfasser überall die ‚betreffenden Lehren ‘und An-
gaben des Neuen Testaments mitberücksichtigt, was z. B. in der Dar-
stellung der jüdisch-christlichen Sexualethik zu ganz neuen Ge-
sichtspunkten führt und auch sonst ein objektives Urteil über die inneren
Zusammenbänge zwischeu jüdischen und christlichen Lehren ermöglicht.
Deshalb wird das Buch nicht nur von Aerzten und Historikern der Me-
dizin, sondern auch von Theologen und Orientalisten als ein neues Quellen-
werk ersten Ranges benutzt werden. Druck und Ausstattung sind vor-
züglich, die hebräischen Worte sind durchweg in Transkription und Ueber-
setzung wiedergegeben. | Iwan Bloch.
Gaston Vorberg, Zur Geschichte der persönlichen Syphilis-
verhütung. München 1911, Verlag der Aerztlichen Rundschau, Otto
Gmelin. 34 Seiten. M 1,20. |
Vorbergs Schrift ist, wie seine früheren Aufsätze, eines großen
Leserkreises gewi. Hier bringt er eine außerordentlich große und hoch-
interessante Uebersicht der Vorbeugungsmaßregeln gegen die syphilitische
Ansteckung, wie sie im Laufe der Jahrhunderte empfohlen worden sind.
Daß dem Historiker, der die Wiederkehr vieler alter Ideen in: neuem
Gewande sieht, vielfach eine ironische Bemerkung mit unterschlüpft, die
auch vor den größten Geistern unserer Zeit keine Scheu zeigt, würzt -
die Lektüre nur um so mehr.. Wird der’ Belehrung, die der Leser emp-
fängt, hierdurch doch kein Abbruch getan, im Gegenteil, seine: Aufmerk-
samkeit nur erhöht, und das gesagte dem Gedächtnis nur. um so fester
eingeprägt. | Pinkus.
Merkbuch für Desinfektoren, bearbeitet von Oberinspektor Wollesky.
Berlin W.30. Deutscher Verlag für Volkswohlfahrtt G. m. b. H,
72 Seiten. Geb. M.120. | | en
Das kleine, praktisch eingerichtete Nachschlagebuch dürfte auch
für den Arzt von Interesse sein. Das Fehlen einer Jahreszahl auf dem
Titelblatet muß jedoch entschieden gerügt werden. F. Bruck,
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1212 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 9.
21. Juli.
Kongreß-, Vereins- und auswärtige Berichte.
10. Internationale Tuberkulosekonferenz.
Rom, 10. bis 14. April 1912.
ne II. |
Teissier et Arloing (Lyon): Therapie der Tuberkulose mit
specifischen Seris. Abgesehen von der individuellen Sensibilität und
den anaphylaktischen Erscheinungen, gibt es keine Kontraindikationen.
Letztere können durch die rectale Einverleibung, die aber weniger wirksam
ist, vermieden werden. Die Serotherapie bessert stets die Tuberkulose,
wenn sie sie auch nicht immer zur Heilung bringt. Nach Lucatello
muß ein Heilserum gleichzeitig bakteriolytisch und antitoxisch wirken.
Gräfin v. Linden (Bonn) erstattet einen Bericht über die
Finklersche Behandlung der experimentellen Tuberkulose der
Meerschweinchen, die in Injektionen eines Teerfarbstoffs oder des Methylen-
blau in seiner Jodverbindung und Kupferverbindungen besteht. Die Sub-
stanz hindert in vitro das Wachstum der Tuberkel und erzeugt im
Organismus an den Krankheitsherden Hyperämie. Wenn der Teerfarb-
stof den Meerschweinchen innerhalb der ersten 14 Tage nach der Infektion
eingeimpft wurde und die Behandlung bis zu einem halben Jahre tort-
gesetzt wurde, kam es in 75% der Fälle zum Stillstand oder selbst
Heilung der Tuberkulose. Das zweite Präparat gibt angeblich in 90 bis
100°/, Heilung. Das Kupfersalz bewirkt lokal Entzündung und Nekrose,
beeinflußt aber die Tuberkulose energischer als der Farbstoff.
Meißen (Hohenhonnef) und Strauß (Barmen) berichten über ihre
Resultate der Finklerschen Therapie bei der Tuberkulose des Menschen.
Die Verabreichung geschieht in subcutanen, intramuskulären und intra-
venösen Injektionen respektive per os in Lösung oder Tabletten und soll
sich diese Therapie namentlich bei Lupus bewährt haben. Die Beob-
achtungen. der beiden Referenten gehen auf neun bis elf Monate zurück
und ist es gänzlich unmöglich, ein Urteil derzeit abzugeben. Der Verlauf
der Tuberkulose ist ein derart wechselnder, daß aus einer Reihe von
54 Fällen bei dieser kurzen Beobachtungsdauer kein sicherer Schluß ge-
zogen werden kann.
Neumann (Wien) bespricht vergleichsweise die verschiedenen
Reaktionen auf Tuberkulose und kommt zu dem Schlusse, daß den Koch-
schen subeutanen Injektionen hinsichtlich aktiver Tuberkulose die größte
diagnostische Bedeutung zukommt. |
Calmette (Lille) bezeichnet dasjenige Tuberkelbacillenpräparat
als las beste, das die geringste toxische Wirkung gegen den tuberkulösen
Organismus hat, dabei aber von hoher antigener Wirkung ist.
Arloing und Teissier betrachten die Tuberkulintherapie nicht
als direktes Heilmittel, sondern als unerläßliches Adjuvans der hygieni-
schen und diätetischen Behandlung, wodurch eine specifische Defensiv-
reaktion beim Patienten hervorgerufen werden kann.
P. Courmont (Lyon) und Citron (Berlin) sprechen über die
Resistenzerhöhung des menschlichen Organismus gegen die Tuberkulose.
Die Tuberkulose ist eine mehr anaphylaktisierende als immunisierende
Erkrankung. Wir haben derzeit kein Mittel, die Hypersensibilitäts-
“reaktionen der Tuberkulose zu verhindern. Die Resistenzerhöhung kann
durch passive und aktive Immunisierung geschehen. Die Vaccination gibt
die besten Resultate. |
Citron (Berlin) erklärt die Immunisierung und selbst die wirk-
liche Resistenzerhöhung des gesunden Organismus gegen die Krankheit
durch die Tuberkulintherapie, sei es, daß es sich um Bacillenextrakte
oder abgetötete Bacillenkörper handelt, für nicht möglich.
Forlanini (Padua), Jacquerod und Burnaud berichten über
vorzügliche Resultate des künstlichen Pneumothorax bei der Be-
handlung der Tuberkulose. Der künstliche Pneumothorax wirkt in erster
Linie anatomisch heilend und auf die lokalen Toxine resorptionshemmend.
Bei einer intakten Lungenhälfte wird selbst die Tuberkulose mit Kavernen-
bildung vorzüglich beeinflußt. Das Fieber sinkt, Hämoptoen werden ver-
hütet, der Allgemeinzustand wird bis zur Arbeitsfähigkeit gebessert.
Unglücklicherweise gibt es mehrere Kontraindikationen, zu denen Kreis-
laufstörungen, Lungenempyem und Splanchnoptose gehören. Pleuritische
Adhäsionen können die Operation unmöglich machen. Leider kommt es
mitunter, auch bei getibten Händen, zu plötzlich schweren Zufällen, mit-
unter zur tödlichen Synkope. Diese Zufälle sind so selten, daß der
künstliche Pneumothorax in der chronischen Tuberkulose mit progressiver
Entwicklung indiziert ist. Jedenfalls empfiehlt es sich, den Patienten
und dessen Angehörige auf die Gefahr des Eingriffs aufmerksam zu machen.
Hutinel (Paris) spricht über die Frühdiagnose der Tuber-
kulose bei Säuglingen. Redner glaubt, daß mitunter die Tuberkulose
congenital ist. Zumeist erfolgt die Infektion durch die Umgebung, in
der das Kind lebt; die Infektion durch die Milch schätzt H. nicht
hoch ein. Ze
Siderot (Paris) erörtert seine Theorie der Prädisposition der
Tuberkulose Nach Potain sei die Dilatation des Magens mit einer
Dilatation des rechten Herzens verbunden. Wenn der Magen des Kindes
durch unpassende Nahrung gedehnt werde, käme es auch zur Erweiterung
des rechten Herzens. Dieser Umstand bewirke einen Spasmus der rechten
Pulmonalarterie und eine Kongestion der rechten Pulmonalvene und damit
wäre die Prädisposition der rechten Spitze erklärt. Gegen diese Theorie
wird eingewendet, daß bei Kindern die Schwäche der rechten Apex nicht
häufiger ist als die der linken und daß wahrscheinlich jedes rachitische
Kind einen dilatierten Magen hat.
F. Morin (Leysin) und v. Schrötter (Wien) besprechen die Er-
folge der Heliotherapie. Die Sonnenstrahlung ist sehr stark bacterieid
und wirkt selbst in der Tiefe der Gewebe. Die Heliotherapie ist indiziert
bei Tuberkulose der Drüsen, Gelenke, Knochen und Haut. Die Behand-
lung erstreckt sich auf mehrere Wochen bis Monate. Sch. empfiehlt die
Heliotherapie bei der chirurgischen Tuberkulose, der Skrofulose und der
peripheren Tuberkulose des Kindesalters. Gegenden mit langer Sonnen-
scheindauer und Reichtum des Lichtes an ultravioletten Strahlen sind beson-
ders günstig, jedoch ist die Heliotherapie von diesen Momenten nicht absolut
abhängig und ist auch unter ungünstigeren Verhältnissen erfolgreich.
G. Brown spricht über die Bedeutung des Jod in der Behandlung
der Tuberkulose; die Wirksamkeit des Jod leide unter der Komplikation
der sekundären Infektionen.
die Bedeutung des Seeklimas für die Behandlung der chirurgischen
Tuberkulose. Der oft gefährliche chirurgische Eingriff wird unnütz. Die
Meeresluft dürfte der Hochgebirgsluft überlegen sein. Unbegreiflich ist,
daß sich noch immer viele Chirurgen den Erfolgen der Heliotherapie und
der Seehospize verschließen und von der operativen Behandlung nicht
abstehen wollen. a en P.
Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 1. März 1912.
Tobler: Ueber Beziehungen zwischen Wasser und Kochsalz
im Organismus, nach Untersuchungen in den Monte-Rosa-Labora-
torien (mit Lichtbildern). Bei akuten Gewichtsverlusten, nicht nur denen
der Säuglinge, hat man drei Phasen zu unterscheiden, deren erste die
des Konzentrationsverlustes ist, bei der Wasser aus den verschiedenen
Wasserreservoirs des Organismus, der Haut, dem Unterhautzeligewebe,
der Muskulatur, entzogen wird, worauf natürlich ein Ersatz durch erhöhte
Wasserzufuhr mit der Stillung des auftretenden ‚starken Durstes statt-
finden kann. Findet kein Wasserersatz statt, so werden zur Herstellung
normaler Verhältnisse gewisse andere Bestandteile herangezogen, 88
kommt zu deren Reduktion, in erster Reihe des Kochsalzes (Stadium
des Reduktionsverlustes). Bei den schwersten, katastrophalen Zuständen
geht der starke Wasserverlust mit dem Verlust einer ganzen Reihe von
Mineralstoffen einher (dritter Grad). Vortragender hat in Gemeinschaft mit
Cohnheim (Heidelberg) in den Monte-Rosa-Laboratorien experimentelle
Untersuchungen über den Reduktionsverlust angestellt, wobei’ sie sich
große Gewichtsverluste durch starke Steigearbeit in Luft und Sonne bei
nicht allzu leichter Bepackung beibrachten, sehr wenig davon durch
Wasserzufuhr gedeckt, die Nahrung genau analysiert wurde, ebenso Urin
und Stuhlgang. Der Gewichtsverlust ist sehr schnell reparabel (bis zum
nächsten Morgen). Es tritt aber bei den sehr starken Wasserverlusten
| auch ein sehr erheblicher Kochsalzverlust ein. Ernährt man sich
auf der Tour und auch nach der Rückkehr kochsalzfrei, dann erreicht
man nicht wie sonst am nächsten Morgen das alte Gewicht fast voll-
ständig; das Gewicht steigt allmählich an, solange die Kost kochsalzfrei
ist, es wird dann aber nach Kochsalzdarreichung am folgenden Tage
wieder normal; der Mangel an Kochsalz hindert also den Körper, die
Woassermengen neu zu bilden; es kann der Organismus das Wasser nicht
binden, was sich in dem vermehrten Harndrange bei kochsalzfreier Er-
nährung zeigt. Versuche über Vermehrung des Hämoglobins und der
roten Blutkörperchen im Hochgebirgsklima wurden in den Monte-Rosa-
Laboratorien, deren zweckmäßige Einrichtung übrigens durch zahlreiche
Lichtbilder illustriert wird, gleichfalls angestellt. Nicht alle Versuchs-
tiere sind geeignet — man muß zwischen, z. B. zwischen schwitzenden
und nicht schwitzenden unterscheiden — und die an kleinen Tieren ge-
wonnenen Resultate sind nicht ohne weiteres zu übertragen. Mit den
| allertagfältigsten Methoden kam man jetzt zu einer Bestätigung der früher
von Cohnheim erhobenen Befunde, während des 14 tägigen Laboratoriums-
aufenthalts konnte weder eine irgendwie nennenswerte Vermehrung des
Hämoglobins (8 bis 5 °/,) noch der roten Blutkörperchen festgestellt werden.
Diskussion. Rosenfeld: Die Chlorausscheidung verdient nach
den Toblerschen Ausführungen bei den starken Gewichtsverlusten IN
Calvé (de Berck), Lalesque und Rollier (Leysin) besprechen,
à.
21. Juli.
den ersten Tagen mancher Entfettungskuren beachtet zu werden; es liegt -
nur insofern ein Unterschied vor, daß, diese Verluste nachträglich nicht _
` wieder ersetzt werden. o E a = Br
"Lenz: Centrale Farbenblindheit. Gesichtsfeldaufnahmen be-
weisen den innigen Zusammenhang der centralen Farbenblindheit mit der -
doppelseitigen Hemianopsie. Charakteristisch ist der apoplektiforme Ein-
tritt der Sehstörung; Blutungs- und Erweichungsprozesse im centralen
Teil-der Sehbahn sind ursächlich verantwortlich zu machen. Daß eine
vollständige Restitution einmal möglich ist, ist nicht zu bestreiten, ist..
aber bei Doppelseitigkeit noch nicht beobachtet; besser liegen die Chancen
bei Einseitigkeit. Ein besonderes Centrum für den Farbensinn ist nicht ,
anzunehmen; er ist als eine besonders hohe Funktion des Sehcentrums .
(Fissura calcarina) aufzufassen, von Zellen, die schon durch eine relativ ` | r Ei
u | weiterung der engen Scheide zur Vornahme der Wendung oder sonstiger
leichte Schädigung leiden. _ u
=. Frankfurt a M. _ Ti
.. . Aerztlicher Verein. Sitzung vom 15. April 1912.
| 1. Sippel demonstriert a) einen vaginal entfernten Uterus mit
submukösem: Myom und beiderseitigen Hämatosalpingen. Diese sind
dadurch entstanden; daß: bei Blutungen das Myom sich bei den’ Uterus-
contractionen.so vor den inneren Muttermund legte, daß das Blut ober-
halb der Geschwulst sich nicht entleeren konnte und nach den Tuben zu
gestaut wurde... Im Myom fand sich. eine Thrombenbildung, die aber nicht
auf Infektion zurückzuführen ist, sondern nur auf Stauung des Bluts. `
b) Eine 63jährige Frau :klagte seit kurzem über Blasenbeschwerden.
Bei der Oystoskopie fand man in der rechten Blasengrube einen: glänzen- :
den Blasenstein, der mit der Zange nicht entfernt werden konnte. Nach
Dilatation der Harnröhre ging S. mit der. Abortzange ein und konnte so.
` den Stein, der sich gut in die Höhlung der Zange einlegte, entfernen.
Trotz der Dilatation stellte sich gleich wieder Schluß der Blase ein.
Blasensteine ohne Fremdkörper sind bei der Frau selten. Wahrschein-
lich handelte es sich um einen: bisher symptomlos vorhandenen Ureter-
‚stein, der sich erst vor kurzem in die Blase entleert hatte. Dafür sprach
auch, daß die rechte Uretermündung etwas erweitert erschien.
© 2, Wolff (Griesheim); Demonstration eines Falles von
Muskelatrophiie. Die Krankheit besteht bei dem jetzt 17jährigen jungen '
Emil Neißer.
Manne seit dem zweiten Lebensjahre, wahrscheinlich infolge von spinaler |»
Paralyse. Seitdem bestehen ausgedehnte Atrophien an Armen und Beinen,
während Rumpf-, Hals- und Schultergürtelmuskulatur intakt sind; einige
Muskelreste sind noch an den Oberarmen und Oberschenkeln vorhanden,
während an Vorderarmen, Händen und Unterschenkeln vollkommener ,
Schwund eingetreten ist. Die früher vorhandenen paralytischen Klump-
füße sind durch Operation beseitigt worden, sodaß Patient jetzt stunden-
lang gehen und stehen kann. An Vorderarmen und Händen ist. keine,
Spur von- Beweglichkeit vorhanden, sodaß man den Kranken für ganz
hilflos halten. sollte. Da ist es nun erstaunlich, wie ungeheuer viel Ver- ;
-richtungen er gelernt hat. ` Durch Hebung des rechten Oberarms ver- -
steht er es, den rechten Vorderarm im Ellbogen in Beugung zu bringen,
Indem er. ihn durch sein Gewicht in diese Stellung fallen läßt. Dann:
bringt er die Hand des in ähnlicher Weise zur Beugung gebrachten .
linken Vorderarms in die rechte Ellenbeuge, und zwischen dieser und der
‚Rückseite der linken- Hand versteht er es, Gegenstände und Werkzeuge :
einzuklemmen und so zu benutzen. So konnte er schon als Knabe
Kreisel -spielen, indem er die Peitsche in der bezeichneten Weise fest-
hielt, so lernte er schreiben und selbst recht gut zeichnen und malen.
Im Krüppelheime zu Kreuznach hat er eine vollständige Schulbildung ge-
nossen, zuletzt hat er sogar Stenographie und Maschinenschreiben ge-
lernt, wobei er: sich eines Klöppels zum Niederdrücken der Tasten be-
‚dient. Er .ißt.allein und kann sich allein an- und ausziehen. Nur bei
‚den Schuhen und Strämpfen bedarf er der Hülfe. |
- Scheffen: Die Anwendung des Gummiballons in der geburts-
hilflichon und gynäkologischen Praxis. Der Gummiballon findet bei
praktischen Aerzten und in Kliniken weniger Berücksichtigung als er
verdient, trotzdem or häufig gute Dienste leisten und selbst in Kon-
kurrenz mit dem vaginalen Kaiserschnitte treten kann. Der elastische
P nach Braun besitzt gegenüber dem unelastischen nach Müller.
n Vorzug der leichteren Einführung in den Uterus, der Möglichkeit,
ihn vaginal und intrauterin zu verwenden, der Elastizität, wodurch er der.
or in der Wirkung ähnlicher wird, und der Billigkeit. ‚Er ist aber
ei liger, kann auch platzen, weshalb seine Füllung stets steril sein.
en Der starre Ballon gestattet dagegen einen kräftigeren Zug. Das
Br Heise ist sehr einfach, die Technik leicht. Asepsis muß selbst-
= ndlich stets gewahrt werden. Narkose ist bei Einführung des zu-
| Yu ngerollten Ballons nie erforderlich. Wird er in den schwangeren
sie = eingeführt und gefüllt, so löst er langsam die Eihaut ab, ohne.
rei % verletzen und erzeugt dann Wehen. Man kann seine Wirkung :
Er Zug verstärken und so eine raschere Erweiterung bewirken, doch
ne 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK. — Nt.29. ee
1213
Fälle, in denen eine besönders “rasche Erweiterung des Muttermundes
‘notwendig ist (Eklampsie), hat Sch. ein Vertahren angegeben, das sich
sehr bewährt hat. Man füllt den eingeführten Ballon mit etwa 700 com
und läßt dann, sobald sich leichte Wehen eingestellt haben, etwa 200 ccm
ab. Diese Verkleinerung des Ballons bewirkt alsbald eine äußerst stür-
mische Wehentätigkeit, die sehr rasch den Muttermund erweitert und
die Entbindung gestattet. Das Verfahren, das meistens’ in einigen
‘Stunden zum Ziele führt, kann sehr wohl die Konkurrenz mit den chirar-
gischen Methoden aufnehmen,: doch müssen die geeigneten Fälle aus-
gewählt werden. Das Verfahren darf nicht angewandt werden, wo die
Gefahr der Uterusruptur besteht. Als Kolpeurynter ist der Gummiballon
indiziert zur Dehnung narbiger Scheidenstrikturen und zur. Vorbereitung-
der engen Weichteile bei alten Erstgebärenden und auch sonst zur Er-
Eingriffe, auch zur Anregung bei zu schwacher Wehentätigkeit. Als
.| Metreurynter gestattet er die schonende Einleitung :der Geburt und die
Erzeugung von Wehen. So bewährt er sich bei der Herbeiführung des
künstlichen Aborts und der künstlichen Frühgeburt, ferner zur Erweite-
rung des Muttermundes bei Gefahr für Mutter‘ und Kind, wie bei
Eklampsie, bei Querlage und abgewichenem Kopfe bei noch stehender
"Blase und zur Vorbereitung der Wendung bei noch engem Muttermunde,
bei vorzeitigem Blasensprung und daher mangelnder Oeffnung des Mutter-
mundes. Bei Vorfall der Nabelschnur ist es das schonendste und sicherste, `
nach der Reposition den Ballon einzulegen und so den Wiedervorfall zu
verhindern. Bei Placenta praevia erhält man durch die Metreuryse die
besten Resultate und: mehr lebende Kinder als mit’ andern Methoden.
Bei Placenta praevia totalis muß der Ballon durch die Placenta hindurch
in die Eihöhle eingelegt werden, da er nur so die Blutung stillen kann.
Ferner’ leistet der Ballon gute Dienste durch Einlegen in die Scheide
zur Aufrichtung des retroflektierten graviden Uterus, selbst da, wo
‘andere Methoden versagen, ferner bei Hyperemesis gravidarum. In der `
Gynäkologie befördert. er von der Scheide aus die Resorption von Becken-
exsudaten, zumal. wenn er mit Quecksilber gefüllt wird: Hainebach.
ne Hamburg. |
Aerztlicher Verein. Sitzung vom .9. April 1912.
Vortrag Jacob: Experimentelle traumatische Schädigungen
des Centralnervensystems mit besonderer Berücksichtigung: der
Commotio cerebri und. der. Commotionsneurose. Im Anschluß an die
-Ausführangen Cimbals über traumatische Neurose beleuchtet J.- die
anatomische Seite dieser Frage auf Grund experimenteller Untersuchungen
an Affen und Kaninchen. Die Versuchsanordnung bestand darin,- durch
Schläge auf Kopf und Rücken eine graduell verschiedene, direkte Schädi-
gung. des ` Gehirns und Rückenmarks hervorzurufen. Nach den. Gehirn-
träumen trat ein kurzdauerndes Reizstadium auf (tetanisähnliche kurze
Krämpfe in den Rumpf- und Extremitätenmuskeln); dann 'folgte- eine
plötzliche Verlangsamung der Atmungs- und Herztätigkeit und. Erweite-
rung der Pupillen. Bei den Tieren, die sich nach dem Trauma wieder
-erholten, entwickelten sich mehr oder. weniger ausgesprochene motorische
und sensorische Lähmungserscheinungen. Nach den Rückenmarkstraumen
‚standen die Reiz- und Lähmungserscheinungen in den hinteren Extremj-
täten im Vordergrund. ‘Auffallend. war die rasche und weitgehende
Rückbildung dieser Störungen. Bei den söfort nach dem Trauma ge-
storbenen Tieren fanden. sich starke piale :Blutungen an der Basis des
Pons, der Medulla oblongata und cervicalis. Die posttraumatischen
Schädigungen bei den überlebenden Tieren bestanden in Veränderungen
der Hüllen und der Nervensubstanz. In den Hüllen hatten die durch
.die primären Blutungen angeregten proliferativen Erscheinungen der Gewebs- .
elemente zu stellenweisen Obliterationen dessubpialen undsubduralen Lymph-
: raums und dadürch zu Störungen: der Lympheirculation geführt.. In der
Nervensubstanz fanden sich bei mehreren Tieren kleine punktförmige
Blutungen. Im Gegensatz zu. diesen älteren hämorrhagischen Herden
ließen sich auch frische Blutungen feststellen: teils Blutaustritte in
primär affiziertes Gewebe (traumatische Spätapoplexie im Sinne
Bollingers), teils Spätblutungen in nicht nachweislich erkrankte Nerven-
substanz. Außerdem wurden größere, zu Höhlenbildung neigende Er-
weichungsherde gefunden. - Weiterhin fielen überall im :Centralneryven-
system dieser Tiere an umschriebenen Stellen Achsenzylinderquellungen
mit Markzerfall auf. . Aufs 'engste mit diesen Erscheinungen sind die
.degenerstiven Prozesse in der weißen Substanz verwandt, besonders nach
Rückenmarkstraumen. Es war zu ganz außergewöhnlich starken Achsen-
.zylinderquellungen und Markscheidenauftreibungen gekommen. (Gerade
diese histologischen Veränderungen führen zu den - charakteristischen
Randdegenerationen im.Pons und in der Medulla oblongata und spinalis.
Schließlich fanden sich noch :zum. Teil hochgradige Ausfälle in den
‚langen: Projektionsbahnen, Degenerationen der hinteren Wurzeln mit
‚9er. Zug immer in der .Richtung der Beckenachse wirken, Für.|.daran sich anschließender -partieller: Entartung : der aufsteigenden. Hinter-
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
strangfasern. In den akuten und chronischen Stadien zeigten sich
— namentlich im Vaguskern — entsprechende Ganglienzellveränderungen,
Zum Schluß betont der Vortragende die schwere, ganz eiffuse Schädigung
des Nervengewebes durch Traumen. |
Demonstration: Clemens stellt ein vierjähriges, ohne Arme
geborenes Mädchen vor. Es vermag sehr geschickt mit den Füßen zu
„hautieren*. Bücher werden ergriffen und umgeblättert, Tassen zum
Munde geführt usw. Reißig.
Budapest.
Königliche Gesellschaft der Aerzte, Sitzung vom 16. März 1912.
G. lllyés: Durch harnsaure Kristalle hervorgerufene Fälle
von Perinephritis fibrosa. Vor Jahren hat Rowsing Fälle mit einem
besonders charakteristischen Krankheitsbilde beschrieben, in welche Gruppe
der größte Teil der in der Literatur als Nephralgia oder Nephralgia
haematurica bezeichneten Fälle gehören. Die Kranken leiden an anfall-
weise auftretenden Schmerzen in der Nierengegend, zu welchen Attacken
sich zeitweise auch Blutharnen gesellt, ferner finden wir im Urin außer-
dem viel harnsaure Kristalle und Urate. Bei der Operation finden wir in
der Capsula propria, die stark verdickt, opak, mit ihrer Nachbarschaft
und der Niere stark verwachsen ist, viel Harnsäurekristalle. Die Harn-
säure allein vermag diesen zu Perinephritis fibrosa führenden Prozeß
. hervorzurufen. Die Operation besteht ia diesen Fällen aus der Nephrolysis
und der vollständigen Entfernung der Capsula propria. Vortragender
stellt drei hierher gehörende Fälle vor; bezeichnend ist besonders der
erste. Im Jahre 1907 stellt sich zuerst die 43 Jahre alte Frau mit seit
acht Monaten dauernden, heftigen, kolikartigen, zeitweise rezidivierenden
Schmerzen in der rechten Nierengegend vor. Die cystoskopische, funk-
tionelle und Röntgenuntersuchung ergab nichts Abnormes, nur im Urine
ständig Harnsand. Operation wegen der hestehenden Schmerzen: die
Capsula propria dicker als normal, mit größeren opaken Flecken, ver-
schieden große Einziehungen an der Niere. Nach Abziehung der Kapsel
an der Oberfläche überall verstreute, feine, sandartige, gelbe, bei gewisser
Einstellung glänzend schillernde, teils abwischbare, teils Wer Niere feart
anhaftende Kristalle. Exstirpation der Nierenkapsel; diese und ein Teil
der Niere histologisch untersucht. Die Gewebspartie der Nierenkapsel
besteht meist aus narbigen, hyalin degenerierten Bindegewebsbüindeln, an
der Nierenoberfläche wetzsteinförmige und nadelartig geformte, runde
Kristalle, offenbar aus harnsauren Salzen bestehend. Heilung ungestört.
Nach einem Jahr ähnliche Schmerzen, aber auch Auftreten von Hämaturie.
Abermals Niereneröffnung, wieder harnsaure Kristalle und nach aber-
maliger Exstirpation der Capsula propria Stillstand der Schmerzen und
Heilung. Nach acht Monaten wurde wieder eine Erneuerung der Ope-
ration notwendig und seither befindet sich Patientin dauernd wohl.
J. Safranek: In die Nasenhöhle eingewachsener Zahn. Der
28 Jahre alte Mann steht wegen Lues in Behandlung der dermatologischen
Klinik und wurde zur endonasalen Untersuchung der laryngologischen
Klinik überstellt. In einer Entfernung von 1 cm vom Introitus nasi in
der linken Nasenhälfte ein incisivusäbnlicher, mit seiner Krone an der
Kreuzungastelle des Nasenbodens und der seitlichen Nasenwand sitzender
Zehn sichtbar. Die obere Zahnreihe ist rechts komplett, während der
Ineisivus links beiderseits fehlt; der mediale Alveolus des Incisivus vor-
handen, der laterale fehlend, der Caninus verkümmert. Die beschriebene
Anomalie ist sehr selten. Goethe beschrieb den ersten Fall in seiner
„Reise in der Schweiz“. Da der Patient in seiner Kindheit an einem
DestruktionsprozeB in der Nase und am Munddache gelitten haben soll,
liegt die Annahme nahe, daß der Zahnkeim infolge des Destruktions-
prozesses disloziert wurde und später in die Nase durchbrochen ist. Da
der Zahn die ohnedies gestörte Nasenatmung noch mehr erschwert, soll er
entfernt werden.
J. Tornai: Die phonoskopische Perkussion, eine neue Unter-
suchnngsmethode. An Stelle der früher geübten starken und sehr starken
Perkussion ist heute die schwache Perkussion, als deren Prototyp die Schwel-
lenwertperkussion Ewalds und Goldscheiders aufzufassen ist, üblich.
Vortragender gelangte in der letzten Zeit zufällig in den Besitz einer Per-
kussionsmethode, die eine noch schwächere Perkussion ermöglicht. Er begann
die Phasen der Herzrevolution und die übrigen Erscheinungen der Circulation
zu studieren, und zwar hinaurikular, gleichzeitig mit zwei Ohren und zwei
separaten Stethoskopen. Von der Auskultation während aeiner Unter-
suchungen ermüdet, begann er den Brustkorb zu perkutieren, ohne die
von seinen Ohren über den Brustkorb herabhängenden Stethoskope herab-
zunehmen. Schon bei der ersten Gelegenheit fiel es ihm aut, daß der
normale Perkussionsschall erstaunlich rein und scharf in sein Ohr ge-
langte. Unwillkürlich mäßigte er die Kraft der Perkussion, denn selbst
die schwächste Perkussion hörte er rein und in bestimmter Weise. Er
vervollständigte dann seine Methode, indem er ein „Phonoskop“ aufertigen
ließ, dessen wichtigster Teil aus zwei kleinen Ebonit- oder Aluminium-
trichterchen besteht, deren eines mit dem rechten, das andere mit dem
linken Ohre durch eine entsprechende Olive und mit Hilfe eines kurzen,
dünnen Gummirohrs verbunden wird. Die Trichterchen sind mit einem
dünnen, zusammenlegbaren Aluminiumstäbchen, dieses aber nach Art `
eines Stirnreflektors mit Hilfe eines in jeder Stellung fixierbaren Kugel-
gelenks mit einer entsprechenden Stirnbinde verbunden. Als Plessimeter
benutzt er seinen linken Zeigefinger, berührt aber nur mit der Spitze
seines Fingers oder höchstens mit der Nagelphalange den Brustkorb.
Diese Nagelphalange perkuttiert er mit der Spitze seines in den Inter-
phalangealgelenken gebeugten rechten Mittelfingers. Die Perkussion
aber vollführt er gleichmäßig und nur von zirka 1 cm Höhe, stets mit
derselben Zartheit, fast automatisch, in rascher Aufeinanderfolge, sodaß
auf jede Sekunde drei bis vier Schläge entfallen. Während der Perkussion
wechselt natürlich der Plessimeter-Finger fortwährend den Ort, so zwar
daß die Spitze des Fingers nicht vom Thorax entfernt wird, sondern in
der Richtung gewisser Perkussionslinien entlang der Haut leicht, doch
mit ziemlicher Schnelligkeit hingleitet. Gerade die Eintönigkeit dieser
Perkussion und das rasche Hingleiten des perkutierten Fingers macht an
den verschiedene perkutorische Verhältnisse darbietenden Flächen die
allerfeinste und pünktlichste Abgrenzung möglich. Durch die phono-
skopische Perkussion können wir nicht nur die Projektion des Herzens,
sondern auch die der großen Gefäße im vorderen Mediastinum gerade so
pünktlich am Thorax aufzeichnen, wie selbst mit der Orthodiagraphie.
Mit diesem Verfahren können wir die von Krönig beschriebenen Grenz-
linien der Lungenspitzenprojektionen mit der allergrößten Leichtigkeit
aufzeichnen, ferner auch die Projektion der Nieren, insbesondere wenn die
Därme leer sind. In vielen Fällen können wir auch den Magen leicht
separieren, so vom Dickdarm, und einzelne Teile des letzteren von den
übrigen Organen der Bauchhöhle.
M. Goldzieher: Versuche zur Physiologie der Tumoren.
G. stellte durch Tierexperimente fest, daß zum Wachstum der Tumoren
der Ueberschuß an Kalium im Organismus und die Verarmung an Calcium
notwendig ist, daß dieser Zustand auch beim Menschen wahrscheinlich
Bedingung der Entstehung von Tumoren ist. Der zur Disposition not-
wendige Salzgehalt steht unter dem Einflusse der Organe innerer Se-
kretion, namentlich jenem der Parathyreoide.. Unter andern dispo-
nierenden Momenten ist die Rolle der Alkalizität noch wahrscheinlich,
denn die Säurebildung, z. B. bei Stauung oder Nephritis, wirkt hemmend
auf die Tumorenbildung und laut der Statistik auf die Tumorenentstehung.
Unter den lokalen auslösenden Momenten können wir die lipolytischen
Stoffe als bekannt bezeichnen, die aus den Zellen einen das Wachstum
hemmenden Stoff entziehen können. S.
Wien.
Gesellschaft f. inn. Med. u. Kinderhlkde. Sitzung vom 23. Mai 1912.
A. Goldreich demonstriert an drei Fällen die Stigmata der
hereditären Lues. Die hauptsächlichsten derselben sind die olym-
dische Stirne, bei welcher die Stirnhöcker deutlich vortreten und die
Stirn im ganzen vorgewölbt und in ihrem Höhenmaße vergrößert ist
ferner die Narben an den Lippen und in ihrer Umgebung. Letztere
sitzen meist in der Gegend oder in der Nähe der Mundwinkel und ver-
laufen radiär, wobei die Grenze zwischen der Gesichtshaut und dem
Lippenrot verwischt ist. Diese Zeichen findet man bei den vorgestellten
Fällen, einem sieben Monat alten Säugling, einem größeren Kinde und
einem 26jährigen Manne, welch letzterer außerdem die Symptome der
Tabes aufweist. Die Wassermannsche Reaktion ist positiv. Sie war
bei dem vom Vortragenden beobachteten Materiale des I. öffentlichen
Kinderkranken-Ordinationsinstituts nur in 66 °/, vorhanden.
Pollak und J. Hecht führen aus der Abteilung Hamburger
ein fünfjähriges Mädchen mit Herzblock vor. Das Kind hat vor fünf
Wochen Masern durchgemacht, es hatte seither öfter subfebrile Tempe-
raturen und bekam darauf Bronchitis Ueber dem Herzen war ein sy-
stolisches Geräusch zu hören, der Puls war auf 44 bis 56 Schläge ver-
langsamt, aber nicht arhythmisch. Die Entstehung des Herzblocks wäre
‚entweder auf Masern oder auf Influenza zurückzuführen. — Beim Frosch
liegen der Sinus venosus, das Atrium und der Ventrikel hintereinander.
Wenn man an der Grenze zwischen Sinus und Atrium eine Ligatur an-
‚legt, so schlägt der Sinus bei festem Zuziehen der Ligatur für sich und
ebenso der Ventrikel, letzterer regt rückläufig auch das Atrium zum
Schlagen an. Liegt die Ligatur zwischen dem Atrium und dem Ven-
trikel, so schlägt das Atrium mit dem Sinus synchron. Je nach dem
Grade der Reizung durch den umschnürenden Faden wird die Ueberleitung
des Reizes vom Sinus auf den Ventrikel im verschiedenen Grad erschwert,
es fällt nach einer Anzahl von Schlägen eine Ventrikelcontraction aus,
bei stärkerem Reiz fällt jede zweite Contraction aus (Halbrhytbmus). bei
vollständiger Unterbrechung der Reizleitung kommt es zu einer Dis-
soziation der Aktion des Sinus und des Ventrikels (Kammerautomatie).
Beim kammerautomatischen Rhythmus beträgt die. Anzahl der Contrac-
tionen des Ventrikels beim erwachsenen Menschen 28—80 Schläge, der
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Vorhofrhythmus beträgt zirka 72 Schläge, die beiden Zahlen stehen in , Der Vortragende zeigte auch; wie durch die Stenose der Respirations-
keinem mathematischen Verhältnisse zueinander. Als dem vorgestellten | spalte notwendigerweise im Nasenrachenraum ein luftverdünnter Raum
Kinde Atropin injiziert wurde, nahm die Ventrikelfrequenz von 45 bis 50 | sich entwickeln muß, der durch seine Saugwirkung im Laufe der Zeit das
auf 86 Schläge zu, was ein bemerkenswertes Phänomen ist. Das Kind | Zustandekommen der adenoiden Wucherungen, den Tuberverschluß und
hat‘ den Hoerzblock ohne: schwere Erscheinungen bekommen. und der | mangelhafte Sprachbildung begünstigt. Durch eine Metallröhre, die an
Dissoziation der Herzfunktion wurde als zufälliger Nebenbefund erhoben. | einem Ende rechtwinklig gebogen ist, während am andern. Ende ein
| H. Januschke.bemerkt, daß die Steigerung der Ventrikelaktion | Manometer angebracht ist, und die hinter der Uvula her in den Nasen-
hier nicht durch eine Lähmung des Vagus zu erklären ist, sondern durch | rachenraum geschoben wird, läßt sich, wenn die Nase zugehalten wird,
eine’ Reizung des Herzens. Eine gleiche Reizung könnte durch Campher | bei der Inspiration der negative Druck im Nasenrachenraume nachweisen.
und Coflein erzeugt werden. | = i Auch den weiten, hohen Gaumen führt der Vortragende im Bilde vor.
R. Kaufmann. hat einen Fall. von Endokarditis und inkompen- | Derselbe hat mit dem hohen, engen Gaumen die Höhe und die Nasen-
siertem Mitralfehler beobachtet, bei welchem Vorhofflimmern und eine | stenose gemeinsam. Dadurch, daß die zu sehr nach unten gelagerten
Bradykardie von 40:Schlägen bestanden. Bei Vorhofflimmern entsteht in | Zähne entweder mehr nach außen oder nach innen stehen, entwickelt sich
der Regel ein Pulsus irregularis perpetuus, welcher in diesem Falle fehlte; | entweder der hohe enge oder der hohe weite Gaumen. Durch Gaumen-
es mußte also:eine Leitungsunterbrechung im Herzen bestehen. Bei der | dehnung wird den traurigen Folgen des hohen engen Gaumens begegnet.
Obduktion fand sich eine Unterbrechung des Hisschen Bündels durch | Indem geeignete Apparate im Mund angebracht werden, die den:Gaumen
einen verkalkten endokarditischen Knoten. Dieser Patient zeigte nach | ‘an der Sutura palatina ausdehnen, weitet sich die Nase, die Mundatmung
'Atropineinspritzung eine Erhöhung der Pulsfrequenz von 40 auf 52 Das | hört auf, während die Nasenatmung sich wieder entwickeln : kann. An
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-Atropin wirkt also auch bei Unterbrechung des Hisschen Bündels auf | ‘einer Reihe von Patienten, die diesen Apparat im Munde trugen, zeigte a NE:
den Ventrikel beschleunigend. — | | Ä ‘| der Vortragende die Wirkung desselben. (Autoreferat.) Sr: ae i N TRR Be
Nobl demonstriert an einem 20 Monat alten Kinde die Beein- Diskussion: Max Rothmann fragt, ob auch das.Hirnwachstum | an heret
flussung des Varicellenexanthems durch Masern. Das Kind er- | durch die Zähne beeinflußt wird. R. verweist auf den Schädelbau des | w ei OF er
krankte an Bronchitis und an Masern, eine diffuse Rötung des Stammes | Urmenschen, bei dem eigentlich ein Mißverhältnis der Zahngröße. zu der | i: T l si Mo fip
: würde dafür sprechen, daß das Kind vielleicht auch an Scharlach erkrankt | des Unterkiefers besteht, für den die Zähne eigentlich zu klein sind. Bi EN Bas Ya
ist, Auf dem Körper finden sich vereinzelt Varizellenbläschen, von | Landsberger Schlußwort. Eo e i e ral oa
welchen einige rapid anwuchsen und hämorrhagisch wuarden. Die Vari- | Hermann Neumann (Potsdam): Der Nährwert und die Ver- iket Per: k-k Euer
zellenbläschen haben zum Teil ecthymaähnliches: Aussehen angenommen, | wendung der Sojabohne beim Menschen. Vortragender, der schon in heil sa ji
andere sind demnach durch das gleichzeitig bestehende Masernexanthem | der Zt. f. diät. phys. Th. 1912,- Heft 3, über „die Sojabohne, ee HEN
ungünstig beeinflußt worden, — | EE ihr6 Bedeutung für den gesunden und kranken Menschen und ihre be At ie dag
ei v. Pirquet bemerkt, daß die Masern auch andere Exantheme in | Verwertungsform“ einen Aufsatz geschrieben hatte, gibt noch einmal Il x fe s Eai '
.. erschwerendem Sinne beoinflussen;. das gilt z. B. auch für die cutane | einen Ueberblick über die weite Verbreitung der Sojabohne. In Deutsch- Neo pn Ba 2
Tuberkulinreaktion, deren Hautmanifestationen unter dem Einfluß von | land wird sie seit 1878 angebaut, seit etwa 1909 in der Industrie zur A a IN Ber RE Di ee
‚ Masern eino große Ausbreitung gewinnen und schwerer verlaufen. H. .| Herstellung von Fett und Oel verwendet. Ihre Zusammensetzung ist im Sr” user
ee un Mittel 400/, Eiweiß, 20 0/ Fett, 200% stickstofireie Extinctivstoffe bei Ba
BRAT ` | fast 0% Amylum, 5,80/o Kalk, 440,0 Kali, 8,90/o Magnesia, 0,980/, Natron, ERI Tai
i Berlin. TORR ‘Spuren von Chlor und 1,640/, Lecithin, Der Vergleich dieser Zahlen P ee
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 10. Juli 1912. mit jenen unserer animalischen und vegetabilischen Nahrungsmittel läßt KEITH Aura
Tagesordnung: Richard Landsberger: Korrelation zwischen | eine auffällig günstige Ueberlegenheit zugunsten der Sojıbohne er- le
Zahnentwicklüng und Schädelbildung. Das Wachstum des Kiefers ist | kennen; dabei fällt noch ins Gewicht, daß die Ausnutzungs- und Ver- meko ope NER VE
durch die Eutwicklung der Zähne beeinflußt. Wenn man einem Hunde — drei | daulichkeitsversuche derselben sehr günstige Ergebnisse geliefert hatten. Ben Kamel o 124
bis fünf Tage nach der Geburt — die Milchzahnkeime und drei Monate später | Vortragender hat das aus der Konservenfabrik von Zinnert in en BeAT
‚ die Zahnkeime der bleibenden Zähne aus dem Kiefer entfernt, und zwar | Potsdam unter der Bezeichnung „Soyap“ in den Handel gebrachte Prä- E ra Tr EBT a
nur auf einer Seite, so läßt sich nach einem Jahr am skelettierten Schädel | parat, ein Püree, seit 1908 in seiner Praxis verwendet. Seine Beob- ix dE. A, nt ‚ER
eino Degeneration der operierten Schädelbälfte nachweisen. Diese De- | achtungen lassen den Gebrauch der Sojabohne bei folgenden Krankheiten un] a Den Br
generation besteht nicht nur am Kiefer, sondern erstreckt sich über die |' und Stoffwechselstörungen gerechtfertigt erscheinen: Diabetes mellitus, MRP Ep Pie ae,
ganze Schädelhälfte. An der Hand einer Reihe von Lichtbildern ließ sich | Nephritis, “Gicht, Magendarmerkrankungen der Kinder, Rachitis, als Zu- a rae "sr 3
der Unterschied der beiden Schädelhälften leicht erkennen. In dieser | kost bei Tuherkulose, Macies jeder Art, infektiösen und nervösen Erkran- SUB: j rer
Degeneration liegt der Beweis, daß: die Zähne besonders das Breiten- | kungen; auf Grund diesbezüglicher Tierversuche endlich zur Steigerung Hua o h, N
wachstum des Schädels beeinflussen, das auf der nichtoperierten Seite | der Milchsekretion stillender Frauen. Ä | i} aV A pi or
ungeschmälert sich entwickeln konnte. Diese Beeinflussung des Breiten- | Bei Gesunden ist vom wirtschaftlichen, ökonomischen und sozialen | \ i Ee TEN”
Wachstums datiert nicht nur von dem Volumen der Zähne her, die im | Standpunkt — die Sojabohne ist ganz erheblich billiger als selbst die i Peho tokt
| |
Kiefer einen bestimmten Raum beanspruchen, sondern hauptsächlich von |-billigen Cerealien — die Verwendung der eiweiß- und fettreichen Bohne
dem in dem Wachstume der Zähne liegenden Triebe, sich nach außen zu | für sich allein oder vermengt mit Mehl und Gemüsen von größter wirt-
entwickeln. Wenn man bei einem Hunde, dessen Milchzähne zum Durch- | schaftlicher Bedeutung. — Die Landwirtschaft hätte die nationale Pflicht
‘bruch gekommen sind, die eine Wand des: Oberkiefers abträgt, sodaß die | — ganz ebenso wie einst die Kartoffeln — jetzt: die so wertvolle, dabei
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Keime.der bleibenden Zähne sichtbar werden, so beginnen nach. einiger | überaus anspruchslose Pflanze bei uns intensiver anzubauen und zu Leni AAI F
Zeit diese bleibenden Zähne in horizontaler Richtung aus dem Oberkiefer | kultivieren. (Autoreferat.) Ä Zr O i VERIT STETTIN
‚herauszuwachsen, sodaß zwei Etagen von Zähnen sich entwickeln. Aus Diskussion: Fürbringer: Bezüglich der Zukunft der Soja- ar er ir
| ‘diesem Tierversuche läßt sich die Tatsache ableiten, daß die Zähne ein | bohne als Volksnähbrmittel kann F. einige Bedenken nicht unterdrücken. PATE
| zentrifugales Wachstum haben. Dieses zentrifugale Wachstum ist als |' Vor etwa 20 Jahren hatte F. umfangreiche Untersuchungen mit der IE, Ara nie Ba
| Agentliche Ursache für das Breitenwachstum des Kiefers anzusehen. Im | Erdnnß angestellt, die ebenfalls den Zwecken der Volksernährung dienst- PIE getoa Ea Ar l
Lichtbild eines menschlichen Schädels, an dem die Wurzeln freigelegt |: bar gemacht werden sollte. Verwendet wurde der eiweißreiche :Preß- ner g: tt
sind, Jäßt sich ‘dag zentrifugale Wachstum der menschlichen Zähne eben- | rüicksand der Erdnuß. Dieser enthält 470, Eiweiß. 1 kg kostet 40 Pf. p a A 2 ze
| Talls beobachten. Ein Patient wurde vorgestellt, dem jegliche Zahnanlage | Monate hindurch wurde dieses Präparat als Erdnußgrütze in jeder mög- Li 3 = Ku pEi
von der Natur versagt war. Er ist Kutscher, 28 Jıhre alt und nicht un- | lichen Form und im Verein mit Kartoffeln und andern Gemüsen verab- ji Weberei
intelligent.. Der Gesichtsschädel ‚ist eingefallen, der Oberkiefer ohne Zahn- | folgt. Ueber die Ergebnisse dieser Versuche hat F. im’Jahre 1893 be- pii TE en
fortsatz ist schmal und bedeutend kleiner als der Unterkiefer. Die Natur | richtet. Es ließ sich zeigen, dab die Erdnuß gut vertragen wurde und el Eu $ uk
bestätigt also das Tierexperiment. Der sogenannte hohe, enge Gaumen | daß ihre Ausnutzung gut war. °/ıo der Versuchspersonen nahmen die alle LER,
Abt sich in seiner Entwicklung auch auf das mangelbafte zentrifugsle | Nahrung gern und nur t/o lehnten sie ab. In der Tat schmeckt die ent ni
Wachstum der Zähne zurückführen. Dadurch, daß die Zahnanlage anor- | Erdnuß bitterlich, dlig, tranig. An diesem Umstande scheiterte die Ein- Eulen mt mapet" p
malerweise zu tief nach unten, das heißt nach dem Alveolarfortsatze zu | führung der Erdnuß als Volksnabrungsmittel. Da F. auch an der Soja- este ~ MY |
gelegen ist, erreichen die Zahnwurzeln nicht die Höhe der Nase, sondern | bohne einen etwas faden Geschmack bemerkt, so hält er es für nicht P : Se ee Lori
versinken mit ihrer ganzen Länge vollständig im Zahnfortsatze. Infolge- | unmöglich, daß hierdurch der Einführung der Sojabohne 'als Volksnähr- EE TE
' dessen: kann die Nase nicht gedehnt werden, es kommt zu einer Stenose | mittel Schwierigkeiten erwachsen können. P. Croner: Vor drei Jahren BL EAU aAa ui
ud nachdem Munde‘ zu zu einem verlagerten Zahnfortsatze. An dem | hat C. Versuche gemacht, Kindern einen Kakao, der Sojabohnen enthielt, Di oudt gA f
rontalschnitte -zweier Schädel, der eine normal, der andere mit- hohem | zu geben. Die Resultate waren gut. Wegen der Höhe derHerstellungs- Salz inei |
aumen, sah man in dem Lichtbilde- deutlich die Unterschiede in. der |- kosten mußten die Versuche eingestellt werden. Neumann: Schluß- Ri Bu
Legering der Zähne--und ihren Einfluß auf Gaumen- und -Nasenbildung. |: wort. i : | . Fritz Fleischer. gi EL; of
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- „Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin. ee a ET a TE |
m wenig zu beunruhigen braucht, für. uns in der Beschaffung brauchbaren
| | - Koloniale Medizin.
‘` Wichtigere therapeutische Fortschritte und Neuheiten auf dem
“Gebiete der Tropenkrankheiten im Jahre 1911
. von Regierungsarzt Dr. Le Külz, Kribi, Süd-Kamerun.
| EB e (Hierzu 2 Abbildungen.) un
- „Inder Therapie der Malaria dominiert nach wie vor als souve-
ränes Mittel das Chinin, von dessen vielen Präparaten wieder das Chin.
hydrochl. mit Recht den Vorrang behauptet. Aber die noch von Robert
- Koch zu einem vollen Heileffekt für nötig erachtete und sich viele Jahre
hindurch einer gewissen dogmatischen Unantastbarkeit erfreuende Ver- :
ordnung von ig auf einmal genommen, muß der von Nocht-Ufer befür- :
worteten fraktionierten Dosierung von fünfmal 0,2 g in zwei- bis drei-
stündigen Pausen immer mehr das Feld räumen, weil letztere bei gleicher -
Wirksamkeit die in Tropen besonders lästigen Nebenwirkungen des Medika-
ments in weit geringerem Maße besitzt und uns in der Therapie der tro- :
` pischen Malaria unabhängig macht vom Gange der Temperatur. Trotzdem '
ist man auch im letzten Jahre bemüht gewesen, gleichwertige Ersatz-.
mittel für Chinin zu finden, da bei der chronischen Malaria tropica die-
Gefahr eines Schwarzwasserfieberausbruchs durch Chinin mit Einbürge-.
rung fraktionierter Dosen zwar überaus gering geworden, aber doch nicht:
-ganz beseitigt ist. Die darauf gerichteten- Bemühungen sind erfolglos ge-
blieben, indem die betreffenden Mittel an parasitizider Kraft durchweg
dem Chinin unterlegen sind. Das Salvarsan, dessen Bedeutung für die:
Tropenpraxis.in Nr. 46 des Jahrgangs 1911 der „Med. Klinik“ gewürdigt:
wurde, ist leider nur bei Tertiana ein ebenbürtiger Konkurrent. In-
‚zwischen ist es bei ihr'auch durch weitere Erfahrungen bewährt befunden wor- ;
den (1). Als neues, geschmackloses Chininpräparat ist das Insipin auf-.
‚getaucht (2), das Sulfat des -Chinindiglykolesters, mit dem man gute Er-:
folge am Hamburger Tropenkrankenhaus erzielt hat. Ebendaselbst hat:
man bei schweren Fällen komatöser Malaria, wo es darauf ankommt, eine:
möglichst rasche Therapie einzuleiten, mit: bestem Resultate. die intra-
venöge Injektion von Urethanchinin in größeren Mengen pbysiologischer'
Kochsalzlösung geübt, indem 1,5 g des ersteren in 200 ccm der letzteren.
mittels der für Salvarsanbehandlung. angegebenen Schreiberschen Spritze.
einverleibt wurden, wodurch mit denkbar schnellster Chininwirkung die
‚Vorteile einer Kochsalzinfusion verbunden werden (8). z
In der medikamentösen Behandlung des Schwarzwasserfiebers
sind wir nicht wesentlich vorwärtsgekommen, Verhängnisvoll sind bei’
ihm vor allem zwei klinisch wohl charakterisierte Formen; erstens die,
Form, wo es durch irreparable Nierenverstopfung zu kompletter An-.
urie kommt, die erfahrungsgemäß bei 24-, höchstens 36stündigem Be-.
‚stehen eine absolut infauste Prognose gibt, und zweitens die. Fälle cycli-
scher Hämoglobinurie, bei denen nach glücklichem Ablaufe des ersten’
Paroxysmus und Aufhellung des Urins binnen 12 bis 24 Stunden ein
zweiter, in-gleichen Intervallen ein dritter oder vierter, schließlich zum.
Tode führender Anfall. auftritt. Es kommt demnach für die Therapie alles:
darauf an, die paroxysmale Hämolyse möglichst bald zum Still-:
‚stand zu bringen und die Nieren ausgiebig „durchzuspülen“.,
Die Zufuhr großer Flüssigkeitsmengen durch Trinken, oder, wo dies in-
folge unstillbaren Erbrechens unmöglich ist, durch hohe Eingießungen
oder namentlich durch eine möglichst frühzeitig verabfolgte Kochsalz- .
infusion, hat sich bisher am wirksamsten als vorbeugend gegen die Anurie:
bewährt. Es lag nicht fern, auch medikamentös nach einem antihämo- `
Iytisch wirkenden Mittel zu fahnden. Als solches hatte sich in vitro und
im Tierversuche das Cholesterin bewährt. Darauf fußend, sind thera-
peutische, günstig ausgefallene Versuche mit ihm bei Schwarzwasserfieber.
von Grimm, Refer. Seiffert und neuerdings Schäfer angestellt worden.
Indessen ist die Zahl der bislang vorliegenden Beobachtungen noch zu
gering und nicht immer genügend einwandfrei, um ein abschließendes Ur-
teil gewinnen zu können: (4, 5). Einer einmal eingetretenen Anurie
gegenüber ist auch das. Cholesterin machtlos. |
Die für die koloniale Praxis wichtige Frage, ob prophylaktisch oder
therapeutisch genommenes Chinin mit der Muttermilch ausgeschieden
wird und so zu Verdauungsstörungen des Säuglings führen kann, wurde
bisher teils bejaht, teils verneint. Giemsa (6) hat sie von nouem auf-
. gegriffen und einwandfrei gezeigt, daß, soweit Gaben von 1 g in Betracht
kommen, ein Uebergehen des Chinins in die Muttermilch nicht stattfindet.
Freilich ist damit noch nicht ausgeschlossen, daß Chinin nicht anderweitig
ihre Zusammensetzung irgendwie beeinflußt, was nur durch vergleichende
quantitative Analysen der Milch vor und nach dem Chininnehmen ent-
schieden werden könnte.
Auf dem Gebiete der Pockenbekämpfung und des Pocken-
schutzes besteht die vornehmste Sorge, die den heimischen Arzt pur
5°0°..1918 X MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.29. =
.der Notwendigkeit
Impfstoffs. Da die animale Glycerinlymphe bei :allen ihren Vorzügen
schnell an Wirksamkeit. in den Tropen einbüßt, ist man auf' haltbarere
Ersatzstöffe bedacht gewesen. Die dabei bisher gemachten Erfahrungen
beziehungsweise Versuche hat der Oberimpfarzt der Hamburger Staats:
impfanstalt, Prof. Dr. L. Voigt, der seit: zehn Jahren alle in die dent-
schen Kolonien entsandten Aerzte in der Lymphgewinnungstechnik aus-
bildet und seit 1909 die amtliche-Lympkversorgung. unserer Schutzgebiete
übernommen hat, unlängst in einer für den Tropenpraktiker sehr. be-
achtenswerten Abhandlung zusammengefaßt (7), wobei auch die wesent-
lichen Erfahrungen fremdländischer Nationen berücksichtigt worden sind.
Als Ersatzmittel der Glycerinlymphe hat. man Vaseline-Chloroform-
Lanolinlymphe und pulverisierten Trockenstoff. herangezogen.
Erstere beiden sind allgemein wieder verlassen worden... Letztere haben
fürs ..Tropenklima E 7 T gok a
zweifellos große Vor- - —
züge. Es mangelt der |
- Lanolinlymphe
‚zwar die bequeme
Herstellungsmög-
lichkeit; sie ist ferner | .
nicht besonders be- '. |
quem verimpfbar, . |
da sie bei ihrer
Zähigkeit aus kleinen
Tuben ausgedrückt
und in den klaffend
gehaltenen Impf-
schnitt hineinge-
strichen werden muß
und sie hat vor
allem nicht die der
Glycerinlymphe inne
wohnende Kraft der
Selbstreinigung von
Bakterien. Trotzdem
ist sie inihrer Wider-
standskraft gegen die
Tropenbitze ‚so über-
‚legen, daß sie z. B.
neuerdingsfürKame- - Ps
run allein noch ge- |
liefert wird. Wir
batten bis vor weni- |k
gen Jahren noch |f
Gegenden, in die bei
eines. vielwöchigen
Landtransports kaum
jemals wirksamer > | De a Aa
‚Impfstoff gedrungen war, bis es durch die Hamburger Lanolinlymphe mög-
‚lich wurde. Welchen enormen Gewinn dies in der Pockenbekämpfung be-
deutet, möge man daraus ermessen, daß .es vor nicht zu ferner Zeit im.
.Falle einer Variolaepidemie noch vorkommen konnte —., Referent erlebte
selbst eine solche —, daß der Arzt nahezu hilflos ohne Lymphe mitten
im Seuchenherde saß, wenn. es ihm nicht durch einen günstigen Zufall
gelang, Variolaeiter auf einem Kalbe. zum Haften zu bringen und durch
mehrere Passagen so weit abzuschwächen, daß es. einen unbedenklichen
Impfstoff gab. Jetzt haben wir bis zum Tschadsee und bisin
die entlegensten Teile des Inneren Südkameruns vollwirk-
same Lanolinlymphe. Außer dem Vehikel ist nicht ohne Einfluß
‚auf die- Haltbarkeit der Lymphe die Art ihrer Verpackung für. den Trans-
port. Unter der großen Zahl in der Praxis ausgeprobter Methoden, die
alle darauf hinzielen, eine möglichst gleichmäßige und kühle Temperatur
zu schaffen, haben sich die Verschiekung in porösen, feucht gehaltenen
Korkstoffklötzen und namentlich die Kartoffelpackung am besten
bewährt, bei welch letzterer die Gläschen beziehungsweise Tuben mit
Mosetigbatist umwickelt in eine mit dem Butterstecher angebohrte ‚große
Kartoffel gesteckt werden. Die Mündung der Bohröffnung wird mit dem
Kartoffelpflock und etwas Collodium wieder verschlossen; die. Kartoffel
selbst kommt in einem mit Sägespänen gefüllten Kästchen zum Versand.
Auch eine -täglich mit kaltem Wasser frisch zu füllende Thermosflasche
wöre für den Transport ins Innere geeignet, wenn man nicht auf un-
kontrollierbare Eingeborene bei ihrer Bedienung angewiesen. wäre.
Die Trockenlymphe wird hergestellt durch Verrgiben vop einem
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Teile des Rohstoffs :mit. drei Teilen einer (10—33°/oigen) Gummiarabieum-
lösung, Trocknen im Exsiecator mit Chlorcaleium, Pulverisieren im Mörser
und Einfüllen in kleine, zuschmelzbare Glastuben. Sie ist an Haltbarkeit
in den heißen Ländern der. Lanolinlymphe mindestens ebenbürtig; ihr
Keimgehalt viel niedriger. Ihr Nachteil ist, daß sie zum Gebrauch erst
mit Wasser aufgeweicht und verrührt werden muß, wobei. sie sehr häufig
krümelig bleibt. Die. Wirksamkeit einer solchen, nicht genügend: „auf-
geschlossenen“ Lymphe ist ziemlich ungleichmäßig. Voigt hält es mit
Recht für erwünscht, daß die Glycerinlymphe,: die in der bequemen Ver:
wendung und ihrer Keimarmut alle andern. Aufbereitungsarten übertrifft,
zu gleicher Dauerkraft gebracht werden möge. Dieses Ziel scheint ihm
nach den vorliegenden Versuchen dadurch erreichbar, daß man sie in
konzentriertem Zustande, mit nur wenig Glycerin. verrieben, verschickt,
“während der weitere Glycerinzusatz erst auf den Empfangsstationen vor
Gebrauch erfolgt. Uebrigens ist die Menge der. in den Kolonien von
den Aerzten und Tierärzten selbst gewonnenen Lymphe in
steter Zunahme begriffen. Da. aber. große Teile der Schutzgebiete
G E ar u | ohne Rinderherden
eignete Lymph-
spender sind, wird
es sich empfehlen,
in einer rinder-
reichen Gegend
für jede Kolonie
eine. Lymphge-
winnungscentrale
zu errichten, von
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und genügenden
Lymphmengen
versorgt werden
können.
Von aussichts-
reichen therapeu-
tischen Neuheiten
in der Leprabe-
handlung ist
nicht viel zu be-
richten. Salvar-
san ist natürlich
auch hierbei ver-
sucht worden;
. aber ohne daß bis-
her wirkliche Hei-
lungen erzielt wor-
Untersuchungen
von Denis (8)
führen zwar grobe,
intravenös gege-
bene Dosen- einen
EL Te u Zerfall von Lepra-
bacillen herbei, der sich an destruktiven Veränderungen derselben zu er-
kennen gibt; doch genügen sie nicht zu ihrer vollständigen Vernichtung. Bei
loprösen Uleerationen befördert Salvarsan die Ueberhäutung; eine Wirkung,
die von andern Arsenpräparaten bereits früher bekannt war. Von thera-
peutischen Erfolgen des Nas tins, über die von manchen Autoren zu-
nächst sehr hoffnungsfreudig berichtet worden war, ist es wieder recht
still geworden. Eine oft intensive Reaktion der Leprösen auf Nastin.
nicht bestritten werden, aber ob sich selbst bei lange fortgesetzter
„aandlung Dauerheilungen erzielen lassen, beziehungsweise in welchem
tozentsatze der Fälle, steht noch nicht fest. Neben verschiedenen Mit-
unuogen negativer Ergebnisse hat Peiper in Ostafrika (9) abschließend
er. vier von ihm seit Oktober 1909 mit Nastin Bı und Bə behandelte
üssätzige berichtet, von denen zwei unbeeinflußt blieben, während die
eiden andern im Lauf einer Behandlung mit 54 Injektionen bacillenfrei
wurden und ein halbes Jahr lang geblieben sind. Da Aussätzige auch
spontan für längere Zeit ohne Bacillenausscheidung sein können (soge-
A „geschlossene“ Lepra), so ist ein endgültiges Urteil über diese
eidon Fälle noch verfrüht. Gute Erfolge werden aus Rumänien (10) von
der innerlichen und Außerlichen Lepratherapie mit Guajacol gemeldet -
viermal 0,1 in Pillen täglich, beziehungsweise Pinselungen der Geschwüre
und Infiltrate). ie. ä a
fü Finen Fortschritt, wie er in dieser Größe wohl beispiellos
r die Tropenmedizin dasteht, hat die Therapie der Framboesie
ee Salvarsan aufzuweisen. Die früher von mir erwähnten be-
geisterten Berichte- über die großartigen Erfolge des Mittels haben sich
` 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
oder andere ge-
der aus alle Aerzte .
den wären. Nach -
seither um vieles vermehrt. Unter andern. hat. allein F.eu (11) in Para-
. maribo 700 von ihm geheilte Framboesiekranke. zusammengestellt, - bei
denen es nie versagte. Nur bei sechs Patienten war eine zweite intra-
vendse Injektion nötig und nur drei Rückfälle sind bisher beobachtet.
Die Zukunft wird zeigen müssen, ob wir nicht noch mehr Rezidive in.
Kauf nehmen müssen. Referent kann aus eigner Erfahrung die geradezu
einzigartige Salvarsanwirkung bei Framboesie, auch bei intramuskulärer
. Anwendung, bestätigen. Die in gesundheitlichen Dingen ungeheuer indo-
lente, tiefstehende Eingeborenenbevölkerung Südkameruns hat doch die
prompte Heilwirkung dieses Medikaments rasch erkannt, sodaß die Zahl.
der mit Framboesie sich zur Behandlung meldenden Erwachsenen und
Kinder dauernd zunimmt. Auch hier ist der Erfolg in allen Fällen
frappant gewesen; frambötische Wucherungen selbst von Haselnußgröße
und darüber verschwinden binnen zwei ‘Wochen vollständig. Auch
irambösiekranke Säuglinge von sechs bis acht Monaten ‘scheue
ich mich nicht, bei entsprechend vorsichtiger Dosis (0,03—0,05 g)
der Behandlung zu unterzieien und bin besonders erstaunt da-
rüber gewesen, wie gut gerade kleine Kinder Salvarsan. vertragen.
Wir haben in’ ihm nicht nur ein ideales Therapeuticum gegen eine
langwierige Tropenkrankheit erhalten, sondern meiner Ueberzeugung
nach auch ein vorzügliches Arteficium regni unseres kolonialen Berufs,
weil es in imponierender Weise den Eingeborenen von einer bisher als
unvermeidlich hingenommenen, oft bis zur Ekelhaftigkeit. entstellenden-
Seuche befreit. | eu d iA |
Die Erprobung des Salvarsans gegen die Schlafkrankheit
ist zwar im Gange, doch liegen noch keine größeren oder genügend lang-
_ fristigen Beobachtungsreihen vor. Einstweilen behauptet noch das
Atoxyl seine bevorzugte Position, obwohl die mit ihm erzielten Dauer-
erfolge keineswegs glänzend sind. Mehrere von den mit der Schlafkrank-
heitsbekämpfung in Ostafrika und Togo betrauten Aerzten haben im ver-.
fiossenen Jahre ihre therapeutischen Erfahrungen zusammenfassend publi-
ziert. Die Beobachtungen ira ältesten, seit Juni 1907 bestehenden Schlaf-.
krankenlager zu Kijarama am Viktoriasee. mit seiner Abzweigung in.
Kishanje haben außer ihrer verhältnismäßig langen Dauer deshalb be-
sonderen Wert, weil es sich in ihm nur um auswärts, in Uganda infi-
zierte Kranke handelt (12, 13). In der ganzen Umgegend fehlen die
übertragenden Glossinen, wodurch Neuansteckungen der einmal in Be-
handlung genommenen Patienten ausgeschlossen sind, und das Ziel der
Ausrottung der Seuche wesentlich erleichtert wird. Unter Verzicht auf
Einzelheiten seien nur einige therapeutische Daten gegeben. Es wurden
dort in drei Jahren 776 Schlafkranke aufgenommen und zunächst
sämtlich mit Atoxyl nach Kochscher Vorschrift behandelt: Doppel-
injektionen von 0,4 bis 0,5 g an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, in
zehntägigen Pausen wiederholt. Die nicht befriedigenden Resultate sowie
die Gefahr von Sehstörungen und Erblindungen bei Atoxyl führten zu.
Versuchen mit verschiedenen Ersatzmitteln und Kombinationen: Acid.
arsenicos., Atoxyl+ Arsenik, Atoxyl + Sublimat, Ehrlichs Arsazetin
und Arsenophenylglyzin, die sich .alle auf vorzügliche Ergebnisse im Tier-
versuch stützten, bei der menschlichen Trypanosomiasis aber keine Vor-
teile, oft sogar schwere Nachteile gegenüber dem Atoxyl zeigten und
wieder verlassen wurden. Etwas günstiger scheinen Versuche einer Kom-
_ binationstberapie mit Antimon und Tryparosan sowie Antimon und Atoxyl
ausgefallen zu sein; aber einen großen Fortschritt haben auch sie nicht
gebracht. Um die Atoxylschädigungen zu vermindern; wurde seit An-
fang 1909 die „Etappenbehandlung“ eingeführt: 10 bis 12 Doppelinjek-
tionen in 10—14tägigen Zwischenräumen, dann drei Monate Pause und
Wiederholung der Kur. Durch sie sind tatsächlich die unerwünschten
Nebenwirkungen des Atoxyls bedeutend zurückgegangen. Die Zahl wirk-
licher Heilungen wird auf 25°/, geschätzt. Als geheilt läßt der Be-
richterstatter Stabsarzt Ullrich nur die Kranken gelten, bei denen
nach Aussetzen jeder Behandlung mindestens zwei Jahre lang
keine Trypanosomen mehr nachweisbar sind und die auch
sonst bei einwandfreiem Allgemeinzustande bleiben. Die erzielten Heilungen.
entfallen überwiegend auf, Kranke, die in den Frühstadien in Behandlung
treten, woraus sich als selbstverständlich die Forderung möglichst: früh-
zeitiger Diagnose und Therapie ergibt. Ein weiterer Bericht liegt von
Stabsarzt Dr. Breuer aus dem Bezirk Schirati vor (14), wo am 1. Januar
1911 227 Schlafkranke im Bestande waren. Behandlungsmethode:
Atoxyldoppelinjektionen in 14 tägigen Zwischenräumen. Er berechnet; bei
zweijähriger Kontrollzeit die Gesamtsterblichkeit auf 70%, „Das
schließliche Resultat der Medikation ist niederdrückend.“
In einem gewissen Gegensatze zu den ostafrikanischen therapeutischen
Ergebnissen stehen die Togos insofern, als dort auch neuerdings noch
das Arsenophenylglycin, dem von vielen Seiten besonders starke Neben-
wirkungen und allgemeine Vergiftungserscheinungen in bedenklich hohem
Prozentsatz nachgesagt werden, als Therapeuticum hoch bewertet wird (15).
Behandlungsweise: 0,9—1,6 g je nach dem Körpergewicht in doppelter
Injektion. Indessen scheint es, als ob der ganze Charakter der Schlaf-
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1218 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
21. Juli.
- krankheit in Togo weniger bösartig sei als in Ostafrika, da sie sich auch
mit Atoxyl dort besser beeinflußbar gezeigt hai.
Literatur: 1. H. Werner, Weitere Beobachtungen über die Wirkung
von Salvarsan bei Malaria. (A. f. Trop. 1911, Heft 19.) — 2. Derselbe. eben-
daselbst, Behandlung der Malaria mit Insipin. — 3. Derselbe, Intravenöse Injek-
tion von Urethanchinin bei Malaria comatosa. (A. f. Trop. 1911, Heft 11.) —
4. Külz-Grimm-Seiffert, Cholestearintherapie des Schwarzwasserfiebers.
A. f. Trop. 1910, Heft 23.) — 5. H. Schäfer, Zur Cholestearintherapie des
Chwarzwasserfiebers. (A. f. Trop. 1911. Heft 24) — 6. G. Giemsa, Wird
eingenommenes Chinin mit der Muttermilch ausgeschieden? (A. f. Trop. 1911,
Heft 1) — 7. L Voigt, Die Versorgung tropischer Schutzgebiete mit Kuh-
pockenimpfstoff. (Beiheft 10 des A. f. Trop. 1911.) — 8. E. Denis, Der Einfluß
des Salvarsans auf die Leprabacillen. (M. med. Woch. 1911, Nr. 10) —
9. O. Peiper, Dritter Bericht über die Behandlung von Leprakranken mit
Nastin B, und B, (A. f. Trop. 1911, Heft 1.) — 10. N. Maldarescu, Die
Behandlung der Lepra mit Guajacol. (Referat i. A. f. Trop. 1911, Heft 21.) —
11.P. C. Flu, Behandlung von 700 Fällen von Framboesia tropica mit Salvarsan.
(M. med. Woch. 1911, Nr. 45.) — 12. Ullrich, Die Behandlung Schlafkranker
in den Schlafkrankenlagern Kijarama und Kishanje. (A. f. Trop. 1911, Heft 2.)
— 13. Kudicke, Bekämpfung der Schlafkrankheit im Bezirk Bukoba am
Viktoriasee. (A. f. Trop. 1911, Heft 21.) — 14. Breuer, Bericht über die
Schlafkrankheitsbekämpfung im Bezirk Schirati. (A. f. Trop. 1911, Heft 19.) —
= or und Zupitza. (Schlafkrankheitsbericht im Amtsbl. für Togo
, Nr. 19. |
Aerztlich-soziale Umschau.
Eine zeitgemäße Reform der medizinischen Ausbildung
von
Dr. Beschoren, Neuwedell.
Es dürfte wohl unbestritten sein, daß „das praktische Jahr“
die Erwartungen, welche man auf dasselbe gesetzt hatte, zum größten
Teile nicht erfüllt hat, sodaß sich unter Andern auch Waldeyer veranlaßt
gesehen hat, diesen Gegenstand im Herrenhause bei der Beratung des
Kultusetats zur Sprache zu bringen. Der eigentliche Zweck des Gesetzes,
den Absolventen des Staatsexamens vor ihrem Eintritt in die allgemeine
Praxis die nötige praktische Schulung mit auf den Weg zu geben, wird
jedenfalls nur in sehr unvollkommener Weise erreicht. Die Ansprüche
an das ärztliche Können seitens des Publikums aber sind in ungewöhnlichem
Maße gestiegen, seit die intensive Arbeit auf allen Gebieten medizinischen
Wissens zu ungeahnten Foortschritten nicht bloß in der Verfeinerung der
Untersuchungsmethoden, sondern auch in der Beherrschung der therapeu-
tischen Technik selbst geführt hatte. Die Medizin hat mehr und mehr
das philosophische Gewand früherer Jahrhunderte abgestreift und ist zur
angewandten Naturwissenschaft geworden, bei welcher sich alles
nach Maß und Zahl regelt. Mit der zunehmenden Exaktheit ihrer Ar-
. beiten wurde auch die Lektüre ihrer literarischen Produkte immer lang-
weiliger und zeitraubender, wie schon Billroth seinerzeit es geäußert hat.
Es wird für den einzelnen Arzt und im besonderen für den allgemeinen
Praktiker damit schwerer, sich gleichmäßig auf allen Gebieten seiner
Wissenschaft auf dem Laufenden zu erhalten, sei eg auch nur theoretisch ;
praktisch kann er es überhaupt nur dann, wenn er über ein sehr aus-
gebreitetes Feld seiner Tätigkeit verfügt, wie es im ganzen nur recht
selten vorkommt. Die dadurch notwendig herbeigeführte Zersplitterung
läßt es neben den sonstigen Geschäften kaum zu einem sehr eingehenden
Studium kommen, anderseits wird auch trotz besten Fleißes und Willens
immer noch ein gewisser Abstand zurückbleiben, der ihn vom Spezial-
kollegen trennt und dessen er sich im Interesse seiner Klientel mehr
oder minder schmerzlich bewußt bleibt. ln dieser augenscheinlichen Ver-
legenheit sucht ein Teil der Kollegen, namentlich aus der Großstadt in-
folge der leichteren Verkehrsgelegenheit, die schwierigen Fälle dem Spe-
zialarzte oder Krankenhause zu überweisen. So verständlich auch diese
Handhabung ist, bedeutet sie doch immer eine Art Selbstaufopferung,
und je häufiger sie vorkommt, um so mehr wird sie der Stellung des
Arztes Abbruch tun. Wenn demnach heute so viel vom gesunkenen An-
sehen des Aerztestandes die Rede ist, so liegt diese Erscheinung außer
der vorhandenen Berufsüberfüllung, dem Machtbewußtsein der Kassenvor-
waltungen und dem durch die soziale Gesetzgebung gesteigerten Selbst-
gefühl des Individuums, auch mit an diesem Faktor ärztlicher Taktik.
Eine wirkliche Besserung der ärztlichen Verhältnisse, welche ja ebenso-
sehr im Interesse der Volksgesundheitspflege liegt, wird deshalb nur
durch eine gleichzeitige Berücksichtigung aller dieser Momente zu er-
reichen sein; sie wird ihren Hebel ansetzen müssen an dem prak-
tischen Jahr. | |
Gegenüber dem Maß der Verantwortung, mit dem die ärztliche
Praxis den in sie Eintretenden beladet, kann die Ableistung eines einzigen
Jahres, von dem noch unter gewissen Umständen Befreiungen zulässig
sind, nach vollendetem Staatsexamen nicht als ausreichend gelten. Den
Schwerpunkt des medizinischen Unterrichts für die Zwecke der ärztlichen
Praxis bildet die medizinische Klinik, die chirurgische Klinik
und die geburtshilflich-gynäkologische Klinik. Es wäre zu for-
dern, daß auf jedem dieser Gebiete der angehende Arzt nach bestandenem
Staatsexamen eine praktische Ausbildung erhielte, welche sich auf die
Dauer eines Jahres erstreckte. Somit würde also statt einer Medizinal-
praktikantenzeit von einem Jahre sich eine solche von drei Jahren er-
geben. - Gewiß eine einschneidende Maßnahme, aber durch den Zwang
der Verhältnisse doch wohl geboten! Das Publikum erwartet von dem
allgemeinen Arzte, daß er möglichst in allen Sätteln gerecht sei, daß er
schon ‘bei seiner Niederlassung über ein gewisses, abgerundetes Können
verfüge und nicht erst nötig habe, sich ein solches im Laufe einer mehr
oder minder langen Zeit der Praxis mühsam zu erwerben. Die medizi-
nische Laufbahn würde dann etwa in einem ähnlichen Geleise verlaufen
wie die Juristische, insofern als auch hier nach abgelegtem Referendar-
examen eine mehrjährige Vorbereitungszeit im praktischen Dienste schon
längst als nötig erkannt ist. Es wird sich bei dieser Lage der Dinge
gleich bleiben, ob der Medizinalpraktikent auf einer Universitätsklinik
oder in einem Krankenhause beschäftigt werde, sofern nur dem vor-
geschriebenen Bildungsgange in seiner Dreiteilung Rechnung getragen
ist, wobei es jedoch nicht viel verschlägt, ob etwa mit dem medizinischen.
oder mit dem chirurgischen beziehungsweise geburtshilflichen Jahre der
Anfang gemacht wird. Diese Dreiteilung gelte dann als Norm für alle
diejenigen Aerzte, welche später allgemeine ärztliche Praxis zu betreiben
gedenken In analoger Weise kann dann allen denen, welche in irgend
einem Spezialfache tätig sein wollen, es sei welches es sei, die Ver-
pflichtung auferlegt werden, die obigen drei Jahre zur Ausbildung in
diesem Fache zu verwenden. Es stellt also das geschilderte Ver-
fahren somit zugleich einen sehr einfachen Weg zur Lösung
‚der Spezialarztfrage dar.
Die obige Maßnahme würde ferner die heilsame Wirkung haben,
dem übermäßigen Andrang zum Studium. der Medizin eine gewisse Be-
schränkung aufzuerlegen. Die Ueberfüllung des Berufs ist im Grunde
der Hauptkrebsschaden, der an dem Marke des Aerztestandes zehrt, und
solange es nicht gelingt, hier Abhilfe zu schaffen, bleiben alle andern
Maßnahmen vergeblich und die Proletarisierung des Aerztestandes, sein
Herabsinken in eine subalterne Stellung wird unvermeidlich. Wem es
mangels einer ausreichenden Klientel versagt ist, das wäh-
rend der Ausbildungszeit Erlernte selbständig praktisch zu
‚verwerten, muß notwendig verkümmern. Daran werden auch
keine Fortbildungskurse und ähnliche Einrichtungen, so
zweckdienlich sie sonst sind, etwas ändern. Wirkliche Berufs-
frendigkeit sowie die Lust zur Erweiterung vorhaudener und Erwerbung
neuer Kenntnisse wird nur unterhalten durch sachgemäße Beschäftigung
in angespannter Tätigkeit. Alles, was diese beschränkt, insonderheit also
das Uebermaß an freier Zeit drückt auf das Niveau der Berufsfreudigkeit
und damit des Aerztestandes überhaupt. Der Aerztestand ist nun unter
den akademischen Ständen nicht der einzige, der schwer unter der Ueber-
füllung zu leiden hat; die gleiche Erscheinung findet sich z. B. auch im
juristischen Berufe, aber auch hier sehen wir allenthalben die beruf-
lichen Vertretungen eifrig am Werke, auf Mittel zu sinnen, um die Ge-
fahren dieses Zustandes soviel wie möglich zu beseitigen. In der Anwalt-
schaft gewinnt der Gedanke eines numerus clausus mehr und mehr
Anhänger und auf dem jüngst stattgefundenen Richtertage zog sich die
Bestimmung einer verschärften Auslese für die Zulassung zur Richter-
laufbahn wie ein roter Faden durch alle Erörterungen. Vor dem Er-
greifen der höheren Schullaufbahn hat das sächsische Ministerium
vor nicht langer Zeit eine öffentliche Warnung erlassen. Der Aerztestand
befindet sich also mit seinen Abwehrbestrebungen in einer Art Notwehr,
um so mehr als seit Jahren die Bedingungen der Zulassung zum medizi-
nischen Studium herabgesetzt sind und es fast den Auschein hatte, als
wenn die Regierungen im Ueberschwang sozialer Gefühle es nicht ungern
sähen, daß die Hochflut der Studierenden möglichst auf die medizinische
Fakultät abgeleitet würde... .! Der Aerztestand ist wohl ein freier Stand,
aber er bleibt es nur so lange, als die Existenzbedingungen seiner Mitglieder
einigermaßen gesichert sind. Ob das der Fall ist, wird die Zukunft lehren.
In welcher Weise nun die Beschäftigung der Medizinalpraktikanten
während der dreijährigen Ausbildungszeit am besten vorzunehmen sein
wird, ist eine cura posterior. .Es dürfte hierbei im wesentlichen auf den
Takt und das persönliche Interesse des jeweiligen Anstaltsleiters ankommen.
Dann wird man auch innerhalb der bisherigen Bestimmungen auskommen
können, die dem Kandidaten ungefähr die Rolle eines Volontärassistenten
zumuten.
Geschichte der Medizin.
Ein Vortrag Laennecs im Jahre 1820 betreffend die Entdeckung
der Auskultation
von
Dr. med. Alexander Pagenstecher, Braunschweig.
Ein interessantes Dokument für die Geschichte der Medizin finde
ich unter den Papieren meines Großvaters. Es handelt sich um einen
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.29. > 129
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ne .. Der deutsche Arzt Auenbrugger hat eine Methode an-
gegeben, üm die inneren Krankheiten der Brust durch die Perkussion
dieser Höhle zu erkennen. Dieses Werk wurde von Corvisart im
Jahre 1808 übersetzt und gilt als klassisches Werk. Das, was man
durch die Perkussion lernt, gibt etwas mehr Sicherheit gegen früher,
aber nicht viel und nicht für alle Fälle Außerdem ist die Ausführung
derselben schwierig. Laennec. sagt. nun bezüglich. der Auskultation
folgendes: Ich erinnerte mich. an eine sehr bekannte Erscheinung: Wenn
man das Ohr an. die eine Seite eines Balkens legt, hört man deutlich
einen Hammerschlag an der andern Seite des Balkens. Ich ‚stellte mir
nun vor, daß man vielleicht aus dieser Eigenschaft der Körper Nutzen
ziehen könne. : Aus diesem Grunde : nahm ich ein Stück Papier, . machte
davon ein. eng zusammengerolltes Rohr, dessen eines Ende. ich auf die’.
Herzgegend aufsetzte, und als ich das Ohr an'das andere Ende: hielt,
war ich ebenso überrascht wie erfreut, die Herzschläge in einer exakten
und deutlichen Weise zu hören, wie ich sie niemals vorher bei direktem
Anlegen des Ohres gehört hatte. Ich schloß daraus, daß diese Methode
nicht allein für das Studium der Wahrnehmung der Herztönse anwendbar
sein müsse, sondern auch für das Studium aller Bewegungen, welche in
der Brusthöhle Geräusche. hervorbringen können, infolgedessen auch für
die Untersuchung der Atmung, der Stimme, der Lunge, ja vielleicht so-
gar für den Nachweis eines Ergusses in Rippenfell nnd Herzbeutel.
Nachdem ich verschiedene Röhren aus verschiedenen dichten Stoffen her-
gestöllt hatte, erkannte ich, daß die beste Röhre die aus Holz war.“
„...; Der Cylinder, dessen Laennec sich jetzt bedient, ist aus Holz
und in der: Mitte vermittels eines Scharniers geteilt. Er ist in der Mitte
hohl und an der inneren Seite ausgeweitet. Seine Länge beträgt einen
Fuß. Er genügt für die Untersuchung der Atmung und’ der Lunge.
Will maù ihn für Stimme. und Herzschläge verwenden, so muß man die.
Wände der Röhre dicker machen. Verschiedene Namen gab man diesem
Instrument: Sonomätre, Pectorologue, Thoraciloque, Laennec nennt es
jetzt: Stetoscope. Die Kommission der Akademie der Wissenschaften
hat festgestellt, das man durch den Cylinder, welchen man auf die Brust
des gesunden-Menschen aufsetzt, beim Sprechen und Singen desselben
ein Geräusch hört, welches an einzelnen Punkten mehr als an andern
nachweisbar ist. Sobald ein krankhafter Prozeß sich in den Lungen be-
findet, ‘ändert sich dieses Geräusch und tritt in eigenartiger Weise auf.
Die Stimme des Kranken ist nicht mehr durch das- freigebliebene Ohr
hörbar, sie ist nur nachweisbar durch das an das Stetoskop angelegte
Ohr. Dasselbe Phänomen hört man, wenn man den Cylinder‘ auf Trachea
und Larynx aufsetzt... .* | |
Soweit diese interessante Aufzeichnung. Gewiß wird manchen
lehnende Darstellung interessieren.
` Leser diese autentische, direkt an die Darstellung Laennecs sich an-
_ Aerztliche Tagesfragen.
Ludwig Bach +. oo.
‚ ‚Infolge eines Gesichtserysipels verschied vor wenigen Wochen
in seinem 47, Lebensjahre der Direktor der Marburger Uni-
versitäts-Augenklinik Professor Ludwig Bach. Die gleiche
Arankheit hatte ihn bereits mehrfach heimgesucht und auch schon
in früheren Jahren mitunter- zu ernsterer Besorgnis Veranlassung -
gegeben, ‚Er erlag ihr diesmal, weil von Anfang an. die Nieren
sehr heftig in Mitleidenschaft gezogen waren. u
. Bach war ein anhänglicher und dankbarer Schüler seines
großen Lehrers v. Michel und als solcher stets bemüht, die
Augenheilkunde vom Standpunkte der allgemeinen Medizin auf- -
zufassen, zu lehren und wissenschaftlich zu fördern. |
Durch sein Hinscheiden ist jetzt eine unausgefüllte Lücke
entstanden, weil mit ihm der letzte und einzige Vertreter der
Michelschen Schule vom Universitätslehrfach dahingegangen ist.
ach war verhältnismäßig jung in eine selbständige Stellung ge-
mmen, die er dazu benutzte, um sein eifriges wissenschaftliches
treben fortzusetzen, zu erweitern und zu vertiefen, Als Würz-
urger Assistent und Dozent hatte er. erfolgreich auf den ver-
schiedensten Gebieten gearbeitet. Auch während seiner Marburger
hat er sowohl klinische wie anatomische, pathologische, em-
tyologische und bakteriologische Arbeiten verfaßt. Mit Vorliebe
strieb er jedoch experimentelle Studien. Ganz besonders sei hier
der Begeisterung und Hartnäckigkeit gedacht, mit der er unter
Wendung einer äußerst feinen Methodik die Ursprungskerne der
"gennerven zu ergründen suchte,
i Auch als Persönlichkeit genommen hatte Bach sehr gute
senschaften. Anderseits gehörte er zu den Naturen, die unter
ortrag Laennocs aus dem Jahre 1820. Da er. sich im: Manuskript nur
‚französisch vorfidet, übertrage ich ihn: . Ä iR 3:
Geburt
b
.dem Einfluß eines starken Impulses ‚gelegentlich -däran gehindert
sind, für das beste Wollen .sofort den richtigen Weg zu finden.
Dabei ..war sein Bestreben aber stets darauf gerichtet, das Aller:
beste zu erreichen. Er hat in vertraulichen Gesprächen 'oft er-
zählt, wie sehr er an sich selbst arbeite. So wäre ihm die
Freude wohl zu gönnen gewesen, wenn er es nach einigen Jahren
hätte erleben können, daß die Durchführung seiner Vorsätze von
der erstrebten Wirkung und Anerkennung gefolgt gewesen, wäre.
Es bleibt sehr bedauerlich,. daß -dies persönliche Moment nicht -
‚mehr in der: von ihm. gewünschten Weise zur Geltung gebracht
‘werden konnte. .Auch hierin liegt eine gewisse Tragik, wie denn
das Ableben von Bach, der in der Vollkraft seiner Tätigkeit und
Arbeitsfreudigkeit, auf der Höhe seines. Könnens, gestützt durch
den Lehrerfolg und die Dankbarkeit seiner Schüler, inmitten einer
gut geleiteten Klinik von seinem Wirkungskreis und vielen un-
vollendeten Arbeiten Abschied nehmen mußte, eine durchaus :weh-
mütige Empfindung und eine traurige Stimmung hinterläßt.
E. Krückmann (Berlin).
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
i "mit genauer Quellenangabe gestattet;) 2
Berlin. In hiesigen ärztlichen Kreisen finden noch vielfach Er-
örterungen statt über die Debatte, welche der Vortrag in der Ber-
liner Medizinischen Gesellschaft vom 3. Juli 1912 betreffend
„Schwangerschaft nach künstlicher Befruchtung“ hervorgerufen
| hatte. Dies um so mehr, als bereits seit Wochen diese anscheinend
neue und doch so alte Organotherapie im weitesten Sinne des Wortes
der Tagespresse zu zahlreichen und zum Teil sensationellen Mitteilungen
Veranlassung gab. Es bleibt da immerhin bemerkenswert, daß ältere und
erfahrene Frauenärzte und Universitätslehrer, deren Diskussionsbemer-
kungen sehr‘ lesenswert erscheinen, bisher nur wenig oder gar nicht in .
die Lage kamen, das Verfahren anzuwenden und demgemäß mit Nach-
druck darauf. hinweisen, daß die altbekannte Methode des Abwartens
unter Zuhilfenahme entsprechender Maßnahmen, wie Sondierung . und
anderem mehr, auch für die Zukunft immer an erster Stelle genannt
werden. müsse. Solcher von prominenter: Stelle gesprochener Ansicht
gegenüber werden die Ergebnisse jüngerer Kollegen naturgemäß zurück-
treten, da auch in dieser Frage, wie in so vielen andern der . Medizin,
Alter und Erfahrung des Beobachtenden für ein abschließendes Urteil
den Ausschlag geben dürften. — — T o e
.— Am. 12. Juli verstarb. hior . an einer :in kurzer Zeit
sich ausbreitenden Tuberkuloseerkrankung im 54. Lebensjahre der. be-
kannte Kinderarzt Prof. Dr. Hugo Neumann. N, lebte seit
88 Jahren dauernd in Berlin, woselbst er auch seine Studien gemacht
hatte und mehrere Jahre hindurch Assistenzarzt am Krankenhause Moabit
gewesen war. Im Jahre 1897 .errichtete N. aus eignen Mitteln das große
Kinderhaus in der Blümenstraße. Neben dieser hervorragenden organisa-
torischen Begabung, war N. auch seiner wissenschaftlichen Arbeiten
wegen hochgeschätzt. Seine. „Behandlung der ‚Kinderkrankheiten“,
in Form von Briefen. abgefaßt, zeichnet sich durch große Prägnanz
des Ausdrucks aus, wobei N. auch anderseits sein besonderes Lehrtalent
zum Ausdruck brachte, indem er nichts voraussetzte und in den hier
mitgeteilten Rezepten mit einer Genauigkeit vorging, wie wir sie selten
bei gleichartigen Werken vorzufinden gewohnt sind. Zu allgemeinem
Bedauern ‚konnte eine solche Ausbreitung der sozialen, klinischen und
‚literarischen Tätigkeit nur auf Kosten der Gesundheit erfolgen, und so
war es in letzter Linie Ueberarbeitung, die den noch im rüstigen Mannes-
alter stehenden Arzt auf das tödliche Krankenlager warf. =: R,
` — Hier starb im Alter von 74 Jahren der Leiter des
Augenheims für die Provinz Brandenburg, Geh. Sanitätsrat Dr. Katz,
ein Schüler Graefes, an dessen Klinik er später auch als Assistent
wirkte, Geheimrat K. gab schon vor längerer Zeit seine Privatpraxis
auf und widmete sich gänzlich den augenkranken Kindern seiner Anstalt,
-~ — Die am 28. Juli 1910 in Paris begründete „internationale.Gesell-
schaft für Kinderheilkunde“ lädt ein L internationalen Kon-
sreß in Paris vom 7. bis 10. Oktober 1912. Als Hauptthemata
aind festgesetzt: Die Anämien und die akuten Poliomyelitiden im Kindes-
glter.. Zu offiziellen Referenten sind Czerny (Straßburg) für Deutsch-
land, Tizier für Frankreich, Jemma für Italien ernannt, neben
zahlreichen Vortragenden aus Amerika, Belgien, England, Holland, -
Oesterreich-Ungarn, Rußland, Spanien usw. Lebhafteste Beteiligung der
deutschen Kinderärzte wird sehr gewünscht. Anmeldungen ‘von Vor-
trägen, die bis zum 1. Oktober -im Manuskript einzureichen sind, werden
bis zum 31. August erbeten an. Dr. H. Barbier, Paris, rue de Mon-
ceau 5, der jede Auskunft erteilt. Die französischen Eisenbahnen werden
vermutlich 50°%0 Preisermäßigung gewähren. Nähere Mitteilung erfolgt
demnächst an dieser Stelle. —— ` o> > f
—. . Für den. sechsten internationalen Kongreß für
shilfe und Gynäkologie, der vom 9. bis 18. September in
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1220 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 29.
Berlin unter dem Präsidium von Geh. Rat Bumm stattfindet, ist nun-
mehr das Programm ausgegeben. Die Eröffnungssitzung findet am 9. Sep-
:tember, 11 Uhr vormittags, im Heorrenhause statt. Am 10. September
ist die erste wissenschaftliche Sitzung, in der über das Thema „Die
peritoneale Wundbehandiung“ in 14 Vorträgen verhandelt wird.
Zu diesem Thema haben sich zwölf Referenten und 15 Diskussionsredner
gemeldet. Am 11. September kommt das zweite Hauptthema „Die
chirurgische Behandlung der Uterusblutungen in der Gravi-
dität, in der Geburt und im Wochenbett“ zur Beratung; am
12. September finden Einzelvorträge statt; der 13. September ist für De-
monstrationen reserviert. Mit dem Kongreß wird eine wissenschaftliche
Ausstellung verbunden sein. a
Berlin. Eine Uebertragung von Lungentuberkulose
findet beim Gebrauche von Fernsprechapparaten nicht statt.
Die ist das Ergebnis verschiedener Versuche in England und Amerika.
Der Londoner Bakteriologe Dr. Spitta hat auf Veranlassung des briti-
schen Generalpostmeisters neuerdings entsprechende Versuche angestellt.
Die Mundstücke gewöhnlicher Sprechapparate wurden ausgewaschen und
mit der Flüssigkeit von Meerschweinchen geimpft. Dann wurden Fern-
sprechapparate in Krankensälen angebracht, wo sie ausschließlich von
Lungenkranken benutzt wurden. Während des ganzen Jahres 1911
hat man die Apparate weder gereinigt noch desinfiziert. Auch hier
ergab der Tierrersuch keine Ansteckung. Vor kurzem erst ist eine
Untersuchung der amerikanischen Regierung zu demselben Ergebnis
gekommen.
— Kein unversteuerter Aether in Privatkliniken.
Aether wird zur Reinigung ärztlicher Instrumente, zur Desinfektion der
Haut, zur Narkose und dergleichen benutzt. Privatkliniken, Sanatorien
und ähnliche Privatanstalten hatten bisher vielfach die Erlaubnis, solchen
Aether zu verwenden, der aus steuerfreiem Branntwein hergestellt ist.
Reichsschatzamt und Finanzminister sind übereingekommen, daß dies nicht
zulässig ist. Steuerfreier Aether darf zwar innerhalb gewerblicher Be-
triebe, aber in diesen Betrieben nicht zu gewerblichen Zwecken im Sinne
der Branntweinsteuer-Befreiungsordnung Verwendung finden.
Marburg. Am 9. Juli verschied zu Oberstdorf in Bayern der
ord. Honorarprofessor unserer Universität, Dr. Joseph Disse,
erster Prosektor des Anatomischen Instituts. D., ein Schüler I. von
Gerlachs in Erlangen und späterhin Assistent bei Waldeyer, folgte
1880 einem Ruf als Professor an die Universität Tokio und habilitierte
sich, von dort zurückgekehrt, in Göttingen. Im Februar 1894 wurde er
Professor ao. daselbst, kam dann zu Ostern desselben Jahres nach Halle
und 1895 nach Marburg.
Würzburg. Gebeimrat Exzellenz Prof. Dr. Wilhelm Olivier
v. Leube überwies seine über 1100 Bände enthaltende Bibliothek durch
Schenkung der hiesigen medizinischen Klinik. Ebenso hat der verstorbene
ord. Professor der Anatomie, Dr. Philipp Stoehr, seine Bibliothek
letztwillig dem Anatomischen Institut vermacht. Weiterhin hat Dr. Joseph
Schneider, Augenarzt in Milwaukee, 'in Erinnerung an seine
Studienzeit an der Würzburger Universität und in dankbarem Angedenken
an zwei Wohltäterinnen, die ihm die Durchführung seiner Studien er-
möglichten, der Universität ein Kapital von 100 000 M behufs Errichtung
einer Stiftung zur unentgeltlichen Behandlung und Verpflegung dürftiger
weiblicher Augenkranker in der Universitäts-Augenklinik überwiesen.
Auch ein in Traunstein am 22. Mai 1911 verstorbener Herr vermachte
letztwillig der Universität zum Zweck von Stipendien für arme Studie-
rende der Medizin, Naturwissenschaften, Geschichte nnd Philologie aus
dem Kreis Unterfranken eine Summe von 30 000 M unter der Bedingung,
daß sein Name nirgend erwähnt wird.
= München, In der hiesigen Universitäts-Frauenklinik hat
vor kurzem eine weiße Erstgebärende Zwillingsmädchen geboren, von
denen das eine schwarz, das andere weiß war. Der Vater der Kinder
ist Neger. Der Fall erregte in Münchener wissenschaftlichen Kreisen
großes Interesse. Leider erfahren wir dabei nicht, ob die Conception
der Mutter auf künstliche Befruchtung zurückzuführen ist.
Friedrichroda. Das 25 jährige Jubiläum des weit bekannten
Badearztes Geb. Sanitätsrat Dr. Kothe zu Friedrichroda fand einen
trefflichen und festlichen Ausdruck in der Wiedereröffnung seines völlig
umgebauten und vergrößerten Sanatoriums, das als erste Anstalt des
berühmten Kurorts mit Recht auch dessen Namen führt. Dieses Sans-
torium zählt mit zu den schönstgelegenen Heilanstalten Thüringens. Die
sanitären Einrichtungen stehen auf der Höhe der Zeit und sind in
Friedrichroda jetzt nahezu unerreicht. Elegante Gesellschaftsräume ver-
einen die Gäste, die alle der Wohltat familiären Verkehrs und einer
individuellen Behandlung sich erfreuen.
Madrid: Die Typhus-Epidemie des letzten Winters, durch die ins-
besondere der von einem großen Teil der deutschen Kolonien bewohnte
Stadtteil heimgesucht wurde, ließ den Mangel eines deutschen Kran-
kenhauses hierselbst als sehr bedauerlich empfinden. Mit Genugtuung
wurde daher die von der Gattin des Botschafters, Frau Prinzessin von
21. Juli.
‘Ratibor, ausgegangene Initiative zur Gründung eines deutschen Kranken-
heims begrüßt. Ein zu diesem Zwecke im deutschen Klub im Ver-
ein mit den Oesterreichern und Schweizern veranstalteter Bazar er-
gab eine beträchtliche Summe. In der Ansicht, daß sich auch weitere
Kreise in Deutschland für die Angelegenheit interessieren, es sei noch darauf
hingewiesen, daß freiwillige. Beiträge an die Deutsche Ueberseebank,
Berlin, oder die Banco-Aleman-Transatlantico (Madrid) zu richten sind.
„Königsberg i. Pr. In der hiesigen Universitäts-Ohrenklinik und
Poliklinik wurde eine Abteilung für akustisch-phonetische Untersuchungen
geschaffen, welche unter Leitung von Dr. Sokolowsky stehen soll.
- Gießen. Der Landtag bewilligte den Neubau einer orto-laryngo-
logischen Klinik. | ee =
‚ Im Verlage von Urban & Schwarzenberg (Berlin und Wien) er-
schien ‘soeben Prof. Dr. F. Zinsser (Lindenburg-Köln), Syphilis und
sypbilisähnliche Erkrankungen des Mundes. Preis M 17.50.
Während der Text dieses eine Reihe einzelner besonders prägnanter Fälle
behandelnden Atlas in den kurz mitgeteilten Krankengeschichten stets
auf den Ausfall der Wassermannschen Reaktion Rücksicht nimmt,
bieten die dazugehörigen Abbildungen Bildwerke von solcher Vollkommen-
heit, wie sie uns selten bisher begegnet ist. Gerade dieser Umstand
aber erhebt das Werk zu einem äußerst instruktiven Handbuche für
Aerzte, Zahnärzte und Studierende, als welches es auch vom Autor ge-
dacht wurde. nun |
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~ _ Hochschulnachrichten. Bonn a. Rh.: Dr. phil. Johannes
Fitting. Direktor der Hamburger botanischen Staatsinstitute, erhielt
einen Ruf als Nachfolger Prof. Straßburgers an die Universität Bonn.
Prof. F., der im 35. Lebensjahre steht, war früher Assistent am Tübinger
botanischen Universitätsinstitut, folgte 1908 einem Rufe nach Straßburg
und bekleidet seit Herbst 1911 die Stellung in Hamburg. — Heidel-
berg: Prof. Krehl, Direktor der Medizinischen Klinik, lehnte den
Ruf nach München als Nachfolger J. von Bauers ab. — Tübingen:
Prof. von Romberg erhielt einen Ruf als Nachfolger J. von Bauers
nach München. — Würzburg: Dr. phil. und med. Ferdinand Flury
habilitiert für Pharmakologie. Prof. August Fischer nahm den Ruf
nach Freiburg als Direktor des Anatomischen Instituts an. — Straß-
burg i. E.: Prof. Ernst Hertel gedenkt dem Rufe nach Marburg als
Nachfolger von Prof. Bach keine Folge zu leisten. — Wien:
Dr. Richard Volk habilitiert für Dermatologie und Syphilis.
Von Aerzten und Patienten.
Der Torso vom Belvedere.
Geheimrat Hasse, der bekannte Breslauer Anatom, hat eben
in Gemeinschaft mit dem Bildhauer Paul Schulz eine Arbeit vollendet,
die von großer kunstgeschichtlicher Bedeutung ist. Geheimrat Hasso,
der sich in seinen Mußestunden selbst gern mit der edlen Kunst der
Bildhauerei beschäftigt, führte nämlich den Nachweis, daß der mächtige
Torso vom Belvedere in Rom, der bisher durchgängig als Herkules
aufgefaßt worden war und als solcher Goethe und Winckelmann be-
geisterte, nicht den griechischen Halbgott, sondern eine ganz andere
Gestalt der Mythologie darstellte. Es ist kein Zufall, daß hierin der
Anatom das letzte Wort zu sprechen hatte und nicht der zünftige Ar-
chäologe. Denn die antiken Meister haben jedes einzelne Glied so genau
nach der Natur gebildet, daß es dem medizinischen Fachmanne möglich
ist, ein verstümmeltes Kunstwerk mit einem hohen Grade von Wahr-
scheinlichkeit in seiner ursprünglichen Form wieder herzustellen. Die
Rekonstruktion des Torsos ergab, daß er zu der Statue eines Polyphem
gehörte, der, am Foelsenufer sitzend, dem Gesange seiner geliebten Galateja
lauscht. Der Riese Polyphemos ist jedem Primaner aus der Odyssee be-
kannt, wo in einem köstlichen Gesang erzählt wird, wie Odysseus in die
Gewalt des ungeschlachten Menschenfressers gerät, aber durch seine
raffinierte List der Gefahr entrinnt, mit Haut und Haaren verspeist zu
werden. ‚Daneben gab es den Mytbus von der Liebe des Polyphem zu
der niedlichen Nymphe Galateia. Und die Spätzeit, die jede Pikanterie
mit Vergnügen. aufgriff, hat immer wieder geschildert, wie der gewaltige
Cyklop, von der Liebe zu dem zierlichen, frechen Wasserfräulein gequält,
in allerhand komische Situationen gerät. So ist er auf mehreren Wand-
gemälden in Pompeji dargestellt und auch der Torso von Belvedere hat,
wie wir jetzt wissen, den armen Riesen bei seinem galanten Abenteuer
wiedergegeben. Die Statue ist ein Werk des späthellenischen Meisters
Apollonios, der im zweiten vorchristlichen Jahrhunderte lebte und stellt
eines der großartigsten Ueberbleibsel altklassischer Kunst dar. ,
Das von Geheimrat Hasse in der bezeichneten Art rekonstruierte
Werk soll auf Anordnung des Kultusministeriums hin fortan in der Bres-
lauer Anatomie Aufstellung finden. Es sei an dieser Stelle noch bemerkt,
daß Geheimrat Hasse sich bereits früher viel und nicht ohne Erfolg mit
der Rekonstruktion antiker Bildwerke (Venus von Milo) beschäftigt hat.
Breslauer Generalanzeiger vom 10. Juli 1912.
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Terminologie. Auf Seite 21 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittönfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8.
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Nr. 30 (899). 28. Juli 1912.
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von
Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
ni Berlin E Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: S. Ehrmann, Ueber Syphilisreste in den Geweben und ihre prognostische Bedeutung. Fr. Lange, Ueber Indikationen
zur Eröffnung des entzündlich-erkrankten Labyrintbes. E. Stoerk, Zur klinischen Diagnose der hypoplastischen Aorta bei Lymphatikern. A. Strubell,
Ueber den Einfluß balneotherapeutischer Maßnahmen, besonders des Wechselstrombads auf das Herz und die Form des Elektrokardiogramms, sowie
über die Bedeutung des Elektrokardiogramms für die Klinik der Herzkrankheiten. M. Gockel, Sind bei der chronischen Stauungsinsuffizienz des
Magens die gebräuchlichen häufigen Spülungen und Ausheberungen entbehrlich? Ide, Ueber den Einfluß des Seeklimas auf den Blutkreislauf.
A. Pulawski, Jod und Thyreoidin als Ursache der Basedowkrankheit bei Kropfbehandlung. G. Ritter, Tod in Lokalnarkose H. Arndt, Ein
neuer Beinverband. H. Feilchenfeld, Der Verband in der Augenheilkunde. Krieg, Kolloide und Mineralquellen. — Aus der Praxis für die
Praxis: E. Barth, Otologie: Die chronische Mittelohreiterung. — Beferate: L. Langstein und A. Bönfoy, Aus dem Gebiete der Pädiatrie.
Horz-' und Lungenerkrankungen beim Kinde. H. Pringsheim, Desinfektion und Sterilisation nach neuen Versuchen II. — Diagnostische und
therapeutische Einzelreferate: Herkunft des diphtheritischen Antitoxins. Methylalkohol. Bromausschlag bei ‘einem Säulinge. Sonnenblendung.
- Feuchte und trockene Inhalation. Polygonum hydropiper bei inneren Blutungen. Herabsetzung des Geburtsschmerzes. Salvarsan., Punktion. eines
Herzbeutelexudats. Schwere Fälle von Spasmophilie. Schwere puerperale Eklampsie, Behandlung der Tendovaginitis crepitans mit Fibrolysin.
Toxicodermien. Pituitrin. Glutannin. — Neuerschieneno pharmazeutische Präparate: Narcophin. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik:
Centrifugenglas mit eingeschliffener Pipette. — Bücherbesprechungen: G. Flatau, Sexuelle Neurssthenie. E. Engelhorn, Schilddrüse und
weibliche Geschlechtsorgane. J. Bresler, Deutsche Heil- und Pflegeanstalten für Psychischkranke in Wort und Bild. Verhandlungen der Vereinigung
‚der Lungenheilanstaltsärzte auf der VI. Versammlung zu Düsseldorf am 3. und 4. September 1911. E. v. Gierke, Grundriß der Sektionstechnik.
A. Schlenzka, Die Goldschmidtsche Irrigationsurethroskopie. W. Spalteholz, Ueber das Durchsichtigmachen von menschlichen und tierischen
Präparaten. Nebst Anhang: Ueber Knochenfärbung. M. Böhm, Leitfaden der Massage. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Ver-
sioherungswesens: Wilde, Einige allgemeine Gesichtspunkte bei der Beurteilung von Unfallfolgen. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige
"Berichtes 10. Internationale Tuberkulosekonferenz. Rom, 10. bis 14. April 1912. Basel. Frankfurt a M. Marburg. Stettin. Straßburg. Berlin.
— Rundschau: Rheins, Ueber die Nervosität unserer Zeit. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Ver-
‚urteilung einer Hebamme wegen fahrlässiger Tötung (infolge Zurücklassung von Nachgeburtresten). — Schulhygiene. — Aerztliche Briefe: Zürich.
— Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Ueber Syphilisreste in den Geweben und ihre
prognostische Bedeutung‘)
von
Prof, Dr. S. Ehrmann, Wien.
‚. M.H.! Es ist schon älteren Forschern nicht unbekannt ge-
blieben, daß an Stellen, wo syphilitische Affektionen der
Primär- oder der Sekundärperiode gesessen haben, lange
Zeit nach ihrem anscheinend vollständigen Ver-
schwinden sich neuerdings typische syphilitische
Produkte entwickelten, die teils den Charakter der
primären, teils der sekundären, teils der tertiären
Syphilis aufwiesen.
Es ist namentlich lange bekannt, daß an Orten, wo Initial-
afekte saßen, die für die rein klinische Betrachtung als
geheilt anzusehen waren, nach Monaten, selbst nach Jahren
Sich neue Indurationen mit der für den Initialschanker
Sie werden als Sklerosis redux oder als Reinduration
szeichnet. Weniger bekannt war es, daß die von Initial-
&klerosen ausgehenden Lymphgefäßindurationen in Form
von Binzelsträngen oder Netzen nach ihrem, für die Palpa-
tion vollständigen Schwund sich wieder restituieren können.
Ih meiner Sklerosenarbeit?) habe ich darauf hingewiesen,
ab drei Jahre nach dem Schwund der indurativen Lymphan-
Bitis, sich genau dieselben Getäße und Gefäßnetze wieder
typischen scharfen Begrenzung und Erosion neugebildet haben.
ZU sklerosierten Strängen umwandeln können. Was uns
u und pathologisch gleicherweise interessiert, das ist
= Umstand, daß die Reinduration genau den Charakter
er Initialsklerose hat, daß ihre Form nicht der irgend-
einer beliebigen Anschwellung entspricht,
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Wr > Vortrag, en in der wissenschaftlichen Versammlung des
eüizinischen oktorenkollegiums am 5. Februar 1912,
) Archiv f. Derm, und Syphil. 1903, 1906,
Um dies zu verstehen, müssen wir uns vergegen-
wärtigen, daß‘ die Initialsklerose in der Weise ent-
steht, daß die bei der Inokulation in das Gewebe
eingedrungenenSpirochäten durch dieGewebsinterstitieniin
die Lymphgefäße gelangen. Auf dem Wege erzeugen
sie eine Wucherung der Blutcapillaren und der Binde-
gewebszellen, dann eine Leukocytenauswanderung aus den
neugebildeten Gefäßen, welche die Lymphbahnen mit
einem Infiltratmantel einhüllt und der dann längs der
großen Lymphgefäße sich weiter fortsetzt. Das Virus
gelangt zunächst in den Lymphbahnen fortschreitend all-
mählich in die Blutbahn, vermehrt sich dort, kommt in die
einzelnen Gefäßbäumchen, die Generalisierung der Syphilis
und das Hautexanthem bewirkend. z
| Bei den sekundären Affektionen, den Exan-
themen, kommen demnach die Spirochäten aus den
Blutgefäßen in das Gewebe.
tion kommen sie umgekehrt aus den Gewebsinterstitien
in die Lymphgefäße und dies bewirkt die eigentümliche
Form der Initialsklerose, durch welche sie sich von
‚sekundären und tertiären Produkten unterscheidet.
Untersucht man lange Zeit nach der Abheilung einer
Sklerose ausgedehntere Sklerosennarben, so findet man auch
nach Monaten noch an den Lymphgefäßen Haufen von
Leukocyteninfiltrat um reichliche Reste des noch
von der Sklerose herrührenden, dieses Infiltrat durch-
setzenden Capillarnetzes. Und selbst wenn man nur klinisch
die Sklerose weiter verfolgt, gelingt es in vielen Fällen, in
der Tiefe ganz kleine Knötchen oder kurze Stränge
unterhalb der Sklerosennarben zu finden, die nichts anderes
sind als Infiltratreste um Lymphgefäße. |
Vor Jahren konnte ich bereits darauf hinweisen, daß
diese Fälle durch ungemein zahlreiche Rezidiven ausge-
zeichnet sind und dies um so länger, je länger diese
Bei der Primärindura-
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1222 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
Sklerosenreste nachzuweisen sind. Sie sind es zweifellos,
von welchen die Reinduration, das Wiedererstehen
der Initialsklerose in der ursprünglichen Form: ausgeht.
Von ihnen gehen aber auch Spätformen der Lues aus, und
zwar sowohl sekundäre: als tertiäre lokalisierte Affektionen.
Wir haben ja in vielen Fällen zwischen dem primären
und sekundären Stadium ein intermediäres. Bekanntlich
erscheint das Exanthem in der achten bis neunten Woche
nach der Iniektion, entfernt von der Initialsklerose, meistens
zuerst an den Seitenteilen des Stammes, um sich dann auf
die oberen und unteren Extremitäten und auf den Kopf zu
verbreiten, als Ausdruck der allmählichen Durchsetzung der
Blutmasse mit Spirochäten. Aber um den Primäraffekt
sieht man zuweilen schon in der sechsten und siebenten
Woche einen Kranz von sekundären, meistens schuppenden
papulösen Syphiliden, seltener von breiten Kondylomen,
deren Entstehung Lang auf Wanderung des Virus in den
Gewebsinterstitien bezieht. Da jedoch die Papel einem
kleinen Blutgefäßbaum entspricht, so müssen die Spirochäten
auf kurzem Weg aus den G&websinterstitien in die Blutgefäß-
stämmchen gekommen sein und hier ein lokales, postınitiales
Syphilid unabhängig von den in der Blutmasse befindlichen
Erregern erzeugt haben. Dieses. postinitiale Syphilid bleibt
auch noch, wenn die Sklerose für die äußere Betrachtung
vollständig resorbiert ist.
Aber auch nach Jahrzehnten entwickeln sich noch an der
ursprünglichen Infektionsstelle Produkte der tertiären
Syphilis, subeutane Knoten, die im Centrum verkäsen und
nach außen peıforieren, also klinisch und anatomisch von
der Initialsklerose ganz verschieden sind. Daß sie auf Reste
des Virus zu beziehen seien, ist wohl kaum zu bezweifeln.
Die große Anzahl von diesbezüglichen Beobachtungen, über
die wir bis jetzt verfügen, läßt einen kausalen Zusammen-
bang mit dem Initialaffekt nicht bezweifeln!). Wir werden
später sehen, daß auch in den Lymphdrüsen, deren An-
schwellung den Initialaffekt begleitet, sich Gummen ent-
wickeln, die ja echte syphilitische Produkte sind, aber auf
einem durch Gewebsumstimmung veränderten Boden entstehen
(Demonstration).
Wir wollen nun die einzelnen Gewebe durchgehen, in
welchen man resistierende Reste des sypbilitischen Virus zu
neuem Leben erwachen sehen kann. Am aulfälligsten sind
gewiß die Erscheinungen auf der Haut. Wie ich schon
sagte, treten im sekundären Stadium der Syphilis die Spiro-
chäten durch die Wand der Blutgefäße in das umgebende
Bindegewebe und in die Epidermis aus, das erstere trifft
hauptsächlich in makulösen, das zweite vorwiegend in den
papulösen Formen zu, denen ja dieses Stadium den von
H. v. Zeißl gegebenen Namen „kondylomatöses Stadium“ ver-
dankt. Wir wissen, daß sie hier zweifellos zugrunde gehen,
zum größten Teil — wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher
— dureh Antikörper, die ihre im Blute frei werdenden Endo-
toxine im kranken Organismus erzeugen, sicher aber zum
Teil dadurch, daß die Zellen des Bindegewebes sowohl, wie
die ausgewanderten Leukocyten, die Spirochäten in sich
aufnehmen und vernichten. Das kann man an geeigneten
Präparaten bestimmt seben. Auch die Endothelzellen der
Gefäße selbst besitzen die Eigenschaft, Spirochäten in sich
aufzunehmen und sie zum Teil zu vernichten (Phagocytose
nach Metschnikoff). Wahrscheinlich bleiben aber hier
Folgezustände im Gewebe und Spirochätenreste zurück, die
bei geeigneter Gelegenheit, über die wir gleich sprechen
werden, zu syphilitischen Rezidiven ganz eigentümlicher Art
Veranlassung geben. Beim Schwund der Syphilide kann
man an geeigneten Präparaten sehen, daß einzelne Spiro-
chäten, die aus den Gefäßen in das umgebende Gewebe
ausgetreten waren, nicht zerfallen, sondern zum Teil wieder
1) Ich selbst verfüge über neun im Laufe von 25 Jahren beob-
achtete Fälle, in denen ich sowohl Sklerose als nachträglich das Gumma
gesehen habe, darunter zwei Fälle auf der Hand.
in die abführenden Lymphbahnen gelangen, zuweilen auch in
die Lymphbahnen, welche die Hautnerven umgeben, und wir
werden uns mit ihrem Schicksal später weiter beschäftigen.
.. Zunächst führen sie zu der in der letzten Zeit wieder
unter dem Namen Pseudoschanker vielfach beobachteten
und beschriebenen Erscheinung. Ich habe bereits im Jahre
1898 im Wiener medizinischen Klub einen Fall vorgestellt,
bei welchem im Sekundärstadium am Skrotum, und zwar
auf einer Stelle, auf der früher der Initialaffekt nicht ge-
sessen hat, ein der Initialsklerose vollständig ähnlicher Affekt
eventuell aus einem frischen papulösen Infiltrat sich entwickelt
hatte. Ich deutete ihn so, daß — anatomisch konnte man
es nachweisen — hier nachträglich ein Infiltrat um die
Lymphgefäße entstanden war, wie ich vermutete dadurch,
daß das (damals noch unbekannte) Virus, nachdem es die
Blutgefäße verlassen hatte, in die Spalträume des Gewebes
und dann in die Lympbgefäße kam und daselbst die-
selben Veränderungen bewirkte, wie das bei der Inokulation
direkt in die Bindegewebsspalten und in die Lymphgefäße
gelangte!). Dieselbe Erscheinung wurde neuerdings von
Friboes und Andern nach Injektion mit Salvarsan beob-
achtet. Sie erfuhr etwa folgende Deutung: Durch die Injektion
von Salvarsan würden so viele Spirochäten zerstört und
soviel Endotoxine frei, daß alle Schutzkörper gebunden
sind und ihre Wirkung auf die noch in einzelnen Depots
zurückbleibenden Spirochäten aufhört. Die Folge davon ist, ~
daß sie wiederum zu wuchern anfangen und wie im Beginn
der Syphilis einen, dem Initialschanker ähnlichen Affekt
bilden. Die Bedingung für das Entstehen des Pseudo-
schankers wäre aber, wie ich seinerzeit postuliert habe, daß
diese Reste gerade im Lymphgefäßsystem aufbewahrt
werden’).
Ich sagte vorhin, daß die Spirochäten von Zellen des
Endothels und der Intima ebenfalls aufgenommen und zum
Teil wenigstens aufgezehrt werden. Wir beobachten dies an
den Lymphgefäßen und an den Blutcapillaren, sowie an den
Venen des Initialaffekts, aber auch an den Capillaren und
Venen des sekundären Exanthems. Durch die Aufnahme
der Spirochäten seitens der Zellen wurden aber nicht bloß
die Spirochäten verändert, sondern auch die Zellen; sie
fangen an zu wuchern, das Gefäßlumen wird verengt, es
springen in das Lumen knospen- und balkenförmige Gewebs-
wucherungen vor, es entsteht mit einem Wort eine pro-
hibierende Endolymphangitis, Endophlebitis, Endarteritis.
Dies letztere läßt sich besonders nach großmaculösen
Syphiliden feststellen, die durch ihre enorme Tendenz zu
Rezidiven sich auszeichnen und die besonders bei Individuen
sich einstellen, deren peripheres Gefäßsystem in Form einer
Livedo oder Cutis marmorata von Haus aus eine gewisse Labl-
lität zeigt. Bei solchen Personen kann man mit der Zeit
eigentümliche livide, baumförmige und netzförmige Zeich-
nungen mit erhöhten Centralästen beobachten, die sich nicht
wie eine Cutis marmorata verstreichen lassen und die bei
der mikroskopischen Untersuchung eine deutliche, oft bis
nahe zur Obliteration des Lumens führende Endarteriitis
des tiefen, arteriellen Hautnetzes zeigen. Ich habe
diese als Livedo racemosa schon vor Jahren bei Spätluetikern
beschrieben und seit der Erfindung der Wäassermann-,
Neißer-Bruckschen Reaktion in vier Fällen, bei welchen
die Lues in der Anamnese nicht bekannt war, die Kom-
plementablenkung komplett positiv gefunden. Bel zwel
Frauen habe ich dann nachträglich festgestellt, daß deren
Ehegatten früher an Lues erkrankt waren. Und gerade bel
den maculösen Syphiliden, aus denen die Livedo racemosa
hervorgeht, sind die Gefäße der Flecke oft von einem förm-
lichen Filz von Spirochäten erfüllt und deutliche Phago-
eytosen an den Endothelzellen zu sehen.
1) Wr. kl. Woch. 1898.
2) Daß sie gerade hier sich erhalten, wenn sie überall zugrunde
gehen, bedarf ja noch einer besonderen Erklärung.
8. Juli | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. M 1923
Man kann in gewissen Fällen direkt den Uebergang
des großmaculösen Syphilids in die baumförmigen Zeich-
nungen der Livedo racemosa — zu verschiedenen Zeiten —
verfolgen. m | |
Die anatomischen Untersuchungen Virchows haben im
Zusammenhalt. mit den--klinischen Erfahrungen dazu geführt,
die Lymphdrüsen als Depots von syphilitischem Virus an-
zusehen. In den regionären Lymphdrüsen, die sich ja
bekanntlich an den Initialaffekt anschließen und welche die
auf dem Wege der zuführenden Lymphgefäße hereingebrachten.
Spirochäten beherbergen, kann man ebenso wie in den in-
‘durierten Lymphsträngen gewisse Modifikationen der Spiro-
chäten sehen, die ich als Degenerationserscheinung ansehe
und die möglicherweise persistierende Formen sind. So wie
nun in’loco des Primäratiekts nach Jahren und Jahrzehnten
sich Gummen entwickeln, so beobachtet man dies gelegent-
lich auch aù den dazugehörigen regionären Lymphdrüsen,
Gummen, die zuweilen jahrelang — weil oft die Infektion un-
bekannt ist — für skrofulöse Drüsenabscesse angesehen wer-
den. Solche sah ich bei einem .19jährigen Patienten'), bei
dem nachträglich unzweifelhaft festgestellt werden konnte,
daß.er von’der Amme infiziert worden war, wovon in der
Familie nur ein einziges überiebendes, älteres Mitglied Kennt-
nis hatte, was aber vom behandelnden Arzt aus seinem Pro-
tokoll bestätigt wurde. Ein anderer Fall war ein bekannter
Wiener „Athlet“, der zur Zeit derInfektionvon einem bekannten
Wiener Antimercurialisten behandelt worden war, elf Jahre
später an einer chronischen zerfallenden, inguinalen Drüsen-
alfektion erkrankte, die lange als Bubo behandelt wurde, und
erst, als ich ihm auf den Kopf zusagte, er müsse Syphilis
gehabt haben, die oben. erwähnte Anamnese gab?).
- Viel interessanter sind die Späterkrankungen der
Lymphdrüsen im sekundären Stadium. Wie die regio-
nären Drüsen erkranken, ist ziemlich leicht zu verstehen;
etwas komplizierter ist die Erkrankung der Lymphärüsen im
Sekundärstadium zu verstehen, die ja, wie man weiß, in der
sechsten bissiebenten Woche postinfectionem entsteht, in vielen
Fällen aber erst nach dem Ausbruche des Exanthems oder zu
einer Zeit, wenn dieses längst geschwunden ist. Während die
primären Lymphdrüsenerkrankungen einfach dadurch ent-
stehen, daß sie in- den Verlauf der vom Initialaffekt aus-
gehenden Lymphgefäße eingeschaltet sind und von da die
Spirochäten erhalten, kann man sich doch nicht vorstellen,
daß auf dieselbe Weise die Spirochäten erst durch alle
Lymphbahnen des Körpers durchkommen, ehe sie in die Blut-
Masse gelangen. Das war vielleicht denkbar zu einer Zeit, wo
man sich das syphilitische Virus als ein feinverteiltes, viel-
leicht gar lösliches vorgestellt hat, aber nicht jetzt, da wir
wissen, daß es sich um selbständig bewegliche, gar nicht
kleine, wenn auch zarte Gebilde handelt. Die Erkrankung
der entfernten Lymphdrüsen, die Polyadenitis, läßt sich viel-
mehr nur durch die schon erwähnte Beobachtung, welche
man im sekundären Stadium zu machen Gelegenheit hat, er-
klären. Ich sagte früher, daß bei Schwund der sekundären
Syphilide in den gewöhnlich . erweiterten abführenden
Lymphgefäßen Spirochäten nachgewiesen werden. Diese
„ommen dann wohl von den verschiedensten Körperregionen
In die. ‘zugehörigen Lymphdrüsen und können darin eine
Reaktion veranlassen, eine Anschwellung, die der primären
analog ist. Diese Anschwellung ist nicht so regelmäßig
und nicht. so stark ausgeprägt wie im primären Stadium,
weil es sich ja schon um Spirochäten handelt, die aus
“mem in Resorption befindlichen Syphilom abgeführt werden.
ser In einzelnen Fällen. wird die Drüsenanschwellung be-
trächtlicher und nähert sich der ‘des primären Stadiums
und in einem solchem Fälle konnte ich ein halbes Jahr
nach der Infektion eine, beträchtliche bis, über haselnuß-
1) Vorgestellt zehn. Jahre nach völliger Heilung in der k. k. Ge-
sellschaft der Aerzte 1902, |
) Siehe Verhandlungen der Wiener dermatolog. Gesellschaft 1892.
große Anschwellung der Spektoraldrüsen nachweisen und
in dem histologischen Präparat typische Spirochäten. In
einzelnen Fällen führt diese sekundäre Drüsenschwellung zu
‚gummösen Entartungen!). In ändern Fällen mögen von
da aus Nachschübe in die Blutbahn stattfinden und Rezidive
im Sinne Virchows veranlassen. | |
Und nun noch,- ehe ich zum zweiten Teile meiner Be-
sprechung übergehe, einige Worte über ' die Bedeutung der
Spirochäten in den peripheren Nervenstämmen. Ich
habe schon vor Jahren die gleichzeitig oder später von
‘andern Autoren ebenfalls gemachte Beobachtung veröffent-
licht, daß in die von einem ausgedehnten Initialaffekt aus-
gehenden Nerven vielfach Spirochäten eindringen, und
daran die Vermutung geknüpft, daß in jenen Fällen, wo
dies geschieht, später vielleicht die metasyphilitischen Er-
krankungen des Nervensystems, namentlich die aufsteigende
Tabes entsteht. Später fand ich in den Nerven, welche die
erweiterten Lymphgefäße der großmaculösen Syphilide be-
gleiten, ebenfalls Spirochäten und glaube nun, daß auch
da noch die Veranlassung zu den aufsteigenden Neuri-
tiden durch . die Spirochäten der Sekundärefflor6scenzen ge-
geben ist. Es bekräftigt mich darin ein Fall, der einen
Kollegen betraf, der jahrelang immer und immer rezidivie-
rende und immer wieder mit Einreibungen behandelte ma-
‚culöse Exantheme hatte, und der schließlich, allerdings nicht
an einer Metalues zugrunde ging, sondern an einem Gumma
cerebri. Wie dem auch sei, dürfte diesen Syphilisresten
eine gewisse Rolle beim Zustandekommen der Metalues und
der Syphilis cerebri zukommen, wenn auch gewiß die Be-
schaffenheit des Bodens, den sie treffen, ausschlaggebend
sein wird für die fernere Bedeutung dieses ätiologischen Faktors.
Es mag ja sein, daß nicht die in den Nerven verbleibenden
Spirochäten als solche, allein, sondern die dauernden Ver-
änderungen, welche sie bewirken, das ausschlaggebende
Moment sind. Ä
Die Tatsachen und Erwägungen, welche ich. Ihnen,
hier vorgelegt habe, müssen notwendigerweise in unserm
therapeutischen Handeln Berücksichtigung finden. Die Frage,
wie lange wir die erste Syphiliseruption behandeln sollen
und wann wir sie behandeln sollen, hier aufzurollen, würde
einen eignen Vortrag erfordern. Aber aus dem Gesagten
müssen wir das eine deduzieren, daß die erste Behandlung
zum mindesten so lange fortgesetzt werden muß, bis jede
Spur. des Initialaffekts und der von ihm ausgehenden
Lymphgefäßinduration geschwunden ist. Es wird dies oft
auch nach solchen Mengen Quecksilber noch -nicht erfolgt
sein, nach denen wir sonst selbst ausgedehnte Syphilide
schwinden sehen und selbst auf ein Mehr bleiben noch
.palpable Reste zurück. Setzt man mit der Behandlung
aus, So sieht man meist noch vor dem Ablauf des zweiten
Monats ein frisches Exanthem erscheinen. Es wird 'sich
wohl in solchen Fällen ‘empfehlen, nach Schluß einer
Schmierkur oder einer Injektionskur mit löslichen Präparaten
noch einige Injektionen von unlöslichen ‚Präparaten zu
geben, namentlich solchen, die ein Depot zurücklassen, wie
graues Oel. Nach leichter resorbierbaren, aber unlöslichen
Präparaten, wie z. B. SalicylquecksHber und Kalomel, sieht
man diese Reste oft nur sehr langsam schwinden, und
sie müssen recht lange fortgesetzt-werden, bis die Resorp-
tion erfolgt. Um ihre Anwendung längere Zeit möglich zu
machen, wird es von Vorteil sein, nach der ersten Serie von
20 Injektionen in größeren Zwischenräumen, etwa von Woche
zu Woche, noch je einen halben Kubikzentimeter einer 10°/,igen
Emulsion zu injizieren. Bei intravenöser Salvarsan-
injektion sieht man oft schon auf eine Dosis von 0,3 aus-
gedehnte Sklerosenreste schwinden und ich würde bei sonst
dazu geeigneten Patienten vorschlagen, : bei persistierenden
Sklerosenresten auf alle Fälle 1 bis 3 Injektionen von etwa
1) Einen solchen Fall stellte ich in der Dermatologischen Gesell-
schaft 1905 vor. Es handelte sich um Gumma der claviculen Drüsen.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
0,3 bis 0,4 Salvarsan zu geben. Selbstverständlich wird man
sich den Vorteil nicht entgehen lassen, durch lokale Anwen-
dung von Hg die Sklerosenreste zu beeinflussen.
Die erste Behandlung soll bewirken, daß nach Schluß
des ersten halben Jahres die charakteristische regionäre
Drüsenschwellung geschwunden und auch die allgemeine
Drüsenschwellung zurückgegangen ist. Auch dazu bedarf
es oft einer längeren Behandlungsdauer. In meinen Proto-
kollen finden sich zwei Patienten verzeichnet, die schon
nach zwei bis drei Jahren Drüsengummen zeigten, von
denen der eine zuerst mit einem kleinpapulösen Syphilid in -
Behandlung kam, sich ihr aber bald entzog, drei
Jahre später Anschwellung einer Lymphdrüse am inneren
Rande des Kopfnickers zeigte, die sich zu einem veritabeln
Gumma entwickelte. Es waren im Lauf eines Jahres
22 Sublimatinjektionen & 0,02 und 20 Injektionen von salicyl-
saurem Quecksilber à 0,05 neben Jodbehandlung nötig, bis
sich das Drüsengumma involvierte. Vier Jahre nachher sah
ich den Patienten bei vollständigem Wohlsein. j
Eine immer wiederholte, lange fortgesetzte Therapie
verlangen, wie wir sahen, die großmaculösen Syphilide der
Haut, die schon Neumann als Reproduktionsherde der
Syphilis angesehen hat, weil sie sich zu anulär fortschreiten-
den Formen umwandeln. Die daraus resultierenden Gefäß-
erkrankungen kannte er nicht. Wenn man eine Reihe von
Kranken dahin gebracht hat, sich regelmäßig vorzustellen
oder wenigstens bei jedem verdächtigen Symptom zu er-
scheinen, so staunt man über die Tenazität gerade dieser
großmaculösen Syphilide. Ich sah Kranke, die trotz regel-
mäßig durchgeführter intermittierender Behandlung immer
wieder Rezidive davon zeigten, allerdings in immer abnehmen-
der Intensität, wobei man beispielsweise, wenn solche an
der Gesäßgegend auftreten — und das geschieht sehr
häufig —, den direkten Einfluß der Quecksilberinjektion
auf das Schwinden der Syphilis lokal beobachten kann.
Merkwürdigerweise widerstehen diese Arten von Syphiliden
auch am hartnäckigsten der Salvarsaninjektion. Wir konnten
das durch alle Phasen, welche die Salvarsantherapie bisher
durchgemacht hat, hindurch verfolgen. Die meisten sehr
oft sehr frühzeitig auftretenden gruppierten Recidiviormen
haben wir bisher von dieser Syphilidform gesehen, so-
wohl bei den intramuskulären Injektionen als auch bei
den intravenösen. Diese Syphilide sind es auch, an denen
man am häufigsten die Herxheimersche Reaktion, das
heißt das quaddelförmige Anschwellen und die akute Rötung
der Syphilide einige Stunden nach der Injektion beobachten
kann. Bei ihnen wird ja die oben erwähnte Anschoppung
mit Spirochäten beobachtet und auf deren Zerfall und die
Wirkung der daraus austretenden Endotoxine wird auch
von Thalmann und Andern dieses Erythematöswerden der
Syphilide bezogen. Die Rezidive beweisen nun, daB Reste
davon in den Gefäßwänden und im perivasculären Gewebe
zurückbleiben müssen, die erst der wiederholten Behandlung
weichen. Auf Syphilisreste wird auch wenigstens ein Teil
der sogenannten Neurorezidive oder der Nervenschädigungen
durch Salvarsan bezogen. Es ist uns schon in den ersten
Wochen der Anwendung des Salvarsans ein Fall aufgefallen,
bei welchem Hörstörungen zugleich mit der erwähnten
Herxheimerschen Reaktion auf der Haut zusammenfielen.
Ich habe damals sofort angenommen, daß es sich um eine
ähnliche Anschwellung von in Knochenkanälen verlaufenden
Nerven handelt, wie die Anschwellung der Syphilide in der
Haut selbst — eine Deutung, die auch später von anderer
Seite angenommen wurde; und in letzter Zeit wird
wenigstens ein großer Teil der Erkrankungen des Vesti-
bularnerven auf ein Wiederaufflackern der Spirochätenreste
im Nerven zurückgeführt. Dafür spricht, daß wenigstens
ein beträchtlicher Teil, wenn nicht alle Erkrankungen der
Vestibularis und ein großer Teil des Opticus auf nach-
trägliche Quecksilberbehandlung zurückgeht. Haben wir
doch schon früher, wenn auch in viel geringerem Maße,
solche Nervenschädigungen bei Quecksilberkuren beobachtet,
die auf weitere Therapie zurückgingen. Bezüglich der meta-
syphilitischen Erkrankungen sind ja von vielen Seiten,
namentlich hier in Wien von Kollegen Redlich, Beob-
achtungen veröffentlicht worden, daß nach Quecksilberthera-
pie einzelne Tabesfälle in den ersten Stadien zum Stillstande
gebracht wurden. Viel wichtiger erschiene mir, zu verhüten,
daß Tabessymptome überhaupt sich einstellen. Daß sie mit
den im Nervensystem befindlichen Spirochäten in Zusammen-
hang stehen, dafür spricht unter anderm auch ein Fall, der
einen Kollegen betraf, bei dem nach einer extragenitalen
Infektion am Ohrläppchen ein Exanthem von maculo-
papulöser Form erschien und zu gleicher Zeit Neuritiden mit
tabischen Symptomen, das heißt Ataxie und Erlöschen der
Reflexe, Symptome, die wieder zurückgingen, nachdem eine
wiederholte und energische Injektionstherapie vorgenommen
wurde. Wie es weiter mit ihm bestellt ist, weiß ich nicht, aber
zweifellos konnte damals der Prozeß in den ersten Stadien
beeinflußt werden. Und dies alles bestärkt mich in der Ueber-
zeugung, daß, wo es nur angeht, die Syphilis intermittierend,
allerdings auch individualisierend, nach den speziellen Um-
ständen und sonst nach der Beschaffenheit des Kranken
durchzuführen ist.
Abhandlun gen.
Aus der Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke der
Universität Greifswald.
Ueber Indikationen zur Eröffnung des entzünd-
lich erkrankten Labyrinths
Prof. Dr. Lange.
Die letzten Jahre haben in der otologischen Literatur
eine Fülle von Arbeiten über die Anatomie, Physiologie,
Pathologie und Therapie des inneren Ohres gebracht. Insbe-
sondere ist die operative Behandlung vielfach erörtert worden.
Die Durchsicht der Arbeiten zeigt nun, daß die Fragen nach den
Indikationen und Operationsmethoden noch keineswegs über-
einstimmend beantwortet werden. Eine Zeitlang schien es,
als sollten die Fortschritte in der Kennntnis der Funktion
insbesondere des Vestibularapparats und ihre exakteren
Prüfungsmethoden auch für die Therapie ganz neue Gesichts-
punkte eröffnen. Gerade für die operative Behandlung
glaubte man neue Indikationsstellungen daraus herleiten zu |
können. Diese Hoffnungen haben sich als übertrieben heraus-
gestellt. Die Bedeutung dieser Prüfungsmethoden liegt
vorwiegend auf physiologischem Gebiete. Manches Labyrinth
ist auf Grund nur funktioneller Prüfungen eröffnet worden,
das man ohne Schaden für den Patienten hätte in Ruhe
lassen können.
Für die Beantwortung der Frage nach den Indikationen
sind die klinischen Erfahrungen an operierten und geheil-
ten Fällen nur mit größter Vorsicht zu verwenden. Es ist viel-
fach überhaupt nicht möglich, zu sagen, ob infolge oder trotz
der Eröffnung die Heilung eingetreten und die gefürchtete
Komplikation ausgeblieben ist. Sicher ist, daß wir durch die
Operation auch die beginnende Lokalisation im Labyrinth ver-
eiteln und die Weiterverbreitung nach dem Schädelinnern
befördern können. Aber die aktive operative Therapie hat
uns doch gelehrt, daß die planmäßige Eröffnung selbst
in großer Ausdehnung nicht die Gefahren birgt, die man
früher in jeder Labyrintheröffnung sah. Das ist natürlich
wertvoll zu wissen und wird uns vor allzu ängstlicher Vor-
sicht bewahren.
DT ——
28. Juli. |
1912 — MEDIZINISCHER KLINIK — Nr. 30, ar 1225
ne U el nn an ann a E E
<. Eş sind vielmehr die Fortschritte in der Kenntnis.der
pathologischen Anatomie des. entzündlich erkrankten
Labyrinths, die den Indikationen für die operative Therapie
exakte Grundlagen geschaffen haben. = = |
‘Auf die Literatur einzugehen, ist hier nicht der Ort.
Dem: Otologen ist sie bekannt, andern wird’ die Aufzählung
- von Autorennamen nichts nützen; für. eine ausführliche -Zu-
sammenstellung und Würdigung ist kein Platz. Ich will
mich daher darauf beschränken, den Standpunkt zu schildern,
den ich auf Grund fremder und eigner Erfahrungen jetzt
einnehme.- a "E — on
Die Frage lautet: Wann verhüten wir durch die
Operation eine lebensgefährliche Komplikation und
wann können wir eine bereits vorhandene heilen? In-
dikationen für die Eröffnung zur Rettung eines noch nicht er-
krankten Teils des Labyrinths sind wohl theoretisch möglich,
z.B; wenn eine isolierte Erkrankung des Bogengangsapparats
durch eine Operation auf diesen beschränkt und so die noch
vorhandene Funktion der Schnecke gerettet werden sollte;
praktisch sind wir aber noch nicht so weit, derartige Indi-
kätionen zu stellen. Vorerst nehmen unsere Indikationen
nur Rücksicht auf die Gefährdung der Gesundheit und des
Lebens der Patienten,
Welche Labyrinthitiden kommen nun in ‘Betracht?
Allgemein gesagt, jede Infektion, die die Neigung zum
Fortschreiten hat. Dieses Weitergehen kann sehr rasch
erfolgen. Sofort nach dem Einbruch ins Labyrinthinnere er-
krankt dieses in seiner ganzen Ausdehnung und die Infektion
geht fast zu gleicher Zeit schon auf das Schädelinnere über.
Es kann. aber auch langsam gehen; die Entzündung wird
dann an bestimmten Stellen aufgehalten, bleibt kürzere oder
längere Zeit in einzelnen Labyrinthabschnitten eircumseript;
nicht selten ist die Tiefe des inneren .Gehörgangs der Ort,
wo die Riterung Halt macht und dort nur zu einem gegen
das Schädelinnere abgeschlossenen Absceß führt.
- - Die Labyrinthentzündungen haben eine große Neigung
zur spontanen Ausheilung auf jeder Stufe, die diffusen
sowohl wie die circumscripten. Von selbst kommt es zu
einem festen und sicheren Abschluß gegen das Schädelinnere.
Wir müssen also darnach streben, natürliche Heilungs-
vorgänge durch die operativen Eingriffe nicht zu stören.
. , Wie können wir nun feststellen, ob eine Labyrinthent-
zündung den Charakter einer progredienten und gefährlichen,
oder einer stationären, gutartigeren Erkrankung hat?
Zuerst wäre zu berücksichtigen, ob schon aus der Art
der primären Mittelohrentzündung ein Schluß auf die Art
der Labyrintherkrankung und die Notwendigkeit einer opera-
tiven Therapie zu ziehen ist. Jede Form der Mittelohr-
ontzindung, akute wie chronische, kann zur Labyrintheiterung
führen. Wir wissen wohl, daß die Art des Uebergreifens,
des Einbruchs in das Labyrinth, die Ausbreitung im Laby-
riuth und — was das wichtigste ist — auch der. Uebergang
auf das Schädelinnere in gewissen Grenzen verschieden ver-
läuft, Scharlacheiterungen gefährden das Labyrinth in hohem
Grade; die schwere nekrotisierende Entzündung des Mittelohrs
geht dabei-sehr-bald in. das innere Ohr hinein; chronische
Biterungen mit Cholesteatombildungen bahnen sich durch
langsame Arrosionen der Kapsel einen Weg, durch den eine
te Acerbation der Mittelohreiterung eindringt. Tuber-
kulöse Mittelohrentzündungen gehen häufig auf das Labyrinth
a und haben die Neigung zu langsamer, aber in der
Regel progredienter Erkränkung, die viel längere Zeit braucht,
eho sie in das Schädelinnere eindringt.
Ño wird natürlich die Art der Mittelohrerkrankung bei-
der Beurteilung der 'Labyrintherkrankung berücksichtigt‘
werden müssen, aber einen wesentlichen Faktor für die.
dikation der operativen Therapie gibt sie nicht ab. Bei,
Form von Mittelohrentzündung kann die Labyrinth-
ung. spontan ausheilen, bei jeder zur lebensgefähr-
jeder
entzünd
lichen Komplikation führen, bei jeder also ein operätiver Ein-
griff notwendig werden; . De a
Wie können wir nun aus dem speziellen Status des
einzelnen Falles die Indikationen herleiten? Das.otosko-
pische. Bild gibt uns nur selten Aufschluß. Wenn man
das Mittelohr mit Granulationen ausgefüllt findet, wenn eine
reichliche übelriechende Sekretion besteht, wenn man. an der.
medialen Paukenhöhlenwand rauhen Knochen oder: beweg-
liche Sequester fühlt oder wenn gar der Facialis.:dabei’ ge-
lähmt ist, dann ist. die Diagnose auf eitrige Labyrinth-
erkrankung schon durch das otoskopische Bild gegeben und.
die Indikation. zur Eröffnung gegeben: Das ist aber durch-
aus nicht das regelmäßige Bild der Labyrintheiterung. Die
Mittelohrerkrankung ist nicht charakteristisch für jede Laby-
‚rintherkrankung. Bei harmlos scheinenden : Entzündungen‘
sitzen die Einbrüche an Stellen, die dem Blicke und der
Sonde. nicht zugänglich sind. Tn D
Auch die Funktionsprüfung berechtigt uns nicht allein;
zur Aufstellung von strikten Indikationen. Im Anschluß an
eine Mittelohrentzündung kann sowohl die Funktion des
. Bogengangsapparats und der Schnecke. vollständig erlöschen
oder als erloschen gefunden werden, ohne daß eine Erkran-
kung des Labyrinths besteht, bei der eine operative Eröff-
nung zweckmäßig und berechtigt wäre. Es kann eine. Eite-
rung des Labyrinths vorliegen, sie braucht es aber nicht.
Natürlich ist die Prüfung der Funktion äußerst wichtig. Das
Eintreten oder Bestehen völliger Unerregbarkeit des Vesti-
'bularapparats ist ein Symptom, das ausschlaggebend werden.
kann, allein gibt es die Indikation zur Labyrintheröffnung
nicht. Dabei ist meines Erachtens die Funktionsprüfung: der
Schnecke das wichtigere, Labyrintheiterungen, die zu Kom-:
plikationen führen, bleiben sicher nur in den seltensten
Fällen auf das Vestibulum beschränkt und lassen die Schnecke
frei, der häufigere Weg führt durch die Schnecke in den
! Meatus acusticus internus. |
Bei der für die induzierende 'Mittelohrerkrankung not-
wendigen operativen Therapie finden wir den weiteren Weg.
Die Mittelohrentzündungen, die progredienten Charakter
haben, die auf den Knochen in Form von rarefizierenden
Prozessen übergehen, geben uns die Indikationen für Er-
öffnung der Mittelohrräume, ohne daß Verdacht auf eine
Labyrintherkrankung zu’ bestehen braucht. Dabei bekommen
wir Teile des Labyrinths zu Gesicht, die uns ohne Operation
unsichtbar sind und die gerade für die Einbrüche in das
Labyrinth wichtig sind. Der Operationsbefund ist also’
für Indikationsstellung weiterer Operationen vor
allem wichtig. De
Wir sind dann oft vor die Frage gestellt, ob der Bei.
fund an der Labyrinthkapsel eine Eröffnung des Labyrinths
notwendig macht oder nicht. Ohne daß andere Symptome
als der teilweise oder gänzliche Funktionsausfall
bestehen, finden wir Zerstörungen der Labyrintlikapsel.
Diese Befunde können mannigfaltig sein; immerhin: lassen sie
sich nach bestimmten Gesichtspunkten ordnen.
Wir finden einmal einfache Defekte der Bogengänge.
Die Arrosion des lateralen Bogengangs mit mehr oder minder
ausgedehnter Eröffnung des Lumens ist bei Cholesteatom
geradezu ein typisches Bild. Langjährige Erfahrung lehrt
uns, daß wir aus dem Bestehen des Defekts: allein keine In-
dikation zur weiteren Eröffnung herzuleiten haben. Es
kommt auf die Art und das Aussehen an. Erscheint er
verschlossen, quillt kein Eiter hervor, so bleibt er möglichst
unangetastet.. Tritt aber Eiter hervor, so müssen wir ihn
‘erweitern, sowohl um uns Gewißheit zu verschaffen, ob nicht
nur der Bogengang, sondern'auch das übrige Labyrinthinnere
Eiter enthält, als auch um die Abflußbedingungen zu ver-
bessern. Die Erweiterung sichert uns also die Diagnose und
stellt zugleich die Therapie dar; sie kann uns bis zur Aus-
räumung des ganzen Labyrinths führen, wenn es der Befund
gebietet. nr ;
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1226 = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
Finden wir mehrfache Defekte, besonders wenn sie
an der medialen Paukenhöhlenwand liegen, so haben wir dies
immer als ein Zeichen ausgedehnter Labyrintherkrankung
anzusehen. Mögen sie entstanden sein als mehrfache Ein-
brüche durch die von einer Otitis media ausgegangene rare-
fizierende Ostitis, mögen sie entstanden sein durch sekundären
Ausbruch einer anderswo in das Labyrinth eingebrochenen
Eiterung oder mögen sie das Resultat sein einer ausgedehnten
Labytinthnekrose und dadurch induzierter demarkierender
Ostitis. Immer werden uns mehrfache Einbrüche Veran-
lassung geben, uns das Laabyrinthinnere freizulegen, breit zu
eröffnen, wenn nicht ganz auszuräumen und: eventuelle Se-
quester zu entfernen.
Diese Befunde am Labyrinth bei der operativen Frei-
legung der Mittelohrräume werden ergänzt und in ihrer
Wertigkeit genauer bestimmt durch die Art der ursächlichen
Mittelohrerkrankung. Schon oben habe ich darauf hin-
gewiesen.
Finden wir sie bei akuten oder subakuten Eiterungen,
so wissen wir, daß wir es in der Regel mit recht progre-
dienten, rarefizierenden Erkrankungen zu tun haben, die
langsam, aber stetig fortschreiten. Aber wir wissen auch,
daß die operative Freilegung der Mittelohrräume für die
Abheilung der Labyrintherkrankung von größter Wichtigkeit
ist und allein schon einen bedeutenden Heilfaktor darstellt.
Wir werden also das Heil nicht in einer ausgiebigen Aus-
räumung des Labyrinths, sondern in der vorsichtigen Eröff-
nung desselben und der Mittelohrentlastung zu suchen haben.
Finden wir sie bei chronischen Eiterungen, insbesondere
bei Cholesteatom, so können sie relativ harmlos sein, wenn
kein eitriges Sekret aus den Defekten quillt und keine floriden
entzündlichen Erscheinungen bestehen. Sie sind dann der
Ausdruck einer klinisch latenten, auf das innere Ohr lokali-
sierten, wenn auch oft ausgedehnten Erkrankung mit großer
Neigung zur Ausheilung. Eine vorsichtige Ausräumung des
Inhalts ist die notwendige Maßnahme.
Finden wir Defekte, einfach oder mehrfach bei Tuber-
kulose, so haben wir ähnliche Verhältnisse wie bei Chole-
steatom. Wir wissen, daß die Tuberkulose große Zerstörungen
des Labyrintlis setzt, die wenig Neigung zur spontanen Hei-
lung aber auch wenig Neigung zum Uebergang auf das
Schädelinnere hat. Eine Therapie, die durch den lokalen
Befund gegeben ist, ergibt sich daraus.
Operieren wir bei einer akuten Acerbation, einer chro-
nischen Eiterung mit Symptomen, die nicht labyrinthär zu
sein brauchen, und finden wir Zerstörungen an der Labyrinth-
kapsel, so sind die Befunde schon ernster zu bewerten. Wir
wissen, daß bei Defekten, die die chronische Eiterung, ins-
besondere das Cholesteatom, geschaffen hat, akute Acerba-
tionen leicht schwere diffuse Eiterungen hervorrufen. Das
Labyrinth kann vereitert sein, die Eiterung schon bis zu
einem Absceß in der Tiefe des inneren Gehörgangs, geführt
haben. Dann werden wir auf Erweiterung und vorsichtige
Freilegung des erkrankten innern Ohres Wert zu legen haben.
Wie haben wir aber zu handeln, wenn labyrinthäre
und endokranielle Symptome bestehen?
Im allgemeinen wird das Vorhandensein von Erschei-
nungen, die wir als labyrinthäre Reizsymptome auf-
fassen — Schwindel, Uebelkeit, Nystagmus — nicht ohne
weiteres etwa die Indikation zur Eröffnung des Labyrinths
geben. Wir wissen, daß diese Symptome zurückgehen — so-
wohl bei akuten Eiterungen, wie bei chronischen Eiterungen —,
wenn das Mittelohr entlastet ist. Auch wenn z.B. nach der
Radikaloperation labyrinthäre Reizsymptome auftreten, so
können wir ruhig abwarten, es sei denn, daß wir bei der
Operation Verletzungen der Labyrinthkapsel, im besonderen
eine Steigbügelluxation, gesetzt haben.
Finden wir bei der Operation Einbrüche ins Labyrinth,
Zerstörungen der Kapsel, so werden wir diesen Befunden
ganz besonders große Aufmerksamkeit widmen, aber immer
28. Juli.
unter dem Gesichtspunkt der Vorsicht, damit wir nicht durch
rigoroses Vorgehen Abschlüsse zerstören.
Bei chronischen Eiterungen sind im allgemeinen gerade
die labyrinthären Reizsymptome Indikationen zur Eröffnung
der Mittelohrräume. Auch wenn wir Defekte finden, brauchen
wir nicht immer das Labyrinth zu eröffnen; es kommt auch
hier, ebenso wie bei Fällen ohne Symptome, auf die Art der
Defekte an. l
Die Situation ändert sich aber für uns sofort, sobald
wir Zeichen endokranieller Komplikationen feststellen
können, die nicht durch Ueberleitung auf anderm Wege er-
klärt werden können. |
Ist die Komplikation ausgesprochen und sicher dia-
gnostiziert, so wird sich die Therapie vorerst gegen diese zu
richten haben.
Sinusthrombose, Hirnabsceß und Meningitis sind diese
Komplikationen. Bei der Meningitis ist die wichtigste The-
rapie der Komplikation zugleich die Therapie der induzieren-
den Labyrintheiterung, eben die Labyrinthausräumung. Aber
auch bei Hirnabsceß und Sinusthrombose soll die Behandlung
des Labyrinths nicht übersehen werden, damit das erkrankte
innere Ohr nicht eine dauernde Infektionsquelle darstellt.
Die Sinusthrombose, die nur durch das Labyrinth auf
dem Wege des Ductus und Saccus endolymphaticus ent-
steht, ist allerdings so selten, daß sie weniger praktisches
Interesse hat. Die Regel ist, daß Sinusthrombose nicht nur
durch eine Labyrintherkrankung zustande kommt.
Für die Hirnabscesse — es kommeu fast ausschließlich
Abscesse des Kleinhirns in Betracht — liegt die Sache so, daß
wir sie oft erst finden, wenn wir dem Wege der Erkran-
kung durch das Labyrinth folgen bis in das Schädelinnere.
Kleinhirnabscesse im Stadium der Latenz sind nur sehr selten
klinisch sicher diagnostizierbar. Wir müssen zufrieden sein,
wenn wir dabei die Symptome einer meningealen Reizung
sicher finden.
So ist auch für die Diagnose und Therapie des Ab-
scesses die Feststellung der meningealen Reizung, der Me-
ningitis serosa in praxi die Hauptsache,
Bei ausgesprochenen Symptomen der Meningitis kann
die Entscheidung nicht schwerfallen. Nur ganz desolate
Fälle kontraindizieren einen Eingriff überhaupt. Die Erfah-
rung lehrt, daß wir selbst bei ausgesprochenen klinischen
Symptomen der Meningitis noch Heilung erwarten können.
Da wir nichts verlieren, sondern nur gewinnen, so ist die
Indikation zur möglichst breiten Eröffnung und Ausräumung
des Labyrinths gegeben. Daran können wir die Spaltung
der Dura an der Hinterfläche der Pyramide und Drainage
des Subdural- und Arachnoidealraums anschließen.
Aber auch wenn die Symptome nur angedeutet sind,
müssen wir vorgehen. Die Symptome der Meningitis
serosa geben die wichtigste Indikation zur Laby-
rinthoperation. |
Können wir sie feststellen bei einer akuten oder chro-
nischen Eiterung neben labyrinthären Reiz- und Ausfalls-
erscheinungen und finden wir bei der Operation mit Sicher-
heit keinen andern Weg der Ueberleitung, so ist der Beweis
gegeben, daß es sich um eine Meningitis, die durch das La-
byrinth indiziert ist, handelt. Dann ist es notwendig, das
Labyrinth zu eröffnen, auch wenn wir makroskopisch den
Einbruch vom Mittelohr ins Labyrinth nicht finden, denn
nicht alle Einbruchspforten müssen uns bei der Freilegung
des Mittelohrs sichtbar werden. Wenn es sich um Durch-
brüche durch die Fenster handelt, so können wir oft makrosko-
pisch den Weg feststellen; Zerstörungen am ovalen Fenster,
Lockerungen und Luxationen des Steigbügels lassen sich
allenfalls noch erkennen, die Beurteilung der Verhältnisse des
runden Fenstersbleibt unsverborgen aus anatomischen Gründen.
Die Symptome der meningealen Reizung sind nicht
immer ohne weiteres in die Augen springend; wir müssen
sie suchen. Wir haben zu achten auf Augenmuskelstörun-
Pa
28, Jali.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —-Nr. 30. 7 I%
gen, besonders Abducenslähmung, Abweichungen in der
Pupillenreaktion, auf Stauungspapille und Neuritis optica,
Kopfschmerzen, besonders im Hinterhaupt, Druckempfindlich-
keit der Hinterhauptsschuppe und der Dornfortsätze der
Halswirbelsäule. Schmerzen bei den Kopfbewegungen. Fieber
braucht nicht vorhanden zu sein. Vor allem aber wird -uns
die Lumbalpunktion wichtige Aufschlüsse geben. Jeder
positive pathologische Befund, von der einfachen Druck-
erhöhung an, gibt uns eine strikte Indikationsstellung zur
Labyrintheröffnung. = ne
Einer besonderen Besprechung bedarf noch die Frage der
Labyrintheröffnung bei Traumen des inneren Ohres. Es
ist klar, daß Verletzungen, die neue ungewöhnliche Bahnen
für die Infektion vom Mittelohre zum Schädelinhalte schaffen,
ganz besonderer Beachtung nach dieser Richtung bedürfen.
Eine Mittelohrinfektion nach Schädelbasisfrakturen, die durch
das innere Ohr gehen, wird in ganz anderer Weise rasch
zur Meningitis führen können, als eine Otitis media bei in-
taktem Labyrinth. Die natürlichen Bedingungen für die
Abgrenzung sind geändert, die Lokalisation erschwert. Ein
rechtzeitiges Eingreifen erscheint ohne weiteres erforderlich.
Freilich ergeben sich nicht geringe diagnostische
Schwierigkeiten. | S
Bei einer frischen Basisfraktur ist es nicht leicht, die
Symptome der Frakturfolgen, insbesondere Hirndruckerschei-
nungen, von denen der beginnenden Meningitis zu trennen.
Man hat deswegen vorgeschlagen, bei jeder Basisfrak-
tur, die nachweislich das innere Ohr getroffen hat, das
Labyrinth auszuräumen, um einer Meningitis vorzubeugen.
Das ist wohl zu weitgegangen. Jede Operation gibt die
Möglichkeit der Infektion der vorher nicht entzündeten zer-
trimmerten Teile.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der IH. medizinischen Klinik in Wien.
(Vorstand: Prof. Dr. Ortner.)
Zur klinischen Diagnose der hypoplastischen
Aorta bei Lymphatikern
von
_Dr. Erich Stoerk, Assistenten der Klinik.
Das von A. Paltauf zuerst in klarer Weise entworfene Bild
des Status thymico-Iymphaticus wurde neuerdings durch eine Reihe
von Anatomen (Bartel, Kolisko und Andere) makro- und mikro-
skopisch genauest verfolgt und erregt nun auch seit einiger Zeit
das Interesse der Kliniker, Wenn es auch scheinbar mehrere eng
verwandte Konstitutionsanomalien (Status thymicus, Status lympha-
tieus, Genitalhypoplasie, Aortenhypoplasie) sind, die. heute unter
dem Namen „Lymphatismus“, „hypoplastische Konstitution“ oder
dergleichen zusammengefaßt werden, so empfiehlt es sich doch,
fir praktische Zwecke an einem gemeinsamen Ausdrucke festzu-
halten und alle diese mesenchymalen Konstitutionsanomalien, die
überdies meist miteinander vergesellschaftet sind, gemeinsam zu
behandeln, Welchen Schwierigkeiten die Diagnose des Lympha-
tismus intra vitam manchmal begegnet, ist schon aus den Arbeiten
' V. Neußers zu entnehmen, der auf dem Kongreß für innere
odizin in Budapest 1909 und dann in einer eignen Monographie
auf die häufige Unsicherheit der klinischen Diagnose hinwies. In
aller Kürze seien an dieser Stelle nur jene diagnostischen Merk-
male angeführt, welche sich dem Kliniker in ausgesprochenen
2 T von Lymphatismus darbieten. Vorweg sei auf den Um-
en hingewiesen, daß die Diagnose bei Frauen meist schwieriger
Pi : bei Männern, wofern nicht das typische Bild der Chlorose
n Untersucher auf die richtige Fährte bringt. Br
in a Kardinalsymptome des ausgeprägten Lymphatismus, wie sie —
di einder Konstanz — am Lebenden festzustellen sind, seien an
eser Stelle hervorgehoben: |
Kopthonr opion der Behaarung beim Manne: sehr feines, aber dichtes
lichem Schn eranlkuie zwischen Dichte der Schädelbehaarung und spär-
as heißt i art, Backenbart nach dem Typus des „Altwei erbartes“,
a udimentäre Entwicklung des Bartes an nur drei Stellen: vor
uscheln und unter dem Kinne; Spärlichkeit der Behaarung des
Trifft aber der Bruch. die Pyramide bei vorher schon
erkranktem Mittelohr oder tritt durch oder bald nach.der Ver-
letzung eine Infektion ein, dann braucht man nicht zu zögern,
das innere Ohr auszuräumen, auch wenn die Symptome der
meningealen Reizung noch nicht ausgesprochen sind.
‚Am besten und aussichtsvollsten erscheint das opera-
tive Vorgehen noch bei direkten Verletzungen des Laby-
rinths, wo die Deutung der Symptome viel einfacher und
leichter sein wird. Es kommen da vor allem Schußver-
letzungen in Frage. Die Art der Verletzung, insbesondere
das Steckenbleiben des Geschosses, das, wenn nicht gleich,
so doch nach langer Zeit die Ursache einer gefährlichen
Eiterung werden kann, mächt die Hoffnung auf eine spon-
tane reaktionslose Heilung sehr gering. Deswegen soll man
Labyrinthe, die durch derartige Verletzungen: getroffen sind,
immer möglichst sofort und ausgiebig operieren. -
Es geht aus dem Gesagten schon hervor, daß die
Technik der Operation durch die Art der Indikationen be-
‚einflußt wird. Eine bestimmte Operation in allen Fällen aus-
zuführen ist nicht notwendig. Einmal werden wir. uns mit
breiter Eröffnung des Vestibulums von der Bogengangs-
gegend und von der Paukenhöhle begnügen können, wenn
wir z. B. bei der Radikaloperation eine Labyrintheiterung
finden, die keinerlei bedrohliche Symptome gemacht hat; das
andere Mal, wenn es sich um schwere Fälle mit meningealen
oder sonstigen endokraniellen Symptonien handelt, werden
wir bis zum Meatus acusticus internus.vorgehen. Immer aber
soll unser Grundsatz sein, wenn überhaupt, dann ausgiebig
zu operieren. Planmäßige Freilegung und totale Ausräumung
ist weniger gefährlich als ungenügende Eröffnung, die zur
Unübersichtlichkeit führt und die Möglichkeit von Reten-
tionen gibt. př å Zu:
Stammes; gerade obere Begrenzungslinie der Crines pubis (nach weib-
. lichem Typus); mangelhafte Behaarung des Dammes. Bei der- Frau:
ähnliches Mißverhältnis zwischen dichtem feinen Kopfbaar und spärlicher
sonstiger Bebaarung; seltener: männlicher Behaarungstypus am . Körper
und im Gesichte. l n eS ' $
` 2, Knochensystem: Brachia valga und Genua valga; Ueber-
wiegen. der Unterarm- und Unterschenkellänge gegenüber Oberarm und
Oberschenkel oder überhaupt abnorme Länge der Extremitäten gegenüber
dem Rumpfe; Becken beim Manne relativ, breit, bei der Frau relativ eng.
Scapula oft scaphoid. | BEN:
-© 8. Fett: Manchmal ausgesprochene Adiposität; bei Frauen häufig
im Bereiche der oberen, bei Männern im Bereiche der unteren Körper-
hälfte (also verkehrter Typus!); Fettläppchen an den Öberlidern der
Augen, die ein Ueberhängen derselben und dadurch einen schläfrigen
Gesichtsausdruck zur Folge haben. Bei Frauen fällt häufig die geringe
Entwicklung der Mammae auf; manchmal sind sie allerdings (Fettanteil) .
stark entwickelt. Bei solchen Individuen kontrastieren dann oft hierzu
die kaum angedeuteten Mamillen und der abnorm kleine, infantile Uterus.
‚4 Lymph- und Gefäßsystem: Wesentliche Vergrößerung des
adenoiden Schlundrings (Zungengrundfollikel, Tonsillen und adenoides
Gewebe am Rachenringe); Vergrößerung der Lymphdrüsen, soweit sie der `
Palpation zugänglich sind; kleines Herz; enge Arterien (näheres ver-
gleiche D. blasses Anssehen bei normalem Hämoglobinbefund und
Fehlen anderer Erklärungsursachen für die Blässe der Haut. en
5. Nervensystem: Geringe oder gröbere Erscheinungen psycho-
neurötischer Minderwertigkeit; in einem nicht allzu großen Teil der
Fälle: Vagotonie. 2
Wie bereits betont, bildet eine häufige und wichtige Teil-
erscheinung der in Frage stehenden Konstitutionsanomalie die
Hypoplasie des Aortensystems; während nun die Vermehrung. des
Iymphadenoiden Gewebes, sowie gewisse andere Anzeichen, deren
wichtigste in obiger Zusammenstellung bereits angeführt sind, auf.
Grund der anatomischen Befunde ‘von seiten der Kliniker bereits
vielfach Berücksichtigung gefunden haben, verursacht die Be-
urteilung des engen Lumens der Aorta und ihrer Verzweigungen
bisher intra vitam meist große Schwierigkeiten und führte zu un--
angenehmen Ueberraschungen am Seziertisch.
Es hatte zwar schon Ortner!) in seiner Arbeit: „Zur an- `
geborenen regelwidrigen Enge des Aortensystems“ auf die Wichtig- _
keit der klinischen Erkennung eines hypoplastischen Gefäßsystems
1) Wr. kl. Woch. 1891, H. i und 2.
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1228
hingewiesen und bereits ein Merkmal, welches in vielen Fällen zur
Diagnose desselben führen kann, mitgeteilt. Seither aber fehlen
in der Literatur weitere Angaben über den Ausbau unserer
Diagnostik nach dieser Richtung. Ortner beobachtete, daß in
solchen Fällen von hypoplastischer, regelwidriger Aortenenge „Ver-
längerung des Herzens, ein kräftiger Spitzenstoß und akzentuierter
zweiter Aortenton gefunden wird, aber dennoch kein Aortenpuls
in iugulo palpabel ist“. Dieses Symptom findet sich in vielen
Fällen von Lymphatismus, besonders dort, wo mit der Enge der
Aorta — wie so häufig — eine kompensatorische oder (kongenitale?)
Hypertrophie des linken Ventrikels einhergeht, Ortner weist
auch darauf hin, daß bei solchen Individuen nicht das ganze
Arteriensystem in allen seinen Verzweigungen in gleicher Weise
hypoplastisch sein muß, sondern daß das Lumen und die Wand-
dicke einzelner Arterien mehr, anderer weniger oder gar nicht von
der Norm abweichen können. Zur Erläuterung seiner Angaben
zitiert Ortner den Ausspruch Benekes, daß „jedes Arterienpaar
oder jede unpaarige Arterie ihre eigne Entwicklungsgeschichte
hat“. Diese Tatsache zusammengehalten mit der Schwierigkeit
sicherer Beurteilung des Lumens palpabler Arterien (Arteria carotis,
brachialis, radialis, femoralis, pediea) bringen es mit sich, daß —
außer in extremen Fällen — der Befund abnorm kleiner Gefäße
für den Kliniker bei der Obduktion solcher Fälle eine unangenehme
Ueberraschung bildet. Es war daher naheliegend, bei dem Be-
streben, klinische Kriterien des Lymphatismus zu sammeln, auch
die durch die Methoden der Orthodiagraphie verfeinerte Radioskopie
dahin zu verwerten, daß die Breite des Aortenschattens am
Röntgenschirm einer genaueren Untersuchung unterzogen werde.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30,
28. Juli.
Während bisher die radioskopische Untersuchung der Aorta für
den Kliniker nur insofern Bedeutung hatte, als eine Erweiterung
des Aortenbogens im Sinne eines Aneurysmas oder einer gleich-
mäßigen Dilatation diagnostisch verwertet wurde, war es mein
Bestreben, ein Urteil über die Minimalbreite des Aortenschattens
bei normalen und Iymphatischen Individuen zu gewinnen. Es war
ja von vornherein wahrscheinlich, daß bei bestehender Gefäß-
hypoplasie gerade die Aorta dasjenige Gefäß sein werde, an welchem
diese Anomalie am deutlichsten erkennbar ist. Außerdem ist sie
ja auch das einzige Gefäß, welches durch seine Mächtigkeit der
radiologischen Untersuchung zugänglich ist. Ich bat daher meinen
Kollegen an der Klinik, Assistenten Dr. K. Radoničić, bei einer
Reihe von Fällen, die ich ihm zuerst wahllos zur diesbezüglichen
Untersuchung überwies, die orthodiagraphisch feststelibare Breite
des Aortenbandes dieser Individuen zu messen. Es stellte sich
bald heraus, daß bei Einhaltung bestimmter Kautelen der Aorten-
schatten auf dem Röntgenschirm mit großer Genauigkeit meßbar
war. Nach dieser Feststellung ging ich daran, sowohl Normale
als Lymphatiker von diesem Gesichtspunkt aus zu untersuchen.
Herr Dr. Radoničić wird gleichzeitig an anderer Stelle über die
physikalischen und anatomischen Grundlagen dieser Methode, sowie
über die angewandte Technik in extenso berichten.
Wie die folgenden Tabellen erweisen, zeigen sich tatsächlich
meßbare und meistens deutliche Unterschiede zwischen der Breite
des Aortenschattens bei normalen und Iymphatischen Individuen,
und zwar geschah die Gruppierung in der Weise, daß auf der
einen Seite der Tabelle normale respektive nicht lymphatische
Individuen, auf der andern Seite Lymphatiker angeführt sind.
Sr Aorten-
länge | breite
cm | em cm
Klinische
Diagnose
Name, Alter,
Beruf
Lymphatische Stigmata
Herzmaße
und sonstige Befunde
4i, B. B., 20 J.,
Arb
Funktio-
eiterin
nelle
Neurose
Aden. Rachenring stark ver- | 152 2,1 | 8,4-6,5-12,0
größert. Mammae gering, Q = 72
Mamillen gut entwickelt,
Kopfbehaarung stark, son-
stige Behaarung spärlich,
Riva-Rocci 80, periphere
Arterien eng
42, J. K., 30 J., | Ulcus ventr.
Kör-
Name, Alter, | Klinische | Lymphatische Stigmata | per- poran Herzmaße
Beruf Diagnose und sonstige Befunde jlänge
cm cm cm
1. R.K., 13 J.,| Obstipat. | Keine Iymphat. Stigmata 156 | 2,3 | 8,1-6,5-10,8
Schülerin chron. =
2. M. B., ib J, | „Chlorose | Keine lymphat. Stigmata | 152 22 | 8,8-7,8-13,1
Schülerin (?)* außer Scaphoid scapula Q = 69
3, D. 5., 22 J,| Funktio- | Keine lymphat. Stigmata | iso | 30 | 8,2-6,7-11,0
Beamten- nelle Neu- Q = 80
frau rose
4. Dr. R,31J.,| Normal Keine Iymphat. Stigmata 167 2,6 | 4,5-8,6-18,7
Arzt Q = 6
5. Dr. S., 38J,| Normal |Keine lymphat. Stigmata | 172 | 28 | 3,5-9,6-14,5
Arzt Q= 6
6. A. B., 26 J,| Normal |Keine Iymphat. Stigmata 164 | 20 |47-85-14,5
cand. med. Q = 82
7. M. N., 26 J„ | ‘Normal |XKeine Iymphat. Stigmata | 160 | 20 | 30-72-1380
cand. med, Q = 80
8. B. G, 40 J,| Normal |Keine Iymphat. Stigmata | 176 | 28 | 8,1-7,5-13,2
Private Q = 62
9. E. K., 35 J., | Ulcus ventr. | Keine Iymphat. Stigmata | 163 | 25 |3,7-6,7-11,8
Private . Q = 65
10. K. G., 22 J., | Peritonitis, | Keine Iymphat. Stigmata | i61 | 22 | 2,9-8,1-13,0
Bäuerin Tbe. Q = 78
11, A, M., 24 J.,| Dyspepsie | Keine Iymphat. Stigmata | 160 | 23 |38.62-112
Büglərin ' Q = 09
12. Th. S.,385J.,| Ischias |Keine lymphat. Stigmata | 188 | 24 | 4,4-8,0-13,7
- Kutscher , Q = 05
13. J. H., 40 J., | Ulcus ventr. | Keine lymphat. Stigmata 174 | 26 4,8-6,0-12,5
Arbeiter Q = 660
14. K. H., Myodegen. | Keine lymphat. Stigmata.| 150 | 40 |8,8-12,7-17,5
Dienstmäd- cordis Atherosklerose, Aortae Q = 37
chen
15. F. IL, 41 J., | Mitralinsuff, | Keine Iymphat. Stigmata 169 | 8,4 | 5,7-9,6-15,3
Tischler u. -Stenose, Q = 49
Myokarditis
16. F, H., 59 J.,| Dyspepsie | Keine Iymphat. Stigmata. | 16$ | 25 | 6,5-8,0-14,5
Eisenbahner Geringgradige Atheroskle- Q = 67
T0s8
17. A. W., 24 J., | Angina ton- | Keine Iymphat. Stigmata 162 | 22 | 3,1-8,1-13,2
Dienstmäd- | silaris Q=
chen |
18, M. D., 40 J.,| Funktio- | Keine Iymphat. Stigmata 160 2,3 | 8,0-7,2-12,0
Bäuerin nelle Neu- Q = 69
Tose
19. 0. S., 42 J., Ohole- Keine lymphat. Stigmata 160 | 2,4 | 3,5-7,6-12,8
Köchin lithiasis Q = 06
20. A. H., 35 J., | Trachom. |Keine Iymphat. Stigmata | 162 | 23 |4,8-7,0-12,5
Private Pylorus- . Q = 70
stenose und
Peri-
gastritis
21. P. K., 30 J,| Normal Keine Iymphat. Stigmata 154 2,2 | 3,5-7,7-18,5
Wärterin Q=17
22. A. K., 26J„| Normal |Keine lymphat. Stigmata | 156 | 24 |4,5-72-13,0
= Wärterin Q = 66
28, K. B., 26 J,| Normal |Keine lymphat. Stigmata | 157 | 20 |4,3-8.0-18,3
Wärterin l Q =7
24. P. K., 30 J,| Normal | Keine lymphat. Stigmata | 154 | 24 | 4,6-6,9-12,0
Wärterin Q=
Reisender
43, A. V., 25 J., | Ulcus ventr.
Schneider mit peri-
gastralen
Adhäsionen
Tbc.pulmon.
.L.M. 22 Jọ,
Dienstmäd- sillaris-
chen Vitium
46. H., S., 23 J., | Ulcus ventr.
ponema Tbc.pulmon.
chen
47. J. P., 18 J., | Pneumonie
Arbeiter
Maschinen-
schlosser
49. V. K., 28 J., {Ulcus ventr.
Reisender
50. J. W., 48 J., |Ulcus ventr.
Amtsdiener | perforat.
öl. E. S., 19 J., | Polyarthri-
Dienstmäd- | tis, Mitral-
chon ' insuffzienz
44. J. H, 34 J., | Ulcus ventr.
Köchin
Angina ton-
48. J. K, 17 J., | Ulcus ventr.
Enorm vergrößerter aden.
Rachenring, typ. Jymphat.
Behaarung, breites Becken,
perionero Gefäße eng,
leine Testikel
Lymphdrüsen am Halse ver-
größert, Zungengrundfolli-
kel stark vermehrt, Pat.
ist virgo, Behaarung typ.
lymphat,, Brachia valga
Bohnengroße Lymphfollikel
am Zungen d. Riva-
Rocci 80 Sae
Ueberhängende Augenlider,
periph. Gefäße eng, Tono-
meter (Gärtner) 92, aden.
Rachenring vergr. (nach
Abheilung d, entzündlichen
Erkrankung)
Zungengrundfollikel wesent-
lich vergr., ausgesprochen
infantiles Genitale
Typ. Lymphatiker - Behas-
rung, lange Extremitäten,
Brachia valga, breites
Becken, Ortners Zeichen,
Riva-Rocci 98, (4 Wochen
nach Ablauf der Pneumonie
bei voller Gesundheit),
Zungengrundfollikel deu-
lich vergrößert
Lymphatiker - Behaarung,
Brachia u. Genua valga
breites Becken, Scaphoi
scap., Zungengrundfollikel
wesentlich vermehrt
Kopfhaar dicht, sonst wenig
behaart, jugendliches Aus-
sehen, tüberbängendoAugen-
lider, breites Becken, peri-
phere Gefäße eng, aden.
Rachenring vergr., Penis
ziemlich klein
Zungengrundfollikel vergr.,
grobe Tonsillen, Kopfhaar
icht, Stamm unbehaart.
überhängende Augenlider,
periphere Gefäße eng, A,
a. femoralis kaum palpabel
Ueberhängende Augenlider,
große Tonsillen, spärliche
Behaarung, Lungen kurz,
ständige Mundatmung, drel-
tägige rofuse enses,
enge Gefäße, hypoplasti-
scher anteflektierter Uterus
Bo
ra |
„m
n
ONO
i—i I
5
DS
3,5-8,6-13,0
4,2-6,7-11,5
8,0-7,7-11,6
2,3-6,3-10,1
2,3-6,5-11,5
3,5-7,8-12,5
8,8-6,4-11,5
8,6-4,9-10,8
4,1-7,8-12,7
8,3-6,1-11,8
3,3-8,0-18,0
2,8-6,7-12,0
Be 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. 5 1999
l
| EEE Kör- l
Name, Alter, | Klinische : | Lymphatische Stigmata | per- noron Hermae
` Beruf |. Diagnose | 'und sonstige Befunde |länge e
l i . cm cm cm
25. B. E, 14 J. Orthostati- | Keine lymphat. Stigmata 162 | 2,5 | 8,6-6,3-12,2
Schülerin | sche Albu- Q = 64 l
` minurie a |
26. E. L., 54 J, | Nephritis | Keine Iymphat, Stigmata 145 2,6 | 3.1-8,1-12,0-
‚Private - chronica Q = 55
N . mixta a
27. A. W., 40 J., | Mitralinsoff. | Lymphat. Stigmata zweifel- | 161 32 | 6,7-9,0-15,0
Hilfs- © | u.-Stenose | haft. Geringe Enteroptose (14./1.)
arbeiter | dekompen-. Q = 50
n siert : 161 | 35 | 62-8,8-15,5
(15.2)
Q = 46 E
28. M. B., 58J,,| Hirntumor | Obduktion am 4. IV. kein| 163 | 27 |8,8-8,5-14,0
Erziehorid Lymphatismus = 60
%9, T. H., 60 J., | Pneumonia. | Keine -Iymphat. Stigmata. | 161 | -38,0 | 5,1-82-14,0
Private peracta, | Atherosklerose Q = 58
elo- | l
-| nepbritis | |
80. J. K., 53 J; | Nephritis | Obduktionsbefund: kein 173 85 | 4,5-12,8-18,5
Bilfs- chronica, |, Lymphatismus.. Nephritis. | Q = 49
arbeiter Athero- Hypertrophie beider Ven-
sklerose trikel. Atherom d. Aorta
31. T. R., 60 J.,| Athero- | Keine Iymphat. Stigmata | 147
Private sklerose ; Pur Wiss
%2, A. P., 35 J| Aorten- [Keine Iymphat. Stigmata | 156 | 28 | 4,2-8,9-13,7
Private insuff., Ne- Q = 55
~ | phritis chr. poga | |
33. R. B., 45 J., | Ulcus ventr. | Keine lymphat. Stigmata 169 2 | 3,2-9,0-12,5
Selcher ` Tbc. pulmon. i Q = 52
84. M B, 32 J., | Oa ventric. | Keine lymphat. Stigmata 152
Private - |
29 2,8-6,7-10,5
—
—
3
24 | 1,9-6,5-10,7
8
8
8. J. A, 17 J., Tbc.pulmon. Keine lymphat. Stigmata 163 ‚0 | 3,1-6,3-11,3
. Taglöhner Nephritis Q = 54 Median-
chron, : . stellung des
, A | ‚Herzens
%.A.A,31J,| Pleuritis | Keine Iymphat. Stigmata 167 2,7 | 9,8-7,3-18,5
Diener 'adhaesiva g=6l,
37. F. H., 388 J,| Pleuro- |Keine Iymphat. Stigmata. | 153 | 21 | 2,5-9,0-13,8
Private Pneumonie | Stark abgemagert 1Q=-7
38. M. A., 28 J.,| Polyarthri- | Enteroptose. Keine lymphat. | 164 | 25 |838.7,7-18,6
Bedienerin | tisrheumat,, | Stigmata Q = 65
Mitralinsuff,
1.0. -Stenose >
‚39 MA,23J,| Apicitis | Keine Iymphat. Stigmata 164 25 | 2,9-6,1-11,8
Näherin ” extra 7 Q = 65 (Cor pen-
| .| dulum)
40, J, 0., 36 J., 5 Obduktionsbefunđ: 175 8,4 | 5,0-11,5-18,0
Maurer kein Lymphatismus Q = 5l
Zu diesen Tabellen ist zu bemerken, daß unter den an-
gegebenen Iymphatischen Stigmen nur jene angeführt sind, die
eklatant und unzweifelhaft waren; während nur .andeutungsweise
vorhandene oder fragliche ebensowenig verzeichnet sind, wie nega-
tive Befunde. Daß auch die „normalen“ (Kontroll-)Fälle einer
eingehenden Untersuchung auf Iymphatische Stigmata unterzogen
wurden, bedarf keiner Betonung. Auffallend ist vor allem bei
Betrachtung der Tabellen die Beziehung, die sich zwischen
Aortenbreite und Körperlänge der Untersuchten ergibt: Es zeigen
sich zwar schon unter den Normalen respektive Nichtlymphatikern
große Unterschiede in der Breite des Aortenschattens und es er-
schien daher nicht aussichtsreich, ein bestimmtes Absolutmaß als
die Grenze der physiologischen, gegenüber der hypoplastischen
Aorta aufzustellen, aber eine Zusammenstellung von Individuen
gleicher Größe deckte bereits ganz beträchtliche Unterschiede
zwischen normalen Menschen und Lymphatikern bezüglich ihrer
Aortenbreite auf. Das führte zu dem Versuch, einen Quotienten
zu berechnen, der das Verhältnis der Körperlänge des Unter-
suchten zu seiner Aortenschattenbreite ausdrückt
2 Körperlänge
minimale Aortenschattenbreite
ind es resultierte das aus den beigegebenen Tabellen ersichtliche
auffällige Ergebnis: Die Aortenquotienten normaler Menschen be-
Wegen sich zwischen etwa 70 und 50 (und darunter), während sie
bei solchen Individuen, die auch durch sonstige Stigmata als Lym-
Phatiker charakterisiert sind, zwischen etwa 70 und 90 (und dar-
über) schwanken. Es ist bekannt, daß die Grenze zwischen Lym-
Phatiker und normalem Menschen nicht scharf zu ziehen ist, und
mr sich fließende Uebergänge von normaler zu lymphatischer Kon-
Sıtution finden. Daher ist es auch nicht überraschend, daß einige
„a rollfälle hohe und manche Lymphatiker niedere -Quotienten
gen. Ist ja auch die enge Aorta bloß ein häufiges "und
ein konstantes Symptom des Lymphatismus! Es lag miř auch
08 daran, eine ungefähre, zahlenmäßige Ausdrucksform dafür zu
des Individuums)
Anden, daß die orthodiagraphische Untersuchung der Aorta in
vielen Fällen von Lymphatismus ein brauchbares diagnostisches
mittel sein kann. Sicherlich spielt beim Zustandekommen
Kör-|, ee
Name, Alter, | Klinische | Lympbatische Stigmata per- un Herzmaße
‚Beruf Diagnose und sonstige Befunde ge ,
cm cm cm
52. K. N., 29.J., | Ulcus ventr. | Mammae u. Mamillen unter- | 169 | 1,7 | 8,1-5,5-10,8.
- Private entwickelt, infantile Epi-| Q = 99
l glottis verspät. Eintre-
ten d. Menses, anamnestisch
Chlorose Riva-Rocci 108,
aden. Rachenring vermebrt,
enge periphere Gefäße,
| Ä Scaphoid scap,
63. B. S., 20 J., Magen- . | Blutdruck (Gärtner) 75,| 154
22 | 3,5-8,0-10,0
Dienstmäd- | dilatation | Genitale infantil (16./1.) i
‚chen , .. (nach Q = 70
2 Ulcus?) 154 l 22 | 83,1-6,7-11,7-
Mitral- (22,/1.)
insufäzienz Q = 70- i
64. K Z.. 24 J,| Icterus Typ. lymphat. Behaarung, | 174 | 2,2 | 4,5-8,7-14,0.
Arbeiter catarrhalis eutlich vergrößerter aden. (2,3).
| Rachenring Q = 79 (76)
65. L. W.,'41.J., | Ulcus ventr. | Typ. Behaarung, aden. Ra- | 157 |
Schweizer | chenring vergr., Brachia] Q = 74
u. Genua valga, Scaphoid |
scapula, Ortner-Zeichen
56. E, R., 19 J., | Ulcus ventr, | Riva-Rocci 109, große Ton- | 158 | 20 | 3,0-6,7-12,7
Dianstznäd- = | sillen, verspät. Menses Q 6,2)
| 20 | 85-8418,
(10./2.)
= 76
67. L. H., 35 J., | Ulcus ventr. | Zungengrundfollikel vergr.,| 164 | 1,7 | 2,3-5,1-11,0
Private enge periphere Gefäße,| Q = 96
- Ciero proge ana mnogigole
| 0T0S8
58. L. B., 18 J., | Ohlorose, | Aden. Gewebe am Rachen- | 175 21 |33-6,5-11,5
Private Ulcus ventr. | ring enorm vermehrt, Ute- Q = 83
: rus hypoplastisch, ebenso
Mammae und Mamillen,
Ortners Zeichen positiv T:
59. -M. M., 21 J., | Ulcus ventr. | Juveniles Aussehen, über- | 152 | 18 | 41-7,0-11,7
Dienstmäd- hängende Augenlider, Kopff-| Q = 84 Ba
chen nn dicht, Stamm unbe- |
gar
60. K. V., 86 J., | Ulcus ventr. | Riva-Rocci 115, aden, Ra-| 176 2,0 | 3,4-5,9-10,9
Arbeiter chenring vergr., Ortners Q = 88
l Zeichen |
61. A. S., 66 J.,| Oa ventr. | Typ. Behaarung, vergröß. | 171 1,8 | 3,2-7.2-12,3
Arbeiter aden, Rachenring . Q = 95
62. J. R., 2 J,| Asthma Typ. Behaarung, vergröß.| 165 | 2,0- |2,8-6,6-12,8
aden
Diener bronchiale . Rachenring, Brachia Q = 82
valga, infantile Bpiglottis
63. P. S., 32 J., | _Lungen-, 176 2,2 | 4,8-5,8-11,8
Kaufmann | Knochen- u. Q = 80
Urogenital-
. tuberkulose
64. K. T., 17 J., | Ulcus ventr. | Dichtes Kopfhaar, spärliche | 152 16 | 8,4-4,8-9,9
Private Bebaarung des Körpers, Q = %
; starke Mammae, infantile |
Mamillen, geringe Nates,
übərhängəndə Augenlider,
vergr. Rachenring, Geni-
tale hypoplastisch
65. B. K., 23 J, | Ulcus ventr. | Aden. Gewebe am Rachen- | 162 | 19 | 4,2-6,7-11,5
Dienstmäd- ring enorm vermehrt, Riva- | Q = 8.
chon > Rocci 97, hypuplastisches
Genitalo i
66. H. S., 17 J, | Apicitis, |Riva-Rocci 110, Scaphoid | i61 | 2,2 (?) | 4,9-6,6-12,5
Private Ohlor- scap. angedeutet, Ortners | Q = 78 (?
' | anämie Zeichen, periph. Gefäße eng | (undeutlic
wegen
we Mediastinitis)
67. A. S., 83 J, Icterus Typ. Lymphatiker - Behaa- | 164 2,0 | 3,0-7,0-12,0.
Arbeiter | catarrhalis rung, aden. Rachenring u. Q L 2
nach Ulcus | Lymphdrüsen am übrigen. E
duodeni Körper etwas vergrößert
der großen Differenzen zwischen den Aortenquotienten von Nor-
malen und Lymphatikern auch das häufig abnorme Längenwachs-
tum der Röhrenknochen bei einem gewissen Typus der Lympha-
tiker-eine Rolle Wir sehen aber auch bei, der andern Kategorie
der Lymphatiker, dem kleinen Typus, analoge Verhältnisse; es
dürfte also beim Zustandekommen hoher Aortenquotienten das
atypische Längenwachstum bloß ein unterstützendes Moment dar-
stellen. Wie immer sich dies aber verhalten mag, es erschien
der Hinweis auf die annähernde Konstanz des Befundes als
maßgebend und. es dürfte ein Zufall angesichts der immerhin
großen Zahl von Untersuchungen kaum anzunehmen sein. Zu
den mitgeteilten Tabellen ist weiter noch zu bemerken, daß bei
Berechnung der Aortenquotienten im Interesse der Uebersichtlich-
keit die Dezimalstellen nicht berücksichtigt wurden. Eine Einer-
. stelle auf- oder abwärts spielt ja bei solchen beiläufigen Ver-
hältniszahlen keine Rolle! Ueber die nicht uninteressanten Be-
ziehungen zwischen den (nach Moritz) angegebenen Herzmaßen
und der Aortenschattenbreite wird ebenfalls Dr. Radonilic be-
richten. Hier sei nur mit Bezug auf die gefundenen Zahlen dar-
auf hingewiesen, daß vielfach (aber nicht durchgehends) ein ge-
wisser Parallelismus zwischen den Abweichungen von ‘der Norm
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1230 = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 80,
28, Juli.
— insbesondere nach unten — bei Aortenband einerseits und
Herzsilhoustte anderseits nachweisbar ist.
Es war an die Möglichkeit zu denken, daß die Individuen
mit schmalem Aortenschatten vielleicht in die Gruppe des Habitus
enteroptoticus zu rechnen seien, insbesondere da Stiller!) in
seiner Beschreibung des Habitus asthenicus eine „asthenische
Hypoplasie des Herzens und der Gefäße“ postuliert. Soweit sich
nun die Begriffe asthenischer respektive enteroptotischer Habitus
mit dem Lympbatismus decken — was tatsächlich manchmal der
Fall ist — wäre dies praktisch ohne Bedeutung; da aber eine
große Zahl von Lymphatikern keinen „asthenischen Habitus“ auf-
weisen und anderseits die — anatomisch nicht scharf abgegrenzte
— Anomalie Stillers sehr häufig bei Nichtiymphatikern zu finden
ist, erscheint es wichtig, zu betonen, daß eben eine solche Koinzi-
denz nicht besteht. Es finden sich unter den Individuen mit
hypoplastischer Aorta nur verhältnismäßig wenige mit Enteroptose,
und umgekehrt zeigen die meisten Individuen mit Einteroptose
normales Aortenlumen (in den Tabellen sind gelegentlich dies-
bezügliche Befunde verzeichnet). Dieser Hinweis ist besonders
deshalb von Belang, weil etwa die falsche Auffassung Platz greifen
könnte, daß infolge eines Zwerchfelltiefstandes die Aorta — als
elastisches Rohr — durch das als belastendes Gewicht wirkende
.Herz gedehnt und dadurch verschmälert werden könnte. Ab-
gesehen von dem erwähnten Fehlen eines ständigen Zusammen-
treffens dieser beiden Konstitutionsanomalien ist in Betracht zu
ziehen, daß eine solche Annahme nur dann zu Recht bestände,
wenn die Aorta einerseits an ihrer höchsten Stelle unverschieblich
fixiert wäre und anderseits das Herz in der Brusthöhle seinem
Gewichte frei folgen könnte. Das ist nun bekanntlich nicht der
Fall, sondern es zeigt sich (vgl. O. Stoerk?)], daß neben den
starren Fiächen der Innenseite der vorderen Thoraxwand und im
weiteren Sinne der Zwerchfelloberfläche im Herzbeutelbereiche nur
Vena cava inferior und Aorta thoracica descendens (mit ihren
fixierten Abzweigungen, den Intercostalarterien) für die Fixation
des Herzens in Betracht kommen. Ueberdies ist in Betracht zu
ziehen, daß beim typischen Lymphatiker nicht Zwerchtelltiefstand,
sondern im Gegenteil Zwerchfellhochstand bei auffallend kurzen
Lungen — wenigstens beim fetten Typus — die Regel ist.
Ein weiteres Moment, das zu bedenken war, bilden die Blut-
druckschwankungen und die infolgedessen zu erwartenden Volum-
schwankungen der Aorta bei ein und demselben Individuum zu
verschiedenen Zeiten. Aus obigen Tabellen zeigt sich aber, dab
bei mehrfacher Untersuchung desselben Patienten an verschiedenen
Tagen die erhaltenen Resultate um höchstens 3 mm schwankten.
Dieses Ergebnis bestätigt nicht nur die Verläßlichkeit der Unter-
suchungsmethode, sondern es bildet auch einen Hinweis darauf,
daß das Aortenlumen zu verschiedenen Zeiten und unter ver-
schiedenen Druckverhältnissen seinen Durchmesser nicht erheblich
ändern dürfte. Zum Schluß sei noch ausdrücklich betont, daß die
Technik der orthodiagraphischen Untersuchung des schmalsten
Aortendurchmessers, wie sie von uns geübt wird (in optimaler,
schräger Durchleuchtungsrichtung), durchaus keine Schwierigkeiten
darbietet und von jedem, dem ein Röntgenlaboratorium zur Ver-
fügung steht, leicht und bei einiger Uebung verläßlich auszu-
führen ist. |
Ueber den Einfluß balneotherapeutischer
Maßnahmen, besonders des Wechselstrombads
auf das Herz und die Form des Elektro-
kardiogramms, sowie über die Bedeutung des
Elektrokardiogramms für die Klinik der
Herzkrankheiten’)
von
_ Prof. Dr. A, Strubell, Dresden.
Immer mehr drängt sich uns die Ueberzeugung auf, wie nötig
es ist, nicht nur exakt zu diagnostizieren, sondern auch unser
therapeutisches Handeln mit objektiven Methoden einer Kontrolle
zu unterziehen. Und diese Erkenntnis bat sich uns auch bei
denjenigen therapeutischen Maßnahmen aufgedrängt, die von alters
t) Die asthenische Konstitutionsanomalie. (Monographie 1907 und
Berl. kl. Woch. 1911, H. 8.)
3) Zt. f. kl. Med. Bd. 69, H. 1 u. 2. |
3) Vortrag, gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin 1912.
her seit Jahrtausenden Gemeingut aller ärztlichen Generationen
gewesen sind, bei den hydro- und balneotherapeutischen Appli-
kationen. Es genügt nicht zu wissen: ein kohlensaures oder
elektrisches Bad wirkt günstig auf ein Herzleiden, wir wollen die
Art dieser Wirkung genauer verstehen und sie, soweit dies nötig
erscheint, in jedem einzelnen Falle feststellen und verfolgen können.
In diesem Sinne sind die verschiedentlichsten Bemühungen zu
verstehen, bei denen man sich für die Therapie der Herz- und
Gefäßkrankheiten besonders dreier Methoden bedient hat: der von
Samuel von Basch inaugurierten Blutdruckmessung, des
Röntgenverfahrens und des Elektrokardiogramm:s.
Im folgenden will ich meine Erfahrungen über den Einfluß
der elektrischen Wechselstrombäder auf den Blutdruck und
das Elektrokardiogramm kurz schildern.
Wenn wir das Wesen der Wirkung eines elektrischen
Wechselstrombads auf den Kreislauf des Menschen verstehen
wollen, so ist es gut, auf das Tierexperiment zurückzugreifen und
sich derjenigen Methode zu erinnern, deren sich Samuel von Basch
bediente, um während des Experiments die normale oder patho-
logische Kreislaufreaktion eines Versuchstiers zu prüfen: ich meine
die faradische Ischiadieusreizung, welche bei gleichzeitiger Messung
des Arteriendrucks und des Druckes im linken Vorhofe je nach
dem gesunden oder pathologisch veränderten Verhalten des Herzens
und der Gefäße verschiedene Resultate ergibt. Reizen Sie einem
normalen Hunde den freigelegten Ischiadieus mit mäßig starken
faradischen Strömen, so steigt der Arteriendruck beträchtlich, der
Vorhofsdruck sinkt. Das heißt: trotz der beträchtlichen peripheren
Contraction der arteriellen Gefäße wirft das Herz gegen die er-
höhten Widerstände mehr Flüssigkeit heraus als vorher und ent-
nimmt also aus seinem Reservoir, dem linken Vorhofe, mehr Blut,
als in der Zeiteinheit aus den Lungengefäßen wieder zuströmt.
Diese normale Reaktion verkehrt sich in ihr Gegenteil, sobald das
Herz von irgendwelchen Schädlichkeiten betroffen ist. Das er-
krankte oder vergiftete Herz antwortet auf die Ischiadicusreizung
zunächst damit, daß der Arteriendruck zwar steigt, daß der Vor-
hofsdruck aber ebenfalls statt zu sinken erhöht wird. Das Herz
ist noch kräftig genug, gegen einen erhöhten Blutdruck anzu-
kämpfen, aber schon schöpft es weniger aus seinem Reservoir als
vorher, es ist dies ein Zustand, den von Basch als die sekundäre
Insuffizienz des Herzens bezeichnet. Dieses reaktive Ver-
halten ändert sich mit zunehmender Schädigung des Herzmuksels
dahin, daß der Arteriendruck sinkt und der Vorhofsdruck nunmehr
wieder beträchtlich steigt. Der geschwächte Herzmuskel kämpft
nicht mehr erfolgreich gegen die erhöhten Widerstände an, trotz
derselben sinkt der Blutdruck, weil das Herz überhaupt nicht mehr
imstande ist, die physiologisch notwendigen Mengen in die Arterien
zu befördern, der Druck im Vorhof und in den Lungenarterlen
steigt, und es treten in den Lungen diejenigen Zustände auf,
welche von Basch als die Lungenschwellung und die Lungen-
starrheit bezeichnet. Diese Reaktionen muß man sich stets vor.
Augen halten, wenn man die Geschehnisse während eines Wechsel-
strombads verstehen will. Es passiert hier genau dasselbe wie
im Experiment, nur daß als Reizstelle nicht der freigelegte
Ischiadicus, sondern die Nerven der Hautoberfläche zu betrachten
sind. Aber ein Moment kommt noch hinzu, das ist die vorherige
Erschlaffung der arteriellen Gefäße im warmen Bade, die mit der
Methodik zu beobachten ist, welche ich seit Jahren verwende. Ich
pflege den Patienten zunächst ohne Strom in das Warmwasserbad
von 28—290 R zu setzen, nachdem ich vorher Puls und Blut-
druck gemessen habe. Nach zwei bis fünf Minuten erfolgt eine zweite
Messung, die bei normalen und in der Regel bei pathologischen
Gefäßzuständen ein Herabsinken des Blutdrucks von 20—30 mm
Quecksilber, gemessen mit dem Sphygmomanometer von von Basch,
ergibt. Erst wenn diese Dilatation der peripheren Gefäße einge
treten ist, leite ich vorsichtig den Strom von etwa 10,
höchstens 30 Milliampere zu. Nunmehr tritt im klinischen
Experiment dieselbe Reaktion wie bei der Ischiadieusreizung elf;
der Arteriendruck steigt, der Vorhofsdruck sinkt, was sich bel
noch günstig reagierenden, leichter erkrankten Herzfällen in einer
Verminderung eventuell bestehender Dyspnoe äußert. Die Steige-
rung der Stromzufuhr auf etwa 25 oder 30 Milliampöre erhöht
ihrerseits den im warmen Bade gesunkenen Blutdruck um 20 bis
30 mm Quecksilber. Mit dem langsamen Abstellen der Strom-
zufuhr sinkt nunmehr der Arteriendruck herab, oft tiefer als er
vorher im bloßen warmen Wasser sich befunden hat. Der Patient
verläßt zwei bis drei Minuten nachher das-Bad mit beträchtlich
erschlafften Gefäßen, der Blutdruck bleibt in den meisten Fällen noch
nach einer halben bis einer Stunde unter dem gewöhnlichen Niveau.
[nn er
98, Juli:
3
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
1231:
Dieses typische Verhalten gesunder - und leichter erkrankter
Herzen ändert sich deutlich bei schwereren Fällen, bei denen zu
der Minderwertigkeit des Motors noch eine dauernde, auf Angio- und
‚Arteriosklerose beruhende Erhöhung peripherer Widerstände hinzu-
kommt. Hier genügt oft der zwei bis fünf Minuten lange Aufenthalt
im warmen Badewasser nicht, um einen auf 160 oder 180 mm er-
höhten Blutdruck bis zur Norm herabzusetzen, und die Einwirkung
des elektrischen Wechselstroms erhöht zwar ihrerseits wieder den
Blutdruck, erhöht aber gleichzeitig den Druck in den Lungen-
gefäßen, was sich in .der in geringem oder. starkem Maß auf-
'tretenden Dyspnoe dokumentiert. Bei garz exquisiten Fällen von
Angio- und Arteriosklerose sinkt infolge einer perversen Reaktion
der Gefäße der Blutdruck im warmen Wasser überhaupt nicht,
steigt sogar und es erfolgt, sobald der Strom eingestellt ist, eine
Herabsetzung infolge sekundärer Herzinsuffizienz nach von Basch,
verbunden mit rasch sich steigernder Dyspnoe; dem Patienten wird
es unbehaglich im Bade, das Wasser lastet auf seiner Brust, er
atmet schwer und verlangt aus dem Bade heraus.
Ich arbeite seit nunmehr sieben bis acht Jahren stets in der
eben skizzierten Weise und verfehle nicht, bei jedem einzelnen
Falle, den ich behandele, in dieser Weise vorzugehen. Es ist
mir nicht möglich gewesen, sämtliche Messungen schriftlich zu
fixieren, sie belaufen sich auf etwa 30000; ich verfüge nur über
Aufzeichnungen von etwa 5000 Messungen bei 450 Einzelbädern.
Durch die Anwendung der elektrokardiographischen Untersuchung
mit dem Einthovenschen Saitengalvanometer für die Klinik des
Herzens, wie sie durch Kraus und Nicolai wirklich klinisch be-
gründet und im unmittelbaren Anschluß an diese Autoren von mir
auf das wärmste befürwortet worden ist, ist es möglich geworden, bal-
neotherapeutische Resultate mit dieser diagnostischen Methode zu
kontrollieren. Ich bin in der Lage, mitzuteilen, daß die Nach-
schwankung des Elektrokardiogramms, auf welche ich in dia-
guostischer und prognostischer Beziehung das größte Gewicht lege,
durch die methodische Anwendung elektrischer Wechselstrombäder
in günstiger Weise beeinflußt wird. Und zwar habe ich diese
‚günstige Wirkung der elektrischen Wechselstrombäder auf das
Elektrokardiogramm beobachten können bei leichteren Fällen, bei
denen ich das Wechselstrombad als einzige therapeutische Maß-
nahme verwendet habe, und ebenso oder noch besser bei den
Fällen, bei denen vorher durch eine medikamentöse Behandlung
eine klinische Besserung erzielt oder angebahnt worden ist. Diese
günstige Wirkung auf die Nachschwankung des Elektrokardio-
gramms dokumentiert sich. in einer deutlichen Erhöhung. Nur
eine Kategorie von Fällen ist hiervon auszunehmen, das sind die
Fälle von thyreotoxischer Herzvergiftung, bei. denen infolge der:
Ueberschwemmung des Kreislaufs mit- Kropfgift sich eine Reizung
des Herzens durch eine hier pathologische Erhöhung der Nach-
schwankung bei sonst muskelschwachen Frauen und Männern
dokumentiert. Hier sinkt die Höhe der Nachschwankung nach der
Behandlung als Ausdruck eines günstigen Effekts. |
Selbstverständlich sind beträchtliche Aenderungen der Nach-
schwankung des Elektrokardiogramms im allgemeinen nicht zu
erwarten bei denjenigen Fällen, wo die Finalzacke negativ ist, was
Wir, nach meiner Erfahrung, als ein prognostisch ungünstiges Mo-
ment ansehen müssen. Ich sage, daß im allgemeinen die negative
Nachschwankung weder durch das Wechselstrombad noch auch
durch medikamentöse Einwirkungen auf das Herz in eine positive
umgewandelt werden kann, bin mir aber der Ausnahmen wohl
bewußt, an die wir hier zu denken haben — ich meine diejenigen’
ormen des Elektrokardiogramms, wo infolge einer Blockierung
des linken Tawaraschenkels auf eine normale Vorhofssystole ein
atypisches rechtsseitigesKammerelektrokardiogramm mit nach unten
serichteter Nachschwankung erfolgt. Ich habe durch Anwendung
von Digitalis in Verbindung mit Wechselstrombädern diese Ano-
malie des Reizablaufs i. e. die Blockierung des linken Tawara-
schenkels aufheben können, ebenso wie es mir neuerdings bei
re Falle gelungen ist, durch ‚intravenöse Injektion des Digi-
aisdialysates Golaz eine Blockierung des rechten Tawaraschenkels
tan gleichen und ein normales Elektrokardiogramm wiederherzu-
- ne ‚Dies sind meines Wissens die ersten bisher beobachteten
ni A dieser Art. Eine. gewöhnliche negative Nachschwankung
i T \ nach meinen Erfahrungen weder durch physikalische. noch
wch medikamentöse Therapie wieder ausgeglichen.
; ch verfüge über Untersuchungen an gesunden Schwimmern,
ren Nachschwankung bei meinen stets gleichmäßig angestellten
füge en Immer eine gleiche, steile gewesen ist —, ich ver-
= di er Untersuchungen an alten Leuten bis zu 87 Jahren,
sselbe Zacke mit dem Alter aber auch im Verhältnis zu dem
Gesundheitszustande des Herzens allmählich abnimmt — ich ver-- |
füge über eine große Anzahl Fälle von: Neurasthenie und Herz-
neurose, Fälle mit thyreotoxischer Vergiftung und steiler Nach-
schwankung, die in offenkundigem Gegensatz zu der Muskelschwäche
der . betreffenden Individuen standen, über eine noch größere An-
zahl von Fällen mit schwerer Herzinsuffizienz, Arteriosklerose in.
allen. Stadien, bei denen die Finalschwankung kleiner geworden
ist, fehlt oder negativ auftritt. |
101 Einzelbeobachtungen an 90 Fällen: von Herzneurose und.
Neurasthenie zeigen das sehr häufige Vorhandensein der Ip-Zacke.
Nur in 9 von 101 Beobachtungen war sie nicht vorhanden, also
ist sie in rund 90 °0/ọ der Fälle mehr oder minder stark aufgetreten.
Das spricht meines Erachtens dafür, daß das Auftreten dieser.
Zacke nicht ohne Bedeutung ist, und ich halte an dem Aus-
drucke „Neurasthenikerzacke“ wie bisher fest, wobei ich nicht.
behaupten will, daß jeder Neurastheniker dieselbe haben müsse; es
genügt mir, daß sie in etwa 90%, meiner Fälle vorhanden gewesen
ist.. — Bei diesen mit Herzneurose behafteten Patiönten war des wei-
teren die Nachschwankung 52 mal größer als 5 mm, also größer als
sio bei meiner Versuchsanordnung ein normales Herz haben soll oder
muß. Das deckt sich mit der klinischen Auffassung, die wir von
der Herzneurose haben und laut der die Patienten trotz subjek-
tiver und objektiver Beschwerden über einen gesunden Herzmuskel `
verfügen. 188 Fälle von wirklich organischen Herzpatienten zeigten
nur in 57 Fällen, das heißt in 30°, ein vorhandenes Ip, während
die Finalzacke nur 21 mal, das heißt 11°/, der Fälle, größer als
5 mm war. Selbst wenn wir also in Rechnung ziehen, daß bei
den Herzneurasthenikern nur 6°/, der Fälle älter als 50 Jahre
waren, bei den eigentlich organisch Herzkranken aber 65 Fälle,
das ist 300%, das 50. Lebensjahr überschritten hatten, so muß
das im allgemeinen niedrige Verhalten der Finalzacke bei den
organisch Herzkranken zweifellos sehr auffällig erscheinen. Es
haben also bei diesen letzteren rund 90°], der Fälle eine Nach-
schwankung, die kleiner als 5 mm ist, wozu noch in einer nicht
unbeträchtlichen Anzahl die Umkehrung der Nachschwankung ins
Negative als. prognostisch besonders ungünstig aufzufassendes Mo-
ment hinzutritt. |
Fünf Fälle von großem Aortenaneurysma zeigten keine be-
trächtlichen Veränderungen der elektrokardiographischen Kurve,
was ein Beweis für die Specifieität der Methode ist, das will sagen,
daß das Elektrokardiosgramm eben streng an die eigentlichen. Ver-
änderungen des Herzmuskels gebunden. erscheint, während ziemlich
große, in nächster Nähe des Herzens vorhandene anatomische Ver-
änderungen keinen wesentlichen Einfluß auf den Reizablauf haben
müssen.
Während bereits durch ein halbes Jahrhundert die wissen-
schaftliche Welt über die Bedeutung der negativen Schwan-
kung im Muskel vom physikalisch-theoretischen und vom physio-
logischen Standpunkt vollkommen orientiert ist, hat erst die Ein-
führung eines so feinen Apparats wie das Enthovensche Saiten-
galvanometer die Anwendung dieser Kenntnis für die Klinik
ermöglicht. Die Elektrokardiographie hat uns zu wertvollen Resul- -
taten geführt, und es ist heute wohl für niemanden mehr zweifel-
haft, daß das Elektrokardiogramm als ein wichtiges klinisches
Kriterium anzusehen ist. Können wir auch heute noch nicht alle
Veränderungen des Reizaklaufs in unmittelbarsten Zusammenhang
bringen mit bekannten anatomischen Veränderungen : des Herz-
muskels, so dürfen wir nicht in Vergessenheit geraten lassen,
wie viel uns auf diesem Gebiete gerade die Anatomie und be-.
sonders die pathologische Anatomie des Herzens lange Zeit schuldig
geblieben ist, während wir gerade durch das moderne Studium des
Reizablaufs im Elektrokardiogramm vollständig neue Beurteilungs-
möglichkeiten gewonnen haben über funktionelle Veränderungen im
Herzen, die bisher weder durch das Stethoskop, den Perkussions-
hammer, den Röntgenschirm noch das Sphygmomanometer aufge- _
klärt werden konnten.
Sind bei der chronischen Stauungsinsuffizienz
des Magens die gebräuchlichen häufigen- Spü-
Jungen und Ausheberungen entbehrlich?
. Von |
Dr. Matthias. Gockel,
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Aachen; ~"
Wenn bei der motorischen Insuffizienz des Magens infolge Í
‘von narbigen, perigastritischen, carcinomatösen und andern orga-'..-
nischen Veränderungen ein operativer Eingriff nicht vorgenommen -
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werden kann, so werden bekanntlich Magenspülungen verordnet.
Da aber die nämlichen äußeren und inneren Gründe, welche die
Operation verhindern, in vielen Fällen auch die Magenspülungen
verbieten, und da ferner deren tägliche Vornahme auf die Dauer
für den Patienten und die Umgebung eine unbequeme therapeu-
tische Maßnahme darstellt — abgesehen davon, daß nicht selten
durch Ueberanstrengung oder durch zu starke Entchlorung des
geschwächten Organismus bedrohliche Kollapserscheinungen auf-
treten —, so dürfte wohl die Frage der Besprechung wert sein,
ob es nicht möglich ist, durch eine einfachere und schonendere
Behandlungsweise die Beschwerden der bedauernswerten Kranken
zu lindern. Auch Boas tritt in der neuesten Auflage seines
Lehrbuchs (1) der Anwendung zu häufiger Magenspülungen nicht
nur bei den Krankheiten des Magens im allgemeinen, sondern
auch bei dessen chronischer mechanischer Insuffizienz entgegen.
Und wenn er sagt, daß bei letzterer nach seinen neuesten Er-
fahrungen die tägliche einfache Expression den Spülungen an
Wirkung nicht nachstehe, so kann ich dies auf Grund meiner Be-
obachtungen in den letzten drei Jahren nicht nur bestätigen,
sondern noch dahin ergänzen, daß wir je nach der Größe der
motorischen Störung therapeutisch die Spülungen in
der Regel entbehren und die Expressionen teils unter-
lassen, teils auf ein Mindestmaß einschränken können.
Dies ist erreichbar, wenn wir. neben den diätetischen Vor-
schriften, und den bekannten, im Bedarfsfalle notwendigen sym-
ptomatischen Verordnungen (z. B. rectale Kochsalzeinläufe, Nähr-
klystiere usw.) eine energische antazid-antifermentative Behand-
Jung durchführen. |
Sie muß aber dergestalt sein, daß sie nicht nur oberflächlich
den Stauungsprozeß, sondern auch wirksam dessen Begleit- und
Folgeerscheinungen beeinflußt. In dieser Hinsicht hat sich mir
das 25 0/yige Magnesiumperhydrol Merck sehr gut bewährt.
Der Grund kierfür ergibt sich aus folgender Ueberlegung:
Wenn das genannte Präparat, welches aus 25 Teilen Magnesium-
superoxyd (MgOs) und 75 Teilen chemisch reiner Magnesia usta (MgO)
nach einem patentierten Verfahren hergestellt wird, mit verdünnten
Säuren, die ja stets auch im stagnierenden Mageninhalte sich vorfinden,
in Berührung kommt, so wird Sauerstoff in statu nascendi frei, wobei er
eine fäulniswidrige, desodorierende und antifermentative,
also eine oxydierende Wirkung entfaltet (2).
Die Magnesia usta ferner geht je nach der chemischen Beschaffen-
heit der gestauten Ingesta basische und neutrale Verbindungen ein. Es
bildet sich vorwiegend Magnesiumiphosphat, Magnesiumchlorid, Magnesium-
carbonat, Magnesiumlactat und Magnesiumsulfid. |
Durch diese chemische Umwandlung vollzieht sich zu gleicher Zeit
eine oft bis zur Alkaleszenz reichende Herabsetzung der meist
hohen Acidität des Speisebreies; außerdem tritt eine intensive Ab-
sorption und Adsorption von Gasen ein, die sich, wie einwandfrei
nachgewiesen ist (8), im stagnierenden Mageninhalte vorwiegend als H,
NH, CO, CO: und HsS entwickeln.
So hört, wie ein leichtes Experiment zeigt, die Schwefelwasser-
stoffreaktion, die bekanntlich in einer Braun- bis Schwarzfärbung eines
mit Bleiacetatlösung getränkten Fließpapierstreifens besteht, sofort auf,
wenn man den HaS-haltigen Mageninhalt mit MgO verrührt.
Wie groß, nebenbei bemerkt, die gasbindende Fähigkeit des letzteren
ist, geht daraus hervor, daß 1 g Magnesia usta 1000 ccm Kohlensäure
aufzunehmen vermag (4). |
Dieser chemisch-pbysikalische Prozeß befördert nun einer-
seits, wie man sich durch einen kleinen Laboratoriumsversuch über-
zeugen kann, die bereits durch das Superoxyd eingeleitete Deso-
dorierung der schmutzig riechenden, stagnierenden Ingesta und
unterstützt anderseits auch die Oxydationswirkung des H202 auf
die ‚bei der Stauung entstehenden Fäulnisprodukte. Die Möglich-
keit und der .nachteilige Einfluß einer Autointoxikation wird
demnach vermindert. Ferner hat die Neutralisierung noch eine
antizymotische Wirkung insofern zur Folge, als die hier haupt-
sächlich in Betracht kommenden Gärungserreger, wie Milchsäure-
bacillen, Sarzine, Hefe in schwach sauren oder alkalischen Nähr-
böden sich schlechter entwickeln, beziehungsweise absterben.
Wir sehen also, daß die oxydierende, desodorierende
und antifermentative Tätigkeit des Perhydrols durch die
Magnesia usta ergänzt wird.
Weiterhin hat die geschilderte Veränderung des Magen-
inhalts die Wirkung, daß eine traumatisch -entzündliche
Reizung der Schleimhaut verhindert oder doch wenigstens ab-
geschwächt wird. Infolgedessen wird der reflektorische Spas-
mus der Muskulatur gar. nicht oder in geringerer Stärke aus-
gelöst und hierdurch eine Schonung des Organs und eine be-
schleunigte Entleerung der Ingesta in den Darm erzielt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
Ein analoges Verhalten beobachten wir ja auch bei der
Motilitätsstörung der Speiseröhre, z. B. infolge einer Stenosis
cardiae.
Nicht gering möchte ich schließlich die Anregung der
Peristaltik anschlagen, die beim Gebrauche des Magnesium-
perhydrols und der Magnesia usta stattfindet. Die schmerzlose
Beseitigung der hartnäckigen Obstipation, die ja in den meisten
Fällen der chronischen Stauungsinsuffzienz des Magens vor-
herrscht, wird von den Patienten als eine große Erleichterung
empfunden. Daß hierbei auch eine Beeinflussung der schon er-
wähnten Autointoxikation infolge schnellerer Eliminierung. von
Zersetzungsprodukten eine Rolle spielt, ist nicht unwahrscheinlich.
Auf das geschilderte Verhalten des Magnesiumperhydrols im
Magendarmkanal glaube ich nun die vorteilhafte Veränderung im
Krankheitsbilde der von mir behandelten Patienten zurückführen
zu müssen. Bereits nach einigen Tagen war die sicht- und fühl-
bare Magensteifung teils gar nicht, teils nur in geringem Maße
nachweisbar. Die Diurese wurde reichlicher. Das Gefühl von
Durst und Völle, das sich bei einigen Patienten zeitweise bis zur
Schmerzhaftigkeit steigerte, ließ bald an Stärke nach oder ver-
schwand.
ständig geschmacklos. Das häufige und vielfach copiöse Erbrechen
hörte entweder ganz auf oder stellte sich nur vereinzelt ein. Das
quälende Durstgefühl ließ nach, der Appetit besserte sich, und
statt der stets vorhandenen starken Verstopfung erfolgten fast
täglich ein bis mehrere schmerzlose Stühle. Der bisherige
Gewichtsverlust kam je nach der Schwere des Falles auf längere
Zeit zum Stillstand. Und nicht nur bei den benignen Stenosen,
sondern auch bei drei Careinomkranken war in den ersten Wochen
eine Gewichtszunahme festzustellen. Sämtliche Patienten betonten
mehr oder minder eine wesentliche Besserung des Allgemein-
. befindens.
Von der ermüdenden detaillierten Anführung der Kranken-
geschichten glaube ich absehen zu können, da bei allen die objektiven
und subjektiven Symptome, der Befund, die Diagnose und der Verlauf
im wesentlichen übereinstimmen und nichts Neues darbieten.
Ich möchte deshalb nur kursorisch erwähnen, daß unter Nicht-
berücksichtigung von drei Fällen mit absoluter Insuffizienz, auf die ich
später zurückkommen werde, die hier niedergelegten Beobachtungen auf
neun Patienten sich erstrecken.
Es waren fünf Carcinome des Pylorus beziehungsweise der kleinen
Kurvatur mit deutlich fühlbarem Tumor, mit absolutem Salzsäuremangel,
Milchsäure und Boas - Opplerschen Bacillen im nüchtern expri-
mierten Mageninhalt und mit okkulten Blutungen im Stuble. Die Kranken -
waren zwei Frauen von je 58 und 65 Jahren und drei Männer von Je
47, 61 und 70 Jahren. Die Beobachtungszeit dauerte 8, 5, 1!/s, 6 und
1%/;, Monate. (Letzterer Fall steht noch in Behandlung mit gutem Be-
finden und einer Gewichtszunahme von drei Pfund.)
Ferner kommen eine carcinomatöse und drei narbige Pylorusstenosen
in Betracht mit freier Salzsäure, Hefe, Sarzine und H»S-Reaktion in den
nüchtern ausgeheberten Speiseresten. Die erstere war bei einem Manne
von 48 Jahren und die drei letzteren betrafen eine Frau von 40 Jahren
und zwei Männer von je 25 und 85 Jahren.
Diese vier Patienten ließen sich im Laufe der Behandlung zur
Operation bereden, und zwar der 48jährige Mann mit Pyloruscarcınom
nach 15 Monaten während der Niederschrift der Arbeit (Resektion
des hochsitzenden, mit dem Pankreas verwachsenen Tumors, Gastroenter-
ostomie — mikroskopische Untersuchung Carcinom. — Befinden gut.)
Die drei gutartigen Pylorusstenosen wurden nach vier Wochen,
beziehungsweise nach drei und nach acht Monaten operiert. Während
es der Frau gut geht, starb der 25jährige Patient drei Tage post opera-
tionem an einer Verblutung aus einem Ast der Arteria colica. Der
andere wurde infolge eines Durchbruchs des Murphyknopfes durch die
Darmwand nach einigen Monaten nochmals laparatomiert und leidet seit-
dem an heftigen Schmerzen durch die Bildung einer handtellergroßen, als
flacher harter Tumor fühlbaren peritonitischen Verwachsung mit der vor-
deren Bauchwand.
Als springenden Punkt bei der Behandlung dieser neun Pa-
tienten muß ich hervorheben, daß bei keinem einzigen Magen-
spülungen gemacht wurden. Vielmehr habe ich mich zur
Feststellung der Diagnose auf die Expression des Mageninhalts
beschränkt und dieselbe auch nur bei sechs Patienten, und zwar
lediglich zu Untersuchungs- und Beobachtungszwecken in ein- bis
zwei- bis dreiwöchigen Pausen wiederholt.
Wohl wurden bei den drei schon kurz erwähnten Fällen von
absoluter Insuffizienz, da das Magnesiumperhydrol versagte, ver-
gleichsweise Magenspülungen, jedoch auch ohnejeden Erfolg, eine Zeit-
lang vorgenommen. (Es handelte sich um ein ausgedehntes Flächen-
carcinom mit Lebermetastasen und um je eine carcinomatöse und
narbige Pylorusstenose. Bei den zwei letzteren wurde die Gastro-
enterostomie gemacht.)
Das schmutzige Aufstoßen wurde nahezu oder voll-
Fe
98. Jali. | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. |
Auf Grund meinor Darlegungen dürfte die von mir im An-
fange der Abhandlung aufgestellte‘ Behauptung bewiesen sein,
daß bei der chronischen motorischen Insuffizienz des
Magens die Spülungen desselben, wie auch die wieder-
holten Expressionen in der Regel unterlassen und durch
sine zqweckmäßige antifermentative Behandlung ersetzt
werden können. a |
-Bezüglich der Verordnung des Magnesiumperhydrols sei be-
merkt, daß ich drei- bis viermal täglich einen Teelöffel nehmen ließ,
und zwar nüchtern, nachmittags und abends spät und eventuell noch-
mals während der Nacht. Bei zu reichlicher Stuhlentleerung ge-
nüpten 15 Tropfen einer 1-0/ọ igen. Morphiumlösung ein- bis drei-
mal täglich, um die Darmtätigkeit zu regulieren.
Zum Schluß ist noch die Frage aufzuwerfen, ob nicht statt
des steten Gebrauchs des teuren 25 %%, igen Magnesiumperhydrols
zeitweilig die einfache billige Magnesia usta als. Ersatz ein-
treten kann. | | | |
Von zwei Patienten, die ich im Laufe der Behandlung vierzehn
< em
glaubte der eine: keinen Unterschied in der Wirkung, der andere
dagegen wieder eine Zunahme seiner Beschwerden bemerkt zu
haben. Weitere Beobachtungen müssen dies aufklären. Vor dem
Gebrauche des Natrium bicarbonicum und der Magnesia carbonica
bei der Stauungsinsuffizienz möchte ich warnen, da die hierbei
"entstehende Kohlensäureentwicklung durch Auftreibung des dila-
tierten Magens zu unangenehmen F'oolgeerscheinungen führen kann.
Literatur: 1. Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten;.
6. Aufl, 1911. — 2, Wegen der reichhaltigen Literatur über Wasserstoffsuper-
oxyd und Magnesiumperhydrol muß auf das von der Firma Merck herausgegebene
Referat verwiesen werden. — 3. Die Literaturangaben siehe bei Boas S. 193 und
194, — 4, Rabow-Borget, Arzneimittellehre,
Ueber den Einfluß des Seeklimas auf den
Blutkreislauf‘)
von
Dr. Ide, Amrum.
Eine . eingehendere Behandlung hat die Thalassotherapie
der Krankheiten der Circulationsorgane bisher noch nicht ge-
funden. Ich möchte im nachstehenden eine solche geben, so-
weit die bisher vorhandenen Grundlagen und Erfahrungen dies ge-
statten. Leider lassen die Grundlagen, die klimatologischen und
noch mehr die physiologischen, ‚vielfach noch recht zu wünschen
übrig und bedürfen auch die hier angeführten Erfahrungen noch
In mancher Hinsicht der Ergänzung.
.Das Seeklima wirkt von zwei Seiten auf den Blutkreislauf
der Haut aus wirken die gleichmäßige Temperatur und Feuchtigkeit
der Seeluft sowie die hohe Feuchtigkeit an sich, .und ferner der
Wind, von der Lunge aus verschiedene Bedingungen einer besseren
Anerstoffrersorgung, von. beiden Seiten der erhöhte Barometer-
u an der-See. Von-diesen Einflüssen haben einige eine Er-
„ülermng des Blutumlaufs zur Folge und damit eine Schonung
a en Es sind dies die Gleichmäßigkeit der Temperatur
oi euchtigkeit sowie letztere an sich und ferner die bessere
mi wofversorgung an der .See. Den Blutumlauf erschwerend
sa Pa Anforderungen an das Herz stellend wirken jedoch
i : Körperperipherie aus der Wind und der hohe Atmo-
y en nn Betrachten wir nun diese Faktoren im einzelnen,
We f en uns dabei. nicht in die tiefere klimatologische Begrün-
ui z erselben verlieren, sondern nur die für den Blutumlauf
aieiaa Gesichtspunkte, und zwar möglichst zahlenmäßig,
2 His en. ‚Was die Gleichmäßigkeit der Temperatur betrifft,
t He agen die Interdiurnen Schwankungen im Jahresdurchschnitt
Sal Soland 1,1, und gehören Aenderungen von 2° schon zu den
eltenheiten. In München d u j .
Yhrsdurchschnitt 21. n dagegen z.. B. betragen dieselben im
Br mal, von 60 12 mal und von 80 noch über 4 mal beob-
|
wirkt Ks demselben Sinne wie Gleichmäßigkeit der Temperatur
|
|
|
|
|
-O ne eee a a a E Ser.
ist Ta Feuchtigkeit, Die Wasser- und Wärmeverdunstung
beträgt n ich abhängig von dem Sättigungsdefizit. Letzteres
un in Berlin morgens 6 Uhr 3,2 und nachmittags 2 Uhr
107 m
ne a o | Schwankung also 7,5 mm. In Borkum dagegen
morgens zu 87 e Schwankung von 1,2 mm, nämlich von 2,5 mm
Penn, I
mm nachmittags. Welchen beruhigenden Einfluß
i) .
Ge rag, gohalten auf der 83, Versammlung der Balneologischen
in Berlin 1912,
Tage lang probeweise MgO statt Magnesiumperhydrol nehmen ließ,
em; erstens von der Haut und zweitens von der Lunge aus. Von
und werden Temperatursprünge von 40
diese Gleichmäßigkeit auf die Nerven, und welche schonehde Wir-
kung dieselbe auf die Muskulatur des Gefäßsystems ausüben muß,
liegt auf der Hand. In gleichem Sinne wirkt die hohe Feuchtig-
keit des Seeklimas an sich. Nach Hann stellt jeder Millimeter
Dampfdruck einen Vorrat an latenter Wärme dar, der derjenigen
freien. Wärme gleichkommt, welche die Temperatur der Luft um
20 © zu erwärmen vermag. Nun beträgt die absolute Feuchtig-
keit im Jahresdurchschnitt in Helgoland 7,4, in Berlin 6,6. mm,
der Unterschied also 0,8 mm. Es würde also z. B. bpi gleichen
Temperaturen die Wärmewirkung der Luft in Helgoland durch-
‘schnittlich gleich einer um 1,6 wärmeren in Berlin sein. Bei den
großen Feuchtigkeitsschwankungen in Berlin sind jedoch die Unter-
schiede weit größer. Die Wasserretention wird nun ebenso wie
jede andere Wärmezufuhr eine Erweiterung der Hautgefäße und
damit eine Herabsetzung des Blutdrucks und eine Erleichterung
der Herzarbeit zur Folge haben. Diesen Wirkungen von der Haut
aus kommen nun noch gleichsinnige von der Lunge aus zur Hilfe,
Von Herrn Geheimrat Zuntz wurde auf dem letzten Kongreß für
Meeresheilkunde auf seine interessanten mit Lazarus zusammen
angestellten Versuche hingewiesen, welche ergaben, daß ähnlich
.wie durch direkte Vagusreizung auch durch Reizung der Nasen-
schleimhaut auf reflektorischem Weg eine Verengerung der Luft-
wege herbeigeführt wird, die die. normale Sauerstoffaufnahme zu
beeinträchtigen vermag. Eine solche Reizung üben nun zumal bei
Asthmatischen bekanntlich leicht die vielen Verunreinigungen der
Festlandluft, sei es durch Staub oder schädliche Gase oder kleine
Lebewesen, aus, und muß mit Wegfall derselben daher die Sauer-
stofiversorgung eine bessere werden. In gleichem Sinne wird,
zumal in ähnlichen Fällen, der erhöhte Atmosphärendruck und
Sauerstoffpartiardruck wirken. Nach Dove und Smith beträgt
das Sauerstoffvolumen in der Festlandluft 20,86, in der See-
luft 20,99 0/0, der Unterschied also 0,130/,. Derselbe ist ja nur
sehr gering. Immerhin sind es bei einem Luftwechsel von
15000 1 p. d. 20 1, und wurden mit der täglichen Inhalation von
50 1 bei Blutarmen schon experimentell sichtbare Erfolge erzielt.
Durch die Untersuchungen von A. Loewy wissen wir allerdings,
daß sich der Organismus Schwankungen der Sauerstoffzufuhr in
weiten Grenzen anzupassen vermag. Diese Anpassung bedeutet
jedoch eine Mehrarbeit für den Organismus. Diese Mehrarbeit
wird - geleistet durch Verstärkung. der Atmung, Beschleunigung
des Blutumlaufs und der Herztätigkeit und eventuell durch
Vermehrung der roten Blutkörperchen. Es dürften daher die er-
wähnten Bedingungen einer besseren Sauerstoffversorgung, zumal
für Personen, bei denen die letztgenannten Reaktionen an sich
schon in hohem Grad in Anspruch genommen sind, -also beson-
ders bei Asthmatischen, Blutarmen und Erschpöften, doch nicht
von so geringer Bedeutung sein, wie vielfach angenommen wird..
Daß diese bessere Sauerstoffversorgung ein weiteres Schonungs-
mittel für Herz und Blutkreislauf bedeutet, bedarf nach obigem
keiner weiteren Erläuterung.
Diesen schönenden Einflüssen stehen nun als erhöhte An-
forderungen stellend die Wirkungen, welche der Wind und der
erhöhte Atmosphärendruck von der Peripherie her auf den Körper
ausüben, gegenüber. Um bei dem letzteren anzufangen, so hat
sicher der erhöhte Luftdruck an der See eine ähnliche Bedeutung
wie der verminderte im Gebirge. Allgemein bekannt ist die
Leichtigkeit der Bewegungen in letzterem. Demgegenüber ist eine
gewisse Erschwerung aller Bewegungen an der See unverkennbar
und ist es ganz auffallend, wieviel mehr z. B. die gleichen Marsch-
leistungen im Seeklima angreifen als auf dem Festlande. Nach
von Bebber hat die Körperoberfläche (zu 1,5 qm angenommen)
in Meereshöhe einen Atmosphärendruck von 15 000 kg zu ertragen
Mit jedem Meter Erhebung nimmt er um 1! kg ab. Je nach-
dem die. Betreffenden also aus höher oder tiefer gelegenen Gegen-
den kommen, wird dieser Einfluß ein verschieden hoher sein’
können. Daß die so entstehenden erhöhten Forderungen an die
Leistungsfähigkeit auf das Herz zurückwirken müssen liegt auf
der N i i
on weit größerem Einfluß in dieser Beziehune ist ;
der Wind. Wieviel mehr die Luftbewegung als en
für die Wärmewirkung der Luft ausschlaggebend ist, hat neuer-
dings Frankenhäuser in treffender Weise mit dem von ihm
‚konstruierten Homöotherm gezeigt. Es ist dies eine mit einem
Thermometer versehene kupferne Flasche, welche die Wärmeabgabe
direkt in Calorien abzulesen gestattet. Danach hatte ein Wind
von 5 m Geschwindigkeit bei 200 C Lufttemperatur in der Minute
denselben Kälteeffekt wie eine Abkühlung der Luft von 20 auf 2
also um 18° ©. Zu ähnlichen Resultaten kommt Rubner in
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1234 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
seinen Versuchen am Menschen. Hier hat schon ein Wind von
1 m Geschwindigkeit bei 200 C in der Stunde dieselbe Wirkung
wie eine um 18° kühlere Luft. Natürlich nimmt mit kälterer
Temperatur die abkühlende Wirkung des Windes zu. Den gleichen
Effekt wie die Temperatur- hat aber auch wieder die Feuchtigkeits-
abnahme der Luft. Da, wie wir schon sahen, die Wärmeverdun-
stung in gradem Verhältnis zu der Differenz des Dampfdrucks des
Körpers und der Atmospbäre steht, so können wir zur Illustration
der Windwirkung bei verschiedener Luftfeuchtigkeit wieder
Frankenhäusers Homöothermversuche benutzen. In denselben
betrug die Wärmeabgabe bei trockener Bekleidung seines Apparats
und ruhender Luft 0,2 Cal, bei í m Windgeschwindigkeit 0,4,
bei 5 m 0,6 Cal., bei feuchter Bekleidung dagegen bei ruhender
Luft 0,8 Cal., bei im Windgeschwindigkeit 1,6, bei 5 m 2,3 Cal.
Wir sehen in denselben den Wind die Wärmeabgabe in ungefähr glei-
chem Verhältnis bei den einzelnen Windstärken steigern, hier also bei
der starken Verdunstung eine vierfach stärkere Wärmeabgabe. Das-
selbe wird in umgekehrter Richtung bei Zunahme der Luftfeuchtig-
keit der Fall sein. Es würde also die Erhöhung der Wärme-
abgabe durch den feuchten Seewind eine wesentlich geringere sein,
als die durch den trockenen Landwind herbeigeführte, wenn nicht
an der See eine andere Wirkung des Windes diesem primär ab-
kühlenden Einfluß desselben zur Hilfe käme. Das ist die starke
mechanische Reizwirkung desselben, die man passend mit dem
Wellenschlage der See verglichen bat. Dieselbe erzeugt eine
Hautbyperämie, die um so stärker ist, je heftiger der Wind weht.
Eine Folge dieser Hauthyperämie ist die Empfindung, daß, ähnlich
wie unter einer Dusche, der Wind nicht kühle, sondern erwärme,
und rührt dieselbe bekanntlich daher, daß durch die erweiterten
Gefäße der Haut der letzteren mehr Wärme zugeführt wird, als
bei der geringen Feuchtigkeitsverdunstung fortgeführt werden
kann. Trotzdem ist jedoch die von der hyperämischen Haut ab-
gegebene Wärme eine sehr große. Auch ist bei dieser dusche-
artigen Wirkung des Windes die Inanspruchnahme des Herzens
eine sehr starke. Ebenso wie unter der Dusche wird dadurch
ferner auch der Tonus der Herz- und Gefäßmuskulatur sehr ge-
hoben. Ebenso wie dort kann aber auch eine Ueberanstrengung
und Uebermüdung und Ueberreizung derselben die Folge sein.
Sehen wir also oben unter einer Reihe von klimatischen
Faktoren eine Schonung des Herzens und der ganzen Gefäßmusku-
latur, so unter der Wirkung der beiden letztgenannten Faktoren,
besonders unter der des Windes, eine starke Inanspruchnahme der-
selben, die selbst bis zur Ueberreizung sich steigern kann. Auf-
gabe des Kurarztes ist es nun, diese Einflüsse so zu regeln, daß
sie in dem einzelnen Fall in geeigneter Weise zur Wirkung
kommen. Hierzu bieten sich folgende Handhaben. Die primär
gefäßerweiternde und schonende Wirkung des Seeklimas entsteht,
wie wir gesehen, durch die Gleichmäßigkeit der Wärmeabgabe,
die hohe Feuchtigkeit sowie durch die besseren Sauerstoffversor-
gungsbedingungen in der Seeluft, die erhöhte Inanspruchnahme
durch den die körperliche Bewegung erschwerenden höheren Baro-
meterdruck und besonders durch den Wind. Wir werden daher
die erstgenannte Wirkung am besten erzielen durch möglichste
Ausschaltung der beiden letztgenannten Faktoren. Dies geschieht
am einfachsten in Form von Ruhekuren an windgeschützten Stellen.
Dieselben können je nach Bedarf entweder im Zimmer bei mehr
oder weniger starkem Luftzutritt durch die Fenster — bei dem
starken Winde ventilieren oft schon die Wände mehr wie zuviel
— oder in Windschutz bietenden Liegehallen oder Liegekörben
im Freien oder bei genügender Widerstandsfäbigkeit auch direkt
am Strande vorgenommen werden. Will man — eventuell nach
einer solchen vorausgegangenen Erholungskur — tonisierend
wirken, so eignen sich dazu am besten graduierte Spaziergänge,
denen man anfangs wieder Ruhekuren unter warmer Bedeckung
folgen läßt, um die vom Wind angeregte arterielle Hautfluxion
möglichst zu unterhalten. Recht bezeichnend ist in dieser Be-
ziehung auch die Vorschrift der alten Seebadeärzte, welche den
Mantel nicht beim Spaziergang im Freien, sondern nach Rückkehr
ins Zimmer anzulegen empfehlen. Auch bezüglich des Wind-
schutzes und der Nähe des Strandes sind für den Spazierengehen-
den genaue Vorschriften zu geben. Interessant ist es, daß selbst
an der Riviera von Huchard ein exzitierendes Klima unmittelbar
am Strande, ein tonisches in 300—500 m Entfernung und ein
sedatives, welches noch weiter von der See zurückliegt, unter-
schieden wird. Auch bei uns wird man die Patienten, je nach-
dem man eine schonende oder tonisierende Wirkung wünscht,
zweckmäßig in größerer oder geringerer Entfernung vom Strand
unterbringen. Ich selbst habe neuerdings durch Einrichtung eines
28. Juli.
vom Strand entfernten Hauses für Schwächere und eines zweiten,
unmittelbar am Strande, für Kräftigere oder schon in dem ersteren
Akklimatisierte in meinem Sanatorium diesem Standpunkte Rech-
nung zu tragen gesucht. Die höchsten Grade der Tonisierung
wird man durch möglichst dauernden Aufenthalt unmittelbar am
windbewegten Meer oder im Segelboot auf demselben oder durch
Luftbäder erreichen. Hierbei ist natürlich auch die Gefahr der
Ueberreizung besonders groß. Immer wieder eingeschobene Ruhe-
kuren bilden dagegen die geeignetsten Schutz- und Heilmittel,
Bei einer solchen Methodik wird das Seeklima bei einer
Reihe von Circulationsstörungen aufs günstigste einzuwirken ver-
mögen. Wo hätte man auch wohl günstigere Bedingungen für
eine geeignete Beeinflussung des Herzens und der Blutgefäße?
Auf der einen Seite die Möglichkeit der schonenden Einwirkung
auf die Herz- und Gefäßmuskulatur, die Erweiterung der Haut-
capillaren und der besseren Sauerstoffversorgung, welche wieder
eine Herabsetzung der Viscosität und des Blutdrucks sowie der
Lungen- und Herzarbeit zur Folge hat! Auf der andern die Er-
höhung des Gefäß- und Herztonus. Dabei die Fähigkeit, die
schonende oder tonisierende Wirkung je nach Bedarf zur Anwen-
dung zu bringen und jede derselben nach Wunsch zu steigern
oder abzuschwächen! Welche Möglichkeiten der Einwirkung!
Früher glaubte man allgemein, daß das Seeklima den Blutdruck
unweigerlich erhöhe, während diese Wirkung doch höchstens dem
Winde zukommt. Es galt deshalb die Arteriosklerose als eine
strikte Kontraindikation des Seeaufenthalts. Ich veröffentlichte
nun schon vor fünf Jahren zwei Krankengeschichten von alten
Arteriosklerotikern, von denen der eine durch den Seeaufenthalt
jedesmal eine wesentliche Besserung, der andere — ein vor der
Pensionierung stehender Forstmeister — seine volle Dienstfähig-
keit wiedererlangte und noch im Amt ist. Von A. Loewy und
Müller und ihren Mitarbeitern und später von Hellwig und
v. Kügelgen wurde dann auch experimentell die Herabsetzung
des Blutdrucks unter dem Einfluß des Seeklimas nachgewiesen,
und zwar auch bei Arteriosklerotikern. Allerdings war diese
Herabsetzung nicht bei allen vorhanden. Der Grund hierfür könnte
in dem von jenen Autoren nicht beachteten Einfluß des Windes
liegen. Zwar wird bei einem relativ widerstandsfähigen Herzen
auch der Seewind leichteren oder mittleren Grades -— infolge der
dadurch bewirkten gleichzeitigen Erweiterung der Hautcapillaren
— den Blutdruck nicht allzusehr oder gar nicht erhöhen oder
vielleicht sogar herabsetzen. Bei sehr schwachem Herzen spielt
der Wind jedoch eine ausschlaggebende Rolle. So konnte der erst-
genannte der oben erwähnten Arteriosklerotiker den Aufenthalt
am Strand überhaupt nicht vertragen. Er erholte sich jedoch
zehn Jahre hindurch jeden Sommer wunderbar in seinem Bureau
— er war Hospizverwalter — bei offenen Fenstern oder bei Aufent-
halt an windgeschützten Plätzen vor dem Hause. Noch schädlicher
als die feuchten Seewinde müssen nach obigem die trocknen
Landwinde wirken, und hebt auch v. Kügelgen hervor, daß er
bei Landwinden immer eine Blutdrucksteigerung beobachtet habe.
Schon länger bekannt als bei der Arteriosklerose ist die
günstige Einwirkung des Seeklimas bei der allgemeinen Haut-
schwäche und der Neigung zu Erkältungen. In der Gleichmäßig-
keit der Wärmeabgabe bietet das Seeklima zunächst ein wunder-
bares Schutzmittel gegen die letzteren. Zugleich kommt jedoch
dabei die tonisierende Wirkung des Windes zur Geltung, ohne daß
jedoch plötzliche größere Wärmeabgabe durch Verdunstung — wie
so leicht bei trockenen Landwinden — dadurch herbeigeführt werden
könnte. In seiner die Kleider durchdringenden, mit jedem Wind-
stoß eine Hautgefäßcontraction, mit dem Nachlassen auch ein
Zurückgehen der letzteren und bei längerer Einwirkung einen
dauernd höheren Spannungszustand herbeiführenden Wirkung ist
der Wind für die Haut ein ganz einzigartiges Uebungs- und Toni-
sierungsmittel, welchem auf dem Festlande kaum eins an die Seite
zu stellen sein dürfte.
Ein drittes großes Krankheitsgebiet des Circulationsapparats,
für welches das je nach Bedarf schonend oder übend wirkende See-
klima von Nutzen sein muß, sind die nervösen Ueberreizungs- und
Erschöpfungszustände des Blutgefäßapparats, wie sie uns als
Angioneurose und Herzschwäche, als vasomotorische Störungen
und Herzneurosen entgegentreten. Besonders die letztere findet
an der See die besten Erfolge, wenngleich die volle Heilung oft
erst nach Verlassen der See eintritt, das heißt nach Fortfall der
bei Aufenthalt im Freien immer etwas erhöhten Inanspruchnahme
durch das Seeklima. Auf die günstige Beeinflussung der diesem
Leiden zugrunde liegenden allgemeinen Neurasthenie durch die
Verbesserung des Stoffwechsels an der See möge hier nur neben-
=.
SEN pas
w
RZ
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30,
1235
‚bei hingewiesen werden. Bei den letztgenannten Leiden wird es
auf eine rationelle Handhabung besonders ankommen. Letztere
vorausgesetzt werden auch Herzklappenfehler, zumal im Stadium
der Kompensation zur weiteren Kräftigung der Herz- und Gefäß-
muskulatur vom Seeklima Nutzen ziehen. Ein grober Kunstfehler
ist es jedoch, chronische Endokarditiden an die See zu schicken,
wie es mir einmal vorgekommen, und noch dazu ohne den Patienten
unter ärztliche Aufsicht zu stellen. Der Betrefiende starb infolge
Akutwerdens seines Leidens durch für ihn zu angreifenden Strand-
aufenthalt. Hierbei möchte ich noch auf eine Wirkung des See-
klimas hinweisen, welche ich die exacerbierende genannt habe. Es
ist die Wirkung, daß chronisch entzündliche Prozesse unter der
Seeluftwirkung und zumal unter stärkerer Beeinflussung durch den
Wind leicht akut werden. Bei unserer unvollkommenen Kenntnis
des Entzündungsvorgangs können wir uns diese Wirkung noch
nicht ganz erklären. Anscheinend spielen aber die veränderten
Cireulationsverhältnisse eine Rolle dabei. Doch dies nur nebenbei.
Chronische Entzündungen des Herzens und der Gefäße gehören
also nicht an die See. Dasselbe gilt auch von der vorgeschrittenen
Arteriosklerose... p | | ER |
Nicht ganz geklärt ist die Frage, ob man bei Neigung zu
inneren. Blutungen, seien es menstruelle oder vom Magen oder be-
sonders von der Lunge ausgehende, Patienten an die See schicken
darf. Eine gewisse Antwort hierauf geben uns die Mitteilungen
von Dr. Brink in Spangsbjerg in Dänemark aus seinem an der
See gelegenen Lungensanatorium, welche er auf dem letzten Kon-
greß für Meeresheilkunde veröffentlichte. Danach hatten von seinen
Patienten vor dem Seeaufenthalt Hämoptoen 300/0, während desselben
jedoch nur 10.%%. Von gegenteiligen Erfahrungen berichtete jedoch
Dr. Wettendorf aus Middelkerke in Belgien. Zwischen beiden
Aufenithaltsorten besteht aber ein durchgreifender Unterschied.
Das dänische Sanatorium liegt 2 km von der Küste entfernt und
sehr windgeschützt in einem Fichtenwald. Die belgischen Kranken
wohnten jedoch am Strand oder hinter der Digue, und hatten
sich eines so ausgiebigen Windschutzes wie dort jedenfalls nicht
zu erfreuen. Wir sehen also auch hier wieder die Wichtigkeit
der richtigen Methode. Ich möchte daher zum Schluß noch ein-
mal hervorheben, daß nicht das Seeklima an sich, sondern nur die
methodisch richtig angewandte Seeluftkur ein Heilmittel für die
betreffenden Krankheitszustände ist. Ä i
Br | Aus dem Kindlein-Jesu-Spital in Warschau.
Jod und Thyreoidin als Ursache der Basedow-
~ krankheit bei Kropfbehandlung
p ETI von E |
+ Dr. A, Pulawski, Primärarzt.
‚.Jod, das man gegen Kropf seit langer Zeit anwendet, besitzt |
gewisse Nachteile, die schon vor Jahren bemerkt wurden. Es
handelt sich nicht um den allgemein. bekannten Jodismus |.
(Schleimhautkatarrhe, Acne, Kopfschmerzen usw.), sondern um.
ane specifische Intoxikation, die in nervösen Störungen (Auf-
regung, Unruhe, Schlaflosigkeit), Tachykardie, Abmagerung,
Diarrhöen usw. besteht. Eine derartige Intoxikation nannte
Rilliet im Jahr 1859 Jodisme constitutionel, und Lebert
hatte im Jahr 1862 den wunderbaren Scharfsinn, anzunehmen, daß
æ sich um eine schnell vor sich gehende Resorption der Schild-
füsensubstanz handelt, welche eine zur Kachexie führende Ver-
giftung‘ des Organismus hervorruft. Derselbe Verfasser erzählt
die Krankengeschichte: des berühmten Botanikers de Candolle,
dor durch große Dosen sogenannten Meerschwamms (21/2 Unzen
per Monat) eine Verkleinerung seines Kropfes, dabei aber starke
Chexie,. die bald zum Tode führte, erzielte?).
Erst die Untersuchungen von Albert Kocher?) über Jod-
resorption und -sekretion und über das Verhältnis dieser Processe
zur Verkleinerung des Kropfes unter dem Einfluß von Jod
outen ein Licht auf diese Verhältnisse werfen. Es zeigte sich,
1 gewisse Kropfarten sich sehr schnell (in zwei bis vier Stun-
(N) unter dem Einfluß von kleinen Dosen Jod (0,2 Kalium
In gal, Lebert, Die Krankheiten der Schilddrüse, (1862, S. 231.)
apitel! „Beobachtungen über sogenannten Jodismus“ fünf
rankengeschichten. - . wa, | | |
line p {Albert Kocher, Ueber die Ausscheidung des Jods im mensch-
der een u ‚re, Beziehung zum J odgehalt und zur von aome
Gr. 1906; B à T 14,8. Free Physiologie der Schilddrüse. (Mitt. a.
jodatum) verkleinern. Jod wird schnell von , der Schilddrüse re-
sorbiert und durch den Harn ausgeschieden, mauchmalin größeren
Mengen, als es eingenommen wird, ‘was bedeutet, ‘daß Jod
die Drüse zur Sekretion des specifischen Saftes erregt, der auch
unter normalen Umständen gewisse Jodverbindungen enthält, wie >;
Baumannsche, Untersuchungen es zeigten. - Diese Vermehrung '
‘| der ‚Schilddrüsensekretion gibt in’ gewissen Fällen das Bild des |
Thyreoidismus, welches nichts anderes als der von Rilliet be:
schriebene Jodisme- constitutionel ist. Revillod, Jaunin
und T. Kocher nennen diesen Zustand 'Jodothyreoidismus,.
Es kann nicht jeder Kropf; wie: die Untersuchungen von
Kocher?) erwiesen, von. Jodtherapie . beeinflußt: werden (z.B.
Cysten, vereiterte‘ oder : derbe Kröpfe),; es führt aber nicht jede n
Jodtherapie bei Kropf zu Thyreoidismus,; das kann aber der Kliniker
nicht voraussehen, denn wir besitzen keine sicheren Mittel, : um
eine Kropfart von der andern zu unterscheiden.
Eins steht fest: |
nach Albert Kocher (l. c. 409) kann die Schilddrüse (eventuell der:
Kropf) nur dann von Jod: beeinflußt: werden, . wenn: sie aus funk- :-
tionsfähigem Parenchym, das heißt aus gesundem: Drüsenepithel,
besteht. ee a a an p D
‚die an Kropf leiden, hält T. Kocher meistens einfach für
Thyreoidismussymptome nach. Jodbehandlung‘ bei Individuen, x
Basedowkrankheit, welche vom .Verfasser in diesen Fällen
Jodbasedow genannt wird. . Ein klassisches Beispiel finden wir in
Kochers Arbeit.
‘sieben Jahren einen Kropf, welcher langsam ohne Beschwerden
wuchs. Von einem Reklamemittel (Kollin genannt, „Kropf ver-
schwindet über Nacht“) suggestioniert, machte sie damit während.
acht Tage Einreibungen des Halses. Nach vier Wochen wurde
Eine 23jährige, sehr nervöse Frau hatte seit.
der Kropf nicht kleiner, die Patientin aber fing an abzumagern
(sie. verlor 16 Pfund) und bekam die typischen Basedowsymptome
(Tachykardie, Stellwagsche Symptome, Zittern, Schwitzen, Hitze-
gefühl, Leukopenie mit 8340/, Lymphoeyten). Sie wurde gesund
nach partieller Schilddrüsenresektion. Die Drüse enthielt 36,8 mg
Jod (Prof. Bürgi), was Kocher für eine außerordentlich große
Menge betrachtet. Jodbasedow unterscheidet -sich nur insofern
vom klassischen Basedow, daß er weniger häufig. von Exoph-
thalmus begleitet ist:., der Verlauf ist gewöhnlich milder und.
Genesung möglich ohne Operation. ‚Kocher. ratet,: Phosphor zu
geben und gewöhnliche Behandlung, wie bei Basedowkrankheit.
S. Goldflam!) berührte vor kurzem die Frage. über Jodbasedow,
indem er zwei Fälle beschrieb, die insöfern verschieden von den andern
sind, daß die Thyreoidismussymptome bei Individuen ent-
stehen, = | |
Schilddrüse zeigen. In beiden. Fällen. wurde Jodipin in großen
Dosen eingespritzt. Diese. Beobachtungen sowie diejenige von
die keine nachweisbaren Veränderungen der
Krehl2) sollten die Aufmerksamkeit der Kliniker darauf leiten,
daß es möglich ist; Jodthyreoidismus, eventuell Basedowkrank-
heit bei Individuen hervorzurufen, die. keine Zeichen von
Kropf oder andern Schilddrüsenveränderungen zeigen.
Ich komme zur: Beschreibung meiner Fälle. | |
Fall 1. Mitte Oktober v. J. besuchte mich ein 21jähriges Mäd-
chen, das vorher immer gesund war und aus gesunder Familie stammte.
Seit zirka einem Jahre bekam sie. einen Kropf, der ziemlich rasch wuchs,
aber keine Beschwerden veranlaßte. Da sie aus kosmetischen Gründen
sich vom Kropfe befreien wollte, konsultierte sie einen Arzt, der ihr KJ
: verschrieb. Patientin nahm dieses Mittel in mäßigen Dosen (4,0—180,0,
2 Löffel täglich), pinselte aber dabei reichlich ihren Hals mit Jodtinktur,
um ‘die Wirkung zu beschleunigen. Anstatt aber des "erwarteten Re-
sultats der Behandlung bemerkte sie eine starke Verdickung des Halses,
sie magerte ab (angeblich 20 Pfund in. paar Wochen) und .war.abnorm
aufgeregt. Objektive Untersuchung: zeigte folgendes: Kropf groß, weich,
diffus, pulsiert nicht, Puls beschleunigt (über 100 und mehr), Hände-
zittern, ausgesprochenes Stellwagsches Symptom, glänzende Augen,
schwacher Exophthalmus; Patientin klagt über Hitzegefühl, Schwitzen,
Schlaflosigkeit und Haarausfall. Ich verschrieb Ruhe, Natrium phos-
phoricum, Jod wegzustellen, und fand sie viel besser nach zehn Tagen.
Da Patientin ihren Kropf durchaus loswerden wollte und ich ihr -wegen
ihrer Empfindlichkeit gegen dieses Mittel kein Jod verschreiben konnte,
riet:ich ihr, sich operieren zu lassen, worauf sie gern einging. Mitte
November v. J. machte Kollege Szteyner eine partielle Kropfresektion
in seiner Abteilung im Kindlein-Jesu-Spital. Der Verlauf war tadellos.
Der Patientin geht es jetzt ganz gut.
2) L.'Krehl (Heidelberg) sah schwere Thyreojodismussymptome
nach 14tägiger KJ-Behandlung in Dosen à 1,0 täglich bei Individuen
ohne Kropf. Jod und’ Schilddrüsenpräparate sind seiner Meinung nach
') S. Goldflam, Ueber Jodbasedow. (Polnische Neurologie 1911,
H. 5. Polnisch) > > ` er y SR | ne,
viel gefährlicher als ein operativer. Eingriff: bei Kropfbehandlung. : (Rat
zur Vorsicht bei Gebrauch des Jods.) (M. med. Woch. 1910, Nr. 47.) |
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1236 1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. 28. Juli.
In ‚solchen Fällen konnte man sagen, daß man post hoc,
non propter hoc beurteilt hat, daß also Jod nicht die
Basedowkrankheit hervorrief, sondern dieselbe schon vor-
handene verschlimmerte. Diese Bemerkung machte seinerzeit
Trousseau, wie es’ Th. Kocher in seiner Arbeit über Jod-
basedow erzählt. Sie verliert aber ihre Bedeutung bei unsern
jetzigen Kenntnissen über den Einfluß des Jods auf die Schild-
drüse und beim Ueberblicken der mitgeteilten Fälle.
Es gibt keinen Zweifel mehr, daß Jod bei gewissen Indivi-
duen die Basedowkrankheit hervorrufen kann. Der bekannte
Schweizer Chirurg de Quervain!) erklärt es auf folgende Weise:
Unter dem toxischen Einfluß des Jods, ähnlich wie unter dem
Einfluß bakterieller Gifte, kommt es in der Schilddrüse zu
anatomischen Veränderungen, welche die qualitative und
quantitative Vermehrung der specifischen Sekretion begünstigen
— Thyreoiditis toxica., Wenn diese Intoxikation längere Zeit
dauert, geht die physiologisch-kompensatorische Hyperplasie leicht
und schnell in einen gewissen speeifisch-pathologischen Zustand
(Hyperthyreosis) über, der zu echter Basedowkrankheit
führt. Es handelt sich dabei nach de Quervain um eine lokale
Ueberempfindlichkeit der Schilddrüse, nicht aber um eine allge-
meine Anaphylaxie. Jodthyreoiditis, eventuell Jodbasedow
sind neue Beweise der thyreogenen Entstehung der Basedow-
krankheit.
Die Schilddrüsensubstanz in Gestalt von verschiedenen Prä-
paraten als Thyreoidin bekannt, erfreut sich seit mehreren Jahren
eines guten Rufs bei Kropfbehandlung.
Als man die Erfolge der Opotherapie bei Myxödem und
sporadischem Kretinismus sah, fing man an, sie larga manu bei
allen Fällen von Kropf anzuwenden.
Im Wiesbadener Kongreß der Inneren Medizin (1896) stellte
Bruns eine Statistik von Genesung oder bedeutender Besserung in
750o auf 850 Fälle vor. Die guten Resultate erhielt er nur bei Struma
parenchymatosa.
Ich habe nicht die Absicht, in die Frage der positiven oder
negativen Beeinflussung des Kropfes oder anderer Erkrankungen
durch Thyreoidin näher einzugehen. Ich möchte nur auf Grund
meiner eigenen Beobachtungen auf die Tatsache aufmerksam machen,
daß Thyreoidin als Kropfmittel manchmal Basedowsym-
ptome hervorrufen kann. Die negative Wirkung des Thyreoidin
wurde schon lange bemerkt.
F. Kijewski?) beschrieb vor Jahren seine eigene, sehr lehrreiche
Beobachtung. Ein 1djähriges Bauernmädchen, das seit einem Jahr an
Kropf litt, nahm während 42 Tagen zirka 16 g pulverisiertes Thyreoidin
ein. Bald nachdem die Behandlung eingeführt war, kam es zu Puls-
beschleunigung, das in dauernde Tachykardie überging (über 120), außer-
dem hatte Patientin Angstanfälle und Druckgefühl in der Herzgegend.
Sie war kolossal erregt. Nach einiger Zeit verschwanden diese Sym-
zu einem Spezialarzte, der nichts in der Nase fand, verschrieb aber Thy-
reoidin, um den Kropf zu verkleinern. Nachdem Patient in zwei Wochen
18 englische Tabletten (à 0,8) genommen hatte, kam es zu einer Ver-
Vor allem, seiner Erzählung nach, magerte er stark ab, fing an zu
schwitzen, bekam Herzklopfen, verlor den Schlaf. Der konsultierte Arzt
fand den Puls deutlich drucklaunig (über 100) und unregelmäßig.
Patient fieberte ein wenig (nicht über 38°), es quälte ihn ein Atmungs-
hindernis, das von der Kompression der Trachea abzuhängen schien. Es
entstand die Frage, ob man operativ eingreifen soll. Ich untersuchte den
Patienten mit seinem Hausarzte (Horodyski aus Pulawy) und mit Kol-
legen Ciechomski. Objektive Untersuehung zeigte ziemlich gute Er-
nährung, aber an seinem zu weiten Anzuge sah man, daß er abgemagert
war. Puls 108. Leichtes Händezittern. Kein Exophthalmus, Stellwag
positiv. Großer Kropf wie oben beschrieben. Der linke Lappen, dessen
unterer Pol zungenartig ins Mediastinum hineinragt, scheint die Trachea
zu komprimieren. Patient atmet leichter, wenn man diesen Lappen
heraushebt. Eine gewisse Kompression der Trachea ist vorhanden, aber
die Stenose ist unbedeutend. Wie Patient versichert, ist die Stenose
nicht viel größer als vor einigen Jahren.
Wir hatten in diesem Falle die Basedowkrankheit vor uns, die
sich zu einem schon vorhandenen Kropfe zugesellte, also eine sekundäre
Form der Basedowkrankheit. Da die Symptome erst nach Anwendung
des-Thyreoidins entstanden, muß man dasselbe als das ursächliche Moment
ansehen. Mit Rücksicht auf das hohe Alter des Patienten, die unbedeu-
tende, fast zur Gewohnheit gewordene Stenose und die frischen, kaum
entwickelten Basedowsymptome, wurde die Strumektomie vorläufig
nicht ausgeführt. Wir schickten Patienten (Oktober 1909) nach Nateczow
(hydropathische Anstalt) und nach einer Kur von sechs Wochen sah ich
ihn wieder. Die Besserung war nicht bedeutend, das Selbstgefühl war
gut, er konnte gut schlafen. Puls war 90. Später aber, wie es mir Kol-
lege Horodyski gütigst mitteilte, ging es dem Patienten ganz gut.
Er hat keine Tachykardie mehr (Puls 72 bis 76), keine Dyspnöe sogar
bei Treppensteigen, er nabm im Gewichte zu und kann als Buchhalter
arbeiten. Der Kropf ist in allen Dimensionen bedeutend kleiner ge-
worden. Ich sah Patienten wieder Ende Februar d. J. Er hatte keine
Basedowsymptome mehr, der Kropf aber komprimiert immer mehr
die Trachea und er will sich deshalb operieren lassen.
Fall 3. 47jährige, kinderlose Frau, sie hat seit 18 Jahren einen
Kropf, dem sie keine Aufmerksamkeit schenkte. Seit August d. J. fing
der Kropf an zu wachsen. Es wurde ihr Thyreoidin verschrieben, und
nachdem sie im Laufe von vier Wochen 38 Tabletten davon nahm (Poehl),
bemerkte sie, daß sie mager geworden und starkes Herzklopfen hat. Als
ich die Patientin das erstemal Mitte Dezember v. J. sah, war sie ab-
gemagert, kolossal nervös, zitterte, Puls 120, leichter Exophthalmus und
Stellwagsches Symptom. Der Kropf ist derb, pulsiert nicht, ist haupt-
sächlich im Mittellappen lokalisiert, ein wenig schmerzhaft bei Druck.
Sie schwitzt, leidet an Kongestionen, klagt über Schlaflosigkeit und
Schwäche. Menses seit zwei Jahren ausgeblieben. Der Zustand besserte
sich, Puls fiel bis 90, nachdem sie einen Monat Brom und Glycero-
phosphat genommen hatte. Patientin fühlt sich aber nicht ganz wohl.
Sie bekommt leicht Herzklopfen (nach Ermüdung oder Erregung). Das
Gewicht nimmt nicht zu. Patientin will nicht operiert werden und kann
überhaupt keine rationelle Behandlung durchführen.
schlimmerung seines Zustandes, die ihn nötigte, ärztliche Hilfe zu suchen.
ptome. Die Schilddrüse verkleinerte sich nur sehr wenig.
| In der Reihe der negativen Symptome unter dem Einflusse
von Thyreoidin notierte man stets Tachykardie und Herzschwäche,.
Einige Autoren wollten diese negative Wirkung der Schildddrüsen-
produkte den Ptomainen zuschreiben, welche infolge von Eiweiß-
zerfall bei Bereitung des Mittels (Tabletten) entstehen, oder da-
durch sich bilden, daß faulende Schilddrüsen zur Bereitung der
Präparate gebraucht wurden. Ohne daß wir die Möglichkeit einer
Vergiftung des Organismus auf diesem Wege leugnen, können wir
auch ohne diese Annahme die schädliche Wirkung des Thyreoidins,
die durch größere Zufuhr von Schilddrüsensubstanz Erscheinungen
von Thyreoidismus hervorruft, erklären. Diese Erscheinungen
sind deutlich in Fällen, wo Thyreoidin typische Basedow-
krankheit hervorruft, wie es in meinen beiden Beobachtungen der
Fall war. Ä
Fall 2. 60jähriger, verheirateter Mann, hat seit 20 Jahren oder
mehr einen Kropf von bedeutendem Umfange. Der Kropf ist ziemlich
derb, pulsiert nicht. Die einzelnen Lappen sind deutlich fühlbar, be-
sonders der mittlere, der die Größe und Form eines großen Apfels hat.
Seine beiden Töchter litten an Kropf. Bei der einen verschwand der
Kropf vollständig, bei der andern vergrößert er sich bei Menses. Vor
ein paar Jahren verschrieb ihm Prof. Kosinski Einspritzungen von Jod-
tinktur in das Parenchym. Nach einigen Einspritzungen wurde der
Tumor nicht kleiner und Patient dachte nicht mehr daran, da er sich
ganz wohl fühlte. Vor zwei Jahren fing er an an Schnupfen, Husten
und Dyspnde zu leiden. Sein Hausarzt schickte ihn zur Untersuchung
1) Nach Hagens Sammelreferat: Die akute nicht eitrige Thy-
aa (Zbl. f. d. Gr. d. Med. u. Chir. 1912, Nr. 2.)
2) F, Kijewski, Beitrag zur Kropfbehandlung mit sog. Thyreoidin
(Gaz. Lek. 1896, Nr. 87, polnisch).
Die drei beschriebenen Fälle zeigen, daß man bei Kropf-
behandlung mit Anwendung von Jod und Thyreoidin sehr vor-
siehtig sein muß. Man darf diese Mittel nicht ohne ärzt-
liche Kontrolle anwenden. In vielen Fällen ist es rationeller,
eine Operation zu raten, als die Patienten unsicheren, häufig ge-
fährlichen Versuchen auszusetzen, desto mehr, als wir nie voraus-
sagen können, wann Jod oder Thyreoidin dem Patienten schaden
können.
Die durch diese Mittel hervorgerufene Basedowkrank-
heit ist nicht immer leicht geheilt, auch nachdem die Mittel ab-
gesetzt sind. (Fall 2!) Außerdem beweisen die Beobachtungen
von Goldflam und Krehl, daß Jod und verschiedene Jodpräpa-
rate (z. B. Jodipin, Sajodin) die Basedowkrankheit bei Indivi-
duen, die keine nachweisbaren Veränderungen der Schild-
drüse zeigen, hervorrufen können. Dieselben Folgen hat
aller Wahrscheinlichkeit nach die Anwendung von Thyreojodin.
Tod in Lokalnarkose
von
Dr. @. Ritter, Berlin.
Ein 16jähriges, sonst gesundes Mädchen sollte wegen einer
Struma mit Trachealkompression und mäßiger Tachykardie In
Lokalanästhesie operiert werden. Um eine Beruhigung der ängst-
lichen Patientin und eine allgemeine Herabsetzung der Erregbar-
keit herbeizuführen, erhielt die Kranke am Öperationstag um
10 Uhr vormittags 1,5 Adalin per os und eine halbe Stunde später
0,015 Morphin subcutan. Die Kranke wurde gegen 11!/4 Uhr in
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. 98, Juli
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. j 1997
den Operationssaal gebracht, war durchaus ruhig, aber vollständig
bei Bewußtsein und gab auf Befragen an, müde zu sein. Nach
den üblichen Vorbereitungen wurden ihr gegen 111/a Uhr 50 cem
einer 20/yigen Alypinlösung in das Operationsgebiet eingespritzt,
` insgesamt also 1,0 Alypin.
Zehn Minuten nach Beendigung dieser Injektion traten, noch
vor Beginn der Operation, plötzlich Bewußtlosigkeit, Zuckungen
der ganzen Körpermuskulatur, schnappende Atmungsbewegungen,
Cyanose ein, verbunden mit kleinem, unregelmäßigem, aussetzen-
dem Puls. Die Augen waren weit geöffnet, die Pupillen eng und
ebenso wie die Cornea reaktionslos. Der Anfall ging nach 30 bis
40 Sekunden vorüber, die Bewußtlosigkeit blieb jedoch bestehen
und der Puls unregelmäßig und kleiner als vorher. Neue Anfälle
traten anfangs in Abständen von wenigen Minuten, dann immer
häufiger auf, die vorher engen Pupillen wurden maximal weit, die
Herztätigkeit zunehmend schlechter. Die Patientin erhielt nach-
einander Injektionen von Coffein, Campher, Digalen. Während
dann eine Venäsektio mit gleichzeitiger subeutaner Kochsalzinfusion
vorgenommen wurde, trat vollständiger Stillstand der Atmung und
Herztätigkeit ein. Unter sehr energischer Herzmassage und künst-
licher Atmung kam die Herztätigkeit nach einiger Zeit wieder in
Gang, setzte jedoch im Verlauf der nächsten zwei Stunden noch
mehrmals aus, sodaß immer wieder Herzmassage nötig wurde.
Nach intravenöser Injektion von -Digalen blieb schließlich die Herz-
tätigkeit gut, während die Atmungslähmung bestehen blieb. Die
künstliche Atmung wurde, mit zeitweiliger Sauerstoffinhalation,
fünf Stunden lang fortgesetzt, bis schließlich auch die Herztätig-
keit erlosch.
Wahrscheinlich ist der bedauerliche Ausgang dieses Falles
auf eine summierte Wirkung der angewandten Narkotica und des
Alypins zurückzuführen, da die Kranke vor der Injektion des letz-
teren bereits unter der vollen Wirkung des Adalin-Morphins stand,
ohne irgendwelche Störungen zu zeigen, und erst nach der Ein-
spritzung des Alypins sich das geschilderte Bild entwickelte.
Natürlich. ist es nicht auszuschließen, daß bei der Einspritzung:
ein Teil des Alypins in eine Vene injiziert worden ist. Möglicher-
weise hat auch die Erkrankung‘ der Schilddrüse die Entstehung
der Intoxikation begünstigt. Da meines Wissens eine ähnliche Be-
obachtung noch nicht vorliegt, so mahnt dieser Fall künftig zu
besonderer Vorsicht bei der Kombination des Alypins und ähnlicher
Stoffe mit narkotischen Mitteln,
Ein neuer Beinverband
von
H. Arndt,
‘prakt. Arzt in Berlin-Lichtenberg.
Jeder Arzt, der Gelegenheit hat, viele Fußverletzungen zu
behandeln, hat die Beobachtung gemacht, daß es dem Kranken bei
schweren Verstauchungen, (Quetschungen oder gar Brüchen des
Fußes ganz unmöglich ist, auch nur einen Teil des kranken Fußes
auf den Boden zu setzen, geschweige .denn zu gehen. So humpelt
denn der Verletzte, entweder allein oder von einem anderen geführt,
den Weg entlang. Da aber die meisten dieser frisch Verunglück-
ten von der Unfallstelle bis zum Hause des Arztes einen Wagen
benutzen, so beginnen die größeren Qualen erst dann, wenn der
Patient den Wagen verläßt und sich zu Fuß zur Wohnung des
Arztes begibt und letztere wiederum, wenn auch mit einem fest-
sitzenden Verbande, verläßt. Für diesen kurzen Weg, das
heißt von der Straße bis zur Wohnung des Arztes und
zurück, hat sich mir nun folgender Verband vortrefflich bewährt:
Der Arzt legt einfach eine Achtertour um das bekleidete,
rechtwinklig erhobene Kniegelenk der kranken Seite herum; die
Enden der Binde werden um den Hals geschlungen und dort ge-
knotet, sodaß der kranke Fuß, analog der kranken Hand, in der
chwebe ruht. Jetzt erst ist der Patient imstande, schnell
und mit wesentlich geringeren Schmerzen die Wohnung des
Arztes zu- verlassen. | =
Natürlich empfiehlt sich dieser neue Verband auch für
Rettungswachen, Sanitätskolonnen usw., denn schließlich
muß der Kranke ja auch möglichst schmerzfrei seine Woh-
nung aufsuchen, das heißt bei der großen Mehrzahl der Verletzten,
viele Treppen steigen.
., ‚Ich schlage für diesen meinen Verband den Namen „Fuß-
mitella“ vor.
Der Verband in der Augenheilkunde
Dr. Hugo Feilchenfeld, Augenarzt in Berlin.
Der Verband hat am Auge ähnliche Aufgaben zu erfüllen,
wie am übrigen Körper: Die Ruhigstellung des erkrankten Organs,
den Schutz gegen von außen kommende Schädigungen traumati-
schen oder infektiösen Charakters, wohl auch die Erwärmung des
Organs. Dazu kommt noch eine speziell für das Auge mögliche
Schädigung, das Licht. Wir wissen, daß schon das normale
Auge auf die Einwirkung übermäßig heller Lichter mit dem phy-
siologischen Blendungsschmerz antwortet ùnd daß dieser sich im
entzündeten Auge ins Unerträgliche steigern kann, und zwar vor
allem bei Entzündungen des äußeren Augenabschnitts, aber auch
bei solchen des hinteren Abschnitts eine gewisse Höhe erreicht.
Hiermit sind die Indikationen des Augenverbandes gegeben, denen
aber auch gewisse Kontraindikationen gegenüberstehen. Die Con-
junctivalhöhle ist eine geräumige, mit Schleimhaut überkleidete
Tasche, deren Sekrete zwar normalerweise durch die Tränenkanäle
ihren Abfluß finden, bei Entzündungen aber nicht nur der Binde-
haut, sondern auch des ganzen übrigen vorderen Augenabschnitts
in großer Menge durch die Lidspalte nach außen strömen. Dieser
Strom wird durch den Verband zurückgehalten und wirkt als Reiz-
mittel im entzündeten Auge weiter. | |
Aus dieser Erwägung ergibt sich, daß bei Entzündungen
der Conjunctiva ein Verband, nicht angezeigt ist, denn weder ist
die Conjunctivitis, selbst in ihren höchsten Graden, mit einer
nennenswerten Lichthyperalgesie verbunden, noch ist eine Erwär-
mung auf ihren Verlauf von günstigem Einfluß. Dagegen bringt
die Hemmung des Sekretabflusses erheblichen Schaden. Aus diesem
Grunde nimmt man wohl allgemein davon Abstand, eine Conjunc-
tivitis zu verbinden. Im übrigen aber herrscht über die Zweck-
mäßigkeit des Verbandes auch in spezialärztlichen Kreisen viel
‘Widerspruch. |
Schon bei einer Keratitis ist es zweifelhaft, ob die Erwär-
mung und insbesondere die Ruhigstellung des Organs schädlich
oder nützlich ist. Sicher scheint nur zu sein, daß Lichtreize auf
die Keratitis ungünstig einwirken, zumal sie bei der erweiterten
Pupille in vermehrter Menge in das entzündete Auge treten. Bei
den ekzematösen Entzündungen der Kinder kommt als Indikation
hinzu, daß man das Auge vor den Schädigungen der beschmutzten
Finger schützen will. Trotzdem sieht man zuweilen, wie solche
Entzündungen in Wochen unter dem Verbande nicht ausheilen.
Läßt man den Verband fort, so werden freilich die Augen, da
‚sofort das Reiben der Finger einsetzt, noch schlechter. Dagegen
habe ich solche Entzündungen in überraschend kurzer Zeit zur
Ausheilung gebracht, indem ich beide Ellbogengelenke durch eine
kurze Armschiene festlegte. Nur bei Hornhautgeschwüren ist der
Verband unvermeidlich, da hier die Ruhigstellung des Organs
die absolute Indikation abgibt; denn durch die Gleitbewegung des
Lids auf dem Auge wird immer von neuem an der sich regene-
rierenden Epitheldecke gerissen. Bei Erosionen der Cornea mache
ich sogar den Verband noch mehrere Tage, nachdem ich durch
Lupenuntersuchung und Fluoreseinfärbung die völlige Ausheilung
festgestellt habe, wobei man freilich mit dem Widerstande der
Kranken zu kämpfen hat. Besonders äußert sich hierbei der
Wunsch, statt des. lästigen Monoculus doch wenigstens eine
„Klappe“ zu tragen. Diese verbreiteten Augenklappen sind in
den meisten Fällen, in denen sie getragen werden, ganz unange-
bracht, wirken als Reizmittel, ohne den Nutzen, den man in solchem
Falle gerade vom Monoculus erwartet, irgend zu gewährleisten.
Die Ruhigstellung, die der Monoeulus bewirkt, ist in der Tat,
wenn auch keine absolute, so doch eine ausreichende. Gut ange-
legt, stellt er das geschlossene Oberlid über dem Auge fest, ohne
eine unangenehme Druckwirkung auszuüben, er verhindert auch
Exkursionen des Auges in irgend erheblichem Umfang, da jeder
Versuch, das Auge trotz des Monoeulus zu bewegen, ein als lästig
empfundenes Anstoßen des Auges gegen den Verband bewirkt,
was jeder besonnene Patient zu vermeiden sucht. Das erreicht
man aber durch eine Klappe, unter der etwas lose Watte liegt,
nicht. Man benutze darum letztere Art des „Verbandes“ auch
nicht als Uebergang, nachdem man den Monoculus fortgelassen,
sondern gebe dann lieber das Auge ganz frei. Benutzbar ist die
Klappe ohne Watte nur, wenn man Erwärmung und Ruhigstel-
lung des Auges gerade vermeiden, das-Licht jedoch als schädi-
gend ausschalten will. Die Erwärmung des Auges, die bei
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1238 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
Conjunctiviten sicher schadet, scheint nämlich auch bei der Kera-
titis unter Umständen schlecht zu wirken, indem sie den Entzün-
dungserregern bessere Keimbedingungen gewährt. Ebenso ist die
Rubhigstellung wohl nicht günstig, da sie den normalen Tränen-
strom und dessen sterilisierende Wirkung hemmt. Aehnlich liegt
es bei der Iritis. Hier ist die Hyperalgesie gegen Druckreize
meist eine so große, daß schon aus diesem Grunde auf den Mon-
oculus zu verzichten ist, der auch in Rücksicht auf das häufig
nötige Einträufeln nicht angängig sein würde. Dagegen erfordert
die starke Hyperalgesie der Iritis gegen Lichtreize einen Schutz,
den ihr am besten die Augenklappe gewährt, die man hier, wo
Erwärmung erwünscht ist, mit einem Wattebausche kombinieren
kann, da es auf Ruhigstellung des Auges nicht ankommt.
Bei Verletzungen und Operationen soll der Verband in erster
Linie schützen gegen äußere Schädigungen infektiöser oder trau-
matischer Art. Darüber hinaus ist aber auch die Ruhigstellung
für einen möglichst schnellen Ablauf der Wundheilung von Wert.
Gewiß haben wir die älteren Methoden verlassen, nach denen
mehrere Tage der doppelseitige, dann noch 8 oder 14 Tage der
einseitige Verband getragen wurde. Aber es erscheint nicht rat-
sam, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen, und wenn auch
eine große Zahl innerer Operationen trotz Außerachtlassung der
bewährten Maßregeln überraschend gut heilt, so wird doch jeder,
der über ein einigermaßen großes operatives Material verfügt, bald
genug einem mißlichen Zwischenfall im Heilverlaufe begegnen, den
er Ursache hat, auf jene Außerachtlassung zurückzuführen. Auch
ist die Angabe der Kranken ganz allgemein, daß sie sich mit dem
Monoeulus wohler fühlen, als ohne denselben. Und zwar scheint
es zweckmäßig, bei den größeren Extraktionswunden den Verband
etwa fünf, bei den Iridektomiewunden zwei bis drei Tage zu geben.
Hämorrhagien des Glaskörpers oder der Vorderkammer, die nach
Glaukomiridektomien sich manchmal so langsam resorbieren und
offenbar durch fortgesetzte Nachblutungen unterhalten werden, er-
fordern ein viel längeres Tragen des Monoculus; es ist sicher, daß
auf die Rückbildung solcher Blutungen die durch den Monoculus
bewirkte Ruhigstellung von günstigstem Einfluß ist. Ob sie da-
gegen bei der Netzhautablösung irgendeinen Zweck hat, ist sehr
zweifelhaft.
Die wesentliche Indikation für den Monoeulus ist also die
Rubigstellung des Auges. Seine übrigen Indikationen, Erwär-
mung, Schutz gegen Helligkeits-, traumatische, infektiöse Reize sind
auch durch andere Verbandarten erreichbar. Die Ruhigstellung
wird dagegen nur durch den Monoculus erreicht. Andere Me-
thoden, durch Pflasterstreifen festgeklebte Wattebäusche nebst
Drahtgittern darüber, kommen dem Monoeulus in diesem Punkte
nicht gleich.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Kolloide und Mineralquellen’)
Med.-Rat Dr. Krieg, Baden-Baden.
Der alte Widerspruch zwischen den Resultaten der chemi-
schen Analyse der Thermalquellen und den Wirkungen der letzteren
ist auch heute noch nicht vollständig aufgeklärt. Die genaueste
chemische Analyse gibt eben keinen restlosen Nachweis der in den
Quellen enthaltenen Substanzen. Schon Liebreich hat darauf
hingewiesen, daß bei den Analysen auch sehr renommierter Ana-
lytiker die Summe der quantitativ ermittelten Bestandteile um eine
gewisse Größe von 100 abweicht und wirft die Frage auf, ob nicht
gerade dieser unbekannte Rest für die Heilwirkung des Wassers
wichtige Substanzen enthält.
Man wußte, daß sich zwischen dem frisch entnommenen
Wasser und dem längere Zeit auf Flaschen gefüllten deutliche
Unterschiede feststellen lassen, man kannte die Tatsache, daß
Eisen, Mangan, Arsenik, Kieselsäure und andere sich nieder-
schlagen, daß andere Bestandteile sich umwandeln. Die neuen
physikalisch-chemischen Untersuchungen stellten fest, daß der Ge-
frierpunkt sich ändert, ebenso der magnetische Koeffizient, daß die
katalytische Kraft verschwindet; aber weder das Studium der elek-
trischen Widerstände durch Scoutetten noch die Ionentheorie von
v. Thans, noch die Erklärung der elektrolytischen Dissoziation
von Arrhenius genügen jede für sich allein, die Wirkung der
Mineralwasser zu erklären. Alle künstlich in irgendeinem Lösungs-
mittel gelösten Elektrolyten sind ebenso dissoziiert und müßten
folglich ebenso aktiv wie die Mineralwasser sein, was bekanntlich
nicht der Fall ist.
Nach der Entdeckung des Radiums und seiner Emanation
glaubte man eine weitere Erklärung des Rätsels gefunden zu
haben. So verführerisch aber auch die Theorie der Einflüsse der
Radioaktivität ist, um die Wirkung der Thermalquellen zu er-
klären, so ist es doch unmöglich, sie zu verallgemeinern. Daß die
Emanation bei der Wirkung vieler Quellen sehr beteiligt ist, haben
ja die Forschungen der letzten Jahre zur Genüge bewiesen. Wir
dürfen aber nicht außer acht lassen, daß eine ganze Reihe aner-
kannt sehr wirksamer Quellen wenig oder gar keine Emanation
besitzt. Bei den Badener Quellen, unter denen die Büttenquelle
die radioaktivste Kochsalztherme Deutschlands ist, konnte ich
durch eingehende Untersuchungen nachweisen, daß bei ihrer Wir-
kung dem Gehalt an Radiumemanation eine große Bedeutung zu-
kommt, daß aber auch die in ihr enthaltenen Salze stark ins Ge-
wicht fallen. Die Radiumemanation erklärt die Wirkung gewisser
Quellen und einige dieser Wirkungen, aber diese Erklärung genügt
nicht und zwingt uns zu der Annahme, daß noch andere Kräfte in
den Thermalquellen tätig sind.
1) Vortrag. gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin 1912.
Früher als die Radiumemanation in den Mineralquellen
wurde das Vorkommen von Substanzen im Kolloidzustande
entdeckt. |
Für unsere Untersuchungen wichtig ist die Tatsache, daß
die Lösungen von Eisenoxyd, Tonerde, Kieselsäure, Arsentrisulfid,
Silber, Platin und andere irreversibel sind. Sie sind meist sehr
empfindlich gegen Elektrolytzusätze, die in minimaler Menge be-
reits Koagulation bewirken, können aber durch Zusätze von organi-
schen Kolloiden gegen diese fällende Wirkung geschützt werden
(Schutzkolloide).
Die interessanteste Eigenschaft des Kolloidzustandes ist die
katalytische Zersetzung einer Wasserstoffsuperoxydlösung,
die in Beziehung steht mit der großen Oberflächenentfaltung der
Kolloidkörnchen. Schätzt man doch die Zahl der Körnchen einer
kolloiden Goldlösung von 0,5 im Liter auf eine Milliarde in einem
Kubikmillimeter, die eine Oberfläche von 625 qm bieten. Es unter-
liegt keinem Zweifel, daß die Eigentümlichkeiten der Oberflächen-
energien, wie sie sich in reinster, intensivster Form in Kolloid-
systemen zeigen, ebenso wichtig und eigenartig sind wie die
Eigenschaft der elektrischen, der strahlenden und andern
Energiearten. |
Untersuchungen über die Beziehungen der Kolloide mit den Mineral-
quellen haben von deutschen Forschern hauptsächlich Schade und Ebler
veröffentlicht. Schade weist darauf hin, daß die Hauptfrage der Quell-
wassertherapie, diejenige nach der Wirkung der Salze auf den Organismus,
größtenteils zusammenfällt mit dem Gebiete der Wechselbeziehungen
zwischen Kolloiden und Krystalloiden.
In Frankreich hatte Loutry schon 1875 bei der Dialyse von
Mineralwasser die Trennung von zwei Substanzen, einer krystalloiden und
einer kolloiden, angegeben. Später stellte Garrigou fest, daß bei der
Dialyse die Mehrzahl der Schwermetalle sich auf Seite der Kolloid-
substanz hielten.
De Heen und Michels suchten den Grund der Wirkung der
Mineralquellen in einer Energiequelle, die durch die Abwesenheit des
ionischen Gleichgewichts infolge der Kleinheit der Teilchen ver-
ursacht wird.
Iscovesco stellte die Anwesenheit von Kolloiden in Schwefel-
und Arsenwässern fest und fand, daß gewisse Schwefelwässer und ebenso
gewisse Arsenikwässer elektronegative Kolloide enthalten. Er schreibt
ihre Wirkung dem kolloidalen Zustand einiger in ihnen enthaltenen
Substanzen zu. 1902 weist See in den Mineralwässern Kolloide nach,
die eine wirkliche katalytische Wirkung ausüben.
Salignat und Chamagne gingen von der Tatsache aus, daß
Kolloidlösungen eines entgegengesetzten Zeichens einen Niederschlag
geben, der sich bei Hinzufügen neuer Mengen des Fällungsmittels wieder
auflöst und wiesen mit kolloidem Eisenhydrat die Existenz der Kolloide
in den Quellen von Vichy nach. Auch katalytisch gelang ihnen der
Nachweis. Der Nachteil ihrer Untersuchungsmethoden liegt aber In der
langen Zeit bei einem sich so rasch ändernden Stoff wie die Mineral-
quellen sind.
‚. Die von Daniel angewandte Methode der Untersuchung im Ultra-
miskroskop leidet an den schwer vermeidbaren Fehlerquellen und der
Schwierigkeit einer praktischen Zählmethode der Kolloidkörperchen.
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38. Jali. | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.
| Die beste Methode scheint die von Glenard ausgearbeitete zu
sein, die auf der Zersetzung einer Wasserstoffsuperoxydlösung beruht.
Nach seinen Angaben über die Quellen in Vichy, die ich für
Hôpital und Célestins nachprüfte, kommen für eine praktische, rasch
ausführbare Untersuchung in Betracht:
1. Eine titrierte Kalipermanganatlösung 1: 1000.
2, Eine 10%ige Ha0s-Lösung (Perhydrol Merck).
Die Untersuchung besteht in der Bestimmung der Zahl von Kubik-
zentimetern der Permanganatlösung, welche nötig ist, um eine gewisse
Menge einer mit Schwefelsäure leicht angesäuerten Mischung von H3202-
Lösung und Mineralwasser leicht und dauernd zu färben.
Je weniger Permanganat verbraucht wird, desto größer ist die
Zersetzung der Ha0s-Lösung. Die bekannte Zersetzlichkeit der Per-
- manganat- und Ha0s-Lösung kommt bei diesen .oriontierenden Unter-
suchungen nicht in Betracht, weil bei jeder Probe die Anfangswerte der
H:0s-Mineralwassermischung und des destillierten Wassers festgestellt
werden und es sich nur um den allgemeinen Nachweis der Kolloide und
n Nas streng wissenschaftliche Berechnung der Menge derselben
handelt, l |
Wichtig ist eine genügende Menge (50 ccm) und eine gleichmäßige
Temperatur von zirka 38 bis 39/0, wie sie sich am besten in einem
Wasserbad erreichen läßt. |
Nach den Angaben von Glenard wirken alle Quellen von Vichy
frisch entnommen mit Ausnahme der Celestins katalytisch. ‘Die kata-
Iytische Wirkung verliert sich in 24 Stunden fast vollständig. Bei auf
Flaschen gefülltem Wasser tritt keine Katalyse ein. Durch Kochen tritt
eine merkwürdige Aenderung ein: die katalytische Wirkung, die vorher
nicht mehr da zu sein schien, tritt sofort wieder auf und bleibt von da
ab, teilweise wochenlang, erhalten. So erhielt ich bei abgekochtem
und filtriertem Höpitalwasser nach drei Wochen ein Resultat von 20 bis
0,5. Selbst das an der Quelle nicht katalytisch wirkende Cölestinswasser
zeigt nach dem Kochen eine ausgesprochene katalytische Wirkung. Die-
selbe ist bei Höpital viel stärker als die direkt an der Quelle beobachtete. Die
Zersetzung der H>0s-Lösung war innerhalb einer Stunde so groß, daß die
Menge der zur Färbung nötigen Permanganatlösung von durchschnittlich
20 bis auf 11 sank. Chamberlandfilter hält sie größtenteils zurück, ein
Beweis, daß sie durch Kolloide hervorgerufen wird. Eine weitere auf-
fallende Erscheinung ist die Tatsache, daß nach Filtrierung der meist
getrübten Lösung durch gewöhnliches Filtrierpapier das klar durchfließende
Wasser stärker katalytisch- wirkt als das nicht filtrierte. Der Verbrauch
der. Permanganatlösung sank von 20 auf 0,5! X |
Von deutschen Quellen habe ich untersucht: Alkalische,
Kochsalz-, Eisen- und Bittersalzquellen. Mit Ausnahme des Badener
Thermalwassers, das frisch entnommen wurde, wurde die gewöhn-
licho Handelsware benutzt.
Eine den Vichyquellen einigermaßen ähnlich starke Wirkung
fand ich bei den deutschen Quellen nur bei Neuenahr, Nieder-
selters, Salzbrunn und Rhens, also bei ausgesprochen alkalischen
Quellen. Alle andern, mit Ausnahme der Mergentheimer Karls-
quelle und der Pyrmonter Hauptquelle, gaben keine ähnliche Re-
aktion, weder direkt, noch nach Kochen und Filtrieren.
Es lag daher der Gedanke nahe, daß die Anwesenheit von
Alkali bei der Reaktion eine Rolle spiele. Ich fügte also Natron
biearbonieum in der Konzentration, "wie es in den Vichyquellen vor-
handen ist, bei und erhielt sofort bei den vorher bloß negativ
teagierenden Eisen- und Kochsalzquellen, speziell auch bei den
Badener Quellen, eine ausgesprochene Katalyse, die, wenn auch nicht
s stark wie bei den von Natur alkalischen, so doch so kräftig.
ausfiel, daß über die Katalyse und damit über die Gegenwart von
Kolloiden kein Zweifel sein konnte. Ein Beweis, daß es sich um
‚ine wirkliche Katalyse handelt, ist die Tatsache, daß die Kurve
der H202-Zersstzung genau der Kurve entspricht, wie sie von
chade für den irreversiblen Prozeß bei katalytischen Vorgängen
als typisch angegeben ist. !
ai Die nachfolgenden Tabellen geben im Durchschnitt dio Mengen der
„rauchten Permanganatlösung in Kubikzentimeter gleich nach der
E- zufügung der 10%), igen H:02-Lösung und nach einer Stunde im
Wässerbade von 390 Celsius.
e
50 com Thermalwasser + 5 cem H0; (10%/,), Temperatur 39° Oelsius
Baden - ' Gekocht und | Mit Na. bi. ge-
den - Baden Direkt filtriert [kocht u. filtriert
L
2 Fonkenanelle SFR 24,5—23 23 - 21,5 21 — 25.
8. Preibadanalla 0 0 > l i 28—20 23 —21 295—105
A Pridni op e 28,5—28 27 -27 27,5— 5,5
5, Hö ai z uelle i » 000 © > ào 25 —922 23 1 l 22 — 6,0
8, Kirchenet te .. | 255—225 24,5—21 24,5— 6,0
7. Klosterquellen En 24 —21 2835—21 205—105
8. Kühlquelle © 24 5—21 2445—21 =A
%. Murguelle © ° u -22 —19 22 —19 20,5— 8,5
10 Noner Stollen. © €” TET 28 —22 28 — 21,5 29 — 5,0
U Ursprung O e eee E 24 —21,5 35-215 |. 28 — 5,0.
g LE T A a i 20,5—19,5 21 —20,5 21 TF 8,5
50 com Mineralwasser + 5 ccm H,O, (10 °/o), Temperatur 89° Oelsius
Mit Na. bi. ge-
kocht u. filtriert.
| Direkt | Gäkocht- |
Alkalische ue
„ ` Oélestins .
Neuenahr Großer
Salzbrunner Oberbr
Rhenser Brunnen . .
Kochsalzquellen:
Baden-Baden siehe erste Ta-
Dürkheimer Maxquelle .
Salzschlirfer Bonifacius .
Wiesbadener Kochbrunnen
Bitterquellen:
Mergentheimer Karlsquelle
Eisenquellen:
Pyrmonter Hauptquelle . .
Rippoldsauer Josephsquelle .
Die Erklärung der Einwirkung des Kochens ist nicht ganz
einfach, Bei den kohlensäurereichen alkalischen Wässern scheint
ja das Wiederauftreten der Katalyse durch die weitere Vertreibung
der in ihnen immer noch vorhandenen Kohlensäure verursacht zu
sein; während die Anwesenheit der Kohlensäure eine hemmende
Wirkung auf die katalytische Kraft ausübt, wird bei ihrer Ver-
treibung durch Kochen eine Dissoziation neuer Mengen kohlen-
sauren Eisens herbeigeführt und. Eisenoxyd ausgefällt. |
Schwieriger ist die Erklärung bei den. übrigen nicht alkali-
Man könnte den Einwand erheben, daß Na. bi.
Bei Zusatz großer Mengen, z. B. 40 g
Na. bi. auf 1 1 Wasser zeigt sich Zersetzung der H305-Lösung, `
aber schon bei 7 g, also immer noch mehr als in Vichy enthalten
sind und die Zusätze zu den übrigen Wässern betragen, tritt keine
Reaktion mehr auf. . l
Für den Nachweis der Kataly
.
TE pe e eat
be A
les ti 2
schen Quellen.
selbst katalytisch wirke.
se ist nötig, daß die zu unter-
suchende Lösung alkalisch ist oder alkalisch gemacht wird. Aber
die Alkalinität ist nicht die Ursache der Katalyse, sonst - müßte
sie bei dem fortwährenden Entweichen von COz zunehmen, und
damit auch die Katalyse, während letztere rasch bis zum völligen
Verschwinden abnimmt. Ferner müßte die katalytische Wirkung
durch den Chamberlandfilter hindurchgehen anstatt von ihm zurück-
gehalten zu werden. ei |
Da nur Kolloide in Betracht kommen können, müssen wir
die Erklärung in dieser Richtung suchen. In. erster Linie käme
das Vorhandensein von „Schutzkolloiden“ in Betracht.
sogenannten Umhüllungstheorie von Quincke und Andern (zit.
nach W. von Ostwald) umgibt die spurenweise vorhandene emul-
soide Phase die festen Partikelchen des Suspensoids mit einer
dünnen Schicht, weil die Summe : der positiven Oberflächen-
spannungen zwischen Partikel und Dispersionsmittel sowie zwischen
dispersen Tröpfehen des Schutzkolloids und dem Dispersionsmittel
größer ist als die Öberflächenspannung zwischen Partikel. und
‚Tröpfchen. Als Beispiel für solche Stabilisatoren eignet sich von
anorganischen Kolloiden insbesondere die emulsoide Kieselsäure
als Schutzkolloid. Durch den Kochprozeß könnte nun erst eine
Trennung und ein Freiwerden von Energien stattfinden, sodaß der
Dispersitätsgrad erhöht wird und zu erneuter Bildung kolloidaler
Systeme führen kann, oder es können bei längerem Kochen nach
Ausfällung verschiedener Salze und Basen ion- und molekular-
disperse Phasen durch Kondensation bis zu kolloidaler Dispersität
eingeengt werden. Auch die Wirkung des Filtrierens im Sinne
einer weiteren Erhöhung der katalytischen Wirkung könnte damit
erklärt werden, daß die Mehrzahl der kolloiden Systeme speziell
die Suspensoide von Molekular- und iondispersen Systemen aus-
geht, bei denen Verunreinigungen, die außerordentlich stark in-
stabilisierend wirken, vorhanden sein können. Die rohen kolloiden
Lösungen können am zweckmäßigsten von diesen Verunreinigungen
durch Dialyse befreit werden, und es gelang auf diese Weise,
Flüssigkeiten zu erhalten, die mehrere Jahre unverändert bleiben.
‚Man kann also die erhöhende Wirkun
dieselben Wirkungen ` zurückführen.
Was nun die Frage betrifft, welche Stoffe hau
kolloidalem Zustand in den Quellen vorhanden sind, so muß sie `
dahin beantwortet werden, daß sowohl ko
Zustände allgemein möglich sind. ee:
In den Badener Quellen können neben andern die Leichtmetalle
wie Lithium, Natrium, Aluminium, oder von den Schwermetallen Thorium,
Mangan, Arsen, Eisen in kolloidem Zustan
ie Oxyde und Hydroxyde: Kieselsäure,
oxyd oder von Salzen Natriumchlorid.
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1240 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. MR, Tu
Eisen in kolloidem Zustande hat Glenard für Vichy nach-
gewiesen und konnte ich für Baden bestätigen.
Was Mangan betrifft, hat Marck nachgewiesen, daß das Mangan-
dioxyd im Gegensatz zu den andern Kolloiden ohne Alkali keine kataly-
tische Wirkung zeigt, während es in alkalischer Lösung stark katalytisch
wirkt. Mangandioxydhydrat übt im kolloiden Zustand eine adsorbierende
Wirkung auf Radiumsalze aus, sodaß der starke Radiumemationsgehalt
der Badener Quellen wahrscheinlich mit dieser Eigenschaft zusam-
menhängt.
Arsen, das in der Badener Friedrichsguelle in der erheblichen
Menge von 0,5 mg im Liter vorhanden ist, vermittelt bekanntlich als
Katalysator gerade in Verbindung mit Eisen eine stärkere Einwirkung;
so hat Seiler bei der Verbindung beider eine Steigerung des Hämo-
globingehalts von 37% auf 96% und eine Zunahme der Erythrocyten
von 3 auf 5,1 Millionen nachgewiesen.
Eine wichtige Rolle spielt bei den Badener Quellen der Gehalt an
Kieselsäure, der durchschnittlich viermal mehr beträgt als in den
meisten andern Quellen.
Kieselsäurehydrat entsteht bei der Verwitterung präexistierender
Eruptivgesteine, und es ist interessant, daß die Badener radioaktiven
Quellen alle in sogenannter Arkose, dem Verwitterungsprodukte des Granits,
entspringen.
| Nach Ebler ist die Gegenwart kolloider Stoffe, besonders die
kolloide Kieselsäure (gelöst als Sol oder ausgeflockt als Gel) von maß-
gebender Bedeutung für die Verteilung radioaktiver Elemente in radio-
aktiven Mineralquellen. Für die nahen Beziehungen zwischen Radium
und Kolloiden scheint auch die Ausdehnung der Katalyse bei der Bütten-
quelle zu sprechen. Direkt aus der radioaktivsten Ader entnommenes
Wasser zeigte eine katalytische Wirkung, die sich zwischen den Werten
21 bis 2,5 bewegte, während sie nach 24 Stunden nur bis 4 sank. Mit
dem Entweichen der Radiumemanation fallen also auch schon Kolloide
aus, sodaß die katalytische Wirkung geringer ist.
Untersuchungen dieser Frage sind im Gang, aber noch nicht ab-
geschlossen. |
Fassen wir die Resultate unserer Untersuchungen kurz zu-
sammen, so können wir folgendes feststellen:
Kolloide können durch ihre katalytische Wirkung in den
‘ Mineralguellen nachgewiesen werden und sind in allen enthalten,
Der Nachweis der Katalyse ist an die Alkalinität gebunden, sodaß
nichtalkalische Wässer vor der Untersuchung alkalisch gemacht
werden müssen.
Bei den alkalischen Quellen tritt nach dem Befunde von
Viehy schon an der Quelle eine Katalyse auf, die sich aber in
kurzer Zeit verliert.
Durch Kochen tritt bei den alkalischen Quellen die schein-
bar verschwundene katalytische Kraft wieder auf, besonders stark
nach Filtrierung durch gewöhnliches Filtrierpapier und bleibt
dann wochenlang erhalten.
Bei den übrigen Quellen ist eine stärkere Katalyse erst
nach Alkalizusatz und nach Kochen und Filtrieren festzustellen
mit Ausnahme der Eisen- .und Bittersalzquellen, die auch ohne
Alkalizusatz eine mäßige Katalyse zeigen. Durch Entweichen
von Radiumemanation tritt eine Ausfällung von Kolloiden ein.
Der Nachweis von Stoffen in kolloidem Zustand in den
Mineralquellen ist geeignet, im Verein mit der Theorie der Ionisie-
rung und Dissoziation ihre Wirkung zu erklären, welche nicht
allein den Mineralien, die in den Wässern aufgelöst sind, sondern
auch denen, die sich im kolloiden Zustande befinden, zuzu-
schreiben ist.
Literatur. Ebler und Fellner, Zur Kenntnis der Radioaktivität der
Mineralquellen 1911. — Dieselben, Ueber Adsorption radioaktiver Substanzen
durch Kolloide 1911. — Liebreich, Ueber künstliche und natürliche Mineral-
wässer. (Veröffentlichung der Balneologischen Gesellschaft 1898.) — A. Marck,
Die Katalyse des Woasserstoffsuperoxyds durch kolloides Mangandioxyd J. D.
1907. — W. v. Ostwald, Grundriß der Kolloidchemie 1910. — Pöschl, Bin-
führung in die Kolloidehemie 1910. — H. Schade, Kolloidchemie und Balneo-
logie. (Veröffentlicht durch die Balneologische Gesellschaft 1911.) — Der-
selbe, Die Bedeutung der Katalyse für die Medizin 1908. — Seiler (D. med.
Woch. 1911). — Daniel, Colloides et eaux minérales 1910. — Glenard, Pou-
voir catalytique 1911. — Iscovesco, Pr. med. 1906. — Salignat-Oba-
magne, Recherch,. physico-chim. C. R. de Biolog. 1907. — Söe, Des oxydases
et des eaux min. 1907.
Aus der Praxis für die Praxis.
Otologie
von
Oberstabsarzt a. D. Dr. Ernst Barth, Berlin.
Die chronische Mittelohreiterung.
(Otitis media purulenta s. suppurativa chronica.)
Ileilt eine akute Mittelohreiterung nicht aus, entweder in-
tolge mangelhafter Behandlung oder infolge gleichzeitig bestehender
Konstitutionskrankheiten (Lues, Tuberkulose, Skrofulose, Anämie,
Diabetes) oder infolge von chronischen Erkrankungszuständen der
Nase und des Nasenrachenraums (ad. Vegetationen, Schleimpolypen,
Hypertrophien an den Muscheln, Verbiegungen und Auswüchse der
Nasenscheidewand) oder infolge besonders schwerer primärer In-
fektion (Scharlach, Diphtherie, Masern, Influenza), so geht die
Entzündung und Eiterung in einen chronischen Zustand über,
welcher eine unbegrenzte Zahl anatomischer und funktioneller Ver-
änderungen auslösen kann. Die Schleimhaut erfährt durch Ge-
. fäßerweiterung und Infiltration eine Verdickung, das Epithel kann
verloren gehen und Infiltrationen Platz machen, nicht epitheli-
sierte, gegenüberliegende Flächen können zusammenwachsen — 80
kann es zu Verwachsungen zwischen größeren und kleineren Par-
tien des Trommelfells und der medialen Paukenwand kommen, der
Bandapparat der Gehörknöchelehen kann durch chronische Ent-
zündung und schwartige Verwachsungen in seiner Funktion leiden.
Das knöcherne Gewebe der Gehörknöchelehen kann verändert und
zerstört, die knöchernen Wandungen können mehr oder weniger
cariös, nekrotisch oder sklerotisch werden, die Trommelfellperfo-
rationen können sich durch Narben schließen oder sich mit Epi-
dermis überbäuten, die Epidermis kann durch die Perforation in
die Paukenhöhle eindringen und dort von Schleimhaut entblößte
Bezirke epidermisieren. Die dermatisierten Stellen produzieren
'Epithelschuppen, welche mit dem Sekret ausgestoßen werden oder
wie Fremdkörper reizen. Das Trommelfell selbst verliert durch
die chronische Entzündung seinen Glanz, erscheint trübe, nicht
‘selten verdickt, zeigt in andern Fällen nach Ablauf der Entzündung
unregelmäßige weiße Flecken (Kalkflecken) infolge von Kalkstaub-
ablagerung.
Nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Prognose
ist die Art der Perforation von Bedeutung. Wir unterscheiden
die centralen und die randständigen Perforationen; bei ersteren ist
der Limbus des Trommelfells noch erhalten, während bei letz-
teren gewöhnlich auch ein Teil seiner knöchernen Umrahmung zer
stört ist.
Die chronische Mittelohreiterung mit centraler Perforation
ist hinsichtlich ihres Verlaufs und ihrer Prognose einfacher und
günstiger als die mit randständiger Perforation. Sie kann in vielen
Fällen soweit ausheilen, daß jede Sekretion aufhört, und wenn
keine schwereren anatomischen Schädigungen Platz gegriffen haben,
auch keine schwereren Gehörstörungen bleiben. Die Perforation
begünstigt jedoch neue Infektionen vom äußeren Gehörgang aus
durch Wasser (beim Baden und Waschen) oder andere Fremdkörper.
Die Behandlung der chronischen Mittelohreiterung basiert
auf der Fernhaltung jeder sowohl vom äußeren Gehörgange WI
von der Tube aus induzierten Reizung. Zunächst ist der äußere
Gehörgang durch Auswischen und Austupfen sauber zu halten.
Eine Reinigung beziehungsweise Desinfektion des Trommelfells und
der durch die Perforation zugänglichen Paukenschleimhaut ver-
sucht man durch milde antiseptische Lösungen von Körperwärms,
welche man mit der Spritze appliziert. Kalte Spülllüssigkeiten
sind dem Patienten nicht nur unangenehm, sondern auch wenige!
wirksam. Gebräuchlich sind Borsäure 4 0/,, Borax 2—3 °/o, LYS%
form 1 °/, und zahllose andere Antiseptica in entsprechender Ver-
dünnung. Von Formalin, das viel angewandt wird, nimmt man
nur 5 Tropfen auf 1 1 warmen Wassers. Nach dem Ausspriizen
muß der Gehörgang mit aseptischen Wattetupfern sorgfältig AUF
getrocknet werden. Auf die Paukenschleimhaut kann man dam
noch durch Insuffiation von Borsäure (in dünner Verstäubung) oder
auch durch Eingießung von 4/gigem Boralkohol oder 20/sigem e
cylalkohol oder 3°/yigem Perhydrol einwirken. Der Patient legt sic
hierfür auf das andere Ohr und man füllt den äußeren Gehörgang
mit einer der genannten alkoholischen Lösungen beziehungsweis®
mit 3 %/yigem Perhydrol an, welche man am bequemsten IN nen
Reagensglase vorher erwärmt hat, und aus welchem man S!® T
mittelbar in den äußeren Gehörgang eingießt. Die Lösung |
man dann etwa 10 Minuten einwirken, währenddessen der Ber
ruhig liegen bleiben muß, Darauf läßt man durch entsprechen
Neigung des Kopfes die Lösung aus dem Ohr in ein unterg® =
tenes Gefäß abträufeln und tupft den Gehörgang mit aseptist a
Watte wiederum sauber aus. Zum Schlusse verschließt man Bei
Gehörgang locker mit einem Gazestreifen oder Wattepfropfen. op-
dieser Behandlung kommt es weniger auf die Wahl der et a
tischen Lösungen als vielmehr auf die peinlichste Sauberkeit a-
2
28. Juli.
. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
„1241
Läßt unter derartiger Behandlung, welche täglich wiederholt
wird, die Sekretion nicht nach, so müssen die andern Faktoren,
welche die Sekretion unterstützen, eliminiert werden. Jede cir-
cumscripte Granulationswucherung muß entfernt werden; läßt sie
sich mit der Schlinge nicht fassen, so wird sie mit der Sonde, an
“welche Argentum nitricum oder Chromsäure angeschmolzen ist,
vorsichtig geätzt. Größere faßbare Polypen werden mit der Schlinge
abgetragen, die Ansatzstelle ebenfalls geätzt.
Besondere Beachtung erfordert die Beschaffenheit der Nase
und des Nasenrachenraums. Spielen sich hier akute oder chronisch-
entzündliche Vorgänge ab, und wird von den hier erzeugten Se-
kreten etwas durch die Tube nach der. Paukenhöhle hin aspiriert,
so kann auch die Sekretion der Paukenschleimhaut nicht ver-
siegen. Es ist oft erstaunlich, wie manchmal chronische Mittel-
obreiterungen, welche über Jahr und Tag bestanden, nach Be-
seitigung von Rachenmandeln, hypertrophischen Muscheln, Po-
Iypen, Deviationen in kurzer Zeit versiegen.
Die randständigen Perforationen weisen meist auf eine
Knochenerkrankung hin. Am hinteren und oberen Trommelfell-
rand erregt ein randständiger Defekt Verdacht auf eine Antrum-
eiterung. | E,
Eine besondere Bedeutung hat die Perforation der Shrap-
nellschen Membran. Der Eiter, der hierdurch entleert wird,
stammt meist aus dem Kuppelraume; gewöhnlich ist er spärlich;
ist er reichlicher, so stammt er wohl auch aus dem Antrum.
Hält diese Eiterung längere Zeit vor, so werden gewöhnlich auch
die Gehörknöchelchen, Amboß und Hammer, cariös. Außerdem
findet sich bei Perforation der Shrapnellschen Membran sehr oft
Cholesteatom. 5
Das Cholesteatom
(Perlgeschwulst), welches bei chronischen Otitiden nicht selten
vorkommt, entsteht durch Einwanderung der Epidermis vom
äußeren Gehörgange beziehungsweise von der äußeren Fläche des
Trommelfells.. Indem die Epithelneubildung weiter vor sich geht
und die Epithelien, welche bei freier Oberfläche abgestoßen werden,
im engen Raume der Mittelohrräume nur mangelhaft oder gar
nicht entleert werden können, entsteht eine aus Epidermislamellen
zwiebelartig konzentrisch geschichtete Geschwulst, welche durch
eine Apposition von Schichten einen Druck ausübt und durch
Usur des Knochengewebes einen Durchbruch in das Labyrinth
oder unter die Dura oder auch nach außen in den äußeren Gehör-
gang bewirken kann. Da außerdem die Epidermismassen mehr
' oder weniger eitrig infiziert sind und der weiteren Zersetzung an-
heimfallen, so werden durch die genannten Durchbrüche der Cho-
lesteatome gleichzeitig auch septische Prozesse auf das Labyrinth
(Usur des horizontalen Bogengangs und des Facialkanals), die
Dura und das Gehirn wie auf die großen Gefäße (Sinus, Bulbus
jugularis) übertragen. |
Es liegt nach dieser Entstehung in der Natur der Sache,
daß das Cholesteatom nur in den fast vollständig von knöchernen
Wandungen begrenzten Mittelohrräumen seine zerstörende Wirkung
entfaltet, während in der Paukenhöhle bei defektem Trommelfelle
die Bedingungen für seine Entwicklung fehlen. Die Größe des
Cholesteatoms schwankt von Hanfkorn- bis Walnußgröße. Bei
größeren Perlgeschwülsten ist der Kern meist zu einem fötiden,
penetrant riechenden Brei zerfallen. Oft besteht auch die ganze
Geschwulst aus einem schmierigen Brei, welcher sich mit dem
durch die - Trommelfellperforation entleerten Ausfluß vermischt.
4
‘Uebler Geruch und die Beimengung von Epithelfetzen sind immer
auf Cholesteatom verdächtig.
Die Symptome des Cholesteatoms können sehr verschieden
ausfallen. Es kann ganz unbemerkt wachsen, die Epithelmassen
können unter gewissen Bedingungen sogar die Perforation ver-
. legen und so kann eine gewisse Zeit jede Sekretion fehlen, bis
schwere Symptome auf die versteckte Gefahr hinweisen. In andern
Fällen geht eine starke Eiterung vorher, vermengt mit übelriechen-
dem Epithelbrei. Neben schmierigen Massen kann man beim Aus-
spritzen in der Spritzflüssigkeit auch Cholesteatommassen von
perlmutterartigem Glanze sehen. Aus dem symptomenlosen Zu-
stande können plötzlich alarmierende Symptome auftreten, welche
den Durchbruch nach dem Labyrinth oder in die Schädelhöhle
verraten. In seltenen Fällen kann der Durchbruch durch die late-
rale Atticuswand oder vom Antrum aus durch die obere Gehör-
gangswand in den äußeren Gehörgang erfolgen. Das Gehör kann
wie bei der chronischen Otitis überhaupt sehr verschieden sein.
Ist der Schalleitungsapparat nur wenig geschädigt, ist die Per-
foration nur klein, werden die Cholesteatommassen leicht abge-
stoßen und entleert, so kann eine schwere Herabsetzung des Gehörs
fehlen. In. andern Fällen kann das Gehör dagegen schwer ge-
‚schädigt sein. Besonders verdächtig ist aber ein rasches Erlöschen
des Gehörvermögens. Bei gleichzeitigem -Auftreten von Schwindel
und Erbrechen bedeutet es einen Durchbruch oder wenigstens
einen drohenden Durchbruch in das Labyrinth.
Die Behandlung hat für die Entleerung der Cholesteatom-
massen zu sorgen. Man benutzt dazu dünne und besonders ab-
gebogene Röhrchen (Paukenröhrchen oder korrekter Antrumröhr-
' chen), welche wir durch die Perforation einführen, um die Massen
mit direktem Strahle zu treffen. Das Röhrchen wird mit einem
etwa 50 cm langen Gummischlauche verbunden, in dessen anderes
Ende die Spitze einer Spritze eingeführt wird. Unter Spiegel-
beleuchtung führt der Arzt das entsprechend abgebogene Röhrchen
in die Perforation, während eine zweite Person den Kolben der
Spritze niederdrückt. Es gelingt auf diese Weise manchmal, un-
glaubliche Mengen cholesteatomatöser Massen herauszubefördern,
Die Spritzflüssigkeit muß Körperwärme haben. An das Aus-
spritzen schließt man -die Luftdusche und trocknet darauf die
Höhle, soweit sie zugänglich, sauber aus. Insufflation von Bor-
säure kann die Eiterung bekämpfen helfen. Bleibt bei einer der-
artigen, selbst monatelang fortgesetzten Behandlung die Eiterung
fötid, so ist der Zugang zu der Höhle ein unvollkommener und
damit ist die Indikation zur operativen Behandlung (Radikalopera-
tion) gegeben.
Die Radikaloperation (Totalaufmeißlung, breite Frei-
legung sämtlicher Mittelohrräume) muß in Anwendung kommen,
wenn infolge chronischer Mittelohreiterung sich bedrohliche Folgen
ausbilden, welchen durch Behandlungsmethoden vom äußeren Gehör-
gang aus nicht beizukommen ist. Bedrohlich sind die Folgen dann,
wenn durch Uebergreifen der Erkrankung auf die Schädelhöhle,
das Labyrinth oder die großen Gefäße lebensgefährliche Kompli-
kationen bevorstehen. Die Symptome dieser Komplikationen s. u.
Durch die Radikaloperation — Abmeißlung der oberen und
hinteren Gehörgangswand — wird der äußere Gehörgang, Pauken-
höhle, Atticus und Antrum in eine gemeinsame Höhle verwandelt
unter Entfernung von Hammer und Amboß und Auskratzung der
Granulationen und des cariösen Gewebes bis ins Gesunde.
Die Technik der Operation erfordert besondere spezialistische
Ausbildung. |
| Referatenteil. o =
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
Sammelreferate.
Aus dem Gebiete der Pädiatrie.
Herz- und Lungenerkrankungen beim Kinde
(Literatur 1911, 1912)
von Prof. L. Langstein und Dr. A. Benfey, Berlin.
| I, Herz.
Ostrowski (1) bespricht 40 im Petersburger Kinderasyl im
Laufe von 15 Jahren sezierte Fälle von angeborenem Herz-
fehler bei Säuglingen (einen Tag bis ein Jahr alt). In 16 Fällen
handelte es sich um Septumdefekte, in dreien um eine Pulmonal-
stenose, in den übrigen um kombinierte Herzfehler: zweimal Septum-
defekt und offenes Foramen ovale, einmal Septumdefekt und Offen-
bleiben des Ductus Botalli, zweimal Septumdefekt, Offenbleiben
des Foramen ovale und Ductus Botalli, viermal Septumdefekt und
Pulmonalstenose usw. Die Septumdefekte sind also die häufigsten
kongenitalen Herzfehler, die angeborene Endokarditis dagegen ist
sehr selten. Knaben neigen mehr zu kongenitalen Vitien als
Mädchen. Die exakte Diagnose im Säuglingsalter ist sehr schwer.
Moon (2) schildert den seltenen Fall einer isolierten
Trikuspidalinsuffizienz bei einem fünfjährigen Knaben. Das
Vitium entstand im Anschluß an eine Diphtherie und wurde durch
die Obduktion bestätigt.
Ueber . einen seltenen Fall von Herzmißbildung bei einem
totgeborenen Kinde berichtet Lübs (3). Es handelt sich um eine
Transposition der Aorta und Pulmonalis und ihrer Ven-
trikel; auch der zum Aortenventrikel gehörige Vorhof mit den
Lungenvenen und die .Mitralis waren getauscht, und der zum
Pulmonalventrikel gehörige Vorhof nach rechts und vorn gelagert.
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1242 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
Der Fall läßt sich nicht in das Rauchfußsche Schema der Herz-
mißbildungen einreihen.
An der Hand der Beobachtung eines Falles von wahrer
Transposition der großen Schlagadern des Herzens und
Offenbleiben des Foramen ovale (das Kind erreichte ein Alter
von neun Monaten) beschäftigt sich Zoltän v. Bokay (4) mit
den verschiedenen Transpositionsmöglichkeiten der Herzgefäße und
dem daraus sich ergebenden Blutkreislaufe.. Zusammengestellt sind
nur solche Fälle, welche als gleichartig zu betrachten sind: Trans-
positio arteriarum cordis, offenes Foramen ovale, passierbarer
Ductus Botalli oder ganz kleine Septumdefekte. Bei allen diesen
ist der Blutkreislauf in beiden Herzhälften ein getrenntes System
mit Kommunikation durch eine der abnormen Oeffnungen. Der
hieraus sich ergebende Blutkreislauf ist schematisch dargestellt.
Das Blut fließt z.B. vom linken Ventrikel durch die Arteria pulmonalis
zu den Lungen und durch die Venae pulmonales zum linken Vorhofe zu-
rück, anderseits vom rechten Ventrikel durch die Aorta zum Körper
und durch die Vena cava superior et inferior zum rechten Vor-
hofe wieder zurück. Großer und kleiner Kreislauf bestehen also
ganz für sich. Die Kinder starben alle sehr früh. Klinisch fällt
vor allem die hochgradige Cyanose, niedrige Temperatur, Haut-
blutungen, Epistaxis, Dyspnöe, Vergrößerung der Herzdämpfung -
auf; Geräusche sind häufig nicht nachweisbar.
Hallé und Schreiber (5) teilen einen Fall von Aorten-
erweiterung bei einem fünfjährigen Kinde mit. Eine Hyper-
trophie des linken Ventrikels wurde durch horizontale Lagerung
des Herzens vorgetäuscht. Daneben bestand starke Pulsation und
Fremissement rechts oberhalb des Sternum, starke Verbreiterung
der Gefäßdämpfung im Distanzgeräusche, das vorwiegend systo-
lisch hörbar ist. Der linke Puls war wesentlich schwächer .als
der rechte. Der Röntgenbefund bestätigte die Diagnose einer
Aortenerweiterung. Ein Anhaltspunkt für die Aetiologie war nicht
zu ermitteln. In der Literatur sind bisher zehn derartige Fälle
beschrieben.
Ehrnrooth (6) schildert den sehr seltenen Fall eines kon-
genitalen- Herztumors. Ein sieben Monate alter Knabe starb
plötzlich nachts unmittelbar nach einem schweren Hustenanfalle.
Bei der Sektion fand sich in der Wand der linken Herzkammer
ein walnußgroßer, graurötlicher Knoten, scharf abgegrenzt, von
faseriger Struktur, der durch die histologische Untersuchung als
Rhabdomyom erkannt wurde. Der embryonale Charakter der
Zellelemente sprach für kongenitale Anlage.
Ein anderer Fall von Herztumor beim Kinde wird von
Armstrong und Mönckeberg (7)- mitgeteilt. Es handelte sich
um ein bisher im Herzen noch nicht beobachtetes Lymphangio-
endotheliom, das als eircumseripter Tumor an der Atrioventri-
kulargrenze des Septums saß. Das Kind zeigte in vivo epilepti-
forme Anfälle verbunden mit Bradykardie, sodaß zuerst die Dia-
gnose auf Meningitis gestellt wurde. Durch Puls- und Venenkurve
konnte aber die völlige Unabhängigkeit des Vorhof- und Kammer-
rhythmus festgestellt werden. Auf jede Ventrikelcontraction kamen
ungefähr drei Vorhofscontractionen. . Die Bradykardie erreichte
zeitweise 21 Schläge in der Minute und kam auch in anfallfreien
Zeiten bei subjektivem Wohlbefinden selten über 48 bis 52 hinaus.
Forell (8) berichtet über gehäuftes Auftreten von akut
entzündlichen Herzerkrankungen im Kindesalter. Bei
sieben Kindern im Alter von 5lj/g bis 10 Jahren setzte zu gleicher
Zeit eine akute Endo- beziehungsweise Myokarditis ein. In einem
Falle bestand perikarditischer Erguß. Nur bei einem Kinde war
im Beginn eine Angina nachzuweisen, mehrfach bestanden abortive
rheumatoide Symptome. Der Verlauf war in allen Fällen gutartig.
Auch Herz (9) konnte im Winter 1910/11 in Wien eine
auffallende Häufung von Fällen akuter Endokarditis bei Kin-
dern im Alter von 6 bis 18 Jahren feststellen. Die Erkrankung
trat fast durchweg an bereits veränderten Klappen auf. Der Ver-
lauf war ziemlich gleichmäßig: Beginn mit mäßigem Fieber, keine
Angina, keine Gelenkschmerzen. Diese traten erst später ab und
zu in den Fußgelenken auf. In der zweiten Woche trat Tachy-
kardie, Herzklopfen, Herzschmerz, Tachypnoe hinzu. Quälender,
trockner Husten, der nicht selten von Erbrechen gefolgt war,
stellte sich nachts ein. Größere Dilatationen waren selten zu
beobachten. |
Warthin (10) beschreibt eine im Gegensatz zu den gum-
mösen Bildungen des Herzens nicht so seltene Erkrankung, die in
einer lokalisiert oder diffus auftretenden interstitiellen Myo-
karditis auf kongenital syphilitischer Basis besteht. Die
Erkrankung ist bisweilen die einzige nachweisbare syphilitische
Manifestation und gelegentlich die Ursache unerklärlicher plötz-
licher Todesfälle im Säuglingsalter. Die syphilitische Natur des
Leidens wird durch die massenhaft in den krankhaften Herden
nachweisbaren Spirochäten sichergestellt. | |
° Die Frage, welcher von beiden Herztönen bei schwer ernäh-
rungsgestörten Kindern unhörbar wird, entscheidet Schlieps (11)
im Gegensatz zu Heubner auf Grund theoretischer Ueberleging
und klinischer Beobachtung dahin, daß es sich um den ersten
Herzton handelt. Direkt beweisend ist die Röntgenoskopie nebst
gleichzeitiger Auskultation. Mit derselben Methode untersuchte
der Verfasser gesunde Brust- und Flaschenkinder und fand die in
zahlreichen Arbeiten vorhandene Angabe, daß der erste Herzton
den zweiten in bezug auf Intensität auch an der Pulmonalis über-
wiege, nicht bestätigt. Von den Brustkindern war nur bei einem
Drittel der erste Herzton auch an der Basis stärker als der
zweite, während das bei keinem künstlich genährten Säuglinge der
Fall war.
Einen kasuistischen Beitrag zur Lehre von den Ursachen
des Erlahmens hypertrophischer Herzen liefert Frenkel
(12). Er hat das Herz eines 9!/sjährigen Mädchens untersucht,
das nach einer Polyarthritis eine Aorteninsuffizienz zurückbehalten
hatte und in der Heubnerschen Klinik aus relativem Wohl-
befinden heraus plötzlich starb. Es fanden sich neben älteren
Veränderungen, wie Verdiekung und Wucherung aller Endokard-
schichten und Schwielenbildung im Herzmuskel, bedeutend mehr
frische Veränderungen: Kleinzellige Infiltrationsherde im Endo-
kard, besonders im Gebiete des linken Schenkels des Reizleitungs-
systems, sowie in der Muskulatur der Kammern und besonders
der Vorhöfe, wo auch das Nervengewebe in Mitleidenschaft ge-
zogen ist; endlich eine starke venöse Stauung im Kammerseptum,
also die typischen Veränderungen eines rheumatisch erkrankten
Herzens. Nach Ansicht des Verfassers können diese anatomischen
Zerstörungen allein das plötzliche Erlahmen der Herztätigkeit
nicht bewirkt haben. Man kann höchstens annehmen, daß das
Wiederaufflackern der alten entzündlichen Erkrankung, als deren
Ausdruck er die ausgedehnte Zellinfiltration betrachtet, dem über-
angestrengten Organ den letzten Stoß gegeben hat.
Wichtige Beobachtungen über die Herztätigkeit Schar-
lachkranker, die auch für die allgemeine Pathologie des Herzens
großes Interesse haben, veröffentlichen Lederer und Stolte (13).
Sie fassen ihre Untersuchungen in folgenden Sätzen zusammen:
Die Erscheinungen des „Scharlachherzens“ koinzidieren mit Be-
wegungen des Körpergewichts in dem Sinne, daß bei Abnahme
desselben die Herzsymptome zunehmen und umgekehrt. Die Ver-
mutung, daß Ernährungsstörung des Herzmuskels selbst Ursache
dieser Erscheinungen ist, hat sich nicht bestätigt. Dagegen
konnte der Nachweis geführt werden, daß weder anatomische noch
chemische, sondern rein physikalische Momente diesen Störungen
zugrunde liegen. Durch Aufhebung der pathologischen Ursache,
das heißt durch Steigerung des Druckes in den Gefäßen, konnten
die Erscheinungen des Scharlachherzens (Labilität des Pulses,
Leiserwerden und Verschwinden des ersten Tons, Auftreten von
Geräuschen, Akzentuation und Spaltung des zweiten Pulmonaltons,
Bradykardie, Tachykardie, Arythmie und gelegentlich auch Di-
latation) vorübergehend aufgehoben werden.
Sehr interessante Untersuchungen hat Faber (14) an 30
etwa 28 Jahre alten gutsituierten Arbeitern der Zeißschen Fabriken
angestellt, die zehn bis zwölf Jahre vorher das Bild der Wachs-
tumshypertrophie des Herzens dargeboten hatten. Krehl
schilderte unter diesem Namen einen Zustand, der sich subjektiv
in Herzklopfen, Druck auf die Brust, Kurzatmigkeit bei stärkeren
Bewegungen äußert, bei dem sich objektiv folgende, im Einzelfalle
recht verschiedenartige Veränderungen des Herzens nachweisen
lassen: Verbreiterung der relativen Herzdämpfung nach rechts
und links; Spitzenstoß außerhalb der Mamillarlinie, bald weich,
bald hoch und hebend, in diesem Falle Verstärkung der zweiten
Töne. Systolische Geräusche an der Spitze oder im zweiten
Intercostalraume links mit und ohne Akzentuation des zweiten
Pulmonaltons. Die Arterienwand ist häufig auffallend gespannt.
Diese Erscheinungen fanden sich häufig bei Leuten, bei denen die
Untersuchung ein halbes Jahr vorher ganz normale Verhältnisse
ergeben hatte. Die Dauer der Erscheinungen erstreckte sich nach
Krehls Beobachtungen höchstens auf einige Jahre. Die Nach-
untersuchungen des Verfassers ergaben, daß nur ein kleiner Teil
der Leute noch über subjektive Herzbeschwerden klagten. Di®
objektive Untersuchung des Herzens stellte folgendes fest: In der
Mehrzahl der Fälle verlor sich die Vergrößerung der Herzdämpfung
im Verlauf von etwa zehn Jahren oder trat, wenn schon ver-
schwunden, im späteren Lebensalter nicht wieder auf, In der-
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28, Juli.
‚selben Zeit schwand auch der hebende Spitzenstoß in der Hälfte
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. © 128
der Fälle. Dagegen fanden sich an der Mitralis systolische Ge-
räusche in größerer Anzahl als früher, und ebenso zeigte sich in
höherem Prozentsatz eine Rigidität der Arterienwand. Der Puls
wies etwa in der Hälfte der Fälle geringe Grade von Irregularität,
Beschleunigung oder seltener Verlangsamung auf, was früher nur
vereinzelt zu beobachten war. Es scheint also, daß sich die
Minderwertigkeit des gesamten Kreislaufsystems bei der „so-
genannten ‚Wachstumshypertrophie des Herzens“ in der Mehrzahl
der Fälle im späteren Lebensalter nicht völlig ausgleicht..
U. Lunge.
Vogt (15) schildert eingehend das im Kindesalter nicht so
häufige Krankheitsbild der Bronchiektasien. Bei den meisten
Fällen kommen ätiologisch verschluckte Fremdkörper in Betracht.
Auch einige angeborene Fälle sind schon in der Literatur bekannt-
gegeben worden.
Zur Diagnosenstellung weist der Verfasser darauf hin, daß
man überall da an Bronchiektasienbildung denken muß, wo sich
an schwere kindliche Bronchopneumonien die Erscheinungen ’chroni-
scher entzündlicher Prozesse an umschriebenen Stellen der Lunge
anschließen. Besonders häufig treten Bronchiektasien nach
Bronehopneumonien im Verlaufe von Masern, Stickhusten und
Influenza auf.
Mit. dem Namen „chronische Bronchiolektasie“ be-
zeichnet derselbe Autor (16) eine Erkrankung, die sich derart
äußert, daß im Anschluß an eine schwere Bronchopneumonie
immer von neuem bronchopneumonische Schübe auftreten, während
in der Zwischenzeit meist nur geringfügige Symptome die Stelle
kennzeichnen, an der die erste Erkrankung nicht vollständig aus-
geheilt ist und von der aus die neuen Schübe ihren Ausgang:
nehmen. Der Autor stellt sich den Hergang so vor, daB schwere
akute oder lang! hingezogene Bronchopneumonien ‚Strukturverände-
rungen in der Wand der kleinen Bronchien mit Erweiterung der
‘Bronchien hinterlassen. Das ist der Herd, von dem aus mit Vor-
liebe neue bronchopneumonische Erkrankungen ihren Ausgang
nehmen. Durch Fortschreiten des entzündlichen Prozesses auf die °
großen Bronchien kommen Erweiterungen auch in diesen zustande
und damit das Bild der vorgeschrittenen Bronchiektasie, unter dem
ein Teil dieser Fälle zugrunde geht. Bis zum tödlichen Ausgange
der Erkrankung vergeht meist eine Reihe von Jahren, in denen
der Zustand, abgesehen von Zeiten akuter Nachschübe, ein relativ
befriedigender sein kann. ` Therapeutisch kommen in Betracht
klimatische Kuren an der See und im Hochgebirge, Medikamente,
wie Kreosot, Chinin und ähnliche, mit denen man auf die Menge
und Putrescenz des Auswurfs einwirken kann, und endlich bei
Fällen, die gar keine Neigung zur Spontanheilung zeigen, mecha-
nisch-chirurgische Eingriffe. | |
‚ Zu der schwierigen Frage der Bakteriologie der Re-
spirationserkrankungen im Kindesalter äußert sich derselbe
Autor (17). Gerade bei der häufigsten Lungenerkrankung der
Kinder, der Bronchopneumonie, sehen wir, wie klinisch gleichartige
Krankheitsbilder durch ganz verschiedene Bakterien hervorgerufen
werden können, während anderseits ein und derselbe Erreger ganz
verschiedene Krankheitsbilder auslöst. Der Verfasser versucht
uun trotzdem einige Krankheitstypen festzustellen, bei denen kli-
nische Erscheinungen, anatomische Veränderungen und bakterio-
logischer Befund übereinstimmt, |
Leichter als bei der Bronchopneumonie gelingt das bei der
Lobärpneumonie. Hier zeigen die durch den Friedländerschen
apselbacillus hervorgerufenen Formen im Gegensatz zu dem
iplococcus pneumoniae Besonderheiten, die in der Malignität der
Erkrankung. und in der Neigung zur Einschmelzung des Lungen-
gewebes bestehen. - .
r Sein Hauptaugenmerk hat der Verfasser auf die Bedeutung
er Influenzabacillen als Erreger von Lungenerkrankungen im
Indesalter gerichtet.
Tritt‘ eine Infektion mit Influenzabaeillen zu einer schon
vorhandenen tuberkulösen Infektion, so pflegt dadurch das Fort-
schreiten des Prozesses in hohem Maß ungünstig beeinflußt zu
werden. Bei der akuten. katarrhalischen Infektion der Luftwege
En Influenzabaeillen tritt ein krampfhafter, pertussisartiger Husten
ı er gewöhnliche Verlauf dieser akuten Fälle scheint der zu
fein daß ein Katarrh der oberen Luftwege allmählich in die
= eron Bronchien und das Lungenparenchym eindringt. Ob auch
° Primäre Erkrankung, der feinsten Bronchien und des Lungen-
Parenchyms vorkömmt, läßt sich wohl nur durch zufällige ana-
tomische Untersuchung entscheiden. Häufig zeigen sich die ersten
‘Verdichtungserscheinungen in der Hilusgegend, von wo aus sie
sich auf den Unterlappen ausbreiten können. Die Influenza-
pneumonien haben besondere Neigung, sich in die Länge zu ziehen.
Auch der Auswurf zeigt bei Influenzainfektion charakteristische
Eigenschaften: er wird meist schnell eitrig und weist eine zähe
Konsistenz und gelbgrünliche Farbe auf. |
Besonders häufig fand der Verfasser bei. Bronchiektasiefällen
Influenzabaecillen. Er glaubt deshalb, daß die Influenzabacillen
eine wichtige Rolle für die Entwicklung von "Bronchiektasien
spielen, indem sie nicht selten den Boden für ‘die Entstehung
bronchiektatischer Prozesse vorbereiten.
Der Schwierigkeit, das Verhalten der Atmung im Kin-
desalter zu studieren, suchten Lederer und Vogt (18) durch
Benutzung eines von Hürthle konstruierten Spirometers zu be-
gegnen. Ein Hauptvorzug dieses Apparats besteht darin, daß so-
wohl die Aufwärts- als die Abwärtsbewegung des Kolbens zur
Registrierung ausgenutzt werden kann, indem durch eine einfache
Umschaltung die Inspirationsluft bald oberhalb, bald unterhalb des
beweglichen Kolbens entnommen wird.
größtenteils an schlafenden Kindern vorgenommen.
Zuerst wurde die Einwirkung des Alkohols auf die Atmung.
studiert. Eine Einwirkung auf die Atemfrequenz war nicht zu
konstatieren, dagegen zeigte sich die absolute und relative At-
mungsgröße unter 19 Versuchen elfmal mehr oder weniger stark
gesteigert.
Ebenso kam es in mehr als der Hälfte der Fälle zu einer
Steigerung der Atemtiefe. Versuche mit Atropin, die an „schwer-
atmenden“ Kindern angestellt wurden, zeigten keinen wesentlichen
Einfluß des Medikaments auf die Atmung. |
Ausgeprägte Störungen der Atmung konnten dagegen mit
Hilfe der spirometrischen Methode bei Kindern aufgedeckt werden,
die an der von Vogt beschriebenen (siehe oben) chronischen
Bronchiolektasie litten. Die. Störung der Atmung betrifft bei
diesen Kindern in erster Linie die durchschnittliche Atemtiefe.
Diese bleibt von einer gewissen Altersstufe ab ganz ausgesprochen
hinter der normalen zurück. Eine andere Eigentümlichkeit der an
chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane leidenden Kinder
ist die, daß bei ihnen die Atemfrequenz bei vertiefter Atmung
gleichbleibt oder gar zunimmt, während sie beim normalen Kinde
in gleichem Falle verlangsamt wird. Ferner ließ sich feststellen,
daß die atemkranken Kinder die gesunden in der Schwankungs-
breite der absoluten Atemgröße übertreffen. Ä
Aus der Fortführung der interessanten Versuche, mit der die
Autoren schon beschäftigt sind, lassen sich praktisch verwert-
bare diagnostische und therapeutische Anhaltspunkte erhoffen.
Ssokolow (19) beschreibt einen bei Kindern verwendbaren
Pneumographen, der die Atemexkursionen symmetrischer Punkte
der vorderen Brustwand gleichzeitig graphisch aufzeichnet. Zahl-
reiche Kurven zeigen die Brauchbarkeit des Apparats, der zu-
wejlen Veränderungen aufdeckte, die durch Perkussion und Aus-
kultation nicht nachzuweisen waren.
Ueber die Serumbehandlung der kindlichen Pneu-
monie veröffentlicht Sill (20) wenig ermutigende Resultate. Nach
Einspritzung eines polyvalenten Heilserums starben von zwölf
Patienten zwei, bei zwei andern konnte irgendwelche Beeinflussung
des Krankheitsprozesses nicht nachgewiesen werden. Da die
Krankheit auch ohne specifische Behandlung so häufig günstig
verläuft, bedarf die Methode weiterer Nachprüfungen mit größerem
Material. Ä :
Eine Statistik von Empyemfällen bei Kindern stellt
Huber (21) auf. Er hat 86 Fälle beobachtet, das ist etwa ein
Zehntel sämtlicher Aufnahmen in seine Kinderabteilung. Die Sterb-
lichkeit betrug 25 °/,, schwankte aber sehr in den einzelnen Jahr-
gängen.
j Ueber zwei Fälle von Kontusionspneumonie bei Kindern
im Alter von 18 respektive 14 Jahren berichtet v. Czylharz (22).
Wenige Stunden nach dem Trauma, das in einem Falle von der
Leiter auf eine Thoraxseite bestand, setzte unter Schüttelfrost
eine typische Pneumonie der betreffenden Seite ein. Asußere Ver-
letzungen waren nicht vorhanden. Die Symptome sind dieselben
wie bei der gewöhnlichen Lungenentzündung, die Krankheitsdauer
ist meist kürzer, die Prognose günstig.
Schneider (23) schildert einen Fall von plastischer
Bronchitis. Es handelte sich um eine während 11/4 Jahren be-
stehende Bronchitis mit starkem Emphysem und asthmatischen
Anfällen, bei der geformte Massen in ziemlich regelmäßigen Inter-
vallen ausgehustet wurden. Die Erkrankung war in der Haupt-
sache im rechten Unterlappen lokalisiert. Der Tod trat im An-
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gschluß an einen Keuchhusten unter Stauungserscheinungen auf.
1244 Ä 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 30.
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Die chemische Untersuchung der mit destilliertem Wasser von an-
haftendem Schleime befreiten Bronchialräume ergab, daß es sich
um eine phosphorfreie Substanz handelte, deren N-Gehalt zwischen
dem des Muzin und Fibrin liegt, die keine reduzierende Substanz
abspaltet, in verdünntem Alkali und schwachen Säuren löslich, in
stärkeren Neutralsalzlösungen im Gegensatz zu Muzin und Fibrin
unlöslich ist und im Pepsin-Salzsäuregemisch nur langsam und un-
vollkommen verdaut wird. Die Sektion ergab eine Polyserositis.
Das legt den Gedanken nahe, für diese chronisch fibrinöse Poly-
serositis und die Absonderung fibrinöser Membranen aus den
chronisch erkrankten Bronchien dieselbe Ursache’ zu suchen. Den
Weg, der darauf hinführen kann, wiesen Hauot und Cazalis mit
ihrer Theorie der „Diathese fibreuse“. Sie verstehen darunter ein
Glied des Arthritismus, bei dem Haut, Schleimhäute und Serosen
erhöhte Krankheitsbereitschaft aufweisen.
Killian (24) hat 19 Fälle, hauptsächlich Kinder unter
7 Jahren, beobachtet, bei denen eine besondere Empfindlichkeit
gegenüber der oberen Bronchoskopie und eine Disposition zu
Schwellungszuständen im subglottischen Raum besteht. Infolge-
dessen trat im Anschluß an die gelungene Entfernung eines Fremd-
körpers aus der Lunge starke Atemnot auf, die die Tracheotomie oder
Intubation nötig machte.
Austrian (25) berichtet über eine enorme Leukocytose, die
bei einem an Bronchopneumonie erkrankten Kinde auftrat. Die
Leukocytenzahl stieg auf 206000 und nach geringem Abfall bei
Auftritt einer Mastoiditis wieder auf 192 000.
Nach Ansicht zweier französischer Autoren d’Espine und
Mallet (26) verbirgt sich unter dem Konvulsionsfieber und fieber-
hafter Dentition häufig eine rudimentäre echte Pneumonie der
Lungenspitze. Während diese Erkrankung leicht und häufig un-
bemerkt verläuft, ist ausgedehnte Hepatisation bei jungen Kindern
selten und gewöhnlich tödlich. Bei einigen Säuglingen, von denen
die Autoren berichten; hat auch die Sektion die Diagnose einer
krupösen Pneumonie bestätigt. Verantwortlich für den schweren
Verlauf ist die Generalisierung der Pneumokokkeninfektion, oder
eine hinzutretende Bronchopneumonie, oder Nieren- und Daym-
komplikationen.
Archangelsky (27) teilt den seltenen Fall von wahrschein-
lich primärem Lungenechinococcus bei einem zwölfjährigen
Mädchen mit. Der Echinococcus wurde von der Lunge aus durch
den Fraenkelschen Diplokokkus sekundär infiziert und ruptu-
rierte in einen Bronchus. Klinisch wurde das Bild eines groben
Pleuraexsudats vorgetäuscht.
Aus seiner großen klinischen Erfahrung heraus gibt
Comby (28) eine Studie über das Asthma der Kinder. Die
Krankheit ist nach seiner Ansicht eine Teilerscheinung des Neuro-
Arthritismus und als paroxysmale respiratorische Neurose zu er-
klären. Diese Auffassung gründet sich auf den Nachweis der viel-
gestaltigen neuro-arthritischen Diathese in der Ascendenz und das
Abwechseln des Asthmas mit andern Manifestationen dieser Dia-
these. Eine auslösende Rolle für den Anfall können Gelegenheits-
ursachen wie Witterungs- und klimatische Einflüsse, Grippe, Ver-
dauungsstörungen und dergleichen spielen.
Fieber ist im Anfalle meist gering oder fehlt ganz, nur bei
Säuglingen sind Temperaturen bis 40° beobachtet. Doch fiel das
Fieber stets schnell zur Norm. Katarrh ist häufiger als bei Er-
wachsenen vorhanden, Emphysem tritt selten auf.
Die Prognose beim kindlichen Asthma ist durchaus günstig.
In diagnostischer Hinsicht wird das plötzliche Einsetzen und
schnelle Verschwinden des Anfalls hervorgehoben im Gegensatz
zur Pneumonie und Alveolarbronchitis der Säuglinge und zu den
Anfällen bei Mediastinaldrüsentuberkulose.
Eine sehr interessante Arbeit über die Reaktionen von
seiten der Bronchien und Lungen bei mediastinalen
Drüsenerkrankungen stammt von Hutinel (29). Bei Kindern,
die an Bronchialdrüsentuberkulose erkrankt sind, zeigt sich nicht
selten eine besondere Neigung zu gewissen Afiektionen der Luft-
wege und Lungen, die selbst keineswegs tuberkulöser Natur
sind. Hierher gehört vor allem die Disposition zu diffuser ein-
facher Bronchitis. Ferner treten bei solchen Kindern häufig loka-
lisierte Bronchitiden auf, die im Unterlappen, in einer Spitze oder
in der Umgebung des Hilus sitzen können. Derartige Bronchi-
tiden müssen den Gedanken auf Bronchialdrüsentuberkulose wach-
rufen, doch darf man sie nicht etwa selbst für eine tuberkulöse
Affektion halten.
Weitere indirekte Folgen der Hilusdrüsentuberkulose sind
sogenannte Lungenkongestionen, die auf einer aktiven Vasodila-
28. Juli.
tation beruhen und sich gelegentlich akzidenteller Infektionen be-
merkbar machen. Sie machen ganz den Eindruck einer beginnen-
den Pneumonie: Fieber, Dyspnöe, Abschwächung und Verschärfung
des Atemgeräuschs. Doch schwinden die Erscheinungen sehr
schnell wieder, oft im Verlaufe von Stunden. Differentialdiagnostisch
spricht für Lungenkongestion der rasche Wechsel des Befundes
bei wiederholter Untersuchung, ferner daß das bronchiale Exspirium
am stärksten am Hilus ist und nach der Spitze zu abnimmt, Als
letzte Affektion, die bei Hilusdrüsentuberkulose vorkommt, er-
wähnt der Autor noch gewisse Formen von asthmatischer Bronchitis.
Noeggerath und Salle (30) haben bei Kindern, die an
beginnender Tuberkulose der Lungen erkrankt waren, die Haut-
sensibilität auf das Vorkommen Headscher Zonen geprüft. Diese
entstehen bekanntlich dadurch, daß bei Erkrankungen ‘innerer
Organe, auch wenn spontane Schmerzprojektionen fehlen, Sensibili-
tätsveränderungen der Haut (Hyperalgesie oder Hypalgesie und
Hyperthermalgesie) auftreten können, und zwar desjenigen Haut-
bezirks, dessen sensible Nerven zu demselben Spinalsegment ge-
hören, welches auch das erkrankte Organ versorgt. Es läßt sich
also umgekehrt aus solchen Veränderungen der Hautsensibilität
auf Erkrankung innerer Organe zurückschließen.
Die Untersuchungstechnik bestand darin, daß mit dem
stumpfen Ende einer schräg gehaltenen Stecknadel unter sehr ge-
ringem Druck über die Hautoberfläche gestrichen wird. Die Unter-
suchten müssen nun angeben, ob und von wo an sie einen deutlichen
Schmerz empfinden und wo er wieder aufhört.
‚Von 46 im schulpflichtigen Alter stehenden Kindern waren
24 klinisch sichere beziehungsweise im höchsten Grade verdächtige
Fälle von beginnender Lungentuberkulose. Von diesen 24 hatten
16 Headsche Zonen, während bei acht Fällen keine nachzuweisen
waren. In 20 Kontrollfällen, die sicher frei von Tuberkulose
waren, fehlten die entsprechenden Hyperalgesien. An Abbildungen
ist die Lokalisation der Zonen deutlich sichtbar, sie umspannen
Rücken, Brust und eventuell die Schultern und kommen fast stets
symmetrisch vor. Auch in zwei Fällen von Herzerkrankung fanden
sich Headsche Zonen. Das ist nicht zu verwundern, da zu einem
Rückenmarkssegment mehrere Organe, in diesem Falle Lunge,
Herz und Mammae gehören,
Bedenkt man, wie enorm schwierig die Diagnose der be-
ginnenden Lungentuberkulose gerade im Kindesalter 'ist, so mub
man die Untersuchungen der Autoren und ihre Resultate als einen
Schritt vorwärts dankbar begrüßen.
Literatur: 1. Ostrowski, Angeborene Herzfehler bei Säuglingen im
Lichte der postmortalen Untersuchungen. (Przegl. pedj. 1912, Bd. 4, S.1i
poln...) — 2 Moon, Ein Fall von Trikuspidalinsuffizienz. (Lanc. 1911, Bd. 181,
. 1477.) — 3. Lübs, Seltener Fall von Herzmißbildung mit besonderer Lage-
rung der Tricuspidalis. (Zieglers Beitr. 1911, Bd. 52, 8.51.) — 4. Zoltán
v. Bökay, Ueber Transposition der großen Schlagadern des Herzens. (A. f.
Kind. Bd. 55, S. 321.) — 5. Hallé et Schreiber, Ektasie aortique chez un
enfant. (A. de méd. desenf. Bd. 14, S. 8.) — 6. Ehrnrooth, Zur Keauntuis der
Myome des Herzens. (Zieglers Beitr. Bd. 51, S. 262.) — 7. Armstrong und
Mönckeberg, Herzblock, bedingt durch primären Herztumor bel einem fünl-
jährigen Kinde. (D. A. f. kl. Med. Bd. 102, S. 144) — 8. Forell (München),
Ueber gehäuftes Auftreten von akut entzündlichen Herzerkrankungen im
Kindesalter. (M. med. Woch. 1912, Nr. 3.) — 9. M. Herz, Kann die Endo-
carditis acuta epidemisch auftreten und herrscht gegenwärtig eine solche
Epidemie in Wien? (Wr. kl. Woch. 1911, Bd.24, 8.423.) — 10. Warthin,
Kongenuitale Syphilis des Herzens. (Am. j. of med. sc. 1911, S. 389.) —
11. Schlieps, Ueber Herztöne kranker und gesunder Säuglinge. (Mon. i.
Kind. 1911, Bd. 10, S. 450.) — i2. Frenkel, Ein kasuistischer Beitrag zur
Lehre von den Ursachen des Erlahmens hypertrophischer Herzen. Jahrb. I.
Kind. Bd. 74, S. 123.) — 13. Lederer und Stolte, Scharlachherz. (Jahrb. È
Kind. Bd. 74, S. 395.) — i4. Faber, Wie verhält sich die „sogenannte Wachs-
tumshypertrophie des Herzens“ und die „juvenile Arteriosklerose‘ im späteren
Lebensalter? (D. A. f. kl. Med. 1911, Bd. 103, S. 580.) — 15. Vogt, Höhlen-
bildung in der kindlichen Lunge. (Fortschr. d. D. Klin. Bd. 2, S. £18.) —
16. Derselbe, Chronische Bronchiolektasie. (Jahrb. f. Kind. Bd. 7 S. 621.) —
17. Derselbe, Zur Bakteriologie der Respirationserkrankungen Im Kindes-
alter. (Jahrb. f. Kind. Bd. 73, S. 142.) — 18. Lederer und Vogt, Spito-
metrische Untersuchungen zur Pathologie und Pharmakologie der Atmung im
Kindesalter. (Jahrb. f. Kind. Bd. 75, S. 1). — 19. Ssokolow, Der ditferentielle
Pneumograph und seine Anwendung bei Kindern. (Jahrb. f. Kind. Bd. %,
S. 265.) — 20. Siel, The serum treatment of pneumonia in infants and young
children. (Med. Rec., April 1911.) — 21. Huber, A clinical study of 86 cases
of empyema in children. (A. of ped., März 1911.) — 22. v. Czyhlarz, Ueber
Kontusionspneumonie. (Wr. med. Woch. 1911, S. 1797.) — 23. P. Schneiden,
d. Bd. 75, S. 34) — 24. Killian, Zur
Bronchoskopie bei kleinen Kindern. (D. med. Woch. 1911, 5. 1204) —
25. Austrian, Hyperleukocytosis of high grade in bronchopneumonia en
child. (Bull. Johns Hopkins Hosp., August 1911.) — 26. d’Espine ot Mal i4
L’hépatisation lobaire dans la première enfance. (A. de méd. des enf. ch
S. 6.) — 27. e rchan el Ey, Zur Frage der Erkrankung der Lungen ja
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Desinfektion und Sterilisation nach neuen Versuchen TI’)
von Priv.-Doz. Dr. Hans Pringsheim, Berlin.
Seit Abfassung des ersten Sammelreferats .auf diesem Ge-
biete sind weitere Verbesserungsvorschläge des Desinfektions- und
Starilisationsverfahrens erschienen, sowohl was die Desinfektion
von Zimmern und besonders empfindlichen Gegenständen angeht,
wie auch bezüglich der speziellen Wirkung von Desinfektions-
mitteln; Auch die Theorie der Desinfektion ist um eine Arbeit
bereichert worden, die durch die Untersuchung von Anpassungs-
orscheinungen der Bakterien an Giftstoff ergänzt wird. |
Für empfindliche Stoffe, wie Bücher, Lederwaren usw., die
im strömenden Dampfe nicht sterilisiert werden können, sind vor-
nehmlich zwei. Desinfektionsverfahren. in Vorschlag gebracht
worden: erstens durch heiße Luft von’ mäßigem Feuchtigkeits-
gohalt und zweitens durch warme Dämpfe von Formalin und
Wasser im Vakuum. Auf. dem zweiten Wege ist das Ziel ohne
Frage zu erreichen. Dazu eignet sich z. B. der Rubner-Apparat,
der in höchstens zwei Stunden bei vollkommener Tiefenwirkung
sterilisiert. Dagegen sind die Anschaffungskosten des Apparats
hohe, und seine Bedienung erfordert .eine geschulte Kraft, die im
kleineren Betriebe nicht immer zur Verfügung steht. Aus diesem
Grunde hat sich Konrich (1) der Aufgabe unterzogen, noch ein-
mal das Heißluftverfahren zu erproben, welches sich durch Billig-
keit und Einfachheit der Handhabung auszeichnet. Von vorn-
herein muß man hierbei auf die Abtötung der Sporen verzichten,
was jedoch nach der Meinung des Verfassers keine Nachteile zur
Folge hat. Die Tiefenwirkung ist bei dem Heißluftverfahren
genau die gleiche wie beim Formaldehydverfahren, ebenso die Un-
schädliehkeit gegenüber dem Desinfektionsgute. Dagegen ist als
Hauptnachteil die lange Dauer der Desinfektion von mindestens
48 Stunden hervorzuheben, die jedoch wegen der geringen Kosten
wenig ins Gewicht fallen soll. Konrich fand nun hauptsächlich
mit Staphylokokken als Testmaterial eine Unabhängigkeit der
Desinfektionswirkung bei Temperaturen zwischen 75 und 90°. Vor
allem aber gibt er an, daß die Wirkung auch durch einfache heiße
Luft ebenso gut zu erreichen sei wie durch 30%), feuchte Luft.
Dadurch wird eine weitere Vereinfachung des Verfahrens erzielt.
Der von Konrich empfohlene Brutschrank kostet-nur 110 M, bei
einem Kostenverbrauche von 0,26 M während 24stündiger Heizung.
Für die Sterilisation von Büchern durch Formaldehyd oder heiße
Luft heben v. Liebermann und v. Fenyvessy (2) einen spe-
ziellen Kasten vorgeschlagen, der einen möglichst freien Weg zu
den einzelnen Blättern gestatten soll. Die Bücher werden in dem
Apparat so aufgehängt, daß sie sich nach unten Öffnen.
Zur Formaldehydbereitung eignet sich nachi allgemeiner An-
schauung am besten das von Evans und Russels vorgeschlagene
Verfahren einer Zusammenbringung von Formaldehydlösung mit
Kaliumpermanganat, Die heftige. Reaktion geht unter Wärme-
entwicklung vor sich, bei der bisweilen Explosionen und Ent-
zündung beobachtet wurden. Auch hat es seine Nachteile, offene
ästen in Räumen aufzustellen, die man dann sofort verlassen
muß, wobei die Desinfektion unbeaufsichtigt vor sich geht. Des-
halb hat Pinzani (3) einen besonderen Apparat für die Form-
aldehydentwicklung nach dem angedeuteten Verfahren beschrieben,
. ähnlich wie die Acetylenapparate konstruiert ist. Das Form-
ehydgas kann so außerhalb der zu desinfizierenden Räume ent-
‚Wiekelt und in diese eingeleitet werden. Jedoch ist der Verfasser
a Meinung, daß keins der bisher beschriebenen Verfahren mit
ormaldehyd zur Zimmerdesinfektion restlos geeignet ist, da sich die
un nach-der Decke hinziehen und außerdem nicht in genügende
Desi eao ringon, Dagegen eignet sich ein solches Verfahren zur
ir T on von Gegenständen, die man mit Dampf oder Sublimat
aea onne Beschädigung keimfrei machen kann. Man desinfiziert
a en in besonderen Räumen, in denen die Gegenstände
der a ebwerk inDrehung gehalten werden, was zur Vermeidung
une des Formaldehyds in höher gelegenen Teilen dient.
che = Mey er (4) hat sich mit Versuchen über desinfizierende
Vogetabilieche bei Tuberkulose beschäftigt. Er verwandte dazu
mel t sche Briketts, die unter dem Namen „Euskol“ in den
ommen und die im wesentlichen aus gepreßten Eukaliptus-
u L}
Si Fichtennadelblättern bestehen. :Diese Briketts bieten den’
orteil, daß sie gleichmäßig abbrennen und dabei einen intensiven,
öber ni
à Ir nangeriehmen Rauch entwickeln, welcher 2,40/, Ameisen-
eillen im S Der Rauch des Euskols ist imstande, Tuberkel-
in geringen putum und in Sputumschichten abzutöten und auch
Ser Konzentrationen, wie ihn Tiere zeitweise vertragen,
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) Erste Mitteilung (Med, Kl. 1910, Nr. 2).
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. 15
Tuberkelbaeillen nach zwei Stunden zu sterilisieren. Es zeigte
sich jedoch, daß bei Tieren, die vor 38 Tagen mit Tuberkulose
infiziert worden waren, der Verlauf der Erkrankung durch drei-
tägige Räucherung nicht merklich beeinflußt werden konnte, und
auch bei Tieren, die unmittelbar nach der Infektion 16 bis 14 Tage
lang mehrere Stunden dem Euskolrauch ausgesetzt waren, der
Ausbruch der Tuberkulose nieht verhindert oder verzögert wurde,
Dagegen läßt sich bei Zimmerdesinfektion mit Euskolräucherung
wahrscheinlich eine Abtötung, sicherlich aber eine starke Virulenz-
abschwächung der Tuberkelbakterien erreichen. Der Verfasser hat
übrigens auch festgestellt, daß das Einatmen des Euskolrauchs
| bei’ Schnupfen mehrere Personen günstig beeinflußte.
' Uhland (5) hat die innere Desinfektion und Schutzwirkung
von Formaldehydlösung gegenüber dem Milzbranderreger unter-
sucht. Bei gleichzeitig mit der Milzbrandinfektion erfolgter Form-
aldehydeinspritzung auch schon durch schwache Dosen kann der
Eintritt des Tods etwas verzögert werden. Formaldehydgaben, die
zur Desinfektion des Bluts ausreichen sollten, vermögen den
Todeseintritt erheblich zu verzögern, während die doppelte Dose
hiervon ihn sogar zu verhindern imstande ist. Daraus ließe sich
der Schluß. ziehen, daß sich Formaldehyd zur Blutdesinfektion
eigne, jedoch wurde diese Vermutung nicht bestätigt durch Ver-
suche, bei welchen die Milzbrandinfektion vor der Formaldehyd-
injektion erfolgte. Der'Verfasser glaubt vielmehr an eine Ver-
änderung der Blutzusammensetzung, die sich auf eine starke Ver-
mehrung der weißen Blutkörperchen stützt, jedoch scheint auch
die Schutzwirkung lediglich durch gesteigerte Phagocytose keine
genügende Erklärung, und es wird daher -eine vermehrte Bildung
von Immunkörpern durch den Formaldehyd angenommen.
Schmidt (6) hat die bactericide Wirkung verschiedener
Wasserstoffsuperoxydpräparate in vitro gegenüber verschiedenen
Bakterien untersucht und hierbei gefunden, daß die Wirksamkeit
bei höherer Temperatur erheblich steigt und es sich daher emp-
fiehlt, bei der Verwendung in der Wundbehandlung und bei der
‘Anwendung als Mundwasser eine Erwärmung auf 35° vorzunehmen.
Die drei in den Kreis der Untersuchung gezogenen Präparate
waren das Perhydrol von Merck, das Pergenol der Chemischen
Werke Dr. H. Byk in Charlottenburg und das von der Chemischen
Fabrik Königswarter & Ebell in Linden bei Hannover. Die gleich-
gewichtsprozentige Lösung des Perhydrols scheint die des Pergenols
zu übertreffen, denn schon die 1%/yige PerhydroHösung tötete bei 35
Staphylokokken und Diphtheriebaeillen sicher in drei Minuten ab.
Die Haltbarkeit aller drei Präparate genügt den vorschriftsmäßigen
Anforderungen. Rühmend ist bei allen drei Präparaten die aus-
gezeichnete desodorierende Wirkung hervorzuheben; so sah der
Verfasser z. B. in einem Falle von Stomatitis ulcerosa den un-
erträglichen Foetor ex ore bei Anwendung der Pergenoltabletten
in kürzester Zeit verschwinden. Was die erforderliche Kon-
zentration betrifít, so wird eine 10/ige Lösung für zu schwach
und eine mindestens 2,5 bis 3°/yige für notwendig gehalten.
Das Bestreben, ein im. Vergleiche zum Jodoform ge-
ruchloses und nebenbei mit einer erhöhten Wirkung ausgezeich-
netes Desinfektionsmittel zu schaffen, glauben die Chemischen
Werke von Dr. R. Scheublee und Dr. A. Hochstetter gelöst
zu haben. Sie bringen ein wirksames Wundantiseptikum durch
die Vereinigung von Jod mit Formaldehyd zustande. Nach den
Untersuchungen von Eugling (7) ist das Hexamethylentetramin-
dojodid, dem der Name „Novojodin“ gegeben wurde, wenn es mit
50 %, Talkum in den Handel gebracht wird, sehr wirksam. Das
“neue Wundantiseptikum übertraf in allen vom Verfasser ange-
stellten Versuchen sämtliche in Betracht gezogenen Pr:
(Jodoform, Airol, Xeroform und Vioform) nn eh
und entwicklungsbemmender Wirkung. Das Präparat soll auch
eine deutliche Fernwirkung haben, die für das Jodoform nicht be-
stätigt werden konnte. Die Wirksamkeit soll auf der Abspaltung
von freiem Jod beruhen, ‚wohingegen eine Formaldehydwirkun
ohne gleichzeitige Jodwirkung nicht vorkommt. Eiter. wurde PRE
Jodoform nicht steril, hingegen durch Novojodin. Fernerhin wird
vom Autor dem neuen Präparate noch folgendes nachgerühmt:
Novojodin hat eine größere Löslichkeit als alle Vergleichspräparate,
es wurde immer steril befunden, was auf die von der Firma
vorgenommene Sterilisation und Einpackung zurückzuführen ist
da sich das Präparat von selbst nicht steril erhält. Mit Hilfe des
Novojodins gelang es, Milzbrandfäden bei weißen Mäusen subeutan
reaktionslos zur Einheilung zu bringen, während bei Verwendun
a Ann a in drei Tagen tot sind. Indifferente Um
üllungsmittel wie Weizenmehl ode
ebenso wirksam wie Jodoform. i i EERE RUN
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1246 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
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, Die Frage, worauf die desinfizierende Kraft der Radiumema-
nation zurückzuführen ist, kann bisher noch nicht beantwortet
werden, jedoch war die Möglichkeit in Betracht gezogen worden,
daß eine Özonentwicklung stattgefunden hatte, und daß dieses
Ozon die Bakterien beeinflussen könne. Diese Möglichkeit zu ent-
scheiden, haben Jansen und Strandberg (8) in einer sehr
exakten Untersuchung unternommen, aus der jedoch hervorgeht,
daß die auftretenden Ozonmengen bei weitem zu gering sind, um
auf Bakterien tötend einzuwirken.
Aus ihren Untersuchungen haben Krönig und Paul im
Jahre 1897 den Schluß gezogen, daß die Keimverminderung von
Milzbrandsporen unter dem Einflusse von Sublimat eine gute
Uebereinstimmung mit den Vorgängen ergibt, die man bei chemi-
schen Reaktionen mit dem Namen „Monomolekulare Reaktionen“
bezeichnet. Bei diesen Reaktionen ist der eine reagierende Be-
standteil dem andern gegenüber in großem Ueberschusse vorhanden,
sodaß in der ganzen Reaktion praktisch eine Abnahme seiner
Konzentration nicht stattfindet. Die Umsetzung verläuft alsdann in
dem Sinne, daß in jedem Zeitpunkt die Abnahme der in geringerer
Menge von Molekülen vorhandenen Substanz der jeweilig vorhan-
denen Menge proportional ist. Das Maß der Umsetzung ist bei
verschiedenen Substanzen eine verschiedene, für jede einzelne eine
bestimmbare und konstante Größe, die man als Reaktionsgeschwin-
digkeitskonstante bezeichnet, die jedoch von der Temperatur ab-
hängig ist. Auf das Desinfektionsgebiet angewendet, stellt die
Desinfektionsflüssigkeit oder ein beliebiges anderes schädigendes
Agens den überschüssigen Reaktionskörper dar, während die Bak-
terien dem in geringen Mengen vorhandenen Körper entsprechen.
Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante wird hier als Desinfek-
tionsgeschwindigkeitskonstante bezeichnet. Von diesen einfachen
Gesetzmäßigkeiten sind inzwischen mehrfache Abweichungen be-
obachtet worden, und nach den Untersuchungen von Reichen-
bach aus dem Jahre 1910 ist die Uebereinstimmung der mono-
molekularen Reaktionen mit der Abtötung der Milzbrandsporen eine
rein zufällige und beruht auf der Resistenz der Sporen; diese ist
bei einer großen Menge von Milzbrandsporen sehr verschieden. Bei
andern sporenbildenden Bakterien hat Reichenbach eine der-
artige gesetzmäßige Resistenz nicht beobachten können. Zu ähn-
lichen Annahmen ist jetzt Croner (9) gelangt. Er legte sich
die Frage vor: Ist die Verstärkung der Wirkung eines Desinfek-
tionsmittels bei 370 gegenüber einer solchen von Zimmertemperatur
eine größere als die Vermehrung der Lebensenergie der Bakterien,
vorausgesetzt, daß diese sich in einem günstigen Nährboden be-
finden? Es zeigte sich jedoch, daß bei niederen Temperaturen mit
geringen Mengen Desinfektionsmitteln eine ebenso starke Entwick-
lungshemmung hervorgerufen werden kann wie bei höherer Tempe-
ratur mit größeren Mengen, oder anders ausgedrückt, bei Verwen-
dung gleicher Mengen Desinfektionsmittel ist die Entwicklungs-
hemmung bei niederer Temperatur größer als bei höherer. Man
kann deshalb bei Desinfektionsversuchen die Bakterien nicht ein-
fach als Moleküle ansehen und der Verfasser glaubt nicht, daß
für die Wertbestimmung von chemischen Desinfektionsmitteln die
Gesetze der physikalischen Chemie ohne Einschränkung auf die
Bakterien anzuwenden sind.
In der Desinfektionsfrage spielt natürlich die Anpassung. der
Bakterien an Gifte eine große Rolle. Sie ist schon vielseitig
untersucht worden, und auch Regenstein (10) hat ihr wiederum
eine Studie gewidmet, aus der hervorgeht, daß bei der Gewöhnung
an Sublimat der Einfluß von Luft und besonders von Kohlensäure
auf die Bouillon nach Möglichkeit auszuschalten ist, daß der Zu-
satz von Sublimatlösung erst unmittelbar vor der Beimpfung er-
folgen darf. Im Laufe von 21/2 Monaten gelang es, Staph. pyog.
aur. an die 1,7fache, Bac. coli an die 1,3fache und Bac. typh. an
die 1,2fache Menge Phenol zu gewöhnen. Der an Phenol ge-
wöhnte Staphylokokkenstamm erwies sich entsprechend resistenter
als der Normalstamm nur gegenüber den allernächsten Verwandten
des Phenols, nämlich: Kresol, Kresolseifenlösung und Zine. sulfo-
carbolicum, dagegen war eine Resistenz gegenüber der des Nor-
malstamms bei den zweiwertigen Phenolen Resorein und Hydro-
chinon, ferner bei salieylsaurem Natrium, Formaldehyd, Methyl-
und Aethylalkohol nicht oder nur unwesentlich erhöht. Der Phe-
nolstamm behielt seine Resistenz auch auf giftfreien Nährmedien
noch drei Wochen lang bei. Auch die an Sublimat gewöhnten
Staphylokokken erwiesen sich Quecksilberbromid und Quecksilber-
cyanid gegenüber resistenter.
Literatur: 1. Konrich, Zur Desinfektion von Lederwaren und Büchern
durch heiße Luft. (Zt. t. Hyg. 1912, Bd. 7i, S. 296) — 2. L. v. Lieber-
mann u. B. v. Fenyvessy, Ein Kasten zur Desinfektion von Büchern. (Zbl.
f. Bakt. 1911. Bd. 59, S. 491.) — 3. Gino Pinzani, Ein neuer Apparat zur
Formaldehydbereitung. (Zbl. f. Bakt. 1910, Bd. 57, S. 175.) — 4. Karl Meyer,
Ueber Versuche mit desinfizierenden Räucherungen bei Tuberkulose. (Zt. f.
Hyg. 1912, Bd. 71, S. 260.) — 5. Gustav Uhland, Innere Desinfektion und
Schutzimpfung durch Formaldehydum solutum gegenüber dem Milzbrand-
erreger. (Zbl. f. Bakt. 1910, Bd. 57, S. 154.) — 6. Schmidt, Ueber die bak-
terizide Wirkung einiger Wasserstoffsuperoxydpräparate. (Zbl. f. Bakt. 1910,
Bd. 55, S. 327.) — T. Max Eugling, Ueber die Desinfektionswirkung des
Jodoforms und des Novojodins. (Zbl. f. Bakt. 1911, Bd. 60, S. 397.) — 8. Hans
Jansen und Ove Strandberg, Untersuchungen darüber, ob die Bakteri-
zidität der Radiumemanation auf Ozonentwicklung zurückzuführen ist. (Zt. f.
Hyg. 1912, Bd. 71, S. 223.) — 9. Fr. Croner, Beitrag zur Theorie der Des-
infektion. (Zbl. f. Bakt. 1912, Bd. 61, S. 175.) — 10. Hans Regenstein,
Studien über die Anpassung von Bakterien an Desinfektionsmittel. (Zbl. f.
Bakt. 1912, Bd. 63, S. 281.)
Diagnostische und therapeutische Einzelroferate.
Vielfache Beobachtungen über die Herkunft des diphtheritisghen
Autitoxins lassen Dzerschagowski auf die Entstehung einer aktiven
Immunisation auch unter normalen Verhältnissen schließen, Aller
Weahrscheinlichkeit nach gelangen Diphtheriebacillen von der Nasen-
schleimhaut aus in den Organismus, wo sie, ohne eine Erkrankung her-
beizuführen, die Bildung von Antikörpern hervorrufen. So erklärt sich
Verfasser die Tatsache, daß er unter normalen Verhältnissen im Serum
des Pferdes diphtheritisches Antitoxin nachweisen konnte. (Bakteriol.-
epidemiologischer Kongreß Moskau, März 1912.)
Schless (Marienbad).
Der Methylalkohol wird nach Schmiedeberg zum Teil nur bis
zur Ameisensäure oxydiert, die bei gesunden, gut genährten Personen in
der Regel vollständig durch Ammoniak neutralisiert und unschädlich ge-
macht wird. Bei schlecht genährten, durch Trunksucht und andere Um-
stände heruntergekommenen Individuen vollzieht sich diese Neutralisation
auf Kosten des Natriumcarbonats. Reicht das Ammoniak nicht mehr
aus, um das Blutalkali vor der Neutralisation zu schützen, so gehen die
Personen schließlich unter den Erscheinungen einer akuteren Vergiftung
zugrunde. Schmiedeberg bezweifelt das Entstehen einer Amaurose
nach geringen Mengen Methylalkohol. In manchen Fällen scheint die
direkte Einwirkung der Methylalkoholdämpfe auf das Auge beim Hantieren
mit Holzgeist die Sehstörung zu verschulden. (Th. Mon. Bd. 26, S. 329,
Mai.) Pincussobn.
Bromausschlag bei einem Säuglinge. Comby hat ein von
seiner Mutter gestilltes Kind beobachtet, bei dem ein Ausschlag sich
einstellte, der große diagnostische Schwierigkeiten bereitete, aber schließ-
lich doch die Vermutung erweckte, es könne sich um ein Bromexanthem
handeln. In der Tat stellte es sich heraus, daß die Mutter täglich 1,5 g
Bromkali einnahm, und es konnte auch in der Milch Brom nachgewiesen
werden. Unterbrechung der Medikation bei der Mutter brachte das
Exanthem des Säuglings sofort zum Verschwinden. (Presse méd. 1912,
Nr. 37.) Rob. Bing (Basel).
Die zur Beobachtung einer Sonnenfinsternis warm empfohlenen
durchlöcherten Kartenblätter können großen Schaden anrichten,
wie Isakowitz angibt. Ein Loch, mit der Stricknadel gebohrt, ist
fast so groß wie die verengte Pupille und genügt, eine Sonnen-
blendung hervorzurufen. Dasselbe gilt auch von den gewöhnlichen Blau-
und Dunkelgläsern, die meist zur Betrachtung der Sonne gebraucht
werden. (D. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Bei der Inhalationstherapie muß man nach Henry Hughes
die feuchte von der trocknen Inhalation unterscheiden. Die trockne
Zerstäubung, bei der der ganze Raum mit feinsten Solestäubchen ange-
füllt ist, entsteht, wenn man die Soletropfen röstet, das heißt ihnen
durch heiße Luft den Wassergehalt entzieht, um nur die feinsten
Salzkrystallchen zurückzubehalten, die dann weit tiefer in die Luft-
röhrenästchen eingeatmet werden können. .
Die feuchte Inhalation wirkt reizmildernd und schleimlösend,
jedoch beschränkt sie ihre Tätigkeit mehr auf die oberen Luftwege; 810
gleicht der Seeluft und der Riviera di Levante. Sie lindert alle Reize,
die in den Luftwegen entstehen, also die Reize zum Niesen, Räuspern,
Hästeln, zum Husten und den Hustenkrampf. Sie findet ihre Anwendung
bei den trocknen Katarrhen der Nasen, des Nasen- und Mundrachens,
des Kehlkopfs, der Trachea und der Bronchien (auch beim trocknen
Katarrh des beginnenden Emphysems, beim Keuchhusten, bei pneumon!-
schen Resten zur Lösung der Infiltration).
Die trockne Inhalation wirkt dagegen austrocknend und
hustenerregend. Sie darf daher mit der trocknen Höhenluft,
mit der Riviera di Ponente, wohl auch mit Aegypten verglichen werden.
Sie ist angezeigt bei massenhaftem Auswurf aus Bronchiektasien oder
Kavernen. Sie bekämpft die starke Absonderung aus den Luftwegen
von der Nase bis zu den Bronchien. Vorzüglich eignet sie sieh bei
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“bei Hämorrhoidalblutungen angewandt.
Nr. 1.)
28. Juli.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK: — Nr. 80.
1247
A —_—_— ——_ m m mm m ma mamma m ZZ ZZ — —— m mb Fr a=F
Stauungskaterrhen (aber auch nach Rippenfellentzündangen und: bei
den chronischen Formen des Asthmas).. (D. med. Woch. 1912, Nr. 24.)
F. Bruck.
Sehr beachtenswerte Erfolge werden nach Krawkoff mit Poly-
gonum hydropiper bei inneren Blutungen erzielt, während die Wir-
kungsweise des Präparats noch einer Erklärung harrt. Es werden 30
bis 40 Tropfen des Fluidextrakts dreimal täglich verabreicht. Es wurde
mit großem Erfolg bei Hämoptöe, Blutungen aus der Harnblase und
Am wirksamsten scheint das
Medikament bei profusen Menstrualblutungen, bei Dysmenorrhöe und bei
Blutungen infolge von Fibromyoma zu sein. Die Versuche, einen Stoff
vom Charakter eines Glykosids oder Alkaloids aus dem Präparat zu iso-
lieren, schlugen fehl. Auch die gerbsäurehaltigen Bestandteile erklären
die Wirkung nicht. Da sich auch eine adstringierende Wirkung nicht
nachweisen ließ, neigt Verfasser zur Annahme, daß eine Einwirkung auf
die Gerinnungsfähigkeit des Bluts stattfinde. (Russki Wratsch. 1912,
Ä | | Schless (Marinbad).
Zur Herabsetzung des Geburtsschmerzes empfiehlt Oskar Jaeger
eine Kombination von Pantopon mit kleinen Scopolaminmengen,
und zwar in folgender Weise: Sind bei einer Kreißenden die Wehen
kräftig und regelmäßig und ist ein gewisser Geburtsfortschritt
festzustellen, so injiziert man 0,02 Pantopon und 0,0003 Scopolami-
num hydrobromicum subceutan, und zwar wählt man hierzu die Infra-
clarieulargruben, da von hier aus die Resorption der Medikamente
sehr rasch erfolgt. Die schmerzstillende Wirkung tritt gewöhnlich nach
H4 bis Ya Stunde ein und -hält drei bis fünf Stunden an. Ist die Wir-
kung nach der ersten Injektion ungenügend, so wird die Einspritzung
nach einer Stunde wiederholt, und zwar in einer Dosis von 0,01 Pantopon
und 0,00015 Scopolamin. Bleibt die Wirkung auch jetzt noch aus, so
ist eine weitere Injektion auf jeden Fall zu- unterlassen. Die Hälfte
der ersten Dosis gibt man auch, wenn bei wirksamer Injektion nach drei
bis fünf Stunden die Wehen wieder schmerzhaft werden.
Wichtig ist es, den richtigen Zeitpunkt für die Einspritung. zu
wählen. Wird zu spät injiziert, so bleibt der Erfolg aus. Wird die
Injektion zu früh vorgenommen, so reicht ihre Wirkungsdauer nicht für
die ganze Geburt aus, und außerdem_ könnte man eine noch schwache
Webentätigkeit ungünstig beeinflussen. Bei schlechter Wehentätigkeit
nehme man daher von dieser Injektion Abstand. |
Bei Erstgebärenden injiziere man nur, wenn der äußere Mutter-
mund mindestens drei- bis fünfmarkstückgroß oder auch handtellergroß
ist, (Auch beim Durchschneiden des kindlichen Schädels, wenn der Ge-
burtsschmerz sein Maximum zu erreichen pflegt, ist die Wirkung noch gut.)
Bei Mehrgebärenden muß die Injektion noch während der Er-
Öffnungszeit geschehen (meist bei drei- bis fünfmarkstückgroßem
Muttermunde). | 4
Auch bei Beckenverengerung leichteren Grades (Conjugata
vera nicht unter 8,5 cm) empfiehlt sich das Verfahren. Nur sind hier
wegen der Länge der Geburtsdauer häufiger Versager zu erwarten.
Mit dieser Methode wird niemals ein Dämmerschlaf herbeigeführt;
dazu bedarf es viel größerer Dosen. Diese sind aber zu verwerfen, da
sie erhebliche Gefahren für Mutter und Kind mit sich bringen.
Namentlich darf die Wehentätigkeit nicht nennenswert ungünstig be-
einflußt werden, um die Geburtsdausr nicht unnötig zu verlängern und
Blutungen in der Nachgeburtsperiode zu vermeiden. (Häufig allerdings
scheint es, als ob sich nach den Injektionen die Wehendauer verkürze,
. also die Wehenpausen länger würden, weil die Frauen in großen Zwischen-
räumen nur noch kürzere Zeit als vorher bei jeder Wehe etwas
stöhnen. Prüft man aber die Tätigkeit des kreißenden Uterus eigen-
händig, so erkennt man, daß sich in Wirklichkeit die einzelne Wehe
bereits ihrer Akme nähert, ehe sie überhaupt von der Kreißenden emp-
funden wird, und daß sie ihre Schmerzhaftigkeit schon verliert, noch
bevor sie ihr Ende erreicht hat. Die ungünstige Beeinflussung der Wehen-
Wligkeit ist eben nur eine scheinbare. (D. med. Woch. 1912, Nr. 24.)
l F. Bruck.
Burnaschoff verfolgte das Schicksal des in den Körper ein-
geführten Salvarsans. Nach seinen Beobachtungen lagert sich das Sal-
varsan alsbald in den Organen ab, wobei es sich in den ersten Tagen
Lrzugsweise in den Knochen, Muskeln und Magendarminhalt zeigt. In
en ersten 24 Stunden circulieren im Blut etwa 9°/ des eingeführten
sens. , In geringen Mengen läßt es sich in der Milz, Nieren und .
Busen nachweisen; in minimalen Spuren endlich im Herzen, Hirn und
ii We Die Ablagerung in der Haut nimmt allmählich zu, sodaß nach
nn ochen bis 12 Jo des eingeführten Arsens nachgewiesen werden
inf. Zu dieser Zeit ist das Arsen in den Organen nur noch in
S en Mengen enthalten. Nach drei Monaten waren auch keine
puren mehr zu entdecken,
Die Ausscheidung geschieht vorzugsweise durch. den Magendarm-
kanal und die Nieren, in geringen Mengen durch die Haut, Milchdrüsen
und Lungen. l
| Die Beobachtungen sind im Pharmakologischen Laboratorium der
Militär-Medizinischen Akademie in Petersburg gewonnen. (Russki
Wratsch. 1912, Nr. 13.) a Schless (Marienbad).
Hans Curschmann empfiehlt unter gewissen Verhältnissen die
Punktion eines Herzbeutelexudats von links hinten, das heißt in der
Gegend des linken Unterlappens der Lunge. Im allgemeinen wird eine
besondere Einstichstelle nicht festgelegt; sie wird stets außerhalb der
linken Mamillarlinie, etwa in der Mitte zwischen dieser und der vorderen
Axillarlinie oder auch näher an letzterer, in der Gegend stärkster
Dämpfung und ziemlich tief, im fünften, sechsten, bei tiefliegendem
Herzen sogar im siebenten Interkostalraume liegen. Eine Durchbohrung
der komprimierten Pleurablätter bietet keine Gefahr. (Th. Mon. Bd. 26
S. 333, Mai.) Pincussohn.
Für eine Reihe schwererer Fälle von Spasmophilie empfiehlt
Raabe eine mannigfaltig zusammengesetzte aber milchfreie Nahrung.
Diese paßt natürlich nur für die Fälle, in denen sie auch sonst den
körperlichen Zustand des Kindes günstig beeinflußt. (Th. Mon. Bd. 26,
S. 338, Mei) - Pincussohn.
Auf die Mitteilung Zangemeisters, daß bei einigen an schwerster
puerperaler Eklampsie post partum Leidenden die Trepanation gemacht
und dabei eine starke Druckerböhung im Schädel, die offensichtlich durch
ein starkes Oedem bedingt war, gefunden wurde, bespricht Volland
(Davos) einen ihm vor Jahren vorgekommenen Fall. Aus andern thera-
peutischen Gründen gab er einer sehr schwer eklamptischen Patientin 5 g
Natrium salicylicum als Klystier; nach kurzer Zeit erfolgte kolossaler
Schweißausbruch, zugleich hörten die Krämpfe völlig auf. Nach einer
kurzen Periode eines auf die Salicyltherapie zu schiebenden hochgradig
aufgeregten Zustandes erholte sich die Patientin bald. Volland meint
jetzt, daß durch den hochgradigen Schweißausbruch das Hirnödem zurück-
gegangen und dadurch die Genesung der Frau erfolgt ist. Er empfiehlt
in solchen Fällen zunächst mit schweißtreibenden Mitteln, Natrium sali-
cylicum, einen Versuch zu machen. (Th. Mon. Bd. 26, S. 350, Mai.)
Pincussohn.
. Zur Behandlung der Tendovaginitis crepitans mit Fibrolysin
ist Dr. E. &, Oser in der v. Eiselsbergschen Klinik in Wien ange-
regt worden durch einen sehr hartnäckigen Fall, welcher der üblichen
Jodtinktur-Ruhigstellungstherapie hartnäckig trotzte ÜOser injizierte
2—3 ccm der 15 °/,igen Fibrolysinlösung, welche 0,2 reines Thiosinamin
entbielt, intramuskulär, zentral von den affizierten Sehnen. Schon am
nächsten Tage waren Schmerz und Krepitation geschwunden, um nie
wiederzukehren.
Dieser Erfolg veranlaßte den Autor, noch weitere 19 gleichartige
Fälle in derselben Weise zu behandeln. Es war mit dieser Methode
möglich, die Dauer der Erkrankung auf durchschnittlich drei Tage herab-
zusetzen, ein Erfolg, der zu weiteren Versuchen anspornen dürfte,
Versuche, die Fibrolysinlösung durch andere Flüssigkeiten zu er-
setzen (wie physiologische NaH-Lösung, Aether, Cocainlösung) scheiterten.
Bezüglich der Injektion selbst bleibt noch zu bemerken, daß diese
1—2 Stunden nach der Applikation recht schmerzhaft ist. Ä
Unangenehme oder gar toxische Nebenerscheinungen gelangten
nicht zur Beobachtung. (Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 44.) Zuelzer.
Bei Toxicodermien (Hautjucken) von Schwangeren und Wöch-
nerinnen hat Rißmann in drei Fällen intramuskuläre Infusionen
von Ringerscher Lösung mit bestem Erfolge vorgenommen. Von
der sterilen Lösung wurden in dem ersten Falle 165, im zweiten 190 und
im dritten 175 cem in die Muskulatur beider Glutäen infundiert. Man
bedient sich dazu eines Infusionstrichters aus Glas, den man nur mit
einem Schlauche und einer Nadel armiert. (D. med. Woch. 1912, Nr, 24.)
F. Bruck.
Einen Bericht über die Anwendung des Pituitrins in der Brünner
Landesgebäranstalt gibt Studeny. Er kommt zu dem Schlusse:
Das Pituitrin erscheint zum Teil als das zuverlässigste wehenver-
stärkende Mittel. Auf den nur einige Monate schwangeren Uterus übt
es keinen Einfluß aus. Eine Wirkung ist frühestens in den letzten
Schwangerschaftswochen zu erkennen, nachdem durch Vorwehen schon
‚eine gewisse Reizung der Gebärmutter stattgefunden hat.
Es löst intra partum eine regelmäßige, der physiologischen
gleichende Wehentätigkeit aus. Die Wirkung tritt meist nach einigen
Minuten ein, zeigt aber 1—2 Stunden später die Tendenz sich abzu-
schwächen. — Die Wirkung ist am stärksten in der Austreibüngsperiode.
Bei bestehender Atonie in der Nachgeburtsperiode ist es aber höchst
unzuverlässig, hierbei sind die Secalepräparate noch unentbehrlich. Das
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Mittel ist ungiftig. Die Dosierung betrug 1—2 g pro dosi subcutan.
(Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 51.) Zuelzer.
‚ DieTannineiweißverbindungen zur Bekämpfung der Diarrhöe
besitzen vor dem reinen Acidum tannicum den großen Vorteil, daß die
in ihnen enthaltene Gerbsäure erst im Darme frei wird und bis in die
tieferen Darmteile ihre adstringierende Wirkung entfalten kann,
während die Gerbsäure als solche schon im Magen zersetzt wird. Devaux
hat nun eine neue, ihm von J. Roos zur Verfügung gestellte Tannin-
eiweißverbindung, das Glutannin, geprüft. Das darin enthaltene Eiweiß
ist ein Pflanzeneiweiß, wird aus dem Weizenmehle gewonnen und ist
das nur zu 2°/o darin enthaltene wasserlösliche Albumin. Dieses
Eiweiß, das bei der Spaltung des Glutannins im Darme frei wird, soll
nun hier keine komplizierten Zersetzungen mehr erleiden und daher
keine Spaltungsprodukte liefern, die reizend auf den Darm wirken
können.
Der Verfasser hat das Mittel in Fällen von Darmtuberkulose
angewandt und war mit dem Erfolge sehr zufrieden. Er gab drei- bis
fünfmal täglich zwei bis drei Tabletten à 0,3 Glutannin, die vom
Patienten zerkaut wurden. Insgesamt wurden so zirka 400 Einzeldosen
zu je zwei oder drei Tabletten verabfolgt. Der Stuhlgang, der vorher
flüssig war, wurde meist nach zwei bis drei Tagen breiig oder geformt,
die Zahl der Entleerungen ging von vielen auf eine bis zwei zurück. Das
lästige Kollern im Leibe verschwand meist nach einigen Gaben, ebenso
trat Linderung der Schmerzen ein.
In Fällen von einfachen Darmkatarrhen wirkte das Mittel prompt
nach einem bis zwei Tagen.
Dagegen versagte es ebenso wie alle andern vollkommen in
einem Falle von schweren Durchfällen, die wahrscheinlich auf ausgedehnter
Arteriosklerose der Mesenterialgefäße beruhten. (M. med. Woch. 1911,
S. 32.) F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Narcophin.
Narcotin. Morphin. Mekonat.
Das neue Präparat ist ein Doppelsalz und enthält je ein Molekül
Morphin und Narcotin an ein Molekül der zweibasischen Mekonsäure ge-
bunden, die ja auch die Alkaloide in der Droge begleitet.
Das Narcophin entspricht der Formel:
C33Ha3NO; * Ci7Hi9NO3 * CrH407 + 4 H30.
Im Interesse einer rascheren Löslichkeit, sowie mit Rücksicht auf
die Alkalität der gewöhnlichen Arzneigläser ist dem Präparat ein ganz
geringer Ueberschuß von Mekonsäure zugesetzt worden. Das Narcophin
enthält zirka !/3 seines Gewichts an Morphinbase.
Darstellung: Das Narcophin wird nach einem zum Patent an-
gemeldeten Verfahren durch Lösen äquivalenter Mengen der Kompo-
nenten und Eindampfen der Lösung im Vakuum dargestellt.
Löslichkeit: Das Narcophin gibt mit der gleichen Menge Wasser
eine sirupöse Lösung; fügt man dieser nach und nach mehr Wasser zu,
so tritt zunächst Trübung und später Wiederauflösung ein. Bei Zimmer-
temperatur (200) löst sich so ein Teil Narcophin in zwölf Teilen kalten
Wassers, ferner auch in 25 Teilen Alkohol. Die Lösungen können in der
üblichen Weise sterilisiert werden.
Identitätsreaktionen: Die Lösung von 0,01 g Narcophin in
10 ccm Wasser wird durch einige Tropfen einer sehr verdünnten Eisen-
chloridlösung rot gefärbt (Mekonsäure). Verreibt man mittels eines Glas-
stabes in einem Reagensglase 0,01 g Narcophin mit 1 ccm Wasser und
einigen Körnchen Kaliumjodat, so nimmt die Mischung eine gelbliche
Farbe an, setzt man dann noch 9 cem Wasser und einige Tropfen Stärke-
lösung hinzu, so entsteht eine blaue Lösung (Morphin). Verreibt man
mittels eines Glasstabs im Reagensglase 0,01 g Narcophin mit 1 ccm
Fröhdes Reagens, so entsteht eine kirschrote Lösung, die beim Er-
wärmen zunächst ins Grünliche übergeht (Morphin), beim weiteren Er-
wärmen entsteht abermals eine rote Lösung (Narcotin).
Anwendung und Dosierung: Das Narcophin kann das Morphin
in allen Fällen ersetzen und zeigt dessen narkotische Wirksamkeit in
gesteigertem Maße. Der narkotische Effekt tritt zwar in der Regel
etwas später ein als nach Morphindarreichung, er hält aber auch länger
an und fährt zu einem hohen Grade von Analgesie bei relativ geringer
Trübung des Bewußtsein. Bei der Anwendung des Narcophins als
Schlafmittel wurde keine Benommenheit beim Erwachen beobachtet.
Narcophin beeinflußt das Atemcentrum weniger als Morphin. — Die Do-
sierung des Narcophins entspricht im allgemeinen seinem Morphingehalt.
Originalpackungen: Kartons mit 5 beziehungsweise 10 Ampullen
enthaltend je 1,1 ccm einer 3°/,igen Narcophinlösung; Preis 1,50 und -
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
Nr.28.) — Zehb
28. Juli.
2,80 M beziehungsweise 2,00 und 3,60 K. — Gläser mit 20 Tabletten
à 0,015 g Narcophin (1,20 M beziehungsweise 1,50 K.).
Literatur: Straub, Pharmakol. Institut der Universität Freiburg i. B,
(M. mòd. Woch. 1912, Nr. 28.) — Straub, (Biochem. Zeitschr. 1912, Bd. 41.) —
Schlimpert, Universitäts-Frauenklinik zu Freiburg i. B. (M. med. Woch. 1912,
e, Medizinische Klinik der Universität Breslau. (M. med. Woch.
1912, Nr.28). — Herrmann, Pharmakol. Institut der Universität Freiburg i. B.
(Biochem. Zeitschr. 1912, Bd. 39, S. 216.) — v. Issekutz, Pharmakol. Institut
dor Universität Klausenburg (Pflügers A. 1912, Bd. 145, S. 415.)
Hersteller: C. F. Boehringer & Soehne, Mannheim-Waldhof.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Contrifugenglas mit eingeschliffener Pipette
nach Suchy und Dr. Göckel.
Musterschutznummer: D.R.G.M. a.
Kurze Beschreibung: In das untere verjüngte Ende des Con-
trifugenglases ist ein Capillarstab eingeschliffen. In der Wandung des
verjüngten Teils liegen zwei von innen nach außen ge- _
drückte Nuten. Das Glas ist in eine Pipettenspitze ausge-
zogen, welche auf dem Boden der Hülse zur Auflage kommt,
Anzeigen für die Verwendung: In dieser Original-
form eignet sich das Glas für alle raschen Sedimentierungen
und zur Gewinnung der allerkleinsten, kaum sichtbaren Sedi-
mente, die für die Diagnostik in der inneren Medizin in Frage
kommen.
Anwendungsweise: Das abgeschleuderte oder ab-
gesetzte Sediment ist an der Pipettenspitze in Tropfen exakt
abfangbar, wenn man durch Kommunikation mit der oberen
Seitennute soviel Sediment in die Capillare des Glasstabs
einfließen läßt, als man durch die untere Seitennute abfließen
lassen will. Dies erfolgt durch Drehung von 1800. Bei
einiger manueller Geschicklichkeit kann man jeden einzelnen
Tropfen unten abfangen und ihn dann zur mikroskopischen
Beobachtung auf den Objektträger absetzen. |
Zusätze: Die Reinigung und Sterilisierung kann
einwandfrei durchgeführt werden, da aus bekannten Gründen
Metall und Gummi vermieden und durch die glastechnische
Präzisionsarbeit ersetzt sind.
Preis pro Satz zwei Stück 8,00 M, ein Stück 1,60 M.
Firma: Dr. Heinrich Göckel, glastechnische Präzisions-
und Prüfungsanstalt, Berlin NW 6, Luisenstraße 21. Bei
Bestellungen sind Länge und Durchmesser der Hülse anzugeben. ?;, Grüße
Bücherbesprechungen.
Georg Flatau, Sexuelle Neurasthenier Berlin 1912, Fischers medizi-
nische Buchhandlung. H. Kornfeld. 158 Seiten. M 4,50.
Von einem heutigentags erscheinenden Buch über sexuelle Neur-
asthenie wird wohl niemand bemerkenswerte neue Aufschlüsse oder gar
umwälzende Offenbarungen erwarten dürfen. Man wird zufrieden sein,
eine verständnisvolle kritische Zusammenfassung und Abwägung des bis-
her auf diesem Gebiete Geleisteten auf Grund der weitschichtigen vor-
handenen Literatur, bestenfalls mit einigen eignen Zutaten bereichert,
zu finden. Von diesem Gesichtspunkt aus kann auch diese neueste
Monographie der sexuellen Neurasthenie als im allgemeinen den berech-
tigten Erwartungen entsprechend gelten. Die Auswahl der heran-
gezogenen Literatur ist allerdings etwas eng und willkürlich, dem Geiste
unserer Zeit gemäß unhistorisch, wie denn Beards für die sexuelle Neur-
asthenie bahnbrechendes, selbst namengebendes (von M.Neißer ins Deutsche
übersetztes) Werk im Literaturverzeichnisse nicht einmal erwähnt ist.
Im übrigen läßt sich gegen die Einzelheiten der Darstellung nichts Er-
hebliches sagen — ebensowenig freilich dafür. Es fehlen großzügige,
leitende Gesichtspunkte, denen der Verfasser ein vorsichtiges Hin- und
Hertasten oder diplomatisches Ausweichen vorzuziehen scheint. Charak-
teristisch dafür ist die Art und Weise, wie eine Kritik der Freudschen
Anschauungen über Neurasthenie und Angstneurose (S. 106) ausdrück-
lich abgelehnt wird. So läßt man diese ganz unhaltbaren und schädlichen
Hypothesen ungehemmt fortwuchern! Dankenswert sind die zwar nicht
notwendig zur Sache gehörigen, aber dem heutigen Bedürfnis ent-
gegenkommenden Exkurse über Geschlechtstrieb und Geschlechtsgefühl
sowie über sezuelle Abstinenz. Auch daß die sexuelle Neurasthenie des
Weibes etwas mehr berücksichtigt ist, als es herkömmlich zu geschehen
pflegt, verdient Anerkennung. Die Kapitel über Prophylaxe und The-
rapie sind, der Wichtigkeit der Sache entsprechend, besonders ausführ-
lich gehalten; und man kann dem meisten, was der Verfasser nach
diesen Richtungen äußert, unbedenklich beistimmen. Unter den gegen
Pollutionismus verwendbaren Mitteln hätte das (häufig recht wirksame)
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. ©
Styptol erwähnt werden können. Der empfohlenen Einschränkung
lokaler Behandlung bei krankhaften Sekretverlusten (S. 139) kann ich
mich nur anschließen. A. Eulenburg (Berlin).
E. Engelhorn, Schilddrüse und weibliche Geschlechtsorgane,
Sonderabdruck aus den Sitzungsberichten der physiologisch-medizinischen
Sozietät in Erlangen 1911, Bd. 43. Erlangen, Kommissionsverlag von
Max Mencke,. a SE |
H. Freund hat als erster die konstante Hypertrophie der Thy-
reoiden in der Schwangerschaft beschrieben. Lange bestätigte seine
Befunde; Engelhorn desgleichen, doch befriedigten ihn die bisherigen
Theorien über die Schilddrüsenvergrößerung nicht, da sie sich einseitg
auf die Graviditätsvorgänge stützen, während doch auch. bei den übrigen
‚sexuellen Prozessen (Pubertät, Menstruation, Klimakterium) Thyreoidea-
vergrößerungen beobachtet werden. An der Hand von zahlreichen Unter-
suchungen an Menschen und Tieren glaubt Engelhorn zur Annahme
berechtigt zu sein, daß die Ovarialfunktion als gemeinsamer
Faktor für die bei den verschiedenen Geschlechtsvorgängen
beobachtete Schilddrüsenvergrößerung anzusprechen sei. Mikro-
skopisch stellt er fest, daß die Vergrößerung tatsächlich in einer echten
Hypertrophie ‘besteht, die bei den mit Corpus luteum versehenen graviden
Versuchstieren besonders konstant vorgefunden wurde. Ebenso zeigten
kestrierte Tiere die gleiche Schilddrüsenvergrößerung. Weiterhin fand
Engelhorn ‚bei schwangeren Frauen, die mit Ovarialsubstanz gefüttert
wurden, unter :23. Fällen sicher in 15 eine merkliche Abnahme der Hals-
schwellung. Alles dies spräche: dafür, daß das Corpus luteum eine Hypo-
funktion des Ovars. bedeute,. die von der Schilddrüse, wie schon Fellner
und Anders behauptet hatten, mit einer Hypertrophie beantwortet wird.
Diese Erklärung.eigne sich zwanglos für die Pubertäts-, Menstruations- und
Graviditätsvorgänge,. desgleichen für das Klimakterium, in dem es sich
um den physiologischen Ausfall der Eierstocksfunktion handelt.
Der 34 Seiten umfassenden, klar geschriebenen Abhandlung sind
vier gute farbige histologische Tafelabbildungen zur Erläuterung an-
gefügt, | R. Freund (Berlin).
J. Bresler, Deutsche Heil- und Pflegeanstalten für Psychisch-.
es in Wort und Bild. II. Bd. Halle a. S. 1912, Carl’Marhold.
Der erste Band des vorliegenden Werkes wurde ‘den Mitgliedern
des IV.- Internationalen Kongresses zur Fürsorge für Geisteskranke
(Berlin 1910) überreicht. Wenn an dem Werk etwas auszusetzen war,
so war es seine Unvollständigkeit. Es enthielt die Beschreibung von
46 staatlichen, provinziellen und städtischen Anstalten für Psychisch-
kranke und von 19 Privatanstalten. Dem Mangel der Unvollständigkeit
hilft der nunmehr erschienene zweite Band des Werkes wesentlich ab,
wenn auch eine absolute Vollständigkeit nicht erlangt wurde und auch
wohl nicht in dem Plane des Unternehmens lag. Der zweite Band bringt
die Beschreibung von 41: öffentlichen und.17 privaten Anstalten, ferner
einen zusammenfassenden Bericht über die Entwicklung der Irrenfürsorge
m Württemberg und in Berlin. Die zurzeit in Württemberg und in
Berlin bestehenden öffentlichen Anstalten finden in den genannten Artikeln
eine ausreichend eingehende Beschreibung. i
Die Ausstattung des zweiten Bandes ist ebenso vorzüglich wie die
des ersten. Besonders hervorgehoben seien die sehr zahlreichen, zum
größten. Teil ausgezeichneten Abbildungen. Das Werk als ganzes gibt
ein Bild von dem hohen Stande der Irrenfürsorge in Deutschland und
stellt ein. sehr brauchbares Nachschlagewerk dar; das Spezialärzten und
praktischen Aerzten in gleicher Weise willkommen sein dürfte und auch
Behörden und gebildeten Laien, die sich aus irgend einem Grunde mit
der Irrenpflege befassen, gute Dienste leisten wird.
| Henneberg (Berlin).
Verhandlungen der Vereinigung der Lungenheilanstaltsärzte auf der
VI Versammlung zu Düsseldorf am 8. und 4. September 1911.
81 S. Preis brosch. M 3, —. Würzburg 1912, Verl. v. K. Kabitzsch.
„In diesem Bande, der als drittes Supplement den Brauerschen
Beiträgen zur Klinik der Tuberkulose angegliedert ist, werden zum ersten
e die Verhandlungen der Vereinigung der Lungenheilanstaltsärzte in
extenso veröffentlicht. Dadurch wird ein recht interessantes und auch
itr den praktischen Arzt wertvolles Diskussionsmaterial leicht zugäng-
lich gemacht. Diese Verhandlungen dürfen besonders deshalb das Inter-
30 weiter Kreise für sich in Anspruch nehmen, weil. die Tendenz der
den Vereinigung dahin geht, in ihren Zusammenkünften aktuelle
aaelegenheiten der Tuberkulosepraxis zur Sprache zu bringen. In
gom ersten Bande . befinden sich folgende Vorträge: Köhler, Ueber
° psychischen Einwirkungen der Tuberkuloseinfektion; Bauer,
Ueber das Problem der Tuberkulinreaktion; Meißen, Erfahrungen
mit Tuberkulin; Ulrici, Zur Frage der ambulanten Anwendung des
Tuberkulins; Grau, Tuberkulose und Thoraxstarre; . Schroeder,
Ueber Dauererfolge bei Larynxtuberkulose; Ritter, Die „Deutsche Heil-
stätte“ in Davos und die Heilstättenbewegung in Deutschland; Sell,
Ueber ein neues Antidiarrhoicum; Nahm, Ueber das Stillen tuberkulöser
Mütter. | Gerhartz.
E. v. Gierke, Grundriß der Sektionstechnik. Mit 9 Abbildungen.
Freiburg i. B. Leipzig 1912, Speyer u. Kaerner. 61 Seiten.
_ Auf 61 Seiten bringt Gierke in klarer, übersichtlicher Darstellung
die bei einer vollständigen Sektion nötigen Handgriffe, Untersuchungen
und beachtenswerte Momente in Erinnerung. Zugrunde gelegt ist die
Virchowsche Sektionstechnik, doch werden auch Abweichungen und Er-
gänzungen erwähnt; auch auf gerichtliche Sektionen ist Rücksicht ge-
nommen. In einem besonderen Kapitel sind die wichtigsten Momente
einer Kindersektion dargestellt. Zu begrüßen sind die guten schematischen
Abbildungen, die Vorschriften zur Konservierung des Sektionsmaterials'
in natürlichen Farben und besonders die Zusammenstellung der wich-
tigsten Durchschnittsmaße und Tabellen. Bennecke, Jena. `
A. Schlenzka, Die Goldschmidtsche Irrigationsurethroskopie.
Eine zusammenfassende Darstellung der Methode. Leipzig 1912,
Dr. Werner Klinkhardt. 89 Seiten. 23 Abbildungen, 52 Tafelbilder.
M 450.
A. Schlenzka gibt in der dem Andenken H. Goldschmidts
gewidmeten Schrift eine zusammenfassende Darstellung der Irrigations-
urethroskopie seines Lehrers, auf deren Wert in dieser Zeitschrift schon
des. öfteren hingewiesen wurde. Die Prinzipien dieser Untersuchungs-
methode sind Dilatation der Harnröhre durch Wassereinlauf, dadurch ge-
schaffener gleichmaßiger Hohlraum, Betrachtung dieses Hohlraums mit
optischen Hilfsmitteln. Schlenzka schildert die verschiedenen Instru-
mente mit hinterer, oberer und vorderer Beleuchtung, bildet sie ab und
bespricht ihre Handhabung. Die Beschreibung der normalen. und der
krankheitsveränderten Harnröhre nach der Betrachtung von hinten nach
vorn mit vorzüglichen photographischen Aufnahmen und kolorierten
Bildern folgt. Die in den weiteren Kapiteln beschriebenen Instrumente
für Ignipunktur, Elektrolyse und Prostataincisionen sind genial erdacht
und sollen die operativen Maßnahmen unter Leitung des Auges gestatten;
sie sind aber sehr kompliziert und difficil, von niemandem außer Gold-
schmidt und Schlenzka erprobt und müssen ihre Brauchbarkeit erst
erweisen. Mankiewicz.
Werner Spalteholz, Ueber das Durchsichtigmachen von mensch-
lichen und tierischen. Präparaten. Nebst Anhang: Ueber
Knochenfärbung. Leipzig 1911, S. Hirzel. 48 Seiten. M 1,—.
Das von Spalteholz: gefundene Prinzip der Methode beruht darauf,
daß „ein tierischer oder pflanzlicher Körper dann am wenigsten Licht
reflektiert und die größtmögliche Durchsichtigkeit erreicht, wenn er von
einer Substanz durchtränkt und umgeben ist, deren Brechungsindex dem
mittleren Brechungsindex des Körpers gleich ist“. In dieser nicht be-
rechenbaren und vorläufig noch nicht für alle Fälle experimentell fest-
gestellten Größe liegt die Schwierigkeit des Verfahrens; durch Aus-.
probieren muĝ der optimale Brechungsindex noch gesucht werden. Nach
langen Vorversuchen benutzt Spalteholz bestimmte Mischungen von.
künstlichem Wintergründl, Benzylbenzoat oder Isosafrol, die die wenigen
Substanzen sind, die den an sie gestellten Forderungen entsprechen,
Wegen Einzelheiten der Technik muß das Original eingesehen werden.
Bennecke (Jena).
.M. Böhm, Leitfaden der Massage. Mit 97 Textabb. Stuttgart 1911,
‚Ferd. Enke. 72 S. M 2,80.
Als Ersatz für die nicht weitererscheinenden Auflagen der Hoffa-
schen Massagetechnik hat Verfasser einen sehr klar abgefaßten Leitfaden
der Massage geschrieben, der sich, wofern man überhaupt diese Disziplin
aus Lehrbüchern erlernen kann, sehr wohl durch die vielen gut gelun-
genen Abbildungen der, technischen Handgriffe zum Repetitorium, eventuell
auch zur selbständigen Weiterbildung in der Massage eignet. In der
Einleitung bekennt sich Verfasser im Gegensatz zu seinem Lehrer Hoffa.
als Freund der Laienmassage, allerdings mit der sehr vernünftigen Ein-
schränkung, daß ein großer Teil der Massagen, besonders bei pathologi-
schen Veränderungen an Muskeln, Sehnen, Gelenken, Nerven sowie allen
inneren Organen nur dem Arzte respektive den betreffenden Spezial-
ärzten vorbehalten bleiben solle, während’ man die allgemeine Körper-
massage, die des Rückens sowie die gewöhnliche Plattfußmassage sehr
wohl dem mit .anatomischen Kenntnissen ausgestatteten und in der
Technik gut ausgebildeten Laienmasseur überlassen könne. —— 7
Wiszwianski.
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1250 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Einige allgemeine Gesichtspunkte bei der Beurteilung von
Unfallfolgen
| von
Dr. med. Wilde, Kiel,
Vertrauensarzt der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für die
Provinz Schleswig-Holstein, Stadt und Fürstentum Lübeck. .
Einige Krankheiten und Krankheitssymptome, welche nach
meinen Erfahrungen in ihrer Beurteilung als Unfallfolgen seitens
der feststellenden Organe, der behandelnden und begutachtenden
Aerzte und der Sektionsvorstände besonderer Beachtung bedürfen,
möchte ich in folgendem näher beleuchten.
A. Bruchschäden. Die Erkenntnis, daß Bruchschäden,
besonders Leisten- und Schenkelbrüche, nur sehr selten Unfall-
folgen sind, ist wohl jetzt Allgemeingut nicht nur der Aerzte,
sondern auch der ausführenden Organe der Berufsgenossenschaften
geworden. Vor 20 Jahren wurde jeder Leistenbruch, ob einfach
oder doppelt, glatt als Unfallfolge angesprochen und entschädigt.
Nachdem das Reichsversicherungsamt als Mindestforderungen für
die Annahme der Entstehung der Leistenbrüche durch Unfall auf-
gestellt hat:
1. daß das angeschuldigte Betriebsereignis mit einer über den
Rahmen der üblichen Betriebsarbeit hinausgehenden schweren
körperlichen Anstrengung verbunden war,
2. daß der von dem angeblichen Unfall Betroffene unmittelbar
nach demselben die Arbeit einstellte,
3. daß in kürzester Zeit, jedenfalls noch an demselben Tage, ein
Arzt zu Rate gezogen wurde,
4. daß der Arzt einen Befund aufnehmen konnte, der mit Wahr-
scheinlichkeit für einen plötzlich und frisch entstandenen
Bruch sprach,
sind die Leistenbrüche als Unfallfolgen in den neueren Akten
etwas mehr zurückgegangen, es kommt aber doch in einzelnen
Gegenden noch relativ häufig vor, daß Leistenbrüche als Unfall-
folgen anerkannt werden, die es bei genauer Würdigung aller in
Betracht kommenden Momente sicher nicht sind. Es muß daran
festgehalten werden, daß nach ärztlicher Erfahrung die weitaus
meisten Leistenbrüche sich ganz allmählich entwickeln und dann
bei irgendeiner Betätigung des täglichen Lebens zum Austritte
gelangen. Daß diese Betätigung in einzelnen Fällen mal eine
schwere Arbeit ist, oder daß der Beteiligte beim Durchtritte von
Baucheingeweide in den allmählich durch den Leistenkanal hin-
durchgestülpten Teil des parietalen Bauchfells, den Bruchsack,
Schmerzen empfindet, darf uns noch nicht zu der Annahme eines
Betriebsunfalls veranlassen. Auch ist es meines Erachtens gleich-
gültig, ob der Verletzte gleich nach dem Bemerken des Bruches
zum Arzt ging oder nicht; die Menschen sind eben verschieden,
der eine ist ängstlicher und wehleidiger als der andere. Abge-
sehen von den Fällen, wo es bei direkten äußeren Verletzungen
der Bauchwand zum Austritte von Baucheingeweide kommt, darf
ein Bruch als Unfallfolge nur angesehen werden, wenn bestimmt
nachgewiesen ist, daß durch die einmalige übermäßig starke Wir-
kung der Bauchpresse die Bruchpforte plötzlich und gewaltsam
erweitert worden ist. Das kann aber nicht vor sich gehen
ohne Zerreißung von Geweben. Außer ganz erheblichen
Schmerzen müßte in solchem Fall also eine Schwellung
und blutige Infiltration der Umgebung der Bruch-
pforte vorhanden sein. Wo diese Symptome fehlen, sollte man,
auch wenn sonst die obengenannten Mindestiorderungen des Reichs-
versicherungsamts erfüllt sind, den Bruch als nicht durch Unfall
entstanden ansehen und eine Rente ablehnen.
B. Gebärmutter- und Scheidenvorfälle Auch diese
werden verhältnismäßig häufig als Unfallfolge entschädigt, in den
allermeisten Fällen mit Unrecht. Es wechseln hier in ätiologischer
Beziehung Unfälle schwerster Natur, wie z. B. Fall aus großer
Höhe, vom Heuboden, vom beladenen Erntewagen oder von Heu-
diemen, mit angeblichen Unfällen leichtester Art, wie Ausgleiten
auf ebenem Boden oder Anheben von Milchkannen.
Es ist statistisch nachgewiesen, daß Uterus- und Scheiden-
vorfälle fast nur bei Frauen, die geboren haben, vorkommen. Da-
mit ist schon der Beweis geliefert, daß die Hauptursache des Pro-
lapses die Schwangerschaft und die nachfolgende Geburt ist, wo-
durch eine Vergrößerung der Scheide und eine Erschlaffung ihrer
Wandungen und der angrenzenden Nachbarorgane mit Lockerung
des dazwischenliegenden Bindegewebes hervorgerufen wird. Nach
der Geburt erfolgt die Rückbildung nur unvoliständig, die Scheide
bleibt länger und weiter als sie früher war, die Gewebe bleiben
zum Teil schlaff, und dem Zuge der Schwere folgend senken sich
Uterus und Scheidenwand nach unten. Außer Schwangerschaft
und Geburt kommen noch ätiologisch langdauernde Katarrhe der
Scheidenschleimhaut und das Klimakterium in Betracht, wo der
Schwund der Elastizität der Gewebe die dünne Scheidenschleimhaut
auch öfter zum Senken und Austritt aus dem Scheideneingange bringt.
Die tägliche Anwendung der Bauchpresse beim Stuhlgange, beim
Husten und bei allen mit Heben verbundenen häuslichen Arbeiten
bringt die erschlafften Gewebe immer häufiger und immer mehr
zum Senken und ganz allmählich entsteht so der Zustand, der als
Scheidenvorfall oder Gebärmuttersenkung imponiert.
Prof. Thiem (Kottbus), einer der erfahrensten Praktiker auf
dem Gebiete der Unfalikrankheiten, kommt zu dem Schlusse, „daß
die Senkung des nicht schwangeren Uterus als Unfallfolge aus-
scheide“. Schwarze stellt für die Beurteilung der Gebärmutter-
und Scheidenvorfälle als Unfallfolge folgende Sätze auf, die sich
im allgemeinen auch das Reichsversicherungsamt bei seiner Recht-
sprechung als Richtschnur genommen hat:
i. Bei der Tatsache, daß die Vorfälle in den weitaus meisten
Fällen sich ganz allmählich entwickeln, muß man zur Beurteilung
der Unfallfolge zwischen Frauen, die nicht geboren haben, und
solchen, die geboren haben, streng unterscheiden.
2. Nur bei ersteren (also bei Frauen, die nicht geboren
haben) läßt sich die Wahrscheinlichkeit der plötzlichen Entstehung
eines Vorfalls durch ein bestimmt nachzuweisendes Unfallsmoment
behaupten.
3. Für Frauen, die geboren haben, und für eine alte Frau
jenseits des Klimakteriums genügt die Feststellung eines Vorfalls
auch nach außergewöhnlicher Betriebsleistung oder nach einem
bestimmten Unfallsmoment nicht zur Anerkennung der Ansprüche.
4. Hier muß noch gefordert werden, daß die Betreffenden
im direkten Anschluß an den Unfall in erheblichem Grade
in ihrer Erwerbsfähigkeit dauernd oder für längere Zeit geschädigt
worden sind.
5. Vorfälle und Senkungen geringeren Grades bedingen
keine erhebliche und dauernde Schädigung der Erwerbsfähigkeit.
6. Demnach deutet vorübergehende oder geringere Schädi-
gung mit Sicherheit darauf, daß der Vorfall schon vorher bestand.
7. Wenn eine schwangere Frau behauptet, durch einen Un-
fall einen Vorfall bekommen zu haben, ist die Feststellung der
Ansprüche bis nach der Entbindung zu verschieben, ‘dä im schwan-
geren Zustande sich der Grad des Leidens nicht beurteilen läßt.
8. Es ist klar, daß ein kompletter Vorfall der Scheide mit
Cystocele und Rectocele auch durch einen Unfall nicht verschlimmert
werden kann.
Will man annehmen, daß eine Senkung der Gebärmutter
oder ein Scheidenvorfall durch ein plötzliches Unfallsmoment bei
intakten Genitalien, d. h. bei nicht durch Schwangerschaft, Ge-
burt, langwierigen Katarrh oder Altersrückbildung erschlafiten
Geweben, entstanden ist, so muß ein gleich nach dem Unfalle zum
Aufsuchen ärztlicher Hilfe zwingendes sehr schweres Krankheits-
bild vorliegen. Außer sehr erheblichen Schmerzen müßten als
Folge der Zerrungen und Zerreißungen der Mutterbänder, der ge-.
waltsamen Trennung der Scheide von ihrer Unterlage Blutungen
in die Umgebungen von Uterus und Scheide, starker Druckschmerz
und Schwellungen nachzuweisen sein.
Nach vorstehenden Ausführungen dürfte es klar sein, dab
Gebärmutter- und Scheidenvorfälle nur äußerst selten durch Un-
fall, meistens ganz allmählich, wie die Leistenbrüche, oft in jahre-
langer Entwicklung entstehen. Hat diese Entwicklung einen ge-
wissen Grad erreicht, so kann jede körperliche Kraftleistung, eine
ganz leichte tägliche Verrichtung ebensogut, wie eine aufer-
gewöhnliche Anstrengung, das Vorfallen der Gebärmutter oder der
Scheidenwand vor die äußere Schamspalte herbeiführen. Die
Tätigkeit, bei der dann der Vorfall merkbar in die Erscheinung
tritt, ist dann lediglich die Gelegenheit nicht die Ursache des Zu-
tagetretens der Senkung. (Schluß folgt.)
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8. Juli.
1251
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
© Kongreß-, Vereins- und auswärtige Berichte.
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10; Internationale Tuberkulosekonferenz.
Rom, 10. bis 14. April 1912.
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Die soziale Tuberkulosebekämpfung. Motte (Baltimore) und
Mery (Paris) sprechen über Tuberkulose und Schule. Den Lehrern
kommt in der Bekämpfung der Tuberkulose eine große Aufgabe zu.
Wichtig ist die Frühdiagnose, die durch Auskultation und Radioskopie
sichergestellt wird. En
Petruschky bekämpft das Heiratsverbot tuberkulöser
Mädchen, betont jedoch die Bedeutung der Heilung der Tuberkulose
vor dem heiratsfähigen Alter, die durch die specifische Therapie erzielt
werden kann, sodaß die Graviditäten keine Gefahren für die Frauen be-
deuten. u |
` Martin (Berlin) unterscheidet hinsichtlich der Unterbrechung
der Schwangerschaft bei Tuberkulose zwischen latenter und mani-
fester Tuberkulose. Bei latenter Tuberkulose ist die konservative Therapie
berechtigt, bei progredienter Tuberkulose ist die Einleitung des Abortus
im Interesse der Frau dringendst geboten. Bei ausgedehnter Lungen-
tuberkulose empfiehlt M. außer der Unterbrechung der Schwangerschaft
die gleichzeitige Excision der Placentarstelle.
Calmstte (Paris) spricht über die Bedeutung sozialer Fak-
toren bei der Entstehung der Tuberkulose und stellt einen konsekutiven
Zusammenhang zwischen Zivilisation und Auftreten der Tuberkulose fest.
Bötticher (Berlin) betont die Pflichten der Frauen in der Be-
kämpfung der Tuberkulose, die Wertvolles leisten können. Hierfür ist
unbedingt ein richtiges Verständnis für die Entstehung und Verhütung
der Tuberkulose erforderlich. Die Aufklärung der breiten Volksschichten
ist geboten. - | |
Rabinowitsch (Berlin) macht darauf aufmerksam, daß über-
triebene Angst vor der Infektion oft in der falschen Auffassung der
Tuberkulose liege und daß unser Kampf gegen die Tuberkulose und nicht
gegen die Tuberkulösen gerichtet ist.
- Bresciani befürwortet die Anzeigepflicht der Tuberkulose,
Die Anzeigepflicht soll eine obligate sein, die Desinfektion der Wohnung
durch den Vermieter gesetzlich.
Hope (Liverpool) verlangt, daß die Anzeigepflicht ‘nicht auf die
Todesfälle beschränkt sei, sondern daß alle infektiösen Fälle der Anzeige-
plicht unterliegen sollen. l |
Kuss (Angicourt) denkt nur an die akute, infektiöse, pulmonale
Tuberkulose. Es handelt sich dabei um die Vorkehrungen, den Tuber-
kulösen für seine Umgebung ungefährlich zu machen. Die Umgebung
sei über den Beginn der Periode der Ansteckung und die antibacilläre
Prophylaxe zu belehren. K. hält es für empfehlenswert, daß die obliga-
torische Anzeige der Tuberkulose nach und nach in der Gesetzgebung
festgesetzt werde unter Wahrung der Interessen des Kranken, des Arztes
und des Berufsgeheimnisses. |
Tamburini (Rom) referiert über die prophylaktischen Maß-
nahmen und die Gründung von Heilanstalten. Die Grundlage der
- Tuberkulosebekämpfung sei das Haus als solches (Bauart, Lichtmenge)
2 das Hauswesen (die Desinfektion der von Tuberkulösen bewohnten
ume), l l
Bordoni (Mailand) verlangt die Errichtung von Lehrstühlen für
angewandte Hygiene.
‚ Reissinger bespricht die Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande,
dio am besten von in einem größeren Orte zu erriehtenden Zentralstellen
geleitet werden soll.
Bims Woodhead (Cambridge): Alkoholismus und Tuberkulose.
Tatham und Newsholme haben Statistiken veröffentlicht, in denen ge-
zigt wird, daß mit der Verbreitung und Konsumption des Alkohols die
Neigung zur Tuberkulose einhergehe. Gruber fand, daß Trinker im
ter von 35 bis 54 Jahren häufiger von Tuberkulose befallen werden.
Reyeilland gibt an, daß fast 66°/, der Kellner in Brüssel an Tuber-
kulose sterben. | |
Letulle (Paris) nimmt ebenfalls an, daß der Alkoholgenuß zur
Tuberkulose prädisponiere. Es dürften spezielle Gifte (Nervengifte) ver-
anfwortlich zu machen sein; dazu wird durch den Alkoholgenuß die Er-
Brenn ‚beeinträchtigt und dadurch die Prädisposition zur Tuberkulose
Greef beweist auf Grund einer Statistik, daß der Alkoholismus
der Eltern die Nachkommenschaft zur Tuberkulose -prädisponiere. Die
Untersuchung von 150 Familien mit 524 Kindern ergab, daß in den Fällen,
ia denen der Vater oder Großvater: mütterlicherseits ein Trunkenbold
war, die Tochter in 10%) an Lungenphthise litt und in 70°%0 nicht im-
stande war, das Kind zu stillen.
| Reynier fand in einem großen Prozentsatze der Fälle äußerer
Tuberkulose bei Kindern in der Familienanamnese keine Anhaltspunkte
für Tuberkulose, hingegen oft die Angabe, daß der Vater Alkoholiker
war. In 90°/, der Fälle äußerer Tuberkulose Erwachsener besteht nach
Angabe des Referenten in 40°/, Alkoholismus. Die Verabreichung von
Alkohol in Sanatorien ist nicht berechtigt, die Prognose der Tuberkulose
bei Alkoholikern ist ungünstiger. | p |
. Kern, Leitener und Gailard besprechen den experimentellen
Nachweis der Beziehung zwischen Alkohol und Tuberkulose. Die Be-
wegung des Antialkoholismus verdient weiteste Förderung.
Fuchs fand vermindertes Präzipitationsvermögen des Serums bei
Alkoholikern. | |
H. Lemoine: Soziale Behandlung der Tuberkulosen im Heere.
Die soziale Prophylaxe der Lungentuberkulose muß die Ansteckung der
Zivilbevölkerung durch aus dem Hoeeresverband Entlassene verhüten. Es
sind zu unterscheiden die offenen kontagiösen und die geschlossenen
nicht kontagiösen Tuberkulosen. Erstere sind um so gefährlicher, da
viele verheiratet sind und Frau und Kinder infizieren. Bei letzteren kann
der Krankheitsprozeß durch prolongierte Behandlung von mehreren Mo-
naten (Luft, Ruhe, reichliche entsprechende Nahrung) zum Stillstand
kommen und Dienstfähigkeit erzielt werden. Das Kriegsministerium habe
durch Schaffung von Rekonvaleszentenhäusern für die während der Dienst-
zeit erkrankten Tuberkulösen des Heeresverbandes zu sorgen und mögen
die Gesellschaften des Roten Kreuzes ihre Dienste beistellen.
Magianti-(Rom) bestreitet, daß der Heeresdienst ein wesentlicher
Faktor für die Entwicklung der Tuberkulose ist. Es muß verhütet wer-
den, daß Leute mit latenter Tuberkulose oder solche mit einer Disposition
zur Tuberkulose in den Heeresverband aufgenommen werden.
Vincent glaubt nicht, daß durch den Militärdienst an und für sich
eine latente Tuberkulose frisch entfacht werde.
Lapeyre (Tours) und Posner (Berlin): Ueber die Wechsel-
beziehung zwischen Lungen- und Genitaltuberkulose. Die Lungen-
tuberkulose wird durch Hinzutreten einer Genitaltuberkulose wesentlich
verschlechtert. Jede Patientin mit Lungentuberkulose ist nach Ansicht .
der Referenten auf Genitaltuberkulose zu untersuchen und diesbezüglich
zu beobachten. Durch rechtzeitige ‚operative Entfernung der Genital-
tuberkulose wird ein neuerliches Aufflackern der Lungentuberkulose
hintangehalten. Die Röntgenbehandlung gibt nicht die gleichen günstigen
Resultate. - |
Pestalozza (Rom) operiert nur die frischen, lokalisierten Fälle:
Wagner (Wien) lehnt die prinzipielle chirurgische Behandlung der
sie zur Ausheilung kommen.
Krömer (Greifswald) empfiehlt die Korpusamputation als typisches
Sterilisationsverfahren bei Lungentuberkulösen. l i
| Chevassu (Paris) und O. Zuckerkandl (Wien): Ueber die
Tuberkulose des Urogeuitaltraktes. Die interne Behandlung kann die
Nierentuberkulose bessern, aber nicht heilen, dagegen werden durch die
Nephrektomie ungefähr die Hälfte der Nierentuberkulösen dauernd go-
heilt. Z. hält die Entfernung dər eitrigen, tuberkulösen Niere für das
einzige mögliche Mittel einer Heilung, jedoch ist die Operation nur bei
Einseitigkeit des Prozesses möglich. Isolierte Nierentuberkulosen ohne
Beteiligung der Blase geben die besten Resultate. Referent betrachtet
die Tuberkulose der Blase auch in ihren schwersten Formen nicht als
Kontraindikation der Operation, da die Blasentuberkulose nach Entfernung
der kranken Niere gewöhnlich ausheilt. 2
Genitaltuberkulose ab. Auch durch die bloße Tuberkulintherapie kann -
Basel. |
Medizinische Gesellschaft, Sitzung vom 9. Mai 1912.
1.Knapp hat tonometrische Messungen über den Einfluß der Massage
auf die Tension des Auges angestellt. Er bedient sich nur der Druck-
massage (zirka 100 gleichmäßige rhythmische Pressionsbewegungen pro
Minute). Die normale Spannung des Auges beträgt 18 bis 27 mm Hg.
200 Pressionen (Massage von zwei Minuten) setzen den Tonus um -
4,7 mm Hg herab, 500 Pressionen: um 7,2 mm, 1000 Pressionen um
8,9 mm. Nach drei Viertelstunden kehrt die Tension wieder zur Norm
zurück. Knapp empfiehlt die Massage bei operierten Glaukomfällen, bei
Sehnervenatrophie sowie zur Resorption von intraoculären Blutungen
und von Starresten. Bei nicht operiertem Glaukom hat die Massage
keinen großen Erfolg.
2. Staehelin hat mit Schütze in Berlin die Atmung des ges
sunden Menschen, der Emphysematiker und Asthmatiker untersucht.
Es wurden gleichzeitig drei Kurven aufgenommen: zwei pneumographische
Kurven (Thorax und Abdomen) und eine spirometrische Kurve (mit Hilfe
des Gutzmannschen Blasebalgspirometers). Die Versuche bei. 14 ge-
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'physemkranken ergeben folgende Abweichungen:
1252 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
sunden Individuen ergeben folgende Hauptresultate. Die Inspirations-
bewegungen sind nicht gleichmäßig: es gibt abwechselnd tiefere und
oberflächlichere Inspirationen. Die Ventilation schwankt zwischen 4 und
9 1 pro Minute (Mittel 7,2 1). Richtige Atempausen bestehen nicht: die
Inspiration geht direkt zur Exspiration über. Die „Abdomenkurve“ ist
von der „Brustkurve“ verschieden. Die Untersuchungen bei 44 Em-
Die Ventilation
schwankt zwischen 4 und 15 l in einer Minute (Mittel 10,1 1). Die
Atmung ist mehr vertieft als beschleunigt. Worauf diese Vertiefung
beruht, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Wichtig ist, daß die
Form der Atmungskurven (Brust und Abdomen) nicht wesentlich von
derjenigen gesunder Individuen abweicht; daraus läßt sich schließen, daß
ein besonderer Widerstand bei der Atmung des Eimphysematikers
nicht besteht. Der Asthmatiker {vier Fälle) weist eine Ventilation
von 10 bis 15 l pro Minute auf; er leidet also nicht an Luftmangel,
sondern er „überventiliert“, das heißt er überkompensiert das bestehende
Hindernis (Bronchialmuskelkrampf). Man muß also bei Asthmatikern die
„vix medicatrix naturae“ nicht unterstützen, sondern unterdrücken, Die
Atmungsweise muß geändert werden; eine gute Methode dafür ist z.B.
die sogenannte „Zählmethode“. |
8. Hell berichtet über vergleichende therapeutische Unter-
suchungen mit Secacornin und Pituglandol im hiesigen Frauenspital.
Secacornin wird gegeben bei Kombination der Wehenschwäche I mit der
Wehenschwäche II des Walthardtschen Schemas im Winkelschen
Handbuch, das heißt bei den zu seltenen und zugleich zu schwachen
Wehen. Die Frau muß schon durch mehrere Stunden hindurch im Zu-
stande der Wehenschwäche sich befinden. Niemals wurde Secacornin
gegeben, wenn mehr als zwei bis drei schwache Wehen pro halbe
Stunde zu konstatieren waren. Die Dosis beträgt 0,25 g Secacornin
subeutan. Niemals ist ein Tetanus uteri eingetreten; auch trat niemals
Kollaps der Mutter, Erschlaffung des Uterus und Blutung in der Nach-
geburtsperiode ein, wie dies nach Pituglandol hier und da beobachtet
wurde. Secacornin steigert wie Pituglandol in erster Linie die Frequenz
der Wehen, in zweiter Linie die Stärke derselben. Sichere Wirkung
haben wir analog den Erfahrungen mit Pituglandol erst nach Entfaltung
des Cervix zu erwarten. Die Gesamtzahl der mit Secacornin behandelten
Fälle beträgt 140 (davon 96 Fälle in der Eröffaungsperiode, 44 Fälle in
der Austreibungsperiode). Das Resultat war 86,3 °/o gleich 122 Spontan-
geburten. Die Zangen (14mal) wurden zumeist nach Ablauf der Seca-
corninwirkung, niemals wegen Gefährdung des Kindes durch Tetanus
uteri angelegt.
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Frankfart a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 6. Mai 1912.
1. Löffler: Zur Prophylaxe der Lungentuberkulose. (Erscheint
im Originalteil dar Wochenschrift.) |
2, Grosser: Ueber Mineraldiäteilk. Der Körper enthält
Mineralbestandteile teils in organischer, teils in anorganischer Bindung,
er besitzt ebenso wie die Pflanzen in weitestem Maße die Fähigkeit zu
synthetisieren. Wenn er imstande ist, verloren gegangene mineralische
Bestandteile aus den einfachsten ihm gebotenen Formen wieder zu er-
setzen, dann ist es nicht nötig zu den überaus teuren komplizierten
organischen Verbindungen, die von den Fabriken hergestellt werden, zu
greifen. — Eisen, das dem Körper in irgendeiner Form per 08 zuge-
führt wird, ist als ionisiertes Eisen in der Darmschleimhaut nachweisbar.
Damit ist der Beweis erbracht, daß auch die komplizierten organischen
Eisenverbindungen im Darmkanal zerlegt werden. Es ist auch durch
Versuche an blutarm gemachten Hunden bewiesen worden, daß diese
ihren Hämoglobingehalt bewahrten, ganz einerlei, in welcher Form das
Eisen gegeben wurde. Es ist also nicht nötig, für therapeutische Zwecke
das Eisen in komplizierter Form zu geben, die einfachen Salze scheinen
sogar auf das Knochenmark eher stärker anregend zu wirken. — Phos-
phor soll besser assimiliert werden, wenn es als Lecithin eingeführt
wird, das für den Organismus unentbehrlich sei. Hierfür geltend gemachte
Tierversuche können nicht ins Gewicht fallen, weil die den verendeten
Hunden gereichte lecithinfreie Nahrung auch im übrigen gänzlich
denaturiert war. Versuche an Enten, denen unter besseren Bedingungen
Futter gegeben wurde, das frei von organischen Phosphaten war, haben
gezeigt, daß sie sich gut entwickelten und lecithinhaltige Eier legten.
Der Körper kann also aus anorganischen Phosphaten selbst Lecithin
bilden. Wird Lecithin in den Darm eingeführt, so werden durch Fermente
Cholin und Fettsäuren abgespalten und die Glycerinphosphorsäure wird
resorbiert und zerfällt selbst wieder in Glycerin und Phosphorsäure, und
zwar besonders im Darm und in den Nieren. Die komplizierten Phosphor-
verbindungen haben also nichts voraus vor den einfachen anorganischen
Salzen. Das hat auch Ragna Berg durch Versuche an Erwachsenen
nachgewiesen. Ebenso wird auch Nuclein im Darm vollständig gespalten.
Wird Lecithin subcutan gegeben, so wird beim Tier ebenfalls die Glycerin-
phosphorsäure als reine Phosphorsäure ausgeschieden. — G. hat an
rhachitischen Kindern Versuche gemacht, ob nicht bei ihnen durch die
subcutane Injektion von Kalksalzen in resorbierbarer Form ein stärkerer
Ansatz von Kalk zu erzielen sei. Er verwandte Calciumphosphat und
-glycerophosphat, die sich ganz gleich verhalten, und Caleiumchlorid,
Letzteres macht eine Hautreaktion, ersteres nicht. Bei Injektion von
Caleiumglycerophosphat trat eine starke Steigerung der Kalkretention
bis zu 70% ein, und aus der Nahrung wurde ebenfalls Kalk zurückge-
halten, und der Kalk wurde auch in der Nachperiode nicht wieder aus-
geschieden. Im Gegensatze hierzu entstand zwar auch bei Anwendung
von Calcium chlorid ein Kalkansatz, es kam aber in der Nachperiode
dann mehr zur Ausscheidung, als angewandt worden war; der Kalk war
also nicht in den Bestand des Körpers übergegangen, sondern es handelte
sich nur um eine Scheinretention. Diese Kalkresorption läßt sich jedoch
nur bei subcutaner Injektion von Kalksalzen feststellen, nicht bei oraler
Einführung. Bei der anorganischen Diät ist jedoch auch die Art und die
Menge der rein organischen Nährstoffe in der Nahrung auf den Mineral-
stoffwechsel von wesentlichem Einfluß. So bildet z. B. das Fett nach-
gewiesenermaßen ein bedeutendes Hemmnis für den Mineralansatz.
Hainebach.
Marburg.
Aerzteverein. Sitzung vom 22. Mai 1912.
Zangemeister: Umwandlung der Gesichtslage in Schädellage.
Die Mortalität der in Gesichtslage geborenen Kinder beträgt 14%, im
Gegensatz zu den 2°/, der Schädellagen. Durch Umwandlung der Ge-
sichtslagen in Schädellagen läßt sich keine Besserung erzielen; im Gegen-
teil, die Mortalität steigt auf 200/0. i
Trotzdem darf bei beweglichem Kopf und erweitertem Muttermunde
die Umwandlung empfohlen werden, wenn eine Verzögerung der Geburt
eintritt oder su erwarten ist.
Baudelocque hatte versucht, durch innere Handgriffe das Hinter-
haupt herabzudrehen, später hatte Schatz die äußere Wendung des
Kopfes erstrebt. Beides erwies sich als unzureichend. Thorn endlich
hatte beide Handgrifie kombiniert: die eine Hand drückte außen die
Brust zurück, während die innere das Hinterhaupt herunterholte. Das
Verfahren war brauchbar, jedoch gefährlich; es wurden zwei Uterus-
rupturen als Folge beschrieben. |
Z. selber hatte ein neues Verfahren angegeben, indem er den
Daumen der inneren Hand in den Mund des Kindes steckte und mit den
übrigen Fingern einen Druck auf die Brust ausübte. Auf diese Weise
war es ihm kürzlich ein zweites Mal gelungen, in 40 Minuten die spon-
tane Geburt eines lebenden Kindes herbeizuführen.
Z. demonstriert weiter das Präparat einer um zwei Monate über-
tragenen Blasenmole, die überdies noch dadurch merkwürdig war, daß die
Placenta teilweise vollkommen erhalten war. Eine Frucht ließ sich nicht
nachweisen, |
Kleinschmidt spricht über Diagnose der Miliartuberkulose
und hebt die Schwierigkeiten hervor, welche die Unterscheidang vom
Typhus abdominalis macht. Verwertbar ist die geringere Milzschwellung,
die weniger zahlreichen Roseolen, der beschleunigte Puls, das remit-
tierende Fieber. Dagegen darf man sich auf die Cyanose und Dyspnöe
nicht verlassen; auch der Bakterienbefund in Blut und Urin ist nicht zu-
verlässig. Absolut sicher dagegen sind die Choriodealtuberkeln.
Ein Befund, der sich noch vor diesem häufig erheben läßt, und
dessen Wichtigkeit Vortragender betont, ist der Nachweis der Tuberkeln
auf der Röntgenplatte. — Es folgt die Demonstration einiger solcher
Platten.
Sitzung vom 8. Juni 1912.
Fischer: Ein Fall von angeborenem Zahnmangel. Es handelt
sich um einen dreizehnjährigen Knaben mit hereditärer Lues, der mit elf
Monaten zwei Milchzähne an der Stelle der oberen Schneidezähne be-
kommen hatte, und mit sechs Jahren an derselben Stelle wieder zwel
Zähne. Im übrigen ist der Knabe absolut zahnlos, und es ließ sich durch
die Röntgenaufnahme feststellen, daß auch keine Anlage für weitere
Zähne vorhanden ist. Bemerkenswert ist noch, daß der Knabe außer
einem spärlichen Haarwuchs auf dem Kopfe haarlos ist und daß ihm die
Schweißdrüsen fehlen.
F. demonstriert weiter vier Fälle von reimplantierten Zähnen.
Das Verfahren ist brauchbar in den Fällen, die einer Wurzelresektion
durch ihre Lage nicht zugänglich sind. Man kann den Zahn extrahieren,
außerhalb der Mundhöhle medikamentös oder operativ behandeln, die
Höhle auskratzen und den Zahn reimplantieren. Bei aseptischem Vor-
gehen kann man der Einheilung sicher sein. Durch Röntgenaufnahmen
nn demonstriert, daß in der Tat eine knöcherne Einheilung des Zahnes
erfolgt. |
— |
Teer
‚der Fascienränder war nur in starker Beugestellung der Patientin
licher Abtreibung. Gravid. mens. HI. Tod an Sepsis nach jauchiger
38. Juli. - 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30. - | ‚1253
Olpp (Tübingen) als Gast: Tropische Krankheiten und Krank-
heitserreger mit Vorführung lebender Bilder durch den Kino. Vor-
tragender spricht über einige Erreger und demonstriert mit Hilfe von
elf ausgezeichneten Aufnahmen ihre Lebenserscheinungen. Bemerkens-
wert sind besonders die Films, welche die Bewegungen der Trypano-
somen und das Verhalten der Leukocyten ihnen gegenüber veran-
schaulichen. |
Hagemann: Enchondrom des Schultergelenks mit Kranken-
vorstellung. Die Patientin war vor drei Jahren mit Schmerzen in der
linken Schulter erkrankt, die langsam zunahmen. Das Röntgenbild ergab
jetzt einen Tumor vor dem Humeruskopf und einen unterhalb des Pro-
cessus coracodeus; és wurde die Diagnose „Gelenkenchondrom“ gestellt und
durch die Operation bestätigt. |
Es ist dies der siebente Fall in der Literatur. Derartige Enchon-
drome waren beschrieben: Dreimal am Knie, je einmal am Ellenbogen,
am Handgelenk und am Metacarpophalangealgelenke. |
Die Aetiologie ist unklar. Man hat Versprengung von Knorpel-
keimen wie auch die Umwandlung der Synoviazellen in Knorpelzellen da-
für verantwortlich gemacht.
Die Behandlung dieses Falles bestand in der Resektion, Das Prä-
parat zeigt die beiden im Röntgenbilde sichtbaren Tumoren, sowie eine
Menge kleiner Knoten im Verlauf der Bicepssehne und an der Um-
schlagsfalte der Gelenkkapsel. Georg Magnus.
Die Wirkung hat man sich so vorzustellen, daß ein abnormer
Krampf der bronchialen Muskulatur durch das Adrenalin aufgehoben wird.
bronchiale eingeführt hat, sah M. bei Verwendung von 1 bis 2 g gute
Wirkung. Jodkali wirkt auf die Beschaffenheit des Sputums günstig
ein. In Anlehnung auf die Erfolge, die M. bei Tetanie mit Calcium-
salzen erzielte, versuchte Kayser die Wirkung der Calciumsalze in
20 Fällen von Asthma bronchiale. Selbst bei chronischen Fällen von
Asthma bronchiale sah er, daß die Anfälle leichter und an Zahl geringer
wurden, einige Patienten wurden ganz von Anfällen frei. Die Wirkung
stellt sich erst nach 24 Stunden oder noch später ein. Die Expekto-
ration wird leichter, das Sputum flüssiger. Geeignet sind nur reine
Fälle von Asthma bronchiale. Allerheilmittel ist es keines; Zwei Ver-
sager wurden beobachtet. Reception: 8 bis 10 g Calcium chloratum auf
200 Aqua destillata mit einem Corrigens. Zweistündlich ein Eßlöffel.
Diskussion: Blum ersetzt die Adrenalininjektion mit günstigem
Erfolge durch die Adrenalininhalation. Auch Cahn hat außerordentlich
günstige Resultate bei der Behandlung des Asthma bronchiale (auch nicht
ganz reiner Fälle) mit Adrenalininjektionen. Seit 25 Jahren verwendet
er mit gutem Erfolge Diuretin in großen Dosen beim Asthma cardiale.
Ueber Calcium chloratum haben B. und C. keine Erfahrung.
4. Wenckebach: Demonstration einer pneumatischen Bauch-
binde. W. bespricht die Astiologie und den Symptomenkompiex der
Stettin.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte. Sitzung vom 7. Mai.
1. Schwarzwäller: Vorstellung einer. Patientin, bei der er vor
i'a Jahren einen sehr großen, nach einer Laparotomie entstandenen
Bauchbruch nach der Methode von Men ge operiert hat. Die Vereinigung
Bauchdecken eine von ihm konstruierte Bauchbinde, die an ihrer Rück-
seite statt der Pelotte ein Gummikissen trägt, das mit Luft angefüllt
werden kann. u
5. Rosenfeld: Ueber juvenile Paralyse. Demonstration eines
16jährigen Knaben mit juveniler Paralyse. Die Symptome unterscheiden
sich nicht wesentlich von der erworbenen Paralyse der Erwachsenen. Es
besteht eine gewisse Reduktion im Wachstum. . Die paralytischen An-
fälle sind häufig. Auch die psychische Alteration unterscheidet sich nicht
von der Paralyse der Erwachsenen; überwiegend ist die demente Form.
Die Salvarsanbehandlung war erfolglos. Bei dem Knaben wurde die
Palliativtrepanation ausgeführt. Es floß reichlich Liquor ab; Hirndruck
wurde geringer, Gang besser, Tremor ließ nach. Bei der Operation wurde.
ein Stück der Rinde entfernt. Der mikroskopische Befund, der sonst der-
selbe wie bei der Paralyse der Erwachsenen ist, ergab in diesem Fall
Enntwicklungsstörungen im Centralnervensystem. u
Ein 16jähriges Mädchen, dessen Vater und Schwester an Lues
noch erkrankt sind, zeigt ein ähnliches Krankheitsbild. Ptosis rechts
fehlende Patellar- und Achillessehnenreflexe, Hypotonie, Romberg, Störung
der Pupillenreaktion. Wassermann positiv. In dem Falle könnte es sich
um eine Infektion in der Kindheit, um eine intra vitam erworbene Tabo-
Paralyse handeln. = ç. Hirsch.
möglich,
2. Scheunemann: Ueber abdominale Myotomie. Nach Schilde-
rung der durch große Myome hervorgerufenen Krankheitserscheinungen,
die Indikationen, die wichtigsten historischen Daten in der Entwicklung
dieser Operation bespricht er sieben Fälle, die von ihm in den letzten
zwei Jahren mittels radikaler abdominaler Myotomie operiert und geheilt
worden sind. Die Krankengeschichten wurden mitgeteilt, die exstirpierten
Tumoren demonstriert.
3. 0. Meyer: Demonstration von a) seltenem Präparat eigenartiger
Grannlombildung in der Schilddrüse; b) Präparat von Dickdarmmelanose;
c) einer Anzahl von Magen- und Duodenalgeschwüren mit Komplikationen;
d) Uterus mit Zerstörung des größten Teils des Fundus infolge künst-
Peritonitis.
4. Boeck jun.: Bericht -über einen Fall von Sectio caesarea cer-
vicalis, Mpara, erstes Kind perforiert, zweites Kind totgeboren. Drittes
Kind drei Wochen übertragen, daher Vorschlag zum Kaiserschnitte mit
gleichzeitiger Sterilisation, die gewünscht wird. Zwölfpfündiges Kind
lebend geboren. Bemerkenswert der kleine Hautschnitt, der kleine Cervix-
schnitt, die äußerst minimale Blutung aus demselben, das Abwarten der
Placenterlösung im Gegensatz zur manuellen Lösung beim Fundalschnitte,
die einfache Naht der Cervix und die leichte Assistenz.
5. Colla: Mitteilung über seine Erfahrungen mit einem neuen
Schlafmittel — Luminal, das in Dosen von 0,2 bis 0,3 bis 0,4 ge-
geben wird.
6. Lichtenauer: Ueber den Bau von Krankenhäusern nach den
neuen Bestimmungen. Buß.
Berlin. |
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 17. Juli 1912.
Tagesordnung: Heilversuche bei Mäusecarcinom mit tumor-
affinen Substanzen: a) Neuberg: Ueber Grundlagen der Versuche.
b) Caspari: Wirksamkeit der Substanzen mit Demonstration.
c) Löhe: Histologische Befunde. 2%
.a) Neuberg: Die Ausführungen haben zwar zurzeit nur ein
‚akademisches Interesse, aber sie rechtfertigen doch im Hinblick auf die
große Bedeutung des Geschwulstproblems eine Besprechung. Die Grund-
lagen der Versuche beruhen auf gewissen chemischen Vorgängen in den
malignen Tumoren. Das Charakteristikum der Krebszelle ist schnelles
Wachstum und schneller Zerfall. Von diesen Eigenschaften kennen wir
etwas genauer die mit dem Zerfall einhergehenden chemischen Vorgänge.
Neubergs diesbezügliche Untersuchungen hatten ergeben, daß z. B.
das Radium auf die Geschwülste auf dem Wege über die Zeilenzyme
wirkt. Andere Untersucher hatten gezeigt, daß die autolytischen Vor-
gänge in den malignen Geschwülsten gesteigert werden können und daß
die Wege und Produkte des Abbaus in charakteristischer Weise variiert
sein können. So kann es zu ungewöhnlicher Pigmentbildung, abnormen
Fett- und Kohlehydratspaltungen kommen. Neben einer gesteigerten
Fermenttätigkeit findet sich aber auch eine Abschwächung derselben.
Im lebenden Organismus bedingen die beim Zerfall des Tumors frei-
werdenden Enzyme durch ihren Eintritt in die Circulation das Auftreten
einer Immunitätsreaktion. Diese gibt sich zu erkennen im Auftreten von
Antifermenten, wie des von Brieger gefundenen Antitrypsin. Aber es
treten auch andere Veränderungen des Bluts auf, die für das Schicksal
der Tumorkranken verhängnisvoll sein können. So verliert das Blut die
Eigenschaft des gesunden Bluts, - Tumorzellen zu zerstören, Soviel geht
aus den Untersuchungen hervor, daß der Zerfall der Geschwulstmassen
die Folge der Fermenttätigkeit der Tumorzelle ist. Dahingestellt muß
zunächst bleiben, ob ein erhöhter Gehalt an Fermenten oder der Fort-
. Straßburg.
Unterelsüssischer Aerzteverein. Sitzung vom 4. Mai 1912.
‚ 1 Keiner: Ueber Tracheotomia transversa bei Kindern.
Bei zehn Kindern kam die Tracheotomia transversa mit großem Vorteile
gegenüber der Tracheotomia longitudinalis in Verwendung. Das An-
backen der Trachea ist bei dieser Methode nicht notwendig. Die Vor-
teile beziehen sich auf das leichte Wiedereinführen der Kanüle, auf die
größere Chance der primären Heilung, da die seitlichen Hautpartien
„user von der Infektion bedroht sind, und auf einen infolge idealer
ae besseren kosmetischen Effekt als bei der Tracheotomia
2. Wolff: Demonstration von seltenen Hautkrankheiten mittels
Projektion,
8. E. Meyer: Zur Behandlung des Asthma bronchiale., Prä-
ri die sich Vortragendem zur Behandlung der Asthmaanfälle und
EA Zwischenzeit gut bewährt haben, sind in erster Linie das Adre-
3 T 0,5- bis 1,0 cem der 1 O/ooigen Lösung subcutan. Bei nicht nor-
Win Lungen und pathologischem Herzen sah M. keine schädlichen |
kangen vom Adrenalin.
Vom Diuretin, das von den Velden zur Behandlung des Asthma .
Entercptose und empfiehlt besonders für Leute mit schlaffen, ‚mageren |
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fall zellerhaltender Prinzipien die gesteigerte Autolyse der Geschwülste
bedingt. Das Problem besteht nun darin, ob es möglich ist, die Zerfall-
tendenz der Tumoren soweit zu steigern, daß sie sich unter Fortbestand
des übrigen Organismus ihr eigenes Grab graben. Außer dem Radium
gibt es eine Reihe von Metallverbindungen in kolloidaler Form, und
ferner Arsenverbindungen, die im Reagensglas die Autolyse beein-
flussen. Im Tierexperiment waren die Ergebnisse aber negativ, weil die
Kolloide der Circulation entzogen werden oder koagulieren. Andere
Substanzen werden schnell eliminiert. Die Aufgabe bestand also darin,
für die die Autolyse fördernden Mittel eine Form zu finden, welche es
gestattet, die Substanz von der Circulation aus an den Tumor heranzu-
bringen und sie erst dort wirken zu lassen. Diese Substanzen mußten
außerdem für den übrigen Körper möglichst ungiftig sein. Es gelang,
derartige Mittel zu finden, die sich von verschiedenen Metallen
ableiten, wie Zinn, Blei, Arsen, Gold, Platin usw. Ihre Wirksamkeit
war in der ersten Zeit ihrer Anwendung, als die Mittel subcutan ein-
gespritzt wurden, sehr bescheiden, wenn ihr Einfluß auch erkennbar war.
Erst als die von v. Wassermann angegebene Technik der Applikation
durch die Schwanzvene angewendet wurde, fielen die Ergebnisse durch-
aus befriedigend aus. Wenn auch nicht alle Verbindungen gleich günstig
wirkten, so war doch keine unwirksam. Die besten Ergebnisse gaben die
Verbindungen des Kupfers, Zinns, Platins und vor allem des Kobalt und
Silbers. Die Wirkung der Mittel zeigte sich daran, daß die Tumoren er-
weichten, verflässigt wurden und nekrotisierten. In den Geschwülsten
fanden sich ferner mikroskopisch Niederschläge, die sich als Derivate der
angewendeten Metallverbindungen charakterisieren ließen. Der Angriff
der Substanzen erfolgte mit außerordentlicher Schnelligkeit. Schon nach
ungefähr einer Minute ließ sich die erste Wirkung erkennen. Die Menge
Substanz ist sehr klein. Sie schwankt zwischen 0,005 und 0,066 mg
Metall pro Gramm Maus. Die fast blitzartige Wirkung der Mittel hat
zur Folge, daß bereits eine einzige Einspritzung genügen kann, um
innerhalb 24 Stunden einen Tumor von beträchtlicher Größe fast voll-
ständig zu erweichen. Komplette Heilungen erfordern allerdings eine
größere Reihe von Einspritzungen. Für die Wirksamkeit der Substanzen
scheint die erwähnte Ablagerungsfähigkeit eine Vorbedingung zu sein.
Vermutlich wird die eingeführte Metallverbindung im Tumor automatisch
in einen kollojdalen Zustand überführt und kommt dann zur Ausfällung.
Die Annahme einer Umbildung in eine kolloidale Form wird dadurch
gestützt, daß Substanzen, denen diese Fähigkeit fehlt, unwirksam sind.
Die Versuche wurden an Mäusen angestellt. Aber auch bei Ratten-
sarkomen und bei einem Adenocarcinom des Hundes war das angewen-
dete Mittel erfolgreich. Die Flüssigkeit, die sich in dem erweichten
Tumor findet, stellt ein typisches Autolysat dar. Sie besteht aus Albu-
mosen, Peptonen und Aminosäuren. Das Ergebnis der Untersuchungen
faßt Neuberg dahin zusammen, daß mehrere Mittel gefunden sind,
welche die Carcinom- und Sarkomzellen von Maus, Ratte und Hund
Selektiv angreifen und im lebenden Tiere zur Aktötung bringen.
b) Caspari: Die Tumoraffinität der angewendeten Substanzen
kommt zunächst darin zum Ausdrucke, daß eine einmalige Iujektion
bereits eine deutliche Wirkung erkennen läßt. Fast momentan nach
der Einspritzung tritt eine Entfärbung aller sichtbaren Gefäßpartien ein.
Der Grund hierfür liegt darin, daß die Gefäße, welche zum Tumor führen,
außerordentlich erweitert und strotzend mit Blut gefüllt sind. Es
kommt zu Blutungen in den Tumor, die sich soweit steigern können,
daß die Maus sich direkt in den Tumor verblutet. Häufig beob-
achtet man Ausschwitzungen in der Umgebung des Tumors, die viel-
leicht aus den Gefäßen ausgepreßtes Serum sind. Je größer und
zahlreicher die Gefäße, die sich in der Nähe des Tumors be-
finden, sind, um so intensiver ist der Effekt der Einspritzung.
Bemerkenswert ist, daß tumorkranke Tiere eine höhere Dosis der Sub-
stanzen vertragen als gesunde Tiere. An Lichtbildern demonstrierte der
Vortragende, wie die Einwirkung der Einspritzungen auf den Tumor vor
sich geht. Nach einem Tag ist der Tumor bereits vollkommen weich
und zu einem schlaffen Sacke geworden. Setzt man die Einspritzungen
fort, so wird die harte Wand des Tumors weicher, schließlich zu einer
ganz durchsichtigen Membran. Damit ist das Tier als geheilt zu be-
trachten. Als Residuum persistiert ein mehr oder weniger harter Strang,
der noch Wochen und Monate hindurch zu fühlen ist. Eine Reihe von
Schwierigkeiten sind allerdings zu überwinden, ehe dieses Ziel zu erreichen
ist. Dahin gehört der Umstand, daß die Dosis efficax und die Dosis
letalis sehr nahe beieinander liegen. Nimmt man eine zu kleine Dosis,
so tritt kein Verschwinden des Tumors, sondern beschleunigtes Wachs-
tum des Tumors ein. Ein großer Prozentsatz der Mäuse geht an In-
toxikation durch die autolytischen Abbauprodukte zugrunde. Die Be-
handlung der Mäuse muß außerordentlich foreiert werden, weil eine Pause,
mitunter von nur einem Tage, genügt, um ein beschleunigtes Wachstum
des Tumors hervorzurufen. Eine große Schwierigkeit liegt auch darin,
daß man in einen Mauseschwanz nur eine begrenzte Anzahl von Ein-.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
spritzungen machen kann. Man mußte daher öfter die Behandlung ab-
brechen, ehe das Tier geheilt war. In diesen Fällen wurde eine Nach-
behandlung mit Jodnatrium, das subcutan einverleibt wurde, durchgeführt.
Die so erzielten Resultate waren günstig. Der Tumor verhärtete sich
und die nekrotischen und indurierten Partien stießen sich ab. Spontan-
tumoren kamen ebenfalls durch die Präparate zur Heilung. Nur wenn es
sich um nicht maligne Geschwiülste handelte, blieb der Erfolg aus. Ratten-
sarkome, z. B. die sich in Spontanheilung befanden, wurden nicht beeinflußt.
Die Technik der Injektion bei Ratten ist übrigens schwierig. Die Schwanz-
Vene liegt sehr tief und ist erst nach Entfernung einer dicken, schup-
pigen Oberhaut durch Abbrühen derselben zu erreichen. Die letale Dosis
bei der Ratte liegt etwa um die Hälfte tiefer wie bei der Maus. Der
Effekt bei der Ratte ist gleichfalls eklatant. Das Wachstum der Rattentumoren
wird durch ein Aussetzen der Behandlung nicht sofort wieder angeregt,
vielmehr dauert die autolysierende Wirkung der eingespritzten Substanz
noch mehrere Tage fort. Bei einem an Adenocarcinom erkrankten Hunde,
der gegenüber der Giftwirkung noch empfindlicher sich erwies als die
Ratten, konnte ebenfalls eine intensive Wirkung des Präparats fest-
gestellt werden. Der Hund ging aber an einer interkurrenten Erkrankung
zugrunde.
c) Löhe ergänzte die Ausführungen durch Beschreibung der
mikroskopischen Befunde. Es geht aus ihnen hervor, daß bei allen Tu-
moren, sowohl Spontantumoren wie Impftumoren, eine günstige Beeinflussung
unverkennbar war. Mäusetumoren konnten bisweilen durch wenige In-
jektionen zum völligen Verschwinden gebracht werden und auch mikro-
skopisch ließ sich in den vorhandenen Resten in Serienschnitten kein
Tumorgewebe in ihnen mehr nachweisen.
Orth wies darauf hin, daß es sich hier um Untersuchungen handelt,
die ohne staatliche Unterstützung ausgeführt wurden und die hohe An-
erkennung verdienen. Gewähren sie doch wenigstens einen Hoffnungs-
schimmer, daß es auch gelingen kann, menschliche Carcinome zu be-
einflussen. Fritz Fleischer.
Verein für innere Medizin u. Kinderheilkunde. (Pädiatrische Sektion.)
Sitzung am 3. Juni 19i2.
Peiser: Ueber Verwendung konservierter Ammenmilch zur
Ernährung von Säuglingen. Erst seitdem es gelungen ist, die abge-
strichene Ammenmilch gut zu konservieren, ist es möglich, den jeweiligen
Bedürfnissen an Ammenmilch in Säuglingsheimen zu genügen. Vor-
tragender hat sich der von Meyerhofer und Pribram empfohlenen
Konservierungsmethode bedient. Dabei wird die Milch mit Perbydrol
Merck und Caleiumsuperoxyd versetzt und eine halbe Stunde auf ein
Wasserbad von 50° gebracht. Auf diese Weise bearbeitet, hält sich die
Milch lange Zeit. Wird während des Aufbewahrens die alkalische Reak-
tion der Milch amphoter (durch Fettspaltung), so genügt ein Zusatz von
Perhydrol, um sie wieder alkalisch zu machen. Sterilität ist durch das
Verfahren nicht zu erzielen, wohl aber eine wesentliche Herabsetzung
der Keimzahl. Die Milch wird gut vertragen, und zwar auch die mit
amphoterer Reaktion. Vortragender verfütterte 52 Tage lang konservierte
Milch, deren Geschmack allerdings etwas gelitten hatte. Der Nutzen
konservierter Ammenmilch hält sich in denselben Grenzen wie der der
frischen Ammenmilch. Längere Zeit aufgehobene Ammenmilch scheint
mitunter einen günstigeren Einfluß auf Dyspepsien auszuüben als frische
Ammenmilch.
Alexander (als Gast): Ueber eine Beteiligung der Kinderärzte
an der internationalen Ozaenasammelforschung. Vortragender richtet
an die Kinderärzte im Auftrage des auf dem dritten Laryngologenkongresse
gegründeten Komitees für die Sammelforschung der Ozaena die Bitte,
dem Werk ihre Mithilfe zu gewähren. Er weist auf die soziale Be-
deutung der Ozaena hin. Das Ziel der Sammelforschung ist, die Ozaena
als Volkskrankheit zu erforschen, ferner die Frage zu klären, ob die
Ozaena durch Infektion oder durch Heredität sich verbreitet, und endlich
soll bei der Forschung gleichzeitig das klinische Bild der Ozaena fest-
gestellt werden. Die Untersuchung erstreckt sich in erster Linie auf
alle Säuglinge mit Nasenausfluß und ferner auf alle aus Ozaenafamilien
stammenden Kinder. Ein zu Beginn kommenden Winters zur Versendung
gelangendes Merkblatt wird noch die näheren Einzelheiten der Sammel-
forschung zur Kenntnis sämtlicher Aerzte bringen. Eine Stellungnahme
des Vereins als solchem wird von den Anwesenden nicht gewünscht.
J. Rosenstern: Unterernährung im Säuglingsalter und Er-
nährungstechnik. Bei der Säuglingsernährung ist die Gefahr der Ueber-
ernährung heute allgemein bekannt, daneben verdient entsprechende Be-
rücksichtigung auch die Unterernährung. So bringt z. B. bei dyspepti-
schon Störungen die Hungerkur direkte Gefahr mit sich. Aber auch bel
gesunden, nach modernen Prinzipien mit fünf täglichen Mahlzeiten er-
nährten Brustkindern zeigt sich in verhältnismäßig viel Fällen Unter-
ernährung. Dieselbe beruht nicht auf einer Hypogalaktie der Ammen,
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sondern auf dem Verhalten des Kindes, das zuerst im Hunger schnell
zirka 80 g trinkt und dann einschläft oder zu spielen anfängt. Bei solchen
Kindern liegt zwar zum Teil Trinkfaulheit, zum Teil aber auch Unge-
schicklichkeit oder Mangel des Trinkreflexes vor. Bei solchen Kindern
‚empfiehlt es sich, für. einige Zeit häufiger stillen zu lassen, achtmal am
Tage. Nach kurzer Zeit ist das Kind gewöhnlich so- gekräftigt, daß es
wieder mit fünf Mahlzeiten auskommt. Die Unterernährung ist auch bei
künstlich ernährten Kindern nicht so selten, besonders bei solchen mit
großem Nahrungsbedürfnisse, die bei der dünnen Nahrung zu große
Qnantitäten zu sich nehmen müssen. poi
Das Aufstoßenlassen der Kinder bei der Mahlzeit ist keine Un-
sitte, viele Kinder nebmen erfahrungsgemäß mehr Nahrung auf, wenn
mau sie während des Trinkens aufstoßen läßt. Gegen die Trinkfaulheit
kann man auch mit Pepsinsalzsäure oder gelegentlich mit einem Allaite-
ment mixte Erfolge erzielen. Die Unterernährung des kranken Kindes
ist zuweilen mit rectaler Ernährung oder subcutaner Infasion zu be-
kämpfen. In andern Fällen hat sich die Ernährung mit konzentrierten Ge-
mischen erfolgreich gezeigt, so in schweren Fällen von Cystitis, Pneumonie,
Pertussis usw., z. B. mit konzentrierter Eiweißmilch. Bei Verweigerung
Nüssiger Nahrung wird man ebenfalls möglichst konzentrierte beziehungs-
weise feste Nahrung verabfolgen. Das notwendige Wasser muß durch
Rectalinstillation verabfolgt werden.
Diskussion: L. F. Meyer hebt die Wichtigkeit der Ergänzung
des Wasserbedarfs bei konzentrierter Nahrung hervor. Pro Kilogramm
und Tag sind 150 g Wasser notwendig, sonst entsteht Durstfieber. —
Kuhn schildert einen Fall von besonders schwerer Emährbarkeit. —
Cassel hat bei längerdauernder Anorexie, die sich besonders nach Per-
tussis zeigte, oft lange Zeit die Sondenernährung angewendet. Kinder
mit Icterus neonatorum sind oft schlechte Trinker. — Tugendreich
hebt hervor, daß in der Praxis die Zahl der Kinder, die bei Brustnahrung
nicht gut zunehmen, gering ist. Mitunter findet sich familiär eine geringe
Zunahme während der Brustzeit, nachher wird das Gewicht bald ein-
geholt. — Nöggerath lenkt die Aufmerksamkeit auf den Vorteil einer
guten Pflegerin, auf deren Konto öfter das Gedeihen des Kindes zurück-
zuführen ist. Das Aufstoßen ist keine Unsitte. Auch 'er hat mit der
Sondenfütterung gute Erfolge erzielt. Zur Hebung der Appetenz emp-
fehlen sich Amara wie Ratanhia, Quassia usw. — Bardt bestätigt den
Mangel des Trinkreflexes bei schlecht trinkenden Kindern. — Baginsky:.
Die Idee der Ernährung mit konzentrierter Nahrung ist nicht neu, B. hat
schon vor vielen Jahren mit der sehr konzentrierten Milch irischer Schafe
gute Erfolge erzielt,
Sitzung am 17. Juni 1912.
Vor der Tagesordnung demonstriert Huber die Blutpräparate eines
Falles von Kali-chloricum-Vergiftung. Das frisch entnommene Blut
enthielt spektroskopisch nachweisbar kein Methämoglobin, sondern Oxy-
himoglobin. Die Erythrocyten wiesen die charakteristischen, stark licht-
brechenden Heinzkörper, die hämoglobinämischen Innenkörper, auf, deren
lösbar sind.
Zahl an den folgenden Tagen zunahm. Ferner bestand Leuko- und
Phagocytose,.
Dazu demonstriert Pappenheim Präparate von Pyrodinvergiftung,
bei der ebenfalls die Innenkörper auftreten. Diese sind mit Nilblau vital
gefärbt. Mit Eosin-Methylenblan färben sie sich leuchtend rot, hyper-
oxyphil. Man kann die Heinzkörper auch rein darstellen, wenn ‘man im
defibrinierten Blute die Erythrocyten durch Aether zerstört. und zentri-
fugiert. Das Sediment besteht dann nur aus den freien Innenkörpern,
die ziemlich resistent, aber auf Zusatz von Pepsinsalzsäure sofort auf-
Tagesordnung: Rosenstein: Ein Beitrag zur chemothera-
peutischen Einwirkung auf septische Prozesse. R. hat das Argatoxyl
bei einer Reihe von Fällen von Sepsis angewendet. Das Argatoxyl ist
eine Verbindung von Silber und Atoxyl und zeichnet sich bei einem '
hohen Silbergehalte (3831/20/0) durch geringere Giftigkeit ans. Verwendet
wird das Präparat in 10%oiger Aufschwemmung in Olivenöl, die jedes-
malige Dosis (3 bis 5 com) wird intramuskulär injiziert. In 20 Fällen
von schwerer Sepsis bei diabetischem Karbunkel, bei Extremitätenphleg-
mone, bei septischem Scharlach, Pankreasnekrose, Otitis- media und sep-
tischem Gelenkrheumatismus hat Vortragender eine sehr günstige Beein-
flussung beobachtet. In einigen Fällen wurde der Krankheitsprozeß sofort
coupiert, in andern trat allmähliche Besserung ein, mitunter unter stärkerer
lokaler Reizung (Absceß) oder Herdbildung an dritter Stelle. Die Wir-
kung erhält das Präparat durch Anregung der Leukocytose und durch
die bactericide Wirkung. Mit dem neuerdings von Blumenthal ein-
geführten, durch Verbindung mit Piperazin löslichen Argatoxyl, von dem
man bis zu 8 ccm intravenös einführen kann, hat Vortragender noch nicht
genügende Erfahrung.
Diskussion: Zuelzer hat von zwölf mit Argatoxyl behandelten
Fällen achtmal gute Erfolge, viermal ein negatives Resultat. erzielt. Es
handelte sich um Fälle von allgemeiner septischer Erkrankung mit Hals-
drüsenschwellung und schmierigem Belag im Halse, Scharlach-Nepbritis usw.
Eisenberg berichtet über seinen schon publizierten Fall von all-
gemeiner septischer Infektion, in dem er mit Argatoxyl einen prompten
Erfolg erzielte.
Hirsch hat fünf weitere Fälle von Puerperalsepsis mit dem Mittel
außerordentlich günstig beeinflußt und empfiehlt die Anwendung des-
selben warm. | | ;
G. Klemperer hat in drei schweren Sepsisfällen negative Re-.
sultate vom Argatoxyl' gesehen, alle drei starben.
Blumenthal teilt mit, daß das Argatoxyl das Silber nicht in
kolloidaler, sondern in ionisierbarer Form enthält, in der es wirksamer
ist. Das Piperazin löst Schwermetalle leicht, z. B. Sublamin-und Argent-
amin, so löst sich auch das salicylsaure Quecksilber leicht in 8°/oiger:
Piperazinlösung. Das Argatoxyl ist weniger giftig, aber wirksamer als
das Atoxyl. Die intravenöse Injektion _darf noch vorläufig nur mit größter
Vorsicht gemacht werden; beim Tier hat sich die Differenz zwischen
tödlicher und nicht tödlicher Dosis als sehr klein herausgestellt. K. R.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Ermin Franck, Berlin.
Ueber die Nervosität unserer Zeit.
Von
Dr. Rheins, Geh. San.-Rat, Neuß.
‚ Wohin wir die Blicke wenden, überall ist Klage über die Ner-
vosität unseres Zeitalters. In der Presse, in Fachschriften, in medi-
zinischen Lehrbüchern, bei den Unterhaltungen, in Gesellschaften, bei
Gebildsten und Ungebildeten bleibt das Dogma von der Nervenschwäche
der heute Lebenden ein unfehlbares.
‚ _ Der eine sagt es dem andern — fama refert iteratque, quod andit —
die Eltern den Kindern, und alle glaubens, weil die Einredung über-
zugend wirkt. Findet diese geistige Einwirkung in frühem Lebensalter
statt, so lebt sie als Ueberzeugung in der Gedankenwelt fort, und schwer-
lich ist sie aus den Köpfen zu vertreiben, da nichts zäher haftet, als die
Eindrücke auf ein kindliches Gehirn, genährt durch die Umwelt.
„. Tst es denn wirklich so schlimm mit der Nervenschwäche unserer
Zeit? Früher unterschied man vier Temperamente, geistige Eigen-
arten, wobei Mischformen zugegeben wurden. Heute spricht man fast
nur von gesunden oder neryösen Menschen, l148t höchstens den Unter-
schied von Phlegmatischen gelten. Ist denn das Zeitalter, wo man mit dem
litze schreibt, mit der Sonne malt, mit dem Dampf und dem Funken
reist, wo man mit Schiffen und Flügeln durch die Luft fährt, in Wahr-
heit 50 nervenzerstörend, wie es allseits geschildert wird? Ich glaube
mitnichten, Wohl ist die Gangart des Lebens rascher geworden, wohl
hat die Maschine die werkzeugmachende Hand ersetzt, und die kultivierte
enschhöit. arbeitet heute mehr mit dem Kopfe, wie mit den Muskeln.-
Wir leben in einer Uebergangszeit.
. Der Dampf, das Rad, die Eisenschienen, die Hammerwerke mit
ihren Hebeln, Walzen und Getrieben spiegeln des Jahrhunderts Bild,
aber der Mensch kann sich an vieles gewöhnen. Er hat in grauer Vor-
zeit die Schrecknisse der Eiszeiten und den Kampf mit einer gigantischen
Tierwelt als Pfahlbauer und Höhlenbewohner mutig überwunden, sollte er
aus der heutigen Zeit, die an nervenaufregenden Einflüssen nicht einmal
mit dem Mittelalter zu vergleichen ist, nicht mutig standhalten können?
Ich spreche vom Mittelalter. War etwa die Nervosität der Mensch-
heit in Europa mit ihrem Hexen-, Teufels- und Geißlerwahn, mit ihrer
Folter- und Verfolgungswut gegen freie Denker, mit der Massenerkran-
kung von Veitstanz und verheerenden Seuchen geringer als wie in un-
seren Tagen, wo wir unter der Wohltat weiser Gesetze leben, die uns
Freiheiten gestatten, die früher nie denkbar waren? Ä
Das gleiche gilt von den Schrecken des 30jährigen Krieges und
den: Greueln der französischen Revolutionszeit.
Es ist eine Lust zu leben gegen frühere Zeiten. Alles ist
besser geworden. Kleidung, Wohnung, Nahrung, Verdienst sind besser
wie früher. Die Tagesarbeit leichter. Wenn der Kopf, das Gehirn mehr
leisten muß, wie früher, so wächst auch, ähnlich wie bei den .Muskeln,
durch Uebung seine Kraft. Der alte Fehler: der Deutschen, den schon
Tacitus rügt: „die Trunksucht“, welche allerdings nervenlähmend und
nervenzerstörend wirkt, weicht langsam aber stetig einer vernünftigen
Einschränkung im Genuß alkoholischer Getränke und hiermit kommt
wieder zum Rechte die Nachtruhe, eine Hauptbedingung zur Stärkung
des Körpers und Geistes, -die unzertrennbar - als Einheit verbunden- sind; :
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1256
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
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Das alte Wort: „Erfülle die Erde und beherrsche sie . .“ ist von
Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr zur Tat geworden, hat durch
Geisteskraft Erfindung über Erfindung geschaffen, und das Zeitalter der
Naturwissenschaft, unter derem Banner wir heute stehen, verschönert uns
das Leben von Tag zu Tag. Dies ist nicht optimistisch, es ist Tatsache.
Traurig ist’s, daß die heutige Menschheit sich nie zufrieden geben
kann, und mit der Unzufriedenheit wächst allerdings auch die Nervosität.
Sie ist vielfach, wo sie auftritt, eine Krankheit des Willens. Den Willen
zu stärken von Kindheit an, die Persönlichkeit zu entwickeln bei der
heranwachsenden Jugend, und niemals das heute geglaubte Dogma von
der Nervosität unserer Zeit dem jugendlichen Geist einzuprägen, ist ein
Hauptbollwerk gegen den Kampf mit dieser krankhaften Stimmung.
Mit Recht sagt v. Strümpell: „Woher stammt denn die bestän-
- dige Aufregung und Unruhe der meisten nervösen Menschen? Nur daher,
daß sie eben ihre aufregenden Gedanken und Ideen, so unberechtigt und
unnötig diese auch sind, nicht unterdrücken und los werden können . .“
In keinem Hause darf ein Platz sein für das Wort „Nerven und
Nervosität“, und wo es anklingt, möge Belehrung eintreten, und der
Glaube an Nervenschwäche wird in den meisten Fällen verklingen. Was
soll man dazu sagen, wenn gebildete Herren jeden Tag von ihrer Nervo-
sität sprechen, trotzdem sie nicht besteht, sondern nur in ihrer Ein-
bildung vorhanden ist, und diese Herren voll und ganz ihre Tagespflichten
erfüllen?
Wasmanvon den Eltern, wenn man auf die erste konventionelle Frage,
wie gehts der Familie? hört, der Junge oder das Mädchen sei sehr
nervös? Ich behaupte, sie sind oder werden nervenschwach, wenn die
Eltern sich selber als solche darstellen und ihre Kinder als solche
vorstellen.
Neben der Entwicklung der Willenskraft und der Ablehnung der
ewigen Klagen über Nervosität ist ein gutes Mittel gegen Nervenschwäche
eins Lebensweise, die nicht darauf ausgeht, fortwährend nach Vergnü-
gungen zu haschen. So nervenstärkend und gesund im allgemeinen der
Sport ist, so ungesund und nervenaufregend ist er mit seinen Ueber-
treibungen und seinen Rekords, die heute Tagesmoden geworden.
Das alte Erbgut der Deutschen, die Wanderlust, möge von neuem
zu Ehren kommen. Bewegung und Spaziergänge in freier Gottesluft bei
jeder Witterung und zu jeder Tageszeit stählen den Körper und Geist
besser wie alle Medikamente und sogenannte Abhärtungsmittel, worin
heute eher zu viel, wie zu wenig geleistet wird. „Natura non facit
saltus!“ Die alte Freude an der Natur, an den Geisteswerken der Kunst
und Literatur möge wieder in ihr volles Recht treten und am stillen
Herde der Familie gepflegt werden.
In diesem Sinne möge ein jeder in seinem Kreise handeln und er
wird erzieherisch wirken gegen die Nervenschwäche:
Erfasse im Lichte des Tages
Der Schönheit heilige Macht,
Und siehe, in tausenden Formen
Die Welt dir entgegenlacht!
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Verurteilung einer Hebamme wegen fahrlässiger Tötung (infolge
Zurücklassens von Nachgeburtresten).
Urteil des Reichsgerichts (IV. Str.-S.) vom 24. Mai 1912.
Vom Landgerichte D. war die Hebamme Marie D. wegen fahr-
lässiger Tötung zu einem Monate Gefängnis verurteilt worden. Sie war
an einem Sonnabend im Juni 1911 zu einer Wöchnerin Z. gerufen
worden, unmittelbar nachdem diese niedergekommen war. Sie unter-
suchte sofort die Nachgeburt und verblieb bei der Frau bis 7!/2 Uhr
abends. Bis dahin befand sich die Kranke den Umständen nach wohl.
Am späteren Abend aber trat eine Verschlimmerung in ihrem Befinden
ein. Sie erlitt während der Nacht große Biutverluste. Als die An-
geklagte wiedergeholt wurde, drückte sie mehrere dicke Klumpen Blut
aus der Gebärmutter. AmMittag erlitt die Wöchnerin einen Ohnmachts-
anfall und blutete ungemein stark. Auch darauf achtete die Angeklagte
nicht weiter. Die Kranke blutete auch den ganzen Sonntag tiber und
die folgende Nacht über so stark, daß das Blut durch das Bett sickerte.
Gegen den Morgen ließ der Ehemann der Kranken die Angeklagte von
neuem rufen. Erst jetzt erkannte diese die gefährliche Lage der Frau
Z. Sie schickte deren Ehemann zu einem Arzte, der indes eine Opera-
tion vorhatte und deshalb erst fünf Stunden später kam, weil er nach
dem Berichte des Ehemanns die Lage nicht für gefährlich hielt. Als er
aber kam, fand er die Frau schon völlig erschöpft vor. Bei der Unter-
suchung stellte sich heraus, daß bei der Geburt ‘größere Stücke des
Mutterkuchens zurückgeblieben waren. Am Nachmittage bereits verstarb
die Frau. Nach der Meinung des Gerichts hatte die Angeklagte nicht
mit der Aufmerksamkeit die verstorbene Frau behandelt, zu der sie ver-
möge ihres Berufs besonders verpflichtet war. Die Verurteilte legte
beim Reichsgerichte Revision ein. Sie machte von neuem geltend,
daß der Tod der Frau Z. durch die Verzögerung im Eintreffen des hin-
zugerufenen Arztes verursacht worden sei. Nach den im Urteil enthal-
tenen Feststellungen war die Erschöpfung der Frau Z. jedoch bereits am
Sonntag abend zu groß, daß der Tod mit Sicherheit zu erwarten war.
Gemäß dem Antrage des Reichsanwalts verwarf der Senat die Revision
kostenpflichtig. Fr.
Schulhygiene,
Wie die Hygiene überhaupt, so hat im besondern auch die Schul-
hygiene in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht.
Ueber die gegenwärtigen einschlägigen Einrichtungen gibt eine Schrift
„Ausübung und Ergebnisse der Schulhygiene in den Volksschulen“, im
Auftrage der deutschen Centrale für Jugendfürsorge bearbeitet vom Schul-
arzte Dr. Lewandowski (Berlin), Auskunft. Zur Beschaffung des Ma-
terials hatte der Verfasser an alle Städte mit mehr als 10000 Ein-
wohnern Fragebogen versandt, von denen 468 in brauchbarem Zustande
zurückkamen. Danach waren in 266 Orten, also nur reichlich der Hälfte,
Schulärzte angestellt. Je kleiner der Ort, um so seltener ist ein
Schularzt vorhanden. Die 202, also immerhin über 10000 Einwohner
zählenden Orte, die keinen Schularzt hatten, besaßen 1230 Schulen.
Brausebäder in den Schulgebäuden gab es in 216 Orten; Gelegenheit
zu Schwimmbädern durch die Schulverwaltung war in 205 Orten ge-
geben, Schwimmunterricht auf Gemeindekosten wurde in 95 Orten
erteilt; Spiele im Freien unter Leitung von Lehrern wurden in 357
Orten veranstaltet; in 226 Orten hiervon sind zu dem Zweck Spiel-
nachmittage eingerichtet. In 193 Orten werden gymnastische
Usbungen vorgenommen, in 22 Orten wurde sogar orthopädischer Turn-
unterricht für rückgratverkrümmte Kinder erteilt.
Ueber die Abgabe von Nahrungsmitteln an die Kinder durch
die Schulen wird aus 25 Orten berichtet. Sieben Orte verteilten an arme
und bedürftige Kinder während des ganzen Jahres Frühstück, zwölf nur
während des Winters und sechs nur gelegentlich. Zähne und Zahn-
fleisch der Kinder werden in 1683: Orten regelmäßig untersucht; in
41 Orten durch Zahnärzte. In 20 Orten sind Schulzahnkliniken ein-
gerichtet. Eine schulärztliche Untersuchung und Ueberwachung der
Augen findet in 274 Orten statt, eine Untersuchung der Ohren in
131 Orten. Der Bekämpfung der Tuberkulose wird ebenfalls besondere
Aufmerksamkeit gewidmet. In 238, also etwa der Hälfte der auskunft-
erteilenden Orte, werden die tuberkulosen oder tuberkulosever-
dächtigen Kinder festgestellt. Meist werden die Kinder den Für-
sorgestellen für Lungenkranke oder ähnlichen Instituten zugewiesen, die
mit Hilfe von Vereinen und Stiftungen usw. unter Umständen eine Kur
eintreten lassen. Einen ziemlichen Umfang nimmt die Nervosität der
Kinder an. Zu ihrer Bekämpfung ist aber noch wenig getan worden.
In 127 Orten hat man den Nachmittagsunterricht beseitigt, in 51 Orien
‚Kurzstunden und in 180 Orten Handfertigkeitsunterricht eingeführt. In
146 Orten bestehen Hilfsschulen und in 103 Orten Hilfsklassen für
Schwachbefähigte.
Man sieht, daß noch viel. zu verbessern ist. Das zeigt schon
die noch sehr geringe Zahl der Schulärzte.
Wenn die Statistik sich auch auf kleinere Orte erstrecken würde,
kämen sicher weit ungünstigere Resultate zutage. Ä
Es sei hier anschließend auch über Untersuchungen berichtet, die
das Verhältnis von Kopfgröße zur Intelligenz zum Gegenstande haben
und in G. Groß’ Archiv von Medizinalrat Prof. Dr. Näcke, leitendem
Arzte der Heil- und Pflegeanstalt Hubertusstock in Sachsen, veröflent-
licht werden. Frühere Untersuchungen Bayerthals an Wormser
Schulkindern haben den schon vielfach erhärteten Satz, daß gewisse
Beziehungen zwischen Kopfgröße und Intelligenz bestehen, von neuem
erhärtet. Bayerthal hat nun neuerdings die Resultate seiner Unter-
suchungen an rund 12000 Schulkindern veröffentlicht. (Intern. A. f.
Schulbygiene“ Bd. 3, München, Gmelin.) Daraus ist folgendes hervorzu-
heben: Durch Messung der Größe des Horizontalumfangs gelang es ihm,
in nicht wenigen Fällen „frühzeitig eine unverbesserliche Minderbegabung
zu erkennen“, und daher bedeute die Kopfmessung einen entschiedenen
Fortschritt für die Pädagogik. Darnach kommen sehr gute geistige
Anlagen bei 7-, 10- und 12- bis 14jährigen Knaben mit einem Kopf-
umfang unter 48, 49!/2 und 50!/⁄4 cm und bei Mädchen der gleichen
Altersstufe mit einem Kopfumfang unter 47, 48" und 491/a cm ni cht
mehr vor. „Auch die am Ende des Schuljahrs 1909/10 vorgenommenen
Untersuchungen lehren, daß sich die besten Anlagen niemals bel
den kleinsten und den an sie grenzenden Horizontalumfängen finden.
Es ist ferner sus ihnen ersichtlich, daß mit abnehmendem Kopf-
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98, Juli: -
umfange die über dem Durchschnitt stehenden Anlagen seltener,
die unter dem Durchschnitt stehenden häufiger werden.“ Bayer-
thal untersuchte endlich noch den Unterschied in der durchschnittlichen
Kopfgröße bei den’ 14jährigen Schülern (Knaben und Mädchen) der
Normalklassen und der sogenannten Abschlußklassen der Wormser Volks-
schulen, und in letzteren fand er mehr oder minder unter dem Durch-
schnitt stehende und nur selten oder überhaupt nicht intellektuell gut
begabte Schüler, entsprechend dem durchschnittlich kleineren Kopf-
umfange. Diese Untersuchungen sind sehr verdienstlich und auch für
.den Juristen von Wert, wenn er Kinder als Zeugen zu vernehmen hat.
Die Kopfgröße ist also ein, aber nicht das einzige Moment, das für die
Beurteilung des Intellektsin Frage kommt. Dem entspricht ja auch ein
größerer Umfang des-Kopfes bei den meisten genialen Menschen. Fr.
Aerztliche Briefe.
Zürich.
Als erste Frucht der jüngsten eidgenössischen Gesetzgebung auf
dem Gebiete der Kranken- und Unfallversicherung begrüßen wir den Ge-
setzentwurf bötreffend Errichtung einer öffentlichen Kranken-
kasse des Kantons Baselstadt. Damit ist Basel seiner Geschichte
treu geblieben, denn schon Mitte des XV. Jahrhunderts mit Gründung
seiner Universität, schuf Basel das Amt eines Stadtpkysikus und bekun-
dete damit der Rat sein Interesse und Verständnis für die öffentliche
Gesundheitspflege. Private Initiative eines verdienten gemeinnützigen
Arztes, des Dr. Daniel Ecklin, führte 1865 zur Gründung einer gegen-
seitigen Krankenkasse, welche einen großen Teil der Basler Bevölkerung
umfaßt — ein Fünftel — und durch ihre Verbreitung und ihre guten
Dienste die Wege für die kommunale Betätigung ebnete. Schon 1867
stellte Dr. G. Bischof den Antrag an den kleinen Rat, zu untersuchen,
ob nicht die obligatorische Versicherung für einzelne Klassen einzuführen
sei. Nach zahlreichen mißlungenen Versuchen, die obligatorische Ver-
sicherung einzuführen, fand im Jahre 1890 eine Gesetz Annahme, welches
die unentgeltliche ärztliche Behandlung vermittels der Universitätspoli-
klinik den ärmsten Kreisen brachte. Dazu gehörten Ledige sowie Ver-
witwete und Geschiedene ohne Kinder bis zu einem durchschnittlichen
Jahreseinkommen von 800 Fr. und Verheiratete sowie Verwitwete und
Geschiedene mit unerwachsenen Kindern mit einem maximalen Jahres-
einkommen von 1200 Fr. Bei der Durchführung der äußerst schwierigen
Aufgabe machte sich der Direktor der Poliklinik, der verstorbene Pro-
fessor Massini, äußerst verdient, aber auch ihm gelang es nicht, die.
Schwächen und Fehler des Gesetzes zu heben. In der Praxis empfand
man hauptsächlich die Unbilligkeit, daß für die Personen, welche innert
die gesetzlichen Grenzen fielen, der Staat alles bezahlte, während die oft
nur scheinbar etwas besser Gestellten gänzlich 'anf eigne Mittel an-
gewissen waren; dann war das gewähte Arztsystem — fixbesoldete,
Junge Distriktsärzte — ohne die geringste Auswahl von Anfang an
Gegenstand der berechtigten Kritik. I.
‚ . Die Absicht, diese Zustände zu verbessern, bestand längst, aber
die Ausführung mußte wegen der eidgenössischen Versicherungsgesetz-
gebung verschoben werden. Nun liegt der Entwurf vor, der seine Ge-
stalt und seinen Inhalt hauptsächlich dem früheren Stadtphysikus und
derzeitigen Vorsteher des Sanitätsdepartements Reg.-Rat Dr. Aemmer
verdankt, Den Postulaten: Ausdehnung der Unentgeltlichkeit, Einführung
der freien Arrtwahl,ohne wesentliche Mehrkosten war sehr schwierig zu-
‚gleich gerecht zu werden, und es darf konstatiert werden, daß der Entwurf
meisterhaft die Schwierigkeiten überwindet.
Vor allem ist zu begrüßen, daß das Prinzip der totalen Unent-
sältlichkeit nicht. auf weitere Kreise ausgedehnt wurde. Wenn der Fi-
“nzmann sich entschieden dagegen aussprechen mußte, so noch ent-
Schiedener der Psychologe und Demokrat, der durch Staatshilfe nicht
die Abhängigkeit der armen Volksschichten dokumentieren, sondern ihnen
un Selbsthilfe die rettende Hand bieten will. Die Unentgeltlichkeit soll
also auf die früheren Kreise beschränkt bleiben, dagegen soll eine teil-
weise Unterstützung den ökonomisch benachbarten Schichten zuteil
werden, Der Staat zablt zwei Drittel der Prämie allen den Ledigen, Ver-
wibweten und Geschiedenen ohne Kinder mit Jahreseinkommen von 1000
dis 1200 Fr. den Verheirateten, Verwitweten und Geschiedenen mit ihren
‚ erwachsenen Kindern mit Jahreseinkommen von 1200 bis 1500 Fr. und
en Drittel der Jetzteren Kategorie bei einem Einkommen von 1500 bis
= Fr. Diese Maximalzablen werden überschritten um je 100 Fr. pro
= na bonen Kinde, sodaß dadurch den kinderreichen Familien in ge-
er Weise entgegen gekommen werden kann. Damit würde die Zahl
währ erechtigten zirka 89000 = die Hälfte der Bevölkerung erreichen,
end die Zahl der Benutzer, derer, welche von ihrem Recht einer
'sunterstützung wirklich Gebrauch machen werden, auf Maximum
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 80.: 1257
= - m
zirka 50 000 Seelen geschätzt werden. Dazu kämen noch jene Personen,
welche in der staatlichen Kasse ebenfalls Aufnahme finden,. aber ihre
Prämien selbst zu bezahlen haben. we u:
. Die Kasse hätte den Versicherten ärztliche Hilfe für unbeschränkte
Zeit, Spitalpflege für im Maximum ein Jahr und unentgeltliche Geburts-
hilfe ‘zu bieten. Die Ausgaben werden folgendermaßen budgetiert: pro
Versicherten 6 Fr. für Arzt, 3,80 für Medikamente, 5,10 für Spitäler,
0,60 für Geburtshilfe und 1,50 für sonstige Ausgaben — 16,50 Fr. An
die Totalausgaben von zirka 844 000 Fr. würde der Bund 235 000 Fr. bei-
tragen, die Versicherten rund 160000 Fr. und der Kanton den Rest im
Betrage von 480 000 Fr. en
Betreffend der Aerzte ist die bedingt freie Arztwahl vorgeschlagen
und soll für jeden Versicherten ein Fixum von 6 Fr. der beteiligten
Aerzteschaft ausbezahlt werden zur‘ Verteilung nach den offiziellen
Taxen. Dieser Modus ist in der Schweiz ziemlich neu. und dürfte auf
Schwierigkeiten stoßen, doch bedeutet die Neuerung für die praktischen
Aerzte eine ganz erhebliche Einkommenvermehrung, indem zirka 20 000
vorher in der Poliklinik Behandelte nun ihnen zugehen werden mit einer
Vergütung von 120000 Fr. Was die Höhe des Fixums anbetrifft, so
liegen den Berechnungen pro Besuch die Taxe von 2 Fr. und pro Kon-
sultation die Taxe von 1 Fr. zugrunde. Sollten diese Ansätze durch -die
. kantonale Behörde für die öffentlichen Krankenkassen verbindlich erklärt
werden, so wäre die Höhe des Fixums nicht zu beanstanden, dagegen
dürfte ein Punkt noch zu regeln sein. Der Zutritt zur Kasse: ist illimi-
tiert; reiche Leute können Aufnahme finden und damit der billigen Arzt-
taxen indirekt teilhaftig werden. Das wäre eine unnötige und ungerechte
Schädigung der ärztlichen wirtschaftlichen. Interessen- und sollte ver-
mieden werden. Dies liegt im Interesse aller Schweizer Aerzte, denn
der vorliegende Entwurf wird obne Zweifel Nachfolger finden.
Den deutschen Leser wird überraschen, daß von dem Obligatorium
nirgends die Rede ist. Der Gesetzgeber führt aus, daß das Basler Volk
ein allgemeines Obligatorium mehrmals entschieden verwarf und daß ein
beschränktes Obligatorium etwa auf die Volksschichten, welche nur sub-
ventioniert werden sollen, bedeutende Mehrkosten von mindestens
200 000 Fr. der Stadt verursachen würde, weil dann eben alle Berech-
tigten auch Benutzer würden. Die Oefientlichkeit müßte somit einen
großen Teil der Ledigen, welche die Unentgeltlichkeit nicht benutzten,
in Zukunft unterstützen, und hätte keine Mittel, die Grenzschichten,
welche die Versicherung und die Unterstützung viel notwendiger haben,
in der beabsichtigten Weise zu Hilfe zu kommen. Der Schritt zum
Obligatorium bleibt somit der Zukunft überlassen. Dr. Häberlin,
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Ge-
sellschaft vom 17. Juli gaben die Herren Neuberg, Kaspari und
Löhe einen in hohem Grade interessierenden Bericht über ihre erfolg-
reichen chemotherapeutischen Heilerfolge beim Tierkrebs.. Auf
Grund der früheren Ergebnisse hinsichtlich der gesteigerten und abnormen
Fermenttätigkeit der Tumorzelle gelang es ihnen, die Autolyse durch
intravenöse Einverleibung verschiedener organischer Metallverbindungen,
besonders derer des Kupfers, Zinns, Platins, Kobalts und Silbers, derartig
zu beeinflussen, daß der Tumor unter Fortbestand des übrigen Organis-
mus sich sozusagen sein eignes Grab bereitet und in kurzer Zeit zum
Schwinden gebracht wird. Dasselbe günstige Ergebnis erzielten sie beim
Rattensarkom und auch bei einem Adenocarcinom des Hundes. Aler-
dings besteht immer noch eine erhebliche Schwierigkeit in der Dosierung,
da die Grenze zwischen der heilbringenden und der tödlichen Dosis eine
noch oft recht enge ist. Die Versuche, mit denen die genannten For-
scher schon seit längerer Zeit sich beschäftigen, zeitigten diese staunens-
werten Erfolge auch erst, als sie nach dem Vorgange v. Wassermanns
die intravenöse Injektion anzuwenden begonnen hatten. Wir haben es
also ‚bei diesen Versuchen, kurz gesagt, mit einem wissenschaftlich her-
vorragenden Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung zu tun, das
uns im Zusammenhang mit den staunenswerten Heilerfolgen, die v. Wasser-
mann gelegentlich der Behandlung des Mäusekrebses mit der intra-
: venösen Eosin-Seleninjektion erzielt hatte, zu der Hoffnung berechtigt,
daß dereinst es auch gelingen kann, die elektive chemotherapeutische
Beeinflussung der menschlichen Krebszelle zu finden. Es sei diesbezäg-
lich im einzelnen auf den vorstehenden eingehenden Bericht unseres
ständigen Referenten Fritz Fleischer verwiesen. ,
— Prof. Dr. Max Rubner, Direktor des Physiologischen
Instituts an der Berliner Universität, hat durch die medizinische Fakultät
in Würzburg den Preis der Franz-v.-Rinecker-Stiftung erhalten.
Der Preis besteht in einer silbernen Medaille und 1000 M. Prof. Dr..R.
hat den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Lavoisier als
erstem mit unzulänglichen Mitteln unternommöenen Versuch einer Bestim-
mung des Energieumsatzes des Warmblüters unter Ueberwindung der
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1258 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 30.
28. Juli.
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entgegenstehenden Schwierigkeiten und nach Schaffung einer muster-
gültigen Methodik zur Durchführung gebracht. Er konnte zeigen, daß
der Satz von der Erhaltung der Energie, dessen allgemeine Bedeutung
1842 J. R. Mayer vorausgesagt hat, für die Lebensprozesse mit
derselben Strenge gültig. ist, wie für die übrigen Naturvorgänge und auf
Grund dieser Einsicht die vielgestaltigen, scheinbar einer Erklärung
spottenden Erscheinungen des Stoffwechsels, der Ernährung, des Wachs-
tums unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zusammengefaßt werden
können, ein Gesichtspunkt, der für zahllose Fragen der rationellen Er-
nährungslehre, der ärztlichen Diätelik, der Volkswirtschaft von grund-
legender Bedeutung wurde. — | ` |
Berlin. Stadtrat Geh. San.-Rat Fr. Straßmann, das um die
Entwicklung Berlins in gesundheitlicher Beziehung hochverdiente Mitglied
des Magistrats, feierte am 24. Juli sein 50jähriges Doktorjubiläum. —
Diese seltene Feier kann am 29. Juli auch einer der bekanntesten und
verdientesten praktischen Aerzte Berlins, Geh. San.-Rat Dr. Julius
Blumenthal, begehen. OAE zz
| — Im Abgeordnetenhaus fand eine Vorbesprechung über den
am 12, 13. und 14. Oktober in Hamburg tagenden Kongreß für bio-
logische Hygiene statt, die gut besucht war. Eine Reihe namhafter
Persönlichkeiten beteiligte sich daran, unter anderm Reichstagsabgeord-
neter Prof. Dr. Faßbonder, Reg.-Rat Kurt v. Strantz. Med.-Rat Dr.
Bachmann (Harburg), Heinrich Driesmans, Oberstabsarzt Dr. Butter-
sack, Dr. Strünckmann und Andere mehr. Es wurde einstimmig be-
schlossen, auf dem Kongreß am ersten Tage die biologische Hygiene zu
behandeln, am zweiten biologische Politik, Rassenbiologie und Eugenik
(Emporzüchtungsfragen), an dem dritten Tage die Kulturparlamentsfragen
zu erörtern. Das Sekretariat befindet sich in Hamburg, Alsterdamm 2, IV.
— Soeben erschien der neueste Jahresbericht der Ver-
sicherungskasse für die Aerzte Deutschlands A.-G. zu Berlin
(NO 18, Landsberger Platz 5). Dieselbe konnte auch im vergangenen
Jahr auf eine äußerst befriedigende Weiterentwicklung zurückblicken.
Nach Angabe der diesbezüglichen Zahlenwerte betont der Jahresbericht
wieder mit Recht, daß die den Geist und Körper in hohem Maß an-
strengende Tätigkeit des Arztes seine Versicherung geradezu zu einer
Pflicht der Seibsterhaltung mache. Aus einer interessanten Zusammen-
stellung der Krankenkassenabteilung geht hervor, daß auf 100 Erkran-
kungen 25—30jähriger Aerzte 45 Infektionsfälle und auf 100 versicherte
Mitglieder derselben Altersgrenze 30,6 Erkrankungen im Jahre 1911
kamen. Solche Zahlen beweisen deutlich genug das Bedürfnis einer Ver-
sicherung gerade für den ärztlichen Stand. Als Beispiel für die im
ganzen sehr preiswerten Sätze seien hier hervorgehoben die Bezüge und
Beiträge für einen 30jährigen Arzt: 1. Krankenkasse: 10 M tägliches
Krankengeld, einschließlich Unfall und 500 M Sterbegeld, jährliche
Prämie 92 M; 2. Invalidenkasse: 1000 M jährliche Rente, ohne
Wartezeit, jährliche Prämie: zahlbar a) bis zum Tode 130 M, b) bis
znm 60. Lebensjahre 139.40 M. Diese Sätze erhöhen sich für die Alters-,
Witwen- und Waisenkasse entsprechend, sind aber angesichts der ge-
singen Unkosten, mit denen die Versicherungskasse arbeitet, immerhin so
niedrig bemessen, daß selbst den Kollegen in bescheidener Praxis der
Beitritt ermöglicht ir. — —— |
Ä Hamburg. Am 2. Juli fand in Anwesenheit von Vertretern des
Senats, der Bürgerschaft, der beteiligten Behörden und der Aerzteschaft
anläßlich der Fertigstellung des allgemeinen Krankenhauses
St. Georg eine größere Feierlichkeit statt unter gleichzeitiger Ueber-
reichung einer Festschrift. Außer einem Aufsatz über die Geschichte
der Hamburgischen öffentlichen Krankenfürsorge enthält dieselbe ausführ-
liche ärztliche Berichte sämtlicher Abteilungen der Anstalt, in erster
Linie ihres ärztlichen Leiters, Dr. Arthur Lippmann. Derselbe ver-
breitet sich über Vasotonin, Salvarsan, künstlichen Pneumothorax, Digi-
talistherapie und Aortenlues, Sekundärazt Dr. Weitz über 487 Fälle von
Vergiftungen. — i
Kiel. Gelegentlich der Jahresversammlung des Deutschen Ver-
eins für Psychiatrie am 29. Mai 1912 hielt Geh. Med.-Rat F. Siemens
aus Lauenburg i. Pomm. einon bemerkenswerten Vortrag über die Er-
richtung eines biologischen Forschungsinstituts betreffend
die körperlichen Grundlagen der Geisteskrankheiten. S. spricht
sich dahin aus, daß der genannte Verein den Anstoß geben müsse zur
Errichtung eines solchen Instituts, da die provinzialen Anstalten bereits
zu belastet seien, um diese Mehrarbeit noch zu leisten, die Psychiatrische
Klinik anderseits nur Durchgangsstation wäre und noch dazu die Lehr-
aufgabe zu bewältigen hätte. Eine an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
zur Förderung der Wissenschaften gerichtete Anfrage führte seitens Ex-
zellenz Harnack, ihres Präsidenten, zu der Erklärung, daß die Kaiser-
Wilhelm-Gesellschaft bereits in Erwägungen begriffen sei betreffend die
Errichtung eines Instituts für Hirnforschung, und auch die Frage er-
örtere, ob und in welchem Umfange sie der psychologischen Forschung
entgegenkommen soll. _— Fr.
Königsberg i.Pr. Zu Ehren des mit Ende dieses Halbjahrs von
seinem Lehramte zurücktretenden Anatomen Prof. Dr. Ludwig
Stieda veranstaltete die gesamte Königsberger Studentenschaft am
13. Juli im großen Saale der Palästra Albertina einen Abschieds-
kommers. In seiner Erwiderungsrede machte Stieda davon Mitteilung,
daß er zur Erinnerung an seine Tätigkeit ein Stipendium gestiftet habe,
das nach seiner Verfügung würdigen und bedürftigen Medizinern ohne
Unterschied des Geschlechts, der Konfession oder Nation zugute
kommen soll.
Wien. Nach dem Vorgangs des Berliner Radiuminstituts soll Jetzt
im Wiener Allgemeinen Krankenhaus eine Radiumstation
eingerichtet werden. Diese Station soll vorläufig provisorisch in
einem Hofe des Allgemeinen Krankenhauses eröffnet werden. Von dem
Hof aus werden mit Radiamsalzen montierte Radiumträger in verschiede-
nen Größen und Formaten den klinischen Vorständen und Primärärzten
für Heilzwecke zur Verfügung gestelt. Außerdem wird in reichlicher
Menge Radiumemanation erzeugt, welche an Kliniken und Abteilungen
abgegeben wird. Auch die praktischen Aerzte werden von hier aus sich
für halbe Tage solche Radiumträger gegen eine Leihgebühr von 30 Kronen
borgen oder Radiumemanation für innerliche Behandlung und Bäder be-
sorgen können. Die Emanation wird für Aerzte in den Apotheken ver-
abfolgt. Die Radiumstation steht unter Leitung von Prof. Riehl.
Prag. Der sechste Internationale Kongreß für Elektro-
logie und Radiologie, der Ende des Monats hier stattfinden sollte,
ist auf den 3. Oktober verschoben worden. — Am 9. Juli verstarb hier-
selbst der a. o. Professor der Laryngo-Otologie an der tschechischen Fa-
kultät Dr. E. Kaufmann. e
London. Der Ausschuĝ der Medizinischen Gesellschaft von
Großbritannien hat gestern in Liverpool mit 185 gegen 21 Stimmen
beschlossen, der Gesellschaft den Abbruch aller Verhandlungen mit dem
Schatzkanzler Lloyd George hinsichtlich der Mitwirkung der Gesellschaft,
bei der Durchführung des Versicherungsgesetzes zu empfehlen. Der
Antrag ist der zum 22. Juli einberufenen Jahresversammlung der Gesell-
schaft, bei der 4000 bis 5000 Aerzte anwesend waren, unterbreitet und von
dieser mit großer Majorität angenommen worden. Damit steht
in ganz England ein Aerztestreik in Aussicht, dessen Folgen vorläufig
noch unübersehbare sind. Wir haben in Nr. 18 der „Med. KI.“ die Be-
denken, welche seitens der englischen Aerzteschaft gegen das neue Gesetz,
insbesondere gegen das „Six Point Programm“, bestanden, näher be-
gründet und verweisen diesbezüglich auf die an jener Stelle gemachten
Ausführungen. — i
Stockholm. Wie berichtet wird, haben die Aerzte, die bei den
Olympischen Spielen im Stadion beschäftigt waren, an das inter-
nationale Komitee der Olympischen Spiele ein Schreiben gerichtet, in
dem sie unter Hinweis auf einen beim Marathonlauf infolge Hitzschlags
eingetretenen Todesfall das Ersuchen stellen, ernstlich in Erwägung zu
ziehen, ob das Marathonlaufen, falls es überhaupt aufrechterhalten werden
muĝ, künftig zu einer Tageszeit abgehalten werden könnte, in der die
Sonnenwärme am niedrigsten ist.
Hochschulnachrichten. Kiel: Dr. Reiner Müller, Privat-
dozent für Bakteriologie. der Professortitel verliehen. — Marburg: Prof.
Matthes erhielt einen Ruf nach Königsberg als Nachfolger Prof. Licht-
heims. — Tübingen: Dr. John W. Müller, Assistent des Patho-
logischen Instituts, babilitiert mit einer Antrittsvorlesung über Immuni-
tätsreaktionen. — Würzburg: Prof. Lubosch aus Jena wurde als
Prosektor des hiesigen Anatomischen Instituts berufen.
Von Aorzten und Patienten.
.... Fast alle wichtigen Reiz- und Genußmittel des Pflanzen-
reichs dankt der Kulturmensch den wilden Völkern. Da bei ihm selbst
das instinktive Empfinden durch die Kultur ganz zurückgedrängt wurde,
vermag er sich kaum die Eindrücke noch vorzustellen, die den ursprüng-
lichen Menschen bei der Wahl seiner Nahrungsmittel geleitet haben. Er
staunt, wenn ihm die Chemie offenbart, daß der Tee der Chinesen, der
Mate der Brasilianer, der Kaffee und die Khatpflanze der Araber, die
Schokolade der Azteken, die Kolanüsse der Neger im wesentlichen den-
selben Reizstoff enthalten... .
. . - . In China ist der Teegenuß so alt, daß ein im zwölften
Jahrhundert verfaßtes Buch „Rhya* von ihm als von etwas längst be-
kanntem spricht. In Europa begann sich der Teegenuß erst um 1630 zu
verbreiten. | : 3
: ...... Der Tee sollte die Lebenskraft steigern, das Gedächtnis
‚stärken, alle seelischen Fähigkeiten erhöhen und das Blut in willkommen-
ster Weise verdünnen. Wer an Fieber erkrankte, erhielt den Rat, 40 bis
50 Tassen Tee hintereinander zu trinken. ... In Paris wurde der Tee
1636 bekannt und gelangte bald zu hohem Ansehen, weil ihn der Chan-
celier Séguier unter seinen Schutz nahm. Es scheint, daß ‚sich in
Paris einzelne Personen auf das Rauchen des Tees verlegten, ähnlich wie
man Tabak raucht. | a
In England war das Teetrinken um 1700 schon allgemein ver
breitet und der Tee versteuert. Deutschland verdankt die Bekanntschaft
mit dem Tee den holländischen Aerzten des Großen Kurfürsten. Im
Jahre 1662 kostete, nach den von Flückiger veröffentlichten Doku-
menten, eine Hand voll Tee in den Apotheken der Stadt Nordhausen
noch 15 Gulden, doch. im Jahre 1689 in Leipzig nur noch vier Groschen.
Nach Rußland gelangte der Tee nicht über das westliche Europa, sondern
direkt durch die asiatische Gesandtschaft, und schon in der, zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts wurde der Tee dort zu einem all-
gemein beliebten Getränk. ...
E. Strasburger, Streifzüge an der Riviera.
| Jena 1904, Gustav Fischer.
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
DE -a Eee BEE). en a ee
= = e T n e aT
„Bsg ma zn
Nr. 34 (400). 000 4. August 1912.
ed
| redigiert von.
Professor Dr. Kurt Brandenburg
ee Berlin
Inhalt: Originalarbeitens O. Körner, Diagnose und Behandlung der Nasentuberkulose.
A. T. Jurasz, Beitrag zur Fremdkörperperforation des Oesophagus. A. Sticker, Anwendung ‘des Radiums.:in der Chirurgie.
Hysterie und Praxis. Braendle, Die Behandlung der Ulcera cruris mit der Quarzlampe.
W. Dockhorn, Kurze Bemerkungen über das neue Schlafmittel „Luminal“,
Mikroskopische Beobachtungen am lebenden Tier über die Wirkung des Salvarsans und des Neosalvarsans auf die Blutströmung. — Aus d
für die‘ Praxis: Hoffendahl, Zahnheilkunde: Replantation. — ‘Referate: Slawyk, Aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens. R. Bing, Neuere
Arbeiten über Meningealerkrankungen. Haenlein, Laryngo-rhinologische. Literatur.
Gallensteinleiden. ` Cholelithiasis und Ulcus duodeni. Adhäsionen zwischen Gallenblasenh
Gallenblase. Chronische Gallenblasenentzündung. Spastischer Magen. Winke zur v
Normalzahlen über Gewichtszunahme der Säuglinge. Uterusblutungen syphilitischen Ursprungs.
Ungleiche Pupillenweite bei Phthisikern- Prüfung der Injektionsspritzen. Inunctionskur.
der Cholelithiasis und dem Ulcus duodeni. Blutungen aus einem Ulcus ventriculi.. Systo
des Salvarsans. Epidurale Yohimbininjektion. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Wichti
Bücherbesprechungen: Paul Fleißig, Medikamenteniehre für Krankenpfleger.
den Stoffwechsel des neugeborenen Kindes. Ed. Ihm, Die Myomnekrose während der Schwangerschaft, Anna Wies
und Rekonvaleszenten, Schonungsbedürftige jeder Art, sowie für die Hand des Arztes. S. Fränkel
Beziehungen zwischen chemischem Aufbau und Wirkung. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des
Einige allgemeine Gesichtspunkte bei der Beurteilung von Unfallfolgen. — Vereins- und Auswärtige Berichte:
Hamburg. Leipzig. Wien. :Berlin. — Geschichte der Medizin: I. Bloch, Vor hundert Jahren. — Aerztlich-soziale Umsch
Die Bedeutung der neuen Reichspostkrankenkasse für die Aerzte. — Medizinalgesetzgebung, Medizin
gerichtsentscheidungen über die Ausübung der Heilkunde durch approbierte Aerzte. — Aerztliche Tagestragen: Der Kon
TEE - Hygieniker in Berlin, 24. bis 27. Juli. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten. -
Ji ‚Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge..
Aus der Klinik und Poliklinik für Ohren- und Kehlkopfkranke
in Rostock i. M. (Direktor: Prof. Dr. O. Körner.)
Diagnose und Behandlung der Nasentuberkulose
De a ven
Prof. Dr. 0. Körner.
M. H.! Die Tuberkulose in der Nase entwickelt sich
last immer schleichend und ohne charakteristische Symptome.
Die Kranken klagen in der Regel nur über eine lästige
schleimig-eitrige Sekretion aus einem, selten beiden Nasen-
löichern mit gelegentlicher geringer Blutbeimengung und
starker N eigüng zur Krustenbildung. Dabei ist die Nase
mehr oder weniger verstopft und bisweilen, namentlich bei
Kindern, führt die Benetzung der Oberlippe mit Sekret zu
nem „skrofulösen“ Ekzeme. Da alle diese Symptome
auch "bei manchen andern, nicht tuberkulösen Rhinitiden
vorkommen, glauben oft nicht nur die Kranken, sondern
ach ihre Aerzte, es handele sich um ein harmloses Leiden,
das dann gewöhnlich als „chronischer Schnupfen“ bezeichnet
‚90 geschieht es, ‘daß die Nasentuberkulose selten
frühzeitig entdeckt wird, und die günstigste Zeit zu heilen-
on Eingriffen oft unausgenutzt vergeht. |
Wenn nun auch die dem Kranken selbst bemerkbaren
Symptome ‘dieser Krankheit in fast allen Fällen ziemlich
gleichartig sind, so finden wir doch recht verschiedene kli-
nn. Bilder der Tuberkulose in der Nase, sobald wir mittels
i R oskopie das ` Naseninnere . besichtigen. Die rhino-
aus Untersuchung bringt uns die tuberkulösen Ver-
ungen meist leicht und oft sogleich in ihrer ganzen
usdehnung zu Gesicht, denn die Krankheit sitzt oder be-
doch wenigstens fast immer in der vorderen Hälfte
u engänge. Die einzige Schwierigkeit, die sich der
s ersuchung entgegenstellen kann, ist das Vorhandensein
VII. Jahrgang.
_e_._ s y: n ia
ledizinische Klini
Urban & Schwarzenberg
G. Schickele, Zur Deutung seltener Hypertonien.
E A. Steyerthal,
| A. Ernst, Eine Purpuraepidemie. (Mit:2 Abbildungen.)
J. Schulhof, Ueber Pyocyanase.':i@. Ricker und W. K
— Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: :
als und Duodenum. Hungerschmerz bei extrem gespannter
auensärztlichen Lebensversicherungsuntersuchung. Mastitis.
Deutung der Jarisch-Herxheimerschen Reaktion.
Öertliche Behandlung der Urticaria.
g injizierten Salvarsans. Neuroaffinität
ge Hilfsmittel auf dem Gebiete der Urologie. —
W. Birk, ‘Untersuchungen über
t, Beschäftigungsbuch für Kranke
‚ Die Arzoeimittelsy
Frühoperation bei
M. Herz, Herzkrankheiten.
nthese auf Grundlage der
‚Versicherungswesens: Wilde,
- Frankfurt a. M.
E. Söchting,
medizin: Reichs-
groß. der ‘englischen .
Bonn. Breslau:
alstatistik und Versicherungsme
zäher, fest haftender. Sekretkrusten, deren unvorsichtige
Entfernung leicht zu Blutungen führt. Wir müssen solche.
Krusten durch wiederholtes Aufbringen von stark verdünntem
Wasserstoffsuperoxyd mittels Wattebäuschchen aufweichen,
um sie dann mit der Pinzette leicht und ohne Blutung —
natürlich unter Leitung des Auges — entfernen zu können. .
Ist dies geschehen, so werden wir, falls es sich um:
eine tuberkulöse Erkrankung handelt, meist auch sogleich .
eine der charakteristischen Formen erkennen, unter denen
die Tuberkulose in der Nase auftritt: Die eircumscripte,
tumorartige Tuberkulose am Se
oder die diffuse Schleimhauttuberkulose, oder den Schleim-
hautlupus. Diagnose und Therapie einer jeden dieser Er-
scheinungsweisen müssen besonders besprochen werden.
. Wir beginnen mit dem Tuberkulome des Septums:;
Ich will Ihnen kurz über einen typischen Fall dieses Leidens
berichten. Ein 16 jähriges Mädchen wurde uns we
„hartnäckigen Schnupfens“ zugeführt, der
Jahre bestehen . sollte.
ganzen Zeit besonders
ptum (Septumtuberkulom),
seit etwa einem
Die Nasenatmung war in dieser
auf der rechten Seite :behindert ge-
wesen, und oft, am häufigsten morgens, hatte die Kranke :
schmierige, zähe, graubräunliche Borken ausschnupfen müssen. :
In der linken Nasenhälfte fanden wir außer zähem Schleime :
Dagegen wurde der rechte
durch eine graurote, höckerige, kirschkerngroße
verlegt, die breitbasig dem Septum aufsaß. - Bei Berührung -
mit der Sonde zeigte sich der Tumor weich und blutete -
leicht. Die Stelle, von der er ausging, gehörte.de
knorpeligen Teile der Nasenscheidewand an. `
: Der Gedanke, daß es. sich hier um eine: tuberkulöse
Neubildung handelte, "kam uns sogleich, -denn die Anamnese `
ergab, daß die Kranke vor elf Jahren wegen einer tuber-
kulösen Ostitis am rechten Vorderarm operiert worden war,
nichts Besonderes. Nasengang
Geschwulst
m vorderen, -
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und unter dem Kinne fanden wir eine mit einem Schorfe be-
deckte Fistel, die zu einer kastaniengroßen, harten Lymph-
drüse führte. Sonst war nichts auf Tuberkulose Verdächtiges
zu finden, namọntlich war der Lungenbefund normal. Wir
haben die Fistel und die in dem M. mylohyoideus einge-
bettete Drüse exstirpiert und zugleich den Septumtumor ab-
getragen. Drüse und Tumor erwiesen sich als tuberkulös.
Der Tumor bestand nach dem Befund des pathologischen
Instituts aus „tuberkulös entzündetem Gewebe mit zahlreichen
jungen Epitheloidzellen und Tuberkeln mit vereinzelten
Riesenzelen“. — . ”
Fragen Sie nun, auf welche Weise hier die lokale In-
fektion an der Nasenscheidewand zustande gekommen sein
möge, so konnte es sich um eine Infektion auf dem Blut-
wege gehandelt haben, denn die Kranke hatte ja vorher an
Knochen- und zur Zeit der Beobachtung an Drüsentuberku-
lose gelitten; aber der Sitz des Tuberkuloms an der rechten
Seite des Septums, und zwar an einer Stelle, die der bohrende
Finger leicht erreichen konnte, machte eine direkte Ein-
impfung des Bacillus mit dem Finger höchst I ern
zumal die Kranke zugab, daß sie an der seit mehr als einem
Jahr eiternden Fistel oft manipuliert und auch oft mit dem
Finger in der Nase gebohrt hatte.
Daß das Septumtuberkulom häufig durch direkte Inocu-
lation mit dem Finger entsteht, ist sehr wahrscheinlich, denn
wir finden es manchmal auch bei Leuten, an denen weder
die Untersuchung, noch die jahrelang durchgeführte Weiter-
beobachtung irgendeinen andern tuberkulösen Herd auffinden
1äßt! In solchen Fällen haben wir es also mit en pri-
mären Herde zu tun, und darum muß unsere Therapie
sich das Ziel setzen, diesen Herd völlig auszurotten, bevor
er zur Weiterverbreitung der Krankheit im Organismus ge-
führt hat. Daß Abtragen, Ausschaben, Aetzen und Ver-
kohlen des Tumors, wie es noch vielfach gemacht wird,
nicht vor Rezidiven schützt, ist längst bekannt und wird
Ihnen begreiflich sein, wenn Sie dieses mikroskopische Prä-
parat betrachten. Sie sehen da einen Querschnitt durch ein
tuberkulöses Septum; auf der einen Seite sitzt der Tumor,
im Bereiche seiner Basis ist der Knorpel durchbrochen, und
bereits ist Granulationsgewebe durch die Knorpellücke durch-
gewuchert und hat sich auf der andern Seite, die klinisch
noch ganz unverdächtig erschienen war, zwischen Perichon-
drium und Schleimhaut verbreitet. Am Rande der Lücke
sehen Sie den Knorpel lacunär angefressen und in den
Lacunen liegen Tuberkel mit Riesenzellen.
Unter solchen Verhältnissen kann es gar keine andere
rationelle Therapie geben, als das sofortige Ausschneiden
des ganzen kranken Septumstücks, wie ich es seit 1908
ausgeführt und empfohlen habe. Die Methode ist sehr ein-
fach. Nach Anästhesierung und Anämisierung des Septums
auf beiden Seiten durch submuköse Infiltration mit Novocain
und Adrenalin durchsteche ich das Septum vor dem Tumor
mit einem schmalen Messerchen von der kranken beziehungs-
weise stärker erkrankten Seite aus; dann führe ich durch
die Stichöffnung ein gerades, schmales Knopfmesserchen hin-
dureh und schneide, um den Tumor herumgehend, das ganze
kranke Stück aus dem Septum heraus. Alles das geschieht
nattirlich unter Leitung des Auges (Nasenspekulum und Re-
flektor oder Stirmlampe). Die Blutung ist infolge der Adre-
nalinwirkung minimal und Nachblutungen sind selten. Darum
ist auch eine Tamponade der Nase meist ‚überflüssig; ich
lasse die Operierten einige Tage im Bett. Etwa vom dritten
Tag an muß man die sich am Lochrande bildende Kruste
täglich aufweichen (H202) und vorsichtig entfernen Wenn
die Krustenbildung sehr stark ist, mag man auch locker
tamponieren, damit das Wundsekret nicht antrocknet, son-
dern in die Gaze aufgesaugt wird und sich mit dieser leicht
entfernen läßt. Die Veberleilung der Lochränder ist, wenn
alles Kranke beseitigt worden war, in spätestens drei Wochen
vollendet.
Von einem der guten Erfolge dieser Methode können
Sie sich hier überzeugen. Dieses 21jährige Fräulein, das
blühend aussieht, fühlt sich vollkommen gesund, und die
Untersuchung läßt nirgends etwas von Tuberkulose ent-
decken. In dem knorpligen Teil der Nasenscheidewand
sehen Sie ein etwa pfenniggroßes Loch, dessen Ränder mit
gesunder Schleimhaut überkleidet sind. Vor nunmehr vier
Jahren kam diese Patientin in meine Behandlung. Sie klagte
damals über eine seit einem halben Jahıe bestehende Ver-
legung der Nase, die sie auf einen „chronischen Schnupfen“
zurückführte. Ein Spezialist soll die Nase monatelang mit
Nasenduschen und allerei Aetzungen ohne jeden Erfolg be-
handelt haben, während die Kranke den Appetit verlor, auf-
fallend blaß wurde und stark abmagerte. Die Untersuchung
zeigte, daß beide Nasenhälften durch granulomartige, zer-
klüftetg Wucherungen völlig verlegt waren. Diese gingen
mit breiter Basis vom knorpligen Septum aus. Mit der
Sonde drang man ohne weiteres zwischen den Wucherungen
durch das Septum hindurch. Die mikroskopische Unter-
suchung eines abgetragenen Tumorstücks zeigte zahlreiche
Tuberkel mit Riesenzellen. Sonst ließ sich bei der Kranken
weder damals, noch läßt sich jetzt eine weitere Lokalisation
der Tuberkulose nachweisen. Es handelte sich offenbar auch
hier um eine lokale Inoculationstuberkulose, die leicht zu-
stande kommen konnte, weil die Kranke ihren Vater pflegt,
der seit vielen Jahren an Lungenschwindsucht leidet. In
diesem Falle hat sich die Excision des kranken Septum-
stücks glänzend bewährt, denn schon drei Monate nach der
Excision hatte die Kranke 178/4 Pfund an Körpergewicht zu-
genommen und ist noch jetzt, nach vier Jahren, völlig
gesund.
Die beiden mitgeteilten Fälle zeigen aufs deutlichste,
daß die Septumtuberkulome eine große Neigung haben, den
Knorpel zu durchwuchern. Ist das geschehen und damit
der Boden zerstört, von dem sie entsprangen, so zerfallen sie
in der Regel völlig und es bleibt eine meist etwa pfennig-
große Perforation des Knorpels bestehen, die dann oft fälsch-
lich für syphilitischen Ursprungs gehalten wird. Eine Nei-
gung zum Wachstum in die Breite habe ich nie beobachtet;
sie ist mindestens selten. Trotz der Möglichkeit einer
Spontanheilung müssen wir diese Tuberkulome frühzeitig
exeidieren, weil sie eine Infektionsgefahr für die tieferen
Luftwege darstellen, sowie durch Nasenverstopfung und
Krustenbildung dem Kranken äußerst lästig werden. Die
durch die Excision entstehende Perforation des Septums
bringt keinerlei Nachteil; wenn wir sie nicht herstellten, um
die Krankheit frühzeitig zu heilen, so käme sie doch im
günstigen Falle der Spontanheilung nach monatelangem Leiden
zustande.
Eine andere und viel schlimmere Form der
Nasentuberkulose beschränkt sich nicht auf die Region
des Septum cartilagineum, sondern befällt die Schleim-
haut an den verschiedensten Stellen und neigt zur
flächenhaften Verbreitung. Immerhin sitzt auch sie vor-
zugsweise in der vorderen Hälfteder Nase oder beginnt wenigstens
da, am häufigsten an der Schleimhaut der unteren Muschel.
Sie befällt dann mehr oder weniger schnell auch die mittlere
Muschel und die vordere Siebbeingegend, greift auf den
Nasenboden und das Septum über, unterminiert die Haut
des Vestibulum nasi, kriecht bisweilen vom unteren Nasen-
gange her in den Tränennasenkanal hinein und kann dann
auch die Bindehaut des Auges ergreifen. Dazu können sich
Mischinfektionen gesellen, die zu perichondritischen und
periostitischen Abscessen am inneren und äußeren Nasen-
Le mit Sequestrierung von Knorpel- und Knochenteilen
ühren.
Auch diese Form der Nasentuberkulose entwickelt sich
schleichend und zeigt zunächst nur die dem Kranken be-
merkbaren Symptome, die wir beim Septumtuberkulome
kennen gelernt haben. Darum kommt auch sie meist erst
4: August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK = Nr 3.000.000
pe? ——
in vorgeschrittöneren Stadien zur Kenntnis des Arztes und
wird auch dann nicht immer in ihrer Art und Bedeutung
gawürdigt. Bei der Rhinoskopie findet man die kranken.
Stellen: in der Regel mit dünnen Borken bedeckt. Darunter
erscheint die Schleimhaut mehr oder weniger höckerig ge-
schwollen und gerötet und zeigt bisweilen flache, eitrig be-
legte, -buchtige Geschwüre. | EE %
` . Die Diagnose kann hier, ebenso wie beim Septum-
tuberkulome, mit-Sicherheit nur durch den histologischen
Nachweis von Tuberkeln in exceidierten Stücken des kranken
Gewebes. gestellt werden.. er z |
Es ist einleuchtend, daß diese. diffuse Nasentuberkulose
eine umständlichere Therapie erfordert als das Septum-
tüberkulom. Dazu kommt, daß wir es hier in der Regel
nicht mit einer primären, sondern mit einer sekundären In-
fektion der Nase zu tun haben, also eine lokale Manifestation
der Krankheit in einem bereits durch andere tuberkulöse
Herde geschädigten Körper heilen sollen. Die lokale Be-
handlung muß darum Hand in Hand gehen mit einer
allgemeinen, der Kräftigung des Gesamtorganismus dienen-
den. Einigermaßen umschriebene Herde in der Nase, z. B.
an den Muscheln oder am Septum, wird man, wenn
irgend -möglich, mit schneidenden Instrumenten beseitigen,
auch wenn dazu die temporäre Spaltung der Nase nötig sein
sollte. Flächenhafte Ulcerationen heilen bisweilen nach
gründlicher Ausschabung mit nachfolgender Mischsäureätzung
oder mit nachfolgendem Einlegen von Tampons mit 10- bis
20°%/,iger Pyrogallussäuresalbe (Kümmel, Hinsberg). Am
wirkungsvollsten ist aber die innerliche Jodkalibehand-
lung, die von mir und meinen Schülern seit 1900 mit sehr
guten Erfolgen geübt wird. Diese Behandlungsmethode
wurde bald totgeschwiegen, bald theoretisch bekämpft, denn.
sie verstößt, gegen das Dogma- der alleinheilenden Wirkung -
des Jodkali auf Syphilis. Erst hieß es, unsere geheilten
Fälle seien vielleicht gar keine Tuberkulosen gewesen. Dann
kamen Asußerungen aus großstädtischen Polikliniken, wo-
nach dort keine Erfolge mit Jodkali erzielt worden waren;
kein Wunder! denn Erfolge, die sich erst nach zwei bis
drei Wochen deutlich zu zeigen beginnen, werden an dem
von einer Poliklinik der Großstadt in die andere wandern-
den Material nicht so leicht gesehen, wie an meiner in ganz
Mecklenburg konkurrenzlosen Klinik, in welche die meisten
Kranken so lange und so oft kommen, wie ich es verlange.
Schließlich wurde noch behauptet, es habe sich bei meinen ge-
heilten Fällen wohl um Mischinfektionen von Tuberkulose und
Syphilis gehandelt! Aber der pathologische Anatonı hat alle
unsere histologischen Diagnosen auf Tuberkulose bestätigt
und die Wassermannsche Probe, die wir in den letzten
Fällen auch angestellt haben, ist negativ ausgefallen. Dann
kam die Pfannenstillsche Methode auf, dio meine interne
Jodkalitherapie, ohne sie zu erwähnen, mit der lokalen
Applikation von Ozon oder HsO, kombiniert. Ihre Erfolge
Sind, soweit es sich aus den vorliegenden Berichten erkennen
läßt, ebenso gut, aber nicht besser als die meiner einfachen
Jodkalibehandlung. Ä |
Die Jodkalitherapie der Nasen- (und Schlund-)tuber-
uloge wirkt in der Regel nur bei’ solchen Kranken gut, die
noch nicht stark heruntergekommen sind; bestand gleich-
zeitig eine fisberhafte, progrediente Lungentuberkulose,
s0 war das Mittel immer ‚wirkungslos. In der regelmäßigen
Kontrolle des Körpergewichts haben wir einen guten Anhalt
ZUT Entscheidung der Frage, ob die Jodkalikur Nutzen bringen
mrd oder nicht; steigt das Körpergewicht dabei in den
ersten zwei bis drei Wochen erheblich, so dürfen wir etwa
von der dritten bis vierten Woche an eine deutliche Besse-
rung und schließliche Heilung der Nasenulcerationen er-
warten, sinkt es aber, so können wir die Jodkalikur als
nutzlos aufgeben. Für Erwachsene genügen meistens täg-
ich 3.8 Jodkali. Ich lasse das Salz in der doppelten Ge-
Wichismenge Wasser lösen und gebe es dreimal täglich in
.
Milch nach den Mahlzeiten; dreimal täglich 15 Tropfen der‘
Lösung enthalten etwa 1 g des Salzes. | |
Es bleibt nun noch eine Form der Nasentuberkulose
zu besprechen, der Schleimhautlupus. Er findet sich
meist in Verbindung mit Lupus der äußeren Nasenhaut, be-
sonders der Nasenspitze und der Nasenflügel. Man sollte
därum denken, daß er in der Regel frühzeitig entdeckt
würde, da doch der zutage liegende Hautlupus nicht schwer
zu diagnostizieren ist (Glasdruck!), und es.dann nahe liegt,
zu untersuchen, ob er sich auch auf die Haut des Nasen-
eingangs und auf die angrenzende Schleimhaut erstreckt.
Trotzdem erleben wir.es nur allzuoft, daß er nicht ein--
mal auf der äußeren Nasenhaut frühzeitig‘ erkannt wird;
die meisten Kranken kommen erst zu uns in weit vor-
geschrittenen Stadien der Krankheit, nachdem sie monate-
lang mit indifferenten Salben behandelt worden waren, und
das Naseninnere ist meist gar nicht untersucht worden, ob-
wohl die Kranken oft schon frühzeitig über lästige Krusten-
bildung und Verstopfung in der Nase geklagt hatten! Auf
der Nasenschleimhaut lassen sich die charakteristischen Knöt-
chen nicht so leicht erkennen wie. auf der äußeren Haut;
nach der Entfernung der Krusten sieht man die Schleim-
haut bald mit kleinen Höckerchen, bald nur mit kleinen
flachen Geschwürchen bedeckt; Wucherungen der Schleim-
haut fehlen oder sind gering, und die Behinderung der Nasen-
atmung ist fast nur durch die Borkenbildung, in späteren.
Stadien aber oft auch durch narbige Stenosen bedingt.
Auch der Lupus der Nasenschleimhaut erstreckt sich
selten tief in die Nasengänge hinein, doch verbreitet er sich.
bisweilen sprungweise nach innen, und es treten dann lupöse
Herde im Schlunde oder im Kehlkopf auf. a
Der Lupus kann außen und innen in der Nase spontan
heilen, hinterläßt aber Defekte im Septum, an der Nasen-
spitze und den Nasenflügeln, sowie 'narbige Stenosen im
Vestibulum nasi. | | oe |
Seine Behandlung auf der äußeren Haut der Nase
ist die gleiche wie an andern Hautstellen, und an der
Schleimhaut bekämpfen wir ibn je nach Sitz und Ausdeh-
nung geradeso wie die andern Formen der Nasentuberkulose.
Circumseripte Herde am Septum erfordern die Excision wie
das Septumtuberkulom, Knötchen und kleinere Geschwüre
zerstört man am besten mit dem galvanokaustischen Spitz-
brenner, größere Geschwüre schabt man aus und ätzt die
Wundfläche mit 80°/, Milchsäure.. Die Jodkalibehandlung
— einerlei ob mit oder ohne die Pfannenstillschen Zu-
gaben — erweist sich hier ganz besonders wirkungsvoll.
Ueber den plastischen Ersatz zerstörter Nasenspitzen und
-fligel brauchen wir nichts zu sagen, denn das gehört nicht
in das Gebiet der Schleimhauterkrankung. ne
Nachdem wir die verschiedenen Formen der Schleim-
hauttuberkulose in der Nase kennen gelernt haben, bietet
die Besprechung der Differentialdiagnose dieser Krank-
heitsbilder untereinander und gegenüber andern Erkrankungen
‘an der gleichen Stelle keine ‚Schwierigkeit.
Der Lupus ist von flachen, tuberkulösen Infilträtionen
und Ulcerationen oft nicht sicher zu unterscheiden, nament-
lich wenn deutlicheKnötchen fehlen, denn es gibt da Zwischen-
formen, deren Einordnung in das eine oder däs. andere
‚Krankbeitsblid willkürlich sein kann. Wo. gleichzeiti gan
der äußeren Nasenhaut oder an der Schlundschleimhaut Lupus
besteht, sprechen wir die verdächtige Erkrankung ‘an der.
Nasenschleimhaut natürlich auch als Lupus an. Eine Ver-
wechslung des Lupus mit den sonstigen Formen der Schleim-
hauttuberkulose bringt dem Kranken keinen Nachteil, da’
die Behandlung im Wesen die gleiche ist. un
Bei der Entscheidung, ob die Erkrankung überhaupt;
tuberkulös ist oder nicht, dürfen wir uns nicht an das Vor-
handensein oder Fehlen anderer tuberkulöser Herde im Körper
halten, da alle Formen der Tuberkulose in der Nase primär
und sekundär auftreten können. Die Entscheidung. liegt:
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4. August.
1262 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
allein in dem mikroskopischen Nachweise von Tuberkeln in
excidierten Stücken des kranken Gewebes. In zweifelhaften
Fällen ist auch noch der Nachweis des Tuberkelbaeillus
oder der Impfversuch am Tiere heränzuziehen. u
Gegen Verwechslung von Tuberkulose und Syphilis
schützen uns hier weder die Pirquetsche Impfung noch die
Wassermannsche Probe, denn Syphilitische können tuber-
kulös und Tuberkulöse syphilitisch werden. Eine sicher
nachgewiesene Tuberkulose als Mischinfektion mit Syphilis
zu bezeichnen, wenn die Wassermannsche Probe positiv
ausfällt, ist nicht zulässig. Warum die Heilwirkung von
Jodkali hier nichts für Syphilis beweist, ist schon gesagt.
Die Syphilis befällt mehr die hinteren, die Tuberkulose mehr
die vorderen Teile des Naseninnern. Sattelnasen habe ich
nie durch Tuberkulose, sondern nur durch Syphilis entstehen
sehen. Ein isolierter Sitz der Krankheit am knorpeligen
|
Teile der Nasenscheidewand spricht fast ausnahmslos für
Tuberkulose, und auf diese Stelle beschränkte Perfo-
rationen kommen durch Spontanheilung von Tuberkulomen
und von Lupus gar nicht selten, durch Syphilis so gut wie
niemals zustande. |
Nun gibt es in der Nase noch zahlreiche andere Er-
krankungen, die ebenso mit Borkenbildung einhergehen wie
die Tuberkulose, und verschiedenartige Tumoren, die z. B.
ein Septumtuberkulom vortäuschen können. Sie alle zu be-
sprechen, hieße ein Lehrbuch der Rhinologie schreiben. Für
den auf diesem Gebiete weniger Erfahrenen hat die Regel:
zu gelten, daß er bei jedem chronischen Nasenleiden mit
den eingangs geschilderten Symptomen an die Möglichkeit
einer Tuberkulose denken muß, daß aber erst die Unter-
suchung excidierter Teile des kranken Gewebes die Tuber-
kulose sicher erweist. |
Abhandlungen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Straßburg i. Els.
Zur Deutung seltener Hypertonien')
von
Prof. Dr. &. Schickele, Oberarzt.
Soweit ich die Literatur übersehe, sind die Fälle, auf
welche ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, nicht ge-
nügend beachtet worden. Dementsprechend kann ich über
ihre Häufigkeit keine genauere Auskunft geben, um so mehr
als ich selbst nur über ein geringes Material verfüge.
Zweifellos wird die Zahl der Beobachtungen größer werden,
wenn einmal nach solchen Fällen gesucht wird. Die Pa-
tientinnen, von denen hier die Rede sein soll, kommen zu
dem Neurologen, Internisten, Gynäkologen. Im letzteren
Falle werden sie meistens mit der Diagnose Endometritis
abgetan und verfallen mit größter Wahrscheinlichkeit einer
Ausschabung der Uterushöhle. Gegen diese Auffassung.
möchte ich mich auch hier wenden und der Ueberzeugung
Ausdruck geben, daß in den allermeisten dieser Fälle die:
Diagnose Endometritis falsch ist?). Wir müssen .uns jetzt
auch in der Gynäkologie auf einen etwas moderneren Stand-
punkt stellen. Es ist ja richtig: eines der sogenannten
Endometritrissymptome steht oft im Vordergrunde, die pro-
fusen Blutungen nämlich, bei regelmäßigen oder unregel-
mäßigen Menstruationen; aber außerdem sind eine ganze
Menge anderer Erscheinungen vorhanden, und diese ver-
dienen unsere Aufmerksamkeit in besonderem Maße,
Die Pätientinnen klagen über Aufgeregtheit, Kopf-
schmerzen, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Herzklopfen,
Engigkeit, ‚Schlaflosigkeit, Unlust und Unfähigkeit zur
Arbeit, Nicht selten ist auch eine Beteiligung der Psyche
nachweisbar in Gestalt von Depressionen und Insuffizienz-
gefühl. Diese Beschwerden haben sich meistens langsam
entwickelt, wurden vielfach anfangs nicht hoch angeschlagen,
machen sich aber. besonders bei älteren Patientinnen oft
außerordentlich bemerkbar, besonders wenn es sich um
Patientinnen aus der arbeitenden Bevölkerung handelt.
Objektiv. läßt sich oft ein lebhaftes, aufgeregtes Wesen
erkennen, ein stark gerötetes Gesicht, mit Blässe zuweilen
abwechselnd; unruhiger, feuchter Blick, zuweilen leichter
Tremor; Dermographie.e Die Haut ist feucht, im Gesicht
zuweilen mit Schweißtropfen bedeckt. Die Herzaktion
ist meistens beschleunigt, auch nachdem . die Patientin sich
beruhigt hat; sie beträgt manchmal 110 bis 120 Schläge in
der Minute, nach meinen Beobachtungen selten mehr; das
Herz ist perkutorisch und auskultatorisch nicht verändert,
1) Nach einem Vortrag ‚auf der 37. Wanderversammlung der süd-
westdeutschen Neurologen und Irrenärzte.
2) Vergleiche Schickele, Zur Physiologie und Pathologie der
Ovarien. (A. f. Gyn. Bd. 98.)
keine Geräusche, nur gelegentlich einmal ein leichtes systo-
lisches Geräusch. Auch die übrigen Organe sind nicht
nachweisbar verändert, insbesondere nicht die Nieren (Aus-
nahmen siehe später). Der Blutdruck ist erhöht, 150 bis
180 mm Quecksilber; höhere Werte habe ich bei den hier
zu besprechenden Fällen nicht beobachten können. Manch-
mal wird auch ein verändertes Blutbild nachgewiesen: eine
Lymphocytose und erhöhte Eosinophilie; es können aber
gerade für die Eosinophilen normale und sogar niedere
Werte vorhanden sein; die Schilddrüse zeigt keine beson-
deren Veränderungen; falls eine Uterusäusschabung vor-
genommen worden war, ergibt die Schleimhaut normale Be-
funde, keine Zeichen einer Endometritis. |
‚Diese Frauen sind meistens nicht mehr ganz jung,
die jüngste meiner Patientinnen war 29 Jahre alt, die
andern befanden sich Ende der 30er oder 40er Jahre,
manche schon innerhalb des Präklimakteriums. Zur weiteren
Ausführung lasse ich hier einige Fälle folgen: |
N. 838°, 39jährige Patientin, nie geboren, ledig, war früher nie
krank, die Menstruation trat zum ersten Male mit 17 Jahren auf, von
Anfang an leicht unregelmäßig, reichlich, aber ohne Schmerzen. Seit
zwei Monaten tritt sie jetzt alle zwei Wochen auf, dauert sechs Tage
an, viel stärker als früher und mit Schmerzen verbunden; etwa seit der-
selben Zeit ist die Patientin aufgeregt, leidet an plötzlichen heißen
Uebergießungen, gefolgt. von großer Mattigkeit, Herzklopfen; sie hat gar
keine Lust mehr zu arbeiten. Als Dienstmädchen kann sie sich In
ihrem Berufe nicht sehr schonen, weshalb ihr Leiden ihr besonders
schwer fällt. | a:
Keine Organerkrankung, geringe Herzhypertrophie (medizinische
Poliklinik Prof. E. Meyer). Die Schilddrüse ist deutlich zu palpieren,
aber nicht vergrößert, im Urin kein Albumen, Blutbild: 45 °/o Polymorph-
kernige, 31 °/o Lymphocyten, 18°/o Eosinophile, Mastzellen 0,6 °/o.
Einstweilen keine Behandlung. |
10. April (vier Wochen später): Befund unverändert, Blutdruck
160, Patientin bekommt Schiddrüsenextrakt, obwohl ein besonderer
Grund nicht vorliegt. |
4. Mai: Aussehen besser, Gesicht weniger gerötet, vasomotorische.
Symptome sind noch vorhanden, aber geringer, sodaß sich die Patientin
viel leichter als sonst fühlt. Menses sind in einem Abstande von vier
Wochen aufgetreten, fünf Tage lang, wesentlich geringer als vorher;
Blutdruck 130 bis 135 mm.- es
Patientin wird weiter beobachtet.
N. 128?, 29jährige Patientin, nie ernstlich krank, Menses mit
14 Jahren, unregelmäßig, drei- bis vierwöchentlich, vier bis fünf Tage
lang, stark. Seit einem Jahre treten die Menses in vierwöchigen Ab-
ständen auf und dauern acht bis zehn Tage lang, stärker als früher.
Patientin hat alle möglichen Klagen, vor allem belästigt sie ihre Auf-
geregtheit, die Hitzewallungen mit Schweißausbrüchen, Herzklopfen und.
die Schlaflosigkeit; infolgedessen ist sie nicht imstande zu arbeiten; n
kommt hauptsächlich wegen der Blutungen. Patientin ist mäßig fott,
mit blühender Gesichtsfarbe, leicht aufgeregtem Wesen und irrem Blick,
.es besteht ein geringer Tremor, der angeblich familiär sein soll.
Die
Schilddrüse ist deutlich zu palpieren; Organe nicht nachweisbar Te,
ändert. Dermographie. Patientin schwitzt leicht; Blutdruck 165 bis 170.
Bei der ersten Aufnahme in die Klinik wird eine Aussehabung der
Uterushöhle vorgenommen; histologisch normales Endometrium.
Nach sechs Wochen kommt Patientin wieder (11. Januar 1912):
Die Menstruation ist gerade so stark wie vorher wieder eingetreten. er
|
——
Anternistenköngresses 1911... .. -
4... August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
1963
Allgemeinzustand ist nicht verändert; -Blutdruck 165 bis 170, Patientin
bekommt neben einer Diätänderung Corpus-luteum-Extrakt. `
4. Februar 1912: Schon die ersten Tage nach der. Einnahme der
Tropfen fühlt sich Patientin besser, konnte vor allem wesentlich besser
schlafen als früher. In den allerletzten Tagen soll diese Besserung wieder
etwas zurückgegangen sein. Blutdruck 145, diastolisch 80 bis 90. Die
letzte Regel dauerte vier Tage, stark, aber jedenfalls geringer als vorher.
2i.. Februar: Das “Allgemeinbefinden „könnte besser sein“. Die
Periode ist nach 81/a Wochen -wiedergekommen, hat drei Tage gedauert,
stark, aber immerhin schwächer als früher, mit Schmerzen verbunden.
Schlaf besser. | | nn pi
18. März: Patientin hat noch viel zu klagen, ist aber im all-
gemeinen. doch ‚besser als. vorher, kann auch mehr arbeiten; die letzte
Regel ist wieder nach 3!/2 Wochen gekommen, kürzer und weniger stark
als früher; Blutdruck 130 bis 135. "3 a
- ; 8. April: Patientin hat heute fast ebenso viel Klagen als am ersten
Tage ihrer Beobachtung, sie hat seit über fünf Wochen keine Tropfen mehr
genommen und leidet jetzt wieder vor allem an Herzklopfen, an dem
Tremor und der Schlaflosigkeit. Blutdruck 175 mm. ` Keine Organ-:
veränderung nachweisbar. wa S
‘N. 252,‘ 48 jährige Frau, bisher immer gesund; seit vier Monaten
dauern die Menses abnorm lange, sodaß nur noch fünf bis sechs Tage
Pause zwischen den einzelnen Blutungen bestehen; bis dahin waren die
Menses immer regelmäßig gewesen. Außer einem aufgeregten Zustand
und einigen vasomotorischen -Beschwerden hat die Patientin keine Klagen.
Objektiv ist nur nachweisbar, daß der Uterus entsprechend der Multi-
parität etwas groß ist, die Genitalien zeigen aber sonst keine Verände-
rung, -die übrigen Organe nicht. nachweisbar verändert. .Oktober 1911:
Ausschabung in der Klinik, mikroskopisch:. normales Endometrium.
Mitte November: Vor kurzem Menstruation nicht profus, Patientin
empfindet aber jetzt häufiges Drängen im Leibe, als wollten die Menses
. kommen; schöne Dermographie, Gefäßerweiterung im Bereiche der
Brüste; hochgerötetes Gesicht, lebhaftes Wesen, Blutdruck 180—185,
diastolisch 125, die Reflexe sind leicht gesteigert, . Ps
21. Februar 1912: Menstruation am 18. November vier Tage lang,
nicht reichlich; im Dezember’ hat sie sich nicht gezeigt. Im Januar ge-
ringer Blutabgang, im Februar bis jetzt noch nichts. Seit Januar be-
stehen Hitzewallungen, welche fünf- bis sechsmal an einem Tag auftreten
und nach denen die Patientin sehr stark schwitzt. Sie gibt mit Be-
stimmtheit an, daß vor Beginn der Aufgeregtheit solche Zustände bei
ihr nicht vorhanden waren,, und sie merkt selbst, daß sie in der letzten
Zeit mehr aufgeregt ist als früher, Blutdruck 180 bis 185. |
‚ 119°. 50jährige Frau, bis vor kurzem stets gesund, im September
vorigen Jahres erkrankte sie ziemlich plötzlich sehr schwer mit Gefühl
von Mattigkeit in den Beinen und Schmerzen, sobald sie nur wenig ge-
gangen war. - Die Müdigkeit ist so groß, daß Patientin die gewohnte
Arbeit nicht mehr ausfüllen kann. Außerdem Schmerzen im ganzen
Körper, Herzklopfen; die Patientin war körperlich derartig herunter, daß
sio längere Zeit das -Bett hüten mußte. ‘Unter langsamer Besserung der
körperlichen. Symptome entwickelt sich allmählich eine ‚psychische De-
pression mit:Insuffizienzgefühl (neurologische Poliklinik Prof. Rosenfeld).
Organerkrankung nicht nachweisbar, Blutdruck 180 bis 185 mm.
Quecksilber... - =
` "Seit Mitte vorigen Jahres werden die Menstruationen unregel-
mäßig; nachdem in den Monaten Juni und Juli -die Periode noch richtig
erschienen war, fehlte sie im August,. September und November. Im
Januar ‚trat sie nur in geringem Maße auf. Vom 2i. Januar ab erhält
Patientin Corpus-luteum-Extrakt. |
1. Februar: Patientin gibt an, daß sie seit den Tropfen sich leichter
fühlt, ihr psychischer Zustand ist ebenfalls in geringem Maße gebessert,
Blutdruck 160 bis 165; sie nimmt die Tropfen weiter.
‚ 4 März: Patientin hat ihren Extrakt zu Ende genommen, sie gibt
spontan an, daß sie sich wohler fühlt und daß sie arbeiten kann, immer-
in bestehen noch Beschwerden .in den Beinen. Im Januar und Februar
Mensas mäßig stark; Blutdruck heute 190 bis 195, diastolisch 110. Die
essörung des Allgemeinzustandes ist deutlich, nach Angabe von Prof.
Rosenfeld kann eine Suggöstion nicht vorliegen. . | |
Ende Mai 1912: Patientin befindet sich dauernd besser und kann
wieder. arbeiten. |
' Diese Fälle sind unter sich nicht gleichwertig, die eine
Gruppe besteht aus.den beiden ersten, jüngeren Patientinnen;
le zweite aus den andern, welche im oder am Beginn des
Präklimakteriums sich befinden. Um diese. Fälle zu deuten,
muß ich auf frühere Untersuchungen zurückgreifen), aus
denen hervorgeht, daß an der Regulierung des Blutdrucks
auch die Ovarien unter den innersekretorischen Drüsen be-
teiligt sind. Ihnen kommt die Aufgabe zu, den Blutdruck
gegenüber den Antagonisten herunterzusetzen. Dement-
sprechend sehen wir beim: Ausfall der Ovarialtätigkeit (nach
astration ‘oder. in der physiologischen Menopausey. den
2) Vergleiche Schickele,. Bioch. Zt., Bd. 38, und Verkandl. des
Blutdruck steigen und zugleich mit ihm die sogenannten Aus-..
fallserscheinungen: auftreten, . die in vielen Beziehungen den
oben beschriebenen vasomotorischen Symptomen ähnlich sind.
Es handelt. sich in solchen Fällen allem Anschein nach’um
eine Erhöhung des Sympaticus tonus, ‚welche.nach. dem Aus-
fall des einen Antagonisten, ‚des blutdruckherabsetzenden
nämlich, sich langsam entwickelt hat = 0...
Dieselben Zustände können aber schon auf-
treten, bevor der Ausfall der Ovarialtätigkeit ein
vollständiger. ist. Bei manchen Frauen bereiten sie sich
allmählich vor.. Während die Ovarialtätigkeit und mit ihr
die Menstruationen: abnehmen beziehungsweise ‘in größeren
Abständen kommen, gewinnen die Antagonisten schon einen
| Vorsprung. Entsprechend: der Erhöhung des Blutdrucks,
sehen wir bei.diesen Frauen auch die genannten Ausfalls-
erscheinungen auftreten. . Ebenso sind im Präklimakterium
auch schon die: Herzveränderungen. beziehungsweise -be-
schwerden vorhanden, welche wir nach der einmal einge-
tretenen Menopause beobachten. Die Beschleunigung der
Herzaktion kommt gar nicht so selten schon im Präkli-
makterium vor; inwieweit daraus: organische Herzerkran-
kungen entstehen können, entzieht. sich: meiner Beurteilung.
Nach unseren bisherigen Kenntnissen ‚dürfen wir aber an-
nehmen, daß eine dauernde Blutdruckerhöhung, wie wir sie
im Präklimakterium und Klimakterium beobachten, nicht von
vornherein für die Individuen gleichgültig ist. Dies kam
mir zum Bewußtsein bei . der Beobachtung eines Falles, in
dem wegen starker Blutungen bei. Myomatosis uteri am
20. November 1910 eine vaginale Totalexstirpation des Uterus
und der Adnexe vorgenommen wurde. Nach der Operation
stieg der ursprünglich normale Blutdruck allmählich auf 150,
190, 200 und betrug am 18. Januar 1911 210 mm. An
diesem Tage wurde zum erstenmal Albumen (nach Esbach
11/2 0/4.) nachgewiesen. Es war früher schon mehrmals dar-
auf ohne Erfolg untersücht worden. Unterdessen hatten sich
auch die bekannten vasomotorischen Symptome entwickelt;
die jedoch unter Verabreichung von Corpus-luteum-Extrakt
gebessert wurden; gleichzeitig ging auch’ der Blutdruck her-
unter. Der Eiweißgehalt blieb aber unter geringen Schwan-
kungen dauernd bestehen und betrug zuletzt 1/4 ?]oo. Eine
Beziehung zwischen Albumengehalt und Blutdruckerhöhung
in der Weise etwa, daß mit dem sinkenden Blutdruck auch
der Albumengehalt zurückging, ist nicht mit Sicherheit nach-
zuweisen; Zylinder sind jedoch nie gefunden worden.
Ich glaube nicht, daß wir in solchen Fällen von einer
Nephritis reden können, es dürfte vielmehr richtiger sein,
die Aufeinanderfolge der Veränderungen in der Weise auf-
"zufassen, daß das Primäre die Hypertonie ist, als Folge des
Ausfalls der Ovarien, daß sekundär erst und als Folge der
Blutdruckerhöhung die Durchlässigkeit der Nieren und
Albumen auftritt. Es dürfte auch für den ‚Gynäkologen
empfehlenswert sein, in Zukunft auf solche Veränderungen
von dem hier angeführten Standpunkt aus zu achten.
Die Fälle des präklimakterischen Zeitraums, mit ihren
unregelmäßigen und profusen Blutungen und der erwähnten
Hypertonie, dürften für die Auffassung der ersten Gruppe der
obengenannten Fälle (Nr. 1 und 2) eine Unterlage geben.
Sie unterscheiden sich ja von ihnen in ihren Symptomen,
gar nicht; es ist nur auffallend, daß in diesen jungen Jahren
schon derartige Hypertonien beobachtet werden. “Die Er-
höhung des Sympaticus tonus läßt sich jedoch in. dem an-
gegebenen Zusammenhang erklären, wenn.wir als das Pri-
märe eine gestörte Tätigkeit der Ovarien annehmen. Die
unregelmäßigen B!utungen, von denen wir ursprünglich aus-
gegangen waren, Sind nur eines der zahlreichen. Symptome
dieses Zustandes; -sie haben aber. mit einer anatomischen
Veränderung des Uterus oder seiner Schleimhaut nichts
Zugunsten dieser. Auffassung sprechen auch die thera-
peutischen Erfolge. in manchen Fällen. Die Verabreichung
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1264 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
von Ovarium oder Corpus-luteum-Extrakt war imstande, die
Allgemeinerscheinungen zu beeinflussen, den Blutdruck
manchmal in besonderer Weise herunterzusetzen und endlich
auch die Menstruation zu beeinflussen. Der zuerst angeführte
Fall (1) bleibt immerhin bemerkenswert: durch Schilddrüsen-
extrakt kam eine Besserung des Allgemeinzustandes, der
Blutdruckerhöhung und der Menorrhagien zustande. Ich
will auf diesen Fall einstweilen keinen besonderen Wert
legen, vor allem auch deshalb nicht, weil er noch länger
verfolgt werden muß, aber er zeigt, wie auch aus manchen
andern meiner Beobachtungen hervorgeht, daß den inner-
sekretorischen Drüsen manche Substanzen gemeinsam sein
dürften. Hieraus läßt sich vielleicht die in der Literatur
übrigens bekannte gleichartige Wirkung von Extrakten ver-
schiedener Drüsen erklären. Darüber später.
Die hier angeschnittene Frage ist durchaus noch nicht
spruchreif; es muß mehr Material gesammelt werden; einst-
weilen dürfte jedoch sicher sein, daß alle die abnormen
Uterusblutungen durchaus keine einheitliche Genese besitzen,
und es wird in Zukunft unsere Aufgabe sein müssen, die
verschiedenen Gruppen zu erkennen und entsprechend zu
behandeln. Es wird sich empfehen, diese Fälle von dem ge-
meinsamen Gesichtspunkte der inneren Sekretion systematisch
zu prüfen, ohne jedoch dabei die Möglichkeit der organi-
schen Erkrankungen aus dem Auge zu lassen. Unter-
suchungen des Blutbildes, Prüfungen, wie die betreffenden
Patientinnen auf vago- oder sympathikotrope Mittel reagieren,
Feststellung der Reflexerregbarkeit und andere mehr neben
den anatomischen Untersuchungen des Uterus, seiner Schleim-
haut und seiner Adnexe, soweit dies nach dem entsprechen-
den Eingriff möglich, werden fürderhin unumgänglich not-
wendig sein. Dabei werden die offenbar seltenen Fälle von
Hypertonien jüngerer Individuen mit gleichzeitigen Menstrua-
tionsstörungen wohl auch ihre Erklärung finden.
Berichte. über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Chirurgischen Klinik der Universität in Leipzig
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Payr). _
Beitrag zur Fremäkörperperforation
des Oesophagus
von
Dr. A. T. Jurasz, Assistenzarzt.
Die modernen Behandlungsmethoden für Fremdkörper
im Oesophagus sind die Oesophagoskopie und die Oeso-
phagotomie. Die Oesophagoskopie, die gerade auf diesem
Gebiete sehr große Erfolge gezeitigt hat, entfernt die Fremd-
körper unter Leitung des Auges; sie hat damit sämtlichen
andern „unblutigen“ Verfahren, nämlich denjenigen mit dem
Graefeschen Münzenfänger, dem Weißschen Grätenfänger,
dem Kirmissonschen Haken, den verschiedenen Oesophagus-
zangen, Bougies und Schlundstößer ihre Existenzberech-
tigung genommen. Für gewisse Fremdkörper (Gebisse,
Knochen) ist die Benutzung eines dieser Instrumente heut-
zutage sogar als ein Kunstfehler zu betrachten, da sie
im Blinden arbeiten und stets die Gefahr einer folgen-
schweren Verletzung der Oesophaguswand in sich bergen.
Leider ist diese Erkenntnis noch immer nicht allgemein durch-
gedrungen. Es dürfte daher von Interesse sein, über einen
noch in Königsberg operierten Fall zu berichten, der die
Folgen einer solchen falschen Behandlungsmethode illustriert.
Es handelte sich um eine im großen und ganzen gesunde 53jährige
Frau. Vor drei Tagen blieb ihr beim Essen von Schweinefleisch ein
Knochen im Halse stecken, der angeblich mit dem Finger eben noch zu
fühlen war. Der hinzugezogene Arzt soll den Knochen mit der Magen-
sonde nach unten gestoßen haben. Am gleichen Abend stellten
sich starke Schmerzen beim Schlucken ein, die am folgenden Tage noch
zunahmen, sodaß Patientin irgend etwas Festes überhanpt nicht und
Flüssigkeiten nur mit großer Mühe und außerordentlichen Schmerzen
berunterbringen konnte. Seit gestern ist der Hals angeschwollen, heute
trat eine Schwellung auf der Brust auf, bei der Atmung empfindet Pa-
tientin stechende Schmerzen, desgleichen ist sie gegen jede Berührung
am Halse und auf der Brust sehr empfindlich. Seit heute Nacht mäßiger
Husten, der aber wegen der Schmerzen unterdrückt wird.
Befund: Mittelgroße Frau in mäßigem Ernährungszustande, leichte
cyanotische Färbung, hektisch gerötete Wangen, schmerzhafter Gesichts-
ausdruck und sichtlich erschwerte Atmung. Zunge ist schwärzlich be-
legt, übler Foetor ex ore. Der Mund kann wegen Schmerzen nur un-
vollständig geöffnet werden. In beiden Supraclaviculargruben sieht man
deutliche Anschwellungen, rechts mehr wie links, Die Haut darüber,
sowie nach unten über die Vorderseite des Thorax bis zum Proc. xiphoi-
deus ist glänzend, gerötet und ödematös und zeigt ausgesprochene Dellen-
bildung beim Fingerdruck. Die Schwellung auf der rechten Seite des
Halses von etwas über Hühnereigröße fühlt sich teigig an, ist sehr druck-
empfindlich, liegt zwischen Kehlkopf und Sternocleidomastoideus und setzt
sich nach unten fort. Undeutliche Fluktuation. Die Grenzen gegen die
Nachbarschaft sind nach oben und den Seiten gerade noch wahrnehmber,
nach unten verliert sich die Schwellung unter die Clavicula. Keine Ver-
schieblichkeit auf der Unterlage. Die Schwellung links ist ähnlich, nur
weniger deutlich ausgesprochen. Der Kopf wird von der Patientin steif
gehalten. Aktive Bewegungen werden nicht ausgeführt, passive sind nur
in geringem Grade möglich und sehr schmerzhaft. Das Sternum ist im
ganzen, besonders aber in seinem oberen Teile, gegen leichten Druck sehr
empfindlich.
Lungen: vereinzeltes Rasseln und Giemen. Herz: o. B. Ab-
dominalorgane: o. B. Temperstur 38,5. Puls 120, regelmäßig, klein,
leicht unterdrückbar. Ä
Sofortige Operation (Dr. Jurasz) in leichter Narkose. Schnitt
auf der rechten Seite am inneren Rande des Sternocleidomastoideus von
dem Rande des Schildknorpels bis zur Clavicula über die Anschwellung
hinweg. Durch sulziges Fettgewebe und ödematöse, grau verfärbte Fascie
wird in die Tiefe eingedrungen. Der Omohyoideus wird durchtrennt, der
Sternocleidomastoideus zur Seite gezogen. Die Anschwellung ist durch
dickes, schwartiges Bindegewebe bedingt, zwischen dessen Maschen sich
eine übel riechende, jauchige Flüssigkeit ausdrücken läßt. Die Schild-
drüsenfascie wird nun gespalten, die Drüse medianwärts, die großen Gefäße
lateralwärts auseinandergezogen. Unterbindung der Thyreoidea inferior,
Freilegung des Nervus laryngeus inferior. Das ganze Gewebe bis zum Oeso-
phagus und entlang desselben unter die Clavicula erscheint von derselben
Jauchigen Flüssigkeit durchtränkt, ohne daß sich ein größerer Absceb
vorfände. Die Palpation des Oesophagus läßt keinen Fremdkörper er-
kennen. Mittels gleichen Schnittes wird daher auch links auf den Oeso-
phagus eingegangen. Man findet hier geringe Eitermengen entlang des
Oesophagus und dicke fibrinöse und eitrige Fetzen der Oesophagus-
wand aufliegen. Bei weiterem stumpfen Eingehen nach unten und nach
der Wirbelsäule zu kommt man in der Tiefe des Mediastinums auf eine
jauchige Absceßhöhle, die etwa zwei Eßlöffel Eiter enthält. Der Oeso-
phagus wird stumpf von der Wirbelsäule abgehoben, sodaß eine Kom-
munikation nach der andern Seite zu besteht, hierauf zwischen zwei
Haltefäden eine Oesophagotomieöffnung angelegt. Ein Fremdkörper wird
nirgends gefunden. Durch die Oesophagotomieöffnung wird ein Ernäh-
rungsschlauch eingeführt. Beiderseits werden sodann nach der Schädel-
basis sowie nach dem Mediastinum zu Drains und Jodoformgazestreifen
eingelegt, die Wunden im übrigen in ganzer Ausdehnung offen gehalten.
Die Operation wird gut überstanden, die Patientin wird hierauf
flach in das mit dem Fußende stark erhöhte Bett gelegt.
Verlauf: 1. Tag: Temperatur 38,5. Puls 90, kräftiger. 2. Tag:
Temperatur und Puls gehen zurück. Sehr reichliche, eitrig-jauchige Se-
kretion aus den Drains. Oedem des Thorax zurückgegangen, Gesamt-
befinden besser. 9. Tag: Wesentliche Besserung des subjektiven Be-
findens. Bewegungen des Kopfes sind ohne Schmerzen möglich. Sekre-
tion geringer. Drains werden entfernt, nur lose Gazestreifen eingeführt.
12. Tag: Der dicke Ernährungsschlauch wird durch einen ganz dünnen
ersetzt. Eiterung links gänzlich im Versiegen, rechts noch ziemlich
reichlich. 16. Tag: Subjektives Befinden sehr gut. Patientin steht zum
erstenmal auf. 18. Tag: Ernährungsschlauch wird entfernt. 28. Tag:
Temperatur dauernd normal. Oesophagusfistel ganz klein. Auf der
rechten Seite immer noch etwas Eiterung. 29. Tag: Bei völligem Wohl-
befinden tritt abends 8 Uhr plötzlich eine sehr starke Blutung aus der
rechtsseitigen Halswunde auf. Es entleert sich ein fingerdicker Blat-
strahl daraus. Patientin liegt leichenblaß mit blauen Lippen da und
macht krampfhafte Atembewegungen. Es wird zunächst mit den Fingern
in die Wunde eingegangen und die Gegend der Gefäße kom rimiert,
hierauf ein Jodoformgazetampon fest in die Wunde tamponiert. Blutung
steht, kein Puls jedoch fühlbar.: Pupillen sind weit, Patientin macht zeit-
weise eine langsame tiefe Inspiration, liegt sonst regungslos da. Campher
und eine sofortige intravenöse Injektion einer Adrenalin-Kochsalzlösung
bewirken ein Kleinerwerden der Pupillen und ein Zurückkehren des
Radialpulses, Anschließende Operation (Dr. Jurasz): Die Wunde
rechts wird nach oben und unten erweitert und unter großen Schwierig-
keiten Carotis, Jugularis und Vagas, die vollständig untereinander ver-
backen sind, scharf getrennt. Hierauf gelingt die Ligierung der
Carotis communis gegenüber dem Sternoclaviculargelenk in der Tiefe,
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4, August.
dicht unterhalb. einer unregelmäßigen, erbsengroßen Arrosions-
öffnung in der Wand dieses Gefäßes, Die zweite Ligatur wird weiter
oben an der Teilungsstelle der Carotis communis angelegt, worauf die
Blutung steht. Der kaum fühlbare Puls erholt sich auf eine abermalige
Kochsalzinfasion. 80. Tag: Patientin ist bei klarem Bewußtsein, Puls
deutlich fühlbar.. Es besteht eine leichte Parese des linken Armes und
Beines. 31. Tag: Heute gesellt sich noch eine Parese des rechten Hypo-
glossus dazu. Patientin spricht mit müder Stimme, ist aber sonst bei
klarem Bewußtsein. Puls kräftig. 837. Tag: Die Hemiparese ist ganz
gewichen. Heute Temperatur 38,7. Klagen über Kopfschmerzen auf der
echten Seite. Kein eircumscripter Kopfschmerz. Augenhintergrund o. B.
. Brustorgane normal. 40. Tag: Unter dauernden Kopfschmerzen, Fieber
und unter zunehmender Schwäche Exitus. Die Sektion ergab einen
etwa walnußgroßen Absceß im rechten Stirnhirn, in der Gegend der mitt-
leren rechten Stirnwindung. Seine Umgebung zeigte keine Erweichung
oder Verfärbung. An der Hirnbasis in der Gegend des Chiasma fand
sich etwas Eiter. Der dritte Ventrikel und der rechte Seitenventrikel
enthielten größere Mengen getrübten Liquors, ebenso war der Liquor im
Rückenmarke getrübt. Im hinteren Mediastinum und in der Umgebung
des Oesophagus fanden sich außer schwieligem Gewebe und Verwach-
sungen keine abnorme Veränderungen mehr. Das Lumen der Carotis
narh oben und nach unten von den zwei Unterbindungsstellen enthielt
flüssiges Blut. Das dazwischen liegende 2 em lange Stück ist eitrig
zerfallen. Nirgends ein Zeichen einer Gefäßthrombose.zu sehen. Arteria
fossae Sylvii frei. | |
Vergegenwärtigen wir uns diesen Fall nochmals kurz,
so drängt sich uns die Erkenntnis auf, daß, wie so oft,
auch hier kleine Ursachen große Folgen hatten und zu
einem tragischen Ende führten. Die Frau hat einen kleinen
Knochen verschluckt, der ihr im Anfangsteil des Oesophagus
stecken blieb. Eine Extraktion im Oesophagoskop wäre aller
Wahrscheinlichkeit nach keine zu schwierige Aufgabe ge-
wesen. Wie es aber noch vielfach in praxi Gebrauch ist,
suchte der hinzugezogene Arzt den Femdkörper mit der
Sonde nach unten zu stoßen, und dies muß ihm auch offen-
bar gelungen sein, da das Knochenstückchen nachträglich
nirgends mehr gefunden werden konnte. Allerdings muß
fast mit Sicherheit angenommen werden, daß bei einem
solchen blinden Vorgehen die Oesophaguswand perforiert
oder doch so geschädigt worden ist, daß sie Entzündungs-
erregern zur Eingangspforte wurde. Dies war klinisch
durch die am gleichen Abend auftretenden heftigen
Schmerzen beim Schlucken zu erkennen, die am nächsten
Tage zunahmen, zu denen sich dann eine Schwellung am
Hals, ein Oedem des Thorax, Dyspnöe, Fieber mit schnellem
kleinen Puls und vollständige Unmöglichkeit der Nahrungs-
aufnahme gesellten.. In schwerem septischen Zustande mit
einer ausgebildeten Phlegmone des Halses und des-Mediasti-
ums wurde die Patientin eingeliefert. Trotz der scheinbar
völlig infausten Prognose wurde die collare Mediastinotomie,
das heißt die Eröffnung des Mediastinums von beiden Seiten
des Halses, vorgenommen, die bestehende jauchige. Phleg-
mone um den Oesophagus herum freigelegt und der media-
tinalo Absceß entleert und drainiert. Hierauf wurde die
Ossophagotomie angeschlossen, ein Ernährungsschlauch ein-
geführt und die Patientin in abschüssiger Lage mit dem
opfe nach unten gelagert. Dieser operative Eingriff war
wider alles Erwarten ein lebensrettender gewesen, denn die
Patientin erholte sich ziemlich schnell, sodaß sie am
‚ Tage zum erstenmal aufstehen konnte. Die Wunden
heilten zu, nur auf der rechten Seite bestand dauernd eine
eltrige Sekretion aus der Wunde. Diese führte nun nach
vollen vier Wochen, als man bereits an eine Entlassung
der Patientin in poliklinische Behandlung dachte, zu einer
rosionsblutung aus der rechten Arteria carotis communis.
rotz dieser fast stets im Augenblick tödlich endenden
Komplikation gelang es, die Blutung erst durch einfache
amponade, hierauf durch Ligatur der Arterie in ziemlicher
Tiefe innerhalb schwartigen Gewebes zu stillen und die
moribunde Patientin zum Leben zurückzurufen. Es wurde
ei dem Alter von 53 Jahren ein schnelles Ende infolge
der Unterbindung der Carotis erwartet; die Patientin er-
olte sich aber auch dieses Mal wider Erwarten; die am
ersten Tage auftretende Hemiparese infolge der Circulations-
Störung verschwand wieder. Am neunten Tage stellte sich
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
Fieber ein. Patientin starb am elften Tage nach der Unter-
bindung an einem GehirnabsceB und einer basalen Me-
ningitis. e Eas o
Die Deutung des Sektionsbefundes ist nicht einfach.
Mit einem Erweichungsherde, der nach der Unterbindung
der Carotis häufig beobachtet wird, hatten wir es hier nicht
zu tun. Eine beginnende Cireulationsstörung allerdings war
durch die klinisch .hervortretende Hemiparese am ersten
Tage angedeutet, dieselbe bildete sich jedoch wieder zurück.
| Nach unserer Auffassung sind der Gehirnabsceß und die
beginnende Meningitis durch kleinste infektiöse Emboli zu
erklären, die bei der ersten manuellen Tamponade während
der Blutung in das arrodierte Lumen der Carotis hinein-
gepreßt wurden. Im Laufe der folgenden Tage entwickelte
sich dann die E'terung und verursachte am achten Tage
die ersten klinischen Symptome, die schließlich zum Tode
führten. Eine andere Art der Entstehung wäre auf lympho-
genem Wege denkbar. An den direkten Folgen der
Unterbindung der Carotis communis ist die Patientin
jedenfalls nicht gestorben. oo Zu
Eine im Anschluß an einen festsitzenden Fremdkörper
entstehende perioesophageale und mediastinale Phlegmone
kann zweierlei Ursachen haben. Entweder ist sie die
Folge einer unmittelbaren Perforation durch den Fremd-
körper oder sie ist durch Drucknekrose mit Durchwanderung
von Eitererregern oder sekundärer Perforation entstanden.
Die direkte Durchspießung der Oesophaguswand erfolgt
meist durch die erwähnten blinden Methoden der Extraktion
beziehungsweise des Hinabstoßens in den Magen, besonders.
bei spitzen Gegenständen, wie Knochenstücken. Vor dem
Gebrauch derselben muß daher eindringlich gewarnt werden.
‚Die gleiche Warnung ist neuerdings wieder von Killian aus-
‚gesprochen worden. In einem von ihm behandelten ausgeheilten Fall
einer schweren Mediastinitis ist eine Zerreißung der Oesophaguswand
durch Extraktionsversuche eines Gebisses mittels eines Münzenfängers
hervorgerufen worden. Eine im Falle Martel et Viannay durch Ent-
fernung eines Hasenknochens verursachte Mediastinalphlegmone führte
am sechsten Tage zu tödlicher Blutung aus der Carotis communis.
Knaggs teilt einen Fall eines verschluckten Kaninchenknochens mit, in
dem die Sondierung zur Mediastinitis und am siebenten Tage zur sekun-
dären Arrosion der Aorta geführt hat. Weitere derartige Beispiele sind
dann noch von Killian, Pels-Leusden (geheilt) und Naumann
(Fall 9, tödlich endend) beobachtet worden. In der Statistik von
v. Hacker über elf weitere Fälle von Mediastinalphlegmone im letzten
Jahre sind sechs auf eine Fremdkörperperforation zurückzuführen. Aus
unserer Klinik kann ich noch weitere drei Fälle hinzufügen, von denen
einer starb und zwei geheilt wurden.
Ich gebe deren Krankengeschichte in aller Kürze wieder:
Fall 1: 36jähriges Mädchen. Vor drei Tagen Zehnprothese ver-
schluckt. Außerhalb Versuche der Extraktion und des Hinabstoßens in
den Magen. Im Anschluß daran perioesophageale Phlegmone und
Mediastinitis. Linksseitige collare Mediastinotomie, Entleerung eines
200 cem haltenden Abscesses aus dem Mediastinum. Zwei Perforations-
öffnungen im Oesophagus. Exitus am achten Tage an Sepsis.
Fall 2: 41 jähriger Mann. Vor zwei Tagen Knochen verschluckt,
Erfolglose Extraktionsversuche und. Oesophagoskopie. ‚Perioesophageale
und mediastinale Phlegmone. Linksseitige collare Mediastinotomie.
Heilung nach sechs Wochen. |
‚Fall 3: 68jährige Frau. Gestern Verschlucken eines Knochens.
Keine Extraktionsversuche. Perioesophageale Phlegmone,. Linksseitige
Freilegung und Eröffnung des Oesophagus. Heilung nach 5!/a Wochen.
Wir hätten somit aus der neueren Literatur im ganzen 15 Fälle
von behandelter perioesophagealer und mediastinaler Phlegmone infolge
Fremdkörperperforation; davon starben sechs.
Die zweite Ursache, die Drucknekrose der Oesophagus-
wand hängt von der Größe und Art des Fremdkörpers, der
Dauer seiner Einkeilung und dem Zustande der Wand ab.
Im allgemeinen werden die großen Fremdkörper mit scharfen
Ecken und Kanten, wie die Gebisse, eher Neigung zu einer
Usurierung zeigen, wie kleine Gegenstände von rundlicher
Art, doch ist man in keinem Falle sicher, denn auch Mün-
zen und Knöpfe können schon nach kurzem zur Wand-
gangrän führen, wie die Erfahrungen von Lieblein und
Andern beweisen. Je länger ein Fremdkörper im Oeso-
phagus verweilt, desto größer ist die Gefahr; die Tatsache,
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1266 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
daß selbst große Gegenstände, wie Gebisse, monate- und
jahrelang unbeschadet in einer Schleimhautfalte der Speise-
röhre ruhen können, sind Ausnahmen. Was den Zustand
der Oesophaguswand betrifft, so stellt Kahler bei alten
Leuten eine sehr große Brüchigkeit derselben fest: auch
darauf wäre demnach zu achten.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine möglichst bal-
dige Extraktion unter Leitung des Auges, sei es mit dem
Oesophagoskop oder mittels Oesophagotome das einzig rich-
tige Vorgehen zur Vermeidung einer Oesophagusperfora-
ion ist. l
Die klinischen Symptome einer im Entsteben be-
griffenen perioesophagealen Phlegmone und Mediastinitis sind
zunächst nur subjektive, nämlich zunehmende Schmerzen,
denen sich bald völlige Unmöglichkeit der Nahrungsaufnahme
und Foetor ex ore zugesellen. Dann aber tritt schon bald
eine Schwellung am Hals auf, vor allem in beiden Supra-
claviculargruben, die ganze Gegend am Halse wird äußerst
druckempfindlich; die Bewegungen des Kopfes sind behindert,
die Atmung erschwert. Die Druckempfindlichkeit setzt sich
sodann auf das Sternum fort und ist bald von einem all-
gemeinen Oedem über Hals und Brust begleitet. Haut-
emphysem ist nicht immer vorhanden, nur dann, wenn es
sich um größere Läsionen des Oesophagus handelt. Die
Temperatur ist durchaus nicht maßgebend, da in den Fällen
von Pels-Leusden und Dobbertin kaum irgendwelche
Fiebersteigerung vorhanden war. Dagegen ist die Frequenz
und Qualität des Pulses von der größten Bedeutung, ähnlich
wie bei einer Peritonitis.
Die Behandlung besteht in der nach v. Hacker be-
nannten eollaren Mediastinotomie, das heißt auf der
Seite der größten Schwellung oder auch der vermeintlichen
Perforation wird am Innenrande des Sternocleidomastoideus
bis auf den Oesophagus eingegangen und entlang desselben
in die Tiefe bis ins Mediastinum. Bei ausgedehnter Phleg-
mone ist die beiderseitige Spaltung am Halse zu empfehlen.
Der Oesophagus wird nun auf der rechten oder auf der
linken Seite, je nach dem Sitze der Perforation, eröffnet, ein
vorhandener Fremdkörper entfernt und ein Ernährungs-
schlauch in den Magen eingeführt. Es folgt eine ausgiebige
Drainage des Mediastinums, wobei zu beachten ist, daß die
Drains nicht direkt auf die großen Gefäße zu liegen kommen.
Die Wunde wird im übrigen offen gelassen.
Die Nachbehandlung erfolgt in der Weise, daß der
Patient in einem mit dem Fußende hochgestellten Bette liegt,
sodaß der Eiter aus dem Mediastinum nach außen abfließen
kann. Diese Lage darf für kurze Augenblicke zum Zweck
der Nahrungseinführung durch den Schlauch in eine etwas
höhere geändert werden. Nach acht bis zwölf Tagen kann
bei günstigem Ausgange der Ernährungsschlauch durch einen
dünnen ersetzt und der Patient zu Schluckübungen an-
gehalten werden. Die Oesophagusfistel schließt sich dann
nach Entfernung des Schlauches meist schnell.
Die Prognose hängt außer von der allgemeinen
Widerstandsfähigkeit des Organismus von der Ausdehnung
der Sepsis und ibrer Wirkung auf die Herzkraft ab. Die
früher als absolut letal angesehenen Fälle haben, wie die
oben angeführten Beispiele zeigen, keine allzu ungünstige
Prognose. Die Zahl von sechs Todesfällen und neun Hei-
lungen entspricht einer Mortalität von 40%.
Die gefürchtetste Komplikation im Stadium der Re-
konvaleszenz ist die septische Nachblutung, die meist inner-
halb der ersten zwei Wochen auftritt und fast regelmäßig
tödlich endet. Balalescu und Cohn erwähnen zehn der-
artige Todesfälle von Verblutung aus der Oarotis communis,
der Jugul. interna, der Arteria cervicalis ascendens und
Thyreoidea inferior. v. Hacker und Neuhaus berichten
über einen am dreizehnten Tage, Martel et Viannay über
eine am sechsten Tage nach der Operation aufgetretene töd-
liche Blutung aus der Carotis communis,
Unser Fall ist deswegen außergewöhnlich, weil die Ar-
rosion der Carotis communis noch am 29. Tage zustande
kam, wo nach den bisherigen Erfahrungen an eine solche
Komplikation nicht mehr gedacht wurde. Eine Unterbin-
dung gelang außer mir nur einmal Neuhaus. Dessen Fall
starb am zweiten Tag an einer Gehirnerweichung, einer
häufigen Folge der Unterbindung der Carotis communis. Die
Cireulation ist in solchen Fällen in der von ihr versorgten
Gehirnpartie entweder ganz ausgeschaltet oder nur un-
genügend ersetzt durch die Anastomose mit der Arteria ver-
tebralis. Der Tod erfolgt dann in der Regel am zweiten
oder dritten Tage. Die Mortalität nach Unterbindung der
Carotis communis gibt Kocher auf 13 bis 18°/, (nach
Friedländer und Pilz) Jordan auf 109%,
Gehirnstörungen in 19 bis 32 %/,, beziehungsweise in 25°],
vorkommen. Mit zunehmendem Alter verschlechtern sich
die Heilungsaussichten wesentlich. |
Klemm hat vor längerer Zeit die Mortalität mit Rück-
sicht auf die Ursachen, die zur Ligatur der Carotis com-
munis Veranlassung gaben, berechnet. Darnach ist die
Prognose bei der Unterbindung infolge von Blutung am un-
günstigsten, sie betrage 59 do. |
Unser Fall ist also auch deswegen interessant, daß
die Ligatur der Carotis communis bei einer Arrosionsblutung
überhaupt möglich war, und daß dieselbe im Alter von 53 Jahren
nur vorübergehende Erscheinungen der Hemiparese gemacht,
aber nicht den Tod bedingt hat. Dieser ist vielmehr auf eine
bei Stillung der Blutung erfolgte Aussaat von Eitererregern
zurückzuführen, die zu einer Meningitis und einem Gehirn-
absceß Anlaß gegeben haben.
Literatur. Balalescu und Cohn, A. f. kl. Chir. 1904, Bd. 72. —
Dobbertin, A. f. kl. Chir. 1902, Bd. 66. — v. Hacker, Handb, d. prakt. Obir.
1901. — v. Hacker, B. z. kl. Chir. 1901, Bd. 29. — v. Hacker, B. z.
Chir. 1911, Bd. 73. — Jordan, Verhandl. d. deutsch. Ges. f. Chir. 1907. —
Kahler, Wr. med. Woch. 1909, Nr.42 bis 52. — Killian, Verein süddeut-
scher Laryngoiogen 1905. — Killian, M. med. Woch. 1910, Nr. 23, S. 1256. —
Klemm, D. med. Woch. 1897, S. 279. — Kocher, Chirurgische Operations-
lehre. 5. Aufl., 1907, S. 149. — Knaggs, Lanc. 1908, 8.933. — Lieblein,
B. z. Chir. 1904, Bd. 41. — Martel et Viannay, R. de chir. 1910, Bd. 16,
S. 719. — Naumann, D. Z. t. Chir. 1906, Bd. 83. — Neuhaus, A. t. kl. Chir.
1908, Bd. 86. — Pels-Leusden, Berl. kl. Woch. 1903, S. 338.
Anwendung des Radiums in der Chirurgie‘)
Prof. Dr. Anton Sticker, Berlin.
Die Radiumliteratur auf dem besonderen Gebiete der Chir-
urgie ist bis jetzt vor einer Flut unzeitiger Publikationen be-
wahrt worden dank dem Umstande, daß das Radium in genügen-
den Mengen nur wenigen Forschern zur Verfügung stand und
somit die Ausprobierung auf einige Arbeitsstätten beschränkt blieb.
Meinen Standpunkt bezüglich des Verhältnisses der Radium-
therapie zur Chirurgie fasse ich dahin zusammen, daß auch nach
dem heutigen Stand und den Erfolgen der Radiumtherapie das
Radium bei Geschwülsten, welche noch operiert werden können,
nicht angewandt werden soll, sofern der Zeitpunkt der Operation
irgendwie verzögertwürde. Aber schon durch Kombination des chirur-
gischen Eingriffs mit der Radiumbestrahlung kann mancher Vorteil
erzielt werden, so bei Operationen, welche zweizeitig vorgenommen
werden, durch eine intermediäre Radiumbestrahlung, und in weit
größerem Umfang als bisher kann durch eine postoperative An-
wendung des Radiums der Entstehung von Rezidiven vorgebeugt
oder frische Rezidive dauernd beseitigt werden.
Aber weit wichtiger erscheint die Frage, was leistet das
Radium in den zahlreichen Fällen, in welchen sich der Chirurge
zu einer Operation nicht entschließen kann? Auf dem letzten
Gynäkologenkongreß in Petersburg wurde statistisch nachgewiesen
von unsern ersten Autoritäten, daß nur etwa 60/9 der an Gebär-
mutterkrebs Leidenden zur Operation zugelassen werden, daß von
diesen 60 0/0 etwa die Hälfte zur definitiven Heilung gelangen,
mithin von 100 unglücklichen Frauen 70 in der Chirurgie nicht
ihre Heilung finden. „Enterbte der Chirurgie“ wurden sie von
einem französischen Gynäkologen treffend genannt. Wenn das
1) Vortrag, gehalten auf der 33. V l der Balneologischen
Gesellschaft, Berlin 1912. ersemnlung AAE gi
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an, während
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
1267
Radium diesen hilfslos Leidenden auch nur Verminderung ihrer
Qualen und Verlängerung ihrer Lebenstage zu bringen vermag,
so ist seine Anwendung wissenschaftlich berechtigt und muß einem
jeden Praktiker bekannt werden.
Zusammenfassend möchte ich an Hand des großen Materials,
welches ich. im Verlaufe der drei letzten Jahre zu behandeln
Gelegenheit hatte, die erzielten Erfolge schildern.
‚Nicht mit Stillschweigen darf ich über die Tatsache hinweggehen,
daß. ich durch die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften,
dank der Vermittlung Sr. Exzellenz Prof. Emil Fischer, in den Besitz
einer Mesothorkapsel gelangte mit einem 55 mg Radiumbromid äquiva-
lenten Inhalt, also einer Menge, wie sie wohl wenigen Radiumtherapeuten
zur Verfügung steht.
‘Dank eines großen Beobachtungsmaterials und genügend
starker Bestrahlungspräparate konnte ich die Tatsache feststellen,
daß es in manchen Fällen gelingt, bei planmäßigem und aus-
dauerndem Vorgehen maligne Geschwülste zum Rückgang und
Daß hier in erster Linie die.
zum Verschwinden zu bringen.
flachen .Hautkrebse ein günstiges Material abgaben, liegt auf der
Hand. Diese auch andern Methoden zugänglichen Neubildungen
werden durch die Radiumbestrahlung in schonendster Weise und
mit dem besten kosmetischen Resultat beseitigt, wozu in manchen
Fällen nur eine einzige kurze Bestrahlung genügt, also eine Me-
thode, die sicher von keiner andern übertroffen werden kann. Der
einzige Effekt ist ein exsudativer Prozeß, welcher sich nach einer
oft bis zu drei Wochen erstreckenden Latenzzeit einstellt, und
eine sich daran anschließende wochenlange Schorfbildung, unter
welcher es zur glätten Ausheilung kommt. In gleicher Weise
wie die flachen Hautkrebse lassen sich dann auch jahrelang be-
stehende und allen andern Mitteln trotzende pathologische Zu-
stände der Haut — ich nenne den Lupus erythematodes, den
Naevus, die Warzenbildungen der Haut an den empfindlichsten
Stellen, wie z. B. Augenlid, Mundwinkel, ohne jegliche Schmerzen
beseitigen und ohne daß Rezidive eintreten.
Von den tiefer liegenden Geschwulstbildungen erwiesen sich
vor allem multiple Lymphome einer Radiumbehandlung zugänglich.
Meist war das Resultat so, daß nach oft wiederholten mäßigen
. Bestrahlungen, welche die überliegende Haut wenig alterierten,
kaum ein Erfolg wahrzunehmen war, beim Uebergang aber zu weit
stärkeren Bestrahlüngsdosen, welche eine leichte Verbrennung der
Haut setzten, plötzlich innerhalb weniger Tage die Lymphome
verschwanden. |
Weit bedeutungsvoller noch erscheint die Radiumtherapie
der Narbenrezidive und der Rezidive der regionären Lymphdrüsen
nach Krebsoperationen. In Fällen, welche erst wenige Wochen
alt waren, konnte schon nach wenigen Bestrahlungen, in älteren
Fällen nach lange fortgesetzter Behandlung Wachstumstillstand
und Verschwinden der Geschwulstbildungen beobachtet werden.
In allen denjenigen Fällen, ‘wo die Rezidive in unmittelbarer Nähe
der Blutgefäße, z. B. der Carotis, saßen oder in der Naht eines
Anus präternaturalis oder in der Naht des Scheidengewölbes nach
Amputatio uteri oder in der Naht nach Sectio alta oder an der
Trachea nach Laryngektomie oder am Oesophagus nach der Ex-
stirpation des Pharynx, kurz in allen denjenigen Fällen, in welchen
der Chirurge sich ungern entschließt, eine zweite Operation bald
folgen zu lassen, um nicht die kaum erzielte Wund- und Naht-
heilung und den plastischen Effekt in Frage zu stellen, muß die
adiumtherapie als nutz- und segenbringend widerspruchslos an-
erkannt werden. Es sind nicbt immer Heilungen in dem von
dem Chirurgen angestrebten Sinne; aber wenn nach Jahresfrist
solche Kranke sich, ihren Angehörigen und ihrem Beruf erhalten
sind, ‚Ihre Schmerzen und Unerträglichkeiten auf ein Minimum
reduziert bleiben, so muß doch die Radiumtherapie als eine wert-
volle Bereicherung unserer chronischen Behandlungsmethoden, wie
sio Ihnen, meine Herren,. gerade aus der Bäderpraxis geläufig
sind, anerkannt werden. Nicht ganz so günstig erweist sich die
adiumtherapie bei inoperablen Schleimhautcarcinomen, also des
‚agens und des Mastdarms insbesondere. Aber auch hier sah
= bei fortgesetzter planmäßiger Bestrahlung — die Radium-
estrahlung kann ja im Gegensatz zur Röntgenbestrahlung mit
üstrumenten in jeder erdenklichen Form, Röhrchen von minimal-
siem Durchmesser, Flächenbiegungen in jeder dem erkrankten
'gane nachgemachten Anpassung ausgeführt werden — den
„1 Piomenkomplex so günstig beeinflußt, daß mancher Kranke
‚0 über die Schwere seines Leidens hinwegtäuscht und nach
ner Zeit unerträglicher Schmerzen und seelischer Depression
mate relativ gehobenen Wohlbefindens sich einstellten. Es
steht zu hoffen, daß gerade die Schleimhauteareinome, weil sie
sich nach meinen Erfahrungen : der Radiumbestrahlung gegenüber
weit hinfälliger erweisen als manche andere Organkrebse, bei noch
besserer, ausgebildeter Technik, insbesondere eines guten Instru-
mentariums,. ein dankbares Feld für die Radiumtheräpie bilden
werden. Gesellen sich dann zu diesen Teilerfolgen einzelne Fälle,
in welchen es zu einer unerwarteten vollständigen Ausheilung
kam, so muß der Segen der Radiumtherapie auch für jeden Fern-
stehenden in die -Augen springen.
So stellte ich einen 65jährigen Patienten, welcher wegen einer
kontinuierlich wachsenden retropharyngealen Geschwulst (mutmaßlich
Sarkom) im Sommer 1911 Wiesbaden, Karlsbad und Reichenhall auf-
gesucht hatte und sodann zur schleunigen Vornahme einer Operation
nach Berlin geschickt wurde, hier aber von erfahrenen Chirurgen für
inoperabel erklärt wurde, im Herbste vorigen Jahres während vier
Wochen mit täglicher äußerer und oraler Bestrahlung vollständig her.
Der die hintere Pharynxwand stark vorwölbende Tumor, welcher das
Schlucken sehr erschwerte und beständige heftige Schmerzen insbesondere
nach dem Kopfe hin verursacht hatte, verschwand vollständig und ist
bis heute verschwunden, ohne irgendwelche besondere Krankheitsymptome.
zurückzulassen. Daß das Allgemeinbefinden, insbesondere auch die
Gewichtszunahme, sich in stets aufsteigender Linie bewegte, brauche ich
kaum zu erwähnen.
Für diese elektive Wirkung des Radiums .und ihm ver-
wandter Stoffe auf das maligne Geschwulstgewebe möchte ich eine’
wissenschaftliche Erklärung an Hand höchst bemerkenswerter Be-
funde von Oscar Hertwig versuchen. |
Oscar Hertwig zeigte vor kurzem, daß durch die Radium-
bestrahlung tierischer Zellen in erster Linie die Kernsubstanzen
affiziert werden. Seine Versuche wurden an Eiern und Samen-
zellen vor und nach der Conjugation gemacht, stets mit dem
Effekte, daß die weitere Entwicklung der befruchteten Zellen in
pathologischer Weise verlief. Bei Steigerung der Radiumwirkung
wurde schließlich die Kernsubstanz so geschädigt, daß Wachstum
und Teilbarkeit verlangsamt und schließlich ganz aufgehoben
wurden. |
Nun ist es eine besondere Eigenschaft des Geschwulstgewebes,
zumal des malignen, gegenüber dem normalen Körpergewebe, daß
es eine gesteigerte Wucherungsfähgkeit und demgemäß fort-
gesetzte Kernteilungsvorgänge aufweist. Gleich wie nun das
embryonale und jugendliche Gewebe äußeren Reizen gegenüber
empfindlicher ist als das ausgewachsene und dauernde Körper-
gewebe, so sind die in Teilung begriffenen Zellen fraglos angreif-
barer als die fertigen. Diesen Angriff leistet das Radium.
Mithin muß die elektive Wirkung des Radiums auf eine -
Wachstumshemmung des Geschwulstgewebes zurückgeführt werden,
und die Beobachtung, daß gerade das Geschwulstgewebe von
höchster Malignität sich der Radiumbehandlung am zugänglichsten
erweist, läßt sich an Hand der Versuche Oscar Hoertwigs
wissenschaftlich meines Erachtens befriedigend erklären.
. Hysterie und Praxis’)
von |
‘Dr. Armin Steyerthal,
leitendem Arzte der Wasserheilanstalt Kleinen in Mecklenburg.
Wenn heute zehn Aerzte beisammen sind, so werden
mindestens zehn verschiedene Ansichten über die Hysterie zutage
kommen. Aber damit nicht genug: Täglich wachsen neue und
immer seltsamere Ideen aus dem Erdboden heraus, die das innerste
Wesen des wunderbaren Uebels erklären und deuten sollen. Mögen
nun alle diese bunten Theorien untereinander auch noch so sehr
verschieden sein, eins ist ihnen gemeinsam: Sie nehmen durchweg‘
ihren Ausgang von den Anschauungen Charcots. Deshalb ist
es trotz der verwirrenden Fülle der Gedanken nicht schwer, sich
einen Ueberblick zu verschaffen, zumal die Doktrin des großen:
Franzosen den deutschen Aerzten längst in sanguinem über-
gegangen ist. | |
Wollte man gleichsam ein Programm der Charcotschen
Lehre in wenigen Worten geben, so läge es in dem Satze: „Hy-
sterisch ist, wer ein Stigma trägt, und sonst niemand“,
Das ganze Lehrgebäude steht und fällt daher mit der Existenz
dieser „bysterischen Zeichen“, |
Die Bresche in der Mauer ist den Feinden nicht verborgen ge-
blieben. Nachdem vor Jahren bereits Böttiger und später auch Bern-
heim die Stigmata für Kunstprodukte erklärt hatten, erdfinete Ba-
1) Vortrag, gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin 1912. E |
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1268 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
binski eine systematische „Campagne contre l’hystörie traditio-
nelle“. Die „Signa hysterica“ — insonderbeit die Gefühlsunterschiede
und die Gesichtsfeldbeschränkung — schafft allein der Arzt mit Nadel
und Perimeter. Niemand hat solche Zeichen, es sei denn, daß er zuvor
in Spezialistenhänden gewesen ist. Die seltsame Eigenheit, daß sich
jemand nach Belieben solche „Stigmata* auf- und absprechen läßt, bildet
den eigentlichen Kern dessen, was Charcot Hysterie nannte, und des-
halb sollte man jenes Wort nicht mehr gebrauchen, sondern statt dessen
„Pithiatismus“ sagen (von peitho, überreden und iathos, heilbar).
Paul Sollier hat behauptet, daß der Somnambulismus, also
der Halbschlaf und der Vigilambulismus, der Wachschlaf den
Geisteszustand der Hysterischen beherrsche. Nur der sei hysterisch,
der sich gewissermaßen in einem dauernden hypnotischen
Stadium befände.
Die Theorie erinnert an Pierre Janets Auffassung. Dieser
Autor sieht das Analogon der Hysterie in der Gesichtsfeldeinschränkung.
So wie einer in pathologischer Zerstreutheit die Herrichaft über manche
Regionen der Gefühlssphäre verliert, so vermag der Hysterische sein
Bewußtseinsfeld nicht zu beherrschen und daraus erklären sich
die wunderbaren Phänomene.
Bei Solliers Ansicht so gut wie bei der Janets darf nicht ver-
gessen werden, daß beide Aerzte an einem Materiale experimentieren, das
zum größten Teil aus Psychopathen. also geistig a priori minder-
wertigen Persönlichkeiten besteht. In diesen Kreisen der Dé-
génerés supérieurs hatte Magnan vor Jahren bereits die eigentlichen
Vertreter der Hysterie entdeckt. Seine Schüler — vor allem Tabaraud
— setzen deshalb auch kurzerhand die Hysterie gleich der De-
generation.
Bei uns in Deutschland hat Möbius mit seinem Vorschlag, alles
das Krankhafte hysterisch zu nennen, was durch Vorstellungen
bedingt wird. große Verwirrung angerichtet, denn der Begriff „psy-
chogen“ deckt sich nun und nimmer mit dem, was die Schule der
Salpêtrière als „hysterisch“ bezeichnet.
Eine völlige Umwälzung ist dann auf dem ganzen Gebiete durch
Sigmund Freud in Wien herbeigeführt, und zwar bringt uns die
neue Lehre mit einem Schlage in die ältesten Zeiten der Hysterie-
geschichte zurück. Zwei Jahrtausende waren nötig gewesen, um den
hippokratischen Irrtum, daß die Hystera, also die ungebändigte
Geschlechtslust, die Schuld an dem ganzen Uebel trage, auszurotten:
Jetzt stehen wir mit einem Male wieder mitten darin in dem alten
Mythus.
Anfangs erklärte Freud, die Hysterischen litten an Re-
miniszenzen und jedesmal sei die Erinnerung an ein früheres
sexuelles Trauma im Spiele. Die sogenannten „hysterischen“ Be-
schwerden seien nur die Wirkung dieses im Gedächtnisse des Ge-
schädigten nicht ganz versunkenen bösen Ereignisses. Jetzt wird, soviel
ich sehe, auf die Forderung eines geschlechtlichen Insults verzichtet,
und die sexuelle Konstitution des Menschen ist der sumpfige
Boden, aus dem älle jene bösen Giftpflanzen herausschießen.
So wie uns diese Theorie in die graue Vorzeit zurückversetzt, so
ist auch eine andere nicht ganz neu, die das Mißverhältnis zwischen
Affekt und Ausdruck als das wesentlichste Kennzeichen der selt-
samen Neurose anspricht. Das haben schon Pressavin, Forget und
Briquet behauptet, und noch weit älter ist die Verwechslung der
Epilepsie mit der Hysterie. Durch die ganze Geschichte der „grande
Névrose“ läßt sich bis auf den heutigen Tag die Idee verfolgen, daß
diese beiden in ihren heftigsten Erscheinungen einander so täuschend
ähnlichen Gebrechen im Grunde ein und dasselbe sein müßten, aber den
Beweis dafür hat niemand erbracht.
Das sind zehn verschiedene Ansichten über einen
einzigen Krankheitsbegriff, und fast alle sind einander so
diametral entgegengesetzt, daß schließlich nur eine von ihnen die
richtige sein könnte, denn jede schließt die andere aus.
Ich bin auf den Einwand gefaßt, die Aerzte verständen sich
untereinander trotz dieser verschiedenen Richtungen, sobald nur
der Ausdruck Hysterie in die Debatte geworfen würde, ohne alle
Schwierigkeit. Zugegeben, das sei wirklich der Fall, so wird der
Kranke und seine Angehörigen den Arzt, der jenen Ter-
minus in den Mund nimmt, niemals richtig verstehen.
Seit den Zeiten des Hippokrates und Galenus haftet an
dem Worte Hysterie eine ganze Flut von entehrenden Vorwürfen:
Ungebändigte Geschlechtslust, Lüge, Verstellung, Uebertreibung,
Selbstsucht, Charakterschwäche und vieles andere: Das hört der
Kranke heraus, und wenn der Arzt nicht etwas dem Aehnliches
sagen will, so ist das Mißverständnis fertig.
Die Ansicht vor allem, daß in der Bezeichnung Hysterie
eine Anspielung auf geschlechtliche Verhältnisse liege, ist der
Menschheit heute nicht mehr auszureden. Bis vor ein paar Jahren
wäre es vielleicht noch möglich gewesen, diesen Augenblick ist es
zu spät.
Durch Freud und seine Schüler ist der Uterus in alle
seine Rechte wieder eingesetzt. Die reißend schnelle Verbreitung
der neuen Lehre wäre gar nicht denkbar, wenn jenes Märchen
nicht immer noch in allen Köpfen spukte.
Soll hier ein Wandel geschaffen werden, so gibt es dazu
nur einen einzigen Weg: „Wir müssen das Wort Hysterie
aus unserer Zunftsprache ganz und gar vertilgen“, es
muß verschwinden, wie anderes durch fortschreitende Erkenntnis
überflüssig gewordenes Beiwerk verschwunden ist. Niemand spricht
heute mehr von einem „Humor crassus“, einem „Gallenfieber“
oder einem „Vapor subtitis“, und in dieselbe Rumpelkammer, wo-
hin dieses altväterliche Gerümpel verbannt worden ist, gehört auch
das längst bis zum elenden Schattenbilde zusammengeschrumpfte
Phantasma „Hysterie“.
Nun wird sich freilich unmittelbar die Frage ergeben: „Was
sollen wir denn statt dessen sagen?“ „Hysterie“, „hyste-
risch“ ist ein bequemes Wort, mit welchem man sich vieles vom
Halse schaffen kann. Es dient, wie Thomas Willis einmal sagt,
vor allem dazu, unsere Unkenntnis zu verschleiern, aber es ist
auch gewissermaßen der große Papierkorb, in den man alle die
Blätter hineinwirft, die man sonst nirgends einzuordnen weiß
'(Lasegue).
Das ist deutlich gesagt, aber geholten hat es gar nichts. In
unsern Tagen wird mit dem Worte Hysterie ein Unfug
getrieben wie niemals zuvor, und das ist um so mehr zu
bedauern, weil die fortwährend sich ergebenden Mißverständnisse
schließlich immer auf den Arzt zurückfallen.
In der Praxis ist es nun eine ganze Reihe von Ereignissen,
welche nicht leicht zu benennen und noch schwerer zu klassifizieren
sind. Dabei stellt sich dann dienstbereit, gefällig und stets zur
Hand die Allerweltsdirne Hysterie ein und bietet ihren zer-
schlissenen Mantel an, um alles das zu decken.
Beginnen wir mit einem ganz einfachen Falle. Wir haben eine
Patientin vor uns, die über namenlose Schmerzen im Leibe klagt.
Alles ist gesund, anatomisch nicht die geringste Veränderung,
normaler Situs viscerum durch spezialistische Untersuchung ausreichend
festgestellt. Die Manier, mit der die Schmerzen vorgetragen werden,
hat etwas reichlich Theatralisches an sich, die Kranke übertreibt, sucht
das Mitleid ihrer Umgebung zu erwecken und läßt sich durch kleine
Kunstgriffe leicht ablenken. Welcher Arzt würde sich wohl besinnen,
hier die Diagnose „Hysterie“ auszusprechen? Und doch ist das Wort
nicht am Platze, denn der Arzt möchte ausdrücken: Wir haben einen
lebhaften Schmerz vor uns bei völlig gesunden Organen, aber
er wird gewiß nicht ohne weiteres an geschlechtliche Momente denken.
Diesen Beiklang hat das böse Wort nun aber einmal für das Laienohr,
und die Kranke wird vielleicht durch diese Diagnose wie von einem
Peitschenhiebe getroffen.
Es wäre viel besser hier das Wort „psychogener“ Schmerz
zu gebrauchen und den Angehörigen auf gut Deutsch zu sagen: „Wir
baben es hier mit seelisch, aber nicht körperlich bedingten
Klagen zu tun, und es ist durchaus die Regel, daß solche Beschwerden
mit größerem Affekte vorgetragen werden als wirkliche Schmerzen.“
Damit bahnt man dem sicheren Verständnisse Weg und Steg und
handelt wahrhaft menschlich.
Ein anderes Beispiel: Ein Mann verliert durch einen
Schreck die Sprache, aber sie stellt sich allmählich wieder ein.
Im Kehlkopf und auch sonst alles in bester Ordnung. Was ist das?
Natürlich: „Hysterische Aphonie!“ Nun stelle man sich die Ver-
wirrung vor, wenn wir experimenti causa unserm Patienten diese Kühne
Diagnose mitteilen würden. Was der gute Mann wohl darunter verstände?
Sexuelle Ueberreizung, Simulation, Einbildung, weibische Schwäche,
Sensationsbedürfnis — ein ganzer Rattenkönig von Mißverständnissen
würde zutage kommen je nach dem Bildungsgrade des Kranken. Und
was wollten wir sagen? Wir wollten andeuten, daß wir eine Lähmung
feststellen ohne Verletzung oder Veränderung von Muskeln
und Sehnen. Täten wir da nicht viel besser, von „Schrecklähmung
zu sprechen und in unser Krankenjournal: „Aphonia psychica* oder,
wem das nicht klassisch genug ausfällt: „Mutismus nervosus“ als Kenn-
wort einzutragen?
Und wieder ein aus dem Leben gegriffener Fall: Ein Schul-
knabe kann die Worte, die der Lehrer an die Wandtafel
schreibt, plötzlich nicht mehr lesen, er ist auf einmal
kurzsichtig geworden. Durch ein schwaches Glas ist das Uebel
schnell zu korrigieren, aber siehe da: Fensterglas tut’s auch, und endlich:
das Brillengestell, ohne alle Linsen auf die Nase gesetzt, stellt die volle
Sehschärfe her. Was könnte das sein? Prompt würde die Antwort
lauten: „Hysterische Myopie.“ Nun wollen wir annehmen, es handle
sich um ein im übrigen ganz normales Kind, keinerlei Degenerations-
zeichen sind vorhanden, die Fortschritte in der Schule sind befriedigend.
Der Terminus „hysterisch“ soll also wiederum nur andeuten, es ist eme
funktionelle Störung da, obwohl die anatomische Basis gesund ist.
Wo in aller Welt könnte man wohl ein unglückseligeres Wort ent-
decken, um diese Sachlage zu beschreiben? Und dabei steht uns eine
ganze Anzahl von einfachen, richtigen und unzweideutigen Bezeichnungen
zu Gebote: Zuerst haben wir wieder den Ausdruck „psychogen ZU
Hand, denn es soll doch gleichzeitig hervorgehoben werden, daß der
Junge sich die ganze Geschichte einbildet, und das geschieht damit.
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4, August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 81. _ ~ 1269
Wir könnten aber auch sagen: „idogen“, denn vielleicht hat der Knabe
die Idee gehabt, er könne nicht ordentlich seben, und nun hat sich dieser
Gedanke in die Wirklichkeit umgesetzt. Aber damit verlassen wir be-
reits den sicheren Boden der ärztlichen Erfahrung und wagen
uns auf das pathogenetische Gebiet. Wir wollen also mit unserm Kenn-
worte ‚gleichsam die psychische Entstehung des Krankheitsproduktes an-
deuten, und das ist zuweilen nicht ganz leicht. ‚Sprächen. wir einfach
von „funktioneller“ oder „dynamischer Myopie“, so besagt das
vielleicht manchem zu wenig. Immerhin bleibt gerade bei diesem
speziellen Falle zu bedenken, daß die eingebildete Kurzsichtigkeit
_ des Knaben wahrscheinlich als Ermüdungssymptom aufzufassen ist,
es würde also auch die Formel „asthenische Myopie“ passen oder.
falls diese für die Schwächezustände des Ciliarmuskels und ähnliche
Sachen durch die Ophthalmologen bereits in Beschlag genommen sein
sollte, könnten wir von „Erschöpfungsmyopie“* sprechen. `
Für solche Schmerzen, denen keinerlei plausibler Grund als Unter-
lage nachzuweisen ist, hat Martius das Beiwort „illegitim“ vor-
eschlagen im Gegensatz zum „legitimen Schmerze*, den z. B. eine
Éntztin dung, eine Wunde oder ein Knochenbruch hervorbringt. Soviel
ich aus der Literatur erselie, hat sich dies Adjektivum, das zuweilen
genau an die Stelle des mißbräuchlich angewandten „hysterisch“ paßte,
bisher nicht eingebürgert. Man könnte auch die eben beschriebene
Form der Myopie eine „illegitime“ nennen zum Unterschiede von der
echten, anatomisch begründeten Kurzsichtigkeit. —
Ein vierter Typus, der uns im Leben und in der Praxis alle
Augenblicke begegnet, ist die sogenannte „nervöse. Frau“. Zuweilen
von hinreißender Liebenswürdigkeit, zuweilen unausstehlich, launisch,
‚weiterwendisch, bei kleinen Anlässen oft von tberwältigender Tatkraft
und dann wieder einer harmlosen Migräne willenlos erliegend, für manche
Persönlichkeiten von aufopferndster Freundschaft, gegen andere wieder
von maßlosem Hasse beseelt — welcher Arzt hätte solche Frauen nicht
zur Genüge kennen gelernt? |
` ‘Die Reihe der charakteristischen Eigentümlichkeiten ließe sich bis
ins: Ungemessene verlängern, aber diese Proben werden genügen, um
den Ausruf: „Eine echte Hysterica, wie sie im Buche steht!“
zu begründen. Richtig — vorausgesetzt, daß alle Welt unter „hysterisch“
die „Disproportionalität zwischen Affekt und Ausdruck“ ver-
stände; falsch, sowie einer etwas anderes darunter begreift. Charcot
würde diese Dame nicht hysterisch nennen, denn sie hat keine Stig-
mata, Bernheim auch nicht, denn sie hat keine Anfälle, Paul
Sollier und Pierre Janet erst recht nicht, denn von Somnambulis-
mus kann nicht die Rede sein und das Gesichtsfeld ist ebenso nor-
mal wie die ganze Region des Bewußtseins überhaupt. Die Magnan-
Schüler müßten die Waffen strecken, denn von Entartung ist nichts
zu finden, und Freud gelänge es durch keine Psychoanalyse, irgendein
sözuelles Moment zutage zu fördern. Babinski würde verzweifeln,
denn es ist unmöglich, die Empfindlichkeit der Haut bei der Patientin
zu verwirren, Nun könnten wir noch schnell den Schatten des uns
leider viel zu früh entrissenen Paul Julius Möbius heraufbeschwören,
aber auch er würde uns aus dieser Klemme nicht befreien, denn wir
sitzen bereits zu unbeschreiblich fest. Müßten wir nicht schon deshalb
alle Beschwerden unserer Kranken — das heißt krank ist sie ja eigent-
lich nicht — „hysterisch“ nennen, weil alles, was sie vorbringt, auf
Binbildung beruht? Freilich, aber beruht denn die tbermütige
Gesundheit, deren sich die Dame zuweilen erfreut, nicht ebenso auf.Ein-
bildung? Kann man überhaupt bei unterschwelligen Reizen, bei psychi-
schen, illegitimen, neurasthenischen, überhaupt psychischen Schmerzen
von Einbildung sprechen? Dann müßte man ja jeden Neurastheniker für
nen „malade imaginaire“ halten. Früher ist das allerdings zu Zeiten
geschehen, heute’ ıst aber unter den Nervenärzten nur eine Stimme, daß
ein solcher Standpunkt nicht nur gefährlich, sondern auch höchst un-
gerecht sein würde. Ein Streit darüber ist gar nicht mehr am Platze.
Verwshren wir uns noch gegen den Gedanken, daß bei unserm
Fall etwa eine verkappte Epilepsie im Spiele sein könnte — denn
epileptisch ist sie ja gar nicht —, so haben wir unter den zehn als
onsiliarii hinzugezogenen Gelehrten nur einen einzigen, der die Dia-
gnoso „Hysterie“ aufrechterhalten kann, denn für ihn ist diese Neurose
one Krankheit des Aftektlebens. Er belegt jeden mit diesem
Namen, der sich dauernd im Zustande krampfhaft gesteigerter Leiden-
schaft befindet. Dafür paßt aber weit besser der Titel „Neurasthenie“,
en Mag man auch im übrigen gegen dieses Modewort einwenden, was
Man will, es trifft die Sachlage immer noch besser und fügt sich der
ogik des Tatbestandes weit eher als jedes ‘andere, denn es’ besagt
weiter nichts, als daß ein gewisser Grad von Nervenschwäche
vorliegt, und läßt den psychogenetischen Faktor dieses Leidens aus
em Spiele. Also og ist auch im Falle der „nervösen Frau“ nicht.
schwer, sich den Lockungen des verhängnisvollen Wortes Hysterie zu
entwinden, aber bei der Kranken, die uns jetzt entgegentreten wird, ist
j schon nicht mehr ganz so leicht. |
, Wir werden ganz eilig gerufen, der Arzt muß sofort. zur Stelle
tom, koste es, was eg wolle, denn die Tochter des Hauses hat plötzlich
ümpfe bekommen. | =
Bar Wir finden ein blühendes, kräftiges Mädchen in fast völliger
an ußtlosigkeit, Die Augen sind halb geschlossen, die Hände zu-
der Kongo rampft, die Arme im Ellenbogengelenke. rechtwinklig gebeugt,
' Aörper wird von anhaltenden Krampfstößen erschüttert, bin
wieder unartikulierte Schreie. "Eingehendere Untersuchung im
Angenblick unmöglich, da jede Berührung den Paroxysmus verstärkt. Der
Conjunctivalreflex ist erhalten, die Pupillen reagieren auf Licht. Von den
Eltern erfahren wir, daß nie etwas Aehnliches bei der Tochter beobachtet
ist, sie war immer gesund, nur in letzter Zeit ist ihre Gemütsverfassung
gedrückt gewesen, denn sie hat Ursache, an den lauteren Absichten ihres
Verlobten zu zweifeln, und dieser Krampf ist in dem Momente aus-
gebrochen, als sie den Absagebrief erhielt. Am andern Morgen ist alles
wieder in Ordnung, die Untersuchung ergibt völlig normalen Befund,
aber die ganze linke Körperhälfte ist beim Streichen mit stumpfen
Gegenständen, beim Stechen mit der Nadel und bei Fingerdruck deut-
lich empfindlicher als die rechte. Patientin gibt an, daß sie schon
seit einiger Zeit links mehr als rechts gefühlt habe, wenn sie sich
an den linken Ellenbogen stieß, tat es immer viel weher
als rechts.
Diagnose? „Klassischer Fall von Hysterie nach Charcot!“
Auf dem Boden des charakteristischen Geisteszustandes, der durch das
Stigma ‚Halbseitenempfindlichkeit‘ deutlich bezeichnet wird, hat sich ein
nicht weniger pathognomisches Accidens, nämlich ein Paroxysmus ent-
wickelt. Alles stimmt bis auf ein Haar —-, aber leider die Hauptsache
fehlt, das Moment der Erblichkeit und der Degeneration. Eine völlig
gesunde Person wird von einem Krampfanfalle heimgesucht
und zwar infolge seelischen Kummers. Könnte es sich dabei um
echte Epilepsie handeln? Das erscheint in Anbetracht der Sachlage, der
Anamnese, des Verlaufs ausgeschlossen. - Der psychische Affekt ist das
Summum movens. Eine geistig und körperlich robuste Natur würde
solchem Anpralle widerstehen. wer aber durch Sorgen, Aerger, Not und
Trauer in seiner Widerstandsfähigkeit geschwächt ist, verliert die Herr-
schaft über sich selbst. So gut wie diese kann auch jede andere ein
solcher Anfali überraschen, deshalb ist es ein Trugschluß, zu sagen, wer
einen c'est à dire „hysterischen Krampf“ bekommt, ist ein „Hysterikus“,
das heißt es treffen auf ihn alle diejenigen Voraussetzungen zu, «die man
an dieses Wort knüpft: er ist willensschwach, launenhaft — es wäre
ermüdend, die ganze Litanei hier noch einmal von vorn zu wiederholen.
Wie steht es nun mit der Hyperaesthesia unilateralis?
Dies Symptom hat Charcot immer und immer wieder auf das deutlichste
beschrieben. Wer kennt nicht die Bilder, die in den französichen Büchern
der Nervenheilkunde fast auf jeder Seite wiederkehren? „Ein fast ein-
dentiges Zeichen für Hystérie permanente“, hat es der Meister der Sal-
p6triöre genannt. Hier bei unserm fingierten Falle ist diese Störung deut-
lich nachzuweisen. Hat also Charcot nicht ganz recht? Ist die Sache
nicht typisch für seine Lehre? -
Ganz im Gegenteill Durch nichts wird der klaffende Spalt, der
durch die Anschauungen der Salpêtrière hindurchgeht, deutlicher be-
wiesen, als durch die Tatsache, daß die Stigmata hysterica überall
im ganzen Bereiche der Pathologie zu finden sind, ohne auch nur
das geringste für die Existenz irgendeiner mystischen Sucht zu be-
weisen, die alle den stigmatisjerten Individuen gemeinsam wäre. Hierfür
kennt die Schule des großen Nervenarztes nur die eine Ausrede: „In
solchen Menschen schlummert die Hysterie, aber das Stigma beweist, daß
sie jeden Augenblick erwachen kann, und ein einziger Agent provocateur
genügt, um sie zu erwecken.“ f i
Aber dies Prinzip könnte man auch auf alle andern Krankheiten an-
wenden, nicht nur im Bereiche der Psychiatrie, sondern auch sonst in
der Pathologie. Die Kohnheimsche Theorie der Geschwulstbildung ist
nichts anderes als ein Analogon dieses Charcotschen Gedankens ins
Anatomische übertragen. Wenn jemand einen bösartigen Tumor hat, so
ist das der Beweis dafür, daß die Keime dieses Gebildes je und je in
ihm geschlummert haben, irgendein unglückliches Moment — das wir aller-
dings nicht kennen — gab ihnen den Anstoß zum Wachsen. Aber ge--
nau mit-dem gleichen Rechte könnte jemand sagen: Der Krebs befällt
nur dann einen Menschen, wenn dieser mit dem specifischen Virus —
sagen wir dem Bacterium carcinomatis — in Berührung kommt. ganz
gleichgültig, ob und wieviel versprengte Epithelzellen in seinem Körper
der Auferstehung entgegenschlafen. | |
. Ebenso könnte man Charcot gegenüber behaupten: Hysterische
Krämpfe so gut wie Stigmata hysterica kann jeder bekommen, der von
psychischen lasulten getroffen wird. Zur Erklärung dieser Tatsache be-
dürfen wir keinerlei Theorie einer im Menschen schlafenden Bestie, die
erst zum Leben und Toben erweckt werden muß.
Wenn ein gesundes, blühendes Frauenzimmer sich in seinen Hofi-
nungen getäuscht, in seinen Erwartungen betrogen sieht, so hat sie das
Recht, in ihrer seelischen Verfassung Schaden zu leiden. Wenn dann
schließlich ein Krampf als Entladung der im Innern angesammelten Spann-
kräfte erfolgt, so ist das menschlich und pathologisch verständlich.
Kommt nun einer und behauptet, zur Analyse dieses seltenen Falles
müssen wir annehmen, daß in diesem bisher kerngesunden Menschen-
kinde von jeher eine geheime Krankheitseinheit, nämlich „die sogenannte
Hysterie“, geschlummert hat, und diese merkwürdige, rätselhafte Sucht
ist erst in dem Augenblick manifest geworden, als der Uriasbrief an-
langte —, so. ist das, wissenschaftlich und praktisch genommen, ein
Nonsens.
Es handelt sich in einem solchen Fall um eine leichte — viel-
leicht könnten wir sagen die leichteste — Form einer akuten Psy-
chose. Leptothymie könnten wir sie nennen, um anzudeuten, daß sie
nur geringen Grades ist, oder Asthenothymie, weil ein starker Geist
schwach geworden ist. Auch Pathothymie oder Lypothymie, das
heißt eine durch Kummer und Leid verursachte Schwankung des nor-
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4. August.
malen psychischen Niveaus, würde die Art des Leidens bezeichnen. Mögen
die Worte auch nicht schön klingen, sie sind immer noch zehnmal
besser als das elende „Hysterie“ mit seinem Kometenschweife von Miß-
verständnissen.
Was hat es nun auf sich mit der Halbseitenstörung, die wir
bei unserer Patientin angenommen haben? Ist dies Symptom nicht un-
bedingt charakteristisch für eine bestimmte Krankheit? — Darauf ist zu
antworten: Die Hemianästhesie, ebenso wie alle übrigen von
Charcot so genannten Stigmata hysterica finden sich im
ganzen Bereiche der Pathologie und insbesondere da, wo der Wille
die Herrschaft über den Geist verliert. Wir treffen sie in allen Breiten
der geistigen Störung, von den akuten Psychosen beginnend, bis hinab
in die tiefsten Gründe der Entartung und des Schwachsinns. Diese „Signa
diaboli“, wie man siein früheren Zeiten genannt hat, sind gewissermaßen
das Exanthem am Körper eines von psychischer Infektion be-
fallenen Körpers.
Und nun zum Schlusse noch ein letztes, ebenfalls aus dem vollen
Leben genommenes Bild. Der langjährige Hausarzt wird von einer be-
freundeten Familie zu einer ernsten Besprechung gebeten: Mit der ältesten
Tochter, die er seit ihrer Jugendzeit kennt, geht es nun nicht länger
mehr, es muß etwas mit ihr geschehen, denn sie zerrüttet das ganze
Familienleben. Ihr Einfluß auf die jüngeren Geschwister ist ein geradezu
unheilvoller, ihre Herrschsucht, ihr Lügen, ihre Rechthaberei
ist gar nicht mehr zu ertragen. Daß sie in der Schule nie etwas
geleistet hat, daß man ihr als schwachem, kränklichem Kinde manches
nachsehen mußte, daß sie immer sehr milde und nachsichtig behandelt ist,
kann nicht bestritten werden, aber nach Ansicht der Eltern ging das nicht
anders. Bis jetzt sind auch alle leidlich mit ihr ausgekommen, aber nun
geht os wirklich nicht mehr. Ihre Trägheit, ihre Putzsucht, ihr
maßloser Egoismus wäre noch zu ertragen, aber seit einiger Zeit bat
sie das Nachtwandeln angefangen, sie erscheiut irgendwo in somnam-
bulischer Verfassung, fällt, wenn man sie anruft, mit einem
Schrei zur Erde, schreit auch sonst zuweilen nachts oder schlägt gegen
die Türen. Bei Tage hat sie schon wiederholt Krämpfe bekommen, und
als man ihr gestern abschlug, sich an einer minderwertigen Festlichkeit
zu LOSE, hat sie über eine Stunde bewußtlos in Zuckungen
gelegen.
. Der Hausarzt, dem diese lange Geschichte vorgetragen wird, findet
eine leidlich kräftige Person mit wirrem Haar, geistig noch etwas
zerrüttet, wahrscheinlich infolge der gestrigen Attacke, Herz und Lungen
normal, Reflexe auffallend gering, deutliche Herabsetzung der
Empfindlichkeit auf der linken Körperhälfte vom Scheitel
bis zur Sohle, scharf in der Mittellinie abschneidend. Psychisch auf-
fallende Charakterveränderungen, die den Schilderungen der Angehörigen
nichts nachgeben.
Was haben wir hier? Derartige Fälle hat Charcot zu Dutzenden
in seinen Dienstagsvorlesungen beschrieben und vorgestellt. „Hysterie
in des Wortes verwegenster Bedeutung“, ist immer und immer
wieder sein Verdikt. Hätte er diese Bezeichnung streng auf analoge
Fälle eingeschränkt, so würden wir auch heute noch allen Grund haben,
ihm dankbar zu sein, denn wir könnten dann einen ganz bestimmten
Abschnitt aus dem weiten Gebiete desSchwachsinns mit einem
besondern Namen belegen.
Die zuletzt geschilderte Kranke ist eine Psychopathin, eine
Minderwertige. Eine Apokaerykta, das heißt vom Geschick Ent-
erbte könnte man sie nennen, denn sie ist wohl ohne Zweifel aus mangel-
haftem Keimplasma entsprossen. Wollte man hier die Bezeichnung
„Hysterie“ festhalten, so würde mancher Theoretiker dabei auf seine
Rechnung kommen, Sollier vor allem und Pierre Janet hätten ein
prachtvolles Objekt für hypnotische Versuche, der „Pithiatismus“
ließe sich wohl sicher demonstrieren, denn wer weiß, ob man die Un-
empfindlichkeit der halben Seite nicht schleunigst transferieren, das heißt
nach der andern Körperhälfte übertragen oder gar verschwinden lassen
könnte. Und wollten wir endlich die Geschlechtssphäre dieses unglück-
lichen Wesens aufrühren, so könnten leicht Dinge zutage kommen, bei
welchen selbst Sigmund Freud ein leises Gruseln überlaufen würde.
Aber trotz alledem und alledem haben wir es doch mit einer
Schwachsinnigen zu tun, alle Symptome, die die Untersucher heraus-
experimentieren werden, finden sich im ganzen großen Bezirke der
psychopathischen Minderwertigkeit, das bestreitet kein Mensch, wenn wir
auch dabei betonen, daß sie auch anderswo keineswegs selten vor-
kommen.
Wenn nun jemand folgendermaßen schlösse: Diese Schwachsinnige
hat eine Halbseitenstörung der Empfindlichkeit — folglich ist jeder, der
einen ähnlichen Defekt aufweist, ein Schwachsinniger — was würden wir
dazu sagen? Nun wahrscheinlich würde die Antwort lauten: Das ist
Unsinn, denn es gibt eine Menge Leute mit Gefühlsdifferenzen rechts
und links, aber darum sind sie noch längst nicht alle schwachsinnig!
Der große Charcot hütet sich wohl, uns einen solchen plumpen
Irrtum zuzumuten, aber der logische Schluß, den er aus seinen Studien
in der Salpötriöre zieht, ist darum doch ganz genau der gleiche. Er
sagt: Diese Kranken, die ich Ihnen hier vorstelle — es sind zunächst
durch die Bank Schwachsinnige — sind hysterisch, denn sie haben
ausgesprochene Stigmata hysterica, und weiter Jeder Mensch,
der ein einziges solches Stigma trägt, ist auch hysterisch.
Nun würde sogleich der Einwand folgen: Stigmata finden sich aber auch
sonst in weitester Verbreitung bei der kranken Menschheit; darauf
antwortet der große Arzt: „Das schadet gar nichts. Wer ein Stigma
hat, ist eben „hysterisch“, das heißt er hat diese Krankheit
verborgen in sich, ob sie jemals zum Ausbruch kommt, ist eine
andere Frage. Wartet es nur ab, wenn der richtige Agent provocateur
erscheint, wird sie schon zutage treten.“
Nun würde ferner eingewandt werden: Die Kranken, die wir in
der Salpêtrière sehen, sind sämtlich schwachsinnig, degeneriert, minder-
maus, sind also die Stigmata nicht etwa Teilerscheinungen des Grund-
eidens
Darauf antwortet Charcot: Nein, sondern die Hysterie ge-
sellt sich nur der Degeneration hinzu, wie ein Schmarotzer
zu einem geduldigen Wirte, darum: bleibt sie aber nichtsdesto-
weniger selbständig, einig und unteilbar. Die stigmatisierten
Psychopathen sind erstens schwachsinnig und zweitens
hysterisch. Wer sonst ein Stigma trägt ist „permanent hysterisch“.
Die bösen Zufälle, die diese Krankheit mit sich bringt, werden sich schon
gelegentlich zeigen.
Man mag die Ansichten über Hysterie vor und nach Charcot
kritisch erwägen, so viel man will; es ist wenig oder gar nichts
davon zu retten:
Eine einige und unteilbare Krankheit „die Hysterie“
gibt es gar nicht, es gibt nur bestimmte Merkmale, ge-
wissermaßen einen Komplex von Symptomen, die wir
seit alters her „hysterisch“ nennen. In erster Linie gehört
dahin der hysterische Anfall. Die Stigmata hysterica sind erst
später hinzugekommen. Alle diese sogenannten hysterischen
Symptome finden sich bei einer Menge der verschiedensten Krank-
heiten als Begleiterscheinungen, charakteristisch für irgendein
bestimmtes Leiden sind sie nicht. Deshalb ist das, was wir
hysterisch nennen eine bunte Schar aus den ver-
schiedensten Regionen der Pathologie zusammengelesener
Krankheitsbilder, denen nichts gemeinsam ist, als
einzelne nichtssagende Symptome. Der angeborene
Schwachsinn beziehungsweise die psychopathische Min-
derwertigkeit auf der einen und die erworbene Nerven-
schwäche auf der andern Seite: das sind die großen
Heeressäulen, aus denen sich die unter der Flagge
Hysterie marschierende Freischar rekrutiert.
Das Wort „Hysterie“ ist heute wissenschaftlich
als sinnlos zu bezeichnen, seine Verwendung in der
Praxis kann nur Mißverständnisse herbeiführen. Diesen
unglückseligen Terminus aus unserer Zunftsprache end-
gültig auszutilgen, ist nicht nur ein Gebot der Mensch-
lichkeit, sondern gleichzeitig eine unabweisbare Forde-
rung der ärztlichen Politik und der ärztlichen Ethik.
Aus der Poliklinik für Licht- und Röntgenbehandlung des Aller-
heiligen-Hospitals zu Breslau. (Primärarzt Prof. Dr. Harttung.)
Die Behandlung der Ulcera cruris mit der
Quarzlampe
von
Sekundärarzt Dr. Braendle.
‘Der Wert des Lichts als Heilfaktor wird in neuerer Zeit
immer mehr anerkannt. Finsen gebührt vor allem das Verdienst,
das Fundament für die moderne Lichttherapie geschaffen zu haben.
Er hat mit Nachdruck auf die Bedeutung des Lichtes für die Me-
dizin und insbesondere für die Dermatologie hingewiesen. Welch
umwälzende Wirkungen seine Beobachtungen, vor allem bel der
Bekämpfung des Lupus gezeitigt haben, ist ja hinlänglich bekannt.
Es sind die sogenannten aktinischen oder chemischen
Strahlen (blaue, violette und ultra-violette Strahlen), die bei der
modernen Lichttherapie hauptsächlich ihre Anwendung finden.
Von Finsen wurde zunächst als primitivste, aber auch
kräftigste Lichtquelle die Sonne selbst benutzt. Aus praktischen
Gründen wurde weiterhin ebenfalls von Finsen das elektrische
Bogenlicht, das reich an chemisch wirksamen Strahlen ist, in die
Therapie eingeführt. So glänzend sich das elektrische Bogenlicht
vor allem bei der Bekämpfung des Lupus bewährt hat, 80 haften
doch anderseits der Behandlung mit elektrischem Bogenlicht zwe
große Mängel an: Sie ist kostspielig und sehr zeitraubend.
Man hat nun verschiedene andere Lichtquellen als Ersatz für das
elektrische Bogenlicht konstruiert, es sei nur an die Eisenelek-
trodenlampen und an die Uviollampen erinnert, doch hat sich keine
dieser Lichtquellen auf die Dauer bewährt.
Kromayer (6,7) ist es nun vor mehreren Jahren gelungen,
die sogenannte Heräus-Quarzlampe, die ein an kurzwelligen
Sri ra e a E ia a a E i a A
m..
TI a a T
4. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
Strahlen, das heißt chemisch wirksamen Strahlen reiches Licht er-
zeugt, zu modifizieren und dadurch in die Medizin eine neue Licht-
quelle einzuführen, die sich bei der Behandlung verschiedener
Dermatosen sehr gut bewährt hat. Ich möchte zunächst in aller
Kürze eine Beschreibung dieser von Kromayer modifizierten
Quecksilberdampflampe folgen lassen: Es
Das Licht wird bei dieser Lampe in einem luftleeren, mit
Quecksilber, beziehungsweise Quecksilbergas gefüllten Raume durch
den elektrischen Strom erzeugt. Das Gehäuse, welches das Queck-
silber enthält, besteht aus Quarz, denn nur Quarzglas läßt die für
die Therapie wichtigen blauen, violetten und ultra-violetten Strahlen
durch, während gewöhnliches Glas sie größtenteils absorbiert. Der
Quarzkörper selbst wird von einem Metallgehäuse eingeschlossen.
Um die Wärmeentwicklung zu unterdrücken, . eirculiert zwischen
dem Quarzkörper (Leuchtkörper) und dem Metallgehäuse Leitungs-
wasser. Diese dauernde Wasserspülung bei:der Kromayerschen
Quarzlampe ist aber ein gewisser Nachteil. Sie macht die ganze
andhabung der Lampe etwas kompliziert.
: Nagelschmidt (9) hat eine Modifikation dieser Quarzlampe
konstruieren lassen, bei der die Wasserspülung wegfällt. Ich
komme noch des näheren auf diess Nagelschmidtsche Lampe zu
sprechen.
| Wie wirken nun die chemischen Strahlen auf das mensch-
liche Gewebe ein? Bering (1,2) vor allem hat hierüber ausführ-
liche Untersuchungen angestellt. Nach seinen Beobachtungen tritt
unter der Einwirkung der chemischen Strahlen in den belichteten
Gewebspartien ein ganz außerordentlich gesteigerter Stoffwechsel ein.
In dieser Steigerung des Stoffwechsels haben wir den
eigentlichen Heilfaktor des Lichtes zu erkennen. Früher
wurde der baoterieiden Wirkung des Lichtes die größte Rolle bei
der Therapie zugeschrieben. Nach den neueren Untersuchungen
spielt die bactericide Eigenschaft des Lichtes nur eine unter-
geordnete Rolle, immerhin ist auch mit ihr als Faktor zu rechnen.
` Al äußerlich erkennbares Symptom tritt nach einer Be-
strahlung mit der Quarzlampe nach ungefähr 12 bis 24 Stunden
eine kräftige. Hyperämie der exponierten Stelle auf. Diese Hyper-
amie erzeugt außer geringem Juckreize keine subjektiven Sym-
ptome, Sie hält, was für die Therapie besonders wichtig ist,
mehrere Tage (je nach der Intensität zwei bis acht Tage) an. In
dieser lang andauernden Hyperämie und der dadurch be-
dingten Steigerung des Stoffwechsels beruht zweifellos die günstige
Wirkung des Quarzlichts. Mit keinem andern Mittel sind wir im-
stande, eine derartig kräftige und längere Zeit anhaltende Hyper-
ämie zu erzeugen. Es würde zu weit führen, wenn ich alle
Dermatosen erwähnen wollte, bei denen das Quecksilberlicht mit’
Erfolg angewandt worden ist. Bekanntlich sind vor allem bei der
Behandlung der Alopecia areata mit den Bestrahlungen gute Er-
folge zu erzielen, ebenso in gewissem Grade bei der Alopecia se-
borrhoiea, soweit die Erkrankung noch im Beginn ist, und bei der
opecia specificia, bei letzterer Erkrankung allerdings nur insofern,
als man durch die Bestrahlungen die Wirkung der Allgemeintherapie
unterstützen kann. Daß beim Lupus vulgaris und Lupus ery-
thematodes, bei stark entwickelter Rosacea, den Keloiden, hyper-
trophischen Narben und den Naevi vasculosi mit sogenannten Kom-
pressionsbestrahlungen gute Erfolge zu erzielen sind,. sei nur
nebenbei erwähnt. |
Vor allem möchte ich aber auf ein Anwendungsgebiet der
Quarzlampen hinweisen, über das bis jetzt nur relativ wenig be-
richtet worden ist. Es sind dies die Ulcera cruris. Die Er-
folge ‘mit Quecksilberlichtbestrahlungen bei Ulcera cruris sind nach
den Berichten verschiedener Autoren teils günstige, teils weniger
günstige. Heymann (8) z. B. hat wenig günstige Erfahrungen
mit den Bestrahlungen erzielt, während J: Schäffer (12),
eines (11), Jungmann (5) und Andere über günstige Beob-
achtungen berichten. Die Erfolge, die wir an unserer Abteilung
mit Bestrahlungen mit der Kromayerschen Quarzlampe bei Ul-
cera cruris beobachteten, waren relativ günstige. Sie wurden aber
toch wesentlich besser, als wir die Bestrahlungen der Ulcera cruris
mit der von Nagelschmidt angegebenen Modifikation der Quarz-
ampe vornahmen. Im Prinzip unterscheidet sich die Nagel-
schmidtsche "Quarzlampe von der ursprünglichen Kromayer-
schen dadurch, daß an Stelle der- Wasserkühlung eine Abkühlung
a Glühkörpers durch fächerartig ausgebreitete Platten aus
“üpferblech, die an den Einden des Brenners angebracht sind, er-
> wird. Diese die Hitze ableitenden Kupferplatten erzeugen
el den Bestrahlungen einen gewissen, Grad von Wärme (mit
leser Nagelschmidtschen Quarzlampe kann übrigens nur auf
ntfernung bestrahlt werden). Wir neigen der Ansicht zu, daß
die günstigere Beeinflussung der Ulcerationen durch die Bestrah-.
lung mit der Nagelschmidtschen Lampe gegenüber der Behand-
lung: durch die Kromayersche Quarzlampe eben durch diese
Wärmeeinwirkung in Kombination mit den chemisch
wirksamen Strahlen des Quecksilberlichts bedingt ist.
Abgesehen von Ulcera eruris wurden in unserer Poliklinik
für Lichtbehandlung auch noch andere torpide Ulcerationen ver-
schiedener Aetiologie bestrahlt, z. B. schlecht epithelisierende Ulce-
rationen, wie sie mitunter nach Bubooperationen entstehen, ulce-
rierte Pernionen usw. Unsere Beobachtungen erstrecken sich über
28 Fälle von Ulcera cruris, 18 Fälle von Ulcerationen bei suppo-
rierten Bubonen und 3 Fälle von exulcerierten Pernionen. Der
größte Teil dieser Fälle ist in erheblich kürzerer Zeit
epithelisiert als wir es bei der sonst üblichen Therapie
zu-sehen gewohnt waren. l
Es sei bemerkt, daB von den Ulcera cruris nur die torpiden
Fälle bestrahlt wurden, nicht aber die irritablen Ulcera, die mit
starken Entzündungsprozessen in der Umgebung einhergingen. —
Die Technik der Bestrahlung ist ziemlich einfach. Zunächst
wird die Umgebung. des Geschwürs in zirka 2 cm Entfernung
‘vom Wundrand aus mit Tüchern oder schwarzem photographischen
Papier abgedeckt. Außerdem ist vor allem das Gesicht des Pa-
tienten vor der direkten Einwirkung der Strahlen zu schützen.
Der Quarzkörper wird bei der ersten Sitzung in 30 cm Entfernung
von der Geschwürfläche gebracht und daraufhin zunächst sechs
Minuten bestrahlt. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß die
Zeitangaben bei Bestrahlung mit der Quarzlampe nur in gewissem
Grade zu verwerten sind, da jede Lampe, je nachdem ob sie
kürzere oder schon längere Zeit in Gebrauch ist, eine verschieden
starke Reaktion auslöst. Nach dieser ersten Bestrahlung zeigt
sich nach 12 bis 24 Stunden eine mehr oder weniger starke, sub-
jektiv keine oder nur geringe Symptome erzeugende Hyperämie
der exponierten Stelle. Einige Zeit darauf kann mar deutlich
eine intensivere Epithelbildung beobachten. Diese Bestrah-
lungen wiederholen wir in Pausen von je nachdem drei bis sechs
Tagen. Es ist aber zu bemerken, daß bei den nächstfolgenden
Bestrahlungen die Expositionszeit verlängert, beziehungsweise die
Lampe der zu bestrahlenden Fläche etwas genähert werden muß,
‘da das Gewebe auf die späteren Bestrahlungen hin nicht mehr so
intensiv reagiert wie bei der ersten Bestrahlung. Wir gehen z. B.
bei den folgenden Bestrahlungen bis zu 20 em an die Wundfläche
heran und exponieren 10, 15, ja mitunter sogar bis 20 Minuten,
ohne daß sich bei diesen langen Expositionen schwerere Verbren-
nungssymptome zeigen würden. Ä
Es gibt nun Ulcerationen, bei denen die anfangs rasch ein-
setzende Epithelbildung nach einigen Bestrahlungen sistiert. In
diesen Fällen muß der Rest der Ulceration chirurgisch in An-
griff genommen werden. Die vorausgehenden Bestrahlungen
waren in diesen Fällen keineswegs unnütz gewesen. Wir konnten
beobachten, daß in diesen Fällen die transplantierten Epithelstück-
chen immer sehr gut anheilten, was wohl durch die infolge der
vorausgehenden Bestrahlungen erzielten günstigen Ernährungs-
bedingungen zu erklären ist. Die schlechteste Prognose quoad
sanationem geben auch bei Quarzlichtbestrahlungen diejenigen
Ulcera eruris, die in eine glatte, narbige Umgebung eingebettet
sind. Bei diesen Ulcera soll man bald zur Transplantation
schreiten, die dann möglichst mit Krauselappen vorzunehmen ist.
Als Verbandsalbe wandten wir zwischen den einzelnen Be-
strahlungen gewöhnlich Zinkpaste beziehungsweise Dermatol mit
einer Schicht Zinkpaste an. Diese Pasten, beziehungsweise Pulver-
pastenverbände, sind gegenüber den übrigen Salbenverbänden insofern
besser, als sie in etwas höherem Grade das sich nach den Be-
lichtungen stärker bildende Sekret aufsaugen als die weniger resor-
bierenden Salbenverbände. | |
Ulcera cruris sind kein einheitlicher ätiologischer Begriff;
ihre Therapie kann. deshalb auch nicht generell erörtert werden.
Aber sowobl den chirurgisch Vorgehenden, wie denjenigen,
welcher einer Salben- und Pastenbehandlung den Vorzug gibt,
unterstützen nach unsern Beobachtungen die Quarzlichtbestrahlungen
wesentlich bei der Behandlung dieser und anderer torpider Ulcera-
tionen. Beider Behandlung ist im allgemeinen langwierig,;, und
jedes abkürzende Moment ist mit Freuden zu begrüßen..
‘ Literatur: 1. Bering, Ueber die Wirkung violetter und ultra-violetter
Lichtstrahlen. (Med. naturw. Arch. Berlin 1907, H. 1.) — 2. Derselbe, Ueber die
Behandlung von Hautkrankheiten mit der Kromayerschen Quarzlampe, (D.
med. Woch. 1909, Nr. 2.) — 3. Heymann, Erfahrungen mit der Quarzlampe.
. med. Woch, 1907, Nr. 42.) — 4. Joachim, Behandlung der Alopecie mit
erzlicht (D. med. Woch. 1909, Nr. 19.) — 5. Jungmann, Klinische Aus.
führungen zur Kromayerschen Quecksilberquarzlampe. (A. f. Derm. Bd. 97, H. 1.)
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idiopathischer Purpura den „Bacillus haemorrhagicus“, den zu züchten
1272,
— 6. Kromayer, Quecksilberwasserlampen zur Behandlung von Haut und
Schleimhaut. (D. med. Woch. 1906, H. 11) — 7. Derselbe, Die Anwendung
des Lichtes in der Dermatologie. (Berl. kl. Woch. 1907, Nr. 3—5.) 8. Leder-
mann, Kritische und therapeutische Beiträge zur Kenntnis der Quarzlampe.
(Berl. kl. Woch. 1907, Nr. 51.) — 9. Nagels chmidt, Uebersicht über die Radio-
therapie. (Berl. kl. Woch, 1908, Nr. 48.) — 10. Pürckhauer, Quarzlampenbehand-
lung. (In Josephs Handb. d. Kosmet. 1912.) — 11. Reines, Quecksilberlicht
in der Dermatologie. (Wr. med. Woch. 1909, Nr. 24.) — 12. J. Schäffer, Die
Behandlung des. Unterschenkelgeschwürs, (Med. Kl. Beiheft 5, 1910.).
Eine Purpuraepidemie
von
Dr. Alexander Ernst, Warasdin, Kroatien.
Die Frage der hämorrhagischen Diathesen wurde in letzter
Zeit wiederholt erörtert1), doch während sich die Kasuistik speziell
der schwersten Formen in dankenswerter Weise mehrte, blieben
doch Serienbeobachtungen auch leichterer Fälle von Purpura un-
veröffentlicht bis auf einen Bericht über hämorrhagische Erkran-
kungen der Neugeborenen?), wo über 51 Fälle von hämorrhagischen
Erkrankungen der Neugeborenen berichtet wurde®). Gerade solche
Serienbeobachtungen sind aber für die Erforschung der. Aetielogie
von Bedeutung, da die Frage noch immer lautet: parasitär oder
nichtparasitär, infektiös oder nichtinfektiös?
Es hat nicht an Forschern und Forschungen gefehlt, die den
Infektionsträger unter den Mikroorganismen suchten und ihn auch
gefunden zu haben glaubten, | |
So fanden Kolb) und später Finkelstein) in drei Fällen echter
ihnen auch gelang und durch dessen Ueberimpfung auf Kaninchen eine
dem Menschen ähnliche Purpura erzielt wurde. Andere Autoren (Letze-
rich, Babes, Gärtner, Tizoni und Giovani) fanden andere Mikro-
organismen, die sie als Erreger der Purpura ansprachen. i
Zu einer definitiven Lösung dieser Frage sind wir trotzdem
bis heute noch nicht gekommen. Deshalb betonen viele Autoren
auf Grund ihrer Beobachtungen bloß die Möglichkeit oder
Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsfähigkeit der Purpura.
So sagt z. B. Hecker‘) über die Astiologie der Purpura: „Während
zweifellos einige Momente als indirekte Ursache in Betracht kommen...
ist eine direkte Ursache zurzeit noch nicht aufzustellen. Mit großer
Wahrscheinlichkeit, in vielen Fällen mit Sicherheit ist anzunehmen, daß.
infektiöse Prozesse vorliegen.“ M. Joseph’) sagt: „Ob die Anschauung
derer, welche die Purpura hasmorrhagica für eine bacilläre Erkrankung
halten, sich bestätigen wird, muß erst die Zukunft lehren.“ Ziegler®)
meint, dab es „die Beobachtungen der letzten Jahre wahrscheinlich
machen, daß die bämorrhagische Diathese wenigstens zum großen Teil zu
den Infektionskrankbeiten gehören“. H. Arnsperger?) gibt eine neue
Einteilung der hämorrhagischen Diathese, und zwar in
I. symptomatische hämorrhbagischo Diathese, kommt vor bei
andern Krankheiten, wie bei Pyämie, Typhus, Variola, Leukämie usw.,
II. essentielle hämorrhagische Diathese:
1. angeborene und hereditäre Hämophilie,
2. erworbene hämorrhagische Diathese,.
a) Skorbut und Barlow, welche oft endemisch oder fast epi-
demisch auftreten;
b) Purpura simplex, Purpura - bämorrhagica und Peliosis rheu-
matica, die nicht epidemisch oder endemisch auf-
treten!
Arnsperger negiert also das epidemische Vorkommen der Pur-
pura simplex und Peliosis rheumatica.
Im allgemeinen ist die Purpura eine: separate Gruppe von
Erkrankungen, die in die große Abteilung der hämorrhagischen
Erkrankungen gehört. Das Charakteristikon und all diesen Krank-
heiten Gemeinsame besteht in mit einigen andern mehr allgemeinen
i) Siehe Med. Kl. 1911, Nr. 42 und 47: Ein schwerer Fall von
Purpura haemorrhagica von Dr. Leo Wolfer; weiter s. Med. KI. 1912,
Nr. 6: Kasuistischer Beitrag zur Frage der hämorrhagischen Diathesen
von Dr. G. Löffler.
2) A. Green und J. B. Swift (Boston med. and surg. journ. 1911
Bd. 164, S. 454). E
' 3) Zitiert nach Jahrb. f. Kind. 1911, Bd. 24.
4) M. Kolb, Zur Aetiologie der idiopathischen Blutfleckenkrankheit.
(Arb; Kais. Ges. Bd. 7, Berlin 1891.) _
5). Nach Bendix, Kinderheilkunde, 2. Auflage, S. 98.
6) Dr. R. Hecker, Hämorrhsgische Erkrankungen im Handbuch
der Kinderheilkunde, herausgegeben von Prof. Pfaundler und Prof.
Schloßmann. Leipzig 1906, Bd.1, IL. S. 571.
1). Max Joseph. Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. |
5. Auflage, Bd. 1, S. 167.
6, J. Ziegler, Allgemeine Pathologie. 8, Auflage, Bd. 1, S. 172.
9) D, med. Woch. 1910, Nr. 24.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 81.
| kulatur, in
4. August..
Symptomen verbundenem Austreten von Blut aus den Gefäßen. In
vielen Fällen sind diese Blutaustritte ausschließlich oder :haupt-
sächlich auf die äußere Hautdecke beschränkt.
Man benennt sie dann je nach der Größe: Petechien (von
rırrdxeov = nach Celsus eigentlich kleines Lederfleckchen mit Salbe zum
Auflegen auf die Haut), Stigmata (von riw = Stechen, Punkte), Ek-
chymosen (von 5 &zyöuwaıs— das Unterlaufen mit Blut, von yéw =
gießen), Suffusionen von subfundo = daruntergießen), Sugillationen
(von sugillare = braun und blau schlagen), und Vibices (von vibex =
Striemen) !).
‚In zahlreichen andern Fällen kommt es auch zu Blutungen
in die Mus-
die Gelenke
und Schleim-
häute, wohl
auch in die
Blase und
den Darm.
Diesem ver-
schiedenen
Krankheits-
bilde hat
man auch
verschiedene
Benennun-
gen gegeben
(Skorbut,
Morbus
Maculosus,
Purpura
simplex,
Purpura
Abb, 1.
Anton J., dreimonatiger Säugling zugleich mit der Mutter er-
haemorrha- krankt, Zahlreiche Blutaustritte am ganzen Körper, Kopf, Fuß-
gica) wobei rücken und Sohlen.
?
man den prinzipiellen Standpunkt der Identität des Grundprozesses
beibehält.
Allgemein anerkannt ist ja, daß zwischen den einzelnen Formen
soviele Uebergänge bestehen, „daß es nicht selten fast ganz von dem
Belieben des Arztes abhängt, welche nähere Bezeichnung er wählen will“
[Strümpell?)]. :
Außer dieser quantitativen Einteilung und Nomenklatur
gibt es und gebraucht man nach Bedarf auch: eine qualitative.
Je nachdem nämlich keine oder mehr minder charakteristische
objektive und subjektive rheumatische, intestinale oder,
gastrische Beschwerden vorherrschen, nennt man die Krankheit
auch Purpura simplex, Purpura (Peliosis) rheumatica und
Purpura abdominalis, wobei es sich offenbar nur um verschie-
dene Lokalisation ein und desselben Prozesses handeln kann. Dab
man da nicht zu weit gehen darf, beweist uns, daß ja auch z. B.
Purpura mit angioneurotischem Oedem?), Purpura im Anschluß
an Miliartuberkulose®) usw. beschrieben wurde, und es die
Autoren doch vermieden haben, neue Namen zu geben.
Das klinische Bild der Purpura beginnt oft mit prodro-
malen Erscheinungen in Form von Reißen und Ziehen in den Glie-
dern, Kopfschmerzen, Magen- oder Darmstörungen. Häufig suchen
die Kranken auch nur wegen dieser Beschwerden den Arzt auf,
der oft dann erst den Patienten die sichtbaren Zeichen ihrer
Krankheit zu zeigen Gelegenheit hat. |
Zumeist findet man die Blutaustritte an den medialen Seiten
der oberen und unteren Extremitäten, ferner um die Kniegelenke,
unter der Achsel und an der Schulter. Auffallend war mir, daß
oft gerade jene Körperteile die meisten Blutungen zeig-
ten, über welche die Patienten klagten; so am Abdomen,
wenn der Patient über Leibschmerzen klagte, an den Füßen, wenn
er über Beschwerden in den Füßen klagte usw. Da die Neigung
zu Blutungen eine starke ist, sodaß oft ein schwacher Druck ge-
nügt, subcutane Blutergüsse zu erzeugen, oder gar Ergüsse insg
9) Strümpell, Spezielle Pathologie und Therapie. - 10. Auflage,
Ba. 2, S. 548,
3) Ein Fall von Hennochs Purpura mit angioneurotischem Oedem
von A. Don (Lanc. 1909, Bd. 2, S. 526). Ä
‘) S. Cannata, Zur Pathogenese der Purpura haemorrhagica. (D.
med. Woch. 1911. Zitiert nach Jahrb. f. Kind. Bd. 24, S. 220.)
Zu nn
Gelenk, Könnte man diese Erscheinung auch so erklären, daß der
lokalisioertte Schmerz das Primäre ist. Durch unwillkürliches,
1) Zitiert nach Thiem, Handbuch d. Unfallerkrank., Bd. 1, S. 897.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 8t, © | 1273.
wiederholtes Betasten. der schmerzhaften Gegend (Extremität, Ge-
lenk, Abdomen usw.) kommt .es dann zu Blutaustritten daselbst.
Ebenso dürften die von mir häufig beobachteten subcutanen Blut-
austritte am Nacken und um die Hüfte zu erklären sein, da dort
die Last der Kleider hauptsächlich ruht und permanent sozusagen
irritiert. _ m ii |
Erhöhte Temperaturen fehlen oft auch in den schwersten
Fällen, während man ausnahmsweise auch 40°C (bei der P. rheu-
matica) und öfter 38,50 C (bei P. abdominalis) notiert hat.
Die Krankheit dauert‘ zumeist drei bis vier Wochen, wenn
_ keine Rezidiven auftreten, die das Leiden. in die Länge ziehen
können. .-
Prädisponiert für die Purpura sind alle schwachen Indivi-
duen, also. vor allem Kinder (es waren 0—10 Jahre alt 34%,
‚aller: Fälle), weiter Rekonvaleszenten, Marantische und Kachek-
tische. ‘ . Speziell Rekonvaleszenten . nach. Scharlach, Masern,
Diphtherie; Röteln; ferner Tuberkulöse und durch bösartige
Neubildungen Geschwächte oder durch Klimakterium Alterierte
[M. Joseph 1)].. Das weibliche Geschlecht ist viel mehr beteiligt
(74%/, aller Fälle) als das männliche. = u
` Aber bei näherer’ Betrachtung auch einiger anderer Krankheiten,
die gewöhnlich keinen hämorrhagischen Charakter aufweisen, sondern in
entzündlich-exsudativen Prozessen der Haut bestehen und deshalb
unter die’ Hautkrankheiten -im engeren Sinne. gezählt werden, sieht man,
daß dieselben-in naher: Verwandtschaft mit den: hämorrhagischen Erkran-
kungen''stehen.. Das gilt vor allem für das Erythema exsudativum
- multiforme (Hebrae),. welches: oft ausgesprochene hämorrhagische Eigen-
schaften besitzt [Neter?)]. Vörner?) beschreibt sogar ein alternie-
rendes Auftreten von Purpura rheumatica und Erythema exsudativum
multiforme Hbrae. : . ` ;
'Solchen Hautkrankheiten ` läßt sich aber anderseits wieder eine
Verwandschaft mit der Polyarthritis rheumatica nicht absprechen;
denn wie einerseits- bei Purpurg und Erythema multiforma oft auch die
Gelenke mitbeteiligt ‚sind, ist es anderseits bekannt, daß die akute Poly-
arthritis auch mit hämorrhagischen Hautaffektionen verbunden sein kann
(Strümpelll. co). l ER
Hervorzuheben ist auch die Verwandtschaft der Chorea mit
akutem Rheumatismus speziell der Kindheit, sodaß manche Autoren be-
haupten, daß fast jeder Rheumatismus im Kindesalter mit Chorea ver-
bunden sei: ;Und’ dieser zweifellos bestehende innere Zusammenhang
zwischen Chorea, Gelenkrheumatismus und Herzfehler weist auf die Mög-
lichkeit hin, daß es sich bei der echten Chorea um eine im Anschluß an
eine Infektion entstandene Intoxikation handelt“ [Strümpell®)].
‚ Ebenso sagt Thiemich®): „Ferner sind Beziehungen der Chorea
minor zum Rheumatismus und zu endokarditischen Prozessen festgestellt
worden, welche. die Vermutung nahelegen, daß die Chorea als Infektions-
krankheit aufzufassen sei“. _ |
~ „Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß man auch in der
Veterinärmedizin den menschlichen ähnliche hämorrhagische Erkrankungen
beim Rinde, beim Hunde und beim Pferde beobachtete, ja, daß man aus-
nahmsweise auch Stallendemien beobachten konnte, während eine Ueber-
tragung von Tier auf Tier nicht konstatiert wurde‘). Interessant ist die
Beobachtung von Bock”), wo einige Tage, nachdem ein Pferd an hämor-
Thagischer Purpura eingegangen war, sein Wärter an Morbus maculosus
Werlhofii erkrankte, |
Die bisherigen skizzenhaften Betrachtungen über die
verschiedenen Formen des Auftretens offenbar ein und derselben
Erkrankung waren notwendig zur Präzisierung des Standpunkts,
von welchem aus ich die mir vorgekommenen Fälle von Purpurg
der verschiedensten qualitativen und quantitativen ‘Formen als
auch von Erythema nodosum als eine Epidemie bezeichnen konnte
und bezeichnete). |
Von Ende August 1909 und durch den ganzen Monat Sep-
tember, Oktober, November und Dezember, bis Ende Januar 1910
EEE 2
heiten ) ee: Joseph {Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrank-
. 6).
3) E. Noter, Die hämorrhagischen Erkrankungen im Kindesalter
(Würzburger Abhandlungen 1905, Bd. 5, 4).
tic ans Vörner, Alternierendes Auftreten von Purpura rheuma-
a und Erythema exsudativum multiforma (M. med. Woch. 1907, Nr. 53).
Bd N jump ell (Spezielle Pathologie und Therapie 10. Auflage,
"Yy Ds >
‘) Thiemich, Funktionelle Erkrankungen des Nervensystems in
Faundler-Schloßmann l c. 2. Auflage, Bd. 2, S. 179. ä
e Hutyra-Marek, Spezielle Pathologie und Therapie der Haus-
ı Jena 1909, 2. Auflage, Bd. 1, S. 227 f.
PE E (Zt, f. Veterinärkunde Berlin 1902, Bd. 14, S. 117, zitiert
- Zutyra-Marek). , |
im Lig eine erste Veröffentlichung. über diesen Gegenstand erfolgte
Epide Nicki vijesnik Jahrgang 32, Nr. 11 vom Jahre 1910, Agram.
mija kronogašklopca (purpure). S. 861 bis 871. oy
poliklinische Patienten
häuften sich in meinem poliklinischen Material (über welches ich seit
Jahren genaue Notizen. führe), so die. Fälle von Blutfleckenerkran-
kungen, daß ich den entschiedenen Eindruck gewonnen habe, es
handle sich um eins Epidemie. Dieser Eindruck wurde noch ver-
stärkt, als sich die Fälle in einzelnen Familien — also unter
Geschwistern, unter Eltern und unter Eltern und Kindern häuften.
Besonders auffallend war ein Fall, wo zu einer mit Purpura 'be-
fallenen Familie. ein Gast aus weiter Ferne kam und in einigen
Tagen auch an Purpura erkrankte, Ä
Da mir: seit zehn Jahren in dieser Gegend kein ähnliches
Vorkommen bekannt ist, da außerdem die Häufung der Fälle sehr
charakteristisch und ein deutliches An- und Absteigen der Zahl
der Erkrankungen zu verzeichnen war, wie man das am Dia-
gramm unten ersieht, ist man trotz des Fehlens bakteriologischer
Befunde berechtigt, eine Epidemie respektive infektiöse Ursachen
anzunehmen. Stehen wir doch heute gerade bei unsern populärsten
und verbreitetsten infektiößsen Krankheiten — z.B. Scharlach,
Masern usw. — auf demselben Standpunkte. RE
Ich hatte rund 50 Fälle und fast alle Formen von Purpura
in Behandlung — wobei es auch nicht an selteneren Formen fehlte,
so z. B. Purpura mit angioneurotischem Oedem, Purpura mit
Chorea, Purpura mit Urticaria, Purpura mit Rubeola, Purpura mit
Erythema nodosum (5° Fälle) usw. |
Nur die schwerste Form — Purpura fulminans — war mir.
nicht untergekommen, wie ja überhaupt der „Genius epidemieus“
sehr milde war. Ä
Doch auch diese Lücke wurde ausgefüllt. Ich erhielt nämlich
bald nach dem Erscheinen meines Berichts einen Brief des Kol-
legen Dr. Alois Homan, Kreisarzt in Ratschach, worin er einen
Fall von Purpura fulminans beschreibt, der in seiner Praxis
gerade zu der Zeit des Höhepunkts der von mir beobachteten Epi-
demie vorkam und mit Exitus letalis endete. |
Ich will den Bericht wiedergeben: Ich wurde am 17. November
vormittags um 10 Uhr zu einem acht Monate alten Kinde gerufen. Das
' Kind soll am vorigen Tag und auch noch abends ganz gesund gewesen.
sein, erkraukte um Mitternacht unter Fiebererscheinungen und hatte ein
paar flüssige Stühle. Bei meiner Ankunft sah ich am ganzen Körper
zerstreute Petechien, auch an der Stirn und Kopfhaut, nur das Gesicht
war frei und sehr blaß. Temperatur 39,5% Puls sehr schwach und
frequent, kaum zählbar, gewiß über 200. Die Untersuchung der Mund-
höble ergab keine ‘Veränderung (Diphtheritis?), und hatte ich den Ein-
druck, als ob auch da an einigen Stellen eine livide Verfärbung der
Schleimhaut zu sehen wäre. Conjunctiva war frei. |
In der Umgebung herrscht jetzt keine Epidemie. Aetiologisch
konnte ich nur soviel in Erfahrung bringen, daß dem Kind (es war in
einem Gasthaus) oft Wein gegeben wurde und mir gesagt wurde: Wein
hat es gern getrunken. |
Das Kind starb am selben Nachmittage 2 Uhr. Bei der am
nächsten Tage nachmittags vorgenommenen Totenschau sah ich, daß sich
die Petechien, Sugillationen respektive Suffusionen noch vermehrt haben,
sodaß der ganze Körper, speziell die Bauchseite von ihnen dicht besät
war... Ich kann in meinem Fall auch nur eine Infektion als Ursache
annehmen... .!) |
Beistehende Kurve (Abb. 2) illustriert besonders- schön den
Verlauf der Epidemie, die, im August akut einsetzend, bis Mitte
Oktober steil ansteigt, | |
um nach steilem Abstieg | T: a |z |
mit einer kleinen Exa-
cerbation langsam zu
enden.
Wenn wir beden-
ken, daß sonst die Pur-
pura eine ziemlich seltene
Krankheit ist und erst
im Durchschnitt auf 1300
ein Fall kommt
[Förster?)], Ei ir |
i ie Abb. 2
ee Yoran der Eur puraspidenie von August 1909 bis
so auffallend, daß man |
an einer Epidemie respektive an der infektiösen Aetiologie nicht
zweifeln kann. |
1) Nachträglich veröffentlicht im Liječnički vijesnik 1911,
Nr. 2, S. 43: Slučaj purpure fulminans Henochi von Dr. A], Homan.
2) Zitiert nach Hecker in Pfaundler-Schloßmann, 1. Bd., II, S. 571,
X 2 ! Sa Aoa n e Dr en en Zeig = Am qs- Erg = p wrar.
-r . prpers —— T ur > -aps Asni A lc 3 = Byrne SE n a a dti daier ee u E a rE [$ > pia = en. p pea €, prei ae
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1274 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 81.
4, August.
Aus dem Sanatorium Fichtenhof in Schlachtensee-Berlin.
(Leitender Arzt: Professor Dr. Boedeker.)
Kurze Bemerkungen über das neue Schlaf-
; mittel „Luminal“
von
Dr. Willi Dockhorn, Ass.-Arzt.
Luminal wird als Schlafmittel seit etwa acht Wochen in der
hiesigen Anstalt sowohl bei ruhigen als auch unruhigen Kranken
angewandt, und zwar mit fast ausschließlich gutem Erfolge.
Das neue Mittel, das als Pulver und in Tabletten zu 0,i und
0,3 g in den Handel gebracht ist, löst sich nur schwer im kalten
und warmen Wasser. Die Tabletten zerfallen unter leichtem Um-
schütteln zwar bald, doch bleibt in der weißen, undurchsichtigen
Lösung viel ungelöste körnige Substanz übrig, die zu Boden sinkt
und sich auch nicht in größeren Wassermengen löst. Der Ge-
schmack des Luminals ist rein bitter, aber nieht widerlich bitter
wie beim Veronalnatrium. Der bittere Geschmack kann im Tee
oder in andern warmen Getränken leicht durch Zuckerzusatz ab-
geschwächt werden. Auch in Suppen kann Luminal bequem ge-
reicht werden.
Luminal, welches erst im Darm in das Na-Salz übergeführt
wird, ist etwa doppelt so stark wirkend als Veronal, sodaß 0,4 g
Luminal ungefähr 0,75 g Veronal entsprechen. Auch bei un-
ruhigen Kranken, die zum Schlafen immerhin abends 1,0 Veronal-
natrium bedurften, kam man hier mit 0,4 g Luminal aus. Diese
Dosis, 0,4 g, ist hier niemals überschritten worden. In den leich-
teren Fällen von Schlaflosigkeit genügten Gaben von 0,2 oder
0,3 g Luminal vollständig. Diese Dosen wurden zunächst mehrere
Tage hintereinander gegeben, bis sich dann, wie bei jedem andern
Schlafmittel, eine gewisse Gewöhnung an das Mittel bemerkbar
machte, und man zur Erlangung eines guten Schlafes zu größeren
Einzelgaben greifen mußte. Es stellte sich dann aber bald her-
aus, daß man wochenlang auch mit kleinen Dosen gut auskam,
wenn an jedem sechsten oder jedem sechsten und siebenten Tage
ija respektive 1 g Veronalnatrium anstatt des Luminals gegeben
wurde. Unangenehme Einwirkungen auf Herz und Nieren haben
sich auch bei längerem Gebrauch von Luminal niemals bemerkbar
gemacht. Aber auch sonstige üble Nebenerscheinungen, wie hef-
tige Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Kopfdruck oder ein
Gefühl der Benommenheit und andauernder Mattigkeit usw., haben
sich unter den 21 Fällen, wo hier Luminal angewandt wurde, bis-
lang nur einmal (siehe Fall 3), und zwar in mäßigem Grade ge-
zeigt, abgesehen von einem Fall, in dem körperliche Schmerzen
bestanden, in dem Luminal ganz versagte.
Eine weitere gute Eigenschaft hat das Luminal, daß es näm-
lich ein schnelles Einschlafen bewirkt. Eine Patientin, auf die
man sich in dieser Beziehung wohl verlassen kann, gab sogar an,
daß sie nach Luminal innerhalb einer Stunde einschliefe, während
sie nach Veronalnatrium stets zwei Stunden und noch länger wach
liege. Danach dürfte man schließen, daß Luminal schnell, jeden-
falls schneller als Veronalnatrium wirkt.
Die Schlafdauer nach dem Gebrauch von Luminal ist sehr
verschieden und schwankt zwischen fünf bis acht Stunden.
Ganz besonders muß hervorgehoben werden, daß die Pa-
tienten nach dem Gebrauch des Luminals sich frisch und munter
fühlen beim Erwachen, daß demnach das Luminal nur gewisse
Stunden wirkt und keine längere Wirkung als sechs bis acht
Stunden hat.
1. Fall. Ein halluzinierender Paranoiker, der monatelang alle
Schlafmittel durchprobiert hatte und, um einen einigermaßen guten Schlaf
zu erzielen, mindestens 0,5 bis 1,0 g Veronalnatrium nehmen mußte, gab
gleich am ersten Morgen nach dem Gebrauch des Luminals an, „er sei
ganz entzückt von dem neuen Mittel, er hätte selten so gut geschlafen
als in letzter Nacht, hätte auch gar nicht lange wach gelegen, fühlte
sich gar nicht abgespannt oder matt, im Gegenteil, er, der sich viel mit
Lektüre usw. beschäftige, habe sich nie so frisch und leistungsfähig ge-
fühlt als gerade nach dem neuen Mittel. Er käme sich wie elektrisiert
vor, ordentlich angeregt und frisch fühle er sich“.
Als Dosis hatte dieser Patient 0,3 Luminal erhalten. Diese gute
Wirkung hielt dann an, nur mußte Patient ab und zu 0,5 g Veronal-
natrium einschieben.
2. Fall Eine 34 jährige Hebephrene litt seit Jahren an schlaf-
losen Nächten und hatte alle bekannten Schlafmittel benutzt. Eines
Morgens, nachdem sie seit drei Tagen ohne ihr Wissen je 0,8 g Luminal
anstatt 0,5 g Veronalnatrium abends bekommen hatte, erzählte die Pa-
tientin bei der Visite, sie schlafe seit zwei Tagen so gut, daß das Schlaf-
mittel jetzt etwas verringert werden könnte. Als ihr dann mitgeteilt
war, daß man ihr seit drei Tagen Luminal, das neueste Schlafmittel, ge-
geben hätte, gab sie darauf besimmt an, daß sie spätestens eine Stunde
nach dem Mittel fest schliefe, daß der Schlaf ohne Unterbrechung bis
zum andern Morgen anhielt, daß sie sich morgens immer sehr frisch und
munter fühlte. Dagegen nach dem Gebrauch des Veronalnatriums (0,5 bis
1 8) babe sie bis zum Einschlafen immer zwei Stunden und länger wach
gelegen.
Jetzt schläft diese Patientin mit 0,2 g Luminal regelmäßig gut.
3. Fall. Die 48jährige Frau B., die an einer leichten Depression litt,
hatte seit einigen Wochen zu Hause ab und zu Veronal usw. genommen.
Die Nachwirkungen dieser Schlafmittel waren jedoch derartig unangenehm
gewesen, daß sie lieber eine schlaflose Nacht als die Folgen des Schlaf-
mittels (Veronals) ertragen wollte. Sie nahm dann doch nach längerem
Zureden, nachdem sie hier drei Nächte fast schlaflos gewesen war, 0,4 g
Luminal. Es folgte eine gute Nacht, aber am andern Morgen klagte
Patientin über etwas Kopfschmerz, Schwindel und Kopfdruck. Diese
Beschwerden hielten bis gegen Mittag an. Am zweiten Abend wurde
0,2 g Luminal gereicht. Gute Nacht. Am andern Morgen dieselben
Beschwerden, jedoch geringeren Grades als tags zuvor.
Jedenfalls gab diese Patientin mit absoluter Sicherheit an, nach
dem Gebrauch irgendeines Schlafmittels habe sie stets diese unangenehmen
Nachwirkungen verspürt, jedoch in viel stärkerem Maß als nach Luminal,
und sie werde, wenn sie ein Schlafmittel nötig habe, immer das Luminal
vorziehen.
4. Fall. Ein 61jähriger Melancholiker, der ohne sein Wissen
früher stets abends 0,5 g Veronalnatrium erhielt und trotzdem jeden
Morgen in stereotyper Weise über schlechten Schlaf klagte, gab, seit-
dem er 0,2 respektive 0,3 g Luminal bekam, prompt an, er schlafe
jetzt gut.
5. Fall. Ebenfalls ein alter Melancholiker, der an Angstzuständen
leidet und nachts öfter das Bett verläßt und auf den Korridor kommt,
schläft jetzt, seitdem er anstatt 0,5 Veronalnatrium 0,2 g Luminal
nimmt, gut.
6. Fall. Ein erregter Paralytiker, der früher ab und zu am Tage
2 g Trional und abends regelmäßig 1 g Veronalnatrium bedurfte, schläft
mit 0,4 g Luminal gut und ist bedeutend ruhiger geworden, sodaß man
in letzter Zeit auf 0,3 Luminal herunterging.
In den übrigen 15 Fällen muß ich mich auf den Bericht der
Nachtwachen verlassen, weil diese 15 Patienten, bei denen Luminal
in Dosen von 0,2 bis 0,3 g verwendet wurde, nur ungenaue und
keineswegs sichere Angaben machten. Nach den Berichten der
Wachen schlafen diese 15 Patienten mit Luminal (0,2 bis 0,3)
besser als mit 0,5 Veronalnatrium. Bei einem durch körper-
liche Schmerzen beeinflußten Falle von Schlaflosigkeit versagte
Luminal (ebenso wie Veronal), zeitigte auch unangenehme Folge-
erscheinungen, Benommenbheit, Uebelkeit, lästige Empfindungen Im
Magen.
Soweit diese relativ kleine Anzahl von Fällen (21) ein Urteil
gestattet, darf wohl behauptet werden, daß uns mit dem Luminal
ein gut wirkendes Schlafmittel in die Hand gegeben ist, das schon
nach kurzer Zeit (innerhalb einer Stunde) wirkt, seine Wirkung
nieht über eine gewisse Zeit (sechs bis acht Stunden) hinaus ent-
faltet und in kleinen Dosen ein absolut unschädliches Mittel ist.
Ueber Pyocyanase
| von
° Dr. J. Schulhof, Tapiogyörgye (Ungarn).
Einen Fortschritt bedeutet die Einführung der Pyocyanas®
in die Therapie durch Emmerich und Loew, indem damit zum
erstenmal ein Desinfektionsmittel dem Arzt in die Hand ge-
geben wurde, das die Mikroorganismen zerstört, ihre Wirkung und
Entwicklung hemmt, das Nachbargewebe aber völlig intakt läßt.
Die Pyocyanase wird nach den Angaben obiger Autoren vom
Sächsischen Serumwerk, Dresden, hergestellt. Das wirksame Prin-
zip der Pyocyanase sind die aus den Flüssigkeitskulturen des Bacillus
pyocyaneus durch Filtration und Reinigung gewonnenen bakteriolytischen
und proteolytischen Enzyme. |
Die Pyocyanase ist eine grünlich-braune, der Farbe nach etwa an
Jodtinktur erinnernde, ein wenig fluorescierende, eigentüumlich riechende
Flüssigkeit, welche imstande ist, die verschiedensten, vor allem pathogene
' Kleinlebewesen (Diphtheriebacillen, Strepto-, Staphylokokken usw.) 1m
kürzester Zeit abzutöten und ihre Entwicklung noch in hoher Verdünnung
zu hemmen. |
Am hervorragendsten ist — nach meiner Meinung — die
Bedeutung der Pyocyanase bei der Behandlung von mit membra-
nösen Ablagerungen einhergehenden Rachenerkrankungen, wie 2. B.
‚ der Angina crouposa, Angina follicularis oder Angina lacunaris,
ı bei origiärer Rachendiphtherie, ebenso wie bei Scharlachdiphtherle.
|
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4, August.
In allen. diesen Fällen, wo es sich also um Invasion von Strepto-
` staphylokokken oder Löfflerschen Baeillen handelt, war das Mittel
zumeist recht nützlich. | 0 we |
Ich versuchte die Pyocyanase bisher insgesamt in 14 Fällen. Da-
von waren’ 3. Angina .crouposa, 1 Tonsillitis follicularis, 3 Rachendiph-
therie, 2 Otitis media suppurativa, 1 Vulnus scissum capitis, 1 Vulnus
grangraenosum gingivae, 1 Ulcus cariosum pedis, 1 Phlegmone manus
und 1 Ulcus molle penis. N
Von diesen 14 Fällen besserten sich 5 (85 °/o), 7 (60 %/%) wurden
geheilt und 2 (15 %/,) zeigten gar keine Besserung.
Von den acht, Kinder unter 10 Jahren betreffenden Fällen,
besserten sich 8 (87 °%0), geheilt wurden 4 (50 ojo) und 1 (13 0/0) wurde
gar nicht beeinflußt, S ni
‘Von den sieben Erkrankungen des Rachens (fünf bei Kindern)
zeigte ein Fall (14 0/0) Besserung und 6 (86 0/,) vollkommene Heilung.
Hier ist das Resultat auffallend günstig. In den drei Fällen von Rachen-
diphtherie injizierte ich Heilserum, und zwar in zwei Fällen je 2000 L-E.,
in einem: Falle 1000. I-E. | | |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. | | 1875
Bei den Rachenaffektionen. besprayte ich ein- bis dreimal
täglich die erkrankten Partien mit Pyocyanase. Ich führte. das
Glasröhrehen des von Lingner modifizierten Escherichschen
Zerstäubers (Sprayer) in die Mundhöhle und. blies etwa zehnmal
die Partikelchen des Präparats in den Rachen. Leichter Brech-
reiz trat wohl öfters auf, allein er verschwand bald, und die
Kranken gewöhnten sich an das Präparat. Gurgelwässer ge-
stattete ich nicht, da sonst die Wirkung des Mittels unkon-
trollierbar, der ganze Versuch ungünstig beeinflußt worden wäre.
Bereits 24 Stunden nach den ersten Applikationen sank die Tem-
peratur, welche zwischen 88,5 und 39,5 schwankte, fást bis auf
die Norm zurück. Die Kranken wurden munterer, das Allgemein-
befinden, insbesondere aber die Lokalsymptome, besserten sich zu-
sehends. Ä | ME O
= Bei den chirurgischen Fällen applizierte ich das Präparat in
Form von Gazetampons oder durch Bepinselung. Bei Ohrenkrank-
-=
heiten wurden Einträufelungen vorgenommen. Em
Aus. der - Pathologisch-anatomischen Anstalt der Stadt Magdeburg.
Mikroskopische Beobachtungen am lebenden
Tier über die Wirkung des Salvarsans und des
- .Neosalvarsans auf die Blutströmung
= von
` &. Ricker und W. Knape.
Ein Ueberblick über die große Literatur, die sich an die Ein-
führung des Salvarsans angeschlossen hat, lehrt, daß das Tier-
experiment zur Aufklärung über die Wirkungsweise des Mittels
in ungenügendem- Maße verwertet worden ist, und daß, in engem
Zusammenhange mit diesem Uebelstand, eine große Unsicherheit
in der Beurteilung der Folgen besteht, die das Salvarsan beim
. Menschen, insbesondere beim kranken Menschen hervorbringt.
“ Die-im folgenden mitzuteilenden Tierversuche wollen nach
beiden Richtungen hin Abhilfe schaffen. Sie sind ausgegangen
von mehreren in der Magdeburger Pathologischen Anstalt ange-
stellten Versuchsreihen, in denen die. von dem Heidelberger Phy-
siologen W. Kühne!) angegebene und mit großem Erfolg ange-
wandte Technik der Untersuchung des Pankreas und Mesenteriums
des lebenden Kaninchens — mit‘ einigen zweckmäßigen Abände-
rungen — benutzt worden ist. Dieses Verfahren gestattet, das
normale Verhalten der Bauchspeicheldrüse und ihrer Umgebung
stundenlang ohne jegliche Störung an der Blutströmung und
am Gewebe zu beobachten und die Abänderungen zu verfolgen, die
experimentelle Eingriffe hervorrufen. |
Während wir in bezug auf die technische Seite auf die Li-
teratur verweisen dürfen, sind zum Verständnis des folgenden
einige Angaben nicht zu umgehen. | |
Das genannte für die experimentelle Forschung so wertvolle
Gebiet enthält Gefäßnerven vom Splanchnicus und Vagus; in beiden
sind Constrietoren und Dilatatoren der Blutbahn vorhanden. Ueber
- das Verhalten dieser Nerven zu Reizen hat die erste Versuchs-
reihe), auf die wir uns hier stützen, die mit Kochsalzlösungen
von verschiedener Temperatur und Konzentration, Lösungen von
atrium arsenicosum, Quecksilbersublimat, Silbernitrat, Jod-
kali, Alkohol, Atropin, Physostigmin, Novocain, Cocain, Supra-
renin, Secacornin in abgestuften Konzentrationen angestellt worden
ist, ergeben, daß verschiedene von der Art der Reizung bestimmte
Typen der Strombahnweite und Blutströmung zu unterscheiden
sind: I. Erweiterung der Strombahn, beruhend auf Dilatatoren-
erregung durch ‘schwachen Reiz, verbunden mit beschleunigter
trömung; M, Verengerung der Strombahn durch Constrictoren-
erregung auf starken Reiz, einhergehend mit verlangsamter Strö-
mung in der verengten Strombahn; III. Erweiterung der Strom-
bahn desselben oder stärkeren Grades wie bei I, beruhend auf Ab-
nahme der Constrietorenerregbarkeit und Reizung der länger er-
ee bleibenden Dilatatoren, beim Fortwirken oder bei Steigerung
es starken: Reizes: zunächst mit Beschleunigung, dann mit zu-
kiisi ') Kühne und Lea, Beobachtungen über Absonderung des Pan-
Unt re h Are
Heidelberg, Bee aus dem physiologischen Institut der Universität
Versuch Maximilian Natus, Beiträge zur Lehre von der Stase nach
Bd. 199s? am Pankreas des lebenden Kaninchens. (Virchows A. 1910,
23 Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
nehmender Verlangsamung, schließlich mit Stillstand des Bluts
verbunden. Wir haben es im folgenden vorwiegend mit dem
II. Typus zu tun. | | | a
Während der geringere Grad der Verlangsamung bei er-
weiterter Strombahn mit der allbekannten Diapedesis der weißen
Blutkörperchen in gesetzmäßiger Beziehung steht, geht deren
Randstellung bei dem stärkeren Grade, dem von uns sogenannten
„trägen Strom“, wieder verloren, das Blut rollt langsam ohne
Scheidung seiner körperlichen Elemente durch die erweiterte Strom-
bahn und gelangt so früher oder später zur Stase. Der träge Strom
in erweiterter Strombabn, dem das oben angegebene Verhalten der
Gefäßnerven zu starken Reizen zugrunde liegt, ist charakterisiert
durch die Diapedese roter Blutkörperchen aus den Capillaren, die
bei langem Ausbleiben der endlichen Stase große Mengen von
Blut ins Gewebe, eine hämorrhagische Infarzierung desselben liefert.
Mit Hilfe dieser Beobachtungen und sich daran knüpfender
Schlüsse, insbesondere des Schlusses auf eine bewegende
Einwirkung der Gefäß- und Capillarwand auf das Blut,
haben wir so eine Theorie der Stase und Diapedesisblutung ge-
wonnen, die bis dahin völlig unbefriedigend, insbesondere unter
Vernachlässigung der von der Physiologie nachgewiesenen Gefäß-
nerven zu erklären versucht wurden. l \ |
Die zweite Versuchsreihe!), von der wir hier ausgehen,
ist nicht am normalen Pankreas, sondern an dem durch Unter-
bindung des Ausführungsgangs veränderten Pankreas angestellt
worden. Die Unterbindung bewirkt vermittelst austretenden Se-
krets, also durch direkte chemische Reizung, ferner reflektorisch
vermittelst der Druckerhöhung, also durch indirekte mechanische
Reizung der Gefäßnerven?), ein in der Versuchsreihe festgestelltes
verändertes Verbalten der Blutströmung und Strombahnweite, von
dem es in den Grundzügen gelingt, die in chronischer Entzündung
bestehenden Vorgänge am Gewebe abhängig zu machen.
| Wir berichten auch hier nur das zum Verständnis der Salvarsan-
versuche unumgänglich nötige. | |
1. In einer ersten Periode stellt die Gangunterbindung einen sehr
starken Reiz dar; die Strombahn ist im allgemeinen stark erweitert, die
Strömung beträchtlich verlangsamt, jedoch bestehen starke Gegensätze
und Schwankungen in der Weite der Arterien, Venen und Capillaren und
in der Geschwindigkeit des Bluts. Es treten an Stellen, wo die Ver-
langsamung zum trägen Strome fortschreitet, Stasecapillaren und Ekchy-
mosen auf; da, wo sie geringer ist, kommt es zur Diapedese weißer Blut-
körperchen.
2. In einer zweiten Periode. — vom dritten bis zum Ende des
sechsten Tages — sind die auch in der ersten: am wenigsten beeinflußten
Arterien eng und höchstens leicht verlangsamt durchströmt, dagegen sind
die. Venen und die Capillaren noch weit oder erweitert, in den Venen
fließt das Blut noch verlangsamt, in den Capillaren nur langsam. Noch
immer fallen nicht unbeträchtliche Schwankungen in der Weite und de
Geschwindigkeit auf. Die Zahl der Stasecapillaren und Fkchymosen
nimmt in diesem Zeitraume beträchtlich ab. In dieser Periode wachsen
Capillaren aus dem Pankreas in das Mesenterium .hinein, die. sich sehr
bald ebenso wie die alten verhalten. | |
3. Vom Ende des sechsten Tages ab wird eine Erweiterung d
Strombahn und eine stärkere Verlangsamung des Blutstroms nur noch
1) Maximilian Natus, Versuch einer Theorie der chronisch
Entzündung auf Grund von Beobachtungen am Pankreas des Töbonden
Kaninchens und von histiologischen Untersuchungen nach Unterbindung.
des Ausführungsgangs. (Virchows A. 1910, Bd. 202.)
2) G, Ricker, Virchows A, 1912, Bd,207,
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1276 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
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selten beobachtet; Stasecapillaren und Ekchymosen treten nur noch sehr
spärlich auf, wenn sie überhaupt beobachtet werden. Sehr bald ent-
wickelt sich ein Zustand, von dem man annehmen könnte, Strombahn-
weite und Blutbewegung seien zur Norm zurückgekehrt; das einzige
sichtbare Zeichen eines noch bestehenden veränderten Verhaltens der Ge-
fäßnerven sind die äußerst selten und vereinzelt auftreter 'en Stase-
capillaren. |
Im ganzen betrachtet nimmt somit die Reizstärke und die
Reizwirkung auf die Gefäßnerven nach einem etwa zwei Tage
währenden Höhestadium mit schweren Veränderungen der Weite
und Geschwindigkeit rasch ab.
Ganz entsprechend sind die zur Prüfung der Erregbarkeit
des Nervensystems zahlreich vorgenommenen Reizversuche (mit
abgekühlten oder übermäßig warmen Kochsalzlösungen, mit Subli-
mat-, Suprarenin-, Alkohollösungen angestellt) ausgefallen. Sie
haben ergeben, daß nach der Gangunterbindung eine Reizbarkeit-
herabsetzung zunächst starken, dann abnehmenden Grads besteht,
daß der Verlust der Erregbarkeit abnorm leicht eintritt, und daß
die Erregbarkeit nie völlig zur Norm zurückkehrt. Verengerung
der Strombahn oder von Abschnitten derselben kam im Vergleich
zur Norm vermindert zustande oder blieb aus, dagegen trat die
Stase beschleunigt ein und konnte durch Konzentrationen und
Mittel herbeigeführt werden, die am normalen Pankreas angreifend
dazu ungeeignet waren. Es ist besonders hervorzuheben, daß auch
dann, wenn die Strömungsgeschwindigkeit und Strombahnweite
für die mikroskopische Berichtigung zur Norm zurückgekehrt war,
daß auch dann, z. B. noch 13 Monate nach der Unterbindung des
Ausführungsgangs, die sonst so prompte und überraschende Wir-
kung z. B. der Kälte und des Suprarenins ausblieb oder stark ab-
geschwächt, insbesondere verzögert eintrat. — So war nebe- den
vereinzelten spontan auftretenden Stasecapillaron ein weiterer Be-
weis gewonnen, daß bei normaler Blutströmung und Strombahn-
weite die Erregbarkeit des Gefäßnervensystems abnorm sein kann,
daß wie im natürlichen Leben auftretende, so künstlich gesetzte
Reize abgeschwächt wirken und abnorm schnell und leicht den
völligen Verlust der Erregbarkeit herbeiführen, der der Stase und
Blutung zugrunde liegt.
Soweit bedürfen wir des Ergebnisses der vorangegangenen
Experimente zum Verständnisse der im folgenden mitzuteilenden.
Es sei nur noch angemerkt, daß eine weitere größere, mannigfach
modifizierte Versuchsreihe 1), die der Erforschung der Pankreas-
hämorrhagie, der Pankreas- und Fettgewebsnekrose gewidmet war,
die hier referierten Versuche bestätigt und die Kenntnisse von den
Beziehungen des Gefäßnervensystems zur Stase und Hämorrhagie
erweitert hat.
Die oben besprochene Herabsetzung der Erregbarkeit des
Nervensystems und seine Neigung, dio Erregbarkeit völlig ein-
zubüßen, war in den bisherigen Versuchen durch lokale Beein-
flussung, Berieslung, geprüft und festgestellt worden. Die mit
Salvarsan und Neosalvarsan angestellten Versuche, denen wir uns
jetzt zuwenden, bringen eine Erweiterung des Gebiets insofern,
als sie vorwiegend mit intravenöser Injektion vorgenommen worden
sind. Wir haben aber auch Berieslungsversuche gemacht und
möchten, da es sich dabei um einfachere Verhältnisse handelt und
derartige Versuche sich unmittelbar an diejenigen anschließen, auf
denen die bisherigen Mitteilungen beruhen, eine Gruppe von
solchen vorausschicken, die als Grundlage für das Weitere dienen
kann. |
Berieselung mit Salvarsanlösungen.
a) Beim normalen Kaninchen.
1. 0,2 Salvarsan : 100,0 destilliertem Wasser. Lebhafte
Schwankungen in der Weite der Capillaren; häufig beobachtet man sich
entleerende Capillaren. Venenstrom stark verlangsamt.
2. 0,4 Salvarsan : 100,0 destilliertem Wasser. Nach zwei
bis drei Minuten starke Verengerung der Capillaren, stellenweise bis zum
Verschlusse. Venenstrom stark verlangsanıt. Es tritt dann eine fein-
körnige Trübung in der Gewebsflüssigkeit des berieselten Feldes auf, die
die weitere Beobachtung unzuverlässig macht. Makroskopisch sind keine
Blutungen zu erkennen.
3. und 4. Derselbe Verlauf bei zwei weiteren Tieren.
b) Nach Gangunterbindung, 0,4 Salvarsan:100,0 destilliertem
Wasser.
I. Unterbindung vor 24 Stunden.
1. Sehr bald Zunahme der Enge an den Capillaren,. die vor der
Berieslung eng waren; die Weiten bleiben unbeeinflußt. Nach vior Mi-
4) W. Knape, Untersuchungen über Pankreashämorrhagie, Pan-
kroas- und Fettgewebsnekrose mit besonderer Berücksichtigung von mikro-
en Beobachtungen am lebenden Tiere. (Virchows A. 1912,
nuten die ersten Stasecapillaren und Ekchymosen. Auftreten einer fein-
körnigen Trübung im Gesichtsfelde.
2. Derselbe Verlauf bei einem weiteren Tiere.
II. Unterbindung vor 53 Stunden.
1. Sehr schnelle Verengerung und Verschluß einer Anzahl von
a Nach fünf Minuten die ersten Stasecapillaren und Blu-
ungen.
2. Derselbe Verlauf bei einem weiteren Tiere,
III. Unterbindung vor 27 Tagen.
Nach einer Minute Stase und Blutungen.
Aus diesen zwei Gruppen von Versuchen ergibt sich, daß
sich Pankreas und Mesenterium des -normalen Kaninchens dem
Salvarsan gegenüber anders verhalten wie nach vorausgeschickter
Unterbindung des Ganges der Bauchspeicheldrüse. Während beim
normalen Tiere starke und rasch wechselnde Schwankungen in der
Weite der Strombahn auftreten, bewirken dieselben Lösungen in
der gleichen Anwendungsweise nach der Gangunterbindung außer-
dem Stase und Blutung.
Die folgenden Versuche sind zum kleinsten Teil ebenfalls mit Be-
rieselung, ganz vorwiegend aber mit intravenöser Injektion an-
gestellt, und zwar in der ersten Gruppe von Salvarsan, in der zweiten
von Neosalvarsan. Jede Gruppe zerfällt in zwei Untergruppen: In
der ersten sind normale Tiere vertreten, in der zweiten solche, deren
Gang zu verschiedenen Zeiten vor der Injektion unterbunden worden ist.
Wir haben das Salvarsan (0,1 8: 25,0 Aq. destill.) und das Neo-
salvarsan (0,15 g : 25,0 Ag. destill.) in jedesmal frisch destilliertem
Wasser vorschriftsmäßig gelöst, das Salvarsan in neutralisierter Lösung
angewendet. Unter Maximaldosis ist im folgenden die von Ehrlich und
Hata ermittelte Dosis tolerata (0,1 g pro Kilogramm Kaninchen) ver-
standen. — Die toxische Dosis beträgt nach Hoppe und E. Schreiber
0,15 g, die letale Dosis nach Hata 0,3 g. ,
In einem besonderen Versuche haben wir uns überzeugt, daß die
intravenöse Injektion der gewaltigen Menge von 100 ccm physiologischer
Kochsalzlösung keine Folgen an der Strombahnweite und Strömungs-
geschwindigkeit bei einem 1520 g schweren Kaninchen hervorbrachte.
Versuche mit Salvarsan.
A. Normale Kaninchen.
1. a) 1820 g schweres Tier, 0,13 g Salvarsan in 32 ccm
Lösung (Maximaldosis) innerhalb von 20 Minuten. Beob-
achtung während der Injektion. Auffallend häufiger und starker
Wechsel zwischen Enge und Weite der Strombahn, zwischen langsamem
und schnellem Strom. Während der langsamen Strömung des Bluts sieht
das Pankreas geschrumpft aus.
b) i/a Stunde nach Beendigung der Injektion zweite In-
jektion von 0,17 g Salvarsan in 43 ccm Lösung. Dieselben Vor-
gänge; die b.hwankungen setzen sich !/s Stunde nach der Beendigung
der Injektion fort. |
c) Berieselung auf acht Minuten mit Salvarsan 0,2 : 100,0
verursacht stärkere Schwankungen in bezug auf Weite und Geschwindig-
keit, als sie während und nach der Injektion beobachtet wurden. Es
werden häufig leere Capillaren und Venen mit stark verlangsamtem Strome
beobachtet.
2. 1280 g schweres Tier, Injektion von 32 ccm Salvarsan-
lösung (Maximaldosis) innerhalb einer halben Stunde, Beob-
achtung während der Injektion. Nach einer Viertelstunde, nach-
dem bis dahin gleichmäßiger, schneller Strom in mittlerer bis enger
Strombahn bestanden hatte, stellenweise ungleichmäßige Verengerung der
kleinen Arterien, Verengerung bis Verschluß von Capillaren, starke Ver-
langsamung des Venenstromes. Mehrmals ist eine kleine Arterie auf
Sekunden verschlossen, zu gleicher Zeit sind die Capillaren entleert und
der Venenstrom steht still. Darauf stellt sich jedesmal die Strömung In
verengter Strombahn wieder her.
3. 1510 g schweres Tier, Injektion von 87,5 com Salvarsan-
lösung (Maximaldosis), Beobachtung zwei Tage nach der In-
jektion.
Makro- und mikroskopisch: Venen leicht erweitert, Venen-
blut etwas dunkler als normal. Keine frischen, keine alten Ekchymosen.
Solche entstehen auch nicht während der Beobachtung.
4. 1150 g schweres Tier, Injektion von 14 cem Salvarsan-
lösung (la Maximaldosis), Beobachtung 30 Stunden nach der
Injektion.
a) Makroskopisch: Pankreas stark und dunkel gerötet. Ekcehy-
mosen im benachbarten Fettgewebe. :
, Mikroskopisch: Capillaren des Pankreas sehr verschieden weit,
meist sehr weit; mittlere Stromgeschwindigkeit. Venen zweimal so weit
als die Arterien, in jenen langsamer, in diesen flotter Strom.
Ausgedehnte hämorrhagisch infarcierte Strecken im Fettgewebe;
die extravasierten Blutkörperchen zum Teil leicht entfärbt. In einzelnen
benachbarten Capillaren und Gefäßchen Stase, in andern sehr lang-
samer Strom.
b) 24 Stunden später abermalige Injektion von 14 com
Salvarsanlösung (!/a Maximaldosis), sofortige Beobachtung.
Mikroskopisch: Bauchfell glatt, durchsichtig. Venen stark er-
weitert, weiter als am Vortage, vier- bis fünfmal so weit als die engen
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4. August.
- 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. | 1217
diokwandigen Arterien. Träger Venenstrom, Arterienstrom homogen.
Capillaren teils leer, zum größeren Teil sehr weit: und sehr langsam
durchströmt, stellenweise steht das Blut auf Sekunden still.
In den leicht verwaschen aussehenden hämorrhagisch infarcierten
Stellen des Fettgewebes sind drei (mit unbewaffnetem Auge sichtbare)
frischrote Ekchymosen hinzugekommen.
Eine kleine getrübte (nekrotisierte) Stelle im Pankreasdrüsengewebe.
5. 1050 g schweres Tier, Injektion von 12,6 ccm Salvarsan-
lösung (1 Maximaldosis), Beobachtung zwei Tage nach der
Injektion. | |
.Makro- und mikroskopisch: Pankreas blaß. Keine Ab-
weichungen. |
6. 1020 g schweres Tier, Injektion von 12,5 ccm Salvarsan-
lösung (!/a Maximaldosis), Beobachtung zwei Tage nach der
Injektion. |
Befund wie beim. vorigen Tier.
Die mitgeteilten Versuche lehren, daß während einer Sal-
varsaninjektion ins Venenblut häufige und starke Schwankungen
in der Weite der Strombahn und der Geschwindigkeit des Blut-
stroms im Pankreas und Mesenterium auftreten, die schwächer,
aber auch (Versuch 2) stärker sein können als bei der Berieselung
mit einer schwachen Salvarsanlösung. Zwei Tage nach der In-
jektiin der halben Maximaldosis war in zwei Versuchen am
Pankreas nichts Abnormes wahrzunehmen, während ebensolange
nach der Injektion der Maximaldosis eine Erweiterung der Venen
und verlangsamte Strömung in diesen auffiel.
Gegenüber diesen geringen Folgen ist es außerordentlich be-
merkenswert, daß in einem Versuche die halbe Maximaldosis in
30 Stunden ausgedehnte Stase und hämorrhagische Infarcierung
bewirkt hat, die durch die nach einem Tage erfolgte abermalige
Injektion der halben Maximaldosis wesentlich verstärkt worden
sind. Eine Erklärung des besonderen Verhaltens dieses Tieres
war in keiner Weise, auch nicht durch die Sektion, zu geben.
Somit ist der Schluß geboten, daß schon in einer kleinen Reihe
von Versuchen unfaßbare individuelle Eigentümlichkeiten dem Sal-
varsan eine schwere, in Stase und Blutungen bestehende Wirkung
en können, und daß die Höhe der Dosis hierfür belanglos
sein kann.
B. Kaninchen mit unterbundenem Gang.
I. Unterbindung 24 Stunden vor der Injektion.
1.970 g schweres Tier, 0,05 g Salvarsan (!/a Maximal-
dosis), Beobachtung fünf Stunden nach der Injektion. Mächtige
Erweiterung der Venen, träger Strom in denselben. Auffallende Schwan-
kungen in der Weite der Capillaren. Nach acht bis zehn Minuten steigert
sich die Verlangsamung stellenweise und es treten Stasecapillaren und
Ekehymosen auf. |
' 2, 980 g schweres Tier, 0,08.g Salvarsan (°/ Maximal-
dosis), Beobachtung fünf Stunden nach der Injektion. Mächtige
rweiterung der Venen, enge Arterien.. Sehr wechselndes Verhalten
der Capillaren. Einzelne kleine frischrote Ekchymosen. Vereinzelte
Stasecapillaren. |
8. 970 g schweres Kaninchen, 12 ccm einer Salvarsan- .
lösung 0,1:95,0 (1/2 Maximaldosis), Beobachtung 30 Stunden
nach der Injektion.
Makroskopisch: Keine Verklebung. Es fällt die große Weite
und die dunkle Farbe des Venenbluts auf. Eine Ekchymose.
Mikroskopisch: Wenige mehrkernige Zellen im Mesenterium.
Stärkste Erweiterung der Venen, sie sind drei- bis fünfmal so weit als
die zugehörigen Arterien. Träger Venenstrom. Die Capillaren sind teils
stark erweitert, teils eng, teils ausgesprochen verengt. Arterie homogen
durchströmt. Vereinzelte Stasecapillaren und eine mittlere Anzahl von
Rkchymosen. Während der Beobachtung ändert sich nichts.
‚Berieselung mit Salvarsanlösung 0,1:25,0 von zwei Pan-
kreasläppchen, von denen das eine enge, das andere sehr weite Capillaren
‚tat, in denen Stase und Hämorrhagie fehlen.
Ä Sehr rasche Verengerung und Entleerung der. Capillaren. Sie
werden dann wieder weit und füllen sich, nach fünf Minuten treten die
ersten Staseoapillaren auf und nehmen langsam an Zahl zu. Auftreten
enger kleiner. Ekchymosen. In andern zunächst leeren, dann sich er-
g aternden und füllenden Capillaren tritt die Stase erst auf, nachdem die
alvarsanberieselung durch solche mit Kochsalzlösung ersetzt worden ist.
tase auch in einer kleinen Vene. Die Stase wird nicht allgemein.
Maxis g schweres Tier, 20 cem Salvarsanlösung
aximaldosis), Beobachtung fünf Stunden nach der Injektion.
E „Mekroskopisch: Es fallt die Enge der Arterien, die mächtige
tweiterung der Venen und die dunkle Farbe des Venenbluts auf. Stellen-
waise kleine frischrote Ekchymosen.
Mikroskopisch: Stärkste Erweiterung der Vene, die viermal so
breit ist wie die Arterie und trägen Strom hat. Arterie eng, homogen
Üurchsteömt, Die Capillaren verhalten sich sehr wechselnd, sie sind teils eng
g ‚Schnell durchströmt, teils weit und langsam durchströmt. Zahlreiche
Secapillaren und Ekchymosen im Pankreas und mesenterialen Fettgewebe.
Derselbe. Befund an den meisten andern Stellen.
Berieselung mit Salvarsanlösung 0,1:25,0 einer ausge-
suchten Stelle mit dem geringsten Grade der beschriebenen Verände-
rungen.
Arterie, während die weiten-Capillaren weit bleiben. Es treten auch ver-
schlossene Capillaren auf. Nach vier Minuten die ersten Stasecapillaren .
und Ekchymosen, die zunehmen, En |
Während der Berieselung tritt nach einigen Minuten eine all-
mählich zunehmende feinkörnige Trübung im Mesenterium auf. |
II. Unterbindung zwei Tage vor der Injektion.
4.1430 g schweres Tier, 37 com einer Salvarsanlösung
(Maximaldosis) innerhalb 40 Minuten. Beobachtung während
der Injektion-und darüber hinaus. ; |
Mikroskopisch: Vor der Injektion: In der zur Beobachtung ge-
wählten Gegend gleichmäßig erweiterte, ziemlich langsam durchströmte
Capillaren, langsam durchströmte Verne, schnell durchströmte Arterie.
Nach 7 com Salvarsanlösung werden in einem Teil des Gesichts-
feldes die Capillaren eng und bald darauf: leer. |
Nach 10 ccm Salvarsanlösung (zehn. Minuten nach Beginn der
Injektion) verbalten sich die Capillaren noch ebenso; auch die Arterie
ist nun ausgesprochen und in unregelmäßiger Form verengt. Venenstrom
verlangsamt.
Nach 15 ccm Salvarsanlösung (14 Minuten nach Beginn der In-
jektion) sind die meisten Capillaren wieder weit; die Arterie ist von
mittlerer Weite wie zu Anfang des Versuchs. In einem Drüsenläppchen
des Gesichtsfeldes ist die Strombahn während des ganzen bisherigen
Verlaufes des Versuches gleichmäßig weit geblieben. N
‘Nach 30 ccm Salvarsanlösung (25 Minuten nach Beginn der In-
jektion) kommt in einer Capillare das Blut vorübergehend auf einige
Sekunden zum Stillstand. Im übrigen sehr unregelmäßige Weite und
starker Wechsel in der Weite der Strombabn und der Geschwindigkeit
der Strömung.
“ 85 Minuten nach Beginn der Injektion die ersten dauerhaften
Stasecapillaren im Fettgewebe. In einer größeren Vene steht das Blut
zeitweilig still, bis auf !/2 Minute, dann tritt wieder langsamer Strom auf.
Die Arterie ist deutlich erweitert. |
“50 Minuten nach Beginn der Injektion, zehn Minuten nach ihrer
Beendigung Arterie eng, homogen durchströmt. Sehr verlangsamter,
zuweilen stillstehender Venenstrom. Die meisten Capillaren sehr stark
erweitert und langsam durchströmt, andere Capillaren sind eng oder ver-
ee Dieser Befund auch in der Umgebung der bisher beobachteten
egend. | ER |
Nach weiteren zehn Minuten bestehen nur noch vereinzelte Stase-
capillaren, im übrigen sehr langsamer Strom in sehr stark erweiterter
Strombahn. Besonders langsam ist die Strömung in einer großen Vene.
Nach abermals zehn Minuten treten wieder zahlreiche Stase-
| capillaren und Ekchymosen im Fettgewebe, später auch im Pankreas
auf, Stärkste Erweiterung der Strombahn, stärkste Verlangsamung der
Strömung. |
5. 1450 g schweres Tier, 0,15 g Salvarsan (Maximal-
dosis) innerhalb von 40 Minuten, Beobachtung während der
Injektion und darüber hinaus, |
Nach drei Minnten: Verengerung der Arterie und Capillaren. .
. Nach 14 Minuten: Arterie von mittlerer Weite, Capillaren weit. `
Nach 25 Minuten: Schwankungen in der Weite der Bahn und der
Geschwindigkeit der Strömung; es tritt vorübergehend Stase in Ca-
pillaren auf.
Nach 35 Minuten: Es bleiben im Fettgewebe Stasecapillaren be-
stehen; das Venenklut bleibt zeitweilig stehen. n
Nach 50 Minuten: Zahlreiche Stasecapillaren, starke Gegensätze
im Verhalten der durchströmten Capillaren.
Nach 70 Minuten: Zahlreiche Stasecapillaren und Ekchymosen.
6. 1070 g schweres Tier, 0,05 g Salvarsan (Ya
Maximaldosis), Beobachtung während der Injektion. Auf-
fallende und starke Schwankungen in. der Weite der Capillaren. Nach
acht bis zehn Minuten Verlangsamung des Biutstroms in erweiterter
Strombahn, Stasecapillaren und Ekchymosen.
IN. Unterbindung vier Tage vor der Injektion.
| 1. 830 g schweres Tier, 21 ccm Salvarsanlösung (Maxi-
maldosis) innerhalb von 20 Minuten, Beobachtung fünf Stun-
den nach der Injektion, Pankreas vor der Injektion .blaß, eine
Ekchymose im Fettgewebe. E i |
Fünf Stunden nach der Injektion: |
Makroskopisch: Keine Verklebung. Starker Blutgehalt des
Pankreas und seiner Umgebung, Stase und Eikchymosen.
Mikroskopisch: Fast allgemeine Stase bis in die großen Ge-
fäße hinein; träger Strom in vereinzelten Gefäßchen. Sehr ausgedehnte
hämorrhagische Infarcierung im Fettgewebe und im Pankreas (in einem
bisher — und in den folgenden Versuchen — nie wieder beobach-
toten Grade). | Bu
8. 1830 g schweres Tier, 0,184 g Salvarsan (Maximal-
dosis), Beobachtung nach fünf Stunden.
Makroskopisch: Erkennbare Stase und Ekchymosen. Ka
Mikroskopisch: Fast allgemeine Stase, träger Strom in ver-
‚einzelten Gefäßen. Ausgedehnte hämorrhagische Infercierung des Pan-
‚kreas und Fottgewebes. u
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Zonen.
Sehr bald stärkste Verengerung der engen Capillaren und der
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
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IV. Unterbindung sieben Tage vor der Injektion.
9. 1500 g schweres Tier, 6 ccm Salvarsanlösung (!s
Maximaldosis), Beobachtung vier Stunden nach der Injektion.
Makroskopisch: Sehr starker Blutgehalt des Pankreas und
seiner Umgebung. Vereinzelte Ekchymosen. Sehr dunkle Farbe des
Bluts in den erweiterten größeren Gefäßen,
Mikroskopisch: Stärkste Erweiterung der ganzen Strombahn.
Starke Schlängelung der Capillaren und Venen. Sehr dunkle Farbe des
Bluts. Sehr träger Strom in den Venen. An einzelnen Stellen vorüber-
gehend Stillstand des Bluts. Mehrere frischrote Ekchymosen (neben den
in der makroskopischen Beschreibung erwähnten älteren, die bräunlich
und verwaschen aussehen). Während der Beobachtung tritt eine Anzahl
neuer Ekchymosen auf. |
24 Stunden später: Die Zahl der Blutungen hat erheblich zu-
genommen.
V. Unterbindung 20 Tage vor der Injektion.
10. 1020 g schweres Tier, 12,5 ccm einer Salvarsan-
lösung (!/s; Maximaldosis).
Beobachtung vor der Injektion: Strömung teils schnell, teils lang-
samer. Vereinzelte bräunliche Fleckchen (alte Ekchymosen).
Während und nach der Injektion: Nach sechs Minuten deutliche
Verlangsamung der Strömung in einer Anzahl von Capillaren und Venen
bis zum trägen Strom in diesen. Andere Capillaren werden vorüber-
übergehend eng und leer. Im Verlaufe der nächsten vier Minuten treten
allmählich immer zahlreicher werdende Stasecapillaren und Ekcehy-
mosen auf.
Die makroskopische Besichtigung der ganzen Pankreasgegend er-
gibt fast überall kleinste, aber gut erkennbare Ekchymosen.
11. Beobachtung während der Injektion der halben Maximaldosis:
Nach zehn Minuten Stase und Ekchymosen.
VL Unterbindung 26 bis 32 Tage vor der Berieselung und
Injektion.
12, 1720 g schweres Tier, Berieselung mit Salvarsan-
lösung 0,6:250,0, 26 Tage nach der Unterbindung des Ganges.
Vor der Berieselung: Flotter Strom in der ganzen engen
Strombahn.
Während der Berieselung tritt sehr bald Erweiterung der Strom-
bahn und Verlangsamung der Strömung ein. Uebergang in Stase in
weniger als einer Minute. Entfärbung des zur Stase gekommenen Bluts
bei Fortdauer der Berieselung. Unter Berieselung mit physiologischer
Kochsalzlösung rücken rote Blutkörperchen nach, die Strömung kommt
aber nicht wieder in Gang. Die roten Blutkörperchen in den Stase-
capillaren behalten ihre Farbe. |
13. 1590 g schweres Tier, 30 ccm Salvarsanlösung (%
Maximaldosis), $1 Tage nach der Gangunterbindung, Beob-
achtung sechs Stunden nach der Injektion.
Makroskopisch: Im (vermehrten) Fettgewebe der Pankreas-
gegend eine geringe Zahl frischroter Ekchymosen.
Mikroskopisch sind die Ekchymosen sehr zahlreich, in einem
Gesichtsfeld (bei schwacher Vergrößerung) acht in Abständen. Sie sind
sämtlich frischrot. In ihrer Nähe Capillaren mit stark verlangsamtem
Strom oder mit Stase. Neue Ekchymosen treten während der kurzen
Beobachtung nicht auf,
14. 1590 g schweres Tier, 0,12 ccm Salvarsanlösung
(24 Maximaldosis), 32 Tage nach der Gangunterbindung.
Beobachtung sechs Stunden nach der Injektion. Ziemlich zahl-
reiche frischrote Ekchymosen, in ihrer Nähe Capillaren mit Stase oder
stark verlangsamtem Strome.
VII. Unterbindung 38 bis 42 Tage vor der Injektion.
15. Ys Maximaldosis, 38 Tage nach der Gangunterbindung.
Mikroskopisch: Vereinzelte Stasecapillaren und Ekchymosen.
16. 1120 g schweres Tier, 13 cem Salvarsanlösung (!
Maximaldosis), 40 Tage nach der Gangunterbindung, Beob-
achtung 31/a Stunden nach der Injektion.
Makroskopisch: Beim Heraustreten des das Pankreas ent-
haltenden Darm- und Mesenterialabschnitts fallen eine größere und
mehrere kleine Ekchymosen im Mesenterium auf. |
Mikroskopisch: Starke Verlangsamung der Blutströmung in
den weiten Capillaren und Venen; stellenweise steht das Blut in Mesen-
terial- und Fettgewebscapillaren still. Auch vorübergehender Stillstand
wird beobachtet. Aeltere Ekchymosen fehlen; außer den makroskopisch
beobachteten, als frisch bestätigten wird eine größere Anzahl frischroter
kleiner Ekchymosen gefunden, es entstehen solche auch während der
Beobachtung.
17. 1120 g schweres Tier, 0,05 g Salvarsan (Ys Maximal-
dosis), 42 Tage nach der Gangunterbindung, Beobachtung
31/a Stunden nach der Injektion.
Makroskopisch: Vereinzelte frischrote Eikchymosen, sogleich
beim Heraustreten im Mesenterium sichtbar.
Mikroskopisch: Starke Verlangsamung des Blutstroms in den
weiten Venen und Capillaren. Auftreten von zahlreichen Ekchymosen
während der Beobachtung.
| Ehe wir die Ergebnisse der soeben mitgeteilten Versuchs-
gruppe zusammenstellen, erinnern wir daran, daß wir in Vorversuchen
—
einen Gegensatz zwischen dem Verhalten des normalen und des
mit Gangunterbindung vorbehandelten Pankreas zur Salvarsan-
berieselung festgestellt haben: nach einem gemeinsamen Vor-
stadium der Schwankungen trat hier eine Erweiterung der Strom-
bahn, Verlangsamung des Blutstroms, Stase und Ekchymosen auf,
die dort ausbleiben. Demnächst haben wir festgestellt, daß jene
Schwankungen, insbesondere Verengerung, auch während einer
Salvarsaninjektion ins Venenblut beim Tiere mit normalem Pan-
kreas auftraten, daß sich dagegen Blutungen und der ihnen zu-
grunde liegende Typus der Blutströmung und Strombahnweite nur
in einem Versuche eingestellt haben, während in den andern teils
keine, teils sebr geringe Folgen der Injektion nach einiger Zeit
zu bemerken waren.
Nunmehr haben wir eine Uebersicht über die Fulgen der
intravenösen Injektion nach Gangunterbindung zu gewinnen. Die
Versuche haben nach anfänglichen Schwankungen in der Weite
der Strombahn, insbesondere Verengerung, ausnahmslos zu Stase
und Hämorrhagie geführt, und zwar in einem weit stärkeren
Grade, als solche bei einem nicht der Salvarsanbehandlung unter-
worfenen Tiere mit unterbundenem Gange auftreten.
Betrachten wir zunächst die ersten sechs Versuche der
Gruppe, und beginnen wir mit dem vierten, zwei Tage nach der
Gangunterbindung angestellten, so entstanden in ihm, nachdem wir
vor der Injektion einen leichten Grad der von der Gangunter-
bindung allein erzeugten Störungen festgestellt hatten, während
der Injektion, und zwar noch ehe sie beendigt war, unter unsern
Augen der träge Strom, die Stase und die Hämorrhagien. Der
Versuch lehrte zugleich, daß sich nach Beendigung der Injektion
die Stase vorübergehend wieder lösen kann, um aber nach einiger
| Zeit den früheren Grad wieder zu erreichen.
In dieser ersten Gruppe von Versuchen haben wir Gelegen-
heit gehabt, den Einfiuß der Höhe der Dosis kennen zu lernen.
Ein deutlicher Einfluß der Dosenhöhe ist in den drei ersten
Versuchen zutage getreten, in denen 24 Stunden nach der Gang-
unterbindung und 5 Stunden nach der Injektion der halben Maxi-
maldosis, der Dreivierteldosis und der Maximaldosis die Beobach-
tung vorgenommen worden ist: nach der kleinsten Dosis stellten
sich Ekchymosen erst während der mikroskopischen Untersuchung
ein, das heißt unter dem Einfluß der mit ihr verbundenen, wenn
auch noch so geringen Reize; nach der stärkeren und stärksten
Dosis waren dieEkchymosen bereits vor der mikroskopischen Beobach-
tung entstanden, und zwar in größerer Zahl nach der höheren Gabe.
Auf der andern Seite ergab sich aber auch, daß die Höhe
der Dosis für den Erfolg der Injektion keineswegs immer maß-
gebend ist: denn im sechsten Versuch brachte die halbe Maximal-
dosis schon acht bis zehn Minuten nach Beginn der Injektion Stase
und Ekchymosen hervor, während im vierten und fünften Versuche
mit der Maximaldosis die Blutungen erst 35 Minuten nach dem
Beginn des Eintritts des Salvarsans in die Blutbahn auftraten, bei
Tieren, denen der Gang vor zwei Tagen unterbunden worden war.
Wie eingangs erwähnt, sind die ersten zwei Tage nach der
Gangunterbindung diejenige Zeit, in der starke Abweichungen vom
normalen Verhalten der Blutströmung und Strombahnweite vor-
handen sind und auch Ekehymosen auftreten. Hatten wir uns im
vierten Versuche durch eine Vorbeobachtung vergewissert, daß die
der Unterbindung zuzuschreibenden Störungen beträchtlich ge-
steigert werden durch die Salvarsanzufuhr, so möchten wir ferner
nicht zu betonen unterlassen, daß regelmäßig die Erweiterung, die
Verlangsamung, die Zahl und Größe der Ekehymosen außerordent-
lich beträchtlich war, wenn man dem Tiere nach der Gangunter-
bindung Salvarsan intravenös zuführte. Der dann auftretende Be-
fund war nur zu vergleichen mit demjenigen, der festzustellen war,
wenn man das Pankreas nach der Gangunterbindung mit einem
der eingangs genannten Mittel berieselte.
Je mehr wir nun die Zeit zwischen Gangunterbindung und
Salvarsaninjektion verlängerten, desto deutlicher mußte die stase-
und ekchymosenerzeugende Wirkung der Unterbindung zurück-
treten, und desto sicherer konnten nach der Injektion auftretende
Blutungen dem Salvarsan zugeschrieben werden.
So ist z. B. der siebente Versuch sehr lehrreich: Während
man nach der Gangunterbindung stets, auch in den ersten zwel
Tagen, nur kleinste umschriebene, aus wenigen Capillaren zu-
sammengesetzte Stasegebiete und meist lediglich mikroskopisch
sichtbare Ekehymosen beobachten kann, war hier, zu einer Zeit,
wo sonst die Zahl der Ekchymosen im Vergleiche mit den zwel
ersten Tagen bereits abgenommen hat, nach der Salvarsaninjektion
die Stase fast allgemein und die Infareierung des Fettgewebes und
>of -
ne E
7-4
` spätesten nach der Gangunterbindung, nämlich zwischen dem 26.
| dia .. "Makroskopisch: Es fällt eine starke Erweiterung der Venen und
t 3 :
_\peratur stellt sich normale Strömung und Strombahn wieder her.
4, August. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. - | 1273
5. 850g schweres Tier, Injektion von 21 ccm Noosalvarsan-
lösung (Maximaldosis) 0,3:50,0, Beobachtung 5"/a Stunden nach
der Injektion. . er |
Makroskopisch: Venen stark erweitert, sehr dunkle. Farbe
ihres Bluts. | MEERE u.
Mikroskopisch: In den sehr stark erweiterten Venen fließt das
Blut stark verlangsamt, stellenweise träger Strom. Arterie eng, homogen
durchströmt, | FE SE 76
Während der Beobachtung tritt in einem Pankreasläppchen eine
kleine Ekchymose auf. _ | c i
Während der Tötung durch Aetherinhalation 'verbält sich .die
Strombahn wie bei einem normalen Tier. $ Se
6. Ein weiterer Versuch mit der Maximaldosis verläuft
ebenso, nur ist die Erweiterung der Venen und die Verlangsamung des
Venenstroms geringer. Ekchymosen bleiben aus. | P '
Normales Verhalten gegen Berieselung mit abgekühlter physiolo-
gischer Kochsalzlösung. i E
der Bauchspeicheldrüse so diffus -und ausgedehnt, wie 'dies nur
noch einmal — im Parallelversuch 8 — aufgetreten und in allen
übrigen Pankreasversuchen auch nicht annähernd beobachtet worden
ist, Dieser Ausfall ist in dem siebenten und achten Versuche
-genau in der gleichen Weise aufgetreten, sodaß die Komplikation
in dem einen der beiden Versuche, die die einfache Besichtigung
vor der intravenösen Injektion dargestellt hat, als unwesentlich
nachgewiesen ist, E ;
Der am siebenten Tage nach der Unterbindung vorgenommene
Versuch (Nr. 9) ist deswegen wert, hervorgehoben zu werden, weil
nur ein Sechstel der Maximaldosis eingeführt worden ist: trotz-
dem war der gewohnte Anblick einer maximal erweiterten Strom-
bahn, des trägen Stroms und eine Anzahl von Ekehymosen vor-
handen.
Wie beim vierten und ‚siebenten, so haben wir auch beim
zehnten Versuche die wertvolle und unschädliche Vorsichtsmaß-
‚regel gebraucht, vor der Injektion eine kurze makroskopische und
mikroskopische Besichtigung des Pankreas vorzunehmen, um uns
den Einfluß der Einvorleibung des Mittels anschaulich vorzuführen.
So war denn, wie zu erwarten gewesen, im zehnten Versuche,
20 Tage nach der Unterbindung, die Strömung flott, die Strom-
bahn eng, und es waren nur vereinzelte bräunliche — ältere —
Ekehymosen von der bekannten geringen (mikroskopischen) Größe
vorhanden. Während dann das Salvarsan — und zwar nur die
halbe Maximaldosis — in das Venenblut eingeführt wurde, sahen
wir.die Strömung sich verlangsamen bis zum trägen Strom, sahen
Stasecapillaren und Ekchymosen auftreten und immer zahlreicher
werden,
Ein anderer Versuch (Nr. 11) am 20. Tage nach der Unter-
bindung ist von Interesse, weil bereits 10 Minuten nach Beginn
der Injektion der halben Maximaldosis, vor Beendigung der Ein-
spritzung, Stase und Blutung aufgetreten ist.
Die noch übrigen Versuche (13 bis 17) sind als die am
B. Kaninchen mit unterbundenem Gang.
7. Berieselung mit Neosalvarsanlösung 0,6:200,0,, drei
Wochen nach der Gangpnterbindung. ne E?
Vor der Berieselung: Schnelle Blutströmung in Strombahn von
mittlerer Weite. Keine Stasecapillaren oder Ekchymosen. 1
Während der Berieselung: Baldige Verengerung einer Anzahl
von Capillaren. Darauf Erweiterung und Verlangsamung, Auftreten von
einzelnen Stasecapillaren, die allmählich an Menge zunehmen, wie im
Fettgewebe, so auch im Pankreas. Vereinzelte Ekchymosen. Das
entfärbt. |
Gangunterbindung drei Wochen vor der Injektion.
8. 1250 g schweres Tier, Injektion von 10 ccm Neo-
salvarsanlösung 0,3:60,0 (1 Maximaldosis), Beobachtung fünf
Stunden nach der Injektion. Ä |
Mikroskopisch: Strombahn weit, Strömung verlangsamt. In
jedem Gesichtsfelde zwei bis drei frischrote Ekchymosen, die zum Teil
die einzelnen roten Blutkörperchen noch erkennen lassen. Zahlreiche
Stasecapillaren in der Nähe einer schon mit unbewaffnetem Auge erkenn-
baren Ekchymose,. Be
Berieselung mit Neosalvarsanlösung 0,6:200,0: Baldige Ver-
engerung; eine Anzahl von Capillaren erweitern sich danach, es tritt in
ihnen Stase ein, und das zum Stillstande gekommene Blut entfärbt sich
sofort. Einzelne Ekchymosen treten auf. -=
Einen Tag später: Abermalige Beobachtung.
Die Zahl der Stasecapillaren hat sich stark vermehrt; es finden
sich ganze Systeme von solchen und Stase auch in den zugehörigen
kleinen Arterien und Venen. Zahlreiche Eikchymosen, einige makro-
skopisch sichtbar. | |
In der am Tage zuvor berieselten Gegend sind zahlreiche, makto-
skopisch eben sichtbare Ekchymosen hinzugekommen, besonders in den
Randpartien des Fettgewebes. Sa
9. 1150 g schweres Tier, Injektion von 14 cem Neo-
salvarsanlösung 0,3:50,0 (t! Maximaldosis), Boobachtung fünf
Stunden nach der Injektion.
Makroskopisch: Pankreas und Umgebung stark gerötet. Venen
stark erweitert, Venenblut dunkel. Eine Ekchymose sichtbar.
Mikroskopisch: Fast allgemeine capilläre Stase, vereinzelte
und 42. Tage, vorgenommenen die wertvollsten: ist doch zu dieser
Zeit, wie ja auch aus dem Protokoll über den eingeschobenen Be-
rieselungsversuch hervorgeht, die Strömung und die Strombahn-
weite für die mikroskopische Untersuchung normal und nur die
Reaktion der Gefäßnerven abnorm. Ausnahmslos hatte die Sal-
varsaninjektion die nun schon oft angegebenen Folgen, und es ist
nur hervorzuheben, daß bei Einführung der 1/e-Maximaldosis (Ver-
such 15) die Zahl der Stasecapillaren und Ekehymosen geringer
war, als wenn die volle Maximaldosis oder drei Viertel derselben
verwandt wurde. Dagegen brauchte bei Anwendung der halben
Maximaldosis, wie Versuch 16 lehrt, ihre Zahl durchaus nicht
gering zu sein. -
Versuche mit Neosalvarsan}).
A. Normale Kaninchen.
~ 1. Berieselung der Pankreasgegend mit Neosalvarsan-
lösung 0,5 : 200,0 destilliertom Wasser. ee
Mikroskopisch: Die unter der Berieselung mit physiologischer
Kochsalzlösung weite, flott durchströmte Strombahn verengt: sich sofort
a dem Uebergang zur Berieselung mit Neosalvarsanlösung stark; viele
‚„andcapillaren der Pankreasläppchen sind verschlossen. Zuweilen treten
m Abständen rote Blutkörperchen durch die verengten Schlingenlumina.
den weiteren Capillaren ist die Strömung langsam. |
Be Dieser Zustand hält sich während der 131/2 Minuten dauernden
erleselung. |
i Nach Wiederherstellung der Berieselung mit physiologischer Koch-
salzlösung stellt sich der schnelle Strom in weiter Strombahn wieder her.
~ 2 Derselbe Verlauf des Versuches bei einem neuen Tiere.
,, 3 Ebenfalls übereinstimmender Verlauf bei einem
dritten Tiere, ns \
en m zweiten und dritten Versuch ist im Gegensatz zum ersten ein
3i Wechsel in der Weite der Capillaren beobachtet worden.
Er 0 g schweres Tier, Injektion von 36 ccm Noo-
arsanlösung 0,8:50,0 (Maximaldosis), Beobachtung fünf
unden nach der Injektion.
Venen träger Strom.
Einen Tag später: Abermalige Beobachtung. |
Die Zahl der makroskopisch sichtbaren Ekchymosen hat stark zu-
genommen. ,
Gangunterbindung vier Wochen vor der Injektion,
10. 1020 g schweres Tier, Injektion von 12,5 ccm Neo-
salvarsanlösung 0,3:50,0 (!/a Maximaldosis), Beobachtung
während der Injektion und darüber hinaus. |
Vor der Injektion keine Hyperämie, keine Ekchymosen, auch keine
Reste von solchen. ec har
` "Während der Injektion treten zunächst verengte und verschlossene
Capillaren auf. Dann erweitert sich die gesamte Strombahn und der Blut-
strom verlangsamt gich. Nach zehn Minuten treten die ersten Stase-
capillaren und kleinen Ekchymosen auf. Die Stase dehnt sich aus, wird
aber nicht allgemein. we) er
| 11. 1250 g schweres Tier, Injektion von 15 ccm. Neo-
salvarsanlösung 0,3:50,0 (12 Maximaldosis), Beobachtung
vier Stunden nach der Injektion. u | | |
Makroskopisch: Am stark erweiterten Ausführungsgang eine
größere Gruppe frischroter Ekchymosen, sofort beim Heraustreten der
Darmschlinge festgestellt. An einer andern, entfernten Stelle ebenfalls
Ekchymosen. Eine auffällige Weite und dunkle Farbe der Venen fehlt.
Mikroskopisch: Strömung leicht verlangsamt, Weite der Strom-
bahn nicht sehr beträchtlich. In der Nähe der erwähnten Ekchymosen
Stasecapillaren, ferner kleinere Ekchymosen, in denen man die einzelnen
gefärbten roten Blutkörperchen. erkennt. -Die. Gesamtzahl der Ekchymosen
ist nicht sehr groß.
Während der Beobachtung und während der Tötung durch Aether-
inhalation treten noch einige Ekchymosen auf.
dunkle Farbe des Venenbluts auf.
weitert ikroskopisch: Langsame Strömung des Bluts in den er-
strömt en Venen. Capillaren von verschiedener Weite, schnell durch-
Keine auffälligen Schwankungen in der Weite der Strombahn.
Veren ol Berieselung mit physiologischer Kochsalzlösung von 8° sofortige
mis ung der Arterio und Vene, Verengerung und Leerwerden der
p pi wie bei einem normalen Tier. |
nter Berieselung mit physiologischer Kochsalzlösung von Körper-
1) Drei Teile Neosalvyarsan enthalten zwei Teile Salvarsan.
nicht in Bewegung befindliche Blut wird durch die N oosalvarsanlösung
Be Er ae een u Zn ar nr mm. va ng nen en
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Ekchymosen. In den noch durchströmten sehr erweiterten Capillaren und
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1280 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
12. Injektion der halben Maximaldosis Neosalvarsan:
Nach zehn Minuten die ersten Stasecapillaren und Ekchymosen.
13. Injektion der halben Maximaldosis Neosalvarsan,
Beobachtung fünf Stunden später. l
Einige Stasecapillaren und Ekchymosen.
14. 1800 g schweres Tier, Injektion von 10 ccm Neo-
‚salvarsanlösung 0,3:50,0 (1 Maximaldosis), Beobachtung fünf
Stunden später.
‚..„Mikroskopisch: Ueberall mittlere Geschwindigkeit des Bluts
in leicht erweiterter Strombahn. Einzelne Stasecapillaren und Ek-
chymosen,
Bei der Tötung durch Actherinhalation treten einige Ekchy-
mosen auf.
15. Ein weiterer Versuch mit demselben Ergebnis wie der
vorangehende.
Die mit Neosalvarsan angestellten Versuche haben, soweit
sie in Berieselung bestanden haben, dasselbe Ergebnis gehabt,
wie die mit Salvarsan angestellten, und zwar sowohl beim nor-
malen Tier als bei dem mit Gangunterbindung vorbehandelten;
noch drei Wochen nach der Gangunterbindung ergab sich der oft
erwähnte Gegensatz. Es ist lediglich bemerkenswert, daß Neo-
salvarsan nicht die Fällung in der Gewebsflüssigkeit hervor-
gebracht hat, die wir bei der Salvarsaneinwirkung haben auf-
treten sehen.
Was nun die Folgen der intravenösen Injektion angeht,
so haben wir drei und vier Wochen nach der Gangunterbindung,
. vier und fünf Stunden nach der Injektion die Erweiterung der
Strombahn, die Verlangsamung der Blutströmung zum trägen
Strome, die Stase und Ekebymosen ungefähr ebenso auftreten sehen
wie beim Salvarsan. Nur beim elften Versuche, wo die halbe
Maximaldosis angewandt worden ist, war der übliche Effekt der
Injektion auffällig gering, so gering, wie er uns bei vergleichbaren
Salvarsanversuchen nicht entgegengetreten ist. Auf der andern
Seite ist aber hervorzuheben, daß im achten Versuche die Stase
ungemein ausgedehnt, daß sie im neunten Versuche nahezu all-
gemein war, trotzdem in jenem Versuche nur eine viertel, in diesem
nur die halbe Maximaldosis angewandt worden war.
Es besteht also kein prinzipieller Gegensatz in der Wirkung
des Salvarsans und des Neosalvarsans.
Als die wichtigsten Ergebnisse unserer Versuche sehen wir
die folgenden Sätze an:
1. Dem Salvarsan und Neosalvarsan kommt bei lokaler und
intravenöser Anwendung eine Wirkung auf die Gefäßnerven zu,
die sich in Schwankungen der Weite der Strombahn und Blut-
stromgeschwindigkeit, mithin auch des Blutdrucks, äußert. Aus-
nahmsweise kann sich nach intravenöser Injektion später Stase
und Hämorrhagie einstellen.
9. Eine stase- und hämorrhagieerzeugende Wirkung der
beiden Mittel kommt regelmäßig und stark dann zur Geltung, wenn
es sich um ein durch andere Reize in einen abnormen Zustand
versetztes Stromgebiet handelt, und zwar auch dann, wenn dieser
abnorme Zustand aus der Weite der Strombahn und der Ge-
schwindigkeit des Blutstroms nicht einmal mit Hilfe des Mikro-
skops zu erkennen ist.
3. Es besteht kein konstanter Parallelismus zwischen der
Höhe der Dosis und der Stärke der Wirkung, weder im normalen
Organ, noch in einem, dessen Gefäßnervensystem sich in einem
anderweitig bedingten abnormen Erregungszustande befindet.
Es bleibt uns nun noch die Aufgabe, die Ergebnisse der
Tierversuche auf den. mit Salvarsan behandelten Menschen zu über-
tragen. Es kann dies nur in allgemeinster Form geschehen, auch
müssen wir davon absehen, auf die Literatur des Gebiets im ein-
zelnen einzugehen.
Was zunächst die intramuskuläre Injektion beim Men-
schen angeht, so ist es bekannt, daß sie zur „Nekrose“ zu führen
pflegt. Wenn wir auch in unsern oben mitgeteilten kurzen Be-
rieselungsversuchen mit sehr schwachen Lösungen keine Unter-
brechung der Blutströmung, Stase, erzielt haben, so haben wir
uns doch in besonderen Versuchen überzeugt, daß Lösungen von
der Stärke, wie sie beim Menschen zur intramuskulären Injektion
dienen, auf das Pankreas und Mesenterium gebracht, momentan
Stase und hämorrhagische Infarcierung überall da erzeugen, wo
sie hingelangen. Es ist also die gefäßnervenreizende Eigenschaft
des Salvarsans, der die Nekrose an der Injektionsstelle als eine
Folge der — dauerhaften — Aufhebung der Blutströmung zuzu-
schreiben ist, während eine unmittelbare Abtötung des Gewebes durch
Salvarsan nicht nachgewiesen ist.
Gehen wir nun zur Wirkung der intravenösen Injektion
über, so wäre hier die unzweifelhafte Heilwirkung des Salvarsans aut
syphilitische Gewebsveränderungen zu besprechen. Wir müssen
davon absehen, da der Rückbildungsvorgang der syphilitischen
Affektionen bisher ungenügend bekannt, insbesondere nicht unter
Beachtung auch der Blutströmung studiert ist!).
Dagegen glauben wir durch unsere Versuche eine Auf-
klärung der Herxheimerschen Reaktion geben zu können. Das
deutlichere Hervortreten eines syphilitischen Exanthems der Haut
beruht, wie wir uns selbst überzeugt haben, auf dem Uebergang
in ein dunkleres Rot; die gleiche Erscheinung läßt sich auch an
Papeln, an syphilitischen Geschwüren nach Salvarsaneinverleibung
beobachten. Wir haben gesehen, daß da, wo eine Verlangsamung
des Blutstroms besteht, das Salvarsan sie steigert und die Farbe
des Bluts dadurch dunkler macht. Die genannten syphilitischen
Produkte sind nun, wie die mikroskopische Untersuchung längst
gelehrt hat, Orte, wo eine Hyperämie desjenigen Charakters be-
steht, mit dem eine Extravasation weißer Blutzellen verbunden ist.
Es ist also verständlich, wenn das Salvarsan an den in einem ab-
normen Reizungszustande befindlichen Gefäßnerren des betrefienden
Gebiets so angreift, daß die Verlangsamung des Blutstroms
sich steigert, zuweilen bis zu einem Grade, daß Stase und Ekchy-
mosen auftreten, wie dies unter Andern M. Oppenheim beob-
achtet hat).
Auch für die von einer Schädigung der Hirnnerven abhängi-
gen Störungen liegt es nahe, die durch unsere Versuche festge-
stellten Eigentümlichkeiten des Salvarsans heranzuziehen, um 50
mehr, als die bekannte Ehrlichsche Auffassung derselben als
einer Wirkung überlebender Spirochäten eine Hypothese ist, die
sich nicht auf Beobachtung stützen kann. |
Des weiteren dürfen die cerebralen Störungen, die so zahl-
reich nach Salvarsaninjektion beobachtet worden sind, nunmehr auf
die Wirkung des Mittels zurückgeführt werden, mögen sie nun
vorübergehend auftreten, z. B. als epileptiforme Anfälle), oder
zum Tode führen. Es ist dabei von sekundärem Interesse, ob der
Leichenbefund negativ ist oder z. B. Ekchymosen aufweist: denn
schon eine stärkere Verlangsamung des Blutstroms, auf die man
an der Leiche keinen Rückschluß mehr machen kann, ist zweifel-
los geeignet, funktionelle Störungen im centralen und peripheri-
schen Nervensystem hervorzubringen; auch ist zu berücksichtigen,
daß sich eine Stase nach kürzerem oder längerem Bestande
wieder gelöst haben kann.
Besonders möchten wir noch betonen, daß dem von uns be-
schriebenen „trägen Strom“ eine enge Beziehung zur Thrombose
zukommt: zum Stillstande gelangt, stellt er den roten Thrombus
dar, nachdem das Fibrin ausgefallen ist; es treten aber auch im
trägen Strom unter den Augen des Beobachters ganz gewöhnlich
weiße Klümpchen (Thromben) auf, die wir auch im Verlauf der
Salvarsanversuche festgestellt haben und die wie Venen, so Ar-
terien embolisch verstopfen können.
Diese Andeutungen mögen genügen. Wir geben uns der
Hoffnung hin, daß auf Grund unserer Versuche das Salvarsan
künftig pharmakologisch und toxikologisch als das, was e8 ist,
betrachtet werden wird, als ein Reizmittel für das Gefäßnerven-
system, das Verengerung und Erweiterung der Strombahn, Strom-
verlangsamung, Stase und Blutung zu erzeugen vermag — insbe-
sondere da, wo sich das Nervensystem der Blutbahn in einem Zu-
stande herabgesetzter Erregbarkeit befindet, wie er gerade bei an
Syphilis und an metasyphilitischen Krankheiten Leidenden nieht
selten besteht. | Ä
In künftigen Versuchen werden wir in entsprechender Weis
therapeutisch verwandte Quecksilberpräparate prüfen.
1) Wir benutzen die Gelegenheit zu der Bitte um Unterstützung
durch geeignetes Material. Als solches sind vorwiegend multiple Papeln
anzusehen, von denen eine vor der Salvarsaninjektion, die andern in zeit-
lichen Abständen nach derselben abgetragen werden. Das Abtragen
müßte stets in derselben Form erfolgen, am besten mit einer Kneifzange,
ohne Benutzung einer Pinzette. Fixierung in Formol.
‚ 3) M. Oppenheim, Ueber einige durch Salvarsanbehandlung be-
dingte Eigentümlichkeiten cutaner Syphilis. (Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 40.)
3) Fritz Lesser, Epileptif A Berl. kl.
Woch. 1912, Nr. 13.) pileptiforme Anfälle bei Salvarsan. (B
— pe ca on
= TOT nn ae
Dd
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
1281
Aus der Praxis für die Praxis.
Zahnheilkunde
| von
Dr. Hoffendahl
Lehrer der Zahnheilkunde an. der Kgl. Universität, Berlin.
Replantation.
Ist ein Zahn durch einen Unfall, fälschliche Extraktion usw.
sus seiner Alveole entfernt, so kann er wieder zum Zwecke der
Festheilung in diese eingepflanzt werden. Die Replantation kann
sofort oder nach einigen Tagen unter strenger Beobachtung der
Antisepsis vorgenommen werden. Der Zahn ist nach Möglichkeit `
in erwärmter physiologischer Kochsalzlösung zu halten, seine
Wurzelspitze etwas zu kürzen und sein Wurzelkanal nach Ent-
fernung der Pulpa vom Foramen- apicale aus abzufüllen. Granu-
lationsbildungen in der Alveole, ebenso entzündliche Granulationen
und nekrotische Gewebepartien an der Wurzel sind vor der Re-
plantation zu entfernen. Der replantierte Zahn ist durch Liga-
turen ‘oder ähnliches zu fixieren. In zwei bis vier Wochen sind
solche Zähne meist wieder funktionsfähig,
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
< Aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens
von Dr. Slawyk, Oberstabsarzt an der Hauptkadettenanstalt.
= Oberst Dr. Vollbrecht-Bey, preußischer Generaloberarzt
z. D., zur Neuordnung des Militärsanitätswesens im Jahre 1910
in die Türkei berufen, hat eine kurze Uebersicht über seine bis-
herige Tätigkeit gegeben (1).
Außer einer halbvergessenen Sanitätskompagnie in Konstan-
tinopel, von welcher in Kriegszeiten jeweilig 50 bis 100 Mann als
. Stamm nach dem -Kriegsschauplatz gesandt wurden, war von
Sanitätsunterpersonal und -material nichts vorhanden. Die türki-
- schen Militärärzte hatten bisher keine Gelegenheit, sich militärische
Kenntnisse zu erwerben. Vollbrecht mußte alle Einrichtungen
völlig neu schaffen. Er hat sich hierbei an die bewährte
preußische Sanitätsorganisation gehalten, jedoch den Eigenarten des
Landes (mangelnde Verkehrswege, Armut der Bevölkerung, Ver-
schiedenart 'des Klimas) überall Rechnung getragen. Opferfreudig-
keit und Verständnis der neuen türkischen Regierung und die
angeborene Geschicklichkeit der türkischen Soldaten für Selbst-
behelfe haben ihm wesentliche Hilfe hierbei geleistet.
In Zukunft wird die Türkei über ebenso brauchbare Kriegs-
und Friedenssanitätseinrichtungen verfügen, wie die übrigen
europäischen Staaten.
; j Statistik. =
Der vorläufige Jahreskrankenrapport der preußischen, sächsi-
schen und württembergischen Kontingente (1. Oktober 1910 bis
30. September 1911) bringt folgende Angaben (2):
Iststärke . . 2.2... 552 940 Mann
Krankenzugang im Lazarett 116 856
Revier . 184 619 325 748 = 589,1 0/oo
» „ Lazarett u. (im Vorjahre 563,8 %o0).
Revier... .. 24273 „
Es wurden dienstfähig 304 548
Es starben . 2 2 22. 720 = 1,5% der Behandelten.
Es wurden dienstunbrauchbar |
mit Versorgung . 3i4 ,
8 wurden dienstunbrauchbar
ohne Versorgung . . . . 625 ,
, Der Krankenzugang ist um 25,3 %/9o höher als im Vorjahre,
wobei hauptsächlich die übertragbaren Krankheiten und die Er-
krankungen der Atmungs- und Ernährungsorgane beteiligt sind.
Außerhalb der militärärztlichen Behandlung starben:
durch Krankheit R 23 Mann (im Vorjahr 15)
» Unglücksfal . . 122 , (, „ 114)
» Selbstmord . . . 206 5 (» `» 208)
Aus der russischen Armee liegt der Sanitätsbericht für 1908
vor (8); es betrug |
die Iststärke (ausschließlich Offiziere) 1279 051 Mann Ä
es erkrankten . . > 2 2 2 2 . 564887 „ == 441,6 %0
(die ambulant Behandelten sind nicht miteingerschnet).
, „In der russischen Marine betrug die Zahl der Erkrankungen
a der Mannschaft im Jahre 1907 (4): 27817 = 831,7 %0 bei
einer Iststärke von 34465 Mann.
Ein Vergleich der Flotte der einzelnen Staaten ergibt:
: erkrankt estorben entlassen
Russische Flotte 1907 8 g À 35,2 %/oo
Deutsche Flotte 1907. . . 547.2 2,36 24,
Oesterreichische Flotte 1907 394.2 8,87 239 „
ereinigte-Staaten-Flotte 1906 787,2 5,66 . 6,26 „
juelische Flotte 1906 . . . . 719,5 8,68 22,51 „
apanische Flotte 1906 764,5 7,25 21,73 „
Feldsanitätswesen.
Eine interessante Schilderung seiner Tätigkeit als Divisions-
arzt im Russisch-Japanischen Kriege gibt der in Deutschland durch
seinen früheren Aufenthalt wohlbekannte jetzige japanische General-
arzt Professor E. Haga (5).
Der Kriegsschauplatz erstreckte sich von der Küste des
gelben Meeres bis Mukden. Das Gelände ist bis Liaoyang ge-
birgig, dann eben, der Boden besteht aus Tonerde mit Humus,
vorhanden. |
Die Soldaten hatten sorgfältig vorbereitete Sommer- und
Winterkleidung.
In der Ernährung spielte Reis die Hauptrolle, welcher zur
Vermeidung der Beri-Beri mit fünf Teilen gestoßener Gerste ver-
mischt war. Als eiserne Kriegsportion trug jeder Soldat in einem
Beutel eine für zwei Tage berechnete Menge gedämpften und go-
troekneten Reis mit 150 g Fleischkonserven und 10 g Salz.
Als Genußmittel wurde Tabak und Reisschnaps (Sake) zeit-
weise verausgabt, jedes Regiment führte eine Kantine mit sich.
Die Wasserversorgung erfolgte meist aus Flüssen und
Brunnen. Trübes Wasser wurde durch Alaunzusatz am raschesten
geklärt, doch hatte diese Methode den Nachteil, daß sie leicht
Darmträgheit hervorrief.
Zur mechanischen Wasserklärung diente ein von dem japani-
schen Apotheker Jshiji angegebenes trichterförmiges Filter aus
Segeltuch von 40 Liter Inhalt mit drei Ausflußröhren. Dem
Wasser wurde zunächst ein (vom Erfinder geheim gehaltenes)
Pulver zugesetzt; auch bei diesem Filter verstopften sich wie bei
allen rasch die Poren. Der japanische Stabsarzt Saha fertigte
ein Filter an, bei welchem der mit Schwamm und Kohle gefüllte
Filtrierkörper als Schwimmer stets auf der Oberfläche des mit
Alaun geklärten Wassers schwamm, der Erfolg war sehr be-
friedigend.
Zur Unterkunft dienten Zelte, im Winter Erdhütten und.
Chinesenhäuser; letztere starrten in der Regel vor Schmutz und
Ungeziefer, sodaß sie erst nach energischer Reinigung beleg-
bar waren.
Der Gesundheitszustand der Truppen schwankte, je nach
der Jahreszeit, den Leistungen und den Entbehrungen.
Insgesamt kamen in den zwei Kriegsjahren bei der Division
vor (abgesehen von Waffenverletzungen in den Gefechten) 9137 Er-
krankungen und Verletzungen, darunter:
Typhus ; a Fälle mit 499 Todesfällen
Dysenterie Bi. Merle. az ar da ke 3
Akute Magendarmerkrankungen . 685 „ „ 10 :
Kakke nn MR pa gp 1 5
Im Sommer traten hauptsächlich Magendarmkatarrhe, Typhus
usw., Hitzschlag und Wundlaufen, im Winter besonders Er-
krankungen der Atmungsorgane auf (174 Lungenentzündungen mit
17 Todesfällen, 429 Brustfellentzündungen mit 40 Todeställen).
Der Sanitätsdienst auf dem Schlachtfelde vollzog sich fast
völlig wie im Deutschen Heere, da die Japaner ihr Kriegssanitäts-
wesen in engster Anlehnung an die preußische Kriegssanitäts-
ordnung entwickelt haben. Ea
Jedes Bataillon verfügte über zwei Aerzte, fünf Sanitäts-
unteroffiziere und 16 Krankenträger nebst Sanitätsmaterial. In
der Feuerlinie wurden, wenn möglich, Notverbandplätze, 500 bis
1000 m dahinter Truppenverbandplätze errichtet. Das: unter dem
Befehl des Divisionskommandeurs stehende Sanitätsdetachement
(zwei Kompagnien mit je 40 Tragen) schlug 1 bis 4,5 km hinter
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1282 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
dem Gefechtsplatz den Hauptverbandplatz auf; in möglichster Nähe
desselben wurden schließlich die Feldlazarette, deren jede Division
vier hatte, aufgeschlagen. Da ihre Belegungsstärke (200 Mann)
bald nieht mehr genügte, wurden sie für 1000 Verwundete einge-
richtet; es war nicht immer leicht, die Feldlazaretie rechtzeitig
heranzuholen.
Der Abschub der Verwundeten nach rückwärts erfolgte über
die Kriegs- und Etappenlazarette mit Hilfe von Lazaretizügen
und -schifien.
Der Gesamtverlust der Division betrug bei rund 15000 Mann
Kopfstärke:
Gefallene . „20... 2544 Mann
Verwundete . . . . -'.. 9458 „
Vermißte . . » 2 2.0. 86
zusammen 12 088 Mann = 8620/0.
Sorgsame Vorbereitungen und geschickte Anpassung an die
wechselnden Verhältnisse des Krieges zeichnen die Leitung des
japanischen Sanitätsdienstes aus.
Im Gegensatz hierzu herrschte auf russischer Seite völligste
Sorglosigkeit, sodaß es bei Beginn des Krieges, an dessen Aus-
bruch niemand glaubte, an allem fehlte. Besonders empfindlich
machten sich diese Mängel während der Belagerung von Port
Arthur bemerklich, worüber der österreichische Oberstabsarzt
Okuniewski (6) folgendes berichtet: Die eroberte Festung wies
17000 Kranke (einschließlich 3300 Verletzte) auf = 380), der Be-
satzung, 900), der Kranken hatten Skorbut. Die Verpflegung war
mangelhaft, frische Gemüse fehlten fast ganz.
Das Marinelazarett war ungenügend eingerichtet und konnte
nur 300 bis 400 Kranke fassen, sodaß schleunigst eine Kaserne in
ein Lazarett für 1200 Betten eingerichtet werden mußte, wobei
Wasserversorgung und Abfuhr erst neu geschaffen wurden. Von
den Kriegsschiffen mußte Sanitätspersonal und -material an Land
überführt werden.
Bei der Uebergabe der Festung befanden sich die Kranken
in völlig verwahrlostem Zustande, da es an allem mangelte. Die
Ueberführung der Kranken durch die Japaner erforderte lange
Zeit und war mit großen Schwierigkeiten und vielen Mißständen
verknüpft.
Auf die Benutzung von Zeltbahnen, wie sie jeder Soldat bei
sich trägt, und Spaten im Gefechtssanitätsdienste weist Stabsarzt
Hellwig (56) hin; erstere können Verwendung finden beim Trans-
port Verwundeter, beim Aufladen derselben auf die Tragen, als
Umhüllung, zu Verbandzelten und zum Herrichten von Landwagen
für Verwundetentransporte Die Spaten werden gebraucht zur
Herstellung von Deckungen für Verwundete, zum Aufschaufeln
von Erdhaufen als Ersatz für Operationstische, schließlich zum
Begraben. Die Ausrüstung der Krankenträger mit Zeltbahnen
und Spaten wird empfohlen.
Auf Grund umfangreicher Erfahrungen im Livländischen
“ Roten-Kreuz-Lazarett bei Mukden hat v. Oettingen die Mastix-
lösungen in die Kriegschirurgie eingeführt und nach zahlreichen
Experimenten in dem von der chemischen Fabrik Gebrüder Schubert
in Berlin hergestellten Mastisol das geeignetste Präparat ge-
funden (7).
Grundgedanke dieser Methode ist, durch das Mastisol die
Bakterien festzuleimen und hierdurch unschädlich zu machen;
schon Generalarzt Port hat vor 28 Jahren den gleichen Gedanken
ausgesprochen, doch wählte er Collodium, welches Häutchen bildet,
die durch die Schweißabsonderung abgehoben werden und das
Wachstum der Bakterien begünstigen ; so geriet der an sich richtige
Gedanke in Vergessenheit. Sr
Die Technik der Mastisolbehandlung ist äußerst einfach: die
groben Verunreinigungen der Wunde‘ werden mit Tupfer oder
Pinzette entfernt, die Wunde wird mit Jodtinktur oder Kollargol-
tabletten desinfiziert, alsdann ihre Umgebung mit Mastisol be-
pinselt und nach kurzem Zuwarten zwecks Verdunstung des
Lösungsmittels das Ganze mit Watte, einem Tupfer oder am
besten einem Stück passend zugeschnittener Köperbinde bedeckt.
Der Mastisolverband zeichnöt sich durch Einfachheit, Schnellig-
keit, festen Sitz, sichere Zurückhaltung des Wachstums der Haut-
bakterien und Verbandstoffersparnis aus, vielfache Nachunter-
suchungen haben seinen Wert bestätigt (Voos (8), Thomschke (9),
Mazel (10), Haist (55), Kausch (11), Börner (12) usw.), sodaß
das Mastisol berufen scheint, in der Kriegschirurgie einen hervor-
ragenden Platz einzunehmen. Sein Preis ist allerdings verhältnis-
mäßig hoch (2,40 M für ein Fläschehen von zirka 150 g Inhalt).
Das gleichfalls von v. Oettingen als Wunddesinfektionsmittel
4. August.
angewendete und empfohlene Argentum colloidale (1 Tablette
, à 0,05 auf die Wunde zu legen) hat dem österreichischen Regiments-
arzt Hanasiewiez (13) gute Dienste geleistet.
Oberstabsarzt d. L. Gutsch (14) tritt seit langer Zeit für
die Mitnahme von Bettstellen und Matratzen in den Feldlazaretten
ein und gab dieser Ansicht auf dem Aerztekongreß in Karlsruhe
(1911) erneut Ausdruck. Der Grundgedanke fand vielseitig Bei-
fall, doch ist seine Verwirklichung erst möglich, wenn für die
Feldiazarette allgemeine Lastautomobile zur Verfügung ständen.
Stabsarzt Sachs-Mücke hat sich mit der Herstellung einer
Krankenfahrbahre mittels zweier Fahrräder und eines Zwischen-
gestells beschäftigt (15); er befestigt die Querleisten, welche die
Krankentrage aufnehmen mittels zweier durchlochter Winkeleisen
an den Radachsen. Hierdurch kommt der Schwerpunkt tiefer (im
Gegensatze zu der von Meinshausen auf den oberen Rahmen-
teilen befestigten Trage (16) und das Ganze wird stabiler. Die
Winkeleisen müssen allerdings mitgeführt werden.
Um zu verhüten, daß die — auf den Schultern getragene
— französische Krankentrage wegen Ermüdung der Träger zu oft
abgesetzt werden muß und hierdurch dem Verwundeten Schmerzen
entstehen, hat Dr. Le Maguet jedem Krankenträger einen mit
Gabel versehenen schulterhohen Stock mitgegeben. In diese Stöcke
wird bei Ermüdung der Träger die Krankentrage hineingesetzt.
Hierdurch wird das für den Getragenen schmerzhafte Absetzen
der Trage vermieden (19).
Jaquement, Professor an der medizinischen Fakultät in
Grönoble hat eine Acetylenlampe größeren Stils konstruiert,
welche zu Beleuchtungszwecken und zur Wassererhitzung gleich-
mäßig verwendet werden kann. Der Apparat wiegt 9 kg, faßt-
1 kg Caleiumearbonat und 51 Wasser, arbeitet automatisch und
erzeugt insgesamt 3001 Acetylengas; 61 Gas bringen in sechs
Minuten 11 Wasser zum Sieden oder liefern das Licht von vier
bis fünf Kerzen durch sechs Stunden. Der Apparat, welcher noch
manche Mängel besitzt und der Nachprüfung bedarf, wird für die
Sanitätsformationen der ersten Linie sehr empfohlen (20).
Stabsarzt Bonnette (Frankreich) bringt ein altes, schon zu
Napoleons I. Zeiten erprobtes Rezept einer rasch und einfach im
Felde herzustellenden Suppe (17) in Erinnerung: Sechs Pfund
Butter werden mit einer großen Hand voll kleingeschnittener Zwie-
beln und etwas weniger Knoblauch gebraten, alsdann so viel Mehl
zugesetzt, als die Butter fassen kann, dazu Salz und Pfeffer. In
einem gut verschlossenen Topf wird das Ganze mitgeführt. Zum
Gebrauche wird in ein Kochgeschirr siedendes Wasser ein eigroßes
Stück der präparierten Butter mit Brotstücken getan, umgerührt
und die Suppe ist zum Genuß fertig. Ea
In etwas veränderter Form ist diese Suppe durch Forgue (18)
in die „Vorschriften für Militärküchən im Manöver und im Felde“
aufgenommen worden.
Eine ähnliche Suppe stellen die Tiroler Bergführer her, in-
dem sie mitgenommenes geröstetes (sogenanntes braunes) Mehl
mit Speck- oder Wurst- und Brotstücken in siedendes Wasser
tun und kurz aufkochen. (Schluß folgt.)
Sammelreferate.
Neuere Arbeiten über Meningealerkrankungen
von Dozent Dr. Rob. Bing, Basel.
Zunächst seien einige Beobachtungen traumatischer
Meningealerkrankungen referiert. Einen zur Kategorie der trau-
matischen Spätapoplexien gehörigen Fall von Meningealblutung
in der Nähe des einen Hirnschenkelfußes, bei dem die wiederholte
Lumbalpunktion Heilung der anfänglich sehr schweren Erschei-
nungen brachte, beschreibt d’Espine (1). Er betraf einen
101/yjährigen Knaben, bei dem neun Tage nach einem Fall aufs
Hinterhaupt eine Apoplexie mit Weberschem Symptomenkomplex
sich einsteilte. Gelähmt waren linkerseits die Facialis — und die
Gliedmaßenmuskulatur, rechterseits der Oculomotorius. Dab die
subarachnoideale. Blutung die Pyramidenbahnen nieht nur durch
Kompression gelähmt, sondern zugleich auch in Reizzustand ver-
setzt hatte, ging aus der schon im Koma vorhandenen, besonders
am Arme hochgradigen Contraetur hervor. — Auch ein Fall von
Fiessinger (2) (gewaltige Meningealhämorrhagie nach Schädel-
fraktur) heilte unter wiederholter Entleerung der Blutung durch
Lumbalpunktionen. — Viel umstrittener als bei den Hämor-
rhagien ist die Frage des Kausalzusammenhangs mit einem
vorangegangenen Trauma bei den Meningitiden. Einschlägige
Beobachtungen beanspruchen deshalb besonders Interesse von seiten
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4, August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr}8i.
1283
des Unfallexperten. Einen lehrreichen Fall veröffentlicht Merkel (3).
Ein elfjähriger Knabe schlägt mit der Schläfe beim Fallen heftig
auf einen Parkettboden auf. Er bleibt bei Bewußtsein, aber es
stellt sich schon in der nächsten Stunde Erbrechen, nach zwölf
Stunden Nackensteifigkeit ein. Am nächsten Tage steigt die
Temperatur auf 39,5%, der Knabe klagt über Leibweh, besonders
in der rechten Unterbauchgegend, wo auch. der Abdominalreflex
‘fehlt, Der rechte Oberschenkel wird etwas flektiert gehalten.
Man vermutet eine Blinddarmentzündung und laparotomiert: Der
Wurmfortsatz ist normal. Vier Tage nach dem Unfalle stirbt der
Patient und die Sektion ergibt blutige Durchtränkung der Kopf-
schwarte in der linken Schläfengegend und über dem linken
Parietallappen eine eitrige Infiltration, die sich bis in die linke
Fissura Sylvii und auf die untere Fläche der Schläfenlappen-
spitze erstreckt. Bakteriologisch: Diplococeus lanceolatus. Auch
die Rachenmandeln waren entzündet. Erwähnung verdient noch,
daß der Knabe sich zwei Tage vor dem Unfalle schweren Er-
kältungsschädlichkeiten ausgesetzt hatte. Der Kausalzusammen-
hang mit dem Sturz auf dem Kopf ist trotzdem mit Bestimmtheit
zu bejahen. Bergmanns Satz: „Eine traumatische suppurative
Meningitis bei undurchtrennten Weichteilen und geschlossenem
Schädel gibt es nicht“ ist sicher falsch.
Die Meningitis cerebrospinalis epidemica ist das
Thema zahlreicher Arbeiten, aus denen wir folgende herausheben
wollen: Rusca (4) studiert die hämatologischen Verhältnisse jenes
Leidens, wobei je nach dem Stadium desselben verschiedene Blut-
bilder zu konstatieren sind, denen z. T. prognostische Bedeutung
zukommt, Am Anfange besteht eine Leukocytose mit besonderer
Vermehrung der polymorphkernigen Leukocyten. Während des
Krankheitsverlaufs gehen, solange die entzündlichen Erscheinungen
im Zunehmen begriffen sind, die Leukocyten- und die Lympho-
eytenkurve auseinander, nähern sich jedoch einander wieder, wenn
die akuten Phänomene abnehmen. Eine Kreuzung der beiden
Kurven erfolgt beim Uebergang in Heilung; dabei wird die Zahl
‚ der Eosinophilen normal oder sogar übernormal. Bei den zum
Exitus führenden Fällen wird diese Kreuzung vermißt, und im
terminalen Stadium findet man weder eosinophile noch Mastzellen.
Zuweilen sind Meningokokken direkt im .Trockenpräparate des
Bluts festzustellen. In prognostischer Beziehung sind als be-
sonders günstig folgende beiden Befunde zu betrachten: 1. Ueber-
wiegen der Lymphocyten über die polymorphkernigen Leukocyten;
2. Vermehrung der Eosinophilen. — Daß bei epidemischer Genick-
‚starre auch im Gehirn eine Anhäufung von Leukocyten zu
konstatieren sein kann, zeigt eine Arbeit von Sittig (5), der
polynueleäre Rundzelleninfiltrate in den pericellulären Lymph-
räumen degenerierter Ganglienzellen der Großhirnrinde darstellen
konnte. Diesem Uebergreifen des Krankheitsprozesses von den
Meningen auf das Gehirnparenchym steht als Pendant die Affizierung
des Rückenmarks gegenüber, wie sie in äußerst schwerer Form
(als Myelitis haemorrhagica) Dessauer bei der Autopsie eines
jährigen an typischer cerebrospinaler, epidemischer Meningitis
verstorbenen Mädchens vorfand.
Von symptomatologischen Besonderheiten der epidemi-
schen Genickstarre wurden neuerdings hervorgehoben: die Erkran-
kung der Sehnerven in Form der Perineuritis optica diffusa
(Terrien und Bourdier (6)], die Komplikation mit Poly-
arthritis mit meningokokkenhaltigem, purulentem Erguß in
die Gelenke [Vigot (7)], der Uebergang der akuten Affek-
lon In eine chronische, kachektisierende Form mit psychischen
Störungen, Muskelschwund, Sphinkterenschwäche usw. [Debré (8)];
bei letzterer zeigt der Liquor, trotz negativen Bakterienbefundes,
eine anhaltende Lymphocytose. Ferner hat Mann (9) die bei
spidemischer Geniekstarre vorkommenden Exantheme einer be-
sonderen Beachtung empfohlen. Zuweilen sind diese von Typhus-
roseolen nicht zu unterscheiden, manchmal aber zeichnen sie sich
urch ein hämorrhagisches, auf Fingerdruck nicht verschwindendes
entzum aus. Das Exanthem wird vornehmlich im Initialstadium
e Leidens beobachtet. — In therapeutischer Hinsicht findet
e reichliche und wiederholte Lumbalpunktion immer mehr
Y dnger; sie wird unter Andern neuerdings von Mann (9),
di. ehaner (10), R. Voisin (11) empfohlen. Zahlreich sind
o Mitteilungen von mit Meningokokkenseren erzielten Re-
on (Präparate von Jochmann, Dopter, Ruppel, Wasser-
Nelada- Baumel (16), Chatelet- Friand (17) usw., während
ee (9) sich skeptisch verhält, indem er den der Serumbehand-
5 vorangehenden Punktionen den Hauptwert beimißt, und von
Seh Günstige Berichte veröffentlichen Deltendre (12),
A „pelmann (18), Jochmann (14), Debré (15), Voisin (11),
Vigot (7) ein anaphylaktischer Todesfall mitgeteilt wird. Letz-
terer sowie Warschauer (10) empfehlen die sofortige Anwendung
großer Dosen, bevor der Patient anaphylaktisiert ist. — Urotropin
(das, wie Crowe zeigen konnte, bei Verabreichung per os in den
Liquor cerebrospinalis übergeht) empfiehlt sowohl bei epidemischer’‘
als bei jeglicher sonstiger Meningitis Stockmayer (18). Bei der
epidemischen Form rät er zur Kombination mit Injektionen von
Serum, eventuell auch von Elektrargol. |
Resumieren wir nun einige Publikationen über die tuber-
kulöse Meningitis. Ueber eine seltene, sehr chronische
Verlaufsform dieses Leidens berichtet Strasmann (19). In seinem
Falle verstrichen vom Beginne der Erkrankung bis zu deren (durch
eine Operation verursachtem) tödlichem Ausgange vier Jahre. Der
Patient, der schon seit Jahren an Lupus erythematodes litt, bot
ein klinisches Bild dar, das zur Diagnose. eines Hypophysentumors
führte. Kopfschmerzen, Einengung des Gesichtsfelds, bitemporale
Abblassung der Papillen, Schwindel, Erbrechen, Impotenz, zu-
nehmender Fettansatz, allgemeine Hinfälligkeit, Schlafsucht, ein-
seitige spastische Erscheinungen, psychische Alteration standen im
Vordergrunde des Symptomenkomplexes. Die Autopsie ergab eine
chronische fibröse Meningitis, die sich über das ganze Groß- und
Kleinbirn erstreckte und zu Peri- und Endoneuritis optica geführt
hatte. Die Hypophyse war von ganz normaler Beschaffenheit! —
In einer Beobachtung von Maillet und Gueit (20) hatte die
tuberkulöse Meningitis zu einem andern Herdsymptome geführt,
der bereits am Anfange dieses Referats erwähnten Hemiplegia
alternans oeulomotoria — Webersche Lähmung. — Hesnard (21)
sah bei einem 43jährigen Patienten (mit Potatorium und Tuber-
kulose in der Anamnese) in abrupter Weise eine akute Verwirrt-
heit mit meningitischen und katatonischen Symptomen ein-
setzen, die nach Abfall der anfangs hyperpyretischen Temperatur
zum Koma und zum Tode führte. Die Autopsie deckte eine frische
Aussaat von meningealen Tuberkeln auf nebst diffuser Encephalitis
mit schweren Läsionen der Pyramidenzellen in der Großhirnrinde.
Dieses Uebergreifen auf die kortikalen motorischen Apparate hatte
klinisch in einer Hemmung der willkürlichen Bewegungen, mit
Neigung zur Einhaltung einmal angenommener Haltungen, zu
Stereotypien, sprachlichen Wiederholungen usw. ihren Ausdruck
gefunden. Ganz ähnliches beobachtete Leiber (22) bei einem
14 jährigen Mädchen, — „Akute Ataxie“ sah Hauptmann (23),
choreiforme Bewegungen sahen Babonneix und Paisseau (24)
auf Grund von Meningitis tuberculosa entstehen.
Mit der Heilbarkeit der tuberkulösen Meningitis be-
schäftigen sich die Arbeiten von Barbier (25), Warrington (26),
Archangelsky (27). Während der ersterwähnten Mitteilung sehr
leichte Fälle, Formes frustes, zugrunde liegen, beziehen sich die
beiden andern auf vollentwickelte Krankheitsbilder mit stark
bacillenhaltigem Lumbalpunktat. Mit Recht macht aber La-
griffe (28) auf die Notwendigkeit aufmerksam, solche „geheilten“
Meningitisfälle weiter zu verfolgen; er weist auf die Häufigkeit
meningitischen Antecedentien bei verschiedenen Psychosen hin;
namentlich glaubt er, daß die Dementia praecox sich als das
spätere Schicksal mancher „geheilter“ Meningitis tuberculosa
herausstellt.
Zum Schluß seien noch zwei Arbeiten über sypbilitische
Meningealerkrankungen erwähnt. Diejenige von Ravaut (29)
beschäftigt sich mit den vorübergehenden, durch die Lumbal-
punktion aufzudeckenden Entzündungsprozessen im Sekundär-
stadium. Neben den „vier Reaktionen“ von Nonne (Untersuchung
auf Lymphocytose, Wassermann und Globulinvermehrung im
Liquor, sowie auf Wassermann im Blut) empfiehlt der Autor das
systematische qualitative Studium des centrifugierten
Sediments. Er beschreibt als charakteristisch für luetische Me-
ningovasculitis große Zellen mit exzentrischem Kern und einem
durch das Unna-Pappenheimsche Reagens rot tingierbaren Proto-
plasma; diese „Cellules à type de Plasmazellen“ finden sich in-
mitten von Lymphocyten, großen mononucleären und polynucleären
Elementen. Solange diese Anomalien zu konstatieren sind, soll,
auch wenn klinisch keinerlei Symptome in die Erscheinung treten,
mit Konsequenz antisyphilitische Behandlung durchgeführt werden.
Ravaut ist der Ansicht, daß sich die intradurale Injektion speci-
fischer Medikamente als das aktivste therapeutische Verfahren
gegen diese frühzeitigen Erscheinungen der Meningeallues erweisen
werden. — Miriel (30) macht darauf aufmerksam, daß in den
Fällen, wo jene frühzeitigen Meningealreaktionen der hereditären
oder acquirierten Lues zum klinischen Bild einer Meningitis führen,
dieses Bild ein. symptomenarmes zu sein pflegt: jedes der be-
kannten Meningitissymptome kann vermißt werden, nur der Kopf-
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1284 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
schmerz ist ausnahmslos vorhanden. Der Verlauf ist ein sehr un-
regelmäßiger; die Diagnose kann nur auf Grund der cytologischen
Liquoruntersuchung gestellt werden. |
Literatur: 1. A. d’Espine, Hömorragie méningée sous-arachnofidienne
` inférieure. (Presse méd. 1911, Nr. 39, S. 1 — 2. N. Fiessinger, Fracture
du crâne et inondation meningee. (J. des Praticiens 1911, S. 196.) —
3. H. Merkel, Trauma und Meningitis. (M. med. Woch. 1911, Nr. 29.) —
4. Rusca, Das Blutbild der Meningitis cerebrospinalis epidemica und dessen
diagnostische und prognostische Bedentung. (D. A. f. kl. Med. 1911, Bd. 103,
H. 34) — 5. O. Sittig, Anhäufung von polynucleären Leukocyten um die
Ganglienzellen bei epidemischer Cerebrospinalmeningitis. Bin Beitrag zur Frage
des pericellulären Lymphraums im Gehirn. (Zt. f. ges. Neur. u. Psych. 1911,
d. 8, H. 1.) — 6. Terrien et Bourdier, L&sions des tractus optiques dans
les m&ningites c6r&brospinales épidémiques. (A. d’opht. 1910, S. 196.) —
7. Vigot, A propos de deux cas de méningite cérébrospinale épidémique.
(Qaz. des Hôp. 1910, Nr. 145.) — 8. Debré, La méningite cöröbrospinale pro-
longée à forme cachectisante. (Thèse Paris 1911.) — 9. Mann, Ueber klinische
Beobachtungen bei Genickstarre. (M. med. Woch. 1911, Nr. 86.) — 10. War-
schauer, Zur Behandlung der epidemischen Genickstarre. (Klin.-ther. Woch.
1910, Nr. 23.) — 11. Roger Voisin, Ponction lombaire et traitement des
meningites. (Bull. 1911, Nr. 54.) — 12. Deltendre, Consid6rations diagnosti-
ques et thérapeutiques A propos de quelqu-s cas de méningite c&r&brospinale.
(A. méd. Belges 1911, Juni.) — 13. Schepelmann, Genickstarre und Heil-
serum. (Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 4) — 14. Jochmann, Ueber die Serum-
therapie der epidemischen Genickstarre. (D. med. Woch. 1911, Nr. 38.) —
15. Rob. Debré, Diagnostic et traitement de la méningite cérébrospinale.
(Presse méd. 1911, Nr. 43.) — 16. J. Anglada et Baumel, Deux meningites
cer&brospinales à möningacoques de Weichselbaum. Guérison par le sérum de
Dopter, (Montpellier med. 1911, Bd. 33, S. 134.) — 17. Chatelet et Friand,
Contribution à Pétude du traitement de la méningite cérébrospinale dans la
garnison de Verdun par le sérum anteméningococcigue. (A. de méd. et de
pharm. militaires 1911, Bd. 58, Nr. 2.) — 18. Stockmayer, Urotropin bei
Meningitis überhaupt, bei Meningitis cerebrospinalis insbesondere. (Wr. allg.
med. Ztg. 1910, Nr. 4.) — 19. Strasmann, Ueber elne seltene, sehr chronische
Verlaufsform tuberkulöser Meningitis. (Mitt. a. d. Gr. 1911, Bd. 23, H. 3) —
20, Maillet et Gneit, Syndrome de Weber au cours d'une méningite taber-
culeuse chez Penfant. (Montpellier med. 1911, Bd. 33, S. 282.) — 21. A. Hes-
nard, Catatonisme au cours d’une méninzite tuberculeuse à Evolution subaigue
et à forme délirante. (L’Encöphale 1911, Bd. 6, S. 341.) — 22. Leiber. Ein
Fall von psychischer Störung katatoaischer Färbung im Verlauf einer tuber-
kulösen Meningitis. (Dissert. Kiol 1911.) — 23. Hauptmann, „Akute Ataxie‘
bei tuberkulöser Meningiti‘. (Mitt. a. d. Hamburgischen Staatskrankenanstalten
1910, Bd. 15, S. 1.) — 24. L. Babonneix et G. Paisseau, Méningite tuber-
euleuse et mouvements chyr&itormes. (Gaz. des Hôp. 1910, Nr. 148.) — 25. Bar-
bier, Les épisodes méningés tuberculeux curables. (J. de méd. 1911, Nr. 50.)
— 26. W. Warrington, Note on tuberculous meningitis. (Lanc. 1910. 17. Dez.)
— 97. W. A. Archangelsky, Zur Frage der Möglichkeit einer Heilung der
Meningitis tuberculosa. (Jahrb. f. Kind. 1911, Bd. 74, H. 2) — 28. L. La-
griffe, Contribution à Pétude du rôle des méningites dans certeines aifections
mentales. (Presse méd. 1911, Nr. 51.) — 29. P. Ravant, Etude biopsique_de
la méningo-vascularite syphilitique. (Presse méd. 1911, S. 761.) — 30. M. Mi-
riel, La méningite syphilitique aiguë. (Gaz. des Hôp. 1911, Nr. 2.)
Laryngo-rhinologische Literatur
von Dr. Haenlein, Universitäts-Ohren- und Naseuk.._.k, Berlin.
Nach Freudenthal (1) ist kein Teil des menschlichen
Körpers so geeignet für die Beobachtung der Ll.iıwirkung des
Radiunıs als die Schleimhaut der oberen Luftwce,c. Nach zehn
Minuten Bestrahlung treten Oedeme der Schleimhaut cin, häufig
folgt Granulationsbildung, Zerfall und Ulceration. Am meisten
Erfolg hatte Freudenthal bei Ulcus rodens. Bei malignen Tu-
moren, bei denen chirurgische Methoden erfolglos geblieben, bei
Tumoren, die inoperabel sind, ist Radiumbestrablung indiziert.
Die Erfolge waren günstig. Bei Kehlkopfcarcinomen verwendet
Verfasser keine Radiumstrahlen mehr im Innern des Kehlkopis.
In einem derartigen Falle würde zuerst Thyreotomie zu machen
sein, dann alles Krankhafte aus dem Larynxinnern entfernt werden
und die Einführung der Radiumtube folgen. — Trautmann (2)
beschreibt eine der seltenen retropharyngealen Strumen. Bei der
Respiration zeigte sich ein roter, mit glatter Schleimhaut über-
zogener Tumor, der den Larynxeingang fast völlig ausfüllte. Der
Tumor kam von der hinteren linken Pharynxwand. Bei Phonation
wurde der Tumor nach hinten und oben zurückgeworfen, sodaß er
verkleinert erschien. Das ganze Kehlkopfinnere lag dann frei. Es
handelte sich um einen Jahre hindurch sich gleichbleibenden,
spindelförmigen Tumor, der, oben an der Schädelbasis beginnend,
hinten an der Vorderfläche der Wirbelkörper nach abwärts zieht
und vorn, sich ausbauchend, das Zungenbein, den ganzen Larynx,
in diesen sich hineinlegend, und ein Stück der Trachea nach vor-
wärts drängt, Es blieb als Diagnose anzunehmen retropharyngeale
Struma, auf dem Boden von versprengtem isolierten Thyreoid-
gewebe entstanden, ohne Zusammenhang mit der eigentlichen
Schilddrüse. Wegen Operation muß das Vorhandensein von nor-
maler Schilddrüse feststehen, da es vorkommen kann, daß das
versprengte Schilddrüsengewebe das einzig existierende im ganzen
Körper ist. Die Entfernung würde Cachexia strumipriva zur
Folge haben. — Levinstein (3) macht aufmerksam, daß von den
aus der Literatur der letzten 25 Jahre gesammelten Fällen an-
geblich rheumatischer Recurrenslähmungen der allergeringste Teil
in die Zeit nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen fällt. Die
Röntgenuntersuchung ergibt aush oft in Fällen, wo die körperliche
Untersuchung negativ ausfiel, Aneurysma. Verfasser ‚hatte in
einem Falle, der alle Merkmale einer rheumatischen Recurrens-
lähmung zeigte, nachdem Galvanisation Besserung brachte, doch
noch im Verlaufe der Behandlung eine Röntgendurchleuchtung des
Thorax vorgenommen und fand eine aneurysmatische Erweiterung
der Subclavia. Verschiedene Autoren glaubten zwischen Tuber-
kulose und Rachenmandelhypertrophie einen Zusammenhang fest-
stellen zu können. Sobernheim (4) und Beitz untersuchten
120 Kinder und konnten nicht den geringsten Anhalt für einen
Zusammenhang der adenoiden Vegetationen mit Tuberkulose fest-
stellen. Das bei weitem häufigere Vorkommen der negativen Re-
sultate in einer Versuchsreihe, die von vornherein auf Grund
sonstiger Erfahrungen (tuberkulöse Symptome) gehäufte positive
Resultate erwarten ließ, sprach direkt gegen die Annahme einer
primären latenten Affektion.e Ein Zusammenhang mit primärer
latenter Tuberkulose und adenoiden Vegetationen kann im großen
und ganzen nicht aufrechterhalten werden. — Gantz (5) beschreibt
eine rezidivierende Mykose der Zunge, welche durch einen an-
scheinend bis jetzt unbekannten Strahlenpilz hervorgerufen wurde,
Die Oberfläche der Zunge wird zuerst leicht hyperämisch, die
Papillen ragen deutlicher hervor; später tritt an der Zungenfläche
ein leicht grauer und sehr dünner Belag hinzu, welcher schnell
an Dicke zunimmt; gleichzeitig dringt er mehr in die Tiefe hinein.
Allmählich löst sich der dicke, anfänglich fest anhaftende Belag
und hinterläßt eine entblößte Stelle, die ziemlich schnell normales
Aussehen annimmt. Mikroskopisch sind zahlreiche Pilzinseln nach-
weisbar. Diese bestehen aus strahlenartig vom Centrum nach der
Peripherie ziehenden, gleichartig dünnen Fäden und färben sich
nicht nach Gram. — Henke (6) berichtet über eine in Narkose
ausgeführte Kieferhöhlenoperation (nach Denker), die zum Exitus
führte. Es war Lungenabsceß aufgetreten, nach des Verfassers
Ansicht höchstwahrscheinlich durch Eiteraspiration bei der Nar-
kose entstanden. Die Möglichkeit der Eiteraspiration müsse jeden-
falls vermieden werden; entweder sei in Lokalanästhesie zu ope-
rieren oder mittels der Kuhnschen Tubage. — Panny (7) macht
auf die Komplikationen des dentalen Kieferhöhlenempyems auf-
merksam. Er beschreibt drei Fälle, wobei es sich um akute Ent-
zündungen sowohl des Periosts des Oberkiefers als auch der
Kieterhöhlen und der übrigen Nebenhöhlen handelte. Als Ursache
gaben die Patienten Zahnextraktionen, Einsetzen der Zahnprothese
an. In einem weiteren Falle handelte es sich um eine chronisch
entstandene Entzündung der Kieferhöhle infolge Durchbruchs einer
Molarwurzel. Aeußerlich fanden sich gar keine Entzündungs-
erscheinungen, und erst das lästige Tränen des rechten Auges
veranlaßte ärztliche Untersuchung. Bei allen Fällen war die aus-
gebreitete Knochendestruktion auffallend. Es ist dies als Folge
der begleitenden Periostitis anzusehen, und eben darin zeichnen
sich die dentalen Empyeme vor denen nasalen Ursprungs aus.
Die dentale eitrige Entzündung der Kieferhöhle zeigt ascendierende
Tendenz (Siebbeinzellen, Stirnhöhle. Bei den dentalen Ent-
zündungen hat man es vom Beginne mit einer Erkrankung des
Knochens zu tun, wobei das Periost des Oberkiefers leicht in Mit-
leidenschaft gezogen wird. Bei den einfachen Schleimhaut-
entzündungen des nasalen Kieferhöhlenempyems entsteht nicht 80
leicht Periosterkrankung. — Richter (8) macht eine dreizeitige
Eröffnung der Kieferhöhle ven der Nase aus. Er hat sich den
Bajonetthohlmeißel so modifizieren lassen, daß jede der Hohlmeißel-
lofzen Sägezähne trägt; er ist somit 1/2 em hinter der Spitze nicht
nur Meißel, sondern auch Doppelsüge. Es wird erstens die Kiefer-
höhlenwand nach der Nase zu cingemeißelt, zweitens mit dem
Doppelsägemeißel vom Innern der Kieferhöhle nach der Nase zu
gemeißelt; drittens, das angesägte Stück wird ausgebrochen. —
Caldera (9) und Gaggia berichten über die Serodiagnose der
Ozaena. Sie benutzten als Antigen nicht das Extrakt syphilitischer
Leber, sondern das Extrakt ozaenatöser Krusten, das, theoretisch
betrachtet, die Eigenschaft besitzen müßte, das Komplement nur
in Gegenwart eines von Ozaenakranken stammenden Serums ZU
fixieren, und zwar infolge seines Gehalts an specifischen Antl-
körpern gegen diese Infektion. Es kam in keinem der zehn Fälle
zur Fixierung des Komplements. Verfasser glauben, daß die
Ozaena keine Krankheit ist, die eine allgemeine organische Re-
aktion und die daraus folgendeEinführung von komplementfixierenden
Antikörpern in die Blutbahn hervorzurufen imstande ist. Der Versuch
berechtigt zur Annahme, daß die Ozaena keinen speeifischen Er-
reger hat, wenngleich am Zustandekommen des Gestanks, die in den
4. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. . 1285
O o ES aM
Krusten als vorhanden festgestellten Mikroorganismen nicht un-
beteiligt sind. — Rundström (10) bält bei der Ethmoiditis puru-
lenta exulcerans cum rhinitide atrophica die Osteitis für etwas
Sekundäres. Sie kann nicht die Ursache der Ozaena sein, weil es
völlig ausgebildete Ozaenafälle gibt, bei denen die Symptome der
Ozaena vorhanden sind, ohne daß irgendwelche Atrophie des
Muschelskeletts vorliege. In Fällen, in denen nur eine Nebenhöbhle
ergriffen war und Borkenbildung nur an einer eircumscripten Stelle
in der Nasenhöhle vorhanden war, wurde Atrophie nur an dieser
umsehriebenen Stelle vorgefunden. Der Ort der Atrophie und der
der Borkenbildung waren vollständig identisch. Das Sekret
stammt bei den typischen Ozaenafällen sowohl aus den Neben-
höhlen als auch von der Schleimhaut in der Haupthöhle der Nase;
in den atypischen Fällen wird der Prozeß mehr eine Herdsekre-
tion. Sichere Beobachtungen einer Uebertragung der Ansteckung
einer Ozaena liegen nicht vor. — Leegaard (11) schließt aus
eingehenden Untersuchungen über angeborene Halsfisteln: Bei den
lateralen Fisteln kann die überwiegende Häufigkeit an der rechten
Seite ihre Erklärung in der normalen Entwicklungsgeschichte
finden. Selten liegt die äußere Fistelöffnung unterhalb der Clavi-
cula. Die innere Fistelöffnung liegt fast immer in dem hinteren
Gaumenbogen, nahe dessen Rand. Die Fisteln haben nur ein
Lumen. Im Fistelgange finden sich Platten und Cylinderepithel
den ganzen Fistelgang entlang. Das Entoderm spielt wahrschein-
lich die überwiegende Rolle bei der Fistelbildung, auch wenn die
Fistel eine äußere unvollständige ist. Hebt sich die Fistel beim
Schluckakt, so deutet dieses Symptom darauf hin, daß eine voll-
ständige Fistel vorliegt. Die einfache Exstirpation ist bei der
operativen Behandlung vorzuziehen, doch ist Injektionsbehandlung
mit Astzmitteln nicht ganz von der Hand zu weisen. — Menzel (12)
beschreibt ein malignes Hypernephrom im Larynx. Patientin hatte
Ischias und begann einige Monate später heiser zu werden. Aus-
gehend vom vorderen Ende der unteren Kante des rechten Taschen-
bandes war ein haselnußgroßer, kurz gestielt aufsitzender kugliger
Tumor mit unebener Oberfläche sichtbar. Linkes Stimmband frei.
Bei Phonation gerät die Geschwulst in starke Bewegung. Da
auch Hämoptöe, Dämpfung und Rasselgeräusche in der linken
Lungenspitze vorlagen, wurde an Tuberkulose des Larynx ge-
dacht. Nach Entfernung mit der kalten Schlinge blutete es sehr
stark. Histologisch wurde maligne Hypernephrommetastase fest-
gestellt. Bei der radiologischen Untersuchung des Skeletts und
der inneren Organe wurden Metastasen in den Hilusdrüsen rechts
und im Spitzenfelde der linken Lunge, sowie eine Metastase in
den oberen Anteilen der Massa lateralis des rechten Kreuzbeins
gefunden. Ein primärer Tumor konnte nicht festgestellt werden.
Patientin ging nach drei Monaten an Erschöpfung zugrunde —
Scherf (13) berichtet über vier Wochen dauernde diffuse Schwel-
lung der Kehlkopfschleimhaut nach vorübergehendem Fremdkörper-
reiz. Ein 11/4 Jahre altes Kind zerbiß die Glaskugel eines Weih-
nachtsbaums. Die Mutter bemühte sich sofort, die zahlreichen
Glassplitter aus dem Munde zu entfernen. Wegen Heiserkeit,
tridor wurde Cricotracheotomie vorgenommen und später, weil
der Kehlkopf noch nicht frei für die Atmung war, eine völlige
Laryugofissur hergestellt. Es konnte vom Fremdkörper nichts
gefunden werden. Schleimhautschwellung bestand auf der Unter-
und Oberseite der Stimmbänder. Nach Wiedereinlegung der
Tracheotomiekanüle wurde die Wunde geschlossen. Die Schwel-
ung dauerte aber (trotz Tracheotomie und Laryngofissur) vier
Wochen — eine abnorm lange Zeit. — Stenger (14) gibt eine.
eschreibung der von ihm geübten endonasalen Siebbeinoperation.
Nach Entfernung des vorderen Endes der mittleren Muschel
respektive der ganzen Muschel wird die vorspringende Wand der
Ulla ethmoidalis mittels einer vom Verfasser modifizierten Hey-
mannschen Zange eingestoßen. Ein nach Art der Hartmann-
achen Conehotome sagittal gestelltes Conchotom trägt die Wände
er Biebbeinzellen ab. Es wirkt nicht reißend und brechend wie
le scharfen Haken und Löffel. So werden vordere und hintere
iebbeinzellen ausgeräumt. Auch für Eröffnung der Keilbeinhöhle
ak Stenger die modifizierte Heymannsche Zange oder ein
Fee Tingförmiges Conchotom. Zur endonasalen Eröffnung der
a anle räumt Verfasser erst die vorderen Siebbeinzellen exakt
din Mit dem Conchotom werden die vordere Wand der Bulla
e Fe ‚und die nach vorn und oben gelegenen Frontalzellen
Sti X beziehungsweise entfernt. Die hintere untere Wand der
Sal öhle ist somit breit eröffnet. Die prinzipielle Bedeutung
M Methode sieht Stenger in der Anwendung fast ausschließ-
N stumpfer Instrumente, wodurch die Gefahr einer Nebenver-
Ietzung beseitigt wird. — Hinsberg (15) weist an der Hand.
, beobachteter Fälle darauf hin, daß nach Exstirpation eines Larynx-
carcinoms sich an einer circumscripten Stelle häufig ein schnell-
wachsendes Knötchen bildet, das den Eindruck eines Rezidivs
macht. Es handelte sich, wie die histologische Untersuchung
zeigte, um Granulationsgewebe, nicht um Careinom. Hinsberg
warnt vor übereilten operativen Eingriffen in diesen Fällen.
Literatur. 1. Freudenthal, Radiumbehandlung maligner Tumoren.
(A. i. Laryng. Bd. 25, H. i.) — 2. Trautmann, Retropharyngeale Strumen.
(A. f. Laryng. Bd. 25, H. 1.) — 3. Levinstein, Paralysis nervi recurrentis
rheumatica. (A. f. Laryng. Bd. 25, H. 1.) — 4. Sobernheim und Blitz, Pri-
märe latente Rachenmandeltuberkulose. (A. f. Laryng. Bd. 25, H. 1.) —
5. M. Gantz, Rezidivierende Mykose der Zunge. (A. f. Laryng. Bd. 25, H. 8.)
— 6. Henke, Bxzitus letalis nach Kieferhöhlenoperation. (A. f. Laryng. Ba. 25,
H. 3.) — 7. Panuz, Komplikationen des dentalen Kieferhöhlenempyems. (A.
f. Laryng. Bd. 25, H. 3.) — 8. Richter, Drelceitige Eröffnung der Kieferhöhle
von der Nase aus. (A. fi. Laryng. Bd. 25, H. 8.) — 9. Caldera und Gaggia,
Serodiagnose der Stinknase, (A. f. Laryng. Bd. 26, H.1.) — 10. Rundström,
Ethmoiditis purulenta exulcerans cum rhinitide atrophica. (A. f. Laryng.
Bd. 26, H.1.) — 11. Leegaard, Ueber angeborene Halsfisteln. (A. f. Laryng,
Bd. 26, H. 1.) — 12. Menzel, Bin malignes Hypernephbrom im Larynx. (A. 1.
Laryng. Bd. 26, H. 1.) — 18. Scherf, Vier Wochen dauernde diffuse Schwel-
lung der Kehlkopfschleimhaut nach einem vorübergehenden Fremdkörperreiz.
(Zt. 1. Ohr. Bd. 64, H.1.) — 14. Stengor, Die Technik der endonasalen Sieb-
beinoperation. (Zt. f. Ohr. Bd. 64, H. 1) — 15. Hinsberg, Ueber
„Psendorezidive‘ nach Exstirpation von Larynxcarcinomen. (Zt. f. Obr. Bd.64,H. 3.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Hans Kehr teilt mit Aschoff das Gallensteinleiden ein:
1. in ein nicht entzündliches, abakterielles, das lediglich
durch Stauung erzeugt wird. Diese Stauung bekämpft man durch
Bewegung (Massage, Sport usw.), und
2. in ein entzündliches, das durch Stauung und Infektion
hervorgerufen wird. Die Entzündung behandelt man durch Ruhig-
stellung (hier wären Massage und Sport ein großer Fehler).
Der Gallenstein ist das Produkt der Krankheit. Die Diagnose
„Gallenstein“ ist unwissenschaftlich. Zu diagnostizieren ist vielmehr die
Krankheit, und das ist die Cholecystitis oder Cholangitis, die Pankrea-
titis oder die biliäre Cirrhose. (Auch der Kotstein ist nichts anderes
als der Gallenstein: das Produkt der Stase und der Infektion.)
Im nichtentzündlichen Stadium resultiert die Steinbildung aus
der Stauung und Dekomposition der in ihrem Abfluß gehemmten Galle.
Bei der chronischen Cholecystitis caleulosa liegt aber neben der
Stauung der Schwerpunkt des Leidens in der entzündlichen Ver-
änderung der Gallenblasenwand und der durch Bakterien erfolgten
Zersetzung der Galle. Erst die Folge dieser Erkrankungen sind
weitere Gallensteinbildungen. Solange -das Grundleiden besteht, können
sich immer neue Steine bilden und ‘die alten weiter wachsen. Bei völliger,
dauernder Ausheilung des Prozesses bleiben die Steine als harmlose
Fremdkörper zurück. Aber eine Therapie, die nur auf Entfernung oder
Auflösung der Steine gerichtet ist, wäre zwecklos.
Eine Heilung der Cholelithiasis erzielen wir daher nur, wenn wir
die Gallenblase aus dem Gallensystem ausschalten, exstirpieren
(Cholecystektomie). Diese Exstirpation der Gallenblase ist
aber in der großen Mehrzahl der Fälle (vielleicht in mindestens 80 0/0)
von manifester Cholelithiasis nicht notwendig. Es genügt hier vollstän-
dig, wenn wir die Krankheit in das Stadium der Latenz überführen, das
heißt wenn wir die Infektion beseitigen und gute Abflußverhältnisse her-
stellen und den Stein zwingen, wieder die Rolle des harmlosen Fremd-
körpers in der nicht entzündeten Gallenblase zu spielen, womit er
seine Anfangstätigkeit begonnen hatte.
Merkt man, daß eine Latenz eintreten wird, so operiere man
nicht! Hierzu ist aber die Aufnahme einer genauen Anamnese drin-
gend notwendig. Wenn zwischen den einzelnen Anfällen die Druck-
empfindlichkeit der Gallenblasengegend bestehen bleibt, geringe
‘Temperaturerhöhungen aufreten, Appetit, Verdauung, Allgemeinbefinden
gestört sind, so ist geringe Aussicht auf den Eintritt der Latenz
vorhanden. Geht auf eine gehörige Dose Ricinusöl die Druckempfind-
lichkeit aber zurück, so kann man durch eine Karlsbader Kur die Herbei-
führung des latenten Stadiums erhoffen. Ein Urteil über solche Fälle
bekommt man aber nicht durch eine einmalige Untersuchung, sondern
nur durch eine längere Beobachtung.
Aber man darf sich nicht allzusehr auf den Untersuchungsbefund
verlassen. Man fühlt oft gar nichts, und die Operation ist dringend not-
wendig, wie bei Cholangitis chronica, und man fühlt oft sehr viel, und
die Operation ist überflüssig, wie beim Hydrops der Gallenblase, wo eine
Neigung zur Latenz und Ausheilung besteht. (Berl. kl. Woch. 1912,
Nr. 24.) F. Bruck.
Hans Kohr legt bei der Cholelithiasis und beim Ulcus duodeni den
Hauptwert auf die Anamnese und nicht auf die Untersuchung. Die ist in
wenigen Minuten abgetan, zur Anamnese soll man sich aber mindestens
lja Stunde Zeit nehmen, (M. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
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1286 | | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4, August,
Da Gallenblase und Duodenum die allernächsten Nachbarn
sind, so kann, wie Hans Kehr ausführt, die kranke Gallenblase mit dem
Duodenum entzündlich verkleben und es kann durch diese Ver-
klebung ein Durchbruch des infektiösen Gallenblaseninhalts in das
Duodenum stattfinden (durch die in die Gallenblase eingedrungenen In-
fektionskeime, Bacterium coli, Typhusbacillus, entsteht zunächst eine
Cholecystitis, zu ibr tritt die Pericholecystitis adhaesiva, die Peripyloritis,
und die Periduodenitis). Wenn die Gallenblase mit Netz oder Duodenum
verwächst und wenn sich diese Verwachsung — und das ist meistens
der Fall — zwischen Gallenblasenhals oder Ductus cysticus und Duo-
denum ausbreitet, so wird zunächst die Fähigkeit der Gallenblase, sich
völlig zu entleeren, in Frage gestellt. Es kommt zur Stauung, die
Wände der Gallenbläse werden gedehnt — das macht Schmerzen.
Durch diese Adhäsionen zwischen Gallenblasenhals und Duodenum
werden oft Gallensteine vorgetäuscht. Da es hier allmählich zu
einer Atonie der Gallenblase kommt, so genügt eine Durchschneidung
der Verwachsungen fast nie. Es ist vielmehr notwendig, entweder eine
Anastomose zwischen Gallenblase und Intestinis anzulegen oder die
Gallenblase in toto zu entfernen. Mitunter muß dann noch eine Gastro-
enterostomie hinzugefügt werden. (M. med. Woch. 1912, Nr. 24.)
F. Bruck.
Hans Kehr hat stets die Beobachtung gemacht, daß sich die
Galle nur dann in der Gallenblase ansammelt, wenn Magen und
Duodenum leer sind, der Mensch sich also im Hungerzustand be-
findet. Hat man eine Gallenblasenfistel angelegt, so läuft fast nur in der
Nacht Galle — wenn der Kranke nichts ißt —; am Tage läuft bei regel-
mäßigen Mahlzeiten fast keine Galle nach außen, sondern wird sofort in
das Duodenum ausgeschieden. Fast sämtliche Galle wird eben sofort
verbraucht, wenn der Kranke regelmäßig ißt, während sie sich beim
Hungern in der Gallenblase ansammelt und das Organ spannt und
ausdehnt. Dadurch, daß die Gallenblase extrem gespannt und
gezerrt wird, entsteht nun bei Cholecystitis und Perichole-
cystitis adhaesiva in der Mehrzahl der Fälle der Hungerschmerz.
Nimmt dann der Kranke etwas Milch oder Zwieback zu sich, so ent-
leert sich die Gallenblase auf dem Wege des Reflexes von der Papilla
duodeni aus durch den bei der Papille vorbeiziehenden Magen-
inhalt. Mit einem Schlag ist der Hungerschmerz verschwunden.
Auf die Adhäsionen, die z. B. beim Ulcus duodeni an der Gallenblase
sehr häufig vorkommen und zur Abknickung der gestauten Gallenblase
führen, sollten daher die Chirurgen ihre Aufmerksamkeit richten. (M. med,
Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Bei der chronischen Gallenblasenentzündung fühlen wir nach
Hans Kehr, wenn wir einfach von vorneher untersuchen, gewöhnlich
gar nichts und rufen auch keinen Druckschmerz hervor. Aber wenn wir
bimanuwell untersuchen — das heißt mit der linken Hand vom
Rücken her und Leber und Gallenblase gegen die Bauchwand und
die rechte Hand entgegendrücken —, so fühlen wir meist eine
druckempfindliche Resistenz, besonders deutlich auf der Höhe der tief-
sten Inspiration. (M. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Hans Eppinger und G. Schwarz berichten zur Frage des
spastischen Magens tiber einen Fall aus der I. medizinischen Klinik, bei
welchem außer einer durch tuberkulöse Drüsenaffektion verursachten
Amyloidentartung von Milz, Leber und Niere schwere Erscheinungen eines
Spasmus des Magens zur Beobachtung gelangten mit hartnäckigem Er-
brechen und im Röntgenbilde deutlich wahrnehmbarer Inhaltsretention.
Bei der Sektion zeigten sich aber keinerlei anatomische Veränderungen
des Magens oder seiner nächsten Umgebung (Erosionen, Ulcus usw.).
Bemerkenswert bei dem Fall ist die Tatsache, daß die heftigen Erschei-
nungen von seiten des Magens auf eine Gabe von mehrmals täglich
0,001 Atropin. sulfuricum vollständig sistierten, sodaß das Atropin auch.
hier sich als ein geeignetes Mittel erwies, um mechanische von funktio-
nellen Störungen zu trennen. (Wr. med. Woch. 1911, H.41.) Zuelzer.
Winke zur vertrauensärztlichen Lebensversicherungsunter-
suchung gibt Paul Landmann. Wichtig ist das auf psychischer Erregung
beruhende „Versicherungsherz“ („Insurance heart“). Darüber darf aber
im Attest gar nichts erwähnt werden. Und erst wenn dieses „Versiche-
rungsherz“ definitiv ausgeschlossen werden kann, ist etwas Pathologisches
anzunehmen oder gar schriftlich zu verzeichnen.
Ueberhaupt ist vielleicht das wichtigste Leitmotiv für einen Ver-
trauensarzt: Jedes, auch das geringste Wort zu viel oder überflüssig im
Attest ist von Uebel! Bei dessen Abfassung muß sich der Untersucher
stets in die Seele des Empfängers, das heißt des maßgebenden Gesell-
schaftsrevisionsarztes versenken. Je weniger Worte, aber diese prägnant
und bestimmt, um so leichter und lieber ist der entscheidenden Stelle die
Arbeit. Der geringste Zweifel, ein leises Stutzigwerden hemmt den Re-
visionsarzt und damit vielleicht die ganze Sache des Antragstellers,
Denn über ein geschriebenes Wort können diese Aerzte nun einmal nicht
hinwegkommen, sie dürfen es nicht ignorieren. Denn das nieder-
geschriebene Wort nimmt oft eine größere Bedeutung an als ihm eigent-
lich zukommt. Daher mache man sichs zur Regel, so wenig wie mög-
lich, das heißt nur das Nötige und wirklich Ausschlaggebende in das
Attest zu schreiben. (M. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Eines der wichtigsten tatsächlichen Stillkindernisse sind,
wie Vidal betont, Rhagaden der Warzen und folgende Milchstauung.
Wird das Kind hierbei abgesetzt, so dauert es gewöhnlich keine
24 Stunden, bis sich starke Milchstauung, Rötung der Brust und Fieber,
eventuell richtige Mastitis daraus entwickeln. Ein großer Teil der Hand-
bücher erklärt diese Mastitiden kurzerhand für phlegmondse, von den
Rhagaden ausgehende Entzündungen, während nach des Verfassers Beob-
achtungen unbedingt die Milchstauung als das primäre Moment an-
gesehen werden muß. Ist diese Auffassung aber richtig, so muß im
Gegensatze zu dem noch vielfach geübten Absetzen des Kindes gerade
auf eine Entleerung der Brust gedrängt werden. Am erfolgreichsten
geschieht dies durch das Kind selbst, indem man die Mutter überredet,
trotz der beim Saugen auftretenden Schmerzen das Stillen fortzusetzen,
um noch größere Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Gefährlich sind die
vielfach verwendeten gläsernen Warzenbütchen, die eine genügende Ent-
leerung der Brust nicht gestatten und die Milchstauung dadurch be-
günstigen. Dagegen scheint ein dem Verfasser neuerdings bekannt ge-
wordenes ganz flaches Gummiwarzenhütchen den Saugreiz besser
auf die Brust zu übertragen und darum eines Versuchs wert da, wo der
Schmerz ein Saugen an den Warzen tatsächlich unmöglich macht. (M. med.
Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
Vidal weist darauf hin, daß die in den Lehrbüchern angegebenen
Normalzahlen über Gewichtszunahme der Säuglinge meistens viel zu
hoch gegriffen sind. Er hat viele Kinder gesehen, die bei einer Durch-
schnittszunahme von nur 100 g wöchentlich im ersten Vierteljahre doch
eine glänzende Entwicklung auch weiterhin durchmachten. Man darf sich
also nicht zu schematisch an die Normalgewichtskurve halten, um nicht
zu früh mit der Nahrung zu wechseln.
Als milchtreibendes Mittel hat sich dem Verfasser, in Ueber-
einstimmung mit andern Aerzten, nur die Zufuhr von viel Flüssigkeit
bewährt. (Laktagol und Malztropon benutzt er nur zu suggestiven
Zwecken.) (M. med. Woch. 1912, Nr. 24.) F. Bruck.
J. v. Jaworski beschreibt fünf Fälle von Uterusblutungen syphi-
litischen Ursprungs. Das Vorhandensein von Lues wurde bei Fehlen
sicherer anamnestischer Unterlagen durch den positiven Ausfall der
Wassermannschen Reaktion nachgewiesen. Antiluetische Behandlung
hatte entsprechende Wirkung. Praktisch wichtig ist bezüglich der Dia-
enosenstellung die leicht mögliche Verwechslung mit Korpuscareinom,
da auch in den Fällen von Syphilis der Gebärmutter eine Verhärtung
dieses Organs zu fühlen ist, sodaß im Verein mit den unregelmäßigen
Blutungen das Bild eines Korpuscarcinoms vorgetäuscht werden kann.
Es liegt daher die Annahme nahe, daß ein Teil der durch Jodinjektionen
beziehungsweise durch Jodkaligebrauch geheilten „Korpuscareinome“ in
Wirklichkeit Fülle von Spätsyphilis des Uterus war. (Wr. kl. Woch. 1911,
H. 29.) i Zuelzer.
Fritz Lesser macht, wie O. Rosenthal betont, auf den Mib-
brauch aufmerksam, der mit der Deutung der Jarisch-Herxheimerschen
Reaktion getrieben wird. Das Auftreten der Reaktion nach Monaten
ist nicht verständlich, wenn man annimmt, daß sie durch das Absterben
der Spirochäten verursacht werde, da ja gerade Salvarsan die Erreger
fest mit einem Schlage abtöten soll. Warum sieht man die Reaktion
bei Anwendung von Quecksilber in den ersten 24 Stunden und bei
dem Gebrauche des energischeren Salvarsans erst nach drei bis fünf
Tagen, und noch dazu an inneren Organen? (Berl. kl. Woch. 1912,
Nr. 25.) F. Bruck.
Leo Wolfer fand häufig bei Phthisikern und bei phthiseverdäch-
tigen Kranken eine ungleiche Pupillenweite, welche am besten bei
nicht zu heller Beleuchtung zu beobachten und schon ohne besondere
Reaktionsprüfung der Pupillen zu erkennen war. Wolfer führt dieses
Phänomen auf eine durch Schwellung der Bronchialdrüsen verursachte
Reizung des Sympathicus zurück, wodurch auch ohne weiteres erklärlich
wird, daß die Seite der erweiterten Pupille nicht immer derjenigen der
affizierten oder verdächtigen Lungenpartie zu entsprechen braucht. Un-
gleich weite Pupillen werden also, bei Ausschluß eines Augen- oder
Nervenleidens, die Aufmerksamkeit auf eine meist tuberkulöse Entartung
der Bronchialdrüsen lenken können zu einer Zeit, wo auf der Lunge krank-
hafte Veränderungen noch nicht nachweisbar sind, ein Frühsymptom, das
zweifellos Beachtung verdient. (Wr, med. Woch. 1911, Nr.2.) Zuelzer.
Im Auftrage der ‚ Kaiserlichen Normal-Bichungskommission hat
Walter Roerdansz eine Prüfung der Injektionsspritzen vorge-
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4, August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr: 31.
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nommen. Da der Rauminhalt, namentlich der Pravazschen Spritzen,
häufig beträchtlichen Schwankungen unterliegt, so empfiehlt sich,
die Injektionsspritzen einer Eichung oder einer amtlichen Beglau-
bigung zugänglich zu machen. Amtlich geprüfte und mit dem Eich-
stempel versehene Spritzen braucht der Arzt nicht nachzuprüfen. Sollte
er jedoch die Nachprüfung für erforderlich halten, so kann ihm nur drin-
gend empfohlen werden, sie ausschließlich mit geeichten Meßinstru-
menten, also zum Beispiel mit einer geeichten Vollpipette oder einem
geeichten Meßzylinder vorzunehmen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 25.)
F. Bruck.
Touton macht Front gegen den Standpunkt von Jadassohn,
Neißer und Anderen, die die Inferiorität der Schmierkur gegen-
über den Injektionen ungelöster Quecksilberpräparate behaupten. Es
ist durchaus nicht angängig, die klinischen Erfahrungen von Jahrhunderten
in den Wind zu schlagen aus theoretischen Ueberlegungen, weil wir bei
dieser sogenannten unwissenschaftlichon Methode nicht genau wissen,
wieviel Quecksilber jeden Tag resorbiert wird. Das wissen wir aber
genau so Schlecht und so gut wie bei der Depottherapie mit unlös-
lichen Salzen. Wird die Inunctionskur aber richtig ausgeführt und
genügend lange fortgesetzt, so kann man von ihr sagen, daß sie ohne
Schmerzen und ohne die Gefahren plötzlicher Massenresorption
such bei den schwersten Symptomen die ausgezeichnetsten Heilerfolge
hat und die Wassermannsche Reaktion vorzüglich beeinflußt. Wenn
aber Intoxikationserscheinungen auftreten, kann in den allermeisten Fällen
durch Unterbrechung der Quecksilberzuführung auch dessen Resorption
sistiert und die Gefahr vermieden werden. (Berl. kl. Woch 1912, Nr, 24.)
F. Bruck.
Oertliche Behandlung der. Urticaria. G. Piccardi empfiehlt:
i. Prolongierte heiße Bäder (eventuell mit Zusatz von Vlemingxscher
Lösung) oder noch besser heiße Duschen (85° bis 837%), 2. Wäschungen
mit eiuer 3°/,igen Karbolsäure-, 1°%/,iger Thymol- oder 1,5%/ iger Menthol-
lösung. 3. Auftragen juckreizlindernder Pasten oder Salben (mit Phenol,
Menthol, Bromokoll usw.); besonders empfehlenswert die Neißersche
Vorschrift: Camphor. hydrat., Chloral. hydrat,, Menthol. aa 10,0, Vaselin.
70,0. — 4. Einseifen mit überfetteten Salicylsäureseifen, deren Schaum
man auf der Haut eintrocknen läßt. — 5. Weingeistige Lösungen von
Teer, Ol. rusci, Tumenol usw. — 6. Aufpinseln von Zinkleim (sehr rein-
lich im Gebrauche, tagsüber zu bevorzugen). — 7. Einpudern mit Talk
und Amylum. — 8. Hochfrequenzströme, statische Elektrizität. (Rif. med.
1912, Nr. 21.) Rob. Bing (Basel).
Die Zahl der von Mayo in Rochester ausgeführten Laparotomien
ist nach Hans Kehr .deshalb so ungeheuer groß, weil Mayo ein ab-
soluter Anhänger der frühesten Frühoperation fast aller Erkran-
kungen der Bauchhöhle ist und weil sich die amerikanischen Kranken
viel leichter zu einem chirurgischen Eingriff entschließen als die deutschen.
Namentlich aber gegen die Frühoperation bei der Cholelithiasis und
dem Ulcus duodeni erhebt Kohr entschieden Einspruch. Er fordert
nicht die frühzeitige, sondern nur die rechtzeitige Operation. „Die
Einwohner Deutschlands tragen wahrscheinlich genau so viel Gallensteine
und Ulcera duodeni bei sich wie die Einwohner Amerikas und Englands;
aber wir deutschen Aerzte rühren nicht an die latenten Bewohner der
‚ Gallenblase und des Duodenums, und wir rücken ihnen nicht gleich mit
dem Messer zu Leibe, wenn sie sich einer vorübergehenden Ruhe-
Störung schuldig machen.“ (M. med. Woch. 1912, Nr. 25.) F.Bruck.
Bei Blutungen aus einem Ulcus ventriculi verordnet auch Hans
Kehr Ruhe und Eisblase, die Hauptsache ist aber für ihn, daß der
Magen sich gehörig zusammenzieht. Er hat deshalb in allen diesen
Fällen entgegengesetzt der herrschenden Lehre den Magenschlauch an-
gewandt, den Magen gründlich entleert und dann durch große
Opiumdosen per rectum für Ruhe gesorgt. Nach seiner Erfahrung
gibt es, so paradox es klingt, kein besseres Mittel, Magenblutungen zu
stillen, als die Magensonde. Beim schwarzen Erbrechen nach Ope-
tationen wendet er sie stets an, ebenso nach Magenresektionen, Gastro-
enterostomien usw. schon am Abend nach der Operation. (M. med.
Woch. 1912, Nr. 28.) F. Bruck.
, Mitdem von der Aktiengesellschaft La Zyma hergestellten Systogen,
mem synthetischen Secale-Ersatzpräparat, hat Ernst Heimann
Versuche angestellt. Zur Benutzung kam eine 0,2 0/oige Lösung; 1 ccm
davon enthält also 2 mg der wirksamen Substanz. Diese Menge ent-
spricht physiologisch der Wirkung von 2 g Mutterkorn in frischem Zu-
stande. Hinreichende Gaben des Systogens pro die waren: Yı bis Ya
bis 1 com subeutan oder bis zu 3 ccm per os (in der Regel bei spontanen
eburten nach Ausstoßung der Placenta !/s bis "/a ccm, nach operativen
Geburten Ja cem subeutan). Das Systogen verläßt den Körper auf dem
amwege und ist dann im Urin als Tyrosinderivat durch die Millonsche
eaktion nachweisbar. |
Der Verfasser empfiehlt das Systogen als vollständigen Ersatz des
Secale cornutum. Es wirkt sicher und ist ungefährlich. Innerhalb kurzer
Zeit, nach einer halben bis höchstens fünf Minuten, kann man sehr starke,
dauernde Contractionen des Uterus konstatieren. Bedingung ist, daß der
Uterus sofort nach der Injektion gut ausgedrückt wird. In der Regel
ist die Gebärmutter unmittelbar darauf zwei bis drei Querfinger unter-
halb des Nabels als ein steinharter Körper fühlbar. Die Wirkung der
einmaligen Injektion ist dauernd: Der Uterus bleibt tagelang hart
und bildet sich in kürzerer Zeit als gewöhnlich zurück. Die Frauen
klagen nicht über zu starke Nachwehen, Lochienretentionen wurden nie
beobachtet, Auch nach Abortausräumungen und Curettements wird mit
einer einzigen Injektion eine Dauerwirkung erreicht. (M. med. Woch.
1912, Nr. 25.) F. Bruck.
Ueber die Ausscheidung injizierten Salvarsans hat Saccone
interessante Tierversuche angestellt. Er hat bei Hunden und Kaninchen
konstatieren können, daß nach subcutaner oder intramuskulärer Ein-
spritzung von Dioxydiamidoarsenobenzol (in neutraler Suspension) die
eingeführte Substanz größtenteils durch die Nieren, aber auch durch die
Darmmucosa ausgeschieden wird — und zwar während der ersten Tage
wahrscheinlich ungespalten, gibt doch der Urin nicht nur die Arsen-
reaktion, sondern auch diejenige des Indophenols. Später freilich (und
zwar sehr lange Zeit hindurch — bis zu einem Monate!) findet sich im
Urine nur noch die Arsenreaktion, und das Arsen ist ausschließlich in
anorganischen Verbindungen zu finden. (Rif. med. 1912, Nr. 12).
Rob. Bing (Basel).
O. Rosenthal ist von der Neuroaffinität des Salvarsans über-
zeugt und hält es für wahrscheinlich, daß manche Individuen eine ge-
wisse Ueberempfindlichkeit gegen die sich bildenden Produkte des
Salvarsans besitzen. Auch bei andern Nervengiften, wie beim Methylalkohol,
sieht man verschiedene Wirkungen bei den einzelnen Individuen.
Man muĝ hier einen Unterschied machen zwischen absolut giftigen und
relativ giftigen Stoffen, deren Wirkung von der Individualität der
betreffenden Persönlichkeit abhängt. Unbedingt liegt hier das Hervor-
treten einer toxischen Wirkung bei vorhandener allgemeiner Dis-
position oder lokaler Ueberempfindlichkeit vor. Auf diese Weise
sind auch die mehr oder minder schweren Nachwirkungen und Neben-
: wirkungen des Salvarsans zu erklären. Die nach längerer Zeit auf-
tretenden Neurorezidive sind darauf zurückzuführen, daß sich das Arsenik
besonders in der Leber aufspeichert, sodaß es noch nach längerer Zeit
seine Wirksamkeit entfaltet. Diese durch Arsenik hervorgerufenen
Schädigungen der Nerven und die sich daran anschließenden Erkrankungen
der betreffenden Organe an Syphilis gehören in das längst bekannte
Gebiet von „Reizung und Syphilis“, das nicht nur in der Syphilis-
‚lehre, sondern in der gesamten Pathologie eine so beträchtliche Rolle
spielt. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 25.) F. Bruck.
In den Fällen von Impotenz, die keine andere Ursache als eine
pathologische Erschöpfung der Cohabitationscentren haben,
das heißt wo das primäre und einzige Krankheitssymptom die man-
gelnde Erektionsfähigkeit ist, empfiehlt Lissmann die epidurale
Yohimbininjektion. Die epiduralen Injektionen wirken nach Cathelin
erstens rein physikalisch als Shock auf das sakrale Mark, als „verte-
braler Traumatismus“, der sich den gereizten Nerven entlang auf die ent-
sprechenden medullären Centren fortsetzt und deren funktionellen Zustand
ändert, zweitens rein chemisch, analgesierend oder irritativ, je nach der
injizierten Flüssigkeit. Diese dringt durch Osmose in das außerordentlich
starke Venennetz des Epiduralraums ein, dessen Absorptionsfläche be-
sonders groß ist. Diese Kombination von spinalem Traumatismus
mit dem Aphrodisiacum wirkt besser als die orale oder subcutane
Applikation des Yohimbins, weil dieses bei einer epiduralen Injektion
direkt (und nicht erst auf dem Umwege der Lymphbahn) mit den
Sexualnerven in Berührung kommt (ob man dabei das Erektionscentrum
ins Sakralmark oder in die sympathischen Ganglien des kleinen Beckens ver-
legt, ist gleichgültig, da die Wirkung stets die gleiche ist, ob ein Reiz
am peripheren Ende, im Verlauf oder am Stamm eines Nerven einsetzt).
Mit dieser neuen Methode hat der Verfasser zehn Fälle behandelt,
und zwar sieben davon mit Erfolg. Dabei hundelte es sich nur um
Schwäche des Erektionscentrums, niemals um präzipitierte
Ejaculationen. Bei Impotenzformen mit Ejaculatio praecox sowie bei
Pollutionen trat im Gegenteil bei epiduraler Yohimbininjektion Ver-
schlimmerung ein.
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Injiziert wurde 30 ccm physiologische Kochsalzlösung mit zehn `
Tropfen einer zweiprozentigen Yohimbinlösung, und zwar im
Anfange. Je nach der Wirkung folgt nach einer größeren oder kleineren
Pause eine zweite Injektion, diesmal mit. 15 Tropfen einer zwei-
prozentigen Yohimbinlösung. Wenn nötig, wird später. nach einiger
Zeit noch eine dritte Einspritzung von derselben Stärke vorgenommen.
(M. med. Woch. 1912,. Nr. 24.) F. Bruck.
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1288 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31, 4. August.
Mittels Schiebers am Griffteil werden die beiden Abflußkanäle fest
an den Zentralkörper des Instruments gepreßt und letzteres so durch die
Harnröhre eingeführt.
Nach erfolgter Einführung des Schnabeils in die Blase wird der
armierte' Gläserhalter am Mittelstück eingehängt, sodaß die herab-
gedrückten Abflußöffnungen der seitlichen Röhren in die Gläser führen,
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Wichtige Hilfsmittel auf dem Gebiete der Urologie.
' Die große Bedeutung, welche der intravesikalen Trennung der von
beiden Ureteren abgesonderten Urine für Untersuchungszwecke bei-
gemessen wird, ergibt sich aus den verschiedenen zu
diesem Behufe konstruierten Instrumenten. Nach-
stehend sind die verbreitetsten Modelle aufgeführt.
Sämtlichen drei Modellen ist gemeinsam, daß sie in
ihrer Form einem der gebräuchlichen Metallkatheter _
entsprechen, sowie, daß sie leicht einzuführen sind
und den Anforderungen vollkommener Aseptik entsprechen. Wenn das
vordere Ende des Instrumentes sich in der Blase befindet, wird eine
Scheidewand entfaltet und dadurch in der Blase für jede Ureteren-
mündung ein besonderes Bassin gebildet, aus welchem der Urin durch
je einen zur Seite des Katheters verlaufenden Kanal in die am äußeren
Ende befindlichen Reagensgläser geleitet wird.
Die Technik ist kurz folgende:
Einige Augenblicke vor der Untersuchung, die am besten bei
leerem Darm geschieht, gibt man dem Patienten ein Glas diuretisches
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Devisor nach Cathelin.
Urinseparator nach Luys.
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Blasenscheidewand
Wasser. Im Bett oder besser auf einem Tische wird der Kranke horizon-
tal gelagert, der Kopf erhöht, unter das Gesäß ein zusammengefaltetes .
Tuch, die Beine etwas gebeugt und auseinander gespreizt. Das Instrumeñt
und die Membrane sind vorher in kochendem Wasser sterilisiert worden.
Dann stellt man das Fassungsvermögen der Blase durch Füllung mit
Wasser oder Borsäurelösung fest. Liegt eine Verunreinigung der Blase
durch Blut oder Eiter vor, so muß dieselbe vorher ausgespült werden.
Schließlich läßt man etwa 10 g der Spülflüssigkeit in der Blase zurück,
um das Ansaugen zu bewirken. Nachdem man den ganzen Apparat, ins-
besondere auch die Membrane geölt und sich durch Woassereinlauf von
der Dichtheit der seitlichen Röhren in Ruhestellung überzeugt hat, wird
das Instrument nach denselben Regeln wie beim Katheter eingeführt.
Divisor nach Cathelin. Bei diesem Instrument wird die Scheide-
wand durch eine über eine Feder gespannte Membrane gebildet, welche
an einem Führungsstab befestigt ist. Während des Passierens der Harn-
röhre und des Blasenhalses bleibt die Membrane in den Katheter ein-
gezogen; erst in der Blase wird sie vermittels des Führungsstabes vor-
geschoben.
Urinseparator nach Luys. Das Instrument hat die Form eines
Katheters mit Guyonscher Biegung; seine wesentlichen Bestandteile sind
ein mit dem Griff verbundenes flaches Mittelstück, an welches sich eine
Kette anlegt, und zwei seitliche Abflußkanäle. Diese drei Teile werden
durch eine Verschlußkappe zusammengehalten. Zum Gebrauch wird das
Instrument in seine drei Hauptteile zerlegt, über das Mittelstück samt
Kette ein Gummiüberzug gezogen und dann das Ganze wieder zusammen-
gesetzt und die Verschlußkappe aufgeschraubt. Nach der Einführung
wird die Biegung des Instrumentes gegen die tiefste Stelle der Blase
‚gedrückt und die Kette vermittels der Griffschraube angespannt, wodurch
der Gummiüberzug zur Scheidewand ausgedehnt wird. |
Blasenscheidewand nach Boddaert. Das Instrument hat die
Form eines Metallkatheters. Der aufgebogene Schnabel erhält einen
Gummiüberzug, welcher mit einem Seidenfaden festgebunden wird. (Die
seitlich durch Röhren gebildeten Abflußkanäle dürfen selbstverständlich
nicht mit durch den Gummiüberzug verdeckt sein).
nach Boddaert.
es vs
TRIAL
iR
Die Bildung der Blasenscheidewand wird durch die Schraube am
Griff bewirkt. :
Vorstehond beschriebene Instrumente werden von der A.-G. f. F.
vormals Jetter & Scheerer in Tuttlingen hergestellt.
Bücherbesprechungen.
Paul Fleißig, Medikamentenlehre für Krankenpfleger. Mit einem
Vorwort von Prof. Dr. R. Staehelin in Basel. Berlin u. Wien 1912,
Urban & Schwarzenberg. 166 S., 2,50 M.
Das Geleitwort Staehelins diskutiert schon die Frage, ob es
zweckmäßig sei, auch den Krankenpflegern etwas von der Medikamenten-
lehre zu bieten. „Man könnte dagegen einwenden, daß es gar nicht gut
sei, wenn das Wartepersonal von dieser Wissenschaft, die dem Arzte die
wichtigsten Richtlinien für sein Handeln gibt, zu viel erfahre. Die Ge-
fahr einer Ueberschätzung auf diesem Gebiete, das doch viel komplizierter
ist, als es bei oberflächlicher Betrachtung erscheint, liegt zu nahe, und
die Folge könnte ein Uebergriff in die Grenzen der ärztlichen Tätigkeit,
ein eigenmächtiges Hantieren mit Arzneimitteln hinter dem Rücken des
Arztes sein. Diese Gefahr tritt aber hinter den Vorteilen eines Unter-
richts in diesem Gebiete weit zurück.“ Auf diesem Standpunkte
Staehelins stehe ich auch. Das Pflegepersonal, dem die verantwortungs-
volle Tätigkeit des Medizinausteilens zufällt, soll und muß auch im
groben orientiert sein. Im Gegenteil: es steigert sich dadurch nur die
Zuverlässigkeit des Pflegepersonals, ohne daß etwa die Gefahr des hinter
dem Rücken des Arztes auf eigene Faust medizinierens zu groß wird.
Wer lange mit ärztlichem Pflegepersonal zu tun hat, der weiß nur zu
gut, daß von seiten des Pflegepersonals kaum Kurpfuscherei getrieben
wird und daß ein an sich zuverlässiges Pflegepersonal, das heranzu-
ziehen — nicht zuletzt durch genügende Kompensation in sozialer Be-
ziehung — Pflicht jeder Krankenanstalt ist, allmählich sehr viel Ver-
ständnis auch dem rein medizinischen ontgegenbringt. Wird doch der
Arzt oft genug durch gut beobachtende Schwestern und Wärter in einer
Weise über manche Symptome usw. orientiert, wie es nur durch medi-
zinisch sehr geschulte Menschen möglich ist, Und darum soll man den
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4, August.
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Schwestern sowohl wie dem gereifteren Wärterpersonale (zum Beispiel
an Irrenanstelten usw.) ruhig auch etwas von der Medikamentenlehre bei- |
bringen und ‘ihnen nicht Scheuklappen für medizinische Dinge lassen.
Wie viel aus so einem flott und gut geschriebenen Büchlein wie dem von
Dr. Fleißig ärztliches Pflegepersonal profitieren kann, das zeigt sich be-
sonders deutlich, wenn man das IV. Kapitel (Von der Haltbarkeit und
wendungsweise der Medikamente), dann das VIII. Kapitel (Allerhand
praktische Winke) durchliest. Mancher Arzt kann aus diesem Büchlein
manches lernen! Wir aber können es ruhigen Gewissens auch Kranken-
anstalten empfehlen, damit sie es ihrem gereifteren. Pflegepersonale zur
Selbstbelehrung und damit zum Wohle der Kranken überantworten.
Th. Brugsch.
Max Herz, Herzkrankheiten. Erfahrungen aus der Sprechstunde.
Wien und Leipzig 1912, Moritz Perles. 449 S. M 8,50.
Die als Beilagen zur „Wr. med. Woch.“ im Jahre 1911 erschiene-
nen Kapitel über Herzkrankheiten hat Max Herz, zu einem stattlichen
Bande vereint, veröffentlicht. Sie sollen als „Erfahrungen aus der Sprech-
stunde“ eine Ergänzung bilden zu den von Klinikern geschriebenen Hand-
büchern der Herzkrankheiten, indem sie manche dort nur kurz behandelte |
Krankheitsbilder ausführlicher darstellen, über andere ambulant nicht zu ?
behandelnde Erkrankungen dagegen schnell hinweggehen. Herz hat es
verstanden, den weitschichtigen Stoff in klarer und anregender Weise
darzustellen. Daß seine eignen, vielfach bekämpften Ansichten dabei be-
sonders zu Worte kommen, ist nur zu natürlich. Der Funktionsprüfung
des Herzens, der Herzbeengung, den Erscheinungen der Phrenokardie
und des Seufzerkrampfs sind mehrere Kapitel gewidmet, sicher nicht zum
Schaden des Buches; regt doch gerade die Darstellung umstrittener An-
schauungen, namentlich wenn sie so flott und leicht verständlich ge-
schrieben ist, das Interesse an dem Stoff an und fordert zur Prüfung
auf. Eins ausgezeichnete Behandlung hat namentlich die Arteriosklerose
erfahren: die starke Betonung der psychischen Einflüsse für ihre Ent-
stehung wie auch für ihre Behandlung hat gewiß das Richtige getroffen.
— Alles in allem hat Max Herz ein Buch geschaffen, das für den er-
fahrenen Praktiker eine ebenso interessante Lektüre darstellt, wie es für
den Lernenden belehrend ist. Dr. Ed. Stadler (Leipzig).
W. Birk, Untersuchungen über den Stoffwechsel des neuge-
nn Kindes. Mit 6 Fig. im Text. Leipzig 1912, J. A. Barth.
„50.
Die mühseligen Untersuchungen B.s betreffen im ersten Teil die
Bedeutung des Colostrums für das neugeborene Kind, dem für den
N-Stoffwechsel und den Mineralstoffwechsel eine große Rolle zukommt.
Die Untersuchungen zur Frage der Harnsäureausscheidung und des
Harnsäureinfarktes führten B. zu keinem Resultat. |
Die physiologische Abnahme des neugeborenen Kindes beruht i
erster Linie auf Wasserverlust, während Eiweiß und Fett sich nur zu
einem kleinen Teil daran beteiligen; es nimmt dabei der Turgor der
PA infolge der Wasserabgabe, nicht aber durch Abnahme des Fett-
webes.
Zum Schlusse bringt Verfasser noch eine interessante Mitteilung über
dieUnterernährung bei exsudativer Diathese. Danach scheinen die Paediater
die Ansicht zu verlassen, daß langer Gewichtsstillstand, — das Stadium
des horizontalen Kurvenverlaufs — ruhig lange Zeit beobachtet werden
kann und wenden sich einer Steigerung der Zahl der Mahlzeiten oder des
Quantums der Einzelmahlzeiten, jedenfalls einer Steigerung der Calorien-
Menge mit Erfolg für die exsudative Diathese zu. Aschheim.
. Ed. Ihm, Die Myomnekrose während der Schwangerschaft.
Leipzig 1912, J. A. Barth. M 1,50. |
Auf Grund eines detaillierten Falles und der Literatur kommt Ihm
. zu den Schlußfolgerungen: : : |
1. Das Vorkommen von Nekrosen in Myomen während der
| . A ' Schwangerschaft steht fest, kann sogar durch diese begünstigt: werden.
‚Aufbewahrungsart von Medikamentenformen) ferner das V. Kapitel (An- | ®
2. Die Ursachen der Nekrosen sind in Circulationsstörungen ver-
schiedener Art (Traumen, Stieldrehung, Druckwirkung, Schwangerschafts-
. wehen, primäre Gefäßerkrankungen) zu suchen.
3. Drei pathologisch-anatomische Hauptformen des Anfangsstadiums‘
hämorrhagische Nekrose, Totalnekrose, centrale Nekrose. i
4. Klinische Kardinalsymptome: Schmerzen im Tumor, Peritonitis,
: Fieber, Allgemeinstörungen.
5. Therapie möglichst operativ mit Erhaltung der Schwangerschaft.
6. Nekrose im Wochenbett wohl meist während der Schwanger-
schaft vorbereitet. Aschheim:
Anna Wiest, Beschäftigungsbuch für Kranke und Rekonvales-
zenten, Schonungsbedürftige jeder Art, sowie für die
Hand des Arztes, mit einer Vorrede von Prof. Dr. E. v. Romberg,
mit 122 Abbild. Stuttgart 1912, Verlag von Ferdinand Enke. 351 S.
M 5,—.
Ein in ungewöhnlichem Maße nützliches, ja notwendiges Büch.
Man staunt eigentlich, dab es nicht schon längst geschrieben wurde,
Allerdings konnte es in der Weise, wie es hier geschehen ist, nur von
. einer Frau, und zwar von einer mit diesem Gebiet aus eigenster Erfah-
rung in allen Einzelheiten genau vertrauten, sachverständigen bearbeitet
. werden. Der Inhalt ist ebenso reichhaltig wie die Anordnung praktisch,
den Gebrauch und die zu treffende Auswahl im Bedarfsfall erleichternd.
Das Ganze gliedert sich in vier Hauptabschnitte, deren jeder mit einer
kurzen Einleitung und mit Sonderregistern versehen (auch einzeln ver-
käuflich ist). Erster Teil: Fröbelarbeiten (enthält 29 Nummern).
Zweiter Teil: Liebhaberkünste (z. B. Flechtarbeiten, Glasarbeiten,
Malereien, Modellieren, Filigran-, Metall-, Intarsia-Brandarbeiten usw. —
49 Nummern). Dritter Teil: Weibliche Handarbeiten (25-Nummern).
Vierter Teil: Verschiedene Arbeiten (85 Nummern). Jeder Einzel-
arbeit ist eine Angabe darüber, ob körperlich, ob geistig ermüdend, ob
geistig ablenkend usw. beigegeben; ebenso sind am Schlusse jedes Haupt-
abschnitts die leichteren und schwereren, die für Bettlägerige und für
körperlich Kräftigere, bei Teil 1, 2 und 4 auch die für Herren besonders
geeigneten Arbeiten alphabetisch zusammengestellt. Nach gleichen Ge-
sichtspunkten geordnete Gesamtregister bilden den Schluß des gut aus-
gestatteten, mit 122 Textabbildungen illustrierten Werkes.
A. Eulenburg (Berlin).
Sigmund Fränkel, Die Arzneimittelsynthese auf Grundlage
der Beziehungen zwischen chemischem Aufbau und Wir-
kung. Für Aerzte, Chemiker und Pharmazeuten. Dritte umgearbeitete
Auflage. Berlin 1912, Julius Springer. 823 S. M 24.—.
Das bekannte Buch erscheint in seiner dritten Auflage in be-
deutend vergrößerter und zum Teil umgearbeiteter Form; sein Haupt-
verdienst ist es, das umfangreiche Material sorgfältig gesammelt und ge-
ordnet zu enthalten. Wenn der Gegenstand auch mehr vom chemischen
als vom physiologischen Standpunkt aus behandelt ist, so wird das Buch
doch sicherlich von allen, die sich mit biochemischen Problemen be-
schäftigen, dankbar begrüßt werden. Rohde (Heidelberg).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswosens (Staatliche und Privat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermsun Engel, Berlin W 80,
Einige allgemeine Gesichtspunkte bei der Beurteilung von |
| Unfallfolgen
von,
Dr. med. Wilde, Kiel,
Vertrauensarzt der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für die
Provinz Schleswig-Holstein, Stadt und Fürstentum Lübeck.
l (Schluß aus Nr. 30.)
T Gehirnerschütterungen, „Erschütterungen des
a marks . Sie erscheinen stfichweise recht häufig in den
a R ten und erfordern mit ihren Folgeerscheinungen „trau-
asische Neurose“, „Neurasthenie“, „traumatische
U meistens sehr hohe Renten. Die nach solchen Un-
T bemerkten psychisch-nervösen Störungen stehen bezüglich
en As und Intensität meistens im umgekehrten ‚Verhältnis
etz cawere der objektiven Verletzung. Je schwerer die Hirnver-
objekte desto seltener das Bild der traumatischen Neurose, ein
jektiv Schwerverletzter oder Schwerkranker hat es nicht nötig,
sich eine „traumatische Neurose“, eine „Unfallneurose* oder
„traumatische Hysterie“ zu leisten, bei ihm kann man objektiv
Ausfallerscheinungen, Zeichen von Erkrankung im Gehirn oder
von Lähmung der Gehirn- oder peripheren Nerven nachweisen.
Ein objektiv Leichtverletzter dagegen muß für seine Rente durch
möglichst viele Klagen, durch Jammern und Querulieren und
durch schlaffes Auftreten sowie Fernbleiben von der Arbeit ein-
treten. Vielen glückt es, nach solchen Fällen von Gehirnerschütte-
rung durch beständiges Klagen und hartnäckiges Faulenzen trotz
mangelnden objektiven Befundes eine hohe Dauerrente zu ergattern,
eine Prämie auf erfolgreiches Winseln. Findet man bei solchen
Patienten dann noch Symptome, die als krankhafte Veränderungen
gedeutet werden können, die aber ebensogut auch bei völlig ge-
sunden Leuten vorkommen, z. B. das Fehlen von Bindehaut- und
Rachenreflexen, Herabsetzung oder Steigerung oder gar vollstän-
diges Fehlen der Kniescheibenreflexe (kann alles bei ganz Gesun-
den vorkommen, vergleiche Sahli, Lehrbuch der klinischen Unter-
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suchungsmethoden, 5. Auflage, Seite 1103/4), ferner das bekannte,
oft als einziges Symptom neben der Puilsbeschleunigung heran-
gezogene „Nachröten der Haut“, so ist mit vermeintlicher Sicher-
heit der Beweis für tatsächlich vorhandene krankhafte Störungen
erbracht und die Befürwortung einer hohen Rente begründet.
Würde der Arzt sich daran gewöhnen, nach Gehirnerschütte-
rungen und „Rücken.narkserschütterungen“, nach Störungen des
seelischen Gleichgewichts im Anschluß an Unfälle gleich’von vorn-
herein in liebevoll-freundlicher und doch zielbewußt energischer
Weise den Verletzten darauf hinzuweisen, daß der Unfall keine
Folgen hinterlassen würde und daß er keine Rente oder doch
höchstens nur eine kurze Schonungsrente erhalten könne, so wird
dem Entstehen von psychisch-nervösen Störungen in den meisten
Fällen vorzubeugen sein und die „traumatische Neurose“ wird
allmählich immer mehr aus den Akten verschwinden. Es ist
besser, einem solchen Verletzten überhaupt keine Rente zu ge-
währen, als ihm später eine langjährige hohe Rente zu entziehen;
: das wird er immer als ungerechte Härte empfinden.
D. Tuberkulöse Knochen- und Gelenkerkrankungen.
Zur Begründung des Zusammenhangs von tuberkulösen Knochen-
und Gelenkerkrankungen wird meistens angeführt, daß der Unfall
in dem bis dahin gesunden Knochen einen sogenannten Locus
minoris resistentiae geschaffen habe, sodaß hier die im Blute
can Tuberkelbacillen günstige Bedingungen zur Ansiedlung
nden.
Schwalbe weist darauf hin, daß diese Ansicht nicht mehr
dem Stande der medizinischen Erfahrung entspricht. Denn:
1. Tierversuche haben ergeben, daß bei im Blute kreisenden
Tuberkelbacillen an Stellen künstlicher Verletzung niemals Tuber-
kuloseherde auftreten. .
2. Die Tatsache, daß tuberkulöse Personen nach Ver-
letzungen relativ selten an Knochen- und Gelenktuberkulose er-
kranken, spricht gegen die oben erwähnte Annahme. Wenn also
nach Verletzungen, besonders Kontusionen und Quetschungen,
tuberkulöse Knochenerkrankungen auftreten, muß man annehmen,
daß an dieser Stelle schon eine bis dahin latente Tuberkulose be-
standen hat, die nun zu schneller Entwicklung gelangt. Aus
dieser Erwägung heraus darf ein Zusammenhang zwischen Unfall
und Knochentuberkulose nur angenommen werden, wenn die ersten
Erscheinungen der tuberkulösen Erkrankung sich im unmittelbaren
Anschluß an den Unfall, längstens 1 bis 2 Monate nach diesem,
zeigen. Tritt die Knochentuberkulose erst später, 1/s bis 1 Jahr
nach dem Unfalle zutage, so ist der Zusammenhang abzulehnen.
E. Wandernieren. Die sogenannte Wanderniere, die Lage-
veränderung der Niere, ist ein besonders bei Frauen der arbeiten-
den Klassen ziemlich häufiges Leiden. Einzelne Autoren wollen
behaupten, daß 200°), aller Frauen, welche geboren haben und
schwer arbeiten müssen, an mehr oder weniger starker Lagever-
änderung der Niere leiden. In den weitaus meisten Fällen wird
die rechte Niere betroffen. Wandernieren entstehen in den weit-
aus meisten Fällen ganz allmählich durch zunehmende Lockerung
und Erschlaffung des perirenalen Gewebes, besonders des Perito-
neums. Eine Entstehung der Wanderniere durch Unfall ist nach
dem heutigen Stande der Wissenschaft nur sehr selten anzunehmen.
Es müssen in einem solchen Fall stürmische Krankheitserschei-
nungen sofort zu einer Untersuchung der Nierengegend führen,
und hierbei muß die aus ihrer Lage gewaltsam herausgerissene
Niere sofort nach dem Unfalle diagnostiziert werden. |
Prof. Hildebrand (Marburg) bringt seine Auffassung über
traumatische Wandernieren in folgenden Sätzen zum Ausdruck:
1. Plötzlich entstandene starke Verlagerungen der Niere
sind ohne Zerreißung der Nierengefäße oder des Nierengewebes
nieht möglich, haben also gewöhnlich den Tod zur Folge. Die
eigentliche Wanderniere kann also keine Unfallfolge sein.
2. Plötzlich entstandene leichte Verlagerungen sind selten,
sogenannte „bewegliche Nieren“. Die Möglichkeit der Entstehung
durch Unfall muß zugegeben werden. Zur Diagnose gehört das
Vorhandensein eines schweren Krankheitsbildes, vor allem so-
fortige Schmerzen in der Nierengegend, Blutharn usw.
3. Die Lockerungen der Niere entstehen im allgemeinen all-
mählich aus einer angeborenen Anlage (bei 5 bis 20%, aller
Frauen ist die rechte Niere beweglich).
4. Bei vorhandener Lockerung einer Niere kann durch Un-
fall eine Verschlimmerung bewirkt werden. Will man den Zu-
sammenhang annehmen, so muß auch hier sofortiges Schmerz-
gefühl in der Nierengegend vorhanden gewesen sein.
5. In solchen Fällen wird nicht die bewegliche Niere als
solche, sondern nur die Verschlimmerung zu entschädigen sein.
4, August.
Die Unfallfolgen sind keine dauernden, meist wird nach Jahres-
frist der Zustand wieder derselbe sein, wie vor dem Unfalle,
| F. Krampfadern. Häufig begegnet man in Gutachten der
Ansicht, daß Krampfadern nach Unfällen entstanden seien. : Akute
Entstehung von Krampfadern ist nicht beobachtet worden; man
darf deshalb mit Sicherheit behaupten, daß Krampfadern, welche
bald nach der Verletzung gefunden werden, schon vor dem Un-
falle bestanden haben. Hildebrand und Offergeld kommen
auf Grund von Untersuchungen an einem großen Material zu dem
Schlusse, daß das Trauma für die Entwicklung von Krampfadern
ganz gleichgültig ist.
Krampfadergeschwüre, welche nach mitunter kleinen durch
Unfall akquirierten Hautabschürfungen entstehen, müssen als Unfall-
folge angesehen werden. Es muß dabei aber der genaue Sitz der
durch Unfall gesetzten Wunde bezeichnet werden. Ist diese Wunde
oder das aus derselben hervorgegangene Geschwür geheilt, so sind
damit die Unfallfolgen beseitigt und es darf nicht mehr von Un-
fallfolgen gesprochen werden, wenn auf einer andern Stelle des
Beines, etwa gar auf der gegenüberliegenden Seite, ein neues
Krampfadergeschwür aufbricht.
Da Krampfadergeschwüre oft von ihren Trägern in starker
Weise vernachlässigt werden, deshalb nie zur Heilung kommen
und so dauernd das Konto der Berufsgenossenschaft belasten,
empfehle ich in allen Fällen, wo ein Krampfadergeschwür erstmalig
als Unfallfolge rechtskräftig entschädigt werden mußte, den Ver-
letzten sofort einem modern geleiteten Krankenhause zu über-
weisen. In der ersten Zeit wird es durch geeignete Behandlung
bei genügend langer Bettruhe meistens möglich sein, eine feste
Vernarbung des Geschwürs zu erzielen. Dadurch können meistens
Dauerrenten vermieden werden.
Bei allen Krampfadergeschwüren muß in absolut einwand-
freier Weise der strikte Beweis erbracht werden, daß wirklich
eine äußere Verletzung stattgefunden hat. Die Angabe des Ver-
letzten allein genügt hier nicht.
G. Augenverletzungen. Hierbei sei nur kurz darauf
hingewiesen, daß nach neueren Entscheidungen des Reichsver-
sicherungsamts für Verlust der Sehkraft eines Auges oder für
Verletzungen, welche den gleichzeitigen Gebrauch beider Augen
ausschließen (centrale Hornhautnarben, Augenmuskellähmungen)
eine Rente von 250/9 für ausreichend angesehen wird, nachdem
sich der Verletzte an das Sehen mit einem Auge gewöhnt hat.
Bei den Revisionen findet man in solchen Fällen meistens Renten
von 331/3 bis 40%. Die Berufsgenossenschaften sollten ihre
Akten auf Augenverletzungen hin durchsehen und die Renten in
oben genannten Fällen gleichmäßig auf 250/, festsetzen. Für die
zur Rentenänderung notwendige Besserung genügt die mit der
Zeit eingetretene Gewöhnung an den Zustand. Da faktisch Ein-
äugige auf allen Gebieten, in jedem Berufe dasselbe leisten können,
wie Leute mit zwei gesunden Augen, so ist eine Rente von 25 °/o
immer noch eine vollkommen genügende.
Zum Schluß noch ein kurzes Wort über die Gewöhnung au
Unfallfolgen als Besserung im Sinne der Unfallversicherungs-
gesetze. Ich verweise hierzu auf das vom Vorstande der Sektion I
der Nordwestlichen Eisen- und Stahlberufsgenossenschaft, Hannover,
herausgegebene vorzügliche Heft, welches eine große Anzahl von
Entscheidungen der obersten Spruchbehörden bringt und die be-
handelten Unfallfolgen mit vorzüglichen Bildern illustriert. Früher
legte man zu großes Gewicht auf die nachweisbaren Unfallfolgen,
den objektiven Befund und gewährte in allen Fällen eine Rente,
obgleich praktisch sich die Erwerbsfähigkeit in vielen Fällen
anders darstellte. Ein etwas schief oder mit geringer Verkürzung
geheiltes Bein, ein mehr oder weniger versteiftes Gelenk, ein ver-
kürzter oder ganz amputierter Finger setzen in vielen Fällen die
Arbeitsfähigkeit auf die Dauer nicht im geringsten herab. Tat-
sächlich verdienen die Leute, nachdem sie sich an den Zustand
gewöhnt haben, wieder denselben Lohn, wie ihre vollkommen ge-
sunden Mitarbeiter. In allen solchen Fällen kann die Rente in
Wegfall kommen. Die Rente soll kein Schmerzensgeld, keine
Prämie für erlittene Verletzungen sein, sondern sie soll einen
Ausgleich bieten für die durch die Unfallfolgen verminderte Er-
werbsfähigkeit. Wo nach den angestellten Ermittlungen aber die
Erwerbsfähigkeit tatsächlich nicht vermindert ist, ist eine Rente
nicht am Platze. Wir sehen Tausende von Unfallverletzten ‚mit
zum Teil sehr hohen Renten wieder in ihrem Beruf alles arbeiten,
sehen wie ihr Lohn nicht im geringsten hinter dem Lohn ihrer
gesunden Mitarbeiter zurücksteht. Das Moment der Gewöhnung
muß mehr als bisher für die Einstellung oder Herabminderung
der Renten herangezogen werden.
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4; August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. | 1291
Vereins- und auswärtige Berichte.
Bonn.
Niederrhein. Gesellsch. fe Natur- u. Heilkunde. Sitz. v. 13. Mai 1912.
Westphal stellt einen schon 1895 von Schultze beschriebenen
Patienten vor, der früher sicher an einer Tetanie gelitten hat. Jetzt
treten typische Anfälle auf bei Trousseau, aber auch beim Handdrücken,
Hochheben des Armes bis zur Horizontalen, Reizen bestimmter Punkte
an Bauch und Rücken. Jetzt ist eine Uebererregbarkeit nicht mehr fest-
zustellen. Es haben sich zu der ursprünglich sicheren Tetanie hysterische
Symptome hinzugesellt. Als Gegenstück demonstriert W. eine Patientin
mit ähnlichen Anfällen, bei der ebenfalls keine Erregbarkeitssteigerung
nachzuweisen ist; hier handelt es sich um eine Hysterie. Sodann stellt
W. eine Patientin vor, die an leichter Melancholie im Wochenbett er-
krankt war. Es wurde außerdem bei ihr eine Neuritis opt. konstatiert,
und eine leichte Vergrößerung der Hände und etwas Vorstehen des
Kinnes fiel auf. Das Röntgenbild ergab eine ausgesprochene Vertiefung
der Sella turcica mit Schwund der Keilbeinhöhle, und bestätigte so den
Verdacht der Akromegalie. Zum Schlusse demonstriert er noch einen
Fall von Tabes bei einer Jungfrau. Es handelt sich um eine Zwergin,
die mit einem Ausschlag behaftet zur Welt kam, also mit angeborener Lues.
Hammesfahr demonstriert ein kleines Mädchen, deren Gang an
Luxatio congenita denken läßt, bei der es sich aber, wie das Röntgenbild
ergibt, um einen der seltenen Fälle von Coxa vara congenita handelt.
Cords: Augeuschädigungen durch Sonnenlicht. C. spricht über
die in der Bonner Augenklinik beobachteten Schädigungen, welche durch
die letzte Sonnenfinsternis verursacht wurden. Meistens wurde die typi-
sche Sehstörung, nämlich ein positives centrales Skotom beobachtet. Die
Störung ist sehr schwer; Gesichter werden z. B. in einiger Entfernung
nicht mehr erkannt. Die Sehschärfe war bis auf dreiviertel bis einviertel
herabgesetzt. Im Augenspiegelbilde zeigte die Macula im Centrum einen
hellen Fleck mit dunklem Hofe.
Ribbort: Experimentelle Lungentuberkulose. Nach R. fehlen
bei der -menschlichen Bronchialdrüsenverkalkung niemals entsprechende
Lungenherde, wenn sie oft auch sehr klein und nur schwer zu finden
sind. Dieser Befund ist ungezwungen wohl nur so zu erklären, daß die
Infektion aörogen erfolgte, und daß von dem kleinen Herd in der Lunge
aus die Bronchialdrüsen infiziert werden. R. brachte nun kleine Mengen
käsigen Materials direkt durch die Thoraxwand hindurch bei Meerschwein-
chen in die Lunge. Nach fünf Wochen fanden sich hier stecknadelkopf-
große Käseherdchen in der Lunge und verkäste Bronchisldrüsen bis zu
Erbsengröße. In späteren Stadien entwickelt sich dann von diesen Drüsen
aus eine Miliartuberkulose,
Injiziert man Meerschweinchen Tuberkelbacillen in die Bauchhöhle,
go erkranken zuerst die retrosternalen Lymphdrüsen, während die bron-
chialen Drüsen oft noch frei gefunden und erst sekundär ergriffen werden.
Krause: Die Grundlagen und Erfolge der Röntgentherapie
der Leukämie. Die gemischtzellige (myelogene) Leukämie zeigt in
80 % der Fälle bei der ersten Bestrahlung Besserung, kenntlich durch
ein Heruntergehen der Leukocyten und Hinaufgehen der Erythrocyten,
Zurückbildung des Milztumors. 200/ der Fälle verhalten sich refraktär.
Bei den Lymphocytenleukämien findet man weniger weitgehende Aus-
Schläge. ee er Laspeyres.
Breslau. |
Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultar. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 8. März 1912.
Hürthle: Ueber die Beziehung zwischen Druck und Ge-
schwindigkeit in den Arterien (gilt das Poiseuillesche Gesetz?);
mit Demonstrationen. Es wurde von dem Vortragenden an der Hand
eines Pulsschlages und durch Verlangsamung der Diastole durch Vagus-
e
rezung, das heißt durch möglichste Verkürzung der Versuchszeit die
' Doch ungeklärte Frage zur Entscheidung gebracht, ob das Poiseuille sehe
Gesetz im Tierkörper Geltung hat, das heißt ob daselbst die Strömung,
abgesehen von der Zähigkeit der Flüssigkeit, durch den Druck beeinflußt
wird beziehungsweise ihm, wie behauptet wurde, proportional ist. Nach
diesen Versuchen, bei denen auch die Elastizität der Arterien und der
enendruck in Betracht gezogen wurde, und auch auf anderm Wege
ergab sich, daß das Poiseuillesche Gesetz im Tierkörper nicht gilt
weil der Widerstand der Blutbahn nicht konstant bleibt; es finden näm-
lich zwischen Druck und Geschwindigkeit Beziehungen dahin statt, dab
9 steigendem Drucke die Geschwindigkeit abnimmt und bei sinkendem
Fücke größer wird.
Rothmann: Ist eine experimentelle Umkehr des Blutstroms
möglich? ‚Als Versuchsflüssigkeit wurde eine zweiprozentige, alkalisch
und isotonisch gemachte Gummiarsbicum-Lösung, der etwas defibriniertes
ches Blut zugesetzt wurde, benutzt, zunächst am Mesenterium des
Frosches, wo der Flüssigkeitsstrom in die einzige daselbst vorhandene
abführende, klappenlose Vene peripherwärts hineingeschickt wurde und
in der Tat auch eine Umkehrung des Stroms, ein Rückwärtseindringen
in die Arterie zu beobachten war, allerdings ngr eines geringen Quantums
der Flüssigkeitsmenge, von der ein Teil sicherlich zum Zustandekommen
des :Oedems der durchströmten Organe beitrug. (Gefäßgebiete, deren
Venen mit Klappen versehen sind, setzen der rückläufigen Blutbewegung
Widerstand entgegen. Dies ergab sich, übrigens entsprechend den Fest-
stellungen von Coenen und Wiewiorowski an Hunden und mensch-
lichen Leichnamen, bei den Versuchen Rothmanns an dem gleichfalls
mikroskopischer Beobachtung zugänglichen Gefäßgebiet in der Schwimm-
haut des Frosches.
In weiteren Versuchen an klappenlosen Stromgebieten, die
aber mehrere abführende Venen besitzen, wo also mehrere Wege be-
stehen, nämlich der durch die Capillaren zur entsprechenden Arterie und
jener durch die Anastomose in das Gebiet der andern hinein, schlug die
Hauptmasse der Flüssigkeit den zweitgenannten Weg ein, nur 2—40/o
den in die Arterie; dabei entstand während der rückläufigen Bewegung
wiederum Oedem. - i
Nach alledem ergeben sich für die Behandlung der angiosklero-
tischen Gangrän nach Wieting folgende Konsequenzen: Die Operation
ist zwecklos, wo Klappen vorhanden sind. Es ist zuzugeben, daß mit
zunehmendem Alter die Zahl der suffizienten Klappen abnimmt. Aber
selbst wenn alle Klappen funktionsuntüchtig sind beziehungsweise ein
Teil durch den andringenden Blutstrom überwunden wird, ist nicht an-
zunehmen, daß ein Capillarstrom hergestellt wird. Die günstigsten Be-
dingungen für die Wietingsche Operation vorausgesetzt, würde sich
der Capillarstrom herstellen, so würden doch die Oedembildung und
Stauung, die Stromverlangsamung und Neigung zur Thrombose eine Ver-
schlechterung des Operationsresultats zur Folge haben. |
Diskussion: Coenen betont auch seinerseits unter Demonstration
mikroskopischer Präparate, daß die physiologischen Bedingungen einen
Dauererfolg der Operation nicht gewährleisten können.
Wiewiorowski spricht sich entschieden für die Stellung der
Klappen als Hindernis aus.
Hadda hat bei Gefäßanastamosen beobachtet, daß noch nach Mo-
naten aus der Vene Blut pulsierend ausfloß. Ä
Coenen gibt zu, daß die ersten Klappen überwunden werden
können. ee Emil Neißer.
Frankfurt a.M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 20. Mai 1912.
Reiß: Die Behandlung der Lungentuberkulose mit kinst-
lichem Pneumothorax. Die Fälle von Heilung der Lungentuberkulose
nach spontan eingetretenem Pneumothorax haben Veranlassung gegeben,
zu versuchen, die Heilung durch die künstliche Anlegung eines Pneumo-
thorax zu bewirken. Die ersten Versuche hat Forlanini gemacht. Die
Atelektase beeinflußt die Heilungsverhältnisse günstig, die Neigung zur
Verkäsung ist geringer, und auch die Zahl der Bacillen nimmt ab, und
durch die Verminderung des Auswurfs kann auch die andere Lunge nicht
so leicht infiziert werden. Für die Anwendung des Verfahrens ist eine
strenge Auswahl der Fälle nötig. Die Erkrankung soll einseitig sein,
doch ist geringe Erkrankung der Spitze der andern Seite keine absolute
Kontraindikation. Im Gegenteil, es kann auch diese Seite günstig beein-
|. lußt werden. Die Pleura der schwerer erkrankten Seite soll frei sein,
doch braucht man auch dabei nicht zu strenge zu sein. Adhäsionen ge-
ringen Grades schließen das Verfahren nicht aus, wenn nur eine freie
Pleuraspalte vorhanden ist. Die Anwendung ist unter Berücksichtigung
der sozialen Verhältnisse geboten, wenn bei einseitiger oder nahezu 'ein-
seitiger Erkrankung bei den bisherigen Methoden eine Heilungstendenz
nicht zu bemerken ist. Die Behandlung ist langwierig, erfordert große
Ausdauer von seiten des Arztes und des Patienten, und muß auch noch
darch die klimatischen, physikalischen und diätetischen Heilmittel unter-
stützt werden. Im Städtischen Krankenhause bediente man sich zur An-
legung des Pneumothorax des Verfahrens von Brauer, sodaß erst durch
Schnitt die Pleura freigelegt, und diese dann mit stumpfer Kanüle durch- -
bohrt wurde. Dann folgt das Einfüllen von Stickstoff, der durch Subli-
matlösung streicht, und Vernähung der Wunde. Die Eröffnung und das
Einführen des Stickstoffs geschieht unter ständiger Kontrolle mit dem
Manometer, | Zur Erhaltung des Pneumothorax ist erst in kürzeren (zwei
bis drei Tagen), dann in längeren Zwischenräumen eine Nachfüllung nötig.
Zur Auswahl der Fälle und des Ortes für die Eröffnung des Pleuraraums
müssen alle diagnostischen Hilfsmittel, insbesondere such die Unter-
suchung mit Röntgenstrahlen herangezogen werden. Als Komplikationen
der Operation können eintreten stärkeres Weichteilemphysem, ferner
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1292 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
auch Emphysem des Mediastinums mit unter Umständen bedrohlichen
Erscheinungen von Gefäßkompression, zu starke Verdrängung des Medi-
astinums nach- der nicht operierten Seite, Kompression der andern Lunge.
Unter Umständen kann man genötigt sein, wieder einen Teil des Gases
abzulassen. Häufig tritt bei dem künstlichen Pneumothorax auch ein
größerer oder geringerer sdröser Flüssigkeitserguß ein, der aber gewöhn-
lich nach einigen Tagen wieder verschwindet; doch ist auch schon das
Auftreten eines Pyopneumothorax beobachtet worden. Die gefährlichste
Komplikation ist die Gasembolie, die aber nur auftreten kann, wenn die
Kanüle in einem Gefäßlumen liegt. Sie ist durch die Manometerkontrolle
mit Sicherheit zu vermeiden. Ueber Dauererfolge kann noch nicht auf
Grund eigner Erfahrungen berichtet werden, die symptomatischen Erfolge
sind aber befriedigend. Husten und Auswurf wurden meist vermindert,
Fieber schwand gewöhnlich nach einiger Zeit. Von andern Seiten wird
von einem größeren Prozentsatz günstiger Erfolge berichtet. Bei rich-
tiger Auswahl der Fälle bedeutet das Verfahren sicher einen Fortschritt
in der Behandlung der Lungentuberkulose,. doch sind die geeigneten Fälle
verhältnismäßig selten. Die Dauer der Behandlung erstreckt sich jeden-
falls über mehrere Monate, selbst bis zu zwei Jahren. Hainebach,
Hamburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 23. April 1912.
Trömner zeigt einen durch Alter und Ausdehnung bemerkens-
werten Fall von Sklerodermie, Bei einem sechsjährigen Mädchen hatte
sich vor einem halben Jahr ein länglicher Fleck am Oberschenkel und
bald darauf auch am Rücken gebildet und Haut und Unterhautzellgewebe
in hartes, fast keloidartiges Narbengewebe verwandelt, das zudem mit der
Muskulatur derb verwachsen ist. Interessant ist das Zusammenfallen
der Flecke mit dem Verlaufe peripherer Nerven, am Oberschenkel mit
dem Gebiete des Nervus cutaneus fem. lat. und am Rücken mit dem me-
dialon Zweige des hinteren Teils des sechsten Nervus intercostalis, Thera-
peutisch ist Salol, Thyreoidin, Thiosinamin, örtliche Hitze und eventuell
Radium zu versuchen.
Delbanco stellt 1. einen 35jährigen Mann mit einer äußerlich
etwas abweichenden Form des Lupus miliaris seu follieularis dissemi-
natus des Gesichtes vor. Die kleinen follikulären Efflorescenzen er-
innern an eine Acne vulgaris, umsomehr als viele Stellen pustulös ge-
worden sind beziehungsweise werden. Als Acne vulgaris war der Fall
auch zuerst bebandelt worden. In dem Pusteleiter glückte der Nachweis
ganz vereinzelter Tuberkelbacillen. Dadurch reiht sich die Affektion in
die Klasse der echt tuberkulösen ein. 2. Ein 2ljähriges Mädchen, das
wegen zahlreicher harter Warzen an den Händen Hilfe gesucht hatte,
Die bei Warzen oft versagende Röntgenbehandlung hatte hier Ertolg.
Es wurde nur die rechte Hand bestrahlt. Erythemdosis in drei Sitzungen.
Im gleichen Tempo mit den Warzen der rechten Handschwanden
die Warzen der linken Hand. Die „reflektorisch-angioneurotischen“
Theorien Kreibichs bezüglich der Dermatosen können durch diese Beob-
achtung — abgesehen davon, daß Warzen oft spontan verschwinden —
eine gewisse Stütze erhalten. Anderseits kann man bei der Ansteckungs-
fähigkeit der Warzen an immunisierende Vorgänge denken.
Gleiß demonstriert einen Tumor, den er einer an Blasenbeschwerden
leidenden Frau entfernt hat. Es war die Wahrscheinlichkeitsdiagnose
Myom gestellt worden, doch konnte der fluktuierenden Stellen wegen
auch an Ovarialcystom gedacht werden. Die Laparotomie ergab aber ein
Sarkom der Blasenwand. Es gelang die extraperitoneale Entfernung.
Das Fassungsvermögen der Blase, zunächst 50 bis 60 cem betragend.
wurde durch Blasenspülungen auf 5—600 ccm gebracht. GI. entließ die
Patientin mit gut funktionierender Blase.
Vortrag Fränkel: Ueber die Menschenpathogenität des Ba-
eillus pyocyaneus. Vor sechs Jahren erklärte Vortragender den Ba-
cillus pyocyaneus bereits für pathogen. Inzwischen haben sich nament-
lich österreichische Autoren im zustimmenden Sinne geäußert. Geradezu
als Experiment können jene acht Fälle von Cerebrospinalmeningitis gelten,
die darch Lumbalinjektion einer und derselben Flüssigkeit hervorgerufen
wurden. In der Injektionsflässigkeit fand sich der Bacillus pyocyaneus
in Reinkultur. Drei dieser Fälle verliefen tödlich. Der Bacillus kann
also Eiterungen hervorrufen. Da sich aber noch bedeutende Autoren der
Pathogenität des Bacillus pyocyaneus gegenüber ablehnend verhalten,
so will Fr. auf Grund neuer Beobachtungen wiederum seine Ansicht vor-
tragen. Der Bacillus pyocyaneus bevorzugt gewisse Organe: 1. Die
Haut. Es bilden sich hämorrhagische Quaddeln, die nach einem Bläschen-
stadium in flache Geschwüre übergehen. Eiter bildet sich nie. Bevor-
zugt wird die Haut der Achselhöhle und der Genitalien (namentlich beim
Weibe). 2. Mit Vorliebe wird der Intestinaltraktus ergriffen, vom Munde
durch den ganzen Darm hindurch. Ueberwiegend handelt es sich um
Kinder. Es entwickeln sich stecknadelkopfgroße, gelbgraue Herde auf
hämorrbagischem Grunde. 8. Schließlich kommen noch die Luftwege in
Frage. Am häufigsten erkranken die Lungen in Form hämorrhagischer
Bronchopneumonien. Charakteristisch ist die Lokalisation der Krankheits-
erreger. Sie liegen an der Gefäßwand, nie im Lumen. Kein anderer
Erreger tut dies in ähnlicher Weise, höchstens der Milzbrandbacillus,
Es handelt sich wohl stets um eine ektogene Infektion, denn die bevor-
zugten Organe stehen mit der Außenluft in Verbindung. Das Ernste
der Erkrankung liegt darin, daß es sich um auch sonst herabgekommene
Individuen handelt und daß von den Herden aus das Blut infiziert werden
kann. Den Kliniker kann lediglich die Hauterkrankung auf den Bacillus
pyocyaneus hinweisen.
Diskussion. Reinking und Hegener erklären, daß den Ohren-
ärzten die Pathogenität des Bacillus pyocyansus wohl bekannt ist (Peri-
chondritiden!). Jacobsthal hält die Frage, ob der Bacillus ekto- oder
endogen eindringt, für noch nicht entschieden. Der Pyocyaneus ist
durchaus nicht immer der Erreger der Eiterung, auch wenn er in Rein-
kultur gefunden wird, denn er verdrängt die andern Bakterien. Darauf
beruht bekanntlich die Heilwirkung der Pyocyanase, Die Feststellung des
Bacillus pyocyaneus ist nicht so einfach, da es noch andere fluorescierende
Bacillen gibt. Diesen Anschauungen Jacobsthals kann sich Fränkel
in seinem Schlußworte nicht anschließen. Reißig.
Leipzig.
Medizinische Gesellschaft. 6. Sitzung, den 80. April 1912.
1. Lichtenstein: Die abwartende Eklampsiebehandlung. Seit-
dem Dührssen in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf
Grund seiner Beobachtungen die möglichst rasche Entbindung zur
Behandlung der Eklampsie empfohlen hatte, ist diese Therapie wohl all-
gemein angewandt und dadurch die Mortalität erheblich hersbgedrückt
worden. Theoretisch wurde diese Therapie durch die Annahme gestützt,
daß das Eklampsiegift vom Foetus oder der Placenta gebildet werde,
daher diese möglichst bald entfernt werden müßten.
L. traten zuerst aus dem Umstand, daß die Wochenbett-
eklampsien, das heißt die erst nach der spontan und normal erfolgten
Geburt auftretenden Eklampsien eine wesentlich höhere Mortalität
als die durch Schnell- und Frühentbindungen therapeutisch beeinflußten
Schwangerschaftseklampsien haben, Zweifel an dem Nutzen dieser
aktiven Therapie auf. Durch Messungen des bei der Geburt verlorenen
Bluts stellte er fest, daß die spontan Entbundenen nur einen sehr ge-
ringen Blutverlust im Verhältnis zu den künstlich Entbundenen hatten
und schloß daraus, daß die Erfolge der Früh- und Schnell-
entbindung nicht auf der Entleerung des Uterus vom Ei,
sondern auf dem Blutverluste beruhen.
Ferner konnte L. aus der Literatur über 100 Fälle von Schwanger-
schaftseklampsien zusammenstellen, bei denen die Anfälle bereits längere
Zeit vor der Entbindung aufgehört hatten und bei der Geburt nicht
wiederkehrten (interkurrente Eklampsien).. Eine weitere Stütze seiner
Annahme fand er in der Beobachtung, daß in einzelnen Fällen auch nach
der Entbindung die eklamptischen Anfälle weitergingen.
Auf Grund dieser Erwägungen wurde an der Zweifelschen Klinik
die aktive Therapie der Früh- und Schnellentbindung völlig
verlassen und die Eklamptischen mit Aderlässen in Kombi-
nation mit der Stroganoffschen narkotischen Therapie be-
handelt. Bei den nach dieser Methode bisher behandelten 45 Fällen be-
trug die Mortalität nur 11,11°/, gegenüber 18,5°% in den letzten zehn
Jahren. (Der Vortrag erscheint in extenso in der M. med. Woch., es 56
ausdrücklich darauf hingewiesen.)
2. Zweifel: Zur Behandlung der Eklampsie. Während bis zum
Jahre 1871 die Eklampsie mit Aderlässen behandelt worden war, wurde
auf die Autorität Schröters hin, der behauptete, das Blut der Eklampti-
schen sei verwässert und der Aderlaß sei fehlerhaft, weil er zur weiteren
Verwässerung desselben beitrage, diese Behandlung verlassen. Z. hat
nun in einer größeren Reihe von Blutuntersuchungen bei Eklamptischen
durch Bestimmung des specifischen Gewichts und des Wassergehalts des
Bluts festgestellt, daß die Behauptung Schröters nicht richtig ist. Im
Gegenteil geht aus den Z.schen Untersuchungen hervor, daß das Blut
der Eklamptischen eher eine geringe Eindickung erfahren hat. Der Satz vor
Schröter, durch den der bis dahin geübte Aderlaß aus der Behandlung
der Eklampsie ausgemerzt worden ist, hat also nach Z.s Untersuchungen
seine Berechtigung verloren. —_ _____ Mohr.
Wien.
Gesellsch. f. innere Medizin u. Kinderheilkunde. Sitz. v. 30. Mai 1912.
O. Porges bespricht die Muskelschmerzen bei Lungentuber-
kulose und demonstriert einschlägige Fälle. Innere Organs haben für
manche Einwirkungen keinerlei Empfindung. In pathologischen Verhält-
nissen können die Organe spontan oder auf Druck usw. schmerzhaft sein.
Unter Umständen lösen destruktive Prozesse in inneren Organen keine
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4. August. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. | 1293
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Empfindung aus; derartige Fälle sind bei Ulcus ventriculi bekannt. Lä-
sionen des Intestinaltraktes werden in der Regel empfunden, unà zwar
in charakteristischer Weise je nach Qualität und Lokalisation des Krank-
heitsherdes. In der Lunge können selbst große Destruktionen ohne spon- -
tane Schmerzen vorkommen, dagegen findet man dabei Muskelschmerzen
infolge von Anstrengung beim Husten, gelegentlich eine Druckempfiod-
lichkeit des Plexus brachialis, Neuritiden im Bereich des Thoras und
Druckpunkte zwischen dem mittleren und äußeren Drittel des Pektoralis.
Vortragender hat die bei Erkrankungen der Lunge vorkommenden
Schmerzphänomene untersucht. Es fand sich keine Hyperästhesie
der Haut, dagegen eine Druckempfindlichkeit der regionären
Muskulatur, welche segmentär der befallenen Lunge benachbart; ist.
Bei Erkrankung der Lungenspitze ist der M. cucullaris oder.
sternocleidomastoideus derselben Seite druckempfindlich;
wenn die Läsion noch weiter abwärts sitzt, sind die Skaleni, Pectorales
und Intercostsles empfindlich, beim Sitze der Erkrankung an der Lungen-
basis findet: sich eine Ueberempfindlichkeit der Lumbalmuskeln. Aehn-
liche Erscheinungen wurden von andern Autoren bei Pleuritis festgestellt,
Die Ueberempfindlichkeit ist nach den Beobachtungen des Vortragenden
charakteristisch für den aktiven Prozeß, sie ist bei inaktiven und bei
Vernarbungsprozessen anscheinend nicht zu finden und scheint daher bei
alten Phthisen kaum vorzukommen. Die Ueberempfindlichkeit der Mus-
keln ist nicht durch Husten hervorgerufen, weil sie nur einseitig ist, da-
gegen zeigt sie einen Zusammenhang mit einer Muskelrigidität im Be-
reich derjenigen Stelle, an welcher sich der Lungenherd befindet; man
könnte da an eine Art von Defense musculaire denken. Außerdem zeigen
sich Beziehungen der Ueberempfindlichkeit zu Muskelatrophien. Das
Phänomen könnte gelegentlich zu diagnostischen Zwecken Verwen-
dung finden,
‚ Kv.Noorden hat bei Untersuchungen in der Sprechstunde regel-
mäßig das Symptom gefunden, welches daher diagnostisch verwertbar ist.
H. Schlesinger weist darauf hin, daß innere Organe sensible
Nerven haben, aber nicht auf Reize antworten, welche sie in der Regel
vermöge ihrer Lage nicht empfangen können, so z. B. werden Tast-
empfindungen und Temperaturreize von den inneren Organen nicht über-
mittelt und Schmerzempfindungen dann nicht, wenn sie in gleicher Weise
wie an der Haut geprüft werden. Wenn dagegen inneren Organen mit
sensiblen Empfindungen gewohnte Reize oder solche, welche sie emp-
finden können, zugeführt werden, zeigen sie eine Sensibilität. Werden
töhrenförmige Organe an der Fortschafung ihres Inhalts gehindert, so
empfinden wir dies schmerzhaft. Am empfindlichsten sind innere Organe
gegen des Abschneiden der Blutzufuhr, z. B. das Gehirn. Auch die
Lunge scheint auf das plötzliche Abschneiden der Blutzufuhr mit Schmerzen
+ reagieren; bei Lungenembolie klagen die Patienten in der Regel über
eftigen Schmerz in der Gegend des Gefäßverschlusses. Es muß die
Tage offen bleiben, ob nicht ein Teil des Schmerzes in solchen Fällen
B Gefäßschmerzen zu beziehen ist. Die Atrophien der Thoraxmuskulatur
ei Tuberkulose scheinen mit Neuritis nicht zusammenzuhängen. .
der Se Kürt weist darauf hin, daß nach der Ansicht älterer Autoren
ch ungenschmerz in der Pleura entsteht. Bekanntlich findet man
a swischen den Schulterblättern bei Lungentuberkulose, doch
bleibe, Pi Symptom auch bei Muskelübermüdung vor. Nach Pleuritis
bleibe 1 oit Jahrelang Schmerzen zurück und die früher erkrankte Gegend
dio T ange druckempfindlich. In einer gewissen Zahl von Fällen dürfte
ee eine Empfindung haben. K. selbst hat nachgewiesen, daß in
Ge Air und ‚pathologischen Fällen bei manchen Personen ein viscerales
von seiten des-Herzens und des Magens besteht.
a 2 odor hebt hervor, daß auch bei gewöhnlichen Bronchitiden
Muska y merzhaftigkeit auf Druck sehr häufig ist, auch bei solchen
ma se beim Husten nicht besonders gezerrt werden. Die tuber-
nn 7020886 zeigen allerdings besonders häufig eine Lokalisation der
de en in der Schultergürtelmuskulatur; auf eine Mitleidenschaft
erg beim Lungenprozeß weist auch das Symptom der ge-
adi R mechanischen Muskelerregbarkeit hin. Die Ursachen dieser
gung der Muskulatur sind noch nicht festgestellt.
kie toerk bemerkt, daß Sensibilitätsstörungen der Haut und Mus-
löse V ei pleuraler Mitbeteiligung an Lungenprozessen nicht an tuber-
Schmer eränderungen gebunden zu sein scheinen. Man findet eine solche
i zempfindlichkeit auch bei andern, z. B. rheumatischen Pleuritiden,
ugen į Indegewebsproliferation einsetzt. Bei verschiedenen Erkran-
te Se A Organe, insbesondere der Lungenspitzen, treten auch an-
ink si litätsstörungen im Sinne der Hyperästhesie und der Hypästhesie
>respondierenden Hautbereich auf,
Lungen 08 erwidert, daß es sich nicht feststellen läßt, ob der
achtung, erz bei Embolie ein Gefäßschmerz ist. Nach einigen Beob-
kommen d Scheint eine Mitbeteiligung der Pleura an dem Zustande-
n des Lungenschmerzes ausschließbar zu sein. Die Muskeln können
natürlich auch bei andern Erkrankungen und aus andern Ursachen
schmerzhaft sein; die Diagnose der Lungentuberkulose darf selbstver-
ständlich nicht auf Schmerzhaftigkeit der Muskulatur allein gestützt
werden. a ELTE | . B.
Berlin.
Freie chirurgische Vereinigung. Sitzung vom 13. Mai 1912,
| Vorsitzender: Bier.
In der Generalversammlung wurde über eine Neuorganisation der
Vereinigung beraten und der Antrag Holländer angenommen: „Die Freie
Vereinigung der Chirurgen Berlins wird in eine ‚Berliner Ge sellschaft
für Chirurgie‘ umgewandelt. Es wird eine Kommission gewählt, die
die Satzungen aufstellen soll.“
Wissenschaftlicher Teil;
1. Klapp zeigt a) Kranke mit Plastik nach Verletzung der Finger-
kuppe; der Lappen ist der Vola manus entnommen. Diskussion: Kausch
zieht die Entnahme aus der Brusthaut vor. Müller konnte letzteren Fall
nachbehandeln, sah langdauerndes Ekzem auf diesem Lappen und warnt
vor komplizierten Maßnahmen bei Unfallverletzten. Braun entnahm aus
dem Oberarm einen ungestielten Lappen. b) Bei zwei Frauen entstand
nach Operation ein Mastitis chronica interstitialis ein größerer Defekt in
der Mamma, den K. durch freies Fett aus dem Oberschenkel ersetzte.
Diskussion: Holländer injiziert sterilisiertes, flüssiges Menschenfett und
setzt dazu etwas Hammeltalg, weil von ersterem ein Teil resorbiert wird.
Ferner Sticker; Bier benutzt die freie Fetttransplantation bei entstellen-
den Narben im Gesichte, warnt sehr vor den oft indikationslos gemachten
Paraffininjektionen, besonders zu kosmetischen Zwecken oder bei Kinder-
hernien. Von der homoplastischen Fetttransplantation sah B. keine Er-
folge. Eckstein ist ein Anhänger der Paraffinbehandlung und weist auf
den Unterschied zwischen hartem und weichem Paraffin hin.
2. Poll: Es gibt Familien, in denen Carcinom durch mehrere
Generationen hindurch im gleichen Alter und an demselben Organ wieder-
kehrt. Mischen sich Glieder solcher Familien, so kann das Carcinom in
viel früherem Lebensalter auftreten. P. bittet Material zu sammeln und
ihm zu überlassen (II. anatomisches Institut, Berlin).
8. Schmieden: a) Mann mit leichtem Basedow und heftigen pro-
fusen Durchfällen; der Kropf halbseitig exstirpiert, völlige Heilung der
Darmerscheinungen. Diskussion: Hildebrand sah wiederholt solche
Fälle nach Operation gesund werden. b) Die Kranke stieß sich eine Hut-
nadel in den Leib, der Knopf brach ab, die Nadel (etwa 15 cm lang) blieb
stecken. Operation nach mehreren Wochen ergibt Durchbohrung des
Mesenteriums und Colon transversum; schwierige Extraktion wegen der
vielen Verwachsungen; Heilung.
4) Bier: a) Eine Reihe von Fällen der Gelenktuberkulose zeitigt
unter Stauungsbehandlung Komplikationen: Schmerzen, Granulations-
vermehrung, Infektion der Fisteln. B. gab nun, während täglich dreimal
vier Stunden gestaut wurde, innerlich 4 bis 8 g Jodnatrium pro Tag
und sah dabei wesentliche Besserungen; er erklärt dies mit der Ueber-
schwemmung des Bluts mit Jod in den erkrankten Teilen. Dis-
kussion: Wohlgemut macht historische Bemerkungen, Holländer weist
auf die kombinierte Wirkung von Jod und Kalomel hin, Hildebrandt
fragt, ob Lues überall mit Sicherheit auszuschließen sei. b) Lokal-
anästhesie bei Hirnoperationen: Der Vorteil ist die geringe Blutung, da
man den Patienten hochlagern und vielleicht mehr einzeitig, statt zwei-
zeitig operieren kann. Ein Nachteil ist, daß anscheinend das Novocain auf
die Hirncentren wirkt, ihre Erregbarkeit herabsetzt, was ihr Auffinden
erschwert. Diskussion: Härtel: Das Ganglion Gasseri läßt sich von
außen erreichen: Stich mit langer Nadel unter dem Jochbogen zur
Schädelbasis hin, läßt bei- bestimmter Richtung das Foramen ovale er-
reichen. Novocain injiziert machte in acht Fällen gute Anästhesie,
darunter zweimal bei Trigeminusneuralgie. Borchardt verwendet bei
Hirnoperationen bis 150 ccm eine halbe Novocainlösung. Unger bezweifelt,
dab die Novocaininjektionen bei Trigeminusneuralgie einen wirksamen
Effekt haben; Versuche mit W. Alexander in dieser Hinsicht waren.
nicht ermutigend, besser wäre Versuch mit Alkoholinjektionen, die aber
gefährlich seien. Bier erzielte einmal tiefen Schlaf durch Injektion von
Novocain ins Ganglion Gasser. Heimann machte dieselbe Beobachtung.
5. Westenhöffer demonstriert pathologische Präparate; a) Ver-
doppinng des Rückenmarks, gleichzeitig Verdopplung mehrerer innerer
Organe. b) Milzbrandfall, dazu bemerkt er: Die beste Therapie ist, die
Milzbrandpustel nicht anzurühren (auf diese Weise heilen die Indianer in
Südamerika diese Kranken und ein chinesisches Sprichwort sagt: „Nur
Leistenhernie zerrissen. d) Pankreasabsceß.
6. Franz zeigt einen Soldaten, dem er nach Lexers- Methode die
fehlende Beugesehne durch den Palmaris longus ersetzt hat. Unger
mußte bei gleichem Vorgehen die eingesetzte Sehne später von einer Ver. |
nicht daran saugen“). c) Einen großen Magen, durch den Zug einer großen
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1294 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
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wachsung an der Grundphalanx trennen, Einderfolg noch unbestimmt.
Heimann nahm eine Strecksehne der Zehen, Erfolg nicht gut. Bier
findet im vorgestellten Falle das Resultat zweifelhaft, die neue Sehne be-
wege nur die Grundphalanx. Wullstein berichtet von Versuchen, die
Vena saphena als Ersatz zu nehmen, Klapp nahm die freie Fascie.
7. Sticker: Präparate von Fremdkörpergranulom.
8. Kürper weist auf die Ursache und Bedeutung der Magen-
Darmblutungen nach Netzunterbindung bin. Sonnenburg hat solche
Blutungen auch nach Netzplastik gesehen. Bier empfiehlt therapeutisch
Magenspülungen. Ernst Unger (Berlin).
Physiologische Gesellschaft. 7. Sitzung am 7. Juni.
l (Offizieller Sitzungsbericht.)
1. Külbs: Vergleichende Anatomie und Histologie des His-
schen Bündels. K. streift zuerst die Embryologie und erklärt, wie sich
aus den muskulösen Verbindungen der vier primitiven Herzabschnitte das
Reizleitungssystem entwickelt, Nachdem His d.J. im Jahre 1888 festgestellt
hatte, daß beim Menschen und beim Säugetiere die bis dahin von Ana-
tomen und Physiologen angenommene Trennung von Vorhof und Ven-
trikel keine vollständige sei, nachdem Retzer und Bräunig, Aschoff
und Tawara und viele Andere diese Hisschen Ergebnisse bestätigt
hatten, lag der Gedanke nahe, den Aufbau des Reizleitungssystems ver-
gleichend anatomisch zu verfolgen. An der Hand von Wachsmodallen
zeigt Vortragender, wie bei Fischen, Amphibien und Reptilien durch eine
einfache Einstülpung des Vorhofs eine muskulöse Verbindung des zweiten
und dritten Abschnitts zustande kommt, wie im Gegensatz dazu bei
Vögeln trotz der nahen Beziehung zu Reptilien die Verbindung durch
zwei an der Hinterseite des Herzens gelegene und durch ein im Septum
verlaufendes Muskelbündel bewirkt wird, wie bei Säugern und bei
Menschen schließlich ein in seiner Anlage und besonders in seinen Aus-
läufern kompliziertes System resultiert. Mikroskopisch ist dies System
bei Menschen und bei Säugern durch specifische Zellelemente (Pur-
kinjesche Fasern) gekennzeichnet. Auch bei Vögeln läuft das Ueber-
gangsbündel in specifische, histologisch als Purkinjes anzusprechende
Zellen aus, während bei den niederen Tieren die Verbindungsfasern sich
kaum von der umgebenden Muskulatur unterscheiden. K. geht dann auf
die von Wenckebach und von Keith und Flack festgelegte Sinus-
vorhofsverbindung ein und betont, daß im Gegensatz zu den Fischen,
Amphibien, Reptilien, wo ein einfacher Uebergang am peripheren Ende
der Klappen erfolgt, bei den Vögeln sich diese Verbindung durch Pur-
kinje ähnliche Zellen charakterisiert. Bei dieser histologischen Skizzie-
rung erläutert Vortragender an Mikrophotogrammen, wie bei Säugetieren
und bei Menschen das Reizleitungssystem mit zahlreichen Nerven und
Granglienzellen in Beziehung tritt, wie in absteigender Reihenfolge die
nervösen Elemente immer spärlicher werden. Es ist also im gesamten
Wirbeltierreich ein in seiner Anlage und Ausdehnung fast gleichmäßig
sich entwickelndes muskulöses Bündel vorhanden. Daß dieses Ueber-
gangsbündel der Reizleitung dient, ist durch die pathologische Anatomie
des Menschen und der Säugetiere, durch experimentelle Untersuchungen
und auch durch die vergleichende Anatomie sichergestellt.
2. Tierarzt Klein, Assistent am tierphysiologischen Institute der
Landwirtschaftlichen Hochschule, hält den angekündigten Vortrag: Der
Energieaufwand des Rindes bei Arbeit. Die Größe des Energiebedarfs
bei der Arbeit ist beim Menschen, dann bei unserm wichtigsten Arbeits-
tier, dem Pferd, und bei unserm bequemsten Versuchstiere, dem Hunde,
genau untersucht. Für das Rind liegen bisher keine Angaben vor.
So habe ich denn unter Leitung von Prof. Zuntz auch über das
Rind, das hauptsächlichste Arbeitstier in unsern kleinbäuerlichen Wirt-
schaften, Untersuchungen in gleichem Sinne durchzuführen begonnen.
Das tierphysiologische Institut besitzt seit drei Jahren einen jetzt zirka
vierjährigen Ochsen in guter Konstitution, der zu Respirations- und
Stoffwechseluntersuchungen dient. In dem neuerbauten Zuntzschen
Universalrespirationsapparate sind speziell für Arbeitsversuche Einrich-
tungen getroffen. Sie bestehen neben Vorrichtungen zur Messung der
Zugarbeit in einer im großen Kasten befindlichen, in die Höhe und Tiefe
verstellbaren Tretbahn. Durch den die Tretbahn in Bewegung setzenden
Elektromotor ist die Möglichkeit gegeben, das Tier von der langsamsten
bis schnellsten Gangart gehen zu lassen. Die Zahl der Umdrehungen
wird durch einen Schleifkontakt auf eine rotierende Papierrolle über-
tragen, auf der auch eine Minutenuhr die Zeitkurve schreibt. Außerdem
gehört zu diesen Untersuchungen eine neben dem Kasten stehende große
Gasuhr, welche mit der Trachea des im Kasten arbeitenden Tieres ver-
bunden werden kann. Ich führte also die Versuche nach dem Zuntz-
' schen Prinzipe durch, dessen sich auch Pächtner!) bediente, der als
erster am Rinde Ruheversuche durchführte.
ı) Pächtner, Respiratorische Stoffwechseluntersuchungen am
Rinde. Richard Schötz Verlag, Berlin.
4. August,
Zum Beweise, mit welcher Leichtigkeit die große Gasuhr spielte,
möchte ich nur erwähnen, daß der Widerstand, den die Exspirationsluft
beim Durehgange durch die Gasuhr zu überwinden hatte, bei ruhigem
Atmen im Stehen nicht mehr als 2 mm Wasser betrug. Die Atmung
wurde dann als eine rubige bezeichnet, wenn die Größe des ventilierten
Minutenvolumens gleichmäßig geworden ist; so betragen z.B. pro Minute
die Volumina in den Versuchen vom 7. März 53, 51, 57, 56, 5i, 60, 57,
58, 54, 51, 53, 53 l. Die Zahl der Atemzüge schwankt zwischen 20 bis
22. Es wurden Marschversuche auf horizontaler und ansteigender Bahn
durchgeführt. Die Arbeitsgröße richtete sich nach praktischen Gesichts-
punkten. Das Rind vor dem Pflug oder am leichten Wagen legt auf
horizontaler Straße pro Stunde bis 3 km zurück und von einem alten
Afrikaner ließ ich mir erzählen, daß die Ochsen, die als Reittiere ver-
wandt wurden, ebenfalls bis zu 8 km pro Stunde gingen. Wenn Rinder
keine schnellere Gangart besitzen, so liegt es vielleicht daran, daß die
Hinterbeine im Bogen vorgesetat werden. Wird dadurch schon trotz des
längeren Schwebens des Hangbeins und der größeren Belastungszeit des
Stützbeins der Schritt verkürzt, so wird noch durch das Verlegen der
Schwere der Hinterhand auf das jeweilige Stützbein der Schritt schwan-
kend und schwerfällig. Je schneller nun der Schritt wird, desto öfter
muß das Rind den Schwerpunkt der Hinterpartie von einer Seite auf die
andere verlegen, desto plumper wird der Gang, desto rascher ermüdet
das Rind. Aus diesem Grunde wurde der Tretbahn eine Geschwindigkeit
erteilt, die der eben erwähnten von zirka 3 km in der Stunde ent-
sprach,
: Die Versuche wurden bei gleicher Geschwindigkeit durchgeführt,
in der Annahme, daß das Tier, auf diese Geschwindigkeit trainiert, am
ökonomischsten arbeiten würde, der Energieaufwand für die geleistete
Arbeit am geringsten sein dürfte.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das während
der Versuche 633 bis 641 kg wiegende Tier atmete in Ruhe stehend
66 bis 78 1 pro Minute, horizontal mit 48,2 m Geschwindigkeit pro Mi-
nute gehend, 168 bis 181 1; bei derselben Geschwindigkeit 6,3 m auf
100 m Weg steigend, 190 bis 251 1. — Der COs-Gehalt der exspirierten
Luft schwankte bei Ruhe und horizontalem Schritte zwischen 3,46 und
8,91% und stieg beim Bergaufgehen bis auf 4,06 %/,.
Der Sauerstoffverbrauch des Tiers schwankte bei ruhigem Stehen
zwischen 2576 und 2772 ccm in sieben Versuchen. Im Mittel betrug er
2703 ccm.
Bei horizontalem Schritte war der O-Verbrauch 5907 bis 6480, im
Mittel von vier Versuchen 6143 cem.
Beim Bergaufsteigen endlich 7870 bis 9340, im Mittel von fünf
Versuchen 8720 cem.
Der respirieratorische Quotient zeigt in den verschiedenen Reihen
keine charakteristische Differenz, er beträgt im Mittel
bei Ruhe . . . . . . 0,916
„ horizontalem Schritt . 0,922
„ Bergaufgehen . . . 0,9.
Um meine Versuche mit den früher an andern Tierarten an-
gestellten vergleichen zu können, wurde, wie in den älteren Versuchs-
reihen, von dem Energieaufwande für die Arbeit der des ruhenden Tiers
abgezogen und der Rest durch das Körpergewicht und den zurückgelegten
Weg in Metern dividiert. So ergibt sich der Verbrauch pro Kilogramm
und Meter-Weg. Nach Versuchen am Menschen stellt sich der Energie-
aufwand pro Kilogramm und Meter auf horizontaler Bahn auf 0,55 bis
0,56 calorien, beim Hunde von 36,6 kg auf 1,94 calorien, bei einem solchen
von 5 kg auf 2,68 calorien; beim Pferde beträgt. der Umsatz 0,87 ca-
lorien. (Als Maximum wurden 0,62 calorien bei einem stark Jahmenden
Tiere beobachtet) Aus dem Vergleich des Verbrauchs vom Menschen
mit dem des Pferdes und Hundes ergibt sich, daß der Verbrauch für die
Bewegung von 1 kg Körpergewicht um 1 m auf horizontaler Bahn um
so geringer ist, je größer das Tier. Er ist annähernd proportional der
Körperoberfläche,
Der Verbrauch für die Horizontalbewegung auf gleiche Körper-
oberfläche umgerechnet ergibt nämlich folgende Werte:
Hund . . 1,4 bis 1,95 calorien
Mensch. . . . . 227 „
Pferd . . . . . 28i „
Durch Untersuchungen an Hunden verschiedener Größe wurde von
Slowzow festgestellt, daß dieses Gesetz bei Vergleich verschieden großer
Tiere derselben Species zu Recht besteht.
Meine Versuche ergeben, daß das Rind 0,53 bis 0,55 calorien für
1 kg Gewicht und 1 m auf horizontalem Wege gebraucht, oder auf die
Körperoberfläche umgerechnet 4,6 calorien. Bei ihm hat sich das eben-
erwähnte Gesetz nicht bewahrheitet. Der höhere Verbrauch läßt sich
vielleicht mit der oben erörterten für schnelle Lokomotion unzweck-
mäßigen Gangart des Rindes erklären (Paßgang).
N: _ = z ei a er. —
4, August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. 1295
Don Horizontalmärschen, die in der Regel 20—25 Minuten dauerten,
schloß sich unmittelbar der Bergaufmarsch an, der ebenfalls 20 bis
95 Minuten währte. Das Tier zeigte nach dieser Arbeitsleistung keine
merkbare Ermüdung. Es fühlte sich wohl wärmer an, doch war keine
Schweißbildung zu beobachten.
Die Temperatur, die normal 38,50 betrug, war unmittelbar nach
dem Stillstande der Bahn 38,9%, Die Ventilstionsgröße pro Minute, die
im Ruheversuch durchschnittlich 57 bis 59 1 bei 20 bis 22 Atemzügen
betrug, stieg beim Horizontalmarsche im Durchschnitt auf 170 1 bei
50 Atemzügen. Die Atmung war nach 10 bis 15 Minuten wieder zur
Norm zurückgekehrt.
Der Gaswechsel betrug auf 1 kg Körpergewicht pro Minute
in Ruhe . . . . . . 4325 ccm Os
3,835 „ COs
bei Horizontalmärschen . 9,0 » 0»
83 „ CO
also über das Doppelte des Ruheverbrauchs;
bei Märschen bergauf . 13,43 „ Os
11,88 „ COs
also genau das Dreifache des Ruhewerts. |
Der Energieaufwand für 1 mkg Steigarbeit schwankt nicht uner-
heblich, was sich zum Teil aus den Unregelmäßigkeiten des Ruhever-
brauchs erklärt. In zwei Fällen liegt der Verbrauch für i mkg Arbeit
zwischen 4,7 und 5,7 Calorien, das sind so niedrige Werte, wie sie bis-
her in guten Versuchen nicht beobachtet wurden. Die übrigen Zahlen
entsprechen mit 6,52 bis 7,7 Calorien durchaus den bei den andern Ver-
suchstieren und beim Menschen beobachteten Werten. Auffallend ist,
daß die höchsten Werte bei der etwas größeren Geschwindigkeit von
60,1 m beobachtet wurden. Weitere Versuche müssen feststellen, ob eine
so geringe Geschwindigkeitssteigerung wirklich schon ein Anwachsen des
Verbrauchs bedingt.
Daß die Schwankungen ‘noch im Bereiche der Versuchsfehler liegen,
ergibt sich, wenn man unter der Annahme, daß die Steigarbeit bei diesen
zwei Geschwindigkeiten unverändert geblieben sei, den Verbrauch für
i kg und 1 m Weg Horizontalarbeit berechnet. Der Energieaufwand
steigt bei der- größeren Geschwindigkeit von 0,54 auf 0,598 Calorien.
Die Zunahme liegt noch innerhalb der bei den Horizontalwerten beob-
schteten Schwankungen.
Ich möchte nun das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen noch ein-
mal in zwei Sätzen zusammenfassen: Die Größe des Verbrauchs für
1 mkg Steigarbeit stimmt bei den verschiedenen Tierspecies überein, da-
gegen weist das Rind bei der Horizontalbewegung im Verhältnis zu
‚seiner Größe einen viel höheren Energieverbrauch auf, als die bisher
untersuchten Tierarten.!)
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 24. Juli 1912.
Vor der Tagesordnung demonstriert Bickel an Pflanzensamen den
hemmenden Einfluß der Bestrahlung mit Thorium X auf die Keimfähig-
keit und die Entwicklung der Pflanzen. Mosse stellte zwei Fälle von fami-
ärem hämolytischen Ikterus (chronisch acholurischem Ikterus mit Spleno-
megalie) vor.
Tagesordnung: Sticker: Anwendung des Radiums und des
Mesothorlums bei Geschwülsten. St., welcher durch die Akademie der
Wissenschaften und die Radiogengesellschaft in den Besitz größerer
Mengen Radiums und Mesothors gelangte, stellte an einem großen klini-
schen Material Vergleiche über die biologische Wirkung der beiden radio-
aktiven Substanzen an. Er spricht dem Radium eine größere Tiefen-
wirkung als dem Moesothor zu und findet, daß bei ersterem die nekroti-
'sierende Wirkung, bei letzterem die exsudativen Prozesse in den Vorder-
grund treten.
i Er berichtet sodann über Versuche, die biologischen Wirkungen
er radioaktiven Substanzen durch Anämisierung und Anästhesierung der
= bestrahlenden Gewebe zu erhöhen. Die Erfolge waren gering, dagegen
onnte bei Aufladung des Körpers mit positiver Elektrizität eine ver-
stärkte Reaktion beobachtet werden.
St. teilt sodann eine Reihe von Krankengeschichten mit — einige
i anken konnten demonstriert werden —, um die tumorauflösende Wir-
wg des Radiums bei Carcinomen und Sarkomen zu zeigen. Es handelte
Te
Éni p? Erwähnt sei noch, daß ich auch einige Bestimmungen der CO3-
ko scheidung nach der modifizierten Regnault-Reiset-Methode am voll-
Pre frei ohne Trachealkanüle auf der Tretbahn gehenden Tier aus-
Sr habe. In diesen Fällen war die Babn nicht ganz horizontal, die
ne betrug pro 1 m Weg 2,62 cm. Die Steigerung der COs-Aus-
i Was gogenliber ‚dem Ruhewerte berechnet sich auf 0,1196 ccm pro
= we und i kg; hiervon geht für Steigarbeit 0,0857 cem ab. Es bleiben
Fort Je reine Horizontalbewegung 0,0839 cem COs, was mit dom Mittel-
Pr der Kanülenversuche 0,0902 ccm befriedigend übereinstimmt.
sich um Narbenrezidive und Rezidive der regionären Lymphdrüsen nach
umfangreichen Operationen. In Fällen, welche erst wenige Wochen alt
waren, konnte schon nach wenigen Bestrehlungen, in älteren Fällen nach
durch Wochen und Monate fortgesetzter Bestrahlung Wachstumsstillstand
und Schwund der Tumoren beobachtet werden. (Autoreferat.)
Diskussion. Werner (Heidelberg) a. G.: Seit dem Jahre 1904
werden am Samariterhaus in Heidelberg Versuche gemacht, auf Ge-
schwülste mit Cholin einzuwirken. Anfangs waren die Resultate ohne
wesentliche Erfolge. Das Präparat war auch wenig stabil. Daher ging
men dazu über, Salze des Cholins anzuwenden, vor allem die Jod-
Benzoe- und die Borsäureverbindung. Der Ausfall der Experimente er-
gab einen vollkommenen Parallelismus der Wirkung auf das Blut zu den
Röntgenstrahlen. Auch am Hoden zeigte sich als Folge der Behandlung
Azoospermie. Bei den Tumoren der Mäuse war anfangs wenig zu seben.
Indessen nach ein bis zwei Wochen blieben sie stabil und nach sechs
bis acht bis zehn Wochen kam es, auch wenn nicht mehr behandelt
worden war, zu einer Rückbildung der Geschwülste.e Die wirksame
Dosis umfaßte etwa den vierten Teil der letalen Dosis. Es wurden in
Rücksicht auf die relative Ungiftigkeit der Präparate auch bei Menschen
Injektionen gemacht zunächst zur Orientierung. In einigen Fällen kam
es nach längerer Behandlung zu einer Schrumpfung in andern Fällen zu
einer Verflüssigung der Geschwülste. Einige Stunden nach der Injektion
trat eine Reaktion am Tumor auf, die nach zirka 24 Stunden vorüber
war. Die weiteren Prozesse traten aber erst einige Tage später auf. Es
wurde dann eine Kombination der Cholinpräparate mit metallischen Kol-
loiden angeweudet. Bei Tieren erwies sich diese Kombination in ihrer
Wirkung als beschleunigend.. Die wirksame Dosis betrug auch bei
diesen Präparaten etwa den vierten Teil der letalen. Es wurde ferner
Thorium X in wöchentlichen Zwischenräumen, im ganzen vier Millionen
Einheiten in vier Wochen eingespritzt. In der Zwischenzeit fand Cholin-
behandlung statt. Diese Behandlung hat sich als die wirksamste bisher
erwiesen. Tsusi (Heidelberg) a. G.: Bei der Einspritzung mit Cholin-
präparaten tritt im Blute Leukopenie mit relativer Leukocytose auf, Ver-
änderungen, welche denen nach Röntgenbestrahlung entsprechen. Die
Heilung der Tumoren, die nach der kombinierten Behandlung mit Cholin
und Metallkolloiden in drei Wochen einzutreten pflegt, beginnt damit,
daß in der Mitte des Tumors eine Hämorrhagie eintritt. Vortragender
demonstriert Diapositive behandelter Tumoren. Kraus: Ueber die
Wirkung von Radium und Thorium auf Carcinome hat K. keine Erfah-
rungen. Bei seinen bezüglichen Untersuchungen kam so wenig heraus,
daß auf eine Weiterführung der Versuche sehr bald verzichtet wurde.
Dagegen hat K. günstige Erfahrungen bei Geschwülsten aus der Lymphom-
gruppe gesammelt. Lymphome am Hals und im Mediastinum wurden
nach Thoriuminjektion entschieden kleiner und unter Umständen wurden
die Tumoren soweit verkleinert, daß man von Heilung sprechen konnte.
Einen Mediastinaltumor hat K. zwar nie völlig verschwinden sehen,
aber er sah doch eine wesentliche Verkleinerung. Die Gefahren der
Thorium X-Lösung resultieren aus der wiederholten Injektion. Die
von Neuberg angegebene Therapie zeigt, daB die Zeit für eine solche
Therapie erst reif werden mußte; denn schon vor langen Jahren hatte
Adamkiewicz in Wien ein Verfahren angegeben, das damals aus
Gründen zurückgewiesen wurde, die heute nicht mehr als richtig anzu-
sehen sind. Adamkiewicz hat einen Prozeß, den die Natur selbst ein-
leitet, in den Tumoren hervorrufen wollen, den man heut Autolyse nennt.
Erst durch die Lehre von der Autolyse sind wir jetzt so weit, daß wir
sagen können, es ist richtig, daß wir ein von der Natur bereits be-
gonnenes Verfahren zur Heilung von Tumoren verwenden. Meidner
berichtet über die im Krebsinstitut gewonnenen Erfahrungen mit der
Behandlung von Tumoren mittels Radium und Mesothorium, die im ganzen
negativ ausfielen. Pinkus: Bei allen Fällen, in denen das Carcinom
tief liegt, hat P. von der Behandlung mit Thorium X keine Erfolge go-
sehen. Die Anwendung von Thorium X darf nur in Fällen erfolgen, wo
eine chirurgische Anwendung nicht möglich ist, sodaß es sich um einen
Ersatz der Chirurgie handelt. Fedor Krause: Im Januar dieses Jahres
trat ein Kranker mit einem kleinen Sarkom der Schulter in seine Beob-
achtung, der durch einen operativen Eingriff sicher geheilt worden wäre.
Der Kranke hat sich nicht operieren lassen, sondern sich an anderer
Stelle der Radiumtherapie unterworfen. Heut ist der Befund derartig,
daß eine Exstirpation des ganzen Schultergürtels vorgenommen werden
muß. Krause warnt davor, operable Tumoren mit Radium oder sonstwie
anstatt chirurgisch zu behandeln. Isaak ergänzt die AusführungenStickers
über die erwähnten Fälle von Hauterkrankungen, soweit sie aus der Klinik
von I. stammen. Saalfeld: Vor der Einwirkung der radioaktiven Substanzen
hat S. die Haut der Patienten mit Kohlensäureschnee sensibilisiert. Anstatt
Staniol hat er belgische und japanische Münzen angewendet, die in der Mitte
ein Loch haben. Bei der Anwendung von Radium und Thorium hat S.
recht unangenehme Nebenerscheinungen gesehen. S. hält es für not-
wendig, die Indikationen der Behandlung genau festzustellen. Die Be-
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1296 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
handlung der Naevi mit radioaktiven Substanzen ist nicht von so glänzen-
dem Erfolge, wie von vorschiedenen Seiten behauptet wird. Schön-
stadt fragt den Vortragenden, in wie vielen Fällen er ergebnislos be-
handelt hat. Cancroide heilen auch unter einer andern Therapie. Krebs-
metastasen verschwinden mitunter ohne Therapie. v. Hansemann:
Früher war man nicht so nachsichtig mit dem Begriffe Heilung. Ver-
schwinden oder Kleinerwerden eines Tumors ist noch keine Heilung.
Rundschau.
Besonders Sarkome wechseln in ihrer Größe und sehen oft aus als wenn
sie geheilt wären, und doch gehen die Patienten an ihnen zugrunde. Es
handelt sich bei der Krebsheilung um einen Wechsel auf die Zukunft
und es ist fraglich, ob der Wechsel eingelöst werden wird. Werner
weist darauf hin, daß er beim Menschen nicht von Heilung gesprochen
hat, Vielleicht wird man aber doch in späteren Jahren von Heilung auch
beim Menschen sprechen können. Sticker: Schlußwort.
Fritz Fleischer.
Redigiert von Dr, Erwin Franck, Berlin.
Geschichte der Medizin.
Vor hundert Jahren.
Die ärztlichen Heroen der napoleonischen Epoche
von
Dr. Iwan Bloch, Charlottenburg.
IL |
Pierre François Percy (1754—1825), dem die Dankbarkeit der
Soldaten den Titel „Vater der Militärchirurgie“ beilegte, der sich selbst
bescheidener und für uns Deutsche ehrenvoller dem König Friedrich
Wilhelm III. zu Tilsit mit den Worten vorstellte: „Je suis le Görcke de
l’arınde française“ (vgl. Johann Görckes Leben und Wirken, Berlin 1817,
S. 106—107), ist neuerdings durch sein von Emil Longin zum ersten
Male herausgegebenes „Feldzugs-Journal“ (Deutsche Ausgabe von Bep-
pina von Weinbach, Leipzig 1906, 2 Bände) als Schriftsteller ebenso
berähmt geworden wie Larrey, den er an gründlicher allgemeiner Bildung
sogar überragt.
| Als ein Schüler des berühmten Chirurgen Louis errang Percy
schon in jungen Jahren bei den Konkurrenzen fast Jahr für Jahr die
ersten akademischen Preise, unter anderem verfaßte er auch eine Arbeit
über die Vorteile und Nachteile des künstlichen Schlafes vor oder nach
den Operationen. In den Revolutionskriegen wurde er zum „chirurgien
consultant de l'armée du Nord“ ernannt, aber erst im Feldzuge von 1800
kamen seine Talente als Arzt und Organisator erst recht zur Geltung.
Besonders verbesserte er das Ambulanzwesen. Er war der Erfinder der
Transportvorrichtung „le Wurst“, eines langen, rundlichen Kastens, in
dem das Material lag und auf dem das Personal saß und das von sechs
Pferden gezogen wurde. Ferner konstruierte er einen sinnreichen Re-
traktor bei der Oberschenkelamputation. Nach Beendigung des Feldzugs
wurde er „Generalinspektor des Gesundheitsdienstes der Armee“ und
hielt in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts außerordentlich
interessante und vielbesuchte Vorlesungen an der Ecole de santé.
Die Tage von Austerlitz, Jena, Eylau, Friedland, der spanische
und österreichische Feldzug bedeuteten die Höhepunkte in Percys
Tätigkeit als Organisator des Militärsanitätswesens, die auch äußerlich
von Napoleon durch die Ernennung zum Baron anerkannt wurde. Seine
Fürsorge für die verwundeten Preußen trug ihm die Mitgliedschaft und
die große goldene Medaille der Akademie der Wissenschaften in Berlin
ein. Die erstere erhielt er wohl auch im Hinblick auf seine wissen-
schaftlichen Studien. So hielt er 1811 im Institut einen interessanten
Vortrag über die Altäre und Grabmäler der alten Völker des Nordens,
ferner veröffentlichte er eine Gedenkrede auf Anutius Foesius, den
berühmten Hippokrates-Uebersetzer, und errang 1812 mit einer Arbeit
über die Wohltätigkeits- und Sanitätseinrichtungen der Alten den Preis
der Société des sciences von Mâcon. Während der Restauration zog
Percy sich auf sein Landgut zurück und beschäftigte sich mit der
Kultur seiner Felder und Weinberge und mit der unentgeltlichen Be-
handlung und Speisung armer Kranker. Das Wort, daß nur ein guter
Mensch ein guter Arzt sein kann, paßt ganz und gar auf Percy. „Das
sicherste und anständigste Mittel, der Versuchung, die Menschen zu
hassen, zu widerstehen, besteht darin, sich selbst dazu zu verurteilen,
ihnen immer nützlich zu sein“. Das war die Quintessenz seiner Lebens-
philosophie. Furchtlos sah er, als die Symptome eines schweren Herz-
leidens sich bemerkbar machten, dem Tod entgegen. Als er sein Land-
haus verließ, um nach Paris zurückzukehren, wußte er, daß er es nicht
wiedersehen werde. Daher schrieb er unter die Inschrift „Dum spiro
spero“ am Eingang in den Garten die melancholischen Worte: „Speravi,
spe erravi*. Er starb am 18. Februar 1825 nach einer langen, qualvollen
Agonie. Sein Neffe berichtet über seine letzten Tage: „Bis zum Ende
verließ ihn seine Intelligenz nicht. Ich sah ihn vierzehn Tage vor
seinem Tod, umgeben von seinen alten Kollegen, unter denen sich auch
der Patriarch der französischen Medizin, der berühmte und gelehrte
Portal befand, eine wissenschaftliche Konversation fast ganz allein
führen, in der er uns durch seinen weiten Blick und seine geistreichen
Betrachtungen in Erstaunen setzte.“
Der hier erwähnte Antoine Portal, der „vieux Portal“, wie er
sich gerne nennen ließ, ragte wie eine Ruine aus alter Zeit in diese
Periode hinein — er überlebte noch die Julirevolution (geboren 1742,
gestorben 1832). Am meisten bekannt ist er durch sein großes Werk
über die Geschichte der Anatomie und Chirurgie (Paris 1770 bis 1713,
7 Bände). Portal hielt vielbesuchte anatomische Vorlesungen im Jardin
des Plantes und erfreute sich einer ausgedehnten ärztlichen Praxis.
Veron (a. a. 0O.. Bd. 1, S. 808) schildert ihn folgendermaßen:
„Portal, der Gascogner, kannte seine Leute, noch jang, batte er
die Haltung und Physiognomie eines Greises angenommen: Perrücke,
Stock mit Goldknopf und Frack mit breiten Schößen; im Winter der
seidene Ueberrock in Marceline; dieses Kostüm trug er vor der Revolution
von 1789, unter dem Direktorium, dem Konsulat, unter dem Kaiserreich
und unter der Restauration. Ludwig XVII. und die Emigranten fanden
ihn wieder, wie sie ihn verlassen hatten. Er hatte eine ganz dünne,
schwache Stimme, und sie versagte ihm, wenn man ihn mit kitzlichen
Fragen drängte.“ |
Bescheidenheit war nicht die Zierde dieses schlauen Alten, der
mit unermüdlichem Eifer bemüht war, von sich reden zu machen, und
sogar einen an Charlatanerie grenzenden Schwindel nicht verschmähte,
um den Leuten Sand in die Augen zu streuen. So bezahlte er z. B,
Droschken, die vor seinem Hause halten mußten, und wenn er sich auf
Besuchen oder Konsultationen befand, so kamen Vertraute herbeige-
sprungen, um ihn zu dem Fürsten soundso, zu der Frau Herzogin so-
undso zu holen.
In Vérons Besitze befanden sich sehr interessante Dokumente
über die umfangreiche Praxis des alten Portal, nämlich seine Visiten-
bücher aus den Jahren 1781—1812, zum Teil von Portal selbst, zum
Teil von einem Bedienten geschrieben, kleine Hefte von sehr grobem
Papier, ganz wie das Ausgabebuch einer Köchin. Am Schlusse jedes
Jahres rechnete Portal mit eigner Hand das finanzielle Ergebnis seiner
Besuche zusammen:
1781 . . . . . . 16264 Francs
1785 . . . . . . 31226 „
1786 . . . . . . BOST p
1787 (erstes Halbjahr) 23004 „
1789 .. .. . . 48218 „
{790 . . . . . . 30766 ,
1793 (erstes Halbjahr) 12637 „
1809 .... 29319 „
Man erkennt aus dieser Liste deutlich die Abnahme der Praxis
oder der Honorare unter dem Einflusse der Revolution (vgl. die Jahre
1790 und 1793). ;
Nach seinen Visitenbüchern berechnete Portal seine Besuche mit
6 bis 12 Francs, seine Konsultationen mit 24 bis 48 Francs. Aber er
begnügte sich bei gewöhnlichen Leuten, die er namentlich nicht aufzählt,
auch mit 3 Francs.
In den ersten Jahren der Revolution bestand Portals Klientel
aus den vornehmsten Namen der einheimischen und fremden Aristokratie,
sowie berühmter Persönlichkeiten des Tages, wie z. B. Herr und Frau
Necker, d’Alembert, Mile. Contat, die Schauspielerin Clairon,
Dazincourt und Andere.
Vom Oktober 1785 bis Juni 1786 machte Portal dem Kardinal
v. Rohan, der wegen der bekannten Halsbandgeschichte in der Bastille
gefangen saß, etwa 50 Besuche, im Dezember 1785 sogar dreimal täglich.
1788 wurde er nach Versailles zum Dauphin berufen und erhielt dafür
240 Francs. Er war damals Leibarzt des Grafen v. Artois. Auf einer
Seite von Portals Visitenbüchlein liest man: Incision bei der Prinzessin
Charlotte von Lothringen: 48 Francs.
In den Büchern von 1793 figurieren nur noch die Trümmer der
ehemaligen aristokratischen Klientel Portals. Statt der Titel findet sich
überall „Herr“ und „Madame“, aber zum damals üblichen republikanischen
„citoyen“ und „citoyenne“ konnte sich dieser ganz im Ancien régime
wurzelnde Arzt nicht entschließen. Ein interessanter Name aus diesem
Jahre fällt vor allem auf: Madame Roland! ;
, Die napoleonische Zeit verminderte den Ruhm Portals in keiner
Weise, er genoß nach wie vor als konsultierender Arzt das größte An-
nn G
Oen o a e a er aa
4, August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31. 1297
* —— na») —
sehen. Unter Anderen zogen ihn Karl IV., König von Spanien, die Ge-
mahlin von. Joseph Bonaparte, die Fürstin Borghese, der Marschall
Masséna, der Kardinal Caprara zu Rate.
Von Beziehungen des Kaisers selbst zu Portal ist nichts bekannt
geworden. Napoleon hatte im Felde gewöhnlich den ärztlichen Rat von
Desgenettes und Larrey zu seiner Verfügung und außerdem als offi-
zielle Leibärzte Boyer und Corvisart.
Alexis Boyer!), der sich vom armen Barbierlehrling zum Ober-
arzt der Charité, Professor an der Universität und ersten Wundarzt Na-
poleons emporarbeitete, ist besonders bekannt durch sein großes Hand-
buch der Chirurgie, das umfassendste seit Paré (elf Bände, Paris 1814
bis 1826), das sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Deutsch-
land (in der Uebersetzung von C. Textor) großen Ansehens erfreute.
Véron schildert seine Persönlichkeit mit folgenden Worten: „Der Vater
Boyer, den ich länger als ein Jahr hindurch alle Morgen sah, hatte in
seinen Büchern über Anatomie und äußere Pathologie die einfachsten
Methoden aufgestellt und ungemein viel Verstand und praktischen Sinn
entwickelt,- Boyers große Gelehrsamkeit und seine gewissenbaften Ar-
beiten standen in allgemeiner Achtung; seine bürgerlichen Sitten, sein
edler und ehrlicher Charakter erregten bei niemand Anstoß; Boyer wurde
zum Chirurgen des Kaisers und später unter der Restauration zum kon-
sultierenden Chirurgen des Königs ernannt, ohne daß er etwas verlangt
hatte, Bei der Auflösung der Schule wurde er als Professor beibehalten.
Er war ein kleiner, etwas beleibter, harmloser Mann. Gegen Ende seines
Lebens riß er über alle neuen Entdeckungen schlechte Witze; zu einem
Rheumatismuskranken, der ibn in meiner Gegenwart fragte, ob die (da-
mals neu aufgekommenen) Dampfbäder ihm wohltun würden, sagte er:
„Nehmen Sie welche, aber sputen Sie sich! Nehmen Sie die Bäder, so-
lange sie heilen.“ Er liebte das Studium und arbeitete täglich. Er be-
reicherte die Wissenschaft nicht mit vielen Neuerungen und großen Ent-
deckungen, aber er hat in seinen klassischen Büchern den Stand der
Wissenschaft bis zu seiner Zeit gewissenhaft zusammengefaßt.“
Gern hätte Boyer den.Kaiser in die Verbannung nach St. Helena
begleitet, aber sein Alter und seine Familie ließen dies nicht zu:
Aerztlich-soziale Umschau.
Die Bedeutung der neuen Reichspostkrankenkasse für die Aerzte.
Während ein großer Teil der deutschen Aerzte, soweit die Schwierig-
keit der Beschaffung eines geeigneten Vertreters zu angemessenen Be-
dingungen es ihnen nicht unmöglich gemacht hat, die Lasten und Sorgen
des Berufs für einige Zeit-von sich geworfen hat und fern von Madrid
neue Kräfte sammelt für die schwere Winterarbeit, ist eine solche Ruhe-
pause den Leitern unserer Organisation nicht vergönnt. Eine neue, ver-
aniwortungsreiche, schwierige Aufgabe ist dem Vorstande des Leipziger
Verbandes durch die am 7. Juli in Leipzig abgehaltene Beiratssitzung
übertragen worden, von deren Durchführung letzten Endes das Wohl der
ganzen Asrzteschaft beeinflußt werden muß.
Bereits seit langer Zeit bestanden bei der Reichspost sogenannte
Postkrankenkassen für die Unterbeamten und Arbeiter, die allerdings
nach örtlich ganz verschiedenen Gesichtspunkten sowohl bezüglich der
Mitgliedschaft wie des Arztsystems und der Honorierung der ärztlichen
è eingerichtet: waren.
‚,, „Nun aber tritt das Reichspostamt mit einem Plan an die Oeffent-
lichkeit, wonach die gesamte Postunterbeamtenschaft in einer
sich über das ganze Reich erstreckenden Krankenkasse ver-
einigt werden soll, und zwar mit einer geradezu befremdenden Eile: die
Kasse soll schon am 1. Dezember dieses Jahres ins Leben treten.
Ueber ‚die finanziellen Grundlagen sind die — unseres Erachteus völlig
Wizureichenden — endgültigen Festsetzungen schon getroffen. Das Unter-
nehmen soll auf einen jährlichen Zuschuß der Reichspostverwaltung (in
Höhe von einer halben Million Mark) und Beiträgen der Mitglieder aufgebaut
werden. Diese Beiträge sind: monatlich 0,50 M für unverheiratete Unter-
Keane, für verheiratete 1 M, für Familienväter mit mehr als vier Kindern
5 M. Von der Gesamtsumme dieser sehr bescheidenen Einzahlungen
sollen noch 10 fo abgezogen werden, um einen Reservefonds zu bilden:
i lo sollen als örtlicher Reservefonds angelegt werden, 4°/, an eine
ee ‚überwiesen werden, die aus den so angesammelten Mitteln
à gentlich einzelne besonders schwer belastete Kassen unterstützen
nn Ueber die Versicherungsleistungen ergehen sich die Notizen bisher
io wi allgemein gebaltenen Andeutungen. An Krankengeld ist natür-
jährlich 8 sich um Beamte handelt, nicht gedacht. Die Mitglieder sollen
= bis zu 26, die Familienangehörigen bis zu 18 Wochen freie Be-
Be en Arznei oder Unterkunft in Heilstätten erhalten. Doch
l : . s °
Curro, ) yal ipg nt eaan, Alexis Boyer, 1757—1833. Sa vie, son
sprechen mehrere Anzeichen dafür, daß größere Operationen, Geburts-
hilfe und dergleichen davon ausgenommen werden. Bei der geplanten
schwachen finanziellen Grundlage ist das sehr begreiflich.
Wir Aerzte stehen nun vor der ungeheuer wichtigen Entscheidung:
sollen wir diese neue Gründung als eine Mittelstandskasse bewerten
und demnach entsprechend dem Beschlusse des Aerztetages in Halle 1906
grundsätzlich die Mitglieder dieser Kasse nur als Privatpatienten behan-
deln und es ablehnen, Verträge mit dieser RPKK. abzuschließen?
| Die grundsätzliche Frage ist von um so größerer Tragweite, als
diese Gründung einer Postunterbeamtenkasse offenbar nur der erste
Schritt auf einer unabsehbaren Bahn sein wird. Einmal schließt die
(vom Reichspostamte sicherlich zum mindesten gebilligte) offiziöse Pre-
notiz mit der ominösen Versicherung: „Die Errichtung von Kranken-
kassen für die mittleren und höheren Beamten soll ebenfalls
angestrebt werden.“ Zum andern hat der „Verband deutscher Be-
amtenvereine“ in der jüngsten Zeit mit großer Energie die Frage einer
allgemeinen Zwangsversicherung für sämtliche Kategorien
von Staats- und Kommunalbeamten in Angriff genommen. Von
den politischen Parteien dürfen schon heute die Sozialdemokraten, die
Fortschrittler, das Zentrum, die Mehrheit der Nationalliberalen und die
Wirtschaftliche Vereinigung als diesen Ideen sympathisch gesinnt ange-
sprochen werden. Kein Zweifel: wir stehen vor den Perspektiven
einer allgemeinen Beamtenversicherung. |
Zweifellos sollen hier eine große Anzahl von Personen, die auch
nach der neuen RVO. nicht versicherungspflichtig wären, dem Versiche-
rungszwange unterworfen werden. Es handelt sich dabei um Leute, die
nach der ganzen Art ihrer Lebensstellung und ihrer Einkommensverhält-
nisse nicht mit den bisher Versicherungspflichtigen auf eine Stufe gsstellt
werden können, Wenu auch das Jahreseinkommen für große Schichten
der Arbeiter und der Postunterbeamten das gleiche ist, so steht doch
der Beamte gerade den Gefahren gegenüber, die eine Erkrankung für
die Existenz bringen kann, ganz anders gesichert da, als der Arbeiter.
Diesem soll die Krankenversicherung einen teilweisen Ausgleich bieten
für den Ausfall an Verdienst und für etwaigen Verlust seiner Arbeits-
stelle infolge einer Erkrankung. Diese Fürsorge ist bei Beamten nicht
notwendig. Sie können durch Krankheit nicht von heut auf morgen
brotlos werden, ihr Gehalt läuft weiter, sie sind für Invalidität und Alter
in gewissen Grenzen sichergestellt, genießen gewisse Steuerprivilegien,
und daher ist mit vollem Recht die Sozialgesetzgebung ursprünglich nicht
für diese Bevölkerungsschichten gedacht, sondern nur für jene, deren
Lebensführung einer ständigen Unsicherheit unterworfen ist.
. Und daß es auch ohne solche Beamtenversicherung gegangen ist,
gut gegangen ist, kann gar nicht bestritten werden. Jeder Arzt zählte
bisher zu seiner Privatklientel auch Beamte, speziell Postunterbeamte,
mit niedrigem, M 2000,— nicht erreichendem Gehalte. Wir alle haben
diesen Leuten bei der Honorarforderung Sätze berechnet, die die untere
Grenze der ortsüblichen Sätze einhielten — das heißt also die Mindest-
sätze der Gebührenordnung überstiegen — und es ist den Patienten dieser
Art wohl stets möglich gewesen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Hatte sich einmal ein ungewöhnlich hoher Betrag ergeben, so haben die
Beamten aus Mitteln besonderer Fonds Zuschüsse erhalten.
Es liegt also nicht die geringste Notwendigkeit vor, nunmehr alle
diese Leute zwangsweise zu versichern. Ä
Aber das soll an sich uns nicht weiter kümmern: für uns handelt
es sich um die Frage, nach welchen Grundsätzen soll hier die ärztliche
Hilfe gewährt werden!
Alle diese Kreise gehören zweifellos nicht zu den wirtschaftlich
Schwachen, für die besondere soziale Maßnahmen berechtigt sind, namentlich
nicht, soweit etwa ihr Gehalt, einschließlich Servis- und Woh-
nungsgeld, die 2000 M-Grenze überschreitet.
Mit allen diesen werden wir unter keinen Umständen Verträge
über verbilligte ärztliche Hilfe, überhaupt Verträge, Einschränkungen der
Behandlungs- und Liguidationsfreiheit des einzelnen, abschließen.
Es ist im Beirate des LV. sehr ernst erwogen worden, ob nicht
die Beamtenschaft aus dem Kreise der Zwangsversicherungsbedürftigen
unbedingt auszuscheiden sei. Und sollte, was jetzt die Post einführen
will, etwa seitens der Justiz-, Finanz-, Kommunal- und sonstigen Verwal-
tungen Nachahmung finden, so würde diese Aerzteschaft die Frage bejahen.
Wenn ihr Generalstab — nicht ohne Widerspruch — sich entschlossen
bat, in Sachen der Postunterbeamten eine Konzession zuzulassen, so
einzig darum, weil es sich dabei in der Hauptsache um eine planmäßige
Durchgestaltung der seit Jahrzehnten schon planlos bestehönden Post-
krankenkassenverhältnisse handelt. -
Aber bei dieser Durchgestaltung müssen wir verlangen, daß ein-
heitlich. und überall die ärztlichen Grundforderungen eingehalten
werden:
Ausschluß aller Personen von der kassenärztlichen Versorgung,
deren Gesamteinkommen mehr als M 2000,— beträgt; Bezahlung der
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1298 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
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Einzelleistungen nicht unter den Mindestsätzen der Gebührenordnung;
freie Arztwahl; Abschluß der Verträge mit der ärztlichen Organisation.
Gelänge es, auf der Basis dieser Grundforderungen zu
einem das ganze Reich umfassenden Tarifvertrage mit der
Reichspostverwaltung zu kommen, so würde das ohne Zweifel
gegenüber dem bisherigen Zustand ein Fortschritt sein. Aus dieser Er-
wägung heraus hat der Beirat am vorigen Sonntage den Vor-
stand des Leipziger Verbandes beauftragt, mit der Reichs-
postverwaltung behufs Abschluß eines solchen Tarifvertrags
in Verbindung zu treten. Da im Angesicht der postalischen Kassen-
gründung die örtlichen Poststellen vielfach schon jetzt bestehende Ver-
träge kündigen, so ist mit besonderem Nachdrucke darauf hinzuweisen,
daß von nun ab selbstverständlich nirgend der einzelne Arzt
oder die Lokalorganisation in die Diskussion eines Ab-
schlusses neuer oder einer Verlängerung laufender Verträge
mit der Postverwaltung eintreten darf. Das gilt natürlich auch
für postvertrauensärztliche Stellungen. Vorstand und Beirat haben aus-
drücklich bekundet, daß sie der Post wirkliche Vertrauensärzte, das
beißt solche. mit rein begutachtender und inspizierender Funktion, nicht
strittig zu machen gedenken. Bei der Bezahlungsfrage behält sich aber
die Organisation vor, ein Wort mitzusprechen, damit nicht hier die ärzt-
liche Leistung unterm Werte verkauft werde.
Wir gehen sogar bezüglich der zu stellenden Honorarforderungen
über den Grundsatz, die Mindestsätze der GO. zu fordern, hinaus, und
zwar aus folgenden Erwägungen. Erstens haben, wie oben ausgeführt,
die Beamten auch der Gehaltsstufen unter M 2000,— ohne wesentliche
Schwierigkeit schon bisher als Privatpatienten erheblich mehr als diese
Mindestsätze bezahlt. Zweitens ist gerade in neuester Zeit von einer
Standesorganisation von Postbeamten offiziell zugestanden worden, daß
sehr wohl auch bei Postbeamten der untersten Gehaltsstufen dem Arzt
ein Honorar zugebilligt werden muß, höher als die berüchtigten Mindest-
sätze! Wie bekannt, ist in diesem Jahre von der Vertragskommission
der Aerztekammer für Berlin ein Vertrag genehmigt worden zwischen
der Ortsgruppe Berlin des Verbandes mittlerer Reichspost- und Tele-
graphenbeamten und Berliner Aerzten beziehungsweise den neuen kassen-
ärztlichen Organisationen der Berliner Vororte. Die Genehmigung dieses
Vertrags mit dieser — zugegeben! — Mittelstandskasse hat in nicht ge-
nügend unterrichteten Kreisen sogar ziemliches Befremden, ja Wider-
spruch erregt. Es sei hier deshalb kurz erwähnt, daß bereits lange vor
dem Hallenser Beschluß Aerzte für diesen Verband tätig waren, und daß
durch das rechtzeitige energische Eingreifen der VK. es nun erreicht ist,
daß sämtliche Honorarsätze, auch für die Extraleistungen, nach dem Ein-
kommen gestaffelt sind und die Anstellung nur weniger Aerzte — zu
oft durchaus unwürdigen Bedingungen — nunmehr ebenfalls beseitigt ist.
Von den in diesem Vertrage festgelegten Honorarsätzen wollen wir
nur folgende anführen: |
Für die erste Gehaltsstufe, bis zu M 1800,— Gehalt:
a) Für den ersten Besuch M 2,—, für jeden folgenden M 1,50
(GO. M 1,—).
b) Für jede Konsultation M 1,50 (GO. M 1,—). |
Für die zweite Stufe, bis M 3300,—, der also auch die Personen
mit M 1800,— bis 2000,— angehören, gelten unter anderm folgende
Sätze:
a) Erster Besuch M 250 (GO. 23,—), jeder folgende M 2,—
(40. M 1,—). |
b) Erste Konsultation M 1,75, jede folgende M 1,50 (GO. beide
nur M 1,—). | | |
c) Zuschlag für Spiegeluntersuchung M 2,50 (GO. M 2,—).
d) Einleitung der künstlichen Frühgeburt oder des Abortus M 20,—
(GO. nur M 10,—)).
e) Für alle andern Verrichtungen das Eineinhalbfache der
Mindestsätze der GO.!
Diese Zusammenstellung der Mindestsätze der GO. mit den von
der eignen Standesvertretung der Postbeamten für ihre niedrigsten Ge-
haltsstufen bis 2000 M zugebilligten Honoraren ergibt, daß grundsätzlich
für die meisten Leistungen diese Mindestsätze überschritten werden. Wir
haben aber doch wahrhaftig keinen Grund, „päpstlicher zu sein als
der Papst“, und möchten daher dem Vorstande des LV. für einen ab-
zuschließenden Tarifvertrag diese Sätze anempfehlen, die die Postbeamten
in ihrer freiwilligen Organisation selbst als billig zugestanden haben.
Man "darf nun mit Recht gespannt sein, wie das Reichspostamt sich
zu der Aufforderung stellen wird, die Frage der ärztlichen Versorgung
der Mitglieder der neuen Postkrankenkasse durch Verhandlung mit un-
serer Organisation zu regeln! Darüber kann die Behörde jedenfalls
heutzutage nicht mehr im Zweifel sein: ohne unsere Organisation
erreicht sie heute nichts mehr, ohne Zustimmung der Männer geht
es nicht, die von dem festen Vertrauen der deutschen Aerzte getragen,
4. August.
unterstützt von der machtvollen, einmütig geschlossenen Aerzteorgani-
sation, die Aufgabe übernommen haben, bei der wichtigen neuen Wen-
dung, die die Versicherungsmanie zu nehmen im Begriff ist, die Augen
auf zu halten und die deutsche Aerzteschaft zu schützen gegen unerträg-
liche Zumutungen. 5
Wer jene schwerwiegende Beratung am 7. Juli mitgemacht hat,
und jeder Kollege, der auch nur ein wenig sich um unsere wichtigsten
Lebens- und Standesinteressen kümmert, muĝ sich aber immer aufs neue
fragen: Wie sollen wir die sich immer höher türmende Dankesschuld ab-
tragen gegen die Kollegen, deren ruhiger, zielbewußter, unermüdlicher
Arbeitsfreudigkeit wir das Schicksal unseres Standes. anvertraut haben?
Wir können ja leider weiter nichts tun, als jeder an seinem geringen
Teile mitzuarbeiten, und ihnen Treue durch Treue vergelten. Ein kleiner
Lohn für alle Mühe mag es ihnen gewesen sein, als bei jener Beirats-
sitzung ein Vertreter nach dem andern aufstand und zu berichten wußte,
in wie ungeahnt großartiger Weise sich der Zusammenschluß der Kol-
legen zu den geforderten kassenärztlichen Vereinigungen vollzogen hat
durch das ganze deutsche Reich. Und noch großartiger, wie es selbst
die größten Optimisten nicht erwartet hatten, ist der Erfolg gewesen,
den der Appell an die finanzielle Opferwilligkeit der Aerzte gehabt hat,
indem jetzt bereits die als ausreichend angenommene Summe um die
Hälfte überschritten ist, obgleich noch lange nicht alle Sektionen ihr Er-
gebnis mitgeteilt haben.
So stehen wir also wohlgerüstet da. Nicht mit Unrecht wohl wird
vielerseits vermutet, daß die so seltsam eilige Gründung der RPKK. noch
vor Einführung der RVO. ein „Versuchsballon“ ist, um festzustellen, wie
weit die maßgebenden Kreise bei ihren ultrasozialen Versicherungsplänen
noch mit der von früher so geschätzten ärztlichen „Humanität“ — sel.
Dummheit und Uneinigkeit — rechnen kann. Wir hoffen mit aller Zu-
versicht, daß unsere Führer darauf eine Antwort geben werden, die an
Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.
Erhard Söchting (Berlin-Wilmersdorf).
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Reichsgerichtsentscheidungen betreffend die Ausübung der
| _ Heilkunde durch approbierte Aerzte. l
A. Strafrecht.
StrPO. 79. Berufung eines bei anderm Gericht be-
eidigten und durch dieses vernommeonen Sachverständigen
auf seinen Eid. Wenn der kommissarisch vernommene Sachverständige
sein Gutachten unter Berufung auf den ein für allemal geleisteten Sach-
verständigeneid abgegeben hat und dies deshalb nach $ 79 Abs. 2 StrPO.
genügte, weil er für den Bezirk des ihn vernehmenden Amtsgerichts für
die Erstattung von Gutachten der betreffenden Art im allgemeinen be-
endigt war, so verliert das Gutachten die Eigenschaft eines 'eidlichen
nicht dadurch, daß es vor einem andern Landgerichte verwendet wurde,
RGSt. Bd. 37 S. 864 steht nicht entgegen. RG. III. 9. 1. 11. Recht 15,
Nr. 955.
StrPO. 79. Bayerischer Landgerichtsarzt. Auch in Bayern
| umfaßt der Diensteid der Landgerichtsärzte den allgemeinen Sachver-
ständigeneid im Sinne des $ 79 Abs. 2 StrPO. RG.I. 9.1.11. Recht 15,
Nr. 652, FRE
StrPO. 79. Eid über tatsächliche Grundlagen des Gut-
achtens. Der Sachverständigeneid umfaßt auch die ganze tatsächliche
Grundlage des Gutachtens. Insoweit darf daher der Sachverständige
auch Tatsachen bekunden, ohne zugleich als Zeuge beeidigt zu Sein.
RG. V. 24. 6. 10. Recht 15, Nr. 1685. RGStr. 44, 11.
StrPO. 79. Gutachten und Zeugenaussage. Wenn die nur
infolge besonderer Sachkunde möglichen Wahrnehmungen eines Sachver-
ständigen, z. B. der Befund eines Arztes bei der Untersuchung und seine
Wahrnebmungen und Anordnungen bei der Behandlung eines Verletzten,
unmittelbar Gegenstand seiner Aussage sind, sei es ausschließlich, sei ©#
selbständig und unabhängig vom Gutachten neben diesem, SO deckt ‚der
Sachverständigeneid diese Aussagen nicht, denn die Vernehmung emes
sachverständigen Zeugen erfolgt nach $ 85 StrPO. unter dem Zeugeneid.
RG. I. 2.3.11. Recht 15, Nr. 1457. ; ;
StrPO. 79. Wahrnehmungen tatsächlicher Art. Der Eid
_ eines Sachverständigen umfaßt auch seine Bekundungen über Wahr-
nehmungen tatsächlicher Art, die zur Begründung seines Gutachtens =
forderlich sind. RG. II. 10. 6.10. Recht 15, Nr. 954. RGSt. 48, ei
StrPO. 79. Nachträgliche Beeidigung eines Zeugen N
Sachverständigen. Ablehnung. Wenn Zeugen nach ihrer Vernehmung
auch noch mit dem Sachverständigeneid als Nacheid belegt werden den
so mußte der Angeklagte nach $ 33 StrPO, vorher „gehört werden.
Zn a en
4. August,
1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
1299
Allein durch die Nichtenhöruhg ist sein Ablehnungsrecht nicht verkürzt,
weil er die.Sachverständigen als solche auch nach ihrer Beeidigung noch
ablehnen konnte. Dies folgt aus $$ 79 Abs. 1, 83 Abs. 2 StrPO.; weil nach
$ 79 der Sachverständige der Regel nach vor Erstattung des Gutachtens
zu beeidigen ist und nach $ 83 ein Sachverständiger auch nach Erstattung
des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt werden kann. RG. IV. 24. 3. 11.
Recht 15, Nr. 1679, a |
StrPO. 243.. Sachverständige oder Zeugen? Ein Beweis-
antrag des Angeklagten, ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen zu
lasson und zwei bestimmte, namhaft gemachte Aerzte zu laden, die ihn
zu untersuchen hätten, kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden,
daß die in die Wissenschaft der Aerzte gestellten Tatsachen für die Bil-
dung der richterlichen Ueberzeugung unerheblich sind; denn die Begrün-
dung läßt die Auffassung zu, daB der Angeklagte einen Zeugenbeweis
über von jenen Aerzten wahrgenommenen Tatsachen, die einen Rück-
schluß auf seinen Geisteszustand gestatteten, nicht einen Sachverständigen-
beweis gewollt hat ($ 85). . Die Ablehnung eines solchen mit der ange-
gebenen Begründung ist aber nur zulässig, wenn die behanpteten Tat-
sachen auch bei ihrer Unterstellung als wahr für das tatsächliche Ergeb-
nis der Beweiswürdigung ohne Bedeutung sind. Das Gericht hätte in
diesem Falle die behaupteten Tatsachen bestimmt bezeichnen und einer
Würdigung auf.ihre Erheblichkeit unterziehen müssen. RG. III. 27.10.10.
Senf BL 76, 206. | m
StrPO, 250. Sachverständigenvernehmung durch bloßen
Hinweis auf schriftliches Gutachten. Die richterliche Vernehmung
eines Sachverständigen erfordert; daß der vernommene Sachverständige eine
mündliche Erklärung abgibt, durch welche er den Inhalt und die Gründe
seines Gutachtens zur Kenntnis des Richters bringt. Diese Erklärung kann
durch den Hinweis auf ein zu den Akten gebrachtes Gutachten, ohne
daß dessen Inhalt mündlich wiederholt wird, nicht ersetzt werden, da
der Richter durch diesen Hinweis von dem Gutachten nichts erfährt und
nicht in’ die Lage versetzt wird, gemäß $$ 68, 72 StrPO. zur Aufklärung
und zur Erforschung ‚der Gründe des Gutachtens nötigenfalls weitere
Fragen an den Sachverständigen zu richten. Da hiernach das schriftliche
Gutachten keinen Teil der Vernehmung des Sachverständigen gebildet
hat, verstößt dessen Verlesung.gegen § 250. RG. IV. 2. 5. 11. Recht
15, Nr. 2024, Dh S.
Aerztliche Tagesfragen.
Der Kongreß der englischen Hygieniker in Berlin, 24. bis 27. Juli
(Royal Institute of Public Health).
„Do you speak englisch? . .. a little.“ Dieses offenherzige Be-
kemtnis bildete gewissermaßen den Rahmen für ein im übrigen ebenso
prächtiges, wie koloristisch üngewohntes Bild, das sich Ende der ver-
dossenen. Woche dem ärztlichen Kongreßbeschauer. darbot. Neben den
Spitzen und. Koryphäen der Berliner Stadt- und -Staatsbehörden, neben
den altbewährten Typen und Kämpen des Langenbeckhauses die doch
immerhin fremd anmutenden, mehr gracilen, zum größten Teil bartlosen
Gestalten unserer Kollegen-jenseits des Kanals. „Laß wohlbeleibte Männer
um mich sein“, dieser Wunsch Shakespeares konnte hier beim besten
Willen nicht in Erfüllung gehen. Und trotz persönlicher Unbekannt-
schaft, trotz nicht unerheblicher sprachlicher Schwierigkeiten nicht allein
on farbenprächtiger, nein auch ein farbenfroher Anblick, dieses Zu-
“mmengehen zweier im Grunde doch verschiedener Nationalitäten,
welche nur ein Band — dafür vielleicht um so enger — aneinanderknüpfte:
die wissenschaftliche kollegiale Zusammengehörigkeit. Denn
diese blieb doch der Grundton, auf den der ganze Kongreß gestimmt war,
ind wenn gelegentlich der offiziellen ‚Ansprachen immer wieder betont
wurde, daß auch politische Brücken sich über den lebendigen Strom der
„‚issönschaft schlagen ließen, so wurden solche Worte natürlich freudig,
I begeistert aufgenommen, blieben jedoch immer nur Worte, fromme
ünsche,: die dem eigentlichen Zwecke des Kongresses wohl fern lagen.
Man könnte noch von Gastpflicht und Gastrecht reden und diese Momente
mit zur Erklärung der gegenseitigen Entente collégiale herbeizichen,
jedoch mit Unrecht, „..
U ihm ein Gastgeschenk, so läßt er dir ein schöneres zurück... .“, muB
man auch in diesem Falle mit Tasso sprechen und das Gefühl, für deutsche
medizinische hygienische Forschungen und damit für deutsche Kultur
Überhaupt wieder aufs neue und nicht ohne Erfolg eingetreten zu sein,
bleibt neben dem kurzen aufrichtigen Shake hands der beste Dank für
alle Mühe und alles Genossen. > en
Anderseits, verdanken nicht auch wir gerade englischen Aerzten
rvorragende Fortschritte auf dem Gebiete der theoretischen und prak-
tischen: Medizin? "Besonders "zündend wirkte in diesem Sinne die, wie
et kurze und gehaltvolle Ansprache unseres Ministerialdirektors |
artin Kirchner, der mit dem Hinweis’auf Harvey, Jenner und
, . es ist, vorteilhaft, den Genius bewirten, gibst |
Lister eine Entdeckertrias ins Feld führte, aut deren Schultern auch
unsere moderne medizinische Forschung sich zum größeren Teil auf-
gebaut hat..
Ueber die Ergebnisse der trotz der Hitze stark besuchten Sitzungen
im einzelnen sich zu verbreiten, scheint an dieser Stelle nicht am Platze.
Nur soviel sei erwähnt, daß in der Sektion für Staatsarzneikunde beson-
deres Interesse die Ausführungen des Oberarztes vom Hygienischen In-
- stitut der Universität Berlin, Dr. Konrich, erregten, welcher auf die
Giftigkeit des Ozons hinwies und der Benutzung dieses Gases zum
Zwecke der Lüftung auf Grund eingehender Versuche dringend widerriet.
. Auch die Sektion für Kinderheilkunde und Schulhygiene erfreute sich
zahlreicher Teilnehmer und hier vor allem die Vorträge von Prof. Niet-
-ner über Tuberkulosebekämpfung und des Stadtschularztes Neuffert
(Charlottenburg) über die Entwicklung der Berliner Waldschulen. Nicht
ausgelassen bleibe auch hier die Beobachtung des irischen Chefingenieurs
P. C. Covans, der gelegentlich einer Rundfahrt; durch die Berliner Vor-
orte sich zu der Bemerkung veranlaßt sah, daß die massiven Häuser-
blocks zu wenig freie Plätze enthielten und damit die Lust zum Hinaus-
ziehen herabmioderten. Wenngleich diese Erfahrung für einen Teil der
westlichen Vororte nicht zutrifft, besteht sie doch für die älteren süd-
lichen zu recht und mußte begreiflicherweise auf den durch grüne Plätze
und mehr villenartige Banten verwöhnten Iren befremdend wirken.
Neben diesen‘ mehr theoretischen Vorträgen interessierten nicht
nur die englischen, sondern auch die zahlreichen deutschen Aerzte die
neueren Berliner Krankenhausbauten, insbesondere das Rudolf-Virchow-
' Krankenhaus und das Krankenhaus Westend, wie auch das Kaiserin-
' Friedrich-Haus, das Auguste-Viktoria-Haus in Charlottenburg, das Kaiser-
liche Gesundheitsamt in Groß-Lichterfelde, die städtischen Badeanstalten,
die Heilstätten in Beelitz und sonstigen staatlichen und stadtlichen medi-
' zinischen und medizinisch-hygienischen Institute. Daß über dieser nur
: zu reichhaltig verteilten Wissenschaft die Erholung nicht zu kurz kam, dafür
. sorgte anderseits die bis aufs kleinste ausgearbeitete Organisation des
gesamten Kongresses, als deren rühriger- Vertreter Oberstabsarzt
Dr. Niehues vom Kriegsministerium an dieser Stelle besonders er-
wähnt sei. u | l
So nahte am Sonnabend die Stunde der Abfahrt via Vlissingen
oder Hoek van Holland — nicht wenige zogen auth den Rückweg
über die Ostseebäder oder Dresden vor. Vielleicht um an diesen Orten
noch eine Art hygienisch-diätetischer Einkehr abzuhalten und so die
letzten Niederschläge der in überreicher Fülle dargebotenen Reiz- und
Genußmittel der letzten Tage hinwegzuspllen.
‚Bleibt als Resultat: ein zwar heißer aber glorreicher Sommer ge-
meinsamer wissenschaftlicher Arbeit, wohlgeeignet, den Winter man-
chen Mißvergnügens auf anderm Gebiet in Vergessenheit zu bringen.
So kann in diesem Sinne vielleicht späterhin doch einmal gesagt werden:
„The Public Health the begin of the Politic Health... .“
n EHER RAIGERE Erwin Fr.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell Bere ehneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Vor einiger Zeit erging seitens einer Reihe hervor-
ragender Philosophen, Historiker, Juristen, Naturforscher und Aerzte
— wir finden unter letzteren unter andern die Namen W.Freud (Wien),
Kern (Berlin), Loeb (New York), Mach (Wien), ‚Ribbert (Bonn),
Roux (Halle), Verworn (Bonn) und Ziehen (Wiesbaden) — ein Aufruf
zur Begründung einer „Gesellschaft für positivistische Philo-
sophie“, die den Zweck haben soll, „alle Wissenschaften miteinander in
lebendige Verbindung zu setzen, überall die vereinheitlichenden Begriffe
zu entwickeln und so zu einer widerspruchslosen Gesamtauffassung vor-
zudringen“. Dieser Aufruf hat lebhaften Anklang geiunden und die
Gesellschaft hat sich am 25. Juni d. J. konstituiert. Vorsitzende sind
die Herren Prof. Petzoldt (Spandau) und Prof. Potonié (Groß-Lichter:
felde), Beisitzer des Vorstandes: Herr Obergeneralarzt Prof. Dr. Kern, Se-
kretär: Herr Dozent Dr. Baege (Friedrichshagen). Letzterer erteilt alle
erwünschten weiteren Auskünfte. Die Gesellschaft plant die Herausgabe
einer besonderen Zeitschrift.
~ — Durch preußischen Ministerialerlaß vom 3. Mai sind die
Kreisärzte angewiesen worden, jeden Pockenfall sofort telegraphisch
der zuständigen Impfanstalt mitzuteilen, um dieser die Gewinnung echten
Pockenstoffs zu ermöglichen.
— Die Zahl der Aerzte, die in Europa die Praxis
ausüben, ist nach Ausweis einer jüngst veröffentlichten Statistik anf rund
200000 zu berechnen. Davon entfällt der Hauptanteil auf England, das
' 48000 Aerzte zählt, von denen 18000 in London wohnen. Es folgen
' Frankreich mit 32000, Deutschland mit 26000, Italien mit 24.000,
Rußland mit 20000, Oesterreich mit 13000, Belgien mit 12000 und
Spanien mit 8000 Aerzten. In den Rest von 12000 teilen sich in ent-
sprechendem. Verhältnis die übrigen europäischen Länder.
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1300
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 31.
4. August.
Berlin. Der ständige Mitarbeiter im, Kaiserlichen Ge-
sundheitsamt in Berlin Dr. med. Friedrich Franz wurde zum
Kaiserlichen Regierungsrat bei der Reichsversicherungsanstalt für An-
gestellte ernannt. —
— Die Medizinalabteilung des Ministeriums des Innern hat
gemeinsam mit der Zentralstelle für das Rettungswesen an
Binnen- und Küstengewässern ein von Geh. San.-Rat Prof.
Dr. George Meyer bearbeitetes und im Verlage von Richard
Schoetz, Berlin SW. 48, erschienenes „Plakat zur Rettung Er-
trinkender“ herausgegeben. Dieses enthält die zweckmäßigsten Ver-
fahren zur Rettung Ertrinkender, wie sie auch im amtlichen „Nothelfer-
buch“ angegeben sind.
Hamburg. Wie die „Hamburger Aerzte-Korrespondenz‘“ mitteilt,
hat die Leitung der deutschen Großloge des Internationalen Guttempler-
ordens in Hamburg eine Lebensversicherungsgesellschaft „Ab-
stinenz“ gegründet, um den deutschen Abstinenten beim Abschluß
von Lebensversicherungsverträgen diejenigen wirtschaftlichen Vergünsti-
gungen zu sichern, auf die sie wegen ihrer enthaltsamen Lebensweise
Anspruch haben; ferner hofft man, auf diesem Weg eauch endlich einmal
deutschen Verhältnissen entstammende zuverlässige Zahlen über die
Lebensdauer von Abstinenten und Nichtabstinenten herbeizuschaffen,
nachdem englische und schweizerische Lebensversicherungsgesellschaften
bei Abstinenten eine um 20—25 % günstigere Lebenserwartung als bei
dem tbrigen Bevölkerungsmaterial angeben. Die neue Gesellschaft, die
bereits die Genehmigung des kaiserl. Aufsichtsamts für Privatversiche-
rung erhalten hat, will mit so niedrigen Prämiensätzen arbeiten, wie
keine andere deutsche Gesellschaft, da, abgesehen von dem geringeren
Risiko, die Verwaltung eine ehrenamtliche ist und die Gründerin ihre
Bureaus und ihren großen Verwaltungsapparat zur Verfügung stellt.
Damit will die Enthaltsamkeitsbewegung einen großen Schritt vor-
wärts tun.
Leipzig. Das Oberlandesgericht München und zuletzt das
Reichsgericht haben ein Urteil des Landgerichts Traunstein bestätigt,
welches den Krankenbehandler A. in Rosenheim wegen aus fehlerhafter
Behandlung einem Patienten erwachsener Gesundheitsschädigung
zur Zahlung einer lebenslänglichen Rente an den Geschädigten verurteilt.
— Wegen fehlerhafter Behandlung in der Bilzschen
Naturbeilanstalt in Radebeul b. Dresden hatte eine Patientin, der durch
diese Behandlung ein dauernder schwerer Schaden entstanden war, gegen
den Inhaber Bil% und den Anstaltsdirektor auf Schadenersatz durch
Zahlung eines Schmerzensgeldes und einer Jahresrente geklagt. Die
Gerichte hatten die Klage als berechtigt anerkannt; das Reichsgericht
hat vor kurzem die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten verworfen.
Wien. Am 30. Juli verstarb nach längerem schweren
Leiden am Nierenkrebs der ordentliche Professor Hofrat Dr. Ed-
mund v. Neußer. 1852 in Galizien geboren, war N. ein Schüler
Anton Drasches und Heinrich v. Bambergers. Nach Otto
Kahlers 1893 erfolgtem Abgang übernahm er die Leitung der II. me-
dizinischen Universitätsklinik in Wien. Als Leibarzt des Fürsten Ferdi-
nand von Bulgarien, sowie noch im letzten Jahre konsultierender Arzt
des österreichischen Kaisers und gesuchter Konsiliarius in Wien, war N.s
Name weit über die Grenzen Öesterreichs hinaus bekannt geworden.
Nicht weniger war dies der Fall in wissenschaftlichen Kreisen durch
seine zahlreichen Arbeiten, deren wertvolle Ergebnisse die verschiedensten
Gebiete der inneren Medizin mit Erfolg behandelten. Wir werden auf
den Lebensgang und die Bedeutung des hochverdienten Klinikers an an-
derer Stelle noch eingehender zurückkommen. Fr.
— In den letzten Wochen haben sich hier eine ganze Reihe
von Veronalvergiftungen zugetragen, davon zwei mit tödlichem Aus-
gang. Der im Publikum bereits bekannte Umstand, daß der Mensch nach
der Einnahme einer größeren Dosis Veronal einfach in einen tiefen Schlaf
verfällt, aus dem er nicht mehr erwacht, hat diese Todesart gewisser-
maßen populär gemacht. In den meisten Fällen verschafften die Selbst-
mordkandidaten sich dadurch das nötige Quantum Veronal, daß sie ein
Rezept in mehreren Apotheken machen ließen, um so ein Vielfaches der
verordneten Dosis zu erlangen. In einem Falle wurden nun dem Arzte,
der das Rezept für Veronal verschrieben hatte, ernstliche Vorhalte ge-
macht, weil der Patient sich mit Hilfe des Rezeptes so leicht das töd-
liche Quantum verschaffen konnte. Es wird daher den Wiener Aerzten
empfohlen, derartige Rezepte in jedem einzelnen Falle mit der Klausel
„Ne repetatur“ zu versehen. ———
Zoppot. Unser Kurort zeigt auch in diesem Jahre wieder eine
Reihe von Neuerungen und Verbesserungen, dazu geeignet, den
Aufenthalt hierselbst anziehend und erholsam zu machen. Nur selten
wird ein Seebadeort durch seine günstige Lage zwischen Meer und Hoch-
wald, in der Nähe einer interessanten Großstadt mit täglicher Seeverbin-
dung nach Pillau und Königsberg, den Kurgästen soviel zu bieten ver-
mögen, wie gerade Zoppot. Als besonders sehenswert seien hier noch
die Waldfestspiele auf der Naturbühne im Zoppoter Walde angeführt,
welche die alten Spielopern in völlig neuem Lichte erscheinen lassen.
Zoppot wird demnächst das zwanzigste Tausend seiner Be-
sucherzahl überschritten haben.
Tokio. Ein Beweis für die hohe Verehrung, die die Ja- ;
paner Robert Koch entgegenbringen, ist der Tempel, der ihm,
wie schon kurz gemeldet, im Garten des Instituts für Infektionskrank-
heiten von Tokio errichtet wurde und in dem eine Gedenkfeier für den
großen Gelehrten nach dem Schintoritus stattfand. Näheres von diesem
eigenartigen Denkmal erzählt Prof, Dr. Shiga in der „Umschau“. Der
aus schönem japanischen Holz erbaute Tempel trägt an der Vorderseite
ein Bildnis Kochs; in den steinernen Unterbau ist ein Kupferkästchen
eingemauert, das eine Anzahl von Kochs Haupthasren enthält. Haare
gelten nämlich nach alter japanischer Sitte als ein ewig unverändert
bleibendes Andenken. Ueberhaupt steht die Errichtung des Tempels im
engsten Zusammenhange mit dem Ahnenkult der Japaner, die den
Geistern großer Männer für die durch sie geschaffenen Wohltaten ewig
dankbar sind und göttliche Verehrung darbringen. Diese Vergötterung
des Genies wird durch eine hübsche Episode, die Koch bei seiner An-
wesenheit in Japan erlebte, bezeugt.
Der große Forscher erblickte in dem berühmtesten Tempel der
alten Residenzstadt „Nara“ eine Figur des „Yakushi“. Als er hörte, daß
diese den „Gott der Medizin“ darstelle, wollte er Näheres erfahren, aber
der Priester entgegnete kurz und bündig: „Dies ist der ‚Yakushi der
Vergangenheit‘ aus Indien; wir haben aber augenblicklich die Ehre, den
‚Yakushi der Gegenwart‘ vor uns zu sehen... .“
Deutsch- Ostafrika. Das Medizinalreferat von Deutsch-Ost-
afrika hat angeordnet, daß von sämtlichen Europäern in Dares-
salam Blutproben genommen werden, um statistische Unterlagen
über den Gesundheitszustand der europäischen Bevölkerung zu gə-
winnen. Für die Akklimatisationsfähigkeit sind die hierbei gemachten
Beobachtungen von großer Bedeutung, ebenso wie für die Lebens-
haltung europäischer Kinder. Wünschenswert wäre es, daß diese
Untersuchungen öfter als einmal im Jahre erfolgten und daß die
Eltern aus freiem Antrieb ihre Kinder von Zeit zu Zeit einer ärzt-
lichen Untersuchung unterziehen lassen.
Professor Dr. W. Gehren bespricht in einer kleinen Broschüre,
betitelt: „Praktische Winke für die Röntgenographie“, in klarer
anschaulicher Weise die physikalischen Gesetze, auf welche das Röntgen-
verfahren begründet ist, um im zweiten Teile seiner Arbeit die ver-
schiedenen Arten der Plattenentwicklung näher zu besprechen und vor
allem die Agfa-Röntgeuplatten ihrer hohen Leistungsfähigkeit und
absoluten Zuverlässigkeit wegen zu empfehlen. Eine Reihe ausgezeich-
neter Röntgenbilder (Agfa-Verfahren) begleiten den Text. F.
Hochschulnachrichten. Berlin: Dr.Paul Schröder, Assistent
Geheimrat Bonhöffers, habilitiert für Nervenheilkunde mit einer An-
trittsvorlesung über normale und pathologische Charaktere. — Priv.-Doz.
Dr. Siegwart (Gynäkologie) erhielt den Titel Professor. — Bonn:
Prof. eo. Dr. Ungar (Kinderheilkunde) zum ordentlichen Honorarprofessor
ernannt. — Dr.Heinrich Cramer, Frauenarzt, habilitierte sich mit einer An-
trittsvorlesung: die neueren Forschungen über Milchsekretion im Lichte klini-
scher Erfahrung. — Dresden: Prof. Dr. Konradi, I. Assistent am Hygieni-
schen Institut der Universität Halle, als erster Bakteriologe an die Königliche
Centralstelle für öffentliche Gesundheitspflege berufen. — Freiburg í. Br.:
Dr. H. von Berenberg-Goßler habilitiert für Anatomie. — Dr. med.
et phil. E. Mangold, Privatdozent für Physiologie, der Titel Professor
verliehen. — Dr. E. Fischer, Privatdozent aus Würzburg, wurde als
Anatomischer Prosektor und Nachfolger Prof. Gaupps hierher berufen. —
Königsberg i. Pr.: Dr. W. Clausen habilitiert für Augenheilkunde.
Dr. W. Frey habilitiert für innere Medizin. —
brecht, Assistent der Medizinischen Klinik, zum leitenden Arzt der
inneren Abteilung des Städtischen Kraukenkauses zu Stralsund ernannt. —
München: Prof. Ernst von Romberg in Tübingen hat den Ruf als
Nachfolger J. v. Bauers angenommen. — Bern: Dr. Lothmar babili-
tiert für innere Medizin. — Wien: Priv.-Doz. Dr. Alfred Ritter
Decastello von Rechtwehr aus Innsbruck für innere Medizin an der
Wiener medizinischen Fakultät habilitiert. — Dr. Volk habilitiert für
Dermatologie.
Von Aerzten und Patienten.
.. . „Bei der fortgesetzten Erforschung der Krankheitserreger kamen
auch solche zum Vorschein, welche gar nicht zu den Bakterien, sondern zu den
Protozoen, also. nicht mehr zu den pflanzlichen, sondern zu den tierischen
Mikroorganismen $ehören. Sie wurden trotzdem von der Bakteriologie m
Anspruch genommen. Man sieht also, daß die Bezeichnung Bakteriologi,
welche anfangs zwar dem Namen inhaltlich entsprach, jetzt nicht mehr paßt,
teils weil sie nicht alles, was zu den Bakterien gehört, umfaßt, teils w
sie ganz fremde Elemente aufgenommen hat. Der Name müßte eigent-
lich geändert werden; aber der jetzt übliche hat sich so fest eingebürgert,
daß er wohl bestehen bleiben wird. Nur muß man sich beim | ebrauch
desselben immer dessen bewußt sein, daß er seiner ursprünglichen Bo-
deutung nicht mehr entspricht und daß verschiedene Wissensgebiete
darunter zusammengefaßt werden, weil sie die gleichen oder doch se
“ähnliche Forschungsmethoden benutzen und ein gemeinsames Ziel, nām-
u die Erforschung und Bekämpfung der Infektionskrankheiten VoT-
0 gon e o o i f
Robert Kochs Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften
am 1. Juli 1909. ,
(RobertKoch, Gesammelte Werke. Verlagvon Georg Thieme, Leipzig 1912.)
—7,,
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender,Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
Leipzig: Dr. Al-
Nr. 32 (401). 11. August 1912.
edizinische
Wochenschrift für praktische Ärzte
= redigiert von Verlag von
. Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeitens E. Mattauschek, Ueber den Altersschwachsinn. V. Schilling, Ueber Anämie nach Tropenkrankheiten. E. Vollmer,
Hautkrankheiten und Bäder. F. Ebeler, Ueber die Erfolge der operativen Behandlung chronisch-entzündlicher Adneserkrankungen. E. Rothschuh,
Blutdruckmessungen bei Thermalbädern und Thermal-Duschemassage. R. Schlichting, Ein Todesfall nach dem Genuß von Methylalkohol ent-
haltendem Schnaps. M. Bondi, Ein Fall von transitorischer Erblindung nach Beobachtung der Sonnenfinsternis. F. Bruck, Die Wertlosigkeit der
positiven Wassermannschen Reaktion für die lokale Diagnose. Th. Reimann und P. G. Unna, Die Verbesserung der Färbungen durch Fixierung
des Gewebes mit Chlorzink. — Aus der Praxis für die Praxis: E. Barth, Otologie: Die otitischen Erkrankungen der Hirnhäute. — Referate;
Slawyk, Aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens. (Schluß) C. Kayser, Die Genese der Gallensteine. S. Peltesohn, Einige neuere Arbeiten
über Wesen und Ursache von Deformitäten. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferates Langsamer Durchbruch kleiner Pleuraempyeme
in die Lunge. Reaktion im Harne von Paralytikern. Appendicitis bei gleichzeitigem Vorhandensein von Typhus abdominalis. Atophanharp.
Behandlung der Hyperidrose. Chronische deformierende Gelenkentzündung. Aleudrin. Narkophin. Elibon. Wasserstoffsuperoxydlösungen als Mund-
oder Gurgelwasser. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Ein neuer elektromedizinischer Badeapparat. — Büicherbesprechungen: E. Peiper,
Säuglingssterblichkeit und Säuglingsfürsorge in Pommern. A. Vogt, Pathologie des Herzens. J. Bresler, Kurzgefaßtes Repetitorium der Psychiatrie-
0. Simon, Die Karlsbader Kur im Hause. Ihre Indikationen und ihre Technik. — Vereins- und Auswärtige Berichtes Basel. Bonn. Erlangen.
Frankfurt a M. Krefeld. Prag. Berlin. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Strafrechtliche Verantwort-
lichkeit des Arztes bei nachgewiesener Fahrlässigkeit des ärztlichen Hilfspersonals. — Beisebriefe: Liek, Studienreise eines deutschen Chirurgen
nach den Vereinigten Staaten. — Aerztliche Tagesfragen: Edmund v. Neusser f. Erinnerungen an Hermann Senators Jugendjahre. — Kleine
| Ä Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge. F
PA
Aus der Abteilung für Geisteskranke des k. u. k. Garnisonspitals
Nr. 1 in Wien.
Ueber den Altersschwachsinn’)
von i
Priv.-Doz. Dr. Emil Mattauschek, k. u. k. Stabsarzt.
M. H.! Unter den geistigen Erkrankungen, in deren
Verlaufe gerade der praktische Arzt oft recht wesentliche
und einschneidende Entscheidungen zu treffen hat, spielen
die im Greisenalter auftretenden Formen von Geistesstörungen
eine nicht unbedeutende Rolle Es mag vielleicht bei flüch-
tiger Betrachtung die Bedeutung genauerer Kenntnisse
darüber nicht so groß scheinen, besonders wenn man nur
die chronisch verlaufenden Erkrankungen vor Augen hat,
die doch zumeist ihren Ausgang in Schwachsinn nehmen.
Aber auch bei diesen erheischen zivil- und nicht selten auch
strafrechtliche Fragen, Sicherung des Erkrankten, Gefähr-
dung der Umgebung, eine gewisse Summe von Fachwissen,
um den Beginn der schleichend in Entwicklung begriffenen
Psychose wahrzunehmen und den Zeitpunkt des Eingreifens
micht zu verabsäumen. Von weittragenderer Wichtigkeit ist
aber für den Praktiker der Umstand, daß auch im Greisen-
alter nicht selten heilbare Psychosen von kürzerer oder
längerer, mitunter .ganz kurzer, Dauer auftreten können,
Psychosen, an. deren Vorkommen immer gedacht werden
muß. Deren Kenntnis ist auch dem nicht spezialistisch
‚wirkenden Arzte nötig, um vorschnelle, zu weitgehende Mab-
nahmen, übereilte ungünstige Prognosen, Versäumnisse in
therapeutischer Beziehung vermeiden zu lassen.
Meine Aufgabe soll es sein, Ihnen die wichtigsten der
1) Nach ärztlichen Fortbildungsvorträgen gehalten im Winter-
"Semester 1911 12. u ea
in das eingangs bezeichnete Gebiet gehörenden psychischen
Erkrankungen wieder ins Gedächtnis zu rufen, Sie mit dem
heutigen Stande unseres Wissens bekanntzumachen. Ebenso
sollen praktisch brauchbare differentialdiagnostische Mo-
mente und, wo es angeht, auch die Therapie zur Sprache
gebracht werden.
M. H.! Die landläufige Festlegung des Greisen-
alters in den Lebenszeitraum des sechsten oder siebenten
Dezenniums ist eine grob empirische. Wir wissen, daß
die regressiven Veränderungen, die der menschliche Körper
in seiner Gesamtheit, besonders das Gehirn, in sonst krank-
heitsfreiem Lebensablaufe durch natürliche Abnutzung und
Aufbrauch erleidet, schon in einem weit früheren Zeit-
punkte beginnen. Die physiologische regressive Metamor-
phose erreicht meist erst im Alter von 65 bis 70 Jahren
einen höheren Grad, doch unterliegt die Schnelligkeit und
Intensität der Entwicklung der senilen Veränderung großen
individuellen Schwankungen. Es gibt bekanntlich körper-
lich und psychisch greisenhafte Individuen, welche das
60. Lebensjahr kaum erreicht haben, anderseits sehen wir
nicht so selten rüstig und geistig frisch gebliebene, noch
schaffende Menschen im achten Lebensjahrzehnt. Ganz
zweifellos sind diese Schwankungen in erster Linie abhängig
von der individuellen Gesamtkonstitution, wahrschein-
lich von auch familiär vererbbaren konstitutionellen Eigen-
tümlichkeiten (cf. Zingerle), während Lebensweise, über-
mäßige Inanspruchnahme der körperlichen und- geistigen
Leistungsfähigkeit, dauernde Unlustaffekte sowie schwächende
Krankheiten, Lues und Alkohol die wichtigsten sonst in Be-
tracht kommenden Momente darstellen.
Fragen wir nach der Häufigkeit der uns heute inter-
essierenden Greisenpsychosen, so gibt uns die Statistik in
dieser Richtung nur ungefähre Auskunft. Wir können eben
nur Angaben über die Zahl der in die Irrenanstalten auf-
130920000 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 82.
A nenen Geisteskranken des Greisenalters überhaupt er-
mitteln. & =
Wille nimmt 8°/,, Zingerle 50/, der Anstaltsaufnahmen
an, aus meinem eignen militärischen Materiale konnte ich
zirka 4°/, seniler Geistesstörungen im weiteren Sinne ent-
nehmen. Daß die tatsächlich vorkommenden Erkrankungs-
fälle weit häufiger sind, ist ohne weiteres selbstverständ-
lich, da je nach äußeren Lebensverhältnissen und Ver-
laufsform ein gewiß nicht unbeträchtlicher Teil solcher
Kranker bis zum Lebensende außerhalb geschlossener An-
stalten verbleibt.
Die Formen geistiger Störung, denen wir im
Greisenalter begegnen können, sind recht mannigfaltige.
Wir müssen uns aber in dieser Hinsicht immer vor Augen
halten, daß das Lebensalter allein niemals als Kri-
terium für die Diagnose einer geistigen Erkrankung gelten
kann. Erfahrungsgemäß können gelegentlich auch im hohen
Alter. die verschiedenartigsten Psychosen auftreten. Ich ver-
weise nur auf die Möglichkeit, daß im Senium eine viel-
leicht Jahrzehnte vorausgegangene Psychose aus der Gruppe
des manisch-depressiven Irreseins eine Wiederholungsphase
finden kann, auf die Möglichkeit alkoholischer oder trauma-
tischer Geistesstörung. Auch damit muß man rechnen, daß
auch einmal eine progressive Paralyse so spät einsetzen,
daß auch echte luetische Gehirnerkrankungen mit psychi-
schen Störungen ab und zu vorkommen können. Diese Psy-
chosen dürfen aber nicht als „senile“ .Geistesstörung an-
gesprochen werden. Sie bieten abgesehen von dem Ein-
schlag der Erscheinungen des normalen Seniums hinsichtlich
Diagnose und Prognose keine wesentlichen Besonderheiten
im Vergleiche mit den analogen Erkrankungen der jüngeren
Lebensepochen. Anderseits gibt es dem Greisenschwachsinn
entsprechende Fälle in Lebensjahren, welche noch lange nicht
als die Zeit des Greisentums gelten. Es ergibt sich daraus,
was nochmals betont werden soll, daß eben nicht das
Alter des Individuums bestimmend sein darf für die kli-
nische Bewertung eines psychischen Krankheitsbildes, sondern
daß wir zur Qualifizierung specifisch senile patholo-
gische Merkmale nachweisen müssen, um eine Psychose
in das Gebiet der. senilen Geisteskrankheiten einzureihen.
Diese letzteren sollen den eigentlichen Gegenstand der Be-
sprechung bilden.
‘Die pathologisch gesteigerte senile Involution bedingt
bei allen diesen Formen als gemeinsamen Zug eine mehr
oder weniger ausgesprochene geistige Schwäche, als deren
charakteristischeste Eigentümlichkeiten die erhebliche Stö-
rung der Merkfähigkeit, egoistische Einengung des Inter-
esses, ethische Mängel, hypochondrische Neigung gelten
können. Durch die Koinzidenz der senilen regressiven zur
Atrophie führenden Veränderung des Gehirns mit der im
vorgeschritteneren Alter ungemein häufigen arterioskleroti-
schen Erkrankung des Gefäßsystems entstehen recht mannig-
fach variierte Krankheitsbilder, die verschiedenen Misch-
und Uebergangsformen, deren klinische und anatomische
Fassung nicht selten erst der histologischen Untersuchung
gelingt. Immerhin lassen sich aber einige Hauptgruppen
ganz gut herausheben.
Die weitaus an Häufigkeit überwiegende und best-
bekannte Form von Geisteskrankheit des Seniums stellt
der Altersschwachsinn, die Dementia senilis, dar.
Der Uebergang des noch normalen Seniums in die senile
Demenz vollzieht sich in vielen Fällen ganz fließend. Er-
reicht die senile Involution bestimmte Grade, was, wie be-
reits erwähnt, von verschiedenen Faktoren abhängt und
individuell sehr schwankt, so erleiden die körperlichen und
geistigen Funktionen deutliche Störungen. Ein Parallelismus,
eine graduelle Korrespondenz zwischen körperlichen Zu-
ständen und den psychischen Leistungen besteht aber keines-
wegs regelmäßig. Nimmt die Seneszenz eine pathologische
11. August.
Form an, so tritt allmählich . mitunter etwas auffälliger
im Anschluß an fieberhafte Erkrankungen, Verletzungen,
Magendarmstörungen eine durchgreifende Aenderung der
Gesamtpersönlichkeit ein. Wir sehen in unkomplizierten Fällen
überall eine fortschreitende Abnahme der Merkfähig-
keit für Neueindrücke, eine Schwäche des Gedächtnisses
für die Jüngstvergangenheit, während das Altgedächtnis,
besonders einzelne längst vergangene Ereignisse, noch gut
haften. Die senil-demente Persönlichkeit faßt langsam auf,
kann sich in neue Verhältnisse nicht mehr hineinfinden, sie
klebt an Gewohnheiten, wird eigensinnig, voll von Vor-
urteilen. Das Interesse schränkt sich immer mehr auf das
eigne Ich ein, ist vorwiegend auf die körperlichen Bedürf-
nisse gerichtet. Recht oft tritt unvernünftiges Mißtrauen
gerade gegen die nächsten Angehörigen, ein bis zur Ver-
sagung der notwendigsten Dinge führender Geiz auf. Die
Stimmung wechselt zwischen ungeduldiger Gereiztheit,
weinerlicher Rührseligkeit, läppischer Heiterkeit. In den
sprachlichen Aeußerungen zeigt sich Gedankenarmut, Red- `
seligkeit, Neigung zu fast wörtlich gleichen Wiederholungen.
Gewöhnlich tritt eine dauernde Beeinträchtigung der Wort-
findung (amnestische Aphasie) zutage, die sich in dem
Mangel an Hauptwörtern, dem Gebrauche von nichts-
sagenden Flickwörtern, wie Dingsda, Ding, Sachen und der-
gleichen, manifestiert. |
Ziemlich früh machen sich hypochondrische Ideen,
ferner zunehmende ethische Defekte und deutliche
Gemütsstumpfheit geltend. Die Kranken vernachlässigen ihr
Aeußeres, versäumen die Körperpflege, sie werden rück-
sichtslos, begehen in Wort und Tat Verstöße gegen den
Anstand, werden hemmungslos gegen sexuelle Triebe und
Anreize — ich erwähne nur die geradezu typischen- ge-
schlechtlichen Angriffe und Unzuchtshandlungen der Greise
an kleinen Kindern.
Unter Zunahme dieser Ausfallserscheinungen entwickelt
sich ein fortschreitender Schwachsinn. Die anfänglich noch
bestandene geistige Regsamkeit und Auffassungsfähigkeit
schwindet immer mehr, es leidet die Orientierung. Das
Bewußtsein unterliegt beträchtlichen Schwankungen, es
kommt zu dämmerhafter Benommenheit, zu vorübergehenden
Verwirrtheitszuständen mit Gehörs- und Gesichtstäuschungen,
die meist nachts auftreten und zu gefährlichen Handlungen
mit Feuer und Licht, zu aggressivem Verhalten und Gewalt-
akten gegen die Umgebung führen können. Wenn nicht
durch interkurrente Erkrankungen oder Zufälle dem Leben
ein Ende gesetzt wird, kommt es zu tiefer Verblödung.
Das wäre in kurzen Zügen der Typus der einfachen senilen
Demenz, der aber nur in der Minderzahl der Fälle so rein
vorkommt. Weit häufiger ist der Altersschwachsinn kom-
pliziert mit teils akuten, mehr transitorischen, teils längere
Zeit vorherrschenden Zustandsbildern, welche mehr den
Charakter abgegrenzter andersartiger Psychosen an sich
tragen. | l
i An Häufigkeit stehen von den mehr chronischen psycho-
tischen Erscheinungsformen die Depr essionszustände
obenan. Sie können sich in einfachen Depressionen mit
wahnhaften Befürchtungen, ängstlicher Erregung, motorischer
Unruhe, Lebensüberdruß, lebhaften hypochondrischen Wahn-
ideen, Nahrungsverweigerung äußern und in ihrer Intensität
großen Schwankungen unterworfen sein. In vielen Fällen
sieht man dauernde Bilder, die in ihren Symptomen einer
mit den Zeichen des senilen Schwachsinns durehsetzten
Melancholie entsprechen. Zumeist besteht dabei ein
stärkeres Hervortreten von Angst, triebartiger Unruhe, sinn-
losem Widerstreben, Neigung zu plötzlichen, unvermittelten
Gewaltakten. Die bei dieser Form vorkommenden nn
sündigungs-, Kleinheitsideen, Selbstvorwürfe, denen sich mi
unter oberflächliche Verfolgungs- und Vergiftungsideen Zu-
gesellen, der oberflächliche Affekt, mit dem diese meist m
sinnigen Wahnideen vorgebracht werden, die allgemein
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mm Daa a aa i a,
11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
1303
gemütliche Stumpfheit, die sonstigen Zeichen der Demenz
modifizieren das Bild der gewöhnlichen Melancholie und
drücken diesen Zuständen den Stempel. des senilen Schwach-
sinns auf,
In andern Fällen entwickeln sich aus der bekannten
Verschlossenheit, Reizbarkeit, dem mißtrauischen Charakter
der Greise paranoische Zustände mit Beeinträchtigungs-
und Verfolgungsideen. Die geäußerten Wahnideen sind oft
von Gehörstäuschungen begleitet, sind im allgemeinen recht
einförmig, entbehren der logischen Begründung und werden
zusammenhanglos meist mit recht dürftiger Affektbetonung
vorgebracht. Auch hier ist der zugrunde liegende Schwach-
sinn unverkennbar. Der Endausgang in schwereres geistiges
Siechtum tritt viel langsamer ein.
Wie schon oben erwähnt, findet sich sehr häufig im
Senium eine mehr oder weniger ausgesprochene Arterio-
sklerose. Ist diese an den Gehirnarterien stärker vor-
handen, mehr herdförmig lokalisiert, so verursacht diese
sekundär Ernährungsstörungen vorwiegend umschriebener
Gehirnteile, und es treten dann der reinen senilen Demenz
fremde Symptome auf. Die komplizierende Arteriosklerose
findet ihren besonderen Ausdruck in Schwindelanfällen, Blut-
drucksteigerung, Neigung zu apoplektischen Zuständen mit
Hinterlassung von Hemiparesen, Aphasien, apraktischen
Störungen. In psychischer Beziehung zeigen diese Formen
einen mehr schubweisen Verlauf, die größere Neigung zum
Auftreten von depressiv-ängstlichen Stimmungen und de-
pressiven Wahnideen (Kraepelin). Zumeist entwickeln
sich diese Depressions- und Erregungszustände nach Schlag-
anfällen (Gaupp). .
Es resultieren sonach Krankheitsbilder, in welchen
neben den charakteristischen Erscheinungen der senilen De-
menz die durch die Arteriosklerose hervorgerufenen motori-
schen und sensorischen Störungen und bleibenden Ausfälle
nach apoplektischen Insulten vorhanden sind. Eine schärfere
Trennung dieser als arteriosklerotische senile Demenz
bezeichneten Fälle vom gewöhnlichen Altersschwachsinn ist
aus begreiflichen Gründen oft gar nicht durchführbar, da
eben die senile Gehirninvolution und die arteriosklerotische
Gehirnerkrankung nebeneinander bestehen. Immerhin
wird in den Fällen, in welchen wir die arteriosklerotische
Komponente deutlich nachweisen können, eine gegen die
Arteriosklerose gerichtete Behandlung zu versuchen und
mitunter auch von einem gewissen Erfolge begleitet sein.
Bei allen bisher beschriebenen Formen ist aus dem Krank-
heitsbilde selbst und den leicht nachweisbaren Symptomen
der speeifischen Demenz die Prognose auf den ungünstigen
Ausgang gegeben. |
Eine weitere gut umschriebene Form seniler Geistes-
Störung repräsentiert die Presbyophrenie (Kahlbaum-
Wernicke). Es ist dies eine häufiger bei Personen weib-
lichen Geschlechts vorkommende Psychose mit einer ganz
charakteristischen Symptomatologie. Die betreffenden Kranken
zagen bei erhaltener geistiger Regsamkeit einen ge-
ordneten Gedankengang und ein relativ gut erhal-
tenes Urteilsvermögen. 'In auffälligem Gegensatz hierzu
Steht die tiefe Störung der Merkfähigkeit, die stark
ausgesprochene Beeinträchtigung der örtlichen, besonders
aber der zeitlichen Orientierung und der oft weitgehende
Verlust erworbener Kenntnisse. Dieser Defekte sind sich
die Patienten wenig bewußt, sie geben die unrichtigsten,
Wwidersprechendsten Antworten, sind leicht suggestibel, be-
kunden die Neigung, Erinnerungslücken durch erdichtete
Tatsachen und Erlebnisse, durch Konfabulation auszufüllen.
aneben bestehen wohl auch vereinzelte oberflächliche
ahnideen hypochondrischer oder depressiver Art, viel sel-
tener Jäppische Größenideen. | l
Die Presbyophrenie kann sich als chronische unheil-
bare Form im Verlauf der senilen Demenz zeigen, sie kann
als akutes Zustandsbild mit deliranten Symptomen, Unruhe,
Halluzinationen des Gesichtssinns, Schlaflosigkeit den fort-
schreitenden Altersschwachsinn einleiten (Salgó). Sie kann
aber auch — und das muß besonders betont werden —
gar nicht so selten in dieser akuten Form -im Senium im
Anschluß an Infektionskrankhbeiten, operative Eingriffe, Ver-
dauungsstörungen, apoplektiforme Insulte auftreten und
innerhalb kurzer Zeit zur vollkommenen Heilung
kommen.
Ist schon bei diesen Fällen eine gewisse Vorsicht in
der prognostischen Beurteilung geboten, so triftt dies in
noch höherem Grade von den akut auftretenden Ver-
wirrtheitszuständen zu. Solche Zustandsbilder wurden
von Fürstner als seniles halluzinatorisches Irresein, von
Kraepelin als deliriöse Erkrankung des Greisenalters, in
Jüngster Zeit von Salgó wieder hervorgehoben. Man sieht
in solchen Fällen, ohne daß vorher mehr als die gewöhn-
lichen Erscheinungen der physiologischen senilen Involution
bestanden hätten, einen rasch einsetzenden Zustand von Be-
wußtseinstrübung mit Verwirrtheit, Inkohärenz, lebhaften
Sinnestäuschungen. Zumeist besteht große Unruhe und
Schlaflosigkeit. Die Kranken sprechen zusammenhanglos,
schreien sinnlos, drängen fort. Mitunter schieben sich vor-
übergehende stuporöse Phasen ein. Unterbrechen nur kurze,
plötzliche Nachlässe diesen Zustand oder dauert die heftige
Erregung an, so tritt Erschöpfung ein, die Kranken kolla-
bieren und es kommt zum Exitus. In einem großen Teil
der Fälle machen diese Phasen einem nunmehr stärker her-
vortretenden geistigen Schwächezustande Platz. Nicht selten
aber stellen diese einer Amentia ähnlichen Bilder heilbare
und mitunter einer entsprechenden Therapie zugängliche
Erkrankungen dar, nach deren Ablauf der Zustand, wie er
vorher war, wieder eintritt.
Auf Grund eigner Erfahrung kann ich aus der jüngeren
Zeit über zwei Fälle berichten, bei welchen in einem Fall
ein leicht fieberhafter deliranter, mit Stuporphasen ab-
wechselnder Zustand, in dem andern ein subakut einsetzen-
der depressiver, ängstlicher Erregungszustand beobachtet
werden konnte. Als deren Ursache wurde eine Intoxikation
von seiten des Darmes bei chronischer Stuhlträgheit eruiert,
welche zu mehrtägiger Obstipation geführt hatte. Nach
deren Behebung durch Kalomel und hohe Eingießungen trat
rasche und dauernde Heilung der psychotischen Zustände
ein. Ich möchte daher nicht unterlassen auf diese Möglich-
keit ausdrücklich hinzuweisen.
Stellen wir nun aus den bisherigen Ausführungen ein
vorläufiges Resümee für den Praktiker auf, so ließe sich
vielleicht herausheben, daß wir wohl ohne weiteres die
chronischen Geistesstörungen im Greisenalter, wofern
ausgesprochene Symptome senilen Schwachsinns bereits vor-
liegen, bezüglich ihres Weiterverlaufs als ungünstig an-
sehen müssen. o
Als charakteristisch für den senilen Schwachsinn können
gelten die Störung der Merkfähigkeit, der Orientierung be-
sonders in zeitlicher Richtung bei erhaltener geistiger Reg-
samkeit und Aufmerksamkeit, ferner die egoistisch-hypochon-
drische Gefühlsrichtung, endlich die Häufigkeit gerade nachts
auftretender ängstlicher Erregungszustände mit Sinnes-
täuschungen. |
Die zu treffenden Maßnahmen hinsichtlich Pflege,
Ueberwachung und Anstaltsabgabe hängen von der Lenk-
barkeit der Kranken, von äußeren Verhältnissen ab. -
Bei im Senium akut einsetzenden psychotischen
Attacken werden wir, wenn vorher Symptome erheblichen
Schwachsinns gefehlt haben, mit unserm prognostischen
Urteil vorsichtig sein müssen, wir werden die Möglichkeit
von Heilungen nicht außer acht lassen dürfen. Die Mög-
lichkeit, daß Störungen der Magendarmfunktion, eine vor-
übergehende fieberhafte Krankheit, die aufgetretene psycho-
1304 = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August.
tische Phase verursacht haben können, darf nicht ganz über-
sehen werden. |
Eingangs wurde bereits betont, daß die Entwicklung
beziehungsweise das Manifestwerden der senilen Involution
und in pathologischen Fällen auch der Eintritt der Erschei-
nungen der senilen Demenz nicht an ein bestimmtes hohes
Lebensalter gebunden ist. Es würde den Rahmen meiner
heutigen mehr den praktischen Zwecken gewidmeten Aus-
führungen weit überschreiten, wenn ich auf die verschie-
denen Formen geistiger Störungen des Präseniums, deren
klinische Stellung überdies noch sehr schwankt, näher ein-
gehen wollte.
Ich will nur auf jene Gruppe von Fällen aufmerksam
machen, die von Binswanger als Dementia praesenilis
beschrieben wurde. Die Wichtigkeit der Kenntnis dieser
präsenil erworbenen Schwachsinnszustände, besonders wenn
sie mit Herderscheinungen und Symptomen organischer
Gehirnerkrankung verknüpft sind (Alzheimer), liegt haupt-
sächlich darin, daß im Präsenium eine Reihe anderer Er-
krankungen mit psychischen Störungen vorkommen, wie die
arteriosklerotische Demenz, cerebrale Lues, progressive
Paralyse.
Da hinsichtlich dieser die Differentialdiagnose auch
aus therapeutischen Gründen oft von wesentlicher Bedeutung
ist, so soll auch dieser Erkrankungsform eine kurze Be-
sprechung gewidmet sein. Bei Dementia praesenilis ent-
wickelt sich erfahrungsgemäß bei geistig minderwertiz ver-
anlagten, wenn auch nicht direkt debilen, aber doch von
Hause aus wenig leistungsfähigen Individuen mitunter schon
vor Erreichung des 50. Lebensjahrs ein auffallender geistiger
Schwächezustand. Die Kranken zeigen eine hochgradige
Willensschwäche, sie verlieren das Interesse an Beruf und
Beschäftigung, das Gedächtnis nimmt ab, es kommt zu Ge-
mütsstumpfheit, zum Verlust jeder Arbeitsfähigkeit, es do-
minieren die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, die
Sprache wird zitternd, der Gesichtsausdruck apathisch.
Der Zustand zeigte keine wesentliche Progression, mit-
unter unterbrechen vorübergehende Erregungen das ein-
förmige Bild.
l Handelt es sich um Fälle, welche mit Zeichen orga-
nischer Gehirnkrankheit kompliziert sind, oder liegt gleich-
zeitig eine Arteriosklerose starken Grades vor, so treten zu
dem beschriebenen Krankheitsbilde Symptome, welche zu
Verwechslung mit rein arteriosklerotischen Formen An-
laß geben können. Bei anamnestischem Nachweis einer vor-
ausgegangenen Infektion mit Syphilis erhebt sich die Not-
wendigkeit der Abgrenzung von der Lues cerebri und von
der progressiven Paralyse.
Hinsichtlich der arteriosklerotischen Demenz möchte
ich besonders auf die neuste Bearbeitung der Klinik der
arteriosklerotischen Geistesstörungen von Pilcz verweisen.
Als allgemeine Richtschnur mag nur hervorgehoben
werden, daß für die arteriosklerotische Hirndegene-
ration und gegen den senilen oder präsenilen Schwachsinn
die mehr in Schüben zunehmende Demenz spricht, die Neigung
zu Perseveration, der größere Umfang der erhaltenen Reste
gesunder Vorstellungsgebiete und der Persönlichkeit an sich,
also die mehr partielle geistige Schwäche, ferner die In-
tensitätsschwankungen und raschen Remissionen, das leb-
haftere Krankheitsgefühl, besonders aber die körperlichen
Zeichen der lokalisierteren Gehirnkrankheit.
Die Differentialdiagnose der progressiven Paralyse
wird sich auf den Nachweis dauernder reflektorischer Pu-
pillenstarre (Weber), der charakteristischen dysarthrischen
Sprachstörung, der Hypalgesie, tabischer Erscheinungen, auf
das Vorhandensein der bekannten Euphorie, insbesondere auf
die serologische Untersuchung des Bluts und der Spinal-
flüssigkeit stützen müssen, wobei dem positiven Ausfall der
Wassermannschen Reaktion in Liquor, der starken Pleo-
cytose und der Eiweibvermehrung die ausschlaggebendere
Bedeutung zukommt (Nonne). i
Für die postsyphilitische und gegen eine Form der
senilen Demenz ist in psychischer Beziehung der mehr um-
schriebene Defekt, die Lähmung basaler Hirnnerven, be-
sonders Augenmuskellähmungen, heftige Kopfschmerzen, der
Nachweis sonstiger Symptome syphilitischer Erkrankung, das
positive Ergebnis der Wassermannschen Reaktion im Blut
und schließlich der Erfolg der in solchen zweifelhaften
Fällen immer einzuleitenden antisyphilitischen Behandlung
bestimmend.
Der Therapie ist bei den senilen Geisteskrankheiten
nur ein recht bescheidener Wirkungskreis eingeräumt. Bei
den ruhigen Demenzformen wird sie fast nur auf körper-
liche Pflege, Ueberwachung, zweckmäßige Ernährung, Sorge
für geregelte Darmtätigkeit und Reinlichkeit beschränkt
bleiben. Sehr oft gibt die besonders die Umgebung quälende
Schlaflosigkeit und nächtliche Unruhe der Kranken dringend
Anlaß zum Eingreifen. Man wird neben dem fortgesetzten
Versuche, die meist bei Tage zum Schlafen geneigten Kranken
daran zu hindern, um so, was hier und da gut gelingt, den
normalen Schlaftypus wieder herbeizuführen, mit Bädern und
Hypnoticis nachhelfen müssen. Gar nicht selten ist die Ver-
abreichung von mäßigen Alkoholdosen (ein Glas stärkeren
Biers, ein Gläschen Portwein) von vorzüglicher Wirkung. Von
dem Gebrauche des sonst mit Recht beliebten Veronals
würde ich bei Greisen und auch bei Arteriosklerotikern
lieber abraten. Es versagt doch hier und da und gibt nicht
selten bei derartigen Kranken Anlaß zu üblen Nachwirkungen
am andern Tage (Benommenheit, Kopfschmerz).
Empfohlen sei der Gebrauch des Amylenhydrats per
os oder Klysma, des Medinals, Adalins, speziell des neusten
Luminals in Dosen von 0,4 bis 0,8 in Pulvern oder des Lu-
minalnatriums in 20° iger Lösung in Form von subeutanen
Injektionen. Zur Bekämpfung von Angstzuständen bewähren
sich am besten kleine Opiumgaben oder die subcutane An-
wendung des Pantopons.
Bei aggressiven Kranken, in Fällen, die mit Zuständen
- deliranter Verwirrtheit, mit schwerer ängstlicher Erregung
einhergehen, wenn bei nicht ganz verläßlicher Ueberwachung
gefährliche Handlungen oder Selbstmordversuche zu be-
fürchten sind, sowie bei Fällen schwerer Demenz wird zumeist
die Abgabe in eine geschlossene Heilanstalt notwendig sein.
Literatur: Alzheimer, Ueber eigenartige Krankheitsfälle des späteren
Alters. (Zt. f. ges. Neur. u. Psych., Bd. 4, H. 3.) — Derselbe, Neuere Ar-
beiten über die Dementia senilis und die auf atheromatöser Gefäßerkrankung
basierenden Gehirnerkrankungen. (Mon. f. Psych. u. Neur. 1898, Bd. 2 u. 3.) —
Binswanger, Zur Klinik und pathologischen Anatomie der arteriosklerotischen
Hirnerkrankung. (Neur. Zbl. 1908, S. 1097.) — Buchholz, Ueber die Geistes-
störungen bei Arteriosklerose und ihre Beziehung zu den psychischen Erkran-
kungen des Seniums, (A. f. Psych, Bd. 39,) — Eichelberg u. Pförtner,
Die praktische Verwertbarkeit der verschiedenen Untersuchungsmethoden des
Liquor cerebrospinalis für die Diagnose der Geistes- und Nervenkrankheiten.
(Mon. f. Psych. u. Neur. 1909, Bd. 25.) — Fürstner, Die Geistesstörangen im
Greisenalter. (A. f. Psych., Bd. 20.) — Gaupp, Die Depressionszustände des
höheren Lebensalters. (M. med. Woch. 1905.) — Hellmann, Differentialdia-
gnose zwischen arteriosklerotischen Geistesstörungen und progressiver Paralyse.
(Inaug.-Dissert., Freiburg 1905.) — Hübner, Zur Psychologie und Psychopatho-
logie des Greisenalters. (Med. Kl. 1910, .Nr. 31 u. 32.) — Kraepelin, Lehr
buch der Psychiatrie. (8. Aufl, S. 593#.) — Nonne, Syphilis und Nerven-
system (1909). — A. Pilcz, Klinik der arteriosklerotischen Geistesstörungen.
(Wr. med. Woch. 1911, Nr. 5 bis 8) — Salgó, Die funktionellen Psychosen
des Greisenalters. (Ref. Neur. Zbl, 1902, S. 866.) — Siemerling, Krankheiten
des Greisenalters. (Herausgegeben von Schwalbe, 1909.) — Weber, Zur Klini
der arteriosklerotischen Psychosen. (Mon. f. Psych. u. Neur., Bd. 23, Supplement.)
— Derselbe, Zur prognostischen Bedeutung des Argyll-Robertsenschen Phä-
nomens. (Ibidem, Bd. 21) — Westphal, Zur Differentialdiagnose der a
sklerotischen Psychosen und der Dementia praecox. (Sitz.-Bericht Alg. a i
Psych., Bd. 65, S. 834.) — Wille, Die Psychosen des Greisenalters. (Allg. aa
f. Psych., Bd. 80.) — Wollenberg, Senile Geistesstörungen. (Lehrbuch der
Psychiatrie von Binswanger-Siemerling, Jena 1911.) — Ziehen, Lehrbuch der
Psychiatrie. (Leipzig 1908, S 710 u. ff.) — Zingerlo, Ueber Geistesstörungen
im Greisenalter. (Jahrb. f. Psych, Bd. 18) — Derselbe, Die Geistes-
störungen des Greisenalters. (Dittrichs Handbuch der ärztl. Sachverständigen-
tätigkeit, Bd. 2, S. 610.)
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11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32,
1305
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Abhandlungen.
Ueber Anämie nach Tropenkrankheiten
von
Dr. V. Schilling, Torgau,
Oberarzt, kommandiert zum Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten
| in Hamburg.
Die große Bedeutung der Anämie bei den Tropenkrankheiten
ist eine sehr bekannte und in alle Lehrbücher aufgenommene Tat»
sache. Dennoch bin ich dem Wunsche der Schriftleitung gerne
gefolgt, dieses alte Thema einer kurz zusammenfassenden Bearbei-
tung hier zu unterziehen, weil sich unter Anwendung der neuen
hämatologischen Anschauungen einige Gesichtspunkte gewinnen
lassen, die unsere Kenntnisse von dem wichtigsten Gegenstande
des anämischen Bluts, den Erythrocyten, und unsere Anschau-
ungen von der klinischen Wertung des anämischen Blutbildes
überhaupt ergänzen und erweitern könnten. Auch ist mir eine
etwas ausführlichere Zusammenfassung dieses Spezialgebiets im
hämatologischen Sinne nicht bekannt.
Das Studium der Anämie nach und durch Tropenkrankheiten
ist mit wenigen Ausnahmen ein rein morphologisches am Blut-
präparat geblieben. Die komplizierten Methoden unserer Klinik
sind, abgesehen von Hämoglobinbestimmung und -zählung, wohl
aus äußeren Gründen noch wenig angewendet worden. Ja selbst
für den morphologischen Teil hat das natürliche und vorherrschende
Interesse an den zahllosen neuen Parasitenformen, die die Proto-
zoologie kennen lehrte, eine eingehendere Aufmerksamkeit für das
reiche Material nur wenig erst aufkommen lassen.
-~
A. Morphologischer Teil.
Die Grundlage des klinischen Blutbildstudiums bei
den Tropenkrankheiten muß die Histologie der Erythro-
cyten bilden, und zwar in viel höherem Maße, als es bei uns
üblich ist, da die ständige Notwendigkeit der Unterscheidung von
Parasiten und hämatogenen Bestandteilen, die Suche nach unbe-
kannten, sicher durch stechende ‚Insekten übertragenen, also im
Blute kreisenden Erregern (z. B. bei Pappatacifieber, Gelbfieber
und anderen) eine kritische und fast absolute Kenntnis sämt-
licher möglichen Veränderungen des Erythrocyten verlangt!!)
Mit dieser Kenntnis des histologischen Erythrocytenbaues
sind wir meines Erachtens erst an den Anfängen, während sich
vielfach die Meinung vorfindet, als ob bereits die letzte Grenze
erreicht wäre. Die in umfassenden Arbeiten niedergelegte
Weidenreichsche Anschauung vom Erythrocyten, dem glocken-
förmigen Bläschen aus einer fast strukturlosen Membran und einem
homogenen flüssigen Endosoma, ist selbst von Hämatologen lange
ob wenig Widerstand entgegengesetzt worden, obgleich sie
dur unter einer Nichtbeachtung der Pathologie des Erythro-
oton möglich war. In der Tat gab es genug bewiesene Er-
scheinungen am Erythrocyten, die nicht als einfache Verände-
tung der Membran, als künstliche Ausfüllungen des Endosomas
oder endlich als Kernreste zu erklären waren; auch erlauben die
m der Tropenmedizin üblichen Azur-Eosinfärbungen unter keiner
Bedingung die Erklärung der Biutplättchen als endosomahaltige
Membranabschnürungen des Erythrocyten, die Weidenreich in
Ergänzung seiner Erythrocytentheorie aufstellte und allerdings
Jetzt zugunsten der Wrightschen Lehre (Abstammung von
ochenmarksriesenzellen) zurücknahm.
Die Ansichten über die Zellhistologie haben sich in den
letzten Jahren erheblich geändert. Neben den Kern und das
Protoplasma ist eine Fülle von Strukturen getreten, die sich
um das „Centrosoma® und die „Sphäre“ im wesentlichen lokali-
neren; ihre Kenntnis verbreitet sich mit der Ausbildung der
ethoden mehr und mehr; bereits jetzt ist es eine von namhaf-
testen Histologen vertretene Meinung, daß jede Zelle einen solchen
„primären Ort“ von besonderer Struktur und wahrscheinlich ver-
schiedenstem Chemismus neben Kern und Protoplasma besitzt?).
‚ie allgemeine Lehre ist, daß der Erythroceyt eine
Ifgendwie entkernte Zelle vorstellt; also besteht die
größte Wahrscheinlichkeit, daß auch er normal oder
leichter bei jugendlicher oder pathologischer Umgestal-
re E
$ Balfour hat unter dem Titel „Fallacies and purrles in blood
examination“ (Report of Wellcome Tropical Research Laboratories 1911)
mit zahlreichen Abbildungen allgemein darauf hingewiesen. i
Deineke (Anat. Anz. Mai 1912) fand „Golgi-Körper“ in allen
Intersuchten Epithel- und Bindegewebszellen,
tung derartige besondere Strukturen oder ihre Reste
aufweisen kann. Das etwa ist der Kern meiner gegen die
Weidenreichsche gestellten neuen Hypothese vom Bau des Ery-
throcyten!), deren weitere Ausführung sich hier erübrigt.
Die in der Tropenmedizin wichtigen Erscheinungen am
Erythrocyten kann man in drei Gruppen teilen: e
a) spezielle diagnostisch verwendbare Veränderungen des
Erythrocyten;
b) „pseudoparasitäre“, gegen bekannte und unbekannte Para-
siten abzugrenzende Einschlüsse; |
c) allgemeine symptomatisch wichtige Erythrocytenformen.
Bekannt ist in der Gruppe a) die sogenannte „Schüffner-
Tüpfelung“ (Schüffner, Maurer), eine nur bei Azur-Eosinfärbun-
gen (Giemsa und anderen Methoden) hervortretende, erst blasse,
dann immer deutlicher rotviolette feine Körnung der Erythrocyten,
die von einem Malaria tertiana-Parasiten befallen wurden. Von ihr
zu unterscheiden ist die sogenannte Perniciosafleckung, eine
viel dunklere, gröbere, spärlichere, oft in kleinen Ringen angeord-
nete Zeichnung von Erythrocyten, die mit Malaria tropica-Para-
siten besetzt sind; sie ist jedoch lange nicht so konstant, wie die
„Schüffner-Tüpfelung“. Besonders die Schüffner-Tüpfelung dürfte
protoplasmatischer Abstammung sein, obgleich Maurer?) sie in
Anlehnung an die alte Schaudinnsche Hypothese wieder als fein-
verteilte Kernreste angesprochen hat; sicher ist sie aber nicht,
wie Naegeli®) immer noch vertritt, mit der auch bei uns sehr
häufigen basophilen Punktierung, die stets rein blau ist, identisch,
sondern etwas ganz Specifisches.
Der inländische Arzt wird sich wohl meistens mit der Dia-
gnose „Malaria“ überhaupt begnügen, ohne die genaue Definition
der Art, Malaria tertiana, tropica oder quartana, vorzunehmen. Es
gehört allerdings eine erweiterte Kenntnis dazu, die Parasiten-
formen streng zu unterscheiden; dennoch gibt es einige Hilfs-
mittel, die die Differentialdiagnose erleichtern. Nach dem
erheblichen Erfolg der Salvarsanbehandlung bei Malaria tertiana
(Nocht und Werner®), Iversen?), Werner®) und Andere),
selbst bei chininresistenten, das heißt durch Chinin in höchster
Dosis nicht mehr zu heilenden Fällen und dagegen dem fast völli-
gen Versagen des „606“ bei Tropica und Quartana ist diese Diffe-
renzierung auch praktisch nicht so unwesentlich.
Ein Haupthilfsmittel der Diagnose ist eben die Erythrocyten-
veräönderung durch die Infektion:
1. Malaria tertiana: Der befallene Erythrocyt ist fast
ausnahmslos blaß, leicht weinrot verfärbt und vergrößert (gequollen).
Alle älteren Parasiten haben „Schüffner-Tüpfelung“ erzeugt. (Die
Parasitenformen sind meistens recht verschieden; es gibt keine
Halbmonde, wie Grawitz abbildet!) (Pathologie des Blutes 1911.)
2. Malaria tropica: Der Erythrocyt ist nach Größe und
Aussehen kaum verändert. Bei intensiver Färbung tritt jedoch
oft die „Perniciosa“-Fleckung heraus. (Die Parasiten sind fast
ausschließlich echte „Ringformen“; daneben in älteren Fällen die
specifischen Halbmonde.) j
3. Malaria quartana: Die Erythrocyten sind unverändert.
(Parasiten sind meist sehr spärlich, obgleich vielgestaltig; charak-
teristisch „Bandform“ quer über den Erythrocyten.)
Gerade für Malaria tertiana besitzen wir also in der
Schüffner-Tüpfelung ein recht charakteristisches, diagnostisch und
für die einzuschlagende Therapie unter Umständen wichtiges”),
hämatologisches Erkennungsmittel.
Aehnliche, ganz charakteristische Veränderungen sind sonst
kaum bekannt; höchstens darf man die seltsamen stäbchen-, ring-,
kugel-, kokken- und diplokokkenförmigen Erythrocyteneinschlüsse
der Verruga peruviana dazu rechnen, von denen zuletzt M. Mayer®)
eine gute, farbige Abbildung gegeben hat. Nach dem Studium
der Originalpräparate kann man sich den Deutungen anschließen,
1) Anat. Anz. Bd. 40; Verhandlungen der Anatomischen Gesell-
schaft, Leipzig 1911; desgl. München 1912 (i. Druck).
2) A. f, Trop. 1910, Ba. 4.
3) Blutkrankheiten und Blutdiagnostik 1912, S. 673,
4) D. med. Woch. 1910, Nr. 34. |
5) M. med. Woch. 1910, Nr. 34.
6) D. med. Woch. 1910, Nr. 39.
) Pappenheim (Hämatol. Diagnostik 1911, S. 37 Anm.) erklärt
die Schüffner-Tüpfelung für diagnostisch unwichtig; das steht mit der
Lehrmeinung am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten nicht in
Einklang.
ET Zbl. £. Bakt, 1910, Bd. 96,
<- ra
1306 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August.
die hier ebenfalls erythrocytäre Veränderungen, diesmal Kern-
reste durch die exzessive Schädigung der Blutbildung, vermuten
lassen, doch ist auch eine Entstehung aus anderen Erythrocyten-
teilen möglich. (Freifedsche Körnung’)
... "In die Gruppe der besonderen weder vom Kern noch ein-
fachem Protoplasma abzuleitenden Veränderungen habe ich neuer-
dings im Anschluß an ältere Ansichten über den Erythrocytenbau
die sogenahnten „Innenkörper“ und die bekannten „Randkörnchen“
oder „Chromatinstäubchen (Weidenreich)“ gerechnet. Erstere
werden im allgemeinen für protoplasmatische Veränderungen, teil-
weise auch für „Nucleoide* (Kernreste) gehalten, letztere direkt
als Rest der Entkernung aufgefaßt (Jolly-Stini und Andere).
„Nucleoide“ sind unbestimmt begrenzte, durch die Färbung her-
vorgehobene Flecke im Erythrocyten. „Randkörnchen“, winzige
rote, einfache oder doppelte Körnchen, die oft mit etwas blauer
Substanz excentrisch singulär im Erythrocyten liegen. Es
gibt nun in der Tropenmedizin eine Reihe von „Krankheits-
erregern“ gerade bei Krankheiten mit vermutlich ultra-
visiblen Erregern, die auf diese oder mindestens recht ähn-
liche Gebilde in besonderer Erscheinungsform zurückgeführt
werden könnten. Entweder ist die Häufigkeit der Beschreibung
dieser sonst nicht so oft gefundenen Gebilde durch die besondere
akut-degenerative Anämieform dieser schweren Infektionskrank-
heiten veranlaßt, vielleicht hat aber die geschärfte Aufmerksamkeit
nur sie häufiger entdecken lassen. Charakteristisch für alle diese
vermutlichen Pseudoparasiten (Seidelins Gelbfieberparasit Para-
plasma flavigenum!) und das sehr ähnliche Paraplasma subilavi-
genum?), das Anaplasma marginale und centrale Theilers?°) usw.)
ist, daß sie allein morphologisch in Erythrocyten beschrieben
werden, nicht absolut typisch wie die bisher bekannten Parasiten
aussehen und weder durch Züchtung noch durch Insekteninfektion
weiter zu klären waren. Anscheinend gehören äuch die Plehn-
schen‘) Dauerformen der Malaria die karyochromatophilen
Körner, die durch die Diskussion mit Grawitz bekannt wurden,
hierher; Plehn und Bloch hatten indessen durchaus recht, sie
von der protoplasmatischen basophilen Punktierung abzusondern,
während schon Nißle sie für „Centren“ hielt. Ich habe die Ansicht
vorgetragen, daß alle diese Erscheinungen als in eigenartiger Weise
pathologisch veränderte „Gentralapp arate“ jüngerer Erythrocyten
aufzufassen sind, wie auch Nißle°) bereits die „Uhromatin-
stäubchen“ als „Centren“ ansah, und habe die Entstehung äußer-
lich durchaus identischer Gebilde bei menschlicher und experimen-
teller Anämie zeigen können).
Die hin und wieder mit Parasiten in Beziehung gebrachten
„Corps en demi-lune“, (Stephens, Christophers, Sergents,
Brumpt und Andere) eigentümlich sichelartig begrenzte stark
vergrößerte Erythrocyten, kommen bei allen Arten von Anämien,
auch nichttropischen vor, sind aber mit Schüffner-Tüpfelung nur
bei Malaria tertiana möglich [Billet, Schilling-Torgau’), Neeb®)].
Von den allgemeinen Veränderungen ist die nach den
neuesten übereinstimmenden Untersuchungen protopl asmatische
nicht karyogene basophile Punktierung (Askanazy, Pappen-
heim, Autor’) und Ändere) bei Malaria besonders wichtig (siehe
unten); ich?) habe experimentell Polychromasie direkt in echte
(blaue?) basophile Punktierung in vitro umgewandelt; bei Malaria
kann man die Umwandlung von Polychromasie durch eindringende
Parasiten sehen, allerdings selten wie überhaupt die Infektion
Polychromatischer sehr selten und klinisch anscheinend er-
schwerend ist [Sabrazds!%), Autor!ly]; Infektion sogar Kern-
haltiger habe ich!?) jüngst erst beschrieben bei einem moribunden
Malariafalle.
Schließlich sind noch die Blutplättchen als. bei An-
ämie auffallend häufig intraerythrocytär zu erwähnen; Anfänger
halten sie daher oft für Parasiten, obgleich sie durch die charak-
1) Journ. of Pathol. and Bakteriol. 1911, Bd. 15, u. Yellow Fever
Bureau 1911, Bd. 1, S. 7
) Ann. of Trop. Med. and Parasitol. 1912, Bd. 5, S. 4.
3) U, a. Zt. f. Infektionskrankh. d. Haustiere 1912, Bd. 11, S. 3—4.
4) Plehn, Monographie Fischer 1912. |
5) A. f. Hyg. 1905. Bd. 58, zuletzt A. f. Trop, 1911, Bd. 15, S. 17.
6) Verhandlungen der Tropenmedizinischen Gesellschaft 1911. Beih.
z. A. f. Trop. 1911. on
2) A. f. Trop. 1911, Bd 15. Daselbst die Literaturangaben.
- 8) Geneskundige Tidschrift voor Nederlandsch-Indie 1912, Bd.52, S.1.
9) F. Haem. 1911, Bd. 11, S. 354.
10) A. des. maladies du coeur etc. 1910, Bd. 3, S. 3.
1) A. f. Trop. 1911, Bd. 14, S. 4.
13) A, f. Trop. 1912, Bd. 16.
teristische, diffuse, bläuliche und dunkelrote Färbung sich von den
leuchtend blau und roten, scharfen Parasitenformen gut unter-
schéiden. Nach neueren Experimenten möchte ich!) sie wieder für
direkt umgewandelte Erythrocytenkerne halten, etwas anders als
Engel und Andere seinerzeit, obgleich die Wrightsche Ansicht
ihrer Entstehung von Knochenmarksriesenzellen an Boden gewinnt
[Wright?), Schridde, Aschoff, Ogata®, Weidenreich und
Andere]. .
B. Allgemeiner Teil.
Die Gesamtheit des erythrocytären Blutbildes, die
Grundlage unserer Beurteilung für die klinische Er-
scheinung der „Anämie“, wird durch diese morphologischen
Einzelerscheinungen natürlich wenig unseren einheimischen be-
kannten Anämiebildern gegenüber verändert. Demnach kann ein
genaueres Studium der tropischen „Anämien“ unsere Kenntnisse
von dem Zustandekommen des anämischen Blutbildes und von der
Bedeutung dieser Anämien überhaupt recht erweitern.
Da wir bei den bekannten inneren Krankheiten nur ganz
wenige mit gleichzeitiger schwerer Anämie finden, so hat sich bis
in die neueste Zeit gerade in der Klinik der Begriff der „speei-
fischen Blutkrankheiten“* sehr konstant erhalten für die
Krankheitsbilder, in denen bei unbekannter Aetiologie eine Anämie
unter den Kardinalsymptomen stand (ich sehe von den leukocytären
Blutveränderungen hier ganz ab); man glaubte in „primäre“ und
„sekundäre“ Anämien mit Erfolg trennen zu können.
Fassen wir selbst den Begriff der „primären Anämie“ unter
der modernsten Form als eine „primäre Erkrankung des
gesamten erythropoetischen Apparats“ auf; also etwa, wie
Naegeli den Ehrlichschen „embryonalen“ megaloblastischen
Rückschlag der Blutbildung jetzt als eine ganz „specifische“
megaloblastische Belastung des erythropoetischen Apparats auf-
gefaßt haben will (bei Anämia perniciosa usw.): wir werden
dennoch nicht in der Lage sein, den Begriff der „primären
Anämie“ gegenüber der „sekundären Anämie“ irgendwie
zweckmäßig abzugrenzen, wenn wir die zahlreichen tropischen
Anämien in unsern Gesichtskreis hineinziehen.
Jedes anämische Blutbild erscheint danach stets
als ein sekundäres Symptom, als eine mehr oder weniger
künstlich abgegrenzte Stufe einer Skala von Veränderungen des
gesamten erythropoetischen Apparats, als das gerade vorliegende
Glied einer stets gesetzmäßig ablaufenden Kette von gleichartigen,
biologischen Vorgängen. Es ist noch in keinem Falle der
Beweis gelungen, daß die Krankheitsursache wirklich
primär das Ablaufen dieser Kette der Anämie auslöst,
teils weil die Ursache unbekannt ist (z. B. Chlorose und perniciöse
Anämie), teils weil mit der Feststellung der Ursache die Anämie
sofort als sekundär sich entpuppte (z. B. Botriocephalus-Anämie,
ägyptische Chlorose) und damit ausschied. Die beiden neuesten
Auflagen unserer großen Lehrbücher der Hämatologie sind dem
teilweise zwar gerecht geworden: Grawitz) glaubt, man sollte
die Sonderung in primär und sekundär fallen lassen und dafür
ätiologisch teilen in
A. Anämien als Folgeerscheinung einer bekannten Schädigung,
B. Anämien von charakteristischer Verlaufsweise und mit
unbekannter Ursache;
das ist selbstverständlich keine Einteilung der Anämien, sondern
eine Gruppierung ihrer Ursachen. |
Naegeli°) teilt in
A. Anämien mit embryonalem Typus der Blutbildung,
B. Anämien mit postembryonalem Typus der Blutbildung.
Das würde richtig sein, wenn in der Tat die „embryonale
Blutbildung“ etwas so Charakteristisches wäre, daß einzelne Krank-
heiten (wie Naegeli in Fortsetzung der Ehrlichschen Speeifität
„des perniziösen, megaloblastischen“ Blutbildes aber glaubt) wirk-
lich specifisch und perniziös mit ihr einhergehen. Dagegen haben
wir aber gerade bei den tropischen Anämien neue stichhaltige
Gegenbeweise (siehe unten).
Mithin werden wir uns vom allgemeinen Gesichtspunkte aus
bezüglich der Gesamteinteilung und Auffassung der Anämien eher
einem Standpunkte zuwenden müssen, wie ihn Pappenheim‘)
1) Anat. Anz. l. c.
ats 2 F ablic; of the Massachusetts General Hosp. Boston 1910,
3) Zieglers Beiträge 1912, Bd. 52.
4) Klinische Pathologie des Blutes. (Leipzig 1911, S. 312.)
5) Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. (Leipzig 1912, S. 368)
6) Hämatologische Diagnostik. (Leipzig 1911.)
— mn.
1912 —
11. August.
EDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. 180
(leider in schwer zugänglicher Form für den Praktiker) im ganzen
vertritt; er unterscheidet zwischen
I. primär hämatogenen, das heißt durch wirkliche Blut-
schädigung entstehenden. Anämien,
II. primär medullären, das heißt durch Knochenmarksbeein-
flussung bewirkten Anämien.
Wie soll aber der Praktiker, dem an einer diagnostischen,
symptomatischen oder prognostischen Verwertung des
anämischen Blutbildes liegt, unterscheiden, ob eine Wirkung
peripher im Blute oder in den Centren der Hämatopoese gewirkt
hat? Das, was ihm vorliegt, sind im wesentlichen Blutaus-
striche mit den veränderten Erythrocyten: Diese Verände-
rungen sind regenerativer Natur (jugendliche Erythrocyten-
formen z. B. kernhaltige, polychromatische) oder degenerativer
Natur (z. B. Poikilocytose, Mikrocytose, Kerntrümmer; schlechte
Färbbarkeit usw.); teilweise sind die Erscheinungen vermischt (so
ist z, B. die basophile Punktierung eine entartete regenerative
Polychromasie, der hyperchromatische Hämoglobingehalt eine Ent-
artuug der regenerativen Hämoglobinbildung). Zu den Degene-
rationen gehört aber vor allem jede Verminderung der Zahl,
sei es durch Vernichtung der Erythrocyten im Blut oder durch
Hemmung ihrer Ausbildung im Knochenmark, jede Verringerung
des Hämoglobingehalts besonders für den einzelnen Erythro-
eyten; (Zählung und Hämoglobinbestimmung sind daher die uner-
läßlichsten Hilfsmittel zu Wertung der Anämie).
Regeneration und Degeneration der Erythrocyten können
aber graduell sehr verschieden stark für sich ausgebildet und
miteinander verknüpft sein; und in diesen Abstufungen liegt
gerade der einzige klinische Wert des gesamten erythro-
eytären Anämiebildes. Ich habe infolgedessen in meiner spe-
zielen Zusammenfassung über „das Blutbild“!), die für praktische
Zwecke als Leitfaden dienen soll, diese beiden Symptome als
Grundlage der Betrachtungsweise des anämischen Blutbildes über-
haupt (übrigens genau so für die Leukocyten!) gewählt, indem ich
dabei gerade die auf dem Gebiete der Tropenanämie gesammelten
Erfahrungen besonders im Auge behielt.
Bei allen Tropenkrankheiten, die mit schwereren Anämien
verlaufen, und das sind besonders von den Protozoenkrankheiten
Malaria und Kala-azar, von den Krankheiten durch vermutlich ultra-
visible Erreger die „Verruga peruviana“, von den Darmkrank-
heiten die tropische Aphthenkrankheit („Indisch-Sprew“) und von
den Helminthiasen die Ankylostomiasis, können wir jede Form
der Anämie, in jeder Abstufung und Zusammensetzung
von der einfachsten „sekundären“ bis zur specifischsten „perniziös-
megaloblastischen*, von der akutesten, „erythroblastischen Krise“
bis zur chronisehsten „aplastischen* oder „regenerativen“ Anämie
erhalten. Die Hauptgradabstufungen sind etwa:
‚ 1. Anämie ohne Aenderung des Blutbildes wegen zu
geringer Regeneration (nur leichte Zahl- und Hämoglobinverminde-
rung, bei leicht degenerativem Einfluß Poikilocytose usw.).
2. Polychromatisches Blutbild mit mäßig zahlreichen
polychromatischen Erythrocyten oder bei gleichzeitig degenerativer
Wirkung basophiler Punktierung.
‚3 Normoblastisches Blutbild mit stärkerer Polychrom-
asie und kernhaltigen oder bei degenerativer Beimischung Kern-
trümmern, Kernresten usw. an |
4, Megaloblastisches Blutbild mit Megalocyten und
Megaloblasten und besonders bei längerer Dauer der Intoxika-
tionen hyperchromatischem Hämoglobingehalt der Einzelzelle.
urch den überwiegenden Einfluß der degenerativen
Omponente können in jedem dieser Stadien bereits die regene-
rativen Formen meistens durch Bildungshemmüng im blutbildenden
Pparat verschwinden oder zurückgehalten werden, sodaß wir dann
entweder „rein aregenerative* (aplastische!) oder „nur de-
senerative“ (Poikilocytose usw.) Blutbilder bei starker Zahl-
u Hämoglobinveränderung ‚vorfinden. Erstere entgehen ohne
alle ung der Erythrocyten sehr leicht der Beobachtung, da eben
lich re Formen fehlen, letztere werden häufig für künst-
halte chädigung („schlechte Ausstriche“, „unsaubere Gläser“) ge-
ti D, durch die sie allerdings bei mangelhafter Technik vorge-
uscht werden können. |
er 2 Beschreibung der Anämien der Tropeukrankheiten
ri So eine ständige Wiederholung bilden, weshalb ich kurz
em Krankheitsnamen seine wesentlichste Begleitanämie nur
anführen werde:
Tr
l srat l
(Jena 2 lg -Torgau, Das Blutbild und seine klinische Verwertung.
Malaria: stets Anämie vom gemischt regenerativen Typus;
vereinzelt Normoblasten, fast stets basophile Punktierung iùn
hohem Prozentsatze der überhaupt vorhandenen Polychromatischen
solange die Infektion noch nachwirkt. _ ee
Die basophile Punktierung ist mindestens so charakte-
ristisch für Malaria, wie bei uns für Bleivergiftung, sodaß Milz-
tumor und basophile Punktierung vereint bei der Möglich-
keit tropischer Aetiologie mit einiger Sicherheit die Diagnose
„latente oder chronische Malaria“. ermöglicht, selbst wenn
Parasiten im Ausstrich nicht gleich zu finden sind. Vor allem
geben sie ein Zeichen für die Notwendigkeit längeren Suchens und
die Herstellung von Präparaten im „dicken Tropfen“.
Mit der Chininbehandlung pflegt die basophile Punktierung
in prompter Weise zurückzugehen, falls wirkliche Hebung vorliegt,
während die Polychromasie zuerst zunimmt und bis zur völligen
Rekonvaleszenz verharrt. |
Der Hämoglobingehalt ist so stark und auffällig herabgesetzt,
daß neben der direkten Zerstörung der Erythrocyten (echt „primäre“
Blutkrankheit!) schon seit langem die Lehre von einer gleichzeiti-
gen anämisierenden Wirkung eines noch hypothetischen Malaria-
toxins berechtigt erscheint, worauf auch schon die basophile
Punktierung hindeutete.
In neuester Zeit ist wieder versucht worden [Rowley-
Lawson!)], die starke Zahlverminderung durch ein Ueber-
klettern der Parasiten von einem auf den andern Erythrocyten
und somit Zerstörung einer ganzen Serie von roten Blutzellen
durch einen Parasiten vor allem zu erklären; dagegen spricht
von selbst die Beobachtung der Schüffner-Tüpfelung bei der Malaria
tertiana; in den schweren Anämiefällen müßten auch die meist
sehr spärlichen Parasiten eine zu fieberhafte Tätigkeit entwickeln;
natürlich kann bei Verbleiben mehrerer Parasiten in derselben
Zelle beim Heranwachsen eine Auswanderung wohl erfolgen, wie
Schaudinn schon annahm.
Bei sehr schweren, besonders aber unbehandelten Malaria-
fällen kann der Grad der Anämie sich sehr steigern; recht häufig
finden sich dann Normoblasten; selbst reichliche Megaloblastose?),
Neigung zur Hyperchromatose mindestens der einzelnen Zellen
usw. („perniziöses* Blutbild) ist oft beobachtet und beschrieben,
obgleich die fast „aregenerative“ Blutbildung mit schwerer Zahl-
verminderung und geringem Hämoglobingehalt häufger ist,
Schwarzwasserfieber: Bekanntlich wird dieses Symptom
zur Malaria hinzugerechnet, weil wenigstens in der fast absoluten
Mehrzahl der Fälle eine malarische Grundlage und meistens eine
gegen diese genommene Chinindosis den Anfall auslöst.
Die Blutbilder sind oft geradezu experimentell klar. Die
plötzliche hämolytische Vernichtung ungezählter Erythrocyten
stürzt den Hämoglobingehalt von 70 bis 800%, auf 45 bis 30 bis
20 %/, ja bis zu noch geringeren Werten herab: die Zahl ist dabei
durch die große Menge kreisender oder sofort in der Zählkammer
entstehender Schatten schwer genau zu bestimmen, fällt aber eben-
falls von etwa vier Millionen rapide auf oft unter eine Million.
Klingt der Anfall durch Chininabsetzung sofort ab, so tritt die
echte „erythroblastische“ oder „normoblastische* polycbromatische
Krise ein, manchmal in einer Form, wie man sie selbst im Tier-
experiment kaum sieht. |
Dauert die Hämolyse fort, so entwickelt sich anscheinend
relativ oft ein „aregeneratives“ Blutbild, wenigstens lassen die
Sektionsbefunde vielfach eine „Aplasie“ oder besser „Degeneration“
des roten Markes der Rippen bei mangelnder roter Umwandlung
des sonstigen Knochenmarks erkennen [z.B. Ziemann)].
Interessant ist, daß auch bei Aufhören der Hämoglobinurie
und sonst guten Befunde Fortdauer der „aplastischen“
Anämie mit ungünstigem Ausgang vorkommt, wenigstens konnte
ich?) über einen derartigen Fall letzthin berichten, bei dem in
Verbindung mit zunehmender schwerer „Arnethscher Verschie-
bung“ der Leukocyten das Blutbild diesen sehr klaren, möglicher-
weise prognostisch anwendbaren Befund bot.
Wiederholte Schwarzwasseranfälle können jedoch auch zum
1) J, of Am. ass. 1912, Bd. 98, S. 1398.
2). Naegeli (l. c.) und Andere führen diese Formen auf Knochen-
marksaffektion zurück. Ganz richtig erklärt Naegeli das Blutbild für
nicht identisch mit dem der „Biermer“schen Krankheit, weil meist
Hyperleukocytose vorliegt; der erythrocytäre Teil ist jedoch meines Er-
achtens biologisch ganz gleichwertig.
2 ee nn der ale 1906, Bd. 3).
erhandl. der Tropenmedizinischen Gesellschaft, i
(Beih. z. A. f. Trop. 1912). . un
1308 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
megaloblastischen Blutbilde führen, wenn eben die Regeneration
Zeit zur Entwicklung findet.
Kala-azar (hervorgerufen durch Leishmania Donovani, eine
den Flagellaten nahestehende Protozoenart, die in leukocytären
Zellen, besonders in der Milz, sich ansiedelt), die Tryponosomen-
krankheiten, Schlafkrankheit und die neue brasilianische Schizo-
trypanosomiasis oder Thyreoiditis parasitaria (Chagas) usw. rufen
ya durchaus ähnliche Anämien wie die einfache Malariaanämie
ervor.
Die Verruga peruviana!) verdient vom Standpunkte
unseres Themas aus kurze Erwähnung, obgleich sie nur sehr be-
schränkte Verbreitung hat (Westabhang der Anden Perus). Er-
reger und Uebertragung ist noch nicht bekannt. Es ist eine
fieberhafte Infektionskrankheit, die stets mit leichterer oder
schwererer akuter Anämie einhergeht und, wenn sie nicht vorher
zum Tode führt, zu einer warzenartigen Hauteruption zu führen
pflegt. Die peruanischen Aerzte nennen sie „anämisierendes
Fieber“.
Bei den sogenannten schweren Formen finden sich schnelle
Abstürze der Erythrocyten bis zu 500 000 im Kubikmillimeter mit
gleichzeitig meist hohem Färbeindex. Erythroblasten, Megalo-
blasten, Normoblasten kommen in geradezu erstaunlichen Prozent-
zahlen vor; dabei besteht eine enorm starke, basophile Punktie- .
rung gerade der Kernhaltigen; daneben finden sich alle Zeichen
pathologischer Entkernung von Kernkugeln bis zu ganz ungewöhn-
lichen „Ringformen* (ähnlich den Cabot-Schleipschen Ringen),
von einzelnen Randkörnchen bis zu ganzen Konglomeraten von
Stäbchen und Kügelchen intraerythrocytär vor; Poikiloceyten, Mikro-
cyten, Schistocyten vervollständigen die Sammlung sämtlicher
uns bekannter Erythrocytenveränderungen, die, wie ich
selbst mich überzeugen konnte?), in einem Präparate oft reichlich
zu sehen sind. Es ist dies eine Mischung von regenerativem und
gleichzeitig schwer toxisch-degenerativem Blutbild, wie sie selbst
in den schwersten Fällen „perniziösser Anämie“ bei uns nie
auftritt.
Die tropischen Wurmkrankheiten gehen bis auf die
Filariosen wohl alle mit mehr oder weniger ausgeprägter Anämie
einher.
Die Ankylostomiasis wird direkt als „Anémie intertropi-
cale“ noch heute bezeichnet, obgleich auch Malaria oder Kala-azar
usw. stellenweise daneben ihre Rolle spielen mögen. Sowohl durch
Anchylostomum, wie durch den sehr nahestehenden Necutor ameri-
canus (Stiles) werden jedenfalls sehr verbreitet alle Arten, von
den leichtesten und bis zu den schwersten Anämien, ja bis zum
aplastischen und (selten) hyperchromatisch-megaloblastischen Typus
hervorgerufen. o
Für Aegypten kommt besonders die Schistosomiasis durch
Schistosomum hämatobium (bekannter als Bilharziose) in Betracht,
die allerdings auch sonst verbreitet ist. Auch neuere Unter-
suchungen [z. B. Zweifel] wollen bei ihr besonders eine
chlorotische Veränderung der Erythrocyten, eine unver-
hältnismäßig stärkere Herabsetzung des Hämoglobingehalts gegen-
über der Zahlverminderung, festhalten.
Chronische Dysenterie, besonders durch Amöben, wirkt
meist einfach regenerativ anämisch durch die Blutverluste.
Endlich verdient die Indische Sprewkrankheit bezüg-
lich der Anämie besonderer Erwähnung. Bei schweren chronischen
Fällen bildet die Anämie schwerster Form ein ganz konstantes
Begleitsymptom, nach dem sich Verlauf und Prognose gut über-
wachen lassen. Es besteht eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
Krankheitsbilde der Biermerschen Krankheit, das heißt der echten
perniciösen Anämie gerade bei schweren Formen, doch trennt die
nachweislich lokale Aetiologie, die charakteristischen Aphthen-
erscheinungen an der Zunge, die „Schaumstühle“, die wochenlang
täglich bis zu zehnmal und mehr abgesetzt werden können, im
allgemeinen doch die beiden Krankheitsbilder gänzlich.
Dennoch fand ich‘) in letzter Zeit das gesamte typische
Blutbild der perniziösen Anämie mit erböhtem Hämo-
globinindex [Thins?) Angaben darüber waren angezweifelt$)
1) Kurze Zusammenfassung zuletzt von Darling, Verruca peruana
(J. of im pe 1911, Nr, 26), und Bindo de Vecchi (Beib. z. A. f.
A i 1909). .
as nalen des Instituts f. Schiffs- u. Tropenkrankheiten,
3) A. f. Trop. 1911, Bd. 15.
4) Verhandl. d. Tropenmed. Gesellschaft, Hamburg 19i2, s. o.
5) „Poilosis“ (London 1897).
6) van der Scheer, Aphthne tropical, (Menses Handbuch der
Tropenkrankh. 1906, Bd. 2.)
11. August.
worden], herabgesetzter Blutplättchenzahl, Leukopenie mit Lympho-
cytose (Zahl um 2000) bei einigen Fällen. Mit besonderer Deut-
lichkeit ließ sich die Abhängigkeit des „perniziösen“ Blut-
bildes allein von der Schwere der Erkrankung bei fortgesetzter
Kontrolle erkennen. In einem Falle wurde eine wochenlang
aplastische, das heißt ohne Polychromasie und kernhaltige,
fast ohne Megalocytose verlaufende, dabei aber hoch hyper-
chromatische Anämie vorgefunden; diese Formen der aplasti-
schen Anämie wurden vielfach zum Blutbilde der echten Biermer-
schen perniziösen Anämie hinzugerechnet (Naegeli u. Ä.), bei
der sie unzweifelhaft ebenfalls vorkommen können |
Der erheblichste Unterschied gegenüber der reinen
Biermerschen Krankheit ist jedoch die sichere Heil-
barkeit der Sprew durch eine geschickt geleitete
Stoffwechseltherapie, die wenigstens nach den bekann-
ten Erfahrungen gänzlich unabhängig von dem Grade
der Anämie auch von Erfolg gekrönt ist. Ein „perniziöses“
Blutbild im absoluten Sinne, das heißt einen irreparablen Grad von
Anämie, gibt es also weder als „megaloblastischen“, noch als
„nyperchromatischen Typus; ebensowenig kann man von einer
scharf abgegrenzten Specifität hyperchromatischer oder megaloblasti-
scher Anämien noch reden. Es genügt, daß neben die reine
Regeneration die toxisch-degenerative Komponente für
kürzere oder längere Zeit tritt, um meines Erachtens
jede Anämie schließlich zu diesem Grade steigern zu
können, wenn auch nur eine beschränkte Anzahl von
Krankheiten wirklich die Grundbedingungen dazu zu
geben vermag.
Es bleiben noch einige Worte über die sogenannte „Tropen-
anämie“ übrig. Die wirkliche Anämie durch Tropenhitze gilt als
beseitigt durch die genauen Untersuchungen von Glogner,
Eykman, Gryns, F. und A. Plehn und Andern. F. Plehn
gab eine plausible Erklärung durch die sehr sorgsame Vermeidung.
des Sonnenlichts in den Tropen (Stubenfarbe!), die von den Euro-
päern durchgeführt wird. Weniger annehmbar erscheint die
Kohlbruggesche Hypothese, die ein Undurchsichtigwerden der
Epidermis durch Schweiß und Luftfeuchtigkeit für die Haupt-
ursache der „Pseudoanämie“ hielt. Die zahllosen, im Anfang noch
unbekannten Aetiologien, besonders die Wurmkrankheiten, sind
wohl vielfach übersehen, respektive sind auch die chronischen In-
fektionen mit Malaria besonders in ihrer Wirkung unterschätzt
worden. Dennoch scheint mir Grawitz!) nicht so unrecht zu
haben, wenn er mit einigen Tropenärzten an die Möglichkeit einer Oli-
gämie im reinen Sinne denkt, das heißt an eine einfache atrophische
Herabminderung der Blutbildung und Blutmenge, wie sie bei
Tuberkulose vorkommt. Diese würde in Einklang stehen mit der
allgemein zu beobachtenden körperlichen Alteration in den Tropen;
sie wäre ein Teil „de l’amoindrissement des fonctions organiques“
in den heißen Zonen, wie Salanoue-Ipin?) es treffend ausdrückt.
Die Hämoglobin- und Zahlwerte können dabei so normal sein, wie
es auch die letzten größeren Untersuchungen selbst bei längerem
Tropenaufenthalt ergeben haben [z. B. Weston Chamberlain’),
The red blood corpuscles and the haemoglobin of healthy adult
American males residing in the Philippine. Bused on 1418 red
all counts and 1433 haemoglobin estimations performed on 702
soldiers]. Wenn dagegen basophile Punktierung oder die oben
erwähnten Plehnschen Körner zu finden sind, so liegt eine wirk-
liche anämische Veränderung [z.B. auch nach Zie mann‘)J meines Er-
achtens bereits vor, sodaß diese Frage immerhin noch nicht ganz
geklärt ist. Mäuseversuche im Brutschrank (Grawitz) können
allerdings nicht als eine irgendwie heranziehbare Versuchsanord-
nung gelten, zumal sie bis 35 ® negativ blieben.
Fassen wir die Beobachtungen an Tropenanämien zusammen,
um daraus praktische Anhaltspunkte für die Beurteilung
tropischer Anämien zu gewinnen, so ergibt sich zuerst in dia-
gnostischer Hinsicht recht wenig. Das Wesentlichste ist im
morphologischen Teile (siehe oben) aufgezählt: abgesehen von
den speecifischen Malariafleckungen ist es unmöglich,
irgendeine Tropenkrankheit aus dem vorhandenen Ery-
throeytenbilde allein zu diagnostizieren, es sei denn,
'man die Parasitenhinzurechnet, deren Feststellung oder Ausschließung
in jedem Falle tropischer Anämie in erster Linie zu erfolgen hat.
Von indirekt diagnostischer Bedeutung sind besonders die
le
2) Précis de pathologie tropicale (Paris 1910).
3) Philippin. Journal 1912, Bd. 6,8.6
4) Menses Handbuch ]. c.
Gesellschaft in Berlin 1912
11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. | 1309
intraerythrocytären Veränderungen pseudoparasitären Aussehens
(siehe oben), da ihre genaue Kenntnis zur Unterscheidung von
Parasiten zu fordern ist; besonders müssen sie voll berücksichtigt
werden, ehe an neue protozoide Krankheitserreger gedacht wird.
Eine gewisse -diagnostisch hinleitende und unterstützende
Bedeutung kommt der basophilen Punktierung zu, insofern
sie gerade bei chronisch leichten und spärlichen Malariainfektionen
mit Milztumor auf die bestehende Infektion aufmerksam macht.
Für die symptomatische und prognostische Wertung
ist die Betrachtung der Anämie nach Regeneration und Degene-
ration des erythrocytären Blutbildes durchaus vorteilhaft und
wichtig.
Regenerative Veränderung ist bei festgestellter Zahl-
herabsetzung und Hämoglobinverminderung äls der physiologische
Zustand anzusehen; je nach dem Grade der Anämie ist das Vor-
handensein von Polychromatischen, Normoblasten oder selbst Me-
galoblasten als zweckmäßige biologische Reaktion zu be-
trachten und von durchaus günstiger klinischer Bedeutung.
Einige Vorsicht ist bei den höchsten Graden, den plötzlichen
„Krisen“, besonders mit sehr jungen Erythroblasten, angebracht,
da sie auch in Erschöpfung umschlagen können.
Aregenerative Zustände, fehlende Regeneration bei fest-
gestellter Anämie, sind je nach dem Grade der Zahl- und Hämo-
globinherabsetzung ein ungünstigeres klinisches Symptom.
Sie sind nach experimentellen und klinischen Beobachtungen eher
als aktive Hemmung durch den noch bestehenden Krankheitsprozeß,
denn als wirklich passives Versagen der Blutbildung infolge indi-
vidueller mangelhafter Hämatopoöse aufzufassen.
Degenerative Erythrocytenveränderungen (Poikilo-
cytose, Kerntrümmer usw.) sind anscheinend stets der Ausdruck
noch bestehender oder fortwirkender Anämisierung und sind um so
ungünstiger klinisch einzuschätzen, je länger sie anhalten und
je mehr die Regeneration durch sie überwunden wird.
Prognostisch erscheint das Auftreten kräftiger, aber nicht
überstürzter Regeneration in akuten oder frisch behandelten Fällen
mit schneller Abnahme degenerativer Symptome als günstig be-
achtenswert. Bei chronischen Fällen ist besonders das Auftreten
von polychromatischen aplastischen Stadien und der Rück-
gang hyperchromatischer Veränderung günstig, wenn er mit nor-
maler Regeneration verbunden ist. Am ungünstigsten erscheinen in
prognostischer Hinsicht lange andauernde „aregenerative“ Zustände
oder akutes Versagen respektive Ausbleiben der Regeneration.
Die Therapie der Tropenanämie ist nach dem Gesagten
selbstverständlich in erster Linie eine kausale, auf die hier nicht
weiter eingegangen zu werden braucht. Die Untersuchung auf
Helminthen ist dabei niemals zu unterlassen (Eosinophilie!). Abge-
sehen von den mit fortgeschrittener Kachexie bereits einhergehenden
chronischen Erkrankungen setzt der Erfolg der Behandlung in bezug
auf Schnelligkeit und Vollständigkeit der Blutneubildung oft in Er-
staunen, wie besonders die geheilten Sprewfälle, die mit Salvarsan be-
handelten ehininresistenten Malariafälle usw. hier gezeigt haben. Im
Gefolge des Schwarzwassers bleiben leicht länger dauernde erhebliche
Anämien zurück, auch wenn es gelingt, durch feinabgestufte Chinin-
gewöhnung die malarische Grundlage schnell zu beseitigen. Sicher
aber scheint es keine Form der chronischen Anämie bei Tropen-
krankheiten zu geben, die eine absolut „perniziöse“ Bedeutung
trotz aller Aehnlichkeit mit dem Blutbilde der unheilbaren Biermoer-
schen Krankheit in sich schlösse. Zur Unterstützung der Rekon-
valeszenz sind die üblichen Medikationen, Arsenpräparate, Eisen in
organischen Verbindungen usw. empfehlenswert; Werner hält
auch günstige Einwirkung des Salversans auf die Blutbildung bei
Malariafällen für augenscheinlich.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
nt
Hautkrankheiten und Bäder‘)
Ä von
Kgl. Kreisarzt Dr. E. Vollmer, Bad Kreuznach,
Spezialarzt für Hautkrankheiten.
Ueber die therapeutischen Beziehungen der Bäder zu den
Hautkrankheiten ist von dermatologischer Seite und über die
Provokation von Hautkrankheiten durch Mineralbäder ist von
balneologischer Seite vielfach geschrieben worden. Beiderseits ,
liegen durchaus glaubwürdige Mitteilungen vor und es ist nun
a Sache, hierfür den Grund zu finden und Erklärungen ab-
zugeben. |
Es liegt für den Dermatologen nahe, Bäder aller Art, auch
die Mineralbäder zur Kur der Hautkrankheiten heranzuziehen,
weil das erkrankte Organ in die unmittelbarste Berührung mit
dem Badewasser kommen und dessen Heilfaktoren wirken lassen
kann. Anderseits bringen ja Erwägungen über das Vorkommen
der Hautkrankheiten direkt zu der Ueberzeugung, daß bei guter
Bäderanwendung die Hautkrankheiten weniger auftreten. Lassar
forderte in seiner Gesellschaft zur Förderung der Volksbäder immer:
„Jedem Deutschen täglich sein Bad“, um Hautkrankheiten aller
t im Keime zu ersticken und er war es ja auch, der die alte
Scheu der Wiener Schule vor Bademaßnahmen in der Exzem-
therapie endlich überwunden hat. Die Lassarsche Forderung
Onnte man für die oberen Schichten der Bevölkerung dahin
variieren: „Jedem Deutschen jedes Jahr seine Badekur“, und da
erhebt sich die Frage, für welche Patienten dermatologi-
scher Art können Bademaßnahmen besondere Vorteile
mingen und aus welchem Grunde?)? |
A Keinen Zweck hat es, in Bädern Heilung zu suchen für
m 9 Hautkrankheiten, die durch Pilze hervorgerufen werden oder
P Parasiten, wie Scabies, Favus,: Alopecia areata, Herpes
a ntong, Sycosis parasitaria, Milzbrandpusteln und dergleichen.
wirks lesen Erkrankungen ist auch der Schatz von bestimmten,
gische Mi Salben so groß, und viele, auch neuere pharmakolo-
zenik: ittel sind so sicher wirksam; auch die Licht- und Rönt-
be besonders bei Favus und Herpes tonsurans, so aus-
) Vortrag, gehalten auf der 38. Versammlung der Balneologischen
:
8.: Dr. E. Vollmer, Ueber die Beziehungen zwischen
) Vgl.
B :
alneologie und Dermatologie. (A. f. Derm., Bd. 70, H. 2, Wien.)
gezeichnet zu verwenden und kürzt das Heilverfahren so sehr
gegen früher ab, daß es ein Kunstfehler wäre, wenn man an Stelle
dieser Mittel etwa Bäder, auch Mineralbäder, zu empfehlen geneigt
sein sollte.
Die Ansteckungsgefahr ist auch bei diesen Erkrankungen
eine so große, daß man die Badewannen, in denen solche Kranke
gebadet haben, nicht ohne gründliche Desinfektion andern Kranken
überlassen dürfte. Wohin sollte es aber führen, wenn man in
einem großen ÜÖentral-Bäderhaus auch noch jede Badewanne nach
dem Gebrauch desinfizieren müßte? Die universelle oder partielle
Furunkulose hingegen und manche Acneformen können mit großem
Erfolge sowohl heißen Süßwasserbädern, als auch den Sol- und
Schwefelbädern anvertraut werden. Hier kann auch getrost von
der Desinfektion der Badewannen abgesehen werden, weil die
Krankheitserreger meist in der Tiefe der Haut und des Unter-
hautbindegewebes sitzen. Offene Furunkel allerdings ohne folgende
Desinfektion der Badewannen baden zu lassen, ist nicht zu er-
lauben und könnte ein gerichtliches Nachspiel und einen begrün-
deten Schadenersatzanspruch eiries etwa infizierten Badegastes nach
sich ziehen.
Eine Domäne für die Solbadekuren und speziell auch für
die Seebäder der Nord- und Ostsee sind immer die Hautkrank-
heiten gewesen, die auf tuberkulo-skrofulöser Grundlage, besonders
bei Kindern, beruhen. Die segensreiche Wirkung kalter Seebäder
und warmer Solbäder — jene vielleicht mehr bei den torpiden,
diese mehr bei den erethischen Formen — auch bei noch sezernie-
renden Fisteln, torpiden Geschwüren aller Art bis zum Skrofulo-
derma kann nicht mehr ernstlich bestritten werden — man kann
selbst offene Geschwüre ruhig in die warmen Solbäder bringen,
‘ein Fall von akuter Entzündung ist noch nie beobachtet worden.
Man macht es am besten so, daß man die Verbände während des
Bades liegen läßt, sie lockern sich schon von selber durch das
eindringende Solwasser, und erst nach dem Bade neu verbindet —
so kann die Badewanne nicht mit der Wunde in Berührung
kommen. Bei. diesem Vorgehen kommt den kleinen Patienten auch
die leichtere Entfernung der aufgeweichten Verbände zugute, die
den Verbandwechsel, der sonst bei empfindlichen Kindern oft eine
Qual auch für den Arzt ist, völlig schmerzlos gestaltet. Bei
diesen offenen Wunden ist allerdings auch die Badewanne hernach
zu desinfizieren, was am leichtesten durch Zusatz von Sublimat-
| pastillen geschieht, von denen vier bis fünf genügen, da ja schon
in einer Verdünnung von 1:20000 das Sublimat noch bactericide
1310 _ 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
wirkt. Diese in den Kinderheilstätten in Sol- und Seebädern er-
probten Bademaßnahmen ‚sollten auch immer mehr in die Kinder-
kränkenhäuser Eingang finden, wie es z. B. in mustergültiger
. Weise in Hohenlychen der Fall ist.
Vielfach sind auch bei chronischen Ekzemen, bei Seborrhöe
der Haut, bei Schuppenflechten mit Bäderbehandlungen Heilungen
‚erzielt worden. Je größer die befallenen Stellen sind, je weniger
wird man auf Bäderbehandlungen verzichten können, schon allein
um die krankhaften Auflagerungen zu entfernen. In diesen Fällen
vermag ja auch das prolongierte, warme Mineralbad die ganze
Haut zu erfassen, und die Heilung kommt, unterstützt durch spe-
‘eifische Mittel, in ähnlicher Weise zustande, wie bei der Bier-
schen Stauung, durch Erweiterung der Hautgefäße und gesteigerte
Blutzufuhr. Auch Radiumemanationsbäder sind bei diesen chroni-
schen Fällen sehr gut zu verwenden und oft von auffallend
‚schnellem Erfolg begleitet. Ebenso werden alte und selbst aus-
gedehnte Fälle von Lichen ruber planus und Lichen acuminatus
in Sol- und Schwefelbädern auf das beste beeinflußt, was bei der
keratotischen Natur des Leidens ja begreiflich erscheint. Des-
gleichen oft sehr schwere Fälle von Pruritus und Prurigo — wo
die Besserung zuweilen schon mit dem Einsteigen in die warme
Wasserflut einsetzt und wo dann das unerträgliche Jucken auf-
hört, das manchem Patienten, besonders alte Leute, oft dem Selbst-
morde nahe bringt. I
Wenden wir uns nun zur zweiten Gruppe von Hautkrank-
heiten, die von jeher in Bädern wie Kreuznach, Aachen, Nenndorf,
Wiesbaden mit bestem Erfolg behandelt sind, den Geschlechts-
krankheiten. Auch hier gilt als Prinzip: Die akuten, hochgradig
infektiösen Formen schließen die Bäderbehandlung aus, die chroni-
schen Formen schließen sie ein. Die Bäder sind keine specifischen
Heilmittel; die Abtötung der Krankheitserreger ist Sache der
Silber-, Jod-, Quecksilber- und Arsenpräparate. Sache der Bäder
ist die Kräftigung der durch die Krankheit geschädigten Organe
und Zellen; Sache der Bäder ist, die Ausscheidung der letzten
Krankheitsprodukte zu begünstigen und zu bewirken, und hier
treten die verschiedensten Badekuren in volle Wirksamkeit. Nie
wird ein verständiger Arzt bei akuter Gonorrhöe oder bei frischem
Uleus molle oder Primäraffekten Bäder verwenden, und hiermit
allein Hilfe verheißen wollen ohne die von der Spezialmedizin er-
probten Heilmittel, speziell auch der Salvarsaninjektion, der Jod-
und Quecksilberapplikation, wäre Kurpfuscherei der schlimmsten
Sorte,
Aber ein weites und aussichtsreiches Feld der Tätigkeit
öffnet sich für die Folgezustände nach gonorrhoischen und syphi-
litischen Erkrankungen. Bleibt natürlich für eingetretene Ver-
engerungen der Harnröhre die instrumentelle Sondenbehandlung
am Platze, so ist für die oft chronischen Katarrhe der Blase und
der Harnröhre nichts segensreicher, wie warme Mineralbäder, spe-
ziell auch Solbäder, auch mit starken Zusätzen von Mutterlauge.
Jeder Arzt wird Fälle kennen, wo unleidliche Zustände der Prostata,
- Schwellungen der Hoden und Nebenhoden durch warme und heiße
Bäder gebessert, ja ganz beseitigt sind. Gerade die durch den
Reiz der Bäder und die Vis a tergo der Nierenarbeit häufiger
werdende Blasenentleerung mit der mechanischen Wirkung der
Ausspülung wirkt ausgezeichnet. Bei den Hoden und Neben-
hoden aber wirken warme Mineralbäder schon deshalb so vorzüg-
lich, weil diese Organe aus nächster Nähe von allen Seiten von
dem Badewasser getroffen werden. Auch hier ist eine Steigerung
der Drüsentätigkeit ohne alle Frage die direkte Folge der Bade-
prozeduren und mancher Fall von Impotenz — um auch diese
Seite der Wirksamkeit warmer Bäder auf die Hoden zu berühren
— ist in heilkräftigen Bädern wieder kuriert worden. Was die
Radiumemanationsbäder angeht, so scheinen sie das Gegenteil von
den Röntgenstrahlen zu bewirken, die ja bekanntlich durch ‚Ab-
tötung der Spermatozoen Sterilität bedingen — nach Radium-
'bädern scheinen die Spermatozoen in besonderer Weise radioaktiv
werden zu können. Genauere Untersuchungen hierüber sind aber
noch nicht abgeschlossen.
Was für die Männer gilt, besteht mutatis mutandis auch
für die Frauen zu Recht, denen das warme Wasser der Mineral-
‚bäder durch den Irrigator und den Badespiegel näher gebracht
‚werden muß.
| ‚Ei rzes Wort noch über die Syphilisbehandlung mit
Bädern a T Badeorten. Es ist kein Zufall, daß in Aachen,
‚Kreuznach, Nenndorf, Lenk und Wiesbaden seit vielen Jahr-
zehnten namhafte Dermatologen beschäftigt sind. Im Jahre 1896
‚auf der Naturforscherversammlung zu Frankfurt a. M. habe ich
11. August.
in einem Vorträge „Syphilis und Solbäder“!), der in Unnas Der-
matologischen Monatsheften abgedruckt ist, gezeigt, daß und aus
welchen Gründen nicht sowohl das primäre, als vielmehr das
sekundäre Stadium der Syphilis zu einer Badekur besonders ge-
eignet ist, und dies gilt auch jetzt noch, Auch die Salvarsan-
behandlung feiert bekanntlich ihre größten Triumphe in dem
Primärstadium, während schon jetzt viele Forscher in der Sekun-
därzeit auch die Quecksilbertberapie nicht neben der Salvarsan-
injektion mit kleinen Dosen missen wollen — auch die Salvarsan-
therapie hat ja die Sekundärsymptome nicht völlig aufhalten
können und die Therapia magna sterilisans Ehrlichs ist ausge-
blieben. In der Sekundärzeit kann aber auch die Bäderbehandlung
nach wie vor die Eliminierung des Syphilisgifts mitunterstützen
und auch die Spirochäten der Lymphdrüsen werden bei einem ge-
steigerten Stoffwechsel in Sol- und Schwefelbädern aus ihren
Schlupfwinkeln herausgespült.
Wir reklamieren für Solbäder besonders alle Luetiker mit
Lymphdrüsenschwellungen; denn die Beeinflussung des Lymph-
stroms mit Solbadekuren, die auch bei der Skrofulose so Hervor-
ragendes leistet, steht außer aller Frage für den, der das Auf-
blühen und Gesunden Iymphdrüsenkranker Kinder in Sol- und
Seebädern in Kinderheilanstalten und Seehospizen beobachten
konnte. Von tertiären und hereditären Fällen sind innere Organe
vorwiegend und auch das Nervensystem befallen. Gerade bei der
Syphilis aber, die als ein Nervengift ohnegleichen anzusehen ist
— ob die Spirochäten die Nervenzellen direkt attackieren oder
‚ihre Stoffwechsel- und Zerfallprodukte die Lähmung auslösen,
steht noch dahin —, kommt es darauf an, alle Schutzkräfte und
Schutzsäfte anzustrengen und flüssig zu machen und alle Mittel
zu gebrauchen, die das Toxin schnellstens wieder ausscheiden, und
dazu sind erfahrungsgemäß die Trink- und Badekuren geeignet
wie keine andern Maßnahmen.
Es ist auch eine alte Bädererfahrung, daß man bei gleich-
zeitiger Anwendung differenter Badekuren von Quecksilber und
Jod höhere Dosen ohne Schaden in Anwendung bringen kann, wie
zu Hause, eben weil dieselben schneller bei dem gesteigerten
Stoffwechsel eireulieren und ihre Reizwirkungen nicht entfalten
können.
Somit dürfte denn die Berechtigung, ja in gewissen
Fällen die Verpflichtung, Hautkrankheiten der genannten Art in.
den bekannten Badeorten behandeln zu lassen, außer aller Frage
stehen.
Welche Formen von Hautkrankheiten werden nun
durch die Bäder provoziert? Der berüchtigte Badeausschlag
ist in den meisten Fällen nichts als eine leichte, ekzematöse
Reizung der Haut durch die sie plötzlich überkommenden therml-
schen und chemischen Reize, an die sie zu Hause nicht gewohnt
war. Es ist aber ebensowenig Grund dazu, den Bädern deshalb
aus dem Wege zu gehen, wie es Veranlassung wäre, deshalb
nicht vorher das Hochgebirge aufzusuchen, weil im Anfang sich
oft ein Eecema solare einstellt. Es kann einmal in ganz seltenen
Fällen vorkommen, daß man die Bäder wegen solcher akuter Haut-
reizung aussetzen muß, oder indifferente Salben, wie Byrolin, an-
wenden läßt jedesmal, da man die empfindlichen Hautpartien, an
Brustfalten oder Nates, ins Wasser bringt — man gewöhnt 50
meist leicht und schnell durch allmähliche Steigerung der Zahl
der Bäder die Haut an die ihr ungewohnte, tägliche, länger an-
dauernde, warme, differente Badeprozedur. Ich habe noch keinen
Fall erlebt, daß man die Bäder wegen übergroßer Empfindlichkeit
der Haut dauernd hat ausschalten müssen. — Provoziert werden
kann auch eine Psoriasiseruption, die aber auch ohne die
Bäder erschienen wäre, nur nicht so früh. — Provoziert werden
kann auch ein erythemartiger Ausschlag, und besonders betont
wird, daß die syphilitische Roseola leichter bei Badeprozeduren
ausbricht, als ohne Bäder. Ich halte das für kein Unglück, son-
dern für ein Ablenken des Giftes auf die Hautoberfläche, re
sicher besser ist, als ein Versickern beziehungsweise eine Depot-
bildung in inneren Organen. |
Urticariaartige Ausschläge sind nicht auf das Baden
zurückzuführen, sondern auf Störungen von seiten der ee
Nieren oder der Verdauungsapparate beziehungsweise a
Genuß von Krebsen, Himbeeren.
1) Dr. E. Vollmer, Syphilis und Solbäder. (Mon. f. pr. Derm,
1896, Bd. 28.)
11: August.
Aus der Städt. Frauenklinik (Dudenstift) zu Dortmund
(dirig. Oberarzt: Dr. F. Engelmann). Ä
Ueber die Erfolge der operativen Behandlung
chronisch-entzündlicher Adnexerkrankungen
von
Dr. Fritz Ebeler,
früherem Assistenten der Klinik.
Die Therapie chronisch-entzündlicher Adnexerkrankungen ist
in den letzten Jahrzehnten von Anbeginn der operativen Aera
einem steten Wechsel unterworfen gewesen. Einer wahllos opera-
tiven Richtung früherer Jahre folgte ein vielfach sehr strenger
Konservativismus, als dessen Anhänger ich Mackenrodt, Amann
und Prochownick nennen möchte. Letzterer präzisierte im
Jahre 1909 seinen Standpunkt dahin, daß er es als den „größten
Gewinn der gynäkologischen Therapie im letzten Jahrzehnt“ be-
trachtet, daß mit Sicherheit 70°, aller chronischen Adnexentzün-
dungen „mit mäßigem Aufwande von Geduld und mit recht ein-
fachen Mitteln“ dauernd geheilt werden könnten.
| Wer in der Lage ist, seinen Kranken, auch den weniger-
bemittelten, infolge günstiger sozialer Verhältnisse eine lang-
dauernde klinische Behandlung angedeihen zu lassen, sowie durch
Nachkuren in Sanatorien und Genösungsheimen in Form von
Bädern und sonstigen konservativen Maßnahmen ihren Gesundheits-
zustand zu fördern, wird zweifellos auf diese Weise gute Erfolge
erzielen können. Häufig ist aber das soziale Moment leider nicht
auszuschalten. Und selbst wenn durch Kassen und Versicherungen
die Kosten einer langen klinischen Behandlung gedeckt werden,
sind, wenigstens nach unsern Erfahrungen, nur die allerwenigsten
Frauen bereit und aus naheliegenden Gründen in der Lage,
monatelang zu diesem Zweck von Hause und Familie fernzu-
bleiben. In solchen Fällen ist man leider oft gezwungen, um den
Frauen ihre Arbeitsfähigkeit, die sie unbedingt nötig haben,
wiederzugeben, zum Messer zu greifen, früher als man wohl möchte.
Der Zeitpunkt operativen Eingreifens ist somit oft gegeben,
während man über die Art des Operierens, in Sonderbeit, wie weit
man sich für konservierende Maßnahmen entscheiden soll, wohl
verschiedener Ansicht sein kann.
Im folgenden möchte ich nun einen kurzen Ueberblick über
die Resultate von 100 operativ behandelten chronisch-entzündlichen
Adnexerkrankungen geben und an der Hand des Dauererfolgs die
von uns geübten Operationsverfahren einer Kritik unterwerfen.
Die in diese Statistik aufgenommenen Fälle befanden sich in
der Zeit vom 1. April 1906 bis 1. Oktober 1910 in unserer Be-
handlung. Bei weitaus dem größten Teile der nachuntersuchten
Frauen liegen der Operations- und Nachuntersuchungstermin drei
Jahre und länger auseinander, bei einem kleineren Teile nur
anderthalb bis zwei Jahre. |
‚ Als Dauerheilung betrachten wir neben vollkommen nega-
tivem Palpationsbefunde volle Arbeitsfähigkeit „im Beruf und
Hausstande und gänzlich ungestörte Funktion der Geschlechts-
organe“, wenn solche noch vorhanden sind.
Von den 100 operierten und brieflich geladenen Frauen sind
77 untersucht worden; briefliche Mitteilungen liegen von keiner vor.
enn man eine größere Anzahl von Arbeiten, die sich mit
demselben Thema beschäftigen, durchsieht, so merkt man, daß es
wohl kaum einen Operationsweg gibt, der zur Behandlung ent-
zündlicher Adnexerkrankungen nicht beschritten worden wäre. Die
Anhänger beider Hauptrichtungen, der vaginalen wie der abdomi-
hellen Methode, verfügen über gute Dauerresultate, und doch hat
sich in der letzten Zeit das Vorgehen per laparotomiam immer
mehr Freunde erworben, die ihm gegenüber dem vaginalen Ope-
neren viele Vorzüge nachrühmen: es gewährt uns eine größere
Üehersichtlichkeit des ganzen Operationsfelds und läßt ung Er-
d ankungen, die man weder durch den Untersuchungsbefund noch
eie den Symptomenkomplex sicher diagnostizieren kann, er-
men, wie z. B. gleichzeitig vorhandene Appendicitis oder Er-
ankungen und Verletzungen anderer Organe.
k Die Angst vor Hernienbildung, die als einziger in Frage
mmender Nachteil der Laparotomie anhaftet, dürfte bei guter
uk der Schnittführung und exakter Bauchnaht wohl ganz in
en Hintergrund treten.
P Alle Fälle — von der konservativ-chirurgischen Behandlung
Ayai Beckenexsudate mittels Colpotomia post., von der wir
; nicht selten Gebrauch machen, sehe ich dabei natürlich ganz
> mit zwei Ausnahmen wurden bei uns laparotomiert, und
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32; 1311
zwar wurden folgende Operationsverfahren geübt: 1. einseitige
Adnexexstirpation; 2. doppelseitige totale und partielle
Adnexentfernung; 3. supravaginale Uterusamputation,
mit doppelseitiger Adnexexstirpation; 4. Totalexstir-
pation. | | | |
_ Ueber die Operationstechnik ist wohl nicht viel zu sagen.
In allen Fällen wurden mit peinlichster Genauigkeit alle Wund-
flächen und Stümpfe peritonealisiert, Reichte das Peritoneum z. B.
infolge ausgedehnter Adhäsionen zur Deckung der nach ihrer
Lösung entstandenen Wundflächen nicht aus, wie das besonders
nach Radikaloperationen der Fall sein kann, so bedienten wir uns
zu ihrer Deckung des Colon sigmoideum, indem wir dasselbe an
den der Blase aufsitzenden Peritoneallappen nähten. Den dadurch
geschaffenen subperitonealen Raum tamponierten wir dann in der
Regel mit einem Gazestreifen aus, der durch die Scheide nach
außen geleitet wurde.
Folgende kurze Zusammenstellung gibt über die Dauer-
resultate Auskunft: |
1. 39 einseitig operierte Frauen wurden nachuntersucht.
Bei 16 wurden die linken, bei 20 die rechten Adnexe vollkommen ex-
stirpiert, darunter in einem Falle gleichzeitig eine Douglasineision ange-
legt. In weiteren zwei Fällen mußte eine große Pyosalpinx, die infolge
zu ausgedehnter alter Adhäsionen nicht exstirpiert werden konnte, ein-
fach durch die Laparotomiewunde drainiert werden. In einem Fall end-
lich wurde die Tube mit nur einem Teil ihres zugehörigen ÖOvariums
entfernt. |
Unter den 36 einseitig vollkommen operierten zeigten 16
Frauen einen tadellosen Revisionsbefund. Bei 16 von ihnen war der
subjektive wie objektive Befund vorzüglich. Bei einer bestand an der
Stelle der vollkommen exstirpierten Adnexe ein pflaumengroßes Exsudat,
das weder bei der Untersuchung noch sonst irgendwelche Beschwerden
verursachte.
Weitere neun revidierte Frauen wiesen eine Vergrößerung und
zum Teil sehr ausgesprochene Druckempfindlichkeit der zurückgelassenen,
bei der Operation anscheinend gesunden Adnexe auf. Ihre Größe
schwankte zwischen der einer Walnuß und eines Hühnereies. Vier von
ihnen klagten über mäßig starke Schmerzen im Kreuz, zwei über solche
im Leibe, die sich von Zeit zu Zeit einstellten und besonders bei
schwerer Arbeit zu verschlimmern pflegten.
Zwei andere fühlten sich ziemlich elend und klagten hauptsächlich
über Rücken- und Leibschmerzen, jedoch war ihr jetziges Befinden er-
heblich besser wie vor der Operation.
Die letzte der neun Frauen wußte über keine Besserung ihres Zu-
standes durch die Operation zu berichten, ihre Beschwerden hatten sich
in keiner Weise gebessert. se
Eine weitere Gruppe von drei Nachuntersuchten wies an der Stelle
der exstirpierten Adnexe ein Exsudat auf, das zweimal Pflaumen-, einmal
Wallnußgröße hatte. Zwei von ihnen klagten über Schmerzen im Leibe,
davon eine mit Ausfallerscheinungen; eine hatte alle möglichen, nicht
mit dem Genital zusammenhängenden neurasthenischen Beschwerden. `
Die nächsten vier Frauen boten einen guten objektiven Revisions-
befund ohne irgendwelche Resistenzen und Druckempfindlichkeit, klagten
aber alle noch über dieselben Kreuzschmerzen, die schon vor der Opera-
tion bestanden hatten. Zwei hatten die Schmerzen nur zeitweise und
waren im übrigen mit ihrem Zustande zufrieden, zwei hatten sie ebenso
stark wie früher. Von diesen letzten beiden hatte eine eine ganze Reihe
hysteroneurasthenischer Klagen zu führen, unter anderm gab sie an, daß
sie noch jetzt (vier Jahre post operationem) die Chloroformwirkung in
ihren Gliedern verspüre.
Eine andere Frau hatte nur während der Menses geringe Leib-
schmerzen, fühlte sich sonst aber „vorzüglich“ und bot am Genital keine
Besonderheiten.
Zwei Frauen endlich befanden sich nach der Operation in dem-
selben schlechten Zustande wie vorher, eine klagte über ständige Leib-
und Kreuzschmerzen (Druckempfindlichkeit in der Appendixgegend, sonst
Genitalbefund ohne Bes.), die andere bot ebenfalls einen guten objek-
tiven Nachuntersuchungsbefund, hatte aber alle möglichen aus ihrer Epi-
lepsie und Demenz resultierenden Beschwerden.
Den beiden Frauen mit der drainierten Pyosalpinx ging es sehr
gut, sie waren in vollem Umfang arbeitsfähig, nur hatte die eine zur Zeit
der normal starken Menses geringe Ausfallerscheinungen, die ihr nicht
sehr unangenehm waren.
Die letzte endlich, der auf der operierten Seite ein Ovariumrest
belassen war, klagte etwas über Leibschmerzen; es bestand eine Schmerz-
haftigkeit der zurückgelassenen, etwas vergrößerten Adnexe.
2. Dreizehn Frauen, bei denen beide Adnexe abgetragen
wurden, kamen zur Revision. Sechsmal wurden beide Tuben mitsamt
ihren ÖOvarien exstirpiert, siebenmal wurde ein Ovariumrest zurück-
gelassen.
Von den ersten sechs Frauen wiesen drei einen subjektiv und ob-
jektiv tadellosen Befund auf. Von den übrigen drei Frauen klagten zwei
zeitweise über geringe, sie durchaus nicht belästigende Ausfallerschei-
nungen, eine ab und zu tiber Schmerzen im Leibe. Keine von ihnen
hatte im Bereiche des Genitale eine nachweisbare Resistenz und Druck-
empfindlichkeit.
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1812 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 32. 11. August,
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‚Unter den sieben Frauen mit einem Ovarienrest zeigte nur eine
einen tadellosen Revisionsbefund. Zwei weiteren ging es subjektiv ziem-
lich gut, doch hatten sie an der Stelle des zurückgelassenen Ovarium-
restes Je eine pflaumengroße, nur auf Druck ziemlich schmerzhafte Re-
sistenz. Drei andere klagten über nicht unerhebliche Schmerzen im Leib
und Kreuz, zwei von diesen wiesen ein reichlich walnuß- bis pflaumen-
großes Hämatom des Ovarienrestes auf, eine bot objektiv nichts Patho-
logisches, doch hatte sie sehr starke, acht Tage währende Menses.
Die letzte schließlich hatte neben allen möglichen hysteroneurasthe-
nischen Beschwerden heftige Unterleibsschmerzen, die auf eine reichlich
pflaumengroße, schmerzhafte Resistenz im Ovariumrest zu beziehen
waren. Die Beschwerden besserten sich im Verlauf mehrerer Jahre nicht,
soda sie zum zweiten Male sich einer Operation unterziehen mußte (die
jetzt fünf Monate zurückliegt).
3. Von den 17 revidierten Patientinnen, bei denen die supra-
vaginale Uterusamputation ausgeführt wurde, wurde zweien ein
Ovariumrest belassen, den übrigen fünfzehn wurden beide Adnexe ex-
stirpiert.
Alle 17 Personen wiesen einen tadellosen objektiven Revisions-
befund auf, bei keiner einzigen fand sich ein Exsudat im kleinen Becken,
nirgends war bei der inneren Untersuchung eine Schmerzhaftigkeit nach-
zuweisen.
Von den fünfzehn Radikaloperierten waren neun Frauen voll-
kommen beschwerdefrei. Fünf weitere waren mit ihrem Zustande in jeder
Beziehung zufrieden: Vier davon klagten alle vier Wochen über geringe,
sie nicht belästigende und sie in ihrer Arbeit nicht störende Ausfall-
erscheinungen, darunter zwei noch etwas über Kreuzschmerzen. Eine
endlich hatte geringe Unterleibsschmerzen, die aber durchaus „nicht
schlimm“ waren.
Einer andern von den fünfzehn Frauen ging es sehr schlecht; sie
führte alle Klagen, die eine Frau mit Unterleibsleiden überhaupt führen
kann. Es handelte sich in diesem Fall um eine sehr unglückliche Per-
son, die wegen ihrer psychischen Alterationen und mehrfachen Selbst-
mordversuche schon längere Zeit in einer Nervenabteilung unterge-
bracht war. |
Von den letzten zwei Frauen, die einen Ovariumrest zurück-
behalten hatten, klagte eine öfter über Ausfallerscheinungen, eine über
ziemlich starke Kreuzschmerzen; erstere fühlte sich sonst recht gut,
letztere hatte unter ihren Beschwerden ziemlich zu leiden.
4. Sieben totalexstirpierte Patienten ‘kamen zur Nachunter-
suchung. Fünf wurden laparotomiert, zwei vaginal operiert. Einer dieser
beiden letzteren wurde ein Ovariumrest zurückgelassen, allen übrigen
beide Adnexe exstirpiert. n:
Von allen sieben Frauen waren zwei fast beschwerdefrei, die eine
hatte von Zeit zu Zeit geringe Ausfallerscheinungen, die andere dauernd
etwas Kreuzschmerzen.
Zwei weitere Frauen klagten über nicht unbedeutende Ausfall-
erscheinungen und Kreuzschmerzen und hatten außerdem noch alle mög-
lichen andern neurhasthenischen Beschwerden. Eine andere hatte
Schmerzen beim Stuhlgange. Einer schließlich ging es sehr schlecht;
Schmerzen im Leib und Rücken neben ziemlich erheblichen Ausfall-
erscheinungen untergruben ihr Wohlbefinden. er
Alle sechs hatten einen vollkommen negativen Revisionsbefund.
Der siebenten endlich unter Zurücklassung des rechten Ovariums
vaginal Operierten ging es subjektiv ziemlich gut, sie hatte nur von Zeit
zu Zeit unter Ausfallerscheinungen zu leiden. An Stelle der rechten
Adnexe befand sich eine apfelgroße, mäßig empfindliche Resistenz.
Werfen wir einen Rückblick auf unsere Dauerresultate, so
geben die einseitig operierten Adnexerkrankungen in 53 °0/ọ ein
gutes Resultat, wenn ich die beiden Frauen hinzurechne, denen es
nach eignen Angaben ganz vorzüglich ging, von denen die eine
nur geringe dysmenorrhöische Beschwerden, die andere zur Zeit
der Menses minimale Ausfallerscheinungen hatte. l
Die doppelseitig operierten Fälle liefern in 30,30/ einen
tadellosen Befund; weitere 23 |, sind ebenfalls mit dem Operations-
resultat durchaus zufrieden, doch haben diese Frauen ab und zu
geringe Klagen, wie zeitweilige Unterleibsschmerzen und ihnen
durchaus nicht unangenehme Ausfallerscheinungen.
Bei den supravaginal amputierten Frauen haben wir in
100%, einen objektiv vorzüglichen Revisionsbefund. Das subjek-
tive Resultat ist ebenfalls bei fast allen gut (fast 90°/o), bei
530/, sogar als brillant zu bezeichnen. Einige klagen hin und
wieder mal über geringe Ausfallerscheinungen, Unterleibs- und
uzschmerzen.
= Die Zahl der totalexstirpierten Fälle ist sehr klein. Bei
fast, 1/3 der operierten Frauen haben wir einen befriedigenden Er-
folg, Sie sind mit dem Operationsresultat zufrieden, auch voll-
kommen arbeitsfähig, doch nicht dauernd beschwerdefrei. l
Es ist zwar die Zahl der nachuntersuchten Frauen nicht
sehr groß und berechtigt nicht in dem Maße zu weitgehenden
Schlüssen wie das Material großer Kliniken, doch gibt uns ein
Vergleich der verschiedenen Operationsmethoden einen deutlichen
Fingerzeig für den Erfolg derselben.
Was zunächst die Operabilität der entzündlichen Adnex-
affektionen anlangt, so haben wir in allen Fällen streng dem Cha-
rakter der Erkrankung Rechnung getragen. Wenn sich irgend-
welche Zweifel darüber geltend machten, haben wir die Frauen
stets erst einige Tage beobachtet. Niemals haben wir die Opera-
tion bei fiebernden Patientinnen ausgeführt, stets lag der Beginn
der Erkrankung mehrere Monate zurück; meist waren längere Zeit
dauernde konservativ-therapeutische Maßnahmen vorausgegangen.
Fälle, die mit frischen Entzündungen an den Adnexen auf Grund
falscher Diagnose (z. B. Extrauteringravidität) auf den Operations-
tisch kamen, wurden in dieser Statistik nicht berücksichtigt.
Vielleicht ist auf diese Tatsache zu einem großen Teil die
geringe Mortalität von nur 4°/ọ im Anschluß an die Operation
zurückzuführen, die den ebenfalls guten Resultaten von Henkel
(4,2 0/4) sich ebenbürtig zur Seite stellen kann.
Unter den 77 nachuntersuchten Fällen haben wir fünf
Bauchhernien festgestellt, darunter befanden sich drei Frauen,
bei denen eine Drainage der Bauchhöhle vorgenommen war. Also
von 74 Fällen, bei denen die primäre Naht ausgeführt wurde,
hatten zwei Hernien, i. e. 2,7%. Winter berichtete 1895 über
8 0/o Hernien im Anschluß an entzündliche Adnexoperationen. Da-
durch, daß wir in der letzten Zeit das früher bei uns zur Fascien-
naht gebräuchliche Catgut durch Silkworm ersetzt haben, hoffen
wir noch bessere Resultate zu erzielen.
Aus einem Vergleich unserer Zahlen geht zur Evidenz her-
vor, daß unsere konservativen Operationsmethoden, die wir be-
sonders bei noch nicht verheirateten und jüngeren kinderlosen
Frauen ausgeführt haben, weniger befriedigende Resultate gezeitigt
haben, als die radikalen Methoden, von denen hauptsächlich die
supravaginale Uterusamputation recht gute subjektive und objek-
tive Erfolge aufzuweisen hat, eine Tatsache, die um so höher ein-
zuschätzen ist, als es sich bei den radikalen Operationen in der
Regel um ausgedehntere und fortgeschrittenere Affektionen han-
delte, als es in dem größten Prozentsatze des konservierenden Vor-
gehens der Fall war. |
Mit diesen Erfahrungen decken sich nun die Dauerresultate
größerer Beobachtungsreihen anderer Autoren vollkommen. Da es
sich, wie eben erwähnt, bei den radikalen Laparotömien meistens
um schwere Fälle handelt, so müßten wir bei ihnen eigentlich
auch schlechtere Dauerresultate erwarten als bei den konservie-
renden Eingriffen. In der Tat beweisen aber die Statistiken das
Umgekehrte.
Baruch (Czempins Klinik), berichtet über 84,6 %/, Dauerheilungen
nach Radikaloperationen und bloß über 46,3%. nach doppelseitigen Ad-
nexoperationen. Henkel stellte an dem Material der Olshausenschen
Klinik bei radikalem Operieren 80,9% Dauerheilung fest gegen 50,6 %/o
bei teilweiser Erhaltung des Genitale. Chroback erhielt 67,80 Dauer-
heilungen nach konservierenden Adnexoperationen. Flockemann (Küm-
mell) konnte nach konservierenden Operationen 89 %/, Dauerheilungen er-
mitteln. Nach Schiffmann und Patek (Material der gynäkologischen
Abteilung des k. k. Krankenhauses Wieden in Wien) ergeben einseitig
ausgeführte Adnexoperationen in 64,3 °/o eim gutes Resultat, beiderseitige
in nur 88,4°/,, die supravaginale nur in 30,7 9/o und die Totalexstirpation
in 91,6%. Thaler berichtet über das Material der Schautaschen
Klinik: Die konservierenden Eingriffe ergaben nur 78,9%, tadellose
Dauerresultate, während bei der vaginalen Totalexstirpation 92,3 °/o und
bei der abdominellen sogar 96 °/, gute Resultate erzielt wurden.
Es ergibt sich also beim Vergleich dieser Zahlen, daß ebenso
wie innerhalb unsers Materials, auch die bei den übrigen Autoren
erlangten Erfolge entschieden zugunsten des radikalen Vorgehens
sprechen.
Welches sind nun die Schattenseiten des operativen
Konservativismus? De ae i
Unsere konservierenden Operationen betrafen einseitige un
doppelseitige Adnexentfernungen mit Schonung eines oder beider
Eierstöcke oder Erhaltung eines Ovariumrestes. .
Die Frauen, welche bei der Revision nicht beschwerdefrel
waren, klagten über Leibschmerzen und solche im Kreuz =
Rücken. Diese subjektigen Beschwerden waren in den meiste
Fällen durch einen positiven Befund begründet. Entweder a
delte es sich um Exsudate oder Adhäsionen auf der Seite a
erkrankten total- oder partiellexstirpierten Adnexe oder um en i
zündliche Veränderungen im Bereiche der belassenen nn
Was die erste Komplikation anlangt, so konnten wir i nei
mal derartige Stumpfexsudate verzeichnen und zwar fünfma aa
einseitiger, fünfmal bei doppelseitiger Adnexentfernung. Sr
Größe schwankte zwischen der einer Walnuß und eines i ich
Apfels. Bis auf eins waren alle außerordentlich druckemp le
In den meisten Fällen waren sie schon während des Aufen
| 11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. 1313
in der Klinik festgestellt worden, zweimal hatten sie sich erst
nach dem Verlassen der Anstalt ausgebildet; in einigen Fällen
hatten sie später noch an Ausdehnung und Schmerzhaftigkeit zu-
genommen, verschiedentlich waren sie auch unter konservativen
Maßnahmen zurückgegangen. i
Zweitens sind es die entzündlichen Tumoren innerhalb der
bei der Operation grob anatomisch nicht erkrankten Adnexe, die
das Dauerresultat beeinträchtigen. Elfmal konnten wir bei unsern
einseitig behandelten Frauen ein Befallensein der andern Seite
feststellen. In allen Fällen war eine außerordentliche Empfindlich-
keit der erkrankten Adnexe bei verschiedener Größe der Tumoren
nachzuweisen. Eine erneute Infektion der nachuntersuchten Frauen:
durch Gonokokken, wie dies Henkel in zwei Fällen nachzuweisen
gelungen zu sein scheint, habe ich nicht konstatieren können.
Der Umstand, daß bei allen elf Frauen die Beschwerden sich
schon kurze Zeit nach der Operation mehr oder weniger intensiv
einstellten, scheint mir jedoch für eine latente gonorrhoische In-
fektion der betreffenden Adnexe zu sprechen. Zwar ist diese
Diagnose hinsichtlich ihrer Aetiologie nicht absolut sicher, aber
sehr wahrscheinlich bei der zumeist einseitigen Lokalisation der
puerperalen Fälle.
Gegenüber diesen schlechten Resultaten dürfen wir nicht un-
erwähnt lassen, daß fast in ein Fünftel der Fälle die einseitige
Adnexoperation hinsichtlich des Eintritts späterer Schwanger-
schaften ihren Zweck erfüllt hat.
Fünf Frauen wurden bei der ersten Gravidität post operationem
am normalen Schwangerschaftstermin entbunden, eine sechste machte
eine normale Schwangerschaft nach vorangegangenem Abort durch, die
beat endlich abortierte im vierten Monate °/ Jahre nach der Ope-
ration.
| Diese Resultate sind noch günstiger als die von Peham, von
dessen konservativ behandelten Frauen nur der sechste Teil gravide wurde
und nur zum Teil am Ende der Gravidität entbunden wurde.
Ganz besonders schlecht sind die Resultate der Olshausenschen
Klinik, wo nur eine einzige Frau im Anschluß an die Operation gravide
warde und noch dazu abortierte.
Trotz dieser öfter eingetretenen Schwangerschaften möchten
wir im Hinblick auf die sonstigen weniger guten und teilweise
schlechten Revisionsbefunde diese Art des Konservativismus als ein
unzuverlässiges Verfahren in bezug auf das Dauerresultat bezeich-
nen, selbst wenn die Bedingungen zur einseitigen Operation an-
scheinend sehr günstig sind. Zwar bieten die Adnexerkrankungen
puerperaler Aetiologie bessere Chancen für einseitige Operation,
doch ist diese oft unmögliche Differenzierung gegenüber der gonor-
rhoischen Affektion so gut wie ohne praktische Bedeutung. In
allen jenen Fällen, wo die gonorrhoische Natur der Adnex-
erkrankung sicher ist, ist die einseitige Tubenerhaltung natürlich
kontraindiziert.
Für alle diese Fälle kommt nur das radikale Operieren in
Betracht. Als Methode der Radikaloperation haben wir meistens
die supravaginale Uterusamputation mit Entfernung beider Adnexe
ausgeführt. Dieses Verfahren, das von manchen Autoren als
mildere Art der Totalexstirpation empfohlen wird, hat gegenüber
der Totalexstirpation manche Vorteile: So dauert vor allen Dingen
die Operation bei ihrer einfachen Technik nur verhältnismäßig
kurze Zeit und ist nur mit einem geringen Blutverluste verbunden.
Ferner ist die Erhaltung der Architektur der Vagina als eine
nicht geringe Annehmlichkeit der Methode einzuschätzen. Man
wird sie nach unsern Erfahrungen durch die Radikaloperation am
besten nur in den Fällen ersetzen, wo z. B. durch Platzen einer
Pyosalpinx oder aus andern Gründen ein guter Abfluß für die
Sekrete des kleinen Beckens erforderlich ist. Wir sahen uns dazu
nur siebenmal veranlaßt. |
Bei unsern 17 supravaginal amputierten Frauen haben wir
fünfzehnmal beide Adnexe entfernt, zweimal einen Ovariumrest
wurückgelassen. Bei jugendlichen Individuen käme vielleicht be-
züglich des Ovariums besonders da, wo es keine oder nur wenig
eränderungen aufweist, etwas mehr Konservativismus in Betracht.
Yir haben uns dazu nur selten entschließen können, da wir für
diesen radikalen Eingriff nur solche Fälle ausgewählt haben, wo
schwere Alterationen der Adnexe vorlagen und ein Ovariumrest
Sicher mehr geschadet als genützt hätte.
‚ Im Gegensatz zu unsern vorzüglichen Resultaten bei der supra-
vaginalen Amputation stehen die ungünstigen Endergebnisse von Schiff-
Nann-Patek. Ihrer Ansicht nach werden die Vorteile dieser Methode
gegenüber der Totalexstirpation „durch die schlechten Resultate reichlich
wettgemacht“,
En Eine plausible Erklärung für diese großen Unterschiede in den
dresultaten dieser Operationsmethoden vermag ich mir nicht zu machen.
Die Technik allein wird wohl kaum anzuschuldigen sein. Vielleicht sind
sie durch das Operationsmaterial selbst odar die Auswahl desselben für
diesen Eingriff bedingt.
Müssen wir also ohne weiteres an der Hand unsers Materials
bekennen, daß nur das radikale Vorgehen unter Mitentfernung des
Uterus uns vor Rezidiven zu schützen vermag, so werden die An-
hänger des Konservativismus dagegen einwenden, daß dieser Ein-
griff eine schwere Verstümmlung der Frau bedeutet, daß ander-
seits der Erfolg dieser Operation durch die infolge der Exstirpa-
tion der Ovarien bedingten Ausfallsymptome ziemlich erheblich
beeinträchtigt wird.
Was zunächst den letzten Punkt anlangt, so kaun der Aus-
fall der innersekretorischen Funktion der Keimdrüsen bekanntlich
nur vermieden werden, wenn ein größerer Övarialrest zurück-
gelassen wird. Zwischen der Exstirpation der Adnexe allein und
der Mitentfernung des Uterus würde dagegen ein wesentlicher
Unterschied nicht bestehen. l
Jedoch erscheint unter den von uns revidierten Fällen die
Zahl derjenigen, wo der Erfolg wegen hochgradiger Ausfall-
beschwerden und sekundärer Arbeitsunfähigkeit schlecht zu
nennen war, auffallend klein. Unsere Erfahrungen erscheinen
keineswegs geeignet, in dieser Beziehung einen zu weitgehenden
Pessimismus walten zu lassen. Ganz allgemein konnten auch wir
wie Thaler die Beobachtung machen, daß die Schwere der Aus-
fallsymptome umgekehrt proportional ist dem Zeitraume, der seit
der Operation verstrichen ist. Ein großer Teil der Frauen gab
an, in der ersten Zeit nach der Operation Anlaß zu klagen ge-
habt zu haben, daß aber allmählich die Beschwerden nicht selten
bis zum völligen Sistieren zurückgegangen seien. „Wie sehr übrigens
bei der Beurteilung der nach der Kastration des Weibes auftre-
tenden Symptome absolute Objektivität vonnöten ist, beweisen
neuerdings die genauen statistischen Untersuchungen Walthards,
aus denen hervorgeht, daß in vielen Fällen nach Myomoperationen
jene Erscheinungen, welche bei der oberflächlichen Betrachtung
auf den Ausfall der Funktion der betreffenden Organe bezogen.
werden könnten, in der Tat schon vor der Operation bestanden
hatten.“
Berücksichtigen wir, daß es sich bei den Radikaloperationen.
doch wohl stets um funktionell geschädigte Ovarien handelt, ziehen
wir weiter in Betracht, daß auch trotz Erhaltung eines Ovariums
Ausfallerscheinungen und Atrophie des Organs eintreten können,
so darf man den Unterschied in den Ausfallerscheinungen beim
konservativen und radikalen Operieren nicht zu hoch bewerten.
Ich möchte mich der Anschauung Henkels anschließen, der sagt,
daß die Wechselbeziehungen zwischen Oyarien und Uterus entschieden
größer sind als allgemein angenommen wird. „Ich neige“, so lesen wir
bei ihm, „immer mehr zu der Anschauung, daß bei Verlust des Uterus
die Ovarien ihre Tätigkeit einstellen, daß hier also ganz ähnliche Vor-
gänge bestehen, wie in Gestalt der Atrophie des Uterus nach vorauf-
gegangener doppelseitiger Kastration.“
Konnten wir uns in einer großen Zahl von Fällen überzeugen,
daß die Radikaloperation uns gestattet, bei einem relativ geringen
Risiko schwer kranke Frauen in manchmal überaus kurzer Zeit
wieder arbeitsfähig zu machen, so könnten uns eigentlich manche
Bedenken „hinsichtlich des Charakters dieser Operation im Sinne
eines verstümmelnden, die Funktion des inneren Genitales vernich-
tenden Eingriffs“ fast hinfällig erscheinen. | |
Schon oben habe ich erwähnt, daß ein Teil der sonst guten
Dauerresultate durch häufig sehr hartnäckige und lästige Kreuz-
schmerzen nachteilig beeinflußt wird. In der Therapie dieser
Rückenschmerzen, besonders bei solchen Personen, die einen ganz
normalen Genitalbefunä aufwiesen, hat uns die sakrale Anästhesie-
rungsmethode vorzügliche Dienste geleistet.
Auf Grund einer im vorigen Jahre aus der II. gynäkologischen
Klinik in München (Prof. Amann) erschienenen Arbeit haben wir diese
epiduralen Injektionen an zebn Frauen, bei welchen bei der Nachunter-
suchung die Kreuzschmerzen im Vordergrunde der Beschwerden standen,
vorgenommen.
Als Injektionsflüssigkeit benutzten wir anfangs 20 cem phy-
siologische Kochsalzlösung, später die von Läwen und Groß
empfohlene Natriumbicarbonatnovocainlösung (0,4 : 20,0). Bei den
von uns ausgeführten Injektionen handelte es sich sowohl um kon-
servativ wie radikal operierte Frauen. Die damit erzielten Er-
folge waren fünf bis sieben Monate nach dem Injektionstermin
folgende: Sechs Frauen waren seit der Einspritzung dauernd be-
schwerdefrei; bei weiteren drei Patientinnen war eine ganz erheb-
liche Linderung der früher sehr quälenden Kreuzschmerzen ein-
getreten, doch waren dieselben nicht ganz verschwunden, Bei
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‘Amputation des Uterus das Verfahren ist, das uns mit
1314 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK' Nr. 82, ' | 11. August,
' palpatorische Messung des systolischen Pulsdruckes muß doch im Mittel
' zwischen dem Verschwinden und dem Wiederauftauchen des Pulsschlags
liegen, und nach diesem Gesichtspunkte habe ich meine Zahlen aufgestellt.
Ä ‘ Für jeden einzelien Versuch wurden drei Messungen g&macht; es
i zeigte sich fast regelmäßig bei der dritten Messung, die etwa in der
dritten Minute nach. der ersten stattfand, ein geringerer Wert, etwa
3-4 cm Wasser weniger als bei der ersten Messung, bei der zweiten
' meist ein Mittelwert zwischen beiden. Theoretisch sollte man eigentlich
erwarten, daß nach einiger Zeit des Messens der Druck ein höherer wäre;
. die Unbequemlichkeit des immer stärker gespannten Unterarms weckt
‚ unangenehme ‚Sensationen und erhöhte allgemeine Spannung; die infolge
der venösen Stauung geringere Durchführbarkeit des Pulses zwingt
' scheinbar zu etwas stärkerem Pressen der Luftpumpe, also Erhöhung des
_ Druckes. Trotzdem sind die ‘Werte etwas niedriger, ich weiß nicht, ob
deshalb, weil die palpierenden Finger nach einigen vorhergegangenen
. Messungen feiner fühlen, oder ob bei der Versuchsperson doch noch und
noch die Aufmerksamkeit und damit die Spannung abnimmt. Jedenfalls
. waren mehr als drei Messungen aus den teils in der Versuchsperson, teils
. im Untersuchenden liegenden Gründen unsicher; doch glaubte ich die
- drei sicheren Messungen mit je einer Höchst- und Mindestzahl verwenden
. zu müssen, so daß ich den sechs nunmehr gewonnenen Zahlen jedesmal
das Mittel nahm; z. B. beim ersten Vorversuch verschwand der Puls bei
St. bei der ersten Messung bei 155, erschien bei 150 wieder (155/150);
bei der zweiten Messung verschwand der Puls bei 153, erschien wieder
bei 148 cm Wasserdruck (153/148); bei der dritten verschwand er bei 155
und erschien wieder bei 150 (155/150); als Mittelzahl notierte ich also 152
unter Weglassung etwaiger Dezimalstellen. |
Nach je fünf Vorversuchen ohne Bad wurden die Blutdruck-
. messungen an sechs aufeinander folgenden Tagen bei Bädern der meist
angewandten Temperatur von 35° C ausgeführt und zwar bei einer Bade-
dauer von zunächst 20 Minuten, dann von einer Stunde, dann bei unserer
Aachener Duschemassage, endlich beim Bad von zwei Stunden; nach jeder
solchen Bäderserie von sechs Tagen wurde eine Woche Pause einge-
schoben, um wieder möglichst normale Verhältnisse zu schaffen. Zweimal
wurde bei jeder Badeart nicht nur am Anfang und Schluß des Bades,
sondern auch alle fünf Minuten zwischendurch gemessen.
einer endlich war die sakrale Anästhesie ohne Dauererfolg, : sie |
klagte nach wie vor über dieselben Schmerzen, De
‚ Immerhin sind durch unsere erfolgreichen epiduralen Injek-
tionen unsere postoperativen Dauerresultate nicht. unerheblich ge-
bessert worden. Auf Grund dieser Tatsache und unserer weiteren
guten Erfahrungen, die wir mittlerweile an ‘über 40 Fällen. ge-
sammelt haben, möchten wir heute dieses Verfahren in der Therapie
der manchmal jeder Behandlung trotzenden Kreuzschmerzen nicht
entbehren und können es bei seiner erfahrungsgemäß vollkommenen
Ungefährlichkeit nicht warm genug empfehlen. u
Nach unsern Revisionsbefunden müssen wir sagen,
daß bei der operativen Therapie chronisch-entzündlicher
Adnexerkrankungen die Radikaloperation in der Form
der Entfernung beider Adnexe und der supravaginalen
ziemlicher Sicherheit günstige Dauerresultate gewährt.
Doch möchten wir das Anwendungsgebiet dieser Ope-
ration nur auf jene Fälle beschränken, wo alle konser-
vativ expektativen Maßnahmen sich erschöpft haben oder
wo bei längerem Bestehen des Leidens aus äußern Grün-
den eine längere nichtoperative Behandlung unmöglich
und die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dringend
geboten ist, wo ferner nach allen gewonnenen Erfah-
rungen nur mehr das operative Verfahren geeignet sein
kann, Heilung herbeizuführen. Von der einseitigen
Adnexoperation mache man nur Gebrauch, wenn bei
jugendlichem Alter der Frau die Erhaltung der Concep-
tionsfähigkeit bestimmt gewünscht wird und die Adnexe
der andern Seite sicher gesund erscheinen. Die häufig
sehr lästigen, durch die Operation nicht beseitigten
Kreuzschmerzen versuche man durch epidurale Injek-
tionen zu beseitigen.
Literatur: 1. Heynemann, Prakt. Erg. d. Geb. u. Gyn. IIL Jahrg.,
II. Abteilg. — 2. Schiffmann-Patek, Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. 34, H. 3. —
kd
> | i rsuch ohne Bad.
8. Thaler, A. f. Gyn. Bd. 93, H. 38. — 4. Weinbrenner, M. med. Woch. 1910, I. Vorversu 2
St. R.
Nr. 43. — 5. Solms, Zbl. f. Gyn. 1910, Nr. 23. — 6. Walthard, Zbl. f£ Gym. .. . Puls” BD. 162 Puls 88 BD. 146
1908, Nr. 17.— 7.Prochownik, Mon. f. Geb. u. Gyn. 1909, S. 174.— 8. Landau, | A Kurz 1911 Mn wo = 74 „ 166 „ 82 „1a
Berl. kl. Woch. 1910, Nr.43. — 9. Henkel, Zt. f. Geb. u. Gyn. Bd. 55. M. | 23. März 1911 . . 2.2000. » 74 „» 155 „ 4 „ 1%
med. Woch. 1911, Nr. T. m 10. Hofmeier, M. med. Woch. 1909. ug: ii. Opitz, 24. März 1911 > > è s 8 Tv ” 12 „ 151 | n” 88 n =
M. med. Woch. 1910. — 12. E. Martin, M. med. Woch. 1909, Nr. 24. — | 25. März 191 ... cc 00. „ %0 „ 155 n 8 m
13. Zienser in Franz-Veit, Prakt. Erg. 1910. — 14. Schlimpert, Zbl. f.
Gyn. ni S. un T 15. Tolono, D $ gan: m nn wer a J Li CAR z =
M. med. Woch. 1910. — 17.Buschbeck, A. f. Gyn. Bd. 56. — 18. Cohn, A. i. : a
i i vor dem Bade, 27. März, Puls 72 X BD. 156 t _ Puls 80 l _ à BD. 160 \ _
Gyn. Bd. 59. — 19. Schauta, A. f. Gyn. Bd. 33 und 59. Daa 12 J + 0” leB f 1 rS 38 X ò 9
9 sog März „ 68X ur » 160 ae 25284 "wi
j ° ; ce nach „ j , 5 aa „ 84 +4 „414 = „ 22 N +8 „ 138 i
Blutdruckmessungen bei Thermalbädern und vor n n mig a Al a n I af m Blya r yoe
Thermal-Duschemassage‘) vor p 080 s Ar o si a| » En n» ig y-i
von vor,» „,3.Mär, „ WY_o » IB 4| » 2 \ p2 » 4l]
Dr. E. Rothschuh, Aachen ER T . 11 ” 88 ; 143
° : ° vor ,„ n s t Ti, „ „ RR „ „ 1
i nach , el z æt’ 1a t
Um die so leicht eintretenden psychogenen Aenderungen des
Blutdrucks (1) nach Möglichkeit zu vermeiden, habe ich zu meinen
Versuchen Personen genommen, welche mit ähnlichen Experimenten
vertraut waren, nämlich einen unserer hiesigen Duscheure und
mich selbst.
Joseph St., Duscheur und Masseur, 40 Jahre, verheiratet, ein
gesundes Kind, keine Krankheiten gehabt; Organe gesund.
Abkühlung des Badewassers etwa 1/0 CO bei 20-230 Außen-
temperatur. Bei den Bädern am 30. März und 1. April wurde außerdem
alle fünf Minuten gemessen. |
3 s i 3 } i . REAT BR 4 À —
Dach „ » o9 ” s» T „ 141 S „ 80 n i
Dr. E. R., Arzt, 43 Jahre, verheiratet, drei gesunde Kinder; außer | YOY, » » »14 April, » 78y y »n 8i aj m Bes” erg
h it . ht tli h k k $ 16) d nach „ » s » 2 64 f » 1 f ” ”
Tropenkrankheiten nicht wesentlich krank gewesen; Organe gesund. Vor p » , 12. Apri, » 72,5 » 148 | » Al 4 » EN a
Gemessen wurde, da wir keine Herzleidende, wohl aber eine große | nach„ s», n nm J t4 p M } „ 80 » IH f
Menge Arteriosklerotiker und Apoplektiker hier zu behandeln haben, der | Yot » » ‚13. April, » 6G\_ 4 » 147 y po! I
: : ` > . nach „ »9 „00m 62 „ 157 | n WS n
maximale oder systolische Pulsdruck mit der Recklinghausenschen | vor s % ‚14. Apri „ 60 „ 154 ol» Blg » 18 \ 4i
Manschette und dem außerordentlich praktischen und kompendiösen Queck- | nach „ „>. nn s „ 5S 2 7 ies t 80 » TA
silbermanometer von Zabel (2) und Schrumpf, welches ich in der | Yor,» » 15 Apri, „ TEN 4» WA pia © = N —2 ” ijt?
Praxis nicht mehr entbehren möchte. Die Gründe, welche v. Reckling- ee n E ;
hausen (8) für die Angabe des Drucks in Zentimeter Wasserhöhe an-
führt, scheinen mir durchaus zwingend zu sein, so daß auch meine An-
gaben im folgenden sich auf Wasserdruck beziehen.
Für die palpatorische Messung ist nun der Punkt, bei welchem
beim Aufblasen der Manschette der Radialpuls verschwindet, nicht der-
selbe wie der bei dem der Puls zurückkehrt; ersterer ist höher, letzterer
Abkühlung des Badewassers etwa 1/29 C bei 22—25° C Außen-
temperatur. Bei den Bädern am 12. April und 15. April wurde außerdem
alle Viertelstunden gemessen.
IV. Thermal-Duschemassage, 35° ©. 20 Minuten Dauer.
St. R.
: ; 48
niedriger, meist um zwei bis fünf Punkte. Nun scheint eg nach v. Reck- vor der Dusche, 26. April, Puls 76 BD. 168 er Pus& BD. wer
linghausens Angaben (4), daß der beim Absinken des Quecksilbers auf- nach 5 Minuten „ 1685 | „ 157 + oH
tretende erste systolische Pulsstoß als maßgebend betrachtet werden soll; PA ee a T il =
aber ich sehe nicht ein, warum. Der Druck ist doch innerhalb der ? = n 383 ü l+ oJ
wonga bei der Messung a nn ae a Yen un „0 , „ 80 „1% „ 9% „ 157
sere Sinnesorgane unzulänglich sind und uns beim Ansteigen des Queck-
silbers die Fortdauer des Bulsschlages und beim Sinken d Drucks das | 70749 ee ne Be +16) ne j “i 6
Nochnichtempfinden des Pulses vortäuschen. Der richtige Wert für die | nach 5 Minuten „178 „ 158 ij
+4 + 1hr +12 at 1+
1) Referat, erstattet auf der 33. Versammlung der Balneologischen En 3 +5] J ur 2j
Gesellschaft in "Berlin 1912. f : > R "0 5 J n 80 A 184 i 3 5 88 . z 168
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32,
1315
11. August.
Bene un EEE L Ll 0 .0) um E
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vor der Dusche, 28. April, Puls 68 BD. 171 Puls 88 BD. 1565 | ; 10)
5 Minuten - „ 178 „ 165
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or der Dusche, 29. April, Puls 60 179 80 „ 145
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nach 5 Minuten 5 194, A „ 152
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4 Abkühlung des Wassers während des Bades Y%—1° C bei 20 bis
Außentemperatur.
Als Resultate erhalten wir also für das Schwefel-Kochsalz-
wasser der Aachener Kaiserquelle:
Das Bad von 20 Minuten Dauer (85°C) erniedrigt in
geringe r Maße den maximalen Blutdruck und verändert
aum die Pulsfrequenz.
R Das Bad von einer Stunde Dauer (850 C) zeigt erst
ren Erniedrigung, dann eine Erhöhung des Blutdrucks;
le Pulsfrequenz wechselt.
i Das Bad von zwei Stunden Dauer (850 C) zeigt dem-
pa oohend anfängliche Erniedrigung und nachherige
rhöhung des Drucks; am Schluß des Bades fällt er .
wieder ab und bleibt unter dem Anfangsdruck; die Puls-
frequenz ist herabgesetzt. :
Die Aachener Duschemassage (850 C) erhöht den
Blutdruck anfangs lebhaft (um 15 bis 20 om Wasser);
dann wird er wieder geringer, bleibt aber am Schluß
immer um 3 bis 25 cm höher als der Anfangsdruck; die
Pulsfrequenz wechselt. |
Roethlisberger (5) fand bei den Chlornatriumschwefelthermen
von Baden (Schweiz), daß- bedeutende Veränderungen des Blutdrucks
nicht zu beobachten waren. Sonstige Mitteilungen über Blutdruck-
messungen bei Schwefelthermen habe ich nicht aufgefunden. Für ein-
facho Wasserbäder stellt Winternitz (6) die Regel auf, daß bei allge-
| meinen, die ganze Körperoberfläche treffenden warmen Prozeduren der
Blutdruck sinkt, und zwar im Maximum bis um 30 bis 385 mm Hg,
während Kälte den Druck erhöht. Otfried Müller (7) kommt in
seinen zahlreichen Arbeiten zu dem Schluß, daß bei gesunden Menschen
ausnahmslos alle Wasserapplikationen unterhalb des Indifferenzpunktes
drucksteigernd und frequenzherabsetzend wirken, daß alle Wasserapplika-
tionen oberhalb des Indifferenzpunktes bis herauf zu 39 und 400 C druck-
senkend und von etwa 36 bis 370 C ab auch frequenzerhöhend wirken.
-= Bei den kurzdauernden Bädern entsprechen ja meine Beob-
achtungen diesen Grundlagen unserer wissenschaftlichen Anschau-
ungen. Nur das lange Bad von zwei Stunden Dauer und die
Duschemassage bedürfen einiger Bemerkungen.
Bei O. Müller (8) steigt die Blutdruckkurve beim gewöhnlichen
Wasserbad von 350, sinkt dann nach Beendigung des Bades (15 Minuten)
unter die Norm und erreicht diese bei etwa 45 Minuten wieder, bei
unserem Schwefelthermalvollbad derselben Temperatur sinkt die Kurve
gleich ziemlich stark, steigt dann um die erste Stunde herum und sinkt
von neuem; zeigt also gerade umgekehrte Verhältnisse; nach zwei Stunden
ist der Anfangsdruck noch nicht erreicht. Das Bad wirkt trotz seiner
langen Dauer durchaus nicht ermüdend, man könnte eher sagen: im
Gegenteil; nach einem solchen Bade von !/a Stunde fühlt man eher eine
Art Erschlaffung als nach dem zweistündigen. Dabei wirkt es, da
auch die Pulsfrequenz regelmäßig heruntergeht entschieden schonend und
empfiehlt sich bei Arteriosklerose wie bei allen mit allgemeiner
Ueberempfindlichkeit einhergehenden nervösen und rheumatisch-gichtischen
Leiden. Ob. die blutdruck- und pulsfrequenzsenkende Wirkung des
langen Thermalbades auf seinen gasigen Bestandteilen (Kohlensäure und
Schwefelwasserstoff) beruht, lasse ich dahingestellt. Otfried Müller (9)
findet ja auch beim kohlensauren Solbad eine ganze Menge verschiedener
Faktoren wirksam, den schützenden Gasmantel, mechanische Reize durch
Bläschen, chemische durch Kochsalzwirkung und Eindringen der Kohlen-
säure, So werden auch bei unserm langen Bade eine Anzahl Faktoren
zusammenkommen, außer den genannten vielleicht auch noch die ver-
seifende Wirkung des alkalischen Wassers auf das Hautfett, nach dessen
Schwinden die gasigen sowohl wie die festen Bestandteile des Thermal-
wassers eine dankbarere Angriffsfläche besitzen.
Die Thermal - Duschemassage, unsere schon über
400 Jahre bekannte Aachener Spezialität, besteht aus einer 9 bis
15 mm dicken Dusche heißen, in der Temperatur genau regulier-
baren Thermaiwassers, welches von der linken Hand des Duschörs
mit etwa vier Atmosphären Druck auf die Gliedmassen des
Patienten gerichtet wird, während die rechte Hand dieselben Teile
gründlich massiert und knetet; durch 20 Minuten hindurch wird
so der ganze Körper mit Ausnahme der vorderen Bauch- und
Brustseite bearbeitet; das benutzte Wasser füllt nach und nach
das Bad, in dem die beiden Akteure, der Kranke und der Duschör,
stehen. Es handelt sich also um die kombinierte Wirkung
heißen Thermalwassers (in unserm Falle von 350 C) und
der Massage. Ersteres wirkt, wie wir wissen, bei dieser Temperatur
blutdruckerniedrigend.
Für die Massage schwanken in dieser Hinsicht noch die Meinungen.
Bum (10) in seinem Referat über Mechanotherapie in Eulenburg’s Real-
enzyklopädie, erwähnt die Untersuchungen von Kleen, wonach solche
Massagebewegungen, welche — wie oberflächliche Streichung, Reibung
und leichte Erschütterung — zunächst Hautreize verursachen, druck-
steigernd wirken, dagegen die auf die Muskeln wirkenden Handgriffe, wie
Muskelknetung, kräftige Erschütterung und Klopfung druckherabsetzend
wirken; er erwähnt ferner Hasebroek, welcher die Blutdrucksteigerung
durch Erschütterung der Lunge und dadurch Kohlensäureretention im
Organismus mit Pulsverlangsamung und Bilutdrucksteigerung erklärt.
Winternitz (11) nimmt an, daß Muskelarbeit meist den Blutdruck
herabsetzt. O. Müller (12) fand, daß jede Bewegung des Wassers, jede
mechanisch ausgeübte sensible Reizung drucksteigernd wirkt und zwar
um so mehr, je kräftiger sie ist; wird dabei die Brausewirkung mit
Wasser unterhalb des Indifferenzpunktes ausgeübt, so sinkt die Puls-
frequenz; liegt die Wassertemperatur oberhalb dieses Punktes, so steigt
sie. Mit diesen Versuchen stimmen meine Resultate ziemlich gut über-
ein; die außerordentlich kräftige Dusche würde wohl stärker blutdruck-
steigernd sein, wenn nicht das Thermalwasser als solches und das nach
und nach sich füllende Bad ein Gegengewicht ausübte; so bleibt die
Drucksteigerung in mäßigen Grenzen; in meinen Fällen war der Schluß-
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1316 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32,
11. August.
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druck um 3 bis 25 cm Wasser, also höchstens 17 mm Hg, höher als der
Anfangsdruck.
Man könnte nun die Frage stellen, ob die Aachener Thermal-
Duschemassage ‚auf Grund der erhobenen Befunde — abgesehen
von den zahlreichen Indikationen der Stoffwechselbeschleunigung
bei Gicht, Arthritis deformans, Rheumatismus, Hautkrankheiten,
Tabes usw. — auch dort angezeigt wäre, wo eine Erhöhung des
Blutdrucks oder eine Brüchigkeit der Gefäße wesentliche Sym-
ptome der zu behandelnden Erkrankung sind, also namentlich bei
Arteriosklerose und Folgen der Apoplexie. Hier ist indes
zu beachten, daß gerade bei der Arteriosklerose uns ein so
mächtiges Mittel, den Gehalt des Bluts an intermediären und die
Gefäßwände reizenden Stoffen zu vermindern, geradezu unentbehr-
lich ist; bei der Apoplexie ist die Aufsaugung des hämorrhagischen
Infarkts nach Verlauf einer gewissen Ruheperiode sicherer durch
vermehrte Bewegung und Anregung des Stoffwechsels als durch
Ruhe zu erzielen, und auch hier ist die kräftige Anregung des
Blutumlaufs durch unsere Duschemassage ein sehr erwünschtes
und gleichzeitig schonendes Mittel. Die Blutdruckerhöhung ist
im Verhältnis zu der außerordentlich kräftigen Prozedur nicht
groß, abgesehen davon, daß wir immer noch nicht wissen, wie
groß die Selbständigkeit gewisser Organe — gerade des Gehirns
zum Beispiel — ist, gegen Druckschwankungen im allgemeinen
System automatisch sich zu sichern.
Und wo zwischen Theorie und Praxis noch Spalten klaffen
— sie werden im Laufe von Jahrtausenden erst kleiner und kleiner
werden —, da dürfen wir uns zunächst wohl eher an die klinische
Erfahrung halten, die die günstige Einwirkung der Duschemassage
auf Arteriosklerose- und Apoplexiefolgen tausendfach erwiesen hat
und immer noch erweist.
Literatur: 1. H. von Recklinghausen, Praktische Anleitung zu
einer Messung des arteriellen Blutdrucks beim Menschen. (Beih. z. Med. KI.
1910, Nr. 8, S. 2388) — 2. B. Zabel und P. Schrumpf, Ein verbessertes
Quecksilbermanometer zu Blutdruckbestimmungszwecken. (M. med. Woch. 1909,
Nr. 28.) — 3. a. a. O., S. 244. — 4. a. a 0., S. 220, — 5. Roethlisberger,
Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium-Schwefel-Thermen von Baden
(Schweiz). (Zt. f. diät. u. phys. Th. 1901/2, H. 8) — 6. Winternitz, Physio-
logische Grundlagen der Hydro- und Thermotherapie. (Stuttgart 1906, S. 42.) —
7. Otfried Müller und Eberhard Veiel, Beiträge zur Kreislaufphysiologie
des Menschen, besonders zur Lehre von der Blutverteilung. (Leipzig 1910,
S. 662.) — 8. ibid. S. 668. — 9. Otfried Müller und E. Veiel, Beiträge zur
Kreislaufphysiologie des Menschen, besonders zur Lehre von der Blutverteilung.
II. Teil: Die gashaltigen Bäder. Leipzig 1911. — 10. A. Bum: Mechanotherapie.
3 Eulenburgs Realencyclopädie, 4. Aufl. 1910, Bd. IX, S. 321.) — 11. a. a. O.
. 42. — 12. a. a. O., S. 662 u. 663.
Aus dem Pathologischen Institut des Verbandskrankenhauses
Berlin-Reinickendorf (Prosektor Dr. Davidsohn).
Ein Todesfall nach dem Genuß
von Methylalkohol enthaltendem Schnaps
von
Dr. R, Schlichting, Oberarzt beim Inf.-Reg. Nr. 72.
Es sind noch keine sechs Monate verflossen seit dem un-
heimlichen Massensterben der Insassen des Städtischen Asyls zu
Berlin. Die Verhandlungen in dem Prozeß haben gezeigt, daß die
Ansichten der Sachverständigen über die Giftigkeit des Methyl-
alkohols nicht übereinstimmten. Gegen das Urteil, durch welches
hohe Strafen über vier Angeklagte verhängt wurden, ist Berufung
eingelegt worden, und wir werden wohl eine Wiederholung der Ge-
richtsverhandlungen erwarten dürfen. Unter diesen Umständen
darf ein neuer Todesfall nach dem Genuß von Methylalkohol, über
den ich in folgendem berichten möchte, wohl allgemein auf Inter-
esse rechnen.
Für die Ueberlassung des Falles zur Sektion und zur Unter-
suchung, wie auch für die Erlaubnis zur Veröffentlichung bin ich Herrn
Prosektor Dr. Davidsohn zu Dank verpflichtet.
Am 23. Mai 1912 wurde auf die medizinische Abteilung des Ver-
bandskrankenhauses (Direktor Prof. Klemperer) der 26jährige Schrift-
setzer Paul E. aus der R.straße in Reinickendorf in tiefem Koma auf-
genommen. Ein Arzt, den die Ehefrau kurz zuvor geholt hatte, hatte
die Diagnose „Morphium- oder Nikotinvergiftung“ gestell. Er war ein
starker Trinker und Raucher, in letzter Zeit stellungslos. Seine Frau
hatte ihn nach einem Streit nachmittags verlassen und fand ihn abends
scheinbar schlafend, den Kopf auf den Arm gelegt, am Tisch sitzend.
Die Pupillen waren lichtstarr, die Rachenorgane gerötet, die Reflexe
erloschen, die Atmung war langsam, häufig aussetzend, der Puls langsam,
regelmäßig. Zweieinhalb Stunden nach der Aufnahme Exitus letalis.
Die Leiche wurde zunächst von der Staatsanwaltschaft beschlag-
nahmt, war später aber freigegeben. Am 28. Mai 1912, vier Tage nach
dem Tod, obduzierte ich, Ich fand eine mittelgroße männliche Leiche
mit mäßig entwickelten Fettpolstern. An der linken Schläfe ein schwarz-
grauer Fleck von Einmarkstückgröße mit dunkelrotem Hof. Unter dem
linken Obr drei dunkelrote Flecke von Linsen- bis Bohnengröße, die sich
gegen die dunkelbläuliche Umgebung abheben (Kontusionsflecke?). An
beiden inneren Augenwinkeln hellgraue Krusten. Diffuse Rötung der Haut
des Rückens und der abschüssigen Partien der Brust.
Zwerchfellstand: rechts vierte, links fünfte Rippe.
Herz: etwas größer als die Faust. Ventrikelwanddicke links 16 mm.
Klappen intakt.
Lungen: Oberfläche beiderseitig spiegelnd. Linke Lunge blutreich,
sonst regelrecht. Rechte Lunge dunkelrot, sehr blutreich, auf Druck ent-
leert sich aus dem Durchschnitte reichlicher Schaum. Beide Lungen
Ben stark säuerlich. Nach längerem Liegen färben sich die Lungen
ellrot. |
Milz: 12:9:1'/a cm. Schnittfläche dunkelrot glänzend.
Nieren: Linke 13:6 :2!/ cm, Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche
spiegelnd, dunkelrot, auf dem Durchschnitte trübe, im Becken zahlreiche
hell- und dunkelrote Streifen. Rechte Niere desgleichen.
Harnblase: stark gefüllt. In der Harnblase etwa 150 cem leicht
rötlich gefärbter, trüber Flüssigkeit. Sonst ohne Besonderheiten,
Prostata: Es entleert sich aus dem Durchschnitte hellgelbe, zähe
Flüssigkeit.
Leber: 26:21:7 cm. Oberfläche spiegelnd, auf dem Durchschnitte
heilgelb.
| Gallenblase: klein, Schleimhaut zart, einige Kubikzentimeter dünn-
flüssiger, goldgelber Galle. |
Der Magen wird mit den Halsorganen zusammen herausgenommen;
in situ gewinnt man aus dem Magen etwa !a 1 teils flüssigen, teils
festen Inhalts von grünlichgrauer Farbe. Der feste Teil besteht aus einem
weißgrauen, fettigen, klumpigen Brei.
Halsorgane: Die Zunge hat vorn einen grüngrauen Belag. Die
Papillon am Zungengrunde sind stark geschwollen. Die ganzen Hals-
organe sind hellrot mit einem Stich ins Kirschrote. Im unteren Teil der
Speiseröhre ist die Schleimhaut zerfallen, leicht abzustreifen. Die Magen-
schleimhaut ist grau, im Fundus viele hellrote Flecke. Die Schleimhaut
des Pylorus ist dunkelbläulichrot und ganz weich. Kehldeckel und
Luftröhre hellrot mit zähem Schleim bedeckt. In der Luftröhre zeigen
die weißen Knorpelringe gegenüber den leuchtendroten dazwischenliegenden
Schleimhautbändern einen auffälligen Kontrast.
Bauchaorta: 4,5 cm weit.
Die ganzen Dünndarmschlingen sind gerötet, Schleimhaut weich,
im Duodenum mit dem Finger abzustreichen. Diekdarm: blaß, grau, ohne
Besonderheiten.
Die Sektion des Gehirns konnte nicht stattfinden.
Mikroskopisch fand sich: Magenschleimhaut hyperämisch, ab-
gestoßene Epithelien, hochgradige trübe Schwellung der Nieren, besonders
die tieferen Rindenpartien waren betroffen. Alle Epithelzellen der ge-
wundenen Harnkanäle, in den Markstrahlen und Henleschen Schleifen,
sind entweder vollständig kernlos oder die Kerne im Zerfall.
Die Leber ist ikterisch, grüngelbes Pigment um die Vena centralis.
Lunge: Maximale Füllung der Gefäße mit Blut, eiweißhaltige
Flüssigkeit füllt die Alveolen fast überall.
Prostata: Erweiterte Gänge mit wenig Zwischengewebe.
Unsere anatomische Diagnose mußte lauten: 1. schwere akute
Gastroenteritis, 2. schwere akute parenchymatöse Nephritis, 3. Lun-
genödem, 4. Hyperämie der Halsorgane und der Lungen, 5. Herz-
hypertrophie. |
Der sorgfältig aufgefangene Mageninhalt ist von dem Apotheker
des Krankhauses Herrn Chemiker Büchmann genau untersucht worden:
der Mageninhalt hatte ein Gewicht von 275 g, reagierte schwach sauer
und zeigte einen eigentümlichen, schwach aromatischen Geruch.
Eine Probe der gut durchmisehten Substanz wurde in einem Kolben
mit Weinsäurelösung versetzt und am schräggestellten Liebi gschen
Kühler destilliert. Das Destillationsprodukt wurde in drei Fraktionen
aufgefangen.
In der ersten und teilweise in der zweiten Fraktion wurden nach-
gewiesen:
Aceton: 1. durch die Jodoformprobe, >
2. durch die Legalsche Probe (Nitroprussidnatrium);
Aethylalkohol: 1. durch die Jodoformprobe (mit KOH),
2. durch die Benzoylchloridprobe.
Um weiter nach Methylalkohol zu forschen, wurden von dem Rest
der Fräktion 1 (nach amtlicher Vorschrift) 1 ccm abdestilliert. Von diesem
einen Kubikzentimeter wurden 0,1 ccm nach Denigös behandelt. (Um
die Probe vorzunehmen, setzt man zu 0,1 ccm des zu untersuchenden
Alkohols 5 ccm 1°/uiger Kaliumpermanganatlösung und vier Tropfen reiner
Schwefelsäure, entfärbt nach etwa zwei bis drei Minuten mit etwa
20 Tropfen 8°%/oiger Oxalsäurelösung, setzt darauf 20 Tropfen reine Schwefel-
säure zu und schüttelt um. Der völlig entfärbten Flüssigkeit setzt man
5 ccm fuchsinschwefliger Säure hinzu und stellt sie beiseite. Ist Methyl-
alkohol zugegen, so bildet sich in der Flüssigkeit zunächst ein zartes
Veilchenblau, das über sattere Tönung schließlich in tiefes Rotviolett
übergeht. Sie unterscheidet sich von der ähnlichen Reaktion der Al-
dehyde, bei denen sie sofort eintritt, um alsbald wieder zu verblassen,
dadurch, daß sie hier erst ganz allmählich in die Erscheinung tritt, um
11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
1317
dann immer intensiver zu werden!). Der Rest nach der amtlichen Vor-
schrift (Morphinhydrocblorid und Schwefelsäure) behandelt. Beide Proben
ergaben die Anwesenheit von Methylaikohol, besonders ‚empfindlich die
Probe nach Denigös. Alle Versuche wurden doppelt mit gleichem Er-
gebnis vorgenommen. Der weitere Verlauf der chemischen ntersuchung
ergab das Fehlen von Giften alkaloidischer oder metallischer Natur.
Es wurde mit Sicherheit in dem Mageninhalt Aceton, Aecthyl-
alkohol und Methylalkohol nachgewiesen. Aceton beziehungsweise
acetonähnliche Substanzen finden sich auch in normalen Leichen,
wenn diese anfangen in Verwesung überzugehen.
Die schweren Veränderungen, welche wir bei der anatomi-
schen Untersuchung gefunden hatten, lassen sich durch die Gift-
wirkung des gefundenen Methylalkohols erklären.
Auf Veranlassung des Herrn Prosektors Dr. Davidsohn ließ
ich nunmehr die Stammkneipe des Verstorbenen in Erfahrung
bringen. Bei dem Gastwirt K. in der R.straße ließ ich für 10 Pf
von dem Schnaps, den der Verstorbene am 23. Mai bekommen hatte,
100 g „Sehlesischen Korn“, besorgen. Es gelang, mit denselben
Proben den Methylalkohol in dem „Schlesischen Korn“ nachzu-
weisen. Nachträgliche Ermittlungen ergaben, daß der Verstorbene
neben zehn Flaschen Bier noch für 25 Pf., also etwa 250 g „Schle-
sischen Korn“ am 23. Mai zu sich genommen hatte, außerdem
hatte er kurz vorher Heringe gegessen,
Das Ergebnis unserer Untersuchungen weicht von den Sek-
tionsergebnissen der verstorbenen Asylisten, wie zu erwarten ist,
nicht ab. Wie F. Straßmann in seinem Vortrag am 8. Januar
im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde?) hervorhebt,
gibt es kein specifisches anatomisches Bild. Es sind mehrfach
kräftige Männer in mittlerem Ernährungszustand. Es fand sich
regelmäßig Tracheitis; selten fehlen Erscheinungen einer Reizung
des Magendarmkanals, die fast regelmäßig den Magen, gewöhnlich
den oberen Dünndarm, seltener die unteren Darmabschnitte betraf.
Die Schleimhaut war geschwollen, im Magen mit Schleim belegt,
‚hier und da oberflächliche Blutungen in der Schleimhaut. Die
ungon waren meist ausgedehnt, gewöhnlich blutreich, vereinzelt
ödematös. Die Milz war im Gegensatz zu früheren Angaben ameri-
kanischer Autoren nicht vergrößert. Die Harnblase, die fast stets
sehr“reichlichen, hier und da aromatisch riechenden Urin enthielt,
hatte oft eine auffällige Gefäßfüllung.
Bemerkenswert ist eine mehrfach beobachtete auf ihre Ur-
sache und Bedeutung noch genauer zu prüfende, helirötliche Farbe
des Bluts, speziell der Totenflecke, die an Kohlenoxydvergiftung
erinnern,
. , Der vorliegende Fall zeigt, daß Methylalkohol einem chro-
nischen Alkoholisten, der vorher Heringe gegessen hatte, ein töd-
liches Gift gewesen ist.
Wenn geringe Mengen des „Schlesischen Korns“ eine deut-
lich Schädigende Wirkung ausüben würden, könnte man in einem
rte wie Reinickendorf erwarten, daß es nicht verborgen bliebe;
denn in den kalten Pfingsttagen wird nicht wenig Schnaps ver-
kauft sein.
‚. Aber auch bei einer großen Anzahl der gestorbenen Asy-
listen handelte es sich um chronische Schnapstrinker, die Fische
gegessen hatten. Ä
‚Möglich wäre es, daß bei der Aufnahme des Methylalkohols
= et von bestimmten Fetten schwer giftige Verbindungen
ilden.
Diese Frage ist heute noch nicht genügend geklärt.
Ein Fall von transitorischer Erblindung nach
Beobachtung der Sonnenfinsternis
von
Primaraugenarzt Dr. Max Bondi, Iglau.
Wohl keinem Augenarzte dürfte die Tatsache unbekannt
Sein, daß nach einer Sonnenfinsternis sich stets Patienten vor-
stellen, welche über eine im Zusammenhange mit der Beobachtung
° Sonnenfinsternis stehende Sehstörung größeren oder geringeren
Grades klagen. Die Zabl der diesbezüglichen Mitteilungen ist
ane ungemein große; fast regelmäßig werden von demselben Autor
menrere, mitunter ein ganzes Dutzend von Fällen mehr oder
giger ausgesprochener Schädigungen des Augenlichts angeführt.
° Anden wir auch im Anschluß an die letzte Sonnenfinsternis
c
k Pharm, Zbl. Bd. 54, S. 4.
D. med. Woch. Nr. 8. -
‚angegeben.
(17. April 1912) zahlreiche Veröffentlichungen bereits vorliegen
und zwar nicht nur in den fachwissenschaftlichen Blättern, son-
dern auch in den Tageszeitungen.
Es kann daher nicht Zweck dieser Zeilen sein, die zahl-
reichen in der Literatur niedergelegten Fälle mit ihren typischen
Symptomen noch durcheinige eigner Beobachtung zuvermehren. Denn
ich glaube, daß die überwiegende Mehrzahl der Fachkollegen mit
mir darin übereinstimmen wird, daß die Veröffentlichung noch
eines weiteren halben Dutzend solcher typischer Fälle weder die
für die Publikation aufgewendete Mühe noch die zum Durchlesen
derselben benötigte Zeit lohnt. Nur über seltene Abweichungen
von dem allgemein bekannten Krankheitsbilde zu berichten sei
gestattet. Hauptsächlich ist es daher ein Fall von den von mir
beobachteten sechs Fällen, welcher sich von dem sonstigen Krank-
heitsbilde vornehmlich durch seine Schwere, das spätere Auftreten
und die ungewöhnliche Dauer des Bestehens unterschied, sodaß
dessen Veröffentlichung angezeigt erscheint, um so mehr als ein
so schwerer Fall — völlige Erblindung eines Auges — von man-
cher Seite noch angezweifelt werden könnte.
Daß Schädigungen durch grelles Licht nicht zu den Selten-
heiten gehören, war ja schon im Altertume bekannt. In der im
sechsten Jahrhundert erschienenen Augenheilkunde des Aëtius
aus Amida!) finden wir im Kapitel I „Von der Amaurose. Nach
Demosthenes und Galen.“ unter den Ursachen der Amaurose unter
anderm auch die Einwirkung grellen Lichtes, den Sonnenstich,
Eine eingehende Zusammenstellung der diesbezüg-
lichen, in allen Sprachen erschienenen reichen Literatur finden
wir anläßlich der Sonnenfinsternis am 80. August 1905 bei Beau-
vois?), welcher gleichzeitig mit zehn Fällen eigner Beobachtung
einen historischen Ueberblick des Krankheitsbildes gab.
Was nun die Beobachtungen anläßlich der heurigen Sonnen-
finsternis anlangt, sehe ich von der Zitierung der bereits in ver-
schiedenen Fachblättern veröffentlichten Fälle vollständig ab, möchte
aber nur zur Illustration von der Häufigkeit der Beobachtungen
auf folgende Tatsache hinweisen. Gelegentlich des ersten Fort-
bildungskurses des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte in
Düsseldorf?) hatte Heß über Schädigungen des Auges durch Licht
gesprochen und dabei auch die Schädigungen bei Betrachtung der
Sonnenfinsternis erwähnt. Bei dieser Gelegenheit — es war dies
am 27. April d. J, also zehn Tage nach der Sonnenfinsternis —
ergab eine in Umlauf gesetzte Liste die erstaunliche Tatsache,
daß die etwa 50 Zuhörer allein 100 bei Beobachtung der letzten
Sonnenfinsternis entstandenen Augenschädigungen zu behandeln
respektive zu beobachten Gelegenheit hatten. Meist handelte es
sich um centrale Skotome mit mehr oder minder beträchtlicher
Herabsetzung der Sehschärfe, die aber in den meisten Fällen sich
rasch besserte.
Das Krankheitsbild, welehes durch die Schädigung, welcher
ein Auge bei schutzloser Beobachtung der Sonnenfinsternis aus-
gesetzt ist, zustande kommt und welches mit dem Namen eines Sco-
toma helieclipticum, entfärbt von den Engländern „Eclipse blindness“
bezeichnet wird, ist also ein den Augenärzten aller Gegenden
wohlbekanntes. In keinem der bisher mir bekannten Veröffent-
lichungen war die Schädigung eine so starke, daß sie eine voll-
ständige, wenn auch nur temporäre Erblindung zur Folge hatte.
Ja, manche Kollegen stellen die totale Erblindung, wie ich sie an
dem nun zu veröffentlichenden Falle beobachtete, direkt in Abrede.
Im ganzen verfüge ich über sechs Fälle, welche wegen Seh-
störung anläßlich der Beobachtung der letzten Sonnenfinsternis
meine Sprechstunde aufsuchten, Dem Stande nach handelte es
sich um zwei Kaufleute, einen Mittelschüler, einen Arzt, einen
Förster und eine Lehrerin. In allen diesen Fällen war das die
Sonnenfinsternis beobachtende rechte Auge das geschädigte. Vier
dieser Fälle boten — bei negativem Spiegelbefund — eine Herab-
setzung der Sehschärfe um !/ıo bis ®/ıo dar. In einem dieser Fälle
war das linke Auge seit vielen Jahren infolge Wundstars schwach-
sichtig, während in den übrigen drei Fällen das linke Auge eine
vollkommen normale Sehschärfe hatte. Diese vier Fälle erholten
sich alle sehr rasch; zwei davon sah ich nach zirka einer Woche
mit normaler Sehschärfe am rechten Auge.
In den beiden letzten, den Förster und die Lehrerin be-
treffenden Fällen war in der Maculagegend der bereits zur Genüge
1) Herausgegeben von J. Hirschberg, Leipzig 1899. Griechisch
d Deutsch.
= 2) Recueil d’opht. 1906, S. 257 und 821.
3) Woch. f. Aug. Nr. 31.
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1318
beschriebene positive Spiegelbefund nachweisbar und zwar bestand
bei dem Förster eine Herabsetzung der Sehschärfe auf kaum 5/10,
bei der Lehrerin hingegen war auf dem rechten Auge das Formen-
sehen vollständig aufgehoben, weshalb dieser Fall in Kürze hier
mitgeteilt sei.
Ä F. H., 27jährige Lehrerin aus J, (Böhmen), kam am 26. April dieses
Jahres in die Sprechstunde mit der Angabe, daß seit ungefähr einer
Woche eine Verdunkelung, respektive eine totale Erblindung des rechten
Auges bestehe. Patientin wußte absolut keinen Anhaltspunkt für die
Erkrankung anzugeben; nach längerer Fragestellung kam auch die Sonnen-
finsternis zur Sprache, Nun gab Patientin an, daß sie gerade um die
Mittagsstunde aus der Schule sich in ihren ungefähr eine Wegstunde ent-
fernten Wohnort begab, dabei fortwährend mit einem leichtgeschwärzten
Glase die Sonnenfinsternis betrachtend. Schon abends bemerkte Patientin
beim Lesen, daß das rechte Auge nicht in Ordnung sei, weshalb sie auf
die Lektüre verzichtete. Am nächsten Morgen bestand eine ziemlich
starke Verdunkelung vor dem rechten Auge, doch konnte Patientin alle
Gegenstände — allerdings im Nebel — noch erkennen. In den folgenden
‚drei Tagen verfiel das Sehvermögen rapid derart, daß am 23. April totale
Erklindung des rechten Auges eintrat. Bereits am dritten Tage der be-
stehenden Sehstörung suchte Patientin einen in der Nähe ihres Wohn-
ortes befindlichen Arzt auf, welcher Augentropfen verordnete. Da sich
aber der Zustand nicht besserte, im Gegenteil eine wesentliche Ver-
schlimmerung bemerkbar machte, kam Patientin am dritten Tage des Be-
stehens der Blindheit in meine Sprechstunde.
Zu erwähnen wäre noch, daß die Patientin seit ihrer Kindheit kurz-
‚sichtig ist.
Status praesens: Rechtes Auge. Aeußerlich vollkommen nor-
Er N Pupille maximal weit, rund, starr (Mydriasis arte-
cialis ?).
Die dioptrischen Medien klar. Fundus gut sichtbar mit —6D,
Papille normale Verhältnisse zeigend. In der Makulagegend ein dunkler,
rötlichgelber Fleck von kaum !/» PD, von einem schmalen, roten Saum
‚eingefaßt. .Spannung normal.
- S = Lichtempfindung (unsicher).
male Verhältnisse.
An der Papille temporaler !/s PD betragender Conus. Myopie
S=®/o mit — 6D.
Der objektive Befund bot also, abgesehen von der maximal weiten
Pupille, welche, wie sich nachträglich herausstellte, auf Instillation von
Atropin zurückzuführen war, nur eine kleine Veränderung in der Macula-
gegend ‘dar. Die ungemein schwere Sehstörung — vollkommenes Fehlen
des Formensehens — schien nicht recht mit dieser Maculaveränderung in
Einklang gebracht zu werden, weshalb der Verdacht einer Hysterie oder
Aggravation nahe lag. Weder für die letztere noch für die erstere konnte
trotz wiederholter und sorgfältiger Untersuchung ein weiteres, diese An-
nahme bestätigendes Zeichen gefunden werden. Nun sind ja bekanntlich
Linkes Auge vollkommen nor-
= 6D
- zahlreiche Fälle von mitunter ganz beträchtlicher Herabsetzung der Seh-
schärfe nach Betrachtung einer Sonnenfinsternis bekannt, ohne daß bei
diesen Fällen ein objektiver Befund sich nachweisen ließe. Es könnte
daher in meinem Falle die nachweisbare Macularveränderung genügt
‚haben, um das Formensehen vollständig aufzuheben,
Unter entsprechender Augendiät verblieb Patientin in Beobachtung
und stellte sich in der Folgezeit noch fünfmal vor. |
29. April. Bei objektiv gleichbleibendem Befunde kann mit Sicher-
heit Lichtempfindung auf 6 m nachgewiesen werden.
‚Mai. Patientin meldet freudig eine Besserung; tatsächlich zählt
Patientin Finger auf zirka !/a m, Gläser bessern nicht.
10. Mai. SL-Finger auf 3/4, wobei Patientin spontan die Bemerkung
macht, die Finger besser in der Peripherie, als beim Blicke geradeaus
. zu sehen. |
16. Mai. SL-Finger auf 1 m; Konkavgläser bessern. Mit — 6D
_ zählt Patientin Finger auf zirka 2'!/s m. Am Perimeter wird ein centrales
Skotom nachgewiesen.
Eine kleine Stunde vorher, bevor die Patientin kam, las ich
den eben erschienenen Artikel von Jeß!) über „Ringskotome durch
Blendung anläßlich der letzten Sonnenfinsternis“, Jeß spricht in
diesem Artikel die Ansicht aus, daß „in fast allen Fällen von
_ Sonnenblendung bei sorgfältiger Aufnahme des Gesichtsfeldes ein
Ringskotom nachzuweisen ist“. Es war mir daher die günstige
Gelegenheit geboten, diese Angabe sofort nachzuprüfen, Trotz
_ sorgfältiger und wiederholter Gesichtsfeldaufnahme konnte ich das
von Jeß beschriebene Ringskotom, „beginnend von außen bei 400
und reichend bis durchschnittlich 20°“ nicht finden, wobei zu be-
merken ist, daß die intelligente Patientin präzise Angaben machte.
Dieser Fall allein kann natürlich nicht gegen die Jeßschen Be-
funde sprechen; Jeß standen 32 ähnliche Fälle mit 23 Befunden
1) M, med. Woch. Nr. 20 vom 14. Mai 1912,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August.
von Ringskotom zur Verfügung. 1. Juni sah ich die Patientin
zum letztenmal.
SL = tjo! mit — 6D, Patientin liest Bießend kleinsten Druck,
Kein Skotom nachweisbar.
Patientin wird aus der Beobachtung entlassen,
Das Bemerkenswerte, was dieser Fall darbot, war also
eine einige Tage nach dem Betrachten der Sonnen-
finsternis auftretende, zirka acht Tage anhaltende, to-
taleErblindung des rechten Auges mit langsamer Wieder-
herstellung des Sehvermögens.
Die Wertlosiskeit der positiven Wassermann-
schen Reaktion für die lokale Diagnose
von
Dr. Franz Bruck, Berlin-Charlottenburg.
Daß die positive Wassermannsche Reaktion ein latentes
Symptom der Syphilis ist, dürfte zurzeit als herrschende Ansicht
gelten und soll auch hier nicht bestritten werden. Das schließt
aber nicht aus, daß trotz positiver Wassermannscher Reaktion
die gerade vorliegende lokale Affektion auch einmal nicht syphi-
litischer Natur’ ist. Denn der Syphilitiker kann natürlich auch von
einem Zungencarcinom befallen werden, zumal da es bekanntlich
vorzugsweise die Syphilis ist, die — neben dem Tabak — in der
Zunge den Boden für die. Entwicklung des Carcinoms vorbereitet.
Der Beispiele, wo ein Syphilitiker von einem nicht syphilitischen
Leiden ergriffen wird und dessentwegen den Arzt aufsucht, gibt
es genug. Und zahlreich sind die Fälle, wo hier der Diagnose
Schwierigkeiten erwachsen. Daß es dabei wichtig ist, zu wissen,
ob überhaupt Syphilis vorliegt, braucht nicht erst betont zu
werden. Worauf es aber allein ankommt, ist, daß die Diagnose
der gerade den Kranken beunruhigenden örtlichen Affektion nie-
mals durch die positive Wassermannsche Reaktion mit Sicher-
heit gestellt werden kann.
Ein Hinweis hierauf findet sich zwar gelegentlich in der
Literatur: weitaus die meisten Publikationen über die Bedeutung
der Wassermannschen Reaktion gehen aber darüber mit Still-
schweigen hinweg und übersehen diesen für die Praxis wichtigen
Punkt merkwürdigerweise vollkommen.
Behandelt man nun bei einem Syphilitiker einen nicht syphi-
litischen Krankheitsherd, den man jedoch auf Grund der posi-
tiven Wassermannschen Reaktion fälschlich für Syphilis bält,
mit antisyphilitischen Mitteln, so kann man peinliche Ueber-
raschungen erleben. Geradezu gefährlich ist es aber, bei einer
Differentialdiagnose zwischen Zungensyphilis und Zungencar cinom,
gestützt auf den positiven Ausfall der Wasserm annschen Reak-
tion, irrtümlich Zungensyphilis anzunehmen und nun, dadurch be-
ruhigt, zunächst antisyphilitisch vorzugehen. Gewiß macht man
auch von vornherein unter Verzicht auf die Wassermannsche
Reaktion sehr häufig vor einer mikroskopischen Untersuchung
erst einmal den Versuch mit antisyphilitischen Medikamenten
(Diagnose ex juvantibus). Aber in diesem Falle wird man damit,
wenn der Erfolg ausbleibt, zum Vorteil des Kranken viel eher
aufhören, als wenn man sich voreingenommen durch die positive
Wassermannsche Reaktion in Unkenntnis ihres Wertes in
Sicherheit wiegen läßt.
Es wird also bei jedem auf Syphilis verdächtigen Krankheits-
herd, auch wenn die Wassermannsche Reaktion positiv aus-
fällt, doch immer erst der Erfolg der antisyphilitischen Behand-
lung die örtliche Diagnose sichern. JR:
Unter der Voraussetzung, daß die positive Wassermann-
sche Reaktion ein latentes Symptom der Syphilis ist, hat sle daher
nach dem eben Gesagten für den ärztlichen Praktiker nur Wert,
wenn es darauf ankommt, festzustellen, ob überhaupt Syphilis
vorliegt. Das ist zum Beispiel äußerst wichtig bei einem Heirats-
kandidaten oder wenn ein Säugling mit Ammenmilch ernährt werden
soll. Hier muß übrigens die Wassermannsche Reaktion nich
nur an der Amme. im Interesse des Kindes, sondern auch, was
leider häufig verabsäumt wird, am Kinde im Interesse der Amm®
vorgenommen werden. Handelt es sich aber für den Praktiker
nur darum, eine lokale Diagnose zu stellen, dann ist für ihn die
positive Wassermannsche Reaktion natürlich nieht verwertbar.
11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. | | 1319
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus Unna’s Dermatologikum in Hamburg.
Die Verbesserung der Färbungen durch.
Fixierung des Gewebes mit Chlorzink
0. von
Th. Reimann und P. 6. Unna.
Vor kurzer Zeit erschien ein Buch!), in welchem der Nach-
weis geführt wurde, daß die große Mehrzahl aller von den Ana-
tomen, Zoologen, Embryologen und Bakteriologen vor der Färbung
gebrauchten Fixationsmethoden sich auf ein großes Grundprinzip
zurückführen läßt, nämlich auf eine künstlich hervorgerufene
Oxydation des Gewebes. Es sei hier nur an die drei größten
Gruppen unter diesen technischen Hilfsmitteln erinnert: an die all-
bekannten Mischungen von Essigsäure mit oxydierenden metallischen
Säuren und Salzen (Chromsäure), Osmiumsäure, Platinchlorid,
Sublimat, Eisenchlorid, Chlorzink, Phosphormolybdänsäure), sodann
an die organischen Oxydatoren: Pikrinsäure, Trichloressigsäure und
das Jod und endlich an die interessante Gruppe der Sauerstoff ak-
tivierenden schwachen Reduktionsmittel (Phenol, Anilin, Aldehyde,
Terpene), denen in der Textilfärberei das wichtige Türkischrotöl
entspricht. Erst durch Hinzuziehung dieser Sauerstoffmittel werden
viele Färbungen alkohol- und säureecht, was ja vom Tuberkel- _
bacillus jedem Arzte bekannt ist.
. Diese ganze oxydative Technik beruht begreiflicherweise auf
dem vorwiegend reduzierenden Charakter der tierischen
Gewebe. Die verschieden starke aber allgemeine und nur an den
Sauerstofforten unterbrochene Reduktionskraft des Substrats muß
möglichst gemindert werden, denn sie ist das größte Hindernis
einer guten, starken und dauerhaften Färbung. Allerdings sind
nicht alle Farbstoffe gleich empfindlich für Reduktion, aber schließ-
lich lassen sich doch die meisten durch Einführung von Hə in ihr
Chromophor in Leukofarben verwandeln und gerade einige unserer
am meisten gebrauchten basischen Farben (Methylgrün, Methylen-
blau, Fuchsin) sind sehr reduktionsempfindlich, wie ihr regel-
mäßiges Verblassen in unseren reduzierenden Balsamen anzeigt.
Die oxydierenden Fixatoren, allen voran die Flemmingsche
‚Lösung, feierten ihre Triumphe in den 20 Jahren von Anfang der
Siebziger bis Anfang der N eunziger des vorigen Jahrhunderts. Es
war die Zeit der Kernfärbungen, des so äußerst fruchtbaren Stu-
diums der Mitosen. Beide Erscheinungen sind nicht ohne Zu-
sammenhang. Denn nach dem Gesetze der Oxypolarität?)
haben die hochoxydierten sauren Oxydatoren eine starke Affinität
zu den niedrigoxydierten, respektive reduzierenden Bestandteilen
des Gewebes: Protoplasma, Muskel, Hornschicht, Haar, aber nicht
zu den ebenfalls hochoxydierten: Kern, Mastzelle, Schleim, Knorpel’). :
Speziell der Kern‘) ist nach den neueren Untersuchungen selbst
als ein hochoxydierter saurer Oxydator, ein äußerst saurer Sauer-
‚stoffort zu betrachten. Kern und Flemmingsche Lösung — um.
nur diesen Fixator als Typus herauszugreifen — tun sich daher :
nichts an, sie lassen sich in Frieden; sie haben keine Affinität zu-
Snänder. Daher die prächtige Erhaltung der Kerne in diesen
Fixatoren, die ihr Studium erst ermöglichte. |
agegen macht es der oxypolare Gegensatz zwischen den-
selben Fixatoren und dem Protoplasma begreiflich, daß dessen
Studium in jener Periode wenig gefördert wurde. Denn die oxy-
polare Affinität bewirkt, daß jene Säuren das Protoplasma ent-
‚Weder zerstören oder sich mit ihm zu schwer färbbaren Verbin-
dungen paaren. Daher die vielen subjektiven Anschauungen der
Autoren über das Protoplasma in der Periode der Kernfärbung,
o bis zum gänzlichen Nihilismus Fischers führten.. Und ander-
seits die Unmöglichkeit, auf diesem normal-anatomischen Grunde
eine in allen Richtungen befriedigende „pathologische Anatomie
des Protoplasmas“ aufzubauen.
ER E
PE ) P. G: Unna u. Golodetz, Die Bedeutung des Sauerstoffs in
er F Acherdl leo: yos, Leipzig 19t2.) |
. 6. Kapitel 5.
nn. 2 Aus diesem Gesetz erklärt sich z. B., weshalb bei den Säure-
‚'uchsin-Pikrin-Färbungen die stark saure Pikrinsäure das stark saure Proto-
pesma färbt, welches bekanntlich doch sonst stark durch die basischen
‚puren Mothylenblau, Pyronin gefärbt wird. Hier kann also die Oxy-
Affinität nichts erklären. Die Pikrinsäure färbt vielmehr als hoch-
oa ate Substanz das reduzierende Protoplasma nach dem Gesetz der
2: ritat. . - i
| ‘) Unna, Die Reduktionsorte und Sauerstofforte des tierischen
Gewebes, (Festschrift Waldeyer Arch. f. mikr. Anat. 1911. Bd. 78.)
Es mußte zu andern Substanzen wie Formalin und zum Teil
| zu recht alten wie Aethyl- und Methylalkohol, das heißt es mußte
zur reduzierenden Gruppe der Fixatoren gegriffen werden,
um für das reduzierende Protoplasma eine adäquate Fixierung und
etwas ähnlich Gutes zu erreichen, wie man es für die Kerne be-
reits besaß. Diese reduzierenden Fixatoren beherrschen die Histo-
logie der letzten 20 Jahre, die man im Gegensatz zur Kernperiode
ganz gut die Protoplasmaperiode nennen kann. Dem Zurückgreifen
zum Alkohol haben wir die Entdeckung des Granoplasmas in den
Bindegewebszellen und Epithelien und der damit identischen Nissl-
körper in den Ganglien zu danken und auf dem Gebiete der Pa-
thologie die Auffindung der Plasmazellen und ihrer vielen Degene-
rationsprodukte,
Der große Wert der Alkoholfixation liegt in seiner man-
gelnden Affinität zum Granoplasma; darin, daß er sich nicht wie
die sauren Oxydatoren mit dem Granoplasma zu einem unfärb-
baren Metallalbuminat verbindet. Das ist allerdings ein großer,
aber doch nur. ein negativer Vorteil. Es ist nicht zu leugnen, daß
dasselbe Moment, welches den Alkohol zum richtigen Fixator für
das Granoplasma macht, der Intensität und Brillanz der nach-
herigen Granoplasmafärbung Abbruch tut. Denn der Alkohol ver-
stärkt noch die farbmindernde Eigenschaft des reduzierenden Proto-
plasmas. . Trotz der ebengenannten Entdeckungen auf dem Gebiet
der Histologie und Pathologie, die nur durch sehr intensive
Färbungen ermöglicht wurden, ist der Alkohol noch nicht der beste
Fixator für das Protoplasma und für die andern reduzierenden Sub-
stanzen des Gewebes. Aber diese Schwäche des Alkohols läßt
sich beseitigen, indem man entweder auf das Gewebe vor dem Al-
kohol bestimmte oxydierende Körper einwirken läßt, oder solche
im fixierenden Alkohol auflöst. un
Im vierten Kapitel des oben genannten Werkes findet sich
eine Zusammenstellung derjenigen Oxydatoren, welche für die sehr
empfindliche und lehrreiche: Carbol + Pyronin + Methylgrün-
Färbung das Gewebe am besten vorbereiten. Es hat sich gezeigt,
daß die beiden Farben, die dadurch verstärkt werden sollen, sich
sehr verschieden in Beziehung auf ihre Reduktionsempfindlichkeit
verhalten, indem Methylgrün viel empfindlicher als Pyronin ist
und letzteres sogar neben einer Unempfindlichkeit gegen Reduktion
eine leichte Oxydationsempfindlichkeit zeigt. Daher passen als
oxydative Verstärker des Alkohols nicht alle Oxydatoren. — Es
bewährten sich schließlich als Vorfixatoren: Pikrinsäure, Trichlor-
essigsäure, Jod, Chlorzink und Chlorcaleium; als Zusatz zum Al-
kohol: Pikrinsäure, Trichloressigsäure, Jod in sehr schwacher
Prozentuierung, sodann Chlorzink, Chlorcaleium, Terpentinöl,
Thymen, Ozonessenz, Lavendelöl und Benzaldehyd.
= Die Vorfixation gibt im allgemeinen bessere Resultate als
der oxydierende Zusatz zum Alkohol, was ja eigentlich selbstver-
ständlich ist. Die erstgenannten starken Oxydatoren (Pikrinsäure,
Trichloressigsäure, Jod) müssen vor der Härtung in Alkohol in
(kalkbaltiger) Aqua communis lange ausgewaschen werden, sonst
verändern sie die darauffolgende Färbung in einseitiger Weise.
Der Zweck dieser Vorbehandlung ist nicht, die oxydierenden
Mittel im Gewebe zu fixieren, sondern mittels derselben die Re-
duktionsorte des Gewebes, die der Färbung nachteilig sind, ab-
zuschwächen. Die Praxis hat inzwischen für die an zweiter Stelle
genannten Salze: Chlorzink und Chlorcaleium entschieden, welche
sich ganz besonders als Vorfixatoren für die Carbol -+ Metyhlgrün +
Pyronin-Färbung eignen und neben intensiver Färbung die besten
Farbkontraste im Gewebe liefern. |
Allerdings scheint die besondere Güte dieser neutralen Chlor-
salze gerade gegen die eben aufgestellte Theorie zu sprechen. Denn
kein Chemiker hält diese Salze für Oxydatoren in gewöhnlichem
Sinne, Es hat sich jedoch herausgestellt, daß dieser Widerpruch
nur scheinbar besteht und wir werden nach Mitteilung der
empirisch gewonnenen Resultate später auf diesen Punkt zurück-
kommen. | |
Zinkcehlorid und Caleiumchlorid wurden in 2%/yiger wäßriger
Lösung benutzt. Die Präparate wurden acht Tage lang zur
Fixierung in dieser Flüssigkeit belassen. Zum Vergleiche wurde
ein während acht Tagen in 70°%yigem Alkohol fixiertes Präparat
benutzt. Nach Einbettung der Stücke in Celloidin wurden alle
drei in der üblichen Weise weiterbehandelt, das heißt mikro-
tomisiert und in Alkohol- Aether- Mischung von Celloidin befreit.
Von da gelangten sie in absoluten Alkohol, dann in Wasser und
sofort in die jeweilige Farbstofflösung. Die Aufbewahrungszeit
der Präparate in Chlorzink und Chlorcalei@m kann, wie bei
1320
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August,
Alkohol, beliebig verlängert werden, ohne daß jene an Färbbarkeit
Einbuße erleiden. Makroskopisch ist an den Organstücken bei
Alkoholfixierung eine mehr gelbliche Färbung zu konstatieren,
während Zinkchlorid die Gewebe grauweiß erscheinen läßt. Bei
Caleiumchlorid ist eine deutlich bleichende Wirkung festzustellen;
die Stücke zeigen eine rein weiße Farbe. Irgendwelche Verände-
rungen in der Konsistenz der Präparate, z. B. Weicherwerden,
Brüchigwerden, war nicht zu bemerken; auch ließen sich die
Stücke ebenso gut wie in Alkohol fixierte auf dem Mikrotom
schneiden.
Wenden wir uns nun zur Betrachtung der mikroskopischen
Ergebnisse. Es wurde je ein in Alkohol, Zinkehlorid und Cal-
ciumcehlorid fixiertes Präparat von demselben Hautcareinom mit
den gleichen Färbungen tingiert und verglichen. Die Resultate
dieser Vergleiche sind kurz folgende:
-L Methode Pappenheim-Unna.
1. Die Schnitte gelangen 15 Minuten in die Mischung von
Carbol + Pyronin + Methylgrün.
2. Abspülen in Wasser. -
3. Alkohol, Bergamottöl, Canadabalsam.
Bei dieser Methode ergab sich eine deutliche und in die
Augen springende Verbesserung der Färbung. Die besten Bilder,
verglichen mit Alkohol, ergab Caleiumchlorid und demnächst Zink-
chlorid. Besonders waren es das Epithelprotoplasma, die Epithel-
kerne und Kernkörperchen, die Spindelzellen der Cutis, das Grano-
plasma und die Kerne der Plasmazellen, die Mastzellen und die
Knäueldrüsenzellen, die sich durch intensivere Färbung auszeich-
neten. Die Mastzellengranula heben sich leuchtend orangerot ab,
ebenso das Karminrot des Granoplasmas der Plasmazellen. Die
Kernkörperchen sind leuchtend dunkelrot. Der Gesamteindruck ist
ein hellerer, klarerer, die einzelnen Zellelemente heben sich, man
möchte sagen, gestochen scharf voneinander ab. Es mag dahin-
gestellt sein, inwieweit diese besondere Schärfe des Bildes aut
dem Kontrast mit dem gänzlich ungefärbten kollagenen Gewebe
beruht. IT, Mastzellen-Schnellfärbungsmethode,
4. Oel, Balsam.
Bei dieser Färbung ergaben die beiden neuen Methoden
keine wesentliche Verbesserung; im Gegenteil, man beobachtet,
daß Zinkehlorid die Färbbarkeit anscheinend verschlechtert, wäh-
rend Caleiumchlorid zum mindesten keine Verbesserung gegenüber
Alkohol darstellt.
Eine bedeutende Verbesserung sehen wir dagegen bei der
IH. Polychrom. Methylenblaulösung — Glycerinäther-
Methode.
i. Polychrom. Methylenblaulösung 2 Minuten; abspülen.
2. Glycerinäthermischung 1 bis 2 Minuten; sehr gut abspülen.
8. Alkohol, Oel, Balsam.
Hier sind es besonders die Epithelzellen, die Spindelzellen
der Cutis, die Mastzellen und das Granoplasma sowie die Kerne
der Plasmazellen, die sich durch stärkere Färbbarkeit hervortun.
Das Granoplasma ist schön dunkelblau mit einem Stich ins Violett,
das Kernchromatin und die Kernkörperchen dunkelblau. Die Mast-
zellengranula sind rotviolett, teilweise rein rot.
| Wenden wir uns nun zur Darstellung der
IV. Sauren Kerne.
1. Nichtangesäuerte Orceinlösung 10 Minuten.
2. Alkohol 5 Minuten; in Wasser abspülen.
3. Gentiana + Alaun-Lösung 2 Minuten; abspülen.
4. Spirituöse Tanninlösung 20 bis 30 Minuten; sehr gut abspülen.
5. Alkohol, Oel, Balsam.
Bei dieser Färbung versagt Zinkchlorid absolut, während
Caleiumchlorid nicht so gute Resultate liefert wie Alkoholfixierung.
Hingewiesen sei hier nebenbei auf eine Färbung des Trichohyalins,
die merkwürdigerweise bei der in diesem Falle schlechtesten
Fixierungsmethode, der mit Zinkchlorid, eintrat. Das Trichohyalin
färbte sich rötlich-violett.
Bei der V. Epithelfaserfärbung
versagten die neuen Fixierungsmittel beide,
1. Wasserblau + Orcein + Eosin 10 Minuten; abspülen.
2, Safraninlösung 1°/o 10 Minuten; abspülen.
| 1) Nach Unnas Angabe als: Mastzellenfärbung bei Grübler vorrätig.
3. Kalium bichrom. '/a°/o 10 Minuten; abspülen.
4. Alkohol, Oel, Balsam.
Eine bedeutende Verbesserung dagegen konnte bei der
VI. Angesäuertes Orcein— Safranin—Tannin-Methode
konstatiert werden.
1. Angesäuerte Orceinlösung 1 Stunde bis 12 Stunden.
2. 1%/oige Lösung von Safranin 10 Minuten; abspülen.
3. 30°%/oige Lösung von Tannin 20 Minuten; sehr gut abspülen,
4. Alkohol, Oel, Balsam.
Besonders waren es die Hornschicht, die Epithelkerne und
Kernkörperchen und das Elastin, die sich durch intensivere Fär-
bung auszeichneten. Auch in diesem Falle färbte sich das Tricho-
hyalin, besonders gut bei der Zinkchloridfixierung, etwas weniger
intensiv bei Caleiumchlorid, während Alkohol versagte.
Auch die Methode
VI. Angesäuertes Orcein — polychrom. Methylenblau-
lösung — Tannin + Orange
wies Verbesserungen auf.
1. Angesäuerte Orceinlösung 1 bis 12 Stunden.
2. Alkohol absol. 5 Minuten; abspülen.
8. Polychr. Methylenblaulösung í bis 2 Minuten; abspülen.
4. 800/sige Lösung von Tannin + Orange 10 Minuten; gut abspülen.
5. Alkohol, Oel, Balsam.
Kollagen, Muskeln und Elacin zeichneten sich durch dunklere
Färbung aus. Das Trichohyalin war, diesmal bei Caleium-
chloridfixierung, gefärbt. Der Gesamteindruck der Chlorzink- und
Chlorealeiumpräparate war ein besonders klarer gegenüber den
Alkoholpräparaten. Die
VII. Polyehrom. Methylenblaulösung — Orcein-Methode
wies keine besonderen Verbesserungen auf. Jedenfalls aber leisten
hier die beiden Methoden genau dasselbe wie die Alkoholfixierung.
Gefärbt wurde nach der Vorschrift:
1. Polychr. Methylenblaulösung 10 Minuten; abspülen.
2. Nichtangesäuerte, spirituöse 10/oige Orceinlösung 15 Minuten.
3. Absol. Alkohol, Bergamottöl, Kanadabalsam.
Auch bei der
IX. Giemsa-Färbung |
ergeben sich für die drei Fixierungen nur Farbdifferenzen. Das
Epithelprotoplasma z. B. färbte sich nach Fixierung mit Alkohol
rot, mit Zinkcehlorid violett, mit Caleiumchlorid blau; die Muskeln
rot, keziehungsweise blaßviolett, beziehungsweise blaßblau.
Auch die
X. Spongioplasma-Methode
ergab sehr schöne und klare Bilder.
Gefärbt wurde mit:
í. Angesäuerte Orceinlösung 1 Stunde.
2. Alkohol absolut 5 Minuten; abspülen.
3. Azurmischung 15 Minuten; abspülen.
4. Nichtangesäuerte 1°/,ige spirituöse Orceinlösung 5 Minuten;
abspülen.
5. Alkohol, Oel, Balsam.
Elastin und Collagen sind scharf gefärbt. Die Muskeln er-
scheinen bei Zinkchlorid rot, bei Caleiumchlorid bläulich; das
Haarmark rotviolett beziehungsweise blauviolett.
Gleich gute Resultate für alle drei Fixierungsmittel lieferte die
Färbung mit Hämatein—Eosin (nach Unna). Diese sowohl wie die andern
Hämatoxylinfärbungen, von denen Hämatoxylin Böhmer, Hämatoxylin
Delafield, Hämalaun P. Mayer ausprobiert wurden, ergeben gleiche
Bilder.. Eine Veränderung zugunsten oder ungunsten einer der drei
Fixierungsmethoden ist kaum zu erkennen.
Färbung mit Cresylechtviolett, 1°%/,ige wäßrige Lösung während
10 Minuten, erzielt einige unwesentliche Farbennuancen. So z. B. färbt
sich die Hornschicht bei Alkoholfixierung hellblau, bei Zinkchlorid
blauviolett, bei Calciumchlorid dunkelblau. Sonst war die Färbung In
allen drei Fällen gleich brauchbar.
Die Carminfärbungen, von denen Alauncarmin Grenacher,
Lithioncarmin Orth und Böraxcarmin Grenacher ausprobiert
wurden, zeigen, daß die Fixierung in Zinkchlorid und Calcium-
chlorid hier einen entschiedenen Fortschritt bedeutet. Abgesehen
von der allgemeinen Aufhellung und Klärung des Gosamtbildes,
sehen wir hier ein weit schärferes Hervortreten der feineren
Details, der Struktur des Kerngerüstes z. B. oder der Kernkörper-
chen, der Mitosen usw.
Betrachten wir nun die Ergebnisse der angestellten Ver-
suche, so beantworten wir uns am besten die Fragen: Wo ist die
Färbung verschlechtert? Wo bleibt sie indifferent? Und In
SE
11. August.
welchen Fällen ist sie verbessert? Verschlechtert hat sich die
Färbung eigentlich nur bei der Färbung auf saure Kerne und bei
der Epithelfaserfärbung. Die Mastzellenfärbung versagte nur bei
Zinkehlorid, während Caleiumchlorid dem Alkohol gleichwertig an
die Seite zu stellen ist.
Ohne wesentliche Verbesserungen bleiben alle Hämatein-
färbungen beziehungsweise diese mit Eosin oder Pikrinsäure kom-
binierten Verfahren sowie die Giemsasche Färbung und die Me-
thode: Polychrom. Methylenblaulösung — nicht angesäuerte Orcein-
lösung.
“Alle übrigen Färbungen sind bedeutend verbessert, besonders
die mit polychrom. Methylenblaulösung, ferner die von Unna
modifizierte Pappenheimsche Methode (Carbol + Pyronin +
Methylgrün), das heißt unsere besten basischen Färbungen für
Gewebsschnitte und die Carmin- und Orceinfärbungen.
~ Von den beiden Chloriden empfehlen wir als das universell
brauchbarste das Chlorzink. Bei Methylenblau, den Carminen
und Orceinen ist es besser als Chlorcaleium. Letzteres hat aller-
dings den Vorzug, bei der Pappenheim-Unna-Methode die
intensivsten Färbungen zu geben, zeigt aber hier vermöge seiner
Wasser anziehenden Eigenschaft an bestimmten Zellelementen
Schrumpfungen, z.B. des Kernes der älteren Stachelzellen. Im
übrigen haben wir bei beiden Salzen keine störenden Neben-
wirkungen bemerkt. Uebrigens ist die Fixierung mit Chlorzink
für die in letzter Zeit immer mehr gewürdigte Carbol + Methyl-
grün + Pyronin-Färbung ein solcher Fortschritt gegenüber der
bisherigen Alkoholfixierung, daß sich schon allein deshalb ihre
Einführung empfiehlt.
Ganz besonders wohltätig für die Protoplasmafärbungen wird
der Ersatz des Formalins durch Chlorzink wirken.
Die Vorzüge des Formalins für die Methode der Gefrierschnitt-
färbung, für sämtliche Fett- und Lipoidfärbungen und als Zu-
| | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
| I ee TAT
1321
satz zu andern Fixatoren sind bekannt. Man darf aber nicht
vergessen, daß die Färbung des Granoplasmas und die darauf ge-
baute feinere Diagnostik in der Pathologie der Gewebe durch die
Formalinfixierung so erheblich leidet, daß derartig fixierte Stücke
nur noch zu Kernfärbungen und Uebersichtsbildern verwertbar
sind. Die 20/yige Chlorzinklösung teilt nun mit dem Formalin 1)
nicht nur die Wahrung der Asepsis wäßrig aufbewahrter Gewebe,
sondern läßt wie jenes auch die darauf folgende Behandlung: mit
Alkohol, Celloidin und Paraffin einerseits, mit Osmiumsäure, Sudan
und der Fischlermethode anderseits zu. Es ist sodann, was für
größere Gewebsstücke in Betracht kommt, ebenso billig wie jenes.?)
Vor dem Formalin hat aber das Chlorzink den großen Vorteil, die
meisten der nachherigen Färbungen, ganz besonders die basischen
Granoplasmafärbungen, nicht bloß zuzulassen, sondern erheblich
zu verstärken. Ä
Die Sudan- und Osmiumfärbungen des Fettes sowie die
Fettsäurefärbung nach Fischler gelingen ganz in derselben Weise
an Gefrierschnitten solcher Stücke, die in Zinkchlorid fixiert sind,
wie nach der bisherigen Formalinfixierung. In den osmierten
Schnitten treten neben dem Talgfette die Markscheiden der Haut-
nerven und die Fettkörnchen der Knäueldrüsen gut hervor. Ein
Unterschied zwischen Formalin- und Zinkchloridpräparaten besteht
nur darin, daß die letzteren viel hellere und dadurch klarere
Bilder liefern, auch die Nachfärbungen mit Hämatein gelingen an
den mit Sudan vorbehandelten Schnitten bei der Chlorzinkfixation
ebensogut wie bei der Formalinfixierung. Man kann nach der
Sudanfärbung aber auch eine Färbung mit polychromer Methylen-
blaulösung oder eine Färbung nach Pappenheim-Unna folgen
lassen, das heißt eine vollkommene Protoplasmafärbung, was be-
kanntlich an in Formalin fixierten Stücken nicht gelingt. Insofern
bedeutet die Fixierung in Zinkehlorid auch für die Fettfärbung
einen Fortschritt. |
Aus der Praxis für die Praxis.
Otologie
von
Oberstbasarzt a. D. Dr. E. Barth.
Die otitischen Erkrankungen der Hirnhäute.
Der extradurale Abscess wird häufiger in der hinteren
als in der mittleren Schädelgrube, häufiger bei akuten als bei
chronischen Ohreiterungen beobachtet. Er kommt dadurch zu-
stande, daß der Knochen bis zur Dura zerstört wird oder daß eine
Fistel bis zur Dura heranführt. Das Tegmen tympani et antri
ist sebr dünn, sodaß bei Eiterstauung in diesen Räumen die Ent-
stehung einer extraduralen Riteransammlung leicht verständlich
ist, Gelegentlich kommen Dehiscenzen im Tegmen vor, welche
die Absceßbildung begünstigen. In der hinteren Schädelgrube sind
extradurale Abscesse gewöhnlich die Folge einer Labyrintheiterung.
nter der Einwirkung des Eiters wird die Dura hyperämisch, gra-
nulierend, verdickt — Pachymeningitis externa.
Die Symptome, welche extradurale Abscesse machen, sind
unbestimmter Art: Kopfschmerzen, Uebelkeit. Hirndrucksymptome
weisen mehr auf tiefere Erkrankungen (Leptomeningitis, Hirn-
absceß) hin.
Diagnostiziert wird der extradurale Absceß gewöhnlich nur
durch die Operation.
., Die Leptomeningitis purulenta, die eitrige Infiltration der
weichen Hirnhaut, entsteht infolge Durchbruchs eines extraduralen
SCesses, eines Hirnabscesses oder einer eitrigen Sinusthrombose
oder der Eiter wird auf präformierten Wegen durch das Laby-
ninth, inneren Gehörgang, die Aquädukte in die Schädelhöhle ge-
leite . Wird die eitrige Infiltration infolge Verklebung auf einen
kleinen Bezirk beschränkt, spricht man von Meningitis eircum-
ao Pta, von Meningitis diffusa, wenn sie sich unbehindert
über größere Abschnitte der Hirnhäute ausbreitet.
P Die Diagnose stützt sich auf heftige Kopfschmerzen, Uebel-
eit, Erbrechen, Temperaturanstieg, zuweilen unter Sehüttelfrost,
ackensteifigkeit, Pulsverlangsamung, Benommenheit, Jactatio,
Motorische Unruhe der Hände, auf das Kernigsche Symptom (Un-
Möglichkeit, das rechtwinklig gebeugte Knie zu strecken — Flexions-
vontractur), Stauungspapille, Konvulsionen, gesteigerte Reflexe,
aut- und Muskelhyperästhesie, Obstipation, eingezogenes Abdomen.
.., Diese Symptome sind zwar sehr charakteristisch, aber doch
nicht so eindeutig, daß sie jede andere endokranielle Komplikation
Ausschlösgen, Erbrechen, Uebelkeit, Pulsverlangsamung, Benommen-
heit findet sich auch bei Hirnabsceß, Schüttelfröste und hohe Tem-
peraturen auch bei Sinusthrombose und Pyämie ohne Meningitis,
Nackensteifigkeit ist bei Kleinhirnabscessen, bei extraduralen und
perisinuösen Abscessen auch anzutreffen. Das Kerni gsche Sym-
ptom ist nicht konstant und selbst die Nackensteifigkeit kann
fehlen. Solcher Unsicherheit in der Deutung der Symptome gegen-
über besitzt die Lumbalpunktion einen besonderen differential-
diagnostischen Wert.
Die Lumbalpunktion gibt Aufschluß über die Beschaffen-
heit des Liquor ‘cerebrospinalis. Sie wird unter antiseptischen
Kautelen in der Weise ausgeführt, daß man mit einer 5 bis 8 em
langen scharfen Kanüle zwischen dem Dornfortsatze des dritten
und vierten Lendenwirbels ein wenig seitlich von der Mittellinie
einsticht. Der Kranke liegt in Seitenlage, sein Rücken sei dabei
möglichst (kyphotisch) gekrümmt. Die Kanüle wird mehrere Centi-
meter tief eingestochen, in der Richtung, daß sie den Rückenmark-
kanal in der Medianlinie trifft. An dem Nachlassen des Wider-
standes merkt man, daß die Kanüle in den Rückenmarkkanal ein-
gedrungen ist. Gleichzeitig dringt der Liquor durch die Kanüle
heraus.
Die Lumbalpunktion ist kein gleichgültiger Eingriff. Der
Einstich ist schmerzhaft, doch nicht so sehr, daß in allen Fällen eine
Narkose nötig wäre. Gewöhnlich wird sie ohne jede Narkose aus-
geführt. Man lasse nie mehr als 30 ccm der Flüssigkeit ab. Die
durch die Entleerung hervorgerufeneDruckerniedrigung kann schwere
Zufälle (Kollaps, psychische Veränderungen) auslösen, um so
schwerer, je mehr abgelassen wird. — Nach der Punktion wird
die Einstichstelle durch einen Heftpflasterverband verschlossen.
Ist das Punktat trübe, enthält es Eiterzellen und Mikro-
organismen, so ist eine diffuse eitrige Meningitis mit Sicherheit
anzunehmen. Bei klarem Punktat ist zwar eine diffuse, aber
keineswegs eine circumscripte eitrige Meningitis auszuschließen.
Ein eitriges Punktat zeigt an, daß von einer Operation ein Erfolg
wohl nicht mehr zu erwarten ist. Hingegen ist ein klares Punktat
bei Symptomen, welche eine endokranielle Komplikation vermuten
lassen, ein Hinweis, daß durch Ausräumung des Eiterherds eine
Heilung noch möglich ist.
1) Die Stücke können beliebig lange in der Chlorzinklösung ver-
weilen, zur Fixation genügen aber schon 12 Stunden.
?) In der Apotheke kosten sowohl 1 1 4°/oige Formalinlösung
wie 11 2°/oiges Zinkchlorid puriss. 40 Pf. Benutzt man das ebenso
wirksame ungereinigte Chlorzink, so ermäßigt sich der Literpreis
auf 20 Pf,
Eee
'endolymphaticus.
‚gekennzeichnet: Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen.
1322
“ 11. August:
Die Operation besteht in der Freilegung sämtlicher Mittel-
ohrräume, Verfolgung etwaiger Fisteln, Freilegung und nötigen-
falls Eröffnung der Dura mater. Durch derartiges Vorgehen ist
es schon öfter gelungen, manche allerdings noch circumscripte
Meningitis zur Heilung zu bringen, welche ohne die Ausräumung
des Eiterherds unfehlbar zum Tode geführt hätte. |
Die Meningitis serosa beruht darauf, daß meningitische
Erscheinungen allein durch eine Vermehrung des Liquor cerebro-
spinalis hervorgerufen werden. Man ist zur Annahme dieser
Krankheit gekommen, da die Erscheinungen verschwinden, wenn
der vermehrte Liquor entleert wird. Die Vermehrung: des Liquors,
die sich besonders auch in den Ventrikeln geltend macht, muß
man sich nach Analogie eines kollateralen Oedems erklären, da
man als pathologisch-anatomische Unterlage der serösen Miningitis
nur extradurale Abscesse oder Laabyrintheiterungen annehmen
konnte, welche mit dem Subarachnoidealraum in unmittelbarer Be-
ziehung standen. — Die Symptome der Meningitis serosa sind
dieselben wie bei leichterer eitriger Meningitis (Kopfschmerzen,
geringe Temperatursteigerungen, sogar Nackensteifgkeit leichten
Grades). Auch Stauungspapille und Abducenslähmung hat man
beobachtet. |
In praxi wird man die Diagnose der serösen Meningitis nicht
aus dem Verlaufe, sondern erst aus dem Ablaufe der meningiti-
sehen Erscheinungen stellen und bei der Therapie von denselben
Grundsätzen wie bei der eitrigen Meningitis ausgehen.
| Der otitische Hirnabsceß
ist diejenige Komplikation, welche neben der Sinusphlebitis und
der eitrigen Hirnhautentzündung am häufigsten zu tödlichem Aus-
gang von Mittelohreiterungen führt. |
Nicht nur chronische cholesteatomatöse, sondern auch akute
eitrige Prozesse können zur Bildung eines Hirnabscesses führen,
welcher sich sogar erst bemerkbar machen kann, nachdem die
akute Mittelohreiterung bereits ausgeheilt ist.
Die otitischen Hirnabscesse sitzen entweder in der mittleren
Schädelgrube im Schläfenlappen, induziert durch das Tegmen
tympani et antri, oder in der hinteren Schädelgrube im Kleinhirn,
in der Nähe des gewöhnlich miterkrankten Sinus, induziert vom
Antrum oder von Labyrintheiterungen aus, bei letzteren durch den
Porus acusticus internus oder durch ein Empyem des Saccus
Die Hirnabscesse entstehen einmal durch Fort-
leitung der eitrigen Entzündung vom Knochen auf die Dura
per continuitatem, nach Verklebung dieser mit den weichen Hirn-
häuten und der Hirnoberfläche kommt es zur eitrigen Einschmelzung
der Hirnsubstanz, die Dura ist gewöhnlich von.einer Fistel durch-
brochen. In andern Fällen entsteht der Absceß durch rückläufige
Thrombose und Phlebitis kleiner aus der Hirnoberfläche in die
Piavenen mündender Gefäße. Dieser Entstehungsmodus macht es
verständlich, daß zwischen der Dura und dem Hirnabsceß eine
makroskopisch unveränderte Schicht von Hirnsubstanz liegen kann.
Der Verlauf des Gehirnabscesses läßt sich in drei Stadien
einteilen: das kongestive, das latente und das manifeste. Das
erste ist durch unbestimmte, mit Meningitis verwandte Symptome
Diese Sym-
ptome können vorübergehen, es machen sich keine besonderen
Störungen geltend — der Gehirnabsceß ist latent. Es folgt nach
‚längerer oder kürzerer Latenz das manifeste Stadium: Durch
Schädigung bestimmter Hirnteile werden Symptome hervorgerufen,
welche die Diagnose ermöglichen. Das manifeste Stadium kann
jedoch fehlen, indem der Absceß infolge Durchbruchs nach den
Meningen oder in den Ventrikel rasch zum Exitus führt. Die
Dauer des Verlaufs ist unbestimmt, sie kann sich auf Tage und
Wochen, in andern Fällen auf Jahre ausdehnen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
Die Diagnose des otitischen Hirnabscesses stützt sich erstens
auf eine bestehende oder vorausgegangene Mittelohreiterung,
zweitens auf allgemeine cerebrale Symptome, drittens auf lokale
cerebrale Symptome, sogenannte Herdsymptome. |
Die allgemeinen cerebralen Symptome sind auf den erhöhten
endokraniellen Druck zurückzuführen. Unter ihnen macht sich
der Kopfschmerz am meisten bemerkbar, der circumseript oder
diffus auftritt, ohne für den Sitz des Abscesses irgendwie charak-
teristisch zu sein. Hierfür ist eine umschriebene Empfindlichkeit
bei der Perkussion des Schädels mehr zu verwerten. Pulsverlang-
samung ist nicht konstant, ebensowenig Neuritis optica. Uebel-
keit und Erbrechen, obschon häufig vorhanden, ebenso Schwindel
und schwankender Gang sind nicht eindeutig, sie können bei Klein-
hirn- und Schläfenlappenabscessen ebenso vorhanden sein, wie bei
Erkrankungen des Labyrinths. Psychisch zeigen sich Depressions-
erscheinungen, verlangsamtes Denken, Apathie, Somnolenz oder
Reizungserscheinungen, Hyperästhesie, Unruhe, Schlaflosigkeit.
Die Hautreflexe, besonders die Patellarreflexe, können gesteigert
oder auch herabgesetzt sein. | |
Die Herdsymptome sind entweder durch direkte Schädigung
des betreffenden Hirnteils oder auch durch Fernwirkungen, durch
die allgemeine Drucksteigerung und durch ein entzündliches Oedem
hervorgerufen. Ä
Die Herdsymptome des Schläfenlappenabscesses sind Hör-
störungen des gekreuzten Ohres infolge Schädigung des im Schläfen-
lappen gelegenen Hörcentrums, Worttaubheit, bei Sitz des Abscesses
im linken Schläfenlappen Sprachstörungen, und zwar amnestische
Aphasie und Leitungsaphasie. Ist die Capsula interna geschädigt
(durch Fernwirkung), so erscheinen motorische Störungen, Paresen
und Paralysen, seltener Krämpfe in den Gliedmaßen und im Fa-
cialisgebiete, ferner Hemianästhesie, Veränderung des Druck- und
Temperatursinns auf der entgegengesetzten Seite, Hyperästhesie
auf derselben Seite, ferner Ptosis und Mydriasis (N. oculomotorius),.
Abducenslähmung, Trigeminusneuralgie.
Für die Diagnose eines Kleinhirnabscesses sprechen Hinter-
hauptschmerzen und Nackenstarre, cerebellare Ataxie, Blick-
lähmung nach der kranken Seite, Neuritis optica. Durch Fern-
wirkung auf den Pons können gleichseitige oder gekreuzte Läh-
mungen entstehen, durch Schädigung der Medulla- oblongata
Lähmung des Atemcentrums. |
Die Behandlung erstrebt die Entleerung des Hirnabscesses.
Er wird bei akuten Mittelohreiterungen von dem eröffneten Antrum
aus aufgesucht, bei chronischen nach vorausgegangener Freilegung
sämtlicher Mittelohrräume. Bei Schläfenlappenabscessen wird dureh
Abmeißlung des Tegmen tympani et autri die Dura des Schläfen-
lappens freigelegt. Läßt sich von hier aus kein ausreichender Zu-
gang erreichen, so kann man durch Abmeißlung der Schläfenschuppe
dicht über dem äußeren Gehörgange nach entsprechender Ab-
lösung der Weichteile bequemere Uebersicht erreichen.
Die Dura des Kleinhirns wird durch Abmeißeln des Knochens
. vom Processus mastoideus nach rückwärts und Freilegung des Knies
des Sinus transversus blosgelegt. Nach Freilegung wird, falls
keine Fistel den Weg zeigt, eine Probepunktion oder eine Probe-
ineision in die Dura gemacht. Um einen späteren Hirnprolaps
nach Möglichkeit zu vermeiden, soll der Einschnitt nur so groß
sein als zur Einführung eines Drains notwendig ist. Die Probe-
incision und Probepunktion darf nicht tiefer als 3 cm eindringen.
Ist Eiter gefunden, so wird zur leichteren Entleerung des Eiters
eine geschlossene Kornzange in die Incision eingeführt, welche
man nach der Einführung etwas erweitert. — Die Weiterbehand-
lung nach Entleerung der Abscesse erfolgt nach den allgemeinen
Grundsätzen der modernen Chirurgie.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
Uebersichtsreferat.
Aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens
von Dr. Slawyk, Oberstabsarzt an der Hauptkadettenanstalt.
(Schluß aus Nr. 31.)
Ä Sonstiges.
Als Anhalt für die Diagnose der beginnenden Lungentuber-
kulose ist von Professor Roger im Jahre 1909 der Eiweißgehalt
des Auswurfs angegeben worden (21); Eiweiß im Auswurfe soll
sich stets bei Tuberkulose und Brustfellentzändung, öfter bei
Stauungskatarrhen (Herz-, Nierenerkrankungen) und Lungenent-
zündungen, jedoch fast niemals bei Bronchialkatarrhen und Em-
physem vorfinden. Troude (22) hat das Verfahren nachgeprüft
und in den meisten Fällen bestätigt gefunden. Insbesondere be-
tonte er, daß die Eiweißausscheidung dem Auftreten von Tuberkel-
baeillen voraufgehe. Die Methode ist einfach: Der morgendliche
Auswurf wird, frei vop- Speichel, Blut und etwaigen Speiseresten
zu gleichen Teilen mit destilliertem Wasser versetzt, !/4 Stunde
gequirlt und nach Zusatz von Essigsäure filtriert. Aldann wird
die gewöhnliche Eiweißprüfung wie beim Urin vorgenommen.
Positive Ergebnisse hatte auch Lesieur mit dieser Me-
thode (44), bei Tuberkulose 1000/9, bei Tuberkuloseverdacht 85°/o.
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11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. ~ _ 1328
= Mit den Erkrankungen der Kommandostimme beschäftigt
sich ein Aufsatz des Stabsarztes Zumsteeg (23). Alljährlich er-
kranken eine Reihe von Offizieren bei sprachlich besonders an-
strengenden Dienstperioden an hartnäckiger Heiserkeit, ohne daß
der Kehlkopfbefund etwas anderes als leichte Rötung der Stimm-
lippen ergibt. Zumsteeg führt aus, daß es sich bei diesem Leiden
hauptsächlich um funktionelle Störungen handelt. Die Komman-
dierstimme, welche laut und weittragend sein muß, liegt eine Ok-
tave höher als die Sprachstimme. Ist letztere an sich sehr hoch
oder schraubt der Betrefiende aus beruflichem Eifer seine Stimme
beim Kommandieren über eine Oktave in die Höhe, so bedarf er
besonderer Kraft beim Anblasen der Stimmlippen und erhöht die
Spannung und Zahl der Schwingungen der Stimmbänder. Diese
erhöhten Anforderungen führen zur Hyperämie der Stimmlippen,
schließlich des ganzen Larynxinneren; so ist der Kehlkopfkatarrh
lediglich die Folge der Ueberanstrengung.
Das Mißverhältnis zwischen Sprech- und Kommandierstimme
muß mittels Stimmgabeln oder einer sogenannten al-Pfeife, welche
eine Oktave umfaßt, festgestellt werden.
Bei der Behandlung spielt die Abstellung des zu hohen
Kommandierens die Hauptrolle. Schonung der Berufsstimme, At-
mungsübungen, Stimmübungen mit Unterstützung durch Faradi-
sation und Vibrationsmassage lassen dieses Ziel in durchschnitt-
lich vier bis sechs Wochen erreichen. Zur Verhütung des Leidens
gibt Zumsteeg folgende Ratschläge:
1. Vor dem Kommandieren tief Atemholen,
2. Kommandos mit weichem Stimmeinsatz geben,
we 4 nur so hoch kommandieren, als es obne Unlust mög-
ch ist.
Auf Grund von Untersuchungen in dem bosnischen Kropf-
bezirke Srebenika kommt der österreichische Oberstabsarzt
Taussig (24) zu dem Ergebnis, daß der Kropf eine Kontakt-
infektion darstelle Das Trinkwasser zeigt ein der Uebertragungs-
theorie durch Trinkwasser entgegengesetztes Verhalten. Taussig |
beobachtete in kropffreien Gegenden das Auftreten von Kropf bei-
Mensch und Hunden, wenn Kropfkranke zureisten und nimmt an,
daß das unbekannte Agens durch den Verdauungsapparat in den
Körper gelangt. Die Virulenz der Kropfkranken ist verschieden
stark und nimmt mit der Zeit ab.
Kretinismus setzt Kropf der Mutter voraus. Bei kropf-
behafteten Müttern treten zuerst Aborte auf, später werden lebens-
schwache Kinder und Kretins, schließlich normale Kinder geboren,
eine germinative Uebertragung existiert nicht; während der Schwan-
gerschaft Kropfkranker sind Schilddrüsenpräparate zu verabfolgen.
Für Taussigs Anschauungen tritt Dr. v. Kutschera
(e. o. 0.) warm ein, indem er noch weitere, für die Kontaktinfek-
tion des Kropfes sprechende Tatsachen anführt.
‚ „Der in unsern Gegenden sporadisch auftretende Kropf ist,
wie bekannt, mit dem endemischen Kropfe nicht identisch.
‚ Den seltenen Fall von reiner Anarithmie, das heißt den iso-
lierten Verlust des Verständnisses für Zahlen, beobachtete Ober-
stabsarzt Drenkhahn (25). Der Kranke hatte durch Sturz vom
Pferd eine Gehirnerschütterung erlitten, welche mit Bewußtlosig-
keit, Erbrechen und Pulsverlangsamung einherging, später bestand
längere Zeit Kopfschmerz, Schwindelgefühl, geistige Schwäche und
ngleichheit der Pupillen sowie Schwäche im unteren linken
Faeialisast,
,_ Bei der Begutachtung, 21/, Jahre nach dem Unfall, fanden
sich plötzliche Schwankungen der Pulszahl (76 bis 100), Herab-
setzung der Schmerzempfindung am behaarten Kopf und den un-
teren Teilen der Gliedmaßen ; erhaltene Intelligenz, gutes Ge-
‚dächtnis, gute Merkfähigkeit, jedoch völlige Unfähigkeit mit un-
nannten Zahlen zu rechnen und einstellige Zahlen zu schreiben;
einfache Rechenexempel (5-7, 6X 6, 10X10 usw.) konnten nicht
gelöst, werden, während das Rechnen mit benannten Zahlen (z. B.
` Mark + 1 Mark, 4 Kühe + 3 Kühe) glatt vonstatten ging.
renkhahn nimmt an, nachdem der Zustand jetzt vier Jahre
unverändert besteht, daß es sich um isolierte Zerstörung eines —
isher unbekannten — Centrums oder die Unterbrechung einer
„Otungsbahn im Gehirne handelt, welche mit dem Rechnungsakt
in Beziehungen steht. |
ii Stabsarzt Stier, welcher sich seit längerer Zeit eingehend
Untersuchungen über die Linkshändigkeit beschäftigt, hat eine
kei „ugreiche Interessante Zusammenstellung über die Linkshändig-
icn der deutschen Armee gegeben (26).
na Durch systematische Auszählung der Rekruten eines Jahres
oin °T gesamten deutschen Armee wurden unter 266270 Neu-
gestellten 10 292 Linkshänder gefunden = 8,87 0/o.
Zur Zählung dienten besonders bearbeitete Fragebogen, in
welchen erbliche Belastung, Degenerationszeichen, Händedruck,
Sprache (Stottern usw.) Berücksichtigung fanden und für den be-
sondern Zweck ferner folgende Fragen zu beantworten waren:
welche Hand wird benutzt beim Brotschneiden, Peitschenknallen,
Steinwerfen, Schuhputzen, Nähen, Kartenmischen und Ausspielen,
Einfädeln, Schreiben; ferner, welches Bein wird nach vorn ge-
schnellt beim Weitsprung, Schlittern, Ballstoßen — gelingt beider-
seits isolierter Augenschluß gleich gut — kann der Mund nach
beiden Seiten gleich gut verzogen werden. |
Diese exakte Fragestellung erwies sich als notwendig, um
die wirkliche linksseitige Anlage zu trennen von erzieherischen
Einflüssen, Zufälligkeiten des benutzten Instrumentes usw.
Zur Kontrolle wurde der gleiche Fragebogen auch für eine
größere Anzahl rechtshändiger Menschen bearbeitet.
Es ergaben sich folgende Resultate:
Die linksseitige Anlage läßt sich durch die Art des Schuh-
putzens und Brotschneidens, bei Gebildeten des Steinewerfens, am
besten nachweisen.
Der Händedruck ist nicht immer am stärksten auf der Seite
der größeren Geschicklichkeit, namentlich nicht bei Linkshändern.
Die geringste Zahl von Linkshändern zeigt der Nordosten
Deutschlands (besonders Ostpreußen), die größte Süddeutschland,
besonders Württemberg. Die Zahlen schwanken zwischen 2,3 9/o
und 6,5%), betragen im Durchschnitt für Deutschland 3,87 %o.
Die Einjährig-Freiwilligen stellen erheblich weniger Links-
händige als die Ersatzrekruten. |
Unter den Verwandten der Linkshändigen waren doppelt
so viel männliche Mitglieder linkshändig als weibliche.
Die Linkshändigkeit ist eine exquisit erbliche Eigentümlich-
keit, welche um so weniger zum Militärdienst tauglich macht, je
mehr Linkshändige der Betroffene in seiner Familie und seinem
Heimatland hat.
Die Zahl der Degenerationszeichen ist bei Linkshändigen
doppelt so groß als bei Rechtshändern.
Bein- und — wenn auch in geringerem Grade — der Mund-
facialis beteiligen sich gleichmäßig an der Linkshändigkeit, für
den Augenfacialis konnte dies nicht nachgewiesen werden,
Sprachstörungen sind bei Linkshändigen drei- bis viermal
häufiger als bei Rechtshändern.
Linksseitiges Schreiben fand sich öfters vor.
Ueber eine Epidemie von Darmkatarrhen und Brechdurch-
fällen in Stuttgart berichtet Stabsarzt Bofinger (27); es er-
krankten innerhalb dreier Tage 186 Mann unter .Fieber, Leib-
schmerzen und dünnflüssigen, zum Teil schleimhaltigen Entleerungen.
Die Erkrankungen verliefen leicht, dauerten durchschnittlich vier
bis sieben Tage und führten stets zur Genesung. Als Erreger
wurde der Bacillus enteritidis Gärtner kulturell und serologisch
nachgewiesen. Die Epidemie wurde dadurch veranlaßt, daß drei
in der Küche beschäftigte Leute, welche das Mittagsfleisch zerkleinert
hatten, kurz vorher an unbeachtet gebliebenen Durchfällen gelitten
hatten; es gelang, bei ihnen die Gärtner-Bacillen nachzuweisen.
Dr. Guegau aus Tunis macht auf die Möglichkeit aufmerk-
sam, daß durch Wandervögel Infektionskeime weithin übertragen
werden könnten (Pest, Cholera) und schlägt vor, diesem bisher
wenig beachteten Gebiete größere Aufmerksamkeit zu widmen (28).
Der österreichische Oberarzt Knall (29), Sekundärarzt im
Kinderasyl zu Koloszvär, fand nach sorgfältigen Beobachtungen
folgende Inkubationszeiten: Ei
Masern 14 Tage, Scharlach 5, Diphtherie 8—10, Röteln,
Mumps, Windpocken je 18 Tage; die lange Inkubationszeit der
Diphtherie ist auffallend.
Oberstabsarzt Haberling hat die bisherigen Kenntnisse über
die Sonnenbäder in einer Monographie zusammengefaßt (45). Wir
verstehen unter Sonnenbädern die Einwirkung der Sonne auf den
in Ruhelage befindlichen Körper oder einzelne Teile desselben. Es
wurde als Wirkung bisher festgestellt: Wohlbefinden, Müdigkeit,
Rötung und Pigmentierung der Haut, Schweißabsonderung, geringe
Erhöhung des Pulses, Steigerung der Temperatur um 0,1 bis 0,320
(Achselhöhle), um 2,34 (Haut), um 0,1 (Rectum), Vermehrung der
roten und weißen Blutkörperchen, Abmagerung (bei mageren Per-
sonen mit rascher Zunahme), Verstopfung.
Sonnenbäder wurden bisher empfohlen und angewendet bei
allgemeinen Schwächezuständen der Kinder, Stoffwechselerkran-
kungen (besonders Fettsucht), Erkrankungen des Bluts, der
Atmungsorgane (namentlich Tuberkulose), bei chronischen Vergif-
tungen, zur Beseitigung von Trans- und Exsudaten, bei Neurasthenie
und Hautkrankheiten, chirurgischer Tuberkulose.
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1324 _____________1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
Exakte Beobachtungen über den Wert der Sonnenbestrah-
lung fehlen; am meisten gesichert scheint die Einwirkung auf die
tuberkulösen Prozesse, auf Hautleiden, auf Ex- und Transsudaten
und bei Fettsucht. Weitere genaue Untersuchungen sind er-
forderlich.
In einer Sitzung des wissenschaftlichen Senats der Kaiser-
Wilhelm-Akademie haben Generalarzt Landgraf und Geheimrat
Kraus über die Bereithaltung von Vorrichtungen zur Sauerstoff-
einatmung im Heeressanitätsdienste Referate erstattet (46). Nach
eingehender Darlegung der physiologischen Wirkung konzentrierter
Sauerstofl-Luftgemenge, gaben die Referenten ihr Urteil dahin ab,
daß für Pioniere und Luftschifferabteilungen Sauerstoffapparate
(zwecks Behandlung der Gasvergiftungen) unerläßlich seien, daß
sonst höchstens für größere Lazarette noch derartige Apparate
Wert hätten (Kraus). In den letzten zehn Jahren sind in der
Armee 71 Gasvergiftungen (1 Todesfall) vorgekommen, von denen
nur vier mit O-Einatmungen behandelt wurden.
Bei einem Falle von schwerem Hitzschlag, welcher be-
sinnungslos ins Krankenhaus eingeliefert wurde, machten Gastinel
und Meaux-Saint-Mare die Lumbalpunktion, entleerten 25 cem
Flüssigkeit und sahen den Kranken in kürzester Zeit wieder zur
. Besinnung kommen und genesen (47). |
Albouze empfiehlt bei Hitzschlag energisches Schlagen der
Herzgegend mit nassen Tüchern und berichtet von einem hierdurch
geretteten Soldaten (48). Die Methode ist nicht neu.
Nach einem sehr raschen, aber nicht besonders langen Marsch
erkrankte ein 17jähriger französischer Soldat an Fieber (39°) und
Verminderung der Zahl der Herzschläge auf 46 bis 52 in der
Minute. Das Fieber hielt eineinhalben Monat an, war zuerst kon-
tinuierlich, später intermittierend, zeitweise Schüttelfröste. Die
Bradykardie, welche hauptsächlich in einer abnormen Verlängerung
der Diastole bestand, verschwand langsam. Später trat eine dif-
fuse Polyneuritis der sensiblen Nerven der unteren Gliedmaßen
ein. Heilung in zweieinhalb Monaten. Der Beobachter [Richon (49)]
erklärt die Krankheitserscheinungen durch Autointoxikation.
Oberstabsarzt Hiller, bekannt durch seine Arbeiten über
Hitzschlag, hat in jüngster Zeit seine Anschauungen über die Er-
krankung in zwei Aufsätzen niedergelegt (50, 51); er unterscheidet
eine asphyktische und und eine dyskrasisch-paralytische Form des
Hitzschlags. Erstere führt er auf Sauerstoffmangel zurück und
betrachtet als Hauptkennzeichen die Bewußtlosigkeit, Blaufärbung
(Cyanose) Pulslosigkeit und den Atemstillstand.. Letztere ist
durch die Veränderungen der Blutzusammensetzung bedingt. Durch
die Körperanstrengung bei hoher Außentemperatur wird das Blut
ärmer an Nährstoffen (Zucker, Fett, Eiweiß), an Sauerstoff, Wasser
und löslichen, zum Teil alkalischen Salzen, dagegen reicher an
Fieischmilchsäure, Produkten des gesteigerten Eiweißumsatzes
(Harnsäure, Harnstoff, Hippursäure, Kreatinin, Ammoniak) und an
Kalisalzen (Produkte der Auflösung des Stroma der weißen Blut-
körperchen).
Die Folge davon ist ein Krankheitsbild, daß sich klinisch
durch Koma, periodische Konvulsionen, Erbrechen, Durchfall und
hohe Körperwärme kenntlich macht.
Als Gegenmittel empfiehlt er die Blutentziehung, den Aderlaß.
Unter 455 Hitzschlagerkrankungen der preußischen Armee
gehörten an
der asphyktischen Form 329 mit 23 Todesfällen = 7%
der dyskrasisch paralytischen Form 119 mit
72 Todesfällen . ee Dir 200,
Hillers Auffassungen des Hitzschlags sind nicht allgemein
anerkannt.
In die Behandlung des Trachoms wurde die Jodsäure (HJOs)
von dem russischen Augenarzt Schiele im Jahre 1900 eingeführt;
die österreichischen Oberstabsärzte Šuk und Öervidek berichten
über gute Erfolge dieser Methode (30). Die befallenen Bindehäute
werden mit dem Jodsäurestift bis zur bräunlichen und grauen
Verfärbung bestrichen, dann mit 3°/, Borsäurelösung abgespült,
die nachträglichen Reizerscheinungen mit Cocain und kalten Um-
schlägen bekämpft. - Suk erzielte bei durchschnittlich 44,12 Be-
handlungstagen unter 583 mit Jodsäure behandelten Trachomfällen
66,73 0/4 Heilungen, Cerviček bei 107 meist chronischen Trachom-
fällen 86 = 83,5%, Heilungen in durchschnittlich 63,2 Behand-
lungstagen. i R
Æ
Im letzten Jahrzehnt sind von Stumme, Muskat und
Morian (zusammen acht) Fälle von Brüchen der Großzehen-
sesambeine veröffentlicht worden. Stabsarzt Wolf (Leipzig) hat
sich mit dieser seltenen Fraktur näher beschäftigt (31). Da häufig
41. August.
angeborene Teilungen der Sesambeine vorkommen, unterzog er
900 Röntgenaufnahmen anderweitig fußkranker Soldaten des Garni-
sonlazaretts Leipzig einer Durchsicht und fand 54mal=5,9%,,
ein- oder mehrfache Teilung der Sesambeine (5lmal das mediale,
dreimal das laterale Sesambein betreffend); 42mal lag Zweiteilung,
neunmal Drei- und dreimal Vierteilung vor. Bei der Zweiteilung
war die Trennungslinie in der Regel quer, selten schräg, einmal
fast senkrecht, dreimal waren das mediale und laterale Sesambein
in je zwei Teile geteilt. Bei Zweiteilung zeigten sich die Knochen-
stücke meist gleichgroß, rund. Nur 50 °/ọ der angeborenen Sesam-
beinteilungen waren beiderseitig, sodaß das Vorliegen einer ein-
seitigen Spaltung keineswegs als Beweis eines Bruches angesehen
werden kann.
Wolf kommt zu folgenden Ergebnissen: Brüche der Sesam-
beine sind sehr selten; ihre Diagnose ist ohne Röntgenaufnahme
nicht möglich, die einseitige Spaltung. kann angeboren sein; für
Bruch sprechen scharfe Ecken und Spitzen der Teilungsstellen,
Fehlen der Corticalis an derselben, späteres Verwachsen der Bruch-
stücke miteinander, eventuell unter deutlicher Callusbildung.
Ein Vortrag des Oberarztes Brüning auf der Aerzte- und
Naturforscherversammlung in Karlsruhe 1911 handelt über die
Verletzungen der Zwischenknorpelscheiben des Kniegelenks (32).
Im militärischen Leben ist diese Verletzung nicht ganz selten.
Brüning gibt eine Schilderung der anatomischen Verhältnisse,
der Art des Entstehens der Verletzung, des klinischen Bildes und
der Behandlung. Er tritt für die konservative Behandlung ein
(Reposition, Ruhigstellung, Massage); erst beim Versagen dieser
Behandlung Operation. Von 19 Operierten der preußischen Armee
in den Jahren 1901—08 blieben zehn dienstfähig.
An der Hand sechs selbstbeobachteter Fälle erörtert Ober-
stabsarzt Coste die operative Behandlung der Rückenmarks-
verletzungen (33). Bei reinen Verletzungen der Wirbelsäule ohne
Beteiligung des Rückenmarks kommen Operationen nur in Frage,
wenn dauernd heftige Beschwerden zurückbleiben, eventuell viel-
leicht noch, wenn der Beruf eine erneute Fraktur leicht be-
fürchten läßt (Reiten). Querfortsatzbrüche sind der Operation
leichter zugängig als solche des Wirbelbogens- oder Körpers. Kon-
tusionen des Rückenmarks (intramedulläre Blutungen) bedürfen der
konservativen Behandlung; Kompressionen der Medulla spinalis
durch Bruchstücke zerbrochener Wirbel bieten günstige Verhält-
nisse für das chirurgische Eingreifen, ihre genaue Unterscheidung
von Querschnittdurchtrenngen ist jedoch häufig schwierig. Bei
Querschnittsläsionen sind die operativen Resultate bisher sehr be-
scheiden, vielleicht gelingt es späterhin, durch Nervenanastomosen
die Funktionen wiederherzustellen. Im allgemeinen sind die deut-
schen Chirurgen mit operativen Eingriffen am Rückenmark zurück-
haltender als das Ausland.
Lévĉque berichtet über Obduktionen von Leichen, bei denen
der Verdacht des Mordes vorlag, ohne daß die Eröffnung der drei
Körperhöhlen hierfür einen Anhalt bot. Bei Freilegung der
Wirbelsäule ergab sich Zerreißung der Bänder zwischen Hinter-
haupt und erstem Wirbel und derjenigen für den Zahnfortsatz
des zweiten Wirbels. Es wurde erwiesen, daß Mord vorlag:
Während ein Mann den Ueberfallenen festhielt, hatten zwei andere
ihm den Kopf seitwärts aufs äußerste verdreht und dann stark
gebeugt, wodurch das Atemcentrum durch den Epistropheus zer-
stört wurde (34).
Ueber die ungewöhnlich hohe Zahl von 1111 Bruchopera-
tionen in sechs Jahren berichtet der rumänische Militärarzt Vico]
aus dem Lazarett Jassy (85). In Rumänien werden alle Bruch-
leidenden im Heeresdienst eingestellt, ihre Beschwerden veran-
lassen sie in der Regel zur Operation. Bis auf neun lagen stets
Leistenbrüche vor, nur zwei starben an zugetretenen Infektions-
krankheiten, 3°), bekamen Rückfälle. f
Eine Statistik über 277 von 1899 bis 1911 operierte Hernien
(unter 538 beobachteten) aus dem Marinespital Pola gibt Linien-
schiffsarzt Nespor (36); es befand sich darunter nur eine Schenkel-
hernie, sonst waren alles Leistenbrüche (19 mal doppelseitig); fast
'ausnahmslos wurde nach Bassini operiert. Die Heilung erfolgte
282 mal glatt. Behandlungsdauer durchschnittlich 27,7 Tage.
Ueber Dauererfolge werden nur spärliche Angaben gebracht.
Prof. Wieting beobachtete bei Röntgenaufnahmen eines
Hand- und eines Kniegelenks, in welchen längere Zeit Blei-
geschosse sich befanden, daß die Umgebung der Geschosse mib
Bleisalzen durchtränkt war. Vergiftungserscheinungen fehlten.
Wieting rät zur Entfernung solcher Geschosse (37).
Die Brauchbarkeit der verschiedenen Subcutanspritzen für
den Kriegs- und Friedenssanitätsdienst untersuchte Oberstabsarzt
11. August.
v. Tobold (38). Die alte Pravazspritze mit Lederkolben hat für
den Feldgebrauch den Vorteil der steten Gebrauchsfertigkeit, ein-
fachen Vorbereitung und Haltbarkeit; natürlich muß sie richtig
behandelt, öfter mit Paraff. liquid. gefettet und nicht für Aether-
einspritzungen verwendet werden. Alle übrigen modernen Spritzen
sind teurer, schwieriger in der Behandlung, ihre Teile im Felde
schwerer ersetzbar. Jedenfalls wird der Arzt gut tun, im Mobil-
machungsfalle mehrere Subcutanspritzen mitzunehmen.
Stabsarzt Kutscher untersuchte, ob die bisherige Sterilisie-
rung der Gummihandschuhe mittels strömenden Wasserdampfs
(Handschuh gepudert mit Talcum, Mullstreifen in die Finger,
Fließpapierumschlag) auch für das Innere der Handschuhfinger ge-
nüge; er führte in letztere bakterienbeschickte Fließpapierkapseln -
ein und fand die Bakterien nach 30 Minuten langer Einwirkung der
Wasserdämpfe stets abgetötet (39). |
Zum Ausbessern schadhafter Gummibandschuhe (Gummistofl,
Kautschuklösung) hat sich Oberstabsarzt Keyl eine Gypshand
(Drahtgestell, lose Mullabfälle, Gypsbrei, eingefüllt in einen alten,
mit Glycerin eingefetteten Gummihandschuh) hergestellt. Zum
Ausbessern wird der zerrissene Handschuh über die Gypshand go-
streift (40).
Aus Brillengläsern, zwei Pappstreifen und einigen Draht-
stiften verfertigte Oberstabsarzt v. Haselberg (41) eine einfache
und billige Brillenleiter für Massenuntersuchungen in Schulen und
beim Oberersatzgeschäfte, Stabsarzt Szubinski konstruierte (für
etwa 2 M) mit Hilfe eines Maschinisten aus Weißblech und Blei-
rohr eine einfache billige Kompressionsblende für Röntgenzimmer (42),
Assistenzarzt Bröse (54) einen Härtemesser, indem er aus einer
Aluminiumschiene Stücke von 2,4 und 8 mm Dicke schnitt, zu
einer Leiter zusammenfügte und jede Treppenstufe mit einem Blei-
plättchen belegte. Diese Skala, welche zum Vergleich eine 2 mm
dicke undurchlässige Bleiplatte zur Seite trägt, gestattet, am Be-
leuehtungsschirm aufgehängt, einen Vergleich, wie viel Treppen-
stufen die Röntgenstrahlen durchdringen (Bleischatten).
Eine Reihe von praktisch wichtigen, chemischen Unter-
suchungen sind aus den hygienisch chemischen Untersuchungs-
stellen der Armee hervorgegangen und in dem 52. Hefte der Ver-
öffentlichungen aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens nieder-
gelegt (47).
‚ Oberstabsapotheker Strunk untersuchte die Möglichkeit von
Zinnvergiftungen beim Gebrauche verzinnter Kaffee-Eisenblechkannen
(negativ), ferner die Ursache der Fleckenbildung auf geschwärztem
Aluminiumkochgeschirr (Stoffe des Schwärzungsverfahrens bei
Feuchtigkeit): ferner stellte er fest, daß Rum bei längerem Lagern
(80 Jahre) weder seinen Alkoholgehalt noch das Aroma verliert.
Andere Arbeiten betreffen die Wertbestimmung der Fluid-
extrakte (Amort), Nachweis von Benzoesäure in Nahrungsmitteln
(Biernath), Bestimmung des Bleis in Verzinnungen als Bleichlorid
(Crato), feldbrauchbare Packungen neuer Arzneimittel und von
Suprarenin im Handel (Budde) und über Veränderungen von Jod-
tinktur beim Lagern (bildet Jodwasserstoffsäure [HJ], welche
durch K J-Zusatz hintangehalten werden kann, Budde).
-Umfangreiche Untersuchungen über die Schädigung von
Büchsenfleischkonserven hat Stabsarzt Mayer (München) (53) an-
gestellt. Er fordert bei der Herstellung derselben größte Sauber-
keit, bestes Material, doppelt verzinnte, kräftige Büchsen, Anwen-
dung gespannten Dampfes von 1170 C durch 45 Minuten, danach
von 120,50 C durch 10 Minuten, völlige Verdrängung der Luft
aus den Sterilisierapparaten, möglichste Vermeidung von Gewürzen
und Gemüsen für länger aufzubewahrende Konserven usw. Als
Sicheres Zeichen von bakterieller Zersetzung der Konserven ist
ne Bombierung (Aufbeulung) der Büchsen anzusehen, zersetzter
nhalt bei normaler Form der Büchsen ist sehr selten.
i Freunde geschichtlicher Forschung wird es interessieren,
ab m Jüngster Zeit in der Nähe des altrömischen Grenzkastels
von Niederbiber unweit N euwied ein Steinaltar mit Inschrift auf-
gefunden worden ist, welcher auf die Verhältnisse des altrömischen
sich iswesens interessante Rückschlüsse gestattet. Es handelt
i um einen Altar, welchen der Arzt Titus Flavius Pro-
nn. von der Deutzer Grenzwache dem Schutzgeiste der Cap-
i stiftet. Nach den Ausführungen des Oberstabsarztes Haber-
ng (52) gebt aus der Weihinschrift nicht nur hervor, daß die Grenz-
ee (numeri) eigne Aerzte besa — und dies läßt auf das
ae für die übrigen Truppenteile schließen — sondern auch,
a A Arzt Unterpersonal — eben die Capsarii — hatte, denen
ach p Aeltester des Kollegiums vorgesetzt war. Auch im Bau-
utte der Lazarettanlagen von Carnutum fand sich ein Altar
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. 1325
der Capsarii, in denen wir hiernach die ältesten bisher bekannten
Vertreter des jetzigen Standes der Sanitätsunteroffiziere erblicken
dürfen.
Literatur. 1. Vollbrecht, Militärärztliches aus der Türkel (D. mil, Zt.
1912, H. 4, S. 121). — 2. Vorläufiger Jahreskrankenrapport usw. (D. mil. Zt.
1912, H.6, S. 219). — 3. Sanitätsbericht der russischen Armee für 1908 (D. mil.
Zt. 1912, H. 6, S. 234). — 4. Sanitätsbericht der russischen Marine für 1907
(D. mil. Zt. 1912, H.2, S. 69). — 5. Haga, Beobachtungen eines Japanischen
Divisionsarztes während des russisch-japanischen Krieges (D. mil. Zt. 1911,
H. 24, S. 945). — 6. Okuniewski, Port Arthur, Sanitäre Skizzen (Mitt. a. d.
Geb. d. Seewesens 1911, Nr. 5). — 7. v. Oettingen, Mechanische Asepsis und
Wundbehandlung mit Mastisol in der Kriegs- und Friedenspraxis (D. mil. Zt.
1912, H. 6, S. 201). — 8. Voos, Beitrag zur Wundbehandlung mit Mastisol
(M. med. Woch. 1911, Nr. 13). — 9. Thomschke, Ueber die Anwendung des
Mastixverbandes (M. med. Woch. 1911, Nr. 13). — 10. Nagel, Das Mastisol
und seine Anwendung (D. Mil. Arzt 19i1, Nr. 20). — 11. Kausch, Mastisol
Ve Burgen kongrnß 1911). — 12. Börner (M. med. Woch. 1911, Nr. 43), —
8. Hanasiewicz, Die kriegschirurgische Bewertung der Kollargol-Wund-
behandlung (D. Mil. Arzt 1911, Nr. 23). — 14. Gutsch (Referat im Militärarzt
1911, Nr. 23, S. 263). — 15. Sachs-Mücke, Zum Verwundetentransport durch
aufgesessone Fahrer unter Verwendung von zwei Fahrrädern hergerichtete
Notfahrbahre(D. mil. Zt. 1912, H. 4, S.138). — 16. Meinshausen, Eine Fahr-
bahre aus Fahrrädern (D. mil. Zt. 1911, H. 12, S. 494). — 17. Bonnette, Une
soupe oxtemporanée en campagne (Le caducse 1911, Nr. 17, 8.227). — 18. Forgue,
La soupe „töt-faite“‘, de Percy (Le caducse 1911, Nr. 19, S. 259). —
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20. Jacquement, Chaleur et Iumière par l’acetyl&ne dans les formations sani-
taires de Pavant (La Dauphiné médical, Mai 1911, besprochen Le caducse 1911,
Nr. 20, 8.275). — 21. Roger, Diagnose de la tuberc. par la recherche de Pal-
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1909 (Soc. méd. des höpit. de Paris 1909). — 22. Troude, L’albumino-r&action
dans les affections pulmonaires du soldat (Le caducse 1909, Nr. 19, S. 257). —
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Arzt 1911, Nr. 24, 8.278). — 25. Drenkhahn, Ein Fall von Anarithmie (D.
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der deutschen Armee (Jena 1911, G. Fischer), — 27. Bofinger, Ueber eine
Massenerkrankung an Darmkatarrhen und Brechdurchfällen (D. mil. Zt. 1912,
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mission des maladies contagieuses (Le caducée 1911, Nr. 16, S. 222). —
29. Knall, Inkubationszeit der Infektiouskrankheiten (D. Mil. Arzt 1912, Nr. 3,
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Arzt 1912, Nr. 4, S.49). — 81. Wolf, Zur Frage der Großzehen-Sesambein-
frakturen (D. mil. Zt. 1912, H. 5, S. 189). — 32. Brüning, Die Verletzungen
der Zwischenknorpelscheiben des Kniegelenks und ihre Behandlung (83. Vers.
deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsruhe 1911. Ref. D. Mil. Arzt 1911,
Nr. 22, 8.249), — 33. Coste, Die operative Therapie der Rückenmarkver-
letzungen (D. mil. Zt. 1912, H. 2, S. 55). — 34. Lövöque, Note sur un genre
de traumatisme utilisé chez les Árabes pour déterminer une mort rapide sans
lésions apparentes (A. de méd. et de Phevunaire militaires 1911. S. . —
85. Vicol, Elfhundertelf Hernienoperationen beim Militär (Ref. D. Mil. Arzt
1911, Nr. 18, S. 207). — 86. Nešpor, Herniologisches aus den Jahren 1899 bis
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steckengebliebenen Projektilen (D. Z. f. Chir. Bd. 104, H. 1). — 38. v. Tobold,
Spritzen der Kriegs- und Priedenssanitätsausrüstung (D. mil. Zt. 1912, H. 1,
S. 1). — 89. Kutscher, Zur Frage der Dampfsterilisation der Operations-
Gummihandsohuhe (D. mil. Zt. 1912, H. 1, S. 24) — 40. Ke yl, Herstellung
einer Gipshand zum Gebrauch beim Ausbessern der Operationshandschuhe aus
Gummi (D. mil. Zt. 1912. H.3, 8.101). — 41. v. Haselberg, Eine einfache
und billige Brillenlelter (D. mil. Zt. 1912, H.3, 8.98). — 42. Szubinski,
Eine einfache Kompressionsbleude für das Röntgenzimmer (D. mil. Zt. 1912,
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belges 1911, S.180). — 45. Haberling, Sonnenbäder (Veröffentlichungen aus
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bouze, Traitement de l’isolation par les flagellations énergiques de la région
precordiale (Lo caducóe 1911, Nr. 23, S. 315). — 49. Richon, Accidents
cardiaques du surmenage (bradycardie) (Rev. méd. de l'Est 15, August 1911,
Ref. Le caducse 1911, H. 22, S. 305). — 50. Hiller, Die Hitzschlagasphyxie
und die dagegen erhobenen Einwände (D. mil. Zt. 1911, H. 9, S. 358), —
51. Hiller, Der gegenwärtige Stand der Kenntnisse von der paralytisch-dys-
krasischen Form des Hitzschlags (D. mil. Zt. 1912, H.8, S. 81). — 52. Haber-
ling, Eine neu aufgefundene Weihinschrift eines altrömischen Militärlazaretts
(D. mil. Zt. 1912, H. 4, S. 180). — 58. Mayer, Ueber die Schädigungen von
Fleisch-, Büchsenkonserven (D. mil. Zt. 1912, H. 5, S. 164). — 54. Bröse, Kon-
struktion eines einfachen und billigen Härtemessers für Röntgenröhren (D. mil.
Zt. 1912, H.5, S. 195). — 55. Haist, Die Wundversorgung mit Jodtinctur und
Mastixverband (D. mil. Zt. 1911, H. 19, S. 757). — 56, Hellwig, Die Be-
nutzung der Zeitbahnen und Spaten im Gefechtssanitätsdienste (D. mil. Zt.
1911, H. 19, S. 762.)
Sammelreferate.
Die Genese der Gallensteine
von Dr. Cart Kayser, Berlin,
Assistenzarzt am Krankenhaus im Friedrichshain.
Im Laufe der letzten Jahre haben unsere Anschauungen
über die Entstehung der Gallensteine große Wandlungen erfahren.
Bis dahin galten als maßgebend die Ansichten N aunyns (1), die
er auf Grund eingehenden Studiums in seiner „Klinik der Chole-
lithiasis“ niedergelegt hatte,
Naunyn bekannte sich, wenn man so sagen darf, zu einer
dualistischen Auffassung der Gallensteingenese, das heißt, er er-
achtete für die Entstehung von Konkrementen in der Gallenblase
das Zusammenwirken zweier Faktoren für nötwendig: Stauung
und Infektion. Um das Material zur Steinbildung zu liefern,
mußte also nach Naunyn stets eine bakterielle Entzündung, ein
„steinbildender Katarrh“ zur Stauung hinzutreten.
Unter Zugrundelegung der von seinen Schülern J ankau
und Thomas (2) gefundenen Tatsache, daß der Gehalt der Galle
an Cholesterin konstant und unabhängig von der Ernährung sei,
stellte sich Naunyn den Hergang der Steinbildung im einzelnen
etwa so vor: Durch die infektiöse Entzündung werden Epithelien
der Gallenblasenwand abgestoßen, in denen sich feinste, fettähn-
liche Tröpfchen finden. Letztere werden frei, verklumpen und
bilden schließlich kleine Krystalle.
= Normalerweise findet zwar stets auch eine gewisse Epithel-
abstoßung statt, doch ist diese unter pathologischen Verhältnissen
gesteigert, und die übergetretene Menge wird dann nicht mehr wie
sonst durch Alkalien, Fette und Seifen in Lösung gehalten.
In letzter Linie entstammt nach Naunyn das Baumaterial
der Steine, das ist das Cholesterin, der Gallenblasenwand.
Diese Theorie Naunyns, die, wie von vornherein bemerkt,
in der obigen Gestalt jetzt nicht mehr haltbar ist, erfuhr zunächst
noch eine scheinbar weitere Stütze durch die experimenteller
Untersuchungen von Gérard und Kramer (8), die durch Zusatz
von Bacterium coli respective von Bac. typhi im Reagenzglase
Cholesterin ausfällen konnten. Um die verschiedenartige Zu-
sammensetzung der Steine selbst kümmerte sich Naunyns
Theorie nicht, respektive nahm hierfür sekundäre Umwandlungs-
prozesse an.
Gewisse Berührungspunkte mit der Lehre Naunyns hat die
Theorie von Liehtwitz (4). Nach ihm wird das Cholestearin
normalerweise in kolloidaler Suspension gehalten, es findet aber
einerseits durch Bakterieninvasion mit konsekutiver Säurebildung,
anderseits durch das, infolge der Entzündung übergetretene Eiweiß
eine elektrische Umladung der Bakterien respektive des Eiweibes
statt, wodurch Cholesterin zur Ausfällung gelangt.
Lichtwitz legt also seinen Anschauungen physikalisch-
chemische Prozesse zugrunde, die aber auch wie Naunyn mit
dem Faktor bakterieller Infektion rechnen.
Gegen die Bedeutung der letzteren erhoben sich indessen
bald einige Stimmen und Einwände, so von Renvers (5) und
Thudichum (6), nach denen bereits eine abakterielle Gallenstein-
bildung möglich schien. Mit dieser Möglichkeit rechnet auch die
etwas komplizierte Theorie von Schade (7): Nach ihm ist die
Galle eine Mischlösung von Krystalloiden und Kolloiden, wobei
das Cholesterin als Emulsions- und Bilirubinkalk als Suspensions-
kolloid in Betracht kommen. Aenderungen der Konzentration
des gelösten Cholesterins respektive seines Lösungsmittels führen
zum Ausfallen myelinähnlicher, amorpher Massen mit späterem
Uebergang in Krystalle.
Der ganze Vorgang ist eine tropfige Entmischung, bei der
das ölige Fett anfangs mitgerissen, später in Cholaten wieder ge-
löst wird, während das Cholesterin konfluiert. Tritt infolge
Kalküberschusses eine Ausfällung von Bilirubinkalk ein, so wird
dabei auch etwaiges Fibrin mitgerissen und bildet so eine Gerüst-
substanz für die Kombinationssteine. Reine Cholesterinsteine ent-
stehen dagegen nach Schade durch tropfige Entmischung ohne
Infektion und ohne Gerüstsubstanz.
Wie man sieht, nimmt Schade einerseits auf die Natur der
Steine bereits Rücksicht, anderseits kennt er für gewisse Stein-
formen einen abakteriellen Entstehungsmodus.
Klar und exakt wurde die abakterielle Bildung von Kon-
krementen in der Gallenblase durch die, man darf wohl sagen,
klassischen Untersuchungen von Aschoff und Bacmeister (8)
erwiesen. In einigen grundlegenden Versuchen konnten die
Autoren zunächst feststellen, daß aus normaler, sterilisierter Galle
ohne Gegenwart von Epithelien nach Wochen Krystalle ausfielen,
Sie zeigten weiterhin, daß Konkremente sich bildeten bei Gegen-
wart bestimmter Bakterien unter Abwesenheit jeder Epithelbei-
mengung, daß die Gegenwart der letzteren aber den Cholesterin-
'ausfall begünstige. Damit war der Lehre Naunyns bis zu einem
gewissen Grade der Boden entzogen und das Vorkommen abak-
terieller Gallensteinbildung dargetan. Das hat nunmehr auch
Naunyn in seinem Leyden-Vortrag (9) zugegeben.
Aschoff und Bacmeister rissen indessen nicht nur das
alte Lehrgebäude ein, sondern trugen emsig Stein auf Stein zu-
sammen, bis ein neuer und solider Bau entstand.
Durch Untersuchungen an einem sehr großen Material fanden
sie, daß der solitäre Cholesterinstein ausschließlich in der nicht
entzündeten, einfach gestauten Gallenblase vorkommt, während die
Gallenblasen mit Kombinationssteinen stets Zeichen bakterieller
Entzündung aufwiesen.
Die Analyse der Steine selbst erwies, daß sich im Chole-
sterinsteine nur die normalerweise in der Galle vorhandenen Stoffe
nachweisen ließen, was beim Kombinationssteine nicht der Fall war.
Daher muß man mit den Autoren annehmen, das Material
für die Kombinationssteine wird durch die infolge der Entzündung
hervorgerufenen Veränderungen in der Zusammensetzung der Galle _
selbst geliefert. Daß deren Chemismus im Gegensatz zu den ur-
sprünglichen Feststellungen der Naunynschen Schule ein wech-
selnder, auch von der Nahrungszufuhr abhängiger sei, ist von
Goodman (10) und Andern zum Teil auf Grund dahinzielender
Experimente erwiesen worden, eine Tatsache, die für die kausale
Genese der Gallensteine von nicht minder großer Bedeutung ist
als für die formale.
Gestützt auf die erwähnten Beobachtungen und in Berück-
sichtigung des Vorkommens von Gallensteinen, die ihrem Träger
nie Beschwerden verursacht haben, kommen Aschoff und Bac-
meister zu dem Schluß, daß dem entzündlichen Gallensteinleiden
ein nicht entzündliches vorangeht und bestimmte Beziehungen
zwischen Steinformation und Erkrankungszuständen der Gallen-
blase bestehen. Damit ist auch für die Therapie und Prophylaxe
ein wertvoller Hinweis gegeben, den Kehr (11) in seinem kürzlich
in der Berliner Medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage
mit besonderem Nachdruck und ausdrücklicher Anerkennung her-
vorgehoben hat.
Das Fazit der Aschoff-Bacmeisterschen Untersuchungen
und Theorien ist also etwa folgendes:
Gallensteine können in einfach gestauter, nicht
entzündlicher Gallenblase entstehen. Es handelt sich
in diesem Falle stets um reine Cholesterinsteine, die
das Material zu ihrem Aufbau dem gesteigerten Gehalte
der Galle an Cholesterin verdanken. Dieser letztere ist
ein inkonstanter und von Stoffwechselvorgängen ab-
hängiger. Tritt zur einfachen Stauung eine Entzündung
hinzu, so werden der Galle noch andere, steinbildende
Stoffe beigemengt, die zurEntstehung von Kombinations-
steinen Gelegenheit geben.
Das A und O aller Theorien ist, wie man sieht, die Stau-
ung. Deren Ursachen aufzuspüren haben in älterer wie in neuerer
Zeit zahlreiche Autoren versucht. Daß hier mechanische Momente
eine Rolle spielen, ist wohl selbstverständlich und das gehäufte
Vorkommen von Gallensteinleiden in und nach der Gravidität
spricht, wie kürzlich erst Ruth Ploeger (12) von neuem zeigen
konnte, durchaus in diesem Sinne Hofbauer (13) will die un-
genügende Zwerchfellexkursion, die sich in zahlreichen Fällen
nachweisen läßt, als ätiologischen Faktor für die Stauung heran-
ziehen und deren Ausgleich durch bestimmte Atemübungen thera-
peutisch verwerten. |
Neben mechanischen Ursachen kommt aber, wie bereits er-
wähnt, auch dem durch Stoffwechselanomalien hervorgerufenen in-
konstanten Cholesteringehalt der Galle eine nicht zu unterschätzende
Bedeutung zu.
Mit andern Autoren wies speziell Beer (14) darauf hin,
daß neben Stauung und Infektion noch ein dritter Faktor existieren
muß, der die Steinbildung begünstigt. Als dieses dritte ursäch-
liche Moment vermuten alle Autoren, die überhaupt zu dieser
Frage Stellung nehmen, eine Stoffwechselanomalie, eine Diathese,
und so sagen auch Aschoff und Bacmeister: „Es ist nicht un-
möglich, daß neben den mechanischen Gründen für die Stauung
auch eine vermehrte Cholesterindiathese für die Gallensteinbildung
disponierend ist“.
Für diese Annahme, die durch dahingehende Unter-
suehungen noch nicht sicher erwiesen ist, dürfte meiner Ansicht
nach auch die, allerdings von Naunyn bestrittene, regionär ver-
schiedene Häufigkeit des Vorkommens der Gallensteinbildung
sprechen. Darunter ist wohlverstandenermaßen nur die Gallen-
steinbildung, nicht die Gallensteinerkrankung zu verstehen. Daß
hier tatsächlich nicht unerhebliche Unterschiede bestehen, konnte
ich bei Gelegenheit anderer Untersuchungen für zwei, in ihrem
Sektionsmaterial sehr ähnlich geartete Institute, wie die Charit6
in Berlin und das Bürgerhospital in Straßburg i. Els. feststellen
und dabei Durchschnittszahlen gewinnen, die mit gleichartigen
Angaben anderer Autoren in diesem Sinne durchaus überein-
stimmten.
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1. August,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32;
1327
Nimmt man dies als’ festehende Tatsache ‘an, dann liegt
der Gedanke nahe, hierfür Verschiedenheiten der Ernährungsform
verantwortlich zu machen und damit eine Stoffwechselanomalie zu
supponieren. Aufgabe künftiger Forschung muß es daher sein,
durch exakte Untersuchungen des gesamten Oholesterinstoffwechsels
beim Menschen unter physiologischen wie unter pathologischen
Verhältnissen, ähnlich wie es kürzlich Peirce versucht hat (15),
das Bestehen einer Cholesterindiathese zu erweisen oder zu wider-
legen. Erst dann wird völlige Klarheit geschaffen sein über die
schwierige Frage der Genese der Gallensteine.
Literatur. 1. Naunyn, Klinik der Cholelithlasis. (Leipzig 1892.) —
2. Jankau und Thomas, zitiert nach. Aschoff und Bacmeister (s. Nr. 8).
— 3. Görad und Kramer, zitiert ebenda. — 4. a) Experimentelle Unter-
suchungen über die Bildung von Niederschlägen in der Galle. (D. A. f. klin.
Med. 1907, Bd. 92.) b) Zur Genese der Gallensteine. (M. med. Woch. 1908,
Nr. 12.) — 5. Renvers, Zur Therapie der Gallensteinkrankbeit. (Th. d. G.
1008, Nr. 3.) — 6. Thudichum, Ueber den chemischen Prozeß der Gallen-
stelnkrankheit bei Mensch und Tier. (Virchows A. 1899, Bd. 156, H.15.) —
1, Schade, Zur Genese der Gallensteine. (Zt. f. exp. Path. Bd. 8, H.1. M. med.
Wooh. 1909, Nr. 1 und 2, 1911, Nr. 4) — 8. Aschoff und Bacmeister,
d) Die Cholelithiasis. (Jena 1909.) b) M. med. Woch. 1907, Nr.38, c) das. 1908,
Nr. 5 bis 7, d) das. 1908, Nr. 17.) — 9. Naunyn, Ueber Cholangitis. Leyden-
Vortrag. (D. med. Woch. 1911, Nr. 4.) — 10. Goodman, Nahrung und
Cholesterinausscheidung. (B. z. Phys. 1907, Nr. 9.) — 11. Kehr, Welche Indi-
kationen- für die interne und chirurgische Therapie des Gallensteinleidens
müssen wir auf Grund der Untersuchungen des Pathologen Aschoff aufstellen?
(Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 24.) — 12. Ploeger, Die Gallensteinkrankheit und
ihre Beziehungen zu Schwangerschaft und Wochenbett. (B. z. Chir. Bd. 69,
H.2) — 18. Hofbauer, Zur Pathogenese der Cholelithiasis. (Grenzgeb. d.
Med, u. Chir. Bd. 24, H. 3.) — 14. Beer. (A. f. kl. Chir. Bd.74, H.1) —
15. Peirce, Der Gehalt der menschlichen Galle an Cholesterin und Cholesterin-
estern, (D. A, f. klin. Med, 1912, Bd. 106, Nr. 3 u. 4.)
Einige neuere Arbeiten über Wesen und Ursache von Deformitäten
von Dr. Siegfried Peltesohn, Berlin.
. Eine Reihe neuerer Arbeiten, die sich mit dem Wesen und
den Ursachen von Deformitäten des Skeletts beschäftigen, dürften
von allgemeinem Interesse sein und daher ein Referat an dieser
Stelle verdienen,
Büdinger (1) bringt neue Untersuchungen über die Struktur
pathologisch veränderter Knochen. Er hat eine Anzahl von
Knochenpräparaten untersucht, welche teils durch Verwachsung
mehrerer benachbarter Knochen, teils durch Neubildung (Exostosen)
entstanden sind und bei denen der innere und äußere Ausbau in-
folge der langen Zeitspanne, die seit dem Beginne der Deformation
verstrichen ist, soweit ausgebildet ist, daß ihre Struktur als
definitiv gelten kann. In allen diesen Präparaten findet sich die
erstmalig von Albert beschriebene Bildung von Radianten, das
heißt von strahlenförmig von einem Punkt oder einer Fläche wie
die Blätterrippen einer offenen Rose ausgehende Bälkchen.
Büdinger findet nun weiter, daß diese Radianten mit ihrem
opf- oder scheibenförmigen Konzentrationsgebilde von dort aus-
gehen, wo ein freier Fortsatz im Winkel gegen den Knochen ein-
springt, oder von dort, wo ein gebogener Knochen seine stärkste
Krümmung hat; der kompakte Teil des Radianten geht vom
Satteleinschnitt aus, welcher der tiefsten Einziehung entspricht;
die Ausstrahlung reicht bei dünnen Knochen bis zur gegenüber-
liegenden Knochenoberfläche, bei dickeren verliert sie sich all-
mählich ‚Im Knocheninnern. Diese Radianten finden wir nun bei
pathologischen Knochen ebenso wie bei normalen an denjenigen
Shi wo ein Schutz gegen äußere oder innere traumatische
Inflüsse notwendig ist. Während am normalen Knochen die
ponglosastrukturen vermutlich entwicklungsgeschichtlich vor-
gebildet und schon lange angelegt sind, bevor sie in Anspruch
P mmen werden, entwickeln sie sich am pathologischen Knochen
rst langsam mit dom Umbau und der Differenzierung der neu-
Seordneten Spongiosa. Büdinger ist nun der Meinung, daß das
Ogenannte Transformationsgesetz von Julius Wolff, das heißt
myje, daß mit der Veränderung der Form und damit der
Sh anischen Inanspruchnahme eines Knochens sich auch dessen
i Struktur ändert, zwar zu Recht besteht, daß wir dagegen
en unsern jetzigen Kenntnissen das Wesen dieser Verände-
sen nur zum kleinsten Teil erklären können und es daher ver-
zen „ei, zu behaupten, daß die neue Struktur „mathematisch
A ne den neuen Ansprüchen genügt, daß im besonderen der Ein-
man = Belastung noch ganz unberechenbar sei. Er glaubt, daß
Orig Kg wie beim normalen Knochen, so auch bei den patho-
Sachen Knochenformationen noch nicht an eine Erklärung der
os : i
amtstruktur eines Knochens wagen darf, sondern, wie er es-
En nur Gruppen beurteilen und vergleichen kann, wobei
° Veränderungen noch: jenseits des Zugänglichen liegen.
= ` Die mangelhaften Kenntnisse über den Einfluß der Belastung
auf den inneren Bau eines Knochens sowohl wie auf die ferner ge-
legenen Teile des Körpers haben v. Frisch (2) veranlaßt, Versuche,
die er an Kaninchen ursprünglich zum Studium anderer Fragen an-
gestellt hatte, bezüglich dieser Frage auszubeuten. Er. entfernte
einem drei Wochen alten Kaninchen durch Exartikulation in der
Hüfte eine hintere Extremität und erzeugte so eine bleibende, Ja
zunehmende Störung der Mobilität des Tieres, womit eine eben-
falls zunehmende Gestaltsveränderung des. Skeletts Hand in Hand
ging. Es zeigte sich nun, daß durch die dauernde Seitenlage des
Hinterleibs sich zunächst eine bewegliche, später durch Dehnung
und Schrumpfung der Weichteile fixierte Kyphoskoliose und Ro-
tation des Lumbodorsalsegments bildet. Die bleibenden Deformie-
rungen in den Segmenten der Wirbelsäule lassen sich vorwiegend
in den Bandscheiben und den Epiphysenfugen der Körperepiphysen
nachweisen. Keilföürmige oder durch Torsion deformierte Wirbel-
` körper finden sich. trotz der Fixation der Wirbelsäule nicht vor.
Durch. die funktionelle Inanspruchnahme und Belastung in. ab-
normer Richtung bildet sich an der erhaltenen hinteren Extremität
ein Genu valgum; die daneben bestehende fixierte Ueberstreckung
im Kniegelenk ist ebenfalls auf mechanische Ursachen zurückzu-
führen. Die entsprechenden Epiphysenfugen sind insbesondere an
der Tibia mächtig verdickt, zeigen aber in bezug auf Dichte und
Masse des Gefüges keinen erkennbaren Unterschied an der Seite
der. vermehrten Druckspannung gegenüber jener der Druck-
entlastung. Die zwecks Aufrechterhaltung des Vorderleibs
dauernd eingehaltene Abduction (respektive Adduction) der vor-
deren Extremitäten so deformierter Tiere fixiert sich ebenso wie
die Deviation der andern Gliedabschnitte im Laufe der Zeit. Auch
hier treten, wie an der hinteren Extremität, mit der Zeit Defor-
mitäten auf, die mit der Belastung bei dauernd gleicher Haltung
der Glieder in direktem Zusammenhange stehen. Die deutlichsten
diesbezüglichen Veränderungen sind am Humerus zu sehen und
bestehen in einer Verbildung der Kopfepiphyse und Torsion des
Schaftes. Im allgemeinen bleiben die Tiere in der Entwicklung,
im besondern im Wachstum zurück. Die anfangs noch mögliche
Lokomotion wird mit der Zunahme der Deformitäten immer
schwieriger, nach Ablauf von sechs Monaten können sich die Tiere
in der Regel nicht mehr vom Platze bewegen. — Je älter die zu
dem Versuche benutzten Kaninchen sind, desto weniger deutlich
entwickeln sich die beschriebenen Veränderungen.
Mit diesen Experimenten hat v. Frisch einen Modus, Deformi-
täten zu erzeugen, angewendet, der bisher noch nicht gewählt
worden ist. Dieser Modus besteht in der Erzeugung einer De-
formität durch zwangsweise Aenderung der Funktion der Be-
wegungsorgane infolge künstlicher Störung des statischen Gleich-
gewichts bei im übrigen gesunden und freibeweglichen Gliedern.
Die künstlich von v. Frisch hervorgerufene Skoliose ist eine rein
statische, die Verbildung der Extremitäten als statisch-habituelle
Deformität zu bezeichnen. Da bei den operierten Kaninchen für
das Bestehen irgend eines knochenerweichenden Prozesses, ins-
besondere der Rachitis, kein Anhaltspunkt vorliegt, so ergibt sich
in Analogie hierzu für den Menschen, daß auch das gesunde
menschliche Skelett bei einem Mißverhältnis zwischen Schädlich-
keit und Widerstandskraft deformiert werden kann, wenn nur
Dauer und Intensität der abnormen Belastung groß genug sind.
Der Vorschlag Böhms, den Ausdruck „Belastungsdeformität“
gänzlich fallen zu lassen, ist nach v. Frischs Erachten ganz und
gar nicht gerechtfertigt. Wie wären auch all die bekannten Be-
rufsdeformitäten, z. B. die Skoliosen der Gondolieri, die Schuster-
brust, ferner die vestimentären Deformitäten, z. B. die Thorax-
verschmälerungen der Frauen durch übermäßige Schnürung, zu
erklären, wenn man diesen temporär einwirkenden Belastungen
einen Einfluß völlig absprechen wollte! v. Frisch wirft zum Schluß
einen Blick in das Pflanzenreich. Er zeigt, wie auch hier ein-
seitige Belastung, z. B. eines stets in der gleichen Richtung vom
Winde getroffenen Baums, Aenderungen seiner inneren Struktur
erleidet, während der Stamm desselben so gut wie nie in der
Windrichtung deformiert wird. Diese Strukturänderungen be-
stehen in einer ganz wesentlichen Förderung des Zuwachses auf
der der Windrichtung abgewendeten Seite. Es besteht hier eine
gewisse Uebereinstimmung mit den Beobachtungen, die an durch
Belastung deformierten Röhrenknochen gemacht werden können.
Wir können also — wie Julius Wolff gezeigt hat — wohl an-
nehmen, daß vermehrter Druck ein Kompakterwerden des Knochens
bedingt und eine Druckentlastung einen Schwund von Knochen-
substanz zur Folge hat.
In das Gebiet der Muskelphysiologie und -pathologie führen
La E ʻa
T enbe en
1328 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August,
uns zwei Arbeiten, die wegen des Interesses, das sie beanspruchen
dürfen, im folgenden referiert seien.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Streckmuskeln
häufiger erkranken als die Beugemuskeln; diese Erscheinung sehen
wir nach allen Arten von Krankheiten, die den Muskel selbst oder
das Feld seiner Arbeit, das Gelenk, betreffen. Diese besondere
Labilität der Streckmuskeln fällt ganz besonders nach Traumen
und nach Gelenkentzündung auf; doch ist der tiefere Grund dieser
Erscheinung bisher nicht genügend bekannt. Grunewald (9)
tritt dieser Frage in einer interessanten Arbeit näher, indem er
zunächst der phylogenetischen Stellung der Streckmuskulatur in
der Tierreihe seine Aufmerksamkeit zuwendet. Er geht davon
aus, daß — wie Fick gezeigt hat — im Verhältnis zum Orang-
Utan beim Menschen die Streckmuskeln beider Extremitäten-
paare erheblich an Stärke gewonnen haben. Man könne überhaupt
sagen, daß der Mensch verhältnismäßig starke Streckmuskeln hat.
Sie haben am Beine das absolute Uebergewicht gewonnen, während
am Arme die Beuger zwar überwiegen, aber bei weitem nicht
mehr so stark wie beim Orang. Das Uebergewicht der Strecker
am Bein ist als eine notwendige Folge des aufrechten Ganges zu
betrachten. Es ist nun aus der Stammesgeschichte der Tiere und
Pflanzen bekannt, daß eine Eigenschaft um so fester haftet, je
älter sie ist. Da nun der aufrechte Gang phylogenetisch eine
junge Eigenschaft ist, so sind auch die Streckmuskeln weniger
widerstandsfähig als die Beuger. Wenn man nach Traumen und
Arthritiden bei den meisten Streckmuskeln eine specifische Reaktion
vermißt, so beruht das nach Annahme Grunewalds darauf, daß
diese Agentien verhältnismäßig geringe Krankheitserreger sind.
Daß aber doch die phylogenetische Labilität der Streckmuskeln
eine bedeutende Rolle spielt, ergibt sich aus der Beobachtung, daß
die von dem menschlichen Umwandlungsprozesse besonders be-
troffenen Muskeln, nämlich der Quadriceps femoris und der
Glutäus, welche beide das relativ stärkste Uebergewicht über die
Beuger zeigen, sowie des öfteren auch der M. deltoideus, bereits
durch die genannten geringen Reize in der Regel geschädigt
werden und alsdann die charakteristischen Symptome der trauma-
tischen und arthritischen Atrophie zeigen. Gelegentlich kann es
auch vorkommen, daß die stammesgeschichtlichen Einflüsse auch bei
einem andern Strecker sich abnorm geltend machen und er sich
dann wie die drei genannten Muskeln verhält. Ja, sogar die-
jenigen Beuger, die durch den aufrechten Gang stärker als bisher
belastet sind, nehmen gelegentlich an dieser erhöhten Reizbarkeit
teil, wie z. B. die Wadenmuskulatur, die übrigens in bezug auf
den ganzen Körper ein ausgesprochener Strecker ist. — Grune-
wald geht dann zur Besprechung der Inaktivitätsatrophie der
Muskeln über. Ebenso wie infolge der bilateral symmetrischen
Anlage der Muskulatur im ganzen Tierreich eine isolierte Muskel-
zunahme durch eigens darauf gerichtetes Training in der Regel
nicht zu erreichen ist, ebenso ist es von vornherein unwahrschein-
lich, daß allein durch verminderte Muskeltätigkeit eine Abmage-
rung derselben erzielt werden kann; es ist auch tatsächlich noch
niemals beobachtet worden, daß ein gesunder Mensch durch
Schonung seiner Muskeln diese zum Schwunde gebracht hätte.
Ist eine Muskelatrophie aber vorhanden, so deutet sie darauf hin,
daß eine Erkrankung einmal bestanden hat. Es ist anderseits
wobl möglich, eine bestehende Muskelatrophie durch eine absicht-
liche Schonung des Glieds zu unterhalten. Analog der Annahme
Seitz’, daß der Uterus in seinem Wachstume von der Existenz
und der Gesundheit der Ovarien abhängig ist, deren specifische
Nähr- und Wuchsstoffe auf die Zellen der Uterusmuskulatur einen
irgendwie gearteten Reiz ausüben, vindiziert Grunewald den
von der grauen Substanz der Vorderhörner und von den Ge-
lenken gebildeten Muskelhormonen eine bedeutende Einwirkung
auf die Ernährung der willkürlichen Muskeln. Die Bildung dieser
Hormone ist ihrerseits wieder abhängig von der Muskeltätigkeit
selbst und erlischt bei gänzlichem Aufhören derselben. Muskel-
atrophie tritt nur dann ein, wenn eine der beiden Hormonenquellen
geschädigt wird. Und da diese, wie eben gesagt, vom Muskel-
leben abhängig ist, so kann man in diesem Sinne von einer In-
aktivitätsatrophie sprechen. Diese Hormonentheorie ist nun im-
stande, alle bisher bekannten und teilweise so rätselhaften Er-
scheinungen der traumatischen und artikulären Muskelatrophie zu
erklären, was Grunewald im einzelnen für die Muskelbefunde bei
der Lösung des Muskels von seinen nervösen Centren, bei Ruhig-
stellung der Gelenke, bei Amputationsstümpfen, bei Sehnendurch-
schneidungen und bei Bleilähmungen erläutert. Reichen diese
Vorstellungen von quantitativen Veränderungen der Hormonen-
produktion aus, eine Anzahl von Veränderungen des Muskellebens
zu erklären, so müssen wir für andere Erkrankungen qualitative
Veränderungen der Hormone annehmen in Form von toxischen
Hormonen, sodaß dadurch der Begriff der toxischen Muskelatrophie
erklärt wäre, wie sie z. B. die bekannte Sudecksche Atrophie
einer traumatisierten Extremität in prägnanter Weise darstellt,
Auf Grund dieser Untersuchungen gelangt Grunewald zu der
Empfehlung, mit der rätselhaften Vorstellung trophischer Nerven-
einflüsse zu brechen und sie durch die unseren heutigen Kennt-
nissen mehr entsprechende Vorstellung chemischer Wachstums-
reize, die quantitativ und qualitativ veränderlich sind, zu ersetzen.
Von andern Gesichtspunkten ausgehend, als denen Grune-
walds, bespricht Jansen (4) die Frage der Atrophie gewisser
Muskeln bei Gelenkleiden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß
die Streckmuskulatur (die Glutäen, der Quadriceps usw.) De-
generation in fibröse Stränge bei Gelenkversteifungen in besonders
ausgesprochenem Maß erleiden. Bei Untersuchung von Kranken
mit Versteifungen des Hüft- oder Knie- oder Schultergelenks
stellte Jansen nun fest, daß die monartikulären Muskeln, das
beißt diejenigen, welche Ursprung und Ansatz an benachbarten
Knochen finden, also nur das eine Gelenk überbrücken, ausnahms-
los stärker atrophieren als die polyartikulären, welche in verhält-
nismäßig gutem Zustand erhalten bleiben. So werden beispiels-
weise bei Knieankylosen die drei Mm. vasti des Extensor eruris
quadriceps als monartikulär stets stärker atrophisch gefunden als
der Rectus femoris, welcher Knie und Hüftgelenk überbrückt, also
polyartikulär ist. Es ergibt nun weiterhin eine tabellarische Zu-
sammenstellung aller Muskeln, welche ein Gelenk bewegen, in
bezug auf ihre Zugrichtung, daß bei den polyartikulären Muskeln
eine proximierende, bei den monartikulären Muskeln eine distie-
rende Wirkung vorwaltet; das heißt, daß z. B. am Knie die poly-
artikulären Muskeln überwiegend flektierend, die monartikulären
überwiegend streckend wirken und ebenso am Hüftgelenk die poly-
artikulären vornehmlich die Flexion, Adducetion und Innenrotation,
die monartikulären die entgegengesetzten Bewegungen ausführen.
Diese Anordnung der Muskulatur ist einesteils zweckmäßig, da
durch sie die Unabhängigkeit der Bewegungen in den Gelenken
gesichert; wird; anderseits ist sie aber auch die Ursache dafür,
daß die arthrogenen Contracturen im allgemeinen durch einen
Proximationsstand des Gelenks gekennzeichnet werden, was sich
am auffallendsten im Hüft- und Kniegelenke dokumentiert. Jansen
weist damit den polyartikulären Muskeln die ausschließliche Rolle
bei der Entstehung der Gelenkcontracturen, z. B. der typischen
Adductions-, Flexions- und Einwärtsrotationscontractur der Hüfte
bei Coxitis zu. Er stützt seine Ansicht noch durch den Hin-
weis auf die Tatsache der besonderen Hartnäckigkeit dieser Con-
tracturen gegen unsere entgegengesetzt wirkenden Maßnahmen, was
ja für das Hüft- und Kniegelenk zur Genüge bekannt sein dürfte.
Literatur: 1. Büdinger. Ueber pathologische Knochenstruktur. (A. f
kl. Chir. Bd. 98, H. i, S. 106.) — 2. von Frisch, Beitrag zur Lehre von den
Belastungsdeformitäten. (Ibid. H. 2, S. 489.) — 3. Grunewald, Ueber die
specifische Labilität der Streckmuskeln und über Iuaktivitätsatrophle über-
haupt. (Zt. f. orthop. Chir. Bd. 30, H. i u. 2, S. 9.) — 4. Jansen, Die poi-
artikulären Muskeln als Ursache der arihrogenen Contracturen, (A. f kl.
Chir. Bd. 96, H. 3, S. 616.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Der langsame Durchbruch kleiner Pleuraempyeme in die
Lunge mit über Tage und Wochen sich erstreckendem Auswurfe dürfte
nach den Erfahrungen Ad. Schmidts häufiger sein als im allgemeinen
angenommen wird. Es handelt sich dabei nicht um frische, noch Im
Wachsen begriffene, oder um große, die Thorazseite vortreibende Empyeme,
sondern um kleine, abgesackte, stationäre Eiterungen, die, wenn nicht
wiederholt punktiert wird, der Diagnose entgehen können. Die Röntgen-
untersuchung hat gelehrt, daß diese Empyeme nicht selten etwas Luft
enthalten, deren Anwesenheit durch Perkussion oder Auskultation nicht
erkannt werden kann. Am häufigsten wird wohl diese Luft von der
Lunge her in das Empyem gelangen und dieser Vorgang dürfte mit dem
langsamen spontanen Durchbruch in Zusammenhang stehen.
Ohne an dem Grundsatz, daß jedes Empyem eröffnet werden muß,
zu rütteln, empfiehlt der Verfasser doch, bei kleinen, nicht wachsenden,
abgekapselten Eiteransammlungen im Brustfellraume, zumal wenn Sie
metapneumonischen Ursprungs sind und mit Husten einhergehen, mit dem
operativen Eingriffe zunächst etwas zu warten (wenn es das Allgemein-
befinden gestattet) und zu sehen, wie sie sich gegenüber wiederholten
Punktionen oder Aspirstionen verhalten. Man wird, speziell bei Kindern,
öfter erleben, daß bei späteren Punktionen kein Eiter mehr gefunden wird,
das Fieber abfällt und der Kranke gesund wird. (Solche Erfahrungen hat
man meist als spontane Resorption des Eiters gedeutet; sie sind aber wahr-
scheinlich als langsamer Durchbruch in das Lungengewebe anzusehen.)
11. August.
___1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32, | 1329
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‚Ve r er einen Fall, wo er 3/; 1 Eite
durch Aspiration mit einer großen Panktionsspritze entleerte a dafür
ebensoviel sterile Luft mit Joddämpfen einließ. (M. med. h
1912, Nr. 26.) F. ls l
Hermann Titus hat die von Butenko angegebene Reaktion
im Harne von Paralytikern vachgeprüft. Butenko ging von dem Be-
streben aus, im Harne der Luetiker in gleicher Weise charakteristische
Bestandteile nachzuweisen, wie es durch die Wassermann sche Reaktion
in deren Blute gelingt. Dabei kam er zu einer sehr einfachen Reaktion,
die er als specifisch für Paralyse ansah. Er setzte dem vorher gekochten
Harn etwa 10 Tropfen Liquor Bellosti zu (10°%/,ige wäßrige Lösung von
Mercuronitrat mit geringem Zusatze von Salpetersäure). Nach kurzem
abermaligen Kochen fiel bei positivem Ausfalle der Reaktion ein grauer
bis grauschwarzer Niederschlag aus. Diese Reaktion sollte specifisch für
Paralyse sein. Alle andern luetischen Erkrankungsformen oder Psychosen
sollten einen weißen bis weißlich-gelben Niederschlag geben. Ein grauer
Ring über einem weißen Bodensatze nach dem Erkalten der Probe sei
ebenfalls in positivem Sinne zu deuten. Butenko erhielt in 84 bis 91%
der Fälle von progressiver Paralyse eine positive Reaktion.
Hermann Titus hat die Nachprüfung dieser Angaben unter ge-
nauer Befolgung der von Butenko gegebenen Vorschriften vorgenommen,
erhielt aber in nur zirka 44/0 der Fälle von Paralyse ein positives Re-
sultat (von 87 untersuchten Paralytikerharnen reagierten 38 positiv).
Eine positive Reaktion ergaben auch Fälle von Tuberkulose der Lungen,
der Gelenke und anderer Organe, ferner Influenza, Pneumonie, Pleuritis,
Nephritis, fieberhafte Bronchialkatarrhe und Angina, ebenfalls verschiedene.
Somit erscheint das
Psychosen und organische Nervenerkrankungen.
Fehlen jeder Specifität und die Unverwendbarkeit dieser Harnprobe für
die Diagnose der progressiven Paralyse erwiesen. (Wr. med. Woch. 1911,
Nr. 12.) Zuelzer.
Ueber einen Fall von Appendicitis bei gleichzeitigem Vorhanden-
sein von Typhus abdominalis berichten Mark und Pap aus dem
k. k. Garnisonlazarett in Temesvár.
Es handelte sich um einen Soldaten, der mit unbestimmten Fieber-
symptomen eingeliefert wurde. Die schweren Krankheitserscheinungen
ließen die Annahme, daß Typhus vorlag, berechtigt erscheinen. Gleich-
zeitig traten aber anch Symptome einer akuten Appendicitis in den
Vordergrund des Krankheitsbildes, sodaß man zur Operation schreiten
mußte. Es wurde ein zum Teil schon gangränöser Wurmfortsatz exstir-
piert, nach dessen Entfernung die Temperatur zwei Tage lang normal
blieb. Erst nachher nahm die Fieberkurve wieder den für Typhus charak-
teristischen Verlauf. — Die Rekonvaleszenz wurde später noch durch
eine Mittelohrentzündung verzögert.
Der Fall lehrt, daß auch bei solchen kombinierten Erkrankungen
ein chirurgisches Eingreifen indiziert ist und lebensrettend wirken kann.
(Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 15.) Zuelzer.
W. Skörrezewski und J. Sohn berichten über einige im
Atophanharn auftretende charakteristische Reaktionen:
1. Einige Tropfen Atophanharn verfärben concentrierte Salzsäure
zeisiggelb,
2. Mit Phosphor-Wolframsäurelösung gibt der Atophanharn einen
gelben Niederschlag, während man im normalen Harn einen rosagrauen
Niederschlag findet. Ä
3. Nach Zusatz einer Ammonsulfatlösung und Ammoniak zum
Atophanharn färbt die Flüssigkeit sich dunkelgrün — der vormals gelbe
arn dagegen ändert seine Farbe nicht.
‚ & Der Atophanharn gibt die charakteristische Ehrlichsche
Diazoreaktion.
Die letztere tritt erst 24 Stunden nach Darreichung von 3,0
Atophan pro die auf, während die andern drei Reaktionen schon zwei
Stunden nach der Darreichung des Atophans festgestellt werden konnten.
Sie verschwanden zwei bis drei Tage nach dem Aussetzen des Mittels.
(Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 49.) Zuelzer.
‚ „Behandlung der Hyperidrose. 1. Interne Medikamente.
Bei der allgemeinen Hyperidrose der Tuberkulösen können sowohl
Atropingranula zu 0,001 (1 bis 2 pro die) von Nutzen sein, als auch
Agarieinpillen nach folgendem Rezepte: Rp. Agaricin. 0,02 Pulv. Doveri
015, Gummi arabiei q. s. ut f. pilula. D. tal, pil. No. X. S. Täglich
1 bis 2 Pillen z. n 2, Aeußere Anwendungen gegen örtliche Hy-
peridrosen. Zu Pinselungen eignen sich folgende Lösungen: a) Kali per-
magan. 0,4, Ag. dest. 200,0; b) Naphthol. 5,0, Glycerin. 10,0, Alcoh.
60) 100,0; c) Tannin. 2,0, Alcohol. (609/4) 200,0; d) Chloral. hydrat.
5:0, Acid, formic. 5,0, Balsam. peruv. 1,0, Alcohol. (60 °%/,) 89,0; e) For-
malin, 20,0, Glycerin. 5,0, Alcohol. (60%,) 200,0. Zur nachherigen Be-
‚derung können unter anderm empfohlen werden folgende Pulver: Cal-
cum, Amylum, Acid. salicylic. (oder tartaricum) aa, oder Tannoform. 10,0,
Ayl, Tale, aa 45,0. (Presse méd. 1912, Nr. 32) Rob. Bing (Basel).
E
Schwere Formen von chronischer deformierender Gelenk-
entzündung, wobei die Gelenke vollständig ankylosieren, sodaß dadurch
Lähmung eintritt, behandelte Rumpf erfolgreich mit Einspritzungen einer
5 higen J odipin-Olivenöllösung in die Gelenke. Injiziert wurden etwa
2g ‚der Lösung (das Oleum olivarum muß sterilisiert sein). Das Jod
scheint zur Produktion von Gelenkflüssigkeit anzuregen. In der
Regel trat ein Erguß in das Gelenk ein, der einige Tage schmerzhaft
war; aber die Bewegungsfähigkeit, z. B. der Kniegelenke, und damit
das Gehen wurde hochgradig gebessert, sodaß wieder kleine Spazier-
gänge möglich waren, oder das versteifte Schultergelenk war nach acht
bis zehn Tagen wieder völlig brauchbar. (Bericht aus der Rheinisch-
westfälischen Gesellschaft für innere Medizin und Nervenheilkunde; M. med.
Woch. 1912, Nr. 25.) F. Bruck.
Aus dem tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen Hoch- l
schule in Berlin berichtet Th. A. Maaß über Aleudrin, ein neues
Hypnoticum und Sedativum (von der Chemischen Fabrik Dr. Bruno
Beckmann, Berlin, in den Handel gebracht). Auf Grund’ pharmakolo-
gischer Untersuchungen wurde das Präparat in Dosen von 0,5 g als
Sedativum und in Dosen von 1,0 g als Hypnoticum mit Erfolg verordnet.
Das Einschlafen erfolgte nach vorhergehendem, normalem Ermüdungs-
gefühle. Nach dem Erwachen bestand keine Benommenheit, sondern das
angenehme Gefühl der Frische und Erquickung. (D. med. Woch. 1912,
Nr. 26.) F. Bruck.
Ueber Narkophin, ein neues Morphiumersatzmittel, ein
Opiumpräparat, berichten W. Straub, Zehbe und Hans Schlim-
pert. Narkophin ist das mekonsaure Salz des Morphins und des Nar-
kotins; es enthält auf ein Molekül Mekonsäure je ein Molekül Morphin
und Narkotin. (Es wird hergestellt von C. F. Boehringer & Söhne in
Mannheim- Waldhof.)
Straub hat gefunden, daß die Wirkung des Morphiums, des
Hauptalkaloids des Opiums, gesteigert werden kann durch Kombi-
nation mit dem Narkotin, einem an sich unwirksamen Neben-
alkaloid des Opiums. (Auch die Steigerung der reinen Morphinwirkung
zur Opiumwirkung wird in erster Linie vom Nebenalkaloid Narkotin
herbeigeführt). Die andern Nebenalkaloide des Opiums, wie das Papaverin,
die selbst wirksam sind und eine andere Rigenwirkung als das Morphin
haben, stören nur die reine Morphinwirkung und sind daher im Narko-
phin ausgeschaltet. |
Reines Morphin schläfert das Atemcentrum ein, die Atmung wird
langsamer und oberflächlicher, Kohlensäure häuft sich im Blut an. Bei
der Kombination Morphin + Narkotin ist die Reizbarkeit des Atem-
centrums nur wenig geändert. Es hat den Anschein, als ob das Nar-
kotin die Verteilung des Morphins im Nervensystem so verschiebt, daß
das Großhirn mehr, das Atemcentrum weniger des Narkoticums
abbekommt. Das Narkophin steigert also die narkotische Wirk-
samkeit und schont das Atemcentrum.
Zehbe reicht zunächst 15, weiter 20, 30 Tropfen einer 30/sigen
Narkophinlösung (ein- bis dreimal täglich). Subcutan wurden davon 1 ccm
(= 0,03 Narkophin) injiziert, wenn es galt, eine schnelle Wirkung zu er-
zielen. Sie trat in 15 Minuten ein, während bei Verabfolgung per os
3/4 bis 1 Stunde zur Entfaltung der Wirkung nötig sind. Das Narkophin
steht am nächsten dem Pantopon, es wirkt in kleinen Dosen etwas
schwächer hustenreizstillend als Kodein, kann aber, da es besser vertragen
wird, in größeren Mengen gegeben werden. Verglichen mit Morphium
ist bei gleichen Dosen seine Wirkung im allgemeinen etwas schwächer.
Da man aber infolge fast völlig fehlender Nebenwirkung die Dosis auf
das Doppelte der für Morphin üblichen erhöhen kann, wird dieser Nach-
teil ausgeglichen, Die gewöhnlichen Folgeerscheinungen der Narkotika,
wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Uebelkeit fehlten fast
stets. Dagegen wird durch Narkophin die Darmperistaltik ver-
langsamt.
Schlimpert verwandte das Narkophin in der Gynäkologie, und
zwar subcutan (1 ccm einer 30/yigen Lösung entspricht etwa 1 cem einer
10/sigen Morphiumlösung, da das Narkophin zirka 30 0/ Morphium ent-
hält). Die Dosis von 0,03 wurde im Verlauf eines Tages eventuell ein-
oder zweimal wiederholt. Zur Anwendung kam es:
1. als schmerzlinderndes und einschläferndes Mittel. Hier
ist es als Ersatzpräparat des Morphiums zu empfehlen, wenn seine Wir-
kung auch mitunter etwas später eintritt;
2. in Verbindung mit Skopolamin als vorbereitendes Nar-
koticum zur Einleitung von Inhalationsnarkosen, Lumbal- und Sakral-
anästhesien. Die hierbei üblichen Dosen waren: 0,03 Narkophin + 0,0003
Skopolamin drei Stunden vor dem mutmaßlichen Operationsbeginn, und
dieselben Dosen 2!/, Stunde vor dem Beginne der Operation. (Diese Dosis
wird auf die Hälfte reduziert bei älteren, schwächlichen, fiebernden Frauen.)
Auch hierbei tritt die Wirkung des Narkophins mitunter später als die
des Morphiums ein. Aber der mit Narkophin-Skopolamin erzielte nar-
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1330 © 1992 MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
'kotische Effekt ist- stärker als der mit Morphium-Skopolamin er-
zielte. Auch ist der Narkophin-Skopolamin-Dämmerschlaf von längerer
Dauer als der durch Morphium-Skopolamin herbeigeführte. (M. med.
Woch. 1912, Nr. 28) F. Bruck.
Im Eibon (Cinnamoyl-para-oxyphenylharnstoff), dargestellt von der
Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel, besitzen wir nach
Dr. Minnich, dirigierendem Arzt der Kuranstalt für- Lungenkranke in
Weißenburg (Schweiz). ein brauchbares - phthisiotherapeutisches Mittel,
das insbesondere bei der Dauerbehandlung . tuberkulöser Fieber durch
Herbeiführung von Remissionen und Kräftesparung von Wort erscheint.
Nach dieser Richtung hin vermag Elbon das Kreosot in seinen- viel-
fältigen Verbindungen zu ersetzen. Die. Verordnung lautet: Drei- bis
viermal täglich 1,0 in Pulvern nach der Mahlzeit. (B. z. Kl. d. Tub.
Bd. 20, H. 2)
Wasserstoffsuperoxydlösungen als Mund- oder Gurgelwasser
verordne man nach Althoff folgendermaßen, und zwar ad vitr. nigr.:
Perhydrol.. . 2 2 2 222.2... 2,0—3,0
Ag.dest.. o 222.0 ad 300,0
. oder: Hydrogen. peroxydat. officinal. 20,0—30,0
. Aq. dest. . ad 300,0
oder: Hydrogen. peroxydat. offieinal. -y 200,0
= (davon 1 Teelöffel bis !/s Eßlöffel voll auf 1 Glas Wasser).
(M. med. Woch. 1912, Nr. 26.) F. Bruck.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Ein neuer elekiromedizinischer Badeapparat.
Ein nicht unwichtiger Schritt zur Vervollkommnung der thera-
peutischen Anwendung der hydroelektrischen Bäder ist die Herstellung
eines speziell für Badezwecke geeigneten Universalapparates. Diese
in nebenstehender Abbildung dargestellte Apparat ist eine Modifikation
der -unter dem Namen „Multiplex“ bekannten Modelle und vereinigt in
‚ Form und Einrichtung alle Vorzüge jener — wie Fahrbarkeit, die von
R allen Seiten leicht zugängliche Anordnung
t
r
i
aller Schaltapparate und bequeme Anschluß-
möglichkeit an vorhandene elektrische Licht-
== quellen.
Die Anwendung des „Bademultiplex‘
gestattet die Behandlung mit den verschie-
denen Bädern in getrennten Räumen: aber
auch. da, wo die Benutzung in den Bade-
zimmern nicht gewünscht wird, z. B. im
Konsultationszimmer. l
Von besonders praktischem Interesse
ist es, daß der zur Erzeugung des Wechsel-
stroms dienende Motorumformer gleichzeitig
die Ausführung der Vibrationsmassage, sowie
den Betrieb chirurgischer Operationsgeräte
(Bohrer, Fräser usw.) gestattet, für welche
Methoden die Form der Multiplexapparate
sich in der Praxis bereits vorzüglich be-
währt hat. |
Der Apparat kann je nach Wunsch
an zwei Leitungen von Gleich-, Wechsel-
‘oder Drehstrom angeschlossen werden
-und erlaubt sowohl galvanischen als auch
~. (sinusoidal) faradischen Strom zu appli-
zieren, sei es für lokale Behandlung
= oder für ein- und dreiphasige Wechsel-
strombäder oder Vierzellenbäder. Außer-
T Nr dem gestattet er die Anwendung von
Elektrolyse, Kataphorese, Voltaisation und Kaustik.
. Die zu dem Bademultiplex gehörigen Hilfsapparate für elektrische
Bäder werden in mannigfachen Ausführungen ebenfalls von den Veifea-
werken hergestellt. |
l Vereinigte Elektrotechnische Institute Frankfurt- Aschaffenburg.
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Bücherbesprechungen.
Erich Peiper, Säuglingssterblichkeit und Säuglingsfürsorge
in Pommern. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinal-
verwaltung. Bd. I, H.1. Berlin 1912, Richard Schoetz.
An der Hand eines reichen Zahlenmaterials weist Peiper nach, daß
die Säuglingssterblichkeit in Pommern 1881—1885 beziehungsweise 1901
.bis 1905 19,97°/o beziehungsweise 21,7 °/o, in Preußen dagegen 20,9 be-
leitungen oder sonstige stationäre Strom-
11. August,
ziehungsweise 18,97 0/0 betrug. Es tritt aber offensichtlich zu Tage, daß
die Sterblichkeit der unehelichen Kinder eine Zunahme erfuhr und daß
anderseits die Säuglingssterblichkeit auf dem Land erheblich stärker war,
als in den Städten, was ganz besonders im Regierungsbezirke Stralsund
bemerkbar wurde. Diese Frage gewinnt dadurch -noch an: Bedeutung,
daß gleichzeitig in allen drei Regierungsbezirken die Geburtsziffer einen,
Rückgang aufweist, indem auch Pommern schon. ganz zu .dem: „Zwei-
Kindersystem“ übergegangen ist. Unter den Ursachen für diese erhöhte
Säuglingssterblichkeit bleibt natürlich die. Ausbreitung der künstlichen
Ernährung die wichtigste. Nicht nur die Stillfähigkeit, sondern auch die
Stillhäufigkeit der Mütter hat abgenommen. Bei der künstlichen Ernäh-
rung zeigen sich die infektiösen Schädigungen dabei nur von untergeord-
neter Bedeutung, mehr Einfluß- hat zweifelsohne die Ueberfütterung
als praktisch wichtigste Ursache für die Entstehung von Darmerkran-
kungen. Damit gelangt Verfasser zu dem zweiten Teil seiner Arbeit,
welcher die Maßnahmen bespricht, die in. Pommern für die Durchführung
der Säuglingsfürsorge vor allem’ erforderlich erscheinen. Neben der Avf-
stellung einer genauen Statistik, Vorsorge durch Wöchnerinnenvereine,Propa-
ganda für die Brusternährung, verspricht sich Peiper besonders viel von
der Verteilung geeigneter Merkblätter. Auch der Milchhygiene ist er-
höhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, desgleichen dem Haltekinderwesen
und der Hebammenfortbildung. Die Begründung dieser Fürsorgebestre-
-bungen im einzelnen möge im Original nachgelesen werden. - , Fr.
A. Vogt, Pathologie des Herzens. Autorisierte Uebersetzung aus
dem Russischen von Dr. Julius Schütz (Marienbad). Mit 20 Text-
abbildungen. Berlin 1912, Julius Springer. 1688. M 8,—.
‚Das vorliegende Buch bietet in Form von Vorlesungen eine Ueber-
sicht über die Pathologie des Herzens wesentlich vom Standpunkte des
experimentellen Pathologen aus. Nach einer kurzen physiologischen Ein-
leitung werden in einzelnen Kapiteln besprochen die pathologische Physio-
logie des Perikards, Myokards, Endokards, des Coronarkreislaufs, die ana-
tomischen und funktionellen Störungen der Gefäße des. großen und kleinen
Kreislaufs als Ursache von Funktionsstörungen des Herzens, ferner der
Entstehungsmechanismus der Herzhypertrophie und die Veränderungen
der Herztätigkeit infolge von Funktionsstörungen des neuro-muskulären
Apparats. Rein Klinisches ist nur gelegentlich gestreift, dagegen sind
die Ergebnisse der experimentellen Forschung in weitem Umfange ver-
wertet und auch die Versuchsanordnungen vielfach erläutert. Ganz un-
berücksichtigt ist leider die Elektrokardiographie geblieben. — Ein um-
fangreiches Literaturverzeichnis (5385 Nummern!) ist beigefügt; ein
‘Mangel. ist das Fehlen eines alphabetischen Inhaltsverzeichnisses, wo-
durch die Orientierung infolge der zuweilen etwas künstlichen Abgrenzung
des Stoffes in einzelne Kapitel sehr erschwert wird. G. Rosenow.
J. Bresler, Kurzgefaßtes Repetitorium der Psychiatrie. Halle
1912, Carl Marhold. 138 S. M 2,20.
In 'keinem Spezialgebiete der Medizin ist breiteste Ausführlichkeit,
liebevolles Hervorheben jeder kleinsten Einzelheit, die Klärung der. un-
klaren und dunklen Begriffe. oder Symptomenkomplexe durch das er-
läuternde, ausschmückende Wort so absolute Forderung wie in der Psy-
chiatrie. Ein kompendiöser Leitfaden der Psychiatrie ist daher an sich
vielleicht ein Unding. Dennoch bewährt sich vorliegendes Büchlein durch
die Korrektheit und Fülle seines Inhalts, durch die Sachlichkeit und
Stoffbeherrschung auch in dieser allzu concisen Form.
Dr. Kurt Singer (Berlin).
Oscar Simon (Karlsbad), Die Karlsbader Kur im Hause. Ihre
Indikationen und ihre Technik. Berlin 1912, Springer. 85 5.
Preis M 2,40. | Ä
Verfasser gibt in vorliegender kleiner Monographie dem Anfänger
eine Fülle beherzigenswerter Winke und auch dem, der sich schon
durchgerungen, eine Reihe anregender und nachzuahmender Finessen.
Sie wird dazu beitragen, den öden Schematismus, der doch noch bier
und da in balneotherapeutischer Praxis herrscht, zu eliminieren; der
moderne Patient kann vom modernen Arzt verlangen, daß er ihm — wie
es heutzutage doch glücklicherweise schon obsolet ist, bei Verdauungs-
krankheiten sich einfach und geschmacklos auf das Verbot von „Saurem
und Fettem“ zu beschränken — auf das Genaueste und individualisierend
vorschreibt, was und wieviel und wie er. trinken soll — und nicht minder
auch, warum. E |
Die Indikationen sind entsprechend dem heutigen Stande der Lehre
— welchen der Verfasser in seinen Hauptzügen klar und funditus aus-
einandersetzt — angegeben und begründet; in einigen Punkten wider-
spreche ich dem Verfasser: Die Neurosen und die Ueberzahl der Diabetes-
fälle bleiben für, mich Kontraindikationen; davon abgesehen aber rate
‚ich, das Buch als treuen Mentor für die Praxis oft zur Hand zu er
-= Pickardt.
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11. August. _1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 32.
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Vereins- und auswärti ge Berichte.
Pe Basel.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 30. Mai 1912.
F. Suter demonstriert ein primäres Cancroid des Nieren-
beokens mit Hydronephrose und Oxalatstein: ö4jährige Frau, die seit
Jahren Schmerzen hatte und seit einam halben Jahre abmagerte. Mikro-
skopisch zeigte das Nierenbecken Metaplasie seiner Schleimhaut in
Pflasterepithel. |
S. bespricht an der Hand eigner Erfahrungen die Leistungs-
fähigkeit der Lithotripsie und der endovesicalen Operationen gut-
artiger Blasentumoren. Von 82 Fällen von Blasensteinen werden 16
lithotripsiert, sechs mit Lithotomie und vier mit Prostatectomie behandelt.
In sieben andern Fällen konnten die Steine durch den Katheter entfernt
werden. Bei 17 Fällen von Blasenpapillomen kam achtmal die endo-
vesicale Operation und sechsmal die Sectio alta zur Verwendung. Zwei
Fälle mußten sich beiden Methoden unterziehen, da Rezidive eine weitere.
Operation verlangten. Die endovesicale Methode ist für die gutartigen
Tumoren die Methode der Wahl.
S. berichtet endlich über 60 Fälle von- Nephrektomie- für
Nierentuberkulose. Auf 60 Operationen ein Nahtodesfall (= 1,6 o
Mortalität) und vier Ferntodesfälle (Phthise, Puerperalfieber, Nieren-
insuffizienz, Miliartuberkulose). Von den Ueberlebenden sind völlig ge-
heilt 56 %, wesentlich gebessert 34 °/o, und wenig gebessert 10%. Für
die Prognose ist im allgemeinen der Zustand der Harnblase im Moment
der Operation maßgebend. Deshalb möglichst frühzeitige Operation, so-
lange die Blase noch gesund ist und solange beim Manne die Genitalien
intakt sind. Diese letztere Affektion verschlechtert beim Manne die
Prognose wesentlich (unter den ganz Geheilten sind 18 Frauen und nur
10 Männer) und findet sich in 57 °/o der Fälle. AufSpontanheilung darf
nicht gerechnet werden und auch der Zustand der sogenannten Auto-
nephrektomie ist mit Nephrektomie zu behandeln, da die käsig zerstörte
Niere das andere Organ und den ganzen Organismus bedroht. Die nicht-
operative Therapie hat keine günstigen Resultate; die Radiotherapie gibt
unsichere und die Tuberkulintherapie schlechte Erfolge. Von größter
Bedeutung ist die Nachbehandlung mit den allgemeinen Heilfaktoren.
Bonn.
Niederrhein. Ges. f. Natur- u. Heilkunde. Sitzung v. 17. Juni 1912.
Vorsitzender: Bonnet. Schriftführer: Stursborg.
Schultze stellt einen am 19. Januar wegen eines intramedullären
Tamors des obersten Halsmarks (Angiom, das in früherer Sitzung de-
monstriert wurde) operierten jungen Mann vor. Der Patient, der
damals an unerträglichen Schmerzen litt, starke Lagegefühlstörungen
hatte und infolge von Lähmungen der Beine nicht mehr gehen konnte,
hat alle diese Beschwerden verloren, vor allem kann er wieder ohne
Stock gehen. Finkelnburg demonstriert Präparate und Bilder von
Hirn und Rückenmark eines an kongenitaler Littlescher Krankheit
verstorbenen Mannes. Makroskopisch bot er neben mäßigem Hydro-
cephalus nichts von Belang, mikroskopisch nicht die zu erwartende De-
generation der Pyramidenbahnen, wohl aber die von Hösterman n (Sohn)
bei Edinger festgestellte Verminderung der Ganglienzellen in der
zweiten bis vierten Schicht der Hirnrinde. In seinem Vortrag „Experi«
mentelles zar Thrombose“ führt Ribbert gegenüber Aschoff aus, dab
seines Erachtens zur Thrombosenbildung notwendig eine Gefäbwandverände-
rung gehöre, daß aber die Stromverlangsamung, die Aschoff für das wich-
tigste Atiologische Moment halte, erst sekundär in Frage komme. Die
Sandbanktheorie Aschoffs hält er nicht für haltbar. Er weist das durch
sehr interessante, überzeugende Versuche nach, sodaß er der „Walzen-
theorie“ Aschoffs jede Stütze entzog. Weiterhin entscheidet er sich
bei Besprechung der Anschauungen über die Emigration bei der Ent-.
zündung überhaupt gegen die mechanische Auffassung und bekennt sich
zu der chemotaktischen. Die starke Emigration gerade bei der Pneu-
monie kann er nur dadurch erklären, daß die Emigration lokalisiert ist.
sser bricht eine Lanze für die von hm empfohlene Darreichung
oher Oampherdosen. Er verabreicht ohne den geringsten Schaden
pro 10 kg Körpergewicht 1 g Campher pro die, Fränkel berichtet über
die von ihm bei Iordotischer Albuminurie gefundene Steigerung der
Acidität des Urins, Kaupe (Bonn).
Erlangen.
Aerztlicher Bezirksverein. Sitzung vom 15. Mai 1912.
Engelhorn gibt einen Ueberblick über die Entstehung der weib-
Genitaltuberkulose, speziell über das Eindringen des Tuberkel-
von der Scheide aus (ascendierende Tuberkulose). Dieser letztere
nsmodus, von Baumgarten bestritten, wurde von Jung und
lichen
acillus
Infektio
seinen Schülern experimentell erwiesen. Der Vortragende selbst konnte
zeigen, daß die Ascension nicht auf dem Lymphwege, sondern durch den
Genitalkanal selbst erfolgt (intracanaliculäre Ascension). Von den Gegnern
der ascendierenden Genitaltuberkulose wird eingewendet, daß das Va-
ginalsekret bakterizid wirke. Der Vortragende konnte das im Tierezperi-
mente nicht bestätigen. —
Brock glaubt durch histologische Untersuchung eines Falles von
Tubenverschluß den endgültigen Beweis erbracht zu haben, daß die bei
Tubenverschluß vorhandene Sekretanhäufung in den Mittelohrräumen
nicht das Produkt einer Entzündung, sondern lediglich ein durch den
negativen Druck bedingter Hydrops_ ist. Mitteilung der Kranken-
geschichte, Derhonstration der mikroskopischen Präparate. Die Mittel-
ohrräume rechts sind mit einer homogenen Masse (geronnenem Serum)
ausgefüllt.
höhlə ist nur mäßig gegen die Norm verdickt; Ursache ist die Stauung,
nicht etwa eine entzündliche Infiltration. Bakterienfärbung fällt voll-
‚ständig negativ aus.
Befund am linken Mittelohr ähnlich, was die
Schleimhaut. betrifft. Im Sekret jedoch neben sonstigen Zellelementen
auch Leukocyten, Lymphocyten und rote Blutkörperchen. Gramfärbung
ergibt massenhaft Bakterien.
Bei dem Fehlen jeder Entzündungserscheinung der Schleimhaut
glaubt B. nicht, daß die zuletzt beschriebene Sekretanhäufung auf eine
bakterielle Infektion zurückzuführen ist, nimmt vielmehr an, daß die
Bakterieneinwanderung erst in der Agone zustande gekommen ist.
Seitz gibt einen Ueberblick über die neue Reichsversicherungs-
ordnung. Ströbel (Erlangen).
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 3. Juni 1912.
Quincke: Ueber Albuminurie. Es gibt sicher Fälle von Albu-
minurie, in denen nach Befinden und Verlauf keine Nephritis vorliegt.
Man unterscheidet die vorübergehende Albuminurie, die nur bei be-
stimmten Gelegenheiten (Muskelanstrengungen, Geburtsakt, kaltem Bade,
Gemütsbewegungen, Nahrungsaufnahme) auftritt, und die habituelle, die
selbst über Jahre hin bestehen kann. Leube erklärt alle diese Zustände
aus einer Undichtigkeit des Nierenfilters gegen Eiweiß. Die Albuminurie
nach hohen sportlichen Leistungen grenzt schon an Nephritis, da hierbei
auch Cylinder gefunden werden. Bei der habituellen Albuminurie ist
die Frage, ob nicht doch Nephritis vorliegt, besonders schwierig zu beant-
worten. Auch hierbei ist die Eiweißausscheidung meistens nicht konti-
nuierlich, sondern intermittierend, cyclisch im Laufe des Tages. Sie
kommt bei jugendlichen Individuen etwa zwischen 12 und 20 Jahren vor,
meist bei schwächlichen Kindern, besonders Mädchen. Der Urin zeigt nie
morphotische Bestandteile. Die Kinder haben keine Beschwerden von
ihrem Leiden, das stets günstig verläuft. Sie werden später völlig ge-
sund und verlieren die Albuminurie. Bei zufälligen Sektionen sind auch
ganz gesunde Nieren gefunden worden. Als orthotische Albuminurie
bezeichnet man den Zustand, dab Eiweiß beim Uebergang aus dem
Liegen zur aufrechten Haltung eintritt, nach einiger Zeit, trotz Bei-
behaltung der aufrechten Haltung, aber meist wieder verschwindet. Das
Liegen läßt in solchen Fällen die Eiweißausscheidung nicht zustande
kommen, auch nicht bei Einwirkung der obenerwähnten Schädlichkeiten
(Muskelanstrengung usw.) Oft kann aber die Albuminurie durch Lenden-
jordose auch im Liegen erzeugt werden. — Die Versuche, diese Zustände
durch zeitweilige Stauung des Bluts in den Nieren zu erklären, sind nicht
überzeugend. Es wäre aber wohl möglich, daß der Eiweißgehalt des
Urins auf einer Beimengung von Lymphe, die ja eiweißhaltig ist, be-
ruhte. Die Möglichkeit des Uebertritts von Lymphflüssigkeit in den
Urin kann nicht bestritten werden, da die Nieren und die abführenden
Harnwege in allen Teilen von einem dichten Netze von Lymphgefäßen
durchzogen sind; sie wird auch bewiesen durch die Fälle ven Chylurie.
Bei dieser Erkrankung, die bei uns nur sehr selten vorkommt, findet
durch die Verstopfung von kleinen Chylusgefäßen (durch Filarien) eine
Chylusstauung und Uebertritt von chylöser Lymphe in den Urin statt,
Zum Zustandekommen der Chylurie ist erforderlich, daß die Lymph-
gefäße mit den Nierenwegen in Verbindung stehen, und daß ferner eine
Rückstauung des Chylus nach den Lymphgefäßen stattfindet. Ist nur
die erste Bedingung erfüllt, dann wird nur Lymphe in den Urin abge-
schieden werden. Das kann aber sehr leicht verkannt werden, da die
farblose Lymphe sich im Urin nur durch das Eiweiß bemerkbar macht,
von dem man nicht feststellen kann, ob es aus der Lymphe oder sonst-
woher stammt. Ist der Lymphe dagegen der durch die milchige Trübung
und den Gehalt an Fetitröpfchen gekennzeichnete Chylus beigemengt, so
ist ein Uebersehen nicht möglich. Der Uebertritt von Lymphe in den
Urin findet sehr wahrscheinlich an mehreren Stellen der Harnwege statt,
Die Schleimhaut der Tube, die Auskleidung der Pauken-:
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1332 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
11. August.
und da pbysiolögisch die Füllung der Lymphgefäße je nach der Tages-
zeit, der Nahrungsaufnahme usw. eine wechselnde ist, so ist es auch nicht
wunderbar, daß die Beimengung der Lymphe zum Urin in gleicher Weise
wechselt. Die Füllung der Lymphgefäße ist außerdem abhängig von der
Körperstellung und von dem Zustande der Organe, die die Lymphe liefern,
also vom Zustande des Darmes, der Unterextremitäten usw. Gerade der
Funktionswechsel in diesen kann daher eine Rolle bei der orthotischen
Albuminurie spielen. Jedenfalls ist der Wechsel in der Albuminurie
viel verständlicher, wenn man sie durch Beteiligung der Lymphe
zustande gekommen denkt, als durch Beteiligung des Blutstroms.
Vielleicht ist hier durch systematische Untersuchungen unter Anwendung
des Ureterenkatheterismus einiges herauszubringen. Man muß wohl
immerbin noch eine besondere Disposition im jugendlichen Alter durch
Undichtigkeit der Harnwege gegenüber dem Lymphstrom annehmen; bei
starker Lordose kann die Lymphstauung infolge von Dehnung oder Ab-
- knickung der lumbalen Lymphstämme eine Rolle spielen und ähnliches.
Q. will mit seiner Hypothese nicht alle Fälle von Albuminurie erklären,
da sie wohl keine einheitliche Ursache haben. Sie ist aber für die Er-
klärung zahlreicher Fälle wohl geeignet und jedenfalls wert, nachgeprüft
zu werden. Hainebach.
Krefeld.
Aerzteverein. Hauptversammlung vom 18. Mai 19i2.
1. Jores (Köln): Ueber Arteriosklerose (Vortrag mit Licht-
bildern). Die makroskopisch sichtbaren Veränderungen, welche arterio-
sklerotische Arterien darbieten, erläutert Vortragender an der Hand von
Präparaten. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen läßt sich auf zwei
Veränderungen zurückführen: Verdickung der Gefäßwand (ein-
- schließlich Erweiterung, Elastizitätsveränderung) und Degeneration
(Verfettung, Atherombildung, Verkalkung).
Was die Verdickungen anbelangt, so betreffen diese die Innen-
haut. Die frühere Annahme, daß diese Folge einer chronischen produk-
tiven Entzündung seien, ist heute verlassen. Wir wissen, daß die Intima-
verdickung nicht nur an den makroskopisch sichtbaren Vorwölbungen der
Innenfläche besteht, sondern diffus große Strecken des Arteriensystems
betrifft, und zwar hängt die Entwicklung dieser Intimaverdickung mit
einem postembryonalen Gefäßwachstum zusammen, Es entwickelt
sich in den großen Arterien diffus, in den kleineren partiell während der
beiden ersten Jahrzehnte eine elastisch-hyperplastische Schicht (erste
Wachstumsperiode), dann verharrt das Gefäßsystem in diesem Zustande
eine verschieden lange Zeit (zweite Wachstumsperiode), nach der dann
eine Ein- und Auflagerung von Bindegewebe in die Intima statthat
dritte Wachstumsperiode).
Die Arteriosklerose stellt nun eine pathologische Verstärkung und
ein vorzeitiges Eintreten dieser Schichtenbildung dar. Die Entwicklung
der elastisch-hyperplastischen Schicht wird von Aschoff auf vermehrte
Längsspannung beim Wachstum der Gefäßwand zurückgeführt. Vortra-
gender hält sie auch in ersten Anfängen für nicht im strengen Sinne
physiologisch und führt sie, da sie eine Hypertrophie darstellt, auf funk-
tionelle Mehrbelastung des Gefäßsystems zurück. Die reine Verstärkung
der elastisch-byperplastischen Schicht für sich allein ist zwar nicht als
Arteriosklerose anzusprechen, aber die betreffende Schichtenbildung ist
in arteriosklerotischen Gefäßsystemen regelmäßig anzutreffen und weit
verbreitet. Die Arteriosklerose entwickelt sich in Gefäßsystemen, welche
die elastisch-byperplastische Schicht, das heißt die Zeichen funktio-
neller Mehrbelastung aufweisen. Die Bindegewebs-Ein- und Anla-
gerung der Intima ist zweifellos Teilerscheinung der Arteriosklerose.
Auch für die Entwicklung dieser Schichten hat man mechanische Ursachen
namhaft gemacht.
Ein weiteres wichtiges Kriterium der Arteriosklerose sind die
Degenerationen. Die Verfettung (Atherombildung) entwickelt sich
in der elastisch-muskulösen Längsschicht und in der elastisch-hyper-
plastischen Schicht, die dadurch zerstört werden. Dia Schollen und
Tröpfchen, die bei der Verfettung auftreten, sind größtenteils doppel-
brechend und bestehen chemisch aus Cholestearinestern (Cholestearin-
esterverfettung). Die Verfettung kann nicht, was man früher annahm,
als Folge der Intimaverdickung gedeutet werden, sondern entsteht mit
dieser koordiniert aus denselben Ursachen, die auch die Gefäßwandrver-
dickung hervorrufen. Allerdings hat man sich mit Recht gefragt, ob
nicht die Degenerationen dafür sprechen, daß eine direkte toxische
Wirkung auf die Gefäßwände statthat. Hierfür scheinen auch die
Ergebnisse der Tierversuche zu sprechen. Schon die Adrenalinsklerose
des Kaninchens, welche Vortragender näher erläutert, ist von Interesse,
weit mehr noch die Versuche, in denen es mittels Staphylokkeninjektionen
und Zufuhr tierischen Eiweißes gelingt, bei Kaninchen Herde in der
Aortenwand hervorzurufen, die sowohl in der Intima primär lokalisiert
sind, als auch mit Verdickung und Verfettung einhergehen, Es ist aber
zu weit gegangen, wenn Lubarsch auf Grund solcher Versuche die
funktionell-mechanische Entstehung der menschlichen Arteriosklerose
leugnet und für toxische, respektive autotoxische Ursachen eintritt. Dies
beweisen die Tierversuche durchaus nicht und anderseits haben die
Befunde am Menschen bezüglich der Pathogenese den größeren Wert
und lehren auf das Bestimmteste, daß funktionelle Mehrbelastung in
den Schädigungen, welche die Arteriosklerose hervorrufen, enthalten
sein muß. | |
2. Coqui berichtet über Mißbildungen der Scheide, einen Fall
von vollständiger Ausbildung der Längsscheidewand und einen solchen
von einer Querteilung der Vagina. Er legt die Entwicklungsgeschichte
und die anatomischen Verhältnisse dar und zeigt ein durch Exstirpation
gewonnenes Präparat. |
3. Neuenborn bespricht drei Fälle von Fibrosarkomen des Nasen-
rachenraums und ihre Entfernung nach dem Hofmannschen Verfahren,
ferner das Vorkommen von Speichelsteinen und Atheromen des Bodens
der Mundhöhle. | Wedel,
ed
R i Prag.
Verein deutscher Aerzte. Sitzungen vom 19. April und 10. Mai 1912.
Elschnig: Der gegenwärtige Standpunkt in der Therapie
des Altersstars. Die senile Katarakt — eine reine Alterserscheinung
— kann auf friediichem Wege behandelt werden, durch Bekämpfung
vorhandener Diathesen, Arteriosklerose, Stoffwechselkrankheiten, wobei
zugleich durch Ueberwachung des kranken Auges das den Star oft kom-
plizierende Glaukom nicht so leicht wie sonst übersehen werden kann.
Bezüglich der operativen Therapie betont E., daß jetzt jeder Star in
jedem Stadium, wenn das Sehvermögen stark herabgesetzt ist, operativ
angegangen werden kann, auch einseitige Stare usw. frühzeitig bei myopi-
schen und jugendlichen Personen und auch Stare im höchsten Lebens-
alter. Es können Diabetiker ohne Aceton und mit nicht zu viel Zucker,
Fettleibige und Nephritiker nach durchgeführter Diätkur, Leute mit hohem
Blutdruck nach Dyesschem Aderlaß operiert werden. Die postoperative
Iritis kann durch das Operationstrauma, durch zurückgebliebene Linsen-
reste, weitaus am häufigsten aber durch Infektion mit Strepto- und
Staphylokokken bedingt sein, welche im Bindehautsacke präexistent sind,
weshalb letzterer mit Hydrarg. oxyceyanat. 1:5000—2000 mehrmals täg-
lich bis zur bakteriologisch nachgewiesenen Keimfreiheit durchgespält
werden muß. — Als bester Schnitt gilt jetzt ein dem Hornhautrande
möglichst naher, mit Bindehautlappen gedeckter Bogenschnitt. Wenn
möglich, ist die rande Pupille zu erhalten. Irisprolaps kann nach der
Meinung des Vortragenden am besten durch Iriswurzelineision vermieden
werden. Iridektomie ist auszuführen bei Allgeinerkrankungen, bei pro-
minenten Bubis mit straff anliegenden Lidern, bei unruhigen und kneifen-
den Patienten. Vor Einführung der Iriswurzelincision hatte E. 4,7%
Irisprolapse, wobei er in 560/o der Fälle iridektomierte; nur unter 245
Extraktionen ohne und 73 (80% der Fälle) mit Iridektomie nur drei
Prolapse, wobei noch zweimal die Incision kaum exakt gemacht wurde
und im dritten Falle die Iris reponiert werden konnte.
Hoke: Ueber die sogenannte Atemreaktion des Herzens.
Vortragender ist auf Grund der Versuche von Cloetta und auf Grund.
der eigenen Versuche, welche die Flüssigkeitsmengen bestimmten, die
durch die kollabierte und die geblähte Lunge beim toten Tiere gefördert
werden, und endlich auf Grund von Versuchen, die der Vortragende über
die Pathogenese des Pulsus paradoxus angestellt hat, zu der Ansicht
gelangt, daß die von Albrecht aufgestellte Behauptung, daß während
der Inspirationsstellung der Lungen diese mehr Blut durchströmen lassen,
unrichtig ist.
Lieblein: Ueber Iymphatische Pseudo-Appendieitis. Vortra-
gender hat in den letzten Jahren unter der Diagnose akute respektive
chronische, rezidivierende Appendicitis die Appendektomie in einer Reihe
von Fällen vorgenommen, bei welchen sich bei der Operation die Appen-
dix nicht oder nicht sonderlich verändert zeigte. Auch die mikroskopi-
sche Untersuchung ergab weder die Zeichen einer akuten Entzündung,
noch die Residuen eines abgelaufenen entzündlichen Prozesses. Trotzdem
waren diese Appendices nicht normal, insofern als sie durch eine mäch-
tige Hyperplasie des Iymphatischen Apparats ausgezeichnet waren, sodaß
os nahe lag, diese Hyperplasie mit dem klinischen Bild in Beziehung
zu bringen. Nach den Erfahrungen L.s wurden von dieser Erkrankung
Individuen beiderlei Geschlechts von ausgesprochenem Iymphatischen
Habitus im Kindes- oder jugendlichen Alter betroffen. — Diese Fälle
entsprechen dem, was Miloslavich vor kurzem als lymphatische Pseudo-
appendicitis bezeichnet hat. Dieser nimmt an, daß durch die Hyperplasie
des lymphatischen Gewebes und die dadurch bedingte Dehnung der
Muskelwand der Appendix eine erhöhte Empfindlichkeit dieses Organs
hervorgerufen wird. Klinisch kann sich dieselbe sehr wohl in Erschel-
nungen äußern, wie wir sie bei der chronischen rezidivierenden Appen-
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11. August.
dicitis, die ohne eigentliche Attacken verläuft, zu sehen gewohnt sind.
Dagegen ist der Vortragende nicht imstande, die von ihm operierten
Fälle, die unter dem Bilde der akuten Appendicitis verlaufen sind, durch
den bei der mikroskopischen Untersuchung erhobenen Befund in befrie-
digender Weise zu erklären. Auch die Fälle von Iymphatischer Pseudo-
appendicitis sind der Behandlung zu unterziehen, weil einerseits die
Differentialdiagnose nicht in den einzelnen Fällen gestellt werden kann,
anderseits prädestinieren diese Erkrankungen zur Entstehung der wirk-
lichen Appendicitis.
Berlin.
Physiologische Gesellschaft. Sitzung vom 14. Juni 1912.
(Offizieller Sitzungsbericht.)
N. Zuntz referiert über die in seinem Laboratorium von P. Schi-
rokich ausgeführten Versuche über „Gas- und Stoffwechsel bei eiweiß-
armer Ernährung“.
Das Versuchsobjekt war ein Amerikaner, Mr. Horace Fletcher,
welcher seit etwa 14 Jahren eine eigentümliche eiweißarme, knappe Diät
führt. Er litt damals, bei etwa 90 kg Körpergewicht, an den Folgen zu
„kräftiger“ Ernährung und hat seine Gesundheit bei der knappen Kost
vollständig wiedererlangt, sodaß er jetzt mit 63 Jahren ungewöhnliche
körperliche und geistige Frische zeigt. Das Körpergewicht sank beim
Uebergang zur knappen Kost in vier Monaten von 90 auf etwa 70 kg
und bewegte sich bei Innehaltung des Prinzips sorgfältigsten Kauens und
Regelung der Nahrungsaufnahme nach dem Appetit zwischen 70 und 60 kg.
Nach Aufgeben des Rauchens stieg der Appetit und das Gewicht, er-
reichte zeitweise 80 kg ohne Störung des Wohlbefindens. Er legt be-
sonderen Wert auf intensives Kauen und Einspeicheln der Nahrung und
hat sich über die Bedeutung dieser Art der Verarbeitung der Speisen
in mehreren größeren Abhandlungen ausgesprochen (The A.B.C. of Our
Own Nutrition, The New Glutton or Epicure, The New Menticulture
und andere, New York bei Stokes).
Zur Zeit des Beginns der Versuche lebte F. seit etwa drei Monaten
susschließlich von Kartoffeln und Butter und nahm beide in den durch
das Bedürfnis geregelten Mengen in dem Verhältnis von einem Gewichts-
teile Batter auf 10 Gewichtsteile Kartoffeln auf. Der vorliegende Ver-
such sollte außer der Stickstoffbilanz bei so eiweißarmer und doch offen“
bar die Bedürfnisse auf die Dauer befriedigender Ernährung auch den
respiratorischen Stoffwechsel in absoluter Ruhe ermitteln, um zu sehen,
ob die Annahme von F. richtig sei, daß bei seiner Lebensweise der
Energiebedarf des Menschen vermindert ist. Die Untersuchung erschien
auch insofern von Interesse, als bisher nur wenig Erfahrungen über den
Energiebedarf bei andauernd so eiweißarmer Kost vorliegen.
Die Untersuchung wurde in zwei Perioden ausgeführt. Zunächst
vom 16. bis 22. Februar 1912, dann vom 6. bis 16. März 1912. In dieser
Zeit wurde Nahrung, Kot und Harn quantitativ untersucht und meist
täglich nüchtern, das heißt 12 bis 14 Stunden nach der letzten Mahlzeit
und ferner eine bis drei Stunden nach einer Mahlzeit von 350 bis 500 g Kar-
toffeln und 50 g Butter respektive Margarine, je zwei Respirations-
versuche angestellt. Die Zimmertemperatur schwankte zwischen 20 und
220 C. — Es bestand stets hehagliches Wärmegefühl. Die Tagesportion
betrug in der ersten Periode 1500 g Kartoffeln und 150 g Margarine.
Darin waren 5,85 g N und 2750 Calorien, wovon 48,3%% auf die Kar-
toffeln und 51,7%, auf die Margarine entfielen. In der zweiten Periode
war die Nahrungsaufnahme wegen geringeren Appetits etwas wechselnd,
meist 1000—1100 g, im Durchschnitte von sieben Tagen 1101 g Kar-
toffeln und 150 g Kuhbutter mit 0,1275%0 N. Im Durchschnitte betrug
die Energieaufnahme in dieser Periode nur 2116 Calorien, davon 46 0), in
Kartoffeln, 540/ in Butter, die N-Zufuhr 4,415 g. Vom 11. bis 19. März
warde die Nahrung in Suppenform aufgenommen, was sich aber als
weniger bekömmlich erwies. Am 12. März wurden 135 g Schinkenfett
ne: am 15. März 40 g Tomatenpüree und stait 150 nur 100 g
er. |
Der Gesundheitszustand war im allgemeinen durchaus normal, nur
am 21. Februar trat leichtes Fieber, bedingt durch eine Angina, auf, am
‚März wurde eine Mahlzeit erbrochen.
i Das Körpergewicht war am 16. Februar 75,75 kg, stieg bis zum
‚ Februar auf 76,17 kg und blieb dann bis zum 8. März nahezu un-
Aa Nach der reichlichen Wasseraufnahme mit den Suppen stieg
as Gewicht am 11. März auf 77,13 kg, fiel aber dann schnell bei Rück-
ehr zur wasserärmeren Diät. In den letzten Versuchstagen wog er fast
gnau so viel wie anfangs, am 14. März 75,7 kg, am 15. März 75,87 kg,
am 16, März 15,63 kg.
er ee der ersten Periode wurde mit der Nahrung täglich 5,346 g N
wurd 0 Calorien aufgenommen. Der gesammelte Kot der fünf Tage
© ım Vakuum unter Kontrolle des abgegebenen Ammoniaks ge-
„ Rocknet. 105.2 g Trockensubstanz enthielten 5,817%%, N und pro 1g
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
1333
6240 calorien. Der Tageskot enthielt also 1,119 g N und 131,3 Calorien,
sodaß 4,127 g N (77,2%) und 2619 Calorien (95,2%) verdaut wurden,
Der N-Gehalt des Harns (siehe Tabelle I) schwankte zwischen 3,56
und 5,11 g, im Mittel 4,68 g pro Tag. Es wurden also täglich 0,50 g N
vom Körper hergegeben. |
Noch größer ist das Defizit in der zweiten Periode bei knapperer
Kost. Hier wurde der Kot von sechs Tagen gesammelt. Er lieferte
107,6 g Trockensubstanz mit 6,26% N und 6330,5 calorien pro i g.
Der Ausscheidung von 1,043 g N im Tageskot stand eine mittlere Ein-
nahme von 4,415 g N gegenüber, sodaß 3,372 g (76,4 °/,) verdaut wurden.
Die Tagesnahrung enthielt 2116 Calorien, der Kot 113,5 Üalorien pro
Tag, sodaß 2002 Calorien (94,6 °%/,) verdaut wurden.
. Für die Mittelung der N-Ausscheidung im Harne wurde der Fieber-
tag, 11. März, mit 5,822 g N ausgeschaltet. An den übrigen neun Tagen
schwankte die Tagesausscheidung zwischen 3,96 und 5,07 g, im Mittel:
4,335 g N. Es bestand also täglich ein Stickstoffverlust vom Körper
von 0,962 g. Das weitere ergibt sich aus den untenstehenden Tabellen.
Nach der Hypothese von F. sollte seine Art der Bearbeitung der
Nahrung die Ausnutzung derselben wesentlich fördern. Das tritt in den
Versuchen nicht zutage. Die Ausnutzung des Stickstoffs der Kartoffeln
hat Rubner zu 80,5% ermittelt, in den beiden hier mitgeteilten Ver-
suchen beträgt sie nur 77,2 respektive 76,4°/0. Die bei der offenbar den
Energiebedarf deckenden Kartoffelkost noch negative Stickstoffbilanz
würde wohl durch ein geringes Plus an Stickstoff der Nahrung in Gleich-
gewicht übergehen. Immerhin zeigen die Versuche, daß eire Stickstoff-
menge von 5,3 g auch bei mehrmonatlicher N-armer Ernährung noch
kein N-Gleichgewicht gewährleistet, dabei vielmehr, wenn auch für das
Wohlbefinden nicht störende, Eiweißverluste zustande kommen. Offenbar
besaß F. von früher her eine aus eiweißreicherer Ernährung stammende
Stiekstoffreserve.e Vom Brennwerte der Nahrung wurden in I 95,2 0/0, in
II 95,0 0/0 resorbiert, gegenüber 95,4 0/0 in Rubners Versuch mit 1700 g
Kartoffeln — also auch hier kein Unterschied. Aus den Respirations-
versuchen berechnet sich nach den im hiesigen Laboratorium geübten,
mehrfach besprochenen Rechnungsweisen ein 24stündiger Energieverbrauch
in absoluter Ruhe und Nüchternheit von 1457,7 Calorien für die erste
Periode etwas reichlicherer Ernährung und 1470,8 Calorien für die zweite
Periode. Das macht für die erste 19,19 Calorien pro kg und 24 Stunden,
für die zweite 19,33 Calorien pro kg und 24 Stunden. Diese innerhalb
der Fehlergrenzen identischen Zahlen stimmen sehr gut mit den Werten,
welche Atwater und Benedict bei hungernden Menschen in Bettruhe
durch direkte Calorimetrie gefunden haben (20,9, 20,0 Calorien). Bei
jugendlicheren und fettärmeren hungernden Menschen fanden Leb-
mann und Zuntz!) nach der hier angewendeten Methode sogar einen
wesentlich höheren Erhaltungsumsatz, nämlich bei Cetti 28,4—-29,3 Ca-
lorien, bei Breithaupt 22,8--24,8 Calorien pro kg und 24 Stunden.
Man gewinnt daher den Eindruck, daß der Erhaltungsumsatz bei der an-
dauernd knappen und eiweißarmen Kost sich auf einen niedrigen Wert
einstellt, der freilich von dem Hungerer Atwaters und Benedicts
fast erreicht wurde. Ob ein Zusammenhang des niedrigen Erhaltungs-
umsatzes mit der von F. geübten intensiven Bearbeitung der Nahrung be-
steht, läßt sich auf Grund der hier festgestellten Tatsachen nicht ent-
scheiden. Die Steigerung des Energieverbrauchs durch die Verdauungs-
arbeit tritt in beiden Versuchsreihen deutlich zu Tage; doch sind die vier
Versuche vom 16. bis 21. Februar durch unruhiges Liegen, sowie durch
die fieberhafte Temperatursteigerung am 21. Februar gestört; wir möchten
sie deshalb, trotzdem die Mittelwerte von der späteren Reihe nur wenig
abweichen, nicht weiter erörtern.
In der Reihe vom 6. bis 16. März ist die absolute Muskelruhe
besser gewahrt, wie schon die gleichmäßigeren Minutenvolumine der
Atemluft erkennen lassen und dementsprechend sind auch die Werte des
Gaswechsels regelmäßiger. Für den nüchternen Zustand berechnen sich
I. Harntabeoelle,
an un?
Menge des
N im Harne Menge des In im Harne
Datum sans Gramm‘ Datum us Gramm
pro Tag pro Tag | pro Tag pro Tag
5
17. Februar. . 976 3,56 | i März .. 1775 4,41
A ed 3,96
8. , ..| 12 4,83 o 2 ' l|} 8823 com | 3.96
10, , 1775 4,15
19... „ 2189 50 fi ? 2599 5'82
12 >? 2210. 4.75
0, 2161 a fis ? 2478 6,07
14. y PAAS 1706 - 4,12
UL p. .| 1899 su |, 1736 4,24
Mittel. 2.2... 4,68 VOL a. ze | 4,50
Mittel ohne 11. März 4,
1) Virchows A. Bd. 131, Suppl., S. 290f.
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1334 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
Tabelle II. Gaswochsel 16. bis 22. Februar 1912.
I 3 $ In aus- E = a
2 | | geatmeter 3° |%°
Zeit des Vər- | 3 a or Luft 2 8 HE
iai suchs 3: ee R. Q. ag g= Bemerkungen
34 | 52 | co, De a re
< o o DO A ra
In nüchternem Zustande.
16. ESPE 9,05'—16' morg — | 457 | 3,38 | 4,835 | 0,77 | 153,1 | 198,1
14,0 | 4,583 | 8.23 | 4.102 | 0,78 144,9 | 185,8
Nach dem Frühstück um 10,09% —10,35' morgens (490 g
Kartoffeln + 49 g Margarine).
| 11,17’ —27' 14,0 | 4,72 | 3,33 | 8,88 | 0,85 | 156,0 | 183,4
1235-54 | 15,5 | 466 | 3,39 | 3,90 | 0,86 | 156,7 | 181,8
In nüchternem Zustande.
19. Febr.! 9,20'—39% morg.| 12.5 | 4,15 | 3,61 | 4,53 | 0,79 169,9 | 209,8 .
10,17°— 34° 110 | 487 | 3,65 |468 | 0,77 | 176,4 |228,1 | unruhig.
Nach dem Frühstück um 10,43°—11,039° morgens (820 g
Kartoffeln + 32 g Margarine).
| 12.0821 | 145 | 5,55 | 3,70 | 4,162| 0,88
208,7 | 231,0
l 109-27 |115 |484 | 8,72 | 8,909| 0,94
178,7 | 189,4
, Im nüchternen Zustande.
9,06°—19' 19,0 | 6,19 | 3,03 | 8,687 | 0,81 | 185,8 | 228,4 unrubig.
10,00 —19 |11,0 | 468 | 370 | 4,661| 0,79 | 171,81 218,1
Nach dem Frühstück um 10,29 —11,01‘ morgens (520 g
Kartoffeln + 52 g Margarine).
| 11,41’- 56’ 14,0 | 5,95 | 3,76 | 4,486 | 0,83 222,3 | 267,0
12,21’— 33° 18,0 | 6,98 | 3,78 4,308 | 0,87 | 261,9 | 300,2
Mittel in nüchternem Zustande. . . | 0,79 | 167,0
„ nach dem Frühstück . . . . | 0,87 196,6
21. Tez]
Fieber; Tempe-
ratur um 2,00’
nachm. 37,89 O.
211,4
225.5
Tabelle III. Gaswechsel 6. bis 16. März 1912.
. | a0
. 1#, | In aus- g g| „8
= 7 „8 geatmeter 5 7 S x
an Zeit des Ver- | 33 RH zul 38 58
g a .
atum sacks 3 g b o R.Q 2 = E 3 Bemerkungen
E“ IRE GD] 13> |57
j VÀ oO ©
< i Jo S A 2
S O S EEEESEEEESHEREEREEEET VEREEREEEEREEREEREEERE
In nüchternem Zustande.
8. Ben 9,0423‘ morg.| 6,5 | 5,22 | 3,63 | 4,712| 0,76 | 169,2] 221,5
1028—41 „ | 80 | 571 | 342 | 4,583 | 0,74 | 174,2 | 235,5 | unruhig.
Nach dem Frühstück um 10,48°—11,11‘ morgens (500 g
Kartoffeln mit 50 g Butter).
| 12,0 1’—20' 7,5 | 5,26 | 3.97 | 5,185] 0,76 | 186,1 | 245,0
116-307 | 180 | 5,98 | 3,58 | 4,3131 0,82 | 212,5 | 258,1
In nüchternem Zustande, |
11. a 9,14°—85' morg.| 8,5 | 4,09 | 3,70 | 4,661| 0,78 | 150,3 | 190,9
10,1%--82° „ 8:9 | 450 | 3,55 | 4751| 0,74 | 188,51213,9 | unruhig.
Nach dem Frühstück um 10,4%—11,03' morgens (Kartoffel- u. Pan abends
suppe mit Butter — 350 g Kartoffeln +50 g Butter). N)
| 12.05°-20° | 13,0 | 6,02 | 361 | 4,317] 0,83 | 215,9 | 260,0 | verloren.”
1097-18 | 77 | 5,70 | 4,06 | 4,6441 0,86 229,4 | 264,9 i
In nüchternem Zustande.
13. Mira 9,1833 morg; 58 | 4,81 | 3,86 Fr 0,79 | 166.1 | 209,2
1010—30 „ | 85 | 18 | 3,70 | 5102| 0,72 | 153,11213,1 | 18. März Kot
verloren.
Nach dem Frühstück um ai morgens (Kartoffel-
suppe).
| 12,01’—17 8,7 | 5,18 | 4,18 | 4,918 | 0,84 | 215,3 | 254,8
1,06: —21' 11,7 | 546 | 8,67 | 4,847| 0,8Ł | 198,8 | 287,4
In nüchternem Zustande.
San 9,22'—41’ 6,8 | 426 | 4,03 | 5,407 0,74 | 170,5 | 280,0 | unruhig.
10,18°—38' 68 | 417 | 4,12 | 5,686 | 0,73 170,5 | 284,9 | unruhig.
Nach dem Frühstück um 10,40°—11,00° (Kartoffeln
300 g + 50 g Butter).
| 1202,—18' | 11,8 | 5,81 | 3,77 k 0,82 | 198,8 | 243:3
1,04°—19° 95 | 546 | 4,06 | 4,496 | 0,0 | 220,1 | 245,6
In nüchternem Zustande.
15. März) 9,49°—10,10'mg.| 7,0 | 58 3,94 | 5,167| 0,76 | 156,8 | 207,2
10,39°—11,01' 6,0 | 3,89 | 4,04 | 5,425 | 0,74 156,0 | 211,0
Nach dem Erünetliek um 11,10°—831' (805 g Kartoffeln,
o
ne Butter).
12,2 1—87 9,0 | 5,85 | 3,91 4,468 | 0,87 | 207,9 | 238,6
| 1,24—4l' 77 | 506 | 3,93 | 4446 | 0,88 | 197,4 | 224,8
In nüchternem Zustande.
16. Mürz| 9,3%°—52' morg.| 6,8 | 4,20 | 4,02 | 53 0.74 | 167,7|226,3 | unruhig.
|1028- 39° nn 108 | 512 | 310 | 4,099 | 0,76 157.3 | 210,1 s
Nach dem Frühstück um 10,46'—11,09 (815 g Kartoffeln,
ohne Butter).
| 1200—18 | 13,0 | 645 | 341 | 3,684 | 0,92 | 217,7 | 287,5
0,75 | 162,5 | 216,9
0,85 | 209,8 | 245.6
Mittleres Ge-
wicht 76,08 kg.
Mittel in nüchternem Zustande. . .
„ nach dem Frühstück .
1. August.
aus 4,50 g N im 24stündigen Harn und 216,9 cem O-Verbrauch bei
162,5 ce COs pro Minute 1021,4 Calorien. Für die Verdauungszeit:
245,6 cem O-Verbrauch bei 209,8 c COs pro Minute 1174,1 Calorien, also
eine Steigerung der Energieproduktion während der drei ersten Ver-
dauungsstunden um 14,95 /o, trotz der eiweißarmen Kost. i
Die 24stündige Wärmeproduktion berechnet sich aus dem Minuten-
werte für den nüchternen Zustand zu 1471 Calorien. Da aus der ver-
dauten Nahrung 2002 Calorien zur Verfügung standen, bleiben 531 Ca-
lorien oder 36,10/o des Erbaltungsbedarfs für Verdauungsarbeit und
Muskeltätigkeit. Das ist ein nach sonstigen Erfahrungen sehr knapper
Wert. In der ersten Versuchsreihe war dieser Anteil viel erheblicher.
Es wurden aus der Nahrung verdaut 2619 Calorien. Der Nüchtern-
verbrauch war 1458 Calorien; es bleibt also ein Ueberschuß von 1161 Ca-
lorien = 79,60%/0 des Nüchternwerts. Das ist ein Ueberschuß, der für
einen ziemlich aktiven Menschen ausreicht, wenn er keine besonders
intensive Arbeit leistet.
Hufelandische Gesellschaft. Sitzung vom 14. März 1912.
Vorsitzender: Cassel.
S. Löwy: Zwei Fälle durch Simonartsche Bandabschnürung ent-
standene Mißbildungen und Fall tuberkulösen Abscesses des rechten
Unterkiefers bei einem Säugling.
Th. Landau hat in drei Fällen von Extrauteringravidität
drei lebende Kinder bei drei gesund bleibenden Frauen erzielt. Er be-
spricht und demonstriert auf Grund von Präparaten den ‘Ausgang in
Skelettierung durch autolytische oder heterolytische Prozesse beziehungs-
weise bei der schnell erfolgenden Form der Skelettierung durch den
Bacillus aerogenes capsulatus. Weiterhin erläutert er die Mumifikation
und die Lithopädionbildung. Sichere intrauterine Lithopädien sind bis
heute nicht beschrieben. Eine Erklärung, wieso es im einzelnen Falle
von ektopischer Gravidität zur Verkreidung, im andern zur Skelettierung,
im dritten zur Eintrocknung kommt, steht noch aus.
H. Kamnitzer stellt zwei Fälle von Lues hereditaria vor,
welche durch Salvarsan ihre lange bestehenden beziehungsweise sehr
schweren Erscheinungen prompt verloren, und einen Fall von Hydro-
cephalus syphiliticus bei einem vier Monate alten Kinde vor. Die
Feststellung der Aetiologie ist in dem letzteren so seltenen Falle wegen
der Möglichkeit der Ausheilung durch specifische Kuren wichtig. Wechsel-
mann bezweifelt nicht, daß die subcutane Salvarsaninjektion wirksamer
ist als die intravenöse. Bei jener hat er keine Rezidive in zwei Jahren
gesehen und erblickt gerade in der durch Infiltration oder Nekrose be-
dingten langsamen Resorption des Mittels einen Vorteil der therapeu-
tischen Beeinflussung. Er erwähnt einen sechs Jahre lang vergeblich be-
handelten Fall von Lues maligna (Penisabfaulung), bei der dreimalige mit
Nekrose einhergehende Salvarsaninjektion ausgezeichnetes Heilresultat
erzielte. Nöggerath warnt vor der subeutanen oder intramuskulären
Applikation des Salvarsans bei Säuglingen, da nach wirksamen Dosen
häufig schwere Nekrosen entstehen. In Kombination mit Quecksilber ist
aber Salvarsan dann durchaus anzuraten, wenn man 68 intravends und
wiederholt injiziert in Schädelvenen, eventuell auch in Hand- und Fuß-
rückenvenen. Jetzt wird so verfahren, daß 0,1 g Salvarsan in heißer,
eben sterilisierter 8°/oiger Kochsalzlösung und ebensolcher Natronlauge
ad 2,0 gelöst und bei sonst gesunden Kindern mit Pravazscher Spritze
injiziert wird; bei schwächeren werden 3, 5-8 mg per Kilogramm
Körpergewicht appliziert. Ein Vorteil der Salvarsanbehandlung überhaupt
besteht darin, daß die äußeren Erscheinungen (wenn auch nicht immer)
schneller zurückgehen als bei Quecksilber, wodurch die Infektiosität
solcher Kinder bald beseitigt wird. Wechselmann hat bei Säuglingen
fortgesetzt die subcutane Injektion des Salvarsans angewendet. Die Ne-
krosen entstehen durch zu große Konzentration der Lösung. Jene sowie
Infiltrate und Abscesse bleiben fort, wenn man verdünnte, leicht alkalische
Lösung benutzt, also von Sol. 0,1:50 (30) 10 bis 20 cem einspritzt. Bel
den Säuglingen erscheint im Gegensatz zu Erwachsenen die Verbindung
mit der Schmierkur angezeigt, weil es schwer ist, bei der bestehenden
Spirochätenseptikämie genügend viel Salvarsan zuzuführen. W.Fried-
länder: Die Methode der Wahl für Erwachsene sollte jetzt die intra-
venöse bleiben. Lediglich bei abnorm engen Venen und geschwächtem
Herzen kommt als Ersatz die subcutane Applikation in Frage, und zwar
Injektion stark verdünnter schwach alkalischer Lösung (0,2—0,8 : 100—200)
zwischen die Scapulae.
Hans Māhsam: Nach Prinzipien von Wilhelm Böhm kon-
struierter Apparat zur bequemen Destillation und Sterilisation VOR
Wasser für den Gebrauch zur Salvarsaninjektion in der Sprech-
stunde. Die Wasserkühlung wird durch Vergrößerung der Oberfläche
. der Vorlage gesteigert. Da alle Einzelteile (Retorte, Vorlage, Meßgefäße) .
m nn
11. August,
aus bestem Jenaer Glas hergestellt werden, läßt sich die Sterilisation
direkt in der Flamme vornehmen. Auch das Kochsalz wird in dieser
Weise sterilisiert. Im Anschluß daran erwähnt M. Versuche zur Be-
stimmung der individuellen Empfindlichkeit gegenüber Salvarsan. Die
Blutkörperchen verschiedener Menschen werden verschieden schnell von
Salvarsan gelöst. Er empfiehlt Versuche an einem großen Material und
Vergleich mit dem Auftreten von Schüttelfrost und andern häufigen
Folgeerscheinungen. In einer Reihe von Fällen läßt sich nach intra-
venösen Salvarsaninjektionen das Spektrum des Blutfarbstoffs im Urin
nachweisen. W. Friedländer hat die Forderung der Sterilisierung mit
Hilfe eines von der Firma F. M. Lautenschläger (Berlin) gebauten Apparats
erfüllt. Bei diesem steigt der Wasserdampf in eine Glaskugel, die von
außen gekühlt wird; infolgedessen fließt Wasser in flüssiger Form in
ein Außengefäß. Die Salvarsan-Kochsalzlösung soll isotonisch, die
15°%/,ige Natronlauge immer frisch sein.
W. Alexander: Fall von Diplegia facialis bei einem
neunjährigen Knaben mit Geschmackstörung, Gaumensegelparese und
schwerster Entartungsreaktion. Weahrscheinlichkeitsdiagnose: Bulbäre
Poliomyelitis.
Wechselmann: Die Besorgnis vor Ueberempfindlichkeit bei
Salvarsaninjektion veranlaßte Ehrlich zur Einführung einer einzigen
Dosis magna, da er bei wiederholten kleinen Gaben Vergiftung befürchtete.
Meist kann man beliebig oft Dosen von 0,6 in kurzen Zwischenräumen,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. | 1335
ohne anaphylaktische Erscheinungen hervorzurufen, injizieren; anderseits
sieht man hier und da schon nach einer einmaligen subcutanen oder
intramuskulären Injektion am fünften bis achten Tage Ueberempfindlichkeits-
erscheinungen, bestehend in hohem Fieber und masern-scharlachähnlichem
Exanthem. Es hängt dieses nicht von einer Zersetzung des Salvarsans
in den Depots ab; denn es kommt auch bei den intravenösen Injektionen
zu denselben Erscheinungen. Solche überempfindlichen Individuen können
weiterbehandelt werden, wenn man zirka drei Wochen mit der zweiten
Injektion wartet. Daneben gibt es Ueberempfindlichkeit, welche sich in
bedrohlich aussehenden Erscheinungen im Moment der Injektion äußert,
diese zeigen sich in zwei Typen. Bei dem einen beobachtet man plötz-
liche Angst, Spannung im Schädel, Schwellung und Rötung des Gesichts,
Husten, Zwerchfellkrampf, bei dem andern tritt nach. der Injektion
kolossale Schwellung der Augenlider, der Zunge in Art des Quincke-
schen Oedems ein. Der Puls ist meist gut, der Eindruck, als ob es sich
um embolische Prozesse handele, weicht bei dem schnellen Verschwinden
derartiger Symptome bald. Die Beeinflussung des Pulses, erst Brady-
kardie, dann Tachykardie, die vasomotorischen Phänomene scheinen eine
Einwirkung auf das Gefäßcentrum in der Medulla oblongata beziehungs-
weise eine Reflexwirkung seitens des Herzens (Nervus depressor) wahr-
scheinlich zu machen: der größte Teil der Patienten, welche diese Er-
scheinungen zeigten (unter 15000 nur 10 Fälle), hatte sichere Hirnlues,
andere wiesen an und für sich eine Labilität des Vasomotorenapparats auf.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versieherungsmedizin.
Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei nachgewiesener
Fahrlässigkeit des ärztlichen Hilispersonals.
‚Ein vor kurzem von der Breslauer Strafkammer gefälltes
Urteil gegen einen Arzt und der diesem zugrunde liegende Sachverhalt
seien in folgendem kurz wiedergegeben: Die Hebamme L. erkannte, zur
Hilfeleistung bei der Entbindung der Musikerfrau H. herbeigerufen, daß
ein ärztlicher Eingriff erforderlich sei. Auf telephonische Benachrichti-
gung der Universitäts-Frauenklinik erschien der dortige, durch Sorgsam-
keit und Gewissenhaftigkeit bestens bekannte Assistenzarzt Dr. K. mit
einem jüngeren Kandidaten der Medizin. Er überzeugte sich von der
Notwendigkeit der Anwendung der Zange, um das Kind zu retten, und
schritt sofort zu der jedem Akt der Geburtshilfe vorausgehenden Des-
infektion. Diese muß sowohl bei der Gebärenden, wie bei den dabei
manipulierenden Personen erfolgen. Dr. K. übergab dazu, wie stets bei
gleichartigen Gelegenheiten, der Hebamme eine von ihm mitgebrachte,
grünlichblaue Quecksilberoxycyanatpastille mit der Weisung: „Lösen Sie
das m einem Liter Wasser auf“, und fing darauf an, seine eignen Hände
in einer im Wochenzimmer stehenden Waschschüssel mit Seife zu reinigen.
Die Hebamme begab sich inzwischen in die nebenan gelegene Küche, wie
der Arzt annahm, um dort in einer andern Schüssel, seiner Weisung ge-
mäß, die Desinfektionspastille in Wasser aufzulösen. Er stand, seine
Hände waschend, noch mit dem Rücken gegen das Bett der Wöchnerin,
als die Hebamme ins Zimmer zurückkam. Sie hatte in der Küche die
Pastille nicht aufgelöst, sondern ein Glas Wasser geholt und gab der
öchnerin die Pastille innerlich ein. Der Arzt hörte die Aeußerung:
„Ich kann nicht hinunterschlucken“ und rief, ohne eine Ahnung von dem
a uk Vorgange, der Hebamme zu: „Geben Sie der Frau jetzt nicht
altes Wasser!“ Erst als er einige Minuten später sich mit der Frage:
„Wo ist das desinfizierte Waschwasser?‘‘ umdrehte, wurde der verhäng-
en l Irrtum bemerkt. Trotz aller sofort angewandten energischen
egenmittel starb die unglückliche Frau an den Folgen der durch die
astille hervorgerufenen Quecksilbervergiftung. Die Hebamme erklärte,
= dem einen Ohr etwas schwerhörig zu sein, sie habe die Anweisung
88 Arztes dahin verstanden: ,G@eben Sie diese Pastille auf ein bissel
i are ‚ und sei in ihrem Irrtume, sie solle sie der Wöchnerin inner-
ca eingeben, durch den Umstand bestärkt worden, daß sie in ihrer
A zur Desinfizierung des Waschwassers rosafarbene Sublimatpastillen
i en gewöhnt sei, die seit einiger Zeit in der Frauenklinik ver-
endeten Quecksilberpastillen aber nicht gekannt habe. Hätte sie die
P e des Arztes richtig verstanden, so erklärte sie ausdrücklich,
i © sie den Irrtum nicht begangen, denn natürlich habe sie gewußt,
man „einen Liter Wasser“ nicht zum Eingeben, sondern nur zum
ten benutzen könne. — Das Gericht verurteilte auf Grund dieses
caverhalts die Hebamme zu 14 Tagen, den Arzt zu einem Monate Ge-
ngus wegen fahrlässiger Tötung. Die Gnade des Königs hat dem-
nächst, auf Grund eines von der gesamten medizinischen Fakultät der
Königlichen Universität Breslau, den Vorstandsmitgliedern der dortigen
Gynäkologischen Gesellschaft und des Vorstandes des Breslauer Aerzte-
voreins eingereichten, warm befürwortenden Immediatgesuchs die gegen
Dr. K. erkannte Gefängnisstrafe in eine i4tägige Festungshatt umge-
wandelt, nachdem das Reichsgericht die von ihm eingelegte Revision ver-
worfen hatte.
Anschließend hieran sei noch mitgeteilt, daß der Jurist Geheimrat
Dr. Kohler in einem Artikel „Ein gefährlicher Beruf“ vorstehendes
Urteil, soweit es den Arzt betrifft, rückhaltlos als ein „unrichtiges“ be-
zeichnet, während Reichsgerichtsrat Ebermayer in der „D. med. Woch.“
sich zum Verteidiger des Urteilspruchs aufwirft. Ganz besonders günstig
und der Auffassung ärztlicher Kreise am meisten entsprechend erscheinen
die Ausführungen des Geh. Med.-Rats Dr. Küstner, Direktor der König-
lichen Universitäts-Frauenklinik zu Breslau, ein Aufsatz, der die bezeich-
nende Ueberschrift trägt: „Ueber die Mitschuld des Arztes bei Verstößen
von Hilfspersonen“. In gleicher Weise spricht sich der in Rechtsfragen
besonders erfahrene Justizrat Dr. Mamroth (Breslau) aus, dessen ein-
gehende Darlegungen in der „Berliner Vossischen Ztg.“ vom 28. Juli
1912 abschließend dahin ausklingen:
„ich weiß nicht, ob ein ähnliches Urteil möglich gewesen wäre,
wenn es sich etwa um eine bautechnische, chemische oder physikalische
Frage gehandelt hätte; medizinischen und auch psychologischen Fragen
gegenüber — ich denke dabei insbesondere an die wichtigen, an der
Praxis der Gerichte so gut wie spurlos vorübergegangenen Untersuchungen
über die Psychologie der Zeugenaussagen von Prof. Stern und Andern
— ist, das scheint mir nach vielfachen Erfahrungen festzustehen, ein sehr
geringes Aufklärungsbedürfnis bei unsern Richtern vorhanden. Es ist,
als ob sie befürchten, daß durch die neuen Lehren, die diese Wissen-
schaft gefunden, an den altbewährten und — bequemen Stützen unserer
Strafrechtspflege gerüttelt werden könne, und als ob, gerade der Medizin
gegenüber, den Juristen noch immer aus der Zeit her, wo die Juris-
prudenz noch eine fremdsprachige Geheimwissenschaft war, eine Ueber-
schätzung des eignen Scharfblicks im Blute säße, Weil sie die der Er-
kenntnis des Arztes offenliegenden Bedenken nicht sehen, glauben sie,
daß solche gar nicht vorhanden, und weil sie sich bewußt sind, ibre
Prüfungspflicht bis zur Grenze ihrer Erkenntnis auszuüben, haben sie
keinen Zweifel, ehrlich ihre Pflicht zu erfüllen. Die Anzeichen mehren
sich, daß eine neue Zeit such für die freiere, universellere Entwicklung
unserer Rechtsprechung heraufdämmert. Möge sie mit dem Staub aus
den Perücken auch aus den Köpfen den Rest der alten Wagner-Weisheit
hinwegwehen, die der Famulus dem Faustschen Drange nach Erkenntnis
entgegenstellt:
Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!
Tut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?“ Fr.
E
i
THE
1336 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32.
Beisebriefe.
Studienreise eines deutschen Chirurgen nach den
Vereinigten Staaten!)
von
Dr. Liek, Danzig.
| L
Die deutsche Chirurgie ist seit Jahrzehnten an eine Führerrolle
gewöhnt. Wir sehen alljährlich fremde Aerzte in großer Zahl zu uns
kommen, um besonders in den chirurgischen Centren Berlin und Wien
ihr Wissen zu bereichern. Wenngleich demnach für den deutschen
Chirurgen nach landläufiger Ansicht kein rechter Grund vorliegt, ins
Ausland zu gehen, so kann es nach anderer Richtung hin doch immer
nur von Vorteil sein, gerade dort, wo die Chirurgie schon bald ihre
eignen Bahnen einschlug und auch eine von der unsrigen weit ab-
weichende Art des Praktizierens statt hat, sich umzusehen und damit
Verständnis für die Kollegen jenseits „des großen Teiches“ überhaupt zu
gewinnen.
Es ist weniger meine Absicht, hier einen ausführlichen Bericht
über das von mir unlängst in Amerika Gesehene zu geben. Mir liegt
mehr daran, einige allgemein gültige Gesichtspunkte hervorzuheben und
dabei gleichzeitig die nur zu häufig in Deutschland vernehmbare Frage
zu beantworten: Lohnt es wirklich, sich die Amerikaner anzu-
sehen oder ist es nur gewissermaßen jetzt Mode geworden,
drüben gewesen zu sein?
So viel ich auch dem Besuche der Kliniken und den Mitteilungen
der führenden Chirurgen verdanke, möchte ich doch vor allem die mehr
allgemeinen Aussprachen mit Kollegen, die drüben in der freien Praxis
stehen, in meinen Erinnerungen nicht missen. Ueberall trifft man präch-
tige Leute aus den verschiedensten Teilen Amerikas. Das gemeinsame
Ziel, etwas zu lernen, bringt ähnlich wie in unserer Studentenzeit schnell
einander näher. In diesen kollegialen Aussprachen — ich denke dabei
besonders an die angeregten Diskussionen im surgeon’s club in
Rochester und an die gemütlichen Abendunterhaltungen in der ge-
räumigen Lobby des Hotel Cook — wird dann das einzelne Wort nicht
auf die Goldwage gelegt, und an manchem freimütige Kritik geübt. Ich
habe auf diese Weise viel gelernt und manche Anschauung korrigiert.
Das Lernen an den Kliniken Amerikas wird dem Besucher sehr
erleichtert durch das schlichte Wesen und die herzgewinnende Gastlich-
keit des gebildeten Amerikaners. Der Begriff des „großen Tiers“ ist
„drüben“ unbekannt, es gibt weder Geheimräte noch Exzellenzen. Nirgends
empfindet man in Amerika die tiefe Kluft, die bei uns nicht selten
zwischen Chef und Assistenten, zwischen dem berühmten Leiter des
Krankenhauses und dem namenlosen Besucher klafft.
Die ungeheuren Entfernungen seines Landes haben den
Amerikaner daran gewöhnt, einen andern Maßstab anzulegen als wir;
eine drei-, vier-, ja fünftägige Reise ist ihm kein Hinderungsgrund,
einen namhaften Chirurgen aufzusuchen, um ihn am Werke zu sehen.
Von einer Reise nach Europa wird nicht mehr Aufhebens gemacht, als
_ wenn unsereins an den Rhein oder an die Riviera fährt. Wie oft hört
man, daß ein Kollege zu achttägigem Aufenthalte nach Paris, ein anderer
für zehn Tage nach London gegangen ist, um sich an Ort und Stelle
über eine ihn interessierende Frage zu orientieren.
Neben den allgemeinen Chirurgenkongressen, von denen
wie bei uns unendlich viel Fortschritte und Anregung ausgehen, neben
lokalen Vereinen, die durch Vorträge und Demonstrationen ihre Mit-
glieder weiter fortbilden, gibt es in Amerika kleinere Chirurgen-
verbände, deren Arbeit als ganz besonders wertvoll angesehen wird.
Der eine umfaßt nur 36 Mitglieder, Lehrer der klinischen Chirurgie. Die
Mitgliedschaft erfolgt durch Wahl und mit 55 Jahren scheidet jedes Mit-
glied aus, um jüngeren Kräften Platz zu machen. In diesem Jahre z. B.
trifft dieses Schicksal Murphy, einen ideenreichen Mann auf der Höhe
seiner Kraft, der nebenbei als der beste klinische Lehrer in Amerika ge-
rühmt wird. Es gilt auch als selbstverständliches Erfordernis, daß
jeder amerikanische Arzt einen Teil des Jahres seiner Fortbildung
widmet. Jeder namhafte Chirurg kennt die Kliniken sgines Landes, die
Arbeit seiner Fachgenossen aus eigner Anschauung, sehr viele auch die
Europas.
Aus dieser konstanten gegenseitigen Belehrung erklärt sich
auch leicht eine gewisse Gleichförmigkeit: Ueberall sieht der Besucher
die gleiche Ausstattung und Organisation des Operationssaals, eine gleich-
mäßig gute Asepsis, eine große Uebereinstimmung der technischen Maß-
nahmen. Die eminent praktische Begabung des Amerikaners kommt
aber auch der Chirurgie zugute; sie sorgt dafür, daß an der Vervoll-
1) Nach einem Vortrag im Aerztlichen Verei í
18. April 1912. g 1l rztlichen Verein zu Danzig am
11. August.
kommnung der Methoden rastlos und erfolgreich gearbeitet wird und so
der Besucher immer wieder etwas Neues vorfindet.
Was kann nun der ärztliche Besucher in der kurz be-
messenen Zeit seines Aufenthalts alles sehen? Er besucht zu-
nächst die Arbeitsstätten der Chirurgen, eine Reihe von guten, zum Teil
sehr luxuriös ausgestatteten Hospitälern. Als Beispiel für diese Marmor-
paläste nenne ich das Mount Sinai-Hospital in New York und das
Michel Reese-Hospital in Chicago. Als eine musterhaft eingerichtete
Privatklinik in landschaftlich prächtiger Umgebung das Corey Hill-
Hospital in Boston. Wer unsere neuen großen Krankenhäuser, z. B.
das Eppendorfer, das Virchow-Krankenhaus in Berlin, aber auch unser
prächtiges, neues städtisches Lazarett in Danzig kennt, wird mit mir
finden, daß wir einen Vergleich sehr gut aushalten können. Nach meinem
Geschmack sind unsere modernen Krankenhäuser mit ihrer weitläufigen
Aulage, die Häuserblöcke von Rasenflächen und Baumschmuck unter-
brochen, freundlicher und schöner als die mehr nach oben gehenden .
amerikanischen Hospitäler, bei deren Anlage der Platz aufs äußerste aus-
genutzt werden mußte. Die erstklassigen Hospitäler, die man drüben
sieht, werden aus Privatmitteln unterhalten. Was man von kommu-
nalen Hospitälern, selbst in ganz großen Städten, sieht, reicht nicht im
entferntesten an unsere städtischen Krankenhäuser heran.
Die innere Einrichtung deckt sich größtenteils mit unsern
Verhältnissen. Einiges, was mir auffiel und vielleicht nachahmungswert
ist, führe ich hier gleich an: Ueberall sind neben den Wärmeleitungen
besondere Kälteleitungen, die den Eisschrank entbehrlich machen. Der
Ueberschuß von Kohlensäure der Eismaschine wird gelegentlich (z. B.
im Mount Sinai-Hospital) zur Fabrikation von Selterwasser benutzt,
das in eigner Leitung überall zur Verfügung steht. Neben den großen
Krankensälen (wards) sind überall reichlich Einzelzimmer vorgesehen, für
Frischoperierte (recovery rooms) und Schwerkranke. Auf den Sälen wird
reichlich Gebrauch gemacht von Bettschirmen (screens), so bei jedem
Verbande. Die Betten sind auch viel höher als die unsern, was den
Schwestern die Pflege, dem Arzte die Untersuchung und den Verband-
wechsel sehr erleichtert.
Die Privatpatienten, meist in eignen Gebäuden untergebracht,
tragen durch hohe Pensionspreise (25 bis 100 Dollars die Woche), weit
über die Selbstkosten hinaus, erheblich zum Unterhalte des Hauses bei.
Wie wenig der gutsituierte Amerikaner seinen Komfort auch im Kranken-
hause missen mag, sieht man daraus, daß neben der Centralheizung in
vielen Privatzimmern Kamine eine behagliche Stimmung verbreiten; in
den modernen Bauten ist auch meist ein eignes Bad dem Zimmer an-
gegliedert. Was mir weniger gefiel, waren die überall vorhandenen ein-
fachen Schiebefenster, die in dem harten Winter viel Kälte und Zug ins
Zimmer ließen. In allen Krankenhäusern sieht man zahlreiche Frei-
betten, wie überhaupt wohlhabende Patienten beziehungsweise deren
Angehörige sehr häufig erhebliche Stiftungen, z. B. für die Laboratorien,
Kinderabteilungen usw. zugunsten des Krankenhauses machen. Viel mehr
als bei uns gilt es als nobile officium reicher Leute, Geld für Hospitäler
herzugeben.
Den meisten Hospitälern sind umfangreiche, zum Teil glänzend
ausgestattete Polikliniken (dispenseries) angegliedert. Es sind alle
Spezialfächer vertreten, die Zahl der täglich versorgten Patienten erreicht
zum Teil enorme Ziffern; so werden im Mount Sinai-Hospital täg-
lich 800 bis 1000 poliklinische Patienten abgefertigt, die Poliklinik des
deutschen Hospitals in New York wird jährlich von 35000 neuen Pa-
tienten aufgesucht. Jede Konsultation kostet, Verband und Medi-
kamente einbegriffen, 10 Cent. Unbemittelten wird der Betrag erlassen,
wie vielfach auch die Kosten für stationäre Behandlung (auf den wards
1 Dollar den Tag).
Glänzend und in vieler Hinsicht vorbildlich ist die innere Or-
ganisation. Schreibmaschinen, Diktographen, reichlich vorhandene
weibliche Hilfskräfte nehmen den Aerzten viel zeitraubende, mechanische
Arbeit ab. Ueberall sind genügend Hilfsärzte vorhanden, desgleichen die
ausgezeichneten Schwestern, die in eignen Schulen in dreijährigen Kursen
ausgebildet werden.
In einzelnen Hospitälern wechseln zwei Chefärzte halbjährlich den
Dienst. Es wird jedoch allgemein diese Anordnung als unzweckmäßig
empfunden und allmählich abgeschafft. Mit 65 Jahren scheidet jeder
Krankenhausarzt aus.
l Jedes Krankenhaus mit durchschnittlich 2 bis 300 Betten hat
seinen eignen pathologischen Anatomen und seinen eignen Röntgenologen,
vielfach noch speziell vorgebildete Laboratoriumsleiter für physiologische
Chemie usw.
Die eigentlichen Arbeitsstätten unserer Fachgenossen, die Opera-
tionssäle, haben mir kaum etwas gezeigt, was nicht auch bei uns vor-
handen wäre. Sieht man von dem reichlich vorhandenen Marmor ab, 50
scheinen mir unsere Operationssäle meist opulenter ausgestattet. Ueberall
11. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 32. 1337
Doo aa Ne EEE aa a SENSE ENTER SERIE a
trifft man eigens konstruierte fahrbare Sitzgelegenheiten für zu-
schauende Aerzte an, wie ich sie bei uns bisher nur bei James Israel
(Berlin) gesehen habe.
Als Beleuchtung findet in letzter Zeit drüben der künstliche
Sonnenstrabl nach Siedentopf-Krönig wie bei uns immer mehr Eingang.
Interessanter als die Arbeitsstätten sind uns die Männer und ihr
' Werk. Zwei Dinge werden jedem Besucher sofort auffallen, die aus-
gezeichnete Asepsis und die guten Narkosen.
Die Asepsis ist überall, wo man auch sei, gleich gut, die asep-
tischen Maßnahmen sind überall ungefähr dieselben. Schon das beweist
den innigen Konnex der Chirurgen untereinander. Wir können hier sicher
mancherlei lernen. Einige der aseptischen Maßnahmen hebe ich hervor:
Das Waschen erfolgt nur in sterilem Wasser; in jedem Vorbereitungs-
raume stehen zwei boiler mit heißem und kaltem sterilen Wasser. Sämt-
liche Schalen, z.. B. diejenigen zum Händeabspülen während der Opera-
tion, die Eiterbecken, kurz alles, was mit dem Kranken irgendwie in
Berührung kommen könnte, wird ausgekocht. Ein großer Sterilisator
für derartige Objekte findet sich im Vorbereitungsraume neben dem In-
strumentenkocher. Die Arme sind stets mit sterilen Aermeln ganz be-
deckt, überall wird Mütze und Mundmaske benutzt. Ebenso allgemein
ist der Gebrauch von Gummihandschuhen, die dicker sind als unsere und
chagriniert, daher weniger schlüpfrig. Nur Ochsner sah ich alle asep-
tischen Operationen mit bloßen Händen ausführen. Die Desinfektion
des Operationsfeldes geschieht meist nach der Fürbringerschen
oder ähnlichen Methoden. Hier und da begnügt man sich mit dem
alleinigen Jodanstrich. Das Operationsgebiet wird stets sehr sorgfältig
in vielen Schichten abgedeckt, der Narkotiseur oft durch einen mit sterilem
Tucho bespannten Stahlbügel vom Operationsgebiet abgetrennt, was auch
seine Aufmerksamkeit weniger ablenken muß. Nachahmungswert ist die
Behandlung der infizierten Verbandstoffe. Sie werden im Ope-
rationssaale sowie auf den Stationen direkt in große Papierdüten getan,
die dann geschlossen in den Ofen wandern. Aehnlich einwandfrei ist das
Verfahren mit der schmatzigen Wäsche auf den Krankensälen. Das Ver-
bandmaterial wird für jeden einzelnen Verband in eignen Päckchen steri-
lisiert, nicht einer großen Trommel entnommen. Das Verbinden ge-
schieht größtenteils auch mit Gummihandschuhen. Die aseptischen Maß-
nahmen machen nicht Halt vor dem zuschanenden Arzt, ihm wird
ein ärmelloser, am Halse anschließender Rock übergezogen, der jeden
Versuch unerwünschter Hilfe von vornherein vereitelt.
Aerztiiche Tagesfragen.
Edmund v. Neusser +.
(1852 bis 1912).
Was die gesamte medizinische Welt seit Monaten tiefbewegt
kommen sah, was Schiller, Kollegen und Freunde angstvoll gefürchtet,
das traurige, unabwendbare Ereignis hat sich vollzogen. Neusser ist
von dem tückischen Leiden hingerafft, das ihn seit Jahresfrist seinem
Berufe, seiner wissenschaftlichen und didaktischen Arbeit entzogen und
zu schwerem Martyrium verurteilt hat. Kaum 60 Jahre alt, auf der Höhe
seines Schaffens ward er abberufen aus großem, fruchtbarem Wirkungs-
kreis, dem er sich hingebend gewidmet, aus einem Leben, das köstlich
war, weil es reiche Arbeit gewesen, aus dem glücklichen Kreise seiner
ihn vergötternden Familie, der ihn bewundernden Freunde, dankbarer
Kranker, nacheifernder Schüler. Groß ist die Lücke, die dieses Sterben
hinterläßt. Hat doch Neusser die besten Qualitäten des klinischen
Lehrers, des trefflichen Beobachters und Diagnostikers, des wissenschaft-
lichen Arbeiters und humanen Arztes in sich vereinigt.
,‚ Edmund v. Neusser ist am i. Dezember 1852 zu Swozowice
(Galizien) geboren, promovierte 1877 in Wien und arbeitete zunächst als
Sekundararzt der internen Abteilung Drasches, dem das Verdienst ge-
ührt, die ungewöhnlichen Anlagen seines Hilfsarztes erkannt und dessen
Lebensweg gefördert zu haben. 1880 bis 1888 wirkte Neusser als
Assistent der von v. Bamberger geleiteten II. medizinischen Klinik,
habilitierte sich 1888 und supplierte Bambergers Lehrkanzel nach dessen
ya selben Jahr erfolgten Tode. 1889 bis 1893 war der Verblichene
Dr einer internen Abteilung der Rudolfstiftung und wurde als
Avatdozent 1893 Nachfolger des früh verstorbenen Kahler, ordent-
cher Professor der internen Medizin und Direktor der II. medizinischen
Fan Hier lehrte er 18 Jahre lang in seiner von der Schablone so
anden Weise. Systematische akademische Vorträge hat er seinen
: reichen Hörern nicht geboten; wohl aber hat er sie gelehrt, Symptome
U erfassen und zu gruppieren, die Diagnose aufzubauen, differential-
Ne ostisch zu klären und wertvolle Winke für die Therapie zu geben.
rg: hat das klinische Bild nicht subtil ausgeführt; er hat es in
= u Zügen entworfen, gleich jenen Meistern des Pinsels, die mit
mgen Strichen das Charakteristische eines Porträts skizzieren, Klein-
arbeit verschmähend. Obgleich kein Redner, hat es Neusser verstanden,
‘mit einem Worte, einer Wendung Licht zu bringen in scheinbar dunkle,
verworrene Krankheitsfälle, und stets lauschten seine Schüler aufmerksam
den schlichten, leisen Worten des Klinikers, die ihnen so oft zur Offen-
barung werden sollten.
Die Arbeiten Neussers imponieren durch großen Fleiß und seltene
Gründlichkeit. Seine Untersuchungen über Pellagra, die klinischen Ar-
beiten zur Blutpathologie wie die im letzten Dezennium herausgegebenen
Monographien über Diagnostik von Nervenkrankheiten sind von bleiben-
dem Werte. Zweifelsohne ruhen noch manche literarische Produkte seiner
Feder in den Mappen des der Veröffentlichung überängstlich abholden
Klinikers. Zahlreiche engere Schüler Neussers — wir nennen nur
Ortner, Chvostek, Türk, R. Schmidt, A. Klein, v. Stejskal —
wirken in leitenden Stellungen, die beiden erstgenannten als Vorstände
zweier Parallelkliniken Wiens. l B.
Erinnerungen an Hermann Senators Jugendiahre.
(1834 bis 14. Juli 1911).
Senators Heimatstadt Gnesen war die Krönungsstadt der alten
polnischen Könige. Fern lag sie damals von der breiten Heerstraße des Lebens,
umgeben von sieben Hügeln, „die Siebenhügelstadt des Ostens“. — Noch er-
innerte sich Senator, wie die Schlachtschitzen, phantastisch geschmückt,
von den Edelsitzen zur Stadt eilten, und er schätzte ihre ritterliche Art.
Dennoch entging ihm nicht das Verderbliche ihres extremen Individualis-
mus: „Ich widerspreche dem Reichstag, Mehrheit ist der Unsinn. Ver-
stand ist stets bei Wenigen nur gewesen.“ „Liberum veto.“ — Als durch
russische Intrigen das Polenreich dem Untergange entgegengeführt, und
seine Teilung notwendig geworden war, votierten Senators Vorfahren
für Friedrich den Großen. Er folgte ihren Spuren, als er das deutsche
Wilhelms-Gymnasium der Provinzialhauptstadt Posen wählte, um
daselbst seine Schulung zu vollenden. Damals stand das deutsche Philo-
logentum in höchster Blüte. Unter Führung von Friedrich August
Wolff, Carl Lachmann, August Boeckh und Moritz Haupt
trat es in seine zweite Renaissance. War es ein Zufall, daß aus dem
Abiturientencoetus, dem Senator als Primus omnium angehörte,
vier Männer hervorgingen, die nachmals zu Bedeutung gelangten? Se-
nator, der Kliniker, Philipp Munk, der Physiologe, Lazarus Fuchs,
der Mathematiker, Mittenzweig, der Jurist.
Als Senator nach Berlin kam, bot die Residenz den Eindruck
einer weltfremden Provinzialstadt: Die Straßen fast menschenleer, frei
von den Öffentlichen Verkehrsmitteln, die der heutigen Großstadt das
geräuschvolle Gepräge geben, der Staat infolge der napoleonischen Kriege
verarmt, durch die Schmach von Olmütz in seiner Großmachtstellung be-
droht. Bismarck begann als Gesandter am Frankfurter Bundestag seine
Fittige zu regen, die große Zeit der Wilhelminischen Aera hatte noch
nicht ihren Anfang genommen.
Das medizinische Berlin empfing seine Signatur durch drei Männer:
Johannes Müller, Schönlein und Langenbeck. Müllers über-
ragende Bedeutung war unbestritten. Als Sohn des Rheinlandes ver-
einigte er in seiner Person den Geist französischer Aufklärung mit
deutsch-katholischen Tendenzen. Müllers Institut, dem Senator als
Famulus angehörte, lag hinter der Garnisonkirche, in ländlicher Einsam-
keit. Hier waltete er mit seinen Getreuen: Schlemm, Schwann, Du
Bois und Pflüger. Senator besaß für die große Persönlichkeit des
berühmten Physiologen vollkommene Schätzung. Dennoch tadelte er, daß
Müller bei Anwendung der Zitate nicht die erforderliche Sorgfalt go-
brauchte. An der Hand seines Kollegheftes, das aus dem Jahre 1854
datierte, konnte Senator nachweisen, daß Müller die Zellenstudien `
seines Assistenten Schwann sehr eingehend erörterte, während er die
Arbeiten Virchows nicht erwähnte. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß für diese Unterlassung nicht sachliche, sondern persönliche Gründe
entscheidend waren. |
Als Senator in die klinischen Lehr- und Wanderjahre trat, hatte
Schönlein den Zenith seiner Bahn bereits überschritten, während Rom-
berg als klassischer Kliniker imponierte: Senator blieb bemüht, diesem
großen Arzte nachzueifern. — Nach beendetem Studium widmete er sich
der Praxis, Senator wurde dadurch nicht gehindert, an den Fort-
schritten seiner Wissenschaft Anteil zu nehmen. Nachdem es ihm ge-
lungen war, die Lehre vom Fieber, die damals das Interesse vieler medi-
zinischer Forscher fesselte, entscheidend zu fördern, wurde er auf drin-
gende Empfehlung seines Freundes E. Küster zur Leitung des Augusta-
Hospitals berufen. Nunmehr trat er in die Epoche seines klinischen
Wirkens. mr
In Mußestunden widmete sich Senator religionsphilosophischen
Betrachtungen; auch fand er für die Emanzipation unterdrückter Völker
flammende Worte. Ehre seinem Andenken! Dr.E. Saul (Berlin).
%
a a E T
Be mn
1338 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 82.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
‚. Berlin. Die Zahl der Medizinstudierenden im Deutschen
Reiche steigt trotz aller Warnungen unaufhaltsam weiter. Nach der
neuesten Universitätsstatistik beträgt sie im gegenwärtigen Sommer-
semester 13409 gegen 11927 im Sommer 1911. Als vor etwa sechs
Jahren mit zirka 6000 Medizinern das Minimum dieser Zahl erreicht
wurde, genügte diese Zahl unter Berücksichtigung des im letzten Jahr-
zebnt im Deutschen Reiche beobachteten Bevölkerungszuwachses, um die
Aerztedichtigkeit auf dem für einen Kulturstaat ausreichenden Normal-
stand von 1:2000 zu erhalten. Da die Zahl der Medizinstudierenden von
diesem Minimum aus, das vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus schon
eine Normalzahl darstellte, um zirka 220% gewachsen ist, ist in den
nächsten Jahren eine enorme Ueberproduktion von Aerzten zu erwarten,
eine Tatsache, die zusammen mit der gleichzeitig in Kraft tretenden
Reichsversicherungsordnung und der dadurch bedingten gewaltigen Aus-
dehnung des in die staatliche Krankenversicherung einbezogenen Teils
der Bevölkerung schon jetzt zu den ernstesten Befürchtungen Anlaß gibt.
— Im Preußischen Sanitätskorps werden mit Oktober dieses
Jabres neue etatsmässige Stellen eingerichtet, über welche wir folgendes
berichten können: Neu geschaffen werden 64 Stellen für Sanitätsoffiziere,
und zwar 1 Obergeneralarzt als Sanitätsinspekteur (Rang Generalmajor),
2 Generalärzte als Korpsärzte (Rang Oberst), 2 Generaloberärzte als
Divisionsärzte (Rang Oberstleutnant), 10 Oberstabsärzte als Regiments-
ärzte (Rang Major), 18 Stabsärzte (Rang Hauptmann) und 31 Ober- oder
Assistenzärzte. Dies bedeutet, auf die 1876 preußischen Sanitätsoffiziere
berechnet, 4,6°%/, neue Stellen. Bei den einzelnen Rangklassen stellt
sich in der vorstehenden Reihenfolge das Verhältnis auf 25%, —
10-5—2,7—8,5 — und 7,3%. Die Beförderungsaussichten, die nament-
lich in den höheren Stellen sehr ungünstig sind, werden durch diese
geringe Vermehrung fast gar nicht beeinflußt. Die ältesten Generalärzte
sind acht Jahre in ihrer Stellung. die ältesten Generaloberärzte sechs,
und die ältesten Oberstabsärzte, die zur Beförderung daran stehen, be-
kleiden diesen Dienstgrad schon zehn Jahre.
— Auf einer Erholungsreise erlag in Flims, 55 Jahre alt,
einem Schlaganfalle der bekannte Laryngologe Prof. Albert Rosen-
berg, langjähriger Schriftführer der Berliner Laryngologischen Gesell-
schaft. Neben einer Reihe kleinerer Aufsätze bildet das Hauptwerk des
Verstorbenen sein in erster Auflage 1893 erschienenes „Lehrbuch der
Krankheiten der Mundhöhle, des Rachens und Kehlkopfs“. Ein kleines
therapeutisches Taschenbuch der Nasen-, Rachen- Kehlkopfkrankheiten
genießt gleichfalls weite Verbreitung.
Düsseldorf, Vom 7. bis 19. Oktober findet in Düsseldorf ein
Kursus der Krankheiten des Verdauungssystems statt, an welchem
außer den Dozenten der Akademie auch Herr Geh. Rat Prof. Dr. A.
Schmidt aus Halle einige Vorlesungen übernommen hat. Vom 22. bis
31. Oktober findet der alljährliche Kursus der Pathologie, Diagnostik und
Therapie der Herzkrankheiten der Medizinischen Klinik statt. Die
Pathologie des Reizleitungssystems wird in diesem Kursus Herr Prof. Dr.
Moenkeberg aus Gießen behandeln. Nähere Auskunft erteilt das Se-
kretariat der Akademie, Moorenstraße.
Danzig. Die kommissarische Verwaltung der durch den Tod des
Herrn Geh.-Rats Krömer in Konradstein frei gewordenen Mitglied-
stelle beim Medizinalkollegium ist dem bisherigen Inhaber der
Assessorstelle Med.-Rat Prof. Dr. Valentini in Danzig und die kom-
missarische Verwaltung der Medizinalassessorstelle dem Direktor der
Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Neustadt Herrn San.-Rat Dr. Rabbas
übertragen worden. Der letztere hat auch die kommissarische Ver-
waltung der Stelle eines psychiatrischen Mitglieds des Medizinal-Kollegiums.
Berlin. Am 9. August begeht -der Geh. Med.-Rat Dr. Gustav
Fritsch, ordentlicher Honorarprofessor an der Universität, die seltene
Feier des 50jährigen Doktorjubiläums. F. machte in jüngeren
Jahren größere Auslandsreisen, als deren Frucht er zahlreiche Abhand-
lungen anatomischen, physiologischen und anthropologisch-ethnographi-
schen Inhalts veröffentlichte. Ihm verdankt auch die wissenschaftliche
Photographie ihre Begründung, insbesondere die Mikrophötographie, welche
er durch eine Reihe praktischer Erfindungen bereicherte. F., der im
74. Lebensjahre steht, promovierte 1862 zu Heidelberg.
Halle a. S. Am 3. August feierte der Begründer der Eiektrophysio-
logie, Prof. Julius Bernstein, sein 50jähriges Doktorjubiläium. Ein
Vertreter der Berliner Universität, an der B. vor 50 Jahren promoviert
_ hatte, überreichte das erneute Doktordiplom. Im Pbysiologischen Institut
der Universität Halle fand ferner ein feierlicher Akt statt, an dem Rektor
und sämtliche Dekane sowie Vertreter fast aller deutschen Universitäten
teilnahmen. Im Anschluß hieran wurde eine von berühmten Medizinern
und Schülern B.s gestiftete Porträtplakette B.s enthüllt.
Meran. DerCentralverband derBalneologen Oesterreichs
hält im Herbste 1912 vom 11. bis 13. Oktober seinen VII. KongreßinMeran
ab. Der Kongreß soll gleichzeitig eine Ehrung des langjährigen Prä-
sidenten, jetzigen Ehrenpräsidenten. Hofrat Winternitz bedeuten und
erscheinen die Abhandlungen des Kongresses als Denkschrift. Mit Rück-
sicht auf Hofrat Winternitz’ Lebensarbeit wurde als erstes Referat-
thema gewählt: Die physiologischen Grundlagen der Hydrotherapie (Re-
ferent Prof. Dr. A. Strasser [Wien]). Das zweite Referatthema lautet:
Grundlagen der Mineralstoff- und Mineralwassertherapie (Referent Prof.
11. August.
Dr. Wiechowski [Prag]). Endlich wird von seiten des Komitees emp-
‘| fohlen, wenn möglich Vorträge aus dem Gebiete der Balneo- und Klimato-
therapie der Nerven- und Gelenkkrankheiten zu wählen. Anschließend an
den Kongreß wird eine mehrtägige Studien- und Vergnügungsreise durch
ganz Südtirol stattfinden und außerdem sind eine Reihe von Festlich-
keiten und Ausflügen von seiten der Kurvorstehung von Meran und des
Landesverkehrsrats von Tirol geplant. Kollegen als Gäste willkommen.
Anmeldungen sind zu richten an den Generalsekretär des Verbandes
Dr. v. Aufschnaiter in Baden bei Wien und werden Programme auf
Wunsch bereitwilligst ausgesandt.
Rom. Auf dem Tuberkulosekongreß in Rom wurde eine
internationale Vereinigung: Pneumothorax artificialis begründet.
Sie wird ein Verzeichnis sämtlichar Aerzte und Heilanstalten herausgeben,
welche die Therapie des künstlichen Pneumothorax ausüben. Die lang-
jährige Beobachtung und Nachbehandlung der Kranken soll dadurch er-
leichtert und damit eine bessere Verständigung zwischen den auf diesem
Gebiet arbeitenden Aerzten hergestellt werden. Die Mitgliedschaft wird
durch das Einschicken der Adresse und eines Betrags von 5 Fres an
Prof. Saugmann, Vejlefjord Sanatorium, Daugaard, Dänemark, erworben.
Paris. Die am 28. Juli 1910 in Paris begründete „Internationale
Gesellschaft für Kinderheilkunde“ ladet ein zum 1. internatio-
nalen Kongreß, der in Paris vom 7. bis 10. Oktober 1912 stattfindet.
Als Hauptthemata sind festgesetzt: die Anämien im Kindesalter vnd die
akuten Poliomyelitiden im Kindesalter. Zu offzielleu Referenten sind
Czerny (Straßburg) ‚für Deutschland, Tisier für Frankreich, Lemma
für Italien ernannt, neben zahlreichen Vortragenden aus Amerika, Bel-
gien, England, Holland, Oesterreich-Ungarn, Rußland, Spanien usw. Leb-
hafteste‘ Beteiligung der deutschen Kinderärzte wird sehr gewünscht.
Anmeldungen von Vorträgen, die bis zum 1. Oktober im Manuskript ein-
zureichen sind, werden bis zum 31. August erbeten an Dr. H. Barbier,
Paris, rue de Monceau 5, der jede Auskunft erteilt. Die französischen
Eisenbahnen werden voraussichtlich 50% Preisermäßigung den Kongreß-
teilnehmern gewähren. —
London. Der erste internationale Kongreß der Euge-
nisten hat am 24. Juli hier stattgefunden. Die „Eugenics*, wie diese `
neueste soziale Bewegung genannt wird, bezwecken die moralische und
physische Besserung des Menschengeschlechts durch den Zwang der
öffentlichen Meinung. In erster Linie soll auf die Fortpflanzung in dem
Sinn eingewirkt werden, daß sie den Familien, in denen Krankheit und
Armut herrschen, möglichst erschwert, bei gesunden Ehepaaren jedoch
durch allerlei Vergünstigungen gefördert werden soll. Das Verantwort-
lichkeitsgefühl der Eltern für das geistige und körperliche Wohlergehen
ihrer Kindern soll geschärft, der Entartung aut jede mögliche Weise ent-
gegengetreten werden. Die Führer der Bewegung streben danach, daß
„Eugenics“ schon in den Schulen obligatorisch gelehrt werde.
Christiania. Auf dem gegenwärtig hier tagenden Zahnärzte-
kongreß demonstrierte der norwegische Zahnarzt Holbeck Hansen den
Bacillus der Pyorrhoea alveolaris, welcher von ihm angeblich ent-
deckt wurde. CERERE
Hochschulnachrichten. Berlin: Zum Dekan der medizinischen
‚Fakultät für das neue Studienjahr wurde Geheimrat Prof. Dr. Orth ge-
wählt. — Breslan: Zum Dekan der medizinischen Fakultät wurde Ge-
heimrat Prof. Dr. A. Neißer gewählt. — Gießen: Dr. Rudolf
Jaschke, Assistenzarzt der Frauenklinik, habilitiert für Geburtshilfe
und Gynäkologie. — Heidelberg: Priv.-Doz. Dr. Richard Werner
der Titel Professor eo. verliehen. — Dr. Baisch habilitiert für Chirurgie.
— Kiel: Dr. Weiland für innere Medizin habilitiert. — Köln a. Rh.:
Der Direktor der Provinzial-Lehranstalt für Hebammen, Dr. Frank, hat
den Professortitel erhalten. — München: Priv.-Doz. Dr. Brasch ist
zum leitenden Arzt der inneren Abteilung des Krankenhauses Schwabing
gewählt. — Prag: Dr. Franz Lucksch habilitiert für pathologische
Anatomie. — München: Der bekannte Ophthalmologe Prof. Dr. Evers-
busch, Vorstand der Universitätsaugenklinik, ist an den Folgen eines
Schlaganfalls gestorben. Prof. Dr. Eversbusch. 1853 geboren, hatte
auf den Universitäten Berlin, Bonn, Straßburg, Tübingen studiert und
war seit 1878 an der Universität München tätig; von 1886 bis 1900 lehrte
er in Erlangen und kam dann nach München.
Von Aerzten und Patienten.
.... Der italienische Aronstab (Arum italicum) entwickelt eino
große, weiße Scheide um ihren Blütenstand und aus ihr ragt das gelbe,
stark angeschwollene Ende des Blütenkolbens heraus. Bei dieser Pflanze
ist es weniger der Geruch des Blütenstandes, der die bestäubenden,
äußerst kleinen Mücken anlockt, als die auffällig gelbe Färbung des Blüten-
kolbens und die Wärme, die ihm entströmt. Schon am Vormittage be-
ginnt seine Temperatur zu steigen, erreicht ihren Höhepunkt aber erst
zwischen sechs und acht Uhr abends. Da weist ein solcher Kolben
bis vierzig Grad Celsius auf, sodaß man sich von seiner Erwärmung
unmittelbar überzeugen kann, wenn man ihn anfaßt. Der Kolben verliert
‚währenddem sehr an Gewicht. Er verbrennt eben durch hochgesteigert®
‚Atmung einen Teil seiner Vorratsstoffe. Man könnte von ihm fast bo-
haupten, dab er fiebert. Jedenfalls ist es recht belehrend, daß selbst
eine solche Erscheinung in den Dienst jener Vorgänge gestellt wird,
welche die Befruchtung durch fremde Pollen fördern. .....
„Eduard Straßburger, Streifzuge an der Riviera“.
Jena 1904, Gustar Fischer.
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzei teils findet sich die
Bi ‚Do e enteils findet sic
Erklärung einiger in dieser Nummer ce Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Bofbuchdrucker., Berlin W 8.
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Nr. 33 (402). | | 18. August 1919.
edizinische Kli
Wochenschrift für praktische Ärzte
VII, Jahrgang.
nik
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Sarlin Berlin
Inhalt: Originalarheiten: Eschweiler, Ohr und akute Infektionskrankheiten. C. Funck, Weitere Beiträ
A. Haccius, Beiträge zur Salvarsanbehandlung der Syphilis. W. Schulhof, Blutungen und mäßigwarme
wechsel bei Verdauungsstörungen. En gelhardt, Empfiehlt sich die Plombierung der Stirnhöhle nach Citelli?
der Alopecia seborrhoica und über vorbeugende Haarpflege mit Sapalcolpräparaten. H elmbold, Weiterer Beitrag z
abstandes. (Mit 4 Abbildungen.) E, Epstein, Erklärung zu dem Artikel: Der negative Wassermann von Prof. Dr.
G.: Salus, Ueber Anaphylaxie, Ungerinnbarkeit des Bluts und Fermentgiftigkeit. — Referate: A. Dutoit, Serologis
Pathogenese der sympathischen Ophthalmie. F. Pinkus, Neosalvarsan. — Diagnostische und therapeutische Einzelr
Röntgenologen. Beseitigung von Juckreiz, Chirurgische Anästhesie, ihre Beziehungen zur Immunität und verwandten Zustä
Behandlung der Nicotinamblyopie mit Lecithin. . Vergleiche zwischen einfacher Sanatoriumbehandlung und Kombination von S
kulintherapie. „Aspirin löslich.“ Pituitrin als Blasentonicum. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik:
E. Abderhalden, Physiologisches Praktikum. H, Steudel, Physiologisch-chemisches Praktikum. F, Schene
A. Pilez, Lehrbuch der speziellen Psychiatrie für Studierende und Aerzte. L. Lewin, Obergutachten über
Schulhygiene. Th. N ogier, La Radiographie de Précision. W. Karo, Die Prostatahypertrophie. Ihre Pathologie und: Therapie. — Aerztliche
Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: Wildt, Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer 21/, Monate
Kopfverletzung. — Vereins- und Auswärtige Berichte: Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzie zu Köln. Breslau. Halle a. S. S ien.
Berlin. — Soziale Hygiene: Franck, Vom 3. Internationalen Unfallkongreß zu Düsseldorf, 6. bis 10. August 1912. H. Berger, Literarische Hilfs-
arbeit — ein neuer Spezialberuf. — Gewerbe-Hygiene: Gefahren der Nickelbearbeitung. — Aerztliche Tagesfragen: Hygienische Vorkehrungen
o und ärztliche Versorgung in abgelegeneren Kurorten. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Ohr und akute T tionskrankheiten! Was die einfach entzündlichen Erkrankungen des
| u m BER ) Ohres bei den akuten Infektionskrankheiten anbelangt, so
i kennen Sie alle aus Erfahrung am ei nen Leibe die mildeste
Prof. Dr. Eschweiler, Bonn. Form derselben, nämlich den Subota ak Durch die Zu-
M. H. Bei den akuten Infektionskrankheiten spielt | schwellung der Tube entsteht das bekannte subjektive
die Pathologie des Ohres eine wichtige Rolle. Die Räume Druckgefühl im Ohr und eine oft recht erhebliche Schwer-
es Mittelohrs und des Warzenfortsatzes sind gewissermaßen hörigkeit, welche beide bedingt sind durch Einziehung des
Nebenräume der oberen Luftwege, und diese geben teils als | Trommelfells und eventuell Transsudatbildung in der Pauken-
Ingangspforte, teils als Hauptsitz der Infektionskrankheiten | höhle. Dieser Tubenkatarrh, der, wenn es zu Absonderung
le Gelegenheit zu mannigfacher Miterkrankung des Gehör- | von seröser Flüssigkeit in die Pauke gekommen ist, schon
organs. Die Ohrerkrankungen bei den Infektionskrankheiten | zum Mittelohrkatarrh wurde, kann sich nun zur Mittelohr-
Sind nicht nur sehr häufige, sondern auch oft sehr schwere entzündung und zur Mittelohreiterung auswachsen, ohne daß
und vielfach okkulte Komplikationen, sodaß sie einer ein- | wir noch eine specifische Wirkung der Krankheitserreger
gehenden Betrachtung wert sind. i ER
m allgemeinen darf man behaupten, daß das Ohr in Es handelt sich dann um diejenige Mittelohrentzündung, die
gendeiner Weise an jeder akuten Infektionskrankheit teil- | wir als genuine zu bezeichnen pflegen und für die die be-
‚mmt; nicht immer in einem solchen Grade, daß dasselbe | stehende akute Infektionskrankheit nur die Gelegenheits-
der Therapie eine wesentliche Rolle spielte. Aber immer | ursache abgab. Diese Gelegenheitsursache ist vorwiegend
edarf das Ohr sor fältiger Beachtung, nicht nur wegen der | eine mechanische: einmal der erwähnte Tubenverschluß in-
von ihm ausgehenden und oft na subrekliven folge katarrhalischer Schleimhautschwellung, ferner ein zu
Beschwerden, sondern auch vor allem, weil sich in ihm , seltenes Schlucken, Räuspern, Schneuzen, wie es bei ‘dem
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ebensgefährliche Komplikationen entwickeln können. mehr oder weniger benommenen Schwerkranken die
‚ “enn es bei einer infektiösen Allgemeinerkrankung | Regel ist. l l l
ZU einer Mitbeteiligung des Ohres kommt, so ist dies nicht Wenn es zur Eiterung gekommen ist, so ist es natür-
mmer eine specifische Erkrankung. Wir müssen nicht | lich bei denjenigen Infektionskrankheiten, deren Erreger be-
nur bakteriologisch, sondern auch klinisch zwischen einer | kannt sind, am einfachsten, die bakteriologische Diagnose
als Olgezustand der Entzündung schlechtweg bestehenden | zu stellen. Bei den andern muß uns, wie eben bemerkt,
“ner durch die specifischen Krankheitserreger bedingten | der klinische Verlauf die ‚Diagnose ermöglichen, und ich
Tankung unterscheiden. Leider läßt uns die Bakterio- möchte deshalb die für eine specifische Öhreiterung mehr
logie hei manchen der wichtigsten Infektionskrankheiten | oder weniger charakteristischen Symptome, die manches ge-
„och im Sti h, sodaß der Schwerpunkt dieser Differential- | meinsame bei den verschiedenen Infektionskrankheiten
liagnoso auf der klinischen Beobachtung liegt. haben, zunächst zusammenhängend besprechen.
-D Nach ei Fort- ‚Eines der wichtigsten Symptome ist der sehr akute
bildungsvortrago em im Bonner ärztlichen Verein gehaltenen For Beginn, |
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1340 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
18. August.
Während bei der genuinen Otitis die eben geschilderte
Entwicklung der Eiterung aus einem Katarrh ziemlich deut-
lich zu verfolgen ist und oft Tage vergehen, bis es zur
Ausbildung der akuten Mittelohreiterung kommt, ist bei der
specifischen Otitis media purulenta acuta meist ein sehr
stürmischer Beginn zu verzeichnen. |
Entweder ist das Vorstadium des Druckgefühls im
Ohre ganz kurz oder die Ohrschmerzen treten ohne jedes Vor-
stadium ein und sind sofort von exorbitanter Höhe. Es,
kann schon nach wenigen Stunden unter immerfort sich
steigernden Schmerzen und — bei Kindern — oft unter
cerebralen Symptomen zum Durchbruche des Trommelfells
kommen. Dieses Symptom der raschen Entwicklung ist
natürlich für sich allein nicht beweisend für den specifischen
Charakter der Eiterung. Besonders bei Kindern gibt es
auch genuine Entzündungen, die ganz plötzlich einsetzen
und ebenso plötzlich wieder verschwinden können. Man
ist geneigt, diese auf Einschneuzen von infektiösem Rachen-
sekret ins Mittelohr zurückzuführen. Aber in der Regel
verlaufen dann diese plötzlich auftretenden Otitiden harmlos,
Anderseits ist das Symptom der raschen Entstehung im
negativen Sinne dahin zu verwerten, daß eine langsam ein-
setzende Otitis bei den akuten Infektionskrankheiten durch-
weg als nicht specifisch zu bezeichnen ist.
Fast zur Gewißheit wird der specifische Charakter,
wenn sich zur raschen Entstehung der Otitis der rasche
Fortschritt der Entzündung hinzugesellt, und es zum
zweiten und wichtigsten Symptom der Krankheit kommt,
nämlich zu raschem Zerfalle der Mittelohrgebilde.
Die Trommelfellperforation vergrößert sich in solchen Fällen
schon in wenigen Stunden. Die Gehörknöchelchen können
in wenigen Tagen cariös und sogar aus ihren Verbindungen
gelöst werden. Gerade diese Lösung der Bandverbindungen
der Gehörknöchelchen unterscheidet die specifische Otitis
bei akuten Infektionskrankheiten von andern Formen der
Mittelohreiterung, die ebenfalls zu Zerstörung der Mittelohr-
gebilde führen. Bei der Tuberkulose z. B. kommt es sehr
häufig zur Caries an den Gehörknöchelchen, sehr selten
aber wird der Bandapparat der Gehörknöchelchen zerstört
und eine Ausstoßung dieser selbst in toto bewirkt.
Wie mit jeder Otitis, so ist natürlich auch mit einer
stürmisch verlaufenden Mittelohreiterung eine beträchtliche
Schwerhörigkeit verbunden. Aber im allgemeinen wird bei
reiner Mittelohrentzündung doch noch laute Sprache in der
Nähe des Kopfes verstanden. Wird die Schwerhörigkeit
noch größer, kann man sich dem Kranken nicht mehr durch
laute Sprache verständlich machen, so handelt es sich in
der Regel um Labyrinthschwerhörigkeit, und wir hätten
hiermit ein drittes Symptom für die specifische Otitis bei
akuten Infektionskrankheiten, nämlich die Affizierung des
Ohrlabyrinths.
Es ist sonderbar, daß trotz der großen Nähe der ent-
zündeten Mittelohrschleimhaut zu dem Labyrinth bei der
genuinen Otitis eine nur sehr geringe Anteilnahme des
inneren Ohres an der Mittelohrerkrankung stattfindet. Man
hat vielleicht auf Grund dieser klinisch zu konstatierenden
Erscheinung angenommen, daß eine Trennung der Gefäß-
bezirke von Mittelohr und innerem Ohre bestände. Man
hat auch lange geglaubt, diese Trennung in Injektions-
präparaten anatomisch nachweisen zu können. Es sind
aber durch neuere Untersuchungen direkte, die Schnecken-
kapsel durehbohrende Anastomosen der beiderseitigen Blut-
gefäße nachgewiesen worden. Trotz dieser Gefäßverbindung
ist es, wie eben bemerkt, bei der genuinen Otitis selten,
daß schwere Labyrintherkrankungen eintreten. Nicht so
bei der specifischen Otitis bei akuten Infektionskrankheiten.
Hier ist die Mitbeteiligung des Labyrinths erheblich häufiger
und ihr Eintreten infolgedessen ein wichtiges Symptom eben
für den speeifischen Charakter. Auf den genauen Nach-
weis dieser Labyrinthentzündung will ich hier nicht ein-
gehen, obschon hier theoretisch interessante Fragen berührt
würden. Nur möchte ich erwähnen, daß plötzlich eintreten-
der Schwindel nicht nötig ist zur Diagnose, daß vielmehr
die vollständige Sprachtaubheit das für den Praktiker wich-
tigste Symptom darstellt. Bei einseitiger Erkrankung gibt
der Webersche Versuch eine rasche und ziemlich gute
Orientierung: Die auf den Scheitel gesetzte schwingende
Stimmgabel wird bei Mittelohrerkrankung im kranken, bei
Labyrintherkrankung im gesunden Ohre gehört.
Hatten wir bisher an den Initialsymptomen der Otitis
die für specifischen Charakter sprechenden Merkmale ge-
funden, so gibt es auch im späteren Verlaufe der Ohreiterung
noch einen Faktor, der für specifischen Charakter spricht,
und das ist die nach Abklingen des akuten Stadiums be-
stehenbleibende Tendenz der Eiterung, allen Heil-
mitteln zu trotzen und wochen- und monatelang anzu-
dauern. Während wir bei der genuinen Otitis nach Ab-
klingen der akuten Erscheinungen ein kleines Trommelfell-
loch finden, welches sich nach Versiegen der Mittelohr-
sekretion rasch schließt, finden wir hier, nachdem das
Trommelfellbild wieder klar geworden ist, ein großes Loch,
durch welches man die nur mäßig entzündete Paukenhöhlen-
schleimhaut sieht, und es gelingt nun trotz aller Mittel
nicht, eine meist nicht sehr reichliche, mehr schleimige als
eitrige und nicht stinkende Sekretion trockenzulegen.
Wenn man diesen schleichend chronischen Verlauf zur
Diagnose einer specifischen Eiterung verwenden will, so muß
man natürlich andere Ursachen dafür ausschließen, und zwar
vor allem die adenoiden Vegetationen. Diese spielen auch
bei den Infektionskrankheiten eine so große Rolle, daB ein
kurzer Exkurs in dieses Gebiet nicht gut zu vermeiden ist.
Sie wissen, daß die Vergrößerung der Rachenmandel
schon an sich auf das Gehörorgan schädigend einwirkt, teils
durch mechanische Behinderung der Paukenhöhlenventilation,
teils durch Unterhalten eines Katarrhs in der Ohrtrompete.
Kommt nun im Gefolge einer akuten Infektionskrankheit
eine Entzündung in diesem Gebiete dazu, so ist die Behinde-
rung eine noch viel größere. Die adenoiden Wucherungen
sind, abgesehen davon, daß sie die Infektion selbst erleichtern,
geradezu ein Schlupfwinkel für die Krankheitserreger. Ich
selbst beobachtete einen Fall von Spätdiphtherie im Nasen-
rachenraum, wo vier Wochen nach Ablauf der Diphtherie
noch virulente Diphtheriebacillen in Nase und Nasenrachen-
raum eines Kindes waren und zur Infektion eines andern
Kindes geführt hatten. Dieses Kind hatte reichliche adenoide
Vegetationen, und ich glaube, daß durch ihre Anwesenheit
ein so langes Verweilen der Bacillen im Nasenrachenraum
sehr begünstigt wurde. Es muß also bei protrahiertem Ver-
lauf einer Ohreiterung immer auf das Bestehen von adenoiden
Vegetationen geachtet werden. Noch besser wäre es natür-
lich, daß die Wucherungen schon vorher entfernt wären.
Gerade weil jedes Kind den akuten Infektionskrankheiten
ausgesetzt ist, wäre eine prophylaktische Entfernung im
Prinzip sehr wünschenswert. Man sollte gar nicht warten,
bis Komplikationen infolge der Wucherungen eingetreten
sind, sondern sollte sie auf dem bloßen Nachweis hin sofort
beseitigen. Eis gibt auch entgegen der oft geäußerten An-
sicht keine Altersgrenze nach unten hin für die Operation
der Vegetationen. DerEinwand, daß bei Kindern unter drel
bis vier Jahren ein Wiederwachsen möglich sei, ist nicht
stichhaltig. In der Regel handelt es sich in solchen Fällen
nicht um Wiederwachsen, sondern um unvollkommene Ent-
fernung. Aber auch wenn ein Wiederwachsen stattfindet,
so hat das Kind doch für einige Jahre Ruhe und, wie eben
bemerkt, einen erhöhten Schutz gegen das Auftreten VON
Ohrkomplikationen bei einer Infektionskrankheit.
Bei Besprechung des speziellen Verlaufs der Ohrent-
zündung bei den einzelnen Infektionskrankheiten muß In
erster Linie der Scharlach genannt werden.
Beim Scharlach sind die Ohrkomplikationen besonders
18, August.
häufig und besonders schwer. Die Ohrerkrankung beginnt
meistens in der ersten Woche, während das Exanthem noch
auf der Höhe ist. Plötzlich klagen die Kinder, zumal wenn
keine starke Benommenheit oder hohes Fieber besteht, über
sehr starke Ohrschmerzen. Voraussetzung ist natürlich, daß
die- Kinder nicht infolge früher gemachter Erfahrungen
dissimulieren, in welch letzterem Falle übrigens eine auf-
tretende Schwerhörigkeit dem Arzt einen wertvollen Finger-
zeig gibt. Wenn man sehr rasch zur Untersuchung kommt,
so findet man das Trommelfell in ganzer Ausdehnung in
einen roten mit weißen Schüppchen bedeckten Wulst ver-
wandelt. Vielfach gelingt es aber nicht, dieses Frühstadium
zu sehen; der kleine Patient kommt vielmehr schon mit
Ohreiterung zur ersten Untersuchung. Wie groß dann schon
in der Tiefe die Zerstörung ist, läßt sich noch gar nicht
sehen. Beim Otoskopieren quillt Ihnen aus der Tiefe ein
mächtiger Sekretstrom entgegen. Nach Ausspritzen und
Austupfen sieht man für einen Moment in einen roten
stellenweise von weißen Epidermislamellen austapezierten
Krater hinein, der von dem unförmlich geschwollenen
Trommelfell und der angrenzenden ebenfalls stark ge-
schwollenen Gehörgangscutis gebildet wird. In schweren
Fällen kommt es nun zu einem sehr raschen Zerfall der
Mittelohrgebilde. Innerhalb weniger Tage werden die Gehör-
knöchelchen aus ihren Verbindungen gelöst und können beim
Ausspritzen entleert werden. Auch kann es sehr rasch zu
einem Uebergreifen der Eiterung auf das Warzenzellensystem
kommen; ferner zur Einschmelzung der Corticalis und zur
Entstehung eines subperiostalen Abscesses am Warzenfortsatz.
Letzteres ist noch ein relativ günstiger Ausgang in diesen
schweren Fällen. Man wird hier zur baldigen Operation ge-
nötigt und schafft so notgedrungen einen breiten Abfluß und
eine heilsameEntlastung desMittelohrs. Ich möchte aber gleich
bemerken, daß man in solchen Fällen zunächst nicht radikal
operiert, sondern vorläufig nur so verfährt, wie bei der-
genuinen akuten Mastoiditis. Mit der in solchen Fällen
später noch nötig werdenden sogenannten Radikaloperation
wartet man prinzipiell bis zum Abklingen der akut entzünd-
lichen Erscheinungen.
In weniger schweren Fällen ist nun der weitere Ver-
lauf der Scharlachotitis so, daß es nach einiger Zeit — etwa
eine bis drei Wochen — zum Nachlassen der stürmischen
Erscheinungen kommt. Die Eiterung dauert allerdings ge-
wöhnlich noch länger an, wird aber spärlicher und bleibt
geruchlos. Gerade letzteres ist wichtig für die Prognose.
Wenn trotz entsprechender Behandlung Fötor eintritt, so
bedeutet dies allemal eine Komplikation. In der Regel
handelt es sich dann um Knochennekrose.
_ Mit dem Rückgang der akuten Entzündungen wird nun
auch das otoskopische Bild klar. Man übersieht jetzt die
Größe des Trommelfelldefekts. War ‘der Hammer nicht
ausgestoßen worden, so ragt der Hammergriff, der an seinem
unteren Ende defekt sein kann, in das große Trommelfell-
loch ‚hinein. Die Paukenhöhlenschleimhaut ist vorläufig noch
stark gerötet und geschwollen, schwillt aber langsam ab,
wird trocken, und wir haben schließlich einen großen
trockenen Trommelfelldefekt, dessen Randpartien vielfach
kalkig infiltriert sind. Ein Verschluß durch Narbe, wie er
nach der genuinen Eiterung die Regel ist, ist bei Scharlach
relativ selten und fehlt stets wenn es zu Defekten im
öchernen Trommelfellrahmen gekommen ist.
Ganz besonders schwer ist der Verlauf bei der soge-
nannten Scharlachdiphtherie. Es sind das bekanntlich Fälle,
weniger den etwa zu findenden Diphtheriebacillen als
almehr einer gleichzeitigen Streptokokkeninfektion ihren
gen Charakter verdanken. In solchen Fällen kommt
B Sehr rasch zur Nekrose und zur Sequestrierung großer
zirko des Schläfenbeins. Je nach dem Sitz dieser Nekrose
an sie ihrerseits wieder Symptome machen. Ich nenne
n.vor allem die Facialislähmung. Sie beweist nicht.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
1341
gerade eine Knochennekrose im Facialkanal, denn auch
infolge einfacher Neuritis kann es zur Parese kommen; aber
verdächtig ist das Auftreten einer Facialisparese immer.
Auch sind bei der Scharlachdiphtherie die eingangs erwähnten
Labyrinthkomplikationen besonders häufig und durch cariöse
Zerstörung der Schneckenkapsel oder der Wände des Bogen-
gangapparats bedingt. DR | |
So sehr wie die Scharlachdiphtherie das Ohr gefährdet,
so selten ist, ich möchte sagen auffallenderweise, die Diph-
therie die Ursache einer Otitis. Selbstverständlich kommt
es gelegentlich einmal bei der Diphtherie zu einer Otitis.
Aber im allgemeinen dringt der Löfflersche Bacillus nicht
gern in das Mittelohr ein. In schweren Fällen von septi-
scher und gangräneszierender Diphtherie werden öfters
schwere Veränderungen im Ohr- und Warzenfortsatz beob-
achtet. Aber dann sind es wieder die Streptokokken, welche
die Zerstörung machen.
Sehr viel häufiger als bei der echten Diphtherie kommt
es bei den Anginen zur Ohrerkrankung. Die Halsentzündungen
— und diese möchte ich hier zu den akuten Infektions-
krankheiten rechnen — sind wohl die häufigste Ursache der
Otitis. Der Charakter dieser Otitiden kann zwar auch ein
bösartiger sein, besonders bei der Streptokokkenangina, hält
sich aber doch meistens im Rahmen der sogenannten genuineu
Otitis. Bezüglich der Diagnose einer Otitis bei Angina
möchte ich bemerken, daß sehr häufig von der entzündeten
Mandel aus ein akuter Schmerz ins Ohr ausstrahlt. Man
muß also in diesen Fällen seiner Ohruntersuchung sehr sicher
sein, um einen Irrtum zu vermeiden. Auch bleibe nicht
unerwähnt, daß bei Gurgelungen, wie sie meistens ver-
schrieben werden, alles Forcieren, was zu Würgebewegungen
und Aufsioßen führen könnte, zu vermeiden ist, damit man
nicht das infektiöse Rachensekret in die Tube hineinpresse.
Wir wenden uns nun zu den Ohrkomplikationen bei
den Masern. Auch bei den Masern ist die Beteiligung des
Ohres ziemlich häufig. Aber der Charakter dieser Otitiden
ist viel weniger bösartig. Man könnte fast sagen, die Schwere
der Scharlachotitis verhält sich zur Schwere der Masern-
otitis wie Scharlach zu Masern. Auch hier kommt es zu
rascher Einschmelzung der Trommelfellmembran. Aber die
knöchernen Teile leisten mehr Widerstand, sodaß der Typus
des Befundes nach Masernotitis die große nierenförmige
Perforation des Trommelfells ohne Defekt am Hammer und
am Trommelfellfalz ist. Auch der Beginn der Masernotitis
ist viel weniger stürmisch als der bei Scharlachotitis. Er
ist kaum von einer genuinen Otitis zu unterscheiden und
nur das späterhin trotz sorgfältiger Pflege erscheinende
große Trommelfelloch deutet auf den specifischen Charakter
der Eiterung hin. Endlich ist für die Masernotitis sehr
charakteristisch der schleichende Verlauf der Eiterung nach
Abklingen der akuten Erscheinungen. Die Kinder eitern
oft noch wochenlang, ohne daß Beschwerden wie Schmerzen
und dergleichen beständen. Auch in diesen Fällen ist be-
sondere Aufmerksamkeit auf den Befund im Nasenrachen-
raum und auf sonstige Störungen des Allgemeinzustandes
— Nephritis, Tuberkulose — zu verwenden.
Ganz besonders häufig tritt die Ohrentzündung bei In-
fluenza auf. Die Influenzaotitis hat ein Charakteristikum,
welches sie gleich zu Beginn der Erkrankung mit Sicherheit
als solche erkennen läßt, nämlich Blutungen im Bereiche
des Mittelobrs und Gehörgangs. Zwar kommt es auch bei
der gewöhnlichen Otitis zuweilen zu kleinen Blutungen auf
dem Trommelfell, die als kleine Blutextravasate oder als
kleine Blutblasen auf dem Trommelfell sichtbar sind. Aber
bei der Influenzaotitis steht dieses Symptom im Vordergrund.
Es kommt zur Bildung großer Blutblasen, die das. ganze
Trommelfell bedecken können; ja sogar im Gehörgange
können sie sich ausbilden, und gerade das letztere ist be-
sonders charakteristisch. Die otoskopische Untersuchung ist
hierdurch natürlich sehr. erschwert.
Man sieht eben nur
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1342
die Blutblase und muß vorläufig auf die Erhebung eines
Trommelfellbefundes verzichten. Eine forcierte Reinigung
des Gehörgangs von Blut zu diagnostischen Zwecken wäre
durchaus feblerhaft und würde erhebliche Schmerzen ver-
ursachen. Die Diagnose Influenzaotitis wird übrigens in
solchen Fällen noch dadurch erleichtert, daß gleichzeitig
Allgemeinsymptome der Influenza bestehen, denn die Otitis
tritt in der Regel im floriden Stadium der Influenza ein.
Mit dem Charakter der Influenza überhaupt teilt die In-
fluenzaotitis die Eigentümlichkeit, daß sie je nach der Epi-
demie verschiedenartig ist. In einem Jahre findet man die
Otitis als sehr häufige Komplikation, in einem andern Jahre
selten. Einmal ist sie sehr schweren Charakters, in einem
andern Jahre verläuft sie gutartig. Ab und zu beobachtet
man eine sehr große Neigung der Influenzaotitis, auf den
Warzenfortsatz überzugehen. Infolge dieses Proteuscharakters
ist ein typischer Verlauf der Influenzaotitis nicht zu fixieren.
Im allgemeinen kann man aber sagen, daß die Influenza-
otitis nicht zu den bösartigsten zählt. Sie steht jedenfalls
hinter der Bösartigkeit einer auf Streptokokkenangina be-
ruhenden Otitis weit zurück. Auch in den Fällen, wo man
zur Aufmeißlung gezwungen wird, ist in der Regel eine
Eliminierung des Krankheitsherdes leicht möglich und es
kommt ohne cerebrale Komplikationen zur Heilung mit Er-
haltung der Funktion. | |
Ab und zu beobachtet man nach Ablauf leichter In-
fluenzäotitiden ohne Residuen im Mittelohr das nachherige
Bestehenbleiben einer mittleren bis hochgradigen Schwer-
hörigkeit. Die Funktionsprüfung ergibt in diesen Fällen eine
Schädigung des nervösen Hörapparats. Zweifellos ist es in
solchen Fällen zu einer auf dem Wege der Blutbahn fort-
geschrittenen Entzündung des Labyrinths gekommen, deren
pathologisch-anatomische Einzelheiten uns noch unbekannt
sind. Es handelt sich hier offenbar um analoge Prozesse,
wie bei dem Geruchsverlust, den wir ziemlich häufig nach
Influenzaschnupfen beobachten, und der trotz völlig normalen
Nasenbefundes bestehen bleibt.
Beim Keuchhusten sind die Ohrkomplikationen nichts
Seltenes, aber nichts Charakteristisches. Ein gelegentlicher
Blutaustritt aus dem Ohr ist beim heftigen Anfall beobachtet
worden. Nach Analogie der Conjunctivalblutungen handelt
es sich hier in der Regel um Ruptur kleiner Trommelfell-
gefäße. Auch dieses selbst kann bei den oft ganz atypischen
und heftigen Atmungs- und Brechbewegungen reißen. Ich
selbst habe allerdings noch keine Trommelfellruptur beim
Keuchhusten beobachtet. Wenn die Keuchhustenkinder an
Otitis erkranken, so ist dies in der Regel keine Otitis speci-
fischen Charakters. Wahrscheinlich sind die Keuchhusten-
` erreger hierbei gar nicht beteiligt; es handelt sich vielmehr
um eine concommitierende Otitis, veranlaßt durch die katar-
rhalischen Erscheinungen im Rachen. Auch hier spielen
wieder die adenoiden Wucherungen eine große Rolle. Ich
möchte aber davon abraten, die Entfernung derselben vor-
zunehmen, solange noch häufige und heftige Anfälle be-
stehen, damit nicht während der Anfälle Blutungen auf-
treten. | |
Ich schließe hiermit den Kreis der zu besprechenden
Infektionskrankheiten, da bei den. noch nicht erwähnten,
z. B. bei Typhus, bei Gelenkrheumatismus, die Otitis keine
specifische ist und nur insofern zu der Infektionskrankheit
eine Beziehung hat, als der geschädigte Allgemeinzustand
einen günstigen Boden für die Entstehung abgibt. Besonders
ist dies bei somnolenten Typhuskranken der Fall, bei denen,
wie oben bemerkt, der zu selten erfolgende Schluckakt zu
einer Sekretstagnation und -zersetzung im Rachen und Nasen-
rachenraum führt. Bei solchen Kranken ist das Ohr zu
kontrollieren, auch ohne daß über Beschwerden geklagt wird,
besonders dann, wenn eine Temperaturerhöhung eintritt.
Mit einigen Worten möchte ich auf die Dissimulation
der Kinder zurückkommen. Intelligente Kinder, die schon
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
18, August.
einmal einen schmerzhaften Eingriff am Ohr erduldet haben,
suchen oft trotz großer Schmerzen ihre Ohrerkrankung zu
verheimlichen. Es gelingt ihnen dies bei einseitiger Er-
krankung, da sie mit dem gesunden Ohr noch hören, sehr
leicht. Man tut darum gut, auch ohne daß über Schmerzen
geklagt wird, bei allen plötzlichen Temperaturanstiegen nach
vorheriger Entfieberung die Ohren zu untersuchen.
Ehe ich die Therapie bespreche, möchte ich noch die
Ohrentzündungen bei kleinen Kindern erwähnen, die einige
Besonderheiten gegenüber den Ohrentzündungen bei Er-
wachsenen aufweisen. Zunächst ist Ihnen bekannt, daß
ganz junge Kinder nicht angeben können, wo sie Schmerzen
haben, daß sie bei Halsschmerzen auf den Bauch zeigen usw.
Bezüglich der Ohrschmerzen gilt dasselbe; zuweilen allerdings
wird die Aufmerksamkeit dadurch aufs Ohr gelenkt, daß die
Kinder unter Schmerzäußerungen mit dem Finger ins Ohr
hineinbohren und mit dem Kopfe schlagen. Wenn man in
diesen Fällen den Rachen untersucht und diesen frei findet,
so kann man schon per exclusionem mit ziemlicher Sicher-
heit auf eine Ohrentzündung schließen. Sehr wünschenswert
ist natürlich, daß diese Diagnose auch durch die Otoskopie
erhärtet wird. Leider muß man hier zugeben, daß die Ohr-
untersuchung kleiner Kinder meist sehr schwierig ist und
in manchen Fällen überhaupt ein deutliches Trommelfellbild
gar nicht zu erheben ist. Das Trommelfell kleiner -Kinder
ist zwar schon recht groß, kaum kleiner als das eines Er-
wachsenen. Aber der Gehörgang ist sehr eng, bei Säug-
lingen fast ohne knöcherne Röhre, außerdem ist er in der
Regel mit einer zähen Masse, die aus Lanugohärchen, ab-
gestoßener Epidermis, Ceruminalpartikeln und Schmutz be-
steht, gefüllt, sodaß es sehr schwer ist, ihn gründlich zu
reinigen. Wenn man dazu bedenkt, daß die Kinder oft sehr
ungebärdig sind und schlecht festgehalten werden, so muß
man ohne weiteres zugeben, daß nicht immer eine exakte
Otoskopie möglich ist. Falls diese gelingt, bleibt die Deutung
des Befundes vielfach doch noch schwierig. Bekommt man
einen positiven Entzündungsbefund, das heißt Rötung,
Schwellung, Vorwölbung, so ist die Diagnose natürlich klar.
Aber beim Fehlen dieser Symptome kann man nicht auf die
Abwesenheit von Entzündung im Mittelohr schließen. Bei
Kindern im ersten Lebensjahr ist das Trommelfell noch
dicker als beim Erwachsenen und partizipiert erfahrungs-
gemäß noch nicht so lebhaft an Entzündungen der Pauken-
höhle, wie später. Im normalen Zustand ist das Trommel-
foll der Säuglinge vielfach dunkler und trüber als später,
und es kann das Mittelohr mit Eiter gefüllt sein, ohne dab
Rötung sichtbar wäre. Vielleicht hängt dies mit der Per-
sistenz vom Schleimgewebe, welches ja das Mittelohr des
Fötus ganz erfüllt, zusammen. In solchen Fällen ist die
Diagnose aus dem Ohrbefund allein gar nicht zu stellen.
Aber man ist durchaus berechtigt, am Ohr einzugreifen,
wenn man an den inneren Organen gar nichts findet was
die Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens oder Fieber er-
zeugen könnte. Wir dürfen um so eher auf diese Indikations-
stellung per exclusionem hin eingreifen, als die Paracentese
— und nur die kommt hier in Frage — richtig ausgeführt,
ein absolut harmloser Eingriff ist, und in den Fällen, wo
wirklich eine Otitis bestand, von geradezu frappanter Wir-
. kung zu sein pflegt. Es gibt sogar Fälle, wo zwischen dem
Ohrbefund vor und nach der Paracentese einerseits, und
dem gestörten Allgemeinbefinden anderseits ein außerordent-
liches Mißverhältnis besteht und wo doch die Paracentese
zur raschen Heilung führt. Zur Illustration möchte ich Ihnen
von vielen ähnlichen zwei besonders eklatante Fälle. an-
führen: In einem Falle schrie das Kind unaufhörlich und
griff sich nach den Ohren. Die Trommelfelluntersuchung
ergab keine deutlichen Entzündungsspuren; die beiderseitig®
Paracentese förderte kein Sekret zutage, aber von dem Mo-
ment der Paracentese an war das Kind ruhig und munter.
Im andern Falle fieberte das Kind tagelang sehr hoch und
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18. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.33. 134
ging rapide zurück. Auch hier konnte der interne Mediziner
keinen Grund für das Fieber finden. Die Trommelfellunter-
suchung war wiederum fast negativ: Nur leichte Trübung
des Trommelfells. Die Paracentese ergab nur ein Tröpfchen
Blut und war nicht von Sekretausfluß gefolgt. Trotzdem fiel
das Fieber prompt ab, das Kind war heil.
In solchen Fällen muß man wohl annehmen, daß es.
sich um eine Otitis mit Produktion sehr spärlichen, aber
sehr toxischen Sekrets handelt und daß die Entlastung des
Trommelfells und des Mittelohrs, vielleicht auch der oto-
‚skopisch nicht nachweisbare Austritt von einem Tropfen
Sekret die Heilung bringt.
Was nun die Therapie aller dieser Otitiden anbetriftt,
so deckt sie sich im Prinzip mit derjenigen der genuinen
Otitis. Nur bedarf sie bezüglich der Energie des Vorgehens
einiger Variationen entsprechend den verschiedenen Krank-
heitsformen, Es handelt sich vor allem um die Frage, ob
ein mehr 'palliatives, abwartendes Verfahren am Platz ist
oder ob man sofort operativ vorzugehen hat. Hier lautet
nun die erste Regel, daß man bei der Scharlachotitis sofort
mit größter Energie zur Entlastung des Mittelohrs schreiten
muß, und zwar durch breite Paracentese. Sobald das Schar-
lachkind über Ohrschmerzen klagt und das Trommelfell ent-
zündliche Erscheinungen aufweist, ist in der unteren
Trommelfellhälfte die Paracentese zu machen. Wir können
mit der Paracentese, wenn man nicht gerade in roher
Weise vorgeht, nicht schaden. Auch die weniger geübte
Hand braucht vor der Paracentese nicht zurückzuschrecken.
Voraussetzung ist nur, daß man sich im Gehörgang und am
Trommelfell orientieren kann. Wer also nicht otoskopieren
kann, soll auch keine Paracentese machen. Als Richtlinie
kann man den Boden des Gehörgangs betrachten. Dicht
über ihm und parallel mit ihm wird die Paracentesennadel
eingeführt und durchs Trommelfell gestoßen. Wenn man
dabei mit der Spitze der Nadel das Promotorium erreicht,
so schadet dies nicht. Wer es sich zutraut, macht noch
besser mit dem Trommelfellmesserchen einen breiten Schnitt
quer zu den Radiärfasern des Trommelfells, welcher das
Trommelfell gewissermaßen in zwei Hälften spaltet. Die
baldige Vornahme dieser energischen Paracentese ist um so
wichtiger, als sie fast das einzige Mittel ist, um dem Krank-
heitsprozeß entgegenzutreten. Es wäre allerdings zu viel
gesagt, wenn man behauptete, daß durch die Eröffnung der
Paukenhöhle immer ein übler Ausgang bintangehalten werden
könnte. In besonders bösartigen Fällen kommt es eben
trotz der frühzeitigen Entlastung des Ohres doch noch zur
ausgedehnten Störung, wie ich sie vorher beschrieb. In
andern Fällen kommt man gar nicht zur Paracentese, weil
der Krankheitsprozeß so stürmisch verläuft, daß der initiale
Öhrschmerz und der Durchbruch sehr rasch aufeinander
folgen. Hier bleibt nichts anders übrig, als eine möglichst
energische antiseptische Behandlung. Diese ist allerdings
recht schwierig durchzuführen. Bei nicht sehr großem
Trommelfelldefekt kommen wir mit antiseptischen Mitteln
überhaupt nicht ins Mittelohr hinein. Der mächtige Sekret-
strom spült dieselben sogar energisch heraus. Bei größeren
Trommelfellperforationen ist zwar der untere Paukenhöhlen-
abschnitt zugängig, aber bei der starken Schwellung der
Schleimhaut sind doch große Bezirke der Paukenhöhle einer
medikamentösen Einwirkung entzogen. Immerhin entbindet
uns dies nicht von der Verpflichtung, ein antiseptisches
Mitte] zu gebrauchen, und da möchte ich Ihnen fast als ein-
ages Mittel bei der Scharlachotitis das Wasserstoffsuperoxyd
Anpiehlen in Form der 1°/,igen Lösung von Perhydrol
(Merck). Vor kurzem wurde in der medizinischen Fach-
davon‘ gesprochen, daß über die Verordnung des Per-
m ols noch immer Unstimmigkeit herrschte. Es wurde
„u seschlagen, den Prozentgehalt nach Gewichtsteilen zu be-
„men und nicht nach Volumprozenten. Ich glaube, daß
m f è x . s
an am besten die hier herrschende Verwirrung vermeidet,
‘wenn man das Perhydrol (Merck), welches bekanntlich 309/4
reines Wasserstoffsuperoxyd enthält, in der Receptur ent-
sprechend verdünnen läßt. Es wird also ein- Rezept fol-
gendermaßen aussehen:
Rp. Perbydroli (Merck). . . . 85
Ag. dest. ad. »- - 2»... 100,0
DS. Zum Eingießen in das Ohr.
‚Diese Lösung, von der man nur wenig verordnen darf,
da sich in der Verdünnung das Wasserstoffsuperoxyd rasch
zersetzt, wird, ohne angewärmt zu sein, in das vorher aus-
gespritzte und ausgetupfte Ohr gegossen. Es bilden sich
sofort reichlich Schaumblasen, welche brodelnd dem Gehör-
gang entquillen. Man läßt die Flüssigkeit etwa zehn Minuten
im Ohr und macht dann auf das Ohr einen Prießnitzschen
Verband mit Borsäurelösung oder essigsaurer Tonerde. Die
Behandlung und der Verbandwechsel finden zweimal täg-
- licb statt. | |
| Auf diese Weise wird die Behandlung fortgeführt, bis
die Schwellung am Gehörgang und am Trommelfelle sowie
in der Paukenhöhble abnimmt und die Sekretion spärlicher
wird. Ist ein gewisser Grad von Nachlaß der Sekretion er-
reicht, so tritt die Trockenbehandlung in ihr Recht, und es
ist Sache des Versuchs, den richtigen Moment hierfür zu
bestimmen. Zuweilen ist man genötigt, nach vergeblicher
Trockenbehandlung wieder zur nassen antiseptischen Be-
bandlung zurückzukehren. Niemals führt die Trocken-
behandlung zum Ziele, solange noch Fötor besteht.
Ebenso wie man bei der Scharlachotitis mit der Para-
centese nicht zögern soll, ebenso soll man auch mit der
Mastoidoperation nicht zögern, sobald sich Anzeichen für
eine Erkrankung des Wearzenfortsatzes ergeben. Wann
dieser Zeitpunkt gekommen ist, kann allerdings nur von
dem mit spezialistischen Fachkenntnissen ausgestatteten
Arzt entschieden werden. Ich möchte nur darauf hinweisen,
daß eine Veränderung der äußeren Weichteile nicht zur
Diagnose einer Mastoiditis nötig ist, daß wir vielmehr aus
dem Verlauf und dem otoskopischen Befunde diese Diagnose
mit großer Sicherheit stellen können. l
Die Therapie bei den Otitiden im Gefolge der andern
vorher genannten Infektionskrankheiten unterscheidet sich
nicht von derjenigen bei den genuinen Otitiden. Man darf
also je nach der Schwere des Falles mit der Paracentese
etwas warten. Sie finden in den Lehrbüchern meist als In-
dikation zur Paracentese die Symptomentrias: Rötung, Vor-
wölbung des Trommelfells und Fieber angegeben. Diese
- Indikation gilt auch hier, immer mit der Maßnahme, daß
man bei den Infektionskrankheiten etwas rascher zur Para-
centese greifen soll, als bei den einfachen Ohrentzündungen.
Sie können mit der Paräcentese nichts verderben, aber mit
dem Unterlassen schweren Schaden anrichten. Zuweilen
stößt man bei den Eltern auf gewisse Schwierigkeiten, da
im Publikum der Glaube weit verbreitet ist, nach dem
Trommelstiche könne man nicht mehr hören. Es wird in
der Regel gelingen, eine derartige Voreingenommenheit durch
aufklärende Worte zu beseitigen.
Wenn man zunächst versucht ohne Paracentese aus-
zukommen, so ist die beste Abortivkur die Anwendung der
Eisblase. Führt die Eisblase in einigen Stunden nicht zu
einer wesentlichen Besserung der Schmerzen, so ist aller-
dings wenig mehr von ihr zu erwarten.
- Von der Einträuflung der bekannten Carbolglycerin-
lösung halte ich wenig. Man verschleiert sich dadurch das
Trommelfellbild, kann allerdings keinen Schaden damit an-
richten und ist daher zur Verordnung berechtigt, zumal
wenn die Verwandten des Kindes eine Medikation ver-
langen.
Wenn Sie zur Paracentese genötigt wurden, oder wenn
der spontane Durchbruch erfolgte, so empfehle ich Ihnen,
das Ohr, solange die Absonderung serös ist, nicht auszu-
spülen, sondern nur auszutupfen, und zwar sehr vorsichtig,
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‚1344 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
damit keine Excoriationen im Gehörgang entstehen. Bei
.eitriger Sekretion wird mit 3%%igem Borwasser ausgespült.
In den Gehörgang kommt ein aseptischer Gazestreifen und
auf das Ohr ein Gazeverband. Gegen den aseptischen
Streifen im Gehörgang eifern einige Otologen; sie sagen,
daß der Gehörgang an sich schon ein gutes Drainrohr sei.
fühl des Eiterausfließens aus dem Ohre leichter ertragen
wird, wenn ein lockerer Gazestreifen den Eiter in den Ver-
band überleitet. | u
Beim Nachlassen der Sekretion kommt die eben er-
wähnte Trockenbehandlung in ihr Recht und zu ihr emp-
fehle ich noch immer die pulverisierte Borsäure, die man
Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß das lästige Ge- | nicht massenhaft, sondern in dünner Schicht einblasen soll.
Abhandlungen.
Weitere Beiträge zur kausalen Therapie
des Diabetes
von
Dr. Carl Funck, Köln.
Obgleich die heutige Diabetesforschung mit nicht häufigen
Ausnahmen noch mit der diabetischen Stoffwechselstörung oder
besser den diabetischen Stoffwechselstörungen, also mit der patho-
logischen Physiologie diabetischer Abarten des’ Kohlehydratstofi-
wechsels sich befaßt und die aus solchen Untersuchungen sich er-
gebenden therapeutischen Bestrebungen demzufolge den Krankheits-
prozeß quasi an seinem Ende anfassen, wird in neuester Zeit der
ätiologischen Erforschung der Zuckerharnruhr größere Beach-
tung geschenkt und dadurch die von mir seit Jahren vertretene
und praktisch geübte kausale Therapie des Diabetes mehr in den
Vordergrund des Interesses gerückt. Nachdem ich in früheren
Mitteilungen die durch Heilung der Ursache der Stoffwechsel-
anomalie gelungene Heilung einer Reihe von Diabetesfällen, das
heißt Herbeiführung einer unbeschränkten Amylacen- und zum
Teil Kohlehydrattoleranz durch theoretische Epikrisen einzelner
ausführlicher Krankengeschiehten speziell und generell zu erklären
versuchte, seien hier aus demselben Gesichtspunkt einleitend einige
weitere Krankengeschichten kurz angeführt, die für den Kliniker,
der sich in den Gedankengang einer kausalen Diabetesbehandlung
eingelebt hat, nicht ohne Interesse und für die Evolution dieser
Therapie praktisch nicht unwichtig sein dürften.
Ein Schulfall mit selten raschem und voliständigem Erfolg ist
folgender: |
Frau P. (Köln-Ehrenfeld), 38 Jahre. Tritt am 27. Oktober 1911 in
Behandlung. Seit zwei Jahren Gewichtsabnahme von 135 auf 110 Pfund.
Polydipsie, Polyurie, starke Schwäche, Reizbarkeit, Heißhunger bei rascher
Sättigung, nach Einnahme der Nahrung Schmerzen und Kollern im Leib,
Durchfälle; zeitweise Anfälle von Colica mucosa, Schwindel, Ohnmachten,
Herzklopfen; Patientin ist so schwach, daß sie mit Mühe den kurzen Weg
zur Sprechstunde zurücklegt. Wurde bisher auf Neurasthenie, Lungen-
spitzenkatarrh, Hysterie usw. behandelt und hat so ziemlich alle Arten
von Nährpräparaten genommen.
Aus dem Befunde sei erwähnt: Schlechter Ernährungszustand und
Turgor, Puls 118, hüpfend, äqual, Herz ohne Befund, Lunge ebenso,
Zunge dick fuliginds belegt, Meteorismus, Abdomen überall druckempfind-
lich, besonders lleocöcalgegend, kein Tumor palpabel, Patellarreflexe kaum
angedeutet, fibrilläre Muskelzuckungen am ganzen Körper während der
Untersuchung. Funktionelle Magenuntersuchung verweigert. Faeces mit
großflockigem Schleime bedeckt, schwache alkalische Reaktion; bei den
Kolikanfällen Ausstoßung der bekannten Membranen. Urin: Indican +,
Zucker 5,6°%,, kein Aceton, kein Eiweiß; Röntgenuntersuchung ergibt
normale Motilitätsverhältnisse des Magens bei geringer Dilatation.
Therapie: Bettruhe, Prießnitz, Bismutum carbonicum + Ichthalbin, HOL-
Pepsin, Darmauswaschungen mit warmem Karlsbader Wasser, abwechselnd
mit Oeleinläufen. Diät: Ein Fasttag (Tee und Reißwasser), dann Hafer-
schleim (später mit Sahne), Reismilchbrei mit Mondamin, Zwieback,
Butter, Hygiama-Milchabkochung, im ganzen über 2200 Calorien pro Tag.
Nach zehn Tagen 50 g zartes Fleisch, ein Ei. Urin ist am 18. Tage der
Behandlung zuckerfrei und bleibt es bis heute.
Es besteht noch ein Gefühl des Druckes im Epigastrium nach dem
Essen, Stuhl normal, jedoch noch zweimal kurze Anfälle von Colica mu-
cosa, Gewichtszunahme in vier Wochen 21/2 kg, subjektives Wohlbefinden.
Es wurde also durch Heilung eines Dünn- und Diekdarm-
katarrhs mittels fast ausschließlicher Kohlehydratdiät bei einem
Diabetes von ungefähr 200 g Zuckerausscheidung pro Tag eine
Kohlehydratioleranz von 2000 Calorien in 18 Tagen erreicht. Die
daneben (oder als Folgeerscheinung) bestehende Colica mucosa ist
bis jetzt nicht geheilt und rezidiviert ab und zu.
Fall 2. Einleitend zu diesem Falle bemerke ich, daß neben dem
Sammelurin (zur Bestimmung der Gesamtmenge des ausgeschiedenen
Zuckers) auch der Zuckergehalt einzelner Tagesportionen untersucht wird,
besonders in der Zeit nach den Mahlzeiten, eventuell in einhalbstünd-
lichen bis einviertelständlichen Intervallen. Diese Art der Untersuchung
läßt manchmal in das Wesen der betreffenden Glykosurie einen ungleich
tieferen Einblick tun, als die einfache Feststellung des Zuckergehalts im
Sammelurin oder gar einer zu einer beliebigen Zeit entnommenen Probe,
wie ja überhaupt die Feststellung wichtig ist, inwieweit die Glykosurie
von der Nahrungsaufnahme abhängig ist. Trägt man die Zeitintervalle
der Urinabnahme in die Abscisse und die gefundenen Zuckerwerte als
Ordinaten eines Quadranten ein, so resultiert eine Kurve der Zucker-
ausscheidung, die bei manchen Fällen etwas Charakteristisches besitzt
und für die Beurteilung dieses Falles, speziell auch für die Beurteilung
der Aetiologie von Bedeutung sein kann. Als Beispiel. für eine solche
‘Verwertung der Kurve sei folgende Beobachtung ausgeführt:
F. P., 46 Jahre, Hotelbesitzer aus D., vor vier Jahren 2,6 %/0 Zucker
im Sammelurin konstatiert, 3,0 1 pro Tag, Aceton +. Patient tritt am
1. Oktober 1911 in Behandlung, klagt über starke Neurasthenie, zeit-
weiligen Pruritus, Patellarreflexe beiderseitig vorhanden, Wadenkrämpfe
und Krämpfe in den Oberschenkelmuskeln, Schlaflosigkeit, multiple
Neuralgien. Funktionelle Magenprüfung ergibt G. A. 80, HCI. 52.
Im Verlauf der hier in ihren Versuchsstadien nicht näher aus-
zuführenden Behandlung machte ich die Beobachtung, daß der Zucker-
gehalt des Urins mit gleichzeitigem Einsetzen einer Harnflut unverhält-
nismäßig rasch nach Einnahme der Mahlzeit anstieg. Dafür ein Beispiel:
i0 h. a. m. 0,4%/0; 12 h. a. m. 0,8%), 12,80 h. Trockenmahlzeit: ein Beef-
steak, eine Kartoffel, 20 g Grahambrot, Apfelmus ohne Zucker; Mahlzeit
12, 45 h beendet; 1,05 h Harndrang! (85 g): 0,9 °/o; 1,80 h, ebenso 55 g.
1,9 0/o!; 1,40 h 140 g 2.2%/0; 2,00 h 70g 2,7%; 2,30 h 95 g 2.0 do;
3,00 h 50 g 1,1%. (Patient wußte nichts von der Bedeutung dieses
Versuchs.) Daß eine Assimilation weder der Kohlehydrate noch des
Eiweiß in der Zeit von 12,45 h bis 1,05 h stattgefunden haben konnte,
ließ sich leicht durch eine nach einer gleichen Mahlzeit stattgefundenen
Ausheberung des Magens nachweisen. Es lag also nahe, das 1,05 h kon-
statierte Ansteigen der Kurve für eine durch den Reiz des Speisebreies-
im Magen aufgelöste Reflexwirkung zu halten, die ich, um jede eingehen-
dere Hypothese zu vermeiden, vorläufig im Sinn eines Traumas oder Shocks
oder auch eines durch pathologische Bahnung im Sinne Bickels be-
dingten Reflexes definieren möchte. Einen solchen Reflex durch kaltes
oder heißes Wasser oder physiologische Kochsalzlösung deutlich hervor-
zurufen, gelang nie. Nach warmer Milch setzte der Anstieg der Kurve
35—45 Minuten nach Einnahme der Nahrung ein. |
Nach Erhebung dieses Befundes unter verschiedenen Variationen
der Versuchsanordnung war als therapeutisches Ziel die Ausschaltung der
Magenverdauung gegeben und ich proponierte dem verständigen Patienten
unter Darlegung der Gründe versuchsweise eine längere Ernährung per
rectum. Unter Bettruhe (tägliche leichte Massage, Teilwaschungen) vier-
mal in 24 Stunden ein Nähreinlauf von 20 g Witte-Pepton, zwei Eßlöffel
Traubenzucker in !/4 1 Sahne, später ersetzt durch Kindermehlabkochung
(Theinhardt), wegen der durch den Zucker hervorgerufenen Darm-
reizung mit 5 g Pankreatin, später 20 g Erepton anstatt des Pepton.
Jedesmaliger Zusatz von fünf Tropfen Opiumtinktur. Gegen Durst physio-
logische NaCl-Lösung warm in kleinen Schlücken. Urin am neunten Tag
zuckerfrei, Gewichtsabnahme bis dahin 8,5 kg. Wegen beginnender Prok-
titis weitere Einläufe nur dreimal täglich und steigend !/—1 1 Milch lau-
warm schluckweise pro Tag. Am 16. Tag Gewichtsabnahme 7'/ı kg. Urin
zuckerfrei. Langsam fortschreitende Zulage von Hafer-Gerstenschleim-
suppen, Hygiama-Milchabkochungen. Nach jeder Mahlzeit Thermophor
auf das Abdomen, dreimal täglich 0,5 Adalin, leicht verdunkeltes Zimmer,
Leseverbot, Opium und Pancrestin cessat. Nach vier Wochen Gewichts-
abnahme nur noch 21, kg; nach Zulage von Weißbrot im Mittagurn
0,08 Zucker, darauf noch 15 Tage Diät wie oben. Seitdem Urin zucker-
frei. Im dritten Monat Ernährung nur per os, leicht verdauliche Kohle-
hydrate, Leim, Reis und Grießbrei mit Milch, Zwieback, Butter, später
Fleischpüree, alles in kleinen Portionen ganz langsam gegessen; jeden
zweiten Tag Os-Bad abwechselnd mit galvanischem 2-Zellenbad. Patient
ist heute nach einer 24stündigen ausschließlich aus Amylacen und Sjel
Milch bestehenden Kost im Werte von zirka 2800 Calorien zuckerfrei und
hat gegen das Anfangsgewicht 3\/s kg zugenommen.
Die zeitweise Ausschaltung des Magens beziehungsweise des
durch die stomachale, Speisezufuhr gesetzten Reizes, der in diesem
Fall eine auffällig rasche Erhöhung der Zuckerausscheidung (Aus-
schüttung aus der Leber?) zur Folge hatte, führte zu dem un-
erwarteten Resultat, daß die Toleranz gegen Amylaceen eine UN
begrenzte geworden ist. Man kann diesen Erfolg nun in Mibver
stehung des leitenden therapeutischen Gedankens gewiß auch mit
der stattgehabten Unterernährung, mit der Opium- oder der Pan-
kreatinmedikation, mit der einige Tage währenden ausschließlichen
pup s Er Èra è o ë D e m. um
18: August.
"1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
‘Verabreichung von Milch -oder -Haferschleim zu erklären versuchen,
“dieweil bekanntlich nach Hunger-, Hafer-, Milch- oder Opiumkuren
‘in gesigneten Fällen eine Verminderung oder ein zeitweiliges Ver-
'schwinden ‘des’ Zuckergehalts erreicht wird —, daß aber eine der-
-artig: unbeschränkte Kohlehydrattoleranz in diesem Fälle lediglich
durch obige Faktoren erreicht worden 'sei,: ist für jeden klinisch
‘:Denkenden- wohl ausgeschlossen. ° > Fer
= -Fall 3. Die Mitbeteiligung der Verdauungsorgane an der Genese
‘eines Diabetesfalles- mag durch die ‚hier mit Kürzungen wiedergegebene
-Krankengeschichte eines zweijährigen Kindes illustriert werden. '
-0 | Kind K: aus B., von einem Kollegen überwiesen. Starke Macies,
;‚Meteorismus; - Oedeme,.. starke Polydipsie, 5,3 / Zucker im . Morgenurin,
‚Aceton +--+, keine Acetessigsäure, sehr starke Indicanreaktion, Cam-
midge. bei .zweimaliger Untersuchung +. Einziges Kind, Vater starb
vor zirka einem Jahr an Diabetes. Im Stuhle Schleim nur mikroskopisch
-in kleinen Mengen, dagegen gänzlich ` unverdaute. Muskelfasern, "mit
‘scharfen Ecken, quer gestreift. Das Kind hatte vor fünf Tagen zuletzt
‘Fleisch genossen. Massenhafte Stärkezellen und Fettsäurekrystalle.
"Mittelstarke Gärung, dagegen keine deutliche saure Reaktion, vielmehr
:ist:dieselbe bald- amphoter, bald sauer, bald alkalisch angedeutet, jedes-
:mal jedoch Gasentwicklungen bei überwiegendem Fäulnisgeruche. Subli-
'matprobe , zeigt an: vielen Stellen Grünfärbung. (Schmidtsche Kern-
‚probe war nicht deutlich). Neben außerordentlichen Massen von Bacillen
vom Kolitypus: Kokken, Milchsäurebacillen und tageweise Hefezellen in
einer jedenfalls pathologischen Stärke des Auftretens. Schon makrosko-
‚pisch ist die Masse der eingenommenen Nahrung als wenig verdaut. und
zum Teil kaum verändert selbst für den Laien erkennbar. Trotzdem
'keine Durchfälle, die Faecesmassen werden zum Teil durch Einläufe ent-
fernt. Magen: Motilität erhöht, komplette Achylie. —
~ Therapie: Magen- und Darmspülungen, vorsichtig tastende Diät,
-vorwiegend Milch, Mehle, pürierte Gemüse; in den ersten Tagen gegen
‚die .Acidose: Natriumcitrat. Spätere Versuche, die gänzlich darnieder-
‚liegende ‚Verdauung durch HCl, Pankreon usw. zu heben, haben keinen
‚Erfolg auf. die. Ausnutzung. der Nahrung beziehungsweise Zusammen-
‚setzung. der Faeces. Am besten wird Milch-Mehlkost vertragen, unter
‚der dio -Zuckerausscheidung langsam auf 0,2 9/o, die Acetonausscheidung
-auf Spuren zurückgeht. bei bleibender Indicanresktion. Fortschreitende
‚zum .Teil.durch Oedeme’ markierte Gewichtsabnahme, trotzdem die Nah-
Tungsaufnahme ‚sich meist um 1500 Calorien pro Tag bewegt, nie unter
1000 Calorien. sinkt. In der dritten Woche der Behandlung tritt bei
‚0,18. Zuckerausscheidung wieder Aceton in großen Mengen auf und die
Stärke der Reaktion hält an bis zu dem unter Muskelkrämpfen, jedoch
-nicht im.Koma, erfolgenden Tode. Sektion nicht gestattet.
. Hier war meines. Erachtens der Diabetes nur eine Begleit-
‚erscheinung einer in der Anlage ererbten fast vollständigen In-
‚suffizienz des Verdauungstraktus; infolgedessen gelangten schätzungs-
'weise bis 900/ der eingeführten Nahrung nicht zur Resorption |
— im Gegensatz zu andern Fällen von kindlichem Diabetes, bei
‘welchen die Autoren, z. B. Baginsky 1891 bei einem allerdings
:siebenjährigen.. Diabetiker, einen „schätzenswerten Zustand der
:Verdauung und vorteilhafte Nahrungsausnutzung“ durch Stoff-
‚wechselversuch und Analyse fanden. Die Faeces kalorimetrisch zu
‘bestimmen, fehlte mir leider die Möglichkeit. Wenn ich den Fall
“trotz -mangelnden Sektionsbefundes hier ausführlicher erwähne, so
‚geschieht. es, um auf die hier ganz auffällige Koinzidenz
der absoluten Insuffizienz des Verdauungstraktus mit
iabetes hinzuweisen. Die auch nach Rückgang der Zucker-
Ausscheidung auf einige Zehntel Prozent fortschreitende Abzehrung
‚war eine durch die fast feblende Ausnutzung der verabfolgten
: ahrung bedingte Hungerwirkung, und die prämortale Steigerung
„des. Acetons sehe ich bei dem Fehlen jeglicher Komasymptome
„ebenfalls als durch den Hunger bedingt an. a
..... Rückgreifənd auf Fall 3 sei auf den auffallend oft bei ente-
‚Togenem Diabetes nachgewiesenen starken Indicangehalt des Urins
„hingewiesen; 70 2 a
i Wir wissen, daß, abgesehen von hier nicht in Betracht kommender
„Stagnation ‚des Darminhalts, die Indoxylschwefelsäure bei vermehrter
‚“&ulnis im Darme durch Resorption von dort oder als Produkt des inter-
mediären Stoffwechsels (Blumenthal) in pathologischen Mengen im
‚„An.ausgeschieden wird; ich fand pathologische Fäulnis des Darminhalts
dureh die Stuhl- und funktionelle Darmuntersuchung in einer Reihe der
oben. angezogenen Fälle bestätigt, wenn auch daneben oft unzweifelhaft
;wärungsprozesse bestanden. Hier ist es von besonderem Interesse, aus
naheSeylers Inauguraldissertation: „Beiträge zur Kenntnis der in-
| tue i er Substanzen im Harn und des künstlichen Diabetes. melli-
a (äi 3) zu erfahren, daß nach Eingabe von Orthonitrophenylpropion-
ne lo, der Indoxylschwefelsäure sehr nahe verwandt ist) bei den Ver-
-md A „Zuckerausscheidung mit vermehrtem Durstgefühl, Polyurie
tachas ome ; hervorgerufen wurde. Er schreibt wörtlich: „Alle diese
Droni nungen sind. aber um so: interessanter, als die Orthonitrophenyl-
2 ro in so naher Beziehung zum Indoxyl und. Indol steht, Pro-
nt ‚des. normalen Stoffwechsels.“ Der Nachweis also eines solchen
metabolischen.-Giftes am -Eintstehungs- und Ausscheidungsort und die
: experimentell von Hoppe-Seyler “und seinen ‚Nachprüfern "und klinisch
: aus meinen Beobachtungen erwiesene Schädigung des Organismus- durch
bei Zersetzung des Darminhalts sich bildende :Gifte bei ihrem Durchgang
durch den Körper fordern zum mindesten auf, der enterogenen Intoxi-
kation bei der Pathogenese .des Diabetes weitgehendste Beachtung zu
schenken. en ee en a FREE
"Weit entfernt davon, den hier angedeuteten Kausalzusammen-
hang zwischen der Produktion indigobildender Substanzen und Zucker-
ausscheidung für alle Fälle von gastroenterogenem Diabetes gel-
tend zu machen, sei zurückgreifend auf Fall 1 und einige früher
von mir mitgeteilte Krankengeschichten die durch neueste Unter-
suchung betätigte Tatsache einer Schädigung der Langerhans-
schen Inseln in einem großen Prozentsatze ‘der untersuchten Dia-
betesfälle hervorgehoben. | | ee ee
| In früheren Mitteilungen suchte ich zu erklären, wie auf dem
Wege der funktionellen Korrelationen zwischen Magendarm und Pankreas
eine solche Schädigung zustande kommen könne. Erwiesen ist heute,
daß dauernd mangelhafte Funktion des Magens, z. B. Achylie, und daß
ferner chronische Darmerkrankungen häufig anatomisch nachweisbare
psthologische Veränderungen des Pankreas im Gefolge haben, die auch
funktionell in der äußeren Sekretion dieser Drüse zum Ausdruck kommen
(mangelhafte physiologische Differenzierung der Frermentproduktion usw.)
— sei os nun als direkte Folge der Magendarmerkrankungen, sei. es
‚unter Mitwirkung einer dritten gemeinschaftlichen; Ursache. „Bei. der
Analyse meiner Fälle von. funktioneller Pankreasachylie habe ich die
Teberzeugung gewonnen, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach sekundär
vom Magen aus erzeugt worden sind“ (A. Schmidt). Als feststehend
darf man ferner annehmen, daß zwar vorzugsweise die Langerhans-
schen Inseln, aber mehr weniger ebenfalls, und bei Bedarf wirksam vica-
-rierend, die Zellen der Acini, Zellen gleicher Abstammung, das „innere“
Sekret ‚liefern oder wenigstens aktivieren (Rosenberger) — also der
Status der ganzen Drüse für die innere Sekretion, das wichtigste Regu-
‚lativ. des Kohlehydrathaushalts, von -Bedeutung. ist; als feststehend ferner,
daß die Leber bei funktioneller Minderwertigkeit des Magendarms funk-
tionell überbelastet und geschädigt wird (siehe unten). Eine Erkrankung
‘des Magens oder Darmes muß also bei bestehendem Diabetes mit Rück-
‚sicht auf das Pankreas als mögliche Grundkrankheit therapeutisch ge-
‘würdigt werden. Es ist schließlich-eine natürliche Konsequenz aus der
durch die Pawlowsche Schule vermittelten Erkenntnis, daß nämlich der
Zustand des Magens wesentlich mitbestimmend ist für die Funktion der
gesamten verdauenden Drüsen unterhalb des Magens, bei mangelhafter
Funktion des Pankreas den Magen wie den übrigen Verdauungstrakt
therapeutisch zu berücksichtigen, uud es ist in diesem Sinne generell
durchaus nicht zu akzeptieren, wenn beispielsweise in einem unserer
besten Lehrbücher der Diätetik „Speck usw. nur für derben Magen z.B.
‚bei einem Diabetiker geeignet“ angeführt werden. |
Besonders möchte ich auf die bei Diabetikern nicht selten
anzutreffenden Befunde von totaler, dauernder Achylia gastrica
hinweisen; eine solche Minderwertigkeit des speeifischen Drüsen-
parenchyms ist nach Martius meist durch eine konstitutionelle
Organschwäche bedingt und es ist nach demselben Autor kein 7u-
fall, daß minderwertige Veranlagung verschiedener verwandter
Organsysteme (z. B. der die Verdauungssäfte produzierenden
Drüsen) sich bei demselben Individuum zusammenfinden (auch
Stillers Astheniker und Cremers Atoniker neigen. zu Glykos-
urien!). Diese Minderwertigkeit manifestiert sich dadurch, daß
normale Lebensreize, die vom Vorgang der Nahrungsaufnahme un-
zertrennlich sind, genügen, ein derartiges Parenchym zu schädigen;
durch Aufsuchen und Ausschalten solcher bei Gesunden unschäd-
lichen, für solch minderwertige Organe aber toxisch wirkenden
Momente ist eine kausale Therapie in meinem Sinne generell ge-
geben. BE Baer EN
Wenn der Diabetes eine Neurose im Sinne Pflügers ist —
und nach vieler Autoren Mitteilung und meinen Beobachtungen ist
diese Definition für manche Fälle von Diabetes in der weiteren
Auslegung einer direkten oder durch exogene oder endogene Fak-
toren unterhaltenen Reizbarkeit des virtuell zuckerführenden Proto-
‚plasmas (Kraus) zutreffend —, so. besteht bei einem als neurogen
‚erkannten Diabetes zum mindesten gleichwertig neben. der ent-
zuckernden Diät eine spezielle gegen die Neurose, besonders gegen
eine etwaige Neurose des sympathischen Nervensystems, gerichtete
sedative Therapie zu Recht. Ein solches Heilverfahren hat sämt-
liche geeigneten, uns in der medikamentösen, physikalischen und
diätetischen Therapie gegebenen Sedativa_zu berücksichtigen; _es
hat ferner der bekannten Tatsache Rechnung zu tragen, daß bei
vielen Diabetikern eine Störung des Stoffwechselgleichgewichts
‚durch übermäßige Eiweißzufuhr bedingt wird, welche als nervöser
Reiz von den Zellen empfunden und infolge Wegfalls gewisser
‚Hemmungen durch Zuckerbildung beantwortet wird. Gerade auf
letzteren Umstand wird, trotzdem Lépine das Wort.prägte.. „Zu
reichliche Ernährung ist eine der elamentaren Ursachen der Zucker-
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1346 BR 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
krankheit“, und die‘neueren Autoren immer wieder betonen, daß
die Nahrung beziehungsweise ihre Assimilation, besonders auch
durch die specifisch dynamische Kraft des Eiweiß, an und für sich
einen zuckerbildenden Reiz darstelle und Reduzierung der Nah-
Iungszufuhr bessere Ergebnisse bezüglich Hebung des Dissimi-
rationsvermögens für Zucker als einfache Beschränkung der Kohle-
hydratzufuhr erzielen kann, in der allgemeinen Therapie wie ganz
besonders in der Prophylaxe zu wenig Wert gelegt. Daß die
zuckerbildende beziehungsweise zuckerausschüttende Reflexwirkung
zugeführter Nahrung auch ganz außerhalb der bisher angenommenen
Bahnen verlaufen kann, zeigt der oben mitgeteilte Fall 2.
Von den vorstehend unter 1 bis3 angeführten Permutationen
diabetogener Möglichkeiten ist der gastroenterogene Diabetes von
Richartz in einem und von mir in einer Reihe klinisch beobach-
teter Fälle erwiesen und darf zum mindesten gleichberechtigt neben
den andern das Kausalverhältnis bezeichnenden Diabetesarten
(„thyreogener“ Diabetes usw.) rangiert werden. Auf welche Weise
pathologische Prozesse im.Magendarm zur Entstehung des Diabetes
führen können, habe ich in früheren Mitteilungen zu erklären ge-
sucht; hier sie nur darauf hingewiesen, daß ich eine Schädigung
der Leber und des. Pankreas, speziell der Langerhansschen
Inseln, durch vom Darm resorbiörte, sowohl von der Darmschleim-
haut sezernierte, als bei bei- der Zersetzung des Darminhalts ent-
standene Substanzen annahm, ferner eine direkte intermediäre
Wirkung solcher Substanzen (indigobildende Substanzen, Ketone)
auf den Ablauf des Kohlehydratstoffwechsels durch Schädigung der
bei der Kohlehydratdissimilation wichtigen Fermente oder der für
die Fermentwirkung notwendigen Medien und endlich einen in-
direkten, beispielsweise auf dem Wege des Sympathicus, zur
Wirkung gelangenden Einfluß furktioneller Erkrankungen des
Magendarms beziehungsweise pathologischer Prozesse im Magen-
darm mit Recht glaube annehmen zu dürfen; spezielle 'auf Grund
der Kombination der von hier und in früheren Mitteilungen zi-
tierten Autoren erhobenen Befunde einerseits und der von mir bei
einzelnen Diabetikern erhobenen klinischen Beobachtungen und
therapeutischen Ergebnissen anderseits. i
Uebrigens haben — allerdings lediglich hypothetisch und
von dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprechenden. An-
schauungen ausgehend — manche Autoren schon vor fast einem
halben Jahrhundert den Diabetes als eine „Krankheit des Magens“
bezeichnet; aber auch neuere Untersuchungen über alimentär
toxische Melliturie und Acetonurie an exsudativer Diathese leidender
Kinder, die Hyperglykämie solcher Kinder (Cobliner) und ihre
Acetonämie bei cyklischem Erbrechen weisen auf Beziehungen
zwischen alimentären endogenen Intoxikationen und den Störungen
des Kohlehydratstoffwechsels.
Wenn man nun dennoch unter Vernachlässigung der durch
solche Kausalkonnexe gegebenen Indikationen durch eine gegen
das Symptom der voll ausgebildeten Krankheit gerichtete Therapie,
die klassische Diabetestherapie, durch Schonung der fermentativen
Kräfte (v. Noorden) oder specifische Organschonung im Sinne
Leubes die bekannten Erfolge und teilweise langjährige Erhöhung
des Dissimilationsvermögens für Kohlehydrate. erzielt, so erklärt
sich der scheinbare Widerspruch zwischen dieser Tatsache und der
‚mit Kausaltherapie gemachten Erfahrung, wenn man der gene-
rellen, für eine große, vielleicht die überwiegende Zahl, jedoch
ausdrücklich nicht für alle Diabetesfälle gültigen Patho-
genese des Diabetes in ihren einzelnen Stadien folgt:
Im ersten Stadium ist eine Schädigung der inneren Sekretion
des Pankreas oft neben einer gleichsinnigen funktionellen Schädi-
gung der Leber durch eine endogene oder von außen zugeführte
Noxe erfolgt — im ersteren Falle oft durch eine bei der Nahrungs-
aufnahme entstandene Toxe; es treten andere Organe und Funk-
tionen (chromaffines System, intermediärer Stoffwechsel, Thyreoidea
usw.) mehr minder vikariierend im Sinne eines physiologischen
Kohlehydratstoffwechsels ein, analog wie etwa der Darm und die
Leber für einen achylischen Magen nach Möglichkeit eintreten.
Diese vikariierenden Faktoren können der übernommenen Aufgabe
naturgemäß nur bis zu einem gewissen Grade gerecht werden,
einem Grade, der einerseits beispielsweise von der Intensität der
Pankreasschädigung abhängt, anderseits können sie eg nur inso-
fern, als sie selbst nicht krankhaft verändert sind, also z. B. nicht
etwa ein pathologischer Tonus des Sympathicus besteht, oder sie
nicht unter pathologischen Allgemeinverhältnissen etwa unter einer
Diathese stehen. Im günstigen Fall ersetzen sie also die Minder-
wertigkeit des Pankreas so weit, daß ein labiles Gleichgewicht des
Kohlehydratstoffwechsels bestehen bleibt, ein Gleichgewicht, dessen
gelegentliche Störung oft Patient und Arzt lange verborgen bleibt:
latenter Diabetes: | |
Ein Beispiel dafür: Kollege X. aus X. entdeckt selbst vor sechs
Jahren 0,2% Zucker in seinem Urin. Komplette Achylie; eine be-
stehende Kolitis wird ausgeheilt mit dem Effekt, daß unbeschränkte
Amylaceentoleranz erreicht wird. Trotzdem ist das Gleichgewicht nur
labil. Wenn der Kollege ein Rezidiv seiner Kolitis durch einen Exzeb
bei Diners mit stärkerem Alkoholgenuß (auch unter Vermeidung von
süßen Speisen und Sekt usw.) herbeiführt, so genügt diese Darmerkrankung,
vielleicht im Verein mit der durch das Uebermaß der Eiweißzufuhr er-
zeugten Belastung des Stoffwechsels und der Reizwirkung des Alkohols,
daß der Patient — nicht am folgenden Tage, sondern drei bis acht Tage
später — 0,2 bis 0,4 9/0 Zucker im Urin nach der Hauptmahlzeit guf-
weist. Durch große Tanningaben (die Einwirkung der Adstringentien auf
die Zuckerausscheidung in manchen Fällen ist eine alte Erfahrung),
Darmspülungen, frugale, amylaceenreiche Dickdarmdiät und drei- bis fünf-
tägige Fleischkarenz ist jedesmal wieder eine Kohlehydrattoleranz wie
vorher in kurzer Zeit erzielt worden.
Ein solcher Diabetes wird also leicht zu einem manifesten,
den ich als symptomatischen Diabetes oder als erstes Stadium
bezeichnen möchte. In diesem Stadium ist die Kausalbehandlung
die einzig indizierte Behandlung, das heißt der etwa zu einer
Pankreasschädigung führende Prozeß einerseits muß ausfindig ge-
macht und, wenn möglich, beseitigt werden und ferner ist zu
diagnostizieren, welche jener vikariierenden Faktoren insuffizient
geworden sind und auf welche Weise sie wieder soweit zu akti-
vieren oder zu unterstützen sind, daß sie zur Ergänzung der
minderwertigen inneren Sekretion desPankreas, der Funktion einer
cirrhotischen Leber usw. genügen. (Schluß folgt.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Hautklinik der Universität Tübingen.
Beiträge zur Salvarsanbehandlung der Syphilis
von
Dr. Alexander Haceius.
Die Hoffnung, durch einmalige Behandlung der Syphilis mit
Salvarsan, diese Erkrankung ein für allemal im menschlichen Or-
ganismus vernichten zu können, „die Therapia magna sterili-
sans“ hat sich leider nicht erfüllt. Selbst bei der Applikation
des Mittels auf intravenösem Wege, der zweifellos doch am wirk-
samsten ist, zeigte die Erfahrung bald, daß auch hier in der Regel
mit der einmaligen Behandlung, mit einer Injektion das Ziel, die
Heilung der Syphilis, nieht erreicht werden kann. Seitdem ist
man rasch von Stufe zu Stufe gestiegen mit dem Erfolg, daß bei
den Luespatienten jetzt an vielen Stellen nicht nur zahlreiche
Salvarsaninjektionen nacheinander gegeben werden, sondern daß
auch in ausgedehntem Maße wieder auf die Hg-Therapie zurück-
gegriffen wird, zur Unterstützung des Salvarsans. Die anfänglich
als bestimmt angesehene Annahme, mit dem Salvarsan die Syphilis-
behandlung wesentlich milder und kürzer sowie in ihren finanziellen
Folgen für den einzelnen wie hauptsächlich die Krankenkassen
| billiger gestalten zu können, hat so zum Teil gerade dem Gegen-
teile Platz gemacht: Erfahren wir doch, daß an einem Teile der
Kliniken an Stelle der vierwöchigen (Quecksilberbehandlung von
früher jetzt die sechswöchige Kur getreten ist mit sechs bis zehn
Salvarsaninjektionen und ebensovielen Quecksilbereinspritzungen
oder -einreibungen. Und selbst damit scheint das Ziel der voll-
kommenen Ausheilung der Syphilis durchaus noch nicht sicher er-
reicht zu sein. Was ist an dieser, der Voraussicht durchaus
widersprechenden Entwicklung schuld, ist der Nutzen des Salvar-
sans so gering oder sind jetzt die Anforderungen an die Therapie
so wesentlich gestiegen?
Daß das Salvarsan ein ausgezeichnetes Mittel im Kampfe
gegen die Syphilis darstellt und daß seine Erfolge dabei wesent-
lich besser sind als bei der Quecksilbertherapie allein, wird wohl
kaum mehr bestritten. Also kommt wohl nur die zweite Möglichkeit in
Betracht. Die beiden Hauptkriterien, die wir für die Beurteilung Un-
seres Erfolges bei der Syphilis haben, sind die Rezidive und die
Wassermannreaktion. In neuerer Zeit ist dazu noch die Unter-
suchung der Oerebrospinalflüssigkeit nach Wassermann,
nach Nonne sowie die auf deren Zellengehalt gekommen, insofern
man jetzt zum Teil schon im Frühstadium auch bei Leuten, die
keinerlei Erscheinungen von nervöser Erkrankung darbieten, eme
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18. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 83. | 1847
zum Teil öftere wiederholte Untersuchung des Liquors vornimmt.
Dis sehr. begrüßenswerten und interessanten Resultate, die so von
Dreyfuß, Spiethoff und Andern auf diesem Wege gewonnen
wurden, dürfen uns aber nicht über die Tatsache täuschen, daß
vorerst die Lumbalpunktion sich kaum als unumgängliches Hilfs-
mittel bei der Behandlung und Beurteilung der Syphilis wird ein-
führen lassen, ganz abgesehen davon, daß es noch nicht erwiesen
erscheint, ob nicht durch häufige Lumbalpunktionen die nervösen
Zentralorgane ungünstig beeinflußt werden könnten. |
In der Praxis werden wir wohl einstweilen noch daran fest-
halten müssen, daß hier der Hauptrichtpunkt das Schwinden der
lustischen Erscheinungen ist. Dazu soll, wo irgend angängig,
jedenfalls in den Kliniken und größeren Krankenhäusern die fort-
laufende Kontrolle des Bluts nach Wassermann treten. Darauf
ist meines Erachtens der Hauptwert zu legen, daß in immer weitere
ärztliche und Patientenkreise die Ueberzeugung dringt von der
Schwierigkeit der dauernden Heilung der Syphilis und der Not-
wehdigkeit der längeren Kontrolle der Patienten. Dies haben wir
uns zur Aufgabe gestellt. Wir schärfen jedem Kranken dringend
die Notwendigkeit der wiederholten Untersuchung ein, namentlich
auch des Bluts, und lassen uns die Patienten zum Teil mit Hilfe
ihrer Aerzte auf dem Land alle drei bis sechs Monate wieder
- kommen.
Es ist schon vor einem Jahre hier über den Erfolg der Sal-
varsanbehandlung bei der Syphilis, hauptsächlich aus der Zeit der
subeutanen und intramuskulären Injektionen berichtet worden. Im
folgenden sollen unsere Resultate mit derintravenösen Salvar-
sanbehandlung zusammengestellt werden. Wir haben dabei nur
Patienten, die länger als vier Monate nach der Salvarsanbehand-
lung beobachtet wurden und die gar nicht oder nur vor längerer
Zeit und in geringem Maße mit Quecksilber behandelt worden
sind, berücksichtigt. Von diesen haben wir jetzt 220 erneut nach-
untersuchen können. Das Resultat ist, um dies gleich vorweg-
zunehmen, sehr günstig: bei über 900, der Fälle wurden
keine Rezidive, bei 60 bis 70°% ein negativer Wasser-
mann beobachtet.
‚Bei der Behandlung sind wir in der Weise vorgegangen, daß
wir, wo irgend möglich, zwei Salvarsaninjektionen kurz hinterein-
ander in Menge von je 0,4 g etwa gaben. Dann wurden zwei bis
drei Monate später durch Nachuntersuchung etwaige Rezidive so-
wie der Ausfall der W.R. festgestellt. War W.R. positiv oder
waren gar Rezidive vorhanden, dann wurde erneut in gleicher
Weise behandelt. War dagegen die Nachuntersuchung ohne posi-
tives Resultat bezüglich Rezidive und Wassermann, dann wird ab-
gewartet bis zu der folgenden Untersuchung, wieder nach einem
etwa vierteljährigen Zeitabschnitte. Wenn zweimal in einem Zeit-
_ Taum von etwa einem halben Jahre nach der Behandlung negativer
Blutbefund sowie Symptomlosigkeit festgestellt wurde, so wird die
Kontrolle gemildert und der Patient nur noch nach einem halben
bis.einem Jahre zur erneuten Untersuchung bestellt. Unser Ziel
war also zuerst Verschwinden der Erscheinungen, Rezidivfreiheit
und die womöglich öfters kontrollierte W.R. Dabei warteten wir
also nach -der Behandlung stets eine gewisse Zeit ab, in der fast
ausnahmslos bald die luetischen Symptome und oft auch die posi-
tive Reaktion verschwanden, ohne daß wir die Behandlung solange
fortsetzten, bis diese Erfolge eingetreten waren. Selbstverständ-
lich waren die Patienten angewiesen, selbst auf das Verschwinden
der. äußeren Erscheinungen zu achten und, falls dies nicht bald
einträte, bald wieder zu erscheinen. Die Kontrollmöglichkeit war
MR unsern Patienten sehr gut, insofern mehr als drei Viertel sämt-
cher -Behandeiten sich wieder, die Hälfte mehrfach etwa alle
lertel- bis Halbjahre, zur Untersuchung hier einfanden. So war
natürlich die Behandlung als recht einheitlich garantiert.
p nsere günstigen Erfahrungen mit dieser reinen Salvar-
sanbehandlung, die ihre Kehrseite in unsern früheren viel weniger
Kanstigeren Erfolgen-mit der reinen Quecksilberbehandlung finden,
a iR uns in dem Vorsatz, auf diesem einmal für gut befunde-
2 ege fortzufahren.- Nur eine Erscheinung veranlaßt uns, auch
a mit der’ Quantität des Salvarsans zu steigen. Wir
m „amlich, zum Teil noch in letzter Zeit, mehrere Neurorezi-
la (39 0). Da es aber nach neuerer Erfahrung nicht
mariek elhatt ist, daß dieselben auf ungenügende Behandlung
vier 1 thren sind, so werden wir in der Folgezeit auf drei bis
njektionen bei einer einmaligen Kur steigen, und versuchen,
a èe unangenehmen Erscheinungen der Neurorezidive sowie
re sonstigen Resultate, namentlich auch bezüglich des
weile iea W.R. zu verbessern. Jedenfalls besteht für uns einst-
n- keine zwingende Notwendigkeit, von dem bisher begangenen
Wege der reinen Salvarsanbehandlung abzugehen, da deren Resul-
tate bisher praktisch recht gute sind und vom. theoretischen Stand-
punkt es wohl unzweifelhaft sehr wichtig ist, an einem einheit-
lichen Material festzustellen, welche Erfolge mit der reinen Salvarsan-
therapie zu erreichen sind und welches die beste Art und Weise
derselben ist. |
Es mag merkwürdig erscheinen, daß wir mit unserer Be-
handlung anscheinend viel günstigere Resultate erreicht haben, als
sie sonst beobachtet werden. Eine sichere Erklärung dafür ver-
mag ich nicht zu geben. Es scheinen mir aber zwei Punkte dabei
hauptsächlich in Betracht zu kommen; erstens der zweifellos viel
gelindere Verlauf, den. die Syphilis in ländlichen Gegenden
nimmt, wo die hygienischen Verhältnisse auch bei den weniger
Bemittelten im allgemeinen wesentlich besser sind als in großen
Städten. Auch. sind durchschnittlich hier die Leute kräftiger,
resistenter gegen Infektionen und die Anforderungen an den Ein-
zelnen in körperlicher und geistiger Beziehung relativ wohl. wesent-
lich geringer als in großen Städten. Unter unsern Fällen ‘wohnten
nur zirka 10/5 in größeren Städten. er
Daneben kommt vielleicht in zweiter Linie der besondere
Modus der Injektionstechnik in Betracht, den wir hier ein-
geführt haben. Wir injizieren mit einer Rekordspritze in viel
konzentrierterer Lösung als es sonst geschieht. In der Regel
haben wir nur eine 1°/yige Lösung, also 0,4 auf 40 cem Wasser,
während sonst ja meist die fünf- und mehrfache Menge des Lösungs-
mittels verwandt wird. Wir haben dieses Verfahren von Anfang
an geübt und sind . dabei geblieben, weil es uns wesentlich ein-
facher und bequemer in der Ausführung zu sein scheint. Nach-
teilige Folgen unserer Technik haben - wir nie gesehen. Die In-
jektionen wurden, besonders seitdem der „Wasserfehler“ aus-
geschaltet ist, stets gut ertragen. Ausnehmen müssen wir nur
folgende zwei Fälle: Wir haben vor kurzem für drei Patienten
eine Injektion frisch vorbereitet in Menge von 1,2 g Salvarsan.
Als nach Zusatz von NaOH zu der Salvarsanlösung die Klärung
eingetreten und die Flüssigkeit abgekühlt war, haben wir wie
bisher stets die Injektion sofort ausgeführt. Zu unserem Erstaunen
traten bei den ersten beiden, sonst gesunden, aber nicht sehr kräftigen
Patienten kurz nach der Injektion teils Erbrechen, teils Kollaps-
erscheinungen auf, ohne daß die Ursache sofort erkennbar war. ,
Erst die genauer6 Prüfung der Reaktion in der noch übrig ge-
bliebenen Injektionsflüssigkeit klärte diesen unangenehmen Zwischen-
fall auf: Es stellte sich nämlich heraus, daß die Flüssigkeit noch
sauer reagierte, trotzdem sie vollkommen klar war, ein Vor-
kommnis, das wir bisher und auch seitdem nicht mehr beobachtet
haben. Daß dies die Ursache der unangenehmen Folgeerschei-
nungen war, erwies die Injektion bei dem dritten Patienten mit
dem noch übrig gebliebenen Rest, den wir zuvor natürlich voll-
kommen alkalisiert hatten. Diese verlief vollkommen reaktionslos,
So haben wir. bei über 800 Injektionen keinerlei‘ unangenehme
Nebenwirkungen außer vereinzeltem Erbrechen, Durchfall oder
leichten Temperaturerhöhungen auf. 38° etwa beobachtet, wie sie
bei sensibleren Leuten, besonders weiblichen Geschlechts, wohl
nicht sicher zu vermeiden sind. =.
Daß unsere Injektionsmethode in ihren Nachwirkungen nicht
schlimmer dasteht als die gewöhnliche Infusion in dünnen Lö-
sungen, geht zur Genüge daraus hervor, daß wir einen großen Teil
unserer Patienten vollständig ambulant. behandelten und nur, wo
es gut möglich war, ein paar Stunden nach der Einspritzung die
Leute in der Klinik ruhen ließen. So sind mindestens die Hälfte
unserer Patienten behandelt worden,
Selbstverständlich beharren wir nicht hartnäckig in allen
Fällen auf der reinen einseitigen Salvarsanbehandlung: Ueberall
| wo wir so kein vollständiges Schwinden der luetischen Erschei-
nungen durch wiederholte Salvarsanbehandlung erzielten, wandten
wir natürlich auch Quecksilber in früherer Weise an, entweder in
Form von Einreibungen oder mit Hg. salicyl.- oder Kalomelinjek-
tionen. Wir haben so unter zirka 700 Patienten nur drei gesehen,
bei denen die Abheilung der äußeren Erscheinungen hauptsächlich
im Frühstadium nicht genügend rasch und vollkommen unter aus-
schließlicher Salvarsanbehandlung eintrat. In diesen Fällen wird
noch Hg. hinzugefügt bis zum Schwinden der Erscheinungen. Von
Jodkali haben wir natürlich öfter Gebrauch gemacht, aber nur in
geringen Dosen bei Spätlues. |
Allerdings bei der Behandlung der positiven W.R. sind
wir nicht in gleicher Weise. vorgegangen. Darüber sind ja einst-
weilen die Akten noch nicht geschlossen, wie dieses Symptom
therapeutisch‘ zu verwerten ist. Im Frühstadium unter allen
Umständen wohl als ein Zeichen- unvollständiger Heilung und
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18. August.
darum erneuter Behandlungsnotwendigkeit. Wie aber im Spät-
stadium die positive W.R. zu behandeln ist, darüber besteht
bisher keine Einigkeit. Die Schwierigkeit liegt hier vor allem in
der Unsicherheit, die positive Reaktion in eine negative zu ver-
wandeln. Damit kommen wir aber in eine andere Gefahr, nämlich
die, daß durch lange fortgesetzte Behandlung die Anforderungen
an die Patienten namentlich in psychischer Hinsicht wesentlich
steigen: die Patienten werden nervös, neurasthenisch, sehen über-
all Erscheinungen von Syphilis und wandern von einer ärztlichen
Hand in die andere, immer getrieben vom dem Gespenst ihrer
positiven W. R. und wir haben zu der Lues noch eine oft recht
schwere psychische Erkrankung bekommen. |
Es ist schwer, hier den richtigen Mittelweg zu finden, ohne
nach der einen oder andern Richtung hin schädlich zu wirken.
Der Standpunkt, der von einer Reihe Praktiker in dieser Hinsicht
eingenommen wird, daß die W.R. für unser therapeutisches Vor-
gehen im Spätstadium vollständig nebensächlich sei, wird von
uns nicht geteilt, da wir eben unter allen Umständen eine positive
Reaktion als Symptom einer noch bestehenden Lues ansehen und
dementsprechend womöglich dagegen vorgehen. Dafür scheint uns
die Salvarsanbehandlung das beste Mittel zu sein, weil sie in ihrer
Wirkung energisch, in ihrer Anwendungsweise schonend und wenig
zeitraubend ist und darum an und für sich die Patienten psychisch
am wenigsten tangiert. Wir haben rund tjg unter unseren Pa-
tienten aus der Spätlatenzperiode (also mindestens sechs Jahre
nach der Infektion) durch die Salvarsanbebandlung dies Symptom
verlieren sehen. Ob allerdings auf die Dauer, das läßt sich bis-
her noch nicht sagen, da ja offenbar nach längerer negativer
Phase die positive Reaktion zurückkehren kann. Immerhin scheint
uns der Erfolg, wenn er auch jetzt noch nicht ganz gesichert ist,
recht ermutigend.
Wesentlich besser sind unsere Resultate in der Früh-
latenz. Hier ist die Reaktion bei über 60%, der Patienten zum
Teil, in etwa der Hälfte der Fälle, mehrfach in drei- bis sechs-
monatlichen Abständen negativ geworden. Natürlich ist hier der
Vorbehalt, ob dieses Resultat ein dauerndes oder nur vorüber-
gehendes sein wird, noch wesentlich mehr ins Gewicht fallend als
bei der Spätlatenz und wir werden daher unsere Patienten in der
schon besprochenen Weise im Auge behalten.
Ueber die Einwirkung der Salvarsanbehandlung auf meta-
syphilitische Erkrankungen, das heißt an unserem Material auf
die Tabes, haben wir nur relativ wenig Erfahrung. Die Um-
wandlung der positiven W.R. in eine negative ging auch bei diesen
Kranken mehrfach sehr günstig vor sich. Dieser Erfolg tritt je-
doch ganz wesentlich an Wichtigkeit zurück gegenüber der Ein-
wirkung des Salvarsans auf die tabischen Erscheinungen. Aber
auch hier haben wir einige recht günstige Erfahrungen, insofern
die Schmerzen, die Ataxien sowie die Sensibilitätsstörungen ver-
schiedentlich ganz wesentlich gebessert wurden. In einem Falle,
der einen Eisenbahnschaffner betraf, bestand vor der Behandlung
eine schwere Ataxie, sodaß Patient nur mit Mühe gehen konnte.
Durch vier Salvarsaninjektionen gelang es, in dem kurzen Zeit-
raume von 14 Tagen bei rein ambulanter Behandlung die Ataxie
bis auf geringe Reste zum Verschwinden zu bringen, sodaß jetzt
nur noch ein leichter positiver Romberg und unbedeutende
Anästhesie an den unteren Extremitäten vorhanden ist. Patient
kann dabei seinem Berufe wieder vollkommen und ohne Be-
schwerden vorstehen.
| Bei unsern Kranken mit tertiärer Lues haben wir aus-
nahmslos die Abheilung der Erscheinungen nach mehr oder weniger
kurzen Zeiträumen beobachten können. Rezidive haben wir dabei
niemals beobachtet, die W.R. wurde in etwa mehr als der
Hälfte der Fälle negativ.
In der Frühperiode sind die Resultate bezüglich der W.R.
wesentlich günstiger. Unter 27 Patienten mit primärer Lues
wurden 85°), negativ, darunter 23 Fälle bei wiederholten Unter-
suchungen in viertel- bis halbjährlichen Zwischenräumen.
In der Sekundärperiode sahen wir unter 78 Fällen in
etwas über der Hälfte der Beobachtungen den Umschlag der
W.R. von positiv in negativ. Auch dabei sind mehr als ein
Drittel durch wiederholte Untersuchungen mit negativem Resultat
gesichert.
Hereditär luetische Patienten haben wir 18 behandelt
mit einem vollkommenen Resultat bezüglich der äußeren Erschei-
nungen. Auch die W.R. wurde in zirka 60%, negativ.
Noch erheblich günstiger sind unsere Erfolge bezüglich der
Rezidive. Nur bei drei unter den 27 Patienten mit Lues I sahen
wir Rezidive: einmal sekundäre Erscheinungen, zweimal Neuro-
rezidive; Kopfschmerzen und eine Facialis- mit Acusticuslähmung.
In der sekundären Periode sind drei Rezidive an der Haut, sowie
drei Neurorezidive beobachtet worden. Aus der Spätperiode fehlten
bisher Rezidiverscheinungen vollkommen.
Wie schon betont, ist der Befund der relativen Häufigkeit
von Neurorezidiven in unserm Material das Bedenklichste und
wir entnehmen daraus die Notwendigkeit einer weiteren Verstärkung
unserer Behandlung. Beobachtet haben wir dreimal Acustieus-
schädigungen, einmal vollständige Taubheit auf dem einen Ohre,
die andern Male erhebliche Herabsetzung des Gehörs ebenfalls nur
auf einer Seite. Während in zwei Fällen die Störung nach otia-
trischem Urteile central zu suchen war, wurde sie einmal, bei der
kombinierten Facialis-Acusticusläihmung, für peripher bedingt an-
gesehen. In all diesen Fällen haben wir wiederholte Salvarsan-
injektionen gemacht und bei zweien wesentliche Besserung des
Gehörs danach beobachtet. Bei zwei weiteren Fällen stellten sich
trotz Schwinden aller äußeren Erscheinungen und negativer W.R.
heftige Kopfschmerzen ein, die unter Salvarsan nicht aufhören
wollten. In beiden Fällen mußte eine Quecksilbertherapie ein-
geleitet werden, die dann, aber auch erst nach längerer Zeit, Besse-
rung brachte.
Die Neurorezidive sind nie direkt im Anschluß an die Sal-
varsantherapie aufgetreten, frühestens vier Wochen danach.
Diese Bevorzugung des Acustieus ist ja auch anderwärts
beobachtet worden. Bei zwei Fällen konnte man in der Beschäfti-
gung der Patienten eine gewisse Erklärung für diese Lokalisation
finden, insofern der eine, ein Jäger, angab, nach einer Jagd mit
öfterem Schießen die ersten Erscheinungen von Schwerhörigkeit
beobachtet zu haben, während der andere selbst in seiner Stein-
schleiferei mit deren betäubendem Geräusch eine gewisse Prä-
disposition für seine Erkrankung sah. u
Wir haben übrigens gerade in letzter Zeit bei zwei Patienten
mit sekundärer Lues, die aber noch ganz unbehandelt je vier bis
sechs Monate bestanden hatte, erhebliche Herabsetzung des Gehörs
feststellen können, die nach der Anamnese erst nach der Infektion
aufgetreten war. In beiden Fällen handelte es sich nach otiatri-
schem Urteil ebenfalls um eine central bedingte Störung, für die
sonst eine Ursache nicht erkennbar war und die durch die Sal-
varsanbehandlung wesentlich gebessert wurde.
wenigstens bei dem Teile der Fälle annehmen zu können, der nach
der Behandlung längere Zeit symptomlos geblieben war und auch
bei mehrfacher Untersuchung ohne positiven Blutbefund befunden
wurde? Leider fehlen uns hier alle positiven Unterlagen, da eben
Symptomlosigkeit und negativer Wassermann nichts beweisen.
Immerhin glaube ich, bei einigem Optimismus, ohne den der Arzt
nicht auskommen kann, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an-
nehmen zu können, daß die Syphilis in diesen Fällen ausgeheilt
ist. Wir besitzen sogar in zwei Fällen gewisse indirekte Beweise
für diese Annahme: Vor etwa 11/, Jahren kamen kurz nach-
einander zwei verheiratete Männer in unsere Behandlung mit
frischen Primäraffekten. Wir haben bei denselben sofort die Sal-
varsanbehandlung eingeleitet in der besprochenen Weise, daß wir
also zuerst zwei Injektionen à 0,4 gaben, nach denen in kurzer
Zeit die Sklerosen abheilten. Einen Monat später wurde bei beiden
eine Wiederholung dieser Behandlung vorgenommen, trotz Symptom-
losigkeit und negativer W.R. Endlich gaben wir auf wiederholtes
Drängen nach weiteren vier Wochen noch einmal eine Injektion.
Vor kurzem wurden in beiden Familien gesunde Kinder geboren,
die ebenso wie ihre Mütter vollständig frei von luetischen Erschel-
nungen waren, sowie negative W.R. zeigten. Auch die in der
Zwischenzeit mehrfach vorgenommene Blutuntersuchung der Väter
uns auch keinen sicheren Beweis der Syphilisheilung geben, 60
glaube ich doch, daß wir mindestens eine große Wahrscheinlich-
keit für diese Annahme darin sehen dürfen. Jedenfalls scheint
Haben wir nun einen Anhalt, eine Heilung der Syphilis |
fiel vollkommen negativ aus. Wenn diese beiden Beobachtungen .
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. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33. | 1349
mir in -diesen Fällen keinerlei Anhaltspunkt zur Notwendigkeit
einer Fortsetzung der Behandlung ‚gegeben.
Es ist in letzter Zeit verschiedentlich darauf hingewiesen
worden, daß unter Umständen durch Salvarsan oder Quecksilber-
behandlung in zweifelhaften Fällen eine vorher negative W.R.
positiv werden könnte als Zeichen, -daß irgendein kleiner, ver-
steckter Here von Spirochäter- doch noch im Körper vorhanden
sei. Man stellt sich dies so vor, daß durch die erneute Behand-
lung solche Reste abgetötet werden, wodurch deren Gifte, ins Blut
gelangend, jetzt erst mittels der W.R. nachweisbar seien. 'Es wäre
natürlich von größter Bedeutung, wenn diese Erfahrung stets zu-
träfe. Leider: ist dies nicht der Fall. Wir haben mehrere Pa-
tienten .mit kleinen tertiären Erscheinungen an der Haut und nega-
tiver W.R. daraufhin untersucht, ohne daß dieser Umschlag ein-
getreten wäre, trotzdem die Hauterscheinungen prompt unter der
Salvarsanbehandlung abheilten. Anderseits sahen wir doch dreimal
unter etwa 100 solchen Untersuchungen die vorher negative W.R.,
in eine positive umschlagen. In zwei weiteren Fällen wurde die
vorher schwachpositive Reaktion deutlicher nach der Salvarsan-
behandlung. f |
Ziehen wir aus unsern Erfahrungen einen Schluß, so geben
dieselben einmal’ eine vorzügliche Illustration der ausgezeichneten
Wirkung des Salvarsans bei Syphilis: wir sehen die besten Erfolge
im Frühstadium, namentlich nach der Behandlung kurz bestehender
Initialsklerosen. Weniger günstig, aber immerhin noch recht gut
sind unsere Erfahrungen mit der Salvarsanbehaudlung bei der
Spätsyphilis und im Latenzstadium. Trotz reiner Salvarsan-
behandlung mit nur zwei, eventuell in gleicher Weise wiederholten
intravenösen Einspritzungen traten nur ganz ausnahmsweise Rezi-
dive auf, die meisten am Nervensystem. Wir hoffen hier durch
eine weitere Verstärkung unserer Salvarsanbehandlung noch bessere
` Erfolge zu erzielen. Diese Behandlung ist für den Patienten sehr
wenig eingreifend und läßt sich, wenn nötig, ohne jede Berufs-
störung vollständig ambulant durchführen. Das ist ein großer
Vorzug vor der Quecksilberbehandlung, die in unsern Fällen, wie
erwähnt, mit wenigen. Ausnahmen vollständig ausgeheilt wurden.
Auch bezüglich des Umschlags der positiren W.R. haben wir im
ganzen recht günstige Erfahrungen gemacht mit unserer reinen
x
Salvarsanbehandlun g.
Literatur: 1. Ehrlich und Hata, Die experimentelle Chemotherapie
der Spirillosen. (Berlin 1910, Springer: — 2. Ehrlich, Abhandlungen über
Salvarsan. (München 1910, Lehmann.) — 3. Ehrlich, Krauss und v. Wasser-
neun, Zwei Jahre Salvarsautherapie. (Leipzig 1912, Thieme.) — 4. Die Be-
gadhing der Syphilis mit 606. (Leipzig 1910, Thieme.) — 5. v. Stokar, Die
yphilisbehandlung mit Salvarsan. (München 1911, Lehmann.) — 6. Finger,
10 Nebenwirkungen des Salvarsans. (Wr. med. Woch. 1911 u. 1912.) — 7. Be-
ver Zur Frage der Neurorezidive. (Wr. med. Woch. 1912.) — 8. Mucha,
Ne Salvarsanbehandlung bei Syphilis. (Wr. med. Woch. 1911) — 9. Genne-
nr Bericht über ‚ Salvarsanbehandlang. (Berlin i91i1, Hirschwald) —
e Müller,-Der Einfluß der Therapie auf die Wassermannsche Reaktion bei
„esteyphilis. (D. med. Woch. 1912.) — 11. Teuffel, Ueber Salvarsanbehandlung
ei Syphilis und ihre Resultate. (Inaug.-Diss. Tübingen 1911.) — 12. Spiet-
hoff, Salvarsan und Nervensystem. (M. med. Woch. 1912, Nr. 20 u. 21.) —
3. Dreyfuß, Nervöge Spätreaktion Syphilitischer nach Salvarsan. (M. med.
Woch. 1912, Nr. 19.)
Blutungen und mäßigwarme Thermalkuren‘)
von
Dr. Wilhelm Schulhof, Bad Höviz in Ungarn.
Auft Wenn ich hier über meine Beobachtungen in bezug auf das
uitreten, respektive Verhalten von Blutungen bei Thermalkuren
spreche, so muß ich kurz vorausschicken, daß es sich in den
en von denen nun die Rede ist, immer um Vollbäder von
hand Tage ‚34 bis 350 C. Temperatur in der Akratotherme Heviz
eine 910, welche in einer von der Natur etwa bis zur Hälfte mit
m Quellschlamm von der doppelten Radioaktivität des Fango di
artaglia ausgestatteten Piscine bei günstigem Wetter unter freiem
er B bei sitzender oder aufrechter Stellung der Patienten mit
atina er: von 20 bis 60 Minuten verabreicht wurden. Die
enten atmen während des Badens die von stark aktiven Quell-
kalitä geschwängerte Luft ein und werden auch zum Teil in Lo-
linee „welche natürliche Emanatorien darstellen, kürzere oder
gere Zeit hindurch eingepackt.
habe a mehreren Seiten wurde darauf hingewiesen, ich selbst
za Aeußerungen von Kollegen einigemal vernommen,
-3 Vortrag.‘ |
Gesellschaft a Aee r der 33. Versammlung der Balneologischen
daß Kuren mit Radiumemanation auf Blutungen im allgemeinen
einwirken, indem sie solche bei vorhandener Disposition hervor-
rufen, vorhandene Blutungen, z.B. die weiblichen Sexualblutungen
intensiver gestalten. Da die Mehrzahl der Thermalbäder er-
wiesenermaßen ebenfalls Emanationskuren abgeben, so glaube ich,
daß die Frage der Beziehungen zwischen Blutungen und Thermal-
kuren auch von diesem Standpunkt aus in vollem Maße beachtet
zu werden verdient und. daß es wünschenswert sei, durch je
mehrseitigeres Sammeln von diesbezüglichen Daten dieser Frage
auf empirischem Wege näher zu kommen. ji |
Meine Beobachtungen über Blutungen im Verlaufe von Thermal-
kuren erstrecken sich über mehr als sechs Jahre, und im folgenden sei
mir gestattet, über meine Erfahrungen in möglichster Kürze zu referieren.
In erster Reihe ist das Verhalten der Menstruation
von Interesse. Diesbezüglich haben in den letzten Jahren Gott- `
schalk und Löbel ihre Ansichten veröffentlicht, welche ich wohl -
hier als bekannt voraussetzen darf. Meinerseits habe ich in sehr
vielen Fällen, wenn auch gar keine pathologische Veränderung der
Genitalorgane nachweisbar war, beobachten können, daß die Blu-
tungsintervalle während der Kur, welche bei 25 bis 45jährigen
Frauen mit chronisch-rheumatoiden Leiden mitunter selbst bis
3l/g Monate hindurch fortgesetzt wurde, kürzer, die Dauer der
Blutungen ‚hingegen etwas länger wurde. Die Blutung trat um
zwei bis ‚sechs Tage früher auf und dauerte einen bis drei Tage
länger als sonst gewöhnlich. Allerdings war bei den so lange be-
obachteten Frauen eine chronische Gelenkkrankheit vorhanden, die
‚gar oft bei Frauen auftritt, bei denen Unregelmäßigkeiten der
Periode oder frühzeitiges Klimakterium vorkommen und wo die
Annahme, daß das Auftreten jener Gelenkaffektionen in einer Un-
regelmäßigkeit der inneren Sekretion der Ovarien, also in einer
Störung der Hormonbildung, in einer sogenannten Dysovarie seinen
Grund hat, nicht unwahrscheinlich klingt. Nun wäre es ja nicht
auszuschließen, daß bei diesen Patienten eine gewisse Labilität der
Ovarialfunktion auch ohne nachweisbare anatomische Veränderung
besteht und daß durch die Thermalkur eine Steigerung der Hor-
monbildung, eine Hyperovarie — wenn auch nur eine vorüber-
gehende — entsteht, und’ dies würde die Abkürzung des Perioden-
intervalls, sowie die Verlängerung der Dauer der Blutung genügend
erklären. l |
In einzelnen Fällen habe ich bei längerer Dauer der während
der Kur aufgetretenen Menses kleinere bis dahin nicht beachtete
Fibrome entdeckt, doch waren diese Blutungen durch Verabreichung
der usuellen Styptieis auch bald gestillt und haben den Verlauf
der anderer Krankheiten halber nötigen Kur nicht wesentlich ge-
stört. Bei residuellen Entzündungsprodukten der weiblichen Ĝe-
schlechtsorgane habe ich eine sehr günstige Einwirkung der
Bäderbehandlung auf die von den Patienten in den anamnestischen
Daten als übermäßig bezeichnete Blutungen beobachten können.
Aehnliche gute Erfahrungen hatte Platzer mit 32 bis 35 grädigen
Moorbädern bei chronischer Metritis und Endometritis?), |
Ich muß hier die Beobachtung hervorheben, daß in einem
als Volksbad dienenden Teile des Bades — das aber die therapeu-
tischen Faktoren des eigentlichen Heilbads fast in gleichem Maße
besitzt und von dem Bauernvolke der näheren und weiteren Um-
gebung sehr frequentiert wird — die Bauersfrauen nach alter Sitte
stundenlang und auch mehrere Tage hindurch öfters täglich baden
— denn sie wollen die fünf bis sechs Tage, die sie sich gewöhn-
lich nach der Ernte hier gönnen, so recht intensiv ausnutzen —,
sich durch das eventuell in diese Zeit fallende Auftreten der Men-
struation absolut nicht stören lassen, trotzdem aber gar keinen
Schaden hierdurch erleiden. Wenn ab und zu eine sich nachher
unwohl befindet oder ungewöhnlich lange blutet, und nachträglich
um ärztlichen Rat kommt, so sind bei derselben gewiß auch ana-
tomische Veränderungen, gewöhnlich Endometritis nach nicht kunst-
gerecht behandeltem Abortus vorhanden. Obwohl ich meinen Pa-
tientinnen, auch wenn sie quoad genitale gesund sind, vom Baden
wäbrend der Menses prinzipiell abrate, da es ja im vorhinein doch
nicht absolut feststeht, ob nicht eine Schädigung durch das Baden
entsteht und ich diesbezüglich keine Verantwortung zu tragen
wünsche, so muß ich doch sagen, daß ich oft genug sali, daß bei
gesunden Geschlechtsorganen das Baden während der Menses in
unserer mäßig warmen Therme gar keine üblen Folgen nach
ich zog. f
= Den oben erwähnten Einfluß auf die Menstruation bin ich
nicht geneigt der Radioemanation zuzuschreiben, da ich eine An-
zahl von Patientinnen während der Menses ohne Bad in den ema-
1) XXI, Ungarischer Balneologenkongreß. Budapest 1911.
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1350 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
natoriumartigen Einpackungsräumen stundenlang der Inhalation
von radiumemanationshaltiger Luft aussetze und davon gar keine
Beeinflussung des gewöhnlichen Charakters ihrer Menses sehe.
Es baden auch allzuoft ohne oder gegen ärztlichen Rat, oder
nicht mit der verordneten kurzen Dauer, Schwangere in den ersten
Monaten, einige vermutlich mit der bösen Tendenz, eine Fehlgeburt
hervorzurufen, doch muß ich konstatieren, daß dies nicht gelingt.
Ich sah bei Patientinnen, die die Verordnungen regelrecht einge-
halten haben (wöchentlich vier bis fünf Bäder mit entsprechend
kurzer Dauer und übliches hygienisch-diätetisches Regime), in den
letzten sechs Jahren überhaupt keinen Abortus, die vorgekommenen
Fehlgeburten betrafen Begleitpersonen, sonst gesunde, nicht in
Behandlung gestandene Frauen, bei denen andere Ursachen eine
Rolle spielten. Da sehr viele Aerzte der Ansicht sind, daß jede
Thermalkur eo ipso unbedingt geeignet ist, eine Fehlgeburt her-
vorzurufen, wird sie schwangeren Kranken — die eine derartige
Kur vielleicht dringend benötigen würden — häufig vorenthalten.
Ich glaube, daß dies nicht nötig sei, so man nur dafür sorgt,
daß der Faktor: „zu intensive Wärme“ aus der Kur ausge-
schaltet wird.
Eine andere Art der häufigen Blutungen, auf weiche man bei
Verordnung von Thermalbädern bedacht sein soll, ist die Hä-
morrhoidalblutung. Obwohl durch die günstige Wirkung des
Bades auf die Circulation während und nach der Kur gewöhnlich
eine Besserung des Leidens einzutreten pflegt —, kommen mit-
unter Fälle vor, meistens mit großen phlebektatischen Knoten, bei
denen die oft obstipierende Wirkung lauwarmer oder heißer Bäder
Anschwellung und darauffolgende stärkere Blutungen resultieren.
Diesen kann man durch leichte Laxantien, ausgiebige Bewegung,
Zanderübungen vorbeugen; bei eingetretener Hämorrhoidalblutung
sollen die Bäder zwei bis drei Tage ausgesetzt werden, während
dieser Zeit sind Bettruhe, kalte Kompressen, Ichthyolsalbe am
Platze.
Bei Varicosität der unteren Extremitäten kommt es nament-
lich bei sehr korpulenten Frauen mit oberflächlichen Varixknoten
mitunter auch zu Blutungen; war diese nicht bedeutend, so lasse
ich am nächsten oder zweitnächsten Tage mit einem aseptischen
und wasserdichten Verbande wieder baden.
Eine seltene Art varicöser Blutung beobachtete ich bei einem
49jährigen Manne. Der betreffende bekam gewöhnlich bald nach Beginn
einer jeden Thermalkur Blutungen aus der Harnröhre. Mäßige Arterio-
sklerose. Chronische Gelenkschmerzen ohne bedeutenden objektiven Be-
fund. Keine vorausgegangene Gonorrhöe. Prostata etwas größer. Ure-
throskopisch: Bedeutend erweiterte Venen der hinteren Harnröhrenpartie.
Die Blutung war besonders nach dem Harnlassen bedeutend, dann stillte
sie sich langsam, da sich in der Harnröhre ein zylindroides Gerinnsel
bildete, das ein unbehagliches Gefühl erweckte. Beim Harnlassen wurde
dieses zuerst herausgestoßen, dann kam der Harn fast ganz klar, mit
dem letzten Teil des Urins begann die Blutung wieder, und dauerte so
lange, bis das Gerinnsel das Harnröhrenlumen neuerdings ausfüllte Es
gelang mir, durch sterile 10 %/,ige Gelatininjektionen zu erreichen, daß
die Blutung nach zwei bis drei Tagen ganz wegblieb. Eine Zeitlang ließ
ich noch nachträglich Gelatineinjektionen verabreichen, wie auch Hydrastis
und Secaleextrakt innerlich nehmen.
Bei Arteriosklerose sollen heiße Bäder wegen der drohen-
den Hirnblutungen allenfalls verboten werden. Doch gerade
hier wird sich die Indikation mäßigwarmer Akratothermen mit
großen Chancen stellen lassen. Unser Bad wird von älteren
Herren und Frauen mit ganz ausgeprägter Arteriosklerose in
überaus großer Zahl frequentiert. Gar viele derselben besuchen
den Kurort schon 10 bis 20 Jahre jährlich ohne Unterbrechung
und wollen den Mahnungen, nicht zu viel und zu lange zu baden,
nur sehr ungern Gehör schenken, da sie sich während und nach
der drei bis vier Wochen dauernden, oft ziemlich energischen Kur
(manche baden gar zweimal täglich und 30 bis 60 Minuten) in
allen ihren Lebenserscheinungen erfrischt fühlen. Hirnblutungen
kommen trotzdem viel seltener vor, als man geneigt wäre hier-
bei ab ovo anzunehmen. Mein ärztlicher Rat wurde in sechs
Jahren bloß viermal wegen Apoplexien in Anspruch genommen;
es handelte sich durchweg um Individuen über 70 Jahre, die zu
lange badeten (in einem Falle zweimal täglich über je 60 Minuten),
sehr vorgeschrittene Arteriosklerose hatten und sich überhaupt
nicht um ärztliche Verordnungen kümmerten, das ist gleichzeitig
diätetische Fehler, besonders Alkohol- und Nikotinmißbrauch be-
gangen. Die Fälle verliefen alle glücklich, in zwei Fällen wurde
die linke Körperhälfte gelähmt, sie blieb es auch, so lange ich die
Fälle beobachten konnte, — in einem Falle war nur eine sehr ge-
ringe Parese vorhanden, die bald verschwand, in einem Falle traten
Störungen der Augenmuskel und der Facialisinnervation der rechten
Seite auf, doch trat auch hier Besserung ein. Daß es sich immer
um Fehler seitens der Patienten handelte, glaube ich auch durch
den Umstand beweisen zu können, daß jährlich eine nicht unbe-
deutende Zahl von Hemiplegikern unser Bad aufsucht, um gegen
Schmerzen, Lähmung, Parästhesien usw. ihrer kranken. Extremi-
täten Linderung zu suchen und es noch niemals vorkam, daß
diese — gewiß prädisponierten Kranken, einen neuerlichen Anfall
während oder nach der Kur erlitten, da diese den vorgeschrie-
benen Vorsiehtsmaßregeln gehorchten.
Phthisiker im allgemeinen, besonders aber mit Neigung
zu Hämoptoö, sind auch von einer mäßigwarmen Thermalkur aus-
zuschließen. Leider sah ich einige Fälle bei Bauersleuten, die
sich vorher nicht untersuchen ließen und ihre Rücken- und
Schulterschmerzen für Ermüdungserscheinungen qualifizierten, daß
schon nach wenigen, wenn auch etwas langer protrahierten Bädern
in der Volksbadabteilung Hämoptyse einsetzte. Mit Vorsicht er-
laube ich jedoch unsere Bäder Individuen, bei denen geheilte tuber-
kulöse Herde vorhanden sind, auch wenn die betreffenden früher
Hämoptos hatten und mußte dies bisher in keinem Falie bereuen.
Patienten mit Magen- und Darmgeschwüren oder mit zu
Blutungen neigenden Geschwülsten sollte auch eine mäßigwarme
Thermalkur nicht verordnet werden, da man immer sehr arge
Zwischenfälle befürchten muß.
Ich hätte nun die häufiger in Betracht kommenden Blu-
tungen erwähnt. Separat möchte ich noch die Aufmerksamkeit
darauf lenken, daß unter den Gelenkkranken, die ja einen großen
Prozentsatz der in Thermalbäder kommenden Patienten bilden, —
jedenfalls auch solche mit M. Werlhoffii vorkommen. Meiner-
seits konnte ich zwar nicht viele, insgesamt nur drei Fälle beob-
achten, doch muß ich feststellen, daß bei diesen die Badekur auf
die Hauterscheinungen bei weitem keine so günstige Wirkung aus-
übte, wie auf die Gelenkaffektion. Im Gegenteil, ich sah bei Pa-
tienten, deren Haut schon fast ganz frei war, bedeutende und aus-
gedehnte, grieskorn- bis pfenniggroße Blutungen in der Haut, be-
sonders an den unteren Extremitäten, auftreten. Ich mußte in
zwei dieser Fälle, obwohl andere Symptome der Krankheit sich
geebessert hatten, die Kur einstellen, da die Patienten durch diese
Erscheinung überaus beunrubigt wurden. Es wäre von Inter-
esse, die Erfahrungen über Badekuren bei M. Werlhoffii und
eventuelle Erfoige einer parallelen Serumbehandlung zu sammeln.
Wenn ich nun meine Beobachtungen ganz kurz zusammen-
fasse, so muß ich sagen, daß Thermalkuren, bei welchen
33 bis 35 gradige Temperaturen nicht überschritten wer-
den, selbst bei vorhandener Disposition keine nennens-
werte Gefahr pathologischer Blutungen in sich bergen,
— ich sah solehe nur in verschwindend kleinem Prozent-
satz eintreten und gewöhnlich konnte dabei auch ein
außerhalb der Kur stehender Grund angenommen werden.
Ich glaube, daß ich als Ursache hierfür annehmen kann,
daß infolge der mäßigen Temperatur und des Reizes
der sich an die Haut langsam anlegenden Gasperlen hier
jene intensive Gefäßcontraction der Peripherie fehlt,
die sich knapp nach Eintritt in ein heißes Bad einstellt
und eine sogenannte Rückstauungshyperämie der cen-
tralliegenden Organe mit Blutdrucksteigerung erzeugt,
und erst nach den ersten Minuten einer Erweiterung
der peripheren Gefäße Platz gibt. (Nur’ in wenigen Fällen
'verordne ich vorsichtshalber gegen eventuelle Rückstauung kalte
Kompressen.) Diese kritischen ersten Minuten fallen bei
der mäßigwarmen Temperatur weg.
Der Kalkstoffwechsel bei Verdauungsstörungen H)
von
Dr. Krone, Sooden-Werra.
Wollen wir die Indikationen unserer Mineralwässer aut eine
feste, wissenschaftliche Grundlage stellen, so wie es die Klinik mit
Recht verlangt, so müssen wir durch exakte Bilanzversuche in das
noch immer ziemlich dunkle Gebiet des Mineralstoffwechsels immer
weiter einzudringen versuchen.
Im Vordergrunde des balneologischen Interesses steht mo-
mentan der Kalkstoffwechsel, zu dem ich heute auch einen kleinen
Beitrag geben möchte auf Grund meiner Bilanzversuche, die ich
) Vorläufige Mitteilung, al Balneologen-
kongreß 1912. 8 ung, als Vortrag gehalten auf dem g
18. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
auf Anregung von Herrn Geh.-Rat Adolf Schmidt in der Medi-
zinischen Klinik zu Halle gemacht habe.
Wie bekannt, verläßt unter normalen Verhältnissen der größte
Teil des durch die Nahrung aufgenommenen Kalkes den Organis-
mus durch den Darm, nur ein kleiner Teil durch die Nieren.
Das Verhältnis des Anteils, in dem sich die Exeretions-
organe an der Ausfuhr beteiligen, kann durch verschiedene Nahrung,
beziehungsweise durch Zusätze zu derselben erheblich modifiziert
werden. Es hängt besonders auch mit der Menge der Phosphor-
säure in der Nahrung zusammen. Treffen Kalk und Phosphor-
säure zusammen, so entsteht Calciumphosphat, das die Nieren
schlecht passiert und vorwiegend durch den Darm ausgeschieden
wird. Darum sind auch die meisten der vorliegenden Kalkstoff-
wechseluntersuchungen, die nur den Anteil der Niere an der Kalk-
ausscheidung berücksichtigen, selbst bei genauster Kontrolle der
Nahrungseinfuhr nicht zu verwerten.
Allerdings verlaufen schon unter gewöhnlichen Ernährungs-
verhältnissen Kalk- und Phosphorbilanzen, die physiologisch in
einem gewissen konstanten Verhältnis stehen sollten, manchmal
ganz verschieden und je nach der Nahrung treten verschiedene
Verhältnisse ein.
Beim Menschen gehen nach Bertram (1) 0,1 bis 05 g
Kalk täglich in den Harn, sind also sicher resorbiert worden.
Die mit dem Harn ausgeschiedene Kalkmenge nimmt nach
Aufnahme von phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk zu.
Die unlöslichen anorganischen Kochsalze werden im Magen
in kleineren oder größeren Beträgen, je nach der Menge der ge-
bildeten Salzsäure gelöst, aber nur zum kleinsten Teil hier resor-
biert; die Resorption findet hauptsächlich in den oberen Dünndarm-
partien statt.
Die Hauptmenge des Kalkes wird jedenfalls durch den Kot
entleert, entweder, weil er gar nicht resorbiert, oder, weil er nach
der Resorption und nach dem’ Kreislauf im Körper wieder in den
Darm abgeschieden wird.
So erscheint z.B. im Hunger ein Teil des durch den Körper-
zerfall freigewordenen Kalkes im Stuhl [Fr. Müller und Munk (2)].
Ebenso treten subeutan oder intravenös injizierte Kochsalze sehr
bald und zum größten Teil durch den Darm aus, und zwar vor-
zugsweise durch den Dickdarm; in kleinen Teilen auch durch den
Dünndarm [E. Voit und C. Voit (3 und 4)].
Obwohl nun der Darm die eigentliche Sekretionsstätte für
den Kalk ist, liegen doch noch keinerlei Bilanzversuche vor, welche
uns Aufschluß darüber geben, ob einfache Störungen ın der Funk-
tion des Darmes — wie Obstipation und Durchfall — die Se-
kretionsstätte und damit den Kalkstoffwechsel in irgendeiner Weise
beeinflussen.
Es war daher von Interesse, Bilanzversuche in dieser Rich-
tung an geeigneten Patienten, die an Obstipation, beziehungsweise
Durchfall litten, vorzunehmen. Man hätte eventuell annehmen
können, daß bei Obstipation mehr Kalk in den Darm ausgeschieden
würde; bei Durchfällen, die auf beschleunigten Durchgang im Dick-
arm zurückzuführen sind, entsprechend weniger. |
Ich habe im ganzen mit zehn Versuchspatienten gearbeitet, vier
davon litten an Verstopfung, fünf an Durchfall, während ich einen Pa-
enten mit normaler gesunder Darmfunktion zur Kontrolle unter den
gleichen Einfuhrbedingungen, wie ich sie für die übrigen festgesetzt,
untersucht habe. | T ea ng
Die Ausführung der Versuche habe ich, wie folgt, vorgenommen:
Sämtliche Versuchspatienten erhielten als Nahrung nur Milch und Zwie-
back. Bereits einen bis zwei Tage vor den Versuchstagen und ebenso
einen bis zwei Tage nachher wurden die Patienten ebenfalls auf die
gleiche Diät gesetzt, damit möglichst gleichmäßige Ausscheidungen im
Urin und im Darm garantiert werden konnten. Die Versuchstage wurden
durch Eingabe von 1,0 Caruen abgegrenzt. .
Die Bestimmungen im Urin nahm ich aus einem Mischurin der
Versuchstage derart vor, daß ich zunächst nach Kjeldahl den Gesamt-
stickstoff bestimmte. Dies geschah hauptsächlich der Kontrolle der Bin-
fuhr wegen. Die Phosphorsäure wurde durch Titration mit Uranacetat,
der Kalk aus dem nach Neumann veraschten Urin gewichtsanalytisch
bestimmt. Den Gesamtstickstoff aus dem gemischten Kot stellte ich
ebenfalls nach Kjeldahl lediglich zu Kontrollzwecken fest. Die Phos-
phorsäureanalyse aus den Faeces gewann ich durch die Methode nach
Neumann, während der Kalk in gleicher Weise wie derjenige aus dem
Urin bestimmt wurde. |
Bei jeder Bestimmung wurden zwei Kontrolluntersuchungen vor-
genommen, und nur solehe Werte berücksichtigt, die annähernd überein-
stimmten und sich nicht über ganz leichte Fehlergrenzen hinaushoben.
In der untenstehenden Tabelle habe ich die Ergebnisse der Bilanz-
versuche zusammengestellt. |
Ziehen wir aus den Ergebnissen das Fazit, so müssen wir
sagen, daß weder die Obstipation noch der Durchfall einen gleich-
mäßigen nennenswerten Einfluß auf den Ablauf des Kalkstoff-
wechsels ausüben. Das Verhältnis von Urin- und Darmausscheidung
bewegt sich nicht außerhalb der von Richter (5) angegebenen
Grenzen, als welche für den Urin 4 bis 290), gelten. |
Wenn bei meinen Versuchen durchweg die Kalkausscheidung
durch den Darm auf Kosten der Ausscheidung durch den Urin
vermehrt ist, so dürfte dies in erster Linie auf die Milchnahrung
zurückzuführen sein — denn nach den Untersuchungen von Oeri (6):
nimmt der CaO-Gehalt des Stuhles auf Kosten des Urins bei Milch-
nahrung zu. |
Unsere Voraussetzung, daß bei den Obstipationspatienten
mehr Kalk in den Darm ausgeschieden werden würde — bei den
Durchfallpatienten entsprechend weniger — hat sich in irgend-
einem, gleichmäßig durch die ganze Versuchsreihe gehenden ein-
heitlichen System nicht erfüllt. Denn wenn wir auch bei den
Obstipationspatienten relativ hohe Ausscheidungen des Kalkes
durch den Kot haben, so bieten drei der Durchfallpatienten genau
die gleichen Erscheinungen — diese hohen Ausscheidungen gehen
also wohl der Hauptsache nach auf Kosten der Milchnahrung.
Auch die beiden Durchfallpatienten 6 und 8, bei denen die
Kalkausscheidung im Stuhle zugunsten derjenigen durch den Urin
abnimmt, können bei der relativ geringen Abnahme die obige Vor-
aussetzung nicht bestätigen; zumal es sich bei beiden Versuchs-
patienten um Zustände handelt, bei denen im Körper größere
Mengen organischer Säure auftreten, wodurch allein schon mehr
Kalk in den Harn übertritt.
Auch in der Bilanz finden wir keinerlei einheitliche Verhält-
nisse in den beiden Untersuchungsgruppen — bei den Obstipationen
wird zweimal CaO retiniert, zweimal im Ueberschuß abgegeben —
bei den Durchfällen haben wir ebenfalls zweimal Retention, dreimal
dagegen Verlust von CaO.
Bilanzversuche auf einen Tag berechnet.
ee a a... ZONEN ATE Onen
Ausgaben z Verhältnis
A i i Gesamtausgaben Bilanz
A. Krankheit Diät en durch den Harn durch den Kot z von Ca
N BO OaO| N BG 900 Iı N B% MOIN BO, OOl N POs OaO | Urin: Stuhl
i A. Obstipationen. ,
Obstipatio 2500 g Milch : 1: 114,3
Hyperacidität (bg Zwieback| 15:4206 6,8369 4,180 | 12,8972 2,974 0,224 | 1,3656 1,8505 2,4894 | 13,7628 48245 2,7141 | -+1,8577 +54 -1,4159 | ggo RT
one ren 15,4206 6,8859 4,130 | 128621 2795 0,2203 | 1,6708 2,0697 3,576 |14,0929 4,8547 8,7978 | +1,8876 -+1,4812 -H0,8827 | p go) i day,
3. | Obstipatio = a 1: 12,4
„ | Nophritis 200g Zriehack 15,7845 7,4876 4,182 | 11,9632 3,097 0,8509 | 1,3444 3,9251 4,8447 | 13,8076 6922 4,6966 | 2,4789 +0,5156 —0,5636| po j.: B2
- | Obstipatio 2500 g Milch
Orthostatische Albuminurie 175g Zwieback I 0 m
5. | Eixperimenteller Dur
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7 pnapencarcinom 9506 Zeriehack| 16,5125 7,8782 4,138
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2500 g Milch | 46,5
p @rungsdyspepsie 250g Zwieback| 16:5125 7,8782 4,188
xperimenteller i
bei Bronchitis eU a ech 16,5125 7,8782 4,188
Pankreasachyli
Durchfall bei >
6,8194 2,175 0,4321 | 1,5144 1,0789 2,1858
11,9082 1,2994 0,2039 | 1,8199 8,9992 5,7456 | 18,7281 5,2986 5,9494 | +2,7844 -+2,5796 —1,8114 | 3 0j: 96,49
k 2,864 0,2546 | 1,8023 3,4882 5,1442 | 15,4792 5,8022 5,8988 | —0,0587 -+0,5837 —1,2688| zo Fe
B. Durchfälle,
0,2966 | 1,800
175g Zwieback| 154205 6,3859 : 11,769 2,7635 0,2966 | 1,
n 1: 15,8
1,8942 4,6121 | 14,569 4,6577 4,9087 | +0,8515 -+1,6782 —0,7787 6,4): 93,6%,
1:7,6
18,8387 0,8795 0,5472 | 1,7232 3,7123 4,0402 | 15,0619 4,5918 4,5874 | 4+1,4506 -}H3,2864 —0,4494 13,8%: 86,5%
1%
11,1796 1,1809 0,1489 | 1,6587 3,0422 3,6292 | 12,7385 4,1781 3,7781 | -+3,7740 -+3,105
+0,3699 | 4,19),:96,9%
8,3888 3,2489 2,6179 | +8,1787 -+4,6293 -+1,5201 |19 60/,: 80,40,
©. Normale Darmfunktion bei Milchdiät,
5
200g Zwieback
| 1:37 _
i T | —0,8047 :
' | Pyelonephritis |2500 g Milch | 157845 7,4376 4,182 | 11,2266 1,5025 0,1288 | 1,5172 38151 48079 | 12,7498 53176 49367 | +30407 +2,1200 —0,8047 | 2,70: 97,8%,
1351
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1352 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
Wenn es auch wegen der unkontrollierbaren Resorption und
Wiederausscheidung der CaO im Darme sicher schwer ist, auf
diesem Gebiete Grenzwerte für normale, subpathologische urd
pathologische Befunde festzulegen, so können wir doch auf Grund
der vorliegenden Versuche soviel sagen, daß weder Obstipation
noch Durchfall irgendeinen nennenswerten Einfluß —
sei es auf das Verhältnis von Kalkausscheidung im Urin
und im Kot, sei es auf die Gesamtbilanz des Kalkstoff-
wechsels haben.
Literatur: 1. Bertram, Ausscheidung der Phosphorsäure beim Pflanzen-
fresser. (Zt. f. Biol. 1878, Nr. 14.) — 2. Fr. Müller und Munk, Ueber den
normalen Kot des Fleischfressers. (Ebenda 1884, Nr. 20.) — 3. E. Voit, Ueber
die Bedeutung des Kalkes für den tierischen Organismus. (Ebenda 1884, Nr. 20) —
4. C. Voit, Physiologie des Stoffwechsels. (Leipzig 1883, S. 373.) — 5. Richter,
Stoffwechsel. (Berlin 1911, S. 107.) — 6. Oeri, Beitrag zur Kenntnis der Phos-
horsäure und des Kalkstoffwechsels beim erwachsenen gesunden Menschen.
Zt. f. kl. Med. 1909, Nr. 67.)
Empfiehlt sich die Plombierung der Stirnhöhle
nach Citelli? |
Von
Dr. Engelhardt, Ulm a. D.
1909 und schon vorher, 1907, hat Citellil) eine Methode der
Plombierung kranker Stirnhöhlen empfohlen, die, der allgemeinen
Chirurgie entlehnt, als Konkurrenzmethode der großen Radikal-
operationen gedacht war und mehr leisten sollte, durch Abkürzung
der Behandlungszeit und Dauererfolg. Insonderheit wollte Citelli
damit die Rezidive vermeiden, die nach Killianscher oder
Riedelscher Operation nicht allzuselten seien. Allerdings mußte
er bei einem Patienten, der nach seinem Verfahren mit aller Sorg-
falt vorbehandelt war, die trübe Erfahrung machen, daß ein hef-
tiger Schnupfen, den der Kranke akquirierte, nach vier Monaten
das ganze Resultat zunichte machte, und erst die Killianscho
Radikaloperation war in der Lage, die ersehnte Heilung herbeizu-
führen. Die Methode, an Hunden sorgfältig studiert, ist folgende:
Nach vorausgegangener „endonasaler Toilette“ Eröffnung der Stirn-
höhle, Auskratzung der erkrankten Schleimhaut und Tamponade,
bis die Höhlenwände gut granulieren. Dann Auswaschen, zuerst
mit 1/g0/oiger Formalinlösung, hierauf mit Wasserstoffsuperoxyd,
Trocknen mit Watte und sehr heißer Luft und Einfüllen des
Mösetiggemisches (Jodoform 60,0 Ol. Sesam. und Walrat aa 40) in
die Höhle mit Hilfe eines Obrtrichters. Das Modellieren der eben
erstarrenden Plombenmasse in der Höhle erfordert besondere Sorg-
falt. Hierauf primärer Schluß der Hautwunde. Durch die voraus-
geschickte Tamponade beziehungsweise Kauterisierung soll ein
künstlicher Abschluß nach der Nase hergestellt sein. Die Schwierig-
keit liegt nun zweifellos darin, den erwünschten Abschluß zwischen
Stirnhöhle und Nase zustande zu bringen. Gelingt das nicht, so
ist die Leistungsfähigkeit des Verfahrens mit der Radikaloperation,
vor allem der von Killian, gar nicht in Vergleich zu setzen.
Gerade bei kleinen und nicht zu tiefen Stirnhöhlen, für die sich
die Plombierung eignen soll, leistet auch die Killiansche Radikal-
operation Ausgezeichnetes. Hier sind nun mindestens zwei Ein-
griffe erforderlich, bis günstigenfalls die Heilung erreicht ist. Man
stelle sich aber die Lage eines Operateurs vor, der genötigt ist,
dann noch dem Patienten, der nur durch die Aussicht auf sichere
Heilung in den Eingriff willigte, neue Öperationsvorschläge zu
machen und schließlich dann doch die Operation auszuführen,
welche er gerade vermeiden wollte Ich bin nun nicht in der
Lage, über Erfahrungen mit Plombierung kranker Stirnhöhlen
berichten zu können, wohl aber hatte ich Gelegenheit, Folge-
zustände der Plombierung einer gesunden Stirnhöhle zu sehen.
Aus welchem Grunde dieselbe vorgenommen wurde, entzieht sich
meiner Kenntnis. Eine Probeeröffnung einer gesunden Stirnhöhle,
die ja wohl manchem unter den Fachgenossen passiert ist — bis-
weilen gegen den Willen des Öperateurs auf Wunsch des Pa-
tienten —, heilt bei genügender Sorgfalt bei Anlegung der Haut-
naht so vorzüglich, daß so gut wie nichts zu seben ist. Hier
führte die vor vier Jahren vorgenommene Plombierung ein halbes
Jahr später infolge eines akquirierten Schnupfens zu Abscedierung
mit hohem Fieber. Es wurde incidiert, später von einem Chirurgen
nochmals eine Eröffnung der Stirnhöhle mit Drainage nach außen
vorgenommen, und jetzt, nach vier Jahren, findet sich bei dem
40jährigen Mann eine Fistel an der Grenze zwischen innerem und
1) Citelli, Ueber zwei mit meiner Methode behandelte klinische
Fälle von chronischer Stirnhöhleneiterung. (Zt. f. Lar. Bd. 2, H. 4.)
18. August.
mittlerem Drittel des Augenbrauenbogens, die andauernd nach
außen Eiter entleert (aber nichts nach der Nase!), ohne sonstige
Beschwerden. Also auch hier in diesem Fall erfolgte die Infektion
von der Nase her; ob jetzt ein Abschluß der Stirnhöhle von der
Nase besteht, bleibt zweifelhaft, die Sonde liegt nur am Eingange
zur Stirnhöhle (Röntgenbild).
Wenn schon bei der gesunden Stirnhöhle eine Plombierung
von so unangenehmen und vor allem langdauernden Folgen be-
gleitet ist, wie zweifelhaft wird erst der Erfolg bei kranken Stirn-
höhlen sein, wo es nicht immer gelingt, auch bei längerer Vor-
behandlung, eine Höhle annähernd keimfrei zu machen, wovon aber
sehr viel, bei plombierten osteomyelitischen Knochenhöhlen allein
der Erfolg abhängt. Bei der Stirnhöhle aber scheitert der Ver-
such, wie Citelli sehr richtig erkannt hat, gewöhnlich schon an
dem mangelnden Abschlusse gegen die Nase, und ist auch das
Spülexperiment da nicht von ausschlaggebender Bedeutung, wie
der erste Fall Citellis in seiner obenerwähnten Arbeit beweist,
der infiziert wurde, trotzdem kein Spülwasser von der Stirnhöhle
in die Nase drang. Wenn Citelli selbst auch über einen
glänzenden Heilungserfolg verfügt, dürfte es sich doch vorderhand
empfehlen, auf eine Operationsmethode zu verzichten, die, einmal
unsicher in ihren Ausgängen, wenn sie nicht gelingt, auch den
Vorzug einbüßt, schneller zur Heilung zu führen. In meinem
Falle war es mir überdies nicht möglich, den Patienten zu einem
nochmaligen Eingriffe zu bewegen.
Zur Therapie der Alopecia seborrhoica und über
vorbeugende Haarpflege mit Sapalcolpräparaten
von
Dr. Theodor Mayer, Berlin.
Die seborrhoische Alopeeie gehört, obwohl von berufenster
Seite oft der Versuch erneuert wurde, dem einen oder anderen
Mikroorganismus eine ätiologische Rolle zuzuweisen, zu den noch
keinesfalls genügend geklärten Krankheitsbildern.
Konstitution, Erschöpfungszustände aller Art, endlich die He-
redität (und letztere anscheinend sogar in hohem Maße) spielen
bei ihrer Ausbildung eine wichtige Rolle. Sie ist die bei weitem
schlimmste Haarwuchszerstörerin, neben der die nächsthäufigeren
Haarerkrankungen (Alopecia areata, Defluvium nach schweren Ín-
fektionskrankheiten, Defluvium post partum, Lupus erythemato-
des capillitii, Iuetische Alopecie, sowie die ausgesprochen para-
sitären Haarleiden: Trichophytie, Mikrosporie, Kerion Celsi, an
Ausbreitung weit zurückstehen. |
Was läßt sich nun diesem Uebel (dessen Detailschilderung
sich erübrigt) an wirksamen Maßnahmen entgenstellen?
Der einmal stark ausgebreiteten Krankheit können wir leider
nur das Weiterdringen erschweren. Dies geschieht, indem wir —
im allgemeinsten Sinne — zu roborieren versuchen: Bewegung 1n
freier Luft, Auswahl geeigneter Diät, Reglung der Verdauung,
Meidung von Ueberanstrengung, richtige Einteilung der geistigen
Arbeit (namentlich bei Examinanden wichtig), frühzeitiges und
knappes Abendessen im Interesse einer tiefen, wirksamen Nacht-
ruhe, Tragen leichter und gut ventilierter Kopfbedeckungen. In
zweiter Linie haben wir für Zufuhr medikamentöser Kräftigungs-
mittel zu sorgen. Hier sind Arseneisenkombinationen (Arsenferra-
tose Böhringer dreimal einen EBßlöffel nach den Mahlzeiten, Arsen-
triferrol Gehe (ebenso), besonders am Platze, und bei länger-
dauerndem Gebrauche oft von merkbarem Vorteil. Im Sinn einer
Organtherapie würde auch dafür zu sorgen sein, daß dem Körper
Aufbaumaterial zum Ersatze des verloren gegangenen Keratins ge-
boten würde.
Ich lasse daher, um dieser Forderung wenigstens theoretisch
Genüge zu leisten, meine Seborrhoepatienten Gelatine (täglich eine
halbe bis eine Tafel feiner Tafelgelatine), in Suppe aufgelöst, mög-
lichst lange Zeit hindurch genießen. Die früher zu gleichem Be-
hufe vorgeschlagene häufige Darreichung roher Trinkeier scheitert
vielfach an dem Widerwillen der Patienten. Das gleiche gilt leider
auch von dem in der Literatur mehrfach empfohlenen. theoretisch
gewiß sehr berechtigten Zuführen kleiner, aber lange Zeit bin-
durch dargereichten Schwefelmengen (eine Federmesserspitze Sulfur
depuratum einmal täglich nach der Hauptmahlzeit auf die Zunge
legen und mit etwas Wasser hinunterspülen).
Unsere lokale Therapie will zwei Bedingungen genügen:
Durch massierende Prozeduren soll — wenigstens vorübergehend
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18. August.
— für eine bessere Durchblutung der sehr häufig anämischen
Kopfhaut gesorgt werden. Durch die gleichen Vornahmen. soll
zugleich eine Lockerung der oftmals zu straff (ätiologische Theorien
von Pohl-Pincus und von Schein) über die Galea gespannten
Haarhaut auf mechanischem Wege erzielt werden. Man führt sie
am besten so aus, daß mit beiden vor, dann über und hinter den
Ohren jeder- Seite flach aufgelegten Händen schiebende Bewegungen
nach der Scheitelhöhe hin vorgenommen werden. Dabei soll jedes
Reiben vermieden und lediglich eine Fialtenbildung, ein Gleiten der
Kopfhaut über der Galea erzielt werden. Eine bestimmte Anzahl
soleher Massivbewegungen (etwa 100, zweimal täglich) ist den
Patienten vorzuschreiben. o A |
An diese mobilisierende Massage kann sich bei schon
deutlicher Haarlichtung noch ein Tapotement mit der flachen
Handfläche —: bis zur beginnenden Röte durchgeführt — an
‚schließen. AR
Die medikamentöse Therapie setzt sich zum Ziel, in den
Fällen der mit vermehrter Talgdrüsenabsonderung einhergehenden
„Beborrhoea oleosa“ die überschüssigen Fettmassen zu ent-
fernen und den erkrankten Haarbalgdrüsen die empirisch als wirk-
sam erkannten Medikamente: Schwefel, Teer, Resorein, Sublimat,
Naphthol, nahe zu bringen; in den mit Schuppenbildung einher-
gehenden Fällen der Alopecia pityrodes seborrhoica beziehungs-
weise Seborrhoea sicca gilt es-außerdem, die im Uebermaß vor-
handenen parakeratotischen Schuppenanhäufungen zu beseitigen, den
in den gelockerten Zellmassen wuchernden mehr oder weniger
accidentellen Bakterien entgegenzutreten und chemotaktisch be-
ziehungsweise hyperämisierend zu wirken. Auch hierzu dienen
a obenerwähnten Arzneikörper in etwas andern Anwendungs-
ormen. | |
Eine Kur, die allen genannten Indikationen zu entsprechen
bestimmt war, und ihnen noch heute ‘genügt, ist die bekannte
Lassarsche Haarkur: Einschäumen des Kopfes mit Teerseife, Be-
netzen des wieder abgespülten und leicht getrockneten Haares mit
Sublimatlösung, Frottieren des Haarbodens mit 0,3/200,0 Naph-
tholspiritus, Einölen des getrockneten Haares mit 2 0/o Salieylöl.
Diese ist meines Erachtens .noch heute in der Mehrzahl der Fälle
die gegen soborrhoische Zustände des Kopfhaars wirksamste. Sie
kann, wie Lassar angab, und selbst häufig verordnete, in
besonders schweren Fällen durch Applikation konzentrierten Teer-
öls, durch Terpentinvaseline, Chrysarobin- und Schwefelsalben noch
wesentlich verstärkt und den einzelnen Fällen angepaßt werden.
Ihre Anwendung ist nur etwas zeitraubend und wird daher von
vielen leider nicht mit der durchaus zum Erzielen eines befriedi-
genden Effektes notwendigen Konsequenz lange genug — es handelt
Sich stets um viele Monate — durchgeführt. on
Daher war es erwünscht, daß die chemische Industrie in
orm eines gerade für Haarpflegezwecke gut passenden Arznei-
vehikels, der Sapalcole (von der Spiritusfabrik Arthur Wolff,
Berlin-Breslau hergestellt, zuerst von Blaschko in die Therapie
eingeführt), die Möglichkeit an die Hand gab, die mechanisch
reinigende fettemulgierende Seifwirkung, die belebende Aktion der
assago und Frottierung, und den mehr oder weniger anti-
seborrhoisch gerichteten Effekt der inkorporierten Medikamente in
wesentlich kürzeren Prozeduren zu vereinigen. |
. Die Sapaleole (Sapo, Alkohol) stellen cremeähnliche, schwac
nach Spiritus duftende, in Tuben beziehungsweise Metalldosen
eingeschlossene Mischungen von fettsauren Alkalien mit Spiritus,
einer kleinen Menge eines Fettkörpers und dem betreffenden Me-
dikament dar.
Sie haben die Eigenschaft, fast augenblicklich nach dem
agen auf die warme Haut sich zu verflüssigen und schon
nach ganz leichtem Einmassieren so vollständig in die Epidermis
einzudringen, daß eine völlig trockne, reine Fläche resultiert.
di In dieser Weise (nämlich durch troeknes Einreiben) appliziert,
ue Slo dem gleichen Zwecke wie die sonst vielfach ver-
wandten Haarpomaden, nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht
m geringsten fetten und zudem vermöge ihres Seifen- und
1 eusgehalts eine wesentlich intensivere und durchdringendere
m ührung des beigefügten Arzneikörpers, z. B. Schwefels oder
vers gestatten,
ohne ne Patient kann, ohne seine Bettwäsche zu schädigen und
zu mi rkältung durch langsam erfolgendes Trocknen befürchten
Müssen, mit seiner Sapalcoleinreibung sich zur Ruhe begeben:
Gegensatz zu allen andern medikamentösen
m im Schaume der Seife nur in sehr kleinen Mengen vorhanden
1912 — MRDIZINTSCHE KLINIK — Nr 38. | 1858 -
sein kann und meist nach kurzem Verweilen wieder abgespült
werden muß, nunmehr ohne Unbequemlichkeit während der ganzen
Nacht einzuwirken vermag. |
Des Morgens beim Waschen kaun ohne weiteres der auf
dem Haarboden noch verbliebene Sapalcolrest zum Schäumen gə-
bracht, die Kopfhaut so nochmals mechanisch gereinigt und hyper-
ämisiert werden und dann das Abspülen und Abtrocknen erfolgen.
Vor dem Einreiben des Abends und nach dem Waschen des
Morgens werden zweckmäßig die anfangs erwähnten Massage- -
prozeduren vorgenommen. Am Tage kann — falls eine besonders
intensive Wirkung erfordert wird — entweder nochmals ein Sa-
palcolmedikament auf die Kopfhaut appliziert (was bei kurz ge-
schorenem Männerhaare leicht angeht) oder aber ein spirituöses-
Haarwasser (z. B. Euresol Knoll 6,0, Spirit. formicarum 30,0,
Ol. Riein. 1,0 bis 8,0, Spirit. Lavand. 50,0, Spirit. reetif. ad .
200,0) gebraucht werden. Zu groß werdender Austrocknung des
Haars ist durch je nach Bedarf vorgenommenes Imprägnieren des
Kammes (nicht der Kopfhaut) mit 2%/, Salieylöl (Ac. salieyl. 1,0,
Tinet, benz 2,0, Ol. olivar. optim. ad 50) leicht zu begegnen.
Das auf die Haut applizierte Sapaleolmedikament pflegt so
wenig Belästigung: hervorzurufen, daß -in Fällen, wo tägliches
Waschen des Haars nicht gut angeht (langes Frauenhaar), doch
ein mehrmals wöchentliches trockenes Applizieren des Sapalcols
möglich ist; einmal pro Woche hat freilich auch dann die sum
marische Kopfwäsche stattzufinden. |
Als Sapalcolmedikamente eignen sich -die obenerwähnten:
Schwefel, Teer (als Liquor carbonis detergens und als Ol. Rusei),
Naphthol, Afridol: (ein nicht ätzendes, ‚an Desinfektionskraft aber
dem Sublimat glieichstehendes Hg-Präparat), Resorein. Sie sind in
passenden Konzentrationen — meist 5/9, Afridol 1 0/ọ — gebrauchs-
fertig in Tuben beziehungsweise Dosen gefüllt und zeichnen sich
durch einen relativ wohlfeilen Preis aus. Man wird in der Mehrzahl
der Fälle sowohl bei Seborrhoea sicca wie oleosa mit Schwefel-
sapalcol beginnen und nach einiger Zeit mit Teersapalcol fort-
fahren oder kann von vornherein beide Präparate alternierend go
brauchen lassen. Teer- und Afridolsapalcol eignen sich besonders
für Fälle mit starkem Juckgefühle, während N aphtholsapalcol dort
indiziert ist, wo eine leicht irritierende Wirkung besonders an-
gestrebt wird. Resorcinsapalcol hat da seine Stätte, wo bei
gleichzeitig bestehender Acne frontis auch die Kopfhaut Neigung
zur Bildung follieulärer Entzündungsherde aufweist, |
:So besitzen wir in den Sapalcolpräparaten Arzneivehikel;
welche die Haarbehandlung in einer mit den bisher gebräuchlichen
Behelfen nie erreichten Leichtigkeit und Bequemlichkeit er-
möglichen. : j
Eben diese Leichtigkeit läßt ihnen aber auch noch eine
andere, weiterreichende Bedeutung zukommen. Wenn irgendwo,
so ist bei der Bekämpfung der Haarleiden eine vorbeugende Pflege
von Wichtigkeit. Ebenso wie irgendein anderer Teil des Körpers
bedarf auch das Haar des Gesunden — soll es gesund bleiben —
einer hygienischen Beachtung. Während korrekte Beschaffenheit
der Haut, der Nägel, der Zähne unerläßliches Kulturbedürfnis
aller Gebildeten geworden ist, wird auf dem Gebiete prophylak-
tischer Haarpflege noch mancherlei unterlassen. Erst in den
letzten Jahren hat sich, zum Teil auf dem Umweg über Amerika,
die ursprünglich wohl von Lassar angeregte Idee weitgehender
hygienischer Haarpflege mehr Bahn gebrochen. Sie ist eine gute
und berechtigte: Denn einerseits ist die Bekämpfung einmal aus-
gebrochenen Haarverlustes eine langwierige und nur bei.
| frischeren Fällen und genügend konsequenter Anwendung voll be-
friedigende, anderseits ist gerade heute durch die immer mehr zu-:
nehmende Infektionsgelegenheit (Schulepidemien mit Trichophytie,'
Infektionsmöglichkeiten auf Reisen, durch Garderoben) auch der.
Wert der rein desinfektorischen Komponente der Haarpflege ein
mehr in die Augen springender.
Für eine solche prophylaktische Haarpflege eignen sich aber:
gerade ihrer Einfachheit und Wohlfeilheit wegen wohl kaum:
irgendwelche Präparate besser als die Sapalcole — speziell in
Form des mit Lig. carb. det. 5"/ig hergestellten Teersapalcols.
Es wäre zu wünschen, daß schon in der Schulzeit, zum mindesten
aber bei Beginn der Pubertät in möglichst. breiten Volksschiehten
eine. zielbewußte Haarpflege Platz griffe. Dann würde allmählich
wohl erreicht werden, daß die kommende Generation von Aerzten
den Klagen ihrer haarleidenden Klientel gegenüber einen leichteren
Stand hätte, als es jetzt noch oft der Fall ist.
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- Tischehen ABCD zunächst für die richtige Höhe ei
‚Weiterer Beitrag zur Bestimmung des Pupillar-
abstandes
von
Dr. Helmbold, Danzig.
~- Vor fünf Jahren beschrieb ich einen Pupillendistanzmesser!),
der aus zwei senkrecht zueinander stehenden Planspiegeln besteht.
‚Derselbe ermöglicht zwar dem Patienten, die Entfernung der beiden
Pupillen voneinander festzustellen, hat aber den Nachteil, daß er
die kontrollierende Beobachtung des Arztes ausschließt, Diesen
Mangel habe ich nunmehr durch Einschaltung eines total reflek-
tierenden Prismas an Stelle des einen Planspiegels beseitigt.
. Auf einem runden Fußgestelle wird das Tischehen A BCD
durch die Schraube S vertikal gehoben respektive gesenkt. Eine
zweite Schraube R gestattet eine horizontale Verschiebung des
Tischehens in .der Richtung AC und umgekehrt. Senkrecht zu
A C ‚in der horizontalen Ebene kann durch die Schraube E das
total reflektierende Prisma Pris. bewegt werden. Ein Planspiegel
MN, senkrecht zur Tischplatte A BCD und 450 zu A C geneigt,
wendet seine spiegelnde Fläche dem Prisma zu. Die letztere ist
mit der total 'reflektierenden Prismenfläche parallel aufgestellt.
Das mit einem Diopter versehene Prisma trägt einen Nonius und
gleitet auf einer von 25 bis 90 mm eingeteilten Skala. |
Befinden sich in Od und Os die Pupillen, deren Entfernung
voneinander wir erfahren wollen, so wird Od durch den Plan-
| ZZ spiegel MN
| nach Be, Os
=) dagegen durch
| dasPrismaPris,
| nach Beı reflek-
| tiert; verschie-
ben wir das
Prisma Pris; in
die Stellung
„Pris, so wird
Os ebenfalls
nach Bes reflek-
tiert, das heißt
Od und Os fal-
len zusammen.
. Da in dem
gleichschenkli-
gen Dreiecke
JKM die Ent-
fernung MKo,
somit auch JKa
bekannt ist, so
wissen wir nun-
mehr, wieviel
Millimeter die
Distanz zwi-
schen Od und
Os beträgt.
Die Hand-
habung des In-
struments er-
‚gibt sich aus
dem oben Ge-
sagten von
selbst, erfordert
jedoch wegen
der Diopterein-
stellung einige
Uebung, bis sie
zuverlässigeRe-
sultate bringt.
Der Patient
| wird durch einen
Kinnstützhalter mit seinen Pupillen in der Lage Od Os fixiertgehalten,
Der Beobachter stellt sodann durch die Vertikalverschiebung das
n, sodaß er die
Pupillen in dem Spiegel MN sieht. Darauf bewegt er das Tischchen
in der Horizontalen durch die Schraube R, bis er bei gleichzeitiger
Dioptervisierung die linke Pupille Os in der gewünschten Rich-
1) Kuhnt Michel, Zt. f Aug. Bd. 16, Ergänzungsheft 1907..
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
. dessen hiervon absehen, ohne die
die Nähe (Arbeitsabstand). Auch
18. August,
tung, z. B. Pris,, sieht. Dürch weitere Verschiebung des Prismas
in die Position Pris, ist. die Ablesung des Resultats an der Skala
mit Hilfe des Nonius bis auf 0,1 mm möglich. |
Man kann beide Pupillen nicht völlig zur Deckung bringen, |
sondern nur derart einstellen, daß man von der linken nur die
untere, von der rechten nur die obere Hälfte zugleich sieht, weil
man einerseits durch das total reflektierende Prisma, anderseits
an dessen oberem Rande vorbei durch den Spiegel beobachten
muß. Es wird ferner auffallen, daß die Pupille im Prisma größer
erscheint als diejenige im Spiegel. Das virtuelle Bild von Od
in y ist .von dem Beobachter weiter entfernt als das virtuelle
Bild x von Os, erscheint also | : =
unter kleinerem Gesichtswinkel.
Man könnte durch Vorsetzen eines
entsprechenden Konkavglases vor
das linke Auge Os Gleichheit
der Pupillen erzielen, kann in-
Genauigkeit zu beeinträchtigen.
Die exakte Einstellung gelingt
ohnedies, wenn man darauf achtet,
daß die Pupillengrenzen der. obe-
ren Pupille im Spiegel von denen
der unteren im Prisma beiderseits
sich in gleichem Abstande be-
finden. Man bestimmt in der an-
gegebenen Weise zunächst die
Pupillendistanz beim Blick für
die Ferne, sodann beim Blick für.
Schielablenkungen lassen sich
mit dem Instrumente messen.
Um die Entfernung der Pupillen
von der Nasenmitte zu eruieren,
was bei asymmetrischen Gesichtern
mitunter von Wichtigkeit sein
kann, macht man auf der Mitte
der Nasenwurzel einen Längsstrich
mit einem Blaustift und stellt
diesen Strich analog dem obigen
Verfahren -für die Pupillenmitte |
ein. Da man zuvor den Abstand der Pupillen schon gefunden
hat, so braucht man hiervon nur den andern Wert abzuziehen.
Man findet hierbei manchmal Differenzen von mehreren Millimetern
il
EEEELUFERERn
zwischen den Entfernungen von Nasenmitte zur rechten und linken
Pupille.
Herrn Dr. Henker (J ena) spreche ich für seine stets bereitwillige
Hilfe und seine Ratschläge bei der Konstruktion des Apparats meinen
verbindlichsten Dank aus. | |
Das Instrument wird von der optischen Werkstätte Carl Zeiß
(Jena) in bekannter Vorzüglichkeit hergestellt.
Erklärung zu dem Artikel:
Der negative Wassermann von Prof. Dr. Kromayer und
Dr. Trinchese
- von i
Dr. Emil Epstein
an der Prosektur der k, k, Rudolfstiftung in Wien,
In Nummer 10 der Med, KI. 1912
anderm im ersten Teil ihrer Arbeit eine Austitrierung der positiven
Wasserm annschen Reaktion, welche wesentlich identisch ist mit der
von mir in Nr. 51 der Wr. kl. Woch. 1910 unter d
emer quantitativen Auswertung luetischer Sera auf die Intensität ihrer
komplementbindenden Eigenschaf
Auch ihre Schlüsse bezü
einerseits, Schwere der Infekti
gnose anderseits sind den mei
h l l inen analog, welche ich schon damals auf
eine Reihe klinischer Beobachtungen stützen konnte. |
erwähnten die Autoren unter
.
mm U nn nn
y e a e a e
m D, u nn nn
—— -
18. August.
Aus dem Hygienischen Institut der deutschen Universität in Prag.
Ueber Anaphylaxie, Ungerinnbarkeit des Bluts
and Fermentgiftigkeit
von
Privatdozent Dr. Gottlieb Salus.
Für die Entstehung des anaphylaktischen Anfalls ist die
zwischen Antigen und Antikörper ablaufende Reaktion von all-
gemein anerkannter Bedeutung. Doch beginnen die An sichten
darüber auseinanderzugehen, ob das giftige Prinzip seine Ent-
stehung oder nur die Möglichkeit unbehinderter Wirkung
dieser Reaktion verdanke.
Gegenwärtig hat jene Auffassung die meisten Anhänger,
welche das Gift als Spaltprodukt aus dem Antigen unter der fer-
mentartigen Einwirkung des Antikörpers (bei Mitbeteiligung des
Komplements) entstehen läßt. | |
Vaughan und Wheeler, die aus Eiweiß mittels alkoholi-
scher Alkalilösung einen giftigen Bestandteil abtrennen konnten,
dachten sich das Zustandekommen der Anaphylaxie derart, daß
durch die sensibilisierende Injektion ein Zymogen entstehe, welches
— durch die Reinjektion aktiviert — eben jenes Gift aus dem
artfremden Eiweiß abspalte.
Nachdem Heilner den fermentativen Abbau von parenteral
zugeführtem Serum durch Stoffwechselversuche wahrscheinlich ge-
macht hatte, stellte sich G. Salus vor, daß die dabei tätigen
Fermente — dem ungewohnten Wege entsprechend — Fermentoide
seien, den proteolytischen Fermenten unvollkommen nachgebildet.
Daher wurde für die Anaphylaxie ein anomaler Verdauungsvor-
gang bei der Reinjektion angenommen, der auch giftige Spalt-
produkte liefere. Doch wurde später die Schwierigkeit nicht ver-
kannt, die sich aus dem enorm raschen Auftreten der Abbau-
Di und der hohen Speeifität der fermentartigen Körper
ergebe. |
- „Waren diese Anschauungen vorerst theoretischer Art, so er-
. gab dann die experimentelle Forschung eine Reihe von Tatsachen,
die der Ferment- oder Abbautheorie zu ihrer heutigen An-
erkennung verhalfen. Von Biedel und Kraus wurde die Ueber-
einstimmung der Peptonwirkung bei Hund und Meerschweinchen
mit den Erscheinungen der Anaphylaxie festgestellt und dadurch
die Vermutung erweckt, daß die giftige Substanz, die dem anaphy-
laktischen Anfalle zugrunde liege, den normalen Verdauungs-
stufen des Eiweißes nahestehe. Auch die von Abderhalden und
seinen Mitarbeitern mittels der optischen Methode nachgewiesene
Vermehrung des Fermentgehalts im Blute nach parenteraler
Eiweißzufuhr war der Abbautheorie günstig, wenn sie auch die
Zunahme der Fermente im allgemeinen ohne Rücksicht auf deren
Specifität feststellte,
Endlich waren es besonders die Arbeiten Friedbergers
und seiner Mitarbeiter, dann Friedemanns und Andere, welche
den vollen Beweis erbracht zu haben schienen, daß die anaphylak-
tischen Reaktionskörper fermentartige Antikörper seien und das
Gift ein Abbauprodukt aus dem reinjizierten, artspecifischen Eiweiß,
Indem es ihnen gelang, im Reagensglas aus Eiweiß, Antieiweiß-
serum und Komplement Produkte zu erhalten, welche — dem
eerschweinchen intravenös injiziert — die per venam erzielbaren
recheinungen der Anaphylaxie (Krämpfe, Lungenblähung) aus-
en.
Doch auch diese wichtigen Ermittlungen vermochten nicht
alle Zweifel zu lösen. Unaufgeklärt blieb, warum dieses „Ana-
pPhylatoxin“ nicht auch von Subeutis und Peritoneum her wirk-
sam sei und warum das Serum des sensibilisierten Meerschwein-
chens, des Testtiers für Anaphylaxie, für die Anaphylatoxindarstel-
ung soweit hinter den Kaninchenantiseris zurückstehe. Wie
örr ‚betont, blieb es sehr auffallend, daß normales Meer-
schweinchenserum ohne Rücksicht auf die Art der Antigene (und
Antikörper), mit denen es in Kontakt war, stets die gleichen
Giftwirkungen entfalte, ein Umstand, der auch bei der aktiven
und passiven Anaphylaxie merkwürdig erscheint.
Neuere, der physikalischen Chemie entnommene Anschau-
ungen schienen nun geeignet, diese Schwierigkeiten zu beheben.
‚, Nach Versuchen von M. Wassermann und Keysser,
Ritz und Sachs, Dörr und Pick wird normales Meerschwein-
chen- oder Pferdeserum in gleicher Weise (wie im Anaphylatoxin)
giftig, wenn es mit geglühtem Kaolin oder Kieselgur digeriert und
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
1355
.
hernach von diesen Substanzen abzentrifugiert wird, oder wenn 68
durch Kieselgurkerzen filtriert wurde. un
Ueberträgt man diese Versuche auf die Anaphylaxie, so
würde dort die Antigen-Antikörperverbindung die Rolle des
Kaolin spielen und durch die Kolloidreaktion eine derartige Um-
wandlung des Meerschweinchenserums erfolgen, daß es dem Tiere
selbst zur Noxe würde. Bei der aktiven Anaphylaxie fände kein
Antigenabbau zu giftigen Produkten statt und auch das „Anaphyla-
toxin“ würde nicht aus dem artfremden Eiweiße stammen; im
ersteren Fall entstände die adsorbierende Verbindung von Antigen
und Antikörper erst im Blut und in diesem käme die schädigende
Veränderung zustande, in letzterem wäre der ganze Vorgang in
die Eprouvette verlegt und würde ein bereits physikalisch ver-
ändertes Serum in die Blutbahn des Tiers gespritzt. Das Gift
ist stets das gleiche, denn seine Matrix ist immer dieselbe,
das Meerschweinchenserum. Erklärlich wäre es dann auch,
wenn das Anaphylatoxin vom Peritoneum und subeutan unwirk-
sam bleibt, da hierbei Veränderungen des Giftes eintreten können,
während dieses bei der aktiven und passiven Anaphylaxie erst in
der Blutbahn seinen Entstehungsort hätte. 2
| Die näheren Ursachen der Vergiftung stellt man sich sò
vor, daß infolge der Kolloidreaktion ein präformiertes Gift durch
Adsorption seines Antagonisten frei werde oder daß Prozesse: ein-
geleitet würden, die bis dahin durch hemmende und nunmehr in
Wegfall kommende Körper oder eine Veränderung erleidende Zu-
stände behindert waren, etwa ein Abbau von Eiweißkörpern oder
— wie Dörr vermutet — die Aktivierung von Gerinnungs-
fermenten. (Auch direkte Adsorptionsspaltungen wären wohl im
weiten Bereiche dieser Möglichkeiten.) Veränderungen des Ge-
Tinnungsvermögens (Ungerinnbarkeit, Gerinnselbildung) sind tat-
sächlich überaus häufige Begleiter des anaphylaktischen Shocks.
So erwünscht es nun wäre, daß unser Wissen über die
Anaphylaxie im Lichte der physikalischen Chemie schärfere Um-
risse gewinne, so darf man sich doch’ nicht verhehlen, daß diese
neueren Anschauungen (Adsorptionstheorie, Traubes Resonanz-
theorie) auf bloße Analogieschlüsse aufgebaut sind und ihr zu-
länglicher physikalisch-chemischer Nachweis an den in Betracht
kommenden Substraten (Blut, Serum) mit den heutigen Mitteln
schwerlich zu führen ist, Dennoch scheinen mir diese Hypothesen
wertvoll, weil sie dem immer noch am meisten aussagenden bio-
logischen Experiment neue Arbeitsmöglichkeiten weisen und auf
die Notwendigkeit hindeuten, neben den bislang dominierenden
Faktoren — Antigen und Antikörper — auch nach den möglicher-
weise in der Zusammensetzung des Bluts gelegenen Ursachen zu
forschen, | |
Zunächst ergab sich hier die Frage, ob zwischen der Un-
gerinnbarkeit des Bluts oder zwischen den Gerinnungs-
faktoren und der Anaphylaxie eine direkte Beziehung
bestehe,
Bekanntlich wird durch eine Reihe von Salzlösungen, welche
das Calcium immobilisieren, die Blutgerinnung in vitro verhindert.
Diese wurden Meerschweinchen in der nötigen Konzentration in
die Halsvene gespritzt. Sie hatten das sofortige Auftreten
klonischer Krämpfe zur Folge, die bei Anwendung kleiner
Gaben rasch wieder vollem Wohlsein wichen, während
größere Gaben in kürzester Zeit unter Krämpfen zum
Tode führten. Diese Erscheinungen wurden für Magnesium-
sulfat, Natriumeitrat, zum Teil auch für Oxalatlösungen fest-
gestellt und auch die subcutane Injektion der Magnesiumsulfat-
lösung hatte dieselben Folgen. Das Blut blieb ungerinnbar.
Aber nicht ein einzigesmal konnte der Befund der
blassen, ödemfreien, geblähten Lungen erhoben werden,
diese waren vielmehr stets retrahiert, stark hyperämisch, das Herz
K schlaf — das gerade Gegenteil des anaphylaktischen
odes. Ai | |
Vier Meerschweinchen erhielten 0,2, 0,3, 0,5, 0,6 cem 25°/eige
` Magnesiumsulfatlösung intravenös. Nach einigen Sekunden heftige Krämpfe.
Tiere, anscheinend dem Ende nahe, erholen sich binnen wenigen Minuten
vollständig.
Zwei Meerschweinchen bekamen 0,75, 1 ccm derselben, Lösung
intravenös. Sofort Krämpfe, Tod. Herz dilatiert, Lungen nicht gebläht,
Blut ungerinnbar, Serum nicht rötlich, Komplement voll erhalten. Ein
Meerschweinchen stirbt nach 2 ccm dieser Lösung subcutan. Herz dila-
tiert, voller Gerinnsel, Lunge hyperämisch, retrahiert.
Ein Meerschweinchen bekommt 2 ccm 2°/oige Natriumcitratlösung,
ein anderes 1 ccm 80°/oige Kochsalzlösung, ein drittes 2 cem Oxalat-
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1356
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
a e e E e ee e ree ee ,—eeeeeene mn bnhnFreenenmnng1]1|1,,$34GD1—m7
lösung. Alle zeigen nach raschem Tod unter Krämpfen obigen Befund,
nur das Blut des Oxalattiers gerinnt ziemlich rasch.
Alle Tiere sind 250 bis 300 g schwer. Zwei Meerschweinchen ver-
tragen die Injektion von je 6 ccm destillierten Wassers in die Halsvene
reaktionslos, dagegen bedingt die Injektion von 0,066 Argentum kolloidale
in 0,8 ccm Wasser raschen Tod wie die obigen Lösungen. Injektion von
Kaolinlösungen resultatlos, ebenso von 4 cem salzfreidialysiertem Pferde-
serum samt Globulinniederschlag und von 4 cem dialysiertem und vom
Niederschlag abzentrifugiertem Meerschweinchenserum. Injektion von
frisch defibriniertem Meerschweinchenblut, von Oxalatplasma eines Meer-
schweinchens, von Thrombogen aus gekühltem Oxalatplasma sind ebenso
erfolglos, wie vier Versuche mit Fibrinferment, das nach Schmidtscher
Methode dargestellt wurde.
Denselben Befund wie die gerinnungshemmenden Salze er-
gab sonach stark hypertonische Kochsalzlösung, die bekanntlich
unter Umständen den anaphylaktischen Anfall zu verhindern ver-
mag, ebenso die Injektion von kolloidalem Silber, während Kaolin-
injektion resultatlos verlief.
Unwirksam war ferner defibriniertes Meerschweinchenblut,
dialysiertes Meerschweinchen- und Pferdeserum, der Globulinnieder-
schlag des letzteren. Daß die Tiere eine Vermehrung des Blut-
eiweißes vertragen, ist von den Pferdeseruminjektionen und von
der Immunisierung her gut bekannt. Die Defibrinierung des Bluts
ist bei Hunden in ausgedehntem Maß ohne wesentliche Folgen
gelungen.
Die Zufuhr von Salzen bedingte also schwere, aber ana-
tomisch von der Anaphylaxie gänzlich verschiedene Verände-
rungen, sodaß die durch die Salzwirkung erzielte vollkommene
Ungerinnbarkeit des Bluts als ursächlich für die anaphylak-
tischen Erscheinungen nicht herangezogen werden kann. Ge-
rinnungsfermente und Vorstufen derselben (Fibrinferment von
mäßiger Fermentwirkung, Thrombogen) waren indifferent. Be-
sonders wird jedoch die kausale Bedeutung der Blutungerinnbar-
keit durch unsere Versuche mit Hirudin in Frage gestellt, mit
welchem Dörr einige positive Resultate hatte.
Uns stand ein Hirudin Merck zur Verfügung, ein licht-
braunes, aus feinen Schüppchen bestehendes Präparat, in Mengen
von 0,01 g in Glasröhrchen eingeschmolzen, ferner eine Tube mit
01 g eines Hirudin Sachse. Beide Präparate hatten längere
Zeit gelagert, waren in physiologischer Kochsalzlösung leicht lös-
lich. 0,01 g Hirudin Merck war per venam wirkungslos, ebenso
0,02 und 0,03 g des Hirudin Sachse, obwohl 0,01 g in vitro
das gesamte Blut eines Meerschweinchens dauernd ungerinnbar
machte und das Blut der gespritzten Tiere ebenfalls ungerinnbar
war. Wenn also frische Hirudinpräparatedie anaphylaxie-
artigen intravitalen und postmortalen Erscheinungen
bedingen, dann müssen diese wohl von Bestandteilen,
die verschieden sind von dem die Blutgerinnung hem-
menden Faktor, also von Beimengungen herrühren.
Wie sehr man mit solchen Beimengungen zu rechnen hat,
sollten wir erfahren, als wir die Suche nach den Anaphylaxie-
ursachen auf die im Blute vorkommenden proteolytischen Fer-
mente ausdehnten.
Die Fermentgiftigkeit gilt auch heute noch als Kontrovers;
die älteren Versuche ließen, weil mit mangelhaft gereinigten Prä-
paraten angestellt, keine sicheren Schlüsse zu und noch im Vor-
jahre wurde von Kirchheim dargetan, daß eine vermeintliche
Giftwirkung von Trypsin auf den Ammonsulfatgehalt des Präparats
zu beziehen war. Auch heute gelingt eine vollständige Rein-
darstellung von Fermenten nicht, aber derselbe Autor konnte mit
Trypsin und mit Pankreassaft bei Kaninchen lokale Nekrose, Krämpfe
mit tödlichem Ausgang unter ausgedehnten Hämorrhagien er-
zeugen, eine Wirkung, die von der Fermentwirkung nicht zu
trennen war, in der er also offenbar eine Wirkung des Ferments
selbst zu sehen geneigt ist. Diese Tiere zeigten bei der Sektion
ödematös geblähte Lungen, schaumig-blutige Flüssigkeit in den
Bronchien.
Von Friedberger und Gröber werden unpublizierte Ver-
suche erwähnt, in denen durch intravenöse Injektion von Trypsin
und Papayotin anaphylaxieähnliche Erscheinungen hervorgerufen
wurden. Wir konnten diese Beobachtungen besonders bezüglich
des Trypsins bestätigen, welches stets klonische Krämpfe und öfter
Lungenblähung bewirkte, ebenso mit Pankreatin; daß unsere Re-
sultate mit Papayotin andere waren in bezug auf den Lungen-
befund, mag an der Verschiedenheit der Präparate liegen. Fried-
berger will diese Beobachtungen der Abbautheorie nutzbar
machen, indem er annimmt, daß die Fermente teils eine Eiweiß-
spaltung nach der Injektion in die Blutbahn bedingen oder daß
die Wirkung von beigemengtem Pepton herrühre.
Wir wollen hier die Versuche mit anderen, hochwertigen
Fermentpräparaten, den Pepsinpräparaten, heranziehen, weil
sie ganz gleichmäßige Resultate ergaben, die die erstere Annahme
Friedbergers widerlegen, die letztere beglaubigen, zugleich aber
zeigen, daß die Giftigkeit der Albumosen bisher sehr unterschätzt
wurde.
Vom Pepsin. absol. in lam. Merck (Fermentwirkung 1 : 4000)
verursachten 0,02 bis 0,05 g (0,2 bis 0,5 der 10”/oigen Lösung) 'n-
travenös die protrahierten Erscheinungen der Anaphylaxie, worauf
bald Erholung folgte. Von 0,05 bis 0,055 an trat rasch unter
sofort einsetzenden klonischen Krämpfen der Tod ein, und die
Blähung der blassen, ödemfreien Lungen war stets da, meist ex-
cessiv. Die erfolglose oder nicht letale Pepsininjektion schützte
nach 24 Stunden (nicht nach 30 Minuten) gegen die mehrfach töd-
lichePepsingabe. Mit Menschenserum sensibilisierteMeerschweinchen,
die nach 15 Tagen kleine Pepsindosen injiziert bekamen, waren
nach weiteren 24 Stunden gegen die intravenöse Einspritzung von
1 cem Menschenserum vollkommen refraktär.
Subcutane Pepsineinspritzungen hatten ausgedehnte Nekrosen
und Oedeme zur Folge mit rascher Abstoßung und reineren, loch-
förmigen Wunden (hier mag die von Kirchheim vertretene lokale
Anstauung lebenden Gewebes mitwirken). Das Blut der im An-
falle gestorbenen Tiere war dauernd ungerinnbar oder die Ge-
rinnung erheblich verzögert. In vitro bedingte die Pepsinlösung
erhebliche Komplementablenkung.
Bei dieser weitgehenden Uebereinstimmung der Pepsinwirkung
mit den Erscheinungen der Anaphylaxie lag die Vermutung nahe,
daß bei der letzteren proteolytische Fermente durch ihre primäre
Giftigkeit eine Rolle spielen könnten, die durch Adsorption von
Antifermenten etwa zum Uebergewicht gelangen würden. Allein
weitere Versuche sollten uns eines Besseren belehren. Als wir
reinen Magensaft, nach Teefrühstück gewonnen, zweimal anwende-
ten, war die intravenöse Injektion erfolglos, auch wenn der Magen-
saft konzentriert wurde. Besonders fiel aber auf, daß ein als
Ferment hochwertiges Pepsin. puriss. sice., (Grübler) keine An-
aphylaxie hervorrief, auch in vielfach höherer Dosis (0,24 g dieses
Präparats erwiesen sich dem Meerschweinchen in anderer Weise
giftig, das Dialysat war ungiftig, obwohl es kräftig Fibrin ver-
daute). Es war also klar, daß beide Giftwirkungen nur auf Bei-
mengungen beruhen konnten und daß die intravenöse Ferment-
injektion keine Eiweißspaltung bedingt hatte. Unter Heranziehung
weiterer Pepsinpräparate konnte fetgestellt werden, daß die
anaphylaxieartig wirkenden Fermentpräparate sich von
den andern durch ihren Albumosengehalt unterschieden.
Nach Biedel und Kraus sind 3 cem einer 10 %/yigen Witte-
peptonlösung nötig, um per venam ein Meerschweinchen in typi-
scher Weise zu töten. Persano fand früher Dosen unter 0,6 g
pro 1 kg Tier (also 0,15 g für Meerschweinchen 250 g) gänzlich
unwirksam; wir hatten bereits ein Peptonpräparat, von dem 1 cem
der 100/yigen Lösung regelmäßig tötete, während hier 0,05 bis
0,055 eines nicht bloß Pepton enthaltenden Präparats die tödliche,
0,02 oft schon die typische, nicht letale Wirkung hervorrief. Es
gibt sonach Albumosen von typischer, hoher Giftwir-
kung für das Meerschweinchen per venam.
Meerschweinchen 250—800 g. Klar filtrierte 10°/,ige Lösungen
in physiologischer Kochsalzlösung. i
Pepsin. pur. in lam.: 0,2, 0,2, 0,55 iv. Alle Tiere binnen
2—5 Minuten unter heftigen Krämpfen tot mit maximaler Lungenblähung,
ungerinnbarem Blute.
2. Pepsin. absol. in lam.: 0,02, 0,025, 0,8. Leichte Zuckungen,
Kratzen, Paresen, erholt. Nach 24 Stunden: 0,07, 0,06, 0,08 iv. Keine
Erscheinungen. Kontrolltier 0,05 iv., nach 2 Minuten unter Krämpfen
tot mit typischem Befund. .
5 Präparate mit minimalem Peptongehalt oder ohne nachweisbares
epton:
j 3, Pepsin. solub. (in Wasser gelöst): 0,83 iv., 0,8 iv., erfolglos.
4. Pepsin. pharmak. Austr. VI: 1,0 iv., erfolglos.
5. Pepsin. puriss. Grübler (zirka 1:6000): 0,12 iv. Zuckung.
0,24 iv. Nach 5 Minuten Krämpfe, tot nach 45 Minuten. Retrahierte,
rosiggefleckte Lungen. An
Dialysat desselben = 0,2 erfolglos (verdaut kräftig Fibrin). ;
6., 7. Zwei Magensäfte nativ, einer durch Verdunsten etwa drei-
fach konzentriert, ist in Mengen von je 2,5 ccm ohne Wirkung. f
Bei Trypsin inkonstant. Zwei Meerschweinchen sterben auf Ry
0,1 iv. unter Krämpfen. Eins zeigt leichte Lungenblähung, eins nieht.
Mit Trypsin Grübler 0,075 heftige Krämpfe, Tod nach 15 Minuten.
Mäßige Lungenblähung, langsame Blutgerinnung. i _
Zwei Meerschweinchen vorbehandelt mit 0,01, 0,03 Pepsi ar
gespritzt mit 0,1, 0,07 eines andern Trypsinpräparats, sterben ohne Lung
blähung nach 10 Minuten.
I
N
18. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33. 1357
Reggae Z——mmeZ ZZ Ra, mm [ER E cc T ee
Die auf 65° durch 3/4 Stunden- erwärmte 10°/,ige Lösung von
Pepsin. absol.: 0,05 iv., heftige Krämpfe, erholt; 0,1 Krämpfe, tot nach
80 Minuten, retrahierte, hyperämische Lunge.
Unsere Versuche ergaben sonach 1., daß Ungerinnbarkeit
des Bluts und anaphylaktischer Shock nicht direkt zu-
sammenhängen können, da letzterer fehlt, wenn die Un-
gerinnbarkeit durch Magnesiumsulfat oder Natrium-
citrat bedingt ist und da Hirudinpräparate keine
anaphylaxieartigen Erscheinungen bedingten, obwohl
ihre gerinnungshemmende Fähigkeit voll erhalten war’).
8. Krämpfe sind nach Einspritzungen in die Blutbahn des
Meerschweinchens kein eindeutiges Symptom (so z. B. ruft Anti-
pyrin klonische Krämpfe hervor, die bald tetanischer Contraction
weichen; Adrenalin erzeugt klonischen Krampf usw.). Charakte-
ristisch erscheint uns nur die regelmäßig auftretende Lungen-
blähung ohne Oedem und Hyperämie und die Erscheinungen des
protrahierten Anfalls.
3. Injektion von Fermentpräparaten und ferment-
haltigen Flüssigkeiten wird gut vertragen, wenn die
Fermente — denen eine primäre Giftigkeit nicht zuzu-
kommen scheint — nicht an giftige Begleitstoffe ge-
bunden sind. Albumosengehalt ruft die vom Witte-
pepton bekannten Folgen hervor, doch gibt es Albu-
mosen von weit höherer Giftigkeit. (Auch Gerinnungs-
' fermenten dürfte die primäre Giftigkeit fehlen.)
Wenn wir zum Schluß auf die Anaphylaxietheorien zurück-
greifen, die augenblicklich um den Vorrang streiten, so sei mit
der neuesten, der von E. Heilner begonnen. Nach ihm ist „im
anaphylaktischen Stadium der Eiweißstoffwechsel erheblich herab-
gesunken, . während im präanaphylaktischen die Verbrennung des
zugeführten artfremden Eiweißes gesteigert sei. ‘Die Ursache der
Anaphylaxieerscheinungen sei nicht die Erzeugung giftiger Stoff-
wechselprodukte, sondern die relative Persistenz sonst rasch weiter
verarbeiteter Stoffe“.
Wir haben Heilners Verdienste um die Kenntnis der paren-
teralen Verdauung wiederholt hervorgehoben; die jetzt aufgestellte
Theorie scheint uns jedoch eine neue, aber keine befriedigende
Lösung der Anaphylaxiefrage-zu geben. Ist schon die Notwendig-
keit, einen binnen Sekunden erfolgenden Eiweißabbau anzunehmen,
für die Fermenttheorien des anaphylaktischen Anfalls ein gewich-
tiges Hindernis, so muß hier, wo es sich um die Häufung unver-
brannter Zwischenprodukte handelt, das zeitliche Moment noch
mehr ins Gewicht fallen. Es ist auch ein Widerspruch darin ge-
legen, daß drei Wochen nach der Injektion von 0,001 Eiweiß der
Organismus mit Hundertsteln eines Gramm dieses Eiweißes nicht
fertig werden soll, während nach Einverleibung von 5 g auch
nach mehreren Monaten diese Insuffizienz bei starker Inanspruch-
nahme fehlt und erst spät Platz greift. | S
Die beiden andern Theorien haben wir bereits besprochen.
Die vorliegenden Versuche erscheinen durch den Nachweis der
hohen Giftigkeit von Albumosen und des Mangels eines direkten
Zusammenhangs zwischen den Gerinnungsverhältnissen und der
Anaphylaxie für die Abbautheorie günstiger, während die physi-
kalische als Arbeitshypothese zu neuen Versuchen anregt, von
denen man Nutzen für die biologische Forschung erwarten darf.
Aber noch befriedigt keine der vorhandenen Theorien voll-
ständig, und die Aussichten auf baldige restlose Lösung der
Anaphylaxiefrage werden durch den heutigen Stand der Kenntnisse
vom Blut, insbesondere der Blutgerinnung und vom Eiweißabbau
noch wesentlich getrübt.
Literatur: Biedel und Kraus (Handbuch der Immunitätsforschung,
I. Ergänzungsband). — R. Dörr, Ueber Anaphylaxie. (Wr. kl. Woch. 1912,
Nr. 9) — R. Dörr u. Moldovan, Die Wirkuugen eiweißfällender Kolloid-
lösungen auf warmblütige Tiere usw. (Biochem. Ztschr. 1912, Bd. 42, H. 1. u. 2.)
— Friedberger, Ueber das Wesen und die Bedeutung der Anaphylaxie.
(M. med. Woch. 1910, Nr. 50, 51.) — E. Heilner, Ueber die Wirkung art-
fremder Blutsera usw. (Zt. £. Biol. 1858, Bd. 74.) — Kirchheim, Ueber die
Giftwirkung des Trypsins und seine Fähigkeit, lebendes Gewebe zu verdauen.
A. f. exp. Path. u. Pharm. 1911, Bd. 66, S. 853 £) — Ritz u. Sachs, Ueber
as Anaphylatoxin. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 22.) — G. Salus, Ueber das
Wesen der biologischen Phänomene usw. (Med. Kl, 1907,.Nr. 50.) — Derselbe
u. Schleißner, Zur Kenntnis des Anaphylaxiegiftes. (Ibid. 1911.) — Der-
selbe, Das Problem der Anaphylaxie. (Prag 1910, Calve.} — F. Keyßer,
Das Wesen der Anaphylaxie. (F. ser. 1911.) — Derselbe u. M. Wassermann, |
Ueber Toxopeptide. (Ibid.)
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Serologische Untersuchungen über die Pathogenese der sym-
| pathischen Ophthalmie
von Dr. A. Dutoit, Augenarzt in Lausanne.
1; |
Die serologischen Untersuchungen über die Pathogenese der
sympathischen Ophthalmie verfolgen — im Gegensatze zu den
bakteriologischen Untersuchungen auf demselben Gebiete — weder
den Nachweis der Metastasentheorie noch einen solchen der Mi-
grationstheorie, sondern ein ganz neues Ziel, nämlich die Er-
forschung des Charakters der Erkrankung im Sinne der Lehre von
der Speeifität der Entzündung im allgemeinen.
.,. . Die Entdeckung bestimmter serologischer Reaktionen, z. B.
bei der Tuberkulose, bei der Syphilis, die Erfahrungen der Serum-
therapie, insbesondere aber die eigentümlichen Erscheinungen,
welche wir unter dem Begriffe der „Anaphylaxie“ zusammen-
fassen, lassen auch für diePathogenese der sympathischen Ophthalmie
neue Möglichkeiten zu.
l Von diesem Standpunkt aus liegt es in der Tat nahe, den
Immer so überaus typisch wiederkehrenden anatomischen Befund
zum Gesamtorganismus in Beziehung zu bringen, als eine Re-
aktion zu deuten, welche derselbe unter gewissen Bedingungen
Sozusagen automatisch einleitet. Die Entstehung einer solchen
eaktion setzt sich gemäß der bisherigen Erkenntnis stets aus
zwei Faktoren zusammen, einerseits aus einer an Intensität und
Qualität variablen Disposition, anderseits aus dem auslösenden
oment, welches specifische Eigenschaften besitzt. I
Was die Disposition anbetrifft, so lehrt uns die Serologie
ganz allgemein, daß dieselbe meist erworben, seltener angeboren
oder besser natürlich ist und auf dem Gehalte des Serums an
offen beruht, welche aus den verschiedensten Quellen stammen
und nur in begrenzten. Mengen ohne Schaden sich ansammeln
Fe a
1) Das Hirudin Merck enthielt kein Pepton, war aber auch unwirk-
Sam. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß gerade Peptongehalt
a Ursache anaphylaxieartiger Wirkungen von Hirudinpräparaten sein
können. Genauer betrachtet, verleihen derartige Stoffe dem Serum
einen anormalen, sehr labrilen Gleichgewichtszustand, den wir als
„Sensibilisierung“ bezeichnen. Die Sensibilisierung des Serums
erfolgt in der Regel durch die Infektionskrankheiten und deckt
sich sonach annähernd mit dem bisherigen Begriffe der erworbenen
Immunität. l u
Tritt nun zu. dieser Disposition ein auslösendes Moment,
ein „Reagens“ hinzu, so erfolgt die Reaktion im engeren Sinne,
unter dem Bild einer Reihe von Erscheinungen, welche teils den
Organismus im ganzen, teils auch nur einzelne Organe oder gar nur
ein einzelnes Organ in Mitleidenschaft ziehen. Wir unterscheiden
danach die allgemeine Anaphylaxie von der lokalen Anaphylaxie
und rechnen die sympathische Ophthalmie in diese letztere Gruppe.
Gemäß unserer Ausfübrungen umfassen die serologischen
Untersuchungen über die Genese der sympathischen Ophthalmie
sowohl den Nachweis der, wie gesagt, meist erworbenen Disposition,
als auch denjenigen der Reagentien, das heißt der Momente, welche
zur Entstehung der Reaktion beitragen. Dabei bleibt der Gedanke
wegleitend, daß die sympathische Ophthalmie als lokale Anaphylaxie
bald von irgend einem einzelnen Organ, also von einem Auge aus,
bald von einer andern Stelle des Organismus aus eingeleitet wird
und stets beide Augen, als paarige, homologe Organe betrifft,
wobei natürlich die Sensibilisierung ebenfalls auf diesen beiden
Wegen erfolgt.
Ganz allgemein beschäftigen sich also die serologischen
Forschungen über die Pathogenese der sympathischen Ophthalmie
mit den Bedingungen der Sensibilisierung, teils von einem
Auge, teils von einer andern Stelle des Körpers aus, mit der
besonderen .Natur derselben, ferner mit der lokalen Anaphylaxie,
mit ihrer Auslösung, ihrer Intensität und Qualität, mit dem
Charakter der entsprechenden Reagentien.
Il.
Ueber die Wirkung von Antigenen vom Augeninnern
aus liegen in der Literatur zurzeit nur ganz vereinzelte Mit-
teilungen vor.
Die erste diesbezügliche Beobachtung stammt von Ehrlich (1)
und betrifft mehr die allgemeinen Grundsätze der Immunitätslehre,
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918 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
1358 1
welche sich danach auch für das Auge, als Ausgangspunkt einer
Immunisierung des Gesamtorganismus, gültig erweisen. Bald
darauf nimmt Römer (2) den Gedanken weiter auf und zeigt im
besonderen, daß Abrin vom Conjunetivalsack aus einen Zustand
temporärer, allgemeiner Immunität auslöst. Dieser Befund be-
deutet indessen nur eine neue Bestätigung der schon bekannten
Tatsache, daß von den Schleimhäuten überhaupt organische wie
anorganische Substanzen in den Körper und in den Blutkreislauf
übertreten. Gebb (8) weist diese Eigentümlichkeit der Conjunctiva
auch für die Phytotoxine, wie Z. B. Riein, Diphtherietoxin und
Tetanustoxin, mit Erfolg nach. Aehnliche Erfahrungen macht
ferner Löffler (4) bei der Impfung der Cornea mit virulenten |
Mäuse-Septicämiebacillen.
Ueber ausschließliche Versuche am Auge berichtet dagegen
von Dungern (5). Hier ergeben Injektionen von Maja-Plasma
in die Vorderkammer des Kaninchenauges, allerdings nur in einer
beschränkten Zahl von Fällen, eine deutliche antigene Wirkung,
welche sich durch die Gegenwart von Präcipitin im Biutserum
äußert. Aus dem Umstand zumal, daß in einem einzelnen Falle
das Präcipitin acht Tage lang im Kammerwasser vorhanden bleibt,
während es sich bis zu dieser Zeit im Blutserum nicht zeigt,
folgert von Dungern, daß die Bildung des Antigens im Auge
selbst stattfindet. |
Im weiteren erwähnt Leber (6), bei Injektion von abgetöteten
Choleravibrionen in die Vorderkammer, drei Tage später im Kammer-
wasser des behandelten Auges einen Agglutinationstiter von 1: 20,
im Kammerwasser des andern Auges einen solchen von 1:5, und
im Blutserum einen solehen von 1:10. Nach sieben Tagen findet
sich in einem andern Fall im Kammerwasser beider Augen keine
Spur mehr von Agglutination, während der Titer des Blutserums
zu dieser Zeit 1:500 erreicht.
Fin weiterer Versuch von Leber in derselben Arbeit betrifft
die allgemeine temporäre Immunisierung, jeweilen vom Peritoneum,
von der Pleura und von der Vorderkammer aus. Am neunten
Tage zeigen sowohl das Blutserum als auch das Kammerwasser,
in entsprechender Verdünnung zur Plattenkultur lebender Cholera-
vibrionen verwendet, einen gewissen Gehalt von Antigen an.
Die außerordentlich lehrreichen und sorgfältigen Beobach-
tungen von Elschnig (7), deren erste Veröffentlichung wir hier
gleich einbeziehen, bestätigen zunächst sowohl die Ergebnisse von
von Dungern als auch diejenigen von Leber. Elschnig wählt
ebenfalls Choleravibrionen und injiziert teils in die Vorderkammer,
teils in den Glaskörper. Nebenbei, zur Kontrolle, führt Elschnig
noch einige Injektionsversuche von Hammelblut und von Rinder-
blutkörperchen aus, deren Resultate wir gleich an dieser Stelle
vorwegnehmen: in beiden Reihen erscheint das Antigen im Blut-
serum in Form des hämolytischen Titers, welcher sich nach einer
zweiten Injektion, acht Tage später, noch steigert.
Bezüglich der Choleravibrionen prüft Elschnig ferner die
antigene Wirkung des Choleraextrakts und der Choleraemulsion ge-
sondert in zusammen sechs Tierserien. Nach einer ersten Injek-
tion in die Vorderkammer, deutlicher aber noch nach einer solchen
in den Glaskörper, erfolgt bei Choleraextrakt nur eine gering-
fügige, bei Choleraemulsion schon eine etwas ausgesprochenere
Agglutination. Dieselbe steigert sich in allen Fällen nach einer
zweiten Injektion um ein beträchtliches sowohl bei Injektion
in das behandelte als in das andere Auge, am stärksten jedoch
stets, wenn das betreffende Tier schon vordem allgemein: mit
demselben Antigen immunisiert worden ist.
Im besonderen endlich stellt Elschnig fest, daß die Wirkung
der in das Auge eingebrachten Antigene auf das Blutserum er-
heblich geringer ausfällt als bei subkutaner oder intravenöser
oder intraperitonaler Einverleibung derselben.
| YiL.
Ueber die Reaktion des Auges auf Einspritzung von art-
fremdem Serum berichten weiterhin Sattler (8), Golowin (9),
Filatow (10). Die Autoren sprechen allgemein von einem gerade-
zu typischen Verhalten des Auges, indem der Ablauf der sicht-
baren Erscheinungen mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit vor sich
geht, derart, daß Abweichungen davon schon ohne weiteres auf
die Möglichkeit einer bakteriellen Verunreinigung der Injektions-
iokeit hinweisen.
en der Reaktion des Auges auf die Einspritzung
von artfremdem Serum handelt es sich im wesentlichen um
eine schleichend beginnende und eminent chronisch verlaufende
Entzündung der Uvea, zumal der Iris und des Ciliarkörpers, vor-
wiegend plastisch-fibrinöser Natur. Unter allmählicher Tensions-
verminderung;, seltener. unter vorübergehenden Anfällen von Druck-
steigerung, Kommt es schließlich zur Phthisis bulbi.
Durch geeignete Dosierung der ersten und der nachfolgenden
Injektion tritt an Stelle dieses durchaus deletären Verlaufs dann
die Anaphylaxie im engeren Sinne am andern Auge auf. Mittels
der ersten Injektion, welche stets von entzündlichen Vorgängen an
der Uvea begleitet ist, erleidet das Individuum zunächst die all-
gemeine Sensibilisierung.
Zur Nedden (11) unternimmt als Erster solche Versuche
am Auge. Typisch bleibt dabei, daß die Reaktion auf die erste
Einspritzung, sofern ihre Dosierung richtig gewählt ist, regel-
mäßig erst nach fünf bis sechs Tagen einsetzt und bis etwa zum
20. Tage wieder schwindet, während die eigentliche anaphylak-
tische Reaktion, bei gleicher Dosierung, bereits schon 24 Stunden
nach der zweiten Einspritzung beginnt und bald einmal die oben
geschilderten, deletären Erscheinungen zeigt. Aus diesen Beob-
achtungen geht also ohne weiteres hervor, daß es gelingt, die
Anaphylaxie am Auge vorzubereiten und tatsächlich auszulösen.
Dafür erbringt zunächst auch Sattler (8) die Bestätigung
und auch für die schon anerkannte serologische Erfahrung, daß
‚die lokale Anaphylaxie, somit auch eine solche am Auge, ebenso
auf Grund einer allgemeinen Immunisierung und Sensibilisierung
zustande kommt.
Dem gegenüber beschäftigt sich Kümmell (12) mit der Um-
kehrung des Problems, nämlich mit der Frage nach der allge-
meinen Immunisierung und Sensibilisierung des Individuums von
einem Auge aus. Trifft diese Voraussetzung überhaupt zu, 50
läßt sich dann die anaphylaktische Reaktion auch vom andern,
nicht primär injizierten Auge aus auslösen. Theoretisch steht
dieser Möglichkeit auch nichts im Wege; allein Kümmell betont
wohl mit Recht, daß die besonderen Circulationsverhältnisse des
Auges den voraussichtlichen Verlauf bis zu einem gewissen Grade
hindern. |
l Kümmell immunisiert Kaninchen mit menschlichem Serum,
teils subeutan, teils intravenös, und benutzt dieselben als Kontroll-
tiere zum Vergleiche mit solchen, welche mit demselben Serum
von einem Auge aus allgemein sensibilisiert werden. Die Aus-
lösung der Anaphylaxie geschieht dann einerseits vom andern
Auge, anderseits durch eine subcutane oder intravenöse Serum-
einspritzung von irgendeiner Stelle des Körpers aus.
| Wir übergehen die Einzelheiten der Versuche von Kümmell
und erwäbngn in diesem Zusammenhange nur die äußerst über-
raschenden Schlußfolgerungen:
Es gelingen Kümmell: 1. Die lokale Immunisierung und
Sensibilisierung des Auges mit artfremdem Serum und die Aus-
lösung der anaphylaktischen Reaktion daselbst; 2. die allgemeine
Immunisierung und Sensibilisierung von einem Auge aus. Die
anaphylaktische Reaktion erscheint danach sowohl an dem einen
wie an dem andern Auge nach Einspritzung desselben Serums
subeutan, intravenös oder in das zweite Auge. Die anaphylak-
tische Reaktion am Auge besteht, wie oben bereits angedeutet
wurde, in einer deletär verlaufenden, plastisch-fibrinösen Ent-
zündung der Uvea und begleitet sich, ‚soweit das Tierexperiment
dabei in Frage kommt, mit den bekannten Allgemeinerscheinungen
der Anaphylaxie.
In diesem Zusammenhange leitet die Arbeit von Golowin (9)
ohne weiteres zu dem Problem der Pathogenese der sympathischen
Ophthalmie über. Dieser Autor nimmt an, daß sich bei Ver-
letzungen des Auges, hauptsächlich bei solchen des Ciliarkörpers,
gewisse Giftstoffe, „Autocytotoxine“, bilden, welche, unab-
hängig von einer gelegentlichen bakteriellen Infektion, die Iris und
das Ciliarepithel überhaupt im Sinne und zugunsten der SyM-
pathischen Infiltration beeinflussen. In ähnlicher Weise versuchen
Werncke (zit. bei 12) durch intraokulare Injektionen mit „Ihyreo-
toxin“ und Santucci (zit. bei 12) durch Solche mit einer Emul-
sion der Gewebe eines verletzten KaninchenaugeS den Prozeß der
sympathischen Entzündung auf experimentellem Wege auszulösen,
allein ohne Erfolg. ,
Indessen gibt es eine, wenn auch unbeabsichtigte Manipula-
tion, durch welche das mikroskopisch-anatomisch® ‚und ae
auch das klinische Bild der sympathischen Ophthalmie anscheinen
sehr getreu hervorgerufen wird. Es ist dies der bekannte or-
such von Elschnig (zit. bei 12), bei einer Glaskörperblutur g,
nach dem Vorschlag von Roemer, in therapeutischer EN
hämolytisches Serum zu injizieren. Es entwickelt sich daD?
der Tat eine intensive plastische Iridoeyelitis, welche SC
zum Sekundärglaukom und zur Amaurose führt. Der M
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18. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK’ Nr. 33. | -1859
skopische Befund dieses einzig bekannten Falls, erinnert durchaus
an die sympathische Infiltration. | pi G
- In ähnlicher Weise geht endlich auch Filatow (10) vor,
indem er Injektionen verschiedener Sera an einer großen Zahl von
Tieraugen anstellt und dabei öfter, sowohl. klinisch wie patho-
logisch-anatomisch, analoge Vorgänge- wie bei der sympathischen
Ophthalmie erwähnt. Su, | | =
- Anderseits wählt Guillery (13), wesentlich aus Gründen
der- absolut zuverlässigen Sterilisierung, die beiden Fermente
„Trypsin“ und „Papajotin“ und findet: nach Injektion derselben, in
den Glaskörper von Kaninchenaugen bei der mikroskopischen Unter-
suchung regelmäßig diffuse Rundzelleninfiltration in Ciliarkörper
und Chorioidea. Dasselbe Ergebnis zeigt sich für Filatow auch
nach der Injektion filtrierter.- Kulturen von Bacillus pyocyaneus und
von Staphylococcus pyogenes aureus. l pi C a
Auf Grund-seiner Versuche zögert Guillery nicht, die Patho-
genese- der sympathischen Ophthalmie im Sinne einer kumula-
tiven Wirkung, teils der Bakterienfermente ‚selbst, teils der
Fermente, welche nachträglich im Laufe der fortschreitenden in-
fektiösen Entzündung in den Geweben des Auges fortgesetzt sich
bilden, zu deuten und glaubt, daß dieser Gedanke sowohl die
mikroskopischen als auch die klinischen Eigentümlichkeiten über-
haupt -aller - chronischen, vorwiegend plastischen Entzündungspro-
zesse am Auge erklärt. Guillery stellt schließlich seine An-
schauung in Vergleich mit andern fermentartigen Giften, so dem
Botulismus, dem Diphtherietoxin, welche ebenfalls, nachdem der
Infektionserreger längst schon vernichtet und ausgeschieden ist,
im Körper. noch in specifischer. Weise auf die verschiedensten Or-
gane einwirken. $ = | =
Eines der .besonderen Probleme der Pathogenese der sym-
pathischen Ophthalmie betrifft: die . speeifische isolierte Lo-
kalisation der Metastase im andern Auge und sonst nirgends im
ganzen Körper. Römer (14) sucht, wie wir an anderer Stelle ge-
zeigt haben, die Erklärung dafür in einer homologen Affinität des
unbekannten Krankheitserregers zur Uvea. Motais (15) dagegen
weicht. der Schwierigkeit der hämatogenen Deutung überhaupt aus
und glaubt an die direkte Migration von einer Orbita in die
andere auf dem Wege der Venen des Nasenrückens. Bei
zur Nedden (11) endlich bleibt die experimentelle Ueberimpfung.
von Gewebsstückchen aus sympathisierenden Augen in Kaninchen-
augen ohne Erfolg. Te | | Fe
Hier greifen nun die Ergebnisse der modernen Serum-
forschung durchaus fördernd ein. Neben Sattler (8),.Golowin (9),
von denen bereits die Rede war, verweisen wir noch auf die Er-
fahrungen von Santucci (16), welche die Ueberimpfung von Uvea-
Emulsion ‚betreffen. ar oo.
. Demgegenüber greift Bail (zitiert bei 15) auf die so mannig-
faltigen Erscheinungen der Anaphylaxie zurück und bringt die
Anschauung vor, daß die Resorption von lädiertem Uvea-
gewebe im Blutserum eine antigene Wirkung entfaltet
und zu einer gesteigerten Reaktionsfähigkeit gerade
gegen dieses uveale Antigen führt. Bei der geringsten
Bildung des anaphylaktisierenden Agens, z.: B. durch
Zerfall auch nur einer Uvea- oder Pigmentepithalzelle,
tritt dann die Reaktion unfehlbar in Form einer inten-
Siven und für das. Auge auch äußerst deletär verlaufen:
den Entzündung ein. =
‚Diese rein theoretische Ueberlegung von Bail dient
Elschnig (17) als Grundlage zu einer. Reihe von bemerkenswerten
perimentalstudien der Immunisierung mittels Uvea-Emulsion,
auf welche wir in diesem Zusammenhange nunmehr etwas näher
eintreten wollen. ` | | |
L Elschnig prüft in gesonderten Serien die Verhältnisse der
sukocytose und der Phagocytose im sogenannten Pfeifferschen
ersuche des hängenden Tropfens, ferner die Opsoninreaktion,
a die Komplementbindung, mit den folgenden Ergeb-
m Die Leukocytose, ebenso die Phagocytose zeigt sich
el den mit Uvea-Emulsion immunisierten Tieren enorm
osteigert, Die Leukocyten beladen sich rasch mit U veal-
pement, Die Reaktion auf specifische Opsonine fällt
Be negativ aus. -Elschnig betrachtet aber die dies-
glichen Versuche noch nicht als abgeschlossen. | |
le besonderer Bedeutung erscheinen zumal die serologische
wart suchungen ‚von Elschnig, aus welchen die aprioristisch er-
ete Tatsache hervorgeht, daß bei den mit artfremder Uvea-
Emulsion intraperitoneal injizierten Kaninchen Antikörper gegen
Uvea-Emulsion auftreten, welche in der Komplementbindungs-
reaktion, unter Verwendung von Uvea-Emulsion als Antigen, durch
Komplementbindung die Hämolyse hindern. Weitere Versuche
in dieser Richtung zeigen ferner, daß der Uvea-Immunkörper im
Serum der immunisierten Tiere die Eigenschaften eines sogenannten
Amboceptors besitzt, ferner, daß derselbe bei. der Komplement-
bindungsreaktion sich auf die Festsubstanz der Uvea-Emulsion
verankert. Die Hemmung der Hämolyse- bleibt sich sowohl mit
artgleicher als mit artfremder Uvea-Emulsion völlig gleich. Da-
raus: schließt Elschnig, daß nicht die Uvea-Emulsion an sich,
sondern -nur ihr Gehalt an Pigment das wirksame Antigen
liefert. Diese Vermutung bestätigen endlich die Versuche mit
chemisch reinem Rinderaugenpigment, dessen serologische Reaktionen
bei damit immunisierten Tieren in allen. Punkten mit den Ergeb-
nissen bei Verwendung der Uvea-Emulsion übereinstimmen.
Nebenbei erwähnen wir hier, daß sonst nur -vereinzelte
Arbeiten über die chemischen Eigentümlichkeiten des ` Augen-
pigmentes vorliegen, so von Landolt (18), von Spiegler (19),
welche beide eine Abhängigkeit vom Blutpigment in Abrede ‚stellen.
Vor Elschnig beschäftigen sich übrigens schon Heß und
‚Römer (20) in einer gemeinsamen Arbeit mit der antigenen Wir-
kung des Pigmentepithels in der Aderhaut im hämolytischen Versuche,
gelangen aber zu der Ansicht, daß die Antikörper ganz allgemein
artspecifischer Natur sind. u | re |
=. Wàs endlich die Organ-Antikörper anbelangt, so verweisen
wir nur zum Vergleich kurz auf die Arbeiten von Fleischmann
und Davidson (21), von Ehrlich und Morgenroth (22), von
Uhlenhuth (23). j ee | |
An den Schluß dieses Berichts über die serologischen Unter-
‚suchungen zur. Aufklärung der Pathogenese der sympäthischen
Ophthalmie stellen wir eine weitere, im wesentlichen statistisch-
theoretische Studie von. Elschnig (24) und eine solche von
Elschnig und Salus (25), welche einesteils die Forschungen über
Pigmentimmunisierung und Pigmentantigen weiterführen, ander-
seits das sonst. noch von keinem Autor berührte Gebiet der. Dis-
position zu inneren, nämlich. hämotogenen Augenentzündungen
im allgemeinen anscheiden. n 2 ES a
Gemäß unsern einleitenden Worten handelt es sich bei dem
Begriffe der Disposition in diesem Zusammenhange sowohl um die
meist erworbene, seltener angeborene Empfindlichkeit des Ge-
samtorganismus und auch des Auges den im Blute kreisenden
Schädlichkeiten gegenüber, wozu ohne weiteres natürlich die anti-
gene Wirkung der verschiedensten Substanzen gehört, wie um
die Ursache im engeren Sinne der chronischen Augenentzündungen
überhaupt, unter Einbeziehung der sympathischen Ophthalmie.
Nach Elschnig fordert die Erkenntnis der Aetiologie der
chronischen Iridocyelitis mit Recht die Anwendung der diagnosti-
schen Methoden der inneren Medizin. Neben der otologischen und
rhinologischen Untersuchung kommen hier vor allem die chemische
und mikroskopische Harn- und Blutanalyse, ferner die Wasser-
mannsche und die Tuberkulinreaktion, endlich auch die dermato-
logische Beobachtung in Betracht. B
Unter 142 in dieser- gründlichen Weise kontrollierten Fällen
von chronischer Iridocyelitis (76 Männer, 66 Frauen) und
bei konsequentem Ausschluß aller Fälle mit traumatischer Aetio-
logie findet Elschnig zunächst 18 Fälle, bei welchen aus den be-
stehenden manifesten Allgemeinsymptomen oder deren Residuen
Syphilis mit Sicherheit sich erkennen läßt. Meist handelt es
sich um sogenannte sekundäre Syphilis. In zweien dieser Fälle
erfolgt außerdem ohne manifeste Zeichen der Tuberkulose ein
positiver Ausfall der Tuberkulinreaktion, dazu besteht in einem
Falle auch Indicanurie. In acht Fällen ergibt sich die Diagnose
der Syphilis ferner aus dem positiven Ausfall der Wassermann-
schen Reaktion. . Indessen bietet keiner dieser Fälle ein für Syphilis
irgendwie charakteristisches klinisches Bild noch eine derselben
entsprechende Anamnese, dagegen nur zwei Fälle keinerlei sonstige
Krankheitserscheinungen, während bei den andern sechs Fällen die
folgenden Veränderungen gleichzeitig sich vorfinden und somit als
‚einzige mutmaßliche Ursache der chronischen Irido-
cyelitis zu gelten haben: ‚viermal Indicanurie, je einmal in Ver-
bindung mit Sinusitis des Siebbeins, mit Nephritis chronica, mit
Rheumatismus und Gonorrhöe, mit Vitium cordis und Skatolurie.
Die beiden übrigen Fälle zeigen einmal Nasenpolypen und eine
14 Tage alte Gonorrhöe, einmal Oophoritis chronica, : wahrschein-
lich gonorrhoischen Ursprungs. | E |
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13860 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
Bei diesen acht Fällen erkranken viermal beide Augen
gleichzeitig oder annähernd gleichzeitig, einmal innerhalb zwei
Jahren, einmal innerhalb drei Jahren. Nur zwei Fälle bleiben -
dauernd auf ein Auge beschränkt.
Was ferner die Tuberkuloseätiologie der chronischen
Iridoeyclitis anbetrifft, so findet Elschnig hier im ganzen
24 Fälle; darunter zehn mit Apieitis, einer davon gleichzeitig mit
Gelenkrheumatismus; .bei dreien dieser Fälle besteht am Auge
ein für tuberkulöse Iridoeyelitis ziemlich charakteristisches Klini-
sches Bild, bei einem Fall eine durchaus typische Iristuberkulose.
Daneben ergeben 14 Fälle einen positiven Ausfall der Tuber-
kulinreaktion ohne irgendwelche andere manifeste Zeichen der
Tuberkulose; indessen haben zwei dieser Fälle Gelenkrheumatis-
mus, drei Fälle Indicanurie, zwei Diabetes und einer Albuminurie.
Bei diesen 24 auf Tuberkulose stark verdächtigen Fällen
erkranken sechs annähernd gleichzeitig an beiden Augen, drei
innerhalb mehrerer Wochen, einer innerhalb zwei Jahren und nur
einer erst nach einigen Jahren auch am andern Auge.
Im weiteren scheidet Elschnig aus seinem Material
51 Fälle, weil ungenügend untersucht, gänzlich von der Statistik
aus. Bei den noch übrigen 37 Fällen finden sich überhaupt gar
keine klinischen Anhaltspunkte für die Aetiologie der chro-
nischen Iridocyelitis.
Was die Heilung anbetrifft, so erwähnt Elschnig für das
gesamte Material von 142 Augen der 71 beidseitig er-
krankten Fälle 29%), von den 71 Augen der einseitig er-
krankten Fälle dagegen 48°, funktionell gute Erfolge. Im be-
sonderen zeigen die 92 Fälle, bei welchen sich sowohl Syphilis als
Tuberkulose sicher ausschließen läßt, 290/9 Heilung bei den 98 Augen
der 49 beidseitig erkrankten und 540/0 Heilung bei den
43 Augen der einseitig erkrankten Fälle.
Eischnig zieht daraus zunächst die folgenden Schlüsse:
Die chronische, nicht traumatische Iridocyclitis betrifft
außerordentlich häufig beide Augen. Die Prognose der-
selben erscheint, zumal im Vergleich mit der sympathi-
schen Iridocyclitis, durchaus nicht ungünstig.
Gestützt endlich auf die Untersuchungen und Beobachtungen
von von Jaksch (26), von Martius (27), von Combe (28), von
Wessely (29), von Schmidt (30), von Scehittenhelm und
Weichhardt (81), von Lubarsch (32) zieht Elschnig für
16 Fälle von Iridocyclitis mit unbekannter Aetiologie im beson-
deren eine gastrointestinale Autointoxikation in Betracht.
Für die übrigen 13 Fälle, ebenfalls mit unbekannter Aetiologie,
hält Elschnig, in Anlehnung an Martius (27) und an Cramer
(33), den Begriff der Konstitutionsanomalie für das aus-
lösende Moment.
| Außerdem wendet Elschnig auch die Biutbefunde von
Gradle (84) auf die malignen, nicht in Panophthalmie über-
gehenden Fälle von traumatischer Iridocyclitis an und sieht
darin einen Beweis dafür, daß „der Organismus in einer
anormalen Weise auf die Entzündung erregende Schäd-
lichkeit (Trauma, Infektion) reagiert“.
Zum Vergleich schieben wir hier noch einige statistische
Angaben über die Ursachen und Häufigkeit der chronischen Irido-
eyclitis ein:
Schnabel (35) zählt in einem Material von 216 chronischen
und akuten Iridocyclitiden 99 beidseitig und 117 einseitig er-
krankte Fälle.
Ferner finden Heßberg (36) unter 58 Fällen 17, Fleischer
(37) unter 84 Fällen sogar 38 ohne irgendwelche klinisch nach-
weisbare Ursache.
Bach (38) bemerkt in einer kurzen, die Erkrankungen des
Uvealtraktus zusammenfassenden Mitteilung über die Ein- oder
Doppelseitigkeit, daß zwar die Iritis und die Oyclitis nur in zirka
15 bis 200%, der Fälle, dagegen die Iridocyclitis und die Chorioiditis
in zirka 50 bis 60°/, der Fälle doppelseitig auftritt. Danach
kommen also die Aderhauterkrankungen rund viermal so häufig
doppelseitig vor wie Regenbogenhautentzündungen. Als ätio-
logische Momente anerkennt Bach in erster Linie die Tuber-
kulose und den Rheumatismus, schenkt jedoch den von
Elschnig bevorzugten Autointoxikationen und Konstitutions-
anomalien kein näheres Interesse, läßt vielmehr bei zirka 50 bis
60%, der Fälle von Iritis und von Chorioiditis die Frage nach
der Aetiologie offenstehen.
Gegen die soeben geäußerten Anschauungen von Elschnig
wendet sich übrigens von Hippel (39) mit ganzer Schärfe. Die
gemeinsame Besprechung und experimentelle Erforschung der Aetio-
logie und Pathogenese der sympathischen Ophthalmie zusammen
18. August.
mit derjenigen der nicht traumatischen, sogenannten idiopathi-
schen und chronischen Iridocyclitis — wie dies Elschnig durch-
führt — raubt der ersteren nach der Meinung von von Hippel
die seit alters anerkannte klinische Selbständigkeit. |
Nach von Hippel versagt aber vor allem gerade die prak-
tische Anwendung der Anaphylaxietheorie von Elschnig; dem
Axiom, daß die antigene Wirkung des Uvealpigments nur auf dem
Boden einer allgemeinen Disposition gedeiht, stellt von Hippel
eine Reihe von unumstößlichen Erfahrungstatsachen entgegen:
„Ein reichlicher Zerfall von Uvealgewebe und Pigment-
epithel und damit die Gelegenheit zu antigener Resorp-
tion ist aber auch bei den schweren, nicht perforieren-
den Verletzungen oft genug vorhanden“.
Anderseits bestreitet aber gerade Schmidt (30), den El-
schnig zum Kronzeugen aufruft, die Berechtigung der von
Combe (28) ins Feld geführten Autointoxikationslehre: „Wir
wissen aber weiterhin, daß alle die genannten Körper
(nämlich Phenole, Indol, Skatol, Oxysäuren), wenn sie auch als
Produkte der Eiweißfäulnis anzusehen sind, als toxische
Produkte nicht in Frage kommen. Von ihnen ohne
weiteres auf die noch unbekannten Darmgifte zu
schließen, ist aber wissenschaftlich nicht angängig, und
so schwebt der ganze Autointoxikationskoeffizient
Combes völlig in der Luft“ (Schmidt).
Aehnlich verhält es sich nach von Hippel mit den dies-
bezüglichen Untersuchungen von Schittenheim und Weich-
hardt (31), ebenso von Wessely (29), deren Beziehungen zu der
Theorie von Elschnig streng genommen unauffndbar bleiben.
Einiges Interesse schenkt schließlich von Hippel einzig der
Mitteilung von de Schweinitz und Fife (40), welche „auf Grund
von sorgfältiger chemischer Analyse des Mageninhalts, des Urins
und der Faeces beieinigen Augenkranken einen „fehlerhaften Stick-
stoffabbau“ feststellen, was indessen immerhin noch keinen
direkten Beweis für die ursächlichen Verhältnisse von Fall zu Fall
bedeutet. von Hippel legt auf dieses Ergebnis mehr Wert als
auf die von Elschnig so warm empfohlene Indicanreaktion.
Literatur. i. Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immuni-
tät. (D. med. Woch. 1891, Nr. 32 und 44.) — 2. Roemer, Bxperimentelle
Untersuchungen über Abrin- (Jequiritof-) Immunität als Grundlage einer ratio-
nellen Jequiritytherapie. (Gräfes A. 1901, Bd. 52, S. 72.) — 3. Gebb, Aktive
Immunisierung vom Conjunctivalsack aus mittels Toxinen. (A. f. Aug. 1909,
Bd. 44, S. 810.) — 4. Loeffler, Experimentelle Grundlagen für klinische
Versuche der Serumtherapie bei Ulcus serpens, (Gräfes A. 1902, Bd. 54,
S. 167.) — 5. von Dungern, Die Antikörper. (Jena 1903, S. 113.) — 6. Leber,
Immunitätsverhältnisse der vorderen Augenkammer. (Gräfes A. 1906, Bd. 6%,
S. 414.) — 7. Elschnig, Studien zur sympathischen Ophthalmie, Wirkung von
Antigenen vom Augeninnern aus. (Gräfes A. 1910, Bd. 75, S. 459.) —
8. Sattler, Untersuchungen über die Wirkung von Biutserum nach Ein-
spritzung ins Auge. (A. f. Aug. 1906, Bd. 54, S. 990.) — 9. Golowin. (Ref.
in Klin. Monatsbl. f. Augenhlkde. 1909, Bd. 57.) — 10. Filatow. NR Diss.,
Odessa 1908; ref. in Klin. Monatsbl. f. Augenhlkde. 1908, Bd. 56, S. 9%.)
11. zur Nedden, Bakteriologische Biutuntersuchungen bei sympathischer
Ophthalmie und andern Formen der Iridochorioiditis. (Gräfes A. 1906, Bd. 62,
S. 194.) — 12. Kümmell, Ueber anaphylaktische Erscheinungen am Auge»
(Gräfes A. 1910, Bd. 77, S. 393.) — 13. Guillery, Ueber Fermentwirkungen
am Auge und ihre Beziehungen zur sympathischen Ophthalmie. (A. Í. Aug.
1910, Bd. 68, S. 242.) — 14. Roemer, Die sympathische Ophthalmie als Meta-
stase, (Gräfes A. Bd. 55 u. 56.) — 15. Motais, Préparations anatomiques pour
la démonstration de Vophtalmie sympathique par voie veineuse. (Internat.
Ophthal.-Kongreß, Luzern 1904, S. 167.) — 16. Santucoi, Die sympathische
Ophthalmie in bezug auf die Theorie von den Cytotoxinen. (Ref. in Zt. f. Aug.
1907, Bd. 17, S. 297.) — 17. Elschnig, Studien zur sympathischen ana
die antigene Wirkung des Augenpigments. (Gräfes A. 1910, Bd. 76, 507.) —
18. Landolt, Ueber das Melanin der Augenhäute. (Hoppe-Seyler, Zt. 1. phys.
Chem. 1899, Bd. 28, S. 192.) — 19. Spiegler, Ueber das Haarpigment, nebst
Versuchen über das Chorioidealpigment. (Hofmeisters Beiträge 1897, Bd. 10,
S. 253) — 20. Heß und Römer, Experimentelle Untersuchungen über die
Antikörper gegen Netzhautelemente. (A. f. Aug. 1906, Bd. 54, S. 18.) —
21. Fleischmann und Davidson, Ueber Cytotoxine. (Folia serologica 1908,
Bd. 1.) — 22. Ehrlich und Morgenroth, Ueber Hämolysine. (Berl. kl. Woch,
1900, Nr. 21.) — 28. Uhlenhuth, Zur Lehre von der Unterscheidung ver-
schiedener Eiweißarten mit Hilfe specifischer Sera. (Festschrift für Rob. Koch,
Jena 1904.) — 24. Elschnig, Studien zur sympathischen Ophthalmie, aan
logie und Anatomie der chronischen Iridocyciytis.. (Gräfes A. 1911, Bd. 78,
S. 549.) — 25. Elschnig und Salus, Studien zur sympathischen Ophthalmie,
die antigene Wirkung der Augenpigmente. (Gräfes A. 1911, Bd. 79, 8. 428.)
— 26. von Jaksch, Die Vergiftungen. (In Nothnagels spec. Pathologie om
Therapie Bd. 1, Wien 1897.) — 27. Martius, Pathogenese innerer Krankheiten.
(1909.) — 28. Combe, Die intestinale Autointoxikation und ihre Behandlung:
(Deutsche Ausgabe von Wegele, 1909.) — 29. Wessely, Versucho mit Indo
am Kaninchenauge. (36. Versammlg. d. ophthalm. Gesellsch., Heidelberg 1910.)
— 80. Schmidt, Die Wiederbelebung der intestinalen Autointoxikationsiehre
und der Combeismus in Frankreich, (D. med. Woch. 1909, Nr. 49. s
31. Schittenhelm und Weichhardt, Ueber die Rolle dor Veberempfindlich-
keit bei der Infektion und der Immunität. (M. med. Woch. 1910, NT. 34.) A
32. Lubarsch, Ueber alimentäre Schlagaderverkalkung. (M. med. Woch. 1910,
N. 30.) — 83. Cramer, Die Ursachen der Nervosität und ihre Bekämpfung.
(Med. KI. 1909, Nr. 21.) — 34. Gradie, Ueber dio diagnostische und pr°
gnostische Bedeutung der Lymphocytose bei Iridocyclitis traumatica. (86. ver-
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KETAST
7) Prof. Dr. U. Friedemann: Praktischer Kursus der serodiagnostischen
Methoden (Agglutination, Serodiagnostik der Lues, Opsonine 'usw.).
Di., Do. 8—10 U. abends, event. nach Verabredung. Hygien. Inst.,
Dorotheenstr. 28. 50 Mk. Min. 5.
8) Prosektor Dr. Max Koch: a) Praktischer Kursus. der parasitischen
Protozoen mit besonderer Berücksichtigung der Malaria, Trypanoso-
miasis usw. Mo., Mi., Fr. 4—5 U., oder nach Verabredung.
b) Praktischer Kursus der parasitischen Metazoen (höheren tierischen
Parasiten) mit besonderer Berücksichtigung der Schistosomiasis,
Filariosis, Anchylostomiasis etc. Mo., Mi. Fr. 5-6 U. oder nach
Verabredung, im Kaiserin Friedrich - Hause, Luisenplatz 2. Be-
sprechung daselbst Do. 3. Okt. um 4 U. a) und b) je 40 Mk.,
zusammen 70 Mk. Min. 4.
9) Priv.-Doz. Dr. Liefmann: a) Kursus der Serologie und Immünität.:
mal wöchentlich nach Verabredung je 3 Stunden, 4—7 U. abends.
Beginn den 2. Okt. Bakteriolog. Laboratorium des Rudolf Virchow-
Krkhs. 50 Mk. Min. 4. b) Bakteriolog. und serologische Arbeiten. Täg-
lich, nach Verabredung. Beginn jederzeit. Ort und Preis wie beia. Min.l.
10) Dr. Georg Meier, Assistent am Kgl. Inst. für Infektionskrankh.
„Robert Koch“: Kurs der Serodiagnostik der Syphilis. Praktische
_Tebungen tgl. 5—7 U. im Privatlaborat., Frobenstr. 4. 75 Mk. Min. 4.
11) Prof. Dr. Leonor Michaälis: a) Praktischer Kursus der Sero-
diagnostik. 3mal wöchentlich nach Verabredung. Städt. Krkhs.
Urban. Beginn: 3. Okt., bakteriolog. Laborat. daselbst. 50 Mk.
Min. 4. b) Kursus der physikalisch-chemischen Untersuchungs-
methoden (insbesondere Gasketten). Zeit, Ort und Preis wie a).
c) Vorlesungen über physikalische ‚Chemie. 3 mal wöchentlich.
Ort und Preis wie a). Min. 4.
12) Prof. Dr. J. Morgenroth: a) Demonstrationskurs der experimentellen
Chemotherapie. Di. Mi., Fr. 10—12 U. in der bakteriol. Abt. des
Patholog. Inst. der Charite. 80 Mk. Min. 5. b) Praktischer Kurs
der Serodiagnostik der Syphilis. Wöchentl. 4 stündlich. Zeit nach
Verabredung, ebenda. 75 Mk. Max. u. Min. 4.
13) Prof. Dr. Anton Sticker: Praktischer Kursus der modernen Immuni-
tätslchre (Hämolyse, Agglutination, Präzipitation, Opsoninbestimmung,
Syphilisreaktion). Di., Do., Sb. 9—3 U, in der wissenschaftl. Abt. der
Kgl. chirurg. Klinik, Ziegelstr. 5. 50 Mk. Min. 3.
14) Dr. A. Wolff-Eisner: Serumtherapie, Serodiagnostik, Immunitäts-
lebre (Serodiagnostik bei Lues usw., Vaccinationstherapie, Tuberkulin-
diagnostik und -Therapie, Opsoninbestimmung, Agglutination usw.)
mit praktischen Uebungen. 3 mal wöchentlich 2 Stunden, Mo., Mi., Fr.
810 U., nach Verabredung in der bakteriol. Abteilung des Krkhs.
Friedrichshain oder im Privatlaborat., Potsdamer Str. 92. .Vor-
besprochung am 3. Okt., Potsdamer Str. 65, 4—5 U. 50 Mk. Min. 4.
IV. Innere Medizin.
A. Praktika an Kranken:
a) Gesamte innere Medizin.
1) Dr. Bleichröder: Kursus der inneren Medizin unter Mitbenutzung des
Sektionsmaterials. Di., Do., Sb. 11/,—21/, U. oder nach Verabredung.
Krkhs. Gitschiner Str. 104/105 (am Halleschen Tor). 40 Mk. Min. 3.
‘2) Prof. Dr. Brugsch: Diagnostisch - therapeutisches Praktikum der
inneren Medizin am Krankenbett. Mo., Di., Do., Fr. 10—11 U. in der
II. med. Klinik der Kgl. Charite. 40 Mk. Min. 3.
8) Dr. Julius Citron: Kursus der Auskultation und Perkussion. Mo,
Di., Mi., Do. 5—6 U. II. med. Klinik der Kgl. Charité. 40 Mk. Min. 6.
4) Priv.-Doz. Dr. Fleischmann: Kursus der Diagnostik und Therapie
innerer Krankheiten am Krankenbett. Mo. bis Fr. 9—10 U. in der
I. med. Klinik der Kgl. Charite. 40 Mk. Min. 3.
5) Frl. Dr. Rahe? Hirsch, Assistentin - der II. med. Universitäts-
klinik: Praktischer Kursus der Therapie innerer Krankheiten am
Krankenbett. Mo., Di., Do., Fr. 12—1 U. in der II. med. Univ.-Klinik
der Kgl. Charité. 40 Mk. Min. 3.
6) Prof. Dr. Felix Klemperer: Ueber die Fortschritte der inneren
Medizin, insbesondere der Therapie. Mo., Di., Do., Fr. 6—7 U.
nachm. in der Poliklinik, Luisenstr. 36, Gartenhaus I. 50 Mk. Min. 6.
7) Prof. Dr. Paul Lazarus: Praktischer Kursus der Diagnostik und
Therapie innerer Krankheiten mit besonderer Berücksichtigung der
diätetischen und physikalischen Heilmethoden, einschl. der Radium-
therapie. Mo., Di., Do., Fr. 9—10 U. im Marien-Krkhs., SO., Lausitzer
Strasse 41. Hochbahnstation Oranienstr., L 12, 18 u. 32. 40 Mk. Min. 5.
8) Prof. Dr. M. Michaëlis: Praktischer Kursus der Diagnostik und
Therapie der inneren Krankheiten. Mo. bis Fr. 12—1 U. in seiner
Poliklinik, Karlstr. 18, 1 Tr. 40 Mk. Min. 5.
9) Prof. Dr. Plehn: Klinische Krankenvorstellung. Di., Do., Sb. 1—2 U.
im Urbankrkhs. 50 Mk. Min. 6.
Dr. Plesch: Praktisches Repetitorium der inneren Medizin mit be-
sonderer Berücksichtigung der neueren Fortschritte. Wöchentlich
8 Stunden in der II. med. Klinik der Charite. Zeit nach Vereinbarung.
80 Mk. Min 5. I
11) Dr. H. Schirokauer, Assistent am Kgl. Poliklinischen Universitäts-
institut: Praktischer Kursus der inneren Medizin. Mo., Mi., Fr.
10—11 U. .Ziegelstr. 18/19. 40 Mk. Min. 5.
10
ud
12) Prof.Dr. Zinn: Praktischer Kursus der Diagnostik und Therapie innerer
Krankheiten. Mo., Mi., Sb. 1—2 U. im städt. Krkhs. Moabit, Turmstr. 21.
40 Mk. Min. 10.
e
b) Herz- und Lungenkrankheiten.
13) Prof. Dr. K. Brandenburg: a) Herzkrankheiten. Mo., Do. 12—1 U.
30 Mk. b) Pneumothoraxbehandiung der Lungentuberkulose. Mi.
12—11/, U. im Rudolf Virchow-Krkhs. 30 Mk.
14) Prof. Dr. Brugsch u. Prof. Dr. Nicolai: Klinik der Herzkrank-
heiten: Mo., Do. 11—1 U. 40 Mk. Diagnostik der Herzkrankheiten:
Mi., Sb. 11—1 U. 40 Mk. Therapie der Herzkrankheiten: Fr. 11 bis
i U. 20 Mk. Alle drei Kurse zusammen, inkl. Zusatzstunden: Di.
11—1 U. 100 Mk.
15) Frl. Dr. Rahel Hirsch, Assistentin der II. med. Universitätsklinik:
Diagnostik und Therapie der Herz- und Lungenkrankheiten. Mo.,
Mi. Fr. 11—12U.inderlI.med. Univ.-Klin. der Kgl.Charite. 40M. Min. 3.
16) Prof. Dr. G. Jochmann, dirig. Arzt der Infektions-Abt. des Virchow-
Kıkhs.: Praktischer Kursus der spezifischen Diagnostik u. Tuberkulin-
therapie der Tuberkulose am Krankenbette. Mi., Sb. 12—1 U. (oder
zu anderen Stunden). Verabredung am 5. Okt., 12 U. Infektions-
Abt. des Virchow-Krkhs., Pav. 29. 30 Mk. Min. 4.
17) Prof. Dr. Felix Klemperer: Praktische Uebungen in der Unter-
suchung u. Behandlung Herz- u. Lungenkranker (mit besonderer Bé-
rücksichtigung der Perkussion u. Auskultation). Mo., Mi., Do., Sb.
1—2 U., bzw. 10—1 in der Poliklinik Luisenstr. 36 (Gartenhaus I),
bzw. im Verbandskrkhs. Reinickendorf (siehe Plan). 75 Mk. Min. 4.
18) Prof. Dr. Külbs: a) Praktischer Kursus der Untersuchungs-
methoden des Zirkulationsapparates, einschl. der modernen Apparate
und Methoden. Mo., Mi., Fr. 6—7U. oder in anderen zu verabredenden
Stunden, in der I. med. Univ.-Klinik, Charité. 30 Mk. Mind. b) The-
rapie und klinische Diagnostik der Herzkrankheiten. Di., Do. 6—1 U.
(oder zu anderen Stunden) ebenda. 20 Mk. Min. 5.
19) Priv.-Doz. Dr. Fritz Meyer: Spezifische Behandlung der Tuberkulose
und Einführung in die praktische Serumtherapie. Zeit nach Verab-
redung. Poliklinik Luisenstr. 14 und II. med. Univ.-Klinik, Charité.
30 Mk. Min. 4. = '
20) Prof. Dr. Nicolai: a) Praktischer Kursus der Herzuntersuchung mittels
des elektrokardiographischen Verfahrens. Tgl. 11—12 U. in der
If. med. Klinik. 75 Mk. Min. 6. b) Klinik der Herzkrankheiten
(siehe unter Brugsch).
| 21) Prof. Dr. Rosin: Praktischer Kursus der Herz- und Lungenkrank-
heiten unter Berücksichtigung neuerer Methoden und Therapie.
Di. bis Sb. 2—3 U. 40Mk. Min.5. |
22) Geh. Med.-Rat Prof. Dr. M. Wolff: Diagnostischer und therapeutischer
Kursus der Lungenkrankheiten mit besonderer Berücksichtigung der
Frühdiagnose der Tuberkulose. Diagnostische Impfungen ;. Uebungen
in mikroskopischen, bakteriologischen, serologischen und Röntgen-
Untersuchungen der Lungen und der Sputa. Pneumothoraxoperationen.
Di., Fr., Sb. 11—12 U. im Kgl. Universitätsinstitut für Lungenkranke,
Luisenstr. 8. 40 Mk. Min. 5.
23) Dr. A.Wolff-Eisner: Diagnostik und Therapie der Lungentuberkulose
mit Krankendemonstrationen usw. (Tuberkulindiagnostik, Tuberkulin-
therapie, Röntgendiagnostik, Opsonine, Pneumothoraxoperationen USW.
mal wöchentlich 3 Stunden, Mi., Sb. 51/,—8 U. oder nach Verab-
redung. Ort: Potsdamer Str. 65 u. Krkhs. Friedrichshain. Vorbe-
sprechung: 4. März 4—5 U., Potsdamer Str. 65. 50 Mk. Min.4.
c) Magen- und Darmkrankheiten.
24) Prof. Dr. Albu: Diagnostik und Therapie der Verdauungskrankheiten
mit Krankenvorstellungen und praktischen Uebungen in Mageninhalt-
und Fäzesuntersuchungen, Oesophagoskopie, Rektoromanoskopie un
Röntgendiagnostik. Tgl. 12—1 U. in seiner Poliklinik, Luisenstr. 19,L
50 Mk. Min. 8.
25) Prof. Dr. Theod. Brugsch: Praktikum der modernen Magen-Darm-
Diagnostik (funkt. Diagnostik, Röntgendiagnostik, Ogsophagoskopit,
Rektoskopie, Gastroskopie usw.) mit Krankenuntersuchungen. #0,
Di., Do., Fr. 5—6 U. in der IL. med. Klinik der Charité. 50Mk. Min. 6.
26) Prof. Dr. A. Bickelin Gemeinschaft mit Dr. Rud. Ebrmana: Syste
matischer Kursus der Magen-Darmkrankheiten mitKrankenvorstellungen
(normale und pathologische Physiologie, Diagnostik und Therapl®,
Mageninhalt- und Fäzesuntersuchungen, Oesophagoskopi® und Ber
skopie). Mo., Di., Do., Fr. 9—10. Ort: Experimentell-biolog. Abt
des Patholog. Inst. in der Charite u. Med.-poliklinisches Inst., Ziegel-
strasse 18/19 I. Erste und zweite Stunde in dem Med. - poliklin.
Inst., später nach Verabredung. 50 Mk. Min. 4. , lg
27) Dr. Rud. Ehrmann: a) gemeinschaftl. mit Prof. Dr. Bickel: Syste
matischer Kursus der Magen-Darmkrankheiten mit Krankenvorstellunget
(normale und pathologische Physiologie, Diagnostik und
Mageninhalt- und Fäzesuntersuchungen, Oesophagoskopi® und Ro he
skopie). Mo., Di., Do., Fr.9—10 U. 50 Mk. Min. 4. b) Praktisen
Uebungen in der Rektoromanoskopie. Mi., Sb. 9—101/, oder 2—3 j, 5
Ort: Kgl. Poliklin. Inst. d. Univ., Ziegelstr. 18/19 II. 50 Mk. Min. i
28) Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ewald: a) Krankheiten der Verdauung“,
organe mit besonderer Berücksichtigung der diagnostischen un J
therapeutischen Methoden, mit klinischen Demonstrationen rn
praktischen Uebungen, einschl. der Gastrodiaphanie, Rektoskop
und Oesophagoskopie. Di., Do., Fr., Sb. 9—10 U. vorm. IT Augusta
Hospital. 50 Mk. Min. 10. b) Chemisches und therapeutise
Praktikum mit selbständigen Kranken- usw. Untersuchungen. den)
| Mi. 9—101/, U., Fr. 10—111/, U. (oder in zu verabredenden Stun
40 Mk. Min. 10. |
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99) Prof, Dr.. L. Kuttner: Diagnostik und Therapie der Verdauungs-
- krankbeiten mit klinischen Demonstrationen. Mo., Di:, :Do., Fr.
19—11/), U. im Virehow-Krklis.: 50 Mk. -Min. 10: .
80) Prof. Dr. Magnus-Leyy, NW.: Praktischer Kursus der Stoffwechsel-,
krankheiten. Mo., Di., Do., Fr. 8—9. U. evtl. 2°Stunden nach: Ver-
einbarung. Karlstr. 5a.’ 50'Mk. Min. 10. .-"
31) Prof. Dr. Oostreich: Die Krankheiten der Verdauungsorgane (topogr.
“ Anatomie, normale und' pathologische Histologie usw.). Mo., Mi., Fr.
"9-3 U. im Augusta-Hospital, "Scharnhorststr. 3. 40-Mk. Min. 3.
32) Prof. Dr. Rosenheim: Pathologie und Therapie der Speiseröhren-,
"Magen- und Darmkrankheiten, . mit“ klinischen Demonstrationen und
prakt. Uehungen, einschl. d. Oesophag. und Rektoskopie und Röntgen-
ologie. .Mo., Di., Do., Fr..10—111/, U., Friedrichstr. 181d, Ecke
" "Karlstr. 50 Mk.: Min. 8. v
33)'Dr. H. Schirokauer, Assistent am Kgl. poliklin. Ist: Diagnostik
und Therapie‘der Verdauungskrankheiten mit klinischen Demonstra-
- tionen und chemischen Uebungen. Di., Do., Sb. 10—11 U. im
Kgl. poliklin. Inst., Ziegelstr. 18/19 IL. 40 Mk. Min. 5.
34) Prof. Dr. Strauss: Praktischer Kursus der Verdauungs- und Stoff-
‘ wechselkrankheiten‘ mit klinischen Demonstrationen und ‚besonderer
- "Berücksichtigung der’ Untersuchungsmethoden (Mageninhalt,. -Faeces,
‚Procto-Sigmoskopie, 'Röntgenverfahren etc.) ‚sowie-‘der Behandlungs-
"methoden (insbes. der‘Diätetik). Mo. bis Sb. 11—12 U. im Jüdischen
t- 0. Krkhs., Auguststr. 14, 50 Mk: Min: 8. 0 ne
d) Sonstiges -aus der inneren Medizin.
-= Verabredung). 30 Mk. Min. 4.
12—1 U., im Kgl. Inst., Luisenstr. 3. 100 Mk. Min. 8.
der Kgl. Charité, Luisenplatz 6. 60 Mk. Min. 3.
in der: II. med. Universitätsklinik, Charité. 50 Mk. Min. 5.
RB a:
Infektionsabteilung, Pav. 29. 50 Mk. Min. 5.
1 Innerer Erkrankungen einschliesslich Röntgendiagnostik in der
j, Pädiatrie.. Priv.-Doz. Dr. Reyher. Mo., Do: 6—8 U., oder‘ nach
4 - Verabredung im Röntgenlaborat. der II. med. Klinik der Kgl. Charite.
| #3) Prof. Dr.A. Pappenheim: Vorträge und Kolloquium über die klinische
n P ‘ , De He g€ 2: en 4
l athologie und. hämatologische Diagnostik des Blutes. Sb. 81/2 bis
i 10 U. Kurssaal‘d. II. med. Universitätsklinik der .Charit. 30 Mk.
Für Hörer von IV B, 56, 20 Mk. Min. 6. | |
| mit praktischen Uebungen. Mo., Mi. 10—11 U. in der II. med.
f Klinik der Charité. 40 Mk. Min. 6. b) Klinische Hämodynamische
| Untersuchungsinethoden, Praktische Uebungen an Kranken und im
i = yaborat: der lI. med. Klinik. (Blutdruck-,. Blutmengenbestimmung,
f espiratörischer Stoffwechsel, Hámoglobinometrie, Blutgase, Herzschlag-
i volumen, Spirometrie, Mittelkapazitätsbestimmung ete.) Wöchentlich
4 Stunden. . Di. u. S0..51/,—71/, U. 60M. Min. 4.
Den Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (insbesondere der
atetik). Mi., Sb. 6— 71, U. im. Jüdischen Krkhs., Auguststr. 14,
40 Mk. Min. 8.
oo Be Laboratoriumskurse. |
ER | =.
) Prof, Dr. Bickel; Kursus in den mikroskopischen, chemischen und
Pysikalischen Untersuchungsmethoden. Mo. 10—11U. u.Do.10—12U.,
. oder-in zu Fastin en Fair Ben i
40 ME” Mn a immender Stunden. Pathol, Inst, dor Kgl. ‘Charité.
r.
85) Prof. Dr. Brugsch: áy Praktischer Kursus der Stoffwechselmethodik
mit Arbeiten ith Laborätorlum. <5mal wöchentlich (ausser! Sb.),
4—5 U. Laborät, dor, Il. med. Universitätsklinik. 60 Mk. Min. 3.
.b) Pathol. u. "Therapie der Stoffwechselkränkh. mit Demonstrationen.
-= Sb. 517 U. in der II. med. Univ.-Klin., Charite. 25 Mk. Min. 4.
86) Priv.-Doz. Dr. Fleischmann: Die Pathologie der Drüsen mit innerer
Sekretion, mit Demonstrationen. Mo. u. Do. 6—7 U. (oder nach
87) Prof. Dr. E. Grunmach: Die physikalischen Untersuchungsmethoden
- (Auskultation, Perkussion usw.) mit praktischen Uebungen an Kranken
und Kontrollversuchen ‘mittels Röntgenstrahlen. Mo, Mi, Sb.
88) Dr. Gudzent und. Mitarbeiter: Radium. und andere radioaktive
Stoffe, ihre Anwendung bei Krankheiten mit‘ praktischen Uebungen.
- Di, Do., So. 9—10 .U. (oder nach Verabredung) im Radiuminstitut
89) Frl. Dr. Rahel Hirsch, Assistentin der II: med.. Universitätsklinik:
Repetitorium der inneren Medizina mit präktisch-diagnostischen
. ÜVebungen am Krankenbett. 83 mal wöchentlich nach Verabredung
40) Prof.Dr. Felix Hirschfeld: Pathologie und Therapie der Stoffwechsel-
krankheiten. - Mo., Mi, Sb. 12—1 U., oder in zu’ verabredenden
. Stunden. von der Heydtstr. 18. L 52, 56. 40 Mk. Min. 5.
41) Prof. Dr. Jochmann, dirig. Arzt der Infektionsabt. am Virchow-
. Krkbs:: Praktischer Kursus.der Diagnostik und Therapie der Infek-
~- tionskrankheiten. (Mit Uebungen am Krankenbett, Demonstrationen
von Autopsisn und Uebungen in der Tracheotomie und Intubation
an der Leiche.).. Di., Do., Fr. 83—41/, U., oder in noch zu be-
stimmenden Stunden. Besprechung: 4. Okt., 3 U. im Virchow-Krkbs,.,
42) Prof.. Dr. Nicolai: Praktischer Kursus der Röntgendiagnostik
44) Dr. Plesch: a) Radium und Thorium in der Biologie und Heilkunde
45) Prof. Dr. Richter: Die Erkrankungen des Stöffwechsels und der
Meren. mit ‚praktischen Arbeiten: in den einschlägigen Untersuchungs-
en und mit. besonderer Berücksichtigung der Diätetik. Di. |-
i 40) Prüf a 4—5 U. in der Poliklinik, Karlstr. 18a I. 40 Mk. Min. 5.
| Br: t. Strauss: Praktischer Kursus der Diagnostik und Therapie der
eraen Nierenkrankheiten unter besonderer Berücksichtigung der
jj
3
48)
‚für. Anfänger. Fr., Sb, 12—1. .Laborat.. der II. med. Klinik der
Cbarité. 80.Mk. "Mind. `> C ge -
50)
Prof. Boruttau: Klinisch-chemische Untersuchungsmethoden. Di.,
Fr. 10—12 U. im Patholog: Inst. des: städt. :Krkhs. Friedrichshain.
40 Mk. Min. 3; Max. b... 0000000
‚Dr. Julius Citron: Praktischer Kursus der klinischen Hämatologie
Priv.-Doz. Dr. Fleischmann: Praktischer Kursus der klinischen
-` Blutuntersucbungsmethöoden, ` mit" Krankenvorstellungen.' Di. u. Fr.
5-70. 60Mk. Mia s. 0
51)
.. physikalisch-chemischen Stoffwechselmethoden. Mo. bis Fr. 12—1 U,
Dr. Gudzent: Praktischer Kursus der wichtigsten chemischen und
(oder nach Verabredung) in der I.. med. Klinik der Oharit6: 60 Mk.
Min. 3, `
52)
53)
54)
55)
Dr. Hans Hirschfeld: a) Praktischer Kursus der ‘klinischen Blut-
“ © untersuchungsmethoden.: Wöchentlich 2 -Doppelstunden nach Ver-
abredung. Institut für Krebsforschung, Luisenstr; 9. ` 50 Mk.
b) Kursus. der klinischen Mikroskopie. Zeit; Ort und Preis wie a).
Prof. Dr. C.Lewin: Kürsus der Pathologie, spezifischen Diagnostik
und nichtoperativen Therapie der malignen Geschwülste. Mit De-
monstrationen und praktischen Uebungen. 5 mal wöchentlich im
Institut für Krebsforschung, Luisenstrasse 9. Besprechung: Mi., 2.Okt.,
10—12 U. 100Mk. Min 2500 0 0 .
Prof. Dr. Walther Löb: Klinisch- und physiologisch -chemische
Untersuchungsmethoden. Tgl.. 10—2 U. in der chem. Abt. des
Virchow-Krkbs. 50 Mk. Min. ‘3. > -ai Rh:
Prof. Dr. A: Pappenheim: Kursus der klinischen Blutuntersuchungs-
methodik für Anfänger mit praktischen Uebungen am Kranken, be-
- ` sonders auch in der modernen .Blutfärbetechnik. Mo., Mi., Fr. 8—9. U.
. Ím Kurssaal der 1I. med. ‚Klinik der Kgl. Charité. 50 Mk. Min. 5.
56)
ie
58)
Siehe auch unter I, 11 und. IVA, d) 0 3000. To
Prof. Dr: Plehn: Klinische. Pathologie des Blutes. Mit praktischen
Uebungen und Demonstrationen ‘am Krankenbett und im Laborat,
Mo., Mi., Fr. 121/,—2 U. im Urban-Krkbs.. 50 Mk. Min. 5.
Prof. Dr. Richter: Kursus der klinisch-mikroskopischen, chemischen
‘und bakteriologischen Diagnostik. Mo., Mi., Fr, 1—2 U. Karlstr.:18aI.
40 Mk. Min. 5. ge 3%
Prof. Dr, Strauss gemeinsam mit seinen Assistenten: - Praktischer
Kursus der Laboratoriumsmethoden für die Untersuchung von Magen-,
Darm-, Stoffwechsel- und Blutkranken. - Mo., Do. 6—8.U. (auf
‘Wunsch kann eventuell Aenderung der Stunden erfolgen) im Jüdischen
‘ Krkhs., Auguststr..14&. 40 Mk. Min. 6. Be
a)
i)
V. : Neurologie und Psychiatrie (einschl. Elektrotherapie).
Psychiatrische und neurologische Diagnostik und Therapie.
Dr. L. Bürger: Gerichtliche Psychiatrie, systematische ` Demon-
strationen mit Uebungen- im Diagnostizieren und Abfassen von
= Attesten. Di, Sb. 11-12 UV. in der Unterrichtsanstalt für Staats-
2
arzneikunde, Hannoversche Strasse 6. 20-Mk.
Priv.-Doz. Dr. R. Cassirer: Demonstrativer Kursus’ der Nerven-
krankheiten mit Einschluss der Elektrodiägnostik und Blektrotherapie.
No. bis Fr. 12—1 U. in der „Poliklinik, Karlstr..27, I. 50 Mk:
` Min. 8.
3)
Priv.-Doz. Dr. Forster und Dr. Borchardt, Oberärzte aù der
psych. u. Nervenklinik der Kgl. Charité: Praktischer Kursus “der
Diagnostik und Therapie der Geistes- und Nervenkrankheiten einschl.
der Elektrodiagnostik, Elektro- und Hydrotherapie. 6mal wöchent-
4)
lich. Mo., Di., Mi., Do., Fr., So. 6—7 U. im Hörsaal der Nerven-
klinik der Kgl. Charité. 60 Mk. Min. 4.
Prof. Dr. L. Jacobsohn: Praktischer Kursus in der Diagnostik der
Nervenkrankheiten. Di. bis Fr. 1/212—1/21 U. Poliklinik Ziegel-
5)
6)
strasse. 18/19. 40 Mk. Min. 6. | ae
Prof. Dr. Köppen: Kursus der klinischen Psychiatrie mit Uebungen
im Diagnostizieren und Abfassen. von Attesten, mit-besonderer Be-
rücksichtigung der gerichtlichen Sachverständigentätigkeit. Mo., Do.,
Fr. 11—12 U. -80 Mk. - 0 oma.
Dr. Kutzinski: Neurosen und psychische Grenzzustände, ihre
Diagnostik und Therapie. Mo., Mi., Fr. 5—6 U. : Ort: Neryenklinik
‘ - der- Charité. 30 Mk. Min.4. ` |
Dirig. Arzt und Kreisarzt Geh. Med:-Rat- Dr. Leppihann: Klinische
. Psychiatrie, systematische Demonstrationen mit Uebungen im Diagnosti-
e]
zieren und Abfassen von Attesten, unter Berücksichtigung. der go-
_ richtlichen Sachverständigentätigkeit. Di., Mi, Sb. 11—121/, U. in der
8)
9)
Beobachtungsanstalt für geisteskranke Gefangene (Invalidenstr. 54a).
30 Mk. Min. 10. ` a | TE
Prof. Dr. Rothmann: Praktischer Kursus der: Nervenkrank-
heiten. mis eh Berücksichtigung der Anatomie und Phy-
siologie des Zentralnervensystems; Mo., Mi., Fr. 2—3-U. Poliklini
Friedrichstr. 131a., 40 Mk. Min... >° 5 a
Prof. Dr. Paul Schuster: Praktischer: Kursus der Diasnostik ui
Therapie der Nervenkrankheiten..Di., Do. u. So. 1 1191, U. Br
= klinik Luisenstr. 18. 40 Mk. Min: 4.
10)
Stabsarzt und Priv.-Doz. Dr. Ewald Stier: Kursus über Nerven-
und Geisteskrankheiten. des -Kindesalters mit. besonderer Berück.
sichtigung .der schulärztlichen Fragen. Mo., Do. 12152 U, im
. Hörsaal der Nervenklinik der Charite. 40 Mk..
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'Kinderkrankheiten. Di., Sb. 12—2 U. 50Mk. Min. 5. b)Privatissimum,
b) Anatomische und physiologische Laboratorinmskurse.
Dr. Bielschowsky: Kursus der normalen und pathologischen Histo-
logie des Nervensystems mit praktischen Uebungen in der Herstellung
mikroskopischer Präparate. Mo., Di., Fr., Sb. 10—12 U. Vormeldung
erbeten. Magdeburger Str. 16. L 3, 52, 56. 60 Mk. Min. 5.
Prof. Dr. L. Jacobsohn: a) Der Faserverlauf im Gehirn und
Rückenmark. Mo., Di., Do., Fr. 2—3, Mi., So. 2—4 U. 100Mk. Max. 3.
b) Pathologische Histologie des Nervensystems. Di., Fr. 3—5 U.
Laborat. Ziegelstr.:18/19. 50 Mk. Min. 4. |
Prof. Dr. Köppen: a) Demonstrativer Kursus der normalen Anatomie
des Gehirns und Rückenmarks mit besonderer Berücksichtigung des
Fasersystems und der vergleichenden Anatomie. 2mal wöchentlich,
Di. u. Do. 10—11 U. 40 Mk. b) Pathologische Anatomie dos
Zentralnervensystems mit Demonstrationen. Sb. 10—11 U. 20 Mk.
Nervenklinik der Charite. |
Prof. Dr. Kopsch: Makroskopische und mikroskopische Anatomie
des Gehirns und Rückenmarks. Zeit nach Uebereinkunft. (Anatomie,
Luisenstr. 56.) 50 Mk. Min. 3. :
Prof. Dr. Rothmann: Experiment. Kursus der patholog. Physiologie
des Zentralnervensystems. Di., Do., So. 6— 71/2 U. im Laborat. der
Nervenklinik der Kgl. Charité, 75 Mk. Min. 3.
| VI. Kinderheilkunde.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Baginsky: a) Klinischer Kursus der
klinischer Unterricht in der Kinderheilkunde mit dazu gehörigen
Untersuchungen. Tgl. im Kaiser u. Kaiserin Friedrich-Kinderkrkhs.,
Reinickendorfer Str. 61, L 32. 100 Mk. Max. 6.
Prof. Dr. Bendix: Kursus der Kinderkrankheiten mit besonderer
Berücksichtigung der Säuglingsernährung. Mo., Mi., Fr. 51—6!/, U.
in seiner Klinik (siche Verkehrswege) und Poliklinik, Rosenthaler
Strasse 61 bei Stadtbahnhof Börse, L. 1, 33, 40 u. 54. 50 Mk. Min. 5.
Prof. Dr. Cassel: Kinderkrankheiten, Krankenvorstellung nebst Be-
sprechungen in seiner Poliklinik, Elsasser Str. 27, gegenüber der
Artilleriestr. Di., Do., Sb. 114 —2!/, U. 40 Mk. Min. 5.
Prof. Dr. Finkelstein: Säuglingskrankheiten mit bosondorer
Berücksichtigung der Ernährungsstörungen. Mo., Mi., Fr. 1—2 U.
im städt. Kinderasyl, Kürassierstr. 21—22, L12 u. 18. 40 Mk.
Min. 5. |
Prof. Langstein: a) Klinischer Kursus der Säuglingskrankheiten
mit besonderer Berücksichtigung der Ernährung und Ernährungs-
störungen. Di., Sb. 11—1 U. vorm. b) Diagnostik und Therapie der
Kinderkrankheiten mit besonderer Berücksichtigung der physikalischen
u. diätetischen Methoden. Mi. 6—8 U. abends. Die Kurse finden im
Kaiserin Auguste-Vietoria- Haus (siche S. 24) zur Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich, Charlottenburg, Moll-
witzstr. statt (siehe Plan) und können auf jede beliebige andere
Zeit verlegt werden. Besprechung darüber in der ersteu Stunde.
Kursus I, 40 Mk. Min. 5. Kursus 2, 20 Mk. Min. 5.
Prof. Dr. Erich Müller: Klinisch-therapeutischer Kursus der Kinder-
krankheiten mit besonderer Berücksichtigung der chronischen. Mi., Sb.
63/,—8 U. Waisenkinderkrankenbaus der Stadt Berlin in Rummels-
burg. Erknerzug bis Kietz-Rummelsburg. 40 Mk. Min. 4.
Prof. Dr. H. Neumann: Kinderkrankheiten, in seiner Kinderheil-
anstalt, Blumenstr. 97 (bei der Station Jannowitzbrücke). Di., Do.,
Sb. 21/,-——4 U., oder nach Verabredung. 40 M. Min. 4.
Dr. Nicmann: Poliklinischer Kursus der Säuglings- und Kinder-
krankheiten. Mit besonderer Berücksichtigung der Ernährungsfragen.'
Mo., Di., Do., Fr, 12—1 U. im Hörsaal der Kinderklinik der Charite.
50 Mk. Min.5.
Priv.-Doz. Dr. Noeggerath: Klinisch -therapeutischer Kursus der
Erkrankungen des Säuglings mit besonderer Berücksichtigung seiner
Ernäbrung und der Ernährungsstörungen. Di., Do., Fr. 5—6 U.
in dor Kinderklinik der Charité. 50 Mk. Min. 5.
Priv.-Doz. Dr. Reyher: a) Diagnost.-therapeutischer Kursus der
Kinderkrankheiten, im besonderen der Erkrankungen des Säuglings-
alters, einschliesslich der Ernährung und Ernährungsstörungen des
Säugling. Mo., Di, Do., Fr. 12—1U. in der Kinderpoliklinik,
Luisenstr. 19. 50 Mk. Min. 5. b) Kursus der Röntgendiagnostik
und -therapie in der Kinderheilkunde (in Verbindung mit Prof.
Nicolai, siebe IV.d) im Hörsaal der II. med. Klinik der
Kgl. Charite. c) Diagnostik der Herz- und Lungenerkrankungen im
Kindesalter unter Berücksichtigung der modernen Untersuchungs-
methoden, besonders des Röntgenverfahrens. Mi., So. 5—6 U. in der
Poliklinik, Luisenstr. 19. 30 Mk. Min. 5.
VI. Chirurgie.
A. Diagnostische und therapeutische Praktik an Kranken.
1) Priv.-Doz. Dr. Axhausen: Chirurgische Diagnostik und Therapie mit
praktischen Uebungen. Mo., Di., Do., Sb. 12—11/, U.in der chirurg.
Univ.-Poliklinik, Luisenstr. 11. 75 Mk. Min. 6.
| 2) Prof. Dr. Gluck: Kursus der chirurgischen Diagnostik und Therapie
i (Operationsübungen und Krankenvorsteliung). Do. 41/,—7 U. u. So.
10—124, U. Kaiser u. Kaiserin Friedrich-Kinderkrkhs., Reinicken-
dorferstr. 61, 40 Mk, Min. 3.
3) Priv.-Doz. Dr. M. Katzenstein: Technik des prakt. Arztes (kleine
ee a Di., Do. 12—1 U. Poliklinik, Rosenthaler Str. 61. 40 Mk.
Min. 3.
4) Prof. Dr. Klapp: Chirurgische Diagnostik und Therapie mit prak-
tischen Uebungen. Mo., Mi., Fr., Sb. 4—51/, U. in der Kgl. Klinik.
75 Mk. Min. 10.
5) Geh. Med.-Rat Prof. Dr. F. Krause: Klinische Chirurgie. Mo., Mi.,
Fr. 10—12 U. Operationssaal des Augusta Hospitals, Sceharnhorst-
strasse 3. 40 M. _
6) Stabsarzt Dr. Fritz Lotsch: Chirurgische Röntgendiagnostik (ohne
Röntgentechnik). Sb. 3—5 U. in der chirurg. Klinik der Charite,
kleiner Hörsaal. 30 M. Min. 5.
7) Dr. Mühsam, dirig. Arzt am Krkhs, Moabit: Chirurgische Diagnostik
und Therapie (Krankenvorstellung). Di., Do., Fr. 12—2 U. im Ope-
rationshaus des Krkhs. Moabit, Turmstr. 21. 40 Mk. Min. 3.
B. Operationskurse an der Leiche.
8) Priv.-Doz. Dr. Axhausen: Chirurgischer Operationskurs mit be-
sonderer Berücksichtigung der Chirurgie der inneren Organe, am
Kadaver und am Hund. Tgl. 5—7 U. nachm. im pathol. Inst. resp.
in der chirurg. Poliklinik der Charité. 100 Mk. Min. 4.
9) Prof. Bickel in Gemeinschaft mit scinem chirurg. Mitarbeiter:
Chirurgischer Operationskursus am Tier mit besonderer Berücksichti-
gung der Chirurgie des Verdauungskanals, des Gehirns, der Gefässe
und der Organtransplantationen für Chirurgen und Physiologen. Mo.,
Mi., Fr. abends von 6—8 U. oder in zu best. Stunden. Patholog.
Inst., Charité. 100 Mk. Min. 4. £
10) Prof. Dr. Bockenheimer: Chirurgisch-urologischer Operationskursus
an der Leiche und an Hunden. Operationen an Niere, Blase inkl.
Lithotripsie, Ureter, Prostata, Reetum usw. 2 Gruppen. I. Gruppe
Mo., Mi., Do., II. Gruppe Di., Fr., So. 61/,—73/, U. Beginn: Mo., den
30. Sept., abends 6 U. Patholog. Inst. der Charité. Sektionshaus.
100 Mk. Min.5. Ä
11) Priv.-Doz. Dr. Joseph: Chirurgie der Barnorgane an Hund und
Leiche. (Operationen an Nicre, Harnleiter, Blase usw. nebst Uebungen
in der Lithotripsio und mit dem Operationscystoskop.) 2 Gruppen.
I. Gruppe Mo., Mi., Do., 11. Gruppe Di., Fr., So. 5%, —7!l, U. Wissen-
schaftl. Station der kgl. chirurg. Klinik, Ziegelstr. 5/9. Vor-
besprechung: Mi., den 2. Okt, 5 U. Beginn: Do., den 3. Okt.
100 Mk.
Priv.-Doz. Dr. M. Katzenstein: Die Technik der Appendieitis- und
Hernienoperation in Uebungen an der Leiche, am Tier und ev. am
Menschen. Di, Do. 2—3!/, U. Exp.-biolog. Abt., pathol. Inst., Charite.
100 Mk. Min. 3.
Prof. Dr. Schmieden: Chirurgischer Operationskurs an der Leiche
(inkl. Chirurgie innerer Organe), verbunden mit Operationsübungen
am Hund. Wochentgl. 71/,—9 U. in der Kgl. Anatomie, Luisen-
strasse 56 (Garten). Boginn: 3. Okt. 80 Mk. u. 5 Mk. für Schürzen,
Garderobe usw. Min. 10.
C. Orthopädische Chirurgie.
14) Dr. Bibergeil, Assistent der Kgl. Univers.-Polikl.
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15) Sanitätsrat Dr. Bourwieg: Kursus der orthopädischen Chirurgie
mit Krankenvorstellungen, Röntgen-Demonstrationen und praktischen
Uebungen. Di., Fr. 12—1 U. in seiner Anstalt, Oranienburger Str. 61.
30 Mk. Min. 5.
16) Dr. J. Fränkel, Assistent der Kgl. chirurg. Klinik: Kursus der ortho-
pädischen Chirurgie und Technik mit praktischen Uebungen. Di.,
Do. 4—6 U., So. 2—4 U. in der Kgl. chirurg. Univ.-Klinik, Ziegel-
strasse 5—9. 60 Mk. Min. 6. , À
17) Dr. Paul Glaessner, orthopäd. Assistent der chirurg. Univ.-Poli-
klinik der Kgl. Charite: Kursus der orthopädischen Chirurgie und
orthopädischen Technik mit Krankenvorstellungen und praktischen
Uebungen. Mo., Di., Mi., Do., Fr. 1—2 U. p. m., Luisenstr. 11. 60 Mk.
Min. 8.
Dr. Peltesohn, I. Assistent u. Dr. Bibergeil, Assistent der Kgl.
Univ.-Poliklinik für orthopädische Chirurgie: Kursus der ortbopädischen
Chirurgie und der orthopädischen Technik mit Krankenvorstellungen
und praktischen Uebungen. Tgl. 1—2 U., Kgl. Univ.-Poliklinik für
orthopädische Chirurgie, Luisenstr. 3. 60 Mk. Min. 6.
VIII. Gynäkologie und Geburtshilfe.
a) Gynäkologische Diagnostik und Therapie.
1) Prof. Dr. v. Bardeleben: Praktischer Kursus der gynäkologischen
Diagnostik und Therapie. Tgl. 10—12 U. Poliklinik, Karlstr. 38, Í
Operationen 8 U., Teilnahme, Assistenz in der Klinik, Lützow-Ufer 14.
100 Mk, Max. 6. l ,
2) Prof. Dr. Blumreich: Praktischer Kursus der gynäkologischen
Diagnostik und Therapie nebst Teilnahme an den klin. Operationen.
Mo., Mi., Fr. 12—2 U. oder an 3 anderen auszuwählenden Tagen.
en 4. Okt., Poliklinik für Frauenleiden, Luisenstr. 18. 75 Mk.
in, 8. l
3) Prof. Dr. Fromme: Kursus der praktischen Gynäkologie (Diagnostik
und Therapie) mit Benutzung des Materials der gynäkologischen Univ.
Poliklinik der Kgl. Charité. Tgl.11—12 U. Mi.u. So.von 10—12 U. T
ginn am 8, Okt. in d. gynäkolog. Poliklinik d. Charité. 80 Mk. Min. ə.
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4). Prof. Dr. G ottschalk: Kursus der praktischen Gynäkologie. 11-12 U.
“. in seiner Klinik, Kalekreuthstr, 4. 75 Mk. Min: 4 "tn
24) Oberarzt Dr. Stickel: mit dem ‘anderen Assistenten der Poliklinik:
> Geburtshilfliche Poliklinik in der Stadt. Phantomübungen 2 mal
„Wöchentlich. _ Geburtshilfliche. ‚Besprechungen, 2 mal’ wöchentlich. _
5) San.-Rat Dr. Theodor Landau: Gynäkol. Diagnostik und Therapie
‚nebst Teilnahme an den stattfindenden Operationen. Mo., Di, Do.,
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Pr.10—11 iU, vorm, ovt anoh Miu Sb. Philippstr. 21. TS. Min.6. |- ° Wohnung in der Nähe der M und mn POO ME. Min. £. Max, 6, pak
'6) Priv-Doz Dr. Liepmann: Die modernen Behandlungsmethoden in | 95) Prof, De P. Strassmann: Praktische Geburtshilfe, Klinik- und ra pE TREN
der, Synaro De mm und epidiosköpische Demonstrationen. | -. Poliklinik” (mit Benutzung des Phantoms in Klinik. und Palk URAT
2 mal Bosnia er Do. 9—10 U. ‘Beginn u. Besprechung: klinik) (gemeinsam. mit seinen Assistenten). Di. u. Do. 7—8 U. ne N ji ral
Do. 3. Okt., 9 er Karlstr. 20a. , 40 Mk. Min. 8. A ~ ‚abends, Referierstunde So, 1—2 U. “Wohnung in der Nähe der 1 Hi Ib
1) Priv.-Doz. Dr. sa. Martin: Physiologische “und "pathologische '- - "Klinik oder Telephon: erforderlich. Mit Schwangeronuntersuchungen Ai ag er
Anatomie des weiblichen Beckens. mit, bosonderer Berücksichtigung =- (1—2 mal wöchentlich nachm. 4—5 U.), klinischen Demonstrationen - SE sol)
‚des Wenitalprolaps. 2° mal wöchentlich in ‘noch 'festzusctzenden und Teilnahme an den:Operationen. . Frauenklinik, Schumannstr. 18. j nar pl
Stunden. Besprechung am 4. Okt., mittags 12 Uhr; in .der Frauen- : 80:Mk. Min. 2, Max, o O A E AS e it $ N e +
‘klinik, Artilleriestr. 18. . a A et nn E Se cn Ä TE Di eure
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, 8) Prof. Dr. W. Nagel: : Gynäkologische Diagnostik und Therapie mit d) Histologische Praktikas =
- Teilnahme an den klinischen Operationen, 2 Gruppen, jede an 3 Wöchen- en = a SEHR SR Een
tagen, 11— 1 U, in seiner Poliklinik, Luisenstr. 14. 75 Mk. Min. 2, | 26) Priv.-Doz; Dr. W. Liepmann: . Praktikum der 'gynäkologischen j? edol
9) Priv.-Doz. Dr. W. Sigwart: Kursus der praktischen Gynäkologie (Dia- Diagnostik. 2mal wöchentlich je 2stündig. In zu verabredenden Eu
guostik u.'Therapie) mit Benutzung des Materials der gynäkologischen | . . Stunden: Laborat. des Sanatoriums Kurfürstenstr. 83; . 50 Mk: Min 3. isg uii
Poliklinik der Kgl. Universitäts-Frauenklinik, Artilleriestrasse. Tgl. Erste Besprechung Do., 3. Okt., .9'U. 80 Mk. Karlstr. 20a. | Bj,
'11'=-1:U. Begion-am 3. Okt. in der gynäkologischen ‚Poliklinik | 27 Prof. Dr. L. Pick, Prosektor des:städt. Krkhs. Friedrichshain: Kursus t ire
der Uniyersitäts-Frauenklinik, Artilleriestrasse. 80 Mk. . Min. 3. _ ' ~ der mikroskopischen Diagnostik der: Erkrankungen: der weiblichen eg ol
10) Próf. Dr. P:-Strassmann (gemeinsam mit ` seinen : Assistenten): Genitalien mit Demonstrationen `makroskopischer Präparate. Mo., ehe
Praktische-Gynäkologie (Diagnostik und Therapie mit Berücksichtigung Do, Fr. 4—6 U. im Laborat. der ‚Geheimrat L andauscheii Frauen-. Ehe
des Röntgen-Verfahrens); Tgl. 11-1 U., bei grössérer ‚Beteiligung klinik, Philippstr. 21. 75 Mk. Min. 8, A O a apka
in. 2 Gruppen je 3 mal wöchentlich. Frauenklinik, Sehumannstr. 18 28) Prof. Dr. Robert Me yer: Kursus der. mikroskopischen ‘Diagnostik pi HRAN
Mit klinischen. Demonstrationen; ‚Teilnahme an Operationen‘ und der Erkrankungen der weiblichen Genitalien. Mo., Mi., Fr. nachm. a At: f
Assistenz, 8 U., vorm. 75.Mk. Min. 3. . Be . 4—6 U. Kgl. Univ.-Frauenklinik, Artilleriestr. 18. 75 Mk. Min. 4. je: SHEY
Il) Dr. Zinsser, gemeinsam mit ‘Assistenten der Klinik: Kursus. der | 29 Prof. Dr. P. Strassmann, gemeinsam mit demi Assistenten des lan
‚gynäkolögischen Diagnöstik und Therapie mit praktischen Uebungen. Laborat.: Gynäkologisch-mikroskopisches Praktikum mit besonderer Bau
. „mal wöchentlich:8-—9 U.. vorm. im Hörsaal der Frauenklinik der | . Berücksichtigung der Technik (Ausschabung, Probestücke, Hautab- Bi pani
- Königl, Charité. Begion:-Mi., 2. Okt. 75Mk. Min. 4. = gänge usw.). Demonstrat. frischer Präparate Mo., Mi; Sb. 3—5 U. ve;
to a a a S ‚ | Laäborat. der Frauenklinik, Schumannstr. 18.. 70 Mk. Min: 2. Fre
I TEE A Gy a... 5 | -` IX.. Augenheilkunde. l E Ai
, Sehultze-Winkolschen Phantom und an der Leiche mit Teilnahme | 1) Prot. Dr. G. Abelsdorft: a) Die Untersuchungsmethoden ne zn 7
-an den klinischen Operationen.. Di., Do., Sb. 101,—12 U. oder in (Op ale. 0D18, Brllenbestimmitng m). Mo Do: 22 4 U. Mr ie
anderen zu verabredenden Stunden.. Besini : 3. Okt. Poliklinik fü Friedrichstr. 131A. 80 Mk. Min. 6.. b) Praktischer Kursus der Augen- Klee |
: .: Beginn: 3..Okt. Poliklinik für . sr Pe Ei lie
‚Frauenkrankh., Luisenstr. 18. 75 Mk. Min.2; . | = krankheiten des Kindesalters. Blumenstr. 97. (Prof. Dr. Neumann’s ae
13) Priv.-Doz. Dr. W. Liepmann: a) Operationskursus an der Leiche. ‚ Kinderheilanstalt, Station Jannowitzbrücke.) ` Di., Do, Sb. 12-1 U. Fi hs
(Abdominale und vaginale Methoden, vaginaler und extraperitonealer | - en En 2 ne a ee een EN i
Kaiserschnitt; Pubotomie.).. 12 Doppelsfunden ee 2) Priv.-Doz. Dr. C. Adam, ‚Assistent der Kgl. Univ.-Augenklinik: a) Die . dreh Ar
von, ö1/—7!/ U. iim-patholog. Inst. der Kgl. Charite, Obduktionshaus. | nversuchüngsmethoden des Auges (inkl. Ophthalmoskopie, Farben- EREE E
Beginn u. Besprechung: Do., 3. Okt, abends 51/, U., im pätholog. 2 ungusw.)undBrillenvorordnungslehre mit praktischen Uebungen. ne
‚Inst. (Leichenhaus). 120 Mk. Min. 3. b) Demonstrationskursus der C aR B Do: T nu on En ihn
gynäkologischen Operations-Anatomie und Pathologie, Imal wöchent- en a an A a 5p. Pi Bl
. „lieh 2!/astündig. in zu bespr | o Laborat Saa NO en ung 0. ©, Okt, 5 U. 85 Mk. urn
tun, Katinia 897 Br Dee ae de Sear | Min. Be D) Kurs der Sügnämmihen Operskunne nit oralen Bil:
früh, Poliklinik Karlstr. 20a. 50 Mk. Min. 8. RE Vebungen an der Leiche und am Tierauge. 2—3 mål wöchentlich je Ed
14) Prof. Dr. W. Nagel (mit seinen Assistenten): Gynäkologische Opera- 5 pea E enden Zeiten. Vorbesprechung Do., e> pa o "A
' tonsübungen am ‚Schultze-Winkelschen Phantom bezw. an der Leiche. | a Prof. Dr. Brückner. T EE PE T E Men
Tgl. 7—8 U. nachm. in seiner Poliklinik, Luisenstr, 14. - 75 Mk. Min. 2. 3) es 0 e, prar der Kgl. Univ.-Augenklinik: Motli- ia FES
L 1) Dr, Stiokel u. Dr, Zinsser: 'Gynäkologischer Operationskurs an der | -- a on de Auges mit Krankenvorstellungen und. praktischen ih MN
| Leiche. Mo. bis Fr. 21/,—4!/, U. nachm. Beginn und Besprechung: ebungen. . Mi., So. 21/54 U. 30 Mk. Min. 4. apapo,
16 Do., 3, Okt., im Hörsaal der Frauenklinik. 120 Mk. Min. 4.
) Prof, Dr, P. Strassmann: .. Gynäkologische Operationen am
| Phantom (bzw. an der Leiche) (gemeinsam. mit seinen Assistenten).
Di, Do. (bzw. auch Fr.), 3 2—5 U. Mit klinischen Demonstrationen
Krkhs.: Praktischer Kursus der Diagnostik und Therapie der A -
krankheiten. Di., Do., Fr. 2—3 U. 40 Mk. Min. 3. en
5) Priv.:Doz. Dr. Adolf Gutmann, Assistent der Kgl. Univ.-Augen-
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4) Dr. Fehr,. dirig. Arzt der Abt. für Augenkrankheiten am Virchow- E a T \ n
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Prof, Dr, Fre und: Schwangerenuntersuchungskurs und geburtshilf-
a An | a) Augenhintergrund und Allgemeinerkrankungen. - (3. genfini
liches Colloquium. Mo. 35 U. im grossen Hörsaal der Charité- ' > A rrankungen: ` (diagnostischer
‚ Augenspiegelkurs). Di., Fr. 3—41/, U. 40 Mk. Min. 4. b) Diagnostik
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| und Rare ae klinik: Praktischer Kurs der. Au; enleiden in Beziehung. F
T e0. den ber onon, 8 U. vorm. Frauenklinik, Sohu- Nasen- und Ohrenleiden (mit den einschlägigen ee l ehr
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er | c) Geburtshilfe. 1.6) Prof. Dr. Helbron: Renetitorium lern, Fi T Ga GA
a R Be gd E ea, a ai SE . Dr. DTO: petitorium der: Augenheilk | iess- BET AUNGANA
| A Dr. von Bardeleb en: Kursus der praktischen Geburtshilfe lich Ophthalmoskopie, mit Krankenvorstellung, nn $ rent FA
| sh Vebungen am Phantom, 3mal wöchentlich in zu verabredenden Di., Mi., Fr. 8—9 U. in ‘der Poliklinik Luisenstr; 18,II.. 30 Mk. j f a BR]
| Prot Di nu e 38,1. 50 Mk. Min: 6. Mind. 0.0 ee en are hy Beer
O e Blumreich:“ Besprechung .zeburtshilflicher Fälle mit 7) Prof. Dr. Herzog: Kursus der augenärztlichen Overatianan mit. RUNDE
| pogen der geburtsbilflichen | Operationen, einschliesslich der Uebungen a. d: Leiche (Patholog. Inst, d. Kgl. E Denkt, | i ie (hett, N,
ander; onsmetlioden, am Phantom. Mo., Mi., Fr. 2—3 U. oder in 4mal wöchentlich. Mo., Di., Do., Fr. 8—9 U. oder in'zuverabred den i or f:t
T besprechenden Stunden. Beginn: 4. Okt. Poliklinik für | Stunden. - 80 Mk. Min, 6; e ee ee a en Fin igl H $
19) P eiden, Luisenstr. 18. 40 Mk. Min. 3. ; | 8). Priv.-Doz. Dr. Köllner, Assistent der Kgl.: Dniv.-Augenklinik: p frabi T rP
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2) Frauenklinik, Besprechung: Mo, 7: Okt., 3U. 40Mk. Min 5.
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| / | ‚und Therapie der äusseren Augenerkrar an. o: Di.. N a
vn Dr. Göttsch alk: Geburtshilfliche Operationsübungen am 11-12 U. 30 Mk. Min. 3. a) and See go ie 25. PO A N
Iantom, Luisenplatz 2—4, 1—2 U. 50 Mk. Min. 4 ` 9 iv.-D = Pyinschn: Die er na De sh
21) Priv-Dor. D li . 50 Mk. Min. 9 Priv.-Doz. Dr. `G. Levinsohn: Die für die Praxis notwendi A k
l isçhen U i W. Liepmann: Geburtshilfiiches Seminar mit prak- Untersuchungsmethoden des Auges’ (einschl. Augenspiegeln. B eon sl |
methoden e Sen. ‚am, Phantom einschliesslich der Dilatations-- | bestimmüng usw.) mit Demonstrationen und Uebun x M n De -l h
und Beginn Ä He a nn Er Besprechung p as = 2 ne A Markt, Ecke Gr Präsidonten ai | i gi |
2) Priv-Dez nn 72,9, MET, 8 U, früh. 4 . Mind. ‚ 29, 02, ‚ oder in enden Stunden - Mr Kai
"oa Dr. BA ERa aE E Bis ETS io 2 nr Er = Tee red den Stunden. 580- Mk, | y |
ilfliche Panyı art d, Univ.-Frauenklinik, Artilleriestr.: Geburts- | 10) Prof. Dr: Silex: a : Demonstration `ä FE o ur: RL
D Pa zo iklinik in der Stadt. Gemeinsame Referatstunden Di., Augenspiegel-Kursus a. Brillenbestinnserer Augenerkrankungen, mih Piy
Wohnung ; nantomübungen Mi., Fr. 4—5. 200 Mk. Min. 8, Max. 10. “dich. .Mo., Mi., Do., Sb. 11,3 U, 50 Mk - Min 1 b r jä BR je? [3
23) Prof, = W or Nähe der Klinik und Telephon erforderlich. - bindung mit seinem Assistenten: Augers iezel- K ) In Ver- BEE IT RRAS
perationsiin ‚Nagel: Kursus, der praktischen Geburtshilfe mit patholog. Fälle). 2mal wöchentlich. Di. "Fr 7 8e n U A0 (nur Ai E a anA ai
nik, iso en am Phantom, tgl. 6—7 U. nachm.. in seiner Poli- . Min. 6. ce) Kursus der Augenoperationen. : Di Fr. 9] Mk. Ele!
usenstr. 14. 30 Mk. Min, 4o 0 _ oder in anderer zu verabredender Stunde.’ Karlstr.18. 50 Mk. Min z’ REN
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6
X. Ohrenheilkunde.
1) Priv.-Doz. Dr. Beyer u. Stabsarzt Dr. Lehmann: Praktischer Kurs
der Krankheiten des Ohres, der Nase und des Nasenrachenraumes.
Mo., Mi., Do., Sb. 121/,—2 U. in der Univ.-Ohren- und Nasenklinik,
Luisenstr. 12. 50 M. Min. 6.
Prof. Dr. G. Brühl: a) Diagnostischer Kursus der Ohrenkrankheiten
2)
3
and
4)
5)
mit anatomischen Demonstrationen, Mo., Di., Fr., So. von
8/10 U. 50 Mk. b) Funktionsprüfungen, Mi., Do. von
8/49 bis
8/,9—3/,10 U.
95 Mk. In Verbindung mit seinen Assistenten: c) Ohr- und Nasen-
nebenhöhlen-Operationskurs mit anatomischen Demonstrationen. 3ömal
wöchentl., von 61/,—8 U. abends.
` patholog. Histologie von Ohr, Nase, Hals.
15 Mk. Min. 3. d) Normale und
Demonstrationen und
praktische Uebungen, 3mal wöchentlich nach Verabredung. 75Mk. Be-
sprechung der Kurse: Karlstr. 29.
Dirig. Arzt Dr. Claus:
Ohrenkrankheiten.
12 U.
Praktischer Kursus der Hals-, Nasen- und
Mo., Di., Do. u. Fr. von 1,12—1/,1 U. in der
Hals-, Nasen- u. Ohrenabteilung des Rudolf Virchow-Krkbs. 50 Mk.
San.-Rat Dr. Theodor S. Flatau: Stimm- und Sprachbehandlung,
insbesondere Absehübungen bei Ertaubten und hochgradig Schwer-
hörigen, mit praktischen Uebungen in der Handhabung, Verordnung
und Prüfung der gehörverbessernden Apparate.
Di, Do. 2—3 U.
in der Kgl. Univ.-Ohren- u. Nasenklinik a. d. Charité, Luisenstr. 12.
40 Mk.
Prof. Dr. Grabower: a) Praktischer Kursus der Ohrenkrankbeiten.
6).
7)
8)
9)
10)
11)
12)
XI. Kehlkopf- und Nasenkrankheiten, einschl. Sprach-
1)
2)
3)
4
5
6
7
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Werktäglich 10—111/ U.
Mo., Mi., Fr. 1—2 U. in seiner Poliklinik, Prinzessinnenstr. 26 (am
Moritzplatz), L 12 u. 18. b) Ohrenoperationskursus am Präparat.
2 mal wöchentl., 10'/+—121/, U. an zu verabredenden Tagen, ebendas.
a) u. b) je 50 Mk. Min. 2.
Dr. F. Grossmann: a) Praktischer Kursus der Erkrankungen des
Ohres, der Nase (inkl. Nebenhöhlen) und des Nasenrachenraumes.
in seiner Poliklinik, Karlstr. 18a.
100 Mk. Max. 2. b) Kursus der Ohrenoperationen am Präparat,
Amal wöchentlich, 81/,—9 "a U., Friedrichstr. 134, II. 75Mk. Max. 4.
Dr. Haenlein: a) Taubstummenwosen. 2 mal wöchentlich. 30 Mk.
b) Unfallbegutachtung in der Ohrenheilkunde. 2 mal wöchentlich
in der Univ.-Obren- und Nasenklinik an der Charite. Besprechung
über Zeit in der Klinik 10—12 U. 40 M. Min. je 4.
Priv.-Doz. Dr. Haike: a) Praktischer Kursus der Erkrankungen des
Ohres, der Nase und ihrer Nebenhöhlen. 3 mal wöchentl. an zu
verabredenden Tagen. 121/,>-2 U. 50 Mk. b) Kursus der Ohr-
operationen. 2 mal, 101/,—12 U. Luisenstr. 36. 60Mk. Min.je3.
Priv.-Doz. Dr. J. Katzenstein: Praktischer Kursus der Stimm-
und Sprachheilkunde. (Mit Uebungen: Registrierung der Atem-
bewegungen. Photographie der Sprechlaute. Physiologischo
Experimente.) Mi., Fr.2—3 U. 50M. Min. 4. Ort: Phonetisches
Institut der Ohrenklinik der Kgl. Charite.
Prof. Dr. Kopsch: Anatomie des Gehörorgans, der Nase und ihrer
Nebenhöhlen sowie des Kehlkopfes mit Demonstrationen und prak-
tischen Operationsübungen für Anfänger und für Vorgeschrittenere.
Zeit nach Uebereinkunft. Anatomie, Luisenstr. 56. 100 Mk. Min. 3.
Prof. Dr. Karl Schaefer: Praktischer Kursus der otiatrischen
Akustik mit Funktionsprüfungen des Ohres. Mi., So. 10—11 U.
50 M. Min. 5. Im physiolog. Laborat. der Charite-Ohrenklinik.
Priv.-Doz. Dr. Wagener: Kursus der Ohren- und Nasenoperationen
am Präparat. Mo., Di., Do., Fr. 10—11 U. (im Anschluss daran
Operationen in der Klinik). 75 Mk. Min. 8.
störungen.
Priv.-Doz. Dr. Albrecht, I. Assistent an der Königl. Universitätspoli- |
klinik für Hals- und Nasenkrankheiten: a) Kurs in der direkten Endo-
skopie der Luft- und oberen Speisewege (Broncho-Oesophagoskopie).
100 Mk. b) Operationskurs in den radikalen Operationsmethoden der
nasalen Nebenhöhlen. 50 Mk. Besprechung: Luisenstr. 13. 10—12 U.
Prof. Dr. Arthur Alexander: Praktischer Kursus der Nasen-,
Hals-, Kehlkopf- und Ohrenkrankheiten (mit operativen Uebungen).
Tägl. 10—12 U, Poliklinik Luisenstr. 64. 100 Mk. Min. 1, Max. 5.
Prof. Dr. Brühl (gemeinsam mit seinen Assistenten): Ausführung
endonasaler Eingriffe nebst Diagnostik der Nebenhöhlenerkrankungen.
Privatissime für Fortgeschrittenere. 2 mal wöchentl. nach Verabredung.
60 Mk. Besprechung: MariaViktoria-Heilanstalt, Karlstr. 29. 12 U.
Prof. Dr. Grabower: Kursus der Laryngoskopie und Rhinoskopie mit
praktischen Uebungen. Di., Do., Sb. 1—2 U. in seiner Poliklinik
Prinzessinnenstr. 26, nahe am Moritzplatz. 50 Mk. Min. 2.
Prof. Dr. Gutzmann: a) Kursus der Pathologie und Therapie der
Stimm- und Sprachstörungen. Mo., Di, Do., Fr. 1—2 U. 50 Mk.
Min. 3. b) Graphische Untersuchungen der Stimme und Sprache.
4mal in zu verabredenden Stunden im Univ.-Ambulatorjum für Stimm-
und Sprachstörungen, Kgl. Charité, Luisenstr. 13. 100 Mk. Mar. 2.
Prof. Dr. P. Heymann: Kursus der Laryngoskopie und Rhinoskopie
mit praktischen Uebungen und klinischen Demonstrationen, Mo., Mi.
Fr. 11—12 U. Luisenstr. 17. 50 Mk. Min. 3. =
Stabsarzt Dr. Hölscher: a) Operationskurs: Nasen-, Nebenhöblen-
und Kehlkopfcbirurgie. 100 Mk. Min. 4. b) Therapeutisch - Dia-
enostischer Kurs mit praktischen Uebungen. 80 Mk. In der Hals-
und Nasenklinik der Charite, Luisenstr. 13. Besprechung 10—12 UV.
2) Prof. Dr. Blumreich: Kursus der Kystoskopie, der Urethroskopio en:
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8) Prof. Dr. Edm. Meyer: a) Kursus der praktischen Rhino-Laryngologie
für Fortgeschrittene. Wochentags 12—2 U. Min. 2. Max. 4. b) Kursus
der direkten Untersuchungs-Methoden der oberen Luftwege und der
Speiseröhre mit praktischen Uebungen. 8 Stunden nach Verabredung.
Besprechung: 4. Okt, I U. Poliklinik, Luisenstr. 14. Min. 8, Max. 4.
9) Prof. Dr. A. Rosenb erg . Kursus der Nasen-, Schlund- und Kehlkopf-
krankheiten (inkl. Bronchoskopie) mit praktischen Uebungen und
Operationen. 4mal wöchentlich 2—3 U., Poliklinik, Elsasser Str. 83.
50 Mk. Min. 3.
XI. Hautkrankheiten und Syphilis.
Priv.-Doz. Dr. G. Arndt, I. Assistent der Univ.-Poliklinik f. Haut-
krankbeiten. a) Prakt. Kursus d. Histopathologie d. Hautkrankheiten.
Mo., Mi., Fr. zu noch zu bestimmender Zeit je 2 Stunden in dem Laborat.
der Univ.-Poliklinik für Hautkrankheiten. Charité, Eingang Luisen-
strasse 2. Besprechung: 3. Okt., vorm. 10'/, U. 75 Mk. Min. 5.
b) Spezielle ‚klinische und histologische Diagnostik der Hautkrank-
heiten. Di., Mi., Do., Fr. 1— 21], U. im Hörsaal der Klinik in der
Charité. 50 Mk. Min. 5.
2) Prof. Dr. Bruhns, leitender Arzt der dermatol. Abt. des Charl. Krkbs.
(Kirchstr. 19/20): Kursus der Haut- und Geschlechtskrankheiten mit
. Berücksichtigung der Röntgen- und Liehtbehandlung. Mo., Di., Do.,
Fr. 1—2 U. oder nach Verabredung. 40 Mk. Min. 6.
Prof. Dr. Buschke, dirig. Arzt der dermatologischen Abteilung des
Rudolf Virchow-Krkhs.: Kursus der Haut-, Geschlechts- und Harn-
krankheiten. 4stündig nach Verabredung. 40 Mk. Min. 8.
4) Prof. Dr. Heller: a) Demonstration von Krankheitsfällen aus dem
Gebiete der Dermatologie und Syphilidologie mit Berücksichtigung der
Röntgen-Therapie. So. 11—1 U., Charl.. Berlinerstr. 58, Linie N, Q, W,
u. Do. 1—2 U., Poliklinik Elsasser Str. 86. 20 Mk. Min. 3. b) Prakt,
Kursus der Haut- und Geschlechtskrankheiten mit Uebungen in der
Urethroskopie usw. Tgl. 12—1 U. oder auf Wunsch 1—2-U. 40 Nk.
c) Prakt. Kursus der Histopathologie der Haut mit besonderer Berück-
sichtigung der neueren Färbungsmethoden. Tgl. 11,—3 U. Poliklinik:
Elsasser Str. 36, Ecke Novalisstr. 1. 50 Mk. Max. 3.
5) Priv.-Doz. Dr. Felix Pinkus, leit. Arzt der Krankenstation im städt,
Obdach, Fröbelstr. 15. Geschlechtskrankheiten. Di., Do., Fr. 12!
bis 11/ U. 60 Mk. Min. 3.
6) Priv.-Doz. Dr. Frank Schultz: Kursus der Röntgentherapie der
Hautkrankheiten: Mo., Mi., Fr. 7—9 U. abends. 100 M. Min. 3.
Motzstr. 54.
7) Prof. Dr. Tomasczewski, Oberarzt der Univ.-Poliklinik f.. Haut-
u. Geschlechtskrankheiten. a) Praktischer Kursus der mikroskopischen
Diagnostik der infektiösen Haut- und Geschlechtskrankheiten, speziell
der Syphilis. Do., Sb. 1—3 U. im Laborat. der Poliklinik (Ein-
gang Luisenstr. 2). 50 Mk. Min. 6. b) In Gemeinschaft mit
Stabsarzt Dr. Goldbach: Kursus der Haut- und Geschlechtskrank-
heiten, mit besonderer Berücksichtigung der Salvarsanbehandlung-
Tgl: 12—1 U. im Hörsaal der Klinik in der Charité. 50 Mk. Min. 6.
8) San.-Rat Dr. Wechselmann: a) Kursus der Haut- und Geschlechts-
krankheiten mit besonderer Berücksichtigung der Salvarsantberapie
der Syphilis.. Mo., Mi. u. Fr. 12—11/, U. 50Mk. Min. 6.. b) Prak-
tischer Kursus der Serodiagnostik der Syphilis und des Spirochäten-
nachweises (in Gemeinschaft mit seinem Assistenten). Tgl. 10 zu
verabredenden Stunden. 100 Mk. Min. 3.
9) Dr. Zehden (Arzt der Abteilung für Radiotherapie an der Unir.-
Poliklinik f. Hautkrankheiten): Kursus der Röntgen- und Lichttherapie
der Hautkrankheiten mit praktischen Uebungen. Tgl. 10—11 U.
im Lichtinstitut, Luisenstr. 2. 100 Mk. Min. 8
XIII. Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgant.
1) Dr. Franz Blumenthal, Assistent der Univ.-Poliklinik für Hair
und Geschlechtskrankheiten: Kursus der Kränkheiten der männlichen
Geschlechtsorgane, besonders der Gonorrhöe und ihren Komplikation tn
mit bakteriologisch-mikroskopischen Untersuchungen und- praktischon
Uebungen im Katheterisieren, Endoskopie. Mo., Di., Do., Fr. 1—4 Y
Luisenstr. 2. 50 Mk. Min. 4. nd
des Ureterenkatheterismus. Di., Do., Sb. 2—3 U. Beginn:
Frauenklinik, Luisenstr. 18. 75 Mk. Min. 2. "
Prof. Dr. Casper: a) Urologische Klinik mit anschliessenden nao
tionen. Mo., Di., Do., Fr. 7—8 U. abends. 75 Mk. Min. 6. b) em le
skopie (Ureterenkatheterismus, funkt. Nierendiagnostik, intravesl a
Operationen). Mi., Sb. 6 '/+—8 U. abends. 100 Mk. Min. 6. Klinik:
Burggrafenstr. 1
N?
4) Prof. Dr. Fromme: Kursus der Kystoskopie, Urethroskopie a I
Ureterenkatheterismus. 3mal wöchentl. von 12—1 U. in der Eat nn
Polikinik der Kgl. Charité. Festsetzung der Stunden am 3. “t
der gynäkolog. Poliklinik der Charité. 100 Mk. Min. 2. Er
Prof. Dr. Nagel (mit seinen Assistenten): Kystoskopl® und OR
katheterismus beim Weibe. Ba
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Praktische Uebungen. Əma
1—2 U. Poliklinik, Luisenstrasse 14 I. 60 Mk.
Min. 2 a,
Prof. Dr. L. Pick, Prosektor des städt. Krkhs. am Friedrichshain
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des männlichen
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Praktischer Kursus der pathologischen Histologie © Jer Geheimrat
Urogenitalsystems. Mo., Do., Fr. 4—6 U. im Labor
Landau’schen Klinik, Philippstr. 21. 75 M.
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T) Geh. Med.-Rat Prof. Dr.-Posner: Diagnostik und; Therapie. dèr |
. Urogenital-Krankheiten. mit praktischen Usbungen im Katheterisieren,
in der Urethro- und Kystoskopie. Mo. bis Fr. 12—1U. Poliklinik,
.. Friedrichstr. 225. 75.:Mk... Min.. 3. ET U |
'9)-Stabsarzt Prof. Dr. Rumpel: Kürsüs ‘der Kystoskopie, ‘mit Ein-
schluss des Ureterenkatheterismüus und’ der: funktionellen Nieren-
„diagnostik. Di., Fr. 6-8 U; in der. Kgl.: chirurg. Universitätsklinik,
Ziegelstr. 5—9. 75 Mk. Min. 3. ER A
9) Priv.-Doz. Dr. Sigwart: Kursus für gynäkologische Kystoskopie,
” > Urethroskopie u: Ureterenkatheterismus. ‘Mo,, Mi., Fr.. 4—5 U. in: der:
gynäkol. Poliklinik d.. Kgl. Univ.-Frauenklinik, Artilleriestr. Beginn
am 4. Okt. in;der gynäkol..Poliklinik. ,100,Mk. Min. 2. ...:
10) Prof. Dr. P. Strassmann: Kystoskopie, Urethroskopie und Ureteren- |"
katheterismus. ‘(gemeinsam "mit seinen Assistenten). Di.,.:Do., 'Fr.. |
9-3: i pünktlich. ! "Mit - klinischen Demonstrationen und..Teil- |
„nahme.an Operationen: Frauenklinik, Schumannstr. 18. 75 Mk; Min. 2.
XIV. Gerichtliche Medizin, Hygiene und Ünfallheilkunde, |
1) Dr. L. Bürger, Assistent an der Kgl: Unterrichtsanstalt für Staats-
arzueikunde: a) zusammen mit Priv.-Doz..Dr. P. Fraenckel: Sek-
tionskurs mit Protokollierübungen" für Kandidaten der Kreisarzt-
-~ “prüfung. —Di.,-Mi., Do.,-80.-1/,10—11-U.. -60.Mk.._.b). allein: Reichs- .|
versicherungsordnung nebst praktischem Kursus in der Begutachtung .
Unfallkranker. Do. 11—12 U. Unterrichtsanstalt für Staatsarznei-
kunde; Hannoversche Str. 6 und Poliklinik für gerichtliche Medizin, |. ` |
| XVI. Für den laufenden Zyklus sind behindert un d’werden
‚ Inisenstr. 42. Mk, 30.
2) Priv.-Doz.Dr.P.Fraenckel, I Assistent an der Kgl. Unterrichtsanstalt-
für Staatsarzneikunde: a) gemeinschaftlich mit Dr. Franz, ständiger. |
‘ Mitarbeiter ‘im Kaiserl. Gesundheitsamt: Repetitórium - für Kandi-
daten der-Kreisarztprüfung in gerichtlicher Medizin (unter Benutzung -
der Sammlung des Instituts für Staatsarzneikunde), sowie in Medizinal-
wesen und Sanitätspolizei, mit Attestübungen und Besichtigungen.
80 Mk: (für beide Teile) Min. 5. Gerichtl; Medizin: Mo., Fr. 11—1 U.
b) Praktikum der gerichtlichen Medizin für. Kandidaten der Kreis-
arztprüfung‘ .(päthol.-anat. Diagnostik’ und Histologie an frischen
Leichenteilen, .forensische. Mikroskopie ünd Blutnachweis, einfache
Giftuntersuchungen, Sezier- und .Protokollierübungen), teilweise ge-
meinsam mit Dr.'Bürger.. Täglich 1,911 U. 125 Mk: Ort für
- alle-Kurse: Hannoverschestr. 6. Min. 3. ' > # u
3) Dr. Fr. Franz, ständiger Mitarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamt:
gemeinsam mit Priv.-Doz. Dr. P. Fraenckel: (s. u. 2a). Mo.
1'la—9 U: abends, Do. 4—6:U., event.:zu anderen Stunden. Pharma-
kologisches Institut, Dorotheenstr. 28: 80 Mk. (für beide Teile).
4) Prof. Dr. Heymann und Dr. Körff-Petersen, Assistent am Hygien.
Inst.: "Hygienisches Repetitorium mitDemonstrationen und Kolloquium
. für Kreisarzt- bzw.'Physikatskandidaten. Mo., Di. 4—6 U., Mi. 4—7 U.,
Fr, Sb. nachm. Besichtigung hygienisch.wichtiger Anstalten. Doro-
theenstr. 28 (früher 35). Hygien. Inst.. 60 Mk. Min. 3. | |
5) Dirig. Arzt u. Kreisarzt Geh: Med:-Rat' Dr. Leppmann u. Priv.-Doz.
u. Gerichtsarzt Dri-Strauch gemeinschaftlich: a) Repetitorium und
Bxaminatorium für Kreisarzt- usw. Kandidaten, gerichtliche Medizin,
Sanitätspolizei, öffentliche Hygiene, Attestübungen, Demonstrationen,
. Besichtigungen; abends 71/;—9 U.: Mo.,'Do. Dr. Leppmann (Kron-
. Prinzen-Ufer 22); Di., Fr. Dr. Strauch (Hannoversche Str. 6); 80 Mk.
_ Min. 10. Nach Verabredung können ev. andere,;Tage ù. Stunden gewählt
werden. b) Med.:Rat Dr. Leppmann (allein): Nerven- und Geistes-
krankheiten ‚nach ‘Unfällen. Theoretische und praktische Uebungen. .
„Zeit nach V erabredung. Kronprinzen-Ufer 22. 100 Mk. Max. 2.
6) Prof. Dr. Oestreich: a) Repetitorium der pathologischen Anatomie
an frischen. Leichenteilen ‘fúr ‘Kreizarztkandidaten (Sezieren, Proto-
kollierübungen, ‚pathologische Histologie und 'forensische Mikroskopie,
patholögisch-anatomische Diagnostik usw.). "Tägl. I9—11U. im neuen
pathologischen Institut des Augusta-Hospitals, Scharnhorststr. 8.
100 M.: b) Repetitorium der Bakteriologie für Kreisarztkandidaten
im Kaiserin-Friedrich-Hause, Luisenplatz 2. Di. Do: 2—4 U.
50.Mk. Min. 3. | | |
1) Prof; Dr. Paul,Schuster: ‚Praktischer Kursus in der. Untersuchung
Unfall-Nervenkranker mit Anleitung zur Erstattung von Gutachten
‚und. besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Sachverständigen-
tätigkeit. Tgl. 8—9:U., Tauentzienstr. 13a. 100 Mk.
Priv.-Doz. Gerichtsarzt Dr. Strauch: a) Repetitorium und Demon-
s% strationskursus der patholog. Anatomie und der gerichtlichen -Medizin
an frischen Leiohenteilen für Kreisarzt-Kandidaten. Mo., Mi., Sb: 8 bis
10 U. 50Mk, Min. 4. b) gemeinschaftlich mit Kreisarzt Geh. Med.-
Rat Dr, Leppmann: (s. u. 4a). 80:Mk. Min. 10.
Deia TON u St O 2 zu: or e |
Xy, Röntgenverfahren, physikalische Therapie und wissen-
schaftliche Photographie (bezügl. Elektrotherapie siehe
es ‚Neurologie und Psychiatrie).
) Sanitäterat Dr. Bourwieg: Kursus der- Massage und Heilgymnastik
x praktischen. Vebungen.. Mi., Sb, 12—1 U. in seiner Anstalt
aunülenburger Str. 671 (Humboldthaus). 30 Mk. Min. 5.
| th i Med.-Rat. Prof. Dr. Brieger: a) Praktischer Kursus der Hydro-
Ess i und Balneotherapie. Mo., Do. So., 10—11 U. oder nach Ver-
b) D ung. Hydrötherap. Anstalt der Kgl:Univ., Ziegėlstr. 18/19; Port. V. |
Aa t. Kursus der Massage (in Verbindung mit seinem. Assistenten).
wöohentl. nach Verabredung. a) u. b) je 41 Mk. 'Min. je 8.
Chirurg.: Univ.-Klinik, Ziegelstr. 5—9. : 60 Mk. Min. 6. |
4) Dr. Gehroke: Leiter der Massage-Anstalt-der chirurg. Univ.-Klinik
- _ Vebungen.‘ 4mäl. wöchentlich: von. 12—-1'U. 50 Mk. Min. 3.
. 5) Dr. Graupner, Leiter des Röntgenlaboratoriums ‘der Kgl: -Uni-
„„ versitäts-Ohrenklinik an der Charité: Kursus der Röntgendiagnostik
'Di. ù. Fr. 12—Yg2 U. Luisenstr. 12. 50 M. Min. 3. -
'. 6) Dr. Hessmann, Leiter der Röntgenabteilung des Krkbs. am:Urban:
Praktischer Röntgenkurs ‘der: Aufnahmetechnik und Dosierung. - Nach
‚Erkhs. am ‘Urban und 2 mal abds. 7—8 U. im Privat- Laborat.,
«Lützow-Ufer 17. 50 Mk. Min. 3. -: =. a
2... physikalischer Heilmethoden (Balneotherapie, Mechanotherapie, Hoch-
=- frequenzströme 'ete.).. Di:, Do., Fr, 2—3 U..in der 'hydrotherap.
. Anstalt des Virchow-Krankenhausès. 40 Mk. Min. 3. a
8) Herr Dr. Peltesohn, I. Assistent. der :Kgl. Univ.-Poliklinik für
orthopädische "Chirurgie, Luisenstr. 3. 40 Mk. Min. 6.
-~ 9) Dr. F.Wohlauer, Assistent ‘der Kgl; Univ.-Poliklinik--für._-ortho-
pädische Chirurgie: .Röntgenkursus. Mo. bis Fr. 11—12 U., ev. auf
- Verabredung zu anderer Zeit. Luisenstr. 3. 60 Mk. Min. 6.°
u Dn im nächsten Kursus lesen: |
Prof. Dr. Ferd. Blumenthal: ‚Experimentelle Therapie. `
Prof. Dr. M. Borchardt: Chirurgischer Operationskurs;
Prof. Dr. Caspari: Ernährung und: Verdauung:
Prof. Dr. Dührssen: Gynäkologiė.
` Prof. Dr. Frankenhäuser: Balneologie. - o
Geh. Med.-Rat' Prof. Dr. v. Hansemann: Pathologische Anatomie der .
= [Abdominäl-Orgäne. `
Dr. Hauchecorne: Kinderkrankheiten.
Prof. Dr. Jacòb: Innere Medizin,
Prof.. Dr. Jolly: Gynäkologie. ZE
Prof. Dr. Keller: Kiadetheilkunde. : a i, |
Prof. Dr. Koblanck: Geburtshilfe und Gynäkologie.
: Geh. Med.-Rat. Prof. Dr. L. Landau: Gynäkologie und Kystoskopie.
Prof. Dr. A. Lazarus: Hämatologie. en a eoo
Prof. Dr. Lewandowsky: Nervenkřankheitea. . 0 7:
‚Priv.-Doz. Dr. Meisner: Augenheilkunde. > `’ a
Prof. Dr. Franz Müller: Pharmakologie.
Prof. Dr. Nietner: Tuberkulose
Dr. Runge: Gynäkologie. l 20
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schweninger: Innere Medizin.
Priv.-Doz. Dr.. Wollenberg: Orthopädische Chirurgie. _
? na ro
Dr. H. L. Wollenberg: Hautkrankheiten.
Ausserdem sind eine Reihe von Mitgliedern der Dozenten-Vereinigung
bereit, auch während des Semesters Monatskurse abzuhalten. Nähere
"gezahlte Honorar durch Herrn Melzer wieder zurückerstattet.
Diejenigen 'Herren,. welche im Besitze von Mikroskopen mit Abbe-
scher Beleuchtung sind, werden dringend ersucht, dieselben zu den Kursen
der Herren Prof. Dr. M. Ficker, Doz. Dr.:L.Jacobsohn (Kursan.m
Prof. Dr.:Morgenroth (Kurs b), Prof. Dr. Anton Sticker Rd
berg mitzubringen. = ra a f
Geh.Mod,-RatProf.Dr.y.Hansemaun, Prof! Dr. H. Strauss, -
Berlin N., Rudolf ‚Virchow-Krankenhaus, Berlin W., Kurfürstendamm 239
... Vorsitzender 2 Te Sehrififührer om
der Dozenten -Vereinigung für ärztliche Ferienkurse, ~ l
. 8) Dr.J. Fränkel: Röntgenkursus. Mi, So. 6—8 U. in der Kgl. P
der Kgl. Charité: Kursus der Massage u. Heilgymnastik mit prakfischen
des Kopfes mit praktischen ‚Uebungen' in der Röntgenphotographie.
Verabredung: 3,mal wöchentlich vorm. in der Röntgenabteilung des.
: 7): 'Dr;:A. Laqueur: Praktischer Kursus der Hydrotherapie und sonstiger
orthopädische Chirurgie: Praktischer Kursus der Massage mit Kranken--
- vorstellungen..- Di., Do., Sb: 2—8 U. in der Kgl. Univ.-Poliklinik für -
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Neu geschaffene Kurse.
Ausser den bisherigen Kursen, die in diesem Jahre (Oktobertermin) i
werden, finden in den Ferienmonaten neu geschaffene Kurse und Vorträge s a
Hierzu haben sich eine Reihe von Dozenten vereinigt,
a) Gruppenkurse.
zie iszipli beleuchten. Di
Gesichtspunkt ihrer speziellen Diszipiin Bun ti t und erstrecken sich über 6 Tage: Donnerstag, den 26. September
raktische Uebungen.. Sie finden vor den Ferienkursen stat
bis Mittwoch, den 2. Oktober 1912.
Das diesmalige Thema lautet: „Kursus
b) Einzelvorträge. nd d
Auditorium des pathologischen Museums In der Königlichen
ist in sich abgeschlossen und behande
unter sich einen gewissen Zusammenhang insofern,
n der Zeit vom 3. bis 30. Oktober 1912 abgehalten
tatt, zu denen jedem Arzt der Zutritt gestattet ist.
| um ein bestimmtes Thema von dem
e Kurse umfassen Demonstrationen nebst Besprechungen und
der Herzkrankheiten“. Das Honorar für diesen Kurs beträgt 20 M.
Diese finden während des Monats Oktober, abends zwischen 8 und 9 resp. 91/, Uhr, im
Charité statt. Jeder Vortrag, es sind deren 12 vorgesehen,
lt ein modernes Thema von allgemeinem Interesse; fünf von diesen Vorträgen haben
als sie sich mit der Pathologie und Therapie des Morbus Basedowii und
verwandter Krankheitsformen beschäftigen. Das Honorar für den ganzen Zyklus beträgt 3 M.
Gruppenkurs über Herzkrankheiten.
Donnerstag Freitag Sonnabend Montag Dienstag Mittwoch
26. September 27. September 28. September 30. September 1. Oktober 2. Oktober
Brugsch: Brugsch: Brugseh: Brugsch : l Brugsch: Brugsch:
9—10 Physikalische Blutdruck- Blutdruck- Sphygmographie) E unktionelle Das Herz bei
Herzdiagnostik messung messung Phlebographie Herzdiagnostik Sympathicismus
Ä c uad Vagoionit
Nicolai: Jochmann: Nicolai: Külbs: Külbs:
10—11 Physiologie Endokarditis Elektrokardio- Akute = Der Klappen-
des Herzens bei Infektionskrkht. _ gramm Endokarditis fehler
= Nieolai: TE
Külbs: Ceelen: : ; Brugseh: - Nicolai:
Prophylaxe bei Normale Elektrokardio- Arythmieen des Myodegeneratio
11—12 Herzkrkht. (Beruf, und pathologische p TAUTE | Kil Herzens cordis
Ehe, Alkohol, Niko- | Anatomie des i bs: l .
tin) Einführung in Herzens Therapie der
die Therapie Herzkrankheiten
u me a ER —— || (Medikamente, E Eee
Brugsch: Nicolai: Ceelen: Massage, Diätetik) | Fleischmann : Arndt:
12—1 Begriff der Kreis-] Physiologie Pathologische Perikarditis, Herz und
laufinsuffizienz Anatomie Mediastinoperi-| Syphilis
| | karditis - TER
1—4 |
BAT: EEE TEE
Nieolai: Fromme: | Fleischmann:
Röntgen- Nieolai: Die Herzkranke als | Balneotherapie,
=’ diagnostik des Röntgen- Schwangere, Hydrotherapie
Herzens. diagnostik der Gebärende, im
Konfiguration Herzkrankheiten, |. Woehenbett, Bu
| des Herzens unter der Aorta und der ae
| Tanditi Axhausen: Külbs: 9
5—6 patho logicae Palme Die chirurg. Arteriosklerose
Verhältnissen
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Ort der Vorlesungen:
—|—— m Herr Prof. Nicolai „ 5
Die Vorlesungen finden sämtlich Herr Prof. Külbs 5 5
in der Charité statt und zwar Herr Prof. Jochmann „
werden lesen: Herr Dr. Ceelen >
Herr Prof. Brugsch im Hörsaal der If. med. Klinik. | Herr Prof. Fromme im Hörsaal der Charite-Frauenkl.
„ Il. med. Klinik. | HerrOborarztDr.Axhausen „ „ Chirurg. Klinik,
° I med. Klinik. | Herr Dr. Arndt im „ » Dermatol. Klinik.
” If. med. Klinik. | Herr Priv.-Doz. Dr. Fleischmann 1. med. Klinik.
des Pathol. Instit.
Stundenplan der Einzelvorträge. |
Ort und Zeit: Abends 8—9 resp. 91/, Uhr im Auditorium der experimentell-biologischen Abteilung des pathologischen Instituts
Donnerstag, den 3. Oktober 1912.
Prof.Gutzmann: Actiologie, Palhologie und Therapie des Stottorns.
Freitag, den 4. Oktober 1912.
Prof. Brühl: Die diagnostische Bedeutung der Ohrsymptome bei
Erkrankungen des Gebirns.
Dienstag, den 8. Oktober 1912. |
Prof. Brugsch: Allgemeine Physiologie und Pathologie der Schild-
drüse, Struma, Myxoedem und Kretinismus.
Donnerstag, den 10. Oktober 1912.
Prot. Benda: Ueber normale und pathologische Anatomie der
Schilddrüse und des Kropfes. i 2
Freitag, den 11. Oktober 1912.
Prof. Lewandowsky: Die Basedow’sche Erkrankung.
Dienstag, den 15. Oktober 1912.
Priv.-Doz. Dr. Adam : Ueber die Augenstörungen bei Morbus Basedowii.
Anmeldungen sowie mündliche und schriftliche Auskünfte durch Herrn Melzer, Ziegelstr. 10/11, im Langenbeckhaus, wochentägl. von |
(Charite).
Donnerstag, den 17. Oktober 1912. a sl
Priv.-Doz. Dr. Axhausen: Die Chirurgie der Schilddrüse spez®
des Morbus Baseduwii.
Freitag, den 18. Oktober 1912. ER k-
Prof. Blumenthal: Neue experimentello Grundlagen für dio Quec
. silber-Therapie.
Dienstag, den 22. Oktober 1912. is
San.-Rat Dr. Wechselmann: Der heutige Stand der Salvarsa
Behandlung.
Donnerstag, den 24. Oktober 1912.
Prof. Tomaezewski: Ueber Abortiv-Behandlung des Trippers.
Freitag, den 25. Oktober 1912. | ee
Prof. Pappenheim: Ueber die sog. Pseudoloukämie.
Dienstag, den 29. Oktober 1912.
Dr. Runge: Röntgenbehandlung in der Gynäkologie.
0 bis 8 Uhr.
Druck von L., Schumacher in Berlin N, 4.
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Á- a e e en
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 88. 0000 = 1361
.
. d. ophthalm. Gesell., Heidelberg 1910.) — 85. Schnabel, Die sym-
e Irkdocyelitis. (Wr. med. Woch. 1902, Nr. 29 u. 380.) — 36. "Heßberg,
Beiträge zur Bedeutung der Serodiagnose für die Augenheilkunde. (Klin.
Monatbl. f. Augenhlkde. 1909, A, S. 60. 7 87. ei le n Ceon Geber
-mit der Wassermannschen Reaktion bei Augenkrankheiten. in.
raam 30.) — 38. Bach, Aëtlologie und
tsbl. f. Augenhlkde. 1910, Bd. 2,- S. 230.
Kena der Erkrankungen des Uvealtraktus. (Zt. f. Aug. Bd. 27, S. 8, 1912;
In.-Diss. von Triebenstein, Marburg 1912.) — 39. von Hippel, Ueber Eischnigs
Theorie der sympathischen Ophthalmie. (Gräfes A. 1911, Bd. 79, S. 451.) —
40, de Schweinitz und Fife. (Ref. in Klin. Monatsbl. f. Augenhikde. Bd. 46,
2, S. 297.)
Sammelreferate.
Neosalvarsan
von Priv. Doz. Dr. Felix Pinkus, Berlin.
Die Verhandlungen der Pariser Dermatologisch -syphili-
graphischen Gesellschaft sind seit einem Jahre die Fundgrube der
Anschauungen über Salvarsan. Mehr in praktischem Sinn als
theoretisch” werden dort Monat für Monat die inzwischen er-
‚worbenen Erfahrungen : ausgetauscht, wobei gute Erfolge, Neben-
erscheinungen, deren Gründe und ihre Vermeidung von begeisterten
Anhängern des Mittels ebenso wie von ruhigen Beobachtern und
von Aerzten, die nichts davon wissen wollen, in ganz gleich-
mäßiger Mischung vorgebracht werden. Den größten Teil der
wichtigen Mitteilungen haben wir fortlaufend referiert. Das Juni-
heft enthält wiederum eine ganze Anzahl von erwähnenswerten
Arbeiten. An die erste Stelle will ich die ausgedehnten Unter-
suchungen von Emöry (3) stellen, welcher einen neuen Wasser-
fehler gefunden hat, dem eine ganze Anzahl von Nebenerschei-
nungen beizumessen sein dürften. Er fand, daß beim Herstellen
und Sterilisieren des Wassers in gewöhnlichen Glasgefäßen aus
der Glasmasse sich Metalle (Blei, Zinn usw.) loslösen, welche das
Wasser trüben und das Salvarsan, mehr noch das Neosalvarsan
als Katalysatoren zu zersetzen imstande sind. Es hilft gegen
diesen Fehler die Benutzung von Gefäßen aus Jenenser Glas, wie
sie übrigens bei uns schon immer von Lautenschläger in
seinem Fremelapparat geliefert werden. Es ist nicht unmöglich,
daß alle Metalldestillationsapparate, so angenehm sie wegen des
viel geringeren :Zerbrechens sind, gelegentlich ein toxisches
destilliertes Wasser liefern.
Joltrain (6) hat festgestellt, daß das Neosalvarsan in
0,38%/,iger Kochsalzlösung schwach hämolytisch wirkt und daß eine
totale Hämolyse in 0,32%/yiger Kochsalzlösung beginnt. Er hält
damit die Benutzung von 0,4°/,igen Kochsalzlösungen für nötig.
Diese Angabe stimmt mit derjenigen von Schreiber überein. Es
würde durch die Verwendung von Salzlösung wieder ein Faktor
in die so penible Arbeitsweise mit dem Salvarsan eingeführt werden,
den die meisten wohl schon eliminiert hatten, nämlich die Herstellung
einer NaCl-Lösung anstatt gewöhnlichen destillierten Wassers. Ich
selber glaube, daß, trotzdem die Hämolyse der einfachen wäßrigen
Neosalvarsanlösung sehr stark und schnell in vitro eintritt, es in
der Blutbahn sich ganz anders verhält: .Das in Wasser aufgelöste
eosalvarsan macht, namentlich wenn man die Flüssigkeitsmenge
recht beschränkt (etwa 10—15 cem auf 0,1 Neosalvarsan), weit ge-
ringere Erscheinungen als dag Salvarsan selbst, bei welchem man
auch bei der größten Sorgfalt nie völliger Reaktionslosigkeit
Sicher war,
So haben auch Milian (8) und Em£ry (2) von der Ver-
wendung einfachen destillierten Wassers am Kranken keine irgend-
vie schädlichen Wirkungen gesehen.
' Die Heilwirkung des Neosalvarsans gleicht mindestens
der des Salvarsans. Queyrat (9) findet sogar, daß sie besser
ist; er hat bei stündlichem Spirochätensuchen bei 14 syphilitischen
Walsklerosen nach neun Stunden schon keine oder nur ganz
wenige agglutinierte Spirochäten finden können, und dement-
sprechend gingen auch die klinischen Erscheinungen schnell zurück.
P Leredde (7) verwendet einfaches destilliertes Wasser von
„.ertemperatur, mit oder ohneKochsalz, 10 cem pro 0,1. Er macht,
m er seinem Schema folgen darf, in achttägigen Intervallen
001 Injektionen von 0,3, 0,6, 0,9, 0,9, das heißt als Normaldosis
n pro Kilogramm Körpergewicht; ich will hier gleich hinzu-
Ro daß ich zwar überzeugt bin, daß diese hohen Dosen gewiß
ger u guten Heilerfolg haben werden, daß ich persönlich
saly jede 0,3 übersteigende Salvarsanmenge (entsprechend 0,45 Neo-
parsan) für zu hoch halte. Leredde fügt auch selbst hinzu,
Eee mit der Steigerung der Dosen, so nötig sie für einen
sin chenden Heileffekt sei, sehr vorsichtig sein müsse wegen der
gen dringenden Gefahr, die dem Salvarsan anhaftet, nämlich
| 18, August:
\—_—_—___ ,—, C— _ — — —— mm m a m m mamRmRaRmRmRmRmRzmamamamamamRaRaRaRZRmRBR[ZmR[m [ m m + + +—+—=—=—=—=—=—=—=————————
der Erzeugung einer hyperämischen und ödematösen Schwellung
im Gehirne, der jetzt schon so oft beschriebenen akuten tödlichen
Hirnschwellung, von der übrigens auch das vorliegende Heft
wieder einen Fall (von Troisfontaines, Liege (10), bei einem
jungen Mädchen nach zweimal 0,5 in achttägiger Pause) mitteilt.
Leredde legt besonders großes Gewicht auf die Beeinflussungs-
möglichkeit der Tabes, die er im letzten Jahr in vielen Publi-
kationen als eine durch Salvarsan, freilich nur mit hohen
Dosen, heilbare Krankheit besprochen hat. |
Weit ausgedehntere . Untersuchungen über die chemische
Natur und die klinische Wirkung des Neosalvarsans geben
Hudelo, Montlaur und Bodineau (5). Vor allen Dingen
fanden sie eine noch geringere Toxizität für das Kaninchen, als
sie bisher angegeben wurde: 0,25 g pro Kilogramm. Die wäßrige
Lösung wirkt hämolytisch, aber ohne die Ausfällungserscheinungen,
die dem Salvarsan eigen sind. In der Hälfte der behandelten
Fälle haben die genannten Autoren eine Temperatursteigerung ge-
sehen (dreimal zwischen 40 und 41). Damit waren die andern
vom Salvarsan bekannten Nebenerscheinungen verbunden, nur die
Darmstörungen waren geringer. Exantheme sind sechsmal auf-.
getreten, einmal in Gestalt von ausgedehnter Blaseneruption:
diese Häufigkeit der Hautausschläge, welche auch von Schreiber-
Stühmer erwähnt wurde, scheint auf der zu schnellen Aufein-
anderfolge der Infusionen zu beruhen, welche auch sie anwendeten,
entsprechend der Schreiberschen Vorschrift, wenn auch mit.
niedrigeren Dosen. Die Urinmenge war nach den Injektionen
stets vermindert, Eiweißausscheidung fand nie statt, der größte
Teil der Arsenausscheidung erfolgte in den ersten acht Stunden.
Nach der Infusion sinkt die Zahl der roten Blutkörperchen im
Blute, Leukocytose stellt sich zuweilen aber ohne Regel ein, öfter
nehmen die eosinophilen Zellen prozentual zu. Unter vier auf das
Verschwinden der Spirochäten untersuchten Kranken waren sie
einmal nach 24 Stunden, einmal nach vier Tagen, zweimal nach
drei Tagen nicht mehr zu finden. Die Heilwirkung war so gut
wie beim alten Salvarsan; über die Wassermannsche Reaktion
läßt sich noch nichts sagen. | ; ,
Zum Schluß will ich noch hinzufügen, daß Balzer (I)
und Gastou (4) das Neosalvarsan intramuskulär- mit leidlicher
Erträglichkeit angewandt zu haben berichten. -
Literatur: Bull. de la Soc, franç. de Derm. et de Syphil.,, Juni 1912, —
1. F. Balzer, S. 302. — 2. Emöry, S. 802. — 3. Derselbe, Du ròle
pathogene des impuretés minérales de l’eau distillée. (S. 269.) — 4. Gastou,
A propos des injections du Ne&osalvarsan (intraveineuses et surtout intra-
musculaires). (S. 309.) — 5. Hudelo, Montlaur et Bodineau, Recherches `
cliniques et exp£rimentales sur le N&osalvarsan. (S. 278.) — 6. Joltrain,
. 802. — 7. Leredde, Premières observations sur le Nöosalvarsan. (S. 303.)
— 8. Milian, S. 302. — 9. Queyrat, S. 302. — 10. Troisfontaines, Note
ne sur un cas de mort après injection intraveineuse de Salvarsan.
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate,.
L. Bach unterscheidet. zwei. verschiedene Arten des primären
Glaukoms: |
1. Das „entzündliche“ Glaukom, und zwar a) das akut entzünd-
liche, b) das chronisch-entzündliche und i
2. das einfache (nicht entzündliche) Glaukom.
Die Bezeichnung „entzündliches* Glaukom - ist mißverständlich;
tatsächlich handelt es sich dabei zunächst nur um ein Stauungsödem, -
das sich in folgender Weise entwickelt: Der gesteigerte intraoku-
lare Druck bewirkt eine Kompression der Vortexvenen, das Blut der
Aderhaut sucht einen andern Abflußweg und findet ihn in den Anasto-
mosen mit den vordersten Ciliarvenen; es kommt auf diese Weise
zu einer Ueberfüllung dieser Venen, sowie bei rasch einsetzender,
starker Steigerung des intraokularen Druckes zu Transsudation und
Stauungsödem, wodurch klinisch der Eindruck eines Entzündungszustandes
entsteht. | |
Bach rät dem praktischen Arzte, den intraokularen Druck derart
zu prüfen, daß er sich vor den sitzenden Patienten stellt und bei be-
quemer. Haltung der Arme abwechselnd auf die leicht geschlossenen
Lider mit der Spitze der Zeigefinger einen Druck ausübt, wie bei der
Prüfung auf Fluktuation. Krampfhafter Schluß der Lidspalte führt zu
falschem Resultat. In der spezialärztlichen Praxis ist man neuerdings
dazu übergegangen, diese Prüfungsmethode, der viel Subjektives anhaftet,
durch eine objektive Prüfung zu ersetzen, und zwar durch ein zuver-
lässiges Tonometer (nach Schidtz). Der normale intraokulare Druck
schwankt zwischen 18 und 27 mm Quecksilber. |
ImProdromalstadium des entzündlichen Glaukoms zeigt sich
objektiv eine Abnahme des Glanzes, der Glätte und Durchsich-
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1362 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
tigkeit der Hornhaut, besonders in den centralen Partien. Die vordere
Augenkammer pflegt seicht, die Pupille etwas erweitert, ihre Reaktion
träge zu sein. Ophthalmoskopisch tritt manchmal Arterienpuls auf. Die
Hornhauttrübung wird durch die Drucksteigerung verursacht, Wird diese
plötzlich erheblich vermehrt, so kommt es zum akuten Glaukom-
anfalle (heftige Schmerzen im Auge. Die gleichzeitige starke Störung
des Allgemeinbefindens mit Erbrechen und Fieber läßt öfter die Augen-
beschwerden in den Hintergrund treten und die Diagnose Magenkatarrh,
Influenza oder Migräne aufkommen). Objektiv besteht jetzt ein Oedem
der Lider, der Bindehaut und der Hornhaut. Das Auge ist injiziert.
Die Iris zeigt eins Ueberfüllung ihrer Gefäße und eine Verminderung
ihres Glanzes. Die Reaktionen der Pupille sind erloschen.
Beim einfachen, nicht entzündlichen Glaukom macht das Auge
bei äußerlicher Betrachtung einen normalen Eindruck. Sieht man aber genau
zu, so sind wohl immer die vorderen Ciliarvenen überfüllt. Die
Diagnose wird erst durch die Augenspiegeluntersuchung gestellt, die eine
meist hochgradige Exkavation des Sehnerven ergibt. Schmerzen treten
bei dem einfachen Glaukom so gut wie nie auf. Die einzige Störung
ist hier die des Sehvermögens, die sich langsam entwickelt und stetig
bis zur Erblindung fortschreitet. Die hierbei auftretende Sehnerven-
atrophie unterscheidet sich von der gewöhnlichen Sehnervenatrophie da-
durch, daß die Einengung des Gesichtsfeldes zunächst meist nicht
konzentrisch, sondern am stärksten auf der nasalen Seite erfolgt.
Differentialdiagnostisch kommen hauptsächlich die akute
Tritis, die Keratitis parenchymatosa, die Migräne, der akute Bindehaut-
katarrh und die einfache graue Sehnervenatrophie in Betracht. Wichtig
ist, daß eine enge Pupille nicht ohne weiteres für akute Iritis spricht,
denn die Miosis kann möglicherweise die Wirkung des von anderer
Seite bei Glaukom verabreichten Eserins darstellen. Man darf sich also
durch das Vorhandensein einer Miosis nicht verleiten lassen, in übereilter
Weise Atropin zu geben. Der intraokulare Druck pflegt bei der Tritis
normal zu sein. |
Da ein Glaukom durch ein pupillenerweiterndes Mittel aus-
gelöst werden kann, und da ältere Leute mehr der Gefahr des Glau-
koms ausgesetzt sind wegen ihrer rigiden Lederhaut, so besteht auch bei
ihnen die Möglichkeit des Auftretens eines Glaukomanfalls bei der
Pupillenerweiterung in besonders hohem Grade. Grundsätzlich sollte man
daher bei alten Leuten zu diagnostischen Zwecken nur solche pupillen-
erweiternden Mittel anwenden, die, wie z. B. das Homatropin, nur eine
schwache und wenig andauernde Wirkung besitzen, sodaß diese durch
Eserin aufgehoben werden kann.
| Von Bedeutung ist ferner der Refraktionszustand des Auges
insofern, als hypermetropische Augen weit häufiger von Glaukom
befallen werden als emmetropische und myopische; ja diese letzten
sind nahezu immun gegen Glaukom. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26.)
F. Bruck.
Das Blut der BRöntgenologen kann, wie Aubertin auf Grund
von 16 untersuchten Fällen schließt, eytologische Veränderungen dar-
bieten, die zu besonderer Vorsicht gegenüber der protrahierten Einwirkung
der Röntgenstrahlen mahnen. Sechsmal fand er eine Leukopenie mit
Mononucleose vor; letztere war freilich nicht sehr ausgesprochen, es lag
dagegen eine oft beträchtliche Hypopolynucleose vor, die Zahl der Neutro-
philen kann bis zu 40°), sinken. Diese Abnahme der Polynucleären ist
beinahe permanent zu konstatieren; doch wird sie hier und da von poly-
nucleotischen Schüben unterbrochen, bei denen sowohl die Leukocyten-
zahl als der Prozentsatz der Polynucleären wieder die Norm erreichen,
Dabei sind bemerkenswerterweise die Eosihophilen nicht etwa vermindert,
sondern in starker Proportion vorhanden. In den zehn andern Fällen
fand Aubertin eine subnormale Blutformel mit Polynucleose und
Eosinophilie (bis zu 81 °/, Polynucleäre, bis zu 7°/, Eosinophile!) (Soc. de
Radiologie médicale. — Presse méd. 1912, Nr. 20.) Rob. Bing (Basel).
Zur Milderung und Beseitigung von Juckreiz (Hautjucken, Pru-
ritus pudendorum) empfiehlt Engelen die lokale Applikation von
Hochfrequenzströmen (lokale Arsonvalisation). Er bedient sich
hierzu eines von den Veifa-Werken (Frankfurt a. M.) kürzlich heraus-
gebrachten neuen Modells zur Erzeugung von Hochfrequenzströmen.
(Dieser Apparat kostet 200 M, wiegt 7,5 kg und mißt 805>x215><157 mm;
er kann an jede Lichtleitung — Gleichstrom oder Wechselstrom — an-
geschlossen werden und ist auch für Röntgenzwecke verwendbar.)
Die Anwendungsweise ist folgende: Man läßt von einer Konden-
satorelektrode aus auf die Stelle, von der der J uckreiz ausgeht, kleine
Funken wenige Minuten überspringen, und zwar bei einer Stromstärke,
die eine leichte Schmerzempfindung erzeugt. Die Applikation findet täg-
lich statt. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26.) F. Bruck.
Robert H. Fergusson, Mitglied der New Yorker Gesellschaft
von Anästhetikern in East Orange, U.-S., kommt in einer Besprechung
über „Chirurgische Anästhesie, ihre Beziehungen zur Immunität
und verwandten Zuständen, zusammen mit der Feststellung einer neuen
Tatsache, betreffend Olivenöl als einen raschen Wiederhersteller der
Widerstandskraft eines Patienten gegen Infektion“ zu nachstehenden
Schlußfolgerungen:
1. Gib keinen Alkohol bei infektiösen Krankheiten; er ist besonders
unangebracht bei Pneumonie und septischen Zuständen.
2. Zum Zwecke chirurgischer Anästhesie verabreiche zu irgend einer
Zeit während der Anästhesierung so wenig von dem Narkoticum als möglich.
3. Brauche nie Alkohol als Stimulans während oder nach einer
Anästhesierung, wenn die opsomische Kraft des Bluts von irgend welcher
Wichtigkeit ist, besonders nicht, wenn Aether gegeben worden ist.
Alkohol wirkt auf das System, ebenso wie Aether, deprimierend.
4. Die Anästhesie soll so kurz als möglich sein; beginne so spät
als möglich und höre so bald als möglich wieder auf.
5, Verwende nur ein absolut reines Präparat von Aether oder
Chloroform.
6. Wende besondere Aufmerksamkeit auf Asepsis und Antisepsis
bei allen Operationen von irgendwelcher längeren Dauer. Eine ganz
kleine Infektion, die unter gewöhnlichen Umständen gar nicht sichtbar
wurde, kann sich zu einem ernsten Zustand entwickeln nach einer
Anästhesierung, weil die Widerstandskraft gestört ist.
7. Injiziere sechs Unzen (zirka 170 g) Olivenöl hoch hinauf in das
Rektum bei allen septischen Fällen und in allen andern Fällen, wo die
Widerstandskraft des Patienten in Betracht kommt.
8. Erinnere dich daran, daß Zeit ein wichtiger Faktor für die
Wiederherstellung des opsonischen Index ist und zögere daher ‚nicht mit
der Verabreichung des Oels. |
9. Die 170g Oel müssen langsam und kontinuierlich einverleibt werden.
10. Verwende nur reines, durchsichtiges Oel, das rasch resorbiert
wird. Es darf kein Stearin und keine freien Fettsäuren oder andere Un-
reinigkeiten enthalten.
11. Bist du im Zweifel, ob Oel am Platz ist oder nicht, dann
stelle dich immer auf den ersten Standpunkt und injiziere es. (NY. med. j.
11. Mai 1912, S. 987.) Gisler.
Das Salvarsan (Altsalvarsan) ist, wie W. Gennerich angibt,
allem Anscheine nach in der Intensität seiner Wirkung dem Neosalvarsan
überlegen. Dieser Autor hat aber bereits vier Fälle erlebt, wo es bei der
zweiten oder dritten Injektion von Neosalvarsan, und zwar schon nach
0,6, zu einer mehrtägigen bohen Temp eratursteigerung und einer
lange Zeit anhaltenden Störung des Allgemeinbefindens kam. Der
Gebrauch von Neosalvarsan in großen Dosen dürfte sich daher schwer-
lich für die allgemeine Praxis eignen. Da sich ferner infolge allmäh-
licher Kumulation der großen Dosen Salvarsanneuritis und Dermatitis
einstellen können, so ist es entschieden ratsam, für das Gros der Syphilis-
fälle das Neosalvarsan in den Dosen und den Pausen anzuwenden, die
sich beim Altsalvarsan als zweckmäßig ergeben haben.
Schließlich erwähnt der Verfasser noch einen Fall, der am zweiten
und dritten Tage nach der dritten Injektion von Neosalvarsau (1,0) eine
schwere meningitische Reizung bekam. (Berl. kl. Woch. ua a
. Bruck.
Aus der Dermatologischen Universitätsklinik in Würzburg (Prof.
Zieler) berichtet A. Kall über seine Erfahrungen mit Neosalvarsan.
Behandelt wurden 39 Fälle (141 intravenöse Infusionen und 10 intra-
muskuläre Injektionen). Die Höchsteinzeldosis war 0,9 (entsprechend
0,6 Salvarsan), die Höchstgesamtdosis 6,3 (= 4,25 Salvarsan). Bei ‚den
rasch aufeinanderfolgenden Infusionen mit ein- oder zweitägigen
Pausen wurden in einzelnen Fällen so schwere und zuweilen so über-
raschend eintretende Nebenerscheinungen gesehen, daß Zieler schon
vor Monaten vor dieser Methode glaubte warnen zu müssen. Zur Beob-
achtung kamen fünf Arsenezantheme mit teilweise recht bedrohlichen Er-
scheinungen, obwohl Verfasser in der Dosierung viel vorsichtiger vorging
als Schreiber. In fast allen Fällen von Arsenintoxikation zeigte sich
kurz vor oder während des Auftretens des Exanthems eine deutliche
Blutdrucksenkung von 20 und mehr Millimeter Quecksilber.
Die Wiederholung der Infusionen in kurzen Zwischenräumen
scheint zu einer hochgradigen Kumulierung und damit leicht zu einer
Arsenintoxikation zu führen. Es müssen also größere Zwischen-
räume zwischen den einzelnen Infusionen gemacht werden, wie bel Àn-
wendung des Altsalvarsans. Eine Beschleunigung der Behandlung durch
das Neosalvarsan würde sich aber dann nicht ermöglichen lassen und s0-
mit ein angeblicher Vorzug des neuen Präparats fortfallen.
Das Neosalvarsan zersetzt sich ferner so schnell, daß vor der
intramuskulären Injektion, für die es sich nach Schreiber besser
eignen soll als das alte Präparat, jetzt auch von Ehrlich gewarnt wira.
Die recht bedenklichen Nebenerseheinungen lassen aber das
Neosalvarsan für die allgemeine Praxis als nicht geeignet erscheinen.
(M. med, Woch. 1912, Nr. 81.) - F, Bruck.
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als das alte. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26.)
18. August.
1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 33.
Nuel und de Waele empfehlen die Behandlung der Nicotin-
amblyopie mit Lecithin; die theöretische Begründung dieser Methode
wird in den .auflösenden Eigenschaften des Lecithins gegenüber Alka-
loiden gesucht. Man soll zweimal wöchentlich 0,1 Lecithin, in physio-
logischer Kochsalzlösung suspendiert, intramuskulär einspritzen. In fünf
Fällen, bei denen sie von de Waele zur Anwendung gezogen wurde,
soll diese Therapie sehr gute Resultate ergeben haben; auch veraltete
Fälle seien gebessert worden. Nuel erzielte bei einem frischen Fall
eine Besserung, die rascher gewesen sei, als die unter der gewöhnlichen
Therapie zu erwartenden, zwei alte Fälle blieben dagegen unbeeinflußt.
(Ac. de Méd. de Belg.. — Sem. méd. 1912, Nr. 19.)
| | Robert Bing (Basel).
J. A. D. Radcliffe zieht Vergleiche zwischen den Resultaten der
einfachen Sanatoriumbehandlung bei Lungentuberkulose einerseits und
der Kombination von Sanatorium und Tuberkulintherapie anderseits,
Er kommt zu dem Schluß, daß im Verlauf einer bloßen Sanatoriumkur
nur bei 20. bis 25%, aller eingetretenen Fälle die Sputa bacillenfrei
werden, daß dagegen dieses Resultat; bei 50%, der Fälle eintritt, sobald
die kombinierte Behandlung eingeführt wird. Wie zu erwarten, geht
aus den beigegebenen Tabellen hervor, daß die Prognose um so besser
zu stellen ist, je frühzeitiger die Patienten eintreten. Radcliffes Sta-
tistik berücksichtigt die Verhältnisse im englischen King Edward VII.-
Sanstorium in Midhurst sowie in einigen größeren deutschen Heilstätten
(z. B. der Heilstätte Beelitz). (Lane. 1912, 23. März.)
i Rob. Bing (Basel).
„Aspirin löslich“ (hergestellt von den Farbenfabriken Friedrich
Bayer & Co.) empfiehlt Görges. Es ist das Calciumsalz des Aspirins
und enthält wasserfrei 90 ?/o Aspirin und 10 °/o Calcium. In jeder Tablette
ist 0,5 „Aspirin löslich“ enthalten, aber auch zum Zweck einer leichten
Zerfallbarkeit etwa 0,15 Amylum. (Daher bleibt beim Auflösen in
Wasser ein kleiner, die Flüssigkeit trübender Rückstand, der jedoch
ohne Bedenken von Kranken mit der Lösung genommen werden kann).
Da die Lösung des „Aspirin löslich“ nach mehrtägigem Stehen kleine
Mengen Essigsäure abspaltet, so empfiehlt es sich, sie immer frisch
herzustellen.
Das in Wasser sehr leicht lösliche Präparat ist gelöst so gut
wie geschmackfrei. Als Geschmackskorrigens kann man noch ein Stückchen
Zucker oder wenige Tropfen Kirsch- oder Himbeersaft brauchen lassen;
dagegen muß Zitronensaft wegen der sauren Reaktion vermieden werden.
Ein Vorzug des löslichen Aspirins ist ferner seine fast neutrale
Reaktion. Durch seinen Kalkgehalt werden die gelegentlich bei der
Acetylsalicylsäure beobachteten Nierenreizungen vermieden. Auch be-
sitzen die Caleiumsalze eine sedative Wirkung, sie sind ferner nötig zur
Erhaltung der Herztätigkeit (im Herzmuskel sind sie in reichlicheren
Mengen nachgewiesen worden) und befördern die Gerinnung. des
Bluts. Auch wird neuerdings den Oaleiumsalzen bei Bronchialasthma und
Heufieber ein Einfluß zugeschrieben. KIE
Bei gleichem Heilerfolge wird das neue Aspirin besser vertragen
| F. Bruck.
Bezüglich des Pituitrins als Blasentonicum berichtet Hofstätter,
i bei Anurie nach gymäkologischen Eingriffen in der Wiener Allge-
meinen Poliklinik in mehr als drei Viertel der Fälle nach subeutaner Ver-
abreichung von 1—2 cem Pituitrin spontane Entleerung der Harnblase,
manchmal nach wenigen Minuten, manchmal jedoch erst nach 30 bis
40 Minuten eintrat. Es erübrigten sich somit alle lokalen Eingriffe zur
Entleerung der Blase, wodurch die Komplikation durch eine Cystitis usw.
vermieden werden konnte. | |
Bedingung für die Wirksamkeit des Pituitrins ist unbedingt In-
a der Blasenmuskulatur und ihres peritonealen Ueberganges. (Wr.
l. Woch. 1911, Nr. 49.) Zuelzer.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Reflektor nach Prof. Dr. Lange (Greifswald).
. . D.R.G.M. Nr. 456 899. |
EU dus das Wegfallen eines Segments
y erreicht, daß das Gesichtsfeld des andern
uges nicht beschränkt wird. Durch Ver-
ann erung. der centralen Oeffnung. wird auch
= esichtsfeld des untersuchenden Auges
hei A So ist das stereoskopische Sehen
ae des Reflektors nur wenig be-
sall caugt. Der Reflektor kann durch Um-
Po rechts und links getragen . werden.
à a i
oa Richard Woelk, Greifswald, Ä
Bücherbesprechungen.
Eniil Abderhalden, Physiologisches Praktikum. Chemische und
physikalische Methoden. Mit 271 Figuren im Text. Berlin 1912,
J. Springer. 283 S. M 10,—. | | |
H. Steudel, Physiologisch-chemisches Praktikum. Leipzig 1912,
S. Hirzel. 123 S. M 4,—. ` u > u |
F. Schenck, Kleines Praktikum der Physiologie. 2. Auflage. Mit
33 Abbildungen. Stuttgart 1912, Ferd. Enke. 758. M 1,60.
Die praktische Beschäftigung mit der Physiologie liegt während
des medizinischen Studiums noch sehr im Argen. Die Stundenzahl, die
für diesen Zweck im Lehrplane vorgesehen ist, ist eine äußerst knappe,
und vielfach sind auch die Mittel, die den Instituten zu einer ersprieß-
lichen Durchführung eines praktisch-physiologischen Lehrgangs zu Gebote
stehen, ziemlich beschränkt. Das Bedürfnis einer besseren praktischen
Ausbildung des Studierenden wird auch allgemein empfunden und diesem
Verlangen verdanken wir. eine Reihe physiologischer Praktika, die auf
verschiedene Weise dem erwähnten Zwecke dienen: wollen. ` Allseitig-
erfaßt die Aufgabe das Werk von Abderhalden. Das Schwergewicht
liegt allerdings auf physiologischen Untersuchungen, die mit Hilfe
der chemischen Methoden auszuführen sind. Wir finden hier nicht
nur den üblichen elementaren Lehrgang der chemischen Analyse, sondern
auch Angaben über die Darstellung physiologisch wichtiger Präparate,
namentlich der Aminosäuren und der Polypeptide, eingehende Beschreibung
‚der Untersuchungen aus dem Gebiete der Kohlenhydrate, Fette und
Eiweißkörper. In einem: besonderen Abschnitte werden die physiologi-
schen Flüssigkeiten (Harn, Milch, Galle usw.) behandelt. Der zweite
Teil des Buches ist den physikalischen Methoden gewidmet: zunächst
den physikalisch-chemischen Methoden (Gefrierpunktbestimmung, Calorie-
_ metrie usw.), dann der speziellen Untersuchung des Kreislaufs, der
Atmung, der Nerven und Muskeln. Treffliche Abbildungen unter-
stützen überall das Verständnis der klar und prägnant gegebenen Vor-
schriften. — Das physiologisch-chemische Praktikum von Steudel gibt
eine kurze Zusammenstellung von Uebungen aus der Gewichts- und der Maß-
analyse und von Reaktionen und einfachen Darstellungsmethoden aus dem
Gebiete der physiologischen Chemie. Der Inhalt des Werkes entspricht
dem Lehrgang eines physiologisch-chemischen Kursus innerhalb des auf
den meisten Universitäten eingehaltenen Rahmens. Zweifellos wird sich
der Praktikant stets mit Nutzen der Führung dieser Schrift anvertrauen
können. — Das kleine physiologische Praktikum von Schenck enthält
den nicht chemischen Teil des physiologischen Kursus in einem Umfang,
daß der Stoff bei den momentan beim physiologischen Unterrichte vor-
liegenden Verhältnissen innerhalb eines Sommersemesters bewältigt werden
kann. Die Art der Darstellung, die aus dem steten Verkehr mit den
Studierenden entstanden ist, sichert der Schrift, die bereits in der zweiten
Auflage erscheint, eine wohlverdiente Verbreitung. P. R.
A. Pilez, Lehrbuch der speziellen Psychiatrie für Studierende
und Aerzte. Dritte verbesserte Auflage. Leipzig und Wien 1912,
Franz Deuticke. 328 S. M 7,50. u ee
Gegenüber der zweiten Auflage des geschätzten Lehrbuchs enthält
die dritte außer zahlreichen Ergänzungen vor allem ein besonderes Ka-
pitel über arteriosklerotische Geistesstörungen. Das Bestechende und für
den praktischen Arzt Wertvollste an dem Werk ist, daß es jeden über-
flüssigen Ballast von Gelehrsamkeit zugunsten der leichten Faßlichkeit bei-
seite läßt. Diese zugleich formellen und inhaltlichen Vorzüge, zusammen
mit einer Darstellungskunst, die wirklich aus rein praktischen Erfahrungen
das praktisch Bedeutsamste heraushebt, stellen das Werk von Pilcz in
die erste Reihe der Studienbücher, die von Studenten zur Einführung in
die Psychiatrie so oft gesucht und vermißt werden. Die Einteilung des
Stoffes geschieht nach folgenden Prinzipien: I. die akuten funktionellen
Geistesstörungen (Melancholie, Manie, Amentia); II. die funktionellen
chronischen Geistesstörungen (Paranoia, periodisches Irresein); IH. die
alkoholischen Geistesstörungen (Delirium tremens, akuter Alkoholwahn-
sinn, pathologischer Rausch, Alkoholparanoia); IV. die Verblödungspro-
zesse (Dementia paralytica, Dementia. senilis, Dementia arteriosclerotica,
Psychosis e cerebropathia circumscripta, Dementia praecox); V. die thyreo-
genen Geistesstörungen; VI. das Irresein bei den großen Neurosen (Hysterie,
Epilepsie); VII. die angeborenen Defektzustände; VIII. die psychopathi-
schen Minderwertigkeiten. T
Das Werk ist Wagner v. Jauregg gewidmet.
| | Kurt Singer (Berlin).
L. Lewin, Obergutachten über Unfallvergiftungen. Leipzig 1912,
Veit & Co. 379 Seiten. M 10,—. | |
L. Lewin, der auf dem Gebiete der forensischen Toxikologie be-
kannte Verfasser, übergibt in der vorliegenden Schrift eine Reihe von
36 Obergutachten der Oeffentlichkeit, die zum größeren Teil dem Reichs-
versicherungsamt erstattet wurden und das gesamte Gebiet der in den
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1364 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
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Betrieben vorkommenden Vergiftungen zum Gegenstande haben. Daraus
entstand für die Begutachtung in den meisten Fällen ohne weiteres
die Schwierigkeit, den richtigen Unterschied zwischen Gewerbekrank-
heiten und Unfällen im Sinne des Gesetzes zu machen. In jedem Falle
wird hierdurch ein wissenschaftlich und klinisch wertvolles Material den-
jenigen Kreisen zugänglich gemacht, die dasselbe kennen müssen und
damit zugleich die Möglichkeit eröffnet, gelegentlich ähnlicher eintretender
Fälle eine praktische Handhabe für die Begutachtung zu gewinnen be-
: ziehungsweise die Spruchpraxis der höchsten Behörde nach dieser Rich-
tung hin kennen zu lernen. Ein besonderer Vorzug der mitgeteilten,
meist recht ausführlichen Gutachten besteht für den ärztlichen Leser
darin, daß sie nicht nur Ausschnitte geben, sondern stets das Gesamt-
bild der in Rede stehenden Vergiftung aufrollen und in bezug auf den
speziellen Fall, das heißt den Akteninhalt, erörtern. Bei der Schwierig-
keit dieses Stoffes ' verdienen die hierbei zutage tretenden Bemühungen
des erfahrenen Chemikers um eine weitere Klärung und Sichtung der
Lehre von den Unfalivergiftungen weitgehende Anerkennung, Fr.
L. Bargerstein, Schulhygiene, Dritte Auflage. (Aus „Natur und
Geisteswelt“, Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher Dar-
stellungen, 96. Bändchen. Leipzig 1912, Verlag von B. G. Teubner.
143 S. M 1,—.
Es ist wohl kaum denkbar, iu knappster Form noch besser Aus-
gewähltes und sorgfältiger Bearbeitetes aus dem weiten Gebiete der
Schulgesundheitspflege zu bieten, als es der ausgezeichnete Österreichische
Vertreter dieses Faches in seiner nun schon zum dritten Male vorliegen-
den „Schulhygiene“ uns wieder geschenkt bat. Der gesamte überreiche
Stoff wird auf Grund der neuesten Ergebnisse in übersichtlicher Gliede-
rung und anschaulicher gemeinverständlicher Darstellung vorgeführt. Zu-
erst das Schulhaus, seine Einrichtungen und Nebenanlagen
(Herstellung und NRaumverteilung, Erhellung der Unterrichtsräume,
Lüftung und Wärmeregelung, Gestalt und Einrichtung des Schulzimmers;
andere Räume und Flächen des Schulhauses). Dann als zweiter Haupt-
obschnitt die Unterrichtshygiene (Ermüdung, verschiedene Ver-
anlagung, Schulreife und Hilfsschule, Koedukation; Schülerzahl, Stunden-
plan; Hygiene einzelner Unterrichtsfächer, Hausarbeiten und Prüfungen,
Höchstbelastung, Strafen, Ferien; Internate), woran sich die kleineren,
aber nicht minder wichtigen Abschnitte über Unterricht und Hygiene,
Schulkrankheiten und Schularzt, endlich über die neuerdings mehr
besprochene Hygiene des Lehrerberufs anschließen. Kaum etwas
wirklich Wertvolles aus der fast unübersehbaren Literatur des Gegen-
standes dürfte unbenutzt geblieben sein; vor allem aber haben mit Recht
die so reichhaltigen und schätzenswerten eignen Erfahrungen des Ver-
fassers Aufnahme und Berücksichtigung gefunden. Die dem Buche bei-
gegebenen 43 Textfiguren sind meist recht gut geraten; nur von einzelnen
= (z. B. dem ohne Becher trinkenden Knaben, Fig. 6) kann man das nicht
gerade behaupten. Als rasch und vorzüglich orientierender Leitfaden ist
Burgersteins „Schulhygiene“ Aerzten, Lehrern und allen für dies Ge-
biet Interessierten aufs wärmste zu empfehlen. A. Eulenburg (Berlin),
Th. Nogler, La Radiographie de Précision. Appliquée à
l’examen des voies urinaires. (Rein, Uretöre, Vessie.)
Paris 1911, J. B. Bailliere et Fils. 69 Seiten.
Während Rafin und Arcelin in ihrem prächtigen Werk über
die Radiographie der Nieren und Harnleiter einen exakten Bericht über
ihre 48 Fälle aus Lyon geben, bringt Nogier zur selben Zeit aus der-
selben Stadt als Komplement des Atlas der chirurgischen Radiographie
ein Werk über die Präzisionsradiographie der gesamten Harn-
organe (Niere, Harnleiter, Blase). Nach kurzer Geschichte und ziem-
lich vollständiger Bibliographie bis inklusive 1908 erörtert er die not-
wendigen Utensilien, die erforderlichen anatomischen Kenntnisse und die
zur Herstellung einer guten Platte wünschenswerte Technik in Bereitung
und Deutung des Klischees. Die Unmöglichkeit, beide Nieren zugleich
aufzunehmen, die Lokalisationstechnik des eventuellen Fremdkörpers, die
Erkennung der Zahl und Größe, der Form, des Gewichts des Steins, die
chemische Zusammensetzung des Calculus und ihr Einfluß auf die Er-
zielung eines Schattens auf der Platte werden erörtert. Die Schnitt- und
Hilfsmethoden (Kompressionsblenden, Uretherenkatheterismus, . Kollargol-
und Sauerstoffinjektionen des Nierenbeckens), die Blasenuntersuchung mit
Luft, O, Wismut und Kollargolfüllung der Höhle, die intravaginale Radio-
graphie und der Nutzen der Verstärkungsschirme werden besprochen.
Die Ursachen der Irrtümer können in einer schlechten Technik, an der
Platte, an dem untersuchten Individuum (32 Arten bekannt!) und schließ-
lich an der falschen Deutung des Schattens liegen. 17 vortreffliche
Photographien erläutern die vom Verfasser mit seinen Methoden erzielten
Resultate. Aus den Schlußfolgeruhgen der Arbeit ist hervorzuheben die
Forderung: Langsames, präzises Arbeiten mit Zuhilfenahme aller Hilfs-
mittel, Beurteilung der Platte nur nach dem Trocknen, stereoskopische
Radiographie und Anwendung der Untersuchungsmethode bei allen Fällen
von Lenden-, Kreuz-, Steißbeinschmerzen, Hämaturie, Pyurie, Harnsand,
Harnrötention. Mankiewicz.
W. Karo, Die Prostatahypertrophie. Ihre Pathologie und
Therapie. Berlin 1912, Oscar Coblentz. 50 Seiten. M 1,60.
Kursorische Besprechung der Pathologie und Therapie der Pro-
statabypertrophie und des Prostatismus mit optimistischer Beurteilung
der vom Verfasser auf Grund noch nicht bewiesener Hypothesen von der
inneren Sekretion der Prostata und deren Hormonwirkung inaugurierten
„organischen“ Behandlung des Prostatismus (das ist Prostatahypertrophie-
beschwerden ohne Rückstandsharn) mit Testikulininjektionen (20 bis 30 In-
jektionen intraglutäal), Yohimbin (Tabletten oder Injektion) oder Prostata-
tabletten. Mankiewicz.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherang)
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
21/, Monate zurückliegenden Kopfverletzung
von
Dr. Wildt,
dirigierender Arzt am St. J osephshospital zu Andernach.
Der am 15. Februar 1875 geborene Hauer J. P. Th. aus M.
erlitt Ende November 1908 im Betriebe der Schiefergrube C. bei
M. eine Verletzung oberhalb des linken Stirnbeinhöckers, indem
ihm eine Grubenlampe auf den Kopf fiel. Th. hat zunächst weiter
gearbeitet. Am 19. Januar 1909 meldete er sich krank. Am
19. Februar 1909 starb Th. an eitriger Gehirnhautentzündung.
Der Vorstand der Sektion IV der Steinbruchs- Berufs-
genossenschaft lehnte durch Bescheid vom 14. Juni 1909 den von
der Witwe für sich und zwei Kinder unter 15 Jahren geltend ge-
machten Entschädigungsanspruch ab, weil der Unfall den Tod des
p. Th. nicht verursacht habe. Als Ursache desselben wurde an-
genommen, daß von einem eitrigen Prozeß im Mittel- und Innen-
ohr her ohne Einwirkung des Unfalls und seiner Folgen sich die
Eiterung bis zur Gehirnhaut gezogen habe.
Während der Behandlung im Krankenhause machte ich fol-
achtung:
en u Ph Be vom 14. bis 19. Februar 1909 im St. Josephs-
hospital A. in meiner Behandlung. Ich sah ihn zuerst am Abend
des 14. Februar. Er konnte nicht deutlich sprechen; es war nichts
weiter zu ermitteln, als dab er über Schmerzen im Kopfe klagte;
dies bestätigte auch der Ueberweisungsschein, wonach er seit
vier Wochen über Kopfschmerzen klage, die jeder Behandlung
trotzten.
Am folgenden Tage war die Sprache fast ganz geschwunden;
das Bewußtsein war getrübt. Die Körpertemperatur war erhöht,
zirka 38,50. Am folgenden Tage stellte sich eine Lähmung des
rechten Armes ein, die Beweglichkeit des rechten Beins war her-
untergesetzt. Am folgenden Tage traten am Morgen Krämpfe ein,
hauptsächlich rechterseits. Demnach mußte ein Prozeß im Gehirn
angenommen werden, der auf der linken Gehirnseite lag und das
Sprachzentrum und die höherliegenden motorischen Zentren er-
griffen hatte. Nach Einholung der nötigen Erlaubnis der Frau
wurde am Morgen desselben Tags zur Operation geschritten und
die nach der Berechnung der Zentren in Betracht kommende
Gegend des Gehirns durch Trepanation freigelegt. Die harte Hirn-
haut zeigt die Gegend einiger Adern etwas eitrig getrübi. Nach
Eröffnung der harten Hirnhaut stieß ich auf reichlichen, schaumigen
Eiter. Ich verfolgte die Eiterung unter Wegnahme des Knochens
weiter; sie reichte nach oben bis hart an den großen Längsblut-
leiter, nach vorn bis etwa zur Gegend der Stirnkante, nach hinten
nicht ganz bis zum Tentorium, also nicht ganz bis zur Kante der
Schläfenbeinpyramide, nach unten bis in die Gegend des Schläfen-
beins. Der Hauptsitz der Eiterung war die Gegend der Mitte der
Trepanationsöffnung, die Gegend oberhalb der oberen Grenze ‚der
Ohrmuschel. Den Ausgangspunkt der Eiterung konnte ich nich
finden, insbesondere war die Gegend des Mittelohrs nicht der Aus-
gangspunkt. Die große Wunde wurde leicht mit angefsuchteter
Jodoformgaze bedeckt, der große Knochen- und Hautlappen wur 10
leicht angelegt. Im weiteren Verlaufe wiederholten sich die
Krämpfe, bis Th. am 19. Februar verstarb. Die Sektion ergab,
daß die Gegend des Ohres frei war. Die Eiterung ging nicht IN
die Tiefe des Gehirns, sondern blieb auf seiner Oberfläche; eme
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‚1912. — MEDIZINISCHE KLINIK, — _Nr.38.
Schädelknochens, der von. hinten nach vorn 13.cm und, von unten
“ine der Hirmhautentzündung. Der in den Blutleitern des Gehirns | nach oben 9 cm mißt. Dieser Defekt ist. ausgefüllt mit von. Blut al
“gefundene Eiter ‘war nach. dem ganzen Befunde der Operation und durchtränkter Gaze. Nachdem diese Gaze entfernt ist, sieht ‘man fi j i
Sektion nicht der Aùsgangspunkt, sondern die Folge der Hirn- | das Gehirn freiliegen, zum Teil von der harten Hirnhaut bedeckt. A a
'Yautentzündung. Im ganzen Körper wurde auch kein Eiterherd | 2 cm: oberhalb des linken Stirnbeinhöckers ist die Haut in .der HR i
‘gefunden, ‚von dem ‚aus eine Emibolie, eine Verschleppung des | Länge eines Zentimeters bläulich verfärbt, hier etwas unter dem Kies hear
‚Biters hätte’ stattfinden können. Die 2 cm oberhalb des linken | Niveau liegend, über der Unterlage verschieblich, : auf: Durchschnitt | el WraH,
| "Stirnbeinhöckers gefundenė,. biäulich verfärbte Stelle — siehe im | kein freies Blut: 34 0 L n T eh y
"Söktionsprotokoll; am Ende der äußeren Besichtigung — war nach ` B. Innere Besichtigung. Die Kopfhaut wird durch einen HEUER
| weiner Ansicht eine nöch nicht lange geschlossene Narbe, die ich | Schnitt quer über den Schädel getrennt und abgehoben, ‘dann. das 5 A IN
| ‘im “so mehr “als die Folge der angegebenen’ Verletzung auffasse, | Schädeldach abgesägt. Das Schädeldach ist leicht, die- Sägefläche cab y de if
i -ils ih eine andere Narbe nicht gesehen abe. `` > ` ` | dünn, an der dieksten Stelle 7 mm, an der dünnsten Stelle 3- mim i ie Si
= Nach den Akten ist nun Th. Ende November eine Gruben- | dick. Wie schon bemerkt, fehlt die harte Hirnhaut in dem größten - ii F te I
| .impe auf den Kopf ‚gefallen, welche eine stark blutende Wunde | "Teile des Operationsfeldes. Die harte Hirnhaut der rechten | 1 seeli iyi
| "verursachte. “Dies muß nach allem die erwähnte Stelle sein, die | Schädelhälfte und der linken, soweit dieselbe vorhanden: ist, ist I adah aah ie
‚Ursache der kleinen Narbe. Er hat nun nachher den Aussagen | blaß, trocken, in den vorderen Teilen (Stirnteilen) von der Unter- NH i g> | i
‘der Zeugen nach öfter über Schmerzen an', der verletzten Stelle | lage abgehoben. Der große Längsblutleiter ist in der vorderen u ER, iii I
"geklagt, bis’er sich am 19. Januar krank gemeldet hat, und zwar Hälfte leer, nach hinten und besonders unten: enthält ‚derselbe f EY AHi 2 an
‘nach ‘dem Ueberweisungsscheine des Herrn Dr. H. wegen Kopf- | etwas geronnenes Blut und reichlich dicklichen Fiter. Die Innen- | en ln) | N
‘schmierzen..‘ Die’ Eiterung. der. Hirnhaut muß nun irgendeine Ur- | fläche der -harten Hirnhaut der rechten Hälfte ist feucht, ci uf Ren Na
‘saho haben; es ist kein Eiterherd vorhanden gewesen, woher sie | glänzend. Die Hirnwindungen erscheinen etwas abgeplattet, be- a: ji; u
'hätte"verschleppt werden können; sie hatte keinen tuberkulösen | sonders in der hinteren Hälfte. Zwischen den Hirnwindungen sind | Br 4 prd ia
"Charakter; ‘es war.nicht die Form der epidemischen Meningitis, es | die Blutgefäße reichlich gefüllt. Auflagerungen auf die Gehirn- c$ lan
‘War eine reii eitrige Entzündung, die von Anfang an nach dem | masse sind nicht zu sehen. ee ne g : ae
"Operationsbefünde ‘beschränkt gewesen ist und erst nachher, sich -Die harte Hirnhaut der linken Hälfte, soweit sie noch vor- A Eh
'äusbreitend,. zu‘ den’ Reizungen und Lähmungen der motorischen | handen, ist auf ihrer Innenfläche von geronnenem Blut überdeckt, ri ee A
Zentren ‘geführt hat; wenn also auch in deren Gegend die Haupt- | in der Nähe des Längsblutleiters und zwar auf der Höhe des u I Bi j
'menge des`Eiters gefunden worden ist, so ist doch nicht gesagt, Gehirns mit eitrig speckiger Auflage versehen. ‚Die Hirnmasse Kl Hl; de h
daß dort auch die’ursprüngliche Stelle der Entzündung gewesen | ist etwas trocken, die Blutgefäße der weichen. Hirnhaut zwischen ar N, i neh f
ist: es spricht vielmehr vieles dafür, da8 die Gegend der Zentren | den Gebirnwindungen reichlich. bluthaltig, in der Gegend des RRE AEE
erst" später ergriffen worden- ist, sonst -hätten schon früher Er- | linken Scheitelbeinhöckers findet man zwischen. den Gehirn- 2; fi EHE
'scheinungen’von seiten derselben auftreten müssen. | windungen reichliche eitrige Auflagerungen. TER SHE Biy | aith i
Ich bin auf Grund des’ Operations- und Sektionsbefundes zu Die harte Hirnhaut der Schädelbasis erscheint an ihrer agumi a
der’ Ansicht‘ gekommen, daß die’ Kopfverletzung eine‘ Blutung | Oberfläche glänzend, feucht, ohne Auflagerungen. In der hinteren = EB pril
‚innerhalb‘ der’ Schädelhöhle verursacht hat, welche anfangs, ohne | Schädelgrube siebt man einen ERlöffel voll einer rötlich gefärbten, | CREATI
besonder Erscheinungen zu'machen, als hin und wieder Schmerzen, | etwas trüben Flüssigkeit. — —— DS BR Bitch Yet
'bestanden hat: später istin:dieselbe auf irgendeinem Wege, wahr- Der ‚große. Blutleiter. in der hinteren ‚Schädelgrube enthält Ki Ba Er
'scheinlich dürch die Haufverletzung, eine’ Infektion eingedrungen, | links dieklichen Eiter, rechts etwas geronnenes Blut. Dis harte gi aey D o
‘Welche 'zur Vereiterung. des Blutergusses führte, weiterhin zur | Hirnhaut läßt sich von der Schädelbasis leicht lösen. Der Schädel- Él iaa ’ ta
‘Ausbreitung der Eiterung, zur Reizung der Zentren, im weiteren- knochen der Basis ist blaß, ohne Verletzung. An der Gehirnbasis a en ; Hr: are
‘Verlaufs zum: Töde.: Der späte Eintritt der Infektion ist kein | ist die weiche Hirnhaut im allgemeinen glänzend, auf der’ linken xA ihid Aus
Hindernis für diese Annahme: nach Prof. Dr. Krönlein, Hand- | Seite mit geronnenem Blute bedeckt. Dieselbe: läßt sich von der AEAT d
'büch der praktischen Chirurgie, kann bei der traumatischen | Gehirnmasse leicht abziehen. Die Konvexität des Gehirns ist | ie polipok
‘Meningitis’ die Meningitis, also die Infektion, in jeder Phase des | oben beschrieben. u ws nr £ AA Ea T
'Heilprozesses auftreten, oft erst nach Wochen und Monaten. | Die beiden Seitenhirnhöhlen werden eröffnet und sind leer. un A FA ni
-Da also Keine andere erkennbare Ursache für die eitrige | Ihre Wand ist glänzend, blaß. Die Adergeflechte sind zart, an Ak Bee ls
‚Hirnhautentzündung vorliegt, da ferner der Verletzte anschließend | durchsichtig, mit wenig Blut gefüllt. Die’ obere Gefäßplatte ent- iu ie A ni a
an. den Unfall über Schmerzen geklagt hat, die sich immer weiter | hält wenig Blut. Auf Durchschnitten ist die Gehirnmasse beider a ze a
verschlimmerten, ‘da ferner der Operationsbefund für die lokale | Hirnhälften blaß, mit wènig Blutpunkten durchsetzt. Sèh- und Alam ce
Entstehung‘ der Eiterung‘ spricht, welchen die Sektion bestätigt | Streifenhügel sind blaß und zeigen wenig Blutpunkte. Die dritte I Erin E
bat; so ist meine Ansicht die, daß die Erkrankung und der Tod | Hirnhöhle ist leer, die Adergeflechte mit wenig gefüllten. Gefäßen £ ER LE A
‘des: Th. mit an Sicherheit grenzender Währscheinlichkeit mit dem | durchzogen. Das Kleinhirn ist etwas dörb, auf dem Durehschnitte RES PIE N
‘Unfall im’ ursächlichen Zusammenhange steht. = feucht, blaß. Die vierte Hirnkammer ist leer, die Brücke. und das E N II PA:
=e Die Obduktion hatte folgendes ergeben: n oe g -~ | verlängerte Mark auf dém Durchschnitte blaß, glänzend. Bei FR But $ A
As! Asußere Besichtigung. Männliche Leiche; 173 cm äußeren Einschnitten in die Gehirnwindungen der linken Gehirn- =; ER egis
lang, Ernährungszustand schlecht, Farbe der Haut im allgemeinen | seite erblickt man dort, wo dieselbe freilag, in dor Mitte der an hin 52 X „|
'blaß, am: Bauch etwas grün. verfärbt, am Rücken und den ab- Operationswunde, die Gehirumasse stellenweise schmutziggrau ge- abe ie
nungigen Partien ‚rötlich. (Totenflecke). Die Augen halb en | a erweicht und mit Biterherden durchsetzt in etwa Wallnuß- ab NH SR
. Pupillen: gleich‘ und. ziemlich .weit, Nasenöffaung frei von Fremd- | größe. 4 inket pup kur gatt fr
Üner deddi “die Ohren, Mund. schlossen; Lippen etwa | Nach Entfernung des Brustbeins sieht man die Brustorgane ci i Ba
em breit geöffnet. Totenstarre vorhanden, kein. Verwesungs- | m normaler Lage. Die Eingeweide sind von fettarmem Netz über- " aha FERRRER A
gorach. : Der. Kopf : mit 'dunkelblonden, spärlichen Haaren besetzt, lagert; in der Bauchhöhle kein fremder Inhalt. Der Herzbeutel, Ei Pi e ED
‘Hals. lang, der. Kopf mit: demselben leicht beweglich. Brust etwas | äußerlich glänzend, glatt, dünnwandig, enthält twa 150 ccm einer isf: ot iLE a a
lach... Ander: vorderen‘ Schulterseite sieht man eine 1 cm lange | gelblich gefärbten, klaren Flüssigkeit. Das Herz. hat die Größe Pil NER gii
aooe Hautverfärbung, bei deren Einschnitt etwas freies Blut a rechten Faust, fühlt sich ziemlich derb an, ist ohne Fettauf- a in ana
| IM Gewebe sich: findet. (Injektionsfolge). - > nn 77:3.) 111 17:2) ss nn: B APE no irar
| < 2. Ander . linken Kopfenite no einen großen, lappen- | Der linke Vorhof enthält wenig Speckhaut. An dem linken eh A Leib"
| frmigön: Operationsschnitt, der 3 cm vor der Mitte des linken | Herzen ist, .die Oefinung zwischen Vorhof und Kammer für zwei f HN, Gr
Ühres. einsetzt, bogenförmig. über das Scheitelbein verläuft, um Finger durchgängig. Der rechte Vorhof enthält. geronnenes Blut Hy si ! F ‚X y
ann hinten 1 cm oberhalb der Ohrmuschelmitte aufzuhören. Von | und Speckhaut in reichlicher Menge. Der rechte. Ventrikel ent- Fist: FIE . PE
dieser "bogenförmigen: :Schnittwunde 'aus verläuft horizontal nach | hält etwas flüssiges Blut. Die Aortenklappen "sind regelrecht, El ipi er Y,
| der: Mitte : der. Stirnnaht. zu. eine 3 cm lange, -durch zwei Nähte | ebenso die -übrigen Klappen... Das Herzfleisch ist "von brauner Aid up eg
! geschlossene Hautdurchtrennung (Operationswunde). Der fast Farbe, ziemlich fest. u e qE Pi A Sh
Randtellergroße -Hautlappen, welcher oberhalb des linken Ohres | Die Oberfläche beider Lungen ist bläulich marmoriert, glatt, a R piril A
von” diesem lappenfőrmigen Schnitt eingeschlossen ist, läßt sich | glänzend, feucht. Die linke Lunge ist an ihrer. Spitze mit‘ der Hei Ki ne
‚18 zur Basis von. seiner Unterlage abheben und überdeckt den an Umgebung verwachsen.‘ Dieselbe ist leicht, der untere ‚Lappen i ii f Beks Ay !
lhm haftónden Sehläfenbeinknochen. Nachdem dieser Lappen zu- | weich und lufthaltig; ‘der obere Lappen ist in seiner Spitze mit ch Bi ie ;
"lckgeschlagen, * sieht man’ einen ründlichen ' Defekt des linken | Vorhärtungen Ikmotiger Art ‚ürohsetzt. Auf dem Durchschnitt A N | ; 6
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1366 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August.
22 SEGA SAN AS
sieht das Gewebe braunrot aus und entleert schaumiges Blut. Im
oberen Lappen finden. sich keine Höhlen. Auf dem Durchschnitte
präsentiert er sich wie der untere Lappen.
Der obere Lappen der rechten Lunge ist weich, lufthaltig,
auf dem Durchschnitt entleert sich blasige, blutige Flüssigkeit.
Der Unterlappen fühlt sich etwas prall und ausgedehnt an.” Auf
dem Durchschnitt ist das Gewebe dunkelbraun, bei Druck entleert
sich schmutziggraue, blasige Flüssigkeit in reichlicher Menge.
Die aufgeschnittenen groben Luftröhrenäste beider Lungen
entleeren auf Druck eine schaumige, teils Blut, teils Schleim ent-
haltende Flüssigkeit in reichlicher Menge, besonders im rechten
unteren Lungenlappen.
Durch die Obduktion des Gehirns ist die Todesursache hin-
reichend geklärt. | |
Die Besichtigung der Organe der Brusthöhle hat keinen
Anhaltspunkt für die Todesursache ergeben, und da die Organe
der Bauchhöhle nach näherer äußerer Besichtigung begründeten
Verdacht für die Klärung der Todesursache nicht abgeben, so
wird von der näheren Obduktion derselben abgesehen.
Todesursache: Gehirnentzündung. l
Ueber die Todesursache erstattete nunmehr Prof. L. das
nachstehende Gutachten:
Nach den Akten hat der Verstorbene etwa Mitte November v.
J. durch eine herabfallende Oellampe eine ziemlich stark blutende
Wunde dicht hinter der Stirn erlitten; die Wunde heilte rasch,
sodaß der Verletzte die Arbeit nicht zu unterbrechen brauchte,
doch traten noch öfter Schmerzen in der Gegend der Wunde auf.
Am 18. Januar, also etwa neun Wochen nach dem Unfall erkrankte
Th. fieberhaft, klagte über Stechen in der Brust und Kopf-
schmerzen, schwitzte auch stark. Diesè Beschwerden gingen aber
bald zurück und es bestanden in den nächsten Wochen nur noch
Schmerzen im Hinterkopf. Um den 14. Februar herum verschlim-
merte sich jedoch der Zustand, sodaß Th. ins Krankenhaus zu A.
verbracht und hier wegen der Annahme einer linksseitigen Gehirn-
eiterung operiert werden mußte. Drei Tage nach der Operation
verstarb der Patient. Bei der am 20. Februar vorgenommenen
Sektion wurde nun folgender Befund erhoben: 1. Fand sich 2 cm
oberhalb des linken Stirnbeinhöckers eine 1 cm lange, bläulich ver-
färbte, etwas eingesunkene Stelle, die von den Obduzenten be-
ziehungsweise Herrn Dr. W. als Narbe gedeutet wird. 2. Fanden
sich Ansammlungen von Eitermassen an der Innenfläche der harten
Hirnhaut linkerseits, wie sie auch schon bei der Operation ge-
funden waren, wo die Ausdehnung der Eiterung einerseits bis an
den Längsblutleiter, anderseits bis zum Schläfenbein ging.
3. Zwischen den Gehirnwandungen in der Gegend des linken
Stirnbeinhöckers reichlich eitrige Auflagerungen. 4. In der Mitte .
der Operationswunde (augenscheinlich im Gehirngrund im dicken
Schläfenlappen) eine etwa wallnußgroße Eiterhöhle. 5. Ausfüllung
des linken Querblutleiters und hintern Teils des Längsblutleiters
mit eitrigen Massen. 6. Vereiterung der linken Lungenspitze und
Verdichtungen der Lungensubstanz und kleinen Höhlenbildungen.
Auf Grund der Krankheitserscheinungen und des Sektionsbefunds
ist der behandelnde Arzt Dr. W. zu der Ansicht gekommen, daß
die zum Tode führende Erkrankung eine Folge des Unfalls ge-
wesen, der den Verstorbenen Mitte November vorigen Jahres be-
troffen hat. Er nimmt an, daß auch die am 19. Januar ein-
setzende Erkrankung bereits mit der Verletzung im Zusammen-
hange stand, daß an diese eine Blutung in der Schädelhöhle an-
. geschlossen habe, die infolge einer Infektion von der Hautver-
letzung aus vereitert sei und dann zu der starken Ausbreitung,
Uebergreifen auf die Blutleiter der harten Hirnhaut geführt habe.
Was nun zunächst die Annahme einer sozusagen sich ununter-
brochen von Mitte November fortsetzenden Erkrankung anbetrifft,
so erscheint sie mir in keiner Weise gerechtfertigt. Es ist zu-
nächst auffallend, daß am 19. Januar weder von dem Eirkrankten,
noch dessen Ehefrau Andeutungen über eine Kopfverletzung zu
dem behandelnden Arzte Dr. H. gemacht worden sind; auch über-
sieht der Herr Vorgutachter ganz, daß die damaligen Beschwerden
hauptsächlich in Bruststechen, allgemeinen Kopfschmerzen, Fieber
und starkem Schwitzen bestanden. Es kann kaum zweifelhaft
sein, daß diese Symptome zwar nicht, wie Dr. H. annahm, auf
Influenza, wohl aber auf die bei der Sektion gefundenen, offen-
sichtlich tuberkulösen Lungenveränderungen zurückzuführen sind.
Ich lasse es hierbei unentschieden, ob es im Sektionsprotokoll
„keine“ oder „kleine“ Höhlen heißen soll, da. der Befund von „ Ver-
härtungen knotiger Art“ allein für die Diagnose einer tuberku-
lösen Lungenspitzenerkrankung genügt, wenn man berücksichtigt,
daß das Sektionsprotokoll sehr genaue Beschreibungen der Organ-
veränderungen überhaupt nicht gibt. Erst an diese rasch ab-
laufende Lungenerkrankung schließen sich dann allmählich die
Symptome einer Kopf- wie Schädelhöhlenerkrankung an. Was
nun die Annahme des Herrn Vorgutächters Dr. W. anbetrifft, daß
die Eiteransammlungen zwischen harter und weicher Gehirnhaut,
sowie die eitrige Thrombose der Blutleiter und die — von ihm
nicht erwähnte — Absceßbildung in der Gehirnsubstanz Folge der
Verletzung der Kopfhaut gewesen und in der Weise zustande ge-
kommen seien, daß zunächst in‘der Schädelhöhle eine Blutung ein-
getreten wäre, die dann später vereiterte, so hat sie wenig Wahr-
scheinlichkeit für sich. Die Annahme einer Blutung kann sogar
mit Sicherheit ausgeschlossen werden, da selbst kleine Blutungen
noch ‚nach Jahren sich als rostbraune Verfärbungen erkennen.
lassen und hiervon nichts im Sektionsprotokoll bemerkt ist. Da
ferner zu keiner Zeit eine Eiterung in der Wunde beobachtet
worden ist und auch nach der Beschreibung des Sektionsproto-
kolls die noch nachweisbare Narbe nichts von Eiter enthielt, über-
haupt sehr oberflächlich und nicht mit dem Schädel verwachsen
war, so ist es nicht gerade wahrscheinlich, daß von ihr aus eine
Eiterbildung in der Schädelhöhle entstanden ist. Nun kommt es
freilich vor, daß auch nach verhältnismäßig geringfügigen Kopf-
verletzungen eitrige Prozesse in der Schädelhöhle und namentlich
Gehirnabscesse entstehen; zum Nachweis eines derartigen Zu-
sammenhangs wäre es aber nötig gewesen, zum mindesten zu
zeigen, daß die gefundenen Eitererreger auch ihrem Alter nach in
Zusammenhang mit der Verletzung stehen können, was namentlich
durch die mikroskopische Untersuchung der Gehirnabsceßwand
hätte geschehen können. Nach der Beschreibung scheint es sich
aber um sehr frische Eiterungen gehandelt zu haben. Es ist
ferner durchaus unzutreffend, daß sich an eine eitrige Gehirnent-
zündung oder an eine Gehirnabsceßbildung eine Eiteranfüllung der
Blutleiter anschließt. Das ganze Bild, wie es bei der Operation
und bei der Sektion gefunden ist, entspricht vielmehr vollkommen
denjenigen Eiterungen der Schädelhöhle und des Gehirns, wie sie
nach entzündlich-eitrigen Prozessen im Mittelohre so oft entstehen
und dieser Annahme widerspricht auch der klinische Verlauf in
keiner Hinsicht. Nun versichert allerdings Herr Dr. W. in seinem
Operationsberieht und seinem Gutachten, daß die Gegend des
Mittelohrs nicht der Ausgangspunkt der Eiterung gewesen ist.
Worauf sich aber diese Versicherung stützt, ist nicht ersichtlich,
Nach dem Berichte sind weder bei der Operation Blutleiter er-
öffnet worden, noch bei der Sektion die kleinen Blutleiter (felsen-
bein- und halbrandförmiger Blutleiter), noch Mittelohr und inneres
Ohr untersucht worden. Es soll die Angabe des Herrn Vorgut-
achters also wohl nur heißen, daß ein direkter Zusammenhang
zwischen den Eiterungen der Schädelhöhle und dem Mittelohre,
beziehungsweise Felsenbeine nicht ohne weiteres auffiel. Das ist
aber keineswegs eine Seltenheit, daß bei notorisch mit Ohreite-
rungen im Zusammenhange stehenden Gehirnhaut- und Gehirn-
eiterungen ein derartiger unmittelbarer Zusammenhang fehlt, da
die Verschleppung des Eiters. und der Eitererreger durch die In
der Felsenbeinpyramide gelegenen Blutgefäße vor sich gehen
kann. Aus allen diesen Gründen komme ich zu folgendem Schlub-
gutachten:
1. Weder durch den Krankheitsverlauf, noch durch den Be-
fund bei der Operation und der Sektion ist ein Zusammenhang
zwischen der Kopfverletzung und den zum Tode führenden Bite-
rungen in der Schädelhöhle bewiesen oder auch nur wahrschein-
lich gemacht. |
2. Nach der ganzen Lokalisation der Eiterungen und beson-
ders dem Befunde von Eiteransammlungen im linken Querblut-
leiter ist es vielmehr in hohem Maße wahrscheinlich, daß die Ge-
hirnhauteiterung und Gehirnabsceßbildung von einem eitrigen Pro-
zeß im Mittelohr oder inneren Ohr aus zustande gekommen ist,
was durch eine erneute Untersuchung des Felsenbeins und der
Warzenfortsätze mit Sicherheit hätte bewiesen werden können.
a die Krankheitserscheinungen sprechen nicht gegen diese An-
nahme. |
3. Dafür, daß etwa die — hypothetische — Ohreiterung
Folge des Unfalls gewesen, liegen irgendwelche Wahrscheinlich-
keitsgründe nicht vor.
Die Berufsgenossenschaft lehnte nunmehr die Entschädigung
der Hinterbliebenen ab.
Gegen den ablehnenden Bescheid erhob für die Klägerin der
Arbeitersekretär O. unter Hinweis auf das Obduktionsergebnl
rechtzeitig Berufung. | | (Fortsetzung folgt.)
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
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Vereins- und auswärtige Berichte.
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte zu Köln. | hälften bei der Respiration gleich. Die direkte Laryngoskopie zeigte die
u: m . (Offizieller Sitzungsbericht.) kd Stimmbänder intakt, frei beweglich, unterhalb derselben eitrige Beläge,
| wi = E besonders an der Hinterwand horizontal verlaufender Eiterstrang. In der .
= XXIX. Sitzung vom 21. April 1912. | Tiefe dunkler Schatten sichtbar. Pärtielle Laryngofissur mit Durch-
¿> Hopmana U: Ueber Phonasthenie und Uebungen zu ihrer | trennung des Lig. conicum, Ringknorpels und obersten Trachealknorpels.
Heilung. H. führt einige charakteristische Züge des Krankheitsbildes | Die schwarze Bohne liegt im Operationsschnitt und kann leicht entfernt .
der Phonasthenie vor und geht auf die-Uebungsbehandlung der funk- | werden. Unbedentende Veränderungen an der Schleimhaut. Schluß der ``
tionellen Stimmstörung ein. Sein Hauptstreben geht dahin, einen freien .
| äußeren Wunde. Atmung dauernd seitdem frei. TOR
Vokalton einzuüben, weil die Phonastheniker gerade bei der Vokalbildung In dem zweiten Falle handelte es sich um ein 1!/a Jahre altes
die starken Krampfbewegungen im Kehlkopf und im Ansatzrohre machen, | Kind, das ein halbes Jahr vorher beim Essen einen Erstickungsanfall te-
die von den lästigen Uebermüdungserscheinungen gefolgt sind. Zu aller- | kommen hatte, der indessen schnell vorüberging. Am andern Tage war
erst- muß dem Phonasstheniker eingeschärft werden: Nicht räuspern! Die | das Kind heiser, und es stellte sich zunehmende Atemnot, ein, die am
Uebungen beginnen mit der Erlernung der richtigen Sprech-Singatmung. | dritten Tage die Tracheotomie erforderte. Die Kanüle konnte in der
Die Vokalübungen beginnen mit dem Vokal o, der mit leisem Einsatz in | Folge nicht entfernt werden. Bei der direkten Laryngoskopie fand sich
Sprechtonhöhe, also auf einen Tondesunteren Endes desStimmumfangesgeübt | eine grauweiße Masse im Kehlkopf, die das linke Stimmband verdeckte
‚wird. Der richtige Toncharakter des o ist von dem Lehrer vorzumachen. | und die Glottis verlegte, daher das Kind bei verschlossener Kanüle sofort
Die Uebungen auf o allmählich in einem Umfange bis zu acht und zehn
| aspbyktisch wurde. Rechtes Stimmband gut sichtbar, frei beweglich und
halben Tönen aufwärts müssen solange fortgesetzt werden bis das o ganz | unverändert. Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Fremdkörper im Larynx mit
frei ist. 2 |
Granulationsbildung, vielleicht Eierschale, da der erwähnte Erstickungs-
Von o. aus wird geübt —0—0oe—e, anfall beim Essen von Salat mit Eiern entstanden war. Totale Laryngo-
ferner —0—u—ü—i, fissur deckte ausgedehnte Granulationsmasse auf, die den linken Ven-
schließlich 0—0a—8. trikel ganz ausfüllte, nach deren Entfernung eine Eierschale von zirka
Weil die Konsonantenstellungen des Ansatzrohres vielfach eine | 3 mm Durchmesser sich im Ventrikel fand, die entfernt wurde. Schluß
starke Verengerung. bedingen, aus der heraus die Stellung für die freie
der Kehlkopfwunde durch Naht. Kind konnte zwei Monate nachher,
Vokalbildung oft nicht gefunden wird, muß die Verbindung der einzelnen
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nachdem es längere Zeit eine T-Kanüle getragen hatte, vollständig ge-
Vokale mit den Konsonanten besonders geübt werden.
heilt entlassen werden.
| H. nimmt sie in folgender Reihenfolge: „m—s—n—1—r (Zungen-
spitzen), j—f-s—sch (stimmlos und stimmhaft) —b—d—p—t—ng—
ch-g—k“, . oo.
Weitere Uebung: Monotones Lesen, also mit Ausschalten des dy-
‚namischen, des temporalen und musikalischen Akzents, zuletzt Lesen im
Konversationstone (für Sprecher). | | |
Bei Sängern Durchführen der Vokalübungen, dann der Konsonant-
vokalverbindung durch den ganzen Umfang der Stimme.
Bei Kommandorufern: Einübung der Kommandos unter genauem
Achten auf die freie Vokalbildung, zirka eine Quint höher als die Sprech-
tonhöhe. - > i. |
Sehr viele der Phonastheniker müssen während der Uebungs-
behandlung, die leicht einige Monate in Anspruch nehmen kann, ihre
Berufstätigkeit aussetzen. l
Diskussion. Ricker: Phonasthenie findet häufig ihre Ursache
in Nebenhöhlenaffektionen. Durch letztere leidet die Resonanz der
Stimme und hierdurch wird der Patient zu stimmlichen Ueberanstrengungen
veranlaßt, die häufig zu Phonasthenie führen. Entsprechende Behandlung .
der Nebenhöhlen bringt Heilung auch der Phonasthenie. |
Vohsen (Frankfurt a. M.): Wie der Vortragende schon sagte, ist
die Phonasthenie eine Teilerscheinung der Neurasthenie, die sich in dem
berufsmäßig gebrauchten und mißbrauchten Organ lokalisiert. Es ist
therapeutisch besonders schwer die Grenzen zwischen lokaler, chirurgi-
scher und der Uebungsbehandlung zu ziehen. Wenn wir bei Flatau
lesen, daß Tumoren und die sogenannte physiologische Ueberkreuzung der
Aryknorpel -durch Uebungsbehandlung zurückgehen können, so fehlt
uns bei einem Neurastheniker jeder Anhaltspunkt zur Indikation laryngo-
logischer Eingriffe. Wie lange ist in solchen Fällen eine Uebungs-
behandlung fortzusetzen respektive wann und in welchen Fällen ist die
lokale Behandlung angezeigt? In Fällen mit negativem laryngologischen
Befund ist die Uebungstherapie der natürliche Weg. Bei dieser geht
der Vortragende vom „Sprechton“ aus. Wie stellt er den fest? — Ich
pflege den Kranken ein M unbefangen sprechen zu lassen, zeige ihm,
daß dies eine bestimmte Tonhöhe hat und lasse zunächst ihn eintönig
in dieser Tonhöhe sprechen und lesen. Dem einigermaßen Musikalischen
ist leicht beizubringen, daß er bei erhobener Stimme meist eine Quart |
höher spricht. In dieser zu hohen Stimmlage bei dauernder Anwendung
sprechen sehr viele Menschen, besonders fast alle Frauen. Bei Rede-
Phonssthenikern ist mit dieser Einsicht schon viel gewonnen.
Hansberg (Dortmund): Demonstrationen. 1. Zwei Fremdkörper
werden gezeigt, ‚die von Kindern in den Kehlkopf aspiriert worden waren
und die Laryngofissur: erforderten.
In dem einen Falle war bei einem fünfjährigen Knaben eine schwarze
Kaffeehohne aspiriert worden, die sofort einen schweren Erstickungs-
anfall hervorrief, sodaß das Kind ganz blau wurde. Der Anfall ging
vorüber, aber es bestand auch in der Folge erschwertes Atmen, dabei
en und belegte Stimme. Als das Kind nach acht Wochen sich vor-
Ute, wurde neben einem hörbaren Stridor eine Einziehung im Epi-
Gastrium festgestellt, über den Lungen war ein abnormer Befund, ab-
gesehen von einer leichten Bronchitis, nicht festzustellen. Beide Thorax-
| fernen.
2. Sodann wird ein Tumor gezeigt, bei dem die mikroskopische-
Untersuchung ein typisches Nasenrachenfibroid ergeben hatte. Träger
war ein 22jähriger Mann, der vor einem Jahre zunehmende Verstopfung
der rechten Nasenhöhle spürte, die schließlich auf die linke Seite über-
ging. Es wurde ein halbes Jahr nachher ein Nasenrachentumor fest-
gestellt und Patient acht Wochen im Krankenhause galvanokaustisch,
aber ohne Erfolg behandelt. Bei der Untersuchung drei Monate später
fand sich ein Tumor, der den Nasenrachenraum größtenteils ausfüllte, .
von glatter Beschaffenheit war und mit den Choanalwandungen ausgedehnte
Verwachsungen eingegangen war. Auf Berührung trat leicht Blutung
ein. Der Tumor reichte weit in die rechte Nasenhöhle, hatte die untere
und mittlere Muschel, von denen nur das vordere Ende zu sehen war,
verdrängt und hatte auch hier starke Verwachsungen hervorgerufen. Die
breite Basis des Tumors schien am Rachendach zu liegen. ‘Mit der
Schäfferschen Nasenzange wird der Tumor gefaßt, während der in ‘den
Nasenrachenraum eingeführte Zeigefinger der linken Hand ihn nach
vorn drückt, zunächst stückweise und dann in toto entfernt. Die
ganze Operation dauerte kaum zehn Minuten, die Blutung war unbe-
deutend. |
H. weist darauf hin, daß es ihm bei allen von ihm bisher beob-
‚achteten und operierten typischen Nasenrachenpolypen (im ganzen sechs)
stets gelang, den Tumor nach der von ihm bereits im Jahre 1890 ge-
übten und beschriebenen Methode von den natürlichen Wegen zu ent-
Alle waren .breitbasig aufsitzend. Selten war mehr als eine
Sitzung erforderlich. Diese Methode ist erheblich weniger blutreich, als
wenn Voroperationen vorgenommen werden, sie ist gefahrlos und führt in
kürzester Zeit zum Ziele. Falls Rezidive eintreten, können sie auf dem-
selben Wege leicht beseitigt werden. Es ist daher nicht angebracht,
wie es von manchen Seiten befürwortet wird, Kranke in bereits vor-
gerückterem Alter mit konservativen Methoden bis zur Zeit des Ein-
tritts der Involution dieser Fibrome hinzuhalten, zumal die spontane
Rückbildung derselben sich nicht an ein bestimmtes Alter bindet,
Einer der Kranken H.s war bereits 29 Jahre alt, als der Tumor auftrat.
. 8. H. stellt einen 65 Jahre alten Mann vor, bei dem er vor zwei
Jahren die halbseitige Exstirpation des Kehlkopfes wegen Carcinom ge-
macht hat. Bisher ohne Rezidiv. Der Fall ist deshalb bemerkenswert-
weil er einmal die vortrefflichen Erfolge, die man durch ausgedehnte
Schleimhautplastik erzielt, illustriert, sodann weil an der mit Schleimhaut
bedeckten exstirpierten Kehlkopfseite sich eine vollständig einem Stimm-
bande gleichende Schleimhautfalte entwickelt hat, die bei der Phonation,
ähnlich wie das gegenüberliegende gesunde Stimmband, sich nach der
Medianlinie bewegt und durch Berührung mit letzterem eine kräftige
Stimme ermöglicht. Durch die unter der Schleimhaut befindliche Mus-
kulatur des Kehlkopfes der operierten Seite ist eine ausgiebige Beweg-
lichkeit der letzteren erzielt worden. Es handelt sich in diesem Fall
um ein ausgedehntes verhornendes Plattenepithelialcareinom des rechten
Stimmbandes, das zu einer weitreichenden Tiefeninfiltration mit voll-
ständigem Stillstand der rechten Kehlkopfseite geführt hatte. Entfernung
der ganzen rechten Kehlkopfhälfte, jedoch konnte die Platte des Ring-
knorpels ganz erhalten bleiben. Der dadurch entstandene "Defekt im
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I:
1368
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
.18. August.
Innern des Kehlkopfes wurde dadurch gedeckt, daß die gesunde Schleim-
haut der hinteren Wand des rechten Aryknorpels abpräpariert und mit
‘der lockeren Schleimhaut des Sinus pyriformis über den Defekt gelegt
und durch Naht fixiert wurde. Glatte Heilung und Erzielung eines weiten
Trichterrohrs im Kehlkopf, das bedeutend weiter ist als bei einem ge-
sunden Kehlkopf. Die Schleimhautplastik hat große Vorzüge gegenüber
der von Gluck geübten Hautplastik, da die wunden Defekte im Kehl-
kopf mit Schleimhaut überkleidet und der Kehlkopf außen sofort nach
der Operation geschlossen werden kann. Auch ist es zweifellos, daß da-
durch, wie der vorgestellte Fall beweist, ein weiteres Kehlkopflumen er-
zielt wird. Wo es daher möglich ist, wird man bei derartigen Opera-
tionen der Schieimhautplastik den Vorzug geben.
Diskussion. Schmidt: Anfrage an den Redner, welche Form
von Lokalanästhesie Herr San.-Rat Hansberg bei Kindern bei der La-
ryngofissur bevorzugt.
Manasse: Wir operieren in Straßburg seit einer Reihe von Jahren
diese Nasenrachenfibrome stets in ähnlicher Weise wie Herr Hansberg,
das heißt wir entfernen sie durch die natürlichen Wege, sei es durch
die Nase oder durch den Rachen. Allerdings ist öfter, wie Herr H. aus-
geführt hat, eine ziemliche Kraftanstrengung dabei nötig, besonders wenn
man den Tumor von den seitlichen Rachenwänden stumpf ablösen muß.
Auch wir haben zwar nicht unerhebliche, aber doch niemals bedrohliche
Blutungen gesehen.
v. Eicken: I. Fragt an, ob bei dem Fall mit der Eierschale ein
Röntgenbild angefertigt wurde und welches Resultat dieses hatte. In
der Literatur ist ein Fall bekannt, in dem sich ein Stück Eierschale im
Larynx eines kleinen Kindes im Röntgenbild sehr deutlich gezeigt
haben soll.
II. Nasenrachentumoren: Auch mir hat das Verfahren Hansbergs
gute Dienste geleistet. Nur in einem Falle war es erst nach submuköser
Resektion des stark nach links deviierten Septums möglich, einen großen
Fortsatz des Tumors, der in die Nasenhöhle gewachsen war, zu ent-
fernen. Die Hauptmasse des Tumors wurde vorher nach Anlegung des
Hopmannschen Velotraktors mit einem starken Beckmannschen Messer
beseitigt.
Hansberg (Schlußwort): Schmidts Anfrage möchte ich zu-
‚nächst dahin beantworten, daß ich bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen
Cocain und Adrenalin zur Lokalanästhesie verwende. Von Cocain genügt
eine 5—10°hige Lösung. Bei Kindern empfiehlt sich zunächst die
Allgemeinnarkose bis zur Eröffnung der Trachea, alsdann kann man die
Kehlkopfoperation unter Lokalanästhesie machen.
v. Eicken kann ich mitteilen, daß auch in meinem Falle das
Röntgenvorfahren angewandt wurde, es fiel aber negativ aus. Wenn die
Diagnose nicht zweifellos feststeht, wird es sich empfehlen, in allen Fällen
von Fremdkörpern des Larynx eine Röntgenaufnahme machen zu lassen.
Es hat mich gefreut, von Manasse und v. Eicken zu hören,
daß auch sie in allen ihren Fällen die Tumoren von den natürlichen
Wegen aus beseitigen konnten, ein weiterer Beweis, daß chirurgische
Voroperationen ganz gewiß selten notwendig sind.
Littaur berichtet über zwei Fälle von Nasenrachenfibrom bei
einem Knaben von 16 Jahren und einem Mann von 62 Jahren. Der
Knabe wurde von einem Chirurgen operiert nach folgender Methode:
Nach Unterbindung der Carolis ext. rechts und links wird nach Spaltung
der Lippe der Oberkiefer quer durchsägt, sodann der Proc. alveol. von
vorn und hinten gespalten und nun der Tumor in toto entfernt, Methode
nach Kocher; darauf exakte Naht. Nach 1!/2 Stunden Exitus, Sektion
negativ. |
Im zweiten Falle wendet L. Elektrolyse an mit recht gutem
Erfolge. nn (Fortsetzung folgt.)
Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 15. März 1912. -
G. Baermann (Deli [Sumatra]); Die Assanierung großer Ar-
beitermassen in tropischen Ländern. In Deli, dem an der Ostküste
Sumatras gelegenen Wirkungskreise des Vortragenden, handelt es sich
um javanische und südchinesische, männliche und weibliche, 18 bis 40 Jahre
alte, aber auch ältere Arbeiter, die für die Bebauung der Pflanzungen
eingeführt werden müssen, da die einheimische Bevölkerung zur Arbeits-
leistung daselbst untauglich ist. Alle Maßnahmen zielen auf eine gute
Prophylaxe gegenüber den epidemischen Krankheiten und auf die Ge-
winnung guter Kenntnisse des allgemeinen Gesundheitszustandes be-
ziehungsweise der chronischen Krankheiten hin. Schon in der Heimat
der Arbeiter wird in den Werbebureaus nach Möglichkeit eine Auslese
getroffen, beim Eintritt ins Land aber eine genaue Kontrolle zwecks Ver-
hinderung der Einschleppung von Krankheiten geübt, indem die Neu-
importierten drei bis fünf Tage im Zentralhospital zur Untersuchung auf
Cholera, Dysenterie, Typhus (zweimalige Stuhluntersuchung beziehungs-
weise Vornahme der Widalschen Reaktion), ferner auf Malaria zurück-
behalten werden. Kranke, Bacillenträger werden zurückgesandt, außer-
dem aber auch schwächliche Individuen, da die ungewohnte schwere
Arbeit, deren allmähliche Steigerung übrigens sehr wichtig ist, die Ge-
fahr von Infektionskrankheiten leicht heraufbeschwören kann. So ist eg
in den letzten Jahren trotz der Verseuchung Javas mit Cholera gelungen,
die Zahl der Erkrankungen daran auf den Pflanzungen der Gesellschaft,
deren nach jeder Richtung auf der Höhe stehendes Hospital Baermann
leitet, auf drei zu beschränken, Pest überhaupt auszuschalten, Pocken
durch die Impfung überaus selten zu machen. Die Arbeiter sind ’an-
gewiesen, bei allen, auch leichten Erkrankungen des Hospital aufzu-
suchen, die Arbeitgeber verpflichtet, von sich aus die Arbeiter so rasch
wie möglich der Behandlung zuzuführen. Durch zweimalige Untersuchung
sämtlicher Arbeiter im Jahre, Beachtung der speziell wichtigen Momente
dabei (Hämoglobingehalt, Zeichen von Syphilis usw.) wird den heimisch
gewordenen beziehungsweise trotz aller Kontrolle zur Einschleppung ge-
langten Krankheiten zu begegnen gesucht; geschwächte Individuen werden
auf Grund der Visitationen ausgeschieden, minderwertige alsbald wieder-
bestellt.
Es hat der Kampf gegen die Anchylostomasis, die den In-
fizierten für jede intercurrente Infektionskrankheit besonders widerstands-
unfähig macht, den Hämoglobingehalt bis zu 10°/o herabsetzt, vor zirka
sechs Jahren mit Ausschaltung der Infektionsmöglichkeit und Behand-
lung der Krankheit selbst energisch begonnen. Die Terrains in der Um-
gebung der Arbeiterhäuser wurden saniert und Gelegenheiten für Stuhl-
abladung geschaffen. In fünf Jahren wurden zirka 60 000 Thymolkuren
(immer nach achttägiger Vorbehandlung mit Karlsbader Salz, immer an
je 100—200-300 Mann) vorgenommen. Andere Mittel haben eine
schwächere Wirkung. Es hat sich der Durchschnittshämoglobingehalt
in fünf Jahren von 67% auf 95°%% gehoben; Arbeitslust und Arbeits-
leistung sind erheblich gestiegen. Die Mißerfolge sind sehr selten. Eine
zweite schwere Gefahr, und zwar für den einzelnen durch die Schwere
der Erkrankung größere und momentanere, den Chinesen unter gleichen
Bedingungen stärker bedrohende, stellt die Amöbendysenterie dar.
Da die meisten Infektionen durch Trinkwasser vermittelt werden, ist allen
Arbeitern durch Teeküchen beziehungsweise Transport des Tees an den
Arbeitsplatz selbst Gelegenheit gegeben, ungekochtes Wasser zu ver-
meiden. Die Internierung aller Verdächtigen, die eventuelle Entlassung
in die Heimat oder monate- und jahrelange Behandlung bis zur völligen
Heilung mit darauf folgender jahrelanger Kontrolle hat bezüglich der
Erkrankungszahl wie der Todesfälle zu großen Erfolgen geführt. Bei
der Bekämpfung.der Syphilis kommen besonders lokale Schwierigkeiten
in Betracht: die Indolenz der Inländer, die sexuellen Verhältnisse des
Landes, in dem die Prostituierung der Arbeiterfrauen, der lebhafte Frauen-
austausch zu Endemien führt. 20—25% der Arbeiter sind mit Syphilis
infiziert. Relativ selten sind die Späterkrankungen und parasyphilitischen
Krankheitsbilder. Es liegt offenbar eine Abschwächung des Giftes vor.
Die Schwestererkrankung der Syphilis, die Framboesie, hat der Vor-
tragende nie gleichzeitig mit Lues auftreten sehen. Die Aufnahme mög-
lichst aller manifesten Syphilitiker ins Hospital verkleinerte die Zahl der
Erkrankten. Die intravenöse Salvarsantherapie stellt eine enorme Ar-
beits- und Kostenersparnis dar, hat übrigens bei Framboesie ausgezeich-
neten Erfolg. Die große Empfindlichkeit der Javaner, namentlich der
Frauen, gegen Hg (schwere Exantheme) macht vorsichtige Dosierung nötig.
Die Malaria zeigt in Sumatra einen gutartigen Charakter; allgemeine
Chininprophylaxe ist unnötig. Typhus (mit einer Mortalität von 20 %0)
entsteht vorzugsweise durch Kontaktinfektion unter Mitwirkung der Ba-
cillenträger, deren man nach Möglichkeit habhaft zu werden sucht. Eine
verhängnisvolle Rolle spielt infolge der Masse der Bacillenträger der
Pneumokokkus,der nicht nur als Erreger der besonders zur Regenzeit
häufigen croupösen Pneumonie, von katarrhalischen Lungenentzündungen,
Bronchitiden, influenzaartigen Erkrankungen in Frage kommt, sondern
auch für die Cerebrospinalmeningitis, die erst seit zwei Jahren In
Sumatra auftritt; als einziges, aber unvollständiges Bekämpfungsmittel
kommt die strenge und lange Evakuation der Kranken in Botra
Tuberkulose ist sehr selten, aber sehr virulent und fast tödlich; für
die Tuberkulose der Europäer bietet die möglichst schnelle Rückkehr
nach Europa gute Heilungsaussichten. Das sehr seltene Vorkommen von
Tumoren fast jeder Art, das Fehlen von arteriosklerotischen Verände-
rungen, von Gicht, Diabetes, nicht-specifischen Systemerkrankungen,
Psoriasis und verschiedenen Dermatosen unter fast gleichen Lebens
bedingungen läßt an eine schädigende Rolle des Alkohols für die Ent-
stehung dieser Krankeiten denken (Nikotin- und Opiumrauchen ist ver-
breitet), zumal diejenigen, die Alkohol in großen Mengen genieben, sich
dem europäischen Typus und der europäischen Pathologie nähern; neben
dem Alkohol scheint die Art der Ernährung eine Rolle zu spielen. Die
Mortalitätsziffer ist in dem Arbeitsgebiete des Vortragenden in fün
Jahren um das Vierfache gefallen. Emil Neißer
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18. August: .
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 88;
Bere N Halle a. S. era 6 Ta l
` Verein der Aerzte. Sitzung vom 1. Mai, 15. Mai und 5. Juni 1912.
' ` “Lampé: Zur Biologie der Thymusdrüse, (Erschien in Nr. 27
dieser Wochenschrift) O9 a
‘ ' Mohr: Zur. Pathologie der Thymusdrüse, bespricht zuerst
die Anatomie und pathologische Anatomie des Thymus und das Vor-
kommen von 'sogenanntem „Thymus persistenz“. Der Name ist jedoch
irreführend, denn es handelt sich in diesen Fällen 'meist um eine Hyper-
plasie oder Tumorbildung, nicht um eine Persistenz. Nach Hunger tritt
eine akzidentelle’Involution der Drüse auf. Gut genährte Personen haben
einen großen, schlecht genährte einen kleinen Thymus. Nach akuten
Infektionskrankheiten: Masern, nach Vaccination, bei Tuberkulose, Syphilis
ist die Drüse ebenfalls klein. Redner kommt sodann auf die Erklärung
von plötzlichen Todesfällen zu sprechen, die man so häufig.bei Ver-
größerung des Thymus beobachtet hat. Zwei Theorien suchen diese
Tatsache zu erklären. Die mechanische Theorie nimmt eine Abknickung
der Trachea oder der großen Gefäße durch die vergrößerte Drüse an-
Die 'Ektopie des Thymus, eine von Rehn inaugurierte Operation, bei der
derselbe aus dem Thorax herausluxiert und am Halse eingenäht wird,
verhinderte in einer Anzahl von Fällen die Mors thymica. Für alle Fälle
genügt aber die mechanische Theorie nicht zur Erklärung. Paltauf hat
daher die Aufmerksamkeit auf die allgemeine Iymphatische Konstitution
gelenkt und. sieht die Ursache des plötzlichen Todes ‘in einer Iutoxi-
kation. — 'Vortragender charakterisiert dann nach Neußer die Formen
des Status tbymicus, Status thymicolymphaticus und Status Jymphaticus.
Man findet bei Störungen des Thymus Anomalien am Geschlechtsapparat;
äbnorme Behaarung, Aplasie oder Hypoplasie der Keimdrüsen, Hypoplasien
des Herzens und Gefäßsystems, psychische Abnormitäten. Der Thymus-
saft scheint ein Antagonist zu dem Adrenalin zu sein; denn Verfütterung
desselben führt zur Pulsbeschleunigung und Blutdrucksenkung und Muskel-
schwäche. Daher. findet man bei primärem Morbus Addisoni Vergröße-
ruig des Thymus und der Milz. Reduer geht dann auf die wichtigen
Beziehungen des Thymus zur Schilddrüse über und bespricht insonder-
heit das Verhalten bei Morbus Besedowi. Die sich bei diesem findende
Lymphoeytose ist auf die Thymusdrüse zurückzuführen. Nach Thymek-
tomie erzielte Capelle aus der Garröschen Klinik Besserung. Schild-
drüse und Thymus 'potenzieren ihre Wirkungen gegenseitig. = —
Sodann bespricht Vortragender diese Ergebnisse an der Hand einer
großen Reihe von Fällen, bei denen er aus dem klinischen Bilde die Ver-
mutung einer Thymuserkrankung gewann und diese dann aus dem
Röntgenbilde bestätigen konnte. Zahlreiche Photographien und Röntgen-
bilder erläutern den Vortrag. Als Therapie der Fälle von Thymushyper-
plasie und -Tumoren ‘empfiehlt er die Operation: Verkleinerung oder
Entfernung oder Ektopierung des Thymus. oz
Diskussion: Dißler spricht über die Korrelationen von Thymus
und Keimdrüsen bei Säugetieren. Wenn die Keimorgane abnehmen,
wächst auch der Thymus nicht weiter. Von Interesse wäre eine Unter-
suchung desselben in der Brunstzeit, in der die Keimdrüsen oft eine so
gewaltige Vergrößerung erfahren. . De A u
= Penkert "berichtet über drei eigene Fälle von Thymustod bei
Neugeborenen. "Er sieht die Erklärung in der mechanischen Theorie.
` Beneke hat auch bei ausgesprochener Adipositas große Thymus-
drüsən gefunden. — Er geht dann im Genaueren auf die mechanische
Theorie ein. Er macht auf die von ihm benannte Carotisrinne an der
Luftröhre von Neugeborenen aufmerksam, die durch den Druck der über
die Trachea schräg hinweg ziehende Carotis bedingt ist. Er fand sie in
den- Fällen ‘von Thymustod sehr ausgeprägt. Ebenso konnte er eine
Schärfkantigkeit ‘der Luftröhre in diesen Fällen, bedingt durch den Druck,
feststellen; Die übliche, auch für die gerichtlichen Sektionen vorge-
schriebene Sektionsmethode mit Abbinden der Trachea. zerstört diese
Verhältnisse und verhindert ihr Erkennen. ae .
~; Anton hat bei großem Thymus eine Hypertrophie des Hirns ge-
fanden, Er glaubt, daß es sich beim Thymustod vielleicht um einen
Vagustod handele. 44 =
E v Hippel lenkt die Aufmerksamkeit auf eine ibn schon seit
Ye ren beschäftigende‘ Frage, ob nicht vielleicht der Thymus in der
biologie ‚des Schichtstars eine Rolle spielen könne. Man findet bei
diesem ätiologisch Krämpfe (Tetanie), Rachitis, Heredität. Die gemein-
Sue. Ursache liegt vielleicht in der Funktion der Drüsen mit innerer
tion. Gerade die Störungen im Knochenwachstum mit ihren rachitis-
ep chen Erscheinungen, die Krämpfe, die auf die Schilddrüse oder
„Pithelkörperchen hinweisen, konnten den Verdacht auf den Thymus lenken.
, . Lamp6 (Schlußwort): ‘Die Keimdrüsen wachsen nach Thymek-
tomie, -Bei Kastration findet‘ man. große Thymusdrüsen. Bei sexueller
Ayperfanktion ‚nimrat. der Thymus ab. |
hime le Thymektomie. hat. er bei Hunden auch auffällig große Ge-
eohachtet. "Was die: Augen .betrifft, so wird „er. seine. Aufmerksam-
zu können .
‚keit: auf. den v. Hippel gelenkten Punkt. richten. = Er hat‘ bei:
‚thymektomierten Tieren im Stadium cachecticum Geschwüre. an der:
. Cornea ns ‘Er .bespricht sodann die Technik:der Thymektomie..
enzer:
| Vortragender will. auf Grund von Tuberkulinreaktionen .und Röntgen-
bildern gefunden haben, daß. die Tuberkulose die Ursache maücher bis:
‚Jetzt &tiologisch unbekannt gebliebenen ‘Krankheiten ist. Er. bespricht.
die Psoriasis und stellt Fälle .vor, die ‘er durch ‘Tuberkulinkuren geheilt
haben. will. Auch bei Morbus Basedowi, ferner bei Neurasthenie, bei
ehronischem Kopfschmerz glaubt er eine latente Tuberkulose annehmen.
Zu ©- Straßburg.. doe POR
Unterelsässischer Aerzteverein. Sitzung vom 25. Mai 1912.
‚1. H. Riff: Ueber einen Fall von Ascaridenepilepsie. Bei.
einem 13jährigen Mädchen traten gelegentlich der Defäkation epilepti-
forme Anfälle mit Bewußtlosigkeit, Krämpfen, Zungenbiß auf. Spezialist
lehnt Beteiligung der Ohrenaffektion — kurz vorher Mittelohreiterung
'— ab. Bei der Untersuchung des Stuhles findet Vortragender zahlreiche
Ascarideneier. Auf 0,2 Calomel und Santonin gehen die. Beschwerden
zurück, die. Würmer ab. Nach neun Monaten. treten’ wieder Krämpfe auf.
und es finden sich ‚Ascarideneier im Stuhl.. Auf Verabreichung von
amerikanischem Wurmfarnöl dauerndes Schwinden der Anfälle und Para-
siten: . R. ist der Ansicht, daß es sich um epileptiforme, durch die Stoff-
wechselprodukte der Spulwürmer hervorgerufene Anfälle handelt. Als
Specificum gegen Ascariden empfiehlt er das Oleum chenopodi anthel-
mintiei, drei Kapseln von 10 bis 16 Tropfen Inhalt mit 40 g Ricinusdl.
. Diskussion: H., Wollenberg schlägt vor, den Titel zu wählen:
„Ascariden als Ursache epileptiformer Anfälle“. eo. i
| 2. H. Vogt: Ueber künstlichen Pneumothorax bei Kindern.
In sechs Fällen von nicht. alter Tuberkulose der Lunge und chronischen
rezidivierenden Lungenprozessen. machte V. Versuche, die Affektion. durch
künstlichen Pneumothorax zu beeinflussen. Die Technik ist ziemlich.
schwierig. Man kann sich nicht mit Sicherheit vergewissern, ob die In-
sufflationsnadel im Pleuraraume liegt, da man ganz kleine Kinder nicht
dazu bringen kann, den Atem willkürlich anzuhalten. In zwei Fällen ge-
lang es trotz Incision nicht, einen freien Raum aufzufinden. Das All-
gemeinbefinden wird entschieden gebessert. Die Expectoration hört auf,
das. Fieber fällt ab. In fast allen Fällen wurde die Progredienz hintan-
gehalten. Die Beobachtungszeit ist noch zu kurz, um ein abschließendes
Urteil zu fällen. | Zu |
8 H. Freund: Drei Fälle von Tetanus puerperalis. ...Vor-
tragender beobachtete drei Fälle von Tetanus bei Frauen, einen Fall von
Tetanus beim Säugling durch Infektion der Nabelwande. Inkubations-
dauer vier Tage. bis mehrere Wochen. Nach F.s Ansicht ist es nicht
richtig, daß die lange Inkubationsdauer die Prognose günstig ‚beeinflußt.
Im ersten Falle, 27jährige Frau, bei der die Placenta manuell gelöst
wurde, trat am zehnten Tage p. p. typischer Tetanus auf. Drei Tage
später Exitus. Im Lochialsekret intra vitam keine Tetanusbacillen. Bei
der Sektion auch durch Impfversuch keine Tetanusbacillen nachweisbar.
F. hält es für möglich, daß mit dər Nahrung in den Darmtraktus ge-
langte Tetanussporen vom Anus aus durch operative Eingriffe in den
Genitelapparat verschleppt werden können: Daher empfiehlt es sich, vor
der Geburt ausgiebig abführen zu lassen, bei der Geburt peinlichste
Asepsis zu wahren, für guten Afterschutz zu sorgen. ` Br y
| Im zweiten Falle trat zehn Tage nach einem kriminellen Abort hef-
tiger typischer Tetanus. auf. Durch Tetanusantitoxin verschlechterten
sich Puls und Temperatur, die Anfälle. wurden vermehrt. Narkotica
wirkten besser. Fall wurde. geheilt. Bacillen waren nie nachzuweisen.
Die Frau hatte schon zwei Jahre vorher nach Abtreibung mit Holzspahn
Tetanus durchgemacht. Drei Jahre nach der zweiten Tetanuserkrankung
starb sie an Sepsis puerperalis. an | a ae
Dritter Fall betraf. eine 37jährige Frau, die durch- Einspritzung
von Seifenwasser in die Gebärmutter. mittels einer ‚schmutzigen Spritze
den Abortus im zweiten Monat einleitete. 14 Tage. nachher traten Tris-
mus und Krämpfe in den unteren Extremitäten. auf. Auch: hier. Tetanus-
bacillen nicht nachzuweisen. : Antitoxin ohne günstige Wirkung. Pan-
topon bewährte sich gut. - ET Eee RN
Diskussion:- H. Cohn beobachtete zwei Fälle von Tetanus, bei
denen trotz kurzer Inkubationsdauer Heilung erzielt wurde. Auch er sah
hier keinen auffallenden Erfolg von hohen Antitoxingaben. . — . we
| 4. H. Gulecke:. Darminvagination infolge von Invagination
eines Meckelschen Divertikels. Fünfjähriger Knabe war 14 Tage vor
der Operation mit ‚Leibschmerzen erkrankt. Am Tage.vor.der Operation
trat Verschlimmerung ein. Befund: Quere Resistenz oberhalb der Sym:
physe, einmal blutiger Stuhl, Verfall. Zirka.80 cm Dünndarm sind inva-
giniert. _Desinvagination... gelingt . leicht... . Eingestülptes- Meckelsches
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1369:
Krankenvorstellungen zur Bacteriotherapie:.;
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1370 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18, August.
Divertikel bleibt am Grunde der invaginierten Darmpartie zurück. Das
6 cm lange, an der Spitze gangrändöse Divertikel wird abgetragen, der
Darm genäht. Therapie kann nur operativ sein. Möglichst zu einer Zeit,
wo die Desinvagination noch ausgeführt werden kann.
"5. H. Cohn: Ueber langdauernden Blutausfluß aus der Brust-
drüse. Bei 40jäbriger Frau trat nach einer Geburt eine rechtsseitige
Mastitis auf, 31/a Jahre später trat gelblich-weißes Sekret aus der linken
Mamma auf. Eine neue Gravidität endete mit Abort, Eine Woche
später zeigte sich ein erst hellbrauner, später rein blutiger Ausfluß aus
der linken Brustwarze, der jetzt 3!/2 Jahre andauert. Mikroskopisch
reines Blut mit spärlichen Colostrumkörperchen. Beide Brüste stark ent-
wickelt, linke größer als rechte, fühlen sich sonst ganz normal an. Car-
cinom oder Cyste auszuschließen. Nach Ansicht des Vortragenden handelt
es sich um einen Katarrh der Brustdrüse, wobei blutige Flüssigkeit in
die erweiterten Milchgänge ausgeschieden wird. Therapeutisch Hoch-
binden und mäßige Kompression. Hirsch (Straßburg i. E.)
Wien. _
K. k. Gesellschaft der Aerzte. Sitzung vom 7. Juni 1912.
H. Sprinzels führt einen 17jährigen Knaben mit echtem
Zwergwuchs und einem. kalkhaltigen Tumor in der Gegend
der Hypophysis vor. Der Kuabe hat im dritten Lebensjahr einen
Sturz erlitten, worauf er durch einige Zeit Krampfanfälle hatte. Vom
fünften Lebensjahr an sistierte das Wachstum; der Knabe ist 106 cm
hoch und proportioniert gebaut. Die Haut ist trocken und an manchen
Stellen abschilfernd, die Thyreoidea ist nicht zu fühlen, am Stamm finden
sich ausgedehnte Venennetze, das Genitale ist hypoplastisch, die Be-
haarung schwach. Die Intelligenz ist ungestört. Patient hat manchmal
geringen Kopfschmerz, großen Durst und Intoleranz gegen Alkohol, Die
Epiphysenfugen sind offen, das Skelett ist auf dem Ossifikationsstadium
eines fünfjährigen Kindes stehen geblieben. Die Sella turcica ist erweitert
und von einer schattengebenden Masse ausgefüllt; vielleicht ‚handelt es
sich um ein kalkhaltiges Teratom. Dieser Tumor hat zu einer Raum-
beengung in der Gegend der Hypophyse geführt und letztere wahrschein-
lich komprimiert. Die Papille des Sehnerven ist abgeblaßt, der Visus ist
normal. Außerdem besteht Diabetes insipidus; Patient entleert pro Tag
3 bis 4 1 Harn ohne pathologische Bestandteile.
A. Biedl bemerkt, daß der Fall ein Hypophysentumor ist,
es fehlen jedoch Hirndruckerscheinungen und Kopfschmerz fast vollstän-
dig, wahrscheinlich deshalb, weil der Schädel noch nicht ver-
knöchert ist. Die Wachstumshemmung weist auf eine mangelhafte
Funktion des Torderlappens der Hypophysis hin, wahrscheinlich infolge
von Kompression durch den Tumor. Es ist nicht anzunehmen, dab er
von dem Vorderlappen ausgeht, weil dies eine Steigerung des Knochen-
wachstums (Akromegalie) hervorrufen würde. Der Diabetes insipidus
dürfte auf eine Reizung der Pars intermedia der Hypophyse zu beziehen
sein, da das Extrakt dieses Teiles diuretisch wirkt und durch Reizung
der Pars intermedia Polyurie hervorrufen wird. Bei der Dystrophia
adiposogenitalis handelt es sich um eine Funktionseinschränkung der Pars
intermedia. Hypogenitalismus findet sich in diesem Falle wie auch bei
Akromegalie Eine Hyper- und Hypofunktion des Genitales gehen mit
Veränderungen der Hypophysis einher und umgekehrt. Die Therapie
könnte in der Entfernung des Tumors bestehen, doch dürfte sich Patient
dieser Operation kaum unterziehen, da er gar keine krankhaften Sym-
ptome verspürt. Eine Behandlung mit dem Extrakt der ganzen Schild-
drüse ist nicht anzuraten, weil durch dieses auch die Pars intermedia ge-
reizt würde. Es wird der Versuch gemacht werden, nur das Extrakt des
Vorderlappens der Hypophyse allein zu verwenden.
J. Pál möchte die Ursache der Polyurie nicht unbedingt in einer
Erkrankung der Hypophysis suchen; er hat in einem Falle Polyurie ohne
Affektion der Hypophysis beobachtet; es handelte sich um einen Tumor
an der Schädelbasis. Er hat einen Fall von Osteomalacie mit dem Ex-
trakt des Vorderlappens der Schilddrüse behandelt; die seit drei Jahren
bettlägerige Patientin wurde binnen einer Woche bewegungsfähig. In
einem andern Falle wurde durch die gleiche Therapie ein Aufhören der
Schmerzen bei Osteomalacie erzielt.
A. v. Eiselsberg weist darauf hin, daß die Operation in dem
vorgestellten Falle sehr schwierig wäre, weil die Sella tureica sehr dicke
Wände hat.
A. Biedl betont, daß in der Pathogenese des Diabetes insipidus
alles auf eine Erkrankung des Hinterlappens der Hypophysis als die Ur-
sache hinweist. Es handelt sich nicht um eine Destruktion, sondern um
eine Hyperfunktion der Pars intermedia. In einem Falle von Minkowski
wurde diese Hyperfunktion durch Reizung seitens einer in der Nähe der
Hypophysis steckengebliebenen Kugel hervorgerufen.
A. v. Eiselsberg stellt einen 13jährigen Knaben mit congeni-
talem Myxödem vor. Patient hat ein Gewicht von 14,5 kg und die
Größe eines fünfjährigen Kindes, die Haut ist trocken und schuppend,
die Extremitäten sind plump, die Schilddrüse ist nicht zu tasten, der
Nabel ist etwas vorgewölbt. Patient zeigt ein Kretinengesicht, ist höchst
indolent und besitzt nur eine minimale Intelligenz. Die Epiphysenfugen
sind offen und die Ossifikationsverhältnisse sind ähnlich wie bei einem
Kinde im ersten Lebensjahre. Die Therapie wird in der Darreichung von
Thyreoidea bestehen; vielleicht wird ein Stück von Schilddrüse in den
Körper des Patienten eingeheilt werden.
R. Bauer: Die Prüfung der Leberfanktion mittels der Probe
auf alimentäre Galaktosurie. Die Probe auf alimentäre Galakto-
surie ist positiv bei folgenden Erkrankungen: bei atrophischer
und hypertrophischer Cirthose der Leber, bei Icterus catarrhalis und in-
fectiosus, bei Phosphorvergiftung und akuter gelber Atrophie der Leber,
bei Cirrhose cardiaque und Cirrkosis carcinomatosa, bei tuberkulöser Fett-
leber, oft bei Lues cecundaria, in geringerem Grade bei seltenen Fällen
von allgemeiner Hypoplasie und seltenen Fällen von Basedow; bei diesen
letzten Krankheitsgruppen besteht dann neben alimentärer Galaktosurie
auch alimentäre Dextrosurie. Dagegen fällt die Probe stets negativ
aus: bei allen Neubildungen in der Leber, wie Careinommetastasen,
Gummen, Echinokokken, Absceß, bei Stauungsleber,. Cholelithiasis und
allen Formen von Stauungsikterus, bei perihepatitischen Prozessen, ferner
bei allen andern Erkrankungen, an denen die Leber beteiligt ist. Mit
diesen Resultaten der Probe auf alimentäre Galaktosurie vergleicht nun
Vortragender die andern Methoden zur Funktionsprüfung der Leber, die
bis auf die alimentäre Lävulosurie erst nach der B.schen Methode ent-
standen sind. Vortragender hebt hervor, daß die Verminderung der Harnstoff-
ausscheidung und Vermehrung der Ammoniakausscheidung bei Leber-
krankheiten keineswegs genug konstant sind, um für die Funktions-
prüfung verwertet zu werden. Die Prüfung auf alimentäre Lävulosurie
hält B. für eine durchaus brauchbare Methode. Sie gestattet aber keine
so genaue Unterscheidung der einzelnen Arten der Lebererkraukungen und
ist auch bei klinisch Lebergesunden öfter positiv; auch läßt sie sich
schwer an einer größeren Reihe von Fällen durchführen, da nur allzu oft
Erbrechen und Abführen eintreten. Er glaubt, daß die Methode der ali-
mentären Galaktosurie die einfachste und zurzeit besterprobte Funktions-
methode der Leber ist und hofft, daß durch diese Methode, eventuell in
Vereinigung mit andern Methoden, die Pathologie und Diagnostik der
Leberkrankheiten wesentlich werden gefördert werden.
H. Pollitzer} bemerkt, daß es zwei Typen von Gtalaktosurie
gibt: 1. die isolierte Galaktosurie, welche meist ohne organische Ver-
änderungen der Leber vorkommt und in manchen Fällen wertvolle Ergeb-
nisse liefern kann, 2. die Galaktosurie kann mit Intoleranz für alle andern
Kohlehyärate verbunden sein. Die Galaktosurie scheint kein charakteristi-
sches Symptom einer organischen Läsion der Leber zu sein.
Berlin.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde. Sitzung vom 6.Mai1912.
Külbs: Experimentelle Studien über die Funktion des Magen-
darmkanals (mit Lichtbildern).. K. spricht über Nahrungsaufnahme und
Magenfunktion bei Tieren. Seine ersten experimentellen Untersuchungen
(Zt. f. kl. Med., Bd. 73) hat er erweitert mit folgenden Resultaten: Das
Anpassungsvermögen der Tiere an eine Ernährung in größeren Inter-
vallen ist offenbar ein sehr gutes. Katzen z. B. bleiben sehr lange Im
Körpergewichtsgleichgewicht auch wenn man sie jeden zweiten, dritten
oder vierten Tag ernährt. Eine gewisse Regelmäßigkeit in den Inter-
vallen, in denen man den Tieren Nahrung anbietet, scheint notwendig zu
sein, denn bei größeren Unregelmäßigkeiten sieht man oft unter rapidem
Gewichtsverlust die Tiere sterben. Bietet man Katzen zweimal täglich
größere Nahrungsmengen an, so fressen sie erheblich mehr als in der
Vorperiode bei einmaliger Nahrungsaufnahme. Dabei nimmt das Körper-
gewicht oft nicht zu, sodaß man von Luxuskonsumption sprechen kann.
Saul: Beziehung der Acari zur Geschwulstätiologie. Vor-
tragender hat den vor zwei Jahren mitgeteilten Befund von Acari einer
unbekannten Art in menschlichen Tumoren weiter untersucht, Er hebt
die Schwierigkeit der Untersuchung hervor, eine Identifizierung der Art
der Milben in mikroskopischen Schnitten ist unmöglich. Unter sechs
Tumoren hat er nun in Serienschnitten in zwei Mammacareinomen Acari
gefunden, die sich von der Demodexart unterscheiden. In einem weiteren
Falle waren Acaruseier zu konstatieren. In Mäusetumoren wurden von
ihm ebenfalls Acari festgestellt.
Sitzung vom 20. Mai 1912.
Wolft-Eisner und Ingenieur Voigt: Ueber Röntgenschnell-
aufnahmen des Thorax und ihre diagnostische Bedeutung. Vortragen
der hat seit einigen Jahren die Verwertbarkeit der Röntgenographie für
die Diagnose der Lungentuberkulose durch Kombination mit der klinisch-
physikalischen, specifischen, bakteriologischen und pathologisch - anato-
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mischen Untersuchung geprüft und-ist dabei zu dem Resultat gekommen, | Weise, daß sie die im Biut beziehungsweise im. Organismus enthaltenen
i pathologischen Giftstoffe zur unter Umständen nur mikroskopisch oder
methoden sehr wertvoll ist. Einen Tuberkel. auf der Röntgenplatte zu ultramikroskopisch zu ‚konstatierenden ‚Ausflockung.. bringen.. Ebenso
erkennen, ist unmöglich, auch auf an Leichen gemachten Aufnahmen. | wie Lösungen .kolloidaler Metalle (Silber. z..B.) in grobkörniger Suspen-
‚Letztere -gind leichter zu beurteilen als am ‚Lebenden hergestellte Platten, | sion unwirksamer als. in feinkörniger sind,. so werden Krankheitsstoffe
weil die Leichenlunge. luftleer ist und die Circulation. fehlt. Um die | wie Toxine durch Aggregation. zu größeren Molekülen ungiftiger. Vor-
tragender. führt die Vorgänge beim Entgiftungsprozesse nicht auf che-
meiden, muß man sich der Momentaufnahme bedienen. Lungenspitzen |. mische Verbindung des Toxins mit dem- Antitoxin zurück, sondern auf
können wegen des geringen Gefäßreichtums länger exponiert werden und | ein Ungiftigwerden, der Toxine durch ‚Vergrößerung der .Teilchengröße.
l Der in der Farbenlehre und Histologie schon längst bekannte elektro-
Schlüsselbeins aufzunehmen. Wichtig ist die Radiographie besonders für physikalische Gegensatz zwischen Farbstoff. und Beize,.. sowie dem zu
‚die Diagnose centraler Empyeme und pneumonischer. Herde und tuber- | färbenden oder zu beizenden Substrat findet auch entsprechende. Anwen-
kulöser und ‚bronchiektatischer Kavernen.. Die Lungenzeichnung wird | dung in der Pharmakologie. Säuren wie Salicylsäure, Aspirin usw. wirken
durch die. Blutgefäße bewirkt. Der Hilusschatten, der auch. unter. nor- | nur auf basische oder kationische Krankheitsstoffe, Basen, wie z. B. das.
malen Bedingungen sichtbar ist, spricht nicht immer für Tuberkulose. | Pyramidon, Antipyrin usw., dagegen nur auf saure oder anionische Krank-
Nützlich erweist sich die Röntgenplatte zuweilen zur Sicherung. der Ge- | heitsstoffe. Vorteilhaft kombiniert man deshalb wegen dieses Dualismus
sundheit der einen Seite bei Anwendung des Forlaninischen Eingriffs | z. B. das Salvarsan mit Jod und Quecksilber, in der Mundhygiene Rhodan
und zur Diagnose der mit geringen objektiven Symptomen einhergehenden | oder Chlorsäurs mit Calcium oder. Alaun usw. Dieser Dualismus er-
| | | streckt sich auch auf die Infektionserreger selbst, sodaß je nach ihrer
,.. Diskussion: Levy-Dorn betont, daß gute Lungenplatten in | Wanderungsrichtung zur Anode oder Kathode die einen oder die andern
tiofster Inspiration autgenommen werden müssen und daß schon aus | Arzneimittel in Frage kommen. nn | l
, Vortragender bespricht dann optimale Arzneiwirkungen und die
Frage der Specifieität. Der von Bürgi in die moderne Pharmakologie
and. es besteht oft Oedem. Daher eignet sich die Autopsie und Biopsie eingeführten Verwendung gemischter Medikamente stimmt er. bei.
viel besser zur Kontrolle der Röntgenplatte als die an der Leiche ge- | Er erörtert ferner unter anderm ‚den Einfluß von Tannin auf Alkaloid-
machte Aufnahme. | l Ku lösungen und die durch eigene eingehende Untersuchungen festge-
Traube (a. G.): Ueber Arzneimittel und Gifte. Die meisten | stellte Verstärkung von Alkaloidwirkungen durch Zusatz minimaler
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Arzneimittel (J odkali, Aspirin, Salipyrin, Sublimat usw.) wirken in der | Alkalimengen. K. R.
| Rundschau.
Redigiert von Dr, Erwin Franck, Berlin.
(Zürich). Auch zahlreiche Vertreter von Oberversicherungsämtern, von
Behörden und ‚Berufsgenossenschaften nahmen an’ den Sitzungen teil. `
Von den einzelnen Disziplinen, die für die soziale Medizin in
Betracht kommen, genoß entsprechend der vorher festgesetzten Tages-
ordnung diesmal die Chirurgie den Vorzug. Frakturenbehandlung
(Bardenheuer—-Köln), Arthritis deformans (Ledderhose und Gräßner),
Stumpfbildung und Stumpfkrankheiten (Cramer und Wette—Köln)
führten zu bemerkenswerten Auslassungen. Auch das Röntgenbild
wurde mehr, als dies bisher wohl der Fall gewesen war, zur Beweis-
führung herangezogen. Die Beziehungen zur inneren Medizin, kamen in
der Berücksichtigung der Gewerbekrankheiten (Curschmann—Bitter-
feld, Bernacchi—Mailand), sowie in dem wichtigen Referat über Gef ä B-
krankheiten. und Unfall (Rumpf und Hoffmann) und über Sektions-
_ befunde bei Erkrankungen der Gefäße (L. Feilchenfeld—Berlin) zum Aus-
druck. Der letzte. Tag brachte schließlich neben Vorträgen über Muskel-
maße und. ihrer Ueberschätzung (Erwin Franck), Schwielen-
bildung (Bettmann— Leipzig), Links- und Rechtshändigkeit
(Marcus—-Berlin) interessante Ausführungen über Verwendung von Pro-
‚thesen in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (Ebel— Königs -
berg), sowie über die Untersuchung nervöser Verletzter
‚XSchuster—Berlin).. Mehr legislatorische Themata (Unfallgesetzgebung
der einzelnen Staaten und ihre Abweichungen), wie solche am ersten Tage
wiederholt hervorgetreten waren, dürften in Zukunft besser zurückgestellt
werden, da sie dem eigentlichen Zwecke des mehr praktische Ziele ver-
folgenden Kongresses weniger entsprechen. eo
Es sei hier auch ein Hinweis auf die bedeutungsvolle Ansprache des
Präsidenten des Reichsversicherungsamts, Dr. med: he. Kauf mann, nicht
vergessen: „Die deutsche Aerzteschaft und das Deutsche Reichsversiche-
‚rungsamt verknüpfen durch vielseitige langjährige Beziehungen gefestigte
Bande der Wertschätzung und des Vertrauens. ..... Die weitverzweigten
Wohlfahrtsbestrebungen der Organe der Arbeiterversicherung haben für
"Soziale Hygiene.
Vom 3. Internationalen Medizinischen Unfallkongreß zu Düsseldorf
| 6. bis 10. August 1912.
Es bleibt immer eine interessante und anregende Fahrt von Berlin,
dem politischen Herzen Deutschlands hinaus nach dem Westen, dem
Zentrum der -physischen Arbeit, dem. Mittelpunkte von Handel und
Industrie. Ward die uralte Völkerscheide der Porta Westfalika erreicht,
so treten die grünen Fluren, die reifenden Getreidefelder mehr und mehr
zuräck und an ihrer Stelle erheben sich Fabriken, Zechen und Essen
mit weitaufloderndem Schein die. Nacht ferfüllend. So geht es über
Weichen und Kurven, durch Städte und Vorstädte, die in ihrer Häufung
zuletzt ohne merkliche Unterbrechung einander folgen. Das. ist das
„Armeekorps der Kohle“ und an seiner Spitze steht Krupp, die
Stätte nunmehr 100jähriger Arbeit, der gesamten gerüsteten Welt ein
Wahrzeichen deutscher Schaffenskraft . ... .
Kaum könnte es einen geeigneteren Uebergang geben von dieser
Zentralisation der Arbeit zu jener großzügigen Tagung in Düsseldorf als
medizinisch-wissenschaftlicher Ausdruck der internationalen Fürsorge, die
seit nunmehr 25 Jahren der Arbeiter aller Kulturstaaten genießt.
So waren es nicht weniger als 25 Staaten mit etwa 100 Mitgliedern,
voran Franzosen, Oesterreicher, Russen und Holländer, dis der 3.. Inter-
nationale Unfallkongreß in Düsseldorf zusammengeführt hatte, eine recht
ansehnliche Zahl und zugleich ein Beweis dafür, daß auch. außerhalb
Deutschlands die Bedeutung :der sozialen Gesetzgebung von Seiten der
Aerzte in immer steigendem Maße gewürdigt wird. Es geschah zuerst
189 in Wien, daß sich gelegentlich der Naturforscherversammlung eine
zahl von Vertretern - der Versicherungsmedizin zu einer besonderen
Unterabteilung zusammenschlossen. 1906 erweiterte sich dieser. Kreis
zum I. Internationalen Medizinischen Unfallkongreß in Lüttich, dem der
zweite {909 in Rom folgte. In Düsseldorf erreichte der Kongreß dann
-cno größte bisher beobachtete Besuchsziffer und es soll daraufhin auch Fungsan
er nächste, IV. Internationale Medizinische Unfallkongreß bereits im | geschaffen. Angesichts dieser Entwicklung bin ich bemüht, unser Ver-
September 1914 zu Paris abgehalten werden. hältnis zu den Aerzten in Zukunft noch inniger zu gestalten. Ich ver-
| Mit Recht konnte der derzeitige. Präsident, Professor Thiem, | handle deshalb zurzeit mit einem der angesehensten Vertreter Ihres
Kottbus, somit hervorheben daß auch diese Veranstaltung aus ihren |. Standes darüber, wie für das Reichsversicherungsamt ein ständiger
nderschuhen, dem Stadium mehr kasuistischer Beiträge, nunmehr | Beirat von hervorragenden Aerzten zu bestellen sei......“
ausgöwachsen wäre und einen streng wissenschaftlichen Charakter an- |. Damit dürfte dann ein langgehegter Wunsch der deutschen Aerzteschaft
(ouommen habe, Hierfür sprachen auch die Namen der in Düsseldorf | in Erfüllung gehen. Wie. alsbald bekannt wurde, ist Geheimrat His
' Anwesenden, hervorragenden deutschen und ausländischen Gelehrten, wie (Berlin) für diese Stelle in erster Linie in Aussicht genommen.
Uoas Championniöre. (Paris), Ledderhose (Straßburg), Barden- Daß die Stadt Düsseldorf sich den Kongreßteilnehmern von
“uor (Köln), De Marbaix (Antwerpen), Rumpf(Bonn), Hoffmann und | ihrer vorteilhafteten Seite zeigte, bedarf wohl keiner Versicherung. Gerade
übarse (Düsseldorf), Höftmann und Puppe (Königsberg), Bum | die letzen Jahre trugen zu ihrer Verschönerung und Ausgestaltung auch
i ten) und Andere mehr. Diese neben den Altmeistern und Begründern | in sozialer Hinsicht viel bei. Die hier stattfindende umfangreiche Städte-
t Unfallkande, L. Becker (Berlin), Thiem (Kottbus) und Kaufmann | ausstellung gleich einer reichbeschickten Gemäldesammlung älterer jund
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1372
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 33.
18. August,
neuerer Meister boten ihrerseits viel Interessantes. Die Organisation des
Kongresses, die in der Hauptsache in den Händen des nimmermäden,
stets zuvorkommenden Landesmedizinalrats Prof. Liniger (Düsseldorf)
lag, hatte alles aufs beste vorbereitet, Frau Prof, Liniger wiederum
und „the little Liniger“ übernahmen es, den zahlreich anwesenden Damen
der Kongreßteilnehmer fern von Unfall und Begutachtung auf dem Pfade
des Kunst- und Naturgenusses als liebenswürdige Führerin zu dienen.
Es wurde auf dem Kongreß fleißig gearbeitet, die Sitzungen waren
stark besucht und das französische Idiom wechselte mit dem deutschen
bei den Vorträgen, wie gelegentlich der Debatten im ganzen gleichmäßig
ab. Der große Saal der Tonhalle mit seiner ausgezeichneten Akustik
erwies sich dabei als besonders geeignet für Veranstaltungen dieser Art-
So vergingen die Tage nur zu rasch. Neben vielfacher praktischer An-
regung boten sie den einzelnen Vertretern der sozialen Medizin vor allem
Gelegenheit zu ergiebigem Meinungsaustausch und zu der für eine frucht-
bare Fortarbeit nicht unwichtigen Anknüpfung persönlicher Beziehungen.
Als der Kongreß sich seinem Abschlusse näherte, drang von dem
benachbarten Bochum her die Kunde von dem schweren Gruben-
unglück, das der Unfallverhütung insbesondere neue, schwerwiegende
- Aufgaben stellen dürfte. Mit großer Genugtuung wurde alsdaun davon
Kenntnis genommen, daß es dem raschen Eingreifen des Präsidenten des
Reichsversicherungsamts, Dr. Kaufmann, in Verbindung mit der be-
teiligten Knappschafts - Berufsgenossenschaft gelungen war, das Entschä-
digungsverfahren für die Hinterbliebenen se zu beschleunigen, daß bereits
am dritten Tage nach dem Unfall die Anweisung der Hinterbliebenen-
rente erfolgen konnte. Da es sich hier um insgesamt 74 Witwen mit
214 Kindern handelt, eine durch die Schnelligkeit der Ausführung in
hohem Maß anzuerkennende Leistung und wie kaum eine andere geeignet
die Segnungen der sozialen Gesetzgebung gelegentlich solcher elementarer
Massen- Unglücksfälle nachdrücklich zu erweisen.
Auf Wiedersehen in Paris!, lautete der AbschiedsgrußB Es steht
zu erwarten, daß dank der Initiative des zukünftigen Präsidenten, Prof.
Lucas Championniöre (Paris) die Tagung von 1914, in welcher wieder
mehr Fragen der inneren Medizin behandelt werden sollen, sich nicht
weniger fruchtbar und glänzend gestalten wird. Erwin Franck.
Literarische Hilisarbeit — ein neuer Spezialberuf
von
Oberstabsarzt a. D. Hermann Berger,
Leiter der „Medizinisch-literarischen Zentralstelle“ in Berlin-Friedenau.
Das Lied von dem übermächtigen Anwachsen der Literatur wird
heute so viel gesungen, daß es als allgemein bekannt vorausgesetzt werden
darf und daß hier nur ein Hinweis auf die Ausführungen der zahlreichen
Autoren, welche zu dem Thema das Wort ergriffen haben — Oppen-
heimer, Abderhalden, Boas, Hirschfeld, Payr, Ruediger,
Tugendreich, Vierordt — genügen dürfte. Es fehlt auch nicht an
Versuchen zu Abwehrmaßnahmen: Die „Brücke“ in München; die „Inter-
nationale Union zur Förderung der Wissenschaften“ in Berlin-Brüssel;
das „Institut international de Bibliographie“ in Brüssel haben sich diese
Aufgabe für alle Gebiete der Wissenschaft gestellt. In der Medizin
ist in erster Reihe Abderhaldens Riesenfeldzug für die Zentralisierung,
des Referatenwesens zu nennen; sind die Bemühungen Magnus-Levys
um Verbesserung der Inhaltsverzeichnisse, diejenigen Joachims um Verein-
heitlichung des Zitierverfahrens hervorzuheben; die in der Gründung be-
griffene „Medizinische Vereinigung für Sonderdruckaustausch* gehört
hierher; und vor allem arbeiten die Redaktionen führender Zeitschriften
unermüdlich in dieser Richtung, und die „Freie Vereinigung der
deutschen ....“ wie die „Internationale Vereinigung der medizinischen
Fachpresse“ leihen den Bestrebungen ihre Unterstützung.
Und doch kein rechter Erfolg! Die oben zuerst genannten Ein-
richtungen haben eben, nicht frei von Schwärmerei, ihre Angriffsflächen
viel zu ausgedehnt gewählt, und die auf medizinischer Seite ergriffenen
Maßnahmen behandeln nur symptomatisch und greifen von allen Sym-
ptomen nur einzelne heraus. Den Bestrebungen aber, welche wirklich
dem Grundübel zu Leibe gehen wollen, stellt sich, teils passiv teils aktiv
wirkend, der Widerstand jener aus den einflußreichsten Vertretern der
Wissenschaft bestehenden Kreise entgegen, welche sich nicht entschließen
können, unsere Ohnmacht in der Literaturbemeisterung offen zu bekennen:
Auf der an sich vollberechtigten Anschauung fußend, daß das Selbst-
studium der Literatur ein unbedingtes Erfordernis der wissenschaftlichen
Weiterbildung sei, unterdrücken sie den Mut des Bekenntnisses, daß die,
Zeiten ein für allemal vorüber sind, in denen der einzelne neben seiner
eigentlichen Berufsarbeit die Literatur selbst beherrschen konnte.
Selbstverständlich soll der Arzt lesen; aber es soll ihm
nicht mehr zugemutet werden, sich das Losenswerte sebst
` eines speziell geschulten Führers, eines literarischen Spezialbeirats,
welcher ihm außerdem bei der Ausführung seiner literarischen Arbeiten
mit seinen besonderen Kenntnissen und Fertigkeiten zur Seite steht. In
ungezählten Fällen wird schon jetzt die literarische Hilfserbeit auf Hilfs-
kräfte übertragen; aber es geschieht dies fast ausschließlieh unter der
Hand, häufig ganz im Stillen; zumeist an Aerzte, die sich aus äußeren
Gründen in der Lage sehen, die Last der literarischen Hilfsarbeit den-
jenigen Kollegen abzunehmen, welche sich dieser — angeblich meist eben-
falls aus äußeren Gründen — entledigen wollen. ;
Folgende drei Gruppen sind es, welche unter heutigen Verhält-
nissen das Gesammtgebiet der literarischen Hilfsarbeit umfaßt: 1. Die
für die Oeffentlichkeit bestimmte Berichterstattung über die literarischen
Neuerscheinungen: Bibliographie; Referatenwesen. 2. Die Berichterstattung
für einzelne: Literarische Auskünfte; Literaturzusammenstellungen. 3. Die
Hilfsarbeiten im engeren Sinne: Uebersetzungen; tabellarische Ueber-
sichten — beide, insofern sie nicht in der Form selbständiger wissen-
schaftlicher Arbeiten publiziert werden —; Um- und Ausarbeitungen
Sachregister; Korrekturen und ähnliches.
In Form der „Medizinisch-literarischen Zentralstelle“
habe ich nun den ersten Versuch gemacht, einen festen Mittel- und Stätz-
punkt für das ganze Feld der literarischen Hilfsarbeit zu schaffen; in-
dessen mache ich kein Hehl daraus, daß ich das Institut in seiner
jetzigen Gestaltung nicht für die endgültige Lösung der Frage halte.
Wohl dürfen wir mit Befriedigung auf unsere bisherige Tätigkeit zürlick-
blicken, da wir so manchem Arzt im kleinen Städtchen aus örtlichen
Gründen und so manchem vielgeplagten Praktiker und Kliniker aus der Not
geholfen haben; wohl dürfen wir ung auch rühmen, in einigen Fällen An-
regungen von Forscher zu Forscher ausgetauscht zu haben; und mit
Freuden werden wir uns dieser Einzelarbeit auch weiterhin unterziehen.
Aber daß unser Institut meinem Endzwecke, der Sanierung des wissen-
schaftlich-literarischen Verkehrs im großen, in seiner jetzigen Gestalt
nicht gewachsen ist, darüber gebe ich mich keinem Zweifel bin. Für
diesen großen Endzweck fehlen uns die Mittel — die Beziehungen —
der Einfluß! Wohl aber kann unsere „Medizinisch-literarische Zentral-
stelle“, die Vorläuferin einer vollkommenen Lösung jener Aufgabe sein,
und darum sei es mir gestattet, in weiten Umrissen die Gestalt der end-
gültigen Zentralstelle für den medizinisch-literarischen Verkehr zu zeich-
nen, wie ich sie mir denke. .
Leitende Grundsätze: Die Zentralstelle soll nicht herrschen
wollen, sondern dienen, helfen und raten; soll nichts gewaltsam umstoßen
oder einführen wollen; soll den Leitgedanken stets vor Augen haben,
daß auch die literarische Hilfsarbeit zu der wissenschaftlichen Betätigung
gehört, welche Unabhängigkeit des Denkens und Handelns für sich be-
anspruchen darf und welche eine Vereinheitlichung nur in den Grenzen
zuläßt, die das selbständige Urteil des einzelnen Arbeitenden anerkennt;
sie soll daher mit allen Aerzten, welche sich auf unserm Gebiete be-
tätigen, Fühlung nehmen, von ihnen lernen, wie sie diese anderseits
fördern soll durch Heranziehung zur Mitarbeit, durch Befruchtung mit
ihren Beobachtungen, Erfahrungen und Studien, in erster Linie aber durch
vorbildliches Wirken im Einzelfalle.
Organisation: Das wissenschaftliche Personal soll aus einem
Arzt als Institutsleiter und je zwei Aerzten für die oben genannten drei
Arbeitsgruppen bestehen. Die doppelte Besetzung der Gruppen soll die
Zentralstelle in den Stand setzen, einerseits ihre Mitglieder zu speziellen
Studien abzuordnen, anderseits etwaigen Wünschen von Forschern, In-
stituten usw. nach Zuteilung eines literarischen Spezialassistenten für
einen bestimmten Fall auf längere Zeit nachzukommen, ohne daß der
Innenbetrieb gefährdet wird. — Als Hilfsarbeiter von Fall zu Fall muß
jeder geeignete Arzt willkommen sein unter Verantwortlichkeit der Zentral-
. stelle für jede Arbeit.
Der Leiter und die sechs Gruppenärzte sind mit festem, nach
Dienstalter ansteigendem Gehalte zu besolden; die Hilfsarbeiter für jede
einzelne Leistung ihrem ärztlichen Stand angemessen, nicht nach Spar-
samkeitsgrundsätzen zu honorieren. Wohl aber soll Sparsamkeit bei der
Ausstattung mit Räumen und Einrichtung walten. Insbesondere bedarf
die Zentralstelle nur einer, den alltäglichen Bedürfnissen genügenden
Handbibliothek. Weitergehendes, ehrgeiziges Streben in dieser Richtung
würde zur weiteren Zersplitterung der den Bibliotheken dienenden Mittel
führen und doch nur unvollkommenes erreichen. Dagegen ist engste.
Anlehnung an alle vorhandenen staatlichen und privaten Bibliotheken un-
erläßlich. ya p. 2
Jeder Auftrag, sofern er wissenschaftlichen Zwecken dient, ist
willkommen. Seine Ausführung erfolgt gegen Bezahlung; es muß aber.
der Zentralstelle gestattet sein, in bestimmten Fällen eine Befreiung YOR
der Bezahlung eintreten zu lassen. Die Honorarsätze müssen mäßig. sein.
— ein Grundsatz, der sich unbeschadet der angemessenen Honorierung
herauszusuchen! Sondern um das richtige zu finden, bedarf er heute]. der Hilfsarbeiter infolge der. festen Besoldung der Gruppenärzte..durch-
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| 18, August.
führen läßt: (während unsere „Medizinisch-literarische Zentralstelle“ jedes
Honorar in einer Höhe liquidieren muß, welche der Leistung des Be-
arbeiters in Ansehung seines ärztlichen Standes entspricht). - Aus den
Arbeitserträgen ` sind in erster Linie die Honorare der Hilfsarbeiter, in .
zweiter Anschaffungen, Studienreisen und ähnliches zu bestreiten. —
Alle laufenden Unkosten müssen zunächst unabhängig von den Arbeits-
erträgen sichergestellt sein. BR
In engster Verbindung mit dem Hauptinstitut müssen im Laufe
der Zeit Neben-Zentralstellen (etwa an jeder Universität eine) und Parallel-
institute im Ausland enstehen und lebhaftesten Austauschverkehr, auch
in persönlicher. Beziehung, miteinander pflegen.
— — — Dies in großen Zügen meine Vorstellungen von der end-
gültigen Gestaltung einer Zentralstelle für den wissenschaftlich-
literarischen Verkehr! Wer mit mir der Meinung ist, daß ein solches
Gefüge das geeignete Stützgerüst - für- die Organisation der literarischen
Hilfsarbeit als eines neuen Sonderberufs abgeben kann, dem stelle ich
mich zu gemeinsamer Arbeit zur Verfügung!
Gewerbe-Hygiene.
Gefahren der Nickelbearbeitung.
Das Nickel, früher ein nur wenig gebrauchtes Metall, findet seit
etwa zwei Jahrzehnten eine immer ausgedehntere Verwendung sowohl in
fast reinem Zustand, wie auch als Metallüberzug. Die Vernicklung von
allerhand Gebrauchsgegenständen ist somit eine bedeutende Industrie ge-
worden. Leider hat sie auch ihre besondere Berufskrankheit gezeitigt,
‚die in einem recht unangenehmen -Hautleiden besteht. Die Arbeiter
können es kaum vermeiden, mit der Flüssigkeit des Nickelbades in Be-
rührung zu kommen, und diese führt zur Entstehung einer Hautflechte,
die als Nickelflechte oder auch wegen ihrer Aehnlichkeit mit der
Krätze als Nickelkrätze bezeichnet wird. Natürlich tritt sie haupt-
sächlich an den Händen und den Unterarmen auf und kann zu einer
vorübergehenden oder gänzlichen Arbeitsunfähigkeit führen. Die Anfällig-
keit für die Nickelflechte wird bei den Arbeitern noch besonders gesteigert,
sobald sie die betreffenden Metallhüllen durch Behandlung mit Alkalien von
Fett reinigen müssen, wodurch bereits ein Reiz auf die Haut ausgeübt wird.
Wie bei den meisten Krankheiten zeigt sich auch hier die Erscheinung;
daß die einzelnen Personen in verschiedenem Grade für die Nickelflechte
empfindlich sind, viele.scheinbar überhaupt nicht. Als Mittel gegen diese
unangenehmen Folgen hatte man bisher nur das Tragen von langen Gummi-
handschuhen angeordnet, die sieh aber nicht bewährt haben, zumal die
Arbeiter gegen ihren Gebrauch eine starke Abneigung äußern. Neuer-
dings sind dann besondere Seifen und Salben, wie Colderöme und Vase-
line empfohlen worden, die’nicht nur die bereits entstandene Nickel-
flechte rasch heilen, sondern auch einen Schutz gegen die Entstehung
dieser Krankheit zu gewähren scheinen. Ferner ist peinliche Sauberkeit
und ‚häufiges Waschen sowie vor allem gutes Abtrocknen der Hände
(Handtächer. aus sogenanntem Kräuselstoff) sehr geraten. In den Ver-
nicklungsanstalten müssen dementsprechend den Arbeitern gute Wasch-
gelegenheiten nebst Seife und Handtüchern zur Verfügung gestellt werden.
Die Nickelflechte heilt meist innerhalb von acht Tagen ab, so-
bald der Befallene eine andere Beschäftigung erhält und die angeführten
Nittel gebraucht. Somit kann diese Erkrankung nicht als eine bedenk-
liche angesehen werden, da sie leicht vermeidbar, vollkommen heilbar ist
und von allen Betroffenen ohne weitere Schädigung der Gesundheit er-
tragen wird. Man darf auch mit Sicherheit annehmen, daß die Zahl der Er-
krankungen sich bald vermindern wird, sobald die Fabriken erst zur An-
wendung mechanischer Reinigungsverfahren übergegangen oder so weit
gekommen sind, die Entfettung der zu vernickelnden Gegenstände auf
elektrolytischem Wege zu bewirken. In solchen Fabriken ist schon jetzt
die Nickelflechte. völlig verschwunden. Da diese Einrichtungen indessen
sehr kostspielig sind, so werden sie fürs erste in kleineren Betrieben
nicht eingeführt werden können und. nur den größeren Fahrradfabriken
und Vernicklungsanstalten zugänglich bleiben.
Hinsichtlich des Umfangs, den die Nickelflechte bisher ge-
wonnen hat, macht der Königliche Gewerbeinspektor Schultz (Fulda) 1)
Se Angaben. Damals. wurden im Landespolizeibezirke Berlin von den
velsärzten zehn Erkrankungen festgestellt. In elf Vernicklungsanstalten
ia zusammen 50 Arbeitern mußten zwei jugendliche und zwei erwachsene
in wegen wiederholter Erkrankung die Arbeit aufgeben. Zwölf
eh > e Arbeiter im Alter von 16 bis 28 Jahren erkrankten vorüber-
19 ee In den ‚Vernicklungsanstalten dreier Fahrradfebriken erkrankten
ae eiter, in einer Ofenfabrik mit Vernicklungsanstalt und 51 Arbeitern
on acht Fälle von Nickelflechte bei weiblichen Personen beobachtet.
Ben Es sei schließlich noch. bemerkt, daß die Nickelflechte in ihrer Er-
_nungsform, insbesondere den wunden, rissigen Händen und der Lokali-
‘) Aerztl. Sachverständigen-Ztg. 1902, Nr. 7.
nn: 1912 — MEDIZINISCHE KLINIR — Nr. 33. | |
| 1373
sation der Entzündungen zwischen den Fingern, Aehnlichkeit mit einer
Erkrankungsform besitzt, die als Wasserkrätze der Glasschleifer,
von den Franzosen Gale d’eau genannt, beschrieben wurde er Fr.
Aerztliche Tagesfragen.
Hygienische Vorkehrungen und ärztliche Versorgung in
abgelegeneren Kurorten. |
Die beklagenswerten Unfälle, welche in Badeorten und andern
Mittelpunkten des Fremdenverkehrs während der Reisezeit sich ereignen,
lenken die Aufmerksamkeit darauf, daB mit der Steigerung des
Fremdenverkehrs an vielen Plätzen auch eine entsprechende
in Hand gehen muß. Sind doch die Fälle, die durch die Gewaltsam-
keit und Massenhaftigkeit ihres Auftretens die Aufmerksamkeit auf sich -
ziehen, immer nur ein Bruchteil aller derjenigen uns unbekannt bleibender
Zufälle, die mit dem speziellen Leben und Treiben an den Erholungsorten
verbunden zu sein pflegen und nicht selten nach der ärztlichen Seite hin
ihr sehr bedenkliches haben. Die Lebensbedingungen, unter welche die
Kurgäste und Passanten während ihrer Erholungsfehrt sich begeben, sind
eben in der Regel gänzlich verschieden von der Art, in der sie unter
ihren häuslichen geregelten Verhältnissen sich zu halten pflegen und die
Schädigungen, welche durch die ungenügende Anpassung an die- fremde
Umgebung erzeugt werden, führen um so eher zu Katastrophen, je un-
genügender die Einrichtungen sich erweisen, die an den Plätzen der
großen Fremdenanhäufungen in .hygienischer und gesundheitlicher Be-
. ziehung geboten werden. Erfahrungsgemäß sind’ es in erster Reihe die
akuten Infektionen, die in einzelnen Städten oder Badeorten dann aufzu-
flackern pflegen, wenn der Reisende sich wieder seiner Heimat zuwendet,
wie der Unterleibstyphus und seine Abarten. Jeder Kollege, der
in den Reisestrom sich begibt, wird dann weiter Gelegenheit haben, hier
und da bei-Infektionen und äußeren Verletzungen seinen Mitreisen-
den Hilfe zu leisten.
Leider ergibt sich dabei für den Arzt aber vielfach, wenn nicht
als Regel die Tatsache, daß an den großen Touristen- und Fremden-
centren von Seiten der befugten Interessenten auffallend wenig zur
Sicherung der Gesundheit der Reisenden getan wird. Um nur
eines von vielen Beispielen herauszugreifen, sei an die Zustände an jenen
Plätzen der Hochalpen erinnert, wo größere und schwierige Bergbestei-
gungen ihren Anfang nehmen und beendigt werden. In der Hochsaison
fordert der Sport daselbst regelmäßig seine Opfer in Gestalt von zuweilen
harmlosen, oft aber auch recht bedenklichen Verletzungen ‚und empfind-
lichen Krankheitszuständen. Man muß sich da doch billig die Frage vor-
legen, ob hier nicht den mancherlei bedauerlichen Folgen mehr vorgebeugt
werden könnte, wenn das Rettungswesen besser ausgebildet
gewesen wäre. Ganz besonders in solchen Alpenplätzen, in denen
andern Bedürfnissen der Kurgäste, wie z. B. denen geistlicher Erbauung
durch Anstellung von Predigern seitens der Gemeinden ausgiebig
Rechnung getragen wird, während ein durch die Gemeinde oder die
beteiligten Interessenten angestellter Arzt leider immer noch vermißt
wird. Angesichts der Tatsache, daß mit dem Fremdenstrom sich schließlich
auch ein Goldstrom zu diesen Plätzen hin ergießt, sollte man meinen,
daß die Mittel, die zur Erfüllung solcher gesundheitlich absolut not-
wendiger F'orderunger gehören, wohl flüssig zu machen wären, wenn
nicht sogar von einer direkten Verpflichtung zu ihrer Aufbringung
gesprochen werden muß, |
So, wie die Verhältnisse jetzt liegen, bleiben unter derartigen
Umständen Erkrankte oder Verletzte fürs erste ohne jede ärztliche
Hilfe — wo doch gerade die ersten Stunden meist für jeden Ein-
griff beziehungsweise die Heilaussicht die entscheidenden sind —. oder
aber, die zufällig selbst zur Kur und Erholung anwesenden
fremden Aerzte müssen eben einspringen und „aushelfen“.
So selbstverständlich sich natürlich jeder Arzt einem solchen Nobile offi-
cium unterzieht, kann dasselbe doch in seiner Häufung zu einer Crux
werden, die schließlich dahin führt, derartig mangelhaft ausgerüstete
Plätze zu meiden und auch im Interesse der Patienten von ihrer Emp-
fehlung möglichst Abstand zu nehmen. | A '
Mehrfache eigne Erfahrungen drängen in ihrer Verallgemeinerung
daher immer wieder gebieterisch zu der Forderung, daß geräde seitens
der abgelegenen Fremdenstationen weit mehr für die Sicherheit der Kur-
gäste und Passanten geschehen muß, als dies bisher wohl der Fall war.
Wenn nicht anders, so müßte es eben als eine Pflicht der be-
treffenden Landesregierung erachtet werden, den Nachweis der not-
wendigen Sicherheitseinrichtungen und Vorkehrungen obligatorisch zu
machen. K. Bg.
1) Roth, Kompendium der Gewerbekrankheiten S, 103 u. 148.
Krankenfürsorge. und Ausdehnung des Rettungswesens Hand
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1374
' Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell | goze onnoton Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Die Begrüßung des 3. Internationalen Medizi-
nischen Unfallkongresses zu Düsseldorf durch den Präsidenten des
Reichsversicherungsamts Dr. Kaufmann gestaltete sich zu einer ein-
drucksvollen Kundgebung für den engen Zusammenhalt der deutschen Aerzte
mit dem Reichsversicherungsamt. Insbesondere erschien bedeutungsvoll
und weiteste Kreise interessierend die zum ersten Male der Oeffentlich-
keit übergebene Mitteilung, daß demnächst dem Reichsversicherungsamt
ein ständiger Beirat hervorragender Aerzte zur Seite gestellt
werden solle. Auch weiterhin sind die Aeußerungen Kaufmanns be-
merkenswert, nach denen „der vermittelnden, von allem engherzigen
bureaukratischen Empfinden freien Geschäftsführung des Reichsversiche-
rungsamts in Zukunft die Aufgabe zufallen soll, auch Meinungsverschieden-
heiten zwischen Aerzten und Versicherungsträgern auszugleichen“, womit
. sicherlich dem Umsichgreifen anhaltender Verstimmungen und Ent-
fremdungen besser vorgebeugt werden dürfte, als dies bisher möglich war.
Auch hinsichtlich der an dieser Stelle seinerzeit eingehend besprochenen
Leitsätze des Reichsversicherungsamts, betreffend die frühzeitige
Uebernahme des Heilverfahrens durch die Berufsgenossenschaften, äußerte
sich Präsident Kaufmann dahin, daß „derartige tiefeingreifende Maß-
nahmen nicht weltfremd vom grünen Tisch erlassen würden, sondern vor
ihrer Feststellung neben den sonstigen Beteiligten die Aerzte ausgiebig
gehört werden ....“ So sind für die landwirtschaftlichen Berufs-
genossenschaften entsprechend der Besonderheit dieser Betriebe beson-
dere Leitsätze vorgesehen, vor deren Erlaß eine Reihe beachtenswerter An-
regungen aus den Kreisen der Landärzte noch zu prüfen sein werden. Die bei
allen Kongreßteilnehmern lebhaften Widerhall erweckenden Ausführungen
Kaufmanns klangen aus in den Satz: „..... Bei der Durchführung
der deutschen Arbeiterversicherung hat sich immer mehr und mehr die
Ansicht Bahn gebrochen, daß das letzte Ziel der Arbeiterfürsorge gipfole
in der Sicherung der Gesundheit und Kraft des Volkes, daß es besser
ist, Unfälle zu verhüten als zu heilen, besser Unfälle zu heilen als zu
entschädigen, und daß jedes auf solche Weise erhaltene Arbeiterleben ein
nationales Guthaben bedeutet,“ Ä Fr.
— Geh. San.-Rat Dr. Leave Aschoff, einer der be-
kanntesten, verehrtesten und vielseitig gebildetsten Berliner Aerzte, ver-
starb am 10. August in seinem Erholungsaufenthalt Freienwalde a.d.O.
kurz vor Vollendung des 78. Lebensjahres, Mit Aschoff geht eine
markante Erscheinung des Berliner ärztlichen Lebens dahin. Wir be-
halten uns vor, auf den Lebensgang des verdienten Kollegen noch ein-
gehender zurückzukommen.. ———
— Geh. San.-Rat Dr. Brock, ein bekannter und vielge-
schätzter Berliner Arzt, begeht am 29. August die seltene Feier seines
80. Geburtstages. Geheimrat Brock, welcher sich geistiger und
körperlicher Frische in vollem Maße noch erfreut, ist Ehrenmitglied des
Vereins zur Einführung freier Arztwahl und Ehrenmitglied der Balneolo-
gischen Gesellschaft. Wir wünschen dem Jubilar, der seit langer Zeit zu
` unsern Mitarbeitern gehört, noch viele Jahre ungetrübten Wohlbefindens.
Wien. Durch den Tod Prof. v. Neußers ist die Stelle des
Vorstandes der 2, medizinischen Klinik frei geworden.
Sicherem Vernehmen nach wird ein neuer innerer Kliniker in Wien nicht
ernannt, sondern die Zahl der bisher bestehenden vier medizinischen Kli-
niken auf drei beschränkt werden. Es soll dann die 8. medizinische
Klinik os Prof. Ortner, die empfindlich unter Platzmangel leidet, in
die Räume der bisherigen Neußerschen Klinik übersiedeln. Dadurch
wird aber die Möglichkeit geschaffen, einen Plan auszuführen, der seit
langem beabsichtigt war, neben den beiden bestöhenden chirurgischen
Kliniken eine 3. chirurgische Klinik zu schaffen. Diese neue Klinik
soll in den entsprechend umgebauten Räumen der Ortnerschen Klinik
untergebracht werden. Es würde sich dann weiterhin fragen, ob diese
neue chirurgische Klinik als propädeutische einzurichten wäre, oder ob
sie den chirurgischen Spezialgebieten der Orthopädie und der Urologie
im besonderen Maße gewidmet sein soll. Diese Frage würde mit der
Besetzung der neugeschaffenen chirurgischen Stelle ihre Erledigung finden.
Berlin. Der 6. Internationale Kongreß für Geburtshilfe
und Gynäkologie wird hierselbst vom 9. bis 13. September (im Herren-
hause, Leipziger Straße 3) tagen. Tagesordnung: 1. Referat: Die peri-
toneale Wundbehandlung. (Referent: je ein Vertreter der teilnehmenden
Nationen.) 2. Referat: Die chirurgische Behandlung der Uterusblutungen
in der Gravidität, in der Geburt und im Wochenbette. Referent: Couve-
laire (Paris); Korreferent: Jung (Göttingen). Ferner Einzelvorträge,
Operationen in den Kliniken, Demonstrationen (im Hörsaale der Charité-
Frauenklinik, Eingang Alexanderufer). Alles Nähere durch den General-
sekretär Priv.-Doz. Dr. E. Martin, Berlin N 24, Artilleriestraße 18.
— Der 3. Deutsche Kongreß für Säuglingsfürsorge
findet gleichzeitig mit der Mitgliederversammlung der Deutschen Ver-
einigung für Säuglingsschutz vom 20. bis 22. September 1912 in
Darmstadt statt. Verhandlungen: 1. Einheitliche Organisation
der Ausbildung von Säuglingspflegerinnen: Prof. Langstein
(Berlin), Priv.-Doz. Dr. Ibrahim (München). 2. Säuglingspflege als
Lehrgegenstand in den Unterrichtsanstalten für die weib-
liche Jugend: Dr. Rosenhaupt (Frankfurt a. M.), Geheimrat
Gürtler (Berlin). 3. Berufsvormundschaft. Pflegekinderaufsicht
und Mutterberatungsstelle: Geheimrat Dr. Taube (Leipzig), Bürger-
meister Mueller (Darmstadt, 4. Gesetzliche Regelung des
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
>
18. August.
Krippenwesens in Deutschland: Oberarzt Dr. Rott (Berlin), Hof-
rat Meier (München), Regierungsassessor von Wilmowski (Berlin).
Auskunft bei dem Schriftführer, Oberarzt Dr. Rott (Charlottenburg),
Auguste-Viktoria-Haus. _ —_— En
Berlin. Entsprechend dem Einführungsgesetze der Reichsver-
sicherungsordnung ist seit dem 1. Januar 1912 der Invalidenversicherung
die Hinterbliebenenversicherung angegliedert worden. Bis 30. Juni 1912
ist Witwenrente und Witwerrente in 829 Fällen, Witwenkrankenrente in
17 Fällen, Waisenrente in 3716 Fällen, Witwengeld in 1050 Fällen und
Waisenaussteuer in 9 Fällen bewilligt worden. | |
Konstantinopel. Prof. Dr. Beszim-Omer-Pascha, der be-
kannteste Frauenarzt der Türkei und ein verdienter Fachschriftsteller,
wurde beim Besteigen eines Vorortdampfers zwischen der Galathabrücke
und dem Dampfer zerquetscht. Der Tod des Gelehrten trat sofort ein. Omer-
Paschas Hinscheiden bedeutet für die Wissenschaft einen schweren Verlust.
Paris. Der Archäologe Lucas-Championnidre berichtete im
Pariser Institut über die Studien, welche Marcel Baudouin über. die
Krankheiten des Urmenschen angestellt hat und die vor allem das
Vorkommen von Gicht betreffen. Baudouin, der die von der Prg-
historischen Gesellschaft Frankreichs in Vendrest bei Lizy-sur-Oourc
unternommenen Ausgrabungen leitete, entdeckte eine wichtige Ansied-
lung, in der Menschen des Steinzeitalters gelebt hatten. Seine reichen
Funde, die ihm viel Neues über die Lebensweise des prähistorischen
Menschen vermittelten, führten ihm auch eine Fülle von Beobachtungen
za, die ihm die Aufstellung einer Art Pathologie des Steinzeitalters ge-
statteten. Bei den mehr als hundert Skeletten, die er untersuchte, kon-
statierte er allerlei Knochendeformationen, und zwar bei dem größten
Teil Veränderungen der Gelenke, die bei den männlichen Skeletten
verschieden von den weiblichen waren. Die Deformationen traten haupt-
sächlich längs der Wirbelsäule zutage und fanden sich beim Mann an den
Halswirbeln und in der Lendengegend, bei den Frauen in der Rücken-
gegend. Solche Gelenkveränderungen können von nichts anderm her-
rühren, als von einer chronischen Gicht, wie sie heute ebenfalls noch
häufig auftritt. Auch der Urmensch hatte also schon das Leiden, unter dem
seine Nachkommen seufzen, nur daß sie bei ihm nicht vom guten, sondern
vom schlechten Leben herrührten.
Soeben erschien im Verlage von Urban & Schwarzenberg, Berlin
und Wien: Fortschritte dernaturwissenschaftlichen Forschung,
herausgegeben von Prof. Dr. E. Abderhalden. 6. Band. Mit 20 Text-
abbildungen. Preis 15 M. Der stattliche Band enthält sechs Aufsätze,
die zum Teil geomorphologische Fragen behandeln oder das Thema der
funktionellen archon, der Regeneration, wie der radioaktiven Forschung
zum Gegenstande haben. Eine Anzahl von Abbildungen, sowie reiche
Literaturhinweise erläutern das Mitgeteilte. | ni
Hochschulnachrichten. Berlin: Prof. Dr, Klaus Schilling
habilitiert mit einer Antrittsvorlesung über - „Tropenhygiens und Welt-
verkehr“. — Freiburg i. B.: Dr. Leopold Küpferle habilitiert für
innere Medizin. — Göttingen: Prof. Karl Hirsch, Direktor der Medi-
zinischen Klinik, erhielt einen Ruf nach Tübingen als Nachfolger von
Prof. von Romberg. — Kiel: Marineoberstabsarzt Dr. Hans Oloff
der Titel Professor verliehen. — Köln: Dem Dozenten an der Akademie
für praktische Medizin (Gynäkologie und Geburtshilfe) Dr. Fritz Frank
das Prädikat Professor verliehen. — Bern: Dr. Schneider für innere
Medizin habilitiert, DDr. Schürmann und Rothermund für Hygiene
und Bakteriologie. — Genf: Der Professor der Physiologie und Anatomie,
Armand Francois Forel ist gestorben. |
Von Aerzten und Patienten.
Zum 150. Geburtstage Christoph Wilh. Hufelands.
12. Aug. 1762 —- 12. Aug. 1912.
» » . . Der Arzt soll nicht magister, sondern minister naturae
sein, ihr Diener, oder vielmehr ihr Gehülfe, Alliierter, Freund. Hand in
Hand mit ihr soll er gehen, und das große Werk vollbringen, nie ver-
gessend, daß nicht Er, sondern Sie es ist, die eg tut, die achtend, immer
im Auge habend, und am wenigsten störend in 'sie eingreifend.
Es sind zwei Irrwege, die sich hieraus ergeben, und vor denen
sich der Arzt zu hüten hat.
Der erste ist: das zu Wenig tun, die negative Behandlung, Alles
der Natur überlassen. Es ist ein Fehler, in welchen besonders die neue
homöopathische Schule verfällt, und der die traurigsten Folgen baben
kann, wo wirklich etwas Positives zur Rettung des Kranken zu tun ist.
Nur da ist es passend, wo keine bestimmte Indikation zum Handeln
existiert, wo Zeit und Geduld zur Kur nötig ist, oder wo die Natur die ganze
Krise bei vollkommenem Gleichgewichte der Kräfte nach bestimmten Zeit-
räumen übernimmt, z. E. gutartige Pocken, Masern und dergleichen. _
Der zweite ist: das zu Viel tun. Dahin gehört besonders p
Warnung, Blutausleerungen und andere, den Organismus angreifende
Mittel in solchem Uebermaße anzuwenden, daß dadurch der Organismus
mehr Schaden leidet, als durch die Krankheit selbst.“
» + j
[|
Aphorismen und Denksprüche von Dr, Chr. Wilh. Hufeland
1762 bis 1836. l |
Herausgegeben von Dr. O. Rigler und Prof. H. Strauß.
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
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Nr. 34.(408). .
25. August 1912.
_ VUN Jahrgang.:
Br redigiert von Ä
| ‚Professor Dr. Kurt Brandenburg
. Berlin
edizinische .
_ Wochenschrift für praktische Ärzte
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Verlag von
Urban & Schwarzenberg we Eur
Berlin -
Inhalt: Originalarbeiten: F. Heimann, Der heutige Stand der Serumtherapie bei Streptokokkeninfektionen. M. Arndt, Die Diagnose und
Differentialdiagnose der progressiven Paralyse. C.Funck, Weitere Beiträge zur kausalen Therapie des Diabetes. (Schluß.) J. Fabry, Zur Behandlung der
Syphilis mit Neosalvarsan. C. Schütze, Der Kalkgehalt unserer Mineralwässer. A. Citronblatt, Die diagnostische Bedeutung des Antitrypsin-
gehälts des- Blutserums beim Krebs und bei anderen Erkrankungen. B. Peričić, Die Behandlung des äußeren Milzbrandes. P. Mulzer, Ueber
die Verwendung des Chocolins bei der Therapie der akuten Gonorrhöe und ihrer Komplikationen. B,P. Sormani, Ueber die von Prof. Dr. Kromayer
und Dr. Trinchese vorgeschlagene „Therapia causalis‘“ der pseudo-negativen Wassermanschen Reaktion. E. Cmunt, Die Wirkung der internen
Darreichung der Gelatine auf die Viscosität des Bluts. : S. Hidaka, Experimentelle Untersuchungen über die Beeinflussung des Bakteriengehalts :
der Haut durch dermatologische Behandlungsprozeduren. — Referate: Mankiewicz, Neue Urologie, Pyelitis. W. Hoffmann, Ueber neuere
Arbeiten auf dem Gebiete der Hygiene. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Krebsstatistik aus Pennsylvania. ‚Eisenausscheidung im Urin `
während der Pneumoni. Neosalvarsan. Intravends einverleibte Mengen Hg. Trommelfellanästhesie. ‘Grundzüge der Malariatherapie. "Therapie der `
akuten Nephritis. „Aspirin löslich.“ — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Ligaturklemme für Aluminiumagraffen. — Bücherbesprechungen:
F. Zinsser, Syphilis und syphilisähnliche Erkrankungen des Mundes.
R. Rug und M. zur Verth, Tropenkrankheiten und Tropenhygiene.
J. Listers, Erste Veröffentlichungen über antiseptische Wundbehandlung. Ing. Phil. Semmelweis, Aetiologie, Begriff und-Propbylaxis des
Kindbettfiebers. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: Wildt, Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
21/2 Monate zurückliegenden Kopfverletzuig. (Fortsetzung) — Vereins- und Auswärtige Berichte: Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohren-
ärzte zu Köln. (Fortsetzung.)
Braunschweig. Erlangen. Kiel. Berlin. — Geschichte der Medizin: I. Bloch, Vor hundert Jahren. —
Reisebriefe: Liek, Studienreise eines deutschen Chirurgen nach den Vereinigten Staaten. — Aerztliche Tagesfragen: Geh. Sanitätsrat Dr.
i
Ludwig Aschoff }. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten. l
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Königlichen Universitäts-Frauenklinik zu Breslau
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. O. Küstner).
Der heutige Stand der Serumtherapie bei
| '‚Streptokokkeninfektionen')
von sS '
. Priv.-Doz. Dr. Fritz Heimann, Assistent der Klinik.
: , M. H.! Die schweren Erkrankungen, die durch Strepto-
kokken hervorgerufen werden, ließen schon lange den Wunsch
nach einem Mittel aufkommen, das die Therapie dieser Infek-
tionen in günstiger Weise bereichert., Da kam die bedeutende
Entdeckung eines Heilserums durch Behring, und das war,
wie man glaubte, der. gegebene Weg, auf dem man fort-
schreiten mußte, um endlich zu einem Ziele zu kommen.
Der erste, der sich mit der Herstellung eines solchen Serums
beschäftigte, war Marmorek. Er benutzte zur Immunisie-
rung einen Streptokokkenstamm, den er von einem Scharlach-
<ranken gewonnen und durch Kaninchenpassage hoch-
Yirulent gemacht hatte. Dieses monovalente Serum wurde
von Marmorek für.alle Streptokokkeninfektionen empfohlen ;
leider blieb der erhoffte Erfolg aus. Die Literatur über
m wo Mißerfolge- berichtet wurden, häufte sich. Die
lethode fand bald Nachahmer und die nächsten Forscher,
W hier erwähnt werden müssen, sind Denys und sein
“ler van de Velde. Sie benutzten entgegen Marmorek
nenschenvirulente, nicht passierte Streptokokken zur Immuni-
Sta 06» und zwar injizierten sie gleichzeitig verschiedene
amme, da sie eine Artverschiedenheit der Streptokokken
annehmen, Leider versagte auch dieses Serum in der Praxis.
amit habe ich die Unterschiede bereits erwähnt, die auch
dute noch zwischen den einzelnen Streptokokkenheilseren
Bestehen, ` Der Streit dreht sich um die Frage, ob man zur
. ') Antrittsvorlesung,"gehalten am 24. Mai 1912.
Immunisierung der Tiere Passagestämme, das heißt Strepto-
kokken vom Menschen, die bereits durch den Tierkörper -
geschickt worden sind, oder menschenvirulente Stämme, die
vom Menschen direkt auf Nährböden weiter gezüchtet wurden,
nehmen soll. Ich komme bald auf diese Frage eingehender `:
zu sprechen. Jedenfalls glaubte man dadurch den Weg
gefunden zu haben, auf dem man weiter kommen könnte,
und die Zahl der Sera, die wir dem Bestreben, ein Ideal- .
serum zu gewinnen, verdanken, ist nicht gering. _ |
Ein Forscher, der sich um diese Frage ganz besonders `
verdient gemacht hat, wenn meiner Ansicht nach auch ihm :
ein voller Erfolg nicht beschieden war, ist Aronson. Nach- .
dem er zunächst ein Serum, das durch tierpassierte Stämme `
gewonnen war und dessen Unwirksamkeit durch Baginsky
konstatiert wurde, hergestellt hatte, injiziert er heute nach
mancherlei Modifikationen seinen Tieren Streptokokken-
stämme, die sowohl tierpassiert wie menschenvirulent sind. .
Ich möchte auf die große Anzahl der andern. Sera, bei
denen auch immer diese Streitfrage die Hauptrolle spielt, .
nur kurz eingehen. Tavel stellte ein Serum her, wobei .
zur Immunisierung der Tiere möglichst verschiedene, un- -
passierte Stämme benutzt wurden, da nach. den Unter-
suchungen von Koch und Petruschky tierpassierte Strepto- -
kokken für den Menschen, selbst direkt eingespritzt, unschäd- .
lich seien. Von demselben Gedanken ging auch Menzer |
"aus, der für sein Serum Anginastreptokokken vom akuten '
Gelenkrheumatismus verwandte. Auch Moser und Paltauf ’
stehen auf diesem oben erwähnten Standpünkt. Schließlich .
ist noch, das Höchster Serum zu’ erwähnen, das von Meyer ',
und Ruppel hergestellt wird, -und ebenso wie das
Aronsonsche Serum zur Immunisierung tierpassierte und
menschenvirulente Streptokokken benutzt. ° u Se
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‘ Aus diesen Auseinandersetzungen geht. hervor; daß bei ü
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der ‚Herstellung ‚der ‚Sera auf vier. Punkte Rücksicht. .gö-':
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1376
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34,
25. August.
nommen worden ist. Einmal wurde die Herkunft, ob tier-
passiert oder menschenvirulent, in Betracht gezogen, zweitens
aber wurde zur Immunisierung der Pferde entweder nur ein
einziger Stamm — monovalentes Serum — oder mehrere
Stämme — polyvalentes Serum — benutzt. Hierbei spielt
die Frage der Arteinheit oder Verschiedenheit der Strepto-
kokken eine wichtige Rolle.
Bisher ist in diesem Punkte eine Einigkeit unter den
Autoren nicht erzielt worden, und gerade dieser Streit hat
die große Anzahl der Seren, über die wir heute verfügen,
hervorgebracht. Marxer ist der Ansicht, daß sämtliche
Streptokokken, wozu auch nach ihm der Erreger der Druse-
krankheit beim Pferde gehört, einer Art sind. Denselben
Standpunkt nehmen unter Andern Marmorek, Aronson
und Zangemeister ein. Als Gegner dieser Ansicht treten
besonders Meyer-Ruppel, van de Velde, Moser, Fischer,
Koch und Petruschky auf. Natürlich wurden eine große
Anzahl Untersuchungen auf beiden Seiten angestellt, um die
Arteinheit oder Verschiedenheit zu beweisen. Das Wachstum
der Streptokokken, ihre Eigentümlichkeit, bald kurze, bald
lange Ketten zu bilden, bald als Diplokokken zu wachsen,
sollte die Entscheidung bringen, Arbeiten, mit denen sich
besonders v. Lingelsheim befaßt hat. Doch vergeblich;
es stellte sich bald heraus, daß diese Eigenschaft der
Bakterien keine Unterscheidung zuläßt, da hierbei die Be-
schaffenheit des Nährbodens eine große Rolle spielt. Beson-
ders den Untersuchungen Aronsons ist es zu danken, daß
eine Klärung dieser Frage geschaffen wurde, Aronson fügte
nämlich der Nährbouillon Traubenzucker hinzu und konnte
beobachten, daß eine Aenderung des Wachstums eintrat.
Man nahm dann zur Chemie seine Zuflucht. Durch gewisse
Reaktionen sollten die Nährböden, auf denen die Kulturen
wachsen, unterschieden werden. Doch auch diese Methode
führte nicht zum Ziel. Schließlich griff man zur Biologie
und versuchte mittels der Agglutination und der Eigenschaft
der Streptokokken, ein Hämolysin zu bilden, eine Unter-
scheidung der einzelnen Streptokokkenarten zu ermöglichen.
Hier sind besonders die Arbeiten von Piassetzky und
van de Velde zu erwähnen, die sich mit der Agglutinations-
methode sehr eifrig beschäftigten. Das Resultat ihrer Unter-
suchungen stimmte überein, sie fanden nämlich, daß die
Streptokokken nur von den homologen Seren, das heißt von
denen, zu deren Herstellung dieselben Bakterien benutzt
worden waren, agglutiniert wurden, von den heterologen
aber unvollständig oder gar nicht. Dieselbe Ansicht hatte
auch Tavel. Auch die sehr interessanten Ergebnisse der
Untersuchungen Fritz Meyers sind hier zu erwähnen. Er
fand nämlich, daß die Agglutination der Aronsonschen
Streptokokken nur durch das Aronsonsche Serum statt-
findet. Wurden Streptokokken durch dieses Serum nicht
agglutiniert, so erhielten sie diese Eigenschaft, wenn sie durch
Mäuse hindurch geschickt wurden. Die Tierpassage hat
also, wie Meyer daraus folgert, eine Aenderung in der
chemischen Konstitution zur Folge. Doch auch die menschen-
virulenten Streptokokken unter sich glaubt er in ihrer
Wirkung unterscheiden zu können; er trennt den Strepto-
kokkus der Angina von dem der pyogenen Infektion. Die-
selbe Ansicht wie die bereits oben erwähnten Forscher ver-
treten auch Moser und v. Pirquet. Sie immunisierten
ihre Tiere mit Scharlachstreptokokken und verschafften sich
so ein Immunserum, das Scharlachstreptokokken in hoher
Verdünnung specifisch agglutiniert. Brachten sie nun dieses
Serum mit andern Streptokokken zusammen, so trat zwar
auch eine gewisse Agglutination ein, doch war sie nur in
derselben Verdünnung zu erreichen, wie mit normalem Serum.
Aronson und Marxer teilen nicht die Ansicht dieser
Autoren.
wenig eingeschränkt. Während man sonst darunter das
makro- und mikroskopisch sichtbare Zusammenballen der
Kokken versteht, hat er eine Agglutination entdeckt, die
' Streptokokken infiziert worden waren.
Aronson hat den Begriff der Agglutination ein:
munisieren.
allein makroskopisch sichtbar und, wie er angibt, nur durch
hochwertiges Serum zu erreichen ist. Seine Reaktion geht
zum Unterschied von der Agglutination der Typhusbacillen
z. B. nur sehr langsam vor sich, eine Beschleunigung der-
selben durch Zusatz von Serum ist nicht möglich, daher
kann dieser Vorgang unter dem Mikroskop nicht verfolgt
werden. Sämtliche Streptokokken, gleichgültig, ob sie ein
Tier passiert haben oder direkt vom Menschen auf Nähr-
boden gezüchtet worden sind, wurden durch sein Serum
in gleich hoher Verdünnung agglutiniert. Aronson fühlt
sich also berechtigt, daraus die Artgleichheit sämtlicher
Streptokokkenstämme zu schließen. Wie ich bereits oben
erwähnte, sollte die Eigenschaft der Streptokokken, ein blut-
lösendes Produkt, ein Hämolysin zu bilden, die Differen-
zierung der einzelnen Streptokokkenarten ermöglichen.
Leider hat sich auch diese Methode als unzuverlässig er-
wiesen. So wandte man sich der Immunisierungsmethode
zu, wobei, wie ich schon hervorhob, besonders darauf zu
achten war, ob man einerseits tierpassierte oder menschen-
virulente Streptokokken benutzte, anderseits, ob ein oder
mehrere Stämme injiziert wurden. Im übrigen spielt nach
meiner Ansicht der erste Punkt keine so große Rolle bei
der Anwendung des Serums beim Menschen, dagegen ist er
beim Tier von ausschlaggebender Bedeutung. Die Resultate,
die mit den einzelnen Seren erreicht wurden, sind gänzlich
verschieden ausgefallen. Aronson und Marxer behaupten,
daß ihr polyvalentes Serum die Versuchstiere gegen die In-
fektion jeder Streptokokkenart schützt. Auch Zange-
meister und Sommerfeld vertreten diese Ansicht. Fritz
Meyer dagegen fand das Aronsonsche Serum bei Tieren,
die mit menschenvirulenten Streptokokken gespritzt worden
waren, vollkommen unwirksam.
Unter diesen Umständen versuchte ich mir selbst ein
Bild von der Wirksamkeit des Antistreptokokkenserums zu
machen und benutzte zunächst dazu das von Aronson
hergestellte Serum. Die Versuchstiere — ich wählte weiße
Mäuse — wurden mit verschiedenen Stämmen infiziert. Ich
nahm einmal tierpassierte, und zwar wurde mir dazu der
zur Herstellung des Serums verwendete Stamm zur Ver-
fügung gestellt, zweitens aber auch direkt vom Menschen
auf Nährböden weitergezüichtete Streptokokken. Meine Re-
sultate möchte ich dahin zusammenfassen, daß ich es für
absolut nicht gleichgültig halte, welcher Art die für die In-
fektion verwendeten Streptokokken sind. Das Aronson-
sche Serum wirkte außerordentlich günstig, wenn ich es bel
Tieren benutzte, die mit den zur Immunisierung verwandten
Ganz anders waren
die Resultate, wenn ich zur Infektion menschenpatho-
gene Streptokokken, die niemals durch ein Tier hindurch-
geschickt worden waren, benutzte. Aus diesem Grunde er-
klärt es sich auch, weshalb wir eine so große Anzahl von
Antistreptokokkenseren besitzen. Die Autoren haben meist
ihre Sera an den zur Herstellung des Serums benutzten
Streptokokken geprüft und selbstverständlich gute Resultate
erhalten, während die Wirkung bei fremden Stämmen be-
deutend schwächer war, wenn nicht vollkommen versagte.
Auf Grund meiner Untersuchungen bin ich der Ansicht, dab
die Streptokokkenstämme verschiedener Art sind, und d
wir aus diesem Grund auch die Wirkung eines jeden Serums
für eine specifische halten müssen. Nur das Serum ist wirk-
sam, das bei einer Infektion gegen Streptokokken angewandt
wird, welche die betreffenden serumgebenden Tiere immuni-
siert haben. Daher werden sich für Tiere immer sicher und
prompt wirkende Seren erzeugen lassen, da wir uns hierbei
die Stämme auswählen können. Beim Menschen ist das un-
möglich. Der Stamm, der die Krankheit hervorgerufen hat,
ist uns nicht bekannt. Wir müssen ihn also erst aus dem
Blut usw. herauszüchten, um damit dann die Tiere zu IM-
Dieses Serum wäre wohl sicher wirksam.
Praktisch ist dieser Gedanke natürlich unausführbar. DIe
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. Untersucher beobachtet worden.
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25,- August.
Serumwirkung der Antistreptokokkenseren ist bis zum heuti-
gen Tage noch nicht genügend erklärt. Antitoxisch kann
man die: Wirkungsweise nicht nennen, weil man eigentlich
ein Toxin der. Streptokokken nicht kennt.
eine Auflösung der Kokken durch das Serum: von keinem
| Französische Autoren,
Denys, Bordet und Andere, schrieben den Phagocyten eine
wichtige Rolle zu. ' In neuerer Zeit glaubt man jedoch, daß
das Serum .nicht auf die Leukocyten, sondern ‘auf die Bak-
terion verändernd einwirkt. (Neufeld und Rimpau, Bak-
teriotropine; Wright, Opsonine.) u O
- Selbstverständlich ist die Literatur über die klinischen
Erfahrungen allmählich eine ungeheure geworden. Auch an
unserer Klinik sind außerordentlich viel Fälle von Puerperal-
fiber mit dem Aronsonschen Serum behandelt worden.
Der Erfolg war ganz verschieden, zum Teil sind die Patien-
tinnen genesen, zum Teil trotz der Darreichung des Serums
ad exitum gekommen. Meiner Ansicht nach kann in der
Frage: der. Heilwirkung der Antistreptokokkensera nur das
Tierexperiment den Ausschlag geben, da es einzig und allein
gestattet, exakt und kritisch zu arbeiten. Auf Grund meiner
ausgedehnten, an zirka 300 Versuchstieren. vorgenommenen
Untersuchungen bin ich zu dem Schluß gekommen, daß man
der Serumtherapie bei Streptokokkeninfektionen die engsten
Grenzen setzen muß. Natürlich werden auch Sepsisfälle,
denen Serum injiziert worden ist, mit dem Leben davon-
kommen und gesund werden. Doch das ist ja auch früher
schon vor der serotherapeutischen Behandlung vorgekommen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
Anderseits ist.
1977
Wir werden. uns also stets bei derartigen Fällen, wenn
‚Serum verabreicht wurde, fragen müssen, .ob die Patien-
tinnen post oder propter hoc geheilt worden sind, -eine Frage,
die natürlich nicht ohne weiteres zu beantworten ist. Es
kann bei einer septischen Erkrankung auch einmal ein
Streptokokkenstamm die Ursache sein, der zufällig durch
das in diesem Fall angewandte Serum günstig beeinflußt
wird. Will man daher auch heute noch Serum anwenden,
so würde ich ähnlich wie Fritz Meyer folgendes Verfahren
vorschlagen.
den Stamm heraus — etwas, was ohne Schwierigkeiten ge-
schehen kann — und prüft die Wirksamkeit des Serums, :
‚welches .man benutzen will, an der Maus, jenen Strepto-
kokken gegenüber. Bleibt die Maus am Leben, so kann ein
Versuch mit dem Serum gemacht werden. Stirbt jedoch -
das Tier, dann soll die Anwendung in jedem Fall unter-
bleiben. Die Behandlung der Streptokokkeninfektionen muß
also vorläufig noch eine symptomatische sein, da: wir durch
nichts bisher imstande sind, die den Organismus über-
schwemmenden Bakterien zu beeinflussen oder gar zu ver-
nichten. Ein neuer Hoffnungstrahl winkt uns in der Chemo-
therapie, die jetzt bei andern Erkrankungen mit so viel Er-
folg angewendet wird. Vißlleicht gelingt es auch einmal,
polyvalente Seren herzustellen, zu denen sämtliche Strepto-
kokkenarten, deren Zahl gewiß begrenzt ist, verwendet wor-
den sind. Dann könnten wir imstande sein, jede durch
Streptokokken hervorgerufene ‚Infektion wirksam zu be-
kämpfen. Ea |
Abhandlungen.
Die Diagnose und Differentialdiagnose der
| progressiven Paralyse
Dr. M.. Arndt, Nikolassee-Berlin.
_ Die Diagnose der progressiven Paralyse ist in der weitaus
überwiegenden Mehrzahl aller Fälle eine verhältnismäßig sehr.
leichte. In zahlreichen Fällen kann man schon eine Augenblicks-
diagnose stellen, in andern werden die Berücksichtigung der Vor-
geschichte und eine genaue Untersuchung und Beobachtung des
Kranken meist sehr bald eine völlige Sicherung der Diagnose er-
möglichen. Aber außer diesen, sagen wir einmal, etwa 80°
leicht oder doch mehr oder weniger schnell erkennbarer. Fälle
gibt es eine erkleckliche Anzahl anderer, in denen erst bei An-
wendung aller diagnostischen Hilfsmittel und oft nur nach lang-
dauernder, manchmal vieljähriger Beobachtung des Verlaufs die
Diagnose „Paralyse“ gesichert oder doch mindestens sehr wahr-
scheinlich gemacht werden kann, und es bleibt schließlich noch
eine kleine Zahl von Fällen übrig, in denen sich die diagnostischen
Zweifel überhaupt nicht beseitigen lassen. Daß die Schwierig-
keiten in derartigen Fällen dann besonders groß sein werden, wenn
die Beobachtungszeit nur kurz ist, der Tod dem Leiden eventuell
ein frühes Ende setzt, bedarf keiner Erläuterung. Alle diese
Schwierigkeiten sind wesentlich darauf zurückzuführen, daß es
em einziges für die Paralyse pathognomonisches Symptom gibt,
kein Symptom, das, etwa wie der Cholerabaeillus die Cholera oder
das Trypanosoma gambiense die Trypanosomiasis oder auch nur
wie etwa ‘eine dauernde Glykosurie den Diabetes mellitus, die
Paralyse mit Sicherheit zu erkennen gestattet. Alle Symptome,
auch die neueren und neuesten bei der Paralyse beobachteten,
kommen einerseits auch bei andern Krankheiten vor, sie können
ferner sämtlich, bald dieses, bald jenes bei der Paralyse vermißt
werden. Die Diagnose der Krankheit kann deshalb stets nur aus
einer möglichst großen Anzahl von Symptomen, einem Symptomen-
ensemble, gestellt werden, unter Berücksichtigung der Vorge-
schichte ‚und des Verlaufs. ~ |
Unter den für die Diagnose der Paralyse wichtigen Sym-
Ptomen stehen auch heute.noch an erster Stelle die körperlichen,
ea wir sie einmal kurz die „neurologischen“, Symptome. Von
nen sind besonders zwei, die Sprachstörung und die reflektori-
Sche Pupillenstarre, von ganz besonderer Wichtigkeit. Ich habe
19 Sprachstörung zuerst genannt, weil sie in ihrer charakteristi-
schen Eigenart — im Gegensatz auch zu der reflektorischen Pu-
'pillenstarre — wesentlich nur bei der Paralyse vorkommt, weil
sie oft schon sehr früh zu konstatieren ist und weil sie vor allem
im weiteren Krankheitsverlaufe nur bei einem ganz. verschwinden-
den Bruchteil der Fälle vermißt wird. Ich darf wohl darauf hin-
weisen, daß in einer von Junius und mir!) vorgenommenen
“statistischen Zusammenstellung nur bei 17 unter 1400 Paralyti-
schen die Sprachstörung bis zum Ende der Krankheit fehlte. Auf
die charakteristischen Eigentümlichkeiten und die verschiedenen
Komponenten der „paralytischen“ Sprachstörung will ich nicht
näher eingehen. Ich erinnere nur daran, daß Vorsicht in der
Verwertung des Symptoms nötig ist bei nervösen und ängstlichen
Personen und bei Ausländern; auch von jeher bestehende Sprach-
fehler können zu Irrtümern Anlaß geben, während andere patho-
logische Sprachstörungen (bulbäre, skandierende Sprache) zumeist
leicht abzugrenzen sein werden. |
Die reflektorische Pupillenstarre, oder um mich ganz präzis
auszudrücken, die reflektorische Starre der Pupillen auf Lichtein-
fall bei erhaltener Konvergenzreaktion, hat in der Symptomatologie
und Diagnose der Paralyse von jeher eine große Rolle gespielt.
Es ist deshalb nötig, die Frage des Vorkommens der isolierten
Lichtstarre der Pupillen überhaupt, wenn auch in möglichster
Kürze, zu besprechen. Alles Wissenswerte aus den zahlreichen
älteren Arbeiten, sowie die neueren Untersuchungen über das
Vorkommen der reflektorischen Lichtstarre sind in den Mono-
graphien von Bumke?) und Bach?) und in der Arbeit von
Weiler?) zusammen- und dargestellt. Ich muß mich hier darauf
beschränken, hervorzuheben, daß nach Weiler?) eine dauernde,
isolierte reflektorische Starre nur bei Tabes, Paralyse und ange-
borener oder erworbener Syphilis vorkommt und auch in letzterem
Falle wohl meist als Frühsymptom einer Tabes oder Paralyse auf-
zufassen ist. Und Bumke®) schließt sich dieser Ansicht voll-
kommen an mit den Worten: „Auch ich habe bei mehreren
| 1) Paul J unius und Max Arndt, Beiträge zur Statistik, Aetio-
logie, Symptomatologie und pathologischen Anatomie der sein
Paralyse. (A. f. Psychiatrie 1908, Bd. 44, H. 1, 2 u. 8, S. 249
2) Oswald Bumke, Die Pupillenstörungen bei Geistes- und
Nervenkrankheiten (Physiologie und Pathologie der Irisbewegungen).
2. Aufl. (Jena 1911. Gustav Fischer.)
3) Ludwig Bach, Pupillenlehre. Anatomie, Physiologie und
Pathologie. Methodik.der Untersuchung. (Berlin 1908. S. Karger.)
4) Karl Weiler, Untersuchung der Pupillen und der Irisbewe-
gungen Ba u (Zt. f. ges. Neur. u. Psych. 1910, Bd. 2, S. 101.)
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1378 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25. August,
tausend Pupillenuntersuchungen echte reflektorische Pupillenstarre
außer bei Tabes, Paralyse und Hirn- oder konstitutioneller Sy-
philis noch niemals beobachtet.“ Es ist zwar bei den allerver-
schiedensten andern Zuständen ebenfalls Lichtstarre der Pupillen
gefunden worden, so z. B. in epileptischen und hysterischen An-
fällen, im Fieber, in Ohnmachten, bei Katatonikern, bei Alkoho-
listen, bei Arteriosklerose usw., aber sie war entweder nur tem-
porär oder, wie bei den meisten der eben genannten Affoktionen,
mit einer Beeinträchtigung oder Aufhebung der Konvergenz- oder
der akkommodativen Reaktion verbunden, also nicht isoliert. Eine
Ausnahme machen nach Bumke!) nur die Beobachtungen
Nonnes, der unter 1460 Fällen von schwerem Alkoholismus
18mal reflektorische Starre und 60mal reflektorische Trägheit bei
erhaltener Konvergenzreaktion konstatierte; allerdings war die
‚Wassermannsche Reaktion nicht gemacht worden — Lympho-
cytose und Phase I waren negativ oder doch fast negativ — und
die Kranken waren nur zwei bis drei Wochen nach dem Ab-
klingen des Deliriums beobachtet worden. Bumke hält hiernach
das Vorkommen einer isolierten reflektorischen Pupillenstarre bei
schweren Trinkern für sichergestellt, wenn schon Lues in den
Nonneschen Fällen nicht mit völliger Sicherheit auszuschließen
war. Immerhin ergebe sich daraus die Folgerung, daß man bei
schweren Potatoren mit der Diagnose Paralyse vorsichtig sein
und solange warten müsse, bis sich die Pupillenstörungen entweder
zurückgebildet hätten oder andere Paralysesymptome aufgetreten
wären. Zusammenfassend hebt er dann aber noch einmal?) her-
vor, daß ihm kein einziger Fall von refiektorischer Starre aus der
Literatur bekannt sei, in dem das Vorhandensein von Lues aus-
geschlossen gewesen wäre.
Nonne) einen Fall von Alcoholismus chronicus gravis mitgeteilt,
der von körperlichen Erscheinungen seitens ‘des Nervensystems
nichts weiter darbot als eine doppelseitige, echte, isolierte, reflek-
torische Pupillenstarre, der keine psychischen Symptome von Para-
lyse zeigte, bei dem alle „vier Reaktionen“ negativ waren, der
nach sechs Wochen zum Exitus kam und dessen Rückenmark
mikroskopisch vollkommen normal war, während das Gehirn
makroskopisch nicht das mindeste auf Paralyse Verdächtige zeigte.
Nonne teilt noch einen ganz analogen Fall mit, bei dem eben-
falls die vier Reaktionen negativ waren; doch dauerte die Beob-
achtung nur drei Wochen, und der Kranke. ist noch am Leben.
Es muß jedenfalls nach dieser Mitteilung vorbehaltlos zugegeben
werden, daß in sehr seltenen Fällen bei nicht syphilitisch ge-
wosenen Alkoholisten eine echte reflektorische Pupillenstarre vor-
kommt. |
Ich will mich mit -den Prozentzahlen der verschiedenen
Autoren über die Häufigkeit der reflektorischen Pupillenstarre bei
der progressiven Paralyse nicht lange aufhalten und nur anführen,
daß Bumke‘) aus einer Zusammenstellung von 19 großen Sta-
tistiken als Durchschnittswerte für die völlige Lichtstarre 45,5 ?/o,
für die Lichtträgheit 28,5 0/, und für die gute Lichtreaktion 26 %/o
ermittelte, Daß das Argyll Robertsonsche Symptom an Häufig-
keit zunimmt, wenn man die Paralytiker lange Zeit und auch
möglichst nach ante exitum daraufhin beobachtet, ist bekannt.
Ich erwähne ferner die Zusammenstellung Siemerlings°), nach
der die unter 9160 Geisteskranken 1639mal konstatierte reflek-
torische Pupillenstarre in 920/ der Fälle Paralytiker betraf.
Nimmt man alle diese Tatsachen zusammen, so kann man wohl
sagen: Die Feststellung einer dauernden echten Lichtstarre der
Pupillen bei einem psychisch erkrankten Individuum spricht mit
allergrößter Wahrscheinlichkeit dafür, daß in diesem Falle Paralyse
vorliegt. Differentialdiagnostisch kommen nach dem oben Gesagten
wesentlich nur eine Psychose bei Tabes, eine syphilitische Geistes-
störung und — auch daran muß man denken — irgend eine
Psychose bei einem Syphilitischen in Betracht. Diese Affektionen
sind nun aber, wie sich schon aus Siemerlings Zusammen-
stellung — nur 8°/, aller Fälle von reflektorischer Pupillenstarre
betrafen Nichtparalytiker, von ihnen nur 1,7 °/o Tabes mit Psychose,
1,0%, Syphilis des Centralnervensystems — ergibt, und wie es
auch die allgemeine Erfahrung aller Autoren lehrt, so außerordent-
lich viel seltener als die Paralyse, daß eben in praxi „Reflekto-
1) L e. S. 136.
2) 1, c. S. 138. , | i
3) M. Nonne, Klinische und anatomische Untersuchung eines
Falles von isolierter, echter, reflektorischer Pupillenstarre ohne Syphilis
bei Alcoholismus chronieus gravis. (Neur. Zbl. 1912, Nr. 1.)
4) 1.
l. c. S. 201.
5) E. Siemerling, Ueber die Veränderungen der Pupillenreaktion
bei Geisteskranken. (Berl. kl. Woch. 1896, Bd. 33, S. 973.)
Nun hat aber ganz neuerdings
rische Pupillenstarre und Geistesstörung“ fast immer (in 90 unter
100 Fällen) mit „Paralyse“ identisch ist. Aber da es nun ein-
mal auch Ausnahmen gibt, so liegt es auf der Hand, daß es
gerade hier manche harte Nuß zu knacken geben kann.
Außer der Sprachstörung und der reflektorischen Pupillen-
starre gibt es nun noch eine große Reihe von körperlichen Sym-
ptomen der Paralyse, die für sich allein keine wesentliche dia-
gnostische Bedeutung haben, aber im Verein mit andern Zeichen
geeignet sind, die Diagnose zu stützen. Ich will sie möglichst
kurz erwähnen. Es sind zunächst die Differenz und die Entrun-
dung der Pupillen. Der Lichtstarre geht natürlich sehr häufig
' Lichtträgheit voraus; ferner schwindet nach Bumkes Unter-
suchungen in 87 °/, der Fälle der galvanische Lichtreflex!), nach
Weiler?) in 84°), die sekundäre Reaktion vor Eintritt der reflek-
torischen Starre.
Ich bemerke, daß als „galvanischer Lichtreflex“ von
Bumke?) die durch einen konstanten Strom hervorgerufene
Pupillenverengerung bezeichnet wird; als Indikator für die er-
folgte elektrische Beeinflussung des Auges dient dabei die gal-
vanisch erzeugte Lichtempfindung, die bei jedem sehenden Men-
schen hervorgerufen werden kann. „Sekundäre Lichtreaktion“
nennt Weiler?) folgenden Vorgang: Wenn man ein Auge belichtet,
so verengern sich beide Pupillen gleichmäßig; wenn man nun auch
noch das andere mit genau der gleichen Lichtstärke belichtet, so
verengern sich die Pupillen beider Augen nochmals um eine gut
meßbare Größe und die Verengerung bleibt bestehen. Dieser
Vorgang fehlt bei Gesunden niemals, bei Paralytikern, wie er-
wähnt, in 84°, der Fälle. Auch das Fehlen der Pupillenreak-
tionen bei psychischen, sensorischen und sensiblen Reizen ist nach
Weiler) recht häufig bei der Paralyse zu konstatieren. Es sei
auch darauf hingewiesen, daß die absolute Pupillenstarre bei der
Paralyse durchaus nicht selten gefunden wird, nämlich (teils voll-
ständig, teils unvollständig) nach Weiler in 34°, nach Bumke
in 29/, der Fälle.
Von den andern körperlichen Erscheinungen der Paralyse
hebe ich, ohne auf Vollständigkeit Anspruch machen zu wollen,
noch folgende hervor: Augenmuskellähmungen, Miosis, Mydriasis,
springende Pupillen, Innervationsstörungen im Facialisgebiete,
Tremor der Zungen- und Lippenmuskulatur, Opticusatrophie,
Herabsetzung und Fehlen oder Steigerung der Sehnenreilexe,
Romberg und andere tabische Symptome, Tremor universalis,
Hypalgesie, insbesondere bei abgelenkter Aufmerksamkeit, vor
allem noch eine der Sprachstörung analoge Schriftstörung und
die mannigfaltigen paralytischen Anfälle mit ihren Folgeerschei-
nungen in Form von Lähmungen oder aphasischen Störun-
gen USW. ,
Besonders erwähnen möchte ich nur ein Symptom oder viel-
mehr eine Reaktion, weil sie ganz neuerdings als für Paralyse
charakteristisch angegeben wurde. Es ist dies die Butenkosche
Reaktion mit Liquor Bellosti: Wenn man einigen Kubikzenti-
metern kochenden Urins 10 bis 15 Tropfen des Reagens (einer
10 jo igen wäßrigen Lösung von salpetersaurem Quecksilberoxydul,
der 24 Tropfen 25 °%% iger Salpetersäure zugesetzt werden) hinzu-
fügt und noch ein paarmal aufkocht, so entsteht ein Nieder-
schlag, der bei Nichtparalytikern weiß oder weißgelblich, bei Para-
lytikern aber grau bis grauschwarz (und die darüberstehende
Flüssigkeitssäule graugelb) gefärbt ist. Der Harn muß sauer
reagieren. Butenko®) konstatierte diese Reaktion bei 84 %/o
seiner Paralytiker, Beisele”) fand sie bei 25 von 27 Paralytikern
positiv, bei andern Affektionen dagegen negativ, und beide Autoren
sehen sie deshalb als specifisch für die Paralyse an. Die Reak-
tion: ist bereits von einer großen Reihe von Autoren nachgeprüft
worden; einige, wie Trapet und Wolter?), Tomaschny?),
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3) 1.
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. S. 256.
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6) Butenko, A. A., Reaktion des Urins mn ar Bellostii bei
a he (Russki Wratsch 1910, Nr. 8 bnd M. med. Woch.
, Nr. 32).
?) Beisele, P., Ueber die Reaktion des Harnes bei Paralyse mit
Liquor Bellosti. (M. med. Woch. 1911, Nr. 1)
. 8) Trapet, A., und F. Wolter, Besitzt die Urinuntersuchung
mit Liquor Bellostii einen diagnostischen Wert für die Paralyse? (Ps.-
neur, Woch. 1910/11, Nr. 48.)
9) Tomaschny, Beitrag zu den Urinuntersuchungen mit Liquor
Bellostii (Ps.-neur. Woch. 1910/11, Nr. 51, S. 476).
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25. August. - 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1379
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der Stärke der Reaktion im Blutserum weit obenan steht; doch‘
Schwartz), Stern?), Solt6sz?), konstatierten, daß sie bei Para-
lyse zwar häufiger vorkäme als bei andern Krankheiten, daß sie
aber jedenfalls für Paralyse nicht specifisch ‘sei; andere, wie vor
gibt es auch einzelne nichtparalytische Fälle mit hohen Werten.
- Eine Lymphocytose, ein vermehrter' Zellgehalt der Cerebro-
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allem Titus’), ferner Stu cken’), Wiener) sprechen ihr -über- | spinalflüssigkeit — im normalen Liquor werden höchstens fünf
haupt einen diagnostischen Wert. ab. | 5 bis sechs Zellen im’ Kubikmillimeter bei Anwendung der Fuchs-
Ich komme dann zu einer Gruppe von Symptomen oder | Rosenthalschen Zählkammer gefunden — wird bei Paralyse
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in zirka 950/⁄ der Fälle konstatiert. Der negative Befund spricht
also mit sehr großer‘ Wahrscheinlichkeit gegen Paralyse; der po-
sitive spricht zwar für Paralyse, er ist aber differentialdiagnostisch
: nur in geringem Maße zu verwerten, da er nicht nur bei Tabes
in zirka 90°], der Fälle und bei Lues cerebrospinalis fast stets
erhoben wird, sondern auch pft bei syphilitisch infiziert gewesenen
besser gesagt von Reaktionen, die im letzten Jahrzehnte, zum Teil
erst im letzten Jahrfünft zu einer außerordentlich großen Bedeu-
tung gelangt sind und: in der Diagnose und. Differentialdiagnose
der Paralyse jetzt eine hervorragende Rolle spielen. Es sind die
von Nönne sogenannten „vier Reaktionen“, nämlich die Wasser-
mannsche Reaktion im Blut und in der Lumbalilüssigkeit, die
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Reaktion und die Pleo-(Lympho-)eytose in der Lumbalflüssigkeit.
Die Zahl der Arbeiten, welche sich mit diesen. vier Reaktionen
beschäftigen, ist eine sehr große, und es würde den Rahmen dieser
kleinen Zusammenstellung weit überschreiten, wenn ich auch nur
ihre wesentlichsten Ergebnisse kurz mitteilen wollte. Ich muß
mich hier darauf beschränken, auf Grund der Arbeiten von
Plaut?) und Nonne®), insbesondere nach den Ergebnissen der
letzten Nonneschen Publikation?), die für die Diagnose und
Differentialdiagnose der Paralyse wichtigsten Tatsachen kurz an-
zuführen. |
Die positive Wassermannsche Reaktion ' des Bluts ist für
Lues charakteristisch. Die Reaktion ist außerdem positiv in ein-
zeinen -Fällen von Scharlach, von Malaria; von Framboesie, Lepra,
Pest und -auch in einigen Fällen von multipler Sklerose, dagegen
nicht, wie v. Sarbö: angab, bei chronischem Alkoholismus; prak-
tisch, kommen diese Ausnahmen wenig oder gar nicht in Betracht.
„Eine positive Wassermannsche Reaktion des Blutserums besagt
nichts weiter, als daß das betreffende Individuum irgendwie mit
Lues in Berührung gekommen ist — hereditär oder erworben —,
nicht, daß die in Rede stehende Erkrankung luetischer Natur
sein muß.“ Sie- bestärkt also nur unsern Verdacht, daß es sich
in einem solchen Fall um ein sypbilogenes Leiden handelt, aber
nichts weiter. Bei der Paralyse wird die Wassermannsche Re-
aktion im Blute fast in 10000 der Fälle positiv gefunden.
Plauti) sah unter 247 Fällen nur zwei negativ reagierende, und
or stellt deshalb den Satz auf, daß der negative Blutbefund, wenn
auch nieht mit völliger Sicherheit, so doch mit einer an Sicher-
heit grenzenden Währscheinlichkeit bei zweifelhaften Fällen eine
Paralyse. auszuschließen gestatte.e Nonne sagt ebenfalls, daß eine
negative Wassermannsche Reaktion des Bluts differentialdiagno-
stisch als gegen eine Paralyse sprechend zu verwerten sei. Der
positive Ausfall spricht nur dann sehr für eine Paralyse, wenn
die Reaktion hohe Werte zeigt, da nach der von Zeißlert!) an-
gegebenen Methode der quantitativen Auswertung der die Hem-
Personen zu konstatieren ist, ohne daß ihr Nervensystem organisch
erkrankt zu sein braucht, ferner in geringer Intensität auch bei
multipler Sklerose und Tumor cerebri. Für die Unterscheidung
einer Paralyse von ‘einer tabischen oder syphilitischen Geistes-
störung kann die Pleocytose also nicht verwandt werden. |
Eine Vermehrung des Eiweißgehalts des Liquor spinalis
über. 0,050/, wird bei Paralyse in 75°, der Fälle gefunden. Auf
die ersten von den französischen Autoren, von Niß1!) und vielen
Andern gewonnenen Ergebnisse will ich hier nicht eingehen, da
ihre Methoden der Eiweißbestimmung jetzt anscheinend durch eine
‘andere Methode verdrängt werden, die eine bessere differential-
diagnostische Verwertung gestattet. Es ist die Nonne-Apelt-
sche Phase-I-Reaktion?), die ich ganz kurz nach Nonnes
Angaben?) schildern möchte, da sie leicht ausführbar ist und-
deshalb ein schnelles Urteil ermöglicht: „Eine in der Hitze ge-
sättigte Ammoniumsulfatlösung fällt in halber Sättigung Glöbuline
und Nucleoalbumine aus und trennt sie so von. den Albuminen.
Man mischt also gleiche Teile von dem zu untersuchenden Liquor
und in der Hitze gesättigter, filtrierter und erkalteter Ammonium-
sulfatlösung und läßt diese drei Minuten stehen. Ist die Reaktion
positiv, so entsteht innerhalb dieser drei Minuten eine mehr oder
minder starke Trübung. Diese Reaktion ist die „Phase I“. Wird
die Flüssigkeit noch einmal filtriert, angesäuert und aufgekocht,
so entsteht in allen Fällen eine Trübung, das ist die „Phase II“,
die aber praktisch ohne Bedeutung ist, da sie eben in allen Fällen
auftritt. — Die Phase-I-Reaktion ist nun bei Paralyse in zirka
95 bis 1000/, der Fälle positiv. Der negative Befund spricht
also mit größter Wahrscheinlichkeit gegen Paralyse, der positive
zwar für Paralyse, doch ist er wieder differentialdiagnostisch
weder gegen Tabes, wo er in 90 bis 950,0, und Lues cerebro-
spinalis, wo. er fast, stets positiv ist, zu verwerten, noch gegen
andere organische Erkranknngen : des Centralnervensystems,- wie
multiple Sklerose, Tumor cerebri und vor. allem Tumor spinalis.
Ja, nach Untersuchungen von J. G. Schnitzler“) ist. die Reaktion
bei vier Fällen von Spondylitis mit Querschnittsläsion . vorhanden
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gewesen; er führte die Eiweißvermehrung in diesen und den
Tumor-spinalis-Fällen wesentlich auf die mechanische Behinderung
der spinalen Circulation von Blut und Lymphe und der Liquor-
strömungen zurück. Dagegen findet die Reaktion sich fast niemals
(Nonne sah unter hunderten von Fällen nur zwei Ausnahmen)
bei funktionellen Erkrankungen mit oder ohne nachweisbare Lues
in der Anamnese, Sie ist also ausschlaggebend für die. Differen-
zierung zwischen funktioneller und organischer Erkrankung des
Nervensystems und gestattet uns mithin, eine. Paralyse von einer
Neurasthenie oder Epilepsie, einem Alkoholismus oder manisch- -
depressivem Irresein auch bei einem syphilitisch infiziert
gewesenen Individuum abzugrenzen. Wie schwer die
Differentialdiagnose zwischen derartigen Fällen. und beginnender
Paralyse auf Grund nur der psychischen oder: leichter körperlicher
Symptome ist, ist ja bekannt. Die Phase-I-Reaktion kann hie
oft alle Zweifel lösen. an | a
Von der größten diagnostischen Bedeutung ist. endlich die
letzte der „vier Reaktionen“, die Wassermannsche Reaktion
des Liquor spinalis. Der.positive Befund beweist, wie das Plaut
zuerst hervorgehoben hat, daß eine metasypbilitische oder seltener
eine syphilitische Erkrankung des Centralnervensystems vorliegt.
Er gestattet also, mit Sicherheit alle funktionellen und organischen
niehtsyphilitischen Erkrankungen auszuschließen. Noch viel wert-
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mung der Hämolyse bewirkenden Körper die Paralyse bezüglich
sub.
‚wvwiur_.
a: Schwartz, Willy, ‚Liquor Bellostii als specifisches Harı-
reagens bei Paralysis progressiva. (Ps.-neur. Woch. 1911/12, Nr.1, 8. £.)
-- 7) Stern, F., Ueber die specifische Bedeutung der Harnreaktion
mit Liquor Bellostii bei Paralyse. (M; med. Woch. 1911, Nr. 9.) ;
‚.) Soltész, E., Ueber den Wert der Butenkoschen Urinreaktion
a a (Budapesti Orvosi Ujság. 1911, S. 143, ref. Neur. Zbl.
....% Titus, Die Bedeutung der Harnreaktion mit Liquor Bellostii
bei -progressiver Paralyse. (Wr. med. Woch. 1911, Nr. 12)
5) Stucken, F. M., Ueber eine angeblich für progressive Paralyse
Charakteristische. Reaktion im Harne. (M. med. Woch. 1911, Nr. 16.)
er ) Wiener, Die Reaktion des Paralytikerharns mit Liquor Bel-
stii (Erag, med. Woch. 1911, Nr. 15.)
iii ) Plant, Felix, Die Wassermannsche Reaktion in der Psy-
7 atrie und Neurologie. Ueberblick über die Arbeiten des Jahres 1909.
Kr f. ges, Neur. u. Psych. Referate 1910, Bd. 1, S.1). — Derselbe,
a Wassermannsche Serodiagnostik der Syphilis in ihrer Anwendung
auf, die Psychiatrie. Jena 1909. Fischer.
Hei ) Nonne, ‘Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Nervenärzte.
Heidelberg, Oktober 1908. — Derselbe, D. Z. f. Nerv. 1909, Bd. 86.
Nonne und W. Holzmann, D.Z. f. Nerv. 1909, Bd. 37. — Nonne,
> f. Nerv. 1910, Bd.38. — Nonne und W. Holzmann, Mon. f.
sych. u. Nour. 1910, Bd. 27, S. 128. — Nonne, Dermatologische
« Bà. 21. Festschrift für Unna. — Derselbe, Neur. Zbl.
1910, Nr. 21. | | Ä Ä
°) Nonne, M., Der heutige Standpunkt der Lehre von der Be- 1) Nißl, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für. die Psychiatrie.
deutung der „vier Reaktionen“ für die Diagnose und Differentisldiagnose | (Zbl. f. Nerv. 1904, Bd. 27, S. 225.) l NNA E i
en Nervenkrankheiten. (D. Z. f. Nerv. 1911, Bd. 42, S. 201.) 2) Nonne-Apelt, Ueber fraktionierte Eiweißausfällung “in der
S.9 |
.0.8,9, Spinalflüssigkeit usw. (A. f. Psych. u. Nerv. 1908, Bd. 43, S. 433.)
W ) Zeißler, J., Quantitative Hemmungskörperbestimmung bei der 3) Nonne, Referat auf der zweiten Jahresversammlung der Gesell-
A ioia annschen Reaktion. (Berl. kl. Woch. 1909, Nr. 44, S. 1968 BEE
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schaft Deutscher Nervenärzte 1908, S.-A. S. 56.
und 1910, Nr. 21 t) Mon. f, d. ges. Neurol. u. Psych. 1911, Bd, 8, S. 210.
1380 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
vollere Schlüsse erlaubt die Reaktion, wenn man die Haupt-
mannsche Auswertungsmethode anwendet!),. Nach der Wasser-
mannschen Originalmethode‘ werden nämlich nur 0,2 cem Liquor
verwandt, während Hauptmann zum Nachweis der Hemmungs-
körper auch größere Mengen von Liquor (von 0,3 bis 1 ccm
steigend) benutzte. Auch im letzteren Falle war die Reaktion im
normalen Liquor stets negativ. Bei der Paralyse war sie (siehe
Nonne l. c.) nach der Originalmethode in 85 bis 90 0/0, bei Ver-
wendung größerer Liquormengen in 1000/, positiv; dagegen bei
Tabes und Lues cerebrospinalis nach der Originalmethode nur in
5 bis 100/, positiv, bei Verwendung höherer Liquormengen bei
Tabes in fast 100°0/%, bei Lues cerebrospinalis fast stets positiv.
Oder mit andern Worten: In den meisten Fällen von Paralyse ist
die Wassermannreaktion schon bei Verwendung von 0,2 cem der
Lumbalflüssigkeit positiv; bei wenigen Fällen von Paralyse, bei
fast allen von Lues cerebrospinalis und von Tabes ist sie es da-
gegen erst bei Verwendung von größeren Liquormengen (0,3 bis
1 cem). Wenn also die Wassermannsche Reaktion des Liquors
schon bei Verwendung von 0,2 cem eintritt, so liegt mit größter
Wahrscheinlichkeit eine Paralyse vor. Diese Methode gestattet
uns demnach in den weitaus meisten Fällen die Differentialdiagnose
zwischen Paralyse einerseits und einer Psychose bei Tabes oder
Lues cerebrospinalis anderseits zu stellen.
Absolut sicher ist die durch diese Reaktion gebrachte Ent-
scheidung also auch nicht! |
Jedenfalls heben sowohl Nonne wie auch z. B. Kliene-
berger?), auf dessen Arbeit ich ebenfalls verweise, ausdrücklich
hervor, daß diese Methoden zwar eine wertvolle Beihilfe für die
Diagnose darstellen, daß sie aber, wie N onne?) sich ausdrückt,
nur „die Rolle einer Dienerin, nicht einer Führerin in der Dia-
gnose spielen dürfen“.
Ich erwähne noch, daß neuerdings Weil und Kafka®) eine
serologische Reaktion des Liquor cerebrospinalis angegeben haben,
die für Paralyse charakteristisch sein soll. Sie beruht auf der
erhöhten Durchlässigkeit der Meningen bei Paralyse und besteht
in dem Nachweise von Hammelblutamboceptoren im Liquor. Sie
fanden von 24 Paralysefällen bei 23 positive Resultate, bei
20 Kontrollfällen nur negative. Hauptmann, der die Methode
auf Nonnes) Abteilung nachprüfte, fand unter zwölf Paralyse-
fällen sechs positive, zwei unbestimmte und vier negative. Es
scheinen jedenfalls noch ausgedehntere Untersuchungen erforderlich
zu sein, bevor ein Urteil über den Wert dieser Reaktion mög-
lich ist. —
Ganz neuerdings, in der Februarsitzung der Hufelandschen
Gesellschaft, hat Lange eine neue Reaktion, die kolloidale Gold-
reaktion, demonstriert, der ebenfalls eine große diagnostische
Bedeutung zukommen s0116).
Ich komme jetzt zu den psychischen Krankheitserscheinungen
der Paralyse und ihrer Bedeutung für die Diagnose und Diffe-
rentialdiagnose der Erkrankung. Ich muß darauf verzichten, die
verschiedenen psychischen Symptomenbilder der Paralyse hier zu
schildern, und will nur kurz erwähnen, daß man gewöhnlich
mehrere Verlaufsformen der Krankheit unterscheidet: Eine
demente Form, wenn die fortschreitende Verblödung das Krank-
heitsbild beherrscht, eine expansive, wenn expansive Stimmung
und Größenideen, eine depressive, wenn depressive Wahnideen
im Vordergrunde des psychischen Bildes stehen, und eine agi-
tierte, wenn die heftige motorische Erregung dem ganzen Zu-
stand ihren Stempel aufdrückt. Indes die Abgrenzung dieser
Formen ist eine mehr oder weniger willkürliche, es gibt zahlreiche
Uebergangsfälle, und es ist vor allem durchaus nicht ungewöhn-
lich, daß ein Fall eine Zeitlang unter dem Bild einer Form ver-
läuft, um dann weiterhin die Erscheinungen einer andern Form
darzubieten. Aber eg gibt auch außer den soeben genannten Ver-
laufsformen noch zahlreiche andere Symptomenbilder, unter denen
—
1) Alfred Hauptmann, Die Vorteile der Verwendung größerer
Liguormengen („Auswertungsmethode“) bei der Wassermannschen
Reaktion für die neurologische Diagnostik. (Zt. f. Nervenheilk. 1911,
Bd. 42, S. 240.) N i
= 2) Otto L. Klieneberger, Zur differentialdiagnostischen Bedeu-
tung der Lumbalpunktion und der Serodiagnostik. (A. f. Psych. u. Nerv.
1911. Bd. 48, S. 264)
3) 1. c. S. 239. BR i ,
4) Ueber die Durebgängigkeit der Meningen, besonders bei der
Paralyse. (Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 10.)
5) Nonne, l. c S. 280. p u
6) Anmerkung bei der Korrektur: Jozwischen publiziert;
Berl, kl. Woch, 1912, Nr. 19, S, 897,
die Paralyse in die Erscheinung treten kann, ja man kann getrost
sagen,. daß eigentlich überhaupt kein psychisches Krankheitsbild
existiert, unter dem sich die Paralyse nicht präsentieren könnte,
Ich hebe besonders hervor, daß es deliriöse, circuläre, katatonische,
stuporöse, paranoide Zustandsbilder der Paralyse gibt, die den
Symptomenbildern des Deliriums, der Katatonie, des manisch-
depressiven Irreseins usw., vollkommen ähnlich sind. So ist es
denn kein Wunder, daß selbst ein Psychiater wie Kraepelin,
dem man gewiß keine Unterschätzung der psychischen Krankheits-
erscheinungen für die Diagnose wird nachsagen wollen, sich da-
hin äußert?), daß es immer sehr gewagt sei, eine Paralyse ledig-
lich auf Grund des psychischen Bildes anzunehmen.
Trotzdem ist es natürlich notwendig, die Differentialdiagnose
der verschiedenen paralytischen Zustandsbilder gegenüber nicht-
paralytischen Psychosen auf Grund nur der psychischen Sym-
ptome vorzunehmen, einmal aus rein wissenschaftlichen Gründen,
dann aber, weil es vorkommen kann und in der Tat auch öfters
vorkommt, daß die körperlichen Erscheinungen entweder noch gar
nicht oder doch nicht in genügender Intensität und Anzahl vor-
handen sind, um die Diagnose zu ermöglichen. Das kann beson-
ders leicht der Fall sein im Anfangsstadium der Paralyse, in dem
nicht gar zu selten die Frage zu entscheiden ist: Liegt überhaupt
eine geistige Störung vor und wenn — handelt es sich um Para-
lyse? Es ist kaum nötig, auf die große praktische Wichtigkeit
der Frühdiagnose der Paralyse besonders hinzuweisen. Diese
Frage wird ja in allen Lehrbüchern und Monographien über Para-
lyse eingehend behandelt; eine besondere Bearbeitung haben ihr
Hoche?) in einer kleinen Schrift und Heilbronner’) gewidmet.
Die diagnostischen Schwierigkeiten sind dadurch besonders groß,
daß die Paralyse mit einem sich oft Monate oder Jahre lang hin-
ziehenden ausgesprochen neurasthenischen Prodromalstadium be-
ginnen kann, in dem Reizbarkeit, Erschöpfbarkeit, Schlaflosigkeit,
Kopfschmerzen usw. eine großeRollespielen. Fürdie Abgrenzung gegen
die Neurasthenie kommen vor allem folgende der Paralyse eigentüm-
liche psychische Störungen in Betracht): Aenderung des Charakters,
Abstumpfung des ethischen und ästhetischen Gefühlskomplexes,
die sich durch Verstöße gegen den Anstand, Vernachlässigung der
äußeren Erscheinung usw. dokumentieren, Störung der Merkfähig-
keit, Gedächtnis- und Urteilsschwäche, Unsicherheit in der Be-
herrschung von Raum- und Zeitvorstellungen, Gemütsstumpfheit,
Verständnislosigkeit gegenüber all diesen Veränderungen des eignen
Wesens, Beeinflußbarkeit der Stimmung und Bestimmbarkeit des
Handelns. Ich will hier nur auf die beiden zuletzt genannten Er-
scheinungen aufmerksam machen, da sie oft nicht genügend be-
achtet und gewürdigt werden; aber es ist auch für einen älteren
Psychiater immer wieder erstaunlich, wie man erregte und recht
unangenehme Paralytiker selbst im frühen Anfangsstadium oft
durch die banalsten Einwürfe und Vorschläge in ihrer Stimmung,
ihren Plänen und Handlungen vollkommen umstimmen kann. Ge-
dächtnisschwäche kommt auch beim Neurastheniker vor, doch ist
sie objektiv verhältnismäßig viel weniger nachweisbar als sie sub-
jektiv empfunden und geklagt wird; beim Paralytiker ist es um-
gekehrt. Es spricht im allgemeinen mehr für N eurasthenie, wenn
sich die nervöse Erschöpfung durch einen plötzlichen Zusammen-
bruch dokumentiert hat; bei der Paralyse pflegen die nervösen
Symptome meist mehr allmählich aufzutreten. Genaues Verständnis
für die Krankheitserscheinungen spricht für Neurasthenie, Un-
fähigkeit zu richtiger Beobachtung und Beurteilung der Störungen
für Paralyse. Zur Sicherung der Diagnose wird man eine Reihe
von andern Momenten verwerten können. Tritt die Neurasthenie
bei einem in der Blüte des Lebens stehenden Manne zum ersten-
mal und ohne genügenden Grund auf, dann ist die "Wahrschein-
lickeit, daß es sich um Paralyse handeln dürfte, recht groß. Der
Nachweis von Syphilis in der Anamnese und weiterhin die körper-
lichen Symptome, vor allem die Phase-I-Reaktion und die Wasser-
mannreaktion der Lumbalflüssigkeit ermöglichen die Differential-
diagnose gegenüber der Neurasthenie, die zuletzt genannten auch
bei vorher syphilitisch gewesenen Personen.
Recht große Schwierigkeiten kann oft die Abgrenzung der
verschiedenen Zustandsbilder des manisch-depressiven Irreseins von
1) Emil Kraepelin, Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende
und Aerzte. 8. Auflage. 1910, Bd. 2, Teil 1, S. 519.
u a Hoche, Die Frühdiagnose der progressiven Paralyse. 1910,
, Aufl.
= 3) Karl Heilbronner, Frühdiagnose und Behandlung der pro-
gressiven Paralyse. (D. med. Woch. 1906, Bd. 82, Nr. 40, S. 1609.)
% 8. Kraepelin, Obersteiner und Andere.
25. August.
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95. August, | 1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
entsprechend gefärbten Phasen der Paralyse machen. Wenn es
sichum Depressionszustände handelt, so sprechen: für Paralyse:
Urteils- und: Gedächtnisschwäche, -Beeinflußbarkeit, mangelhafte
Orientierung, Unsinnigkeit der. Wahnideen, Schwäche des Affekts.
Doch hebt Kraepelin!) hervor; daß- anscheinende intellektuelle
Störungen und Beeinträchtigung der Willensäußerungen auch Aus-
druckserscheinungen der circulären Hemmung sein können. Als
Kriterien für die Unterscheidung circulärer Stuporzustände von
parelytischen gibt Kraepelin?) an, daß circuläre Kranke einer-
seits etwas besser aufzufassen. pflegen als. paralytische, die Vor-
gänge ihrer Umgebung aufmerksamer verfolgen usw., anderseits
aber motorisch gebundener sind. Aber sowohl bei den Depressions-
wie bei den: Stuporzuständen mit zweifelhafter Grundlage wird
man wohl fast immer genötigt sein, zur Sicherung der Diagnose
die- körperlichen Erscheinungen und die serologischen Reaktionen
heranzuziehen. Das gilt natürlich auch für manische . Zustands-
bilder, unter deren äußerer Erscheinungsform sich eine Paralyse
verbergen kann. Für- die Abgrenzung. der paralytischen Erregungs-
zustände von echter Manie kommen als für Paralyse sprechend
wieder die eigenartigen Grundsymptome in Betracht, die man fast
allgemein bei der Paralyse findet: Urteils- und Gedächtnisschwäche,
mangelhafte zeitliche Orientierung, Maßlosigkeit und Unsinnigkeit
der Wahnideen, Beeinflußbarkeit -der Stimmung und Bestimmbar-
keit des Handelns. Manische Kranke sind nach Kraepelin?)
schlagfertiger, haben mehr Verständnis für ihre Lage, bringen ihre
Wahnideen mehr spielend vor, wollen mit ihnen: aufschneiden und
verblüffen. Trotzdem wird die differentielle Diagnose auf Grund. des
psychischen Symptomenkomplexes allein recht mißlich und oft un-
möglich sein, und man wird die Entscheidung von den neuro-sero-
logischen Untersuchungsergebnissen abhängig machen, Doch
können die Schwierigkeiten hier noch dadurch erheblich gesteigert:
werden, . daß, wie es öfters vorkommt, bei ‘einem Manisch-
Depressiven .sich Erscheinungen eines organischen syphilogenen
i .
Leidens finden.
... _ [eh habe zurzeit einen derartigen Fall in Behandlung und will ihn
in aller Kürze schildern: Es ist ein jetzt 53 Jahre alter Herr, der seit
dem Jahre 1906 eine ganze Reihe von typischen manischen.und depres-
siven Phasen durchgemacht hat. An der Diagnose „manisch-depressives
Irresein“ scheint nach den ‚uns vorliegenden Krankheitsgeschichten einer
andern Anstalt kaum jemals irgendein Zweifel gewesen zu sein; er ist
auch rückblickend auf Grund der Krankheitsschilderungen in keiner Weise
begründet. Seit einer Reihe.von Wochen ist dieser. Herr wieder manisch
erregt. Er zeigt- gehobene Stimmung, starken Rede- und. Beschäftigungs-
drang... ausgeprägte Ideenflucht, Neigung zur Verübung von allerlei
Allotria -usw. usw. Daneben jähen Stimmungswechsel, plötzlichen Ueber-
gang der heiteren Stimmung in Depression und oft in zornige. Erregung;
wochenlang konnte ein ganz regelmäßiges, Tag um Tag: erfolgendes
Alternieren von „beiterer‘“ und „zornmütiger“ Manie konstatiert werden:
' will den Arzt zum Staatssekretär machen, macht unsinnige. Projekte
usw. .Bei diesem Kranken fehlen nun jetzt außerdem die Päatellar- und
ichillessehnenreflexe, die Pupillarlichtreaktion ist entschieden beeinträch-
tigt (mangelnde Erweiterung bei Beschattung) und es besteht eine,
‚allerdings nicht sicher oder wahrscheinlich sicher nicht. paralytische,
tir(+-+). Die Lumbalpunktion ergab: Flüssigkeit klar und wasserhell
mit einem ganz leichten gelblichen Schein: Zellen stark ver-
mèhrt (+++) (kein Blut!), Nonne stark positiv (++--++) Wasser-
mann ebenfalls sehr stark positiv schon mit 200/o der normal erforder-
lichen Liquormenge(!), desgleichen. war die neue colloidale Goldreaktion
von Lange sehr stark positiv. Das Ergebnis der Lumbalpunktion spricht
also beinahe unbedingt für Paralyse. Trotzdem habe ich mich bisher
war dazu entschließen können, mit Bestimmtheit die Diagnose „Para-
zu stellen. Was mich davon abhält, ist vorallem die Tatsache,
ab der Kranke keinerlei Gedächtnis- und Urteilsschwäche zeigt, daß er
vorzüglich .auffaßt und tadellos rechnet. Es ist anzunehmen, daß die
weitere Beobachtung eine Aufklärung des Falles bringen wird. Vorder-
and muß aber die Frage ‘offen bleiben, ob wir hier eine Paralyse vor
= haben, die sich aus einem manisch-depressiven Vorstadium entwickelt
at, oder ein manisch-depressives Irresein, dem sich eine Tabes oder
cerebrospinalis (?) hinzugesellt hat. Der Fall beweist jedenfalls, wie
„uberordentlich schwierig die Diagnose sein kann. Eoi
D Auch zwischen Paralyse und den verschiedenen Formen der
n mentia praecox können differentialdiagnostische Schwierigkeiten
2 on. . Für Paralyse sprechen die schon mehrmals. erwähnten
p „ehischen Symptome ; für Dementia praecox die gemütliche
j mpfheit, die Manieren, die sinnlosen Antworten und das ganze
Sr der katatonischen Symptome, die sich aber natürlich auch
el Paralytikern finden können. Sichere Entscheidung
D
1) 1. e. S. 520:
lo
) L e. S. 521.
in zweifelhaften. Fällen ist auch hier wieder meist-nur durch den
Nachweis der körperlichen Paralysesymptome und durch die: vier
tionen, insbesondere die Untersuchung der Lumbalflüss
erwähne anhangsweise, daß neuerdings O. Kern!) mehrere
Fälle: von Vorkommen des paranoischen Symptomenkomplexes bei
Paralyse mitgeteilt hat. . So. ging besonders. in einem Falle -bei
einem offenbar .paranoisch ‚veranlagten Individuum ein paranoider
Beeinträchtigungswahn etwa vier Jahre lang dem Auftreten körper-
licher Paralysesymptome voraus. Trotz positiver Wassermann-
scher Reaktion .des Liquor spinalis‘ scheint. mir die Diagnose
„Paralyse“ durchaus noch nicht über jeden Zweifel sicher‘ be-
gründet, da der Kranke gar nicht dement ist. Kern nimmt: eine
atypische, stationäre Paralyse an, aber es ist gar nicht von der
Hand zu weisen, daß die andere von ihm in Erwägung gezogene
Möglichkeit „Paranoia + Lues cerebri“ .
mehr Wahrscheinlichk
oft unlösbare Schwierigkeiten.
= -Diagnostische Zweifel, zumeist allerdings wohl nur v
gehender Natur, können auch entstehen zwischen einem deliriösen
Erregungszustand eines Paralytikers und dem Delirium tremens,
Die Verhältnisse werden noch dadurch kompliziert, daß die Paralyse
bei einem Trinker mit einem Delirium tremens beginnen kann und
erst nach dessen Ablauf paralytische Symptome ins Auge fallen.
Hier ist besonders daran zu-erinnern, daß die nach Ablauf- des
Deliriums beobachtete Pupillenträgheit in den ersten Wochen gar
nicht, und auch refiektorische Pupillenstarre nach Nonnes Beob-
achtung (siehe oben) nicht mehr absolut für. Paralyse spricht.
Doch wird ‘es meist ‘unter Berücksichtigung der Vorgeschichte,
des Verlaufs, der andern körperlichen Symptome, Lumbalpunktion
usw. möglich sein, eine sichere Entscheidung zu treffen. Dasselbe
gilt auch für die Abgrenzung der: Paralyse von der alkoholischen
Pseudoparalyse, der sogenannten Alkoholparalyse: Die zahlreichen
alkohologenen Symptome, wie Tremor universalis, die neuritischen
Erscheinungen, Gesichtstäuschungen von alkoholischer Färbung,
Eifersuchtswahn, die eigentümliche Stimmung des Trinkers usw.,
ferner das Fehlen syphilogener beziehungsweise echt paralytischer
Krankheitszeichen und der regressive Verlauf werden. in den
meisten Fällen die alkoholische Grundlage der Pseudoparalyse er-
Schwierigkeiten wird es auch hier wieder in
reichlichem Maße geben, wenn außerdem Syphilis vorhanden ist.
Auch gegenüber der Korsakowschen Psychose kann eine
Abgrenzung der’ Paralyse notwendig und oft schwierig sein. : Die
Fundamentalerscheinungen der Korsakowschen. Psychose, die
hochgradige Störung der Merkfähigkeit, die schwere zeitliche
Desorientiertheit und die zahlreichen Erinnerungsfälschungen bieten
allerdings ein charakteristisches Symptomenbild dar, mit dem die
Zustandsbilder der Paralyse kaum zu verwechseln sind. B
aber diese Erscheinungen nicht oder nicht mehr so stark ausge-
prägt sind, ‚sind die alkoholische Aėtiologie (ich spreche hier nur
von der alkoholischen: Korsakowschen Psychose. und lasse die
auf der Basis von Infektionen, von Syphilis und Arteriosklerose
entstehenden analogen. Zustandsbilder außer Betracht), so sind
also die alkoholische Aetiologie, die eventuelle Entstehung aus
einem 'Delirium tremens, die oben schon erwähnten alkohologenen
Symptome, wie Neuritis, Tremor, die alkoholistische Stimmung, für
die Diagnose des Korsakow zu verwerten, während die dauernde
reflektorische Lichtstarre, die echte paralytische Sprachstörung
und vor allem der positive Ausfall der vier Reaktionen für Paralyse
sprechen. Ist außerdem Syphilis in der Anamnese vorhanden, so
kann eine Entscheidung durch. die Phase-I-Reaktion und die.
Wassermannreaktion des Liquor getroffen werden. `
Es können dann noch eine Reihe von Krankheiten zu Ver-
wechslungen mit Paralyse Anlaß geben, so der Tumor cerebri,
die multiple Sklerose, die Encephalopathia saturnina. EEY
Eine genaue Untersuchung, Berücksichtigung‘ der- Vor-
geschichte und des Verlaufs werden hier Irrtümer meist bald
beseitigen. Auch die immerhin seltenen Fälle, in denen nach
chronischer Morphium-, Brom-, Trional-, Schwefelkohlenstoff-Intoxi-
kation Krankheitsbilder entstehen, die der. Paralyse ähnlich sind,
werden sich meist bald aufklären lassen.
hinweggehen, zumal noch eini
Besprechung bedürfen. — -
. [eh nenne an erster Stelle die „arte
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eit für sich hat. Also auch hier gibt es
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kennen lassen.
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prachstörung. Die Wassermannsche Reaktion des Bluts war posi-.
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Ich kann darüber kurz
ge wichtige „Pseudoparalysen“ der
riosklerotische Pseudo-
` 1) 0..Kern, Ueber’ das Vorkommen des paranoischen Symptomen:
komplexes s progressiver Paralyse. ` (Zt. f. ‘ges. Neur. u. Psych. 1911,
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25. August.
paralyse“. Bekanntlich können auf der Basis der Arteriosklerose
der Hirngefäße sich Krankheitszustände entwickeln,. die durch eine
Kombination der mannigfaltigsten psychischen Veränderungen und
cerebraler Herdsymptome gekennzeichnet sind. Ich kann hier nicht
eine Symptomatologie des arteriosklerotischen Irreseins, um dessen
Schaffung sich vor allem Binswanger!), Alzheimer?), Buch-
holz?), Weber‘) und auch Andere verdient gemacht haben,
geben. Bei Kraepelin®) findet sich eine klassische Schilderung
der hierhergehörigen Krankheitszustände und eine vorzügliche
differentielle Abgrenzung gegen die Paralyse. Ich kann hier nur
einige besonders wichtige Gesichtspunkte anführen. Für arterio-
sklerotisches Irresein sprechen: das höhere Lebensalter, das Vor-
handensein von allgemeiner Arteriosklerose (nachweisbar insbeson-
dere durch Arteriosklerose der fühlbaren Arterien, Herzverände-
rungen, Erhöhung des Blut- und Pulsdrucks); die Herderschei-
nungen sind weit stärker ausgebildet als bei Paralyse; die psy-
chischen Defekte sind nicht so allgemein wie bei der Paralyse,
sondern mehr auf einzelne Gebiete beschränkt. Die Merkstörung
ist sehr ausgesprochen; Euphorie findet sich kaum, Größenideen
sind selten. Es finden sich Lähmungen und Ausfallerscheinungen
der verschiedensten Art und im Anfange treten die körperlichen
Störungen meist mehr hervor als die psychischen. Dagegen gehört
die reflektorische Lichtstarre nicht zum Bilde der arterisklero-
tischen Hirnerkrankung; wo sie vorhanden ist, wie z. B. in den
Woeberschen Fällen®), ist sie mit Akkommodationsstarre kombi-
niert und oft durch Lues bedingt. Ebenso fehlt die charakte-
ristische paralytische Sprachstörung. Schließlich werden die vier
Reaktionen, die ja bei Arteriosklerose sämtlich negativ sind, eine
sichere Diagnose ermöglichen. Liegt außer Arteriosklerose auch
Lues vor, so werden immerhin die Phase-I-Reaktion und die
Wassermannreaktion des Liquor negativ sein. Aehnliche Gesichts-
punkte gelten auch für die Abgrenzung des eigentlichen Alters-
blödsinns von der Paralyse.
Die größten differentialdiagnostischen Schwierigkeiten er-
wachsen bei der Abgrenzung der sogenannten syphilitischen Pseudo-
paralyse von der eigentlichen Paralyse. Es gibt eine Form der
Hirnsyphilis, die mit der progressiven Paralyse, und zwar zumeist
mit der dementen Form derselben, eine mehr oder weniger große
Aehnlichkeit hat. Fournier?) hat zuerst für derartige Krank-
heitsbilder den Namen syphilitische Pseudoparalyse angewandt,
. Jolly®) und Andere haben sich ihm angeschlossen, während z. B.
Fürstner?) den Namen Pseudoparalyse nur auf diejenigen Zu-
stände beschränken will, bei denen zunächst alle Symptome für
Paralyse sprechen, während der weitere Verlauf lehrt, daß es sich
nicht um echte Paralyse gehandelt hat. Neben den, wie gesagt,
zumeist unter dem Bilde einer dementen Paralyse verlaufenden
Fällen der syphilitischen Pseudoparalyse gibt es andere, die mehr
das Bild einer expansiven Paralyse mit unsinnigen Größenideen
darbieten, wie z. B. einige von A. Westphal!?), oder das des
Korsakowschen Symptomenkomplexes. Auf eine speziellere Sym-
ptomatologie dieser Krankheitsbilder kann ich hier nicht eingehen.
Die Mannigfaltigkeit der zur Beobachtung gelangten Symptomen-
komplexe ist eine sehr große; in wechselnder Kombination sind
hier die verschiedensten Reiz- und Ausfallerscheinungen auf körper-
lichem und psychischem Gebiete mit paralyse- und tabesartigen
Symptomen vereint. Ich muß mich darauf beschränken, einige all-
gemein differential-diagnostische Kriterien zur Abgrenzung dieser
Zustände von echter Paralyse hervorzuheben. Während die psy-
chische Störung bei der Paralyse eine allgemeine ist und die ganze
Persönlichkeit betrifft, sind bei der Pseudoparalyse die Ausfall-
erscheinungen zumeist ungleichmäßig und auf einzelne Gebiete der
1) O. Binswanger, Berl. kl. Woch. 1904, Nr. 49.
2) Alzheimer, Allg. Zt. f. Psych., Bd. 51, S. 809; Bd. 58, S. 868.
Referat auf der Jahresversammlung des Vereins der Deutschen Irrenärzte.
München 1902, Bd. 59, S. 695. |
3) Buchholz, Geistesstörungen bei Arteriosklerose. (A. f. Psych.
u. Nerv., Bd. 39, S. 499.) |
4) L. W. Weber, Zur Klinik der arteriosklerotischen Seelen-
störungen. (Mon. f. Psych. u. Neur., 1908, Bd. 23, Ergänzungsheft, S. 175.)
b) I. c. S. 5ö4ff.
6) 1. c.
1) Fournier, Leçons sur la période préataxique du tabes d'origine
syphilitique. Paris 1885. , .
8) Jolly, Syphilis und Geisteskrankheiten. (Berl. kl. Woch. 1901, 1.)
9, Fürstner, Gibt es eine Pseudoparalyse? (Zbl. f. Nerv. 1902,
2. |
a) A. Westphal, Ueber die Differentialdiagnose der Dementia
paralytica. (Med. Kl. 1905, Nr. 27.)
Psyche beschränkt, und andere Funktionen können dabei mehr
oder weniger intakt sein.. So fehlten z. B. in den von A. West-
phal beschriebenen Fällen die fortschreitende geistige Schwäche,
und eine Störung der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses waren
während des ganzen Verlaufs nicht zu konstatieren. In andern
Fällen ist die Auffassungsfähigkeit, das Rechenvermögen usw. gut
erhalten, während bei der Paralyse nach längerer Krankheitsdauer
meist eine gleichmäßige Abschwächung oder Auslöschung aller
geistigen Fähigkeiten einzutreten pflegt. Von besonderer Wichtig-
keit ist auch, daß die Hirnsyphilitischen oft ein klares Verständnis
für ihre Krankheit haben, sich selbst richtig beurteilen im Gegen-
satz zum Paralytiker. Auch die körperlichen Störungen sind bei
der Pseudoparalyse, übrigens ganz so wie bei den vorhin erwähnten
arteriosklerotischen Geistesstörungen, mehr herdartig und viel
mannigfaltiger als bei der Paralyse. Halbseiten- und Augenmuskel-
lähmungen sind bei der Pseudoparalyse häufig, die typische Sprach-
störung fehlt dagegen fast stets, so z. B. in allen Fällen A. West-
phalst). Die Pupillenreaktion ist oft erhalten. Der Verlauf der
Pseudoparalyse ist ein viel langsamerer als der der Paralyse, Still-
stände und Schwankungen sind häufiger; den Ausgang des Leidens
bildet nicht wie bei der Paralyse ausnahmslos der Tod, sondern
es entwickelt sich nach mehr oder weniger langer Zeit eine Art
Dauerzustand, der viele Jahre bestehen kann. Die lange Dauer
dieser Fälle spricht natürlich auch in gewissem Grade gegen eine
echte Paralyse. Denn die durchschnittliche Krankheitsdauer der
Paralyse beträgt etwa 21/, Jahre, nur zirka 10°, aller Paralytiker
überleben das vierte Krankheitsjahr, und nur recht wenige Fälle
dauern sechs bis acht Jahre oder gar noch länger. Allerdings
wissen wir ja, daß es vereinzelte Paralysefälle von abnorm langer
Dauer gibt. So konnte Alzheimer?) in einem Paralysefalle von
32jähriger Dauer die sicheren histologischen Kennzeichen der Para-
lyse feststellen. ° Anderseits zeigen gerade diese langsam verlau-
fenden Fälle häufig Abweichungen von dem gewöhnlichen Bilde
der Paralyse und eine genaue rückblickende Betrachtung ergibt
oft, daß es sich hier um andersartige Erkrankungen handelt und
die Diagnose Paralyse nicht zu Recht besteht. Ob es überhaupt
„stationäre“ Paralysen gibt, das heißt also Fälle, in denen sich die
Krankheit eine Zeitlang progressiv entwickelt hat und dann in
einem bestimmten klinisch wohl charakterisierten Stadium end-
gültig Halt macht, erscheint nach den Untersuchungen Gaupps?)
noch sehr zweifelhaft. Wahrscheinlich ist ein Teil der unter
diesem Namen beschriebenen Fälle der Hirnlues zuzurechnen.
Jedenfalls wird die Abgrenzung dieser „stationären“ oder doch
wenigstens Jahre lang anscheinend nicht progressiven Paralysefälle
von der Pseudoparalyse sehr schwer oder oft gar nicht möglich
sein. In allen Fällen muß zur Unterscheidung von Paralyse und
Pseudoparalyse jetzt die Wassermannsche Reaktion des Liquor
spinalis herangezogen werden; tritt sie schon bei Verwendung von
0,2 ccm ein, so spricht dies mehr für Paralyse, erfolgt sie erst
bei Verwendung von 0,3 bis 1,0 cem, so handelt es sich wahr-
scheinlich um Lues cerebri. Die andern drei Reaktionen, die
Wassermannsche Reaktion des Bluts, die Pleocystose und die
Phase-I-Reaktion sind differentialdiagnostisch gar nicht verwertbar,
da sie bei beiden Affektionen gleich häufig gefunden werden. Jeden-
falls ist die Differentialdiagnose zwischen Paralyse und Pseudo-
paralyse äußerst schwierig und nur durch eine genaue Verwertung
aller Symptome und oft nur durch eine langdauernde Beobachtung
des ganzen Verlaufs, manchmal allerdings erst durch die histo-
logische Untersuchung möglich. Kompliziert wird diese schon
an sich so schwierige differentielle Abgrenzung noch dadurch,
daß hier und da eine Kombination von Paralyse und Lues cerebri
zur Beobachtung kommt. Derartige Fälle sind von Wickel‘),
Nonne”), Sträußler®) und Andern mitgeteilt worden.
1) A. Westphal, Med. Kl. 1905, Nr. 27 und Weiterer Beitrag
zur Differentialdiagnose der Dementia paralytica 19807, Nr. 4/5.
j) Alzheimer, Die stationäre Paralyse, Referat. Anatomischer
Teil. (Zbl. f£. Nerv. 1907, Bd. 30, S. 708.)
`) Robert Gaupp, Die Prognose der progressiven Paralyse. (D.
med. Woch. 1904, Bd. 30, S. 124) und Derselbe, Die stationäre Para-
lyse. Referat. Klinischer Teil. (Zbl. f. Nerv. 1907, Bd. 80, S. 696.)
*) Wickel, Kasuistische Beiträge zur Differentialdiagnose zwischen
er aa diffusa und Dementia paralytica. (A. f. Psych. 1898, Bd. 30,
°) M. Nonne, Syphilis und Nervensystem. 2. Aufl. Berlin 1909,
S. Karger.
) Ernst Sträußler, Zur Lehre von der miliaren disseminierten
Form der Hirnlues und ihrer Kombination mit der progressiven Paralyse.
(Mon. f. Psych. u. Neur. 1906, Bd. 19, S. 244.)
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. = 1388.
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-...Zum Schluß habe ich dann noch die Differentialdiagnose
der Paralyse gegenüber den bei der Tabes auftretenden Geistes-
störungen zu besprechen. Die zahlreichen hier in Betracht kommen-
den Fragen und Schwierigkeiten sind von Cassirer!) in einer
Monographie :und in einer größeren Arbeit von Meyer?) erörtert
worden, nachdem schon vorher eine große :Reihe von Autoren Bei-
träge zum. Kapitel’ der Tabespsychosen geliefert hatten. Es ist
zunächst daran zu erinnern, daß ein großer, vielleicht der größte
Teil -der bei -der Tabes zur Entwicklung gelangenden Psychosen
fraglos als Paralysen anzusehen sind. Es ist recht häufig, daß zu
einer seit vielen Jahren bestehenden Tabes sich eine. echte Para-
lyse hinzugesellt. Es scheint ferner, wenn auch wohl seltener, der
Fall vorzukommen, daß zu einer Paralyse eine Tabes hinzutritt,
und es ist schließlich überaus häufig, daß eine gewöhnliche Para-
lyse mehr oder weniger tabische Symptome hat. Nun, in allen
diesen Fällen handelt es sich eben um Paralyse, und es müssen
die üblichen psychischen und körperlichen Symptome der Paralyse
für die Diagnosenstellung verwertet werden; die vier. Reaktionen
werden in allen Fällen in der Regel positiv sein. Aber abgesehen
von der Paralyse und ihren psychischen Erscheinungen kommen
- bei der Tabes die mannigfaltigsten neurotischen und psychotischen
Symptome, die verschiedensten Neurosen und Psychosen vor. . Bei
der großen Häufigkeit der Tabes ist es zunächst kein Wunder,
daB zufällige Kombinationen von Tabes mit irgendeiner wohl-
oharakterisierten Psychose nicht gerade besonders selten sind. Bei |.
Cassirer finden sich eine Reihe von prägnanten Beispielen hier-
für angeführt: Verschiedene Fälle von manisch-depressivem Irre-
sein, von Imbeeillität, von Morphinismus und Alkoholismus eigner |
Beobachtung, daneben aus der Literatur andere von Katatonie be-
ziehungsweise Dementia praecox, alle kombiniert mit Tabes, illu-
strieren die Mannigfaltigkeit der möglichen Kombinationen, zeigen
aber auch, wie groß die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten |
sein können. Zumeist wird nur durch eine längerdauernde Beob-
achtung und eine genaue Berücksichtigung der Vorgeschichte eine
sichere Entscheidung zu treffen sein. Cassirer konnte in allen
seinen Fällen zu einem sicheren diagnostischen Ergebnis gelangen.
Heute wird die Entscheidung vielleicht durch Anwendung der
Wassermannreaktion des Liquor erleichtert werden; bei positivem
Ergebnis mit 0,2 cem. Liquor ist die Wahrscheinlichkeit, daß es
sich um eine Paralyse handeln dürfte, sehr groß. Die andern drei
Reaktionen sind natürlich differentialdiagnostisch in diesen Fällen
nicht verwertbar, da sie sich sowohl bei Tabes als bei Paralyse finden.
Indes — die Hauptsache bleibt doch wohl die Berücksichtigung
und Wertung aller körperlichen und psychischen Symptome.
Außer den immerhin seltenen echten Psychosen kommen nun
bei Tabikern recht häufig leichtere psychische und neurotische Ver-
änderungen vor, die meist als Tabesneurasthenie bezeichnet werden,
und teils in einer Aenderung der Stimmungslage nach oben oder
nach unten, teils in leichten Erschöpfungs- und Schwächesymptomen.
bestehen. Die Möglichkeit, daß es sich hier um Frühsymptome
einer Paralyse handelt, ist natürlich stets im Auge zu behalten;
es ist deshalb auf charakteristische paralytische Symptome, die
der Tabes fremd sind, wie Sprachstörung, stärkere Gedächtnis-
und Urteilsschwäche usw., zu fahnden und eventuell die Wasser-
Mannreaktion des Liquors zur Entscheidung zu verwerten. Es
werden aber: ferner bei der Tabes noch gewisse psychotische Bilder
mit einer solchen: Häufigkeit beobachtet, daß man wohl berechtigt
Ist, sie in gewissem Sinne als „Tabespsychosen“ zu bezeichnen.
Sie haben sämtlich einen paranoischen Charakter; Sinnestäuschungen
und Beeinträchtigungswahnideen der mannigfaltigsten Art bilden
e wesentlichsten Syinptome "dieser Zustände. Sie können ent-
weder aur in Form ganz kurzdauernder Delirien auftreten und sich
nur durch Sinnestäuschungen kundgeben, als „halluzinatorische
isen“, wie sie Cassirer bezeichnet, oder sie präsentieren sich
unter dem Bilde des halluzinatorischen Wahnsinns der Trinker;
a treten dann neben den massenhaften Sinnestäuschungen auch
ahnideen hervor. Neben diesen zuletät erwähnten, zumeist nach
ochen oder Monaten wieder verschwindenden Zuständen gibt es
noch andere, ganz chronisch verlaufende, in denen die Wahnideen _
oc mehr neben den Sinnestäuschungen in den Vordergrund des
ve hen Bildes treten und manchmal ein wenig systematisiert
„erden. Auf-dise Zustände haben schon Pierret?) und Rougier®)
) R. Cassirer, Tabes und Psychose. (Berlin 1903, S. Karger.)
3 Meyer, Mòn. f. Psych. u. Neur., Bd. 13, S. 582. `
. -` ) Pierrot, Semaine médicale 1892. i ,
chez Je; Rougier, : Essai sur la lypémanie et le délire de persécution
es tàbétiques. ` (Thèse de Lyon 1882.) |
hingewiesen, andere wie Moebius!) und Nageotte?) haben ihre
Sonderstellung energisch bestritten, und noch ganz neuerdings hat,
sich Truelle®) gegen die Annahme besonderer Tabespsychosen
ausgesprochen. ‚Dagegen sind Gassirer®) und besonders Meyer?°),
dann aber vor allem-Kraepelin für die Anschauung eingetreten,
daß den. genannten Krankheitsbildern doch fraglos eine Art Speci-
ficität als Tabespsychosen zukomme. Ihre Prognose ist eine andere
als die der Paralyse und hängt quoad vitam von der begleitenden
Tabes ab. Ihre Abgrenzung gegenüber der Paralyse hat nach den
‚vorhin angeführten Gesichtspunkten zu erfolgen: Vorgeschichte,
Verlauf, Aufsuchung eventuell speeifisch paralytischer. Symptome
(Sprachstörung!), Wassermannsche Reaktion des Liquor, ermög-
lichen zumeist die Unterscheidung beider Affektionen.
Und zum Schluß noch einmal die Mahnung, die alle kom-
petenten Autoren, so neben den oben schon erwähnten Nonne und
Klieneberger, insbesondere auch Bonhoeffer®) in einer kleinen
Publikation immer wieder erheben: „Eine Paralyse kann nach wie
vor (also trotz der neuen Methoden) nur aus der Gesamtheit der
psychischen und somatischen Symptome diagnostiziert werden“.
Weitere Beiträge zur kausalen Therapie
des Diabetes | |
von
Dr. Carl Funck, Köln.
l (Schluß aus Nr. 33.)
| Nicht als vollständige Zusammenstellung von Einzelfällen,,
sondern als generellen Beleg mögen einige weitere Beispiele für
eine solche zielstrebige generell kausale erfolgreiche Therapie an-
geführt sein: Abgesehen von den von mir aus eigner Erfahrung
seit. einigen Jahren fortlaufend mitgeteilten Fällen sind Beob-
achtungen von erfolgreicher Kausaltherapie in letzter Zeit häufiger
' berichtet, so von Richartz — Verschwinden der Glykosurie und
Erhöhung der Kohlehydrattoleranz durch diätetische Behandlung
einer. vorliegenden Enteritis, Strübe — ebensolche Erfolge durch
Magenspülungen, Grube, Saundby, Weber, ich und andere be-
richten über Dauererfolge kausaler Therapie bei „neurasthenischem“
Diabetes, Umber — (und vor ihm ähnliche Fälle von Troller,
Lemonnier und viele andere Autoren); bei Behandlung einer
Pankrestitis luetica mit 5,4 0/9 Zuckerausscheidung durch Salvarsan
verschwindet die Glykosurie und Patient erreicht eine unbeschränkte
Kohlehydrattoleranz; in diese Rubrik sind ferner die von Falta
und andern ‚Autoren, vorzüglich auch von Lorand mitgeteilten
durch Verabreichung von Antithyreoidin zum Teil sehr günstig
beeinflußten Fälle von thyreogenem Diabetes zu setzen, hierhin
zweifellos eine große Reihe der bei gastroenterogenen beziehungs-
weise hepatogenen Diabetesfällen oder Diabetes auf; Grund urathi-
scher Diathese durch Trinkkuren erzielten Erfolge. Gerade der
Kausalkonnex zwischen der urathischen Diathese und Leber-
erkrankungen, der „Lebergicht“ der englischen Autoren, der
Cirrhose und der funktionellen Leberinsuffizienz ist am häufigsten
und prägnantesten betont und verfochten worden und zwar zumeist
im Lande der Gicht, in England; ich übergehe eine Erörterung
dieses überaus häufigen Kausalkonnexes, der ja auch die eigent-
liche und neben beginnender Acidosis vielleicht einzige Indikation
zu Trinkkuren mit alkalischen Wässern bei Diabetes bedingt und
weise nur wieder darauf hin, daß manche anatomisch nicht nach-
weisbare Leberinsuffizienz und manche nachweisbare Cirrhose durch
Ueberlastung der entgiftenden Wirkung der Leber bei Eliminierung
solcher Gifte zustande kommt, die bei der Nahrungsaufnahme im
Verdauungstrakt — eventuell infolge dessen funktioneller Insuffi-
zienz — gebildet werden (Rindfleisch) und verweise auch auf
die von diesem Autor, Grawitz, Jores und andern Autoren mit-
geteilten Fälle, bei welchen .die Leber durch infolge einer Achylia
gastrica im Darme gebildete Toxen funktionell insuffizient und der
Patient kachektisch . wurde. Bei auf solcher Grundlage
entstehenden Glykosurien kat eine rationelle kausale
Therapie also neben der Leber auch am Magendarm
anzugreifen. Ich selbst habe in verschiedenen Fällen eine auf
1) Moebius, Ueber die Tabes. (Berlin 1897, S. Karger.) -.
2) Nageotte, Tabes et paralysie générale. (Thèse de Paris 1893.)
3) Truelle, Les troubles mentaux ' dans le Täbes. ` (Ann. med.-
psych. a T.68) Sa S | ' =
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6) Bonhoeffer,‘ Bemerkungen zur Behandlung und Diagnose- der
progressiven Paralyse.: ; (Berl; kl: Wach. 1910, Ba. &7,.Nr..80.). _... :
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1384
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
beginnender Leberinsuffizienz (alimentäre Lävulosurie, Urobilinurie,
palpabele Milz) basierende 'alimentäre Glykosurie der Achyliker
durch große Salzsäuregaben und vorwiegend lactovegetabile Diät
zum dauernden Verschwinden bei unbeschränkter Amyaceentoleranz
gebracht. Keine Frage, daß eine Trinkkur in Neuenahr oder Karls-
bad durch Besserung der Leberfunktion zunächst einen ähnlichen
Erfolg gehabt hätte, trotzdem die alkalische Trinkkur der durch
die Achylie gegebenen Indikation diametral entgegengesetzt ist —
die Dauer dieses Erfolges zu beurteilen überlasse ich der Er-
fahrung des Praktikers, der ja notgedrungen günstigen Falles den
` Patienten jedes Jahr, oft allerdings lange Jahre mit stets sich
wiederholendem Erfolg in den Kurort schickt. u
Das weitere Stadium oder der essentielle Diabetes werden
durch kausale Therapie entweder nicht mehr oder zum mindesten
nicht so günstig, wie durch Naunyn-Hoffmanns spezifische
diätetischen Schonung im Sinne einer Hebung des Dissimilations-
vermögens für Kohlehydrate beeinflußt. Hier ist die krankhaft
gesteigerte Kohlebydratimmobilisierung oder verminderte Glykolyse
oder verminderte Kohlehydratdissimilation infolge irreparabeler
oder anderweitig nicht ersatzfähiger organischer und funktioneller
Veränderungen der dem Kohlehydratstoffwechsel vorstehenden
Organe oder auch infolge der Tenacität solcher Zellgruppen zu
einem kausaltherapeutisch fast unbeeinflußbaren, eventuell von der
auslösenden Ursache unabhängigen, selbständigen Prozeß geworden;
gegen diese Krankheit, den voll ausgebildeten essen-
tiellen Diabetes, : hat sich die bisherige klassische
Diabetestherapie gewandt.
Eben diese Therapie ist jedoch in vielen Fällen
von symptomatischem Diabetes kontraindiziert ent-
sprechend der Pathogenese dieses Stadiums und den daraus
resultierenden Indikationen; sie ist, um nur kursorisch auf einige
bei der Pathogenese des Diabetes als wichtig dargestellte Faktoren.
zurückzugreifen, weder geeignet, die -Indolbildung im Organismus
herabzusetzen, noch entspricht sie den durch eine krankhafte oder
insuffiziente Magendarmfunktion oder etwa den durch eine funk-
tionelle Anomalie des chromaffinen Systems gegebenen Indikationen.
Außerordentlich erschwerend für die Aufstellung eines Heil-
plans ist nun der Umstand, daß nach meiner Erfahrung weder
die Menge des ausgeschiedenen Zuckers, noch Fehlen oder Vor-
handensein von Acidosis, noch das Allgemeinbefinden des Patienten
ein Kriterium dafür geben, ob der Diabetes noch im ersten, Kausal-
therapeutisch bceinflußbaren oder schon im zweiten essentiellen
Stadium sich befindet. Neben den hier und früher mitgeteilten
kausaltherapeutisch mit dem Erfolg zum mindesten unbeschränkter
Amylaceentoleranz behandelten Fällen mit hochgradiger Zucker-
ausscheidung, Acidosis und vorgeschrittener Kachexie erwähne
ich ausdrücklich andere Fälle, welche bei einer Zuckerausscheidung
von unter 10g pro Tag kausaltherapeutisch gänzlich unbeeinflußbar
sich verhielten und also nach längeren vergeblichen Versuchen mit
der üblichen Toleranzhebung durch Einschränkung und ein-
schleichende Steigerung der Kohlehydratgaben unter Einschaltung
von Hafer- usw. Tagen, Trinkkuren mit alkalischen Wässern und
unter Beibehaltung der ällgemein den Stoffwechsel befördernden
Faktoren teils ‘mit, teils ohne nennenswerten Erfolg quoad Er-
höhung der Kohlehydrattoleranz behandelt wurden. Bei einem
großen Prozentsatz dieser Fälle war das Mißlingen der zuerst ein-
geschlagenen Therapie wohl dadurch verürsacht, daß die Causa
morbi der Erkenntnis nicht zugängig gemacht werden konnte;
jedoch läßt oft der weitere auffallend maligne Verlauf solcher
Fälle noch andere in: dem Wesen der Erkrankung liegenden
Faktoren vermuten. Ä |
Da also einstweilen sichere Kriterien fehlen, betrachte ich
in praxi vorab jeden Fall von Diäbetes a priori als im ersten
Stadium befindlich und suche unter besonderer Beachtung der
Funktion des Magendarms, der Leber, des sympatischen Systems,
erkennbarer Anomalien der Thyreoidea, des chromaffinen Systems
usw. sowie etwaiger Infektionen (besonders Lues) die direkte neben
einer etwaigen- Pankreasinsuffizienz bestehende und diese erst in.
der Glykosurie manifestierende Causa morbi zu diagnostizieren
und zu beseitigen. a a e | |
Es sei zugegeben, daß man infolge der vielen Schwierig-
keiten und Unsicherheiten bei der Stellung der Indikation und der
Aufstellung des Heilplans zunächst mit großem’ inneren Wider-
streben von ‘dem sicheren Boden der altgewohnten, in der Mehr-
zahl der Fälle einen relativ mühelosen Erfolg versprechenden The-
rapie — meist der Scheinerfolg einer symptomatischen Therapie,
einer Therapie des. Sichabfindens, wie ich sie nannte — sich auf
die noch unsichere Eisdecke der .Kausaltherapie wagt. Beispiels-
weise wird das rasche Verschwinden der Glykosurie bei: mänchem
jugendlichen Diabetiker durch Beschränkung :. der Kohlehydrate,
vielleicht auch des tierischen Eiweiß, Einlage einiger Hafertage
und — meist recht beiläufiger — Anordnung einer physikalischen
Maßnahme Arzt und Patient leicht verleiten, ;sich „mit: diesem: Er-
folg. zu begnügen; und doch ist cum granesalis: der thprapeu-
tische Effekt etwa so zu bewerten, als wenun man: bei Beginn der
Lungentuberkulose .durch Morpliumtropfen :den: Husten still:
Noch größer wird die V.erküchung. sein, beide Arten yom. théra-
peutischer Bestrebung, die symptomatische und die kausale The:
rapie, zu vermischen. Eu. BE Ea
'Zweifellos sind hier und in früheren Mitteilungen bei den
Erklärungsversuchen der Pathogenese der Diabetesfälle auf Grund
einer aus neuem Gesichtswinkel erfolgenden Beobachtung der
Krankheit manche nicht vollkommen präzise und nicht natur-
wissenschaftlich erwiesene, weil, wie z. B. die Frage der inter-
mediären Toxinbildung und -Wirkung, zunächst nicht erweisbaren
hypothetischen Anschauungen ausgeführt; allein gegenüber
der noch immer vorzufindenden einfachen kasuistischen
Feststellung, daß in diesem oder jenem Falle der Zucker
„ohne ersichtliche Ursache verschwunden ist“, dürften
jene kritischen Untersuchungen über die Ursachen
solcher Heilungsvorgänge und ihre praktische Ver-
wertung doch wohl einen wissenschaftlichen Fortschritt
darstellen, zumal für die generelle Richtigkeit dieser
theoretischen Ueberlegung noch ein wichtiger Faktor
der durch die daran anknüpfende Praxis erzielte Erfolg
spricht. TEE Ti E l
Es ist naturgemäß im Rahmen dieser und früherer Mit-
. teilungen unmöglich, eine erschöpfende Darstellung der Grund-
lagen der kausalen Diabetestherapie zu geben. Ich habe mich
vielmehr bemüht, auf Grund einzelner ganz prägnanter Schulfälle
und unter kritischer Würdigung physiologischer, pathologisch-
anatomischer und klinischer Befunde der Autoren sowie eigner
klinischer Beobachtungen einzelne Kausalkonnexe zwischen Primär-
erkrankung und Diabetes dazulegen. Daß alle beobachteten Fälle
in das Bereich des (im weiteren Sinne) gastroenterogenen Diabetes
fallen, ist vielleicht lediglich aus der besonders darauf gerichteten
Aufmerksamkeit zu erklären. | |
Trotzdem glaube ich, das Generelle der Kausaltherapie in diesen
Bruchstücken soweit festgelegt zu haben, um einer weiteren tastenden
und doch zielbewußten Forschung in diesem Sinne genügende Direktiven
zu geben. Als wertvolle Einführung in die Kausalgenese des Diabetes
und Unterstützung bei weiterem Ausbau der Kausaltherapie sei die
Standard - Monographie über „Die Ursachen der Gilykurie“ von
Rosenberger gewürdigt. | |
Noch ein Gesichtspunkt ist wichtig: |
Aus der Verschiedenheit der Therapie in den einzelnen
Stadien ergibt sich die Wichtigkeit der Frühdiagnose des
Diabetes: Es ist eine oft erwähnte Tatsache, daß die Frübsymptome
der Krankheit, die auch bei zurzeit zuckerfreiem Urin auf
latenten Diabetes zu fahnden auffordern, unbekannter sind, als
sie es vor 40 Jahren waren, als Teschemacher schrieb, man
müsse bei öfter ohne ersichtlichen Grund rezidivierendem Magen-
darmkatarrh auf Diabetes untersuchen! Unter jene Frühsymptome
gehören .nervöse Erscheinungen oft ganz typischer Art, wie
Stimmungsanomalie, vages Krankheits- ‘und allgemeines Müdig-
keitsgefühl, Melancholie, unmotivierte Reizbarkeit, unruhiger Schlaf
und Schlaflosigkeit, vage rheumatische. Muskel- und Gelenk-
schmerzen, Kopfschmerzen, Wadenkrämpfe, Muskelhüpfen, Par-
ästhesien, die von dem Patienten meist zuerst nicht als Jucken
bezeichnet werden, von Seiten des Verdauungstraktus oft zuerst
mangelhafter Appetit, Abgeschlagenheit nach dem Essen, Neigung
zu Magendarmkatarrhen, übler Geschmack im Munde (wie oft ent-
larvt sich nicht ein „nervöser Dyspeptiker“ als Prädiabetiker),
Freilegung des Zahnhalses durch Retraktion des Zahnfleisches,
trockene, schilfernde Haut; einige. Male beobachtete ich Pollakiurle,
ähnlich der von Kraus beschriebenen Pollacuria urica, oft Anisurle.
Dabei findet sich oft nicht nur der nüchtern gelassene, sondern sogar
der Sammelurin „zuckerfrei“. Wenn z. B. nach . der Hauptmahl-
zeit 300 g Urin einen Zuckergehalt von 0,8%), aufweisen und in
einer Tagesmenge von 1,8 1 aufgehen, so resultiert eine Ver-
dünnung, die bei den meisten Reduktionsproben, besonders wenn
sie in der Sprechstunde ohne nachherige Abkühlung des Reagenz-
glases vorgenommen werden,. ein negatives Resultat ergibt.
den auf latenten Diabetes verdächtigen Fällen lasse ich an drel
aufeinanderfolgenden Tagen morgens und abends kohlehydratreiche
Mahlzeiten, mittags etwa eine Grießsuppe,- viel fettes Fleisch mit
Éy arda POON O OE O OAR T E oa en a O O SE
Behandlung nicht biete; Wolff und Mulzer?) gehen noch weiter,
‚Pilichtet, letztere jetzt schon zu veröffentlichen, da wir ein Auf-
‚Yandlung und..Beobachtung. Es handelt sich demnach um ein
Drug, ___1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34, 1888
onsetiiKartoffeln, süßen Reispudding mit Himbeersaft und "2.1 | Ausfall hindert. Eine durch solche Verhältnisse be-
Bier-nehmen. - Die in den ersten vier Stunden nach der Mittags- | dingte Störung des Kohlehydratstoffwechsels ist, :80-.
mahlaeit des dritten Tages gelassene Urinmenge dient zur quali- lange sie nicht zu einem selbständigen Prozeß geworden
tativen Untersuchung. Bei dieser Art der- funktionellen Unter- | oder noch funktionell substitutionsfähig ist, nach
suchung erleidet der Körper. einen. durchaus physiologischen Reiz, | Eruierung der pathogenen Faktoren und eventuell nach
‘im Gegensatz ..zu . der meist: üblichen ‚Ueberschwemmung des Abwägung derselben gegen einander gemäß der Indicatio
Körpers mit ‚80 bis 100 g Traubenzucker — oft in nüchternem | causalis zu behandeln. Ein. bestimmtes Kriterium, ob
Zustande! . Die Toleranz ‚gegenüber solchen Zuckermengen bietet diese Bedingungen noch bestehen, fehlt uns bisher. Ist
— und ieh .finde mich darin mit vielen Autoren in Ueberein- | die Störung des Kohlehydratstoffwechsels zum selb-
‚stimmüng — aus vielen hier nicht näher anzuführenden Gründen ständigen, von den auslösenden Ursachen unabhängigen
kein Kriterium, für die Dissimilationsfähigkeit des Organismus be- | Prozeß geworden oder ist beispielsweise der Funktions-
züglich Kohlehydräten. Die Untersuchung findet deshalb erst am ausfall des Pankreas so groß, daß ein vikariierendes Ein-
dritten Tage statt, weil, ‘wenn vorher beispielsweise eine frugale | treten anderer Faktoren nicht möglich ist, so ist die Be-
oder kohlehydratarme Kost genommen wurde, bis zum Auf- handlung gemäß der Indicatio morbi einzuleiten — also
verlaufen kann. Eo | | geschaffene Krankheitsbild-gerichtete Diabetestherapie.
... Bind erst einmal Polydipsie, Polyurie und Polyphagie, Im- | Die Erkennung der Pathogenese des Falles ist die wich-
potenz, allgemeiner Pruritus, Furunkulose, Alveolarpyorrhöe, Neur- | tigste Vorbedingung einer rationellen Kausaltherapie,
treten- der Glykosurie eine Latenzzeit bis zu 3 mal 24 Stunden die übliche gegen. das von der Gesamtheit der Faktoren
algien usw. -die Klagen des Patienten, dann benötigt man meist Aus einer in diesem Sinne präzisierten therapeutischen Frage-
keiner funktionellen Belastungsprobe mehr zur Erkennung des stellung ist eine aussichtsvollere Lösung des Diabetesproblems zu
Diabetes. | paS Ba | en. erwarten, und ich erachte Forschungen über die mannigfaltige
© ZusammenfassendseialsResultat hervorgehoben,daß Pathogenese der Diabetesfälle, die Analyse einzelner Fälle in Statu
in dem Komplex diabetogener Faktoren in einem großen, | nascendi, für die Therapie ungleich befruchtender als Unter-
wahrscheinlich dem überwiegenden. Prozentsatze der suchungen über die durch. die voll ausgebildete Krankheit verur-
Fälle auf der einen Seite eine Minderwertigkeit einer Sachten, an und für sich Ja auch außerordentlich interessanten.
der dem Kohlehydratstoffwechse] vorstehenden Drüsen, | Stoffwechselanomalien.:- Nachdem. die Diabetestherapie im letzten
vor allem: des Pankreas, besteht, auf der andern Seite ! Jahrzehnt sich in einem toten Winkel verfahren hat, dürfte‘ eine
ein pathologischer Faktor, der entweder direkt diese Evolution im Sinne der ‚generellen. Kausaltherapie ihr ein. neues
Schädigung verursacht. oder indirekt ein vikariierendes Feld verschaffen, ein Feld, auf dem nach vielen Richtungen hiü
Eintreten anderer Organe oder Funktionen für diesen eine Reihe von Volltreffern schon erzielt wurden. u
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren: | |
Aus der Hautabteilung der städtischen Krankenanstalten : Die von uns angewandte kombinierte Behandlung ist. in der
o. zu Dortmund. Tat nach den Erfahrungen vieler Autoren und nach unserer eignen
en “= T RoN © BEE die am wenigsten bedenkliche, und so glaubten wir das Wohl des
Zur Behandlung der Syphilis mit Neosalvarsan Kranken höher stellen zu müssen wie die gewiß sehr interessante
a a E s Do Entscheidung der Frage, ob denn nun allein mit Neosalvarsan
| Dr. Joh. Fabry. | eine Heilung der Syphilis zu erzielen sei. | po i
| | zz Was die Dosierung des Neosalvarsan anlangt, so haben wir
. „Veranlassung, daß wir heute schon glauben, zur Behandlung | UNS trotz der von verschiedenen Seiten, besonders von S
der Syphilis mit Neosalvarsan Stellung nehmen zu müssen, sind
chreiber,
Zwei in der M, med. Woch. erschienene Publikationen und zwar aus
Iversen, Duhot durchgeführten Verwendung von großen und
größten Dosen im allgemeinen an die mittleren Dosen von Salvarsan
der Straßburger und Würzburger dermatologischen Klinik. |
Die Arbeit aus der Zielerschen Klinik!) weist auf eine
gehalten, die sich uns bei Altsalvarsan. als unbedenklich. ergeben
Reihe übler N ebenwirkungen hin und kommt zu dem Ergebnis,
hatten. |
daß Neosalvarsan im Vergleich zu Altsalvarsan Vorteile für die
—
| Für die sekundäre Syphilis gingen wir also in der Ueber-
legung, daß in diesem Stadium der Körper mit Spirochäten "über-
schwemmt ist, folgendermaßen vor: a En Be
. 1. Sechs: bis acht Tage Vorbehandlung mit Hydrargyrum
oxycyanatum ‘(Dosis 0,01 pro die). i en ö
+2. Am sechsten, siebenten oder achten Tage erste Neosalvarsan-
injektion (0,45 bis 0,9 -intravenös je nach der Konstitution oder
je nachdem es sich um kräftige Männer oder aber um zartere
Individuen, vor allem Frauen handelte), . > i
=. An diesem oder:dem darauf folgenden Tage. erhàlten. die
Kranken auch 0,1 Hydrargyrum salicylicum. ° . ` P
. 3. Nach weiteren acht Tagen zweite Injektion Neosalvarsan
(0,45 bis 0,9) und 0,1 Hydrargyrum salieylicum.: T
-© ` £. Nach weiteren 14 Tagen dritte N eosalvärsaninjektion. Ins-
gesamt acht bis. zehn Injektionen, also 0,8 bis.10 Hydrargyrum
Indem sie’ mitteilen, daß sie nach ihren Erfahrungen sich veranlaßt
sehen, die Behandlung mit Neosalvarsan überhaupt aufzugeben.
| Das wären. also recht unerfreuliche Resultate. Da. unsere
Erfahrungen, allerdings unter vielfach andern Voraussetzungen, zu
ganz andern’ Resultaten’ geführt haben, so halten wir uns ver-
geben’ der Neosalvarsanbehandlung bedauern würden.
.,. „Wir haben Neosalvarsan jetzt seit mehr als vier Monaten
bei einer großen Zahl von Syphiliskranken aller Stadien angewandt.
„nsere Kranken wurden zum größten. Teil im Krankenhaüse be-
handelt und blieben auch nach der Entlassung in’ ambulanter Be-
salieylieum.: . TI y
‚Also wurde verwandt für die ganze Kur: 0,08 Hydrar-
gyrum- oxycyanatum, 0,8 Hydrargyrum salieylioum, '1,8
bis 2,7 Neosalvarsan. ER HAR ee an
-Die Verabreichung der drei N eosalvarsaninjektionen erstreckte
sich über vier. Wochen, die Quecksilberkur über zehn Wochen.
Wir haben also . bei weitem kleinere- Gesamtdosen
gebraucht. und bei weitem: größere Pausen gemacht wie
Schreiber, Duhot und auch Wolff und Mulzer, sowie Kall
ankenmaterial, das uns sehr wohl in die Lage versetzte, uns
m gutes Urteil über die neue Arsenverbindung zu bilden. l
. vir haben bis heute ausgeführt: 536 N eosalvarsaninjektionen
Dur intravenös bei 2592 Patienten und żwar bei 181 Männern und
rauen, ` De re u i i
i Als uns Neosalvarsan zur Erprobung bei Syphiliskranken
bergeben wurde, . haben. wir geglaubt, von dem Verfahren der
„mbinierten Quecksilber- und Salvarsanbehandlung nicht abgehen
N dürfen; und zwar aus folgenden Gründen: |
(Zieler). u a a | re ee
Zum Vergleich führe ich an, daß Duhot beispielsweise gab: . :
: | s April: : 1,0 Neosalvarsan BER
ü Pa handelt: sich um eine Schwefelverbindung des Salvarsan,
R 16 zu. verwendende Dosis Arsen ` sollte nicht geringer, eher
„or sein wie bei Altsalvarsan. i ji
| A Yoaas- | | „Lo, 5 -
al ) Dr. Kall (Zielersche Klinik in Würzburg), Erfahrung mit Neo- 3 m e pean SE u
een. (M. med. Woch.. 1912, Nr. 81.) m | 10. °:90 ” i >
) Prof. Dr. A. Wolff und Priv.-Doz. Dr. P. Mulzer, Zur Ka- - 19. á a 2,0 z i
re er Behandlung der Syphilis mit N eosalvarsan. (M. med. Woch;
r. 81.) 85 Neosalvarsan in: zwölf: Tagen: - :
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1386
191% — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25. August:
‘Von andern mir zugänglichen Autoren hat allerdings keiner solche
exorbitanten Dosen angewandt.
Iversen wandte in 14 Tagen 4,0 an.
Ehrlich selbst bezeichnet als größte Einzeldosis für den Mann
1,0, für die Frau 0,8; die Gesamtdosis einer Kur soll nicht 5 bis 6,0
Neosalvarsan übersteigen, und empfiehlt Zwischenräume von acht Tagen
zwischen den Einzelinjektionen. =
` Wenn Wolff und Mulzer im ganzen innerhalb acht Tagen 3,8
Neosalvarsan gegeben haben, so müssen wir das auch als eine energische
Verabreichung bezeichen.
Kall (Zieler) gab
in Fall 1: 9, Mai: 0,75
Ä 12. „:: 0,9
14. „: 09
2,55 also in fünf Tagen,
in Fall 2: 22. März: 0,9
25. „ : 0,75
27. „: 09
2,55 ebenfalls in fünf Tagen,
in Fall 3: T März: 0,9
. p: 09
20. „ : 0,75
25. „109
| | 3,45 also in sieben Tagen.
Wir sehen also auch hier Verabreichung relativ großer Dosen in
einem kurzen Zeitraum, besonders aber im Vergleich zu unserm Vorgehen.
Unsere Kranken wurden aus der Behandlung entlassen mit
der Anweisung, sich beim geringsten Anzeichen bei uns vorzu-
stellen, jedenfalls aber nach drei Monaten zur Vornahme der
Wassermannschen Blutuntersuchung zu kommen.
Wir stehen. nicht an, den von uns geübten Modus procedendi
dem Praktiker zu empfehlen; für uns ist doch vor allem wichtig
auch die Entscheidung der Frage, wie wenig genügt von den
immerhin differenten Mitteln (Quecksilber und Salvarsan), um eine
Heilung zu erzielen. Wir haben die Ueberzeugung gewonnen, daß
die von vielen Seiten im Anschluß an die erste Schreibersche
Publikation verwandten großen Dosen gar nicht erforderlich sind,
und es scheint auch daß sie nicht unbedenklich sind,
Es ist verschiedentlich der Einwand gemacht worden, bei
kombinierter Behandlung wisse man nicht, ob der Heilerfolg auf
die Quecksilber- oder auf die Salvarsanbehandlung zu beziehen sei.
Das wird aber jeder, der Erfahrungen in der Syphilisbehandlung
sammeln konnte, konzedieren, daß die von uns angewandten Dosen
Quecksilber als kleine zu bezeichnen sind und daß wir bei diesen
Dosen und auch bei viel größeren regelmäßig Rezidive zu
sehen gewohnt waren. Wenn also, und darüber kann uns ja
erst eine ‘viel längere Beobachtungszeit Aufschluß geben, die Zahl
der Rezidive wesentlich heruntergedrückt wird, so dürfen wir diesen
Erfolg ganz gewiß auf Konto der Salvarsan- respektive Neo-
salvarsanbehandlung setzen. Fieber trat bei unsern Kranken nicht
ein, wohl in vereinzelten Fällen vorübergehendes Uebelbefinden.
Sehr häufig beobachteten wir am Tage nach der Injektion Sub-
temperaturen. Damit hätten wir kurz die Prinzipien angegeben,
nach denen bei uns manifeste sekundäre Lues behandelt wird.
Was die primäre Lues!) und die Sklerosen bei sekundärer
Lues anlangt, so sind wir, nachdem wir vielfach auch bei Alt-
salvarsan die Erfahrung gemacht hatten, daß sie oft hartnäckig
bestehen blieben, sehr energisch örtlich gegen sie vorgegangen.
Unter Lokalanästhesie mit Novocain Exstirpation, wo es eben ana-
tomisch möglich war, bei. ungünstigerem anatomischen Sitz ganz
gründliche Kaustik. Diesem Umstande schreiben wir unsere so
günstigen Coupierungsresultate bei primärer Lues zu.
Im übrigen brauchen wir bei Frühlues, also Uleus primarium,
vor Ausbruch der Roseola dieselben Dosen Quecksilber und Neo-
salvarsan wie bei der sekundären Lues. _
Bei tertiärer Lues leiten wir die Kur mit einer energischen
Jodkur ein und geben nach acht Tagen die erste und, wenn nötig,
nach acht bis vierzehn Tagen die zweite Neosalvarsaninjektion.
' Wenn klinisch alle Symptome beseitigt sind, warten wir dann
einige Monate ab und machen es von dem Ausfalle der Wasser-
mannschen Reaktion abhängig, ob eine dritte Injektion appliziert
wird. Die Jodkur wird extra sechs Wochen durchgeführt.
Was die Technik der intravenösen Injektionen anlangt, so
ist nur wenig zu sagen; wir haben uns peinlichst genau an die
von Ehrlich gegebenen Vorschriften gehalten, in Aqua destillata,
das frisch hergestellt wurde, also nicht in Kochsalzlösung, gelöst,
1) Fabry und Jerzycki, Ueber Coupierung initialer Syphilis mit
Salvarsan. (Med. Kl. 1912, Nr. 5.)
mit Aqua destillata vor- und nachgespült. Da aber destilliertes
Wasser bekanntlich die roten Blutkörperchen auflöst, so haben wir
so wenig wie möglich Agua destillata zum Vor- und Nachspülen
verwandt. Zur Injektion benutzten wir den nach den Angaben
von Benario bei Lautenschläger angefertigten Doppelirrigator.
Nach unsern bisherigen klinischen Erfahrungen kommen wir
zu folgenden Ergebnissen: en
Die von uns angewandte kombinierte Quecksilber- und Sal-
varsanbehandlung ist auch bei Neosalvarsan für den Kranken die
zweckmäßigste und unbedenklichste Methode.
Die von uns gebrauchten relativ kleinen Dosen Neosalvarsan
sind für den Kranken absolut unbedenklich und, wie es scheint, zu
einer Heilung ausreichend. TEE
Die anderwärts angewandten großen und größten (Duħot)
Dosen sind zu verwerfen und zwischen den Einzelinjektionen sollen
größere Zeitabschnitte liegen, will man die Kranken vor unange-
nehmen Nebenwirkungen bewahren. Bei den von uns angewandten
Dosen von Neosalvarsan sahen wir bis heute keine Schädigung
von seiten der Nerven — sogenannte Neurorezidive — und auch
sonst keine üblen Nebenerscheinungen.
Die Neosalvarsanbehandlung ist für den Praktiker einfacher,
für den Kranken unbedenklicher, und deshalb bedeutet sie einen
wesentlichen Fortschritt gegen Altsalvarsan. Wir behandeln unsere
Kranken deshalb nur mit Neosalvarsan. |
Bei allen Formen der Syphilis soll man im Interesse der
Kranken die örtliche Behandlung nicht vernachlässigen. Die
zweckmäßigste Kombination für die primäre und sekundäre Sy-
philis ist die mit Quecksilber, für die tertiäre Syphilis die mit Jod.
Der Kalkgehalt unserer Mineralwässer‘)
von
Dr. Carl Schütze, Kösen.
Wenn ich von dem Kalkgehalt unserer Mineralwässer rede
so muß ich dabei zunächst an unsere erdigen Quellen im allge-
meinen denken. Es gehören die praktischen und klinischen Er-
fahrungen vieler Jahre, ja vieler Jahrzehnte dazu, um den Wert
einer Mineralquelle wirklich sicher zu stellen. Es genügen für
die Beurteilung nicht nur die Kenntnisse der Wirkung der her-
vorragenden Bestandteile der Quelle, die ihre Rubrizierung ver-
anlassen, sondern oft können wir beobachten, daß die geringsten
Mengen chemischer Substanzen an Wirkung die größeren über-
ragen. In der Therapie — sagt Kraus im Deutschen Bäderbuch
— entscheiden im letzten Grunde weder die theoretische Ueber-
legung noch das Experiment, sondern vor allem die Empirie.
Die früheren chemischen Untersuchungsmethoden einer Mi-
neralgquelle waren, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus be-
trachtet, einer großen Willkür des Analytikers unterworfen. „Auf
Grund der Analysen — schreibt Rosemann — in bisheriger
Form war eine Vergleichung der einzelnen Quellen untereinander
überhaupt unmöglich, da die Kombination der Basen und Säuren
zu Salzen von jedem Analytiker in anderer Weise ausgeführt
wurde. Infolgedessen konnte man sich nur schwer eine genaue
Vorstellung davon machen, welche Rolle eine gewisse Menge einer
Substanz, z. B. Kalk, in einem bestimmten Wasser spielte; denn
in den Analysen ähnlicher Wässer fand sich der Kalk bald als
Chlorealeium, bald als einfach kohlensaurer Kalk, bald als doppel-
kohlensaurer Kalk mit respektive ohne Wassergehalt, bald als
schwefelsaurer Kalk usw. berechnet.“ Die Zurückführung der
festen Quellenbestandteile auf ihre Ionenmenge, wie sie in genial-
ster Form von Hintz und Grünhut ausgebaut worden, nähert
sich ohne Zweifel einer größeren Exaktheit. Wir Aerzte müssen
uns nunmehr bequemen, solche Analysen zu deuten, um dadurch
einen tieferen Einblick in die molekulare Konstitution der Mineral-
wässer gewinnen zu lernen.
Die Handbücher der Balneologie bis zu dem umfangreichen
von Glax stehen den Wirkungen der erdigen Quellen sehr skeptist
gegenüber; ja, sie möchten ihnen nicht einmal eine Sonderstellung
einräumen, wie wir es im Deutschen Bäderbuche mit Recht getan
haben, denn unsere Patienten zeigen, daß die erdigen Quellen eine
specifische Wirkung haben. Die steigende Jahresfrequenz dieser
Bäder hat nicht mit ihrer wissenschaftlichen Anerkennung gleichen
Schritt gehalten. Im Gegenteil, wir müssen immer wieder ‚sehen,
ı Vortrag, gehalten auf der 38. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft zu Berlin 1912, ug
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25. August. _ 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr: 34, 1887
Mengen CaClə * 6aq aufgelöst waren. Aus den mitgeteilten Tabellen
ist ersichtlich, wie bedeutend der Einfluß von Ca-Ionen für -die
Blutzellen ist. |
Hamburger faßt die Resultate seiner Untersuchungen wie
folgt zusammen: „Hinzufügung geringer CaClo-Mengen 'zum Serum
steigert das phagoeytäre Vermögen erheblich. Bei Zusatz von
0,005 %%, CaCl? nahm das phagocytäre Vermögen um ungefähr
22 0/, des ursprünglichen Wertes zu. k
Die günstige Wirkung des Chlorcaleiums macht sich in noch
stärkerem Maße geltend, wenn dasselbe zu NaCl-Lösungen statt
zum Serum .hinzugesetzt wird. |
Bei Zusatz viel größerer CaCl-Mengen wird den günstigen
Einfluß von Ca-Ionen vón zwei Faktoren entgegengewirkt, erstens
von der jetzt nicht mehr zu vernachlässigenden Steigerung der
osmotischen Konzentration; zweitens von dem desintegrierenden
Einfluß, der ein Uebermaß von Ca-Ionen in der Flüssigkeit auf
den normalen Ionenproteidgehalt der Phagoeyten ausübt.
Dieser Tatsache hat man Rechnung zu tragen bei der Do-
sierung der CaClz-Mengen, welche man behufs therapeutischer
Zwecke einverleibt. | | |
: Uebrigens stimmt der günstige Einfluß von Ca-Ionen auf die
Phagocytose in merkwürdiger Weise mit deren bereits bekanntem
fördernden Einfluß auf die H erztätigkeit; überein. |
Im Hinblick auf diese Hamburgerschen Experimente habe
ich eine Reihe Versuche gemacht an einzelligen Organismen und `
Infusorien, deren Resultate ich auf der 83. Naturforseherversamm-
lung zu Karlsruhe berichtet habe. | |
. Da diese Versuche nicht eines gewissen Interesses entbehren,
möchte ich dieselben auszugsweise an ‚dieser Stelle wiederholen.
1. Versuch. Eine Amöbe, Pelomyxa palustris, wurde in ein Uhr-
schälchen gebracht, in dem sich 0,5 ccm destilliertes Wasser befand. Das
Protoplasmaklümpchen streckte sehr schnell und offenbar äußerst beun-
ruhigt seine Pseudopodien nach allen Seiten aus. Diese Bewegungen
wurden allmählich langsamer, bis nach einigen Minuten sich die Kugel-
form herausbildete. Die Amöbe löste sich mit einem sichtbaren Rucke
vom Boden ab, ließ sich durch die capillare Strömung im Wasser treiben,
um dann schließlich den nekrobiotischen Prozeß des körnigen Zerfalls zu
zeigen. Wir haben es hier offenbar mit einer Entziehung der wasserlös-
lichen Salze aus dem Protoplasma zu tun, die von dem ‘destillierten
Wasser aufgenommen wurden. Die Lebensdauer der Amöbe war um so
länger, je mehr ich von ihrem Lebensmedium dem destillierten Wasser zi
zusetzte. Aber die Bewegungen waren und blieben auch dann noch sehr fi
langsam. Die im Tropfen hinzugefügten Kugel- und Fadenalgen schienen |
selbst unter den verbesserten Lebensbedingungen keinen sonderlichen ti
Eindruck auf sie zu machen. | l a F
Die Resultate dieses Versuchs sind nicht neu. Ich habe sie im
pliysiologischen Institut zu Jena unter Verworns Leitung des öfteren
beobachten können. Die Vollmerschen Untersuchungen, die ich auch
bei Besprechung der Solbäder im Deutschen Bäderbuche zitiert habe,
daß die Erfahrung dem wissenschaftlichen Experiment und seiner
Begründung vorauseilt. ` ET |
Di6 Anschauung, daß Gicht, Rheumatismus, Arteriosklerose,
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bei Menorrhagien, Hämophilie, Purpura, Hämoptoë, Urtikaria, Basedow,
- skrofulösen Drüsen usw. Nach Wright und Roß sistierte die Albu-
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Dagegen schreibt Braun?): „So bescheiden und versteckt der.
Winkel ist, welchen in den balneotherapeutischen Lehrbüchern die erdigen
Mineralwässer einnehmen, so mangelhaft begründet ist auch das Wenige,
was an physiologischen und klinischen Maximen dieses Kapitel enthält;
und wenn bisher oft, vielleicht aus einer Art Friedensliebe, die alten und
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betrachtet, doch muß hierbei mehr der Ko hlensäuregehalt als der
Gehalt an Kalksalzen in Anschlag gebracht werden.
Anders aber stellt sich der genannte Autor den erdigen Quellen
Regenüber in seinem Referat auf der vorjährigen 82, Versammlung der
Balneologen an dieser Stelle. Er räumt den kalkhaltigen Quellen nun-
mehr auf Grund der hervorragenden experimentellen Arbeiten der letzten
Jahre den ihnen gebührenden Platz ein mit einem bedeutenden Blick in
die Zukunft, indem er sagt: „Es wird sicherlich eine dankbare Aufgabe
der balneologischen Institute in den betreffenden Kurorten, sowie der
Centralstelle für balneologische Forschung sein, an dem wissenschaft-
lichen Aufbau der neuen Indikationen der Kalkwässer mitzuarbeiten.“
Aber die gewichtigen. Stimmen mehren sich, die den kalk-
haltigen Mineralwässern die ihnen zukommende Stellung vindi-
zieren, | |
Der dem Organismus zugeführte Kalk wird ohne Zweifel
verwertet, das ist eine Tatsache, die dem Biologen wohl bekannt
Ist, aber noch viel zu. wenig von den Aerzten gewürdigt wird.
Bökay sagt, daß unser Wohlbefinden in hohem Grade vom Kalk-
gehalt unseres Organismus abhängt.
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Segenüber manchen sauren Stoffwechselprodukten zusprechen,
„Wir wissen, daß zum Gedeihen grüner Pflanzen der Kalk scheinen mir hier von besonderer Bedeutung, da bei ihnen ebenfalls die p! N
unentbehrlich ist, Die eigentliche Rolle des Kalkes im Leben der | einzelne Zelle unter dem Einfluß eines salzfreien Wassers beobachtet wird. Fir E
Pflanzen ist uns allerdings nicht völlig klar, doch mit großer | Vollmer a = wo. > rem Be e ; i H
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Wahrscheinlichkeit Inüssen wir ihm eine entgiftende Fähigkeit Abspülung des Körpers der Versuchsperson mit destilltertam Wasser ergab h
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Welche, wie z, B. die Oxalsäure, das Leben der Pflanze gefährden. Körper 0,66 g Kochsalz entzogen. In ähnlicher Weise hatte die hypiso- r ;
uch im Leben der Tiere begegnen wir ähnlichen Wirkungen des | tonische Flüssigkeit meinen Amöben wahrscheinlich sämtliche zum Leben ge- aM
Kalkes, * (Bökay.)- Hoppe-Seyler fand kein einziges Organ frei hörigen löslichen Salze entzogen und so deren Nekrobiose herbeigeführt, pi
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von Kalk. J acques Loeb vertritt die Anschauung, daß das
“eben von Jeder Zelle an die Anwesenheit mehrerer Ionen ge-
bunden ist, und sie unbedingt zugrunde geht, falls nur ein ein-
ziger Elektrolyt sie umgibt. Im Organismus höherer Tiere müssen
wir heute den Ca-Ionen eine äquilibrierende Rolle zuerkennen, und
m dieser die Bedeutung des normalen Kalkgehalts unseres Orga-
Qismus erblicken. !
Bókay nennt den Kalk einen Beschützer von Kolloidsubstanzen
ünserer Zellen. Nach Ringers Untersuchungen gehört der Kalk zu den
üimumstoffen aller Organe, das heißt, ein gewisses Minimum Kalk ist
zu ihrem Leben erforderlich. l
„ „Don bedeutendsten Umschwung in den Anschauungen über
die Bedeutung des Kalkes haben ohne Zweifel die Arbeiten
H. J. Hamburgers und E. Hekmas hervorgerufen. Auf Grund
der Experimente von J. Loeb und seinen Mitarbeitern über die
lederbelebung durch Spuren Calcium von durch reine Salzlösung
golähmten Organismen hat Hambur ger die bekannten Versuche
macht mit Leukoeyten. Um den Einfluß von Caleiumionen auf
8 Thagocytose zu untersuchen, hatte er 1 ccm einer Leukocyten-
serumsuspension mit 1 cem Serum versetzt, worin verschiedene
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wenigen Sekunden eintretenden nekrobiotischen Prozeß zu beobachten,
den körnigen Zerfall des Protoplasmaklümpchens. Diesen plötzlichen
Exitus, den ich nach kürzerer oder a Zeit jedesmal beobachten
ersuchen Ringers, der einem
durch pathogene Hefe schwer erkrankten Kaninchen 5 cem einer 2,5°%/,igen
Lösung von CaCla zu schnell in die Ohrvene injizierte. Das Tier ging
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3. Versuch. Das Uhrschälchen wurde mit 0,5 cem destillierten
Wassers gefüllt, in das ich eine Amöbe brachte. Als nach einigen Se-
. kunden die Bewegungen derselben langsamer wurden, fügte ich tropfen-
weise 0,5 ccm einer 0,05 %yigen CaCl-Lösung hinzu, wodurch die Be-
wegungen des Protozoon wieder etwas lebhafter wurden und noch stunden-
lang anhielten. Nach Verlauf von drei bis sechs Stunden trat aber auch
hier regelmäßig der nekrobiotische Prozeß ein. Die Flüssigkeit hatte
nunmehr einen Gehalt von 0,0025 CaClc. Die mit. der Verwornschen
Capillare hinzugefügten Kugel- und. Fedenalgen blieben unberührt. Diese
Versuche können verglichen werden mit denjenigen von Horst H ans
Meyer. Er beraubte durch Vergiftung mit Oxalsäure den Organismus
seines Kalkgehalts. Darauf zeigte sich eine Ueberregbarkeit des ganzen
vegetativen und des cerebrospinalen motorischen Nervensystems. Diese
allgemeine Uebererregbarkeit ließ sich durch Kalkzufuhr wieder dämpfen.
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3 Br. med, J, vom 22, Juli 1911.
) Lehrbuch der Balneologie, 3. Aufl.
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1388 1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25. August.
4. Versuch. Das Uhrschälchen wurde mit 0,5 cem Amöben-
flüssigkeit gefüllt, in der sich stets mehrere Amöben befanden. Zugleich
mit dieser Flüssigkeit kamen auch Kugel- und Fadenalgen in die Beob-
achtungsschale hinein. Die Pseudopodienbewegungen der Amöben waren
wechselnd, langsam oder schneller, je nachdem mir unbekannte Reize die
Ursache waren. Jetzt fügte ich 0,5 cem einer 0,05°%)oigen CaCl»-Lösung
schnell hinzu. Nachdem die Oscillation der Flüssigkeit sich wieder be-
ruhigt hatte, sah ich, wie sich sämtliche im Gesichtsfelde befindlichen
Amöben kuglig kontrabiert hatten und in der Flüssigkeit flottierten. Nach
einigen Minuten aber senkten sich Pseudopodien auf den Boden und die
anfangs trägen Bewegungen wurden immer lebhafter. Bisweilen ließ sich
auch das eigenartige Spiel der elementaren Lebenserscheinung, der Nah-
rungsaufnahme beobachten. Es machte ohne Zweifel den Eindruck, als
wenn diese Tätigkeit rascher vonstatten ginge.. Die Strömung des Proto-
plasmas war eine wesentlich schnellere.
5. Versuch. Wie oben. Die 0,05°/oige Lösung von CaCls wurde
allmählich, tropfenweise, hinzugefügt. Die Amöben sistierten einige Se-
kunden ihre Pseudopodienbewegungen, ohne sich zu kontrahieren, und
dann traten wieder stärkere Strömungen des Protoplasmas ein. Auch war
in diesen Versuchen die Nahrungsaufnahme eine regere und häufig gut
zu beobachtende, was bei diesen Protozoen oft Schwierigkeiten macht.
Das Resultat der gesamten Versuche möchte ich nun dahin zusammen-
fassen: Eine 0,05°/oige Lösung von Chlorcalcium der Lebensflüssigkeit
einzelliger Organismen in gleicher Weise allmäblich hinzugefügt, steigert
die Lebensbedingungen derselben, beschleunigt die Protoplasmaströmung
es ruft bei den Amöben eine sichtbare Neigung zur Neirangenälashne
ervor.
Diese Versuche zeigen uns zunächst den unbestrittenen Einfluß
des Ca-Ion, ähnlich wie bei den Hamburgerschen Experimenten.
Wie steht es nun mit der Einwirkung unserer Mineral-
wässer, die nicht zu den erdigen zu rechnen sind, auf den mensch-
lichen Organismus? Die weitest verbreiteten Mineralwässer, so-
wohl zum Baden als auch zum Trinken und Inhalieren sind die
Solen. Diese enthalten fast ausnahmslos Caleium, zumeist als
Hydrocarbonat, dann als Caleiumchlorid oder als Calciumsulfat.
Wie auch die Chemiker die Salzkombinationen herstellen,
das Oaleiumion dürfte wahrscheinlich auch als solches in Kraft
treten sowohl beim Trinken als auch beim Inhalieren.
Das Inhalieren der Solen ist lange Jahre eine zweckmäßige
Benutzung unserer Solen gewesen, und die Techniker sind daher
auch bestrebt gewesen, immer neue Apparate mit möglichst feinem
Sprühregen zu erfinden, um die mineralischen Bestandteile weit
hinein in die Atmungsorgane zu treiben. Man hat nun immer
dem Kochsalz allein die günstige Wirkung zugeschrieben. Es ist
aber eher anzunehmen, daß das Kochsalz nur reizend gewirkt hat,
aber durch die hervorgerufene Hyperämie der Schleimhäute zur
Resorption der mitgeführten Kalksalze beigetragen hat. Ich habe
noch nie gefunden, daß das Inbalieren von Kochsalz allein oder
das Gurgeln mit demselben wesentlich günstige Einflüsse aus-
geübt hätte auf chronische oder akute Katarrhe; erst wenn ich
der Kochsalzlösung eine geringe Menge — etwa 0,3%, CaCl zu-
setzte, dann waren diese Katarrhe zu beeinflussen. Das sind mit
Bestimmtheit Gründe, die es erklärlich machen, daß in den Inhala-
. torien der Solbadeorte Katarrhe besser und schneller heilen als
daheim beim Küchensalz. Die zweckmäßigste Form der Inhalation
ist nun ohne Zweifel die sogenannte Trockeninhalation, wie sie in
Bad Kösen vorbildliche Form gefunden und von dort aus sich
schon in Deutschland verschiedentlich Anerkennung verschafft
hat, vor allem aber in Italien und im Kaukasus eingerichtet
worden ist. .
Obgleich man schon längst erkannt hatte, daß die trockene
"Inhalationsform des Medikaments die wirksamste ist, weil in dieser
Form das Medikament das Maximum seiner Einwirkung auf die
Schleimhaut besitzt, so hat man doch bisher nicht daran gedacht,
ein Verfahren zu finden, welches diese trockene Inhalationsform
in einwandfreier Weise ermöglichte. Versuche in dieser Richtung
haben ergeben, daß sich zum Beispiel Sole respektive deren fixe
Bestandteile in praktisch wasserfreier Form in der Luft sus-
pendiert erhalten, wenn die relative Feuchtigkeit der Luft 80 bis
85 0/, nicht übersteigt.
Die Sole wird in einem Lösungsverhältnis von annähernd
100, fixen Bestandteilen zu 90°, Wasser in geeigneten Zer-
stäubern mittels Druckluft zerstäubt, wodurch die Lösung in die-
jenige mechanisch feinst teilbare Form umgesetzt wird, welche
nach dem jetzigen Stande der Zerstäubungstechnik überhaupt
möglich ist. Im Moment der Zerstäubung wird diese feinzerstäubte
Sole lebhaft mit starkbewegter Luft gemischt, deren relative
Feuchtigkeit so bemessen ist, daß die Wasserbegierigkeit dieser
Luft der zerstäubten Sole das Lösungswasser entzieht und nur
der trockene Rückstand eines jeden Stäubchens zurückbleibt.
Durch diese Verbindung des mechanischen Zerstäubungs-
vorgangs mit dem physikalischen der Trocknung des feuchten
Stäubchens wird jedoch nicht nur das erstrebte Ziel der trocken
suspendierten Form des Rückstandes erreicht, sondern es wird ein
trockenes Rückstandsstäubchen erzeugt, welches nur einen Bruch-
teil der Dimension des vorher feinst erzielbaren Flüssigkeitsstäub-
chens darstellt, |
Wurde also eine Sole von 10°/, zerstäubt, so.ist das er-
zielte trockene Rückstandsstäubehen nur noch 1/10 so groß als das
kleinst erzielbare Stäubehen der Sole. Diese Stäubchen haben
beiläufig nach meinen mikroskopischen Untersuchungen annähernd
die Größe von 1/; eines Erythrocyt.
In diesen Inhalatorien ist nun fast keine Feuchtigkeit mehr
zu finden. Statt der Nässe auf den Fußböden, an Wänden und
Decken ist überall ein äußerst feiner weißer Staub zu sehen,’ der
sich in den Fingern etwa wie Weizenmehl anfühlt.
Bei dieser Art der Inhalation wird neben dem Chlornatrium
sicher auch der Kalk der Solen seine Wirkung entfalten, ob er
als kohlensaurer Kalk oder als Gips sich in dem Staube zu-
sammengefunden hat. Ob sich nun die verschiedenen Kalkarten
im Organismus nicht wieder in ihre Komponenten spalten, ist eine
noch unbeantwortete Frage; aber es gebührt vor allem Axel,
Winckler und Kionka das Verdienst, einmal energisch an dem
alten Aberglauben der Schädlichkeit der Kalkverbindungen ge-
rüttelt zu haben.
Wenn der Kalkgehalt unserer Mineralwässer neben dem
Chlornatrium in dieser Staubform angewandt wird, so müssen auc
die Indikationen wesentlich erweitert werden. |
Nach den Untersuchungen von Leo, H. H. Meyer, de Jager
m den oben angeführten Gewährsmännern wirkt der Kalk entzündungs-
widrig.
Die von vielen Autoren übereinstimmend angegebene mannig-
fache Wirksamkeit von innerlich eingenommenen neutralen Kalk-
salzen spricht jedenfalls dafür, daß auch bei der Aufnahme per os
wirksame Kalkmengen resorbiert werden. Es war daher zu er-
warten, daß auch die entzündungswidrige Wirkung — zumal bei
der Aufnahme größerer CaCla-Mengen — zum Ausdruck kommen
würde. In der Tat war dies bei Eingießung von CaCla-Lösungen
in den Magen meist sehr deutlich, und zwar reichte in einigen
Fällen schon die einmalige Eingießung von 100 cem einer 2/,igen
CaCl-Lösung in den Magen aus, um die Conjunctivitis in etwa
sechs Tagen zum Rückgange zu bringen. (Leo.)
Mehr als das Trinken der Sole bei einer großen Anzahl von
chronisch entzündlichen Erkrankungen wirkt nach meinen nunmehr
fünfjährigen Erfahrungen die trockene Staubinhalation. Ich rechne
dabei stets auf den bisweilen hohen Kalkgehalt der Solen. Wenn
bei dem Trinkwasser sicher ein weiches dem harten vorzuziehen
ist, so ist es von der Natur eine weise Einrichtung, daß die
meisten unserer Mineralwässer auch Kalk mit sich führen. Unsere
Pflicht aber sollte es sein, der Wirkung der einzelnen Bestand-
teile unserer Mineralwässer immer mehr nachzuspüren, um so ihre
Indikationen besser präzisieren zu können. Wir dürfen aber nie
vergessen, daß die Erfahrung der wissenschaftlichen Begründung
oft weit vorauseilt.
Aus dem Chemisch-bakteriologischen Institut des Dr. Ph. Blumen-
thal und der chirurgischen Abteilung des Alt-Katharinenkranken-
hauses in Moskau.
Die diagnostische Bedeutung des Antitrypsin-
gehalts des Blutserums beim Krebs und bei
andern Erkrankungen
von
Dr. A. Citronblatt, Moskau.
Die im Jahre 1908 zuerst veröffentlichte Mitteilung über die
Steigerung des antitryptischen Vermögens des Blutserums Krebs-
kranker rief in der medizinischen Welt eine gewisse Sensation
hervor. Schien doch das gelöst zu sein, worüber man sich lange
Jahre ergebnislos gemüht hatte: Es war ein Frühsymptom der bös-
artigen Neubildungen gefunden. i ,
Dieses Symptom bestand nach Brieger und Trebing m
einem gesteigerten Gehalt des Blutserums Krebskranker an anti-
fermentativer Kraft. Die Methodik der Bestimmung dieses antl-
fermentativen Vermögens ist nach den genannten Autoren verhält-
nismäßig einfach. Kein Wunder daher, wenn gleich nach -dieser
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25. August.
-Krebs die Rede war.
scheinung auf experimentellem Wege angestrebt wurde.
ersten Mitteilung ‚zahlreiche Arbeiten über das gleiche Thema er-
schienen, in denen bereits auf Grund eines großen klinischen Ma-
terials von der Konstanz oder Inkonstanz dieses Symptoms beim
Anderseits wurde das neue Zeichen auch
bei andern Krankheiten einer Untersuchung unterzogen. Sodann
erschien eine ganze Reihe von Arbeiten, die das Wesen dieser
Reaktion. behandelten, wobei die Erklärung der vorliegenden: Er-
Schließ-
lich fanden viele die vorgeschlagene Methodik nicht genügend
‚exakt und anschaulich und empfahlen daher ein anderes, einfacheres
und demonstrativeres Verfahren. |
‚Dies hatte zur Folge, daß trotz der kurzen Frist von etwa
drei Jahren die Literatur über diese Frage zu ungeheurem Um-
fang angewachsen ist. Aus den verschiedensten Kliniken ist ein
recht beträchtliches Material zusammengetragen worden, und wenn
‚man sich noch nicht bestimmt und kategorisch über das Wesen.
der Reaktion und die sie bedingenden Ursachen auszusprechen
vermag, so kann man sich doch bereits von der Konstanz dieses
Symptoms bei diesen oder jenen Kranken eine Vorstellung machen.
Sämtliche Autoren weisen nämlich einmütig darauf hin, daß
das Symptom der Antitrypsinsteigerung am häufigsten beim Car-
cinom angetroffen wird. So vermochten Brieger und Trebing
diese Steigerung in 91 0/o der Krebsfälle, bei andern Erkrankungen
hingegen in 280% der Fälle zu konstatieren; Bergmann und
Meyer fanden eine Steigerung in 92 %/, der Krebsfälle und in 249),
bei andern Erkrankungen; Herzfeld wies sie in 81%), der Krebs-
fälle und in 39 0/ọ der sonstigen Erkrankungen nach; Braunstein
in 91%) bei Careinom und in 27 0/o bei andern Erkrankungen;
Winogradow in 910), und Poggenpohl in 92/, der Krebsfälle.
Trotz dieser übereinstimmenden Resultate bleibt doch die
klinische Bedeutung dieser Reaktion eine ziemlich beschränkte.
Nach dem Krebs wird sie am häufigsten bei solchen Erkrankungen
angetroffen, die am schwierigsten von ihm zu differenzieren sind.
Das sind die Tuberkulose, Blut- und Stoffwechselkrankheiten, die
zur Kachexie führen. Nach meinen eigenen Erfahrungen gehört
noch zu der Gruppe von Krankheiten, die das in Rede stehende
Symptom aufweist, die Gallensteinkrankheit, während bei der
Schwangerschaft, entgegen der Behauptung mancher Autoren, die
Steigerung des Antitrypsintiters, wie aus meinem allerdings ge-
fingen Material zu schließen, keine konstante Erscheinung darstellt.
Ist die Steigerung des Antitrypsingehalts eine Folge der
Abmagerung, des Hungerns, des durch diese oder jene Ursache
hervorgerufenen künstlichen Eiweißzerfalls? Eine einmütige Ant-
Wort auf diese Frage existiert nicht. Die einen Untersucher fanden
beim zum Tode führenden Hungern eines Tieres eine Steigerung
des Hemmungsvermögens des Serums, die andern nicht. Herz-
feld konnte bei Versuchen an Hunden keine der Kachexie oder
dem Gewichtsverlust parallel gehende Zunahme des Antitrypsin-
gehalts konstatieren. Ich selbst wiederholte diesen Versuch an
Kaninchen. Vorher wurde der antitryptische Titer des Kaninchen-
serums bestimmt und sodann das Tier im Hungerzustande ge-
halten. Täglich fand eine Bestimmung des Serumtiters und des
Gewichts des Tieres statt. Das Gewicht nahm mit jedem Tag
ab, aber der Titer blieb bis zum Tode des Tieres unverändert.
Braunstein injizierte Tieren Phloridzin und Phosphor und
fand gleich nach dem Eintreten des künstlichen Biweißzerfalls eine
Steigerung des Antitrypsingehalts. K. Meyer, der diese Ver-
Suche wiederholte, konnte eine Steigerung nicht konstatieren.
. Nichtsdestoweniger ist die Mehrzahl der Autoren der An-
sicht, daß der Zellzerfall im Organismus zu einem Freiwerden des
Intrazellularen Ferments führt und daß der Organismus auf den
gesteigerten Uebergang von Ferment in den Säftestrom mit einer
gesteigerten Produktion von Antiferment reagiert. Das ist die
herrschende Meinung, die jedoch nicht von allen geteilt wird, und
die endgültige Entscheidung gehört der Zukunft.
Ich gehe nunmehr zu meinen eigenen Beobachtungen über. Be-
nutzt wurde hauptsächlich das Material der chirurgischen Abteilung des
entstammte der anal tischen Abteilung des Chemisch-bakteriologischen
Instituts des Dr. Ph, B]
Das Blut ontnahm ich dem Finger, der Vene oder während der
sson oder nachher. In einigen Fällen wurden überdies der
gehalt und die Anzahl der roten und weißen Blutkörperchen
-au Bei mehreren Kranken fand die Untersuchung wiederholt, alle
el big vier Tage oder auch nach Verlauf einer Woche statt. RU
In der Gruppe „Syphilis“ sind solche Patienten angeführt, die in
Der Zeitpunkt der Blutentnahme war verschieden, das heißt
der Anamnese Syphilis aufwiesen, wenn auch die Wassermannsche
Reaktion bei ihnen eine negative war. In der Gruppe „Schwangerschaft“
ontnahm ich das Blut der Plazenta.
wie in jenem Falle hielt ich mich genau an die von den Autoren ge-
gebenen Vorschriften. Für das Marcussche Verfahren nahm ich stets
eine frische Trypsinlösung, indem ich Qi g in 100 ccm Wasser oder
physiologischer Kochsalzlösung auflöste. Für das Verfahren. von Fuld-
roß wurden. die Lösungen eine Woche lang aufbewahrt. Ich muß noch
einmal betonen, daß diese Methode weit umständlicher und komplizierter
ist; oft ist es schwer, zu entscheiden, ob die Trübung auf der Hemmung
der fermentativen Wirkung beruht oder sie das Serum selbst bewirkt.
Als Mangel der Methode von Marcus ist der Umstand anzusehen, daß
für ihre Anwendung ein spezieller Thermostat mit einer Temperatur von
51 bis 550 erforderlich ist, der verhältnismäßig teuer ist. Für den Ver-
such sind fünf bis sechs Löfflerplatten aus erstarrtem Serum erforderlich,
— ich nahm für jede Verdünnung je eine Platte. Im übrigen ist diese
Methode einfacher und anschaulicher, und auf Grund meiner Erfahrungen
kann ich sie nur empfehlen. Br Su |
Vom September 1909 bis zum April 1910 untersuchte ich das
Serum von 91 Krebskranken, 8 Sarkomatösen, 31 Syphilitikern und
23 Patienten mit verschiedenen Erkrankungen. |
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2 |22| Hern ia i:4 | — 14 | — | Adenitis i: 5 | 09
3 |34|Gastritis 1:4 | 08 15 |26 Typhus abdominalis; 1: 7 | —
4|—|Gangraena sponta-| 1:10 1,7 16 116| „ „ 1:71 —
n 8 , 17 |30 Morbus Basedowii |; 1: 4} —
5|41\He nia suppuratival 1: 5 | 0,8 18 | 48 |Cholelithiasis 1: 6| —
6 |—|@r viditas 1:71 1,0 1939| ° n i: 7] —
7\— a i: 4 | — 20 | — jIcterus catarrhalis | 1:4 | —
8&8|— } 1:5 | — 21 120/Gonitis tubereulosa| 1: 7 _
g9|— 4 1:22 22 l1 a R 1:6| —
10 1— n En 1:4 | — 23 | — |Tuberculosis pulmo-| 1: 7 | —
11 }42)Hernia suppurativa| 1: 5 | 0,9 num
Von 91 Krebskranken wiesen eine Steigerung des Antitrypsin-
gehalts 86 auf, wenn man das Verhältnis von 1:6 als ein ge-
steigertes betrachtet. Von acht Sarkomatösen wiesen eine Steige-
rung sechs Kranke auf. Hierbei ist zu bemerken, daß es nicht
gelungen ist, zwischen der Größe der Affektion und der Menge
des Antitrypsins im Serum einen Parallelismus festzustellen. Es
gibt Fälle, wo die gesamte Brustdrüse befallen ist, Metastasen in
der Fossa axillaris sich etabliert haben und die Steigerung des
Antitrypsingehalts nichtsdestoweniger eine sehr geringfügige ist.
Oder es handelt sich um Magenkrebs, die ganze kleine Kurvatur
ist affiziert, in der Leber befinden sich Metastasen, der Magen ist
eingekeilt, die Gastroenterostomie gelingt nur mit Mühe, und den-
noch kommt nur eine verhältnismäßig geringe Zunahme der Anti-
trypsinmenge zur Beobachtung. Es kommen auch Fälle mit um-
gekehrtem Verhalten vor: Bedeutende Steigerung: des Antitrypsin-
gehalts und verhältnismäßig unbedeutender Herd. Dasselbe gilt
auch von dem Allgemeinzustande der Kranken. Bei mittlerem
Ernährungszustand und bei 70 bis 80°, Hämoglobingehalt nach
Sahli wird mitunter eine beträchtliche Vermehrung der Anti-
trypsinmenge gefunden und bei starker Abmagerung, bei einem
Hämoglobingehalte von 40 bis 500), nach Sahli eine verhältnis-
mäßig geringe Vermehrung.
Die Gruppe „Syphilis“ wird den Gegenstand einer besonderen
Mitteilung bilden, einstweilen will ich nur bemerken, daß es mir
nicht gelungen ist, die Herabsetzung des antifermentativen Ver-
mögens des Serums, welche die Autoren für diese Erkrankung an-
geben, nachzuweisen. Die Mehrzahl der Sera erwies sich als normal.
Die kleine Gruppe der „Schwangeren“ berechtigt mich nicht,
von der Ansicht der Autoren abzuweichen, die bei diesem Zustand
eine hochgradige Steigerung der Antitrypsinmenge als konstante
Erscheinung gefunden haben wollen.
Zwei Fälle von Abdominaltyphus wiesen eine Zunahme des
antitryptischen Vermögens auf; andere Autoren fanden bei dieser
Krankheit eine Abnahme.
Schließlich wurde in zwei Fällen von Cholelithiasis ebenfalls
eine Steigerung des antifermentativen Vermögens des Serums kon-
statiert. |
Welche Schlüsse kann man nun auf Grund der Literatur
der Frage und meiner eigenen Beobachtungen ziehen?
1. In demselben Maße, in welchem die Steigerung des anti-
fermentativen Vermögens des Blutserums Krebskranker studiert
und in einer großen Anzahl von Fällen festgestellt worden ist, in
eben demselben Maße bedarf diese Erscheinung bei andern Erkran-
kungen noch weiteren Studiums und der Nachprüfung an einem
umfangreichen klinischen Material.
2. Was das Carecinom anlangt, so spricht, in Anbetracht
dessen, daß das Symptom der Antitrypsinsteigerung im Blute bei
dieser Neubildung ziemlich konstant (in fast 900, der Fälle) vor-
kommt, sein Vorhandensein neben andern klinischen Symptomen
natürlich zugunsten einer positiven Diagnose; das Fehlen dieser
Steigerung muß zur Veranlassung dienen, alle klinischen Daten,
auf Grund deren eine positive Diagnose gestellt worden ist, einer
sorgfältigen Revision zu unterziehen. Ä
3. Irgendein Parallelismus zwischen der Größe der Affek-
tion und der Menge des Antitrypsins im Blute ist auf Grund
meiner Fälle nicht anzunehmen: Man findet einen verhältnismäßig
geringen Herd — ein streng lokalisiertes Carecinom ohne Me-
tastasen — und eine ziemlich beträchtliche Steigerung des Anti-
trypsins, und umgekehrt eine ziemlich beträchtliche Affektion und
eine geringe Zunahme des Antitrypsins.
4. Ebensowenig ist ein Parallelismus zwischen dem all-
gemeinen Ernährungszustand und dem Hämoglobingehalt einerseits
und der Antitrypsinmenge anderseits zu bemerken.
5. Fälle mit Leukocytose (in der Gruppe „Varia“ Eiterungen
bei Hernien und dergleichen) wiesen keine Steigerung des Anti-
trypsingehalts auf.
6. Bei Sarkomkranken ist das Symptom der Antitrypsin-
steigerung seltener anzutreffen als bei Oareinomatösen.
7. Bei Kaninchen, die dem Hungern unterworfen wurden,
sowohl andauerndem, als auch rasch zu Tode führendem, gelingt
es nicht, eine parallelgehende Zunahme des Antitrypsins wahrzu-
nehmen —, der Serumtiter bleibt unverändert.
8. Von allen für die Bestimmung des Antitrypsingehalts
empfohlenen Methoden ist die von Marcus (mit Löfflerplatten) die
einfachste, bequemste, anschaulichste und exakteste. Der einzige
Mangel dieser Methode besteht darin, daß die Versuchsergebnisse
erst nach Verlauf von 20 bis 24 Stunden resultieren. |
9. Das Verfahren von Fuld-Groß gewährt, abgesehen von
seiner Kompliziertheit, dem subjektiven Ermessen des Untersuchers
einen weiten Spielraum. |
Die Behandlung des äußeren Milzbrandes
von
Dr. B. Peričić,
Primärarzt des Landeskrankenhauses in Zara.
Der Milzbrand kommt beim Menschen gewöhnlich als äußeres
und sehr selten als inneres Leiden vor; meine Erfahrungen be-
ziehen sich lediglich auf den äußeren Milzbrand, von dem ich
innerhalb fünf Jahren auf meiner Spitalsabteilung 45 Fälle beob-
achtet habe. Die Krankheit ist überall relativ so selten, daß die
erwähnte Zahl eine ziemlich große Erfahrung darstellt. Indem
bezüglich der Behandlung die Meinungen noch immer auseinander-
gehen und meine Heilungsresultate entschieden für ein Ver-
fahren, nämlich das streng konservative, sprechen und
zu den günstigsten in der Literatur bekannten gehören, wird ein
Bericht über dieselben gewiß nicht überflüssig erscheinen.
Vorerst eine kurze Uebersicht der verschiedenen Behandlungs-
verfahren beim Milzbrand nach den neuesten Mitteilungen.
Schwab!) teilt acht Fälle von Milzbrand mit aus der Klinik
Prof. Herxheimers in Frankfurt, die alle ohne aktive chirur-
gische Behandlung zur Heilung kamen: „Auch Kauterisation und
Zerstörung des infizierten Gewebes um die Pustel kann keinen
Erfolg versprechen, da die Pustel lokal, die Erkrankung aber all-
gemein ist. Es ist nachgewiesen, daß schon kurze Zeit nach der
Infektion das Virus im Körper zu finden ist.“ Zu
Clobet?) hat unter 70 während der letzten 15 Jahre mit
Jod per os und antiseptischen Umschlägen ohne sonstigen lokalen
Eingriff behandelten Kranken keinen einzigen verloren. Diese
klinischen Resultate, gestützt durch seine Experimente an Kanin-
chen, zeigen Olobet: „que l’iode semble bien constituer l'agent
therapeutique par excellence de la pustule maligne.“
Gräf?) ätzt den äußeren Milzbrand mit dem Kalistifte. Zu
diesem Zwecke wird ein stumpf abgebrochener Kalistift mit Watte um-
wickelt und fest mit stetigem Reiben aufgedrückt, bis die Härte
des Kerns und seiner Umgebung eingeschmolzen ist und der Grund
der geätzten Fläche rötlich durch die bräunliche Aetzfärbung
durehschimmert. Dies beansprucht meist eine volle Minute, nur
bei besonders tiefem und starkem Kerne mehr. Immer fließt bei
der Aetzung schmierige, ätzende Lauge ab, gegen deren Weiter-
wirkung die Umgebung geschützt werden muß durch einen vorher
aufgeklebten, den Umfang der beabsichtigten Aetzung einkreisen-
den Ring von mehrfach aufeinandergelegtem Heftpflaster. Narkose
ist nicht nötig, den nachdauernden Schmerz lindert am besten
eine Eisblase. Von 75 im Laufe der Jahre so behandelten Fällen
starben vier.
Federschmidt®) behandelte von zehn Fällen drei mit
Excision, die andern sieben expektativ. Von den konservativ be-
handelten sieben Fällen starben zwei. Er hält die Befürchtung,
es möchten bei dem operativen Eingriff Milzbrandkeime in die
Blutbahn gelangen, für unbegründet. Auf Grund seiner Erwägun-
gen und Erfahrungen sei die sofortige Exeision der Pustel die
beste Therapie. -
Auf Grund der Bramanschen Fälle gelangt Schwarz?)
zu dem Schluß: „daß die Operation ein weiteres Eindringen der
1) Med. Kl. 1908, Nr. 8.
2) Bém. méd. 1907, S. 24. Séance de l'Acad. de méd,
*) M. med. Woch. 1912, Nr. 16.
1) M. med. Woch. 1903, Nr. 14.
5) D. Z. f. Chir. 1808, Nr. 92,
———
2 a
spritzungen von 20/oiger Carbolsäure. N
25. August, 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1391
immer sehr gefährlich ist; daß durch die Incision eventuell Bak-
terion in den Blutstrom verschleppt werden können; daß auch
schwere. Fälle ohne Operation ebenso ‘schnell und sicher heilen
wie mit dieser. Zu diesem Zwecke genügt ein reizloser Salben-
verband vollständig“.
Barlach!) empfiehlt folgendes Verfahren:
„il. In jedem Falle Bettruhe. |
2. In leichten Fällen Bedeckung der Pustel und Umgebung
mit Umschlägen von essigsaurer Tonerde oder dergleichen.
3. In schwereren Fällen Spaltung und Umkreisung der Pustel,
wobei die Umschläge fortgesetzt werden "ar e a
und Jodeinspritzung.
Incisionen sind nur bei sehr großer fi
Spannung des Oedems erforderlich.“
Barlach behandelte 1900—1908
32 Fälle von Milzbrand nach den
obigen Prinzipien; alle heilten mit
Ausnahme von zwei Fällen, die einige
Stunden nach der Aufnahme starben
—, zum Glück für die Statistik Bar-
lachs, bevor sie nach seiner Methode a Sy a
haben behandelt werden können! uae Di \
Lengfellner?): „Die an der u No $
Lergmannschen Klinik geübte kon-
servative Behandlung des äußeren - ar
Milzbrandes besteht darin, die Puste Si
absolut unberührt zu lassen, durch as
einen reizlosen Salbenverband das
cheuern zu verhindern, sowie das
kranke Glied unter Suspension ruhig
zu stellen. Sämtliche 15 in dieser Weise RR
behandelte Fälle kamen zur Heilung.“ Es
. Sassi) empfiehlt in schweren 3
ällen von Milzbrand an Stelle von
Einschnitten und Kauterisationen Ein-
Strubell®) erwähnt einen Be-
richt Scharnowskys aus Rußland,
der 72 Fälle von Milzbrand mit warmen
ataplasmen und 20/,igen Carbolsäure-
Injektionen behandelte, die sämtlich
heilten. Strubell hat diese Methode
erfolgreich in einem Falle angewendet, bei dem im Laufe von
18 Tagen über 400 Pravazspritzen 30/Jiger Carbolsäurelösung
gegeben wurden, ohne daß je Vergiftungserscheinungen auf-
getreten wären.
Lockwood und Andrewes?) teilen einen Fall von Milz-
brand mit, den sie mit einer einmaligen Einspritzung von 40 g
Sclavo’schen Serums zur Heilung brachten.
Ménétrier6) teilt einen Fall von Milzbrandpustel mit großem
Nackenödem, bei welchem trotz Injektionen von Jodtinktur und
mehrerer subeutanen hohen Dosen von Milzbrandserum der Kranke
schnell verschied. 7
Wolff und Wiewiorowski?) berichten aus der chirurgi-
schen Klinik in Breslau über 13 während der letzten zehn Jahre
konservativ behandelte Fälle. Angesichts der guten Resultate:
„Können“ sie sich „Rur durchaus befürwortend für die konservative
ehandlung aussprechen“.
dem Berichte Paglianis®) über 160 mit Sclavos Serum
behandelte Milzbrandfälle wird die Mortalität mit 6,25 %/, gerechnet.
pae den unbehandelten Fällen soll in Italien die Mortalität 26 9/0
Tagen. . |
Nun zu meinen Fällen.
Den äußeren Milzbrand habe ich auch in früheren Jahren
mehrmals in den Landesspitälern zu Sibenik und Zadar beobachtet,
selt dem fast epidemischen Auftreten der Krankheit aber im
mmer 1906 habe ich sie schärfer ins Auge gefaßt und die Fälle
genau beobachtet und notiert.
Daaa R
2 Med. KI. 1908, S. 1672.
3 M. med. Woch. 1906, Nr. 49.
‚) Gazz. degli Osped. 1905.
) M. med. Woch. 1898, Nr. 48,
J Br. med. j. 1905.
. 7) Boe. med. d. höp. de Paris, 13. Dez. 1907.
a) M. med. Woch. 1911, Nr, 52.
) Giorn. della so, Accad. di med, di Torino 1903,
Während der letzten fünf Jahre habe ich in diesem Kranken-
haus im ganzen 54 Fälle gesehen; von diesen standen nur 45 in
Behandlung auf meiner Abteilung. Ich werde früher einige
Statistische Daten über alle 54 Fälle vorbringen und dann
über die Behandlungsresultate meiner persönlichen 45 Beobach-
tungen genauer berichten.
Geschlecht: 32 männlich, 22 weiblich.
‚Alter: 1 bis 10 Jahre 13, 11 bis 20 Jahre 17, 21 bis 830 Jahre 15,
ƏL bis 40 Jahre 7, 41 bis 50 Jahre 1, 51 bis 60 Jahre 1.
Lokalisation: Gesicht 41, Hals 5, Schulter 1, Unterarm 2,
Brust 1, Rücken 2, Hinterbacke 1, Unterschenkel 1.
Zeit: Januar 6, Mai 1, Juni 4, Juli 8, August 13, September 11,
Oktober 8, November 3. l Ds
Aufenthaltsort: Smokovié 19, Polesnik 8, Zemunik 3, Islam
gr. 3, Pag 3, Ražanac 2, Poljica 2, Kasi6 2, Crno 2, Skabrnje 1, Obro-
vac 1, Visočane 1, Briseyo 1, Vrsi 1, Vuksić 1, Banjevci 1, Posedarje 1,
Palju 1, Jesenice 1. |
Aus der beigegebenen geographischen Karte, welche das
Rayon dieses Krankenhauses darstellt, ist ersichtlich die Aus-
breitungsart der Krankheit,
Von den auf meiner Abteilung behandel-
ten 45 Fällen sind 43 gesund geworden und zwei
gestorben (einer im Spital und der andere, ungeheilt
entlassen, einige Tage später zu Hause). An welcher
Komplikation der zweite Kranke (einjähriges Kind mit
Milzbrandpustel an der Brust)
gestorben ist, weiß ich nieht;
| die Krankheitsgeschichte des
mn, ersten lautet;
à Re, EN
N @ NIN = . ha vena -S I w
T N s2: K t bam TO
polica € +t È IESENICE amay,
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= o oe - POLES Kitt o =A qE e OVAC S p> Pr `
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Li 4 [3 2 ` ‘ ur
en t i Pr r mea
, Skana 8
KNIN
©
Geographische Karte Nord-Dalmatiens.
(Die Kreuze bedeuten die in den betreffenden =y
Ortschaften beobachteten Milzbrandfälle.) =
Luka D., 38 Jahre alter Bauer aus Kasié. In Spitalbehandlung
17. bis 27. November 1908.
17. November. Krank seit drei Tagen. Eine Milzbrandpustel am
linken Oberlid und drei in senkrechter Reihe an der rechten Wange.
Starkes Oedem des Gesichts, des Halses und der Brust. Stenotisches
Atmen. Temperatur nachmittags 37,60. Umschläge mit Sublimat 1:1000;
Tinctura jodatii zweistündlich ein Tropfen in Wasser. .
18. November. Besserung. Öedem geringer. Atmung freier.
Fieber 38° bis 38,50, |
19. November. 39,50 pis 39,39.
20. November. 8380 bis 390,
21. November. 86,70 bis 37,50, Oedem fast geschwunden; Jod-
tinktur wird ausgelassen.
22. November. 87,29. bis 38,7°,
23. November. 370 bis 38,29,
24. November. 86,80 bis 390, |
25. November. 38,70 bis 38,5‘. Sensorium benommen, die Pusteln
1) Hätte ich, nach berühmten Mustern, meine Statistik verschönern
wollen, würde das Perzent noch günstiger ausgefallen sein, da ich das
gestorbene Kind, welches entgegen meinem Rate nach Hause getragen
und nicht bis zu Ende behandelt wurde, hätte auslassen können.
art
en
Br,
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ES rae reray :
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“ Zu San 35
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HEFNER
-
1392 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
ne mag
trocken, Oedem ganz geschwunden; Gesicht blaß, eingefallen. Puls 76,
schwach, arhythmisch. Ord, Inf. digit,
26. November. 86,90 bis 370. Puls 104, kaum fühlbar.
27. November, Exitus. — Sektion: Pericarditis serofibrinosa;
ns serofibrinosa dextra; Tumor lienis mod., chr., cum periplenitide
rosa. i
Die Mortalität unter meinen Kranken beträgt 4,4°?/ọ: Dieses
Perzent muß als überaus günstig betrachtet werden, da nach
Garré derselbe im allgemeinen zehn, nach Nasarov sogar für
die Pusteln an Kopf und Gesicht 26 beträgt. Nach amtlichen
Mitteilungen!) war in Preußen die Mortalität an Milzbrand im
Jahre 1907 13,6%/0, 1908 18,9%/,, 1909 13,8%/o.
Das von mir in allen Fällen geübte Behandlungsverfahren
war ein rein konservatives und bestand in Umschlägen mit Subli-
mat 1:1000 oder 10°oiger Burowscher Lösung, dabei noch,
wenn großes Oedem bestand, Jodtinktur (zweistündlich einen
Tropfen in Wasser) und gelegentlich Chinin. Ich habe nie Injek-
tionen, nie Kauterisationen und nie Einschnitte gemacht. Opera-
tionen habe ich manchmal nur nach Ausheilung des Milzbrandes
wegen narbiger Deformitäten an den Lidern gemacht. Es ist
diese die einzige Lokalisation des Milzbrandes, die mich in Zu-
kunft veranlassen wird, schon im floriden Stadium, wahrscheinlich
regelmäßig, zum Messer zu greifen, und zwar um Entspannungs-
schnitte zu machen, zur Verhinderung der regelmäßig ein-
tretenden, ausgedehnten Lidgangrän und nachfolgender Indikation
plastischer Operationen.
. Wenn ich auf Grund meiner Erfahrungen und des Vergleichs
derselben. mit denen Anderer meinen Standpunkt in der Behand-
lungsfrage des Milzbrandes präzisieren soll, so muß ich sagen:
Daß die prinzipiell ausgeführte chirurgische Behand-
lung des Milzbrandes als Kunstfehler zu betrachten ist.
Man ersieht aus den obigen Zitaten, daß so wie verschie-
dene Wege nach Rom führen, auch verschiedene Behandlungsver-
fahren wohl imstande sind, den äußeren Milzbrand zu heilen.
Wenn man aber eine Krankheit mit dem besten Erfolg auf ein-
fache und schmerzlose Art heilen kann, so braucht man und darf
man kein kompliziertes und schmerzhaftes Verfahren, welches
keine besseren Erfolge bietet, anwenden. Ich habe absichtlich
neben meinem alle möglichen Behandlungsverfahren, über die sich
die Autoren loben, angeführt, damit man sich auch überzeugt,
daß eine endgültige Klärung der Milzbrandbehandlungsfrage nicht
weiter auf Grund der Heilungserfolge in einer kleinen Anzahl von
Fällen geschehen kann, sondern entweder auf Grund einer Hun-
derte von persönlich behandelten und genau beschriebenen Fällen
zählenden Statistik oder auf Grund von Fällen, bei welchen die
spezielle Behandlung ein ungewöhnlich rasches Zurücktreten der
Krankheitssymptome bewirkt hat.
Bezüglich der Aetiologie möchte ich folgendes bemerken.
In seinem Lehrbuche der Chirurgie sagt Wilms?): „Uebertragung
durch Kratzeffekte ist wohl am häufigsten die Ursache der In-
fektion im Gesicht.“ Alle meine Fälle betreffen Landbewohner,
und fast durchweg Bauern, die am häufigsten Kratzeffekte an den
Händen haben und trotzdem an denselben keine Pusteln bekamen.
Dagegen erkrankten hauptsächlich junge Leute an den zartesten
Hautstellen, besonders des Gesichts. Das drängt mich zu der
Annahme, daß mehr als durch Kratzefiekte die Infektion durch
Insektenstiche, wahrscheinlich am liebsten während des Schlafs,
verbreitet wird. Die Insekten finden leicht den Infektionsstoff an
Milzbrandkranken oder an Viehleichen, welche gewöhnlich einfach
in natürliche Gruben auf den Weideplätzen geworfen werden. In
den letzten Jahren scheinen die Behörden auch bei uns mehr die
Milzbrandfrage zu berücksichtigen und die ordentliche Bestattung
der Viehleichen zu fordern.
Aus der Universitätsklinik für Hautkrankheiten, Straßburg i. E.
Ueber die Verwendung des Chocolins bei der
Therapie der akuten Gonorrhöe und ihrer
Komplikationen
; von
Priv.-Doz. Dr. P. Mulzer.
Bei der Therapie der akuten Gonorrhöe und ihrer Kompli-
kationen spielen zweckmäßige hygienische und diätetische Maß-
nahmen bekanntlich eine große Rolle. Vor allen Dingen müssen
) Das Gesundheitswesen des Preußischen Staats, 1910 u. 1911.
3
25. August.
alle Momente möglichst ausgeschaltet werden, die zu einer Blutüber-
füllung der Genitalien und der Beckenorgane führen. Alle anstrengen-
den Leibesübungen und unter ihnen besonders das Reiten, Tanzen,
Turnen, Radfahren und lang anhaltendes Marschieren sind aus
eben diesen Gründen zu verbieten, aber auch die Speisen und Ge-
tränke sind so zu wählen, daß sie einerseits möglichst wenig
reizend auf die Sexualorgane wirken und anderseits einen leichten
und regelmäßigen Stuhlgang gewährleisten. Trotz genauer der-
artiger diätetischer Verordnungen und peinlichster Innehaltung
| derselben seitens der Patienten beobachtet man doch meistens im
akuten Stadium der Gonorrhöe und besonders bei gewissen Kom-
plikationen (Epididymitis, Prostatitis) eine mehr oder weniger
starke Obstipation, sodaß wir uns genötigt sehen, diese durch
besondere therapeutische Maßnahmen zu bekämpfen beziehungs-
weise zu verhüten. Von diesem Gesichtspunkt aus haben wir nun
bisher jedem Gonorrhöekranken bei der Aufnahme in unsere Klinik
neben der üblichen blanden Diät (zweite Form) jeden Morgen
nüchtern einen Teelöffel künstlichen Karlsbader Salzes verabreicht.
Diese Medikation hatte nun aber für uns immer gewisse Nach-
teile, die darin bestanden, daß einmal öfters die ersten Stuhl-
entleerungen zu stürmisch mit Tenesmen und Leibschmerzen und
zu oft und in wäßriger Form erfolgten und dann, daß sich die
Patienten mitunter an das Karlsbader Salz gewöhnten und daß
dann der gewünschte Effekt ausbleibt.
Von der Firma Stollwerk in Köln wurde mir nun vor einiger
Zeit ein neues Abführmittel, das sogenannte Chocolin (Michaelis)
zur Prüfung übersandt. Aus der beiliegenden Literatur ging her-
vor, daß dieses Präparat alle Eigenschaften, die man an ein gutes
und mildes Abführmittel stellen muß, zu besitzen schien. Es lag
nun für mich nahe, dieses Präparat an Stelle des Karlsbader Salzes
bei unsern Gonorrhöekranken zu versuchen. Hierbei leitete mich
aber auch noch folgende Erwägung: Bei Gonorrhoikern ‚beobachtet
man besonders in den Anfangsstadien ihrer Erkrankung eine mehr
oder weniger starke Beeinträchtigung ihres Allgemeinbefindens,
wobei häufig auch der Ernährungszustand leidet. Dazu kommt
noch, daß einerseits die zu verordnende blande Diät und anderseits
die dauernde Anwendung von Abführmitteln, wenn auch in milder
Form, nicht geeignet sind, den Ernährungszustand zu heben. In
der Tat beobachteten wir denn auch bei fast allen unsern Gonorrhöe-
kranken während der Dauer der Spitalbehandlung eine Herab-
setzung ihres Körpergewichts. Die Kombination eines milden Ab-
führmittels mit einem Nährpräparat, wie Schokolade oder Kakao
schien mir daher auch in dieser Hinsicht eine glückliche zu sein,
da diese Nahrungsprodukte allein ja bekanntlich den Ernährungs-
zustand außerordentlich heben, aber eben ihrer obstipierenden
Wirkung wegen nicht bei Gonorrhöekranken dauernd gegeben
werden können. |
Seit etwa vier Monaten habe ich nun auf der Abteilung für
männliche Geschlechtskranke der hiesigen Universitätshautklinik das
Choeolin zur Unterstützung der Therapie in der Weise verwendet,
daß ich den Kranken jeden Morgen eine Tasse (drei bis vier Tee-
löffel in eine Tasse reiner Milch verrührt) habe trinken lassen.
~ Was zunächst die abführende Wirkung dieser Medikation
betrifft, so trat bei fast allen Patienten ‚(akute oder subakute
Gonorrhöen mit und ohne Komplikationen), wenn dieses Getränk
in oben angegebener Weise morgens gegeben wurde, im Laufe des
Vormittags mühelos eine reichliche, weiche, mitunter breiige, aber
niemals spritzige Stuhlentleerung ein, die ohne vorherige Leib-
schmerzen erfolgte. Bei einigen Patienten erwies sich diese Durch-
schnittsdosis als zu groß, da bei ihnen meist zwei, einmal sogar
drei Stuhlgänge an einem Tage auftraten. Bei einigen andern
wirkten erst 1!/2 bis 2 Tassen in gewünschter Weise. Man wird
also auch hier individuell dosierend vorgehen müssen. Nur ein
einzigesmal hatte ich einen Mißerfolg, indem ich zur Erzielung
des gewünschten Effekts noch eine Zeitlang Karlsbader Salz
geben mußte. |
Das Getränk wurde von allen Patienten gern genommen
und bot auch auf der Abteilung einen erwünschten Zusatz der
bei der Gonorrhöetherapie so beschränkten Getränkeauswahl.
Eine Gewöhnung an das Präparat und eine eventuell da-
durch erfolgte Herabsetzung seiner Wirksamkeit habe ich: bisher
noch nicht beobachtet, |
Was nun die Wirkung des Chocolingenusses auf den Er-
nährungszustand der Patienten betrifft, so ist zu erwähnen,
wir fast bei allen unsern damit behandelten Patienten eine deut-
liche Gewichtszunahme, zum mindesten aber keine Gewichtsabnahm®
Wullstein u. Wilms, Lehrbuch der Chirurgie 1910, Bd. 1,S. 284. : konstatieren konnten.
25. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34,
1393
Vergleichsweise angestellte Wägungen von Patienten, die —
bei gleicher leichter Tripperdiät (zweite Form) — teils Karlsbader
Salz, teils Ohocolin in obenerwähnter Dosierung erhielten, ließen
regelmäßig auffallende Unterschiede in der Gewichtszunahme zu-
gunsten des Chocolins feststellen.
Auf Grund dieser meiner Prüfung glaube ich das Chocolin
(Michaelis) mit Recht als diätetisches Adjuvans bei der Therapie
der Gonorrhös empfehlen zu können, da es in bequemer und aus-
reichender Weise den Stuhlgang regelt und zugleich den hier meist
reduzierten Ernährungszustand hebt. Nach dieser Richtung hin
hat es uns in der Spitalpraxis bisher gute und völlig befriedigende
Dienste getan.
Literatur: Ewald, „Das Chocolin (Michaelis) ein neues Abführmittel®.
(Zbl f. ges. Th. 1912, Bd. 4, S. 1) — Lewandowski, „Chocolin“, ein neues
abführendes Nährmittel. (Th. d. G. 1911, Bd. 4, S. 12) — Görges, „Ueber
Chocolin, eine abführende Schokolade“. (D. med. Woch. 1911, Nr. 52.)
Aus dem Laboratorium des Onze Lieve Vrouwe Gasthuis.
Ueber die von Prof. Dr. Kromayer und Dr. Trinchese
vorgeschlagene „Therapia causalis“ der pseudo-negativen
Wassermannschen Reaktion
von
B. P. Sormani, Amsterdam.
Die beiden Autoren des ' Artikels „Der negative Wassermann“
in Nr. 10 dieser Wochenschrift haben meine Arbeit in der Zeitschrift
für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie 1911, Bd. 11, H. 2
nicht berücksichtigt. Ich habe hierin betont, daß es keinen Zweck hat,
mehr als die eben lösende Dosis Komplement zu benutzen (wenn nur die
Blutkörperchen stark sensibilisiert sind), und eine Methodik beschrieben,
womit es leicht möglich ist, in kurzer Zeit diese eben lösende Dosis zu
bestimmen. Daneben auch, wie es mittels gleichmäßiger Verteilung des
Antigens möglich war, eine genaue quantitative Wassermannsche Re-
aktion einzustellen, und schließlich machte ich es wahrscheinlich, daß
nach meiner Methode Erfahrungen wie jene Freudenbergs und
Wossidlos zu den Unmöglichkeiten gehörten (S. 253, 254). Was sie
also zu erreichen wünschten, hatte ich schon ein halbes Jahr eher be-
schieben... >o. a
‚ Bei der originellen Wassermannschen Versuchsanordnung liegt
die Ursache des Uebelstandes in dem Vorversuche. Damit wurde be-
stimmt, wie viel Amboceptor erforderlich war, um mit dem zehnmal ver-
dünnten frischen Caviaserum in einer bestimmten Zeit Hämolyse zu
bewirken. Also nicht das Komplement, worauf es ankommt, sondern das
Reagens (die sensibilisierten Blutkörperchen) wurde verschärft oder ab-
gestumpft. Statt dieser Methode gab ich an, ein Uebermaß Amboceptor
zu benutzen (so viel, daß die hämolytischen Menschenserumsubstanzen
nicht in Betracht gezogen werden brauchen) und nur so viel Komplement,
als eben nötig war, um die benutzte Quantität Blutkörperchen zu lösen,
also das sehr gefühlige Reagenz wirken zu lassen, Die zeitlichen Ver-
hältnisse spielen dann überhaupt gar keine Rolle. Was machen nun
Kromayer und Trinchese? Sie benutzen, wie ursprünglich von
v. Wassermann angegeben, vier Amboceptoreinheiten. Um jetzt zu be-
weisen, daß zu viel Komplement eine positive Reaktion in eine negative
umwandeln kann, machen sie unter anderm folgenden Versuch: Bei
einigen fertigen positiven Reaktionen fügen sie 20°/ Komplement und
erfahren dann, daß die Blutkörperchen sich lösen! Damit beweisen sie
höchstens, daß die gefällten sensibilisierten Körperchen löslich sind durch
Komplement; aber haben das Bordet und Gengon nicht schon be-
wiesen? Viel zutreffender sind ihre andern Versuche, womit sie be-
weisen, daß, wenn die Wassermannsche Reaktion mit noch mehr als
10% Komplement eingestellt wird, noch mehr negative Reaktionen resul-
tieren. Aber auch das war zu erwarten. Sie schlagen jetzt vor, das
Komplement zu titrieren und dann zu benutzen .. . zweimal die ge-
fundene ebenlösende Dosis. Warum gerade zweimal? möchte ich
fragen. Aber doch auch nicht genau zweimal, denn sie raten uns, „die
schwach wirkenden Komplemente in ihrem Titer etwas reichlich, die
stark wirkende etwas knapp“ zu bemessen. Warum haben sie denn
eigentlich titriert? |
Wenn dann noch eine Reaktion negativ ausfällt, darf man weiter
nach ihrer Vorschrift das Komplement wieder abschwächen „bis auf
dreiviertel, sogar bis auf einhalb“. Also doch ungefähr die eben lösende
Dosis, aber warum nicht damit angefangen? Wenn dann herauskommt,
daß das Serum selbsthemmend ist, kann immer noch eine neue Reaktion
eingestellt werden, worin so viel mehr Komplement benutzt wird als
nötig, um die Selbsthemmung aufzuheben. Ich hoffe hiermit bewiesen
zu haben, daß durch ihre Komplementverteilung die Wassermannsche
Reaktion wirklich nicht geworden ist ein „bis zur äußersten Grenze ver-
feinerter Wassermann“. Mit ihrer Schlußfolgerung: „Bei sorgfältiger
Austitrierung des Komplements ist der Original-Wassermann absolut zu-
verlässig“, bin ich völlig einverstanden, nur möchte ich binzufügen: „Wenn
jeder Einfluß von Medikamenten ausgeschlossen werden kann“, und möchte
ich raten, bei der Austitrierung ein Uebermaß Amboceptor zu benutzen
(10 bis 15 Einheiten).
Jetzt noch eine Bemerkung über die von ihnen beschriebene Be-
nutzung des weniger und unverdünnten Serums. Es ist schon öfter
gezeigt worden, daß menschliches Serum sehr viele hämolytische Sub-
stanzen enthalten kann. Sie fügen nur vier Einheiten Kaninchenambo-
ceptor zu und vermehren diese kleine Quantität beträchtlich durch die
zuweilen sehr große im menschlichen Serum enthaltene Menge. Da-
durch ist es möglich, daß sie statt einer Umwandlung der negativen in
eine positive Wassermannsche Reaktion das umgekehrte erreichen,
nämlich eine negative Reaktion, die mit 0,2 Serum positiv ist, zumal
weil sie ein Uebermaß Komplement anwenden.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
' Aus der Internen Abteilung (Primarius Dr. J. Semeräd) des
| Kaiser-Franz-Josef-I.-Bezirkskrankenhauses in Kgl. Weinberge.
Die Wirkung der internen Darreichung der
Gelatine auf die Viscosität des Bluts
von
F | Dr. E. Cmunt,
dirigierender Arzt der bydrotherapeutischen Anstalt in Luhačovic.
(Vorläufige Mitteilung.)
, Bei der Untersuchung der Viscosität des Bluts bei ver-
schiedenen Krankheiten fand ich, daß die Blutkrankheiten und die
Disposition zu Blutungen gewisse Beziehungen zur Viscosität des
luts besitzen (Hämophilie, Anämie, hämorrhagische Diathesen),
& die mit einer solchen Krankheit behafteten Patienten niedrige
Viseositätszahlen aufweisen. Es mußte daher von großem Inter-
“sse sein, das Verhalten der Blutviscosität bei starken Blutungen
ämoptoe, Hämatemesis, Skorbut und dergleichen) zu verfolgen,
a: man dem Kranken Hämostatica reicht. In der Abteilung
i Herrn Primarius Dr. Semerád wird seit der Gründung des
‚Ustituts bei jeder Art von Blutung Gelatine per os oder per in-
Jeefionem gegeben. Zur internen Darreichung per os bereitet man
nn 3°/oige Lösung durch Abkochung der gewöhnlichen im
cl ‚erhältlichen Gelatine, zu Injektionen wird die 10 %/oige
sterilisierte Gelatine von Merck verwendet.
Ich nahm eine Reihe von Messungen der Blutviscosität bei
Patienten vor, die mit Blutungen aus der Lunge oder aus dem
Magen, mit Skorbut oder mit Anämie behaftet waren, und zwar
wurde vor und nach der Darreichung der Gelatine gemessen.
In der mir zugänglichen Literatur über die interne Dar-
reichung der Gelatine fand ich seit der grundlegenden Arbeit von
Lancereaux und Paulesco keine Erwähnung von der Messung
der Blutviscosität nach dem Genusse der Gelatine.
Meine Beobachtungen stellte ich zu einer Üebersichtstabelle zu-
sammen, aus der die Unterschiede in den Werten der Blutviscosität vor
und nach der Darreichung der Gelatine hervorgehen. Die Messungen
wurden zumeist in den Vormittagsstunden (um die slfte Stunde), und
zwar in Intervallen von 1 bis 24 Stunden nach der Inkorporation der
Gelatine vorgenommen.
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß nach der internen Dar-
reichung der Gelatine eine Zunahme der Viscosität des Bluts statt-
findet, und zwar ist die Zunahme nach der subeutanen Injektion
am größten.
Nach der Darreichung der Gelatine per os tritt zwar auch eine
Zunahme der Viscosität, aber in einem viel langsameren Tempo
ein, wie man aus dem Falle 3 ersehen kann, bei welchem mit der
internen Darreichung von 200 ccm der 3°],igen Gelatine pro die
binnen zehn Tagen eine Zunahme der Viscosität um 0,6 gegen-
über dem Anfangswerte erzielt wurde, während die nachher appli-
zierte subcutane Injektion von 40 ccm der 10 0/igen Gelatine von
Merck binnen 24 Stunden eine Steigerung der Viscosität um 1,4
hervorrief.
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BIRD ED REN EVEN TEENS GERA
1394 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34, 25, August.
Vor | Nach de
| S 5
der Gelatinedarreichung % È ain
r : TER a0 merkungen
Diagnose Methode pi Zeit der Gelatine- Zeit p DATE der Zeitintervall {8 3 ev 3 3 E aas dé ba
azroichung on Sais] a 1813| 2 | 24 |. Krankkeitsgeschichte
a| ø o |2|%& © D .
Br 2 |8 = 58
ME > jm > D ©
|
15. Dez., nach 11 Uhr vormittags, 600 g | 15. Dez., um 11 Uhr vorm. N 4 Stunden 115 | 66} 3,8 |
1. Marie P., 33 J. einer 3% igen Gelatine per os. 15. Dez., um 3 Uhr 25 Min. |/ 25 Minuten 128| 66| 89 | + 01
Maschinisten- 16. Dez, um 11 Uhr vormittags, 300 g | 17. Dez., um ii Uhr vorm. | 24 Stunden 140 2 | + 0,4 | Blutung geringer,
witwe. der 3°%/,igen Gelatine per os.
Hämoptoe. I.p.t.| 17. Dez, um ii Uhr vormittags, 600 g | 18. Dez, um 11 Uhr vorm. | 24 Stunden 150! 66|] 4,8 | + 0,5 | Kein frisches Blut im
der 3%,igen Gelatine per os. | | Sputum.
i 2. Jan., um 12 Uhr 15 Min. nachm., Injek- | 2. Jan., um 10 Uhr 10 Min. |} 21 Stunden 135| 96| 5,4
2 S.A. 8J tion einer 10°higen Gelatine Merck, 40 g. vorm. }
“ Arbeiter. © | 2 Jan, um 10 Uhr 50 Min. vorm., per os | 3. Jan., um 10 Uhr vorm. |) 45 Minuten 138 | 90| 5,95 | + 0,55] Blutung geringer.
i 2 400 g er 3 aen Saatine. id
. Jan, um 4 Uhr vorm, Injektion |
Hämoptoe. I.P.t.| yon 40 g der 10%,,igen Gelatine Merck | 4. Jan., um 11/, Uhr vorm. i nn 150) 78| 6,9 | +16 | Blutung hat aufgehört.
und 400 g per os der 3°/,igen Gelatine.
3. Febr, nach 11 Uhr vorm. 600 g der | 3. Febr., um 11 Uhr vorm. [X 24 Stunden 1301108| 5,6
3 LF. 4J 3°%/,igen Gelatine per os; dann wurde | 4. Febr., um 10 Uhr vorm. |J 125 | 102| 5,6 — Bedeutendes Blut-
= Arbeiter - dieselbe Dosis zehn Tage hindurch bis spucken.
: 14. Febr. per os gegeben. Am 14. Febr., | 14. Febr., um 11 Uhr vorm. — | ii4| 62 | + 0,6 | Dauernd kleine Blut-
Hämoptoe, I. p.t, | Am 11'/, Uhr vorm. und um 2 Uhr nachm., . spuren im Sputum.
proe. .P.% | Injektion von 40 g einer 10°%,igen Gela- | 15. Febr., um 11 Uhr vorm. 128|114| 7,6 | + 20 | Sputum frei von frisch.
tine Merck. Blut,
4. Fr. T., 22 J. 13. Dez., um ii Uhr vorm., Injektion von | 13. Dez. vor 11 Uhr vorm. |\ 2 Stunden 115| 90| 4,5 Injektion wird gut ver-
Arbeiterin. 40 ccm der 10°,,igen Gelatine Merck. |13.Dez,um1U.20M.nachm.|f 15 Minuten 100| 90| 4,7 2 tragen.
Ulcus ventriculi. | 15. Dez, um 12!/, Uhr, Injektion der- | 15. Dez, ,um3ÜU.40M.nachm. 130 |108; 5,1 T 0,6 | Die Magenblutung hat
Hämatemesis. selben Dosis. aufgehört.
10. Febr., nach ii Uhr vorm., 200 g der | 10. Febr., um 11 Uhr vorm. 160 | 120| 4,— Da sich der Zustand
5 G. St, 24 J, |3%%iger Gelatine per os. Erbricht; da- | 11. Febr., um 11 Uhr vorm. } 24 Stunden 145 |114| 34 | — 0,8 nicht bessert, wurde
Aufsehersgattin. her dieselbe Dosis per Klysma. Arsen als Solutio
Scorbutus. 11. und 12. Febr. zwei Klystiere zu je | 13. Febr., um 11 Uhr vorm. 117/1022| 88 | — 0,7 Fowleri gegeben.
200 g der 8°/,igen Gelatine.
Vielleicht geben diese Befunde eine Erklärung für die bei
der Gelatinetherapie schon früher gemachte Erfahrung, daß eine
subeutane Gelatineinjektion die Blutung viel rascher stillt als die
Darreichung per os:
Durch Resorption der Gelatinelösung aus dem subcutanen
Bindegewebe steigt die Viscosität des Bluts viel rascher als durch
Verdauung der per os gereichten Gelatine,
Die Experimente der jüngsten Zeit, speziell die Arbeiten
Cohnheims, lehren, daß die Peptone unter dem Einflusse eines
in der Darmschleimhaut enthaltenen Ferments, des sogenannten
Erepsins in Produkte zerfallen, die keine Biuretreaktion geben,
in Aminosäuren und Peptide, und erst aus diesen Trümmern der
ursprünglichen Substanz baut der Organismus auf syuthetischem
Wege die Eiweißstammsubstanz auf, in unserem Falle aber jene
Substanz, welche der Körper zur Ergänzung der Viscosität des
Bluts benötigt, also eine Substanz, die höchstwahrscheinlich kol-
loider Natur ist.
Wahrscheinlich beruht in diesen Vorgängen der Unterschied
‘in der Schnelligkeit und Intensität der Wirkung der einerseits
per os, anderseits subceutan applizierten Gelatine auf die Viscosität
des .Bluts, selbst wenn wir in Betracht ziehen, daß die Gelatine
zur subeutanen Injektion in konzentrierterer Lösung zur Anwen-
dung kommt, nämlich in 10 0/oiger Lösung gegenüber der 3 /oigen
per os eingeführten Lösung; denn die Kette der Veränderungen,
nach welchen die Gelatine aus dem subeutanen Bindegewebe in
den Blutkreislauf gelangt, dürfte wohl kürzer sein als jene Reihe
von Prozessen, die sie bei der Verdauung durchzumachen hat,
bevor sie in den Blutkreislauf .gelangt.
= Zum Schlusse muß noch die Applikation der Gelatine per
Klysma erwähnt werden, die beim Falle Nr. 5 (Skorbut) zur An-
wendung kam. In diesem Falle wurden 200 ccm der 3°jyigen
Lösung per Klysma eingeführt, weil die Patientin vorher die ganze
per os eingeführte Gelatinedosis nach einigen Minuten erbrochen
hatte. Der Wert für die Viscosität sank weiter, obwohl die Ge-
latineklysmen mehrere Tage hindurch wiederholt wurden. Dem-
nach dürfte diese Methode der Gelatinedarreichung, wenn man
aus diesem einen Falle einen Schluß ziehen darf, keinen beson-
deren Wert gegen Blutungen besitzen.
Wie aus der Uebersichtstabelle ersichtlich ist, steigt außer
dem Wert für die Viscosität des Bluts auch der Blut-
druck, während die Pulszahl schwankende Zahlen auf-
weist.
Ich habe nicht die Absicht zu erklären, welchen Einfluß die
innere Darreichung der Gelatine auf die chemischen Prozesse,
z. B. auf die Blutgerinnung und dergleichen besitzt, aber aus
dem Faktum, daß das Blut nach der Darreichung der
Gelatine dichter wird, können wir schließen, daß auch dieser
Umstand außer den andern, noch unbekannten Veränderungen zur
Blutstillung beiträgt.
Aus der Königlichen dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. Neißer, zurzeit stellvertretender
Direktor: Prof. Dr. C. Bruck).
Experimentelle Untersuchungen über die Be-
einflussung des Bakteriengehalts der Haut
durch dermatologische Behandlungsprozeduren
I. Mitteilung
von
Dr. S. Hidaka (Japan).
In Nr. 44, 1911, dieser Wochenschrift habe ich über Ver-
suche berichtet, die ich auf Veranlassung und unter Leitung von
Herrn Professor Bruck angestellt habe und die das Studium des
Bakteriengehalts der Haut Gesunder und Hautkranker sowie die
Beeinflussung desselben durch gewisse physikalische und chemische
Prozeduren bezweckten. l
Ich habe nun in Fortsetzung dieser Arbeit noch die ge-
bräuchlichsten dermatologischen Medikamente in verschiedenen An-
wendungsformen untersucht und studiert, wie die normale Haut-
bakterienflora durch dieselben beeinflußt wird. Obgleich diese
sehr mühsamen und zeitraubenden Versuche noch nicht ab-
geschlossen sind, möchte ich, da ich meine Arbeit aus äußeren
Gründen unterbrechen muß, die bisher gewonnenen Resultate kurz
mitteilen.
Die Technik war dieselbe, wie ich sie früher genau gê-
schildert habe. Ich möchte aber bemerken, daß es bei den großen
Fehlerquellen, die derartigen Untersuchungen naturgemäß anhaften
müssen, notwendig war, nicht nur bei jedem Versuch drei ver-
schiedene Hautstellen gleichzeitig zu untersuchen, sondern jeden
Versuch mit jedem Medikament und in jeder Anwendungsform
mindestens sechs- bis achtmal zu wiederholen. Erst dann
habe ich einen Durchschnittswert berechnet und glaube auf diese
Weise zu beweisenden Resultaten gelangt zu sein. Ich möchte,
was die Technik anbelangt, noch hinzufügen, daß, um eine Nach-
wirkung von Medikamentresten, die in die zum Abschwemmen be-
nutzte Bouillon gelangt sein können, zu vermeiden, die ver
2 WI E
EZ. p= EI Èri. B?
Pr
re on
Sin
N
95. August.
dünnung der Bouillon mit Agar-Agar möglichst rasch ausgeführt
werden muß. — Jeder Versuch wurde nach sechsstündiger Ein-
wirkung des Mittels beendet.
Die in nachfolgender Tabelle aufgeführten Medikamente
wurden von mir, soweit es möglich war, in Form von Salben,
Trockenpinselung, spirituöser und ‚öliger Lösung geprüft. Als
Salbengrundlagen verwendete ich Vaseline, Adeps suilli und
Lanolin, zu denen ich das Medikament im Verhältnis 1:10 zu-
setzte. Die Trockenpinselung hatte die Zusammensetzung:
Zinc. oxydat.
Talc. venet.
Glycerin
‚Aqua dest. aa.
Hierzu wurde 10°), des zu prüfenden Mittels gesetzt und
‚ diese Menge, falls es sich um eine Flüssigkeit handelte, vom
Glycerin-Aqua, falls es eine feste Substanz war, vom Zinc.-Tale.
abgezogen. Die spirituösen Lösungen wurden mit 70 higem
Spiritus, die öligen mit Oleum olivarum hergestellt. Dazu kam
10 0%% des Medikaments.
Die Zahlen geben die gefundenen Werte der Keimverminde-
rung an. Es bedeutet also z. B. 586, daß das betreffende Medi-
kament in der betreffenden Anwendungsform die vor dem Versuche
festgestellte Bakterienzahl der normalen Haut um das 586 fache
vormindert hat. ;
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
nn
A ı Trocken- | spirit. | _ölige
Medikament in Form von: Salbe Ä pinselung Lösung | Lösung
Oleum Rusei . . m or 107 586 227 15
Acid. pyrogall. .. 2 2 2 2a 78 104 _ _
esorecn . . 2 En run. 14 _ 52 _
Acid. salicyl. . 2 2 2 2 200 63 — _
brysarobn. . 2 2 2 2 2 2 3. 39 — —
Ichthyol 00 on 33 387 184 q
Sulfur, praec, . . 2 2 aaa 10 16 — Z=
Tumenol . . on 4 119 — 2
Sulfoform . . sa vr 2 2 3. -— — —_ 6
die Pyrogallussäure und das
Ichthyol, während Mittel wie Resorein, Chrysarobin (!), Salicyl-
säure, Schwefel, Tumenol eine geringere Wirkung aufweisen, und
2. daß die Wirkung dieser Mittel in Form von Pinse-
lungen und spirituösen Lösungen durchschnittlich eine be-
trächtlich größere ist, als in Form von Salben und fetten
Lösungen.
Ich vermeide es, aus den bis jetzt vorliegenden spärlichen
Versuchen weitere Schlüsse zu ziehen. Es müssen diese Experi-
mente in größerem Maßstabe fortgesetzt werden. Sie dürften dann
für die Behandlung von Hautkrankheiten und die Beurteilung der
| hierbei in Frage kommenden Therapeutica nicht bedeutungslos sein.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
Uebersichtsreferat.
Neue Urologie.
Pyelitis
von A. Mankiewicz.
Auf der Naturforscherversammlung in Stuttgart 1907 sprach
der verewigte H. Lenhartz (1) [Hamburg] über akute und chro-
nische Nierenbeckenentzündung und berichtete über eingehende
klinische und bakteriologische Untersuchungen an Kranken mit
diesem Leiden. Escherichs Bacterium coli spielt die Hauptrolle
bei der Entstehung der Krankheit, gelegentlich auch Paratyphus
und Milchsäurebacillen. Der weitaus größte Teil der Erkrankten
war weiblichen Geschlechts (93,3 0/4). Außer dem mikroskopischen
und bakteriologischen Harnbefund ist die Art der spontanen oder
durch Druck auszlösenden Schmerzen, die in der Regel ohne Cysto-
skopie die Entscheidung der Frage, ob eine oder beide Seiten er-
griffen sind, gestattet, charakteristisch und pathognomonisch.
anz besonders klinisch wichtig ist der Fieberverlauf ; das Fieber
tt in mehr als Dreiviertel der Fälle auf; in etwa der Hälfte der
feberhaften Fälle läuft die Erkrankung in 8 bis 14tägigem Anfall
ab, in den andern fieberhaften Fällen tritt das Fieber periodisch
auf und gibt eine Kurve des Fiebers wie’ bei der Recurrens.
Rheumatische Schmerzen als toxische Begleiterscheinungen bei
jedem Rieberanfall gehören nicht zu den Seltenheiten. Die Pro-
Snose in klinischer Hinsicht ist gut, die in bakteriologischer Hin-
sicht zum mindesten dubia, da in fünf Sechstel der Fälle der
am nicht steril wird. Die Behandlung will Lenhartz im
wesentlichen auf mechanische Durchspülung mit Tees beschränken,
le Arzneikörper seien erst in zweiter Linie von Nutzen; operativer
ingrife bedürfe es nur bei geschwulstartiger Ausdehnung des
ierenbeckens und seien dieselben nur bei einseitiger Erkrankung
möglich, In der Diskussion wurde. auf die Rolle der Obstipation
und der Erkältung für die Entstehung der Pyelitis aufmerksam
ans der Vebergang der Pyelitis in Nephritis und Nieren-
Tophie erörtert, Goldberg verwies auf das von Guyon schon
„riebene Krankheitsbild und auf die Aehnlichkeit der dar-
gestellten Fieberkurven der monofebrilen der remittierenden und
7 Intermittierenden Form des Katheterfiebers, welches der Pariser
ie niker ebenfalls klassisch geschildert hat; man muß ausschließ-
i von Fällen ausgehen, an denen instrumentelle Eingriffe nicht
ap nommen sind, um die differentialdiagnostische Bedeutung des -
$ erverlaufs für die Pyelitis ganz sicher zu stellen. Die Art
onik akterien ist für die Erkennung des Krankheitsherds nicht
W ertbar, da Kolieystitis mindestens so oft wie Kolipyelitis zur
nam achtung kommt. Trotz der Unschädlichkeit der Cystoskopie,
r entlich bei Frauen, ist die Bereicherung der nichtinstrumen-
“on diagnostischen Behelfe sehr erwünscht. Die von Weigert
häufig beobachtete schiefe Insertion des Ureters ins Nierenbecken
soll nach Mohr eine Prädisposition für die Pyelitis schaffen.
Das war so ungefähr der Standpunkt vor fünf Jahren, auf
dem Kliniker, die sich mit der Erkrankung beschäftigt hatten,
standen; dabei war doch schon viele Jahre (1895) vorher von
Casper (2), Kelly (8) und Andern die Entleerung des Nieren-
beekens durch den Ureterkatheter und die Ausspülung des Pyelon
mit Borwasser oder schwacher Höllensteinlösung (1/5000— 1000)
empfohlen worden. Hat doch Casper in der zweiten Auflage
seiner Urologie (1903, S. 390) schreiben können: „Gegen die Pyelitis,
sobald sie gutartiger Natur ist, mit andern Worten, sobald es
eines gonorrhoischen Ursprungs oder auch eine Kolipyelitis ist,
sind Ausspülungen des Nierenbeckens mit Argentum nitricum
1/1000 von geradezu verblüffender Wirkung. Durch eine große
Anzahl von Publikationen und Vorträgen ist dieser. Zustand der
Unkenntnis in der Therapie der Pyelitis beseitigt worden. Ich
hebe ausdrücklich hervor der akuten und chronischen Nieren-
beckenentzündung ohne starke Erweiterung des Nierenbeckens :-
große Eitersäcke wird man durch den Ureterkatheter weder ent-
leeren noch das dilatierte Becken zur Contraction bringen
können. Vorerst sind auch Fortschritte in der pathologischen
Anatomie gemacht worden, freilich sind auch jetzt noch die frühen
Stadien anatomisch nur unzulänglich bekannt, da selten zur Be-
obachtung des frischen Präparats Gelegenheit ist. Intensität
und Dauer des Prozesses geben der Schleimhaut des Nierenbeckens
ein ganz verschiedenes Aussehen, Bei akuter Pyelitis findet man
eine geschwollene, gerötete Schleimhaut, die von dilatierten Ge-
fäßen durchzogen ist, und einen trüben, übel riechenden bakterien-
reichen Harn in dem nicht oder wenig erweiterten Nierenbecken ;
zuweilen zeigt die Schleimhaut reichlich Bechymosen (Pyelitis
haemorrhagica), manchmal Abscheidung von Fibrinmassen, die ge-
mischt mit Bakterien membranähnliche, auch in viva abgehende
Fetzen bilden können (P. pseudomembranacea) oder diphtherieähnliche
Belege (P. eruposa); oder es können sich gangränöse Schleimhaut-
stücke abstoßen. Bei chronischer Pyelitis ist die Schleimhaut
mehr grau als rot, dicht gewulstet, zeigt auch papillare Wucherungen;
bei gleichzeitiger Steinbildung häufig Ulcerationen und Inkrusta-
tionen. Selten findet sich eine Auskleidung der pyelitischen
Schleimhaut mit vielen kleinen Cystchen (P. cystiea); ferner sind
follikelartige, weiße oder graurötliche Knötchen, teils mit rotem
Hof, gefunden worden, die die entzündete Schleimhaut des
Nierenbeckens und die Papillen an deren Oberfläche dicht besetzen
(P. granulosa), und daneben Blutextravasate, besonders an den
Papillen so ausgeprägt, daß v. Frisch (6) dabei beobachtete renale
Blutungen als Papillenblutung erklärt. Die Körnchen entstehen
nach Aschoff aus den auch in der Blase vorhandenen Brunn-
schen Epithelnestern. Bei älteren Pyelitiden kann es. auch zu
cholesterinähnlichen Ablagerungen auf der Schleimhaut kommen.
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Leukoplakie ist vereinzelt beobachtet. Ist Harnstauung vorhanden,
so bewirkt sie Erweiterung des Nierenbeckens und der Kelche, wir
finden als Druckerscheinung Abflachung der Papillen, auch
Atrophie, zuweilen (durch Bakterienembolien) Nekrose derselben
(Rothschild [4]). Die Frage der Ascendenz oder Descendenz des
Entzündungsprozesses soll hier nicht behandelt werden. Nur sei
nach Kehrer (7) kurz ein Referat gegeben, der allerdings speziell
auf das Material der Frauenärzte sich stützt. Eine aufsteigende
Infektion von der Blase aus nach vorausgegangener, oft sehr ge-
ringfügiger Cystitis befürworten Stoeckel (9), Opitz (18),
Doederlein und Weindler. Aber nur Stoeckel (9) hat den
Wahrscheinlichkeitsbeweis für sie erbracht, als er bei einer
Schwangeren im neunten Monat Kolibaecillen und Leukoeyten nur
in der Blase und in dem Urin nachweisen konnte, der beim Ureter-
katheterismus aus dem untern Abschnitt des Ureters gewonnen
war; der obere Teil des Ureters schien in diesem Falle noch ge-
sund. Der Weg der Infektion war also Urethra, Blase, Ureter,
Nierenbecken. Warum in der Schwangerschaft der regelmäßige
Bewohner der Vulva und des Orificium urethrae, der Bacillus coli,
die Blase so oft infiziert, ist unbekannt. Einen descendierenden
Weg für die Infektion der Harnwege nehmen vor allem die fran-
zösischen Autoren an. Dabei sollen die Erreger auf dem Blut-
oder Lymphwege zunächst zum Nierenbecken oder hämatogen zu
den Glomeruli gelangen und durch die letzteren zur Ausscheidung
kommen. Eine lymphogene Infektion ist möglich von den seltenen
pararenalen Heerden aus. Direkt vom Darm aus (enterogen) sollen
durch Vermittlung der Lympheapillaren die Kolibacillen in das
Nierenbecken und den Ureter einwandern (Mirabeau [8]), bei
Schwangeren begünstigt durch die übliche Verstopfung und die
nahen räumlichen Beziehungen zwischen Colon ascendens und der
rechten, oft descendierten Niere. Gerade die Häufigkeit der
rechtsseitigen Pyelonephritis wird auf diese Weise erklärt. Die
experimentelle Begründung dieses Infektionsmodus steht aber noch
auf schwachen Füßen. Neben der Infektion scheint aber die Harn-
stauung (infolge Verengerung des Ureters durch den Kopf des
Foetus bei Schwangeren, Schwellung der Uretermucosa, Herab-
setzung des Tonus der Harnleitermuskulatur durch andauernde
Hyperämie) zur Entstehung der Pyelitis erforderlich. Eine wich-
tige Mitteilung A. Müllers (5) [Basel] bezüglich des Propa-
gationsprozesses des vom Nierenbecken in .das Parenchym auf-
steigenden pyelonephritischen Entzündungsprozesses muß ich hier
einfügen: Entgegen der bisherigen Annahme, daß die Entzündung
in einer der Sekretion entgegengesetzten Richtung durch die Ka-
nälchenlumina aufsteigt, beweisen die Präparate Müllers, daß der
Prozeß ein Iymphangitischer ist; der Ausbreitungsweg der
Entzündung vom Nierenbecken zur Nierenrinde kennzeichnet sich
durch den Infiltratverlauf. Von der pelvinen Submucosa im
Zwischengewebe geht er ausschließlich entlang den großen Gefäßen,
also dem Lymphbahnverlauf entsprechend, aufwärts. Der Gefäß-
ramifikation gemäß divergieren die Infiltratzüge kapselwärts, um
in den höchsten Abschnitten die größte Ausdehnung, verbunden
mit größter Entzündungsintensität (Abscedierung). anzunehmen.
Die Harnkanälchen werden erst sekundär infolge Durchbrüche von
Lymphbahnen durch die epitheliale Kanälchenwand in Mitleiden-
schaft gezogen und schwemmen das zellulare Exsudat durch den
Sekretstrom nierenbeckenwärts,
Voeleker-Heidelberg (10) unterscheidet in seinem Vortrag
über Hydronephrosen und Pyonephrosen auf Grund seiner Methode
der Pyelographie (Röntgenographie der Niere nach vorausge-
schickter Füllung des Nierenbeckens mit 5 0/ọ Kollargollösung).
Zwei Kategorien der Pyelitis: Pyelitis obne primäre Dilatation
und Pyelitis auf dem Boden einer primären Dilatation; er nennt
sie Infektionspyelitis und Dilatationspyelitis. Diese Formen haben
auch klinisch ihre Unterschiede: Die Infektionspyelitis ist die
Bakteriurie mit geringem Eitergehalte des Urins, mit gelegent-
lichen, oft cyclisch auftretenden Exacerbationen. Dabei hohes
Fieber, oft ohne besondere Nierenschmerzen. Während des An-
falls ist der Eitergehalt des Urins meistens vermehrt. Im Gegen-
satze dazu ist die Dilatationspyelitis durch einen starken Eiter-
gehalt des Urins (Pyurie) gekennzeichnet. Bei den akuten Exacer-
bationen kommt es zu heftigen Koliken durch Verschluß des Ureters,.
. Der Eitergehalt des Urins ist im Anfalle vermindert. Auch thera-
peutisch besteht zwischen beiden Formen ein Unterschied. Bei
der Infektionspyelitis nützt die Spülung des Nierenbeckens nichts,
bei der Dilatationspyelitis hat sie einen ausgezeichneten Erfolg.
Einen erheblichen Einfluß für die Erkenntnis des diagnosti-
schen und therapeutischen Wertes des Ureterenkatheterismus und
der Nierenbeckenspülung bei Pyelitis hat wohl das treffliche Re-
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25. August,
ferat von A. v. Frisch (6) auf dem zweiten Kongresse der Deut-
schen Gesellschaft für Urologie in Wien im April 1909 ausgeübt;
die eitrigen, nicht tuberkulösen Affektionen des Nierenbeckens war
das Thema des Vortrags; leider kann ich hier auch aus den Leit-
sätzen nur einen Auszug geben: Die akute und chronische Pyelitis
verdankt ihre Entstehung einer Infektion der Niere oder des
Nierenbeckens auf dem Wege der Blutbahn oder des Ascendenz
eines entzündlichen Prozesses von der Blase aus. Eine direkte
Ueberwanderung von Keimen aus dem Darm in das Nierenbecken
ist bisher nicht sicher erwiesen. Begünstigt wird das Zustande-
kommen einer Pyelitis oder einer Pyelonephritis durch eine ge-
wisse Disposition, welche in lokalen Verhältnissen (Kongestion und
Hyperämie, Läsionen der Nierenbecken und Ureterschleimhaut,
renale und vesikale Harnstauung usw.) gegeben ist. Die Mög-
lichkeit einer ascendierenden Infektion ist an gewisse Bedingungen
geknüpft: Insuffizienz des Harnleiterverschlusses gegen die Blase,
intravesicale Drucksteigerung, neurogene Atonie des Ureters bei `
spinalen Prozessen. Die Prognose der Pyelitis ist abhängig von
dem anatomischen Zustande der Niere und der Art und der Vi-
rulenz der infizierenden Bakterien. Für die Stellung der Diagnose
sind sowohl die äußere klinische Untersuchung des Kranken, als
auch die verschiedenen Methoden der chemischen, mikroskopischen,
bakteriologischen und physikalischen Harnuntersuchuog unzu-
reichend. Ausschließlich die Cystoskopie und der Ureteren-
katheterismus gestatten eine absolut zuverlässige Diagnosen-
stellung. Wiewohl durch eine medikamentöse und diätetische Be-
handlung gewisse Formen von akuter und chronischer Pyelitis
bisweilen der Heilung zugeführt werden können, steht doch heute
die lokale und chirurgische Behandlung im Vordergrunde der
Therapie. Für die akute fieberhafte Pyelitis erscheint in erster
Linie der Katheterismus der Ureteren, sei es bloß zum Zwecke
der Entleerung retinierter Entzündungsprodukte, sei es zur Vor-
nahme medikamentöser Nierenbeckenspülungen indiziert. Für die
chronische Pyelitis hat die lokale Behandlung in periodisch vor-
zunehmenden Spülungen des Nierenbeckens oder Instillationen zu
bestehen. Die besten Erfolge sind bei Infektionen des Nieren-
beckens durch Bacterium coli und Gonokokken zu erzielen; weniger
‘gut wirken die lokalen Behandlungen des Nierenbeckens bei In-
fektionen durch harnstoffzersetzende Mikroorganismen (Staphylo-
kokken, Streptokokken). Bei Verdacht auf Tuberkulose und Pyelo-
nephritis sind Nierenbeckenspülungen nicht angezeigt. Bei infi-
zierten Hydronephrosen und Pyonephrosen ist kein Erfolg von
ihnen zu erwarten. Versagt der Harnleiterkatheterismus und die
Nierenbeckenbehandlung, so ist bei Fortdauer des Fiebers.und der
Allgemeinerscheinung die Nephrotomie ebenso indiziert, wie bei
der Undurchführbarkeit des Ureterkatheterismus in schweren
Fällen. Infzierte Hydronephrosen, Pyonephrosen, Nierenbecken-
fisteln erfordern die Nephrotomie oder die primäre Nephrektorale.
Eine eigenartige Aetiologie der Cystitis und Pyelitis be-
schreiben Wildbolz (11) und A. Sippel (12) unter dem Namen
der Deflorationspyelitis respektive Kohabitationscystitis und Pye-
litis. Bei jung verheirateten Frauen entsteht häufiger eine Cystitis
und meist rechtsseitige Pyelitis infolge Infektion mit Bacterium
coli. Wildbolz führt die Infektion auf die Infektion beim Coitus
entstandener Hymenalrisse zurück. Sippel erklärt sie folgender-
maßen: Hoher straffer Damm mit engem rigiden Introitus bedingt
eine immer von Bakterienflora belebte Harnröhrenöfinung am
vorderen Rande des Scheideneingangs; ziehen nun die Frauen die
Genitalien beim Coitus ängstlich ein, so wird der Introitus vaginaè
noch mehr verengert und der Penis massiert die Bakterien geradezu
in die Harnröhre. Die Nierenbeckenentzündung der Schwanger-
schaft wird wohl oft eine Verschlimmerung der früheren Infektion
sein. Man muß deshalb Harnbeschwerden jüngst Deflorierter mehr
würdigen, auf den penetranten Geruch des stehenden Harnas achten
und durch Ratschläge für die Erleichterung und Schmerzlos-
machung des Begattungsaktes (Anwendung der Bauchpresse, Ab-
duktion der Oberschenkel usw.) solche Infektionen zu verhüten
suchen. | j
F. Meyer-Betz (München) (13) erachtet in seinen Unter-
suchungen über primäre Colipyelitis als Eintrittspforten der Bakterten
neben Harnröhre und Blase und Blut die Lymphgefäße derrechten Niere
‚wegen der nahen anatomischen Beziehungen zur Flexura coli dextra.
Prämenstruelle Temperaturerhöhungen und Verstopfung dispo-
nieren auch nach ihm zur Infektion des Nierenbeckens; ob unter
diesen Umständen die erworbenen Schutzkräfte versagen, 80% t
die Bakterien die Möglichkeit eines wirksamen Angriffs finden, 18°
noch nicht nachzuweisen. Die Untersuchungen über die er
körper des Bluts bei primärer Kolipyelitis, über Serumbactericidi®,
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25. August. E 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1397
über die Autovakzinetherapie erwecken Interesse, ergeben aber
noch keine sichern Resultate, die Konzentration des Harns durch
Sehwitzprozeduren, die möglichste Säuerung des Urins durch Phos-
phorsäure, antibakterielle Mittel (Urotropin, Salieyl — Referent
möchte vor allem daš "Borovertin- Hexamethylentriborat,
dessen krampfstillende Komponente, die Borsäure, nicht nur den
lästigen Tenesmus bei der Pyelitis mindert, sondern auch den
Harn stark säuert, empfehlen —) töten zwar die Colibakterien
nicht ab, hemmen aber deren Entwicklung.
~ Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, daß besonders das
weibliche Geschlecht häufig an Cystitis und Pyelitis durch Bacte-
rium coli und Gonococeus Neißer erkrankt; die Ursachen hierfür
haben die Autoren in vielen Mitteilungen erörtert. Es ist daher
auch . nicht auffällig, daß sich besonders Frauenärzte mit diesem
Leiden beschäftigen, zumal seitdem sie durch nähere Befassung
mit den von den Urologen ausgebildeten Untersuchungs- und Be-
handlungsmethoden zur Erkenntnis der Wichtigkeit dieser Dinge
gekommen sind. So finden sich in der von Stöckel (9) gegrün-
deten und herausgegebenen Zeitschrift für gynäkologische Urologie
eine Anzahl wichtiger Arbeiten. Gleich im ersten Bande nehmen
Max Henkel (14) und W. Stöckel (9) selbst das Wort. Henkel
meint: Erst auf Grund der verfeinerten Untersuchungstechnik
(Cystoskop, Urethroskop, Ureterenkatheterismus, bakteriologische,
Untersuchung des gesondert aufgefangenen Urins beider Nieren
sind wir in den Stand gesetzt, gewisse Blasen- respektive Nieren-
beckenentzündungen zu diagnostizieren, die früher unserer Kenntnis
entgingen respektive entgehen mußten. Er verweist unter anderm
auf die Scheidemantelsche Arbeit (15) über Pyelitis bei Frauen
und ihre Beziehungen zur Menstruation aus dem Krankenhause
Bethanien, wo in 16 Fällen von Pyelitis von einer Fehldiagnose
berichtet wird. Henkel legt Gewicht darauf, daß der Harn trotz
erhöhter Temperatur, Schmerzen in Unterbauch oder Nierengegend
sauer, fast klar und ohne Eiweißgehalt sein kann und daß deshalb
erst die Kultur die Infektion nachweist. In drei Fällen von Pye-
litis hat ihm der Ureterkatheterismus und die Nierenbecken-
waschung respektive Instillation weniger Tropfen Höllensteinlösung
gute Dienste getan. Stöckel (9) stellt fest, daß es fraglos eine
in der Gravidität entstehende und durch die Gravidität bedingte
Pyelitis gibt, daß bei dem Zustandekommen dieser Pyelitis die
_ Harnstauung in den Ureteren eine wichtige Rolle spielt; daß der
Pyelitisharn in der Regel Colibacillen in Reinkultur oder mit
andern Keimen gemischt enthält; daß die rechtsseitige Erkrankung
wesentlich häufiger und wesentlich intensiver zu sein pflegt als
die linksseitige. Ueber Stöckels Auffassung von der Ascendenz
des Prozesses war schon oben berichtet. Er macht auf den Ein-
fu der drei physiologischen Engpässe im Verlaufe des Ureters
(erstens dicht am Nierenbecken, zweitens an der Kreuzung des
reters und der Linea innominata, drittens kurz vor Eintritt des
Ureters in die Blasenwand) für die Entstehung der Ureteritis und
Pyelitis besonders bei Schwangeren aufmerksam und verlangt bei
allen Harnbeschwerden und unklaren Unterleibssymptomen Gra-
vider den Ureterenkatheterismus und sorgsame Harnuntersuchung
und Kultur. Stöckel unterscheidet — immer bei Graviden —
leichte Fälle mit beginnender Stauung im Ureter ohne Harn-
Infektion (Hydrureter), mittelschwere Fälle, ausgebildete Stauung
mit Harninfektion durch Koli (Bakteriurie, Pyurie, Pyureter, Pye-
litis); ganz schwere Fälle, verschleppte Fälle mit Nierenvereiterung
durch Mischinfektion (echte Pyonephrosen). In den leichten Fällen
bringt meist schon die Bettruhe Genesung, auch von Rezidiven.
vel den schwereren Fällen muß, wenn Bettruhe und entsprechende
innere Behandlung Schmerzen und Fieber nicht in wenigen Tagen
bannen, Harnstauung und Infektion direkt bekämpft werden und
zwar durch den Ureterenkatheterismus. Die Schwanger-
schaftsunterbrechung als Heilmittel der Schwangerschaftspyelitis
Ist unbedingt zu verwerfen. Bei einer Graviden, die vor der Con-
ception bereits krank war oder nach der Conception krank wird,
muß die Erkrankung als Komplikation der Gravidität und nicht
umgekehrt die Gravidität als Komplikation der Erkrankung an-
gesehen werden. Nur in den allerschwersten Fällen, wenn der
j reteronkatheterismus versagt oder unmöglich ist, tritt die Nephrek-
Tei in ihr Recht. Stöckel gibt dann noch eine detaillierte
| childerung der Technik des Harnleiterkatheterismus.
Pro] Aus der oben schon zitierten Arbeit Kehrers (7) über
T onephritis gravidarum ist hervorzuheben, daß diese Erkrankung
caon 1871 von Kaltenbach beschrieben worden ist, und erst
der von Reblaud auf dem französischen Chirurgenkongreß aus
u ergessenheit erweckt wurde, In 76%), der Fälle tritt sie
die Mitte der Schwangerschaft ein, in 79%, ist sie durch
Kolibaeillen verursacht. In drei von seinen sechs Fällen konnte
Kehrer durch den Nachweis der trägen Funktion des Ureters bei
der Chromocystoskopie die Tonusabnahme der Harnleitermuskulatur
und dadurch das Fehlen oder die Verminderung einer Schutzvor-
richtung gegen die ascendierende Infektion nachweisen; er glaubt
aber auch einer mit der Hyperämie und Atonie der Uretermusku-
latur in Zusammenhang stehenden Antiperistaltik des Harnleiters,
die zur Ansaugung von mit Eiter und Bakterientoxinen be-
schwerten Harns aus der Blase führt, einen Teil der Schuld an
der Ascension des infektiösen Prozesses zuschieben zu müssen.
Manchmal kann man vaginal Verdickungen und Schmerzhaftigkeit
des Ureters nachweisen (Vineberg), in seltenen Fällen gelingt es
bimanuell, die Ureterdilatation, die Folge einer blasenwärts ge-
legenen Stenose des Harnleiters, zu fühlen (Mirabeau). Mit einer
energischen, so frühzeitig wie möglich eintretenden konservativen
Therapie sind günstige Resultate zu erzielen. Eine Ausheilung
der Entzündung im bakteriellen Sinne kommt trotz entsprechender
Therapie nur ausnahmsweise, bald nach der Geburt zustande.
en eine Heilung von subjektiven Erscheinungen ist fast die
egel.
ä Mirabeau (8) betont in seinen Arbeiten die Notwendigkeit
der Kenntnis des Zusammenhangs des Harnleiters und Nieren-
beckens mit den weiblichen Genitalien bei physiologischen und
pathologischen Zuständen, insbesondere mit Rücksicht auf die
Therapie. |
Der wichtigste therapeutische Akt besteht in der Behebung
des den Urinabfluß störenden gynäkologischen Grundleidens unter
Zuhilfenahme des ganzen Apparats der modernen konservativen
und operativen gynäkologischen Therapie; erst in zweiter Linie
kommt dann für ihn (den Gynäkologen) eine specifisch urologische
Behandlung im engern Sinne, vor allem in Form .. von Ureteren-
katheterismus neben den bekannten medikamentös internistischen
Maßnahmen. Viel besser als Nierenbeckenspülungen bewährt sich
bei infizierten Fällen der Dauerureterkatheterismus unter
gleichzeitiger Zufuhr großer Flüssigkeitsmengen per os und per
rectum. Die Wegsammachung und dauernde Wegsamerhaltung des
Ureters muß vor allem erstrebt werden, und nur, wenn dies
auf keine Weise, auch nicht auf operativem Wege, erreicht werden
kann, treten Operationen an der Niere selbst in ihr Recht.
Gegen diesen Ersatz der Nierenbeckenspülung durch Liegen-
lassen des bis ins Nierenbecken vorgeschobenen Ureterkatheters
wendet sich Hans Fleischhauer (13); er fürchtet, daß der
Dauerkatheter im ÜUreter, insbesondere wenn die Vulnerabilität
seiner in der Gravidität aufgelockerten Schleimhaut erhöht ist, leicht
Druckusuren und Blutungen, durch die eine Infektionsverschlim-
merung bedingt werden kann, verursacht wird. Er bringt zehn inter-
essante Fälle aus der Stoeckelschen Klinik und hebt die Ueberlegen-
heit der Nierenbeckenwaschung über den einfach entleerenden Ureter-
katheterismus hervor; er stützt sich dabei auf die Autorität
Hartmanns (7), der die Wirkungsweise und Anwendungsmöglich-
keiten der Nierenbeckenspülungen sehr genau studiert hat; nach
Hartmann ruft die Injektion von Flüssigkeit im Nierenbecken
und Ureter durch die vermehrte Spannung ganz außerordentlich
lebhafte peristaltische Wellen des Ureters, die sich seiner Ansicht
nach auch auf das Nierenbecken erstrecken, hervor. Es kommt
dadurch eine sehr gründliche Entleerung des Ureters, eine „Aus-
waschung“ zustande und in diesem mechanischen Moment sieht
Hartmann die Hauptursache für die guten Erfolge der Nieren-
beckenspülung. Dies versagt natürlich bei großen Pyonephrosen,
wo durch die Dehnung die Elastizität der Muskelfasern der Or-
gane gelitten hat oder erloschen ist. Interessant ist, daß unter
den zebn Fällen Fleischhauers sich acht Erstgebärende be-
fanden, ein Widerspruch gegen die bisherige Annahme, daß Mehr-
gebärende häufiger an Pyelitis erkranken als Primiparae.
N. Markus (19) hat in zwei Fällen von Pyelitis gravidarme
dextra durch Linkslagerung. der Patienten, Auswaschung des
Körpers durch reichlichen Genuß Wildunger Brunnens und Dar-
reichung innerer Antiseptica Heilung erzielt. Er ist der Meinung,
daß der Druck des dextrovertierten Uterus auf den rechten Ureter
die Erkrankung hervorrufe oder wenigstens begünstige. Diese
Meinung erhält eine Stütze in der Auffassung von Opitz (18),
daß die normalerweise vorhandene Winkelbildung am Ureter in-
folge seiner Verlagerung durch den schwangeren Uterus eine Ver-
stärkung erfahre.
L. S. Koll (20) [Chicago] empfiehlt zur Heilung der Coli-
bacillusinfektion des Harnsystems Ausspülungen der Blase und
des Nierenbeckens mit frisch bereiteter 2 P/,iger unteressigsaurer
Tonerdelösung; gleichzeitig innerlich Aluminium subaceticum.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25, August.
Bazy (21) wies in einer Mitteilung in der Pariser chirur-
gischen Gesellschaft auf die Möglichkeit der Verwechslung der
Pyelitis, besonders bei Schwangerschaft, mit Appendieitis hin, die
wegen der total verschiedenen Therapie der beiden Affektionen von
Bedeutung ist.
Enrico Emilio Franco (22) teilt aus der chirurgischen
Klinik in Lissabon einen reinen Fall von gonorrhoischer Pyonephrose
bei einer 26jährigen Frau mit, aus deren rechter Niere und Nieren-
becken der Ureterkatheter eitrigen Harn mit zwei Kokkenarten,
später allein mit Gonococcus Neißer entleerte. Die seit vier Jahren
kranke Frau konnte nur mit der Exeision der Niere und des Harn-
leiters geheilt werden.
Das Präparat zeigt einen großen Eitersack mit chronischer
parenchymatöser Nephritis und interstitiellen Herden im erhaltenen
Nierengewebe, mit schwerer Pyelitis und Ureteritis. Die Schwellung
der Harnleiterschleimhaut in Verbindung mit dem durch die Ne-
phritis verminderten Harndruck führten zur Pyonephrose. Diese
rein gonorrhoischen Fälle kommen selten zur Beobachtung.
Howard Lilienthal (23) veröffentlicht vier Fälle von
glänzender Wirkung der Nierenbeckenentieerung durch den Ka-
theter bei Pyelitis; ein Fall sei kurz mitgeteilt: 39jährige Frau,
nach Operation eines enormen Uterusfibroms, fiebert und hat emp-
findliche rechte Niere; einmaliger Katheterismus bringt Fieber-
abfall und definitive Heilung trotz beiderseitiger Pyelitis.
Motz (24) tritt in seinem Vortrag über Eiweißausscheidung,
Nierenentzündung und Nierenbecken-Nierenentzündung auf go-
norrhoischer Grundlage sowohl für die exakte Diagnostik, als für
die Therapie, kürzlich für den Ureterkatheterismus ein.
Ganz besonders wertvolles Material für die Frage der Aetio-
logie und Verbreitung der Kolipyelitis geben Widal und R.
Bénard (25). ` Sie konnten bei zwei schwangeren Frauen mit
Pyelonephritis aus dem Blute den Bacillus coli züchten; dies sind
die ersten Fälle, die beweisen, daß die Schwangerschaftspyelitis
eine Lokalisation einer kolibacillaren Septicämie auf descendierendem
Wege ist. Aus dem Harne wurde dasselbe Lebewesen gezüchtet.
Das Serum der Patienten agglutinierte ihren eignen Bacillus
1,30 000 und 1/200; der andern Kranken aber nur 1/10.
Noah E. Aronstam (26) macht darauf aufmerksam, daß
bei Gonokokkenpyelitis die Gonokokken nach längerem Verlauf oft
nicht mehr nachweisbar sind; er empfiehlt außer den Nieren-
beckenspülungen die Öpsonotherapie als gutes Mittel zur Be-
kämpfung der Infektion und verlangt eine langdauernde Nach-
beobachtung der Kranken nach der anscheinenden Heilung.
F. Kermauner (27) weist beinahe zwingend nach, daß der
größte Teil der Pyelitiden und Pyelonephritiden bei Erwachsenen
zurückgehen auf frühere Erkrankungen während der Kindheit, ins-
besondere die Pyelitiden bei Schwangeren. '
In einer Studie über die gegenwärtigen Resultate der Be-
handlung der eitrigen Harnleiter-Nierenbecken-Nierenentzündungen
durch Ureterkatheterismus und Nierenbeckenspülungen zählt Ch.
Perinsau (28) die die Affektion verursachenden Pilze auf: Gono-
kokken, Typhusbaeillen, Proteus, Bacillus ureae, Pseudogonococeus
und mehrere wenig virulente anaerobe Bakterien; er weist darauf
hin, daß die Pyelitis meist im Verlauf einer akuten oder chro-
nischen Affektion auftritt; sind mehrere Kokken vorhanden, so wird
meist der virulenteste zurückbehalten und derselbe drückt der Aflek-
tion sein Signum auf; er bringt Details über die Ausführung des
Ureterkatheterismus als Spülung (mit Borsäure, Höllenstein bis
2 %/piger Lösung, kolloidalen Lösungen) oder Instillation und
etwaigen Dauerkatheter; der Katheterismus der Harnleiter und
die Nierenbeckenwaschung wirken hauptsächlich in drei Rich-
tungen: 1. Rein antiseptisch bei einfacher Spülung (Borsäure,
künstliches Serum) oder schwachen oder stärkeren Instillationen;
2, mechanisch durch Erweiterung des Abflußrohrs und dadurch
Drainage des infizierten Harns, zumal wenn eine Verengerung des
Harnleiters vorhanden ist; 3. in manchen Fällen mit Eiterretention
infolge paralytischer Atonie der glatten Muskelfasern des Rohres
durch Begünstigung der Rückkehr zum Normalzustande des Muskel-
gowebes. Vier Gegenindikationen gegen den Ureterenkatheterismus
stellt Peringau auf: Akute Verschlimmerungen, welche die ver-
schiedenen Manöver noch verstärken könnten; Kachexie und übler
Zustand des Kranken; zu lange Dauer der Krankheit, die durch
Schaffung definitiver Veränderungen alle Hoffnung auf Heilung be-
seitigt; die ausgebildete Pyonephrose, für die der chirurgische Ein-
griff vorzuziehen ist. Die Resultate dieser Behandlung sind je
nach der behandelten Form der Erkrankung verschieden: 1. Ascen-
dierende Pyelonephritis bei bisher intakten oberen Harnwegen gibt,
wenn sie nicht durch Biasenbehandlung und eventuell Dauer-
der Pyelitis gravidarum.
katheter zur Heilung kommt, ausgezeichnete Resultate; Infektionen
mit mehreren Organismen geben weniger günstige Prognose; 2. bei
alten Retentionisten ist die hinzugekommene Erkrankung hart-
näckiger; trotz zeitweiliger Asepsis kommt es immer zu Rück-
fällen; meist handelt es sich um alte Harnkranke, deren . Zustand
schon eine Blasenspiegelung verbietet; 3. hämatogene medizinische
Nephritiden greifen meist die Nierenrinde an, wo Beckenspülungen
nicht viel Erfolg versprechen; indessen kommt es manchmal auch
hier zur sekundären Aussaat der Mikroorganismen im Pyelon, wo
der Katheterismus seine Wirkung in diesem besonderen Punkte
zeigen kann. Die Prognose kann nur die funktionelle Nieren-
diagnostik erhellen; 4. Schwangerschaft und puerperale Erkran-
kungen ergeben besonders günstige Resultate durch die Entfaltung
der antiseptischen und mechanischen Wirkung des Verfahrens;
5. Pyelonephritis calculosa kann nur durch vorbereitende Asepsis
für die Operation Vorteil aus dem Katheterismus ziehen; manch-
mal konnte derselbe einem Ausstoßen eines Steines den Weg
a bei der infizierten Hydronephrose gilt dasselbe wie bei
unkt 9,
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par le cathöt6risme ur&töral et les lavages du bossinet. (J. d’Urologie 1912,
Bd. 5, S. 661.) — Le cathétérima ur6töral et les lavayes du bossinet dans les
pyelon£phrites suppuries. (Thèse, Paris 1911.)
Sammelreferate.
Ueber neuere Arbeiten auf dem Gebiete der Hygiene
von Prof. Dr. W. Hoffmann, Oberstabsarzt, Berlin.
So zahlreich die Untersuchungen sind, durch welche die mo-
dernen Desinfektionsmethoden geschaffen und weiter ausgebildet
wurden, so ist doch noch manche Frage sowohl bei der neuzeitlichen
Raum- als bei der immer mehr Eingang findenden Vakuum-
dampfformalindesinfektion zu lösen.
Bei der Raumdesinfektion steht neben der Benutzung von
Apparaten die apparatelose Desinfektion, bei der nach den Unter-
suchungen von Evans Russel, Dörr und Raubitscheck,
Kalähne-Strunk, Lockemann -Croner und anderen die
Kaliumpermanganatmethode den Vorzug verdient; sie besteht in
der Entwicklung von Formaldehyd durch Einwirkung von Wasser
auf ein Gemisch von Paraformaldehyd und Kaliumpermanganat.
Das Mischungsverhältnis von Wasser, Paraform und Kalium pèr-
manganeium wird von den einzelnen Autoren mit kleinen Ab-
weichungen angegeben. Von der Firma „Chemische Fabrik auf
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25. August.
Aktien, vorm. E. Schering“, ist nun zur praktischen Ausführung
von Zimmerdesinfektionen eine Zusammenstellung der genannten
Chemikalien in dem zweckmäßigsten Mischungsverhältnis in der
Form von gebrauchsfertigen Packungen herausgegeben worden, die
unter dem Namen „Paragan“ im Handel zu haben sind und zwar
für Raumgrößen von 5, 10, 20, 40, 60, 80 und 100 ebm.
Den Packungen für einen Raum von 20 cbm und mehr sind
gleichzeitig die Chemikalien für die auf die Desinfektion meist
folgende Ammoniakentwicklung (Chiorammonium und Kalk) bei-
gegeben.
Mit diesem Mittel sind neuerdings von zwei Seiten aus
Prüfungen angestellt worden, von Bierast (1) und von Neu-
mark (2).
Während Bierast nicht immer zufriedenstellende Ergebnisse
bei seinen Desinfektionsversuchen zu verzeichnen hatte, die aber bei
Erhöhungen der Desinfektionsmittelmengen einerseits und der Ein-
wirkungsdauer auf sechs statt, wie von der Fabrik angegeben, auf
vier Stunden andererseits sich wesentlich besserten, war Neu-
mark zu hesseren Resultaten gelangt, die allerdings erst noch
durch mehrere Versuche bestätigt werden müssen. Neu-
mark legte besonderen Wert auf eine verhältnismäßig kurze Ein-
wirkungsdauer — drei Stunden —, wie sie auch in der Praxis
deshalb meist verlangt wird, weil man in der Mehrzahl der Fälle
das desinfizierte Zimmer am gleichen Tage wieder benutzen möchte.
Neben dem Paragan hat Neumark auch das Parautan (von
den Farbenfabriken in Elberfeld in den Handel gebracht) sehr ein-
gehenden Untersuchungen unterworfen; bei diesem Mittel werden
die gleichen Chemikalien wirksam wie beim Paragan.
Neumark beurteilt beide Desinfektionsmittel gleich günstig.
Wenn auch, wie aus den noch zu veröffentlichenden Unter-
suchungen von Fendler und Stüber im Berliner städtischen
Untersuchungsamte hervorgeht, bei diesen Präparaten nicht die
nämliche Formaldehydmenge entwickelt wird, wie sie bei den
Apparatverfahren gesetzlich verlangt wird, so stellen die
neuen Präparate nach Neumarks Ergebnissen doch desinfek-
torisch einen gleichwertigen Ersatz der Apparatmethoden dar.
Ihr Hauptanwendungsgebiet werden aber auch die neuen apparat-
losen Methoden nur in solchen Fällen finden, wo es sich um
Massendesinfektionen oder um Desinfektionen bei Expeditionen,
in ländlichen Gegenden usw. handelt. Ein Vorteil liegt eben darin,
daß etwa zu gleicher Zeit von einem Desinfektor mehrere Des-
Infektionen sich ausführen lassen, wofür bisher nicht immer ge-
nügend Apparate zur Verfügung standen. Erwähnenswert ist auch
die Kostenfrage. So belaufen sich die Kosten des Material-
verbrauchs bei Verwendung des Perautans und Paragans für
100 cbm auf etwa 8M, während eine Desinfektion eines gleich
großen Raums unter Benutzung von Apparaten und des flüssigen
Formalins statt des festen Paraforıns sich nur auf etwa 2,50 M.
beläuft, wobei allerdings die Amortisation der Kosten für die An-
schaffung der Apparate zu berücksichtigen wäre,
‚, „Für die medizinische — auch Hebammen- — Praxis
ist eine Arbeit von Arnold (3) nicht ohne Bedeutung, die sich
mit der Gleichmäßigkeit und Beschaffenheit des hauptsächlich in
der Frauenpraxis Verwendung findenden Kresolseifenlösung
befaßt, Die verschiedenartige Zusammensetzung der Kresolseifen-
lösung (Ortho-Meta-Parakresole) und die hiermit zusammenhängende
Ungleichmäßigkeit in der Desinfektionswirkung gaben Anlaß zu
der Ministerialverordnung vom 19. Oktober 1907 (siehe auch die
orschriften des Deutschen Arzneibuchs, Ausgabe V.) wonach von
en Apothekern die Kresolseifenlösung nach ganz bestimmten Vor-
Schriften hergestellt werden sollte. Die größte Schwierigkeit be-
steht aber in der gleichmäßigen Gewinnung des Kresols.
Arnold fand bei zwölf untersuchten Proben nur zwei einiger-
maßen den Vorschriften entsprechend, die andern zeigten „unge-
heuerliche“ Abweichungen. So schwankte der Kresolgehalt, der
Ja für die Desinfektionswirkung maßgebend ist, zwischen 54 und
£o, der Wassergehalt zeigte Unterschiede, die zwischen 14,5
und 37 % lagen, der Seifengehalt solche von 22 bis 40 %).
L er Erlaß wendete sich seinerzeit hauptsächlich gegen das
ysol, dessen nicht kontrollierbare Herstellung seitens der Fabrik
1. Bedenken Anlaß gegeben hatte. Es scheint aber nach den
Neueren Untersuchungen von Arnold überhaupt nicht möglich zu
wn, der Forderung einer stets gleichmäßigen Herstellung der
esolseife nachzukommen. |
He ar sehr eingehenden Prüfung hat O. Mayer (4) die
Se: orgsche Formalin- Vakuum- Dampf-Desinfektionsanlage
ku Orfeu; er richtete sein Hauptaugenmerk auf etwa nach der
axuumdesinfektion eingetretene Schädigung des Desinfektionsguts,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1399
besonders der Lederwaren. Er benutzte: hierzu neue gelbe Schuhe,
Lackschuhe, Wildlederhandschube, Felle und als besonders wichtig
unbearbeitete Lederproben und schließlich eine vollständige Che-
vauleger-Mannschaftsausrüstung und vieles andere.
Durch eine Kommission von Sachverständigen wurden die
desinfizierten und nichtdesinfizierten Gegenstände mit einander ver-
glichen; eine Wertminderung des Desinfektionsguts konnte
nicht festgestellt werden. Das ist aber der Zweck der
Vakuumdesinfektion und seinerzeit der Grund gewesen, wodurch
Rubner, v. Esmarch und Kokubo zu ihren praktisch bedeutungs-
vollen Versuchen veranlaßt wurden, die bisher allgemein übliche
Desinfektion mit Wasserdampf von 1000 und mehr durch eine
Wasserdampfformalindesinfektion in einem evakuierten Raume bei
etwa 50° C zu ersetzen. Die bakteriologischen Resultate waren
durchweg — je nach den gestellten Bedingungen — gut. Bei
wiederholter Desinfektion der gleichen Lederwaren — was in der
Praxis aber wobl äußerst selten vorkommen dürfte — stellte es
sich heraus, daß an den neuen Lackschuhen der Glanz leicht ge-
trübt wurde, Risse im Lacküberzuge konnten aber nicht beobachtet
werden; die gelben Schuhe zeigten eine Spur Nachdunklung, da-
gegen ließen die weißen Wildlederhandschuhe, obwohl sie 50mal
desinfiziert waren, nach dem Waschen keine Veränderung
gegenüber sonst im Gebrauche befindlichen Handschuhen erkennen.
Dagegen zeigten die unbearbeiteten Lederproben, wie Re-
ferent sich bei eignen Versuchen auch überzeugen konnte, ein
empfindlicheres Verhalten, was aber meines Erachteng praktisch nur
geringe Beachtung verdient, da eine N otwendigkeit zur Des-
infektion nur in seltenen Fällen vorliegen dürfte. Immerhin ist
es von Interesse, daß von den unbearbeiteten Lederproben die
spröderen schon bei Temperaturen und Desinfektions-
zeiten, bei denen eine sichere Desinfektion noch nicht
gewährleistet ist (42 bis 450 C) deutliche Veränderung zeigten,
indem die Brüchigkeit vermehrt war. Die Veränderung dieses
spröden Leders scheint mit seinem geringen Fettgehalte in Zu-
sammenhang zu stehen. Man muß sich also in den Fällen, wo
es sich um eine Desinfektion unbearheiteter und nicht entsprechend
fetthaltiger Lederwaren handelt, auf eine geringe Wertminderung
gefaßt machen. Die anerkannten Vorzüge der Vakuum-
desinfektion können hierdurch nicht bemängelt werden.
Trotz aller Desinfektionsmaßnahmen, Untersuchung auf Keim-
träger und Einführung besserer allgemein-hygienischer Einrichtungen
treten Infektionskrankheiten doch nicht selten noch in epidemie-
artiger Ausbreitung auf. Die Nahrungsmittel spielen hierbei als meist
gute Nährböden für die Krankheitskeime häufig eine besondere Rolle.
Lemke (6) beschreibt seine Untersuchungen, die er über die
Verbreitung von Typhus durch Milchprodukte neuerdings an-
gestellt hat. Das Auftreten von Typhus durch infizierte Milch ist
tatsächlich schon mehrfach festgestellt worden (Behla), während
die gleichen Erfahrungen mit Milchprodukten in so zuverlässiger
Weise bisher noch nicht gemacht sind. Nach den vorliegenden
bakteriologischen Untersuchungen ist die Annahme berechtigt, daß
sämtliche Milchprodukte, wie Rahm, Butter, Käse, Buttermilch,
Molke wohl imstande sind, Typhusinfektionen zu verursachen und
wahrscheinlich häufiger verursachen, als wir glauben und wissen.
Daß Typhusbacillen fast nie in den Milchprodukten gefunden werden,
hängt wohl damit zusammen, daß aus einer großen Quantität Milch
nur immer kleine Mengen Milchprodukte fabriziert werden, daß
ferner bei der Zubereitung und beim Zwischenhandel immer nur
einzelne Stücke infiziert werden und daß infolgedessen die durch
Milchprodukte verursachten Typhuserkrankungen immer nur ver-
einzelt auftreten können. Lemke spricht seine Ansicht dahin
aus, daß die den Medizinalbeamten so unerklärlichen sporadischen
Fälle, bei denen eine Wasser- und Milchinfektion mit Sicherheit
ausgeschlossen werden kann, zum überwiegenden Teil vielleicht
auf Infektion durch Milchprodukte beruhen.
Ueber eine Fleischvergiftungsepidemie im Regierungs-
bezirk Arnsberg berichten Matthes, Wollenweber und Dorsch
(7). Nach genauer Beschreibung der Epidemie selbst wenden sich Ver-
fasser den prophylaktischen Maßnahmen zu. Einen Versuch, der Ent-
stehung von Fleischvergiftungen durch Vernichtung ihrer Erreger
entgegenzuarbeiten, halten sie bei der weiten Verbreitung dieser
Mikroorganismen (Uhlenhuth) für aussichtslos. Erfolg ist hiernach
nur durch die sorgfältige Ueberwachung des Verkehrs mit Fleisch zu
erwarten. Daß die amtliche Fleischbeschau nicht immer ausreicht,
um Fleischvergiftungen zu verhüten, halten die Verfasser durch
eine Reihe von Veröffentlichungen über Erkrankungen nach dem
Genusse von vorschriftsmäßig untersuchtem und für den Verkehr
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1400 = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
freigegebenen Fleisch für erwiesen, da auch die Arnsberger Epi-
demie diese Behauptung bestätigt. In zweifelhaften Fällen kann
die Ergänzung der Fleischbeschau durch bakteriologische Unter-
suchungen zuweilen Aufklärung bringen, wenn auch bisher ihre
geringe Leistungsfähigkeit kaum zur allgemeinen Einführung bei
verdächtigen, krank befundenen und notgeschlachteten Tieren er-
mutigen kann. Aber wenn auch ihre allgemeine Einführung an-
geordnet würde, so müßte immer noch dafür Sorge getragen
werden, daß das Fleisch auf dem oft recht gefahrvollen Wege von
der Schlachtstätte bis zum Konsumenten nicht nachträglich noch
eine gesundheitschädliche Beschaffenheit annimmt.
Allgemeine Vorschriften über die Kontrolle des im Verkehre
befindlichen Fleisches, insbesondere über die Beaufsichtigung des
Fleischverkehrs von Ort zu Ort sind in Preußen bisher nicht er-
lassen. Besonders wäre die Aufhebung der Befreiung der Haus-
schlachtungen vom Beschauzwang anzustreben.
Ueber die epidemiologische Bedeutung der Paratyphusbacillen
fällt Prigge (8) anläßlich einer von ihm beobachteten Epidemie
folgendes Urteil: Diejenigen Erkrankungen an Paratyphus, die
einen typhusähnlichen Verlauf zeigen, sind verhältnismäßig selten
(190): weiter kommt von der Gesamtzahl der überhaupt vor-
kommenden Paratyphuserkrankungen nur ein kleiner Bruchteil
in ärztliche Behandlung und eine noch geringere Zahl zur Kenntnis
der Behörden.
Literatur: 1. Apparatelose Raumdesinfektion mft Paragan (Hygienische
Rundschau 1912, Nr. 4). — 2. Desinfektionsversuche mit Perantan und Paragan
(Hygienische Rundschau 1912, Nr. 9). — 3. Die Beschaffenheit der für Hebammen
bestimmten Kresolseifen („Desinfektion® 1912, Heft 2). — 4. Ueber die Henne-
bergsche Formalin-Vakuum-Desinfektionsanlage („Desinfektion 1912, Heft 3).
— 5, Ueber Verbreitung von Typhus durch Milchprodukte (Kl. Jahrb., Bd. 26,
Heft 8. — 6. Eine Fieischvergiftungsepidemie im Regierungsbezirk Arnsberg-
(ebenda). — 7. Eine Paratyphusepidemie veranlaßt durch Verseuchung einer
Zentralwasserleitung (ebenda). |
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Die folgende Krebsstatistik aus Pennsylvania, U.St.A., zeigt
einige beherzigenswerte Wimke. Von 400 Kranken waren 146 Männer,
236 Frauen, der Rest unbezeichnet. l
Die Neubildungen werden in oberflächliche und tiefe eingeteilt; von
der ersten Kategorie waren nur noch 48°/, operierbar, als der Arzt sie
zuerst sah, von der zweiten 68 °/o.
Ein chronischer Reizzustand ging in 39°/, dem oberflächlichen, in
46/0 dem tiefsitzenden Krebs voraus; eine Behandlung dieses Vorläufer-
stadiums hätte in vielen Fällen die Entwicklung der Neubildung ver-
hindert. |
Im Durchschnitt vergingen 18 Monate, bis der Patient seinen ober-
flächlichen, und 14 Monate, bis er seinen Krebs dem Arzte zeigte. Im
allgemeinen brauchte ein oberflächlicher Krebs ein Jahr, bis er zu einem
tiefliegenden wurde.
30/0, der Kranken mit Brustkrebs waren von seiten des zuerst zu-
gezogenen Arztes keiner lokalen Untersuchung unterzogen worden. In
13°%/, wurden Salben verordnet oder geraten, zuzuwarten und zu sehen,
wie es weiter gehe.
In 9° von Magenkrebsen hatte keine Untersuchung stattgefunden
und in 20°, von ihnen waren schlechte Ratschläge erteilt worden; fast
ebenso war es bei Unterleibskrebsen (14%, und 20 %o).
Daran sind Arzt und Publikum schuld, den ersteren trifft aber
größere Verantwortung. (NY. med. j. 11. Mai 1912, S. 999.) Gisler.
Es liegen schon mehrere Untersuchungen darüber vor, ob die
Eisenausscheidung im Urin, die normalerweise auf 1 mg in 24 Stunden
angenommen wird, bei krankhaften Zuständen verändert ist. Das aus-
geschiedene Eisen stammt außer von dem mit der Nahrung aufgenom-
menen von dem bei Zerfall der roten Blutkörperchen frei werdenden
Eisen. So wandte sich bisher das Hauptinteresse der Frage zu, wie sich
die Ausscheidung des Eisens bei Blutkrankheiten verhaltee Edward
H. Goodman untersuchte die Eisenausscheidung im Urin während
der Pneumonie. Während des ersten Stadiums, der Anschoppung,
müssen die Erythrocyten eine größere Arbeit verrichten, infolgedessen
ist ihre Lebensdauer kürzer und sie zerfallen schneller. Während des
Stadiums der Hepatisation wird dem Kreislauf eine ungeheure Zahl von
Blutzellen entzogen, es kommt zu der von Bollinger beschriebenen
Oligocythämie. Während der Lösung der Pneumonie wird das Bisen-
pigment der Erythrocyten in Freiheit gesetzt, und es muß demnach zu
einer Erhöhung der Eisenmenge im Blute kommen. Entsprechend diesen
theoretischen Ueberlegungen fand Goodman tatsächlich bei vier Pneu-
moniefällen, die er untersuchte, während der Anschoppung eine leichte
Vermehrung, während des mittleren Stadiums eine Verminderung und
mit dem Augenblick der Krisis und in den ersien darauf folgenden
25. August.
Tagen eine deutliche Steigerung der Eisenausscheidung im Urin. (J. of
biol. Chem. 1912, Bd.12, Nr. 1.) H. Koenigsfeld,
Aus der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten der Univer-
sität zu Straßburg i. E. (Prof. Wolff) berichten A. Wolff und P. Mulzer
über die Behandlung der Syphilis mit Neosalvarsan. Sie haben im
Gegensatz zu Schreiber, Touton, Grünfeld und Iversen ganz an-
dere Erfahrungen mit diesem Präparat gemacht. Denn sie beobachteten
schwere toxische Nebenwirkungen, die dem Neosalvarsan auch nach
verhältnismäßig kleinen Dosen in weit höherem Maße anhafteten
als dem Salvarsan, und fanden ferner, daß das neue Präparat selbst; bei
hohen Dosen auch viel weniger specifisch wirksam sei als das
alte. Diese Erfahrungen haben die Autoren veranlaßt, von einer wei-
teren Verwendung des Neosalvarsans in ihrer Klinik Abstand zu
nehmen. Ganz besonders energisch treten sie aber der Ansicht Tou-
tons entgegen, „daß das neue Präparat so recht ein Mittel für die ganz
ambulante, vom Krankenhaus oder Sanatorium unabhängige Privat-
praxis sei“. |
Die Verfasser haben im ganzen 30 Syphilitische mit Neosalvarsan
behandelt. Sie gaben durchschnittlich bei Männern bei der ersten In-
jektion 0,9, bei der zweiten 1,0, bei der dritten 1,2 und bei der vierten
1,4 bis 1,5, in der Regel in Pausen von 48 Stunden (manchmal auch von
drei oder vier Tagen). BeiFrauen wurde mit 0,7 begonnen und bis 1,2 ge-
stiegen. Als Gesamtdosis wurden also in vier Etappen 4,4 bis 4,6 bei
Männern, 3,85 bei Frauen verabfolgt, und zwar anfangs in acht Tagen,
später in zwei bis drei Wochen. Zur Herstellung der Lösungen wurde
jedesmal am Tage der Injektion frisch hergestelltes destilliertes
Wasser verwendet. Die Lösung des Präparats selbst wurde in zirka
200 cem dieses Wassers in Zimmertemperatur stets unmittelbar vor der
Infusion vorgenommen. Sie war stets hellgoldgelb und von völlig neu-
traler Reaktion. Alle injizierten Patienten mußten mindestens 24 Stunden
im Bette bleiben. Ä
Von Primäraffekten kamen zwölf Fälle zur Behandlung. Dabei
wurde die für die Sklerosen so besonders charakteristische Grundinfiltra-
tion fast gar nicht beeinflußt und war meist auch Wochen nach den In-
fusionen, wenn die Geschwüre selbst schon überhäutet waren, noch deutlich
fühlber. An den specifischen Lymphdrüsen zeigte sich fast niemals irgend-
eine Wirkung des Neosalvarsans.
Aehnliche Beobachtungen wurden in 17 Fällen sekundärer Sy-
philis gemacht; erst langsam schwanden die nässenden und trocknen
Papeln sowie die Schleimhautpapeln. Hier waren übrigens einmal noch
zehn Tage nach der ersten Injektion massenhaft lebende Pallidae nach-
weisbar. In einem Falle traten während der Behandlung mit Neosalvarsan
zwischen der dritten und vierten Infusion neue, sehr spirochätenreiche
Papeln an Stelle der alten, regressiv veränderten, auf. (Uebrigens be-
fanden sich unter diesen 17 frisch sekundären Fällen zwei schwere Rezi-
dive nach vorhergegangener Salvarsanbehandlung.)
Schließlich kam noch ein tertiärer Fall zur Behandlung; bier
wurden bestehende specifische Ulcera cruris erst nach drei Injektionen in
der Weise beeinflußt, daß sich die Geschwüre reinigten. Geheilt wurden
sie erst im Laufe einer folgenden Quecksilberkur.
Die Nebenwirkungen waren: in den meisten Fällen Fieber
(bis 39,8, in einem Falle 40,3, in einem zweiten 40,5, in einem dritten
gleichfalls 40,5; die hohen Temperatursteigerungen waren regelmäßig von
Schüttelfrost begleitet). Ferner: Kopfschmerz, starkes Er-
brechen, Durchfall in 16 Fällen (das Erbrechen war in einem Falle
sehr stark und hielt vier Tage lang an). Außerdem: ein ausgebreitete3
Arzneiexanthem in vier Fällen (in einem Falle davon wiederholt), ein
Herpes labialis in zwei Fällen, ein mehrere Tage andauernder
Schmerz in der linken Wade in einem Falle nach der dritten In-
jektion. I
Die schwersten toxischen Nebenwirkungen entfaltete aber Neo-
salvarsan in einem Falle. Die Patientin erhielt hier 0,7, nach viertägigem
Intervall 1,2 und nach weiteren vier Tagen 1,4, also im ganzen nur 8,8
innerhalb von acht Tagen. In diesem Falle traten nach der letzten Dosis
von 1,4 auf: äußerst heftiges, fast unstillbares Erbrechen, voll-
kommene Anurie, schwere Cystitis, Albuminurie und Oylindrurie,
komplette Lähmung der unteren Extremitäten, Sensibilitätsstörungen
(Anästhesien und Parästhesien), schwere hämorrhagische Nephritis,
faustgroßer, bis auf die Wirbelsäule reichender Decubitus über dem
Kreuzbeine. Diese außerordentlich schwere Neosalvarsanvet-
giftung nach Verwendung von nur 3,8 g zwingt dazu, die von Ehrlich
in einem Rundschreiben (vom 18. Juni 1912) empfohlene höchste Ge-
samtdosis von 5 bis 6 g als zu hoch zu bezeichnen. (M. med. Woch.
1912, Nr. 31) F. Bruck.
Da die intravenösen Salvarsaninjektionen in der Behandlung der
Lues große Bedeutung gewonnen haben, hat Ludwig Meyer im derma-
tologischen Institut von Prof. Blaschko in Berlin durch Versuche die
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25. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1401
Frage klären wollen, ob auch durch größere intravenös einverleibte
Mengen Hg schnelle und dauernde Heilungsresultate bei der Syphilis zu
erzielen sind.
Zu seinen Versuchen wählte er das Afridol, welches 58/, Hg ent-
hält und Eiweiß nicht fällt; auch das Enesol, ein lösliches Hg-Salicyl-
Arsenpräparat, wurde versucht. Es wurden bis zu 36 ccm einer 2%/,igen
Afridollösung und bis zu 85 cem einer 3°/,igen Enesollösung intravenös
injiziert. Die Einzellösungen betrugen bis zu 6 ccm der Afridollösung
und bis zu 10 ccm der Enesollösung. Enesol wurde immer gut ver-
tragen; beim Afrido]l traten in einzelnen Fällen nach der Injektion Er-
brechen, Durchfall, gesteigerte Herzaktion und Atmung, große Prostration
auf, in einem Fall auch Ikteras. Der Heilerfolg war ein unbefriedigender.
Wohl schwanden in einzelnen Fällen die luetischen Erscheinungen schnell,
doch traten bald nach der Kur, bei manchen noch während der Kur
Rezidiven auf. In andern Fällen war keine Einwirkung auf die Sym-
ptome, in den meisten blieb der Wassermann positiv.
Die Versuche zeigten, daB das Hg, welches den Körper schnell
passiert, im Gegensatz zur Inunctionskur, sowie subcutanen und intra-
muskulären Depotbehandlung, wenig wirkungsvoll ist.
Meyer schließt auch aus seinen Versuchen, daß Hg kein Spiro-
chätengift ist, wie das Salvarsan, sonst müßten relativ große Dosen Hg
eine intensivere Wirkung auf das luetische Virus ausüben. Er glaubt,
dab es nur eine Umstimmung der Gewebe gegen das luetische Virus be-
wirke. (Derm. Zt. Bd. 19, H. 5.) E. Brodfeld.
Zur Trommelfellanästhesie empfiehlt N. Rh. Blegvad folgende
Lösung:
Coeaini hydrochloriei . . . . . . . . 10
Acidi salieylii - . . 2 2 222.20. 10
Spiritus concentrati . . . . . 2,0
Sol. adrenalini (1 : 1000) . . Guttas XX.
Um nämlich eino Wirkung auf die sensitiven Nerven des Trommel-
fells za erzielen, ist nichts anderes zu tun, als das mehrschichtige
Plattenepithel des Trommelfells zu destruieren. Dazu dient die
Salieylsäure, die bekanntlich eine stark hornhautauflösende Eigen-
schaft besitzt,
Ein genz kleiner Wattetampon wird daher mit obiger Lösung
imbibiert und danach ganz dicht am Trommelfell an der Stelle angebracht,
wo ineidiert werden sol. _ Der Kranke hat sofort ein brennendes
schmerzendes Gefühl, das sich jedoch nach einiger Zeit verliert. Es
genügt oft, daß die Flüssigkeit mit dem obersten Teil des Trommelfells
in Berührung kommt, indem auf diese Weise durch Einwirkung auf die
Nerven, die längs des Manubrium mallei gehen, im untersten Teil
des Trommelfells Leitun gsanästhesie hervorgebracht wird. In der
Regel ist nach 20 Minuten Anästhesie eingetreten; sollte eine vor-
sichtige Berührung des Trommelfells mit der Parazentesennadel
Schmerz hervorrufen, so ist von neuem ein Tampon mit der Lösung zehn
Minuten lang hineinzulegen. Falls keine Perforation vorhanden, die
Epidermis des Trommelfells also intakt ist, sollte man, um sicher zu sein,
eine komplette Anästhesie zu erhalten, nach dem am Trommelfell an-
gebrachten feuchten Tampon noch etwa zehn Tropfen der Lösung in den
Gehörgang träufeln und diesen darauf mit hydropbiler Watte schließen.
der Regel genügen auf diese Weise 10—15 Minuten, eine vollständige
Anästhesie des Trommelfells zu erzielen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 28.)
F. Bruck.
‚ Grundzüge der Malariatherapie veröffentlicht K. Justi. Für
® Innere Darreichung des Chinins kommen wegen seines bitteren Ge-
schmacks im wesentlichen die komprimierten Tabletten in Betracht
(sie sollen, in Wasser gelegt, innerhalb weniger Minuten zerfallen; Ta-
bletten mit einem geschmackverdeckenden, schwer löslichen Ueberguß
Sind zu verwerfen). Die Tagesdosis beträgt für Erwachsene 1,0 (und
zwar fünfmal täglich 0,2 mit zweistündlichen Pausen), für Kinder 0,1 des
un hydrochlorieum. (Für kleine Kinder ist auch das Chinintannat in
Schokoladetabletten empfehlenswert.) Für die protrahierte Behandlung
sind die fraktionierten Dosen (& 0,2) zu umstäudlich; hier gibt man die
volle Tagesmenge auf einmal oder in zwei Teilen. Chinin innerlich sollte
nur bei intakter Magen- und Darmfunktion gegeben werden, besonders
er eine schwere Erkrankung vorliegt (hier würde eino Verzögerung
Zu hininresorption Lebensgefahr heraufbeschwören). Bei komatösen
sind den ist die orale Darreichung unmöglich. Die Chininklisti ere
ist als unwirksam zu bezeichnen. Von subcutaner Einverleibung
ar häufig auftretender Ahscesse abzuraten. Dagegen empfehlen sich
le: Fälle die intraglutäalen Einspritzungen (unter 2000 Injek-
X en erlebte der Verfasser zwei Abscesse, beide durch einen technischen
= ET verursacht, und einige Infiltrate, die ohne weiteres zur Resorption
. Ani Zur Benutzung kam: Chinin. bimuriat. carbam. oder Urethanchinin
losi n mittels einer Rekordspritze injiziert. Bei der Aussichts-
ei = “is Innerer Darreichung muß sofort zur intraglutäalen Einspritzung
nitten werden. (M. med. Woch. 1912, Nr. 27.) F. Bruck.
Eppinger schreibt zur Therapie der akuten Nephritis. Nicht
selten beobachtet man im Anschluß oder während einer scheinbar harm-
losen Angina tonsillaris die Entwicklung einer akuten Nephritis. In
nieht zu seltenen Fällen sieht man, daß dieselbe lange anhält und sogar
zu einer chronischen wird. Das Symptomenbild der postangindsen.
Nephritis erinnert nur selten an das Bild der akuten Nierenerkrankung.
Viel häufiger handelt es sich um eine schleichende Form, bei der Oedeme
am ganzen Stamme zu sehen sind. Bloß im Anfange kann das Gesicht
etwas gedunsen erscheinen. Auch die Harnmenge ist häufig nur vor-
übergehend vermindert, ebenso wie urämische Erscheinungen nur in den
ersten Tagen angedeutet sind oder überhaupt völlig fehlen. Das Haupt-
symptom bildet die Albuminurie und die gleichzeitig damit einhergehende
Hämaturie mit Blutkörperchen- und andern Cylindern. Eppinger beob-
achtete nun in drei derartigen Fällen, daß trotz über viermonatlicher
Behandlung und trotz scheinbar zweckmäßigster Therapie nicht die ge-
ringste Besserung zu erzielen war. In allen drei Fällen zeigten sich die
Tonsillen nicht nur vergrößert, sondern auch zerklüftet. In einem Falle
wurde sogar eine neuerliche akute Angina beobachtet, während gleich-
zeitig die objektiven Erscheinungen der akuten Nephritis entschieden
schlimmer wurden. Eppinger hat nun in allen drei Fällen die Tonsill-
ektomie ausgeführt. Die Tonsillen waren nicht nur äußerlich vergrößert.
Es zeigte sich, daß sie in den tieferen Schichten in Abscesse umgewandelt
und von dickem übelriechenden Eiter erfüllt waren. Nach der Exstir-
pation der Halsmandeln besserte sich die akute Nephritis in auffallender
Weise. In einem Falle war Albuminurie und Hämaturie innerhalb 14 Tagen
goschwunden, sodaß man von vollkommener Heilung sprechen konnte, in
beiden andern Fällen schwanden die objektiven Erscheinungen einer
akuten Nephritis in längstens einem Monat. Eppinger rät deshalb in
allen Fällen akuter Nephritis, wo einerseits aus der Anamnese ersichtlich,
daß es sich um eine akute Augina tonsillaris handelt und wo man ander-
seits durch die Inspektion der Tonsillen Vergrößerung eventuell Zer-
klüftung nachweisen kann, den Versuch zu machen, durch Hersusnahme
der Mandeln auf den Verlauf der Nephritis Einfluß zu gewinnen. (Wr.
med. Woch. Bd. 24.) G. Zuelzer.
Das „Aspirin löslich“ hat R. Bercke einer Prüfung unterzogen,
und zwar namentlich beim akuten Gelenkrheumatismus. Hier be-
gann er mit Dosen von 0,5 g, und zwar 8 bis 10 bis 1%mal täglich, und
ging beim Nachlassen der Erscheinungen langsam in 8 bis 14 Tagen
in der Dosierung herunter. Das neue Präparat ist überall am Platze,
wo Acetylsalicylsäure indiziert ist. Infolge seiner leichten Löslichkeit in
Wasser, seiner neutralen Reaktion und relativen Geschmackfreiheit hat
es gewisse Vorzüge gegenüber der schwer löslichen Acetylsalicylsäure.
In den vom Verfasser beobachteten Fällen löste es keine Erscheinungen
von seiten des Magen-Darmtraktus aus und schien für die Nieren das
schonendere Mittel zu sein. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 29.) F. Bruck.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Ligaturklemme für Aluminiumagraffen
nach Dr. Emil Schepelmann, Halle a. S.
Kurze Beschreibung: In das Maul eines zangenartigen Instru-
ments werden kleine winklige Agraffen aus Aluminium gelegt und diese
dann durch einen Druck mit der Zange an spritzende Gefäße oder an
Gefäße in der Kontinuität angelegt.
Unterbindung von Ge-
fäßen, sowohl durchschnittener als in der Kontinuität, besonders beim Ar-
beiten in großer Tiefe oder an der Galea, den Rippen usw., wo sonst be-
kanntermaben oft Schwierigkeiten beim Ligieren bestehen. Die Sterili-
sierung erfolgt in der für Instrumente üblichen Weise.
Anwendungsweise: Siehe oben.
Firma: Sanitätsgeschäft M. Schaerer, A.-G., Bern (Schweiz).
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Bücherbesprechungen.
F. Zinsser, Syphilis und syphilisähnliche Erkrankungen des
Mundes. Mit 51 mehrfarbigen und 18 schwarzen Abbildungen auf
44 Tafeln. Berlin und Wien 1912, Urban & Schwarzenberg. 60 Seiten
Text. M 15,—.
Bei der Prädilektion der ansteckenden Syphiliserscheinungen für
die Mundschleimhaut und bei der oft vorhandenen Schwierigkeit, in einem
gegebenen Falle schnell zu sagen: Syphilis oder nicht, ist die einzige
Möglichkeit des Erkennens für den Praktiker, systematisch die typischen
Erinnerangsbilder sich nebeneinander vergegenwärtigen zu können, aus
deren Vergleich er zur Erkenntnis der charakteristischen Symptome und
zur sicheren Diagnose gelangt, Die Erinnerung schwindet aber bei
mangelnder Uebung. Sie immer wieder durch neugesehene auffrischen
zu können, ist nicht jedem vergönnt. Gemalte Bilder geben nicht das
unmittelbar natürliche, Photographien nicht die Farbe wieder. AIl diese
Wünsche erfüllt der hier vorliegende Atlas, dessen spezielle Zusammen-
stellung geradezu einem Bedürfnis entgegenkommit. Für praktische
Zwecke darf er getrost den Syphilisatlanten der Haut vorgezogen werden,
denn viel wichtiger für Infektiösität und Diagnose als wenig sichero
Exantheme (die starken frischen Hauterscheinungen, die mit dem Initial-
affekt noch verbunden sind, erkennt jeder Arzt auch bei geringer Ge-
legenheit, solche Eruptionen zu sehen) sind eben die Mundschleimhaut-
erscheinungen. Eine solche Masse von Plaques und tertiären Eruptionen,
Zungenveränderungen und syphilisähnlichen Kranken stellen, wie sie mit
weiser Auswahl und mit bewundernswerter didaktischer Uebersicht hier
in 50 Bildern zusammengestellt ist, muß die Kenntnis der verschiedenen
differentialdiagnostischen Möglichkeiten wach erhalten. Die Art der Wieder-
gabe der Bilder ist das so außerordentlich plastisch wirkende Verfahren,
Wachsabdrücke und Wachsnachbildungen photographisch und in den
natürlichen Farben darzustellen, wie es die modernen großen Atlanten
vor allem der Hautatlas von Jacobi und die Zeonographia dermatologica
desselben Verlags seit vielen Jahren in so unübertrefflicher Weise tun.
Steht auch nicht jede der hier wiedergegebenen Monlagen auf der Höhe
der Meisterwerke Barettas, Krönees, Kolbows und Fiweiskys, ist
es auch überhaupt nicht immer möglich, aus einem Bilde allein, ohne die
Erklärung zu lesen, die sichere Diagnose zu stellen — das ist eine Auf-
gabe, welche auch der Kundigste sogar der naturgetreuesten Monlag®
selbst gegenüber bei weitem nicht immer lösen kann, denn es ist eben
nur Bild und Wachs und tot, und fehlt doch immer viel gegenüber der
Betrachtung von lebendigem Menschenfleisch —, so bietet mit der Er-
klärung Zusammengenommen gerade unter den hier vorliegenden bunten
Bildern jedes einzelne soziale wichtige Züge, daß früher gesehenes wieder
in die Erinnerung kommen muß. Die Beschreibung der Syphilis und der
nichtsyphilitischen Mundaffektionen, welche Zinsser als Einleitung seinem
Atlas hinzugefügt hat, ist, wie wir es von diesem erprobten Beobachter
gewohnt sind, klar und ausführlich und erhöht den Wert des Werken.
Die Abbildungen syphilitischer Gebisse sind wichtig, wenn auch nicht so
diagnostisch beweisend, wie es hier dargestellt ist: Man betrachte sie
lieber als suspekt und als Anregung zur weiteren Erforschung der
Anamnese und zum Suchen anderer beweisenderer Stigmata. Das ist ja
aber gerade bei jeder äußeren Affektion wichtig, daß sie an Syphilis
denken lassen soll, daß der Betrachtende auf den Verdacht der Syphilis
hingelenkt wird und nun andere zweifellose Zeichen aufzufinden sich be-
strebt, vor allen Dingen die positive Wassermannsche Reaktion.
Pinkus.
R. Ruge und M. zur Verth, Tropenkrankheiten und Tropen-
- hygiene. (Aus den Leitfäden der praktischen Medizin.) Leipzig 1912,
Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. 463 S., M 13,—.
Die Autoren sind keine Neulinge auf dem von ihnen bearbeiteten
Gebiete. Wir verdanken dem einen von ihnen eine der besten Mono-
graphien über die Malaria und über die Dysenterie, dem andern eine
solche über Expeditionshygiene in den Tropen. Diese Vorarbeiten
sind für die Arbeitsteilung sehr zum Nutzen des Buches maßgebend
gewesen.
Das Buch beginnt mit der Darstellung der Tropenhygiene. Es
werden zunächst die Fragen des Tropenklimas und der Anpassung an
dasselbe behandelt. Aus diesen Ausführungen sprechen ein warmes Inter-
esse und ein erfreulicher Optimismus für die Zukunft der germanischen
Rasse in den Kolonien. Diese Zukunft ist aussichtsreich, wenn der Euro-
päer es lernt, „sich mit den Mitteln der Hygiene gegen die Schädigungen
der Tropen zu wappnen und eingedenk ist, daß im gewohnten Klima un-
gefährliche Reize dem Körper in den Tropen schon verderblich werden
können“, |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34,
25. August,
Von den übrigen allgemein-hygienischen Kapiteln seien nur noch
einige wenige hier hervorgehoben. In dem Abschnitt über Bekleidung in
den Tropen ist in ausgezeichneter Kürze und Klarheit alles Wissenswerte
skizziert, sind ganz prägnante Forderungen der Ausrüstung für die Tropen
aufgestellt — für jeden Tropenneuling eine treffliche Sache. Dosgleichen
hat die hochwichtige Frage der Wasserversorgung in den Tropen
eine eingehende Beachtung gefunden. Im Zusammenhang damit die
der Körperpflege.
Daß der Hygiene der schwersten Zeiten, die unsere Frauen in den
Tropen durchmachen, der Schwangerschaft und des Wochenbetts, beson-
ders gedacht ist, ebenso der Säuglingspflege, gereicht dem Buche nur
zur Ehre. Auch die Eingeborenenhygiene hat gebührende Beräcksichti-
gung gefunden.
Die Reihe der tropischen Infektionskrankheiten wird eröffnet mit
einer Darstellung der Protozoenkrankheiten, mit der Malaria als 1. Kapitel.
Es erübrigt sich, hier näher auf diese meisterhafte Zusammenfassung
alles Wissenswerten einzugehen. Im besonderen erscheint mir die Be-
tonung der Wichtigkeit der Chininprophylaxe vollauf berechtigt. R. Ruge
redet der bewährten Partialdosierung des Chinins (5 >< 0,2 g) nach Nocht
‚sowohl für die Therapie als auch die Prophylaxe mit Recht das Wort.
Von den übrigen Protozoenkrankheiten sind besonders die Schlaf-
krankheit, die Amöbenruhr und das Rückfallfieber durch ausgezeichnete
Abbildungen dem Verständnisse nähergebracht.
Auch die schwierig zu bearbeitenden Kapitel über Gelbfieber, Beri-
Beri und Ankylostomiasis, die zu den interessantesten und für manche
Gebiete zu den wichtigsten Tropenkrankheiten gehören, entsprechen durch-
aus den Erwartungen.
Die tropischen Hautkrankheiten und Vergiftungen durch tierische
und pflanzliche Gifte sind ihrer geringeren Bedeutung wegen kürzer aus-
gefallen, enthalten aber immerhin alles, was die tägliche Praxis fordert.
l Als Anhang sind dem Buche sehr zweckmäßig Thermometerskalen
nach Fahrenheit und Celsius, ferner Tafeln englischer und amerikani-
scher Arzneigewichte und -maße zwecks Umrechnung beigegeben. — Alles
in allem genommen, kann man die Verfasser zu diesem „Leitfaden“ nur
beglückwünschen. Sie haben dem Tropenpraktiker für das tägliche Leben
draußen gebracht, was ihm not tut, dem Tropenforscher, was ihm das
Auffinden neuer Zusammenhänge erleichtert. Und dies alles auf nur
463 Seiten. P. Schmidt (Leipzig).
Joseph Listers Erste Veröffentlichungen über antiseptische
Wundbehandlung (1867, 1868, 1869). Uebersetzt und eingeleitet
von Friedrich Trendelenburg. Band 17 der Klassiker der Medizin,
herausgegeben von Karl Sudhoff. Leipzig 19i2, Verlag von Johann
Ambrosius Barth. Geb. M 3,60.
Die grundlegenden Arbeiten Listers hat Trendelenburg iu
hochinteressanter und formvollendeter Weise eingeleitet. Aber in höch-
stem Maße befremdend ist es, daß er hierbei den Namen „Semmel-
weis“ nicht ein einziges Mal genannt hat. Und doch sagt er von dem
im Jahre 1871 durch Lister selbst abgeänderten Verfahren trefend,
„daß die Einführung des Carbolsprays ein Abweg war, weil er den Kampf
gegen die Keime in der Luft, der nach unsern heutigen Kenntnissen fast
gegenstandslos ist, gegenüber dem Kampfe gegen die den Händen, den
Instrumenten, der Haut in der Umgebung der Wunden anhaftenden
Keime noch mehr in den Vordergrund schob, als das ursprüngliche Ver-
fahren.“ Aber gerade das Wesentliche der ganzen Anti- und Asepsis,
die überragende Bedeutung der Kontaktinfektion durch die an den
Händen haftenden Keime, hat Semmelweis schon 20 Jahre vor
Lister — im Jahre 1847 — mit seltener Klarheit erkannt und dffent-
lich verkündet. Und das hätte an dieser Stelle gesagt werden müssen.
F. Bruck.
Ign. Phil. Semmelweis, A etiologie, Begriff und Prophylaxis des
Kindbettfiebers (1861). Eingeleitet von Paul Zweifel. Band 18
der Klassiker der Medizin, herausgegeben von Karl Sudhoff.
Leipzig 1912, Verlag von Johann Ambrosius Barth. Geb. M 3,60.
Daß in einer Sammlung der „Klassiker der Medizin“ der Mann,
der die größte und segensreichste medizinische Entdeckung des vorigen
J ahrhunderts gemacht hat, Semmelweis, nicht fehlen durfte, war selbst-
verständlich, Einleitung und Schlußwort zu dieser einzigartigen Ab-
handlung hat Z weifel geschrieben. Und schwerlich hätte der Heraus-
geber eine geeignetere Persönlichkeit hierfür finden können als ihn. Denn
wie wir hier ausdrücklich hervorheben möchten, hat dieser Autor schon
vor etwa 25 Jahren in seinem bekannten Lehrbuche der Geburtshilfe die
unsterbliche Semmelweissche Tat in mustergültiger Weise gewürdigt.
Daß Sudhoff und Zweifel das klassische Werk des „Retters der
Mütter“ weiten ärztlichen Kreisen in leichter Weise zugänglich gemacht
haben, dafür gebührt ihnen unser wärmster Dank. F. Bruck,
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25. August.
E Aorztliche Gutachten aus dem Gebiete des
21/2 Monate zurückliegenden Kopfverletzung
von i
, | Dr. Wildt,
dirigierender Arzt am St, Josephshospital zu Andernach.
- (Fortsetzung aus Nr. 88),
Das Schiedsgericht holte nunmehr ein Gutachten vom Geh.
Med.-Rat Prof. Dn. G. und dem Assistenzarzte Dr. S. ein, die sich
wie folgt äußerten: l
Gemäß ihrer Aufforderung vom 8. Juli 1909 erstatten wir
über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfall-
verletzung und Tod des 34jährigen J. P. Th. das folgende Ober-
gutachten. Wir waren dabei lediglich auf die in den Akten der
Steinbruchs-Berufsgenossenschaft und des Schiedsgerichts ent-
haltenen Tatsachen angewiesen.
I. Vorgeschichte.
- In der zweiten Hälfte des November 1908 erlitt J. P. Th.
dadurch einen Unfall, daß ihm bei der Ausfahrt zu Tage im Fahr-
schacht eine Oelgrubenlampe auf den Kopf fiel, die einem Vorder-
mann aus der Hand geglitten, dann Th.s erstem Vordermanne W.
auf die rechte Hand gefallen war. Die Lampe ist also in ihrem
Sturz aufgehalten worden, und durch den Fall auf die Hand des
W. wurde die Kraft, mit der die Lampe auf den Kopf schlug, ab-
geschwächt. Th. trug eine „leichte Kopfverletzung“ davon, die
aber stark blutete und gleich hinterher verbunden wurde. Die
Wunde befand sich „direkt hinter der Stirn“. Nach vier bis fünf
Tagen war sie zugeheilt. Da Th. meinte, es sei noch Eiter in
der Wunde, zog er sie mit einem Pflaster wieder auf; einige Tage
später war sie wieder zugeheilt. In der folgenden Zeit hat Th.
dem Betriebsführer M. gegenüber keinerlei Klagen geäußert. M.
hat bei Th. eine Minderleistung während dieser Zeit nicht wahr.
genommen. Dagegen soll Th. vier Zeugen gegenüber in der dem |
afall folgenden: Zeit gelegentlich über Kopfschmerzen geklagt
haben. — Th. hat seine Arbeit nicht einen Tag unterbrochen.
Am 19, Januar 1909 meldete er sich krank, weil er Stechen in
beiden Brustseiten, Kopfschmerzen und starken Schweiß verspürte.
Däs Fieber betrug 39,50. Die Erscheinungen besserten sich bis
zum 1. Februar 1909. An diesem Tage wurde Th. aus äußeren
Gründen dem Krankenhaus in A. überwiesen. Nach der dort am
17. Februar 1909 vorgenommenen Operation starb Th. am 19. Fe-
bruar 1909, | |
IL. Die bisherigen ärztlichen Aeußerungen.
Die erste ärztliche Aeußerung von Dr. H. befaßt sich mit
dem Verlaufe der am 19. Januar 1909 einsetzenden Krankheit,
Danach ist Th. plötzlich fieberhaft erkrankt unter Allgemein-
erscheinungen, wie Fieber, ‘Kopfschmerzen, Seitenstechen und
ehweißabsonderung. Nach einigen Tagen hatten Fieber und
eitenstechen aufgehört, Kopfschmerzen bestanden noch. Die
upillen zeigten keine Veränderung, ebensowenig der Puls. Auch
brechen war nicht vorhanden. So blieb das Bild der nächsten
ochen, bis Th. dem Krankenhaus überwiesen wurde. Bei seiner
Aufnahme dort am 14. Februar war die Sprache undeutlich, es
bestand Kopfschmerz. Am 15. Februar war das Bewußtsein ge-
trübt, Th. war ohne Sprache; Fieber 38,50. Am 16. Februar trat
eine Lähmung des rechten Armes und eine unvollständige Lähmung
des rechten Beins auf. Am Morgen des 17. Februar stellten sich
rämpfe, besonders der rechten Körperhälfte, ein, und es wurde
zur Operation (Eröffnung der Schädelhöhle) geschritten, Diese
ergab eitrige Hirnhautentzündung, deren Herd freigelegt wurde.
Ver Hauptsitz der Eiterung war die Gegend oberhalb der oberen
„renze der Ohrmuschel. Nach wiederholten Krämpfen starb Th.
am 19. Februar 1909. l
| ie wichtigsten Ergebnisse der Leichenöffnung waren eine
2 cm oberhalb des linken Stirnbeinhöckers liegende, etwa 1 cm
ange Hautnarbe, die bläulich veriärbt, etwas eingesunken, über
„T Unterlage verschieblich war und auf dem Durchschnitte kein
eles Blut zeigte, Ferner ergab die Sektion umschriebene eitrige -
nhautentzündung links, mehrere Hirnabscesse links, Ausfüllung
B linken Querblutleiters und des hinteren Teils des Längsblut-
‚ölbers wit eitrigen Massen und endlich Verhärtung knotiger Art
in der linken Lungenspitze, die mit der Umgebung verwachsen war.
Ir haben die Frage zu beantworten, ob durch die im No-
vember 1908 stattgehabte Kopfverletzung das bei Th. festgestellte
ankheitsbild hervorgerufen werden konnte. E
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1403
Versicherungswesen (Staatliche und Privat-Versicherung),
Redigiert von Dr, Her
mann Engel, Berlin W 80, |
Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
UI. Begründetes Gutachten. |
Von vornherein bemerken wir, daß wir uns dem Gutachten
des Herrn Prof. Dr. L. in allen Punkten anschließen, halten es
aber für geboten, noch einige klinische Gesichtspunkte zu er-
örtern. Zunächst ist hervorzuheben, daß der Grad der Gewalt-
einwirkung, die die Kopfwunde setzte, nicht sehr hoch gewesen
sein kann, da die Lampe in ihrem Sturz aufgehalten wurde. Daß
die Wunde tatsächlich nur auf die Haut und höchstens noch die
Sehnenhaube des Kopfes beschränkt war, zeigt der Befund, daß
die Narbe, die aller Wahrscheinlichkeit nach von der Verletzung
herrührte, auf der Unterlage verschieblich war. Wäre die Ver-
letzung tiefergegangen, so wäre die Beinhaut des Schädels frei-
gelegt worden, und die Heilung der Wunde hätte zu narbigen
Verwachsungen mit derselben führen müssen, die Narbe wäre un-
verschieblich gewesen.
Nach dem Gutachten des Herrn Dr. W., der die Hirnabsceß-
bildungen überhaupt nicht erwähnt, war der in den Blutleitern
gefundene Eiter die Folge der Hirnhautentzündung. Erfahrungs-
gemäß findet sich aber eine eitrige Blutleiterverstopfung im Ge-
folge der Hirnhautentzündung nicht. Wohl das Umgekehrte ist
der Fall, daß nämlich die Verstopfung der venösen Blutleiter der
harten Hirnhaut das Auftreten der sogenannten Spätmeningitis
(Hirnhautentzündung) begünstigt. Wie wir aber noch sehen
werden, ist auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ver-
letzung und Blutleiterverstopfung auszuschließen. Es müßte also
die Hirnhautentzündung die nächste Folge der Verletzung ge-
wesen sein. Dafür, daß der späte Eintritt der Hirnhautentzündung
nicht gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs
spricht, beruft sich Dr. W. auf Prof. Kroenlein. Dazu ist zu
bemerken, daß Kroenlein (im Handbuch der praktischen Chirurgie)
bei der Besprechung der sogenannten traumatischen Spätmeningitis
allerdings sagt, daß sie in jeder Phase des Heilungsprozesses, oft
erst nach Wochen und Monaten auftreten kann. -Aber es heißt
dann weiter: | |
„Nicht bloß die Anwesenheit pathogener Mikroorganismen
(krankheiterregender kleinster Lebewesen) ist eben für die Ein-
leitung dieser Prozesse (der Hirnhautentzündung) entscheidend,
sondern ebenso sehr der Grad ihrer Virulenz (Giftigkeit) und die
ihrer Entwicklung mehr und weniger günstige Beschaffenheit der
Gewebe, in welchen sie verweilen.“ Und von Bergmann
(Deutsche Chirurgie, Lief. 30) sagt: „So finden wir denn die
sekundäre Hirnhautentzündung nach Eiterungen der Weichteile,
die bis an den Knochen dringen usw.“ Voraussetzung für die
Entstehung einer durch eine Verletzung bedingten Hirnhaut-
entzündung ist also eine Beteiligung des knöchernen Schädeldachs
sowie das Vorhandensein einer Eiterung an der Stelle der Ver-
letzung. Im vorliegenden Falle sind aber diese Vorbedingungen
nicht erfüllt: eine Knochenverletzung ist mit Sicherheit auszu-
schließen, und die Weichteilwunde ist bereits nach vier bis fünf
Tagen reaktionslos verheilt, eine Eiterung an ihr ist nie beob-
achtet worden.
Fernerhin sagt Dr. W.: „Ich bin auf Grund des Operations-
und Sektionsbefunds zu der Ansicht gekommen, daß die Kopf-
verletzung eine Blutung innerhalb der Schädelhöhle verursacht
hat, welche anfangs, ohne besondere Erscheinungen zu machen,
als hin und wieder Schmerzen, bestanden hat; später ist in die-
selbe auf irgendeinem Wege, wahrscheinlich durch die Hautver-
letzung, eine Infektion gedrungen, welche zur Vereiterung des
Blutergusses führte, weiterhin zur Ausbreitung der Eiterung, zur
Reizung der Zentren, im weiteren Verlaufe zum Toda.“ Wie
schon Prof. L. in seinem Gutachten betont hat, wären dann bei
der Leichenöffnung auf alle Fälle noch Reste der früheren Blutung
in Form von rostbraunen Verfärbungen zu beobachten gewesen.
Das war aber nicht der Fall. Gegen die Annahme einer Blutung
innerhalb der Schädelhöhle sprechen ferner die Tatsachen, daß
derartige Blutungen schwerere Symptome machen. Th. hat seine
Arbeit aber überhaupt nicht unterbrochen und noch fast zwei
onate in gewohnter Weise fortgesetzt. Ferner ist die ein-
wirkende Gewalt viel zu gering gewesen, um eine so schwere Ver-
letzung herbeiführen zu können.
| Ohne auf die Abhängigkeit der drei bei Th. festgestellten
Erscheinungen voneinander — eitrige Hirnhautentzündung, Gehirn-
abscesse, Blutleiterverstopfung — näher einzugehen, wollen wir
zunächst die Frage prüfen: Kann die beschriebene Verletzung
a) zu Blutleiterverstopfung, b) zu Gehirnabsceßbildung führen?
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1404
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
25.. August.
a) Eine Verletzung der Schädelweichteile kann bei Eintritt
von Krankheitserregern in die Wunde zu Blutleiterverstopfung
führen. Daß bei Th. die Wunde jedoch nicht die Ursache war,
erhellt allein schon daraus, daß Th. noch sechs Wochen mit un-
verminderter Arbeitskraft tätig gewesen ist. Im andern Falle
wären die durch -die Blutleiterverstopfung bedingten Krankheits- .
erscheinungen schon nach kürzester Zeit in schwerster Form auf-
getreten. Außerdem hat die Wunde nicht geeitert.
b) Ein Hirnabsceß kann ebenfalls auf traumatischer Grund-
lage (auch bloßer Weichteilverletzung) entstehen; doch ist hier
eine Conditio sine qua non die Verseuchung der Wunde durch
Krankheitserreger. Von Bergmann (Die chirurgische Behandlung
von Hirnkrankheiten) äußert sich darüber folgendermaßen: „Er-
innert muß endlich auch daran noch werden, daß nicht nur eine
offene Knochen- und Hirnverletzung, sondern auch schon eine auf
die Weichteile beschränkte zur Entstehung eines Hirnabscesses
genügt. Wie sich von ihr aus der Impuls zur Eiterung durch den
Knochen in die Tiefe des Hirnes begibt, ist genügend noch nicht
verfolgt worden, nur das Vorkommen der Absceßbildung steht
nicht mehr in Zweifel. Die maßgebenden Vorgänge in den
Weichteilen sind hierbei ebenfalls Eiterungen, von denen
meist sogar angegeben wird, daß sie durch eine längere Dauer
ausgezeichnet waren.“
Keiner der drei Faktoren, die zum Tode des Th. geführt
haben, kann also durch die Verletzung erklärt werden. Wir
stimmen Herrn Prof. L. durchaus bei, wenn er sagt, daß es „nach
der ganzen Lokalisation der Eiterungen und besonders dem Be-
funde von Eiteransammlungen im linken Querblutleiter in hohem
Maße wahrscheinlich ist, daß die Gehirnhauteiterung und Gehirn-
absceßbildung von einem eitrigen Prozeß im Mittel- oder inneren
Ohr aus zustande gekommen ist“, Die Fortleitung der Eiterung
vom Mittelohr in das Schädelinnere kann — ohne mit dem bloßen
Auge feststellbar zu sein — auf dem Blutwege durch die Felsen-
beinpyramide vor sich gehen.
IV. Schlußgutachten. |
Auch wir kommen auf Grund des Aktenstudiums und klini-
scher Erwägungen, die durch das Gutachten des Herrn Prof. L.
ergänzt werden, zu dem Schlußurteile, daß bei Th. ein ursäch-
licher Zusammenhang zwischen Verletzung und Tod mit einer an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
In dem folgenden Beweiserhebungsverfahren äußerte ich
mich noch einmal wie folgt:
Gegen die Entstehung der Gehirneiterung aus einer Blutung
macht Herr Prof. L. geltend, daß alsdann der Eiter noch Blut-
farbstoff hätte enthalten müssen.
Diesen Einwand erkenne ich als richtig an.
| Im übrigen gehen die Gutachten der Herren Prof. L. und
Geh. Rat Prof. G. darauf zurück, daß in dem Längsblutleiter und
in dem linken Querblutleiter Eiter bei der Sektion gefunden
worden ist. Sie nehmen daher eine eitrige Thrombose dieser
Blutleiter an, welche sie auf eine Öhreiterung zurückführen.
Meiner Auffassung nach war jedoch eine Thrombose nicht vor-
handen. Hätte eine solche bestanden, : so wären ohne Zweifel die
Wandungen der Blutleiter erheblich verändert gewesen, zumal
nach der Ausdehnung der Eiterung und nach der dicklichen
Beschaffenheit des Eiters ein schon längeres Bestehen der Eiterung,
also auch ihrer anzunehmenden Ursache, der Thrombose, anzu-
nehmen war. Ich kann mich nun nicht erinnern, an den Wan-
dungen der Blutleiter wesentliche Veränderungen wahrgenommen .
zu haben; festere Massen waren jedenfalls als Inhalt nicht vor-
handen. ‘Wären wir bei der Obduktion zu der Vermutung einer
Thrombose gekommen, so hätte sich die weitere Verfolgung der
Blutleiter und die Eröffnung des Felsenbeins, worauf auch Herr
Prof. L. hinweist, notwendig gemacht und wäre auch ausgeführt
worden. Wir hielten die Eiterbeimengung nur für einen zufälligen
Befund; allerdings habe ich hierüber keine schriftlichen Aufzeich-
nungen, sodaß ich es für notwendig erachte, dieserhalb auch die
Ansicht des Herrn Dr. B., welcher als ausführender Obduzent ja
auch einen besseren Einblick hatte als ich als Protokollführer, zu -
hören. Woher der Eiter in den Blutleitern stammt, ist freilich
eine nicht leicht zu beantwortende Frage; ich möchte jedoch darauf
hinweisen, daß bei der Operation sowohl nach dem Längsblut-
leiter als nach dem Querblutleiter hinführende Venen in reich-
licher Zahl eröffnet wurden, deren Blutstillung durch Kom-
pression, nicht durch Unterbindung besorgt wurde. Es ist viel-
leicht nicht ausgeschlossen, daß Eiter durch offenstehende Venen
. gefunden wurden,
angesaugt und den Biutleitern zugeführt wurde, zumal beim
Längsblutleiter eine Strecke weit hart an dessen Kante operiert
wurde. Am Lebenden habe ich das Ohr mit dem Ohrenspiegel
untersucht und keine Veränderung gefunden. Diesem Befunde
kann ich freilich keine entscheidende Bedeutung zusprechen, da
die Untersuchung bei einem mehr oder weniger Bewußtlosen
schwierig ist, auch frühere Prozesse, deren Folgen noch fort-
bestanden, an den sichtbaren Teilen schon abgeheilt sein konnten.
Wenn nun die Eiterung nicht von einer Blutung und nicht von
einer Blutleiterthrombose herstammt, so ist anzunehmen, daß ihr
Ursprung in einem Hirnabsceß zu suchen ist. Ein solcher war
ungefähr in der Mitte der Operationswunde vorhanden. In dem
ersten Gutachten habe ich ihn vernachlässigt, weil ich ihn als das
Produkt eines eitrigen Zerfalls der Hirnrinde, eine Folge der
Eiterung der Hirnhaut, als einen zufälligen Nebenbefund ansah.
Die Ursache dieses Hirnabscesses könnte nun eine verschiedene
sein. Er kann seine Ursache haben in einer Verletzung, er kann
aber auf Verschleppung infektiösen Materials aus der Lunge ent-
standen sein. Für das erstere spricht sein nicht allzuweit vom
Orte der Verletzung entfernter Sitz, gegen das letztere die völlige
Geruchlosigkeit des Eiters, auch daß in der Lunge keine Höhlen
Auffallend ist auch, daß Herr Dr. H. bei
Gelegenheit der fieberhaften Erkrankung. an den Lungen nichts
fand. Nach den Aussagen der Zeugen haben sich erhebliche Kopf-
schmerzen an die Verletzung schon und nicht erst an die fieber-
hafte Erkrankung angeschlossen. Erwähnen will ich, daß ich zur
Zeit des ersten Gutachtens von der fieberhaften Erkrankung nichts
wußte, daß dagegen besonders nach den Aussagen eines seiner
Mitarbeiter, der zur Zeit der Behandlung des Th. sich ebenfalls
hier im Hospital befand, ich annehmen mußte, daß die Verletzung
des Th. wohl eine erhebliche gewesen beziehungsweise mit großer
Kraft erfolgt sein muß. Ich kann mich also nicht erinnern, bei
der Sektion eine Thrombose der Bilutleiter gesehen zu haben,
glaube vielmehr, eine solche ausschließen zu können. Da aber
ausdrückliche Aufzeichnungen hierüber fehlen, so halte ich es bei
der Wichtigkeit dieser Frage für notwendig, auch Herrn Dr. B.
hierüber noch zu hören. |
Weiterhin erscheint es mir zweckmäßig, noch genauere
Zeugenaussagen darüber. zu erheben, ob die verletzende Gewalt
eine erhebliche gewesen ist, wie lange die Wundheilung gedauert
hat und ob dieselbe mit Eiterung verbunden war, ob Th. jemals
an Öhreiterung oder Ohrbeschwerden gelitten hat. Wichtig ist
auch die Frage, ob sich an die Kopfverletzung die Beschwerden
gleich angeschlossen haben und ob sie erheblich waren.
Ergeben die Ermittlungen ein bejahendes beziehungsweise
der Ohreiterung verneinendes Resultat, so erscheint mir immer
noch die Zurückführung der Eiterung auf die Verletzung als
wahrscheinlich. | | l
Hierauf erwiderte Prof. Dr. L.: |
Seit dem von mir am 9. Mai dieses Jahres erstatteten Gut-
achten über den Tod des Johann Th. liegen einige weitere An-
gaben über den Fall vor, die zur Frage geführt haben, ob ich
nicht auf Grund derselben zu einer veränderten Auffassung gè-
langen würde.
| Diese Angaben sind erstens die Aeußerungen des Herrn
Dr. W. zu den Gutachten des Herrn Geh. Rats G. und zu
meinem eignen. |
Herr Dr. W. schreibt, er könne sich nicht erinnern, bei der
Sektion eine Thrombose der Blutleiter gesehen zu haben, und
wünscht, daß darüber noch der Obduzent Herr Dr. W. gehört
würde. Allein dies ist ganz unnötig, da Herr Dr. W. den Begriff
„Thrombose“ zu eng faßt. Daß sowohl linker Querleiter wie em
großer Teil des Längsblutleiters mit reichlichem dicklichen Eiter
gefüllt war, steht fest, denn das ist ja in dem von Herrn Dr. W.
und B. unterschriebenen Protokoll aktenmäßig festgelegt und be-
zeichnet man eben als „eitrige Thrombose“. Es ist demgegenüber
ganz gleichgültig, ob daneben noch gewöhnliche feste, nicht eitrig®
Thromben vorhanden waren, weil ein Thrombus eben total ver-
eitern kann. Daß, wie Herr Dr. W. für möglich hält, der Eiter
erst bei der Operation vom 18. Februar in die Blutleiter gelangt
wäre, ist mit vollkommener Sicherheit auszuschließen.
Es kann zwar Luft, flüssiges Fett, Mikroorganismen und allenfalls -
auch geringe Mengen von Zellen durch eröffnete Blutadern zur
Resorption gelangen, daß aber die großen Mengen dicken Eiters,
die bei der Sektion in den Blutleitern gefunden wurden, darau
zurückzuführen seien, ist schon deswegen ausgeschlossen, weil der
Tod ja schon in der Nacht nach der Operation eintrat. Es sind
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25. August. _ 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. 1405
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es Herrn Dr. W. nicht geeignet,
mein Urteil zu modifizieren.
2. Die Zeugenvernehmungen über den Unfall des Th.
Von diesen Aussagen sind zunächst die des P. W. und des J. V,
sie als objektiv unbedingt zuverlässig ansehen dürfte Allein dies
geht doch, ohne daß man der subjektiven Wahrheitsliebe . des
Zeugen im geringsten zunahe tritt, nicht an gegenüber den Aus-
sagen des Zeugen E. M., des V. und vor allem den Angaben des
Herrn Dr. H., worauf ich schon in meinem ersten Gutachten hin-
gewiesen. Wenn wirklich der Verstorbene unaufhörlich seit dem
Unfall an Kopfschmerzen gelitten hätte, so würde er sowohl wie
seine Frau unbedingt dies dem behandelnden Arzt am 19. Januar
angegeben und. die Erkrankung auf den Unfall zurückgeführt
haben. Daß sie beide dies unterlassen, weder Unfall noch per-
manenten Kopfschmerz erwähnt haben, beweist eigentlich, daß da-
mals dem Verstorbenen und seiner Familie der Unfall als un-
bedeutend und nicht erwähnenswert erschien. Auch ist es, wie
ich nochmals betonen muß, mir zweifellos, daß die fieberhafte, mit
Tustschmerzen einhergehende Erkrankung vom 19. Januar auf
die tuberkulösen Veränderungen zurückzuführen ist, die bei der
Sektion in der linken. Lunge gefunden sind. Daß, wie Herr
Dr. W. noch hervorhebt, keine Höhlen in den Lungen vorhanden
waren, ist für die Diagnose „Tuberkulose“ nebensächlich, ebenso
wie es auch für die Beurteilung der Gehirnveränderungen und
ihrer Entstehungsweise nicht in Betracht kommt.
‚.. Ich kann also trotz der Aussagen des M. S. auch jetzt
nieht anerkennen, daß eine sich ununterbrochen an den Unfall
mit kleinen Intervallen anschließende Erkrankung bewiesen oder
auch nur sehr wahrscheinlich gemacht ist. Und darauf allein
kommt es an. Ich leugne keineswegs die Möglichkeit eines
Zusammenhangs zwischen der durch den Unfall hervorgerufenen
Kopfverletzung und der zum Tode führenden Krankheit. Aber es
muß ja die Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit erwiesen sein.
Und dem stehen gegenüber 1. die Tatsache, daß nach der ganzen
Art der erwiesenen. Kopfverletzung und der Beschaffenheit der
bei-der Sektion gefundenen Narbe nach unsern gesamten Erfah-
rungen die Entstehung eines Gehirnabscesses zwar nicht als
unmöglich, aber als zum mindesten sehr ungewöhnlich bezeich-
net werden muß, 2, der gesamte Sektionsbefund in der Schädel-
höhle, der ebenfalls als durchaus ungewöhnlich bezeichnet werden
muß, wenn von der Kopfverletzung aus die Gehirneiterung zustande
gekommen wäre, der vielmehr durchaus auf eine Erkrankung des
linken Ohres als Ausgangspunkt hinweist.
_ Diesem Umstande gegenüber würden nur dann die Aus-
sagen des M. S. entscheidend ins Gewicht fallen können, wenn
durch die Sektion eine Entstehung der Gehimeiterung von Ohr
oder Nase aus ausgeschlossen werden könnte. Da diese Organe
überhaupt nicht nachgesehen worden sind, ist dies nicht der Fall.
„8 der Verstorbene niemals Anzeichen einer Ohrenerkrankung
dargeboten hat, kommt wenig in Betracht, da es durchaus nichts
eltenes ist, daß Mittelohrentzändungen, ohne bis dahin erhebliche
ind deutlich erkennbare Beschwerden gemacht zu haben, auf die
chädelhöhle übergreifen. — Aus allen diesen Gründen bin ich
"ußerstande, mein Gutachten vom 9. Maiin irgendeinem
erheblichen Punkte zu modifizieren.
Geh, Med.-Rat Prof. G. und Dr. S. ergänzten dann ihr Gut-
achten auf Veranlassung des Schiedsgerichts wie folgt:
nr Sachen der Witwe P. Th. haben wir am 4. August 1909
er Gutachten dahin abgegeben, daß bei Th. ein ursächlicher Zu-
heit enhang zwischen Verletzung und Tod mit einer an Sicher-
Del Srenzenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. R
vn n der Sitzung des Schiedsgerichts am 24. August 1909 be-
Fr nun die Klägerin, daß die eine Voraussetzung des Gut-
ens von Prof. Dr. G., daß es sich um einen abgeschwächten
Fall der Lampe gehandelt habe, nicht zutrifft; mag sie auch den
Vordermann W. an der Hand verletzt haben, so ist sie doch im
wesentlichen direkt dem Th. auf den Kopf gefallen. Beweis: Die
damaligen Arbeitskollegen des Th. |
Dieser Einwand und eine Anregung im letzten Gutachten
des Herrn Dr. W. haben zu Erhebungen geführt, die mit den
Arbeitsgenossen des Th. an der Stelle des Unfalls angestellt
rechte Hand aufschlug, abglitt und weitere 6—7 m tiefer Th,s
mit einer Militärmütze (einem sogenannten Krätzchen) bedecekten
Kopf traf. Die dadurch gesetzte Wunde blutete stark; Th. war
blaß geworden. Erbrechen hat sich nicht gezeigt. Nachdem Th.
habe an der Stelle der Verletzung noch Schmerzen. Nur ein
Zeuge S. hat im Gegensatze zu allen andern Zeugen gesagt, Th.
fortdauernd bis zur Unerträglichkeit gesteigert hätten. — Ueber
Ohrleiden des Th. ist keinem der Zeugen etwas bekannt geworden.
Wir sind durch Schreiben vom 28. September 1909 ersucht
worden, in Sachen der Witwe J. P. Th. im Hinblick auf das
Zeugenverhör und das daraufhin eingeholte Gutachten des Herrn
Prof. L. erneut Stellung zu nehmen. Wir tragen folgendes: nach:
1. Der geschilderte Un fallvorgang bestätigt zunächst die
in unserm Obergutachten aufgestellte Behauptung, daß die Gewalt
des Sturzes der Lampe durch das Aufschlagen auf die Hand des
. sicherlich herabgemindert worden ist. Wäre sie nicht aufge-
halten worden, dann hätte sie Th.s Kopf aus etwa 21 m. Höhe
getroffen und vielleicht eine tiefgehende Verletzung herbeigeführt.
So aber ist sie nur 6—7 m tief auf den Kopf des Th. der —
wenn auch nur notdürftig — durch ein sogenanntes Krätzehen
geschützt war, gefallen. Die Lampe ist eben nicht, wie die
Klägerin behauptet hat, im wesentlichen „direkt dem Th. auf
den Kopf gefallen“, Ä
Zudem bleibt die aktenmäßig festgelegte Tatsache
bestehen, daß die Verletzung eine oberflächliche, nicht
den Schädelknochen betreffende und nach 4-5 Tagen
zugeheilt war, ohne daß eine Eiterung beobachtet
worden wäre. | En l ;
2. Was die Aussage des Zeugen S. angeht, so müssen
wir uns in ihrer Beurteilung auf den Standpunkt des Herrn Prof.
L. stellen. S. ist der einzige gewesen, dem gegenüber Th. über
Kopfschmerzen geklagt haben soll. — Vor allen Dingen müßten.
ständig zunehmende Kopfschmerzen doch der Ehefrau des’ Ver-
storbenen bekannt geworden sein. Aber weder Th. noch seine
Frau haben Herrn Dr. H. gegenüber während der Krankheit des
Th. nach dem 19. Januar 1909 irgendwelche Vermutungen über
. den Zusammenhang zwischen Unfall und plötzlicher Erkrankung
geäußert; und das hätte doch — wenn zwischen dem Unfalltage
und dem 19. Januar 1910 ununterbrochen zunehmende Kopf-.
schmerzen nach einer Kopfverletzung bestanden hätten — sehr
nahegelegen. Die Tatsache, daß den Zeugen über ein Ohren-
leiden des Th. nichts bekannt war, kann nicht gegen die An-
nahme einer Entstehung des tödlichen Leidens vom Mittelohr aus
geltend gemacht werden, da — wie schon Herr. Prof. Dr. L. her-
"vorhebt — Mittelohrentzündungen bestehen können, ohne daß sie
ihrem Träger wesentliche, merkbare Beschwerden verursachen.
Herr Dr. W. hat das Vorhandensein einer Blutleiterver-
stopfung bestritten. Dieser Punkt ist im letzten Gutachten des
Herrn Prof. L. bereits einwandfrei dahin entschieden, : daß eine
„eitrige Blutleiterverstopfung“ vorhanden war, sodaß wir eine
Aeußerung des Obduzenten Herrn Dr. B, entbehren konnten.
_ Gutachten. \
Die Voraussetzungen, auf denen unser Gutachten vom
4. August 1909 gebaut war, haben sich nach den vorstehend zu-
sammengestellten Tatsachen in keinem wesentlichen Punkte ge-
ändert, sodaß wir die Verneinung des ursächlichen Zusammen-
hangs zwischen Unfall und tödlicher Erkrankung: des Th. aufrecht-
erhalten müssen. | (Fortsetzung folgt.)
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25. August.
1406 | | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34.
Vereins- und auswärtige Berichte.
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte zu Köln
(Offizieller Sitzungsbericht.)
XXIX. Sitzung vom 21. April 1912.
i (Fortsetzung aus Nr. 33.)
Kronenberg demonstriert vier in den beiden letzten Jahren ge-
wonnene Nasenkonkremente,. In nicht weniger als drei von diesen hatte
sich das Konkrement um einen Kirschkern gebildet. In keinem Falle
ließ sich nachweisen, wann der Kern in die Nase gelangt war. Da es
sich in einem Fall um eine 53jährige Frau, im zweiten um ein
27 jähriges Mädchen und im dritten um einen 16 jährigen jungen Mann
handelte, hatte der Fremdkörper offenbar stets sehr lange unbemerkt in der
Nase gelegen, da vermutlich in allen Fällen der Kern in früher Jugend in die
Nase gelangt war. Im vierten Falle, bei einem siebenjährigen Kinde, fand
sich ein dünnes Konkrement um einen flachen Knopf. Ferner demon-
striert K. zwei Bronchialkonkremente, die von demselben Patienten in
- einem Zwischenraume von zwölf Jahren ausgehustet worden waren. Beide
Male waren der Expectoration mehrere Wochen lebhafte Reizerschei-
nungen, besonders Stechen und Kratzen im Halse, die mit der Entfernung
des Konkrements aufhörten, vorhergegangen.
Schließlich weist K. auf die seit dem 1. Januar 1912 in Kraft
getretene Bauordnung beim Bau von Krankenanstalten in der Rhein-
provinz hin, in welcher sich neue Bestimmungen finden, durch die der
Bau von Krankenanstalten außerordentlich erschwert und von Privat-
kliniken fast unmöglich gemacht wird. Die Versammlung beschließt,
diese Angelegenheit der rheinischen Aerztekammer zu unterbreiten.
Diskussion: v. Eicken- erwähnt einen von ihm vor Jahren
beobachteten Fall (publiziert M. med. Woch. 1904, Nr. 34), in dem ein
inkrustierter Kirschkern erst etwa 50 Jahre nach seinem Eindringen in
die Nase entfernt wurde. Thost hat wohl den ältesten Rhinoliten, der
ebenfalls einen Kirschkern im Centrum enthielt, extrahiert; dieser wurde
über 60 Jahre von der Patientin beherbergt. (M. med. Woch. 1904,
Nr. 22.)
Vohsen (Frankfurt a. M.) teilt einen Fall von Rhinolit um einen
Kirschkern im rechten unteren Nasengang mit, der bei einer 56 jährigen
Frau mit einer gleichzeitigen Kieferhöhlenerkrankung zu einer seit Jahren
bestehenden Neuralgie des Plexus brachialis geführt hatte, die nach Ent-
fernung des Rhinoliten dauernd erlosch.
Ricker berichtet über einen analogen Fall von Lungenstein. Auch
hier lag eine alte Tuberkulose zugrunde. Die vielseitigen Beschwerden
des Patienten waren nach Aushusten des Konkrements verschwunden
und blieben es seitdem. |
Falk (Ems): Verwendung der Aethylchloridnarkose in der
Hals-, Nasen- nnd Ohrenpraxis!). F. empfiehlt angelegentlichst die
Aethylchloridnarkose zur Vornahme kleinerer Operationen,’ wie Adenotomie
und Tonsillotomie, Paracentese, Spaltungen von Abscessen usw. aus
folgenden Gründen: |
1. Die Operation kann infolge Fortfalls der Abwehrbewegungen
der — meist in jugendlichem Alter stehenden — Patienten viel ruhiger
und exakter ausgeführt werden; daher zum Beispiel auch weit weniger
Rezidive nach A.V.-Operationen, die nichts als infolge zu hastigen
Operierens stehengebliebene Reste sind.
2, Der Operstionsshok, der so häufig Kindern eine durch nichts zu
beseitigende Furcht vor dem Arzt einflößt, fehlt. |
3. Die Methode ist ungefährlich (Neuenborn sah in 8000 bis
10000 Fällen nie einen bedrohlichen Zwischenfall, ebensowenig Laut-
mann). Nach der Statistik von Kuhlenkampf 14 sichere Todesfälle
bei Vollnarkose, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Gebrauch
von luftabschließenden Masken (fünf Fälle), Anwendung bei schwerer
Herzerkrankung (sieben Fälle), mangelhafte Technik und Präparate zurück-
zuführen sind.
Im Anschlusse hieran bespricht F. die verschiedenen Arten der
Narkose. 1. Französisch-englische Methode, bestehend in Vollnarkose bei
völlig luftabschließender Maske (Frankreich nach Camus, England nach
Ormby). Lautmann braucht Tuben von 1, 2 und 3 g Asthylchlorid,
je nach Alter der Patienten; er hat nie üble Naehwirkungen gesehen.
2. Deutsche Methode, in der Hauptsache gekennzeichnet durch luftdurch-
lässige Masken, entweder die gewöhnliche Chloroformmaske nach
Esmarch oder einfach ein sechs- bis achtfach zusammengelegtes Stück
Mal. 3. Kuhlenkampf benutzt das der eigentlichen Vollnarkose
vorangehende rauschartige Stadium analgeticum, indem er 40 bis 60 bis
80 Tropfen Aethylchlorid auf Gaze auftropfen und einatmen läßt, hat
ebenfalls niemals unangenehme Zwischenfälle gesehen. Die Methode ist
1) Erscheint in extenso in der Zeitschrift für Rhinologie, L -
und ihrer Grenzgebiete. gie, Laryngologie
sicherlich gut, kommt aber für den Laryngologen nicht in Betracht, da
die Patienten nicht ruhig genug halten. Daher am empfehlenswertesten
Methode Nr. 2. Technik: Als Präparat ist am meisten das von
Dr. Thilo (Mainz) zu empfehlen; Tuben mit starkem Strahl. Einengende
Kleidungsstücke müssen vorher entfernt werden; während der Narkose
muß absolute Ruhe herrschen. Die beste Zeit ist zwei Stunden nach
einer Mahlzeit, niemals nüchtern. Patient sitzt am besten; der Kopf
muß durch Stütze oder Gehilfen, die Hände ebenfalls durch einen Ge-
hilfen fixjiert werden. Wegen des meist zu Beginn auftretenden Trismus
muß ein Mundkeil eingeschoben werden — dann wird das Aethylchlorid
auf die Ermarchmaske aufgespritzt und eingeatmet. Die Menge ist ver-
schieden, sie hängt vom Alter des Patienten und Uebung des Narkoti-
seurs ab. Anhaltspunkte für eingetretene Narkose sind: 1. Muskel-
erschlaffung. 2. Konvergenz der Augen. 3. Tiefe schnarchende Atem-
züge. Die Narkose hat absolut keine schädlichen Folgen: kein Erbrechen,
keine Kopfschmerzen; die Patienten können allein unmittelbar nach Be-
endigung des Eingriffs nach Hause gehen. Vorsicht nur bei kleinen
Kindern und Hystericis! Tritt bei ersteren zu Beginn der Narkose
inspiratorischer Stridor ein, so muß die Maske sofort forigenommen
und gewartet werden, bis die Atmung wieder ruhig geworden ist. Ebenso
muß man bei hysterischen Personen, die laut an zu schreien fangen,
sobald sie mit der Einatmung des Gases begonnen haben, sofort die
Maske fortnehmen und das völlige Wiedererwachen abwarten. In beiden
Fällen kann dann sofort die Narkose ohne Zwischenfall zu Ende geführt
werden.
Diskussion: Manasse verwirft bei derartigen kleinen Eingriffen,
wie Paracentesen und Mandeloperationen, jede Art von Allgemeinnarkose,
Schmidt: Anfrage, welche Vorzüge der Aethylchloridnarkose
gegenüber der alıbewährten Bromäthernarkose zukommt, da ersteres
Mittel um zwei Drittel billiger und einfacher anzuwenden sei und keine
größere Intoxikationsgefahr in sich birgt.
Löwenstein (Elberfeld): Ich bin ein grundsätzlicher Gegner der
Allgemeinnarkose bei den kleinen Eingriffen, wie Tonsillotomien, Adeno-
tomien, Paracentese des Trommelfelis. Der kleine Eingriff steht in gar
keinem Verhältnis zu der Gefahr, die eine Allgemeinnarkose mit sich
bringt. Ich habe noch nie bei einer Paracentese einer Narkose bedurlt.
Leider müssen die Kollegen im Laufe der Jahre, um dem Publikum ent-
gegen zu- kommen, weil andere Kollegen bei diesen Eingriffen die All-
gemeinnarkose vornehmen, auch wider Willen die Narkose benutzen. Ich
narkotisiere Kinder nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern und be-
nutze dann zu dieser kurzen Narkose den Bromätber, den ich auf eine
einfache Esmarchsche Maske aufgieße. Unannehmlichkeiten sind mir
bei dieser Narkose nie vorgekommen. Ich wüßte deshalb auch nicht,
weshalb ich ein anderes Mittel anwenden sollte. Daß die Chloroform-
narkose beim aufrechten Sitzen der Patienten außerordentliche Gefahren
mit sich bringt, wissen die Zahnärzte, und leider haben auch Kollegen
mit dieser Narkose Todesfälle erlebt. Der Herr Vortragende bedarf auch
bei der Narkose zweier Assistenten. Ich möchte nicht unterlassen, auf
die strafrechtlichen Folgen aufmerksam zu machen, wenn der Operateur
auch zugleich die Narkose leitet. Bei der Allgemeinnarkose soll stets
ein zweiter Arzt zugegen sein. Ein Arzt macht sich, abgesehen von
dringenden Fällen, stets strafrechtlich verantwortlich, wenn er allein
narkotisiert und operiert. (Fortsetzung folgt)
Braunschweig.
Kreisverein. Sitzung vom 18. Mai 1912.
1. Herr Bingel betont die Seltenheit des Zusammentreffens von
Schwangerschaft und echtem Diabetes, bespricht die Gründe hier-
für und berichtet über einen Fall von Gravidität und Eintreten von
Diabetes (6% Zucker nebst Acidosis), bei dem es durch antidiabetische
Diät gelang, die Patientin zucker- und säurefrei zu bekommen, den
Partus, abgesehen von zufälligen Embolien, normal verlaufen zu lassen
ohne Eintreten von Coma. Vortragender spricht sich gegen die künst-
liche Unterbrechung in solchem Fall aus, fordert aber dringend zur anti-
Sur Diät auf, um die künstliche Frühgeburt und das Coma zu
vermeiden.
Herr Wille empfiehlt, sobald es zur künstlichen Frühgeburt ge-
kommen ist, als zweckmäßige Methode den vaginalen Kaiserschnitt, uM
der Gefahr der Narkose zu entgehen.
2. Herr Henking: Medizinalstatistische Mitteilungen YOM
Jahre 1911 aus der Stadt Braunschweig (die eingeklammerten Zahlen
beziehen sich auf das Jahr 1910) und einigen andern Städten des
Herzogtums, | |
Geboren wurden 1911 in der Stadt Braunschweig insgesamt 2911
lebende Kinder und zwar 2424 eheliche und 487 uneheliche bei zirka
Ea.
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25. August.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. | 1407 |
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143000 Einwohnern. (Im Jahre 1910 waren 3072 Geburten, 2513 ehe-
liche und 559 uneheliche.) Gestorben sind |
fremde in hiesigen Krankenhäusern oder Privatkliniken (2139 inklusive
Ortsfremde), der Geburtsüberschuß betrug im letzten Jahre nur noch
5,1% (gegen 6,5%), ist also noch weiter zurückgegangen. Die Gesamt-
sterblichkeit der Hauptstadt betrug 15,2 9/2 (14,9 0/0), hat also ein wenig
stenose). Nicht gemeint sind die Fälle, wo durch Erkrankung eine all-
gemeine Schwächung stattgefunden hat (Arteriosklerose, kompensierter
Herzfehler). Hier ist kombiniertes Verfahren anzuwenden (lokale Infil-
tration, leichte Aethernarkose). Für eine Verirrung hält es Vortragender,
größere Operationen in Lokalanästhesie zu machen.
Zweite Gruppe (sechs Todesfälle) betrifft Jugendliche, widerstands-
fähige, leicht erregbare Menschen, bei denen das Herz versagt. Vor-
tragender hält Ausdrücke wie „unvermeidliche Unglücksfälle“ usw. für
Verlegenheitsausdrücke, verhält sich auch skeptisch betreffs der Idiosyn-
krasie gegenüber Chloroform, hält Chloroform für nicht gefährlich, wenn
men die nötigen Vorsichtsmaßregeln anwendet, hält für außerordentlich
wichtig die Ausschaltung des psychischen Shocks durch Vorbereitung
(abends zuvor 1 8 Veronal, morgens ein Einlauf von bestimmter Zu-
sammensetzung [Eigelb, Kognak, Opiumtinktur], eine Stunde vor der
Operation Morphium [1 bis 2 cg], Aethernarkose in Tropfenform, im Not-
fall ein Tropfen Chloroform). |
Für irrationell hält Vortragender Scopolamin (weil Herzgift) als
Vorbereitungsmittel.
Seit zehn Jahren hat Vortragender kein Aussetzen der Atmung,
keine Astherpneumonie gesehen bei zirka 600 Narkosen im Jahre, wohl
Lungenembolien und Hypostasen. l
Narkosepneumonie ist Aspirationspneumonie.
Als Schlußfolgerung folgende Thesen:
1: Bei Erkrankungsn mit Blutstauung im kleinen Kreislaufe Nar-
kose zu vermeiden.
2. Aether ist dem Chloroform vorzuziehen.
Chloroform ist Vorbereitung nötig.
3. Scopolamin ist als Vorbereitungsmittel ungeeignet.
£. Die Vorbereitung der Narkose setzt die Gefahr der Pneu-
monie herab, |
In der Diskussion spricht Herr Sprengel und teilt mit, daß er
in acht Jahren keinen Todesfall von Narkose erlebt habe bei zirka 1100
Operationen im Jahr, auch keine künstliche Atmung nötig gehabt habe:
er hält die Art der Anwendung des Narkotieums, die Technik, für be-
deutungsvoll und läßt darum möglichst dieselben Leute Narkosen machen,
geschulte Wärter; glaubt die gemischten Narkosen nicht immer durch-
führen zu können wegen der Vorbereitung und das Chloroform nicht
entbehren zu können; von Bedeutung ist die Wahl des Narkoticums für
gewisse Krankheitsgruppen. Für gefährlich hält er
1. die Allgemeinnarkose bei Pleuraempyem,
2. 2 cg Morphium vor der Narkose nach Dr. Strauch,
3. das Scopolamin als Vorbereitungsmittel,
4. das Chloroform bei akuter Appendicitis bei jugendlichen Indi-
viduen, wo er wiederholt Todesfälle unter der Form der postoperativen
Sepsis gesehen hat; seitdem das Chloroform in solchen Fällen aus-
geschaltet ist, keine Todesfälle mehr infolge Narkose, l
Herr Kruk enberg hat sich auch der kombinierten Narkose zu-
gewandt (in vier Jahren zirka 1600 Narkosen); hat bei langdauernden
Operationen Zufälle gesehen, wenn Chloroform gegeben wurde, nie da-
gegen, wenn Aether gegeben wurde.
Y. Holwede hat in 15 Jahren einen Todesfall erlebt; einen Chlo-
roformtod bei einem Kinde mit Status lymphaticus,
| Franke hält Chloroform für gefährlich; die meisten Fälle sind
Spätchloroformtodesfälle (dritter, vierter Tag); macht jetzt kombinierte
Narkosen. Aether entkleidet er der Gefährlichkeit dadurch, daß er
Eukalyptusöl zusetzt (15 Tropfen auf 150 g).
Löwental hält Idiosynkrasie gegen gewisse Arzneimittel und
auch Gifte für bestehend; er rät, vor der Narkose besonders darauf zu
achten, ob Hyperthyreoidismus und Status Iymphaticus vorliegt.
Im Schlußworte betont Herr Strauch, daß er die Chloroform-
narkose nicht verworfen habe, sondern für die gefährlichere halte (auch
i gesunden Menschen) und man die
die geringste
beziehungs-
starben in der ersten Gruppe, bis zu
das heißt 896 eheliche und 125 uneheliche (gegen
Bei Gebrauch von
ohne jede ärztliche Behandlung!
‚Scharlach kam 341 mal mit 20 Todesfällen in der Stadt Braun-
Masern
16 Todesfälle,
K
Herzogtums 19 mal,
mehrere unter der Diagnose „Sepsis“
sein, bei denen ein Abortus vorherging.
, Typhus abdominalis kam hier 23 mal mit 7 Todesfällen zur
offiziellen Kenntnis; 4 der letzteren waren Ortsfremde, von auswärts den
„ankenhäusern überwiesen, in den Monaten J uli bis Dezember. Aus
verstorbene Frauen zu rechnen
auszubreiten.
Die Tuberkulose hat in den 12 Städten des Herzogtums 413
Opfer gefordert, davon fallen auf Braunschweig 276, Wolfenbüttel 32,
Holmstedt 37, Holzminden 23, Schöningen 13. In den Landgemeinden
starben daran im Jahre 1911 (ohne den Kreis Blankenburg) 193 Personen.
Bösärtige N eubildungen waren 196 mal Todesursache (194),
186 Carcinome und 10 Sarkome.
Appendicitis verlief in hiesiger Stadt 26 mal tödlich (27).
Brechdurchfällen und Magendarmkatarrhen starben hier
a (188), dabei 243 unter 1 Jahre; die Steigerung ist zum Teil als
olge des überaus heißen und trocknen Sommers anzusehen.
Keuchhusten starben 10 (15); an „sonstigen Erkrankungen
der Atmungsorgane“ 253 (228).
Selbstmord kam 54 mal vor (50), Hitzschlag 3 mal, Ende Juli
wd Anfang August; Lues 11 mal (zum Teil als zufälliger Befund bei
Pötzlichen Todesfällen beziehungsweise Obduktion).
das Zum Schluß ersucht Vortragender wieder um gewissenhafte und
öutliche Ausfüllung der Totenscheine.
a Herr Strauch: Kritische Bemerkungen zur Narkosefrage.
‚1086 bauen sich auf 1. auf die Erfahrung in den letzten Jahren, 2, auf
= Statistik der im Herzogtum Braunschweig vorgekommenen Narkose-
odesfälle (in fünf Jahren acht) laut Protokoll der Staatsanwaltschaft.
Bit, sto Gruppe (zwei Todesfälle) betrifft sonst gesunde Leute mit
iter im Brustraume. Daher die Aufforderung des Vortragenden, bei
M üngen, wo eine Beeinträchtigung im kleinen Kreislaufe besteht,
9 Allgemeinnarkose zu vermeiden (besonders Pleuraempyem, Larynx-
im Krankenhaus, auch bei relatiy
Narkosetodesfälle dadurch herabmindern könne, daß man Chloroform fort-
lasse oder in der Dosis herabsetze durch Vorbereitung.
Pommerehne.
Erlangen.
Aerztlicher Bezirksverein. Sitzung vom 9. Juli 1912.
1. Hauck zeigt zwei Fälle von Lichen ruber verrucosus; der
eine entstand im Anschluß an eine Vitiligo und ging jahrelang unter
der Diagnose Lues. Demonstration mikroskopischer Schnitte der Haut-
veränderung. — Ein Fall von chronischem Ekzem mit derben fibrögen
Hautwucherungen konnte mit Röntgenbehandlung bedeutend gobessert
werden. | |
2. Jannin: Ueber Diphtheriebehandlung. Aus der Beobachtung
von 172 Diphtheriefällen resultieren für den Vortragenden folgende Ge-
sichtspunkte;: == |
tant”
OO F
1408 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34,
a) Serumbehandlung ist auch in allen zweifelhaften Fällen anzu-
wenden, und zwar schon vor der Sicherung der Diagnose durch die bak-
teriologische Untersuchung. Prophylaktische Injektionen sind nicht zu
empfehlen. Vielfach erkranken die Kinder doch noch und man hat dann
bei einer notwendig werdenden Reinjektion die Gefahren der Anaphylaxie.
Bei Bacillenträgern kommt es gewöhnlich nur zu Anginen, nicht mehr
zur Allgemeininfektion, weil sie sich selbst aktiv immunisieren. Serum-
injektionen sind hier ebenfalls überflüssig.
b) Die Injektion soll immer sofort gemacht werden. Zu Epidemie-
zeiten soll der Arzt das Serum stets bei sich führen.
c) Es sind möglichst hohe Antitoxinmengen zu injizieren, minde-
stens 4 bis 10000 I.-E. Stenosenerscheinungen gehen unter intensiver
Serumanwendung rascher zurück, Nachkrankheiten sind seltener.
Die Lokalbehandlung ist überflüssig und zwecklos. Gurgelungen
mit Bolusaufschwemmung sind eventuell durch Adsorption von Bakterien
und Toxin nützlich, von der Pyocyanase sah J. keinen Erfolg.
Weichardt bemerkt in der Diskussion, daß man die Gefahren
der Anaphylaxie beim Menschen im allgemeinen überschätze; die im Aus-
lande bereits in Anwendung kommenden eingeengten Sera sind bei uns
zurzeit noch verboten.
3. Königer: Ueber Behandlung schwerer Lungenkrankheiten
mit künstlichem Pneumothorax. K. gibt eine Uebersicht über die
-Geschichte des Pneumothorax und demonstriert die in der Medizinischen
Klinik geübte Methode der Stickstoffeinfüllung unter Anwendung eines
Manometers. Eigne Erfahrungen über den Heilerfolg kann der Vor-
tragende noch nicht berichten, da die Krankheitsfälle noch zu’kurz be-
handelt sind. Demonstration von Röntgenbildern vor und nach Anlegung
des Pneumothorax. Ströbel (Erlangen).
Kiel,
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 9. Mai 1912.
1. Gbebell macht kasuistische Mitteilungen zur freien Trans-
plantation. Es handelt sich nur um Fälle von Autoplastik. Es werden
folgende Fälle demonstriert respektive deren Photographien und Röntgen.
bilder vorgeführt:
I. Freie Fetttransplantation. 1. 40jährige Frau. Fibroma-
tosis mammae dextrae. Exstirpation der Mamma mit Erhaltung der Haut
und der Mamille, freie Fetitransplantation, vom linken Epigastrium. Erfolg:
Fett eingeheilt. — 2. 25jähriges Fräulein. Osteomyelitische Knochen-
höhle der linken Tibia. Ausmeißlung. Ausfüllung der Mulde mit Fett
vom linken Oberschenkel. Erfolg: Heilung per primam bis auf eine kleine
Randnekrose, Fett zum größten Teil eingeheilt. Erfolg: Heilung ohne
Muldenbildung und am Knochen haftende Narbe.
lI. Freie Sehnentransplantation. 1.Zur Beseitigung der Luxatio
patellae habitualis. Ausgezeichneter Erfolg. — 2. Zur Interposition nach
Resectio genu. Siehe unter IV. 2.
IO. Freie Fascientransplantation. 1. Ueberbrückung nach
König und Homeier bei einer Fistel nach Resektion eines sehr hoch-
sitzenden Rectumcarcinoms. Erfolg: Nekrose des Transplantats.. Nach
sekundärer Anfrischung und Nabt Heilung mit völlig normaler Mastdarm-
funktion. — 2. Zum Ersatze der Unterarmfascie. Siehe unter VII.
IV. Freie Periosttransplantation. 1. Zur Naht einer Pseud-
arthrose mit Perioststreifen und Bildung einer Periostmanschette. Erfolg:
Anfangs sehr gut, später Refraktur und neue Pseudarthrosenbildung. —
2. Zur Verhütung einer Kniegelenksankylose bei Resectio genu tub.
Freie Periosttransplantation auf die Sägefläche der Patella, freie Apo-
neurosentransplantation vom Vastus medialis auf die Sägefläche der Tibia,
am untern Femurende Bildung eines Periostbrückenlappens zur Deckung
der Sägefläche. Erfolg: Volle aktive Streckfähigkeit und aktive Beugung
bis zu 450.
V. Freie Periostknochentransplantation. 1. Ersatz eines
tuberkulösen Metacarpus durch freie Periostknochentransplantation vom
Radius. Erfolg: Transplantat eingeheilt, später Rezidiv, durch Röntgen-
bestrahlung geheilt. — 2. Ersatz der medialen Partie der Mandibula (vor
14 Jahren wegen Osteosarkoms reseziert) durch freie Transplantation
der rechten zehnten Rippe (16 cm). Ausgezeichneter Erfolg.
VI. Freie Gefäßtransplantation bei Payrs Operation des
Hydrocephalus int. Erfolg: Transplantat eingeheilt. Hydrocephalus ge-
bessert. Psychisches Verhalten nur sehr wenig gebessert.
VII. Freie Muskeltransplantation. Bei ischämischer Con-
tractur des M. flexor dig. sublimis und profundus der rechten Hand
wurde der ischämische Muskel nabe dem Uebergang in die Sehnen quer
durchtrennt und die durch Streckung der flektierten Finger entstehende
Lücke durch freie Muskeltransplantation einer Muskelzacke des M, obl.
ext. mit zugehörigem Nerven und des oberen Endes des M. sartorius
(ebenfalls mit Nerven) ausgefüllt. Die Nerven wurden in den Medianus
implantiert. Die Muskeln werden, da die Unterarmfascie geschrumpft,
25. August,
durch freie Fascientransplantation vom Oberschenkel her mit Fascie be-
deckt. Tägliches Faradisieren. Erfolg: Transplantat eingeheilt. Funk-
tioneller Erfolg ausgezeichnet.
Es kommen zwei Möglichkeiten in Frage. Entweder ist der trans-
plantierte Muskel fibrös geworden und bildet einfach eine Verlängerung
des ischämischen Muskels oder der Muskel ist, wie in den Versuchen
von Jores und Schmidt, zum Teil nekrotisch geworden, hat sich aber
teilweise schon wieder regeneriert. Eine gleichzeitige Ulnarisschädigung
hatte nicht vorgelegen; der Flexor sublimis und profundus und die dar-
über gelegene Unterarmfascie waren, wie der Operationsbefund zeigte,
ausgesprochen ischämisch fibrös.
Diskussion: Anschütz bemerkt bezüglich dieses letzten Falles
von ischämischer Muskelcontractur: Ich habe den Patienten Weihnachten
1911 genau angesehen. Er war wegen seiner Ellenbogenfraktur in der
chirurgischen Klinik behandelt und aufgenommen worden. Ich habe da-
mals den Eltern die Prognose relativ günstig gestellt, da ich den Prozeß
im wesentlichen für eine Ulnarislähmung hielt, welche sich, wie häufig
beobachtet, mit einer ischämischen Muskelcontractur kombiniert hatte.
Mir schien die Contractur sowohl wie die Ulnarislähmung leichten
Grades und günstiger Prognose (Entartungsreaktion fehlte). Deswegen
kann ich den Erfolg des operativen Eingriffs nicht so beurteilen wie der
Vortragende. Mir scheint das Resultat bei der Kürze der verflossenen
Zeit ein allzu günstiges zu sein. Die Bewegungen sämtlicher Muskeln
sind so frei und die aller Gelenke so normal, daß ich mir nicht erklären
kann, daß dies durch die Operation an zwei Muskeln allein erreicht
wurde. Man muß den Transplantationen von Muskeln nach bisherigen
Erfahrungen recht skeptisch gegenübertreten, auch wenn, wie hier, außer
Muskeltransplantation zugleich noch der Nerv transplantiert wird.
2. Bange stellt einen Fall von gehellter Leberruptur vor, der
durch seinen Augenbefund bemerkenswert ist. Siebenjähriger Junge, der
am 9. November 1911 auf offener Straße stolperte, hinfiel und mit dem
Bauch auf einen Baumstamm aufschlug. Anfangs nur geringe Eirschei-
nungen, leichte Leibschmerzen, mit einmaligem Erbrechen. Nach 24 Stunden
mit den Erscheinungen einer schweren inneren Blutung eingeliefert.
Schwerer Collaps, wiederholtes Erbrechen. Starke Blässe. Keine Zeichen
von Stauungsblutungen. Puls 144, eben fühlbar, Urin normal. Laps-
rotomie. Kollossale Blutmengen im Abdomen, 10 cm langer Riß im
rechten Leberlappen. Lebernaht. Schluß der Bauchwunde. Der dre
Tage nach der Operation vorgenommene Augenbefund ergab ähnliche
Bilder, wie sie von Tietze (Breslau) in zwei Fällen beschrieben worden
sind. Bei unserem Patienten war das äußere Auge beiderseits normal.
In der Umgebung der leicht verwaschenen Papille befinden sich kleine
weiß bis grau-gelbliche Flecke von Papillengröße und darüber. Die Flocke
sind von rundlicher Form, ziemlich scharf begrenzt. Peripherie voll-
kommen frei, nirgends Blutungen. Aehnliches Bild wie bei Retinitis
albuminurica. Befund an beiden Augen der gleiche. Keine Sehstörungen,
keine Einschränkung des Gesichtsfeldes. —
Mit der Besserung des Allgemeinbefindens, speziell der Anämie,
_ allmählicher Rückgang der Erscheinungen; nach zirka drei Wochen wieder
ganz normale Verhältnisse. Die Nachuntersuchung nach fünf Monaten
ergibt keinerlei Störungen, normalen Augenhintergrund.
Michaud (Kiel).
Berlin. l
Hufelandische Gesellschaft. Sitzung vom 9. Mai.
(Vorsitzender: H. Strauß.)
Koblanck: Die zu prophylaktischen Zwecken vorgeschla-
gene Züchtung der Vaginalkeime und das bei Anwesenheit der
hämolytischen Streptokokken vorgeschlagene exspektative Verhalten ist
zwecklos, da gerade durch das Abwarten die Bakterien, zu denen indes
auch nicht hämolytische. Streptokokken, Staphylokokken, Colibacillen zu
rechnen sind, Zeit haben, in die Gewebe einzudringen. Zur Vermeidung
der Weiterverbreitung der Infektion ist vor allem bei der Ausräumung
die Schonung der Uteruswand wichtig. Zur chirurgischen Behandlung
der puerperslen Sepsis soll durch Laparotomie der Hauptheerd oder das
ganze erkrankte Gebiet entfernt werden. Ä ,
Schmieden empfehlt, für den Ersatz der Nasenflügel die freie
ungestielte Plastik mit der Ohrmuschel nach König. Drei Fälle bei
Cancroid, Trauma und Erfrierung der Nase. Es tritt keine spätere
Schrumpfung und keine Narbenbildung im Gesicht ein.
F. Bleichröder führt zur Heranbringung und Schnell-
wirkung von Medikamenten in konzentrierter Form einen Uretereh-
katheter hoch in die Venen beziehungsweise Arterien, durch den
das Mittel, und zwar bis zu dem betreffenden Gefäßast, eingebracht wird.
Die Möglichkeit der Methode konstatierte er an sich und andern Per-
sonen. Bei puerperaler Sepsis erwies sich die Injektion von Collargol
als erfolglos. Durch einen an dem Ende des Katheters befindlichen auf-
” [u E B E OAO
w
25. August.
blasbaren Ballon konnte er den Arterienpuls aufheben, das Gefäßrohr
abschließen. |
Ernst Unger: An den im gespannten Dampfe sterilisierten
Kathetern dürfen bei ihrer Einführung in die Blutbahn keine Chemi-
kalien haften. Er konnte bei Menschen ohne technische Schwierigkeiten
das Rohr in Lokalanästhesie in die Venen des Handrückens beziehungs-
Für die Arterien findet man in der
man vielen Arterien an beliebiger Stelle ein Medikament einverleiben
und dieses direkt in möglichster Konzentration einem bestimmtem Be-
Uterus, bei Metritiden bezüglich des
den Ovarien, dann wird die Periode günstig beeinflußt, sonst sind andere
Prozeduren notwendig. Uebereinstimmend
Endometritis mit und ohne Blutung, Fluor,
ämischen, bei Bauchfelltuberkulose erzielt. Die bei jüngeren Frauen zu befürch-
tende Gefahr der Sterilisation ist gleich Null; denn um bei jenen eine
dauernde Schädigung herbeizuführen, gehören dazu, wie auch schon die Tier-
versuche zeigen, ganz kolossale Dosen, die zu verabreichen wir praktisch
überhaupt gar
herbeizuführen gelingt allerdings und
zur Anwendung anempfohlene Zahl
groß; man braucht über 25 bis 30 Dosen nicht hinsuszugehen, da sonst
1409
unkontrollierbare Schädigungen in der Tiefe entstehen. Die Strahlen sind
nie allein ohne Gynäkologen zu verwenden.
Die Strahlen
leiden, deren Grundursache in einer übermäßigen Arbeit, in einem zu
daß die Zuckerausscheidung entweder gar nicht oder viel weniger an-
großen Menge von Hafer- oder
fest. Dagegen fand sich die Gallenblase vergrößert und Colibakterien
enthaltend. Also totaler Gastrospasmus bei Cholecystitis.
Strauß: Bei Leuten,
die an Gallensteinkolik leiden, Fieber haben und über linksseitigen
Schmerz klagen, soll man an Pankreasinfektion (akute oder chronische)
denken,
Cobliner demonstriert einen Fall von Careinom de Fiexura
sigmoldea, das durch Zug die ganze Flexur i
täglich zirka 15 mal auftretende Stuhlentleerungen von fleischwasser-
farbener Flüssigkeit,
Rundschau.
Redigiert von Dr, Erwin Franck, Berlin.
Geschichte der Medizin.
—_— I [77 0 HOUIZIN.
Vor hundert Jahren.
Die ärztlichen Heroen der napoleonischen Epoche
von
Dr. Iwan Bloch, Charlottenburg.
IU.
- Als der auch in Deutschland bekannteste ärztliche Repräsentant
der Napoleonischen Aera kann der berühmte Corvisart (1755—1821) be-
zeichnet werden, dessen Popularität in dreifacher Weise begründet ist:
s Loibarzt des Kaisers, als Begründer und Leiter der ersten modernen
‚als Wiederentdecker der Perkussion, dessen überragende Bedeutung
schon allein durch die Tatsache zum Ausdruck gebracht wird, daß Männer
me Cuvier, Dupuytren und Pariset seine Biographie schrieben, und
aus seiner Schule ein Bayle und Laënnec hervorgingen. Corvi-
sart war einer der genialsten Diagnostiker aller Zeiten, mit jenem in-
tuitiven Blicke begabt, wie ihn später vielleicht nur Oppolzer wieder
ezeigt hat und den er nach seinem eignen Bekenntnis der methodischen
Ausdildung seiner Sinnesorgane verdankt, deren gegenseitige Unterstützung
ihm für die Prüfang und Berichtigung der Diagnose unerläßlich erschien.
Us berühmteg Beispiel für seinen diagnostischen Scharfbliok führt man
> Aeußerung an, die er einst vor einem Gemälde tat: „Si le peintre a
ót exact, l'original de co portrait est mort d'une maladie de coeur.“ Der
Po tierte starb in der Tat an einer Herzkrankheit. „Oftmals,“ sagt Du-
Puytr OD, „haben wir ihn mit einer ans Wunderbare grenzenden Genauig-
keit die Natur, den Sitz und beinahe bis auf die Linie den Grad der
“noge der Ostion und der ‚großen Gefäße bezeichnen sehen“. Auch
‚ 2eigte Corvisart Aehnlichkeit mit Oppolzer, daß er niemals
„Sendeiner Vorbereitung für seine klinischen Vorträge und Untersuchungen
durfte, Je voux en parlant me sentir à l'aise, la contrainte d'une
Préparation me gône;. elle éteint ma verve, elle m’öte toute liberté.“ Da-
. trugen seine Vorträge und Diagnosen ganz den Charakter der ge-
zalen Mprovisation und der künstlerischen Intuition, ohne daß sie im
Eoringaten der oxakten Grundlage entbehrten. Denn Corvi-
Att gebührt der Ruhm, seit dem Jahre 1794 dje erste wirkliche „Klinik
im modernen naturwissenschaftlichen Sinne des Wortes geleitet zu haben,
in der
hang zu bringen,
orvisarts Klinik
sagt sein Biograph Pariset,
Ueberhaupt kam neben der Praxis die Theorie in C
nicht zu kurz. „Daher die Erscheinung“,
„daß seine Schüler, welche in den Morgenstunden seiner Praxis in der
Klinik beiwohnten, nachher nie zu versäumen pflegten, ins Collège de
France sich zu begeben, um die Gründe seines Verfahrens entwickeln zu
hören. Dort lehrte er sie seine eignen Beobachtungen, welche auch die
ihrigen seien, mit den Beobachtungen der großen Meister in der Wissen-
schaft zusammen zu stellen, und so die Theorie durch die Erfahrung
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1410 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 84.
_ 25. August.
und die Erfahrung durch die Theorie anschaulich zu machen und, zu be-
reichern.“ | |
Als Corvisart 1806 erster Leibarzt des Kaisers und Baron des
Kaiserreichs wurde, mußte er den klinischen Unterricht aufgeben. Bei
aller Treue, die er Napoléon auch nach seinem Sturze hielt, wahrte er
dem Kaiser gegenüber stets seine Selbständigkeit und seinen Freimut.
„Er ist ein braver und geschickter Mann, aber ein wenig brüsk‘ urteilt
Napoléon über ihn. Unter der Restauration wollte Corvisart kein Amt
mehr annehmen. Er starb im gleichen Jahre wie sein vergötterter Kaiser
(1821) an einem Herzleiden. | |
Unter den ärztlichen Persönlichkeiten, die gerade vor hundert
Jahren eine bedeutende Rolle am napoleonischen Hofe spielten, muß neben
Corvisart vor allen der Baron Antoine Dubois (1756—1837) genannt
werden, Professor der Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe, der be-
rühmte „Accoucheur der Kaiserin“, allgemein bekannt durch seine bei
der Geburt des Königs von Rom (20. März 1811) bewiesene Kaltblütigkeit.
Er war ein kleiner, frühzeitig kahler Mann von ansprechender, belebter
und geistreicher Physiognomie, der sein ganzes Leben hindurch dasselbe
Kostüm trug: einen Frack mit breiten Schößen, eine Weste von republi-
kanischem Schnitt, eng anliegende Hosen, Halbstiefel mit Sammtleisten.
„Mein Kostüm“, sagte er, „sucht niemals die Mode, aber die Mode sucht
manchmal mein Kostüm.“ Dubois war ein gewandter Chirurg, seine
chirurgische Klinik wurde von den Kranken und den Studenten sehr be-
sucht. Als Boyer zum ersten Chirurgen Napoléons ernannt wurde,
sagte Dubois eines Tages zu Corvisart: „Warum hattest du mich
nicht auf deine Liste gesetzt? Hatte ich nicht so gut wie Boyer das
Zeug zu einem ersten Chirurgen in mir?“ — „Ich habe dich nicht auf meine
Liste gesetzt“, antwortete Corvisart, „weil ich der Herr sein wollte.“
Nach dem Tode Baudeloques jedoch und auf Gorvisarts dringende
Vorstellungen ernannte der Kaiser Dubois zum Accoucheur der Kaiserin.
Auf dem Höhepunke seiner Wirksamkeit war in diesen Jahren auch
der berühmte Chirurg und Gynäkologe J. C. A. Récamier (1774-1856),
seit 1801 Professor am Hötel-Dieu, ein außerordentlich tüchtiger
Lehrer und geschiekter Operateur. Er ist vor allem bekannt durch die
Wiedereinführung und häufige Anwendung des Speculum vaginae und
durch die von ihm vorgenommenen Totalezstirpationen des Uterus. Er
war einer der kühnsten und glücklichsten Operateure aller Zeiten, der
„nicht bloß den Krankheiten, sondern dem Tode selbst Schlachten lieferte.“
In den verzweifeltsten Krankheitsfällen „setzte er alles aufs Spiel, selbst
seine persönlichen Interessen; er bekümmerte sich weder um seine Ver-
antwortlichkeit, noch um seinen Ruf.“ (V$ron.) Dabei war Röcamier
eine edle Natur, der zehnte Teil seiner Einnahmen gehörte den
Armen. In seinem „Eloge de Röcamier“ erzählt Gourand die folgende
Geschichte: R&camier besuchte eine arme Frau. Er war bis in die
Mansarde hinaufgestiogen und kam .müde und keuchend oben an. Die
Aermste bittet wegen ihres Elends und der Höhe des Stockwerks um
Entschuldigung. „Es ist wahr“, sagt der gute Doktor, „es ist sehr hoch;
ich kann nicht mehr.“ Neue Entschuldigungen, neue Verlegenheit.
„Wissen Sie auch“, fügt er hinzu, „daß dies wohl zehn Franken wert
ist? Für weniger steige ich nicht so hoch“, und er läßt zehn Franken
in die Hand der armen Alten gleiten.
Auch Röcamier basierte seine wagemutige Therapeutik auf eine
. sehr genaue Diagnose. „Man sieht ihn auch häufig die Auenbrugger-
sche Perkussion und Laönnecs Sthetoskop anwenden“, berichtet
J. L. Casper über ihn aus dem Jahre 1820 („Charakteristik der franzö-
sischen Medizin“, Leipzig 1822, S. 152) !).
Wir schließen unsere Centenarskizze mit dem Hinweis auf einen
Helden der Medizin, der gerade im Jahre 1812 seine eigentliche Ruhmes-
laufbahn als erster Wundarzt des Hötel-Dieu begann, mit der Erinnerung
an Guillaume Dupuytren (1777—1835), dessen Erscheinung und geniale
Operationskunst uns durch so viele zeitgenössische ärztliche Schilderungen
(wie z. B. durch die kürzlich zum ersten Male veröffentlichten Erinne-
rungen Pagenstechers) geläufig sind.
„Ein Mann“, heißt es in der begeisterten Schilderung V6rons,
„ein Mann aus diesem Jahrhundert hat sich die höchste Stellung in der
Wissenschaft zu verschaffen, seinem Namen in Frankreich und in Europa
einen dauernden geschichtlichen Nachhall zu geben gewußt, indem er
mehr als 30 Jahre hindurch tagtäglich morgens um sechs Uhr die
Treppen des Hötel-Dieu hinanstieg, indem er abends sechs Uhr die-
selben Treppen hinanstieg, indem er jedem Krankenbette die
Schätze seiner Gelehrsamkeit und Erfahrung zubrachte, indem er, mit
dem Eisen oder dem Feuer in der Hand, Wunder von ‚Geschicklichkeit,
Kühnheit, Geistesgegenwart, Seelenstärke verrichtete, indem er untätig
gewordene Organe durch künstliche Organe ersetzte, indem er in den
unzugänglichsten Höhlen des menschlichen Körpers die letzten Wurzeln
1) Vgl. hierzu Dr. Alex Pagenstecher: „Ein Vortrag Laönnecs“.
(Med. Kl. 1912, Nr. 29.)
eines eingedrungenen zerstörenden Uebels: verfolgte, indem er sodann mit
ergreifender Wahrheit im Tone, mit sonniger Klarheit vor einer unermeß-
lichen Menge von Schülern, die mit religiöser Aufmerksamkeit dem Worte
des Meisters lauschten, in großen Zügen die gedrängte Geschichte jedes
Kranker, jeder Krankheit entwarf und aufs genaueste selbst die kleinsten
Einzelheiten seines Operationsverfahrens beschrieb, ob er nun dieses
lange überlegt oder genial vor unerwarteten Gefahren improvisiert hatte.
Dieser Mann ist Dupuytren.“ | ;
Wenn in der napoleonischen Aera Frankreich die Welt beherrscht
kat, so war Dupuytren der am meisten typische Repräsentant der
Herrschaft der französischen Medizin in dieser Epoche. Der damals
35jährige Mann versammelte, wie Job. Ludwig Casper aus eigner
Anschauung berichtet, täglich außer Hunderten von französischen Schülern
eine Menge von deutschen, englischen, italienischen, spanischen, russischen,
schwedischen, selbst griechischen und amerikanischen Aerzten in seinem
Lehrsaal um sich, im ganzen etwa 38—400 Zuhörer aller Nationen.
Er fühlte sich in Wahrheit als ärztlicher Napoléon, als den Qipfelpunkt
und die Vollendung dieser vielleicht herrlichsten Epoche der französischen
Medizin. nn
Reisebriefe.
Studienreise eines deutschen Chirurgen nach den
Vereinigten Staaten
von
Dr. Liek, Danzig.
II,
Vorbildlich, wie die gute Asepsis, die man, wie gesagt, in großen
und kleinen Hospitälern, Privatkliniken usw. durchweg antrifft, sind auch
die Narkosen. Wie in England liegt die Narkose in den Händen von
Aerzten oder Schwestern, die das Narkotisieren zu ihrem Lebensberufe
‚gemacht und durch langjährige Uebung wirklich eine gewisse Meister-
schaft darin erlangt haben. So hat z. B. die Dame, die bei den Ope-
rationen W. Mayos narkotisiert, bereits an 20000 Aethernarkosen ohne
Todesfall ausgeführt! Für unsere Begriffe ist die ruhige gute Leitung
der Narkose bei sparsamstem Gebrauche des Narkotikums um so mehr
zu bewundern, als das Auge zur Kontrolle nicht benutzt wird.
Regelmäßig wird vor Beginn der Narkose die Umgebung der Augen mit
Vaselino bestrichen und dann die Augen mit Guttapercha wasserdicht
zugedeckt. Beobachtung von Atmung und Puls muß dem Nar-
kotiseur genügen. Als Narkotikum dient fast ausschließlich Aether,
kaum je wird Chloroform benutzt, das man für gefährlich hält, gelegent-
lich mal wenige Tropfen als Einleitung der Narkose. Injektionen von
Scopolamin, Pantopon usw. vor der Narkose werden auch nur von ver-
einzelten Chirurgen angewandt. |
Wenig verbreitet ist die Medullaranästhesie, Unter mehreren
Hundert Operationen sah ich sie nur einmal in Boston bei einer Herni-
otomie (alter Mann mit Bronchitis und Arteriosklerose). Das die Aether-
narkose als ungefährlich gilt und geübte Narkotiseure überall vorhanden
sind, wird auch von der Lokalanästhesie wenig Gebrauch gemacht. Man
sieht alle Arten der Aethernarkose, von der einfachen Aethertropf-
narkose, z. B. bei Ochsner und den Mayos, bis zu den komplizierte-
sten Apparaten nach Art unseres Roth-Dräger. Die Sauerstoffmisch-
narkose wird auch vielfach angewandt. Sehr sehenswert sind auch die
mit riesigen Kosten (ich hörte 60000 Dollars) erbauten mustergültigen
Anlagen für Ueberdruck- und Unterdruckverfahren im deutschen
Hospital in New York (Dr. W. Meyer). Eine gewichtige Konkurrenz ist
diesem Verfahren in der von Meltzer angegebenen Insufflations-
narkose erwachsen, die einfach und von ausgezeichneter Wirkung ist.
Was in amerikanischen Kliniken den Zuschauer bei Operationen
aufs angenehmste berührt, ist die vorbildliche, außerordentliche Ruhe
des Operateurs. Auch in der schwierigsten Situation fällt kein er-
regtes Wort, nirgends und niemals werden Assistent, Narkotiseur oder
Schwester als Blitzableiter für die Nervenspannung benutzt! Brewer hat
sogar versucht, im Öperationssaale das gesprochene Wort überhaupt aus-
zuschalten und durch eine leicht verständliche Zeichensprache zu ersetzen!
Auch drüben fällt auf, wie gerade die besten und erfolgreichsten
Chirurgen, z. B. Blake, Ochsner, die Mayos, mit relativ einfachem
Apparat sowie mit wenigen unkomplizierten Instrumenten arbeiten. Das
Schnelloperieren ist durchaus nichts specifisch Amerikani-
sches. Gewiß gibt es auch drüben Chirurgen, die bei aller Sicherheit
und Eleganz sehr schnell operieren, z. B. Deaver, Ochaner, die Mayos.
Daneben finden sich aber auch Operateure, wie die der Halsted-Schule,
die prinzipiell langsam operieren. So operiert z. B. Cushing, der
_ berühmte Hirnchirurg, außerordentlich penibel und sorgfältig, seine Ope-
rationen dauern aber auch Stunden. en
Interessant ist es auch, zu sehen, wie manche unserer chirurgi-
‚ schen Maßnahmen, von deren Wert wir fest überzeugt sind, anderswo
ý a č — — — o č O ë A FA m. Z
25. August.
nicht in gleicher Weise geschätzt werden. Zum Beispiel lehnen die
Amerikaner bei Extremitätenoperationen die Esmarchsche Blutleere
ab, aus Furcht vor Nervenlähmung und vor Nachblutung.
i Die Schnittführung bei Bauchoperationen schont, wie bei uns, sorg-
fältig die Nerven- und Muskelfasern. Die meisten Chirurgen bevorzugen
Schnitte, die eine gute Uebersicht gewährleisten. Sehr beliebt für die zahl-
reichen Explorativlaparotomien, z. B. bei chronischer Appendicitis, ist eine
Incision durch den rechten Rectus (straight incision), zu hoch für
eine typische Appendixoperation, zu tief für eine Gallensteinoperation.
Dieser Schnitt erlaubt aber außer Appendix und Coecum die Gallenwege,
Magen und Duodenum zu besichtigen sowie den übrigen Bauchinhalt durch
die eingeführte Hand abzutasten. Er erscheint mir in vielen Fällen deshalb
vorteilhafter als der in letzter Zeit für die Operation der chronischen
Appendieitis bei Frauen empfohlene Pfannenstielsche Fascienquer-
schnitt. Die prinzipielle Untersuchung von Gallenwegen und Duodenum
ist in solchen Fällen sicher von größtem Vorteil; sie würde auch bei uns
öfter erkennen lassen, daß statt der chronischen Appendicitis ein Gallen-
stein oder ein Ulcus duodeni vorliegt.
Was auffällt und unsern Anschauungen nicht entspricht, ist die
Sorglosigkeit, mit der man ausgedehnte Muskelflächen während der Ope-
ration unbedeckt läßt, ferner das viele Wischen und Spülen der Wunde
mit Kochsalzlösung, Sublimat usw. Ueberall wird auch reichlich Ge-
brauch von der Saugung gemacht, so bei Ascites, perityphlitischen
Abcessen, Empyem. Die Saugung wird entweder durch Anschluß an ein
allgemeines Vakuumsystem oder in einfachster Weise durch Anschluß
an eine Wasserleitung (Wasserstrahlpumpe) bewirkt. Verlassen ist die
Gazetamponade, z. B. bei Galiensteinoperationen, eitriger Blinddarm-
entzündung. Gummidrains und hauptsächlich Zigarettendrains in den
verschiedensten Modifikationen werden dagegen viel angewandt. Auch
hier schien mir manches nachahmungswert.
Bei Cushing (Baltimore) sah ich eine Freilegung des Gan-
glion Gasseri mit Resektion des zweiten Astes und die Operation eines
Kleinhirntumors; Young, der bekannte Urologe in Baltimore, machte
in meiner Gegenwart eine schwierige Nephrektomie wegen Hypernephroms
und eine Kastration, Murphy (Presbyterien-Hospital, Chicago) eine aus-
gezeichnete Kniegelenksplastik bei einem 27 jährigen Mädchen mit totaler
knöcherner Ankylose.
Mit das Meiste und Beste verdanke ich Ochsner. In seinem
Augustanahospital (Chicago) sieht man viel und ganz ausgezeich-
nete Chirurgie. Um einen Begriff von der Leistungsfähigkeit der ameri-
kanischen Chirurgen zu geben, führe ich die Operationen, die ich im Laufe
eines Vormittags (5!/2 Stunden) von Ochsner ausgeführt sah: Drei
chronische Appendicitiden, davon eine mit gleichzeitiger Uteruskurettage
und Tubenresektion, eine akute Appendicitis, die Resektion eines Car-
Cinoms der Flexur, eine Mammaamputation wegen Careinom nach Roch-
mann, eine perineale Prostatektomie, Varicocele, Dermoid der Stirn, Hä-
morrhoiden, Exkochleation und Kauterisation (mit Lötkolben!) eines in-
_ operablen Uteruscareinoms, daneben noch mehrere Narkosenuntersuchungen,
Kollargolinjektionen, Giuteinverbände usw. Zwischen den Operationen
machte Ochsner Visite durch sein schön eingerichtetes Hospital und gab
mir Gelegenheit, sein großes operatives Material, seine Nachbehandlung
usw. kennen zu lernen. Gerade dem deutschen Besucher möchte ich daher
die Klinik von Ochsner, der deutscher Herkunft und Schüler von Guss on-
bauer ist, ganz besonders empfehlen. |
Ein Hauptanziehungspunkt der amerikanischen Chirurgie ist heute
Rochester (Minnesota). Die Brüder Mayo und ihre Klinik, das St. Mary-
Hospital, sind so weltberühmt, daß es sich erübrigt, den schon vorhandenen
Berichten etwas hinzuzufügen. Hier nur einige Zahlen! Im Jahre 1911 haben
die Mayos (es handelt sich wohlgemerkt um Privatpatienten!) 4226 ab-
dominale Operationen ausgeführt, darunter 680 Gallensteinoperationen,
1197 Operationen wegen Appendicitis, 15% wegen Duodenalulcus. Ferner
1047 Kropfoperationen (darunter 293 mal Basedow), 90 Prostatekto-
mien usw.! Ich sah an vier Tagen 96 Operationen, darunter nicht
weniger als 47 Laparotomien. Dank einer ausgezeichneten Asepsis, dank
der raschen und sorgfältigen Technik sind auch die Resultate hier ganz
ausgezeichnet. So betrug die Mortalität bei den 4226 Abdominalopera-
tionen des Jahres 1911 2,10/0, bei den eigentlichen Laparotomien 1,7%,
bei den Laparotomien wegen nicht maligner Erkrankungen nur 1,2 °/o.
Von 573 Kropfoperationen (darunter elf Carcinome) ging nur ein Kranker
zugrunde, von weiteren 293 wegen Basedow operierten nur sechs. Gewib
hat Kehr nicht ganz Unrecht, wenn er in einer der letzten Sitzungen
des Berliner Vereins für innere Medizin (18. März 1912) diese glänzenden
Zahlen, die unsere Resultate weit übertreffen, darauf zurückführt, daß
die Mayos viele Frühoperstionen machen. Auch ich sah z. B. unter
3 Gallensteinoperationen (an vier Tagen!) eine Anzahl von Fällen, die
bei uns schwerlich operiert worden wären. Zum größten Teil liegt das
doch wohl am Patienten selbst. Der Amerikaner, als geborener Optimist,
trägt eben lieber das Risiko einer Operation als eine Latenzperiode, deren
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34. | 1411
nicht voraaszusehende Unterbrechung ihn jederzeit plötzlich aus seiner
Arbeit herausreißen kann. |
Ein weiterer Grund der guten Resultate ist der, daß die Mayos
in ihrem abgelegenen, kleinen Rochester (7000 Einwohner) sehr wenig
schwere akute Fälle (Ileus, Peritonitis) operieren, daB ihr Material vor-
wiegend aus chronischen Fällen (dry cases) besteht.
Interessant war mir, von W. Mayo zu hören, daß er in 15 0/0
seiner Gallensteinoperationen keinen Stein findet. Ich sah unter 19 Ope-
rationen fünf derartige Fälle. Selbst wenn die Gallenblase normal aus-
sieht, desgleichen die punktierte Galle, macht Mayo die Cholecystostomie,
um die Galle eine Zeitlang abzuleiten.
Vorbildlich ist auch die glänzende Organisation bei den Mayos,
Sie ist notwendig, um das kolossal zuströmende Material zu bewältigen.
Täglich kommen 100-150 neue Patienten. Ich brauche nicht hervor-
zuheben, daß auch alle diagnostischen Methoden dabei ausgiebigst zur An-
wendung gelangen. Zur Bewältigung des riesigen Materials steht ein
Stab von 46 Aerzten zur Verfügung. Großzügig und absolut auf der Höhe
ist eben alles, was man in Rochester zu sehen bekommt: Chirurgie,
pathologische Anatomie, Diagnostik, Röntgenologie. Aehnlich wie bei
Ochsner sind auch hier von überall ber die besten Methoden gesammet
und erprobt.
Aerztliche Tagesfragen.
Geh. Sanitätsrat Dr. Ludwig Aschoff +.
Am ii. August dieses Jahres verstarb im 74. Lebensjahr der
Geh. Sanitätsrat Dr. Ludwig Aschoff, der fast 50 Jahre lang im
Südwesten von Berlin eine umfangreiche Tätigkeit als praktischer Arz
ausübte. Mit dem Verstorbenen ist wieder einer der Aerzte der alten
Generation dahingegangen, die durch das Hausarztverhältnis mit ihrer
Klientel auf das engste verwachsen waren und vielen Familien in mehr
als einer Generation als ärztlich beratend zur Seite standen.
Als junger Arzt aus Westfalen kommend, ließ sich Aschoff zu
Beginn der 60er Jahre am Belle-Alliance-Platz nieder und wohnte hier
bis zu seinem Tode. An den Kriegen 1866 und 1870/71 nahm er als
Arzt teil und hat sich außerdem gelegentlich der damals auftretenden
schweren Choleraepidemien aufopfernd betätigt. In den letzten Jahren
seines Lebens mußte er eines zunehmenden Asthmaleidens wegen sich
mehr und mehr von der Praxis zurückziehen.-
Bescheiden und liebenswürdig in seinem Wesen, war Aschoff un-
ermüdlich für seine Kranken tätig und jederzeit bei Tag und bei Nacht
zu ihrer Hilfe bereit; die Versorgung der Kranken galt ihm als
die höchste Pflicht, an sich selbst dachte er erst zuletzt und kannte für
sich trotz seines Leidens keine Schonung. Lag -anscheinend ein Fall
nicht klar, so scheute er nicht wiederholte tägliche Besuche, auch wenn
sie ihn in den vierten Stock des Hinterhauses führten, bis er durch
immer erneute Beobachtung die zutreffende Diagnose gestellt hatte. Eine
besonders reiche Erfahrung stand ihm als Kinderarzt zur Seite und hier
speziell war es die Behandlung und Ernährung der Säuglinge, in deneh
er dank seiner Kenntnisse und scharfen Beobachtungsgabe, nicht selten
im Kampf gegen den Unverstand der Mütter und Großmütter, hervor-
ragende Erfolge erzielte Ein besonderes Fach der Medizin bevorzugte
Aschoff nicht, sein Streben und sein Stolz ist es stets geblieben, all-
gemeine Praxis zu treiben, den einzelnen Fall aus der Beschaffen-
heit des ganzen Organismus und aus den individuellen Lebensverhält-
nissen heraus zu beurteilen. Nicht das schien ihm die höchste und
schwerste Kunst seines Berufs, eine Krankheit richtig zu erkennen,
sondern die unheilbaren Kranken zu trösten und ihnen ihr schweres
Schicksal nach Möglichkeit tragen zu helfen, eine Auffassung, die ihm
bei seinem aufrichtigen Mitgefühl manche schwere Stunde bereitete.
Seinen Kranken war er aber nicht nur der helfende Arzt, er war
ihnen Freund und Berater in mancher Lebensnot. Dafür erwarb er sich
das unbedingte Vertrauen und die herzliche Liebe und Anhänglichkeit
seiner zahlreichen Patienten. Trotz dieser angestrengten Tätigkeit, die
den Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend ausfüllte, fand
Aschoff auch die Zeit, sich fortzubilden und wissenschaftlich stets auf
der Höhe zu bleiben. Skeptisch veranlagt und zu sachlicher Kritik
neigend, lag ihm Vieltuerei fern; sein oberster Grundsatz für alle ärzt-
lichen Maßnahmen blieb der: dem Kranken, der sich ihm anvertraute,
nicht zu schaden.
Aeußere Erfolge und äußerer Lohn haben auf seine Tätigkeit nie-
mals ihren Einfluß geltend gemacht; es durfte der Arme, gleich dem
Begüterten, stets auf seine Hilfe rechnen. Aschoff war es ein inneres
Bedürfnis, den Kranken zu helfen; ihr Vertrauen und ihre Liebe, die
ihm in reichstem Maße zuteil wurden, bildeten für ihn das schönste Ent-
golt für seine aufreibende, selbstlose Tätigkeit. Wer, wie Verfasser, das
Glück gehabt hat, dem trefflichen Mann als Assistent persönlich näher-
zutreten, dem gab er in reichem Maße aus dem Schatze seiner großen
1412 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 34,
25. August.
Erfahrung, und aus dem Lehrer wurde der Freund, der auch weiterhin
an dem Wohlergehen seines Schülers lebhaften und tätigen Anteil nahm,
An seiner Bahre trauern mit der treuen Lebensgefährtin, zwei
Söhnen und einer Tochter, die Freunde der Familie und eine große Zahl
dankbarer Patienten.
Aschoffs Leben, so reich an Mühe und Arbeit und in treuer
Pflichterfüllung ganz dem Wohle der Kranken gewidmet, gibt uns ein
leuchtendes Vorbild, seine Persönlichkeit wird als die eines allezeit
selbstlosen, aufrechten Mannes in unserer Erinnerung fortieben.
Dr. Victor Schneider (Britz b. Berlin).
Kleine Mitteilungen.
{Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. An der Kaiser- Wilhelm-Akademie sollen vom
` Wintersemester ab zum erstenmal Fortbildungskurse für Tropen-
krankheiten abgehalten werden. Es wird darin besonderes Gewicht
auf die Aetiologie und Diagnose der gefährlichsten tropischen Krank-
heiten, wie Malaria, Schwarzwasserfieber, Schlafkrankheit, Pocken und
Pest gelegt werden. Weiterhin sollen die zweckmäßige Bekämpfung der
Krankheitsherde, sowie die Vorbedingungen zur Durchführung der Abson-
derungen von Farbigen und Ansteckungsgefährdeten eingehender behandelt
werden. Zu den Kursen sind Studierende nach erfolgter Ablegung des
Physikums zuzulassen. Für bereits im Dienst befindliche Militärärzte
und Angehörige der Schutztruppe werden jährlich einmal vierwöchent-
liche Ferienkurse abgehalten. Nach einer Verfügung des Kriegsministers
ist den Sanitätsoffizieren der Armee beziehungsweise der Schutztruppe
hierzu ein entsprechender Urlaub zu gewähren.
Die 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und
Aerzte findet vom 15. bis 21. September in Münster i. W. statt. Es
sind im ganzen 33 Fachabteilungen vorgesehen, von denen 19 auf die
Medizin entfallen. In den allgemeinen Versammlungen und der Gesamt-
sitzung beider Hauptgruppen werden Vorträge halten: Czerny: Die
nichtoperative Behandlung der Geschwülste, Becher: Leben und Be-
seelung, Arco: Drahtlose Telegraphie, Nernst: Zur neuen Entwicklung
der Thermodynamik, Sarasin: Ueber den gegenwärtigen Stand des Welt-
naturschutzes, Küttner: Moderne Kriegschirurgie, Correns und Gold-
schmidt: Vererbung und Bestimmung des Geschlechts, Staub: Be-
deutung der Zeilmembran für die Wirkung chemischer Substanzen. In
den Gesamtsitzungen der medizinischen Hauptgruppe werden sprechen:
Kolle: Ueber die neueren Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der
Serumtherapie, Rolly: Ueber die Nutzanwendung der neueren Forschungs-
ergebnisse auf dem Gebiete der Serumtherapie in der Praxis, Miessner:
Praktische Erfolge der Sorumtherapie in der Veterinärmedizin, Klemen-
siewicz: Ueber die physiologischen Grundlagen für den normalen und
pathologischen Flüssigkeitsverkehr und die Ansammlung von Flüssigkeit
in Geweben und Hohlräumen, Lubarsch: Pathologische Morphologie
und Physiologie des Oedems, Ziegler: Das Oedem in seiner Bedeutung
für die Klinik, Jolles: Kleine Beiträge zur Methodik der Harnunter-
suchung, Beth: Leibniz’ Anschauung der organischen Entwicklung,
Kohner: Ueber Physiologie menschlicher Arbeit und zur physiologischen
Anatomie des Gehörorgans, Raubitschek: Zur Frage der fäkalen Aus-
scheidung körperfremder Bakterien, Nobel und Hecht: Elektrokardio-
graphische Studien der Narkose, Knapp: Thema vorbehalten, Moro:
Molke und Zelle, Schick: Diphtherieintracutanreaktion, v. Pirquet:
Der Dachgarten der Wiener Kinderklinik als heliotherapeutische Station,
Urbantschitsch: Pyämie und Sepsis, Schiff und Haberda: Thema
vorbehalten, Mugdan: .Das Versicherungsgesetz für Angestellte,
Knepper: Aerztliche Begutachtung und das Heilverfahren in der Inva-
lidenversicherung nach der RVO., und Rumpf: Emphysem und Unfall.
Im nächsten Jahre soll diese Versammlung in Wien tagen.
Berlin. Durch Prof. Dr. Otto Hesse inSaarbrücken ausgeführte
wertvolle Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Gesundheits-
zustand der Schüler unserer höheren Lehranstalten. Es ergibt
sich hieraus, daß die Befreiungen vom Turnunterricht, von denen die vorge-
nannte Arbeit ausgeht, an allen preußischen höheren Schulen zunehmen.
Von je 1000 Schülern turnen 119 entweder gar nicht oder nicht regel-
mäßig. Befreit vom Turnunterricht sind von je 1000 Schülern 93, und
zwar vom Gymnasium 108, vom Realgymnasium 94 und von der Real-
schule 74. Fast jeder Schüler hat demnach einen körperlichen Fehler,
der ihn am Tarnen hindert. Nach Hesse ist diese Erscheinung durch-
‘aus nicht mit einer zu großen Bereitwilligkeit der Aerzte bei Ausstellung
‚von Attesten zu erklären, sondern sie beruht zum größten Teile auf
wirklich vorliegende Gesundheitsstörungen der Schüler. Die Ueberbür-
dung der Schüler auf den Gymnasien, die man hierfür verantwortlich
machen muß. findet ihre Begründung aber nicht im Lehrplan der Schule,
dessen Anforderungen schon lange so herabgemindert sind, daß eine
weitere Verringerung nicht angängig erscheint. Solche schlechten ge-
'sundheitlichen Verhältnisse der Schüler schaffen vielmehr einzig die
Eltern, die zum Teil aus Ehrgeiz ihre Kinder Lehranstalten zuführen,
denen sie ihrer ganzen geistigen Entwicklung nach nicht gewachsen sind.
Berlin. Prof. H. Strauß hierselbst erhielt von der New York
Post-Graduate Medical School and Hospital eine Aufforderung, eine Reihe
von Vorlesungen dortselbst abzuhalten und wird derselben auch Folge
leisten.
— Ein Hauptausschuß, der sich in Berlin gebildet hat, wird
Fortbildungskurse für Apotheker einrichten. Die Kurse und Vor-
träge sollen Gelegenheit bieten, die Kenntnisse nach den Fortschritten
der Wissenschaft und der pharmazeutischen Praxis zu ergänzen. Be-
sonders gilt dies für die Untersuchung und Beurteilung von Arznei-
mitteln, Nahrungs- und Genußmitteln, ferner die Methodik physiologi-
scher, biologischer und toxikologischer Prüfungen. Zu dem Hauptaus-
schuß ordnen je ein Mitglied die Minister des Innern und der Unter-
richtsangelegenheiten, der Apothekerkammerausschuß, der Deutsche Apo-
thekerverein, die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft usw. ab. Den
Ehrenvorsitz hat Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner übernommen.
Vorsitzender wurde der Direktor des Pharmazeutischen Instituts der Uni-
versität Berlin Prof. Dr. Thoms. Der Minister des Innern hat eine Bei-
hilfe von 500 M gewährt. m i
Nürnberg. Dr. J. Neuberger, Oberarzt am städt. Krankenhaus,
ein bekannter Vorkämpfer auf dem Gebiete unseres Standeslebens, ist am
8. August plötzlich am Herzschlage gestorben.
. Pontresina. Hierselbst wurde feierlich eine Gedenktafel für
Ernst v. Leyden enthüllt, welcher Jahrzehnte hindurch diesen Kurort
alljährlich aufzusuchen pflegte.
München. Herbstferienkurse für Aerzte werden an der
Universität München vom 16. September bis 12. Oktober abgehalten.
Auskunft erteilt Prof. Grashey, Chirurgische Klinik.
Im Verlage von Urban & Schwarzenberg in Berlin und Wien
erschien soeben „Ophthalmoskopische Diagnostik an -der
Hand typischer Augenhintergrundbilder“ von dem Assistenten
an der Universitäts-Augenklinik in Berlin, Priv.-Doz. Dr. Kurt Adam.
Das für praktische Aerzte und auch für Studierende bestimmte
Buch wurde vom Verfasser dem Andenken Julius von Michels ge-
widmet. Dem Gedankengange seines großen Meisters folgend, rückt A.
in ihm die Beziehung von Augen- und Allgemeinleiden in den Vorder-
grund. Das Wesentliche in seinem Buch ist, wie schon der Titel an-
deutet, die systematische Andeutung zur Diagnosenstellung. Diese findet
in der mustergültigen bildlichen Darstellung, welche das Augenhinter-
grundbild naturgetreu in Farben wiedergibt, eine überaus wertvolle
Unterstützung. Es sind in ganz besonderem Maße diejenigen Augen-
erkrankungen berücksichtigt worden, die eine Beziehung zu Allgemein-
leiden haben. In ihrer Darstellung ist den vielseitigen Bedürfnissen der
Praktiker, Neurologen, Gynäkologen und Sypbilidologen in weitgehend-
ster Weise Rechnung getragen. Der Preis itr das textlich überaus inhalt-
reiche wie zumal auch illustrativ vorzüglich ausgestattete Buch beträgt
21 M (25 Kronen 20 Heller) für das geheftete und 24 M (28 Kronen
80 Heller) für das gebundene Exemplar.
Hochschulnachrichten. Freiburg: Prof. a. o. Wilhelm
Herrenknecht, Direktor der Zahnärztlichen Poliklinik und Prof. a. o.
Paul Morawitz, Direktor der Medizinischen Poliklinik, zu etatsmäßigen
a. 0, Professoren ernannt. — Dr. Ernst Mangold, bisher Privatdozent in
Greifswald, habilitiert für Physiologie. — Göttingen: Prof. Carl Hirsch
lehnt den Ruf nach Tübingen als Nachfolger von Prof. von Romberg ab.
— Heidelberg: Priv.-Doz. Franz Fischler (Innere Medizin) der Titel
Prof. a.o. verliehen. — Jena: Prof.a.0. Wilhelm Lubosch zum Prosektor
am Anatomischen Institut in Würzburg ernannt. — Königsberg i. Pr.:
Dr. Friedrich Wilhelm Proell, Oberarzt im Infanterieregiment Nr. 48,
habilitiert für Zahnheilkunde. — Zum Nachfolger von Geheimrat Licht-
heim wurde Prof. Schittenhelm (Erlangen) als Direktor der Medizini-
schen Klinik berufen. — Tübingen: Prof. Dr. Schlayer, Priv.-Doz.,
und Prof. Dr. Otten, Priv.-Doz., sowie Dr. Veiel siedeln mit Prof.
v. Romberg nach München über. — Als Nachfolger des nach München
berufenen Prof. v. Romberg wurde Prof. Ottfried Müller zum Di-
rektor der Medizinischen Klinik ernannt. — Dorpat: Priv.-Doz. V. Schu-
kowsky (Kinderheilkunde) zum Professor ernannt.
Von Aerzten und Patienten.
Petrus Camper, geboren im Mai 1722 in Leiden, gestorben April
1789, war einer der größten Gelehrten des 18. Jahrhunderts, der sich in den
verschiedensten Disziplinen der medizinischen Wissenschaft rühmlichst
ausgezeichnet hat. Er war nebenbei ein hervorragender Zeichner und
hat sich mit der theoretischen Seite der Zeichenkunst gründlich beschäf-
tigt... < Durch langjährige und genaue anatomische Untersuchungen
und Messungen der verschiedenen Teile des Menschen- und Tierschädels
gelangte er zu einer neuen Methode der Darstellung von Menschen- und
Tierköpfen, welche auf die Verbältnisse der Gesichtszüge zur Schädel-
form gegründet war. In dieser Methode spielt der nach ihm genannte
Gesichtswinkel eine Hauptrolle, das ist ein Winkel, der von zwei Linien
gebildet wird, einer horizontalen Linie, welche den oberen Rand der
äußeren Gehöröffnung mit der Basis nasii verbindet, und einer zweiten,
der Linea facialis, welche sich gegen die Schneidezähne, das Nasenbein
und die Stirn anschmiegt. Mit Hilfe dieses Winkels kann man das Ver-
hältnis zwischen Antlitz und Schädel in Zahlen ausdrücken. Von diesem
ersten Versuch einer Kraniometrie sagt Harleß (Lehrbuch der plastischen
Anatomie usw., Stuttgart 1856): „Das anerkannte Gute an ihr ist die Be-
stimmung des Gesichtswinkels, durch welchen zugleich auch eines der wichtig-
sten Momente zum Variieren in der Komposition mit aufgenommen ist.“
Prof. van Leersum, Begleitworte, Notiz zu den Zeichnungen
des Petrus Camper. Katalog zur Ausstellung der Geschichte der Medizin
in Kunst und Kunsthandwerk in Berlin 1906.
Stuttgart, Ferdinand Enke, M 1,50.
— Terminologie. Auf Seite 17/des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkömmender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8.
Nr. 35 (404). 1, September 1912.
—
Medizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten:e W. Goldzieher, Wann darf der graue Star operiert werden? L. Drozynski, Ueber postmortale Herzcontractionen
beim Menschen. Kafemann, Ueber einen Exitus unmittelbar nach vollendeter Adenoid- und Tonsillenoperation in Narkose-Sektion. H. Gebb,
Gibt es eine toxische Wirkung des Salvarsans auf das papillo-makuläre Bündel? Groth, Ueber die Anwendung des Hormonals in der Chirurgie.
W. Schott, Ueber einen Fall von miliarer Tuberkulose mit Typhusbacillenausscheidung im Urin. E. Herzfeld und K.S. Makler, Versuche mit
Jodosterin. A. Strubell, Ueber pharmakodynamische Einflüsse auf den opsonischen Index. (Mit 4 Kurven.) — Referate: Aschheim, Die
Röntgentherapie in der Gynäkologie. G. Gisler, Appendicitis in englischer Beleuchtung. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate:
Lumbalpunktion bei Urämie. Calciumsalze. Protrahierte Scopolaminnarkose. Anästhesin. Pupillenerweiterung. — Neuheiten aus der ärztlichen
Technik: Eine einfache Methode zur Bestimmung der Gerinnzeit des Bluts. — Bücherbesprechungen: K. Hoffendahl, Biochemie für Zahnärzte
und Studierende N. v. Jagic, Handbuch der allgemeinen Pathologie, Diagnostik und Therapie der Herz- und Gefäßkrankheiten. H. Braus, Die
Entstehung der Nervenbahnen. Abderhalden, Stoffwechsel der Pflanze und des Tieres. G. Kühnemann, Taschenbuch der speziellen bakterio-
serologischen Diagnostik. A. Mülberger, Grundzüge der pathologisch-histologischen Technik. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des
Versicherungswosens: Wildt, Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer 2!/2 Monate zurückliegenden Kopfverletzung. — Vereins- und
Auswärtige Berichte: Breslau. Hamburg. Kassel. Kiel. Leipzig. München. Wien. Berlin. — Aerztlich-soziale Umschau: „Gewerkschafts-
beiträge.“ — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Reichsgerichtsentscheidungen betreffend die Ausübung der
Heilkunde durch approbierte Aerzte. — Aerztliche Tagesfragen: Die Pockenepidemie in Frankfurt a. M. — Kleine Mitteilungen. — Von
Aerzten und Patienten. |
VII. Jahrgang.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Wann darf der graue Star operiert werden‘)?
| | Von
Hofrat Prof. Dr. W. Goldzieher, Budapest.
‚ M. H.! Der heutige Tag ist der Demonstration einiger
Individuen mit getrübten Linsen gewidmet, die in den letzten
Tagen auf unserer Abteilung Aufnahme gesucht hatten. Die
zu demonstrierenden Fälle sind besonders geeignet, Sie über
So manche Fragen aufzuklären, die für Sie als praktische
Aerzte eine besondere Wichtigkeit besitzen. Allerdings wer-
den die wenigsten unter Ihnen in ihrem gegenwärtigen Wir-
kungskreise sich an die Operation des grauen Stars heran-
wagen. Die Zeit ist längst vorüber, da der praktische Arzt
Sich für berechtigt oder gar für verpflichtet halten konnte,
alles zu unternehmen. Heutzutage, im Zeitalter des Ver-
kehrs, in dem die großen Centren so leicht erreichbar sind,
darf nur derjenige Arzt eine Operation unternehmen, der sie
vollkommen beherrscht, nicht allein in theoretischer Be-
ziehung, sondern auch in allen ihren durch den individuellen
Fall gegebenen möglichen Variationen, eine Fertigkeit, die
zu erreichen dem Arzte nur nach einer längeren Spitalstätig-
keit möglich ist. Und dies gilt in erster Linie von der Star-
Operation, die allerdings zu den ausgesprochen typischen
gehört, das heißt, deren Ausführung nach ganz bestimmten,
Ins Kleinste sich erstreckenden Regeln und in unveränderter
Reihenfolge der einzelnen Operationsakte erfolgt, die aber
an die Nerven des Operateurs die höchsten Anforderungen
stellt, weil diese für das operierte Individuum eine-ungeheure
Bedeutung besitzenden Einzelakte sich in der Zeit von kaum
einer Minute abspielen.
. Aber was von jedem wissenschaftlich ausgebildeten
Arzte verlangt werden muß, ist die Stellung der Diagnose,
') Vortrag, gehalten im Fortbildungskurse für praktische Aerzte.
ist die genaue Kenntnis der Indikation für die Operation.
Demnach vor allem: Handelt es sich um einen grauen Star?
Dann: Ist der Star operierbar? und ferner: Wann ungefähr
darf er operiert werden? Alle diese Fragen werden unzählige
Male an Sie gerichtet werden von Kranken, die weit von
augenärztlichen Centren leben, nicht leicht in der Lage sind,
den Berufsaugenarzt aufzusuchen und nun von Ihnen einen
Bescheid erhalten wollen, der für ihre Zukunft die höchste
Wichtigkeit besitzt. Schon der erste Patient, den ich Ihnen
heute vorstelle, wird Sie in medias res einführen.
1. Sie sehen hier eine 45jährige Frau, von brünetter Haarfarbe,
offenbar der jüdischen Rasse angehörend. Sie ließ sich, von ihrem Arzte
hierher geschickt, bei uns aufnehmen, weil sie von ihrem Star geheilt
sein will. Sie gibt an, daß sie auf dem linken Auge gar nichts sehe, und
zwar seit längerer Zeit; auf dem rechten Auge nehme das Sehen jetzt
allmählich ab. Auf die Frage, warum sie nicht früher gekommen wäre.
antwortet sie, dab man ihr gesagt habe, ihr Star sei noch nicht reif;
übrigens dürfe er ohnedies noch nicht operiert werden, da sie auf dem
rechten Auge noch ganz gut sehe. Erst da dieses Auge sich jetzt ver-
dunkle, suche sie das Spital auf. Nachdem wir einen Blick auf die Kranke
geworfen, fragen wir sie, ob sie sonst gesund sei. Sie antwortet, daß sie
an Kopfschmerzen leide; früher nur an linksseitigen, die anfallsweise ge-
kommen und oft mit Erbrechen verbunden gewesen seien. Jetzt sei der
Kopf linkerseits fast nie ganz frei und außerdem kämen jetzt rechter-
seits Schmerzanfälle.
Untersuchen wir die Patientin, so finden wir, daß die Conjunctiva
bulbi linkerseits zahlreiche dicke und geschlängelte Venen zeigt, die von
der Ciliargegend gegen die Peripherie ziehen, sodaß diese Zone gleichsam
von einem Gefäßkranz umgeben ist; die Cornea ist matt, ihre Oberfläche
gestichelt. Ich nehme jetzt, nachdem ich das rechte Auge verdeckt habe,
eine Knopfsonde und drücke auf die Oberfläche der Hornhaut; ich drücke
sie ein, ohne daß die Kranke die Berührung spürt. Die Hornhaut
ist also total unempfindlich. Die vordere Kammer ist seicht, die offenbar
atrophische und auf einen schmalen Saum reduzierte Iris ist nach vorn
gewölbt, wie wenn sie die Hinterfläche der Hornhaut berühren würde;
die Pupille ist weit und starr, aber nicht regelmäßig kreisrund, die Linse
ist grau, absolut undurchsichtig. Betaste ich das Auge, so finde ich es
steinhart, mit dem Schidötzschen Tonometer würde der Druck 60 bis
65 mm betragen. Auf Lichtempfindung geprüft, stellt sich heraus, daß
das Auge absolut blind ist, und selbst das auf die Pupille fallende inten-.
144 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 835.
sive Lichtquantum einer elektrischen Lampe nicht wahrnimmt, weder
wenn es von gegenüber her, noch wenn es von irgendeiner Seite her einfällt.
Zur Vervollständigung des Bildes untersuchen wir das linke Auge.
Die funktionelle Untersuchung wurde bereits gestern vorgenommen: die
Sehschärfe beträgt ®/so, das Gesichtsfeld ist von der Nasenseite her um
10 bis 150 eingeschränkt. Jetzt finden wir die Pupille mittelweit, sehr
träge reagierend, den Glaskörper rein, und die Papille zeigt die deut-
lichen Zeichen der glaukomatösen Excavation.
Die Diagnose, die übrigens früher schon nach einfacher Betrachtung
und Betastung des linken Auges zweifellos war, ist jetzt nach allen
wissenschaftlichen Regeln vervollständigt: die Kranke hat Glaukom, das
am linken Auge bereits zur glaukomatösen Degeneration mit dazugehöriger
Kataraktbildung geführt hat und der Papille des rechten Auges bereits
seine unverkennbaren Spuren eingedrückt hat. Es versteht sich von
selbst, daß diese Katarakt nicht operiert werden darf; an diesem Auge
darf überhaupt keine andere Operation als die Enuclestion vorgenommen
werden, die Kraft der augenärztlichen Therapie wird sich am rechten
Auge bewähren, das durch eine sehr peripherisch angelegte Iridektomie
noch beim Sehen erhalten wird. Gestatten Sie mir noch eine kurze Be-
merkung. Ich habe eingangs der Krankengeschichte die Religion der
Kranken erwähnt, Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, weil Sie
in der Praxis vielleicht davon Nutzen ziehen können, daß bei Jüdinnen
das Glaukom relativ häufiger vorkommt, als bei andern Voikselementen.
Diese Beobachtung kann man nicht allein in Ungarn machen, sondern sie
wurde mir auch während meiner Assistentenzeit in Deutschland von
meinem Lehrer übermittelt. Was die Ursachen dieser erhöhten Dis
position sind, entzieht sich unserer Kenntnis. >
Der gegenwärtige Fall, so traurig er ist, ist besonders
lehrreich. Es wurde von ungenügend ausgebildeter ärzt-
licher Seite Katarakt diagnostiziert, wo Glaukom vorhanden
war (ein Fehler, der häufiger vorkommt, als Sie glauben !).
Die Abnahme des Sehvermögens wurde der zunehmenden
Linsentrübung zugeschrieben und der Patientin geraten, mit
der Operation zu warten, bis der Star „reif“ geworden wäre!
Der Umstand, daß bei älteren, namentlich dunkelhaarigen
Leuten die Linse durch die Pupille einen grauen Reflex zeigt,
auch wenn sie vollkommen durchsichtig ist (wie wir es bei
gegenwärtiger Patientin am rechten Auge konstatieren
können), hat dem oberflächlichen Untersucher wahrscheinlich
die Idee eingegeben, Katarakt zu diagnostizieren, wo ein
schweres inneres, eine ganz bestimmte Therapie erforderndes
Augenleiden vorlag. Vielleicht ist er in seiner Diagnose
noch bestärkt worden, als das früher erkrankte linke Auge
der glaukomatösen Degeneration verfiel und die Linse tat-
sächlich sich trübte.
Daß man aus der oberflächlichen Betrachtung der
Pupillen mit freiem Auge, ohne Durchleuchtung der Augen mit
dem Spiegel, das heißt Untersuchung im durchfallenden Lichte,
niemals Katarakt diagnostizieren darf, werden Sie aus dem
folgenden Fall ersehen. Der Fehler, einem über schlechtes
Sehen klagenden Kranken die Diagnose grauer Star vorzu-
halten, wenn man einen grauen Reflex aus den Pupillen hervor-
kommen sieht, wird sehr oft gemacht. Die einfache Durchleuch-
tung des Auges mit dem Planspiegel, auf deren Einübung,
meine Herren, ich soviel Gewicht lege, schützt vor diesem
Fehler, indem wir auf den ersten Blick sehen können, ob undin
welchem Grade die Linse getrübt ist. Finden wir bei Durch-
leuchtung mit dem Spiegel (Untersuchung im durchfallenden
Lichte) das schöne leuchtende Pupillenrot gar nicht verändert
oder höchstens durch einige dunkle Speichen unterbrochen,
so ist es klar, daß die etwa vorhandene Sehstörung einen
andern Grund als die Trübung der Linse haben muß, denn
so gut, als ich ins Auge hineinsehen kann, muß der Kranke
heraussehen können, notabene wenn sein Augenhintergrund
gesund ist. Wollen Sie nun gefälligst den folgenden Kranken
betrachten. | |
2. Sie sehen einen Ööjährigen Landwirt, dessen Sehvermögen seit
ungefähr einem Jahre fortwährend sinkt, sodaß er jetzt nicht mehr lesen
kann. Er wurde mit der Diagnose Katarakt hierher geschickt, um den
Zeitpunkt der Operation bestimmen zu lassen.
Mit freiem Auge, dem Fenster gegenüber gestellt, sehen wir, daß
beide Bulbi entzündungsfrei sind und daß aus den Pupillen tatsächlich
ein grauer Reflex dringt. Durchleuchten wir aber die Augen mit dem
Spiegel, so finden wir in den Linsen keine Trübung, sie sind voll-
kommen durchsichtig. Dagegen finden wir bestimmte Veränderungen
im Augenhintergrunde: Bei ganz scharfer Begrenzung der Papillengrenzen
ist die äußere (temporale) Papillenhälfte beiderseits weiß verfärbt, an die
1. September.
temporalen Papillengrenzen schließt sich eine kleine Zone, in der aus-
gesprochene Pigmentveränderungen zu sehen sind. Die Netzhautarterien
sind übrigens etwas verengt. Der Spiegel enthüllt demnach eine partielle
Atrophie der Sehnerven. Aus der genauen funktionellen Untersuchung
ergibt sich die Natur dieser Sehnervenveränderung. Auf dem rechten
Auge ist der V = 5/2, auf dem linken 5/so, durch Gläser nicht zu ver-
bessern. Halten wir dem Kranken die Leseproben vor, so kann er selbst
die großen Buchstaben nicht lesen, auch wenn wir ihm seine Presbyopie
überkorrigieren. Wohlgemerkt können Leute mit V = °/ao in der Regel
bequem noch sehr kleine Buchstaben lesen. Wenn unser Kranker daher
auch die größten Buchstaben nicht sieht, so mnß ein centrales Skotom
vorhanden sein, und dies ist bei ihm tatsächlich bei der perimetrischen
Untersuchung gefunden worden, als wir ihn mit farbigen Objekten
untersuchten; denn das rote Quadrat sieht er im Centrum grau, das
grüne schmutzig gelb; blau und gelb kann er unterscheiden. Es kann
nun keinem Zweifel unterliegen, daß der Kranke an Amblyopia cen-
tralis ex Neuritide retrobulbari chronica leidet. Was ist aber
die Ursache dieser Neuritis? Der Kranke gesteht ohne weiteres zu, daß
er zum Frühstück Schnaps trinkt, auch dem Weine nicht abhold ist und
den ganzen Tag die Pfeife nicht ausgehen läßt. Wir könnten uns dem-
nach mit der Diagnose Amblyopia centralis toxica (nicotiana et alcoholica)
begnügen. Aber der Arzt soll nie eine Diagnose als sicher aussprechen,
solange er mit noch einer dazu gehörigen Untersuchung im Rückstand
ist. Wir wissen nämlich, daß infolge von Diabetes ebenfalls Amblyopia
centralis vorkommen kann, ganz unabhängig vom Tabak und Alkoholismus.
Und richtig haben wir im Harne des Kranken zirka 3%, Zucker gefunden.
Nun wissen wir ganz bestimmt: der Kranke leidet nicht an Katarakt,
sondern ist Diabetiker, bei dem sich Amblyopia centralis entwickelt hat.
Ich will noch kurz erwähnen, daß die Prognose bei diesem Kranken
quoad visum eine ausgezeichnete ist; denn nach der Herabdrückung der
Zuckerausscheidung, bei Abstinenz von Schnaps und Tabak wird das Seh-
vermögen in nicht zu langer Zeit unter Gebrauch von Strychnin-
injektionen sich herstellen.
3. Gehen wir nun zum dritten Kranken über. Es handelt sich um
einen kräftigen Mann von 65 Jahren, der bereits seit einigen Jahren sehr
schlecht sieht, sodaß er seine Beschäftigung als Lehrer aufgeben mußte.
Er sieht zwar genug, um herumzugehen, aber er kann nicht mehr lesen.
Er hat sich schon bei verschiedenen Aerzten untersuchen lassen, aber
einstimmig hieß es, sein Star sei noch nicht reif zum Operieren. Unter-
suchen wir den Kranken, dessen linke Pupille ich vor einer halben Stunde
durch Einträuflung von zwei Tropfen Homatropin erweitert habe, mit dem
freien Auge, so finden wir, daß hinter der Pupille ein dunkelbraun ge-
färbter Körper liegt. Noch schöner ist das Bild, wenn ich die Pupillen
mit der fokalen (seitlichen) Beleuchtung untersuche. Da sehen wir, dab
das Pupillengebiet ganz dunkel ist in der Tiefe, das heißt, hinter der
Pupillarebene sehen wir den dunkeln Körper von einer Farbe wie dunkler
Bernstein oder dunkel poliertes Mahagoniholz. Ich mache Sie noch auf
die schwarze Sichel aufmerksam, die zwischen Pupillarrand und dem in der
Tiefe liegenden braunen Körper liegt, die nichts anderes ist, als der
Schatten der Iris, wodurch bewiesen ist, daß zwischen Iris und dem in
der Tiefe liegenden Kerne noch eine Schicht durchsichtiger Substanz vor-
handen ist. Durchleuchten wir jetzt die rechte, durch Homatropin er-
weiterte Pupille, so finden wir, daß die ganze Peripherie des Pupillar-
gebiets noch durchsichtig ist und daher im Pupillenrot aufleuchtet, nur
das Centrum ist tief schwarz, das heißt nicht mehr zu durchleuchten,
Ja, wir können durch die durchsichtige Peripherie noch den Augen-
hintergrund scharf sehen. Daraus folgt mit Bestimmtheit, daß die Peri-
pherie der Linse noch durchsichtig ist, der centrale Anteil der Linse
aber tief getrübt ist.
Wenn wir von der landläufigen Regel ausgehen, daß
eine Katarakt nur dann reif ist, wenn die ganze Linse
gleichmäßig getrübt ist und das Sehvermögen dementsprechend
auf ein Minimum gesunken ist, so müssen wir sagen, diese
vorliegende Katarakt ist unreif, denn erstens ist die Trü-
bung nur auf den Kern beschränkt und zweitens ist das
Sehvermögen noch so gut, daß der Kranke noch allein her-
umgehen kann. Dürfen wir nun diesen Star operieren? Der
Kranke dringt auf die Operation, da er, wenn auch in der
freien Bewegung nicht behindert, dennoch für jeden Beruf
unfähig ist. Die Antwort lautet, daß die Operation nicht
nur möglich ist, sondern daß sie die allerbeste Prognose
darbietet. Es handelt sich nämlich um einen sogenannten
sklerotischen Kernstar mit brauner Färbung (Cataracta
nuclearis brunea), von dem wir wissen, daß die sklerotische
Verdichtung der centralen Linsenanteile bis in die äußerste
Peripherie vorgeschritten ist, ohne daß diese Peripherie, die
subkapsulären Rindenschichten etwas von ihrer Durchsichtig-
keit eingebüßt zu haben brauchen. Wenn Sie zur Operation
dieses Stars schreiten, so werden Sie finden, daß er sich
sehr leicht aus der Kapsel löst und aus einem seiner
Größe angemessenen Schnitt austritt, ohne Corticalisreste zu
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. | 1415
hinterlassen. Der Unterschied in der Konsistenz zwischen
Corticalis und Kern, der bei den meisten Staren zu beob-
achten ist und der es bewirkt, daß nach Entfernung des
harten Kernes noch weiche Corticalismassen zurückbleiben,
die nachträglich entfernt werden müssen, existiert für diese
Starform nicht, da die ganze Linse eine gleichmäßige Härte
angenommen hat.
Ich will nun bemerken, daß diese Cataracta brunea
genannte Starform nicht selten vorkommt, und zwar bei
Leuten, die das 60. Jahr in der Regel überschritten haben;
ferner bei höhergradigen Myopikern auch jüngerer Jahre.
Sie sehen hier ein Beispiel, daß man eine Katarakt auch
operieren darf, wenn die Linse noch einen Teil ihrer Durch-
sichtigkeit bewahrt hat. Wenn Sie in diesen Fällen warten
würden, bis die Trübung die ganze Linsenperipherie ergriffen
hat, so dürfte in den meisten Fällen der Kranke die ge-
forderte „Reife“ des Stars nicht erleben.
‚Indessen, der Gang der Linsentrübung entspricht in den
meisten Fällen nicht dem eben geschilderten Typus der Ca-
taracta nuclearis brunea. In der Majorität der Fälle ist
die Entwicklung der Trübung gerade umgekehrt. Nicht der
Kern wird zuerst undurchsichtig, sondern umgekehrt, die
Trübung beginnt in den periphersten, unmittelbar hinter der
Kapsel befindlichen Rindenteilen und schreitet mit größerer
oder geringerer Schnelligkeit gegen das Centrum vor, das
in vielen Fällen — wie sich nach der Extraktion heraus-
stellt — noch einen hohen Grad von Transparenz bewahren
kann. Hatten wir es vorher mit einem nuclearen Star zu
tun, so liegt jetzt ein subkapsulärer Star vor; während
in dem ersten Falle der Sklerosierungsprozeß des Kerns all-
mählich die subkapsulären Schichten ergreift, sodaß diese fast
so hart werden als der Kern, ist in dem zweiten Falle der
Unterschied in der Konsistenz zwischen Rinde und Kern sehr
ausgesprochen, indem die Rinde immer weicher ist als der
Kern. Praktisch zeigt sich dieser bemerkenswerte Unter-
schied bei der Staroperation: Beim subkapsulären Star bleiben
nach Austreibung des Stars noch die weicheren Corticalis-
massen zurück, die erst nachträglich durch Massage oder
Auslöfflung entfernt werden müssen. In den meisten Fällen
hat diese Austreibung keine Schwierigkeiten, da wir ja die
im Pupillargebiete zurückbleibenden grauen Corticalisreste
genau sehen und erst dann die Operation für beendigt halten,
wenn jene entleert sind. Schwieriger wird aber dieses Ma-
növer, wenn nicht sämtliche Corticalisschichten getrübt sind;
wenn nämlich zwischen ihnen einige transparente Lamellen
sich befinden, so sehen wir diese nicht genug gut, um sie
zu entfernen, und sie werden dann während des Heilungs-
Prozesses die Grundlage eines mehr oder weniger dicken
Nachstars abeben. Daraus ersehen Sie also, daß es für
den Erfolg der Operation von großer Wichtigkeit ist, den
subkapsulären Star nicht früher zu operieren als
bis eine gleichmäßige Trübung der vorderen Cor-
ticalschichten eingetreten ist oder, populär ausgedrückt,
bis er reif ist.
‚ Dieses soeben ausgesprochene Postulatum, bis zur
„Reife“ des Stars mit der Operation zu warten, kann in
sehr vielen Fällen leicht erfüllt werden. Jedenfalls dann,
wenn das zweite Auge noch ein befriedigendes Sehvermögen
besitzt, sodaß der Kranke noch seinem Berufe leben, min-
destens ohne Führung herumgehen kann. Aber das prak-
tische Leben stellt den Arzt oft vor sehr komplizierte Auf-
gaben. Wie hat er sich zu verhalten, wenn der Star des
ersterkrankten in dem früher erörterten Sinne noch nicht
„reif“ ist und das Sehvermögen des zweiten Auges bereits
So schlecht ist, daß der Kranke sozusagen hilflos ist? Darf
man in solchen Fällen mit gutem Gewissen, dem Drängen
des Kranken nachgebend, den unreifen Star operieren?
M. H.! Die Erfahrung lehrt, daß man in solchen Fällen
zur Operation des Stars schreiten darf. Die moderne Augen-
heilkunde sagt, daß der Star dann reif, das heißt reif zur
Operation geworden ist, wenn des Kranken Sehvermögen so
weit gesunken ist, daß es für praktische Zwecke nicht mehr
ausreicht. Die Technik der Staroperation hat sich so ver-
feinert, die Sicherheit des Erfolges infolge der aseptischen
Operationsmethoden so vergrößert, daß wir selbst ein größeres
Risiko zu übernehmen imstande sind. Freilich erfordert die
Operation eines Stars, dessen Trübung goch nicht vollständig
ist, besondere Vorsichtsmaßregeln. Als solche erwähne ich
den ausgiebigen Starschnitt, damit die Linse ohne große
Quetschung (bei welcher Gelegenheit Corticalismassen sich
abstreifen‘ könnten) austreten könne; die Vornahme der
Iridektomie; ferner die sorgfältige Entfernung eines großen
Kapselstücks mit der Kapselpinzette, weil dann weniger
Cortiealisreste sich in den Falten des erhalten gebliebenen
und eingerissenen Kapselsacks verstecken können. Die
ganze Operation soll unter elektrischer Beleuchtung gemacht
werden, bei welcher selbst durchscheinende Corticalismassen
besser sichtbar werden. Nur eine Eventualität gibt es, die
uns von der Operation eines sogenannten unreifen Stars ab-
halten muß, und die besteht darin, daß die noch nicht gänz-
lich getrübte Linse in dem Stadium großer Blähung begriffen
ist, wobei die vordere Kammer sehr seicht ist, sogar die
intraokulare Tension erhöht sein kann. In einem solchen
Fall aber handeln wir rationell, wenn wir uns vorläufig mit
einer breiten Iridektomie begnügen und die Extraktion erst
nach einigen Wochen nachschicken. Wenn wir nach diesen
Regeln handeln, werden wir den Interessen unserer Kranken
am ehesten gerecht, deren Leben oft aus Ueberschätzung
der Gefahren, die durch die Operation unreifer Stare
entstehen können, verbittert wird: Man denke sich nur in
die Lage eines älteren Menschen mit einem langsam reifen-
den Stare hinein, der nicht ganz blind und nicht genug
sehend immer wieder auf den Ablauf eines neuen Vierteljahrs
vertröstet wird, ohne daß man garantieren könne, daß sein
Star dann „reif“ sein wird.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ich betonen,
daß in allen Fällen, die hier in Frage kommen, das Seh-
vermögen auch des zweiten Auges stark herabgesetzt sein
muß. Kein rationeller Arzt wird es unternehmen wollen,
eine nicht vollständig getrübte Linse zu extrahieren, so
lange das andere Auge noch genug gut sieht. Ja, ich möchte
es Ihnen ans Herz legen, dem Kranken, selbst wenn er die
Operation wünschen sollte, diese zu verweigern. Anders
aber steht die Sache, wenn ein Kranker zu uns kommt,
dessen eine Auge einen vollkommen operationsfähigen (reifen)
Star besitzt, während das andere Auge vollkommen gesund
ist und eine gute Sehschärfe besitzt. Solche Fälle kommen
nicht selten vor: Bei alten Leuten, wo nur das eine Auge
kataraktös wird, während das zweite Auge sonderbarerweise
nicht die Spur einer Linsentrübung zeigt; häufiger bei
Traumen, z. B. nach Kontusionen des Bulbus, wo möglicher-
weise ein Riß der Zonula Zinnii oder ein mikroskopischer
Riß der Kapsel zustande gekommen war; oder aber nach
Stichen mit feinen Instrumenten, die ohne besondere Ver-
letzungen der Augenhäute erfolgen können, wie folgender
Fall zeigt:
4. 14jähriger Knabe, der vor etwa einem Jahre mit einer großen
Nähnadel ins Auge gestochen wurde. Die Nadel drang durch die
Mitte der Hornhaut und Pupille in die Linse. Heute finden wir bei
vollkommener Reizfreiheit des Bulbus und vorzüglicher Reaktion
der Pupille eine das ganze Pupillargebiet einnehmende auffallend weiße
Cataracta membranacea,
Es ist klar, daß wir dieses junge Individuum operieren
werden, mit der Darlegung der Gründe brauche ich mich
nicht aufzuhalten. Wir werden übrigens noch später auf
einen wichtigen Punkt zurückkommen.
Wenn wir aber ein älteres Individuum mit einem star-
blinden und einem gesunden Auge haben, dürfen wir den
Star operieren? Es gibt Augenärzte, welche darauf ant-
worten: Nein! Nach ihrem durch Erfahrungen gestützten
Dafürhalten nützen wir dem Kranken nicht, wenn wir ihm
|
5
EN
1416 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35,
1. September.
ein linsenloses Auge verschaffen; die Differenz der Netzhaut-
bilder im aphakischen und dem normalen Auge ist so groß,
daß ein binokulares Sehen ohnedies nicht zustande kommen
kann, und der Operierte dann noch durch die Differenz im
Sehen beider Augen sehr erheblich gestört wird.
Was mich betrifft, so bin ich der Ueberzeugung, daß
solche Kranke operiert werden sollen. Ehe ich die Gründe
hierfür anführe, abstrahiere ich von meinem ärztlichen Be-
wußtsein und lege mir ganz unbefangen die Frage vor:
„Was ziehst du vor, auf einem Auge ganz blind zu sein
oder weniger gut zu sehen?“ Ich glaube, jeder Mensch wird
das letztere wählen. Und wenn man mir sagt, daß das
schlechte Auge mir eine Göne beim Sehen verursachen
werde, so antworte ich: „Ich kann ja, wenn ich Lust habe,
das Auge zukneifen, verdecken oder zubinden. Ich habe
Jedenfalls das Bewußtsein, nicht einäugig zu sein, sondern
im Notfall ein zweites Auge zu besitzen.“
Es ist ja richtig, daß im gemeinschaftlichen Sehakt ein
aphakisches Auge große Störung verursachen wird; aber
ich behaupte, daß nach einer gewissen Zeit die meisten
Menschen sich an diesen Zustand gewöhnen, und dann treten
die großen, unschätzbaren Vorteile der Zweiäugigkeit zutage.
Beim Einäugigen fehlt ein großer Teil des Gesichtsfeldes
von der blinden Seite her, was für viele Beschäftigungen
ein riesiger Nachteil ist, außerdem aber in der Epoche der
Automobile gefährlich sein kann, da man einer heran-
nahenden Gefahr nicht rechtzeitig auszuweichen vermag. Die
meisten Menschen wissen sich bald mit der einseitigen
Aphakie abzufinden, ja in neuerer Zeit hat die berühmte
Zeißsche Fabrik in Jena Stargläser für einseitig Linsenlose
konstruiert, die dem Individuum ein tadelloses binokuläres
und stereoskopisches Sehen verschaffen sollen. Und wer
durchaus so unbeholfen und nervenschwach ist, daß er an
seine Aphakie sich nicht zu gewöhnen vermag, der binde
sich in Gottes Namen das betreffende Auge zu, was noch
immer der einseitigen Blindheit vorzuziehen ist, denn niemand
kann wissen, wann ihm dieses zum Sehen gebrachte Auge
von unschätzbarem Werte sein wird.
Noch ein Motiv gibt es, das uns in vielen Fällen ver-
anlassen, ja verpflichten wird, das einseitig starkranke Auge
zu operieren. Das ist die Rücksicht auf das kosmetische
Moment. Dieser vorher demonstrisrte l4jährige Knabe will
sich als Sohn eines Hoteliers dem Gastwirtsberufe zuwenden
und zunächst eine Lehrzeit als Kellner durchmachen. Aber
nirgends wird er aufgenommen, da er einen hellen Fleck in
der Pupille hat, einen schon vom Laien zu bemerkenden,
auffallenden Fehler. Ihn davon zu befreien, ist demnach
unsere Pflicht. Aber auch älteren Leuten, die nicht reich
genug sind, um das Urteil der Welt zu verachten, wird ge-
nützt, ja ihnen der Erwerb erleichtert, wenn wir das Auge
mit dem grauen Stare mit dem andern Auge äußerlich gleich
machen. Alle die angeführten Gründe sprechen dafür, daß
wir ohne Rücksicht auf theoretische Bedenken, die den Be-
dürfnissen des Lebens nicht standhalten, zur Operation des
einseitigen Stars schreiten.
Wir haben uns noch, ehe wir schließen, mit dem
traumatischen Stare zu beschäftigen. Es ist dies eines
der schwierigsten Kapitel der praktischen Augenheilkunde.
Allgemeine Regeln lassen sich hier kaum aufstellen, da die
Bedeutung eines jeden Falles von der Qualität der Verletzung
abhängt und von der Art der Komplikation, das heißt ob
und wie außer der Linse noch andere Gebilde des Augapfels
verletzt sind, außerdem, ob die Wunde aseptisch oder in-
fiziert ist. Am einfachsten ist die Sache, wenn es sich um
eine reine Stichverletzung der Linse handelt. Die nächste
Folge wird eine partielle Trübung sein, die sich in den
meisten Fällen bald zu einer totalen gestaltet. Handelt es
sich um Kinder oder um jüngere Individuen (bis zu 20 bis
25 Jahren), so müssen wir mit der Operation solange warten,
als die Quellung der Linse es uns gestattet. War die
Kapselwunde sehr unbedeutend, so kann ein Austreten der
Linsenpartikel in die vordere Kammer ganz unterbleiben,
die Linse trübt sich in der Kapsel. Hier ist es rätlich, mit
der Operation so lange zu warten, als nur möglich. Treten
sehr viele gequollene Linsemassen in die vordere Kammer,
so richten wir uns nach den komplizierenden Reizerschei-
nungen, in erster Linie nach den Druckverhältnissen. Treten
Schmerzen auf, wird das Auge hart, so ist die breite Punk-
tion der vorderen Kammer unerläßlich. Eine Iridektomie
wird in sehr vielen Fällen gar nicht nötig sein, da, wenn
die vordere Kammer entleert ist, das Auge bald wieder zur
Ruhe kommt.
Bei Erwachsenen gilt die Regel, so wenig als möglich
eingreifende Operationen vorzunehmen, so lange das Auge in
größerer Entzündung begriffen ist. Freilich ist diese Regel
öfter illusorisch, da, wenn die quellende Linse den Druck
im Auge rasch erhöht, große Schmerzen auftreten, wir zu
einer Operation gezwungen werden, sei es zu einer einfachen
Punktion, sei es zur Entfernung der ganzen Linse, Aber
die Erörterung der hier gültigen Regeln würde uns tief ir
die schwersten Aufgaben der operativen Augenheilkunde
hineinführen, was heute nicht unser Thema ist.
Abhandlungen.
Aus dem Städtischen Pflegehause in Leipzig.
(Direktor: San.-Rat Dr. Lohse.)
Ueber postmortale Herzcontractionen
beim Menschen
von
Dr. med. et phil. L. Drozynski.
Viele Beobachtungen, die zum Teil bis in das Altertum zurück-
reichen, sprechen dafür, daß der Tod des Organismus mit dem
seiner Organe nicht identifiziert werden darf. Das Studium des
Mechanismus des Todes, das freilich erst in Bichat seinen ersten
wissenschaftlichen Vertreter gehabt hat, hat den Begriff des Ster-
bens von seinen mystischen Zutaten befreit und auf eine rein
naturwissenschaftliche Basis gestellt. Der von der Mehrzahl älterer
Autoren als simultan aufgefaßte Prozeß löste sich in eine Folge
von Einzelakten auf, die zwar miteinander kausal verknüpft, aber
in bezug auf ihre zeitliche Entwicklung relativ selbständig sind.
Neben der Vitalität des Organismus als eines Kollektivum kam
die Vitalität seiner Teile zur Geltung, und die Phylogenese brachte
für die Verschiedenheit beider die erklärenden Prinzipien. Die
Tatsache des Ueberlebens einzelner Organe und Gewebe erhielt
nunmehr eine einfache Lösung. Bei der während des Ablebens
erfolgenden Decentralisation der Funktionen bleibt in den einzelnen,
von der tötenden Noxe direkt nicht getroffenen Organen ein Rest
der ursprünglichen, durch das Eintreten der Differenzierung und
Arbeitsteilung teilweise auf ein Minimum herabgesetzten Auto-
matie und Selbstregulation der Zellen erhalten, der während einer
bei den einzelnen Geweben verschieden langen Zeit die Fortsetzung
der vitalen Prozesse gestattet.
Freilich gerade die Tatsache der Arbeitsteilung setzt durch
die von ibr bedingte gegenseitige Abhängigkeit der Organe der
Fortdauer jenes Eigenlebens eine Grenze: früher oder später führt
der Ausfall einer „lebenswichtigen“ Funktion zum allgemeinen
Tode. Die Maschine steht still, weil ein Teil ihres Räderwerks
beschädigt worden.
Die Vorstellung des Ueberlebens und der mit ihm eng ver-
knüpften Wiederbelebung einzelner Organe und Gewebe ist zwar
alt, aber ihre genaue Erforschung und Deutung fällt größtenteils
erst in die letzten Jahrzehnte. Forscher, wie Nysten, Brown-
Söquard, Heubel, Ludwig und seine Schule, haben den Grund-
stein zur Lösung dieser Frage gelegt, noch unsere Gegenwart ist
eifrig mit ihr beschäftigt.
Es liegt mir fern, auf die Gesamtheit der dabei in Betracht
kommenden Phänomene einzugehen: lediglich soweit sie das Herz
betreffen, gehören sie in den Kreis meiner Betrachtung. Aber
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 55. 1417
auch dies engere Problem, welches die postmortalen Herzcontrac-
tionen bieten, soll in bezug auf seine physiologische Deutung nur
gestreift werden.
Meine Absicht ist, im Anschluß an die Beschreibung eines
von mir beobachteten Falles derartiger Herzpulsationen beim Men-
schen auf einige in der vorausgegangenen Kasuistik nicht ge-
nügend hervorgehobene Einzelheiten hinzuweisen. Es sei im
voraus. bemerkt, daß an und für sich manche von den früheren
Fällen einzelne Teile der Erscheinung in gewissem Sinne voll-
kommener zeigen, dafür zeichnet.meine Beobachtung ein Umstand
aus, der ihr ein ganz besonderes Interesse verleiht. Da ferner die
äußeren Bedingungen, unter denen ich die Herzpulsationen beob-
achtet habe, in mancher Hinsicht von denen früherer Fälle ab-
weichen, so bildet auch dadurch mein Fall eine Ergänzung des
schon Bekannten. Meine Beobachtung war — ich möchte sagen,
leider — ein zufälliges Sektionsvorkommnis und nicht, wie bei den
meisten beschriebenen Fällen, ein wohlgeplantes physiologisches
Experiment. Deshalb stand mir ein experimentelles Rüstzeug zur
Beherrschung und Analyse der Erscheinung nicht zu Gebote und
ich mußte eine rein kontemplative Rolle einnehmen, wodurch frei-
lich der natürliche Ablauf der Erscheinung am wenigsten gestört
wurde.
Zunächst sei die Beobachtung selbst kurz skizziert:
Am 7. Juni 1910 kam im städtischen Pfleghaus in Leipzig die
Leiche des 55jährigen Paralytikers F.F, zur Sektion. Die klinische Dia-
gnose, die auf eine über ein Jahr dauernde Beobachtung des Patienten
gestützt war, lautete vollständig: Dementia paralytica, Bronchitis
chron. bilateralis, Arteriosclerosis mediocris gradus. Die
psychischen Ausfallssymptome beherrschten das Krankheitsbild, die soma-
tischen Zeichen waren weniger ausgeprägt. — Die näheren Umstände,
die den Tod herbeiführten, waren folgende: Nach einem mehrtägigen
fieberfreien Prodromalstadium, in welchem der bis dahin ruhige Patient
sehr erregt und versatil war, setzte am 5. Juni 1910 mit 38,89 eine links-
seitige, auf einen Teil des betreffenden Unterlappens beschränkte Pneu-
monie ein. Kurz darauf verfiel der Patient in einen soporösen Zustand,
aus dem er nicht mehr aufwachte. Bis unmittelbar vor dem Tode wich
das Verhalten der Atmung und der Herztätigkeit kaum von der Norm
ab. Der Tod erfolgte durch rasch einsetzenden Atem- und Herzstillstand.
— Schon damals wurde angenommen, daß außer der Pneumonie noch
irgendein anderes Moment den raschen Eintritt des Todes verursacht
hatte. Wenn auch die Intensität der klinischen Symptome keineswegs
Immer der Intensität des Krankheitsprozesses, besonders bei den in der
Hauptsache toxisch wirkenden Krankheiten, zu denen auch die Pneumonie
gehört, zu entsprechen braucht, so schien doch im vorliegenden Fall ein
verhältnis zwischen Ursache und Wirkung zu bestehen. Der ganzen
Sachlage nach war es nicht ausgeschlossen, daß der Pneumonie als Todes-
ursache nur eine mittelbare Bedeutung zukam, während die unmittelbare
letale Wirkung vielleicht auf einen interkurrenten, möglicherweise durch
die Erkrankung der Lunge ausgelösten cerebralen Prozeß zurückzuführen
ist, der eine Lähmung der vitalen Centren verursachte. Diese Annahme
dürfte für die Auffassung des postmortalen Phänomens, mit dem wir uns
im folgenden beschäftigen werden, von einigem Werte sein. — Der Tod
war um 8'/2 Uhr morgens erfolgt, die Sektion fand eine halbe Stunde
später, also um 9 Uhr, im Pfleghause statt.
Nach Eröffnung der Bauch- und Brusthöhle und Feststellung der
Lage der Organe wurde der Herzbeutel aufgeschnitten und das äußere
Aussehen und der Contraetionszustand des Herzens untersucht: Peri- und
Epikard waren glatt und glänzend, das subepikardiale Fett nur wenig
entwickelt; die Kranzgefäße dünnwandig und ziemlich prall gefüllt; das
nke Herz war mittelstark kontrahiert, das rechte schlaff. Trotzdem
diese Untersuchung zwei bis drei Minuten gedauert hatte und
die Lage des Herzens von mir mehrmals verändert wurde,
habe ich irgend etwas Auffälliges nicht bemerkt. Ich schickte
mich eben an, das Herz in situ aufzuschneiden, als ich von dem inzwischen
mit dem Aufsägen des Schädels beschäftigten Diener zur Kopfsektion ab-
gerufen wurde. Da der Situs des Gehirns und seiner Häute bekanntlich durch
den Abfluß der Hirnflüssigkeit bedeutend verändert wird, unterbrach ich die
rustsektion und begann die Kopfsektion. Das Schädeldach war von
mittlerer Dicke, ohne besondere Veränderungen, die Dura an ihrer Ober-
‚che ziemlich glatt mit einigen Pacchionischen Granulationen. Sowohl
reichlich klare seröse Flüssigkeit, ebenso erschien das freigelegte Gehirn
Odematös und weich. Soeben hatte ich den das Gehirn vom
ückenmarke trennenden Schnitt (etwa in der Höhe des zweiten
urzelsegments) geführt, als der neben mir stehende Diener
meine Aufmerksamkeit auf das Herz lenkte. Man sah am
erzen lebhafte Pulsationen, die so deutlich und stark waren,
ko man sie auf die Entfernung von einigen Metern sehen
onnte. Ich hebe diesen Punkt deshalb hervor, weil ich mich
Bogen die Möglichkeit eines Uebersehens dieser Contractionen
ei der Inspektion verwahren möchte; auch ganz geringe Be-
wegungen hätten schwerlich meinem Auge entgehen können. Gleich-
zeitig sei hier der Zeitpunkt des Eintritts dieser Erscheinung von vorn-
erein fixiert: Der Beginn der Pulsationen fällt mit der Rücken-
äute selbst als auch die zwischenliegenden Räume enthielten
marksdurchtrennung zeitlich zusammen, und unwillkürlich kam
mir sofort der Gedanke, es könnte zwischen beiden Ereignissen ein Zu-
sammenbang bestehen. Auf diese Möglichkeit soll später des näheren
eingegangen werden. Die nähere Betrachtung ergab, daß die Pulsationen
nicht am ganzen Herzen zu sehen waren, sondern nur an der rechten
Herzhälfte. Was ich zunächst für Contractionen des linken Herzens.
hielt, erwies sich als schwache, vom rechten Herzen aus fortgepflanzte
Erschütterung der Herzwände. Die Contractionen gingen von der
Einmündungsstelle der oberen Hohlvone aus und pflanzten sich
nach dem Herzohr und auf die Hinterwand fort; die obere Hohlvene
selbst zeigte keine Bewegungen. Die gleichzeitig bestehenden Ventrikel-
pulse waren schwächer als die am Vorhof und stimmten auch in bezug auf
Rhythmus und Phase mit den Vorhofpulsen nicht vollständig überein.
Während der Vorhof ferner in’einem ganz gleichmäßigen, 50 bis 60-
gleichstarke Pulse in der Minute zählenden Rhythmus schlug, schwankte
die Höhe und die Zahl der Ventrikelpulsationen gleich bei der ersten Be-
sichtigung ziemlich beträchtlich. Die gemeinsame Tätigkeit von Vorhof
und Ventrikel dauerte etwas über drei Minuten, dann begannen die Ven-
trikelschläge immer unregelmäßiger und schwächer zu werden, bis nach
weiteren zwei Minuten nur ein ungeordnetes Auf- und Abwogen der Ven-
trikelwand zurückblieb, das sich nach und nach innerhalb der nächsten
drei Minuten in eine arhythmische Folge fibrillärer Zuckungen auflöste,
welche die Ventrikelwand bald hier, bald dort erschütterten. Unterdessen
schlug der Vorhof ungestört in seinem früheren Rhythmus weiter.
Mechanische Reize, wie Fingerdruck oder Messerstiche,
schienen keinen nennenswerten Einfluß auf seine Arbeit aus-
zuüben. Bei den Ventrikelzuckungen wurden inzwischen die Pausen
immer größer; mechanische Reize lösten zwar neue Zuckungen
aus, vermochten aber nie eine Reihe von Pulsationen hervor-
zubringen. 18 bis 15 Minuten nach dem Beginne des Phänomens war
die spontane Tätigkeit des rechten Ventrikels so gut wie erloschen, auch
die mechanische Auslösung von Zuckungen gelang nur ganz selten. Un-
gefähr zu derselben Zeit begannen die Vorhofpulse, die bis dahin nur
einmal einen Augenblick ausgesetzt hatten, erst ganz kurze, kaum drei
Sekunden dauernde, dann immer längere Unterbrechungen zu zeigen.
Nach ungefähr zehn Minuten löste sich auch hier die kontinuierliche Püls-
reihe in eine diskontinnierliche auf. Man sah nunmehr in ziemlich kon-
stanten Intervallen von einer halben bis einer Minute Reihen von 15 bis
20 rhythmischen Einzelpulsen auftreten, die gegen Ende der Periode etwas
an Höhe abnahmen. Mechanische Reize verkürzten zwar die Pausen
zwischen den Perioden, allein auf ihren Umfang schienen sie ohne Ein-
fluß zu sein. Die Stärke der Contractionen zu Beginn jeder Periode
unterschied sich kaum von der zu Anfang der Erscheinung beobachteten,
dagegen ihre Ausbreitung auf dem Vorhof nahm allmählich ab. Während
früher das Herzohr an der Pulsation teilnahm, zeigte es nunmehr nur
geringe Mitbewegungen, die von der Erschütterung herrührten. Eine an-
dere Veränderung betraf die Kranzgefäße: Im Laufe der Beobachtung
nahm ihre Füllung merklich ab, wahrscheinlich infolge der Abkühlung
durch die atmosphärische Luft und die dadurch bewirkte Zusammenziehung
des Herzmuskels und der Gefäßwände. — Bis etwa 9°, behielten
die Pulsationen ihre gewöhnliche Stärke, nur die Zwischen-
pausen stiegen allmählich bis auf zwei Minuten. Um 9%,
wurde das Herz im Zusammenhange mit. den Halsorganen und Lungen
nach vorheriger Unterbindung der Aorta abdominalis und Vena cava inf.
aus der Leiche herausgenommen. Die Folge dieser nicht ohne Druck
und Erschütterung des Herzens und unter beträchtlichem Biutabfluß er-
folgten Prozedur war ein deutliches Schwächerwerden der Contractionen
und Eintritt von Unregelmäßigkeiten im Ablaufe der bis dahin relativ
rhythmischen Palsreihen. Die Störungen des Rhythmus sind geblieben,
der Vorhof hat sich nicht mehr vollkommen erholen können. Die Organe
wurden zirka um 10 Uhr nach dem pathologischen Institute der Univer-
sität hinübergeschafft. Herr Geheimer Rat Marchand!) hatte die große
Freundlichkeit, mir den weiteren Verlauf der Erscheinung mitzuteilen:
„Als die Präparate zu uns kamen, war die Bewegung des rechten Vor-
hofs sehr deutlich. Ich demonstrierte das Herz (in Verbindung mit den
Lungen und Halsorganen) den Studenten vor Beginn der Vorlesung um
11 Uhr, ließ es dann zurückstellen und konnte um 12 Uhr, mindestens
bis 121), die Bewegung nochmals demonstrieren. Bei Berührung mit
Instrumenten erhielt man eine wellenförmige, von hinten nach vorn zum
Herzohr fortschreitende Contraction, später noch lokale Contraction an
der Berührungsstelle, die letztere auch am Ventrikel.“
| Die mechanische Erregbarkeit des Herzens bestand noch. gegen
2 Uhr; später wurde das Herz aufgeschnitten. Bis auf eine mäßige Ver-
dichtung eines Teils des linken Unterlappens fand sich weder am
Herzen selbst noch an den übrigen Organen irgendeine
wesentliche pathologische Veränderung. Der rechte Vorhof
enthielt nur ganz wenig flüssiges Blut. Die peripheren Arterien
zeigten eine mäßige Verdickung der Wand, in der Intima der Aorta
waren vereinzelte gelbe Plaques. Das Gehirn selbst bot außer starker
seröser Durchtränkung das Bild einer mittleren Rindenverschmälerung.
Besonders nach Härtung in Müller-Formol traten die durch das Oedem
verdeckten Degenerationszeichen: Verschmälerung der Gyri und die damit
zusammenhängende Verbreiterung der Sulei deutlich hervor. Auf Quer-
schnitten durch das Gehirn waren keine mikroskopisch sichtbaren Ver-
1) Herrn Geheimen Rat Marchand verdanke ich auch die An-
regung zu dieser Arbeit. |
pri
1418 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
änderungen zu finden, was freilich das Vorhandensein lokaler Störungen
(z. B. lokaler Oedeme) nicht ausschließt. | ni
Die ganze Erscheinung läßt sich kurz folgendermaßen dar-
stellen:
1. 40 Minuten nach dem Tode nimmt das rechte Herz
eines Ödjährigen Paralytikers seine Tätigkeit wieder auf
und setzt sie mit kurzen Pausen unter allmählicher Be-
schränkung auf den Vorhof einige Stunden fort,
2. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit scheint im
Anschluß an die mit der Rückenmarksdurchtrennung zu-
sammenhängenden Manipulationen erfolgt zu sein,
Diese beiden Sätze enthalten die Fragen, die im Folgenden
erörtert werden müssen: Die Frage nach dem Vorkommen post-
mortaler Herzpulsationen überhaupt und die Frage ihrer Entstehung.
Natürlich kann ich mich hier nicht auf den allgemeinphysiologischen
Teil dieses Problems einlassen. Ich will nur versuchen, durch
Zusammenstellung von Tatsachen der unmittelbaren und mittel-
baren (experimentellen) Erfahrung die Erscheinung einigermaßen
begreiflich zu machen. Die historische Betrachtung des Problems
dürfte am besten unsern Zweck erfüllen.
Postmortale Herzcontractionen bei Tieren, auch nach voll-
ständiger Lostrennung des Herzens vom übrigen Körper, waren
schon den Alten bekannt. Der erste Experimentator Galen hat
sie schon an seinen Versuchstieren (Schweinen) beobachtet, er
kannte schon das Herz als das Ultimum moriens. Von den
späteren Autoren finden sich kurze Notizen hierüber bei Haller,
van Swieten, Peyer und etwas ausführlichere Angaben bei
R. Whytt!). Die Beobachtungen galten mehr als Curiosa, man
war sich meistens ihrer Tragweite noch nicht so recht bewußt;
nur Haller verwandte sie zur Stütze seiner Irritabilitätslehre.
Erst mit dem Augenblicke, wo die moderne Physiologie auf
das überlebende Herz ihre experimentellen Methoden anwandte,
um an ihm die normale Funktion des Herzens zu studieren, ge-
wannen sie eine größere Bedeutung. Um diese von der Natur
dargebotene Versuchsmöglichkeit besser auszunützen, suchte die
Physiologie nach Mitteln, die Vitalität des überlebenden Herzens
zu verlängern und durch Beeinflussung und Regelung der leben-
erhaltenden Faktoren von außen seine Tätigkeit von den zahl-
reichen Störungen und Mängeln zu befreien, die dem sich selbst
überlassenen spontanen Schlagen anhaften. Durch die Einführung
der künstlichen Speisung ist ihr die Lösung dieses Problems ge-
glückt und damit eine neue Epoche für das Studium der Funk-
tionen dieses wichtigen Organs und seiner Beziehungen zu dem
übrigen Körper angebrochen. So interessant jene Entwicklung ist,
so muß ich doch mir ihre Weiterverfolgung versagen, da sie nur
mittelbar mit unserer Frage zusammenhängt. Außerdem bezieht
sich die überwiegende Zahl ihrer Resultate auf das Kaltblütler-
herz, das bekanntlich in anatomischer wie plysiologischer Hin-
sicht manche Abweichungen von dem Warmblütlerherzen aufweist,
sodaß Analogieschlüsse hier nur mit Vorsicht aufzunehmen sind. —
Im Prinzip läßt sich das spontane Schlagen, wie es am
häufigsten der Tierversuch als zufälliges Nebenphänomen zur Beob-
achtung gebracht hat, von den artefiziell verlängerten oder wieder-
erzeugten Herzpulsationen, wie sie uns das Wiederbelebungsexperi-
ment zeigt, nicht trennen, da beide auf derselben Grundeigenschaft
des Herzmuskels, der Persistenz seiner Automatie, beruhen, aber
für unsere praktische Betrachtung ergibt sich aus einer solchen
Trennung der Vorteil, die Vergleichung nach Möglichkeit inner-
halb gleichgearteter Reihen von Beispielen durchzuführen.
Drum seien zuerst die markanteren Beispiele spontanen
Schlagens angeführt. Bei Kaltblütlern ist es beinahe die Regel,
daß das Herz nach dem Tode stundenlang in der Leiche, ja sogar
nach vollständiger Lostrennung von derselben weiterschlägt. Da
aber das Kaltblütlerherz, wie bereits bemerkt, sich in wichtigen
Punkten von dem Herzen des Warmblütlers unterscheidet, so haben
derartige Beispiele für das letztere keine bindende Gültigkeit und
können daher auch außer acht gelassen werden. Das Herz des
Warmblütlers besitzt die Fähigkeit des Ueberlebens schon in be-
trächtlich herabgesetztem Maße. Anscheinend ist durch die Aus-
bildung weitverzweigter nervöser Verbindungen mit dem übrigen
Körper, insbesondere dem Üentralnervensystem, ein Teil der Auto-
matie verloren gegangen. Nur einzelne Herzabschnitte, besonders
der rechte Vorhof, die Einmündungsstelle der Hohlvenen sowie
diese selbst, haben sie noch in höherem Grade behalten. Die
meisten das Warmblütlerherz betreffenden Beobachtungen beziehen
1)RobertWhytts sämtliche zur theoretischen Arzneikunst gehörige
Schriften, übersetzt von Lietzen 1790, S. 40, 47. 321 ff,
sich demgemäß lediglich auf Pulsationen des rechten Vorhofs oder
höchstens des rechten Herzens und ähnlich ist hierin das Ver-
halten des menschlichen Herzens. Die Dauer der Erscheinung ist
gleichfalls relativ beschränkt, freilich schwankt sie innerhalb weiter
Grenzen. So beschreibt Vulpian!) fbrilläre Contractionen am
rechten Vorhof eines Hundeherzens 931/2 Stunden nach dem Tode
des Hundes; ähnliche Beobachtungen machte an Kaninchenherzen
in situ Panum?), bekannt ist auch die Langlebigkeit des Herzens
der durch Luftembolie getöteten Tiere, aber meistens erlischt die
Automatie in viel kürzerer Zeit. Nach Waller Reid?) führen
ausgeschnittene Kaninchenherzen "höchstens 72 Minuten p. m. nor-
male spontane Contractionen aus. In seltenen Fällen können rich-
tige Pulsationen bis zu zwei Stunden nach dem Tode dauern, ja
sogar noch dann angedeutet sein, wenn der Herzmuskel bereits in
Starre übergeht. In einem Falle hat Rothberger®), von dem die
letztere Beobachtung stammt, sogar noch im Stadium der Lösung
der Starre Herzcontractionen gesehen.
Das meiste Interesse bieten die Beobachtungen am Menschen.
Das Hauptkontingent dieser Fälle liefern die Enthauptungen, wäh-
rend die natürlichen Todesarten, wie leicht verständlich, nur unter
besonders günstigen Umständen die Möglichkeit einer darauf hin-
zielenden Prüfung gewähren. Allem Anschein nach gehören der-
artige postmortale Erscheinungen bei Erwachsenen zu den größten
Seltenheiten. Nur die Anfänge des menschlichen Lebens, wie sie
im Embryo und im Neugeborenen verkörpert sind, machen darin
eine bemerkenswerte Ausnahme. Es bestätigt sich auch hier der
Satz: Je embryonaler, das heißt undifferenzierter und vom fremden
Einfluß unabhängiger der Herzmuskel ist, desto höher der Grad
und desto länger die Dauer seiner Automatie. Embryonale Herzen
zeigen, wie Rawitz) beschreibt, Contractionen bis vier Stunden
nach dem Tode, und auch bei Neugeborenen®), die an den Folgen
der Geburt oder an intrauterin erworbenen Krankheiten zugrunde
gehen, sieht man bis 21/2 Stunden nach dem Erlöschen des übrigen
Lebens automatische Pulsationen, wie die Fälle von Neugebauer’),
Marchaud®), Opitz?) und Peiser!0) beweisen. Der eine Fall
von Marchaud ist insofern noch besonders interessant, als es
sich bei ihm um das Herz eines vier Tage alten Knaben handelte,
der an einer wahrscheinlich intra partum erworbenen Milzbrand-
infektion gestorben war, also an einer Krankheit, bei welcher nach
der gewöhnlichen Annahme der Tod an „Herzlähmung“* erfolgt.
Das Widersprechende dieses Falles verschwindet indessen, wenn
man an eine Lähmung der Rückenmarkscentren der extracardialen
Nerven oder der Vasomotoren denkt, eventuell käme eine Affektion
der ziemlich allgemein angenommenen Hemmungsapparate im Herzen
selbst in Frage. Freilich wäre bei der letzteren Annahme das
Persistieren der Herzaktion nur vom myogenen Standpunkt er-
klärlich, da dann die einzige Quelle der Herzkraft die autochtone
Irritabilität des Muskels sein müßte.
Bei Erwachsenen erlischt die Automatie nach dem Tode sehr
bald, wenn sie auch meistens den Atemstillstand überdauert!!).
Auch scheint der Herzmuskel kürzer als die Skelettmuskulatur
einen gewissen Tonus zu bewahren, der sich in einer mechanischen
Erregbarkeit äußert, während die automatische Funktion schon
erloschen ist. In diesem Sinne sind wohl die nicht gerade häufigen
Sektionsbefunde an frischen Menschenleichen zu deuten, wo eine
Zeitlang ungeordnete Zuckungen am rechten Vorhof oder Herzohr
zu bemerken waren!?). Die näheren Bedingungen des Todes, seine
Ursachen und die Art seines Eintritts werden wohl hierbei ent-
scheidend sein.
Bei den gewöhnlichen Todesarten ist das Herz dasjenige
Organ, dessen definitiver Stillstand, mag er unmittelbar oder
1) Mémoires de la société de biologie. 1858, S. 8.
2) Zit. nach Hermann, Handb. der Physiol. Bd. 4, S. 355.
3) Philos. Transactions. 1887, S. 217.
4) Pflügers Arch. 1903, Bd. 99, S. 441 ff.
5) Engelmanns Arch. 1879, Suppl., S. 69ff.
. © Cf. Kußmaul, Ueber die Ursachen und den Gang unseres Ab-
lebens. 1866, S. 45ff, ferner W. Koch, Zieglers Beitr. 1907, B. 42, H. 1.
1) Zbl. f£. Gyn. 1898, Nr. 47 und 1899, Nr. 17.
8) Zbl. f. Gyn. 1899, Nr. 3.
°) Zbl. f. Gyn. 1899, Nr. i und 27.
10) Zb). f. Gyn. 1899, Nr. 34.
l 1) E, v. Leyden beschreibt Fälle, in denen nach centralem Atem-
stillstand der Herzschlag länger als eine halbe Stunde fortdauerte. (D.
med. Woch. 1898, Bd. 24, S. 485—488.) À
12) Auf zirkaf20 000 Sektionen des Leipziger pathologischen Insti-
tutes kommen drei bis vier solcher Befunde, während „idiomuskuläre“
Zuckungen von Skelettmuskeln öfter sogar zwölf Stunden nach dem Tode
beobachtet worden sind, nn
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
mittelbar erfolgen, das wichtigste Signum mortis ist und über den
zeitlichen Eintritt des Todes entscheidet: Ist doch das Herz im
„Trépied vital“ die stärkste Stütze. Es ist daher im Grunde ge-
nommen nicht verwunderlich, daß gerade bei Enthaupteten die
Herzaktion teilweise die Trennung des Kopfes vom Rumpfe über-
dauert. . Die Wirkung der tötenden Noxe hat bei ihnen noch keine
Zeit gehabt, um zum Herzen zu gelangen. Eine Ausnahme bilden
die Fälle, bei denen der psychische Shock einen primären Herzstill-
stand bewirkt.
f Die älteste ausführlichere Ueberlieferung spontaner Herzcon-
tractionen bei Enthaupteten stammt von Immanuel Rousseau
aus. dem Jahre 18071). . Als Rousseau den Körper einer zirka
94 Stunden vorher guillotinierten Frau öffnete, fand er das Herz
noch schlagend, insbesondere ein Herzohr (rechts?). Die übrigen
Herzhöhlen hoben und senkten sich abwechselnd, aber die Be-
wegung war wenig deutlich. Die Erscheinung dauerte ungefähr
drei Stunden. nn |
| Aehnliches haben Duval, Rochard und Petit?) an zwei
Hingerichteten beobachtet. Bei Fall I schlug 15 Minuten p. m.
noch der rechte Vorhof und das rechte Herzohr 11/4 Stunden
lang ganz regelmäßig; an den Ventrikeln war leichtes Wogen und
und Zittern. Im Falle II schlugen Vorhöfe und Ventrikel weiter,
der Ventrikel kam aber bald zum Stillstand. |
Am bekanntesten in der Literatur ist der Henlesche Fall’).
15 Minuten nach der Enthauptung war der rechte Vorhof noch in
voller Tätigkeit, während die rechte Kammer nur schwache Kräuse-
lungen der Oberfläche zeigte. Die Zahl der Contractionen, deren
Rhythmus völlig gleichmäßig war, betrug 60—70 in der Minute,
Bei elektrischer Reizung des linken Nervus vagus in der Höhe des
vierten Halswirbels stand der Vorhof still, nach Entfernung des
Drahtes trat eine Minute später wieder Schlagen ein. Eine zweite
und dritte Vagusreizung hatte denselben Erfolg. 25 Minuten p. m.
hörten die Pulsationen auf, stellten sich aber bei Reizung des
linken Nervus sympathicus sofort wieder ein. Henle faßt die
Möglichkeit einer bloßen zeitlichen Koinzidenz ins Auge, da später
noch einmal ganz unvermittelt stürmische kurze Aktion des Vor-
hofs eintrat. | u |
Zum Schlusse sei noch die Beobachtung von Regnard und
Loye®) erwähnt, die 25 Minuten p. decap. das Herz im ganzen
noch pulsieren sahen. An den Herzobren dauerte die Erscheinung
noch 60 Minuten länger. | o
‚ Man kann annehmen, daß bei der Mehrzahl solcher Fälle,
in denen der Herzschlag .persistiert, es sich nicht um das Hin-
zutreten eines abnormen, vielleicht besonders intensiven äuße-
ren Reizes handelt, sondern daß die einzige Ursache die ge-
steigerte Vitalität. des Herzmuskels ist, die ein längeres Be-
stehen der Automatie gestattet®). Daß natürlich äußere Momente
begünstigend auf diesen Zustand wirken können, unterliegt wohl
keinem Zweifel, es handelt sich nur darum, in welchem Umfang
man eine Beeinflussung von außen annimmt. Daß sie oft die Be-
dingungen für den Eintritt des Phänomens erst schafft, beweisen
die Fälle, in denen das stillstehende Herz erst eines äußeren An-
sporns in irgendeiner Form bedurfte, um seinen sistierten intra-
cellulären Stoffwechsel wieder aufzunehmen und die schlummernde
Automatie zu wecken. Hierher gehören z. B. die sämtlichen
Wiederbelebungsversuche, bei denen eine körperfremde Nährflüssig-
keit organischer oder anorganischer Art zur Speisung des Herz-
muskels verwandt ihn zum neuen Leben anregt oder seine Ueber-
lebungsdauer um das Vielfache der spontanen verlängert. Aber
auch diese künstliche Ernährung ist nicht die Ursache der Herz-
tätigkeit, sondern nur eine von ihren vielen Bedingungen.
Fälle von Herzpulsationen, bei denen erst ein äußerer Reiz die
latente Vitalität ausgelöst hat, sind gleichfalls schon lange bekannt.
Aeltere Autoren, wie Nysten, Harleßt), Bischoff, beschreiben
schon Contractionen verschiedener Herzteile, die durch Galvanisation
_ neun und zehn Stunden p. m. auslösbar waren. Mit Hilfe des galva-
‚ 1) Zit, nach Hunters „Blut, Entzündung usw.“, deutsche Uebers.
Berlin 1859. Anmerkung zu S; 200, Richelot. — Die viel ältere Beob-
achtung des Paracelsisten Thurneissers, enthalten in „De probatu urinar“,
cap. 8, p. 49, bei der es sich um spontanes Schlagen des rechten Herz-
ohrs 80 Min. p. decap. handelte, war mir leider im Original nicht zu-
gänglich. |
| 2) Gaz. méd. 1851, S. 434.
°) Zt. f. rat. Med. Neue Folge. 1852, Bd. 2, S. 299 ff.
1) Cpt. r. de l'Acad. 1877, S. 1871. l
°) Conf. darüber F. B. Hofmann, Nagels Handb. der Physiol. d.
Menschen, Bd. IT, S. 223
‘) Jenaische Annalen, Bd, 3, S: 244,
nischen Stroms studierte Nysten!) an elf Hingerichteten die
Contractionsphasen des Herzens. In Deutschland führten A. Köl-
liker?) und R. Virchow bei Gelegenheit einer Hinrichtung ähn-
liche Versuche aus. Bei der 45 Minuten p. m. erfolgten Sektion
fanden sie außer einer hochgradigen Reizbarkeit der Skelettmusku-
latur gegen den induzierten Strom beim Galvanisieren des rechten
Herzohrs rhythmische Contractionen, die aber mit der Oeffnung des
Stroms aufhörten. Die übrigen Herzhöhlen waren nicht erregbar.
Schöner gelang dasselbe Experiment Dittrich, Gerlach und
Herz) an den Leichen von zwei Hingerichteten. Im Falle I er-
zielte man durch elektrische Reizung des rechten Herzens deutliche
Contractionen, welche nach Entfernung des Pols noch einige Zeit
fortdauerten. Weniger ausgeprägt war dersölbe Versuch am linken
Vorhof und Herzohr, dagegen gab der rechte Ventrikel, mit dem Pol
in Zusammenhang gebracht, schöne rhythmische Pulsationen, die sich
auf den linken Ventrikel fortsetzten. Direkte Reizung der linken
Kammer blieb ohne Erfolg. Die Erregbarkeit wurde 48 Minuten
p. m. untersucht. Im Falle II konnte 36 Minuten p..decap. nur
das rechte Herzohr zur Contraction gebracht werden.
Auch dem .Lufteintritt in die Herzhöhlen wird von mancher
Seite in bezug auf die Reaktivierung des Herzens großes Gewicht
beigelegt. Schon Vesalius*t) sagt gelegentlich, daß „Luft“ das
stillstehende Herz bewegt, dasselbe berichtet R. Whytt°) vom
Lufteinblasen. Im hohen Grade bemerkenswert ist in dieser Hin-
sicht der Fall von Couty-Senac®), wo bei einem Menschen
zwölf Stunden nach dem Tode das Herz zu schlagen begann, als
Luft in den Ductus thoracicus eingeblasen wurde. Beiläufig sei
erwähnt, daß auch Marchand bei seinem zweiten Falle Luftblasen
im linken Vorhof und in den Lungenvenen gefunden hat und die Mög-
lichkeit nicht von der Hand weist, in ihnen wenigstens eine von
den Bedingungen für die lange Dauer der Automatie zu erblicken?).
Eine Anzahl anderer erregender Momente, die hauptsächlich
aus dem Tierversuche bekannt sind, werde ich später erwähnen,
zuerst mögen die Wiederbelebungsversuche im engeren Sinne kurz
besprochen werden. Man könnte mit Recht von Wiederbelebungs-
wundern sprechen, so sehr ans Wunder grenzend erscheinen manche
dieser Experimente. Durch Speisung lebt die bereits verschwun-
dene Lebenskraft des totenstarren Muskels wieder auf und hält
unter den ungünstigsten äußeren Bedingungen tagelang an. Es
war auch einmal eine Zeit, wo derartige partielle Restitutionen
ad integrum zu den hochgespanntesten Hoffnungen und Spekula-
tionen Anlaß gaben: Es waren dies die Zeiten der ersten Wieder-
belebungsversuche Kays und Brown-Söquards®). Den Ueber-
treibungen jener Zeit gilt der Spott Kühnes®): „Es gibt wohl
kein physiologisches Experiment, das weiter ins Extreme getrieben
wurde, als die Wiederbelebung der Muskeln durch das arterielle
Blut. Brown-Séquard schien der Leichenerwecker aller Ana-
tomien werden zu wollen; nach ihm sollten Hingerichtete durch
Injektionen von Hundeblut in ansehnlicher Weise zu Kräften ge-
langt sein; und sein eigenes Blut wanderte in die Glieder der
Pariser Verbrecher.“ Bald legte sich der Taumel und die Wieder-
belebungsversuche behielten lediglich ein theoretisches Interesse.
Eine praktische Bedeutung gewannen sie erst dann, als sie, auf
das Herz angewandt, der Physiologie Mittel und Wege gaben, die
Funktion des Herzens unter Bedingungen zu studieren, die an-
nähernd den intravitalen gleichen. Dieser Methode, die von
Ludwig und seinen Schülern inauguriert, später insbesondere von
Nevell Martin, Anderson, E. v. Cyon, Langendorff und
Andern zweckmäßig modifiziert und ausgebaut wurde), verdankt
1) Nouvelles expériences galvaniques faites sur les organes mus-
culaires de l'homme et des animaux de sang rouge. Paris 1803.
2) Zt. f. wissensch. Zool. 1851, Bd. 3, S. 37 fi.
3) Prag. Vierteljahrsschr. 1851, S. 65 f. l
4) Wagners Handb. der Physiol.
5) 1. c. S. 67—68. Conf. auch Ludwig, Lehrb. d. Physiol. d.
Menschen. . 1. Aufl. 1856, Bd. 2, S. 66. Freilich bei dem „Lufteinblasen“
in die Lunge handelt es sich um eine reflektorische Wirkung vom Lungen-
' vagus auf das Herz. Die Auslösung dieses Reflexes ist gleichfalls ein
„Wiederbelebungsmittel“ für das Herz, wie Beobachtungen bei chirur-
gischer Synkope zeigen. Conf. Spitalul, 1905, Bd. 25, S. 368.
9%) Etude exp. sur l'entrée de lair dans les veines etc. Paris 1875.
(Zitiert nach Ewald u. Kobert, Pflügers A., Bd. 31, S. 187.)
1) l. c. 8.4. Beweis: das schon erwähnte Persistieren der Herz-
aktion bei Kaninchen, die an Luftembolie sterben.
8, Compt. rend. de I’Acad. des sciences. 1851, Bd. 32, S. 855, 897
und 1886, Bd. 1, S. 622, 674, 790. |
°) A. f. Anat. u. Phys. 1859, S. 752. i
10) Diese Entwicklung kurz dargestellt hei A, Steinberg, Zt, f,
Biol, 1908, Bd. 51, S. 460 ff.
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1420 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 85.
die Physiologie des Herzens ihren heutigen Aufschwung. Gestattet
doch die künstliche Speisung das spontane Schlagen überlebender
Tierherzen bis zu 95 Stunden zu verlängern [Locke und Rosen-
heim!)], ja was noch wichtiger ist und was kein anderer noch so
starker Reiz zuwege bringt, halb- oder ganztotenstarre Herzen von
neuem zu beleben und dieses neuerweckte Leben auch nach völliger
Isolierung vom Organismus künstlich zu erhalten. Die inter-
essantesten Versuche dieser Art sind die von Kuliabko2), weil
sie beweisen, daß die Grenzen der Vitalität des Herzmuskels viel
weiter zu ziehen sind, als man bis dahin auf Grund älterer, zum
Teil sehr sorgfältiger Untersuchungen von Heubel’), R. Boehmt),
Arnaud) und Andern anzunehmen geneigt war. Während Ar-
naud z. B. auf experimentellem Wege festgestellt hatte, daß
Wiederbelebung von Kaninchenherzen durch ‚Injektion arteriellen
Bluts in die Coronararterien höchstens bis 15—16 Minuten nach
dem Stillstande möglich ist, gelang es Kuliabko, sogar sieben
Tage nach dem Tode einem Kaninchenherzen (es handelte sich so-
gar um das Herz eines an Krankheit gestorbenen Tieres) seine
Funktion wiederzugewinnen. Die gleichfalls von Kuliabko nach-
gewiesene Tatsache, daß auch unter 0° die vitalen Vorgänge im
Herzmuskel nicht aufhören, fand später durch die Versuche von
A. Velich®) und H. E. Hering”) ihre volle Bestätigung. Velich
gelang die Wiederbelebung eines Herzens, das am Fenster bei
Frostwetter volle 18 Stunden mit Schnee bedeckt gehangen hatte,
ja sogar eines in physiologischer Kochsalzlösung festgefrorenen
und wieder aufgetauten Herzens. Noch wichtiger sind die zahl-
reichen Wiederbelebungsversuche Herings an totenstarren und
fostgefrorenen Hunde- und Affenherzen und die theoretischen
Schlüsse, welche dieser Forscher aus ihnen über die Funktion des
Herzmuskels und seine Beziehung zu den extrakardialen Herz-
nerven gezogen hat.
So relativ leicht die Wiederbelebung des tierischen Herzens
war, so schwer: gestaltete sie sich beim menschlichen Herzen.
Zwar war es wieder Kuliabko?2), dem dies Experiment an sechs
Kinderherzen teilweise, an einem Herzen, das einem an Pneumonie
verstorbenen Kinde gehörte, sogar vollständig gelungen war, aber
dieser Erfolg wäre für den Erwachsenen nicht maßgebend, da wir
bereits wissen, daß das Herz in der ersten Lebenszeit auf Grund
gewisser Eigenschaften seiner Muskulatur einen unvergleichbar
höheren Grad der Automatie besitzt als das des Erwachsenen.
Den Beweis für die Möglichkeit der Wiederbelebung des erwachse-
nen, ja sogar isolierten Herzens hat erst Hering?) erbracht. Im
Jahre 1905 belebte er drei Stunden nach dem Tode mittels künst-
licher Speisung das der Leiche eines Paralytikers entnommene
Herz. Die Wiederbelebung erstreckte sich nur auf den rechten
Vorhof, alle übrigen Herzabschnitte blieben unbeweglich. An diesem
Vorhofe hat Hering zwei Stunden lang Versuche gemacht.
In der letzten Zeit hat Cosaris-Demel!®) umfassende Ex-
perimente an isolierten Menschenherzen angestellt. Hauptsächlich
handelte es sich um Kinderherzen, aber auch an einigen Herzen
von Erwachsenen war ihm die Wiederbelebung gelungen. Zur
Speisung verwandte er die Ringer-Lockesche Lösung. Auf
Grund seiner Versuche unterscheidet er zwei prinzipiell verschiedene
1. September.
Arten von Herzstillstand: einen reparablen und einen irreparablen.
Die Unterscheidung basiert auf dem Verhalten der Herzen der
künstlichen Speisung gegenüber: Wird durch die Ringer-Locke-
sche Flüssigkeit die Funktion des Herzens wiederhergestellt, so hat
es sich um einen rein toxischen, durch Stoffwechselprodukte im
Sinne Kuliabkos bedingten, bei vollständiger anatomischer In-
taktheit des Herzmuskels eingetretenen Herzstillstand gehandelt,
und der Wiedereintritt der Herztätigkeit ist eine Folge der Ent-
giftung; bleibt die Speisung erfolglos oder nur partiell wirksam,
so besteht in den allermeisten Fällen eine makro- oder mikro-
skopisch nachweisbare Läsion des Herzmuskels. Besonders in-
struktiv sind in dieser Hinsicht die partiellen Wiederbelebungen
bei lokalbegrenzten Läsionen, z. B. des Hisschen Bündels. Daß
in solchen Fällen auch die ruhenden Herzteile noch nicht tot sind,
beweist die Tatsache, daß bei Durchspülung mit gefärbter Ringer-
Locke-Lösung diese Teile gleichfalls ungefärbt bleiben. Beide
Arten von jenen prinzipiell verschiedenen Herzalterationen sind
miteinander durch eins Skala von mannigfachen Uebergängen ver-
bunden. Die Wiederherstellung der Funktion durch Entgiftung
gelingt nach Cesaris-Demel nur am isolierten Herzen und nur
durch ein von außen kommendes Agens, welches das Individuum
niemals aus sich selbst hervorbringen kann. Neben der etwas
weitgehenden Schematisierung, die von den kausalen Momenten
des Herzstillstandes nur das toxische und anatomische gelten läßt,
dürfte gerade die letzte Annahme vielfach auf Widerspruch stoßen,
da sie den Umfang und den Grad der Wirksamkeit korrelativer
Mechanismen des Organismus auf das Herz zu gering einschätzt.
Auch bei Cesaris finden wir die Schwierigkeit betont,
Herzen von Erwachsenen wiederzubeleben. Bei weitem leichter ist
die Wiederbelebung der an und für sich noch vitalen Herzen von
Enthaupteten. Hier ist sie auch schon früher gelungen. Im Jahre
1892 belebten Hödon und Gilis!) durch Injektionen defibrinierten
Hundebluts das Herz eines Guillotinierten drei Viertelstunden post
mortem, nachdem bereits weder durch mechanische noch faradische
Reizung Contractionen auszulösen waren. Die Pulsationen waren
auf das rechte Herz beschränkt; Ventrikel und Vorhof schlugen
teilweise dissoziert (148 Pulse Atrium, 44 Ventrikel). Die Con-
traction begann merkwürdigerweise an der Herzspitze. Die Er-
scheinung dauerte 23 Minuten. Nach Aufhören der künstlichen
Speisung trat am Ventrikel Flimmern auf. Das Experiment wurde
von den Verfassern an einem Hunde wiederholt, und zwar mit
einem viel vollkommeneren Resultate.
Eine zweite Beobachtung der Art wurde 1906 unter ähn-
lichen Bedingungen von Deneke und Adam?) gemacht. Eine
Viertelstunde nach der Enthauptung sah man noch an den Vor-
höfen einige Minuten lang spontane Contractionen. Nach Durch-
spülung des Herzens mit Ringer-Lockescher Lösung begann das
Herz in toto zu schlagen und schlug so (mit Unterbrechungen,
wo die Kammern flimmerten) über 100 Minuten lang. Während
des Flimmerns der. Ventrikel setzten die Vorhöfe ihre rhythmische
Tätigkeit einige Zeit fort. Bei Zunahme des Zuflußdrucks trat
eine Beschleunigung der Herzaktion ein, ebenso bei Temperatur-
steigerung. (Schluß folgt.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Ueber einen Exitus unmittelbar nach voll-
endeter Adenoid- und Tonsillenoperation in
Narkose — Sektion
(Lehren für die Praxis)
von
Prof. Dr. Kafemann, Königsberg i. Pr.
Der Sachverhalt,
Am 5. Juli wurde mir ein 14jähriger sehr kräftig aussehender,
großer Knabe aus Petersburg von der Mutter vorgestellt mit dem Auf-
trage, ihm seine stark vergrößerten Tonsillen zu entfernen, da er an
1) Zbl. f. Phys. 1905, Bd. 19, S. 787. — ?) Pflügers A. Bd. 90, S. 461 u.
Bd. 97, 589 ff., ferner Zbl. f. Phys., Bd. 16, S. 380. — $) Pflügers A. Bd. 45,
S. 461 f. — +) A. f. exp. Path. 1878, Bd. 8, S. 68 ff. — 5) A. de phys. 1891,
S. 898 fi. — ©) M. med. Woch. 1902, S. 1421 ff. — 7) Verhandl. d. Deutsch.
path. Gesellsch. 1910, Ref. H. E. Herings, S. 35ff., Pingar A. 1903, Bd. 99,
S. 245 ff. — 8) Pflügers A. 1903, Bd. 97, S. 539 ff. — °) Pflügers A. Bd. 108,
S. 296, Anmerkung, ferner Verhandl. der Deutsch. path. Gesellsch. 1910,
S. 43—44, auch Kongr. f. innere Medizin 1906. — 1°) Nach einem in
schlechtem Französisch abgefaßten Kongreßberichte: A. Cesaris-Demel
(Pisa), Etudes sur le coeur isolé, S. 1—6.
| chronischer Schwerhörigkeit und Luftmangel während des Tags sowie
des Nachts litte. Die Untersuchung bestätigte die anscheinend
schon von spezialistischer Seite gestellte Diagnose: Starke, adenoide
Wucherungen, bis zur Grenze des unteren und mittleren Drittels
des Septums herabreichend, sehr große, mit beiden Gaumenbögen in
breiter Ausdehnung verwachsene Gaumentonsillen, chronischer
Tuben- und Mittelohrkatarrh beiderseits. Es wurde der Mutter,
die ja zirka zwei Monate hier sich aufhalten wollte, der Vorschlag
gemacht, im Abstand von ein bis zwei Wochen je eine Tonsille
unter Lokalanästhesie zu entfernen. Es wurde unverzüglich die
linke unter Cocain-Suprareninwirkung gesetzt, in der Weise, daß
einige Tropfen einer mit einem 20°/yigen Zusatz von Cocain ver-
sehenen Suprareninlösung in jede der erreichbaren Lacunen
mittels eines feinen Wattebäuschchens hineingeführt wurden, nach-
dem vorher die Oberfläche sowie die Umgebung, also die beiden
Gaumenbögen, unempfindlich gemacht worden waren. Die Ent-
fernung sollte möglichst radikal mit dem vorzüglich schneidenden
neueren modifizierten Modell der Hartmannschen Doppelcurette
vorgenommen werden, die unter Zuhilfenahme eines stumpfen, ge-
1) Cpt. r. hebd. des séances etc. de la société de biol. 1892, S. 760.
2) Zt. f. exp. Path. 1906, Bd. 2, S. 491 ff.
a a a ee en
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 142
krümmten Doppelhäkchens (zur Abziehung des vorderen Gaumen-
bogens) eine der Tonsillektomie gleichkommende ‚Entfernung ge-
stattet. Ließ sich dieser leider gänzlich undisziplinierte Knabe
schon die gewiß nicht schmerzhaften vorbereitenden Manipulationen
nur mit großem Widerstreben und unter heftigem und ziellosem
Spucken gefallen, so brach seine Willfährigkeit nach dem ersten
— beiläufig absolut schmerzlosen und völlig blutlosen — Schnitt
gänzlich zusammen. Indem er seinen Kopf hin- und herschleuderte,
gelang es nicht einmal, das exstirpierte, etwa haselnußgroße Stück
aus dem Munde zu entfernen, und alles gütliche Zureden, doch
wenigstens das an einer feinen Schleimhautbrücke hängengebliebene
Stück sich entfernen zu lassen, scheiterte an einem stets entgegen-
gesetzten „Nein“, verbunden mit einem energischen Schütteln des
Kopfes. Ich erklärte der Mutter, daß unter diesen Umständen
nur unter Aligemeinnarkose an eine Wntfernung der riesigen-
Massen zu denken wäre. Diese sah die Unmöglichkeit ein, ohne
Narkose zum Ziele zu kommen, und wir verabredeten eine Morgen-
stunde des 9. Juli für die Fortsetzung des Verfahrens, nicht ohne
daß der Mutter auf das strengste eingeschärft wurde, dem Knaben
in der Frühe nur eine einzige Tasse Tee zu verabfolgen. -
Ä Die Operation.
Die Untersuchung des Herzens ergab reine Herztöne, aber
eine geringe Verbreiterung der Herzgrenzen und leicht verschleierte
dumpfe, aber reine Töne. An den Lungen war keine Unregel-
mäßigkeit zu erkennen. Benutzt wurde Chloroform Merck Ph. G. IV,
das ich seit fünf Jahren auf Anregung der Firma mit nicht
schlechterem Erfolge benutze, als das 20 Jahre fast täglich ver-
wendete Chloroformium purissimum der englischen Pharmakopöe.
Die Narkose darf nur so leicht sein, daß die Kinder auf einfache
Fragen reagieren. Es wurden im ganzen 25 g verbraucht von
unmittelbar vor der Operation telephonisch beorderten 30 g, nichts
mehr. Der zur Einleitung der Operation notwendige Grad der Narkose
(natürlich kann ja bei diesen Operationen nur die Halbnarkose in Frage
kommen) wurde bald erreicht, und die Entfernung der rechten Ton-
sille gelang ohne Schwierigkeit, wennschon der Kopf einigemal heftig
hin- und hergeschleudert wurde. Darauf Aufrichten, Ausbluten, Fort-
setzung der Narkose. Als zur Entfernung der linken Tonsille ge-
schritten werden sollte, stellte sich Brechreiz ein. Sofortiges Auf-
richten. Ausbrechen einer ungeheuren Masse, in der deutlich zahl-
reiche Kirschen zu erkennen waren, die, höchstens mit der Zunge
zerdrückt, das Gegenteil einer cremeartigen Verdünnung nach
Fletscher darstellten. Die sofort in einem Nebenzimmer wartende
und von mir entrüstet herbeigerufene Mutter gestand, dem Knaben
ein Pfund Kirschen gekauft und ihm auch sonst ein reichhaltiges
Frühstück verabfolgt zu haben. Darauf Fortsetzung der Narkose,
Operation der zweiten Mandel. Fortbestehen der Brechneigung.
Abwarten der Blutung. Mittlerweile wieder Erwachen, neue Nar-
kose. Operation der Adenoiden (Gottstein, Modell D6tert Nr. 4),
die im Zusammenhang unter völliger Erhaltung ihrer Konfiguration
auf die Schulter des Knaben flogen. Aufrechte Haltung, normale
Blutung aus der Nase. Demonstrierung des Corpus delicti der
herbeigerufenen Mutter. Plötzlich Stillstand der Blutung, Cyanose,
Stillstand der Atmung und der Herztätigkeit. Künstliche Atmung,
noch mehrmals spontane Atemzüge, dann völliges Verschwinden
des Pulses sowie der Herztöne. Zweistündige erfolglose Bemü-
hungen unter Assistenz noch zweier Kollegen. Sofortige Mittei-
lung des Exitus an die Staatsanwaltschaft, Ueberführung der
Leiche in das Universitätsinstitut für gerichtliche Medizin. .
Die Sektion.
Diese wurde am folgenden Morgen von den Herren Prof.
Puppe und Med.-Rat Dr. Richter in Gegenwart der Gerichts-
kommission ausgeführt und ergab:
‚l. ein stark erweitertes Herz mit äußerst schlaffen und
verdickten Wandungen bei im übrigen gesunden Klappen,
2. chronische Hirnhautentzündung,
3. einen ausgeprägten Status thymicus et lymphaticus.
Die Thymusdrüse wog noch 40,5 g, zahlreiche innere Lymph-
ee waren stark vergrößert. Im Rachen fand sich natürlich
nut, dagegen weder im Kehlkopfe noch in der Luftröhre ein ein-
ager Tropfen, respektive Erbrochenes.
Verdikt: Tod aus unvermeidbarer Ursache.
Kritische Betrachtung. .
dies Das die Operation, und zwar die möglichst radikale, in
Pe Fall indiziert war, darüber kann ein Zweifel kaum be-
em. Ohne mich der halborientalischen Uebertreibung des
Griechen Doz. P. Konzies schuldig zu machen, der in einem
Referat über eine die adenoiden Vegetationen behandelnden mäch-
tigen Monographie (19121) seines Landsmanns Demetriades das
Leiden ein „das Leben untergrabendes nennt“, muß ich bekennen,
daß mir alle wirklich ausgebildeten Adenoiden operationsbedürftig
erscheinen. Es sind in meiner Liste alle Altersstufen vertreten
bis zu 65 Jahren.
Der geschilderte traurige- Ausgang drängt zu einer Fülle
von Betrachtungen. Zuvörderst erwarte ich aber den Vorwurf,
daß ich überhaupt eine Narkose angewendet habe. Dazu ist zu
bemerken, daß wir zu dieser in leider so häufigen Fällen bei der
russisch-polnischen Bevölkerung gezwungen werden. Zum Teil
sind es die Eltern dieser oft verwöhnten, nervösen, hysterischen,
undisziplinierten Kinder dieser Bevölkerungsgruppe, die die Nar-
kose zur Voraussetzung des operativen Eingriffs machen, aber
auch das deutsche Publikum steht dem russischen wenig in dem
Wunsche nach Narkose ihrer Lieblinge nach. Und so muß ich
bekennen, daß die Zahl der in einem Vierteljahrhundert von mir
vollzogenen Narkosen sich auf mindestens 10 000 (inklusive der
poliklinischen) beläuft, ohne daß bis auf einige leichte Asphyxien
sich auch nur ein ernsterer Unglücksfall ereignet hätte. Unter
diesen befinden sich zahlreiche Kinder verstorbener oder noch
lebender Kollegen. Ernster ist der Einwand, daß die geringe Ver-
breiterung des Herzens die Narkose hätte kontraindiziert erscheinen
lassen. Demgegenüber muß ich betonen, daß von mir nicht wenige
Kinder in Narkose operiert worden sind, bei denen die vorher
durch einen Internen vorgenommene Untersuchung Herzklappen-
fehler festgestellt hatte, die aber — nach Aussage des Internen —
einen Eingriff unter leichter Narkose gestatteten. Ich entsinne
mich besonders eines kleinen, hochgradig skoliotischen Knaben,
der einen doppelten schweren Herzfehler hatte und den Eingriff
— Entfernung von drei Tonsillen in einer Sitzung — vorzüglich
überstand.
Das Herz des zu Öperierenden hatte ich nicht nur nicht
für krank gehalten, sondern im Gegenteil für besonders kräftig.
Der Knabe war ein überfütterter Neurastheniker der Großstadt.
Hören wir, was Oberstabsarzt Sinnhuber in seiner Abhandlung
über die Unregelmäßigkeit des Pulses und seine Beurteilung für
die Militärtauglichkeit sagt!);: Die Untersuchung des Herzens
selbst ergibt bei Herzneurosen häufig ein systolisch auftretendes
Schwirren und Vibrieren mit einem sogenannten „hohen
Aktionstypus“ des Herzens, wie F. Kraus die verstärkte Tätig-
keit des linken Ventrikels häufig zu bezeichnen pflegte. Perku-
torisch festzustellende Herzvergrößerungen gehören eigentlich nicht
mehr in das Gebiet der reinen Herzneurosen, wenn es auch nicht
auszuschließen ist, daß das ermüdete Herz unter Umständen die
Fähigkeit verlieren kann, sich vollständig zu kontrahieren usw.“
Sinnhuber hat niemals eine nennenswerte Vergrößerung ge-
funden, obwohl sich Tachykardien bis zu 160 Schlägen und
darüber fanden. Ä
Tachykardien bis zu 180 Schlägen, ja bis zum Delirium
habe ich bei ängstlichen Kindern unmittelbar vor der Operation
recht häufig gefunden, ebenso Aussetzen des Pulses, Extrasystolen,
die bekanntlich schon bei ganz gesunden Kindern häufig gefunden
werden, nach Max Herz?) aber das harmloseste Ding sind,
das es gibt. Anderseits sind Todesfälle bei reiner Herzneurose
auch beobachtet worden. Den letzten mir bekannten Fall schildert
Dr. Weile). Er betrifft ein Fräulein, dem wegen einer Herz-
neurose Heirat empfohlen worden war, das aber plötzlich vom
Stuhl fiel, cyanotisch wurde und unter den Erscheinungen eines
Lungenödems nach einer Viertelstunde starb. Die Nichterkennung
der später erst durch die Sektion klar gestellten Myokarditis wird
mir der nicht zum Vorwurf machen, der die Herzliteratur kennt
und weiß, wie häufig selbst schwerste Veränderungen, z. B
kolossale Aneurysmen, nicht durch die gewöhnlichen Untersuchungs-
methoden zu erkennen waren.
Die Erkrankung der Gehirnhäute zu erkennen, war, da
psychische Symptome völlig fehlten, gänzlich unmöglich. Es er-
scheint nicht ausgeschlossen, daß die notwendigerweise voraus-
gegangenen entzündlichen Prozesse die Fixation „des poisons sur
le systeme nerveux“ (Guy Laroche) erleichterte. |
Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, daß gewisse noch
nicht näher bekannte, von der hypertrophischen Thymusdrüse pro-
duzierte Gifte (Lympbotoxämie) die „Oxydasen“ ungünstig beein-
1) D. miL Zt. 1912, Nr. 5,
2) Med. Kl. 1912, Nr. 21.
8) M. med. Woch., 9./VIII. 1912,
14922 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September,
flust hatten, als welche besonders die lipoiden Körper anzusprechen
sind und an welche sich die narkotischen Mittel nach Verworn!)
speziell anzuheften pflegen. |
| Und nun die Thymusdrüse, deren enorme Größe bei einem
beinahe 14jährigen Knaben in Erstaunen setzen muß. Ich ent-
sinne mich, vor einer Reihe von Jahren in der Abwesenheit des
Hausarztes zu einem höheren Beamten gerufen worden zu sein,
dessen 44jähriger Knabe, nachdem er den ganzen Tag in größter
Gesundheit im Garten. gespielt hatte, plötzlich lautlos tot hin-
gefallen war. Ich vermochte natürlich nur den Tod zu bescheinigen
mit der Angabe: Todesursache unbekannt. Eine Sektion fand
nicht statt. War es ein ähnlicher Herzzustand wie bei meinem
Patienten oder war es ein Thymustod? |
= Bekanntlich erreicht die Thymusdrüse ihr höchstes Gewicht
bei zwei- bis dreijährigen Kindern mit 25—30 g, während zur Zeit
der Pubertät nur noch kaum erkennbare Reste vorhanden sein
dürfen?). In meinem Falle wog sie noch 40,5 g. „Ihymustodes-
fälle“ sind nach Osler häufig nach ganz leichten Eingriffen, Serum-
einspritzung usw., berichtet worden. Wird Narkose verwendet, so
sei Aether und Chloroform von gleicher Gefährlichkeit. Ein
sicherer Nachweis in vivo dürfte wohl zu den größten diagnosti-
schen Kunststücken gehören. Wie sehr dieser Status thymicus in
Verbindung mit dem Status Ilymphatieus. gewissermaßen zum
Sterben prädestiniert, lehren uns die neuesten Befunde bei Selbst-
mördern (E, Miloslavich, Heller, Brosch, Bartel, Wiesel,
Rößle und Anderen), bei denen sich in 80 %/, der Fälle ein Status
thymico-Iymphaticus vorfindet. Dieser bedingt nach der Auffassung
der Autoren Entwicklungsstörungen an specifischen Parenchymen
(Nervenzellen, Sexualzellen, Lymphbdrüsen usw.). In ihm ist nach
Miloslavich in Verbindung mit inneren Erkrankungen oder phy-
siologischen Vorgängen das Wesen der inneren organischen Selbst-
morddisposition zu erkennen. |
Endlich die enorme Vergrößerung der endothorakalen
Drüsen. In einer ausgezeichneten. Abhandlung über „adenoiden
Schlundring und endothorakale Drüsen“ weist Felix Blumen-
feld?) nach, von welcher großen Bedeutung dieses Krankheits-
bild ist. _Die Elastizität und Verschieblichkeit des Bronchial-
baums geht verloren. Die Entwicklung des Brustkorbs wird
im Sinn einer Aplasie beeinflußt, der Seiten- und Tiefen-
durchmesser wird durch die verminderte Atmungstiefe verringert.
Die Ernährung der Brustorgane kann und wird wohl auch in der
Regel durch Kompression der Gefäße beeinträchtigt, ebenso wie
die Ernährung der Muskulatur im allgemeinen wie jene der Re-
spiration im besonderen. Im therapeutischen Teil sagt Blumen-
feld®): „Die Adenotomie ist damit ein Stück prophylaktischer
Chirurgie, und es ist daher der auch sonst oft und jüngst von
Lindt) betonte Standpunkt zu urgieren, daß es nicht genügt,
einen Teil des adenoiden Gewebes abzutragen und sich mit
der Herstellung der Nasenatmung zu begnügen; Eingehen mit
verschiedenen Messern, nachträgliche Entfernung der Reste
sichern die gründliche Entfernung.“ Was diesen Status thymicus
et Iymphaticus betrifit, so entzog sich der erster6e wohl auch
den ‚feinsten diagnostischen Erkenntnismitteln.. Anders steht
es mit letzterem, der sowohl einer verfeinerten Perkussion
wie Auskultation als auch einer technisch vollkommenen Rönt-
genisierung häufig, aber nicht immer zugänglich ist. Hin-
sichtlich der letzteren bemerkt allerdings Blumenfeld®): „Bei
der Wertung des Röntgenbildes bedarf es außer vorzüglicher
Technik und guter Apparate, einer durchaus kritischen Würdigung
der Resultate, die nur durch Vergleichung der Resultate an der
Leiche zu gewimen ist. Pathologisch-anatomische Vor-
gänge, die nicht durch die Autopsie bestätigt sind, aus
dem Röntgenbilde zu. erschließen, ist unstatthaft und
führt in das Gebiet der freien Phantasie. Auch durch-
aus kritische ‚Wertung der Resultate und beste Technik
vorausgesetzt, ist die Röntgenaufnahme weit entfernt,
über. das Vorhandensein erkrankter endothorakaler
Drüsen in allen. Fällen einen sicheren Aufschluß zu.
geben. Sie ist aber da, wo sie deutliche Bilder zeigt, die wich-
tigste Bestätigung der Diagnose, die wir haben. Fällt sie negativ
aus, so ist damit kein: Beweis gegeben, daß eine Erkrankung der
Drüsen fehlt,“ _ u Di |
1) Narkose, 191. ° m
3) Osler, Lehrb. d. inn. Med. S. 556.
3) Zt. f. Lar. 1908, S. 445.
4) ]. c. S. 464.
5) I. C. Korr.
6) 1. c. S. 45i.
an Zu dieser Häufung krankhafter Entartungszustände so. vieler
wichtiger innerer Organe gesellte sich nun noch die akute, von
der Mutter freventlich geduldete oder gar wissentlich herbei-
geführte Ueberfüllung des Magens. Man könnte mir den Vorwurf
machen, daß ich nicht vorher nach dem Zustande des Magen-
innern geforscht habe. Wer aber wie ich Tausende von Malen
gesehen hat, wie trotz strengen Verbots den Kindern vor der
Operation enorme Speisemengen zugeführt worden waren, während
der Frage nur ein entschiedenes „Nein“ entgegengesetzt wurde,
hat auf derartige Recherchen zu verzichten gelernt. E
- Hinzutrat also noch zu der Fülle pathologischer Befunde eine
Art von gastro-kardialem Symptomenkomplex!). „Zwischen intra-
abdominellem Druck und Herztätigkeit“, sagt His?), „besteht
zweifellos ein enger Zusammenhang, der durch das mechanische
Moment des Zwerchfellstandes offenbar nicht genügend erklärt
wird. Wie oft begegnet man zweifellosen Herzneurosen, deren
Anfälle von Tachykardie, „Herzflattern“, Herzangst, selbst
Arhythmie mit der Sicherheit eines Experiments durch
Magenfüllung oder Flatulenz ausgelöst werden, nach deren Be-
seitigung rasch abklingen. Hier ist ein nervös-reflektori-
scher Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen.“
Die Betrachtung des Falles im Sinne des konditionalen
Denkens?).
Wir wissen aus der nicht genug zu würdigenden Arbeit des
Berliner. Pathologen von Hansemann, daß jedes Ereignis nicht
zurückzuführen ist auf eine Ursache, sondern auf eino Summe
von Bedingungen. Die Zahl dieser Bedingungen ist in Wirk-
lichkeit unberechenbar groß, aber die Bedeutungen dieser Be-
dingungen sind für das Zustandekommen des Ereignisses nicht
gleichwertig. Auf welche der Bedingungen in unserm Falle der
Exitus zurückzuführen war, entzieht sich vollkommen unserer
Kenntnis. Krankheiten oder Ereignisse können unter Umständen
schon dadurch verhindert. werden, daß man eine einzige ihrer Ent-
stehungsbedingungen eliminiert. Angesichts der völlig degene-
rierten inneren Organe drängt sich .die Frage auf, ob nicht bei
gänzlich leerem Magen der Verlauf der Narkose ein völlig anderer
geworden wäre, Ä
Was wir aus diesem Falle lernen können und müssen.
1. Daß wir unter keinen Umständen eine kombinierte
Adenoid- und Tonsillaroperation ambulatorisch ausführen dürfen,
auch wenn sie 15000 mal hintereinander glatt verlaufen ist. Nur
in einer Klinik ist eine Kontrolle darüber möglich, ob ein Kind
mit leerem Magen zur Operation geführt wird oder nicht.
2. Daß, wenn wir in Chloroformnarkose operieren wollen,
wir durch einen erfahrenen Röntgenologen feststellen lassen
müssen, ob geschwollene endothorakale Drüsen vorliegen oder nicht.
3. Daß wir besser Chloroform und jede Narkose überhaupt
vermeiden’). | 237
1) L. Römheld-Hernegg, M. med. Woch. 1912, Nr. 27.
2) Th. Mon. 1912, 1.
3) Ueber das konditionale Denken in der Medizin und seine Be-
deutung für die Praxis von v. Hansemann. - |
) Die Zahl der Anästhetica, deren Verwendung für uns in Frage
kommt, ist eine recht geringe. Das vor zirka 10 bis 15 Jahren viel an-
gewendete, heute meines Wissens in den Hintergrund gedrängte Brom-
äthyl konnte wohl früher in Frage kommen, als Aerzte und.Publikum
sich mit der Teiloperation der Tonsillenabkkappung des in der Mundhöhle
hervorragenden Abschnitts unter Ienorierung des "wichtigeren, oft
größeren, zwischen den Gaumenbögen versteckten Anteils begnügten.
Heute müssen auf Grund "unserer erweiterten Erfahrungen über die
Klinik der Mandelerkrankungen die radikalen Verfahren bevorzugt
werden. Auch den Eltern ist diese nene Notwendigkeit nicht unbekannt,
und kritisch pflegen sie sofort nach dem Eingriffe das Operationsgebiet
zu prüfen. Aether habe ich monatelang erfolglos in Anwendung zu
ziehen mich bemüht, trotzdem ich der Mithilfe eines überaus erfahrenen
Narkotiseurs mich erfreute. Es versagte die zum Aetherrausche führende
Tropfmethode sowie die massiven Dosen, mit der Juilliardschen Maske
appliziert. Ueber das in den letzten Jahren gepriesene Chloräthyl wagte
ich keine eignen Erfahrungen zu sammeln. Vorzüglich bewährte sich
während der ersten 20 Jahre das Chloroform. purissimum der englischen
Pharmakopöe, das auch bei Komplikationen, z. B. Blutungen, in Ruhe
| und ohne Gefährdung in bezug auf Blutaspiration zu arbeiten gestattete.
Ob die rectale Anwendung oder die Phlebonarkose, die in. der Oto-Rhino-
logischen Klinik zu Rom in fünf Fällen bei der Chirurgie der oberen
Luftwege erfolgreich angewendet wurde, ungefährlich sind, muß der Zu-
kunft überlassen bleiben. „Jedenfalls meint Arndt (Langenbecks Arch.
| 1911, Bd. 95, S. 203), daß nach den bis jetzt vorliegenden . Erfahrungen
| mit diesem Vorgehen ebensoviel und ebensowenig geschadet werde, als
mit der Inhalationsnarkose. Ungefährlich sei auch gewiß diese Methode
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 1423
Die wirtschaftliche Seite der Frage.
Wenn eine Operation, die trotz der überaus umfangreichen,
zum Teil vorzüglichen bereits über sie vorhandene Literatur
dauernd der Gegenstand zahlreicher weiterer vortrefflicher Ab-
handlungen ist!), so darf sie wohl als eine solche angesehen
werden, die nicht völlig als quantité negligeable im Budget der
Kassenverwaltungen figurieren darf. In einem der älteren Jahr-
gänge der Ann. des mal. de l’oreille (1888, Nr. 7) fand ich folgende
Anekdote: Ein Pariser Arzt traf in einer Straße einen der größten
bahnbrechenden Chirurgen der älteren Zeit (N6laton) in tiefem
Nachsinnen dahineilend und richtete. an diesen die Frage, ob er
zu einer schweren Operation sich begebe.. Ja, erwiderte der
Chirurg, er müsse eine Operation ausführen, an die er nur. mit
dem größten Widerwillen herangehe Dr. de Saint-Germain
insista, pour savoir ce qui pourrait causer quelque embarras à un
chirurgien aussi habile: Je m’en vais, dit il, essayer enlever
deux amygdales. Mir ist es niemals anders gegangen, und die
Traurigkeit jeglicher Kreatur lastete besonders schwer an solchen
Tagen auf mir, wenn mir sechs bis sieben derartiger Eingriffe bevor-
standen. In seltsamem Kontrast zu diesem Pessimismus steht der
Optimismus gewisser junger Herren. Als ich vor zirka 15 Jabren
einen jüngeren Kollegen in einem Aerztekursus diese kombinierte
Operation unter meiner Assistenz auszuführen aufforderte, meinte
dieser ziemlich verächtlich, das sei ja eine Kleinigkeit. Als ich
ihn fragte, wie oft er diesen Eingriff ausgeführt hätte, meinte er:
„Viermal.“ Ich erwiderte ihm darauf: „Wenn Sie sie 4000 mal
ausgeführt lıaben, werden Sie anders darüber denken.“ Diese Auf-
fassung knüpfte noch an jene glückliche Periode an, als die Ope-
ration für beendigt angesehen wurde, wenn der prominente Rachen-
teil mit der Guillotine abgeschnitten war. Von jener Zeit hat
sich auch die niedrige Bewertung der Operation seitens des
Publikums erhalten. Wie häufig muß man nicht bei Honorar-
differenzen hören: „Es ist ja man nur eine kleine Arbeit!“ Diese
Auffassung haben sich auch die Kassenvorstände respektive ärzt-
lichen Honorarkommissionen zu eigen gemacht. Hier in Königs-
berg wird diese Operation überhaupt nicht honoriert. Dieses
Verhalten erscheint mir völlig ungerechtfertigt, mag auch ge-
legentlich der eine oder andere nicht spezialistische Kollege
früher etwas zu häufig die Diagnose gestellt und die Operation
ausgeführt haben. Hier muß unbedingt ein Wandel eintreten, und
aus diesem Grunde wende ich mich an einen allgemeinärztlichen
Leserkreis, weil mir wohl bekannt ist, daß heute zahlreiche Prak-
tiker, die in Spezialkliniken gearbeitet haben, zu diesem Eingriffe
schreiten und dazu auch völlig berechtigt sind.
Aus der Königlichen Universitäts- Augenklinik zu Greifswald
(Direktor: Prof. Dr. P. Römer).
Gibt es eine toxische Wirkung des Salvarsans
auf das papillo-makuläre Bündel?
Von
Priv.-Doz. Dr. H. Gebb.
Aus dem Umstande, daß nach einer Salvarsaninjektion ge-
legentlich eine mehr oder minder heftige Reizung eines Hirnnerven
in Erscheinung tritt, glauben einige Autoren, ganz besonders Finger,
die Tatsache herleiten zu müssen, daß es sich hierbei um eine
neurotrope Wirkung des Salvarsans handelt, die diese neue The-
rapie so bedenklich erscheinen lasse, daß von ihrer Einführung in
die ärztliche Praxis am besten ganz Abstand genommen werde.
Diese von den einzelnen Autoren ausgesprochene Ansicht
der neurotoxischen Wirkung des Salvarsans war eine zu schnell
gefaßte Schlußfolgerung und ist allein schon deshalb nicht beweis-
kräftig, weil die betreffenden Forscher ihre Behauptung auf eine
1% ganz verschwindend kleine Anzahl einschlägiger Fälle stützen
nnen.
Daß es sich bei den Nervenreizungen nach Salvarsan nicht
um eine neurotrope Wirkung des Mittels handelt, sondern daß die
Erscheinungen rein syphilitischen Ursprungs sind, ist durch die
——
nicht. Rückenmarksanästhesie wird wohl schwerlich jemals in Frage
kommen. Erfolge verspreche ich mir bei hochgradig nervösen Kindern
mit übermäßiger, central bedingter Reizbarkeit der Rachenschleimhaut
von Pantopon (subeutan oder innerlich oder nach der Sängerschen
Methode mit dem Spray zur Anwendung gebracht), am Vorabend der
poration sowohl wie am darauffolgenden Morgen. nu
i 1) Z. B. von Grossard et Kaufmann, Des Complications de
l’'adonoidectomie. (Ann. des mal. de l'oreille, Mai 1911.) -
Arbeiten Ehrlichs und Benarios sichergestellt und auch von
anderer Seite zur Genüge bestätigt worden.
Wir bezeichnen diesen Vorgang des Wiederaufflackerns des
Infektionsprozesses nach der Salvarsaninjektion mit Ehrlich als
Neurorezidiv.
Obwohl nun die Annahme einer neurotoxischen Wirkung
des Salvarsans tatsächlich jegliche Stütze verloren hat, erscheinen
doch noch, allerdings nur vereinzelte Publikationen, die von der
schädigenden Wirkung. des Salvarsans sprechen.
Auch in Ophthalmologenkreisen hat man sich von dieser
Ansicht noch nicht ganz frei gemacht, sodaß es angebracht er-
scheint, einmal die aus diesem Gebiet in allerletzter Zeit mit-
geteilten Fälle auf ihre Stichhaltigkeit hin zu untersuchen, nach-
dem die früher erschienenen diesbezüglichen Arbeiten durch M. Gör-
litz einer genügenden Würdigung unterzogen und als nichts be-
weisend gefunden worden sind. |
Ich schließe mich durchaus der Ansicht von Reissert und
Cohen an, wenn sie die Forderung stellen, daß jeder einschlägige
Fall von Sehnervenschädigung nach einer Salvarsaninjektion zur
Veröffentlichung kommt, weil wir nur dadurch eine Klärung der
ganzen Frage erhoffen können. Als ebenso wichtig muß mit Be-
nario betont werden, daß jeder Fall von Sehnervenschädigung
nach den bisher üblichen antiluetischen Maßnahmen der Wissen-
schaft nicht vorenthalten wird. Besondere Aufmerksamkeit hat
man dieser Erscheinung bisher nicht geschenkt, bis Benario auf
diese nach Quecksilber- und andern antiluetischen Kuren gar nicht
so selten auftretenden Optikusreizungen aufmerksam gemacht hat.
Die letzthin erschienenen Arbeiten von Reissort und Cohen,
in denen der Beweis einer neurotoxischen Wirkung des Salvarsans
auf das Auge zu führen gesucht wird, sind durchaus keine Argu-
mente für die Toxicität des Mittels. Im Gegenteil, sie bestätigen
nur noch, wie aus folgendem hervorgeht, die Behauptung Ehr-
lichs, daß diese Erscheinungen an den Sehnerven nichts anderes
als Neurorezidive sind.
Es handelt sich bei Reissert!) kurz um folgenden Kranken-
bericht: Junger Mann mit vorher gesunden Augen; wenige Tage
nach Primäraffekt subcutane Salvarsaninjektion von 0,4; acht
Wochen später erneute Injektion von 0,5 Salvarsan subcutan.
Objektiv zwei Monate nach der zweiten Salvarsaninjektion Neuritis
optica. Energische Quecksilberkur; seitdem Verschlechterung der
Sehschärfe, Neuritis optica nimmt zu, dazu gesellt sich eine Reti-
nitis mit Blutungen und Glaskörpertrübungen.
Reissert führte diese schweren Veränderungen des Opticus
und der Netzhaut zwar auf die Salvarsaninjektion zurück, ist sich
aber hierbei selbst bewußt, daß er eine genügende Begründung
der neurotropen Wirkung des Salvarsans für seinen Fall nicht er-
bringen kann, denn er schreibt: „Es ist klar, daß in der Beweis-
führung ein wichtiges Glied fehlt: es wäre zur Erhärtung dieser
Behauptung nötig gewesen, dem Patienten noch einmal Salvarsan,
und zwar intravenös zu verabfolgen, um dessen Wirkung auf den
Zustand zu erproben.“ | 2
Aber abgesehen von der von Reissert selbst zugegebenen
ungenügenden Beweisführung seiner Behauptung müssen wir mit
Benario auch für den vorliegenden Fall die durchaus berechtigte
Frage aufwerfen, werden denn nicht auch bei der Quecksilber-
behandlung der Lues schwere Schädigungen der nervösen Ele-
mente des Auges beobachtet? Durchaus! Es ist eine jedem
Ophthalmologen bekannte Tatsache, daß gelegentlich trotz der
intensivsten Queksilberkuren ein Verlauf einer einseitigen oder
auch doppelseitigen Neuritis optica .luetica beobachtet wird, der
einen ganz unerwartet traurigen Ausgang nimmt, obwohl wir alle
wissen, daß gerade die luetischen Aftektionen des Opticus durch
das Quecksilber gut beeinflußt werden.
Dieses vom allgemeinen Verlauf abweichende Verhalten des
Opticus hat Reissert bei seinem Patienten erlebt; denn „die
Neuritis optica wird auch nach einer energischen Quecksilberkur
wesentlich schlechter, und dieses Bild ändert sich auch nicht unter
Fortsetzung der Quecksilber- und Jodkur. Ja, es tritt sogar noch
eine akute Iritis und Descemetitis auf“.
Wenn schon aus dem oben Gesagten deutlich hervorgeht,
daß das Salvarsan als das schädigende Moment hier nicht in
Frage kommen kann, sondern daß nur die Infektion verantwort-
lich zu machen ist, so spricht ganz besonders gegen die Toxizität
des Salvarsans die Komplikation von seiten der Regenbogenhaut.
Eine Reizung des Irisgewebes durch Salvarsan gibt es einfach
nicht! Da somit die Iritis .nur :luetischen Ursprungs sein kann,
1) D. med. Woch. 1911, Nr. 38, .
K
+
1424 o .
19182 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
können die mit der Regenbogenhautentzündung gleichfalls vor-
handenen Krankheitserscheinungen des Opticus und der Retina
nur durch die Spirochäten bedingt werden, denn es ist klinisch
undenkbar, annehmen zu wollen, daß die Iritis von der Lues her-
rührt, während die Veränderungen an dem Sehnerven und der
Netzhaut durch das Salvarsan hervorgerufen werden. _
Es ergibt sich somit aus dem Gesamtverlaufe der Erkrankung
im Falle Reissert, daß trotz zweimaliger Salvarsaninjektion nicht
alle Spirochäten abgetötet worden sind, daß vielmer ein Teil der-
selben der Wirkung des Salvarsans entgangen ist und dann die
schweren Krankheitssymptome am ÖOpticus, der Retina und Iris
ausgelöst hat, also zu einem Neurorezidiv führte.
Während Reissert die schweren neuroretinitischen Ver-
änderungen dem Salvarsan zur Last legt, sieht Cohen!) in dem
Auftreten des centralen Skotoms den sicheren Beweis einer Sal-
varsanintoxikation. Im ersten Falle von Cohen tritt zwei Monate
nach einer Salvarsaninjektion eine Neuritis optica auf und mit ihr
wird ein centrales Skotom für blau und grün diagnostiziert; auch
die Uvea beteiligt sich an dem Prozeß.
Wir sehen also auch hier, wie im Falle Reissert, nach
einer Salvarsaninjektion eine Neuritis optica und Uveitis eintreten.
Daß die Uveitis wirklich luetischen Ursprungs ist, ergibt sich aus
den Angaben Cohens, wonach sie auf die antiluetischen Medika-
mente bald zur Abheilung kam. Schon die Beteiligung der Regen-
bogenhaut allein wäre hier imstande, die Annahme einer Salvarsan-
schädigung zu widerlegen. Beachten wir aber ferner, wie ver-
schiedenartig die Krankheitserscheinungen im Auge sind, die man
als neurotrope Wirkung des Salvarsans ansieht, wie schon allein
aus den beiden soeben geschilderten Krankenberichten zu ersehen
ist, so wird schon dadurch die Glaubhaftigkeit an eine schädi-
gende Wirkung des Mittels stark in Zweifel gezogen.
Soll das Salvarsan wirklich den Opticus angreifen, so kann
dies doch nur in einer Art und Weise geschehen, daß sich hierbei
ein scharf umschriebenes, charakteristisches Symptom nachweisen
1äßt und tatsächlich ein solches scharf umschriebenes Krankheits-
bild hat Cohen gefunden. Er beobachtete außer in seinem eben
geschilderten Falle bei einem zweiten Kranken 14 Tage nach der
Salvarsaninjektion ein centrales Skotom für blau und grün. Dieser
Befund ist bis jetzt bei der Salvarsantherapie noch nicht beob-
achtet respektive publiziert worden.
Bei genauer Durchsicht der einschlägigen Literatur ergibt
sich nun, daß das centrale Skotom eine, wenn auch sehr seltene
Nebenerscheinung der Lues ist. Es tritt teils während und nach
der Hg-Behandlung, teils ohne dieselbe in Erscheinung. Daß dieses
Skotom hierbei nur durch die Lues bedingt ist, ist bis heute mit
Recht von niemand bezweifelt worden. Wenn nun Cohen trotz
dieser klinischen Erfahrungen das: bei seinen Kranken nach Sal-
varsaninjektion aufgetretene Skotom als toxische Wirkung des
Salvarsans auffassen zu müssen glaubt, so ist es höchst auffallend,
daß unter den vielen Tausenden mit Salvarsan behandelten Kran-
ken bis jetzt nur bei zweien ein centraler Gesichtsfeldausfall auf-
getreten ist. Wäre es wirklich das Salvarsan, das die Neuritis
retrobulbaris auslöst, so hätten wir dieses Krankheitsbild schon
früher und häufiger beobachten müssen. |
Daß das Salvarsan das papillo-makuläre Bündel nicht an-
greift, im Gegenteil, daß das Salvarsan eine durch Lues bedingte
Erkrankung dieser Nervenfasern vollständig beseitigt, kann ich
durch folgenden Krankenbericht beweisen. S
Eine 45 Jahre alte Pächterfrau, die früher niemals krank gewesen
ist, bemerkte Mitte 1910 einen Ausschlag an ihrem ganzen Körper, der
etwa ein halbes Jahr andauerte. Aerztliche Behandlung dieses Leidens
fand nicht statt. Ziemlich genau ein Jahr später beobachtete sie schwarze
Punkte vor ihren Augen und im weiteren Verlaufe nahm ihre Sehkraft
erheblich ab. Durch eine spezialärztliche Untersuchung wurde eine beider-
seitige Sehnervenentzündung mit Glaskörpertrübung festgestellt, und die
Patienfin erhielt wöchentlich eine intramuskuläre Quecksilbereinspritzung,
im ganzen acht Injektionen. Außerdem wurde ihr Jodkali verordnet.
Ihr Sehen wurde zwar. danach für kurze Zeit besser, dann trat aber
wieder eine starke Verschlechterung ein. |
Bei der ersten Untersuchung hier am 13. Dezember 1911 fand ich
eine zierliche Patientin mit gesunden inneren Organen. Am Halse waren
rechts und links mehrere bis kirschgroße Drüsen nachweisbar, die sich
auf der linken Seite in Kettenform nachweisen ließen. Unter dem rechten
Unterkiefer war eine sehr große Drüse druckempfindlich; sonst konnte
eine Drüsenschwellung, speziell eine solche der Cubitaldrüsen nicht ge-
funden werden. Auf dem Nacken zeigte sich ein deutliches Leukoderm,
ferner sah man im Bereich der beiden Unterschenkel starke Pigmentie-
rungen. Neurologisch konnte nichts Besonderes nachgewiesen werden.
1) Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 49.
An dem rechten Auge sah man bei ungetrübter Hornhaut und
Linse feinste Glaskörpertrübungen. Der Sehnerveneintritt zeigte ganz
verwaschene Ränder. Die Gefäßpforte war gänzlich verstrichen. Die
Farbe der Sehnervenscheibe grau-rötlich. Feine Streifungen waren auf
den centralen Partien des Sehnerven wahrzunehmen, die sich aber nicht
weit in die benachbarten Partien erstreckten. Eine leichte Schwellung
des Sehnerveneintritts gegenüber der Netzhautebene war nachweisbar.
Sämtliche Gefäße, namentlich aber die Arterien waren bedeutend schmäler
als normal. Die Venen waren leicht geschlängelt und bildeten vereinzelte
dunkle Gefäßschleifen. Sonstige Veränderungen konnten am Augen-
hintergrunde nicht nachgewiesen werden. Die Sehschärfe des Auges be-
trug Fingerzählen in 3 m und war mit Gläsern nicht zu bessern. Es
bestand ein absolutes centrales Scotom für alle Farben und
zwar für ein Objekt bis zur Größe von !/a gem in einem Ab-
ea von zirka 30 bis 40 cm. Außengrenzen des Gesichtsfeldes
norm
Am linken Auge waren die Verhältnisse ziemlich ähnlich. Auch
hier absolute durchsichtige Hornhaut und Linse, dagegen zahlreiche feine
Glaskörpertrübungen. Die äußere und innere Sehnervengrenze war deut-
lich verwaschen, nur die obere nnd untere Begrenzung schärfer aus-
geprägt. Niveaudifferenzen waren an dem Opticus nicht vorhanden. Er
war aber deutlich dunkelrot bis auf die Randpartien verfärbt. Die Netz-
hautgefäße, speziell die Venen, waren leicht geschlängelt, nicht besonders
verbreitet. Die Macula lutea ließ keine Veränderungen erkennen, auch
in der Peripherie waren keine krankhaften Anzeichen vorhanden. Die
Sehschärfe des Auges betrug hier 0,1 mit einem Glase von + 1,0 D.
Es bestand ein absolutes centrales Skotom für alle Farben
bei einer Objektgröße von !/2 qem bei normalen Außengrenzen
des Gesichtsfeldes für weiß und die Farben.
Es könnte auffallend erscheinen, daß bei dem noch relativ guten
Visus ein so ausgedehntes centrales Skotom bestand. Mehrmalige Unter-
suchungen führten jedoch zu dem gleichen Resultat. Die Wasser-
mannsche Reaktion war positiv.
i4. Dezember. Intravenöse Injektion von 0,3 Salvarsan.
16. Dezember. Patientin gibt an, daß es heller vor ihren Augen
geworden sei. Objektive Untersuchung rechts 0,1 pt., links 0,3; am
Augenhintergrunde keine Veränderungen, centrales Skotom unverändert.
19. Dezember. Sehschärfe rechts 0,1, links 0,8. Das centrale
Scotom auf beiden Augen ist bei einer Objektgröße !/s gem für gelb und
rot nicht mehr absolut. 0,4 Salvarsan intravenös.
21. Dezember. Rechts 0,1, links 0,5. Centrales Skotom rechts nur
noch für weiß nachweisbar, alle andern Farben werden bei !/a gem erkannt.
Am linken Auge liegen die Verhältnisse gleich.
22. Dezember. Patientin wird für einige Tage entlassen.
28. Dezember. Wiederaufnahme. Sie gibt an, daß die Sehschärfe
beiderseits viel besser ist, und die Untersuchung ergibt am rechten Auge
0,3, am linken Auge 0,5. Ophthalmoskopisch ist ein deutlicher Rückgang
der Entzündung am Opticus nachweisbar. Die Papillengrenzen sind
beiderseits deutlicher geworden. Eine Röte der Papillen ist dagegen
noch nachweisbar. Das centrale Skotom ist am rechten Auge nur unter
Anwendung der allerkleinsten 2 qmm-Objekte nachweisbar; am linken
Auge tehlt es vollständig. Die Drüsenschwellungen sind in ihrer Ge-
samtheit verschwunden. 0,3 Salvarsan intravenös. -
30. Dezember. Sehschärfe rechts 0,5, links 0,6 mit + 1,0. Am
linken Auge ist kein centrales Skotom mehr nachweisbar, dagegen am
rechten Auge sind die Reste desselben noch vorhanden.
2. Januar 1912. Status idem. Entlassung.
Vier Wochen später sieht man bei erweiterter Pupille nur noch
Reste von Glaskörpertrübungen. Der Augenhintergrund, speziell die Seh-
nervenscheibe ist normal bis auf die temporale Seite, an der man zwar
die Grenzen ebenfalls scharf wahrnehmen kann, an der aber eine feine
Streifung nach der Netzhaut hin sich erstreckt. Die Sehschärfe beträgt
am rechten Auge 0,8, am linken Auge 1,0. Ein centrales Skotom ist
nicht nachweisbar.
Die neurologische Untersuchung ergibt eine Abschwächung der
Achillessehnenreflexe.
25. April 1912. Poliklinisch. Sehschärfe links 1,0, rechts 0,8.
Ophthalmoskopisch sind keine Veränderungen nachweisbar. Centrales
Skotom ist nicht mehr vorhanden; keine Gesichtsfeldeinschränkung.
4. Juni. Augen sind ohne jegliche krankhafte Veränderungen.
25. Juni. Nach brieflicher Mitteilung sieht Patientin sehr gut.
Wir haben es im vorliegenden Falle mit einer Patientin im
zweiten Stadium der Lues zu tun, bei der es infolge der Infektion
außer Drüsenschwellung zu einer Neuritis optica und zu einem
centralen Skotom gekommen ist. Diese Krankheitssymptome,
speziell die am Opticus, reagieren zwar auf eine Hg-Kur, kommen.
aber nicht zur Abheilung. Erst unter der Salvarsanwirkung
sehen wir völliges Verschwinden aller krankhaften Ver-
änderungen eintreten.
Welche Schlußfolgerung läßt nun dieser Krankenbericht allein
und in Hinblick auf die Publikation von Cohen zu?
Es ergibt sich zunächst in therapeutischer Hinsicht, daß das
Salvarsan der Hg-Jodbehandlung bei weitem überlegen ist, denn die
durch das Jod unterstützte Hg-Kur beeinflußt den luetischen Pro-
zeß bei unserer Patientin nur in ganz geringem Grade, während
TS r Rad A A n
1. September.
1912? — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 85. | 1425
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das Salvarsan ein Restitutio ad integrum innerhalb weniger Wochen
herbeiführt. Ganz besonders die Erkrankung des papillo-maculären
Bündels wird überraschend günstig beeinflußt. Wäre wirklich das
Salvarsan toxisch für diese Nervenfasern, wie Cohen auf Grund
seiner Beobachtungen annimmt, so hätten wir im vorliegenden
Falle, bei dem doch die papillo-maculären Nervenfasern außer-
ordentJich stark in Mitleidenschaft gezogen waren, erwarten müssen,
daß eine noch viel intensivere Reizung respektive Schädigung
dieses Nervenbündels in Erscheinung getreten wäre. Aber gerade
das Gegenteil davon ist eingetreten. Die Erkrankung des papillo-
maculären Bündels hebt sich in auffallend kurzer Zeit und die
Sehschärfe kehrt zur Norm zurück. |
Von einer Schädigung der nervösen Elemente des Auges
durch das Salvarsan kann daher keine Rede sein; mögen die
Krankheitserscheinungen am Auge nach der Salvarsaninjektion in
Hyperämie der Sebnervenscheibe, in Blutungen der Netzhaut oder
in centralen Skotomen bestehen, sie sind nichts anderes als Neuro-
rezidive im Sinne Ehrlichs. Und da sie eine dauernde Schädigung
des betreffenden Auges nicht veranlassen, so war Ehrliclı durchaus
berechtigt, von einer Unschädlichkeit seines Präparats für das
Auge zu sprechen. |
Aus der Chirurgischen Abteilung des Augusta-Hospitals
(Geh. Rat Professor Dr. Fedor Krause).
Ueber die Anwendung des Hormonals in der
Di a Chirurgie
yonr l
Oberarzt Dr. Groth, kommandiert zur Abteilung.
Aus der Reihe der Organpräparate hat neben dem länger
bekannten und bewährten Adrenalin und dem jüngst eingeführten
Pituitrin in den letzten zwei Jahren ein Hormon des Darmtraktus,
das von Zuelzer dargestellte und als „Hormonal“ bezeichnete
Peristaltikhormon das Interesse der klinischen Chirurgie erregt.
Dies war in erhöhtem Maße einmal deswegen der Fall, weil
das Peristaltikhormon in physiologischer Weise die Darmperistaltik
beeinflußt, indem es eine peristaltische Welle hervorruft, eine
Dauerwirkung besitzt und damit im Gegensatz zum Physostigmin
steht, das Spasmen des Darmes verursacht. Anderseits besaßen
wir gegen die schweren Fälle akuter. Darmlähmung überhaupt
bisher kein einigermaßen sicher wirkendes und subcutan anzu-
wendendes Mittel.
` Die mehrfachen günstigen Erfahrungen mit Peristaltikhormon,
über die von Zuelzer, Henle, Kauert, Unger und Anderen be-
richtet wurde, und die Erörterungen auf dem vorjährigen Chirurgen-
kongreß über diese Frage haben uns veranlaßt, das Mittel hin-
sichtlich seiner Wirksamkeit in chirurgischen Fällen nachzuprüfen.
Indem ich es mir versage, mich eingehend auf die Her-
stellung des Hormonals, seine Bildung und Wirkung im Orga-
2lsmus einzulassen, über die die erwähnten Autoren bereits aus-
führlicher sich geäußert haben, möchte ich zunächst über die
klinisch beobachteten Wirkungen des Hormonals einige Kranken-
berichte im Auszuge bringen.
Die Anwendung des Hormonals geschah in unsern Fällen
acuter Darmlähmung stets intravenös, indem wir den ganzen
Tubeninhalt (20 ccm) des eucainfreien Präparats — (zu intra-
Muskulären Injektionen dient ein mit 0,25 ®/o Beta-Eucainun hy-
drochlorieun versetztes Hormonal) — unter aseptischen Cautelen
in eine Oubitalvene injizierten; das reichliche Entstehen von Luft-
blasen in der leicht schäumenden Flüssigkeit mußte dabei beachtet
werden. Während der Hormonalbehandlurg vermieden wir nach
Möglichkeit Morphiuminjektionen, da diese die specifische Wirkung
beeinträchtigen sollen. Auch hatten wir die in der Gebrauchs-
anweisung empfohlene Darreichung eines Schiebemittels (Ricinus)
als zweckmäßig erprobt.
Vorausschicken möchte ich noch, daß es sich in den auf-
geführten Fällen nicht um leichte, postoperative Darmparesen,
Sondern um schwere Formen bedroblicher Darmlähmung handelte.
_ Ueber Fall 1 mag ausführlicher berichtet werden, da er in be-
un charakteristischer und eindeutiger Weise durch das Mittel beein-
wurde,
| Fell 1. Franz W., 24 Jahre, Landarbeiter. Fünf Tage vor der
Aufnahme in das Krankenhaus war der Patient unter den typischen
ypmtomen einer heftigen Appendicitis erkrankt. Drei Tage nach dem
eginne der Erkrankung stellten sich die Erscheinungen einer Perfo-
rationsperitonitis ein, aber erst am fünften Tage erfolgte wegen des in
bedenklicher Weise fortschreitenden Verfalls die Ueberführung in das
Hospital, wozu ein zweistündiger Bahntransport und eine einstündige
Wagenfahrt notwendig waren.
Stuhl und Winde waren seit vier Tagen vollkommen angehalten,
Erbrechen war mehrfach aufgetreten.
Befund: Das stark eingefallene, graue, schweißbedeckte Gesicht
zeigte einen ängstlichen, unruhigen Ausdruck und stark halonierte Augen.
Die Schleimhäute waren trocken, besonders die der bräunlich belegten
Zunge. Die oberflächliche Atmung war sehr beschleunigt; der Puls sehr
frequent und fadenförmig, die Körperwärme 38°. Der aufgetriebene Leib
war bretthart gespannt und überall stark druckempfindlich.
Die sofort vorgenommene Operation wurde bei dem fast moribunden
Kranken eigentlich für aussichtslos gehalten. N
Die Bauchhöhle zeigte diffus geblähte, erheblich injizierte Darm-
schlingen mit .Fibrinbelägen. Ueberall quoll sehr reichlich eingedickter
Eiter hervor, besonders im kleinen Becken. Appendektomie. Austupfen
der Bauchhöhle mit Stieltupfern. Ausgiebige Drainage und Tamponade
nach dem kleinen Becken, der Nabel- und Lebergegend bin. ie
Nach der Operation blieb der Zustand des Kranken zunächst recht
bedenklich. Trotz regelmäßiger Gaben von Coffein, abwechselnd mit
Campher und Digalen, trotz reichlicher Kochsalzinfusionen besserte sich
die frequente und oberflächliche Herztätigkeit nur immer ganz vorüber-
gehend. Uebelkeit, Aufstoßen, Erbrechen hielten an; es war keine Spur
von Darmperistaltik wahrzunehmen; weder Stuhlgang noch Winde waren
durch wiederholte Einläufe mit Glycerin und Oleum Ricini zu erzielen,
auch per os blieb dieses natürlich erfolglos. Am vierten Tage post ope-
rationem erhielt der Kranke eine intravenöse Injektion von 20 ccm Peri-
staltikhormon, durch die eine bald einsetzende Darmperistaltik und nach
Verlauf einiger Stunden sehr prompt und ausgiebig Stuhl erzielt wurde.
Störungen des Allgemeinbefindens oder örtliche Reizerscheinungen
wurden nach der Einspritzung nicht beobachtet. Recht auffällig war nun
der damit zeitlich zusammenfallende Umschwung im Befinden des Kranken.
Die peritonitischen Symptome, Erbrechen und Uebelkeit verschwanden,
die Herztätigkeit besserte sich zusehends, der ganze Allgemeinzustand hob
sich im Verlaufe weniger Stunden. Von da an machte die Besserung
ungestörte, nur durch eine Angina etwas aufgehaltene Fortschritte, der
Wundverlauf bot keine Besonderheiten. Der Stuhlgang blieb regelmäßig,
prompt und reichlich. u |
Nach etwa achtwöchentlicher Krankenhausbehandlung konnte der
Kranke geheilt in seine Heimat entlassen werden. R |
Die beiden folgenden Fälle gebe ich nur kurz wieder, da sie
Parallelfälle zu dem unter 1. berichteten darstellten. |
Fall 2. Hedwig H., 24 Jahre, war vier Tage vor der Aufnahme
auf der Abteilung an Appendicitis erkrankt. Die sofortige Operation ergab
diffuse eitrige Peritonitis und Totalgangrän des Appendix, der exstirpiert
wurde. Wegen der vollkommenen Darmatonie wurden am zweiten Tage
nach der Operation 20 ccm Hormonal injiziert; nach wenigen Stunden
erfolgte reichlich Stuhlgang. Nachdem die Patientin wegen einer Adnex-
erkrankung nochmals 'laparotomiert worden war, konnte sie nach drei
Monaten geheilt entlassen werden.
Fall 3. Frau N., 54 Jahre. Die Krauke kam am fünften Tage
des Bestehens einer schweren, allgemeinen Perforationsperitonitis nach
Perityphlitis zur Operation. Unbeeinflußt durch die üblichen Mittel zur
Anregung der Darmtätigkeit nahm die Auftreibung des Leibes nach der
Operation zu. Etwa 20 Stunden post operationem wurde Hormonal in-
Jiziert, worauf nach einer Stunde die Darmtätigkeit einsetzte. Trotz an-
haltender reichlicher Darmarbeit ist die Kranke am vierten Tage darauf
ihrer putriden Intoxikation erlegen.
Fall 4. Anton R., 63 Jahre alt, hatte 32 Stunden vor seiner Auf-
nahme ein Trauma durch Stoß gegen die linke Unterbauchgegend er-
litten und wurde wegen rasch zunehmender Peritonitissymptome zur
Operation der Abteilung überwiesen. Die Laparotomie ergab eine diffuse
eitrige Peritonitis nach Darmverletzung; die wegen der vollkommenen
Darmlähmung am zweiten Tage vorgenommene Hormonalinjektion hatte
nur vorübergehende Anregung der Darmperistaltik (Blähungen, Winde,
kein Stuhl) zur Folge, die nach fünf bis sechs Stunden wieder sistierte.
Unter fortschreitender putrider Allgemeininfektion ging der Kranke am
fünften Tage nach der Operation an toxischer Herzlähmung !zugrunde.
~ Fall 5. Ludwig I, 30 Jahre. Laparotomie wegen eines großen
perityphlitischen Abcesses mit fortschreitenden peritonitischen Symptomen;
Appendektomie; da die Darmlähmung nach der Operation anhielt, am
Abende des zweiten Tages 20 ccm Hormonal intravenös, fast unmittelbar
setzte Darmperistaltik mit Abgang von Winden ein, nach 20 Minuten
erfolgte reichlich Stuhlgang. Darmtätigkeit blieb im Gange. Patient
wurde geheilt entlassen. |
Fall 6. Else L., 29 Jahre. Operation am fünften Tage der Er-
krankung wegen allgemeiner fibrinös-eitriger Peritonitis nach Appendicitis;
einige Stunden vor dem Tode, der an septischer Herzläihmung am Abende
des zweiten Tages eintrat, 20 cem Hormonal. Die Einspritzung blieb
ohne merklichen Erfolg auf die Darmtätigkeit und das zur Zeit der Ein-
spritzung bereits hoffnungslose Allgemeinbefinden.
Fall 7. S., 20 Jahre. Operation am dritten Tage einer allgemeinen
diffusen Peritonitis nach Gangrän des Wurmfortsatzes. Da am zweiten
Tage nach der Operation die Darmlähmung noch anhielt, erhielt der
Kranke 20 ccm Hormonal intravenös; es erfolgte reichliche und aus-
giebige Darmentleerung, die regelmäßig im Gange blieb, bis zu dem am
sechsten Tage infolge einer Lungenkomplikation erfolgten Tode,
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1426
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35,
1. Septeniber.
Fell 8. Anna K., 31 Jahre. Auf Grund allgemeiner peritoni-
tischer Sepsis nach septischem Abort bestand bereits fünf Tage vor der
Aufnahme vollkommene Darmlähmung, welche durch die üblichen Mittel
nicht beeinflußt wurde. Am zweiten Tage des Aufenthalts Hormonal-
injektion, die leichten, durch Campherdarreichung bekämpften Kollaps zur
Folge hatte. 25 Minuten nach der Einspritzung setzte unter heftiger
Flatulenz und Stuhlentleerung die Darmperistaltik ein, die im Gange
blieb. Nach zwei Tagen erfolgte unter allgemeinen septischen Symptomen
der Exitus.
Fall 9. L.P., 45 Jahre. Operation wegen allgemeiner eitriger
Peritonitis nach perforiertem Magengeschwür. Wegen ausgesprochener
Darmatonio am dritten Tage Hormonal, das prompt nach 20 Minuten
wirkte. Tod’am fünften Tage an Sepsis unter Erscheinungen der Herz-
lähmung.
In den bisher erwähnten Fällen von Darmlähmung mußte
die eitrige Peritonitis als Ursache angesehen werden: es handelte
sich um septische Darmlähmungen. Fünf der Kranken gingen ja
auch unter den Symptomen allgemeiner putrider Intoxikation zu-
grunde (8, 4, 6, 8, 9). Aber bemerkenswert ist, daß hierbei nur
einmal (6) das Hormonal wirkungslos blieb, bei einem weiteren
Kranken (4) wurde die Peristaltik nur vorübergehend angeregt,
während in den drei anderen (3, 8, 9) Fällen festgestellt werden
. konnte, daß durch die Hormonaleinspritzung die Darmfunktion
dauernd und kräftig im Gange blieb, trotz der vorliegenden sep-
tischen Intoxikation. Daß aber auf Grund der wieder einsetzenden
Darmtätigkeit durch die Ausstoßung stagnierender Gase und Kot-
massen und durch die Entfernung im Darme gebildeter Toxine die
Kreislauf- und Resorptionsverhältnisse günstig beeinflußt werden
und die Widerstandskraft des Bauchfells erhöht wird, daß durch
all dies eine Entgiftung des Organismus wesentlich gefördert wird,
liegt auf der Hand. Diese Heilfaktoren wurden im Falle 1, 2 und 3
mobil gemacht durch die Hormonalinjektion, und wir hatten den
Eindruck, daß das Hormonal in diesen drei Fällen von lebens-
rettender Wirkung war.
Es ist bekannt, daß durch Blutungen und Circulationsstö-
rungen schwere Darmlähmungen hervorgerufen werden können, wie
sie nach ausgedehnten Operationen im Abdomen zur Beobachtung
kommen. Drei derartige Fälle schwerer Darmlähmung wurden auf
der Abteilung mit Hormonal behandelt.
Fall 10. Frau S., 32 Jahre alt. Die Kranke war nach stunden-
langem Transport auf Stellwagen und Eisenbahn in das Hospital mit der
Diagnose „Perforationsperitonitis“ eingeliefert worden, nachdem sie
48 Stunden vorher bei einer Tanzfestlichkeit plötzlich mit heftigen
Schmerzen im Unterleib erkrankt war. Ihre Menstruation war seit acht
Wochen ausgeblieben.
Die völlig kollabierte, fast pulslose Patientin wurde sofort operiert,
wobei sich die von uns gestellte Diagnose „profuse Blutung nach ge-
platzter Tubargravidität* bestätigte. Die nach Eröffnung des Peritoneums
sofort hervorquellenden, stark geblähten Darmschlingen hinderten im
Vereine mit den Massen flüssigen und geronnenen Bluts die Freilegung
der Genitalorgane außerordentlich; schließlich gelang aber nach Heraus-
lagerung der Darmmassen die Exstirpation der linken Tube samt dem
geplatzten Fruchtsack sowie die weitere Blutstillung und Wundversorgung.
Am Tage nach der Operation stellten sich Anzeichen von Darmlähmung
ein, die bis zum dritten Tage langsam zunahmen. Die Temperatur ging
bis 39° in die Höhe, der Puls blieb dauernd zwischen 130 bis 140 in
der Minute, die Auftreibung des Leibs wuchs ständig. Jeder Versuch,
die immer mehr verfallende Patientin per os zu ernähren oder ihr Me-
dizin beizubringen, mißlang, da sie andauernd erbrach. Physostigmin-
einspritzung blieb erfolglos. Schließlich wurde ihr am dritten Tage
mittags 20 cem Hormonal injiziert.
Eine halbe Stunde später reagierte sie mit Schüttelfrost und 39,6°
Temperatur. Nach einer weiteren halben Stunde setzte lebhafte Darm-
peristaltik ein mit sehr reichlichem Abgang von Winden. Am nächsten
Morgen erfolgte eine mäßig große Stuhlentleerung, nachdem seit der In-
jektion nicht mehr erbrochen worden war. Der Leib fiel schnell zu-
sammen, auch die übrigen bedrohlichen Erscheinungen der Darmlähmung
bildeten sich rasch zurück; während der Rekonvaleszenz blieb die Darm-
tätigkeit ohne weitere Abführmittel geregelt, zwei Monate später konnte
die Patientin geheilt entlassen werden.
Fall 1i. Frau W., 32 Jahre. Die mit den Symptomen einer
schweren inneren Blutung eingelieferte Patientin wurde sofort operiert.
Es fand sich eine geplatzte Tubargravidität, durch die sich 1!,a Liter
flüssigen und frisch geronnenen Bluts in die Bauchhöhle ergossen hatten.
Nach dem Eingriffe bestand vollkommene Darmlähmung, die zwischen
dem dritten und vierten Tage durch subcutane Hormonalinjektion prompt
beseitigt wurde,
Fall 12. Frau H., 58 Jahre alt. Laparatomie wegen eines Magen-
carcinoms, das sich als inoperabel erwies. Bei der Operation entleerten
sich große Mengen Ascitesflüssigkeit. Die postoperative Darmlähmung
wurde durch Ricinusöl, Seifeneinlauf, hohen Giycerineinlauf und subcutane
Physostigmindarreichung in keiner Weise beeinflußt; vom zweiten zum
dritten Tage wurde Hormonal gegeben, das Temperatursteigerung bis 39 0
Á
m tn.
mit längerem Schüttelfroste verursachte und schon nach zehn Minuten
Stuhlentleerung bervorrief. | ame
Das Hormonal bei Ileus im Anfangsstadium zur ‘Sicherung
der Differentialdiagnose zu geben, wie es Zuelzer empfahl, - dazu
konnten wir uns nicht entschließen, in der Befürchtung; -dadurch
mehr zu schaden, als zu nützen. Nur in zwei auf der Abteilung
beobachteten Fällen, die ich anhangsweise kurz erwähnen möchte,
führte das Hormonal die differentialdiagnostische Entscheidung
herbei. In beiden Fällen war zunächst die klinische Feststellung
nicht zu erbringen, ob eine organische Stenose oder ein dyna-
mischer Ileus vorlag. Die bei Versagen jeder andern Therapie
in Aussicht genommene Laparotomie blieb den Kranken erspart,
weil die Hormonalinjektion die Darmlähmung prompt beseitigte
und damit die Diagnose „dynamischer Ileus“ sicherte.
Zusammenfassung. Die auf der Abteilung gemachten
Erfahrungen mit Hormonal bei chirurgischen Fällen waren günstig.
Bei 14 Fällen schwerer Darmlähmung blieb zweimal der Erfolg
aus, bei den übrigen Kranken wurde die Darmlähmung über-
wunden, bei einigen war das Mittel von geradezu lebensrettender
Wirkung. Die Anwendung geschah, nachdem die üblichen Mittel
zur Wiederherstellung der Peristaltik, darunter auch Darreichung
von Physostigmin versagt hatten. Von unerwünschten Neben-
wirkungen sahen wir außer Temperatursteigerung und Schüttel-
frost nur in zwei Fällen bei schwer darniederliegenden Kranken
Kollaps leichterer Art, der nach Darreichung von Exzitantien bald
überwunden wurde. Die schlimmen Erfahrungen, die Kretschmer,
Hesse, Wolf und Rosenkranz in letzter Zeit nach Injektion
des Mittels gemacht hatten, blieben uns also .erspart.
Bei der hervorragenden praktischen Bedeutung des Mittels
kann erst bei Vorliegen eines größeren klinischen Beobachtungs-
materials entschieden werden, ob dem Hormonal häufiger schäd-
liche Nebenwirkungen specifischer Art anhaften oder ob es sich
um Folgeerseheinungen handelt, wie sie erfahrungsgemäß bei der
intravenösen Anwendung größerer medikamentöser Mengen ge-
legentlich vorkommen.
Jedenfalls stehen wir zurzeit auf dem Standpunkte, daß wir.
in chirurgischen Fällen bei akutem, bedrohlichem Versagen der
Darmtätigkeit frühzeitig Hormonal anwenden, und zwar alsbald,
wenn bei offenbarer Darmlähmung durch die üblichen Mittel nach
Ablauf zweier Tage Peristaltik nicht erzielt werden konnte.
Literatur: Berl. kl. Woch. 1908, Nr. 46. — Zbl. f. Chir. 1910, Nr. 42.
— Med. Kl. 1910, Nr. 11. — M. med. Woch. 1911, Nr. 17. — Berl. kl. Woch.
1911, Nr. 11. — M. med. Woch. 1911, Nr. 23. — M. med. Woch. 1912, Nr. 17.
— M. med. Woch. 1912, Nr. 20.
—
Aus der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses zu Groß-
Lichterfelde (vorm. dirigierender Arzt: Prof. Dr.K. Brandenburg).
Ueber einen Fall von miliarer Tuberkulose mit
Typhusbacillenausscheidung im Urin
von
Dr. Wilhelm Sehott.
Der Unterleibstyphus ist eineKrankheit, deren Erkennung unter
Umständen recht schwer ist. Sein klinisches Bild bietet auch dem Er-
fahrenen für eine schnelle und sichere Diagnose Schwierigkeiten,
selbst wenn sich die einander folgenden Erscheinungen in längerer
Reihe übersehen lassen. Im Vordergrunde desKrankheitsbildes stehen
eben die durch Giftwirkung der Bacillen erzeugten Allgemein-
störungen, während die charakteristischen örtlichen Erscheinungen
oft zurücktreten und auch nur beschränkter Beobachtung zugäng-
lich sind. So ist denn leicht eine Verwechslung mit andern
schweren Infektionskrankheiten möglich, bei denen gleichfalls die
allgemeinen Vergiftungserscheinungen besonders hervortreten.
Neben der Septikopyämie und der epidemischen Cerebrospinal-
meningitis ist hier besonders die akute Miliartuberkulose zu
nennen. Die Aehnlichkeit ihres Verlaufs mit dem Typhus und
die hieraus entstehenden diagnostischen Schwierigkeiten wurden
seit jeher von den Autoren betont. Für die praktisch so wichtige
Entscheidung, ob im einzelnen Falle Miliartuberkulose oder Typhus
vorliegt, ist auch die Verwertung der gewöhnlich als typisch
geltenden Symptome nicht immer zuverlässig. So ist das Ver-
halten der Milz, ihr wachsendes Anschwellen vom Ende der ersten
bis zum Schlusse der zweiten Woche kein konstantes Symptom
des Typhus, sondern es ist zuweilen auch bei Miliartuberkulose
beobachtet worden. Ebenso ist die Roseola kein typisches Unter-
scheidungsmerkmal gegen Miliartuberkulose. Denn auch bei dieser
1. September.
kommen kleine hyperämische papillöse Flecke vor, die den Roseolen
gleichen. Meteorismus und das besondere Aussehen der Stühle
sind wie bei Typhus auch bei Miliartuberkulose beobachtet worden.
Schwere Fälle dieser Erkrankung verlaufen wie der Typhus mit
starker Auftreibung des Bauches und zeigen infolge der tuber-
kulösen Darmgeschwüre Durchfälle, deren Farbe die gleiche wie
beim Typhus sein kann. Sind in einem solchen zweifelhaften Falle
Husten und nachweisbare Lungenveränderungen vorhanden, so
braucht dies doch nicht für Tuberkulose zu sprechen, da die Er-
scheinungen ebenso von einer typhösen Bronchitis oder Pneumonie
herrühren können. Auch die früher so hoch gehaltene Ehrlich-
sche Diazoreaktion des Urins kann nicht als für Typhus allein
ausschlaggebend betrachtet werden. Sie findet siclı ebenso bei
andern fieberhaften Krankheiten, bei Phthise, Pneumonie, Masern
und auch bei Miliartuberkulose. So vermag also die rein klinische
Betrachtung im Zweifelsfalle, wenn nicht etwa durch den ophthal-
moskopischen Nachweis eines Chorioidealtuberkels die Entscheidung
gebracht wird, die Differentialdiagnose zwischen Typhus und
Miliartuberkulose nicht zu fördern. Hier hat nun die Bakteriologie
mit der Entdeckung des Typhusbacillus und den Methoden seines
Nachweises dem Arzte wesentliche Hilfe gebracht. Gilt doch der
Nachweis der Typhusbacillen in den Ausscheidungen und im Blute
des Kranken, sowie der positive Ausfall der Agglutinationsreaktion
allgemein als sicherstes Zeichen zur Feststellung der Typhus-
diagnose; ein Vertrauen, welches durch die streng specifische
Natur dieser Proben wohl berechtigt erscheint. Indessen sind in
neuerer Zeit Fälle bekannt geworden, deren Diagnose Unterleibs-
typhus bakteriologisch gesichert erschien, bei welchen jedoch andere
Krankheiten den klinischen Erscheinungen zugrunde lagen. Meist
war dies die Miliartuberkulose.
Den bisher hierüber in der Literatur mitgeteilten Beob-
achtungen, welche später kurz erwähnt sein sollen, reiht sich der
analoge Fall eines im Kreiskrankenhause zu Groß-Lichterfelde be-
handelten Kranken an. Dieser litt an akuter miliarer Tuber-
kulose; dabei wurden aus seinem Urin bei Lebzeiten Typhus-
bacillen gezüchtet,. und sein Blut ergab eine geringe positive
Widalsche Reaktion, während die bald darauf erfolgende Obduktion
wohl charakterisierte Zeichen tuberkulöser Veränderungen erkennen
ließ. Aus der Krankengeschichte dieses Patienten sei folgendes
mitgeteilt:
Der Kranke, ein 22 Jahre alter Maler, war bis zum Januar
1908 immer gesund. Damals erkrankte er unter Kopf- und Leib-
schmerzen, welche plötzlich kamen und vergingen. Doch kränkelte
er seitdem, bis am 14. April hohes Fieber (39,50), Husten ohne
Auswurf, Kopf-, Hals- und Rückenschmerzen auftraten. Zwei Tage
darauf kam er ins Krankenhaus. Bei der Untersuchung des
kräftig gebauten, gut ernährten Mannes zeigte sich leichte Be-
nommenheit, allgemeine Druckempfindlichkeit des Bauches, starke
Milzschwellung, Erhöhung der Körperwärme auf 38,50, gleich-
mäßige Pulsbeschleunigung, sonst nichts Krankhaftes. Die Leuko-
cytenzahl betrug 4200. Am 23. April wurde, nachdem inzwischen
das Fieber etwas gesunken, der Appetit gering geblieben war, die
Widalsche Serumreaktion in einer Verdünnung von 1:50 stark
positiv gefunden, während sie bei 1:100 negativ blieb. Die
Leukocytenzahl betrug jetzt 10600. Im Urin des Kranken, welcher
dauernd über Kopfschmerzen und Schmerzen in der Milzgegend
klagte, wurde Eiweiß nachgewiesen und am 1. Mai zuerst eine
Trübung bemerkt, bei deren mikroskopischer Untersuchung sich
zahlreiche Leukocyten und bewegliche Stäbchen fanden. Das Fieber
ging dann zurück, der Kranke fühlte sich besser und stand am
T. Mai eine Stunde auf. Am 11. Mai bekam er wieder Fieber und
Kopfschmerzen. Der Urin blieb dauernd trüb. Am 23. Mai
zeigte eine Drigalski-Platte, auf welche der steril entnommene
Yin übertragen war, zahlreiche blaue Kolonien. Diese bestanden
aus lebhaft beweglichen Stäbchen, welche von dem specifischen
Typhusserum bis zur Empfindlichkeitsgrenze agglutiniert wurden.
ie am 25. Mai wiederholte bakteriologische Untersuchung des
trübe gebliebenen, jetzt auch Erythrocyten enthaltenden Urins
hatte ein gleiches Ergebnis. Unter Kopfschmerz und zunehmender
Mattigkeit trat am 28. Mai von neuem Fieber auf, welches am
2. Juni auf 39,20 stieg. Der Kranke, welcher Urotropin erhielt,
fühlte sich immer schlechter, klagte weiter über Schmerzen in der
zgegend ; seine Pulszahl betrug jetzt 124. Das Aussehen wurde
elender; es stellte sich Tenesmus und Erbrechen ein. Am 13. Juni
verfiel der Kranke, der immer schwächer geworden war, und starb
‚unter den Erscheinungen der Herzschwäche.
Die klinische Diagnose wurde auf Typhus gestellt und erschien
durch das klinische Bild, den Befund von Typhusbacillen im Harn
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 35. 1427
und den schwach positiven Widal begründet. Die am 15. Juni vor-
genommene Obduktion zeigte jedoch keinerlei typhöse Veränderungen.
Der krankhafte Befund bestand vielmehr neben Herzmuskelentartung
in miliarer Tuberkulose der Lungen, der Leber, der Milz und des
Bauchfells, wallnußgroßen tuberkulösen Käseknoten beider Lungen-
spitzen, Tuberkelknötchen der Nierenrinde, tuberkulösen Geschwüren
der Ileocoecalklappe, des Dickdarms, der Nierenbecken-, Harnleiter-
und Blasenschleimhaut, verkäsender Tuberkulose der Nierenpapillen,
der Prostata und der Nebenhoden. Der aus dem Urin des Kranken
in der erwähnten Art gezüchtete Bacillenstamm wurde im De-
zember 1908 (in dem bakteriologischen Laboratorium des Kaiser-
lichen Gesundheitsamtes) einer eingehenden Wachstums- und noch-
maligen Agglutinationsprüfung unterzogen und dabei einwandfrei
als Typhusstamm bestätigt!). l
Der geschilderte Krankheitsfall stellte mithin eine miliare
Tuberkulose dar mit reichlicher Typhusbacillenausscheidung im
Urin und geringer positiver Widalscher Reaktion, wodurch die
klinische Diagnose zur Annahme eines Typhus irregeführt wurde.
Aehnliche Beobachtungen sind mehrfach mitgeteilt worden. So
wurde schon 1899 von Pechöre und Heyer?) über einen Kranken mit
den klinischen Erscheinungen des Typhus und positivem Widal berichtet,
bei dem auch nach dem Tode aus der Milz Typhusbacillen gezüchtet
wurden, während die Sektion im übrigen doch das Bestehen einer akuten
Tuberkulose ergab. Dombrowsky?) fand 1903 bei sechs von 18 Phthi-
sikern — dabei in zwei Fällen von Miliartuberkülose — positiven Widal,
allerdings nur bei einer geringeren Serumverdünnung als 1:50. Im
Jahre 1904 berichtete Jürgens‘) von drei Kranken, bei denen Schott-
müllersche Bacillen gefunden wurden, ohne daß typhöse Erkrankungen
vorlagen; einmal handelte es sich um einfachen Darmkatarrh, dann um
Influenza, endlich um allgemeine Tuberkulose. Krehl®) schrieb 1906
von einem Kranken mit miliarer Tuberkulose, dessen Stuhlgang Typhus-
bacillen enthielt. Den gleichen Fall erwähnte 1907 Jürgens®) und be-
richtete weiter von fünf Fällen, bei denen das Ergebnis der bakteriolo-
gischen und serologischen Untersuchungen zur Annahme einer typhösen
Erkrankung irreführte; dabei lag in vier Fällen Tuberkulose, in einem
Fali Appendicitis zugrunde. Ebenfalls 1907 teilte Bredow’) drei Tuber-
kulosefälle mit, in denen er eine positive Typhusagglutination in einer
Verdünnung von 1:100 nachweisen konnte. Busse) berichtete 1908
über vier Kranke, bei denen er Typhusbacillen im Blute fand, obwohl sie
nicht an Typhus, sondern in zwei Fällen an Miliartuberkulose, in je
einem an Lungen-Darm-Phthise und an Lungenentzündung litten. 1909
schrieb Krencker°) über acht Fälle schwerer Tuberkulose mit einwand-
frei positivem Widal, einen Fall von Miliartuberkulose mit Typhus-
bacillen im Blut und einen Fall tuberkulöser Darmgeschwüre mit Para-
typhus-B-Bacillen in den Stuhlentleerungen. Roth?!) teilte 1910 einen
Fall von Lungentuberkulose mit sicher positivem Widal (Verdünnung
1:200) mit, ferner fünf Tuberkulosefälle, bei denen der Widal allerdings
nur bis 1:50 positiv war.
Nach dieser kurzen Literaturübersicht soll nun eine Er-
klärung des anfangs dargestellten Krankheitsfalls versucht werden.
Die einfachste Deutung wäre wohl die Annahme einer Misch-
infektion mit Typhus und Miliartuberkulose; hierfür ergab jedoch
die Sektion keinen Anhaltspunkt, sondern das Bild einer reinen
miliaren Tuberkulose. Somit muß angenommen werden, daß sich
schon vor der Erkrankung Typhusbacillen im Darme deg Kranken
aufbielten, die nun beim Ausbruche der Krankheit durch die Darm-
wand hindurch in das Blut und von hier in den Harn übergingen,
ohne die ihnen sonst eigentümliche destruierende Wirksamkeit zu
entfalten. Bleibt nun zunächst die Frage offen, wie die Bacillen in den
Darm des Kranken hineingelangten und sich hier, ohne zu schaden,
t) Die Typhuskultur befindet sich noch jetzt unter den Typhus-
stammkulturen des Laboratoriums.
2) O. Pechère und M. Heyer, Positive Serumdiagnose nach
Widal in einem tödlichen Falle von akuter Tuberkulose. (J. med. de
Bruxelles 1899, Nr. 5.)
3) Dombrowsky, Ueber die Widalsche Reaktion und deren
praktische Bedeutung. (Hyg. Rundsch. 1903, Nr. 5.)
+4) Jürgens, Zur Aetiologie und Pathogenese des Abdominal-
typhus. (Zt. f. kl. Med. 1904, Bd. 52.)
5) L. Krehl, Einige Bemerkungen über die moderne Diagnostik
des Abdominaltyphus. (Straßburger med. Ztg. 1906, Nr. 4.)
6) Jürgens, Ueber typhusähnliche Erkrankungen. (D. med. Woch.
1907, Nr. i u. 2.)
1 Bredow, Ueber die agglutinierende Wirkung des Serums
Tuberkulöser auf Typhusbakterien und Tuberkelbacillenemulsion. (Inaug.-
Diss. Würzburg 1907.)
8), Busse, Ueber das Vorkommen von Typhusbacillen im Blute
von nicht typhuskranken Personen. (M. med. Woch. 1908, Nr. 21.) .
9) Krencker, Typhusagglutination bei Tuberkulose. (M. med. Woch.
1909, Nr. 20.) i
= 1) Roth, Zur Frage der Agglutination von Typhusbacillen durch
das Serum Tuberkulöser. (Zbl. f. i. Med. 1910, Nr. 1.)
ERBE. =. O
1428 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
aufhalten konnten, so ist anderseits ihr Uebergang durch die Darm-
wand ins Blut beim Ausbruche der Tuberkulose wohl verständ-
lich. Es ist ja bekannt, daß sogar die unverletzte Darmschleim-
haut jugendlicher Individuen für Bakterien durchgängig ist und
daß selbst geringfügige Schädigungen ein Durchwandern von Bak-
terien durch den Darm auf dem Wege der Lymph- und Blut-
bahnen in die Organe im Gefolge haben. Wie viel mehr und wie
viel leichter wird es der Fall sein, wenn schwere Veränderungen
der Darmschleimhaut, wie sie z. B. die Tuberkulose erzeugt, vor-
liegen und gleichzeitig die betreffende Bakterienart auf der Darm-
schleimhaut vegetiert. Diese Anschauung wird mehrfach in der
Literatur vertreten, wie sich auch einige der oben erwähnten
Autoren (Krencker, Busse, Roth) für sie entscheiden. Was
nun weiter den Uebergang‘ der Typhusbacillen aus dem Blut in
den Urin angeht, so ist ein derartiger Vorgang ja gerade beim
Typhus häufig beobachtet worden. Ueber seine Häufigkeit werden
von den verschiedenen Autoren wesentlich die gleichen Angaben
gemacht und dafür 1/4 bis 1/3 aller Fälle angenommen. Es bleibt
nun die Frage, wie die Bacillen in den Darm des Kranken erst
hineingelangten und welche Rolle sie hier spielten, da sie doch
nicht die ihnen sonst eigne schädigende Wirkung auf die Darm-
schleimhaut ausübten. Hier sei an die in neuerer Zeit so viel
beobachtete Tatsache erinnert, daß sich Typhusbacillen in den
Ausleerungen von Menschen finden können, die überhaupt keinerlei
Krankheitserscheinungen zeigen. Einmal fand man sie bei Men-
schen, die von kürzerer oder längerer Zeit einen Typhus über-
standen hatten und nun gesundet waren, dann aber auch bei |
solchen, die sich auch früher nie krank gefühlt hatten. Dabei
dürfte sich die Zahl dieser Typhysbacillenträger, soviele Beob-
achtungen über sie auch vorliegen, wahrscheinlich noch erheblich
höher stellen, wenn noch genauere Methoden des Bacillennach-
weises zur Verfügung ständen; eine Vermutung, die unter andern
besonders von Jürgens unter Hinweis auf die Mängel der bis-
herigen Nachweisverfahren ausgesprochen wird. Angesichts solcher
Verbreitung der Bacillenträger liegt es nahe, auch in dem hier
zugrunde liegenden Falle den Kranken als Bacillenträger anzu-
sehen. Er gab zwar an, stets gesund gewesen zu sein; doch ist
os wohl möglich, daß er vielleicht vor Jahren einen ihm selbst
als solcher nicht bewußt gewordenen leichten Typhys überstanden
hat, oder daß er ein „primärer Typhusbaeillenträger“ war, der
überhaupt nie eine typhöse Erkrankung durchmachte. Die tuber-
kulösen Veränderungen, die er in sich trug, könnten immerhin
eine langdauernde Bacillenausscheidung bei ihm begünstigt haben,
insofern als „Herabsetzung der normalen Spannkräfte”, „chro-
nische Erkrankungen, wie z. B. Phthise, eine die chronische Ba-
cillenausscheidung begünstigende Rolle spielen‘ können (Kutscher).
Eine andere Möglichkeit, die Anwesenheit der Typhusbacillen im
Darme des Kranken zu erklären, würde die neuerdings ausge-
sprochene Annahme bieten, welche der Gruppe der Typhusbakterien
eine ähnlich weite Verbreitung und ähnliche. pathogenetische Be-
deutung für Mensch und Tier wie etwa den Streptokokken ein-
räumen will. Diese Ansicht, welche auch den Typhusbacillus als
eine Art von Darmschmarotzer ansehen will, stützt sich einmal
auf seine echt saprophytische Lebensweise im Körper der Bacillen-
träger, sodann auf seine erst in neuerer Zeit ermittelte unerwartet
große Widerstandsfähigkeit auch außerhalb des menschlichen und
tierischen Körpers. Wollte man diese Annahme auch auf den hier
besprochenen Kranken anwenden, würde es nicht notwendig sein,
daß er früher einmal mit einer Typhusepidemie in Berührung ge-
kommen wäre. Welche dieser beiden Erklärungen für den Bacillen-
eintritt in den Darm des Kranken, ob die Annahme, der Kranke
sei ein echter Bacillenträger gewesen, oder die Ansicht von der
saprophytischen Verbreitung des Typhusbacillus die Wahrheit
trifft, ist nicht sicher zu entscheiden; vorläufig erscheint die erst-
. erwähnte Annahme durch umfangreichere Erfahrungen begründet
und daher wahrscheinlicher. Im Anschluß an den beobachteten
Krankheitsfall und all diese Erwägungen wurden ebenfalls im
Kreiskrankenhause zu Groß-Lichterfelde einige bakteriologische
Untersuchungen angestellt, um weitere Anhaltspunkte für die
Häufigkeit derartiger Vorkommnisse zu erlangen. Es wurde von
sechs an vorgeschrittener Phthise leidenden Kranken, bei welchen
zahlreiche Durchfälle auf das Vorhandensein tuberkulöser Darm-
geschwüre schließen ließen, zu verschiedenen Zeiten Blut und Stuhl-
gang entnommen und zur Anreicherung etwa vorhandener Bacillen zu
Rindergalle gemischt; von der Mischung wurden nach erfolgter
'Bebrütung Ausstriche auf Drigalski-Platten gemacht. Jedoch
wurden in keinem Falle Bacillen gefunden; die Platten blieben
auch sonst ganz unverändert, während sie in Kontrollversuchen,
1. September.
in denen die Galle mit etwas Typhuskultur versetzt war, stets
reichliche Typhuskolonien aufwiesen. So haben diese Unter-
suchungen keine weitere Klärung der Frage gebracht. Die prak-
tische Bedeutung des hier vorgetragenen Falles liegt darin, daß er
aufs neue lehrt, wie auch bei dringendstem Typhusverdachte der
Nachweis von Typhusbacillen noch nicht zur Sicherstellung der
Diagnose ausreicht. Jürgens glaubt zwar in solchen Zweifels-
fällen in der „negativen Serumprobe den Ausdruck für das Fehlen
des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Erkrankung und Ba-
eilleninvasion erblicken* zu dürfen, und diese Ansicht scheint
durch mehrere Fälle, so auch durch die von Busse mitgeteilten,
bestätigt.zu sein. Und doch schreibt Kayser: „Wir fanden die
Gruber-Widalsche Probe bei etwa dreiviertel ‘aller der Dauer-
träger positiv, bei denen sie möglich war, anzustellen‘‘, und seine
Mitteilung wird durch andere Beobachtungen (Krencker und
Andere) ergänzt. Auch ia dem hier dargestellten Krankheitsfalle
war ja eine geringe positive Widalsche Reaktion vorhanden, trotz-
dem lag ihm eine rein miliare Tuberkulose zugrunde. So bildet er
einen neuen Beitrag zu den Schwierigkeiten der Typhusdiagnose!).
Aus dem Chemischen Laboratorium der Medizinischen Universitäts-
klinik Zürich. (Direktor: Prof. Dr. H. Eichhorst.)
‚ Versuche mit Jodostarin
von
Dr. E. Herzfeld und cand. med. K. S. Makler.
Schon lange war man bestrebt, anstatt des wegen seiner
unangenehmen Nebenwirkungen bekannten Jodkaliums möglichst
gleichwertige organische Jodpräparate in die Therapie einzuführen.
Ob dieses Bestreben zu günstigen Resultaten führen wird, ist bisher
noch nicht ganz entschieden. Die Frage der Jodwirkung ist noch
immer nicht geklärt. Die wichtigsten Ansichten über Jodwirkung
mögen wie folgt zusammengefaßt werden. W. Heubner ist der
Meinung, daß es sich bei der Jodwirkung teils um eine Salz-
wirkung, teils um eine indirekte Wirkung, um die Steigerung des
Jodgehalts der Schilddrüse handle. Nach Heffter soll bei der
Jodwirkung in erster Linie die Schilddrüse eine wichtige Rolle
spielen. Binz hatte schon vor Jahren die Vermutung ausge-
sprochen, daß in pathologischen Neubildungen ein Freiwerden von
elementarem Jod und dadurch eine Heilung stattfinden könnte.
Dio Versuche von Loeb, Michaud und von den Velden unter-
stützen diese Vermutung, indem sie in tuberkulösen und carcino-
matösen Geweben sowie im Eiter größere Jodmengen angehäuft
fanden als im gesunden Organ. Hier wäre noch zu erwähnen
die Veröffentlichung P. Ehrlichs über Partialfunktionen der Zelle,
worin er in präsumtiver Weise Jod als einen Körper bezeichnet,
der für die Vernichtung der Stoffwechselprodukte in Betracht
kommt.
Nach Erlenmeyer und Stein sollen alle Jodwirkungen
Jonenwirkungen sein. Sie vertreten die Ansicht, daß organische
Jodverbindungen nur dann wirken, wenn sie im Körper J od ab-
spalten. Ob nun die organischen Jodverbindungen zur Entfaltung
ihrer Jodwirkung zuerst in anorganische Jodide übergeführt werden
müssen, um dann Jod abzuspalten, ist noch nicht entschieden
worden. Ehrlich nimmt an, daß das Jod durch die aus den
Nitraten der Nahrung gebildeten Nitriten und durch saure Sekrete
der Schleimhaut oder Luftkohlensäure aus den Jodverbindungen
freigemacht wird. Obige Autoren bezeichnen das Jodipin und
Sajodin wegen ihres geringen Jodgehalts als nur schwache Er-
satzmittel des Jodkaliums. Winternitz findet dagegen, daß obige
Ionentheorie wenig Berechtigung habe, da dafür fast keine Beweise
vorliegen. Er schreibt dem Jodipin eine besondere Art von Jod-
wirkung zu, welche durch die sogenannten lipotropen Eigenschaften,
der in dem Präparat enthaltenen Jodfettsäuren bedingt sein soll.
Entweder sollen die Jodfettsäuren selbst die Träger der thera-
peutischen Wirkung sein, die durch ihre Beziehungen zu den
lipoiden Stoffen in den Nerven und andern Geweben Angriffs-
punkte finden, oder es gelangen lipoidlösliche Umsetzungsprodukte
zur Wirkung. E. Bröcking betont die Bedeutung der Verteilung
des Jods bei der Erforschung der pharmakologischen Wirkung
und hebt hervor, daß ein Arzneikörper gerade dort seine größte
Wirkung entfaltet, wo er sich in vermehrter Menge findet.
C. Bachem stellt an ein gutes Jodpräparat folgende Anforde-
1) Eine genauere Darstellung des Falles nebst eingehenderen Lite-
raturangaben findet sich in der unter gleichem Titel 1911 in Leipzig er-
schienenen Dissertation des Verfassers. '
1. September.
rungen: 1. Relative Ungiftigkeit, 2. genügende Verteilung in den
einzelnen Organen, 3. baldige Resorption, aber nicht zu schnelle
Ausscheidung, 4. hinlängliche Ausnutzung des Gehalts an freien
Jodionen, 5. Geschmacklosigkeit, 6. verhältnismäßiger niedriger
Preis. Er will auch im Jodostarin (Hoffmann La Roche & Co.,
Grenzach) ein solches gefunden haben. Seine pharmakologischen
Versuche ergaben, daß die tödliche Dosis für Jodostarin pro Kilo-
gramm Kaninchen bei etwa 5 g liegt. Magensaft greift das Prä-
parat nicht an, erst im Darm und besonders erst jenseits desselben
soll es ionales Jod abspalten. Nach etwa 1/a Stunde soll Jod im
Harn und Speichel nachweisbar sein, innerhalb dreier Tage wurden
75 bis 80%) der eingeführten Jodmenge durch den Harn ausge-
schieden. Die Jodverteilung war auf die einzelnen Organe an-
nähernd gleich; auch im Gehirn war Jod nachweisbar. Nach seiner
Meinung sollen für den allgemeinen Wert eines Jodpräparats die
Resorptionsverhältnisse mindestens ebenso wichtig sein, wie die
Höhe der Neuro- und Lipotropie.
Wenn man sich also über die Jodwirkung ein Bild machen
wollte, müßte man zahlreiche Faktoren in Betracht ziehen (wobei
men noch eine Menge Fragen unbeantwortet findet).
Vorliegende Arbeit bezweckte, einzelne noch offene Fragen
zu beantworten und zu diesem Zwecke schien uns das Jodostarin,
ein einheitliches, chemisch wohl definiertes, beständiges Jodpräparat,
besonders geeignet zu sein. 1. Kann das Jodostarin als solches
nach der Verabreichung per os im Blute wiedergefunden werden,
oder kreist nur das in anorganische Form übergeführte Jod im
Bluto? 2. In welcher Form scheidet sich das Jod im Harn. aus?
3. Muß aus den Jodiden im Organismus Jod abgespalten werden,
um sich mit einem organischen Rest zu verbinden? 4. Wieviel
Jod wird aus dem Jodostarin durch den Harn ausgeschieden und
wieviel im Körper zurückbehalten? 5. Wieviel Jodostarin verläßt
unverändert den Körper? | |
Um diese Fragen beantworten zu können, haben wir einer-
seits pharmakologische, anderseits klinische Versuche angestellt.
Bei einer Reihe pharmakologischer Versuche wurde nach einer
ähnlichen Methodik verfahren, wie sie C. Bachem angibt, und
wir können die von ihm erhaltenen Resultate fast vollständig be-
stätigen. Wir möchten hier nur über die in bezug auf Frage 1
angestellten Versuche berichten. Ein Kaninchen bekam mittels
Schlundsonde allmählich 3 g Jodostarin; sobald die Jodausscheidung |
im Harn anstıeg, wurde das Tier getötet und das Blut möglichst
quantitativ wie folgt verarbeitet. Nachdem man mit verdünnter
Schwefelsäure schwach angesäuert hat, um die etwa vorhandene
Dijodtaririnsäure frei zu machen, wurde etwa zehnmal mit Aether
extrahiert, worin sich das Jodostarin leicht löst. Die vereinigten
Astherextrakte wurden in Vacuum abgedampft, der Abdampfrück-
stand zuerst mit KNO und HzSO4 auf ionales Jod geprüft, was
nicht vorhanden war, dann aber mit KOH alkalisch gemacht, ein-
getrocknet, verkohlt und der Extrakt des Verkohlungsrückstandes
auf Jod geprüft: es war keine Spur von Jod zu finden. Daraus
folgt, daß Jodostarin im Blute nicht vorkommt. Das Blut wurde
hierauf in einer Dialysierhülse einige Tage lang dialysiert und das
Dialysat auf Jod geprüft; es konnte nach Fresenius Jod nach-
gewiesen werden. Der Rückstand wurde mit KOH eingetrocknet,
verkoblt und der Auszug des Verkohlungsrückstandes auf Jod ge-
prüft; die Reaktion fiel negativ aus. Aus diesen Versuchen kann
man also schließen, daß das Jod des Jodostarins zunächst in an-
organische Form übergeführt wird und in diesem Zustande im
Blute kreis. Bei der ähnlichen Untersuchung des Magen- und
arminhalts konnte aus dem Astherauszug ein Teil des unver-
änderten Jodostarins wieder gewonnen werden, daneben war aber
schon eine beträchtliche Menge anorganischer Jodide vorhanden.
In bezug auf die Frage 2 sollen die Versuche von A. Oswald
erwähnt werden, der im Kaninchenharn nach Verfüttern von
Dijodtyrosin eine organische, mit dem Dijodtyrosin nicht identische
Jodverbindung fand. Wir versuchten zunächst, aus vielen jod-
haltigen Harnen nach Jodostarinverabreichung durch wiederholte
etherextraktion das etwa unveränderte Jodostarin zu isolieren,
was aber nicht gelang. Um etwaige andere organische Jodver-
bindungen aus dem Harn isolieren zu können, wurden zwei Wege
eingeschlagen. Einmal die stark jodhaltigen Harne vereinigt,
konzentriert und mit HNO und soviel AgNO; versetzt, bis noch
ein Niederschlag entstand; im Filtrat waren nur Spuren von Jod
zugegen, folglich schien fast alles Jod in Form von Jodiden vor-
anden zu sein. Dann wurde noch nach A. Oswald wie folgt |
verfahren, Vom frischen, jodhaltigen Harne neutralisierte man etwa
zwei Liter mit verdünnter Essigsäure, hierauf versetzte man mit
Silbernitrat und wenig verdünntem Ammoniak so lange noch ein
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 55,
Niederschlag entstand. Der gelbliche Niederschlag wurde gut ab-
genutscht, mit ammoniakalischem Wasser ausgewaschen und dann
mit verdünnter Salpetersäure oft digeriert. Die vereinigten salpeter-
sauren Filtrate wurden mit Ammoniak so lange versetzt, als sich
der entstandene Niederschlag noch vermehrte. . Dieser Niederschlag
wurde hierauf abgesaugt, dann in Wasser aufgeschwemmt und
mit HS vom Silber befreit. Im silberfreien Filtrate war keine
Spur Jod zu finden. Folglich scheint nach Jodostarinverabreichung
fast alles im Harn ausgeschiedene Jod in anorganischer Form ge-
bunden zu sein.. | | u:
Zur Beantwortung der Frage 3 stellten wir folgende Ver-
suche an. 10 ccm frischer Speichel (alkalisch) wurden mit 1 cem
15 Kaliumjodidlösung etwa auf zwei Stunden in den Brutschrank
gestellt, dann die eine Hälfte nach Fresenius, die andere aber
nach E. Winterstein und E. Herzfeld auf Jod geprüft. Im
ersten Falle verbrauchte man 0,42 cem und im zweiten 0,41 ccm
5 Natriumthiosulfatlösung, woraus zu ersehen ist, daß von dem
zugesetzten 1 ccm nur 0,88 cem zurückgewonnen wurde, der Rest
aber 170/, wahrscheinlich organisch gebunden war. Um dies zu
entscheiden, wurde der Rückstand, aus welchem nach obigen
Methoden kein Jod mehr freigemacht werden konnte, mit KOH
versetzt, eingetrocknet, verkohlt und der Verkohlungsrückstand
mit Wasser extrahiert; aus diesem Extrakt ergab sich eine 0,15 cem
15 NazS20; entsprechende Jodmenge. Dieser Versuch ergab mit
verschiedenem Speichel ähnliche - Resultate, nur waren die ge-
. bundenen Jodmengen in allen Fällen nicht gleich, einmal größer,
das andere Mal geringer. Es scheint aus diesen Versuchen hervor-
zugehen, daß das Jod schon in der Ionenform imstande ist, sich
an organische Komplexe anzulagern und so braucht man nicht
. anzunehmen, daß erst eine Abspaltung von freiem Jod im Körper
erfolgen muß, wie Ehrlich meint. Wir möchten hier noch an
: eine frühere Beobachtung erinnern (E. Winterstein und E. Herz-
feld), daß aus einem sonst jodfreien Harn die zugesetzte Jod-
kaliumlösung nicht vollständig zurückgewonnen werden konnte, so-
daß man annehmen muß, daß der Harn einen Bestandteil enthält,
welcher imstande ist, aus dem zugesetzten Jodid einen Teil der
Jodionen organisch zu binden.
Bezüglich der Fragen 4 und 5 haben wir klinische Versuche
angestellt. Vorher: aber mögen einige allgemeine chemische Eigen-
schaften des Jodostarins erwähnt werden.
Jodostarin ist das Dijodid der Taririnsäure, einer dreifach un-
' gesättigten Fettsänre der Sorbinsäurereihe
CHs’(CHa)ıo’CJ = CJ '(CHa)ı" COOH,
es hat einen Schmelzpunkt von 49° C und soll einen konstanten
.Jodgehalt von 47,5% besitzen. Das von uns verabreichte Produkt wurde
‚vielfach auf Jod geprüft und dabei durchschnittlich ein Jodgehalt von
48,26°/, gefunden. Es bildet feine, weiße, geruchlose und fettähnlich
schmeckende Krystallschuppen. Unlöslich in H20, leicht löslich in: Al-
kohol, Aether, Chloroform, Benzol usw. Durch Erwärmen mit cc HS0,
' tritt Jodausscheidung auf, ebenso mit ce HNO;. Mit cc HCI aber ver-.
ändert sich der Körper auch beim Kochen nicht. Im trocknen Zustand,
auch in wäßriger Aufschwemmung, ja sogar im geschmolzenen Zustand
ist das Jodostarin lichtbeständig, aber in irgendeinem Lösungsmittel ge-
löst tritt schon bei diffusem Lichte, besonders beim Sonnenlicht und
Licht einer Quarzlampe reichliche Jodausscheidung auf. Setzt man cine
Lösung von Jodostarin in Benzol der Liehtwirkung aus und bindet das
Sg N atriumthiosulfatlösung und wiederholt
diese Operation sehr oft, so gelingt es auf diese Weise, im Mittel aus
vielen Versuchen 94,26 °/o Jod abzuspalten.
ausgeschiedene Jod mit einer
Im folgenden machen wir kurze Angaben über die bei An-
wendung von Jodostarin erhaltenen Ergebnisse.
Die Jodbestimmungen wurden hierbei womöglich je zweimal
nach E. Winterstein und E. Herzfeld und nach Fresenius
ausgeführt. Die Analysenresultate stimmten nach beiden Me-
thoden fast genau überein. Beim Nachweise größerer Jodmengen
wurde besonders erstere, für geringere Jodmengen aber letztere
angewandt, | | | wc Dy
Als Vorversuch bekamen drei gesunde Individuen zu gleicher Zeit
je 0,5 g Jodostarin, wobei die erste Jodausscheidung zu verschiedenen
Zeiten eintrat: A. nach 1,5 Stunden, B. nach 2 Stunden, C.. nach’
3 Stunden. Bei zwei Patienten konnten bei obigen Bedingungen fol-
gende Zeitpunkte festgestellt werden: Patient G. nach 1,75 Stunden,
Patient H. nach 2 Stunden, das Jod ist bei G. nach 40 Stunden und bei
H. nach 62 Stunden aus dem Harne verschwunden. Die Faeces wurden
auch stets auf Jod beziehungsweise Jodostarin geprüft, wobei in vielen
Fällen wenig unverändertes Jodostarin durch Astherextraktion nachgewiesen
werden konnte. Endlich enthielten auch die von Zeit zu Zeit unter-
suchten Speichel, Schweiß, Nasensekret, Haare, Nägel usw. stets Jod.
1429
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1430 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
Von den zahlreichen mit Jodostarin behandelten Patienten
war es leider nur bei 20 Fällen möglich, die quantitativen Aus-
scheidungen, sowohl durch den Harn, als auch durch die Faeces,
während einer bestimmten Zeit zu verfolgen. Es wurden verab-
reicht einem Patienten sechs Tage lang dreimal täglich 0.5 g
Jodostarin, drei Patienten fünf Tage dreimal täglich 0,5 g, 14 Pa-
tienten drei Tage zweimal täglich 1 g und zwei Patienten zwei
Tage zweimal täglich 1 g. In 18 Fällen wurde das Jodostarin
gut vertragen, nur bei Fall 7 und 13 traten Nekenerscheinungen
auf. Besonders bei Fall 7 häufiges Erbrechen, Abmagern, Kopf-
schmerzen, Schnupfen. Die Jodausscheidung begann rasch und
hörte fast regelmäßig schon nach ein bis zwei Tagen nach der
letzten Verabreichung auf. Die von den weiteren Tagen stam-
menden Harne wurden stets auf Jod geprüft, ohne eine Spur da-
von nachweisen zu können. Auch in den späteren entleerten
Faeces war kein Jod zu finden.
Aus-
Verabreicht Aus- Bemerkungen
Fall | Jod in Form | geschieden BE In Euer | wen
von Jodostarin |Jod im Harn 0 [70n Jodostarin OH BEE] Faoss | |: En. (Diagnose)
1 Be 2 Tage 1,97 g 0,6874 g 0,0381 g 1,2445 Tabes dorsalis
i 84,89 Yh 1,93% 63,18 %/o
2 383 2,8956 g | 0,9194 g 0,2159 g 1,7603 g | Insuf. cordis
n LTA a 7,45%, 60,81 /o
3 |B „ 28956 „ ‚2548 £ 0,1119 g 1,52 Pleuritis ser. sin.
41,95 "o 3,86% | 54,19%,
4 |3 „ 28956, In 2 g 028 8 er g | Pleuritis dext.
? , 0
5 |s „ 28066 „! 14870 g 9 | 1,4086 g | Insuf. cordis
51,35%, — 48,65 "/o
6 |83 28956 „| 1,2847 g | 0,2540 g | 1,4869g | Insuf. cord. sen.
E 48,33%, 8,77% 47,90 Yo
7 |3 „ 2896 „| 14804 g 0,0953 g 1,3199 g | Neurit. alkohol. sehr
‚112° er 30°, es /o i Behlecht vertragen
nsu
8 3 „ 238906 „ port E ; 2.99 5 | 14.97 T cord. alkoh
9 13 „ 28956 „| 1,7448 8 0,0305 g | 1,1203 œ | Arthrit. rheum.
60,26 jo 1,05 %, 38,69 %/,
10 {3 „ 28956 „| 1,4157 £ 0,3300 g 1,1499 g | Eczem. squam.
50,98 U), 11.390], 37,68%,
1 |2 „ 197 „| 1,0200 g 0,2235 £ 0,7285 g | Periost. diff. tib. et
12 |3 2,8956 10188 us 0,7088 h 1068 : Luss os 4
t 4
ý "| 8724 l 27,41 vh | 35,85%,
13 |3 „ 28066 „| 187688 ' 0,0584g | 0,9604 & | Polyartb. acut.
Ao vd, 5 a o De %, N on vertragen
r
14 |3 „ 2,8966 „ i2 a n KT 8 Ka nA À a pu
15 B an 1,81 ‚1626 1 aturnism. chron.
3 2,8956 „ f E bôl E Hm S ron
16 |3 „ 28966 „| 1,7097 g | 0,2807 & | 0,9112 g | Syphilis hered.
58,84%), 9,69%, | 31,47%,
17 |5 „ 864 „| 228337 g 0,2781 g 1,1282 g | Pleur. exsud. sin,
61,87 7,64%, 30,99 %,
18 |5 „ 364 „| 2,5270 g — 1,113 g | Syphilis hered.
69,42 o — 30,58 0/9
19 |5 „ 364 „| 2,6450 g -- 0,9950 g | Pleuropneum. fibr.
72,7 “lo — 27,30%, dext. infer.
20 |6 „ 48343 „| 3854 g _ 0,4890 g | Syphilis hered.
| 88,74%, _ | 11,26% |
Aus obiger Tabelle ist ersichtlich, welcher Anteil des in
Form von Jodostarin eingeführten Jods durch den Harn zur Aus-
scheidung gelangte, dann wieviel davon, nicht resorbiert, durch
‘ den Darmtrakt abging und endlich wieviel vermutlich im Körper
zurückbehalten wurde. In vier Fällen (5, 18, 19, 20) ist mit den
1. September.
Faeces kein Jod ausgeschieden worden, bei diesen Fällen gelangte
im Mittel 70,55 0/, der verabreichten Jodmenge durch den Harn
. zur Ausscheidung, hingegen ist der Mittelwert für alle andern
Fälle nur 54,73%). Was den nicht resorbierten Teil des Jods .
anbelangt, finden wir die kleinste Zahl (Fall 9) 1,05°%0 und die
größte (Fall 12) 27,41%, der Mittelwert beträgt 7,52 }/ọẹ In be-
zug auf die im Körper retinierten Jodmengen haben wir in obiger
Tabelle die Fälle so geordnet, daß daraus ersichtlich ist, wie bei
längerer und vermehrter Jodzufuhr die retinierte Jodmenge ab-
nimmt. Wir könnten uns diesen Umstand so erklären, daß ein
jedes Individuum eine bestimmte Jodmenge im Körper aufzu-
speichern vermag, sodaß nach der ersten Jodgabe ein Teil zurück-
behalten wird; hat man aber die Grenze der Retentionsfähigkeit
erreicht, so werden alle späteren Jodgaben resorbiert oder nicht
resorbiert den Körper verlassen, sodaß die anfangs retinierte Jod-
menge bei- steigender Jodzufuhr im Verhältnis zu derselben ab-
nimmt. Der größte Wert beträgt (Fall 1) 63,20°/,, der kleinste
(Fall 20) 11,26 9/0.
Zum Schlusse sei noch erwähnt, daß das gleiche Präparat
bei einer Anzahl von Fällen von Arteriosklerose, wobei es gut
vertragen wurde, in Anwendung kam. Näheres über die Wirkung
und Ausscheidungsverhältnisse findet sich in der Arbeit von
J. Bakst (Inaug.-Diss. Zürich 1912). |
Die Resultate vorliegender Arbeit können wie folgt zu-
sammengefaßt werden:
1. Das Jodostarin (CısHs32aJa0>) ist eine einheitliche, luft-
und lichtbeständige Substanz mit einem Jodgehalte von 48,26 °/o.
Wurde in 18 Fällen gut, in zwei Fällen schlecht vertragen. Wenn
nach Winternitz den Jodfettsäuren so eminente therapeutische
Wirkung zukommt, so muß dasselbe entschieden auch für die
chemisch wohl definierte Dijodtaririnsäure (Jodostarin) gelten.
2. Das Jodostarin erscheint als solches nach der Einnahme
weder im Blute, noch im Harn. Auch andere organische Jodver-
bindungen waren nicht nachweisbar, hingegen konnte festgestellt
werden, daß das ausgeschiedene Jod in anorganischer Form auftritt.
3. Eine Jodanhäufung im Körper könnte man in der Weise
deuten, daß aus der organischen Jodverbindung entstandene Jodion
sich an andere organische Komplexe anlagert, sodaß ein Frei-
werden von elementarem Jod nicht erforderlich ist. Ob die in
größerer Menge eingeführte organische Jodverbindung sich als
solche in den Organen ablagern kann, ist bisher noch unentschieden.
4. Vom verabreichten Jodostarin scheiden sich durch den
Harn im Mittel 62,64 0/, Jod aus, durch die Faeces 7,52 0/ọ. Die
Retention von Jod im Körper scheint mit der Menge des zuge-
führten Jods zusammenzuhängen.
Literatur. W. Heubner (Th. Mon. 1909, H. 3, 8, 10. — A. Heffter
(Vortr. geh. auf der XXXI. Vers. d. Baln. Ges.) — P. Ehrlich (Nobelvortrag,
geh. in Stockholm 11. rg 1908). —- Erloenmeyer und Stein (Th. Mon.
1909, Jg. XXII, Nr. 3, S. 185). — Winternitz (Th. Mon. 1909, Nr. 8, S. 414).
— E. Bröcking (Zt. f. exp. Path. 1910, Pa VII, S. 125) — C. Bachem
(M. med. Woch. 191i, Nr. 41, 8.2161). — Oswald (Zt. f. physiol, Chem.
1910, Bd. 65, H.2). — E. Winterstein und =. Herzfeld (Zt. f. physiol. Chem.
1909, Bd. 63, H. 1).
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem ÖOpsonischen Laboratorium (Abt. d. Path. Instituts) der | sachen. Daß dem aber nicht so ist, ist leicht festzustellen. Spritzt
Königl. Tierärzti. Hochschule zu Dresden.
Ueber pharmakodynamische Einflüsse auf den
opsonischen Index
von
Prof. Dr. med. Alexander Strubell, Dresden.
Wenn man einem Menschen oder Tier eine abgetötete Auf-
schwemmung von der Reinkultur eines pathogenen Bacteriums
unter die Haut spritzt, so treten die Veränderungen der opsoni-
schen Immunität auf, welche wir nach Wright als negative und
positive Phase bezeichnen. Diese Veränderungen sind specifischer
Natur, insofern nach Injektion eines bestimmten Bacteriums der
opsonische Index nur für dieses Bacterium die eben genannten
Veränderungen, nämlich das zunächst auftretende Sinken und ein
darauffolgendes Wiederansteigen, aufweist. Diese Veränderungen
sind ferner auch von der Menge der eingespritzten abgetöteten
Bakterien abhängig. Es herrscht nun wohl die Meinung, daß es
die in den Körper gelangten Bakterien an sich seien, welche diese
Abweichungen der opsonischen Immunität von der Norm verur-
man einem Tier entsprechende Mengen einer lebenden, hochviru-
lenten, bakteriellen Reinkultur unter die Haut, so treten keinörlei
charakteristische Schwankungen des opsonischen Index ein. Viel-
mehr schwankt derselbe, wie ich besonders an Versuchen mit
Staphylokokken habe nachweisen können, innerhalb der Grenzen
der Norm, und erst nach 8 Tagen, 14 Tagen oder 3 Wochen
treten bei den staphylokokkenempfindlichen Kaninchen Senkungen
der opsonischen Immunität auf. Der Schluß, den wir hieraus
zu ziehen haben, ist der, daß es nicht die lebenden Bakterien
sind, welche die opsonische Immunitätsreaktion der negativen
und der positiven Phase verursachen, sondern ihre abgetöteten
Leiber respektive deren giftige kiweißkörper. Eine Feblerquelle
hätten wir aber noch hier auszuschließen, nämlich die, daß
wir bei dem Präparieren solcher Vaccinen gewöhnlich mit einem
Zusatz von 1/30/, Lysol arbeiten. Es wäre an die Möglichkeit
zu denken, daß das Lysol einen solehen Einfluß auf das Blut aus-
übte. Aller dings hätte dem Begründer der Opsoninlehre ein ganz
ungeheuerlicher Irrtum unterlaufen sein müssen, wenn das der
Fall wäre. Ich habe mich durch Versuche davon überzeugt, daß
Injektionen von einigen Kubikcentimetern Lysol-Kochsalzlösung
keinerlei Veränderungen des opsonischen Index hervorrufen. Da-
u x U
1. September.
gegen babe ich schon seit längerer Zeit darüber nachgedacht, wie
es kommt, daß gewisse Arzeimittel, die wir häufig geben, krank-
hafte Nebenerscheinungen hervorrufen, welche sonst, wenn sie
. spontan auftreten, nach unsern jetzigen Kenntnissen mit patholo-
gischen Veränderungen des opsonischen Index einhergehen. Ich
denke an die Acne vulgaris, bei der nach dem übereinstimmenden
Urteil aller Autoren, die sich damit beschäftigt haben, meistens
ein sehr niedriger Stand des Index gegen Staphylokokken sich
findet, und an die Acne, welche durch therapeutische Dosen von
Jod und Brom künstlich erzeugt wird. Wenn ich mit diesen
Tatsachen noch die Erfahrungen verglich, daß die Jod- und Brom-
acne nach meinen Versuchen, die von Salfeld bestätigt wurden,
durch Injektionen von Staphylokokkenvaceine ganz besonders
prompt und sicher beseitigt wird, so kam ich unweigerlich zu dem
Schluß, daß Jod im Organismus auf die Immunität gegen Staphylo-
kokken einen Einfluß ausüben müsse. Die Erklärungen, welche
man bisher für die Entstehung der Jod- und Bromacne gegeben
hatte, Reizung der Hautdrüsen durch das in sie hineingelangte,
per os eingeführte Jod, die COg-Spannung der Gewebe nach
Schwenkenbecher, welche aus Jodalkalien Jodwasserstoffsäure
freimachen kann, eine Meinung, der. auch Binz beigestimmt hat,
die Zersetzung von Jodaten durch den Rhodangehalt des Speichels,
von Jodiden durch die salpetrige Säure, oder ihre Salze, die Zer-
setzung der Jodide durch reduzierende Bakterien der Schleim-
häute im Respirations- und Magendarmtraktus, oder durch Staphylo-
kokken versteckter Eiterherde, konnten mich nicht befriedigen.
Versuche, welche ich gemeinsam mit meinem Assistenten Herrn
Dr. Jenke durch Selbstversuche des Herrn Jenke anstellte, er-
gaben, daß nach Einnahme von 3 respektive 5 g Jodnatrium respek-
tive Bromnatrium per os der opsonische Index gegen Staphylo-
kokken bereits nach. einer Viertelstunde beträchtlich herabging,
nach einer halben Stunde weiter sank und daß die weiterhin ver-
folgte opsonische Kurve genau dieselben charakteristischen Ver-
änderungen aufwies, nur binnen kürzerer Zeit, welche wir nach
Kurve I.
Injektion von abgetöteten
. Bakterien als die positive
%, 0.1. ;
38] und negative Phase kennen.
TEZER 44 Di indire Rü ,
HH HH. Die vollständige Rückkehr
HHHH sur Norm, artojas, Iang
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AI II ZI TOOTO durch das Jod- und das
HHHH titt ' Bromsalz hervorgerufen
seien, oder ob wir es viel-
leicht mit Salzwirkungen zu tun haben. Um solche Zweifel
zu beseitigen, stellten wir durch Versuche am Körper meines
Doktoranden, des Herrn Dr. Frenzel fest, daß die Einnahme von
ziemlich beträchtlichen Dosen Kochsalz, 20 und 30 g auf einmal,
keinerlei irgendwie beträchtliche Veränderungen des opsonischen
Index hervorriefen, obwohl Herr Frenzel, besonders nach der Ein-
nahme von 30.2 Kochsalz, ziemlich heftige Beschwerden bekam,
welche am ehesten mit dem Durstgefühl beim Katzenjammer zu
vergleichen sind, das man in der Studentensprache gemeinhin als
„Brand“ zu bezeichnen pflegt. ‘Also obwohl viel beträchtlichere
"Kurve IL, N
führt wurden, 20 und
30 g gegen 3 und5 g
Jod- und Bromnatrium,
2 SS Ga DE Da ER US "4 DER DR DER U EI ER DI ER N BE BE BE IN
ER-NEEUEREENEE
Pre rtet eben dex vollkommen inner-
z auge - halbder Norm.(Kurvell.)
Dagegen genügte die Einnahme von 4 und 6 g Harnstofi durch
erın Frenzel, um eine charakteristische negative und positive
Phase gegen Staphylokokken hervorzurufen. Wenn es also keine
alzwirkungen sind, mit. denen wir hier zu rechnen haben,
S0 war es. nötig, diese Frage an der Hand anderer pharma-
kologischer Substanzen zu verfolgen, und ich griff zu dem an die
Substanz der Schilddrüse gebundenen Jod, zu Thyrevidin. Größere
osen Thyreoidintabletten, fünf und zehn auf.einmal verrieben und
Tieren mit einer dicken Kanüle subcutan eingespritzt, erzeugten
ganz ähnliche charakteristische Veränderungen des Index, wie die
Einnahme von Jodnatrium und Bromnatrium. Bei einer Patientin
mit Dysthyeosis konnten wir sehr. merkwürdige Schwankungen
der Immunität sowohl gegen Staphylokokken wie gegen den
Dosen Kochsalz einge-
blieb der opsonische In--
%
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 1431
Tuberkelbaeillus feststellen, Schwankungen, die in höchst inter-
essantem und lehrreichem Verhältnis zu Beobachtungen von
Mac Watters!) und von Josef Hollós?) stehen, während kleine
Gaben von einer Tablette Thyreoidin, welche ich ganz gesunden
Personen, meinen Assistenten Herren Drs. Heinzmann und
Michligk gab, von beträchtlichen Steigerungen des opsonischen
Index gegen Staphylokokken gefolgt waren. Anscheinend reagiert
hier der gesunde Organismus gegen Staphylokokken anders als
der kranke.
Weitere Ueberlegungen führten mich dazu, es mit Injektionen
eines Mittels zu versuchen, mit dem wir gemeinhin die Acne
therapeutisch bekämpfen, nämlich mit Injektion von Arsenpräpa-
raten. Und da konnten wir durch Selbstversuche meiner Herren
Assistenten, durch Injektionen von Liquor Kali arsenicosi, sowie
durch Injektionsversuche an —- Kurve II.
Kaninchen und Hunden mit
Liquor Kalii arsenicosi e o et "e 6 B W 2
und mitSalvarsan die Tat-
sache feststellen, daß das
Arsen den opsonischen In lex
gegen Staphylokokkenstei-
gert. (Kurve Ill) Also.
Jod und Brom erzeugt
Acne und setzt den op-
sonischen Index gegen
Staphylokokkenherab,
Arsen bekämpft die
Acne und erhöht die
Immunität gegen Sta-
phylokokken. Die Resul-
tate mit Thyreoidin wurden
ergänzt durch Versuche mit
den Sekreten respektive Substanzen anderer Drüsen mit innerer
Sekretion in Gestalt von Injektionen von Adrenalin, Pituitrin,
Parathyreoidin und Pankreon, wobei Adrenalin, Pituitrin
und Thyreoidin den opsonischen Index gegen Staphylo-
kokken in exquisiter Weise herabsetzen, während Gaben
von Pankreon im allgemeinen eine Steigerung des opsonischen
Index gegen Staphylokokken erzielen. Wenn es überhaupt schon
als sehr bemerkenswert bezeichnet werden darf, daß die Substanz
respektive das Sekret der Drüsen mit innerer Sekretion einen
derartig exquisiten Einfluß auf die opsonische Immunität gegen
pathogene Bakterien ausüben, so sind die Resultate mit dem
Pankreon darum besonders interessant, weil es bekannt ist, daß
der opsonische Index gegen Staphylokokken bei Diabetikern
beinahe durchgängig beträchtlich erniedrigt ist, auch bei
solchen Patienten, welche keinerlei Furunkulose aufweisen, wie
besonders die Untersuchungen von Dacosta und Beardsley?)
erwiesen haben. |
Da es mir hier darauf ankommt, nur die Ergebnisse der
Versuche bekannt zu machen, welche im Laufe der letzten zwei
Jahre in dem von mir geleiteten opsonischen Laboratorium mit
einem großen Aufwande von Zeit, Mühe und Kosten angestellt
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worden sind und noch weiterhin ausgedehnt werden, so verzichte _
ich absichtlich darauf, hier auf eine nähere Deutung der soeben
mitgeteilten Tatsachen einzugehen. |
. Es drängte sich mir nun der Gedanke auf, daß wenn ver-
schiedene pharmakologische Agentien, wie Jod, Brom, Arsen,
Thyreoidin, so charakteristische Veränderungen der opsonischen
Immunität hervorzurufen imstande sind, daß es dann auch mög-
lich sein müsse, Jod- oder Brom- oder Arsenpräparate von
verschiedener Zusammensetzung auf opsonischem Wege
zu differenzieren.. Zu diesem Zwecke verwendete ich außer
Jod- und Bromnatrium per os Jod- und Bromnatrium und
Kalium ‘arsenicosum in Geloduratkapseln, ferner das an
organische Substanz gebundene Jod und Brom in Form von Jod-
und Bromglidinen, ferner stellte ich Versuche an mit dem als
neurotrop bezeichneten Jodival und applizierte das Jod
extern durch perkutane HEinreibungen von Jodvasogen.
Bezüglich der letzteren Applikationsform möchte ich daran er-
innern, daß zwar behauptet worden ist, das. in die Drüsen der
Haut nach Einnahme per os gelangte Jod orzeuge dort lokale
Reizungen und auf solche Weise die Jodacne, daß es mir aber
nicht bekannt ist, daß durch Einpinselung von Jodtinktur oder
1) Br. med. j., 14. Mai 1911, S. 1161 f.
2) Zt. f. exp. Path., Bd. 8. H. 34, S. 681.
3) Am. j. of med. sc., Sept. 1908,
1432 | :1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
t; September.
Einreibung von Jodsalben eine Acne erzeugt wird. Jedenfalls
wird eben doch von der Haut aus nicht so viel Jod resorbiert, wie
wir per os einführen, und gewiß ist nach den von mir hier vor-
getragenen Ergebnissen nicht eine lokale Reizung der Haut,
sondern eine Veränderung der Immunität gegen Staphylokokken
die Ursache der Acne.
Ich habe nun von allen diesen Mitteln so viel angewendet,
als dem Jodgehalte der früher von mir verwendeten Dosen von
3 und 5 g Jodnatrium und Bromnatrium entsprach. Das ergab
ziemlich beträchtliche Mengen. So mußten wir, um auf der gleichen
Höhe_zu bleiben, 29 respektive 41 g Jodglidine, in Apfelmus ver-
rieben, geben und bis 15 Stück Geloduratkapseln und hätten etwa
45 g 6'hyiges Jodvasogen auf die Haut einreiben müssen, was mir
aber untunlich erschien, während 5,1 g Jodivalpulver, entsprechend
KurveXIV. 3,0 g Jodnatrium, genommen
ocna. SM. 2507. Jodolidide wurden. Am exquisitesten
__ Sdo Wr 1 2 5 8 œ 36] waren wohl die Veränderungen
bei welcher ja infolge der festen
Bindung des Jods die Ausschei-
dung beträchtlich verlangsamt
ist. Denn während die Tole-
ranz gegen die von uns ver-
wendeten großen Dosen bei
TEL N empfindlichen Individuen von
ryo HIHI IN] den drei intern verabreichten
Präparaten beim Jodival am
geringsten ist, ging bei dem einen Selbstversuche meines Assi-
stenten Herrn Dr. Michligk der opsonische Index gegen Sta-
phylokokken nach Einnahme von 29 g Jodglidins nach acht
Stunden von 1,0 auf 0,19 herab, und zwar ist diese Senkung der
opsonischen Kurve ganz allmählich erfolgt, indem nach einer
Viertelstunde der Index 0,94, nach einer halben 0,95, nach einer
Stunde 0,92, nach zwei Stunden 0,89, also noch ungefähr im
Bereich der Norm war, während er nach sechs Stunden 0,61,
nach acht Stunden 0,19 betrug, nach 24 Stunden die Norm mit
0,95 erreichte. Einen andern Versuch siehe Kurve IV. Herr
Dr. Michligk, der als ein lebendes Reagens auf Jodismus be-
mit großen Dosen Jodglidine,
zeichnet werden kann, bekam die Erscheinungen, . die: man nach
Eingabe großer Jodmengen beobachtet: Kopfschmerzen, Schnupfen
‚und Staphylokokkeninfektionen der Haut —, während die gleiche
Dosis von anderen trotz. beträchtlicher Herabsetzung des opsoni-
‚schen Index noch recht gut vertragen wurde. Nun kommt aber
etwas sehr Merkwürdiges: Während die opsonische Reaktion auf
die Jodglidine zweifellos gegenüber den gewöhnlichen Jodnatrium-
gaben per os bei vielen Versuchen als eine ganz entschieden ver-
langsamte zu bezeichnen war, trat bei der. Einnahme von Jod-
natrium in Geloduratkapseln ein ganz anderes opsonisches.
Verhalten zutage. Wir konnten durchaus nicht in allen, aber in
einigen Fällen feststellen, daß ein ganz beträchtliches Steigen des
opsonischen Index gegen Staphylokokken nach Gabe von Gelodurat-
kapseln auftrat. So nahm der gegen Jod sehr empfindliche
Dr. Miehligk zehn Geloduratkapseln, von . denen jede 02 g
Natriumjodat enthielt, und erzielte dadurch eine Steigerung seines.
opsonischen Index gegen Staphylokokken von: 1,25 auf 2,0 binnen:
acht Stunden. Ein ganz ähnliches Verhalten konnte ich bei einem:
Patienten beobachten, der Bromnatrium in Geloduratkapseln bekam.
Eine ähnliche Steigerung des Index konnten wir nach percutaner:
Einwirkung von Jodvasogen erkennen. Es fragt sich nun, wie wir
uns ein derartiges, völlig verschiedenes Verhalten zu erklären
haben. Dazu kommt, daß entgegen meinen Erwartungen, welche:
dahin gingen, daß die percutane Einreibung von Jod keine nennens-
werten Veränderungen der Immunität hervorrufen würde, dies viel-
mehr in sehr deutlichem Maße, und zwar nach kurzer Zeit der
Fall gewesen ist. Nachdem wir nun auch noch die subcutane
Einspritzung von Jodsalzen in den Bereich dieser. Untersuchungen
gezogen haben, die uns gleichfalls zu.interessanten Resultaten ge-
führt hat, glaube ich, ohne auf die nähere Deutung und Erklärung
des gesamten, sehr reichhaltigen Materials einzugehen, das. in nahe-
zu zweijähriger, mühevoller Arbeit erzielte vorläufige. Resultat
dahin zusammenfassen zu können, daß wir bei jeglicher Applika-
tionsweise des Jod mit gangbaren Präparaten -verschiedenster
Natur Schwankungen der opsonischen Immunität besonders gegen
Staphylokokken, aber auch gegen Tuberkulose hervorgerufen
werden können, die so beträchtlich sind, daß es in Zukunft uicht
mehr möglich sein wird, diese Erscheinungen zu ignorieren.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Die Röntgentherapie in der Gynäkologie .
von Dr. Aschheim.
Foveau de Courmelles hat 1904 zuerst über erfolgreiche
Bestrahlung bei Uterustumoren in Paris berichtet. In Deutsch-
land hat in demselben Jahre Deutsch (1) [München] über Erfolge
bei Myomen durch Röntgenbestrahlung Mitteilung gemacht; er sah
in einigen Fällen Kleinerwerden der Myome und Aufhören der
Druckwirkung auf die Blase. |
Bald darauf gab Halberstädter durch Experimente am
Kaninchen die anatomische Grundlage für die Wirksamkeit der
Röntgenstrahlen auf das weibliche Genitale, indem er Follikel-
degeneration am bestrahlten Kaninchenovarium nachwies.
Ganz allmählich aber erst wurde das neu erschlossene thera-
peutische Gebiet von den Röntgenologen ausgebaut. Für die Gynä-
kologen lag zunächst kein besonderes Bedürfnis vor, die Myom-
therapie zu ändern; hatten doch Operateure wie Franz, Bumm
und Andere Serien von mehreren Hundert Myomoperationen mit
einer Mortalität von nur 1 bis 11/2 0/u operieren können.
Erst die weiteren Mitteilungen vonM.Fränkel (3) und Albers-
Schönberg (2) veranlaßten dann auch die Gynäkologen, allen voran
Krönig und Gauß (4), der Röntgentherapie näherzutreten, indem
sie teils selbst die Bestrahlung übernahmen, teils ihre Fälle den
Röntgenologen überwiesen. Wenn sie dabei im Anfang keinen
übergroßen Enthusiasmus zeigten, wie ihnen später von röntgeno-
logischer Seite vorgeworfen wurde, so lag bei der noch recht un-
sicheren Technik der ersten Jahre und bei dem Vorhandensein
wirklicher oder scheinbarer Mißerfolge und Schädigungen durch
die Therapie dazu zunächst auch kein Anlaß vor. Sobald aber
die verbesserte und vereinfachte Technik bessere und vor allem
schnellere Erfolge erkennen ließ, haben sich die Gynäkologen der
neuen Therapie eifrig zugewandt und jede größere Frauenklinik in
Deutschland enthält heute ein vollkommen ausgestattetes Röntgen-
laboratorium.
Zwei gynäkologische Affektionen sind es ganz besonders, bei
denen die Röntgentherapie Erfolge aufzuweisen hat. Die myoma-
tösen Geschwülste und die Blutungen, die präklimakterisch auf-
treten und bei denen sich oft Veränderungen am Uterus, Ver-
dickungen der Wand auf das Zwei- bis Dreifache des normalen
finden, Erkrankungen, die man als Metritis bezeichnet, und für die.
neuerdings der Ausdruck hämorrhagische Metropathien sich ein-
bürgert. | u |
Für die letzteren Leiden war die gewöhnliche Therapie zu-.
nächst die Ausschabung (notwendig, um maligne Veränderungen.
am Endometrium nicht zu übersehen), der bald Aetzungen folgten,
wenn wie sehr oft die Ausschabung die Blutungen nicht zum
Sistieren brachte. Der Aetzung folgte oft eine zweite und dritte
Abrasio; eine Zeitlang wurden die Fälle mit Atmokausis mehr.
oder weniger erfolgreich behandelt, bis in den letzten Jahren die
Mehrzahl der Gynäkologen sich zur vaginalen Uterusexstirpation
entschlossen, da bei geringer Gefahr die Erfolge gute waren.
Gerade die Metropathien haben sich nun als außerordentlich
dankbar für die Röntgentherapie erwiesen und die überwiegende
Mehrzahl der an präklimakterischen Blutungen Leidenden dürfte
fernerhin dauernd der Operation entzogen werden. Aber nur der
gynäkologisch geschulte Arzt kann entscheiden, welche Fälle der
Röntgenbestrahlung zu überweisen sind und welche vorher aus-
gekratzt und ausgetastet werden müssen. Nur dann kann es ver-
mieden werden, daß Polypen und maligne Neubildungen übersehen.
werden und Mißerfolge sich einstellen. no F
‘Die operationslose Heilung ist nun das Ziel aller therapeu-
tischen Bestrebungen, und so muß auch die. Operation der Myome
dem Röntgenverfahren weichen, trotz der guten Technik, trotz
guter primärer und Dauererfolge, wenn die Röntgenbehandlung.
dasselbe oder Besseres leistet. Noch aber sind wir im Stadium
der Versuche. | | SE
Die anatomische Grundlage, die Halberstädter durch Nach-
weis der Follikeldegeneration beim Kaninchen festlegte, die von
andern bestätigt wurde, hat. Reifferscheid (6) (Bonn) beim Affen
nn nn m er
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr BB... 0... | 1433
——_— ,—,— — — — — — — — — — — — — — — — — — mamma — ZZ —Z Z Z Z ZZ Z — — — — —— ——————mamamama—a—a—a —-=-„E-Eß-ß-®“®RamanHMmn—mmhMHMhÄhÖhnnmnnngBgmMme
und Menschen ebenfalls nachweisen können. Die wiederholt aus- | schwer ausgebluteten Fälle nicht aus, wie oben erwähnt, ebenso-
gesprochene Behauptung, daß die Strahlen auch direkt auf das
Myom wirkten, finden in den Beobachtungen Robert Meyers eine
Unterlage, der bei bestrahlten Myomen eine auffallend starke Atrophie
der Myomzellen mit Skleröse und mäßiger hyaliner Degeneration
der Fibrillen trotz zahlreicher, jedoch in den äußeren Wand-
schichten ebenfalls stark sklerosierter Gefäße nachwies und den
elektiven Einfluß der Röntgenstrablen auf die Myomzellen für wohl
möglich hält. ne
Eine große Anzahl von Röntgenologen und Gynäkologen
hat nun in den letzten Jahren über ihre Erfolge und Erfahrungen
Mitteilung gemacht.
Albers-Schönberg (2) berichtete auf dem Röntgenologen-
kongreß 1909 über zehn bestrahlte Fälle, sieben Myome und drei
klimakterische Blutungen. Unter den letzteren befand sich der in
der Literatur berüchtigt gewordene Fall von ausgeblutetem Myom
mit Myomherzen, bei dem sowohl nach der ersten wie nach der
zweiten Bestrahlung die Menses viel stärker als sonst auftraten,
bei der zweiten Regel wurde zur Blutstillung die Abrasio mucosae
gemacht, doch ging die Patientin zwei Tage später an Herz-
schwäche zugrunde. u | oo.
Dieser Fall veranlaßte Albers-Schönberg zu dem Rate,
derartig geschwächte Individuen mit geringem Hämoglobingehalt
und Myomherzen nur dann der Röntgentherapie zu unterziehen, .
-wonn nach den ersten Bestrahlungen die Blutungen sich ver-
mindern. | |
Im nächsten Jahr, in dem Albers-Schönberg wieder auf
dem Kongresse über seine Patientinnen berichtete, findet sich ein.
Fall von klimakterischen Blutungen, bei dem nach zwei Serien
von Bestrahlungen die Patientin so ausgeblutet in die Hände des
Gynäkologen kam, daß dieser die Uterusexstirpation aus Indicatio
vitalis machte. Die Patientin bekam am sechsten Tage eine
Thrombose und ging am achten Tage zugrunde. Im Uterus fanden
sich submucöse und polypöse Myömchen, die mikroskopisch Ueber-
gang in Sarkom zeigten.
. Albers-Sehönberg schließt aus diesem Falle, daß sub-
mucöse Myome sich nicht für die Röntgenbestrahlung eignen und
verlangt in jedem zweifelhaften Fall Erweiterung, Austastung und
eventuelle mikroskopische Untersuchung der Schleimhaut. Veran-
laßt die Bestrahlung profuse Blutungen, die über das Maß der ge-
wöhnlichen Periodensteigerung hinausgehen, so eignet sich der
Fall nicht für Röntgenbestrahlung.
Sonst konnte Albers-Schönberg aber regelmäßig über
gute Erfolge berichten. 1910 hatte er acht über ein Jahr geheilte
Fälle; in weiteren zehn Fällen von Myom hatte er siebenmal vollen
Erfolg, das heißt es trat Menopause ein, zweimal waren Blutungen
herabgesetzt, einmal völliger Mißerfolg. Ausfallserscheinungen
traten bei der Mehrzahl der Fälle (17mal unter 19) ein. Die Be-
strahlungsdauer, die zur Herbeiführung eines Erfolges erforderlich
ist, richtet sich wesentlich nach dem Alter der Patientinnen; je
näher die Patientin den Wechseljahren ist, um so kürzere Be-
strahlungsdauer ist zur Herbeiführung der Klimax nötig.
Die Erfolge hielten bei 17 dieser Fälle, wie Albers-Schön-
berg 1911 mitteilen ‘konnte, an; 15mal definitive Menopause,
zweimal wurde die Periode normal. Er hebt die günstige Wirkung
der Behandlung auf das Herz hervor bei Frauen, bei denen durch
jahrelange Blutungen: sich Herzschwäche und niedriger Hämo-
globingehalt ausgebildet hatten. Er bemerkt dann ferner, daß das
einerwerden der-Myome viel evidenter ist, als man im Anfang
annahm, an |
‚ _ An der Ausschließung der zu schwer ausgebluteten Frauen
mit Myokarditis hält Albers-Schönberg auch 1911 auf Grund
seiner Erfahrungen fest, im Gegensatze zu Gauß, der gerade bei
diesen Frauen ausgezeichnete Erfolge sieht. Hänisch, Loose und
Andere schließen sich aber den Ausführungen von Gauß an.
Ersterer berichtet 1910 über 15 Fälle, von denen neun lange Zeit
zurücklagen, um ein definitives Urteil zu ermöglichen, acht sind ge-
heilt, ein (submucöses) Myom wurde operiert.
Fraenkel (3), dem wir über unser Thema eine größere Mono-
graphio verdanken, berichtet 1909 über 20 Myomfälle, bei denen
ein Zurückgehen der Geschwulst zu konstatieren war und über be-
achtenswerte Erfolge bei den Blutungen.
Die Freiburger Klinik (Krönig und Gauß) verzeichneten
ebenfalls gute Erfolge bei Myomen und Metropathien, nachdem sie
= die ‚Albers-Schönbergsche Technik zu eigen gemacht
atten. Mit letzterer erzielten sie in 60/9, Amenorrhöe, in 30°/o
ligomenorrhöe (bei im ganzen 38 Fällen), dabei schließen sie die
wenig Frauen mit Nephritis und Myokarditis.
Faber (Jena) (5), der über 20 Fälle verfügte, sah ebenfalls
gute Erfolge. Schindler heilte von zehn Fällen sieben, dreimal.
mußte er operieren. Die Hamburger Gynäkologen Matthaei,
Prochownick, Spaeth konnten neben einzelnen Mißerfolgen
auch viele günstige Resultate verzeichnen, desgleichen Bardachni
(Prag). Reifferscheidt, der dem Thema eine eingehende mono-
graphische Studie -widmete, schließt sich den andern Autoren mit
günstigen Resultaten an. u R Zu
Gauß (4) berichtet 191i nochmals über die Freiburger
Fälle; eine Kontraindikation der gutartigen Tumoren und Blutungen
erkennt die Freiburger Klinik nicht an. Je näher die Patientinnen
dem klimakterischen Alter stehen, desto schneller der Erfolg. Die
Heilungsprozentzahl von 100, die man aus den Gaußschen Mit-
teilungen entnehmen wollte, stieß naturgemäß auf starken Zweifel.
Ich finde in den vorliegenden gedruckten Mitteilungen allerdings
nirgends, daß Gauß 100°), Heilung erzielt hat. In der Arbeit
1911 (Gyn; Zbl. Nr. 10) berichtet er über 63 Fälle, von denen 8
aus der Statistik ausscheiden und 55 Heilungen übrigbleiben.
Seit mehr als Jahresfrist bedienen sich Krönig-Gauß einer ver-
änderten Technik, die sie als Filter-Nah-Kreuzfeuermethode be-
zeichnen. Durch Aluminiumfilter und Annäherung der Röhre
senden sie auf mehrere Felder verteilt große Mengen Strahlen in
die Tiefe und kommen hierdurch zu schnelleren Heilungserfolgen.
(Die Felderbestrahlung hat als erster Fraenkel in die Gynäko-
logie eingeführt.) Durch die großen Dosen, die sie von Anfang an
geben, wird. das Reizungsstadium (Stadium der verstärkten
Blutungen im Anfang der Bestrahlung) vermieden; es soll sofort
das Lähmungsstadium — Aufhören der Blutungen — eintreten.
Aber die Verabfolgung so großer Dosen, wie Gauß sie gegeben
hat, wird auch neuerdings von Albers-Schönberg, der jetzt
auch eine beschleunigtere Technik empfiehlt, verworfen. Er be-
fürchtet von diesen großen Strahlenmengen eine eventuelle
Schädigung des Darmdrüsenapparats, der Lymphdrüsen und des
hämatopoetischen Systems. In der Tat sind schon von einigen
Autoren (z. B. von Bumm) langdauernde, kaum zu behebende
Durchfälle nach Röntgenbestrahlung beobachtet worden. Solange
nun die genauen Mitteilungen aus der Freiburger Klinik nicht zur
Publikation gelangt sind — auch in seiner letzten Mitteilung
(Strahlentherapie H. 1) teilt Gauß nur mit, daß die gewünschte
ausführliche Publikation noch verschoben werden muß —, werden
wohl die andern Gynäkologen und Röntgenologen der Autorität
Albers-Sehönbergs folgen.
Auch Döderlein, Kelen (Budapest) sind Anhänger der
Röntgenbestrahlung. In Berlin fand die Methode eingehende. Er-
örterung in der Gynäkologischen Gesellschaft (März d. J.).
Mackenrodt konnte sich nicht als Anhänger der Methode be-
kennen, aus den beiden Universitätskliniken, wo sie seit 1911 ge-
pflegt wird, wurde von Haenäly (Bummsche Klinik) und von.
Runge (Franzsche Klinik) über eine große Reihe günstiger Er-
folge bei Myomen und Metrorrhagien berichtet. Runge hat bis
jetzt folgende Resultate: |
Von 84 Myomkranken wurden 39 — 46,40% amenorrhöisch,
Bei 13 noch geringe Blutungen, bei 18 normale Menses.
10 Fälle = 83,5%), sind in bezug auf Blutungen günstig
beeinflußt worden, bei 10 = 11,4%, Mißerfolg; vier Fälle sind
erst einmal bestrahlt. Ä Ä Ä
Bei Metrorrhagien erzielte er unter 20 Fällen zwölfmal
Amenorrhöe, fünf Frauen wurden gebessert, zweimal kein Erfolg,
sodaß sich die Frauen -operieren ließen, einmal stellte sich be-
ginnendes Ca. cervicis heraus und wurde operiert.
Eine der letzten Arbeiten, die erschienen sind, stammt aus
der Heidelberger Klinik von Menge und Eymer.
Eymer (7) berichtet über 94 Fälle von bestrahlten Myomen,
13 Fälle waren zur Zeit des Berichts noch in Behandlung, 15
hatten sich der Behandlung entzogen. Von den 66 restierenden
Fällen wurde einer aus äußeren Gründen operiert, einer erfolglos
bestrahlt, ein zweiter erfolglos bestrahlter erwies sich bei der
vaginalen Totalexstirpatiion als Adenomyom; 11 Patientinnen
wurden oligo-, 49 amenorrhöisch. Submucös polypöse Myome
wurden vorher entfernt. Auch Eymer bestätigt die allgemeine
Erfahrung, daß mit zunehmendem Alter eine abnehmende Röntgen-
strablendosis notwendig ist. Zunahme des Gewichts und des
Hämoglobingehalts sowie der roten Blutkörperchen konnte Eymer
ebenfalls konstatieren, in zirka 60°, wurden die Myome deutlich
kleiner.
ee Be
r Eun mare N
a
1434 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
Neben der Blutung gaben zweimal Schmerzen die Indikation
zur Bestrahlung ab und wurden völlig beseitigt. er
Bei Metropathien erreichte er unter 46 Fällen 28mal
Amenorrhöe; : einige Patientinnen begnügten sich mit Oligo-
menorrhöe | |
In einigen Fällen waren Mißerfolge infolge fehlerhafter
Diagnose vorhanden; so wurde einmal ein Ovarialsarkom für ein
subseröses Myom gehalten und bestrahlt, anfangs anscheinend mit
Erfolg (Zunahme des Gewichts um 8 Pfd., des Hämoglobingehalts
von 18%, auf 700/0! Kleinerwerden des Tumors), dann aber
führte schnelles Wachstum und Kachexie zur Operation, die
Ovarialsarkom ergab.
In einem andern Falle bestand neben einem Myom ein
Övarialcarcinom; auch diese Patientin wurde kachektisch und
operiert. Deshalb müssen bei zu bestrahlenden Patientinnen die
höchsten Anforderungen an eine genaue Diagnose gestellt werden.
und in nur einigermaßen zweifelhaften Fällen soll unbedingt
operiert werden. ~ _ l
= [Im ganzen äußert sich Eymer dahin,. daß bei Frauen über
40 Jahre die Röntgenbestrahlung leicht Amenorrhöe, bei jüngeren
Frauen Oligomenorrhöe erziele. A |
Ausfallserscheinungen,. die auch von Ändern beobachtet
wurden bei Röntgenkastration, sah Eymer im Gegensatz zu
andern Autoren oft sehr ausgesprochen. (Hier. scheinen dieselben
Gegensätze zwischen. den Beobachtern zu bestehen, wie zwischen
den. Myomoperateuren, von denen die einen, da sie nicht bedeutende
Ausfallserscheinungen danach sahen, die Ovarien prinzipiell mit-
entfernen, die andern wegen der beobachteten Ausfallserscheinungen
zum mindesten ein Ovarium prinzipiell zurücklassen.) Als un-
angenehme Begleiterscheinungen sah Eymer, ebenso wie Andere,
Reizzustände von Blase und Darm. | | l
Menge gab zu den Ausführungen seines Assistenten recht
gute Leitsätze für die Myombehandlung. Er teilt die Myome nach
ihrer klinischen Wertigkeit in drei Gruppen:
Die erste umfaßt die Myome, die überhaupt keine oder nur
sehr geringe Beschwerden machen und kein rascheres W.achstum
aufweisen.
Die zweite, die zwar ausgesprochene, aber doch erträgliche
Beschwerden machen, jedoch auch nach längerem Bestande keine
allgemeinen Gesundheitsschädigungen mit sich bringen.
Die dritte alle rasch wachsenden Myome, die fortschreitende
allgemeine Gesundheitsschädigungen, besonders zunehmende Anämie
und bedeutungsvolle Störungen an den Kreislaufs- und den Harn-
organen machen. | |
Die ersten werden überhaupt nicht behandelt mit zwei Aus-
nahmen: Ä | |
- „1. große Myome bei jüngeren Frauen (bis 40 Jahre), die
bis zum Nabel reichen; diese werden operiert, nicht geröntgent,
weil sie, meist subserös entwickelt, schwer beeinflußbar sind,
lästige Ausfallserscheinungen bei Röntgenbehandlung auftreten und
ihr anatomischer Charakter nicht immer sicher zu erkennen ist;
. 2. junge myomkranke Frauen mit Sterilität oder habituellem
Abort: hier wird abdominal enucleiert. |
Die Fälle der zweiten Gruppe sind behandlungsbedürftig,
und sie werden entweder symptomatisch-observierend (Bäder,
Ruhe usw.) behandelt unter Kontrolle des Herzens, der Harn-
organe, des Hämoglobingehalts. Diese Behandlung: bei jüngeren
Frauen oder Panhysterektomie oder Enucleation mit Erhaltung
der Ovarien bei großen, Beschwerde machenden Myomen jüngerer
Frauen. Bei älteren Frauen (über 40 Jahre) dieser Gruppe Röntgen-
behandlung. |
Die dritte Gruppe, rasch wachsende, zur Anämie führende
Myome, sind alle behandlungsbedürftig; operiert werden diese vor
dem 40. Lebensjahre . (Panhysterektomie oder, wenn angängig,
Enucleation mit Erhaltung von Ovarialsubstanz bei jüngeren
Frauen). Alle über 40 Jahre alten Kranken werden der Röntgen-
therapie zugewiesen; ausgenommen jedoch sind davon diejenigen
Fälle, bei denen plötzlich bedrohlich werdende Raumbeschränkung
im kleinen Becken auftritt — sie werden operativ. behandelt —,
dann alle vereiterten, verjauchten ‘und anscheinend malignen
Tumoren, ferner alle submueös-polypösen und. schließlich alle
Adenomyome. i
| Auch Menge hält gerade die ausgebluteten alten Frauen,
ferner diejenigen mit Affektionen des Circulationsapparats, mit
Diabetes, Nephritis, mit Schilddrüsenaffektionen und kardialen Er-
scheinungen behafteten Fälle für die Domäne der Röntgentherapie.
Bei ihnen habe die Röntgentherapie tatsächlich einem dringenden
Bedürfnis abgeholfen. a |
In der Diskussion zu diesen Vorträgen hebt Gauß hervor,
daß die Verstärkung der Blutung sich aus den zu gering ge-
gebenen Dosen erkläre und daß er das wirksamste Mittel dagegen
in einer Erhöhung der Strahlendosis erblicke. Auch Sellheim
hält die Röntgentherapie für eine vielleistende Methode der Myom-
behandlung. v. Franqu6 weist auf die Gefahren hin, die die Be-
strahlung für sarkomatöse Degeneration und Kombination mit
Careinom in sich schließe; Zangemeister rät von der Bestrahlung
submucöser Tumoren ab. Reifferscheidt spricht die Therapie
als die beste an, die mit möglichst geringen Strahlendosen aus-
komme, und hält wegen der gar nicht so seltenen malignen Er-
krankungen die mikroskopische Untersuchung für nötig.
Aus allen diesen Arbeiten geht unzweifelhaft hervor, daß die
Röntgenbestrahlung bei Myomen und Metropathien als eine außer-
ordentlich wirksame Therapie anerkannt wird.
Ihre Wirkung auf die Ovarien besteht in einer funktionellen
Kastration; dabei sind die Ausfallserscheinungen von wechselnder
Stärke. Eine direkte Wirkung auf die Myome erscheint auch
zweifellos; wie die histologischen Untersuchungen R. Meyers mit
größter Wahrscheinlichkeit erkennen lassen, gehen die Myomzellen
zugrunde und werden durch Bindegewebe ersetzt. Da seine Beob-
achtungen an sogenannten Versagern die starke Bindegewebs-
wucherung erkennen ließen, so ist eine solche an erfolgreich be-
strahlten Myomen doch erst recht anzunehmen. Das Material ist
allerdings noch bisher zu spärlich, um definitive Schlüsse zu ge-
statten.
Was nun die Erfolge anlangt, so wird bei langjähriger Be-
obachtung und großen Zahlen noch manch ein Mißerfolg sich
herausstellen, da sich nach den neuesten Arbeiten unter 100 Myomen
zirka 4 0/, Sarkome finden, die zunächst keine andern klinischen
Erscheinungen machen, als einfache Myome und daher der Dia-
gnose entgehen. Das kann aber der Methode keinen Abbruch tun,
sondern führt nur zu der Forderung, die bestrahlten Fälle lange
genug unter Augen zu halten, um sofort operativ bei Sarkom-
verdacht eingreifen zu können. Auch bisher hat. man ja nicht
alle Myome operiert und sicher unter den konservativ behandelten
manches Sarkom mit behandelt. Deshalb muß aber auch gefordert
werden, daß alle gynäkologischen Fälle, wenn sie vom Röntgeno-
logen bestrahlt werden, dauernd vom Gynäkologen mit kontrolliert
werden. Bestrahlen soll, wer es versteht; beurteilen aber nur der
Gynäkologe. l |
Die schwer anämischen Fälle sind nach Albers-Schön-
berg noch von der Röntgentherapie auszuschalten. Erst die ge-
naueren Mitteilungen der Krönigschen Klinik werden andern ein
Urteil erlauben können, ob sie Albers-Schönberg folgen sollen
oder Krönig und Gauß. Jedenfalls werden solche Fälle wohl
nur bei klinischer Behandlung der Röntgentherapie zugeführt
werden können.
In Zukunft also . werden fraglos sehr viele, vielleicht die
meisten Myome der Röntgentherapie unterzogen werden, ganz
sicher wird sie für die hämorrhagischen Metropathien die Methode
der Wahl sein. Dann aber werden nur besonders schwere Fälle
(nekrotische Myome, verwachsene, stielgedrehte und maligne ent-
artete) der Operation unterzogen werden, und wenn in Jahren die
Operationsstatistiken verschlechtert sind gegen die jetzigen, so
wird das nicht wundernehmen dürfen.
Bei den andern Affektionen des weiblichen Genitalapparats,
bei denen die Strahlentherapie angewandt wurde, sind die Erfolge
so wechselnd, daß größter Skeptizismus noch vollauf am Platz ist.
Mancher Autor sah in den Röntgenstrahlen ein gynäkologisch-
therapeutiches Panacee und bestrahlte, worüber auch immer
geklagt wurde: Fluor, Adnextumoren, Dysmenorrhöe; zur Einleitung
des Aborts wurden die Röntgenstrahlen empfohlen, dauernde oder
vorübergehende Sterilität sollten durch sie herbeigeführt werden.
= Da die Röntgenstrahlen eine Degeneration der Follikel, eine
Degeneration des Eies herbeiführen, so sollte es eigentlich selbst-
verständlich sein, daß man in allen Fällen, in denen noch eine
Konzeption erfolgen kann, die Bestrahlung unterläßt. Denn wenn
auch späterhin Befruchtung und Geburt bei vorher bestrahlten
Frauen aufgetreten sind, so kann man nicht wissen, ob die Pro-
dukte aus bestrahlten Ovarien vollwertige Individuen sein werden,
körperlich und geistig. Zu derartigen Experimenten an seinen
Patientinnen ist der Arzt absolut nicht berechtigt. Ich möchte
mal wissen, ob irgendein Arzt, der in eigner Familio vorüber-
gehende Sterilität bei seiner Frau für nötig hält, sich dazu der
Röntgentherapie bedienen wird.
Die Herbeiführung des Aborts ist Fraenkel nach vielen
Sitzungen geglückt, auch andere erreichten ihn schließlich, manche
7
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr..35. 1,455.
ee me
Autoren konnten aber nur über Versager berichten. Zur Schwanger- .
sehaftsunterbrechung ist das Verfahren daher weder geeignet, noch
nötig; wir haben bessere Methoden.
Ob entzündete Adnextumoren im fieberfreien Stadium sich
für die Behandlung eignen, ist zweifelhaft. Die einen, z. B. Abel,
warnen davor, weil sie Aufflackern des Prozesses und peritonitische
Reizungen gesehen haben, andere, auch Eymer, berichten über
Erfolge. Da die heutige konservative Adnexbehandlung (Heißluft,
Thermopenetration, Vaccination usw.) sicher ebenso gute Erfolge
bringt, so dürfte auch hier das Röntgenverfahren überflüssig sein.
Dasselbe gilt für den Fluor.
Daß bei Dysmenorrhöe neben Versagern Erfolge erzielt sind,
kann bei diesen Affektionen, wo so viele Methoden Nutzen bringen,
nicht verwundern. Aber da die Dysmenorrhöe doch zumeist eine
Affektion jüngerer Personen ist, so gilt für die Anwendung der
Strahlentherapie das für die noch nicht auf Nachkommenschaft Ver-
zicht leistenden Frauen Gesagte. Diese Patientinnen werden viel-
leicht nur dann einer Bestrahlung unterzogen werden dürfen, wenn
nach Versagen aller andern Methoden einmal operative Kastration
als Konkurrenzverfahren gegen das Röntgenverfahren erwogen wird.
Die Erfolge bei Pruritus vulvae sind mehrfach beobachtet
worden; hier handelt es sich nicht mehr um eine specifisch gynä-
kologische Wirkung. Die Behandlung von Peritonealtuberkulose
hat nur wenig Erfolge gezeitigt, kann aber versucht werden, be-
sonders nach erfolgloser Operation.
Bei inoperablen Carcinomen erweitert das Verfahren unsere
Palliativmittel, ob bei operierten Fällen durch Bestrahlung der
Narben sich die Dauererfolge verbessern, wird erst eine größere
Statistik über Jahr und Tag lehren.
. Saben wir also, daß die Röntgentherapie in vielen Fällen
eine wertvolle Bereicherung der gynäkologischen Therapie darstellt,
so mag zum Schluß nur noch darauf hingewiesen werden, daß die
Beobachtungsdauer ein abschließendes Urteil über ihren Wert noch
nicht gestattet, und daß röntgenologische Polypragmasie die Me-
thode zweifellos in Mißkredit bringen muß. Nur in gemeinsamer
Arbeit und bei gegenseitiger Kontrolle können Röntgenologen und
Gynäkologen auf diesem Gebiet ihren Patientinnen Nutzen bringen.
Literatur: 1. Deutsch, M. med. Woch. 1904, Nr. 37. — 2. Albers-
. Schönberg, Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft 1909—1911.
(Zbl. f. Gyn. 1909, Nr. 5, Mon. f. Geb. u. Gyn. Juliheft 1912.) — 3. M. Fraenkel,
Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie. (Berlin 1911, siehe daselbst auch
Literatur.) — 4. Gauß, Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft
1909—1911. (Diskussionsbemerkungen, Mon. f. Geb. u. Gyn. März 1912,). Strahlen-
therapie. (1912, H.1 u. 2) — 5. Faber, Zt f. Röntg. 1910, Bd. 12, —
6. Reifferscheidt, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie. (Leipzig 1911,
Literatur.) — 7. Eymer u. Menge, Mon. f. Geb. u. Gyn. 1912, H. 3.
8. Runge, D. med. Woch. 1912, Nr. 24 u. Med. Kl. 1912, Nr. 27. — Die Lite-
ratur, soweit sie hier nicht aufgeführt ist, findet sich bei Fraenkel, Reifferscheidt
und bei Faber F. d. Röntg. Bd. 16.
Sammelreferate.
Appendicitis in englischer Beleuchtung
von Dr. &. Gisler, Basel.
Auch in England wird jetzt der Frühoperation auf der
ganzen Linie das Wort geredet und in schärfster Weise gegen
Hinaussehieben der Entscheidung polemisiert. Aussprüche wie die
folgenden sind bezeichnend:
Der Appendix hat erst einen Wert und Nutzen, wenn er
tot und aus dem Körper weggenommen ist, vorher nicht.
Die Appendicitis darf nie eine Frist von 1/4 Stunde be-
Ommen, man darf nicht mit ihr parlamentieren, man darf sie
nicht behandeln, man muß sie bis aufs Messer bekriegen. Die
Appendieitis ist wie eine Wildkatze; solange man sie im Käfig
at, ist man Herr über sie und kann sie leicht packen, ist sie
aber einmal hinausgeraten, dann richtet sie viel Unheil an, bis
man sie wieder eingefangen hat, wenn dies überhaupt noch mög-
lich ist [J. H. Dauber (1)).
, Die Statistiken haben ähnliche Ergebnisse wie die des Kon-
tinents, Burgess (2) in Manchester gibt eine Analyse von 500
hintereinander operierten Fällen, die den großen Vorzug haben,
daß alle durch ein und dieselbe Hand gegangen und von den
gleichen Gesichtspunkten aus betrachtet sind.
Den 285 männlichen stehen 215 weiblichen Geschlechts
segenüber. Die Prävalenz des ersteren hält er nicht für bedeut-
am, weil bei Frauen manche Fälle übersehen oder auf menstruelle
nörungen bezogen werden. Der jüngste Patient war drei, der
teste 77 Jahre alt. Auf die Altersstufe von 10 bis 30 Jahre
entfallen 157 Männer und 108 Frauen. 28,4%, hatten vorher
m nn nn nn -
schon einen oder mehrere Anfälle gehabt. Interessant. und von
Wichtigkeit ist die Feststellung der Zeitdauer vom Beginne der
Erkrankung bis zur Operation. Als Beginn bezeichnet Burgess
den ersten heftigen Bauchschmerz, der meistens anfänglich in die
Nabelgegend verlegt werde.
Zur Behandlung kamen Fälle er ! Mortalität
in den ersten 24 Stunden . . . 66 2 83808
zwischen 24 und 48 Stunden. . 78 8. 3,8
am 3 Tag . ... 220. 96 6 6,2
FE u ee 0): 5 9,09
aea Aee a 46 9. 19.5 .-
n6, 2 u re 5 23.83
Re ER RER ER EN 21 2 9,5
in der 2. Woche . . . ... 7171 6 77
de ds y oder später. . 40 2 5.0
Von den fünf Fällen der ersten 48 Stunden fallen. drei auf.
Chloroform- oder Fettsäureintoxikation; Burgess warnt infolge-:
dessen vor Chloroformanwendung, besonders bei Kindern. Die-
übrigen verteilen sich auf: 1 fortgeleitete Peritonitis, 5 Pneumo-
nien, 26 Shock, Kollaps oder Toxämie, 1 Lungenembolie, 1 plötz-
liche Herzschwäche, 1 akute Nephritis und Urämie und 2 Darm-
verschluß. | -E i
Von den 135 Fällen reiner Appendicitis starb 1 an Chloro-
formtod. | | u u %
Von den 213 Fällen mit umschriebenem Absceß starben 10,
8 davon aus 106 Fällen, bei denen der Appendix nicht bei der
Operation entfernt worden war. Burgess ist sehr dafür, den-
selben, wenn immer möglich, zu. entfernen.
In einigen Fällen wurden Fruchtsamen, in andern Faden--
würmer, in 21”/, aller Fälle Kotsteine gefunden. Perforationen
ohne Steine liegen gewöhnlich an der Spitze oder am freien
Rande; bei Konkretionen liegen sie dagegen in der Regel diesen -
gegenüber, und zwar so konstant, daß, wenn man eine Perforation.
in der Kontinuität des Wurmes findet, aber keinen ‚Stein, man-
ziemlich sicher sein kann, ihn in der Nähe zu finden; jedenfalls
ist danach zu suchen, wenn man eine Fistel vermeiden will.
Burgess spricht auch einer weniger rigorosen Be-
handlung der diffusen Peritonitis das Wort und glaubt be-
stimmt, daß dadurch die Mortalitätszifier noch: mehr- herabgesetzt
werden könne. Statt der bisherigen Auswaschung des Abdomens:
empfiehlt er, im unteren Teil des rechten Musculus recti ein
Drainrohr, das bis auf den Grund des Beckens reicht, einzulegen.
Bilden sich dann noch sekundäre Abscesse, so können sie entleert
werden, wenn die unmittelbare Gefahr der Toxämie vorbei ist. -
Für die Frühdiagnose sind folgende Pu ‚kte von Wichtig- `
keit: 1. Bauchschmerz, 2. Uebelkeit und Erbrechen, 3. lokale‘
Druckempfindlichkeit (auch durch Untersuchung per rectum fest-
zustellen), 4. lokalisierte Muskelspannung (meist ein Zeichen
schon beginnender Peritonitis), 5. Erhöhung der Temperatur und
Pulszahl (das unsicherste von allen Symptomen, da sogar Gangrän
und Perforation des Wurmfortsatzes bestehen kann- ohne Fieber).
Auch für die Behandlung gibt Burgess einige beherzigenswerte'
Winke. Sobald der initiale Leibschmerz aufgetreten ist, solle der
Patient in halbliegende Haltung. gebracht werden. Während der
Operation seien Beine und Brust warm einzuwickeln und der Ope-
rationstisch gut zu durchwärmen. Für den Fall, daß der Appendix
in einer Absceßhöhle liege, sei es von Vorteil, eine Stirnlampe
bereitzuhalten, um ihn ausfindig zu: machen und zu entfernen.
Die Muskelbündel werden auseinandergezogen, nicht durchschnitten.
Nach Eröffnung des Peritoneums geht der behandschuhte Finger.
tastend ein, dann wird mit einem: Hacken der: innere, untere
Wundrand emporgehoben und nach allen Richtungen, insbesondere
auch gegen das Becken hinunter Gaze eingeschoben. Hierauf wird
die Absceßhöhle leergetupft, wenn Eiter da ist, wenn nicht, der
Appendix aufgesucht und entfernt. Dann werden die Gazestreifen
in umgekehrter Reihenfolge herausgenommen, etwas Netz zur
Deckung eines allfällig notwendigen Drainrohrs herbeigezogen und
die Wunde geschlossen. Gespült wird nur bei großen Abscessen.
J. Grant Andrew (3) in Glasgow vertritt den Standpunkt,
daß man nach jeder Appendieitisoperation die Bauchwunde primär
schließen solle. Er entfernt den Appendix immer, tupft die Eiter-
höhle gut und trocken aus, das Bett und die umgebenden Gewebe
werden mit 4°/oiger Jodlösung ausgewaschen. Die Wunde wird.
ebenfalls nach Jodbehandlung schichtweise genäht. Die Resultate
seien besser, als wenn man Drains einlege. Wenn die Ursache
der Eiterung entfernt sei, dürfe man dem Peritoneum mehr zu-
muten, als man bisher geglaubt habe. Von 17 schweren Fällen.
u S a o volle 98 TR nn
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1436 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
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starb einer sechs Stunden nach der Operation, 8 heilten primär,
in den übrigen 8 Fällen trat septische Wundinfektion mäßigen
Grades auf; jedesmal genügte es, die oberflächlichen Wundnähte
zu entfernen, um ein Weiterschreiten der Infektion zu verhüten.
Die Infektion rührt immer vom Bac. coli her. Um ihr vorzu-
beugen, wurden unmittelbar vor oder nach der Operation 50 bis
100 Millionen einer Bac.-coli-Vaceine gegeben, wenn nötig, nach
zehn Tagen wiederholt. Seit nun Andrew noch zur Erreichung
einer primären Vereinigung eine Jodoformemulsion anwandte, die
er nach mannigfachen Versuchen am wirksamsten fand, hörten die
Wundeiterungen auf, auch in Fällen, wo schon ein gewisser Grad
septischer Peritonitis vorlag. Die Eröffnung geschieht in drei
Etappen: 1. Haut, subeutanes Gewebe und Aponsurose des M. obl.
ext. Schnitt in der Mitte und senkrecht auf einer Linie zwischen
Nabel und Spina os. ilei ant. sup. 2. Senkrecht zum vorigen
Schnitt, durch den Oblig. int., Transversus und Fascie und end-
lich 3. Schnitt durch das Peritoneum wieder in der ersten Rich-
tung. Vor diesem letzten Schnitt wird die Jodoformemulsion in
die Wunde gegossen; dann wird noch einmal nach Entfernung des
Appendix die Wundhöhle damit gefüllt. Hierauf wird die Wunde
in Lagen und ohne Drain geschlossen.
Von großem Interesse ist auch die Arbeit von William
Billington (4) in Birmingham über den Einfluß des Alters und
des Typus des Patienten auf Verlauf und Behandlung der Appen-
dicitis. Er meint, daß der Annahme, daß es noch verhältnismäßig
zahlreiche Fälle von Appendicitis gäbe, die ohne Operation heilen,
die Schuld zuzuschieben sei, daß trotz unserer vermehrten dia-
gnostischen Kenntnisse und der Einsicht in die Gefahr, immer
noch zahlreiche Todesfälle vorkommen. Deshalb sei es ratsam,
sich vor Augen zu halten, daß Verzug der Operation gefährlich
und ungerechtfertigt sei bei Kindern unter 12 und bei Erwach-
senen über 40 Jahren. Das sei ein Dogma. Die Sterblichkeit in
diesen zwei Spezialgruppen ist höher als der Gesamtdurchschnitt.
Im Kindesalter werden die verschiedenen Stadien rascher durch-
laufen; es besteht weniger Widerstandskraft der Infektion gegen-
über, und die Toxämie wird schlechter ertragen, in wenigen
Stunden kann sich das klinische Bild vollständig ändern, die Zahl
der Komplikationen ist größer. Vielleicht werden auch die
leichteren Fälle häufiger übersehen als bei Erwachsenen. Die
Beobachtung lehrt ferner, daß bei kindlichen Appendicitiden fast
konstant Konkretionen vorkommen, damit auch leichter Perfora-
tionen, und weil noch keine Verwachsungen vorhanden sind, leichtere
Ausdehnung auf das Peritoneum. Nicht selten kommen bei Kindern
plötzliche scheinbare Besserungen vor, krisisartig. Diese sollten
aber immer zur Vorsicht mahnen, da sie häufig nichts als die
Ruptur des Appendix bedeuten, die mit einer Lösung der starken
Spannung der Gewebsteile und damit mit einer großen Erleichte-
rung verbunden ist, leider nur vorübergehend. Diese Ueber-
legungen drängen alle zur Frühoperation.
Aehnliches gilt von dem Alter über 40 Jahre (35°/o Mor-
talität in den letzten fünf Jahren). Die Widerstands- und Rekon-
valeszenzkraft ist herabgesetzt und das Risiko einer eventuellen
Komplikation, z. B. Pneumonie, vergrößert. Dazu kommt meist
eine ausgesprochene Scheu vor Operationen. Man bedenke aber:
Das Risiko ruht nicht in der Operation, sondern in der Krankheit.
Bei älteren Individuen zeigt die akute Appendieitis Besonderheiten,
die leicht auf Irrwege führen; der Verlauf kann sehr hinterlistig
sein, die Symptome und das Aussehen täuschen leicht; Temperatur,
Puls und Allgemeinbefinden verleiten oft zu einem falschen Gefühl
von Sicherheit. Nicht selten sind Fälle, wo der Patient lediglich
im Bette liegt, mit verhältnismäßig niederem Puls, fast normaler
Temperatur, ohne Klagen über Schmerzen, und doch hat er einen
gangränösen Appendix und eine rapid sich ausbreitende Peritonitis.
Darum ist auch hier das Aufsparen der Entscheidung bis morgen
fast immer verhängnisvoll; also auch hier: Frühoperation!
Literatur: 1. Brit. med. j. 25. Mai 1912, S. 1175. — 2. Ebenda 24. Fe-
bruar 1912, S. 415. — 3. Ebenda 25. Mai 1912; S. 1172. — 4. Ebenda 25. Mai
1912, S. 1170.
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Walter Frey berichtet aus der Gerhardtschen Klinik über
Lumbalpunktion bei Urämie. Man kann bei der akuten Urämie je
nach den hervorstechenden Symptomen drei Typen unterscheiden:
1. Urämien, bei denen die Retention das Wesentliche zu sein scheint.
Man findet hohes A im Serum, schlechte Ausscheidung von NaCl. Diese
reinen Retentionsurämien, bei denen das Herz kräftig schlägt und gröbere
cerebrale Schädigungen außer den Bewußtseinsstörungen, unregelmäßiger
Atmung und eklamptischen Krämpfen nicht vorliegen, sind sehr schlecht
zu beeinflussen. Bei der kardialen Urämie beherrscht neben relativ
leichten cerebralen Störungen die Herzinsuffizienz das Bild. Im Anfalle
sieht man einen schlechten, oft unregelmäßigen Puls, Cyanose, Dyspnöe
und Lungenödem. Der dritte Typus ist der cerebrale Typus (Sensu
stricto). Die cerebralen Störungen treten stärker hervor; als Zeichen
von Hirndruck bestehen Nackenstarre, Brechen, epileptische Krämpfe,
Cheyne-Stokesches Atmen, Pulsverlangsamung nach den Anfällen,
vendöse Stauung im Augenhintergrunde, zuweilen hemiplegieartige Herd-
erscheinungen und plötzlich einsetzende Amaurose. Diese symptomatische
Einteilung hat gewissen Wert für die im einzelnen Falle vorzunehmenden
therapeutischen Maßnahmen. Bei der Retentionsform führt Schwitzen
zur Ausscheidung von salz- und N-haltigen Stoffen und kann eine wirk-
liche Entlastung für den Körper bedeuten. Der Eindickung des .Bluts,
die einen urämischen Anfall unter Umständen provozieren kann, begegnet
man durch gleichzeitige Wasserzufuhr. Die Infusion wirkt als Ver-
dünnungsmittel und auch diuretisch. — Bei der kardialen Form wirkt
(neben Digitalis und Diuretin) überraschend gut der Aderlaß. Als vierte
therapeutische Maßnahme empfiehlt Frey die Lumbalpunktion. — Von
20 Fällen von akuter Urämie waren acht, welche als cerebrale Form auf-
zufassen waren und bei denen der Lumbaldruck untersucht wurde. In
einem Falle bestand ein Druck von 11 cm Wasser, bei den andern sieben
Werte von 20 bis 45 cm Wasser im Liegen. Es wurde in diesen Fällen
so viel Liquor abfließen gelassen, bis der Druck annähernd normal war.
Der Erfolg war in zwei Fällen nur vorübergehend. Die übrigen Fälle
zeigten alle deutlich nachhaltige Besserung, besonders auffallend war der
Effekt bei einem Knaben von 16 Jahren mit akuter Nephritis, der mit
totaler Amaurose eingeliefert wurde, aus den Anfällen gar nicht mehr
herauskam, immer somnolenter wurde und schließlich im tiefen Koma da-
lag, laut schnarchend, mit langsamem stark gefüllten Puls und blutigem
Schaum vor den Lippen, den Zeichen von beginnendem Lungenödem.
Zwei Aderlässe waren ohne Erfolg. Dann wurde lumbalpunktiert, wobei
die Flüssigkeit im Strahle herausspritzte, und zehn Minuten später war
Patient imstande, auf Fragen ordentlich zu reagieren. Wenngleich der
Erfolg nicht immer so eklatant, fast momentan war, so ist die günstige
Wirkung des Eingriffs auch in den übrigen Fällen unverkennbar. Be-
sonders bei Amaurose scheint die Lumbalpunktion strikt indiziert zu
sein. (Korr. f. Schw. Ae. Bd. 17.) G. Zuelzer.
Tasker Howard (Brooklyn, N.Y.) macht auf die neuere Anwen-
dung der Caleiumsalze in der Medizin aufmerksam. Schon 1884 stellte
Ringer fest, daß am ausgeschnittenen Herzen Durchströmung mit Kalk-
wasser wieder Contractionen hervorrufe, und daß ein richtiges Verhältnis
von Calcium, Kalium und Natrium den Rhythmus aufrechterhalte. Wahr-
scheinlich verursacht ein Mangel an Calcium im Serum eine Ueber-
empfindlichkeit des Nerven- und Muskelsystems. Sabbatani brachte
Kalklösung direkt mit dem Gehirn in Berührung und beobachtete dann,
daB stärkere Reize notwendig waren, um Contractionen hervorzurufen.
Es ist schon über 20 Jahre bekannt, daß die Anwesenheit von
Calcium notwendig ist, zur Bildung von Fibrinferment, welches den
Vorgang der Koagulation des Bluts und der Exsudate bedingt. Ebenso
ist Calcium notwendig zur Bildung des Lakforments.
Kleine Dosen Calcium erhöhen die phagocytische Eigenschaft der
Leukocyten.
Calcium spielt endlich eine wichtige Rolle in Umwandlung des
Fettes. Mit den neutralen Fetten in der Leber bildet es lösliche Lipoide,
die rasch vom Blut aufgenommen und an den Ort ihrer Wirksamkeit
spediert werden.
Diese Tatsachen führten zu therapeutischer Anwendung der Kalk-
salze, die bei verschiedenen Affektionen zu brillanten Erfolgen führten.
Zu den ersten gehörten die bei Tetanie parathyreoiden Ursprungs.
Mc Callum und Voegtlin haben gezeigt, daß bei parathyreoid-
ektomierten Hunden die Tetanie immer begleitet war von einer Störung der
Kalkausscheidung; sie war vermehrt, während der Gehalt an Calcium im
Blut und Gehirn vermindert war. Auch zeigten sie, daß die Tetanie
absolut kontrolliert werden konnte, sowohl durch Verabreichung von
Parathyreoidpräparaten als auch durch Gebrauch von Kalk.
Auch bei Tetanie andern Ursprungs sind gute Resultate erzielt
worden.
Bei infantiler Tetanie sind die Berichte weniger günstig; nur
Rosenberg hat bei großen Dosen Gutes gesehen. |
Blepharospasmen und andere spasmodische Affektionen zeigen auf
beide Substanzen hin Besserung. Berkely hat in 18 von 26 Fällen von
Paralysis agitans nach längerer Verabreichung von Parathyreoidsubstanz
Besserung gesehen, ob auch nach Calcium, wäre noch nachzuprüfen-
Mc Callum schreibt die Tetanie der Schwangerschaft und Lacta-
tion dem Entzuge von Calcium aus dem mütterlichen Gewebe durch den
Foetus zu, jaDrennau bezieht die während dieser Umstände häufig auf-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 35.
1437
1. September.
——_—_—__—_—_——Z— ZZ — ZZ —— ZZ — — — — Z[—[ —[ — > + mm — mm m— m — mm [mamma F
tretende Caries und Osteomalacie ebenfalls auf den Verlust an Calcium;
er glaubt auch, daß die Eklampsie darauf beruhe, daß das Calcium sich
nicht mehr mit dem neutralen Fett in der Leber verbinden könne und
so Veranlassung zur fettigen Degeneration gebe. Der Kalkhunger so
mancher schwangeren Frau beruhe auf demselben Grunde. Mitchell
berichtet von einigen Fällen von Eklampsie, die durch große Calcium-
' dosen geheilt wurden.
Verschiedene hämorrhagische Zustände, besonders solche mit ver-
zögerter Koagulierung des Bluts wurden schon früher mit Calcium be-
handelt.
Luff heilte von 121 Patienten mit Urticaria, Oedem der Hände
und Füße und gewisse Arten von Kopfschmerz 78°/, durch Calcium.
Auch gegen Diabetes erwies es sich nutzbringend.. Manche Autoren
sahen bei Pneumonie deutliche Effekte. (NY. med. j. 15. Juni 1912,
S. 1264.) Gisler.
In der protrahlerten Scopolaminnarkose sieht Arnold Fromme
das einzige und sichere Mittel, die Morphiumentziehung nicht nur zu
einer beschwerdelosen zu gestalten, sondern auch die Heilung des Mor-
phinismus mit Bestimmtheit zu erreichen. Sie hilft dem Kranken mit
Leichtigkeit über die so gefürchteten schlimmen Tage der Abstinenz da-
durch hinweg, daß er diese schlafend verbringt.
In seinen Einwirkungen auf den menschlichen Organismus ist das
Hyosein völlig identisch mit dem Alkaloid des Belladonna, dem Atropin
— und somit das direkte Gegengift des Morphins.
Das Hyoscin lähmt unter anderm die sekretorischen Nerven, die
bei der Morphiumabstinenz in vollster Tätigkeit sind. Dadurch kommt
die profuse Ausscheidung der Magensäure und der Darmdrüsen zum
Schwinden und die Uebelkeit, das heftige Erbrechen und die kaum zu
stillenden kolikartigen Diarrhöen der Abstinenz hören auf.
Das Hyoscin allein hat aber nicht die Eigenschaft, einen narko-
tischen Schlaf zu erzeugen, im Gegenteil, es bewirkt die heftigsten Er-
regungszustände. Aber mit den noch im Organismus des Morphinisten
befindlichen veränderten Produkten des Morphiums, die im Blut-
kreislaufe circulieren, erzeugt es den bekannten Morphium-Scopolaminschlaf.
Der Verfasser verwendet zu obigem Zwecke das Mercksche Scopol-
aminum hydrobromicum. Die Injektionen damit werden Tag und Nacht
solange fortgesetzt, bis sämtliche Morphiumabstinenzen abgeklungen
sind. Während gewöhnlich drei bis vier Tage genügen, bedarf es in
schwereren Fällen einer sieben- bis achftägigen Narkose. Das noch im
Organismus befindliche Morphiumprodukt muß, grst völlig neutralisiert und
ausgeschieden sein. Ist das geschehen, "so "sind die Abstinenzen ver-
schwunden.
Infolge der ad maximum erweiterten Pupille ist das Auge auf das
äußerste gegen den geringsten Lichtreiz empfindlich, sodaß der Patient
während der Narkose in einem vollständig dunklen Zimmer gehalten
‘werden muß. |
Dio ständige Trockenheit im Mund und Schlunde sowie die Be-
täubung des Gehirns verbieten während der Kur eine Ernährung durch
feste Nahrung, daher ist man allein auf die Milch angewiesen. Daneben
ist stets Fachinger Wasser anzubieten, um die sich im Magen anhäufende
Salzsäure zu neutralisieren.
| Wenn auch das Bewußtsein zum größten Teil ausgeschaltet ist,
hat der Narkolisierte doch stets das Gefühl für die rechtzeitige Befriedi-
gung seiner Bedürfnisse; er wird niemals seinen Urin oder Kot im Bette
unter sich gehen lassen.
Ebe ein völliges Erwachen aus der Narkose erfolgt, muß durch
erneute Injektion dafür gesorgt werden, daß sie nicht unterbrochen wird.
Die Dosierung richtet sich nach jedem einzelnen Fall, eine Norm
kann man nicht angeben. Aber Injektionen von 1'/ bis 2 Milligramm
pro dosi sind die gewöhnlichen. Jedoch hat der Verfasser Patienten im
Verlauf von 24 Stunden bis zu 1!/a Contigramm Hyoscinum hydro-
bromicum injiziert, also das Zehnfache der offizinellen Maximaldosis pro
die. Der Morphinist verträgt eben Dosen, die bei andern Menschen un-
bedingt letal wirken. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 29.) F. Bruck.
, In der Klinik des Prof. Jaworski wurde von Wachtel An-
ästhesin in 104 Fällen von organischen Magendarmerkrankungen an-
gewandt, und zwar bei Ulcus ventriculi, Krebsleiden, Atrophie der
Schleimhäute: ferner bei funktionellen Erkrankungen: Hypersekretion,
astrosuccorrhoea, saure Gastralgien, Enteritis. Auch bei Neurosen und
allen Erkrankungen der Verdauungsorgane, welche Schmerzen ver-
Ursachen, wurde es zu 0,5 g pro dosi in maximo zu 8,0 g pro die ver-
ordnet. Die Darreichung erfolgte meist in Oblaten, und zwar vor dem
ssen oder während des Anfalls; die Medikation wurde zwar längere
Zeit hindurch fortgesetzt.
‚ Bei Carcinoma ventriculi lassen die Schmerzen sehr bald nach,
zuweilen für mehrere Stunden; die schmerzstillende Wirkung erstreckt
Sich auch auf den unteren Abschnitt des Magendarmkanals. In einem
Falle von Darmtuberkulose stillte das Anästhesin die Schmerzen im
unteren Teil des Dickdarms und beruhigte die Tenesmen, allerdings nur
für kürzere Zeit. Bei Magendarm-Neurosen und ähnlichen Zuständen
erzielte man gute Resultate; in einem Falle von anbaltendem Schlucken
bei Urämie, das zwei Tage anhielt und keinem Mittel wich, wurde mit
1,0 g Anästhesin ein glänzendes Resultat erzielt. Im Verlauf von zwei
Jahren wurde trotz verabfolgter großer Dosen kein einziges Mal eine
toxische Wirkung des Präparats beobachtet. (Przeglad Lekarski, ar
- vember 1911.)
Bei sympathischer Augenentzündung muß die Lokalbehand-
lung in erster Linie die dauernde Pupillenerweiterung erstreben, wozu
A. Poters stets Scopolamin. hydrobrom. 0,02: 10,0 gebraucht, wovon
er vier- bis fünfmal täglich je einen Tropfen einträufeln läßt. Das Mittel
hat der 1°/,igen Atropinlösung gegenüber den Vorzug, daß es auch bei
längerer Anwendung nicht die lästigen Follikularkatarrhe der Bindehaut
erzeugt. Erscheint die mydriatische Wirkung ungenügend, so kann man
stärkere Dosen in Salbenform anwenden. Ein weiterer Vorzug des Sco-
polamins besteht darin, daß es auch bei drohendem oder ausgebrochenem
Glaukom gegeben werden kann, Man pflegt hierbei im allgemeinen lieber
auf die Wirkung des Eserins zu verzichten, um Zerrungen und Reizungen
zu vermeiden, und wenn man sich dabei zur Beibehaltung des Mydria-
ticums entschließt, so ist das Scopolamin dem Atropia unbedingt vor-
zuziehen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 29.) F. Bruck. .
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Eine einfache Methode zur Bestimmung der Gerinnzeit des Blutes.
In seiner Arbeit „The Relation of Blood Platelets to Hemorrhagic
Disease“ (J. of Am. Med. Ass. Bd. 55, S. 1185£f,) macht Dr. W. W. Duke
(Kansas City, U.S.A.) Mitteilung über einen von ihm konstrauierten
Apparat zur Bestimmung der Gerinnzeit des Biuts (Coagulometer).
Der Apparat (vergl. Abbildung) besteht aus einem Objektträger,
auf welchem zwei runde Scheiben von je 5 mm Dicke und gleichem
Durchmesser aufgeschmolzen sind.
Die eine Scheibe wird mit einem Tropfen des zu untersuchenden, die
andere mit einem Tropfen desselben oder normalen Bluts bedeckt. Die
beiden Blutstropfen müssen von gleicher Dicke sein. Es
werden für jeden Tropfen 30 cmm Blut benötigt. Das genaue
Abmessen dieser Menge geschieht am leichtesten mit einer
30 cmm Blut fassenden Pipette mit Strichmarke.
Der Objektträger wird mit den Bilutstropfen nach
unten auf ein mit Wasser gefülltes Becherglas gelegt. Die
Temperatur des Wassers wird auf zirka 40° gehalten. Von
W. W. Duke's O © EARL ZEIN
Coagulometer JENA)
oben wird auf den Objektträger ein warmes, feuchtes Stoff-
kissen gelegt.
Die Gerinndauer wird nun in der Weise bestimmt,
daß man den Objektträger von Minute zu Minute einen
Augenblick in senkrechter Lage hochhält und nachsieht,
ob der Tropfen noch die hängende Figur A annimmt oder
die Kugelform B, welche er in horizontaler Lage hat, bei-
behält. Ist letzteres der Fall, so ist die Gerinnung erfolgt. Dieser Zeit-
punkt wird notiert, und damit ist die Gerinndauer bestimmt. Die nor-
male Gerinndauer währt bei dieser Bestimmungsmethode etwa fünf bis
sieben Minuten. Ein sehr schwacher Tropfen gerinnt eine bis zwei Minuten
früher als ein dicker. Das normale Blut kann zur Kontrolle oder zum
Vergleich dienen.
Fabrik: Carl Zeiß, Jena.
Bücherbesprechungen.
Kurt Hoffendahl, Biochemie für Zahnärzte und Studierende.
Berlin und Wien 1912. Urban & Schwarzenberg. 812 S. M 11,—.,
„Die Zahnheilkunde ist jetzt eine Tochterdisziplin der Allgemein-
medizin geworden und muß, da sie aus dieser Sonderstellung heraus-
getreten ist, zu ihrem gedeihlichen Ausbau nach Möglichkeit auch alle
Fortschritte und Entdeckungen der medizinischen Wissenschaft auf-
nehmen und prüfen, ob und inwieweit dieselben für sie wichtig und
brauchbar sind.“
a ae a ee BE IE 02
1438 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
Í. September.
Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Verfasser das vorliegende
Buch geschrieben, in dem er die Chemie und die chemischen Funktionen
der Zelle, der Gewebe und Organe, ferner ihre Bausteine und ihre auf
chemischer Basis beruhenden Funktionen im Organismus an der Hand der
neuesten Literatur, soweit es für den Zahnarzt in Betracht kommt, zu-
sammengestellt hat.
. Bei einer späteren Neuauflage würde es sich wohl empfehlen, das
Literaturverzeichnis nicht an den betreffenden Stellen als Fußnoten zu
bringen, sondern am Schlusse des Buches alphabetisch geordnet; dadurch
kann es an Uebersichtlichkeit nur gewinnen.
Das Buch kann zur Anschaffung warm empfohlen werden und wird
vor allen Dingen dem Studierenden vorzügliche Dienste leisten.
; Ernst Boronow.
N. v. Jagic, Handbuch der allgemeinen Pathologie, Diagnostik
und Therapie der Herz- und Gefäßkrankheiten. Bd. 3.
' T. 1. Leipzig und Wien 1912. 457 S. M 15,—.
Im ersten Teil des dritten Bandes des Jagicschen Handbuchs der
Herz- und Gefäßkrankheiten werden die allgemeinen und speziellen
Untersuchungsmethoden mit ihren Anwendungen und Ergebnissen bei
den einzelnen Krankheitsformen behandelt. Der Herausgeber selbst gibt
eine Darstellung der Perkussion und Auskultation mit besonderer Berück-
"sichtigung der neueren Literatur. Sehr eingehend und in leicht ver-
ständlicher Form sind im zweiten Abschnitte des Bandes die graphischen
Methoden und die Lehre von der Arhythmie von Albert Müller be-
sprochen. Die Behandlung der Elektrokardiographie, der Lehre vom
Venenpulse und den Arhythmien verdienen als besonders gut gelungen her-
vorgehoben zu werden. Zahlreiche Textfiguren von Apparaten und Puls-
kurven erleichtern das Verständnis des Stoffes. Die Technik und die
normalen Verhältnisse bei der Röntgenuntersuchung des Herzens und der
Gefäße haben durch Holzknecht eine sachkundige und kritische Dar-
stellung erfahren, die überall von der großen Erfahrung des Meisters
zeugt. Auch eine vergleichende Betrachtung über Röntgenbild und Per-
kussionsfigur ist diesem Abschnitt eingefügt. Den Beschluß des Buches
macht die Besprechung der speziellen Röntgendiagnose der Herz- und
Aortenerkrankungen durch Gottwald Schwarz. An der Hand zahl-
reicher Röntgenogramme und schematischer Textfiguren werden die ein-
zelnen Herzfehler und sonstige Veränderungen am Herzen und der Aorta
im Röntgenbild abgehandelt. Alles in allem reiht sich dieser Band des
Handbuchs seinen Vorgängern in Darstellung und Ausstattung würdig an.
Ed. Stadler, Leipzig.
H. Braus, Die Entstehung der Nervenbahnen. Mit zwei Tafeln
_ Leipzig 1912, F. C. W. Vogel. 37 Seiten. M2,—.
Betrachten wir uns ganz junge Nerven innerhalb des werdenden
Organismus, z. B. einer Froschlarve, unter dem Mikroskop, so erscheinen
sio als zarte Fäden, die mit dem centralen Ende mit einer Zelle, der
späteren Ganglienzelle, zusammenhängen. Auf ihrem weiteren peri-
phberischen Verlaufe finden sich lockergefügte Zellen, die sogenannte
„kernarme Nervenstrecke“, oder dicht beieinanderliegende Zellen, die
„kernreiche Nervenstrecke“. Die Kardinalfrage des Nervenproblems, seit-
dem die Zellenlehre besteht, ist nun die, ob alle oder welche von diesen
vielerlei Zellarten den Nerv bilden. Auf dem Wege der mikroskopischen
Untersuchung des fixierten Präparats war sie bisher nicht zu lösen. Erst
die Methodik des amerikanischen Forschers Harrison, die es ermöglicht,
lebende Gewebe isoliert in ihren Wachstumsvorgängen im hängenden Tropfen
mikroskopisch direkt zu beobachten, konnte hier ganz neue Einblicke
eröffnen. Isoliert man einzelne, einem embryonalen Rückenmarke von
Froschlarven entnommene Ganglienzellen mit einem feinen Glasstäbchen,
so kann man im hängenden Tropfen die feinen Nervenfasern aus den
Ganglienzellen direkt hervorwachsen sehen. Die von Braus beigegebenen
Figuren von verschiedenen Stadien zeigen dies sehr deutlich. Diese
Untersuchungen beweisen deutlich die Anschauungen, welche Wilhelm
His vor einem Vierteljahrhundert vertreten hat, daß nämlich die Ganglien-
zelle der wahre und einzige Erzeuger des Nerven ist; sie führt also mit
Recht den Namen des Neuroblasten. — Es erhebt sich jetzt weiter die
Frage: Wie findet der auswachsende Nerv im Körper seinen Weg, findet.
er ihn selbsttätig, oder sind irgendwelche Einrichtungen vorhanden, die
ihn leiten? Auf Grund einer Reihe von. Ueberlegungen, die sich auf
phylogenetische und experimentell-entwicklungsgeschichtliche Tatsachen
stützen, kommt Braus zu dem Resultat, daß der auswachsende Nerv mit
Hilfe von Leitfasern und Leitzellen seinen Weg findet. Diese sogenannten
Plasmodesmen, die sich überall nachweisen lassen, wo sich Nerven ent-
wickeln, sind nach Braus für das Auswachsen derselben wahrscheinlich
von größter Bedeutung. Da sie aber in zahlloser Menge vorhanden sind,
so ist anzunehmen, daß der Nerv das Vermögen hat, die zur Nervenbahn
prädestinierte Plasmodesme an ihren chemischen und physikalischen
Eigentümlichkeiten unter den andern zu unterscheiden. — Auf Einzel-
heiten kann in einem kurzen Referat nicht eingegangen werden, vielmehr
muß auf die sehr klar und anregend geschriebene Arbeit selbst verwiesen
- werden. . Lissauer (Königsberg).
Stoffwechsel der Pflanze und des Tieres, dargestellt von Prof. Dr. Emil
Abderhalden, Berlin. Internationale Hygiene-Ausstellung, Dresden
1911.
Die vorliegende Broschüre diente als Führer für die Abteilung:
Stoffwechsel der Pflanze und des Tieres. Sie gibt dementsprechend eine
Schilderung und Aufzählung der daselbst aufgestellten Präparate und
Apparate in nach Möglichkeit zusammenhängender und belehrender Dar-
stellung. Die vorzüglichen Abbildungen der von den Vereinigten Fabriken
für Laboratoriumsbedarf für diese Abteilung gestellten Stoffwechselapparate
geben dem Führer gleichzeitig den Charakter eines Katalogs wichtiger
Apparate auf dem Gebiete der Stoffwechselforschung. Diese eigenartige
Kombination von Führer, Katalog und Belehrung ist inhaltreich und
interessant genug, um hier einen besonderen Hinweis zu verdienen. O.R.
Georg Kühnemann, Taschenbuch der speziellen bakterio-sero-
logischen Diagnostik. Berlin 1912, J. Springer. 132 S. M 2,80.
Das kleine Buch von Kühnemann macht einen sehr guten Ein-
druck. Es bietet in kurzer Form praktische Anweisungen in der Art
eines Taschenbuchs, das vielen Aerzten willkommen sein wird. Inhaltlich
behandelt es: Milzbrand, Typhus, Paratyphus, Ruhr, Amöbendysenterie
Cholera, Tuberkulose, Lepra, Diphtherie, Pest, Influenza, Rotz, Tetanus,
Maltafieberbacillus, Infektionen durch den Bacillus pyocyaneus, Ulcus
molle (Streptobacillus), Meningitis cerebrospinalis epidemica, Gonorrhöe
Staphylokokkeninfektionen, Streptokokkeninfektionen, Pneumonie, Typhus
recurrens, Syphilis, Malaria, Trypanosomiasis, Aktinomykose und Lyssa.
In jedem einzelnen Falle werden behandelt: 1. Die Morphologie,
Biologie und die kulturellen Eigenschaften; 2. Fundort, Verbreitung
im Körper, Entnahme des Untersuchungsmaterials; 3. Spezielle
Untersuchungsmethoden. So gelang es dem Verfasser, auf sehr be-
schränktem Raum ein außerordentlich großes Tatsachenmaterial zu-
sammenzudrängen. H. Pringsheim (Berlin).
Arthur Mülberger, Grundzüge der pathologisch-histologischen
Technik. Mit drei in den Text gedruckten Abbildungen. Berlin 1912,
Julius Springer. 86 S. M 2,—.
Auf 82 Seiten werden die unerläßlichsten Vorschriften und Winke
für die pathologisch-histologische Technik gegeben; am Schluß finden sich
Anweisungen zur Herstellung farbiger Photographien. Ob das Heft als
„erste Hilfe“ die bekannten Bücher ergänzen wird, muß, trotz mancher
guter Winke, abgewartet werden. Bennecke.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung)
Ä Redigiert von Dr. Hormann Engel, Berlin W 80.
Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
21/, Monate zurückliegenden Kopfverletzung
von
Dr. Wildt,
dirigierender Arzt am St, Josephshospital zu Andernach.
(Fortsetzung aus Nr. 34,)
Auf Grund dieser Gutachten sprach das Schiedsgericht den
Hinterbliebenen eine Unfallentschädigung zu, indem es ausführte:
Die Frage, ob der Tod und das Gehirnleiden, welches ihn
herbeigeführt hat, mit größerer Wahrscheinlichkeit als Folge einer
vom Unfall unabhängigen Erkrankung erachtet werden muß, ist
zu einem Teil, aber nicht lediglich, eine medizinische. Insoweit
könnte das Schiedsgericht sich nur den Gutachten der größeren
medizinischen Autoritäten anschließen, also denen der Prof. Dr.L.
und Geh. Med.-Rat Dr. G., im Gegensatz insbesondere zu denen
des Dr. W.; es würde also eine überwiegende Wahrscheinlichkeit,
daß es sich um Unfallfolge handle, verneinen müssen. Aber ander-
seits ist diese Frage zunächst eine solche der Würdigung des er-
brachten Zeugenbeweises nach der Hinsicht hin, welche, der Mit-
arbeiterschaft erkennbaren, Schädigungen der Arbeitskraft vor und
nach dem Unfall als vorhanden anzunehmen sind. Diese Vor-
frage der medizinischen Begutachtung wird zwar in den Gut-
achten der genannten ärztlichen Autoritäten ebenfalls, und zwar
notwendigerweise, erörtert und beantwortet. In dieser tatsäch-
lichen Hinsicht aber haben diese Gutachten keine überwiegende
Autorität zu beanspruchen. Umgekehrt stellt das Schiedsgericht
fest, daß in ihnen diese Beweiswürdigung tatsächlich unzutreffend
ausgefallen ist, daß also insoweit die Gutachten auf falscher Vor-
aussetzung beruhen und nach Korrektur des Fehlers in der Be-
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.35. | cz 1439
'weiswürdigung nicht mehr schlüssig sein würden. Das Reichs-
:Versicherungsamt aber hat wiederholt entschieden, daß es zu der
‘dem Schiedsgerichte pflichtmäßig obliegenden Beweiswürdigung
‘aueh gehört, zu prüfen, ob Gutachten von Sachverständigen,
gleichviel wie hoher Autorität, in sich schlüssig sind. Es ist da-
bei hervorzuheben, daß die Natur des Zeugenbeweises es mit sich
bringt, weil für dessen Würdigung besonders viel auf den Ein-
druck der Personen und der lebendigen Rede und Gegenrede an-
kommt, daß durch das Lesen auch einer. ausführlichen Verneh-
mungsniederschrift, wie sie im vorliegenden Falle den Gutachtern
‘vorgelegen hat, der Wert der einzelnen Aussagen nur matt und
in mancher Hinsicht ungenügend im Verhältnisse zu dem Ein-
druck erkannt werden kann, den die persönliche Anwesenheit bei
der Beweiserhebung ergeben hat und durch mündliche Erläute-
rung auch auf das beweiswürdigende Schiedsgericht zu über-
mitteln erlaubt hat. Das Schiedsgericht stellt zunächst: fest, daß
irgendwelche Gesundheitsschädigungen des Th. vor dem Unfalle,
. dio mit dem nachmaligen Leiden in Verbindung gebracht werden
könnten, von dem Betriebsleiter und den Arbeitskameraden niemals
wahrgenommen worden sind. Es schließt dies zwar durchaus
nicht aus, daß die Gehirneiterung durch eine alte, seinerzeit ent-
weder nicht erkannte oder in Vergessenheit geratene, wieder in
Gang gekommene Mittel- oder Innenohrentzündung verursacht
worden ist, und zwar in zufälligerweise großer zeitlicher Nähe zu
dem gleichwohl hieran unbeteiligten Unfallereignis. Es ergibt
aber immerhin, daß nur das Unfallereignis als tatsächlich beob-
achtet gelten kann, die andere Todesursache hingegen nur als hy-
pothetisch erschlossen, ohne daß die Tatsache der Ohrenentzündung
beobachtet worden wäre. |
Das Schiedsgericht stellt zweitens fest, daß das Aufschlagen
der Lampe auf den Kopf im wesentlichen ohne Ablenkung ge-
schehen ist, also heftig gewesen ist. Es handelt sich um ein Ge-
wicht von annähernd 2 kg, das eine Fallhöhe von ungefähr 20 m
durchmessen hat. Dabei hat es ungefähr nach 12 m den Zeugen
W. leicht an der Hand gestreift. Es hat sich aber, wie ausdrücklich
von diesem festgestellt ist, die Lampe keineswegs irgendwie an
ihm verfangen, sondern sie ohne Aufenthalt und ohne daß sie erst
Wirbelbewegungen gemacht hätte, sofort weiter in senkrechter
Bahn so rasch heruntergeschossen, daß Zeuge, während sie an
ihm vorbeifuhr und ihn an der Hand traf, überhaupt nicht den
Gegenstand erkannt hat, sondern erst nachträglich aus der weiter
in die Tiefe fahrenden Flamme erschloß, daß es eine Grubenlampe
gewesen sein mußte. Die Lampe hat auch nicht einen harten
Teil, etwa einen knöchernen Teil der Hand betroffen, sondern die
sogenannte Tabatiöre zwischen Daumen und Zeigefinger, also
weiche, nachgiebige Muskulatur. Während Th. nach dem Auf-
schlagen der Lampe auf ihn sofort aufschrie und mit stark blu-
tendem Kopf und auffällig bleicher Gesichtsfarbe nach oben
stürzte, indem er die im Wege Stehenden bei Seite drängte, sind
dem in der Mitte stehenden Zeugen nur. einige Blutstropfen aus
der betroffenen Stelle ausgetreten und seine Schmerzempfindung
war nicht sehr bedeutend. — Daß die leichte Militärmütze, die
Th. damals trug, gegen die Heftigkeit des Auffalls nur einen sehr
unerheblichen Schutz geboten hat, ergibt sich unmittelbar daraus,
daß sie eine starke Blutung des Kopfes an einem von ihr be-
deckten Teile nicht verhindert hat.
Das Schiedsgericht stellt drittens fest — worauf es ganz
besonders ankommt —, daß vom Unfall an bis zum letzten tot-
bringenden Zustand der Betroffene ununterbrochen in steigendem
Grade über Kopfschmerzen geklagt hat. Entscheidend ist hier die
Würdigung der eidlichen Zeugenaussage des M. S. Sie lautet in
ihrem hier wichtigsten Teile: „Vom Tage nach dem Unfall an hat
er mir jeden Tag, wie ich dies mit aller Bestimmtheit behaupten
kann, über Kopfschmerzen geklagt und zwar, wie ich mit der-
selben Bestimmtheit bezeugen kann, wurden diese Kopfschmerzen
nach seinen Klagen immer schlimmer. Es war nicht etwa so,
sie eine Zeitlang schlimmer wurden und dann eine Ruhe-
pause eintrat, sondern sie wurden gleichmäßig immer schlimmer,
bis an dem Tage, bevor er sich krank meldete, Th. sich vor
Schmerzen den Kopf hielt mit beiden Händen. Th. hat nach dem
nfall mir wiederholt geäußert, „die Wunde könne nicht in
rdnung sein“. „Die Wunde war zugeheilt.“ Von dieser Aus-
Sage urteilt der Gutachter Prof. L.: „Sie würde allerdings ge-
eignet sein, den Zusammenhang der Kopfverletzung mit dem Tod
wahrscheinlicher zu machen, wenn man sie als objektiv unbedingt
zuverlässig erachten dürfte“ Der Gutachter Prof. Dr. G. stellt
Sich ausdrücklich ebenfalls insoweit auf den Standpunkt des
rof. L. Das Schiedsgericht bejaht nun diese tatsächliche Vor-
aussetzung, unter: der auch diese Gutachter den klägerischerseits
behaupteten Zusammenhang medizinisch für wahrscheinlicher halten
würden; denn es erachtet die .S:sche Aussage nicht nur als sub-
jektiv aufrichtig (wie dies auch die Gutachter tun), sondern auch
als objektiv so zuverlässig, wie überhaupt dergleichen Aussagen
(die „unbedingt“ zuverlässig in keinem Falle genannt werden
können) es nur sein können. Wie auch die Niederschrift dieser
Zeugenaussagen erkennen läßt, ist der Zeuge mit Entschiedenheit
darauf hingewiesen worden, daß er bei der Wichtigkeit seiner
Bekundung nichts aussagen dürfe, was er nicht mit aller Bestimmt-
heit vertreten könne; insbesondere ist ihm dies, wie seine dem-
entsprechend niedergeschriebene Beteuerung ergibt, vorgehalten
worden bezüglich der. zwei Bekundungen, daß der Verstorbene ihm
seit dem Unfall „jeden Tag über Kopfschmerzen geklagt“ habe,
und „daß diese Kopfschmerzen nach seinen Klagen immer
schlimmer“ geworden seien. Die Niederschrift läßt ferner er-
kennen, daß dem Zeugen in letzterer Hinsicht der Zweifel ent-
gegengehalten worden ist, ob nicht die Stärke der Klagen über
Kopfschmerzen zeitweise nachgelassen habe, und daß er unter
seinem Eid auch diesen Zweifel durchaus ausgeschlossen hat. Das
Schiedsgericht verkennt nicht, daß selbst die bestimmtesten,
glaubwürdigsten und auf die ausgiebigste Vernehmung erfolgten
Zeugenaussagen Erinnerungstäuschungen enthalten können und
dies um so eher, je weniger der Zeuge nach seinem Bildungsgrade .
zur Selbstkritik erzogen ist. Aber diese bloße Möglichkeit kann
nicht dazu führen, wenn nicht alle dergleichen Zeugenaussagen
trotz des Eides überhaupt mehr oder minder verdächtig werden
sollen, daß eine so entschiedene Aussage wie die des S. als wahr-
scheinlich sachlich falsch und deshalb als für die Feststellung des
Tatbestandes belanglos erachtet wird. Es sei denn, daß be-
stimmte andere Umstände ihr tatsächlich im Wege stehen. |
Solcher Umstände sind drei behauptet worden:
1. Die Bekundung des ebenfalls vereidigten Zeugen V.,
daß Th. ihm nur einmal nach dem Unfall über Kopfschmerzen ge-
klagt habe. Der Zeuge ist jedoch nicht, wie der Zeuge S., im
engeren Sinn Arbeitskamerad des Th. gewesen und pflegte, wie
er ausdrücklich bekundet hat, mit diesem keinen Umgang. Daraus,
daß Th. ihm gegenüber nicht geklagt hat, läßt sich also nichts
zur Sache erschließen. Daß Th. gegen Dritte seinerseits mit
Klagen überhaupt zurückzuhalten pflegte, ergibt sich übrigens aus
der ebenfalls eidlich abgegebenen Aussage des Zeugen W. in-
sofern, als bei einem gelegentlichen Zusammentreffen acht Tage
nach dem Unfall nicht etwa Th. dem W., obwohl dieser ein
Jugendbekannter von ihm war, über Kopfschmerzen klagte, sondern
W. erst, als er seinerseits sich nach dem Befinden Th.s mit Be-
zug auf den Unfall erkundigte und erzählte, seine (W.s) Hand
wäre wieder gut, von Th. zur Antwort erhielt: „sein Kopf aber
noch nicht“. Verschlossen hat Th. sich auch dem Zeugen K.
gegenüber gezeigt, mit dem, trotzdem dieser es gewesen war, dem
die Lampe entfallen ist, er über dies Mißgeschick gleichwohl
nicht gesprochen hat.
2. Auffallend hat erscheinen müssen, daß der Verstorbene
dem Betriebsführer M. und dem Aufseher G. auf der Grube C.,
auf der er beschäftigt war, nichts von Unfallfolgen mitgeteilt
hat, weswegen die Unfallanzeige erst nach dem Tod erstattet
ist. Indessen hat auch dieser Umstand eine Erklärung gefunden,
welche die S.sche Aussage unberührt läßt. Denn es hat sich er-
geben, einmal, wie dies der Zeuge G. bekundet, daß Arbeiter,
die ihren vollen Lohn erhalten (wie dies bei Th. weiter der Fall
war) gegenüber dem Aufseher — und erst recht dem Betriebs-
führer — der Werkverwaltung durchweg in dortiger Gegend nicht
gern darüber Klagen vorbringen, in der Arbeit behindert zu sein;
sodann aber namentlich aus der Aussage des Betriebsleiters M.
daß Th. ein besonderes ‚Interesse hatte, nicht aus der Arbeit, und
zwar gerade der bestimmten damaligen Arbeit, zu kommen und
daher der Werkverwaltung gegenüber nicht zu klagen sich be-
wogen fühlen konnte, weil er nämlich (er hatte sich ein eigenes
kleines Haus gebaut) von der Verwaltung einen Vorschuß er-
halten hatte, den er zur Zeit des Unfalls noch nicht abgezahlt
hatte, den er aber Aussicht hatte, in nicht zu langer Zeit ab-
zahlen zu können, da er damals mit S. (wie das dessen Aussage
ergibt) als Akkordarbeiter ein besonders gutes Gedinge hatte;
letzteres ergibt sich aus der M.schen Aufstellung vom 1. April
1909. Damit stimmt denn überein, daß er dem S. bei der Arbeit
mehrfach geäußert hat: „wenn er doch nur zu Hause bleiben
könne“, gleichwohl aber vom Tage nach dem Unfall ab und auch
als die Kopfschmerzen zunahmen, arbeitstäglich weitergearbeitst
hat, mit Ausnahme des 24. November und 7. Dezember 1908.
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1440 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 85.
3. Am auffallendsten mußte erscheinen, daß Th. und seine
Frau dem am 18. oder 19. Januar in seine Wohnung berufenen
Arzt Dr. H. nichts über eine früher stattgehabte Verletzung am
Kopf erzählt haben, obwohl Th. über „Stechen in beiden Seiten
der Brust und Kopfschmerzen“ klagte. Es war Fieber vorhanden.
Der Arzt diagnostizierte zunächst Influenza. Seine Untersuchung
_ hatte sich insbesondere auf die Brustorgane erstreckt, hier aber
nichts ergeben. Eben diese Untersuchung und Diagnose erlaubt
aber die Annahme, daß die Brustschmerzen für das Bewußtsein
des Kranken im Vordergrunde gestanden haben und er die Kopf-
schmerzen als Nebenerscheinung erachten konnte, sodaß er, zumal
bei seiner allgemeinen Schweigsamkeit und im Fieberzustand, zu
einer Erklärung, daß er auch aus einer selbständigen Ursache,
nämlich aus dem Unfallereignis, sich mit Kopfschmerzen behaftet
fühle, keine zwingende Veranlassung hatte. Diese mögliche Aus-
legung des Schweigens des Verletzten von dem Unfalle wird aber
bis zum Grad überwiegender Wahrscheinlichkeit gesteigert da-
durch, daß in der Tat damals die Brust, gänzlich unabhängig von
der Beschädigung des Kopfes, schwer leidend war. Denn Ver-
letzter litt, wie die Sektion ergeben hat und wie dies am aus-
führlichsten im letzten Gutachten des Prof. L. erörtert worden
ist, damals an Lungenschwindsucht (nicht an Influenza), er hatte
also Recht darin, wenn er seinen damaligen Fieberzustand nicht
mit dem Unfall vom November 1908 in Zusammenhang brachte,
obwohl seine Kopfschmerzen gleichwohl von diesem herrühren
mochten. Daß gleichzeitig damals unabhängig von einander zwei
Leiden vorgelegen haben, wird auch dadurch bestätigt, daß nach
der weiteren Krankheitsgeschichte des Dr. H. nach einigen Tagen
das Fieber und das Seitenstechen gänzlich nachgelassen batten,
während die Kopfschmerzen weiter bestanden. Die Annahme des
Prof. L. (und im Anschluß an sie des Prof. G.): „Wenn wirklich
der Verstorbene unaufhörlich seit dem Unfall an Kopfschmerzen
gelitten hätte, so würde er sowohl wie seine Frau unbedingt dies
dem behandeinden Arzt am 19. Januar angegeben und die Er-
krankung auf den Unfall zurückgeführt haben“ trifft also nicht
zu. Sie ist aber auch aus einem andern Gesichtspunkte fraglich,
der zugleich erklärt, warum auch nach Beseitigung des Fiebers
und des Seitenstechens bezüglich der verbliebenen Kopfschmerzen
dem Dr. H. immer noch nicht, sei es von Th., sei es von seiner
Frau, von dem Fall der Lampe Erwähnung getan worden ist.
Dr. H. hat nämlich ausweislich seiner Krankheitsgeschichte den
Kläger auch nach dem Fiebernachlaß in Behandlung behalten,
insofern als er ihn in den nächsten Wochen noch mehrfach be-
suchte, wobei das Krankheitsbild dasselbe blieb, wie am Tage der
Feststellung des Fiebernachlasses, an welchem Tage der Arzt be-
züglich der subjektiven Beschwerden über Kopfschmerzen objektiv
Schmerzreaktion auf Druck am rechten Hinterhauptnerven fest-
stellte; am oder kurz vor dem 11. Februar 1909 hat er darauf
Hinterhauptneuralgie diagnostiziert. Wie nun der behandelnde
Arzt selbst das Leiden keineswegs in seiner Schwere zu erkennen
vermochte, insbesondere keine Vereiterung im Schädelinnern an-
genommen hat, die durch die Trepanation vor und die Obduktion
nach dem. ganz kurz darauf erfolgten Tode festgestellt ist, so
durfte auch Verletzter und seine Frau annehmen — eine An-
nahme, die medizinisch nicht vorgebildeten Leuten besonders nahe
liegt —, daß die fortwährenden Kopfschmerzen ein Leiden für sich
sein, daß, wie es anfangs und längere Zeit hindurch immerhin
Weiterarbeiten gestattet habe, so sich auch nach einiger Zeit
wieder begeben würde. Hinzu kommt aber noch folgendes: Das
Schiedsgericht stimmt der Annahme des Prof. L. durchaus zu, daß
Verletzter und seine Frau einige Zeit nach dem Unfall ihn als un-
wesentlich werden erachtet haben. In der ersten Zeit freilich
nach ihm hat Th. die Kopfschmerzen darauf zurückführen zu
müssen gemeint, indem er äußerte, die vom Fall empfangene Haut-
wunde müsse wohl noch eitern (Aussage des S.), obwohl damals
(nach derselben Aussage) die Wunde tatsächlich schon zugeheilt
war. Es kann dem Verletzten aber bald nachher nicht mehr
zweifelhaft gewesen sein, daß in der Wunde, also auf der Schädel-
decke, schlechterdings kein noch so kleiner Eiterherd mehr be-
stand. Von da ab mußte er in seinem Gedanken wohl davon ab-
lassen, die andauernden Kopfschmerzen auf die äußere Kopfwunde
zurückzuführen. Diese aber war ihm als einzige Unfallfolge be-
kannt. Daß Verletzter oder seine Frau ihrerseits die — in den
professoralen Gutachten zugegebene und erörterte — Möglichkeit
sich hätte vorstellen können, daß der Fall trotz seiner Folgen-
losigkeit in bezug auf die Schädeloberfläche einen entzündlichen
Prozeß in der Schädelhöhle eingeleitet hätte, dies muß nach ihrem
1. September.
allgemeinen Bildungszustand als unwahrscheinlich gelten und
wurde vollends ausgeschlossen, als der behandelnde Arzt eine
Neuralgie als Ursache glaubte annehmen zu sollen. Das Schieds-
gericht zieht also daraus, daß der Verletzte und seine Frau
schließlich, trotzdem ihnen anfangs das Gegenteil der Fall zu sein
schien, die Unfallfolgen für überwunden hielten, den Unfall also
für etwas Nebensächliches, nicht den Schluß, daß sie hierin ob-
jektiv Recht gehabt hätten — ihre Meinung hierüber ist vielmehr
vollkommen belanglos —, wohl aber, daß sie mit subjektivem
Recht, ja mit subjektiver Notwendigkeit es schon vor Zuziehung
des Arztes und erst recht, als dieser andere Ursachen in Er-
wägung zog, aufgegeben hatten, ihrerseits ihre Gedanken auf den
Vorfall mit der Lampe als Ursache der ständigen Kopfschmerzen
zu lenken. Erst nach der Operation und Obduktion, als in der
Schädelhöhle Teile der Gehirnmasse, und zwar, wie Dr. W. aus-
drücklich hervorhob, auf ihrer Oberfläche, nicht im Innern, und
auch in der der Kopfnarbe, die vom Falle der Lampe verblieben
war, entsprechenden Gegend, sich als vereitert ergaben, hat die
Witwe sich wieder in der Lage gesehen, an den Fall der Lampe
auf den Kopf als an die Ursache des Kopfleidens und nunmehr
der Todesfolge zu denken. Wenigstens liegt diese Erklärung der
Sachlage am nächsten. Ä
Ergeben sich so die gegen die S.sche Zeugenaussage auf-
tauchenden Bedenken als nicht durchschlagend, so wird die Aus-
sage positiv in einigen Punkten gestützt: Sie gewinnt zunächst
Vertrauen in ihre sachliche- Zuverlässigkeit dadurch, daß der
Zeuge einen Punkt nicht verschwiegen hat, der ihm (aber nicht
dem Schiedsgericht) als im Widerspruch zu einem andern Punkte
seiner Aussage stehend erscheinen mußte, indem der Zeuge näm-
lich ausdrücklich hervorhob, daß die Kopfwunde des Th. schon
geheilt gewesen wäre, als Th. geäußert habe, sie müsse wohl noch
eitern. Aber vor allem stimmen die Aussagen des Zeugen G. und
des am 6. April 1909 polizeilich vernommenen Zeugen G., des da-
maligen Lehrhauers des Th., mit der Aussage des S. bestätigend
überein (die dieser auch bei der polizeilichen Vernehmung am ge-
dachten 6. April 1909 wesentlich ebenso abgegeben hat wie im
schiedsgerichtlichen Beweistermine). Der Aufseher G. hat bemerkt,
daß nach dem Unfall Th., obwohl er ihm nicht über Kopfschmerzen
geklagt hat, manchmal bei der Arbeit herumstand, was er sonst
als ein sehr fleißiger Arbeiter nicht getan hat; Th. hat also da-
nach offenbar sowohl nach der ersten Zeit, in der die Kopfwunde
noch offen war, wie vor der Krankmeldung im Januar arbeits-
hindernde Leiden verspürt; als solche kann die Tuberkulose mit
Brustschmerzen nicht in Betracht kommen, da sie damals latent
war (andernfalls schon damals Fieber hätte eintreten müssen);
ebensowenig kommt Matligkeit in Betracht, wie die S.sche und
G.sche Aussage vom 6. April 1909 ergibt; es muß sich also um die
Kopfschmerzen handeln, und die G.sche Aussage bestätigt mithin,
daß durch Kopfschmerzen Arbeitsbeeinträchtigungen in der fraglichen
Zwischenzeit eintraten. Der Lehrhauer des S., G., vollends hat er-
klärt, „er könne die Aussage des S. (vom 6. April 1909) in allen
Punkten bestätigen, weiter aber auch zur Sache nichts angeben“.
Nachdem die Gutachten der medizinischen Autoritäten „die
Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen der durch den Unfall
hervorgerufenen Kopfverletzung und der zum Tode führenden
Krankheit“ nicht mehr ausgeschlossen haben, muß also nach dem
Inhalte der Zeugenvernehmungen und auch in Erwägung, daß ein
anderer Ausgangspunkt für die tödliche Erkrankung nur hypo-
thetisch vermutet werden könnte, ohne daß ein tatsächlicher Be-
fund dafür erbracht wäre, dieser Zusammenhang mit der Unfall-
tatsache vom November 1908 durch das Mittelglied einer seitdem
ständigen und immer steigenden Behaftung mit Kopfschmerzen
mit dem erreichbaren Höchstmaße von Sicherheit als erwiesen er-
achtet werden. Alsdann aber verwandelt sich nach dem oben An-
geführten die von den gedachten Gutachtern zugegebene Möglich-
keit in überwiegende Wahrscheinlichkeit, und es treffen ihre Gut-
achten im Endeffekt mit demjenigen des zuletzt behandelnden
Arztes, der auch die Operation ausgeführt und die Sektion mit-
ausgeführt hat, überein, sodaß das Schiedsgericht auf Unfall-
entschädigung für die hinterbliebene Witwe und zwei Kinder unter
15 Jahren zu erkennen hatte, deren Höhe sich nach dem als
richtig nicht bestrittenen Lohnbücherauszug der arbeitgebenden
Gesellschaft vom 27. Januar 1909 bemißt. Dabei wird die Be-
klagte der Klägerin auch auf Anfordern Sterbegeld zu zahlen
haben, bezüglich dessen Anspruch noch nicht erhoben ist. Beim
Obsiegen der Klägerin waren ihr billigerweise an Vertretungs-
kosten 6 M zuzubilligen. (Schluß folgt.)
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35, 1441
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Vereins- und Auswärtige Berichte.
| Breslau, |
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 3. Mai 1912.
Groenouw: Drei Fälle von Retinitis durch Blendung im An-
schluß an die Sonnenfinsternis vom 17. April. Es muß das Auge gegen
die Blendungsgefahr geschützt werden; eine Kombination von roten und
grünen Gläsern blendet die schädlichen Strahlen des Spektrums fast
völlig ab.
Bittorf: Krankendemonstrationen, Störungen der inneren Se-
kretion betreffend:
1. Akromegalie mit ihren klassischen Symptomen, auch der cha-
rakteristischen Vergrößerung der Sella turcica und Arrosion der Pro-
cessus clinoidei posteriores im Röntgenbild, ferner aber auch rechtsseitiger
Popillenstarre und doppelseitiger binasaler (nicht bitemporaler) Hemi-
anopsie. Bemerkenswert ist noch Eosinophilie und Lymphocytose, wie
bei Erkrankungen innersekretorischer Drüsen auch sonst schon beob-
achteter Blutbefund, der vielleicht mit einer dabei sich ausbildenden Hyper-
plasie des Iymphatischen Systems zusammenzubringen ist. Wie öfter,
so auch hier alimentäre Glykosurie auf 100 g Traubenzucker. Positiver
Wassermann und Zurückgehen der Lympbocytose, Besserung des Visus
auf Jodkali deuten auf einen luetischen Prozeß an der Basis cerebri, der
aber wohl nicht nur die Hypophysengegend, sondern auch die Sehnerven-
fasern beziehungsweise Traktus und Chiasma geschädigt haben mag.
2. Dystrophia adiposo-genitalis. Abnorme Fettpolsterentwick-
lung und infantiler Habitus, speziell der Genitalorgane und -merkmale,
dabei doppelseitige Stauungspapille bei noch nicht 17 jährigem Mädchen.
Auch hier Eosinophilie, hier aber keine alimentäre Glykosurie; Röntgen-
befand, dem des vorigen Falles entsprechend, deutet auf Hypophysen-
tumor hin. In manchen solchen Fällen wird allerdings als primärer Sitz
einer innersekretorischen Störung, sofern die Genitalsymptome zuerst
auftreten, das Ovarium angenommen und erst eine sekundäre Beteiligung
der Hypophyse. Die vorgestellte Patientin fängt an, seit Einleitung einer |
Thyreoidin-Ovarialbehandlung etwas abzunehmen, während sie vorher in
drei Monaten in der Klinik 11 Pfund zunahm.
3. Enorme, auffallend schnell sich entwickelnde, symmetrische
Fettansammlung an Schultern, Oberarmen, Mammae und am Epigastrium
mit gleichzeitiger Breiten- und Dickenzunahme der Zunge, Absinken der
‚Libido sexualis und Kleinerwerden der Hoden bei einem 28 jährigen
Potator und Epileptiker während seines Aufenthalts in der Klinik, der
mit einer eigentümlichen Schlafsucht eingeleitet wurde. Mit der bei
gleichbleibender Ernährung zu 25 Pfund Gewichtszunabme in sieben
Wochen führenden Entwicklung der Fottmassen ging eine Schmerzhaftig-
keit der Schilddrüse und Lymphocytose einher. Die beiden letzteren Er-
scheinungen und in langsamer Weise auch die Fettanhäufungen be-
ziehungsweise das abnorme Gewicht zeigten unter Thyreoidindarreichung
(zwei-. bis achtmal 0,3 täglich) einen Rückgang. Hier waren keine Ver-
änderungen der Sella turcica im Röntgenbilde, keine alimentäre Glykos-
wie vorhanden, auch keine Augenstörungen, sodaß eine Hypophysen-
erkrankung auszuschalten ist; es muß an eine Hypofunktion der
Schilddrüse gedacht werden.
Diskussion: Melchior denkt im Fall 1 mit Rücksicht auf die
Destraktion der Sella turcica an Tumor und möchte trotz aller opera-
tiver Reserve gegenüber der Akromegalie, sofern nur trophische Stö-
rungen vorliegen, einen chirurgischen Eingriff erwogen wissen, da hier
die Sehstörung auf dem einen Auge schon erheblich ist und damit ein
Fortschreiten der Verminderung der Sehkraft auf dem andern möglichst
vermieden werden muß,
G. Rosenfeld bespricht im speziellen die untereinander differieren-
den Typen von Fettablagerung, wie sie durch Ueberzufuhr verschiedener
Nahrungsstoffe (Kohlehydrate, Fette) oder des Alkohols entstehen, und
die lokalon Fettanhäufungen, die, durch Störungen einer inneren Sekretions-
tätigkeit oder durch eine besondere Gefäßverteilung bedingt, durch Hunger
m Gegensatz zu der ersteren Gruppe nicht weiter zu beeinflussen sind,
Callomon: Mit Hypothyreoidismus sind vielfach Störungen des
‚ektlebens verbunden, speziell im Sinn einer Herabsetzung; die im
itten Fall erwähnte Schlaflosigkeit gehört wohl hierzu.
T phraim: Zur Frühdiagnose der primären Lungentumoren.
En die Diagnostizierung von Lungentumoren durch das Röntgen-
Se eine Förderung erfahren hat, begegnet sie doch noch großen
a eu. ‚Leider läßt sich ein Röntgenbefund erst in vorge-
reisen Stadien erheben, und auch dann ist aus dem erhaltenen
alas en kein Schluß auf die Natur des Leidens zu ziehen, keine Unter-
a ne zwischen Carcinom und Tuberkulose zu treffen. Die über-
I; D Mehrzahl der Lungentumoren geht bekanntlich von den Bronchien
~ „arum empfiehlt sich in Gemeinschaft mit dem Röntgenverfahren
zu diagnostischen Zwecken die Bronchoskopie, die geeignet ist, über
Vorhandensein und Lage, aber auch über die histologische Beschaffenheit
der Geschwulst durch Vornahme der Probeexeision Auskunft zu geben.
In vier Fällen (drei Bronchialcarcinomen, einem Sarkom) bewährte sie
sich dem Vortragenden so entscheidend, daß er ihre Vornahme in allen
unklaren Fällen von intrathorakaler Erkrankung zu einem dringenden
Postulat klinischer Untersuchung erhebt, zumal die Ungefährlichkeit des
ganzen Verfahrens eine noch größere ist, seit die Anästhesierung der
Tracheobronchialschleimhaut mit dem völlig ungiftigen Chinin. bimuriat.
carbamid. erfolgen kann. In einem der geschilderten Fälle verschwand
nach der Bronchoskopie die bisher vorhandene Trachealstenose; durch
den Druck des Tubus war wohl eine intumescierte Drüse beiseite ge-
drängt worden und blieb dann in ihrer neuen Stellung. In einem andern
Falle wurde nach der bronchoskopischen Diagnose auf Geschwulstbildung
die vorliegende Tumorpartie excidiert, darauf verschwand der schon lange
Zeit bestehende eitrige Auswurf fast völlig; die Erklärung liegt wohl
darin, daß sich hinter dem stenosierenden Tumor eine Bronchiektasie
gebildet hatte, die nach Beseitigung der Stenose ausheilte. Nicht nur
von bronchoskopischer Entfernung gutartiger Tumoren kann man sich einen
günstigen therapeutischen Effekt bei den oft sehr schwer affizierten
Kranken versprechen, sondern auch zum mindesten einen palliativen
Nutzen bei malignen Tumoren, sei es wie in den oben skizzierten Fällen,
sei es, daß durch Excision beziehungsweise Aetzung der freiliegenden
Partien die früher häufigen Blutungen zum Verschwinden gebracht werden.
Die Möglichkeit einer radikalen Therapie (galvanokaustische Verschorfung
nach bronchoskopischer Entfernung) eventuell nach vorangehonder Tracheo- .
tomie, ist immerhin gegeben. Das Röntgenbild darf dann nur einen
lokalen Schatten geben, die Diagnose muß ganz frühzeitig gestellt sein.
Je häufiger das der Fall ist, desto eher wird überhaupt von den Chirurgen
zu operativen Eingriffen geschritten werden, desto mehr wird auch
Röntgenbestrahlung und Behandlung mit Radium in Anwendung kommen
können; letzteres ruft allerdings an den oberen Luftwegen Oedeme und
entzündliche Reizungen hervor.
Diskussion: Ziesch6 hält die Feststellung von Lungentumoren
durch das Röntgenverfahren, sobald sie nur klinische Erscheinungen
machen, doch für möglich und eriunert an die Perforationsgefahr durch
Bronchoskopie bei bestehendem Aneuryma. `
G. Rosenfeld gibt einen kasuistischen Beitrag: eine polypen-
artige Vorwölbung eines Lungentumors in Bronchen wurde ausgehustet,
dadurch Diagnosenstellung.
Ephraim: Liegt ein Aneurysma vor, so ist die Bronchoskopie
jedenfalls ungefährlich, wenn man sich mit der Feststellung durch das
Auge begnügt und einen Druck auf den Tubus vermeidet. Die Broncho-
skopie kann, selbst wenn das Röntgenbild noch Zweifel aufkommen läßt,
die differentialdiagnostische Entscheidung zwischen Aneurysma und Me-
diastinaltumor herbeiführen. Emil Neißer.
Hamburg..
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 7. Mai 1912,
Plate stellt drei Kranke vor mit bisher nicht beobachteten
Gelenkerkrankungen durch Preßluft. Es handelt sich um jugendliche
Individuen, die nach acht- beziehungsweise sieben- und dreieinhalbstündi-
gem Aufenthalt in Preßiuft Gelenkerkrankungen, meist nur an einem Ge-
lenke, davontrugen, Die Krankheitserscheinungen bestehen in Schmerzen
und Bewegungsbeschränkung. Die Röntgendurchleuchtung ergibt fleck-
weise Aufhellung im Knochengewebe und Kartoffelform des Femurkopfs.
Traumen und Nervenleiden als Ursache sind auszuschließen. Gegen Lues
oder Tuberkulose spricht Anamnese und sonstiger Orgänbefund, gegen
Tumor das plötzliche Einsetzen der Beschwerden und die konstante Größe
des Herdes, für den Zusammenhang mit Preßluft zunächst das zeitliche
Zusammenfallen. Bornstein, der die Fälle mit P. beobachtete, konnte
an den beim Verlassen der Preßluft häufig auftretenden Gliederschmerzen
(80°%/, aller Erkrankungsfälle) einige Male die Bildung gashaltiger Tu-
moren an den Extremitäten beobachten. Die Gasblasen, die einen mecha-
nischen Druck ausüben müssen, bilden sich besonders in den Geweben,
die einen hohen Absorptionskoeffizienten für Stickstoff besitzen. Das ist
hauptsächlich das Fett, Die Blasen bleiben desto länger, je schlechter
das Gewebe durchblutet ist. Die Ursache der Erkrankung besteht also
wohl darin, daß sich bei unzweckmäßiger Dekompression Gasblasen im
Knochen gebildet haben, welche die Knochenstruktur, gelegentlich auch
die Oberfläche des das Gelenk bildenden Knochens schädigen.
Vortrag Deutschländer: Ueber die spinale Kinderlähmung
und ihre chirurgische Behandlung. Die spinale Kinderlähmung steht
an Häufigkeit kaum hinter den Knochen- und Gelenktuberkulosen zurück.
Etwa der sechste Teil aller krüppelhaften Gebrechen bei jugendlichen In-
1442 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
NL a
dividuen ist auf sie zurückzuführen. Hinzukommen die tödlich verlaufenen
Fälle (etwa 12—15 0) und die spontan heilenden Abortivfälle (mindestens
15—20 °/o). Nach weiteren Ausführungen über die Ansteckungsfähigkeit,
das Wesen und den Verlauf der Krankheit bespricht Vortragender aus-
führlich die Behandlung. Im Stadium der Allgemeinerscheinungen emp-
fehlen sich vor allem heiße Packungen und Lumbalpunktion. Sind aus-
gebreitete Lähmungen eingetreten, so kommen Lagerungsapparate und
Gipsbetten zur Immobilisierung der erkrankten Körperteile in Frage. So-
bald die Lähmungen in das Stadium der Rückbildung treten, wird die
Behandlung aktiver. Es gilt die wiedererwachende Funktion der einzel-
nen Muskelbezirke zu fördern und die Gefahr der Contracturbildung zu
verhüten. Galvanisation, Massage und aktive Bewegungsübungen treten
nun in den Vordergrund. Es empfiehlt sich ferner, die Patienten sobald
wie möglich mit Hilfe leicht gearbeiteter Apparate gehfäbig zu machen.
Bei fortschreitender Besserung tritt zu der manuellen Uebungsbehandlung
die maschinelle in Pendelapparaten. Auch gymnastische Freiübungen sind
zu empfehlen. Zur Erreichung eines möglichst guten Erfolges muß die
Debungsbehandlung in den ersten drei Monaten des Rückbildungsstadiums
täglich mit der größten Regelmäßigkeit durchgeführt und vom Arzt über-
wacht werden. Erst wenn die Gefahr der Contraeturbilduug überwunden
ist, kann die weitere Durchführung der Uebungen intelligenten Laien
überlassen werden, wobei der Arzt nur eine kontrollierende Tätigkeit aus-
übt. Nach 1—1!/a Jahren pflegt das Rückbildungsstadium der Lähmungen
abgelaufen zu sein. Lähmungen, die dann noch bestehen, sind als dauernd
zu betrachten. Für ihre Behandlung kommen Apparate und chirurgische
Methoden (Sehnenverpflanzungen, Knochenoperationen, Nerventransplanta-
tionen) in Betracht. Die Apparatbehandlung ist nicht ganz mit Recht in
den Hintergrund getreten, denn wenn auch bei einem großen Teil der
Lähmungsdeformitäten Apparate durch operative Eingriffe entbehrlich ge-
macht werden, so gibt es doch noch genügend Fälle, bei denen selbst bei
gelungener Operation einer Behandlung mit sinnreich konstruierten Appa-
raten der Vorzug zu geben wäre, Das Vorbild für solche Apparate ist
im allgemeinen der nach einem Holz- oder Gipsmodell angefertigte
Schienenhülsenapparat. Den größten Fortschritt brachte die Entwicklung
der Sehnenverpflanzung: Vernähen der Sehne des gelähmten Muskels mit
der Sehne eines gesunden oder periostale Vernähung des gesunden
Muskels an der Stelle, die den funktionellen Anforderungen am besten
entspricht. Vortragender bevorzugt die letzte Methode. Ausschlaggebend
für ein gutes Ergebnis dieser Operationen ist die frühzeitige Nachbehand-
lung, und zwar schon vom achten Tage nach der Operation an. Daß hier-
durch die Festigkeit der Nähte nicht benachteiligt, sondern im Gegenteil
geradezu erhöht wird, ist experimentell nachgewiesen worden. Da durch
die Sehnenverpflanzung natürlich nicht sofort das endgültige funktionelle
Resultat erreicht wird, so muß die Uebungsbehandlung mit dem Tragen
von leichten Hülsenapparaten vereinigt werden. Etwa vorhandene De-
formitäten müssen vorher korrigiert werden. Wenn der größte Teil der
Muskulatur eines Gelenks gelähmt ist und die vorhandenen Muskel-
energien zur Erzielung einer genügend sicheren Funktion nicht mehr aus-
reichen, dann treten die Operationen am Skelettsystem in ihr Recht
(Arthrodese, Fascio- beziehungsweise Tenodese). Zur Beseitigung von
Wachstumsstörungen empfiehlt sich die Anschützsche Methode der
treppenförmigen Osteotomie in Verbindung mit der Nagelextension, wo-
durch sich oft ganz beträchtliche Verlängerungen der verkürzten Glied-
maßen erzielen lassen. Die Versuche, durch Nerventransplantation die
` Lähmungen zu beeinflussen, erscheinen auf Grund schwerwiegender
theoretischer Bedenken von vornherein als wenig aussichtsvoll.
Diskussion in der Sitzung vom 21. Mai 1912.
Preiser macht keine Arthrodese vor vollendetem Wachstum. Erst
muß man die definitive Länge der Extremität übersehen können. Die
Sehnenüberpflanzung darf nur vorgenommen werden, wenn eine Extremität
oder ein Gelenk durch sie apparatfrei gemacht werden kann.
Sänger beobachtete einige Abortivformen. Die Patienten er-
krankten akut mit Fieber, Kopfschmerz, Schmerzen im Nacken und
Rücken, erholten sich aber nach einigen Tagen, ohne eine Lähmung be-
kommen zu haben. Frische Fälle müssen sehr sorgfältig behandelt wer-
den: 1. mit Ruhe, 2. mit energischer Diaphorese (Salieyl) und 3. mit
möglichst frühzeitiger Anregung der gelähmten Muskeln. Hierfür kommen
in Betracht Galvanisation, Massage, passive und, wenn möglich, aktive
Bewegung im Bade (kinotherapeutische Bademethode). Später geht man
zu passiver und aktiver Gymnastik und nach etwa 1—1!/a Jahren zu
orthopädischer Behandlung über.
Böttiger berichtet, daß ihm oft mitgeteilt worden sei, das an
Poliomyelitis erkrankte Kind habe ein bis zwei Wochen vor dem Be-
ginne des Leidens an Obstipation gelitten. Oft läßt sich dann nach-
weisen, daß durch Hinzutreten einer starken thermischen Schädigung
(kalte Güsse auf den Leib, übertriebenes Wattenlaufen) zu dieser Darm-
störung der Ausbruch der Krankheit herbeigeführt wurde. Auch er rät;
mit:der aktiven Therapie nicht zu lange zu warten. Zwei bis drei
Wochen nach dem Krankheitsbeginn muß man mit galvanischen Strömen
beginnen. Die Behandlung mit Stütz- und Hülsenapparaten ist möglichst
hinauszuschieben. Selbst nach sechs und acht Monaten vermag die elek-
trische Behandlung noch Muskeln funktionell zu fördern, die bis dahin
reaktionslos zu sein schienen.
Ewald: Im Stellinger Krüppelheim werden Arthrodesenoperationen
und Sehnenüberpflanzungen bevorzugt. Apparate werden wegen des
Kostenpunkts, der beständigen Röparaturen und Erneuerungen und der
dauernden Behinderung möglichst wenig und nur vorübergehend ange-
wandt. Sehnenüberpflenzungen macht E. nicht nur bei guten Muskel-
verhältnissen, sondern — bei den Handzängern — auch, wenn nur spärlich
Muskeln erhalten sind. Mit der frühzeitigen Nachbehandlung ist er nicht
einverstanden, er stellt vielmehr die Ueberpflanzungsstelle sechs Wochen
lang mit Gipsverband rubig.
Heß sah einen Fall von ungewöhnlicher Lokalisation. Neben Para-
plegie der Beine bestand eine Lähmung der Nackenmuskeln, sodaß der
Kopf des Kindes, wenn er nicht gehalten wurde, nach vorn und seitlich
fiel. Contraeturen entstehen wohl manchmal dadurch, daß verkehrt
elektrisiert wird, z. B. von Eltern, welche die kräftigen Muskeln fara-
disieren.
Trömner hält die Poliomyelitis für häufiger, als sich statistisch
feststellen läßt, weil die sporadisch auftretenden Abortivfälle mit aus-
bleibenden Lähmungen gewöhnlich verkannt werden. Eine Anzahl seiner
Fälle wurde für Influenza, fieberhaften Magendarmkatarrh, Bronchitis und
ähnliches gehalten. Ob alle sporadischen Fälle der Heine-Medinschen
Krankheit angehören, läßt sich noch nicht sagen, da auch nach andern
Infektionen (Typhus, Scharlach, Pneumonie) poliomyelitische Lähmungen
mit Sicherheit beobachtet worden sind.
Schottmüller bespricht unter anderm die eventuell schwierige
Differentialdiagnose zwischen Poliomyelitis und Syphilis. Die letzte ist
dann anzunehmen, wenn auch die „Nonneschen Phasen“ vorhanden sind.
ra Reißig.
Kassel.
Aerzteverein. Sitzung vom 13. März 1912.
Bertelsmann berichtet über 172 im Jahre 1911 operierte
Appendieitisfälle. Einleitend spricht er über die Faktoren, die als Ur-
sache der Appendicitis in Betracht kommen: Anginen, Darmkatarrhe, zu
üppige, fleischreiche Ernährung. Der schwere Anfall entsteht namentlich
auf dem Boden älterer krankhafter Veränderungen, die den Wurmfortsatz
hindern, seinen Inhalt in normaler Peristaltik zu entleeren: Verwachsungen,
Kotsteine, das Lumen verengende Obliterationen und Narben. Es handelt
sich hier um ileusartige Zustände, wie Klauber, Ringel und Sorge
sie beschrieben haben. Aschoffs Berichte über von B. eingesandte
Wurmfortsätze tun aber überzeugend dar, daß es sich pathologisch-
anatomisch nur um Entzündungen handelt, um Virulenzsteigerungen von
Bakterien in geschlossenem Raume. Diese den Anfall vorbereitenden
Veränderungen entstehen oft unbemerkt, was sich zum Teil daraus or-
‚klären läßt, daß die Appendix selbst keine sensiblen Nerven enthält
wovon sich auch B. bei Operationen in Novocainanästhesie öfter über-
zeugte. Arbeiten am Mesenteriolum wurde hierbei als Schmerz um den
Nabel herum, als Magenschmerz empfunden, was für die Frühdiagnose
wichtig ist. Fehlerquellen für die Diagnose sind: Hysterie, Typhlitis
Pyelitis, Ureterensteine, Blasenerkrankungen, Cholecystitis, Adnex:
erkrankungen, Angina, Influenza, Pneumonien, Typhus abdominalis
Lungen- und Abdominaltuberkulose, Helminthiasis. Die Rezidive, dit
chronischen Erkrankungen und die häufigeren subakuten Anfälle beruhe!
ebenfalls auf Behinderung der Appendixperistaltik. Da die Peristaltil
ebenso gut durch Veränderungen außerhalb des Wurmfortsatzes behinder
sein kann (Verwachsungen usw.), wie durch in ihm gelegene, 80 ist ©
nieht zu verwundern, daß der pathologische Anatom manche exstirpiert
Appendices normal oder annähernd normal findet, die dennoch zu Rech
exstirpiert sind. Bei chronischen und subakuten Fällen gab B. öfter
Rieinus zur Sicherung der Diagnose und operierte, wenn danach Relz
erscheinungen auftraten. B. glaubt dies im Krankenhause tun zu könnet
perhorresciert aber Ricinus bei akuten Fällen. Bei diesen wird imme
sofort operiert, bei frischen Abscessen der Wurmfortsatz fast imme
gleich mit exstirpiert. Bei alten Abscessen ist große Vorsicht nötig,
das umgebende Peritoneum nicht mehr im Reizzustande, also nicht mel
im Verteidigungszustande sich befindet. (Rückweis auf B.s Arbeit: D!
Allgemeininfektion bei chirurgischen Infektionskrankheiten, D. Zt. f. Chi
1903, Bd. 72, S. 278—288, und Prioritätsansprüche gegenüber ander
Autoren.) B. ist nicht der Ansicht, daß nach Abscessen der Wurmfor
satz ungefährlich wird. (Mehrere beweisende Krankengeschichten.)
Oel und Campheröl verwirft B. bei der Perityphlitis-Peritonibi
da nach Zieglers, Robinsons und seinen eignen Untersuchungen |
gereizte Peritoneum schon sowieso keine Keime ins Blut hineinresorbie!
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 1443
und .da ihm selbst nur sehr wenige auch durch Oel usw. nicht zu
rettende Appendicitiskranke an Peritonitis starben. Daher auch keine
Versuche mit der zudem noch nicht genügend begründeten Kuhnschen
Zuckerbehandlung. | |
Es starben im ganzen sechs, darunter nur ein Fall an Peritonitis
(Spätperitonitis) sechs Stunden nach der Operation. Die übrigen Todes-
ursachen waren: _
1. Scharlach bei primär verheilter Wunde.
2. Epileptische Anfälle mit nachfolgender Pneumonie. Exitus
18 Tage post operationem. |
3. Pneumonie bei mit primär verheilter Wunde schon aufgestande-
nem Patienten. Exitus acht Tage post operationem.
4. Spätabsceß. Exitus 32 Tage post operationem.
5. Embolie bei einem 60jährigen Diabetiker.
Unoperiert starb kein Fall. Die Todesfälle betrafen sämtlich akute
Appendicitiden, deren 121 operiert wurden. Mortalität nicht ganz 50/,.
51 chronische Fälle wurden sämtlich geheilt. Die Erkrankung der Bauch-
höhle war also nur in zwei Fällen die direkte Todesursache. Die Ge-
samtsterblichkeit an Appendicitis betrug also 1911 3,5%. (1909 bei
108 Fällen 5,5%, 1910 bei 126 Fällen 3,5 0/0). Alsborg.
Kiel.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 23. Mai 1912.
1. Heller: Ueber Regeneration des Herzmuskels.. Daß die
willkürlichen quergestreiften Muskeln, wenn ausgedehnter Untergang bei
akuten, fisberhaften Krankheiten stattgefunden hat, ihre frühere Größe
und Kraft durch Neubildung wieder erbalten, ist sowohl durch die
klinische Beobachtung, wie die mikroskopische Untersuchung festgestellt.
-Für die quergestreifte Muskulatur des Herzens aber ist sie noch völlig
unbekannt. H. hat nun in zahlreichen Fällen, besonders nach Diphtherie,
aber auch bei andern Krankheiten Regenerationsvorgänge beobachtet; er
schildert kurz die Vorgänge dabei. Zugleich macht er auf die praktische
Bedeutung dieser Untersuchungen aufmerksam. Besonders nach Diphtherie
können sich die durch den Untergang von Muskelfasern geschwächten
Stellen der Herzwand weniger gut kontrahieren; es kommt deshalb gerade
an solchen Stellen, besonders in den Buchten zwischen den Trabekeln
und in der Herzspitze zur Thrombenbildung; diese können zertrümmert
und als Emboli verschleppt den Tod herbeiführen. Es handelt sich darum,
solche Rekonvaleszenten vor jeder stärkeren Herzaktion zu behüten, da-
mit den Thromben zur Organisation und dadurch zu ihrer Unschädlich-
machung Zeit gelassen wird. In dieser Zeit kann dann die Regene-
ration stattfinden und es. ist die Hoffnung vorhanden, daß das Herz zu
voller Leistungsfähigkeit zurückkehrt, wie die willkürlichen quer-
gestreiften Muskeln.
2. Döhle: Ueber Blutbefunde bei Scharlach. In den gelappt-
kernigen Leukocyten des Bluts von Scharlachkranken finden sich durch
verschiedene Färbungen nachweisbare Einschlüsse von verschiedener Form
und Größe, die ich bereits im Zbl. f. Bakt. (Orig. 1911, Bd. 61) be-
schrieben habe.
Diese Befunde sind von Kretschmer (Berl. kl. Woch. 1912, Nr 11)
bestätigt und sowohl betreffs ihrer Darstellung als auch betrefis der Zeit
der Anwesenheit derselben im Blut erweitert. Kretschmer kommt zu
dem Schluß, daß sich die Untersuchung auf Leukocytenschlüsse auch in
der Praxis als wertvoll erweisen wird. Dagegen wendet sich Preisich .
in Nr. 16 der Berl. kl. Woch., der sich dahin ausspricht, daß ihnen für
Scharlach weder eine specifische noch diagnostische Bedeutung beizu-
messen ist, da er die Gebilde, die er als bekannt voraussetzt, bei Typhus
exanthematicus, Typhus abdominalis, Masern, bei Tuberkulose nicht be-
ständig und auch bei Anämien gefunden hat. Kretschmer sowohl wie
ich hatten auch bei andern Erkrankungen als Scharlach solche Gebilde
in Leukocyten gefunden und beschrieben waren sie schon von May,
W. Wechselmann und H. Hirschfeld. Dementsprechend hatte ich
In meiner Veröffentlichung betont, daß es weiteren Untersuchungen vor-
behalten bleiben müsse, zu entscheiden, ob diese Einschlüsse bei Scharlach
yon ähnlichen bei andern Erkrankungen gefundenen zu unterscheiden
sind. Es ist mir bisher nicht gelungen, unterscheidende Merkmale zu
finden, ich habe aber auch. nur wenig Gelegenheit zu vergleichenden
Untersuchungen gehabt. Trotzdem möchte ich behaupten, daß diese Be-
funde von diagnostischem Werte sind, da ich wiederholt in der Lage
war, Blut von scharlachverdächtigen Kranken zu untersuchen und dabei
eststellen konnte, daß, wenn sich die Einschlüsse im Blute nicht fanden,
&uch regelmäßig der klinische Verlauf der Krankheit bestätigte, daß es
Sich nicht um Scharlach gehandelt hat, und umgekehrt, mit Ausnahme
einer Erkrankung, die ich erst durch meine Untersuchungen kennen ge-
lernt habe.. Es handelt sich dabei um Angina mit scharlachähnlichem
Exanthem, die vielleicht mit einer Krankheit, die Reiner Müller
bakteriologisch.. untersucht hat und deren Ergebnis er im Zbl. f.. Bakt.
r
Bd. 40, Orig., als diphtheriebacillenähnliche Stäbchen bei Anginen mit
scharlachartigem Exanthem mitgeteilt hat, identisch ist. Hier habe ich
in zwei Fällen im Blute nur Stäbchen, in zwei andern Fällen neben den
Stäbchen, die reichlich im Blute vorhanden waren, aucb spärliche Leuko-
cyteneinschlüsse gefunden. | Et
Für die Praxis wird es sich hauptsächlich darum handeln, daß
Blut von scharlachverdächtigen Fällen und nicht von beliebigen andern
Kranken zur Untersuchung kommt, und ob es hier einen Fortschritt be-
deutet, wenn man in zweifelhaften Fällen gleich nach oder vielleicht schon
kurz vor dem Ausbruch eines Exanthems in der Lage ist, aus dem Blut-
befunde sicher eine Diagnose stellen zu können, wird der Praktiker besser
beurteilen können als ich. Mir scheint es vor allen Dingen für Aerzte,
denen die Aufsicht über Menschen, die gezwungen sind, auf engem
Raume zusammen zu leben, übertragen ist, von großem Werte zu sein.
Hier kann es nicht gleichgültig sein, ob zum Beispiel wegen eines falsch
diagnostizierten Arzneiexanthems der ganze Apparat der Desinfektion mit
seiner Arbeit und seinen Kosten in Bewegung gesetzt wird, oder ob
durch frühzeitige Sicherstellung der Diagnose diese unnötige Mühe erspart
bleiben kann. Da glaube ich mich nun über die Bedeutung der Blut-
untersuchung für die frühzeitige Diagnosenstellung bis jetzt dahin aus-
sprechen zu können: Finden sich im Blute von Scharlachverdäch-
| tigen und -Kranken, das in den ersten Tagen nach Ausbruch
des Exanthems zur Untersuchung kommt, die Leukocyten-
einschlüsse nicht, so ist es kein Scharlach, finden sie sich,
so ist es höchstwahrscheinlich Scharlach, wenn ich die oben
erwähnte Krankheit ausschließen kann, was durch den Nachweis der
Stäbchen leicht möglich ist.
Ueber die Natur dieser Einschlüsse glaube ich durch meine
weiteren Untersuchungen jetzt auch Aufschluß bekommen zu haben. So-
- wohl frei im Blut als auch in den Leukocyten habe ich feinste spiralig-
gewundene Fädchen getunden. In der Regel lassen sie fünf bis sieben
Windungen erkennen. An den Enden sind sie stumpf, einzelne davon an
einem Ende gabelig gespalten. In ganz wenigen habe ich in der Mitte
ein stärker färbbares Korn gesehen. Ich halte diese Gebilde ihrer Form
wegen für Spirochäten und die Einschlüsse für Zerfallprodukte derselben.
Es liegt die Vermutung nahe, daß diese Spirochäten in ätiologischer
Beziehung zu Scharlach stehen und als der Erreger der Krankheit anzu-
sehen sind. Eine Unterstützung findet diese Auffassung auch wohl noch
in dem wie bekannt häufig positiven Ausfall der Wassermannschen
Reaktion bei Scharlach, und durch die günstige Beeinflussung der Krank-
heit durch Salvarsan, über die Lenzmann in Nr. 17, 1912, der Med. Kl.
berichtet. Zum sichern Beweise werden allerdings noch zahlreiche Unter-
suchungen, eventuell unter Heranziehung des Tierexperiments nötig sein.
Aus dem Ausgeführten ergibt sich, daß ich die verschieden gestalteten
Gebilde in den Leukocyten für Einschlüsse, also für Körper, die von
außen, wenn such zunächst in einer andern Form, in die Zelle hinein-
gelangt sind, halte. Dagegen spricht sich Preisich aus, der sie für Be-
standteile der Zelle hält. Erweist sich diese Auffassung als richtig, so
ist es immerhin interessant, daß sich bei einer Krankheit, deren Ueber-
stehen zu dauernder Zmmunität führt, solche färberisch nachweisbare Ver-
änderungen in den weißen Blutkörperchen vorhanden sind. Damit wäre
vielleicht ein Weg gewiesen, auf den man auch auf histologischem Wege,
dem Wesen der Immunität nachgeben könnte.
Ueber die Bedeutung der Leukocyteneinschlüsse bei andern Krank-
heiten als Scharlach läßt sich zurzeit kaum etwas sagen. Eins nur ist
auffallend, daß die Krankheiten, bei denen sie gefunden sind, sich im
wesentlichen in zwei Gruppen teilen lassen, solche, deren Aetiologie noch
unbekannt ist, und solche, bei denen es sich um entzündliche Verände-
rungen im Verdauungstraktus handelt (mit Ausnahme zweier Fälle von
Pneumomie [einen Döhle, einen Kretschmer] und dem Falle von May,
bei dem es sich um chronische Oedeme aus unbekannter Ursache han-
delte. Hier scheint es mir nicht ausgeschlossen, daß ein nicht erkannter
Scharlach vorausgegangen sein könnte. Kretschmer rechnet in seinem
Falle von Pneumonie mit der Möglichkeit, daß sie im Anschluß an Schar-
lach entstanden sei, bei meinem Falle kann ich eine Verwechslung mit
einem Scharlachpräparate nicht ausschließen).
Die Fälle mit unbekannter Aetiologie sind zwei Fälle von Krebs
(Döhle), Fälle von Typhus exanthematicus, Masern, Anämien (Preisich);
die, bei denen es sich um Verschwärungen im Verdauungskanale handeln
konnte, sind Typhus abdominalis (Preisich), Tuberkulose (Preisich und
Kretschmer) und der Fall von Wechselmann und Hirschfeld, bei
dem es bei einem Menschen, der an myeloider makrolymphocytärer Leuk-
ämie zur Ulceration in der Mundhöhle gekommen war, und zwei Fälle
von Kretschmer, wo es sich um Streptokokkenempyeme nach Diphtherie
handelte. Bei dieser letzteren Gruppe von Fällen muß man mit der Mög-
lichkeit rechnen, daß von den ulcerierten Stellen aus Spirochäten ins
Blut gelangt sein könnten, die in ähnlicher Weise wie bei Scharlach von
den Leukocyten aufgenommen und verarbeitet worden wären. Diese Auf-
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1444 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 1. September.
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fassung kann man natürlich auch gegen die ätiologische Bedeutung der
Spirochäten bei Scharlach geltend machen, da auch hier in der Regel
Rachenaffektionen vorhanden sind. Auch nach dieser Richtung hin werden
hoffentlich weitere Untersuchungen Aufschluß schaffen.
Das Vorgetragene wird durch Demonstration von Photographien
erläutert. (Autoreferat.) Ä
Diskussion: Michaud bestätigt an Hand des allerdings noch
nicht umfangreichen Beobachtungsmaterials der medizinischen Universitäts-
klinik die Angaben Döhles vollauf. In allen anfangs zweifelhaften
Fällen, in denen die Leukocyteneinschlüsse nicht gefunden wurden, ergab
der weitere Krankheitsverlauf, daß ein Scharlach nicht vorlag, während in
allen sicheren Scharlachfällen die Einschlüsse nachgewiesen werden konnten.
3. Wilke spricht unter Vorführung einer großen Reihe von Dia-
positiven nach Mikrophotographien über Fremädkörperriesenzellen. Es
werden derartige Befunde vorgeführt nach Einheilung von Fremdkörpern
im Abdomen (Tupfergranulom), bei Bronchitis verminosa durch Strongylus
filaria in einer Ziegenlunge, beim sogenannten „Ohrgranulom“, in der Um-
gebung von Epidermoideysten, um Hornperlen verhornender Platten-
epithelkrebse der Haut, um Krystalle in einer chronisch-pneumonischen
Kinderlunge; es werden Präparate mit Bildung zahlreicher Riesenzellen
nach Jodoformglycerininjektion bei Arthritiden gezeigt, desgleichen Dia-
positive von Riesenzellenbildung in Prostata und Thyreoidea. Es wird
die histologisch - differentialdiagnostische Bedeutung der Befunde von
Riesenzelien besonders an den Präparaten von verhornenden Hautkrebsen
und von Chalazien betont, die früheren Fehldiagnosen des Lupuscarcinoms
und der tuberkulösen Grundlage der Augenliderkrankung auf Grund der
Befunde von Riesenzellen besprochen. Michaud (Kiel).
` Leipzig.
Medizinische Gesellschaft. 7. Sitzung vom 14. Mai 1912.
1. Bahrdt: Zur Diagnose der Gallensteine. Der Vortragende
berichtet über Fälle von Cholecystitis respektive Gallensteinen, in denen
bei den ersten oder sogar vielen Attacken Symptome von der Leber
und der Gallenblase überhaupt fehlen und nur Fieber mit Symptomen von
seiten der Lunge und der Bronchien auftritt, sodaß zunächst nur eine fieber-
hafte Bronchitis respektive pneumonische Affektion diagnostiziert werden
konnte. Auffällig war das schnelle Verschwinden dieser Brustsymptome.
In einem solchen Falle, der sich monatelang hinzog, zeigte sich erst beim
16. Fieber- und Bronchitisanfalle Ikterus, der bei den späteren dann nie
mehr fehlte, bis mit dem 24. Anfall ein kleiner Gallenstein abging,
worauf Fieber, Bronchitis, Ikterus für immer wegblieb. Am wahrschein-
lichsten erscheint die Annahme, daß von der Cholecystitis resp. der be-
gleitenden Entzündung des Duodenums Infektionsstoffe auf dem Lymph-
respektive Blutweg in die Lungen respektive Bronchien gelangen.
2. K. Conzen und Schwarz: Demonstration eines Falles von
multipler Sklerose mit eigentümlicher Augenmuskelstörung. An
den Augen, deren Sehschärfe, Farbensinn, Gesichtsfeld und Pupillen völlig
normal sind, besteht außer einer doppelseitigen Abductionsparese eine
eigentümliche Störung der Blickbewegungen nach links und rechts,
die stark verlangsamt sind, wie wenn sie durch einen erheblichen
Widerstand gehemmt würden. Bei diagonalen Bewegungen führen die
Augen immer zuerst die erforderliche Hebung oder Senkung aus und
gehen dann horizontal nach dem Fixierobjekt hin. Die Höhenbewegungen
erfolgen mit normaler Geschwindigkeit. Die Konvergenz ist wenig, die
Ferneinstellung stark verlangsamt. Der Augenmuskelstörung liegt offen-
bar ein Brückenberd in der Nähe der Abducenzkerne zugrunde.
3. Hübschmann: Demonstration eines Falles von Zuckerguß-
leber bei chronischen Herzklappenfehlern. 42 jährige Frau, seit sieben
Jahren wegen Herzleidens in Behandlung. Im Verlaufe von 6!/4 Jahren waren
ihr in 39 Punktionen 6671 Ascitesflüssigkeit aus dem Abdomen abgelassen
worden. — Bei der Sektion fanden sich chronische Endokarditiden sämt-
licher Klappen des Herzens, und zwar war die Pulmonalis nur wenig be-
troffen, während alle andern Klappen die Zeichen einer schweren In-
suffizienz und Stenose boten. Der rechte Vorhof war enorm dilatiert.
Keine Perikardialverwachsungen. Der Vortragende nimmt an, dab die
sehr starke Zuckergußleber in diesem Fall eine sekundäre Erkrankung
darstellt: Infolge der Tricuspidalerkrankung kam es zu einem chronischen
Ascites, der des öfteren punktiert werden mußte. Durch diese zahl-
reichen Punktionen wurde das Peritoneum gereizt, zunal da ja erfahrungs-
gemäß geringfügige Infektionen nicht zu vermeiden sind. Damit dürfte
der erste Anlaß zu der Perihepatitis, also zum Beginn der Zuckerguß-
leber, gegeben worden sein.
4. Erich Ebstein zeigt zwei Kranke von 14 und 52 Jahren, die
das Bild des Eunnchoidismus bei Diabetes insipidus aufweisen. Bei
dem älteren konnten im Röntgenbilde Veränderungen an der Sella turcica
sowie Sehstörungen in der Form einer bitemporalen Hemiaderomatopsie
nachgewiesen werden. Beide Patienten zeigten unter anderm die Adi-
positas cerebrogenitalis mit Hypoplasie der Genitalien. Die ganze Er-
krankung ist wahrscheinlich hervorgerufen durch eine Beteiligung des
multiglandulären Systems. (Die Arbeit erscheint als Originalartikel
in der M. med. Woch.)
München,
Gynäkologische Gesellschaft. Sitzung vom 23. Mai 1912,
Doederlein: Vorstellung dreier Kranken, welche wegen diffuser
eitriger Peritonitis infolge von Adnextuberkulose, Pyonephrose und Sepsis
nach Abort mit Kochsalzausspülung und Campherölbestreichung der Bauch-
höhle behandelt und geheilt wurden. Die Diagnose wurde in allen drei
Fällen vor der Laparotomie durch Colpotomie posterior gesichert.
Diskussion. Albrecht berichtet aus der II. Gynäkologischen
Klinik, daß hier die Campheröleingießung bei der Behandlung eitriger
Peritonitis keine besonders günstigen Erfolge ergab.
Hörrmann empfiehlt zur Feststellung der Diagnose an Stelle der
Kolpotomie die Probepunktion.
Doederlein zieht dagegen den probatorischen Einschnitt in das
hintere Scheidengewölbe vor, der unmittelbar vor der Laparotomie und
natürlich nur bei zweifelhaften diffusen Erkrankungen der Peritonealhöhle,
nicht bei Hämatocele vorgenommen wird.
Amann vertritt ungefähr den gleichen Standpunkt, hält aber in
manchen Fällen doch auch die einfache Probepunktion von der Scheide
aus für sehr empfehlenswert.
Doederlein: Zur eingehenden Prüfung der Röntgentherapie
in der Gynäkologie hat sich die Klinik jetzt ein großes Laboratorium
beschafft genau nach der Einrichtung der Freiburger Frauen-Klinik, mit
welcher Gauß an Stelle der gewöhnlichen Erythemdosis von 10 x die
Anwendung von 500 bis 600, ja 1000 x ermöglicht hat.
Demonstration und Vorführung des sehr komplizierten großen
Apparats durch Herrn von Seuffert.
Hörrmann: „Beitrag zur Frage der prophylaktischen Ap-
pendektomie bei gynäkologischen Operationen“. Die Erwägung, daß
nach Pankow 60° der Frauen an Appendicitis leiden und daß der
makroskopische Befund nicht beweisend ist für die Unversehrtheit des
Wurmfortsatzes, sowie eine eigne Beobachtung, wo nach der Operation
einer fixierten Retroflexion mit Feststellung anscheinend normalen Ver-
haltens des Wurmfortsatzes dennoch schon am fünften Tag eine typische
Appendicitis eintrat und die Relaparotomie notwendig machte, veranlaßten
den Vortragenden in letzter Zeit, grundsätzlich den Wurmfortsatz mit zu
entfernen. Bei einem dieser Fälle bewährte sich dieses Verfahren inso-
fern, als bei der histologischen Untersuchung hernach ein Pseudocareinom
der Appendix gefunden wurde. Die Schlußsätze des Vortragenden lauten
infolgedessen: 1. Bei jeder gynäkologischen Laparotomie ist grundsätzlich
auch die Appendix zu entfernen; 2. es genügt nicht,. die makroskopische
Untersuchung der Appendix vorzunehmen, sondern nur der histologische
Befund kann Aufschluß über ihren wirklichen Zustand geben; 3. maligne
Erkrankungen, Eiloperationen, sehr lange Operationsdauer und dergleichen
können als Gegenindikation gegen die gleichzeitige Entfernung der Ap-
pendix gelten; 4. eine Vergrößerung des Schnitts oder eine Einschränkung
des vaginalen Operationsweges zum Zwecke der Mitentfernung der Ap-
pendix sollen nicht stattfinden.
Diskussion. Oberndorfer: Die Frage nach der Bedeutung der
nicht so sehr seltenen sogenannten Pseudocarcinome der Appendix ist
noch nicht ganz entschieden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dab sie
sich besonders bei jungen Personen finden, am meisten in den zwanziger
Jahren, und daß sie nie über erbsengroß werden. nie die Serosa ergreifen,
keine Verwachsungen bewirken, keine Metastasen setzen. Mikroskopisch
zeigen sie, wie aus einigen demonstrierten Präparaten zu ersehen ist,
nicht den Bau von Adenocarcinomen — obwohl es, wenn auch sehr
selten, auch wahre Carcinome der Appendix gibt, welche ganz den ge-
wöhnlichen Carcinomen des Dickdarms gleichen —, sondern bestehen aus
Nestern kleiner Zellen, welche wie Rundzellen aussehen und die Mucosa
und Submucosa durchsetzen. Es gibt am übrigen Darm ähnliche gut-
artige Gebilde von Hanfkorngröße, welche oft multipel auftreten, selten
in die Muscularis eindringen, vom Vortragenden selbst als Carcinoide be-
schrieben und als Mißbildungen erklärt wurden und in welchen er kürzlich
einen intensiv gelben Lipoidfarbstoff, ein Lipochrom, nachweisen konnte,
wodurch auch in der chemischen Zusammensetzung ein fundamentaler
Unterschied gegen wahre Carcinome festgestellt ist. Während nun diese
Dünndarmcareinoide gar keine klinische Bedeutung haben, können die
Appendixcareinoide doch durch Bewirkung von intensiver Stenoge und
Stagnation bedeutungsvoll werden und bilden also auch einen Grund für
die Entfernung der Appendix.
Baisch: Bei einem kürzlich von ihm demonstrierten Pseudo-
carcinom der Appendix war diese auch sonst verändert und Ver-
wachsungen vorhanden, welche Beschwerden verursachten.
1. September.
Albrecht führt einen von ihm beobachteten Fall von wirklichem
primären Careinom der Appendix an mit sekundärem Carcinom zuärst
des einen und ein Jahr später auch des andern Ovars.
Madlener warnt vor dem radikalen Standpunkt, weil er der An-
sicht ist, daß durch’ die prinzipielle Mitentfernung der Appendix sicher
die Operationsresultate eine Beeinträchtigung erfahren werden; die Ap-
pendix soll nur bei bestimmten Anhaltspunkten auf Erkrankung exstir-
piert werden,
Doederlein stimmt dem Vorredner darin bei, daß die Appendek-
tomie als Hauptoperation heute übertrieben werde, als Nebenoperation
aber sei der Eingriff so gering, daß er, soweit nicht die von Herrn Hörr-
mann angegebenen Gegenindikationen vorliegen, doch nicht unterlassen
werden soll.
Hörrmann: „Zur Klinik der Cysten des Wolffschen Ganges“,
Eine 50 Jahre alte Patientin litt an sehr starkem eitrigen Ausfluß; rechts
hinter dem Uterus fand sich ein kindskopfgroßer Tumor, aus dem sich
bei der Probepunktion eine seröse Flüssigkeit entleeren ließ. Die Ope-
ration ergab einen extraperitoneal gelegenen cystischen Tumor, dessen
Innenwand bei der mikroskopischen Untersuchung eine Auskleidung von
geschichtetem Plattenepithel zeigte, ferner Riesenzellgruppen mit ein-
gelagerten stäbchenförmigen, schwer zu deutenden Gebilden. Schwer zu
bestimmen ist der Ursprung des Tumors, dessen Ausgang entweder in
Resten des Wolffschen Ganges oder in einem verlagerten Dermoid oder
$ versprengten Drüsen der hinteren Scheidenwand zu suchen sein
Önnte,
Diskussion. Amann: Als Ausgangspunkt käme auch ein zweiter
Müllerscher Gang in Betracht, wie er nicht so sehr selten beobachtet
wird, sonst aber ein Beckenbindegewebsdermoid. Die Cysten des Wolff-
schen Ganges sind fast immer mit Cylinderepithel, meist sogar mit
fimmerndem Oylinderepithel ausgekleidet,
Oberndorfer: Die bei der makroskopischen Untersuchung ge-
fündenen, von Fremdkörperriesenzellen eingeschlossenen Gebilde dürften
als Haare zu deuten und deshalb wohl der ganze Tumor als ein ver-
sprengtes Dermoid aufzufassen sein. | |
Dieser Erklärung pflichtet schließlich auch der Vortragende
selbst: bei. Eggel (München).
Wien. |
K. k. Gesellschaft der Aerzte. Sitzung vom 24. Mai 1912.
Av. Kiselsberg berichtet über die von ihm vor längerer Zeit
operierten Fälle von Hirntumoren und demonstriert mehrere der-
selben. 1, Maligner Tumor des Schädels, welcher sich nach einem Horn-
stoß entwickelt hat; seit der vor fünf Jahren ausgeführten Operation
dauernd guter Zustand, kein Kopfweh, keine Stauungspapille. 2. Hā-
mangiom, durch wiederholte Unterbindungen gebessert, aber nicht dauernd
geheilt. 3, Großes Gliom der Centralwindungen bei einer Frau mit
schweren epileptischen Krämpfen; seit der Operation vor 2!/s Jahren sind
die epileptischen Krämpfe verschwunden und die postoperative Lähmung
ist, zurückgegangen. 4. Apfelgroßes Gliom der linken Hemisphäre,
welches Kopfschmerz, Sprachstörung und Facialisparese verursachte;
Operation vor zwei Jahren unter Aufklappung eines Knochenlappens, der
Patient ist geheilt und kann seinem Beruf als Postbeamter nachkommen.
5. Gliom der Centralwindungen, vor 20 Monaten operiert; die früher be-
standene Lähmung eines Beins ist zurückgegangen, der Virus ist jedoch
noch herabgesetzt. 6. Walnußgroßes Epitheliom mit Herabsetzung des
Gesichtssinns; vor 14 Monaten Operation, seither gutes Sehen. 7. Epi-
theliom der Dura mater über der rechten vorderen Centralwindung, Ex-
stirpation, Fascienplastik der Dura aus dem Oberschenkel; seither haben
sich die Lähmung des linken Facialis und des linken Armes sowie das
Sehvermögen gebessert, das Allgemeinbefinden ist gut. 8. Malignes Neo-
plasma des Schädels und unterhalb desselben ein Endotheliom der Dura
mater, Krampfanfälle von Jacksonschem Typus; die Krampfanfälle
ben nach Entfernung des Tumors aufgehört, dieser rezidivierte jedoch
zweimal einige Monate nach der Operation, es wurde immer Fascien-
plastik aus dem Oberschenkel zur Deckung des Duradefekts angewendet,
9. Gliom und Cyste in der Gegend des Olfactorius mit Kopfschmerz und
erschlechterung des Sehvermögens; Operation vor 18 Monaten; seither
gutes Befinden. 10. Endotheliom der linken Stirnwindung; Operation
mit Fascienplastik vor zwölf Monaten, seither Besserung der Sprach-
Störung. 11. Metastasen von Melanosarkom in der rechten Centralwin-
wg nach einem vor neun Jahren exstirpierten Melanosarkom eines
"ges (Enuclestion) bei einem jungen Mädchen; Operation, nach sieben
Onaten Knochenmetastasen und Exitus. 12. Schwere Epilepsie bei apfel-
großem, von Blutungen durchsetztem Endotheliom der Dura mater; nach
r vor Y/ Jahr ausgeführten Operation sind die Anfälle verschwunden,
Später aber wieder aufgetreten. 13. und 14. Gummen mit Epilepsie und
Schwerem A]
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. | 1445
TS
15. Acusticustumor mit Schwindel, cerebellarer Ataxie, Kopfschmerz und
schlechtem Visus; Operation im Jahre 1909, Patient ist wieder als
Zeichner tätig, die Ataxie ist hochgradig gebessert, die andern Symptome
sind verschwunden, der Facialis und Acusticus der operierten Seite,
welche bei der Operation reseziert wurden, sind selbstverständlich ge-
lähmt. 16, Oystenartige Ansammlung der Cerebrospinalflüssigkeit über
dem Kleinhirne mit Ataxie, Stauungspapille und starkem Kopfschmerze;
vor zehn Jahren temporäre Aufklappung des Schädels über dem Klein-
hirne, seither ist Patient gesund bis auf eine geringe Nervosität. 17. Frau
mit Facialisparese und Schwäche der Extremitäten;. bei der Operation
wurde nichts gefunden, Patientin befindet sich aber wohler, der Kopf-
schmerz ist fast geschwunden. 18. Ein Tuberkelknoten in den Central-
windungen, epileptische Anfälle auf der linken Seite; seit Entfernung der
Geschwulst vor einigen Monaten keine Epilepsie. 19. und 20. Hypo-
physistumoren, von diesen ist einer im Jahre 1907, der andere vor einigen
Wochen operiert, in beiden Fällen wurde der Visus gobessert. Bei der
Operation von Gehirntumoren werden gelegentlich durch Läsion der um-
gebenden Gehirnpartien Lähmungen gesetzt, welche später fast immer
einen wesentlichen Rückgang zeigen. Die Acusticustumoren sind meist
Fibrome, seltener Fibrosarkome, sie geben eine gute Prognose, wenn der
Patient die Operation übersteht. Die Operationsmortalität ist jedoch sehr
groß, weil durch den Tumor Verdrängungen der Medulla oblongata statt-
finden und es bei Entfernung des Tumors leicht zum Shock kommt. In
manchen Fällen, welche Symptome von Hirntumoren aufwiesen, wurde
bei der Operation ein solcher nicht gefunden und trotzdem kam es zur
Besserung; anderseits gab es wieder Fälle, bei welchen der Zustand durch
den entstehenden Gehirnprolaps verschlechtert wurde. Vortragender zieht
bei der Operation die Aethernarkose vor, bei schlechtem Allgemein-
zustande wurden mehrere Fälle in lokaler Anästhesie operiert; die Mor-
phin-Skopolamininjektion vor der Narkose hat sich nicht bewährt. Es
wird immer zweizeitig operiert und niemals tamponiert, das Operations-
feld wird mit Kochsalzlösung berieselt. Kleinhirn- Brückenwinkeltumoren
sind äußerst schwierig zu operieren und es kommt bei dem Eingriffe
leicht zu einem Shock. Unter 15 Hypophysenoperationen, welche Vor-
tragender ausgeführt hat, endeten vier infolge des Eingriffs tödlich. Die
Resultate der Operationen von Hirntumoren lassen noch vieles zu wün-
schen übrig, aber der Zustand der Kranken ist so elend und so aus-
sichtslos, anderseits das Befinden der am Leben gebliebenen operierten
Patienten in den meisten Fällen ein so gutes, daß der chirurgische Ein-
griff trotz der sehr großen Mortalität indiziert erscheint, da er das
einzige Mittel zur Erreichung einer temporären oder definitiven Hei-
lung ist.
H. Finsterer stellt aus der Klinik Hochenegg einen Mann
vor, bei welchem die Röntgenbestrahlung elnes vorgelagerten Magen-
carcinoms mit gutem Erfolge vorgenommen wurde. Vor einem halben
Jahre wurde bei dem Patienten wegen der Diagnose eines Magen-
carcinoms die Laparotomie ausgeführt, bei welcher sich der vom prä-
pylorischen Magenanteil bis zum Oesophagus reichende, höckrige und
harte Tumor als inoperabel erwies. Es wurde die Gastroenterostomia
retrocolica anterior ausgeführt, das Carcinom nach Durchschneidung beider
Musculi recti vorgelagert und hierauf in sechs Sitzungen von 10 Minuten
Dauer mit Röntgenstrahlen behandelt. Es trat eine auffallende Besserung
ein und der Tumor verschwand schließlich. In der bestehenden ventralen
Hernie ist nirgends eine Resistenz zu tasten,
E. Ranzi hat an der Klinik Eiselsberg bei vier in der be-
sprochenen Woise behandelten Fällen kein gutes Resultat gesehen; die
Patienten starben.
H. Teleky hat zwei Fälle beobachtet, welche von namhaften Kli-
nikern als Magencareinome diagnostiziert wurden, wegen Inoperabilität
wurde jedoch kein Eingriff ausgeführt; der Tumor verschwand in einiger
Zeit spontan ganz spurlos. T. hat ein ähnliches Verhalten bei einem
Mastdarmtumor beobachtet. Es wäre daher ein Zweifel berechtigt, ob
es sich in dem vorgestellten Falle wirklich um ein Careinom ge-
handelt hat,
J. Hochenegg weist darauf hin, daß der Vortragende die Dia-
gnose auf ein Magencarcinom bei der Autopsie in vivo gestellt hat; frei-
lich fehlt hier die histologische Untersuchung, welche nach der Natur des
Falles nicht ausführbar war. Bei den von ihm beobachteten Fällen von
Rectumtumoren wurde die Diagnose auf Grund der Digitaluntersuchung
gestellt. |
H. Finsterer erwidert, daß klinisch ein Magencarcinom anzu-
nehmen war, wenn auch die histologische Untersuchung fehlt. Aus der
Klinik v. Czerny liegen Fälle vor, bei welchen mehr als faustgroße Tu-
moren nach Röntgenbestrahlung verschwunden sind.
W. Latzko betont den Standpunkt der Gynäkologen, die Dia-
gnosə Careinom nur auf Grund der histologischen Untersuchung zu
Igemeinzustande, nach Operation weitgehende Besserung. ; stellen.
nn
1446 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
A. Fränkel meint, es dürfte ein Carcinom vorliegen. Die Diffe-
rentialdiagnose zwischen Ulcus und Carcinom des Magens ist auch bei
. der Autopsie in vivo manchmal nicht zu stellen. So wurde z. B. bei
einer Frau mit elendem Allgemeinzustand ein großer, harter Magentumor
gefunden, welcher ganz das Aussehen eines Carcinoms hatte. Es wurde
Gastroenterostomie ausgeführt. Nach dem Tode der Patientin ergab es
sich, daß der Tumor nur ein sehr großes Ulcus simplex war, bei welchem
der vitale Turgor die Härte des Carcinoms vorgetäuscht hatte. Bestrah-
lungen vorgelagerter Tumoren haben bereits in zahlreichen Fällen gute
Resultate ergeben. .
S. Jonas bemerkt, daß die Röntgendiagnostik des Magencarcinoms
noch nicht so weit vorgeschritten ist, daB man auf ihr allein die Dia-
gnose aufbauen könnte.
J. Fabricius hat derartige Verwechslungen bei Darmtumoren
gesehen; in einem Falle war die Freundsche Reaktion vorhanden, Auch
die histologische Untersuchung kann manchmal die richtige Diagnose
nicht mit Sicherheit gewährleisten. H.
Berlin.
Orthopädische Gesellschaft. Sitzung vom 3. Juni 1912.
Vorsitzender: G. Joachimsthal.
1. W. A. Freund (a. G.): Orthopädische Prophylaxe und
Therapie bei Thoraxanomalien. Vortragender bespricht zunächst die
besondere Wichtigkeit des ersten Rippenknorpels, der gegenüber den an-
dern Rippenknorpeln eine Ausnahmestellung eianimmt und daher für das
Verhalten der oberen Thoraxapertur von besonderer Bedeutung ist. Der
Knorpel der ersten Rippe hört viel zeitiger zu wachsen auf als die andern
Rippenknorpel und bleibt wie alle Nahtknorpel häufig im Wachstum
zurück. Er ist sehr geneigt zu frühzeitiger Verknöcherung. Häufig
treten an ihm Entwicklungsanomalien auf, Nicht selten ereignet sich
durch Zug der hypertrophischen Mm. scaleni eine Ruptur des ersten
Rippenknorpels, die meist mit einer Pseudarthrose zur Ausheilung ge-
langt, da Knorpelwunden ja nur eine sehr geringe Tendenz zur Heilung
zeigen. Diese Pseudarthrosenbildung stellt eine Art Selbstheilung dar,
indem durch sie eine Verengerung der oberen Thoraxapertur: vermieden
wird. Kommt es nicht zur Pseudarthrose, so bleibt oft die Verengerung
der oberen Apertur zurück, die für die Spitzentuberkulose wichtig ist
Vortragender erinnert an Experimente von Backmeister, der Tieren
nach Verengerung der oberen Brustapertur mittels Silberdrahts
Tuberkelbacillen beibrachte und dann regelmäßig Spitzentuberkulose auf-
treten sah, während sie bei Tieren ohne künstliche Verengerung der
oberen Thoraxapertur ausblieb. Die Stenose der oberen Brustapertur
macht sich, wie F. an Tafeln demonstriert, vorzugsweise im queren
Durchmesser bemerkbar. Man kann sie messen durch den Neigungswinkel,
den eine die erste Rippe mit dem ersten Rippenknorpel verbindende
Linie mit der Horizontalen bildet. Als weitere Folge der Stenose tritt
ein Heruntersinken des Schultergürtels um die verengte Partie nach vorn
und medial auf. F. geht des weiteren auf die faserige Degeneration der
Rippenknorpel ein, durch die der Thorax in dauernde Inspirationsstellung ge-
drängt wird. Uebergehend zur Behandlung derartiger Störungen empfiehlt
F. für den starr dilatierten Thorax eine keilförmige Excision der Rippen-
knorpel. Hinsichtlich der Behandlung der Affektionen am ersten Rippen-
knorpel ist Vortragender der Meinung, daß zunächst der Pädiater und
Interne das Wort haben. Dem ersteren liegt die Feststellung ob, unter
welchen Verhältnissen und Zeichen es zum Hinaufsteigen der Lungen
über die obere Thoraxapertur kommt, ein Vorgang, der im allgemeinen
erst mit der Pubertät vor sich geht. Nach Czerny beobachtet man bei
tiefster Inspiration der Kinder eine inspiratorische Einziehung über der
oberen Thoraxapertur, die erst dann verschwindet, wenn die Lungenspitze
diese erreicht hat. Vom Internisten muß die Fixierung des Krankheits-
bildes der Stenose der oberen Thoraxapertur verlangt werden. Erst dann
kommen chirurgische und orthopädische Maßnahmen in Frage. Zum
Schluß demonstriert F. einen Zirkel zur Messung der oberen Thorax-
apertur.
2. Mosenthal: Corpus liberum im Talo-Cruralgelenk. Das
durch Operation entfernte Corpus liberum, das dem Talus wie eine Haube
aufsaß, hat eine Größe von 4 cm in der Länge und 3 cm in der Breite.
Es ist knollig und weist eine glatte Knorpeloberfläche auf. Ein feiner
Stiel scheint der Synovialmembran zu entstammen.
3. Bibergeil: Vorstellung eines 4öjährigen Mannes mit einem
Riesenwuchs der linken oberen Extremität, bei dem es durch eine
Hyperplasie des Fettgewebes zu einer enormen Geschwulstbildung am
linken Zeige- und Mittelfinger gekommen ist. Demonstration des durch
Operation gewonnenen Präparats. Die Radiographie der amputierten
Finger zeigt an den Phalangealepiphysen knollige, exostosenartige Wuche-
rungen stärksten Grades und teilweise vollkommene Ankylosierung der
Interphalangealgelenke und der distalen Karpalreihe,.
4. Joachimsthal: Ueber Knochen- und Gelenkveränderungen
bei -Syringomyelie. Vorstellung eines 44jährigen Mannes mit den aus-
gesprochenen Erscheinungen der Syringomyelie, der Luxationen im Be-
reiche sämtlicher Fingergelenke, beider Handgelenke und eine Subluxa-
tion des linken Schultergelenks aufweist. Die Luxationen- kann der
Kranke zum Teil selbst ohne Schmerzen reponiren. Die Knochen zeigen
keine wesentlichen Veränderungen. Offenbar handelt es sich um rein
capsuläre Störungen. Nach Ansicht Joachimthals spielen hier mecha-
nische Verhältnisse eine Rolle, da bei dem Patienten, der Linkshänder
ist, die Luxationen linkerseits weit stärker ausgebildet sind als rechts..
Dazu Wollenberg: Demonstration mehrerer Fälle von Syringo-
myelie, bei denen es zu Gelenkveränderungen gekommen ist, die zum
Teil der hypertrophischen, zum Teil der atrophischen Form der
Arthritis deformans angehören. An dem Schultergelenk eines weiteren
Falles konnte W. hochgradige Zottenwucherungen an der erweiterten
Kapsel nachweisen.
Böhm: Hinweis auf die Skoliose als erstes Symptom einer Syringo-
myelie. Es fragt sich, ob der Skoliose muskuläre oder ossäre Verände-
rungen zugrunde liegen. In einem von B. beobachteten Falle fand
sich eine Subluxation zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel.
5. Ehringhaus: Knochenveränderungen bei hereditärer Lues.
Bericht über zwei diesbezügliche Fälle. Ein 13jähriges Mädchen leidet seit
seinem fünften Lebensjahr an einer. gummösen Erkrankung beider Schien-
beine. Ein junger Mann, eifriger Turner, bemerkt eine allmählich stärker
werdende Anschwellung an dem rechten Unterarme. Das Röntgenbild
zeigt eine Osteomyelitis und Periosteomyelitis in großer Ausdehnung.
6. Reiner: Die Architektur des Calcaneus unter normalen
und pathologischen Verhältnissen. R. hat die Architektur einer An-
zahl normaler und pathologisch veränderter Fersenbeine untersucht, um
den Zusammenhang von Größe, Art und Richtung der Belastung, ferner
der Zugwirkung der am Fersenbein inserierenden Muskeln und Gelenk-
bänder und der Architektur und der äußeren Form des Knochens fest-
zustellen. Vortragender zeigt schematische Zeichnungen normaler Fersen-
beine, sowie solche bei Hacken-, Spitz- und Plattfuß, nach Talusexstir-
pation, Amputation im Chopartschen Gelenk und Resektion nach Wladi-
miroff-Mikulicz. An der Hand seiner Bilder weist R. den Zusammen-
hang der Liniensysteme mit den Druck- und Zuglinien der graphischen
Statik nach und findet in seinen Untersuchungen Stützpunkte für das
Wolffsche Transformationsgesetz.
Dazu Maaß: Ob unter pathologischen Verhältnissen alle Verände-
rungen der Architektur funktionell sind, erscheint M. fraglich. Nach
reiner Meinung können unter der Wirkung des Wachstums die Verände-
sungen mechanisch zustande kommen. Die primär auftretenden Verände-
rungen sind mechanischer Natur; erst sekundär kommen funktionelle
Veränderungen hinzu.
Eckstein widerspricht der Auffassung von Maaß. Bei einem
Falle von multiplen Exostosen fanden sich an einer großen, der Unter-
fläche des Calcaneus aufsitzenden Exostose starke Balkenzüge, die zweck-
mäßig angeordnet, funktionell bedeutungsvoll waren. Die innere Form
entspricht stets der funktionellen Inanspruchnahme. |
Joachimsthal lehnt den von Maaß vertretenen Standpunkt
gleichfalls ab.
Reiner (Schlußwort): Keine der beiden Anschauungen, weder die
Julius Wolffs, noch die von Maaß sind bisher voll bewiesen. R. hält
an der Wolffschen Theorie fest. Bibergeil (Berlin).
Physiologische Gesellschaft. Sitzung vom 2i. Juni. _
(Oftzieller Sitzungsbericht.)
i. Morgenroth: Ueber Anpassungserscheinungen bei Mikro-
organismen. Anpassung von Mikroorganismen an Gifte ist
schon seit längerer Zeit bekannt, in den Versuchen von Effront z B.
(Gewöhnung von Hefe an Fluoride) eingehend studiert. In großer Fülle
und Mannigfaltigkeit drängten sich Vorgänge der erworbenen Gifttoleranz
von Mikroorganismen, die zunächst des bequemen Ausdrucks wegen als
Anpassung bezeichnet seien, erst auf, als die Chemotherapie der expert-
mentellen Trypanosomeninfektion Erfolge zeitigte. Ehrlich, der
mit seinen Mitarbeitern diese Phänomene zuerst beobachtete und studierte,
faßte sie unter dem Namen der Arzneifestigkeit zusammen.
Diese Arzneifestigkeit der Trypanosomen ist nicht etwa der Aus-
druck einer allgemeinen Resistenzerhöhung schädigenden Einflüssen gegen
über, sondern sie ist specifisch gerichtet. Ehrlich und seine Mit-
arbeiter zeigten, daß die durch Einwirkung eines Repräsentanten gewisser
Gruppen chemotherapeutisch wirksamer Substanzen erzeugte Arzneifestig-
keit gegen lie gesamte entsprechende Gruppe gerichtet ist, während die
Trypanosomen ihre Empfindlichkeit andern Agentien gegenüber unver-
ändert beibehalten. So entsteht eine Festigkeit, die specifisch gegen die
trypanociden Benzidinfarbstoffe oder gegen Triphenylmethanfarbstoffe
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. | 1447
oder gegen Arsenikalien gerichtet ist. Daß hier im übrigen die Ver-
nältnisse weit komplizierter liegen als es anfangs den Anschein hatte,
lehrt das noch zu besprechende Verhalten der Arsenfestigkeit, der Zu-
sammenhang der Arsenfestigkeit mit der Festigkeit gegen Antimon und
endlich die Entstebung einer Festigkeit gegen Pyronin, einen Diphenyl-
methanfarbstoft, gleichzeitig mit der Erwerbung der Arsenfestigkeit und
umgekehrt.
Die Entstehung der Festigkeit wird im einzelnen beschrieben,
ebenso die quantitativen Verhältnisse, die hier obwalten.
Bei der Festigung gegen Arsenverbindungen zeigen sich
äußerst verwickelte Vorgänge, zu deren vollem Verständnis das experi-
mentelle Material noch lange nicht ausreicht. Ehrlich erhielt durch
Behandlung eines Naganastamms mit Arsacetin Festigkeit gegen diese
Verbindung, nieht aber gegen Arsenoplienylglycin und Brechweinstein
(Arsenstamm I), dieser Stamm wurde dann durch Behandlung mit Arseno-
phenylglyein gegen diese Verbindung fest (Stamm II) und erlangte end-
lich auch Antimonfestigkeit durch Einwirkung von arseniger Säure,
während merkwürdigerweise gegen diese letztere selbst eine Festigung
nicht eintrat (Stamm II). Ein anderes Mal gelang Ehrlich durch Be-
handlung mit Arsenophenylglyein in kurzer Zeit die Festigung gegen
Arsen und Antimon. Morgenroth und Halbeorstaedter endlich ge-
wannen bei einem Naganastamme durch Behandlung mit Arsacetin
allein Festigkeit gegen diese Verbindung, gegen Dioxydiamidoarseno-
benzol urd gegen Brechweinstein, während gegen Arsenophenylglycin
keine erhebliche Resistenzerhöhung eintrat. Die Festigkeit gegen Brech-
weinstein ging nach einiger Zeit isoliert verloren, wurde aber durch ein-
malige Behandlung mit der Antimonverbindung wieder gewonnen.
Die Erfahrungen aller Autoren, die in dieser Richtung Versuche
gemacht haben, stimmen darin überein, daß durch Behandlung von
Trypanosomen mit Brechweinstein allein ohne vorhergehende Be-
handlung mit Arsenverbindungen eine irgendwie erhebliche Festigkeit
nicht gewonnen werden kann.
Daß es sich bei der Arzneifestigkeit um die Erwerbung neuer
` Eigenschaften, die vorher auch nicht einzelnen Trypanosomenzellen
zukamen, handeln muß, ist klar. Als regulierender wesentlicher Faktor
dürfte dann die Auslese eingreifen, welche die im Sinne der Festigkeit
veränderten Individuen und ihre mit gleicher Eigenschaft begabten Nach-
kommen erhält. Wo die Auslese dadurch fehlt, daß der einwirkenden
Verbindung jede trypanocide Wirkung von vornherein abgeht, ist wohl
die Entstehung festerer Individuen möglich, aber die Festigkeit kann
nicht über ein bestimmtes Maß hinaus gesteigert werden. Dies ist offen-
bar der Fall bei Behandlung trypanosomeninfizierter Mäuse mit Kalium.
hexatantalat. Das genaue Studium der Kurve, gemäß welcher nor-
male und vorbehandelte Trypanosomen nach Injektion von Brechweinstein
aus dem Blute der Mäuse verschwinden, zeigt charakteristische Unter-
schiede, aus denen zu erkennen ist, daß das dem Antimon verwandte
Tantal gegen dieses erstere feste Individuen schafft; die Festigkeit be-
harri aber auf einer geringen Stufe und eine Elimination der nicht ge-
festigten Individuen bleibt aus (Morgenroth und Rosenthal).
Die Arzneifestigkeit der Trypanosomen zeigt sich auch im Reagens-
glasversuche.
‚ _.Was die Dauer der Arzneifestigkeit betrifft, so kann dieselbe»
wie Ehrlich gezeigt hat, durch Jahre bestehen bleiben, in andern Fällen
vermindert sie sich nach längerer oder kürzerer Zeit. Wichtig, auch
vom praktischen Gesichtspunkt aus (Schlafkrankheitsrezidive nach Arsen-
behandlung, chininfeste Malariaparasiten), ist die Frage, ob die Protozoen
bei der Sporogonie die erworbene Arzneifestigkeit verlieren. Gonder
hat in Ehrlichs Laboratorium Versuche in dieser Richtung an Trypanosoma
Lewisii mit Uebertragung durch Hämatopinus angestellt und ein Ver-
schwinden der allerdings geringen und durch sehr lange Behandlung er-
worbenen Festigkeit gegen Arsenophenylglyein beobachtet. Endlich
haben Morgenroth und Rosenthal — jedoch nicht regelmäßig —
ein Verschwinden der Hydrochininfestigkeit eines Trypanosomenstamms
beobachtet nach Abheilung durch Diozydiamidoarsenobenzol und Auftreten
eines Rezidivs.
Von Morgenrotli und Rosenthal wurde im Anschluß an die
Studien von Morgenroth und Halberstaedter über die Chemo-
therapie der Chinaalkaloide die Hydrochininfestigkeit der Trypanosomen
untersucht: Es entstehen hier in wenigen Tierpassagen feste Stämme,
die durch die größte, von den Versuchstieren noch ertragene Dose nicht
beeinflaßt werden und auch im Reagensglase Festigkeit zeigen. Ganz
leicht entstehen halbfeste Stämme, die sofort wieder Neigung zu Rück-
schlägen zeigen (Demonstration von Diagrammen).
, ., Mit der Möglichkeit chemotherapeutischer Beeinflussung bakte-
tieller Infektionen gewann auch auf diesem Gebiete die Frage der
Arzneifestigkeit größere Bedeutung. In Anschluß an Morgenroths
und Halberstaedters systematische Studien an Trypanosomen fanden
Morgenroth und Levy die Wirksamkeit des Aethylhydrocupreins
gegenüber der Pneumokokkeninfektion der Mäuse. Auch hier kann in
wenigen Passagen Arzneifestigkeit eintreten, wie an der Hand von ge-
meinsam mit Kaufmann ausgeführten Versuchen (Diagramme) demon-
striert wird. |
Auf eine zweite wichtige Reihe von Anpassungserscheinungen der
Trypanosomen, auf die Serumfestigkeit, kann nur kurz eingegangen
werden. Auch diese Erscheinungsreihe wurde zuerst von Ehrlich an
den Rezidivstämmen erforscht. Behandelt man mit Trypanosomen
infizierte Mäuse mit zur völligen Heilung ungenügenden Dosen trypano-
cider Agentien, so treten nach einiger Zeit Rezidive ein. Die nun wieder
im Blut erscheinenden Trypanosomen unterscheiden sich durch die
Immunitätsreaktion von den ursprünglichen zur Infektion verwendeten
so, als ob es sich um eine andere Art handle. Von derartigen serum-
festen Stämmen ist eine Vielheit möglich. Auch durch Einwirkung eines
Immunserums in vitro, und zwar in äußerst kurzer Zeit, kann diese Serum-
festigkeit eintreten (Ehrlich, Roehl und Gulbrausen, Levaditi und
Muttermilch). Mit dem Phänomen der Serumfestigkeit hängt auf das
' engste das Rezidivieren der Protozoenerkrankungen trotz zunächst ein-
getretener Immunität zusammen, und die Möglichkeit, daß das Blut von
Tieren, welches bei andern Tieren starke Schutzwirkung ausübt, in corpore
lebende Parasiten dauernd erhalten kann.
Angesichts der geringen Zahl der Artmerkmale muß man gestehen,
daß man durch experimentelle Eingriffe leicht Veränderungen erzeugt, die
durchaus zur Aufstellung einer neuen Species genügen würden. Wenn
z. B. ein Naganastamm durch Behandlung mit Pyronin seinen Blepharo-
plast verliert, fest gegen Pyronin und auch gegen Arsenverbindungen
wird, sich in bezug auf die Immunitätsreaktion vollkommen anders als
der Ausgangsstamm verhält, so würde jeder, der die Genese des Stammes
nicht kennt, ihn als eine besondere Art ansprechen.
Was das Wesen der Vorgänge betrifft, die zur Arzneifestigkeit
führen, so rechnet sie Ehrlich zu den Mutationen im Sinne von
de Vries. Es ist sicher die Frage berechtigt, ob es sich bei diesen
Vorgängen um eine bestimmt gerichtete Veränderung (Anpassung) handelt
oder ob durch die Einwirkung der betreffenden Agentien Veränderungen
der Trypanosomen in großer Mannigfaltigkeit entstehen, von denen dann
durch die Auslese nur ganz bestimmte als existenzfähig festgehalten werden.
Die Trypanosomen wären dann als Mikroorganismen anzusehen, bei denen
durch bestimmte Einwirkungen Mutationsperioden mit einer sonst
nicht bekannten Leichtigkeit hervorzurufen sind.
Für die Anschauung, daß es sich um verschieden gerichtete Aende-
rungen handle, spricht sich neuerdings Seiffert im Anschluß an Ver-
suche mit Bacterium coli aus; auch Hartmann vertritt einen ähn-
lichen Standpunkt. Mir scheint für diese Auffassung vor allem die
Incongruenz zu sprechen, welche zwischen dem die Festigkeit veran-
lassenden Eingriff und gewissen zugleich mit der specifischen Arznei-
festigkeit entstehonden Veränderungen der Mikroorganismen besteht. Es
seien hier folgende Beobachtungen angeführt. Marks festigte einen
Paratyphusstamm in vitro gegen arsenige Säure nnd fand ihn in bezug
auf Agglutinierbarkeit verändert. Seifferts gegen Malachitgrün ge-
festigter Stamm von Bacterium coli entwickelt die Eigenschaft, Rohr-
zucker zu vergären. Die Festigung gegen Arsen bedingt Festigkeit gegen
Pyronin und vice versa. Diese gleichzeitig mit der Festigung auftreten-
den Veränderungen werden möglicherweise, weil sie entweder zufällig
oder durch gewisse Korrelationen gleichzeitig mit der Festigung ent-
standen sind, durch die Auslese, welche nur mit der letzteren arbeitet,
festgehalten. Sie dürften dafür geltend gemacht werden, daß der die
Festigkeit bedingende Eingriff verschieden gerichtete mutative Verände-
rungen auslöst, oder wenigstens dafür, daß die Umwandlung der Mikro-
organismon, welche zunächst unter dem Gesichtspunkte der Festigung
als reine Anpassung imponiert, tiefgreifender und verwickelter Natur ist,
Für die Auffassung des Vorgangs als diffuse Mutation spricht auch die
eigenartige Entstehung des Ehrlichschen Arsenstamms III, der durch
Behandlung mit arseniger Säure fest gegen Brechweinstein, nicht aber
gegen erstere wird, und endlich die spontane Entstehung eines hoch-
gradig arsenfesten Stammes, der jüngst von v. Prowazek beobachtet
worden ist und eben von Halborstaedter eingehend untersucht wird.
2. P. Rona: Zur Physiologie der Darmbewegungen. (Nach in
Gemeinschaft mit P. Neukirch ausgeführten Untersuchungen.) Be-
trachtet man die Kurven, die bei der Registrierung von Dünndärmen von
Kaninchen nach der Suspensionsmethode gewonnen werden, wenn die
Därme sich in der von Tyrode angegebenen Salzlösung befinden, so
fällt vor allem die ungemein große Regelmäßigkeit der Bewegungen auf.
Der schöne Rhytlımus der Ausschläge ist besonders überraschend, wenn
man diese mit den meist regellosen, unanalysierbaren Kurven vergleicht, die
man erhält, wenn man in andern Nährlösungen, z. B. in der Lockeschen
Lösung arbeitet. Es mußte zunächst untersucht werden, ob nicht die
Reaktion (das heißt die H-Ionenkonzentration) der beiden Flüssigkeiten,
der Nährlösung von Tyrode und der von Locke, für dieses verschiedene
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1448 Br, 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
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i. September.
Verhalten verantwortlich gemacht werden muß, da nur die Tyrode-Lösung |
empirisch so zusammengesötzt ist, daß ihre H-Ionenkonzentration mit
der im Blutserum vorhandenen fast vollkommen .übereinstimmt,. während
die Lockesche Lösung deutlich saurer ist. Die weitere Untersuchung
zeigte aber, daß der Grund für die erwähnte Erscheinung nicht in dieser
Richtung zu suchen ist. Versetzt man nämlich die Lockesche Lösung
(oder eine „modifizierte“ Tyrode-Lösung,. die dieselbe Zusammensetzung
wie die Tyrode-Lösung ohne Phosphat und Carbonat besitzt) nach der
Vorschrift von Sörensen mit einem aus Glykokoll und Natronlauge be-
stehenden Regulatorgemisch („Puffer“) von einer solchen H-Ionenkonzen-
tration, daß der ganzen Flüssigkeit die gewünschte optimale H-Ionen-
konzentration erteilt wird, so wurden die Bewegungen nur insofern.
günstig beeinffußt, daß die Ausschläge etwas ausgiebiger wurden, sie
blieben aber so unregelmäßig wie zuvor. Nach weiterer Untersuchung
ergab sich, daß die den Rhythmus regulierende Ursache in dem Carbo-
nation zu suchen ist.. Versetzen wir die Lockesche Lösung oder die
wie oben angegeben modifizierte Tyrode-Lösung mit einer entsprechen- .
den Menge Natriumbicarbonat (2 ccm einer 50/sigen Lösung auf
100 ccm Nährlösung), so sehen wir, daß fast sofort oder nach einem
mehr oder weniger kurzen Stadium der Erregung die Bewegungen voll-
kommen rhythmisch werden und den Tyrode-Typus bekommen.
Darmbewegung in Lockescher Lösung vor
Zusatz von Bicarbonat,
Man könnte denken, daß die schwach alkalische Reaktion der Bi-
carbonatlösung der Grund für den regulierenden Einfluß ist. Dem ist
aber nicht so. Versetzt man nämlich die Bicarbonatlösung mit Salzsäure so
lange, bis die gewünschte H-Ionenkonzentration (die des Serums) vorhanden
ist, was sich kolorimetrisch leicht feststellen läßt, und fügt man diese „neu-
tralisierte“ Bicarbonatlösung der Nährsalzlösung hinzu, so erhalten wir den-
selben Effekt wie vorher. Wir haben es also hier mit der Wirkung des Carbo-
Nach Zusatz von Bicarbonat.
nations als solchem zu tun, wozu.noch die Wirkung der. undissoclierten
HsCOs. hinzukommen ‚mag. (Ueber den Einfluß der H-Ionen siehe unten.)
-Der Befund hat sicher. allgemeines Interesse, denn der regulierende
Einfluß der Kohlensäure (beziehungsweise des HCOs') ist ja bei einem
andern automatischen Centrum, dem Atmungscentrum,. bekannt. . Gerade
in der letzten Zeit sind eine Anzahl Arbeiten über dis Wirkung. der
Kohlensäure auf das. Atmungscentrum erschienen.. Während aber einige
Autoren (z. B. Winterstein) die Kohlensäurewirkung auf eine allge-
meine Säurewirkung, also H-Ionenwirkung, zurückführen wollen,. halten
andere Forscher, wie Laqueur und Verzär daran fest, daß wir es hier
mit einer. specifisch erregenden Wirkung der Kohlensäure zu tun haben.
— In unsern Versuchen ist eine Wirkung der H-Ionen ausgeschlossen,
denn wir haben in unserer Lösung vor und nach dem Zusatz des Car-
bonats dieselbe H-Ionenkonzentration in der Lösung. — Auch andere
Anionen wurden auf ihren Einfluß auf den Rhythmus der Darmbewegun-
gen geprüft, und:es scheint, daß, soweit die bisherigen Untersuchungen
ein Urteil erlauben, dem Carbonation nicht eine isolierte, aber doch eine
sehr hervorragende Rolle in dieser Richtung zukommt, denn’ mit andern
Anionen war es nur in vereinzelten Fällen möglich, eine regelmäßige Be-
wegung des Darmes zu erreichen, die aber auch dann nicht von diesem
schönen Rhythmus des „Tyrode-Typus“ war, wie beim Carbonation. Am
nächsten dem Carbonation scheint das Phosphation zu kommen.
‚Was die Wirkung der H-Ionen anlangt, so ist eine optimale
H-Ionenkonzentration für den Ablauf der Darmbewegungen nötig. Ein
Ueberschreiten des Optimums führt zu unregelmäßigen Contractionen
und bald zur völligen Lähmung. Diese tritt nach den bisherigen Ver-
suchen bei [HJ = zirka 0,45:10-° auf, während das Optimum bei
zirka 0,50° 107 liegt. Hierüber werden die Untersuchungen noch
weiter fortgeführt. Von der Menge der Einzelbeobachtungen, die sich
bei den bisherigen Versuchen ergeben haben, wäre noch die Wichtigkeit
des Calciumions für die Darmbewegungen hervorzuheben. Fehlt das
Calcium in der Salzlösung, so ist Zusatz von Carbonat ohne Erfolg, erst wenn
CaCl; der Lösung zugefügt wird, kann das Carbonat seine Wirkung entfalten. .
3. P. Rona: Ueber das Verhalten des Phosphat- und Carbona-
tions im Serum. Die Untersuchungen des Vortragenden zeigen, dab
der Hauptanteil des indiffusiblen Calciums im Serum nicht auf Rechnung
der schwer löslichen Calciumphosphate und -carbonate gestellt werden
kann, sondern daß wir undissociierte Calcium-Eiweißverbindungen an-
nehmen müssen. Ferner ergaben Versuche mittels der Kompensations-
dialyse, daß die Gesamtkohlensäure im Serum, wenn nicht in toto so
doch zum größten Teil als frei diffusibel angesehen werden muß. Zu
demselben Ergebnis kam auf einem andern Wege auch Henderson.
Ausführlich werden die Untersuchungen an anderer Stelle erscheinen.
Rundschau. 5
Aerztlich-soziale Umschau.
„Gewerkschaftsbeiträge.“
Eine auch für die organisierte Aerzteschaft wichtige Entscheidung
hat kürzlich das Oberlandesgericht Düsseldorf gefällt, indem es anerkannt
hat, daß Gewerkschaftsbeiträge bei der Steuererklärung ab-
zugsfähig sind. l |
Die Steuerveranlagungskommissionen hatten den Einwand erhoben,
daß den einzelnen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern auf den Bezug
der festgesetzten Unterstützungen kein klagbares Recht zustände. Das
Landgericht erklärte daraufhin den Abzug der Gewerkschaftsbeiträge für
unstatthaft. Das Oberlandesgericht entschied jedoch, wie die „Saar-
brücker Zeitung“ mitteilt: :
„Wenn der Vorderrichter bemängelte, daß Beklagter jährlich 52 M.
zur Gewerkschaftskasse zahle, was zur Bestreitung des Unterhalts nicht
erforderlich sei, so wird dabei der Begriff des Unterhalts verkannt.
Dieser umfaßt den ganzen Lebensbedarf ($ 1610 des BGB.) einschließlich
der Ausgaben, die zur Erhaltung einer standesgemäßen Lebensstellung
erforderlich sind. Mit Recht weist aber der Beklagte darauf hin, daß er
als Buchdrucker, um eine seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeitsstelle
zu erhalten, einer gewerkschaftlichen Organisation angehören müsse, ganz
abgesehen von den finanziellen Vorteilen, die er für den Fall der Arbeits-
losigkeit, Krankheit und Invalidität dadurch erlangt, die aber seine
Leistungsfähigkeit nicht unmittelbar erhöhen.“ l
In Zukunft werden: wir Aerzte also auch die Beiträge, die wir für
unsere Gewerkschaft, den „Leipziger Verband“ aufbringen,
sämtlich bei der Steuererklärung in Abzug bringen können; was bisher.
wohl nur vereinzelt geschehen sein dürfte. Durch diese Beiträge er-
werben wir in analoger Weise, wie die gewerkschaftlich organisierten
Arbeiter, für uns wichtige Vorteile, nicht nur ideeller sondern auch
Redigiert von Dr, Erwin Franck, Berlin.
materieller Art, die zur Erhaltung einer standesgemäßen Lebensstellung
erforderlich sind. Es sei nur an die Tarifverträge des L. V., die Stellen-
vermittlung, den Schutz des Verbandes bei wirtschaftlichen Kämpfen, die
Witwen- und Waisenversicherang usw. erinnert. An alle dem können
wir nur teilnehmen, wenn wir Mitglieder des L. V. sind, das heißt wenn.
wir die hierzu notwendigen Beiträge zahlen. Wir meinen damit nicht
nur den regulären Jahresbeitrag, sondern auch alle außerordentlichen
Leistungen, die der Verband fordert. Diese sind nur eine andere
Form für sonst notwendige wesentlich höhere reguläre Jahresbeiträge,
wodurch die weniger leistungsfähigen Kollegen geschont, die zahlungs-
fähigeren dafür mehr in Anspruch genommen werden können. Ohne
solche Extrabeiträge wäre der L.V. aber zeitweilig nicht imstande, seine
wichtigen Aufgaben zweckmäßig und energisch genug durchzuführen.
Damit würde aber seine Existenz in Frage gestellt, und demzufolge
wieder wären wir in Gefahr, jene für unsern „Lebensunterhalt“ so wich-
tigen Anrechte zu verlieren. |
Noch aus einem andern Grunde dürfte obige Zeitungsnotiz inter-
essant sein. Viele unserer Kollegen, die den Fragen des Wirtschafts-
lebens, der sozialen Lage der verschiedenen Schichten ferner stehen,
haben keine Ahnung, welche beträchtlichen Summen die gewerk-
schaftlich organisierte Arbeiterschaft für ihre Verbände auf-
bringt, beträchtlich vor allem im Verhältnis zu dem Jahreseinkommen
des Einzelnen. Hier ist zum Beispiel als Jahresbeitrag die Summe von
52 M genannt. Es gibt aber bekanntlich Berufe, die viel höhere Jahres-
beiträge aufbringen. Wie geringfügig erscheint demgegenüber der Betrag
von 20 M, den wir Aerzte für unsere Organisation zahlen! Und wie
viele gibt es, die nicht einmal zu diesem geringen Beitrage bereit sind,
weil sie sich nicht sofort einen greifbaren Nutzen für sich selbst davon
versprechen, die unserer Organisation nicht beitreten, weil sie selbst In
einer gesicherten Position sich befinden, vielleicht auch nicht Gelegenheit
hatten, die Miseren des ärztlichen Berufes bei andern kennen zu lernen.
—
1. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35. 1449
Es wäre nicht nur lehrreich, sondern auch ein wichtiges Agitgtions-
mittel, wenn uns der L. V. einmal eine Tabelle zugängig machte, in der
für sämtliche Arbeitergewerkschaften neben dem durchschnittlichen
Jahresarbeitsverdienste der Gewerkschaftsbeitrag verzeichnet
ist. Wir glauben, daß solche Tabelle manchem Kollegen doch die Augen
öffnen würde, so daß wir ihn dadurch für unsere wichtigen Standes-
aufgaben gewinnen könnten. Jedes neue Agitationsmittel ist ja wichtig
für uns! Denn ging es auch namentlich im letzten Jahr in vielen Be-
ziehungen erfreulich vorwärts mit der ÖOrganisierung der deutschen
Aerzte beziehungsweise den Arbeiten des L.V. zum Wohle der
Aerzteschaft: noch sind wir nicht am Ziele, noch stehen uns schwere
Aufgaben bevor, und es gilt, auch die letzten Säumigen zu unsern
Fahnen zu rufen! Lassen wir uns dabei die Gewerkschaften der Arbeiter
als leuchtendes Beispiel dienen.
Dr. Erhard Söchting (Berlin-Wilmersdorf).
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
| Versicherungsmedizin.
Reichsgerichtsentscheidungen betreffend die Ausübung der
Heilkunde durch approbierte Aerzte.
StrPO. 377. Beweis über Unzurechnungsfähigkeit durch
sachverständige Zeugen. Der Antrag des Verteidigers, von ihm be-
nannte Aerzte als sachverständige Zeugen darüber zu vernehmen, daß der
Angeklagte zur Zeit der Behandlung durch diese Aerzte unzurechnungs-
fähig gewesen sei, womit erkennbar behauptet wurde, daß er zur Zeit der
Begehung der Tat unzurechnungsfähig gewesen sei, durfte nicht mit der
Begründung abgelehnt werden, daß der in der Hauptverhandlung ver-
nommene Sachverständige erklärt habe, daß er auch bei Befragung der
Aerzte zu keinem andern Ergebnis kommen würde. Pflicht des Gerichts
war e8, sich selbst ein Urteil über die Erbeblichkeit des beantragten Be-
weises zu bilden. Konnte dies infolge der besonderen Beschaffenheit des
Antrags als eines solchen auf Vernehmung sachverständiger Zeugen (über
Tatsachen und Zustände, welche die Aerzte bei der Behandlung des An-
geklagten wabrgenommen hatten) ohne Erhebung des Beweises nicht ge-
schehen, so war eine solche nicht zu umgehen. RGSt. Bd. 29, S. 152
steht nicht entgegen, weil dort vom Gericht auf Grund des Ergebnisses
der Hauptverhandlung selbständig geprüft und entschieden war, ob die
weitere Beweiserhebung zu veranlassen war. RG. IV. 16. 5. 11. Recht
15, Nr. 2411. REINER S.
Aerztliche Tagesfragen.
Die Pockenepidemie in Frankfurt a. M.
Diese bereits seit längerer Zeit in der Tagespresse zum Gegen-
stand eingehender Erörterungen gemachte Angelegenheit dürfte nicht
allein aus hygienischen Gründen weitere ärztliche Kreise interessieren.
Die Pockenepidemie in Frankfurt a. M. gewinnt vielmehr dadurch an Be-
deutung, daß ein praktischer Arzt und Impfgegner es ist, dessen
Verhalten die Seuche zu einer Ausbreitung verholfen hat, die sie unter
andern Verhältnissen nie erreicht haben würde. Es griff nunmehr auch
der Staatsanwalt ein und eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen den
als Impfgegner bekannten Dr. Spohr auf Grund dessen derselbe wegen
Fahrlässigkeit in Ausübung seines Berufes zu einer Geldstrafe von M 100
verurteilt wurde.
Nach den vorliegenden Berichten, insbesondere der „Frankfurter“
und „Köln. Ztg.“, gestaltete sich bisher der Sachverhalt wie folgt:
~ Der durch seine Bekämpfung des Impfzwanges in der Oeffentlich-
keit seit langem bekannte Dr. med. Spohr in Frankfurt a. M. kam
in die Lage, eine aus Rußland zugereiste Dame an schwarzen Pocken zu
behandeln und dabei selbst blatternkrank zu werden.
Dr. Spohr verletzte das Reichsseuchengesetz, indem er von der
Erkrankung seiner Patientin, wie schließlich von seiner eigenen Erkran-
kung der Gesundheitspolizei sowie dem Kreisarzt keine Anzeige
machte und dadurch verbinderte, daß die vorgeschriebenen umfassenden
Schutzvorschriften zur Vermeidung einer Weiterverbreitung der Seuche
in Anwendung kommen konnten. So gelang es Dr. Spohr auch, etwa
sechs Wochen lang bis zu seiner eigenen Genesung von der im übrigen
recht schweren Pockenerkrankung die Sache zu verheimlichen. Während
dieser Zeit schaffte er sogar seine Kinder mit der Eisenbahn nach Gießen,
bedrohte also auch dadurch die Gesundheit der Reisenden und Bedienste-
ten, ‚Dr. Spohr, der die ersten Erkrankungen (die Verwandten der
Russin, die er behandelte) als Wasserblattern angesehen und deshalb
nicht zur Anzeige gebracht haben will, war sich aber bei seiner eignen
Krankheit vollauf bewußt, um was es sich handelte, denn er schreibt
Jetzt in einem Flugblatt, das er für seine Freunde und Patienten verfaßt
hat, unter anderm folgendes: „Da ich aus guten Gründen keine Lust
hatte, mich ins Krankenhaus stecken zu lassen, so ließ ich auch diesen
Fall (seiner eigenen Erkrankung) nicht anzeigen. Wohl aber traf ich
alle Maßregeln, um einer Weiterverbreitung der Krankheit vorzubeugen.
Ich sandte meine Kinder zu Verwandten und isolierte mich vollkommen
mit meiner mich pflegenden Frau. Nur Herr Dr. Bachem hat mich im
Mai einige Male besucht und sich stets danach gründlich desinfiziert.“
Daß Spohrs Schutzmaßregeln tatsächlich unwirksam waren, geht
aus der Art der Krankheitsverbeitung hervor. Gleichzeitig zeigt sich
hierbei auch, welche Bedeutung der Pockenimpfung beizumessen
ist. Nach einer Zusammenstellung der Krankheitsfälle handelt es sich
— abgesehen von der Russin und den beiden durch sie angesteckten
Damen, die Dr. Spohr behandelt hat — um sieben weitere Erkrankun-
gen. Fall 1 davon betrifft den Dr. Spohr selbst und die Fälle 2 bis 7
sind bis auf einen offenbar in Verbindung mit Dr. Spohr zu bringen.
Die Fälle 2 bis 7 sind sämtlich im städtischen Krankenhaus behandelt
worden, da inzwischen wider Willen des Dr. Spohr die Behörde Kennt-
nis von den Erkrankungen erhielt. Es konnte hierdurch größeres Unheil
verhütet werden, das bei weiterer Verbeimlichung dem ganzen Stadt-
viertel drohte. Inwieweit der Impfschutz wirkte, geht aus folgenden
Feststellungen hervor: vom Hausstand Dr. Spohrs war außer dem Haus-
haltungsvorstand nur eine Person erkrankt, nämlich das vierjährige Kind
des Arztes. Spohr gibt zwar an, das Kind vor drei Jahren mit Erfolg
geimpft zu haben, Impfnarben sind jedoch nicht nachweisbar und nach
Aussage der Mutter soll die damalige Impfung auch nur geringen Erfolg
gehabt haben. Die Frau, die drei übrigen Kinder und das Dienstmädchen
des Arztes haben sämtlich deutlich sichtbare Impfnarben, sie alle sind
von den Pocken verschont geblieben. Bei den Erkrankten konnte ferner
eine deutliche Wirkung der Impfung, soweit diese nicht zu lange (di
und 38 Jahre) zurücklag, durch die Art des Krankheitsverlaufs beob-
achtet werden. Die 55 Jahre alte Dame, die an den Pocken gestorben
ist, besaß keine Impfnarben, sie soll jedoch 1869, also vor 43 Jahren,
mit unbekanntem Erfolg geimpft worden sein. Ein Impfschutz ist
nach so langer Zeit erfahrungsgemäß nicht mehr vorhanden. Von
der Krankheit völlig verschont sind die Aerzte und das Pflegepersonal
geblieben, die mit der Behandlung der im städtischen Krankenhaus unter-
- gebrachten Patienten zu tan hatten, ferner diejenigen, die bei der Sektion
der an Pocken verstorbenen Dame (Fall 7) beteiligt waren. Diese standen
sämtlich unter Impfschutz. Durch eine Neuimpfung der Personen, die
vorher mit den Erkrankten in Berührung gekommen waren, gelang es
noch, der drohenden Epidemie vorzubeugen.
So gelangte auch bereits am 10. Juli, das heißt etwa zwei Monate
nach Ausbruch der Epidemie, der letzte der sieben Pockenfälle
zur Kenntnis der Behörde.
Nicht mit Unrecht schließt die „Frankfurter Aerzte-Correspondenz“ !),
das offizielle Organ des Frankfurter Aerztlichen Vereins, ihre Betrach-
tungen zu dem Falle Spohr dahin ab, daß bei seiner Beurteilung das
moralisch ethische Problem nicht übersehen werden dürfe. Bleibt
es doch die ernste Pflicht gerade der Aerzte, mehr wie jedes andern
Berufs, bei gemeingefährlichen Krankheiten die bestehenden gesetzlichen
Vorschriften zur Verhütung der Weiterverbreitung zu erfüllen. Wer
dieser Pflicht nicht nachkommt, der heilt nicht seine Mit-
menschen, sondern bringt sie in Krankheit und Gefahr. Durch
ihre Handlungsweise haben Dr. Spohr und nicht minder Dr. Bachem
die lockeren Fäden, die sie dem Titel und Beruf nach noch mit der
übrigen Aerzteschaft verbanden, durchschnitten. Muß schon die Ver-
letzung ärztlicher und gesetzlicher Pflicht allgemeine Mißbilligung und
Verurteilung hervorrufen, so tut es nicht weniger die Art und Weise,
mit der Herr Dr. Spohr seine Unterlassungen zu entschuldigen sucht.
Es seien hier abschließend noch die kurzen statistischen Angaben
wiedergegeben, welche der soeben erschienene Bericht über das Gesundheits
wesen des Preußischen Staats im Jahre 19102) enthält. Hiernach kamen
1910 in 68 preußischen Kreisen 168 Pockenerkrankungen zur Beobachtung
mit 24 oder 14,3°/, Todesfällen. Von den in den letzten zehn Jahren
vor ihrer Erkrankung geimpften 60 Personen starben fünf, von denen
jedoch vier erst im Inkubationsstadium der Krankheit geimpft waren, so-
daß also eigentlich nur ein Fall übrig bleibt, bei dem der Impfschutz ver-
sagte. Von 26 ungeimpften Kranken starben jedoch zehn. Die
von uns seinerzeit eingehend gewürdigte Schrift des Ministerialdirektors
Professor Martin Kirchner „Schutzpockenimpfung und Impfgesetz“ 3)
verbreitet sich des nähern über die Ursachen: Abwehrmaßregeln der all-
jährlich sporadisch in Preußen auftretenden Pockenerkrankungen, sodaß
auch an dieser Stelle auf die dortselbst enthaltenen Ausführungen ver-
wiesen werden muĝ. Fr.
1) 1912, Nr. 7.
3) Veröff. Ges. A. 1912, Nr. 83.
3) Verlag von Rich. Schoetz, Berlin 1911.
1450 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 35.
1. September.
x FH me GGG nn mn mn mn nn nn
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mittellungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Der in weitesten wissenschaftlichen ärztlichen Kreisen
geschätzte Kinderarzt Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Otto Heubner hier-
selbst, begeht am 21. Januar nächsten Jahres sein siebzigstes Lebens-
Jahr und beabsichtigt im Anschluß an diese Feier mit Ende des Winter-
semesters vom Lehramte zurückzutreten. Heubner habilitierte sich
1868 in Leipzig für innere Medizin, wurde 1873 außerordentlicher Pro-
fessor, um dann dortselbst bis 1879 die Leitung der medizinischen Distrikts-
poliklinik zu führen. Diese Tätigkeit führte H. zu einer eingehenden
Beschäftigung gerade mit den Kinderkrankheiten, sodaß ihn alsbald ein
Ruf nach Prag als Professor der Kinderheilkunde erreichte. H. lehnte
diesen jedoch ab und begründete in Leipzig ein Kinderkrankenhaus nebst
Klinik, woraufhin ihm anschließend 1891 die in Leipzig neu errichtete
Professur für Kinderkrankheiten übertragen wurde. 1894 folgte er einem
Ruf als Nachfolger von Eduard Henoch nach Berlin und wurde hier-
selbst im Dezember desselben Jahres zum ordentlichen Professor für
Kinderheilkunde ernannt. Die Zahl der größeren Werke und Einzel-
arbeiten H.s ist eine übergroße. Sie wurde noch im laufenden Jahre
vermehrt durch einen wertvollen Band gesammelter Reden und Ab-
handlungen aus dem Gebiete der Kinderheilkunde!), welcher die bisher
nur verstreut vorhandenen und damit schwer erhältlichen Aufsätze in
glücklicher Weise vereinigte. Wie wir noch mitteilen können, gedenkt
Herr Geheimrat H., welcher sich bester Frische und Gesundheit erfreut,
nach dem Ausscheiden aus seinen beruflichen Verpflichtungen, sich vor
allem einer ihn neben seinem Spezialfach in hohem Maße interessierenden
Beschäftigung, der Pflege der Musik, hinzugeben. Fr.
— Der Gepflogenheit der Medizinischen Fachpresse folgend, über jede
Bebandlungsmethode des Krebses, der nicht ohne weiteres der Stempel
der Wertlosigkeit aufgedrückt ist, möglichst bald zu berichten, lenken
wir die Aufmerksamkeit der Leser auf eine soeben in der M. med. Woch.
Nr. 34 veröffentlichte Arbeit hin, die einiges Aufsehen erregen dürfte.
Hier gibt unter dem Titel „Behandlung und Heilung von Krebs-
kranken durch innerlich und äußerlich angewandte medi-
kamentöse Mittel“ Adolf Zeller in Weilheim a. d. Teck ein Ver-
fahren bekannt, das in der Kombination der &ußerlichen Anwendung
von „Cinnabarsana“, einer Arsenikpaste aus Arsenik und Zinnober, mit
dem innerlichen Gebrauche von „Nacasilicum“, einem Siliciumpulver, |
besteht. Also wieder Chemotherapie statt Serumtherapie! Kein Ge-
ringerer als Vincenz Czerny hat diesem Artikel einige Geleitworte
mit auf den Weg gegeben, worin er die mit den einfachsten Mitteln unter
den primitiven Verhältnissen der Landpraxis ohne operative Eingriffe
erzielten Resultate Zellers im höchsten Grade beachtenswert findet
und namentlich die praktischen Aerzte zur Nachahmung auffordert. Beide
Mittel sind nicht neu, aber mehr oder weniger in Vergessenheit geraten.
Den Löwenanteil schreibt übrigens Czerny der Arsenikpaste zu, worin
er wohl Recht behalten dürfte. Meist kamen oberflächliche Hautkrebse
zur Behandlung; aber auch einige Lippen- und Brustdrüsencarecinome
waren darunter. Die hier empfohlene Methode wird man nachprüfen
müssen, wobei natürlich auf Grund der namentlich bei der Behandlung
des Krebses gewonnenen Erfahrungen die denkbar größte Skepsis er-
forderlich ist. — F. Br.
— Die Mehrzahl der Teilnehmer der diesjährigen
ärztlichen Studienreise nach Amerika wird an dem XV. Inter-
nationalen Kongresse für Hygiene und Demographie, der vom 23. bis
28. September in Washington tagt, teilnehmen.
— Die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene
erläßt ein Preisausschreiben mit der Ueberschrift: Bringt materi-
elles und soziales Aufsteigen den Familien Gefahren in
rassenhygienischer Beziehung? Es soll bei der Bearbeitung ins-
besondere darauf Rücksicht genommen werden, daß nach den vorliegenden
Erfahrungen in den wohlhabenden gebildeten Schichten der Städte, wie
bei den bessergestellten Klassen der Arbeiterschaft sich ein starkes `
Sinken der Geburtsziffer bemerkbar macht und damit zu massenhaftem
Erlöschen tüchtiger Familien, wie zur Ausschaltung wertvoller Erbanlagen
aus dem Leben unserer Rasse führt. Umfang und Ursache dieser Er-
scheinung zu erforschen und die Bedingungen festzustellen, die unbewußt
die Fruchtbarkeit und Qualität der Familien beeinflussen, bleibt den Ver-
fassern anheimgestellt, desgleichen, ob sie von physikalischen, genealo-
gischen, statistischen oder sonstwelchen Gesichtspunkten an die Frage
herantreten. Als Preisrichter fungieren Prof. Dr. von Gruber, Prof.
Martius, Dr. Ploetz und der Vorstand der Berliner Gesellschaft für
Rassenhygiene. Für die zwei besten Arbeiten sind Preise von 200 M
und 400 M ausgesetzt, die eventuell in einen zusammengelegt werden.
Nähere Auskunft erteilt der Schriftführer Dr. A. Korff-Petersen,
Charlottenburg, Marchstraße 15. N
Kiel. Der zurzeit in Frankfurt a. M. im Ruhestande lebende
Geh. Med.-Rat Prof. Heinrich Quincke, früher Internist der Uni-
versität Kiel begeht am 26 August seinen 70. Geburtstag. Q. hatte sich
1870 in Berlin für innere Medizin habilitiert und siedelte alsdann drei
Jahre später als Professor der inneren Medizin nach Bern über, von wo
1) Vgl. hierzu „Vom Arzte und Patienten“ dieses Heftes.
er 1878 als Ordinarius der Medizinischen Klinik nach Kiel kam. Von
ihm stammen eine große Reihe wissenschaftlicher Schriften, von denen
vor allem die Krankheiten der Gefäße in Ziemsens Handbuch (1877),
die Krankheiten der Leber in Notnagels Handbuch (1899) genannt seien.
Nürnberg. Am 8. August verstarb auf seiner Erholungsreise in
Berchtesgaden einem weiten Kreise Bayerns wohlbekaunter Nürnberger
Arzt Dr. Joseph Neuberger. Die Sektion Mittelfranken des Leipziger
Verbandes und die Aerzte Nürnbergs haber damit einen schweren Ver-
lust erlitten. So stellte sich N. vor zwölf Jahren als einer der ersten
in Bayern an die Spitze der mit dem Leipziger Verbande neuaufkom-
menden Bewegung, der er sich auch späterhin mit allen Kräften widmete.
Zürich. Der Internationale Verein für medizinische Psy-
chologie und Psychotherapie wird am 8. und 9. September in Zürich
tagen. Referate: 1. Das Unbewußte. 2. Die Theorien der sensiblen Leitung.
3. Methoden und Grenzen der vergleichenden Psychologie. 4. Psycho-
pathologie der Angst. Auskunft durch Dr. Hans von Hattingberg
(Riederau a. Ammersee). _—_—
Deutsch-Ostafrika. Während der Pestbekämpfung am
Kilimandjaro, die Oberarzt Dr. Lurz aus Daressalam leitete,
wurden in der Zeit vom 8. April bis 5. Juni 1912 nicht weniger als
30 664 Ratten und Mäuse vernichtet; bei einer nochmaligen Durchsuchung
des Pestgebiets am 3., 4. und 5. Juni wurde daher von 300 Ratten-
fängern nur eine Ratte gefangen. In Gasseni erkrankten und starben
55 Eingeborene an Lungenpest und drei an Bubonenpest. In Usseri kwa
Demassi starben elf Eingeborene an Lungenpest. Von den gefangenen
30664 Ratten wurden 6777 untersucht; pestkrank waren 29 Ratten.
Nach den Feststellungen ist es wahrscheinlich, daß schon seit längerer
Zeit Rattenpest in Gasseni herrschte und daß Mitte März in Gasseni
die ersten Menschen erkrankten. Die weitere Verbreitung der Menschen-
a die een als Lungenpest auftrat, geschah dann von Mensch
zu Mensch. —
Australien. Die Australian Natives Association beabsichtigt, im
nächsten Jahre anläßlich der Jahresfeier ihrer Gründung in Melbourne
eine Australische Hygieneausstellung nach dem Muster der vor-
jährigen in Dresden zu veranstalten. Wie die „Ständige Ausstellungs-
kommission für die Deutsche Industrie“ mitteilt, soll die Ausstellung in
der Hauptsache aus den Abteilungen: Geschichte der Hygiene, Nahrungs-
mittel, Wohnungs- und Stadtpläne, Tropenkrankheiten, Krankenpflege und
Krankenhäuser, Bekleidung, Ansteckende und besondere Krankheiten und
Physische Hygiene bestehen. — ———
Hochschulnachrichten. Berlin: Priv.-Doz. Dr. Friedrich
Meyer (Innere Medizin) der Professortitel. — Freiburg i. B.: Dr. med.
et jur. H. C. Franz Keibel der Titel o. Honorarprofessor. — Göt-
tingen: Priv.-Doz. Dr. Creite (Chirurgie) zum Professor a. o. — Greifs-
wald: Priv.-Doz. Dr. Adolf Hoffmann (Chirurgie) der Professortitel. —
Königsberg i. Pr.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schreiber (Innere Me-
dizin) zum o. Honorarprofessor. — Marburg: Zum Nachfolger des ver-
storbenen ersten Prosektors Prof. Dr. Disse wurde Dr. Ernst Göppert
aus Heidelberg berufen. — München: Priv -Doz. Dr. Jussuf Ibrahim
(Kinderheilkunde), Dr. Ernst Heilner (Physiologie), Dr. Wilhelm
Lohmann (Augenheilkunde), Dr. Walter Brasch (Innere Medizin) der
Titel Professor. — Dr. Werner Hueck (Pathologische Anatomie)
'habilitiert. — Geh.-Rat Prof. Heß aus Würzburg wurde als Nach-
folger von Prof. Ebersbusch auf den Lehrstuhl für Augenheil-
kunde berufen. — Würzburg: Priv.-Doz. Dr. Ackermann (Phy-
siologie) und W. Lubosch (Anatomie) zum Professor a. o.. Priv.-Doz.
Eugen Fischer (Anatomie) und Karl Mayer (Innere Medizin) auf
Wunsch ihres Amtes enthoben. — Budapest: L. Bakay (Chirurgie),
J. Gußmann (Dermatologie), J. Elischer und J. Tornai (Innere Me-
dizin), Th. Wenczel (Gynäkologie), H. Salomon (Zahnheilkunde) habi-
litiert. — Wien: Habilitiert: Dr. Karl Meixner für gerichtliche Medizin,
Dr. Viktor Mucha für Dermatologie und Syphilis, Primarius J. Berze
(Psychiatrie). — Prag: Prof. a. o. F. Hnatek (Innere Medizin) zum
o. Professor. — Bern: Dr. Getzow (Pathologischo Anatomie) habilitiert.
Von Aerzten und Patienten.
.» ., Noch heute hört man trefflichste Praktiker mit Emphase
sich dahin äußern, man solle sich doch nicht so gebärden, als sei den
Aerzten erst mit der Errichtung der Säuglingsheime die Kenntnis der
Säuglingspathologie aufgegangen und als seien die alten Aerzte in dieser
Hinsicht lauter Ignoranten gewesen.
Ganz gewiß, kein Zweifel: Kluge Aerzte mit gesundem Menschen-
verstande haben von jeher auch das jüngste Lebensalter zu behandeln
gewußt, wenn sie ihm ihr besonderes Interesse aus Neigung oder Zwaug
zuwandten — aber das schafft die Tatsache nicht aus der Welt, daß die
Umwandlung verständiger Empirie in wissenschaftlich begründete An-
schauung und darauf fußendes praktisches Handeln in jedem Einzelfalle
sich wirklich erst im Laufe der letzten Jahrzehnte vollzogen hat. .. - -
O. Heubner, Reden und Abhandlungen aus dem Gebiete der Kinder-
heilkunde, Leipzig 1912, Verlag von Johann Ambrosius Barth.
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nammer vorkommender Fachausdriücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker,., Berlin W 8,
Nr. 36 (405). 8. September 1912. VII. Jahrgang.
edizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
I Verlag von |
EESTENBORE Dry Murt BEANEERDUEE Urban & Schwarzenberg
| Bern Berlin
Inhalt: Originalarbeitens v. Franqu6, Ueber seltenere Ursachen von Schwangerschaftsblutungen. (Mit 2 Abbildungen) O. Bondy, Ueber
Schmerzlinderung und Schmerzverhütung in Geburtshilfe und Gynäkologie. Raecke, Ueber Schwangerschaftspsychosen mit besonderer Berück-
sichtigung der Indikation zum künstlichen Abort. L. DrozyAski, Ueber postmortale Herzcontractionen beim Menschen. (Schluß) O. Hoehne,
Zur operativen Behandlung der puerperalen Pyämie. J. Löwy, Ueber Polycythaemia rubra., R. Werner und St. Szécsi, Neuere Publikationen
zur Chemotherapie der malignen Geschwülste. E. Portner, Prostatahypertrophie. (Mit 7 Abbildungen.) — Referate: A. Wettstein, Neuere
Methoden der lokalen Anästhesie und der allgemeinen Narkose K. Singer, Neuere Tabesarbeiten. — Diagnostische und therapeutische Einzel-
referate: „Tätowierung und Syphilis.“ Mesb6 zur Behandlung der Tuberkulose. Pruritus valvae. Therapie schmerzhafter Nachwehen. Todesfall .
nach Salvarsan. Zwei Todesfälle nach Salvarsan. Lokale Hautgangrän nach subcutaner Luminalinjektion. „Noviform*. — Bücherbesprechungen:
Georg Buchner, Angewandte Ionenlehre für Studierende, Chemiker, Biologen, Aerzte und Andere. Emil Abderhalden, Schutzfermente des
tierischen Organismus. F. Dessauer und B. Wiesner, Leitfaden des Röntgenverfahrens. P.G. Heinemann, A laboratory guide in Bacteriology.
— Vereins- und Auswärtige Berichte: Kassel. Fraukfurt a. M. Halle a. S. Kiel. Marburg. München. Rostock. Straßburg i. Els. Wien. Berlin.
— Reisebriefe: Liek, Studienreise eines dentschen Chirurgen nach den Vereinigten Staaten. — Aerztliche Tagesfragen: Der 6. Internationale
Kongreß für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin vom 9. bis 13. September 1912. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Coitus wochenlang vorher stattgefunden hat; denn wenn das
Ä | p | Sperma innerhalb der Genitalien des menschlichen Weibes
Ueber seltenere Ursachen von Schwangerschafis- | „uch nicht monatelang befruchtungsfähig bleibt, wie z. B. bei
blutungen') ‚den winterschlafenden Fledermäusen!), bei denen Begattung
von und "Befruchtung durch diesen Zeitraum getrennt ist, so
Prof. Dr. v. Frangu6. können sie sich doch zweifellos wochenlang in der Tube be-
M. H.! Wenn ich als Thema meines Vortrags „seltenere“
|
fruchtungstähig halten, wo sie auch durch eine dazwischen-
tretende Menstruation nicht gestört werden, da an dieser
Ursachen von Schwangerschaftsblutungen genannt habe, so
wollte ich damit nicht Dinge vor Ihnen erörtern, die als
die normale Tube nicht teilnimmt. Selbst im Scheiden-
gewölbe, einem für ihre Erhaltung sehr viel ungünstigeren
Raritäten ersten Ranges mehr wissenschaftliches, als prak- | Aufenthaltsorte, hat sie Bossi?) noch 17 Tage nach der
tisches Interesse haben, sondern ich wollte nur die alltäg- | letzten Cohabitation lebend gefunden.
lichsten Ereignisse, den gewöhnlichen Abortus und die Pla-
centa praevia ausschließen, um mich einigen nicht ganz so
Doch nehmen wir an, daß in einem solchen zweifel-
; haften Falle wirklich die Schwangerschaft zur Zeit der Blu-
landläufigen Dingen widmen zu können, die aber doch jedem
von Ihnen ein oder das andere Mal schon begegnet sind
tung schon bestanden hat, so muß zuerst gesagt werden,
daß im Einzelfalle nachträglich von niemandem, auch von
oder noch begegnen werden.
Zunächst ist hier die Frage zu beantworten, ob
der betreffenden Frau selbst nicht, wird entschieden werden
| : : können, ob es sich nicht um eine oder auch um eine wieder-
Schwangerschaft bestehen kann, trotzdem die Frau ihre
Periode in ganz unveränderter Weise hat. Diese Frage
holte pathologische Blutung bei schon bestehender
kann gerichtsärztliche Bedeutung gewinnen. Ich hatte vor
Schwangerschaft gehandelt hat; und schließlich kann — und
i das interessiert uns hier am meisten — tatsächlich bei sonst
kurzem ein diesbezügliches Gutachten abzugeben; eine Person,
die am 7. Mai 1910 geboren hatte, hatte am 15. und am
ganz normaler Schwangerschaft, die auch während derselben
eintretende periodische aktive Hyperämie der Genitalien ge-
17. Juli 1909 mit zwei Männern hintereinander verkehrt, vom | jegentlich zu einem mehrtägigen Blutaustritt aus den zarten
19. Juli ab die Periode acht Tage lang stark gehabt, nach- Blutgefäßen der Decidua führen, also eine der gewöhnlichen
her nur noch mit dem einen ihrer beiden Verehrer cohabi- | Periode gleichwertige Blutung hervorrufen; viele Frauen
tiert; sie behauptete, es sei unmöglich, daß das Kind von
dem andern herrühre, da sie mit ihm nur vor dieser Pe-
haben ja in den ersten Monaten der Schwangerschaft zur
riode verkehrt hätte. Natürlich mußte diese Beweisführung
Zeit, in der sonst bei ihnen die Periode einzutreten pflegte,
Ä I ohne Blutung dieselben Empfindungen, wie sonst bei der
abgelehnt werden, wie in allen ähnlichen, ziemlich häufigen
Fällen. Ganz nebenbei gesagt kann bei einer nur ein-
Periode, und zwar mitunter so stark, daß sie selbst für die
la ii Schwangerschaft zu fürchten beginnen und deshalb zum
maligen Blutung im Anfang der fraglichen Gravidität diese,
das heißt die Vereinigung von Sperma und Ovulum erst
Arzte kommen, ein Beweis dafür, daß die periodische Blut-
welle zu den Genitalien auch in der Schwangerschaft nicht
nach der Blutung begonnen haben, obwohl der befruchtende | ———
1) Fortbildungsvortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu Bonn
1) Bonnet, Entwicklungsgeschichte, S. 39. Berlin 1912.
am 31. Mai 1912.
2) J. de méd. et d. chir. prat. 1901, 10. Juli. Zitiert nach Ker-
manner, Dittrichs Handbuch Bd. 6,. S. 186.
S re Sale a a a e. a a a a le a in a a Ser De A e an gl we
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1452 u 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
ganz aussetzt. Wir ziehen daraus auch die praktischen
Konsequenzen, indem wir diesen Frauen oder solchen, die
schon einmal abortiert haben, den Rat geben, während dieser
Tage Bettruhe innezuhalten, damit nicht irgendwelche zu-
fällige weitere Steigerung der aktiven Hyperämie zur Unter-
brechung der Schwangerschaft führe.
Es liegt also kein Grund vor, die in der Literatur von
glaubwürdigen Autoren niedergelegten Berichte von bis in
die Mitte der Schwangerschaft ohne weitere Störung einge-
tretenen periodischen Blutungen zu bezweifeln. Häufig sind
diese Fälle nicht, aber doch kann der Arzt mit gutem Ge-
wissen auf dieselben hinweisen, um gelegentlich eine über-
ängstliche junge Mutter bei geringem Blutabgang in der
Schwangerschaft zu beruhigen. Dauern die periodischen
Blutabgänge bis zum Ende der Schwangerschaft an, oder
handelt es sich um nicht periodische, sondern ganz unregel-
mäßige oder längere Zeit andauernde, geringe Blutabgänge,
so liegen freilich wohl immer pathologisch-anatomische Ver-
änderungen im Uterus vor; aber: diese brauchen nicht das
Ei selbst und die Placenta zu betreffen, sondern können auch
der Decidua vera allein lokalisiert sein, und.so kommt es,
daß trotz andauernder Blutung in der Schwangerschaft ein
vollständig ausgetragenes und wohl entwickeltes lebendes
‚Kind geboren werden kann, wie ich dies mehrfach beob-
‚achten konnte. Es handelt sich dabei um. starke Wuche-
rungen der Decidua vera, die bald zu mehr diffusen Ver-.
diekungen. derselben, ‚bald zu umschriebener Höcker- oder
Polypenbildung auf derselben führen. Ich kann Ihnen als
Abb. i. Uterus arcuatus gravidus mit Endometritis decidualis
tuberosa. Präparat der Bonner Frauenklinik.;
schönes Beispiel einer solchen Endometritis deciduae
hyperplastica oder Tuberosa sive polyposa einen schwan-
geren Uterus arcuatus aus der Sammlung der Klinik zeigen,
der diese pathologischen Wucherungszustände der Decidua
sehr schön zeigt. Die Ursache ist meist eine ‚schon vor
der Schwangerschaft, bestehende hyperplastische Endometritis,
die durch die Schwängerschaftshyperämie zu diesen excessiven
Leistungen befähigt wird; in einem von Hofmeier!) ope-
rierten Falle der Würzburger Klinik, dessen Abbildung ich
Ihnen herumgebe, war vielleicht das bestehende Portiocan-
croid -haftbar; es ist verständlich, daß in diesen dicken,
mikroskopisch im wesentlichen aus Deciduazellen und Drüsen
bestehenden Massen auch besonders reichliche, weite und
dünnwandige Blutgefäße sich befinden, die bei jeglicher Stei-
gerung des Blutdrucks leicht zerreißen; da es sich aber
1) Zt. f. Geb. 1896, Bd. 85..
8 September.
meist nur um capillare oder wenigstens sehr kleine Gefäße
handelt, so ist der augenblickliche Blutverlust in der Regel
gering, sodaß weder das Allgemeinbefinden der Schwangeren,
noch die Ernährung der Frucht gestört wird; natürlich kann
es aber auch einmal zu einem stärkeren Bluterguß kommen,
der dann entweder durch Wehenauslösung oder durch direkte
Schädigung der Placentaranlage den Abort herbeiführen
kann. So beobachtete ich einen Fall, in dem zuerst das
ganz frische Ovulum, das selbst ‘nicht pathologisch war, zwei
Tage später durch erneute Wehentätigkeit die polypöse
Deciduawucherung ausgestoßen wurde, welche wohl den
Abort verursacht hatte. Ist einmal der vierte Schwanger-
'schaftsmonat erreicht, so wird- die Gefahr der Schwanger-
schaftsunterbrechung immer geringer und ebenso die Blu-
tungen; denn jetzt liegt das von der Decidua reflexa um-
schlossene Ovulum der Decidua vera ringsum an, wodurch
schon Blutaustritte an der Oberfläche erschwert werden;
weiterhin wird die Decidua durch das viel rascher wachsende
Ei ausgedehnt und verdünnt, wobei die Gefäße komprimiert
werden und zum Teil veröden. Nur bei ausnabmsweiser
‚starker Wucherung halten die Blutungen bis zum Ende der
Schwangerschaft an und nach der Entbindung findet man
mitunter die Quelle derselben in bis fingerdicken und über
handtellergroßen, noch immer sehr blutgefäßreichen Lappeu
der Decidua vera, welche entweder den kindlichen Eihäuten
anhaften. oder auch oft.nachträglich, manchmal . unter be-
trächtlichen Blutungen erst im Wochenbette für: sich aus-
gestoßen werden, gelegentlich sogar zu einer Ausräumung
des puerperalen Uterus zwingen.
~ In der Schwangerschaft wird man diese Form der
Endometritis deciduae kaum sicher Wiagnostizieren Köhlien;
vermuten kann man sie, wenn eben die Blutabgänge an-
dauernd, aber nur gering sind und die Fortentwicklung der
Schwangerschaft nicht stören, und wenn sich andere Ur-
sachen der Blutung, nach denen der Arzt natürlich fahnden
muß, durch die Untersuchung, besonders die genaue: In-
spektion der Portio, ausschließen lassen. Da auch die Mütter
wegen der Geringfügigkeit des Blutabgangs nicht ernstlich
leiden, wird man keinen Anlaß haben, die Schwangerschaft
wegen desselben zu- unterbrechen. Denn das dürfen wir Ja
nur dann tun, wenn durch die Andauer der Schwanger-
schaft Leben und Gesundheit der Mutter ernstlich bedroht
werden. Man wird sich also auf die Anordnung von Bett-
ruhe, bis die Blutungen längere Zeit aufgehört haben, ‘und
Vermeidung aller blutdrucksteigernden Dinge beschränken
müssen. Da in einigen Fällen Lues ätiologisch beschuldigt
wurde — in den von mir selbst beobachteten Fällen traf
dies übrigens nicht zu —, kann man Jodeisenpillen oder
Jodkali verordnen, das nach Lomers!) Angaben übrigens
auch bei Abwesenheit von Lues günstig. wirken soll. Auch
einen Versuch mit der subcutanen Anwendung steriler Gela-
tine, um die Gerinnungsfähigkeit des Bluts zu erhöhen,
würde ich für gerechtfertigt halten. Die den Müttern auf-
zuerlegende, gelegentlich monatelange Geduldsprobe wird
hier nicht selten durch die Geburt eines lebenden und ge-
sanden Kindes am Ende der Schwangerschaft belohnt. -
Anders liegt die Sache bei einer weiteren Form der
Schwangerschaftsstörung, bei der ebenfalls ‚die Blutungen
meist nur geringfügig sind, trotzdem aber die Schwanger-
schaft und das Kind so gut wie niemals ungeschädigt davon-
kommen. Ich meine die Graviditas exochorialis. Es
kommt gelegentlich schon in der ersten Hälfte der Schwan-
gerschaft, meist im dritten bis fünften Monat zu einer Zer-
reißung der kindlichen Eihäute, deren Ursache im Einzel-
falle nicht immer feststellbar ist. Ein Trauma kann wohl
einmal: dazu führen, meistens liegen aber innere Ursachen,
Ernährungsstörungen der Eihäute, zugrunde, die in letzter
Linie wieder auf eine vorher vorhandene Eindometritis zu-
1) Zt. f. Geb. 1901, Bd. 46, S. 306.
. ‚8:?öeptember.
'rliekzuführen: sind. ‚Das Uebergreifen entzündlicher Herde
. yom Endometrium auf Chorion und Amnion, das ich, aller-
\ dings: an aüsgetragenen -Nachgeburten,. öfter- anatomisch
I | nachweisen- konnte!), führt infolge der ödamatösen Auflocke-
) rung: und rundzelligen Infiltration der Membranen zu einer
| äbnormen Zerreißlichkeit derselben, sodaß sie dem normalen
;
1 Drück des sich mehrenden Fruchtwassers nicht mehr Stand
halten können und. platzen. Der. entstehende Riß scheint
jio meist von vornherein ein ziemlich umfangreicher zu sein,
vielleicht wird er-auch durch den alsbald folgenden Austritt
und die’ Bewegungen der Frucht vergrößert. Der Foetus be-.
findet sich nun außerhalb des Chorions im Cavum uteri selbst,
daher der Name Graviditas exochorialis — ein geschlosse-
ner-Eihautsack besteht überhaupt nicht mehr, die kindlichen
be = = e7”
-7 -———— -e
u wachsen an den Rißrändern -und schrumpfen narbig, sodaß
) erfolgenden Ausstoßung‘ des ganzen Schwangerschafts-
produkts in der Mitte der kindlichen Oberfläche der Placenta
‚als Rest der ehemaligen Eihöhle nur ein napf- oder schüssel-
artiges Gebilde findet; dessen Grund und Ränder die ge-
schrumpften Eihäute bilden; während der größere Teil der
Placenta ringsum von’ kindlichen Eihäuten entblößt als ein
w 1919 — MEDIZINISCHE KLINIK Nr,
Eihäute- retrabieren sich stark, Amnion und Chorion ver-
man bei der in der Regel erst längere Zeit nach der Ruptur
BR:
normale Ende der Schwangerschaft: erreicht; die: Frucht
kann wohl einen bis. drei, ja ausnahmsweise vier Monate:
‚nach der Eihautruptur im Uterus verweilen, aber die dann.
doch vorzeitig, wenn auch lebend ausgestoßenen Früchte
gehen, wie in meinem, so in: der Mehrzahl der übrigen
Fälle an Lebensschwäche zugrunde. Französische: Autoren - |
berichten aber doch über Kinder von 1645, 1250 und
1770 g Gewicht, die zwei, drei und vier Monate näch’ dem
Fruchtwasserabgang geboren und bei äußerst sorgfältiger
Pflege am Leben erhalten wurden. ‘Im: Falle Flecks!) blieb
. das Kind äuch am Leben, es zeigte aber bleibende Contrac-
turen der Streeckmuskulatur und Gelenkankylosen als Folge.
der Raumbeengung in dem wasserleeren "Uterus. Einen
ähnlichen Zustand bot die Frucht im Falle Holzapfels?),
dessen Abbildung ich Ihnen herumgebe. - Die Prognose für
. das Kind ist also bei der exöchorialen Gravidität von vorn-
herein eine sehr ungünstige, :und’ wenn man die Diagnose
auf diesen Zustand mit voller Sicherheit stellen könnte, so
würde man auf die Erhaltung der Schwangerschaft in diesen
Fällen wohl kein allzu großes Gewicht zu legen brauchen.
Da jedoch die Geburt eines lebensfähigen Kindes immerhin
möglich, die Mutter durch den Zustand nicht besonders ge-
fährdet und die Abgrenzung gegen andere Schwangerschafts-
fälle mit Flüssigkeits- und Blutabgang, etwa die natürlich
mögliche Kombination der erst besprochenen Endometritis
deciduae hyperplastica mit der Endometritis deciduae catar-
ETT -schwierig oder unmöglich ist, ist ein aktives Vorgehen zur
a Beschleunigung der Fruchtausstoßung in den meisten Fällen
- doch nicht berechtigt, wenn nicht etwa dürch das immer
mögliche, aber: doch: nicht gerade häufige spontane Empor-
‘wandern von -Scheidenkeimen: in den -ja nicht mehr durch
ii. :die-über:den inneren Muttermund hinziehenden Eihäute ge-
>| schützten Uterus Zersetzungsvorgänge innerhalb. desselben‘
= und Fieber bei der Mutter hervorgerufen wird; dann ist
‚allerdings die möglichst baldige Entleerung des Uterus an-
u gezeigt, da'bei-der raschön. Progredienz infektiöser-Prozesse
‚im schwangeren Uterus das Leben der Mutter ünmittelbar
gefährdet erscheint. Es folgt daraus, daß außer’ Bettruhe,
. peinlichster -Sauberkeit - und desinfizierenden Ausspülungen
der Scheide bei solchen Patientinnen auch regelmäßige
” tige Zeitpunkt dês etwa nötigen Eingreifens nicht: verpaßt
breiter Rand ‚frei zutage liegt. _ Auf den ersten Blick er-
‚ kennen Sie an den herumgegeben®n Abbildungen. sowie an
dem nachher .zu zeigenden Präparat des von mir - selbst
beobachteten Falles, daß in diesem Schüsselchen nicht ein-
mal die ganze Nabelschnur, : geschweige denn ‚eine Frucht
von sechs. bis’ acht Monaten Platz hat, womit der. nachträg-
liche anatomische Beweis erbracht ist, daß die Frucht tat-
sächlich längere Zeit frei in der Uterushöhle, nur von der
Deeidua vera umschlossen, gelegen haben’ und sich “daselbst
fortentwickelt haben muß. “Die klinische Folge der Eihaut-
Zuptur ist der ständige. Abgang von Fruchtwasser, das sogar
‚In vermehrter Menge abgesondert wird, ein Vorgang, welcher:
dem: Krankheitsbild auch.den Namen der „Hydrorrhoea üteri
gravidi : amnialis“ eingetragen hat,- im : Gegensatz - zur
„Hydrorrhoea uteri gravidi decidualis“, bei welcher die - oft;
‚auch.in beträchtlicher Menge abgeschiedene Flüssigkeit däs-
: ‚Produkt endometritisch. gewucherter Drüsen der Decidua vera,
also einfach 'katarrhalischeg ‘Sekret ist. : Der Eihautsack-ist
dabei intakt und, die Schwangerschaft erreicht sehr häufig
ihr normales Ende. ohne. Schädigung der. Frucht; bei. der
exochorialen Gravidität dagegen wird kaum jemals das
"s - à
1) Zt. f. Geb. 1894, Bd. 28,.1897, Bd. 37, .
Abb: 2. Placenta mit schisselföürmigem Rest der Eihöhle bei Graviditas exochorialis.
re . - Eigener Fall. et
-kochtem Mutterrohr unter ganz niedrigem Druck ‚mit einem
‚nicht zu giftigen Mittel ausgeführt werden, etwa Alsol oder
essigsaurer Tonerdd, Kalium hypermanganicum, Wasserstoff-
| superoxyd, Lysol, nicht aber mit Sublimat oder Carbol, da
das Eindringen in’den rasch und viel resorbierenden Uterus
doch nicht ganz- ausgeschlossen ist. - Tr.
Die Blutungen sind, wie erwähnt, eine ganz regel-
mäßige Begleiterscheinung der Hydrorrhoea uteri amnialis3);
sie könnten - hervorgerufen sein durch teilweise: Lösung des
Placentarrandes: infolge der bei dem Fruchtwasserabgang:
doch leicht vorübergehend auftretenden Wehen, oder endlich
auch durch direkte Verletzungen der ungeschützten Decidua
vera durch die sich bewegenden Gliedmaßen ‘des Kindes.
‚Es ist Ihnen wohl bekannt, daß man an.der Innenfläche des
Amnion bei reifen Nachgeburten gelegentlich deutliche Kratz-
effekte nachweisen kann, die .hier an dem gefäßlosen Amnion
nichts schaden, .auf. der zarten Decidua-vera sehr wohl aber-
zu .Zerreißungen der oberflächlichen Blutcapilläaren führen
. können. : Ich 'bin geneigt, den entzündlichen: Verände-
rungen der Uterusschleimhaut die Hauptschuld sowohl
an ;der Zerreißlichkeit der Eihäute, wie auch an den Blutun-
. gen zuzuschreiben; denn. die mikroskopischen Präparate des
1) Fleck (A. f. Gyn. 1902, Bd. 66).
. 2) Hegars Beitr. 1908, Bd. 8 (Literatur): a
3) Eine Ausnahme bildete nur der von Reifferscheid beschrie-
| )
bene Fall (Zbl. f. Gyn. 1901, S. 1143).
‘rhalis oder Hydrorrhoea uteri gravidi decidualis, -oft sehr -
Temperaturmessungen anzuordnen sind, damit der rich-
-wird.: Die Ausspülungen dürfen natürlich nur mit ausge-
1454 | 1912 — MEDIZINISCHE: KLINIK — Nr. 36.
De
gnose der Hydrorrhoea amnialis zu sichern. In der Praxis
wird man auch damit wenig anfangen können und einfach
abwarten müssen, solange Leben und Gesundheit der Mutter
nicht ernstlich bedroht erscheint, sobald dies aber eintritt,
eingreifen. | 2 | 1 Br
Nur Ruth!) will in einem Falle Lanugohärchen in der
schubweise abgegangenen und von der Mutter selbst auf-
gefangenen Flüssigkeit nachgewiesen. haben; doch handelte
es sich gerade hier nicht um Graviditas extrachorialis,
sondern die Frucht verblieb innerhalb des Eihautsacks, der
wahrscheinlich bei einem Abtreibungsversuch verletzt worden
war. Bei intraamnialer Weiterentwicklung ist die Frucht
aber trotz bestehender Hydrorrhöe entschieden weniger ge-
fährdet, die Blutungen noch geringer als bei extrachorialer
Entwicklung, sodaß erst recht abgewartet werden muß.
Das zeigt auch der neueste derartige Fall von Beckmann),
in dem das 1650 g schwere Kind am Leben erhalten wurde.
Im Gegensatz zu den bisherigen Schwangerschafts-
störungen, bei denen also im allgemeinen abwartend zu ver-
fahren ist, ist bei der nunmehr zu besprechenden Blasen-
mole immer sofort einzugreifen, sobald es gelungen ist, die
Diagnose zu stellen; denn hier ist die Mutter immer in ernster
Gefahr, solange sie das Schwangerschaftsprodukt beherbergt,
welches selbst auch nicht mehr zu: normaler Ausreifung ge-
langen kann. Denn die Frucht ist so gut wie immer schon
zugrunde gegangen, wenn der Fall zu unserer Kenntnis ge-
langt. Es gibt zwar Ausnahmen von dieser Regel; ich?)
selbst habe einen Fall beschrieben, in dem. eine lebende
Frucht von 181/, cm gleichzeitig mit einer vom Chorion
laeve ausgehenden Blasenmole geboren wurde, und ein ähn-
liches Präparat kann ich Ihnen hier zeigen. Doch eine
lebende und am Leben bleibende ausgetragene Frucht wurde
zusammen mit einer vollkommen ausgebildeten Blasenmole
nur in verschwindend seltenen Fällen getragen, in denen es.
sich um Zwillingseier handelte, deren eines zur Mole wurde,
während das andere sich normal weiter entwickelte; aber
daß aus einem und demselben Ei gleichzeitig eine nor-
male Frucht und eine Blasenmole sich entwickeln kann, ist
bislang nicht beobachtet und auch sehr unwahrscheinlich.
Ich muß freilich gleich hier einschalten, daß meiner Meinung
nach nicht alles Blasenmole ist, was auf den ersten Blick
wie eine solche aussieht. Man sieht nicht gar so selten. an
längere Zeit retinierten Abortplacenten. kleine bläschenförmige
Gebilde, wie sie Ihnen das herumgereichte Präparat zeigt;
eben solche sieht man bisweilen an ausgetragenen Placenten,
entweder zerstreut im ganzen Gewebe derselben oder auf
1) Zbl. f. Gyn. 1908, Nr. 28. T 0 S5 a
3) Zbl. f. Gyn. 1912, Nr. 23. ehe
3) Zt. f. Geb. 1896, Bd. 34.
8. September:
a Sc
wohl denkbar, wäre aber erst noch zu erweisen; es fehlt
ihnen das für die Blasenmole Charakteristische, und das ist
die Proliferation, die sich bei ausgebildeten Molen makro-
skopisch durch die starke Vergrößerung der gesamten Zotten-
masse, sowie die Verlängerung der einzelnen Zottenstämme
ausdrückt, mikroskopisch in der für die Blasenmole charak-
teristischen starken Wucherung des doppelten Zottenepithels.
—— (Schluß folgt.)
Aus der Universitätsfrauenklinik zu Breslau
(Geheimrat Prof. Dr. O. Küstner).
Ueber Schmerzlinderung und Schmerz-
verhütung in Geburtshilfe und Gynäkologie?)
von
Priv.-Doz. Dr. Oskar Bondy.
M. H.! Der durchgreifende Unterschied zwischen den
beiden Fächern, die unsere Disziplin umfaßt, zwischen der
Geburtshilfe, die die Lehre von einem normalen, physio-
logischen Vorgang im Leben der Frau darstellt, und der
Gynäkologie, der Lehre von den specifischen Krank-
heiten der Frau, zeigt sich auch bei dem Problem der
Schmerzlinderung und Schmerzverhütung, über das ich hier
kurz berichten möchte. Die Anästhesierungsmethoden in
der Gynäkologie, besonders der operativen, decken sich im
großen und ganzen mit den Methoden der Chirurgie und
sind nur durch die besonderen anatomischen Verhältnisse
von diesen zu scheiden. Die Herabsetzung oder Aufhebung
des Schmerzes in der Geburtshilfe dagegen nimmt, soweit
es sich nicht um die Narkose bei einer geburtshilflichen
Operation handelt, eine Sonderstellung ein, gegeben durch
die Forderung, einen physiologischen Schmerz zu be-
seitigen.
Diese Forderung ist wohl uralt, der Wunsch, den
Fluch „in Schmerzen sollst du gebären“ aufzuheben, ist auch
von ärztlicher Seite schon seit Jahrhunderten ausgesprochen
worden. Bekannt ist die vor mehr als 100 Jahren er-
schienene Arbeit des berühmten Geburtshelfers Wiegand:
„Was kann die Kunst tun, um die Schmerzhaftigkeit der
Wehen zu lindern?“ Am 19. Januar 1847 machte Simpson
die erste Aethernarkose an einer Gebärenden, wenige Jahre
später, 1853, ersetzte er bei der Entbindung der Königin
von England den Aether durch Chloroform und führte mit
dieser Chloroformhalbnarkose ein Verfahren ein, das auch
heute unter der Bezeichnung der „Narcose à la reine“ mit
an erster Stelle der Verfahren zur Schmerzlinderung bei
normalen Geburten steht.
Simpson und seine Nachfolger waren in der ersten
Zeit unzähligen Angriffen, vor allem von theologischer Seite,
aber auch von Aerzten ausgesetzt. In Deutschland waren
es E. Martin, Skanzoni, Spiegelberg, die in der Herab-
setzung oder Aufhebung des Wehenschmerzes einen bedeut-
samen Fortschritt sahen. Aber die weiteren Erfahrungen
haben gelehrt, daß eine wirkliche Narkose, sei es mit Aether
und Chloroform; sei es mit einem der zahlreichen andern
Betäubungsmittel, wie Brom- oder Chloräthyl, Lachgas und
andern für die normale Geburt zuviel Nachteile mit. sich
1) Essen-Möller (Lund), Studien über die Blasenmole. Wios-
baden 1912, Bergmann. (Vollständige Literatur!)
2) Antrittsvorlesung, gehalten am 24. Mai 1912.
8. September.
brachte. Vor allem war es die Notwendigkeit, die Narkose,
wenn sie nicht nur für die letzte Phase der Geburt auf-
gespart wurde, allzulange auszudehnen. Durch Herab-
setzung der Wehen, Ausschaltung der Bauchpresse wurde
die Geburt verzögert, Mutter und Kind geschädigt. So ist
heute die Narkose, mag es Inhalations- oder Lumbal-
anästhesie sein, wenigstens in Deutschland auf die geburts-
hilflichen Operationen beschränkt, während für die
Schmerzlinderung bei normalen Geburten die vorherrschen-
den Methoden der Dämmerschlaf, die Halbnarkose und
die Suggestionsnarkose darstellen.
Der Dämmerschlaf, ein halbschlafartiger Zustand,
erzielt durch Injektion von Morphium oder einem Ersatz-
.präparat und Scopolamin ist in seiner heutigen Form durch
Schneiderlin-Korff und Steinbüchel in die Geburtshilfe
eingeführt, von Krönig und Gauß besonders ausgearbeitet
worden. Es handelt sich hierbei um eine viele Stunden
dauernde Herabsetzung des Bewußtseins, wobei eine völlige
Schmerzlosigkeit zwar nicht erzielt wird, aber die Apper-
zeption des Schmerzes aufgehoben wird, und durch eine
völlige Amnesie dem Wehenschmerze sein Schrecken ge-
. nommen wird. Erzielt wird dieser Erfolg nach Gauß durch
eine dauernle Prüfung der Merkfähigkeit, die eine genaue
Dosierung des Mittels ermöglicht. Gegenüber den Autoren,
die den Dämmerschlaf empfehlen und seine völlige Gefahr-
losigkeit für Mutter und Kind betonen, werden von anderer
Seite der Methode verschiedene Nachteile zur Last gelegt.
Die Geburtsdauer soll verlängert werden, gelegentlich be-
drohliche Zustände der Mutter, vor allem aber Schädigungen
des Kindes eintreten, endlich versagt die Methode in einer
ganzen Anzahl von Fällen. Die Diskussion über diese
Frage ist noch nicht völlig abgeschlossen. Nach Versuchen,
die ich selbst hier an der Klinik mit einer ein- bis zwei-
maligen Injektion von 0,02 Pantopon und 0,0003 Sco-
polamin!) an einer größeren Reihe von Gebärenden ge-
macht habe, möchte ich mich, in Uebereinstimmung mit
Jäger, Aulhorn, Kolde, für die Methode aussprechen.
Obzwar ich nur Erstgebärende mit sehr schmerzhaften
Wehen verwendet habe, war doch in fast 80°, der Fälle
der Erfolg ein eklatanter. Eine viertel bis eine halbe Stunde
nach der ersten Injektion liegen die Frauen ruhig, mit ge-
schlossenen Augen da, während der Wehe zwar oft leise stöh-
nend, dafür aber gut mitpressend, in der Wehenpause ruhig
schlafend. Diese Wirkung hält zwei bis mehrere Stunden
an und kann durch eine nochmalige Injektion nach 11/, bis
2 Stunden noch verstärkt werden. Unmittelbar nach der
jektion kann man öfter ein Nachlassen der Wehentätig-
keit beobachten, das aber sehr bald vorübergeht. In einem
oder dem andern Falle muß man zweifellos von einer mäßigen
Verlängerung der Geburtsdauer sprechen, nur einmal war
diese nach zweimaliger Injektion in einem frühen Stadium
der Geburt eine bedeutende. Es war dies auch der einzige
Fall, in dem ein leichter Erregungszustand auftrat und in
dem die Geburt durch Beckenausgangszange beendet werden
mußte. Auch die kindliche Schädigung kann ich nicht hoch
einschätzen; in wenigen Fällen war eine leichte „Olignopno&“,
richtiger ein geringer Dämmerzustand des rosig aussehenden
und ruhig atmenden Kindes vorhanden, der sehr schnell auf
leichte Hautreize verschwand, nur einmal machte eine stär-
kere Asphyxie künstliche Atmung notwendig. Störungen
der Nachgeburtsperiode oder des Wochenbetts konnte ich
nicht beobachten.
Wenn ich also auch auf Grund meiner eignen Er-
fahrungen nicht in der Lage bin, über den durch die sorg-
ültige Abhaltung äußerer Reize und durch die Bewußtseins-
prüfung komplizierten und ein sehr gut eingearbeitetes Per-
Sonal verlangenden Dämmerschlaf von Krönig und Gauß
T
') Das Pantopon-Scopolamin wurde mir von der Firma Hofmann-
La Roche freundlichst zur Verfügung gestellt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — N 36. | 1455
ein richtiges Urteil abzugeben, und 'eben diese Momente ‚der
Einführung im Privathause sowie in dem Betrieb einer
großen geburtshilflichen, zu Lehrzwecken vielfach ausge-
nützten Klinik wohl entgegenstehen, während an einer
kleineren Anstalt oder in einer Privatklinik die Erfolge —
wie auch die Freiburger Erfahrungen beweisen — gewiß
weit bessere sind, so möchte ich doch die Verwendung kleiner
Mengen von Morphium oder Pantopon mit Scopolamin bei
normalen Verhältnissen, bei verstrichener Cervix und drei-
bis fünfmarkstückgroßem Muttermunde bei schmerzhaften
Wehen als einen außerordentlich wohltätigen und ungefähr-
lichen Eingriff empfehlen. 0
Für die letzte und schmerzhafteste Phase der Geburt
ist zweifellos auch die Chloroformhalbnarkose, für die-
neuerdings besonders Eisenberg eintritt und die sich wohl
zum großen Teil mit der Suggestionsnarkose von Hal-
lauer und Anderen deckt, sehr empfehlenswert. Sie besteht
darin, daß nur während der Wehe der Kreißenden eine
Maske vorgehalten wird, auf die wenige Tropfen Chloroform
gegeben werden, in der Wehenpause wird die Maske ent-
fernt. Auf diese Weise wird, teils durch das Narkoticum,
teils auch durch Suggestion in kurzer Zeit ein Halbschlaf
erzeugt, der die Schmerzen nur in geringer Intensität emp-
finden läßt oder ganz aufhebt. Den gleichen Erfolg kann
man durch eine ganz oberflächliche Aethernarkose erzielen.
Die Lokalanästhesie, durch Cocaineinspritzungen
oder Einlagen, hat sich zur Schmerzlinderung bei Geburten
nur wenig Freunde erwerben können, die Sakralanästhesie,
auf die wir noch zu sprechen kommen, wird neuerdings auch
für normale Geburten empfohlen.
In der operativen Gynäkologie finden wir alle Me-
thoden, die die Chirurgie kennt. In der Inhalationsnarkose
herrschen Aether und Chloroform vor. Wir verwenden hier
in der Klinik die Aethertropfnarkose, neuerdings mit
Hilfe des Roth-Drägerschen Apparats, für kürzere Ein-
griffe den Aetherrausch. Wenn Allgemeinnarkose kontra-
indiziert ist, bedienen wir uns mit bestem Erfolge. der
Lumbalanästhesie. Ich habe früher einmal (Gyn. R.
1910) ausgeführt, wieso es kommt, daß die Lumbalanästhesie
von den Gynäkologen so besonders bevorzugt wird. Es
liegt dies vor allem an den anatomischen Verhältnissen, die
das Ausführen überhaupt jedes gynäkologischen Eingriffs in
Lumbalanästhesie ermöglichen und in der vorzüglichen Er-
schlaffung der Bauchdecken, die für das Operieren in der
Tiefe des kleinen Beckens besonders vorteilhaft ist. Die
Vorzüge, die die Methode besonders für den postoperativen
Verlauf hat, habe ich ebenfalls seinerzeit angeführt. Da-
neben erringt sich die Lokalanästhesie besonders als
Leitungsanästhesie auch in der Gynäkologie immer "mehr
Bürgerrecht. Wir haben Alexander-Adamssche Operation,
Ineision ins Abdomen bei Peritonitis und Anlegen einer Anus
praeternaturalis in Lokalanästhesie mit gutem Erfolg aus-
geübt. Bei plastischen Operationen hat sich die ursprüng-
liche Schleichsche Infiltrationsanästhesie wegen der un-
günstigeren Bedingungen für die Wundheilung weniger be-
währt, dagegen habe ich von der Verwendung der Pu-
dendusanästhesie hierfür an der Tübinger Frauenklinik
gute Resultate gesehen. Endlich habe ich bei alten Frauen,
bei denen Narkose kontraindiziert war, auch für ausgedehnte
Scheidenplastiken mit Morphiumscopolamin einen vollkömmen
ausreichenden Dämmerschlaf erzielt. Sa |
Neben diesen Methoden der Anästhesierung bei einem
operativen Eingriff wären noch kurz die Methoden zu er-
wähnen, die den Schmerz als Symptom eines Frauenleidens
oder als das eigentliche Leiden bekämpfen. Es handelt sich
hier vor allem um den Kreuzschmerz, jenes so ungeheuer
häufige Leiden der Frau, gegen das wir oft so machtlos
sind. Mein unvergeßlicher früherer Lehrer v.. Rosthorn
leitete einmal eine Diskussion über dieses Thema mit den
Worten ein: „Der Schmerz in der Gynäkologie ist immer
1456
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36. -
8. September.
mein Schmerz gewesen“. In der Tat sind wir oft über die | auch bei uns wiederholt mit gutem Erfolg angewandt wurde,
Aetiologie dieses Schmerzes.uns ebenso unklar, wie wir in
der Therapie machtlos sind. Hier ist neuerdings neben
- jenen Methoden, die den Schmerz als Symptom beseitigen,
indem sie die Ursache, die Krankheit selbst, heilen, ein Ver-
fahren zu nennen, das, von Cathelin ersonnen, in Deutsch-
land besonders von Stoeckel eingeführt wurde, und das
die Sakralanästhesie.
' anästhesierenden Mediums, wie Novocain oder Eucain in
Es wird durch Einspritzen eines
den Sakralkanal auf extra- oder epiduralem Wege nicht nur
eine vorübergehende Anästhesie bei kleinen operativen Ein-
griffen oder, wie schon erwähnt, bei Geburten, sondern auch
eine Heilung des Kreuzschmerzes als des Hauptleidens erzielt.
Abhandlungen.
Ueber Schwangerschaftspsychosen mit beson-
derer Berücksichtigung der Indikation zum
nn künstlichen Abort |
von i
Prof. Dr. Raecke, Frankfurt a. M.
Die weitgehenden Veränderungen, welchen der weibliche Or-
ganismus in der Schwangerschaft unterliegt, können nicht ohne
Rückwirkung auf das Nervensystem bleiben. Neben reflektorischen
Vorgängen, die vom wachsenden Uterus ihren Ausgang nehmen,
und‘ allgemeineren Ernährungsstörungen sind es vor allem die
Aenderungen in Blutmischung. und Circulation, welche einen schäd-
lichen Einfluß auszuüben vermögen. Giftige Fermente, die wohl
als Produkte der Placenta anzusprechen sind, scheinen in den
Kreislauf zu gelangen und, falls die Abwehrvorrichtungen des Or-
ganismus versagen, nicht nur Nieren und Leber, sondern auch
das Gehirn nachhaltig zu schädigen. Nach Opitz spielt die Ver-
schleppung von Chorionzotten eine Rolle.
Ferner kommt eine Reihe von psychischen Momenten in Be-
tracht, die das Nervensystem der Schwangeren unter Umständen
ungünstig beeinflussen, wie materielle Sorgen, Scham, Selbstvor-
würfe, Angst vor der Geburt und dergleichen mehr. Jedoch ist
äusdrücklich hervorzuheben, daß unehelich Geschwängerte nicht
mehr gefährdet zu sein scheinen als Verheiratete. Eher werden
Erstgebärende etwas häufiger betroffen als Frauen in wiederholter
Schwangerschaft. | | |
Leichtere nervöse Beschwerden sind in der Gravidität außer-
ordentlich häufig. Außer dem bekannten Erbrechen, das meist
sich psychisch beeinflussen läßt, begegnen uns vor allem Klagen
über Kopf- und Kreuzschmerzen, Neuralgien aller Art, Waden-
krämpfe, Schwindel und Ohnmachtsanwandlungen. Es ist hier
nicht der Ort, näber einzugehen auf die Apoplexien der Schwan-
geren durch Blutung oder Embolie oder auf die interessanten peri-
pheren Schwangerschaftslähmungen, die auf dem Wege der Auto-
intoxikation zustande kommen. Bemerkt sei aber, daß gerade die
relativ häufige Verbindung von schwerer Polyneuritis mit unstill-
barem Erbrechen entschieden dafür spricht, daß auch dieses
Symptom wohl Folge von Giftwirkung sein kann. Auch sehen
wir in der Gravidität noch andere Krankheiten des Nervensystems.
sich entwickeln, die erfahrungsgemäß auf einen toxischen oder in- |
fektiösen Ursprung hinweisen, vor allem Tetanie und Chorea.
Die Chorea gravidarum gilt mit Recht als ein äußerst
schweres und gefährliches Krankheitsbild. Wir kommen auf ihre
Bedeutung weiter unten eingehend zurück. Desgleichen haben wir
uns noch näher mit der Hysterie zu beschäftigen, die hin und
wieder einer Schwangerschaftslähmung zugrunde liegt.
‘Unser eigentliches Thema betrifft aber die psychischen Stö-
rangen, und es erschien nur ein rascher Ueberblick über die, zu- |: i
. Hälfte der Schwangerschaft. Sie kann, wie gesagt, außerordentlich
. heftig verlaufen, mit Fieber einhergehen, auch. im Schlafe fort-
bestehen und zu bedrohlichen Ernährungsstörungen und Kräfte-
: verfall führen. Unter Steter Steigerung der Intensität der Zuckungen
mal toxisch entstandenen, nervösen Veränderungen der Schwanger-
schaft zweckmäßig zum besseren Verständnis des Wesens der
Graviditätspsychosen. Es steht nämlich außer Zweifel, daß auch
ein Teil dieser eine toxische Genese hat, respektive seiner Aetio-
logie und seinem Verlaufe nach den symptomatischen Psychosen
bei Erkrankung innerer Organe oder im Gefolge akuter Infektions-
krankheiten an die Seite zu stellen ist. In eine zweite größere
Gruppe gehören darauf diejenigen Fälle, in welchen die Um-
vorhandene Disposition zur Geisteskrankheit gewirkt haben. Bei
der ‘dritten Gruppe handelt es sich um mehr zufällige Kompli-
kationen. |
Die -Häufigkeit der Schwangerschaftspsychosen beträgt nach
Siemerling ungefähr 3,1 °/ọ der beim weiblichen Geschlecht über-
haupt auftretenden Geisteskrankheiten. Nach E. Meyer schwanken
die Zahlen der Literatur zwischen 3 und 20 0o. Hereditäre Be-
' weitgehender Amnesie für die Höhe der Krankheit.
rechnet nach Wochen und Monaten. Die Prognose ist eine gute,
gegen handelt es sich oft um ausgesprochen psychopathische
Frauen. Das Alter scheint ohne Einfluß zu sein. Die Zeit des
Ausbruchs verteilt sich ziemlich gleichmäßig über die verschiedenen
Schwangerschaftsmonate. Als Vorläufererscheinungen. wären haupt-
sächlich zu nennen Reizbarkeit, Stimmungswechsel, Neigung zum
Grübeln, allgemeine Leistungsunfähigkeit. Doch können sich der-
artige Vorboten zeigen, ohne daß es schließlich zum Ausbruch
einer Psychose kommt. Mit Vorliebe macht sich eine nieder-
geschlagene Stimmung geltend.
Am interessantesten, wenn auch nicht am häufigsten, sind
die Krankheitsbilder der ersten Gruppe, die auf einen zugrunde
liegenden toxischen oder infektiösen Prozeß schließen lassen. Sie
bieten die Form von Delirien und namentlich einer Amentia, unter
Umständen verbunden mit choreatischen Erscheinungen, oder aber
des Korsakowschen Symptomenkomplexes bei Schwangerschafts-
polyneuritis. | |
Die Amentia oder halluzinatorische Verwirrtheit ist im Be-
ginne nicht immer leicht zu unterscheiden von den später zu be-
sprechenden katatonischen Psychosen. Dennoch geht es nicht an,
sie mit diesen einfach zusammenzuwerfen. Im Vordergrunde steht
eine traumhafte Bewußtseinstrübung mit Ratlosigkeit, Inkohärenz
des Vorstellungsablaufs, zahlreichen Sinnestäuschungen aller Art,
Erregung und rasch wechselndem Affekt. Anfangs besteht manch-
mal Neigung zu kurzdauernden Remissionen mit vorübergehender
Klarheit. Man kann in der Regel nach erfolgtem Ausbruche vier
verschiedene Stadien unterscheiden: zuerst totale Desorientierung
. für Ort, Zeit und Umgebung, dann beginnende Aufhellung noch
' wechselnd mit zeitweiliger Verwirrtheit. Sehr auffallend ist. jetzt
gewöhnlich die schwere Störung der Merkfähigkeit. Im dritten
Stadium treten in den Vordergrund große Reizbarkeit, Mißtrauen
‘und Andeutung von Beziehungswahn, während sich Merkfähigkeit
und Orientierung stetig bessern. Im letzten Stadium ist die
Orientierung völlig wiederhergestellt, die paranoischen Erscheinungen
klingen ab, und es bildet sich Krankheitseinsicht heraus bei _
Die Dauer
sofern nicht durch die Schwere der Erregung oder eine Kompli-
' kation das Leben bedroht wird. Letzteres ist vor allem dann zu
‘ befürchten, wenn sich die Amentia in einem Falle von Chorea gra-
vidarum entwickelt hat oder aber bei Eklampsie. - |
Die Chorea gravidarum ist wohl ihrem Wesen nach mit
“der Chorea minor nahe verwandt. Manche derartige Patientinnen
: haben bereits früher einen Anfall von gewöhnlicher Chorea minor
, durchgemacht, oder es findet sich gelegentlich, wie Runge betont,
ein Zusammenhang mit Endokarditis und Gelenkrheumatismus.
Allein die auffallende Häufigkeit des Auftretens schwerster Chorea
gerade in der Gravidität scheint döch noch auf einen engeren Zu-
sammenhang hinzudeuten.
Die Chorea entwickelt sich besonders gern in der ersten
kommt es zu Bermommenheit oder tiefer Verworrenheit. Tödlicher
‚ Ausgang ist sehr häufig. Siemerling hat. die Mortalität auf
75 0/0 angegeben. Auch die Mehrzahl von Quensels Fällen kam
zum Exitus. |
wälzungen der Gravidität lediglich auslösend auf eine bereits |,
Die Eklampsie setzt meist in der zweiten Hälfte der Gra-
vidität ein, am häufigsten wohl im achten bis neunten Monat.
i Nach einem Prodromalstadium mit Abgeschlagenbeit, Schwindel-
' gefühl, Schlaflosigkeit, zahlreichen Parästhesien treten die charak-
_ teristischen epileptiformen Anfälle in Erscheinung: tonisch-klonische
' Krämpfe der gesamten Körpermuskulatur mit schwerer Bewußt-
' seinsstörung, hohem Fieber, drahtartigem Pulse, Verringerung der
‘ Harnmenge, eventuell Eiweiß und Cylindern im Urin. Entweder
lastung tritt zurück, findet sich nicht in der Hälfte der Fälle. Da- | in direktem Anschluß an die Krämpfe oder aber nach einem 80-
i
|
8. September.
-1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36: nu 1457
porzustande: brechen die- psychischen Störungen hervor: Desorien-
tierung, motorische Erregtheit, massenhafte Halluzinationen und
Illusionen, wechselnder Affekt, doch vorherrschend Angst; kurzum
in der Hauptsache wieder das Bild der Amentia, und demgemäß
heben wir auch, falls das Leben erhalten bleibt, einen günstigen
Ausgang zu erwarten. Die später zurückbleibende Amnesie pflegt
nicht selten eine retrograde zu sein, das heißt auch die letzte
Zeit vor Ausbruch der Erkrankung mitzubetreffen.
Die Graviditätsneuritis hat ihrer toxischen Aetiologie
entsprechend auch im klinischen Bilde die größte Aehnlichkeit mit
der Alkoholneuritis. Psychische Veränderungen in Form des
Korsakowschen Symptomenkomplexes sind demgemäß relativ
oft zu konstatieren, Nach. einem deliriösen Beginn entwickelt sich
eine schwere Merkfähigkeitsstörung mit starker Desorientierung,
Neigung zu Konfabulationen. Die Kranken sind bald ängstlicher,
bald mehr heiterer Stimmung, erleben ganze Szenen der sonder-
barsten Art, werden von Halluzinationen und Illusionen beeinflußt.
Hier ist die Prognose der Geistesstörung insofern weniger günstig
zu stellen, als sich leicht ein bleibender geistiger Schwäche-
zustand herausbildet. Die Mortalität wird von Hößlin auf 20%,
geschätzt.
Die Therapie ist bei dieser ganzen ersten Gruppe von
Graviditätspsychosen sozusagen von einem einheitlichen Gesichts-
punkt aus zu betrachten, weil hier überall durch die Schwanger-
schaft als solche eine Schädigung des Gehirns bedingt wird. Es
liegt nahe, durch eine vorzeitige Unterbrechung der Schwanger-
schaft eine Beseitigung der krankmachenden Ursache anzustreben.
Bei der Eklampsie wird die Berechtigung eines solehen Vorgehens
allgemein zugegeben, falls andere Mittel, wie Aderlaß, Ableitung
auf den Darm, Anregung von Schweiß- und Darmtätigkeit nicht
zum Ziele führen. : | | |
Zurückhaltender sei man mit dem künstlichen Abort schon
bei der Chorea. Hier kommt nicht immer mit der Entbindung
der Prozeß zum Stillstande wohl deshalb, weil es sich öfter um
eine bloße Chorea minor handelt, die nur durch die Gravidität bei
schon vorhandener Disposition zum Ausbruch gebracht ist. Außer-
dem bleibt die große Gefahr einer Sepsis infolge Infektion der
Wunde bei der heftigen motorischen Unruhe zu berücksichtigen.
Nur wenn die Zuekungen dauernd zunehmen, alle Mittel versagen,
schwerer Kräfteverfall sich bemerkbar macht, mag als letztes
Mittel der Abort in Frage kommen. Bis dahin suche man Be-
ruhigung zu erzielen durch warme Bäder, feuchte Packungen,
Darreichung von Isopral in refracta dosi. Auch Luminal scheint
sich recht zweckmäßig zu erweisen. Immer wird neben sorg-
fältiger Ernährung (eventuell Darreichung von flüssiger Kost mit
der Schnabeltasse) ein Versuch mit der alten Arsentherapie zu
empfehlen sein.
‚.. Als noch weniger indiziert dürfte im allgemeinen der künst-
liche Abort. bei der polyneuritischen Psychose der Schwangerschaft
gelten. Zwar bringt hier bisweilen eine Unterbrechung der Gravi-
dität evidente Besserung, in andern Fällen aber hochgradige Ver-
sohlimmerung. Man hat sogar das Auftreten einer Polyneuritis
erst beobachtet wenige Tage, nachdem ‘die Gravidität wegen un-
stilbaren Erbrechens künstlich beendet worden war. Man wird
daher guttun, in der Regel von einem solchen Eingriffe möglichst
lange abzusehen und nur in ganz besonderen Fällen, z. B. bei
drohender Erblindung oder Beteiligung von Atemmuskeln und
agus, sich zum Abort zu entschließen.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei der zweiten
ruppe von Schwangerschaftspsychosen, die in erster Linie infolge
einer vorhandenen Disposition entstehen, während die Gravidität
mehr das auslösende Moment darstellt. Es sind das vor allem
Manisch-depressives Irresein mit den Zustandsbildern der Manie
und Melancholie und jene katatonischen Erkrankungen, welche in
der ‚Literatur bald unter dem Namen Dementia praecox, bald als
chizophrenie zusammengefaßt werden. Allerdings ist auch hier
zu beachten, daß derartige Psychosen nicht nur mitunter das
erstemal im Leben gerade während einer Schwangerschaft zum
Ausbruch gelangen, sondern sich sogar in jeder späteren Gravi-
dität regelmäßig wieder zeigen können, sodaß es sich dann also
och um mehr als ein rein zufälliges Zusammentreffen handeln
muß. Dennoch wird die Psychose so gut wie nie durch die
Geburt beeindußt. Erreicht sie ihr Ende nicht schon in der
chwangerschaft, was selten der Fall ist, überdauert sie diese
meist ganz bedeutend. Ferner können sich spätere frische Anfälle
des psychischen Leidens oft ganz unabhängig von den Generations-
vorgängen einstellen. |
Bei dem manisch-depressiven Irresein, um mit diesem
zu beginnen, handelt es sich in der Gravidität vor allem um das
Auftreten von Melancholien. Die Manie. mit ihrem dauernd
heiteren Affekt, mit Ideenflucht und Bewegungsdrang findet sich
sehr viel seltener. Vielfach zeichnen sich die Melancholien. der
Schwangerschaft durch die Heftigkeit ihrer Angstzustände aus.
Versündigungs- und Verarmungsideen machen sich geltend. Oft
besteht die Furcht, zu schwach zu sein für eine glückliche Ent-
bindung oder das Kind nicht ernähren zu können. Mit Recht
hat Alzheimer darauf aufmerksam gemacht, daß solche Ideen
häufiger die Folge als die Ursache der traurigen Verstimmung
sind, und daß dann ein künstlicher Abort, statt die Depression zu
beseitigen, eher den Grund zu neuen Selbstbeschuldigungen ab-
geben dürfte. Anders liegt die Sache freilich bei gewissen psycho-
pathischen Angst- und Zwangszuständen, auf die wir weiter unten
zu sprechen kommen werden. |
Bei den eigentlichen manisch-depressiven Graviditätspsychosen
weicht die Behandlung nicht von den üblichen Methoden ab, die
wir sonst bei derartigen Erkrankungen außerhalb der Schwanger-
schaft anzuwenden pflegen. Fast immer wird Verbringung in eine
psychiatrische Anstalt anzuraten sein, zumal bei den depressiven
Formen, wegeh der Notwendigkeit sorgsamer Ueberwachung. Eine
große Gefahr bildet hier nämlich die hohe Suicidneigung,. die
Tendenz zu plötzlichen raptusähnlichen Gewalthandlungen. Der
Verlauf nimmt durchschnittlich bis zu einem halben Jahr in An-
spruch. Die Prognose des Einzelanfalls ist gut. Immer ist mit
der Möglichkeit einer Wiederholung im Laufe des Lebens zu
rechnen. Aber auch nach mehrfachen derartigen Attacken ist der
Eintritt einer Verblödung nicht zu befürchten. |
Häufiger sind katatone Krankheitsbilder, in denen de-
pressiver Affekt, Zustände von Stupor und Erregung miteinander
abwechseln, Negativismus, stereotype Manieren, Sprachverwirrtheit
das Bild beherrschen und sich allmählich eine fortschreitende Ab-
nahme der geistigen Regsamkeit, des Interesses und der Initiative
bemerkbar macht. Je akuter der Beginn, je stärker die Erregung
und der Affekt erscheinen, je mehr sich also das Krankheitsbild
zunächst dem der Amentia nähert, desto günstiger ist in der
Regel der Verlauf. Etwa in einem Viertel der Fälle wird eine
Heilung im praktischen Sinn erzielt. Allein wir sehen nicht
selten, daß anfänglich erreichte weitgehende Remissionen später von
frischen Krankheitsschüben abgelöst werden, die dann schließlich in
hoffnungslose Verblödung überführen können.
Die Tatsache, daß solche neuen Schübe mit Vorliebe wäh-
rend Schwangerschaft, Puerperium oder Lactation einsetzen, macht
es dringend wünschenswert, Patientinnen, die einen katatonischen
Krankheitsanfall erlitten haben, vor jeder weiteren Conception zu
bewahren. Die wichtige Frage, ob man deshalb auch berechtigt
ist, eine dennoch eingetretene Gravidität zu unterbrechen, um die
Mutter vor der Gefahr des geistigen Todes zu schützen, ist sehr
verschieden beantwortet worden und läßt sich keinesfalls allgemein
entscheiden. Wer selbst als Arzt einmal erlebt hat, daß eine von
ihrer Umgebung wieder als gesund angesehene Frau und Mutter
in abermaliger Gravidität von einem. rasch zu tiefer Verblödung
führenden Schub des alten Leidens erfaßt wird, der dürfte es sich
in Zukunft wohl sehr überlegen, ehe er den Wunsch der An-
gehörigen nach künstlichem Abort in ähnlicher Lage grundsätzlich
abweist. Immer wird sorgfältige psychische Untersuchung und.
Beobachtung zu fordern sein, . Berücksichtigung des Kräfte-
zustandes, der Stimmungslage und etwa vorhandener nervöser Be-
schwerden. So richtig es ist, daß man bei voll ausgebildeter
katatonischer Geisteskrankheit von einer Entleerung des Uterus
keine Wendung zum Bessern mehr. zu erhoffen hat, so zweifellos
bleibt nach unsern heutigen Kenntnissen die Möglichkeit bestehen,
daß durch einen rechtzeitigen prophylaktischen Eingriff der letzte
Schub vielleicht hätte hintangehalten werden können. Auch ist
zu bedenken, daß auf die Schädigungen der Gravidität diejenigen
des Puerperiums folgen würden, das ebenfalls ‚nicht selten kata-
tonische Psychosen auslöst.
.. Erheblich lockerer ist der Zusammenhang zwischen Schwanger-
schaft und Geisteskrankheit bei der dritten Gruppe, deren Be-
trachtung wir uns nunmehr zuwenden. Die Dementia paraly-
tica kann wohl in der Schwangerschaft ihre ersten Erscheinungen
machen, ohne daß wir jedoch alsdann der letzteren eine andere
ätiologische Rolle einräumen, als daß sie vielleicht verschliminernd
und den Krankheitsverlauf beschleunigend eingewirkt haben mag.
Die Paralyse geht ihren gesetzmäßigen Gaug unbekümmert darum,
ob ein Abort. oder eine normale Geburt stattfindet. Es ist im
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1458
Gegenteil auffällig, wie wenig solche Kranke meist durch die Ent-
bindung und das Puerperium beeinflußt werden. Dennoch hat die
Tatsache des gelegentlichen Manifestwerdens einer Paralyse während
der Gravidität eine nicht unerhebliche praktische Bedeutung. Sie
mahnt zu sorgfältiger neurologischer Untersuchung in jedem Falle
psychischer Störung oder epileptiformer Krampfanfälle bei Schwan-
geren, will sich der Arzt nicht unangenehmen Ueberraschungen
aussetzen, |
Die genuine Epilepsie soll in seltenen Fällen zum ersten
Male während der Schwangerschaft. in Erscheinung getreten sein.
Meist dürfte dann aber die Umgebung frühere Aeußerungen des
Leidens übersehen haben. Vorübergehende Verschlimmerungen
einer vorhandenen Epilepsie während der Schwangerschaft sind
häufiger beobachtet, bisweilen indessen auch ein auffälliges Zu-
rücktreten der Krämpfe, das schon fälschlich als Heilung gedeutet
worden ist. Heftigere Erregungs- und Verwirrtheitszustände ent-.
wickeln sich besonders leicht bei Beginn der Wehentätigkeit. Im
allgemeinen muß man aber sagen, daß die genuine Epilepsie durch
die Gravidität in ihrem Verlaufe nicht wesentlich beeinflußt wird.
Auch die Hysterie war bereits früher vorhanden, durch
deren lebhafteres Hervortreten zur Zeit der Gravidität Störungen
verursacht werden, wie die oben kurz erwähnten. Neben körper-
lichen Symptomen aller Art, namentlich Lähmungen und Krämpfen,
kommen traumhafte Bewußtseinstrübungen in Betracht, Delirien,
Stuporanfälle und länger dauernde Depressionen. Hier kann eine
durch die Schwangerschaft hervorgerufene psychische Erregung
den krankhaften Vorstellungen die Richtung geben. Angst vor
der Entbindung, zumal nach früher überstandener schwerer Ge-
burt, Furcht vor Lächerlichkeit bei vorgerücktem Alter, Scham
und Sorgen bewegen die Patientin und rufen immer neue hyste-
rische Aeußerungen hervor. Die Behandlung hat demgemäß in
erster Linie eine psychische zu sein. Drohungen mit Suicid, leb-
haftere deliriöse Erregungen und Angstanfälle können vielleicht
vorübergehend die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt
erforderlich machen. Meist erfolgt aber mit der Zeit bei sug-
gestivrer Behandlung mit indifferenten Mitteln oder freundlich-
ernstem Zureden in Form einer Persuasion allmähliche Beruhigung,
Die Hysterica findet sich mit ihrer Lage ab. Das Puerperium
kann dann ohne jede Störung verlaufen.
Viel bedenklicher sind gewisse Phobien und Zwangs-
zustände, die der Hysterie zwar nahe verwandt sind, aber, ohne
immer die klinischen Zeichen dieser aufzuweisen, auf dem Boden
einer psychopathischen Veranlagung gelegentlich erwachsen.
Lehrt gleich die Anamnese in der Regel, daß bereits früher ähn-
liche Vorgänge beobachtet: wurden, so können doch, wie Ziehen
betont, ganz unvermittelt in der Gravidität Zwangsvorstellungen
emporschießen. Derartige Fälle gehören nicht mehr eigentlich
in den Rahmen der dritten Gruppe, weil bei ihnen direkt die
Schwangerschaft die allerdings psychische Krankheitsursache bildet.
Anderseits bieten sie so zahlreiche Beziehungen zur Hysterie, daß
eine scharfe Abgrenzung nach dieser Seite bin kaum gelingen
dürfte, l
In der leichtesten Form handelt es sich um die auch der
Laienwelt bekannten „Gelüste der Schwangeren“: Ekel vor den
üblichen Speisen, sonderbare Geruchs- und Geschmacksempfin-
dungen können sich mit der Sucht nach abenteuerlichen Genüssen
verbinden. Forensisch wichtig ist das seltene Auftreten eines
regulären Stehltriebs, der nach Beendigung der Schwangerschaft
wieder verschwindet. Derselbe ist mitunter nur auf ganz be-
stimmte. Dinge gerichtet, wie zum Beispiel auf Blumen.
Uns interessieren hier mehr diejenigen Fälle, in denen sich
eine schwere Phobie gegen die vorhandene Schwangerschaft ent-
wickelt. Da sind Angst vor dem Partus, Widerwille gegen das
zu erwartende Kind, Abscheu gegen den eigenen Zustand und
Ekel am Leven manchmal imstande, einen so ungeheuerlichen
Grad zu erreichen, daß die rücksichtslosesten Suieid- und Selbst-
verstümmlungsversuche unternommen werden. Triebartige Er-
regungen können sich einstellen, Wutparoxysmen mit verzweif-
lungsvollen Angstattacken abwechseln.
Mannigfache Wahnideen tauchen auf, anfangs flüchtig, all-
mählich immer mehr fixiert und es gewinnt den Anschein, als sei
eine ganz schwere Psychose im Anzuge. Die Erfahrung, daß hier
die Einleitung des künstlichen Aborts unter Umständen über-
raschend schnell alle pathologischen Erscheinungen zum Schwinden
bringt, hat eine Reihe namhafter Psychiater veranlaßt, die Unter-
brechung der Schwangerschaft anzuraten, wenn sonstige Behand-
lungsversuche der depressiven Zwangszustände versagen, und die.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September.
hartnäckige Wiederholung der Selbstmordversuche ihr schließ-
liches Gelingen trotz aller Ueberwachung befürchten läßt.
Andere Autoren bestreiten sehr energisch die Berechtigung
eines solchen Vorgehens und erwarten bei sofortiger Verbringung
in eine gut geleitete Irrenanstalt Genesung, sofern es sich nicht
von vornherein um eine unheilbare Form von Geisteskrankheit ge-
handelt hat, die dann natürlich auch nicht durch einen Abort zu
coupieren gewesen wäre. Eine Einigung in dieser Streitfrage hat
bisher nieht stattgefunden. Man wird am sichersten gehen, wenn
man immer zunächst Beobachtung in geschlossener Anstalt ver-
langt, ehe man seine Entscheidung trifft. Die sofortige Einleitung
des Aborts in der Absicht, auch die Verbringung in eine Anstalt
zu umgehen, ist im allgemeinen für unstatthaft zu erklären.
Durch diese freilich etwas gedrängte Darstellung ist es
hoffentlich gelungen, zu zeigen, wie zahlreich und in wie mannig-
facher Art psychische Ausnahmezustände bei Schwangeren zur
Entwicklung gelangen. Aufgabe des Hausarztes ist es, ihr Heran-
nahen rechtzeitig zu erkennen, sie durch geeignete Maßnahmen zu
bekämpfen und sich nicht zu scheuen, im Zweifelsfalle sogleich
psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Aus dem Städtischen Pflegehause in Leipzig.
(Direktor: San.-Rat Dr. Lohse.)
Ueber postimortale Herzeontractione
beim Menschen |
von
Dr.: med. et phil. L. Drozyüski.
(Schluß aus Nr. 36.)
Nach diesem Ueberblick über die Literatur mag eine kurze
Zusammenfassung der Bedingungen folgen, die das Bestehen oder
den Eintritt solcher postmortalen Herzcontractionen begünstigen.
Es handelt sich wohlgemerkt nur um die Bedingungen; denn die
Ursache selbst ist in den Stoffwechselvorgängen des Herzmuskels
zu suchen. Diese aber und die Restitutionsprozesse, die zur Wieder-
belebung führen, schweben noch immer im-Bereiche des Hypo-
thetischen. Inwieweit einzelne Ansätze zur Analyse (Hermann,
Hoppe-Seyler, Pflüger, Montgomery und Andere) das dunkle
Problem aufgehellt haben, entzieht sich meiner Beurteilung. Bleiben
wir bei der Betrachtung der Bedingungen oder, was dasselbe be-
deutet, der Reize, die den Stoffwechsel des Muskels begünstigen,
so müssen wir zwischen mechanischen, thermischen, chemischen
und elektrischen Reizen unterscheiden. Die Wirkung der elek-
trischen Reize ist genügend aus den angeführten Beispielen be-
kannt. Thermische Reize vermögen kaum eine Wiedererweckung
von Pulsationen zu veranlassen!), wohl aber kommt ihnen auch beim.
Menschen die Fähigkeit zu, den Rhythmus bestehender Pulsationen
zu beeinflussen?).. Das Hauptkontingent geben die mechanischen
Reize in der verschiedensten Form; hierher muß auch, wie sich
später zeigen wird, ein Teil der Wirkung der künstlichen Speisung
gerechnet werden. Die Entscheidung, ob ein Reiz mechanisch oder
chemisch wirkt, ist manchmal sehr schwierig, ja unmöglich, wenn
es sich um eine kombinierte Wirkung handelt; dasselbe gilt für
andere Kombinationsmöglichkeiten, Die gewöhnlichen Formen des
mechanischen Reizes (Druck, Stoß, Stich usw.) sind nur selten im-
stande, ein längere Zeit ruhendes Herz zur Contraction zu bringen,
und dann verschwindet die Wirkung meistens sofort mit dem Auf-
hören des Reizes. Der Versuch gelingt überdies meist nur dann
(was auch für die vorausgehenden Reizqualitäten gilt), wenn be-
stimmte Stellen des Herzens gereizt werden, die sich auf Grund
übereinstimmender Angaben durch erhöhte Reizbarkeit auszeich-
nen®): beim Menschen ist es besonders die Gegend der Einmündungs-
stelle der Cava sup. in den rechten Vorhof im Gebiete des Sulcus
terminalis. Diese Stellen stimmen in bezug auf ihre Lokalisation
mit der Lage der anatomisch und physiologisch nachgewiesenen
„kardiomotorischen“ Centren®) überein. Die Frage über die nähere
Natur dieser Centren, die noch heute das Objekt eines erbitterten
1) Etwas märchenhaft klingt der Bericht Francis Bacons ‚von
dem ur eines Dar ee ins Feuer geworfen, hoch SD
ering, Deneke und Ad lc, H hek, Pflügers A.
1905, Ba. 109, 8.199 BO a ne
) Einzelheiten bei Tigerstedt. L . d. iol. des Kreislaufs
1893; É. v. Oyon, D g edt, Lehrb. d. Physiol. des Krei
Nagels Handb. der Physiol. 1. c.
‘) Verhandl. der Deutsch. path, Gesellsch. 1910, ' Referate von
Be p ga
Aschoff uad Hering.
ie Nerven des Herzens 1907; F. B. Hofmann,
Te esse ST ee a en re ee ĖS A E a A E A A
mn Sm nn >
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE’ KLINIK — Nr. 36, | 1489
Streits zwischen Anhängern der neurogenen und myogenen "Theorie
der Herztätigkeit bildet, überschreitet den Rahmen dieser Arbeit.
° Empfindlicher als auf äußere Insulte scheint die Herzwand
gegen Aenderungen des Innendrucks in den Herzhöhlen zu sein.
Bei einigen Fällen spontaner Contractionen menschlicher Herzen
fand man den rechten Vorhof noch mit Blut gefüllt und der Druck
dieses Bluts, weniger seine chemische Wirkung, wurden als ent-
scheidendes excitomotorisches Moment angesehen‘). Dem Biute
beigemengte Luftblasen scheinen diese Reizwirkung auf die Herz-
wand noch zu erhöhen. Wie Ewald und Kobert?) am Säuge-
tierherzen nachgewiesen haben, beruht die incitatorische Wirkung
solcher Luftblasen nicht auf Sauerstoffspannung, sondern ist eine
Folge des mechanischen Druckes auf die Wand. Eine originelle
Kombination äußerer und innerer Druckwirkung stellt die von
Batelli®) angegebene Methode der Wiederbelebung des erstickten
Herzens durch direkte Herzmassage nach vorheriger Füllung des
Herzens mit Blut, das aus den Abdominalorganen hinaufgepreßt
wird. Die Methode ist seitdem am Menschen in zahlreichen Fällen
von Chloroformsynkope geübt worden®%). Wenn auch nur gar zu
häufig der gewünschte Erfolg ausblieb oder die erzielte Wieder-
belebung nur auf das Herz beschränkt und auch dort von kurzer
Dauer war, so legen doch die relativ wenigen Fälle, in denen eine
vollständige Restitution stattgefunden hatte, ein glänzendes Zeug-
nis von der Brauchbarkeit der Methode ab. — Der belebende Einfluß
intrakardialer Druckänderungen bei artefizieller Durchspülung des
Herzens ist aus zahlreichen physiologischen Experimenten hinläng-
lich bekannt), dagegen die sogenannte künstliche Ernährung des
Herzens mit defibriniertem Blut oder besonders präparierten Nähr-
lösungen auf dem Wege der Kranzarterien bedarf noch einer kurzen
Betrachtung. Wir betreten hier zum Teil schon das Gebiet der
chemischen Reize. Das Prinzip der Methode basiert auf der Er-
wägung, daß durch Zufuhr der wichtigsten der im Blut enthaltenen
Salze dem Stoffwechsel des Herzens annähernd den intravitalen
gleiche Bedingungen dargeboten werden. Aus zahlreichen Ver-
suchen hat es sich ergeben, daß die Minimalbedingung, unter der ein
schlag- und reaktionsloses Säugetierherz wieder zu schlagen be-
ginnt, warme, etwas Sauerstoff enthaltende alkalische Kochsalzlösung
ist); eine noch bessere Zusammensetzung haben die Ringersche
und die Lockesche Lösung”). Aber man muß sich bewußt sein,
daß auch die chemischen Reize (Na-Ionen Loebs, Ca-Verbindungen
Howells usw.) nicht die Ursachen des Herzschlags sind, sondern
daß diese im Stoffwechsel des Muskels zu suchen sind, und dieser
Stoffwechsel kann (wie Rusch, ein Schüler Langendorffs, ex-
perimentell nachgewiesen hat) auch ohne jegliche Zufuhr von Nähr-
salzen auf Kosten der Muskelsubstanz eine Zeitlang fortbestehen,
sogar dann, wie wiederum Panum?) gezeigt hat, wenn die Coronar-
arterien durch eine Mischung von Talg, Wachs, Oel und Kienruß
vollständig verstopft sind. Freilich dauert die Automatie länger,
wenn die bei der Herzarbeit entstehenden Stoffwechselprodukte
weggeschafltt werden. Diese letztere mechanische Wirkung ist
wohl die Hauptsache bei der künstlichen Ernährung des Herz-
muskels, was aus der Tatsache hervorzugehen scheint, daß die
Nährflüssigkeit durch andere indifferente Flüssigkeiten, ja sogar
Gase (O und H) mit Erfolg ersetzt werden kann?).
1) Cfr. Porter u. Pratt, Am. j. of phys. Bd. 1, S. 86 ff.
2) Pflügers A, Bd. 31, S. 187 f. Ä
.,9 Cpt. r. de l'Acad. etc. 1900, Bd. 180, S. 800. Vor ihm außer
Schiff Prus, Wr. kl. Woch. 1899.
. “T. A. Green stellte 1906 (Lancet, 22. Dezember 1906) aus der
Literatur 40 Fälle zusammen, von denen neun von Erfolg gekrönt waren,
eitdem ist eine große Anzahl neuer Beobachtungen veröffentlicht worden.
Vergl. H. M. W, Gray, Lanc. 19. August 1905; W. W. Keen, Thörap.
Gaz. 15. April 1905; K. Smith u. R. Daglish, Brit. med. j. 18. Novem-
ber 1905; W. J. Conkling, NY. med. j. 2. September 1905; E. Tar-
dieu, Thöse de Montpellier 1905; Lenormant, R. de chir. Mars 1906;
auverts, Norol. méd. 25. Januar 1906; Gross et Sencert, A. prov.
de chir, Déc. 1906; v. Cackovic, A. f. kl. Chir. Bd. 88, H. 4; Mau- |-
claire et Zésas, A. intern. de chir, 1. März 1906; Rochard, Bull. de
thérap. VIII. —IX. 1906; Graham Douglas, Boston med. and surg. j.
March 1907, S. 322; außerdem Wr. kl. Rundsch. 1905, Nr. 50—52 und
Referate D. med. Woch. 1911, S. 186, 528 u. 1187.
Gilis p Langendorff: beim Menschen Deneke u. Adam, Hédon et
. C.
) Hering, Zbl. f. Phys. 1905, Bd. 19, S. 129.
) Ueber die neueren Anschauungen auf dem Gebiete der chemi-
schen Ferzreize cfr. O. Langendorff, Erg. d. Phys. 1905, Bd. 4, S. 770
, bis 78
3 Du Bois-Reymondsches A. 1864, Bd. 27.
Am. ; Cfr. Magnus, A. f. exp. Path. 1902, Bd. 47, auch Sollmann,
- J. of. phys. XV. IL, 8.121. een
"Zu -den ‘Momenten, die ohne unbedingt notwendig zu sein,
das Fortbestehen der Automatie begünstigen, gehört -die Anwesen-
heit von Sauerstoff. Schon Humboldt und nach ihm Goltz und
Stannius machten den Sauerstoff für die Wiederkehr der Erreg-
barkeit verantwortlich, Oehrwailt) und E. Cyon?) wiesen direkt
nach, daß das stillstehende Herz nach Einbringen von Sauerstoff
oder atmosphärischer Luft in die Ernährungsflüssigkeit oder auch
nur in die umgebende Atmosphäre wieder zu arbeiten beginnt.
E. Cyon hält auf Grund der Versuche von Porter und Locke?)
den Sauerstoff für ein Reizmittel der motorischen, insbesondere
acceleratorischen Herznervencentren. Wie nachhaltig die Sauer-
stofwirkung ist, zeigt die Tatsache, daß Herzen von jungen Katzen
in einer mit H202 gesättigten Kochsalzlösung bis zu 31 Stunden
schlagen®). Bekannt ist auch die verzögernde Wirkung des Sauer-
stoffs auf den Eintritt der Muskelstarre°).
Von allen angeführten Bedingungen ist keine eine Conditio
sine qua non, da der Stoffwechsel, wie erwähnt, auch ohne sie auf
Kosten der Muskelsubstanz fortbestehen kann. Ob ein derartiger
postmortaler Stoffwechsel mit oder ohne künstliche Ernährung un-
bedingt mit einer Reduzierung des Biotonus nicht nur in quanti-
tativer, sondern auch in qualitativer Beziehung einhergehen muß,
wie Danilewsky®) meint, sei noch dahingestellt. Das schließliche
Sistieren der Automatie ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
die Folge absoluter Erschöpfung des Herzmuskels, sondern der
Anhäufung von Stoffwechselprodukten’). | |
Die vorausgehenden Betrachtungen legen die Frage nahe,
welche Bedingungen in unserm Falle für den Wiedereintritt von
Herzeontractionen entscheidend sein mochten. Nach meiner An-
sicht könnten es nur zwei gewesen sein: die mechanische Wirkung
der Manipulationen bei der Besichtigung des Herzens und die Luft-
respektive Sauerstoffreizung, eventuell die bei der Oefinung erfolgte
Abkühlung, die freilich unter Berücksichtigung der Jahreszeit
(Juni) kaum von Belang sein konnte. Gegen die mechanische Er-
klärung möchte ich einwenden, daß die Manipulationen (bestehend
im leichten Anheben des Herzens) zu unbedeutend waren und zu
kurz dauerten, um in bezug auf ihre Wirkung etwa mit einer Herz-
massage verglichen werden zu dürfen, von der man unter Um-
ständen eine Wiederbelebung erhoffen könnte, ferner vermögen
mechanische Reize sonst auch an den reizbarsten Stellen nur ein-
zelne Contractionen oder im höchsten Falle kurze Reihen von
Pulsen hervorzurufen, und diese Pulse treten dann — was ich be-
sonders hervorheben möchte — unmittelbar im Anschluß .an die
Reizung auf. Eine Latenzdauer von über fünf Minuten, wie sio
in unserm Falle mit Sicherheit zwischen Herzinspektion und Be-
ginn der Pulsationen angenommen werden müßte, schließt die
Hypothese einer mechanischen Wirkung aus. Die Dauer der La-
tenzperiode spricht in gleicher Weise gegen ‚die zweite Annahme,
Man wäre also gezwungen, eine absolute Spontaneität des Wieder-
eintritts der Herztätigkeit anzunehmen, wogegen sich theoretisch
kaum etwas einwenden ließe. Freilich wäre unserm Erklärungs-
bedürfnisse mit einem solchen Verweis auf unbekannte, im Mecha-
nismus des intrazellulären Stoffwechsels enthaltene Glieder der
Kausalkette nicht viel geholfen. .. .
Oder gibt es noch eine andere Möglichkeit?
Ich möchte an einen Umstand erinnern, den ich schon bei
der Beschreibung des Phänomens genügend hervorgehoben habe:
es ist dies das isochrone Auftreten der Herzpulsationen mit der
Durchtrennung des Rückenmarks oder wenigstens mit den dazu
führenden Manipulationen. Diese Isochronie kann ein Zufall sein,
wäre hier aber auch eine kausale Verknüpfung nicht denkbar?
Ich bin mir bewußt, mit der Aufstellung einer solchen Hypo-
these den Boden der tatsächlichen Erfahrung zu verlassen, möchte
sie aber trotzdem nicht von vornherein ablehnen, ohne ihren heuri-
stischen Wert geprüft zu haben. Nur in diesem — provisorischen —
Sinne mögen die folgenden Betrachtungen gelten.
Eine Wiederbelebung vom Centralnervensystem aus könnte
nur auf dem Wege der extrakardialen Herznerven erfolgen®). Es
gibt nun selten ein interessanteres Kapitel als die Geschichte der
1) Skandin, A. f. Phys. 1897, Bd: 7.
2) 1, c. S. 31ff., ferner Boehm, 1. c.
3) Siehe Cyon, 1 c. S. 302.
t) D. med. Woch. 1902, Bd. 2, S. 265 (Sommer).
5) Cfr. Winterstein, Pflügers A. Bd. 120, S. 225f.
8) Engelm. A. 1905, Suppl. S. 193 f.
1) Cfr. auch Kuliabko, Pflügers A. Bd. 97, S. 546 u. 562; auch
Cesaris-Demel 1, e. 5 |
8) Vasomotorenwirkung oder hormonale Wirkung von den Blut-
drüsen aug ist nur intra vitam möglich,
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1460
Theorien über die Wirkung dieser Nerven. Die Differenz der Auf-
fassung beginnt schon bei Hippokrates und Galen und reicht bis
in die Mitte des vorigen Jahrhunderts!). Damals bekam der Streit
durch die Untersuchungen der Gebrüder Weber eine entscheidende
Wendung, die späteren Arbeiten v. Bezolds, v. Cyons und An-
derer führten die Frage ihrer definitiven Lösung entgegen. Heut-
zutage sieht man in den zentrifugalen Herznerven wohl ziemlich
allgemein die Regulatoren des Herzens, die seine aus autochthonen
Quellen fließende Kraft den jeweiligen Bedürfnissen des Gesamt-
organismus anpassen. Ueber die nähere Art dieser ändernden
Wirkung, ob sie direkt den Muskel beherrscht oder durch Ver-
mittlung zwischengeschalteter ganglionärer oder specifisch diffe-
renzierter muskulärer Uebertragungsapparate, sind auch heute noch
die Akteh nicht geschlossen?). Für unsere Frage ist die Natur
dieses kardialen Uebertragungsmechanismus von untergeordneter
Bedeutung?), dagegen sehr wichtig erscheint die Feststellung des
Umfangs seiner Wirksamkeit. Wie weit beeinflussen die extra-
kardialen Nerven die Automatie des Herzens? Wieweit sind sie
imstande, den sistierten oder retardierten Herzschlag anzuregen?
Die ältesten Versuche, das Herz von den Nerven aus zu er-
regen, sind kurz nach der Entdeckung Galvanis mit Hilfe des
galvanischen Stroms von verschiedener Seite gemacht worden, und
zwar in bezug auf Wiederbelebung meist ohne Erfolgt). Der erste
gelungene Versuch stammt von Fowler aus dem Jahre 179:
Durch Reizung des Vagus in einiger Entfernung vom Herzen er-
zielte er bei einem Froschherzen, dessen freiwillige Schläge schon
aufgehört hatten, eine Wiederaufnahme der Pulsationen. Später
berichtete Burdach?) von einem Kaninchenexperiment, bei dem er
durch chemische und elektrische Reizung des Halsstücks des sym-
pathischen Nerven ein Stärkerwerden der halberloschenen Herz-
tätigkeit erreicht hat. Aehnliche Fälle haben Longet‘) und
Cl. Bernard’) beschrieben. Als einziger vielleicht positiver Ver-
such am Menschen wäre hier der schon früher erwähnte Fall von
Henle zu nennen, bei dem nach Reizung des linken Sympathicus
ein Wiederauftreten von Pulsationen beobachtet wurde®). Indessen
alle diese Experimente fanden eine ziemlich skeptische Aufnahme,
und Physiologen, wie Heidenhain und Ludwig, lehnten sie rund-
weg ab.
| 1860 weckte ein Versuch von Schelske°) das bereits
schwindende Interesse für dieses Problem von neuem. Durch
Reizung des Vagus gelang es Schelske, an einem im Wärme-
stillstand befindlichen Froschherzen rhythmische und auch wogende,
tetanusäbnliche Contractionen zu erregen. Die Deutung Eck-
hards, Bernsteins und Anderer, die das Phänomen auf eine
direkte Wirkung von Stromschleifen auf das Herz zurückführen
wollten, wurde von Cyon durch den Einwand &ntkräftet, daß durch
Stromschleifen am normalen Herzen kein Tetanus ausgelöst wird 10).
E. Cyon sieht diese Wiederbelebung als eine Folge von Accele-
ratorreizung an, der ja bekanntlich beim Frosch im Vagusstamme
verläuft. Den Beweis für diese Auffassung haben spätere Ver-
suche von E. H. Hering!!) und Carlson!2) erbracht. Durch
Reizung des Accelerans nach vorheriger Durchschneidung der Vagi
belebte Hering ein schlagloses Hundeherz. Die Wirkung erstreckte
sich nur auf die Vorhöfe, die durch Gift oder durch Abstellen der
Ringerspeisung gelähmt waren. In einem wahren Schulversuche
wies Carlson für das Limulusherz (bei dem eine anatomische
Trennung von Nerv und Muskel möglich ist) nach, daß es durch
Acceleratoren zum Schlagen gebracht wird.
Freilich darf in solchen Fällen die Wirkung nicht im Sinne
1) Cfr. darüber A. v. Bezold, Untersuchungen über die Innervation
des Herzens (1863, L), und E. v. Cyon, L c.
2) Für den Vagus wird ganglionäre Uebertragung ziemlich allgemein
angenommen, dagegen nicht für den Accelerans. (Hering, Pflügers A.
Bd. 99, S. 260.)
3) Ein Versuch der Deutung: J. van der Hoeven Leonhard |
(Engelm. A. 1908, S. 533ff.). = j ,
4) Cfr. Pfaff, Ueber tierische Elektrizität und Reizbarkeit, Abt. V.
(cit. nach v. Bezold, |. c.). ,
5) Vom Bau und Leben des Gehirns, 1819—1826, I, S. 224.
' 6) Anat. et physiol. du système nerveux, II, S. 314.
Leçons de physiol. exp, II, S. 436; cfr. auch E. H. Weber,
Müllers A. 1846, S. 485 f.
‘ C.
9 Ueber die Veränderungen der Erregbarkeit der Nerven durch
die Wärme. :
10) ]. c. S. 29—30 u. S. 314.
11) Zbl. f. Phys. 1905, Bd. 19, S. 129.
12) Zbl. f. Phys. Bd. 16, S. 330,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September.
der motorischen Nervenwirkung sensu strietiori gedacht werden),
gegen eine derartige Auffassung kämpft Hering?) und auch
Cyon?) aufs entschiedenste an: beide räumen dem Accelerans nur
einen Einfluß auf die Reizbildung ein; der Ausdruck „exeitomo-
torisch“ würde die Wirkungsweise am besten charakterisieren. Im
Effekt freilich kommt es schließlich auf eins hinaus, sodaß sogar
Hering sagt: „Tatsache ist, daß, wenn man sich so ausdrücken
darf, Nervenkraft das schlaglose Herz zum automatischen Schlagen
bringt“®%. Und dieser Erfolg ist nicht etwa auf die unmittelbar
dem Herzstillstande folgenden Augenblicke beschränkt, sondern
kann, wie wiederum Hering in schönen Experimenten nach-
gewiesen hat, über zwei Tage nach dem Tod an wiederbelebten
Herzen noch deutlich sieh einstellen: 53 Stunden und 44 Minuten
p. m. war er noch bei einem Affen zu sehen, obwohl dieser
zwischendurch hartgefroren war’). Diese lange Ueberlebensdauer
erklärt Hering aus der postganglionären Natur der Accelerans-
fasern. |
So sehr die angeführten Versuche für die Wiederbelebungs-
möglichkeit des Herzens von den Nerven aus sprechen, so wenig
ist damit eine derartige Möglichkeit auch für das Central-
nervensystem bewiesen: Hier beginnen sich die Schwierigkeiten
zu häufen und nur durch Interpolation einiger sehr hypothetischer
Annahmen kann der Kausalnexus geschlossen werden. Aber wir
wollen dem Gange der Betrachtung nicht vorgreifen....
Die ersten Experimente, auf welche man sich bei dieser
Frage eventuell stützen könnte, hat v. Bezold angestellt). Nach
vorheriger Ausschaltung des Vago-Sympathicus’) schnitt er das
Rückenmark von Kaninchen in verschiedenen Höhen durch und
reizte den peripheren Stumpf mechanisch (mit Nadelstichen) oder
elektrisch. Die dabei beobachteten Wirkungen auf das Herz faßt
v. Bezold in dem Schlusse zusammen, daß neben den regulatori-
schen Nerven ein motorisches respektive exceitierendes Nerven-
system vom Gehirn durch das Rückenmark unter weiterer Ver-
mittlung des Grenzstranges zum Herzen verläuft, das auf mecha-
nische oder elektrische Reizung des peripheren Rückenmarkstumpfes
mit Steigerung der Triebkraft des Herzens reagiert und dessen
Tätigkeit im normalen Leben zur dauernden Aufrechterhaltung des
Kreislaufs nötig ist; daneben besteht die Automatie der Herz-
ganglien, auf welche die exeitierenden Nerven wirken). Wie die
Experimente zeigten, war bei Vagusstillstand auch die stärkste
Erregung des Rückenmarks nicht imstande, den Stills'and sofort
zu beheben, was nach v. Bezolds Ansicht auf die antagonistische
Wirkung des Vagus zurückzuführen ist. Durch die exeitierenden
Nerven sollen den Herzganglien neue Reizqualitäten zufließen, die
sich zu den autochthon entstandenen summieren und so die Wider-
stände der Regulatoren durchbrechen.
Der Heranziehung dieser Versuche zum Vergleiche steht
leider ein sehr wichtiger Umstand im Wege: sie sind alle. unter
annähernd normalen Kreislaufsverhältnissen gewonnen worden,
während in unserm Falle der Kreislauf längere Zeit sistiert war.
Darin liegt die Hauptschwierigkeit unserer Hypothese. ... Es ist
kaum anzunehmen, daß die labilen Elemente des Centralnerven-
systens und der Sympathicusganglien, welche passiert werden
müßten, eine so lange Unterbrechung des Kreislaufs ertragen
können, eröffnen sie doch den Sterbemarsch der Zellen im Körper
(Varigny). Man könnte allerdings einwenden, daß auch bei den
v. Bezoldschen Experimenten die peripheren Rückenmarksstümpfe
kaum mehr lebensfähig sein konnten, trotzdem aber die Erregung
percipierten und weiterleiteten. Es ist auch nicht ausgeschlossen,
daß die postmortale Lebensdauer des Centralnervensystems etwas zu
kurz bemessen worden ist, manche Beobachtungen weisen auf weitere
1) Neuerdings hat D. Polumordwinow, Pflägers A. 1911, Bd. 140,
S. 17f., dies getan. Es spricht gegen die Ansicht schon die Länge der
Latenzdauer bei Acceleranswirkung (10 —20—60 Sekunden).
J Verh. der Deutsch. pathol. Gesellsch. 1910, S. 46—47.
‚le.
4) Pflügers A. Bd. 114.
s Peer A. Bd. 99, S. 245.
0:
1) Leider versäumte v. Bezold, den Einfluß des Gefäßnervensystems
auszuschalten, wodurch die Evidenz seiner Schlußfolgerung sehr leidet.
(Cfr. darüber E. Cyon, l. c. S. 69—71).
8) Unter Wahrung aller nötigen Vorsichtsmaßregeln wurden 1866
von E. und M. Cyon ähnliche Versuche gemacht, die eine unmittelbare
Einwirkung des R.-M. auf das Herz durch Vermittlung der Ganglien des
Sympathicus feststellten. In weiterer Folge der Entwicklung führten
T ae zur Entdeckung der Acceleratoren. (Cyon, l ©
8. September.
zeitliche Grenzen hin. So stellte Cyon!), der im Jahre 1899 mit
einer sinnreich erdachten Methode die Resistenz gewisser Nerven-
centren gegen Blutleere prüfte, mit Sicherheit fest, daß die Zeit-
räume, innerhalb deren die Hirncentren, speziell der zentrifugalen
Herzuerven, nach Unterbrechung des Kreislaufs in der Schädel-
höhle noch zum Leben zurückgerufen werden und ihre Wirksam-
keit auf das Herz behalten, je nach der Tierart, deren Alter und
Größe beträchtlich schwanken. Als Grenze der Reaktivierungs-
möglichkeit bezeichnet er 15 Minuten, ein Zeitwert, der beinahe
vollkommen mit dem von Arnaud?) früher gefundenen überein-
stimmt. Möglicherweise bestehen bei größeren Tieren, insbesondere
dem Menschen, geringere Grade der Vitalität, die die Aufnahme
und Weiterleitung einer Erregung gestatten, unter besonders
günstigen Umständen noch viel länger. Freilich scheinen manche
Tierversuche, z. B. die Schevens?), gegen eine solche Annahme
zu sprechen, aber es gibt wiederum andere Momente, auf die man
sich bierbei stützen könnte. So ist es z. B. die anatomische Tat-
sache, daß die postmortalen Veränderungen des intracellulären
Fibrillennetzes der Gehirn- und Rückenmarksganglienzellen erst
nach Ablauf von 24 Stunden beginnen®), woraus man auf eine
längere Lebensdauer dieser Zellen schließen könnte, mag dieses
Leben noch so sehr herabgesetzt gedacht werden. Für die Re-
sistenz der sympathischen Nervenzellen gegen Anämie spricht so-
gar das Experiment. R. Schröder?) gelang es, 60 bis 70 Minuten
nach Aufhören der Atmung ein durch Verblutung : abgestorbenes
Ganglion cervicale sup. mit Ringerscher Lösung wiederzubeleben.
Last not least kommt der Erfolg der Herzmassage beim Chloro-
formtod. Ibm gebührt nicht weniger die Dignität eines Experi-
ments, handelt es sich doch auch hier um die Rückkehr der Gehirn-
funktionen nach einer mehr oder minder langen, durch die Anämie
bedingten Pause. Wenn auch die bisher erreichte Zeitgrenze,
innerhalb welcher eine Restitution möglich gewesen ist, kaum den
obenerwähnten Zeitwert Arnauds überschreitet, so dürfte sie
doch bei der relativen Jugend der Methode kaum als die definitive
angesehen werden, bei Hunden jedenfalls, deren Herzen durch
Narkose oder Erstickung zum Stillstande gebracht worden sind,
hat sie bei direkter elektrischer Reizung des Herzens den hohen
Wert von 25 bis 40 Minuten erreicht®).
Die Reaktivierung der Hirncentren durch Wiederherstellung
des Kreislaufs ist so vollständig, daß sie sogar das stillstehende
Herz von neuem zum Schlagen bringen kann. Zum Beweise hier-
für sei an den bekannten Versuch Cyons?) erinnert, bei dem
durch Restitution des Blutlaufs im. Gehirn . das schlaglose Herz
eines Kaninchens momentan zum regelmäßigen Schlagen angeregt
wurde. „In diesem Versuch ist also die Automatie des Herzens,
die zu funktionieren aufgehört hatte, von neuem wiederhergestellt
worden durch die bloße Wiederkehr der Verriechtungen der Gehirn-
centren der Herznerven®).“ Der von Friedenthal?) gegen diese
Deutung erhobene Einwand, es handelte sich um eine vom Nerven-
einflusse herrührende Steigerung der Anspruchsfähigkeit des Herz-
muskels für den automatischen Reiz, der in den Enden der Körper-
venen wahrscheinlich noch persistiert hätte und von Cyon über-
sehen worden sei, klingt zu sophistischh um wirklich triftig zu
sein. Obwohl Friedenthal die Wiederholung des Experiments
nicht geglückt war (was Cyon auf Mängel der Anordnung zurück-
führt), S0 zeugen doch seine eignen Versuche für den mächtigen
Einfluß, den das Centralnervensystem auf das Herz ausübt. So
befrirkte z, B. eine Reizung der Medulla oblongata durch Ab-
klemmung der Kopfarterien einen schnellen Herzstillstand!V). Auch
der KuBmaul-Tennersche Versuch, auf den Friedenthal hin-
weist, bestätigt nur die Cyonsche Auffassung. Bei diesem Ver-
suche tritt bekanntlich nach plötzlicher Blutleere im Gehirn und
ückenmark innerhalb von 15 Minuten allmählich der Herzstill-
stand ein; werden aber vorher die Vagi durchgeschnitten, so
beobachtet man umgekehrt eine so starke Acceleranswirkung, wie
en en.
') 1. c. 8.809--311.
res 11
. 6, |
o at. Eey. Ba. 88, H.8 und Bd. 39, Hl
. Arbeiten von Scarpini un rünstein. ; i
Jahrb, 1907, Ba. 295, 9.16, 31. 7 a
) A. f. Phys. 1907, Bd. 116, S. 600;
ist i Bi Floresco, J. de phys. Bd. 7, S. 791. Für den Menschen
machte esondere eine in der Kieler chirurgischen Klinik ge-
© Beobachtung wichtig. Zbl. f. Chir. 1903, S. 981. (P. Sick).
) 1 Zgon oder Neüurogen? Pflügers A. 1901, Bd. 88; ferner l.c.S.311.
= Cogelmanns A. 1901, S. Bif. und 1902, S. 141 f. u
fr. auch Siciliano , A. ital. de Biol. Bd. 38, S. 338 (nach Referat).
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36. | 1461
sie. durch keine künstliche Reizung zu erzielen ist. Acceleratoren
sind es auch, denen die Vermittlung des cerebralen Einflusses
nach Cyons Ansicht zufällt, und: nicht besondere motorische
Nerven, die von Bezold (im Anschluß an Legallois) auf Grund
seiner Resultate postuliert. | | |
Alle jene Versuche, von. denen eben die Rede war, legen die
Vermutung nahe, daß auch der Mensch, wenn er unter ähnlich
günstigen Versuchsbedingungen Objekt des Experiments wäre,
aller Wahrscheinlichkeit nach ein ähnliches, ja in mancher Be-
ziehung noch prompteres Verhalten zeigen würde. Der letztere
Schluß basiert auf der unbestreitbaren Tatsache, daß beim Menschen
außer rein physiologischen Beziehungen eine Fülle von psycho-
physischen Relationen in den Connex zwischen Gehirn und Herz
eingeht und beide um so fester und enger aneinander schmiedet.
Diese unmittelbare Verknüpfung, die das Herz zum Resonator des
Seelenlebens macht, muß in physiologischer Beziehung auf Grund
von Bahnungsvorgängen den Einfluß des Centrainervensystems auf
das Herz nicht nur erweitern, sondern auch verfeinern. a
Inwieweit alle diese Erwägungen unsere Annahme einer
centralen Wiederbelebung des Herzens stützen könnten, will ich
dahingestellt sein lassen: es handelt sich ja um eine Hypothese.
Unter der Voraussetzung einer längeren Lebensdauer des anämi-
schen Üentralnervensystems und der Sympathicusganglien, über
welche die Passage zum Herzen führt, wäre eine solche centrale
Wirkung auf das Herz nicht undenkbar!). Als centralen Reiz
müßte man in unserm Fall entweder die Durchschneidung des
Rückenmarks oder den bei der Kopfsektion erfolgten Abfluß der
Hirnflüssigkeit ansehen. Die letztere Ursache wäre im Sinne einer
Druckverminderung im Gehirn zu deuten, die bekanntlich auf die
beschleunigenden Centren einwirkt?). Man könnte eventuell im
Sinne Wundts und Baschs?°) den peripheren mechanischen Reizen
(Berührung usw.) und dem Sauerstoffzutritt eine sensibilierende
Wirkung auf den Herzmuskel zugestehen und die Erscheinung aus
einem äußerst seltenen Syndrom günstiger Bedingungen erklären).
` Damit wären wir am Schlusse unserer Betrachtungen an-
gelangt, nur einige kurze Bemerkungen seien noch hinzugefügt.
Die erste betrifft die Suprematie®) des rechten Vorhofes in bezug
auf die Dauer der Automatie, die von allen Beobachtern an Tieren
und Menschen in gleicher Weise bestätigt worden ist. Sie findet,
wie anatomische Untersuchungen erwiesen haben, ihre Erklärung
in der Anhäufung von Ganglienzellen und specifischen Muskel-
systemen vom embryonalen Typus, deren Reizbildungsfähigkeit, wie
physiologische Experimente zur Genüge gezeigt haben, bei weitem
‚ die anderer ähnlicher, in den übrigen Herzteilen gelegener Gebilde
übertrifft. Zu der Hypothese, die in diesen Muskelsystemen die
Bildungsstätten der inneren Herzreize annimmt, paßt der relativ
große Reichtum aller dieser „Knoten“ an perinukleärem Sarko-
plasma), das seit Biedermann für den Träger der Erregbarkeit
der Muskelfaser gilt. Alle diese auf einen gesteigerten Stoff-
wechsel deutenden Tatsachen, die den rechten Vorhof zur Aus-
gangsstelle der nomotopen Herzcontraetion machen, erklären ohne
weiteres den schon Kußmaul bekannten späten Eintritt der Starre
am Vorhofe’); sie sind es auch, worauf die lange Anspruchsfähigkeit
der Vorhofsmuskulatur für exogene Reize zurückzuführen ist. Die
Frage, ob zwischen dem rechten Vorhof und den extrakardialen
Herznerven eine besonders innige Verknüpfung besteht, läßt sich
zurzeit noch nicht entscheiden. Der Versuch Herings?), bei dem
er durch Acceleransreizung die Vorhöfe eines Säugetierherzens
zum Schlagen brachte, während die Ventrikel sich nicht bewegten,
scheint für eine gleichmäßige Wirkung auf beide Vorhöfe zu
sprechen, wogegen die Ventrikel vielleicht nur mittelbar beein-
fugt werden?).
1) Cfr. darüber frühere Ausführungen,
2) 1. c. S. 188.
3) Wundt, Untersuchung zur Mechanik der Nerven usw. 1871
Bd: 1, S. 198; v. Basch, Wiener Sitzungsberichte 1879, Bd. 79 (3). S. 87.
*) Daß auch die Anämisierung der Hirncentren eine gesteigerte
Erregbarkeit derselben zur Folge hat, beweisen die Studien A, Velichs
über diese Frage (R. neur. etc. 1905, S. 441).
u o m tO Anger mE Er un Let a der großen Venen.
onf. Colin (Compt. rend. ; . 55, 8.495), Hori Verh.
ie Be Er S. 89). eurer. det
. Aschoff (Verh. der Deutsch. path. Ges. 1910, S. 9 bis 10).
1) Cir. Kuliabko, l. c. und Winterstein, l. c. en)
3 zul f. a, lL e
agegen i. Erlangers Beobachtungen bei totalem Herzblock
(Zbl. f. Phys. 1905, Bd. 19, S. 9#f.); ferner v. Schumachers anat. Unter-
suchungen (Wien. Sitzungsber. 1902, Bd. 3, S. 226 f); auch Hering
(Verh. der Deutsch. path. Ges. 1910, S. 47).
BE WER na SEA a RE i,
ir
Te et a Ann
one. nn
fähigkeit und seiner anatomischen Beschaffenheit.
1462
Das Problem der Reaktivierung des Herzmuskels sei aus
Mangel an positiven Anhaltspunkten für seine Lösung übergangen.
Die ältere Hypothese von R. Boehm!), wonach allen restituierbaren
Herzstiliständen nur eine lähmungsartige Schwäche der ganglio-
nären Uebertragungsapparate des Herzens zugrunde liegen soll,
bedarf einer Revision unter Berücksichtigung der modernen For-
schungsresultate Ein für diese Frage sehr wichtiger Faktor ist,
wie schon Boehm?) hervorhebt, die Art des Todes. Bei Ver-
giftungen z. B. (Chloroform, Wasserstoffgas) fand Boehm als die
Grenze der Wiederbelebungsmöglichkeit 19 Minuten. Arnaud?)
vindiziert die Persistenz der Lebensfähigkeit des Herzens für alle
plötzlichen Todesarten, insbesondere den Erstiekungstod. Dazu
gehört ferner der primäre Herztod, der sich in physiologischer
Hinsicht durch einen relativ späten Eintritt der Starre auszeichnet.
Der Mechanismus des primären Herztodes ist wohl in den meisten,
für eine Restitution geeigneten Fällen peripher vom Herzen be-
dingt, wenn auch die unmittelbare Ursache des Herzstillstandes in
dem Herzmuskel selbst, sei es als Lähmung der Ganglien oder
als Anhäufung von Stoffwechselprodukten, gelegen sein mag.
Wenn wir zur Erklärung des Herzstillstandes afferente, meist von
den zentrifugalen Herznerven®) vermittelte Hemmungsreize an-
nehmen, dann wird auch die Tatsache, da8 der Effekt einer solchen
Influenz unter günstigen Umständen behoben werden kann, nicht
mehr so wunderbar klingen. Der Fortfall dieser centralen Hem-
mungen befreit dann die Automatie des Herzmuskels von den ihr
aufgezwungenen Fesseln und stellt sie wieder auf ihre eigenen
Füße, wie es zu Anfang der Entwicklung war. Durch ähnliche
Erwägungen sucht Friedenthal®) das Persistieren des Herz-
schlags nach der Enthauptung zu erklären. Nehmen wir in
unserm Falle, wie ich eingangs schon erwähnt habe, als Todes-
ursache einen centralen Prozeß an, der lebenswichtige Centren ge-
troffen hat, so wäre die Wiederkehr der Herzaktion nach der
Rückenmarksdurchschneidung vielleicht als Folge eines Fortfalls
centraler Hemmungen aufzufassen sein. Freilich verträgt sich diePer-
sistenz centraler Hemmungen während so langer Zeit nach dem Tode
noch weniger mit physiologischen Erfahrungen als die frühere An-
nahme eines aktiven Eingreifens neuer kardiomotorischer, central
ausgelöster Reize.
Noch eine interessante Erscheinung sei hier erwähnt, die
zwar schon lange bekannt, aber immer noch nicht hinreichend
erklärt ist; es ist dies die Beobachtung, daß die Reaktivität und
Restitutionsfähigkeit eines Herzens post mortem sich beinahe um-
gekehrt proportional verhält zu seiner intravitalen Leistungs-
Gerade Indi-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September.
viduen, die durch eine lange Krankheit geschwächt und unter-
ernährt sind, z. B. Paralytiker, wie es in unserm Falle war, zeigen
das Phänomen am häufigsten, trotzdem im Leben ihr Herz
funktionell und anatomisch als „schwach“ galt, was auch die
Obduktion bestätigt. Marchand!) stellt diese Erscheinung zu den
unter ähnlichen Umständen, insbesondere bei Phthisikern 6 bis
12 Stunden nach dem Tode beobachteten „idiomuskulären“ Con-
tractionen in Parallele, Cesaris-Demel?), der sie gleichfalls be-
schreibt, macht, gestützt auf Tierexperimente, folgenden Versuch
einer Erklärung: Wir können vermuten, daß diese Unterschiede,
auch beim Menschen, davon abhängen, daß gewisse oligämische
Zustände das Herz in den Zustand der Ruhe versetzen, ohne daß
seine Ernährungsbedingungen darunter leiden; so viel ist wahr,
daß ein solches Herz im Augenblicke des Reaktivierungsversuchs
deshalb eine größere Leistungsfähigkeit besitzt, weil es in seiner
letzten Lebenszeit weniger durch Arbeit ermüdet ist. — Inwieweit
diese Annahme den Tatsachen gerecht wird, ist kaum zu ent-
scheiden, sie schließt jedenfalls andere Erklärungsmöglichkeiten
nicht aus. Die gesteigerte Erregbarkeit könnte z. B. auch als
Ausdruck einer bei unterernährten Individuen infolge des Aus-
falls oder Beschränkung der Nahrungszufuhr notwendig ein-
tretenden relativen Voerselbständigung des intrazellulären Stoff-
wechsels der Muskeln aufgefaßt werden, der infolge der hohen
Abbaufähigkeit seines Nährmaterials, der Zellsubstanz, weniger
Nebenprodukte liefert, welche den Muskel selbst oder die nervösen
Apparate des Herzens lähmen. Vielleicht wäre der spätere Eintritt
der Totenstarre in solchen Fällen aus denselben Gründen zu erklären.
Mögen nun alle diese Hypothesen in unserm Einzelfalle
nicht zutreffend sein, sicher zu Recht besteht die Annahme,
die gleichsam ihren Angelpunkt. bildet, daß es Störungen des
Organismus gibt, in deren Folge der allgemeine Tod ein-
tritt, welche unter günstigen Bedingungen nicht irreparabel
sind. Das Studium der Wirkung mancher therapeutischer Maß-
nahmen auf den kranken Organismus gibt einige Einblicke in den
verwickelten Verlauf solcher Lebensstoeckungen. In einem so kom-
pliziert gebauten Organismus wie der menschliche Körper genügt
eine relativ geringe Schädigung, um die Liebensmaschine zum
Stillstand zu bringen. Indessen so gut derartige momentäne
Stockungen durch therapeutische Eingriffe oder auch spontan, das
heißt durch die Selbststeuerungsvorrichtungen des Körpers schon
heutzutage behoben werden, ebenso wäre für eine gereifte wissen-
schaftliche Erkenntnis die Möglichkeit denkbar, die Grenze der
restituierbaren Leebensstockungen in die jetzige Domäne des Todes
vorzurücken. Aber dies ist ein Problem, das der Zukunft gehört.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Kiel
(Direktor: Prof. Stoecke)).
Zur operativen Behandlung der puerperalen
Pyämie®) |
von
Prof. Dr. 0. Hoehne, Oberarzt.
Nachdem schon früher in vereinzelten Fällen Venenunter-
bindungen bei puerperaler Pyämie, freilich ohne Nutzen,
ausgeführt waren, wurde die Operation wieder aufgenommen und
häufiger geübt, als Trendelenburg 1902 den ersten glänzenden
Erfolg von Unterbindung der rechten Vena hypogastrica und nach-
folgend der rechten Spermaticalvenen bei einer chronischen Pyämie
bekanntgegeben hatte.
Eine spezielle Studie von Kownatzki (1907) aus der Klinik
Bumm hat uns über die abführenden Blutwege aus dem weiblichen
Genitalapparate mit Bezug auf ihre praktisch-operative Bedeutung
genau unterrichtet. Seine Untersuchungen lehrten, daß nicht
regelmäßig die Vena hypogastrica als Sammelvene das Blut des
weiblichen Beckens in die Vena iliaca communis leitet, sondern
leo. 7
r A. f. exp. Path. 1878, Bd. 8, S. 68ff.; auch Kuliabko, 1. c.
S. 559. |
3, l. c.
4) Auch eine durch Vasoconstriction der Kranzgefäße bedingte
Ischämie ist denkbar. Cfr. L. R. Müller (M. med. Woch. 1906, S. 1).
5) Engelm. A. 1901, S. 31 f.
6) Nach einem in der Medizinischen Gesellschaft zu Kiel am 4. Juli
1912 gehaltenen Vortrage.
daß in jedem weiblichen Becken jederseits drei venöse Gefäßzüge
vorhanden sind, von denen der mittlere Gefäßzug, die Vena iliaca
media, als genito-vesicale Sammelvene angesehen werden muß.
Ihr Quellgebiet reicht unter der Symphyse hindurch bis in die
äußeren Genitalien. Alle Gefäße der Blase und des Uterus mit
Ausnahme des Plexus pampiniformis münden in diesen einheitlichen
Gefäßzug, der in etwa einem Drittel der Fälle sich ganz selb-
ständig mit der Vena iliaca externa vereinigt, in zirka zwei Drittel
der Fälle unmittelbar vor der Einmündung in die Vena iliaca ex-
terna mit der Vena iliaca interna eine Verbindung eingeht zu
einem kurzen Stamm, der Vena hypogastrica. Wenn wir also dem
aus den weiblichen Genitalien abfließenden Blute den direkten Weg
wirksam versperren wollen, so müssen wir die Spermaticalvenen
beiderseits und mindestens die beiderseitigen Venae iliacae mediae
unterbinden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Vena iliaca
media häufig vor ihrer Vereinigung mit der Vena iliaca externa
eine Anastomose mit der Vena iliaca interna eingeht, und daß regel-
mäßig eine Kommunikation zwischen der Vena obturatoria und der
Vena iliaca externa besteht. Ja die Vena obturatoria kann gauz
selbständig in die Vena iliaca externa einmünden. Da also. diese
Verhältnisse sehr verschieden sein können, und außerdem in dem
sulzigen Gewebe bei entzündlichen Infiltrationen die Orientierung
über die Gefäßanordnung erfahrungsgemäß außerordentlich er-
schwert ist, empfiehlt es sich nach Bumm, falls nur eine ein-
seitige Erkrankung vorliegt, auch nur die Gefäßunterbindung auf
der erkrankten Seite vorzunehmen und oberhalb des Infiltrations-
herds die bequemer zugängige und leichter zu isolierende Vena
iliaca communis zur Unterbindung zu wählen, Die Unterbindung
lc.
2) 1. c. (nicht wörtlich).
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.36. | 1463
der Vena iliaca communis ergibt sich von selbst, -wenn sich die
Thrombophlebitis bis hierhin erstreckt. Sollte es sich herausstellen,
daß die entzündliche Thrombose bis in die Vena cava hineinreicht,
so braucht man -sich nicht zu scheuen, selbst dieses große Gefäß
oberhalb des Thrombus zu ligieren. Schon wiederholt, ausgeführte
Unterbindungen der Vena cava, experimentell beim Tiere (Hund)
und auch beim Menschen!) haben auffallend geringe Kreislauf-
störungen zur Folge gehabt, wenn die Ligatur unterhalb der Rin-
mündung der Venae renales angelegt wurde, und es hat sich ge-
zeigt, daß nach Ausschaltung dieses riesigen Gefäßes die Bahnung
eines ausreichenden Kollateralkreislaufs durchaus möglich ist.
Bevor ich nun auf eine von uns in der Klinik gemachte
Beobachtung des näheren eingehe, möchte ich noch kurz streifen
die Berechtigung, die Leistungsfähigkeit und die Indi-
kationsstellung der Venenunterbindung bei puerperaler Pyämie.
Wenn wir nach der Berechtigung dieser Operation fragen, so
müssen wir orientiert sein über den Ausgang der puerperalen
Pyämie bei rein abwartendem Verhalten. Fast einstimmig wird in
den freilich nicht gerade zahlreichen Statistiken die Prognose der
nichtoperativen Behandlung puerperaler Pyämie als sehr schlecht hin-
gestellt, womit auch die Erfahrung unserer Klinik übereinstimmt.
Die Mortalität beträgt nach diesen Statistiken 70 bis über 90 %o.
Eine so hohe Mortalität durch ein operatives Vorgehen herabdrücken
zu wollen, muß als ein berechtigtes, ja notwendiges Streben an-
erkannt werden. Fragen wir uns, was bis jetzt mit der Venen-
, unterbindung bei puerperaler Pyämie erreicht worden ist, so ergibt
die Durchsicht der Literatur einen Heilungsprozentsatz von zirka
400/0, wobei erwogen werden muß, daß natürlich nur die Fälle
zur Operation kamen, bei denen die Schüttelfröste nicht spontan
aufhörten, also offenbar nur schwerere und schwerste Fälle.
Wann sollen wir aber operieren? Nach allem, was wir bisher
wissen, ist es falsch, akutest verlaufende Fälle von Pyämie über-
haupt operativ anzugreifen. Diese Fälle sind auch durch Venen-
unterbindung nicht zu retten, weil sie keine reinen Fälle von
Pyämie sind. Sie sind kompliziert durch phlegmonöse Prozesse in
der Umgebung des Uterus und charakterisiert durch dauernden
Keimgehalt des Bluts. Es sind also Septico-Pyämien. Ganz anders
steht es mit den subakut und chronisch verlaufenden Fällen puer-
peraler Pyämie, bei denen normale Temperaturen mit plötzlichem
Temperaturanstieg unter Schüttelfrost, Wohlbefinden in der fieber-
freien Zeit mit starkem Krankheitsgefühle während der Fieber-
attacken abwechseln und bei denen im Fieberintervall die Blutbahn.
frei von Keimen ist. In solchen Fällen gelingt es uns. nicht
selten, bei kombinierter Untersuchung den thrombophlebitischen
Herd als äußerst empfindliches, strangförmiges Infiltrat zu fühlen.
Nun aber zu unserm Falle: |
‚ . Frau F. B., J.-Nr. 967 und 1105, 1911/1912. Bei der 21jährigen,
bis dahin gesunden Primipara wurde vom behandelnden Arzte die Placenta
wegen starker Nachgeburtsblutung manuell gelöst. Schon am Abend des
ersten Wochenbettstages soll die Temperatur angestiegen, am zweiten
Wochenbettstage ein Schüttelfrost aufgetreten sein, der sich bis zu der am
siebenten Wochenbettstage erfolgenden Klinikaufnahme täglich wiederholte.
Bei der Aufnahme fanden wir hohe Temperatur = 40,60, sehr beschleu-
nigten, aber kräftigen Puls, ausgesprochene Empfindlichkeit der linken
Unterbauchgegend, den Uterus gut kontrahiert in der Mitte zwischen
Nabel und Symphyse. Peritoneum frei, Darmfunktion nicht gestört.
Bakteriologischer Befund: Im Scheidensekret kulturell aerob und anaerob
Reinkultur von Staphylokokken; das Blut aerob und anaerob keimfrei.
Nach Anamnese, nach dem lokalen und bakteriologischen Befunde
nahmen wir an, daß es sich um eine Staphylokokkenpyämie handele,
ausgehend von einem Herde der linken Beckenbälfte, und beschlossen,
nach weiterer Klärung des Falles und bei weiterer Häufung der Schüttel-
fröste die Venenunterbindung auszuführen. Weil wir prinzipiell wegen
der Ermöglichung einer klaren Uebersicht und einer genauen Betastung
der in Frage kommenden Venengebiete und wegen größerer Bewegungs-
freiheit bezüglich Ausdehnung der Operation den peritonealen respektive
transperitonealen Weg für die Venenunterbindung bei puerperaler Pyämie
wählen, injizierten wir in die Bauchhöhle zum Schutze des Peritoneums
80 ccm 1°/oigen Campheröls. ee
Bei aufmerksamer Beobachtung des Falles konstatierten wir bald
entsprechend der von vornherein druckempfindlichen Stelle im linken
JPOgastrium eine vom Uterus bis zur linken Beckenwand sich er-
streckende, auf Druck äußerst empfindliche Schwellung. Ein embolischer
üngenherd im linken Unterlappen ging allmählich in Lösung über. Die
omperaturkurve war zunächst keineswegs die einer Pyämie. Bei un-
regelmäßig remittierendem Fieber schien es so, als ob ein in den linken
anfän ) Of. J. B&jan et M. Cohn, Sur la ligature de la veine cayo
inférieure (Étude expérimentale. H. de chir. Bd, 31; Ref. Zbl. f. Chir.
2, Nr. 7, S, 238) und Warnekros, Ueber drei bemerkenswerte Fälle
von puerperaler Pyämie (A. f. Gyn. 1912, Bd. 97). ae
Adnexen spielender Entzündungsprozeß sich lokalisieren würde. -Aus dem
sonst kaum veränderten. Urin wurden vorübergehend Staphylokokken in
Reinkultur gezüchtet. Vom 16. Tage post partum ab setzten wieder
Schüttelfröste ein, und es entwickelte sich nun das ganz typische Bild
der puerperalen Pyämie. Das Befinden der Kranken. verschlechterte sich
von Tag zu Tag, sie verfiel sichtlich und war schließlich in einem ganz
desolaten Zustande. Es wurde deshalb am 24. Wochenbettstage, am 16. Tage
nach der anteoperativen' Reizbehandlung des Peritoneums, nach fünf zu
Hause aufgetretenen und sieben in der Klinik beobachteten, an Zahl sich
deutlich häufenden Schüttelfrösten zur Venenunterbindung geschritten.
Mit Längsschnitt eröffnete ich (17. Februar 1912) in Aether-Chloro-
formnarkose das Abdomen. Im Bereiche des Peritonealcavum zeigte sich
eine sehr intensive Oelreaktion und zirka 150 ccm Exsudatflüssig-
keit im vorderen und hinteren Douglas. Rechte Adnexe und Uterus
waren ganz ohne fühlbaroe Veränderungen, auch im zarten Ligamentum
latum rechts kein Infiltrat oder Strang zu fühlen. Das linke Ligamentum
latum zeigte sich in seinen oberen Partien ödematös geschwellt, die
linken Adnese entzündlich verdickt und am Ligamentum infundibulo-
pelvicum durch ein starres Infiltrat dem Psoas fest aufgelötet. Dieses
starre, oben in einen dicken Strang auslaufende Infiltrat entsprach genau
dem Wege der linken Spermaticalgefäße. Es verjüngte sich nach oben,
ohne daß man zunächst sein Ende erreichen konnte. Danach handelte
es sich um eine einseitige, hoch hinaufreichende Thrombophlebitis des
linksseitigen Spermaticalgefäßgebiets. |
Unmittelbar nach außen von dem zur Orientierung dienenden
Ureter würde nun die deckende Serosa durchschnitten und von diesem
` Peritonealschlitz aus das Ende der thrombosierten Gefäße zu erreichen
versucht, was erst gelang, nachdem das Peritoneum seitlich von der
Flexura sigmoidea ausgiebig gespalten war. Oberhalb des fühlbaren
Thrombus: wurden nun zwei Ligaturen angelegt und dazwischen das
Spermaticalgefäßbündel mit Thermokauter durchtrenut. Die Ablösung
des thrombosierten Venenpakets bis zu dem Psoasinfiltrat gelang leicht.
Sodann wurden die linken Adnexe vom Uterus und Ligamentum latum
mittels Thermokauter abgetrennt, sodaß das Präparat nur noch auf dem
linken Musc. psoas festsaß. Bei der Ablösung vom Psoas wurde ein in
die Substanz des Muskels hineinreichender, flacher Absceß eröffnet.
Säuberung der Absceßhöhle und Verschorfung des Eiterbettes mittels
Thermokauter. Nachdem. das Operationsgebiet nach Möglichkeit gereinigt
war, wurden die Iliacalvenen an der linken seitlichen Beckenwand frei-
gelegt und die in die Vena iliaca communis als Vena hypogastrica ge-
meinsam einmündenden Vena iliaca media und interna unterbunden. Ab-
schluß dieses Gefäßlagers nach oben durch eine Reihe von Knopfnähten,
sodann sorgfältige Deckung des ganzen Operationsterrains mit Peritoneum,
postoperative Oelung des Peritonealraumes mit 30 ccm 1P/oigen
Campheröls und völliger Abschluß der Bauchhöhle.
Die Schüttelfröste hörten sofort nach der Venenunter-
bindung wie abgeschnitten auf; das Befinden der Kranken besserte sich
zusehends. In der ersten Woche nach der Operation war die Temperatur
noch etwas erhöht, zwischen 37,0° und 380° in axilla, ging sogar am
fünften Tage post op. vorübergehend auf 38,8° in die Höhe, fiel aber
dann zur Norm ab, sodaß die Kranke schon am zwölften Tage post op.
das Bett verlassen konnte. Am 20. Tage post op. wurde sie als geheilt
nach Hause entlassen. Später entwickelte sich an der Abtragungsstelle
‘der linken Adnexe ein größeres Stumpfexsudat, weswegen die Kranke
noch einmal zur klinischen Behandlung aufgenommen wurde. Das Exsudat
bildete sich unter konsequenter Hitzebehandlung innerhalb von vier
Wochen zurück und ist allmählich spurlos verschwunden. Die Patientin
ist jetzt ganz beschwerdefrei. 2
Eine Nachuntersuchung am 18. Juni 1912, vier Monate nach der
Venenunterbindung, ergab folgendes: Keinerlei Klagen, speziell keine
Darmstörungen, was von besonderem Interesse ist wegen der intra opera-
tionem im Peritonealraum gefundenen außergewöhnlich starken Campheröl-
reaktion. Die Menses haben sich seit der Geburt noch nicht wieder
eingestellt. Abdomen flach, Bauchnarbe strichförmig, dichtschließend,
unempfindlich. Rein weißes Sekret in der Vagina, glasiger Schleim im
Cervicalkanal. Corpus uteri höchstens mittelgroß, anteflektiert, sinistro-
vertiert. Kein Infiltrat mehr nachweisbar, auch keine Empfindlichkeit
mehr entsprechend der Stelle des resorbierten Stumpfexsudats. Rechte
Adnexe frei von Schwellung. Br
Das Operationspräparat wurde makroskopisch, mikroskopisch und
'bakteriologisch genau untersucht. Neben der intakten Arteria spermatica
zeigten sich die Spermaticalvenen erfüllt von organisierten und vasku-
larisierten Thromben, die streckenweise eitrigen Zerfall aufwiesen. Bis
zur Eindscheibe des Präparats unmittelbar an der Ligaturstelle wurden
die 'thrombosierten Gefäßgebiete und vielfach auch ihre nähere Um-
gebung diffus durchsetzt gefunden von massenhaften Staphylokokken in
Reinkultur. | 2 u EN
Diese operative Heilung einer schweren Staphylokokken-
pyämie nach manueller Placentarlösung ist um so bemer-
kenswerter, als der eitrige Prozeß nicht auf das Lumen und die
Wand der Spermaticalvenen beschränkt war, sondern auch die
Umgebung der Gefäße, besonders im Bereiche des Psoas betraf.
Veit!) sagt darüber in seiner kürzlich erschienenen Abhandlung
DB Veit, Die operative Behandlung puerperaler Pyämie, ‚(Prakt.
Ergebn. d. Geb. u. Gyn. 1912, Jahrg. 4, S. 342ff.) en
` - x
Pr En nn TE ET ni a nl. ie TE en nn RETTEN Be pe
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> BI EITE E AE BEER à u ee.
1464 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September,
in den’ Praktischen Ergebnissen, S. 360: „Wenn schon außerhalb
der thrombosierten Vena iliaca oder spermatica schmierig-eitrige
Entzündung in dem Bindegewebe besteht, dann ist die Operation
mit der größten Sicherheit erfolglos.“ Veit verlor einen unserer
Pyämie ähnlichen Fall an Peritonitist). Auch Kroemer?) be-
richtet über fünf Todesfälle an Peritonitis, „welche offenbar von
der Unterbindungsstelle ausgegangen war“. Unser Fall ist ge-
nesen ohne eine Spur von Peritonealsymptomer, obwohl aus dem
Psoasabsceß, aus der ödematösen Schnittfläche des linken Liga-
mentum latum und besonders aus dem Peritoneum am Schlusse
der Operation große Mengen von Staphylokokken gezüchtet werden
konnten. Bemerkenswert war, daß nur die aus dem Peritoneal-
cavum gezüchteten Staphylokokken hämolysierten.
Angezeigt ist die Venenunterbindung nur für die reinen
Pyämiefälle, die also nicht durch Septicämie und phlegmonöse
Prozesse oder durch eitrige Peritonitis kompliziert sind. Sind die
charakteristischen Symptome einer reinen Pyämie deutlich, so
soll man bei rasch aufeinanderfolgenden Schüttelfrösten nicht zu
lange mit der Operation warten, weil sonst schwere metastatische
Erkrankungen, speziell der Lunge, den Eingriff als aussichtslos
erscheinen lassen und weil der thrombotische Prozeß leicht so weit
vorschreitet, daß man eine Unterbindung centralwärts von dem
infizierten und zerfallenden Thrombus nicht mehr fertig bringt.
Gegen diese Operationsregel darf auch nicht die Erfahrung sprechen,
daß gelegentlich die Schüttelfröste von selbst aufhören, also jeder
Schüttelfrost der letzte sein kann. |
Für die allgemeine Praxis wird es wichtig sein, Puerperal-
fieberfälle überhaupt so früh als möglich dem sachkundigen Ope-
rateur zu überweisen, damit die Diagnose präzisiert werden, bei
den „echten“ Pyämiefällen für den transperitonealen Eingriff die
peritoneale Vorbehandlung geschehen und die Venenunter-
bindung rechtzeitig ausgeführt werden kann,
Seitdem in den Frauenkliniken septische Stationen einge-
richtet sind, die hoffentlich immer besser und brauchbarer ausge-
stäaltet werden, fürchten wir die Puerperalfieberfälle nicht mehr
und scheuen uns nicht mehr vor ihrer Aufnahme, wie das früher
überall der Fall war, sondern wir bitten dringend um frühzeitige
Ueberweisung, damit wir mit dem eventuellen operativen Eingriff
-nicht zu spät kommen.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik R. v. Jaksch in Prag.
Ueber Polycythaemia rubra
von
Dr. Julius Löwy, Assistent der Klinik.
Seit Naunyn (1) im Jahre 1872 darauf aufmerksam ge-
macht hatte, daß bei chronischen Dyspnöen erhöhte Hämoglobin-
werte vorhanden sein können, begann man mit größerer Aufmerk-
samkeit die Einwirkung der Reize verschiedenster Art auf das
erythropoetische System zu studieren. Es wurde bald bekannt,
daß nicht nur Stauungen im Blutkreislauf, insbesondere kongenitale
Pulmonalstenosen [Fromm herz (2)] zur Polyglobulie führen, sondern
daß auch Gifte der verschiedensten Art, wie Kohlenoxydgas
[v. Jaksch (8)], Phosphor [v. Jaksch (4), Taussig (5), Silber-
mann (6)] eine Vermehrung der roten Blutkörperchen in der
Raumeinheit bewirken können. Die Bedeutung derartiger Beob-
achtungen mußte um so mehr steigen, als Vaquez (7) im Jahre
1892 einen Fall mit Milztumor, Cyanose und Polyglobulie be-
schrieb, ein Symptomenkomplex, den Osler (8) als ein neues
Krankheitsbild bezeichnete.
Von Interesse war nun vor allem die Lösung der Frage, ob
die in so großem Ueberschusse vorhandenen Erythrocyten
funktionell mit den normalen Erythrocyten auf derselben
Stufe stehen. Als Beitrag zur Lösung dieser Frage habe ich
nun im Auftrage meines Chefs versucht, nachzuweisen, ob
die N-Bestimmung der Erythrocyten bei Polyglobulien . ver-
schiedenster Aetiologie Schlüsse auf deren Funktionsfähigkeit ge-
stattet. v. Jaksch (9, 10) hat auf Grund von N-Bestimmungen
bei einem Falle von Morbus Vaquez-Osler, dessen Details im
folgenden publiziert werden sollen, die Ansicht geäußert, daß es
sich bei dieser Erkrankung um das Auftreten physiologisch minder-
wertiger Erythrocyten, wahrscheinlich um abnorm alte, der Zer-
1) L, c., Bd. 1, S. 850.
2) Kroemer, Ueber die Indikationen zur chirurgischen Behand-
N Puerperalfiebers. (Verhandlgn. d. D. G. f. Gyn. 1909, Bd. 18,
störung entgangene Zellen handelt. Die dabei verwendete Methode
bestand in dem von v. Jaksch (11) modifizierten Kjeldahlschen
Verfahren, das von ihm genau beschrieben worden ist und dessen
gute Verwendbarkeit bei Bestimmung des Blut-N ich (12) nach-
gewiesen habe, |
Inwieweit nun die oben geäußerte Ansicht bei Polycythämien
verschiedenster Aetiologie zutrifft, mögen die folgenden Fälle
demonstrieren: l |
J. R., 50 Jahre alter Schuhmacher. 6, Dezember 19i1 bis 17. Fe-
bruar 1912. Anamnese: Hereditäre Verhältnisse ohne Belang. Vier
Kinder sterben unmittelbar nach der Geburt, zwei Kinder sind gesund.
Abgesehen von einer Erkrankung, die Patient als Kind durchgemacht hat
und über deren Natur er nichts weiter aussagen kann, war er immer
gesund. Anfangs April 1911 erkrankte er mit Stechen auf der Brust
und im Kreuz, mit Husten und Schmerzen im Abdomen. Kurze Zeit
später kam eine etwa vier Wochen dauernde Anschwellung des Genitale
und der unteren Extremitäten hinzu; auch .die Sehkraft soll schwächer
geworden sein; außerdem klagt Patient seit dieser Zeit über Mattigkeit
und Unlust zur Arbeit. Potus ein bis zwei Glas Bier täglich, an Sonn-
tagen sechs bis sieben Glas; Infektion negiert. |
Status somaticus vom 6. Dezember. Patient ist groß, von mäßigem
Panniculus adiposus und mäßig entwickelter Muskulatur. Die Haut zeigt
zahlreiche, von Traumen herrührende Narben. Die Farbe der Haut ist
rosarot, auch am Rücken ist sie auffallend rot und an einzelnen Stellen
flächenförmig cyanotisch. Auffallend ist insbesondere die rote Färbung
der Ohren und der Nase. Kopf und Hals ohne Besonderheiten. Herz-
spitzenstoß an normaler Stelle tastbar. Herz nicht vergrößert. Die Aus-
kultation ergibt einen unreinen ersten Ton über der Mitralis. Die Per-
kussion und Auskultation der Lunge ergibt normale Befunde. Der Puls
ist rhytbmisch, äqual, von normaler Frequenz (78), von guter Füllung
und Spannung. Arterie etwas rigid, nicht geschlängelt. Die Atmung ist
costoabdominal.e Abdomen im Thoraxniveau, zeigt keine Druckschmerz-
haftigkeit. In der Milzgegend ist ein harter, bis etwas unter den Nabel
reichender, derber Tumor zu tasten. Die Leber überragt nur ganz un-
bedeutend den Rippenbogen, ihre Oberfläche ist glatt. Genitale ohne
Besonderheiten. Wirbelsäule gerade, gestreckt. Die Harnuntersuchung
ergibt nichts Besonderes. Die Blutuntersuchung ergibt: Erythrocyten
5710000, Leukocyten 4400, Hämoglobin 16,1 g. Aus dem weiteren
Decursus ergibt sich, daß die Erythrocytenzahl starken Schwankungen
unterworfen war, die auch in der folgenden Tabelle ihren Ausdruck
finden. Das specifische Gewicht des Bluts ergab Werte, die zwischen
1073 bis 1086 schwankten. Die Wassermannsche Reaktion war negativ,
ebenso die Pirquetsche Reaktion. Der Blutdruck, der wiederholt nach
| Riva-Rocci gemessen wurde, schwankte zwischen 110 und 120 mm. Eine
nach Giemsa vorgenommene Färbung des Bluts ergab: Lymphocyten
kleine 16/0, große 8°/c, große mononucläre Leukocyten 2%, poly-
nucleäre Leukocyten, eosinophile 3°/,. neutrophile 71°. Die Erythro-
cyten zeigten im Präparate nichts Besonderes, ihr Durchmesser betrug im
Durchschnitte 5,7 & und Normoblasten konnten trotz wiederholter Unter-
suchung nie gefunden werden. Ebensowenig ließ sich im Harn Urobilin.
und Urobilinogen nachweisen. Die Funktionsprüfung der Leber mit
Glukose und Lävulose ergab keine Schädigung. Die Resistenz der
Erythrocyten gegen Saponin war normal. | |
Zu bemerken ist außerdem, daß unter dem Einflusse der Röntgen-
bestrablung der Milztumor deutlich kleiner wurde.
Zahl | globin. N% | N% i
Zahl der 3 des der N, | Gesamte
Datum | Erythro- ror Kobal; a Ge- | Ery- des | Röntgen-
oyte samt- ro- Serums |be
t asten (nach t- | th S bestrahlung
y Sahl i) bluts cyten
eg
6. Dezemb. | 5710000 | 4400 16,1 1 _ _ — p=
n 62500C0 | 6400 17,5 1,1 — — — =
20 ”» 6 810 000 5400 17,36 0,9 -. _ _ 50 Minuten
21. „ 6800000 | 8200 17,5 0,9 = 4,988 — 75 »
23. E 8905 000 | 6400 16,8 0,67 4,125 _ _ 125 »
e 200000 | 8200 | 17,5 | 0,76 = u — 110 »
10. Januar | 5610000 | 5400 | 17,5 | 1,1 | 3,878 | 3912 | 26 |860 „
à 4 970 000 4900 17,5 1,2 — — — |875 s»
12 „ 6900000 | 6200 _ — — — — 375 »
18 a 6 600 000 8200 17,5 0,9 — — — 400 y
17. $ 5760000 | 6200 17, 1 4,955 5,139 8,276 |400 u
22, j 9400000 | 5800 17,6 0,67 -— _ — 400 s»
A .g 8320000 | 4800 17,5 0,7 4,842 | 2692 | 2638 |580 „
4. Februar | 8900000 | 5200 16,1 0,6 4,364 | 2,966 | 1,464 |560 „
6. „ 3 420 000 6800 15,4 1,6 = = = 560 3
Te » 6770000 | 5600 15,7 0,97 5,6309 | 5,622 2,626 |500 »
11. a 5 600 000 8600 19,6 1,2 ‚463 5,682 1,468 |590 »
15. „ 6170000 | 8800 | 17,6 1 _ _ — 590 u
Aus den vorliegenden Befunden geht, was bereits v. Jaksch
hervorhebt, hervor, daß das Gesamtblut reicher an N ist als das
normale Blut und daß die Erythrocyten weniger N enthalten als
gewöhnlich. Dem erhöhten Werte des Serum-N kann ich hier keine
Bedeutung zuschreiben, da es nicht möglich war, das Serum frei
von Hämoglobin zu erhalten. Auffallend waren ferner die großen
Schwankungen der Erythrocytenzahl; es steht nicht fest, ob die
. intensive Röntgenbestrahlung diese Veränderungen herbeigeführt
8. September.
hat, die ja bisher bei andern Erkrankungen, speziell bei der
Leukämie nicht beobachtet werden konnten und außerdem liegen
auch in der Literatur der Polycythämie bereits Berichte über das
Sinken der Erythrocytenzahl bis auf unternormale Werte [Wein-
traud (13), Rosin (14)] vor. Interessant ist ferner die Tatsache,
daß mit dem Sinken der Erythrocytenzahbl der N-Gehalt des Ge-
samtbluts durchschnittlich steigt, woraus hervorgeht, daß der hohe
N-Gehalt des Gesamtbluts nur von dem N-Gehalt der Erythro-
oyten abhängt. Dementsprechend wurden die N-Werte der Erythro-
cyten größer, je geringer die Zahl derselben in der Raumeinheit
war. Betonen möchte ich ferner, daß in den Blutpräparaten niemals
kernhaltige rote Blutkörperchen gefunden wurden und daß trotz
wiederholter Untersuchung Urobilin und Urobilinogen im Harne
niemals nachgewiesen werden konnten; die Leberfunktion erwies
sich bei wiederholter Prüfung mit Glukose und Lävulose als nor-
mal. Bemerkenswert war ferner, daß das Hämoglobin. nicht den-
selben Schwankungen wie die Erythrocyten unterworfen war, was
ja auch im Färbeindex den entsprechenden Ausdruck findet. Ich (15)
habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß der Hämo-
globingehalt unabhängig vom Verhalten der Erythrocytenzahl
steigen kann und auch der vorliegende Fall, bei dem der Hämo-
globingehalt trotz der enormen Schwankungen der Erythrocyten-
zahl annähernd sich auf derselben Höhe behauptet, mag ein Bei-
trag zu der Annahme sein, daß Bildung und Vernichtung des
roten Blutfarbstoffs unabhängig von der Bildung und Vernichtung
der Erythrocyten erfolgt.
Wenn wir nun die in der Literatur niedergelegten Blut-
befunde vergleichen, so finden wir, daß einzelne Autoren [Schmidt
(16)] Normoblasten in reichlicher Menge und sogar Megaloblasten
(Rencki) finden, während Andere (Glaoßner, Köster, Pfeiffer,
Gordon usw.) Normoblasten niemals nachweisen konnten. Diese
sonderbare Tatsache kann auf zweierlei Weise erklärt werden, und
zwar erstens derart, daß die Polyglobulie einfach durch eine er-
höhte Tätigkeit des erythropoetischen Systems einerseits oder
durch eine verminderte Erythrocytenzerstörung anderseits zustande-
kommen kann. Plausibler erscheint mir jedoch der Vor-
gang derart, daß zunächst minderwertige Erythrocyten
mit funktionsuntüchtigem Hämoglobin vorhanden sind,
die infolge ihrer großen Zahl im Beginne dem O-Be-
dürfnis des Organismus Genüge leisten. Mit der Zu-
nahme der physiologischen Minderwertigkeit der Ery-
throeyten und infolge der daraus resultierenden Dys-
pnöe wird ein erhöhter Reiz auf das hämatopoetische
System ausgeübt, der derart ist, daß Jugendformen in
den Blutkreislauf geschleudert werden können. Bei
derart vorgeschrittenen Fällen von Polycythämie finden
sich demnach alte und junge Formen gleichzeitig im
Blute vor. In dieser Ansicht dürften auch die widersprechenden
Befunde, welche bei Bestimmung des respiratorischen Gaswechsels
‚ bei Polyeythämien erhoben wurden, eine Erklärung finden. Aus
der Anamnese möchte ich bei dem beschriebenen Falle noch her-
vorheben, daß Patient über rasche Ermüdbarkeit klagt, ein sub-
jektives Symptom, das auch bei einem im folgenden erwähnten
Falle wiederkehrt. Dieses Symptom und die erwähnte N-Vermin-
derung der Erythroeyten sprechen wohl für deren Minderwertig-
keit, und wir finden hier einen bemerkenswerten Gegensatz zu den
bei der perniziösen Anämie erhobenen Befunden, auf Grund deren
Naegeli (17), basierend auf die von v. Jaksch (18) angestellten
Untersuchungen, sogar soweit geht, die Erythrocyten bei der per-
niziösen Anämie als „funktionelle Riesen“ zu bezeichnen.
‚ _ Ueber das Zustandekommen derartiger Polycythämien sind
die Meinungen naturgemäß noch sehr verschieden. Münzer (19)
ist ebenso wie Lommel (20) der Ansicht, daß es sich um eine
Hämoglobinverschlechterung handelt, die so bedeutend ist, daß die
Steigerung der Erythrocytenzahl gerade die nötige Kompensation
darstellt und die Herabsetzung des O-Bindungsyermögens durch
eine übersehene Stauung in einem großen Gefäßgebiete des Körpers
bedingt ist. Luce (21) hinwiederum vertritt die Ansicht, daß die
im Ueberschusse produzierten roten Blutkörperchen ex origine
morphologisch und funktionell minderwertig sind und rasch altern.
Wegen einer bei dieser Krankheit bestehenden Milzinsuffzienz stößt
Jedoch ihre Elimination aus dem Blutkreislauf auf Hindernisse,
und das nicht gesättigte O-Bedürfnis des Organismus führt zur
Produktion neuer Formen. Ich glaube jedoch nicht, daß man der
Z einen so bestimmenden Einfluß auf dieses Krankheitsbild ein-
räumen darf und: will nur auf die von Geisböck aufgestellte
orm der Polycythaemia hypertonica hinweisen, bei der ein Milz-
tumor nicht vorhanden ist. Ich hatte bisher nur Gelegenheit,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
1465
einen einzigen derartigen Patienten in der Ambulanz der Klinik
zu untersuchen, der uns von der Augenklinik zugewiesen wurde
und der ebenfalls über rasche Ermüdbarkeit bei der Arbeit klagte.
Auch bei diesem Patienten war die rosarote Färbung des Gesichts,
die Senator (22) treffend mit dem Ausdrucke rubor bezeichnet,
der Anlaß zu einer genaueren Untersuchung des Bluts. Die
Blutuntersuchung ergab: Erythrocyten 8250000, Hämoglobin
(Fleischl-Miescher) 21,5 g, Färbeindex 0,9. Die Harnunter-
suchung ergab etwas Eiweiß; Urobilin und Urobilinogen waren
nicht nachweisbar. Im Harnsediment fanden sich spärliche granu-
lierte und hyaline Cylinder, einige Nierenepithelien; der Blutdruck
(Riva-Rocei) betrug 176 mm. Vom somatischen Status wäre
außer den auffallend roten Schleimhäuten noch zu erwähnen, daß
der erste Ton über der Mitralis etwas unrein war und daß der
Leberrand um etwa einen Querfinger den Rippenbogen überragte.
Eine eingehendere Untersuchung dieses Falles war nicht möglich,
und ich führe ihn nur deshalb an, da die auch hier wiederkehren-
den subjektiven Beschwerden, bestehend in Mattigkeit, Unlust zur
Arbeit und leichtere Ermüdbarkeit eine genügende Erklärung
in der bestehenden Polyceythämie finden dürften. Ein Milztumor
war bei diesem Falle trotz genauer Untersuchung nicht nachweis-
bar, und doch machte der Zustand dieses Patienten ganz genau
denselben Eindruck wie der bei dem vorhin geschilderten Falle
von Polycythämie mit Splenomegalie.
Pappenheim (23) ist der Ansicht, daß man die Polyglobulie
zweckmäßig in drei differente Gruppen einteilt, und zwar in die
Polyeythaemia vera megalosplenica (Vaquez), die allgemeine
hypertonische (Geisböck) nebst Höhenluftformen (Erythrämie)
und eine bloße lokale Erythrocytosis durch Circulationsstauungen.
Als Beweis dafür, daß der Vaquez-Oslerschen Erkrankung eine
exceptionelle Stellung zuzuweisen sei, führt er an, daß Exstirpa-
tionen von Milzen, z. B. Malariamilz, die Krankheit zum Ausbruch
brachten, daß anderseits ausgebrochene Krankheiten durch Milz-
exstirpationen nicht geheilt, sondern verstärkt wurden. Die Milz-
erkrankung wäre demnach das Primäre, die Polycythämie das
Sekundäre. Ich möchte dagegen jedoch darauf hinweisen, daß
zwar eine Reihe von Fällen vorliegt, bei denen der Milzexstirpation
eine Polyglobulie folgte (Küttner, Roughton, Legg and
Emery), daß jedoch anderseits bei einer großen Reihe von Fällen
mit Milzesstirpation [vergl. auch v. Jaksch (24)] eine nennens-
werte Beeinflussung des Blutbildes nicht eintrat. Die Hemmung
der erythrolytischen Fähigkeiten der Milz scheint vielmehr durch
die von Pribram (25) bei Polyeythämie nachgewiesene Vermehrung
des Cholesterins im Blute bedingt zu sein. In allen Fällen von
primärer und sekundärer Polycythämie — darunter befindet sich
auch der zuerst beschriebene Fall —, die dieser Autor untersucht
hat, fand sich im Blutserum eine Vermehrung des Cholesterins,
und es zeigte sich weiter, daß einem derartigen Serum eine er-
höhte Schutzwirkung gegen hämolytische Gifte zukommt. Auf
Grund dieses Befundes wird das Zustandekommen einer Poly-
cythämie zwanglos erklärt und der Milz jedenfalls eine be-
scheidenere Rolle beim Zustandekommen dieses noch immer recht
rätselhaften Krankheitsbildes zugewiesen, und ich halte es für sehr
wahrscheinlich, daB ein prinzipieller Unterschied zwischen der
hypertonischen und splenomegalischen Form der Polycythämie nicht
besteht.
Noch einen andern Fall möchte ich hier erwähnen, der
illustrieren soll, welche Rolle manchmal der Polycythämie bei
Auslösung anderer Krankheitsbilder, in diesem Falle der Neur-
asthenie, zukommt und wie diese Symptome durch Bekämpfung
der Polyeythämie wieder zum Verschwinden gebracht werden
können.
Fall 3. A. F., 58 Jahre alt. Hereditär nichts Besonderes. Vor
fünf Monaten wurde Patientin wegen einer Nabelhernie operiert. Seit
etwa drei Jahren klagt Patientin über heftiges Drücken und Brennen
im Magen, „das bis zum Halse hinaufsteigt“, außerdem besteht häufig
ein Zittern über den ganzen Körper, das jedoch nur kurze Zeit andauert,
ferner klagt Patientin über Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und bisweilen
über Angstzustände. Appetit schlecht, Stuhl unregelmäßig.
Aus dem Status sind nur die auffallend rote Gesichtsfarbe und die
leicht gesteigerten Reflexe hervorzuheben.
Decursus: 22, Februar 1912. Befund der gynäkologischen Klinik
normal. Rectale Untersuchung ohne Besonderheiten. 23. Februar. Ery-
throeyten 6000000, Leukocyten 6600. Hämoglobin (Sahli) 11,2 g.
Färbeindex 0,64. 24. Februar. Erythrocyten 5 920000. Blutdruck (Riva-
Rocci) 127 mm, starke Unruhe und Erregbarkeit, Schlaflosigkeit. 25. Fe-
bruar. Hände und Gesicht der Patientin sind auffallend dunkelrot ge-
färbt. 26. Februar. Probefrühstück (Tee, Semmel) freie HCl 25. Ge-
samtacidität 54, keine Milchsäure; im mikroskopischen Präparate nichts
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1466
Besonderes. Blutdruck (Riva-Rocci) 180 mm, starke Erregungszustände.
Entnahme von:200 cem Blut durch Venaepunctio. Erythrocytenzahl nach
der Venaepunctio 7.000 000, specifisches Gewicht des Bluts 1060. N-Gehalt
des Gesamtbluts 8,659 °/o, der Erythrocyten 5,62%, des Serums 1,32 9/0.
27. Februar. Erythrocyten 5800000, Leukocyten 7400, Hämoglobin 13,0 g.
Blutdruck 125 mm. Patientin fühlt sich so wohl, daß sie die Klinik ver-
lassen will, die Beschwerden sind gänzlich geschwunden. 28. Februar.
Entnahme von 800 cem Blut. Blutdruck 165 mm. Erythrocyten 5500000,
Leukocyten 6000, Hämoglobin 11,58 g. 29. Februar. Blutdruck 120 mm.
nme im gleichen. Patientin verläßt, sich völlig wohl fühlend, die
inik
Es ist ja bereits bekannt, daß bei Polyeythämie nervöse Stö-
rungen vorkommen; so werden insbesondere Schlafsucht, starke Kopf-
schmerzen, Schlaflosigkeit und hochgradige Uebererregbarkeit
[Türk (26)) beschrieben. Der beschriebene Fall soll einen Beitrag
dazu liefern, daß auch neurasthenische Zustände durch eine Poly-
globulie ausgelöst werden können und daß sich bei Bekämpfung
dieser Zustände auch der von v. Jaksch neuerdings in die mo-
derne Medizin eingeführte Aderlaß gut bewährt.
Zum Schluß möchte ich noch erwähnen, daß auch bei zwei
Fällen von sekundärer Polycythämie N-Untersuchungen im Blut
angestellt wurden, und zwar bei einer tödlich verlaufenen Sublimat-
vergiftung, bei der im Laufe der Erkrankung die Erythrocyten-
zahl auf 5960000 mit einem Hämoglobingehalt von 14 g stieg.
Die N-Bestimmung des Gesamtbluts ergab 3,168 °/,, die der Ery-
throcyten 4,078°%,; ein zweiter Fall, bei dem durch die Sektion
frische Thrombose und hochgradige Stase im Pfortadergebiete fest-
gestellt wurde, ergab bei 8500 000 Erythrocyten 4,0516 %/, N im
Gesamtblut und 5,1830), Erythrocytenstickstoff,
Aus dem Geschilderten ergibt sich, daß das Symptomenbild
der Polycytbämie ein recht mannigfaltiges ist, daß insbesondere
durch eine bestehende Polyglobulie die verschiedensten Beschwerden
nervöser Natur ausgelöst werden können. Die von Pribram
nachgewiesene Vermehrung des Cholestearins im Blutserum von
Polycythämikern scheint eine genügende Erklärung für das Zu-
standekommen des einen Symptoms, der Erythrocytenvermehrung
zu bringen; dagegen scheint die Milz die ihr von vielen Autoren.
zugeschriebene Bedeutung für das Zustandekommen dieses Sym-
ptomenkomplexes wenigstens nicht in so hohem Grade zu besitzen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 86.
——
8.° September.
Wenn wir ferner die bei den verschiedenen Formen erhalte-
nen N-Werte der Erythrocyten mit dem von v. Jaksch aufgestellten
Normalwerte (5,52 /,) vergleichen, so ergibt sich, daß, wie von
Jaksch bereits nachgewiesen hat, beim Morbus Vaquez-ÖOsler
sich abnorm niedrige Werte finden. Bei dem zweiten Falle von
Polyeythämie fand sich ein Normalwert, desgleichen bei einem Falle
von Pfortaderthrombose, während die Erythrocyten bei einer
Sublimatvergiftung eine leichte Hypalbuminämie zeigten (v. Jaksch).
Es ist auf Grund dieses Befundes wahrscheinlich, daß die Erythro-
cyten beim ersten Fall infolge ihrer Eiweißarmut als physiologisch
minderwertig anzusehen sind. Bindende Schlüsse können jedoch
nur auf Grund eines größeren Materials gezogen werden.
Therapeutisch wurde im ersten Falle die Anwendung von
Röntgenstrahlen versucht, denen auch Osler (27) bei Behandlung
der splenomegalischen Form eine gute Einwirkung zuschreibt. Ab-
gesehen von einer Verkleinerung der Milz konnten andere Effekte
nicht erzielt werden, dagegen haben wiederholte Aderlässe in dem
mit neurasthenischen Beschwerden verbundenen Falle von Poly-
cythämie rubra sehr wohltätig auf den Allgemeinzustand ein-
gewirkt.
18. v. Jaksch. Zt. f. kl. Med. 1892, Nr. 24, S. 429.
Path. Bd. 5. — 20. Lommel, D. A. £ kl. Med. Bd. 92. — 21. Luce, Med, Kl.
.Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschafi.
Aus dem Institute für Krebsforschung in Heidelberg.
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. V. Czerny, Exzellenz.)
Entgegnung auf den Artikel von Dr. S. Meidner:
Neuere Publikationen zur Chemotherapie der
Ä malignen Geschwülste‘)
von
Prof. Dr. R. Werner und Dr. St. Szécsi.
| Mit einer Bemerkung
von Geheimrat V. Czerny.
Unter obigem Titel referiert Meidner in der Th. d. G.
unsere Mitteilungen, die sich auf die Chemotherapie des Krebses
beziehen und in der Med. KI. zum erstenmal kurz veröffentlicht
wurden. Er knüpft an dieses Referat eine Reihe von Bemerkungen,
die sachlich unrichtig sind und daher nicht unwidersprochen
bleiben können. Er behauptet zunächst, daß durch unsere Mit-
teilung Beunruhigung ins Publikum getragen worden sei. „Unab-
geschlossenes an exponierter Stelle zur Kenntnis zu bringen, schaffe.
selbst bei vorsichtiger Fassung der Mitteilung nur zu leicht Ver-
wirrung" sagt Meidner. Demgegenüber muß betont werden, daß
eine wissenschaftliche Gesellschaft und ein medizinisches Fachblatt
die hergebrachten Stellen für derartige Mitteilungen sind, daß also
Meidner mit Unrecht den Anschein zu erwecken sucht, als ob
wir irgendeine abnorme Form der Publikation gewählt hätten.
Ferner sei konstatiert, daß das Interesse des Publikums sich über-
haupt allen Veröffentlichungen über Krebstherapie zuwendet. Auch
nach sämtlichen von anderer Seite in jüngster Zeit erfolgten Mit-
teilungen sind wir mit Fragen und Zuschriften bestürmt worden,
die Auskunft über die Chancen der betreffenden Methoden ver-
langten. Nach Meidner wären überhaupt alle Publikationen über
sarcinomtherapeutische Versuche,. die ja nie „abgeschlossen“ sein
können, zu vermeiden. | | 2
3 Th. d. @. 1912, Nr. 8, S. 862—367.
Aber es scheint, daß er diese Vorschrift nur uns gegenübe:
angewendet wissen will; wenigstens erwähnt er in diesem Zu-
sammenhange keine andern Publikationen. Das Tendenziöse seiner
Ausführung ist zu offensichtlich, als daß es näher erörtert zu
werden brauchte, |
Zur Sache selbst hätten wir folgende Bemerkungen zu
machen: Meidner bemängelt bei den therapeutischen Versuchen
am Menschen, daß die Cholinbehandlung mit einer Strahlen-
behandlung kombiniert wurde. Was aber ist natürlicher als die
erstere, die im wesentlichen als eine chemischelmitation der Strahlen-
wirkung aufzufassen ist, mit letzterer zu vereinigen? Wir wollen
doch nieht nur an den Kranken experimentieren, sondern ihnen
nach bestem Wissen helfen, und da ist es doch zweifelsohne vom
ärztlichen Standpunkt aus richtiger, die neue Methode den älteren,
besser erprobten anzugliedern, als diese ohne weiteres zu verlassen.
Er meint, daß man dann nicht wisse, was gewirkt habe. Weil
aber die Strahlenbehandlung, wie er selbst zugibt, ein in bezug
auf ihre Wirkung wohlbekanntes Verfahren ist, sind wir in der
Lage, zu entscheiden, ob sie imstande ist, derartige Effekte, wie
wir sie bei Kombinationen mit Cholininjektionen beobachtet haben,
schon allein hervorzubringen. Daß dies nicht der Fall ist, davon
haben wir uns überzeugt. Die Kasuistik wird in unserer nächsten
Publikation mitgeteilt werden, wobei wir Gelegenheit haben werden,
noch näher auf diese Frage der Kombination einzugehen. |
Bei der Beurteilung unserer Tierexperimente begeht Meidner
folgende Irrtümer:
1. Er selbst vermutet, daß die Tiere, deren Tumoren nach
den Injektionen verschwanden, krank waren, und daß dieser Um-
stand die Labilität der Geschwülste vermehrt haben könnte. Beides
ist unrichtig. Diese Tiere waren stets gesund und munter.
Die Erkrankungen betrafen nur andere Tiere, die alle der Seuche
erlagen. Außerdem wurden bei jenen Kontrolltieren, die an
interkurrenten Erkrankungen starben, die Tumoren In
keiner Weise beeinflußt. Es ist somit ganz ausgeschlossen,
daß die geheilten Tumoren durch etwaige Erkrankungen der Träger
zum Verschwinden gebracht werden. E |
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36,
1467
2. Er betrachtet die Spontanrückbildungsquote (8 von 32)
als recht beträchtlich, berücksichtigt aber nicht, daß diese acht
Tumoren, die von selbst zurückgingen, viel kleiner als die behandelten
Tumoren waren. Wegen der Neigung der Geschwülste, nach kurzem
Wachstum sich spontan zurückzubilden, wählten wir für unsere Ver-
suche prinzipiell nur große Tumoren. Etwas mehr als die Hälfte
der Kontrolltiere hatte ungefähr ebenso große Ge-
schwülste wie die Versuchstiere; von diesen Tumoren
aber ging kein einziger spontan zurück. |
Wir sehen streng darauf, daß ebensoviele, eventuell, wenn
es irgend geht, doppelt so viele Kontrolltiere beobachtet werden
können, als Versuchstiere gewählt werden. Damit ist die größt-
mögliche Sicherheit geboten, daß wir die Rückbildungstendenz
der betreffenden Impfserie richtig beurteilen. i
3. Meidner meint, daß die histologischen Veränderungen
in den Rattensarkomen, deren Träger nach Cholininjektionen vor-
zeitig an interkurrenten Erkrankungen gestorben waren, auch in
ganz unbeeinflußten Tumoren häufig zu finden sind. Abgesehen
davon, daß Meidner dieses Urteil fällt, ohne auch nur eines
unserer mikroskopischen Präparate gesehen zu haben,
ist uns von fachmännischer Seite bestätigt worden, daß die Ver-
änderungen, die in unsern Schnitten zu sehen sind, keineswegs
mit den Spontanrückbildungsbildern
vielmehr einen Typus repräsentieren, wie er auch bei den
Heilversuchen von Wassermann, Keysser, Neuberg und
Caspary gefunden wurde.
Es ist daher absolut willkürlich, wenn Meidner unsere
Fälle von partieller Rückbildung als nicht beweiskräftig hinstellt.
4. Wenn Meidner ferner meint, daß die Vermutung, daß
es in der Schilddrüse Substanzen von cholinähnlicher Wirkung
gäbe, zunächst vollkommen willkürlich erscheine, so beweist es
nur, dab er die diesbezüglichen Angaben der Literatur nicht
kennt. (Vgl. Fürth und Schwarz: Verh. d. 25. Kong. f. inn.
Med.1908 Seite 404 und Pflügers Archiv 1908 Band 124 Seite 361;
Lohmann: Sitzungsber. d. Ges. z. Bef. der Naturw. Marburg,
Sitzung vom 15. Mai 1908. Ferner in allerletzter Zeit Fürth:
Probleme der physiologischen und pathologischen Chemie, Leipzig
1912, Bd. I Seite 185.)
5. Meidner hält die langsame Wirkung ‘der Cholinsalz-
lösungen für merkwürdig. Diesbezüglich sei jedoch darauf hin-
gewiesen, daß nach unseren Erfahrungen auch die Beeinflussung
von Tumoren durch Strahlen häufig eine lange Latenzzeit hat, daß
jene anfangs noch etwas wachsen können und erst später Rück-
bildungserscheinungen aufweisen. Für das Wohlbefinden der Tiere
Ist aber zweifelsohne ‚eine langsame Rückbildung weit günstiger
als eine stürmische Resorption, die nur zu leicht zu Intoxikations-
erscheinungen Veranlassung geben kann.
~ . 6. Das Clinsche kolloidale Selen und Kupfer wurde von
einem’ französischen Chirurgen, der uns über seine Versuche ver-
trauliche Mitteilungen machte, mit sehr gutem Erfolge zur Ver-
hütung von Rezidiven nach Geschwulstoperationen verwendet. Die
Verwendung beim Menschen ist also nicht unmöglich. Wir haben
jedoch im Tierversuche die Erfahrung gemacht, daß zur voll-
kommenen Heilung von Tiertumoren nur die Mischung
von derartigen Kolloiden mit Cholinsalzlösungen ge-
eignet ist, diese aber ist auch den reinen Cholinsalzlösungen
an Promptheit der Wirkung weit überlegen. Wir haben
neuerdings von 18 großen Mäusecarcinomen fünf und von
acht ausgedehnten Rattensarkomen drei binnen drei
ochen verschwinden sehen. Von 36 Mäusecarcinomen und
16 Rattensarkomen, die zur Kontrolle beobachtet wurden, trat bei
keinem einzigen Spontanheilung ein. Auch bei allen nicht
vollständig geheilten Tieren, von denen einige durch zu hohe
identisch sind,
Dosen der Mittel getötet wurden, konnten wir eine ziffernmäßig nach-
weisbare Rückbildung der Tumoren konstatieren. Wir sind absicht-
lich manchmal über die als wirksam erwiesene Quantität (ein Viertel
bis höchstens ein Drittel der letalen Dosis) hinausgegangen, in der
Hoffnung, den Prozeß zu beschleunigen. Es zeigte sich aber, daß
dies unzweckmäßig ist.
Wir verfügen zurzeit im ganzen über 20 vollkommen
geheilte Tumortiere. Mit Rücksicht auf die Exaktheit der Kon-
trollen dürfte wohl der Schluß „post hoc, ergo propter hoc“ be-
rechtigt sein, selbst wenn man sich auf den schärfsten kritischen
Standpunkt stellt.
Wir hielten es für angebracht, jene Punkte unserer Aus-
führungen, die offenbar von Meidner mißverstanden wurden, noch
einmal zu präzisieren und zu den früher erbrachten Beweisen einige
neue hinzuzufügen.
* *
*
Zu den Ausführungen meiner Mitarbeiter gestatte ich
mir folgende Bemerkungen zu machen: |
Nur langsam kann die Saat reifen, welche Experimentatoren
und Therapeuten in den Boden versenkt haben, um allmählich die
Frucht einer Chemotherapie des Krebses zu zeitigen. Unter vielem
tauben Gestein finden sich hier und da einige Goldkörner, welche
dauernden Wert behalten, Es bedarf einer vorsichtigen und er-
fahrenen Scheidekunst, um das wahre vom Talmigold zu unter-
scheiden. Etwas zu viel und zu scharfes Scheidewasser schwemmt
auch die echten Goldkörner hinweg. Wer das Referat von
Meidner unbefangen liest, muß zugeben, daß er die Berliner und
Heidelberger Versuche mit zweierlei Maß beurteilt,
Es fällt mir nicht ein, zu glauben, daß mit dem Cholin die
Frage der Krebstherapie gelöst sein könnte. Aber unsere Ver-
suche zeigen wie die interessanten Experimente von v. Wasser-
mann, Caspary und Neuberg, daß verschiedene Wege zu dem-
selben Ziele führen können.
Jedenfalls haben wir in den Cholinsalzen Mittel, welche
ebenso wie die Metallkolloide die Geschwulstzellen elektiv zur
Aufsaugung bringen, aber viel milder und langsamer, sodaß die
Patienten weniger Gefahr laufen, an der Intoxikation bei der Re-
sorption der Geschwülste zugrunde zu gehen. Jedenfalls haben
sie den Vorteil, daß ihre therapeutische weit unter der toxischen
Dosis liegt, sodaß wir sie unbeschadet beim Menschen an-
wenden konnten, was die oben genannten Experimentatoren bisher
noch nicht gewagt haben. Außerdem bietet die Möglichkeit, sie intra-
venös, subceutan oder intratumoral anzuwenden, ferner sie als
Träger von Metallkolloiden wirksamer zu gestalten, so viele Va-
riationen, daß sie wohl geeignet erscheinen, die schwierige noch
in den Anfängen steckende Chemotherapie des Krebses wirksam zu
fördern. |
In Zukunft wird es eine schwierige Aufgabe der behandelnden
Aerzte werden, daß sie bei dom Wettlauf zwischen der Wucherungs-
energie der Geschwulstzellen und dem retardierenden Einfluß der
zu Gebote stehenden Heilmittel: der chirurgischen Behandlung
einschließlich der Aetzmethoden und der hochfrequenten Elektri-
zität, der Strahlentherapie, Serotherapie und Chemotherapie die
richtige Wahl treffen, um den natürlichen Schutzvorrichtungen
der Kranken schließlich zum Siege zu verhelfen. Erst eine ferne
Zukunft wird uns lehren, in welchen Fällen von der Chemotherapie
Erfolg erwartet werden kann, während wir den Nutzen der
chirurgischen Behandlung ziemlich genau kennen. Schon jetzt
können wir sagen, daß weit worgeschrittene Krebsfälle mit aus-
gedehnten inneren Metastasen und vorgeschrittener Kachexie von
den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln keinen Nutzen er-
warten dürfen. Dr. Vinzenz Czerny.
Aus der Praxis für die Praxis.
Prostatahypertrophie
von
Dr. Ernst Portner, Berlin.
Mit 7 Abbildungen. .
1. Stadium.
‚ _Vermehrter Harndrang, besonders nachts. Urin klar. Blase
wird vollständig entleert. |
, Diagnose: Vorsteherdrüse vom Rectum aus vergrößert.
Beim Katheterismus kein Restharn. In zweifelhaften Fällen oder bei
Verdacht auf Komplikationen (Stein, Tumor) Cystoskopie.
Behandlung: Den Harndrang beseitigen und Kongestionen
der Vorsteherdrüse verhindern. Also Narkotica.
Medikamente: Belladonna, Pantopon, Heroin, Dionin, Mor-
phin, sie alle, um den Magen zu schonen, möglichst als Klysma
oder Suppositorien. Rezepte siehe Verfasser: „Erkrankungen der
Blase“, diese Zeitschrift 1912, Nr. 7, S.83. Bei längerer Dar-
reichung, die nur ausnahmsweise erforderlich, mit den Mitteln ab-
wechseln. |
Neben den narkotischen Mitteln Hydrotherapie: Sitzbäder,
mit 36—380 C anfangen und bis auf 42° steigen. Dauer:
5—10—15 Minuten, langsam steigend, 2—3—6 mal wöchentlich,
immer abends,
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Bei Arteriosklerotikern besser lauwarme Vollbäder: 350 C,
20—30 Minuten, drei- bis sechsmal wöchentlich, ebenfalls abends.
Zusätze zu den Bädern (entbehrlich): Staßfurter Salz (11/2 kg
Salz auf ein Sitzbad, 50 kg 2,50 M); Franzensbader Bademoor
(11/2 kg auf ein Sitzbad, 5 kg 1M) in Holzbadewanne dreimal
wöchentlich. Oder fabrikmäßig hergestellte Essenzen (Fichten-
nadel- oder Kiefernadelextrakt, Calamus, Lavendel usw.). Jedes
Bad zirka 0,10M. -
Regelung der Lebensweise:
Alkohol nur in kleinen Mengen. Regelmäßiger Stuhlgang. Den
Urin nicht zu lange anhalten! Kann Harnverhaltung auslösen!
Katheterismus überflüssig, da die Blase entleert wird.
Ueberhaupt Lokalbehandlung in diesem Stadium nur aus-
nahmsweise: wenn der Harndrang nach drei bis vier Wochen
nicht nachgelassen hat, dann zwei- bis dreimal wöchentlich schwere
Metallsonden (25—26 Charriöre) oder ebenso oft Argentumeinträufe-
lungen in die hintere Harnröhre (fünf bis zehn Tropfen einer
2 /yigen Argentum-nitrieum-Lösung).
Technik dieser „Guyonschen Instillationen“ 1. e, S. 82.
: 2. Stadium.
‚.. Blase wird unvollständig entleert. Urin zunächst noch klar,
später meist trübe.
Diagnose: wie im ersten Stadium. Beim Katheterismus
aber Rückstand in der Blase. („Restharn“, „Residualharn“.)
Behandlung: Bei klarem Urin und Rückstand unter 100 ccm
Behandlung wie im ersten Stadium (also nichts lokal). Bei
größerem Rückstand oder trübem Urin regelmäßiger Kathe-
Lactovegetabilische Diät.
terismus. Zweck: eine weitere Zunahme der Restharnmengen -
zu verhindern und die Cystitis zu bekämpfen. Deshalb nach dem
Katheterismus stets Spülungen, prophylaktisch auch bei klarem
Restharne. _
Spülflüssigkeit: Argentum nitrieum 1:1000. Nur
die erste Spülung bei Beginn der Behandlung mit Kollargol
(100 ccm einer 1°/yigen Lösung), da Argentum nitricum oft
Schmerzen macht. Für dauernden Gebrauch ist Kollargol zu teuer
(1 g 0,60 M).
Sonstige Ersatzmittel des Argentum (weniger wirksam):
Albargin 1:1000 und — ganz indifferent — Hydrargyrum oxy-
cyanatum 1:5000. (Rezepte 1. c. S. 239.) |
Katheter bei Prostatikern (in dieser Reihenfolge zu
versuchen): s,
1. Tiemannkatheter (Kautschuk) Charrière 18. (Abb. 1.)
2. Nélatonkatheter Nr. 18.
3. Tiemannkatheter (Seide) Nr. 17.
mäßiges Modell.
4. Mercierkatheter (Seide) horizontal abgeplattet, Charriere 21.
Neues, sehr zweck-
Abb. 2.
(Abb. 2.)
(Abb. 3)
5. Mercierkatheter (Seide) rund, Charriöre 19.
6. Metallkatheter Charridre 19.
Mit Kautschukkathetern ist der Katheterismus nicht immer
möglich, stauchen sich, besonders der Nelaton, leicht am Sphincter
externus. Am leichtesten passiert meistens der Tiemannkatheter
aus Seide oder ein Mercierkatheter, Bei Metall-
kathetern Vorsicht! Vorherige Anästhesierung der
vorderen Harnröhre erleichtert den Katheterismus
wesentlich: 10 ccm einer 2/yigen Novocainlösung
mit fünf Tropfen 1°/go Suprareninlösung auf 10—15 Mi-
nuten in die vordere Harnröhre Hier durch die
Stockmannsche Penisklemme (Abb. 4) zurückhalten,
Näheres l. c. 1912, Nr. 6, S.238. -
Neben den Spülungen Harnantiseptica: Hexamethylen-
tetramin, Helmitol, Hetralin; immer viermal täglich 0,5 auf drei
bis vier Wochen, dann mehrwöchige Pause. Auch Acidum cam-
phoricum und Salol. (Rezept 1. c.-S. 83.)
Diät: wie im ersten Stadium. -
Bäder meist überflüssig.
>
LASH LOLWERETEN
Abb. 4,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36,
| 3. Stadium, | ta
Dauernde Harnverhaltung. Urin tropft in kleinen Mengen
aus der übervollen Blase ab (Ischuria paradoxa). Quälender
Harndrang. Häufig Allgemeinerscheinungen (Urosep sis): trockene,
borkige Zunge, viel Durst, Schwäche, gelegentlich Schüttelfröste,
oft.psychische Veränderungen (Unruhe, aufgeregtes Wesen).
Diagnose: Meist schon aus den Allgemeinerscheinungen
möglich, sonst wie vorher. Beim Katheterismus Vorsicht! Die
überfüllte Blase darf nie auf einmal entleert werden! Oft schneller
Verfall danach (starke Druckschwankung in der Blase, Resorption
von Toxinen). Ä
Behandlung: Allmähliche Entleerung der Blase. Später
regelmäßiger Katheterismus und DBlasenspülungen („Katheter-
leben“). Bei besonderen Indikationen (siehe unten) Prostatektomie.
Diät: a) bei Urosepsis siehe unten,
b) im übrigen: gemischte Kost mit Bevorzugung von Gemüsen,
Salat und Obst. Alkohol in kleinen Mengen erwünscht.
Flüssigkeitszufuhr 11/3 bis 2 1, Brunnen (l. c. S. 83) überflüssig,
als Tafelgetränk, sonst ebenso Brunnenkuren. S
Allmähliche Entleerung der Blase:
1. Katheterismus: Ablassen von 300 cem Urin, Einfüllen
von 200ccm 1/99 Silbernitratlösung.
2. Katheterismus: Ablassen von 300 cem Urin, Einfüllen
von 100 ccm Silbernitratlösung.
3. Katheterismus: Ablassen von 300 cem Urin, Einfüllen
von ö0 ccm Silbernitratlösung.
Diese drei Sitzungen innerhalb der ersten 24 Stunden nach
Beginn der Behandlung.
Am zweiten und dritten Tage werden zweimal täglich, bei
quälendem Harndrange dreimal täglich, 500 cem Urin abgelassen und
100 cem Silbernitratlösung eingefüllt.
Vom vierten Tag ab bei jedem Katheterismus 100 cem mehr
ablassen wie beim vorhergehenden Mal. Einfüllen jedesmal 100 ccm
Argentumlösung. Meist erst am fünften bis siebenten Tage wird
die Blase zum ersten Male vollständig entleert. Von jetzt ab
regelmäßige Entleerung der Blase durch Katheter, je nach
Menge des Restharns und Harndrang zwei- bis dreimal
täglich. Danach Blasenspülungen, einmal täglich mit Argentum
nitricum 1:1000, ein- bis zweimal täglich mit Hydrargyrum oxy-
cyanatum 1:5000 (Rezepte 1. c. S. 239.)
Bequemer als das wiederholte Einführen eines Katheters ist
die Anwendung des Dauerkatheters („Verweilkatheter“), eines
Katheters, der mehrere (5—8—10) Tage in
der Blase bleibt. So lange die Blase al- @
mählich entleert werden soll, wird der Dauer-
katheter nur vorübergehend geöffnet, bleibt Abb. 5.
sonst durch Katheterstöpsel (Abb, 5) verschlossen. Ist die-Blase
entleert, so läßt man den Katheter offen. Der Urin tropft in
eine Ente,
Als Dauerkatheter am besten der Katheter nach Pousson.
(Abb. 6), Kautschukkatheter, der über einen Mandrin gespannt und
so eingeführt wird. Mandrin wird entfernt, Katheter bleibt liegen.
Er hält sich mit seinen korkenzieherartigen Windungen
von selbst in der Blase. Für den Kranken sehr bequem,
Einführung aber schwierig. Einfacher: Mercier- oder
Tiemannkatheter, der mit Leukoplaststreifen am Penis
befestigt wird. (Leukoplast 1 m lang, 1 cm breit, 0,20M.) pil
Nach Einführung des Dauerkatheters leg Morphin [IEN
subeutan, um dem Kranken über das erste Unbehagen I
hinwegzuhelfen (wichtig!). Auch die nächsten Nächte
besser noch Morphium.
So lange ein Dauerkatheter liegt, dreimal täg-
lich Blasenspülungen (wie oben) und Hexamethylen-
tetramin (0,5 viermal täglich).
Nach acht bis zehn Tagen Dauerkatheter zur Reinigung ent-
fernen, dann nötigenfalls noch einmal einführen. Nach endgültiger
Entfernung regelmäßiger Katheterismus, möglichst durch den Pa-
tienten selbst. Sorgfältige Desinfektion einprägen. Für den
Selbstkatheterismus ist zu verordnen:
1 Katheter (Tiemannkatheter aus Kautschuk oder Seide,
Mereierkatheter), i
1 Irrigator aus Glas mit 1!/2 m Schlauch und Schlauch-
klemme,
2 spitze Glasansätze,
1 Eiterbecken aus Glas, 30 cm lang, 16 cm breit, 6 em tief,
1 emaillierte Katheterschale (für Sublimatlösung),
1 Glasrobr zum Auf bewahren des Katheters,
1 Tube äseptische Katheterpaste. Z. B.:
8: September.
Codo "hh 7:
8: September. 1912: — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36. ` 1469
GG u EEE a >biBöh. ’>——— = cn aaa _ _ — LI u ut Hulk ln a a Bit
Rp. Tragacanthae . - . 2 2 222.035
Glycerini . 2.22... | 10,0
Hydrargyri oxcyanati . 2.02
Aquae destillatae . - - ... . ad 100,0 . (1,40 M)
M. f. Pasta mollis. Sterilisetur! |
D. in Tuben. S. Gleitmittel.
. Bp. Solut. Argenti nitrici . . 2 . 2 . . ..100:1000
1 Meßglas zu 5 ecm. (1,95 M)
10 Sublimattabletten zu 1,0. (0,75 M)
Cystitis. |
Behandlung: Blasenspülungen (siehe oben.) |
Pyelitis, Pyelonephritis.
Interkurrente Fiebersteigerungen im zweiten und dritten
Stadium der Prostatahypertrophie sind meist auf Pyelitis be-
ziehungsweise Pyelonephritis zurückzuführen.
Behandlung: Dauerkatheter in die Blase! Auch nach
Entfieberung noch drei bis vier Tage, dabei Bettruhe. Flüssigkeits-
zufuhr vorübergehend auf 2 bis 3 1 steigern. Innerlich Hexa-
m ea, Bei häufiger Wiederholung der Anfälle Prostat-
ektomie,.
Blutungen bei Prostatahypertrophie.
Die Pars prostatica urethrae bei Prostatabypertrophie stets
hyperämisch, oft mit erweiterten Venen. Blutungen daher häufig
selbst nach kunstgerecht ausgeführtem Katheterismus. Aber selbst
spontan oft Blutungen. Wiederholte Spontanblutungen verdächtig
auf maligne Degeneration der Prostata!
Behandlung: Kautschukkatheter benutzen. Wenn selbst
danach Blutungen, dann Katheterismus auf einige Tage aussetzen
oder wenn die Blase entleert werden muß, Dauerkatheter. Bei
starken Blutungen sofort Dauerkatheter. Am besten starker
Mercierkatheter (Charriörre 21—22). Blutgerinnsel in der Blase
sind herauszuspülen. |
Ist Einführung eines Katheters unmöglich, dann bei Harn-
verhaltung Punctio vesicae, eventuell mehrfach. Technik s. unten.
Gelingt die Einführung eines Katheters auch nach einigen Tagen
nicht, dann Sectio alta und Prostatektomie. Bei bedrohlichen Er-
scheinungen sofort Sectio alta und eventuell Prostatektomie.
, „Styptica von geringem Nutzen. Eventuell subeutan Gela-
tine (40 g einer 10 "pigen sterilisierten Lösung). Ä
Ep. 1 Originaltube von 40 g 10°Joiger sterilisierter Gelatine
(Merck) (3,20 M). | |
. Vor der Einspritzung wird die Gelatine im Wasserbade auf
Körpertemperatur erwärmt und dadurch verflüssigt. Einspritzung
tief in das Unterhautfettgewebe des Oberschenkels oder der Brust.
Innerlich gleichzeitig Stypticin oder Erystypticum (Mischung aus
Extractum Hydrastis canadensis fluidum, Hydrastinin syntheticum
und Secacornin). Sn
Rp. 20 Tabletten Styptiein . . 0,05 (Original)
DS. 68 Stück täglich (1,20 m. |
. Tys CUm- rTQIMa f
DS. 83mal täglich 20-50 Tropfen in AEE (0,95 M).
| . Harnverhaltung. :
Chronische Harnverhaltung im dritten Stadium siehe oben.
Akute Harnverhaltung oft schon im ersten und zweiten Stadium.
„Behandlung: Katheterismus. Meist Metallkatheter not-
wendig, da in diesen Fällen der Sphincter externus oft krampfhaft
ee Tan — u =
kontrahiert ist und weiche Katheter sich dann zu stauchen pflegen.
Vor dem Katheterismus Anästhesierung der vorderen Harnröhre
und Hochlagerung des Beckens durch ein hartes Kissen (wichtig!
Nach dem Katheterismus Argentumspülung. Wenn der Katheteris-
mus Schwierigkeiten macht, keine Gewalt anwenden, sondern die
capilläre Blasenpunktion.
Ausgiebig anzuwenden! Ganz ungefährliche, sehr einfache Ope-
ration!
Instrumentarium: 10 cem Rekordspritze (Abb. 7) mit
recht langer Kanüle. Dazu 10 cem 1/4 P/yige Novocainlösung.
| - Technik: Punkti-
' onsstelle genau in der Mit-
| tellinie, zwei Querfinger
oberhalb der Symphyse.
Desinfektion mit Jodtink- |
tur. Nadel senkrecht einstechen, langsam tiefer gehen und dabei
die Novocainlösung vor sich her spritzen. Gibt der Widerstand
nach, so ist man in der Blase Urin ansaugen. Wenn keiner
mehr kommt (oft sehr zeitraubend), Nadel heraus. Watte mit Kol-
lodium auf die Einstichstelle. |
Die Punktion. nötigenfalls zwei- bis dreimal täglich, selbst
mehrere Tage hindurch wiederholen. Wenn auch dann Katheteris-
mus unmöglich, Sectio alta und Prostatektomie.
Ey
i Urosepsis.
Lebensgefährlicher Zustand, Behandlung aber oft sehr dankbar!
Behandlung: Dauerkatheter! Daneben Analeptica: Heißer
schwarzer Kaffee, wenn nötig Oleum camphoratum und Coffein
subcutan. Wärmflaschen.
Bei Urämie rectale Kochsalzeinläufe. Nelatonkatheter in die
Ampulla recti und tropfenweise warme Kochsalzlösung (37%) aus
einem Irrigator einfließen lassen. Etwa 1 l in 5 Stunden.
Gegen den starken Durst kaltes Wasser, teelöffelweise eis-
gekühlte Milch, Mandelmilch, Wasser mit Fruchtsäften, eventuell
mit Ei verrührt.
Im übrigen: Schleimsuppen und Mischungen von Sahne,
Gelbei, Alkohol. (Kochvorschriften bei Strauß: Diätbehandlung
innerer Krankheiten. 3. Auflage 1912, 9 M.) Später Gemüse
und Obst. Ganz zuletzt Fleisch, gegen das anfangs meist Wider-
willen.
Schwinden des Durstes ist das erste Anzeichen, daß die Be-
handlung erfolgreich. Zunge reinigt sich für gewöhnlich erst
später und langsam. Urin bleibt meist trübe.
Chirurgische Behandlaug der Prostatahypertrophie.
Operationsverfahren: Ausschälung der Prostata von der
eröffneten Blase aus (suprapubische Prostatektomie) oder
vom Damme her (perineale Prostatektomie). Ersteres Ver-
fahren mehr zu empfehlen. Segensreiche Operation. Anzuwenden
aber nur bei absoluter Indikation, denn die meisten Prostatiker
lassen sich auch ohne Operation und mit geringerem Risiko
(Operationsmortalität 7 bis 10 %/0) bei leidlichem Befinden erhalten.
Die Prostatektomie ist notwendig:
1. wenn trotz regelmäßigem Katheterismus starker Harn-
drang fortbesteht; | i
2. wenn wiederholt, sei es im Anschluß an den Katheterfsmus,
sei es spontan, Hämaturien auftreten; |
; 3. wenn der Katheterismus dauernd große Schwierigkeiten
macht; | |
4. wenn häufig pyelitische beziehungsweise pyelonephritische
Anfälle auftreten; 2
5. wenn trotz regelmäßigem Katheterismus dauernd große
Restharnmengen vorhanden sind.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Neuere Methoden der lokalen Anästhesie und der allgemeinen
| FRE ‚Narkose a
von Dr. Albert Wettstein, St. Gallen.
a 4. Die Sakralanästhesie.
EL. knapp einem Dutzend Jahren hat uns Bier die Rü cken-
x sanästhesie, gelehrt. - Eine Zeitlang und von einzelnen
ahllos und im Uebermaß angewandt, ist sie zu Unrecht mancher-
| orts in Mißkredit gekommen. Nicht wenig hat dazu das über-
kübne Vorgehen Jonnescus beigetragen, das die dem Verfahren
innewohnenden Gefahren ganz gewaltig vergrößerte. Eine ver-
nünftig angewandte Rhachianästhesie aber ist trotzdem in weiten
Kreisen ein Mittel der Schmerzbetäubung geworden, zu dem man
im Bedarfsfalle gern seine Zuflucht nimmt und das ohne ernst-
liche Schädigung meist alle berechtigten Anforderungen erfüllt.
Bei der Nachbarschaft der Angriffspunkte ist man leicht ge-
neigt, in der Sakralanästhesie einfach einen Ableger der Rücken-
marksanästhesie zu sehen. Selbst Cathelin (7), auf den der
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1470 | ' 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36,
8. September.
Gedanke zurückgeht, anästhesierende und andere Substanzen in
den epiduralen Raum zu bringen, setzt die beiden Verfahren mit-
einander in Parallele. In Wirklichkeit aber handelt es sich um
zwei ganz verschiedene Dinge.
Als epiduralen Raum bezeichnen wir den Raum zwischen
Dura mater des Rückenmarks und Periost des Wirbelkanals. Dieser
Raum ist spaltförmig und im ganzen Verlaufe des Wirbelkanals
von vielen weiten, unter sich anastomosierenden Venen durchsetzt;
nur in seiner untersten Partie erweitert er sich. Der Duralsack
endet, weit unter dem Conus terminalis, in der Höhe des zweiten
oder dritten Kreuzbeinwirbels, unter Zuspitzung blind. Unterhalb
dieser Stelle wird die ganze Breite des Wirbelkanals von dem epi-
duralen Raum eingenommen. Da vorgenommene Injektionen können
also den Duralsack nicht mehr verletzen.
Cathelin und auf seine Veranlassung L&jars versuchten
nun 1901 durch den Hiatus sacralis anästhesierende Substanzen
zu injizieren und hier auf die Nervenstämme wirken zu lassen.
Trotz Einverleibung sehr großer Cocaindosen war aber so keine
für Operationen genügende Anästhesie zu erzielen. Auch alle
weiteren, besonders von französischen Autoren (Tuffier, Reclus,
Sicard und Andere) angestellten Versuche hatten kein anderes
Resultat. Daß Cathelin die Methode für einzelne interne
Affektionen (Neuralgien, Enuresis usw.) nützlich fand, interessiert
uns hier weiter nicht.
In Deutschland fand die sakrale Anästhesie zuerst Ver-
wendung gegen die Geburtsschmerzen, Stöckel (8) berichtet
1909 über 141 Fälle: Bei 111 Gebärenden war sicher ein günstiger
Effekt zu konstatieren (Beseitigung der Kreuz- und Leibschmerzen).
Auffallend war häufig eine Erschlaffung der Muskulatur des
Dammes und Beckenbodens. Ueber 65 Fälle mit ordentlichem Er-
folge berichtet weiter Rieländer (9). Auf 30 Geburten sah
Ilmer (10) nur 11mal absolute Unempfindlichkeit, 14mal bloß
mäßigen Erfolg; bei gynäkologischen Eingriffen versagte die Me-
thode meist. Eine große Begeisterung für die sakrale Anästhesie
vermochten alle diese Resultate nicht zu erzielen: eine wirkliche
Anästhesie, eine vollständige Ausschaltung der Schmerzempfindung
in einem bestimmten Bezirke wurde eben nur in den seltensten
Fällen erzielt. |
Schon Cathelin erkannte den Grund dieses Verhaltens darin,
daß die Nervenstämme im epiduralen Raume noch von den derben
Duralscheiden umhüllt sind, durch die die Anästhetica nur
schwer hindurch diffundieren können.
Soll — sagt Laewen (1) — die epidurale Injektion die
Nervenleitung völlig unterbrechen und eine brauchbare Anästhesie
liefern, so muß ein Anaestheticum benutzt werden, das man in
hoher Konzentration und in großen Flüssigkeitsvolumen in den
extraduralen Raum bringen kann. Die starke Konzentration er-
möglicht eine Fernwirkung des Anaestheticums auf die in den
Duralscheiden liegenden Nervenstämme; vom eingeführten Flüssig-
keitsvolumen hängt die Ausbreitung der erreichbaren Anästhesie
ab. Bei der Sakralanästhesie fehlt das Vehikel, das — wie die
Cerebrospinalflüssigkeit bei der Lumbalanästhesie — die analge-
sierende Substanz rasch in die Höhe an viele Nervenabschnitte
tragen kann. Zur Erreichung einer nur einigermaßen hochgehenden
Anästhesie muß daher eine verhältnismäßig große Flüssigkeits-
menge in den Sakralkanal injiziert werden. Das Zusammenwirken
der beiden genannten Faktoren konnte aber bei den jetzt gebräuch-
lichen Anaestheticis nicht ausgenutzt werden, weil der Anwendung
einer hohen Konzentration und eines großen Flüssigkeitsvolumens
die Giftigkeit der Substanzen entgegenstand.
So haben denn auch die ersten Versuche Laewens, bei
denen er verschiedene Konzentrationen und Volumina von No-
vocain-Kochsalzlösungen epidural injizierte, ein durchaus ungleich-
mäßiges Resultat gegeben, bald gute, bald gar keine Anästhesie.
Das Ergebnis der Versuche war, daß eine derart unzuverlässige
Anästhesierungsmethode für Operationen keine praktische Bedeutung
haben Kann.
Die Sachlage änderte sich mit dem Augenblick, da Gros
(4, 21) zeigte, daß man die anästhesierende Wirkung der
Lokalanaesthetica auf einfache Weise steigern kann. Er wies
nach, daß die Wirkung der Lösungen der Chloride der Lokal-
anaesthetica, die gewöhnlich verwendet werden und die nur wenig
freie Base enthalten, gesteigert wird, wenn man in ihnen die Kon-
zentration der freien Base durch Zusatz einer kleinen Menge Na-
tronlauge steigert. Die Basen der Lokalanaesthetica wirken
viel schneller als die Salze, sie wirken aber auch viel
intensiver. Nun reagieren die Basen der Lookalanaesthetica aber
alkalisch, zerstören darum ihnen zugesetztes Suprarenin sofort.
Steigerung der anästhetischen Wirkung ohne Gefährdung der
Suprareninwirkung erzielt man aber, wenn man an Stelle der
Chloride der Lokalanaesthetica Salze derselben von schwachen
Säuren verwendet. Das anästhetische Potenzial des Salzes eines
Lokalanaestheticums hängt ab vom anästhetischen Potenzial der
Base und vom Grade der hydrolytischen Spaltung, ist also um so
höher, je schwächer die Säure ist, die das Salz bildet. Wir er-
halten durch Kombination der Anaestheticachloride mit
Natriumcarbonat Lösungen, die stärker hydrolysiert sind, also
stärker wirken als die Chloride, und die gegen Phenolphthalein
sauer reagieren, sodaß eine Beeinträchtigung der Suprareninwirkung
nicht zu befürchten ist.
Die von Gros angestellten Tierversuche ergaben überein-
stimmend, daß die Bicarbonate — die Carbonate sind zu hydro-
lytisch — dər verschiedenen Lokalanaesthetica durchweg
noch in größerer Verdünnung Anästhesie hervorrufen
als die Chloride. Bei Novocain im speziellen bewirkt das
Bicarbonat noch in drei- bis fünfmal stärkerer Verdünnung An-
ästhesie als das Chlorid.
Für die reine Infiltrationsanästhesie sind von den Novocain-
carbonatlösungen keine besonderen Vorteile zu erwarten. Ganz
anders bei der Leitungsanästhesie. Da die Menge des An-
aestheticums, die der Nerv in einer gegebenen Zeit aus einer
Lösung aufnimmt, von der Konzentration dar Base in der Lösung
abhängt, so nimmt der Nerv aus der Bicarbonatlösung eine größere
Menge des Anaestheticums auf als aus der Chloridlösung. Die
Anästhesie tritt also rascher auf und ist intensiver. Laewen (5)
fand die Ergebnisse des Tierexperiments beim Menschen bestätigt.
Nun ist a priori anzunehmen und wurde auch durch die
Untersuchungen der verschiedensten Autoren bestätigt, daß es sich
bei der Sakralanästhesie um eine reine Leitungsanästhesie
handelt. Bei den hohen Ansprüchen an die Diffusionswirkung der
Anaesthetica im epiduralen Raum erschien es darum als aussichtsvoll,
hier die Novocainbicarbonate zu verwenden. Und es gelang Laewen
denn auch, mit Hilfe der epiduralen Injektion von Novocainbicar-
bonatlösungen ein zwar beschränktes, aber doch praktisch wich-
tiges und häufig benutztes Operationsgebiet völlig anästhetisch
und zur Ausführung schmerzloser Eingriffe geeignet zu machen.
Auf dem Naturforscher- und Aerztetag 1910 in Königsberg konnte
Laewen bereits über 54 in der Extraduralanästhesie — wie
er die Methode zu bezeichnen empfahl — ausgeführte Operationen
berichten (20), kurz nachher stieg ihre Zahl auf 80 (2) und am
Chirurgenkongreß 1911 (8) beliefen sich seine Erfahrungen bereits
auf 120 Fälle.
Die Zubereitung der nötigen Novocainbicarbonatlösungen war
anfangs etwas umständlich. Da es sich aber zeigte, daß die drel
Substanzen Novocain, Natrium bicarbonicum purissimum und
Natrium chloratum, in Trockensubstanz aufbewahrt, sich nicht um-
setzen, so lassen sich Pulvermischungen dieser Substanzen in ge-
eigneter Dosierung vorrätig halten. Zur Herstellung der ge-
wünschten Lösung genügt es, ein derartiges Pulver in der ent-
sprechenden Menge destillierten Wassers zu lösen, einmal aufzu-
kochen, abzukühlen und Adrenalin in Tropfenform zuzugeben.
Laewen verwendet folgende, für jeden Fall frisch hergestellte
Novocainbicarbonatkombination:
Lösung I.
Natr. bicarbon. puriss. pro analysi Merck 0,15
Natr. chlorat. . . . 2 2 2 2 2. A
Novocain. . . 2 2 2 2 2 200.0. 06
zu lösen in 30 cem destillierten Wassers = 2 %/yige Novocainbicar-
bonatlösung.
Lösung I.
Natr. bicarbon. puriss. pro analysi Merck 0,2
Natr. chlorat. . . 22 2 2 0. ,
Novocain . ee ee i
zu lösen in 50 cem destillierten Wassers = 11/2 %/oige Novocaln-
bicarbonatlösung. ;
Von der Lösung I wurden 20 cem, von Lösung II 20 bis
25 cem injiziert. Einen erwähnenswerten Unterschied in der Wir-
kungsweise der beiden Lösungen sah Siebert (14) nie. Das Auf-
kochen der Lösung darf nur einmal erfolgen; bei langem Kochen
wird sie trüb, da sich die Novocainbase in Form eines öligen
Niederschlags ausscheidet.
Die Technik der Sakralanästhesie ist in der Haupt-
sache schon von Cathelin festgelegt werden. Durch Unter-
suchungen am Tier, an der Leiche und am Lebenden, legte er dio
anatomischen und physiologischen Verhältnisse des extraduralen
anne a _ `
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36. 1471
Raumes klar, und zeigte, daß dieser Raum durch einen Einstich
in den Hiatus canalis sacralis zugänglich zu machen ist.
Man tastet sich mit dem Finger das Grübchen zwischen den
Cornua sacralia ab, das dem Hiatus sacralis entspricht. Die
zwischen den beiden Sakralhöckern ausgespannte derbe Membran
gibt einen eigenartig federnden Widerstand und soll auch bei kor-
pulenten Personen leicht durchzufühlen sein.
Daß die Injektion unter allen aseptischen Kautelen zu
machen ist, bedarf kaum der Erwähnung. Nicht sehr wesentlich
ist auch das Instrumentarium: am praktischsten scheint der
von Schlimpert (12) angegebene Trokart mit zurückziehbarer
Spitze. Für den Anfang mag es sich auch empfehlen, den Ein-
stich unter Lokalanästhesie vorzunehmen; daß man bei einiger
Uebung deren nicht bedarf, beweist Siebert, der, auch ohne
vorherige Morphium-Scopolamingabe, den kleinen Eingriff als recht
wenig schmerzhaft bezeichnet. Außerdem erschwert die Quaddel-
bildung die Orientierung hinsichtlich der Membran.
Liegt die Spitze der Kanüle im Sakralkanal, so wird diese
senkrecht nach unten in der Verlängerung des Kreuzbeins gehalten
und dann 3 bis 4 cm hinauf vorgeschoben. Die Eröffnung des
Duralsacks wird so sicher vermieden, da er nach den Unter-
suchungen Cathelins 6 bis 9 cm über dem Hiatus sacralis endet.
Gelingen diese Manipulationen nicht leicht, so liegt die Nadel nicht
recht. Die richtige Lage wird auch daran erkannt, daß die Ein-
spritzung ohne Widerstand erfolgt, daß über dem Kreuzbeine kein
Oedem entsteht und daß die Kranken alsbald über Druckgefühl im
Kreuz und Parästhesien nach den Knien und Füßen hin klagen
(Laewen, Siebert).
Es kann, besonders wenn spitze Nadeln verwendet werden,
' vorkommen, daß die weiten Venenplexus des Epidural-
raums verletzt werden. Lieven (16) hat auch in solchen
Fällen, da sich Blut aus dem Trokar entleerte, die Injektion vor-
genommen und eine völlige Anästhesie erreicht, ohne daß irgend-
welche unangenehme Nebenerscheinungen bemerkt wurden. Schlim-
pert beobachtete in zwei solchen Fällen hochgradige Blässe der
Patienten und nach vorübergehender Pulsbeschleunigung eine Puls-
verlangsamung auf 40 bis 50 Schläge in der Minute; er nimmt
darum in solchen Fällen von der Sakralanästhesie Abstand. Plötz-
lich auftretende schwerste Allgemeinsymptome (bei ausbleibender
Anästhesie) sah in einem Falle, da sich nach Abnahme der Spritze
aus der Kanüle reichlich venöses Blut entleerte, auch Laewen,
auf Unterbrechung der Injektion gingen die Erscheinungen zurück.
Schon Cathelin und Stöckel, dann wieder Schlimpert
und Schneider (11) suchten sich experimentell über die Ausdeb-
nung der Novocainlösung im Epiduralraume Klarheit zu verschaffen.
Es wurden dazu, wie es auch Laewen und v. Gaza (6) taten,
wäßrige Methylenblaulösungen verwendet. Dabei zeigte es sich,
daß auch bei sitzender Stellung die Lösung keineswegs auf den
Sakralteil beschränkt bleibt, sondern bisweilen bis zur Halswirbel-
säule hinaufreicht,
. _ In schönen Tierversuchen haben dann Laewen und v. Gaza (6)
die Frage zu entscheiden gesucht, ob ein Unterschied in der
irkung der extradural applizierten anästhesierenden
Lösungen auf den Allgemeinorganismus von den intra-
dural einverleibten besteht. Die Gesetze über die Wirkung
Intradural injizierter Lösungen waren ja durch die Untersuchungen
von Heineke und Laewen (17) bekannt. Weiter hatte bereits
Cathelin nachgewiesen, daß Lösungen vom Extraduralraum aus
doppelt so rasch in den Blutkreislauf gelangen, als bei unter
gleichem Druck erfolgender subeutaner Injektion; er hält den di-
rekten Uebergang extradural injizierter chemisch differenter Körper
durch die Venenwand ins Blut für den gewöhnlichen Weg. Laewen (2)
vermutete aber daneben noch, daß außerdem eine durch den in
dem engen Raume gesteigerten Druck beschleunigte Aufnahme in
die Capillaren stattfände. — Die Versuche zeitigten nun folgende
Resultate:
. Die Dosis Novocain (0,03 pro Kilogramm Tier), die bei intra-
duraler Inj ektion den Tod der Tiere herbeiführt, verursacht bei
extraduraler Applikation keine Aenderung des Blutdrucks oder
nur eine vorübergehende Steigerung, niemals aber eine aus-
gesprochene Senkung des Blutdrucks. Störung in der Atmung
oder Veränderung der Cornealreflexe wurden hierbei nicht beob-
achtet, Die toxische Dosis Novocain ist also bei intra-
duraler Einführung viel kleiner als bei extraduraler.
T Dieselbe Dosis Novocain (0,1 g pro Kilogramm Tier), die
ei intramuskulärer Injektion keine Veränderung im Blutdruck,
Amung und Cornealreflex hervorruft, setzt bei extraduraler In-
Jektion den Blutdruck stark herab und führt zum Atmungsstill-
stand und Tod der Tiere. Es liegt also die toxisch wirkende
Dosis Anaestheticum bei Injektion in den Extradural-
raum wesentlich tiefer als bei intramuskulärer Injektion.
Die Nebenwirkungen bei der extraduralen Injektion von Novo-
cain beruhen auf einer raschen Resorption bezüglich Filtration,
die zustande kommt durch die starke Drucksteigerung im
Extraduralraum. Adrenalinzusatz vermag diese Nebenwirkungen
nicht zu verhindern. |
Die Nebenwirkungen bei der Extraduralinjektion
lassen sich dadurch vermeiden, daß man möglichst lang-
sam injiziert. |
Die klinischen Beobachtungen waren diesen experimen-
tell gewonnenen Erfahrungen längst vorausgeeilt, wurden aber
durch dieselben voll bestätigt. |
Die Technik der Injektion ist keineswegs einfach. Zur Auf-
findung des Sakralkanals bedarf es ziemlicher Uebung. Bei sehr
fettreichen Personen namentlich ist das Auffinden des Hiatus sa-
cralis oftmals schwierig, sodaß man allzu dicke Personen wohl am
besten grundsätzlich von der Sakralanästhesie ausschließt (Schlim-
pert und Schneider). In zwei Fällen von Siebert war die
Membran verknöchert und nur schwer durchzustechen.
Laewen empfiehlt, die Injektion der Lösung bei sitzender
Haltung des Patienten vorzunehmen. Denn sonst: fließt ein Teil
der Flüssigkeit im extraduralen Gewebsspalt nach oben ab und
man erhält nur unregelmäßige und unsichere hyp- und anästhe-
tische Bezirke der Dammgegend: Der Kranke soll auch nach der
Injektion in halbsitzender Stellung mit dem Rücken auf
dem erhöhten Oberteil des Operationstisches liegen. Die anästhe-
sierende Lösung dringt nun durch die Duralscheiden in die Nerven-
stämme und unterbricht ihre Leitfähigkeit. Die Anästhesie tritt
etwa nach 20 Minuten ein. — Will man nach dem ursprünglichen
Vorschlage Cathelins in Seitenlage injizieren, so ist zu berück-
sichtigen, daß der Eingang zum Sakralkanal nicht in der Verlän-
gerung der Gesäßfurche liegt, da diese von der oberen Gesäßhälfte
nach unten gedrückt wird. Nach der Injektion ist der Patient
sodann aufzusetzen,
Genau nach diesen Vorschriften Laewens geht Siebert vor,
handelten anfänglich auch Schlimpert und Schneider, Ihre
Resultate sind denn auch die nämlichen:
Es trat nach Injektion von 20 bis 25 cem der genannten
Novocain-Natriumbicarbonatlösungen durchschnittlich nach 20 Mi-
nuten Gefühllosigkeit ein im Gebiete der Nervi anoccocygei und
Pudendus, der Rami viscerales aus Sg und S4 (Nn. haemomorrhoidales,
viscerales inferiores, vaginal.). Häufig wurden auch der N. clu-
nium inferior medialis und der N. cutaneus femoris posterior aus-
geschaltet, nie vollkommen der N. peroneus communis und der
N. tibialis. Zuerst wird die Gegend zwischen Steißbein und After
anästhetisch, dann folgen Damm, Skrotum, Penishaut und Glans,
analog ist es auch beim Weibe. Sind Glans oder Klitoris gefühllos,
dann ist der Höhepunkt erreicht. Nach oben schneidet die An-
ästhesie quer in einer Linie ab, die etwa dem Oberrande des vor-
deren knöchernen Beckenrings entspricht. f
Dieses anästhetische Gebiet reicht aus zu Operationen am
After, Damm und an den Genitalien. Unter den 120 Ope-
rationen der letzten Mitteilung Laewens (8) handelt es sich um
Operationen wegen Hämorrhoiden, periproktitische und Glutäal-
abscesse, um die Entfernung tiefsitzender Mastdarmcarcinome und
Mastdarmpolypen, Phimosenoperationen, Urethrotomia externa, ver-
schiedene Operationen an den äußeren weiblichen Genitalien. Die
gleichen Operationen betreffen die 65 Beobachtungen vonSiebert(15).
Das Hauptkontingent zu den 35 gynäkologischen Eingriffen von
Schlimpert und Schneider stellten 20 Kolporrhaphien. _
Als besonders geeignet wird die Methode gerühmt bei der
Operation von Hämorrhoiden. Der Sphincter ani wird durch die
Anästhesie nicht ganz gelähmt; er läßt sich aber manuell ohne
Schmerzen dehnen und bleibt dann offen stehen. Die Kranken
sind imstande, die Hämorrhoidalknoten selbst hervorzupressen.
Die Dauer einer Sakralanästhesie beträgt in der Regel etwas
mehr als eine Stunde, in einzelnen Fällen bis zu zwei Stunden.
Hypästhesie bleibt meist noch einige Stunden zurück.
Nebenwirkungen treten nur in seltenen Fällen auf.
Brechen wurde einige Male gleich nach der Injektion beobachtet,
Ueber das Gefühl von Bitterkeit im Munde wurde selten, über
Durst öfter geklagt. Mehrmals wurde Schwindelgefühl, Schweiß-
ausbruch und starkes Uebelsein gesehen. Auch Gesichtsblässe
und schnell vorübergehende Kleinheit und Unregelmäßigkeit des
Pulses wurden beobachtet. — Alle diese Erscheinungen erklären
sich nach den Resultaten der angeführten Versuche ohne weiteres
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ST. Tr DE Tr Cae
1472 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36. -
8. September;
durch Resorptionswirkung. Vermieden. werden sie am ehesten
durch die von Laewen (3, 6) empfohlene möglichst langsame
Injektion der Lösungen (im Verlauf von ein bis zwei Minuten).
Außerdem sollen Arteriosklerotiker von der Sakralanästhesie aus-
geschlossen werden und nach Siebert auch schwere neurasthe-
nische und hysterische Personen, da bei diesen jede ohne Narkose
ausgeführte Operation leicht als psychischer Insult wirken kann.
Die genannten Nebenwirkungen verschwanden übrigens immer
sehr rasch, meist nach wenigen Minuten. Und Nachwirkungen
wurden eigentlich gar nicht beobachtet. Bei Fehlern der
Technik bestanden einmal ein paar Tage etwas Schmerzen an.der
Injektionsstelle; die bei der Lumbalanästhesie so lästigen Nach-
wirkungen aber blieben ganz aus.
Wo Versager vorkommen, sind sie fast immer auf Fehler
der Technik zu buchen. Nach unsern Erfahrungen, sagt Siebert,
können wir die Sakralanästhesie nur empfehlen. Wenn auch das
Anwendungsgebiet ein beschränktes bleiben wird, so leistet sie
doch in diesem Ausgezeichnetes.
Laewen (2) hat auch Versuche unternommen, um das anästhe-
tische Gebiet nach oben zu vergrößern. Er führte Novocainbicar-
bonatlösung in den epiduralen Raum ein und spritzte sofort hinter-
her schnell gerinnende Gelatinelösung, in der Erwartung, so die
anästhesierende Lösung im epiduralen Raume hochzutreiben. Seine
Versuche sind nicht befriedigend ausgefallen; auch bei Anwendung
2°%/,iger Novocainlösungen war der Erfolg gleich Null.
Auf anderem Wege gelangte Schlimpert (12) zum Ziele,
sodaß er jetzt die Extraduralanästhesie mit Erfolg bei sämt-
lichen abdominellen Operationen verwendet. Neben den
tiefen Extraduralanästhesien, wie er die von Laewen angegebene
Methode zur Anästhesierung der vom Plexus sacralis versorgten
Organe nennt, verwendet Schlimpert zur Herstellung von
Schmerzlosigkeit und Bauchdeckenentspannung bei Laparotomien
seine hohen Extraduralanästhesien mit besonderer
Technik: |
Vor allem wurden alle Patienten durch Scopolaminmorphium
in einen tiefen Dämmerschlaf versetzt. Zum Zustandekommen
einer guten hohen extraduralen Anästhesie ist sodann eine Steige-
rung der Novocaindosis auf 0,8 (also auf eine recht große
Dosis) notwendig in 1 bis 2°/niger Lösung. Um die Wirksam-
keit des Suprarenins in der Lösung weniger rasch verschwinden
zu lassen, wird der Lösung noch 2 ccm steril entnommenes Menschen-
blutserum zugesetzt. Neben der Steigerung der Dosis ist eine
veränderte Lagerung das wichtigste Moment beim Zustande-
kommen der peritonealen Anästhesie und Entspannung. Schlim-
pert verwendet zur Injektion entweder Seitenlage, dann Her-
stellung der Rückenlage und steile Beckenhochlagerung
oder Injektion in Knie-Ellenbogenlage und Belassen in dieser
Lage drei bis zehn Minuten. |
Es tritt bei dieser Technik Anästhesie bis wenigstens
zum Rippenbogen in durchschnittlich fünf Minuten auf. Die
Entspannung der Bauchdecken läßt etwas länger warten. Bei
Operationen von mehr als einer Stunde Dauer mußte häufig noch
etwas per inhalationem narkotisiert werden. Auf 171 hohe extra-
durale Anästhesien (bei 252 Sakralanästhesien bei gynäkologischen
Operationen überhaupt) konnten von Schlimpert (13) 43,9 jo der
Fälle ohne Inhalationsnarkose durchgeführt werden, 14,6°/o be-
durften wegen langer Operationsdauer, 33,3 0/, wegen ungenügender
Anästhesie und mangelhafter Entspannung noch die Zugabe von
Inhalationsnarkose und 8,2 °/, waren Versager. Auch in den Fällen,
wo noch zur Inhalationsnarkose gegriffen werden mußte, war der
Verbrauch von Chloroform und Aether äußerst gering. „Das, was
uns die hohe extradurale Anästhesie bis jetzt im Vergleiche zur
Lumbalanästhesie schätzenswert gemacht hat, ist weniger das
Fehlen von Versagern als das Fehlen unangenehmer Nebenwir-
kungen und das fast vollständige Fehlen von’ Nachwirkungen.“
Denn auch bei dieser Mischanästhesie finden sich nur
die wenigen obenerwähnten Nebenerscheinungen. Immerhin rät
Sehlimpert, bei nicht kompensierten Herzfehlern oder bei Myo-
degeneratio cordis von der Methode Abstand zu nehmen. Dauernde
Nachwirkungen sind bisher nicht beobachtet.
Der gleichen Technik wieSchlimpert bedient sich Lieven (16).
Auf 50 Anästhesien erzielte er in 30 Fällen absolut einwandfreie
Anästhesie. Im großen ganzen decken sich seine Erfahrungen mit
den bereits gemeldeten; vorübergehend mußte er einigemal kathe-
drisieren. l
Die tiefe extradurale Anästhesie bezeichnet Schlim-
pert für alle in Betracht kommenden Operationen als die An-
ästhesie der Wahl. Versager sind da außerordentlich selten.
Wieweit die hohe extradurael Anästhesie in Konkurrenz mit
Inhalationsnarkose und Lumbalanästhesie treten kann, das können
erst größere Erfahrungen entscheiden, als sie bis jetzt vorliegen.
Kurz sei noch erwähnt, daß die-Sakralanästhesie von
Lieven, wie von Schlimpert und Schneider, von Wein-
mann (18) auch in der Geburtshilfe Anwendung gefunden hat.
Ihre Zweckmäßigkeit als Anästhesie für. geburtshilfliche Ope-
rationen scheint recht fraglich zu sein. Als Mittel zur Aufhebung
der Wehenschmerzhaftigkeit ist sie in Verbindung mit dem Scopol-
aminmorphium-Dämmerschlaf sehr oft mit Erfolg gebraucht worden.
Größere Verbreitung wird ihr indessen. sicherlich auch zu diesem
Zwecke nicht beschieden sein. g ee En
Literatur: 1. A. Laewen, Ueber die Verwertung. der Sakralanästlesie
für chirurgische Operationen. (Zbl. f. Chir. 1910, -Nr. 20, S. 708.) — 2. Der:
selbe, Ueber Extraduralanästhesie für chirurgische Operationen. (D. Z. f.
Chir. 1910, Bd.108,H.1u.2)— 3. Derselbe, Weitere Erfahrungen über Extradural-
anästhesie. (Deutsch. Chirurgencongr. 1911.) — 4. Oskar Gros, Ueber eine Me-
thode, die anästhesierende Wirkung der Lokalanästhetica zu steigern. (M. med.
Woch. 1910, Nr. 39, S. 2042.) — 5. Laewen, Ueber die Verwendung des Novo-
cains in Natriumbicarbonat-Kochsalziösungen zur lokalen Anästhesie. (M. med.
Woch. 1910, Nr. 39, S. 2044.) — 6. A. Läewen und W. v. Gaza, Experimentelle
Untersuchungen über Extraduralanästhesie. (D. Z. f. Chir. 1911, Bd. 111, H.1
bis 8.) — 7. Cathelin, Les injections 6pidurales, Paris 1903, übersetzt von
A. Strauß, Die epiduralen Injektionen durch Punktion des Sakralkanales und
ihre Anwendung beiden Erkrankungen der Harnwege. (Stuttgart, Ferd. Enke, 1903.)
— 8. Stöckel, Ueber sakrale Anästhesie. (Zbl. t. Gyn. 1909, Nr. 1.) — 9. A. Rie-
länder, Weitere Versuche über die sakrale Anästhesie. (Zbl. f. Gyn. 1909, Nr. 18.)
— 10. W. Ilmer, Beiträge zur Sakralanästhesie nach Stöckel. (Oesterr. Aeorzteztg.
1910, Nr. 9 und 10.) — il. Hans Schlimpert und Karl Schneider, Sakral-
anästhesie in der Gynäkologie und Geburtshülfe. (M. med. Woch. 1910, Nr. 49,
S. 2561.) — 12. Schlimpert, Hohe und tiefe extraduraie Anästhesie. (Zbl. Í.
Gyn. 1911, Nr. 12.) — 13. Derselbe, Ueber extradurale Anästhesie. (Gynäko-
logencongreß München 1911.) — 14. Kurt Siebert, Erfahrungen über Sakral-
anästhesiee (D. Z. f. Chir. 1911, Bd. 112, S. 176.) — 15. Derselbe, Ueber
Sakralanästhesie. (Med. Ges. Magdeburg 5. Oktober 1911, ref. M. med. W. 1911,
Nr. 51, S. 2773.) — 16. F. Lieven, Ueber extradurale Anästhesie. (Zbl f. Gyn.
1911, Nr. 38.) — 17. Heinecke und Laewen, Experimentelle Untersuchungen
über Lumbalanästhesie. (Langenbeck A. 1906, Ba. 81, H. a — 18. S. Wein-
mann, Zur Sakralanästhesie in der Geburtshülfe. (Diss. Heidelberg April 1912.)
— 19. Meyer (Med. KI. 1910, Nr. 12.) — 20. Laewen, Ueber Sakralanästhesie.
(Vhdìg. d. dtsch. Naturforscher und Aerzte, Königsberg 1910.) — 21. O. Gros,
Ueber die Narcotica und Lokalanaesthetica. (A. f. exp. Path. 1910, Bd. 63,
H.1 und 2.) |
Sammelreferate,
Neuere Tabesarbeiten
von Dr. Kurt Singer, Berlin.
Fuchs (1) widmet eine ausgezeichnete Studie dem Zusammen-
hange der Augensymptome mit der Tabes. Er fand reflektorische
Pupillenstarre in 80°/, der Fälle; von der absoluten Starre, wie
sie bei Lähmung des dritten Hirnnerven auftritt, ist die reflek-
torische dadurch zu unterscheiden, daß bei dieser die Pupillen meist
nicht erweitert sind. Vielmehr ist mit dem Argyli-Robertson-
schen Phänomen meist eine spinale Miosis verbunden als Ausdruck
für eine Störung im Gleichgewicht zwischen Sphineter und Dilatator
pupillae. Ein Krampf des Sphincter ist bei der Miosis der Tabiker
dadurch leicht auszuschließen, daß Atropineinträuflung keine
Mydriasis erzeugt. Die anatomische Grundlage der Pupillenstarre
ist wahrscheinlich im Centrum eilio-spinale zu suchen. Anisokorie,
bedingt durch Veränderungen der zentrifugalen Oculomotorius- oder
Sympatieusbahnen, konstatierte Fuchs in einem Viertel aller Tabes- _
fälle, oft nur vorübergehend. Diplopie findet sich ebenfalls oft nur
flüchtig, periodenweise auftretend, und nach Wochen oder Monaten
verschwindend.. Auch die Auswahl der verschiedenen Augen-
muskeln schwankt erheblich, bei den verschiedenen Attacken werden
gelegentlich sogar verschiedene Muskeln ein und. desselben Inner-
vationsbereichs betroffen. Die Ptosis steht oft in gar keinem Ver-
hältnis zur Schwere der Lähmung; sie wird stärker bei Abduktion des
Auges, schwächerbei der Adduktion. Die Patienten sind merkwürdiger-
weise durch die Diplopie und die im Gefolge der Augenmuskellähmung
auftretenden Schwindelerscheinungen wenig belästigt. Der SehnerY
leidet meist früh; als Komplikation der Krankheit im ataktischen
Stadium findet sich Optieusatrophie sebr selten. Im allgemeinen
fand Fuchs Sehnervenerkrankung bei 10 bis 150), der Fälle; dagegen
Herabsetzung der Sehschärfe, Einschränkung des Gesichtefeldes
(eventuell nur für Farben) wesentlich öfter. Uhthoff unterscheidet
zwei Typen von tabischen Anomalien der Sehschärfe: 1. Herab-
setzung der centralen Sehschärfe und Verkleinerung des Gesichts-
feldes; 2. gute centrale Sohschärfe und Ausfall eines ganzen Sektors
des Gesichtsfeldes. In letzterem Fall ist die Prognose besser, da
selbst bei Zunahme des erkrankten Sektors die centrale Sehschärfe
lange erhalten bleibt. Letztere Anschauung wird von Fuchs nicht
in vollem Umfange bestätigt. Er unterscheidet drei Typen der
=
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 86.
1413
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tabischen Sehstörungen: 1. minimales, centrales Gesichtsfeld mit
gut erhaltener Sehschärfe; 2. centrales Skotom und gute Außen-
grenzen; 3. bitemporale Hemiopie. Von letzterer Anomalie sah
Fuchs nur fünf einwandfreie Fälle,
Sehr lesenswert ist die kleine Monographie von Mendel-
Tobias (2) über die Frauentabes. Besonders interessieren hier einige
statistische Daten aus einer reichen Kasuistik. Unter 114 weib-
lichen Tabikern befanden sich 13 Schneiderinnen, was.wohl kaum
für die Edingersche Theorie in Betracht gezogen werden kann.
Von 100 verheirateten Frauen hatten 28 nie geboren, 31 hatten
keine lebenden Kinder (Aborte, Totgeburten usw. usw.). 59°/, der
tabischen Frauen also sind kinderlos. Bei 100 Verheirateten
kommen. nur 0,97 lebensfähige Kinder auf jede Ehe. Syphilis war
sicher in 67,4%, der Fälle, wahrscheinlich in 5,2%/,, verdächtig in
8,4%], (zusammen also 81°/o), bei drei Virgines intactae war here-
ditäre Lues nachweisbar.
Die Frage nach dem Einfluß der Funktion auf die Symptome
der Tabes schneidet Herrmann (3) wieder aufs neue an. Nach
seinen Ausführungen und Untersuchungen ist die Tabes keine Auf-
brauchskrankheit, und kein Symptom läßt sich durch die Funktion
:allein. erklären. Therapeutisch verwirft Herrmann daher konse-
quent die dem Patienten lästige Körperruhe.
.. — Bai der Unfähigkeit, gegenüber der fortschreitenden tabischen
Papillenabblassung respektive Opticusatrophie therapeutisch erfolg-
reich einzugreifen, verdient der Vorschlag Goebels (4) Beachtung,
auch wenn er erst einmal mit seiner Saugmassage einen günstigen
Erfolg erzielt hat. Eine Saugglocke wird auf Augapfel und Lid
so aufgesetzt, daß beide etwa 1/2 bis 1 cm in die Glashöhle sich
vorwölben. Bei jeder Pulswelle wird angesogen, beim Zurück-
schnellen der Pulswelle losgelassen. Diese Prozedur, die dem
Patienten keine Schmerzen macht, soll zirka 100 mal hintereinander
wiederholt werden. Die Sehschärfe hebt sich und das Gesichts-
feld wird weiter.
< 1908 hatte Nonne (5) die Mitteilung publiziert, daß er unter
1460 Fällen von Alcoholismus chronicus gravis 18mal reflektorische
Pupillenstarren, bedingt lediglich durch die toxische Wirkung des
Alkohols, gefunden hatte. Die Untersuchung auf Pleocytose und
Phase 1, welche eventuell auf syphilogenes Leiden oder syphilitische
Anamnese hingewiesen hätten, fiel stets negativ oder fast negativ
aus. Auch die Wassermannsche Untersuchung, die er später
an drei Fällen vornahm, war negativ.
Kein einziger Fall von isolierter, echter reflektorischer Pupillen-
starre ohne syphilitische Aetiologie war bisher klinisch und patho-
logisch-anatomisch untersucht worden. Sodaß Bumke (6), einer
der besten Kenner der Pupillarstörungen, das Vorkommen des
Argyli-Robertsonschen Symptoms bei andern Krankheiten als
bei Tabes, Paralyse und Hirnlues leugnet. Weiler sah unter
1000 Fällen von Alkoholismus nie dauernd echte Pupillenstarre;
in acht Fällen, wo sie vorhanden war, fiel die Wassermannsche
Blutuntersuchung positiv aus, und die Krankheiten entwickelten
sich später zu Tabes oder Paralyse. In zwei Fällen von Alkoholismus,
die Nonne nun beobachtet hat, war von somatischen Symptomen
lediglich eine reflektorische Pupillenstarre zu konstatieren. Vor
Allem fand sich kein anderes Zeichen, das etwa auf eine vorhan-
dene Syphilis gewiesen hätte, alle vier Reaktionen fielen negativ
aus. Wassermann im Blute war zweimal negativ; Phase 1 im
Lumbalpunktat negativ, Wassermann, bis 1 cem ausgewertet, eben-
falls negativ. Bei der Sektion zeigte sich das Rückenmark ganz
normal, am Gehirn ließ sich, wenigstens makroskopisch, nichts auf
‚Paralyse Verdächtiges feststellen. Nach diesen einwandfreien Fällen
von Nonne scheint es in der Tat, als beständen zwischen der so
‚häufigen Reaktionsträgheit bei schweren Alkoholisten und der re-
Nektorischen Starre bei syphilitischen und metasyphilitischen Er-
ankungen des Centralnervensystems nur graduelle, nicht aber
wesentliche Unterschiede.
~ . Einen Fall von juveniler Tabes beschreibt Cordier (7). Der
Patient hatte als Kind eine Poliomyelitis durchgemacht, als deren
Folgen ‚eine Schwäche des linken Beines zurückblieb. 1908 akqui-
rierte er. eine Lues, im Dezember 1909 traten Blasenstörungen
auf, Februar 1910 bestand das klinische Bild der Tabes mit-Fehlen
sämtlicher Reflexe und reflektorischer Pupillenstarre. Die Hinter-
strangdegeneration trat auf, obschon der Patient 15 Monate lang
nach Auftreten der Syphilis im Krankenhause behandelt worden
war. Vielleicht bot das durch die alte Kinderlähmung geschädigte
vückahmark. einen günstigen Boden für die Ansiedlung der syphi-
litischen Gifte; ~
' von.Hösslin (8) berichtet über einen im Alter von 52 Jahren
entstandenen Fall von Tabes. Die Patientin hatte nie sexuellen
Verkehr gehabt; das Hymen war intakt. Bis zum 53, Jahre hatte
die Patientin außer vorübergehenden Schmerzen in den Beinen
keinerlei Beschwerden. Ohne äußeren Anlaß trat allmählich eine
Schwäche in den unteren Extremitäten auf, die langsam zur Geh-
unfähigkeit führte. Die subjektiven Beschwerden, lanzinierende
Schmerzen, Gürtelgefühl usw. wiesen auf Tabes hin; die objektive
Untersuchung bestätigte diese Diagnose (lichtstarre Pupillen, Fehlen
sämtlicher Reflexe, Hitzigsche Zone, Aufhebung des Lagegefühls,
hochgradige Ataxie, stark positiver Wassermann). Die Krankheit
war auf dem Boden hereditärer Lues erstanden. Im Alter von
zehn Jabren hatte sich am Hinterkopfe der Patientin ein Knochen-
stück unter Eiterbildung abgelöst; der Knochendefekt war deutlich
fühlbar. Der Vater der Patientin war mit 36 Jahren an Gehirn-
erweichung gestorben. Die Mutter hatte vor der Geburt der
Patientin drei Aborte, ein Bruder war mit sieben Jahren an Krämpfen
zugrunde gegangen.
Zur Entstehung und Behandlung des Mal perforant du pied
liefert Hofman (9) statistische und klinische Beiträge. Unter
29 Fällen fand sich das Geschwür 14mal an derPlanta pedis, siebenmal
am Großzehenballen, siebenmal an der kleinen Zehe, einmal an der
Ferse. Zwischen Mal perforant und tabischer Arthropathie besteht
kein inneres Abhängigkeitsverhältnis; vielmehr sind beide Krank-
heiteneinander nebengeordnet. 15mal fandHofman daß Mal perforant,
ohne daß spinale oder periphere Nervenerkrankungen vorlagen.
Meist handelte es sich dabei um Alkoholisten. Die besten thera-
peutischen Erfolge hatte er mit Excision des Geschwürs respektive
Exartikulation des Gelenks.
Winternitz (10) warnt im Anschluß an einen Fall von
tabischen Atemkrisen vor allzu schneller Anwendung des Morphiums.
Der Patient, der wegen gastrischer Krisen Morphium erhielt, bekam
unmittelbar darauf eine schwere Atemstörung vom Typus Cheyne-
Stokes. Der Zustand dauerte zirka zwei bis drei Minuten und
kehrte nach einer Pause wieder, der Patient lag eyanotisch da, die
Pupillen waren weit und lichtstarr, der Puls klein. Wie Morphium
wirkt auch Pantopon, wenn auch in geringerem Maße, ebenso die
Kombination von Morphium und Atropin. Nach Injektion dieser
Mischung traten dieselben Atemstörungen eine halbe Stunde später
auf. Winternitz gelang es, ein morphinfreies Pantopon, das er
vorläufig „Opon“ nennt, herzustellen, nach dessen Verabfolgung
Atemstörungen nicht auftreten. Die Störungen, die Winternitz
hier schildert, sind übrigens gerade in jüngerer Zeit öfter beobachtet
und behandelt worden [vergl. Singer (11j].
Die gerade in der Aera der Salvarsanbegeisterung wieder
sehr aktuelle Frage nach einer Prophylaxe der Tabes erörtert auf
Grund eigner Erfahrungen Lowinski (12). Unter 70 Fällen hatten
15 gar keine Hg-Behandlung gehabt, 49 unzulängliche, das heißt
höchstens drei Kuren und weniger. Er fordert intensive Queck-
silberkuren auch bei den leichtesten Fällen von Lues oder gerade
bei diesen, Anwendung des Salvarsans und anderer Ersatz-
präparate in Fällen, die gegen Hg refraktär sind; intensive Hg-Kur
bei der malignen Lues und bei Fällen, die gegen Hata refraktär
sind. Die Anschauungen und Folgerungen Lowinskis stehen
übrigens im strikten Gegensatz zu den Anschauungen anderer Autoren
(Kron, Schuster usw.), welche in der ausreichenden antisyphi-
litischen Behandlung absolut keinen Schutz gegen das Auftreten einer
späteren Tabes sehen. |
Canestrini (13) untersuchte den Einfluß des Salvarsans
bei Tabikern auf Blut und Liquor. Er fand Zerstörung der
Erythrocyten, begleitet von Urobilinurie, Leukoeytenvermehrung
nach 24 Stunden, Sinken des Eiweißgehalts oft bis zur Norm
(0,03 9/0). Das Salvarsan bewirkt also eine Abnahme des Eiweiß-
gehalts; mit andern Worten Salvarsan eliminiert die durch Lues
entstandenen Abbauprodukte. Er hatte gute Erfolge in 22 Fällen;
die Patienten wurden subjektiv leistungsfähiger, dreimal kehrten
die verschwundenen Reflexe wieder, Sensibilitätsstörungen gingen
mehrfach zurück, einmal sah er Besserung der Pupillarreaktion,
bei Opticusatrophie jedenfalls keine Verschlimmerungen.
Ueber die Psychosen, die man im Verlauf oder im Zu-
sammenhange mit der Tabes antrifft, spricht Fauser (14). Der
erste Verdacht, der natürlich immer auftritt, wenn sich psychotische
Symptome bei einer Tabes zeigen, ist immer der auf Paralyse und
Hirnlues. Die Wassermannsche Untersuchung läßt bei der Diffe-
rentialdiagnose dieser und anderer Psychosen im Stiche. Nur wenn
der Wassermann im Liquor negativ ist, kann man wohl schließen,
daß eine Paralyse nicht vorhanden ist. Gelegentlich trifft man
aber auch im Verlaufe der Tabes fremdartige, nicht mit der Lues
in Verbindung stehende Psychosen an: manisch-depressives Irresein:
epileptische,hysterische, senile und alkoholistische Störungen, Fausa
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1474 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36, 8. September.
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beschreibt einen bemerkenswerten Fall, aus dem erkannt werden
kann, welchen Irrtümern man gerade bei der Diagnose derartiger
Psychosen ausgesetzt ist. Bei einem dementen Kranken, der an
Krampfanfällen litt, eine reflektorische Pupillenstarre hatte, fehlende
Kniephänomene und positiven Wassermann, wurde die Diagnose auf
Dementia paralytica gestellt, wobei die Krampfanfälle eben als
typisch paralytisch angesehen wurden. Viel später stellte sich
heraus, daß der Patient schon als Kind an epileptischen Krämpfen
gelitten hatte. Als häufigste psychische Störungen bei Tabes sind
anzutreffen: 1. Leichtere psychische Veränderungen, Stimmungs-
anomalien; die Patienten werden düster, mürrisch, zänkisch oder
heiter und euphorisch; 2. halluzinatorische Psychosen, Gehörs-
täuschungen, persecutorische Wahnideen, Aengstlichkeit, lebhafte
Affekterregungen. Der Verlauf ist ein unregelmäßig schubweiser.
Die anatomische Ursache ist vielleicht eine Endarteriitis der
kleinsten Hirngefäße (metaluetisch?). Durch Quecksilberkuren
werden die Symptome nicht beeinflußt. ‚Der Patient von Heusgen
(15) hatte 1898 einen Sturz auf den Kopf erlitten mit starken
Commotionserscheinungen. Darnach Lähmung des linken Obliquus
superior. 1909 Klagen über ‘schlechtes Sehen und schlechtes
Gehen. November desselben Jabres Blasenlähmung und Parese
_ der Beine. Januar 1910 Exitus. Heusgen faßt das Krankheitsbild
als Folge des alten Sturzes auf. Die im Jahre 1898 entstandene
Blutung in der Gegend der Hirnschenkel soll eine Atrophie an
dieser Stelle hervorgerufen haben; diese Atrophie soll sich auf die
Hinterstränge des Rückenmarks ausgedehnt und die Tabes herbei-
geführt haben. Man wird diesen etwas abenteuerlichen Folgerungen
ebenso skeptisch gegenübertreten müssen, wie den meisten andern
unter der Flagge „traumatische Tabes“ gehenden Fällen der Lite-
ratur. In dem Vorliegenden spricht schon der lange Zwischenraum
zwischen Trauma und vollentwickelter Krankheit gegen den
Zusammenhang mit dem Unfall. Jedenfalls konnte man weder
klinisch noch pathologisch-anatomisch eine Tabes sicherstellen.
Goldstein (16) prüfte die Störungen des Muskeldruck-
schmerzes bei Tabes mittels des Algometers von Cattel—Rivers.
In vier Fällen von vierzehn fand er Herabsetzung der Schmerz-
empfindlichkeit, z. B. Schmerzempfindungen an der Fußsohle erst
bei Belastung mit 16 oder 20 kg. Meist aber war die Schmerz-
empfindung schon bei Belastung mit viel kleineren Gewichten
vorhanden. Nur zweimal fand er keinen Parallelismus zwischen
Hautsensibilität und Muskelempfindung. Häufig trat sie zusammen
mit Ataxie auf (neun von vierzehn Fällen) und Hautsensibilitäts-
störungen (zwölf von vierzehn). Diese Symptome können zwar
gemeinschaftlich vorhanden sein, können aber auch ebensogut unab-
hängig voneinander als Einzelsymptome bestehen.
Literatur: 1. Fuchs, Tabes und Auge. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 14.) —
9, Mendel-Tobias, Frauentabes. (Mon. f. Psych. u. Neur., Bd. 31, Heft 1 u. 2.)
— 3, Herrmann, Der Einfluß der Funktion auf die Symptome der Tabes.
(Ann. d. städt. allgem. Krankenh. München, 14, 1910.) — 4.
rapi der tabischen Opticus-Atrophie. (Zt. f. Aug., Sept. 1911) — 5. Nonne,
Klinische und anatomische Untersuchungen elnes Falles von isolierter echter
reflektorischer Pupillenstarre ohne Syphills bel Alk. chron. grav. (Neur. Zbl.,
Psychosen bei Tabes. (Fortschr. d. Med. 1912, Nr. 10.) —
dorsalis als E eines vor Jahren erlittenen Sturzes. (Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1911,
Nr. 3.) — 16.
D. Z, f£. Nerv., Bd. 44, H. 1 u. 2.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Zur Frage „Tätowierung und Syphilis“. Ein Mann, der an der
linken Oberextremität das Bild einer Schlange tätowiert hatte, acquirierte
zwei Jahre nach der Tätowierung Lues.
An den mit Zinnober rot tätowierten Stellen der Schlange (Bauch)
waren nirgends specifische Effloreszenzen zu finden, während es an den
mit chinesischer Tusche blau bis tiefblau gefärbten Stellen (Rücken der
Schlange) zur Entwicklung von Papeln kam.
T., Aoki in Tokio suchte nun festzustellen, warum an den mit
Zinnober tätowierten Stellen keine syphilitischen Effloreszenzen auftreten.
Sh. Dohi behauptet, daß die Pigmentkörnchen der chinesischen Tusche
einen fortwährenden Reiz auf die Umgebung ausüben, infolgedessen ein
Locus minoris resistentiae entsteht, in welchem sich die Spirochaeta
pallida ansiedelt und wächst; das Zinnober bewirkt aber infolge des Queck-
silbergehalts eine Hemmung in der Entwicklung syphilitischer Ausschläge.
Florauge möchte hingegen das Auftreten der syphilitischen Effloreszenzen
an den Tuschstellen nur infolge Reizwirkung entstanden sehen und dem
Quecksilber des Zinnobers keinerlei Wirkung zuschreiben. Dem wider-
streitet Aoki, denn seinen histologischen Untersuchungen nach üben die
Zinnoberkörnchen einen heftigeren Reiz auf die Haut aus als die Tusche-
körnchen, weil die ersteren unregelmäßiger sind als letztere und schärfere
Kanten haben. Er schließt sich daher der Ansicht Sh. Dohis an, und
um sich von der Richtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen, hat er
spirochätenhaltiges Material in die Hodensackhaut von Kaninchen ein-
geimpft, welche 80 Tage vorher auf der linken Seite mit chinesischer
Tusche, auf der rechten dagegen mit Zinnober tätowiert war. Es ent-
standen beiderseits an den Impfstellen Rötung und Schwellung; während
diese aber links zunahmen, die Impfstelle daselbst erodierte, ein Ge-
schwür sich bildete, in welchem Spirochäten durch Giemsa und Tusch-
verfahren reichlich nachgewiesen werden konnten, vernarbte die rechte
Impfstelle. Auch in einem zweiten Versuche wurde ein ähnlicher Erfolg
erzielt.
Allerdings genügen diese zwei Versuche nach Aokis Ansicht noch
nicht, um sicher festzustellen, ob syphilitische Ausschläge an den mit
Zinnober tätowierten Stellen auftreten oder nicht; dennoch glaubt er durch
seine Untersuchungen bewiesenszu haben, daß durch den Zinnober die
Spirochäten in ihrer Entwicklung gehindert oder gar unschäd-
lich gemacht werden. Er glaubt daher, daß durch Tätowierung des
Penis mit Zinnober, vorzüglich an den inneren Lamellen des Präputiums,
im Sulcus coronarius, am Frenulum und am Rande des Präputiums
eine gewisse Prophylaxe gegen Syphilis zu erzielen wäre. (Derm. Zt.
Bd. 19, H. 6.) E. Brodfeld (Krakau).
Ueber Mesb6, ein neues Mittel zur Behandlung der Tuberkulose,
berichtet G. Heermann. Mesb6 ist eine in Centralamerika heimische
Pflanze, die von einem Laien Diesseldorff auf ihren Heilwert bei
Tuberkulose und Lupus geprüft worden ist, wobei sich ihm über-
raschende Resultate gezeigt haben sollen. Dieses Mittel hat der Ver-
fasser in drei Fällen geprüft und damit in jedem Fall einen Erfolg erzielt.
Es handelte sich im ersten Fall um eine Schleimhauttuberkulose, und
zwar des Nasenseptums, wobei Mesb6extrakt lokal angewandt wurde, in
dem zweiten um eine Kehlkopftuberkulose (Therapie: Inhalationen mit
Mesbe, lokale Anwendung von Mesböextrakt) und in dem dritten um
einen tuberkulösen Tumor im Warzenfortsatze, wobei gleichfalls Mesb6-
extrakt zur Anwendung kam. Der Verfasser glaubt daher, zu einer Nach-
prüfung auffordern zu sollen. (M. med. Woch. 1912, Nr. 34.)
| F. Bruck.
Gegen den essentiellen Pruritus vulvae sowie gegen das
Eecema vulvae infolge Fluors empfiehlt Ernst Runge angelegentlichst
die Röntgenstrablen. Zwar sieht man ein Nachlassen des Juckens beim
essentiellen Pruritus vulvae, wenn man die Vulva mit Mesotan,
Ol. olivar. aa bestreicht; aber der Effekt danach ist nur vorübergehend.
Die Röntgenstrahlen dagegen wirken weit nachhaltiger und führen oft zu
dauernder Heilung.
Beim Ekzem der Vulva müssen neben den Röntgenstrahlen
natürlich adstringierende Scheidenspülungen und Aetzungen der Cervix
angewandt werden. Diese allein beseitigen aber lange nicht so schnell
das Ekzem und das Jucken, als wenn gleichzeitig die Röntgen-
strahlen einwirken.
Um eine Bestrahlung der übrigen Körperteile, abgesehen von der
Vulva, zu verhindern, wird ein großes Bleiblech geeignet zugeschnitten.
Es birgt einen der Vulva entsprechenden Ausschnitt und läbt sich infolge
seiner Biegsamkeit leicht an den Oberschenkel und die Symphysengegend
der Patientin andrücken. Auf die Weise wird jede Bestrahlung oder
Verbrennung der übrigen Hautpartien vermieden. (M. med. Woch. 1912,
Nr. 29.) F. Bruck.
Zur Therapie schmerzhafter Nachwehen empfiehlt Dr. Otto
Podzahrradzky das Antipyrin. Da die schmerzhaften Nachwehen
durch ungewöhnlich heftige Contractionen des Uterus bei der Involution
desselben hervorgerufen werden, erscheint die alte Gredösche Therapie
(eine Dosis von 0,2 Ergotin subeutan und #ußere Manipulationen Zur
Anregung von Contractionen) unrationell. Besser sind schon die Alkaloide,
wie Morphium, Opium, Codein, Pantopon, aber .diese Mittel erscheinen
weder für die Mutter noch für das Kind, falls es genährt wird, gleich-
gültig. Nach einer meist einmaligen Dosis von 0,5—1,0 Antipyrin 8
Verfasser völliges Verschwinden der bis dahin sehr schmerzhaften Nach-
wehen.
Diese Wirkung ist sehr wohl begreiflich, da das Antipyrin - auch
in ähnlichen Krampfzuständen der Gebärmutter sowohl (Dysmenorrho®
spastica) wie auch der Blase und des Mastdarms als krampflösendes
Mittel bekannt ist, DE: we:
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8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 86. | 1475
2
In Fällen, in denen Antipyrin vom Magen nicht vertragen wird,
kann es durch Pyramidon in entsprechender Dosis ersetzt werden. (Wr.
med. Woch. 1911, Nr. 50.) Z uelzer.
Einen Todesfall nach Salvarsan hat Friedr. Hammer beob-
achtet, und zwar an einem Kranken, der vorher drei Injektionen anstands-
los vertragen hatte. Die Dosis betrug jedesmal 0,6. Der Exitus trat drei
Tage nach der vierten Injektion unter epileptiformen Anfällen ein. Nach
Ansicht des Verfassers kam hier offenbar die ausnahmsweise Ueberführung
des Salvarsans in eine besonders toxische Form innerhalb des Körpers in
Betracht. Im vorliegenden Falle bestand nun, wie die Sektion ergab,
eine chronische Affektion der Hirnhäute, ferner eine chronische Erkran-
kung des Endokards, des Myokards und der Aorta, die aber intra vitam
nicht nachweisbar und nicht zu vermuten war. Man muß also annehmen,
daß in einem solchen Falle die Neuroglia des Gehirns und dessen feinste
Gefäße schon vorher durch die Lues, durch die Behandlung mit toxischen
Stoffen (Quecksilber, Salvarsan), ferner durch die Erkrankung der Circu-
lationsorgane in ihrer Widerstandsfähigkeit so herabgesetzt waren, daß in
Wechselwirkung mit einem toxischen Stoffe rasch Vorgänge ausgelöst
wurden, die auf das Gehirn deletär wirkten. So selten diese Fälle sind,
sollten sie uns doch, wie der Verfasser betont, eindringlich auf die Kehr-
seite unserer arzneilichen Therapie aufnfyksam machen. (M. med. Woch.
1912, Nr. 30.) F. Bruck.
Zwei Todesfälle nach Salvarsan hat Franz Hirsch beobachtet,
und zwar beide Male nach der zweiten intravenösen Injektion. In dem
ersten Falle wurde jedesmal 0,5 injiziert, und zwar wurde die zweite Ein-
spritzung zwölf Tage nach der ersten vorgenommen. Kurz danach trat
ein schwerer Symptomenkomplex auf: Magendarmerscheinungen, Ikterus,
Krämpfe (insbesondere Wadenkrämpfe), Trockenheit im Halse, ein Zu-
stand, der bald zum Exitus führte.
Im zweiten Falle traten 2!/2 Monate nach der zweiten Salvarsan-
injektion (0,4) plötzlich folgende Symptome auf: Starre weite Pupillen,
komplette Bewußtlosigkeit, anfallsweise Konvulsionen der gesamten
Körpermuskulatur, insbesondere der Extremitäten, Ikterus. Also auch
hier: Ikterus und Krämpfe. Am nächsten Tage kam es zum Exitus.
Die geschilderten Symptome sind für eine Arsenintoxikation
charakteristisch. Die lange Latenz bis zum Auftreten des schweren
Krankheitsbildes im zweiten Falle dürfte damit nicht im Widerspruche
stehen; denn bekanntlich können gerade in der Leber Reste des Sal-
varsans längere Zeit liegen bleiben. (M. med. Woch. 1912, Nr. 30.)
F. Bruck.
Ueber einen Fall von lokaler Hautgangrän nach subcutaner
Luminalinjektion berichtet Fürer. Es handelte sich allerdings um einen
Kranken mit sklerodermieähnlichen Ernährungsstörungen verschiedener
Hautpartien, also um eine auch zur Hautgangrän prädisponierte Haut. Es
wurden 21/; ccm Luminallösung (1:5), also 0,5 Luminal, subcutan in-
jiziert. Am nächsten Abend wurden 8!/2 cem einer frisch bereiteten Lö-
sung, also 0,7 Luminal, an zwei Injektionsstellen derselben Gegend ein-
gespritzt. Am darauffolgenden Morgen an den drei Injektionsstellen je
eine erbsen- bis bohnengroße, seröse Flüssigkeit enthaltende Blase. Nach
und nach entwickeln sich umschriebene Hautnekrosen, die sich sehr lang-
sam unter Bildung einer entzündlichen Demarkationszone abstoßen und
sehr langsam ausheilen. (M. med. Woch. 1912, Nr. 30.) F. Bruck.
‚ Ein neues Jodoformersatzmittel „Noviform“ empfiehlt H. Million.
Es ist dies ein verbessertes Xeroform, das bekanntlich eine Verbindung
von Wismut mit Tribromphenol ist. Das neue Mittel ist völlig geruchlos,
wirkt desodorierend, adstringierend, austrocknend, granulationsbefördernd
und eiterhemmend, ohne Reizerscheinungen und giftige Nebenwirkungen
auszuüben. Die Wundflächen reinigen sich danach rasch und zeigen in
relativ kurzer Zeit frische, hellrote, gesunde Granulationen. Verwandt
wurde das Präparat als Pulver, in Stäbchenform, als 10%/,ige Gaze, als
10%/oige Emulsion in Olivenöl und als Noviformbinde nach Art der Bardo-
lebenschen Wismutbinde (die 10%/yige Oelemulsion wurde zur Injektion
bei tuberkulösen Gelenkprozessen, die Noviformstäbchen zur Einführung
m Fistelgänge benutzt). (M. med. Woch. 1912, Nr. 84.) F. Bruck.
Bücherbesprechungen.
Georg Buchner, Angewandte Ionenlehre für Studierende, Che-
miker, Biologen, Aerzte und Andere. München 1912, Verlag
J. F. Lehmann. 155 S. M 8, —.
pupu Da Buch ist Georg Hirth, „dem Entdecker des Elektrolytkreis-
aufs“, gewidmet und fußt- ganz und gar auf den durch diesen vertretenen
Schauungen und Lehren. Nachdem, wie bekannt, Svante Arrhenius,
van t Hoff, W. Ostwald und Andere unsere Kenntnisse von der Natur
ID:
der Lösungen, speziell der Salzlösungen, auf ganz neue Grundlagen ge-
stellt und die „elektrolytische Dissoziationstheorie“ geschaffen
hatten, hat dann Hirth zuerst den Versuch unternommen, den gesamten
Betrieb der Organismen aus dem alles vereinenden Gesichtspunkte des
elektrochemischen beziehungsweise elektromotorischen Betriebs auf-
zufassen. Die Elektrolytflüssigkeit und ihr Kreislauf in den Organismen
erscheinen danach als selbständiges, stationäres System und als souve-
ränes Betriebsmittel, in dessen ständiger Gegenwart und unter dessen
elektrochemischer Einwirkung sich alles Geschehen im Körper vollzieht.
Infolge der Strukturverhältnisse des gesamten Zellenstaats muß die che-
mische Energie dabei in erster Linie in elektrische Energie trans-
formiert, diese erst in zweiter Linie in Wärme verwandelt werden. Die
Wärmeentwicklung infolge direkter Spaltungs- und Oxydationsprozesse
käme erst an zweiter Stelle in Betracht. — Nach diesen leitenden Gesichts-
punkten wird vom Verfasser die angewandte Ionenlohre in Verbindung
mit der Lehre von der Natur der Lösungen und den sich daraus ergeben-
den Folgerungen und Möglichkeiten für die Lebensvorgänge im einzelnen:
dargestellt; wobei im ersten Hauptabschnitte des Werkes die Lösungen
der Krystalloide (Nichtelektrolyte und Elektrolyte) — im zweiten
Hauptabschnitte die sogenannten falschen Lösungen (Lösungen der
Kolloide, kolloidale Lösungen) eingehende Besprechung finden.
Eine kurze Uebersicht der Ionenwirkungen (in 32 Thesen zusammen-
gefaßt), eine ebenfalls kurzgehaltene Darstellung der jetzigen Auffassung
elektrischer Vorgänge, eine anhangsweise Uebersicht der in der ange-
wandten Chemie üblichen Abkürzungen und Erklärung der angewandten
Fachausdrücke bilden den Schluß des interessanten, vielfach auch für
Aerzte anregenden und belebrenden, aber nicht gerade leicht geschriebe-
nen Werkes. Am Ende bezeichnet der Verfasser selbst die Hirth sche
Lehre als „eine fruchtbare Arbeitshypothese“ und als solche, als ein
neuer Schritt in die Erkenntnis der Wirklichkeit zu begrüßen. |
: A. Ealenburg (Berlin).
Emil Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus.
Mit acht Textfiguren. Berlin 1912, Julius Springer. 110 S. M 3,20.
Dieses Büchlein bildet einen Beitrag zur Kenntnis der Abwehr-
maßregeln des tierischen Organismus gegen körper-, blut- und zellfremde
Stoffe. Es bringt das Ergebnis interessanter Versuche, die Verfasser mit
einem Stabe von Mitarbeitern nach dieser Richtung hin unternommen hat.
Ohne auf den Inhalt im einzelnen einzugehen, sei hier nur auf einige
wichtige Kapitel verwiesen: Zellspecifische Therapie, Ueberführung von
Bausteinen bestimmter Zellart in Bestandteile anderer Zellen, Wechsel-
beziehungen verschiedener Zellarten, Fermente der Zellen, Schutz des
Organismus gegen Invasion körperfremder Zellen, Bildung von Schutz-
fermenten auf verschiedenem Weg und Herkunft derselben, Nachweis
körpereigner, aber blutfremder Stoffe, biologische Diagnose der Schwanger-
schaft usw. | Bachem (Bonn).
F. Dessauer und B. Wiesner, Leitfaden des Röntgenverfahrens,
Mit 131 Abbildungen und 4 Tafeln. Vierte umgearbeitete und vermehrte
Auflage. Leipzig 1911, Otto Nennich. 366 S. M12,—.
Auch in dieser neuen Auflage ist das Hauptgewicht auf die Dar-
stellung der physikalischen Grundlagen und der Technik gelegt, während
die Anwendung des Verfahrens in der Medizin summarisch und nicht
immer ganz objektiv behandelt wird. Während z.B. Holzknecht, der
Autor des Kapitels „Röntgentherapie“, ebenso wie in früheren Auflagen sein
bereits obsoletes Chromoradiometer und seine erst vor kurzem in den Handel
eingeführte Modifikation des Sabouraudschen Meßapparats mit er-
schöpfendster Ausführlichkeit bespricht, fertigt er die indirekte Meß-
methode der Strahlenintensität, welche stets Anhänger besaß und sich
deren immer mehr erwirbt, sich praktisch als sehr brauchbar erweist
und nach den bisherigen Erfahrungen die verschiedenen hochangepriesenen
Radiometer des Handels gesund und lebensfähig überdauerte, in 20 Zeilen ab.
Freund.
P. 6. Heinemann, A laboratory guide in Bacteriology. The
University of Chicago Press, Chicago, Ill. 2. Auflage. 210 S.
Das Buch von Heinemann, ein kurzer Laboratoriumsführer, ist
für den Gebrauch an amerikanischen Universitäten geschrieben. Wenn
man die Methode billigt, dem Studenten jede Selbständigkeit zu nehmen
und ihm für alle Einzelheiten manuelle Vorschriften zu machen, so mag
das Buch seinen Zweck gut erfüllen. Für deutsche Hochschulen, die die
Studenten zum selbständigen Handeln erziehen wollen, ist das Buch un-
geeignet. Jedoch kann es vielleicht zur Ausbildung bakteriologischer
Präparantinnen gute Dienste leisten. Es behandelt die spezielle und all-
gemeine bakteriologische Technik, die bedeutendsten pathogenen Bak-
terien, die bakteriologische Untersuchung des Wassers und der Abwässer,
der Milch, des Bodens. Ferner im siebenten Kapitel Schimmelpilze,
Hefen, Torulaceen, Rssigsäurebakterien. H. Pringsheim (Berlin).
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1476 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
Vereins- und Auswärtige Berichte.
l Kassel.
Aerzte-Verein. Sitzung vom 27. März 1912.
Diskussion: Georg Alsberg weist die Möglichkeit der Diät-
fehler, insonderheit der überschüssigen Fleischaufnahme als ätiologisches
Moment zurück, da ja auch bei kleinen Kindern, auch bei an der Brust
ernährten Säuglingen die Erkrankung beobachtet sei.
0. Ebert: Bezüglich der Zweizeitigkeit der Operation
möchte ich mir einen Hinweis auf bakteriologische Untersuchungen ge-
statten, die ich vor zwei Jahren bei 114 Laparotomien auf der Kümmell-
schen Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses gemacht habe!). Diese
ergaben unter anderm, daß es praktisch und oft notwendig sei, ein Ex-
sudat, dem man seinen pathogenen Charakter sicher ohne weiteres an-
sehen kann, bakteriologisch zu untersuchen, durch ein Ausstichpräparat
das Vorhandensein von Keimen festzustellen. (Dauer zwei bis drei Mi-
nuten.) Hierdurch bekommt man einen besseren Anhalt für die Art der
Wundbehandlung, ob man den Bauch schließen kann, oder ob man
drainieren muß. Auf meine andern Ausführungen gehe ich hier nicht
ein, da sie einen größern Apparat erfordern. Aber die Untersuchung
eines verdächtigen Exsudats halte ich auch im Kleinen für. möglich und
in gewissen Fällen im Interesse des Patienten für notwendig. Ueber die
Art der Entnahme verweise ich auf meine oben zitierte Arbeit.
Bertelsmann erwidert: 1. Herrn Linkenheld, daß kein Fall
ohne Operation gestorben sei, daß er eine Abtrennung der Peritonitiker
nicht versucht habe, da dies immer zu statistischen Erörterungen führe.
Aus der Heilungsziffer der akuten Fälle gehe genügend hervor, was bei
der Peritonitis geleistet sei. Aetiologisch komme wohl das gesamte
Kulturleben in Betracht. Vergleiche zwischen Gülhane, Konstantinopel
und deutschen Krankenhäusern. Auffallend ist die geringe Morbidität in
hessischen Gefangenen- und Irrenanstalten, verglichen mit der in Damen-
pensionaten.
2% Herrn Georg Alsberg, daß er Fleischkost keineswegs als
einzige Krankheitsursache hingestellt habe.
3. Herrn von Wild, daß er Narbenschmerzen sehr viel seltener
beobachte, seitdem er keine Seide mehr versänke, ein Teil beruhe sicher
auf Neurssthenie und Hysterie, ein Teil auf übersehene Adnexerkran-
kungen, endlich sei eine bis jetzt noch unbekannte Ursache nicht aus-
zuschließen. | |
4. Herrn Adolf Alsberg, daß die geringe Mortalität auf die
größere Beliebtheit der Frühoperationen bei Laien und Aerzten zurück-
zuführen sei. Bezüglich der Behandlung, bei der Kochsalzinfusionen vor
dem Eingriff eine große Rolle spielen, verweist B. auf seine in der deut-
schen Zeitschrift für Chirurgie 1910, Bd. 107 erschienene Arbeit. |
5. Herrn Ebert, daß die mikroskopische Untersuchung des Ex
sudats vielleicht einen Schritt weiterführen könne. R
Sorge (Rotes Kreuz) stellt ein von ihm im November 1911 ope-
riertes 9jähriges Mädchen vor, das mit der Diagnose Appendicitis und
Peritonitis pulslos in extremis eingeliefert wurde. Die sofortige Lapa-
rotomie ergab einen Volvulus des untersten Ileums mit ausgedehnter
Darmgangrän und -Perforation von Markstückgröße. Das ganze kleine
Becken war mit verjauchtem Blut angefüllt. Darmresektion von 25 cm
Länge, End- zu End-Anastomose, Gegenineision links. Appendix völlig
normal. Komplikation: Am zehnten Tage post operationem Darmfistel,
da bei der Schwere des Falles die seröse Ueberdachungsnaht sich nicht
exakt ausführen ließ. Heilung im Dauerbade. Jetzt blühendes Kind.
Narben fest und strichförmig. Demonstration des Darmes,
Bertelsmann: Zur Frühoperation der Osteomyelitis des oberen
Femurendes. Demonstration eines Patienten, der am 18. März 1909 mit
coxitischen Erscheinungen an beiden Hüftgelenken und mit den Anzeichen
schwerster Allgemeininfektion in Behandlung kam. An beiden Seiten
wurde ohne Gelenkeröffnung vom Trochanter aus die eitrig durchsetzte
Spongiosa des Schenkelhalses ausgelöffelt. Es fand sich Staphylococcus
aureus in Reinkultur. Nach ungestörtem Heilungsverlauf arbeitet der
vorgestellte jetzt 18jährige Mann seit 2!/2 Jahren als Anstreicherlehrling
wie jeder andere. Völlig intakte Gelenkfunktion, schlanke Figur. — Von
einem vor zehn Tagen auf die gleiche Weise operierten, sehr schwer
-erkrankten 14jährigen Gymnasiasten wird die Kurve gezeigt, an der man
treppenförmigen Abfall der Temperatur in sieben Tagen (seit drei Tagen
normal) erkennen kann. Aus dem Schenkelhals und aus dem Blute war
Staphylococcus aureus gezüchtet worden. Alsberg.
1) Bruns B. z. Chir., Bd. 68, H, 2.
e
8. September,
Frankfurt a M. . | RR
‘ Aerztlicher Verein. Außerordentliche Sitzung vom 10. J uni 1912.
Ingenieur Dessauer von den Veifawerken demonstrierte zunächst
eine von ihm konstruierte Plattenwechselmaschine, mit der es gelingt,
rasch hintereinander sechs kinematographische Röntgenaufnahmen zu
machen. l
Hiernach sprach D. über neuere Arbeiten auf dom Gebiete der
Tiefenbestrablung mit Röntgenstrahlen. Die Schwierigkeiten der Be-
handlung von Tumoren in der Tiefe besteht darin, daß. es nicht gelingt,
eine ausreichende Strahlenmenge in die Tiefe zu bringen, ohne zugleich
die Hautfläche, die den größten Teil der Strahlen absorbiert, aufs
schwerste zu gefährden. Zwar ist es D. schon früher gelungen, durch
Abfiltrieren der weichen Strahlen und Bestrablung aus großer Entfernung
homogene Tiefenbestrahlung zu erzielen, die Methode konnte aber der
unerschwinglich hohen Kosten wegen nicht allgemein eingeführt werden,
da nur etwa 2 °/o der in Anwendung gebrachten Energie ihrem Zwecke
zugeführt werden konnten. Zur Tiefenbestrahlung eignen sich bekanntlich
nur sehr harte Strahlen, die in dem Moment entstehen, in dem der Strom
am höchsten gespannt ist, und in dem gerade die Röhre für den Strom
durchgängig wird, während die später während des Durchgangs des
Stroms entstehenden immer weicher werden, und das sind gerade die, die
von den oberflächlichen Schichten des Körpers absorbiert. werden. D.
bringt nun durch Vorschaltung eines Widerstandes vor die Röhre: den
Strom auf sehr hohe Spannung. Durch eine sehr sinnreich erdachte, in
den Apparat eingebaute Vorrichtung wird erreicht, daß die Röhre erst
dann eingeschaltet wird, wenn der Strom seine höchste Spannung erreicht
hat, und dann auch sofort wieder ausgeschaltet wird. So gelangen nur
sehr harte, durchdringende Strahlen zur Bildung, während weiche Strahlen
infolge der sofortigen Stromunterbrechung überhaupt nicht entstehen.
Dieser Einschalter besteht aus einer durch einen Elektromotor in sehr
rasche Rotation versetzte Doppelnadel, die mit ihren beiden Einden an
Kontakten vorbeistreicht und in bestimmter Stellung bei jeder Drehung
die Leitung der Röhre schließt und sofort wieder unterbricht. Durch
Anbringung von zwei weiteren Kontakten kann noch eine zweite Röhre
in den Stromkreis eingeschaltet werden, nachdem sich die Doppelnadel
um 90° gedreht hat. Durch diesen Apparat ist es möglich, unter guter
Ausnutzung der angewandten Energie und in durchaus wirtschaftlicher
Weise Strahlen von höchster Penetrationskraft, und zwar ausschließlich
solche, zu erzeugen, sodaß eine nahezu homogene Bestrahlung auch In
der Tiefe liegender Teile vorgenommen werden kann, das heißt eine Be-
strablung, bei der die Oberfläche und die tieferen Teile nahezu gleichviel
Strahlen bekommen, sodaß eine Tiefenbestrahlung möglich ist, ohne zu-
gleich die Oberfläche zu schädigen. Durch die gleichzeitige Verwendung
zweier Röhren kann ein Bezirk in der Tiefe von zwei Seiten her unter
"Bestrahlung genommen und so gerade in der gewünschten Stelle eine
verstärkte Wirkung erzielt und dadurch die Behandlungsdauer wesentlich
abgekürzt werden. Inwieweit auf diese Weise Tumoren in der Tiefe be-
handelt werden können, muß erst die praktische Erprobung des Verfahrens .
ergeben. | Hainebach.
Halle a. S.
Verein der Aerzte. Sitzung vom 10. Juni 1912.
Veit: Zur Frage des Frühaufstehens nach Geburten und
Operationen. Vortragender bespricht zunächst die Geschichte der Be-
wegung unter den Gynäkologen und Geburtshelfern, die das Frühauf-
stehen der Wöchnerinnen und Operierten empfahlen.
Er erwähnt besonders Küstner und vor allem Krönig. Die Vor-
züge, die der Methode von ihren Anhängern nachgerühmt werden, sind
schnelles Eintreten von Wohlbefinden, allgemeiner Kräftigung, Kräftigung
der Bauchdeckenmuskulatur, Verringerung der Emboliegefahr. V. hat
die Methode auch nachgeprüft und bestätigt den günstigen Einfluß auf
die Psyche. Durch das Sitzen und Stehen und Umhergehen entleeren
sich leichter in der Scheide befindliche Blutkoagula, sodaß dadurch viel
leicht — wie Zweifel meinte — das Eintreten von leichtem saprischen
Wochenbettfieber verringert werden könnte. V. läßt auch Fälle von
diffuser eitriger Peritonitis aufstehen, die er mit Incision der Vagina
behandelt hat; dadurch soll eine schnellere und gründliche Entleerung
des Eiters erfolgen. Ferner fand er es bei alten Leuten günstig. Dem
entgegen stehen aber Nachteile. Vortragender erwähnt besonders die
Gefahr des Frühaufstehens bei schwer nervösen Individuen; er hat dabel
Nachteile gesehen und glaubt, daß die Gefahr des Auftretens von Psy-
chosen groß ist. Eine Verringerung der Fälle von Embolie kann er
nicht konstatieren. Im Gegenteil hat er zwei Fälle von tödlicher Em-
bolie der Art. pulmonalis bei früh aufgestandenen Fällen gesehen; ein
| Fall betrifft eine Wöchnerin, ein anderer eine Ovariotomie,
8. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36, 1477
Bei beiden bestanden leichte Temperatursteigerungen.
Bei diesen aufstehen zu lassen, hält er für falsch.
Vortragender glaubt in diesen beiden Fällen ein neues Moment
für die. Ansicht zu haben, daß die Thrombose nicht durch mechanische
Momente. bedingt wird, sondern in erster Linie durch die Infektion.
Diskussion. Penkert tritt warm für das Frühaufstehen - der
Wöchnerinnen und Operierten bei fieberfreiem Verlauf ein. Er hat die
Methode anfangs sehr skeptisch aufgenommen, hat sich aber von ihren
glänzenden Vorzügen überzeugen lassen. Der eine der von Veit ange-
führten Todesfälle sei in der Literatur ausführlich widerlegt und desbalb
nicht beweiskräftig. Bei Peritonitis würde er nie aufstehen lassen.
Beneke erwähnt die Einstimmigkeit der Gynäkologen, Chirurgen
und Pathologen auf dem letzten Naturforschertag in Karlsruhe, die sich
vom praktischen und theoretischen Standpunkt warm für das Frühauf-
stehen aussprachen. Er setzt dann die pathologische Anatomie der Throm-
bose auseinander, wie sie in der letzten Zeit besonders durch Aschoff
gefördert worden ist. Gerade dieser hat die mechanische Entstehung
der Thromben durch seine Untersuchungen sichergestellt. Der Infektion
kommt nur eine sekundäre Rolle zu. u
Gräfe spricht vom Standpunkt des Praktikers gegen das Früh-
aufstehen. Er ist mit der alten Methode sehr zufrieden, während er von
der neuen mancherlei Nachteile befürchtet. | |
"Wullstein tritt mit Wärme für das Frühaufstehen der Operierten
ein. Er macht besonders auf den prompten Erfolg des Auf-
stehens bei Windverhaltung aufmerksam, ebenso auf den Rückgang der
Pneumonien. Auch die Narben werden fester; Brüche hat er nie erlebt;
allerdings macht er stets physiologische Schnitte, die nicht den Nerven-
verlauf verletzen, und läßt nur aseptische Fälle aufstehen.
von Bramann sah in den letzten drei Jahren unter 3205 klinischen
Operationen (699 Laparotomien) nur zwei Fälle von tödlicher Embolie.
Früher hat er mehr Embolien erlebt. Er führt die Bessernng auf die.
strengere und bessere Asepsis zurück. Z.
Kiel.
Medizinische Gesellschaft., Sitzung vom 6. Juni 1912,
1. Hans Ritter: Experimentelle Studien zur Feststellung
eines biologischen Normalmaßes für Röntgenstrahlen. Der Wunsch,
ein biologisches Maß für Röntgenstrahlen zu besitzen, ist so alt wie die
Röntgentherapie überhaupt. Für die Praxis wird sich ein solches Normal- |
maß nicht finden lassen, Immerhin wäre es schon aus dem Grunde sehr
wichtig, ein solches Maß zu besitzen, weil wir dann in der Lage wären,
die verschiedenen Meßmethoden miteinander zu vergleichen, sie sozu-
sagen biologisch zu aichen. Analog der „Froschdosis* der Digitalis
wurde für Röntgenstrahlen eine „Mausdosis* festgelegt, Es wurden
200 Mäuse bestrahlt mit 20 bis 65 X, in Abständen von 5%. Es zeigte
sich eine scharfe Grenze, die zwischen 25 und 30 X lag. Die mit 20
und 25 X bestrahlten 40 Mäuse blieben sämtlich am Leben, während die
übrigen 160 mit 30 bis 65 X bestrahlten Mäuse der Strahlenwirkung er-
lagon. Der Tod erfolgte durch die spezifische Einwirkung der Röntgen-
strahlen auf das hämatop)etische Organsystem.
2. Konjetzny: Das Cholesteatom der Brustdrüse. Für die
Entstehung ‚der Cholesteatome der Mamma wurden einerseits Keim-
versprengungen, anderseits eine echte Metaplasie des Drüsenepithels an-
genommen. K. neigt letzterer Auffassung zu, da er bei Oystadenomen der
Mamma gelegentlich Cylinder- und Plattenepithel mit allmälichem Ueber-
gang des einen in das andere beobachten konnte, ferner die Einmündung
von Drüsenschläuchen in Plattenepitheleysten. Auf Entwicklungsstörungen
sind. zurückzuführen die Plattenepitheleysten, die in der Literatur als
Atherome oder Dermoide der Mamma bezeichnet werden.
Eine dritte Gruppe von Plattenepithelbildungen in der Mamma
stellt ein bisher alleinstehender Fall dar, der demonstriert wird: Der
umor stammt von einer 34jährigen Frau, entstanden während der
sechsten Gravidität, ein halbes Jahr vor Aufnahme in die Klinik. Schnelles
achstum. Tumor gut begrenzt, gut verschieblich, schmerzlos, prall-
elastisch, fluktuierend, flachkugelige Unregelmäßigkeiten der Oberfläche.
In der Axilla mehrere derbe Drüsen. Exstirpation. Schnittfläche: Der
Tumor besteht aus zwei Abschnitten. Am augenfälligsten ist ein über-
feustgroßer Hohlraum mit dickem grauweißlichen Brei. Die Auskleidung
des Hohlraums ist glatt, hie unì da sind leistenartige oder knötchen-
use weißliche Erhebungen. Der solide Teil des Tumors weist eigen-
ümliche papilläre und girlandenförmige Bildungen auf, welche hellweiß
u, sind; dazwischen grauweißliche Massen. Zwischen beiden
eilon eine bindegewebige Wand mit einem 1 cm breiten weißen Saum.
er Tumor besitzt eine Bindegewebskapsel. Das Mammagewebe ist ver-
j a „ Nükroskopisch: Der Cysteninhalt besteht aus Epidermisschuppen,
slide Teil besteht aus zellarmem, stellenweise zellreicherem Binde-
verhornt, hie und da verkalkt, und aus Cholestearintafeln. Der :
gewebe; stellenweise ist es myxomatös; die weißen Säume bestehen
aus vielschichtigem Plattenepithel, fast ganz vom Bau der Epidermis.
Die Basalschicht.ist zum Teil gradlinig, zum Teil sind typische Papillen
vorhanden. Es handelt sich also um ein eigenartig cystisch papilläres
Plattenepitheliom ohne direkte Beziehung zum Drüsengewebs der Mamma
oder zur Haut. Der Tumor hat malignen Charakter; Durchbrechung der
Tumorkapsel, Vordrängen von Epithelnestern in das Mammagewebe und
mitten im. Tumor im subepithelialen Gewebe krebsige Epithelproliferation.
Es liegt somit das interessante Faktum einer Entwicklung multipler
krebsiger Bildungen (aoch dazu von verschiedener histologischer Wertig-
keit) in einem primär gutartigen Plattenepitheliom vor. Als Aetiologie
ist nicht Metaplasie, sondern Entwicklungsstörung anzusehen.
3. Konjetzny: Zur Pathologle und Aetiologle der sogenannten
teleangiektatischen Granuloma (Botryomykose). Vortragender demon-
striert zwei typische Fälle von erbsengroßen, pilzförmigen, freibeweglichen
Tumoren, die früher wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem Botryomykom der
Pferde (Bollinger) als Botryomykose aufgefaßt wurden, für die aber
Bennecke und Küttner den indifferenten Namen teleangiektatisches
Granulom eingeführt haben und die in letzter Zeit Schridde als
_Protozoenaffektion auffaßte,
Fali 1: 30jähriger Mann, Tumor am Daumen, nach einer Quetschung
rasch entwickelt, zweimal nach Exstirpation rezidiviert, öfters stark blutend.
Fall 2: 19jähriger Jüngling; Tumor an der Zunge, acht Tage
nach einem Biß aufgetreten; starke Blutungen. Mikroskopisch in beiden
Tumoren im extracutanen Teil und im Stiel ein enormer Reichtum an
kleineren und größeren, oft sehr dicht liegenden Biutgefäßen; der im
. Corium gelegene Tumorteil, der gegen die Umgebung überall deutlich
abgegrenzt ist, macht bei schwacher Vergrößerung ganz den Eindruck
eines Spindelzellensarkomherdes. Bei stärkerer Vergrößerung löst sich
diese sarkomähnliche Partie in ein dichtes Geflecht von Capillaren auf.
Ansammlungen von Entzündungszellen sind nicht vorhanden. An der
Oberfläche des Tumors eine Schicht fibrinös-zelligen Exsudats mit massen- `
haften Fibroblasten, die sich zwischen die Kapillaren hineinschieben und
hier die Angiomstruktur verwischen. Befunde ähnlich denjenigen
Schriddes (Parasiteneinschlüsse) waren nicht zu erheben. Es handelte
sich somit um zwei eigentümlich proliferierende Angiome. Mit
dieser Annahme sind ohne weiteres die klinischen Eigentümlichkeiten
dieser Tumoren in Einklang zu bringen. Die Form des Tumors, die
Neigung zu Blutungen und Rezidiven läßt sich .ungezwungen erklären.
Die Differentialdiagnose gegen Sarkom und Granulationsgewebe läßt sich
leicht stellen; denn bei den soliden sarkomähnlichen Randpartien handelt
es sich nur um ein vorübergehendes, die Bildung kavernösen Gewebes
einleitendes Wucherungsstadium und nicht um einen dauernden Be-
standteil der Geschwulst; und fehlen in der Tiefe entzündliche Zell-
anhäufungen, so kann die Geschwulst auch nicht mit Granulationsgewebe
verwechselt werden. Michaud (Kiel).
——
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 26. Juni 1912.
Grüter: Ein Fall von Hypophysentumor mit Krankenvor-
stellung. G. zeigt eine Kranke, die seit zwei Jahren Abnahme der Seh-
schörfe auf beiden Augen bemerkt. Die nähere Untersuchung ergibt
beiderseits temporale Abblassung der Papille, bitemporale Hemianopsie
und Herabsetzung der Pupillarreaktion bei Belichtung der nasalen Hälfte
der Netzhaut. Außerdem gibt die Kranke an, seit dem 28. Jahre in der
Menopause zu sein, und seitdem an Körperumfang und Gewicht wesent-
lich zugenommen zu haben. Dieser Symptomenkomplex deutet sicher auf
die Hypophyse hin, und die Diagaose „Hypophysentumor“ konnte auch
durch die Röntgenaufnahme bestätigt werden. Eine Operation kommt
wohl in diesem Falle kaum in Frage, da der Tumor offenbar langsam und
mit Remissionen wächst. Indikation für die Operation ist bei den
schlechten Chancen derselben nur eine unmittelbare Gefahr für das Leban
oder für die Sehkraft. |
König weist in der Diskussion darauf hin, daß doch mindestens
ein Fall, und zwar von Hochenegg, bekannt ist, der die Operation zwei
Jahre überlebte. |
Berblinger betont, daß es sich hier wohl um eine Infundibular-
cyste handeln wird, da Tumoren des Vorderlappens in der Regel mit
Akromegalie einhergehen und schneller zu wachsen pflegen.
König: Ueber typische peritoneale Adhäsionsbildungen im
Epigastrium. K. hat in den letzten Monaten drei Patienten operiert,
welche die typischen Beschwerden der Hernia epigastrica hatten, ohne
daß sich jedoch eine solche nachweisen ließ. Bei der Operation zeigte
sich dann, dab von dem angegebenen Schmerzpunkt aus ein Strang zu
dem benachbarten Bauchinhalt — entweder zum Magen oder zum großen
Netz — zog, nach dessen Lösung die Kranken in allen drei Fällen bc-
'schwerdefrei waren.
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1478
Hagemann: Ueber Myositis tuberculosa nach Thoraxpunktion.
Der 22jährigə Patient hatte im Mai 1910 eine Pleuritis durchgemacht,
die im März dieses Jahres rezidivierte und zweimal punktiert wurde;
das Exsudat war erst klar, dann eitrig. : Seit dem April dieses Jahres
wächst an der linken Thoraxseite eine Geschwulst, die sich als Absceß.
herausstellte. Das Röntgenbild ergibt keine Erkrankungen der Rippen;
eine Punktion des Abscesses förderte sterilen Eiter zutage. Konservative
Behandlung mit Jodoform-Glycerininjektionen hatte keinen Erfolg, des-
halb wurde eine Eröffnung des Abscesses vorgenommen. Er war mit
dicken Membranen ausgekleidet, die entfernt wurden. Die mikroskopische
Untersuchung der exstirpierten Teile ergab eine typische tuberkulöse
Absceßmembran mit Aussaat miliarer Tuberkein in die Muskulatur der
Umgebung. Augenscheinlich handelt es sich um eine Muskeltuberkulose,
die sich im Anschluß an die Punktion eingestellt hatte,
Magnus: Resektion des Choledochus wegen Carcinom. E
handelt sich hier um einen 42 jährigen Mann, der seit Mitte Januar über
Mattigkeit und Appetitlosigkeit klagt. Ungefähr seit derselben Zeit be-
steht eine Gelbfärbung der Haut, die langsam an Intensität zugenommen
hat. Es traten öfter Leibschmerzen auf, die jedoch nie Kolikcharakter
annahmen. Erbrechen ist nie beobachtet. Vorgeschichte und Familien- |
anamnese bieten nichts Besonderes. - |
Patient kam am 28. März zur Aufnahme mit schwerem Ikterus.
Im übrigen fand sich nur eine vergrößerte Leber, deren unterer Rand
fingerbreit oberhalb des Nabels stand; Rand: und Oberfläche glatt. Der
Urin war bierbraun, Stuhl tonfarben, kein Gallenfarbstoff im Stuhle
nachweisbar.
Am 4. April wurde in Aethernarkose durch Prof. König
die Operation vorgenommen. Quere Durchtrennung des rechten Rectus,
kleiner Längsschnitt in der Mittellinie. Nach Eröffnung der Bauchhöhle
stellt sich sofort die yergrößerte Leber ein. Gallenblase prall gefüllt,
ohne Steine. Am Blasenhals übergehend auf den Ductus cysticus bis zur
‘ Teilungsstelle des Ductus choledochus fühlt man eine äußerst derbe In-
filtration. Vermittels eines Troicarts wird die Gallenblase entleert, nach-
dem die Bauchhöhle sorgfältig abtamponiert ist. Es entleert sich reich-
lich eingedickte Galle ohne Konkremente; kein Eiter. Dann wird die
Gallenblase exstirpiert mitsamt der infiltrierten Partie des Ductus hepati-
cus und des Ductus choledochus, Die Diastase der Enden des Ductus
hepaticus und Ductus choledochus beträgt 2,5 cm. Es wird ein T-Rohr
eingenäht, nach dem Gallenblasenbette zu wird ein dickes Gummidrain
eingelegt, die Wunde partiell verschlossen, und die Drains zum unteren
Wundwinkel herausgeleitet. Die mikroskopische Untersuchung der in-
filtrierten Partien ergab Careinom.
| Das Befinden des Kranken änderte sich zunächst wenig; der Ikterus
hielt an, aus dem T-Rohr entleerte sich massenhaft Galle. Am 10. April
jedoch, sechs Tage nach der Operation, ging das T-Rohr beim Verband-
wechsel heraus; zwei Tage später ging die ganze Wunde auf.
Vier Wochen nach der Operation präsentierte sich in der rechten
Oberbauchgegend eine große, klaffende Wunde, aus der sich massenhaft
galliges Sekret entleerte. Die starke Durchtränkung des Verbandes
machte zweimaligen Wechsel am Tage notwendig. Es bestand schwerster
Ikterus; der -Stuhl war frei von Gallenfarbstoff.
Dieser Zustand hielt sich ziemlich unverändert, während die Wunde
langsam zugranulierte; nur der Ikterus ging etwas zurück. Ende Mai
jedoch ließ die Sekretion aus der Wunde ganz plötzlich nach und sistierte
im Verlaufe von fünf Tagen ganz. Zugleich wurde der Stuhlgang braun,
und kurz darauf, am 80. Mai, war die Wunde völlig geschlossen und
trocken, der Stuhl absolut normal gefärbt. Es hatte sich also augen-
scheinlich eine Passage der Galle zum Darme gebildet.
- Patient klagt jetzt eigentlich nur über Blähungen und hat dann
heftige Schmerzen im ganzen Leibe, die Morphiumgaben notwendig
machen. Das Allgemeinbefinden ist im wesentlichen in den letzten
Wochen unverändert geblieben. Der Ikterus ist fast verschwunden.
| Es handelt sich hier um eine relativ seltene Erkrankung. Die
überhaupt publizierten Fälle von Carcinom der Gallengänge beträgt jetzt
etwa 200 und davon fällt der Hauptteil auf die Erkrankungen der Pa-
pille. Von Carcinomen oberhalb, im Verlaufe der Gallengänge, konnte
Schüller 1901 nur 19 Fälle aus der Gesamtliteratur zusammenstellen,
gegen 41 an der Papille.
Die ersten Resektionen wurden dann auch am Papillenteil vorge-
nommen, und zwar waren Czerny, Halsted und Körte die ersten,
welche solche Operationen unternahmen. Doyen resecierte einmal den
Choledochus partiell wegen einer gutartigen Striktur, und 1902 unter-
nahm es zum ersten Male Kehr, den Ductus choledochus wegen eines
Careinoms zu resezieren. Die Versorgung war insofern sehr viel ein-
facher wie hier, als es gelang, den Ductus hepaticus in das Duodenum
zu implantieren. Die Wundheilung war eine ganz glatte, der Patient
überlebte die Operation um 2!/ə Jahre und starb zu Haus unter den Sym-
ptomen eines perforierten Lieberabscesses.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36,
8. September.
Zwei weitere Fälle aus dem Kehrschen Material hat Eichmeyer
publiziert; bei beiden konnte die Gallenblase erhalten und auf dem Wege
über diese eine Gallenpassage von der Leber zum Magen hergestellt
werden, mit andern Worten, es wurde eine Hepato-Cholangio-Oysto-
Gastrostomie angelegt. Beide Fälle starben an Verblutung im Anschluß
an die Operation. |
Im ganzen sind zwölf Fälle von Resektion des Ductus choledochus
wegen Carcinoms publiziert worden; in keinem handelt es sich um einen
Dauererfolg.
Das bemerkenswerte dieses Falles besteht darin, daß die Galle
über eine Diastase von 2,5 cm hinweg den Weg in den Darmtraktus
fand. Die starke Heilungstendenz der Gallenwege ist bekannt; Kehr
betont, daß selbst Wunden von 5 bis 6 cm glatt und ohne Striktur-
bildung heilten. Hier lag jedoch eine völlige Durchtrennung des Ductus
choledochus vor, und wie die Galle nach fast zwei Monaten quer durch
die Wunde den Weg zum Darme gefunden hat, ist schwer verständlich.
Prognostisch darf man sich wohl keinen Illusionen hingeben. Die
Carcinome der Gallenwege sind nach Kraus äußerst bösartig und neigen
zu sehr früher Metastasenbildung. Georg Magnus.
München.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 26. Juni 1912.
Alzbeimer: Neuere anatomische und klinische Forschungen
auf dem Gebiete der Epilepsie. Wie die älteren Psychiater jedes
Irresein, das mit Lähmung einherging, als Paralyse bezeichneten und
erst in neuerer Zeit eine Scheidung der verschiedenen Lähmungen ein-
trat, so wurden auch in den früheren Dezennien alle Zustände von Be-
wußtlosigkeit Epilepsie genannt. Jetzt weiß man, daß diese nach Ver-
lauf, Symptom und Klinik verschiedenen Krankheiten angehören. Da die
Epilepsie sehr häufig und zweckmäßig therapeutisch beeinflußt werden
kann, ist sie auch für den Psychiater sehr wichtig. Im Mittelpunkt steht
der epileptische Anfall, neben ihm und an seiner Stelle können die- epi-
leptischen Aequivalente auftreten. Noch immer ist nicht ganz unbe-
stritten, daß es Epilepsie gibt, die niemals typische Anfälle darbietet.
Uebrigens kommen dem epileptischen außerordentlich ähnliche und in
nichts sich unterscheidende Anfälle fast bei allen organischen Erkran-
kungen vor. Der epileptische Anfall muß eken als Krankheitssymptom
aufgefaßt werden, das durch ganz verschiedene Prozesse und Bedingungen
ausgelöst werden kann. Ebenso ist der Ausgang der epileptischen
Geistesstörung sehr verschieden. Eine große Anzahl Kranker verblödet,
während andere Fälle keine so schlechte Prognose haben. So finden wir
unter den bedeutendsten Männern der Welt nicht wenige Epileptiker.
Zur Aufteilung der Klinik des epileptischen Symptoms können auch die
Anatomen beitragen. |
I. Sypbilitische Epilepsie: Dabei zeigen sich Veränderungen in der
Hirnrinde, wie sie von Nissl und Alzheimer beschrieben wurden,
typische Aequivalente, Dämmerzustände und Anfälle; die Kranken. sterben
oft im Status epilepticus, weitgehende Remissionen kommen vor. Die
syphilitische gehört zu den Spätepilepsien. Es finden sich oft organische
Symptome von Lues, Wassermannsche Reaktion regelmäßig positiv,
Zellverermung der Spinalflässigkeit kann fehlen, es liegen stets entarte-
riitische Gefäßveränderungen vor. Antisyphilitische Therapie selten er-
folgreich, immerhin soll man Hg-Kuren und Salvarsan probieren.
II. Arteriosklerotische Epilepsie: Diese ist wohl die verbreitetste
Form der Epilepsia tarda. a) Fälle, bei denen allgemein schwere sklero-
tische Veränderungen des Centralnervensystems bestehen. Die Anfälle
treten auf bei irgendwelchen ungewöhnlichen Anstrengungen (Bücken, im
Bett aufrichten). Naunyn hat darauf hingewiesen, (daß diese Anfälle
durch Kompression der Carotiden auszulösen sind. Die Prognose dieser
'Form ist sehr schlecht. b) Fälle, bei denen keine Arteriosklerose des
‚allgemeinen Gefüßsystems bestehen, auch keine Blutdruckerhöhung. Die
Anfälle unterscheiden sich in nichts von den gewöhnlichen. In der
Gehirnrinde findet man Lücken in der Zellanordnung, die Glia ist ge-
'wuchert, es handelt sich also um arteriosklerotische Verddungsherde.
Ausgang in sklerotischo Demenz. Ursache Tabak-, Alkoholmißbrauch,
‚chronische Aufregungen. Besserungen nicht selten.
III. Alkoholepilepsie: Alle Fälle von Epilepsie werden durch über-
mäßigen Alkoholgenuß ausgelöst, Besserung durch Alkoholentziehung;
sogar vollständiges Sistieren der Anfälle durch Alkoholabstinenz möglich.
Diese Krankheitsform kommt besonders in Gegenden, wo Schnaps und
Absynth, weniger wo Bier getrunken wird, vor. Die Anfälle pflegen be-
sonders während eines Trinkexzesses aufzutreten und zu den schwersten
Zungenbissen und Verletzungen zu führen. i
| IV. Genuine Epilepsie: Die ersten Anfälle treten im ersten, zweiten
und dritten Lebensdezennium auf, sind oft schon zur Zeit der ersten
Dentition in Form von Krämpfen vorhanden. Da man in der Hirnrinde
häufig Veränderungen findet, die auf angeborener -Entwicklungsstörung
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e lichen Rindenschichten erhalten, die tieferen zerstört und angefüllt mit
8. September. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 36. 1479
als Pulver) enthalten sie alle drei, den Samen fehlt das Digitoxin, der im
Experimente weitaus wirksamste Stoff. Das Infus enthält entgegen der
bisherigen Anschauung kein. Digitoxin, sondern im wesentlichen nur
Gitalin. Dieses war bisher in chemisch unreiner Form als Digitalein
. käuflich, wird aber voraussichtlich bald in reinem Zustande zu haben
sein. Das Digitoxin ist schon seit Jahren bei Merck als weißes kristal-
linisches Pulver zu kaufen (Tablette à 0,00025 g), Digitalin wird von
Boerringer hergestellt (0,00025 bis 0,002). Mit dem, wie gesagt, bald zu
erwartenden Gitalin hätten wir dann alle drei wirksamen Substanzen
chemisch rein und haltbar zur Verfügung und wären unabhängig von den
mancherlei Schwankungen des Wertes, denen die rohe Droge ausgesetzt
ist. Da sind es vor allem Enzyme, welche nicht nur in den frisch ge-
pflückten Blättern stark wirken und durch Glykosidspaltung und Oxydie-
rung den therapeutischen Wert herabsetzen, sondern auch nach sach-
gemäßem Trocknen noch fortwirken, sodaß die Blätter nach Jahresfrist
fortgeworfen werden müssen. Kobert bezeichnet es als bedauerlich,
daß das Arzneibuch verlangt, die Pflanze solle im Gebirge wild ge-
- wachsen sein, und die Verwendung von im Garten angepflanzter Digi-
talis, die von vornherein beim Pflücken und Verarbeiten viel leichter
sachgemäß behandelt werden kann, verbietet. Schmiedeberg hat die
sekundären Umwandlungsprodukte der drei wirksamen Glykoside im Ex-
perimente näher studiert. Es entstehen so Gifte, welche schon in kleinen
Dosen heftige Krämpfe beim Tier und Uebelkeit, Erbrechen usw. beim
' Menschen hervorrufen. Die schon an sich leichte Zersetzlichkeit der
' Blätterinfuse soll man nicht noch durch Sirupzusatz, der meist nicht
steril sei, steigern. Am konstantesten ist noch wirksam die alkoholische
' Tinktur der Blätter. Kobert schlägt jedoch vor, an Stelle der bisher
getrockneten Blätter frische und an Stelle des 60°/oigen Alkohols
96°%/vigen zu verwenden. So benutze man von vornherein die wirksamere
Droge und unterbinde sofort die Fermentzersetzung. Fluidextrakte hin-
gegen begünstigen letztere. Dialysat Golaz ist nicht zu empfehlen, weil
hier das Prinzip der Dialyse nichts nützt. Digalen, ein wäßriges Digi-
. talisextrakt, enthalte nur Digit-Saponin und Gitalin und nicht, wie die
_ Fabrik behauptet, Digitoxin. (Aus diesem Grund ist das Digalen von
‘der Arzneimittelkommission des Kongresses für Innere Medizin auf die
„zweifelhafte Liste“ gesetzt. D. Ref.) Sämtliche wirksame Stoffe ent-
hält nur das Palv. fol. Digit., was seine stärkere Wirksamkeit gegenüber
dem Infus bedingt, vorausgesetzt, daß die Blätter frisch waren. Die volle
Blätterwirkung kann man auch erreichen, wenn man das Infus neben dem
Digitoxin (Merck) verabreicht. | B.
beruhen, so muß. man annehmen, daß die Erkrankung auf degenerativer
Grundlage entsteht. Die anatomische Untersuchung der im Status epi-
lepticus Verstorbenen zeigt im ganzen Mark sowie teilweise in der Hirn-
rindo Durchsetzung mit amöboiden Gliazellen, mit eigentümlichen Gra-
nulis, die lipoide Substanzen darstellen, auch viele zerfallene Achsen-
cylinder und gewucherte Gliazellen, in den schweren Anfällen Zugrunde-
gehen der feinsten Strukturen. Bei den chronischen Anfällen finden sich
starke Verdickungen des Gliagewebes an der Oberfläche der Wandungen,
in der Rinde viele Lücken von Ganglienzellen und Markscheiden, außer-
dem bald einseitig, bald doppelseitig im Ammonshorn Sklerose des
Markgewebes, starker Zellschwund und Gefäßverdickung. Diese Hirn-
partie ist überhaupt sehr empfindlich gegen organische Veränderungen.
V. Postencephalitische Epilepsie: In diese Gruppe gehören Epilep-
tiker plus Idiotie, zum Teil Individuen mit scheinbar normaler Intelligenz.
Verschmälerung und Gelbfärbung der Rinde. Dabei sind die oberfläch-
eigentümlichen Einlagerungen.
VL Fälle im Anschluß an Entwicklungsbemmungen (Mikro-
cophalen). Oft bleibt das Gehirn im Entwicklungsstadium des vierten
Embryonalmonasts stehen. Eine besondere Art davon bildet die tuberöse
Gliose: Einzelne Teile der Windungen sind knorpelartig verdickt; dabei
Geschwulstbildungen in Niere und Herzmuskel.
VIL. „Hysteroepilepsie“. Es sind die Kranken, die epilepsieähn-
liche Anfälle, die jedoch zur Hysterie gehören, zeigen. Früher „Affekt-
epilepsie“, „Epileptische Schwindler“.” Züm Unterschiede vom echten
opileptischen Anfalle sind diese Anfälle von psychischen Erregungen und
äußeren Anlässen abhängig, sie treten zur Zeit der Pubertät auf und
verlieren sich später wieder. Die Kranken zeigen auch mehr den
hysterischen Charakter, sind regsam, unternehmungslustig, schwindelhaft.
Während man früher die Dipsomanen zu den Epileptikern zählte,
rechnet sie die moderne Forschung mehr den Degenerierten zu. Auch
die früher zu der genuinen Epilepsie gezählten „Absencen“ im Kindes-
alter mit früher ungünstiger Prognose, reichlichen, nächtlichen Anfällen,
lichtstarren Pupillen haben gezeigt, daß sie geheilt werden können und
zur Gruppe der Degenerationserkrankungen gehören. |
Wenn auch manches bei der Auflösung der Epilepsie noch un-
fertig ist, so ist doch durch die häufige Einteilung derselben ein großer
Fortschritt getan; denn in das Wesen einer Krankheit können wir erst
dann eindringen, wenn wir mit einer Krankheit und nicht mehr mit
Krankheitsgruppen zu rechnen haben. P. Lißmann.
Straßburg i. Els.
Medizinisch-Naturwissenschafilicher Verein.. Sitzung v. 7. Juni 1912.
H. Wenckebach: Ueber neuere anatomische und physio-
logische Daten der Herztätigkeit. Einleitende Bemerkungen über
embryonalen Aufbau zur Entwicklung des Herzens.
Die rhythmische Tätigkeit des Herzens zwingt zur Annahme, daß
es verschiedene Eigenschaften besitzt, wie Contractilität, Reizbar-
keit, Reizleitungsvermögen und Reizbildung. Das Wesen des
Contractionsvorgangs ist unbekannt. Auf einen Reiz reagiert der Herz-
muskel mit aller vorhandener Contractilität. Die Contraction wird ge-
messen durch die vom Muskel geleistete Arbeit.
Die Reizbarkeit ist die Vorbedingung zum Zustandekommen der
Contraction. Die rezeptive beziehungsweise reizbare Substanz ist die
Vermittlerin zwischen Reiz und reaktivem Material. Jede Zellart hat
ihre eigene Art von rezeptiver Substanz. Eine ganz besondere Eigen-
schaft des Herzens, die refraktäre Sphase, hat ihren Sitz in der Herz-
muskelzelle Die refraktäre Sphase bedeutet, daß die Contraction die
Reizbarkeit des Herzmuskels aufhebt. Nach der Systole ist das Herz
nicht reizbar, in der Diastole regeneriert sich die Reizbarkeit des Herz-
muskels wieder. Die refraktäre Sphase ist also. eine Eigentümlichkeit
der Herzmuskelzelie. Die Reizbarkeit des Herzens wird gemessen durch
den kleinsten Reiz, nicht durch die Größe der Contraction. Die Natur
der reaktiven Substanz ist nicht bekannt.
| Der Contractionsreiz pflanzt sich nach allen Richtungen vom Reiz-
punkte aus fort. An schmalen Muskelbrücken geht die Reizleitung
‚langsam vor sich. Ein heftiger Streit besteht darüber, ob die Reizleitung
‚im Nervensystem ihren Sitz hat oder ob sie eine Eigenschaft der Herz-
muskelzelle ist. Man spricht von myogener und neurogener Natur der
Reizleitung. Die Reizleitung wird gemessen mit der Geschwindigkeit,
mit der die Contractionswelle den Herzmuskel durchläuft. Aus Aktions-
‚strömen durch Elektrokardiogramme ersieht man, daß die Contraction der
Erregung auf dem Fuße folgt.
| Einwände gegen die neurogene Natur der Reizleitung: Die Leitung
erfolgt langsamer als im Nervensystem. Die Beeinflussung durch Sauer-
stoff, durch Digitalis spricht für den Herzmuskel und ist nicht in dem
Rostock.
Aerzteverein. Sitzung vom 11. Mai.
l Kobert spricht über die wirksamen Bestandteile und die Ver-
ordnungsweise der Digitalis. Withering gab 1785 in einer Mono-
graphie zuerst die im wesentlichen auch heute noch gültigen Tatsachen
über die Digitalis. Er erhielt Kenntnis von der Droge durch eine Familie
in Stropshire, welche seit langem die Digitalis als Geheimmittel in einem
Gemische von verschiedenen Pflanzensorten zur Heilung von Wasser-
sucht verwandte. W. fand nach mühevollen Untersuchungen, daß von
diesen mehr als 20 Kräutern lediglich ein einziges, die Digitalis purpu-
rea, wirksam war, und von dieser vorzüglich die Blätter. Er wies ferner
nach, daß es ein Irrtum war, die Droge in großen Dosen bis zum Brech-
durchfalle zu verabfolgen, sondern daß die gewünschte Wirkung schon
bei kleinen Dosen eintritt, der Brechdurchfall hingegen die unnötige und
unerwünschte Giftwirkung zu großer Gaben bedeute. Withering be-
wies schließlich, daß das hydropische Wasser den Körper durch die
Nieren verläßt. |
on Später haben sich vor allem Traube, Ackermann und Boehm
um die weitere Forschung verdient gemacht. Ackermann zeigte ex-
perimentell, daß bei der Bilutdrucksteigerung nicht nur die direkte
Wirkung auf das Herz, sondern auch eine vom Vasomotorencentrum un-
abhängige Contraction eines großen Teils der kleinen Gefäße des großen
Kreislaufs mitbeteiligt ist. Später konnte Kobert diese inzwischen in
Vergessenheit geratene Beobachtung mittels Durchströmung tberlebender
Tgane bestätigen.
Die chemische Erforschung der Digitalissubstanzen haben wesent-
lich durchgeführt Schmiedeberg, Kiliani und Kraft. Es handelt
sich um zwei chemisch miteinander verwandte Gruppen von Stoffen, die
Glykoside des Saponins und des Digitalins. Nach neueren For-
schungen steigert sich die Wirksamkeit der letzteren durch Saponin-
Zusatz. Drei Stoffe sind es hauptsächlich, auf denen die Digitaliswirkung
beruht: das Digitalin, das Digitoxin und das Gitalin. Letzteres verleiht
ee wie die Saponine wäßrigen Flüssigkeiten die Fähigkeit, zu schäumen.
i 2 meisten Saponine, wie auch einige Stoffe der Digitalingruppe wirken
ulytisch. Der Gehalt der verschiedenen Präparate an den genannten
@ wichtigsten Stoffen ist wie folgt: Die Blätter (frisch oder getrocknet,
‚Maße für die Leitung im Nerven nachgewiesen. Bei aller Differenzierung
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besteht eine Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel. Die Reizleitung
zwischen Vorhof und Ventrikel kann gestört oder aufgehoben sein. Man
hat gefunden, daß diese Muskelbrücke der Anfang eines ganzen Systems
von isolierten, reizleitenden Fasern im Herzen ist. Diese Verbindungs-
brücke wird von Nervenfasern begleitet. Wenn die Muskelbrücke ge-
schädigt ist, ist die Reizleitung gestört. Für die myogene Natur. der
Reizleitung spricht der Umstand, daß die Systole alle Reizbarkeit aus-
löscht, daß im kontrahierten Herzen und gleich nach der Systole ein
Reiz nicht weitergeleitet wird. |
Jeder kleinste Teil des Herzens ist imstande, selbständig, auto-
matisch und rhythmisch sich zu contrahieren. Ueberall im Herzen ent-
stehen Contractionsreize. Die Frage ist, entsteht der Reiz in der Herz-
muskelzelle oder in der Nervenzelle. Contractilität, Reizbarkeit und
Reizleitung sind als myogener Natur zu betrachten. Ueberall wo im
Herzen ein Reiz entstehen will, wird er durch die Contraction vernichtet.
Der Contractionsreiz wird nur da wieder am ersten wirksam, wo er eine
gewisse Intensität erreicht hat.
Die Rhythmik des Herzens beruht darauf, daß nach der Contrac-
tion eine gewisse Zeit vergehen muß bis wieder eine aktive Contraction
entstehen kann. Jeder Teil des Herzens bedarf einer gewissen Periode,
um einen Reiz wieder auszubilden. Nach Bethe ist ein Debergehen des
Reizes von Muskel auf Nerven ausgeschlossen. Die Frage ist noch nicht
sicher entschieden. |
‘ Es ist möglich, die Herztätigkeit synthetisch aufzubauen (Demon-
stration diesbezüglicher Kurven).
Die Herztätigkeit kann durch die Nerventätigkeit dahin beeinflußt
werden, daß die Contractilität herabgesetzt oder gesteigert, die Reiz-
leitung verlangsamt oder beschleunigt wird. Auf diesen Eigenschaften
beruht ein unendliches Spiel der Beeinflussung der Herztätigkeit in
allen Faktoren.
Unter Reservekraft versteht man die Höhe, die die Contractilität
erreichen würde, wenn sie nicht durch die Systole unterbrochen würde.
Ein schnelleres Anwachsen der Contractilität ist möglich, nicht aber eine
Vergrößerung derselben. `
Die Herzmuskeltätigkeit wie Hering eine neuro-myogene zu
nennen, erscheint W. nicht passend wegen Gefahr von Mißverständnissen.
W. nimmt an, daß die Reizbildung nicht im Tawaraschen Knoten und
auch nicht in dem von Keith und Flack beschriebenen Sinusknoten zu
suchen ist, sondern höher oben, vielleicht in der Ringmuskulatur der
Vena cava, die ja der Ansatzstelle des primitiven Herzschlags ent-
sprechen würde.
An der Hand von Präparaten Demonstration von Muskelfasern an
der Vena cava sup., die von W. gefunden wurden. Es handelt sich um
ein Uebergangsbündel zwischen Vena cava sup. und Vorhof, dessen
Funktion nicht geklärt ist. E. Hirsch.
Wien. |
K. k. Gesellschaft der Aerzte. Sitzung vom 14. Juni 1912.
| G. Riehl stellt vor: 1. eine 40jährige Frau mit multiplen
Fibromen mit Uebergang in Sarkom. 2. Ein 13 Jahre altes Kind
mit Xeroderma pigmentosum und multiplen Carcinomen. Außer-
dem hat das Kind: schwere Rachitis.
A. Bum stellt einen 17jährigen Mann mit Abreißung des
Ligamentum cruciatum posterior vom Femur vor. Patient ist am
19 Mai d.J. auf der Treppe beim Aufwärtssteigen auf das linke Knie gefallen.
Subjektive Empfindungen angeblich gering, doch konnte das Gelenk nur bis
zirka 100° gebeugt werden. Als bei der Behandlung mit Ruhe und Um-
schlägen keine sonderliche Besserung der Beweglichkeit erfolgte, wurde
der Verletzte B. zur mechanischen Behandlung überwiesen. — Bei der
Aufnahme (3. Juni) mäßiger Erguß in das Kniegelenk, Balottement der
Patella. Die funktionellen Ausfallerscheinungen rücksichtlich der Beugung
legten die Annahme einer intraartikulären Verletzung nahe, weshalb
Röntgenuntersuchung (Robinson) veranlaßt wurde, die folgende Bilder
lieferte: Anterior-posterior sieht man einen bohnengroßen Knochensplitter
über der Eminentia intercondyloidea medialis tibiae projiziert. Diesem
Splitter entspricht ein Defekt von dreieckiger Gestalt an der Innenseite
des medialen Femurkondyls. In der seitlichen Projektion liegt der
Fremdkörper diagonal ungefähr in der Verlaufsrichtung des Ligam. cruciat.
posterius. Die anatomische Ueberlegung ergibt, daß os sich um einen
Abriß der Ansatzstelle des Ligamentum cruciatum posterior vom Femur
handelt. — Vom Standpunkte des Unfallarztes verdient der Fall durch dieDis- |
krepanz der schweren intraartikulären Verletzung mit den relativ geringen
subjektiven und objektiven Symptomen des scheinbar leichten Traumas
Beachtung.
R. Pollak zeigt aus der Abteilung Jehle einen fünf Monate
alten Säugling mit Bronchialdrüsentuberkulose. Der Vater
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September.
des Kindes ist tuberkulös; dieses begann vor zwei Monaten zu husten;
die cutane Tuberkulinreaktion war negativ. Das Kind sieht sehr gut aus
und hat an Gewicht zugenommen.
A. Kronfeld: Das pathologische Porträt (I. Teil). ‚Neben
| den schriftlichen Denkmälern, welche in bezug auf die Deutung von
Krankheitsbildern häufig im Stich lassen, werden neuerdings auch Denk-
' mäler der Malerei und der Bildhauerkunst . für wissenschaftliche Zwecke
herangezogen. Karl Friedrich Heinrich Marx, Rudölf Virchow,
. Charcot, Richet und Holländer haben: auf dem Gebiete der medizi-
nischen Kunstgeschichte grundlegende Arbeiten geliefert. ‘Die Bə-
schränkung auf das Porträt hat für den Vortragenden Vor- und Nach-
` teile. Der Hauptvorteil liegt darin, daß Porträtkunst ohne genaue Kennt-
nisse anatomischer, ‚pbysiologischer und pathologischer Tatsachen nicht
‘ erfaßt werden kann, daß demnach Aerzte ausgezeichnete Kritiker und
Kenner des Porträts sind. Die Nachteile sind dahin zu präzisieren, daß
die Porträtkunst das. individuelle Relief des Gesichts und pathologische
Details zumeist unterdrückt. Trotzdem ist die Ausbeute an pathologi-
schen Porträts eine so große, daß der Vortrag nur einen Teil des Mate-
. als in aphoristischer Würdigung bringen kann. Sehr häufig sind Por-
. träts, welche kranke, leidende Menschen zum Objekte haben. Es werden
' mehrere Beispiele vorgeführt, an welche sich die Warnung anschließt,
: nicht voreilig Diagnosen zu stellen, da häufig stilistische Eigentüm-
lichkeiten als pathologische gedeutet werden. Ein Hauptbeispiel eines
Porträts mit pathologischen Zügen ist der Zeus von Otricoli im Vatikan.
' Vortragender widerlegt die Erklärungen von Stricker, Schein und
. andern Aerzten und meint, daß der Stirnvorsprung dieser Büste nicht
pathologisch-anatomisch, sondern nur stilistisch zu erklären sei. Es
‘ werden hierauf Porträts von Kyphoskoliotischen,. von Zwergen und Riesen,
von Fettsüchtigen und Myxödematösen, von Rachitischen demonstriert
und besprochen. Auf die Bedeutung des Gebisses für das Porträt wird
an mehreren Beispielen hingewiesen. Eine große Rolle in der Porträt-
kunst spielt der Gesichtsausdruck bei adenoiden Vegetationen; hier haben
Gallippe, Rubbrecht und. insbesondere Bloch wichtige Vorarbeiten
_ geliefert und man kann aus dem Porträt, wie an mehreren Beispielen ge-
zeigt wird, die sichere Diagnose auf den adenoiden Zustand stellen. —
Ferner spielt die Pathologie des Auges im Porträt eine große Rolle,
wobei zu betonen ist, daß die Plastik in bezug auf Augendarstellungen
sehr beschränkt ist. Die Darstellung der Myopie und der.Hypermetropie
fallt mit der Darstellung der Brille, des Zwickers, des Nasenkneifers und
des. Einglases zusammen. Es werden mehrere Beispiele von Porträts mit
konkaven Augengläsern vorgeführt. Die Blindendarstellungen gehen auf
die antiken Homerbüsten zurück, in neuerer Zeit haben Munkaczy und
Wollek besonders charakteristische Blindenporträts geliefert. Dar-
stellungen von Nasen-, Ohren-, Nerven- und Geisteskranken, von Anämie,
Chlorose und insbesondere Tuberkulose, die ganze Chirurgie und die Der-
matologie des Porträts sind für einen zweiten Vorträg reserviert. Trotz-
dem Porträts normaler Gravider keinen eigentlichen Bezug zum Thema
haben, spricht der Vortragende ausführlich über die Eva des van Eyck-
schen Altarwerks. Aerzte und Kunstkenner haben diese Eva als eine
gravide Frau bezeichnet. Albu denkt an eine Enteroptose. Albu
spricht von einem „Typus Botticelli“, welcher in der Kunst der Hoch-
renaissance, z.B. bei Dürer, nicht mehr nachweisbar sein soll. Dagegen
betont Vortragender, daß der Typus Botticelli bereits in klassischer
Weise von Brücke als tuberkulöse Veranlagung gedeutet worden sei
und daß die Eva des van Eyckschen Altarwerks weder gravid noch
enteroptoisch sei. Diese Eva besitze eine Bauchform, wie sie viele Mäd-
chen und Frauen der gotischen Kunst, ferner der späteren Zeiten, 108-
besondere auch bei Dürer aufweisen. Der weibliche Leib habe sich
nach allgemeinen Kunstgesetzen dem hochstrebenden i
bogen adaptieren müssen, der Schultergürtel und die Arme seien dabei
verkümmert, der Bauch zeige eine entsprechende. stilistische Aus-
ladung. Der große Bauch gehöre zum Stile der Gotik nnd es wäre sehr
schwer, aus der Schar großbäuchiger Mädchen und Frauen die wenigen
graviden herauszusuchen. Manche gotische Maler haben diese Schwierig-
keit wohl gekannt und zu einem merkwürdigen Mittel gegriffen, um die
Gravidität unzweifelhaft zu kennzeichnen. Sie haben nämlich den Frauen
in die großen gotischen Abdomina Embryonen hineingezeichnet. Mit den
zahlreichen anatomischen, physiologischen und pathologisch-anatomischen
Problemen, weiche beim Studium des Porträts auftauchen, mit dem Reich-
tum an Fragen medizinischen Inhalts in der Porträtkunst entschuldigt der
Vortragende zum Schluß sein Unternehmen. H.
Berlin.
Ophthalmologische Gesellschaft, Sitzung vom 13. Juni 1912.
Römer: Beitrag zur Frage der Anaphylaxie mittels Linsen-
eiweiß. Aus den bisherigen Untersuchungen ging hervor, dab es en
großer Unterschied ist, ob Meerschweinchen mit heterologem Linsen
gotischen Spitz-,
en
8. Soptenrber:
eiweiß oder mit homologem Linseneiweiß vorbehandelt und reinjiziert
werden. ‚Bei den mit heterologem Linseneiweiß- vorbehandelten Meer-
schweinchen erfolgt bei der Reinjektion, sei es interperitoneal, sei es
intravenös, der typische Temperaturabfall, welcher für den anaphylaktischen
Shock charakteristisch ist. Werden dagegen Meerschweinchen mit Meer-
schweinchen-Linseneiweiß in derselben Weise vorbehandelt, so bleibt bei der
Reinjektion dieser. Tiere mittels Meerschweinchen-Linseneiweiß der Tem-
peraturabfall mit einer auffallenden Gesetzmäßigkeit aus. Dieser Unter-
schied war von Krusius in seinen Untersuchungen nicht erkannt worden.
Daraus ergibt sich, daß die Anschauung, nach der das Linseneiweiß als
ein dem Organismus. gewissermaßen fremdartiges Eiweiß bezeichnet wurde,
doch. nicht zutreffend ist. Es gilt eben auch für das Linseneiweib das
biologische Gesetz, daß der Organismus bei der Resorption des arteignen
oder körpereignen Riweißes über Regulationsvorrichtungen verfügt, welche
die Bildung autoanaphylaktischer Körper in Schranken hält. Nun war die
Möglichkeit gegeben, daß dieser Unterschied im Verhalten des Meerschwein-
chens bei Verwendung heterologer und homologer Linse nur ein quanti-
tativer ist. Denn in früheren Untersuchungen hat der Referent gefunden,
daß bei Vorbehandlung von Meerschweinchen mit Meerschweinchenserum
einzelne Tiere die Bildung anaphylaktischer Antikörper erkennen lassen.
Um nun auch die Bildung der Linseneiweiß-Antikörper, die eventuell
von Meerschweinchen nach Vorbehandlung mit homologem Linseneiweiß
gebildet waren, nachweisen zu können, haben Römer und Gebb jetzt
erneute Versuche darüber angestellt, ob bei derartig vorbehandelten Tieren
mittels der Friedbergschen Methode, nämlich der Reinjektion von
kleinen Mengen des Antigens an etwaigen Fieberbewegungen, die Bildung
dieser autoanaphylektischen Antikörper erkannt werden kann. Dabei hat
sich.aber gezeigt, daß die Verhältnisse beim Linseneiweiß etwas anders
liegen müssen, als beispielsweise beim Serumeiweiß. Denn der Schwellen-
wert, bei dem Fieberbewegungen eintreten, liegt beim Linseneiweiß
relativ hoch, sodaß gerade die kleinsten Dosen des Linseneiweißes bei
den vorbehandelten Tieren wirkungslos bleiben. Es ist daher bis jetzt
nicht möglich, mittels kleinster Dosen von Linseneiweiß die Bildung
der antianaphylaktischen Linseneiweiß-Antikörper mit Sicherheit zu
erkennen.
In der Diskussion besteht Krusius auf seiner Ansicht, daß für Meer-
schweinchen eine Anaphylaxie für homologes Linseneiweiß sicher vorhanden
sei. Nach seiner Meinung bestände Römer gegenüber durchaus kein prin-
zipieller, sondern nur ein relativer Unterschied aus dem Grunde, weil es
bisher keine gentigend feine Methode zum Beweis des Eintritts der Ana-
phylaxie gibt. Wenn Römer keine anaphylaktogene Wirkung erzielt
habe, so liege das an der Versuchsanordnung, da Römer das Eiweiß
intraperitoneal, nicht aber, wie Friedberger fordert, intravenös in-
jiziert habe, -
Im weiteren Verlauf der Diskussion wendet sich. Friedberger
zunächst gegen die Kritik, die Krusius an der Deutung der anaphylak-
tischen Fieberreaktion geübt hat. Die vermeintliche pyrogene Wirkung
der physiologischen Kochsalzlösung, in der das Eiweiß suspendiert ist,
spielt hier keine störende Rolle, denn es werden ja bei derartigen Fieber-
versuchen stets die gleichen Volumina von Kochsalzlösung einge-
spritzt und doch ganz verschiedene Temperaturbeeinflussungen, Fieber
oder Temperatursenkung erzielt, je nach der Menge des in der Kochsalz-
lösung enthaltenen Eiweißes. Was nun die Versuche über die Linsen-
anaphylaxie im Speziellen anlangt, so können nuch der Ansicht von F.
die des Römer unbedingt eine beweisende Kraft beauspruchen. Sie
sind mit einer durchaus objektiven und exakten Methodik angestellt.
Dagegen erscheint das Beweismaterial, auf Grund dessen Krusius seine
Schlüsse gezogen hat, doch zu sehr subjektiver Deutung unterworfen.
„Igelstellung, Eckenflucht, Räuspern“ usw. sind keine Symptome, denen
im Gefolge eines immerhin so schweren Eingriffs, wie ihn die intra-
kardiale Injektion darstellt, irgendeine Bedeutung zugesprochen . werden
kann. Gleichwohl können die Schlußfolgerungen, die Krusius
aus seinen Versuchen gezogen hat, in Analogie mit dem, was wir durch
andere Reaktionen über die serobiologische Sonderstellung der Linse
wissen, richtig sein; das wäre aber erst noch mit exakteren Methoden
zu beweisen. |
Hugo Wolf demonstriert ein neues Untersuchungsinstrument für
das menschliche Auge. W. hat einen Augenspiegel konstruiert, der
unter Ausschluß -jeder völligen Lichtreflexion, unter Beseitigung des
diffusen Lichtes eine 33 bis 68 fache Vergrößerung des Augenhinter-
grundes gibt. Gleichzeitig ist der Apparat für die W.sche fokale Be-
suchtung der Netzhaut eingerichtet und kann zur Diagnose kleiner, in
der Tiefe der Netzhaut sitzender Geschwillste benutzt werden. Auch
zum Nachweis feinster Glaskörpertrübung ist die fokale Beleuchtung
geeignet. | | C. Adam.
| andern Autoren publizierten Fälle.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —-Nr. 36. 1481
Physiologische Gesellschaft. 9, Sitzung vom 5. Juli.
(Offizieller Sitzungsbericht.)
' Arnt Kohlrausch: Die elektrischen Eigenschaften roter und
weißer Muskeln. Den Gedanken, daß bei den Muskeln mit gedehnter
Zuckung auch die elektrischen Erscheinungen sich langsamer abspielen
werden, hat schon 1887 Lee ausgesprochen und 1908 hat Babkin am
langsam zuckenden Hyoglossus und schnell zuckenden Sartorius vom
Frosch den zeitlichen Unterschied im Aktionsstromverlauf mit dem
Capillarelektrometer konstatieren können. |
Vortragender hat auf Veranlassung von Herrn Prof. Dr. Piper die
Aktionsströme roter und weißer Katzen- und Kaninchenmuskeln mit dem
Säitengalvanometer untersucht. Als weißer Muskel diente der Gastro-
cnemius, als roter der Soleus. Die Versuche wurden an mit Uretban
narkotisierten Tieren vorgenommen. Der Gastrocnemius wurde durch
Abpräpsrieren der Haut und der Fascie freigelegt und vom Ischiadicus
aus gereizt, der Soleus durch Loslösung des Gastroenemius am lateralen
Rande und von einem Ursprung zugänglich gemacht und von seinem
eigenen Nervenast aus gereizt. Die Nervenreizung erfolgte durch Oeff-
nungsinduktionsschlag und die Aktionsströme der Muskeln wurden zum
großen Einthovenschen Saitengalvanometer mittels unpolarisierbarer
Tonelektroden abgeleitet und mit dem CGremerschen Fallapparat photo-
graphisch registriert. Die Zeit wurde durch Registrierung von Stimm-
gabelschwingungen gemessen.
Zunächst wurde der Hauptwert auf den zeitlichen Ablauf der
Aktionsstromwellen gelegt und zu diesem Zwecke beide Elektroden unterhalb
des nervösen Aequators in gleichem Abstand angelegt; und Latenz, Wellen-
länge und Gipfelabstand der abgeleiteten doppelphasischen Aktionsstrom-
kurven verglichen. Die Latenz vom Reizeinbruch in den Galvanometer-
kreis bis zum Beginne der Kurve gemessen, ist beim Soleus und Gastro-
cnemius annähernd gleich, dagegen ist die Gesamtwellenlänge und der
Gipfelabstand der Kurven beim Soleus erheblich länger als beim Gastro-
cnemius. Das zeitliche Verhältnis von Wellenlänge (Dauer der Aktions-
ströme) und Gipfelabstand bei Soleus und Gastrocnemius ist etwa 4:3.
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, unter den Vorbehalten, die Piper für
diese Berechnung angibt, aus dem Gipfelabstande der Kurve und dem
Elektrodenabstande berechnet, ergibt für den Solens etwa 4 m/sek. und
für den Gastrocnemius etwa 6 m/sek. Ein Unterschied zwischen Katzen
und Kaninchen besteht nicht. | |
Ferner wurde untersucht, wie sich mit der Lokalisierung der Elek-
troden am Muskel der Aktionsstromverlauf ändert. Zu diesem Zwecke
wurden die Elektroden einmal beide unterhalb des nervösen Aequators,
dann beide oberhalb desselben, ohne sie zu vertauschen, angelegt und
schließlich eine oberhalb und eine unterhalb, und jedesmal die Aktions-
stromkurve registriert. Bei den ersten beiden Ableitungen erhält man
doppelphasische Aktionsstromkurven die entgegengesetzte Phasenrichtung
zeigen, bei der dritten Ableitungsart eine dreiphasische Stromkurve von
komplizierterem Verlauf. Zeichnet man nun durch Projektion der Platten
die beiden ersten Kurven so auf Millimeterpapier, daß die Nullinien beider
. Kursen auf gleicher Abszissenachse liegen und die Reizzacken auf der-
selben Ordinate, so erhält man durch Superposition einer Reihe von
Kurvenpunkten gleicher Ordinaten mithin gleicher Zeitwerte eine drei-
phasische Interforenzkurve, die sehr weitgehend mit der dritten, von
beiden Muskelenden abgeleiteten dreiphasischen Aktionsstromkurve über-
einstimmt. Durch diese Konstruktion und durch die Tatsache, daß alle
drei Kurven gleiche Dauer (Wellenlänge) haben, ist bewiesen, daß die
dritte dreiphasische Kurve durch Interferenz der ersten beiden zwei-
phasischen im Ableitungsstromkreis entsteht. Demnach ist der Ablauf
der Erregungswelle im Soleus und Gastrocnemius von Katzen und Ka-
ninchen der gleiche, wie nach den Untersuchungen von Hermann, von
Piper und von Hofmann im Froschgastrocnemius und in den mensch-
lichen Unterarmflexoren: Die Erregungswelle beginnt im Muskel am ner-
vösen Aequator, das heißt an der Grenze vom oberen und mittleren
Drittel und verläuft von da in entgegengesetzter Richtung nach den
beiden Muskelenden, wo sie erlischt. (Autoreferat.)
H. Piper: Der Verlauf der Druckschwankungen in den Hohl-
räumen des Herzens und in den großen 6iefüßen. (Erscheint unter
den Originalarbeiten dieser Wochenschrift.)
Urologische Gesellschaft. 2. Sitzung vom 4. Juni 1912.
Das Ehrenmitglied Herr I. Israel spricht über Operationen bei
Uretersteinen, deren seltene Publikation (etwa 170 Fälle bei Jeanbrau)
wohl zum großen Teil eine Folge von Fehldiagnosen ist; die einzig
' hilfebringende Radiographie des Harnleiters wird von den Aerzten noch
zu wenig zu Rate gezogen, die nur die Niere untersuchen lassen
Israel hat 58 Uretersteine operiert, mehr als ein Drittel aller von
Uretersteine sind meist herab-
ae ir EENE a a E 1 E E
1482 E | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8.- September.
gestiegene Nierensteine, die durch Apposition der Salze wachsen, oft zu
monströser Größe. Der Stein kann im lumbalen (20 %o), iliacalen (11%),
pelvinen (65°) und intramuralen (8,7°/o) (in der Blasenwand) Teil des
Harnleiters stecken bleiben; meist im pelvinen Teil, wo etwa ein Drittel
der Fälle palpabel sind, bei Frauen häufiger als bei Männern. Tuberkel-
knoten und Uretermuskelcontracturen des reizbaren Organs können
Steine vortäuschen. Es können auch Steine unter der Palpation ent-
schlüpfen (Jeanbraus vagabondierende Steine), besonders wenn viel
Flüssigkeit im centralen Teil des erweiterten Harnleiters ist. Dieses
Entschlüpfen der Steine kann auch bei der Sondierung des Ureters mit
weichen und harten Sonden passieren. Die klinische Diagnose ist diffizil,
einseitige Schmerzen (in einer Schamlippe, in einem Hoden), fixer, dauernder
Schmerz an einer Stelle des Ureters ala Ausdruck der Ureteritis geben
Hinweise, wenn die Blase sonst gesund ist, auf Steine. Da die Palpation
nur in relativ wenigen Fällen gelingt, bleibt das Röntgenbild; in 11%
der Fälle Israels hat aber auch dieses versagt. Beckenflecke, verkalkte
Lymphdrüsen, Kotsteine im Appendix können anderseits Uretersteine | `
vortäuschen. Hier kann nur künftig die stereoskopische Radiographie
Abhilfe bringen. Das Röntgenbild zeigt den Ort des Steins, sodaß der
Operateur heute direkt auf das Konkrement eingehen kann und nicht
wie früher erst die Niere und dann den Ureter absuchen und dadurch
die Operationsdauer beträchtlich erhöhen muß. Immer müssen beide
Nieren, beide Ureteren und die Blase röntgenographiert werden wegen
der Möglichkeit contralateraler Empfindungen und Doppelseitigkeit der
Steine. Seit der Radioskopie hat Israel in 33 Fällen keinen Todesfall,
früher in 14 Fällen ohne Radiographie zwei Todesfälle infolge wahrt
scheinlich durch die langdauernde Narkose verursachter Myokarditis.
Die Gefahren der Uretersteins bestehen in Stauung mit Infektion der
Harnwege, Pyelitis, eventuell akuter Pyelonephritis, Perforation des
Ureters und Infektion des umgebenden Bindegewebes. Anurie und Ver-
stopfung sind die Hauptgefahren, oft wird der Stein noch spontan aus-
gestoßen. Besteht die Anurie 48 Stunden, muß man eingreifen, ebenso
bei Doppelseitigkeit des Steinleidens, ferner bei Pyelonephritis. Bei ein-
fachem Stein ohne Anurie kann man abwarten, wenn der Stein nicht zu
groß erscheint, wenn schon mehrfach Steine abgegangen sind. Ist der |
; Ureteröffnung findet sich meist ein Gefäßkranz, der zur Auffindung der-
Stein groß, bleibt immer an derselben Stelle sitzen, ist fixer Schmerz
vorhanden, so. soll man operieren.
Man soll extraperitoneal operieren, nur im Notfall intraperitonealt }
' der männlichen Genitaltuberkulose. Benda hat nie einen tuberku-
lösen Nebenhodenherd gefunden, ohne daß gleichzeitig in Samenblase
Bei tiefliegenden Steinen ist die Naht schwierig, deshalb soll man, wenn
der Stein nicht zu fest sitzt, den Stein nach oben an eine bequemere
Stelle verschieben. Normalverfahren ist die Ureterotomie, manchmal
Emporschieben der Steine und Entfernen durch Nephrotomie, Pyelotomie,
hobe Ureterotomie, zumal wenn auch Steine in der Niere liegen und
dieselben in einer Operation entfernt werden sollen. Bei Pyelonephritis
muß die Niere ausgeschnitten werden; selbst bei Entfernung der Niere
dürfen Steine im Ureter nicht zurückgelassen werden, da Empyeme des
Ureters und Koliken entstehen; ist der Stein nicht entfernbar oder
Ureteritis vorhanden, so muß der Ureter excidiert werden. Auf Tabellen
werden die glänzenden Resultate Israels mit 4°), Mortalität erläutert.
Anwesenheit eines Steins.
' diese Mitteilungen erläutert und bewiesen.
“ Zu diesem Vortrags demonstrierte Herr Mosental an 40 Röntgen-
bilder zur Diagnose und Differentialdiagnose von Ureter und Nieren-
steinen. Herr Casper erörtert die Schwierigkeiten der Palpation und
fordert die Anwendung aller Untersuchungsmethoden, da jede einmal im
Stiche lassen kann. Herr R. Kutner hat den fixen Schmerz bei nahe
der Blase liegenden Steinen und deren Verstärkung bei Palpation nie
vermißt. Herr Mankiewicz empfiehlt die Palpation und Untersuchung
im warmen Bade. Herr Roth bemerkt, daß bei Anwesenheit von Steinen
im Ureter die Indigeariminausscheidung gestört ist. Herr Arthur
Fraenkel weist auf den Unterschied im Gefüge der Steine im Röntgen-
bilde hin und demonstriert an Platten diese Erscheinung. |
Herr I. Israel betont die Notwendigkeit langer Zeigefinger für
die Palpation der Steine und empfiehlt hier mäßige Trendelenburg-
sche Lage zur Hilfe bei der Untersuchung. Störung der Indigcarmin-
ausscheidung beweise Störung der Nierenfunktion, aber nichts für die
Herr A. Brentano spricht über zwei Fälle von rupturierten
Hydronephrosen. Der eine Patient hat in der Jugend viel Nierensteine
verloren; zehn Tage nach einem Fall entstand mit Schüttelfrost eine
cystische Geschwulst, deren Punktion eine trübe Flüssigkeit entleert;
' Incision, die zwei nebeneinanderliegende Höhlen nachweist; nach acht
Wochen noch Eiterung, schwierige Exstirpation, erst nach einem weiteren
Eingriff heilte die Fistel. Der zweite Patient hatte vor einiger Zeit
einen Fall auf die linke Seite getan, erst nach längerer Zeit entstand
auf der linken Nierenseite unter hohem Fieber eine mannskopfgroße Ge-
schwulst: eine große Höhle mit glatten Wandungen entleerte viel Sekret;
die Fistel entleerte viel Harn, es mußte von Koerte die Niere sekundär
entfernt werden; erst nach mehreren Nachoperationen konnte die Wunde
zur Heilung gebracht werden. Die Bildung solcher Cysten nach Rup-
turen von Hydronephrosen ist selten, die operative Heilung schwer, weil
man auch nach der Incision nicht bald klar sieht, was vorliegt.
Herr Fromme spricht unter Demonstration von Zeichnungen über
die kystoskopisch sichtbaren Blutgefäße der weiblichen Blase und
ihre didaktische Verwertung. Mit den lichtstarken Cystoskopen kann
man erkennen, daß die weiteren. Gefäße der Blase Venen sind. Um die
selben Hilfe leistet. |
Herr C. Benda macht Mitteilungen zur pathologischen Anatomie
und Prostata Tuberkulose vorhanden wer. Das Primäre erscheint ihm
' nach seiner Erfahrung die Erkrankung der Prostata und Samenblase, das
Sekundäre die Nebenhodenaffektion. Ob der Epithelweg oder der Lymph-
weg der Weg für die Verschleppung der Tuberkelbacillen ist, ist nicht
immer zu entscheiden. Bei frischen Prozessen scheint der Lymphweg
der häufigste in der Genitaltuberkulose zu sein und erst sekundär die
; Affektion nach den Epithelwegen durchzubrechen. An ausgezeichneten
Präparaten einer Schnittserie von Lotsch (Virchows A. 1912) werden
Mankiewicz.
Rundschau.
Redigiert von Dr, Erwin Franck, Berlin.
Reisehriefe.
Studienreise eines deutschen Chirurgen nach den
Vereinigten Staaten |
von
Dr. Liek, Danzig.
III.
Das operativ gewonnene Material wird wissenschaftlich
gründlich verwertet. Außer dem Pathologen Wilson sind sieben Patho-
Jogen tätig. Für den pathologischen Anatomen muß es eine helle
Freude sein, hier zu arbeiten. Vorbildlich organisiert erscheint weiterhin
die pathologisch-anatomische Untersuchung während der
Operation. Zwischen die vier gleichmäßig ausgestatteten Operations- |
messene Zeit sein Augenmerk immer und in erster Linie auf die prak-
' tische Chirurgie lenken. Trotzdem wird ihm jedoch auf Schritt und Tritt
auffallen, wie eifrig und erfolgreich drüben wissenschaftlich, besonders
; auch experimentell gearbeitet wird. Von großem Interesse war
mir in dieser Beziehung der Besuch des Instituts für experimentelle
; Chirurgie in Baltimore (John Hopkins-Universität), dessen Leiter
| der bekannte Cushing ist. Ueberall hört man auch den hohen Wert
' des Tierexperiments für die Entwicklung der Chirurgie hervorheben.
| Der anscheinend augenblickliche Stillstand der englichen Chirurgie z. B.
; wird mit auf die strengen Antivivisektionsgesetze dieses Landes, die das
` Tierexperiment nahezu unmöglich machen, zurückgeführt. Auch m
räume ist ein kleines pathologisch-anatomisches Laboratorium ein-
geschaltet. Bei jeder Operation ist ein Pathologe zugegen, der die frisch-
entnommenen Gewebstücke, z. B. Mammatumoren, Drüsen, Gallenblasen
entgegennimmt. In 50 Sekunden ist die Untersuchung erledigt und in
einer Minute hat der Operateur die mikroskopische Diagnose, um sein
weiteres Vorgehen danach einzurichten. Auch für die Fortbildung
der besuchenden Aerzte (zu meiner Zeit etwa 25) ist alles getan:
Vorträge der Mayos und ihrer Assistenten, regelmäßige Demonstrationen
von Präparaten, Röntgenbildern usw., tägliche Diskussionen im surgeons
club. Wenn man hört, daß die Mayos reine Autodidakten sind, niemals
eine klinische Ausbildung genossen und aus dem Nichts ihre welt-
berühmte Klinik geschaffen haben, so weiß man nicht, was man mehr
bewundern soll, ihre glänzende chirurgische Begabung oder ihr Organi-
sationstalent und ihre enorme Arbeitskraft. Bezeichnend und ehrend für
beide Teile, die Mayos und die übrigen Aerzte, ist jedenfalls, daß man,
so viel über sie gesprochen wird — denn auch für Amerika sind die
Mayos ein Wunder — niemals ein abfälliges Urteil hört. Ueberall heißt
es von ihnen „clever men“, und die amerikanischen Chirurgen sind stolz
darauf, solche Männer zu den ihren zu zählen. i
Ein Irrtum, dem man bei uns häufig genug begegnet, ist die
. Annahme, es würde drüben vielleicht gute praktische Chirurgie
. getrieben, aber wenig wissenschaftlich gearbeitet. Dieser Irr-
, tum ist dadurch zu erklären, daß wir nicht genügend die amerikanische
Literatur verfolgen. |
Der besuchende Chirurg wird mit Rücksicht auf die knapp be-
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8, September.
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Amerika besteht eine starke Bewegung gegen die Vivisektion, bisher
haben jedoch die Aerzte noch das Feld behaupten können. Nicht un-
erwähnt lassen möchte ich, daß das Institut in Baltimore auch Tiere
zur Operation überwiesen bekommt; so bei meinem Besuch einen
Terrier mit einem Carcinom der Mamma. sa
Eine Glanzstätte medizinischer Forschung in Amerika ist Zurzeit
das Rockefeller-Institut in New York, dessen Besuch ich jedem
dringend empfehlen möchte. Wie alle derartigen Institute drüben ver-
dankt es seine Entstehung und Unterhaltung der Freigebigkeit eines
reichen Mannes. Rockefeller hat bisher 32 Millionen Mark für das
Institut gespendet, der jährliche Etat beträgt zirka 1 Million Mark. Ein
enormer monumentaler Bau, liegt es wundervoll auf einem Hügel am
Rast-River mit weiter Feernsicht über den Fluß, seine Inseln und das
jenseitige Brooklyn. Es enthält aufs beste ausgestattete Laboratorien
aller Art: physikalische, chemische, physiologische, bakteriologische, für
experimentelle Chirurgie, Krebsforschung, wissenschaftliche Photographie
und Reproduktion, Bibliothek usw. usw. Im Dachgeschoß finden sich
sseptische Operationsräume und Tierställe.e Ein besonderes Haus be-
herbergt zirka 80 Affen. Neben dem Institut ist seit drei Jahren ein
orstklassiges Hospital in neun Etagen erbaut (was sagt unsere könig-
lich preußische Bauordnung dazu?) auf das beste eingerichtet (ausgedehnte
Laboratorien, musterhafte ‘Einrichtungen für Röntgen, Elektrodiagraphie
ısw.), das Platz für 70 Patienten bietet. Die Aufnahme erfolgt aus-
nahmslos gratis, auch für wohlhabende Leute. Es sollen hier experi-
mentell gesicherte Methoden ihre erste Probe am kranken Menschen be-
tehen, Zurzeit arbeiten zirka 80 Aerzte (darunter Flexner, Mether,
\ozuchi) am Institut. Sie dürfen weder Praxis ausüben noch Vor-
nn halten und können so ihre Zeit ausschließlich der Forschung
idmen.
Für den Chiryrgen ist der interessanteste Mann am Rockefeller-
institut Carrel, bekannt durch die von ihm inaugurierte Technik der
tefäßnaht und seine glänzenden Erfolge auf dem Gebiete der Gefäß- und
rgantransplantation. | |
‚ Carrel zeigte mir in liebenswürdigster Weise außer einer Ope-
ation an der Aorta Thoracine eines Hundes seine hochinteressanten
räparate von erfolgreich transplantierten Gefäßen und Organen, die
ns zum Teil bereits durch seine Arbeiten bekannt sind. Zurzeit be-
chäftigt er sich hauptsächlich mit der Kultivierung lebenden Gewebes
ußerhalb des Körpers. Carrel demonstrierte mir eine große Reihe
ochinteressanter Kulturen, so z.B. das Herz eines vierzehntägigen
lühnerembryos, das seit sechs Tagen auf künstlichem Nähr-
oden lebte. . Man sah unter dem Mikroskop das Herz wundervoll pul-
eren, sah die vom Perikard in die Umgebung wuchernden Fibro-
lasten usw. Ein näheres Eingehen auf die zahlreichen wichtigen Ergeb-
isse dieser Methode muß ich mir versagen, zumal Carrel seine Befunde
or emem Jahr in Berlin demonstriert und weitere in einer Anzahl
outsch geschriebener Arbeiten bekanntgegeben hat. |
‚Zum Schluß noch einige Worte über den Bildungsgang des
merikanischen Kollegen. Die Studienzeit umfaßt drüben vier Jahre,
ie meisten Aerzte gehen dann aber nicht in die Praxis, sondern werden
ir kürzere oder längere Zeit Hospitalassistenten oder setzen ihre Studien
| Europa -fort.: Den Operationsunterricht am lebenden Tier erwähnte ich
hon, er ist von Cushin g vor sechs Jahren zuerst eingeführt. Der
äteren Fortbildung dienen zahlreiche gut ausgestattete Postgraduate-
chools (nach Art unserer Akademien). Die Universitäten — es gibt
ren etwa 150 — sind wie die meisten Hospitäler private Institutionen
ad keineswegs alle gleichwertig. Neben den erstklassigen, gut aus-
statteten Universitäten, die den unserigen ebenbürtig erscheinen, gibt
| auch . eine Reihe von minderwertigen, die trotz staatlicher Lizenz
äuberuniversitäten sind. Doch sind deren Tage gezählt. Die American
edical Association, die 43 000 Mitglieder umfaßt, hat energisch den
ampf gegen diese Pseudouniversitäten aufgenommen, mit dem Erfolge,
5 eine ganze Reihe bereits ihre Pforten schließen mußte.
Genau wie wir empfinden die Amerikaner derartige Zustände als
hmachvoll und arbeiten energisch an ihrer Beseitigung. Im allgemeinen
nd die Standessitten drüben weit strenger als bei uns. Annoncen
1d Schilder von der Größe und dem reichen Inhalt, wie wir sie all-
glich bei uns sehen, wären drüben ganz undenkbar. Ein kleines
hildchen, vielfach zwischen den Doppelfenstern stehend, ver-
Sa einfach den Namen des Arztes, ohne einen andern Titel als
T..med,“, Selbst die Angabe der Spezialität ist verpönt. Speeifisch
terikanisch ‚sind die Office houses, in denen viele, 150, ja 300 Aerzte
i Chicago) ihre Sprechzimmer haben. Meist handelt es sich um Spezia-
Won, deren Privatwohnung weit draußen im Freien liegt. |
‚Neben den mannigfachen ärztlichen Eindrücken und Anregungen,
® einen Besuch der Vereinigten Staaten lohnend gestalten,- wird jeder
u Reisende drüben. vieles sehen, was: anders ist als bei uns,
“68 wird ihm aber auch mißfallen.: Ich denke dabei an den Schmutz
1912 — MEDIZINIS(
HE KLINIK. — Nr. 36. | 1483
der meisten Städte,: an- die einem preußisch-deutschen Auge geradezu
unfaßbaren Zustände der Provinzbahnhöfe, an die Unpünktlichkeit der
Eisenbahnen, an die Zeitungen, den Merkantilismus, der alles, aber auch
alles in Geld auszudrücken vermag, und manches andere. Vieles können
wir aber auch nebenher von den Amerikanern lernen: das
schlichte Auftreten ihrer großen Männer, den Mangel. an Vorurteilen, ihre
Begeisterung für Leibesübungen jeder Art, ihre Körperkultur, nicht zu-
letzt ihre alkoholfreie Gastlichkeit. Am höchsten einschätzen möchte ich
aber die hohe Achtung vor jeder Arbeit, die Bewertung des Menschen
ausschließlich nach seiner Leistung. Daraus erklärt sich auch die geringe
Wertschätzung aller Titel und Orden. Die allgemeine Anrede zwischen
allen Aerzten bleibt einfach „Doktor“! f
= Wenn ich zum Schluß überblicke, wieviel Neues und Wertvolles
ich drüben in kurzer Zeit gesehen habe, wieviel Anregung und Ansporn
zur Arbeit das lebendige Beispiel von amerikanischen Meistern unseres
Faches gibt, so kann ich dem gleich. mir in der Praxis stehenden Chirurgen
zu einer Reise nach den Vereinigten Staaten nur zureden, Jeder be-
schäftigte Arzt muB bekanntlich einmal gründlich ausspannen; er wird
sicher Freude und Befriedigung darin finden, anstatt der Alpen oder der
Riviera sich einmal die Leute drüben etwas anzusehen. Sechs bis acht
Wochen reichen zu einer Orientierung gut aus. Die Kosten sind auch
keineswegs so hoch, wie oft vermutet wird, und jedenfalls gut angelegt.
Ich glaube, man kann mit gutem Grunde diese Empfehlung dahin
erweitern, daß wir künftig überhaupt noch mehr Wert auf die
Studienreise als wichtigen Faktor der Fortbildung legen
müssen, die weder eifrigstes Studium der Literatur noch der Besuch der
großen europäischen Kongresse zu ersetzen vermag. Ich verstehe dar-
unter, daß der Einzelne, nicht gebunden an eine große Gesellschaft und
in seiner Zeit nicht beschnitten durch die zeitraubenden, überhandnehmon-
den Begrüßungen, Ansprachen, offiziellen Gastmähler usw. gründlich und
objektiv das ihn Interessierende studieren soll. Die Beherrschung der
Sprache des Landes bleibt natürlich dabei Voraussetzung.
Aerztliche Tagesfragen.
Der 6. Internationale Kongreß für Geburtshilfe und Gynäkologie
in Berlin vom 9. bis 13. September 1912.
Der 6. Internationale Kongreß für Geburtshilfe und Gynäkologie
wird vom 9. bis 13. September 1912 in Berlin in den Räumen des
Herrenhauses tagen. Es entspricht der Bedeutung dieses periodisch alle
vier Jahre abgehaltenen Kongresses, daß amtliche Feiern und festliche
Darbietungen die Einführung und den Rahmen für die wissenschaftlichen
Tagungen geben. Die Kaiserin hat das Protektorat übernommen und die
feierliche Eröffnungssitzung am 9. September ist den Ansprachen der
Regierungsvertreter und der einheimischen und auswärtigen Delegierten
gewidmet. Der Magistrat der Stadt Berlin wird die Kongreßmitglieder
am Abend des dritten Sitzungstages im Rathause begrüßen und die offi-
ziellen Vorstellungen und Empfänge durch die Kaiserin, durch die
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie, durch den Präsidenten des Kon-
gresses, Geheimrat Bumm an den verschiedenen Abenden sind der Aus-
druck für die hohe Schätzung, mit der diese internationale Versammlung
in der Reichshauptstadt aufgenommen wird.
Innerhalb dieses festlichen Rahmens aber wird wertvolle
wissenschaftliche Arbeit geleistet werden. Ist doch dieser Gynä-
kologenkongreß der Ausdruck für das völkerverbindende Wesen der
Wissenschaft, ein Gedanke, der in der Berliner Tagung in eine sehr
zweckmäßige Form umgesetzt wird. Gewiß! Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß der wissenschaftliche Austausch innerhalb der Kulturvölker,
dessen Bedeutung jede Seite in der Geschichte der Wissenschaft uns
lehrt, zum größten Teil getragen wird durch die Entwicklung unseres
modernen, fachwissenschaftlichen Zeitungswesens. Darüber
hinaus ist es ja heutzutage auch die Tagespresse, welche freilich oft in unzu-
länglicher und leider auch nicht selten in einseitig sensationeller Weise
die Vermittlung und Verbreitung neugeschaffener wissenschaftlicher
Kulturwerte übernommen hat. Aber diese journalistischen Mitteilungen
können allein dem Zwecke der Belehrung nicht genügen! Die natur-
wissenschaftliche Medizin ist eine auf Anschauungen sich aufbauende
Erfahrungswissenschaft! Ihre Entwicklung nach der sozialen Seite hin,
die in den staatlichen und städtischen Anlagen für Kliniken, Kranken-
häuser, Laboratorien ihren Ausdruek findet, läßt sich nur durch eigne
persönliche Betrachtung an Ort und Stelle fassen und übersehen!
Je mehr sich ein Zweig der Medizin durch Entwicklung seiner
technischen Mittel als Sonderwissenschaft ausbaut, um so fester begründet
sich die Notwendigkeit für den Arzt, mit den eigenen Augen zu sehen
und zu vergleichen. Man hat aus dieser Tatsache die richtige Folgerung
durch die Einrichtung der internationalen fachwissenschaftlichen Kongresse
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1484
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 36.
8. September,
nationalen Kongresses! |
Berlin bietet reiche Gelegenheit, die Entwicklung und den Stand
deutscher Gynäkologie in seinen Universitätskliniken, in der großen
Abteilung des Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhauses,
in den wissenschaftlichen Laboratorien, in, den zahlreichen muster-
gültigen Privatkliniken kennen zu lernen. So bildet denn eine besondere
Aufgabe der Kongreßteilnehmer in den Morgenstunden von 7 bis 9 Uhr
die Teilnahme an den Operationen in den einzelnen gynäkologischen
Kliniken, und an den Experimenten in den wissenschaftlichen Laboratorien.
Berlin als Kongreßstadt darf wohl den Anspruch darauf machen, den
fremden Arzt anzuregen und ihm vielseitige und lehrreiche Vergleiche
mit den heimischen Zuständen zu ermöglichen. Als’ besonderes Verdienst
der Kongreßleitung hebe ich die Vereinheitlichung und Zusammenfassung
der wissenschaftlichen Arbeit in bestimmten Themen hervor. So wird
als erstes Thema des Kongresses die „peritoneale Wundbehand-
lung“ von verschiedenen ausländischen Referenten besprochen und in
breiter Diskussion behandelt werden. Der zweite Sitzungstäg bringt am
Nachmittag das zweite Thema des Kongresses zur Besprechung: „Die
chirurgische Behandlung der Uterusblutungen in' der Gravi-
dität, in der Geburt und im Wochenbött“, über die als Referent
und Korreferent Couvelaire (Paris) und Jung (Göttingen) berichten
werden. | E i
‘Der dritte und vierte Sitzungstag wird durch einzelne. Vorträge
und Demonstrationen ausgefüllt.’ Eine anatomisch-wissenschaftliche Aus-
stellung ist unter besonderer Beteiligung der Berliner. Frauenärzte zu-
sammengestellt worden, > _ .- . z o |
Es ist naturgemäß, daß die ausländischen Kongreßbesucher durch
das, was in Berlin auf wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiete,
gezogen. Und hierin liegt auch die "Bedeutung des jetzt tagenden inter-
‚außerhalb ihres Sonderfachs, geboten wird, beschäftigt werden. Auf der
andern Seite aber hat die Kongreßleitung ein Gegengewicht und ein zu-
sammenfassendes Band darin ‚gesucht und gefunden, daß die Teilnahme
an den Operationen, an den Experimenten, an den Krankenbesichtigungen
in trefllicher und weitgehender Weise organisiert und der Arbeitsplan
durch die Aufstellung der beiden Referat-Themen straffer zusammen-
gefaßt wurde. E |
Ich möchte den Wunsch hinzufügen, daß diese internationalen
Kongresse den Boden abgeben mögen für einen mehr. systematischen
Ausbau des internationalen wissenschaftlichen Austausches. Um nur eines
hervorzuheben, so halte ich es für geboten, daß nach dem Vorbilde
amerikanischer 'Gesellschaften unsre zahlreichen fachwissenschaft-
lichen Sondergesellschaften, mehr als das bisher in Deutschland ge-
schieht, Auslandsreisen ihrer Mitglieder zu Studienzwecken
nach wissenschaftlichen Metropolen organisieren mögen. Ich :
erinnere an den Besuch, den kürzlich die Amerikanische Gynäkologen-
gesellschaft sowie die Englische Hygienische Gesellschaft in Berlin abge-
stattet haben. Ich halte diesen Gedanken, der bisher, soviel ich sehe, nur von
amerikanischer Seite her systematisch und praktisch durchgeführt worden
ist, für nachahmenswert und betrachte ibn als eine wertvolle Ergänzung
der internationalen fachwissenschaftlichen Kongresse, eine Ergänzung, zu
der die Entwicklung der Medizin zu drängen scheint. ` ` K. Bg.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten . Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Der 6. Internationale Kongreß für geburtshilf-
liche Gynäkologie, welcher am 9. September hierselbst eröffnet wird,
hat für den 10. September eine Aussprache über das wichtige Thema:
„Die peritoneale Wundbehandlung“ vorgesehen, für. die. bereits
14 Vorträge in Aussicht genommen sind. Muß es doch als das wesent-
liche Ergebnis der letzten 20 Jahre angesehen werdeü, daß die operative
Gynäkologie dank dem unermüdlichen Bemühen ausgezeichneter Gynä-
kologen soweit vervollkommnet wurde, um nunmehr in gewisser Weise als
abgeschlossen gelten zu können. Dem medizinischen Historiker werden
dabei die Arbeiten von Freund und Wertheim betreffend die radi-
kale Entfernung des carcinomatösen. Uterus. und seiner Adnexe immer
besonders wertvoll erscheinen. Ihre Ergänzung bildet das soeben in
dritter Auflage erschienene erschöpfende Lehrbuch der operativen Gynä-
kologie von Doederlein und Kroenig. Nicht geringere Bedeutung
gewann für unsere engere Heimat weiterhin die von Bumm in Gestalt
vielfältiger praktischer Arbeiten und Neuerungen gepflegte operative
Technik, deren weitere Ausgestaltung durch eine große Zahl hervor-
ragender Schüler — von ihnen sei nur Franz genannt — für uns ge-
sichert erscheint. — . Fr. .
Breslau. Dr. Max Görke, leitender Arzt der Ohrenpoliklinik am
Allerheiligenhospital, erhielt den erstmalig vergebenen: Gozzolino-Preis für
seine aus dem Breslauer Allerheiligenhospital ‚hervorgegangene Arbeit
„Die Labyrinthentzündung“ vom Internationalen Otologenkongreß in
Boston zuerkannt. —
München. Zum Direktor des Ersten städtischen Kranken-
hauses in München und als Nachfolger des verstorbenen Geheimrats
Dr. v. Bauer ist der bisherige Oberarzt der zweiten medizinischen Ab-
teilung Geh. Hofrat und Universitätsprofessor. Dr. Friedrich v. Müller
ernannt worden. Er hat seinerzeit an der zweiten medizinischen Klinik
als Assistent in Berlin und gleichzeitig als Privatdozent dort gewirkt
und ist später Professor in Bonn, Breslau und Direktor der medizinischen
Kliniken in Marburg und Basel gewesen. :Zu seinem Nachfolger als
Oberarzt der zweiten medizinischen Abteilung ist der auf Joseph
v. Bauers Lehrstuhl für innere Medizin berufene. Prof. Dr. Ernst
v. Romberg, bisher in Tübingen, ernannt worden. j |
New-York. Das Hebammenwesen liegt hier sehr im’ argon.
Es gibt keine staatlichen Hebammenschulen. Viele Frauen nennen sich
Hebammen, ohne mehr Erfahrung zu haben, als ihre eignen Geburten
ihnen verschafft haben. Fast ein Viertel aller Geburtsfrauen stammt aus
Oesterreich, was wohl auf die daselbst herrschende Ueberproduktion an
Hebammen zurückzuführen ist. Sie gelten im allgemeinen als Elite des
Hebammenkorps; viele von ihnen sind aber wegen kriminellen Abortus
aus dem Mutterlande flüchtig geworden und üben hier das gleiche Ge-
werbe aus. Nun ist das lokale Gesundheitsamt daran gegangen, eine
Hebammenschule ins Leben zu rufen. Da von den Schülerinnen eine ge-
wisse Vorbildung verlangt wird, dürfte die neue Schule zumindest be-
wirken, daß der bisher 7 °/o betragende Anteil der Analphabeten in. diesem
Stande geringer wird. a i Ba T
Ueber die „Röntgen-Tiefentherapiein ihren theoretischen
Grundlagen, ihrer praktischen Anwendung und ihren klini-
schen Erfolgen an der Freiburger Universitäts-Frauenklinik“
berichtet ein neues Werk des Priv.-Doz. Dr. C. J. Gaug und Dr.
H. Lembcke, beide Assistenten an dieser Klinik. Der Direktor, Ge-
heimrat Krönig, leitet den stattlichen, mit zahlreichen wertvollen Ab-
bildungen und: Kurven versehenen Band mit einem Vorwort ein. Es
wird hier, der Bedeutung entsprechend, welche die Röntgenbehandlung
gerade 'in der Gynäkologie einnimmt, zum erstenmal in geschlossener
Form alles zusammengetragen, was auf diesem so wichtigen Gebiet an.
Erfahrung gesammelt ist, und zwar in einem Institut, das nach dieser
besonderen Richtung hin, wie auch aus dem Inhalte des’ Werkes hervor-
geht, mit: überraschenden, sicheren und auch dauernden Erfolgen bahn-
brechend gewirkt hat. Der Band bringt neben einer eingehenden Dar-
legung der einschlägigen experimentellen Arbeiten. in : der : Freiburger
Universitäts-Frauenklinik eine große Anzahl sehr interessanter Kranken-
geschichten. An ihrer Hand wird der, für die Zukunft noch reichste
Ausblicke gewährende strahlentherapeutische Weg auf gynäkologischem
Gebiet in bemerkenswerter Weise dargetan. Das Buch erscheint im Ver-
lage von Urban & Schwarzenberg in Berlin und Wien, und zwar zugleich
als erster Sonderband der Zeitschrift „Strahlentherapie“. -
~ — Hochschulnachrichten. Berlin: Prof. Dr. Franz {Gynäko-
logie) zum Geh. Medizinalrat ernannt. — Prof. a..o..Dr. Joachimsthal
erhielt gemäß dem Königlichen Erlaß vom 30. Mai 1910 betreffend die
Stellung der außerordentlichen Professoren, für Angelegenheiten dəs von
ihm vertretenen Faches der orthopädischen Chirurgie Sitz und be-
schließende Stimme in der medizinischen Fakultät der Berliner Uni-
versitätt. — Bonn: Dr. Hellmuth Hutt, Assistent am Hygienischen
Institut, zum Kreisassistenzarzt in Zell a. Mosel. — Breslau: A
Privatdozenten haben sich niedergelassen Dr. Karli Fritsche (Chir-
urgie), Dr. Hermann Küster (Gynäkologie), Dr. Richard Stumpf .
Paul Hoeinrichsdorf (Allgemeine
(Allgemeine Pathologie), Dr.
Pathologie), Dr. Karl Prausnitz (Hygiene), Prof. Dr. Walter Bruck
und Dr. Erich Feiler (Zahnheilkunde). — Dresden: Dr. Ludwig
Lange, Erster Bakteriologe der Kgl. sächs. Centralstelle, zum Re-
gierungsrat des Kaiserlichen Gesundheitsamts. — Wien: Dr. Wilhelm
Knöpfelmacher (Kinderheilkunde), Dr. Julius Bartel (pathologische
Anatomie) und Dr. Franz Hamburger, Priv.-Doz. (Kinderheilkunde),
zum Prof. a. o. — Prof. H. Albrecht (pathologische Anatomie) nahm einen
Ruf nach Graz an. —: Dr. Franz Hamburger (Kinderheilkunde). zum
a o. Prof. — Zürich: Sekundärarzt Dr. Hans W. Maier zum Privat-
Dozenten — Dorpat: Priv.-Doz. Schukowsky (Kinderheilkunde) zum
rofessor.
Von Aerzten und Patienten.
. „Die moderne Gynäkologie wächst sich immer mehr und mehr, be-
absichtigt und unbeabsichtigt, bewußt und unbewußt, zur Abdominal-
chirurgie des Weibes.aus. Die Grenze der Beschränkung allein auf die
weiblichen Genitalien ist längst überschritten. Von den Jasenscheiden-
fisteln gelangten die Gynäkologen zu den Blasenleiden, von der Blase
zum Ureter, vom Ureter zur Niere und zur gesamten Urologie! Daß
der Gynäkologe, der eine Ureterfistel machte, sie auch selbst heilen
wollte, war selbstverständlich. Nicht viel anders wird es mit den Darm-
leiden gehen. Daß bei schwankender Diagnose und diagnostischen Irr-
tümern der Gynäkologe gezwungen ist, Darmtumoren, Gallenblasentumorėn,
den kranken Appendix, ja vielleicht auch bei Ovarialcarcinom sogar den
Magen in den Bereich seiner Operationstätigkeit zu ziehen, wird sich
fernerhin kaum umgehen lassen. Damit hat sich dann die nen
liche Abdominalchirurgie als etwas Selbständiges un
Logisches aus der Gynäkologie entwickelt.“
Ausspruch des Gynäkologen Heinrich Fritsch, wiedergegeben nach
Doederlein-Krönig, Operative Gynäkologie, Vorwort zur 3. Auflage,
Re re rn ENT
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8:
Nr. 87 (406). . 15. September 1912. VIII. Jahrgang.
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
rodigiert von ~ Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: R. Schmidt, Zur Klinik der Gelenkerkrankungen. v. Franqu6, Ueber seltenere Ursachen von Schwangerschafts-
blutungen. (Mit 6 Abbildungen.) (Schluß) P. Uhlenhuth, Untersuchungen über Immunität und Chemotherapie bei experimentell erzeugten
Ratten- und Mäusetumoren. Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten. Anworten von H. Kümmell-Hamburg, v. Herff-
Basel, Wyder-Zürich, Menge-Heidelberg, E Bumm-Berlin, H. v. Haberer-Innsbruck, B, Bardenhouer-Köln a. R., Kocher-Born, ©. Ewald-
Wien, L. Rehn- Frankfurt a. M. J. Meinertz, Magen- und Darmblutungen als ungewöhnlicheres Symptom innerer Krankheiten. W.Falta, A.Kriser
und L.Zehner, Ueber Behandlung von Lymphdrüsentumoren mit Thorium X. R.Kienböck, Ein Fall von Arthropathie des Schultergelenks durch Syringo-
myelie bei einem Arzte. (Mit einer Tafel.) C. Heß, Ueber Lichtsinn und Farbensinn in der Tierreihe. — Aus der Praxis für die Praxis: A. Linck,
Otiatrie. — Referate: H. Gerhartz, Die Fortschritte in der Diagnostik und Therapie der Tuberkulose der letzten fünf Jahre. Ed. Stadler,
Arbeiten über Rassen- und Gesellschaftsbiologie. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Scharlachfragen in England. Diphtherie-
sorum. Beziehung des Alkohols zur Immunität. Bedeutung des Bacterium coli und seiner Toxine für die menschliche Pathologie. Postoperative -
Cystitis. Urticaria. Behandlung der Naevi mit Kohlensäureschnee. Therapie der Syphilis. — Neuerschienene pharmazeutische Präparate:
Hexal, ein sedatives Blasenantiseptikum. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Schallplessimeter. — Bücherbesprechungen: C. Celsus,
Ueber die Grundfragen der Medizin. W. Strohmayer, Psychiatrisch-genealogische Untersuchung der Abstammung König Ludwigs II. und Otto I.
von Bayern. A. Strümpell, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten. N. Ortner, Vorlesungen über spezielle
Therapie -innerer Krankheiten für Aerzte und Studierende. K. Mendel und E. Tobias, Die Tabes der Frauen. O. Naegeli, Blutkrankheiten und
Blutdiagnostik. E. Ruediger, Kompendium der Röntgendiagnostik für Studierende und praktische Aerzte. R. Kobert, Kompendium der prak-
tischen Toxikologie zum Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinalbeamte. — Aorztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungs-
wesens: Wildt, Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer 2\s Monate zurückliegenden Kopfverletzung. (Fortsetzung.) — Vereins-
und Auswärtige Berichte: Frankfurt a. M. Halle a. S. München. Berlin. — Geschichte der Medizin: Dr. Johann Goercke (1750—1822)
und die Begründung des Preußischen Sanitätswesens. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Kurpfuscher-
tum und Reichsgericht. — Varia: Mein Papierkorb! — Aerztliche Tagesfragen: Die 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte, in
| Münster i. W. 15. bis 21. September 1912. — Kleine Mitteilungen, — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Innsbruck
(Direktor: Prof. Dr. R. Schmidt).
Zur Klinik der Gelenkerkrankungen‘)
von
Prof. Dr. Rudolf Schmidt.
M. H.! Sie werden die Ueberzeugung gewonnen haben,
daß in der scheinbaren Monotonie der Gelenkerkrankungen
mit ihren immer wiederkehrenden anatomischen Attributen
der Schwellung, Schmerzhaftigkeit, Contracturierung usw. in
Wirklichkeit eine unerschöpfliche Fülle von in weiter Ferne
grenzenden Perspektiven gegeben ist, die mehr minder den
Gesamtorganismus in seinen verschiedensten Systemen in
Sich schließen.
, 80 spielten bei dem am 3. Juli d. J. vorgestellten 25jäh-
rigen Kranken im diagnostischen Kalkül unter anderm eine
Erkrankung des Auges und Symptome von Seite des uro-
poetischen Systems eine wichtige Rolle.
W. J., 25 Jahre. Mai 1904 erster Anfall einer hochfieberbaften
Polyarthritis von sechswöchiger Dauer; der Reihe nach die meisten Ge-
lenke befallen. Januar 1911 fieberhafte, schmerzhafte Schwellung nur
in beiden Kniegelenken von sechswöchiger Dauer.
Jetzige Erkrankung seit 18. Juni d. J.: Fieberhafte, sehr schmerz-
hafte Schwellung des linken Knies, später auch des rechten, weiterhin
schmerzhafte Schwellung der Phalangealgelenke des rechten fünften
D gərs, Schmerzen im rechten Handgelenke, schmerzhafte Schwellung am
porsum des linken Fußes. Harnmenge über 2 1 (trotz Status febrilis).
lazoreaktion negativ. Blut: 8800 Leukocyten.
‚, „Bei etwas flüchtiger Beurteilung des Falles hätte man
Sich leicht zur Annahme verleiten lassen können, es handle
Sich um die dritte Attacke einer vulgären, akuten P oly-
arthritis. Auffallend war jedoch, daß keinem Anfalle, wie
68 sonst fast zur Regel gehört, eine Angina vorausging;
Be u
') Nach im Sommersemester 1912 gehaltenen Vorlesungen.
auffallend war das Fehlen sauer riechender Schweiße. Von
ganz besonderem Interesse war uns aber die Angabe des
Kranken, daß am 7. Juni, also sechs Tage vor Einsetzen
des jetzigen Anfalls, unter heftigen Schmerzen sich das linke
Auge entzündet hatte. Ophthalmologischer Befund am 3. Juli
(Klinik Prof. Bernheimer): Iridocyelitis mit Seclusio der
Pupille. |
Von Interesse war uns auch die Neigung zu Polyurie
trotz ziemlich stark erhöhter Körpertemperatur. Sediment:
reichlich Leukocyten und Urethralepithelien, reichlichst
typische Gonokokken! |
Und nun ergab auch die Anamnese, daß schon dem
ersten Anfall im Mai 1904 eine Gonorrhöe, drei Wochen
zurückdatierend, vorausgegangen war. Es handelte sich so-
mit offenbar um einen Gonokokkenträger; von den Depots
aus (Prostata?) war es zu wiederholten Attacken einer speci-
fischen Polyartbritis gekommen und hatte sich beim letzten
Anfall eine Metastase auch im linken Auge etabliert.
Aetiologisch scheint der Krankheitsfall bei genauer
Analyse seiner Entwicklung und seiner Symptomatologie klar
und durchsichtig.
Gerade auf dem Gebiete der Gelenkerkrankungen
sollen Sie sich aber, m. H., stets vor Augen halten, daß
im Bereiche des pathologischen Geschehens es sich fast
nie um diese oder jene isolierte Ursache handelt, sondern
fast stets Ursachenkomplexe vorliegen, deren Komponenten
allerdings in ihrer Wertigkeit sehr differieren. Und so könnten
wir, bezugnehmend auf den eben skizzierten Krankheitsfall,
unter Berücksichtigung der Polyarthritis, die ja eine Aus-
nahme darstellt von der gewöhnlichen mono- oder oligo-
artikulären Manifestation der Gonorrhöe, uns die Frage vor-
legen, ob hier nicht Interferenzwirkungen vorliegen
zwischen einem vulgären, akuten Gelenkrheumatismus und
einer gonorrhoischen Allgemeininfektion. |
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ee) Dt re s à =
En
1486
Aus den schon früher angeführten mehrfachen Gründen, '
besonders unter Berücksichtigung des konstanten Fehlens
einer Angina, möchte ich diese Möglichkeit für unsern Fall
verneinen.
Das Vorkommen von „Deckungen“ einer Polyarthritis
acuta vulgaris durch Gonorrhöe halte ich aber auf Grund
eigner Beobachtungen für ganz gesichert.
So entsinne ich mich unter anderm eines jungen Mannes, der De-
zember vorigen Jahres meine Sprechstunde aufsuchte. Er hatte zwei
Anfälle von akutem Gelenkrheumatismus überstanden, beidemsl im An-
schluß an eine Angina. Der erste Anfall hatte sich typisch ohne Hinter-
lassung von Folgeerscheinungen zurückgebildet; beim zweiten Anfalle
war eine Steifigkeit im linken Schultergelenke zurückgeblieben. Während
dieses Anfalls bestand gleichzeitig eine Gonorrhöde.
In dieser Hinsicht scheint mir auch nicht uninteressant
eine Beobachtung, die sich mir schon seit Jahren aufgedrängt
hat und die sich dahin resümieren läßt, daß in der „Hoch-
saison“ für den vulgären, akuten Gelenkrheumatismus, die
ja zweifellos von äußeren meteorologischen Einflüssen ab-
hängt, nicht selten auch die Fälle von gonorrhoischer Ar-
thritis sich auffallend häufen, wobei zu berücksichtigen wäre,
daß für die Infektion mit Gonorrhöe Witterungseinflüsse
‚wohl kaum eine Rolle spielen.
Sie werden also gut tun, m. H., auch in Fällen, wo alles
dafür spricht, daß es sich um eine vulgäre Polyarthritis
acuta handelt, die Eventualität einer begleitenden Gonorrhöe
nicht außer acht zu lassen; sie kann die Prognose der Er-
krankung wesentlich trüben.
Eigenartig berührt der Umstand, daß bei der enormen
Häufigkeit der Gonorrhöe arthritische Formen derselben doch
verhältnismäßig selten zur Beobachtung gelangen. Ich glaube,
daß dieser Umstand sich ohne Heranziehung einer beson-
deren arthritischen Disposition dahin erklären läßt, daß in
der Regel die gonorrhoische Eiterung gewissermaßen nach
außen drainiert ist. Erst wenn es infolge gehinderten Ab-
flusses (Prostatitis) oder anderer Faktoren zur Bakteriämie
kommt, ergeben sich die Prämissen für einen gonorrhoischen
Rheumatismus.
Sie werden sich auch fragen, m. H., welchem Gesetze
das häufige monoartikuläre Verhalten der gonorrhoischen
Arthritis und welchen Umstande die so häufige Lokalisation
im Knie entspricht, |
Es ist eigentlich nur eine Feststellung der Tatsachen,
wenn wir annehmen, daß es Infektionserkrankungen gibt,
die in ihren chemischen Aeußerungen eine besondere Affinität
zu den Gelenken, respektive zu den Synovialmmembranen be-
sitzen, während andere Infektionen nur in geringem Grad
„arthrotrop“ sind. Die Gonokokken und wohl auch die
Schaudinschen Spirochäten müßten in die letztere Kate-
gorie von Mikroben eingereiht werden. Bei Geringgradig-
keit der „arthrotopen“ Eigenschaften werden am ehesten jene
Gelenke entzündlich reagieren, welche durch starke In-
anspruchnahme und damit Hand in Hand gehende starke
Durchblutung vielleicht eine erhöhte Neigung besitzen, sich
entzündlich zu verändern. Daß in dieser Skala das Knie-
gelenk vorne rangiert, kann nicht weiter wundernehmen.
Entzündlichen Noxen dyskrasischer Natur, wie z. B. bei
Gicht, scheinen übrigens mehr die kleinen Gelenke ausgesetzt
zu sein. Möglich, daß für die Ablagerung von Stoffwechsel-
schlacken gerade umgekehrt eine träge, leicht stockende
Säftebewegung, wie z. B. im Knorpelgewebe, den Locus
minoris resistentiae schafft. |
Symptome einer Ischias, wie sie manche Fälle von
gonorrhoischer Arthritis begleitet, Schmerzhaftigkeit an der
Vorderfiäche der Tibia oder Intumescenz der Sehnenscheiden
und Schleimbeutel konnten wir in unserm Falle von Poly-
arthritis gonorrhoica nicht nachweisen. Charcot hat seiner-
zeit darauf hingewiesen, daß oft in ganz elektiver Weise die
Sehnenscheiden und Schleimbeutel auf Gonokokkeninvasion
antworten. Es ist dies aber wohl kein Monopol des Gono-
kokkus,.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
Sie erinnern sich, m. H., noch des eigenartigen Falles,
den ich Ihnen am 13. Juni vorzustellen Gelegenheit hatte.
, Die 29 jährige, hochgradig kyphoskoliotische, schwächliche Kranke
(Gewicht 40 kg) präsentierte sich uns in einem Zustand, als ob ein
Anatom nahezu sämtliche Sehnenscheiden und Schleimbeutel durch Ein-
spritzen einer Injektionsmasse zur Darstellung gebracht hätte, Die Ge-
lenke waren vollkommen intakt. Hingegen bestand eine hochgradige An-
schwellung der Sehnenscheiden am Handrücken, es fanden sich elastische,
länglich ovale Wülste entsprechend der Rückseite der Cond. int. hum.,
mit deutlichem Knirschen bei Kneten über denselben, analoge Befunde
an der Außenseite der Kniegelenke und Innenseite der Sprunggelenke.
Alle diese Veränderungen waren durchaus symmetrisch.
Vor drei Jahren hatte die Kranke die Erscheinungen einer Pylorus-
stenose geboten: Massiges Erbrechen lange stagnierter Speisemassen,
sichtbare Peristaltik des Magens; auffallenderweise weder Sarcine noch
Milchsäurebacillen. G.A. 200/0, freie HCl negativ. Durch zwei Monate
vor der Operation hatte die Kranke ein intermittierendes Fieber mit
Temperaturen bis über 390 C, das ausnahmsweise selbst über 400 stieg.
Nach oben und rechts vom Nabel war eine Resistenz fühlbar gewesen.
Blut: 14600 Leukocyten, davon 88%/, Polynucleäre, 12% Lympho-
cyten, 2%, Eosinophile, 30/6 große Mononucleäre.
Der operative Eingriff am 15. Juni 1909 (Prof. Schloffer) ergab
eine hinter dem Duodenum gelegene, aber nicht vom Pankreas aus-
gehende Tumormasse, welche das Duodenum komprimierte, in der Um-
gebung derselben Drüsen, welche als tuberkulös angesprochen wurden.
Gastroenterostomie. In unmittelbarem Anschluß an die Operation ent-
wickelten sich, während die Kranke noch zu Bette lag, an allen jetzt
noch nachweisbaren Stellen, den Sehnenscheiden und Schleimbeuteln ent-
sprechend, fluktuierende Geschwülste, welche langsam und kontinuierlich
wuchsen und bei Bewegung etwas Schmerzen verursachten.
Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß
es sich hier um einen jener seltenen Fälle von epigastraler
Drüsentuberkulose handelte.
In einem hierher gehörigen Falle, den ich noch an der Klinik
v. Neußers zu beobachten Gelegenheit hatte, war es unter der Ein-
wirkung der periduodenalen tuberkulösen Drüsen zu Kompressionsikterus
geringen Grades gekommen. Plötzlich Haematemesis, Exitus. Ein Drüsen-
paket war in das Duodenum durchgebrochen und hatte die Arteria pan-
creatico-duodenalis arrodiert. |
Wir konnten, um auf den früheren Fall zurückzukommen,
bei der Untersuchung der Kranken drei Jahre nach der
Operation im Abdomen einzelne Drüsen tasten und fanden
auch zahlreiche, kleinere und größere Drüsen supraclavi-
cular; auch die Milz erwies sich als deutlich vergrößert,
den Rippenbogen etwas überragend, von vermehrter Kon-
sistenz. Percutanreaktion +-++. Auf Tuberkulininjektionen
gelegentlich Temperatursteigerung bis 38°, Kleinerwerden
der Ganglien. Röntgenbefund: Verkalkte Drüsen im Lungen-
hilus, rechts hinten unten Schwartenbildung.
Blut: 7100 Leukocyten, 64,9%/ Polynucleäre, 28,90/9 kleine Lympho- :
cyten, 9,1°/ große Mononucleäre, 1,8°%0 Eosinophile, 0,3% Mastzellen.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß operative Ein-
griffe in tuberkulösem Terrain gelegentlich eine miliare Aus-
saat anregen können.
In unserm Falle liegt der Gedanke nahe, daß die In
unmittelbarstem Anschluß an die Operation aufgetretene
systemmäßige Erkrankung der Sehnenscheiden und Schleim-
beutel in ähnlicher Weise mit dem operativen Eingriff in
Zusammenhang steht. |
Es handelte sich somit um eine akut entstandene,
„extraartikuläre Polysynovitis“ in einem tuberkulösen
lymphatischen Individuum.
Gelenke einerseits, Sehnenscheiden und Schleimbeutel
anderseits sind wohl als biologische Aequivalente zu be-
trachten; freilich mögen geringe Differenzen bestehen, da
sonst schwer verständlich wäre, warum, wie in unserm Falle,
dieses System in ausgedehntestem Umfang auf eine Noxe
anspricht, während die Gelenke vollkommen intakt blieben.
Häufig ist in analogen Fällen gleichzeitiges Befallensein
einzelner Gelenke zu beobachten wie in den zwei folgenden
Krankheitsfällen. In dem einen derselben bestand gleich- -
zeitig eine schleichend verlaufende, beiderseitige trockne
Pleuritis.
~ 22jährigəes Mädchen, blaß, Augen haloniert, Eindruck großer Müdig-
keit. Vor zwei Jahren ziemlich rasch auftretende Schwellung an den
Sehnenscheiden beider Handrücken. Die Anschwellungen gehen hie und
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- Jahr andauernde Schmerzen im
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15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. | 1487
da zurück, exacerbieren zur Zeit der Periode. Leichte Schmerzen im
Knie- und Sprunggelenk. Seit zwei Monaten Stechen in den Axillae
rechts und links; daselbst auskultatorisch beiderseits Lederknarren hör-
bar, links auch palpatorisch nachzuweisen. Lungenspitzenbefund nicht
charakteristisch. Klagt öfter über Hitzegefühl, Trockenheit der Zunge.
Starke Schweiße besonders frühmorgens. Anorexie und Obstipation.
In einem andern Falle fand sich ein ausgesprochen
positiver Spitzenbefund:
22jähriger Tischlergehilfe, mager, blaß. Beiderseits Anschwellung
der Sehnenscheiden am Handrücken. Operation vor vier Jahren: Mikro-
skopisch quoad Tuberkulose negativer Befund. Seit zirka einem halben
Knie und Sprunggelenk, ab und zu auch
in den Fingern, ohne Schwellung oder Rötung. Oefter Nachtschweiße,
Husten. Ueber beiden Spitzen Schallverkürzung, vereinzelt feuchtes,
blasiges Rasseln. Afebriler Verlauf.
Das Kapitel Tuberkulose .und Gelenk- respektive
Synovialmembranen zählt wohl zu den schwierigsten
auf dem Gebiete der Gelenkpathologie. So sehr im all-
gemeinen das Bestreben gerechtfertigt ist, ätiologisch alles
womöglich unter einen Hut zu bringen, so leuchtet doch
von vornherein ein, daß bei der ganz enorm verbreiteten
Durchseuchung des Genus humanum mit Tuberkulose die
bloße Koinzidenz eines tuberkulösen Herdes mit arthriti-
schen Manifestationen nicht genügt, um letztere kurzweg
als tuberkulös anzusprechen. Soweit wollen wir, m. H.,
Poncet, neben Grocco Hauptbegründer der Lehre vom
tuberkulösen Gelenkrheumatismus, nicht Gefolgschaft leisten.
Wir werden es ebensowenig anerkennen, wenn er in den
Bereich seiner „Tuberculose inflammatoire“ selbst die Sko-
liose, die Enteritis membranacea oder die gutartige Pylorus-
stenose einbezieht. | |
Dies sind wohl Verirrungen einer allzu lebhaften
Phantasie. Einseitige Uebertreibung fördert aber bekannt-
lich oft eine Sache, ebenso wie Fanatiker sich leichter durch-
setzen als klar und nüchtern denkende Köpfe.
Und so ging der tuberkulöse Gelenkrheumatismus lite-
rarisch fast auf in dem Namen Poncet. Dies ist bekannt-
lich historisch ungerecht, da schon fünf Jahre vorher, im
Jahre 1892, der Italiener Grocco sich sehr eingehend mit
dem „Pseudoreumatismo articulare da Tuberculosi* beschäf-
tigt hatte. Wir hätten also von Grocco-Poncetscher Ar-
thritis zu sprechen.
Es gibt nun in der Tat Fälle, in welchen über die
tuberkulöse Natur der Gelenkerkrankung nicht der aller-
geringste Zweifel bestehen kann. Einen derartigen Fall
hatte ich Gelegenheit zu beobachten in der Zeit vom
28. Oktober 1908 bis 19. April 1909.
Der 48jährige Kranke kam zur Spitalsaufnahme mit der Angabe,
vor zehn Wochen einen Gelenkrheumatismus üherstanden zu haben; seit
sechs Wochen sei neuerdings eine Schwellung der rechten Hand und
des rechten Sprunggelenks aufgetreten. Einleitung einer Salicylbehand-
lung blieb erfolglos. Aus dem rechten Handgelenk wurde durch Punktion
sehleimig-eitriger Inhalt gewonnen; an der Volarseite des Handgelenks
ra sich eine fluktuierende Geschwulst. Gleichzeitig trat eine
Schwellung über der dritten Rippe rechts auf, wenig druckempfindlich.
1) outanreaktion negativ. Husten und Nachtschweiße. Fieber gering.
iazoreaktion positiv. Incision am Malleol. int. förderte dünnen,
grünlichen Eiter zutage. Kachektisches, gelbliches Gesichtskolorit.
Area Caries an der dritten rechten Rippe, Fungas in den Gelenken,
uberkulose in beiden Lungenspitzen.
X Der rasche Uebergang in vereiternden Fungus, das
g eichzeitige Einsetzen specifischer Manifestationen am
nochen werden also gelegentlich führende Gesichtspunkte
Se Ich möchte Sie, m. H., bei dieser Gelegenheit auf-
da: ern, in allen Fällen von infektiöser Arthritis sich über
= Vorkommen des Diazokörpers im Harn zu orien-
Eee Schon seit Jahren lasse ich in allen Fällen von
ne löser Arthritis auf Diazoreaktion untersuchen. Die
ee acuta vulgaris verläuft fast ausnahmslos
Sn lazoreaktion. Der positive Befund kann gelegentlich
assung sein, an eine Grocco-Poncetsche Arthritis
zu denken. |
> u. Falle eigner Beobachtung, den ich auch hier-
en möchte, kam es zu multiplen Gelenkschmerzen
ohne Schwellung, gleichzeitig schwollen die Drüsen am
Hals an und stellte sich im Harne Diazoreaktion ein.
Auch dort, wo, wie in einem selbsterlebten Falle an
eine ursächlich zunächst unklare beiderseitige Gonitis eine
Peritonitis tuberculosa sich anschließt, wird es nahe liegen,
an eine einheitliche Aetiologie zu denken. „Arthrotrope“ In-
fektionsprozesse scheinen überhaupt nicht selten gleichzeitig
eine Art Affinität zu den serösen Membranen aufzuweisen,
wie dies ja ganz besonders für den Erreger der akuten
Polyarthritis vulgaris zutrifft.
Aehnlich wie für Gonorrhöe und Lues ist auch für
Tuberkulose — aus früher erörterten Gründen — das Knie-
gelenk Schauplatz speeifischer Manifestation. Vielfach sind
es jüngere, weibliche Kranke, meist von asthenischem, zart-
häutigem Typus mit oft auffallend blauer Iris, mit blassen
oder erethisch geröteten Wangen. Von chirurgischer Seite
wird oft kurzweg Fungus diagnostiziert. Die Gelenkerkran-
kung ist oft äußerst schmerzhaft, der Verlauf oft nur
subfebril. Es ist wichtig, zu wissen, m. H., daß in diesen
Fällen sehr oft eine Restitutio ad integrum stattfindet, oft
in sehr kurzer Zeit, meist allerdings erst nach sechs- bis
achtwöchiger Krankheitsdauer. Bemerkenswert an diesen
Fällen ist die oft hochgradige Tachykardie. In einem
Falle eigner Beobachtung trat im Verlaufe der Gelenkerkran-
kung eine profuse Hämoptöe auf. Fast nie handelt es sich
um irgendwie fortgeschrittene Tuberkulose; meist sind die
Spitzenbefunde nur angedeutet. Dies gilt wohl überhaupt
für die Mehrzahl der Fälle von Grocco-Poncetschem
Rheumatismus und ist mit einer der Gründe, welche die
Diagnose vielfach so sehr erschweren.
Auch die vulgäre akute Polyarthritis, wie sie so häufig
an eine Angina sich anschließt, geht nach eigner Beobachtung
in einem ganz auffallend hohen Prozentsatz mit mehr minder
latenten, tuberkulösen Herden einher. Unter 57 mittels
Percutanreaktion untersuchten Fällen erhielt ich in
44 Fällen ein positives Resultat. Dabei zählt, wie be-
kannt, die Percutanreaktion zu den weniger empfindlichen
Methoden.
Ueberhaupt, m. H., wenn Sie sich Fälle von akuter
Polyarthritis vulgaris, und zwar besonders jugendliche
Fälle im zweiten oder dritten Decennium auf ihre kon-
stitutionelle Eigenart genauer ansehen, so werden Sie
sehr bald einen Typus in auffallender Häufigkeit wieder-
kehrend finden: Es ist kurz gesagt der Typus des Phthisikers
oder besser gesagt, des Asthenikers: Grazil, mager, oft blaue
Iris, nicht selten Haardifferenz (Kopfhaar dunkelbraun,
Schnurrbart fuchsrot), erregbare Vasomotoren und oft auch
erregbarePsyche, Ueberstreckbarkeit im Metacarpophalangeal-
gelenk und dergleichen. Die Familiengeschichte ergibt recht
häufig Tuberkulose in der Ascendenz und Verwandtschaft.
Ob der Erreger des akuten Gelenkrheumatismus ein
specifischer Mikrobe ist, kann heutigentags nicht mit
Sicherheit behauptet werden. Vielleicht verhält es sich mit
diesem Krankheitsbilde ähnlich wie mit der Grippe: Das-
selbe klinische Ensemble wird durch verschiedene Mi-
kroben verursacht. In höherem Grade specifisch ist vielleicht
die konstitutionelle Eigenart der Kranken, der zufolge trotz der
zweifellosen Ubiquität des oder der Krankheitserreger viele
Individuen zeitlebens verschont bleiben, andere sozusagen
von der Wiege bis zum Grabe an dieser Erkrankung labo-
rieren und ihren Komplikationen erliegen. In diesem Sinne
habe ich an anderer Stelle den Ausspruch getan: Der akute
Gelenkrheumatismus ist ein Zweig am Stamme der Asthe-
nia congenita.
In welch hohem Grade das konstitutionelle Milieu eine
Hauptprämisse der Erkrankung ist, erhellt ja zur Genüge
aus der Tatsache, daß die Polyarthritis acuta vulgaris durch-
aus nicht kontagiös ist; niemand fürchtet eine Ansteckung
durch akuten Gelenkrheumatismus.
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:1488
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
Ich habe bereits früher betont, m. H., daß abge- |
klungene, latente Herde von Tuberkulose in Fällen von
akuter Poiyarthritis vulgaris sich geradezu auffallend oft
nachweisen lassen; es betrifft dies Fälle, die typisch nach
Angina einsetzen, prompt auf Salyeilica reagieren und zu
vollkommener Restitutio führen und eventuell schon gleich-
sinnige Anfälle in der Vorgeschichte aufweisen; Fälle also,
in welchen in bezug auf Diagnose nicht der allergeringste
Zweifel obwalten kann. Wenn also Poncet bei Nachweis
eines tuberkulösen Herdes eine gleichzeitig bestehende Poly-
arthritis kurzweg als tuberkulös anspricht, so vereinfacht
er die Diagnosenstellung ungemein, leider aber auf Kosten
der Wahrheit. Es muß, m. H., mit Nachdruck betont
werden, daß, ausgenommen jene seltenen Fälle, in welchen
der Nachweis von Tuberkelbacillen in der Punktionsflüssig-
keit der Gelenke gelingt oder der Prozeß, sei es isoliert
oder multipel, in Fungus endigt, man die Diagnose auf
Grocco - Poncetschen Rheumatismus stets nur mit Reserve
wird stellen können. Ich möchte die Frage offen lassen, ob
es berechtigt ist, der Unwirksamkeit der Salycilica eine so
große, differentialdiagnostische Bedeutung einzuräumen, wie
es vielfach geschieht. Das besonders lebhafte Ansprechen
der Gelenke auf eine einmalige Tuberkulininjektion könnte
immerhin bedeutsam sein. In jenen Fällen, in welchen ein
sonst typisch postanginös einsetzender, akuter Gelenkrheuma-
tismus in diesem oder jenem Gelenke abnormerweise sich
festsetzt und zu Contracturierung respektive Ankylosierung
führt, müßte wohl stets in Erwägung gezogen werden, ob
die Polyarthritis vulgaris nicht mobilisierend auf latente
paraartikuläre tuberkulöse Herde eingewirkt hat. Ist es doch
eine sehr oft zu beobachtende Tatsache, daß die heterogensten
Infektionen in diesem Sinne auf latente, tuberkulöse Depots
einzuwirken imstande sind. |
Erst kürzlich sah ich bei einem älteren Individuum
eine floride Lungentuberkulose sich unmittelbar anschließen
an ein Panaritium mit Lymphangoitis, und es werden
Ihnen, m. H., nicht selten Fälle zur Beobachtung kommen,
wo im Anschluß an eine Angina durch viele Wochen hin-
durch ein okkultes Fieber sich einstellt, dessen Ursache Sie
bei genauer Untersuchung der Lungenspitzen festzustellen
in der Lage sind.
In der Differentialdiagnose des Grocco-Poncetschen
Gelenkrheumatismus werden gelegentlich auch luetisch aus-
gelöste Gelenkmanifestationen zu berücksichtigen sein.
Einen hierhergehörigen Fall hatte ich Gelegenheit,
Ihnen am 5. Juli vorzustellen.
Ein 16jähriger Kranker, hypoplastisch, - Hutehinsonzähne, Zunge
leicht gekerbt, Milz um drei Querfinger den Rippenbogen überragend;
zahlreiche kleine Drüsen am Halse, haselnußgroße Cubitaldrüsen beider-
seits. Cariöser Prozeß am Rücken des rechten Handgelenks mit Fistel-
gängen. Lordotische Albuminurie. Wassermann +-++. Schon im Alter
von zehn Jahren traten Schmerzen auf in Fuß-, Hand- und Ellbogen-
gelenken. Die Gelenke schwollen allmählich an. Der Kranke mußte
sechs Monate zu Bette liegen. In der Folgezeit oft kurzdauernde Gelenk-
schmerzen mit Anschwellungen, besonders nach Bewegung. Schmerzen
traten meist in den Nachmittagstunden auf.
Die Einleitung einer Schmierkur führte in diesem Falle
zu raschem Schwinden der Gelenkerscheinungen und auch
zu wesentlicher Besserung des cariösen Prozesses (Knochen-
gumma?). $ z
Ebenso prompt war der Erfolg der Inunctionskur in
einem andern Fall eigner Beobachtung.
Es bandelte sich um ein zirka 30jähriges Fräulein, bei dem vor
zirka Jahresfrist starke Drüsenschwellungen am Hals aufgetreten waren;
es bestand eine Keratitis parenchymatosa; Hutchinsonzähne. Vor einigen
Jahren hatten Schmerzen bestanden im rechten Ellbogengelenk, und zwar
durch ein Jabr hindurch. Wurde der Arm abgebogen, war es infolge
der Schmerzen schwer, ihn wieder auszustrecken. In ‚letzter Zeit be-
standen ganz ähnliche Erscheinungen im linken Kniegelenk. Unter
Inunetionskur rascher Rückgang der Drüsenschwellung am Hals, ebenso
der Arthralgien. 2
Es ist Ihnen, m. H., zur Genüge bekannt, daß
außer Gonorrhöe, Lues und Tuberkulose, dieser für, die
Gelenke immerhin sehr bedeutsamen Trias, die allerverschie-
densten Infektionserkrankungen gelegentlich mit Gelenk-
symptomen, insbesondere mit einfachen Arthralgien einher-
gehen. Erinnern Sie sich z.B. an Trousseaus rheuma-
tische Form der Dysenterie. Aus eigner Beobachtung kann
ich Sie auf einen Fall verweisen, in welchem mit dem Auf-
treten eines großen Abscesses nach Appendicitis eine chro-
nische immer wieder rezidivierende, zu Contracturen führende,
fieberhafte Polyarthritis einsetzte.
Auch Anfälle von Malaria verlaufen gelegentlich mit
besonderer Schmerzhaftigkeit der Gelenke und Bewegungs-
einschränkung derselben. Schwierig kann gelegentlich die
Entscheidung sein, wenn arthritische Symptome in unmittel-
barem Anschluß an einen Partus auftreten. Eine deutlich
positive Diazoreaktion würde ich in derartigen Fällen als
gegen eine Polyarthritis vulgaris sprechend und als auf
Sepsis verdächtig deuten.
In allen Fällen, in welchen Anhaltspunkte für eine in-
fektiöse Genese bei Gelenkprozessen sich ergeben, werden
Sie gut tun, m. H., sich über das Verhalten der Drüsen
und natürlich auch der Milz genauestens zu orien-
tieren. In Fällen von Polyarthritis acuta vulgaris war ich
gelegentlich in der Lage, ganz initial eine schmerzhafte
Anschwellung der Inguinaldrüsen zu konstatieren. Erst
im weiteren Verlauf kam es zu arthritischen Manifestationen
an den unteren Extremitäten. Es wäre vielleicht nicht
aussichtslos, in derartigen intumescierten Inguinaldrüsen
nach dem Erreger der Erkrankung zu fahnden. Starke In-
tumescenz der Milz ist in Fällen von Polyarthritis acuta
ungewöhnlich; Tuberkulose und Lues kommen hier in einem
größeren Prozentsatz in Betracht.
Mit dem zunehmenden Alter der Kranken vereinfacht
sich die Differentialdiagnose wenigstens insofern, als bei
einem erstmaligen Anfalle von Polyarthritis, etwa nach dem
40. Lebensjahre, die Wahrscheinlichkeit einer reinen Poly-
arthritis acuta vulgaris immer mehr abnimmt. Es über-
wiegen nun jene Formen von Arthritis, die wir in Gegen-
überstellung zu den infektiösen oder septischen als aseptische
oder dyskrasische Formen bezeichnen könnten.
Es empfiehlt sich hier, dem Begriffe der asepti-
schen Entzündung, die auch jetzt noch unter der Nach-
wirkung der einseitig-bakteriologischen Aera zu wenig Berück-
Sichtigung findet, näherzutreten. Schulbeispiele einer asep-
tischen Entzündung sind unter anderm Retinitis albuminurica,
Conjunctivitis lymphatica, Psoriasis, Pericarditis uraemica,
gichtische Arthritis, chronische interstitielle Hepatitis.
Nicht nur Stoffwechselprodukten von Mikroben, auch
den Stoffwechselprodukten unserer eignen Organzellen kommt
unter Umständen eine entzündungserregende Bedeutung zu.
Die beiden Momente können getrennt in Wirkung treten
oder durch Summation sich verstärken. Die aseptische
Komponente vieler Entzündungsprozesse verdient besonders
auch volle therapeutische Würdigung. Gerade auf dem
Gebiete der aseptischen Gelenkentzündungen gibt es aber
eine solche unerschöpfliche Fülle der mannigfaltigsten Krank-
heitsbilder, daß ich es nicht als unsere erste Aufgabe be-
trachten möchte, nach Art von Käfer- oder Schmetterlings-
sammlern zu etikettieren; für ungleich wichtiger halte ich
es, biologisch denkend sich in den einzelnen Fall zu ver-
tiefen. |
Wo atypische Veränderungen im Schultergelenk oder
anderseits in Hüfte und Knie vorliegen, werden Sie nie ver-
gessen, m. H., an die Möglichkeit einer Syringomyelie
oder Tabes zu denken, besonders bei Schmerzlosigkeit der
Affektion.
März 1903 sah ich an der Klinik v. Neußer einen 43jährigen
Kranken, der angab, im Alter von 36 Jahren seien ohne Ursache plötzlich
in der rechten großen Zehe reißende und stechende Schmerzen aut-
‚getreten, das Zehengelenk war gerötet und heiß; Dauer der Affektion
mehrere Tage, Besserung nach kalten Umschlägen. Solche Anfallo
stellten sich meist nach Mitternacht ein; sie kamen anfangs nur Herbs
15. September.
|
und Winter, in den letzten drei Jahren auch Frühjahr und Sommer;
sio dauerten meist eine Woche. Mit 40 Jahren plötzlich einsetzende
Schmerzen im linken Sprunggelenk und in der linken Wade, „als ob ein
Hund plötzlich hineinbeißen würde“. Mit 41 Jahren Auftreten von In-
continentia urinae und Einsetzen von Impotenz. Mit 42 Jahren heftige,
reißende Schmerzen in beiden Kniegelenken. Verlauf stets afebril. Im
Pistyan wesentliche Verschlimmerung. |
| Die Untersuchung des linken Kniegelenks ergab hochgradige Auf-
treibung entsprechend dem oberen Teil der Tibia, abnorme seitliche Be-
wegungen in.großem Umfange möglich, vollkommen schmerzlos. Auf-
treibung am rechten Fußrücken, Plattfuß. Pupillen vollkommen starr auf
Licht! P.S.R. vollkommen fehlend, Incontinentia urinae; Analgesie an den
unteren Extremitäten. | |
-Der Fall illustriert Ihnen, m. H., eine „Pseudogicht“
auf tabischer Grundlage.
Wir müssen wohl annehmen, daß centripetale Nerven-
bahnen für die Ernährungsvorgänge in den Gelenken in
Betracht kommen. Störungen im Bereiche derselben wie
bei Syringomyelie oder Tabes können zu einer Art Ataxie der
nutritiven Vorgänge führen. Hier spielen in der Rolle der
Störungen, gewiß auch in vielen andern Fällen von chroni-
schen Arthritiden, die Vasomotoren eine wichtige Rolle und
wird sich ihre funktionelle Ueberprüfung in jedem einzelnen
Fall empfehlen. |
Nicht nur, daß es auf angio-neurotischem Wege zu
intermittierenden Gelenkshydrops kommen kann, auch phy-
siologische Schwankungen in den vasomotorischen Vor-
gängen, wie z. B. die Menstruationsvorgänge bedingen nicht
selten eine Art Aufflammen bei bestehenden chronischen
Gelenkprozessen. Auch in dem Falle von „extra artikulärer
Polysynovitis“ bei epigastrischer Drüsentuberkulose gab uns
die intelligente Kranke mit Bestimmtheit.. an, daß prä-
menstruell eine Anschwellung der Ganglier auftrete.
Anderseits werden chronische Gelenkprozesse dyskrasi-
scher Natur nicht selten von eigenartigen vasomotorischen
Störungen begleitet. Einige wenige Beispiele aus eigner
Erfahrung:
Fall i. Zirka 80jähriges Fräulein, gut genährt, sehr nervös, äußert
Lebensüberdruß. Seit fünf Jahren wird von der Krankeu selbst intensives
Knirschen in fast sämtlichen Gelenken wahrgenommen, besonders im
Knie-, Schulter-, Ellbogengelenke. Keine Schwellung, keine wesentlichen
Schmerzen. Seit derselben Zeit sind die Unterschenkel bis zum Knie
aufwärts oft eiskalt und besteht meist gleichzeitig intensives Kältegefühl |
in der Nase. Zu Zeiten aber empfindet die Kranke in der Nase ein
intensives Hitzegefühl, daß sie glaubt, „das Blut müsse herausspritzen“.
Hatte in der Jugend heftige Augenentzündung, öfters treten Drüsen-
schwellungen am Hals auf. Mutter luetisch (Hautgummen), Vater
Tabiker: Wassermann bei der Kranken negativ. Kuren in Karlsbad,
Gastein, Pistyan erfolglos. l
‚.Fall 2. 72jährige Frau; vor acht Jahren beim Schneeschaufeln an-
geblich Erfrierung der Hände. Eine Woche später wurden die Hände
und Unterarme blau verfärbt. In diesem Gebiete Gefühl leichten Brennens,.
Dieser Zustand dauerte drei J ahre, ohne daß eine Deformierung oder
Bewegungsstörung an den Händen auftrat. Vor fünf Jahren aber be-
gannen die Finger unter brennenden Schmerzen sich zu verkrümmen;
seit drei Jahren besteht eine unförmliche, monströse „Fechthandschuh-
form“ der Hände mit Contraeturen und Subluxationen; schwielige Ver-
dickungen in der Vorderarmmuskulatur, Haut der Hände glänzend, sehr
dünn, bläulich livid; Hände und Vorderarme fühlen sich warm an. In
der letzten Zeit soll die Nase größer geworden sein; kein Anhaltspunkt
für Akromegalie,
Für die große Bedeutung der Vasomotoren in der Pa-
thogenese gewisser Formen von Arthritis sprechen auch
gelegentliche Komplikationen mit Erythromelie, Raynaud-
scher Erkrankung und dergleichen.
Vielfach erhebt sich gerade bei den chronisch ver-
laufenden „aseptischen“ Formen der Arthritis der Verdacht,
ob nicht, auch zur Erklärung vasomotorischer Störungen,
tiefer nach abwärts gegen das Wurzelgebiet zu ursächliche
Faktoren, Störungen im Blutdrüsengleichgewicht an-
zunehmen sind. |
Eine Reihe von gelegentlichen Begleitsymptomen, so
besonders trophische Störungen der Haut und des Unter-
hautzellgewebes im Sinne von Skerodermie, multiplen.Lipomen,
eigenartigen Hautödemen, Störungen im Wachstum der
Haare, wie Alopecie u, dgl., Hypohidrosis legen diesen Ge-
danken nahe, . | Ea
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1489
Die gelegentlich günstige Beeinflussung chronischer
Arthritiden durch Schilddrüsenpräparate (Lancereaux)
verdient ernste Beachtung, wenn auch der daraus gezogene
Schluß auf das Bestehen eines „Rheumatisme chronique
tbyroidien“ anfechtbar erscheint. Gerade bezugnehmend auf
die durch Schilddrüsenbehandlung inaugurierte Organotherapie
der Gelenkerkrankungen bin ich in der Lage, m. H.,
Ihnen eine interessante Mitteilung zu machen. Sie erinnern
sich wohl noch an die am 17. Mai vorgestellte 27jährige
Kranke, bei welcher vor vier Jahren gleichzeitig mit An-
fällen von Tetanie eine Osteomalacie eingesetzt hatte; es
fanden sich typische Veränderungen am Becken. Nach zehn
Injektionen von Adrenalin (1:1000) zu 1 ccm waren die
Knochenschmerzen vollkommen’ geschwunden. Ich habe da-
mals zur Erklärung dieser „wunderbaren“ — ein von der
Kranken gebrauchter Ausdruck — Wirkung, wie sie ja
auch von anderer Seite bereits beobachtet wurde, das gleich-
sinnige Verhalten des Asthma bronchiale herangezogen.
Hier verschwindet kurze Zeit nach einer Adrenalininjektion
das Pfeifen und Giemen, der Atem wird frei, die früher ge-
schwellte Bronchialschleimhaut schwillt offenbar ab. Bei
Osteomalacie handelt es sich, wie ja zahlreiche pathologisch-
anatomische Befunde (Recklinghausen und Andere) be-
weisen, um ein hyperämisch-geschwelltes Knochenmark. Die
Knochenschmerzen sind zweifellos ein Resultat der ent-
zündlich-hyperämischen Vorgänge am Periost und im
Knochenmark.
Es wäre nun denkbar, daß hier ein Circulus vitiosus
vorliegt. Die teils aktive, teils passive Kongestion des
Knochenmarks löst die Schmerzen aus und diese wirken
vielleicht hyperämisierend zurück.‘ Das Adrenalin könnte
nun ähnlich wie bei Asthma den kongestionellen Zustand
des Knochenmarks beseitigen und so einen Circulus vitiosus
durchbrechen. Dieser Gedanke scheint mir viel plau-
sibler als etwa die Annahme, durch einige wenige Injek-
tionen von Adrenalin die für unsern Fall zu supponierende
Insufizienz der Epithelkörperchen zu beheben und eine
Umstimmung im Blutdrüsensystem herbeizuführen.
Da nun die Osteomalacie mit arthritischen Prozessen
sowohl in der therapeutischen Beeinflussung (Heißluftbehand-
lung usw.) als auch in den disponierenden Momenten (feuchte
Wohnung und dergleichen) gewisse Berührungspunkte auf-
weist und mir als Pendant der Kongestionszustand der
Synovia vorschwebte, hielt ich es nicht für aussichtslos, das
Adrenalin auch in der Behandlung der Gelenkerkrankungen
zu versuchen. Die Injektionen erfolgten unter Berücksichti-
gung der bekannten Kontraindikationen pro die in Dosen
von jə bis 1 ccm, und zwar an der Vorderfläche des Ober-
schenkels, wobei die Resorption sich selbst überlassen wird.
Verwendet wurde das bekannte Präparat von Parke und
Davis Solutio Adrenalini (1:1000). Die bisher mit dieser
Behandlung erzielten Erfolge sind ganz außerordentlich
günstig. Subjektiv fühlen sich die Kranken oft schon kurze
Zeit nach der Einspritzung wesentlich erleichtert, objektiv
kommt es gelegentlich zu raschem Rückgang großer Gelenk-
ergüsse,
Da ätiologisch ganz differente Gelenkprozesse, so Poly-
arthritis acuta vulgaris, Arthritis gonorrhoica und luetische
Formen günstig reagieren, so dürfte - der Angriffspunkt all-
gemein-pathologischer Natur sein, und liegt es nahe, daran
zu denken, daß derselbe in dem Gefäßbezirke der Gelenke
zu suchen ist. Solcher Art hätten Asthma bronchiale, Osteo-
malacie und arthritische Prozesse einen auf Adrenalin an-
sprechenden, gemeinsamen Faktor.
Die Versuche werden fortgesetzt werden und ich hoffe,
m. H., Ihnen bald über weitere günstige Erfahrungen
bezüglich der Adrenalinbehandlung von Gelenkerkrankungen
berichten zu können.
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1490
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September
2 — | r
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn.
Ueber seltenere Ursachen von Schwangerschafis-
blutungen
von
Prof. Dr. v. Frangque.
(Schluß aus Nr. 86,)
Ich darf Ihnen diese histologischen Einzelheiten, deren
Kenntnis auch für das Verständnis der klinischen Eigen-
tümlichkeiten der Blasenmole unerläßlich ist, an der Hand
einiger Präparate ins Gedächtnis zurückrufen. Sie sehen
hier bei mittlerer Vergrößerung Teile eines jungen mensch-
lichen Eis (aus der achten Woche etwa), und zwar eine an
die Decidua basalis (a) sich anlagernde Zotte, sogenannte
Hastzotte (b), im Innern derselben das embryonale Binde-
gewebe, bestehend aus sternförmigen, verästelten miteinander
kommunizierenden Zellen mit sehr viel schleimhaltiger Inter-
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Abb. 383. Aus einem menschlichen Ei der 8. Woche. Vergr. 66.
Eigenes Präparat. a = Decidua basalis, an der Oberfläche in fibri-
nöser Degeneration. b = Haftrotte. c = Syneytium. d = Lang-
hanssche Zellen, beide sich an der Oberfläche der Decidua"ausbreitend
und in diese eindringend.
cellularsubstanz, dazwischen einzelne Capillargefäße; über-
zogen ist das Bindegewebe von einer einfachen Schicht
oßer, scharf umgrenzter heller Zellen, der Langhansschen
Zellschicht (d), die jetzt allgemein als Abkömmling des Ekto-
dermas, also epithelialer Natur, betrachtet wird; über diese
zieht sich ein nicht in einzelne Zellen abgeteiltes, bald
diekeres, bald dünneres Band von dichtem, feinkörnigem
Protoplasma, in das zahlreiche, kleine, sich stark färbende
Kerne eingelagert sind. Das ist das sogenannte Syncytium (ce),
von dem sich ab und zu größere riesenzellenähnliche Proto-
plasmaklumpen, die sogenannten Epithelialsprossen, los-
lösen. Da wo die Zotten der Decidua sich anlagern, findet
eine Auflösung des Syneytiums in einzelne vielkernige
„syncytiale Wanderzellen“ statt, welche die mütterliche
Schleimhaut weithin durchsetzen und auch zerstören; auch
die Langhanssche Zellschicht breitet sich in Form von
Säulen und flachen Beeten auf der Oberfläche der Decidua
aus und stellt so die erste festere Verbindung des Eies mit
der Deeidua her, die dann immer mehr von den kindlichen
Zellen durchsetzt, zum Teil vollkommen ersetzt wird. Nor-
malerweise findet also schon ein aktives Eindringen des Eies
in mütterliches Gewebe und die teilweise Zerstörung des
letzteren statt. Auf der nächsten Ahb. 4 sehen Sie die
Oberfläche einer degenerierten Zotte (bei derselben Ver-
größerung) aus einer typischen Blasenmole; die embryonalen
Bindegewebszellen sind durch die schleimige Intercellular-
substanz schon viel stärker auseinandergedrängt, später ist
der bindegewebige Grundstock der Zotte in der Mitte wie
ausgehöhlt, von einer immer noch schleimhaltigen Flüssigkeit
aufgetrieben, die Gefäße sind verschwunden, das Bindegewebe
am Rande zu einer etwas kompakteren Schicht zusammen-
gedrängt, welche außen überzogen ist von mehr weniger
stark gewucherten Epithelschichten, in denen bald die un-
regelmäßigen Anhäufungen der Langhansschen Zellen, bald
die guirlandenartigen oder direkt schaumähnlich angeord-
neten Massen des Syneytiums in den Vordergrund treten.
Entsprechend dieser starken Wucherung der Zottengewebe
ist das Deciduagewebe gewöhnlich stark reduziert, eine zu-
sammenhängende Decidua reflexa oft nicht mehr nachweis-
bar, die gewüucherten und dann blasig umgewandelten Zotten
sind vielfach in die Decidua vera auf der ganzen Innen-
fläche des Uterus eingedrungen. Dieser Wachstumsexzeß
des Zottengewebes kann dazu führen, daß dasselbe zu einer
Zeit, wo es normalerweise vielleicht den Raum einer Faust
einnehmen sollte, als Blasenmole mehrere Waschschüsseln
füllt und ein Gewicht von 4 kg und mehr erreicht; die
führende Rolle dabei scheint, wenn auch das Bindegewebe
sich nicht ganz passiv verhält, dem Epithel zuzukommeij;
ich habe vor Jahren [18961)] die Ansicht ausgesprochen,
daß eine Sekretionsanomalie der Langhansschen Zellschicht
das Wesen der Erkrankung ausmache; ich habe damit nicht
viel Anklang gefunden, zum Teil wohl, weil ich damals
mit vielen andern Autoren die Zellschicht noch zum Mesoderm
rechnete, zum Teil, weil ich nur von der Schleimproduktion
der Zellschicht sprach; meine Hypothese war, den damaligen
Kenntnissen entsprechend, zu eng gefaßt; ich bin aber auch
heute noch der Meinung, daß wir ohne die Annahme einer
Sekretions- oder, noch besser gesagt, einer Funktions-
anomalie des Chorionepithels, dem ich jetzt die
Langhanssche Zellschicht zurechne, neben der abnormen
Wucherungstendenz derselben, die Bildung der Blasenmole
nicht erklären können. Wir haben in Gießen?) eine Mole `
mit taubeneigroßen Blasen beobachtet, aus denen sich der
flüssige Inhalt im Strahl entleerte. Da die Zotten, wie ge-
wöhnlich, gefäßlos waren, die Stromazellen zum großen Teil
frühzeitig fettig degenerieren, wie ich schon 1896 zeigte, die
Decidua bei Blasenmole aber nicht ödematös ist und pri-
märe Circulationsstörungen an. ihr auch nicht nachweis-
bar sind, so bleibt als Quelle dieser abnormen Sekretmassen,
in denen allerdings das Muein nicht die ihm früher zu-
geschriebene vorherrschende Rolle zu spielen scheint, nur
das Chorionepithel übrig, dessen Charakteränderung 1m
Sinne vermehrter und veränderter Sekretion und vermehrter
er DS
EIER
gas SEN
KLZU
Abb.4. Oberfläche einer Zotte im Beginn der blasigen Degeneration.
Vergr. 65. Eigenes Präparat. b = „myxomatöses“ Stroma ohne
Gefäße. co = Syneytium. d = Langhanssche Zellschicht, beide in
Wucherung.
Wucherung eben das Primäre der ganzen Erkrankung ZU
sein scheint.
1) Zt. f. Geb. Bd. 34.
2) Sitzenfrey, Zbl. f. Gyn. 1911, Bd. 35, Nr. 9.
15. "September. Ea 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 87. u 1491
Was aber zu dieser Charakteränderung Anlaß gibt, ist
uns gänzlich unbekannt; wir wissen nicht einmal, ob sie
regelmäßig bei noch lebender Frucht auftritt — wie bei den
oben angeführten Fällen — und sekundär den Tod der-
selben herbeiführt, oder ob sie umgekehrt, gewöhnlich erst
nach Absterben des Foetus sich entwickelt: nur so viel ist
sicher, daß die Wucherung nach dem sehr häufig frühzeitig
erfolgten Tode der Frucht noch lange Zeit fortzuschreiten
pflegt, daß also das Chorionepithel vollständig unabhängig
von der Ernährung durch den fötalen Kreislauf ist, sondern
seine Nährstoffe direkt aus dem mütterlichen Blute bezieht;
Beweis dafür ist, daß man bei der größten Blasenmole oft
eine winzige oder gar keine Eihöhle findet und keine Spur
des Foetus mehr, weil dieser in so früher Zeit zugrunde
ging, daß er in dem Liquor amnii vollständig zur Auflösung |
kommen konnte. |
Bezüglich der Aetiologie können wir nur so viel sagen,
daß nicht Schädlichkeiten beschuldigt werden können, welche
bei schon bestehender Schwangerschaft von außen her an
den mütterlichen Organismus herantreten, sondern daß es
innere Ursachen sein müssen; dafür sprechen besonders
die Fälle von wiederholter Molenschwangerschaft, die z. B.
Fritsch viermal, Mayer elfmal, Essen-Möller gar 18 mal
bei derselben Patientin auftreten sah. Auch die Tatsache,
daß die Blasenmole bei älteren Frauen, besonders bei den
nahe am Klimakterium stehenden und bei mehrgebärenden
Frauen ausgesprochen häufiger vorkommt als bei jüngeren
und erstgebärenden Frauen, spricht dafür, daß die Ursache
im Organismus der Mutter liegt. Essen-Möller glaubt
zwar die Tatsache der größeren Häufigkeit der Blasenmole
bei älteren und bei mebrgebärenden Frauen aus dem von
ihm gesammelten Material widerlegen zu können, doch kann
ich ihm hier nicht folgen. Er fand unter 138 Molen mit
genügenden Angaben 97 zwischen dem 21. und 40. Lebens-
jahre, 26 zwischen dem 41. bis 50. und sechs über dem
50, Lebensjahr. Es sind also in den Jahren der höchsten
sexuellen Tätigkeit gerade dreimal soviel Blasenmolen beob-
achtet, wie nach dem 40. Lebensjahr; aber die Gesamtzahl
der Conceptionen ist vor dem 40. Lebensjahre doch nicht
dreimal, sondern wohl 20 mal so groß wie nachher, und
jenseits des 50. Lebensjahrs werden doch nur ganz ver-
einzelte Geburten beobachte. So wurden nach Straß-
mann?!) im Jahre 1898 in Berlin von den 20 bis 40jährigen
Müttern 46 872, von den Müttern über 40 Jahren nur 2971
Kinder geboren und nur vier von Müttern mit 50 Jahren
und darüber, Wäre also die Blasenmole gleichmäßig auf
alle Lebensalter verteilt, so dürften nach dem 40. Lebens-
jahre bei der 20 mal geringeren Zahl der Geburten auch
nur der 20. Teil Blasenmolen beobachtet werden, also im
ganzen bei 136 Fällen vielleicht sechs und nicht 32; noch
Schärfer würde der Gegensatz ausfallen, wenn man die Fälle
von Blasenmole in solche vor und nach dem 45. Lebens-
Jahre gruppieren wollte, welches ja gewöhnlich als Grenze
der Fertilität angenommen wird; denn zwischen das 40. und
45. Lebensjahr fielen in Berlin immer noch 1829 Geburten,
nachher aber nur 142. Am schlagendsten aber ist der Ver-
gleich der Blasenmolen bei 50 Jahren und darüber, für die
Essen-Möller die Zahl 6 angibt, mit den Geburten über
50 Jahren, von denen Straßmann nur vier meldet; selbst-
verständlich ist ein direkter Vergleich dieser Zahlen, die ja
gar nicht zusammengehören, nicht erlaubt, aber so viel geht
doch daraus unwiderleglich hervor, daß auf die Conception
-nach 50 Jahren ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz
von Blasenmolen treffen muß. Denseiben Fehler, daß er
die Zahl der Blasenmolen bei den einzelnen Gruppen nur
auf die Gesamtzahl der beobachteten Blasenmolen, nicht
aber auf die Geburtenzahl der betreffenden Gruppe bezieht,
macht Essen-Möller bei der Betrachtung des Verhältnisses
1) v, Winckels Handbuch der Geburtsh. Bd. 1, S. 92.
zwischen der Geburtenzahl der einzelnen Frauen zur Häufig-
keit der Blasenmole. Nach seinen Berechnungen treffen
60 %/, der Blasenmolen auf Frauen mit 0—4 Kindern, 340/,
auf Frauen mit 5—10 Kindern und 5,8°%, auf Frauen mit
über zehn Kindern. Nach Straßmann treffen aber von
allen Gebärenden 78°/, auf die erste, 19°), auf die zweite
und 2°/, auf die dritte Gruppe von Frauen. Während nach
Straßmann 28,5%, aller gebärenden Frauen Erstgebärende
sind, waren nicht ganz 10°, der von Essen-Möller in
Rücksicht gezogenen Blasenmolengeburten die erste Geburt
überhaupt; auch hier beweisen also die Zahlen Essen-
Möllers das Gegenteil von dem, was er beweisen will; sie
beweisen, dab wirklich mit der Zahl der Geburten die Zahl
der Blasenmolen ganz auffallend zunimmt.
Wir müssen also annehmen, _daß die Ursache der
Molenbildung in der Mutter liegt; aber ob dieselbe in einer
primären Veränderung des Ovulums oder seines Ekto-
derms zu suchen ist, wie Marchand!) meint, oder ob erst
Einwirkungen, welche dasselbe nach der Einbettung im
Uterus treffen, mit andern Worten, eine primäre Erkran-
kung des Endometriums, die Veränderung des Charakters
des Zottenepithels hervorrufen, wie Veit?) und Andere mei-
nen, das zu entscheiden reicht das vorliegende Tatsachen-
material nicht aus. Ich will daher auf das Für und Wider
der ovulären oder decidualen Entstehungshypothesen nicht
näher eingehen. Der Umstand, daß die zur Blasenmole
führende Charakteränderung der Chorionepithelien, ohne
nachweisbare weitere Beeinflussung von außen, in manchen
Fällen zu wirklicher Destruktion und Bildung maligner,
rasch den Tod bringender Geschwülste fortschreitet, in an-
dern Fällen dagegen ganz spontan zur Rückbildung kommt,
sogar obne daß die Blasenmole ausgestoßen wird, scheint
mir im Einklang mit den die Theorie der Geschwulstgenese
zurzeit allgemein beherrschenden Anschauungen mehr dafür
zu sprechen, daß es primäre Variationen in der Keimanlage
selbst sind, welche zu diesen verschiedenen Entwicklungen
führen. Freilich bringe ich mich hiermit in Gegensatz zu
dem letzten gründlichen Bearbeiter dieses Themas, Essen-
Möller, welcher meint: „Wenn auch die deciduale Theorie
nicht genügend begründet ist, so sind doch Tatsachen für
dieselbe da, was man von der ovulären Theorie nicht
sagen kann.“
Wenden wir uns nun dem klinischen Bild und der Dia-
gnose der Erkrankung zu, so sind die ersten Erscheinungen,
Blutungen und blutig schleimiger Ausfluß, kaum von denen
bei den zuerst besprochenen Schwangerschaftsstörungen ver-
schieden; die absolut sichere Diagnose ist daher erst mög-
lich, wenn mit dem Blut einzelne abgerissene Bläschen aus-
gestoßen werden, doch können wir oft auch schon vorher
die Diagnose mit mehr weniger großer Wahrscheinlichkeit
stellen; die Blutungen sind meist stärker, hartnäckiger und
länger andauernd als bei der einfachen Endometritis deci-
dualis; das ausgestoßene Blut ist oft nicht mehr frisch, son-
dern dunkler gefärbt, zum Teil auch schon geronnen. Wo-
her dies kommt, können Sie sehr schön an diesem Präparat
eines Uterus mit noch darin enthaltener Blasenmole sehen:
die Auftreibung des Uterus ist nur zum Teil durch die
Blasenmole selbst, zum Teil aber durch ältere Blutmassen
bedingt, und auch die noch erkennbaren Teile der Decidua
reflexa sind diffus von Blut durchsetzt. Dieses Verhältnis
findet man ganz regelmäßig bei allen Blasenmolen und es
hängt mit der Entstehung der Blutungen zusammen; diese
werden dadurch hervorgerufen, daß die Decidua basalis, re-
flexa, oft auch vera von den gewucherten und gequollenen
Zotten derartig durchwachsen sind, daß sie ein vollständig
schwammiges Gewebe darstellen, wenn man sich die Mole
hinwegdenkt. Es ist klar, daß bei einer derartigen Rare-
1) Zt. £. Geb. Bd. 32 u. 89.
; Zt. f£. Geb. Bd. 46 und Gynäkologenkongreß Berlin 1901.
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1492 > > ` [912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 87.
15. September;
fikation des Gewebs die Blutgefäße außerordentlich gefährdet:
sind und sehr leicht zerrissen werden, zum Teil durch die
Größenzunahme der Zotten selbst, zum Teil durch. irgend-
welche Gelegenheitsursache, z. B. Bewegungen oder Con-
tractionen des Uterus, zumal die Zotten zum Teil innerhalb
der Gefäße selbst stecken. Die ergossene, anfangs nur ge-
ringe Blutmenge gelangt nur zum Teil nach außen, zum
Teil infiltriert sie die Decidua und wird auch im Cavum
uteri retiniert, gerinnt und verlegt das Orificium internum;
durch das nachsickernde Blut wird der Uterus gedehnt und
Äbb. 5. Durchschnitt durch einen. Uterus mit Blasenmole nach Härtung. a = lase,
welche die Decidua Reflexa b durchbrochen hat, ebensolche innerhalb der alten zum
Teil entfärbten Blutgerinnsel d. c = die (größtenteils quer getroffenen) Blasen dringen
nach vollständiger Zerstörung der Decidua vera in die Muscularis uteri ein. Präparat
der Bonner Frauenklinik. a ae
es treten Wehen auf, die nun zur Ausstoßung des alten
Bluts, aber auch zu erneuter, nunmehr stärkerer Blutung
führen, indem sie Teile der degenerierten Zotten aus dem
weichen -Mutterboden losreißen und damit neue Gefäße er-
öffnen. Dieses Spiel kann sich sogar, ähnlich wie beim
Öarcinoma corporis uteri, in ziemlich regelmäßigen. Zeit-
abständen wiederholen, jedesmal wenn die Ausdehnung des
Uterus’ durch das in sein Inneres ergossene Blut eine ge-
wisse Höhe erreicht hat, bis endlich Wehen ausgelöst wer-
den, die stark genug sind, die Geburt der- Mole in Gang zu
bringen. | | NE Min ca EBEN
Die Blutergüsse in das Cavum uteri sind zum Teil die
Ursache zweier anderer Symptome, welche die Diagnose der
Blasenmole sehr erleichtern können. Das ist erstens die
ungewöhnliche Spannung der Uteruswand, welche die
Patientin als Schmerz empfindet; der Untersucher als prall-
elastische Konsistenz des Uterus im Gegensatz zu der son-
stigen teigig-weichen Beschaffenheit des schwangeren Uterus.
objektiv feststellen kann. Freilich ist. gerade durch diese
` Konsistenzvermehrung der Untersücher mehrfach auch irre-
geführt worden; der Uterus fühlte sich so hart an, daß ein.
Myom angenommen und die Totalexstirpation vorgenommen
wurde.. Als Zweites ist hier zu erwähnen die Größe der
' Gebärmutter, welche mit der Zeit der Schwangerschaft nicht
übereinstimmt, sondern die eines 'normalen schwangeren
Uterus derselben Zeit oft beträchtlich übersteigt; oft erreicht
der Fundus uteri den Nabel, während die Schwangerschaft
der Anamnese nach erst zwei bis vier Monate dauern kann;
Essen-Möller sah im zweiten Monat den Uterus innerhalb
17 Tagen von zwei Finger breit. unterhalb des Nabels bis
zum Epigastrium emporsteigen; im wesentlichen -durch die
Blutung in das Innere. Doch trägt natürlich auch die un-
gewöhnlich starke Vermehrung der Zottenmasse, die Sie iù
àll den demonstrierten Präparaten gesehen haben, zur: Vo-
lumenvermehrung des Uterus bei. = u Br
Die ungewöhnliche Spannung des Uterus kann auch
besonders starke Schwangerschaftsbeschwerden, namentlich
‘Erbrechen, hervorrufen. Von besonderem Interesse ist das
relativ häufige und frühzeitige Auftreten von Albumen im
Urin: während sonst die Schwangerschäftsnephritis in der
Regel erst nach. dem sechsten Monat auftritt, sieht man sie
hier und zwar in ihren schwersten Formen schon im zweiten
bis vierten Monat und neuerdings sind auch eine Anzahl von
Fällen bekanntgeworden, in denen es zum Ausbruch schwerster
Eklampsie kam, die erst mit der Ausräumung: der Blasen-
mole zur Heilung kam. Sitzenfrey!) hat einen solchen
| Fall aus meiner Gießener Klinik beschrieben, -in - welchem
die Erscheinungen so schwere waren, daß die Entleerung
des Uterus durch den- vaginalen Kaiserschnitt vorgenommen
wurde. Diese Tatsachen werden uns verständlich, wenn wir
uns erinnern, daß sowohl die Schwangerschaftsniere als die
Eklampsie die Folge einer der Schwangerschaft eigentüm-
lichen Autointoxikation des weiblichen Organismus Sind,
‘hervorgerufen durch intermediäre Produkte des Eiweißstofi-
wechsels, welche in der Placenta entstehen. Denn in dieser-
hat die neuere Forschung ein drüsiges Organ- mit sehr kom-
plizierten Funktionen entdeckt, die nachweislich gebunden.
sind an das Epithel der Chorionzotten, -also gerade denjenigen.
f ‚ Teil des Gewebs, den wir bei der Blasenmole im Zustande
. | besonders starker Wucherung finden. Die Autointoxikation des
Organismus bei der Blasenmole findet, außerdem, wie in dem
von mir in Prag?) beobachteten Falle, gelegentlich ihren Aus-
“druck in starker Abmagerung und besonders kachekti-
schem Aussehen der Patientinnen, die beide durch die.
Ahämie allein nicht erklärbar.sind, denn andauernd kleine
Blutverluste führen bekanntlich viel eher zu Fettansatz als
zur Abmagerung, wie wir bei unsern Myomkranken Immer
wieder sehen können. b. | Da N
So führen diese Beobachtungen einerseits zu einer Be-
stätigung der auf anderm Wege gewonnenen Anschauungen:
über das Wesen der Schwangerschaftsniere und Eklampsie,
anderseits sind sie geeignet, die von mir vorhin vorgetragene
Auffassung zu stützen, daß zum Wesen der Blasenmole
auch eine Sekretions- oder Funktionsanomalie des Zotten-
epithels- gehört. u | PL Zu
` Neue Gefahren drohen der Patientin, die eine Blasen-
mole trägt, bei der Ausstoßung derselben. Diese erfolgt
gewöhnlich zwei bis drei Monate nach Beginn der Blutungen.
im dritten bis fünften Schwangerschaftsmonate, manchmal aber
wird die Blasenmole auch, ohne weiter zu wuchern, monate-
‚lang zurückgehalten, und es sind Fälle berichtet, in denen.
sie erst nach 12, ja 17 Monaten ausgestoßen wurde; in diesen
Fällen beherbergte sie der Uterus monatelang symptomlos-
Daß er das nicht mehr entwicklungsfähige,. zum Fremdkörper.
gewordene Schwangerschaftsprodukt so lange Zeit. zurück-
"hält, ohne sich zu kontrahieren, deutet schon auf eine starke.
Herabsetzung seiner Reaktionsfähigkeit hin, die sich
auch bei der Geburt oft — mit und ohne vorhergegangen®.
Retention — verhängnisvoll bemerkbar macht., Da die 50
spannte und überdehnte oder sonst geschädigte Uterusw and,
1) Loco citato. | A. :
2) Gynäkologenkongreß Würzburg 1908. en
. 15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
1493
ER VE
sich schlecht zusammenzieht, sind die Wehen in .der Regel.| den vorhandenen Venenbahnen in die Uteruswand vorge-
anfänglich sehr” schwach und unwirksam, der Muttermund
erweitert sich langsam, die Ausstoßung zögert sich hin, wo-
durch einerseits der Blutverlust ein besonders großer wird,
anderseits leicht ein Emporwandern der Scheidenkeime ein-
tritt, welche in dem durchbluteten, schlecht genährten De-
ciduagewebe und den alten Blutmassen im Uterüs einen
vorzüglichen Nährboden finden; Schüttelfröste und hohes
Fieber sind die Folge; die Blutung kann zu den höchsten
Graden akuter Anämie, ja zum Verblutungstode führen; denn
infolge der ungewöhnlichen Größe und Masse der Chorion-
zotten findet bei ihrer Ausstoßung eine ungewöhnlich breite
‘ Eröffnung der mütterlichen Blutbahnen statt, besonders dann,
wenn die Zottenwucherung sich nicht auf die Decidua be-
schränkt hat, sondern in den Venen der Uteruswand selbst
weiter vorgedrungen ist. Dieses Einwachsen der Zotten
in-Uterusvenen kann bekanntlich bei jeder Schwangerschaft
stattfinden, es ist daher verständlich, daß es hier von den
mit besonderer Wucherungstendenz ausgestatteten Zotten in
besonders großem Umfange betätigt wird; so können die
Zotten bis dicht unter die Serosa gelangen, durch ihre Ver-
größerung die: Venen immer stärker erweitern und das da-
zwischen gelegene Muskelgewebe mehr weniger zum voll-
ständigen Schwunde bringen, sodaß die Uteruswand nur noch
aus zottenerfüllten, kavernös erweiterten Blutgefäßen besteht
und jeder Contractilität an dieser Stelle ermangelt. Wir
sprechen dann von einer destruierenden Blasenmole,
deren Durchbruch in die Bauchhöhle mit nachfolgender töd-
- licher innerer Blutung mehrfach beobachtet wurde; daß die
Gefahr der Perforation bei der Ausräumung und der Ver-
blutungstod hier besonders nahe :liegt, mußte ich selbst er-
fahren): ich konnte in einem in Prag erlebten Falle direkt
fühlen, daß mein ausräumender Finger nur durch das Peri-
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Abb. 6. 'Uteruswand bei destruierender Blasenmole. Vergr. 10.
mit degeneriertsn Zotten d im Innern, ..
toneum von der Bauchhöhle getrennt war; es blieb zwar
intakt, aber die Patientin verblutete sich in der Klinik unter
meinen Händen in so kurzer Zeit, daß die als letztes Rettungs-
mittel in Aussicht genommene Totalexstirpation des Uterus
nicht mehr ausgeführt werden konnte. Ich kann Ihnen einige
„ aparate von diesem Falle zeigen, in denen Sie schon mit
er Lupe die Zotten mitten in der Uteruswand und dicht
unter der Serosa erkennen können.
Von diesen Fällen, in denen die Zotten als Ganzes in
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eag Gynäkologenkongreß Würzburg 1903.
| Eigenes Präparat.
a = Serosa. b = Subserosa. e = Muscularis uteri. -c = Vene dicht unter der Berosa,
drungen sind, gibt es nun allmähliche Uebergänge zu den-
jenigen Fällen, in welchen die foetalen Zellen diffus in die
mütterlichen Gewebe vordringen, diese vollständig durchsetzend
und schließlich zum Zerfall bringend; wo sich also an die Blasen-
mole die Entwicklung einer bösartigen Geschwulst anschließt,
die wir Chorioepithelioma malignum nennen; denn hier
beteiligt sich das Zottenstroma nicht weiter an der schranken-
losen Wucherung, sondern nur die beiden Komponenten des
Chorionepithels, die Langhanssche Zellschicht und das Syn-
cytium; Sie erkennen beide Bestandteile in Abb. 7 leicht
wieder, welche nach einem in Prag von mir operierten Falle
bei derselben Vergrößerung (65) gezeichnet ist, wie die nor-
male Haftzotte in Abb. 3 und die Blasenzotte in Abb. 4.
Eine eingehende Besprechung dieser Geschwulstform, die be-
kanntlich auch nach gewöhnlichem Abortus. und nach ganz
normaler Geburt sich entwickeln und binnen weniger Mo-
nate, ja: Wochen zum Tode führen kann, würde uns heute
zu weit führen. Für unser heutiges Thema genügt die Fest-
stellung, daß das Chorionepithelioma sich im Uterus ent-
wickeln kann, noch während er die Blasenmole enthält; daß
es aber auch ausgehen kann von Teilen der Mole, die bei
der Ausstoßung im Uterus zurückgeblieben sind, oder von
solchen, die- von der Hauptmasse losgerissen wurden und
auf der Blutbahn an beliebige Stellen des Körpers verschleppt
worden sind, am häufigsten in die Scheide und in die Lunge.
Der Zwischenraum zwischen der Ausstoßung der Blasen-
mole und der Entwicklung der malignen Geschwulst ist in
diesen Fällen ein sehr verschiedener, zwischen mehreren
Wochen und mehreren Jahren schwankend, meist aber
mehrere Monate; - die vorausgegangene Blasenmole braucht
gar nichts Auffälliges dargeboten zu haben und ihre Aus-
stoßung kann ganz glatt erfolgt sein, das Wochenbett voll-
ständig normal gewesen sein. Ja selbst die mikros-
kopische Untersuchung hat bis jetzt noch keinerlei
Abb. 7. Ohorioepithelioma malignum. Vergr. 65. Eigenes Präparat.
| {rierte Muzenlaris uteri, In welche le Geschwulstzellen Anaco:
Unterscheidungszeichen aufzudecken vermocht zwischen den.
Blasenmolen, nach deren Ausstoßung‘ die Patientinnen voll-
ständig und endgültig genesen sind und nachher auch
häufig wieder konzipiert und normal geboren haben, und
den von einem Chorionepithelioma malignum gefolgten
Blasenmolen. |
Es ist selbstverständlich, daß dieser Zusammenhang die
an sich schon etwas zweifelhafte Prognose der Blasenmole
noch weiter trüben muß; aber glücklicherweise ist doch die
erstere Gruppe der Patientinnen bei weitem die größere.
Bei klinischem Material waren zwar bei Essen-Möller
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1494
1912-— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15: September. |
25°%/, bei Kroemer!) 39%/, der Blasenmolen von: Chorion-
epitheliom gefolgt, aber ersterer beobachtete nur 16, letztere
15 Fälle von Blasenmolen, und bei :so kleinen Zahlen kann
der Zufall eine sehr große Rolle spielen, auch kommen. wohl
vorwiegend die länger sich binziehenden und komplizierten
Fälle von Blasenmole zu klinischer Beobachtung; man wird
kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß allerhöchstens
10°,, vielleicht noch weniger der Frauen mit Blasenmolen
von Chorionepithelioma bedroht sind. Diese Zahl recht-
fertigt keinesfalls die radikale Forderung Solowijs?), in
jedem Falle von Blasenmole den Uterus zu exstirpieren, sie
genügt aber, um zu zeigen, dab nicht alle Gefahr mit der
Ausräumung der Mole vorüber ist, daß vielmehr jede Frau,
die eine Blasenmole geboren hat, längere Zeit weiter beob-
achtet werden und möglichst nachdrücklich darauf hinge-
wiesen werden muß, daß sie, auch nach Jahren, bei jeder
Unregelmäßigkeit der Menstruation den Arzt aufsuchen muß;
eine dann ausgeführte Probeausschabung wird die Diagnose
meist noch rechtzeitig stellen lassen. |
Manchmal ist die Sachlage auch so, daß der Arzt nicht
bei der Ausstoßung der Mole, sondern erst bei der ersten
oder wiederholten Blutung nach derselben zu Rate gezogen
wird. Er wird in solchen Fällen den Uterus vergrößert
und von weichen Massen erfüllt finden. Es ist nun von
größter Wichtigkeit, daß er sofort an die Möglichkeit eines
Chorioepithelioma malignum, - von denen etwa 50°/, nach
Blasenmolen entstehen, denkt und die aus dem Uterus, viel-
‚leicht wegen augenblicklicher schwerer Blutung, ausge-
räumten Massen nicht wegwerfen läßt, sondern einer sorg-
fältigen mikroskopischen Untersuchung zuführt; ich habe
auf diese Weise die Diagnose wiederholt rechtzeitig stellen
können), und umgekehrt erlebt, daß von Kollegen diese
Untersuchung versäumt wurde und die zu |
jener Zeit noch leicht heilbare Patientin erst
bei einer erneuten späteren Blutung der Klinik
in inoperablem Zustande zugewiesen wurde.
. Wird der Arzt zur Geburt einer Blasen-
mole zugezogen oder hat er die Diagnose
schon während der Schwangerschaft stellen
können, so ist seine Aufgabe eine doppelte:
1. durch tunlichste Beschleunigung der Aus-
stoßung den Blutverlust soweit als irgend
möglich einzuschränken und 2. dafür zu sorgen,
daß das Cavum uteri vollständig entleert wird,
um der Chorionepitheliomentwicklung vorzu-
beugen. Beides erreicht er am besten durch
manuelle Ausräumung des Uterus, sobald der-
selbe für zwei Finger zugängig ist; ist dies
noch nicht der Fall, so wird am besten ein
kleiner Metreurynter in den Uterus eingelegt,
um die Cervix zu erweitern; nur im Notfalle,
wenn kein Metreurynter zur Hand ist, sollte
man statt dessen die feste Tamponade der
Scheide ausführen. Denn ihre blutstillende
und wehenerregende Kraft ist sehr viel unsicherer und die
Gefahr der Infektion dabei erheblich größer; selbstverständ-
lich muß bei beiden Verfahren die Scheide vorher nach
Möglichkeit desinfiziert werden.
Schon vor Beginn der Ausräumung sucht man durch
subeutane Injektion von Ergotin (1 bis 2 cbm) eine gute
Zusammenziehung des Uterus vorzubereiten; die Ausräumung
selbst sollte nur dann mit einer stumpfen Curette unter
Kontrolle durch die außen aufgelegte Hand und mit größter
Vorsicht vollendet werden, wenn der Finger wegen der Größe
des Uterus nicht dazu ausreicht. Immer ist dabei an die
Gefahr der Uterusperforation zu denken; auch die Gefahr
1) D. med. Woch. 1907, S. 1246.
2) Mon. f. Geb. u. Gyn. 1900, Bd. 12. Ä |
3) Zt. f. Geb. Bd. 34 u. 49; Mon. f. Geb. u. Gyn. 1909, Bd. 80;
Die Prager Fälle bei Garkisch, Prag. med. Woch. 1906, Nr. 42,
der Luftembolie und Intoxikation durch das Spülmittel ist
. bei der Uterusausspülung besonders groß, weil häufig große
Venenlumina eröffnet sind, die natürlich auch besonders
leicht infiziert werden können. Die Benutzung steriler Gummi-
handschuhe ist daher dringend zu empfehlen. Zur Ver-
meidung aller dieser Gefahren würde man am liebsten auf
die Ausräumung verzichten, wenn die Erfahrung nicht zeigte,
daß bei ganz spontanem Verlauf doch sehr häufig Teile der -
Mole zurückbleiben.. Es ist daher zu raten, daß der Arzt
auch dann, wenn bei seiner Ankunft die Hauptmassen -der
Mole anscheinend schon geboren sind, sich durch Austastung
. des Uterus von der vollständigen Ausstoßung. überzeugt, und
wenn nötig, sie durch Ausräumung der letzten Reste er-
gänzt. Eine Tamponade des Uterus ist nur dann notwendig,
wenn die Blutung nach der Ausräumung und Ausspülung
mit heißem . Wasser und 70°/,igem Alkohol nicht steht. Im
Wochenbett ist es rätlich, die Rückbildung des Uterus durch
Secale und heiße Scheidenspülungen tunlichst zu fördern.
Ich habe noch einer Ueberraschung zu gedenken, die
der Arzt nach der Ausräumung und Verkleinerung des
Uterus, gelegentlich auch erst bei der Nachuntersuchung
vor Entlassung der Patientin erleben kann: nämlich: die
Entdeckung doppelseitiger Ovarientumoren von
Gänseei- bis Faustgröße. Bei günstigen Untersuchungsver-
hältnissen sind sie gelegentlich auch bei noch bestehender
Schwangerschaft zu fühlen, oft aber entziehen sie sich der
Erkenntnis, weil sie hinter dem stark vergrößerten Uterus
nach den Weichen zu liegen, nicht erreichbar von dem
vaginal untersuchenden Finger und vor der äußerlich tasten-
den Hand sich hinter den vom Uterus zur Seite gedrängten
Darmschlingen bergend. Diese Ovarialtumoren geben zu
Besorgnissen keinen Anlaß, denn sie’ sind einer spontanen
Abb. 8. Oystische Entartung beider Ovarien bei Blasenmole. Nach einem Präparat
und Aquarell des Herrn Prof. Reifferscheidt.
Rückbildung fähig und bedürfen operativer Entfernung nur
dann, wenn sie mechanische Beschwerden verursachen. Es
handelt sich nämlich nicht um .Neubildungen im engeren
Sinne des Wortes, sondern nur um eine reaktive Hyper-
plasie der Thecaluteinzellen und die Entwicklung von Re-
tentionseysten aus nicht geplatzten Graafschen Follikeln;
bekanntlich gehen bei eintretender Schwangerschaft . die
Ovula in allen in der Entwicklung begriffenen Graafschen
Follikeln zugrunde und mit ihnen das Follikelepithel; die
Zellen der innersten, den Follikel umgebenden Bindegewebs-
schicht, der Theca interna, vergrößern sich, derselbe gelbe
Farbstoff, das Lutein, lagert sich in ihnen ab, wie nach dem
Platzen reifer Follikel in den wuchernden Follikelepithel-
zellen; auch bei einer normalen Schwangerschaft kommt 68
nicht selten zu einer stärkeren Hyperplasie dieser Zellen.
Bei Blasenmole ist dieselbe mitunter exzessiv und in die
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15. September. |
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nicht geplatzten, aber verödeten Follikel findet aus der ge-
fäßreichen und gewucherten Thecaluteinschicht eine ver-
mehrte Transudation von seröser Flüssigkeit statt; aus den
atretischen Follikeln werden „Thecaluteincysten“, die, in
größerer Zahl die Ovarien durchsetzend, dieselben zu rich-
tigen Tumoren anschwellen lassen. Diese abnorme Entwick-
lung des Luteingewebes des Ovariums scheint die Folge der
abnormen Entwicklung des Chorionepithels zu sein, denn
sie findet sich außer bei der Blasenmole auch beim Chorio-
epitheliom; wir erhalten so einen neuen Hinweis auf die
mehrfach erwähnte veränderte und vermehrte Sekretion der
Chorionepithelien bei der Blasenmole. Die Hyperämie der
Ovarien allein kann die Ursache der Luteincystenbildung
nicht sein, denn bei der normalen Gravidität, wo diese
Hyperämie doch bis zum Ende derselben zunimmt, finden
wir sie nicht, und umgekehrt erreicht die Hyperämie der
Genitalien bei Chorioepitheliom des Uterus lange nicht den
hohen Grad wie bei einer normalen Gravidität und doch
kommt es zur Luteinceystenbildung. Nach spontaner oder
operativer Entfernung der Blasenmole aber erfolgt, wie ich
selbst und eine ganze Reihe anderer Beobachter erfahren
haben, eine allmähliche Rückkehr des Ovariums zur Norm,
durch Resorption des Cysteninhalts, Zerfall und Resorption
der Thecaluteinzellen und Ersatz derselben durch gewöhn-
liches Eierstockbindegewebe. Es ist sogar darnach erneute
Schwangerschaft mit Normalbleiben des verändert gewesenen
Ovariums beobachtet worden (Gouilloud, zitiert nach
Essen-Möller). Ich mußte diese Einzelheiten erwähnen,
weil eine Zeitlang die Sache umgekehrt aufgefaßt wurde,
als ob die Wucherung des Luteingewebes, beziehungsweise
die dadurch vermehrte innere Sekretion des Ovariums die
Ursache der Wucherungen des Chorionepithels wäre, eine
Auffassung, die mit den angeführten Tatsachen nicht ver-
einbar ist.
Die nun noch abzuhandelnden Ursachen der Blu-
tungen in der Schwangerschaft unterscheiden sich von den
bisher besprochenen durch den von einer normalen Schwanger-
schaft vollständig abweichenden Befund, der ihre Erkennung
meist leicht macht.
Mehr der Vollständigkeit halber ist hier zunächst zu
erwähnen, daß protrahierte Blutungen von meist geringer
Stärke auch Symptom einer Extrauterinschwangerschaft sein
können, und zwar ausnahmsweise auch einmal dasjenige,
was die Patientinnen zuerst zum Arzte führt, wenn auch
gewöhnlich andere Symptome in den Vordergrund treten.
Dabei braucht die Periode gar nicht ausgeblieben zu sein
‚ oder sie kann sich nur um einige Tage verspätet haben.
Die Patientinnen fühlen sich daher selbst oft gar nicht
schwanger. Bei der Untersuchung fühlt man neben dem
ebenfalls vergrößerten Uterus einen weichen Tumor, die
schwangere Tube, oder auch einen Tumor im Douglas-
schen Raume, die infolge des beginnenden Tubenabortus ent-
standene Haematocele. Diese ist nicht gar so selten mit
dem retroflektierten, schwangeren Uterus verwechselt worden,
und ich habe schon schweren Schaden durch unter dieser
Voraussetzung gemachte Aufrichtungsversuche anrichten
sehen. Eben deshalb erwähne ich die Blutungen bei Extra-
uteringravidität in diesem Zusammenhang, ohne weiter auf
die letztere eingehen zu wollen. Das Blut stammt hierbei
entweder aus der Tube, indem es sich bei der beginnenden
Loslösung des Fies in derselben eben sowohl, wenn auch
meist in sehr viel geringerer Menge, durch das nicht ver-
schlossene Ostium uterinum nach außen, wie durch das
Ostium abdominale in die Bauchhöhle ergießen kann. Oder
die Blutung ist bedingt durch die beginnende Abstoßung der
Decidua uterina, die sich bekanntlich auch bei Extrauterin-
Schwangerschaft bildet und im Verlauf derselben, meist erst
bei eintretenden Störungen in der Fortentwicklung der
chwangerschaft, als Ganzes oder auch in einzelnen kleinen
Fetzen eliminiert wird, wobei es eben zu Blutungen kommt.
Da man aus den abgegangenen Deciduamassen gelegentlich
die sonst noch zweifelhafte Diagnose sicherstellen kann, so
soll man bei derartigen Blutungen dem Wartepersonal An-
weisung geben, daß eine sterile Vorlage vor die Genitalien
gelegt und alles Abgehende zur Untersuchung aufbe-
wahrt wird, |
Ich habe sehon früher gelegentlich erwähnt, daß, ehe
man eine der im Corpus uteri lokalisierten Blutungsursachen
annimmt, man selbstverständlich durch genaue Palpation
und Inspektion feststellen muß, ob das Blut wirklich aus
dem Corpus uteri kommt und nicht etwa einer lokalen Ver-
änderung an Cervix und Portio entstammt, wobei man in
erster Linie an ein Carcinom der Portio oder der
Cervixschleimhaut denken wird. Glücklicherweise ist
diese Schlimmste aller Schwangerschaftskomplikationen sehr
selten, wenn auch nicht so selten, wie man früher dachte;
Sarwey!) gibt an, daß auf 1600 Anstaltsgeburten ein Fall
trifft, also auf 0,06 %/, der Geburten, und daß 1,6 °/, der in
der Klinik beobachteten Carcinomkranken schwanger waren.
Ich selbst habe immerhin 19 Fälle gesehen, davon sechs in
Prag und einen in Gießen. Aber in meinem Prager Car-
cinommaterial, das Scheib?) genau durchgearbeitet und
veröffentlicht hat, fanden sich außerdem noch acht Fälle,
die sicher in der zuletzt vorhergegangenen Schwangerschaft
schon bestanden hatten, ohne doch die Kranken zum Arzt
geführt zu haben. Wir kommen so zu dem uns heute am
meisten interessierenden Punkt: die Blutungen bei Carcinom
in der Schwangerschaft sind keineswegs, was man meinen
sollte, immer besonders heftig und auffällig, im Gegenteil
haben sie, eine gewisse Regelmäßigkeit innehaltend, sogar
öfter dazu geführt, den Kranken die Tatsache der Schwan-
gerschaft sowohl, wie der Erkrankung zu verhüllen. Das
ist sehr bedauerlich, weil bekanntlich einerseits das
Careinom in der Schwangerschaft besonders rasch fort-
schreitet, anderseits aber die Radikaloperation, wenn sie
noch ausführbar ist, in der Schwangerschaft wegen der
starken Auflockerung und leichten Trennbarkeit der Teile
eher leichter ausführbar ist als sonst, wie ich aus eigner
Erfahrung bestätigen kann, und tatsächlich auch eine
günstigere Prognose gibt; ich habe von den Fällen, die ich
in der Schwangerschaft operierte, keinen verloren, und
Sarwey fand bei 120 Fällen eine Mortalität von 7,5 %/,, bei
29 mit abdominaler Radikaloperation behandelten Fällen von
0°%/,; auch die Zahl der Dauerheilungen, die erzielt wurden,
ist relativ hoch, nämlich 20—25 °|,; es ist also selbstver-
ständlich, daß wir das Carcinom zu jeder Zeit der Gravidität
operativ behandeln werden, und zwar durch abdominale
Totalexstirpation. |
Die Diagnose ist bei allen Fällen, in denen es schon
zu wirklicher Tumorbildung oder Zerfall gekommen ist,
leicht; in zweifelhaften Fällen muß die Probeexeision und
mikroskopische Untersuchung ausgeführt werden, was frei-
lich manchmal zum Abortus führt; auf die mikroskopische
Differentialdiagnose möchte ich hier nicht weiter eingehen.
Das bekannte gewöhnliche Bild des ausgebildeten Platten-
epithelcareinoms ist natürlich leicht zu erkennen, es kommen
aber gerade in der Schwangerschaft an der Portio und
Cervixschleimhaut atypische Epithelwucherungen vor, die
auch ein sehr geübter mikroskopischer Diagnostiker nur
schwer gegen beginnende Carcinomentwicklung abgrenzen
kann; ich werde an anderer Stelle auf solche Fälle zurück-
kommen, ebenso auf eine ganz besondere Rarität, die ich
nur der Vollständigkeit halber hier erwähne: In einem Fall
erwiesen sich zwei der Portio aufsitzende, hochrote, leicht
blutende und im höchsten Grade careinomverdächtige Knöt-
chen als kleine Anhäufungen typischer Deciduazellen mit
großen Capillargefäßen. Ich konnte vor 15 Jahren zum
1) Veit, Handb. d. Gyn., Bd. 3, S. 857 ff.
9) Scheib, Habilitationsschrift, Prag 1909, u. A. f. Gyn., Bd. 87.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September,
erstenmal Deciduagewebe in der Portio nachweisen, und
. zwar in einem Falle bis dicht über dem Orificium externum;
später wurde es noch öfter gefunden, einmal sogar in der
Scheide, doch hat es meines Wissens bislang in keinem Falle
differentialdiagnostische Bedeutung. erlangt.
Aber auch abgesehen von diesem abnorm seltenen
Einzelfalle braucht,” wie ich zum Schlusse hervorheben
möchte, nicht jede leicht blutende Stelle am Orificium ex-
ternum des schwangeren Uterus ein beginnendes Carcinom
zu sein; die Cervixschleimhaut nimmt zwar für gewöhnlich
an der decidualen Umwandlung der Mucosa uteri nicht teil,
aber sie wird doch hypertrophisch und hyperämisch und
quillt infolgedessen gar nicht so selten in der Schwanger-
schaft stärker aus dem Orificium externum hervor, ähnlich
dem entzündlichen Ektropium bei starkem Cervixkatarrh, und
da sie sehr leicht verletzlich ist, kommt es aus diesem
ektropionierten Teil der Cervixschleimhaut gelegentlich bei
der Untersuchung zur Blutung; war die Cervixschleimhaut
schon vorher im Zustand chronisch-entzündlicher Wucherung,
so bilden sich wohl auch wahre Schleimpolypen in der
Schwangerschaft und geben, wie sonst auch, zu Blutung
und Ausfluß Anlaß, die durch Abtragung der Polypen!nach
Unterbindung des Stiels beseitigt werden. Natürlich wird
man auch hier die mikroskopische Untersuchung nicht unter-
lassen. Sie entziehen sich übrigens infolge ihrer Weichheit
und Beweglichkeit gelegentlich der Diagnose durch das
Tastgefühl und sind erst durch die Inspektion zu erkennen.
Mit Rücksicht darauf und besonders auch auf die beginnen-
den Carcinomfälle möchte ich daher zum Schluß noch
einmal ganz besonders darauf hinweisen, daß bei jeder
Schwangeren, bei der man bei der Untersuchung wider Er-
warten eine Blutung auslöst, der Mutterspiegel angewandt
werden muß, eine Untersuchungsmethode, die wir schwan-
geren Frauen ja sonst gerne ersparen.
Abhandlungen.
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie an der Universität
Straßburg
(Direktor Geheimrat Prof. Dr. P. Uhlenhuth.)
Untersuchungen über Immunität und Chemo-
therapie bei experimentell erzeugten Ratten-
und Mäusetumoren ')
von
Paul Uhlenhuth.
Die rationelle Erforschung der Tumorfrage ist erst mög-
lich geworden durch den Nachweis der Uebertragbarkeit der
bösartigen Tiergeschwülste, denn mit dieser Entdeckung war
die Grundlage geschaffen für eine experimentelle Krebs-
forschung. Erst das Tierexperiment setzte uns in die Lage,
die Tumoren von ihrem ersten Anfang an in ihrer ganzen
Entwicklung zu studieren. Nun erst war es möglich, die
Fragen der Empfänglichkeit, der Vererbung, der Disposition,
der Immunität und Chemotherapie in Angriff zu nehmen.
Leider ist die Uebertragung der malignen Tumoren
des Menschen auf Tiere bis jetzt noch nicht gelungen. Wir
können im allgemeinen nur die Tumoren auf homologe
Tiere übertragen, Mäusetumoren auf Mäuse, Rattentumoren
auf Ratten. Wir sind deswegen gezwungen, alle unsere
Untersuchungen und Erfahrungen an den transplantabeln
Tiergeschwülsten zu machen.
Die Sarkome und Carcinome der Tiere weichen nun
zwar in gewissen Punkten von denen des Menschen ab, sie
zeigen ein geringeres infiltratives Wachstum und geringere
Neigung zu Metastasenbildung. Aber im wesentlichen handelt
es sich doch um dieselben Gewebsabnormitäten, sodaß man
die im Tierexperiment gewonnenen Resultate mit einer
gewissen Vorsicht auf die Verhältnisse beim Menschen über-
tragen darf.
Die Erfahrungen und Beobachtungen, über die wir hier
kurz berichten möchten, wurden an zwei verschiedenen Ge-
schwulstarten gewonnen, an einem großzelligen Spindelzell-
sarkom der Ratte (Bashford) und an einem Mäusecarcinom
(Ehrlich).
Was nun zunächst unsere Erfahrungen "bezüglich der
Immunität anlangt, so konnten wir — in Uebereinstimmung
mit den Beobachtungen aller andern Forscher — zwei
interessante und wichtige Beobachtungen machen, einmal,
daß einzelne Tiere, obwohl die Tumoren in vielen Serien
bis zu 100 %% Ausbeute gaben, auf die Impfung nicht rea-
gierten. und sich auch späteren Nachimpfungen gegenüber
refraktär erwiesen, ferner, daß auch schon zu einer beträcht-
lichen Größe herangewachsene Tumoren sich plötzlich spontan
1) Nach einem Vortrag im medizinisch- naturwissenschaftlichen
Verein zu Straßburg am 21. Juni 1912.
zurückbildeten und daß dann alle Nachimpfungen bei diesen
Tieren negativ verliefen. Die Rückbildung der Tumoren er-
folgte entweder in der Weise, daß der Tumor plötzlich im
Wachstume stehen blieb und dann allmählich spurlos re-
sorbiert wurde, oder es kam zur Ausbildung einer trocknen
Nekrose mit Resorption des nekrotischen Gewebes. Die
Beobachtung, daß das Auftreten der Nekrose die völlige Re-
sorption der Tumoren zur Folge hat, veranlaßte uns
(Uhlenhuth, Händel und Steffenhagen), dieselben Vor-
gänge durch Anwendung verschiedenartiger Mittel künst-
lich hervorzurufen. So wurde die von mir beschriebene nekro-
tisierende Wirkung mancher Sera, die Wirkung von Fermenten,
Organpräparaten, Bakterientoxinen, chemischen Agentien,
die Kälte, die Wirkung des Adrenalins auf die Gefäße,
die wasserentziehende Eigenschaft des Alkohols etc. für
diesen Zweck untersucht. Die besten Resultate wurden mit
der Pyocyanase erzielt. Es gelang, durch Injektion der Pyo-
eyanase in den Tumor selbst walnußgroße Geschwülste
noch zur Einschmelzung zu bringen. Es kommt auf die In-
jektion der Pyocyanase hin zur Entwicklung eines der
trockenen Gangrän vergleichbaren nekrotisierenden Prozesses
ohne Entzündungserscheinungen, welcher die Abstoßung der
nekrotischen Tumormassen zur Folge hat. Gelegentlich
wird dieser Prozeß durch sekundäre bakterielle Infektionen
gestört; es kommt dann zu eitrigem und jauchigem Zerfall
des Tumors, was meist den Tod der Versuchstiere bedingt.
Alle Tiere aber, bei denen es zur einfachen Resorption ge-
kommen war, erwiesen sich wiederholten Nachimpfungen
gegenüber als immun.
Um nun die Frage des Zustandekommens dieser Im-
munität weiter. zu klären, untersuchten wir, wie die Tiere
sich verhalten, wenn sie plötzlich durch Operation von ihrem
Tumor befreit werden. Die Tiere wurden operiert und ent-
weder sofort oder nach Ablauf einer bestimmten Zeit an
einer andern Stelle nachgeimpft. Es ergab sich dabei, dab
Ratten, welche von gut ausgewachsenen, etwa drel
Wochen alten Tumoren durch Operation befreit
worden waren, sich Nachimpfungen gegenüber eben-
falls als immun erwiesen und zwar sowohl, wenn
die Nachimpfung sofort oder erst nach einiger Zeit,
mit dem eignen oder mit einem fremden Tumor, èr-
folgte. Voraussetzung war nur, daß sich an der
Operationsstelle kein Rezidiv entwickelte. Kam es
zur Rezidivbildung, so sahen wir auch an der Stelle
der Nachimpfung einen Tumor auftreten (Uhlenhuth,
Haendel und Steffenhagen). Sehr häufig zeichneten sich
im letzteren Falle sowohl das Rezidiv wie der nachgeimpfte
Tumor durch auffallend rasches Wachstum aus.
Die Erklärung für diese Erscheinung der „OperatlonS-
immunität“, wie wir sie kurz bezeichnen möchten, ist nic
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK. — Nr. 37. 1497
leicht. Die Annahme, daß alle die Ratten, welche bei der
Nachimpfung keinen Tumor entwickelten, von Haus aus
immun waren, läßt sich durch die einfache Tatsache wider-
legen, daß man es ganz in der Hand hat, Rezidive und
damit auch Wachstum des nachgeimpften Tumors zu erzeugen.
Das absichtliche Zurücklassen auch nur einer mini-
malen Menge Geschwulstgewebes bei der Operation genügt,
um ein Rezidiv und ein Angehen des sekundär geimpften
Tumors zu bewirken. Auch mit der Annahme einer athrep-
tischen Immunität ließ sich das Ausbleiben eines sekun-
dären Impftumors nach rezidivfreier Operation des primären
Tumors nicht erklären. Ehrlich nimmt bekanntlich an,
daß jeder Tumor zu seinem Wachstum neben den all-
gemeinen Nährstoffen noch ganz specifische braucht.
Während ‚seines Wachstums zehrt der Tumor diese spe-
cifischen Nährstoffe auf; sind diese Nährstoffe verbraucht,
so tritt Wachstumsstillstand oder gar -Rückgang ein. Bei
immunen Tieren geht der Impftumor nicht an, weil er den
zu seiner Ernährung notwendigen specifischen Nährstoff
nicht in genügender Menge vorfindet, sei es, daß dieser
Nährstoff von vornherein nicht vorhanden war (angeborene
natürliche Immunität), sei es, daß er durch die Vorbehandlung
verbraucht wurde (künstlich erzeugte Immunität).
Gegen diese Athrepsie-Theorie sprechen verschiedene
Beobachtungen und. Versuche. Wenn — wie Ehrlich
meint — das Tumorwachstum an das Vorhandensein einer
gegebenen Menge specifischer Nährstoffe gebunden wäre,
so müßte bei gleichzeitigem Bestehen mehrerer Impf-
tumoren ein rascherer Verbrauch dieser Nährstoffe
stattfinden als beim Bestehen nur eines Impftumors, be-
ziehungsweise es müßte auf den einzelnen Tumor weniger
Nährmaterial entfallen, was sich in einem geringeren
und langsameren Wachstume der multiplen Tumoren
äußern müßte. Dies war jedoch, bei unsern Versuchen mit
multiplen Tumoren nicht der Fall. Vielmehr zeigte sich,
daß eine doppelte und auch dreifache gleichzeitige Ge-
schwulstimplantation vollkommen erfolgreich sein kann, ja
bei den an zwei oder drei Stellen mit Erfolg infizierten
Tieren kam. es sogar im allgemeinen zu einer besseren und
schnelleren Geschwulstentwicklung als bei den nur an einer
Stelle geimpften Tieren.
‚ Impften wir während der Entwicklung eines
primär gesetzten Tumors zu verschiedenen Zeiten an
einer andern Stelle nach, so war die Ausbeute bei der
Nachimpfung um so geringer, je länger das Zeitintervall
zwischen primärer und sekundärer Impfung war. Bei zwei
großen Versuchsreihen von 40 beziehungsweise 60 Ratten
waren die Tiere subcutan an der Brust vorgeimpft worden,
während die Nachimpfung serienweise nach einer, zwei, drei
und vier Wochen erfolgte. Von den nachgeimpften Tumoren
gingen nach der ersten Woche 40°,,, nach der zweiten
Woche 20 0J, (beziehungsweise 30 %/,), nach der dritten und
vierten Woche gar keine mehr an.
Sowohl diese Versuchsergebnisse wie die Erscheinung
der Operationsimmunität haben wir mit der Annahme zu
erklären versucht, daß es nach der Implantation von Ge-
Schwulstgewebe zu Wechselbeziehungen zwischen den
wuchernden Geschwulstzellen und dem Organismus kommt
und daß sich der Körper den ersteren gegenüber durch
Bildung von Abwehrstoffen zu schützen sucht. Reagiert der
-[ganlsmus gleich von Anfang an energisch, so kann es
schon bei der ersten Impfung zu einer völligen Unter-
ückung des Tumors kommen: natürliche Immunität.
Bilden die Abwehrstoffe sich nun allmählich in geringem
abe, so finden die Geschwulstzellen Zeit zur Vermehrung
und der Tumor entwickelt sich so lange, bis die Abwehr-
Stoffe die Oberhand gewinnen: spontane Rückbildung des
umors. Hierbei kann der Organismus durch Mittel, welche
die Geschwulstzellen schädigen, z. B. Pyocyanase, unterstützt
werden. Die nach Resorption oder Abstoßung des Tumors
im Körper noch vorhandenen Schutzstoffe sind es dann, die
bei Nachimpfungen das Angehen des Tumors verhindern.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei dem durch Operation
- auf einmal von der Geschwulst befreiten Organismus. Die
während der Geschwulstentwicklung gebildeten Abwehrstoife
sind nunmehr frei verfügbar und vermögen über neu im-
plantiertes Tumorgewebe Herr zu werden: der Körper ist
gegenüber einer zweiten Impfung immun.
Wird aber durch die Operation der Tumor nicht voll-
ständig entfernt, so bleibt der Kampf zwischen Organismus
und Geschwulstzellen bestehen. Letztere, welche sich durch
Gewöhnung eine gewisse Anpassungsfähigkeit, ja Resistenz
den Abwehrstoffen gegenüber erworben haben (Serum-
fostigkeit), werden trotz der Abwehrbestrebungen weiter
wuchern, ja sogar rascher als zuvor wachsen können, da
ihnen. durch die Operation, durch Entfernung des zu be-
trächtlicher Größe ausgewachsenen Tumors bessere Ernäh-
rungsbedingungen geschaffen sind. Da die Abwehrstoffe ganz
oder zum großen Teil durch das rasch wachsende Rezidiv in
Anspruch genommen sind, vermögen sie auch das Wachstum
eines zweiten implantierten Tumors nicht zu unterdrücken.
Apolant hat diese Versuche über die Operations-
immunität einer Nachprüfung unterzogen und bestreitet auf
Grund seiner Versuchsergebnisse die Richtigkeit unserer An-
gaben. Die Apolantschen Versuche sind aber eher eine
Bestätigung als eine Widerlegung unserer Befunde. Apolant
hat bei 36 rezidivfrei operierten Ratten achtmal Wachstum
des secundär implantierten Tumors beobachtet. Unter diesen
acht Fällen sind aber vier, bei denen die Tumoren bei der
Operation erst 14 Tage alt waren. Die Operation wurde
hier also zu früh vorgenommen, das heißt zu einer
Zeit, wo die Abwehrstoffe — wie ich mit Händel und
Steffenhagen gezeigt habe — noch nicht so stark aus-
gebildet sind, daß das Wachstum eines sekundär nach-
geimpften Tumors durch sie mit Sicherheit unterdrückt
wurde. Es können vielmehr, wie wir gezeigt haben, bei
14tägigen Tumoren auch sekundär geimpfte Tumoren von
20 bis 40 0/o der Fälle angehen. Erst nach Operation von
zirka 4 Wochen alten Tumoren ist die Immunität komplett.
Dazu kommt bei Apolant noch ein fünftes Tier, bei dem
zwar kein Rezidiv, aber Metastasen in den Lungen vor-
handen waren. Es bleiben demnach noch 31 operierte Tiere
übrig; von diesen waren 22 rezidivfrei operiert und von
diesen 22 Tieren erwiesen sich 19, also 86,2 °/,, bei der Nach-
impfung immun. Bei neun weiteren operierten Ratten kam
es zu einem Rezidiv und in allen diesen neun Fällen kam
es auch zur Entwicklung des sekundär geimpften Tumors.
Die tatsächlichen Befunde Apolants stehen demnach keines-
wegs im Widerspruch mit unsern Angaben, und Apolants
Deutung dieser tatsächlichen Befunde im Sinne der Ehrlich-
schen athreptischen Theorie erscheint uns recht gezwungen.
Morpurgo und Donati prüften unsere Angaben eben-
falls nach und kamen zu Ergebnissen, die ihrer Ansicht nach
unsern Angaben widersprechen. Von 16 nicht rezidivfrei
operierten Tieren zeigten 15, also 6,2 %/,, und von 19 rezidiv-
frei operierten Tieren 4, also 21 °/,, keine Entwicklung des
sekundär implantierten Tumors. Da wir eine Angabe über
das Alter der exstirpierten primären Tumoren in der uns
zur Verfügung stehenden Publikation (Atti del congresso
internazionale dei Patologie 1911, S. 47ff.) nicht finden
können, müssen wir uns ein näheres kritisches Eingehen auf
die Arbeit versagen. Zu betonen ist, daß ausschlaggebend
für den Erfolg der Nachimpfung das Alter des exstirpierten
primären Tumors ist. Wird zu früh exstirpiert, so sind —
wie wir gezeigt haben — noch nicht genügend Abwehr-
stoffe gebildet, um die Entwicklung eines sekundären Tumors
in einem nennenswerten Prozentsatze zu unterdrücken.
Auch im Institut für Krebsforschung zu Berlin sind
inzwischen von Meidner unsere Angaben nachgeprüft und
vollkommen bestätigt worden. Meidner hat unter 32 rezidiv-
1498 -
— — — — _ — —
frei operierten Ratten nur zweimal, also bei nur 6°/ọ der Tiere
ein Wachstum des nachgeimpften Tumors beobachtet, während
die übrigen 80 (~= 94°/o) Tiere sich bei der Nachimpfung immun
erwiesen. Umgekehrt entwickelten die Tiere, bei denen es
zu einem Rezidiv an der Operationsstelle kam, in der weit
überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch einen zweiten Tumor.
Die Arbeit Apolants hat ung zu einer erneuten Nach-
prüfung veranlaßt und zwar wurden diese Versuche von
Uhlenhuth, Dold und Bindseil im Hygienischen Institut
zu Straßburg, und von Händel und Schönburg im Kaiser-
liehen: Gesundheitsamte zu Berlin vorgenommen.
- Was zunächst die Versuche von Händel und Schön-
burg anlangt, über die sie auf der diesjährigen Mikrobio-
logenversammlung bereits berichtet haben, so haben die
Autoren im ganzen 31 Sarkomratten operiert; bei zehn
Tieren trat ein Rezidiv und zugleich Wachstum des sekundär
geimpften Tumors auf, während bei den übrigen 21 rezidivfrei
operierten Ratten der Sekundärtumor nicht anging. Diese
neueren Versuche bilden demnach eine vollkommene Be-
stätigung der früheren Angaben von Uhlenhuth, Händel
und Steffenhagen.
Die in Straßburg ausgeführten Nachprüfungen wur-
den nicht blos an Rattensarkomen, sondern auch an Mäuse-
carcinomen (Bindseil) vorgenommen. Von 15 rezidivfrei
operierten Ratten erwiesen sich 12, also 80 %0, von 18
rezidivfrei operierten Mäusen 10, also 88,9 °/o bei der Nach-
impfung refraktär, während bei den unvollständig operierten
Tieren, das heißt den Tieren, bei denen Rezidive auftraten,
die Nachimpfungen stets positiv waren.
Faßt man alle bisherigen Versuche über die Ope-
rationsimmunität zusammen, so ergeben sich folgende Zahlen:
m
: : Bei der
Rezidivfrei
operierte Tiere ee
|
Uhlenhuth, Händel und Steffenhagen . . + 55 Ratten 49 = 89,1 %
a e GE es re De a: 8 Ratten = 75 0
eldner. . . > 2 e e l nenn 32 Ratten 26 = 81,2 %
Händel und Schönburg . - - s s > sro? 21 Ratten 21 = 100
ı 2 Ratten 19 = 86,2 %
Apolant . . D . ee a a u a ENT R f An 1: FR 2 0%
Uhlenhuth, Dold und Bindsell. . - + + $ 3 re nz dor
Angesichts dieser Zahlen, welche aus ver-
schiedenen Instituten an verschiedenen Tumoren
gewonnen wurden, läßt sich wohl kaum an der Tat-
sache der „Operationsimmunität“, welche durch-
schnittlich 70 bis 90 % beträgt, zweifeln. Um Zu-
fälle kann es sich bier nicht handeln, der Unterschied in
dem Verhalten rezidivfrei und nicht rezidivfrei operierter
Ratten ist zu eklatant.
Wir haben in der Operationsimmunität einen, in der
Tumorforsechung leider so seltenen experimentellen Befund,
welcher allgemeinere Bestätigung erfahren hat, und der des-
wegen als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen kann.
Obgleich nun diese und viele andere Beobachtungen
entschieden für die Existenz und die Entwicklung von
Schutzstoffen (Antikörpern) beim Tumorwachstum
sprechen, so sind doch bis zur Zeit alle Versuche,
Antikörper nachzuweisen, negativ verlaufen. |
In diesem Sinne fielen auch unsere neueren Versuche
aus, die bei radikal operierten Tieren existierende und durch
Nachimpfen noch gesteigerte Immunität gegen Impf-
tumoren auf andere normale Tiere zu übertragen.
Da man nicht weiß, wo die supponierten Immunstoffe
sitzen, so haben wir nach Entblutung, Entfernung der
Haare und der Darmeingeweide die ganzen Tiere ver-
arbeitet und aus ihnen durch Anwendung von 200 bis
300 Atm. Druck Preßsäfte gewonnen, welche dann normalen
Tieren eingespritzt wurden. Es gelang aber auch auf diese
Weise nicht, die Immunität zu übertragen, beziehungs-
weise die schon im Wachstum befindlichen Tumoren zu
hemmen, obgleich jedes Versuchstier im ganzen fast den
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
gsesammten Preßsaft aus einem Immuntier injiziert
bekam. Im Gegenteil: Die Tumoren wuchsen unter dieser
Behandlung eher noch schneller als die Kontrolltumoren.
Dasselbe gilt von Tieren, die mit dem Serum von Immun-
tieren behandelt worden waren.
Die tier-experimentelle Tumorforschung hat uns nicht
nur die Möglichkeit gegeben, die Frage der Immunität
und Immunisierung gegen bösartige Geschwülste zu
studieren, sondern uns auch in den Stand gesetzt, die
Heilung bestehender Tumoren zu versuchen. Im
Vordergrund des Interesses stehen heute die chemothera-
peutischen Versuche. Schon im Jahre 1908 konnte ich mit
meinen Mitarbeitern zeigen, daß es chemische Stoffe gibt,
welche eine Art Affinität zu den Tumorzellen besitzen. Wir
stellten fest, daß das Arsen, welches in Form des Atoxylsund
später in Form des Arsenophenylglycins eingespritzt
wurde, in kleinen und großen Dosen eine gewisse Wirkung
auf das Tumorwachstum ausübt, welche sich aber nicht in
der erhofften Wachstumshemmung, sondern im Gegenteil in
einer Wachstumsbeschleunigung beim Mäusecarcinom
und Rattensarkom äußerte. Blumenthal hat beim Ratten-
sarkom diese Befunde bestätigt; trotzdem glaubt er beim
Menschen einen gewissen Erfolg durch Arsenbehandlung
beobachtet zu haben. Wir stehen nach den zahlreichen
gegenteiligen Erfahrungen im Tierversuche diesen
vereinzelten Beobachtungen am Menschen doch
recht skeptisch gegenüber.
Unsere neueren chemotherapeutischen Versuche, bei
denen wir uns der Mitarbeit von Herrn Professor Hof-
meister zu erfreuen hatten, wurden gleichfalls an dem ge-
nannten Rattensarkom und Mäusecarcinom ausgeführt.
Die Substanzen wurden teils intravenös nach der schon vor
Jahren von Trommsdorff!) und Weidanz in meinem La-
boratorium geübten Methode (Schwanzvene), teils intra-
peritoneal (i. p.), teils subcutan (8. c.) eingespritzt, zum Teil auch
inhaliert. Bei der i. p. Einspritzung, welche für unsere
Präparate gewisse Vorteile vor der i. v. Injektion hat,
kommen die Substanzen sehr rasch — und in den meisten
Fällen auch unverändert in die Blutbahn —, was man daraus
ersehen kann, daß z. B. eine mit Eosin i. p. gespritzte
Maus schon nach wenigen Minuten das Eosin im Urin
ausscheidet. j
Wir stellten nun zunächst Versuche mit J odpräpa- |
raten an und zwar mit Natrium sozojodolicum,
Griserin (Jodoxychinolinsulfonsäure) und Jodipin. Es
zeigte sich, daß die Jodpräparate ähnlich wirken wie die
Arsenpräparate, das heißt daß auch sie. das Wachstum der
Tumoren sicherlich nicht hemmen, sondern eher beschleu-
nigen. Während wir bei dem Mäusecareinom keinen Ein-
fug auf den Tumor beobachteten, sahen wir bei dem Ratten-
sarkom eine Beschleunigung des Wachstums.
Ebenso beobachteten wir nach i. v. oder i. p. Bin-
spritzung von Farbstofflösungen, wie Neutralrot und
Eosin, niemals eine Hemmung, sondern fast regelmäßig
eine Beschleunigung des Tumorwachstums.
Eine ähnliche wachstumbeschleunigende Wirkung
fanden wir nach Injektion von Stibacetin, einem dem
Arsacetin analog gebautes Antimonpräparat, welches uns
die Chemische Fabrik von Heyden zur Verfügung stellte. Ä
Es ist wohl vorderhand nicht möglich, zu sagen, W0- |
rauf diese wachstumbeschleunigende Wirkung der EN |
nannten Stoffe beruht; beim Arsen und J od und vielleic
auch bei dem erwähnten Antimonpräparät könnte man À
die allgemeine Zell- roburierende und stimulierende Wirku E
denken, an der eben auch die Tumorzellen teilnehmen. A
den Farbstoffen ist uns eine solche allgemeine Zellwirk s
nicht bekannt, und man könnte hier vielleicht eine beson 6
Affinität der Farbstoffe zu den Tumorzellen annehmen.
1) „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt“ 1909.
15. September.
Wir haben übrigens weder nach i. v. noch nach i. p.
Einspritzung der Farbstoffe eine elektive Färbung des Tumor-
gewebes, also eine hauptsächliche Ablagerung des Farbstofis
in den Tumorzellen beobachtet.
Weitere Versuchsreihen wurden mit Fluornatrium,
ferner mitNaphthalin und endlich mit Thyreoidin angesetzt.
Das Fluornatrium wurde i. v. gegeben.
Das Naphthalin teils verfüttert, teils inhaliert.
BeidePräparatezeigtenkeinerleiWirkungaufdie Tumoren.
Bei den mit Thyreoidin gefütterten Ratten sahen wir,
daß die Tumoren, verglichen mit den Tumoren der Kontroll-
tiere, im Wachstum zurückblieben. Jedoch zeigten die mit
Thyreoidin gefütterten Ratten eine allgemeine Abmagerung,
Weitere Versuche werden über die eventuelle Wirkung des
Thyreoidins Aufschluß geben.
Mit Rücksicht auf die kürzlich veröffentlichten Wasser-
mannschen Forschungen untersuchten wir auch die Wirkung
des Selens und Tellurs, sowohl allein als auch in Ver-
bindung mit Farbstoffen, wie Eosin und Neutralrot.
Während die Farbstoffe allein, wie schon erwähnt,
einen gewissen Einfluß auf die Tumoren, aber eher im Sinne
einer Wachstumbeschleunigung ausübten, konnten wir
beim Selen und Tellur, welche wir in Gestalt des
Natriumsalzes und des Pia selenolsulfonsauren Kalis
(Gesellschaft für chemische Industrie Basel) i. v. und i. p. ver-
abreichten keine deutlichen Wirkungen auf den Tumor kon-
statieren. Auch die kombinierte Behandlung mit Farbstoffen
und Selen beziehungsweise Tellur hatte keinen hemmenden
oder heilenden Einfluß auf die Tumoren.
Wie aus älteren Untersuchungen von Hofmeister
hervorgeht, wird in den Geweben abgelagertes Selen ähnlich
wie Tellur methyliert und in dieser Form durch Ausatmung
abgegeben. Danach sind die Gewebe des Tierkörpers für
solche flüchtige Selenderivate gut durchlässig und es wurde der
Versuch gemacht, umgekehrt durch Zufuhr solcher flüchtigen
Verbindungen Selen im Gewebe zur Ablagerung zu bringen.
Da Aethylderivate im Organismus ungleich leichter ver-
brennen als. Methylverbindungen, so wurde Aethylselenid
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1499
nn
benutzt, und zwar in der Weise, daß die ‘Versuchstiere sich
dauernd in einer damit geschwängerten Atmosphäre befanden.
Eine solche Applikation hatte überdies den Vorzug, von den
nur in beschränkter Anzahl ausführbaren intravenösen Injek-
tionen Abstand nehmen zu können. Doch ergab sich auch
bei dieser Versuchsweise weder eine ausges prochene
Beeinflussung des Tumorwachstums, noch auch eine
mikroskopisch erkennbare Ablagerung von Selen-
metall, obgleich eine Aufnahme des Selens, nach dem
Auftreten von Durchfall bei einem Teil der Versuchstiere zu
schließen, erfolgt war.
Es geht aus diesen Versuchen hervor, daß die Wasser-
mannschen Präparate eine ganz andere Wirkung haben, wiedie
einzelnen Komponenten, aus denen sie zusammengesetzt sind.
Die neueren -chemotherapeutischen Forschungen von
Wassermann, Neuberg, Caspary und Werner ver-
anlassen auch uns, auf dem betretenen Wege weiterzuarbeiten.
Fassen wir die Ergebnisse unserer experimentellen
Untersuchungen zusammen, so haben wir 1. nachgewiesen,
daß es eine ausgesprochene Operations-Immunität beim
Rattensarkom und Mäusecareinom gibt. Nach radikaler
Operation eines genügend entwickelten Tumors sind die
Tiere fast regelmäßig immun, das heißt der nachgeimpfte
Tumor geht nicht an. Läßt man eine geringe Menge des
primären Tumors zurück, so wächst derselbe als Rezidiv
besonders kräftig und der nachgeimpfte Tumor geht an.
9. hat es sich gezeigt, daß es Substanzen gibt, die
das Wachstum der Tumoren beschleunigen, also
eine gewisse Affinität zu den Tumorzellen besitzen.
Es dürfte daher wohl auch Stoffe geben, welche das Wachs-
tum von Tumoren hemmen; derartige Stoffe zu finden, ist
die Aufgabe der Chemotherapie, eine Aufgabe, an deren
Lösung neuerdings bereits mit Erfolg gearbeitet worden ist.
DieVerbindung derChemotherapiemitderImmun-
therapie ist das Ziel, das erstrebt werden sollte;
Zerstörung, somit Resorption des Tumors durch ein
chemotherapeutisches Agens und dadurch erzeugte
Immunität („Autoimmunisierung“) des Organismus.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Umfrage
über
das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
a Die nachfolgenden Auseinandersetzungen behandeln eine Frage, deren Beurteilung in den letzten Jahren eine wesentliche
Wandlung erfahren hat. Es trifft hier zu, was man an manchen aus der Erfahrung abgezogenen Regeln der Medizin beobachten kann,
daß nämlich in gewissen Zeiträumen neue Erfahrungen zu einer andern Orientierung nötigen und eine Umwertung von Auffassungen
verursachen, die für fest begründet galten.
Für die Nachbehandlung nach Entbindungen oder schwereren operativen Eingriffen gilt die länger ausgedehnte, strenge Bett-
ruhe nicht mehr nach dem früher üblichen Brauch als oberster und in jedem Falle gebotener Grundsatz. Daß hierin ein Wandel statt-
gefunden hat und daß die Frage aus einem gewissen Beharrungszustande herausgebracht wurde, dürfte mit verwandten Bestrebungen
in der Chirurgie im Zusammenhange stehen. Die neueren Grundsätze in der Behandlung der Knochenbrüche und die Erfolge der aktiveren
und ambulanten Behandlung mögen hier mitgewirkt haben. Schon ältere Mitteilungen von Küstner über den Einfluß der Körper-
haltung auf die Lageveränderungen und die Rückbildungsvorgänge der puerperalen Gebärmutter weisen auf ungünstige Einflüsse der
Bettlage hin! Aber es ist das Verdienst Krönigs (Freiburg), da
für das frühzeitige Aufstehen nachdrücklich eingetreten ist.
B er die ältere Lehre in ihrer Verallgemeinerung erschüttert hat und
Durch diesen Anstoß ist die Diskussion ausgiebig angeregt, aber das ruhige Gleichgewicht ist noch nicht erreicht worden.
Naturgemäß hat von jeher der einsichtige Arzt die Dauer der Bettruhe von Fall zu Fall bemessen, und selbstverständlich ist die
Erwägung, daß die Entscheidung anders ausfällt, je nachdem die Entbindung oder Operation nur als eine Cäsur in den Ablauf eines
gesunden und leistungsfähigen Menschenlebens fällt oder das Schlußglied eines längeren Siechtums bildet.
.. Aber nach anderer Riehtung hin liegt denn doch in der neueren Auffassung mehr als eine bloße Hervorhebung des Individua-
lisierens gegenüber dem Schematisieren. Dabei darf man allerdings in der Beurteilung und Stellungnahme nicht vergessen, daß früh-
zeitiges Aufstehen nicht gleichbedeutend sein soll und sein darf mit dem frühzeitigen Wiederaufnehmen der Arbeit.
In der Bedeutung, die der diskutierte Gegenstand für den Arzt hat, liegt die Berechtigung dieser Umfrage, welche die An-
schauungen erfahrener Frauenärzte und Chirurgen wiedergeben und dadurch den Aorzten eine Orientierung ermöglichen soll.
Die in dankenswerter Weise übermittelten Antworten sind, wie früher, nach ihrem zeitlichen Eingange zusammengestellt.
Die Fragen, um deren Beantwortung gebeten worden ist, sind die folgenden:
~ 1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen Aufstehen übergegangen, und innerhalb
welcher Frist lassen Sie die Patienten das Bett verlassen?
2, Nach welcher Richtung hin sehen Sie di
des Patienten vom Prühaufstehen?
e Vorzüge des Frühaufstehens?
8. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung
É. Bg.
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1500
T912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
Prof, Dr. Herm. Kümmell, Allgem. Krankenhaus Hambarg-Eppendorf.
1. Die Methode des Frühaufstehens im allgemeinen ist sehr all-
mählich bei uns eingeführt; ihre Anwendung auf Laparotomierte als eine
von den bisherigen Regeln und Grundsätzen am meisten abweichende
Methode hat erst von einem bestimmten Zeitpunkt, am Anfang des
Jahres 1909, begonnen.
Alte Leute pflegen wir seit mehreren Jahren fast ausnahmslos
am Tage nach der Operation aus dem Bett zu bringen und sie mehrmals
für kürzere oder längere Zeit in den Sessel zu setzen. Bei Anwendung
der Lokalanästhesie kann schon am ersten Tage aufgestanden werden,
speziell nach Hoerniotomien, Appendektomien usw.
2. Unter unsern etwa 800 Laparotomierten und Herniotomierten
(1908), welche wir am ersten oder an den nächstfolgenden Tagen nach dem
Eingriff aufstehen ließen, haben wir nur eine Lungenembolie mit tödlichem
Ausgang beobachtet. Im Jahre 1907 beobachteten wir unter etwa 600
gleichen Operationen fünf Thrombosen und sechs Embolien mit tödlichem
Ausgang. Diese Gesamtmortalität von 10°, nach größeren Bauchope-
rationen in den Jahren i906 und 1907 ist auf 1,2°/% im Jahre 1908
herabgesunken bei demselben Operationsmaterial, nachdem wir die Pa-
tienten nach der Laparotomie früh aufstehen ließen.
Die Wirkung des frühen Aufstehens auf die Patienten ist unge-
mein günstig. Abgesehen von einem spannenden Gefühl in der Narbe,
was naturgemäß in den ersten Tagen nicht ganz zu vermeiden ist, aber
von Tag zu Tag mehr schwindet, sind subjektiv unangenehme Empfindun-
gen kaum vorhanden. Es ist ja auch sehr naheliegend und leicht ver-
ständlich, daß Patienten, die bis zum Tage der Operation sich in einem
relativ gesunden Zustand befanden, in einem derartigen wenigstens, dab
sie nicht an das Bett gefesselt waren, sondern umhergingen und eine
mehr oder weniger normale ‚Ernährung erhielten, durch Narkose und
Operation nicht so geschwächt werden, daß sie die Folgen nicht rasch
überwinden und nicht bald wieder in normale Bewegungs- und Funktions-
verhältnisse gebracht werden könnten. Weun wir das zur Operation
gelangendo Krankenmaterial übersehen, so handelt es sich in der weitaus
überwiegenden Mehrzahl um Fälle der genannten Kategorie. Patienten,
bei denen wir die Herniotomie ausführen oder die Retroflexio uteri be-
seitigen, befinden sich bis zur Operation außer dem örtlichen Leiden in
einem gesunden Zustand. Dasselbe gilt von der Operation, welche jetzt
wohl am häufigsten ausgeführt zu werden pflegt, von der Appendektomie.
Handelt es sich um eine Intervalloperation, so haben die Kranken ein
mehr weniger langes Krankenlager hinter sich und haben die Folgen
einer überflüssigen und meist nicht ungefährlichen Leidenszeit, die durch
Frühoperation zu vermeiden gewesen wäre, glücklich überwunden. Führen
wir aber eine solche aus, so tritt der plötzlich Erkrankte schon kurze
Zeit nach Beginn des Anfalls aus einem bisher gesunden Zustand in
unsere Behandlung. Betrachten wir weiterhin die Operation am Magen
und am Darmkanal, an der Gallenblase und an andern Abdominalorganen,
so die Myome, die Ovarialcysten und die andern Erkrankungen des
weiblichen Genitalapparats, so handelt es sich fast ausschließlich um
solche Menschen, die nicht durch langes Krankenlager geschwächt oder
jedenfalls nicht, wie man zu sagen pflegt, von den Beinen gekommen
sind. Ein wesentlicher Vorteil des frühen Aufstehens liegt in dem Fehlen
oder der baldigen Beseitigung des sonst so lästigen und oft quälenden
Symptoms der gestörten Darmtätigkeit.
Wir wissen ja alle, wie sehr die Laparotomierten mehr oder
weniger unter diesen Beschwerden leiden, wie zahlreich und wie ver-
schieden die Mittel sind, die zur Anregung der Darmperistaltik angegeben
sind, wie trotz Abführmittel und Klysmata, trotz Eserin-und Strychnin-
injektionen ein quälender Meteorismus sich oft auch an die aseptisch
verlaufende Laparotomie anschließt und wie der Kranke sich erst nach
Abgang von Flatus wesentlich erleichtert fühlt. Alle diese Unannehm-.
lichkeiten werden durch ein frühzeitiges Aufstehen rasch gebessert oder
treten überhaupt gar nicht in Szene. Bei Anwendung einer Glycerin-
injektion in das Rectum oder vorübergehendem Einlegen eines Darm-
rohres haben wir bei den Operierten, welche früh aufstehen konnten,
kaum noch die Anwendung andrer Maßnahmen nötig gehabt. Auch die
erste Stuhlentleerung erfolgt meist nach wenigen Tagen spontan, da die
fast ausnahmslos mit der Bettruhe verbundene Darmtätigkeit und Obsti-
pation wegfällt. |
Auch die Anwendung des Katheters, welche bei einer Zahl von
Laparotomierten nie ganz vermieden werden kann, fällt fast vollständig
fort, wenn es dem Kranken gestattet ist, das Bett zu verlassen und die
Urinentleerung in bequemerer Stellung vorzunehmen. |
Von großer Wichtigkeit ist das frühe Aufstehen für die freiere
und leichtere Atmung und die dadurch verringerte Gefahr des Eintritts
von Brönchitiden und Pneumonien, ein Moment, welches gerade bei
älteren Leuten von der größten Wichtigkeit ist. Wird die Entstehung
von Bronchitiden und Pneumonien nach unsern Erfahrungen schon durch
eine geeignete Narkose, speziell durch die Kombination mit Scopolamin-
Morphium wesentlich verringert, so bildet das Frühaufstehen ein weitereg
wichtiges Moment, um die Zahl der postoperativen akuten Bronchial- und .
Lungenerkrankungen auf eine möglichst geringe zu reduzieren. |
Daß der Appetit derjenigen Öperierten, welche bald das Bett ver-
lassen, umhergehen und frische Luft genießen, kurz in normale Verhält-
nisse gebracht werden, sich wesentlich hebt und bald eine ausreichende
Ernährung gestattet, ist sehr naheliegend.
Daß die Rekonvaleszenz durch das Frühaufstehen rascher von
statten geht, liegt außer der Hebung des Allgemeinbefindens durch Steige-
rung des Appetits, Reglung der Verdauung, Kräftigung. der Herztätig-
keit nicht zum wenigsten an dem günstigen psychischen Einfluß. Die
Operierten fühlen sich nach wenigen Tagen nicht mehr als Kranke,
3. Ein frühes Aufstehen unserer Laparotomierten und ÜOperierten
ist selbstverständlich nur bei einem vollständig aseptischen, reaktionslosen
Wundverlaut möglich. Daß sich bei einer eiternden Wunde oder auch
nur bei gereizten Stichkanälen wegen der vorhandenen Schmerzen, wegen
der Gefahr des Weiterverbreitens der Infektion und der später zu be-
fürchtenden Bauchhernien ein frühes Aufstehen von selbst verbietet,
braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. -Wir haben diese
Zwischenfälle bei unsern hier in Betracht kommenden Öperierten, deren
Bauchwunde wir schließen konnten, kaum beobachtet.
Bei Kranken, welche vor dem operativen Eingriff ein langes
Krankenlager durchgemacht haben, deren Muskulatur durch die lange
Bettruhe und ungenügende Nahrungsaufnahme geschwächt ist, wird man
natürlich in den weitaus meisten Fällen von dem frühen Aufstehen nach -
der Operation absehen müssen. |
Nach nunmehr 3/sjähriger Anwendung der Methode des Frühauf-
stehens nach operativen Eingriffen und nach unserer Erfahrung an mehr
als 2000 Laparotomierten und Herniotomierten können wir das Verfahren
warm empfehlen, da es den Heilungsverlauf wesentlich abkürzt und die
Patienten weit schneller als bisher ihrer Tätigkeit zurückgibt.
Prof. von Herff, Universitäts-Frauenklinik Basel:
1. a) Seit mehreren Jahren sitzen die Wöchnerinnen am ersten
bis zweiten Tage auf und verlassen das Bett am fünften Tage, bei
schwerem Dammrisse jedoch erst am siebenten Tage Aufsitzen und Auf-
stehen am achten Tage — bei allen Frauen der ersten, zweiten und dritten
Klasse, also aus allen Ständen.
b) Laparotomierte stehen durchschnittlich am fünften Tag auf,
nachdem sie am zweiten bis dritten Tag aufgesessen haben. Prolaps-
operationen — Aufstehen am siebenten bis achten Tage. Schwere Hyster-
ektomien (Schauta-Schuchardt, Wertheim) etwas später, zehnten
bis elften Tage. |
NB. Die Frauen unter a und b schon am ersten oder zweiten
Tage zum Aufstehen zu zwingen, insbesondere sie etwa zwangsweise
an den Beinen herauszuzerren usw., erblicke ich als eine Grausamkeit, darin
muß ich Herrn Bumm und Anderen nur recht geben. Wie stets, 80
muß auch hier nicht übertrieben, sondern individualisiert werden.
2. Ada) Das Frühaufstehen beeinflußt das allgemeine Befinden
sehr günstig, die Frauen erholen sich rascher, die Zahl der Temperatur-
steigerungen nimmt ab, die Wöchnerinnen verlassen am zehnten bis
elften Tage, selten am neunten Tag erheblich kräftiger und leistungs-
füähiger als bei dem früheren Regime der langen Bettruhe. Nachteile
sind bisher nicht hervorgetreten, insbesondere nicht häufiger wie früher
Blutungen aus Thrombenlösungen. Niemals ist bei etwa 3000 Wöch-
nerinnen Schaden, eine Wundentzündung zu beklagen gewesen. Die
Zahl der Thrombosen ist vielleicht um ein weniges gesunken von etwa
1,2%/0 auf 0,80/ bis 0,9%/0, doch steht dies noch nicht ganz fest. Em-
bolien unverändert.
Ad b) Das gleiche gilt auch für die Operierten, bei denen, wie 68
scheint, die Zahl der Thrombosen abgenommen hat (ob aber nicht infolge
anderer Maßregeln?), die Zahl der Embolien hat sich nicht gemindert.
3. Vom Frühaufstehen wird bei Wundentzündungen und andern
Krankheiten (Tuberkulose, Bronchitis, Pneumonien, Pyelitis usw. usw.)
abgesehen, ferner bei hochgradiger Körperschwäche, denn es hat keinen
Zweck, die Frauen aufstehen zu lassen, wenn sie sich nicht auf den
Beinen halten können usw.
In dem Frübaufstehen, bei sonst normalen Verhältnissen, kann ich
keine Gefährdung erblicken, im Gegenteil, es ist nur von Nutzen.
Prof. Wyder, Universitäts-Frauenklinik Zürich:
1. Ich bin kein Freund des Frühaufstehens, weder nach gynäkole-
gischen Operationen, noch im Wochenbett. In ersteren Fällen mache ich
nur eine Ausnabme bei älteren Frauen wegen der bei diesen durch
längeres Bettliegen eventuell produzierten Gefahren (Marasmus, hypost-
Pneumonie usw.).
2. Ich erblicke in dem Frühaufstehen absolut keine Vorteile, weder
für Operierte, noch für Wöchnerinnen. Die Gründe, die mich bestimmen
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15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 37. 1501
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gegen das Frühaufstehen im Wochenbett energisch Front zu machen,
habe ich vor zwei Jahren in der Klinisch-therapeutischen Wochen-
schrift anläßlich einer von der Redaktion veranstalteten einschlägigen
Rundfrage angeführt. Ich stehe auch heute noch auf demselben Stand-
punkte. _ -E
Geh. Hofrat Prof. Dr. Menge, Heidelberger Universitäts-Frauenklinik:
1. a) Wöchnerinnen stehen, wenn sie selbst keine Gegenwinsche
äußern, am zweiten bis dritten Tage nach der Geburt auf, vorausgesetzt,
daß keine durch Naht versorgten Weichteilverletzungen bestehen und
Fieberfreiheit ‚und ruhiger Puls vorhanden ist. : Vom zweiten Tage des
Wochenbetts an. wird. in Rückenlage durch Gymnastik die Rückbildung
der Bauchwand- und Beckenbodenmuskulatur gefördert.
b) Gynäkologische Patienten stehen nach Bauchschnitten bei
sfebrilem Verlauf und ruhigem Puls am zweiten bis dritten Tag auf,
wenn sie selbst keine Gegenwünsche äußern.
Frauen mit plastischen Operationen im Bereiche des Beckenbodens
stehen frühestens am Ende der ersten Woche auf, vorausgesetzt, daß
Afebrilität und ruhiger Puls besteht. : |
Aeltere Patienten (jenseits des 50. Lebensjahrs) werden bei diesem
Regime besonders berücksichtigt und bei plastischen Operationen auch
schon vor Ende der ersten Woche außer Bett gebracht.
l 2. Bei Wöchnerinnen: Stärkere Neigung des Uterus zur Anteversio.
Bei Wöchnerinnen und Patienten mit gynäkologischen Operationen:
Rascherer Verlauf der Rekonvaleszenz. Günstige Wirkung auf die Psyche.
Flottere Gesamteirculation. Vermeidung einer länger dauernden Bett-
atmosphäre und damit von Schlappheit und Müdigkeit. Bessere Appetenz,.
Flottere Harn- und Stuhlentleerung. Bessere Lungen- und Hautarbeit.
Thrombosen und Embolien sind vereinzelt auch bei Frühaufgestan-
denen vorgekommen. |
8. Bei Temperatursteigerung und unruhiger Temperatur- und Puls-
kurve und bei Phlebektasien mit Verhärtungen wird vom Frühaufstehen
abgesehen. Wöchnerinnen mit festgestellter Endometritis puerperalis
gonorrhoica dürfen auch bei normaler Temperatur nicht früh aufstehen,
da durch das Frühaufstehen nicht selten eine Ausbreitung des Infektions-
Prozesses auf die Tuben zustande kommt. Wöchnerinnen, die man nicht
sicher von körperlicher Arbeit abhalten kann, dürfen nicht früh aufstehen.
i Gefahren des Frühaufstebens sind: Bei gynäkologischen Ope-
rationen:' Frühzeitige Narbenbelastung, besonders bei Eingriffen am
Beckenboden, und Loslösung und Verschleppung infizierter Thromben.
Bei Wöchnerinnen: Frühzeitige Belastung des Beckenbodens und
der vorderen Bauchwand. Ausbreitung einer larvierten Endometritis
puerperalis, = BEP
. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Bamm, Universitäts-Frauenklinik Berlin:
1. Ich habe die Zeit des Liegens nach Operationen und Geburten
gegen früher wesentlich eingeschränkt, vor allem aber das Stilleliegen
gänzlich abgeschafft, Operierte und Entbundene können vom ersten Tag
ab Bewegungen im Bette machen. Aufstehen, das heißt Aufsitzen
im Lehnstuhl vom dritten Tag ab nach normalen Geburten und leichten
operativen Eingriffen.
2. Raschere Erholung, keine Muskelschwäche, bessere Harn- und
Stuhlentleerung, besseres Allgemeinbefinden, besserer Schlaf.
+ 3 Wenn die Kranken sich nicht wohl genug fühlen oder die Ent-
bindung schwierig, die Operation eingreifend war, der Heilungsverlauf
gestört ist. Gefahr: Blutung, Embolie, Herzkollaps.
Prof. Dr. H. v. Haberer, Chirurgische Klinik Innsbruck:
1. Bin überzeugter Anhänger des Frühaufstehens, lasse normaler-
weise am Tage nach der Operation aufstehen, sehr alte Leute womöglich
noch am Tage der Operation. Bei jungen, kräftigen, sonst gesunden
Leuten trage ich dem subjektiven. Wunsche des Patienten insofern
Rechnung, als ich keinen Zwang auf den Patienten ausübe, wenn er
liegen will. |
~ 2. Ganz besonders erblicke ich einen Vorteil im Frühaufstehen
bei Laparotomierten. Darmtätigkeit setzt viel früher ein, Narkosewirkung
hört viel früher auf, Lungenkomplikationen können mit weit größerer
Sicherheit hintangehalten werden. Auch die Psyche wird meiner Er-
fahrung nach sehr günstig beeinflußt, die Patienten gewinnen rasch Ver-
trauen auf Genesung und die Rekonvaleszenz geht oft erstaunlich rasch
vonstatten. In dieser Hinsicht ist der Unterschied gegen die Zeit, wo
wir länge liegen ließen, geradezu erstaunlich. |
. 8. a) Unter der sub. 1 angegebenen Bedingung, wenn es sich um
Junge, sonst gesunde Leute handelt, die gern einige Tage liegen.
b) Bei allen Fällen, in denen sich eine Laparotomiewunde nicht
exakt -schließen läßt. (Drainierte Fülle, Colostomien usw.)
c) In allen Fällen von Narbenbrüchen,
d) Bei Hirn- und Rückenmarksoperationen.
e) Bei Herz-Lungenoperationen.
Bei Fällen b und c sind Prolapse beziehungsweise Brüche zu
fürchten. | T a
Bei Fällen d und e Kollaps, Blutung.
Geh. Med.-Rat. Prof. Dr. B. Bardenheuer, Köln a. Rh.:
1. Ich bin kein unbedingter Anhänger des Frühaufstehens. Wenn
ein Grund in dem Befinden des Patienten, zum Beispiel durch Herz-
schwäche, Adipositas, drohendes Lungenödem, hohes Alter usw. zum
Frühaufstehen besteht, so dränge ich nach allen Operationen, besonders
nach Laparotomien darauf, daß er möglichst früh, am zweiten bis dritten
Tag aufsteht, sonst stelle ich es in das Belieben des Patienten, lasse
aber alsdann mindestens Armbewegungen, Tiefatmungen usw. ausführen.
Ich bestehe aber such- darauf, daß der Operierte (Laparotomierte) nie
länger als 8 bis 14 Tage bei gutem Wundverlaufe liegen bleibt.
2. Die Vorzüge liegen teils in der Hebung der Bluteirculation,
der Herztätigkeit, teils in der Verhütung der Degeneration der Muskeln
und Muskelkerne. Je früher alles Gewebe, besonders die Muskeln (in
der Nähe der Laparotomiewunde) beansprucht werden, um so besser
werden sie ernährt, um so besser ist auch die Wundheilung, um so
kräftiger der Verschluß. Ich lasse auch zum Beispiel bei Frakturen selbst
des Schenkelhalses vom ersten Tag ab leichte Bewegungen ausführen
zur Förderung der Fragmentheilung, der Calilusbildung, zur Verhütung
der Atrophie der Gewebe, der Muskeln, Knochen.
3. Ich sehe vom F'rühaufstehen ab, wenn Patienten absolut nicht
wollen, wenn sie zu schwach sind, sich nicht aufrecht halten können,
wenn sie einen großen Widerwillen gegen Aufstehen an den Tag legen,
bei wahrscheinlich folgendem, in Aussicht stehendem unfeinen Wund-
verlauf oder besteheudem unreinen Wundverlaufe, bei septischer Ent-
zündung usw., wo eine prima Intentio nicht zu erwarten ist oder nicht
besteht. = — --
Prof. Dr. Kocher, Chirurg. Klinik Bern:
1. Ich lasse speziell die im Bereiche des Mundes, der Kiefer, des
Rachens, Kehlkopfs, Oesophagus operierten Patienten früh aufstehen,
dann aber als Regel am gleichen oder nächsten. Tage schon, zumal,
wenn der Schluckmechanismus stärker gestört ist. Im Sitzen können die
Patienten besser auswerfen und durch ausgiebigere Atembewegungen besser
Schluckpneumonien verhüten helfen. Das fällt namentlich bei älteren
Individuen ins Gewicht und bei solchen, die ohnehin durch vorgängige
Bronchitis, Emphysem, Stauungen im kleinen Kreislauf Anwartschaft auf
Lungenkomplikationen haben,
2. Ich sehe Vorteile des Frūhaufstehens bloß darin, daß man bei
Patienten, welche aus irgendeinem Grunde Neigung zu Lungenkompli-
kationen haben, diese Leiden verhüten kann, da die Patienten außer Bett
ergiebiger atmen, leichter auswerfen, wenn Bronchitis vorhanden ist infolge
von Narkose oder vorher. Auch stellt sich Bedürfnis nach Nahrung rascher
ein. Dagegen kann ich darin, daß Patienten nach Operationen, welche eine
Primaheilung versprechen, ein paar Tage früher aufstehen, keinen wesent-
lichen Vorteil erblicken. Es ist bei uns Regel mit wenigen Ausnahmen,
daß wir im Spital Patienten nach Strumektomie, Hernienoperationen und
Appendicektomien acht Tage nach der Operation aus dem Spital mit
geheilter Wunde, die bloß noch mit einem Kollodialstreifen bedeckt ist,
entlassen.
3. Ich sehe vom Frühaufstehen ab in allen Fällen, wo durch Zerrung
und Spannung die Primaverklebung der Wunde gefährdet werden könnte
und wo ohnehin im Verlaufe der ersten acht Tage der Patient mit
geheilter Wunde das Bett verlassen kann. Solche Patienten bleiben
in der Regel die ersten Tage selber lieber im Bett, und ich kann keinen
Vorteil darin erblicken, sie zum Aufstehen zu nötigen. Gefahr sehe ich
nur darin, daß es schwieriger ist, Patienten außer Bett zu überwachen,
damit sie puncto Bewegung, Ausgehen aus dem Zimmer usw. nichts
Unpassendes anstellen und sich Schaden zufügen.
Prof. Dr. Carl Ewald, Chirurg, Wien: i
1. Ich habe meine Operierten nur ausnahmsweise ohne besondere
Indikation vor dem zwölften Tage nach Laparotomien oder Bruchope-
rationen aufstehen lassen und gefunden, daß gerade dann, wenn man auf
das Frühaufstehen den größten Wert legt, die Schwierigkeiten groß sind,
sich nicht selten bis zur Undurchführbarkeit steigern. Der Kranke sinkt
in sich zusammen, gleitet vom Sessel herab usw. Je leichter dem Ope-
rierten das frühe Aufstehen fällt, um so weniger scheint es mir unbedingt
erforderlich.
2. Ich finde somit die Vorzüge des frühen Aufstehens nach Ope-
rationen nur darin, daß man dem geäußerten Wunsche des Kranken mit-
unter nachgeben darf, ohne mit seinem ärztlichen Gewissen in Konflikt
zu kommen,
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K 2 0.88 ae l E o A
1502 1912 — MEDIZINISCHR KLINIK — Nr. 37. | 15. September.
3. Wenn katarrhalische Lungenerkrankungen drohen oder bereits
eingesetzt haben, dann stehe ich von dem Frühaufstehen nur ab, wenn
es den Kranken zu sehr erschöpft. Die Gefahr allzu frühen Aufstehens
sehe ich in der Gefahr der Nahtinsuffizienz. Die Kraftanstrengung, die
der Operierte ausführen muß und zu der er, wenn er sitzt, weit mehr
angeregt wird, kann Nähte zum Reißen, Knöpfe — insbesondere, wenn
Catgut verwendet wurde — zum Aufgehen bringen, die Narbe dehnen
und so zu Netzadhäsionen oder Ventralhernien führen. Einen wesent-
lichen Vorteil sah ich vom frühen Aufstehen nicht, insbesondere nicht in
bezug auf Thrombose und Embolie. Die meisten Kranken verlangen nicht
vor dem zwölften Tage aus dem Bett, oder geben den Versuch, früher
aufzustehen, bald auf. Nur die Kinder bilden darin eine Ausnahme und
dieser trage ich auch Rechnung, weil sie infolge ihrer weit geringeren
Körperschwere mir nicht so gefährdet erscheinen.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Le Rehn, Chir. Klin. d. Städt. Krankenh. Frankfurta M.:
1. Die erste Frage muß ich mit Nein beantworten. Es müssen
besondere Umstände sein, wenn ich die Patienten vor dem 10. bis 14. Tage
aufstehen lasse (Laparotomie). Natürlich kommt es auf die Art der Ope-
ration an! | | |
2. Es gibt Fälle, welche man möglichst bald nach der Operation
aufstehen lassen muß — alte Leute, wo Gefahr der hypostatischen Pneu-
monie vorliegt — Patienten mit Atemnot — usw.
3. Ich wünsche meinen Patienten die nötige Ruhe und Erholung
uach einem Eingriffe zu vermitteln, ferner das möglichste Behagen in
bequemer, schmerzfreier Lage zu sichern. Die Patienten sollen aber nicht
sozusagen „stocksteif“ oder gar mit gebundenen Knien liegen, sondern
sie sollen im Bette Bewegungsfreiheit haben. Sie werden angewiesen,
eventuell angelernt, tief zu atmen usw. Ich erblicke gerade keine Ge-
fährdung im Frühaufstehen im Anfange, sondern eine Unzweckmäßigkeit,
die sich allerdings unter Umständen rächen kann.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Rostock
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Martius).
Magen- und Darmblutungen als ungewöhn-
licheres Symptom innerer Krankheiten
von
Prof. Dr. J. Meinertz, Oberarzt der Klinik.
` Die drei Fälle, über die ich berichten möchte, haben
das Gemeinsame, daß ein Symptom, nämlich Blutungen aus
dem Magendarmkanale, das Krankheitsbild beherrschte; und
zwar entstanden jedesmal durch das Vorherrschen dieses
Symptoms diagnostische Schwierigkeiten, da keine der ge-
wöhnlicheren Ursachen in Betracht kam. In einem der Fälle
konnte infolgedessen die Sachlage erst durch die Sektion
aufgeklärt werden, bei einem zweiten mußte es bei einer
allerdings ausreichend zu begründenden Vermutungsdiagnose
bleiben, der dritte Fall ist zwar einwandfrei rubrizierbar,
bietet aber so ungewöhnliche Erscheinungen, daß eine Mit-
teilung in diesem Zusammenhange gerechtfertigt erscheint.
Auf die Bedeutung des genannten Symptoms für die Dia-
gnose verschiedenster Krankheitszustände ist schon oft nach-
drücklich hingewiesen worden, Ich erspare mir daher all-
gemeine Hinweise in dieser Richtung und gehe gleich zur
Mitteilung der Fälle über. |
1. 22jährige Maurerfrau, die drei Tage, bevor sie zu uns kam, in
die hiesige Frauenklinik eingeliefert worden war. Sie befand sich am
Ende des fünften Monats der Schwangerschaft und soll von deren Begian
an öfter Erbrechen gehabt haben. Vor etwa 14 Tagen begann sie sich
schlecht zu fühlen; sie wurde schwindlig und fiel mehrfach um. Seitdem
lag sie zu Bett. Schon damals soll sie schwärzliche Massen erbrochen
haben. Die Temperatur betrug, als sie einen Arzt zuzog (nach dessen
Bericht), über 39%, war aber schon am nächsten Tag auf Salipyrin her-
untergegangen. In den letzten Tagen vor der Einlieferung jedenfalls
fieberfrei. Wachsende Brechneigung, Stuhlverhaltung. Zu Hause kein
Blut im Erbrochenen (Bericht des Arztes), kein sonstiger Organbefund.
Etwas Benommenheit. Einlieferung in die Frauenklinik wegen Verdachts
auf Peritonitis. Die Patientin wurde in benommenem Zustande dort auf-
genommen. Hier trat wieder Erbrechen schwärzlichen Bluts auf und
dauerte an. Pathologische Veränderungen von seiten der Genitalien
waren nicht nachweisbar. Es bestand keinerlei Fiebersteigerung (Tempe-
ratur 36,2—86,80), dagegen auffallend rascher Puls (bis 120). Wegen des
anhaltenden Erbrechens wurde die Frau nach der Medizinischen Klinik
verlegt. Hier wurde folgender Befund erhoben:
Die Frau ist von mittlerem a einen Auffallende Cyanose
der Haut und der Schleimhäute. Das
ensorium ist benommen. Die |
Extremitäten sind kühl, der Puls klein, später gar nicht mehr fühlbar,
beschleunigt. Der Mund ist halb offen, die Zunge braun belegt; trockener,
schmieriger Belag des Gaumens, Atmung verlangsamt und vertieft. —
Rechts hinten über beiden Unterlappen ‚feuchtes Rasseln. Das Herz ist
nicht vergrößert, die Aktion beschleunigt, an der Spitze hört. man ein
leises systolisches Geräusch. Der Fundus uteri steht einen Querfinger
unterhalb des Nabels. Die Milz ist nicht fühlbar. Der Urin (steril ent-
nommen) ist sehr spärlich, trübe, enthält reichlich Eiweiß, keine Cylinder,
dagegen Plattenepithelien, Leukocyten und eine dichte Flora von Bacillen
und Kokken. a
Wiederholtes Erbrechen reichlicher schwärzlicher, übelriechender
Massen, größtenteils aus verändertem Blute bestehend (Guajacprobe usw.).
Am nächsten Tag erfolgte spontane Ausstoßung der Fruchtblase
mit der Frucht; manuelle Ausräumung der Eireste. Kein starker Blut-
verlust dabei.
An demselben Tage trat ein multiples, purpurfarbeneg, quaddel-
artiges Exanthem auf, mittelfleckig, besonders am Rücken, aber auch an
Gesicht, Stamm und Extremitäten, | x 5
Das Blutbrechen hielt trotz Gelatineinjektion, Suprarenin usw. an,
der Puls wurde unfühlbar, und der Exitus letalis erfolgte noch an dem-
selben Tage, das heißt am Tage nach der Einlieferung in die Klinik.
Die Sektion ergab folgendes: Neben diffuser bläulich-roter Ver-
färbung (Livores) der abhängigen Partien finden sich an der Rückenhaut,
an der Streckseite der Oberarme und Rückseite der Oberschenkel zahl-
reiche umschriebene, leicht erhabene, blaurote bis hlaue Herde verschie-
denster Größe, zum Teil konfluierend.
Der Magen ist in seinen oberen zwei Dritteln stark dilatiert, wäh-
rend das untere Drittel bis etwa Darmrohrweite kontrahiert ist. An der
Grenze zwischen diesen beiden Magenabschnitten zieht ein bindegewebiger
Strang quer über den Magen, endet an der kleinen Kurvatur und ver-
ursacht infolgedessen Sanduhrform des Magens. Der untere Magen-
abschnitt reicht bis Nabelhöhe.
Die Milz ist 14:9:3 em groß, von mittlerer, etwas weicher Kon-
sistenz, mit glatter Kapsel. ,
Der Magen, an der großen Kurvatur geöffnet, zeigt einen auf-
fallenden Unterschied in der Schleimhautauskleidung beider Abschnitte.
Die Schleimhaut des proximalen, dilatierten Abschnitts ist tiefgerdtet,
wulstig, und erscheint hypertrophisch. Unmittelbar an der Grenze des
Oesophagusepithels finden sich oberflächliche umsehriebene Schleimhaut-
ulcerationen. Unmittelbar oberhalb der verengten Stelle längs der kleinen
Kurvatur findet sich ein adhärenter bräunlicher Belag. Die Schleimhaut
des unteren Magenabschnitts ist dagegen glatt und deutlich gallig ge-
färbt. Die Verbindung beider Abschnitte kann eben von einem Daumen
passiert werden; nach eröffneter Passage findet sich an dieser Stelle an
der kleinen Kurvatur eine alte strahlige Ulcusnarbe. Am Pylorus
keine Veränderungen, ebensowenig am Duodenum. Gallenwege gut durch-
gängig. Leber an den dem oberen Magenabschnitte benachbarten Partien
mit diesen verwachsen.
Pankreas o. B., bildet den Grund der beschriebenen Geschwäürs-
narbe. An den Nieren makroskopisch nichts Besonderes, An Nieren-
becken- und Ureterenschleimhaut kleinste punktförmige Blu-
tungen. ,
Uterus weich, über mannsfaustgroß, Innenfläche stark gerötet, mit
reichlichen fädigen Gerinnungs- und Gewebsmassen bedeckt. In den
Pleurshöhlen keine Flüssigkeit, dagegen beiderseits ausgedehnte Ad-
äsionen.
Im Herzbeutel zwei EBlöffel klarer seröser Flüssigkeit. Herz von
entsprechender Größe. In der Muskulatur des linken Ventrikels kleine
umschriebene, weiße, streifige Herde. An dem Schließungsrande. der
' Mitralis finden sich an verschiedenen Stellen kleine, blumenkohl-
artige, feste Auflagerungen. Unmittelbar darüber unter dem
Endokard des Vorhofs umschriebene Blutaustritte.
Bronchialschleimhaut intensiv gerötet. Rechts tritt bei Druck
eitrige Flüssigkeit aus den feinen Bronchen aus. N
Tonsillen beiderseits geschwollen, stark buchtig, mit vereinzelten,
in tieferen Punkten sitzenden Eiterpfröpfen. ae
Anatomische Diagnose: Sepsis, Status port abortum. Geringer
septischer Milztumor. Frische Endocarditis verrucosa der
Mitralklappe. Eitrige Bronchitis rechts im Ober- und Unterlappen.
Pleuritische Adhäsionen beiderseits. Sanduhrmagen duroh Ulcus-
narbe bedingt. Oberflächliche Ulcera der Magenschleimhaut nahe dem
Oesophagus. Parenchymatöse Magenblutungen? Subendokardiale
Blutaustritte. Blutaustritte an Nierenbecken und Ureterschleimhant.
Angina follieularis,
Die bakteriologische Untersuchung des Bluts ergab
Streptokokken, eine Kolonie Staphylococcus pyogenes aureus. AU8
der Milz wurden Streptokokken und Bact. coli gezüchtet, aus der
Trachea Kokken, keine Diphtheriebacillen. ee.
In dem geschilderten Krankheitsbilde steht also 1m
Vordergrunde das heftige, sich mehrere Tage hin-
durch immer wiederholende Blutbrechen bei einer IM
fünften Monate schwangeren Frau, die zehn Tage, bevor 810
in unsere Beobachtung kam, mit unklaren Fiebersteigerungen
erkrankt war, die aber jedenfalls in den letzten Tagen nicht
mehr fieberte und unter fortgesetztem Blutbrechen schließ-
FE EEE Un a FEED EEE N DRE "VOR ee i f: SEE T POEP N e E A T E E npa E N S a aa m aia E SA i \
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15.. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37, 1503
lich zugrunde ging. Irgendwelche sicheren Anhaltspunkte
für die Diagnose waren hiermit nicht gegeben; nur ver-
mutungsweise wurde ein Ulcus ventriculi angenommen. Die
Sektion ergab dann zwar einen sehr ausgeprägten Sanduhr-
magen als Residuum eines alten Ulcus, zeigte aber, daß die
Ursache der Blutung zweifellos in einem septischen Pro-
zesse gelegen war; das wurde bewiesen durch die frische
Endokarditis, die subendokardialen Blutungen, die Milz-
schwellung und den Befund von Streptokokken im Blute.
= Blutungen bei Sepsis sind ja an sich ein häufiges Vor-
kommnis. Immerhin dürfte es sehr ungewöhnlich sein, daß
profuse Magenblutungen derart im Vordergrunde des Krank-
heitsbildes stehen, noch dazu im fieberfreien Stadium. Das
Fehlen des Fiebers während der Zeit unserer Beobachtung
war in unserm Falle besonders irreführend; doch ist es be-
kannt, daß bei septischen Prozessen fieberfreie Perioden vor-
kommen und insbesondere vor dem tödlichen Ende die Tem-
parisur tagelang normal oder subnormal sein kann (Len-
artz).
Die oberflächlichen Erosionen der Magenschleimhaut
stehen möglicherweise mit den Blutungen im Zusammen-
hange, sei es, daß sie kleinen oberflächlichen Schleimhaut-
embolien oder mechanischen Ursachen (dem starken Würge-
reiz) ihre Entstehung verdanken und nun eine lokale Dis-
position für die toxisch bedingten Blutungen schafften.
‚2% Es handelt sich um einen 61jährigen Zigarrenhändler, der in
seiner Jugend immer gesund gewesen sein will. Hereditär ist nichts zu
bemerken. Vor 12 bis 15 Jahren hatte er eine Blutvergiftung am rechten
Unterarme nach Riß mit einem Nagel. Danach hat er °/, Jahre an einem
über den ganzen Körper verbreiteten Ausschlag gelitten, der nach einer
auf den Arm geschmierten Salbe aufgetreten sein soll. Sonst hat er
keine besonderen Krankheiten durchgemacht. Doch will er von Jugend
an blaß ausgesehen haben.
Seit etwa drei Wochen vor der Aufnahme im Krankenhause be-
merkte er, daß der Leib immer stärker wurde. Dabei bestand Völle-
gefühl, kein rechter Appetit, normaler Stuhlgang, kein Fieber. Am
4, April fühlte er sich schlechter als sonst, trank fünf bis sechs Glas
Grog,.am folgenden Tage fühlte er sich matt und flau, abends wurde ihm
übel, darauf erfolgte heftiges Erbrechen von bräunlichem Blut,
ohne Schmerzen. Am 16. April stand er wieder auf, ging an sein Ge-
schäft. Am 17. fühlte er sich so matt, daß er sich hinlegte und mittags
Ins Krankenhaus kam. Der Stuhlgang war seit dem Blutbrechen schwarz
wie Teer. — Seit 40 Jahren raucht er täglich zehn bis zwölf Zigarren,
au alkoholischen Getränken genießt er regelmäßig vier bis fünf Glas Bier
und einige Schnäpse täglich.
Die Untersuchung ergab folgendes:
„ Der wenig gealterte, nicht abgemagerte, mäßig beleibte Mann von
kräftigem Knochenbau und guter Muskulatur zeigt eine etwas fahle,
blasse Hautfarbe, macht einen matten Eindruck. Oedeme und Drüsen-
schwellungen sind nicht vorhanden. Abends leichte Temperatursteigerung
bis 87,80, Der Puls ist beschleunigt, meist über 100. An Herz und
Lungen finden sich keine wesentlichen Abweichungen. Die Radialarterie
ist etwas rigide, etwa dem Alter entsprechend.
Das Abdomen ist mäßig vorgewölbt und etwas gespannt, zeigt
überall vollen tympanitischen Schall, Freie Flüssigkeit l&ĝt sich nicht
nachweisen. Spannung und Vorwölbung wechselte im weiteren Verlauf,
war aber niemals so erheblich, daß dadurch das Zwerchfell deutlich hoch-
gedrängt worden wäre. Die Leberdämpfnng war von gewöhnlicher Größe,
der Leberrand nicht palpabel, ebensowenig die Milz.
f Erbrechen erfolgte hier nicht mehr, dagegen enthielt der Stuhlgang
in den ersten Tagen dauernd sehr reichlich Blut, war schwarz, teerartig,
mehr oder weniger dünnbreiig. Die Webersche Probe fiel sehr stark
positiv aus.
Der Urin war klar, frei von Eiweiß und Zucker.
Der Zustand war schwer und verschlimmerte sich noch, besonders
am dritten Tage des hiesigen Aufenthalts: Fieberanstieg bis 39,80, starke
enommenheit, tiefe Blässe, rascher, kleiner Puls, sodaß der Exitus be-
rchtet wurde. Der Patient erholte sich aber in den nächsten Tagen
wieder, wurde zusehends frischer, das Fieber nahm innerhalb von drei
Tagen ab, Appetit stellte sich ein, Magenbeschwerden traten gar nicht
Mehr auf, und der Patient verließ am 18. Tage auf eignen Wunsch das
Krankenhaus ohne besondere Beschwerden.
, Während des Krankenhausaufenthalts und auch später
bei wiederholten Wiedervorstellungen wurde noch eine Reihe
von Untersuchungen vorgenommen.
Der täglich untersuchte Stuhl war vom neunten oder
zehnten Tage des Krankenbausaufenthalts dauernd frei von
Blutfarbstoff.
Der Blutdruck betrug 115 mm Hg nach Riva-Rocei.
Im Blute bestanden die Zeichen einer mäßigen sekun-
dären Anämie, die sich auch im Laufe der nächsten Wochen
nicht wesentlich änderten. Der oft festgestellte Hämo-
globingehalt betrug (und beträgt auch noch) nach Sahli
stets 65—70°/),. Die Zahl der Erythrocyten schwankte
zwischen 3 und 31/2 Millionen. Die Leukocytenzahlen be-
wegten sich zwischen 4600 und 6500. Im gefärbten Prä-
parat bestand mäßige Anisocystose, nur an einzelnen
Erytbrocyten fanden sich ausgesprochene Gestaltsverände-
rungen. Keine abnormen Formen der weißen Blutkörperchen.
Der Augenhintergrund war ohne Veränderungen.
Drei Wochen nachdem zum letztenmal Blut im Stuhle
. nachweisbar gewesen war, wurde eine Mageninhaltsunter-
suchung vorgenommen. Der Magen enthielt morgens nüch-
tern 7 cm (durch Aspiration gewonnen) ungefärbter, etwas
Schleim enthaltender, trüber Flüssigkeit mit starker Kongo-
reaktion, ohne Speisereste (mikroskopisch festgestellt). Eine
Stunde nach Probefrühstück wurde gut zerkleinerter Inhalt
entieert, darin war die Kongoacidität 62, die Phenolphthalein-
acidität 74. | |
Nach Füllung des Magens mit Wismutbrei sieht man
auf dem Röntgenschirm keine Abweichungen der Magen-
form, auf der Photographie im Stehen steht die große Kur-
vatur in der Höhö des Nabels: Bei späteren Durchleuch-
tungen hat sich das Kolon zum größten Teil gefüllt; man
sieht das Colon transversum dicht unterhalb der großen
Kurvatur verlaufen ohne weitere Besonderheiten.
Die Diaskopie des Thorax zeigte das Herz in toto
etwas vergrößert, den Aortenschatten vielleicht etwas
breiter als normal, die Lungenfelder hell, das Zwerchfell
frei beweglich. |
Der Meteorismus wechselte, wie erwähnt. Es gelang,
als der Leib weich und wenig aufgetrieben war, den harten
und glatten Leberrand in der Mammillarlinie dicht
unterhalb des Rippenbogens zu fühlen. Auch auf der
Röntgenphotographie kann man ihn ungefähr an dieser
Stelle lokalisieren.
Zur Prüfung der Leberfunktion wurden morgens in
nüchternem Zustande 100 g Lävulose verabfolgt, in etwa
400 com Wasser gelöst. Der in den nächsten 24 Stunden
in einzelnen Portionen aufgefangene Urin wurde auf Reduk-
tionsvermögen geprüft (Trommer, Nylander), ferner wurde
die Phenylhydrazinprobe in der Modifikation von A. Neu-
mann sowie die Seliwanoffsche Reaktion angestellt. Sämt-
liche Proben fielen vollkommen negativ. aus.
Das gleiche gilt von der Prüfung auf alimentäre
Galaktosurie. Nach Verabreichung von 20 g Galaktose
morgens (auf nüchternen ee zeigten sich nur in einer
abends gelassenen Urinportion bei Anstellung der Phenyl-
hydrazinprobe einige minimale, nicht charakteristische Büschel
von Nädelchen, wie sie auch sonst it zuckerfreiem Harne
sich zeigen, wahrscheinlich Glykuronsäureverbindungen des
normalen Harnes. Alle andern Proben waren negativ.
Schließlich sei noch erwähnt, daß die Wassermann-
sche Reaktion im Blute vollständig negativ war und
daß Widal für Typhus negativ, für Paratyphus in der Ver-
dünnung 1:100 schwach positiv ausfiel.
-Das Wesentliche an diesem Falle ist also die plötzlich
(nach einem kurzen Stadium allgemeinen Unbehagens) auf-
tretende schwere lebensbedrohende Magenblutung
bei einem älteren Manne, der zwar eine zunehmende Auf-
treibung -des Leibes in letzter Zeit bemerkt, aber sonst
keinerlei Beschwerden gehabt hatte und sich für vollständig
gesund hielt. Es dürfte überflüssig sein, alle hier in Betracht
kommenden Möglichkeiten zu erörtern. Rufen Sie sich den
geschilderten Krankheitsverlauf ins Gedächtnis zurück, so
genügt das, die Annahme eines Carcinoms oder Ulcus zurück-
zuweisen. Zur Diagnose sogenannter „parenchymatöser
Magenblutungen“, von denen eine Anzahl ätiologisch und
in
en Ze e er OE
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1504 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
autoptisch vollkommen ungeklärt gebliebener Fälle beschrie-
ben sind [Ewäld!), Reichard?®)], wird man sich erst ent-
schließen, wenn andere Möglichkeiten nicht näher liegen.
Daß keine gastrischen Krisen [avec vomissement noir nach
Charecot?)] vorlagen, ergab die Untersuchung des Nerven-
systems. Auf Lues und Arteriosklerose als Quelle sonst
rätselhafter Magendarmblutungen wird in jüngster Zeit be-
sonders von Singer?) hingewiesen. Für Lues fand sich in
unserm Falle kein Anhaltspunkt. Arteriosklerose kann man
bei einem Manne über 60 Jahre (unser Patient macht einen
weit jugendlicheren Eindruck als seinem Alter entspricht)
freilich nie mit Sicherheit ausschließen. ‘Besonders ausge-
prägte Erscheinungen davon waren hier nicht vorhanden,
insbesondere war der Blutdruck nicht erhöht.
So dürfte es am nächsten liegen, als Ursache der
Blutung eine beginnende Lebercirrhose anzunehmen,
und zwar würde hier einer der verhältnismäßig seltenen
Fälle vorliegen, wo die Blutung als initiales Symptom
der Lebercirrhose auftrat. In den meisten sonst in der.
Literatur mitgeteilten Fällen trat die Blutung für den Pa-
tienten zwar überraschend ein, die genaue Untersuchung
zeigte aber die deutlich ausgesprochenen Symptome der
Lebereirrhose. Maixner°), der die hämorrhagische Form
der Lebercirrhose als eine besondere Abart dieser Krank-
heit aufstellt, sagt zwar, daß die Blutung manchmal den
Patienten vom Beginn der Krankheit an hartnäckig verfolgt.
Aber sämtliche von ihm mitgeteilten Fälle befanden sich,
als sie zur Beobachtung kamen, bereits in einem späteren
Stadium. In unserm Falle findet sich nur eine cotwas
vergrößerte, verhärtete Leber und ein wechselnder
Grad von Meteorismus, ferner ein dauernder,
mäßiger Grad von sekundärer Anämie, dagegen
kein Ascites und kein Milztumor. Maixner charak-
terisiert seine Form der Lebercirrhose besonders durch das
Vorwiegen des Meteorismus, das Zurücktreten des Ascites,
das anämische Aussehen des Kranken und die bereits als
Frühsymptom auftretende ungewöhnliche Milzvergrößerung.
In unserm Falle fehlte gerade der Milztumor, während die
übrigen Erscheinungen gut in diesen Rahmen passen.
Was die übrigen Versuche betrifft, in unserm Falle zu
diagnostischer Klarheit zu kommen, so hat die alimentäre
Lävulosurie bei Leberkrankheiten, auf die Strauß°®) im
Jahre 1901 aufmerksam gemacht hat, zwar großes theore-
tisches Interesse, ihr diagnostischer Wert bei der Leber-
eirrhose ist aber besonders nach den Untersuchungen von
Landsberg’) sehr zweifelhaft: die große Mehrzahl der
Fälle zeigte im Anfangsstadium die Erscheinung nicht, und
anderseits trat sie häufig. genug bei Gesunden auf. Dem
negativen Ausfall in unserm Falle kommt also auch keine
besondere diagnostische Bedeutung zu. |
Ebenso umstritten ist die Bedeutung der alimentären
Galaktosurie, auf die vor allem Bauer?) hingewiesen hat.
Tatsache scheint zu sein, daß sie bei Icterus catarrhalis sehr
häufig auftritt, während sie`z. B. nach den. Untersuchungen
von Reiß°) bei Lebereirrkose keine besondere Rolle spielt.
Auf Grund experimenteller Untersuchungen kommt in letzter
Zeit Ronbitschek!®, zu einem ähnlichen Ergebnis, nämlich,
daß bei akuten Erkrankungen der Leber alimentäre Galak-
tosurie auftritt, bei chronischen Parenchymschädigungen da-
gegen die Galaktose resorbiert wird.
. 3) Ewald, Deutsche Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts,
Bd. 5, S. 476. | en
2) Reichard, D. med. Woch. 1900. : |
3) Charcot, Clinique des maladies du systeme nerveux.
4) Singer, Med Kl. 1912, Nr. 22.
5) Maixner, Wr. med. Woch. 1902, Nr. 32—40. Ä
8) Strauß, D. med. Woch. 1901, S. 757 u. 786. T
7) Landsberg, ibid. 1903, 8. 568. | | |
8) Bauer, ibid. 1908, S. 1505.
- 9) Reiß s. bei Ronbitschek. | i
1) Rönbitschek, Med. Kl: 1912, Nr. 23, S. 948, .
-Hiernach dürfte das Fehlen der alimentären Galak-
tosurie in unserm Falle diagnostisch nicht zu verwerten sein.
Was endlich die Quelle dieser Blutungen bei der
Lebereirrhose betrifft, so scheinen hierbei die Oesophagus-
varicen nicht die Rolle zu spielen, die ihr seit Rokitansky
eingeräumt worden waren. Maixner fand diese Venerweite-
rungen zwar durchweg sehr ausgeprägt; er sieht in ihnen eine
besonders gut fungierende Ausbildung des Kollateralkreis-
laufs, auf der auch das Zurücktreten der Ascites und der
verhältnismäßig gutartige Verlauf dieser Fälle beruhe. Für
die Hauptquelle der Blutungen aber hält er diese Venen-
erweiterungen auf Grund seiner autoptischen Befunde nicht;
eine viel größere Rolle spielt hierbei vielmehr die Berstung
gestauter und in ihrer Wand veränderter Capillaren.
en en Ä (Schluß folgt.)
Aus der I. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Prof. v. Noorden).
Ueber Behandlung von Lymphdrüsentumoren
mit Thorium X |
W. Falta, A. Kriser und L. Zehner.
Experimentelle Untersuchungen, über die wir!) früher be-
richteten, hatten zu dem Resultat geführt, daß das Thorium X,
in größeren Dosen in den tierischen Organismus einverleibt, einen
intensiv zerstörenden Einfluß auf den Iymphatischen Apparat aus-
übt, eine Wirkung, die der der Röntgenstrahlen vollkommen - analog
nur noch viel intensiver ist. Diese Untersuchungen hatten den
Gedanken nahegelegt, daß Krankheiten, bei denen die Behandlung
mit Röntgenstrahlen eine Rolle spielt, sich auch mit Thorium X
behandeln lassen müßten. Entsprechende Versuche bei Leukämie
hatten auch zu dem erwarteten Resultat geführt. Wir möchten
nun über Versuche an Fällen, die der großen Gruppe der nicht-
leukämischen Drüsentumoren zugehören, berichten.
Einige dieser Fälle sind bereits in unserm Vortrag auf dem
diesjährigen Kongreß für innere Medizin erwähnt worden.. Wir
möchten hier gleich vorausschicken, daß bei vielen der hier mit-
geteilten Fälle es nicht möglich war, eine sichere Diagnose zu
stellen; bekanntlich ist die Differentialdiagnose der nichtleukämi-
schen Drüsentumoren oft überbaupt sehr schwierig. Nur in einem
unserer Fälle konnten wir eine Probeexeision vornehmen lassen,
auch konnte bei einer Reihe von Fällen eine genaue Blut-
untersuchung erst zu einer Zeit gemacht werden, als diese bereits
längere Zeit hindurch mit Röntgenstrahlen behandelt worden
waren, wodurch bekanntlich das Blutbild verwischt wird.
Ueber die Behandlung von nichtleukämisechen Lymphdrüsen-
tumoren durch Thorium X findet sich bisher nur eine kurze Notiz
in einer Arbeit von Czerny und Caan?). Diese erstreckt sich
nur auf bösartige Tumoren. Czerny und Caan haben 36 Fälle,
und zwar 31 Carcinome und 5 Sarkome mit Thorium X behandelt.
Die Injektion (1 cem mit einer Aktivität von 1 bis 3 Millionen M.-E.)
geschah intratumoral oder intravenös oder gleichzeitig auf beide
Arten. Es wurden im ganzen 26 irtravenöse Injektionen gemacht.
Czerny und Caan geben nur an, daß auch nach rein intra-
venöser Injektion Reaktionen in den betreffenden Tumoren einge-
treten seien, die alsdann einer Schrumpfung und Verhärtung Platz
machten. | EUR,
Wir möchten hier gleich vorausschicken, daß wir gleich z
Beginn unserer therapeutischen Versuche am Menschen Carcinom-
kranke mit Tuorium X (im ganzen fünf Fälle) behandelten. Wir
haben, da wir einen deutlichen Erfolg vermißten, unsere Versuche
dann später aufgegebon. l
Wir wollen nun zuerst unser Beobachtungsmaterial in Kürze.
mitteilen. Ein Teil der Fälle stammt aus dem Ambulatorium der
Klinik y. Eiselsberg, ein Teil wurde uns von dem Dozenten Holz-
knecht zugewiesen®). Das zu den Versuchen verwendete Thor-X-
Präparat haben uns, wie bisher, die Auerwerke in liebenswürdiger
Weise zur Verfügung gestellt. =
1) W. Falta, A. Kriser und L. Zehner, Ueber Behandlung
der Leukämie mit Thorium X. (Wr. kl. Woch. Sitzungsber. d k. k. Ge-
sellschaft d. Aerzte in Wien, März 1912, u. Wr. kt. Woch. 1912, Nr. 12.)
= __ 2) Czerny und Caan, Ueber Behandlung bösartiger. Geschwülste
mit Mesothorium und Thorium X. (M. med. Woch. 1912, Nr, 14.)
3Y Herra Kollegen Holzknecht möchte ich für das lebhafte Ínteressó,
das er diesen Untersuchungen gezeigt hat, besonders danken. W. Falta.
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1505
>» th ET CE EEG EC GE 1; m ne uuu
Fall I. Patientin H. H., 15 Jahre (Ambulatorium. der Klinik
v. Eiselsborg), Eintritt in die I. medizinische Klinik am 26. März 1912.
Im fünften- Lebensjahre linkerseits an Lymphoma colli operiert.
Ende Januar 1912 Thrombose der linken Vena saphena. Seit fünf Wochen
rasch zunehmende Drüsenschwellungen auf der linken Halsseite. Bisher
Jodsalbenbehandlung ohne Erfolg. PER TA
| Status praesens: Gut entwickelt, gut genährt, rechts alte Apicitis.
Links in der Fossa submaxillaris eine walnußgroße, wenig verschiebliche,
nicht schmerzhafte, ziemlich harte, ovale Drüse von glatter Oberfläche.
Zu beiden Seiten je eine zirka haselnußgroße, weiche, verschiebliche Drüse
tastbar. Röntgenologisch keine mediastinalen Drüsen nachweisbar.
Körper-
Louko: gewicht
kg
"Datum | Ihjektion oyten | Bemerkungen
:27. März | 500000 M.-E. subeutan | 10400 | ' 589
28. y 900000 M.-E. subcutan 11 200
1. April | 500000 M.-E. subcutan 4.800
10. „ - 4000
1 „ 600000 M.-E. intraglandulär | 4000
(große Drüse)
13, „ 800000 M.-E. subcutan- Drüse stark schmerzhaft,
etwas vergrößert
15, „ 500 000 M.-E. intraglandulär
l . (große Drüse) 5 f
16. „ MES 3 600 Drüse etwas verkleinert
Il -i 800000 M.-E. subcutan 57,0 ,
19. „ 800000 M.-E. intraglandulär Erbricht mehrmals, schläft
, wenig, appetitlos =
2i. „ 4000 | 55,9 Brechreiz verschwunden,
| Appetit gut
2 , Patientin tritt aus
‚ Die Temperatur war andauernd normal, nur am 23. April Steige-
rung bis 37,50. Um diese Zeit zwei diarrhoische Stühle.
Ende Mai ergab die Untersuchung, daß die große Drüse bis auf
Erbsengröße zurückgegangen ist, die beiden kleinen Drüsen sind ver-
schwunden. Das subjektive Befinden ist sehr gut. l
Ergebnis: Tuberkulöse Lymphdrüsentumoren. Sub-
cutane respektive intratumorale Behandlung mit großen
‚ Dosen von Thorium X. Vorübergehende Intoxikations-
erscheinungen, wesentliche Verkleinerung des Drüsen-
paketes gegen Ende der Injektionskur und besonders
weiter nach Beendigung derselben. as. Ä
„Fall IL ‘Patient D. J., 19 Jahre (Ambulatorium der Klinik
v. Eiselsberg), Eintritt in die I. medizinische Klinik am 30. März 1912.
| Kräftig gebaut, gut genährt. Seit Mitre Februar entwickelt sich auf
der rechten Halsseite allmählich ein Drüsenpaket, welches zurzeit Faust-
größe erreicht hat. Das Paket ist hart, die einzelnen Drüsen “sind von-
einander nicht abgrenzbar, Furchen tastbar. Patient hält den Kopf nach
links gebeugt. Alte Spitzenaffektion links.
—
Datum Injektion Leukocyten Bemerkungen
80, März 400000 M -E. subcutan 9600
1. April | ° Bei) 8 7200
3 y 300000 M.-E. intraglandulär l ei 7 i
4. y 9600 Im Drüsenpaket eine weiche
et si è $o fluktuierende Stelle
eB o yo s 7 400 Angina lacunaris mit Fieber
7 »: |400000 M.-E. intraglandulär | h Je 2
5 1000000M.-E. intraglandulär
20. s .| ‚1000000 M.-E. subcutan
2. „ . | ‘1000000 M.-E. .subceutan Bin
DE Re Austritt
27. April: Das Drüsenpaket auf ein Drittel verkleinert. Patient
hält den Kopf nunmehr gerade, subjektives Befinden ausgezeichnet.
Ergebnis: Tuberkulöse Drüsentumoren, subcutane
und intratumorale Behandlung mit großen Dosen Tho-
rium X, deutliche Verkleinerung der Drüsentumoren.
Fall III. 16jähriges Mädchen. Ambulatorium der Klinik v. Eisels-
berg. Beginn unserer Behandlung am 22. März 1912. Ein Bruder des
Mädchens hat ebenfalls geschwollene Drüsen. Im Januar 1911 beginnen
ie Drüsen am Halse beiderseits anzuschwellen, Juni 1911 Kur in Bad
‚ damals gingen die Drüsen etwas zurück, später Arsenkur ohne Er-
folg. In den letzten Monaten wurden die Drüsen wesentlich größer. Es
den sich jetzt beiderseits am Halse zahlreiche -bis hühnereigroße
Drüsen, welche große über die Mandibula bis vor ‚das Ohr reichende
Pakete bilden; die Drüsen sind von derber Konsistenz, nicht wesentlich
schmerzhaft; seit einem Jahr Otitis media sin.
22. März 4800 L. 400000 M.-E. subc. Halsweite 34.
es | ur Schmerzen im Drüsenpaket
rechts.
Auch Schmerzen im Drüsen-
Re 73 ao n
24, „ 2800,”
| paket links.
2%. „ 005). m „ . Die früher hühnereigroßen
Submaxillardrüsen sind jetzt nur noch walnußgroß, die Vorwölbung in
der Parotisgegend beiderseits ist geschwunden, die Drüsen sind beider-
seits kleiner und weicher, Halsweite 821/3. l | |
. _. Vom 26. bis 28. März je eine Injektion von je 700 000 M.-E., Pa-
tientin ‘tritt nach einigen’ Tagen aus, ohne daß weitere Veränderungen an
Jen Drüsen eingetreten sind.
a » ”
Am 14. Mai. Die Drüsenpakete sind jetzt wieder bedeutend größer
geworden, größer als sie im Beginne der Behandlung waren, außerdem
hat sich ein Erythema indurativum Bazin entwickelt; L. jetzt 6000.
Ergebnis: Wahrscheinlich Granulome auf tuber-
kulöser Grundlage. Durch subcutane Thorium-X-Be-
handlung nur vorübergehender Erfolg.
Fall IV. K. A., 22jähriges Mädchen. Eintritt in ambulatorische
‚Behandlung 6. Mai 1912. Hat mehrfach Lungenspitzenkatarrh durch-
gemacht, öfter auch Influenza und Angina. Im Jahre 1910 trat an der
linken Halsseite eine Drüsenschwellung auf, die im August desselben
Jahres an der Klinik v. Eiselsberg operativ entfernt wurde. Ende
September 1912 wurde ebenfalls an der linken Halsseite eine zweite
Drüse, die sich daselbst unterdessen gebildet hatte, operativ entfernt.
Es blieb noch eine Drüsenschwellung in der Gegend der linken Parotis
zurück, die in den letzten sechs Wochen wesentlich größer wurde. Jetzt
findet sich ein großes, prominentes Drüsenpaket daselbst, dessen Quer-
durchmesser 7 cm beträgt. Die Drüsen sind hart und nicht voneinander
abgrenzbar. Linksseitige Spitzendämpfung. Leukocythen 6000. 450000
M.-E. Th X sube. | |
17. Mai. L. 5300, Tumor ist flacher und weist eine durch die
Mitte gehende Furche auf. 22. Mai. 200000 M.-E. Th. X sube.
‘13. Juni. Der Tumor ist kleiner geworden, sodaß die unförmliche
Anschwellung der linken Seite wesentlich geringer geworden ist. Der
Durchmesser des Tumors beträgt jetzt 4 cm. Der Tumor ist nicht mehr
ohne weiteres sichtbar. L. 4800, 350000 M.-E. Th. X sube.
9. Juli. Tumor ist noch etwas flacher geworden, der kosmetische
Effekt kann als bedeutend betrachtet werden Patientin hat 4 kg zu-
genommen. 300000 M.-E. subceutan. An der Stelle, an der die erste
Injektion gemacht wurde (am linken Vorderarme), findet sich ein kronen-
stückgroßes flaches Infiltrat von weicher Konsistenz, nicht schmerzhaft.
An den andern Injektionsstellen ist nichts zu sehen.
Ergebnis: Lymphdrüsengeschwülste tuberkuläser
Natur. Die Drüsentumoren haben sich bei dieser Patientin nie
spontan zurückgebildet. Wir sind wohl: berechtigt, die bedeu-
tende Verkleinerung und den dadurch bedingten kosmeti-
schen Effekt auf die Thoriumbehandlung zu beziehen. |
Fall V. L. K..56 Jahre. Eintritt in die ambulatorische Behand-
lung am 4. Mai 1912. . i
August 1911 trat an der rechten Halsseite eine tulpengroße Drüse
auf, später schwollen an beiden Halsseiten die Drüsen an, dabei magerte
der Patient ab. Arsenkur ohne Erfolg. Beiderseits findet sich jetzt ein
faustgroßes Paket rundlicher weicher Drüsen, hauptsächlich retromandi-
bulär. Die Pakete sind auf der Unterlage verschieblich, die einzelnen
Drüsen voneinander nicht gut abgrenzbar, nicht schmerzhaft. Lunge
normal, Thoraxdurchleuchtung: keine mediastinalen Drüsen. 8200 L.
Drei Injektionen von: 150000, 200.000, 300000 M.-E. sube. in der Zeit
vom 4. bis 18. Mai. 6. Mai 6200 L.
| 10. Mai. Patient gibt an, daß die Nase nicht mehr so stark ver-
legt ist als vor Beginn der Behandlung, Nasenatmung ist freier, das
Gehör besser. Halsumfang hat 1 cm abgenommen. 13.Mai. 5600 L.
| 14. Mai. Besserung von Nase und Gehör hält an, ziehende
Schmerzen in den Halsdrüsen rechts. 18. Mai. 3600 L. |
15. Juni. Chronischer Rachen- ünd Nasenkatarrb ist wesentlich
besser, Patient: schmeckt und riecht besser, besonders 'gebessert hat
sich das Gehör, Patient hört die Uhr im Nebenzimmer, die er seit Jahren
nicht mehr gehört hat. Auf der linken Seite sind die Drüsen wesentlich
kleiner geworden, rechts auch etwas, aber nicht so sehr wie links, Hals-
umfang hat um 2'cm abgenommen. 29. Juni. L. 7200, 300.000 M.-E.
subcutan in der Infraclaviculargrube.
Anfang Juli briefliche Mitteilung: Vor einigen Tagen erisypel- `
artige Schwellung der rechten Seite, die vorüberging, ` wobei das Ohr
vorübergehend verlegt war. i , 2. 8
Ergebnis: Lymphdrüsentumoren, wahrscheinlich
tuberkulöse Granulome. In den ersten Wochen der Thorium:
X-Behandlung kein Erfolg, später ‚starker Rück gang der
Drüsenschwellungen. Besserung des Gehörs.
Fall VL B. M. (Ambulatorium der Klinik v. Eiselsberg), zwölf
jähriger Knabe. Eintritt in die Klinik am 14. Mai 1912. Eins von
sechs Geschwistern wurde wegen Drüsen operiert, Vor einem Jahre be-
kam der Patient eine Schwellung am Nacken rechts, welche später ver-
eiterte, dann traten Drüsenschwellungen an der rechten Halsseite und in
der Submaxillargegend auf, schließlich auf der linken Halsseite und an
der Innenseite des linken Oberarms in Ellbogenhöhe. Umschläge und
Salbenbehandlung war erfolglos.
Gegenwärtig findet sich ein größeres Dräsenpaket auf der rechten
Seite, ein kleineres auf der linken Halsseite, die größten bis haselnuß-
groß, ferner Ketten kleinerer Lymphdrüsen -im Nacken beiderseits. Die
Konsistenz der Drüsen ist verschieden. Unter der Mandibula rechts
findet sich eine haselnußgroße, sehr weiche, schmerzhafte Drüse, über
der die Haut gerötet ist. Blutbefund: L. 8500. 15. Mai. 30000 M.-E.
17. Mai. L. 9000. Ean |
| 18. Mai. 60000 M.-E.. Die vernarbte Stelle am Nacken öffnet
sich und secerniert Eiter.
22. Mai. 120000 M.-E. Am Abend Temperatursteigerung bis 37,8:
L. 8000. Drüsen am Halse beweglicher, weicher und besser abgrenzbar.
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1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 37.
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15. September.
Die Drüse in der Ellbogengegend weich und fluktuierend. 25. Mai. Tritt
aus. Körpergewicht unverändert. |
22. Juni. Die Drüsenpakete am Halse sind wesentlich kleiner ge-
worden; die kleinen Drüsen sind fast ganz geschwunden; prominent
ist nur noch eine Stelle unter dem Kinne rechts. Hier findet sich aus-
gesprochene Fluktuation (wird auf der Klinik v. Eiselsberg ineidiert).
Ergebnis: Skrofulöse Lymphdrüsentyumoren. Während
der Behandlung mit kleinen Dosen zuerst kein wesent-
licher Erfolg, nachher im Verlauf von vier. Wochen Rück-
gang respektive vollständiges Verschwinden der nicht
vereiterten und völlige Reifung der vereiterten Drüsen.
Fall VII. Patient B. A., 60 Jahre, Eintritt 1. April 1912. Tuberkulös
belastet, stark abgemagert, tuberkulöse Caries ossis ilai dextr. vernarbt,
darüber Hauttuberkulid. Seit Dezember 1911 Schmerzen in Brust und
Rücken, welche seither fortwährend bestehen. Seit zwei Monaten Auf-
treten multipler Drüsen beiderseits am Hals. Anfangs starke Schweib-
sekretion. Am Halse beiderseits mächtige Drüsenpakete, einzelne bis
hühncreigroße Drüsen, gut abgrenzbar, auf der Unterlage verschieblich,
von sehr weicher Konsistenz. Größter Halsumfang 38 om. Schild-
drüse im rechten Lappen leicht vergrößert, deutliche substernale Struma,
auch röntgenologisch nachweisbar. Ausgiehige vorhergehende Jodbe-
handlung ohne Erfolg. Rechte Spitzentuberkulase. Wassermann negativ.
Pylorusstenose nach Ulcus röntgenolagisch nachweisbar.
Injektion
Datum | Leukocyten | Bemerkungen
1. April | 11 000 Erythrocyten
N. 689, 2 800 000
Ly. 25% | Haemoglobin 65 °/,
M. 6%
Eos 1%
3. April 250 000 subcutan
4. April 10 600
11. April 800 000 subcutan 8 000
13. April 800000 ,
15. April 80000 „
16. Apr. 7400
17. April 800 000 subcutan in die Su-
praclaviculargrube i f
19. April 800000 daselbst Sämtlicha Drüsen am Halse
verschwunden
22. April 800 000 R 8000 Subjektives Befinden ausge-
zeichnet. Die Schmerzen in
der Brust und im Rücken
verschwunden
26. April 5000 , i
30. April 4 800 An der linken Halsseite er-
scheint wieder eine schmerz-
hafte Drüse
2, Mai
4. Mai 5.000 Drüse verschwunden, Hals-
umfang 31 om
Patient tritt aus.
Briefliche Mitteilung nach acht Wochen: Die Drüsentumoren sind
nicht wieder zurückgekehrt. 7
Ergebnis: Rasch wachsende Lymphdrüsentumoren bei
einer tuberkulösen Frau. Durch Tborium-X-Behandlung
eklatanter Erfolg. Die Drüsen verschwinden sehr rasch.
Fall VIII. E., 40jähriger Mann. Eintritt in die Beobachtung am
23. März 1912. Zugewiesen von Dozenten Holzknecht. Vor drei
Jahren Influenza, nachher Drüsenschwellung am Hals und, wie die
Röntgenuntersuchung ergab, auch im Brustraum, Arsenbehandlung war
wirkungslos. Röntgenbestrahlung (Dozent Holzknecht) führte zu einem
rapiden Schwund der Drüsen am Halse, dann traten immer wieder Rück-
: fälle ein. Seither zirka zehn Serien von Bastrahlungen, die immer von
gutem Erfolge In Ba waren. Der Erfolg trat immer erst einige Zeit
nach der Bestrahlung auf und äußerte sich namentlich in dem Ver-
schwinden des quälenden Reizhustens, der sonst den Patienten Tag und
Nacht plagte. Zwischendurch sind auch stärkere Arsenkuren gemacht
worden, als besonders wirkungsvoll hat sich eine Bestrahlungskur ver-
bunden mit Kakodylinjektionen erwiesen, ‚nach der Patient sich zwei
Monate hindurch absolut wohl befand. In letzter Zeit kamen aber die
Rezidiven in immer rascherer Folge. Nach der letzten Röntgenbestrahlung
war der Erfolg nur ganz vorübergehend. Patient hat eben jetzt eine
Bestrahlungskur hinter sich. Vorher ergab die Blutuntersuchung L. 10 200
(N. 80,6 %, Ly. 7,5%, M. 10,7%, E. 1,0%, vereinzelte Myelocyten,
Mastzellen usw.) Jetzt ergibt die Untersuchung 400000 E., 68 °/, Hg,
11200 L. (N. 72%, Ly. 6%. B. 7%, M. 12%, Myeloeyten 3 %,).
Leber und Milz nicht vergrößert, vereinzelte bis bohnengroße Drüsen am
Halse. Röntgendurchleuchtung ergibt beiderseits faustgroße Tumoren
dem Mittelschatten unterhalb der Clavikeln aufsitzend und einen zirka
änseeigroßen Tumor im linken Hilus. Es besteht gegenwärtig starker
Reizhusten. Körpergewicht 78.
23. April: E. 4,00000, L. 11.000; subc. 500000 M.-E. 24. April:
E. 4,00000, L. 10200, Reizhusten etwas stärker, sube. 400000 M.-R.
25. April: E. 4000000, L. 9600. 26. April: E. 5300000, L. 9000. Heute
morgen Gefühl von Freisein auf der Brust: 400000 M.-E. 27. April:
E. 5640000, L. 8000, Hustenreiz geringer. Körpergewicht 76. Früher
leicht obstipiert, jetzt Stuhl regelmäßig. 400 000 M.-E. 8. Mai: E. 5 600 000,
L. 6800. Reizhusten hat aufgehört, Durchleuchtung des Thorax ergibt,
daß die mediastinalen Drüsenpakete an Umfang etwas abgenommen haben.
Der Patient kommt am 31. Mai wieder in die Beobachtung. Der
Reizhusten hat in der letaten Woche wieder beträchtlich zugenommen,
außerdem hat er, wenn er zu große Bissen nimmt, deutliche Schluck-
beschwerden. E. 5400000, L. 10,800. Es bestehen zahlreiche Kratz-
effekte auf dem Boden einer chronischen Röntgendermatitis, welche eine
Bestrahlung gegenwärtig unmöglich macht; der Patient wird daher allein
mit Thorium behandelt. 250 000 M.-E. 3. Juni: E. 5500000, L. 10400,
250 000 M.-E. 6. Juni: E. 5800000, L. 10000. Husten heute schoü
besser. 250000 M.-E. 10. Juni: B. 5700000, L. 12500. Der Husten
nicht mehr quälend, keine Schluckbeschwerden mehr. 250000 M.-E;
12. Juni: 250 000 M.-E. 14. Juni: E. 6000000, L.8600. Röntgendurch-
leuchtung ergibt. daß der Hilusschatten links wesentlich lichter gewordeii
ist. 15. Juni: Temperatur normal. Körpergewicht 75!/3. 800000 M.-E.
18. Juni: 800000 M.-E. 20. Juni: 200 000 M.-E. 22, Juni: 250 000 M.-E.
24 Juni: 280000 M.-E., E. 5 700000, L.9600. 2. Juli: In der letzten
Woche ein bis zwei diarrhöische Stuhlgänge täglich. Patient reist in
einen Kurort. | o RE
Ergebnis: In diesem Falle handelt es sich wahrscheinlich
um eine Lymphosarkomatose der mediastinalen Drüsen.
Das Hauptsymptom ist ein quälender Reizhusten, wahrschein-
lich durch Druck auf die Nervi recurrentes hervorgerufen. In
letzter Zeit gesellen sich noch Schluckbeschwerden hinzu. Die
Röntgenbehandlung bringt im Anfang immer vollen Er-
folg, später schwächt sie sich ab. Kombination von
Röntgen- und Thoriumbehandlung ist wieder erfolgreich,
dabei steigt die Zahl der Erythrocyten von 4000000 auf
5600000 an. Nach drei Wochen Rezidiv. Die alleinige
Thoriumbehandlung bringt jetzt ebenfalls Erfolg, ein
Zeichen, daß sie auch an dem ersten Erfolge mitbeteiligt war.
Fall IX. K., 29jährige Frau. Zugewiesen von Dozenten Holz-
knecht zur Nachbehandlung mit Thorium X, Eintritt in die Beob-
achtung am 15. Juni 1912. Weihnachten 1911 wurde der Thorax wegen
Verdacht auf Lungentuberkulose röntgenologisch untersucht, damals wurde
Vergrößerung der Lymphdrüsen im Mediastinum gefunden. Vom Januar
1912 an sechs Serien von Bestrahlungen des Thorax. Jedesmal fünf Be-
strahlungen in Abständen von drei bis vier Tagen, zwischen den ein-
zelnen Serien Paugen von zwei bis drei Wochen. Die letzte Bestrahlung war
am 14. Juni. Die Patientin hat seit Januar um zirka 6 kg abgenommen.
Die Röntgendurchleuchtung ergab im Januar 1912 einen faust-
großen Mediastinaltumor, welcher das linke obere Lungenfeld bis aui
einen schmalen oberen und seitlichen Rand verdunkelte. Jetzt ergibt die
Durchleuchtung, daß dieser Tumor gut um die Hälfte au Umfang ab-
genommen hat. Perkutorisch findet sich links vorn oben eine deutliche
Dämpfung, die den linken Sternalrand gut um drei Querfinger überragt.
Das Atemgeräusch ist hier abgeschwächt, links hinten oben ist keine
wesentliche Aenderung, keine Drüsenschwellungen, sonst Wassermann
positiv (beim Gatten negativ).
1908 Halsentzändung, nachher akuter Gelenkrheumatismus. Im An-
schluß daran Entwicklung einer Forme fruste des Basedow.' Tachykardie
bis 120. Juni 1909 Stramaoperation. Nachher wesentliche Besserung.
Auch jetzt noch ganz leichte Basedowische Symptome. |
17. Juni E. 4900000, Hb 72%, L. 8600 (N. 68, Ly. 17, M. 10,
E. 1%, Myel. 3%), 250000 M.-E. subcutan. 19. Juni 250 000. M.-E.
subcuten. 20. Juni E. 5600000, L. 8400. 21. Juni 250000. 24. Juni
Basedowischen Symptome etwas verstärkt. 28. Juni 800 000 M.-E., Tem-
peratur immer unter 37. 2. Juli 250000 M.-E. subeutan. E. 5000 000,
Leukoeyten 7000. 4. Juli 200000 M.-E., E. 4800 000, L. 5800. 6. Juli
E. 4900000, L. 5000, 250000 M.-E. 9. Juli 50000 M.E. 12. Juli
100 000 M.-E. | RR
Eine neuerliche Durchleuchtung des Thorax ergibt: Nur mehr eine
Andeutung von Intumescenz des oberen Mediastinums, welche vielleicht
nur wegen des früheren Befundes mit Sicherheit zu deuten ist, so klein
ist sie geworden (Doz. Holzknecht). Während der Thoriumkur Ab-
nahme um 2 kg. |
Ergebnis: Mediastinaltumor (Lymphosarkom oder
Granulom?). Auf Röntgenbestrahlung Rückgang des
Tumors im Verlaufe von sechs Monaten um zirka dio
Hälfte. Während der anschließenden zirka vierwöchentr
lichen Thorium-X-Behandlung fast völliges Versehwin-
den des Tumors. Nur vorübergehende Steigerung der Erythro-
eyten. o
Fall X. N., 46jähriger Mann. Zugewiesen von Dozenten Holzknecht.
Eintritt in die Beobachtung am 22. Mai 1912. Vor zirka vier Jahren
bemerkte der Patient Schwellung der Drüsen in der rechten Leisten-
gegend. Nach zirka einem halben Jahre traten auch kleine Drüsen links
auf, dann auch im Abdomen und in den Achselhöhlen beiderseits. Erste
Röntgenbestrahlung im Mai 1911. Damals verschwanden die Drüsen m
der linken Leiste, in der rechten wurden sie kleiner. Blutuntersuchung
am 1. April 1911. E. 5300000, Hb 105%, L. 10.000 (N. 60%, Ly. 25°/6
M. 10°/0, E. 5°/o), keine Drüsen im Mediastinum. Wassermann negativ. Arsen
nur geringe Wirkung. Zweite Bestrahlang Mai 1911. Dritte Bestrahlung
J uni 1911. Vierte Bestrahlung August 1911. Arseninjektionen brachten
keine Besserung. Beginn der Temperatursteigerung, damals auch schon
Schmerzen im Kreuz. Oktober 1911 fünfte Bestrahlungsserie (Doz. Holz-
LLA
= © HT. o’ O 3 u Zi å r r
-
1507
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
knecht). Verwendung größerer Dosen. Damals wurden auch Drüsen
im Bauohe gefunden, seither drei Serien von Besttahlungen in der
Heimat. Bei der zweiten Serie große Schweiße, starke Schmerzen in
der rechten Leiste und hoher Temporaturanstiege. Die Drüsen nahmen
anfangs an Volumen immer ab. Ende April 1912 Blutbefund: E. 5170000,
Hh 850 o, L. 14400 (N. 70%, Ly. 16°, M. 9%, E. 50/0). Letzte Be-
strahlung Mai 1912 ohne Erfolg. Große Schweiße, Schmerzen in der
rechten Lendengegend, Temperatur bis 39. Allmählich sich entwickelnde
Wirbelsteifigkeit, heftige Wurzelschmerzen vom Kreuz aus. Patient muß
sich auf beide Knie stützen, um aufzustehen, empfindet dabei heftige
Schmerzen, geht ganz vorsichtig mit kleinen trippelnden Schritten, muß
sieh nach kurzer Zeit wegen heftiger Schmerzen niedersetzen. Milzpol
palpabel, ebenso Leber zwei Querfinger unterm Rippenbogen. Unter-
suchung per rectum ergibt ein faustgroßes Drüsenpaket, ebenso Drüsen-
schwellungen in den Leisten (rechts. hühnereigroß), kleinere Drüsen in
den Achselhöhlen. Alle Drüsen sind ziemlich hart, das Paket im kleinen
Becken ist wenig verschieblich. Blutuntersuchung: E. 4 800 000, L. 8700,
(N. 76%, Ly.16°%, M. 4%, E.4), einzelne Myelocythen). Temperatur:
Abend zwischen 37 und 89. Vom 25. Mai an gleichzeitig Thoriumbehand-
lung und Röntgenbestrahlung (Doz. Holzknecht).
25. Mai 300000 M.-E. Thorium X. Körpergewicht 68,6. 26. Mai
Schwellung des Drüsenpakets in der rechten Leiste (Initialreaktion auf
Röntgen). 29. Mai 470000 M.-E. Drüse in der rechten Leistenbeuge auf
die Hälfte des Volumens zurückgegangen. Schmerzen im Kreuz haben
wesentlich nachgelassen. Abendtemperatur nur bis 37,7. 27. Mai
E. 5 000 000, L. 9300. 80. Mai E.. 5400000, L. 10200. 31. Mai. Seit zwei
Tagen höchste Temperatur nur bis 87,5. E. 6000000, L. 9600, das
Drüsenpaket im kleinen Becken ist beweglicher und etwas kleiner.
250 000 M.-E. |
` t. Jemi E. 6 200 000, L. 9500, Körpergewicht 70. 3. Juni E. 6100000,
L. 10600, Körpergewicht 70. 4. Juni. Aufstehen geht jetzt sehon viel |
besser. E. 6400000, L. 11000. 5. Juni Drüsen in der linken Leiste
verschwunden. 350000 M.-E. 7. Juni E. 6400000, L. 9000, etwas
Engigkeit auf der Brust. 10. Juni L. 8800, M.-E. 300000. 13. Juni
E. 6400000, L. 8000, M.-E. 200000, Körpergewicht 71. 14. Juni nur
noch Gefähl von Druck im linken Bein, Bewegung im Kreuz ist fast
ganz frei. In der rechten Leistengegend nur noch zwei haselnußgroße
Drüsen. 17. Juni E. 6200000, L. 8200. Patient kann sich jetzt tief
bücken, Im linken Oberschenkel nur noch ein leichtes Gefühl von `
Spannung. In der linken Axilla keine Drüse mehr fühlbar, in der rechten
eine undeutlich in der Tiefe. 19. Juni E. 6000000, L. 4800, Abend-
temperatur 37. (Keine Antipyretica mehr wie früher.) Das Drüsenpaket
im kleinen Becken nahezu auf die Hälfte reduziert. Körpergewicht 79!/a.
Patient geht nach Reichenhall.
_ 15. Jali. Die Besserung des Ganges hat bisher angehalten, doch
hat der Patient seit zirka acht Tagen in die rechte Kniskehle sus-
strahlende Schmerzen. Temperatur bis 38° C. Patient wird vor seiner
„Abreise einer neuerlichen Injektionskur, kombiniert mit einer Röntgen-.
bestrahlung (Doz. Holzknecht), unterworfen. Erytbrocyten noch
öl Millionen. Er erhält vier Injektionen zu 250000 respektive
300 000 M.-E. subcutan. Die Zahl der Erythrocyten ändert sich dabei
nicht wesentlich, die Zahl der Leukocyten geht von 13600 auf 9000
herunter. |
Ergebnis: In diesem Falle handelt es sich wahrscheinlich
um eine Lymphogranulomatosis. Dafür spricht die generelle
Beteiligung des Lymphdrüsenapparats, die Härte der Drüsen-
geschwülste, die Milz- und Lebervergrößerung und wohl auch der
Blutbefund. Eine eigentliche Leukocytose fehlt, das Blut ist aber
immer nur nach Röntgenbestrahlungen untersucht worden, zweimal
fand sich trotzdem leichte Leukocytose.
Die Behandlung hat hier ein bemerkenswertes Resultat ge-
bracht, Während die letzten Röntgenbestrahlungen nur
zu einem recht unbefriedigenden respektive die letzte
zu gar keinem Resultat mehr geführt hat, sehen wir
Jetzt unter kombinierter Röntgen- und Thoriumbehand-
lung die vergrößerten Drüsen rasch und deutlich an
Volumen abnehmen, die intensiven Kompressionssym-
ptome schwinden so gut wie vollständig, sodaß der Patient,
der sich nur mit großer Mühe erheben und nur ganz kurze Zeit
gelen konnte und an den heftigsten Schmerzen besonders des
achts litt, nun wieder ganz beweglich wird und seine Schmerzen
ganz verliert. Die Temperatur wird dabei ganz normal. Die
Zahl der Leukoeyten sinkt allmählich ab. Bemerkenswert ist das
Verhalten der Erythrocyten. Diese steigen in kurzer Zeit
von 4800000 auf 6400000 an und erhalten sich auf dieser
Höhe oder vielmehr später nach einem leichten Abfall auf 6 000 000
bis zum Schluß der Behandlung. Einen Monat nach Aussetzen
er Behandlung beträgt ihre Zahl noch 51/, Millionen. .
1919 F all XI. 2ljähriges Mädchen, Eintritt in die Klinik am 14. J uni
1907 überwiesen von Dozent Holzknecht, war stets nicht sehr kräftig.
rechts Fre Einige Monate nachher Drüsenschwellungen am Halse
er e nach einigen Tagen zurückgingen. Einige Wochen später
lich ch eine große Drüse in der linken Supraclaviculargegend. Angeb-
nach Jodbädern und Arsenjodpräparaten geringe Verkleinerung der
Drüse. Frühjahr 1910 wiederum Schwellung mehrerer Drüsen der rechten
Halsseite, ferner in der Achselgegend und Brustgegend; diese Drüsen
wurden allmählich immer größer. Unter sechs Bestrahlungen durch
Dozent Holzknecht verkleinerten sie sich zur Hälfte. Zwei weitere
Bestrahlungen später brachten die kleinen zum Verschwinden und ver-
kleinerten die größeren noch weiter. November 1911 neuerdings An-
schwellung der Halsdrüsen links, drei Bestrahlungen (Holzknecht)
hatten diesmal keinen Erfolg. Im Winter Husten, Temperatursteige-
rungen bis 88,2, ferner Drüsenschwellungen an der rechten Halsseite,
vierwöchige Röntgenbestrablung in Klausenburg blieb ohne Erfolg. Fieber
hielt an, Körpergewichtsabnahme um 12 kg. Der Hals ist in seinem
oberen Teil durch beiderseitige Drüsentumoren verdickt, links bedeutend
stärker. Größter Umfang 39, kleinster Umfang 83’cm. Links unter dem
Ohr ein gut faustgroßer, harter, stark sich vorwölbender, verschieblicher
Tumor vom Durchmesser 10 zu 1i cm. An der linken Schulter im
Nacken links eine hühnereigroße, verschiebliche Drüse. Eine ebenso
große harte Drüse rechts. Fernor eine haselnußgroße Drüse links sub-
maxillar, ferner Drüsen in den Achseihöhlen und -in der Leistengegend.
Röntgendurchleuchtung: Großer Schatten, der den linken Oberlappen fast
ganz verdunkelt, und ein zirka faustgroßer Schatten am rechten Lungenhilus.
Mikroskopische Untersuchung nach Probeexeisioin (Klinik
v. Eiselsborg): Sehr plasmazellenreiches Lymphdrüsengewebe mit
reichlichen riesenzellenartigen Zellen. Eosinophile Zellen nicht vermehrt.
Keine Sklerosierung der Stützsübstanz. Wahrscheinlich Lymphogranulo-
matose in Anfangsstadium. |
Leukocyten. |
Datum. | Injektionen. Bemerkungen
14. Juni 28000 (N. 70, Ly. 15, M. 2,5, My. 10,
B. 25°% Er. 5 Millionea
1b ;; 250 000 M.-E. 26 400
16. „ 24 000
IT 5 200 000 „ |
19. „ 17000
20. y 15 400
25. p 300000 „,
7. „ 300000 „
29. „ 14 400
1. Juli 300000 „ Röntgenbestrahlung durch Doz.
- Holzknecht
Bu 30000 „ 14 300
6. „ | 12 800
I a 300000 „
15, „ 300000 „ 9 000
19. „ 300 600 7 800 Erythrocyten: 5 700 000
Fall XIL W. L, 17 Jahre. Eintritt in die Beobachtung am
28. März 1912. 1908 rechtsseitige Hodenexstirpation wegen Sarkom,
seit zirka zwei Jahren Schmerzen in der rechten Flanke, die sich später
mehr links von der Wirbelsäule lokalisierten und kontinuierlich sind, auch
hier und da gegen das linko Schulterblatt ausstrahlen. |
Bedeutends Schwellung der retröperitonealen Lymphärüsen; Ver-
größerung von Leber und Milz. Auf homogene Tiefenbestrahlung trat
mehrfach Rückgang der klinischen Erscheifiungen und Sistieren der Be-
schwerden auf (Dr. Robinschn). In. der letzten Zeit verhält sich der
Patient gegen Röntgen refraktär. |
Hochgradig kachektisch, im Wachstum zurückgeblieben. Ven-
ektasien auf der Brust. Leber vergrößert kart, Milz nicht palpabel. Großes
Paket von Drüsentumoren im Abdomen, Drüsen kaum voneinander ab-
grenzbar, nicht verschieblich, Zwerchfellhochständ. Masse: In Nabelhöhe
59 cm in der Höhe des Proc. xyph. 64!/2, Mitte zwischen beiden 63 cm,
sonst keine Drüsen palpabel (E. 3200000, L. 5000, N. 72, Ly. 18,
E. 2°, M. 8°/0).
Datum | Injektionen | Erythrocyten | Leukocyten|
Bemerkungen
80. März | 600 000 M-E. 3 600 000 | 4800
3 m, 500000 „, 4 120 000 5800
1. April . 4.880 000 3800
2L p 800000 „ 5 200 000 5100
r 5 800 000 5 000 000 4900
4 y 4 800 000 6000 Umfang in Nabelhöhe 59,
Miste on Nabel und
roc. xyph. 61.
b n 4 500 000 4200 2
6. p 4 800 000 3600
Tei 4 400 000 000
T a:
A 2000
10. „ 4 200:000 2000
1l. „ 4 800 000 2600
13. , : 800 000 2600
14 „ 4.800 000 1600
16, % 4700 000 0
16. „ 5 000 000 1000
1%. „ 4 500 000 900
18 „ 4 400 000 1000 i
19. y 4 200 000 800 N
28. y» 5 200 000 1200 erada e Mi ohen Proc. xyph.
l und Nabel 60 cm.
28. „ 3 800 000 2000
11. Juni. Hochgradigste Kachexie, Tumor im Abdomen wieder
etwas größer, leichter Ascites, neuralgische Sohmerzen unbedeutend.
2.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37..
: Ergebnis: Sarkommetastasen. in den peritonealen
Lymphärüsen nach Hodensarkom, hochgradige Kachexie
und Kompressionsneuralgien. Durch Thoriumbehand-
lung vorübergehende Verkleinerung der Drüsenpakete
(die gegen Röntgen bereits refraktär waren), Abnahme des Um-
fangs um zirka 41 cm, Neuralgien hören auf, Anstieg
der Erythrocyten von 3,2 auf 5,2 Millionen. Hochgradige
langandauernde Leukopenie, später wachsen die Tumoren von
neuem, Kachexie schreitet fort.
Zuerst einige Worte über die Applikationsweise. Mit
intratumoralen Injektionen haben wir nur zwei Fälle behandelt,
. nebenbei wurden in diesen Fällen auch subcutane Injektionen ver-
'abreicht (Fall I und II). In beiden Fällen trat eine starke lokale
Reaktion, im Fall I auch eine allgemeine Reaktion auf.
Wir wollen hier nur die Tatsache registrieren, daß in beiden
Fällen ein Erfolg eingetreten ist: Nach einer vorübergehenden
„Sehwellung und Rötung der Drüse trat durch Schrumpfung Ver-
kleinerung respektive im Fall II Erweichung und später Resorp-
tion ein. Wahrscheinlich dürften harte, schlecht vaskularisierte
Drüsen für die intratumorale Injektion besonders geeignet sein.
Alle andern Fälle.sind ausschließlich. mit subeutanen Injek-
' tionen behandelt worden. Wir häben schon in unsern früheren
. - Publikationen angegeben, daß wir bei entsprechender Verdünnung
` mit physiologischer Kochsalzlösung niemals Nekrosen der Haut an
den Injektionsstellen gesehen haben, hingegen sahen wir sehr häufig
nicht unbeträchtliche Infiltrationen auftreten, die schmerzhaft
waren und oft‘ erst nach Wochen unter Hinterlassung von Pig-
- mentierungen verschwanden. -Diese Infiltrate haben wir in den
letzten Wochen vollständig vermieden, indem wir in der Dosis
nie über 300000 M.-E. anstiegen und eventuell, wenn größere
Dosen erforderlich waren, an zwei verschiedenen Stellen gleich-
zeitig injizierten.
Wir möchten hier auch gleich einige Bemerkungen über die
-Dosierung anschließen. Die erstbehandelten Fälle (Fall 2, Fall 3
und Fall 12) sind mit verhältnismäßig sehr großen Dosen be-
handelt worden. Dabei haben wir oft leichte Intoxikationserschei-
nungen (Brechreiz, Abmagerung und mehrere diarrhöische Stuhl-
gänge) beobachtet. -Wir sind’ aber in der letzten Zeit, wie auch
aus den Notizen über die andern Fälle hervorgeht, zur Ueber-
zeugung gelangt, daß man gar nicht notwendig hat, so hohe Dosen
zu verabreichen. Diejenigen Fälle, welche auf Thorium
reagieren, tun dies auch bei Verabreichung kleinerer
Dosen, besonders wenn man die Behandlung eine Zeit-
lang fortsetzt. Der Erfolg muß sich nicht sofort: einstellen,
ö sondern tritt oft erst später auf und wird nach Abbruch der Kur
dann noch deutlicher. In den späteren Fällen sind wir gewöhn-
lich so vorgegangen, daß wir in Abständen von zwei. bis drei
Tagen 2—-300 000 M.-E. unter sorgfältiger Kontrolle der Leuko-
cyten, des Körpergewichts und .der Darmfunktionen injizierten.
Bei diesen-Dosen kam es fast niemehr zu stärkeren Leukopenien,
wie wir sie bei Verwendung stärkerer Dosen beobachteten; wir
sahen vielmehr häufig in den ersten Tagen: oder sogar Wochen
eine. Leukocytose leichteren Grades, welche gewöhnlich erst am:
Ende der Kur einer leichten Leukopenie Platz machte. Tritt bei
dieser :Dosierung schon frühzeitig Leukopenie auf, so mahnt dies’
zur Vorsicht; man wird dann gut tun, die Kur früher abzu-
brechen, um sie eventuell später wieder aufzunehmen!),
Hier seien gleich auch einige. Worte über das Verhalten
der Erythrocyten hinzugefügt. Auf dem Kongreß für innere
Medizin führten wir einen Fall an (unser Fall XII), bei dem unter
dem Einfluß mehrerer Thoriuminjektionen die Erythrocyten im
Verlauf einer Woche von 3,2 auf 5,2 Millionen anstiegen.- Sie
hielten sich dann auf dieser Höhe bis zum Schluß der Behand-
lung, also zirka einen Monat lang. Ein ähnliches Verhalten haben
wir auch in andern Fällen beobachtet. So sehen wir im Fall VIO
die Erythrocyten im Verlaufe von vier Tagen von 4,0 auf
5,6 Millionen ansteigen; auf dieser Höhe halten sie sich während
der weiteren noch zirka 14: Tage dauernden Behandlung. Auch
drei Wochen später beträgt ihre Zahl noch 5,4 Millionen und
schwankt während der nun folgenden zweiten Serie von Injek-
tionen zwischen 5l/2 und 6 Millionen. Im Fall IX steigen die
1) Derselbe Grundsatz leitet uns heute auch bei Behandlung der
Leukämien. In rezenten Fällen genügen kleinere Dosen vollständig, um
sehr schöne langandauernde Erfolge zu erzielen. Bei weit vorgeschritte-
nen Fällen sind allördings größere Dosen notwendig. Wir möchten hier
aber nochmals auf unsere Angaben über die tödliche Dosis bei Tieren
hinweisen, die bisher wenig Beachtung gefunden haben.
Erythrocyten von 4,9 auf 5,6 Millionen. an, ‚bleiben jedoch nicht
lange auf dieser Höhe, sondern fallen.: wieder. allmählich auf
4,9 Millionen ab. Im Fall X- steigen. sie von: 4,8 Millionen im
Verlaufe von 17 Tagen auf 6,5 Millionen an- und -bleiben bis zum
Schluß der Behandlung stark erhöht. Nach einer ''einmonatlichen
Pause betragen sie immer noch 5t/2 Millionen.. Bei den hier .an:
et 15.: September. |
geführten Fällen, bei denen darauf untersucht wurde, haben wir.
also immer unter dem Einfluß der Thorium-X - Behand; ,
lung ein Ansteigen. der Erythrocyten beobachtet und
è
eventuell eine Hyperglobulie auftreten sehen. Es ist.
daher gar kein Zweifel, daß durch das Thorium X -ein Reiz auf
den Erythrocytenapparat ausgeübt werden kann. Damit stimmen
auch die Beobachtungen von Fr. Kraus!), Plesch?) und:
Bickel’) überein, daß bei der perniziösen Anämie‘ durch kleine
Dosen des Thorium X ein bedeutender Anstieg der Erythrocyten
zu ` erzielen ist. Klemperer‘) hat einen Erfolg vermißt. Wir
möchten hier nur darauf hinweisen, daß man bei gewissen Formen
der Anämie durch größere Dosen von Thorium X direkt schaden
kann!’ In einem Falle von Morbus Banti versuchten wir die Milz
durch Thoriuminjektionen zu reduzieren; wir injizierten zweimal
je 500 000 M.-E. an` zwei aufeinanderfolgenden: Tagen.“ Nach der
zweiten Injektion fand sich ein Anstieg der Erythrocyten von
3 auf 3,2 Millionen und des Hämoglobins von 38 auf 50°/),. Dann
-aber trat ein rapider Abfall der Erythrocyten bis auf 1,8 Millionen
auf und der vorher nur angedeutete Ikterus verstärkte sich
wesentlich. Die Leukopenie verstärkte sich (8611 L); es traten
Brechreiz und’ mehrere diarrhöische Stühle auf: Nach. einigen
Tagen erholte sich die Patientin wieder vollständig und die
Erythrocyten kehrten nach weiteren zehn Tagen wieder zum: Aus-
gangswerte zurück. Ein Einfluß auf das Milzvolumen blieb voll-
ständig aus; diese Beobachtung weist darauf hin, daß bei jenen
Formen der Anämie, bei denen eine verminderte’ Resistenz der
Erythrocyten angenommen wird, größere Dosen von Thorium X
kontraindiziert sind.
Was nun die therapeutischen Resultate anbelangt, so
wird es gut sein, zur Diskussion der Fälle dieselben. in -dret .
Gruppen einzuteilen. Die erste Gruppe umfaßt die Fälle mit’mehr
lokalisierten Drüsentumoren, wahrscheinlich meist Granulome auf
tuberkuloser Basis. Die zweite Gruppe möhr oder weniger generali-
sierte Lymphdrüsentumoren, Fälle, die man wohl unter die Lympho-
sarkomatose respektive Lymphogranulomatose einreihen kann. Der
dritten Gruppe gehört nur: ein Fall an. Hier handelt es sich um
>
Metastasen iñ den Lymphdrüsen nach primärem Hodensarkom. `..
Zur ersten Gruppe gehören: die Fälle I bis inklüsive VII.
Darunter sind drei Fälle, die mit ‘sehr: großen Dosen behandelt
wurden. Es sind dies die ersten’ Fälle, .die wir überhaupt be-
handelt haben. Die vier andern Fälle sind mit kleineren Dosen
behandelt worden. Wir möchten hier nochmals darauf hinweisen,
daß, wie wir schon vorhin angedeutet haben, große Dosen, die zu
Intoxikationserscheinungen "führen, gerade bei diesen Fällen nicht
viel mehr helfen als kleine und daß Fälle, die überhaupt reagieren,
auch auf kleinere Dosen besser werden, wenn man die Behandlung
längere Zeit fortsetzt. Der Erfolg ist nicht in allen Fällen gut.
In Fall I und II wäre er wöhl minimal geblieben, wenn wir nicht
die subcutane Behandlung mit der intratumoralen kombiniert hätten.
In Fall III ist der Erfolg nur so kurz dauernd, daß wir ihn als
negativ registrieren müssen. .Wäas nun die Fälle IV bis VII an-
belangt, so kann man hier ‚wohl von einem zweifellosen. Erfolg
sprechen. Es tritt bei allen Fällen deutliche Verkleinerung der
Lymphdrüsenpakete auf, wodurch unter Umständen ein sehr be-
friedigender kosmetischer Effekt erzielt werden kann, z. B. in
Fall IV. Es kann vorkommen, daß ein Teil der Drüsen kleiner
wird, während andere, in denen der Erweichungsprozeß wahrschein-
lich schon begonnen hatte, rasch einschmelzen und großenteils
resorbiert werden (Fall VI). Meist dauerte es mehrere Wochen
lang, bevor der Effekt sichtbar wurde, ja es kann sogar’ der Erfolg‘
erst deutlich werden, nachdem die Kur schon abgebrochen ist.. Dies
wär besonders bei den ersten Fällen, die wir in Behandlung ge-
nommen haben, der Fall. Wir haben sie daher in’ unserer Mit-
teilung auf dem Kongreß als völlig negativ registriert. Es gibt
jedoch unter dieser Gruppe auch Fälle, bei denen der Erfolg rasch
eintreten und eklatant sein kann (Fall VII). Ueber die Dauer der
') Fr. Kraus, Diskussion zu den “Vorträgen über Thorium 2.
(Kongr; f. innere‘ Med. 1912.) | er Ze
© 2) Plesch, M. med. Woch. 1912, Nr. 26.
°`) Bickel, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 28.
t) Klemperer, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 27.
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15. September
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
n
1509
Erfolge läßt sich bisher nur so viel aussagen, daß bei einigen der
Fälle, wie aus den Protokollen hervorgeht, die Beobachtung schon
mehrere Monate währt.
.. Das Gesamtresultat ist nicht glänzend, doch scheint es uns
hinreichend, um zu weiteren Versuchen in dieser Richtung zu er-
mutigen, besonders wenn man berücksichtigt, daß die chirurgische
Behandlung dieser Erkrankung häufig unmöglich und die interne
häufig wirkungslos ist. Den bisherigen Erfolgen der lokalen Be-
strahlung (Röntgen, Radium, Mesothorium) scheint, soweit sich aus
den wenigen Fällen urteilen läßt, die hier geschilderte subcutane
Thorium-X-Behandlung in vieler Hinsicht ähnlich zu sein. Wahr-
scheinlich dürfte eine Kombination beider Methoden, wie dies bei der
zweiten Gruppe geschildert wird, auch hier besonders wirksam sein.
Die zweite Gruppe umfaßt mehr oder weniger generalisierte
Lymphdrüösentumoren. Im Fall VIII und IX handelte es sich um
Mediastinaltumoren, man kann diese Fälle wahrscheinlich unter
die Lymphosarkomatose einreihen. In beiden Fällen hatte die
Röntgenbestrahlung Erfolg erzielt. Es war also mit einiger Wahr-
scheinlichkeit auch vom Thorium X ein Erfolg zu erwarten. Im
Fall VII hatte der Erfolg der Röntgenbestrahlung darin bestanden,
daß der quälende Reizhusten während oder nach einer Bestrahlungs-
kur regelmäßig verschwand. Die späteren Bestrahlungskuren
waren immer weniger wirksam. Als nun unmittelbar an eine Be-
strahlungskur Thorium-X-Injektionen angeschlossen wurden, war
der Erfolg wieder befriedigend. ‘Als nach einigen Wochen sich
der Reizhusten wieder einstellte, konnte derselbe durch Thorium-X-
Injektionen allein wieder wirksam bekämpft werden. Im Falle IX
trat während wiederholter Röntgenbestrahlungskuren im Verlauf
von sechs Monaten eine Verkleinerung des Tumors auf zirka die
die Hälfte ein; während einer nun folgenden dreiwöchigen Tho-
rium-X-Behandlung verschwand der Tumor fast vollständig. Es
scheint uns daher nicht unwahrscheinlich, daß das Thorium X an
diesem raschen Erfolg wesentlich mitbeteiligt ist. - Im Fall VIII
scheint der Erfolg nur von kurzer Dauer zu sein, im Falle IX
können wir tiber die Dauer des Erfolges noch nichts aussagen.
Im Falle X handelte es sich höchstwahrscheinlich, im Fall XI
ziemlich sicher um Lymphogranulomatose. In dem ersteren Falle
scheint uns der Erfolg bemerkenswert zu sein. Die Röntgen-
bestrahlung allein war in den letzten Monaten immer weniger wirksam
geworden, die kombinierte Röntgen- und Thorium-X-Behandlung hat
die Beschwerden des Patienten ziemlich rasch gelindert. Die Drüsen-
pakete wurden deutlich kleiner, die Drüsen in der Axilla verschwanden
vollständig, diequälenden, durch den Druck der Geschwülste erzeugten
Wurzelsymptome verschwanden und der früher steife Gang wurde
frei. Hingegen ist im Fall XI bisher der Erfolg ausgeblieben.
In dem Falle XII mit Sarkommetastasen trat unter der
Thorium-X-Behandlung eine meßbare Verkleinerung der Geschwülste
auf. Auch hörten die neuralgischen Schmerzen auf, sonst war ein
Erfolg, wie ja auch zu erwarten war, nicht zu konstatieren.
‚ Die mitgeteilten Untersuchungen lassen natürlich ein ab-
schließendes Urteil nicht zu. Durchschlagende Erfolge konnten
nicht erzielt werden. Bei den geringen Erfolgen, die die Therapie
bisher bei diesen Krankheiten zu verzeichnen hat, scheinen sie
uns doch Beachtung zu verdienen. Gegenüber den lokalen Be-
strahlungsmethoden ist zu beachten, daß man in der Dosierung
von der Haut unabhängig ist, daß man keinen Apparat braucht
und — was besonders für die generalisierten Lymphdrüsentumoren
zutrifft — auch an solchen Lokalisationen die gleiche Wirkung
entfalten kann, welche sich dem Nachweis entziehen. Am meisten
scheint uns die kombinierte Behandlung von Thorium-X- + Röntgen-
bestrahlung Aussicht zu haben.
Aus dem Röntgeninstitut im Sanatorium Fürth in Wien.
Ein Fall von Arthropathie des Schultergelenks
durch Syringomyelie bei einem Arzte,
mit Schwund des Kopfes des Humerus und des
Pfannenteils der Scapula,
durch 22 Jahre für die Folge einer einfachen trauma-
tischen Humerusfraktur gehalten
von
Priv.-Doz. Robert Kienböck.
(Mit einer Tafel.)
Ich teile hier einen seltenen, aber doch typischen Fall
von Syringomyelie mit, welche — obwohl es sich um einen
Arzt handelt und obwohl dieser von mehreren hervorragen-
den Chirurgen untersucht wurde — durch mehrere Jahrzehnte
verkannt worden ist. Herr Regierungsrat Dr. Ignaz Ro-
sanes, Primararzt an der chirurgischen Abteilung des k. k.
Stephaniespitals in Wien, hatte die Freundlichkeit, mir. den
Fall wegen seiner Besonderheiten zur Untersuchung zu über-
senden. Ich danke ihm herzlich. i
Med. Dr. Franz S—r, 68 Jahre alt. Untersuchung am 29. April 1912.
` ` Anamnese: Patient war angeblich stets gesund, er machte auch
keine venerische Infektion durch. Auf spezielles Befragen gibt er ar,
daß er schon in der Jugend (20er Jahre) eine leichte Verkrümmung des
Rückens und eine Herabsetzung des Gefühls am linken Arme bemerkte.
So zog er sich z. B. im 36. Lebensjahre wiederholt mit ' der Zigarre an
den Fingern Brandblasen zu, die ihm keine Schmerzen verursachten. Da-
mals (36 Jahre alt) heiratete er und zeugte in der Ehe mehrere gesunde
Kinder. Die Affektion des linken Schultergelenks, an welcher er
jetzt leidet. zog er sich im 46. Lebensjahre zu; er versuchte das Schwung-
rad einer Wasserpumpe mit den Händen zum Stillstand zu bringen und
erlitt dabei eine „Zerrung‘‘ des linken Schultergelenks. Es trat sofort
eine Schwellung des Gelenks auf, sie war aber nicht besonders schmerz-
haft und dauerte nur einige Tage. Bald erschienen auch ausgedehnte
subeutane Blutungen am linken Arm (Innenseite des Ober- und Vorder-
arms) und an der linken Brustseite. Die Diagnose wurde damals vom
Chirurgen Prof. Maydl in Prag auf „einfache Zerrung“ gestellt.
Sechs Wochen später spürte Patient, als er sich im Bett auf-
setzen wollte und auf die ausgestreckten Arme stützte, einen
„Krach“ im linken Schultergelenk, es waren nun deutliche
Zeichen von Fraktur des Humeruskopfs vorhanden, aber auffallender-
weise ohne Schmerzen; das Gelenk schwoll bis zu Kindskopfgröße an.
Es wurde ein Heftpflasterverband angelegt und durch sechs Wochen
liegen gelassen. Dann war der Bruch angeblich „geheilt“; aber seither
konnte Patient den Arm nicht mehr im vollen Ausmaß bewegen, Auch
durch die folgenden sieben Jahre traten in etwa zwei- bis dreimonatlichen
Intervallen Hautblutungen in derselben Gegend auf. - x
‘ Im 51. Jahre wurde Patient von Prof. Hochonegg untersucht, es
zeigte sich bei der Palpation des abgemagerten, übrigens noch ziemlich
gut beweglichen Schultergelenks, daß der Humeruskopf fehlte. |
Im 58. Jahre wurde eine Röntgenuntersuchung vorgenommen:
am Humerus fehlte der Kopf und der angrenzende Teil des Schaftes.
Seit etwa sechs Jahren bemerkte der Patient keine Aende-
rung des Zustandes mehr, auch die Hautblutungen kehrten nicht wieder.
Bald nach der Affektion am Schultergelenke begannen am linken
Handgelenke Schwellungen aufzutreten, deren Größe häufig schwankte
und besonders vor zwei Jahren zunahm. :
Vor zwei Jahren wurde auch eine Wassermannsche Probe vor-
genommen, sie ergab ein negatives Resultat. In der letzten Zeit traten
häufig stenokardische Anfälle und zeitweise melancholische Zustände auf.
Befund: Mittelgroßer, magerer Mann mit weißem Kopf- und Bart-
haar. Psychisches Verhalten das eines Sonderlings. Patient legt auch
seiner Affektion keine besondere Bedeutung bei. Er hält sie für rein
traumatisch und weiß von seiner Rückenmarksaffektion nichts. Die
Sprache ist nicht gestört, der Facialis funktioniert symmetrisch, die Zunge
wird gerade vorgestreckt, die Pupillen sind beiderseits eng, sie er-
weitern sich auch im Dunkeln nicht, auch Lichteinfall bleibt ohne Wir-
kung. Patellarreflexe beiderseits gesteigert, kein Fußklonus, keine Ataxie,
keine Blasen-Mastdarmstörungen, Potenz erhalten.
Ziemlich bedeutende Skoliose im Dorsalteile nach rechts, ohne
Kyphose, Thorax asymmetrisch. Herzspitzenstoß nach links verlagert,
Herztöne rein, Radialis rigide. `
Am linken Arm und an den angrenzenden Regionen der Brust
und des Rückens sowie des Halses und Gesichts fehlt bei Nadel-
stichen die Schmerzempfindung und es fehlt auch. das Gefühl für
warm und kalt, bei vollkommen erhaltener Tastempfindung und Lokali-
sierung. Die Störung ist auf die linke Körperseite beschränkt. An der
Brust ist die Grenze etwa in der Höhe des dritten Rippenknorpels, am
Rücken liegt sie tiefer. Im Gesicht ist die Gegend des Kieferwinkels,
die Ohrmuschel und Hinterohrgegend ebenfalls ergriffen.
Die Muskulatur der linken Schulter ist hochgradig atrophisch,
sowohl der Deltoideus, als auch die Muskeln über dem Schulterblatt und
der Pektoralis. Die Muskulatur des Oberarms, Vorderarms und der Hand
sind nur ein wenig dünner als auf der rechten Seite. Der linke Oberarm
hat z. B. 23 cm Umfang gegen 24 cm rechts. |
Das linke Schultergelenk ist ein ganz lockeres Schlotter-
gelenk. Wenn Patient den Arm schlaff herabhängen läßt, so ist er um
5 cm kürzer als der rechte; passiv kann man den Arm (durch Heben)
im oberen Teile zusammenschieben und so noch um einige Zentimeter
verkürzen. Der Arm läßt sich unterhalb des Schultergelenks knicken,
diese Knickungen sind nach allen Richtungen, und zwar bis über den
rechten Winkel hinaus ausführbar und schmerzlos.
Die Gegend unterhalb des Akromions ist stark eingesunken, man
kann mit den Fingern auch ein Fehlen des Kopfes und oberen Teil
des Schaftes konstatieren. Dieser Nachweis gelingt am leichtesten bei
passiv zusammengeschobenem Arm, und zwar um so leichter, als hier
keine gute Muskulatur vorhanden ist. Der Rest des Schaftes, zeigt ein
abgerundetes Ende und scheint in einem häutigen Sacke zu stecken.
Aktiv kann Patient durch Zusammenziehung der Schulterarm-
muskulatur den Oberarm so stark verkürzen, bis der Humerus an die
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1510 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
Scapula anstößt, und in dieser Stellung kann er den Oberarm gut nach vorn
und hinten bewegen, aber nicht abduzieren. Bei schlaff herabhängendem
Arme kann Patient denselben gut rotieren. Bei hochgezogenem Arm
ist die Kraft im Ellbogengelenke sehr gut, der Händedruck ist bei jeder
Stellung des Armes sehr kräftig. Patient gebraucht den Arm auch ausgiebig;
Das linke Handgelenk ist verdickt, in den Bewegungen etwas
eingeschränkt und krepitierend. Abgesehen von der mehr gleichmäßigen
Schwellung befindet sich an der Dorsalseite des Handgelenks radial eine
fast nußgroße, weiche Prominenz, ulnar eine ähnliche, aber kleinere. Das
Carpometacarpalgelenk des Daumens ist deformiert.
‘An den Fingern sind keine Zeichen abgelaufener Entzündungen
vorhanden,
Radiologischer Befund. Linkos Schultergelenk. Antero-
posteriore Aufnahme (Abb.1), Wenn man das Bild betrachtet und
namentlich mit der unter den gleichen Umständen gemachten Aufnabme
der gesunden rechten Schulter (Abb. 2) vergleicht, fallen sofort drei Er-
scheinungen auf.
1. Der laterale Schulterarmkontur verläuft nicht einfach konvex
bis etwa zur Mitte des Oberarms, sondern der Kontur umkreist halb-
kreisförmig das Akromion und zieht dabei etwa 2 cm weit medial; nun
folgt eine ausgesprochene Konkavität und endlich eine gerade Linie, es
findet sich somit unterhalb des Akromions eine tiefe Grube.
2. Der Humeruskopf und der anstoßende Teil des Schaftes fehlen
ganz, und zwar bis zum oberen Ende der Tuberosität, es scheint also
vom Humerus ein zirka 10 cm langes Stück zu fehlen. Der
Humerusstumpf ist beiläufig in der Ausdehnung von 8 cm abnorm durch-
sichtig, also porotisch, aber nicht verschmälert, er endigt mit einer gleich-
mäßigen Abrundung. Von hier aus ziehen sich zwei längsgestellte 1!/s
bis 2!/a cm lange, dünne, gerade Knochenspangen nach oben. Der
Humerus ist stark der Mittellinie genähert, also gegen den Thorax ge-
sunken. Die ihn umgebende Muskulatur ist überall schmächtig und hat
nicht flachkonvexe, sondern flachkonkave Außenkonturen. Sowohl vom
lateralen als auch vom medialen Teil der Circumferenz des Eindes des
Humerusstumpfs zieht sich ein zarter, schmaler, öfter unterbrochener
Schattenstreifen aufwärts; beide Streifen verlaufen mit lateraler Kon-
kavität und sind einander parallel; es scheint sich um den noch etwas
Kalk enthaltenden leeren Periostsack zu handeln, welcher sich mit
dem Rest der Gelenkkapsel verbindet.
3. Die Scapula entbehrt eines Pfannenteils, der Defekt hat
bier eine regelmäßig konkave scharfe Grenze. Das Schulterblatt ist in
allen seinen Teilen zu durchsichtig, leicht porotisch und liegt dem Thorax
zu eng an. Der Patient hat Aufnahmen von seiner linken Schulter mit-
gebracht, von welchen er glaubt sich zu erinnern, daß sie vor sechs
Jahren angefertigt wurden (Abb. 3 und 4). In beiden Aufnahmen war |
der Arm stärker zusammengeschoben, ganz besonders bei der zweiten
Aufnahme, wo der Humerusstumpf die neue vertiefte Pfanne fast berührt.
Die beiden splitterartigen Knochenspangen, die auf unserer Aufnahme
sichtbar sind, waren auch damals zu finden; sie lagen in ganz anderer
Stellung, sind also gegen Humerusstumpf und Scapula stark verschieb-
bar. Der Zustand des Gelenks scheint mit dem heutigen fast identisch
gewesen zu sein. Höchstens ist vom Humerus unter Bildung einer
gleichmäßigen Abrundung noch ein kleines Stück verloren gegangen.
Hände: linke (Abb. 5) und rechte (Abb. 6).
Linke Hand. Die Handgelenksgegend zeigt eine schwere
Veränderung, zunächst ist sie in der Richtung der Achse des Armes
etwas verkürzt. Das Naviculare und Triquetrum liegen mit ihren proxi-
malen, dem Radiokarpalgelenke zugewandten Oberflächen um etwa 3 mm
weiter proximal als das Lunatum; das Hamatum, Capitatum und die beiden
Multangula sind mit dem Triquetum und Naviculare in normaler Ver-
bindung geblieben. Das Capitatum wird im Bild in abnormem Ausmaße
vom Lunatum gedeckt, Das Naviculare erscheint abnorm geformt, ist
wahrscheinlich in zwei oder mehrere Teile zersprengt. Es handelt sich
somit um eine typische Luxation der Hand in einer interkarpalen
Gelenkslinie. Die Trennungslinie zieht zwischen dem Lunatum und den
angrenzenden Knochen hindurch und als Frakturlinie quer durch das Navi-
culare; nur das Lunatum ist zu den Vorderarmknochen in normaler Stellang
und Verbindung geblieben. Es ist daher eine Luxation der Hand in der
perilunären Gelenklinie mit Fraktur des Navieulare vorhanden,
die Verrenkung der Hand scheint volarwärts stattgefunden zu haben.
An dem Handgelenke sind auch Veränderungen zu sehen, ähnlich
einer Arthritis deformans. Diese Veränderungen sind vielleicht zum
Teil die Folge der Verrenkung. So sind Form- und Strukturveränderung
(Aufhellungsherde) an allen Handwurzelknochen vorhanden, nur die Carpo-
metacarpalgelenke sind frei. Auch die Enden von Radius und Ulna
sind deformiert, ausgeschliffen, mit Knochenwucherengen und Aufhellungs-
herden versehen, Radius und Ulna sind etwas auseinandergedrängt, der
Stylus ulnae fehl. Auch die Gelenkkapsel scheint verdickt. Der
Daumen zeigt im Carpometacarpal- und Metacarpophalangealgelenke be-
deutende Deformationen, im Carpometacarpalgelenk auch Subluxation. An den
distalen Interphalangealgelenken der fünf Fin ger bestehen leichte arthritische
Veränderungen. Das Handskelett ist im übrigen nieht atrophisch.
Rechte Hand: Diese Hand erscheint im Vergleich mit der linken
nur wenig affiziert. Das Mondbein ist verkleinert, in seiner Form und
Struktur unregelmäßig und ulnarwärts verschoben; es beruht dies wohl
auf einer traumatischen Malacie des Knochens, vielleicht nach
Fraktur. Das Triquetrum ist ulnarwärts verdrängt. Die distalen
Interphalangealgelenke sind etwas verändert. Am vierten Finger ist die
15. September.
Nageltuberosität der Endphalanx verbreitert und am Ende gespalten,
wahrscheinlich nach einer Verletzung. Das Sattelgelenk des Daumens
hat in seinem ulnaren Teil unscharfe Konturen.
Es handelt sich somit um einen 68 jährigen Mann, bei
welchem vor allem eine eigentümliche, schwere Veränderung
des linken Schultergelenks auffällt. Es fehlt der
Humeruüskopf und der angrenzende Teil des Schaftes,
im ganzen ein etwa 10 cm langes Stück, also etwa
das obere Drittel des Knochens, ebenso fehlt der
Pfannenteil des Schulterblatts. Dieser Befund, an und
für sich betrachtet, führt uns bereits zur Wahrscheinlich-
keitsdiagnose einer Arthropathie durch eine Spinalerkrankung,
Syringomyelie oder Tabes. Diese Annahme wird noch durch
andere Symptome gestützt. Es ist keine entzündliche Erkran-
kung und keine Operation vorausgegangen, dieHaut der Region
zeigt keine Narbe. Der eigentümliche Gelenksprozeß mit
Aufsaugung von großen Knochenteilen ist schmerzlos vor
sich gegangen, der Mann ist imstande, den Arm. zu allen
möglichen Verrichtungen zu gebrauchen. Die Prüfung der
Hautsensibilität ergibt, daß Syringomyelie vorliegt; am
Arm und an der benachbarten Region des Stammes bis zur
Mittellinie besteht eine typische Dissoziation der Hautempfind-
lichkeit, Schmerz- und Temperatursinn fehlen, die
Tastempfindung und Lokalisation sind erhalten. Nebstdem
besteht beiderseits Pupillenstarre und Steigerung der Pa-
tellarreflexe, die Wirbelsäule ist seitlich verkrümmt.
Was den Verlauf betrifft, weiß Patient, daß er bereits
in den zwanziger Jahren eine Unterempfindlichkeit der
Haut und Verkrümmung der Wirbelsäule gehabt hat.
` Als er 46 Jahre alt war, also vor 22 Jahren, strengte er
beim Aufhalten des Schwungrads einer Wasserpumpe die Arme
an, das linkeSchultergelenk schwollan, war abernicht besonders
schmerzhaft, wahrscheinlich war schon damals die Ar-
thropathie des Gelenks vorhanden, vielleicht trat eine
Fissur in dem in seiner Struktur veränderten Humerus auf.
Sechs Wochen später spürte Patientbeim Versuche, sich
durch Aufstützen der Arme im Bett aufzusetzen, einen hörbaren
Krach, es trat offenbar eine Fraktur des Humeruskopfs ein,
und seitdem konnte derMann dasGelenk nichtmehr in normalem
Maße gebrauchen; dabei waren nur geringfügige Schmerzen
vorhanden. Wiederholt erschienen subcutane Blutungen
als Zeichen der Zerreißlichkeit des Gewebes in der Tiefe.
Im 51. Jahre wurde von Prof. Hochenegg durch
Palpation das Fehlen des Humeruskopfs konstatiert.
Vor sechs Jahren wurde die erste Röntgenuntersuchung
vorgenommen und bestätigte den Befund. Seitdem scheint
sich der Zustand des Gelenks nicht mehr zu verschlechtern,
der Prozeß dürfte also zum Stillstand gekommen sein.
Auch die Veränderungen an den Handgelenken SI
von Interesse. Patient macht zwar keine Mitteilung, an den
Händen Verletzungen erlitten zu haben, er erzählt nur, da
er mit Vorliebe eifrig Holz hacke, um seine Muskulatur
kräftig zu erhalten. Inspektion. und Palpation der Gelenke
würden einfach zur Annahme einer Arthritis deformans
führen, die Röntgenuntersuchung lehrt aber, daß
links eine perilunäre Luxation der Hand volarwärts
mit Fraktur des Naviculare und rechts eine Ver-
letzung (vielleicht Fraktur des Lunatum) statt-
gefunden hat. Die Veränderungen an den Fingergelenken
stellen wohl einen sogenannten einfachen chronischen Ge-
lenkrheumatismus dar. Die Veränderung an der Spitze des
vierten Fingers an der rechten Hand ist offenbar durch einen
Schnitt bis in den Knochen hinein entstanden.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch die doppelseitig®
Affektion der Handwurzel durch leichte Traumen entstanden - 18
und daher mit der Rückenmarkerkrankung in Verbindung steht. Unter
den von mir vor zwei Jahren beschriebenen 16 Fällen von traumatischer
Affektion des Mondbeins bestand bei einem Fall (16), einen 85 jährigen
Wagenführer der elektrischen Straßenbahn betreffend, auch an der kontra-
lateralen Hand eine ähnliche Verletzung: Fraktur des Schiffbelns;
auch bei diesem Falle war die Affektion nur mit geringen Schmerzen ver-
bunden, Anhaltspunkte für ein Rückenmarkleiden fanden sich aber nicht.
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15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37, 1511
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Der Fall ist für die Lehre von der Unfallbegut-
achtung von Wert; die Natur des Leidens war — wie in
diesen Fällen häufig — lange Zeit nicht erkannt worden,
der Patient selbst, welcher Arzt ist, hat keine Ahnung vom
Bestehen der Rückenmarkerkrankung und alle Aerzte —
darunter vier hervorragende Chirurgen —, welche ihn im
Laufe von zwei Jahrzehnten untersucht hatten, versäumten
es, die Hautsensibilität genau zu prüfen; sie meinten, daß
zunächst eine gewöhnliche Fraktur des Humeruskopfs statt-
gefunden habe und dann eine Pseudarthrose und Resorption
des Humeruskopfs eingetreten sei.
Und doch handelt es sich um einen ganz typischen
Fall von Syringomyelie, allerdings um jene — seltenere
— Form, bei welcher die trophischen Störungen an
den Gelenken alle andern Erscheinungen überwiegen; der
linke Arm, welcher die schwere Veränderung des Schulter-
gelenks trägt, zeigt etwa von der Grenze des oberen und mittle-
Aehnliche Fälle von Syringomyelie mit analoger Er-
krankung eines Schultergelenks — Schwund des Humerus-
kopfs, häufig wohl nach Fraktur — wurden wiederholt mit-
geteilt; am bemerkenswertösten ist der Fall von Kofend,
eine Wäscherin betreffend, die sich anscheinend vor Jahren
beim Auswinden von Wäsche eine Fraktur des einen, dann
des andern Humerus zugezogen hatte, mit nachfolgender
Resorption des Kopfes — also eine doppelseitige, sym-
metrische Veränderung. Ich selbst hatte Gelegenheit,
den Fall auf Gussenbauers Klinik zu untersuchen.
Literatur: H. Schlesinger, Die Syringomyelie. (2. Auflage. Leipzig
u. Wien 1902, Deuticke.) — R. Kienböck, Kritik der sogenannten trauma-
tischen Syringomyelie. (Jahrb. f. Psych. u. Neurol., Wien 1902, Bd.21, H. 4.) —
R. Levyu.K.Ludloff, Die neuropathischen Gelenkerkrankungen. (B. z. klin. Chir.
1909, Bd. 63, S. 399.) — A. Kofend, Ueber einen Fall von Syriugomyelie mit
Spontanfraktur beider Humerusköpfe und Resorption derselben. (Wr. kl Woch.
1898. S. 314.) — A. Bum, Demonstration eines Falles von Spontanfraktur des
rechten Humeruskopfs mit Resorption. (Gesellschaft d. Aerzte, Wien, 8. Mai
1903; Wr. kl. Woch. 1903, S. 606.) — R. Kienböck, Ueber traumatische Malacie
des Mondbeins. Derselbe, Ueber Luxstionen im Bereiche der Handwaurzel.
ren Drittels des Oberarms abwärts keine Muskelatrophie. | (P. d. Röntg. 1910, Bd. 16, S. 77.)
| Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus der Universitäts-Augenklinik Würzburg.
Ueber Lichtsinn und Farbensinn in der
Tierreihe')
= C. Heb.
Die Meinung ist verbreitet, es sei unmöglich, über Licht-
sinn und Farbensinn der Tiere Aufschluß zu erhalten, da diese
nicht imstande seien, uns über die Art ihrer optischen Wahr-
nehmungen Auskunft zu geben. Man vergißt hier, wie unvoll-
kommen dio Auskunft ist, die die Bezeichnungen des Menschen
uns über seine Sehqualitäten geben können: Wenn Jemand einen
für mich roten Gegenstand gleichfalls rot nennt, so darf ich daraus
nicht schließen, daß seine Sehqualitäten mit den meinigen über-
einstimmen; bezeichnen doch bekanntlich auch Farbenblinde viel-
fach z. B. ein für uns rotes Papier als rot, und doch läßt sich
mit gesigneten Methoden leicht nachweisen, daß es ihnen ganz
anders erscheint als dem Normalen. Daher wird heute nach Ewald
Herings Vorgange bei der wissenschaftlichen Untersuchung
Farbenblinder von der Bezeichnung der farbigen Lichter durch
den Untersuchten im allgemeinen abgesehen; man bedient sich
vielmehr wesentlich der Methode der Gleichungen, d. h. man
sucht Paare von farbigen Lichtern auf, die dem Normalen ver-
schieden, dem Untersuchten aber ähnlich oder gleich erscheinen. —
Ich will versuchen, Ihnen an einigen Beispielen?) eine Vor-
stellung von den Methoden zu geben,’ die ich im Laufe der letzten
Jahre zum Zwecke systematischer Untersuchung des Lichtsinns in
der Tierreihe ausgearbeitet habe.
Wir streuen im Dunkelzimmer auf schwarzer Unterlage
weiße Reiskörner aus und entwerfen auf diesen ein lichtstarkes
Spektrum, sodaß die Körner in den verschiedenen Farben des letz-
teren erscheinen. Ein vor die Fläche &esetzter Affe beginnt so-
fort, die für ihn sichtbaren Körner mit der Hand zu nehmen, nach
wenigen Sekunden ist in der Körnerreihe eine Lücke entstanden,
die genau der Ausdehnung des Spektrums für unser normales
Auge entspricht. Wir setzen nun die Lichtstärke des Spektrums
durch Spaltverengerumng so weit herab, daß für unser gut dunkel-
adaptiertes Auge nur noch die in der Gegend des Gelbgrün bis |
Grün gel i Ö i ind; | j
gelegenen, nun farblos erscheinenden Körner sichtbar sind; | können, die jene Oelkugeln durchsetzt haben. Die Färbung der
| letzteren ist vorwiegend gelb und rot. Bei Nachtvögeln, die ver-
der gleich lange dunkeladaptierte Affe nimmt wiederum nur die für
uns eben noch sichtbaren Körner auf. Der Versuch lehrt, daß für
den Affen das lichtstarke Spektrum am langwelligen wie am kurz-
welligen Ende merklich genau so weit reicht wie für uns, und daß |
auch die unter dem Einfluß der Dunkeladaptation eintretenden
Te
Noun ) Nach einem Vortrag auf der Versammlung südwestäsutscher
M T er = 8. Juni on | y
. ch muß mich hier auf die Besprechung einiger weniger Ver-
a beschränken, Eine ausführlichere Darstellung des einschlägigen Ge-
tets findet sich in meiner „Vergleichenden Physiologie des Gesichtssinns“.
Aenderungen des Sehorgans bei ihm offenbar ähnliche oder die
gleichen sind wie bei uns. $
Um Vögel in entsprechender Weise untersuchen zu können,
mußte zunächst festgestellt werden, daß diese bei den hier in Be-
tracht kommenden Beobachtungen wesentlich durch das Gesicht
geleitet werden und der Geruch hier nicht störend in Betracht
kommt. In besonders anschaulicher Weise zeigt dies der folgende,
auch aus vergleichend - psychologischen Gesichtspunkten inter-
essante Versuch: Ich setze einen jungen Turmfalken im Dunkel-.
zimmer vor eine schräge schwarze Fläche, auf der ein Stück Fleisch
liegt. Die Lichtquelle befindet sich oben hinter dem Kopfe des
Falken so, daß das Fleisch gut belichtet ist, solange das Tier
ruhig sitzt; es reckt den Kopf vor, um das Fleisch mit dem
Schnabel zu fassen, dadurch kommt dieses aber in den Schatten
des Kopfes und wird für den Vogel unsichtbar; obschon der
Schnabel nur noch etwa 1 cm vom Fleisch entfernt ist, zieht der
Falke den Kopf zurück, dadurch wird das Fleisch wieder sichtbar,
und der Kopf wird von neuem vorgeschoben; so bewegt das Tier
fast wie ein Automat den Kopf viele Male hintereinander vor und
zurück, ohne das Fleisch zu fassen. Daß auch Hühner bei unsern
Versuchen wesentlich nur vom Gesicht geleitet werden, zeigt sich
z. B. darin, daß sie im Dunkeln nicht zu picken pflegen, auch
wenn der Boden in ihrer Umgebung mit Körnern bedeckt ist.
Setzen wir ein Huhn vor die schwarze Fläche, auf der spek-
tral belichtete Reiskörner ausgestreut sind (siehe oben), so pickt
es am roten Ende des Spektrums die Körner ziemlich genau so
weit, als diese für uns sichtbar sind, außerdem die gelben, grünen
und blaugrünen; dagegen läßt es die grünblauen, blauen und violetten
Körner, die für uns deutlich sichtbar sind, stets unberührt. In
gleicher Weise läßt sich bei Tauben nachweisen, daß das Spektrum
für sie am kurzwelligen Ende hochgradig verkürztist. (Für die Frage
nach der Zeit der Entwicklung des Farbensinns ist von Interesse, daß
ich das geschilderte Verhalten schon bei neugeborenen Hühnchen in
den ersten 48 Stunden nach dem Ausschlüpfen nachweisen konnte.)
Die Erklärung für diese überraschenden Erseheinungen gibt
uns die mikroskopische Untersuchung: Die bekanntlich relativ
zapfenreiche Netzhaut der fraglichen Tagvögel enthält zwischen
Innen- und Außengliedern der Zapfen eine intensiv gefärbte Oel-
kugel, sodaß zu den Außengliedern nur solche Strahlen gelangen
hältnismäßig viel mehr Stäbchen und in ihren Zapfen nur relativ
schwach gelb gefärbte Oelkugeln enthalten, ist die Verkürzung
des Spektrums am kurzwelligen Ende viel geringer.
Durch diese Beobachtungen ist die viel erörterte Frage nach
dem optischen Empfangsapparat in der Netzhaut endgültig dahin
entschieden, daß die Außenglieder des Neuroepithels den opti-
schen Empfänger darstellen. Die Vögel sehen die Welt der Farben
im wesentlichen so, wie ein normales Menschenauge sie durch ein
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151% 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
mehr oder weniger stark gelbrot gefärbtes Glas. sieht. In -andern
Versuchen konnte ich zeigen, daß versċhieden gefärbte Reiskörner,
die einem rotgrünblinden Menschen: ähnlich oder. gleich erscheinen,
von Hühnern mit voller Sicherheit unterschieden werden. -
Die Meinung ist verbreitet, daß -die Hühner nachtblind
seien!), und diese Annahme bildete eine wesentliche Stütze für die
von Parinaud begründete Theorie der „Doppelnetzhaut“ (Netz-
haut der Stäbchen und Netzhaut der Zapfen), nach welcher die
Zapfen adaptativer Aonderungen nicht fähig sein sollten.
Durch Pickversuche mit verschieden Jange dunkel gehaltenen
Hühnern in einem Dunkelzimmer, dessen Beleuchtung mittels
Aubertscher Blende meßbar variiert wurde, konnte ich: die Un-
haltbarkeit dieser verbreiteten Annahme dartun und den Nachweis
erbringen, daß auch die Hühner einer Dunkeladaptation in ansehn-
lichem Umfange fähig sind. n ws o a
Im wesentlichen die gleichen Ergebnisse .wie bei Hühnern
erbielt ich unter den Reptilien bei Schildkröten, in deren Netz-
häuten bisher lediglich Zapfen nachgewiesen sind und bei welchen
ebenso wie bei den Hühnern zwischen Innen- und Außengliedern
der Zapfen leuchtend gelb beziehungsweise- rot -gefärbte Oelkugeln
eingelagert sind.
Bei Amphibien, deren Netzhaut keine. oder nur schwach
gefärbte Oelkugeln enthält, erstreckt sich das Spektrum, wie ich
in geeigneten Fütterungsversuchen zeigen konnte, am langwelligen
wie am kurzwelligen Ende merklich genau so weit wie beim
Menschen und auch die adaptativen Aenderungen ‘zeigen dort im
wesentlichen gleiches Verhalten wie bei uns. a
Die von mir gefundenen Eigentümlichkeitin des Licht-
sinns bei Fischen werden verständlicher, wenn wir uns einige
"Tatsachen aus der Lehre von der totalen Farbenblindheit des
Menschen ins Gedächtnis zurückrufen: Ewald Hering hat in
klassischen Untersuchungen gezeigt, daß der total farbenblinde
Mensch das Spektrum als farblos helles Band sieht, dessen Hellig-
keit nicht, wie für den Normalen, im Gelb, sondern in der Gegend
des Gelbgrün bis Grün am größten ist und von da nach dem
roten Ende rasch, nach dem violetten langsamer abnimmt. Für
das folgende ist insbesondere die Tatsache wichtig, daß ein für
uns leuchtend helles Rot für den total farbenblinden Menschen
äußerst geringen Helligkeitswert hat, d. h. tief dunkelgrau, fast
schwarz erscheint, während ein für unser. normales Auge viel
dunkleres Blau dem total farbenblinden Menschen als ein wesent-
lich helleres Grau erscheint. Ebenso wie das total farbenblinde Auge
das Spektrum bei allen Lichtstärken, sieht das normale, gut dunkel
adaptierte Menschenauge das entsprechend lichtschwache Spektrum.
Zur Untersuchung des Lichtsinns bei Fischen ging ich zu-
nächst von der Beobachtung aus, daß insbesondere Jungfische ver-
schiedener Arten lebhafte Neigung haben, die jeweils hellsten
Stellen ihres Behälters aufzusuchen, wobei sie, wie messende Ver-
suche lehren, eine überraschende Unterschiedsempfindlichkeit auch
für sehr kleine Lichtstärkenunterschiede zeigen. In einem passen-
den Behälter mit planparallelen Wänden in ein Spektrum ge-
bracht, schwimmen die Fischchen sofort lebhaft nach der Gegend
des Gelbgrün bis Grün. Indem ich die eine Hälfte des Behälters
mit einem bestimmten homogenen Lichte, die andere; unmittelbar
angrenzende mit einem meßbar variablen Mischlicht in passender
Weise bestrahlte, konnte ich eine Reihe von Gleichungen
zwischen beiden Lichtern herstellen und so die relativen Hellig-
keitswerte der verschiedenen homogenen Lichter für das Fisch-
auge zahlenmäßig bestimmen. In zahlreichen derartigen Versuchen
ergab sich eine weitgehende Uebereinstimmung dieser Hellig-
keitswerte mit jenen für das total farbenblinde
Menschenauge. Ä a
Der geringe Helligkeitswert, den unserm normalen Aug
leuchtend hell erscheinende rote Lichter für das Fischauge ebenso
wie für den total farbenblinden Menschen haben, kommt auch in
folgendem Versuche hübsch zum Ausdruck: Ein Behälter mit
Fischen, die bei Aufnahme ihrer Nahrung wesentlich durch das
1) In manchen Gegenden Deutschlands bezeichnet. man die Hemera-
lopie des Menschen als „Hühnerblindheit“, |
15. September.
Gesicht geleitet werden (z. B. Ellritzen, Mugil und andere) wird
im Dunkelzimmer mit einer passenden, genügend lichtstarken
Lampe bestrahlt, vor der abwechselnd ein für uns tief dunkel-
blaues und ein hell rotes Glas vorgeschoben werden kann. Bei
Bestrahlung mit dem blauen Lichte nehmen die Fische kleine
Würmer, die in den Behälter geworfen werden, sofort wahr: und
schießen lebhaft darauf los, auch wenn das Blau für- uns so
dunkel ist, daß wir die Würmer nur eben noch sehen können:
wird aber das blaue durch ein für uns viel helleres rotes Glas
ersetzt, so sehen die Fische die Würmer nicht mehr und stehen
von deren Verfolgung ab, auch wenn sie dicht vor ihrem Kopf
sich bewegen und für uns sehr deutlich sichtbar sind. |
: Kurz, in allen von mir angestellten Versuchen verhielten
sich alle bisher untersuchten Fischarten so, wie unter ent-
sprechende Bedingungen gebrachte total farbenblinde Menschen
sich verhalten würden.
Von den Wirbellosen habe ich bis jetzt etwa 25 Arten
nach verschiedenen Methoden untersucht. Auch sie verhielten sich
sämtlich so, wie es der Fall sein muß, wenn ihre Sehqualitäten
ähnliche oder die gleichen sind, wie die des totäl farbenblinden
Menschen. Ich muß mich hier auf einige Beispiele beschränken.
Verschiedene marine Krebse zeigen, ähnlich wie die erwähnten
Fische, lebhafte Neigung, zum Hellen zu schwimmen; auch sie
eilen im Spektrum nach der Gegend des Gelbgrün bis Grün und
zeigen bei Herstellung von Gleichungen zwischen homogenen und
Mischlichtern ähnliches oder gleiches Verhalten wie die Fische,
Entsprechendes gilt von verschiedenen von mir untersuchten
Raupen, Käfern usw. Insbesondere konnte ich auch in Versuchen
an Bienen den Nachweis führen, daß die von mehreren Autoren
angegebene „Blauvorliebe* der Bienen nicht existiert und daß
auch sie sich im Spektrum nicht anders verhalten wie die Fische
und die andern von mir untersuchten Wirbellosen. Botaniker
und Zoologen nehmen bekanntlich seit Sprengel (1793) an, daß
die Blumenfarben sich in Zusammenhang mit dem Insekten-
besuch entwickelt hätten, indem die farbigen Blüten auf die
Insekten wie „Flaggensignale“ oder wie „Wirtshausschilder“
wirken sollten. Diese heute allgemein herrschende Annahme ist
endgültig erledigt durch den Nachweis, daß ein dem unsern irgend
vergleichbarer Farbensinn bei den Bienen nicht vorhanden ist,
diese sich vielmehr in allen bisher festgestellten Beziehungen so
verhalten, wie, unter entsprechende Bedingungen gebracht, ein
total farbenblinder Mensch sich verhalten würde.
Die meisten Beobachtungsreihen wurden von mir bei allen
Tieren aus naheliegenden Gründen mit spektralen Lichtern an-
gestellt und erforderten demgemäß ziemlich komplizierte Apparate.
In einzelnen Fällen konnte ich auch mit verhältnismäßig einfachen
Methoden wichtige und eindringliche Ergebnisse erzielen. Als Bei-
spiel sei der folgende auch in anderer Hinsicht interessante Ver-
such angeführt, den ich kürzlich mit unsern gewöhnlichen Culex-
larven anstellte. Diese haben bekanntlich die Eigentümlichkeit,
sich, wenn ihr Behälter längere Zeit unbewegt gestanden hatte,
an der Oberfläche des Wassers anzuheften. Ich fand nun die
merkwürdige Tatsache, daß die Tiere bei plötzlicher, selbst sehr
geringfügiger Verdunklung lebhaft nach unten fliehen. Wie
geringe Grade von Lichtstärkenverminderung hierzu genügen, zeigt
folgendes: Der Behälter mit den Tieren steht in der Nähe eines
Fensters; hält man auf die Zimmerseite des Behälters ein matt-
weißes Papier, sodaß außer dem Himmelslicht auch das vom
Papier zurückgeworfene Licht zu den Tieren gelangt, so genügt
rasches Zurückziehen des Papiers, um alle Tiere zu lebhafter
Flucht nach unten zu veranlassen: ebenso fliehen die Tiere, wein
vor ein an den Behälter gehaltenes weißes oder hellgraues Papier
rasch ein dunkelgraues geschoben wird. Wiederholte ich nun
derartige Versuche mit farbigen Papieren, so ließ sich in der an-
gegebenen Weise leicht ermitteln, welches von zwei verschiedenen
farbigen Papieren für die Culexlarven die geringere Helligkeit hat;
denn die Tiere fliehen nur bei Helligkeitsabnahme nach unten, nie
aber bei Helligkeitszunahme. Von zahlreichen: einschlägigen Ver-
suchen mit’ solchen farbigen Papieren, deren farblose Helligkeits-
werte ich messend bestimmt hatte, erwähne ich nur den folgenden:
15. September.
Ich: hielt zunächst eine für uns schön dunkelblaue Fläche: an den’
Behälter und schob dann rasch eine für uns viel hellere rote
Fläche vor; die Tiere flohen lebhaft nack-unten,: so wie sonst‘ bei
starker Verdunklung; also auch für diese Tiere hat das Rot ebenso
wie für den total Färbenblinden nur einen außerordentlich geringen
Helligkeitswert. Entsprechende Ergebnisse erhielt ich mit andern
Kombinationen, z. B. von orangefarbigen mit grünen Pigment-
lichtern usw. Auch für die Mückenschwärme, die im Sommer oft
in großen Mengen „tanzen“, konnte ich mit geeigneten Methoden
den geringen Helligkeitswert roter Lichter eindringlich dartun. :
Lubbock hatte bei Ameisen die interessante Beobachtung
gemacht, daß ultraviolettes Licht hier eine Helligkeitswahrnehmung
hervorruft; er glaubte danach annehmen zu müssen, daß diese
Strahlen von ihnen als eine bestimmte eigne Farbe gesehen wür-
den, von der wir uns keine Vorstellung machen können, und daß
daher „die Farben der Gegenstände ihnen ein ganz anderes An-
sehen darbieten, als uns“. Aus meinen Untersuchungen ergibt sich
eine wesentlich andere Auffassung der einschlägigen Erscheinungen ;
da diese wesentlich durch Licht von etwa 400 bis 300 zu hervor-
gerufen werden, das sind jene Strahlen, die bei.Erregung von
Fluorescenz in erster Linie in Betracht kommen, mußte an die
Möglichkeit gedacht werden, daß -auch bei den fraglichen Hellig-
keitswahrnehmungen der Ameisen Fluorescenzerscheinungen im
Spiele seien. Systematische Untersuchungen ergaben mir in der
Tat, daß die brechenden Medien der Insekten- und Krebsaugen im
ultravioletten Lichte deutlich, zum Teil lebhaft fluorescieren. Von
besonderem Interesse sind hier die Verhältnisse bei Ameisen, wo
ich kürzlich durch messende Untersuchungen den Nachweis er-
bringen konnte, daß z. B. Tageslicht, das durch geeignete farb-
lose Gläser seiner ultravioletten Strahlen beraubt ist, den Ameisen
weniger hell erscheint, als ultravioletthaltiges Licht, dessen
sichtbare Strahlen nur etwa den zweihundertsten Teil der Licht-
stärke jenes ersteren Lichtes haben. Die fraglichen Tiere haben
nicht, wie bisher angenommen wurde, eine wesentlich andere Be-
grenzung des sichtbaren Spektralbezirks als wir beziehungsweise
als der total farbenblinde Mensch, und die ultravioletten Strahlen
werden von ihnen nicht direkt, sondern nur indirekt, vermittels
der Fluorescenz, wahrgenommen, durch welche die an sich unsicht-
baren Strahlen in grünes Licht verwandelt werden, das, wie ich
zeigte, auch für diese Tiere den größten Helligkeitswert besitzt.
_ Bei Krebsen fand ich neben den Augen merkwürdigerweise auch
die Oberfläche des Panzers lebhaft grün fluorescierend; da das Wasser
in dickeren Schichten von den kurzwelligen Strahlen des Spektrums ver-
hältnismäßig mehr durchläßt als von den langwelligen, ist nicht aus-
geschlossen, daß in bestimmten Tiefen lebende Krebse die Artgenossen
vermöge dieser Fluorescenz ihrer Panzer leichter wahrnehmen können,
als sie es ohne diese vermöchten. In welchem Umfange solches der Fall
ist, wird sich erst entscheiden lassen, wenn die relative Absorption der
fraglichen Strahlen im Süß- und im Seewasser genauer bekannt sein wird,
Wieder anderer Methoden bediente ich mieh zur Unter-
suchung des Lichtsinns bei Cephalopoden. Für das Menschen-
auge wissen wir aus Untersuchungen von Sachs, daß der’ Grad
der Pupillenverengerung bei Bestrahlung mit farbigen Lichtern
von der Helligkeit abhängt, in der das Licht dem Auge erscheint:
Die Pupille des normalen, helladaptierten Menschen wird, in die
verschiedenen Lichter des Spektrums gebracht, im Gelb am engsten,
die des total Farbenblinden im Gelbgrün bis Grün; ein Rot, das
ım normalen Menschenauge beträchtliche Verengerung hervorruft,
hat auf die Pupille des total Farbenblinden verschwindend geringe
Yirkung usw. Unter den Wirbellosen sind die Cephalopoden die
einzigen Tiere, die Pupillenreaktion zeigen, deren große- Lebhaftig-
keit sie für meine Zwecke besonders geeignet erscheinen ließ; ich
machte zahlreiche photographische Momentaufnahmen. in verschiede-
nen Lichtern des Spektrums, die eindringlich zeigen, daß die rela-
tiven Helligkeitswerte der verschiedenen farbigen Lichter für das
Cephalopodenauge wiederum annähernd oder genau mit jenen für
den total farbenblinden Menschen übereinstimmen. Diese Ergeb-
misse konnte ich durch ganz andere Untersuchungsreihen bestätigen,
welche zugleich die für die Frage nach der Entwieklungszeit des Licht-
Sinns inleressante Tatsache ergaben, daß schon eine beträchtliche
Zeit vor'der Geburt die in Rede stehenden Sehqualitäten ausge- !
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1513
bildet sind.und die für die erwachsenen Tiere charakteristischen
Eigentümlichkeiten zeigen: Ich brachte Loligoembryonen, die noch
etwa zwei bis drei Wochen von der Reife entfernt waren, im
Parallelwandbassin ins Spektrum; diese jungen Tiere zeigen ganz
ähnlich wie die jungen Fische und Krebse lebhafte Neigung, nach
dem Hellen zu schwimmen und sammelten sich im Spektrum wieder
in der Gegend des Gelbgrün bis Grün, aus’ einem für uns hellrot
bestrahlten Bassinteile schwammen sie zu einem für uns viel dunk-
leren blauen usw., zeigten also :schon die für das total farbenblinde
Auge charakteristischen Reaktionen. Ä z
Von meinen Untersuchungen an Tieren ohne nachweis-
bare Sehorgane seien nur jene an siphoniaten Muscheln kurz
erwähnt. Der röhrenförmige Sipho, den solche, wenn sie ungestört
im Sande liegen, oft 1—2 cm weit oder noch weiter zwischen ihren
Schalen hervorstrecken, ist bei mauchen Arten hochgradig licht-
empfindlich und wird bei Belichtung mehr oder weniger eingezogen,
im allgemeinen um so mehr, je heller das Reizlicht und je licht-
empfindlicher das Tier durch Dunkelaufenthalt geworden ist. Ich
brachte nun in gleichem Adaptationszustande befindliche Muscheln
in die. verschiedenen Lichter des Spektrums; meine Blitzlichtauf-
nahmen: lassen schön erkennen, daß im Rot die Siphonen wenig
oder gar nicht, im Gelb etwas mehr, aber doch noch unbedeutend
eingezogen werden, im Gelbgrün und Grün ist die Retractiön weit-
aus am ausgiebigsten, im Blau schon wieder geringer als im Grün,
aber noch viel ausgiebiger als im Rot usw. Weitere, messende
Versuche -ergaben mir, daß auch für diese lichtempfindlichen, aber
augenlosen Gebilde die relativen Reizwerte der verschiedenen homo-
genen Lichter ähnliche oder die gleichen sind, wie für den total
farbenblinden Menschen. Weiter verfolgte ich die optische Dunkel-
adaptation ‘der Siphonen und fand z. B. deren Lichtempfindlichkeit
nach 30 Minuten Dunkelaufenthalt etwa tausendmal größer als
beim hell- beziehungsweise momentan dunkeladaptierten Tiere.
Der Nachweis derartiger adaptativer Vorgänge bei Fehlen von
: Augen, Stäbchen und Sehpurpur muß auch für unsere Auffassung
der entsprechenden physiologischen Vorgänge im Menschenauge
von großem Interesse sein. |
Ich muß mich heute auf diesen flüchtigen UVeberblick über
_ ein: weites, ja unerschöpfliches Gebiet beschränken; er sollte Ihnen
nur eine Vorstellung von den Wegen geben, die uns zur Beant-
. wortung einer Reihe bisher vielfach für unlösbar gehaltener Fragen
geführt haben.
Die herrschende Meinung, daß der Farbensinn in der Tier-
reihe weit verbreitet sei, ist nicht mehr haltbar. Meine Versuche
zeigen, daß ein dem unserigen ähnlicher oder gleicher Farbensinn
nur einer verhältnismäßig kleinen Tiergruppe, nämlich den luft-
lebenden Wirbeltieren, zukommt, während alle andern Tiere, das
sind also die Fische und sämtliche bisher untersuchten Wirbel-
losen, sich in allen Versuchen so verhielten, wie es der Fall sein
muß, wenn ihre Sehqualitäten ähnliche oder die gleichen sind, wie
die des total farbenblinden Menschen. |
‚Noch vor. nicht langer Zeit ist die Meinung vertreten wor-
den, der Farbensinn ‘des Menschen habe sich erst in historischer
Zeit entwickelt und die Homerischen Helden seien noch farbenblind
gewesen. Eine solche Auffassung ist nicht mehr haltbar, nachdem
wir gefunden haben, daß nicht nur bei Säugern, sondern auch
schon bei Sauropsiden und Amphibien die Sehqualitäten jenen des
Menschen ähnlich oder gleich sind. Anderseits ist die wesentlich
‘auf die Farbenpracht der Blumen gegründete Annahme eines dem
unserigen: ähnlichen Farbensiuns bei Insekten, insbesondere bei
Bienen, durch meine Versuche endgültig widerlegt.
Die totale Farbenblindheit des Menschen, für deren Ver-
ständnis- uns bisher. alle Anhaltspunkte fehlten, stellt sich jetzt
dar als Stehenbleiben auf einer- Entwicklungsstufe, die wir in
der Wirbeltierreihe nur bei Fischen antreffen. Von besonderem
Interesse erscheint endlich die Tatsache, daß wir jenen Eigentüm-
lichkeiten, die das Sehen des dunkeladaptierten normalen Menschen- -
auges charakterisieren, weit herab in der Tierreihe, -ja selbst da
noch begegnen, wo die. Wahrnehmung von Licht noch nicht durch
besondere Sehorgane vermittelt wird.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
Aus der Praxis für die Praxis.
Otiatrie
| | von `
Priv.-Doz. Dr. A. Linck, Königsberg i. Pr.
Die für die allgemein-praktische Ohrbehandlung notwendigen
instrumentellen Hilfsmittel und deren Handhabung:
1. Der Reflektor, ein am Stirnband aus Celluloid, Leder
oder Aluminium befestigter, drehbarer Hohlspiegel von 7 bis 12 cm
Durchmesser. Für genauere Differenzierungen dient ein kleinerer
Planspiegel mit Handgriff. Vielfach ist eine abgepaßte Kautschuk-
mundplatte als Halter für den Reflektor in Gebrauch. Die im
Interesse des Trägers geltend zu machenden Bedenken sind nur
durch strenge hygienische Gewohnheiten zu zerstreuen. Bei An-
wendung des Reflektors ist es wichtig, die zentrale Oeffnung zum
Sehen zu benutzen. | |
2. Die Lichtquelle zum Spiegeln gewährt helles Tageslicht,
Gasglühlicht, elektrische Glühlampe, Spiritusglühlicht, Petroleum-
lampe, Kerzenlicht, Es ist nützlich, wenn man sich stets in der
Gewohnheit hält, auch bei dürftiger Lichtquelle zu spiegeln, weil
man sich mit den intensiven Lichtquellen leicht zu sehr verwöhnt.
Andernfalls dürfte es sich empfehlen, auf Konsultationen stets
einen stark leuchtenden, elektrischen Glühstab mitzunehmen.
3. Der Ohrtriehter dient zur Entfaltung des Gehörgangs.
Man benutzt heute nur noch metallene Ohrtrichter mit geradem
oder abgeschrägtem Ende. In einem sogenannten „Satz“ sind alle
gebräuchlichen Trichterweiten enthalten. Zur Einführung des
Trichters faßt man ihn zweckmäßig mit der linken Hand, gleich-
gültig, ob man das linke oder rechte Ohr untersuchen will,
zwischen Daumen und Zeigefinger. Während unter sanftem Druck
und langsamer Drehung der Trichter in den Gehörgang geschoben
wird, greift der Zeigefinger mit seiner noch freien Fläche und der
Mittelfinger den oberen oder hinteren Rand der Ohrmuschel und
zieht dann unter allmählicher Streckung des nachgebenden
knorplig-membranösen Anteils den Gehörgaug auf den eindringen-
den Trichter hinauf. Bei dieser Handhabung der Trichtereinfüh-
rung gelingt es auch bei schlaffem häutigem Gehörgang, ein Vor-
drängen einzelner Abschnitte vor die Trichtermündung zu ver-
meiden, und außerdem hat man dabei während des Spiegelns den
Trichter, die Obrmuschel und den Kopf des Patienten gemeinsam
fixiert, was zur Festhaltung des Spiegelbildes in der Tiefe des
Gehörgangs sehr wichtig ist. Die rechte Hand bleibt während
dieser ganzen Manipulation frei zur Einstellung des Reflektors
und zur Vornahme weiterer Eingriffe. Man kann die erste Ein-
führung des Trichters auch in der Weise vornehmen, daß man ihn
mit der rechten Hand in den Gehörgang einsetzt, während die
linke Hand lediglich die Ohrmuschel fixiert und streckt. Erst
. wenn der Trichter im Gehörgange festsitzt, übernimmt die linke
Hand in der oben angegebenen Weise die weitere Einstellung und
Fixierung des Trichters. Es empfiehlt sich, immer einen mög-
lichst weiten Trichter zur Untersuchung auszuwählen, damit man
einen guten Ueberblick in der Tiefe erhält. Beschädigungen an
der leicht verletzlichen Epitheldecke des Gehörgangs müssen bei
der Handhabung des Trichters vermieden werden; denn die dabei
eintretende Blutung kann leicht beim Spiegeln sehr hinderlich
werden.
` 4, Die Ohrpinzette ist in Knieform oder bajonettförmig im
Gebrauch. Die Enden müssen zwar stark verjüngt sein, damit sie
im Gehörgange noch einen gewissen Spielraum für Lichteintritt,
Einblick und für Bewegungen des Instruments freilassen; sie
dürfen aber nicht spitz und scharf sein, damit Verletzungen des
Epithels vermieden werden. — Man soll die Ohrpinzette nur zur
Ein- und Ausführung von Verbandteilen (Ohrstreifen und Watte),
zur Einbringung von flüssigen Medikamenten auf Watte. und allen-
falls zur Entfernung kleiner störender Verunreinigungen (Epithel-
schuppen, Ceruminalbröckel) benutzen. Merke: Zur Extraktion
von Fremdkörpern ist die Ohrpinzette, als ein dazu total ungeeig-
netes Instrument, niemals zu benutzen!!
5. Das Woattestäbchen, ein möglichst schlanker, kurzer
Metallstab mit Schraubengewinde, dient, mit Watte armiert, neben
der Ohrpinzette zum Reinigen des Gehörganges. — Mit Daumen
und Zeigefinger der linken Hand zupft man ein kleines, lockeres
Wattebäuschehen. Die rechte Hand legt das Schraubengewinde
mitten in die gezupfte Watte und dreht sie unter Rechtsdrehung
so hinein, daß die Spitze des Instruments mit kleinem, ganz lockeren
Wattebüschel überdeckt wird. Die gebrauchte Watte wird durch
Linksdrebung des Instruments entfernt und durch neue ersetzt. —
Die Einführung des Wattestäbchens hat mit möglichst leichter
Hand und unter Streckung des Gehörgangs, bei besonders differen-
zierter Reinigung in der Tiefe und am Trommelfell unter Zuhilfe-
nahme von Ohrtrichter und Reflektor zu geschehen.
6. Das Fremdkörperhäkchen. Die Krümmung des Häkchens
muß krallenförmig, klein und halbrund, das Ende muß spitz und
scharf sein. Die Anwendung geschieht unter Leitung des Spiegels
und eines möglichst weiten Ohrtrichters. Das Häkchen wird dicht
an der Gehörgangswand eingeführt, die Krümmungsebene parallel
zur betreffenden Wandebene, bis es hinter der zu entfernenden
Einlagerung (Fremdkörper, Cerumen, Schuppen und dergleichen)
verschwindet. Dann wird das Häkchen vorsichtig nach innen ge-
dreht, sodaß sich die Spitze von hinten her in den betreffenden
Körper einbohrt, und langsam mit demselben. herausgezogen.
Merke: Alle Manipulationen mit Pinzette und Fremdkörper-
häkchen sind langsam und vorsichtig auszuführen, und stets ist
dabei der Kopf des Patienten durch eine Hilfsperson zu fixieren.
7. Die Ohrspritze. Zu wählen ist am besten eine nicht zu
große, gutgehende Hartgummi- oder Metallspritze. Sie muß mit
einer Hand leicht zu bedienen sein; dazu gehört, daß für Daumen,
Zeige- und Mittelfinger bequeme Haltevorrichtung vorhanden ist.
Die Spitze muß abgerundet sein oder, wenn sie es nicht ist, mit
einem kurzen Stückchen passenden Gummischlauchs versehen
werden. Dadurch werden Verletzungen des Gehörgangs leicht
vermieden. Als Spülflüssigkeit dient lauwarme Borlösung oder
abgekochtes Wasser. Die Ausspülung selbst geschieht in der
Weise, daß die freie (linke) Hand die Ohrmuschel und damit den
Kopf des Patienten fest fixiert und den häutigen Gehörgang
streckt, während die andere (rechte) Hand das Endstück der Ohr-
spritze in den äußeren Gehörgang hineinhält, dann die Spül-
llüssigkeit an den verschiedenen Wandungen des Gehörgangs ent-
lang in die Tiefe schleudert und so planvoll die betreffende Ein-
lagerung von allen Seiten umspült und lockert. Planloses Hinein-
spritzen mitten in das Lumen des Gehörgangs führt weniger leicht
zum Ziele. Tieferes Einsenken des Endstücks in den Gehörgang
ist zu vermeiden, weil dadurch das Ausfließen der Flüssigkeit
leicht erschwert und der Wasserdruck im Gehörgangsschlauch in
schädlicher Weise gesteigert werden kann. Ueberhaupt ist der
Druck, unter dem ausgespritzt wird, nach dem Fall individuell zu
dosieren. Dort, wo in der Tiefe ein entzündetes Trommelfell und
eine Eiterung im Mittelohre zu erwarten ist, muß vorsichtig und
unter leichtem Drucke gespült werden, während dort, wo es sich
um verhärtete Ceruminalmassen oder eingekeilte Fremdkörper
handelt, hinter dem ein intaktes Trommelfell und Mittelohr ver-
mutet werden darf, der Wasserstrahl mit größerer Kraft angewandt
werden kann. f (Schluß folgt.)
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Die Fortschritte in`der Diagnostik und Therapie der Tuberkulose
der letzten fünf Jahre
von Dr. Heinrich 6erhartz, Berlin.
I. Die Fortschritte in der Diagnostik der Lungen-
tuberkulose.
J. Die Röntgendiagnostik der Lungentuberkulose.
Ueber den großen Wert des Röntgenverfahrens in der Dia-
gnostik der Lungentuberkulose wird heute niemand, der die
Methode beherrscht, mehr im Zweifel sein. Allerdings gibt diese
Untersuchungsart ihrer Natur nach Aufschlüsse in anderer Rich-
tung als die klassischen physikalischen "Untersuchungsmethoden
der Perkussion und Auskultation. Sie ist die Methode der Lokal-
diagnose xat 2&oy7» und ein objektives graphisches Verfahren. Das
Röntgenverfahren enthüllt Dinge, die bisher zurückgestellt wurden,
weil sie kaum diagnostiziert werden konnten, wie die Bronchial-
drüsentuberkulose, die centralen Prozesse, die pleuritischen Ver-
wachsungen und Verziehungen, die feinere Pathologie des Pneumo-
thorax, die interlobären Exsudate, die Abscesse, kleine Kavernen;
vor allem gestattet es die genaue Bestimmung von Größe und
— WIE
ee ee ENGER ENE DEE RERE Pe
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIR — Nr. 37. 1515
Tiefenlage von Herden. Dafür aber tritt es natürlich in sehr
vielen wichtigen Fragen, in denen die andern Methoden souverän
sind, ganz in den Hintergrund, so bei katarrhalischen und meist
bei pneumonischen Herden, in der Frage der Speeifität und Ak-
tivität der Herde, bei vielen differential-diagnostischen Erwägungen.
Das Röntgenverfahren ist eben eine solbständige Methodo für sich.
Es darf nicht nach den übrigen Verfahren beurteilt werden, eben-
sowenig, wie jemand daran denkt, die Perkussion gegen die Aus-
kultation. auszuspielen oder Lungentuberkulose lediglich mit der
Tuberkulinreaktion zu diagnostizieren. Die Röntgendiagnostik der
Lunge hat praktische Bedeutung nur in Verbindung mit den übrigen
klinischen Untersuchungsmethoden. Ä
Nichtsdestoweniger aber kann man, wenn mau sieh über die
allgemeine Stellung des Röntgenverfahrens unter den zur Er-
kennung der Tuberkulose dienenden Methoden unterrichten will,
die Frage aufwerfen, ob nicht die Röntgenoskopie allein mehr Pro-
zesse in den Lungen aufzufinden gestattet, als irgendeine einzelne
der übrigen Methoden. Hierzu liegt sowohl rein klinisches wie
autoptisches Kontrollmaterial vor, leider aber nur erst in geringem
Umfange. Jacobi (25) teilt die nachstehenden Werte mit:
Auf Grund der Röntgen- Röntgen- Röntgen- Röntgen-
gesamten klinischen befund —, befund +, befund +, befund —,
Untersuchung und | Conjunctival- | Conjunctival- | Oonjunctival- | Oonjunctival-
des Verlaufs reaktion — reaktion + reaktion — reaktion +
. . =
tuberkulög . . . . | 1 14 | 3 | 2
nichttaberkulös . . 4 1 2 o
In den meisten Fällen verriet ihm die Röntgendurchleuch-
tung mehr über den Zustand der Lunge als die übrigen physi-
kalischen Methoden es vermochten.
Wertvoller sind die Ergebnisse einer vergleichenden Unter-
suchung, welehe Goldscheider (20) bekanntgegeben hat, weil
hierbei die subtile Perkussion in höchster Vollendung mit dem
Röntgenverfabren (Levy-Dorn) in Konkurrenz tritt. Gold-
scheider findet eine „weitgehende Uebereinstimmung zwischen
den Ergebnissen der leisesten Perkussion und der Röntgendurch-
leuchtung, soweit es sich für so verschiedenartige Untersuchungs-
methoden . überhaupt erwarten läßt. Meistens findet sich dort,
wo die letztere stärkere und ausgedehntere Trübungen nachweist,
auch stärkere und ausgedehntere Dämpfung. Die oft geringfügigen
Unterschiede in:der-Stärke der Affektion auf beiden Seiten werden
durch die Perkussion bis auf wenige Ausnahmen zutreffend an-
gegeben. Jedoch fehlt es auch nicht an Fällen, wo die Lungen-
affektion nach dem Röntgenbefund eine erheblich stärkere und
namentlich ausgebreitetere war als die Perkussion vermuten ließ.
So kam des öfteren vor, daß dieselbe sich weiter nach unten er-
streckte als die Dämpfung, sicherlich weil die weiter nach unten
gelegenen Herde gleichzeitig tiefer in dem lufthaltigen Lungen-
gewebe gelagert sind. Besonders beim Vorhandensein dissemi-
nierter kleiner Herde blieb die Perkussion hinter dem Röntgen-
befunde zurück.“ „Mehrfach kamen Unstimmigkeiten in der Weise
vor, daß zwar bei beiden Untersuchungsmethoden eine doppelseitige
Spitzenerkrankung: festgestellt wurde, daß aber die Perkussion die
leichtere Erkrankung gerade auf derjenigen Seite zu finden meinte,
wo die Durehleuchtung stärkere Schatten ergab. Es beruht dies
vielleicht darauf, daß neben den verdichteten Stellen emphysematös
erweitertes Gewebe lag, zum Teil wohl auch auf der mehr oder
weniger tiefen Lagerung der Herde.“ Ferner findet Goldscheider,
daß die Röntgenmethode „mehr Fälle mit gleichmäßiger Beteiligung
beider Seiten aufweist, während die Perkussion mehr Fälle mit
Bevorzugung der rechten und linken Seite ergibt. Dies erklärt
sich dadurch, daß die Röntgenoskopie eben im ganzen doch
mehr Veränderungen der Lunge erkennen läßt, als selbst
die leiseste Perkussion und Verdichtungen, welche per-
ussorisch gering erscheinen, ausgedehnter zur Dar-
stellung bringt. Immerhin ist die geringe Differenz der Zahlen
bemerkenswert.“ Die gewöhnliche Methode der Perkussion blieb
hinter dem Röntgenverfahren weit zurück.
Dunham, Boardman und Wolman (17) fanden unter
92 Fällen nur sechsmal keine Uebereinstimmung zwischen klinischer
und Töntgenologischer Untersuchung, wobei sich ebenfalls die
letztere als die ergiebigere erwies.
_ Die bisher vorliegenden autoptischen Kontrollen (Ass-
mann (5 und 6), v. Dehn (16), Schubert und Hartung,
legler und Krause (61) haben sämtlich die Uebereinstimmung
der ‚Röntgenbefunde mit den tatsächlichen anatomischen Befunden
erwiesen und auch zahlreiche Fälle bekanntgegeben, die nur durch
S Röntgenverfahren diagnostiziert werden konnten. (akute peri-
bronchitische Lungentuberkulose, Miliartuberkulose, Bronchial-
drüsentuberkulose, Tuberkulose bei Emphysem oder starrem Thorax).
Das normale Lungenröntgenbild. Das Röntgenver-
fahren stellt Verdichtungsherde dar. Es sind also alle nicht luft-
haltigen Teile in den beiden Lungenfeldern schattengebend. Nor-
malerweise äußern sich die Dichteunterschiede bei guter Technik
in der sogenannten Lungenzeichnung, das ist in einem Zweig-
werk, das von einem dichten, neben dem Mittelschatten (Herz und
Gefäße) gelegenen Schattengeflecht aus sich aufteilend zur Peri-
pherie hinzieht.
Es ist ein jahrelanger Streit darüber entbrannt, ob man es
bei diesen Schattenverästelungen mit Gefäßen oder mit Bronchien
zu tun hat. Während früher mehr die letztere Ansicht verbreitet
war, ist in den letzten Jahren die erstere vorherrschend geworden, _
' und mit Recht.
Daß unter Umständen die Bronchien — als doppelt-
konturierte Schatten mit breitem hellen Lumen — sichtbar werden,
ist wohl sicher. Dafür sprechen sowohl gewisse glückliche kli-
nische Aufnahmen (de la Camp, Holzknecht, Küpferle), wie
experimentelle Injektionsbefunde (de la Camp (40), Küpferle (33),
Hasselwander und Brügel (22), wie auch der Umstand, daß es
gelegentlich gelingt, auch nach Entblutung der Lungengefäße eine
Lungenzeichnung zu erhalten (Küpferle, Hasselwander und
Brügel, Assmann (5). In der Regel jedoch bilden die Blut-
gefäße der Lunge die Lungenzeichnung. Die Beweise hierfür
sind folgende:
1. Blut absorbiert die Röntgenstrahlen stärker als Sputum
(Weber und Owen [59)).
2. Injektion von Blut in die Arterien der Lunge verstärkt
das Schattenzweigwerk (Assmann [5)). |
3. Füllt man im Experiment beim Hunde die Arterien und
Venen der Lunge, so wird eine Gefäßzeichnung sichtbar, die nach
Ausspülung der Gefäße nicht sichtbar wird. (Assmann [5]).
4. Injektion der Gefäße der menschlichen Lunge mit stark
schattengebenden Substanzen gibt Bilder, welche der normalen
Lurgenzeichnung vollkommen entsprechen.
5. Füllt man die Bronchien mit Schrotkügelchen, so ist in
dem Intervall zwischen je zwei freilisgenden Schrotkugelbildern
keine Eigenzeichnung der Bronchien zu sehen, obwohl die normalen
Schattenstränge sichtbar sind (Weber und Owen [59]).
6. Schwarz (55) beobachtete, daß „in nicht sehr seltenen
Fällen die Hilusschattenverzweigungen besonders im rechten Unter-
lappen mit jeder Herzsystole anschwollen“. Bei der Wichtigkeit
gerade dieser Beobachtung mögen die Angaben dieses Autors hier
in extenso wiedergegeben werden: „Es sind nur ausnahmsweise
günstige Bedingungen, welche die röntgenologische Sichtbarkeit
des Phänomens ermöglichen, da ja begreiflicherweise bei der Zart-
heit des Bildes der Lungengefäßverzweigung eine sehr hohe In-
tensität des Lungenvenenpulses vorhanden sein muß, um bei der
Durehleuchtung wahrnehmbar zu werden. Bei Mitralfehlern sind
manchmal die Verhältnisse eben ausnehmend günstig. Der Ver-
fasser hatte seit 1910 im ganzen 19 Fälle beobachten können.
Kienböck und Assmann haben je einen Fall publiziert. Es
handelte sich dabei fast ausschließlich um Mitralinsuffzienzen,
besonders häufig um eine Kombination mit Stenose des Ostiums.
Da nun stets auch eine Hypertrophie des rechten Ventrikels und
Verdickung der Lungenarterien mit in Betracht kommt, so er-
scheint a priori die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß
es sich zum mindesten teilweise auch um einen abnorm starken
Lungenarterienpuls handeln könne, der die sichtbaren pulsatorischen
Phänomene der Hilusschatten und ihrer Verzweigungen verursacht.
Verfasser hatte aber Gelegenheit, einige Fälle von Aortenfehlern
zu beobachten, bei denen vorübergehend pulsierende Hilusschatten,
und zwar dann auftreten, wenn eine auskultatorisch nachweisbare
relative Mitralinsuffizienz infolge der Dilatation des linken Ven-
trikels sich einstellt. Mit dem Verschwinden der relativen Mitral-
insuffizienz infolge therapeutischer Maßnahmen verschwand auch
der Hilusschattenpuls. Es kann sich somit nur um einen Venen-
puls handeln. Hierher — id est zu den relativen Mitralinsuf-
fizienzen — dürften auch einige Fälle von pulsierenden Hilus-
schatten bei Morbus Basedow und Emphysem gehören, die Ver-
fasser beobachten konnte.“
Während nun bisher die Erscheinung pulsierender Hilus-
gefäße nur in pathologischen Fällen beobachtet wurde, bin ich
selbst vor kurzem in der glücklichen Lage gewesen, bei einem
gesunden älteren Mädchen den Lungengefäßpuls peripher vom Hilus
sehr deutlich wahrnehmen und anderen mühelos demonstrieren zu
können. Eine solche Beobachtung dürfte der stärkste Beweis
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1516 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
‚dafür sein, daß es’ auch beim gesunden Menschen die Blut-
gefäße in erster Linie sind, welche die von den Schatten-
knoten der Lungenwurzel nach der Peripherie hin-
ziehenden Schattenstränge bilden. Leider ist der erwähnte
der einzige Fall, den ich in den fünf Jahren, in denen ich der
Röntgenabteilung der Berliner inneren Universitätspoliklinik vor-
stehe, zu beobachten Gelegenheit hatte. Es sei in technischer
Hinsicht noch angegeben, daß in dem betreffenden Falle mit einer
sehr enggestellten Holzknechtschen Hängeblende, Astralschirm und
weicher Müller-Röhre gearbeitet worden war. Ich habe auch einmal
bei einem älteren Knaben mit Pneumonie und Stauung in den Lungen
den inneren unteren Ast der Pulmonalvene lebhaft pulsieren sehen.
, Treten bei der Beurteilung eines Röntgenbildes, das Bronchien
und Gefäße zur Darstellung gebracht hat, Zweifel auf, welche
Schattenstränge dem einen oder andern Substrat angehören, so
dürften die Angaben, die Weber und Owen (59) über die Charakte-
ristik der beiden mitgeteilt haben, von Wert sein. Die Unter-
schiede sind folgende:
1. „Die Ecken in den Abgangsstellen von Aesten der Blut-
gefäße sind im Vergleich zu denen der Bronchien abgerundet.
2. Die Seitenäste der Bronchien wirken ablenkend auf den
Hauptast.
gleichmäßig im Gegensatz zum Bronchus, der trotz Abgabe von
Seitenästen auf gewisser, oftmals großer Ausdehnung, peripherwärts
sein Kaliber im Projektionsbilde nicht verändert.
4. Die Zeichnung der Bronchien macht im ganzen den Eindruck
einer mehr grobstrichigen und geradlinigen, als die der Gefäße.“
Das Röntgenbild der kranken Lunge. Bevor die Pa-
thologie der Lungenröntgenoskopie zur Sprache kommen soll, wird
es interessieren, über die experimentellen Leichenuntersuchungen
von Ziegler und Krause (61) hinsichtlich der Frage, wie ge-
staltet ein krankhafter Herd sein muß, damit er mittels des
Röntgenverfahrens feststellbar wird, Bericht zu erhalten. Bei
diesen Studien zeigte es sich, daß ein einzelnes miliares Knötchen
auf der Platte nicht sichtbar wird. „Ein etwas größeres Gewebs-
würfelehen von etwa 4 qmm Oberfläche wurde auf der Platte ziem-
lich matt sichtbar, wenn es auf der Brust lag bei dorsoventraler
Aufnahme. Größere Gewebsstücke auf dem Rücken ergaben matte
Schatten, aber auch nur, weil man sie an der betreffenden Stelle
vermutete und suchte.“ Erhebliche Unterschiede bezüglich ihrer
Durchleuchtbarkeit für Röntgenstrahlen wurden zwischen ein-
gelagerten Miliartuberkeln, käsigem Material und Bindegewebe nicht
bemerkt. Das käsige Gewebe schien allerdings den intensivsten
Schatten und besonders scharfe Umgrenzung zu zeigen.
Nun ist ja sicherlich mit solchen Experimenten über die
mögliche Ergiebigkeit des am lebenden Menschen angefertigten
Röntgenbildes kein endgültiger Aufschluß gegeben; denn erstens
sind hier die Absorptionsverhältnisse andere, zweitens aber ist die
Güte einer Aufnahme, die Feinheiten zeigen soll, noch immerhin
etwas vom Zufall abhängig, sodaß wohl der Vergleich einer guten
Aufnahme mit dem autoptischen Befund mehr besagen will.
Doch stimmen die röntgenologischen Erfahrungen mit den experi-
mentellen gut überein.
Einzelstehende Miliartuberkel sind auf der Platte selten
sichtbar beziehungsweise nicht als solche zu deuten. Unter be-
sonders günstigen Umständen sind allerdings schon recht kleine
unverkäste, miliare Knötchen auf der Platte sichtbar geworden
(Ziegler und Krause, Müller [39]). Man sieht dann eine feinste
Marmorierung der — infolge des allgemein verminderten Luftgehalts
im ganzen nicht sehr hellen Lungenfelder. Die kleinsten Fleckchen
stehen dabei in ziemlich regelmäßigen Abständen voneinander.
Verkäste, in lufthaltigem Gewebe gelegene Tuberkel,
die von Pfefferkorngröße an sichtbar werden (Ziegler und Krause),
geben einen scharfbegrenzten dunklen Schatten. Deshalb ist die
häufigste Erscheinung das Vorhandensein disseminierter kleiner
Sehatten in einem gleichmäßig getrübten, oft eingeengten Spitzen-
folde. Natürlich werden plattennahe und tiefgehende Objekte leichter
sichtbar als entfernt liegende und flache.
Fortgeschrittenere Prozesse geben das Bild der Mar-
morierung, weil der Zwischenraum zwischen den einzelnen Tu-
berkeln nicht mehr lufthaltig, sondern infltriert ist.
Bei Bronchitis wird eine allgemeine Trübung der Lungen-
felder, eventuell eine starke Ausprägung der Lungenzeichnung gesehen.
= Kavernen werden als abnorme Aufhellung in verdunkeltem
Lungenbezirke sichtbar. Sie sind oft von einem scharfen Ringe be-
grenzt, der ihrer bindegewebigen Kapsel entspricht. Bei Anfangs-
tuberkulose, wo die Kavernen noch isoliert gefunden werden, ist
3. Der Abfall des Kalibers der Blutgefäße vollzieht sich .
die Kapsel meist dick, bei vorgeschrittenen Fällen dünn. Auch
recht kleine Kavernen sind schon der röntgenologischen Diagnose
zugänglich. Sie sind nach den Röntgenerfahrungen viel häufiger,
als man bisher annahm. - Am häufigsten sind sie in den oberen
Lungenpartien unterhalb der Clavicula und lateralwärts. Luft-
gefüllte Kavernen sind am leichtesten nachzuweisen. : >
Bronchiektatische Höhlen sind relativ selten sichtbar.
Sie geben dasselbe Bild wie die tuberkulösen Hohlräume; nur: ist
Kapsel öfters weniger deutlich. Meist verursachen multiple ge-
füllte, kleine Bronchiektasien fleckige und streifige Lungenzeich-
nung, wie die Peribronchitis, namentlich die tuberkulöse Form.
Lungenabscesse machen diffuse Schatten, Oft ist ein
horizontaler Flüssigkeitsspiegel deutlich sichtbar. -: :
Lungengangränherde, für deren Lokalisation das-Röntgen-
verfahren unentbehrlich ist, geben meist unscharfe, allmählich in
die Umgebung übergehende, im hellen Lungenfeld liegende Schatten.
Gelegentlich ist im Innern des Schattens eine gashaltige Höhle
nachweisbar. Sehr oft ist der die Gangrän verursachende Fremd-
körper mit sichtbar (Kißling [27)]). pa Es |
Abgekapselte und an abnormer Stelle befindliche, z. B. inter-
lobäre Exsudate werden meistens erst zufällig bei einer Röntgen-
durchleuchtung entdeckt. - = E
Lungenkonkremente sind sehr deutlich sichtbar, da sie
hauptsächlich aus Kalk bestehen (Gerhartz und Strigel [19],
Grunmach und Bickel [zit. 19]).
Sekundäre Anomalien der Zwerchfellstellung, Verlagerungen
der Trachea nach der kranken Seite, Verschiebungen des Herzens
sind ohne weiteres erkennbar; auch der Nachweis der Verstopfung
eines Hauptbronchus durch Fremdkörper macht meist keine
Schwierigkeit (Verschiebung des Mittelschattens nach der affizierten
Seite bei der Einatmung). |
Besonders wertvoll hat sich die Röntgenuntersuchung' bei
der Diagnose und bei der Beurteilung des genauen Verlaufs des
Pneumothorax erwiesen. Die Anlegung - und Kontrolle des thera-
peutischen Pneumothorax ist ohne ständige Röntgenuntersuchung
kaum denkbar. Ueberhaupt ist derjenige, der viel röntgent, dauernd
in der Lage, seine früheren Anschauungen über die oben ge-
nannten und viele andere Dinge, z. B. über Entstehungsart, Sitz,
Verdrängungserscheinungen von Exsudaten, zu verbessern.
‘ Technisches. Die genaue Besprechung. der Technik gehört
nicht hierhin; nur einige wenige Bemerkungen seien hier ein-
geflochten. oe
Man durchleuchte nach guter Adaption und genügender Ab-
blendung mit weicher Röhre in verschiedenen Atmungsphasen und
achte dabei auf gleichmäßige intensive Atmung, damit nicht
eventuell lediglich infolge unergiebiger Respiration das eine Lungen-
feld dunkler als das andere erscheint. Es muß immer in den ver-
schiedenen Durchmessern durchleuchtet werden. Man beobachte
auch den Moment, in dem die beiden Spitzenfelder aufleuchten;
die durchlässigere gesunde Spitze gibt zuerst ein Bild, die verdich-
tete später. l
Das Plattenverfahren leistet, was Feinheiten der Zeichnung
angeht, mehr als die Durchleuchtung, kann aber die letztere nicht
ersetzen.
zur Verfügung hat, zweckmäßig vor der Aufnahme reinen Sauer-
stoff atmen, um für die Dauer der Aufnahme Apnöe und damit
ein gutes Bild zu erreichen. Es sei noch bemerkt, daß die Her-
stellung von stereoskopischen Aufnahmen besonders empfehlenswert
ist (Wenkebach).
Fehlerquellen. Die gleichen Momente, welche die per-
kutorischen Ergebnisse zu fälschen vermögen, können auch bei der
Röntgenoskopie diagnostische Fehler bedingen, so z. B. Drüsen ım
Supraclavicularraume, dicke oder ungleich entwickelte Muskeln,
Pannieulus adiposus (Mamma, auch gelegentlich bei Männern!).
Außer den oben genannten Affektionen können auch diffuse akute
Verdichtungsprozesse der Lungen, Atelektasen, Kompression emer
Spitze infolge Schilddrüsenverlagerung (Kreuzfuchs [32]), Pleura-
schwarten, Differenzen der Intercostalräume infolge Skoliose, die
Arteria subelavia Trübungen des Lungenfeldes verursachen. Nao
meinen eignen Erfahrungen vermag bei Kindern ein pleuritisches
Exsudat gelegentlich nur eine leichte Verdunklung des unteren
Teils des Lungenfeldes hervorzurufen.. Man hüte sich, Hilus-
verdunklungen bei akuten Prozessen für Bronchialtuberkulose an-
zusehen, was nach meiner Erfahrung sehr häufig geschieht. Zur
Röntgenuntersuchung einer Bronchialtuberkulose gehört unbedingt
eine mehrmalige Untersuchung. Leider findet sich nirgendwo In
der röntgenologischen Literatur auf die überwiegende Häufig-
Man nehme im Inspirationsstillstand auf. Bei dys-
pnoischen Kranken läßt man, wenn man nicht einen Momentapparat
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15. September. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1517
keit der nichttuberkulösen Hilusschattenverstärkung
hingewiesen. Ich selbst habe auch meine den landläufigen An-
schauungen entsprechenden Ansichten erst korrigiert, als ich
systematisch mit der Pirquetimpfung Kontrolle übte.
Literatur: 1. Achelis, Ueber die Röntgendiagnose der miliaren Luugen-
tuberkulose. (M. med. Woch. 1910, Nr. 36.) — 2. Albers-Schönberg, Die
Röntgentechnik. (2. Aufl. 1906, 8.308 ff.) — 3. Hans Arnsperger, Zur
Frühdiagnose der Lungentuberkuiose. (M. med. Woch. 1907, Nr. 2.) — 4. Hans
Arnsperger. Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane und ihre Ergebnisse
für Pbysiologie und Pathologie. (Leipzig 1909.) — 5. H. Aßmann. Das ana-
tomische Substrat der normalen Lungenschatten im Röntgenbiide. (F. d. Röntg.
1911. Bd. 17, S. 141.) — 6. Derselbe, Beiträge zur Röntgendiaguostik der
latenten beziehungsweise inzipienten Lungentuberkulose. (Ebenda, 1911. Bd. 18,
8.27-60.) — 7. Barret, L’examen radioscopique du Thorax chez Venfant au
point de vue du diagnostic de la tuberculose et particulièrement de l’ad&nopathie
trach&o-bronchique. (R. mens. des malad. de l'enfance. April 1906, S. 155. Referat
i: d. Zt. f. Tub. 1906. Bd.9. S. 193.) — 8. O. Berner, Et tilfaeide af bronchial-
stene. (Norsk Magazin for Laegevidensk. 1907, Bd. 5, S. 523—533. „Referat i.
d. Zt. f. Tub. 1909, Bd. 14, S. 322.) — 9. A. Bittorf, Ueber ungleichzeitiges
Aufleuchten der Lungenspitzen im Röntgenbilde. (F. d. Röntg. 1909, Bd. 14,
S. 174—175.) — 10. L. G. Cole, The radiographic diagnosis and classification
of early pulmonary tuberculosis. (Am. j..of med. sc. Juli 1910. Referat i. d. Zt.
` į. Tub. 1910, Bd. 16, S. 406.) — 11. M. Cohn. Zur Anatomie, Pathologie und
Röntgenologie der Lungentuberkulose. (Berl. kl. Woch. 1909, Nr. 28.) —
12. Dorselbe, Die anatomischen Substrate der Lungenröntgenogramme und
ihre Bedeutung für die Röntgendiagnostik der Lungentuberkulose. (Berl. kl.
Woch. 1911, Jg. 48, S. 16—18 und Verh. d. Berl. med. Ges. 1911, Bd. 41, S. 348
u. 282. — Diskussion. Verb. d. Berl. med. Ges. 1910, Bd. 1, S. 282—295.) —
13. Derselbe, Die anatomische Bedeutung der Lungenröntgenogramme und ihre
Beziehungen zur Röntgendiagnostik der Lungentuberkulose. (Zt. f. Tub. 1911,
Bd. 17, S. 217-229.) — 14. Derselbe, Bemerkungen zu der Arbeit Küpferles
„Das anatomische Substrat der sogenannten Hiluszeichnung im Röntgenbilde“.
F. d. Röntg. 1911, Bd. 17, S.233—235) — 15. O. von Dehn, Ueber die
ungentnberkulose im Röntgenbilde. (Petrsb. med. Woch. 1910, Nr. 2. Referat
i. d. Zt. f. Tub. 1910, Bd. 16, S. 93.) — 16. Derselbe, Zur Frage der tuber-
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W. Boardmann, Samuel Wolman, The stereoscopic X-ray examination of
the chest with especial reference to the diagnosis of pulmonary tuberculosis.
(Bull. of Johns Hopkins Hospital. Juli 1911. Referat i. d. Int. Zbl. f. d. ges.
Tub.-Forsch. 1912. Nr. 545, Bd. 6, S. 264 und Zt. f. Tub. 1912, Bd. 18, S. 583.)
— 18, E. Fraenkel u. A. Lorey, Das anatomische Substrat der sogenannten
Hiluszeichnung im Röntgenbild. (F. d. Röntg. 1909—1910, Bd. 14, S. 155—161.)
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behandlung. (B. z. Kl. d. Tub. 1908. Bd.10, S. 388—389.) — 20. Goldscheider,
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22. A. Hasselwander u. C. Bruegel, Anatomische Beiträge zur Frage nach
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— 28. A. Hohendorf, Radioskopie der Lungen, speziell des Pneumothorax.
(Diss. Jena 1910. Referat i. Intern. Zbl. f. d. ges. Tub.-Forsch. 1910, Bd. 4,
N. 419.) — 24. G. Holzknecht, Die röntgenologische Diagnostik der Br-
annj ei der Brusteingeweide. (A. u. Atlas d. norm. u. path. Anat. in ty-
pischen Röntgenbildern. Bd. 6.) — 25. Jos. Jacobi, Ueber vergleichende phy-
sikalische und Röntgenuntersuchungen bei Lungentuberkulose, wie auch über
die Calmettesche Ophthalmoreaktion im Anschluß an Röntgenuntersuchungen,
(Beiheft 2 der Med. Kl. 1910, 6. Jg.) — 26. Kersten, Orthodiagraphische
Untersuchungen über die Herzgröße bei Tuberkulösen. -(D. med. Woch. 1911,
Nr. 21. Intern. Zbl. f. d. ges Tub.-Forsch. 1911, Bd. 6, S. 16.) — 27. K. Ki Bling,
Ueber Lungenbrand mit besonderer Berücksichtigung der Röntgenuntersuchung
und operativen Behandlung. (Mitt. a. d. Hamburgischen Staatskrankenanstalten
1906, Bd. 6, H. 1.) — 28. W. B. Knobel, X-rays in the diagnosis of phthisis.
(Birmingham Med. Review. 15. Februar 1911. Referat i. Intern. Zbl. f. d. gos.
Tub.-Forsch. 1911. Bd. 6, S. 27.) — 29. P. Krause, Ueber den Wert der Röntgen-
diagnostik zur Erkennung von Lungenkrankheiten. (Zt. f. Fortb. 1908, Nr. 21.
Referat i. d. Zt. f. Tub. 1909, Bd. 14, S. 160.) — 30. Derselbe, The Value of
oentgen, Ray Examination in the Diagnosis of Pulmonary Tuberculosis, esp.
in Reference to Early Tuberculosis. (Am. j. of med. sc. März 1909. Referat i.
d Zt. f£. Tub. 1909, Bd. 15, S. 201.) — 8i. Derselbe u. O. Friedrich, Bei-
träge zur Röntgendiagnostik von Lungenkranken. (Zt. f. med. Elektrologie u.
önt enkunde. 1908, Bd. 10, H. 1—2.) — 32. Siegmund Kreuzfuchs (Wien.
allg. oliklinik), Zur radiologischen Differentialdiagnose der Lungenspitzen-
affektionen. (Wr. med. Woch. 1911, Bd. 61, S. 2148—2149.) — 33. Küpferle,
as anatomische Substrat der sogenannten Hiluszeichnung im Röntgenbilde.
(F. d. Röntg. 1911. Ba. 17, S. 62—69.) — 34. Derselbe, Zu den Bemerkungen
ax Cohns über meine Arbeit, betreffend das anatomische Substrat der Lungen-
zeichnung, (F. d. Röntg. 1912, Bd. 18, S. 168—169.) — 35. Alph. Kyritz,
Lungenspitzen- und Bronchialdrüsentuberkulose im Röntgenbilde. (B. z. Kl.
d.. Tab. 1908, Bd. 10, S. 129—160. [Dort die ganze Literatur bis zum 1. April
1908.) — 38. Max Levy-Dorn, Zum Wert der Röntgenstrahlen für die Dia-
grose der Lungentuberkulose. (Berl. Kl. N 1911, Bd. rn S. Er a V.
liano, Hi valore diagnostico dei Raggi Roentgen nella medicina interna.
a tuberculosi, Bd. 1, H. a Referat i. d. Zt. f. Tub. 1910, Bd. 15, S. 897.) —
j Chas. L, Minor, The use of the X-rays in the diagnosis of pulmonary
mberculosis. (NY. med. j. 19. März 1910. Referat i. Intern. Zbl. f. d. ges. Tub.-
orsch, 1910, Bd. 4, S. 588.) — 39. Viktor Müller, Die Diagnose der akuten
19 gomeinen Miliartuberkulose. (Inaug.-Diss. Königsberg. Zit. F. d. Röntg.
“= Bd, 18, S. 172.) — 40. R. Oestreich u. O. de la Camp, Anatomie und
p ysikalische Untersuchungsmethoden. (Berlin 1905, S. 164- 180.) — 41.Pförringer
‚4 Bunz, Die röntgenologische Diagnostik der Lungentuberkulose. (M. med.
Woch. 1907, Nr 2) — 42. H. Ri i i
: ‚Nr. 2.) — 42. H. Rieder, Der Wert der Röntgenuntersuchung für
9 ad ühdiagnose der Lungentuberkulose. (Zt. f. physik. Med. 1908, Bd. 2,
der 1397.) — 43. Derselbe, Zur Röntgendiagnostik bei Anfangstuberkulose
Die ungen. (B. z. Kl. à. Tub. 1909, Bd. 12, S. 197—207.) — 44. Derselbe,
i p rühzeltige Erkennung der Lungentuberkulose mit Hilfe der Röntgen-
i 11o D. A. f kl Med. Bd. 95, H. 1—2. Referat i. d. Zt. f. Tub. 1909,
4, 8. 484) — 45. Ders elbe, Kavernen bei Anfangstuberkulose der
Lungen. (6. Kongreß der Deutschen Röntgengesellschaft 1910. Referat i. Intern.
Zbl. f. d. ges. Tub.-Forsch. 1910, Bd. 4, S. 614—615.) — 46. Derselbe, Ka-
vernen bei beginnender und bei vorgeschrittener Lungentuberkulose. (F. d.
Röntg. 1910. Bd. 16, S. 1—12.) — 47. Derselbe, Kavernen bei Anfangstuber-
kulose der Lungen. (Zbl. f. Röntg., Radium u. verwandte Gebiete, 1910, Jg. 1,
S. 201—204.) — 48. Derselbe, Die Sekundärerkrankungen der chronischen
Lungentuberkulose vom röntgenologischen Standpunkte. (F. d. Röntg. 1910,
Bd. 16, S. 409—423.) — 49. Ruediger, Die Organverlagerungen bei Phthise.
(6. Kongreß der Deutschen Röntgengesellschaft, 1910. Referat i. Intern. Zbl. f.
d. ges. Tub.-Forsch. 1910, Bd. 4, S. 614—615.) — 50. A. Rzewuski, Zur
Röntgenographie des Thorax dyspnoischer Patienten bei Atemstillstand. (B. z.
Kl. d. Tub. 1908, Bd. 10, S. 127—128.) — 51. Georg Schellenberg u. Aug.
Scherer, Was leistet die Röntgendurchleuchtung des Brustkorbes als Dia-
gnostikum bei tuberkulösen Lungenerkrankungen? (B. z. Kl. d. Tub. 1905,
Bd. 3, S. 123—150. — Dort Literaturzusammenstellung.) — 52. Georg
wachsenen Menschen im Röntgenbilde bei sagittaler Durchstrahlungsrichtung.
(Zt. f. Tub. 1907. Bd.11, S.457—483.) — 53. Derselbe, Der Wert der Röntgen-
untersuchung für die Frühdiagnose der Lungentuberkulose und die Bedeutung
der röntgenologischen Lungenuntersuchung für die Lungenheilstätte. (Zt. I.
Tub. 1908, Bd. 12, S. 456—465.) — 54. Derselbe, Die Behandlung des Haupt-
themas: „Der Wert der Röntgenuntersuchung für die Frühdiagnose der Lungen-
tuberkulose‘‘ auf dem Röntgenkongreß 1908 in Berlin. (Zt. f. Tub. 1908, Bd. 12,
©. 432—435.) — 55. G. Schwarz. Spezielle Röntgenologie. (Handb. d. allgem.
Path., Diagn. u. Ther. d. Herz- u. Geläßerkrankungen von N. v. Jagić. Leipzig
u. Wien 1912, Bd. 3, 1. Teil. S. 425 f.) — 56. E. Sluka, Die Hilustuberkulose
des Kindes im Röntgenbilde. (Wr. kl. Woch. 1911, Nr. 52.) — 57. K. Turban,
Physikalische Diagnostik und Röntgendiagnostik der Lungen. (Wr. med. Woch.
1910, Nr. 6. Referat i. d. Zt. f. Tub. 1900, Bd. 16, S. 400.) — 58. Vierhuff,
Ueber radiographische Befunde bei Lungenspitzentuberkulose. (D. med. Woch.
1907, Nr. 15.) — 59. E. Weber und W. Owen, Anatomische Studien über das
Substrat der normalen Lungenzeichnung im Röntgenbilde. (F. d. Röntg. 1911,
Bd. 17, S. 3822—3827.) — 60. M. Wolff, Röntgenuntersuchung und klinische
Frühdiagnose der Lungentuberkulose. (F. d. Röntg. 1909, Bd. 13. Referat i.
d. Zt. i. Tub. Bd. 14, S. 243—244.) — 61. Otto Ziegler u. Paul Krause,
Röntgenatlas der Lungentuberkulose. (Würzburg 1910.)
Sammelreferate.
Arbeiten über Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1)
von Priv.-Doz. Dr. Ed. Stadler, Leipzig.
In einem Vortrag auf der Hauptversammlung der Internatio-
nalen und Deutschen Gesellschaften für Rasseubygiene zu Dresden
tritt Breymann warm für ein Zusammengehen der Genealogen
und Mediziner in der Familienforschung und der Förderung der
Vererbungsprobleme ein. Mit Recht betont er, daß Vorbedingung
einer gedeihlichen Arbeit eine einheitliche Arbeitsmethode sei,
welche die Genealogen durch reiche Erfahrung endlich besitzen,
den Medizinern aber leider bisher völlig fehlt. Hier bemüht sich
vielmehr jeder, ein eignes Darstellungssystem für Verwandtschafts-
verhältnisse neu zu erfinden, das meist bereits bei den Genealogen
schon lange vorher als unbrauchbar abgetan war. Auch manche
andere Anregungen, Vermeidung von Fremdwörtern, Einrichtung
einer Zentralstelle, die für die Genealogen bereits besteht, Auf-
klärung des Publikums und der regierenden Kreise über die
Wichtigkeit dieses Forschungsgebiets, machen den Vortrag Brey-
manns zu einer lesens- und beherzigenswerten Lektüre,
Ein weiterer, ausgezeichneter Vortrag des schwedischen Staats-
wissenschaftlers Pontus Fahlbeck auf demselben Kongreß be-
handelt den Neomalthusianismus in seinen Beziehungen zur Rassen-
biologie und Rassenhygiene. In klarer, überzeugender Weise führt
Fahlbeck die Lehren des Neomalthusianismus ad absurdum. Er
schätzt die Bedeutung dieser Lehre keineswegs gering ein: sie
führt nicht nur zur Bevölkerungsabnahme, sondern auch zur
Rassenverschlechterung und zum Niedergang der damit verbunde-
nen Kultur als unausbleiblichen Folgen des starken sozialen Um-
satzes, den das Zweikindersystem veranlassen muß. Die Pro-
paganda für den Neomalthusianismus könnte man eine Vereinigung
für Rassenselbstmord nennen. Denn dies wird ihr Ausgang sein,
wenn nicht Rettung dagegen zu finden ist. Und in dieser Be-
ziehung sind wir besser gestellt als die alten Zivilisationen Griechen-
lands und Roms: wir kennen und sehen die Gefahr, was bei ihnen
nicht der Fall war. Auf die Klugheit, die Wissenschaft und
Moral im Verein uns verleihen, müssen wir unsere Hoffnung für
Erhaltung und Verbesserung der Rasse setzen.
An der Hand zweier selbstbeobachteter Fälle gibt Grober
eine klinische Besprechung der Rasseschäden, namentlich hinsicht-
lich ihrer therapeutischen Beeinflussung. Unter Hinweis auf die
Bedeutung der Ahnentafel und einer eingehenden Kenntnis der
Familiengeschichte sucht Grober innere und äußere Ursachen
der Rasseschäden möglichst voneinander zu scheiden. Zu den
ersteren rechnet er eine Erschöpfung der Leistungsfähigkeit des
Geschlechts, Inzucht, Heirat mit gleichbelasteten Sippen oder kon-
1) Aus dem A. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie 1911, H. 6, und
1912, H. 1. u. 2. |
Schellenberg, Die normale und pathologische Lungenzeichnung des er-
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1518 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
stitutionelle körperliche Leiden. Zu den äußeren zählt er chronische
Vergiftungen, Infektionen, Kulturschäden und verderbliche Einflüsse
der Umgebung des Menschen, die auf die Keimzellen eingewirkt
haben, Die Diagnose der Sippenschädigung steht vor allem dem
Arzte, speziell dem Hausarzte zu, der mit der Lebensart und Um-
gebung der Familie vertraut ist. Die Anordnungen und Rat-
schläge des Arztes zur Behandlung der Schäden müssen sich auf den
ganzen Lebenskreis des Individuums beziehungsweise der Familie
beziehen. Sie ist naturgemäß im wesentlichen eine prophylaktische,
gegründet auf die Abschätzung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit der Sippe. Unter Einhaltung einer möglichst
naturgemäßen Lebensart, Reizenthaltung, Gewöhnung an Gleich-
mäßigkeit im Tages- und Jahreslaufe sind langsam und vorsichtig
die Reize und Eindrücke zu steigern, um im Laufe der Jahre und
Jahrzehnte eine den Anlagen entsprechende möglichst hohe Leistungs-
fähigkeit zu erzielen. Grober weist darauf hin, daß es zur wirk-
samen Beeinflussung eines Individuums oder gar einer Sippe eines
eingehenden Studiums der ganzen Lebensverhältnisse und völligen
Vertrauens seitens der Kranken bedarf. Daß unser Urteil trotz-
dem manchmal von den Tatsachen Lügen gestraft wird, beweist
der erste Fall, an den er seine Ausführungen anknüpft.
Der Behauptung Kollmanns von der Unabänderlichkeit der
Menschenrassen, vor allem dem Fehlen einer rassenändernden Ein-
wirkung der Umwelt stellt Moritz Alsberg die Resultate älterer
und neuerer Untersuchungen gegenüber, die besonders die Aende-
rung der Schädelform durch die Einflüsse der Außenwelt zum
Inhalt haben. Der an der Columbia-Universität in New York
tätige deutsche Gelehrte Dr. Franz Boas hat durch umfangreiche
Messungen gezeigt, daß sich bei den Einwanderern schon in der
ersten Generation eine bedeutende Veränderung der Gestalt und
speziell der Kopfform bemerkbar macht. Die aus den osteuropäischen
großen Städten stammenden Juden nehmen an Körpergröße und
-gewicht zu und ihr von Haus aus runder Schädel nähert sich der
elliptischen Form. Umgekehrt wird der ursprünglich langgezogene
Schädel der Süditaliener schon in der ersten Generation so um-
gestaltet, daß er der Kreisform nahekommt; an Statur und Körper-
gewicht nehmen diese früheren Landbewohner in der großen Stadt
durchschnittlich ab. Diese Veränderungen machen sich um so
deutlicher bemerkbar, je längere Zeit seit der Einwanderung der
Eltern in Nordamerika verstrichen ist. Wenn wir auch über die
Ursachen dieser Erscheinung bisher nichts Sicheres aussagen
können, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit für sie die geänderte
Umwelt (Ernährungs- und Arbeitsverhältnisse, Klima, Terrain-
beschaffenheit usw.) verantwortlich zu machen. Vielleicht ist die
Beharrlichkeit der anthropologischen Typen,. die man bisher als
charakteristisches Merkmal der Rasse hingestellt hat, als Aus-
nahmefall zu betrachten, als scheinbare Permanenz, hervorgerufen
durch das Fehlen von verändernden Umwelteinflüssen.
In einer kurzen Mitteilung stellt Eugen Fischer auf Grund
eingehender Studien bei dem südafrikanischen Bastardvolke (Buren-
Hottentottenmischung) fest, daß nicht notwendig Rassenkreuzung
zu Schädigung der Kreuzungsprodukte und zu ihrem Untergange
führen muß. Rassenkreuzung kann vielmehr eine existenzfähige
Mischrasse hervorbringen. Man darf nicht von einer Rassen-
kreuzung auf eine zwischen andern Rassen schließen. Fischer zählte
z.B.bei dem „Bastardvolk* inSüdwestafrika unter 44 Ehen 7,7 Kinder
pro Ehe, während sich die Fruchtbarkeit des reinen auf dem
Lande lebenden Burenvolks nur auf 6,3 Kinder pro Ehe berechnet,
Die Frage nach den Beziehungen zwischen Hirngröße und
Intelligenz hat Bayerthal an einer großen Zahl von Schulkindern
einer erneuten Prüfung unterzogen und gefunden, daß bei gleichem
Alter und Geschlecht der durchschnittliche Kopfumfang der best-
begabten oder intellektuell über dem Durchschnitte stehenden
Schüler stets größer ist als der der Schüler mit durchschnittlicher
oder unterdurchscehnittlicher Befähigung. Bei exzessiv großen Um-
fängen findet sich allerdings gewöhnlich nicht die beste Begabung;
unterhalb eines gewissen minimalen Kopfumfangs lassen sich aber
wesentlich über dem Durchschnitte stehende intellektuelle Anlagen
mit Sicherheit ausschließen. Bayerthal sieht in seinen Ergeb-
nissen die Bestätigung der alten Erfahrung, daß das Hirngewicht
genialer Menschen meist das Mittel überschreitet, daß man wenig-
stens bei einem Kopfumfange von 56 cm und weniger beim Er-
wachsenen Genialität mit Wahrscheinlichkeit ausschließen kann.
Es ist eine alte Erfahrungstatsache, daß auf 100 Mädchen
etwa 106 Knaben geboren werden. Das ist aber nur die Proportion
der Lebendgeborenen. Das „wahre Geschlechtsverhältnis“ des
Menschen ist das Verhältnis aller befruchteten Keimzellen, der
Lebendgeborenen, der Totgeborenen und der Fehlgeburten zu-
sammen. In Budapest besteht eine Meldepflicht auch bei Fehl-
geburten für Aerzte und Hebammen. Auerbach hat nun an der
Hand der Budapester Statistik das wahre Geschlechtsverhältnis zu
ergründen gesucht. Es bedurfte dazu besonderer Umrechnungen,
da die Statistik zweifellos durch Unterlassung von Meldungen,
namentlich der frühen Frehlgeburten bedeutende Mängel aufwies.
Als Resultat ergab sich: Das Geschlechtsverhältnis der Fehl-
geburten beträgt 200 Knaben zu 100 Mädchen, das der Totgeburten
(achten bis zehnten Monat) 123,6 : 100, das aller befruchteten Keim-
zellen 116,4:100. Diese letztere Zahl des wahren Geschlechts-
verhältnisses des Menschen ist sicher noch zu niedrig, man muß
sie vielmehr unter Berücksichtigung weiterer Fehler auf etwa
125 Knaben zu 100 Mädchen schätzen.
Die Frage nach der Vererbung der Taubstummheit hat
Lundborg an der Hand des sehr umfangreichen Materials von
Fay über Ehen von Taubstummen in Amerika zu beantworten ge-
sucht. Er kommt zu andern Schlüssen als Hammerschlag, der
dasselbe Material bereits früher bearbeitet hat, und findet, daß
sich die konstitutionelle Taubstummheit wahrscheinlich nach dem
Mendelschen Gesetz vererbt. Die konstitutionelle Taubstummheit
ist möglicherweise ein einheitliches und rezessives Merkmal,
Einzelheiten der nicht ganz überzeugenden Darstellung müssen im
Original nachgelesen werden. | l
Strohmayer veröffentlicht in zwei Abhandlungen seine ein-
gehenden Studien über die Vererbung des Habsburger Familien-
typus erstens in der direkten Descendenz von Kaiser Maximilian 1.
an in der spanischen Linie und weiter in der österreichischen
Linie bis auf Kaiser Franz Joseph, und zweitens in den verwandten
Häusern von Bayern und Sachsen. Die zwei wichtigsten Merk-.
male der Habsburger bestehen bekanntlich in der eigenartigen Ge-
sichtsbildung, dem Prognathismus inferior und-der starken Unter-
lippe. Dieser Familientypus hat sich in der Dynastie der Habs-
burger durch vier Jahrhunderte hindurch erhalten und zwar 80,
daß er sich hauptsächlich im Mannesstamm, aber in verfeinerter
Art auch bei den Frauen vererbte. Durch den mehr oder minder
starken Einfluß blutsfremder Frauen hat die Ausprägung der Merk-
male verschiedene Abwandlungen erfahren. Auch in Sachsen und
besonders in Bayern läßt sich der Habsburger Typus vielfach nach-
weisen; bestand doch zwischen Habsburg und Wittelsbach ein
hoher Grad von Inzucht seit dem 16. und 17. Jahrhundert. Auch
hier zeigt sich der bei der Mutter aus Habsburger Geschlecht nur
eben angedeutete Typus bei den Söhnen lebhaft verstärkt. In
Bayern hat die „Habsburger Lippe“ ihre Dominanz auch heute
noch nicht eingebüßt, von den Kindern und Enkeln des Prinz-
regenten Luitpold und seiner Gemahlin Auguste von Toskana,
einer Habsburgerin, sind mehrere ausgesprochen lippig und pro-
gnath. — Dem Versuche, Mendelsche Proportionen bei der Ver-
erbung des Habsburger Typus aufzustellen, stellen sich große
Schwierigkeiten in den Weg, die gar zu leicht von den Tatsachen
ab zu Hypothesen führen würden. |
Das interessante Buch Theilhabers über den Untergang
der deutschen Juden hat den Frauenarzt Dr. Weißenberg in
Elisabethgrad in Südrußland zu einem Studium der Biotik seiner
jüdischen Landsleute angeregt. Das Resultat ist für diese recht
betrübend. Seit dem Kriegs- und Progromjahre 1905 hat die Zahl
der Geburten rapide abgenommen, während die Zahl der Ehe-
schließungen annähernd entsprechend der Bevölkerungszunahme
gestiegen ist und die Zahl der Sterbefälle sich unverändert ge-
halten hat. Weißenberg legt diese Verminderung des Geburten-
überschusses in erster Linie dem Eindringen moderner, den von
altersher gerühmten jüdischen Familiensinn zerstörenden Ideen zur
Last, die eine Beschränkung in der Kinderzahl als wünschenswert
darstellen. In ethischer Beziehung ist diese Zerrüttung: der jüdi-
schen Familie um so bedenklicher, als in erster Linie die Frucht-
abtreibung als Mittel zur Verminderung der Kinderzahl dient.
Ein weiterer kleiner Beitrag zum Kapitel vom Untergang®
des Judentums stammt aus der Feder Theilhabers, der die Ge-
nealogie des jüdischen Geschlechts Samson aus Wolfenbüttel mit-
teilt. Diese wohlhabende jüdische Familie zeigt vom Ende des
17. Jahrhunderts ab neben Verschwägerung mit bekannten andern
jüdischen Häusern eine ganz überraschend starke Verschmelzung
mit der nichtjüdischen Bevölkerung, unter besonderer Beteiligung
des Adels. Daneben haben Taufe und Unterfrüchtigkeit die Sam-
sons heute fast vollkommen aus dem jüdischen Verband ausgemerzt.
Sie bieten eines der zahlreichen Beispiele dafür, daß der Adel und
die Juden in unserer Zeit vor allem aus rein wirtschaftlichen
Gründen vielfach in engste Beziehung zueinander getreten sind,
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1519
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Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Scharlachfragen in England. C. H. Phillips, ärztlicher Leiter
des Stake Isolierspitals, veranstaltete eine Umfrage bei 50 Isolierkranken-
hänsern Englands betreffend ihre Stellung zur Frage, ob die gegenwärtig
innegehaltene Zeit der Isolierung bei Scharlach zu lang sei; er erhielt
97 Antworten. Die frappierendste war die von Dr. Milne vom Dr.-
Barnados-Heim. Er schreibt: „Ich isoliere überhaupt nicht.“ Seine
Scharlachkranken wurden in den allgemeinen Sälen unter die andern
Kranken gelegt. Dasselbe geschehe bei Masern und Diphtheritis. Er lege
aber namentlich bei Scharlach viel Gewicht auf die Behandlung, die im
Waschen des Halses mit 10°/oigem Karbolöl und im Abreiben des ganzen
Körpers mit reinem Eukalyptusöl bestehe. Er habe keine Rückfälle ge-
habt, obgleich die Kinder nach zehn Tagen wieder in die Schule gingen.
Dr. Sander (Southampton) legt Nachdruck darauf, daß Rückfälle
nicht auf den Moment der Abschuppung zurückzuführen seien, sondern
auf unbeobachtete Absonderungen aus Mund, Nase, Hals und Ohren. Er
stützt seine Behauptung auf die Erfahrung, daß weder verlängerter
Spitalaufenthalt, noch Fehlen der Abschuppung Rückfälle verhüteten.
Er entläßt die milde verlaufenen und in Heilung begriffenen Fälle, nach-
dem sie in den letzten acht Tagen täglich gebadet und Halsdouchen ge-
macht hatten, am Ende der vierten Woche ohne Berücksichtigung der
Hautebschuppung. Der größte Erfolg werde erreicht durch vollständige
und andauernde Isolierung jedes einzelnen Kranken; komplizierte Fälle
werden 50 Tage im Spital behalten. | |
Dr. Moore (Huddersfield) steht auch auf dem Standpunkte, dab
Infektiosität und Abschuppung unabhängig voneinander seien. Seit er
zu dieser Erkenntnis gekommen sei, isoliere er nur noch 29 Tage, statt
wie früher im Durchschnitte 44,3. Von etwa 17 Spitälern wird hervor-
gehoben, daß früher zuviel Gewicht auf die Abschuppung als Quelle neuer
Infektionen gelegt worden sei, und die Erfahrung bestätige durchaus
nicht die populäre Auffassung, daß ein schuppendes Kind ein infizierendes
sei. Fünf Spitäler äußerten sich weniger bestimmt, und nur sechs glauben
noch an Schuppeninfektion. Auch in einige Lehrbücher, z. B. Allbutts
‚System of Medicine“, letzte Ausgabe, ist die Auffassung übergegangen,
daß die frühere Isolierdauer ruhig um eine bis zwei Wochen abgekürzt
werden dürfe.
Von mancher Seite wird die Forderung aufgestellt, daß die Scharlach-
fälle nach ihrer Schwere in verschiedene Klassen geteilt und jede für sich
isoliert werden solle. Auf diese Weise könnten die milden Fälle früher
entlassen werden als die andern.
Dr. Phillips sandte 1350 Patienten in Scharlachrekonvaleszenz in
ein leeres Pockenspital mit spärlich bemessenem Luftgehalte pro Bett.
Komplikationen traten in 1!/20/ auf, die alle wieder zurückgeschickt
wurden; ein Todesfall kam vor, die übrigen heilten alle und hätten am
Ende der vierten Woche zurückgeschickt werden können, wenn nicht
der unglückliche Glaube an die Infektiosität der Schuppung im Wege ge-
standen hätte, |
Dr. Phillips empfiehlt dringend, einen Versuch zu machen mit
vermehrter Luftbehandlung nach Isolierung von drei Wochen Dauer und
bei Fällen ohne Komplikation. Wenn die Kranken warm gekleidet seien,
so würde die Heilung um so eher eintreten, je mehr Zeit sie an der Luft
zugebracht hätten, bei gutem Wetter im Winter wie im Sommer.
Dr. John Mulvany (Portsmouth) glaubt, daß 40 °/, aller Scharlach-
fälle gut zu Hause könnten behandelt werden, er würde das Isolierspital
nur reservieren für Fälle, die daheim nicht a- oder antiseptisch behandelt
werden könnten.
Diese Diskussion fand statt auf der 80. Jahresversammlung der British |.
Medical Association in Liverpool vom 19. bis 26. Juli. (Br. med. j.,
17. August 1912, 8.357) Gisler.
‚ „Vom Diphtherieserum gibt O. Nordmann bei Kindern bis zu
zwei Jahren meist 1000 bis 1500 L-E., bei solchen von zwei bis sechs
Jahren 2 bis 8000, bei noch älteren 3 bis 6000 und bei ausgewachsenen
bis zu 12000 I.-E. Er ist mit den Dosen herabgegangen, wenn. die Er-
krankung leicht war oder der allgemeine körperliche Befund, das Gewicht
und der Ernährungszustand unter der Norm lagen. Er hat aber bei
schweren Formen der Erkrankung und kräftigem Ernährungszustande des
an die Dosen gesteigert. So lange die Epidemie keinen schweren
7 arakter ennimmt, kommt man natürlich mit niedrigeren Dosen aus.
u Zeiten schwerer Epidemien muß man aber die oben angegebenen
osen noch steigern, sonst darf man sich nicht wundern, wenn der Er-
olg ausbleibt,
die a meisten empfiehlt sich die intramuskuläre Einspritzung an
ist = enseite des Oberschenkeles. Bei sehr ungebärdigen Kindern
en Praktisch, sie bei Bauchlage der Kranken in die Glutäen zu
i n; ‚denn wenn sie die Vorbereitungen zur Injektion nicht sehen,
plegen sie sich zu beruhigen,
Beim Luftröhrenschnitte hat Verfasser in letzter Zeit sowohl
die Weichteile wie auch die Trachea quer inzidiert und glaubt, daß sich
die Wunde nach dieser Technik schneller schließe als nach Längs-
schnitten. Die Intubage hat er dagegen nie angewandt. Sie erfordert
eine große Uebung. Die intubierten Kinder müssen ferner unter sehr
guter Aufsicht sein, weil das Iustrument bei einem heftigen HustenstoBe
.herausgeschleudert werden kann und ungebärdige Kinder es sich selber
herausreißen können. Dazu kommt, daß die Intubage bei geringerer
Uebung des Arztes eine große Quälerei des dyspnoischeu Kindes be-
deutet. Trägt der Arzt keine Gummihandschuhe, so kann er außerdem
eine Verunreinigung seiner Hände mit den Diphtheriebelägen gar nicht
vermeiden. Aus allen diesen Gründen empfehle sich zur Bekämpfung
der Atemnot die stets sicher zum Ziele führende, leicht auszuführende
Tracheotomie.
Zur Prophylaxis (frühzeitig!) empfehlen sich bei Kindern bis zu
acht Jahren 300 L-E., bei älteren Personen 500 bis 750 1.-E. Diese pro-
phylaktische Injektion gewährt in der Regel nur einen Schutz auf zwei
bis drei Wochen, aber man braucht sich nicht zu scheuen, nach dieser
Zeit eine Reinjektion vorzunehmen.
Niemals soll man die Behandlung nach dem Resultat der bakterio-
logischen Untersuchung einrichten oder mit der specifischen Therapie
warten, bis man das Ergebnis der Kulturverfahren erhalten hat. Das
dauert in der Regel 16 bis 24 Stunden. Die nach der Inspektion ge-
stellte Diagnose soll in erster Linie für die Serumtherapie ausschlag-
gebend sein. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 31.) F. Bruck.
In einer Arbeit „Beziehung des Alkohols zur Immunität“ zeigt
Rubin, daß der Alkohol eine die Widerstandskraft des Tieres herab-
setzende Eigenschaft entwickelt, jedes narkotisierte Tier erlag der Infek-
tion. Einen noch größeren Effekt zeigte Aether, besonders in seiner
Wirkung auf die Leukocyten, deren Zahl noch mehr herabgesetzt ist als
bei Alkohol. Chloroform zeigt ein ähnliches Verhalten. Das heißt also,
wenn Alkohol, Aether oder Chloroform im Blute eirculiert, ist die Wider-
stands- und Immunitätskraft herabgesetzt. In einigen Versüchen zeigten
die gestorbenen Tiere zwar doch hohe Leukocytenzahlen, aber ausge-
prägt herabgesetzte phagocytische Kraft. Rubin untersuchte auch das
Blut von 44 notorischen und das von 16 periodischen Trinkern. Die
durchschnittliche Leukocytenzahl der ersteren betrug 5200, das der letz-
teren 6500, das heißt also bei den ersteren 2300, bei den letzteren 1000
weniger als bei normalen Menschen (7500).
Die Schlüsse, die Rubin aus seinen zahlreichen Versuchen an
Menschen und Tieren zieht, sind:
i. Alkohol, Aether und Chloroform haben einen entschieden zer-
störenden Einfluß auf die natürlichen Abwehrvorrichtungen des Körpers
gegen Infektion, und diese Herabsetzung oder Aufhebung der Wider-
standskraft ist nicht einer sichtbaren organischen Verletzung zuzu-
schreiben. |
2. Die Narkotica scheinen direkt die Substanzen zu affizieren,
welche dem Wachstum und der toxischen Wirkung der Bakterien im
normalen Tierkörper Einhalt tun. Und diese Substanzen sind entweder
die Leukocyten selbst oder Produkte von ihnen oder beides.
3. Die Dauer der herabsetzenden Wirkung des Narkoticums hängt
in hohem Maße von der verabreichten Dosis, der Tiefe der Narkose und
der Raschheit der Eliminierung aus dem Körper ab.
4. Der Schutz des Tieres hängt ab nicht von einer Hyperleuko-
cytose, sondern von chemotaktischen und phagocytischen Eigenschaften
der individuellen Blutkörperchen, und diese werden ernstlich beeinträch-
tigt durch Alkohol, Chloroform und Aether.
1907 zeigte Rubin, daß eine Lösung von 1:50 Alkohol und
1:200 Chloroform im Glase die Phagocytose vollständig aufhebe. Grad-
weise Verdünnung habe eine gradweise Vermehrung der Phagocytose zur
Folge, ohne immer gerade proportionale Verhältnisse zu zeigen. Bei
einer Verdünnung von 1:1000 Alkohol und 1:2000 Chloroform sei der
Effekt praktisch gleich Null. Ebenfalls 1907 veröffentlichte Stewart
seine Beobachtungen an Menschen über die Wirkung des Alkohols auf
die Opsonine des Bluts. Er kommt zum Resultat, daß wo Alkohol in
Form von zirka 60 g Portwein genommen wurde, der opsonische Index
stark herabgedrückt wurde. Während er normalerweise für den Tuber-
kelbacillus 1,7, für Streptokokken 1,12 betrage, falle er nach der Alkohol-
gabe auf 0,73 respektive 0,655.
Diese Tatsachen werfen ein interessantes Licht auf die Frage, ob
Alkohol bei infektiösen Krankheiten indiziert ist oder nicht. (NY. med. j.
11. Mai 1912, S. 987.) Gisler.
Morris (New York) erinnert in einem Kongreßvortrag an die große
Bedeutung des Bacterium coll und seiner Toxine für die mensch-
liche Pathologie. Ganz abgesehen von den vielen appendizitischen Pro-
zessen, sind auch viele adhäsive Prozesse in der Umgebung des Pylorus
und Duodenums, die oft nur die Erscheinungen einer Dyspepsie machen,
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1520
durch den Colibacillus bedingt; ferner ist es wahrscheinlich, daß viele
Fälle von Ulcus ventriculi und Duodeni durch diesen Erreger erzeugt
wurden (? der Ref.), von den eitrigen Erkrankungen der Gallenblase, des
Pankreas, der Leber usw. gar nicht zu reden. Im Gebiete der Circu-
lationsstörungen sind manche Fälle von Arteriosklerose mit Blutdruck-
'steigerung durch toxische Einflüsse vom Darm aus bedingt. Manche
Nierenerkrankungen im Gefolge von akuten Infektionskrankheiten sind in
Wirklichkeit durch Colibacillen hervorgerufen und schwinden rasch durch
eine geeignete Therapie (Urotropin kombiniert mit Natrium benzoicum).
Allbekannt ist die Häufigkeit von Colicystitis. In der Vagina erzeugen
die Bakterien eine so stark saure Leukorrhöe, daß dadurch Sterilität
durch Abtötung der Spermatozoen eintritt, ein Zustand, der wenn richtig
erkannt, durch neutralisierende Mittel leicht behoben werden kann. Von
einer solchen Affektion aus können weiterhin die Ovarien infiziert werden.
Als ein besonders sprechendes Beispiel für die Bedeutung des Bacterium
coli und seiner Toxine führt der Autor einen Fall von Chorioiditis an,
der beinahe Erblindung herbeigeführt hatte, aber durch Entfernung des
primären Herdes, einer chronisch entzündeten Appendix, glatt geheilt wurde.
So sollten die Kliniker nach Ansicht des Verfassers sich das
Fahnden nach Colibacillen ebenso sehr zur Gewohnheit machen wie die
differentielle Leukocytenzählung; denn durch dieses Bacterium werden
zweifellos sehr viele und verschiedenartige Krankheiten erzeugt, die in
ihrer Aetiologie nicht richtig erkannt, tödlich verlaufen und doch oft
durch eine richtige Therapie zur Heilung zu bringen wären. (J. of. Am.
ass. 1912, Bd. 58, Nr. 9, S. 601.) Dietschy.
Die postoperative Cystitis ist nach den Erfahrungen von Jacobson
und Keller (Toledo U.S. A.) nicht immer eine Folge von Katheterismus;
zu ihrer Entstehung ist jedenfalls nötig bakterielle Infektion plus Reten-
tion, Trauma und Kongestion. Am häufigsten findet sich das Bacterium
coli, infolge der Nachbarschaft des Rectums. Die postoperative Urin-
retention hat, wie die Oystoskopie zeigt, sehr häufig ihren Grund in
Schwellung und Oedem um das Orificium internum urethrae. Trauma
und Kongestion als prädisponierende Faktoren kommen in Betracht bei
allen Operationen, bei welchen eine Lostrennung der Blase von den be-
nachbarten Geweben stattfindet. Wird hinterher cystoskopiert, so ergibt
sich oft eine Verlagerung des Blasengrundes, eine Verdrehung des
Trigonums und eine Verschiebung der Uretermündungen. Wenn eine
ausgedehnte Lostrennung der Blase bei der Operation nötig war, so sollte
das Organ nachher wieder richtig versenkt und alle rauhen Flächen mit
Peritoneum überkleidet werden. Die Nachbehandlung, besonders wenn
Katheterismus nötig wird, sei streng aseptisch. Letzterer läßt sich oft
vermeiden durch Injektionen von 2 °/,igem sterilem Borglycerin in die
Blase. (J. of Am. ass. 1911, Bd. 57, Nr. 25, S. 1980.) Dietschy.
Sabatié (cit. nach Progr. méd. 9. März 1912) empfiehlt gegen
Urticaria lauwarme Duschen, besonders über die Spinalgegend. Manchen
tun auch kurze, laue Bäder, die Stärke oder Gelatine (200 g pro Bad)
enthalten, gut. Empfehlenswert sind ferner lokale Waschungen mit
heißem Wasser unter Zusatz von Eisessig, Weinessig (1:3) Phenol (1°/o),
Chloralhydrat (1°/o). Nach dem Waschen darf die Haut nicht trocken
gerieben, sondern nur leicht abgetupft werden, darauf Puderung
mit Stärke, Talk, Zinkoxyd mit Campher oder Menthol zu 1 bis 2%
vermischt.
Gute Dienste tut auch Reiben mit Zitronenscheiben.
Sebati6 braucht bei sehr hartnäckigen, stark jJuckenden Fällen
einen Spray mit folgender Zusammensetzung:
Menthol . . . . 10,0
Alkohol. camphor.
Chloroform
Aether .aa 30,0
Akute Urticaria ab ingestis verlangt nur Purgierung, eine leichte
Diät, diuretischen Tee; chronische Urticaria, die häufig eine vasomoto-
rische Störung durch irgendeine Form von Intoxikation darstellt, er-
fordert Entfernung des toxischen Faktors: Chinin, Natrium salicyl., Al-
kalien, Milchsäurepräparate, sodann Beeinflussung der Vasomotoren durch
Ergotin 0,5 bis 1,0 pro die, Caleiumchlorid 1,0 bis 8,0, Atropin. sulf.
(2 bis 3 >x< 0,00025), Baldrian. (NY. med. j. 15. Juni 1912, S. a
isler.
J. L. Bunert (London) berichtet von seiner Erfahrung der Be-
handlung der Naevi mit Kohlensäureschnee. Mehr als 2000 Fälle
wurden damit behandelt. Nach Anwendung der verschiedensten Methoden,
wie Exeision, Thermokauterisation mit oder ohne Lokalanästhesie, wobei
vor Aethylchlorid gewarnt wird wegen Verbrennungsgefahr, Radiotherapie
und Applikation von Radium, fand er am vorteilbaftesten und erfolg-
reichsten den Gebrauch der festen Kohlensäure und der flüssigen Luft;
sie zeichnen sich aus durch Schnelligkeit der Wirkung, verhältnismäßige
Schmerzlosigkeit und Billigkeit. Liegt ein wohlausgeprägtes, gut um-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
schriebenes Angiom vor, so kann eine Sitzung genügen. Es ist auch
kein Verband notwendig, höchstens etwas Borpulver oder Zinksalbe.
Der Unterschied der flüssigen Luft und des Kohlensäureschnees
liegt darin, daß erstere viel kälter ist; sie ist bei solchen Fällen ange-
zeigt, wo es auf ein Maximum in der Geschwindigkeit der Wirkung und
einem Maximum von Kälte in einem Minimum von Zeit ankommt, und
wo zugleich ein ausgedehnteres Gebiet zu behandeln ist. Man tränkt
am besten ein Wattestück, das so groß ist, wie der zu behandelnde
Naevus und drückt es dann auf, bei capillaren Naevis fünf bis sieben Se-
kunden, beim kavernösen Angiom neun bis zehn Sekunden lang. Lupus vul-
garis, Excema chronica, Lichen planus und besonders Lupus erythematosus
geben ebenfalls gute Resultate bei gleicher Applikationsdauer. Der Cy-
linder mit flüssiger Luft ist aber nur einige Stunden nacheinander brauch-
bar. Billiger und in vielen Fällen leichter anzuwenden ist die feste
Kohlensäure. Entsprechend ihrer geringeren Kälte, bedarf sie längere
und öftere Applikation, bis zu 60 Sekunden; oft ist eine Behandlung in
zwei Zeiten wirksamer, das heißt z. B. nach 30 Sekunden läßt man das
'gefrorene Gewebe wieder auftauen und appliziert dann nochmals 30 Se-
kunden lang. Die nach der Kältebehandlung auftretende Blase muß
aseptisch punktiert oder zehn Tage lang mit Zinksalbe bedeckt werden
zur Erlangung einer befriedigenden Narbe. (Br. med. j., 10. August 1912,
S. 296.) Gisler.
Als Diskussionsresultat über das Thema „Therapie der Syphilis“
auf dem 7. Internationalen Dermatologenkongreß zu Rom (1912) können
folgende Sätze bezeichnet werden:
1. Das Salvarsan ist ein wirksames Präparat, es ersetzt aber
Quecksilber und Jod nicht, sondern bildet nur eine wertvolle Er-
gÄNZUNg.
2. Die Therapia magna sterilisans ist nicht erreicht, indessen sind
die Heilerfolge zurzeit bei gewissen Krankheitsgruppen erheblich besser
als vor der Salvarsanära.
3. Das Salvarsan soll namentlich bei frischen Fällen von Lues in
Verbindung mit den höchsten erträglichen Dosen von Quecksilber ver-
wandt werden, etwa im Sinne Neißers (Excision der erreichbaren Herde,
drei bis vier Salvarsaninfusionen im Lauf einiger Wochen und dazwischen
hindurch energische Quecksilbertherapie),. Es gelingt auf diese Weise,
Körper auf lange Zeit hinaus völlig erscheinungsfrei zu machen. Ob
diese Fälle geheilt sind, ist jetzt noch nicht festzustellen, da noch nach
1!/a Jahren Rezidive auftreten können.
4. Die Salvarsanbehandlung bleibt ein Eingriff, der jederzeit der
sorgfältigsten Vorbereitung bedarf und namentlich genaue Voruntersuchung
des Kranken erfordert. Es ist möglich, daß wir vorläufig mit zu hohen
Dosen arbeiten und daß späterhin eine wirksame kleine Dosis an Stelle
der jetzigen oberen Grenzdosis tritt.
5. Das Salvarsan hat infolge seiner eigenartigen Einwirkung auf
den Körper zur Folge, daß ganz neue Formen syphilitischer Erkrankungen
zutage treten, chancriforme Papeln, Neuritiden, Cerebralerkrankungen und
dergleichen, die in einzelnen Fällen sehr ungünstig verlaufen. (Bericht
aus der D. med. Woch. 1912, Nr. 21.) F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Hexal, ein sedatives Blasenantiseptikum.
D. R.-P. Nr. 240612.
Zusammensetzung: Sulfosalicylsaures Hexamethylentetramin.
Formel: (CHs)eNs . SOsH . CeHs(OH)COOH.
Darstellung: Aequivalente Mengen Hexamethylentetramin und
' Sulfosalieylsäure werden nach einem patentierten Verfahren verbunden.
Eigenschaften: Weiße, in Wasser leicht, in Alkohol kaum, m
Aether schwer lösliche Krystalle von angenehm säuerlichem Geschmacke.
Pharmakologisches und Klinisches: Der günstige Einfluß
des innerlich dargereichten Hexamethylentetramins auf die bakteriellen
und sonstigen Erkrankungen der Harnwege ist bekannt. Es wurde nun
gefunden, daß das Hexal nicht nur (wie die bisher bekannten Salze dos
Hexamethylentetramins) antiseptisch, sondern außerdem noch stark adstrin-
gierend auf die entzündeten Schleimhäute der Gallenwege und der Harnblase
wirkt, ohne die Blasenwände, auch nach längerem Gebrauch, anzugreifen;
außerdem hat es einen besseren Geschmack und eine stark anästhesierende
Wirkung. Bei der klinischen Prüfung wurde konstatiert, daß nach täglichem
Eingeben von 2 bis 3 g Hexal die Urinmenge z. B. in einem Falle von
300 cem auf 1900 ccm und der Säuregehait des Urins, nach vorheriger
alkalischer Reaktion, auf 225 cem stieg (berechnet auf Verbrauch an
cem n/10-Alkali und Gesamturinmenge pro Tag), ferner, daß der Eiweib-
gehalt des Urins verschwand und der Urin durchsichtiger wurde, während
der Gehalt an Schleim und Eiter zurückging. Die Wirkung tritt beim
Gebrauche von Hexal sehr schnell ein; Kranke, die an heftigen Blasen-
schmerzen litten, empfanden bereits nach einer Stunde ein Nachlassen
15. September.
der Schmerzen. Im Organismus zersetzt sich Hexal in Sulfosalicylsäure
und Hexamethylentetramin; letzteres spaltet weiter Formaldehyd ab.
Eine Kumulierung des Mittels findet nicht statt. Unangenehme Neben-
wirkungen werden — auch bei längerem Gebrauche — nicht beobachtet.
Bei der Darreichung ist folgende Diät innezuhalten: Schleim- und
Milchsuppen, kein Alkohol.
Indikationen: Hexal soll bei akuten und chronischen Blasen-
entzündungen, gleichviel welchen Ursprungs, bei der gonorrhoischen Ent-
zündung des hinteren Teils der Harnröhre — um die Infektion der Blase
zu verhüten —, bei den bakteriellen Erkrankungen der Harnwege, also
bei Pyelitis und Pyelonephritis, bei harnsaurer Diathese, harnsauren Ab-
lagerungen in den Nieren und der Blase, angewendet werden.
Dosierung: Drei- bis sechsmal täglich, tunlichst nach den Mahl-
zeiten, 1 g oder zwei Tabletten zu je 0,5 g in einem Glase Wasser
aufgelöst. Ä
Fabrik: J. D. Riedel Aktiengesellschaft, Berlin,
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Schallplessimeter (D. R. G. M.) nach Hasse.
Kurze Beschreibung: Das Instrument erzielt mit der Finger-
perkussion die besten Resultate; die Schallabstufungen sind viel feiner
zu unterscheiden als bei der Finger-
perkussion; sowohl bei lauter als
leichter Perkussion ist die scharfe
und die vernehmbare Differenzierung
überraschend. Dank der schmalen
Schiffehenform können leicht Grenzen
herausperkutiert werden. Der Schall wird durch Aufschlag des rechten
Mittelfingers hervorgebracht; geringe Uebung genügt, um die besten Re-
sultate mittels des Schallplessimeters zu erzielen.
Literatur: Münchener medizinische Wochenschrift 1912, Nr. 21.
Herstellerin der A A.-G. f. F. vorm.
Aesculap-Garantiemarke 5 Jetter & Scheerer in Tuttlingen.
Bücherbesprechungen.
Cornelius Celsus, Ueber die Grundfragen der Medizin. Heraus-
gegeben und mit einer Einleitung versehen von Dr. med. et jur.
Th. Meyer-Steineg, a. o. Professor der Geschichte der Medizin an
der Universität Jena. Voigtländers Quellenbücher, Bd. 3. Leipzig
1912. Preis 70 Pf.
, Der Band bringt die beiden ersten Bücher der Schrift des zu Be-
ginn unserer Zeitrechnung lebenden Aulus Cornelius Celsus, der
kein Arzt war, über die Arzneiwissenschaft, und zwar nach der 1906 er-
Schienenen Uebersetzung von Scheller und Frieboes. Zu loben ist
die klar geschriebene Einleitung und die Anmerkungen, wenn auch auf
S. ii einige Irrtümer vorgekommen zu sein scheinen; denn Chrysippus
lebte nicht an der Wende des fünften und vierten Jahrhunderts, sondern
des vierten und dritten, und ebenso lebten Herophilus und Erasi-
Stratus in der ersten Hälfte des dritten, nicht des vierten Jahrhunderts.
Doch das sind Kleinigkeiten, jedenfalls sollte das kleine Heft in der
Bücherei keines Arztes fehlen, wie auch die ganze Sammlung recht inter-
essante Beiträge enthält, Paul Richter (Berlin).
W. Strohmayer, Psychiatrisch - genealogische Untersuchung
der Abstammung König Ludwigs II. und Otto I. v. Bayern.
Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 68 S., M 1,80.
Die Geisteskrankheit Ludwigs II. (chronische Paranoia) und seines
Bruders Otto I, (Dementia praecox) sind nicht als Endresultat einer durch
zehnte verfolgbaren Entartung im Hause Wittelsbach zu verstehen.
br ohmayer weist an der Hand gründlicher Tabellen und Ahnentafeln
nach, daß weder von einer solchen progredienten Degeneration noch etwa
an den Folgen der „Inzucht* (wie oft gesagt wird) bei Wertung und
eis. des vorliegenden Problems die Rede sein kann. Er findet
wet a Grund für das plötzliche Auftreten von Psychosen bei den
Vert an in dem verhängnisvollen Umstande, daB ein schwächlicher
einigte a der Wittelsbachschen Dynastie (Maximilian IL.) in dem ver-
Se ohenzollerisch-Braunschweigischen Blute seiner Frau (Marie von
iele 2 eine höchst unglückliche Ergänzung fand. Gewiß finden sich
same ayehopathen, verschrobene, melancholische, pathologisch-empfind-
sonders y pathologisch-affektive Persönlichkeiten in der Ahnenreihe, be-
hitze e seiten der Mutter her; und Ludwig erinnert in seinen bis zur
tere r riebenen psy chopathischen Neigungen deutlich an die gemäßig-
Großeltern, der Psychopathie bei seinen schwärmerischen, weltfliehenden
t er erst durch das Zusammentreffen pathologischer Erb-
ndenzen konnte die Katastrophe eintreten,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
1521
Strohmayers Arbeit ist eindringlich und wissenschaftlich, sie
hält sich frei von aller legendarischen Färbung und gibt den ernsten Ver-
such zu einer Lösung des tragischen Rätsels im bayrischen Königshause.
„Warum“ kommt, so ist diese genealogisch-psychiatrische Studie doch
als Anregung für ähnliche Arbeiten den Aerzten und historisch inter-
essierten Laien dringend anzuempfehlen. Kurt Singer (Berlin).
A. Strümpell,- Lehrbuch der speziellen Pathologie und The-
rapie der inneren Krankheiten. Erster Band: Mit 97 Abbildungen
im Text und 3 Tafeln. Zweiter Band: Mit 129 Abbildungen im Text
und 3 Tafeln. 18. neu bearbeitete Auflage. Leipzig 1912, F. C. W.
Vogel. |
Medizin, nach dem viele von uns die ersten Schritte im klinischen Leben
zu machen gelernt haben, hat mit der vorliegenden Auflage die acht-
zehnte in den 28 Jahren seines Bestehens erlebt. Mit bekannter Viel-
seitigkeit ist der Verfasser in der neuen Auflage dem heutigen Stande
der medizinischen Forschung gerecht geworden. Auch in dieser Auflage
legt er den Hauptwert auf die Darstellung der klinischen Krankheits-
erscheinungen, in dem Bestreben, der Gefahr in der heutigen Klinik ent-
gegenzuwirken, daß der Schwerpunkt der Krankenuntersuchung vom
Krankenbette fort ins Laboratorium verlegt wird. Die knappe, sach-
liche und interessante Behandlung des Stoffes macht die Lektüre auch
dieser Auflage zu einer angenehmen. Eine Empfehlung des in der
ganzen medizinischen Welt bekannten Lehrbuchs ist überflüssig.
K. Retzlaff.
Norbert Ortner, Vorlesungen über spezielle Therapie innerer
Krankheiten für Aerzte und Studierende. Fünfte vermehrte
und verbesserte Auflage. Zweiter Band. Mit einem Anhange von
Prof. Dr. Emil Fronz. Wien und Leipzig 1912, Wilhelm Braumüller.
550 Seiten, M 15,—. |
Mit dem zweiten Bande liegt das Ortnersche Buch nun voll-
ständig vor uns. Schon bei der vor einiger Zeit an dieser Stelle er-
folgten Besprechung des ersten Bandes konnte darauf hingewiesen werden,
daß der Umstand, daß das Buch in 14 Jahren seine fünfte Auflage er-
lebt, ein Zeugnis davon abgibt, welche Wertschätzung ihm in Aerzte-
kreisen zuteil wird. Ein näheres Eingehen auf Einzelheiten des bekannten
Werkes erübrigt sich. Die in den letzten Jahren seit der vierten Auf-
lage des Buches aufgetretenen Neuerungen auf therapeutischem Gebiete
finden eingehende, auf persönliche Erfahrungen des Verfassers gegründete,
kritische Berücksichtigung. Statt des von Frühwald in der vorigen
Auflage bearbeiteten Kapitels hat in der neuen Auflage Professor
E. Fronz die Therapie der Diphtherie, des Scharlachs usw. behandelt.
Ein gutes ausführliches Sachregister dient sehr zur praktischen Brauch-
barkeit des als Handbuch für den Praktiker zu empfehlonden Werkes.
K. Retzlaff.
K. Mondel und E. Tobias, Die Tabes der Frauen. Berlin 1912,
S. Karger. 77 S. M 2,50.
Eine klinische Monographie von hervorragender Bedeutung. Ge-
stützt auf rund 150 Eigenbeobachtungen und auf eine gründliche Kenntnis
der gesamten in Frage kommenden Literatur, gehen die Autoren in syste-
matischer Weise auf folgende Themata ein. Zunächst das Vorkommen
der Frauentabes, wobei nicht nur das Häufigkeitsverhältnis der Morbi-
dität bei beiden Geschlechtern berücksichtigt wird, sondern auch der Ein-
fluß der Stände, der Beschäftigung, des Zivilstandes und des Alters. In
sehr zweckmäßiger Weise wird sodann die Erörterung der Geburts-
verhältnisse (Sterilität, Aborte, Frühgeburten !) derjenigen der A otio-
logie vorausgeschickt. Das Fazit dieser letzteren fassen die Autoren in
einer Erweiterung des bekannten Möbiusschen Axioms zusammen:
„Omnis tabes a lue; virgo non fit tabica nisi per parentes aut
per luem insontium“. Von Hilfsursachen werden besprochen: Er-
kältung, Trauma, Ueberanstrengung, sexuelle Excesse, Alkohol, neuro-
pathische Belastung. Bei Besprechung der Inkub ationsdauer tritt die
paradoxe Feststellung zutage, daß sie bei unbehandelten Fällen im Mittel
16,2 Jahre betrug, bei mit einmaliger Quecksilberkur behandelten Fällen
11,4, bei mit zwei Quecksilberkuren behandelten Fällen 7,5 Jahre. Es
folgt das lehrreiche Kapitel Sym ptomatologie mit eingehender Wardi-
gung der Initialsymptome, der okulären Phänomene, der Sensibilität, der
Ataxie, des Herzens und der Gefäße, des Mal perforant, der Arthropathien,
der Krisen, des Verhaltens von Menstruation, Schwangerschaft und Ge-
burt. Endlich finden die Komplikationen der Frauentabes, ihre Dia-
gnose, ihr Verlauf, ihre Prognose und ihre Therapie eine kurze,
aber prägnante Darstellung. Sehr verdienstlich ist der zusammen-
fassende Vergleich zwischen Männer- und Frauentabes. — Wir
wünschen dieser schönen klinischen Studie die gebührende Verbreitung
und Berücksichtigung. | Rob. Bing (Basel).
Wenn der Verfasser auch nicht zur restlosen Beantwortung des letzten `
Das klassische, wohl am meisten verbreitete Lehrbuch der inneren -
man ea TUT
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1522 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37, 15. September.
Otto Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. Lehrbuch
- der morphologischen Hämatologie. Zweite, vollkommen umgearbeitete
und vermehrte Auflage mit 24 Figuren im Text und 20 farbigen Tafeln.
Leipzig 1912, Veit & Co. Preis M 24,—. | |
Die Formbestandteile des Bluts sind nach ihrem Bau und ihren
Leistungen unter gesunden und krankhaften Verhältnissen der Gegen-
stand so reicher Bearbeitung geworden und diese Forschungsrichtung bat
so wichtige Ergebnisse auch für die praktisch ärztliche Tätigkeit ge-
zeitigt, daß die zusammenfassende Darstellung des Gebiets ein Bedürfnis
geworden ist. Ein Verdienst ist es aber, wenn sie in der Form geboten
wird, wie Naegeli sie in seinem Lehrbuche liefert. Nach der ausführ-
lichen Darstellung der Technik der Blutuntersuchung und der eingehenden
Darstellung des Forschungsstoffs über die einzelnen Formbestandteile werden
die Ergebnisse histologisch-biologischer Arbeit in Beziehung gesetzt zu
den einzelnen Krankheitsbildern. Das Blutbild wird entwickelt als der
faßbaro Ausdruck für die Leistungen der beiden blutbildenden Gewebe,
des Knochenmarks und des Iymphatischen Gewebes. Darin liegt der für
das Krankenbett furchtbare Gedanke der Naegelischen Darstellung. Die
übersichtliche Einteilung und die vorzüglichen bunten Tafeln erhöhen den
didaktischen Wert des ausgezeichneten, nicht zusammengeschriebenen,
sondern erlebten Buches, das den Aerzten zur Anregung und Belehrung
bestens empfohlen sei. K. Bg.
Edgar Ruediger, Kompendium der Röntgendiagnostik für Stu-
dierende und praktische Aerzte. Mit zwölf Textabbildungen und
zwei Tafeln. Würzburg 1911, Curt Kabitzsch (A. Stubers Verlag). 808,
M 3,—. |
Das Büchlein gibt einen kurzen Ueberblick über das, was man von der
Röntgenuntersuchung erwarten darf. Mit Recht weist der Verfasser darauf
hin, daß von derselben oft zu viel, oft zu wenig gefordert wird. Die
Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse wird dem Praktiker förderlich
sein. Hierzu bietet ihm die Arbeit Ruedigers, in welcher besonders
das Gebiet der inneren Medizin berücksichtigt ist, eine gute Einführung.
Freund.
Rudolf Kobert, Kompendium der praktischen Toxikologie zum
Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinalbeamte,
Fünfte, gänzlich umgearbeitete und erweiterte Auflage. Mit 59 Ab:
bildungen. Stuttgart 1912, Ferdinand Enke. 328 S. M 7,40.
Die vorliegende Neuauflage des Kobertschen Kompendiums hat,
den neueren umfangreichen Forschungen auf diesem Gebiete sich an-
passend, eine nicht unbeträchtliche Erweiterung und gründliche Um-
arbeitung erfahren. Die geschickte Anordnung, besonders die übersicht-
lich angelegten Tabellen, machen das Buch zur schnellen Orientierung
geeignet. Bachem (Bonn).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Priyat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
21], Monate zurückliegenden Kopfverletzung
von
Dr. Wildt,
dirigierender Arzt am St. Josephshospital zu Andernach.
(Fortsetzung aus Nr. 35.)
Die Berufsgenossenschaft legte gegen ihre Verurteilung
Rekurs bei dem Reichsversicherungsamt ein, das von Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Orth das nachstehende Gutachten einholte,
In der Unfallversicherungssache der Hinterbliebenen des
Hauers J. P. Th. in M. gegen die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft
erstatte ich hierdurch das von dem Vierzehnten Rekurssenat des
Reichs-Versicherungsamts, Abteilung für Unfallversicherung, am
14. Juli d. J. verlangte Obergutachten über den ursächlichen Zu-
sammenhang zwischen dem Tode des Th. und dem Unfalle vom
November 1908, insbesondere auch darüber, ob etwa ein schon be-
stehendes Leiden (Ohrenleiden?) durch den Unfall wesentlich ver-
schlimmert worden und Ursache des Todes gewesen ist. Da ich
die Mitwirkung eines Ohrenarztes für überflüssig und weitere Er-
mittlungen für aussichtslos halte, so gebe ich mein Gutachten
selbständig auf Grund des vorliegenden Aktenmaterials, obwohl
dieses lückenhaft ist und nur Wahrscheinlichkeitsannahmen er-
möglicht.
Dem Hauer J. P. Th. fiel in der letzten Hälfte des Monats
November 1908, als er auf einer Leiter in die Höhe stieg, eine
Oelgrubenlampe auf den mit einer schirmlosen Militärmütze be-
deckten Kopf, nachdem sie den etwa eineinhalb Leitern (6 m) vor-
' hersteigenden Arbeiter W. an der rechten Hand, mit der er den
Pfahlbaum umfaßt hielt, getroffen hatte; nach den Angaben des
Zeugen V. rief Th.: „Wer war das, wer hat mir die Lampe auf
den Kopf geworfen?“ Er kam dann in besonderer Eile herauf und
rief: „Laßt mich längs“; er blutete an der Stirn und sah sehr
blaß aus. Th. begab sich zum Verbinden in das Bureau, wo der
Betriebsführer M. auf seine Frage an den verbindenden Aufseher
G.s: „Ist es viel?“ die Antwort erhielt: „Nein“. Erbrechen ist von
niemand bemerkt worden.
Th. setzte die Arbeit nicht aus. Nach der Angabe des
Zeugen S. war die direkt hinter der Stirn gelegene Wunde nach
vier oder fünf Tagen geheilt. Von der Zeit an klagte Th. mehr
über Kopfschmerzen als vorher, wie die Wunde noch offen war.
Die Schmerzen wurden derart stark, daß Th. meinte, es befinde
sich noch Eiter in der Wunde. Durch ein Pflaster zog er sie
wieder auf. Einige Tage später war sie aber wieder zugeheilt.
Th. klagte fortwährend über Kopfschmerzen, in der vollen Arbeit
ließ er nach, hielt den Kopf mit beiden Händen fest und klagte
über Schmerzen. Bei einer späteren Vernehmung gab S. an, daß
ihm vor dem Unfalle nichts Krankhaftes an dem Th. aufgefallen
sei’und ergänzte seine früheren Aussagen dahin, daß Th. ihm vom
Tage nach dem Unfall an jeden Tag über Kopfschmerzen geklagt
habe und daß nach Th.s Angaben diese Kopfschmerzen immer
schlimmer wurden, bis an dem Tage, bevor er sich krank meldete,
Th. sich vor Schmerzen den Kopf mit beiden Händen hielt. Aus-
drücklich hebt der Zeuge hervor, daß die Schmerzen nicht etwa
eine Zeitlang schlimmer waren, dann eine Ruhepause eintrat, son-
dern sie seien gleichmäßig immer schlimmer geworden.
Der ersten Aussage des p. S. hat sich auch der Zeuge G.
angeschlossen, und beide haben in einer schriftlichen Erklärung
angegeben, daß Th. über die linke Kopfseite geklagt hätte; daß
er über „besondere Schmerzen im Hinterkopfe geklagt hätte, ist
nicht der Fall“. In dieser letzten Angabe muß das Wort „uns“
ergänzt werden; denn daß Th. auch über Schmerzen im Hinter-
kopfe geklagt hat, ist aktenmäßig unzweifelhaft festgestellt durch
den Bericht des behandelnden Arztes Herrn Dr. H. Dieser wurde
am 18. oder 19. Januar 1909, dem Tage, an welchem es dem Th.
nicht mehr möglich war, weiterzuarbeiten, gerufen; ihm klagte Th.
über Stechen in beiden Seiten der Brust und über Kopfschmerzen.
Die Temperatur betrug 39,50 C, es war starker Schweiß vor-
handen, die Brustuntersuchung ergab nichts Abweichendes. Es
wurde die Diagnose Influenza gestellt. Nach einigen Tagen hatten
Fieber und Seitenstechen gänzlich nachgelassen, es bestand nur
noch die Klage über starke Kopfschmerzen; namentlich im Hinter-
kopfe, wo Th. auf Druck in die Gegend des rechten Hinterhaupt-
nervs besonders reagierte, und so blieb der Zustand während der
nächsten Wochen, sodaß der Arzt die Diagnose Oceipital-Npuralgie,
das heißt Hinterhauptnervenschmerzen, stellte. Da Th. am
12. Februar auf die Aufforderung des Arztes, nunmehr in die
Sprechstunde zu kommen, erklärte, daß er das nicht könne, SO
wurde er an Herrn Dr. W. überwiesen, der ihn am 14. Februar
1909 in das A.er Krankenhaus aufnahm. Damals hatte sich der
Zustand gewaltig verändert, denn außer den Kopfschmerzen war
auch eine Sprachstörung vorhanden, welche auf örtliche Verände-
rungen in der linken Großhirnhalbkugel hinwies, sowie (am
15. Februar festgestellt) eine Erhöhung der Körpertemperatur auf
38,50 C. Die Erscheinungen einer örtlichen Gehirnveränderung
nahmen rasch zu, sodaß am 18. Februar 1909 zu einer Schädel-
öffnung geschritten werden mußte, bei der sich Eiter unter der
harten Hirnhaut, hauptsächlich in der Gegend oberhalb der oberen
Grenze der linken Ohrmuschel, fand. Die Gegend des Ohres (im
Innern des Schädels) erschien frei, auch war beim Lebenden bel
der Untersuchung des Ohres mit dem Ohrenspiegel nichts Be-
sonderes gefunden worden, indessen hebt Herr Dr. W. selbst her-
vor, daß diesem Befunde keine entscheidende Bedeutung zukomme,
da er an einem Bewußtlosen erhoben worden sei, das heißt unter
sehr ungünstigen, eine genaue Untersuchung nicht gestattenden
Verhältnissen. Am 19. Februar trat trotz der Operation der Tod
ein. Bei der von Herrn Dr. B. unter Beihilfe von Dr. W. vor-
genommenen Leichenöffnung wurden die Folgen der Operation 8°
funden sowie eine eitrige Auflagerung auf der inneren Seite der
harten Hirnhaut (soweit sie bei der Operation nicht entfernt
worden war), und zwar in der Nähe des Längsblutleiters auf der
Höhe des Gehirns; ebenso fanden sich in der Gegend des linken
Scheitelbeinhöckers zwischen den Gehirnwindungen (also an der
weichen Hirnhaut) reichlich eitrige Auflagerungen, endlich er-
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15. September.
blickte man bei äußeren Einschnitten in die Gehirnwandungen der
linken Seite dort, wo sie freilagen, also in der.Mitte der Ope-
rationswunde, die Gehirnmasse stellenweise schmutziggrau gefärbt,
erweicht und mit Eiterherden durchsetzt, in etwa Walnußgröße,
von etwaiger Abkapselung dieser Eiterherde wird ebensowenig
erwähnt, wie von dem Befund älterer Blutreste, dagegen wurde
an den Blutleitern der harten Hirnhaut noch ein wichtiger Befund
festgestellt: der Längsblutleiter enthielt nach hinten, und be-
sonders unten, etwas geronnenes Blut und reichlich dicklichen
Eiter, der große Blutleiter (gemeint ist offenbar der quere Blut-
leiter) in der hinteren Schädelgrube enthielt links dicklichen Eiter,
rechts etwas geronnenes Blut. Von sonstigen Veränderungen
innerer Organe wurden nur noch Verhärtungen knotiger Art ohne
Erweichung in der Spitze der linken Lunge festgestellt, allerdings
ist von der näheren Obduktion der Organe der Bauchhöhle ab-
gesehen worden. Bei der äußeren Besichtigung war folgendes ge-
funden worden; 2 cm oberhalb des linken Stirnbeinhöckers ist die
Haut in der Länge eines Zentimeters bläulich verfärbt, hier etwas
unter dem Niveau liegend, über der Unterlage verschieblich, auf
Durchschnitt kein freies Blut. |
Was nun die Diagnose betrifft, so hat Herr Dr. W. in
seinem Gutachten vom 20. März 1909 in bezug auf den letzten
Befund erklärt, es handle sich um eine noch nicht lange ge-
schlossene Narbe, die er um so mehr als die Folge der angegebenen
Verletzung auffasse, als er eine andere Narbe nicht gesehen habe,
im übrigen haben die Obduzenten kurz erklärt: Todesursache:
Gehirnentzündung. |
Ueber beide Diagnosen besteht völlige Uebereinstimmung
unter den Gutachtern, und ich selbst schließe mich ihnen an. Die
Meinungen gehen nur in der Frage auseinander, wie diese Gehirn-
entzündung entstanden sei.
Die Entscheidung der Frage ist aufs äußerste erschwert,
weil die Krankengeschichte ungenau ist und die Leichenunter-
suchung nicht vollständig ausgeführt wurde. Da am 14. Februar
1909 bereits schwere Sprachstörungen, am 15. eine Erhöhung der
Körpertemperatur auf zirka 38,5 0 C festgestellt wurden, so müssen
diese neuen bedrohlichen Erscheinungen doch wohl schon früher
eingesetzt haben, es ist aber aus den Akten nicht festzu-
stellen, wann. Ganz besonders beklagenswert ist die Unvoll-
ständigkeit der Leichenöffnung. Es hätten notwendigerweise auch
die Bauchhöhlenorgane genauer untersucht werden müssen, vor
allem hätten die Obduzenten eine Untersuchung des linken Felsen-
beins mit dem Mittelohr vornehmen müssen.
Herr Prof. L. hat aus dem Falle Veranlassung genommen,
die Berufsgenossenschaften in ihrem eignen Interesse zu ermahnen,
die Unfallsektionen, wo es irgend geht, nur von pathologisch-
anatomisch ausgebildeten Aerzten vornehmen zu lassen. Seine
Aeußerung und ihre Begründung stimmt fast wörtlich überein mit
dem, was ich über den gleichen Gegenstand in meinem am
16. März 1908 im Reichs-Versicherungsamte gehaltenen Vortrage:
„Ueber Feststellung der Todesursache“ gesagt habe, obwohl, wie
ich aus brieflicher Mitteilung weiß, Herr Prof. L. meine Aeuße-
rung nicht gekannt hat. Es würde in allseitigem Interesse liegen,
wenn unsere Anregung Beachtung fände Ein fachmännisch ge-
bildeter pathologischer Anatom würde im Falle Th. nach einer
Erkrankung des linken Mittelohrs gesucht haben, denn der Befund
innerhalb der Schädelhöhle war so, wie er im Anschluß an eine
eitrige Mittelohrentzündung aufzutreten pflegt. Gegen eine ge-
wöhnliche Gehirnentzündung spricht vor allen Dingen der Befund
an den Blutleitern, wie das in den Gutachten L. sowie G.-S.
bereits hinreichend klargelegt ist. Die Annahme des Herrn Dr. W.,
daß der in den Blutleitern gefundene Eiter nur einen zufälligen
Befund darstelle, vielleicht angesaugt sei, ist eine reine Verlegen-
heitsannahme und kann nicht ernst genommen werden: Für jeden
erfahrenen Pathologen ist es ganz klar, daß es sich hier um eine
sogenannte septische Thrombose gehandelt haben muß, wie sie
hauptsächlich im Anschluß an Mittelohrentzündung vorkommt, vor
allem an dem auch hier in hervorragendem Maße ergriffenen
Querblutleiter der hinteren Schädelgrube, welcher unmittelbar an
dem das innere und mittlere Ohr liegenden Felsenbeine verläuft.
‚Nur eine andere Entstehungsweise kommt noch in Betracht,
nämlich die im Anschluß an eine septische eitrige Knochen-
entzündung. Für das Bestehen oder Bestandenhaben einer solchen
bei Th, liegen aber auch nicht die mindesten Anhaltspunkte vor,
- sodaß auch ich wie die andern akademischen Gutachter es für
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1523
das wahrscheinlichste erklären muß, daß die tödliche Krankheit
des Th. von einer Ohreiterung ihren Ausgang genommen hat.
Das Bestehen einer solchen kann freilich nicht direkt bewiesen
werden, da der Umstand, daß keine Ohrenerkrankung vorhanden
war, daß weder dem Th. selbst noch seinen Angehörigen und
Mitarbeitern etwas von einer solchen Erkrankung bekannt war,
ebensowenig ihr Nichtvorhandensein beweisen kann wie der nega-
tive Ausfall der unter ungünstigen Umständen vorgenommenen
ärztlichen Untersuchung. Für die Annahme einer Entstehung der-
Todeskrankheit vom Ohr aus spricht auch der Umstand, daß eine
befriedigende andere Erklärung nicht gegeben werden, vor allem
auch kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Unfallverwundung
wahrscheinlich gemacht werden kann. Gegen einen solchen spricht
zunächst, wie auch schon andere Gutachter, besonders Herr Prof. L.,
hervorgehoben haben, der Krankheitsverlauf und der Leichenbefund.
Was zunächst den ersten betrifft, so ist, von einer kurzen Fieber-
zeit im Januar 1909 abgesehen, bis in den Februar. hinein kein
Fieber vorhanden gewesen, wie es hätte der Fall sein müssen,
wenn im Anschluß an den Unfall eine Eiterinfektion eingetreten
wäre. Das kurze Fieber und das schnell vorübergehende Seiten-
stechen im Januar hat ganz offenbar mit der Gehirnentzündung
` gar nichts zu tun gehabt, sondern war entweder, wie der behan-
delnde Arzt meinte, durch einen kurzen Influenzaanfall oder viel-
leicht auch, wie Herr Prof. L. meint, durch die bestehende
Lungentuberkulose bedingt. Das läßt sich jetzt nicht mehr ent-
scheiden, sondern es kann nur mit an Gewißheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit angegeben werden, daß diese Erscheinungen mit der
eitrigen Gehirnentzündung beziehungsweise Hirnhautentzündung
nichts zu tun hatten. Diese sind offenbar erst im Laufe des
Februars entstanden, mit Fieber und besonderen örtlichen Krank-
heitserscheinungen, deren Beginn freilich bei der mangelhaften
Krankengeschichte auf den Tag nicht angegeben werden kann;
sicher ist nur, daß sie am 14. Februar 1909 bereits vorhanden
waren. Für eine relativ frischere Veränderung am Gehirne spricht
auch der Leichenbefund, insbesondere der Befund am Gehirne
selbst. Wenn es sich da um eine Wochen und Monate alte
Eiterung gehandelt hätte, so würde man Abkapselungserscheinungen
gefunden haben, von denen aber nichts bemerkt worden ist. Daß
auch der Gang der Erkrankung nicht so gewesen sein kann, wie
Herr Dr. W. angenommen hat, daß zuerst infolge des Unfalls eine
Biutung innerhalb der Schädelhöhle entstanden sei, zu der dann
später auf irdendeine Weise, wahrscheinlich durch die Haut-
verletzung, eine Infektion hinzugekommen sei, welche zur Ver-
eiterung des Blutergusses und dann weiter zur Ausbreitung der
Eiterung geführt habe, das ist schon von den übrigen Gutachtern
ausgeführt worden: Es waren keinerlei Zeichen einer alten Blutung,
die man hätte finden müssen, gefunden worden, es trat die Gehirn-
eiterung erst zu einer Zeit auf, wo von dem angenommenen Blut-
erguß nur noch Reste vorhanden sein konnten und wo außerdem
die Hautwunde längst zugeheilt war, es war an der Wunde nie-
mals irgendeine Erscheinung vorhanden, welche auf eine Infektion
hingewiesen hätte, und endlich war der Unfall an sich so wenig
bedeutend und es waren seine nächsten Folgeerscheinungen so
gering, daß eine Blutung innerhalb der Schädelhöhle ganz unwahr-
scheinlich ist. In bezug auf die Schwere des Unfalls gehen die
Ansichten der ärztlichen Sachverständigen und des Schiedsgerichts
auseinander. Ich muß mich durchaus den übrigen ärztlichen
Sachverständigen anschließen, welche die Unfallverletzung für eine
relativ geringfügige ansehen. Zunächst kann die Tatsache nicht
aus der Welt geschafft werden, daß die Lampe nicht direkt auf
den Kopf Th.s gefallen ist, sondern daß sie zunächst die Hand
des W.s getroffen hat, und zwar nicht die freihängende Hand,
sondern die Hand, mit der W. den Pfahlbaum umfaßt hielt. Da-
durch mußte die Wucht des Falles geschwächt werden, wobei es
ganz gleichgültig ist, ob die Lampe die Knochen oder die Weich-
teile der Hand getroffen hat. W. sagte auch ausdrücklich aus,
der Schlag auf meine rechte Hand hatte die Lampe „abgleiten
lassen“, was doch nur heißen kann, daß die Lampe aus ihrer an-
fänglichen Fallrichtung abgeleitet wurde, was notwendig eine Ver-
minderung der Faligeschwindigkeit im Gefolge haben mußte. Ich
erwähne dies nur im Hinblick auf die Entscheidungsgründe des
Schiedsgerichts, lege aber nur geringen Wert darauf, da die Un-
fallfolgen aufs klarste erkennen lassen, daß die Unfallverletzung
nur eine verhältnismäßig geringfügige gewesen ist, wie das auch
der den Th. verbindende Aufseher sofort richtig erkannt hat: Ist
es viel? — Nein! (Schluß folgt.)
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1524 | | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37.
15. September.
Vereins- und Auswärtige Berichte.
Den 7
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 17. Juni 1912.
Rehn: Beitrag zur Herz- und Herzbeutelchirurgie. Bei der
operativen Behandlung der Perikarditis sind die anatomischen und physio-
logischen Verhältnisse besonders zu beachten. Wichtig ist, daß der
Musculus transversus thoracis mit dem Herzbeutel verwachsen ist, bei
Operationen also mit dem Perikard zurückgeschoben werden muĝ, und
daß auch der Boden des Herzbeutels fest mit dem Zwerchfell verbunden
ist. Alle Erkrankungen der im Mediastinum gelegenen Organe können
auch zu Perikarditis führen. Herztamponade beziehungsweise Herzdruck
tritt auf, wenn sich größere Flüssigkeitsmengen in den Herzbeutel er-
gießen. Beträgt die Menge mehr als 150 bis 200 ccm, dann tritt Span-
nung des Herzbeutels ein, dann werden zuerst die dünnwandigen Venen
komprimiert, und übersteigt der Flüssigkeitsdruck den Druck in den
großen Venenstämmen, so muß Herzstillstand und der Tod eintreten.
Kann sich die Flüssigkeit, z. B. Blut, aus einer Wunde im Herzbeutel
entleeren, oder kann sich dieser ausdehnen, so kann sich der Zustand
des Herzdrucks bessern. Bei gespanntem Herzbeutel liegt das Herz
nachgewiesenermaßen vorn am Thorax. Durch Flüssigkeitserguß wird
der Herzbeutel hauptsächlich nach rechis und links auf Kosten der
Lungen ausgedehnt, da von vorn der Thorax und von hinten die Wirbel-
säule der Ausdehnung Widerstand leisten; es entstehen dann im Ver-
laufe der Vena cava sup. und der Lungenvenen, die selbst straff gespannt
werden, Falten, die ebenfalls der Ausdehnung Widerstand entgegensetzen.
Die Punktion des Herzbeutels ist unter Berücksichtigung dieser Verhält-
nisse an drei Stellen möglich, wobei zu beachten ist, daß die Punktion
niemals im Bereiche der normalen Herzdämpfung vorgenommen werden
darf. Die Punktion kann gemacht werden: 1. von vorn, außerhalb der
‘Linea mammillaris; 2. von hintenher ist der große hintere Recessus des
Herzbeutels zu erreichen; 3. vorn im Winkel zwischen der Basis des
Processus xiphoideus und der siebenten linken Rippe. Das Zwerchfell
kann so tief nach unten gedrängt sein, daß es im Epigastrium vorgewölbt-
wird und einen Tumor des Bauches vortäuschen kann. Bei der Perit
kardiotomie soll die Pleura immer geschont werden. Ein ganz sicherer
Weg hierzu ist das Vorgeben vom Abdomen aus. In der Larreyschen
Spalte zwischen Pars sternalis und costalis des Zwerchfells wölbt sich
der gefüllte Herzbeutel vor und kann hier leicht eröffnet werden. Die
meist ausgeführte Eröffnung mit Resektion der fünften und sechsten
Rippe ist unprektisch, weil hier die Drainage nicht am tiefsten Punkte
gemacht werden kann. — R. hat an Hunden zahlreiche Experimente an-
stellen lassen zum Studium der Verhältnisse, die zu Syneretio pericardii
führen, und wie sie verhindert werden kann. Einspritzung von Jodtinktur
in den Herzbeutel erzeugte fast vollständige Verwachsung, lokale Be-
pinselungen mit Jodtinktur riefen auch nur lokale Verwachsungen her-
vor. Als Folge der adhäsiven Perikarditis trat das Bild der Pickschen
Krankheit mit Ascites auf. Einspritzungen von Jodipin riefen zwar eben-
falls starken Flüssigkeitserguß hervor, der später wieder verschwand,
es traten aber keine Verwachsungen ein. Bei der Sektion zeigte sich
das Perikard vollständig glatt und glänzend, im Herzbeutel fanden sich
noch Reste von Oel. Das gibt immerhin zu denken, — Bei Exstirpation
des Herzbeutels traten nur ganz wenig Verwachsungen des Herzens mit
den Nachbarorganen ein, Störungen sind darnach nicht beobachtet worden.
Intraperikardial applizierte Medikamente gelangen sehr rasch zur Re-
sorption, insbesondere Morphium. Der Herzbeutel ist, wie die Versuche
an Hunden weiter ergeben haben, empfindlich. — Durch die Injektion
von Eitererregern eitrige Perikarditis zu erzeugen, gelang nur, wenn zu-
vor im Herzbeutel durch Einspritzung von Terpentindl eine nicht in-
fektiöse Eiterung hervorgerufen wurde. Sonst entstand nur Endokarditis
mit Herzmuskelabscessen. Um die Raschheit der Resorption vom Perikard
aus festzustellen, wurde Indigo eingespritzt, das dann nach acht Minuten
im Urin erschien. Die regionären Lymphdrüsen und Gefäße, namentlich
die trachealen, nehmen sehr rasch den Farbstoff vom Herzbeutel aus auf.
Dreyfuß: Die Dosierung des Salvarsans. Bei richtiger Aus-
wahl der Fälle, richtiger Dosierung und richtiger Darreichung ist das
Salvarsan das Syphilismittel, das von keinem andern in der Schnelligkeit
der Wirkung erreicht wird. Unter Berücksichtigung des Wechsel-
mannschen Wasserfehlers und ausschließlicher Verwendung frisch destil-
lierten Wassers ist bei den letzten 400 bis 500 Einspritzungen keine
Reaktion mehr beobachtet worden, gelegentlich nur geringe Temperatur-
erhöhungen bei Patienten, die sich überhaupt am Tage der Infektion
nicht ganz wohl gefühlt hatten. Die Einspritzungen sollen deshalb nur
bei organgesunden Menschen, die sich wohl fühlen, vorgenommen werden.
Die Neurorezidive sind die Folge von ungenügenden Dosen. Sie treten
fast nur bei frischer Lues auf, fast nie bei alten Fällen. Ueber den
Einfluß des Salvarsans gibt am besten die Untersuchung des Lumbal-
punktats Aufschluß. Die Veränderungen darin gehen gewöhnlich den
klinischen Erscheinungen voraus, auch bei frischer Lues. Zeigt die
Lumbalflüssigkeit keine Veränderungen mehr nach der Behandlung, so
kann man annehmen, daß die Entzündung abgelaufen ist. In Jahrzehnte
alten, anscheinend gesunden Fällen ist auch der Liquor cerebrospin.
gewöhnlich nicht verändert; besteht aber eine Veränderung, so spricht
das für beginnende Erkrankung des Centralnervensystems. Jede Lues
corebrospinalis geht mit Veränderungen der Lumbalflässigkeit einher. —
Bei frischen Fällen muß man mit der Dosierung sehr vorsichtig sein, am
besten schiekt man einige Hg-Injektionen voraus. Energischer kann man
bei Lues cerebrospinalis vorgehen, bei der Schädigungen nicht beobachtet
wurden. D. demonstriert an zahlreichen Tabellen den günstigen Einfluß
des Salvarsan auf den Liquor cerebrospinalis. Bei Tabes ist oft Ver-
schlechterung unter Salvarsan beobachtet worden. Wenn man aber trotz-
dem energisch weiter behandelt, tritt subjektive und klinische Besserung
ein; kleine Dosen scheinen den tabischen Prozeß zu mobilisieren. Auch
bei Paralyse hat D. bei einigen Kranken leichte Besserung feststellen
können. — Die Salvarsanbehandlung wurde stets mit Kalomelinjektionen
kombiniert und erstreckte sich über etwa sechs Wochen. Mehr wie ins-
gesamt 5 g Salvarsan soll man nicht anwenden.. Wenn bei frischen
Fällen das Lumbalpunktat keine wesentlichen Veränderungen aufweist,
kann man kräftig mit den Salvarsandosen steigen, ohne Furcht vor Neuro-
rezidiven. Man soll überhaupt nur behandeln, wenn man innerhalb drei
bis fünf Wochen 3 bis 4 g Salvarsan injizieren kann. Diskussion: Voß be-
stätigt die Ausführungen D.s. Er untersucht den Liquor bei fast allen Ohr
affektionen und hat, wenn sich Veränderungen fanden, bei energischer Be-
handlung fast immer Abnabme der klinischen Erscheinungen erzielt.
Neurorezidive am Ohr sind stets luetische Erscheinungen, keine Salvarsan-
schädigungen. Ehrlich klagt darüber, daß diese konsequente Salvarsan-
therapie nicht überall durchgeführt werde, was schuld an mauchen Mib-
erfolgen sei. Vorsicht sei nur bei frischen Fällen geboten, hier sei es
ratsam, erst den Ictus therapeuticus durch vorhergehende Hg-Behand-
lung abzuschwächen. Die Auffindung des Wasserfehlers durch Wechsel-
mann ist ein großes Verdienst. Durch Arbeiten des Instituts für
experimentelle Therapie ist nachgewiesen worden, daß es nicht nur die
Bakterien sind, die die Reaktionen hervorrufen, sondern daß sie einen
wasserlöslichen Stoff an das Wasser abgeben, der beständig ist und das
Fieber hervorruft. Bei alter Lues latens, die am schwersten zu be-
einflussen ist, rät E. dazu, auch bei positivem Wassermann abzuwarten,
ob sich Erscheinungen eiustellen, und erst dann zu behandeln. HH.
Halle a. S.
Verein der Aerzte. Sitzung vom 26. Juni 1912.
Vor der Tagesordnung demonstriert Wullstein drei Patienten
als Beispiel des guten Erfolges des Frühaufstshens nach Operationen.
Tagesordnung: Pfeiffer: Weitere Erfahrungen über Hirn-
punktionen bei Fällen von Hirntumoren. P. teilt seine Fälle in fünf
Gruppen. |
1. Sichere Diagnose bestätigt durch Operation.
2. Sichere Fälle ohne Operation.
3. Keine sichere Diagnose bei Tumoren der hinteren Schädelgrube.
4. Jacksonsche Epilepsie. |
5. Epilepsie ohne nachweisbare Ursache. |
In der ersten Gruppe mit fünf Fällen ließ sich die Lokaldiagnose
aus dem klinischen Bilde stellen. Die Hirnpunktion bestätigte dieselbe
und gab Sicherheit über die Art des Tumors. Alle fünf Fälle kamen
zur Operation, bei der die Diagnose bestätigt wurde. Niemals wurden
Nachteile von der Punktion gesehen.
In der zweiten Gruppe war die klinische Diagnose in zwei Fällen
möglich. In drei Fällen ließ sich dieselbe erst durch die Punktion stellen,
Darunter befindet sich zum ersten Male, durch Punktion diagnostiziert,
ein Melanosarkom. Die Fälle wurden nicht operiert, aber durch die Sektion
bestätigt. In einem Falle gelang es beim Balkenstich, den Tumor zu
fühlen. Nachteile der Punktion wurden nicht beobachtet.
Dritte Gruppe. Vier Fälle. Klinisch mußten Geschwülste der
hinteren Schädelgrube angenommen werden. In zwei Fällen verschwand
nach der Punktion für kurze Zeit der Hirndruck. |
In einem Falle trat nach der Punktion ein Anfall von Drehungen
und Windungen auf; jedoch waren auch vorher solche Anfälle beobachtet
worden; die Sektion ergab das Fehlen einer Blutung. In einem andern
_ Falle traten zwei Anfälle von Kollaps auf. Ashnliche Anfälle hatten aber
auch hier schon vorher bestanden. Die Sektion ergab eine kleine Blutung
aus einer Piavene,
In einem dritten Falle war der Tod die Folge einer Punktions-
verletzung des Sinus; die Sektion ergab einen großen Bluterguß in die
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15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37, | 1595
hintere Schädelgrube. Wegen der Möglichkeit solcher anatomisch abnorm
gelagerten Sinus soll man sich bei der Punktion 1 cm unter dem Neißer-
schen Punkt halten, | 2 E
Vierte Gruppe: Drei Fälle von Jacksonscher Epilepsie. In einem
Fall ergab die Punktion die enorme Dicke des Schädeldachs von 1,25 cm.
In zwei Fällen wurde kein Befund erhoben. In einem Falle wurde
durch die Operation (Anlegen einer Schädellücke) ein therapeutischer Er-
folg. erzielt. a | E
Zusammenfassend betont P. noch einmal die große diagnostische
Bedeutung der Punktionen. Eine Infektion hat er unter zirka 300 Fällen
nie beobachtet. Eine Blutung läßt sich durch zweckmäßige Wahl der
Einstichstellen vermeiden. Durch Entleerung von Flüssigkeit aus Tumoren
oder Ventrikel kann die Hirnpunktion auch therapeutisch Nutzen bringen.
Diskussion: Grund berichtet über sieben von ihm in der medi-
zinischen Klinik ausgeführte Hirnpunktionen.. In vier Fällen konnte die
Disgnose erst durch die Punktion gestellt werden. Zwei Kleinhirn-
tumoren werden operiert. Einer geheilt. Bei dem zweiten wurde bei
der Operation nichts gefunden; es lag ein Irrtum in der histologischen
Diagnose vor. Die Operation ergab einen Stirnhirntumor. Bei zwei
Fällen war eine klinische Diagnose möglich. Die Operationen verliefen
ungünstig. G. hält auch die Hirnpunktion für ungefährlich.
Denker schlägt bei einer Sinusverletzung die operative Behand-
lung und Unterbindung vor. Er hat einen Fall von Verletzung eines
Astes der Arteria fossae syloii durch Hirnpunktion mit tödlichem Aus-
gange gesehen. |
v. Bramann hat nie einen Unfall bei Hirnpunktionen erlebt. Um
bei.Punktionen der hinteren Schädelgrube den Sinus zu vermeiden, hält
er sich 21/ cm unterhalb der Protuberantia occipitalis. Er empfiehlt bei
Tumoren der hinteren Schädelgrube Röntgenaufnahmen.
Haasler macht auf die Gefahr einer Verletzung der Arteria me-
ningea media aufmerksam. Man muß stets zur Operation gerüstet sein.
= Bchmidt hat zweimal einen sehr günstigen Erfolg von der Hirn-
punktion durch Druckentlastung gesehen. |
Herschel: Die operative Behandlung der otogenen Meningitis.
Dieselbe hat schon jetzt schöne Erfolge gezeitigt. Nötig sind genaue
Diagnose und Lokalisation. Die Diagnose ist durch die Lumbalpunktion
zu sichern. Der primäre Herd ist zu entfernen. Wiederholte Lumbal-
punktionen sind nötig. Manche empfehlen Schlitzen der Dura. Für die
schweren Fälle schlägt H. ein von ihm erdachtes Verfahren vor. Das-
selbe besteht in einer dauernden Durchspülung des Arachnoidalsackes
von einer Lumbalpunktionskanile aus, die liegen bleibt. Die Flüssigkeit
(Ringersche Lösung) soll dann oben aus dem eröffneten Ohre ausfließen.
H. gibt ein eignes Instrumentarium an und empfiehlt das Verfahren auf |
X
Grund von Leichenversuchen.
| Zum Schluß schildert er an der Hand von Präparaten seine La-
byrinthoperationen.
Diskussion: Denker warnt vor dem von Herschel empfohlenen
Verfahren. Er hat vier Fälle von Meningitis geheilt (siehe Bericht vom
10. Juli 1912) durch Entfernung. des primären Herdes und wiederholte
Lumbalpunktionen.
... V. Bramann verspricht sich von einer Durchspülung der Hirn-
häute bei Meningitis auch nichts. Ä | 2.
München.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 10. Juli 1912.
= Schminke: Ueber Transplantation von experimentell er-
zeugten atypischen Epithelwucherungen. Vortragender hat schon vor
längerer Zeit Experimente mit lipoiden Substanzen, wie Teer, Ruß usw.,
zur Erzeugung von Epithelwucherungen gemacht. Nunmehr versuchte
er, solches gewuchertes Gewebe zu transplantieren, indem er sowohl
gleich- wie andersartiges Gewebe dem Organismus subcutan wie intra-
venös einbrachte. Das implantierte Gewebe verhielt sich genau so wie
autogen entstandenes: merkwürdig war, daß die intravenöse Implantation
keinerlei Embolisymptome zeigte. Im zweiten Teile des Vortrags refe-
nert S. über einen von ihm klinisch und post mortem pathologisch-
anatomisch beobachteten Fall von Dercumscher Krankheit. Im ganzen
finden sich von dieser zuerst von dem amerikanischen Neurologen Dercum
beschriebenen Erkrankung, auch Adipositas dolorosa genannt, nur zehn
Fälle in der Literatur. Die Mehrzahl der Veröffentlichungen betrifft
F rauen.. Auch bei dem vom Vortragenden beobachteten Falle handelt es
sich um eine 61 jährige Frau, die hochgradige, allgemeine Adipositas,
lokalisierte Fettgeschwülste am Rücken, Bauch, Oberarm und Ober-
schenkeln zeigte. Während das Nervensystem normal war, war die
Schilddrüse adenomatös hypertrophiert, die Ovarien atrophisch, die Hypo-
physe entzündlich infiltriert. -Aetiologische Anhaltspunkte für das ganze
Krankheitsbild ergab auch dieser Fall nicht.-
Hueck: Ueber Cholestearinämie und deren Beziehungen zur
Nebennierenrinde. Der Cholestearinestergehalt der Nebennierenrinde
läßt sich durch Verfütterung von Digitonin und ähnlich wirkenden Giften
beeinflussen. Die vom Vortragenden demonstrierten Nieren alter und
Junger Katzen und Kaninchen zeigten dies aufs deutlichste. Möglich,
daß auf diesem Wege sich eine therapeutische Möglichkeit der Addison-
schen Krankheit ergibt. _ |
Saenger: Ueber zwei Fälle von abnormer Laktation, Es
handelte sich um eine 35jährige Frau, die an Ileus bei Peritonealcarcinose
gestorben war. Infolge eines primären ÖOvarialcarcinoms waren die
Övarien exstirpiert. Die Brustdrüsen ergaben auf Druck oder Schnitt
durch dieselben gelbweiße Flüssigkeit, die sich als Fetttröpfchen erwiesen.
Das mikroskopische Bild ergab erweiterte Alveolen, stark secernierende,
fetttröpfehengefüllte Drüsenepithelien. Der zweite Fall betraf eine
55jährige, an Magencarcinom verstorbene Frau, der zirka drei Jahre vorher‘
Uterus und rechtes Ovarium exstirpiert worden war. Es fänden sich
Carcinommetastasen in Leber, Peritoneum und in dem stark verwachsenen
und völlig degenerierten linken Ovarium. Die Brustdrüsen zeigten den-
selben Befund wie im ersten Falle; daneben wurde noch eine tumorartige
Hypophysenvergrößerung entdeckt. Der Vortragende weist auf die Mög-
lichkeit einer chemischen Wirkung der Geschwülste auf diese Drüsen-
organe hin, ähnlich dem experimentell erzeugten Effekt der Placentar-
und Foetalextrakte. en |
Borst: Ueber Embolte. Nach einer alten Hypothese, die neuer-
dings von Krätz wieder propagiert wird, sollen Embolien aus der Vena
cava superior im Lungenoberlappen, solche aus der Vena cava inferior
im Lungenunterlappen sich lokalisieren. Diese Theorie wurde an 43 Ver-
suchstieren (Kaninchen und Ratten) in wagerechter, natürlicher und senk-
rechter Stellung mittels Olivenöl, Quecksilber usw. am hiesigen Institut
nachgeprüft. Dabei stellte sich ebenso wie bei Durchsicht von 1700 Sek-
tionsberichten die Unhaltbarkeit dieser Ansicht beziehungsweise Hypothese
heraus. | u a uk P. Lißmann.
_ Berlin. |
Verein für innere Medizin u. Kinderheilkunde. Sitzg. v. 1. Juli 1912.
F. Meyer und Schmitz: Experimentelle Untersuchungen über
das Wesen der Tuberkulinreaktion. Nach einer kurzen Besprechung
der bestehenden Theorien über die Tuberkulinwirkung erläuterten Vor-
tragende ihre auf Erklärung der Tuberkulinreaktion gerichteten Versuche.
Den Ausgangspunkt ihrer Experimente bildete die zuerst von Yama-
nouchi ausgeführte passive Uebertragung der Tuberkulinreaktion auf das
gesunde Tier durch Voreinspritzung von tuberkulösem Serum. Um jeg-
liche Störung des artfremden Serums auszuschließen, verwandten Vor-
tragende nur eine Tierspecies (Kaninchen) zu ihren Versuchen, bei denen
sie zu folgenden Ergebnissen kamen: 1. Die Uebertragung der Tuber-
kulinreaktion durch Voreinspritzung von Tuberkulinserum ergibt durchaus
ungenaue Resultate. 2. Wenu eine Mischung und Bindung des Tuber-
kulins mit dem Serum im Reagenzglase verschieden lange Zeit (5 Mi-
nuten bis 48 Stunden) bei 37° stattfand, so ergaben die Sera schwertuber-
kulöser Tiere keine oder nur ganz schwache Reaktion im Gegensatz zu
den immer gut reagierenden Seris frischtuberkulöser Tiere. 3. Wenn
aber das defibrinierte Blut oder die Blutkörperchen allein mit dem Tuber-
kulin zusammengetan wurden; gaben sie immer eine Reaktion, auch wenn
das Serum des betreffenden tuberkulösen Tiers die Reaktion nicht her-
vorzurufen vermochte. Die Blutkörperchen gaben die Reaktion, auch
wenn sie energisch mehrere Male mit Kochsalzlösung gewaschen waren.
Wenn man nach der Bindung des Tuberkulins mit den Blutkörperchen
das Waschwasser abzentrifugierte, so erwies es sich bei Injektion als
toxisch. 4. Dieselben Versuche mit Normalblut, -seram usw. gaben keine
Reaktion. 5. Die Blutreaktion stimmte bei dem Tiere, das das Blut ge-
liefert hatte, mit der Tuberkulinreaktion überein. m:
Auf Grund dieser Tatsachen ist nun also der Vorgang bei der
Tuberkulinreaktion so, daß nach der Einspritzung des Tuberkulins in den
tuberkulösen Körper gewisse, in den Blutkörperchen, manchmal auch im
Serum enthaltene Receptoren eine die Allgemeinreaktion bewirkende Gift-
substanz freimachen. Die mit Tuberkulin beladenen Blutkörperchen wer-
den chemotaktisch an die starken, im tuberkulösen Herde befindlichen
Receptoren herangezogen und bewirken so die Herdreaktionen. Sind bei
schweren Phthisen alle Receptoren schon durch das Tuberkulin aus den
Körperherden besetzt, so ist eine Tuberkulinreaktion unmöglich. Weitere
Versuche, gegen den freiwerdenden Giftkörper zu immunisieren, führten
zwar bei Kaninchen öfter zu Reaktionslosigkeit, die aber keine echte
Immunität darstellte, sondern durch Receptorenschwund bewirkt war. .—
Diskussion: Aronson ist auf Grund seiner Versuche zu der
Anschauung gekommen, daß die Tuberkulinreaktion überhaupt keine spe-
cifische Reaktion ist. Es ist daher auch unmöglich, mit dem Tuberkulin
eine specifische Behandlung auszuführen. . | Ta
` F. Klemperer setzt an der Versuchsanordnung der Vortragenden
aus, daß durch das Digerieren des Tuberkulins mit den Blutkörperchen
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. weittragendem Einfluß. Hatte doch Leibniz,
- recht als den „geistigen Vater der medizini-
1526 a 1911 — - MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 87.
15. September.
Veränderungen des Tuberkulins vor sich gehen können. Er berichtet über
eigne Versuche, nach denen das Kreisen yon ‚Antikörpern im Blute nicht
anzunehmen ist. ‘Wenn man Tieren einen mit Perlsuchttuberkelbacillen
gesetzten Herd exeidiert, so tritt auf Tuberkulininjektion keine Reaktion
ein. ‚Auch er glaubt nicht an eine specifische immunisatorische Therapie
des Tuberkulins.
Citron wendet sich gegen die Auffassung Aronsons der Tuber-
kulipreaktion als einer unspecifischen Erscheinung. Die in den Versuchen
der Vortragenden aufgetretene Reaktion durch den in den Blutkörperchen
enthaltenen Giftstoff hält er nicht für spociisch, sondern durch Lipoide
hervorgerufen.
Meyer: Schlußwort.
Grabley: Zur technischen Kritik der Hochfrequenztherapie;
mit Demonstration eines nenen, einfachen Diathermieapparats. Vor-
tragender setzt zuerst die Erzeugung der hochfrequenten, hochgespannten,
primären und sekundären Wechselströme auseinander und charakterisiert
sie durch demonstrierte Wellenbilder. Echte Hochfrequenzströme haben
gedämpfte Sinuswellen mit gleichmäßig pm die Nullinie abklingenden
Amplituden; zur Diethermie werden ungedämpfte Sinuswellen oder ge-
dämpfte mit möglichst kurzen Intervallen und zusammengedrängten
Schwingungen benutzt (Poulsenscher Lichtbogenunterbrecher, Wechsel-
stromumformer-Apparate). Beide Apparate sind kompliziert und kost-
apparat zum Anschluß an den Röntgeninduktor. Er erzielt - der: gleichen
Effekt der schnellen, gleichmäßigen “Oscillation ungedämpfter. Sinuswellen
durch Uebereinanderlagerung zweier Systeme gedämpfter: Sinuswellen,
die so gegeneinander verschoben sind, daß die Amplituden von System u
auf die Intervalle von System I fallen.
Vortragender fordert eine einheitliche Einteilung der Applikations-
form der Hochfrequenzströme. Er unterscheidet; 1. Autokonduktion auf
dem Kondensatorbett oder unipolar mit feucht bezogenen Metallelektroden.
2. Applikation mit Kondensator und Vakuumelektroden. 8, Büschel-
entladung. 4. Funkenentladung.
Die Applikationen Í und 2 sind entsprechend ihrer Anwendung bei
geerdeten oder isolierten Patienten verschieden in ihrer Wirkung. Bei
Erdung durchströmen die gedämpften Sinuswellen den Organismus und
erzeugen durch ihre Schwingungen eine Oscillation im Plasma des Ge-
webes. Bei Isolation wird der Organismus aufgeladen, wodurch die-elek-
trische Gleichgewichtslage der Zellen hergestellt wird. Vortragender
nimmt an, daß viele anscheinend funktionelle Störungen durch feinste
Verschiebung. der Affinitäten der Moleküle im Zellprotoplasma ihre Er-
klärung finden als doch organisch bedingte Veränderungen. Wegen der
reflektorisch-tonisierenden Wirkung ist Applikation 1 und 2 bei nervösen
und organischen Affektionen innerer Organe indiziert, für trophische $to-
rungen der Haut die tonisierende, thermische und chemische Wirkung 2
spielig. Vortragender demonstriert den von ihm angegebenen Diathermie- | und 3, für Neubildungen die thermische Wirkung 4. K. R
Rundschau. =
Rediglert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Geschichte der Medizin.
l Dr. Johann Goercke (1750—1822) und die Begründung des
Preußischen Sanitätswesens.
Die durch Königliches Edikt vom 11. Juli 1900 erfolgte Repetir
dung der Akademie der Wissenschaften, zu der Leibniz, .der „geniale
Polyhistor“ und seine hohe Gönnerin, die Königin Sophie Charlotte von
Preußen den Anstoß gegeben hatten, blieb
auch auf die Entwicklung der Heilkunde von
dieses „Universalgenie“, das „in seiner Person
eine Universität verkörperte“ schon früh den
Wert methodischer Forschung erkannt und
demgemäß der Akademie unter anderem die
Abfassung medizinal-statistischer Berichte,
sowie die Zusammenstellung der wichtigsten
meteorologischen Daten über Naturereigvisse,
epidemische Kraukheiten und anderes mehr
empfohlen, sodaß Pagel!) ihn nicht. mit Un-
schen Topographie“ üherhaupt bezeichnet.
Bei diesem ersten Schritte konnte es
indessen nicht bleiben. Die rasche Entwick-
Jung, welche die Medizin.in dem angrenzenden
Frankreich, Holland und England nahm, äußerte .
ihre Rückwirkung auf Preußen alsbald i in der
Errichtung des „Theatrum anatomicum
(1713) in Berlin zum Zweck daselbst abzu-
haltender medizinischer Demonstrationen und
Uebungen, begründet durch den Hof- und
Leibmedicus Maximilian Spener (1678 bis
1714). Als eine Konzession an den streng medi-
zinischen Sinn des Soldatenkönigs Friedrich
Wilhelm I. war es schließlich aufzufassen,
daß dieses Theatrum anatomicum dann 1724
zu dem „Collegium medico chirurgicum“
erweitert wurde, mit dem in der Stiftungs-
urkunde ganz.. besonders hervorgehobenen
Zweck, in erster Linie als Lehranstalt für künftige Armeewundärzte
zu dienen. Hier wurde im Sommer Chirurgie, im Winter Anatomie
' doziert, später traten dann noch als besondere Disziplinen die Natur-
wissenschaften sowie Logik und Mathematik hinzu. Dieses „Collegium
medico chirurgicum“ bildete damit aber die erste Ausbildungsstätte der
Aerzte Preußens überhaupt, indem jeder, der praktizieren wollte, ‘den
„Cursum anatomicum et chirurgicum“ ablegen mußte, woher noch bis
heute der Name Cursisten für die Staatsexaminanden sich erhalten hat.
_ Damit indessen die praktische Ausbildung der Studierenden nicht
1) Pagel, Die Entwicklung der Medizin in Berlin. (Festschritt.
Wiehbaden 1897, Verlag von J. F. Bergmann.)
Dr. Johann Goercke (1750—1822),
Kgl. Preuß. Generalstabschirurgns.
zurückblieb, wurde die in den Jahren 1709—10 als Pesthaus erbaute
1727 zum Krankenhause hergerichtete Charité- hierzu heran-
gezogen, wobei noch besonders erwähnt sei, daß ihre ursprüngliche Be-
stimmung darauf gerichtet war, zur Unterbringung Armer und zur Auf-
nahme erkrankter Soldaten, also als Armenhaus und Garnisonlazarett zu
dienen. Der Unterricht in der praktischen Obirurgie, speziell für die
Zöglinge des Collegium medico chirurgicum, blieb auch dort vorerst die
Hauptsache und erst sehr viel später, das heißt 1789, gesellte sich hierzu
eine klinische Unterweisung in der inneren
Medizin. Friedrich der Große tat noch
ein übriges, indem er einige Maitres chirur-
Frankreich zu besonderer Blüte gelangte
Chirurgie auch den preußischen Wundärzten
zugute kommen zu lassen.
So lagen die Verhältnisse, als der un-
glückliche Krieg gegen Frankreich, welcher
im Baseler Frieden 1795 zur Abtretung des
linken Rheinufers führte, aufs neue die Not-
wendigkeit eines Bestandes tüchtig geschulter
Militärärzte erwies. Hier setzte nun die Tätig-
keit des späteren Generalstabschirurgen
Dr. Johann Goercke ein, der zu dem
„Collegium medico chirurgicum“ und der
Charité die Errichtung der medizinisch-
Kaiser-Wilhelm-Akademie, betrieb und
damit sein an Erfolgen reiches Lebenswerk
krönte. Am 2. August 1795 erfolgte die
diesbezügliche allerhöchste Bestätigung, wo-
rauf !Goercke alsbald die nötigen Stabs-
und Oberärzte, sowie 50 der besten Chirur-
gen zur schleunigen Begründung des Instituts
auswählte. Da noch kein Gebäude hierfür
vorhanden war, mußten die Zöglinge vorerst
Wohnung und Vorlesun gen selbst bezahlen
und entbehrten der sorgsamen Leitung, bis
der Anstalt am 18. August 1797 ein eigenes
Wohngebäude nahe der früheren Artillerie-
kaserne am Kupfergraben eingeräumt: und damit dem dringendsten Be-
dürfnis abgeholfen wurde. Die der kraftvollen Initiative Wilhelm von Hom-
boldts zu dankende Begründung der Universität Berlin am 10.
tober 1810 bedeutete auch für das medizinische Studium ‚einen weiteren
großen Fortschritt.
Wir hahen im vorstehenden nicht ohne Absicht den Entwicklungs-
gang, den die Militärmedizin als Ausgangspunkt der Medizin überhaupt
in Preußen genommen, eingehender dargestellt und wenden uns nunmehr
zu dem Leben und der Persönlichkeit des. hochverdienten Dr. Jo-
hann Goercke.
1750 in Sorquitten (Ostpreußen) als Sohn eines Predigers. g8
boren, blieb Goercke seit seinem achten Lebensjahre Waise und gelangte
giens aus Paris kommen ließ, um die in
chirurgischen Pepinidre, der heutigen
|
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. 1597
dädurch zu der medizinischen Laufbahn, daß ein Bruder seiner Mutter,
der Regimentschirurg bei dem damaligen Dragoner-Regiment von Pletten-
berg in Tilsit war, sich seiner annahm. 1778 war Goercke bereits
Kompagniechirurgus bei der Leibkompagnie Friedrichs des Großen in
Potsdam und fand hier zum ersten Male Gelegenheit, sein organisatorisches
Talent dadurch zu betätigen, daß er in Potsdam eigene chirurgische
‚Uebungen einrichtete, sowie einen Vorrat von Büchern und Instrumenten
vorsah, um den dortigen Militärärzten die Möglichkeit ihrer wissenschaft-
lichen Fortbildung zu verschaffen. Mit einem Königlichen Stipendium
von 100 Friedrichsdor in der Tasche trat er 1787 dann eine längere
lehrreiche Studienreise an, die ihn nach Wien, Italien, Frankreich und
London führte. Die Teilnahme an den Koalitionskriegen unter Friedrich
Wilhelm II. setzte ihn weiterhin in den Stand, den Kriegsdienst und
seine Erfordernisse aus eigner Anschauung kennen zu lernen, was für das
Preußische Sanitätswesen eine Reihe wichtiger Verbesserungen zur Folge
hatte. Es stammt von Goercke die erste Anlage eines sogenannten
Feldlazarett-Ambulants, das heißt eines wandelnden Lazaretts,
welches unter dem 16. Februar 1793 genehmigt bei der Goorcke eignen
Initiative‘ innerhalb von sechs Wochen vollständig fertig dastand. So
erführ auch Goercke gelegentlich einer Besichtigungsreise im Bereiche
der verbündeten Truppen durch Zufall, daß in Rinteln ein hessischer
Oberst einen englischen auf Federn ruhenden Krankenwagen be-
sitze, den derselbe aus Holland mitgebracht habe. Sofort reiste er nach
Rinteln, kaufte den Wagen, ließ ihn in Hannover ausbessern und sandte
ihn dann dem Preußischen Feldlazarett auf eigne Kosten nach. Diesem
Umstand aber verdankt das Preußische Heer seine Krankenwagen von
gleicher Bauart. Goercke kehrte auch nie aus dem Feldzuge heim,
ohne große Kisten mit Modellen, Maschinen, Knochen und Hirnschädeln
zum Zweck weiterer ärztlicher Belehrung und Erfahrung nach Berlin
mitzubringen.
Als dann 1797 der Generalstabs-Chirurgus Dr. Theden starb, trat
Goercke, der seit 1789 bereits seine Stellvertretung gehabt hatte, durch
Königliches Patent in diese Stellung ein. 1807 nahm er an der blutigen
Schlacht bei Preußisch Eylau teil und fand hier besondere Gelegen-
heiten, sich organisatorisch zu betätigen. Wir lesen darüber in seiner
Biographie?):
„» » e Ueberall, wo er waltete, herrschte die weiseste Sparsamkeit.
In seiner Wohnung machte ein Tischler aus alten Brettern und
Faßstäben Pantoffeln, Pritschen und andere Dinge der Art zur
Bequemlichkeit und Reinlichkeit der Kranken. Sauberkeit zeich-
nete die Lazarette, wo er waltete, ganz herrlich aus, sodab es
eine Freude war, sie zu sehen; daher allein auch sein Haß gegen
das Tabakrauchen, sowie gegen jedes Schmutzige an allen Aerzten
besonders, daher seine stete unablässige Sorge für frische, ge-
sunde Luft, der er ebensoviel zutraute, als er, ein Feind
der zusammengesetzten Heilformen, auf die durch gute
Nahrung unterstützte Kraft der Natur baute. Selbst noch für die
russischen Kranken sorgte er und es ist kaum zu begreifen, wie
er sich hier körperlich erhalten, da er sich, selbst hinfällig, durch
rastlose unausgesetzte Tätigkeit allen Gefahren der Verpestung
und Ansteckung bloßstellte. Aber seine außerordentliche Mäßig-
keit, strenge Lebensordnung und Reinlichkeit wirkten wundertätig
auf seine Erhaltung. . . .“
Nebenher galten seine Bemühungen der Rangerhöhung der
Militärärzte und ihrer Gleichstellung mit den aktiven Offi-
zieren, eine Forderung, die sich besonders für den Krieg als notwendig
erwiesen hatte. So wurden auf seine Veranlassung den oberen Militär-
ärzten ein bestimmter ehrenvoller Rang in der Armee vom Obersten ab-
wärts, sowie Auszeichnungen „Offiziersporte-Epses“ und Kordons nebst
bedeutenden Verbesserungen an Gehalt und andern Einkünften durch
des Königs Gnaden bewilligt. „Dem Militärarzte in unserem Königlichen
Heere fehlte es sonst zu sehr an dem nötigen Ansehen in den Lazaretten
und an der so unentbehrlichen Würde. .... “ Nicht weniger blieb
Goercke auch bedacht auf die Versorgung invalider Regiments-
und Bataillonschirurgen, und so wurde auf seine Anregung hin die
bereits bestehende Privat-Pensionskasse zur Generalinvalidenkasse ge-
schlagen, aus der nunmehr alle invaliden Regiments- und Bataillons-
chirurgen ein bestimmtes Gnadengehalt bekommen sollten.
Diese zum Teil gänzlich neuen, zum Teil durch Goercke. zweck-
mäßiger ausgestalteten Einrichtungen trugen den Ruhm des neufundierten
preußischen Militär-Sanitätswesens auch ins Ausland, wo ihm besonders
in dem Baron Percy ein begeisterter Verehrer erwuchs. Dieser fran-
zösische Chirurgien-G6n6ral en Chef ließ sich zu Tilsit 1807 durch einen
Adjudanten bei Friedrich Wilhelm III. mit dem erklärenden Hinzufügen
melden: „Je suis le Goercke de l'armée Francoise“, was neben
a EEE
1) Dr. Johann Goercke’s 50 jährige Dienstjubelfeier am 16. Ok-
tober 1817. (Berlin 1818, _Ungersche Buchhandlung.)
den sonstigen Verdiensten dem Könige wiederum später Veranlassung
gab, Goereke in einer Reihe handschriftlich vorliegender Gnadenbeweise
sein ganz besonderes Wohlwollen auszudrücken. Es konnte Goercke
hiernach an äußeren Ehren nicht fehlen, erhebender erscheint indessen
das Vertrauen, das man ihm auch als Arzt entgegenbrachte. So war
er der Leibarzt der Königin- Witwe Elisabeth Christine und eilte
im Juli 1810, einem besonderen Wunsch der Königin Luise zufolge,
an ihr Schmerzenslager nach Hohenzieritz. Die 50jährige Dienstjubel-
feier, die Goercke den 16. Oktober 1817 feierlich beging, und über
deren festliche Veranstaltung ausführliche Berichte in Form von An-
sprachen, Gedichten und Hymnen vorhanden sind, legt insbesondere
Zeugnis hiervon ab. Es sei auch, um den Menschen Goercke näher zu
kennzeichnen, des Montagsklubs gedächt, dem er seit seiner Begründung
angehörte und der sich als eine „geist- und gemütvolle heitere Gesell-
schaft der Unsterblichen, fröhlich Lachenden“ darstellte. Ibm gehörten
die würdigsten Männer Berlins, wie Rammler, Lessing, Nicolai,
Abbt, Theden und Andere an, ihre Zahl durfte jedoch nach- den
Statuten die 30 nie überschreiten und neu stattfindende Wahlen konnten
nur einstimmig erfolgen. Wir hören sonst nach, daß Goercke bei
seinem nicht eben starken Körperbau eine bewunderungswürdige Arbeits-
kraft besaß und mit nur wenig Stunden Schlaf auszukommen vermochte.
Seine Erholung bildete der Sitte seiner Zeit gemäß das Flötenblasen,
sowie eine umfassende Sammlung von Bildnisseon und Kupferstichen be-
rühmter Aerzte und Männer aller Zeiten. Zur Ehe, welche kinderlos
blieb, schritt Goercke erst im Alter von 49 Jahren.
Mit 65 Jahren, im Jahre 1815, erbat Goercke im Hinblick auf
sein herannahendes Alter, einen Nachfolger und erhielt denselben in dem
Divisions-Generalchirurgen und Leibarzt des Königs, Dr. Wiebel, nicht
jedoch ohne den besonderen handschriftlichen Zusatz des Königs „.. . so
lange es Ihre Kräfte erlauben, erwarte ich es von Ihrem durch eine
lange Reihe von Jahren rühmlich : bewährten Eifer für den Dienst, daß
Sie sich den Geschäften nicht ganz entziehen werden....“ Am 80. Juni
1822 starb Goercke an Altersentkräftung im 72. Lebensjahre in Sans-
souci, woselbst ihm des Königs Gnade für den Sommer einen Erholungs-
aufenthalt gewährt hatte. |
Abschließend sei an dieser Stelle noch die kurze Ansprache wieder-
gegeben, mit der Fürst Blücher von Weahlstatt die Prüfung und Preis-
verteilung gelegentlich des 20. Stiftungsfestes der Königl. med. chirurg.
Pepinisre den 12. August 1814 begleitete:
„Bilden Sie, meine Herren, nicht nur Ihren Kopf, sondern
auch Ihr Gefühl aus und suchen Sie das zu werden, was Ihre
Vorgänger schon sind; denn es gibt keine größere Beruhigung
für die Kranken und Blessierten, als wenn sie einen gefühlvollen
und teilnehmenden Arzt haben, dem sie sich mit Vertrauen über-
geben können; sowie das innere Bewußtsein, seine Pflicht getan
zu haben, der größte Lohn ist. Ich danke Ihnen (zu Goercke
gewandt) für die zweckmäßigen Einrichtungen, die Sie dem
‚Militärlazarett gemacht haben, für die weisen Vorschriften, die so
vortrefflich sind, daß jeder Ihrer Untergebenen denselben nur folgen
darf, um die ihm anvertrauten Kranken auf das zweckmäßigste zu
versorgen. Ich und die ganze Armee kennen und schätzen Sie
als einen echten Patrioten. Gott schütze Sie und schenke Ihnen
noch recht langes Leben, damit Sie immer mehr die Früchte
Ihrer Bemühungen sehen mögen.“ Erwin Franck.
Medizinalgesetzeebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Kurpfuschertum und Reichsgericht.
Eine Frau erlitt bei einem Sturz eine Verletzung des rechten
Armes und ließ sich deswegen von einem Kurpfuscher, der seit Jahren
mit der Behandlung von Knochenbrüchen und Luxationen sich befaßt,
behandeln. Dieser nahm an, es handle sich um einen Knochenbruch.
Bei der späteren ärztlichen Behandlung stellte sich heraus, daß eine Ver-
renkung des Ellenbogens vorlag und daß eine Einrichtung des Gelenks
nicht mehr möglich war. Die Frau führt den Schaden auf die falsche
Behandlung zurück und klagte gegen den Kurpfuscher auf eine Geldrente
für Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit, auf Ersatz der bisherigen
Heilungskosten und auf ein Schmerzensgeld, sowie auf Sicherheitsleistung
für alle diese Ansprüche. Die Klage wurde dem Grunde nach für gerecht-
fertigt erklärt. Das Reichsgericht entschied zugunsten der Frau. Es
führte aus:
Der Beklagte hatte die Behandlung der Klägerin übernommen und
war daher nicht bloß kraft Vertrags, sondern auch auf Grund seines Ge-
werbes und der tatsächlichen Uebernahme der Behandlung nach den Vor-
schriften über unerlaubte Handlungen (Bürgerliches Gesetzbuch $ 823)
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1528
für. eine sachgemäße Behandlung haftbar. Der Beklagte mußte vor
allem, was für die Art der Behandlung wesentlich war, für
eine sachgemäße Feststellung darüber sorgen, ob es sich um
einen Bruch oder um eine Verrenkung handelte, und falls er
selbst eine zuverlässige Feststellung nicht treffen konnte,
die Klägerin zu diesem Zweck an einen Arzt verweisen. Das
Gleiche mußte er tun, sobald sich seine Behandlung als er-
folglos erwies. Der Beklagte ist diesen Verpflichtungen nicht nach-
gekommen, hat vielmehr, wie das Berufungsgericht festgestellt, auf die
bloße Vermutung eines Knochenbruchs hin die Klägerin durch Anwen-
dung offensichtlich zweckloser Mittel, wie Salben und Binden, und durch
leere Versprechungen mehr als drei Wochen hingehalten, sodaß das Ein-
greifen des Arztes zu spät kam und eine Heilung ausgeschlossen ist.
Aber auch die Annahme eines Verschuldens des Beklagten läßt einen
Recbtsirrtum nicht erkenüen. Man kann allerdings von dem Beklagten
nicht die volle Sachkenntnis eines approbierten Arztes verlangen. Allein
, das Berufungsgericht stellt als allgemein, auch dem Laien bekannt, fest,
daß Knochenbrüche und Verrenkungen verschieden behandelt werden
müssen, daß bei einer. Verrenkung möglichst bald die Einrenkung des
Gliedes versucht werden muß, spätere Einrenkungsversuche aber häufig
erfolglos bleiben. Ferner ist festgestellt, daß der Beklagte von vorn-
herein im Unklaren war und gleichwohl auf die bloße Vermutung eines
Knochenbruchs hin die Klägerin behandelte. Der Beklagte hätte sich
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt sagen müssen, daß er sich in
seiner durch eine zuverlässige Untersuchung nicht gestützte Annahme
irren könne und hätte die Klägerin: behufs zuverlässiger Feststellung der
Verletzung an einen Arzt verweisen sollen. Indem er dies nicht getan
hat, hat er fahrlässig gehandelt (Bürgerliches Gesetzbuch $ 276).
Ueberaus kennzeichnend ist es, daß der Quacksalber, als alle
Stränge rissen, noch die Unverfrorenheit hatte, zu behaupten, die Frau
sei an dem Schaden mit schuld, weil — sie sich an ihn gewandt habe.
Das Reichsgericht wies diesen Einwand mit den Worten zurück: „Dem
Beklagten, der durch sein eignes schuldhaftes Verhalten den Schaden
verursacht hat, steht es nicht zu, ein mitwirkendes Verschulden der
Klägerin daraus abzuleiten, daß sie seine Dienste in Anspruch genommen
hat, zumal er sie durch seine Beruhigungen und Vertröstungen davon
abgehalten hat, sich an einen Arzt zu wenden.
Varia.
Mein Papierkorb!
Ein mir sehr lieber, alter, längst verstorbener Freund, ein Jurist
von tiefem Wissen, schrieb noch als hoher „Sechziger“ mit demselben
altfränkischen F'oderhalter, den er schon auf dem Gymnasium benutzt
hatte: Seine Freunde und Kollegen äußerten darum gelegentlich in
scherzhafter Weise den Wunsch, er möchte ihnen dereinst seinen ebenso
alten Tintenwischer hinterlassen, damit sie vielleicht von den in der
Feder gebliebenen Gedanken einige chemisch extrahieren und für sich
verwenden könnten. — Wie allen Kopfarbeitern sind auch uns Aerzten
die Gerätschaften des Schreibtisches lieb und wert. Sie gehören ja zum
Rüstzeuge des Alltags, sind mit unserm Denken und Fühlen eng ver-
wachsen — und wenn sie morgens fehlen oder an andere als die ge-
wohnte Stelle gerückt sind, so ist es uns, als wenn die rauhe Hand des
Schicksals plötzlich ins Innenleben des beginnenden Tages eingegriffen
und unsere Laune verdorben hätte. — Mir geht es wenigstens so!
Der Papierkorb macht da eine Ausnahme. Er nimmt gewöhn-
lich nicht bloß dem Raume, sondern auch dem Range nach eine unter-
geordnete Stellung ein. Ich habe nun das Gefühl, daß dem Papierkorbe
des Arztes damit unrecht geschieht; er ist für uns Aerzte nicht nur ein
schönes, sondern auch ein brauchbares Möbelstück. Junge, tüchtige
Gynäkologen erhalten nicht selten wundervoll gestickte Papierkörbe aus
ihrer besseren Clientel von einer Primapara zum Geschenk! — Ich be-
wunderte hier und da bei ihnen im Sprechzimmer nicht ohne Neid die in
weißen Perlen ausgeführte „Dankbarkeit“, die hell leuchtend aus den
bunten Blumenstücken der Vorderfront des Korbes hervorstrahltie. — So
kam ich dazu, in den Pausen meiner Sprechstunde darüber nachzudenken,
was es mit dem ärztlichen Papierkorbe für eine Bewandtnis habe und
gedenke heute gewissermaßen seine Ehre zu retten: Er ist ein stiller
Freund, der jahraus jahrein neben dem Doktor steht, lautlos den Dienst
verrichtet, alles einnimmt, was man ihm in den Rachen wirft, dabei nicht
muckt, gutes und schlechtes beim Aufräumen unverdaut wieder von sich
geben muß und trotz dieses trägen Stoffwechsels floriert.
Gerade im Frühjahr und Herbst — meine ich — ist der Papierkorb
fast unentbehrlich! Früher kamen um diese Zeit Kollegen aus Sana-
torien und Badeorten und stellten sich vor: Wenn ihr Wirkungskreis
in*erreichbarer_Nähe lag ‚und sie sich mit Recht auf landwirtschaftliche
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 87,
15. September,
Reize und andere annehmbare Qualitäten berufen ' konnten, war ihr Be-
such angenehm; er füllte sogar die Pausen in der Sprechstunde als er-
sprießliche Unterbrechung der mißvergnügten Krankenberichte in- netter
Form aus. Jetzt treten sie nur noch selten persönlich in Erscheinung;
sie schicken uns dafür ihre Prospekte und Anstaltsberichte mit
dem Radiumgehalt ihrer Wässer neuerdings stets mit ihren „Mache“-
einheiten, mit den Krankengeschichten und Titulatur ihrer Patienten.
Schade! — Ich hatte sie lieb und unterhielt mich gern mit ihnen über
balneologische und andere Tagesfragen: Man erkannte da, wer und wie
der Mann ist, dem man im Sommer Patienten anvertrauen konnte! —
Da meine Bibliothek, nicht aber mein Gehirn allmählich ins unendliche
wächst, die mir zugedachten Sonderabdrücke aller Art sich häufen,
immer neue Mappen, Kästchen und Schubladen entstehen, in die sie
hineingehören, tritt mein. Papierkorb. für viele solche und andere
therapeutische Publikationen leider allmählich an die Stelle der —
Bibliothek. | | l
Die chemische und pharmaceutische Großindustrie versucht mit
gleicher Energie durch ihre Sendboten die leeren Plätze im Warte-
zimmer an stillen Tagen auszufüllen. — Diese neuen Pioniere der Ge-
sündheit wollen nicht, daß‘ wir Aerzte uns um Unterhaltung bemühen
und ibren Wortschwall lieblos unterbrechen. Sie haben ihr Thema —
das bringen sie mit und wenn es erledigt ist, so ziehen sie ihre neuesten
Präparate aus den schier unerschöpflichen Taschen und legen sie auf
den Schreibtisch. Wenn man guter Laune ist, räumt man sie weg aus
Gesichtsweite und wartet so lange mit den zugesagten therapeutischen
Versuchen, bis die Köchin wieder einmal Kopfschmerzen hat oder das
Dienstmädehen über chlorotische Beschwerden klagt. Will man ganz
wissenschaftlich sein, so präsentiert man sie gelegentlich mit der wich-
tigen Miene des Psychotherapeuten zu suggestiven Zwecken alten Pa-
tienten, wenn man mit seinem Latein zu Ende ist. — Nützen sie nichts
oder machen sie Nebenerscheinungen, die eine eventuelle Publikation oder
briefliche Anerkennung verhindern, so nimmt sie der Papierkorb willig auf.
Aber auch die „Ueberernährer“ der heutigen Menschheit
sorgen für die Fülle in meinem Papierkorb. Entweder bieten uns die
verschiedenen Nährmittelwerke Löschblätter, die bedruckt oder gefärbt
sind und darum keine Tinte mehr aufsaugen können, oder sie liefern uns
Bleistifte, die beim Gebrauch abbrechen, immer wieder gespitzt werden
müssen und täglich von neuem Aergernis erregen. Rezeptformulare
kann man auf Bestellung auch durch Nährmittelwerke kostenlos. sich an-
schaffen: „Ich warne Neugierige“, weil das Papier, das verwandt
wird, zu dünn ist, also ebensowenig Zellstoff enthält, als die Präparate —
Nährstoff —. So erreicht. der Inhalt des Papierkorbs eine erschreckende
Höhe, wenn er nicht von Natur einen Leibesumfang hat, der sich sehen
lassen kann. Neuerdings macht sich auf meinem Schreibtisch ein Ra-
diergummi breit, den eine Fabrik von Abführpillen mir überlassen hat;
ich finde darauf die Indikationen verzeichnet, bei denen man sie schlucken
soll. — Ich habe noch nichts von meinen literarischen Produkten damit
weggeschabt, weil ich selten mit Bleistift schreibe und Tintengummis
immer schlecht sind, auch wenn das Gegenteil von ihnen behauptet
wird. — Der Abführgummi liegt noch friedlich schon seit Weihnachten
neben den Gummis, die ich mir selbst gekauft habe: Ich wollte ihn auf-
heben, weil ich schon lange über den Papierkorb schreiben wollte, in den
er nunmehr abgeführt werden wird.
Früher besaß ich noch andere Utensilien für den Alttag, die mir
aus Menschenfreundlichkeit zugegangen waren: Eine Wattefirma schickte
mir einmal, obwohl ich meine Praxis nur im Trocknen treibe und nie Blut
in meinem Sprechzimmer fließen lasse, ein größeres Päckchen ihres Pro-
dukts mit der Bemerkung: „sie vermisse mich schon seit längerer Zeit
unter ihrer — Kundschaft“. Einem jüngeren, etwas sarkastischen Kol-
legen war das auch passiert. Er erwiderte: „Krz. Hd. zurück mit dem
ergebenen Bemerken, daß auch die Firma X & Cie. immer noch nicht zu
meinen Patienten gehört.“ : --
Die „Kalender“ -der „Sauerbrunnen“ oder der exotischen Granula-
produzenten scheinen dem geschilderten Schicksal der vorgenannten Gegen-
stände zu entgehen, da man sie nicht selten in den Händen der Kollegen
antrifft, wenn sie sich die Zeit der nächsten Konsultation notieren. Die
liebenswürdigen Granula- und Tablettenfirmen sind bekanntlich glänzende
Vertreter einer kompressiven Technik; sie ersparen uns die Anschaffung
eines offiziellen Medizinalkalenders, ihre- Notizbücher sind -nicbt so dick
und nicht so teuer wie dieser, schmiegen sich wegen ihrer weichen Ein-
banddecke der Gegend des gefährdeten linken ärztlichen Ventrikels viel
leichter an. Diese Bequemlichkeit wiegt ihre fatale Eigenschaft auf, daß
der Träger jeden Tag lesen muß, daß nur diese patentierten Granules
gegen Herzklopfen gut sind. - -- | | pa
Die Broschüren von Impfgegnern, von Wasserapostelu und zahl-
reichen andern querulatorisch-polyphasisch angelegten Zeitgenossen fehlen
selten in solchem ärztlichen Sprechzimmerabgrunde. _ . . - `
um
na re a Fall m a er Hier bs a a a FE a uf ze Lu TEE E
15. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 37. | 1529
Nun wird man am Schlusse meiner Betrachtungen vielleicht die
Tatsache vermissen, daß mein Papierkorb nie Manuskripte enthält. Aber
ich bin nicht Redakteur — meine Manuskripte liegen nur selten im
Papierkorb und dann immer nur in dem — eines Andern!
Dr. Leo von der Weide (Frankfart a. M.).
Aerztliche Tagesfragen.
Die 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte,
in Münster i. W. 15. bis 21. September 1912.
Im Jahre 1858 schrieb Alexander von Humboldt an die Ge-
‘schäftsleitung der Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte,
die ihn nach dem Versammlungsorte Karlsruhe eingeladen hatte: „Ich
würde mich glücklich schätzen, eine Versammlung zu besuchen, der ich selbst
einmal (1828 in Berlin) präsidiert habe und die als ein schwaches Lichtbild
der mythischen Einheit des deutschen Vaterlandes übrig geblieben ist.“
Die Worte Humboldts sind ein „Lichtbild“ der politischen
Stimmung jener Tage. So manchen Wandel in den politischen Verhält-
nissen des deutschen Vaterlandes und in der Weltlage hat die ehr-
würdige, im Jahre 1822 gegründete Gesellschaft durchlebt. Aber gibt
es Umwälzungen, die sich messen können an Großartigkeit und an Trag-
weite mit den Ereignissen im Reiche der Naturwissenschaften und der
Medizin seit dem Gründungstage der Gesellschaft? Für die Medizin
knüpft sich diese Entwicklung an das Eindringen naturwissenschaftlicher
Forschungsmethoden. Iu dem Namen der Gesellschaft kommt diese
Allianz zum Ausdrucke!
Indessen haben sich im Laufe der Zeit die Aufgaben der Gesell-
schaft und ihre Stellung im wissenschaftlichen Leben geändert. Die
breite Entwicklung der Medizin hat zahlreiche, periodisch tagende wissen-
schaftliche Vereinigungen und Sonderkongresse gezeitigt, welche die
Aufgabe der alten Gesellschaft übernommen haben. Für diese bat sich
notwendig der Schwerpunkt ihrer Wirksamkeit verschoben. Und galt sie
in vergangener Zeit als das Lichtbild der ersehnten politischen Einigung,
so stellt sie sich heute dar als das Lichtbild der mythischen Ein-
heit der zersplitterten Medizin. Das Bedürfnis nach einer solchen
Einheit tritt um so stärker hervor, je mehr in der heutigen Zeit nach einer
oft gehörten Klage die großen allgemeinen Gesichtspunkte in der Betrachtung
der wissenschaftlichen Probleme und der Aufgaben am Krankenbette zu ver-
schwinden scheinen, die den älteren Aerztegenerationen eigen gewesen sind.
Auch die diesmalige Tagung ist sich dieser überlieferten Aufgabe
bewußt und bat die geeignete Form dafür gefunden in den Referaten,
die für die Gesamtsitzungen der Hauptgruppe und allgemeinen Versamm-
lungen aufgestellt sind. Es seien nur genannt: Leben und Beseelung
(E. Becher [Münster]). Zur neueren Entwicklung der Thermodynamik
(W.Nernst). Vererbung und Bestimmung des Geschlechts (K.Correns
[Münster] und R. Goldschmidt [München]). Die Wissenschaft vom Leben
‚In ihrer Bedeutung für die Kultur der Gegenwart (R. v. Wettstein [Wien],
A. Czerny [Straßburg] und v. Hannstein [Berlin]). Ueber das Oedem.
Mit Recht hat die Gesellschaft es weiterhin als ihre Aufgabe an-
gesehen, gemeinsamen Interessen der Medizin und der Natur-
wissenschaften in den Fragen des öffentlichen Lebens durch
ihre gewichtige Stimme Nachdruck und Widerhall zu geben. Es sei an
die Forderungen früherer Sitzungen erinnert, der Naturwissenschaft in
dem Unterrichte der heranwachsenden Jugend gegenüber einseitigen
humanistischen Bestrebungen den gebührenden Platz zu sichern. Hierher
gehört auch der Hinweis auf die Schädigungen infolge der Vernach-
lässigung der körperlichen Erziehung und der sportlichen Ausbildung auf
Schulen und Hochschulen.
Ich halte es auch für geboten, daß die Naturforscherversammlung
frühere Bestrebungen wieder aufnimmt, die auf der Hamburger Tagung
angeregt worden sind und welche bezweckten, eine zentrale Prüfungs-
stelle für Arzneimittel einzurichten. Eine Aufnahme dieses fallen-
gelassenen Versuchs erscheint mit Rücksicht auf die Ereignisse der
letzten Zeit erwünscht. Gemeinsamer Arbeit von Medizin und Chemie
obliegt es, das auf dem Felde der Chemotherapie mit der Saat reichlich
aufgegangene Unkraut zu entfernen und Mißstände auf dem Gebiete der
‚Arzneimittelerzeugung und des Arzneimittelvertriebs abzustellen.
Für die diesmalige Tagung der Versammlung in Münster haben
| Geschäftsleitung und vorbereitender Ausschuß in mühevoller Arbeit dafür
gesorgt, daß den Besuchern reiche Anregung und Förderung geboten
werden wird, wozu dann noch kommt, daß die günstige Lage Münsters
In der Nähe der großen Industriezentren eine gute Gelegenheit dazu bietet,
weltberühmte technische Betriebe und Organisationen kennen zu lernen.
So steht die Tagung der Gesellschaft unter günstigen Auspizien
und die bewährte fruchtbare Verbindung zwischen Medizin und Natur-
wissenschaften verheißt auch in diesem Jahr eine gute Ernte. K. Bg.
| Kleine Mitteilungen.
. (Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. DieTagung der diesjährigen 84. Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte in Münster i. W. ruft aufs neue das
lebhafte Bedauern wach, daß bisher noch kein medizinischer Historiker
sich der sicherlich sehr dankenswerten Aufgabe unterzog, eine Geschichte
der Naturforscherversammlangen zu schreiben. Ein solches Werk würde
gleichbedeutend sein mit einem Spiegelbilde der Geschichte der Medizin
des letzten Jabrhunderts und würde vor allem den großen Nutzen haben,
die Meister unseres Faches auch in ihren jüngeren Lebensjahren als geist-
sprühende Redner, wie als gewandte Debatter kennen zu lernen. Spricht
doch gerade aus dem lebendigen Vortrag, aus der angeregten Diskussion,
die Persönlichkeit des Menschen und ist es doch gerade diese, die der
ärztliche Leser jetzt sucht, der medizinische Historiker nur zu gern
rekonstruieren möchte. Hinter diesem Wunsche wird das wissenschaft-
liche Detail, das im Laufe der Jahrzehnte auch immer bald überholt
wurde, naturgemäß zurücktreten und nur in seinen großen Richtlinien, die
bestimmten Jahren direkt ihren wissenschaftlichen Stempel aufdrücken,
der Nachwelt erhalten bleiben. Es sei in dieser Beziehung an die eines
gewissen politischen Einschlags meist nicht entbehrenden klassischen
Reden des jüngeren Virchow zu Königsberg (1860) !) und Frankfurt a. M.
(1867) erinnert. Ebenso gibt die vor kurzem erschienene Bergmann-
Biographie viele köstliche Proben seines Scharfsinns und seiner nie ver-
sagenden Dialektik. Wir denken dabei nur an die Naturforscherversamm-
lung zu Eisenach 1882 und Nürnberg 1883. Auch Robert Kochs
Gesammelte Werke enthalten nach dieser Richtung hin manche Perle,
wenngleich Koch das Pathetische weniger lag und er mehr durch die
Selbstverständlichkeit und Sicherheit wirkte, mit der er die staunens-
werten Ergebnisse seiner Forschungen der Oeffentlichkeit übergab. Die
51. Naturforscherversammlung in Kassel 1878 legt hiervon beredtes Zeugnis
ab, woselbst der Vortrag des damals noch weniger bekannten Wollsteiner
Kreisphysikus Dr. Robert Koch „Untersuchungen über die Mikro-
organismen bei infektiösen Wundkrankheiten“ in der Sektion für patho-
logische Anatomie und innere Medizin trotz seiner lapidaren Kürze vor
den Zuhörern eine neue Welt der mikroskopisch sichtbaren Lebewesen
erstehen ließ.
| Solche Stellen gekürzt und weithin in der Literatur verstreut, sie
erwecken aber den lebhaften Wunsch nach mehr, nach einem Standard
Work, welches das Bild unserer großen Naturforscher und Aerzte uns
für immer lebendig erhält, ihre Erfolge und Aussprüche zu einem Ge-
meingute der ärztlichen Welt werden läßt. Es schließe diese Aus-
führungen ein Wort Naunyns, gesprochen in dem Nachruf auf Ernst
von Bergmann gelegentlich der Dresdener Naturforscherversammlung
von 1907, das in dieser Form auch über den Einzelfall hinaus allgemeine
Gültigkeit beansprucht: „.... Er war mehr als ein berühmter Chirurg:
er war ein bedeutender Mensch; auch in unsern Versammlungen haben
wir.die Wucht seiner Persönlichkeit erfahren.“ E. Fr.
— Das Archiv der Gesellschaft Deutscher Naturforscher
und Aerzte richtet an alle Naturforscher und Aerzte Deutschlands das
Ersuchen, in ihrem Besitze befindliche Briefe von Verstorbenen und
Verwandten und Freunden, desgleichen biographische Aufzeich-
nungen und Nekrologe dem Archiv schenkweise oder leihweise in
Verwahrung zu geben. Einsendungen an den Ausschuß für die Geschichte
der Naturforscherversammlungen z. H. des Herrn Prof. Dr. Sudhoff in
Leipzig, Talstraße 35/l. —
— Unter großer Beteiligung zahlreicher hiesiger und aus-
wärtiger Aerzte, sowie nahezu aller deutscher Vertreter des Spezialfaches
wurde am 9. September der 6. Internationale Gynäkologenkongreß
im Herrenhaussaal eröffnet. Ueber die Sitzungen, welche vom 10. Sep-
tember ab täglich stattfinden, wird von uns an anderer Stelle eingehend
berichtet werden. —
— Ein Aufsatz des Geh. Reg.- und Med.-Rats Dr. Spring-
feld in Osnabrück beschäftigt sich in der „Zeitschrift für Medizinal-
beamte“ mit der „Reichsversicherungsordnung und ihrer Bin-
wirkung auf das Apothekerwesen“. S. glaubt darin nachweisen zu
können, daß durch die R.V.O. die Versicherten um 20 Millionen an-
wachsen und diese Zahl sich verdoppelt, wenn noch die Familienmitglieder
freie Arznei erhalten, wodurch eine Steigerung der Preise der Apotheken
auf 420 Millionen Mark eintreten müßte. Das jetzige System der Ver-
äußerung der Apotheken könne alsdann für den Apothekerstand und
den Konsumenten nur Unheil bringen. Die angeschlossenen Schlußfolge-
rungen malen doch wohl mit etwas zu schwarzer Farbe, indem sie aus-
führen, daß hieraus eine Vernachlässigung der Apothekerbetriebe sich er-
geben, die offene und versteckte Kurpfuscherei zunehmen und Neben-
geschäften aller Art Tor und Tür geöffnet würde. Dieses einzig aus dem
Grunde, um die Umsatzsteigerung zu erhöhen und damit eine aus-
reichende Verzinsung der meist überschuldeten Apotheken herbeizuführen,
n. » . der gehetzte Besitzer unterläßt bald auch alle Reparaturen und
Anschaffungen, greift zu unglaublichen Improvisationen, benutzt undichte
Behälter usw., man sieht undeutliche oder fehlende Signaturen, defekte,
unsaubere, mit Arzneimitteln bedeckte Dispensiergeräte und Waren, Irr-
tümer bei der Rezeptur und beim Handverkaufe, gemeingefährliche Un-
ordnung, Unsauberkeit und Unsicherheit im Gift- und Arzneiverkehr . .“
1) Vgl. hierzu „Von Aerzten und Patienten“.
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1530
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 87.
15. September.
Dieses keineswegs erfreuliche Zukunftsbild von so prominenter
Stelle aus in die weite Oeffentlichkeit projiciert, veranlaßte den Vorsitzen-
den des deutschen Apothekervereins, Dr. Salzmann (Berlin), zu einer
bestimmten und recht energisch gehaltenen Abwehr in Nr. 66 der Apo-
thekerzeitung. S. legt im Namen der Gesamtheit der deutschen Apo-
theker Verwahrung ein gegen die von Springfeld gemachten mehr
utopistischen Ausführungen und deduziert dahin, daB von einer Ueber-
flutung der Apotheken durch Kassenpatienten schon aus dem Grunde
nicht die Rede sein könne, weil alle diese Arzneikonsumenten auch bis-
her in Behandlung standen und ihre Arzneien bezogen, sodaß nach ihrer
Aufnahme in den Kreis der Versicherungspflichtigen nur eine Verbilligung
der Arznei und damit ein Nachteil für die Apotheken sich ergeben wird.
Die vielbesprochene Folge dieser Entgegnung bildet. eine Beleidigungs-
klage des Geheimrat Springfold gegen Dr. Salzmann.
Berlin. In vergangener Woche trat in Köln der Hauptverband
deutscher Ortskrankenkassen zu seiner 19. Generalversamm-
lung zusammen. Gegen 1000 Delegierte als Vertreter der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer hatten sich hier vereinigt, um über das Wohlergehen
von etwa fünf Millionen Versicherter zu beraten. So vermag sich nach
den Ausführungen des langjährigen Verbandsvorsitzenden Fräsdorf
(Dresden) keine Organisation in Deutschland an Mitgliederzahl mit dem
Allgemeinen Ortskrankenkassenverbande zu messen. Den Grundton der
diesjährigen Beratungen bildete, wie vorauszusehen war, die Notwendig-
keit eines Ausgleiches zwischen Krankenkassenverwaltungen und
der Aerzteschaft. Erscheint der Riesenorganismus des Kassenverbandes
auch festgefügt, so steht ihm doch die nicht minder straffe Organisation
der deutschen Aerzte im „Leipziger Verband“ gegenüber. So ergab
sich auch gelegentlich der Tagung in Köln keine Möglichkeit einer fried-
lichen Beilegung der bestebenden Streitpunkte. Insbesondere wurden von
allen Rednern, mit einer Ausnahme, die Aerzteforderungen (freie Arzt-
wahl, höhere Honorare, günstigere Anstellung) als unannehmbar be-
zeichnet. Dieses mit Hinweis auf die in den letzten Jahrzehnten erfolgte
Steigerung der Kassenhonorare: von 4 Millionen Mark oder 2,13 M pro
Kassenmitglied im Jahre 1885 auf 76,5 Millionen oder 5,85 M im Jahre
1910. Mangels einer befriedigenden Einigungsformel einigte man sich
auf der Grundlage allgemeiner Friedensversicherungen, ohne reelle, prak-
tisch verwertbare Vorschläge zu machen.
— Regierungsrat Dr. Woithe, Mitglied des Kaiserlichen Gesund-
heitsamts, ist zum Direktor des Hygienemuseums in Dresden ernannt
worden.
— San.-Rat Dr. Mugdan wurde als Kandidat für das Abgeord-
netenhaus (I. Berliner Landtagswahlkreis) aufgestellt.
Arnstadt. Dr. Pabst, Oberarzt am städtischen Krankenhaus,
erhielt den Professortitel. TENERA
Berlin. Gemäß der Veröffentlichung „Das Gesundheitswesen des
preußischen Staats im Jahre 1910“ betrug die Zahl der in den Listen
der Kreisärzte geführten Personen, welche, ohne staatlich anerkannt zu
sein, als Kurpfuscher die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, im Be-
richtsjahre 4191. In dieser Zahl sind die 4418 Zahntechniker nicht ent-
halten. In den sechs östlichen Provinzen waren 2035, in den sechs
westlichen 2156 Kurpfuscher vorhanden. Wie aus einer zweiten Zu-
sammenstellung hervorgeht, ist das Verhältnis der Zahl der nichtappro-
bierten Heilgewerbetreibenden zur Zahl der approbierten Aerzte im
preußischen Staate = 21,3 zu 100.
‘Bonn. Geh. San.-Rat Oebeke feierte am 30. August seinen
75. Geburtstag. Er wurde bei dieser Gelegenheit zum Ehrenvorsitzen-
den des Aerztevereins ernannt. Er hatte 25 Jahre den Vorsitz im Vereine
nach dem Tode Rühles geführt, bis er vor wenigen Wochen dieses Amt
niederlegte. e
Dortmund. Der hiesige ärztliche Verein machte die Vorstände
der Krankenkassen von Dortmund und Umgebung darauf aufmerksam,
daß aus den immer mehr überhandnehmenden Besuchsbestellungen
von Kassenmitgliedern an den Arzt mittels Fernsprechers
sich dauernd grobe Mißstände ergäben Die Bestellungen sind in den
meisten Fällen ungenau und unverständlich und führen zu Beschwerden
bei den Kassen und Schreibereien für den Arzt. Außerdem erfolgen sie
meist zu allen möglichen Tageszeiten und in der Weise, daß in der
Regel ein Kind, das oft noch nicht einmal der deutschen Sprache mächtig
ist, in völlig unzureichender Weise die Bestellung übermittelt. Nach
eingehender Besprechung dieser Mißverhältnisse hat der „Aerztliche Ver-
ein“ in Dortmund seine Mitglieder nicht mehr für verpflichtet er-
achtet, telephonischen Besuchsbestellungen, sofern kein
dringender Notfall erkennbar vorliegt, Folge zu leisten.
Würzburg. Am 14. September beging Wilhelm von Leube,
einer der hervorragendsten inneren Kliniker und deutschen Hochschul-
lehrer, die Feier seines 70. Geburtstags. Ein geborener Schwabe, be-
gann L. seine klinische Tätigkeit 1868 in Erlangen und wurde hier
1872 zum Professor ao. ernannt. In demselben Jahre kam er darauf als Pro-
fessor ord. und Nachfolger Carl Gerhardts nach Jena, um im Jahre
1885 wiederum der Nachfolger Gerhardts in Würzburg zu werden, wo-
selbst er mehr als ein Vierteljahrhundert seine erfolgreiche Lehr-
tätigkeit ausübte. Neben seinen Studien über Stoffwechselkrankheiten
schrieb L. eine Reihe maßgebender klinisch-diagnostischer Werke, die
in aller Händen sind, zum Teil in viele lebende Sprachen übergingen
und L.’s Namen schon in jüngeren Jahren weithin bekannt machten.
Als klinischer Lehrer gelang es ihm, zahlreiche Schüler heranzubilden,
von denen nicht wenige zurzeit im ärztlich-wissenschaftlichen Leben eine
hervorragende Stellung einnehmen.
Mögen dem hochgeschätzten Ge-
lehrten und Arzt noch viele Jahre ungestörter Gesundheit und frohen
Schaffens beschieden sein. eu u
Göttingen. Prof. August Cramer, Ordinarius - für
Psychiatrie hierselbst, verstarb nach kurzem Leiden im 52. Lebens-
jahre. C., ein Sohn des Professors der Psychiatrie A. Cramer in Mar-
burg, studierte in München und Marburg, um 1870 in Göttingen, woselbst
er Privatdozent für Psychiatrie und zweiter Arzt an der Provinzial-Irren-
anstalt war, den Professortitel zu erhalten. Als Nachfolger Ludwig
Meyers wurde C. 1900 Professor ordinarius in Göttingen. Neben einer
großen Reihe klinisch-psychiatrischer und forensischer Arbeiten bildete
die familiäre Verpflegung der Geisteskranken von Göttingen und Um-
gegend, eine völlig neue Einrichtung, die sich überaus bewährt hat, C.s
besonderes Verdienst. Auch die Begründung der ersten öffentlichen An-
stalt für minderbemittelte Nervenkranke, das Provinzialsanatorium „Rasen-
mühle“, verdankt C. seine Entstehung. Wir haben seinerzeit berichtet,
daß der Verstorbene, welcher als Nachfolger Ziehens an erster Stelle
für Berlin in Frage kam, im wesentlichen ans dem Grunde die Berufung
ablehnte, um den gedeihlichen Fortgang der von ihm begründeten Pro-
vinzialinstitute, an denen er sehr hing, nicht zu unterbrechen. Unter
außerordentlich starker Beteiligung seitens der (öttinger Bevölkerung
und zahlreicher Professoren auswärtiger Hochschulen fand die Beisetzung
dieses in weitesten Kreisen geschätzten und verehrten Universitäts-
lehrers statt. Fe
Leipzig. Am 11. September starb der Direktor der Kinderklinik,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Soltmann, im 68. Lebensjahre. Geborener
Berliner, wurde er 1884 ao. Professor für innere Medizin und Kinder-
heilkunde an der Breslauer Universität. Im Jahre 1894 wurde er als
Nachfolger des nach Berlin berufenen Prof. Heubner Direktor der
Universitäts-Kinderklinik in Leipzig, wo er eine große organisa-
torische und wissenschaftliche Wirksamkeit entfaltet bat. Seine zahl-
reichen wissenschaftlichen Arbeiten behandeln die Physiologie und
Pathologie des Säuglingsalters. Er war einer der Begründer der modernen
deutschen Kinderheilkunde und zugleich einer der ersten, der sie als
selbständiges Lehrfach auf den deutschen Universitäten vertrat.
München: Als erste in Deutschland hat unsere Hochschule einen
Lehrstuhl für soziale Hygiene erhalten, auf den als Professor a. o.
zugleich auch für Gewerbehygiene Prof. Dr. Ignatz Kaup, Dozent an
der Technischen Hochschule zu Charlottenburg, berufen ist. Kaup, der
1870 in Steiermark geboren wurde, studierte in Graz und war dort
Volontär unter dem jetzigen Berliner Kliniker Kraus. Von dort kam
er an das Hygienische Institut nach Wien zu Gruber. Bei seiner Be-
rufung nach Berlin wurde ihm die Organisation der Abteilung für
Gesundheitspflege in der neuen Centralstelle für Volkswohlfahrt über-
tragen und 1911 der Titel Professor verliehen. Von Kaup stammen eine
große Reihe hervorragender wissenschaftlicher Arbeiten, sein Spezialgebiet,
die Hygiene betreffend. Kaup gibt auch im Verein mit Kriegel, Schloß-
mann und Grothjan das „Archiv für Soziale Hygiene“ heraus.
Priv.-Doz. Dr. W. Brüning
Kiel: Dr. Reiner Müller
Hochschulnachrichten. Jena:
(Ohrenheilkunde) zum ao. Professor. —
(Hygiene) der Professortitel. — Marburg: Dr. Franz Krusius (Äugen-
heilkunde) und Dr. Friedrich Hohmeier (Chirurgie) der Professortitel.
— Graz: Prof. Dr. Klemensiewicz der Hofrattitel. — Wien: Den
ordentlichen Professoren von Noorden und Kolisko der Hofrattitel. —
Dorpat: Priv.-Doz. Dr. Adolfi (Anatomie) zum Professor.
Von Aerzten und Patienten.
Zum 10. Todestage Rudolf Virchows
T 5. Sept. 1902.
„.. . Seit langer Zeit sind hauptsächlich zwei Klagepunkte gegen die
moderne Behandlung der Naturwissenschaften erhoben worden. Zunächst
bemerkte man, daß eine zunehmende Zersplitterung in einigen Disziplinen
stattfindet, welche eine übersichtliche Zusammenfassung des Ganzen und
eine planmäßige Scheidung immer mehr erschwert, ja fast unmöglich
macht. Dagegen muß man sagen, daß die Zersplitterung der Disziplinen
eine unmittelbare Folge ihrer Ausbreitung und an sich unvermeidlich,
daß aber der Mangel eines Zusammenhangs nur scheinbar und vorüber-
gehend ist, indem gerade die Naturforscherversammlungen und auf diesen
wiederum die allgemeinen Sitzungen dahin zielen, den Zusammenhang zu
erhalten oder wieder herzustellen ... Jedes Forschen nach Wahrheit,
insbesondere nach neuer, bis dahin nicht erkannter Wahrheit, ist unver-
träglich mit dem Bestehen gewisser vorhandener Vorurteile oder Lehr-
sätze, und sobald es sich um praktische Dinge handelt, unverträglich mit -
dem Bestehen gewisser Einrichtungen. So wirkt die Erkenntnis der
Wahrheit, die Wissenschaft, zerstörend, um so mehr, je größere Hinder-
nisse sich ihr entgegenstellen;indem die Wissenschaft diese Hinder-
nisse überwindet, macht sie zugleich frei. Das ist das alte
Bündnis zwischen Wissenschaft und Freiheit, welches nur zuweilen den
Anschein des Destruktiven an sich trägt, da es doch im Grunde immer
konservativ bleibt. Denn die Wissenschaft ist nicht bloß eine suchende,
fördernde, vorwärtsstrebende, sondern sie ist auch zu jeder Zeit eine
sammelnde, bewahrende, rückwärtsschauende gewesen . . - .“ Ä
Rudolf Virchow, Rede auf der 35. Versammlung deutscher Naturforsche
und Aerzte zu Königsberg 1860. Amtlicher Bericht.
Terminologie. Auf Seite-1% des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkömmernder Fächausdricke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchärucker., Berlin W 8,
~ Nr. 38 (407).
22. September 1912.
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban «& Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: O. Klieneberger, Die juvenile Paralyse. W. Morgenthaler, Ueber das Gedächtnis. H. Eichhorst, Ueber
urämische Geschwüre auf der Schleimhaut der Scheide. W. Kausch, Die Thermometerhaltung in der Achselhöhle. J. Meinertz, Magen- und
Darmblutungen als ungewöhnlicheres Symptom innerer Krankheiten. (Schluß.) v. Sohlern jun., Bauchgröße und Ernährungszustand. L. Nenadovics,
Bäderregulator, eine neue Vorrichtung zur direkten und indirekten Erwärmung und Abkühlung des Kohlensäurebades. Nippe, Erfahrungen mit
Maltyl und Maltyl-Mat6. Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten. Anworten von F. Kleinhaus-Prag, H. Lorenz-Wien,
. K. A. Herzfeld-Wien, J. Schnitzler-Wien, E. Enderlen-Würzburg, Perthos-Tübingen. H. Schmidt, Die Serodiagnose der Lues mittels
der Ausflockung. — Aus der Praxis für die Praxis: A. Linck, Otiatrie. (Schluß.) — Referate: A. Dutoit, Bakteriologische Untersuchungen über
die Pathogenese der sympathischen Ophthalmie. K. Retzlaff, Einige neuere Arbeiten über Diabetes insipidus. —. Diagnostische und thera-
peutische Einzelreferate: Der Wert der v. Pirquetschen Reaktion für Prognose und Therapie bei den verschiedenen Formen der chirurgischen
Tuberkulose. Kniegelenkverstauchung. Genuine allgemeine Epilepsie. Behandlung der Varicen. Benzol bei Leukämie. Gefahren der Radium-
behandlung der Angiome. Adrenalin bei Asthma bronchiale und chronischer Bronchitis. Filmaron als Bandwurmmittel. Neuerschienene pharma-
zeutische Präparate: Hycyan (Quecksilberoxycyanid-Tabletten). — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Ein neuer Handvibrationsapparat.
— Bücherbesprechungen: L. Krehl, Pathologische Physiologie. G. Pfalz, Die Spruchpraxis des Reichsversicherungsamts bei Augenverletzungen
und Sehstörungen. C. Nauwerk, Sektionstechnik für Studierende und Aerzte. S. Freund, Zur Psychopathologie des Alltagslebens. R. Grashey,
Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen Menschen. H. Schmidt, Die aromatischen Arsenverbindungen, ihre Chemie nebst einem Ueberblick
über ihre therapeutische Verwendung. E. Ruttin, Klinik der serösen uud eitrigen Labyrinth-Entzündungen. H. Gocht, Die Röntgen-Literatur.
P. Ehrlich, Abhandlungen über Salvarsan. S. Jeßner, Hautveränderungen bei Erkrankungen der Leber. F. Walther u. O. Rigler, Dr G. Becks
Therapeutischer Almanach. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: Wildt, Tod an eitriger Gehirnhautentzündung
als Folge einer 21/a Monate zurückliegenden Kopfverletzung. (Schluß.) — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 6. Internationaler Kon-
groß für Gynäkologie und Geburtshilfe vom 9. bis 13. September 1912 in Berlin. Breslau. COassel. Marburg. München. Berlin. 6. Kongreß des
deutschen Reichsverbandes zur Bekämpfung der Impfung vom 5. bis 8. September in Hamburg-Altona, verbunden mit der 2. Jahresversammlung des
internationalen Impfgegnerbundes. — Aerztliche Tagesfragen: Otto Soltmann t. Die neubegründete Vereinigung zur wissenschaftlichen Er-
forschung des Sports und der Leibesübungen und der Sportkongreß in Oberhof i. Th., 20. bis 23. September 1912. — Kleine Mittellungen. —
| Von Aerzten und Patienten. |
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
VII. Jahrgang.
Aus der Psychiatrischen Universitätsklinik Königsberg
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ernst Meyer).
Die juvenile Paralyse
von
Priv.-Doz. Dr. Otto Klieneberger.
M. H! Als juvenile Paralyse suchte man noch vor
wenigen Jahren die Fälle von der progressiven Paralyse
der Erwachsenen abzutrennen, welche Kinder und junge
Leute Anfang oder Mitte der 20er Jahre betrafen. Sie
wurden wegen ihres seltenen Vorkommens immer wieder
registriert und beanspruchten etwa das gleiche Interesse wie
die konjugale Paralyse. Allmählich aber hat sich die
Ueberzeugung Bahn gebrochen, daß ihr mehr als nur eine
kasuistische Bedeutung zukommt. Die juvenile Paralyse
bietet in ätiologischer, klinischer und anatomischer Hinsicht
Besonderheiten dar, die ihr in der Gruppe der progressiven
Paralyse eine Art Sonderstellung einräumen.
‚Es war schon früher bekannt!), daß in der Aetiologie
der Juvenilen Paralyse die Lues „eine höchst wichtige, viel-
leicht die ausschließliche Rolle“ spielt; es war bekannt, daß
die juvenilen Paralytiker nicht selten hereditär belastet
waren, daß in ihrer Ascendenz Tabes und Paralyse relativ
häufig vorkamen. Seitdem unsere Untersuchungsmethoden
Sich vervollkommnet haben, seitdem wir vor allem durch
die Lumbalpunktion, die mikroskopische, chemische und
serologische Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit in der
Lage sind, Früihformen, rudimentäre beziehungsweise latente
Fälle von Paralyse und Tabes aufdecken und gemeinsam
mit der serologischen Blutuntersuchung das Vorhandensein
der Lues nachweisen zu können, seitdem sind wir in der
1) Alzheimer, Die Frühf. ; :
lyse. (Zt. f. Psych. Ba. 52.) un ezesneinen BIOEreRBIYen) Fara
ätiologischen Erkenntnis einen Schritt vorwärts gekommen.
Wir haben durch die Untersuchung von Eltern und Ge-
schwistern unserer jugendlichen Paralytiker, soweit diese
durchführbar war, fast überall das Vorliegen einer heredi-
tären Lues nachweisen können und haben festgestellt, daß
die Belastung durch Tabes und Paralyse in der Ascendenz
der jugendlichen Paralytiker überaus häufig ist. Man ver-
steht demgemäß und in Anbetracht der klinischen und ana-
tomischen Eigentümlichkeiten heute unter juveniler Paralyse
nur noch die auf dem Boden der hereditären Lues er-
wachsene Paralyse!) und scheidet von ihr als Frühform
der progressiven Paralyse die im jugendlichen Alter aus-
brechenden Paralysen ab, denen eine eigene Infektion vor-
ausgegangen ist. Dadurch ist eine wesentliche Umgren-
zung und Verschiebung des Krankheitsbildes gegeben. Die
juvenile Paralyse ist nicht mehr wie früher an ein be-
stimmtes Alter gebunden. Sie pflegt zwar vorzugsweise im
zweiten, seltener im ersten?) und dritten Dezennium aufzu-
treten, aber es sind doch bereits in größerer Zahl auch
schon Spätformen der juvenilen Paralyse beschrieben worden,
Erkrankungen, die im vierten und fünften Dezennium zum
Ausbruch gekommen sind. Besonders bemerkenswert sind
in dieser Hinsicht drei von Müller!) mitgeteilte Fälle, die
zwei in den 40er Jahren stehende Virgines betrafen, sowie
einen Menschen, der im 18. Lebensjahr an Tabes und
35 Jahre später an Paralyse erkrankte.
= 651 Klieneberger, Ueber die juvenile Paralyse. (Zt. f. Psych.
3) Der früheste Krankheitsbeginn ist von Nonne beobachtet -
den; es handelte sich um ein Kind, das im vierten Lebensjahre dement
wurde (Frühform der juvenilen Paralyse). (Allg. Zt. f. Psych. Bd. 63
S. 128, Sitzungsber.) i
3) Zitiert nach Spielmeyer, Paralyse, Tabes, Schlafkr i
(Erg. d. Neur: u. Psych. Bd. 1.) ý a
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1532 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
Klinisch zeichnet sich die juvenile Paralyse vor allem
durch ihren langsamen Verlauf aus. Wir haben es stets
mit einer ganz allmählich einsetzenden und langsam und
schleichend fortschreitenden Charakterveränderung zu tun.
Zugleich fehlen im Gegensatz zu der progressiven Paralyse
der Erwachsenen in den weitaus meisten Fällen subjektive
Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Schlaf-
losigkeit.. Das Prodromalstadium erstreckt sich über viele
Jahre. Meist kommt es im Beginn der Erkrankung, ehe
sich noch irgendwelche psychischen Veränderungen zeigen,
zu einem Stillstand in der körperlichen Entwicklung. Die
Kranken bleiben klein, der körperliche Habitus ist auffallend
kindlich, die Genitalien sind häufig schlecht entwickelt, die
Behaarung fehlt an Rumpf und Extremitäten mitunter ganz, die
Menstruation setzt, wenn sie überhaupt auftritt, zuweilen
erst sehr spät ein. Während die körperliche Entwicklung
der juvenilen Paralytiker stillsteht, brauchen sie geistig
noch in keiner Weise aufzufallen. Ihre Leistungen in und
außer der Schule können noch jahrelang durchaus befriedi-
gend sein. Es dominieren im Krankheitsbilde der juvenilen
Paralyse jetzt und später die körperlichen Störungen. Reflex-
veränderungen, Lähmungen, paralytische Anfälle, die be-
kannte charakteristische Sprach- und Schriftstörung, tabische
Erscheinungen sind die Regel. Positiver Wassermann in
Blut und Liquor, Zell- und Eiweißvermehrung im Liquor
sind stets nachzuweisen. Die körperlichen Störungen können
in extremem Maße bereits bestehen zu einer Zeit, in der
eine kaum merkliche Reizbarkeit, eine noch wenig auffällige
Gedächtnisschwäche die einzigen psychischen Krankheits-
symptome sind. Wenn die psychischen Störungen fort-
schreiten, führen sie zu einer einfachen chronischen Demenz
mit starker Reizbarkeit und lebhaftem Stimmungswechsel.
Auch das Bild der Demenz kann jahrelang in der gleichen
Art ohne Progression bestehen bleiben. Die körperlichen
Störungen, selbst häufige paralytische Anfälle, haben für
den Verlauf der Erkrankung keine Bedeutung. Zuweilen
beobachtet man eine Neigung zu kritiklosen Confabulationen
vom Charakter der Pseudologia phantastica, die ebenso wie
gelegentliche Größenideen ein echt kindliches Gepräge zeigen.
Halluzinationen und Wahnideen scheinen kaum vorzukommen.
Das .Bild der juvenilen Paralyse ist überhaupt im Vergleich
zu dem der progressiven Paralyse der Erwachsenen recht
einförmig. Manische Zustände, ausgesprochen katatone Bilder,
furibunde Erregungen sind nicht beobachtet worden. Wohl
ist gelegentlich über das Vorkommen von katatonen und
auch andern psychotischen Symptomen berichtet worden;
aber sie treten nur selten und nur ganz episodisch auf.
Das männliche und weibliche Geschlecht stellt das
gleiche Kontingent zu der juvenilen Paralyse im Gegensatz
zu der progressiven Paralyse der Erwachsenen, bei der das
männliche Geschlecht ungleich häufiger erkrankt.
Der Verlauf der juvenilen Paralyse ist langsam fort-
schreitend; er kann nach offenkundigem Ausbruche der Er-
krankung über viele Jahre, zehn und mehr noch, sich er-
strecken. Stärkere Schwankungen, weitgehende Remissionen
sind — wieder im Gegensatz zu der progressiven Paralyse
der Erwachsenen — sehr ungewöhnlich. Im späteren Ver-
lauf führt die juvenile Paralyse allmählich zur tiefsten Ver-
blödung. Die Kranken können die einfachsten Gegenstände
nicht mehr benennen, ihre Sprache wird immer unverständ-
licher, schließlich stoßen sie nur noch eigentümlich lallende
und meckernde Laute aus. Sie liegen regungslos im Bette,
nehmen nicht mehr die geringste Notiz von ihrer Umgebung,
reagieren auf Fragen und andere Reize nur noch mit ängst-
lichem Grimassieren, lassen Urin und Stuhl unter sich gehen
und sind „schließlich kaum viel mehr als ein vegetierender
Körper,. in dem das psychische Leben gänzlich oder fast
gänzlich erloschen ist!)*.
1) Kraepelin, Psychiatrie. Die Dementia paralytica. (7. Aufl., | p
Ba. 2, 8. 848.)
22. September.
kommt es dann allmählich zur Ausbildung von Spasmen,
Contracturen, Atrophien. Tiefgehende Decubitalgeschwüre sind
trotz sorgfältiger Pflege oft unvermeidlich. Schluckpneumonien,
septische Erkrankungen führen gewöhnlich zum Tode.
Die pathologische Anatomie der juvenilen Paralyse
zeigt zunächst die gleichen Veränderungen, wie wir sie von
der progressiven Paralyse der Erwachsenen kennen. Eine
Pachymeningitis interna ist nicht selten. Stets findet man
eine mehr oder weniger beträchtliche Leptomeningitis, be-
sonders in der Umgebung der Gefäße und über den Stirn-,
Scheitel- und Schläfenlappen. Das Gehirn ist in toto atro-
phisch, die Rinde namentlich des Stirnhirns verschmälert.
Die Ventrikel sind erweitert, das Ependym granuliert. Es
besteht ein Hydrocephalus internus und externus. Die mikro-
skopische Untersuchung läßt grobe Veränderungen des
Rindenbaus erkennen. Im Vordergrunde steht dabei die Ver-
ödung der Rinde an Ganglienzellen, die Verwischung des
normalen Aufbaus, Untergang der Tangential- und Radiär-
fasern, starke Gliawucherung und Neubildung von Gefäß-
schlingen, wodurch zuweilen der Eindruck von narbigem
Granulationsgewebe erweckt wird. Fast auf allen Schnitten
sieht man um die Gefäße mehr oder weniger zahlreich
Plasmazellen und gewöhnlich auch Stäbchenzellen liegen,
mitunter sind die Gefäße von dicken Plasmazellmänteln um-
geben, auch zeigen sie häufig eine Verdickung der Intima.
Spärlicher kommen auch in den andern Abschnitten des
Centralnervensystems Plasma- und Stäbchenzellen vor. Die
Pia ist gewöhnlich stärker und diffus mit Plasmazellen und
Lymphoecyten infiltriert. Im Rückenmarke finden sich außer
leptomeningitischen Veränderungen Degenerationen in den
Hinter- und Seitensträngen als Ausdruck der kombinierten
Systemerkrankung.
Was die juvenile Paralyse anatomisch von der pro-
gressiven Paralyse der Erwachsenen scheidet, das ist das
häufige, ja wie es scheint regelmäßige Vorkommen von Ent-
wicklungsstörungen. Sträußler!) besonders hat nachge-
wiesen, daß der juvenilen Paralyse auch anatomisch gegen-
über der progressiven Paralyse der Erwachsenen eine Sonder-
stellung zukommt. Er fand im Kleinhirne der juvenilen
Paralytiker Mehrkernigkeit der Purkinjezellen und eigen-
tümliche Veränderungen an den Zellfortsätzen in Gestalt
von Aufblähungen, er konnte ferner auch im Rückenmark
regelmäßig Entwicklungsstörungen nachweisen (Anomalien
des Centralkanals, Heterotopien einzelner Ganglienzellen und
grauer Substanz). Die juvenile Paralyse steht nach
Sträußler „in inniger Verwandtschaft zu den hereditären
und familiären Erkrankungen, welche auf einer fehlerhaften
Anlage des Nervensystems beruhen“; sie bietet anatomisch
Berührungspunkte mit der familiären amaurotischen Idiote
und der cerebellaren Heredoataxie.. Abgesehen von diesen
anscheinend stets vorkommenden histologischen Verände-
rungen im Kleinhirne fand Sträußler in zwei von sechs
Fällen Atrophie des Kleinhirns. Die von Sträußler er-
hobenen Befunde sind von anderer Seite bestätigt worden.
Trapet?) hat in einem Fall auch Entwicklungsstörungen Im
Großhirne gefunden. Aus der Breslauer Nervenklinik habe
ich einen Fall von Balkenmangel3) bei juveniler Paralyse
beschrieben. | .
Differentialdiagnostisch kommen bei der juvenilen
Paralyse ebenso wie bei der allgemeinen progressiven Para-
lyse in erster Linie die syphilitischen Erkrankungen des
Gehirns in Frage. Sicher ist von den auf ererbte Syphilis
t) Sträußler, Ueber Entwicklungsstörungen im Centralnerven-
system bei der juvenilen Paralyse und die Beziehungen dieser Erkrankung
zu den hereditären Erkrankungen des Centralnervensystems. (Zt. f. ge.
Nour. u. Psych., Bd. 2, zitiert nach Spielmeyer, 1.:c.), hen
2) Trapet, Ueber Entwicklungsstörungen des Gehirns bei en
Gegen Ende der Erkrankung |, Paralyse und ihre Bedeutung für die Genese der Krankheit.
Psych., Bd. 42.) RR
3) Klieneberger, Ein Fall von Balkenmangel bei juveniler Para-
| lyse. (Allg. Zt. f. Psych., Bd. 67.)
22. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 38. 1533
zurückzuführenden, fortschreitenden Verblödungsprozessen nur
ein Teil als juvenile Paralyse anzusprechen, bei dem andern:
handelt es sich vielmehr häufig um syphilitische Krankheits-
vorgänge im engeren Sinne, namentlich um Gefäßerkran-
kungen!). Ein wesentlicher Unterschied gegenüber den echt
Juetischen Krankheitsprozessen ist durch den charakteristi-
schen Beginn der juvenilen Paralyse gegeben, durch die
schleichende Entwicklung und den langsamen Verlauf einer-
seits und durch das Fehlen subjektiver Störungen ander-
seits. Es spricht weiterhin für die Diagnose der progressiven
Paralyse die charakteristische Sprach- und Schriftstörung.
Auch kann mit einer gewissen Vorsicht das Fehlschlagen
einer antiluetischen Behandlung für die Diagnose der pro-
gressiven Paralyse verwertet werden. Ein wichtiges, diffe-
rentialdiagnostisch bedeutsames Hilfsmittel ist uns endlich
durch die Lumbalpunktion gegeben. Bei der juvenilen Para-
lyse pflegt die serologische Untersuchung der Cerebrospinal-
flüssigkeit eine besonders starke Wassermannsche Reaktion
zu geben, die Zell- und Eiweißvermehrung besonders hoch-
gradig zu sein, während bei den luetischen Hirnerkrankungen
die serologische Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit
nach der Originalmethode Wassermanns häufig ein nega-
tives Resultat ergibt und die Zellvermehrung oft nur gering
ist?). Die gleichen differentialdiagnostischen Erwägungen
sichern die Diagnose der juvenilen Paralyse gegenüber
andern in Betracht kommenden Erkrankungen. Hier ist in
erster Linie die multiple Sklerose zu nennen, sodann Hirn-
tumoren, die Friedreichsche hereditäre Ataxie und die
familiäre amaurotische Idiotie. Gelegentlich kann die juve-
nile Paralyse auch durch Psychosen, besonders durch schwere
Epilepsieformen vorgetäuscht werden.
Ueber die Behandlung der juvenilen Paralyse ist leider
wenig zu sagen. Sichere Erfolge sind ja bei der Behand-
lung der Paralyse überhaupt bisher nicht erzielt worden,
obwohl gerade in den letzten Jahren mehr wie je Versuche
gemacht worden sind, die Paralyse therapeutisch zu beein-
flussen. Es liegen ja bei ihr die Verhältnisse anders als
bei den syphilitischen Erkrankungen des Centralnerven-
systems. Es handelt sich bei ihr nicht um eine syphilitische
Erkrankung im eigentlichen Sinne. Dagegen spricht, ab-
gesehen von dem eigentümlichen klinischen und anatomischen
Befund, der sich in charakteristischer Weise von den lueti-
schen Hirnprozessen unterscheidet, die erheblich längere In-
kubationszeit, die darauf hinweist, „daß hier besondere Vor-
gange, die eine längere Vorbereitung brauchen, sich ab-
spielen müssen, Vorgänge, die wohl gewiß im Zusammen-
hange mit der Lues stehen, aber in anderer Weise als die
Tertiärformen“; sodann „das völlig refraktäre Verhalten der
Paralyse gegenüber Quecksilber und Jod“!). So ist es denn
auch nicht zu verwundern, daß die Hoffnungen, die von
mancher Seite auf die Salvarsantherapie gesetzt wurden,
bei den metasyphilitischen Erkrankungen sich nicht erfüllt
haben. Besonders sind weiterhin in Hinsicht auf das nicht
gerade seltene Auftreten von Remissionen im Anschluß an
fieberhafte Prozesse Versuche gemacht worden, künstlich,
z. B. durch Injektionen von nucleinsaurem Natrium Tempe-
ratursteigerungen und Leukocytose zu erzeugen. Bine
sichere günstige Beeinflussung der juvenilen Paralyse ist
damit ebensowenig wie bei der progressiven Paralyse der
Erwachsenen erreicht worden. Wir brauchen indessen —
zumal in Anbetracht der relativ häufigen Spontanremissionen
der Paralyse — die Hoffnung nicht aufzugeben, daß es uns
doch einmal gelingen wird, auch der Paralyse therapeutisch .
Herr zu werden. Vorerst ist es unsere Pflicht, weiter zu
forschen und vor allem die Kinder unserer Paralytiker und
Tabiker zu untersuchen und zu beobachten. Vielleicht ge-
lingt es uns, durch möglichst frühzeitige Behandlung spä-
teren Erkrankungen vorzubeugen oder sie wenigstens hinaus-
zuschieben; wenn es uns nicht gelingt, so können wir doch
wenigstens durch möglichst frühzeitige Erkennung der dele-
tären Erkrankung die Angehörigen der juvenilen Paralytiker
vorbereiten und veranlassen, entsprechende Maßnahmen für
ihre Kranken zu treffen.
Auf einen Punkt bitte ich noch kurz eingehen zu
dürfen. Was uns die juvenile Paralyse noch besonders
interessant macht, das ist’ die Tatsache, daß Gelegenheits-
ursachen, Alkoholismus, Ueberanstrengungen, Traumen und
was sonst noch für die Entstehung der progressiven Para-
lyse mit verantwortlich gemacht worden ist, bei ihr nicht in
Frage kommen. Gerade von der juvenilen Paralyse dürfen
wir hoffen, Aufklärung über die noch dunklen ätiologischen
Beziehungen zu erhalten. Wir wissen ja von der Paralyse
nur, daß sie in irgendeinem Zusammenhange mit dem lueti-
schen Virus steht. Ob dieser Zusammenhang aber ein
direkter ist, ob es, worauf manche Beobachtungen hinzu-
weisen scheinen, eine Lues nervosa gibt, oder ob der Zu-
sammenhang indirekt ist, ob es sich vielleicht um eine
krankhafte Reaktion des Körpers auf die Spirochäten oder
um Umwandlungsprozesse der Spirochäten handelt, das ent-
zieht sich vorläufig noch unserer Beurteilung.
Abhandlungen.
Ueber das Gedächtnis?)
von
Dr. W. Morgenthaler, Basel
Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik.
I,
Die Gedächtnisforschung hat gerade in den letzten Jahren
sehr stark an Umfang zugenommen. Während sich früher außer
den Philosophen und Psychologen höchstens etwa noch die Psy-
chiater mit der wissenschaftlichen Erforschung des Gedächtnisses
abgegeben haben, beschäftigen sich gegenwärtig immer mehr auch
die Juristen, die Pädagogen, die Physiologen und die Biologen
Au dieser Frage. Daß dabei sowohl die Grundlagen, wie die Me-
hoden und die Ergebnisse der einzelnen Forscher und der ein-
zelnen Richtungen oft ganz verschiedene sind, ist sehr begreiflich.
Um daher nicht durch das Aufzählen der überaus großen
lauha von Tatsachen langweilig zu werden, werde ich mir er-
Saven, auf einzelne Punkte etwas genauer einzugehen, selbst auf
R, Kraepelin, Psychiatrie, Bd. 2, S. 405.
iia Klieneberger, Zur „ differentialdiagnostischen Bedeutung der
‚Puuktion und der Serodiagnostik. (A. f. Psych., Bd. 48.)
des Versi ach einem Vortrage, gehalten auf der 46. J ahresversammlung
Rn schweizerischer Irrenärzte vom 27. bis 28. Mai 1912 in
die Gefahr hin, dadurch anderes, ebenso Wichtiges ganz übergehen
zu müssen. |
Was zunächst die Definition des Gedächtnisbegriffis an-
betrifft, so sind die verschiedenen Autoren eigentlich nur in einem
Punkt einig, nämlich in der Verurteilung des Gedächtnisses als
einheitliche seelische Funktion im Sinne der alten Vermögens-
psychologie, in der Betonung, daß es nicht ein Gedächtnis als
Elementarfunktion gebe, sondern daß man nur eine Reihe von zu-
sammengehörigen Gesetzen und’ von Spezialgedächtnissen unter
diesem Begriff zusammenfasse. |
i Ganz allgemein kann das Gedächtnis definiert werden als
die Fähigkeit, Eindrücke aufzubewahren. Mit dieser vagen
Umschreibung ist natürlich wenig anzufangen. Ueber alles Genauere
gehen aber, wie gesagt, bis jetzt die Meinungen noch weit aus-
einander. Schon die Ansichten über die Art der Aufbewahrung
sind sehr verschieden. Es stehen sich hier hauptsächlich die
Theorie der Spuren und diejenige der Dispositionen gegenüber.
Während die einen Autoren [Wernicke?), Kraepelin’), Ziehen),
') Bonhoeffer, Bemerkungen zur Behandlung und Diagnose der
progressiven Paralyse. (Berl. kl. Woch. Bd. 10, Nr. 29.)
Ä z Wernicke, Grundriß der Psychiatrie. (Leipzig 1900.)
9 Kraepelin, Allgemeine Psychiatrie. (Leipzig 1909.)
En D Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologie. (Jena 1908,
. Aufl.
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1534 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
Jodl’), Münsterberg?)] hauptsächlich die materielle Seite des
Gedächtnisses betonen und die aufbewahrten Eindrücke als „Ge-
dächtnisspuren“, „abgelagerte Erinnerungsbilder*, Eindrücke in
„Erinnerungszellen“ usw. auffassen, hat Wundt?) die schon von
Leibniz vertretene Ansicht der Dispositionen wieder aufgenommen.
Die Dispositionen sind nach ihm nicht (oder doch nicht haupt-
sächlich) anatomische Spuren, sondern funktionelle Nach-
wirkungen von früheren Erlebnissen, und zwar einfach so, daß
durch frühere Vorgänge der Wiedereintritt und der Verlauf von
gleichen oder ähnlichen späteren Vorgängen erleichtert wird, Die
. Disposition wäre also, wenn ich Wundt recht verstehe, in der
Psychologie ungefähr das, was die Physiologie mit „Bahnung“ be-
zeichnet, |
Ebenso verschieden wie über die Grundlagen sind die An-
sichten über die Funktion des Gedächtnisses., Während z. B.
Ziehen) die Gedächtnisleistungen noch ganz mit den Gesetzen
der Assoziation erklären will, hält Wun dt5) die apperzeptiven
Funktionen für die Hauptsache; die Assoziationen seien neben-
sächlicher, würden aber natürlich vorausgesetzt. Noch viel mehr
wird die Bedeutung der alten Assoziationspsychologie in den
Hintergrund gedrängt durch die neueste psychologische Richtung,
die man „Funktionspsychologie“ genannt hat. Am schärfsten setzt.
sich Müller-Freienfels6) mit den älteren Anschauungen aus-
einander. Er protestiert gegen die allgemeine Annahme, daß im
Gehirn Erinnerungsbilder aufgespeichert seien, „so materiell oder
nicht materiell man sich dieselben auch denken mag“, und fährt
dann fort: „Freilich wird man, so lange man die alte Assoziations-
psychologie festhält, niemals über diese grobe und ein wenig
kindische Auffassung von der ‚Deponierung von Erinnerungsbildern
in den Großhirnzellen‘ hinauskommen, einer Auffassung, die nie-
mals eine nur einigermaßen plausible Beschreibung der geistigen
Vorgänge ermöglichen wird“. Das Denken gehe überhaupt nicht
so vor sich, wie man bisher vielfach geglaubt habe, nämlich so,
daß sich Erinnerungsbild an Erinnerungsbild, Vorstellung an Vor-
stellung reihe, und die „Annahme, daß die anschaulichen Vor-
stellungen das wesentliche Element unseres nichtsinnlichen geistigen
Lebens seien“, sei „gänzlich abzulehnen“. Vielmehr sei das, was
wir Erinnerungsbild nennen, keine Reproduktion einer Wahr-
nehmung, sondern „ein völlig heterogener Ersatz“ für diese, nichts
als ein „Symbol mit gleichem Kurswert“ ungefähr so, wie 100 Franken
in Papier und 100 Franken in Gold auch nur das gleiche bedeuten,
in Wirklichkeit aber nichts weniger als gleich seien. Die so-
genannten Assoziationsgesetze träfen ja überhaupt nur zu für das
Träumen, das heißt für jede ziellose geistige Tätigkeit. Das eigent-
liche Denken aber sei zielstrebig; es rufe hier nicht eine Vor-
stellung die andere wach, sondern es sei eine innere Einstellung
vorhanden, eine Reizung, die in Bewegung übergehe und dann erst
eine Vorstellung auslöse. Um diesen Begrift der „inneren Ein-
stellung“, der von Husserl und Messer”) „Akt“ oder „intentio-
nales Erlebnis“, von Stumpf®) „Funktion“, von Ach?) „Bewußt-
heit“ genannt wird, dreht sich nun hauptsächlich die Diskussion.
Diese „Einstellung“ ist etwas Aehnliches wie Wundts Apperzeption,
etwas ganz Unanschauliches, im Gegensatz zur anschaulichen Vor-
stellung; etwas das nur durch ein gewisses „Aktivitätsgefühl,
durch den „Charakter des Gewollten“ zum Bewußtsein kommen,
oft aber auch unbewußt bleiben kann; etwas, das zwar eine be-
stimmte Richtung hat, das aber erst an seinen Wirkungen zu
fassen ist, nämlich da, wo es Bewegungen und damit neue Emp-
findungen und Gefühle auslöst. — Es wäre natürlich verfrüht,
jetzt schon entscheiden zu wollen, was von diesen neuen Anschau-
ungen bleiben und was sich als falsch herausstellen wird. Sollten
sie aber an Boden gewinnen, so würde dies natürlich für den Ge-
dächtnisbegriff und die Gedächtnisforschung eine vollständige Um-
wälzung bedeuten.
Von ganz andern Anschauungen geht Semon!?) aus. Wenn
1) Jodl und *) Münsterberg, zitiert nach Jesinghaus, Zur
psychologischen Theorie des Gedächtnisses. (Wundts psychologische
Studien, 1911, Bd. 7.)
3) Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie. (Leipzig
1908 bis 1911, 6. Aufl.)
4) A. a. Q.
5) A. a. O.
6) Müller-Freienfels, Vorstellen und Denken. (Zt. f. Psych.
H. 1, Bd. 60.)
1) Messer, Empfindung und Denken. (Leipzig 1908.)
$) Stumpf, Erscheinungen und psychische Funktionen. (Abhandl.
d. preuß. Akad. d. Wissensch. Berlin 1907.)
°) Ach, Ueber die Willenstätigkeit und das Denken. (Göttingen 1905.)
10) Semon, Die Mneme. (Leipzig 1904.)
22. September.
er unter seiner Mneme „alle diejenigen Erscheinungen in der Welt
des Organischen, bei denen es sich um Reproduktionen irgend-
welcher Art handelt zusammenfaßt, so ist diese Definition, auf
das Gedächtnis angewandt, wohl nicht zutreffend, da die einzelne
Aeußerung, die Reproduktion, nicht als Charakteristikum für das
ganze Gedächtnis genommen werden darf. Kann doch jemand ein
relativ gutes Gedächtnis bei ganz schlechter Reproduktion haben.
Ich möchte überhaupt hier die biologische Seite des Gedächtnis-
begriffs ganz kurz vorwegnehmen.
Bekanntlich hat schon im Jahre 1870 Hering!) das Ge-
dächtnis als „eine allgemeine Funktion der organisierten Materie‘
bezeichnet. In neuerer Zeit hat dann Semon’) diesen Gedanken
wieder aufgenommen und mit großer Konsequenz weiter ausgeführt.
Zum Unterschied von den sich wiederholenden Erscheinungen in
der anorganischen Natur will Semon „mnemische Erscheinungen
auf eine besondere Eigentümlichkeit der organischen Substanz
zurückführen“, nämlich darauf, „daß diese Wiederholungen oder
Reproduktionen auch ohne vollständige Wiederkehr der gleichen
Bedingungen eintreten“. Er führt unter anderm das Beispiel von
dem jungen Hund an, der zum ersten Male ruhig zuschaut, wie
ein Knabe sich nach einem Steine bückt und diesen nach ihm wirft,
und der erst dann heulend davonläuft, wenn er heftigen Schmerz
verspürt. Wenn dieser gleiche Hund nun später einmal sieht, wie
sich jemand schnell nach einem Steine bückt, so wird er sofort
heulend davonlaufen, ohne erst abzuwarten, bis er den Schmerz
fühlt. Es hat also das erste Erlebnis Spuren in seinem Gehirn
zurückgelassen, „Engramme“, wie Semon sagt, und zwar so, daß
bei bloßer Wiederholung der optischen Eindrücke (des sich
bückenden Menschen) der ganze übrige Vorgang so abläuft, wie
zum ersten Male (Schmerzvorstellung, Flucht usw.). An einer Reihe
von Beispielen zeigt nun Semon, wie nicht nur das Gehirn, son-
dern alle Organe die Fähigkeit haben, Engramme, das heißt
Spuren von früheren Ereignissen aufzubewahren, und wie diese
Fähigkeit nicht nur den Tieren, sondern auch den Pflanzen zu-
kommt. Um hier wieder nur ein Beispiel anzuführen: Pflanzen,
die unter gleichmäßiges künstliches Licht, bei konstanter Tempe-
ratur usw. gebracht werden, nehmen gleichwohl am Abend ihre
sogenannten Schlafstellungen ein, das heißt sie haben, grob aus-
gedrückt, eine Erinnerung an ihren früheren Aufenthalt im Freien.
Semon geht aber noch weiter. Er sagt, wenn alle Organe die
Fähigkeit haben, Engramme aufzunehmen und aufzubewahren, 50
haben natürlicb auch die Fortpflanzungsorgane und die Keime
diese Fähigkeit. Dies heißt aber nichts änderes, als daß Eigen-
schaften, die von den Eltern während des Lebens erworben worden
sind, direkt auf die Nachkommen vererbt werden können. Diese
letzte Folgerung ist es nun, die bis jetzt hauptsächlich die Kritik
herausgefordert hat. Während die einen die „Vererbung erworbener
Eigenschaften‘ als einen kühnen Gedanken eines scharfsinnigen
Forschers bewundern), versuchen andere zu beweisen, daß dies
eine bloße Behauptung sei, für die bis jetzt die Beweise fehlen“).
Unter den Einwänden der verschiedenen Kritiker der Mneme
habe ich einen vermißt, den ich im folgenden noch kurz darlegen
möchte: Als den „springenden Punkt“ in seiner „Vergleichung
und Beweisführung“ bezeichnet Semon selbst „die Wiederkehr
der Erscheinung ohne vollständige Wiederkehr der Bedingungen,
also bei nur partieller Wiederkehr der entsprechenden energetischen
Situation“ (Kritik und Antikritik). Auf diese. gemeinsame Grund-
lage führt Semon also sowohl die Gedächtnis-, wie die Vererbungs-
vorgänge zurück. Auch die Gegner müssen zugeben, daß, von
dieser gemeinsamen Grundlage aus betrachtet, die beiden Vorgänge
zum allerwenigsten eine große Aehnlichkeit aufweisen. Nun erhebt
sich’ aber die Frage: Ist diese gemeinsame Grundlage nun wirk-
lich charakteristisch für die Gedächtnis- und Vererbungsvorgäng®,
oder lassen sich etwa auch noch andere Vorgänge auf diese gleiche
Grundlage von der „Wiederkehr der Erscheinung ohne vollständige
Wiederkehr der Bedingungen“ zurückführen? Sollte dies aber der
Fall sein, so würde diese Formel natürlich stark an Wert ein-
büßen. Semon behauptet nun, diese mnemischen Erscheinungen
seien „eine besondere Eigentümlichkeit der organischen Substanz ,
1) Hering, Ueber das Gedächtnis. (Wien 1876, 2. Aufl.)
2 A. a. Ò. Ferner Semon, Kritik und Antikritik der en
(A. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiol. 1907, Nr. 4.) — Semon, Beweise
die Vererbung erworbener Eigenschaften. (Ibid. 1907.) hafts-
Forel, Ueber Semons Mneme. (A. f. Rassen- u. Gesellsc
biol. 1905, Nr. 2.) | bener
1) Weismann, Semons „Mneme“ und die Vererbung erwor d
Eigenschaften. — Semi Meyer, Gedächtnis und Vererbung. (Beides:
A. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiol. 1906, Nr. 3,)
|
|
99. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38,
1535
im Gegensatz zur anorganischen. Den Beweis für diese Behaup-
tung habe ich aber bis jetzt bei ihm nirgends finden können. Es
scheint mir im Gegenteil, daß sich auch in der anorganischen
Substanz Erscheinungen finden lassen, die wiederkehren können
„ohne vollständige Wiederkehr der Bedingungen“. Nehmen wir
als Beispiel ein schlecht konstruiertes neues Tor, das sich nur
sehr schwer schließen läßt: Mit großer Kraftanstrengung muß
mans Ruck um Ruck vorwärtsbewegen, muß den Drücker mit
Mühe in die Höhe heben und nachher wieder herunterdrücken usw.,
kurz, man muß eine ganze Reihe komplizierter Handlungen vor-
nehmen, um zum gewünschten Ziel zu gelangen. Wenn man nun
aber diese Handlungen wiederholt, so wird sich das Tor immer
leichter schließen lassen und zuletzt wird es eines einzigen ge-
ringen Anstoßes bedürfen, um den ganzen Mechanismus des Zu-
fallens, der Hebung und des Einschnappens des Schlosses usw.
vollständig auszulösen. Wir haben bier also gar nichts anderes
als die Erscheinung, daß bei der Wiederholung nur ein Teil der
zuerst angewandten Kräfte genügt, um den ganzen Vorgang
wieder hervorzurufen, oder, um mit Semon zu sprechen, wir haben
„eine Wiederkehr der Erscheinung ohne vollständige Wiederkehr
der Bedingungen“. Solche Beispiele ließen sich in der anorgani-
schen Natur sicher finden so viele man wolltel). Wäre es nun
aber wirklich zweckmäßig, alle diese Erscheinungen, die wohl in
dem einen Punkt eine gewisse Aehnlichkeit haben, die sonst aber
so verschieden als möglich sind, unter dem Begriff „Gedächtnis“
oder „Mneme“ zusammenzufassen? Führt eine solche Ausdehnung
einzelner Begriffe nicht zu einem Zerfließen derselben, einem Zer-
fließen, das wohl der freien Spekulation einen großen Spielraum
läßt, der exakten Forschung aber in hohem Maße hinderlich ist?
Es hat natürlich immer etwas Bestechendes, wenn ein Forscher
die in mühsamer Kleinarbeit gewonnenen Einzelergebnisse eines
Wissensgebietes oder gar mehrerer Wissensgebiete zusammenfaßt
und in ein System bringt. Die große Gefahr dabei ist aber, daß
nicht genügend scharf unterschieden wird zwischen sicheren Tat-
sachen und Hypothesen. Hindert ja doch nichts so sehr den ge-
deihlichen Fortschritt der Wissenschaft, wie Hypothesen, die als
Tatsachen genommen werden.
Die. biologische Fassung des Gedächtsnisbegriffs ist also
sicher eine zu weite, auf alle Fälle können die Psychologen und
Psychopathologen damit wenig anfangen. Das Herübernehmen
einiger Ausdrücke „Mneme“, „Engramme“, „eckphorieren“ usw.
in die Psychologie beweist natürlich nicht das Gegenteil. Tat-
sächlich wird der Gedächtnisbegriff von den meisten Psychologen
denn auch ganz bedeutend enger gefaßt, von einigen vielleicht zu
eng. Wundt?2), Kraepelin3) und Andere grenzen nämlich das
psychologische Gedächtnis durch das Bewußtsein ab und behaupten,
daß sich gerade „durch die Beteiligung des Bewußtseins das
Gedächtnis von andern Formen der Einübung“ unterscheidet, und
daß „jeder einmal ins Bewußtsein getretene Eindruck“
nach seinem Schwinden eine Spur hinterlasse. Nun gibt es sicher
„Gedächtnisspuren“, die nicht absolut im Bewußtsein gewesen zu
sein brauchen. Wundt hilft sich, indem er neben diesem pyscho-
logischen und gleichsam als organische Grundlage für dieses dann
doch wieder ein physisches Gedächtnis annimmt und sich damit
wieder den Anschauungen von Hering und Semon nähert. In
ganz ähnlicher Weise hat früher schon Ribot?) ein allgemeines
organisches und als Spezialfall, oder als höchste Differenzierung
davon ein psychsiches Gedächtnis unterschieden. Bei allen diesen
Definitionen bleibt es natürlich ganz der Willkür des Einzelnen
überlassen, wo er das psychische Gedächtnis aufhören und nur
noch das organische bestehen lassen, oder wo er das Gedächtnis
., „ ,) Nachdem diese Gedanken schon niedergeschrieben waren, stieß
ich bei Ziehen (Das Gedächtnis. Berlin, 1908) auf folgende Stelle: Es
sei die Frage, „ob das Gedächtnis der höheren Tiere wirklich toto coelo
Hi den N. achwirkungserscheinungen verschieden ist, welche wir auch auf
den tieferen Stufen des organischen Lebens und sögar allenthalben auch
= anorganischen Leben beobachten. Der Eindruck im Wachs bleibt
aften. Alle Körper, insofern sie nicht vollkommen elastisch sind, gleichen
eine Deformation, die sie durch Druck erlitten haben, nicht vollständig
Mn aus. Das Tuch, das einmal in bestimmte Falten gelegt, schlägt
eben Falten bei einem neuen Bewegungsanstoß wieder. Die Chladni-
mia a Klangfiguren kehren auf der mit einer Saite gestrichenen Glasplatte
= we: merkwürdigen Beharrungstendenz wieder“. — In der Anmerkung
Bra er dann noch auf das „magnetische Gedächtnis der Physiker als
en gig eingebürgerten Ausdruck* aufmerksam.
a. Q. |
3 Aa O
‘) Ribot, Das Gedächtnis und seine Störungen. (Deutsch, Ham-
burg und Leipzig 1882.)
überhaupt von der bloßen Einübung abgrenzen wil. Es wäre
sicher ein ganz müßiges Unterfangen, im gegenwärtigen Zeitpunkt
diese Fragen definitiv lösen zu wollen. Ich glaube auch nicht,
daß wir von der Lehre vom Unterbewußten für diesen Punkt
größere Aufklärung erwarten können. Höchstens die Forschung
nach den Grenzen zwischen Physischem und Psychischem kann
uns dem Ziele, das heißt einer möglichst exakten Abgrenzung des
Gedächtnisses näher bringen. |
Am Gedächtnis selbst kann nun, was die Verarbeitung
psychischer Eindrücke betrifft, unterschieden werden: Aufnahme
— Behalten — und Wiedergabe. |
Ob die Vorgänge der Aufnahme, Auffassung, Aufmerksam-
keit usw. zum Gedächtnis im engern Sinne gerechnet werden
müssen oder nicht, darüber läßt sich streiten. Die meisten Autoren
trennen die Auffassung von dem eigentlichen Gedächtnis ab.
Warum dann aber von den gleichen Autoren die Reproduktion
zum Gedächtnis gerechnet wird, ist mir nicht ganz klar. Entweder
sollte man doch als Gedächtnis nur das Behalten, Vergessen usw.
bezeichnen, oder aber, man sollte einerseits die Auffassung und
anderseits die Reproduktion dazunehmen. Der Einwand, das Ge-
dächtnis äußere sich ja überhaupt nur durch die Reproduktion,
ist natürlich für die theoretische Fassung des Gedächtnis-
begriffs hinfällig; denn ebensowenig wie ohne die Reproduktion
kann man das Gedächtnis prüfen, ohne daß man zugleich die
Auffassungsfähigkeit prüft, die ja deswegen gleichwohl oft ab-
getrennt wird. |
Es ist ferner genau zu unterscheiden zwischen unmittel-
barem und mittelbarem Gedächtnis [Meumann!)] oder zwischen
der unmittelbaren Kontinuität der einzelnen psychophysischen Vor-
gänge und der „Verbindung neueintretender Prozesse mit solchen,
die durch andere und durch leere Strecken von ihnen getrennt
sind“ [Wundt?2)] oder zwischen der „aktuellen Nachwirkung der
primären Wahrnehmung“ [Wirth®)] und dem eigentlichen Ge-
dächtnis. Das „unmittelbare Gedächtnis“ ist ein einfaches Nach-
klingen von Empfindungen, z. B. eines Nadelstichs, einer Geschmacks-
empfindung usw., nachdem der primäre Reiz verschwunden ist; es
kann verglichen werden mit den Nachbildern der Netzhaut in der
Physiologie. Diese unmittelbare Nachempfindung gehört daher, im
Gegensatz zur Einprägung, noch gar nicht zum eigentlichen Ge-
dächtnis und folgt auch, zum Teil wenigstens, ganz andern Gesetzen,
als dieses. i
Das eigentliche Gedächtnis nun wird bekanntlich eingeteilt
in das Gedächtnis für Längstvergangenes und die Merkfähigkeit:
Die Abgrenzung der beiden ist bei den verschiedenen Autoren
wieder verschieden. Wernicke?), der ja den Begriff der Merk-
fähigkeit aufgestellt hat, definiert ihn als die „Fähigkeit, sich
etwas im Gedächtnis einzupräger“. Sehr treffend charakterisiert
Liepmann?), indem er sagt, das Gedächtnis für Längstvergangenes
verhalte sich zur Merkfähigkeit wie das Kapital zur Erwerbsfähig-
keit. Kraepelin®) versteht unter Merkfähigkeit „die Einprägung
und das Festhalten bestimmten, neu dargebotenen Erfahrungs-
stoffes“. Bedeutend enger faßt Ziehen’) den Begriff, nämlich
nur als „Erwerb unmittelbarer Erinnerungsbilder“ (während er den
Erwerb allgemeiner und relativer Vorstellungen Abstraktionsfähig-
keit nennt). Ranschburg) bezeichnet die Merkfähigkeit als
anterogrades Gedächtnis (im Gegensatz zum retrograden) und zwar
als die „von einem bestimmten Zeitpunkt an für die Zukunft be-
rechnete Fähigkeit des Merkens“. Der Ausdruck (anterogrades
Gedächtnis), der von französischen Forschern stammt, ist sehr
anschaulich; doch scheint er sich mir mit der Merkfähigkeit der
andern Autoren nicht ganz zu decken: Denn im allgemeinen wird
das in den letzten Stunden und Tagen erworbene Gedächtnis-
material der Merkfähigkeit zugerechnet; Ranschburg aber rechnet
dies schon zum retrograden Gedächtnis.
I) Meumann, Oekonomie
(Leipzig 1908.) a
| 2) Wundt, A. a. O.
3) Wirth, Psychophy-ik. (Leipzig 1912)
4) Wernicke, A. a. 0.
°») Liepmann, Drei Aufsätze aus dem Apraxiegebiet. (Berlin 1908.)
6) Kraepelin A. a. O. Ferner: Ueber die Merkfähigkeit. (Mon.
f. Psych. u. Neur. VIII, 1900.) |
1) Ziehen, Psychiatrie. Il. Aufl. (Leipzig 1902.)
°) Ranschburg, Ueber Art und Wert klinischer Gedächtnis-
messungen bei nervösen und psychischen Krankheiten. (Sommers Klinik
f. psych. u. nerv. Krankh. Bd. II—V.) — Ranschburg, Das kranke Ge-
dächtnis. Leipzig’ 1911. — Ranschburg. Studien über die Merkfähig-
keit usw. (Mon. f. Psych. u. Neur. IX, 1901.)
und Technik des Gedächtnisses.
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1536 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
~ Was nun die Methoden der Gedächtsnisforschung anbe-
trifft, so können wir fünf große Gruppen unterscheiden:
1. Schon im Jahre 1885 hat Ebbinghaus!) seine „Er-
lernungsmethode* veröffentlicht. Sie besteht bekanntlich einfach
darin, daß Reihen von sinnlosen Silben in gleichmäßigem Tempo
auswendig gelernt werden, bis sie zweimal hintereinander fehlerfrei
hergesagt werden können. Nachher wird die Anzahl der Lesungen,
die nötig gewesen waren, gezählt. |
2. Eine andere, ebenfalls von Ebbinghaus eingeführte Me-
thode ist das „Ersparnisverfahren“: Eine auswendig gelernte Silben-
reihe wird nach einer bestimmten Zeit von neuem auswendig ge-
lernt, wobei natürlich weniger Lesungen nötig sind. Die Arbeit,
die dabei gespart wird, kann also ausgedrückt werden durch die
Differenz zwischen der Anzahl der Lesungen des ersten und des
=- zweiten Erlernens. Diese zwei Methoden (die Erlernungs- und die
Ersparnismethode) und ihre Modifikationen beherrschten mehr als
ein Jahrzehnt lang die ganze Gedächtnisforschung, und mit ihnen
wurde eine große Anzahl wichtiger Ergebnisse entdeckt.
3. Eine dritte Gruppe von Methoden geht eigentlich auch
auf Ebbinghaus zurück, ist aber erst von Müller und Schu-
mann?), Müller und Pilzecker®), Ranschburg und Andern
richtig ausgebaut worden. Es ist dies die „Paarmethode“ oder
„Ireffermethode“, bei der hauptsächlich die Binnenassoziationen
zwischen je zwei Silben geprüft werden: Nachdem die Silben paar-
weise durchgelesen worden sind, werden der Versuchsperson je
eine erste Silbe vorgezeigt und sie hat die dazugehörige zweite
Silbe zu nennen. Die Anzahl der richtigen Treffer im Verhältnis
‘gehen,
zur Gesamtzahl aller Silben gibt dann ein Maß für. die Gedächtnis-
leistung. Diese Paarmethode, besonders wenn sie mit genauen
Expositions- und Zeitmessungsapparaten ausgeführt wird, ist wohl
die exakteste Methode zur Gedächtnismessung, die wir gegen-
wärtig besitzen, und tatsächlich stehen denn auch die wichtigsten
neueren Entdeckungen auf unserm Gebiete mit dieser Methode im
Zusammenhang. | Ä |
4. Ein weiteres Verfahren, die „Methode der Hilfen“, be-
steht darin, daß die Versuchsperson eine unvollständig eingelernte
Reihe herzusagen versucht, wobei man ihr bei jeder Stockung durch
Nennung der vergessenen Silbe aushilf. Die Anzahl dieser
„Hilfen“ im Verhältnis zur Zahl der vorherigen Lesungen gibt
ebenfalls einen Maßstab für. die Gedächtnisleistung. Doch hat
diese Methode eine Reihe von Nachteilen, sodaß sie bis jetzt relativ
wenig angewandt worden ist.
5. Bei der Methode der behaltenen Glieder zeigt man der
Versuchsperson eine Reihe von Silben nur kurze Zeit und läßt
sich nachher alles angeben, was sie davon behalten hat. Diese
Methode ist ungemein einfach, doch nicht sehr genau.
Weitaus die meisten der unzähligen andern Methoden sind
auf eine der fünf genannten zurückzuführen, sei es, daß statt der
Silben Worte, Sätze, Zahlen, Zeichnungen, Bilder oder Gegenstände
vorgezeigt werden, sei es, daß an Stelle der optischen eine aku-
stische Vorführung tritt, sei es, daß man die Versuchsanordnung
kompliziert durch Ablenkung usw. Es fehlt leider die Zeit, um
hier auf das interessante Kapitel der Methodik genauer einzu-
(Schluß folgt.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Zürich.
Ueber uwrämische Geschwüre auf der Schleim-
haut der Scheide
von
Prof. Dr. Hermann Eichhorst.
Schon sehr früh, nachdem ein eingehenderes klinisches
Studium der Urämie begonnen hatte, ist man auf das Vorkommen
von urämischen Nekrosen und Verschwärungen auf der Darm-
schleimhaut aufmerksam geworden. Treitz hat auf sie bereits
im Jahre 1859 hingewiesen. Auch späterhin sind es vornehmlich
österreichische Aerzte — Hläva, Fischer, Chiari — gewesen,
weiche sich mit den urämischen Veränderungen auf der Darm-
schleimhaut abgegeben haben.
Wenn es auch den Aerzten kaum unbekannt bleiben konnte,
daß Urämische überhaupt zu Entzündungen in den verschiedensten
Gebilden geneigt sind, so ist doch die Darmschleimhaut fast das
einzige Gebiet geblieben, auf welchem Nekrosen und Verschwä-
rungen beobachtet worden sind. Um überaus häufige Vorkomm-
nisse handelt es sich aber auch hier, wenigstens nach meinen Er-
fahrungen, ganz und gar nicht. Während meiner Tätigkeit an
der Züricher Klinik starben mir 204 Kranke an Urämie und unter
diesen wiesen nur zwei urämische Nekrosen und Verschwärungen
auf der Darmschleimhaut auf. |
In meinem früheren Wirkungskreise in Göttingen habe ich
bei einem Herrn mit juveniler Schrumpfniere auf der Kehlkopf-
schleimhaut urämische Nekrosen und Verschwärungen auftreten
gesehen. Es zeigten sich hier zuerst hellgelbe, rundliche Auf-
lagerungen auf der Kehlkopfschleimhaut, mehr als ein Dutzend an
Zahl, deren Größe nicht über den Umfang eines Stecknadelkopfes
hinausging. Diese Flecken nahmen dann eine mehr graugrüne
Farbe an und gewannen schließlich eine schmierig-breiige Be-
schaffenheit. Da, wo sich der schmierige Belag abstieß, kamen
scharf geränderte Schleimhautgeschwüre zum Vorschein. Der
Kranke ging unter urämischen Krämpfen zugrunde. Eine Leichen-
öffnung unterblieb auf Wunsch der Angehörigen.
Chiari berichtet über eine 30jährige Frau, welche an
hämorrhagischer Nephritis litt und an nekrotischen Entzündungen
auf der Wangenschleimhaut, Zunge, Darmschleimhaut
und Haut erkrankte. | |
1) Ebbinghaus, Ueber das Gedächtnis. (Leipzig 1885.)
2) G.E. Müller und F. Schumann, Experimentelle Beiträge zur |
Untersuchung des Gedächtnisses. (Zt. f. Psych. d. Sinn., Bd. 6.)
3) Q. E. Müller und A. Pilzecker, Experimentelle Beiträge zur
Lehre vom Gedächtnis. (Ebenda 1900, Erg.-Bd. 1.)
Von dem Vorkommen urämischer Geschwüre auf der
Schleimhaut der Scheide ist mir in der Literatur nichts be-
kannt. Daß aber auch solche Veränderungen möglich sind, lehrt
eine Beobachtung, welche ich vor kurzem auf der Züricher Klinik
machte und zunächst auszugsweise mitteilen will.
Eigne Beobachtung. Frau Elisabeth W..... , 57 Jahre alt,
aus Zürich, stammt aus gesunder Familie. Sie hatte 16 Geschwister,
welche alle gesund sind.
Sie selbst will auch bisher niemals krank gewesen sein. Sie hat
drei natürliche Geburten und zuletzt noch eine Fehlgeburt durchgemacht.
Seit der Fehlgeburt hat sie häufig über Schmerzen in der linken Unter-
bauchgegend zu klagen gehabt. Das eine Kind soll an der Lunge leiden.
Seit mehreren Wochen fühlt sich die Kranke andauernd unwohl.
Es stellte sich zunächst Auftreibung des Leibs ein. Am 13. März 1912
traten plötzlich ohne erkennbaren Grund Uebelkeit, Erbrechen, Durchfall
und Schmerzen im Leib ein. Die Kranke fühlte sich danach sehr elend
und müde. Der Harn wurde nur in sehr geringer Menge entleert. Es
kamen nun noch sehr quälende Kopfschmerzen hinzu. Seit wenigen Tagen
besteht Verwirrtheit. Am 25. März 1912 wurde die Kranke mit einem
ärztlichen Zeugnis auf die medizinische Klinik geschickt, nach welchem
es sich um „Urämie, die sich in Delirium, Erbrechen und profusen
Diarrhöen Außere“, handeln soll. „Der Urin enthalte reichlich Eiweib
und Nierencylinder“. Die Kranke starb schon am 30. März 1912 unter
zunehmender Bewußtlosigkeit und sich schnell steigerndem Kräfteverfall.
Status praesens: 26. März 1912.
Große, starkknochige, muskulöse Frau mit gutem Fettpolster.
Rückenlage. Haut trocken und ohne Oedeme.
Die Kranke liegt mit geschlossenen oder halbgeschlossenen Lidern
teilnahmslos da und gibt auf Befragen entweder gar keine Antworten oder ant-
wortet erst nach längerem Besinnen kurz, abgebrochen und unzusammen-
hängend. Ab und zu seufzt sie laut auf.
Der Gesichtsausdruck ist leidend und müde. Gesichtsfarbe sehr
blab, nur die Jochbeingegend läßt einzelne erweiterte Hautvenen un
einen leichten Anflug von Hautcyanose erkennen.
Papillen beiderseits gleich, aber ungewöhnlich eng und kaum auf
Lichtreiz reagierend. Im Augenhintergrunde links nahe der Macula ein
gelblich-weißer, zackiger Fleck. Rechterseits sind die Blutgefäße lebhaft
geschlängelt.
Lippen trocken und leicht abschilfend. Lippenschleimhaut blab,
cyanotisch.
Zungenoberfläche zeigt einen dicken, gelblich-grauen Belag. Un-
angenehmer stechender Mundgeruch, aber nicht deutlich urinös.
Der Kopf läßt sich nach vorn etwas schwer bewegen; alle übrigen
Kopfbewegungen unbehindert. Schädel beim Beklopfen nirgends empfindlich.
Hals von mittlerer Länge. Mittelhochgradige Schilddrüsenver-
größerung. Am Halse keine Lymphdräsen zu fühlen.
Thorax von gutem Bau, nicht druckempfindlich und gut federnd.
An den Atmungswerkzeugen nichts Auffälliges zu erkennen.
SpitzenstoB des Herzens weder sicht- noch fühlbar. Die Grenzen
der großen Herzdämpfung sind: unterer Rand der dritten linken Rippe —
rechter Sternalrand — linke Mamillarlinie — sechste linke Rippe. Herz
töne leise und rein. Kein Ton verstärkt,
22. September.
1912:— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.38. 1537
Halsgefäße nicht zu sehen. Ueber der Carotis ein herzsystolischer
Ton zu hören. Radialpuls regelmäßig, gut gefüllt und stark gespannt.
Puisbild ohne Auffälligkeit; die Hlastizitätselevationen auf ihm kaum an-
edeutet. | i
y Leib mäßig aufgetrieben, aber nirgends druckempfindlich. Unter
den Bauchdecken sind keine ungewöhnlichen Resistenzen zu fühlen.
Die Leberdämpfung beginnt oben zwischen sechster und siebenter
rechten Rippe und: schließt unten mit dem rechten Brustkorbrand ab.
Die Leber ist respiratorisch gut verschieblich, läßt sich nicht fühlen. und
erweist sich gegen Druck unempfindlich. |
R In der Milzgegend tympanitischer Perkussionsschall; Milz nicht
Thar.
Nierengegend bei Druck unempfindlich. Dagegen verzieht die
Kranke schmerzhaft das Gesicht, wenn man in der Harnblasengegend einen
tiefon Druck ausübt.
Beim Emporziehen des Hemdes bemerkt man in den untersten
Teilen eingetrocknete, steife, übelriechende, blutige Flecken. Bei der
Fingeruntersuchung der Geschlechtsteile stellt sich heraus, daß die Gebär-
mutter leicht vergrößert und druckempfindlich ist. Aus der Scheide ent-
leert sich eine schwarzrote, schmierige und aashaft stinkende Flüssig-
keit. Die Kranke weiß nichts davon, daß sie an einem jauchigen Scheiden-
ausfluß leidet. |
An den unteren Extremitäten, aber sonst auch keine Oedeme,
Keine Lähmungen. Patellarsehnen- und Bauchdeckenreflexe nicht
auslösbar. Biceps- und Tricepsreflex kaum angedeutet.
Die Kranke gibt keine subjektiven Beschwerden an. Sie nimmt
Speise und Trank nur zu sich, wenn sie dazu aufgefordert wird. Kein
Husten. Kein Auswurf. Kein Stuhl. Es stellt sich einmaliges Er-
brechen ein, wobei 50 ccm einer graugelben Flüssigkeit von saurer Re-
aktion und ohne besonderen Geruch entleert wurden.
Harn von dunkelroter Farbe und trüber, fast undurchsichtiger Be-
schaffenheit. Geruch ähnlich demjenigen des Scheidenausflusses, der sich
offenbar teilweise dem Harne beigemischt hat. Die Harnmenge betrug
binnen der letzten 20 Stunden 800 com. Der Harn hat ein specifisches
Gewicht gleich 1010 und enthält 0,5% Eiweiß. Im Harnsediment
werden zahlreiche hyaline und granulierte Nierencylinder, vereinzelte
Rundzellen und körnige Zerfallsmassen gefunden.
Achsenrhöhlentemperatur 84,8°C. Zahl der Atmungszüge 20.
Verordnung.
1. Reichlich Milch.
2. Diuretini 1,0—3 Male täglich.
Krankheitsverlauf. Benommenheit und Kräfteverfall der Kranken
nahmen von Tag zu Tag zu. Die Körpertemperatur erreichte niemals
86,0° Der Puls blieb beschleunigt und unregelmäßig. Die Atmung war
meist unregelmäßig, seufzend und häufig beschleunigt. Die Harnmönge
sank bis auf 100 ccm. Der Harn enthielt stets Eiweiß und zahlreiche
hyaline und körnige Nierencylinder. Genaues über Temperatur, Puls,
Atınuog, Harn und Stuhl gibt die folgende Tabelle an:
25. März 1912 Fr o a 50 cem erbrochen.
34,8? 88 24 800 ccm Harn, spec. Gew.
26. März 1912 3500 102 20 = 1010. Eiweiß 0,5 °/o.
35,20 104 20 Ein halbfester Stuhl.
27. März 1912 354° 112 20 a E
35,20 104 920 300 ccm Harn, spec. Gew.
28. März 1912 35,30 100 28 = 1015. Eiweiß = 0,25%.
Ein halbfester Stuhl.
29. März 1912 35,90 100 24 100ccm Harn. Eiweiß 0,25°/oo.
Der blutige und jauchige Ausfluß aus den (ieschlechtswegen
wurde mit jedem Tage reichlicher. Die Kranke erhielt morgens und
abends Scheidenausspülungen mit Lysoform (25,0:1000,0), durch welche
sich der unangenehme Geruch wesentlich verdecken ließ. Eine Unter-
suchung der Geschlechtswerkzeuge durch einen Frauenarzt ergab nichts
Neues; es wurde der Verdacht ausgesprochen, daß es sich um einen
Krebs des Gebärmutterkörpers handle. Um dem fortschreitenden Kräfte-
verfall Einhalt zu tun, wurden der Kranken täglich Injektionen von
ampheröl gemacht. Außerdem erhielt sie am letzten Lebenstage Digalen,
40 Tropfen und Coffeino-Natrium salieylicum, 2,0.
Eine Blutdruckbestimmung mit dem Riva-Roscischen Sphygmo-
manometer ergab 125 MmHg.
i Am letzten Lebenstage wurde der Puls sehr unregelmäßig. Es
rat häufig Cheyne-Stokessches Atmen auf. Unter starkem Tracheal-
rasseln trat der Tod in der ersten Stunde des 30. März 1912 ein.
Hr Leichenöffnung am 30. März 1912. Gut gebaute weibliche Leiche.
i aut nirgends ödematös. Stirnbein mächtig verdickt, bis zu 14 mm und
abei ganz frei von Diplos. Auf der Innenfläche des Schädels tiefe
en Dura mater nicht verdickt. Bei der Herausnahme des Ge-
ae fällt cystische Degeneration des rechten Schläfenlappens auf. Pia
2 ater hier erhalten. Eine kleine Erweichungsstelle findet sich medial
om Tractus olfactorius dexter. Die Arterien der Hirnbasis vielfach stark
atheromatös. Eine weitere Hirnsektion unterbleibt zunächst, um das Ge-
hirn uneröffnet zu härten. Fettpolster intensiv gelb; über dər Brust
mißt es 2,5 cm, auf den Bauchdecken 5 cm. Bauchhöhle frei von fremdem
Inhalt. Uterus klein. Netz fettreich und fast 1,5 cm dick. Die Dünn-
därme sind nicht besonders ausgedehnt und zeigen eine eigentümlich
bläuliche Färbung. Serosa spiegeind. Zwerchfell links an der fünften,
rechts an der vierten Rippe. Pleurahöhlen leer. Die Lungen sinken
zurück. Rechtes Herz sehr schlaff, linkes fühlt sich fest kontrahiert an.
Das Herz ist erheblich größer, als es der Faust der Leiche entspricht.
| Linker Ventrikel 8cm lang und 2,5 cm dick. Rechter Ventrikel ditaliert.
Herzmuskel beiderseits dunkelbraun. Unter dem Endokard linkerseits
umfangreiche Sugillationen. Herzklappen ohne Veränderung. Die Kranz-
arterien zeigen stark verengte Abschnitte, an welchen sich Kalk findet.
Beide Lungen emphysematös; die rechte flächenhaft adhärend mit der
Brustwand. In der rechten Pleurahöhle einige weiße Corpora libera; das
größte erbsengroß. Milz mittelgroß, fest. Schnittfläche dunkelrot; sie
läßt etwas Pulpa abstreichen. Linke Niere mißt 11—6,5—4 cm. Ober-
fläche im ganzen glatt, aber trübe. Rindensubstanz bis 8 mm dick.
Beide Nebennieren mittelgroß. Maße der rechten Niere: 11,5 —6—3,5 cm.
Nierenoberfläche glatt und ebenfalls trübe. Von Narben nichts zu er-
kennen. Die Blase enthält trüben Urin. Auf ihrer Schleimhaut treten
auf der Höhe der stark entwickelten Falten Blutungen und Schorfe auf.
Das Rectum enthält in der Ampulle vielen festen Kot, ist sonst: aber
eng. Die Vagina zeigt auf der Vorder- und Hinteriläche ausgedehnte,
flache, scharf geränderte Geschwüre, welche zum Teil mit Fibrin belegt
sind, zum Teil eine granulierende Oberfläche aufweisen. Sie sind von
rundlicher und länglich-runder Gestalt und erreichen einen Durchmesser
bis zu 8 em. Die Schleimhaut zwischen ihnen gleichmäßig gerötet. Der
Halsteil des Uterusleicht durchgängig. Innerer Muttermund geschlossen.
Corpus uteri mit grauroter Schleimhaut ausgekleidet. In der hinteren
Wand ein nußgroßes Myom. An keiner andern Stelle Tumorbildungen
oder Geschwüre. Beide Ovarien haben eine narbig verdichtete Albuginea.
Am Magen und Duodenum keine Veränderungen. Ductus choledochus
weit. Ductus cysticus prall mit Galle gefüllt. Leber glatt, fest, von
braunroter Farbe, mit deutlicher Läppchenzeichnung. | |
Anatomische Diagnose: Encephalonalacia inveterata lobi tem-
poralis dextri et lobi frontalis dextri. Arteriosclerosis arteriarum basi-
laris, coronariae cordis et aortae. Hypertrophia cordis sinistri permagna.
Atrophia cordis fusca. Sugillatio sub epicardio. Emphysema alveolare
pulmonum. Nephritis parenchymatosa. Colpitis ulcerosa,
Eine mikroskopische Untersuchung der Nieren ergab, daß
es sich vor allem um parenchymatöse Veränderungen, und zwar um aus-
gebreitete Verfettungen der Epithelzellen in den gewundenen Harn-
kanälchen handelte. Interstitielle Rundzellenherde waren nur in spar-
samer Zahl zu finden.
Daß es sich bei unserer Kranken um eine Nephritis und
-Urämie handeln würde, war nicht schwer während des Lebens zu
erkennen; jedenfalls wurde die Nephritis bei der Leichenöffnung
bestätigt. Dagegen war die Vermutung bezüglich der Entstehung
der Nephritis auf eine falsche Fährte gelangt. Der reichliche
schwarzrote und durehdringend übelriechende Ausfluß hatte die
Befürchtung eines Gebärmutterkrebses wachgerufen, und diese
schien um so mehr berechtigt zu sein, als die Untersuchung
durch einen Frauenarzt den Uteruskörper vergrößert und druck-
empfindlich fand. Daraufhin glaubte man, es wäre die Nephritis
als eine Folge des Gebärmutterkrebses entstanden, vielleicht durch
Uebergreifen des Krebses auf Hamblase und Ureteren und Harn-
stauung.
Die Leichenöffnung zeigte jedoch, daß Gebärmutter, Harn-
blase und Harnleiter unverändert waren, und daß es sich um eine
selbständige Nierenentzündung handelte. Als Ursache für den
blutig-stinkenden Ausfluß aus den Geschlechtswegen wurden
mehrere Schleimhautgeschwüre in der Scheide entdeckt, die sich
durch besonderes Aussehen auszeichneten. Sie waren von runder
und länglich-runder Gestalt und scharf gerändert. An ihren
Rändern war das benachbarte Gewebe in eine nekrotische, grau-
grüne, schmierige Masse umgewandelt. Der Grund der Geschwüre
erschien gereinigt und von schwarzer, schiefrieer Farbe. Die Tiefe
der Geschwüre war keine sehr bedeutende. Ein übler Geruch ließ
sich nicht mehr erkennen. Die nicht ulcerierte Schleimhaut der
Scheide erschien unverändert.
Die Scheidenausspülungen mit Lysoform (2,5%) hatten
schon während des Lebens die Reichlichkeit des jauchigen Scheiden-
ausflusses und seinen putriden Geruch mehr und mehr zum Schwinden
gebracht.
Für die Entstehung der Scheidengeschwüre hat sich keine
andere Ursache als die Urämie nachweisen lassen. Der Obduzent,
mein Kollege Busse, sprach diese Ansicht sofort bei der Leichen-
öffnung aus. Verschwärungen durch mechanische Eingriffe sind
sicher auszuschließen; Nachfragen bei den Verwandten ergaben
daß die Verstorbene niemals in Behandlung eines Frauenarztes
gestanden, niemals an einer Krankheit der Geschlechtswerkzeuge
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1888 _ | 191%. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22; ‚September. 2
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gelitten und nie einen Ring. oder -ein anderes Instrument in der
Scheide getragen hatte. S | E
Somit lehrt unsere Beobachtung und, wie es szheint, als die
. bisher einzig bekannte, daß ‘auch auf der Schleimhaut der Scheide
im Verlaufe der Urämie nekrotisierende Verschwärungen vor-
kommen können, wie sie bisher nur auf der. Darm-, Mund-, Rachen-,
Kehlkopfschleimbaut und auf der äußeren Haut bekannt gewesen
sind, und daß die jauchig-blutigen Ausflüsse aus der Scheide dabei
leicht zu einer Fehldiagnose Veranlassung: geben. = |
S Literatur: H. Chiari, ‘Ueber einen Fall von urämischer Dermatitis.
(Prag. med. Woch. 1905, Nr: 86.) — J. Fischer, Zur Kenntnis der Darm-
affektionen bei Nephritis und Urämie. (Virchows A. 1893, Bd. 134, S. 380.) —
J. Hläva, Sur les lésions dites. urömiques de l’intestin. (Ann. Bohemes de
méd. 1890, Bd. 4.) — Treitz, Ueber urämische Darmaffektionen. (Prag. Viertel-
jahrsschr. 1859, Bd. 4, S. 143.)
| Aus dem Schöneberger Krankenhause,
Die Thermometerhaltung in der Achselhöhle
von
~ Prof. Dr.. W. Kausch.
Fast überall, wo ich bis jetzt tätig war, in Universitäts-
kliniken und in Krankenhäusern, in der Privatpraxis, ferner, wo
ich auf Reisen im In-. und Ausland einen Einblick tat, habe ich
gefunden, daß die Thermometerhaltung, wenn die Körpertemperatur
wie gewöhnlich in der Achselhöhle gemessen wird,eine unzweckmäßige
ist. Das Thermometer lag oft schlecht und auch direkt falsch. Und
je mehr ich auf die Thermometerhaltung zu achten begann, um so
häufiger fand ich eine unrichtige Lage. In meiner jetzigen Tätigkeit
hatte ich und habe ich noch andauernd die größten Schwierigkeiten,
die schlechte Haltung und falsche Lage des Thermometers auszu-
merzen und die Haltung, die mir ‘die richtige scheint, durch-
zusetzen, obwohl ich jedesmal, sobald ich eine falsche Lage des
Thermometers entdecke, sie den Schwestern und Aerzten ad oculus
demonstriere. Die Ursache ist meiner Ansicht nach, daß die Lehr-
bücher, die über Krankenpflege geschrieben worden sind, entweder
eine alte, überlieferte Thermometerhaltung angeben, die ich eben
für unzweckmäßig halte und verwerfe, oder sie machen überhaupt
keine bestimmten Vorschriften. Der Unterricht in der Kranken-
pflege richtet sich.aber natürlich zum großen Teil nach den Lehr-
büchern. _
Ich beginne. mit dem ausgezeichneten, von der Medizmal-
‚abteilung des. preußischen Kultusministeriums herausgegebenen
Lehrbuche, das in Preußen für das staatliche Exämen der Kranken-
pflegepersonen maßgebend ist. Sein Erscheinen war schon aus
dem Grunde mit Freuden zu begrüßen, weil dadurch doch eine
gewisse Einheitlichkeit in der Schwesternausbildung garantiert
wird. Es heißt hier (S. 95): -- | Ä
- Die Achselhöhle wird zunächst ausgetrocknet, der Arm vom Rumpf
abgeführt, sodaß man frei in die Achselhöhle sehen kann. Der Queck-
:silberbehälter (das untere Ende) des Thermometers wird nun an der tief-
sten Stelle der
Achselhöhle
(siehe Abb. 1) 5
gegen die Haut
angedrückt, der
Oberarm an den
Körper fest an-
gelegt und der
Vorderarm über
die Brust ge-
legt, sodaß die
Hand. in der
Gegend der
andern Achsel
liegt. Der.
zufordern, mit
dieser. Hand
eine. Falte
seines Hemdes
zu fassen. Ist
Abbi. ;
er zu schwach oder unbesinnlich, so muß der Arm festgehalten werden.
Ein ‘unter den Ellenbogen gelegtes Polster bietet dem Kranken eine gute
Stütze (siehe Abb. 2). u |
Der Passus ist fast wörtlich Salzwedels Handbuch der
Krankenpflege entnommen, auch die beiden Abbildungen. Salzwedel
-1) Ich habe, damit meine Abbildungen sämtlich zueinander passen,.
die Photogramme 1 und 2 genau nach den Figuren des Lehrbuchs: auf-
genommen... - ae Fee y er ee sn,
Kranke ist auf-
hat ja don-Entwurf des ministeriellen Lehrbuchs. verfaßt. Ich’gebe
zu, daß man bei dieser Thermometerhaltung die Temperatur: richtig '
messen kann, vorausgesetzt, daß das: Thermometer richtig liegen i
bleibt. Nach dieser Methode maßen. früher. die Schwestern meines -
Krankenhauses. en a
Häufig bot sich
mir nun, wenn.
ich an den Pa-
tienten heran- |
trat und, ohne. |F
daß er sich be- |
wegte, mich von
der Thermo-
meterhaltung
überzeugte, fol-
gendes Bild:
Dasuntere,
die Quecksilber-. |
masse enthal- Zu:
tende Thermo- a ze A
meterende ragte unten aus der Achselhöhle heraus (siehe Abb. 3) oder
das Thermometer lag zwischen Haut einerseits, Hemd ‘anderseits,
zuweilen sogar gänzlich zwischen Falten. des Hemdes, des Lein- '
tuchs oder der Bettdecke. Oder es lag'zu weit aboralwärts zwischen
Oberarm und Brustwand, außerhalb des Bereichs der Achselhöhle.
Oft.lag der Arm auch keineswegs dicht. der Brustwand an; er.
stand frei oder zwischen Arm und Rumpf befand sich die Bett-
decke, im Winter selbst zwei. - . DS i Bu en
Ich behaupte, daß bei der Thermometerhaltung der
Abb. 2 das Thermometer überhaupt nicht in der eigent-
lichen Achselhöhle liegen kann. Die Achselhöhle stellt eine
Höhle dar, die, auch wenn der Oberarm dem Rumpf anliegt, nur
in ihren oberen Teilen vollständig abgeschlossen ist. Vorn wird -
die Höhle vom Rande des großen Brustmuskels begrenzt, hinten
| vom Latissimus dorsi. Dieser hintere Muskelwulst reicht etwas
weiter nach unten, aboral, wie der vordere. -Ein mitten in die
Kuppel der Achselhöhle bei angezogenem Arm eingeführtes Thermo-
‚meter befindet sich daher gerade noch innerhalb der Achselhöhle,
wenn es bis zur Senkrechten aufgerichtet wird, das heißt, wenn
das Thermometer senkrecht zur Frontalebene des horizontal liegen:
den Körpers steht. Wird der Winkel ein nach oben, oralwärts
spitzer, wie in Abb. 2, so verläßt es die Achselhöhle und kann:
nun leicht, der Schwere folgend, nach unten hinausgleiten.
Ich vermag ' nicht einzusehen, warum das Thermometer spitz
nach oben, das heißt oralwärts gehalten werden soll. Ich finde,
das hat nur Nachteile, keine Vorteile. -Ich kann mir nur denken,
es geschieht, weil es fast überall so üblich war und noch ist und
weil es vielleicht für den Einführenden bequemer ist.- í
Bei mir lasse ich das Thermometer in folgender Weise in
die Achselhöhle einlegen: Die in der Achselhöhle befindliche Hemd-
falte wird energisch nach abwärts gezogen; das Hemd. kann natür-
Jich auf der Seite der Messung auch ausgezögen werden. Das
Thermometer wird mit dem Quecksilberende in den tiefsten Punkt der
. Achselhöhle | = | ein nee
eingelegt, in
einem Winkel
von höchstens
45, eher weni-
ger, zur Fron-
talebene des
Körpers nach
vorn oben, das-
heißt aboral-
wärts gehal-
ten. Nun wird
der Oberarm
dicht an den IR AA N,
Rumpf gelegt, |- MERA DARNA
sodaß sich abo- a s S N
ral vom Ther- -E u i $ Pan,
mometer zwischen dem Oberarm und dem Körper das Hemd odər
nichts befindet. Der Vorderarm wird quer über den Leib gelägert, die
Hand der andern Seite fixiert.den Ellenbogen oder das unterste’Ende.
des Oberarms, und der Patient wird aufgefordert, ruhig ‘so liegen
zu bleiben (siehe Abb. 4). Die Hand der Meßseite ‚kommt dabei auf
oder unter den andern Arm zu liegen, wie man will. Die Bettdecke
wird, namentlich bei kühler Zimmertemperatur, über den Ober-
..| körper. gelegt, sodaß nur .das obere. Thermometerende heraus-
— nn {On -
— m — nn o _.—_ ..-
m m nn nl aM
. 22. September.
- riger als bei größeren Gegenständen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. ER 1539
. schaut; sollte es Kalt sein, so decke ich den Patienten bis -zum
` Halse zu., In dieser Lage verharrt er in der Regel ohne Schwierig-
Keit selbst zehn Minuten. - Ist er elend,; benommen, oder handelt
.s s sich. um Kinder, die nicht so "klein sind, daß sie im After ge-
"messen wer-
eine Pflege-
-person -den
Arm an die
l Brustwand
` -das Thermo-
meter Ab-
nehmende
hat sich. da-
von zu über-
. zeugen, daß
er j es bei der
ET IR Heraus-
© Abb.4 a: Ä nahme rich-
`- tig lag.
Män braucht: den. Oberarm nicht peduntisch immer in derselben
"Weise halten zu lassen,. obwohl einheitliches Vorgehen namentlich. in
- ‚einem: größeren Betriebe gewiß zweckmäßig ist. So ist es für Patienten,
-die eine Bauchoperation durchgemacht haben, zuweilen angenehmer, den
Arm. nicht. auf dem Baüche liegen zu haben, sondern. die Fingerspitzen -
der Meßseite am andern. Schlüsselbeine, : während ‘die andere Hand den
Ellenbogen oder Oberarm’ der Meßseite fixiert. Oder der Arm der Meß-
“ seite‘ liegt parallel und. dicht neben. dem Rumpfe,. die Hand der andern
" Beito fixiert die :Mitte des:Oberarms,
. ` Wird das. Thermometer in dieser Weise, gehälten, so ist es
fast unmöglich, daß es aus :der Achselhöhle gleitet. Es kann,
. wenn der Patient den Arm nicht dicht am Rumpfe hält, wohl nach
..vorne,. das heißt öllbogen wärts: fallen, das sieht man dann aber
auf den’ ersten Blick.
Das Festhalten des Ellenbogens mit der Hand der ändern
. Seite erscheint mir auch besser’ als die’ Vorschrift, daß der Patient `
mit der: ‚Hand der messenden- Seite eine- Hemdfalte fassen soll.
‘Man versuche - einmal einen dünnen Gegenstand wie- das Hemd
. -zebn Minuten lang mit den Fingern festzuhalten; es ist viel. schwie-
‘Doch nun zu den andern Lehrbüchern! Die . meisten geben
überhaupt keine genaue Bestimmung über die Thermometerhaltung,
so das Unterrichtsbuch für freiwillige Krankenpfleger, das ein Aus- .
. zug aus dem Unterrichtsbuche für Lazarettgehilfen ist. In Bill-
. Toths Lehrbuch, herausgegeben von Gersuny und Moskowicz,
` heißt ‘es; „Es, ist darauf zu achten, daß. das vorne aus. der
Achselhöhle ragende Thermometer nicht 'hinten aus der Achsel-
` höhle hinausrutscht“; dasselbe sagt auch J. Blumberg. Wie es
aber . gehalten werden soll, wird nicht angegeben. Billroth sagt
- in. der ersten Auflage seines Buches (1881) außer vorstehendem:
- Man soll das Thermometer in senkrechter Richtung i in die entblößte
Achselhöhle legen. Gerade. dies scheint mir aber schlechter wie
Meine schräge Richtung. Rupprecht betont, daß es falsch sei,
. das. Thermomöter festzuhalten statt des Armes. Ueberhaupt emp-
‚ fehlen’ viele;. mit der andern Hand den. Ellenbogen des messenden
Armes zu fixieren:
l ‚ Eine Sonderstellung nimmt Rumpf ein; or. schreibt (S. 129):
2" Zunächst: ist -bezüglich der :Lage- der: Quecksilberkugel in der
Achse darauf.zu achten, .daß dieselbe auch ‚tatsächlich in.derselben all-
“ säitig.von der Haut umgeben liegt. Am besten läßt man deshalb die
Mer des Thermometers mit derjenigen des Körpers parallel laufen;
‚auf, diese Weise - verhindert: man , ein’ ‚bei anderm Einführen mögliches
‚„Vorbeisteeken ` auf-die Bettunterlage usw.“
Die Achselhöhle muß trocken. von Schweiß sein, auch dürfen keine
a des Hemdes zwischen Haut und Quecksilberkugel liegen. Der.
“ Kranke drückt den. Oberarm an die Seite und legt den Unterarm über
die Brust, mit der andern Hand den Ellenbogen stützend.
Befolgte: man. diese Vorschrift wörtlich, so läge das Thermo- |
. meter unterhalb des Oberarms; denn der Oberarm muß. doch ein
Wenig nach vorne gerichtet werden, .wenn’ der Unterarm über der
Brust liegen soll. Verläuft. das Thermometer .nun parallel der’
;, Körperachse, so, muĝ’ es sich. unter dem Oberärme befinden. Das `
ah doch aber‘ gewiß nicht beabsichtigt.
‚Ich kann im übrigen nicht ‘sämtliche Leheyuoner anführen,
2 “ich beschränke mich auf die gebräuchlicheren.
_ „Ich þin - mir "wohl bewußt, daß ich mit meinem Vorschlage -
‚ .niehts'.Neues- bringe; viele werden beim Messen das Thermometer :
ebenso halten lassen ‚wie. ich, Es kam mir in dieser Mitteilung
den, so mu
= halten. Der |
einmal daraut an, mich ‘gegen die steile Haltung des Thermometers
zu wenden, die, wie mir scheint, allgemein zu werden droht,. zum
Teil bedingt durch die Einführung des staatlichen - "Lehrbuchs und
des Schwesternexamens. Dann: wollte ich aber überhaupt dazu
anregen, der, Thermometerbaltung mehr Beachtung zu schenken,
als das- bisher geschieht; meiner ‚Erfahrung. nach kümmern sich
die Aerzte im allgemeinen wenig oder fast gar nicht darum. Wer
sich dafür interessiert, dürfte dieselben Fehler entdecken wie ich.
Literatur: Billroth, Die Krankenpflege im Haus und im Hospitale.
(Wien. 1881, Gerold’s Sohn; 7 Auflage, herausgegeben von .Gersuny und
Moskowicz, 1905.). — John Blumberg,. Leitfaden für die chirurgische
Krankenpflege. (Wiesbaden 1911.) — Krankenpflege- -Lehrbuch, heraus-
gegeben von der en obtoku des preußischen‘ Kultusministeriums. eo. Aufl.,
Berlin 1911, Hirschwald.) — Rumpf, Leitfaden der Krankenpflege. (Leipzig
1900, Vogel.) — Paul Rupprecht, Die Krankenpflege im Frieden und -im
Kriege, (2. Aufl, Leipzig 1894, Vogel.) — Salzwedel, Handbuch der Kranken-
pflege. (8. Aufl, Berlin : 1904, . Hirschwald) — Unterrichtsbuch für. frei-
willige Krankenpfleger, (Berlin 1887, Mittler & Sohn.) l .
Aus .der Medizinischen Universitätsklinik in Rostock
. (Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Martius).
Magen- und Darmblutungen als ungewöhn-
licheres Symptom innerer Krankheiten
von:
Prof. Dr. J. Meinertz, Oberarzt; der Klinik.
| | (Schluß aus Nr. 37.)
3. Zwölfjähriger Knabe, Gutsbesitzersohn, aus gesunder Familie.
Mit sechs Jahren Keuchhusten. In demselben Jahre wurden Wuche-
rungen aus dem Nasenrachenraum entfernt, vor zwei J: ahren wegen
dauernden Schnupfens Wucherungen aus der. Nase.
Im Januar 1911 Scharlach, starker Ausschlag, aber nur einen Tag
‘Fieber, keine "Komplikationen.
Im Februar 1912- Masern, dabei nur einen Tag Fieber (bis 38°);
nach 14 Tagen ist er wieder zur Schule gegangen. Seitdem hatte er
aber -dauernd Ohrenträufeln mit unangenehmem eruch, ohne‘ Gonoratoring
:und ohne Schmerzen.
Am 13. April trat eine Mandelentzündung auf mit dickem, grauem
Belag auf der rechten Mandel, der nach vier Tagen wieder verschwunden
war. - Patient hat dabei nicht gefiebert, war gar nicht zu Bette. Am
19. April wurde er wegen der Ohrerkrankung nach der hiesigen Ohren-
‚|. Klinik gebracht. . Hier wurde er zu Bett gehalten, die Ohren wurden aus-
gespritzt. (Nach Mitteilung von Herrn Prof. Körner handelte es sich
um eine Entzündung des äußeren Gehörgangs, die rasch abheilte; sonst
fand sich am Gehörorgane nichts Besonderes.) Bereits am Abend vor
der Reise bemerkte die Mutter . rote Punkte am linken - Unterschenkel,
am nächsten Tage (19. April) in der Klinik auch am rechten Unter-
‚schenkel; ferner trat an diesem Tage Schwellung am Fußrücken auf und
. ebenso, oberhalb der Knie,. sodaß die Strumpfbänder tief einschnitten.
Die Knie waren schließlich selbst stark geschwollen, sodaß sie kaum
mehr bewegt werden konnten, schmerzten aber nicht. Die Schwellung
nahm rasch zu, am Nachmittage desselben Tages trat sie auch an den
Ellenbogen auf, sodaß die Jacke schwer auszuziehen war. Am 20. ging
die Schwellung zum größten Teil. wieder zurück, sodaß Patient wieder
-gehen konnte Am 2i. traten die Schwellungen wieder auf und wurden
am 22. noch stärker, besonders waren .die Knie sehr stark geschwollen,
die Haut darüber ganz blank; auch die Handrücken schwollen stark an.
Schmerzen bestanden dabei nicht, das Allgemeinbefinden war ungestört,
Fieber war nicht vorhanden. - Am 22. trat einmal Erbrechen auf, in. der
Nacht vom 22. zum 23. Leibschmerzen, am:Morgen des 23. begannen
| Durchfälle, vormittags wurden diese blutig. :Der. Patient, wurde. deshalb
mittags nach der Medizinischen Klinik verlegt.
Die Untersuchung ergab folgendes: -
Patient ist. ein mittelkräftiger, seinem . Alter: entsprechend. ent-
wickelter Junge von gutem Körperbau, liegt ganz munter in seinem Bett
und gibt an, keine besonderen Beschwerden zu haben, nur zuweilen
etwas Leibkneifen. Die Hautfarbe ist’ etwas blaß. An beiden Unter-
-| schenkeln bis zum Knie hinauf’ finden: sich. zahlreiche dunkelrote, bei
Druck sich nicht ändernde Flecke won: Kleinerbsen-. bis Pfennigstück-
größe, zum. Teil auch schon abgeblaßte. Beide Kniegelenke sind. gleich-
mäßig stark geschwollen, auf ‚Druck. unempfindlich, machen den Eindruck
von höchgradigem Hydrops genu. An den Außenseiten der Kniegelenke
gelb-grün unterlaufene Stellen. - Beide.Handrücken vom Handgelenke bis.
zum Metacarpophalangealgelenke sind. in’ dicke ödematöse Polster um-
gewandelt, -ebenfalls unempfindlich. Die gauze Rückseite des Rumpfes,
besonders die Lumbalgegend, ist deutlich ödematös. Das Gesicht! ist
nicht gedunsen. Die Temperatur betrug 36,8 und blieb während . der
ganzen Beobachtungszeit niedrig.
Drüsenschwellungen sind nicht vorhanden. An der Mundschleim-
haut und an den Rachenorganen finden sich keine- Veränderungen.
l Herz und Lungen ohne Abweichungen. l
- Der Leib ist weich, nicht aufgetrieben, nirgends. ‚besonders ` druck-
empfindlich, die Milz nicht vergrößert, der Leberrand nicht deutlich fühl-
bar, die Leberdämpfung von’ gewöhnlicher Größe. ee
eg RR EEE EEE EEE U EEE Ba EEE TEE ZB E E N =
-—— mug m en Ber pyas = zu =
1540 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September,
Ä Der Urin ist klar, dauernd frei von Eiweiß und Zucker, Von seiten
des Nervensystems keine Veränderungen. i
Es erfolgten ‚hänfig Stuhlentleerungen (sieben am Tage). Der
Stuhl war dünnflüssig, dunkelrot, fast aus reinem Blute bestehend, etwas
Schleim enthaltend. Die Entleerung erfolgte ohne besondere Schmerzen,
der Patient gab nur an, öfter etwas Leibkneifen zu haben. Diese Ent-
leerungen bestanden in gleicher Weise die ersten vier Tage hindurch.
Die Gelenkschwellungen und Oedeme gingen in den nächsten
Tagen immer mehr zurück und waren am vierten Tage ganz verschwun-
den, die Blutflecken blaßten ab. Der Stuhlgang wurde fester, zum Teil
heller, war aber noch am sechsten und siebenten Tage mit schwärzlich-
roten Partien durchsetzt, am achten war noch Biutfarbstoff mit der
QGuajac-Terpentinprobe im Eisessigäther-Extrakt nachweisber, vom neunten
Tag an fehlte er dauerndim täglich darauf untersuchten Stuhle. (Patient
wurde bei fleischfreier Diät gehalten.) |
Der Patient sah nach dem starken Blutverlust ein wenig blaß
me elend aus, fühlte sich aber nicht schlecht und erholte sich rasch
wieder.
Die Untersuchung des Bluts ergab nur einen mäßigen, aber deut-
lichen Grad sekundärer Anämie: die Erythrocyten zeigten eine deutliche
Anisocytose; polychromatophile und kernhaltige rote waren nicht vor-
handen. Die Leukocyten zeigten keine Besonderheiten. Der Hämo-
globingehalt wurde nicht gleich am Anfange bestimmt, betrug nach
einigen Tagen 60° nach Sahli, 75°%0 nach Tallquist, Zahl der
Leukocyten 7500, der Erythrocyten 4 600 000. Der Hämoglobingehalt be-
trug bei der Entlassung (am 16. Tage) 75°. nach Sahli, im gefärbten
‚Blutpräparat waren keine Abweichungen mehr sichtbar. Derselbe Befund
wurde auch noch einige Wochen später erhoben. Die Zahl der Leuko-
cyten betrug damals 6300. Zur Sicherheit wurde die Widalsche
Reaktion gemacht; sie war für Typhus und Paratyphus vollständig
negativ. `
Irgendwelche sonstige Erscheinungen traten nicht auf. Die Röntgen-
durchleuchtung des Thorax zeigte absolut normale Verhältnisse an Lungen,
Herz und Zwerchfell.
Es handelt sich also um eine plötzlich auftretende
Erkrankung bei einem zwölfjährigen Knaben, bei der Haut-
blutungen, Darmblutungen, Gelenkschwellungen
und ausgedehnte Oedeme im Vordergrunde standen.
Auffallend war dabei das fast gar nicht gestörte All-
gemeinbefinden und die Fieberlosigkeit.
Die Einreihung des Krankheitsbildes macht einige
Schwierigkeit. Ich brauche nicht ausführlich auf die Wür-
digung aller Zustände einzugehen, mit denen Hautblutungen
oder Darmblutungen einhergehen können. Nach dem ganzen
geschilderten Verlauf, dem plötzlichen Auftreten und spur-
losen Verschwinden der Blutungen, dem Fehlen sonstiger
Organbefunde, kann es nicht zweifelhaft sein, daß es sich
um eine Form der hämorrhagischen Diathesen handelt.
Die Hämophilie kann man wohl rasch ausschließen. Gewib
gibt es auch lokale Blutungen auf hämophiler Grundlage
(Litten, Senator, Klemperer und Andere), aber hier
sprach weder anamnestisch irgend etwas für Hämophilie,
noch sind in dieser Form Blutungen bei der Hämophilie je
beobachtet worden.
Bei den übrigen Formen der hämorrhagischen Dia-
thesen ist aber die Abgrenzung bekanntlich oft nicht ein-
wandfrei möglich, so charakteristisch auch die typischen
Fälle von Skorbut, Purpura und Morbus maculosus sind.
Solange wir in ätiologischer Beziehung im dunklen tappen,
muß die Abgrenzung der atypischen Fälle und ihre Zurech-
nung zu der einen oder der andern Krankheitsgruppe etwas
Willkürliches haben. Die Differentialdiagnose geschieht
letzten Endes in solchen Fällen doch immer auf ätiologi-
schem Wege, nämlich da, ‘wo wir das ätiologische Moment
kennen. Wo uns die Aetiologie unbekannt ist, werden
solche Fälle in der Schwebe bleiben. Trotzdem wäre es
unrecht und brächte uns in der Erkenntnis nicht vorwärts,
sondern zurück, wenn wir auf Grund unserer ätiologischen
Unkenntnis alle Grenzen niederlegen wollten. Sicher ist der
Skorbut mit seinem seuchenartigen Auftreten unter be-
stimmten Lebensbedingungen, seiner langsam sich ent-
wiekelnden Kachexie, der Stomatitis usw. nach seinem
ganzen Wesen eine andere Krankheit als die verschiedenen
Formen der Purpura. Aber es gibt beim Skorbut spora-
dische Fälle, es gibt leichte Fälle, und es gibt Fälle ohne
Beteiligung des Zahnfleisches (Litten). Wollte man unsern
Fall bier einreihen, so wäre das nicht zu widerlegen.
Näher aber liegt es jedenfalls, den Fall den Purpura-
erkrankungen zuzurechnen, wenngleich betont werden muß,
daß er sich in keines der bekannten Schemata einfügt.
Gegenüber allen in der Literatur enthaltenen Erfahrungen
über diese Krankheitsbilder (P. simplex; Morbus maculosus,
P. rheumatica, Henochsche Purpura) hat unser Fall das
Besondere der eigenartigen Beteiligung der Gelenke
und der ausgebreiteten Oedeme. |
Im Gegensatz zu dem, was sonst berichtet wird, han-
delt es sich bei unserm Falle nicht um eine „rheumatoide“
Gelenkaffektion. Nichts wies auf einen eigentlich entzünd-
lichen Charakter der Gelenkveränderungen hin, es handelte
sich vielmehr um einen mächtigen Hydrops genu mit ödema-
töser Schwellung der periartikulären Teile, dabei völlig in-
dolent, ohne jede Schmerzhaftigkeit. Diese Ergüsse sind
sicher in Parallele zu stellen mit den hochgradigen sonstigen
Oedemen, die denselben flüchtigen Charakter zeigten. Von
Oedemen ist in der Literatur der Purpura kaum die Rede').
Neter?) weist in seiner kleinen Monographie allerdings
darauf hin, daß man nicht selten ein leichtes Oedem des
Fuß- und Handrückens, der Knöchel und des Gesichts beob-
achtet. In der Ausdehnung, wie sie hier auftraten, scheinen
die Oedeme noch nicht beobachtet zu sein. |
Schon vorher wurde erwähnt, daß wir in ätiologischer
Beziehung bei den Purpuraerkrankungen noch nicht viel
Positives wissen, ohne daß man die Verdienste von Babes,
Letzerich, Ajello, Klebs3) und Andern, die sich um die
ätiologische Erforschung dieser Krankheiten bemüht haben,
deswegen gering zu schätzen braucht. Die verschiedensten
Noxen können ja die im Vordergrunde stehenden Symptome
hervorrufen. Es gibt kaum eine Infektionskrankheit, die
nicht mit ausgedehnten Blutungen einhergehen kann. Sicher
scheint ferner zu sein, daß im Anschluß an manche Iniek-
tionskrankheiten, wie Typhus, Malaria, Masern, Scharlach,
ausgesprochene Erscheinungen von Morbus maculosus auf-
treten können. Ob man in unserm Falle die vorausgegangen®
Angina oder den mehrere Wochen zurückliegenden Schar-
lach anschuldigen darf, ist zweifelhaft.
Besondere Beachtung ist in ätiologischer Beziehung der
Tuberkulose geschenkt worden. Eine Reihe von Autoren
[Wiechell, Oohn, Molliöre und Andere®)] hat auf das
Vorkommen von Purpura bei Tuberkulösen aufmerksam ge-
macht, was an sich nicht so wichtig wäre, aber auch bel
anscheinend Gesunden, die sich später als tuberkulös er-
wiesen, oder bei denen eine latente Tuberkulose wahrschein-
lich gemacht wurde. In neuerer Zeit hat besonders Wolf’),
der unter Baginsky arbeitete und mehrere Fälle von Pur-
pura bei tuberkulös belasteten Individuen mitteilte, auf diesen
Zusammenhang Gewicht gelegt. Daß sich hämorrhagische
Erscheinungen mit der Tuberkulose wie mit jeder Infektions-
krankheit verbinden können, wäre an sich nicht so bedeu-
tungsvoll. Wichtiger wäre, wenn tatsächlich die Purpura
als prämonitorisches Symptom der Tuberkulose häufiger
beobachtet werden sollte®).
Man wird bei ätiologisch so dunklen Affektionen für
die Aufdeckung derartiger Zusammenhänge gewiß dankbar
Bu 1 Sinig besonders Litten, Nothnagels spez. Path, u. Ther.
2) Neter, Die hämorrhagischen Erkrankungen im Kindesalter.
(Würzburger Abhdign. 1905, Bd. 5, H. 4.)
3) Siehe bei Litten.
4) Zitiert nach M. Wolf.
6, M. Wolf, A. f. Kind. Bd. 46, S. 241.
€) Aehnliches gilt auch vom Erythema exsudativum und nodosum,
auf dessen gemeinsames Vorkommen mit der Purpura hingewiesen worden
ist (Kramer, Dissertation unter Leyden: Erythema exsudativum multi-
forme mit Uebergang in Morbus maculosus Werlhoffi. Berlin 1896.)
und das mit der Tuberkulose wiederholt in Zusammenhang gebrach
wurde (Uffelmanns „ominöse Form des Erythema nodosum“, ferner
Hildebrand, Nachweis von Tuberkelbacillen in einem derartigen Falle.
M. med. Woch. 1907, S. 103; Kober, Med. Kl. 1912, Nr. 19, 5. 781.)
TOE I ni
l
i]
99. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 1541
sein. Aber ohne die Möglichkeit zu leugnen, daß in einem '
' und Würdigung aller einzelnen Krankheitserscheinungen
Teile derartiger Fälle Tuberkulose im Spiel ist (wie ja fast
alle Infektionskrankheiten gelegentlich hämorrhagische Form |
annehmen), wird man einen generellen Zusammenhang als
durchaus unbewiesen ansehen müssen und den Gedanken,
daß es sich bei der ungeheuren Häufigkeit der Tuberkulose
vielfach um ein zufälliges Zusammentreffen handelt, nicht
von der Hand weisen können. |
In unserm Falle bestand jedenfalls nicht der geringste
Verdacht auf Tuberkulose. Weder war hereditäre Belastung
vorhanden, noch fand sich bei dem gut gebauten Knaben
anamnestisch, klinisch, bei der Röntgendurchleuchtung usw.
irgendein Anzeichen davon. |
Aber ein anderer Hinweis ist in Hinsicht auf unsern
Fall bemerkenswert, nämlich der Hinweis Baginskys!) auf
den orthostatischen Charakter der Blutungen, von
dem sich dieser Autor vielfach überzeugen konnte und der
auch in dem von seinem Schüler Wolf beschriebenen Falle
hervortrat. Auch in unserm Falle fand sich ein derartiger
orthostatischer Charakter, zwar weniger der Haut-
blutungen, wohl aber der Oedeme: Außer an den Fuß-
und Handrücken fanden sich diese Oedeme in ausgesproche-
nem Maß an der ganzen Rückseite des Stammes, während
die Vorderseite frei blieb. Auf die Analogie mit der ortho-
tischen Albuminurie, die ebenfalls bereits mit Tuberkulose
in Beziehung gebracht worden ist [Teissier, Reyher?)],
will ich nicht eingehen). Die Beteiligung der Gefäße an
dem Zustandekommen unseres Krankheitsbildes wird uns
aber durch die genannten Beobachtungen besonders nach-
drücklich vor Augen geführt. Wodurch freilich die Wider-
standsunfähigkeit der Gefäßwände bedingt ist, darüber herrscht
noch völliges Dunkel. Daß nicht die schweren anatomischen
Veränderungen der Gefäße, wie sie bei tödlich verlaufenden
Fällen von Morbus maculosus gefunden worden sind [Silber-
mann, v. Kogerert)], die Ursache solcher flüchtigen Er-
scheinungen sein können, wie es Blutungen und Oedeme z. B.
in unserm Falle waren, ist klar. Aber es ist freilich außer-
ordentlich schwer, sich vorzustellen, in welcher Weise die
uns unbekannte Noxe eine örtliche und vorübergehende
Schädigung der Gefäßwandungen herbeiführt, wie sie bei
Hämophilie als vererbbare allgemeine und dauernde Ab-
weichung besteht und sich besonders eindrucksvoll in den
Spontanblutungen bei Hämophilie äußert. Aber vielleicht
bringt das Studium der stofflichen Veränderung der Gefäß-
wände bei der Hämophilie auch Licht in die Frage der zeit-
‚lich und örtlich begrenzten abnormen Durchlässigkeit bei
der Purpura)).
‚ _Die drei geschilderten Fälle haben also ein Symptom,
die Blutungen aus dem Magendarmkanale, gemeinsam,
das an sich nicht unerhört, doch jedem einzelnen der Fälle
ein ganz besonderes und ungewöhnliches Gepräge gab. Die
Blutungen waren klinisch und ätiologisch denkbar ver-
schiedenartig und führten zu diagnostischen Ueberlegungen,
deren Mitteilung, abgesehen von dem klinischen Interesse,
das die Fälle im einzelnen bieten, gerechtfertigt erschien.
Denn sie bilden einen Beitrag zu der Erkenntnis, daß das
genannte wichtige, auch für den Laien so eindrucksvolle
Symptom wegen seiner Vieldeutigkeit dem Arzt oft eine
Schwierige diagnostische Aufgabe bietet. Jeder Schematis-
mus wäre hier vom Uebel, auch läßt einen hier die „intuitive“
1) Baginsky, Verhdlgn. d. Berl. med. Gesellsch. 1907, S. 15.
3) Ibid. S. 88.
f °) Teissiers Anschauung von der orthotischen Albuminurie als
eines „prätuberkulösen“ Symptoms kann man wohl nur in dem Sinne
gelten lassen, daß die konstitutionelle Minderwertigkeit, die in dem
„asthenischen* Habitus (Stiller) zum Ausdruck kommt, sowohl zur
konstitutionellen Albuminurie als auch unter anderm zur Tuberkulose
Isponiert.
v, Siehe bei Litten. | | DEN
Zei ) Ueber die Rolle der Gefäßwandung bei der Hämophilie siehe Sahli,
eitschr. f. klin. Med. Bd. 56 und D. Arch. f. klin. Med., Bd. 99.
Diagnostik ganz im Stiche. Nur die geduldige Feststellung
kann die richtige Diagnose, und was für den Patienten und
seine Angehörigen meist noch viel wichtiger ist, die richtige
Prognose des Falles ergeben.
Aus Dr. Oeders Diätkuranstalt, Niederlößnitz bei Dresden.
Bauchgröße und Ernährungszustand
von
Dr. Frhr. von Sohlern jun.,
Assistenzarzt der Anstalt.
In einem Artikel „Das kleine Abdomen in seinen Be-
ziehungen zum Allgemeinbefinden und Gesamternäh-
rungszustand“ in Nr. 47 und 48 der Klin.-ther. Woch. 1911
hatte ich an einem Materiale von 40 Fällen nachzuweisen versucht,
daß es Individuen gibt, die infolge eines im Vergleich zu ihrem
übrigen Körper zu klein angelegten Bauches in ihrem Gesamt-
befinden und ihrer Ernährung stark beeinträchtigt werden können.
Ich hatte damals das Ergebnis in folgende Sätze zusammengefaßt:
1. Es gibt Menschen, die bei sonst normaler Körpergröße
und im übrigen annähernd normaler Konstitution einen auffallend
kleinen, den übrigen Körpermaßen nicht entsprechenden Bauch
besitzen.
2. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dabei gleichzeitig eine
angeborene Kleinheit der Bauchorgane, besonders des Magens und
Darms besteht. |
3. Diese Abnormität kann trotz guten Appetits und trotz
Fehlens von Erkrankungen des Magen- und Darmkanals oder kon-
sumierender Krankheiten — deren eventuell &leichzeitiges Bestehen
das Unglück natürlich verschlimmert — durch Behinderung ge-
nügender Nahrungsaufnahme leicht zu einem mehr oder weniger
erheblichen Zustande von Unterernährung und Abmagerung führen,
der seinerseits
4. als weitere Folgeerscheinungen die verschiedenartigsten
Beschwerden, Verdauungsstörungen, Enteroptose und schließlich
Neurasthenie zeitigen kann. 1 |
5. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß alle klein an-
gelegten Bäuche zu Abmagerung usw. führen müssen, ebenso-
wenig, wie etwa alle großen zu Fettleibigkeit. Es gibt Ueber-
gangsformen; und außerdem kommen noch andere Umstände, wie
Charakter und psychische Anlage, Energie, Lebensweise, Art der
Ernährung usw. mit in Betracht. Doch läßt sich wohl mit Sicher-
beit annehmen, daß solche Individuen nie fettleibig werden.
Während der Drucklegung jener Arbeit habe ich nun nicht
nur einiges neues Material zu dem .Thema. sammeln ‚können, .son-
dern es sind auch unterdes verschiedene neue Arbeiten und Unter-
suchungsergebnisse von anderer Seite bekanntgeworden, die mich
in der Ansicht bestärkten, daß es tatsächlich einerseits Menschen
gibt, die bei sonst normalem Wuchs einen im Vergleich zu ihrem
übrigen Körper unverhältnismäßig . kleinen respektive großen
Bauch besitzen, und daß anderseits dieser Anlagefehler ver-
schiedene Fölgezustände.in bezug auf den Ernährungs- und
Allgemeinzustand der betreffenden Persen erzeugen kann. |
Wir. unterschieden normalgroße, zu kleine und zu
große Bäuche. Ursprünglich nur auf dem Inspektionsurteile,
das heißt der vergleichenden Beträchtung von Abdomen, Thorax
und Gesamtkörperlänge, fußend, ging ich dazu über, an Brust und
Bauch bestimmte Maße zu nehmen. Ich wählte dazu als bequemste
und am einfachsten zu messende die Abstände: 1. Jugulum bis
Spitze des Processus xyphoideus, 2. Processus xyphoideus bis
Nabelmitte, 3. Nabelmitte bis oberer Symphysenrand, 4. Nabelmitte
bis Spina anterior superior, 5. maximale Distanz der äußeren
Darmbeinkämme. Die Maße wurden sämtlich mit dem Tasterzirkel
genommen. Ä
In der folgenden Tabelle sind neun Fälle von kleinen Ab-
domen der gleichen Anzahl von großen respektive normalen
Bäuchen gegenübergestellt.
| Bei einer Durchsicht der einzelnen Spalten zeigt sich nun
folgendes: Die Körpergröße (Spalte 3) hält sich im großen
ganzen etwa um das normale Mittel von 170 cm bei den Männern
und 160 cm bei den Frauen. Diese Feststellung ist wichtig, weil
sie zeigt, daß es sich bei den mit kleinem Abdomen behafteten
I Individuen nicht etwa um überhaupt kleine Menschen handelt.
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„länge, kleiner respektive: gleich der Brustbeinlänge, in den
. übrigen vier Fällen nur wenig größer. rg TE
> Aus Spalte 7 bis 10 sehen wir, daß bei den normalen und
‚übergroßen Bäuchen. der Abstand vom Jugulum bis zur Spitze
. des Processus xyphoideus, den wir kurz Brustbeinlänge nennen
wollen, durchweg kleiner, bei den großen Bäüuchen sogar in zwei
Fällen über die Hälfte kleiner ist als der Abstand. von der
ee 5 "Spitze des Processus xypho-
` ideus bis.zum oberen Symphy-
senrande, das heißt als die
Bauchlänge. Bei den kleinen
Bäuchen dagegen ist in fünf
von neun Fällen die Bauch-
| Abb. 1. Be N e
Größe 183,cm. Gewicht 66,7 kg., . Größe: 160,5 cm. Gewicht:. 93,6 kg,
_-Bauchtettpolster: 1,0. m, "Brustbeinlänge:: . Bauchfettpolster: 5 cm, Brustbeinlänge:
24,1 cm, . Bauchlänge: cm, Hüftbreite: . 20 cm, 'Bauchlänge: .80,5 cm, Hüft-
a & l breite: 29 cm.
-Dor Thorax. ist also bei den kleinen Bäuchen im all-
E gemeinen länger. als das Abdomen, Dadurch entsteht. das‘ Bild,
~ wio es uns Abb. 1 zeigt, wo die tiefreichende untere Apertur des
langen Thorax sich gewissermaßen in den Bauch einzukeilen und
Be 191% — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.38, ©. ©20.:Sepfember.
l 2 Bi ` E 2 n ' | S : A \ wii = l t ` Tabelle I. l 5 | 5 7 l : | = f ` x
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u © en e | |2 a šega | dagl)
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o LRA gE |g 3 |&8|*® \S2|8 | BaN ia
GE 5 Ze | A. Kleine Bäuche. == | Br oo |
1 | Herr Fr. ‚mager 18 |- 169,5 |- 61,4 85 I 7776 21,5 257| 18 127 | 28 18 Neurasth. seyDnchondr, "Unterernäh-
= |: rung, gheit. -
2 „ 6t, mager 1,0 183 | 66,7 82,5 | 78 24,1: 25 18 .2 29 18,25 Achylia gastr, Unterernährung, Stuhl-
3 » K | mager 1.05 |- 165,5 | 55,8 84. | 79,5 | 2 25 11 14 29 13 ` Unterörnähren g, Stuhlträgheit, Neur-
| Far: í TR . i asthenie. — — ~ -
4 » V mager 1.08 | 1725 | 610:| 86 7 205 | 2 12 18 28,5 | 12,25 Untererz ährung, Stuhlträgheit, Neur-
lie © S A D E asthenie, An
5 „ B mager 0,5 171,5 67,4 83 71,5 21 25 18 12 27,5 | 11,5 |. Ohronische Lungentuberkulose, Unter-
De ze le: | | ' | _, ernährung, Stuhlträgheit.
6 » B. .| etwas mager - 1,35 171 66,8 89 8o |) 2 21 il 10 29 13,5 er Abmagerung, Stuhlirre-
E i 22 - |- _ gularität. l EN
7 a P ` mager 0,45 | 168 51,8 79 | 735 | 26 21 11 10- 27,5 12 Ey Or ende: Gastroektasie, Unter-
i . ! F en | ernährung ' ~ a
8 „2 mager - . 0,4 164,8 | 64,8 85,5 | 79,5 28 23 ` 10 18 29 18 an Dyspepsie, Unterernährung,
Neurasthenie. - >,- :
9 „ 5 mager . 0,5 166,5 | 59,7 82 | 785 25 21,5 8,5 13 30 14,5 | Hyperacidität, Neurasthenie, Neryöse Dys-
., - l . KONE . ; Ei | - ler = pepsie, Abmagerung.- - - - -
= Me E B. Normalgroße Bäuche. E nur
1 | Herr G. mager 0,4 179 62,9 85 76,25 .| 22 28,5 145 | 14 80 14. Schwerer Diabetes, Phthisis pulm.
-2 .». 8. | annähernd normal. | 1,2 162,5 66,2 87,5: | 85 20 - 27 13 14 27. 15 o ;
3 ». K. | annähernd normal 2,3. 170 69,0 84 86 20 25 12,5 12,5 29 15 u
4 E a mager I 11 170 60,8 86 82 22,5 26 12 i4 28 14,5 j| Neurasthenie.
5 „ E. normal an der 2,8 177,5 87,1 98 99,5 19 28,5 13,5 15 . 80 14 - | Großer Oberkörper, kurze Beine.
oberen Grenze . f l )
6|° „ E normal an der 3,2 166,5 |. 83,4 99,5 | 100 22 24 12 12 30,5 | 15 i
e oberen Grenze IR z ,
7. „ W. mager -0,85 | -172 | 55,6 78 75,5 -| -19,5 265 | 135 | 18 275 | 14 Phthisis pulm..
8 a Be skelettiert 0,75 173,5 54,9 80 17 - 28,5. 27 | 12 15 80 ‚16,5 | Darmtuberkulose?
9 | Frau H. | annähernd normal 24. | 16385 | 64,2 835 | 76 2 | 27 j| u . 16 29 16
u a 5 C. Große Bäuche. |
1 | Frau St. - nórmal 2,9 164 66,3 90 9i 19 29 14 15 u: 15 | Diabetes,
2 »„ M. | etwas fett 3,65 | 161,5 | 827 98,5 | 99 16 875 | 28 14,5 31,5 | 18
3 „ F., | normal an der 2,9 175 779 91,5 | 19 82 15 17 31 |16
| z2 ‚oberen Grenze i i i A
4 | Herr P. mäßig fett 4,5 169,5 96,0 107 110 20 81,5 | 19 12,5 29,5 | 15
5 | ` „ Pr. | annähernd normal 2,2 169 82,4 16 104 21 29 15 14 3 16 Diabetes,
6 | Frau St. fettleibig 4,8 1495 | 78,8 91 1005 | 15 33,5 | 185 | 15 | 80 15
7 | Herr 0e. - fottleibig 4,6 6 87,0 | 108 18,5 . 80 17,5 12,5 80 16
8.| Frau Z. | mäßig fett 3,7 161.5 | 79,0 9% |. 98 16,5 29 15 14 29 14
9 | Herr T. sehr fett 50 | 1605 | 936 | 101 [11475 | 16,5 29 | 1 14 | 30 1 aaa
ihn niederzudrücken | scheint, während umgekehrt bei dem großen
Bauch in Abb. 2 der kurze, aber umfangreiche: Brustkasten durch
‚den enormen Bauch scheinbar in die Höhe gedrängt wird. .
Als Nebenbefund findet sich in Spalte 9 und .10, daß bei den
großen Bäuchen der Nabel oft auffällig tief sitzt. Bei den normalen und
kleinen Bäuchen befindet er sich meist etwa in der Mitte der Bauehlänge.
‘ Die Spalte 12 zeigt, daß auch die Strecke von der Spina
anterior superior zum Nabel bei den kleinen Bäuchen im: allge-
' meinen kürzer ist als bei den normälen. Die größten. Distanzen
weisen naturgemäß auch hier die großen Abdomina auf, zum Teil
wohl weil bei ihnen auch noch die in den meisten Fällen vor-
handene Vorwölbung durch. das starke Fettpolster für dieses Mab
mit in Betracht kommt. ae ee
Ebenso finden wir in Spalte 11, die uns die Maße für: die
_ Hüftbreite angibt, steigende Werte von den kleinen zu den großen
Bäuchen, wenngleich hier die Grenzen etwas verwischt sind, - `
| Spalte 5 bestätigt, daß es sich bei- den Kleinbäuchigen nicht
um besonders schwächliche Individuen handelt. Die Brustumfänge
stehen denen der Normalen im allgemeinen nicht nach. Bei den
meist fettleibigen Großbäuchen sehen wir. natürlich. entsprechend
höhere Werte. | S Me a ET
Dagegen bleiben die in Spalte 6 verzeichneten Bauch-
umfänge der ersten Gruppe weit hinter denen’ der.-zweiten und
dritten Gruppe zurück. Vergleicht man Spalte 5:und 6 mitein-
ander, so findet sich, daß bei den ersteren der Bauchumfang
durchweg kleiner, bei den letzteren durchweg größer ist als
der entsprechende Brustumfang. Bei den Normaigebauten wechselt
das Verhältnis je nach dem Ernährungszustande, das heißt bei den
‚gut genährten ist das Umfangsmaß annähernd gleich, bei den
Mageren. bleibt der Umfang des Bauches ‘hinter dem der Brust
zurüek. a
Eine bessere Uebersicht dieser Verhältnisse ergibt sich, weun
man aus den Maßen der drei Gruppen. die :arithmetischen: Mittel
‚zieht und die .so gewonnenen Zahlen miteinander -vergleicht, wie
es in folgender. Tabelle geschehen ist. °
N Bu
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22, ‚September.
u e eme ena Tran nem ee — 0.0... nn em ame em...
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 88.
Tabelle II.. Durchschnittssahlen;
| nn mm un nrak: pp n trer o tane SEE pre
Ernährungszustand
| Arithmetisches Mittel g5 E SÈ
wa Inspektionsurteil sa | En [288
$a
je 9 Fällen ER 35 | Sg | #84
3% Su
aa | 5 |25
f N |
L Kleine Bäuche mager 61,6
0,81 170,8
II. | -Normalgroße Bäuche skelettiert bis normal 1,55 67,06 | 170,5
an der oberen Grenze
ol. Große Bäuche fett 8,78 |. 81,5 162,5
Aus dieser Tabelle ist folgendes zu ersehen: Die bei der
Inspektion als zu klein imponierenden Abdomina zeigen
auch bei der Messung kleinere Maßzahlen als dienormal-
großen. Dies Zurückbleiben gegen die Norm erstreckt sich auf
die Maßzahlen: Bauchlänge (im Vergleich zur Brustbeinlänge),
Nabel bis Spina anterior superior, Hüftbreite und Bauchumfang.
Tatsächlich sind also diese kleinen Bäuche kürzer,
schmäler und wahrscheinlich weniger tief als normale
Abdomina. Dafür erscheint die dem Thorax zugehörige Rumpf-
partie verlängert, ohne daß doch der Brustumfang hinter der mitt-
leren Norm zurückbleibt. Mit andern Worten: Wir sehen bei
normalgroßen Menschen mit gut entwickeltem, aber etwas
langem Brustkasten einen in allen Dimensionen zu
kleinen Bauch. Der größere Teil des Rumpfes gehört
dem Thorax, der kleinere dem Abdomen an.
Umgekehrt bei dem, was wir den großen Bauch nennen.
Hier ist ein kurzer, gleichsam hochgedrückter Brustkorb mit brei-
tem epigastrischen Winkel und flachem Rippenbogen, unter dem
die nach allen Dimensionen vergrößerte Masse des Abdomens den
weitaus größten Teil des Rumpfes beansprucht (siehe Abb. 2 und 4).
Dementsprechend sind die Maße (Tabelle I und II). Ein kurzes
Brustbein, ein gewaltiger Abstand vom Processus zur Symphyse
und von. der Spina anterior superior zum Nabel — diese letztere
Distanz ist allerdings, wie. schon gesagt, zum Teil durch die Vor-
wölbung durch: das Fettpolster bedingt — und im allgemeinen
breit ausladende -Hüftknochen. Dies alles auch bei an und für
sich: geringer Körpergröße. Der Bauchumfang ist beträchtlich
höher als der Brustumfang. Als Nebenbefund: Tiefstand des Nabels
in vielen Fällen, was einem großen Oberbauch entspricht.
. , Daß solche Bäuche wirklich an und für sich groß sind und auch nach
erfolgter Abmagerung — die Mehrzahl ihrer Besitzer ist ja fettleibig (siehe
sre | r n
134,7 kg bei einer Körpergröße von 17i cm. Er bot
damals das Bild der Abb. 3 und folgende Maße: Ju-
gulum bis Processus xyphoideus; 21 cm, Processus
xyphoideus bis Nabel: 16,5 cm, Nabel bis Symphyse
12 cm, Nabel bis Spina anterior: 15 cm, Hüftbreite 32 cm,
Bauchumfang 121/138 cm. Im Verlauf einer viertel-
jährigen Kur. nahm Patient hier bei vollstem Wohl-
befinden 38,7 kg ab. Mit 96,0 kg wurde er entlassen
und sollte sich zu Hause möglichst auf diesem Gewicht _
halten. Gegen ärztlichen Rat nahm er aber zu Hause
noch .weitere 11,7 kg ab und suchte, da sich infolge-
dessen ‘Schwächezustände einstellten, unsere Anstalt
wieder auf, Er bot nun bei 84,3 kg das Bild der Abb. 4
und die Maße; 21,5, 16, 13, 13, 30, 90/100 cm.. Wir
sehen also, daß diese, trotz der enormen Abnahme
von über 1 Ztr., im wesentlichen dieselben geblieben
sind. Der Nabel ist etwas höher gerückt. Die Aende-
Tung der Hüftbreite läßt sich durch den Schwund des
Fettes zwanglos erklären. Auch jetzt noch im-
Abdomen im Vergleich mit dem kurzen, gedrungenen Thorax
Toß. Ä
T Auch das Verhältnis der Brustbein- und Bauchlänge zur
Körpergröße zeigt in Gruppe I und III gleichsinnige Veränderungen,
wie die andern Maße, Bei den Normalen hat der Bauch !/s bis !/r der
‚esamtlänge, wogegen das Brustbein mit !/; zurückbleibt. In Gruppe I
Ist Abdomen und Thorax annähernd gleichmäßig mit je '/7s an der Ge-
aatlänge beteiligt, während bei den großen Bäuchen diese mit t/s der
'ssamtlänge gegenüber einem Brustbein von nur !/s der. ganzen Größe
weit :überfagen. A
~ ` Auch in klinischer Beziehung bieten die beiden Ano-
F EE des. zu. kleinen und zu großen Abdomens diametrale
regensätze, | Sr |
Bezüglich der kleinen Bäuche fand ich in elf neuen Fällen
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209 | 26,6 | 147 | 139 | 29,0 | 149 | 1:81 | 1:64 | 865 | 84,14
18,8 | 846 | i79 | 137 | 80,0 | 17,0 | 1:88 | 1:51 | 93,1 |' 101,08
- das eingangs Gesagte vollauf bestätigt. Auch bei meinem neuen
Materiale handelt es sich durchweg um normalgroße, magere
Individuen, die Mehrzahl obne organische oder konsumierende
Krankheiten. Trotzdem kommen diese Kranken, solange sie im .
Berufsleben stehen, in ihrer Ernährung nicht recht vorwärts respek-
tive immer mehr zurück. Das Gefühl vorzeitiger Sättigung. und
die nach Nahrungsaufnahme alsbald einsetzenden Beschwerden ver-
leiden ihnen das Essen; Abmagerung und Obstipation, in manchen -`
Fällen auch Enteroptose, stellen sich als Folge ein; der Gesamt-
zustand mit all seinem körperlich und psychisch depremierenden
Drum und Dran macht sie zu Neurasthenikern. Jetzt wie damals
neige. ich dazu, alle diese Erscheinungen auf Rechnung des zu
kleinen Bauches zu setzen und die Entwicklung des ganzen Krank-
heitsbildes . aus diesem Grundübel abzuleiten. Die geringe Aus-
dehnungsmöglichkeit in dem nach allen Seiten verkleinerten Bauch-
raume muß. schon bei relativ geringer Füllung des Magens und
Darmes alsbald das Gefühl von Völle und Unbehagen, das sich:
bis zum Schmerz steigern kann, hervorrufen. Gleichzeitig ver-
ursacht wahrscheinlich der dabei wirkende äußere Druck der kurzen
und straffen Bauchdecken ein vorzeitiges Gefühl der Sätti-'
gung, das die weitere Nahrungsaufnahme unmöglich macht. Der -
Patient hört also meist zu früh mit Essen auf, noch bevor er sich _
die zur Erhaltung nötige Nahrungemenge zugeführt hat. Die
Folge ist einesteils Abmagerung, die ihrerseits wieder zu Ptose’
führen kann, anderseits Obstipation, da ja zur Kotbildung so
gut wie nichts übrig bleibt. Wird nun dem Patienten, der auf
diese Weise natürlich immer mehr herunterkommt, der vielleicht
schon alles erdenkliche versucht hat, womöglich auch noch von:
ärztlicher Seite auf Grund des „negativen“ Befundes versichert,
daß ihm , eigentlich nichts fehle,,so darf es nicht wundernehmen,
wenn aus all diesen Momenten sich schließlich auch noch die
schönste Neurasthenie entwickelt.
‘Im einzelnen ist das Vorhandensein der eben geschilderten: Sym-
ptome bei meinen elf neuen Fällen aus folgender Tabelle ersichtlich:
Abb. 4.
Abb. 8. ee
Was das Symptom . der vorzeitigen Sättigung betrifft, so haben `
noan i
veröffentlicht. Auch sie beobachteten bei einer Anzahl von Patienten‘ eine
unaufhaltsame Gewichtsabnahme, ohne daß als Ursache für diese Ab-
magerung das Vorhandensein eines ernstlichen Leidens zu’ erüieren ge-
wesen wäre. Bei all diesen Patienten zeigte sich, dab sie zwar mit
Appetit zu Tische gingen, schon nach wenigen Minuten aber .sich voll-
ständig gesättigt fühlten,- Die Verfasser konnten feststellen, daß dieses.
vorzeitige Sättigungsgefühl in manchen Fällen bedingt wurde durch
eine künstliche Steigerung des intragastralen Drucks infolge
Schnürens. Diese Steigerung ‘konnte durch Einschnürung des Magens‘
_Neiß.er und Breuning!) vor kurzem interessante Untersuchungsergebnisse
1) Neißer und Breu ning, Ueber 'norniale' und vorzeitige Sätti-
gung. (M. med, Woch. 1911, Nr. 37, S. 1955) ~- w
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` stanten intragastralon Druck (16 bis 18 cm H20).
mittels eines Leibriemens auch experimentell erzielt werden. Das
Resultat war, daß die Patienten in der Periode, in der sie geschnürt
wurden, alle weniger aßen. Daraus schließen Neißer und Breuning:
-: 1. Es gibt ein Krankheitsbild, das in dem vorzeitigen Auftreten des
Sättigungsgefühls besteht. - Als Ursache dieses Krankheitsbildes haben wir
‚Schnüren kennen gelernt. .
2. Normales Sättigungsgefühl tritt ein bei einem annähernd kon-
5. Durch Schnüren kann man den Druck im Magen erhöhen.
6. Durch Druck kann man daher vorzeitige Sättigung hervorrufen.
Diese Experimente mit dem einschnürenden Leibriemen
scheinen mir gewissermaßen künstlich und vorübergehend den-
jenigen Zustand herbeizuführen, der in unsern Fällen,. durch die
Natur vorgebildet, dauernd besteht. Da hier durch die kleinen
Raumverhältnisse eine genügende Ausdehnung des Magens und
Darms unmöglich gemacht wird, muß die Füllung und der zur
Erreichung des Sättigungsgefühls nötige Druck schon bei relativ
geringerer Nahrungsaufnahme ` eintreten, als unter normalen Ver-
hältnissen. Das Amt des einschnürenden „Schmachtriemens“ über-
nehmen hier die kurzen, straffen, eingesunkenen Bauchdecken.
Zu der Beengung der Eingeweide durch die Wandung des kleinen
Bauches kommt: noch — wie, neuerdings die röntgenologischen Unter-
suchungen von Groedel und Schenck!) dargetan haben — der Einfluß
wechselnder Füllung des Magens und Darms beziehungsweise des Dick-
darms aufeinander. Nach Angabe der Verfasser wird der Magen durch
jegliche Darmfällung — Gas, Kot, Einlauf — beeinflußt. Dieser Einfluß
muß noch ‘besonders zutage treten, wenn von Natur räumlich enge Ver-
hältnisse vorliegen, ‘wie in unsern Fällen. Besonders wird die Flexura
lienalis coli, die bei unserm häufig obstipierten Kleinbäuchigen einen be-
liebten Ort für die Kotstauung darstellt; hier mit ihren Wechselbezie-
hungen zum Magen eine bedeutsame Rolle spielen. Bei gleichzeitiger
‚ Ptose würden die Störungen, wie Groedel und Schenck betonen, noch
intensivere sein.
- Bezüglich der:’Therapie und Prognose des Leidens habe ich
meinen früheren. Bemerkungen nichts ‚hinzuzufügen. Die wesent-
lichen Richtpunkte für die Behandlung sind: Hebung des Allgemein-
befindens, Erziehung - des Kranken zu genügender Nahrungsauf-
nahme in regelmäßigen, häufigen, wenig voluminösen Mahlzeiten
und Stuhlreglung. Ferner würde auf lockere, den Bauch nicht.
einengende Kleidung zu.achten sein. |
In direktem Gegensatz zu diesen Menschen mit kleinem Ab-
domen stehen nun die mit großem Bauch. Ein Blick auf Ta-
belle IC zeigt uns vor allem, daß diese Individuen sehr zur Adi-
positas neigen, respektive tatsächlich in der Mehrzahl fettleibig
sind. Nach dem oben Gesagten ist dies auch leicht erklärlich. In
solchen großen Bäuchen müssen auch große Nahrungsmengen un-
< :-- 1) Groedel und Schenck, Die Wechselbeziehungen . zwischen
Füllung, Form und Lage von Magen und Dickdarm. M. med. Woch.-
1911, Nr. 48, S. 2589. u nn
‚mit dem, was wir hier unter
1544- 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 22. September.‘
Tabelle II. Kleine Bäuche (sämtlich Männer).
Mitt oror ; | | |
; Natür- rust- Form und Größe
Nr.| G% | liche | umfang | Fett des Bauches Appetit Stublgang Magevbeschwerden Diagnose
wicht | Körper- | Mittlerer | polster =.
länge |. Bauch- Ernährungszustand
umfang
84 mäßig klein nicht besonders angehalten | Aufstoßen, gelegentlich | Stublträgheit, Enteroptose, U nter-
1| 558 165,5 a 08 | mager Druck und Völle | | ernäh rung, Neurasthenie,
2l 634 161 89 klein wechselnd täglich _ Druck, Völle, Schmerzen | U nterernährung, Neurasthenie,
. 78,25 | 04 mager’ : 2. u:
85 is klein, flach, unter dem | Widerwillen gegen meist angehalten | leichter Druck nach dem | Unterernährung,Stuhlträgheit,
3J .614 169,5 — Brustniveau Essen ssen - Neurasth. hypochond.
77,16 1,8 -~ mager: i l i l
82,5 klein, flach, etwas ein- meist gut unregelmäßig, neigt! Druck, Völle, Aufstoßen | Achylia gastrica, Unterernäh-
4 | 66,7 183 i ` - gezogen | zur Verstopfung nach dem Essen rung, Stuhlträgheit, :
78 ` 1,0 mager ; oo l 3 Rn wu
. 86 klein meist gut “ täglich Aufgetriebensein nach den | Unterernährung, Neurasthenie.
5| co | 1725 | = 08 mager | ahlzeiten u u
l , 89 etwas klein mäßig ' täglich 2mal Druck, Völle, Aufstoßen | Hyperacidität, Unterernäh-
6| 520 | 1795 875 12 mager nach dem Essen `, rung, Neurasthenie `- .
al'ora | 15 88 klein, flach wechselnd, mittags neigt zur Stohl- Druck, „volle, Aufstoken Tubero. pulm. diron Unterer-
y -E ; meist gu verhaltung nach dem Essen. Uebel- nährung gheit.
i | | 71,5 0,5 mäßig mager keit, Erbrechen morgens >? A
i 8 klein gut, wird schnell satt wechselnd Druck und Völle nach dem | Abmagerung, Stuhlirregula--
8 | 66,8 171 -8 1,35 etwas mager - Essen rität, Neurasthenie. a
85,5 etwas klein ist bald voll und satt täglich Druck unabhängig von | Pylorusstenose? Gastroektasie,
a Dhs 288 795 0,45 mager Nahrungsaufnahme Unterernährung,. ..
85,5 “klein, flach gut täglich wechselnd Nervöse Dyspepsie, Unterer-
10 | 648 | 170 5 04 l mager | nährung; Neurasthenie. -
82 klein, flach gut, hat aber Angst angehalten Druck, Völle, Aufstoßen Nervöse Dyspepsie Hyperacidität,
u| 597 | 1665 8E 05 mager -vor dem Essen | Stuhlträgheit, Abmagerung
gehindert Platz finden, da sich ja der beliebigen Ausdehnung
von Magen und Darm keine wesentlichen räumlichen Hindernisse
in den Weg: stellen. So wird denn auch von einer ‘vorzeitigen
Sättigung in der Regel hier nicht die Rede sein, sondern das- Ge-
fühl der Befriedigung wird im Gegenteil erst nach. erheblicher:
. Nahrungszufuhr eintreten. Ebenso werden durch Druck verursachte
Beschwerden nach dem Essen fehlen. Es wird denn auch in meinen
sämtlichen (18) Fällen mit Ausnahme eines einzigen (chronische Ne-.
phritis, Sklerose der Coronararterien) der Appetit vom Patienten
selbst als gut, sehr gut, oder sogar mitüberschwenglichen Ausdrücken
wie „brillant“ und dergleichen bezeichnet. Beschwerden nach dem
Essen werden nur in zwei Fällen (bei einer Achylie :und ‘einer
Hyperaeidität) geklagt: u
Die. notwendige Folge dieses ausgezeichneten Appetits und
dieser mühe- und beschwerdelosen Bewältigung auch großer: Nah-
rungsmengen liegt auf der Hand. Da das rechtzeitige Sättigungs-
gefühl als natürlicher Regulator der Nahrungsaufnahme infolge
der großen Raumverhältnisse ausbleibt, werden dem Körper un-
verhältnismäßig große Mengen zugeführt, die er zunächst ohne Be-
schwerden verarbeitet, und so entsteht auf Grund des großen
Abdomens notwendig eine Adiperitas, die als reine Mastfett-
sucht aufzufassen ist. Der große Bauch prädestiniert zur
Fettleibigkeit. |
Die wenigen Fälle von großem Bauche bei gleichzeitigem normalen
Ernährungszustande — vielleicht fehlt die Adipositas hier nur infolge
der gerade in diesen Fällen vorhandenen organischen Erkrankungen (Die-.
betes) — ermöglichen es uns übrigens, einem schon oben angedeuteten
Einwande zu begegnen, nämlich dem, daß der Eindruck des großen Ab-
domens etwa nur durch den starken Fettansatz hervorgerufen werde, dab
also der große Bauch mehr etwas „nur Aeußerliches“, Angefüttertss sel.
Das ist nicht so. Das große Abdomen z E
muß nicht gleichzeitig fett sein.
Es gibt auch hier wie bei den kleinen
Bäuchen Uebergangsformen. Ich habe
unter meinem Material mehrere Fälle,
wo trotz: eines Bauchfettpolsters von
nur 2,0 bis 2,9 cm (normal 2,75 cm)
durchaus das Abdomen als groß‘
impönierte. Ich erinnere ferner an
den oben geschilderten Fall Sch., wo
auch nach enormer Abmagerung der
groe. Bauch groß blieb. Das Ver-
schwinden des Hautfettpolsters, wo-
durch dann die Bauchhaut gelegentlich
eine beträchtliche Faltung erfährt, hat RE D
i ir hi Größe dəs Bauches verstehen, nichts zu
tun. So erscheint denn in Abb. 5 der stark entfettete Bauch — die Falten
?
r
in der Haut siud durch eben diese Eutfettung verursacht — auch jetzt
noch groß. | i z
Die Beschwerden solcher Patienten sind, soweit nicht neben-
bei noch andere Erkrankungen vorliegen, dieselben, wie wir 810
auch sonst bei Fettleibigen zu’ sehen gewohnt. sind. - ~“
2 ah U >
22. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
1545
Bezüglich der Therapie der Fettsucht solcher Personen
sind als wesentliche Richtpunkte Bewegungs- und Hydrotherapie
neben der Diätbehandlung zu berücksichtigen. Eventuell wäre
auch auf künstliche Raumbeschränkung des Abdomens und
Magens durch „Schmachtriemen“ oder eng anliegende Korsetts
und Kleidungsstücke ein Augenmerk zu richten. Die Prognose
hängt, wie bei jeder Mastfettsucht, sehr von der persönlichen
Willenskraft des Patienten ab.
Das Resultat aus obigen Betrachtungen möchte ich in die Sätze
zusammenfässen:
1. Es gibt Menschen mit abnorm kleinem und abnorm
großem Abdomen. Beides sind angeborene Anomalien.
2. Das kleine Abdomen prädisponiert zur Magerkeit
mit den Folgeerscheinungen der Ptose, chronischen Obstipation
und Neurasthenie, das große zur Mastfettsucht.
Bäderregulator, eine neue Vorrichtung zur
direkten und indirekten Erwärmung und Ab-
=- kählung des Kohlensäurebades!)
von
Dr. med. L. Nenadovies, Franzensbad.
Natürliche CO3-Bäder werden aus CO3a-reichem Mineralwasser
warmer oder kalter Quellen bereitet. In letzterem Falle wird
das Badewasser künstlich erwärmt. Dies geschieht nach einer
der bekannten Methoden von Pfriem, Schwarz und Reinitz in
der Badewanne selbst oder außerhalb derselben in sogenannten
Üalorisatoren, welche nach. dem Muster jenes von Czernicki
(s. Prof. Glax: Balneotherapie) gebaut sind.
Erwärmt man das Mineralwasser nach Pfriem (Dampf in
die Badewanne direkt eingeführt), so geht fast die ganze Kohlen-
säure verloren, erwärmt man es nach Schwarz, so erzielt man
keine konstante Temperatur des Badewassers, weil der Dampf im
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k NO. IR. Abb. 1.
Doppelboden nachwärmt, auch nachdem er abbestellt wurde. Der
„uorienwert des im Doppelbodenraum eingeschlossenen Dampfes
eträgt nach meinen Erhebungen etwa 250 große Calorien. Diese
wärmen nicht nur das Badewasser nach, sondern wirken auf den
den auch als strahlende Wärme ein. Das nämliche gilt
e us Reinitzsche Methode. Aus diesen Gründen werden
h re Methoden zur Erwärmung des Badewassers für Herz-
Säure er, für welche man die Dosierbarkeit der Kohlen-
aiy e nn die Ausschließung einer Nachwärmung verlangen
lie E t angewendet. Auch die Calorisatoren haben ihre Nach-
Se ist in denselben der Verlust an Kohlensäure größer als
ne der Erwärmung des
mof @hwarzschen Methode. Dies behaupte ich im Gegensatz zu
in dem o. auf Grund meiner Erhebungen. Ich fand nämlich, daß
m VOz-Bade, welches nach der Schwarzschen Methode ge:
Gosollsohatt 1a Borta dala T der 38. Versammlung der Balneologischen
[7 % er en g x . g s 4 ` . ..
Ø i " III Ln
Mineralwassers in der Badewanne nach |
wärmt wurde, freie Kohlensäure 3!/gmal mehr vorhanden ist, als
in solchem, welches vermittels eines Calorisators vorerwärmt
wurdel). Dies ist übrigens auch leicht verständlich, denn während
die Erwärmung des Badewassers nach der Schwarzschen Methode
vier bis fünf Minuten in Anspruch nimmt, wird bei den Calori-
satoren das ganze Badewasser der.Dampfwirkung zehn bis zwölf
Minuten lang ausgesetzt; hierzu kommt noch der Umstand, daß
in ersterem Falle das Wasser in die Badewanne kalt und unter
dem normalen Wasserdrucke, dagegen bei Calorisatoreni warm und
unter dem durch die vorzeitige Entwicklung der Kohlensäure ge-
steigerten Druck eingeleitet wird; im ersten Falle strömt das
Wasser verhältnismäßig ruhig, im zweiten Falle mit großer
Vehemenz ein. Sowohl die längere Dauer der Dampfeinwirkung
als auch das mechanische Moment erklären den größeren Verlust
an Kohlensäure bei den Calorisatoren zur Genüge. Ein weiterer
Nachteil letzterer besteht darin, daß man bei Calorisatoren den
COz-Gehalt und die Temperatur des Badewassers nicht unabhängig
voneinander regulieren kann.
Alle diese Nachteile ist mir nun gelungen, durch die Kon-
struktion der zu beschreibenden Vorrichtung zu beheben. Abb. 1
stellt eine schematische Zeichnung dieser Vorrichtung dar. Diese,
unter dem Namen Bäderregulator patentiert?), besteht aus einer
Kombination von zwei Vierweghähnen (Abb. 1, I, A, B) im An-
schluß an eine Metallwanne (II) mit Doppelboden (II). Das Ge-
häuse des Hahnes A steht mit Wasser (H20)-, Sole (CINa)- und
Mineralwasser (CO>)-Leitungen, der Hahn B mit Dampf (D)- und
Wasser (H30)-Leitungen in Verbindung. Das Innere der Wanne
steht in c mit beiden Hähnen, der Doppelbodenraum in d nur mit
dem Hahn B in Verbindung. Im Querschnitt (Abb. 1 bis 4) er-
scheint die Bohrung der beiden Hahnspindeln in einem Teile:
röhren-, im andern Teile fächerförmig. Abb. 1, IV stellt den Längs-
schnitt der Hahnspindel dar. Abb. 1a im Doppelbodenraume stellt
den Ablauf für Kondenswasser, b an der Wanne den Ablauf für
Badewasser bei strömenden Bädern dar.
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2.
Durch entsprechende Einstellung des Hahnes A. kann man in die
Wanne in zeitlicher Reihenfolge Mineralwasser, Sole und Süßwasser
hineinleiten, Die Dosierung der Kohlensäure geschieht in bequemer
und exakt sicherer Weise, indem man x Liter Mineralwasser, y Liter
a und K ur Süßwasser verordnet. Die Liter werden an der
ichung der Wanne abgelesen. — Durch entsprechende Ei
on B wird Dampf in die ho (Abb, 2, D hie &
— Erwärmung nach Pfriem oder in den Doppelbodenraum der-
selben (Abb. 8, D bis d) —, Erwärmung nach Schwarz, geleitet.
Nachdem das Badewasser in letzterer Weise (nach Schwarz) auf
gewünschten Grad (z. B. auf 250) erwärmt worden ist, dreht man
den Hahn B so, daß das Innere der Badewanne mit deren Doppel-
bodenraum verbunden wird (Abb. 4, .c bis d, 25%. In diesem
Badewanne (Abb. 2, D bis ce)
') Die CO: wurde nach der Methode von Prof, Treadwell ge-
messen.
2) Patente für Oesterreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und
Rußland.
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1546
Falle fließt das beispielsweise auf 25° vorerwärmte Badewasser
aus der Wanne in den Doppelbodenraum und vernichtet daselbst
die nachwärmende Wirkung des eingeschlossenen Dampfes. Man
hat also im Doppelbodenraume
oO dieselbe Temperatur wie in der
2. Wanne (25°) oder, mit andern
Worten, man bereitet hier-
durch, trotz der Schwarzschen
Methode der Erwärmung, ein
CO3-Bad von konstanter Tem-
peratur. So wird durch diese
Modifikation die Schwarzsche
Methode für Herzheilbäder
\\.\
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L 9 angepaßt. — Es wurde oben
< AA f 5 gesagt, daßman die Pfriemsche
cs ct > Methode zur Erwärmung des
5 2 LA = Wassers für COs-Bäder nicht
gsi CT ZZZA x EZ d.anwenden kann, weil der Ver-
ø So lust an Kohlensäure zu groß
Tu DI ist. In der Tat treibt der
f L direkte Dampf fast die ganze
h 7 A Kohlensäure heraus, bevor
4 AC der Patient ins Bad steigt.
/ Man kann jedoch das Mineral-
A KÀ wasser zu gleicher Zeit mit
h O. D Dampf in die Badewanne hinein-
leiten, und zwar so, daß auch
die Temperatur des Wasserstrahls konstant bleibt. In dieser
Weise entsteht ein strömendes Bad, in welehem die Kohlensäure
dem Patienten zugute kommt, weil er zur Zeit der CO3-Entwick-
lung (in statu nascendi der CO2) im Bade sitzt. Diese Idee wurde
in Franzensbad auch bei der Anwendung von Calorisatoren ver-
wirklicht, und man nannte diese Bäder Strombäder. Sie zeichnen
sich von einem ruhigen COs-Bade durch den größeren CO3-Gehalt
und durch den erheblichen Druck des Wasserstrahls aus. Bei
meiner Vorrichtung entsteht ebenfalls ein strömendes Bad (Abb. 2,
CO — D bis ec), es unterscheidet sich jedoch von dem Vor-
beschriebenen durch einen auffallend großen Reichtum an freier
Kohlensäure und durch den geringen, fast unmerklichen Druck
des Wasserstrahls. In diesen Bädern sprudelt die Kohlensäure
wie in den Quellen, weshalb ich sie, zum Unterschied von den
Strombädern, Sprudelbäder genannt habe. — Die neue Vorrich-
tung ermöglicht es schließlich, noch ein in der Medizin ganz neues
Bad herzustellen. Nachdem das Badewasser auf den indifferenten
Grad von 27° R erwärmt worden ist und der Patient sich in das-
selbe gesetzt hat, wird durch entsprechende Drehung des Hahnes
B durch den Doppelboden der Wanne etwa 10° R kaltes Wasser
geleitet (Abb. 1, I bis III, H20 — Mld bis a). So entsteht das
neue Kohlensäurebad mit indirekter Abkühlung. Hierbei
wird die Temperatur des
Bades (in 15 Minuten von
270 R auf 24° R, also um
30 R) herabgesetzt, ohne
die Zusammensetzung (COz-
Gehalt) desselben zu ändern.
Wir kennen auch ein CO3-
o Bad mir direkter Abküh-
25 lung. Dieses entsteht, wenn
Abb. 3
N man bei Strom- und Sprudel-
2? bädern die Temperatur des
7 Wasserstrahlls allmählich
ø sinken läßt. Hierbei wird
f d jedoch mit der Temperatur
: 95° zugleich auch der CO2-
h Gehalt des Bads geändert;
g es ist kein ruhiges, sondern
A ein bewegtes Bad (das
e mechanische Moment!), und
der Wasserstrahl trifft den
Körper des Patienten un-
vermittelt. |
Zusammenfassend würde
ich die speziellen Vorzüge
der neuen Vorrichtung in folgenden Punkten wiedergeben:
A O. Abb. 4. D.
1. Einfachheit in der Konstruktion und Vielseitigkeit in der
Wirkung. 2. Leichte und sichere Handhabung. 3. Ersparnis der
Kohlensäure (gleichbedeutend mit einer Ersparnis des Mineral-
wassers). 4. Sichere Dosierbarkeit der Kohlensäure und der
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
Temperatur des Badewassers, und zwar unabhängig von-
einander. 5. Die Möglichkeit, in einer und derselben Wanne sieben
verschiedene Bäder herzustellen, von welchen zwei, das Sprudel-
bad und das Kohlensäurebad mit indirekter Kühlung,
neu sind.
Ich möchte nur noch nicht unerwähnt lassen, daß die neue
Vorrichtung im großen Badebetriebe bereits erprobt wurde und
sich in jeder Beziehung bewährt hat. Ich werde in einem späteren
Vortrage, den ich im April 1. J. am Deutschen Kongreß für Innere
Medizin halten werde, dartun, daß das neue CO;-Bad mit in-
direkter Kühlung eine Sonderstellung unter den bisher gekannten
Bädern einnimmt und für die Herztherapie eine Bereicherung
bedeutet.
Erfahrungen mit Maltyl und Maltyl-Maté
von
Dr. med. Nippe, Dresden.
Das Maltyl ist der dem Zuge der Zeit angepaßte Fremdname
des Malzpräparats der Firma Gehe & Co., A.-G., Dresden. Maltyl
enthält in der Hauptsache (zu 90/0) lösliche Kohlehydrate
(Maltose) in Verbindung mit einem diastatischen Ferment. Um es
für Sport- und Reisezwecke geeignet zu machen, ist es in Tabletten
von 5 g gepreßt worden, ein Zusatz von Kakesmasse hält die
Tabletten trocken und locker. Maltyl ist in dieser Form von
süßem, backwerkähnlichem Geschmacke, bequem zu nehmen und,
für Sportzwecke sehr wichtig, bequem zu verpacken,
Die Forderungen des Sports gehen aber weiter. Neben der
rationellen Ernährung verlangen die Rekordleistungen des Amateur-
und Berufssports auch Anregungsmittel. Der Gedanke liegt nun
nahe, eine Sportsnahrung oder wenigstens einen Teil derselben
mit einem solchen Anregungsmittel zu kombinieren. Man fand
ein solches Mittel in dem Paraguaytee oder Mate, welcher in Süd-
amerika in ausgedehntem Maße von der einheimischen und weißen
Bevölkerung als Anregungs- und Genußmittel benutzt wird. Der
Maté enthält außer Bitterstoffen, Gerbsäure und ätherischen Oelen
ein Alkaloid, das anscheinend dem Coffein identisch ist. Man sagt
dem Maté in Südamerika nach, daß er ähnliche Wirkung wie der
Kaffee habe, ohne dessen unangenehme Nebenwirkungen. Worin
diese günstige Eigenschaft begründet ist, ist noch nicht völlig ge-
klärt, wahrscheinlich liegt eine kombinierte Wirkung vor des
Coffeins mit einem andern Stoffe. Einer Tablette von 5 g ist nun
soviel Maté zugesetzt worden, daß eine Tablette 0,02 g Coflein
enthält. Zur Hebung des Geschmacks hat man Kakao benutzt.
Die so entstehenden Tabletten aus Maltyl und Maté sind ungefähr
vom Geschmack einer bitteren Schokolade und sind als Anregungs-
mittel zu Sportzwecken, aber auch für leicht erschöpfbare Menschen
infolge des Coffeingehalts gut gebräuchlich. In der Tat ist- das
Coffein ja eines der besterprobten Stimulantien, außerdem auch
fast frei von unerwünschten Nebenwirkungen innerhalb der Grenzen
der Maximaldosen. Da nun der geringe Coffeingehalt den täg-
lichen Gebrauch von nicht mehr als 75 Tabletten ungefährlich er-
scheinen läßt, so erscheint das Maltyl-Mat& in der Tat das von
den Sportsleuten gewünschte Anregungs- und Kräftigungsmittel
zu sein. Die Anwendung so hoher Maltyl-Mats-Dosen ist natürlich
nur für den Gebrauch bei besonderen Leistungen erlaubt, die sich
nicht täglich wiederholen oder wenigstens nicht eine Reihe von
Tagen überschreiten. Geringe Mengen, etwa 20 Tabletten, {sind
völlig unschädlich. |
Zur Prüfung des Präparats schien eine Beobachtung an
Sportsleuten geeignet, die sich in Ausübung des Sports dieses
Mittels bedienten. Dazu wurden die Fahrer eines der Sechs-Tage-
Rennen fortlaufend ärztlich kontrolliert. Ein solches Rennen be-
nötigt eine große körperliche Arbeit und geistige Spannkraft. Die
Möglichkeit der Stürze auf der Bahn, die Notwendigkeit, fast die
ganzen sechs Tage jederzeit in der Lage zu sein, den Partner ab-
zulösen, dazu die sich aus der Natur dieser Veranstaltung erge-
bende Unregelmäßigkeit des Schlafens und Essens erfordert einen
hohen Spannungszustand des Nervensystems und die Anwendung
von Stimulantien. Genau wie der Bergfahrer zu dem Gebrauch
solcher Anregungsmittel gezwungen werden kann. Die Kontrolle
der Fahrer ist nicht leicht durchzuführen. Einerseits stößt man
dabei auf passiven Widerstand; der erschöpft vom Rade Steigende
ist nicht geneigt, sich ausgiebig explorieren und untersuchen ZU
lassen, anderseits scheidet eine Reihe von Fahrern vor Beendigung
des Rennens und damit vorzeitig aus der Kontrolle aus, Un
schließlich benutzen eine Reihe Fahrer meist amerikanische Ge-
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92. September.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 1547
Be
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heimpräparate, deren Zusammensetzung streng gehütet wird. e) bei Thrombosen (deckt sich eigentlich mit b) beziehungsweise jl:
Immerhin hat die fortlaufende Kontrolle doch einige Tatsachen | gehört dorthinein); = t
aufgedeckt, die zur Beurteilung des Maltyl-Maté herangezogen f) bei stärkeren Varixbildungen im Bereiche der unteren Extre- eh
werden können. Das Körpergewicht, man muß dabei berücksich- | mitäten; Er
tigen, daß es sich durchgehend um gut trainierte, fettarme und g) bei akuter Cystitis (gehört ebenfalls unter b); if
muskelkräftige Leute handelt, reduzierte sich bei allen Fahrern h) bei Drainage durch die Bauchdecken (kommt kaum vor) -oder E
um 1—2 kg im Verlaufe der sechs Tage, mit einziger Ausnahme | durch die Scheide, solange das Drainagemittel noch nicht entfernt ist. l
von zweien, von denen der eine allerdings 24 Stunden vor Be- Vom Nutzen des Frühaufstehens bei Wöchnerinnen konnte ich A Ä
endigung des Rennens ausschied. Diese beiden Fahrer, welche | mich nicht überzeugen und bin nach hinlänglichen Beobachtungen ii
sowohl Maltyl wie Maltyl-Mat& regelmäßig und reichlich gebraucht | wieder davon abgekommen. f $ |
haben, nahmen 1/2—1 kg zu während des Rennens. Immerhin ist Wöchnerinnen, bei denen post partum Dammrisse genäht worden ti
aber zu berücksichtigen, daß andere Fahrer, die auch Maltyl ge- | waren, ließ ich überhaupt nie früh aufstehen. ]
braucht haben, abgenommen haben. Man nn diese rn pen nn ik
en des Körpergewichts nur auf individuelle Disposition und den N ER an
Grad des sorier bestehenden Trainings zurückbeziehen dürfen. `. pomarinus Dozent Dr» Haus Lorenz, Wien; il
Was die Urinausscheidung anlangt, so haben die Maltyl-Mat6 ge- 1. Nach einfacheren Bauchoperationen (Appendektomien, Gastro- il
brauchenden Fahrer über unangenehme Sensationen, wie sie z. B. | enterostomien usw.) lasse ich die Patienten in der Regel am sechsten, "u
Lewin als Nebenwirkung zu großer Coffeindosen beschreibt, die | siebenten Tage das Bett verlassen; nur sehr alte, dekrepide Leute, bei t ;
sich als Schmerzen in der Blase bemerkbar machen können, nicht | denen Hypostasen zu fürchten sind, trachte ich schon am Tago nach der |
geklagt. Ebenso ließ sich nie in den Harnen Eiweiß oder Zucker, Operation aus dem Bette zu bringen. Einen Nachteil hiervon habe ich 2
auch nicht — wie von vornherein anzunehmen war — Coffein nicht gesehen, die Patienten haben aber meistens, wenn man sie sehr Ni ;
nachweisen. Die Probe auf Coffein wurde so angestellt, daß der frühzeitig aufstehen läßt, sehr wenig Lust dazu und sehnen sich nach . f !
mit Salpetersäure angesäuerte Urin mit Aether ausgezogen wurde, | dem Bette zurück, sodaß ich es vorziehe, wenn nicht besondere Gründe 2 |
der Auszug auf dem Wasserbade verdampft und der Rückstand | für frühzeitigstes Verlassen des Bettes sprechen, die Patienten, wie ge- Bi
in Ammoniak gelöst wurde. Ist Coffein vorhanden, tritt Purpur- | sagt, bis zum sechsten oder siebenten Tage liegen zu lassen, bei größeren tg |
rotfärbung ein. Die Defäkation war bei manchen Fahrern etwas | und komplizierteren Bauchdeckenschnitten (Cholelithiasis und dergleichen) LE
angehalten, ein Umstand, der durch die geringe und konzentrierte | oder wenn drainiert werden mußte, etwa bis zum zehnten Tage. ! i |
Nahrung, der Gemüse vollkommen fehlten, zu beziehen ist. Andere 2. Wie aus oben Gesagtem hervorgeht, sehe ich in der Mehrzahl el
Nebenwirkungen des Coffeins, wie rauher Hals, Zittern der Hände, | der Fälle in einem Aufstehenlassen Laparotomierter vor dem sechsten, |
Herzpalpitationen, waren ebenfalls nicht zu konstatieren. Der Blut- | siebenten Tage keinen besonderen Vorteil; an Hals, Mamma, oberen i |
druck der Fahrer nach Riva-Rocei, teils sofort nach längerem | Extremitäten Operierte bringe ich tunlichst am Tage nach dem Eingriff a4
Fahren, teils nach einer Ruhepause gemessen, betrug 115 bis | aus dem Bette. | Ai i
maximal 180 mm Hg-Druck. Ueber Herzklopfen klagte keiner f
Ta
der Fahrer. Der Puls war fast durchgehend niedrig, von 62
bis 82, wies aber sehr häufig Unregelmäßigkeiten auf, am Herzen
waren mehrere Male blasende, systolische Geräusche zu hören,
beides gleichmäßig bei Fahrern, welche Maltyl-Maté benutzten und
solchen, die andere Präparate als Stimulantien gebrauchten. Sub-
jektiv wurde das Maltyl-Maté gelobt, einige Fahrer erklärten, es
in Zukunft bei andern Rennen wieder benutzen zu wollen. Als
Kuriosum mag noch erwähnt werden, daß die Preisrichter, die
tags und nachts am Vorstandstische die zurückgelegten Runden
zählten, mit Erfolg das Maltyl-Mat6 benutzten, um sich des
Schlafes zu erwehren.
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Ste die Patienten das Bett verlassen?
2. Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens?
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufstehen? - K. Bg.
Prof. Dr. F. Kleinhaus, Deutsche gynäkologische Universitätsklinik, Prag:
1. Ich habe im Herbst 1907 mit dem Frühaufstehenlassen von
gynäkologisch operierten Patientinnen begonnen und habe es auch bei-
behalten. |
‚ Frühester Termin beziehungsweise kürzeste Frist nach der Ope-
ration drei Tage.
2. a) Im günstigen psychischen Einfluß; b) in der Erleichterung °
spontaner Darm- und Blasenentleerung.
3. Ich sehe vom Frühaufstehen ab, wenn
a) die Patientin sebr schwach ist beziehungsweise keine Lust
dazu hat;
= b) wenn der Verlauf nach der Operation nicht glatt ist, das heißt
el erhöhter Temperatur oder wesentlich erhöhtem Puls oder beidem;
DIE. wenn Damm- oder Scheidenplastik oder beides vorgenommen
d) nach Operation größerer Bauch- beziehungsweise Nabelhernien;
Prof. Dr. K. A. Herzfeld, Frauenarzt, Wien:
í. Obwobl ich durch die frühere Methode der länger dauernden
Bettruhe keine Schäden habe erwachsen sehen, habe ich seit einiger Zeit,
dem Zuge der Zeit folgend, Laparotomierte bei normalem Verlauf am
achten Tage, Patientinnen mit vaginaler Totalexstirpation und Wöch-
nerinnen am zwölften Tage aufstehen lassen und davon keine Schäden
beobachtet.
2. Bei den geringsten Temperatursteigerungen und Zeichen ent-
zündlicher Prozesse, da sonst eine ungünstige Beeinflussung des Heilungs-
prozesses die Folge ist. Eine Gefährdung der Patienten durch das Früh-
aufstehen tritt zunächst dadurch ein, daß sie sich nicht lange genug der
Rekonvaleszenz hingeben. Bei Wöchnerinnen dadurch, daß Lage und
Formveränderungen des Uterus und mangelhafte Rückbildung der aus-
gedehnten Bauchdecken die Folge eines zu zeitlich erfolgten Auf-
stehens sind. BEER
Primararzt Prof. Dr. J. Schnitzler, Chirurg, Wien:
1. Nach Laparotomien vom dritten Tag an, wenn die ÖOperierte
nicht so herabgekommen ist, daß eine längere Ruhe für sie wünschens-
wert ist. |
Nach Operationen an der oberen Körperhälfte (Strumektomien,
Mammaamputationen usw.) am ersten Tage.
2. Raschere Erholung der Operierten, guter psychischer Einfluß,
günstiger Einfluß auf Appetenz, häufig durch das Aufstehen bedingte Ver-
meidung des Katheterismus. Hingegen erscheint mir ein Einfluß auf
Vermeidung der Thrombosen und Embolien unbewiesen und
nicht wahrscheinlich. Ä
8. Besondere Schwäche oder Anämie der Operierten. Bei Verdacht
auf schon vor der Operation bestehende Thrombosen vergrößerte Gefahr
der Embolie.
Geh. Hofrat Prof. Dr. Eugen Enderlen, Chir. Universitätsklinik Würzburg:
1. Hernien, Appendices nach acht bis zehn Tagen, Magen-Darm-
resektionen nach 14, Gastrostomien am zweiten Tag, ebenso Oberkiefer-
Unterkieferresektionen, Mammae, Strumen. Meist verlangen die Bauch-
operierten nicht aus dem Bett, ein Spaziergang im Bett (Henle) ist
ihnen lieber. : u |
2. Bei alten Leuten Vermeidung von Lungenkomplikationen.
3. Patient hat keinen Genuß davon.
Prof. Dr. Perthes, Chirurg. Universitätsklinik, Tübingen:
1. a) In der Tübinger Klinik stehen Patienten beziehungsweise
Patientinnen nach Operationen des Mammacareinoms, nach Strumaopera-
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Er
1548
22. September.
tionen, Oberkieferresektionen, Operationen des Lippen- und Zungen-
carcinoms am Tage nach der Operation auf. |
i b) Nach Hernienoperationen und Laparotomien verlassen die Pa-
tienten das Bett im allgemeinen nach 8—14 Tagen.
2. Den Hauptvorteil des Frühaufstehens bei den unter 1a) ge-
nannten Fällen sehe ich in dem günstigen Einfluß auf die Verhältnisse
der Atmung und der Expektoration. Ein für die dauernd überfüllte
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
Klinik wesentlicher Vorteil liegt in der durch das Frühaufstehen ge-
gebenen Möglichkeit früherer Entlassung und ambulanter Behandlung.
' 83. Nach Laparotomien sehe ich hauptsächlich auch mit Rücksicht auf
den eignen Wunsch der Patienten in der Regel vom Frühaufstehen ab. Auch
halte ich es für die Narbe günstiger, wenn sie in der ersten Zeit stärkerem
Drucke nicht ausgesetzt wird. Bei den Fällen, in denen Temperatursteige- _
rungen beobachtet werden, wird in der Regel vom Frühaufstehen abgesehen.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem Pathologischen und Bakteriologischen Institut des Städt.
Krankenhauses Karlsruhe (Vorstand: Prof. Dr. E. v. Gierke).
Die Serodiagnose der Lues mittels der
Ausflockung Ä
von
Dr. H. Schmidt.
O. Porges und G. Meier (1) hatten zuerst festgestellt, daß
Lecithin aus seiner kolloiden Lösung durch das Blutserum Lueti-
scher ausgeflockt wird. Diese Reaktion ist in der Folgezeit von
andern Autoren nachgeprüft worden, welche den Befund von
Porges und Meier bestätigten, aber auch fanden, daß andere
Krankheiten ferner auch normale Seren von Menschen sowie von
Tieren — (nach Weil und Braun [2] gibt normales Rinderserum
die Reaktion deutlich und konstant) — die Lecithinausflockung
verursachen. Die Reaktion war mithin für die Diagnose unge-
eignet und die Wiener Autoren in Gemeinschaft mit Elias,
Neubauer und Salomon (3) untersuchten nun eine Reihe von
andern Substanzen auf ihre Ausflockung hin und substituierten
das Lecithin durch Natrium glycocholicum, womit sie wesentlich
bessere Resultate erzielten.
Ich hatte im Karlsruher Krankenhause Gelegenheit, eine große
Anzahl von Seren nach dieser Methode zu untersuchen, bei denen
ich gleichzeitig die Wassermannsche Reaktion anstellte. So
war es mir möglich, mir ein Urteil über den diagnostischen Wert
der Ausflockungsmethode zu bilden, da ich die Resultate mit denen
der W.R. vergleichen konnte. Meine Methodik war die Original-
methodik der Wiener Autoren, nur konnte ich die Seren nicht
immer so frisch benutzen, wie es die Wiener Autoren vorschreiben,
doch haben mir Vergleichsuntersuchungen gezeigt, daß dieser
Umstand nicht wesentlich in Betracht kommt. |
0,4 cem einer frisch bereiteten, wäßrigen 1°/oigen Lösung
von Na. glycocholic. (Merck) wurde zu 0,4 cem inaktiviertem
Serum zugesetzt und nach 16—20 stündigem ruhigen Stehenlassen
die Reaktion abgelesen. Die auftretende Ausflockung kann in den
feinsten (mit bloßem Auge erkennbaren) schwebenden Flöckchen
bis zu dicken, vereinzelt schwebenden Flocken auftreten, die teils
zu Boden sinken, teils an die Oberfläche steigen und nach einiger
Zeit ein Häutchen bilden. Durch Kontrolle mit dem unvermisch-
ten Serum kann man die Verwechslung mit bloßen Fettansamm-
lungen auf der Oberfläche vermeiden, die man relativ oft bei Seren
beobachtet, die längere Zeit stehen.
Nach dieser Methode wurden 150 Seren untersucht. Ich
habe im folgenden alle Luesfälle, die mit Salvarsan behandelt
wurden, von denen mit Hg und Jod behandelten und den unbehan-
delten getrennt, um erkennen zu können, ob dem Salvarsan eine
Beeinflussung der Reaktion zukäme.
- Unter den 150 Fällen waren 103, die sicher luetisch waren, und
davon waren 53 mit Salvarsan behandelt. Ohne auf alle Fälle im ein-
zelnen einzugehen, bringe :ich die Resultate in folgender tabellarischer
Zusammenstellung (wobei + starken, + mäßig starken, 7 schwachen
Ausfall der Reaktion bedeutet. W. und W. R. bedeuten Wassermannsche,
P. und P.M. R. die Porges-Meiersche Ausflockungsmethode):
53 Luesfälle (mit Salvarsan behandelt). Davon zeigen Ueberein-
stimmung der W.R. mit der P.M.R.
31 Fälle 8 +, 10+, 13 —,
keine Uebereinstimmung
22 Fälle;
20 mal war die P.M.R. negativ und die W.R. positiv (5+, 15+),
2 mal umgekehrt: W.R. negativ, P.M.R. positiv.
In den beiden letzten Fällen (170, 1911, 316, 1911) handelt es
sich jedesmal um alte, mit Salvarsan behandelte Lues, die früher positive
W.R. hatten. Bei Fall 316, 1911 trat geringe Selbsthemmung bei der
W.R. auf. | À
50 Luesfälle (teils mit Hg und Jod behandelt, teils unbehandelt).
24 mänifeste Lues: RE,
4 Lues I [W.—,P.—-; W. +,P.+; W.F, P.—; W.?,P. —
(310, 1911)],
2 Lues I—IL [W. +, P.+; W.-+, P.— (824, 1911), vor vier
Monaten Ulec. dur. Hg].
13 Lues II (bei allen W.R. und P.R. übereinstimmend positiv),
5 Lues 1II (bei allen W.R. positiv, in 4 Fällen P.R. negatir.
und einmal positiv), | |
14 latente Lues, bei allen W.R. positiv, aber sechsmal P.R. + und
achtmal P.R. —, | |
1 Tabes (W. +, P. —),
2 Paralyse (W. +, P. +; W. 4+, P.—),
9 Fälle (2) von Gonorrhöe mit später zugegebener, zurzeit
latenter Lues, alle mit positivem Wassermann; davon war di
P.R. 7+4, 2—. :
Zusammenfassung:
Von 53 Salvarsan-Luesfällen hatten 710/0 pos. W.R. 37°/o pos. P.R.
n 50 sonstigen Luesfälen „ 96% „ „ 48% p a»
103 Fälle von Lues 83°/0 pos. W.R. 42%, pos. P.R.
Also nur in der Hälfte der Fälle, in denen die W.R. positiv
ist, gibt die Ausflockungsreaktion ebenfalls ein positives Resultat.
Dabei unterscheiden sich die mit Salvarsan behandelten Fälle in
keiner Weise von den anders behandelten Luesfällen. Da, wo
Syphilis manifeste Symptome zeitigt, ist auch in relativ hohem
Prozentsatze (bei Lues II in 100 /,) die P.R. positiv, aber gerade
in den für die Diagnose schwierigen Fällen von latenter Lues
gibt die Reaktion keine besseren, um nicht zu sagen schlechteren
Resultate wie die W.R. Das gleiche war auch schon von andern
Untersuchern bestätigt worden. Nun kommt noch der Ausfall
der Reaktion an klinisch gesunden, respektive an Menschen, die
an andern Krankheiten leiden, und da sehen wir in folgendem
die Möglichkeit, auch bei nicht Luetischen positive Reaktion zu
erhalten. |
Nach der gleichen Methode wurden noch untersucht:
7 Fälle von Prostituierten ohne Anhalt für Lues, die negative
W.R. aufwiesen und Lues abstritten. Bei zweien war die Porgessche
Reaktion positiv. Ob hier Lues doch vorlag oder nicht, konnte leider
nicht einwandfrei festgestellt werden. |
20 Fälle, in denen Lues nicht sicher ausgeschlossen werden konnte
und klinisch-differentialdiagnostisch in Betracht kam. Davon waren bei
17 Fällen W.R. und P.R. negativ.. Die übrigen drei Fälle waren:
1. 204, 1911. W.R. —, P. F (ohne Anamnese),
2. 296, 1911. W.R.—, P.+ (Augenaffektion luetisch?),
3. W. +, P.—, Frau mit Fehlgeburten und epileptiformen
Anfällen.
Bei den ersten beiden Fällen war die Ausflockung sehr schwach,
aber doch mit bloßem Auge nicht zu verkennen; der dritte Fall gehört
eigentlich nicht hierher, doch war die W.R. sehr schwach positiv und
sonst nicht der geringste Anhalt für Lues. Welche von beiden Reak-
tionen hier das richtige Resultat gab, läßt sich nicht entscheiden.
Zur Kontrolle wurden ferner 20 Fälle sicher nicht luetischer Er-
.krankungen herangezogen, die alle nach Wassermann negativ reagierten.
Von diesen gaben zwei Fälle eine positive Porgessche Reaktion: ein
Fall von Herzleiden bei einem älteren Mann (274, 1911) und eine Kinder-
tetanie (302, 1911). Alle andern reagierten mit der Ausflockungsmethode
negativ, darunter waren unter anderm Typhus, Lichen, multiple Sklerose,
Asthma, Ekzem, Psoriasis usw. on K
| Wenn demnach nur in relativ wenigen Fällen nicht luetischer
Erkrankungen die. Porgessche Reaktion positiv ausfällt, so tut
das dòch der diagnostischen Verwertbarkeit der Reaktion ziemlich
Abbruch. - | | gi
Noch während ich mit dieser Nachprüfung beschäftigt war,
erschien eine Arbeit von O. Herman und A. Perutz (4). Diese
Autoren gingen von dem Gedanken aus, daß die Differenz zwischen
den positiven Befunden mit der W.R. und denen der Ausflockungs-
reaktion daher rührte, daß in vielen Fällen, die positiv mit
Natrium -glycocholic. reagieren würden, die Ausflockung nur zu
gering an Masse ist, nun mit bloßem Auge erkannt zu werden.
Auf Grund von Befunden von C. H. Browning, J. Oruickshand
und J. M’Keuzie (5), nach denen ein Cholesterinzusatz, ohne selbst
speeifische Wirkungen zu zeigen, die Fähigkeit von Leecithinlösungen als
Antigen bei der Komplementbindungsreaktion zu wirken, verstärkt, ferner
gestützt auf eine Arbeit von Porges und Neubauer (6), nach :der das
Cholesterin als Suspensionskolloid. die bydrophilen Lipoidkolloide in ihren
98. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38,
1549
Fällungsreaktionen beeinflußt, haben Herman und Perutz das Chole-
sterin in die Reaktion mit Natrium glycocholic. eingeführt.
Sie geben am Schluß ihrer Arbeit folgende‘ Methode als
die beste an. Zunächst wird eine Lösung hergestellt von Natr.
glycocholic. 2,0, Cholesterin 0,4, Alkohol 960/, ad 100,0. Diese
Lösung wird vor dem Gebrauch auf 1:20 mit Aqu. dest. ver-
dünnt und davon 0,2 ccm mit 0,2 cem einer frisch bereiteten
2°/yigen wäßrigen Lösung von Natr. glycocholic. zu 0,4 ccm
unverdünntem inaktivierten Serum zugesetzt und durchgeschüttelt.
Die übrigen Vorschriften sind die gleichen wie bei der ursprüng-
lichen Reaktion.
Herman und Perutz untersuchten mit dieser Reaktion, die im -
folgenden P.Chol.R. bezeichnet ist zum Unterschied von der einfachen
P.R., 223 Fälle, von denen 184 Luesfälle waren, davon reagierten 108,
das heißt 80°/,, positiv. Von 89 Kontrollfällen hatte nur ein Fall eine
positive Reaktion. Die W.R. hatten die Autoren in 102 Fällen gemacht
und fanden die Ausflockungsreaktion in 4°/, der Fälle häufiger bei Lues
als die W.R. | |
Ich hatte Gelegenheit, 361 Seren nach dieser Reaktion zu
prüfen und will mich der Raumersparnis halber beschränken, die
Resultate in folgender Tabelle niederzülegen:
Unter den 361 Fällen waren 219 sicher luetische Fälle und davon
103 mit Salvarsan behandelte Luetiker. u
61 volle onen ednulmg der W.R. und der P.Chol.R. (87 +,
32 positive W.R. und negative P.Chol.R. (W.R. 10 +, 22 +).
9 negative W.R. und positive P.Chol.R. (5 hatten früher posi-
tive W.R).
1 fragliche W.R. (Eigenhemmung) und negative P.Chol.R.
18 Prostituierte ohne detaillierte Angaben mit positiver W.R. und zu-
gestandener luetischer Infektion.
10 volle Uebereinstimmung der W.R. und P.Chol.R. (8 +, 2+).
3 positive W.R., aber negative P.Chol.R.
103 Luesfälle, die mit Hg oder Jod behandelt oder unbehandelt waren.
45 manifeste Lues:
6 Lues I (W. +, P. +; W. —, P —; W. +, P.—; W.?, P —;
W.—, P. +; W.F, P. +). |
4 Lues I—II (alle W.R. positiv; in zwei Fällen P.Chol.R.
negativ).
20 Lues II (bei allen beide Reaktionen positiv).
5 Lues II—III (alle W.R. positiv; in zwei Fällen P.Chol.R.
negativ). 7
10 Lues ITI (allo W.R. positiv; ein Fall hatte P.Chol. R. negativ).
1 hereditäre Lues (W.R. +, P.Chol.R. +).
7 Metalues:
2 Tabes (W. +, P +; W.+, P.—).
5 Paralyse (alle positive W.R.; zwei haben die P.Chol.R.
negativ).
50 latente Lues ohne manifeste Symptome.
83 Uebereinstimmung beider Reaktionen (18 +, 17 —, 3 +),
9 positive W.R. und P.Chol.R. negativ.
8 negative W.R. und P.Chol.R. positiv.
Die letzten acht Fälle, in denen die W.R. negativ war, aber die
P.Chol.R. deutlich positiv, bieten besonderes Interesse. Bei allen diesen
lag die Iuetische Infektion relativ weit zurück und die W.R. ist negativ,
wohl infolge der reichlichen Hg-Behandlung.
Herman und Perutz führen von ihren 102 Fällen, die sie
auch nach Wassermann untersuchten, 8 Fälle an, in denen bei
negativer W.R. die P.Chol.R. positiv war, und 4 Fälle, wo das
‘umgekehrte stattfand. Fälle, wo bei sicherer Lucs die W.R. ne-
'gativ ausfiel und die P.Chol.R. positiv, habe ich im ganzen 18;
davon waren 9 mit Salvarsan behandelt, 1 mit frischer Initial-
Sklerose unbehandelt und die übrigen sind die 8 zuletzt ange-
führten Fälle, die viel mit Hg behandelt worden waren. Daß
‘Salvarsan das Zustandekommen der Reaktion anders beeinflußt
wie dio Hg-Behandlung, möchte ich nach diesen Befunden wie
nach denjenigen, die mit der einfachen Reaktion mit Natrium glyco-
cholicum erhoben wurden, bestreiten. Das Prävalieren der Aus-
flockungsreaktion mit Cholesterinzusatz vor der W.R.. bei Initial-
‚8klerosen möchte ich nicht so behaupten wie Herman und Perutz
es tun und früher auch schon Tannhäuser und Rosenfeld (7),
öwenberg (8), Schwarzwald (9) und Ruß (10) behaupteten.
In diesem Stadium der Lues bleibt der direkte Spirochätennach-
"weis das souveräne Diagnostium. Herman und Perutz (4)
haben nur 89 Kontrollfälle untersucht, von denen sie nur in einem
all eine schwache Ausfällung erzielten. Davon weichen aller-
dings meine Resultate. ganz erheblich ab. Ich kann dem Um-
stande, daß.ich einige Seren nicht so früh zur Untersuchung be-
am 'wie Herman und Perutz, nicht solche Bedeutung zumessen,
um damit die erheblich größere Anzahl von positiven Kontroll- | N
war. Bei allen war die W.R. negativ und nur in einem Falle
fällen zu erklären.
Ich habe 26 Seren wiederholt untersucht, und zwar nach
Intervallen von zwei Tagen bis zu zwei Wochen. In 21 Fällen
erhielt ich volle Uebereinstimmung des zweiten Befundes mit dem
ersten, und zwar war die Reaktion il mal positiv und 10 mal
negativ. In 5 Fällen wich das zweite Resultat von dem ersten
ab, jedoch ohne erkennbare Regelmäßigkeit, wie aus. folgender Zu-
sammenstellung hervorgeht: |
| L Befund i i II. Befund
z en W.R. |P.OnoLR.| PIYA] WR, |P.OholR.
856 (1911) | Neurasthenie — + 2 P. — '-
419 , ‚ Lues (Salvarsan) + — 6 P. + +
40 „ Lebertumor = PE 2 W. — +
468 , Lues III + + 5 P. + Z
472 „ Lues (Salvarsan) + -+ 5 P. + =
Ich kann demnach diesem Umstande den schlechteren Ausfall
meiner Kontrollreaktionen nicht zuschreiben. Die einzige Er-
klärung, die ich habe, ist, daß eben die Reaktion nicht für eine
Krankheit specifisch ist, sondern für einen Krankheitszustand, bei
dem eine Serumbeschaffenheit vorliegt, wie sie auch bei andern,
besonders consumptiven Krankheiten vorkommen kann. Wenn ich
bei der einfachen Reaktion mit Natrium glycocholicum unter
20 Kontrollfällen nur 2 positive Fälle fand, so liegt das eben
daran, daß diese Reaktion nicht so fein ist, wie die von Herman
und Perutz angegebene mit Cholesterinzusatz.
Ich untersuchte mit der P.Chol.R. 40 Kontrollfälle, die sämt-
lich von Lues frei waren, sowohl nach ihrem klinischen Befund
und der negativen W.R., als auch nach der Anamnese sowie dem
Sektionsbefunde, der in einer Reihe von Fällen erhoben werden
konnte, Im folgenden sind die Fälle nach ihrer Krankheit auf-
gezählt. | 2
1 Malaria, 2 Lebercareinom, 1 Gliosarkom, 1 Sarkom, 1 Ovarial-
carcinom, 3 Urämie mit chronischem Alkoholismus, 1 Cystitis, 1 Leucht-
gasvergiftung, 1 Diabetes insipidus, 2 Gonorrhöe, 1 Empyem (Narkosen-
blut), 1 Diabetes mellitus, 1 Arteriosklerose, 3 Ulcera mollia, 2 multiple
Sklerosen, 2 puerperale Osteomalacie, 1 Ekzem, 2 Psoriasis, 1 Tetanie
infantum, 6 fieberhafte Enteritis, 5 Typhus, 1 Tuberkulose.
Von diesen 40 Kontrollfällen waren nach P.Chol.R. 22 negativ.
6 gaben eine schwache P.Chol. R.: 1 multiple Sklerose, 2 Psoriasis,
1 Tuberkulose, 1 Urämie, 1 Arteriosklerose.
12 gaben eine stark positive P.Chol.R.: 2 Ulcera mollia (klinisch
keine Lues), 1 multiple Sklerose, 1 Ekzem, 1 Tetanie infantum, 2 Ente-
ritis, 4 Typhus, 1 Empyem (zu letzterem Fall ist zu bemerken, daß es
sich um Narkosenblut handelte, das auch geringes Komplementbindungs-
vermögen erkennen ließ). T
Bemerkenswert unter diesen Fällen ist die relativ hohe Be-
teiligung von Typhus. Bei Typhus abdominalis fanden bereits
Weil und Braun (2) die gleiche Erscheinung. Wie bei diesen
Autoren, so besaßen auch bei mir die Sera einen hohen aggluti-
nierenden Titer. Ekzem reagierte auch in einem Falle von Nobl
und Arzt (11) positiv, während ich außer dem obigen noch einen
Fall hatte, der mit der einfachen Natrium-glycocholicum-Reaktion
nach Porges negativ war, doch soll ja der Cholesterinzusatz die
Reaktion empfindlicher gestalten. | |
Von Tuberkulösen hatte ich nicht genug Fälle zur Ver-
fügung, um die v. Eislerschen (12) Resultate bestätigen zu
können, der (mit der einfachen Ausflockungsreaktion) bei 23 Fällen
20 mal eine positive Reaktion hatte, ebensowenig die von Fritz
und Krenn (13), die von 10 Tuberkulosefällen 7 positiv reagie-
rend fanden. Der einzige Fall von Tuberkulose, den ich unter-
suchte, reagierte allerdings auch positiv. Bei malignen Tumoren
in sicher luesfreien Fällen hatte Stumme (14) bei 10 Fällen
80° und Weil und Braun (2) bei 17 Fällen 500/, positive Re-
aktion. Meine vier Fälle reagierten alle negativ. — Eine Zu-
sammenstellung der 219 sicher luetischen Fälle ergibt folgende
Tabelle: | |
Fälle R: P.Chol. R.
103 Salvarsan 4+ = 71% 51+ = 50%
116 Hg, Jod, unbehandelt 88 -+ = 71% 76+ = 64%
219 192 + = 74%, 127+ = 58%
Vergleicht man damit die Resultate der nur mit Natrium
‚glycocholieum untersuchten Fälle, so sieht man, daß der Prozent-
satz der W.R. ungefähr der gleiche geblieben ist, daß aber der-
jenige der P.Chol.R. um etwas gestiegen ist, in Uebereinstimmung
mit der Tatsache, daß das Cholesterin die Reaktion deutlicher macht.
Ich habe noch 102 Fälle zu erwähnen, bei denen Lues diffe-
rentialdiagnostisch irgendwie in Frage kam. Von diesen waren
37 Puellae, von denen keine zuverlässige Anamnese zu erhalten
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1550
‘muß 'ein stumpfes, verdiektes Schnabelende haben.
zweifelhaft wegen Selbsthemmung. Letzterer Fall sowie 11 andere
hatten eine positive (2 +, 9 +) P.Chol.R. Bei der Unzuverlässig-
keit der Aussagen solcher Patienten und in Anbetracht der man-
gelnden Beweiskraft einer nur einmal angestellten W.R. kann
man Lues in diesen Fällen nicht ganz ausschließen. Alle hätten
zur Zeit der Untersuchung floride Genorrhös6. Außer den 37 Puellae
wurde noch das Serum von 65 andern Patienten untersucht, von
denen 45 negativ, 4 schwach positiv und 16 stark positiv nach
P.Chol.R. reagierten. Bei allen war die W.R. einwandfrei negativ.
Von diesen 20 mehr oder weniger positiv reagierenden Fällen
wiesen die meisten Drüsenschwellungen, hartnäckige nachts ex-
acerbierende Kopfschmerzen, Aborte, fragliche Herzleiden usw.: auf,
also eine Reihe von Symptomen, wie man sie manchmal in der
Folge einer luetischen Infektion antrift. Doch war die W.R.
negativ und die Anamnese ließ keinen sicheren Schluß auf Lues
.zu, weswegen ich diese Fälle, die dauernd unklar blieben, nicht
unter meine sicheren Luesfälle reihen konnte, noch anderseits als
beweiskräftige Kontrollfälle betrachten möchte.
Ich möchte zum Schluß noch erwähnen, daß ich auch Leichen-
sera mit dieser Reaktion untersuchte, und zwar 13 Sera nur mit
Natrium glyeocholicum und 13 mit Cholesterinzusatz nach Her-
man und Perutz.
Die Fälle waren nachweislich nicht luetisch,
doeh kam es bei der Reaktion in allen Fällen zu einer dicken
Ausflockung, die nach wenigen Stunden zu Boden sank und einen
voluminösen Niederschlag bildete, der in allen Fällen gleichmäßig
ausgeprägt war. Hierbei waren mehrere Fälle, die im Leben die
Reaktion nicht gaben. So wenig auch das Serum nach dem Tode
die Fähigkeit verliert, nach der W.R. im gleichen Sinne zu
reagieren wie im Leben, wie Verfasser (15) früher an 39 Fällen
zeigen konnte, so scheint es dabei doch zu einer Aenderung im
Serum zu kommen, die vielleicht nur eine geringfügige Vermehrung
der Labilität kolloidgelöster Substanzen ist, die sich aber regel-
mäßig dadurch dokumentiert, daß gallensaure Salze eine Aus-
flockung bewirken.
Schließlich seien noch 27 Fälle erwähnt, deren Seren ich
in aktivem und inaktivem Zustand untersucht habe, und zwar 12
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September,
mit der alten und 15 mit der neuen Methode unter Cholesterin-
zusatz. Davon wiesen 21 aktiv und inaktiv volle: Ueberein-
stimmung mit dem Ergebnis der W.R. auf, während 4 nur inaktiv
übereinstimmten (3 +, 1—) und 2 nur aktiv. Dies waren Puellae,
leider ohne nähere Angaben, die negativen: Wassermann hatten,
aber deren inaktives Serum eine positive P.Chol.R. gab. Ob’hier
das aktive oder das inaktive Serum richtig reagierte, -konnte ich
nicht entscheiden. Mir scheint der Umstand, ob aktives oder
inaktives Serum, von relativ untergeordneter Bedeutung zu sein,
wenn auch dem inaktivierten Serum der Vorzug zu geben ist.
Das Ergebnis vorliegender Untersuchungen möchte ich dahin
zusammenfassen, daB die Porges-Meiersche Reaktion auch in
der von Herman und Perutz vorgeschlagenen Verfeinerung durch
Cholesterinzusatz nur als ein orientierendes Diagnosticum gelten
kann, daß sie die W.R. nicht ersetzt, die in zweifelhaften Fällen
von Lues doch immer anzustellen ist. E
Literatur: 1. O. Porges und G. Meier, Berl. kl. Woch. 1908, Nr. 15.
— 2, Weil und Braun, Lotos, Februar 1908; Wr. kl. Woch. 1908, Nr. 18. —
8. Elias, Neubauer, Porges und Salomon, Wr. kl. Woch. 1908, Nr. 11,
12, 21, 23. — 4. O. Herman und A. Perutz, Med. Kl. 1911, Nr. 2, 8. 60. -
5. C. H. Browning, J. Cruickshand und J. M’kenzie, Biochem. Zt. 1910,
Bd. 25, S.85. — 6. O. Porges und Neubauer, Biochem. Zt. 1908, Bd. 7, S. 152.
.— 7. Tannhäuser und Rosenfeld, D. med. Wooh. 1910, Nr. 4, S. 164. —
8. M. Löwenborg, D. med. Woch. 1910, Nr. 85, S. 1609. — 9. Schwarz-
wald, Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 28. — 10. Ruß, Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 21,
S. 154; Der Militärarzt (Wien) 1908, S. 154. — 11. Nobl und Arzt, Wr. kl
Woch. 1908, Nr. 9. — 12. v. Eisler, Wr. kl. Woch. 1908, Nr. 13, — 18. Fritz
‘und Krenn, Wr. kl. Woch. 1908, Nr. 12. — 14. Stumme, Wi. kl. Woch.,
Sitzungsbericht, 1908. — 15. H. Schmidt, W.R. am Leichenserum. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 17.)
Die übrige die Ausflockungsreaktion betreffende Literatur ist folgende:
Le Sourd und Ph. Paignez, Semaine méd. 1909, Nr. 29, S. 348; Cpt. r. de s00.
Biol. 1909, Bd. 2, S. 84. — Tanton und Combe, Cpt. r. de soc. Biol. 1910, Bd. 12,
II. — De la Motte, D. med. Woch. 1910, Nr. 84, S. 1561. — Petre Niculescu,
Revista stiintzelor med. Okt. 1910, ref. M. med. Woch. 1911, Nt. 9, 8.479. —
Groß und Bunzel, Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 22. — Louis Merian, Med. Kl.
1910, Nr. 27, S. 1057. — Ferdinand Schenk, M. med. Woch. 1909, Nr. 28,
S. 1415. — Ballner und Decastello, D. med. Woch. 1908, Nr. 45. — Selter
und Grouven, Ref. D. med. Woch. 1909, Nr. 21. — Raubitschek, Wr. El
Woch. 1909. — Klien, Mon. f. Psych. u. Neur. 1910, Bd. 26, S. 186. — Kel-
ling, A. f. kl. Chir. 1906, Bd. 80. — Salomon, Wr. med. Woch. 1907, Nr. 8.
Aus der Praxis für die Praxis.
Otiatrie
von
Priv.-Doz. Dr. A. Linck, Königsberg i. Pr.
(Schluß aus Nr. 37.)
8. Das Paukenröhrchen ist als ein spezielles Ansatzstück
der Ohrenspritze zu betrachten und wird an dieselbe mit einem
Gummischlauch als Zwischenstück angeschlossen. Letzteres braucht
nur so lang zu sein, daß eine bequeme Handhabung des Röhrchens
gewährleistet ist. Man führt dasselbe unter Leitung des Spiegels
in die Tiefe des Gehörgangs an die Stelle, welche bespült werden
sol. Die Spritze bedient eine Hilfsperson. . Der Druck des
Wasserstrahls muß hierbei sehr vorsichtig reguliert werden.
9. Die Ohrsonde dient zur Feststellung von Fisteln in der
Tiefe des Gebörgangs und zur Palpation und Abtastung des
Gehörgangshintergrundes. Die Anwendung der Ohrsonde darf nur
unter Fixierung des Kopfes geschehen. Am handlichsten sind die
Sonden aus dünnem, biegsamem Silberdraht, mit einer Halteöse.
10. Die Aetzsonde. Dieselbe wird aus einer verbrauchten
Ohrsonde hergestellt, indem man das Ende an der Flamme
(Kocher, Bunsen) einglüht und dann, nach unten gekehrt, an einen
'Lapisstift hält. Das sofort flüssig werdende Silbernitrat umfließt
‘als kleiner Tropfen das Sondenende und bildet unter schnellen
Erstarren eine Lapisperle, die zum Aetzen in der Tiefe des Gehör-
gangs verwendet werden Kann.
ll. Der Tubenkatheter. Drei Größen (0,1 .und 2) werden
meist ausreichen. Am handlichsten sind die langen (ca. 15 cm) Silber-
katheter, weil sie biegsam sind und sich leicht’ allen anatomischen
Abweichungen des Naseninnern anpassen lassen. Der Katheter
Mit einem
scharfkantig endenden Katheterschnabel kann es leicht zu Ver-
-lötzungen der Schleimhaut und zu artifiziellem Emphysem kommen.
Zum Tubenkatheter gehört'ein Gummi-Doppelgebläse mit passendem
Ansatzstück. Man kann dasselbe durch eine Hilfsperson bedienen
lässen oder aber, wenn es mit einer Aufhängevorrichtung versehen
ist, auch selbst bedienen. |
. * Der Tübenkatheter wird in folgender Weise eingeführt: Der
Kopf des Patienten wird geneigt, bis der fronto-oceipitale Durch-
messer horizontal liegt. Die rechte Hand faßt den, Katheter leicht
wie einen Federhalter zwischen Daumen und Zeigefinger, während
die linke Hand Stirn und Nase des Patienten fixiert und mit dem
Daumen die Nasenspitze etwas anhebt.. Die rechte Hand läßt nun
den Katheter mit dem Schnabel nach unten im unteren Nasengang,
immer dicht am Nasenboden entlang, in die Tiefe gleiten, bis die
hintere Rachenwand als leichter Widerstand zu fühlen ist. Jetzt
fixiert die linke Hand den Katheter mit Daumen und Zeigefinger
an der Nasenspitze. Die rechte Hand faßt den Tubus, an dem
eine Oese die Krümmungsrichtung des Katheterschnabels markiert,
dreht ihn um 90° nach innen und zieht nun den Katheter vor-
sichtig so weit heraus, bis man den leicht federnden Widerstand
des hinteren Septumrandes fühlt. Während auch jetzt wieder die
linke Hand mit Daumen und Zeigefinger den Katheter an der
Nasenspitze fixiert, dreht die rechte Hand den Tubus mit seiner
einwärts gerichteten Oese unten herum, um etwas über 180
nach außen, bis die Oese etwa nach der Pupille des gleichseitigen
Auges gerichtet ist. — Jetzt muß der Katheterschnabel im Tuben-
ostium liegen und wird definitiv mit der linken Hand so fixiert,
während die rechte das Ansatzstück des Doppelgebläses einsetzt
und festhält. Bei Selbstbedienung des Gebläses übernimmt die
linke Hand auch die Fixierung des Ansatzstückes, die rechte be-
dient den Ballon. (Diese Methode des Katheterismus ist auch für
Ungeübte einfach auszuführen, weil die Orientierung leicht ist. #s
gibt noch andere Methoden, die jedoch für Ungeübte nicht so ZU
empfehlen sind.) Die Kontrolle darüber, ob die eingeblasen® Luft
durch die Tube in das Mittelohr gelangt, wird durch einen Gummi-
schlauch mit zwei Ansatzstücken geübt, welcher das zu behan-
delnde Ohr mit dem Ohre des Arztes verbindet. Merke: Es ist
erforderlich, stets vor dem Einführen des Instruments die Durch-
gängigkeit des unteren Nasengangs rhinoskopisch zu prüfen, da-
mit Leisten und Verbiegungen der Nasenscheidewand umgangen
und geschont werden können. Ferner muß man während des Luft-
einblasens die betreffende Halsseite stets im Auge bebalten, UM
den Beginn eines artifiziellen Hautemphysems sofort bemerken U
den Luftstrom rechtzeitig unterbrechen zu können. —. Cave: ast
ee Prozesse im Halse, im Nasenrachenraum und M
er Nase. | a
[23
Hu
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22, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 1551
‚12. Der Politzer-Ballon. Bei seiner Anwendung wird die
Olive des Ballons, welche in zwei bis drei verschiedenen, aus-
wechselbaren Größen gebraucht wird, in die Nasenöffnung der zu
behandelnden Seite fest eingesetzt und der Patient aufgefordert, ein
Wort mit K- oder G-Laut zu sprechen (z. B. Klara, Kaffee, Gondel).
Während beim gutturalen Wortansatz der weiche Gaumen den
'Nasenrachenraum nach unten abschließt, wird die Luft aus dem
Ballon durch die Nase in die Tube hineingedrückt. — Cave: Die
Anwendung des Politzer-Ballons bei akuten entzündlichen oder
katarrhalischen Prozessen des Halses, des Nasenrachenraums und
‚der Nase, weil in solchen Fällen leicht eine akute Mittelohreiterung
verursacht werden kann. |
13. Die Paracentesennadel. Es gibt Nadeln mit geradem
und solche mit bajonettförmigem Griff. Letztere sind zu bevor-
zugen, und von diesen wieder diejenigen, deren dreieckige Messer-
ebene senkrecht orientiert ist zu der Ebene des Bajonettgrifis. Bei
der Paracentese wird die Nadel wie eine Schreibfeder ganz leicht
zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand gehalten und
unter Leitung dəs. Spiegels und des Ohrtrichters in die Tiefe ge-
führt, während sich der Kleinfingerrand derselben Hand gegen die
Vorder- respektive Hinterohrgegend leicht gegenstützt. Dadurch
wird bewirkt, daß die Nadel mit der Hand jede Bewegung des
Kopfes. mitmacht und ungewollte Verletzungen des Gehörgangs,
des Trommelfells oder der Labyrinthwand vermieden werden
können. Nach Einführung der Paracentesennadel wird die Stelle
der beabsichtigten Perforation noch einmal genau ins Auge gefaßt
‚und die Nadel schnell durch das Trommelfell hindurchgestoßen
und mit’ einer schneidenden Bewegung nach unten wieder heraus-
gezogen... — Merke: Bei der Paracentese muß der Kopf von einer
Hilfsperson gut fixiert werden, außerdem müssen: die Hände und
Arme des Patienten gut gehalten werden. Kinder werden zweck-
mäßig auf dem Schoße fixiert. Der Halt für den Kopf muß stets
eine gewisse Nachgiebigkeit besitzen und ein geringes Ausweichen
gestatten. Bei einem festen, unnachgiebigen Stützpunkte kann
es leicht geschehen, daß der Patient im Moment des Eingriffs
vor Schmerz eine Ausweichbewegung der eindringenden Para-
centesennadel entgegen ausführt, und daß auf diese Weise die
Spitze zu tief eindringt oder gar abbricht. Aus diesem Grunde
darf man die Paracentese auch nie im Liegen des Patienten
vornehmen, außer wenn man ihn allgemein narkotisiert und
auf diese Weise die Gefahr einer solchen Abwehrbewegung aus-
| geschaltet hat.
14. Die Stimmgabeln. Es genügen für die allgemeine Praxis
drei Stimmgabeln, welche der hohen, der tiefen und der mittleren
Tonlage der Bezoldschen kontinuierlichen Tonreihe entsprechen.
C4, 38 oder 60 Schwingungen und el. Zu beachten ist, daß die
Stimmgabeln nicht zu stark angeschlagen werden dürfen. Zum
Anschlagen der Stimmgabeln benutzt man einen Klopfer (die tiefen
Stimmgabeln kann man durch Aufschlagen am gebeugten Knie zum
Tönen bringen). | | |
15. Eine besondere Apparatur zur Untersuchung der Vesti-
bularisfunktion ist für die allgemeine Praxis zu entbehren. Zur
Vornahme der Acusticusprüfung nach Barany genügt eine ge-
wöhnliche Ohrspritze und ein gewöhnlicher Topf, der mit kaltem
(zirka 100) oder mit warmem (40°) Wasser gefüllt wird. Durch
langsames Entleeren der Spritze in den Gehörgang und schnelles
Wiederfüllen gelingt es, einen ziemlich kontinuierlichen Wasser-
strahl zu erzeugen. Bei einer sogenannten Klysopompe fällt das
wiederholte Füllen der Spritze fort und der Wasserstrahl ist
ein ganz einheitlicher. |
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Vebersichtsreferat.
‘ Bakteriologisohe Untersuchungen über die Pathogenese der
| =>> sympathischen Ophthalmie
von Dr. A. Dutoit, Augenarzt in Montreux.
= I.
| Den bakteriologischen Untersuchungen über die Pathogenese
der sympathischen Ophthalmie liegen ganz allgemein zwei Ziele
zugrunde: einerseits die Entdeckung des specifischen Mikroorganis-
mus überhaupt, anderseits der exakte Nachweis des Wegs, welchen
derselbe.von. dem einen Auge zum andern verfolgt. Dementsprechend
nehmen ‚auch ' ohne weiteres alle hierher gehörigen Arbeiten bald
zugunsten der” sogenannten Sehnerven- oder Migrations-
theorie,. bald zugunsten der sogenannten Metastasentheorie
energisch Stellung. - |
-Was die-Sehnerven- oder Migrationstheorie anbetrifft, so be-
rücksichtigt sie ausschließlich die akzidentelle exogene, kurz die
traumatische Infektion des einen Auges, die Wanderung des
Specifischen Mikroorganismus aus diesem Auge im Lymphscheiden-
aume- des zugehörigen Sehnerven zum Chiasma und von da
wiederum im Lymphscheidenraume des andern Sehnerven in das
zweite Auge. Die Sehnerven- oder Migrationstheorie rechnet da-
nach kurzweg mit dem anatomischen Befund einer Lymph-
angitis im Bereiche der beiden Sehnerven, im besonderen aber
äuch mit der Möglichkeit einer wenigstens herdförmigen Menin-
gitis, deren Ausgangspunkt im Chiasma liegt.
‚ Die Metastasentheorie dagegen beschäftigt sich zwar ebenso
mit der traumatischen Infektion des einen Auges, zieht aber
weiterhin die ausschließliche Verbreitung des specifischen Mikro-
Organismus auf dem Blutwege, also zunächst über den ganzen
Körper und erst späterhin in das zweite Auge, in Betracht. Der
eigentliche Sinn der Metastasentheorie strebt zumal nach der Er-
klärung der bekannten Tatsache, daß der Eintritt der Entzündung
des zweiten Auges scheinbar an keine Regel, an keine zeitliche
Begrenzung gebunden ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit
einiger vermittelnder Bedingungen, welche einerseits ein specifisches
Verhalten rücksichtlich der menschlichen Uvea, also eine soge-
nannte Organaffinität, außerdem eine schier unbegrenzte Vita-
lität und eine leicht modifizierbare Virulenz des Mikroorganismus,
‘anderseits eine Disposition des Organismus im ganzen zur Be-
günstigung gerade. dieser isolierten und solitären Organmetastase
‚fordern.
In den Bereich der Metastasentheorie gehören endlich noch
einige Arbeiten, welche die Möglichkeit der traumatischen Infektion
des einen Auges — für einzelne Fälle wenigstens — ründweg ver-
neinen und mit einem endogenen oder hämatogenen Modus
der Infektion rechnen, für welche natürlich eine extraokulare
Eintrittspforte in Betracht kommt. Solche und ähnliche Anschau-
ungen berühren bereits das Grenzgebiet zwischen der sympathischen
Iridocyelitis einerseits, der spontanen oder idiopathischen Irido-
cyclitis anderseits und befassen sich weniger mit der bakteriellen
Natur der sympathischen Ophthalmie als mit der morphologischen
Pathogenese und der klinischen Aetiologie derselben. !
I.
Die große Mehrzahl der Arbeiten — in den letzten zehn
Jahren erschienen davon weit über hundert — berücksichtigt die
verschiedensten Einzelheiten der Metastasentheorie, bald ohne
nähere Diskussion wie als etwas Selbstverständliches, meist im
Anschluß an eine klinische Beobachtung oder an einen mikro-
skopischen Befund, bald mit mehr oder weniger weitläufigen Er-
örterungen, welche sich gegen die Migrationstheorie wenden und
im besonderen auf Tierversuche aufbauen.
In diesem Zusammenhang ist es rein unmöglich — auch
wenn wir nur die letzten zehn Jahre einbeziehen —, alle Arbeiten
über die Metastasentheorie zu behandeln. Viele derselben besitzen
nur kasuistischen Wert. |
Im Gegensatz zu unserm letztjährigen Uebersichtsreferat
über „den gegenwärtigen Standpunkt in der Lehre von
der sympathischen Ophthalmie“ (Med. Kl. 1911, Nr. 8, S. 307),
welches allen Anschauungen nach Kräften gerecht zu werden ver-
sucht und nach der Förderung des klinischen Verständnisses der
sympathischen Ophthalmie trachtet, möchten wir an Hand einiger
ausgewählter und hervorragender Arbeiten diesmal die Ergebnisse
der bakteriologischen Untersuchungen in den Vordergrund der
Interessen stellen und so dem Leser ein Urteil über die Existenz-
berechtigung der einen oder der andern der beiden Theorien ermög-
lichen und erleichtern. |
Unvermeidlich bleibt es dabei — zumal was die Metastasen-
theorie anbetrifft —, daß wir auch die Aetiologie und die
Pathogenese der spontanen oder sogenannten idiopathi-
schen Iridocyclitis streifen. Wir dürfen dieses Kapitel aber
mit um so mehr Recht hier 'hereinziehen, als es gegenwärtig ein
Thema fast leidenschaftlicher Diskussionen bildet und die Auf-
fassung der sympathischen Ophthalmie in reichem Maße befruchtet.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
. 22. September.
| ‚Die serologischen Forschungen über die Pathogenese
der sympathischen Ophthalmie stehen ebenfalls in nächster Ab-
hängigkeit von den bakteriologischen Untersuchungen. Trotzdem
behalten wir uns die Besprechung derselben für einen späteren
'Sonderbericht auf, aus dem Grunde zumal, weil sich die Literatur
darüber zurzeit noch gut überblicken läßt und an dem Prioritäts-
streite der beiden Theorien keinen direkten Anteil nimmt.
Ä An den Schluß dieser einleitenden Bemerkungen stellen wir
die Arbeit von Römer (1), welche — obschon im Jahre 1903 er-
schienen — die Tiefen der Metastasentheorie beinahe erschöpft und
in geistreicher Weise zu ihren Gunsten eintritt, ohne indessen das
Problem der Pathogenese der sympathischen Ophthalmie der Lösung
näherzubringen. Die Arbeit von Römer liefert uns außerdem in
ihrer vorzüglichen Systematik einen Einblick in die einzelnen Mo-
mente, welche die bakteriologischen Untersuchungen späterer
Autoren im wesentlichen verfolgen.
Was zunächst den Erreger, den specifischen Mikroorganismus
der sympathischen ÖOphthalmie anbetrifft, so weiß ihn Römer
ebensowenig wie irgendeiner seiner Nachfolger beim Namen zu
nennen. Nur zwei, allerdings beinahe zwingende Bedingungen,
schiebt Römer dem unbekannten Erreger unter: einerseits die
Fähigkeit, sich sowohl im Auge als auch im Organismus überhaupt
verhältnismäßig lange lebensfähig zu erhalten, anderseits die In-
differenz desselben gegen alle Organe des Körpers, ausgenommen
gerade die Uvea. Ä
Auch mit der Disposition, welche noch immer an der von
Schmidt-Rimpler eingeführten Ciliarnervenreizung einen
Halt sucht, weiß Römer nichts anzufangen: „eine reflektorisch
erworbene, im Sinne der Ciliarnervenhypothese defi-
nierte Disposition bei der Erkrankung paariger Organe
kennt die Bakteriologie bis jetzt nicht.“
So gelangt Römer ohne Aufenthalt zu dem dritten Moment,
welches die bakterielle Natur der sympathischen Ophthalmie
stützt, nämlich zu dem Wege, welchen der unbekannte Erreger
auf seiner Wanderung von einem Auge zum andern verfolgt. Wir
dürfen hier den diesbezüglichen Ausführungen von Römer um so
mehr Gehör schenken, als diese in ihrer sachlichen Vollkommenbeit
eine geradezu vorbildliche Wertschätzung der verschiedenen For-
schungsergebnisse einhalten und uns das Verständnis der schier
unversöbnlich erscheinenden Divergenzen zwischen der Migrations-
theorie einerseits, der Metastasentheorie anderseits vermitteln und
erleichtern.
A Römer wendet sich vor allem gegen die Staphylokokken,
welche Deutschmann (2) als Erreger der sympathischen Ophthal-
mie kraft seiner ganzen Autorität auf den Schild erhebt: „Meines
Erachtens muß die Frage, ob wir aus Tierversuchen mit
jenen Eitererregern irgendeinen Schluß für die Patho-
genese der sympathischen Ophthalmie beim Menschen
ziehen dürfen, verneint werden.“ Gegen die Migrations-
theorie führt Römer ganz allgemein an, daß es mikroskopische
Befunde gibt, welche eine deutliche Abnahme der entzündlichen
Erscheinungen am Sehnerven zeigen, sowohl desjenigen des erst-
erkrankten als auch im besonderen desjenigen des zweiterkrankten
Auges. Aber auch die allgemeinen Ergebnisse der Infektionslehre läßt
Römer gegen die Migrationstheorie sprechen; sie erklärt immer
nur einen Teil der Fälle und erbringt am wenigsten eine Deutung
des Umstandes, daß die von ihr geforderte Lymphangitis im Be-
reiche der beiden Sehnerven keine meningitischen Symptome
auslösen. |
Römer bekennt sich danach als entschiedener Anhänger der
Metastasentheorie und bekämpft die gegensätzlichen Anschau-
ungen von Leber (3), von Schirmer (4). Die Beobachtungen
„einer Chorioiditis sympathica von Hirschberg (5), von
Haab (6) und Andern bleiben ausschließlich auf die Metastasen-
theorie angewiesen. Ä
II.
In diesem Zusammenhange verdient die groß angelegte Arbeit
:von Gilbert (7) über die Aetiologie und die pathologische Ana-
tomie der schleichenden traumatischen, intraokularen Entzündungen,
sowie über die Pathogenese der sympathischen Ophthalmie am
meisten Beachtung. Im Vorbeigehen und um diesen Punkt gleich
hier hervorzuheben, bemerken wir, daß Gilbert sich in dieser
Arbeit ganz der Auffassung von Motais (8) zuwendet, welche im
wesentlichen darauf hinausläuft,. „die Migrationstheorie in die
Metastasentheorie überzuleiten, derart, daß die Wanderung des
specifischen Mikroorganismus nun nicht mehr in den Lymph-
scheiden der Sehnerven, sondern vielmehr innerhalb der interorbi-
3
talen Venenverzweigungen, also kurz auf der lokalen Blutbahn
von der einen Orbita zur andern erfolgt. |
Gilbert berichtet über die bakteriologischen und pathologisch-
anatomischen Untersuchungen von im ganzen 20 Augen mit trau-
matischer Entzündung. Darunter finden sich zunächst fünf Fälle
mit negativem bakteriologischen Ergebnis und ohne Fremd-
körper im Augeninnern. Diese Fälle zeigen, trotz der sehr ver-
schiedenen Lokalisation und Intensität der Verletzung, in mehreren
Punkten eine auffallende und weitgehende Uebereinstimmung. Die
Entzündung spielt sich dabei ausnahmslos nur im vorderen Bulbus-
abschnitt ab und verrät ihren schleichenden Charakter durch einen
durchaus chronischen, über Wochen und Monate sich erstreckenden
Reizzustand. Gilbert begnügt sich indessen nicht nur mit dem
Hinweis auf die Schwierigkeit und Unsicherheit der klinischen
Prognose bezüglich der sympathischen Ophthalmie in solchen und
ähnlichen Fällen, sondern erklärt, gestützt auf den mikroskopischen
Befund, auf den Mangel einer Infiltration der Urea, auf die Ab-
wesenheit einer exsudativen Reaktion im hinteren Bulbusabschnitt
überhaupt, diese fünf Fälle für typische Beispiele der aseptischen
traumatischen Entzündung des Auges.
In klinischer Hinsicht charakterisieren sich derartige Fälle,
wenigstens soweit es sich um Verletzungen im Bereiche der Corneo-
skleralgrenze handelt, nach Gilbert durch das Auftreten einer
prägnanten, rasch und gutartig verlaufenden Papillitis mit
folgenden anatomischen Merkmalen; geringe Vorwölbung der
Lamina chorioidealis, keine Vorwölbung der Lamina scleralis,
Einschränkung oder Aufhebung der physiologischen Exkavation,
Infiltration der Gefäßscheiden. Elschnig (9), Kampferstein (10),
van der Borg (11) machen übrigens schon früher auf diese „para-
traumatische Papillitis* aufmerksam. Happe (12), Fehr (13),
Stock (14), erklären dieselbe ebenfalls als typisch für die asep-
tische traumatische Entzündung und führen ihre Entstehung auf
cytogene Toxine zurück. | ,
Gilbert berichtet ferner über drei Fälle von deletärer
Iridoeyelitis mit Glaskörperabsce8 infolge von Eisensplitter-
verletzung. Auch hier fällt die bakteriologische Untersuchung
negativ aus. Die Entzündung zeigt einen ausgesprochen schleichen-
den Charakter und dauert in sämtlichen Fällen wochenlang. Bei
der mikroskopischen Analyse finden sich anfangs Leukocyten,
später nur noch Lymphocyten. Gilbert schließt daraus, daß bei
aseptischer traumatischer Exsudatbildung im Augeninnern zwar
auch bei ganz akutem Verlaufe die Leukocyten wie üblich vor-
herrschen, daß aber doch allgemein eine Tendenz besteht, dig-
selben durch Lymphocyten zu verdrängen. | i
Dazu bringt nun Gilbert noch einen Fall von Eisensplitter-
verletzung mit Iritis serosa und ebenfalls negativem bakterio-
logischen Befund. Die Kenntnis dieses eigentümlichen..Krank-
heitsbildes nach Perforationstrauma verdanken wir Fuchs (15).
Im Gegensatz zu Fuchs, der hier für eine gewisse Annäherung
an die sympathische Ophthalmie eintritt, hält Gilbert die Iritis
serosa traumatica für das Produkt einer aseptischen Eiterung. In
dieser Hinsicht unterscheiden sich drei weitere Fälle von Fremd-
körperverletzung aber wesentlich durch die Anwesenheit einer
herdförmigen Lymphocyteninfiltration, welche schon durch ihre
Lokalisation in der Aderhaut an die sympathische Ophthalmie er-
innert. Indessen bleibt auch hier die bakteriologische Unter-
suchung negativ.
Was schließlich die Fälle mit positivem bakterio-
logischen Befund betrifft, so erwähnt Gilbert viermal den
Pneumokokkus, einmal den Staphylococeus aureus, einmal den
Staphylococcus albus, einmal den Streptococcus pyogenes. Dabei
handelt es sich im klinischen Sinne keineswegs um Panophthalmie,
sondern um eine chronisch verlaufende Entzündung. Das mikro-
'skopische Bild spricht durchaus gegen die Möglichkeit einer sym-
pathischen Ophthalmie. Vor allem beteiligt sich auch die Netz-
haut an der Infiltration, welche sich wiederum vorwiegend aus
Lymphocyten zusammensetzt,
IV.
Fassen wir die Ergebnisse der lehrreichen Arbeit von
Gilbert hier nochmals kurz zusammen, so steht bezüglich ‚der
Aetiologie und Pathogenese der schleichenden traumatischen Irido-
cyclitis fest, daß zwar weder der Pneumokokkus, noch der
Streptokokkus oder Staphylokokkus, noch endlich auch
der Xerosebacillus mit der Ophthalmia sympathica etwas
zu tun haben, daß aber, was das mikroskopische Bil
der Infiltration anbelangt, sowohl bei positivem als bei
negativom bakteriellen Befunde, mit oder ohne Fromd-
22. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38,
1553
.
körper, gerade wie bei der sympathischen Ophthalmie
die Lymphocyten durchaus vorherrschen. Bei der Eisen-
splitterverletzung im besonderen läßt sich die Ersetzung
der Leukocyten durch Lymphocyten nachweisen.
Außerdem zeigen zumal die Fälle mit Perforations-
trauma in der Corneoskleralgegend annähernd regel-
mäßig eine meist bedeutende Papillitis, welche durch
toxische Einwirkung und Fernwirkung der Entzündungs-
produkte zustande kommt und nach den bisherigen Er-
fahrungen eher für einen aseptischen Verlauf charakte-
ristisch zu sein scheint.
Für die Iritis serosa traumatica gilt ebenfalls eine
vorwiegend aseptische Pathogenese Die Infiltration
erstreckt sich dabei gelegentlich auch auf die Aderhaut
und erklärt das deletäre Verhalten dieser höchst eigen-
tümlichen und seltenen traumatischen Entzündung des
vorderen Bulbusabschnitts.
Im allgemeinen steht ferner fest, daß die Art der
Exsudatzellen bei der schleichenden traumatischen Irido-
cyclitis inerster Linie vom Grade der Entzündung, nicht
aber von der Anwesenheit von Entzündungserregern,
noch auch von Fremdkörpern im Augeninnern abhängig
ist. Der Grad der Entzündung im klinischen Sinne
bildet hinwiederum einen Maßstab für die Intensität der
lokalen Reaktion überhaupt, welche irgendein Trauma
auf Grund einer lokalen oder allgemeinen Disposition
auslöst.
| Die wichtige Frage, ob ein verletztes Auge infiziert
ist, läßt sich danach durch die rein klinische Beob-
achtung kaum in den ersten Tagen, häufig erst später,
bisweilen schließlich gar nicht entscheiden.
Bei der schleichenden traumatischen Iridocyelitis
findet sich häufig im Blut eine Vermehrung der Lympho-
cyten auf Kosten der Neutrophilen.
Was die sympathische Ophthalmie im besonderen
anbetrifft, so treten im mikroskopischen Bilde neben
den Lymphocyten häufig auch epitheloide und eosino-
phile Zellen, seltener Riesenzellen und Pliasmazellen
hervor. Indessen erweist es sich in praxi unmöglich,
die Diagnose der sympathischen Ophthalmie rein nur
nach dem pathologisch-anatomischen Befunde zu stellen.
V,
Wir wenden uns nunmehr ausschließlich der sogenannten
Sehnerven- oder Migrationstheorie zu, deren Literatur — zumal
was die tierexperimentellen Studien hier anbelangt — überaus
reichhaltig sich ausnimmt. In der Fülle der diesbezüglichen Ar-
beiten unterscheiden wir im allgemeinen zwei Richtungen: Einer-
seits das Bestreben, den pathogenetischen Wert der Migrations-
theorie zugunsten der sympathischen Ophthalmie durch
den Nachweis eigens dazu ausgewählter Mikroorganismen in den
Sehnervenscheiden, im Chiasma, zu deuten; anderseits die Versuche,
welche darauf ausgehen, auf Grund von Befunden bei klinischer
sympathischer Ophthalmie, die Migrationstheorie als solche über-
haupt auf den Thron zu heben. |
Zunächst stellen wir fest, daß, wenn eine mikroskopische
oder ophthalmoskopische Veränderung am zweiten Auge im Ver-
lauf eines in dieses Gebiet einschlagenden Experiments erfolgt,
wenn ferner in solchen und ähnlichen Fällen durch Injektion von
virulenten Mikroorganismen in das erste Auge oder in dessen
rbita keine klinisch zu beobachtenden Allgemeinerscheinungen
eintreten, stets die gesamte Opticusbahn manifeste Zeichen der
Entzündung zeigt, daß also die Befunde anscheinend unzweifelhaft
die durchwanderte Bahn aufdecken und zugunsten der Migrations-
theorie sprechen.
Eine eigentümliche Stellung 'nehmen diejenigen Beobach-
tungen ein, bei welchen zwar durchaus virulente Mikroorganismen
zur Verwendung gelangen, diese aber weder in den Optikusscheiden,
noch im Chiasma, noch auch im Herzblute der Versuchstiere, da-
gegen ausschließlich an der Gehirnbasis, im besonderen in der Ge-
nsubstanz, sich wiederfinden.
Limbourg (16) berichtet diesbezüglich über die Impfung
zweier Kaninchen mit Kulturmaterial aus einem nomaähnlichen
Erkrankungsfall. Das geimpfte Auge entzündet sich heftig. To-
nische und klonische Krämpfe folgen. Eines der Tiere stirbt am
folgenden Tage, das andere wird wenige Stunden später in der
Agone getötet. Die injizierten Bakterien lassen sich einzig aus
der Gehirnsubstanz züchten, Die Sehnervenscheiden zeigen eine
e ar e e e e e E e te Pe e EEE EEE EEE EHE
starke Infiltration, welche sich ununterbrochen vom Auge bis zur
Gehirnbasis erstreckt.
Aehnlich verhält es sich mit den Versuchen von Gaspa-
rini (17) mittels Löfflerschen Diphtheriebacillen. Die mikrosko-
pischen und ophthalmoskopischen Veränderungen am zweiten Auge,
Hyperämie und Schwellung der Papille, später Atrophie, in einigen
Fällen auch Trübung des Glaskörpers mit Cyelitis, gleichen ganz
denjenigen der sympathischen Ophthalmie beim Menschen. Das
anatomische Bild der Sehnervenscheiden erinnert an eine Lymph-
angitis, an welcher sich auch die Gehirnbasis beteiligt.
Weitere Versuche von Deutschmann (18) mit Staphylo-
kokken, von Parisotti (19) ebenfalls mit Staphylokokken, von
Deutschmann (20) mit Aspergillus fumigatus, von Greeff (21)
ebenfalls mit Aspergillus fumigatus, von Rollet und Aurand (22)
mit Tuberkelbacillen, von Stock (23) mit Toxineinspritzungen, von
Bellarminoff und Selenkowsky (24) mit Staphylokokkentoxin,
von Königstein und Holobut (25) mit Lyssavirus, fallen vor-
wiegend positiv, seltener negativ aus und stimmen sämtlich darin
überein, daß die Entzündung von einem Auge zum andern auf
dem Wege der Sehnervenscheiden vor sich geht. |
Diese und ähnliche tierexperimentelle Arbeiten stützen die
Migrationstheorie in hervorragender Weise, allein sie besagen
ebensowenig wie alle andern, welche wir hier herbeiziehen, rein
nichts über die specifische Natur des stets noch unbekannten Er-
regers der sympathischen Ophthalmie,.
` Was ferner die hierher gehörigen Beobachtungen am Menschen
anbelangt, so gibt es zurzeit nur erst vier Fälle von sympathischer
Ophthalmie, bei welchen die beiden Sehnerven in ganzer Ausdeh-
dehnung mikroskopisch untersucht worden sind. Deutschmann (26)
spricht von einer Endothelwucherung der Arachnoidealbalken, welche
stellenweise von Rundzellenhaufen strotzen. Bei Zimmermann (27)
finden sich ganz allgemein die entzündlichen Erscheinungen desto
mehr ausgesprochen, je näher das Schnittobjekt am Auge zu liegt.
Asayama (28) beschreibt am ersten Sehnerven eine Verdickung
der Pialscheide, eine starke Wucherung der Arachnoidealendothel-
zellen, welche den erweiterten Intervaginalraum streckenweise
völlig ausfüllen, schließlich einen gänzlich atrophischen Sehnerven
auf der Seite des schon früher enucleierten Auges.
Grunert (29) endlich erwähnt erst ganz in der Nähe des
Chiasmas anfangs spärliche, dann häufiger werdende Zellvermeh-
rung in der Pia, welche namentlich im vorderen Chiasmawinkel
eine deutliche Verdiekung und Durchtränkung mit kleinzelligen
Infiltraten aufweist. |
Wir verzichten in diesem Zusammenhang auf die nähere
Betrachtung dieser Fälle und beschäftigen uns gleich mit der wich-
tigen Frage nach der klinischen Existenzberechtigung der
Meningitis bei sympathischer Ophthalmie. In der Tat for-
dert die Migrationstheorie, also die Annahme, daß der unbekannte
Erreger der sympathischen Ophthalmie bei seiner Wanderung auf der
Sehnervenbahn und am Chiasma vorbei die Gehirnbasis erreicht,
eine Mitbeteiligung der weichen Häute, zum wenigsten gerade in
dieser Gegend, in Form einer Meningitis. Deutschmann (30)
glaubt dieselbe bei seinen Tierversuchen, auf welche wir weiter
unten noch eingehen wollen, wirklich gefunden zu haben. Die
eben genannten Fälle von Grunert und von Zimmermann
scheiden allerdings hierbei aus, weil die Meningitis unzweifelhaft
in Beziehung zur vorangegangenen Enucleation steht. Außerdem
zeigen die Fälle von Deutschmann und von Asayama keine
Veränderungen an den weichen Häuten des Gehirns, welche irgend-
wie zugunsten einer Meningitis sprechen.
Dagegen enthält die Literatur eine ganze Reihe von. Be-
richten über Beobachtungen, welche für die Hypothese der Menin-
gitis bei sympathischer Ophthalmie schwer ins Gewicht fallen. Die
ältere Kasuistik dieser Art bringt Schirmer zur Kenntnis (31).
“Wir fügen hier noch die folgenden Arbeiten ein:
Pflüger (zit. 31), de Wecker (32), Blaschek (83) er-
wähnen Temperatursteigerung; Deutschmann (80), Snellen
(zit. 32), Blaschek (83), Galezowski (zit. 31) außerdem Deli-
rien oder epileptiforme Anfälle. Zur Nedden (34) spricht ohne
weiteres von leichter Meningitis, welche er aber doch für metasta-
tischen Ursprungs hält.
Ganz besonderes Interesse verdienen in dieser Hinsicht noch
die Fälle, bei welchen es im Verlauf der sympathischen Ophthal-
mie zur Taubheit kommt, ohne entzündliche Veränderungen am
äußeren oder mittleren Ohre, sodaß wohl lediglich eine Erkran-
kung des Acustieus innerhalb der Schädelhöhle diese Erscheinung
genügend erklärt. Derartige Fälle erwähnen im besonderen
Snellen (zit. 32), de Wecker (zit. 32), Roggmann (35), Bla-
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1554
schek (33). In dem einen Falle von Blaschek bleibt die Taub-
heit allerdings nur vorübergehend während einer Zeit von zwei
Wochen; bei den andern Fällen dagegen besteht sie dauernd und
doppelseitig, sie tritt auf beiden Ohren teils nacheinander, teils
gleichzeitig auf. |
a, yI.
An den Schluß dieser Betrachtung stellen wir die kürzlich
erschienene Experimentalarbeit von Deutschmann (35). Die-
selbe handelt zwar nicht von bakteriologischen Untersuchungen
über die Pathogenese der sympathischen Ophthalmie, verfolgt aber
doch im Prinzip gerade diejenigen Anordnungen, welche die Mi-
grationstheorie fordert.
Deutschmann berichtet eingehend über Impfversuche an
19 Tieren, denen er entzündlich veränderte Augenbestandteile von
Mensch oder Tier meistens in die Vorderkammer, nur bei zweien
in den Glaskörper einbringt. Das Urmaterial stammt von einem
klinisch und mikroskopisch durchaus sichergestellten Fall von
sympathischer Ophthalmie nach Iridektomie. Das zweite Auge
erkrankt auffallend rasch nach der Operation. Die Enucleation
vermag den deletären Verlauf nicht mehr aufzuhalten. Aus dem
steril eröffneten Bulbus entnimmt Deutschmann Chorioideal-
stückchen und infiziert damit teils direkt, teils indirekt in Form
einer Chorioidealemulsion je das eine Auge zweier Affen und
zweier Kaninchen. Die Chorioidealemulsion erweist sich im
allgemeinen weniger virulent als die Chorioidealstückchen; jene
läßt sich von dem zweiterkrankten Auge des Affen nur noch auf
zwei andere Affen mit Stückchen vom Opticus und von der Pa-
pille und solchen von der Chorioidea übertragen. Dagegen liefert
das erste mit Chorioidealstückchen infizierte Kaninchen aus
seinem zweiterkrankten Auge Material zur weiteren Uebertragung
auf im ganzen fünf Kaninchen.
= Wir übergehen an dieser Stelle die sehr interessanten Einzel-
ergebnisse bei den verschiedenen Versuchstieren und begnügen uns
mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen, welche die folgenden
Hauptpunkte berücksichtigen:
Von den 19 geimpften Tieren scheiden zunächst zwei wegen
tödlichem Ausgang an einer interkurrenten Erkrankung aus. Bei
den 17 andern Tieren bleiben die entzündlichen Veränderungen
überhaupt nur zweimal (bei zwei Kaninchen) ausschließlich auf
das infizierte Auge beschränkt.
Abgesehen vom ersten Auge, betrifft zur Zeit der Unter-
suchung der entzündliche Prozeß dreizehnmali den ersten
Optieus und die Meningen, zehnmal den ersten Opticus,
die Meningen und den zweiten Opticus, achtmal beide
Optiei und das zweite Auge, darunter einmal ohne Be-
teiligung der Meningen; außerdem findet sich die entzünd-
liche Infiltration einmal nur am ersten Opticus, einmal am ersten
und am zweiten Opticus, einmal nur an den Meningen.
Die Entzündung am zweiten Auge erscheint teils früh, teils
erst später und nimmt einen fibrinös-plastischen Charakter an.
Mikroskopisch besteht eine kleinzellige Infiltration bald in der
ganzen Chorioidea, bald nur in ihrem vorderen oder ihrem hinteren
Abschnitte. Bei den Veränderungen an den Sehnervenscheiden
und.am Chiasma handelt es sich, nach der Meinung von Deutsch-
mann, um nicht speeifische Merkmale: Endothelwucherungen, Ob-
literation des Intervaginalraums, hyaline Verdickung der Scheiden
und hier und dort die Gegenwart eines umschriebenen Exsudats
zeigen lediglich an, daß sich überall von einem Auge zum andern.
auf der Sehnervenbahn entzündliche Vorgänge abspielen.
Endlich erwähnt Deutschmann in dieser Arbeit auch einen
bakteriologischen Befund — grampositive Diplokokken —,
hält ihn aber, trotz seines sehr konstanten Auftretens, vorläufig
für die Genese der sympathischen Ophthalmie unverwertbar.
Literatur. i. Römer, Arbeiten aus dem Gebiete der sympathischen
Opbthalmie. (Gräfes A. Bd.55 u.56; A. f. Aug. Bd. 54 bis 56.)— 2. Deutsch-
mann, Ophthalmia migratoria (Hamburg 1889); Portgesetzte Versuche zur
Pathogenese der sympathischen Ophthalmie, (B. z. Augenheilk. 1893, H. 10.)
— 3. Leber, Bemerkungen über die Entstehung der sympathischen Augen-
erkrankungen. (Gräfes A. 1881.) — 4. Schirmer. Sympathische Augen-
erkrankung. (In Gracfe-Saomisch, Handb. d. Augenhikde. 1900, 2. Aufl.) —
5. Hirschberg, Ueber sympathische Augenentzündung. (Zbl. f. Aug. 1895.) —
6. Haab, Ueber Chorloretinitis sympathica. (Heidelberger Kongreß 1897.) —
7. Gilbert, Untersuchungen über die Aetiologie und pathologische Anatomie `
der schleichenden traumatischen intraokularen Entzündungen, sowle über die
Pathogenese der sympathischen Opbthalmie. (Gräfes A. 1910, Bd. 77, S. 199.)
— 8. Motais, De la transmission de l’ophthalmie sympathique par la vole
veineuse, (L’ophtalın. provinciale 1904, Nr. 6; Intern. Kongreß Luzern 1904.) —
:9: Elschnig, Ueber die pathologische Anatomie und Pathogenese der so-
genannten Stauungspapille. (Gräfes A. 1895, Bd. 41.) — 10. Kampferstein,
Beitrag zur Pathologie und Pathogenese der Stauungspapille. (Klin. Monatshl.
f. Augenhlkde. 42. Jahrg., 1904, S. 518.) — 11. van der Borg, Die Papillitis
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
im Anschluß an Erkrankungen des vorderen Teils des Auges. (Klin. Monatsbl.
fî. Augenheilkde. Bd. 5, 46. Jahrg., neue Folge 1908.) — 12. Happe, Zur Kennt-
nis der Papillitis im Anschluß au leichte perforierende Verletzungen des vor-
deren Teils. des Auges. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilkde. Bd. 5, 46. Jahrg.,
neue Folge 1908.. — 13. Fehr, Stauungspapille nach Skleralverletzung. (Zbl.
f. Aug. 1904, S. 46.) — 14. Stock, Experimentelle Untersuchungen über Loka-
lisation endogener Schädlichkeiten, besonders infektiöser Natur im Auge.
(Klin. Monatsbl. f. Augenhlkde. Bd. 1, 46. Jahrg. 1903.) — 15. Fuchs, Ueber
sympathisierende Entzündung. (Gräfes A. 1905, Bd. 61.) — 16. Limbourg,
Der Sehnervenweg bei sympathischer Ophthalmie. (A. f. Aug. Bd. 62) —
17. Gasparini, Dell otalmia simpatica, ricerche sperimentali. (Ref. in Michels
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Ophthalmie. ‘Gräfes A. Bd. 80.) — 19. Parisotti, Diskussion zu Braileys
Vortrag. (Internat. med. Kongreß Berlin 1890.) — 20. Deutschmann, Ein
experimenteller Beitrag zur Pathogenese der sympathischen Augenentzündung.
(Gräfes A. Bd. 28.) Ueber experimentelle Erzeugung sympathischer Ophthal-
mie. (Ibid. Bd. 29.) — 21. Greeff, Untersuchungen über die Ophthalmia
migratoria. (Heidelberger Kongreß 1892.) — 22. Rollet und Aurand, Bx-
perimentelle Neuritis optica und sympathische Ophthalmie. (Rof. in Zbl. f.
Aug. 1909, S. 284.) — 23. Stock, Experimentelle Untersuchungen über Lokali-
sation endogener Schädlichkeiten. (Klin. Monatsbl. f. Augenhlkde. Bd. 41.) —
24..Bellarminoff und Selenkowsky, Neue Untersuchungen über die Patho-
genese der sympathischen Ophthalmie. (A. i. Aug. Bd. 44) — 25. König-
stein und Holobert, Ueber den Weg der Lyssa im Auge. (A.f. Aug. Bd. 46.)
— 26. Doutchmann, Fortgesetzte Versuche zur Pathogenese der sympathi-
schen Opbthalmie. (B. z. Augenheilkde. 1893, H. 10.) — 27. Zimmermann,
Anatomische Untersuchung eines Falles von sympathischer Ophthalmie. (Gräfes
A, Bd. 42.) — 28. Asayama, Vollständige mikroskopische Untersuchung eines
Falles von sympathischer Ophtbalmie. (Gräfes A. 1903, Bd. 54.) — 29. Grunert,
Vollständiger Sektionsbericht eines Falles von sympathischer Ophthalinie. (Klin.
Monatsbl. f. Augenhlkde., Beilagenheit 1900.) — 30. Deutschmann, Zur Patho-
genese der sympathischen Ophthalmie. Teil I. (Gräfes A. 1911, Bd. 78) —
31. Schirmer, Sympathische Angenerkrankung. :Graefe-Saemisch, Handbuch,
2. Aufl., 1900.) — 32. de Wecker, Complications extraoculaires de P’ophtalmie
sympathique. (Ann. d'oc. 1901.) — 33. Blaschek, Sympathische Ophthalmie
mit hyperplastischer Entzündung des sympathisierten Bulbus und centraler
Taubheit. (Zt. f. Aug. Bd. 9.) — 31. zur Nodden, Bakteriologische Biut-
untersuchungen bei sympathischer Ophthalmie. (Gräfes A. Bd. 62.) —
35. Deutschmann, Zur Pathogenese der sympathischen Ophthalmie. Teil H.
(Gräfes A. 1911, Bd. 79; Zusatz 1911, Bd. 78, S. 539.) l
Sammelreferate.
Einige neuere Arbeiten über Diabetes insipidus
von Dr. Karl Retzlaff, Berlin.
Wenngleich der Diabetes insipidus eine relativ seltene
Krankheit ist, sodaß er manchen Aerzten während ihrer Tätigkeit
nicht zur Beobachtung kommt, so bietet doch sein Krankheitsbild
des Interessanten genug wegen des Dunkels, das ihn in mannlg-
facher Hinsicht noch umgibt, sodaß es gerechtfertigt erscheint,
über die letzthin erschienenen Arbeiten, die diesen Gegenstand be-
treffen, im Zusammenhang zu referieren. Das Wesen des Diabetes
insipidus besteht nach dem bisherigen Stande der Kenntnisse In
einer primären Polyurie, die streng getrennt werden muß von
den Fällen, in denen eine Polyurie durch eine Polydipsie her-
vorgerufen wird. Solche Polydipsien sind beobachtet bei funktio-
nellen Neurosen (z. B. Hysterie) und bei psychopathischen Kindern.
Unter den nicht durch Polydipsie bedingten Polyurien hat man
ferner getrennt den symptomatischen Diabetes insipidus vom idio-
pathischen. Unter ersterem versteht man die nicht so selten be-
obachtete Folgeerscheinung einer Polyurie bei organischen Er-
krankungen im Gehirne, bei Schädeltraumen und Commotio cerebri,
bei Tumoren und Neubildungen im Gehirne, bei Hydrocephalus,
bei basaler Meningitis usw. Der idiopathische Diabetes insipidus
dagegen zeigt sich als anscheinend primäres Leiden bei sonst
ganz gesunden Personen; die gesteigerte Urinentleerung ont-
wickelt sich dabei mitunter allmählich oder besteht seit der
frühester Kindheit, in letzterem Falle tritt die Krankheit auch
hereditär oder familiär auf, wie Ehrmann (5) wieder neuerdings
einen derartigen Fall publiziert hat, in dem drei von fünf Kindern
einer Familie an Diabetes insipidus seit der Kindheit leiden. Mit-
unter aber wird auch das Entstehen der Polyurie mit einer ai-
scheinend ganz indifferenten Ursache verknüpft, wie z. B. Erkäl-
tung, Gemütsbewegung oder Trinken von vielem kalten Wasser
bei Erhitztsein usw. Relativ oft sind allerdings die an idiopatbi-
schem Diabetes leidenden Patienten entweder in ihrer Anamnes®
luetisch infiziert oder neuropathisch belastet, beziehungsweise zeigen
sie in ihrer Konstitution gewisse Anomalien von akromegalem 0 er
femininem Habitus. |
Seit den Arbeiten von Tallquist und Erich Meyer hat
man nun für diese Polyurie eine Funktionsstörung der Nieren ver-
antwortlich gemacht, und zwar besteht diese in der mangelnden
Fähigkeit der Nieren, eine Konzentrationserhöhung des abgeson-
derten Harnes herbeizuführen. Bei salzreicher Nahrung beziehung®”
weise bei alimentärer Zulage von Kochsalz reagiert die Niere .des
Diabetes-insipidus-Kranken . nicht wie normal mit der Entleerung
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22, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 1555:
eines höhermolekularen Urins, sondern mit einer Mehrausscheidung
von Urin in der Art, daß zwar die Summe der ausgeschiedenen
Molen erhöht, die Konzentration des Urins jedoch dieselbe niedrige
bleibt, wie vor der NaÜl-Zulage.
Die mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Niere beim Dia-
betes insipidus ist von verschiedenen Autoren klinisch und experi-
mentell (Minkowski [1], Strauß [2], Finkelnburg [3], Bräu-
ning [4] und Andern) geprüft und im allgemeinen mit wenigen
Einschränkungen anerkannt. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache,
daß der an Diabetes. insipidus leidende Kranke bei interkurrentem
Fieber eine Abnahme der Urinmenge mit Zunahme der Salzkonzen-
tration aufweisen kann, und daß nach Minkowski in einigen
Fällen das Konzentrationsvermögen der Niere gegenüber andern
Salzen, wie Harnstoff, Phosphaten oder Nitraten weniger gestört
sein kann als gegenüber dem Kochsalz. Nach Bräuning zeigen
der idiopathische Diabetes insipidus, ferner der bei Hirnkrankheiten
und auf luetischer Basis die renale Konzentrationsunfähigkeit im
Gegensatz zu den bei funktionellen Neurosen beobachteten Poly-
urien, die mit Steigerung der Konzentration auf Salzzulagen ant-
worten. |
Auf dieses Verhalten der Nieren bei Diabetes insipidus ist
nun von verschiedenen Autoren (Minkowski, Strauß, Bräuning
und Andern) ein Verfahren zur Sicherung der Diagnose gegründet
worden. Rosendorff und Unna (6), die in einer neuerlichen
Arbeit über vier einschlägige Fälle berichten, heben die Wichtig-
keit des Versuchs auf alimentäre Chlorurie in differentialdiagno-
stischer Beziehung hervor. Sie gehen in der Weise vor, daß sie
ihre seit einigen Tagen auf kochsalzarme Diät gestellten Patienten
am Untersuchungstage nüchtern morgens 10 g NaCl in einer
Oblate nehmen lassen. Der danach stündlich entleerte Urin wird
dann in den einzelnen Portionen auf Kochsalz, specifisches Gewicht
und Gefrierdepression untersucht. Die genannten Autoren heben
die Wichtigkeit der Untersuchung des Urins in getrennten, in
kurzen Intervallen entleerten Urins hervor, da eine’ vorübergehende
Erhöhung des prozentualen Kochsalzgehaltes nach alimentärer
Kochsalzzulage bei Untersuchung der gesamten Tagesmenge des
Urins leicht durch nachheriges Absinken der Konzentration ver-
deckt werden kann. (Minkowski, Strauß, Bräuning und
Andere) Unter den vier beobachteten Fällen gelang es so
Rosendorff und Unna drei als echten Diabetes insipidus fest-
zustellen; im vierten Falle dagegen, der ein sechsjähriges, erblich
belastetes, neuropathisches Kind betraf, erwies die Zunahme der
Kochsalzkonzentration (alimentäre Chlorurie), daß es sich um eine
psychogene Polydipsie und nicht um einen echten Diabetes insipidus
handelte. Dem Untersuchungsergebnis entsprach auch der Erfolg
der Behandlung, insofern als bei dem Kind edukatorische Maß-
nahmen (Wasserentziehung usw.) zur Heilung führten, Maßnahmen,
die beim echten Diabetes insipidus durchaus im Stiche lassen. In
den drei Fällen von Diabetes insipidus führte die Kochsalz-
beschränkung der Nahrung, wie vorauszusehen, eine gewisse Ver-
minderung der Urinmenge herbei. Die Verfasser weisen ferner
auf die geringe Gefrierdepression des Urins hin (4 = —0,10 bis
0,33 höchstens), die beträchtlich unter der des Blutes (ð == —0,56)
liegt, sodaß unter solchen Umständen die aktive, wassersecer-
nierende Tätigkeit des Nierenparenchyms eine recht große sein muß.
In einem Falle von echtem, idiopathischem Diabetes insipidus
hat Stuber (7) mittels der Laewen-Trendelenburgschen Me-
thode der Durchblutung der überlebenden Froschgefäße eine Hyper-
adrenelinämie festgestellt. Er schließt daher beim Diabetes in-
sipidus auf eine Störung des chromaffinen Systems im Sinn einer
Ueberfunktion. Der Fall ist auch dadurch noch bemerkenswert,
daß auf alimentäre Kochsalzgaben Fieber auftrat.
Des weiteren berichtet Lenk (8) über einen interessanten
Fall. Der Patient, ein 20jähriger, bis dahin gesunder Mann, er-
krankte akut unter Kopfschmerzen, zunehmender Blässe und
Mattigkeit usw. und den Erscheinungen des Diabetes insipidus.
Vier Monate nach Beginn der Erkrankung trat der Exitus ein.
Es handelte sich um Zusammentreffen einer akuten Myeloblasten-
leukämie mit Diabetes insipidus bei einem Patienten, der klinisch
‚ die Erscheinungen des Status thymicohypoplasticus bot. (Per-
sistenz der Thymus, mangelhafte Entwicklung der sekundären
Geschlechtscharaktere wie Fehlen der Behaarung, angeborene Enge
der Aorta) Der Versuch der alimentären Chlorurie führte zwar
zu einer Steigerung der Kochsalzkonzentration, jedoch glaubt Lenk
aus dem Verhalten des specifischen Gewichts des Harns, das da-
bei dauernd niedrig blieb, auf eine kompensatorische Retention
anderer harnfähiger Stoffe schließen zu können. (Konstanz der
Gesamtkonzentration.) Infolgedessen hält er eine primäre Poly-
dipsie infolge des Fiebers oder eine bei Leukämie des öfteren:
beobachtete agonale Polyurie für nicht vorliegend. Bei der Sektion
wurden pathologisch-anatomische Veränderungen im Gehirn (sym-
ptomatischer Diabetes insipidus) und Nieren nicht gefunden. Nach
Analogie der schon früher beschriebenen Beziehungen zwischen
Status thymicus und lymphatischer Leukämie hält Lenk nun
einerseits die Möglichkeit eines Zusammenhangs von Thymus-
persistenz und akuter myeloischer Leukämie für vorliegend, ander-
seits glaubt er aber auch aus den vielen in der Literatur vor-
liegenden Befunden von infantilem Habitus bei -Diabetes insipidus
einen Zusammenhang zwischen dieser Krankheit und dem Status
thymicolymphaticus annehmen zu können. | 5
Lichtwitz (18) veröffentlicht einen funktionell eingehend
untersuchten Fall von Diabetes insipidus und macht ihn zum Aus-
gangspunkte für Untersuchungen über die Konzentrationsarbeit
der Nieren im allgemeinen. In diesem Falle von Diabetes insi-.
pidus, der als solcher durch fehlende oder nur geringe Konzen-'
trationsfähigkeit der Niere nach Kochsalzgaben sich charakterisierte,
blieb die Konzentration des Chlorions im Harne stets hinter der
im Blutserum zurück. Es zeigte sich durch vergleichende Ver-
abfolgung von Harnstoff und NapHPO4, daß nur die Fähigkeit,
das Kochsalz zu konzentrieren, geschädigt war. Um den bekannten
Einfluß des Fiebers auf die Diabeteserscheinungen zu prüfen, unter-
suchte Verfasser den Einfluß von Wärmeapplikation (Thermophor)
auf die Nierengegend mit dem Resultate, daß tatsächlich während
der Versuche die Kochsalzkonzentration anstieg, während ein Ein-
fluß auf Wasserausscheidung, N- und P30;-Konzentrierung nicht zu
erkennen war. Lichtwitz läßt es offen, ob diese Beeinflussung:
durch die Wärme auf eine Hyperthermie oder auf einen reflekto-
rischen Vorgang zurückzuführen ist. Durch Verabfolgung von
Diuretieis, die nicht zu den in ihrer konzentrationssteigernden:
Wirkung schon bekannten Körpern der Purinreihe gehören, und
zwar von Liquor kalii acetici und Kalomel ließ sich eine deutliche
Steigerung der Kochsalzkonzentration, keine der N- und P205-
Kurve feststellen. | | DES |
Strauß (9) weist an der Hand von vier durch Ausbleiben
der Konzentrationsfähigkeit der Nieren bei Kochsalzgaben sicher-
gestellten Fällen von Diabetes insipidus auf das häufige Vor-
kommen von Blasenerweiterung bei dieser Krankheit hin. In
seinen Fällen, die sich nur aus jugendlichen Personen. zusammen-
setzten, sodaß lokale Veränderungen an der Blase beziehungsweise
den Ausführungsgängen (degenerative Veränderungen der Mus-
kulatur, Prostatavergrößerung usw.) nicht in Frage kamen, zeigte
sich die Blase häufig während der Beobachtungszeit als birn-
förmiger, sicht- und fühlbarer Tumor bis zum Nabel reichend und
es wurden einmalige Urinmengen von mehr: als einem Liter ent-
leert. Strauß nimmt an, daß häufige Ueberfüllungen der Blase
allmählich einen Ueberdehnungszustand der Blase hervorrufen, so
wie er als Folge häufiger Ueberdehnungen bei organischer Abfluß-
behinderung oder als Folge primärer neurogener Hypotonie bei:
verschiedenen Nervenkrankheiten (Tabes, Myelitis) beobachtet ist.
Aus der Straußschen Klinik ist ferner von Strauß (10):
und Rosenthal (11) auf das Fehlen des Pepsins und des dia-
statischen Ferments im Harne bei Diabetes insipidus hingewiesen.
Die Verfasser führen das Fehlen dieser Fermente im Urin auf eine
renale Störung zurück und zwar im Sinne einer verminderten
Durchlässigkeit der Niere. Sie halten es nicht für ein unbedingt
sicheres Kriterium für die Abgrenzung von andersartig bedingten
Polyurien, halten es jedoch in geeigneten Fällen für differential-
diagnostisch verwertbar. | |
In einer auf eingehende funktionelle Untersuchung von vier
einschlägigen Fällen gegründeten Arbeit erheben Forschbach
und Weber (12) Einspruch gegen die landläufige Auffassung, daß
die Niere beim Diabetes insipidus eine vermehrte Ausscheidung
von Kochsalz nur durch vermehrte Wasserflut bei unveränderter
Kochsalzkonzentration leisten könne. Zur Prüfung dieser Frage
darf man nicht die absolute Konzentrierfähigkeit der Niere unter-
suchen, sondern man muß die relative Konzentrierfähigkeit fest-
stellen, das heißt die Steigerung der Konzentrationsgröße nach
Kochsalzgaben im Verhältnis. zu den vorangegangenen Konzen-
trationen im Stundenversuch. Auf Grund ihrer Versuche kommen
die Verfasser zu der Ansicht, daß das relative Konzentrations-
vermögen der Niere bei den beobachteten Wasserdiabetesfällen
keine Abweichung gegen die Norm zeigt, vielmehr scheint die
empfindliche Niere beim Diabetes insipidus unter dem Kochsalz als
Wasserdiuretikum eine stärkere Wirkung als beim Normalen zu
entfalten, wie ja auch manche normale Nieren die Kochsalzzufuhr mit
Polyurie ohne wesentliche Steigerung der Kuchsalzkonzentration,
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1556
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.38.
22. September.
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beantworten. Da ferner im Kochsalzversuche die Steigerung der
Wasserausscheidung früher einsetzen kann als die des Kochsalzes,
umgekehrt aber auch die Salzausfuhr der Wasserdiureseerhöhung
vorangehen kann, so folgt daraus eine Dissoziation der renalen
Kochsalz- und Wasserausscheidung und im besonderen folgt aus
dem Umstande, daß die Salzdiurese vor der Wasserdiurese ein-
tritt, daß für die Mehrausfuhr des Kochsalzes nicht unbedingt ein
Plus an Wasser erforderlich ist. Die Niere beim Diabetes insi-
pidus hat, wie Verfasser in ihren Versuchen bestätigt finden, die
Fähigkeit, die Salzkonzentration zu erhöhen, im Fieber unter der
Wirkung der Diuretica der Purinreihe (zum Beispiel Theophyllin)
und nach Verabreichung eines Narkoticums (Pantopon), das offen-
bar nur den wasserdiuretischen Reiz herabsetzt,
Ueber einen Fall von gleichzeitigem Diabetes insipidus und
Diabetes mellitus berichtet Heiberg (13). Wie bekannt, ist das
Zusammentreffen von beiden Krankheiten ein außerordentlich
seltenes und wird von den meisten namhaften Klinikern als in
diesen Fällen rein zufälliges angesehen. Der von Heiberg dar-
gestellte Fall ist wohl ein sicherer Diabetes mellitus; daß er aber
ein sicherer Diabetes insipidus ist, scheint dem Referenten aus
der angeführten Krankengeschichte durchaus nicht hervorzugehen.
Der Sektionsbefund wies am Pankreas sehr ausgedehnte lipomatöse
Umbildung und chronisch-entzündliche Veränderungen auf,
In einer kürzlich erschienenen Arbeit macht E. Frank (14)
den Versuch, den Diabetes insipidus ätiologisch einheitlich zu er-
klären. Die renale Natur der Erkrankung ist wohl sicher, die
Niere wird aber durch eine direkt an der Niere angreifende Noxe
beeinflußt. Die Polyurien, die bisher nach Claude Bernard durch
Läsion des Bodens des vierten Ventrikels hervorgerufen sind,
zeigen bemerkenswerte Unterschiede gegenüber dem echten Wasser-
diabetes, Sie sind nur vorübergehend, die Konzentrationsfähigkeit
der Niere ist bei ihnen erhalten, ferner sind sie meist mit Albumin-
urie und Glykosurie verbunden. Daher ist eine Läsion des vierten
Ventrikels als Ausgangspunkt des Diabetes insipidus unwahrschein-
lich. Gestützt nun auf die Feststellungen besonders englischer
Autoren, daß wäßriges Hypophysenextrakt die Diurese bei Tieren
stark steigert, daß ferner mechanische oder thermische Reizung
des freigelegten Hirnanhangs eine viele Tage lang dauernde Poly-
urie hervorruft, hält es Frank für das Wahrscheinlichste, daß es
die Hypophyse ist, die für die Entstehung des Diabetes insipidus
verantwortlich zu machen ist. Und zwar hat die Annahme die
größte Wahrscheinlichkeit für sich, daß es die Pars intermedia der
Hypophyse ist, die diese Wirkung ausübt, da bei den experimen-
tellen Untersuchungen Vorder- und Hinterlappen der Hypophyse
sich als intakt, dagegen die Pars intermedia als affiziert erwiesen
haben. Dieser letztgenannte Teil der Hypophyse läßt sich histo-
logisch scharf vom Vorder- und Hinterlappen unterscheiden, und
so ist die Annahme, daß er eine besondere, mit innersekretorischen
Eigenschaften ausgestattete Drüse ist, durchaus plausibel.
Frank weist darauf hin, daß die in der Literatur veröffent-
lichten pathologisch-anatomischen Befunde bei Diabetes insipidus
(Affektion der grauen Bodenkommissur, des Infundibulums usw.),
ebenso die auffallend häufige Verbindung von Polyurie mit lueti-
scher basaler Meningitis sich zwanglos mit einer Läsion der Hypo-
physe vereinigen lassen. Er erinnert an das häufige Zusammen-
treffen von bitemporaler Hemianopsie mit Diabetes insipidus, ferner
an die Fälle von Wasserdiabetes, bei deren Sektion ein Tuberkel
im Infundibulum und ein Sarkom des Hypophysenvorderlappens
gefunden wurde. Dazu berichtet er noch über einen eignen Fall,
bei dem nach einem Suicidversuch ein Diabetes insipidus auftrat
und röntgenologisch ein Projektil in der Sella turcica festgestellt
wurde. Auch die Fälle von Polyurie bei Akromegalie und Dys-
trophia adiposo-genitalis erwecken den Verdacht auf hypophysären
Ursprung. Frank kommt also zu dem Schluß, daß eine die Pars
intermedia der Hypophyse einnehmende Drüse mit innerer Sekre-
tion auf die Nierentätigkeit Einfluß hat und daß der essentielle
Diabetes insipidus auf eine pathologische Ueberfunktion dieser
Drüse zurückgeführt werden Kann.
In therapeutischer Hinsicht wird auch von den neueren
Autoren wieder auf den günstigen Einfluß der kochsalzarmen Diät
hingewiesen. Von Medikamenten wird außer dem bisher bekannten
Opium, Baldrian, Ergotin, Strychnin, Atropin, Brom usw. das
Pantopon empfohlen. Forschbach und Weber haben vom Panto-
pon deutliche Herabsetzung der Wasserdiurese unter Steigerung
der prozentualen Kochsalzkonzentration bemerkt. Voit (16) hat
ebensowenig wie vom Pantopon, so von Regenerin und Globularin,
noch von der Anwendung des elektrischen Stroms Erfolge gesehen.
Bach (17) publiziert einen Fall von Heilung von Diabetes insipidus
durch Bestrahlung mit ultraviolettem Quarzlampenlicht.
Literatur: i. Minkowski, Zur Therapie des Diabetes insipidus. (Th.
d. G. 1910, H. 1.) — 2. Strauß (Zt. f£. exp. Path. Bd. 1, u. a. a. O.). — 3.Fin-
kelnburg, Ueber das Konzentrationsvermögen der Niere bei Diabetes insipi-
dus usw. (D. A. f kl. Med. 1910, Bd. 100, S. 33.) — 4. Bräuning, Neuere
Untersuchungen über Diabetes insipidus. (Würzburger Abhälgn. 1909, Bd. 10,
H.2.) — 5. Ehrmann, Familiärer Diabetes insipidus.. (Sitzg. d. Hufelandschen
Gesellsch. v. 9. Febr. 1911; Ref. Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 11, S. 496.) —
6. Rosendorff und Unna, Zur Differentialdiagnose und Therapie des Diabetes
insipidus. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 9, S. 377.) — 7. B. Stuber, Beobach-
tungen über Diabetes insipidus. (Sitzg. d. Freiburg. med. Ges. v. 4. Juli 1911;
Ref. D. med. Woch. 1911, Nr. 80, S. 1424) — 8. R. Lenk, Akute Leukämie
und Diabetes insipidus bei Status thymicohypoplasticus, a kl. Woch. 1911,
Nr. 31, S. 1180.) — 9. H. Strauß, Ueber vier Fälle von Blasenerweiterung bel
Diabetes insipidus. (F. urol. 1911, Bd. 5, S. 452.) — 10. Derselbe, Klinisches
über das Harnpepsin. (D. med. Woch. 1912, Nr. 4, S. 163.) — 11. A. Rosen-
thal, Zur Frage der Ausscheidung von diastatischem Ferment im Urin. (D.
med. Woch. 1911, Nr. 20, S. 923.) Derselbe, Zur Pathologie der Sekretionen.
bei Diabetes insipidus. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 27, S. 1265.) — 12. Forsch-
bach und Weber, Beobachtungen über die Harn- und Salzausscheidung im
Diabetes insipidus. (Zt. f. kl. Med. 1911, Bd. 73, H. 3 u. 4, S. 221.) — 13. Hei-
berg, Ein Fall von gleichzeitigem Diabetes insipidus und Diabetes mellitus.
(Zt, f. kl. Med. 1911, Bd. 73, H. 3 u. 4, S. 319.) — 14. E. Frank, Ueber Be-
ziehungen der Hypophyse zum Diabetes insipidus. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 9,
S. 893.) — 16. W. Voit, Ueber Diabetes insipidus. (Sitzg. d. Nürnb. med. Ges.
v. 11. Mai 1911; Ref. Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 28, S. 1306.) — 17. H. Bach,
Hellung eines Falles von Diabetes insipidus durch Bestrahlung mit ultra-
violettem Quarzlampenlicht. (D. med. Woch. 1911, Nr. 43, S. 1990.) — 18. L. Licht-
witz, Die Konzentrationsarbeit der Niere. (A.f. exp. Path. 1911, Bd. 65, S. 128.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreforate.
Auf Grund der Beobachtungen an 175 Patienten der Heidelberger
Klinik (Wilms) kommt M. Hollensen über den Wert der y. Pirquet-
schen Reaktion für Prognose und Therapie bei den verschiedenen
Formen der chirurgischen Tuberkulose zu folgenden Resultaten:
Eine starke positive Reaktion deutet bei einer beginnenden Tuber-
kulose auf einen günstigen Verlauf, weist bei fortgeschrittenen Fällen
auf eine Neigung zur Heilung hin. Schwache oder fehlende Reaktion
bei Tuberkulosen im Anfangsstadium gibt eine schlechte Prognose, ebenso
bei fortgeschrittenen Fällen. Schwächerwerden der Reaktion bei wieder-
holter Impfung deutet auf Fortschreiten der Erkrankung und baldigen
Exitus, Stärkerwerden der Reaktion dagegen auf günstigen Heilungs-
verlauf. Schwächerwerden der Reaktion nach langer, erfolgreicher Be-
handlung läßt auf beginnende Immunität des Patienten gegen Tuber-
kulose schließen.
Für die Therapie stellt Verfasser folgende Grundsätze auf:
1. Bei schwachen und negativen Reaktionen muß Röntgenbestrablung
und Tuberkulinbehandlung eingeleitet werden, um dem Körper zur Re-
aktion gegen die Tuberkelbacillen zu verhelfen.
2. Kräftige Cutanreaktion zeigt an, daß der Körper selbst imstande
ist, Antikörper zu bilden; hier kann auch Röntgen- und Tuberkulin-
behandlung stattfinden, ist aber nicht unbedingt notwendig.
3. Bei starker Cutanreaktion sei man mit der Dosierung der Tuber-
kulineinspritzungen vorsichtig, da Ueberempfindlichkeit gegen Tuber-
kulin besteht. |
4. Bei schwacher oder fehlender Cutanreaktion kann man ohne
Gefahr mit stärkeren Tuberkulinpräparaten anfangen.
Aus einer einmal angestellten v. Pirquetschen Reaktion kann
man bezüglich der Prognose wenig schließen; wiederholte Impfung erlaubt
die Beobachtung der Wirksamkeit der eingeleiteten Therapie und gibt
Anleitung für die weitere Behandlung wie für die Prognose. (D. Z. f
Chir. Bd. 115, H. 5—6, Juni 1912.) A. Wettstein (St. Gallen).
Vom altbeliebten Sammelbegriffe der Knlegelenkverstauchung
sind in den letzten Jahren einige fest umschriebene Krankheitsbilder ab-
gesondert worden: der Kondylenbruch an Femur und Tibia, Luxation und
Ruptur der Semilunarknorpel, Abriß der Kreuzbänder. Neu ist dazu
gekommen eine Verletzung am Condylus internus femoris, auf die P. Ewald
wieder hinweist. Es handelt sich um einen im Röntgenbild auftretenden
Knochenschatten, der meist am Uebergang von Kondylus zum Schafte,
dem Kondylusschatten anliegend, gefunden wird. Er fehlt bei der frischen
Verletzung, tritt nach zwei bis drei Wochen auf und verschwindet wieder
nach Monaten oder Jahren. Das klinische Krankheitsbild ist konstant:
Nach einer Gewalteinwirkung von der Außenseite tritt an der Innenseite -
des Knies geringe Schwellung auf, der Schmerz konzentriert sich bald
ganz auf den inneren Femurkondylus und besteht namentlich bei passiver
Durchbiegung des Knies von der Außenseite her sowie bei aktiver Con-
traction des Musculus adductor magnus. Immer ist die Beugefähigkeib
im Kniegelenke behindert; seitliche Wackelbewegungen fehlen. Auf
Heißluft, Massage, Uebungen erfolgt gewöhnlich vollkommene Heilung.
Die anatomische Grundlage des Krankheitsbildes ist ein teilweiser Aus-
riß des medialen Seitenbandes mit konsekutiver periostaler Wache-
29. September.
rung. Daß der Schätten getrennt vom Kondylusschatten, doch ihm eng
anliegend auftritt, ist darin begründet, daß das abgerissene Perioststück
den Zusammenhang mit dem übrigen Periost nicht aufgegeben hat, manch-
mal .auch gar nicht abgerissen, sondern nur. durch ein subperiostales
Hämatom vom Knochen abgehoben worden ist. Fast immer handelt es
sich um eine indirekte, manchmal recht geringfügige Gewalteinwirkung.
(D. Z. f. Chir. Bd. 117, H. 3—4, Juli 1912.) A. Wettstein (St. Gallen).
' An der chirurgischen Klinik zu Kyoto (Japan) hat Ito 1900 bis
1911 im ganzen 106 Fälle genuiner allgemeiner Epilepsie nach der
Kocherschen Methode operiert. Zur Beurteilung des Resultats kommen
25 Fälle neueren Datums nicht in Betracht, über 23 war keine Auskunft
zu erhalten. Von den übrigbleibenden 58 Fällen erwiesen sich acht als
absolute Heilungen; 1dınal fand sich wesentliche Besserung. Heilung
trat ein bei Fällen ohne hereditäre Belastung, wenn die Operation in
einem früheren Alter (bis 24. Altersjahr) gemacht werden konnte, Wenn
man in diesem Sinne die Fälle zur Operation auswählt, so sind deren
Aussichten auch bei der genuinen Epilepsie nicht mehr allzu schlecht.
Doch ist daran festzuhalten, daß die Mehrzahl der Fälle durch den ope-
rativen Eingriff gar nicht beeinflußt wird. (D. Z. f. Chir. Bd. 115, H. 5—6.)
| A. Wettstein (St. Gallen).
Zur Behandlung der Varicen empfiehlt Tavel die künstliche
Thrombose. Die Anregung zu dieser Methode gaben ihm folgende
Ueberlegungen: Die Resultate nach der Venenligatur sind besser in den
Fällen, da sich spontan eine Thrombose bildet als in den Fällen ohne
Thrombose; die Thrombose ist sowieso als natürlicher Heilungsprozeß zu
betrachten; die künstliche Thrombose bringt die Varicen zum Verschwinden
ebensogut wie die Excision, aber ohne die Nachteile der ausgedehnten
Narben, der Narkose und ihrer eventuellen Folgen.
Tavel erzeugt die künstliche Thrombose durch Einspritzen
einer figen Carbollösung. Er bewirkt so nicht eine sofortige
Koagulation des Bluts, sondern als Folge des Reizes der Intima der
Venenwand erst macht sich eine wandständige Thrombose, die erst nach
einem bis zwei Tagen vollständig wird. Vorgängig der Injektion wird
die Saphena möglichst hoch ligiert und ein Stück reseziert, am besten
in Lokalanästhesie. 24 bis 48 Stunden nach diesem Eingriffe wird mit
den Injektionen angefangen. Mehrere Tage nacheinander werden an ver-
‚ schiedenen Stellen je 2 bis 3 ccm der Carbollösung injiziert (pro Sitzung
etwa 10 ccm), bis das ganze varicöse Gebiet vollständig thrombosiert ist;
bei der Injektion steht der Patient gewöhnlich.
Während Tavel früher durch einfache Ligatur und Resektion nur
in den Fällen von Phlebitis und Phlebosklerose gute Resultate sah, er-
zielte er durch die künstliche Thrombose nur in sechs Fällen von 50
nicht ein vollkommen gutes Resultat. Er nennt sie daher eine sehr
zuverlässige Methode, mit der man die echten Varicen sowohl wie auch
die Kavernome, die meistens die Ulcera verursachen, behandeln und heilen
kann. Zwischenfälle und Komplikationen wurden nie beobachtet. (D. Z.
f. Chir. 1912, Bd. 116.) A. Wettstein (St. Gallen).
Im Benzol besitzen wir nach A. v. Korán yi ein sehr wirksames
Mittel zur Beeinflussung der krankhaften Blutbildung bei Leukämie.
(Bekanntlich hatte vorher Selling am Kaninchen festgestellt, daß
Benzol nach einer vorübergehenden Vermehrung der weißen Blutkörper-
chen diese schließlich zum Verschwinden bringt und ferner zu einer
hochgradigen Aplasie des Knochenmarks, der Milz und des gesamten
Iymphatischen Apparats führt. Nach dem Aussetzen des Benzols erfolgte
Regeneration.) Die Resultate seiner Beobachtungen am Menschen faßt
v. Koränyi etwa folgendermaßen zusammen:
1. Die Abnahme der Zahl der weißen Blutkörperchen beginnt meist
am Einde der zweiten oder am Anfange der dritten Woche, um erst
langsam, dann rasch fortzuschreiten. In einem vorgeschrittenen Stadium
der Behandlung geht die Milzschwellung bedeutend zurück, Der All-
gemeinzustand bessert sich ähnlich wie nach einer erfolgreichen Röntgen-
behandlung.
. 2. Benzol führt meist langsamer zu einem Erfolg als die Röntgen-
therapie, doch kann durch Benzol noch ein Erfolg erzielt werden,
wenn die Röntgentherapie versagt. Der Erfolg der Benzoltherapie
Scheint ein vorübergehender zu sein. |
~ 3 Es sind bei der Leukämie möglichst große Dosen von Benzol
angezeigt. Täglich 3 bis 4 g Benzol werden meist monatelang vorzüglich
vertragen. Doch kommen auch unangenehme Nebenwirkungen vor
Brennen im Magen, Aufstoßen, Tracheobronchitis und Schwindel; die
Magenbeschwerden bleiben meist aus, wenn mit Benzol Oel in gleicher
Menge in Gelatinekapseln gegeben wird.) (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 29.)
J | | F. Bruck.
Ki Die Gefahren der Radiumbehandlung der Anglome beleuchtet
‚misson (Paris) an zwei frappanten Beispielen. Das eine betrifft ein
Ind von 5/4 Jahren, das bei der Geburt ein mäßig großes Angiom am
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38,
1557
Rücken zeigte. Von der sechsten Lebenswoche an wurde es während
fünf Monaten dreimal wöchentlich mit Radium behandelt. Dann mußte
wegen einer großen Wundfläche auf dem Tumor, die keine Tendenz zur
Heilung zeigte, die Behandlung abgebrochen werden. Wie dann ein
halbes Jahr später Kirmisson das Kind sah, war das Angiom nicht
nur nicht verschwunden, sondern war deutlich größer geworden. In
wenigen Sekunden war das Kind durch Operation davon befreit. Mit
Recht spricht da Kirmisson von einem Mißbrauche der Methode.
Die zweite Patientin ist ein Mädchen von zwei Monaten, geboren
mit einem nußgroßen Angiom an der linken Wange. Radiumbehandlung
im Alter von einem Monate. Nach drei Sitzungen von zebn Minuten
Dauer trat vollständige Nekrose der Unterlippe ein, von einer Kommissur
zur andern, sodaß im besten Fall eine gewaltige Entstellung zurück-
bleiben wird.
Delbet fügt diesen Beobachtungen als dritte den Fall einer Dame.
mit diffusem Angiom des Gesichts bei, die nach Radiumbehandlung viel
schlimmer daran ist als vorher. (Bull. et mêm. de la soc. de chir. de
Paris 1912, Bd. 38, Nr. 23.) A. Wettstein (St. Gallen).
Das Adrenalin (Suprarenin) ist, wie A. Ephraim auseinander-
setzt, beim Asthma bronchiale und bei der chronischen Bronchitis
ein sehr wirksames Mittel. Der Erfolg ist am geringsten, wenn es
mittels Inhalation, viel größer, aber nur vorübergehend, wenn es subcutan,
am größten und andauernd, wenn es unmittelbar in die erkrankten Bron-
cbien endobronchial appliziert wird. |
Zur subeutanen Injektion dient eine Dosis von 0,75 bis 1 ccm
der käuflichen 1°/,„igen Lösung. Die Wirkung bei dieser Applikation
‚erklärt sich ohne weiteres durch die hierbei stattfindende An ämisierung
der Bronchialschleimhaut. (Denn beim Asthma handelt es sich
nicht lediglich um einen spastischen Vorgang, sondern auch um Hyper-
ämie, Schwellung und Hypersekretion in den kleinen Bronchien, wodurch
deren Verschluß und die eigenartige Ventilationsstörung der Lungen erfolgt.)
. Viel intensiver und nachhaltiger wirkt das Adrenalin aber auf die
Bronchialschleimhaut, wenn. man es endobronchial bis in die kleinsten
Bronchien einstäubt. Es empfiehlt sich der Zusatz eines Anästhetikums.
Die Menge des einzustäubenden Adrenalins darf 1 mg nicht übersteigen.
Durch die lokale Adrenalisierung der Bronchien wird eine energische
Lüftung dieser sowie eine reichliche Expektoration erzielt. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 31.) F. Bruck.
Filmaron (Filmaronöl) empfiehlt Ludwig Mendelsohn als
Bandwurmmittel. Es wird bekanntlich aus dem Farnwurzelextrakt her-
gestellt. Darin findet es sich zu etwa 5%. Filmaron kommt in Ol.
ricini gelöst in den Handel, und zwar als Filmaronöl (= 1 Teil Filmaron
und 9 Teile Ol. rieini).
Die Vorbereitung der Kur bestand bei Jüngeren Kindern nur in
der Einschränkung der Kost am Vortage. Am Morgen der Kur wurde‘
das Filmarondöl meist nüchtern genommen. Die Dosis betrug — nach
der Vorschrift Jaquets — bei Erwachsenen 10 g Filmarondoi (= i g
Filmaron), bei Kindern 5,0—7,5 Filmaronöl (= 0,5—0,75 Filmaron).
Erfolgt eine Stunde nach dem Einnehmen des Mittels kein. Stuhl-
gang, so wird, auch bei Kindern, ein Eßlöffel Rieinusöl gereicht. In
einigen Fällen mußte — nach weiteren ein bis zwei Stunden — noch
ein zweites Mal Ricinusöl gegeben werden. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 32.)
F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Hycyan (Quecksilberoxycyanid-Tabletten).
Eigenschaften: Halbkreisförmige, gekerbte Tabletten (D.R.G.M.)
von bläulicher Farbe und leichter Löslichkeit in Wasser, in festen, halb-
kreisförmigen Celluloidhülsen. Die charakteristische Form der Tabletten
ist geeignet, Vergiftungsfällen vorzubeugen, wie sie mit den Quecksilber-
oxycyanid-Tabletten des Handels gerade auch in letzter Zeit vorkamen.
Indikationen: Das große Gebiet der Desinfektion der Hände,
Instrumente, des Operationsfeldes des Arztes, ferner für Hebammen,
Sanitätspersonal usw.
Pharmakologisches: Dem Sublimat gegenüber hat es den Vor-
zug der schwächer eiweißfällenden Wirkung.
Dosierung und Darreichung: Eine Tablette (entspricht 0,5 g
ree ii oxycyanatum) wird in !/a-1 Wasser gelöst = Lösung
Rezeptformel: Hyeyan 1 Orig.-Packung
= Gelluloidetuis mit 20 Tabletten = M 1,50.
Zum Nachfüllen Gläser à 50 Tabletten = M 1,50.
Literatur: San.-Rat Dr. Falk (Hemelingen): Quecksilberoxy-
cyanid-Pastillen, eine für den praktischen Arzt besonders empfehlenswerte
Form zur Verhütung von Vergiftungsfällen.
Firma: Dr. R. & Dr. O. Weil, Frankfort a. M.
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1558 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 88. ee
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Ein neuer Handvibrationsapparat
von Dr. G. Flatau, Nervenarzt, Berlin.
Die Vibrationsmassage hat seit lange ihren gesicherten Platz in
der Therapie. Auch eine große Reihe von nervösen Erkrankungen wird
mit Erfolg durch Vibrationsmassage behandelt, mindestens bildet sie im
Heilplane vieler nervöser Krankheitsformen einen sehr wichtigen Be-
standteil,
Schon lange hat es sich als zweckmäßig herausgestellt, dem Arzt
und dem Kranken die Möglichkeit zu geben, sich von den großen, durch
elektrische Kraft, Kohlensäurebetrieb, größere, durch den Fuß anzu-
treibende Werke in Bewegung gesetzten Vibrationsmaschinen unabhängig
zu machen. Dazu sind Handapparate angegeben worden, die in vieler
Beziehung als brauchbar anzusehen waren, aber auch Mängel aufwiesen,
weil sie noch zu groß und unhandlich waren. Auch übertrug sich die
Vibration viel zu sehr auf die Hand des Anwendenden und wirkte zu
wenig auf den Patienten. |
Jetzt habe ich einen Handapparat versucht (Macaura Pulsoconn) ’),
welcher diese Mängel vermeidet. Dieser Apparat hat nur eine Länge
von btwa 39 cm und ein so geringes Gewicht, daß er vom Arzte leicht
überall mitgeführt werden kann. Der Antrieb geschieht durch eine seit-
lich angebrachte Kurbel; die Zahnradübersetzung ist nicht sichtbar. Die
Dosierung geschieht durch die Schnelligkeit der Kurbeldrehung und durch
eine Gewichtsverstellung an einer Exzenterscheibe. Der Ansatz wird in
eine drehende, stoßende Bewegung versetzt und läßt sich für die ver-
schiedenen Anwendungen auswechseln.
| Der Apparat wird sich als brauchbar in der Hand des Arztes er-
weisen und wird solchen Aerzten, welche sich keinen großen Apparat
anschaffen, die Möglichkeit geben, sich einer nahezu perfekten Vibrations-
massage zu bedienen. In einigen Fällen kann solchen Patienten, welche
nicht in die Sprechstunde kommen können, der Apparat übergeben
werden, um sich desselben selbst zu bedienen, oder durch häusliche Hilfe
nach ärztlicher Vorschrift ihn anwenden zu lassen.
Wenn der Griff nicht glatt, sondern gerieft wäre, könnte der
Apparat nur gewinnen, da sich der Griff dann besser festhalten läßt.
Bücherbesprechungen.
Ludolf Krehl, Pathologische Physiologie. Mit einem Beitrage von
E. Levy (Straßburg). Siebente neu bearbeitete Auflage. Leipzig 1912,
F. C. W. Vogel. 726 Seiten, M 17,—.
Krehl hat, bevor er sich zur Neuauflage seiner „Pathologischen
Physiologie“ entschloß, reiflich den Gedanken erwogen, im Hinblick auf
die Ueberfülle der erschienenen Literatur für die einzelnen Kapitel des
Werkes berufene Spezialforscher heranzuziehen; nur mit Zagen übernahm
er selbst die alleinige Gestaltung dieser siebenten Auflage. Die Erfahrung,
die man oft, und nicht nur in der medizinischen Wissenschaft, macht,
bestätigt sich auch hier, daß solche nur mit Bedenken in die Welt ge-
sandten Bücher alles Lob verdienen, einfach darum, weil ihre Autoren
von sich geradezu Unerreichbares verlangen und somit das, was sie
bieten, schon das Höchste ist. Und so hat denn auch Krehl in der vor-
liegenden Ausgabe, die die mir gerade erreichbare vierte Auflage (1906)
z. B. rein äußerlich um fast 100 Seiten übertrifft, aus dem Gebiete der
pathologischen Physiologie viel und genug des Neuen und Neuesten be-
rücksichtigt und verarbeitet mit der ihm eignen Meisterschaft. Wer
nachzudenken sich bemüht, wie dieses wunderbare Leben sich am Kranken
gestaltet, wer verstehen will, wie die krankhaften Erscheinungen sich
aus den gesunden entwickeln, wird in diesem Buche Belehrung finden.
Mag es sich immer mehr in der Bücherei der Allgemeinpraktiker einen
Platz erobern, wenn.es auch nicht direkte diagnostische und therapeutische
Fingerzeige enthält! Emil Neißer (Breslau).
6. Pfalz, Die Spruchpraxis des Reichsversicherungsamts bei
Augenverletzungen und Sehstörungen. Stuttgart 1912, F. Enke.
28 Seiten. M 1,20.
Verfasser, Direktor der akademischen Augenklinik in Düsseldorf,
gibt hier in Form eines Vortrags einen Umriß des Standpunkts, den das
Reichsversicherungsamt gegenwärtig in der Beurteilung von Augen-
verletzungen und Sehstörungen einnimmt. Eine besondere Kritik daran
zu üben, erübrigt sich im Hinblick auf die aus vielfältigen Reichs-
versicherungsamtsentscheidungen sich aufbausenden Unterlagen und die
daran geknüpften sachgemäßen Schlußfolgerungen. - Fr.
1) Zu beziehen von Macaura Pulsoconn, Berlin NW, Dorotheen-
straße 31.
22, September.
C. Nauwerck, Sektionstechnik für Studierende und Aerzte,
Fünfte, neu bearbeitete Auflage. Mit 101, teilweise farbigen Abbildungen,
Jena 1912, G. Fischer. 259 Seiten. M 6,50. el
Das preiswerte Buch zeichnet sich durch seine Uebersichtlichkeit
und die fast durchweg mustergültig instruktiven Bilder aus. Den Sektions-
vorschriften liegt im wesentlichen das Virchowsche Verfahren zugrunde,
doch ist es ergänzt; auch die Technik nach Chiari und Heller ist ein-
gefügt. Erwähnt seien die leicht verständlichen Vorschriften über das
Verfahren bei der Einbalsamierung und die von Reichardt in Würzburg
in einem besonderen Kapitel dargestellten Messungen über Gewichts- und
Volumenbestimmung von Gehirn und Schädelhöhle. Auch die sonst
schwer zugängige Herzsektion nach Wilh. Müller ist geschildert.
E Bennecke (Jena).
Sigm. Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 4., vor-
mehrte Auflage, Berlin 1912, S. Karger., 1988. Md,— = >
Freud hat in dieser, in dritter Auflage erscheinenden Schrift
eine Reihe anscheinend verschiedener, in Wahrheit aber doch: eng‘ ver-
wandter und als „Fehlhandlungen‘ in weitestem Sinne aufzufassender,
zugleich den psychoneurotischen Symptomen irgendwie näherstehender
Themen zusammengefaßt.. Das Vergessen von Eigennamen, von fremd-
sprachigen Worten, von. Namen und Wortfolgen,. von Eindrücken und
Vorsätzen, das Versprechen, Verlesen und Verschreiben, Vergreifen, die
Symptom- und Zufallshandlungen, Irrtümer, kombinierten Fehlleistungen
und ähnliches. Es versteht sich von selbst, daß alle diese Einzelerörte-
rungen nach den für Freud ein für allemal als gültig vorausgesetzten
leitenden Gesichtspunkten und mit den Hilfsmitteln seiner psychoanalyti-
schen Methode ins Werk gesetzt werden. In dem. den Schluß bildenden
größeren Kapitel, das die Ueberschrift trägt: „Determinismus — Zufalls-
und Aberglauben - Gesichtspunkte“ stellt er als „allgemeines Ergebnis“
dieser Einzelerörterungen die.Einsicht hin: „Gewisse Unzulänglich-
keiten unserer psychischen Leistungen und gewisse ab-
sichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen sich, wenn
man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf
sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewußtsein
unbekannte Motive determiniert.“ Die richtige Beurteilung der
sonderbaren psychischen Arbeit, welche die Fehlhandlung (wie auch die
Traumbilder) entstehen läßt, wird erst durch die Erfahrung ermöglicht,
daß die psychoneurotischen Symptome, speziell die psychischen Bildungen
der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihren Mechanismen alle wesent-
lichen Zuge dieser Arbeitsweise wiederholen. Es wird so für zwei oft
wiederkehrende Behauptungen — daß die Grenze zwischen nervöser
Norm und Abnormität eine fließende und daß wir alle ein wenig nervös
seien — Sinn und Unterlage gewonnen! Der gemeinsame Charakter der
leichtesten wie der schwersten Fälle, an dem auch die Fehl- und Zufalls-
handlungen Anteil haben, liegt in der Rückführbarkeit der Phäno-
mene auf unvollkommen unterdrücktes, psychisches Mate-
rial, das, vom Bewußtsein abgedrängt, doch nicht jeder
Fähigkeit, sich zu äußern, beraubt worden ist.
A. Eulenburg (Berlin).
Rudolf Grashey, Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen
Menschen. Zweite, bedeutend erweiterte Auflage. Mit 207 Tafel-.
bildern (Autotypien) in Originalgröße und 201 Textabbildungen (Kontur-
zeichnungen, Situationsskizzen u. a). München 1912, J. F. Lehmanns
Verlag. 2148. M 20,-. | |
Schon die erste Auflage des Grasheyschen Werkes war, da -sie
einem wirklichen Bedürfnisse entsprach, allgemein bestens aufgenommen
worden. Dies geht auch aus der Notwendigkeit hervor, schon nach
relativ kurzer Zeit eine zweite Auflage herstellen zu müssen. Diese hat
aber durch viele Bereicherungen außerordentlich gewonnen. Nicht nur
daß dem Werk eine in jeder Hinsicht mustergültige Darstellung der
Untersuchungstechnik vorangestellt wurde, tragen zahlreiche Abbildungen
von Skelettstücken, die jetzt neu aufgenommen wurden, zum Verständ-
nisse der Röntgenogramme viel bei. Auch die eingehende Berücksichtt-
gung der Varietäten und der Röntgenbefunde in verschiedenen Ent-
wicklungsstadien des Knochensystems erhöht den Wert dieses Werkes.
Referent möchte das Buch weder in seinen Vorlesungen noch für
seinen Privatgebrauch missen. Es ist ein wahres Standard-Work, be-
rufen, einen gesicherten Platz in der Meisterliteratur unseres Faches
einzunehmen, | L. Freund,
Hans Schmidt, Die aromatischen Arsenverbindungen, ihre
Chemie nebst einem Ueberblick über ihre therapeutische
Verwendung. Berlin 1912, Julius Springer. 92 S. M 2,80.
Die kleine Schrift soll an erster Stelle dem Chemiker und „Ühemo-
therapeuten“ die Möglichkeit bieten, sich in Kürze über die in den letzten
J: ahren plötzlich stark ängewachsenen chemischen Arbeiten der aroma.
tischen As-Verbindungen zu orientieren. Zunächst werden -die syntheti-
. 22. September.
schen Methoden besprochen, die As in den Benzolkern einführen: dann
folgt eine Aufzählung der dargestellten aromatischen As-Verbindungen,
geordnet nach den ÖOxydationsstufen, ferner der am As halogenierten
und geschwefelten aromatischen As-Verbindungen, mit Anfügung der
weiteren-bereits im Benzolkern substituierten Gruppen (Carboxyl-, Sulfo-,
Nitro- usw. Gruppe). | |
Die kurzen, übersichtlichen, mit entsprechenden Literaturbelegen
versehenen Darstellungen geben ein gutes Bild, welch ausgedehnte Förde-
rung dieses bislang etwas abseits liegende Gebiet der Chemie durch die
Ehrlichschen Forschungen erfahren hat und rücken vor allem auch den
bedeutenden, von den Medizinern meist gar nicht gekannten Anteil
Michaelis und seiner Schule in die richtige Beleuchtung.
Ein kleiner Abschnitt orientiert schließlich noch über die Analyse
der aromatischen As-Verbindungen und das Ende macht ein Ueberblick
. über die therapeutische Verwendung. So instruktiv und brauchbar die
` vorhergehenden Kapitel sind, diesem letzteren kann nicht ganz bei-
gepflichtet werden. Es läßt etwas die kritische Sichtung der einschlägigen
medizinischen Literatur vermissen und kann dadurch dem nicht vor-
gebildeten Praktiker, namentlich aber dem Chemiker ein verzeichnetes
| Bild geben. von den Velden (Düsseldorf).
Erich Rattin, Klinik der serösen und eitrigen Labyrinthent-
zündungen. Mit einem Vorworte von Prof. Dr. Viktor Urban-
tschitsch. Mit 23 Figuren im Texte. Wien und Leipzig 1912, Josef
Safář. 196 S. M 6,50.
„Die Erkrankungen des Labyrinths sind gegenwärtig in den Brenn-
punkt des Interesses der ohrenärztlichen Fachkreise gerückt, und mit
vollem Rechte, denn die Erkenntnis der Labyrintberkrankungen bean-
sprucht unsere größte Beachtung nicht nur wegen der funktionellen
Wichtigkeit dieses Organs, sondern auch wegen der vitalen Bedeutung
einer Fortleitung entzündlicher Prozesse vom Labyrinth auf die Schädel-
höhle. Besonders die Wiener Schule hat die Kenntnisse über die dem `
gesunden und kranken Labyrinth, vor allem dem Vestibularapparate zu-
kommenden Erscheinungen wesentlich gefördert und besitzt auch in thera-
peutischer Beziehung eine reichliche Erfahrung.“ Das vorliegende Buch
enthält zuerst eine Darstellung der Funktionsprüfung sowohl der Schnecke
wie des Vestibularapparats, ferner der entzündlichen Erkrankungen und
der Verletzungen des Lebyrinths, und schließlich eine Kasuistik von 108
operativ behandelten, genau beobachteten Fällen. In klarer und leicht ver-
ständlicher Form gibt es uns also eine auf einem großen Material basie-
rende Klinik der Labyrinthentzündungen. Ernst Barth.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 38,
| 1559
ee aaa eao
H. Gocht, Die Röntgen-Literatur. II. Teil: Sachregister. Stuttgart
1912, Ferd. Enke. 5888. M 15,—. |
Im Auftrage' der Deutschen Röntgengesellschaft hat der geschätzte
Autor unter Mitarbeit eines Literatur-Sonderausschusses das gesamte
Material nach bestimmten Gesichtspunkten in fünf Abschnitten gruppiert,
in denen die zusammenfassenden Darstellungen, die Arbeiten aus dem
Gebiete der Röntgenphysik und -technik, der Diagnostik, Therapie und
der sozialen Bedeutung des Röntgenverfahrens gesammelt erscheinen.
Wenn auch naturgemäß noch nicht ganz lückenfrei, bietet das Werk doch
Jetzt schon dem wissenschaftlich Arbeitenden einen wertvollen Behelf
und Führer in dem schier unübersehbaren Chaos der Röntgenliteratur.
| Freund.
Paul Ehrlich, Abhandlungen überSalvarsan. Bd. II. München 1912,
J. F. Lehmanns Verlag. 609 Seiten. M.10,—.
Ehrlichs zweiter Band von Salvarsanabhandlungen aus der
Münchener medizinischen und einigen andern Wochenschriften bietet im
Vergleich zu dem ersten, vor etwa einem Jahre hier besprochenen Werke
einen Begriff von der Reichhaltigkeit der Salvarsanliteratur, er ist drei-
bis viermal so stark als der erste Band, der uns schon eine so reiche
Fülle von Arbeiten brachte. Das Wichtigste und dabei auch das Neueste
sind naturgemäß Ehrlichs eigne ausgedehnte Schlußbemerkungen, die
seine ganze Anschauung von der Salvarsanfrage darlegen. Die Einteilung
des Werkes in: Abhandlungen über Technik, Wasserfehler, intravenöse In-
jektion, Verhalten des Organismus und Ausscheidung, allgemeine Erfah-
rungen, Salvarsan bei Syphilis des Nervensystems und N eurorezidive, Sal-
varsan bei viszeraler Syphilis, Nebenwirkungen und Todesfälle, Salvarsan
bei Tropenkrankheiten und bei andern Krankheiten, allgemeine Be-
merkung und Ehrlichs eigne Schlußbemerkungen, gibt eine Uebersicht
über den reichhaltigen Inhalt der Sammlung, die so in handlicher Form
die wichtigste Literatur zusammenfaßt. Pinkus.
S. Jeßner, Hautveränderungen bei Erkrankungen der Leber.
Würzburg 1912. C. Kabitzsch. 23 S. M 0,60: |
Jeßner bespricht kurz die verschiedenen Veränderungen der Haut
(vor allem Ikterus) bei Leberaffektionen und das Zustandekommen des
Ikterus, der Gefäßveränderungen des Bauches, das Xanthom. Pinkus.
F. Walther und O. Rigler, Dr. G. Becks Therapeutischer Alma-
nach. 39. Jahrgang. Leipzig 1912, Benno Konegen. 464 Seiten.
Ein handliches Nachschlagebüchlein voll brauchbarer Ratschläge,
neuerdings geordnet nach Organerkrankungen; es enthält jeweilen die im
vergangenen Jahr erprobten Neuerungen. Gisler.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung)
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80,
Tod an eitriger Gehirnhautentzündung als Folge einer
21] Monate zurückliegenden Kopfverletzung
von
| Dr. Wildt,
dirigierender Arzt am St. Josephshospital zu Andernach.
(Schluß aus Nr. 37.)
‚.. Pie Wunde war in vier bis fünf Tagen zugeheilt, und trotz
Mißhandlung mit einem Pflaster war sie nach einigen Tagen
wieder — und nun offenbar dauernd — zugeheilt. Die ganze
_ Narbe hatte nur 1 em Länge; sie war auf der Unterlage ver-
schieblich, der Knochen darunter zeigte keine Spur von Verletzung.
Danach kann es sich also nur um eine ganz oberflächliche Haut-
verletzung gehandelt haben, der Knochen war an der Verletzung
überhaupt nicht beteiligt. Nun könnte trotzdem eine Verletzung
am Gehirn ,®feine Blutung innerhalb der Schädelhöhle vorhanden
Söwesen sein, dagegen spricht aber einerseits der Leichenbefund,
anderseits das Verhalten des Verletzten. Keine Spur von Be-
&ubung, kein Erbrechen, nichts, was eine Gehirnstörung andeuten
könnte, machte sich bemerklich, Th. rief sofort, eilte die Leiter.
inauf, um sich im Bureau verbinden zu lassen. Das tut nie-
mand, der eine Gehirnerschütterung oder eine Blutung innerhalb
des Schädels erlitten hat. Da nun auch, wie schon erwähnt
wurde, absolut nichts darauf hingedeutet hat, daß die kleine
unde infiziert worden war — es war wochenlang kein Fieber
vorhanden, die kleine Wunde heilte schnell: und anstandslos —,.
80 kann auch ich, wie andere Gutachter mit an Sicherheit grenzen-
der Wahrscheinlichkeit das Gutachten abgeben, daß zwischen der
Unfallverletzung und der Todeskrankheit ein unmittelbarer ur-
sächlicher Zusammenhang nicht besteht, daß aber mit großer
Yahrscheinlichkeit die Todeskrankheit von einer Ohreiterung aus-
gegangen ist, | Ä
die mit der Zeit immer schlimmer wurden.
Es bleibt also nun noch die. bereits in den Akten auf-
geworfene Frage zu beantworten, .ob etwa der Unfall eine un-
günstige Einwirkung auf ein bestehendes Ohrenleiden ausgeübt
und dadurch mittelbar zur Entstehung der Todeskrankheit bei-
getragen habe. Da ein Ohrenleiden nur vermutet wird, so kann
| selbstverständlich ein direkter Beweis für eine Verschlimmerung
eines solchen durch den Unfall überhaupt nicht erbracht werden,
sondern es kann sich auch hier nur darum handeln, nachzu-
forschen, ob Gründe vorhanden sind, welche eine solche Ver-
schlimmerung wahrscheinlich machen. Den Ausschlag muß in
dieser Frage geben, ob von dem Unfall ab ununterbrochen Krank-
heitserscheinungen vorhanden waren und zutrefiendenfalls, ob
diese Erscheinungen mit der Annahme einer Verschlimmerung
eines Ohrenleidens in Einklang stehen und ob sie nicht auf andere
Weise erklärt werden könnten. | |
Die Grundlage für die Entscheidung dieser Fragen bilden
die Aussagen der Mitarbeiter des Th., vor allen diejenigen des
Zeugen S. In der verschiedenen Bewertung dieser Zeugenaussagen
liegt der Hauptgegensatz zwischen dem Urteile des Schiedsgerichts
und demjenigen der begutachtenden Professoren. Ich meinerseits
kann die Aussagen des p. S. unmöglich wörtlich nehmen, denn
ich halte es für ausgeschlossen, daß Th. zwei Monate lang tag-
täglich, also die Sonntage nicht ausgeschlossen, dem S. über
Kopfschmerzen geklagt haben soll, ich muß aber durch die Aus-
sagen dieser Zeugen wie durch diejenigen der Aerzte Dr. H. und
Dr. W. für nachgewiesen erachten, daß der Unfallverletzte, der
früher nicht über Kopfschmerzen geklagt hatte, seit dem Unfall
ohne wesentliche Unterbrechung an Kopfschmerzen gelitten hat,
Ob diese Kopf-
schmerzen nur an der linken Seite oder auch im Hinterkopfe ver-
spürt wurden, ist für ihre Beurteilung ganz gleichgültig, denn
aus dem vorher Ausgeführten ergibt sich ohne weiteres, daß
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
keinerlei Anhalt dafür vorliegt, diese Schmerzen mit dem Unfall
in . unmittelbare Verbindung zu bringen. Der Unfall hat gar
keine nachweisbaren Veränderungen im Innern des Schädels ge-
macht und die kleine Hautnarbe kann unmöglich die Kopfschmerzen
erzeugt haben. Diese müssen aber doch einen Grund gehabt
haben, und so steht nun zunächst die Frage zur Entscheidung,
ob sie durch ein Ohrenleiden bedingt sein könnten. Diese Frage
muß bejaht werden, um so mehr, als die Schmerzen, wie aus der
ärztlichen Beobachtung unzweifelhaft sich ergibt, nicht nur im
Bereiche der Unfallverletzung, auch nicht nur in dem der späteren
Eiterung, sondern schon frühzeitig auch im Hinterkopfe verspürt
wurden. Selbst die Empfindlichkeit der Hinterhauptnerven könnte
man, wie Herr Prof. L. getan hat, dafür verwerten, ‚daß ein
Ohrenleiden vorhanden war, wenn ich auch darauf aufmerksam
machen muß, daß, wenn ich recht lese, Dr. H. von Druck- auf den
rechten Hinterhauptnerv schreibt, während die hauptsächlich er-
kraukte Seite die linke war. Immerhin würde auch in dieser
Beobachtung kein Gegenstand gegen die Annahme einer Ohren-
entzündung zu finden sein.
.: Ich komme also zu dem Schlusse, daß die größere Wahr-
scheinlichkeit dafür spricht, daß die Kopfschmerzen, welche Th.
hatte, von einem Ohrenleiden herrührten, und da diese Schmerzen
erst mit dem Unfall eintraten und von da an ununterbrochen zu-
nahmen, so muß. wiederum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
angenommen werden, daß sie durch den Unfall hervorgerufen
wurden, das heißt, daß dieser ein latent bestehendes ÖOhrenleiden
so verschlimmert hat, daß schließlich aus ihm die Todeskrankheit
hervorging. Ein mittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen
dem Unfall und der Todeskrankheit ist demnach mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit festgestellt.
Hierzu äußerte sich Prof. L. noch einmal. Die von Herrn
Geh. Rat O. in seinem Obergutachten vom 8. September d. J.
über den Fall P. Th. vorgetragene Auffassung deckt sich in allen
medizinischen Fragen mit den von mir in meinem Gutachten vom
9. Mai 1909 und 4. Januar 1910 ausgesprochenen Ansichten. Be-
sonders in dem letzteren hatte ich bereits geschrieben: die Frage,
ob ein altes Ohrenleiden durch den Unfall wieder aufgerührt und
somit die Veranlassung zu einem Uebergreifen auf das Gehirn
gegeben hätte, müßte mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr-
scheinlichkeit bejaht werden, wenn man auf Grund der Zeugen-
aussagen zu der Ueberzeugung käme, daß bei dem Verstorbenen
seit dem Unfall unaufhörlich Kopfschmerzen bestanden hätten.
Herr Geh. Rat O. hat in seinem Gutachten sich dahin geäußert,
daß er aus den Aussagen des Zeugen S. und der Aerzte Dr. H.
und Dr. W. es für nachgewiesen erachte, daß der Unfallverletzte,
der früher nicht über Koptschmerzen geklagt hätte, seit dem Un-
fall ohne wesentliche Unterbrechung an Kopfschmerzen gelitten
habe, die mit der Zeit immer schlimmer wurden. Es ist sicher
keine ärztliche Frage, inwieweit man den Zeugenaussagen diese
Bedeutung beimessen will. Ich bin aus dem Studium der Akten
weder früher noch jetzt zu der Ueberzeugung gekommen, daß seit
dem Unfall unaufhörlich Kopfschmerzen bestanden hätten. Von
ärztlicher Seite sind zum erstenmal am 19. Januar 1909, das
heißt mindestens acht Wochen nach dem Unfalle Kopfschmerzen
festgestellt worden und diese wurden mit großer Wahrscheinlich-
keit damals durch die akute fieberhafte Erkrankung, gleichviel ob
man sie auf eine Influenza oder auf eine tuberkulöse Lungen-
spitzenerkrankung beziehen will, hervorgerufen. Gerade die Tat-
sache, daß damals als Th. Angaben über Kopfschmerzen machte,
weder von ihm noch von seiner Frau ein Wort über den Unfall
verloren wurde und auch nichts von bereits seit acht Wochen be-
stehenden und immer stärker werdenden Kopfschmerzen verlautete,
spricht nach meiner Ueberzeugung gegen die Annahme, daß seit dem
Unfalle Kopfschmerzen bestanden haben und damit würden auch
die Voraussetzungen des Schlußgutachtens des Herrn Geh. Rat O.,
dem ich mich ja sonst vollkommen anschließe, hinfällig werden.
Ich kann, wehn ich von den Aussagen des S. absehe, die ja auch
von Herrn Geh. Rat O. nicht wörtlich genommen werden, nur das
für festgestellt halten, daß seit dem 19, Januar Kopfschmerzen
bestanden haben. Es wäre nun sehr wohl möglich, daß, wenn es
sich damals um eine Inflüenza handelte, durch sie das alte Ohren-
leiden verschlimmert worden ist und nicht durch den Unfall schon.
Es ist ja ungemein häufig, daß es im Verlauf einer Influenza zu
akuten Mittelohrentzündungen kommt, die bei dem Bestehen eines
älteren Ohrenleidens dann verhängnisvoll werden können. Auch
wenn man, wie ich früher betont habe, die akute, fieberhafte Er-
krankung im Januar auf die bei der Sektion gefundene Lungen-
spitzentüberkulose beziehen will, so wäre ès durchaus nicht un-
' möglich;"" daß hierdurch -ein altes Ohrenleiden ‚verschlimmert
worden ist, da dies auch bei jeder im Fortschreiten begriffenen
Tuberkulose eintreten kann. Gerade weil infolge der mangelhaften
Sektion und durch das Fehlen mikroskopischer Untersuchungen,
die ein einigermaßen zuverlässiges Urteil über das Alter der Ge-
birnentzündung gestattet haben würden, so viele Möglichkeiten
der Erklärung vorliegen, kann ich mich nicht entschließen, das
Urteil dahin abzugeben, daß mit überwiegender Wahrscheinlich-
keit durch den Unfall ein bestehendes älteres Ohrenleiden ver-
schlimmert und dadurch die tödliche Krankheit verursacht worden
wäre, sondern ich kann, wie ich das bereits in meinem früheren
Gutachten auseinander gesetzt habe, diesen Zusammenhang nur
als einen möglichen bezeichnen. Lediglich die in dem Urteile des
Arbeiter-Schiedsgerichts vom 8. November 1909 für wesentlich er-
klärten Aussagen des S.. sind geeignet, einen kontinuierlichen Zu-
sammenhang zwischen Unfall und tödlicher Erkrankung wahr-
scheinlich zu machen. Wenn nun aber jetzt durch Vernehmung
vom 19. Juli 1910 hervorgeht, daß S. den Th. wiederholt am
Krankenbette, das heißt nach dem 19. Januar besuchte und da-
mals Th. über Kopfschmerzen in der Stirngegend geklagt hat, so
ist es doch durchaus möglich. ja sogar wahrscheinlich, daß S.
diese Klagen, nachdem soviel Zeit vergangen ist, in eine frühere
Zeit verlegt. Wenn ich auch Herrn Geh. Rat O. in der Haupt-
sache darin beistimme, daß es für die Beurteilung gleichgültig
ist, ob die Kopfschmerzen nur an der linken Seite oder auch am
Hinterkopfe verspürt wurden, so scheint es mir doch von Bedeu-
tung, wo die vom 19. Januar .an verspürten Kopfschmerzen loka-
lisiert wurden; denn die im Verlaufe von akuten fieberhaften Er-
krankungen so häufig bemerkten Kopfschmerzen pflegen gerade
allgemeine zu sein. Das macht es mir doch wahrschein-
licher, daß eben diese Kopfschmerzen nicht direkt mit denen
zu tun haben, die dann in den letzten drei. Wochen vor dem Tode
von den Aerzten beobachtet worden sind und augenscheinlich mit
dem Gehirnleiden im Zusammenhange standen.
Das Urteil des Reichs -Versicherungsamts hat folgenden
Wortlaut: | |
Das Reichs-Versicherungsamt hat sich nach eingehender
Würdigung der gesamten Beweiserhebungen der Entscheidung des
Schiedsgerichts in ihrem Endergebnis angeschlossen, ohne zu ver-
kennen, daß bei der Unmöglichkeit, einen sicheren Anhalt für die
Ursache der Krankheit, die zum Tode des J. Th. geführt hat, zu
gewinnen, — einen Mangel, der durch die Unvollständigkeit der
Leichenöffnung verschuldet worden ist — eine zweifelfreie Klä-
rung der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhange zwischen
dem Unfalle vom Ende November 1908 und dem Tode des ver-
letzten Th. am 19. Februar 1909 nicht hat erreicht werden können.
Immerhin hat das Reichs-Versicherungsamt die Ueberzeugung ge-
wonnen, daß eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine ur-
sächliche Beziehung zwischen dem Unfalle Th.s und seinem Tode
vorhanden ist. Der Auffassung des Schiedsgerichts, daß das
Leiden, welches den Tod des Th. zur Folge gehabt hat, durch die
Kopfverletzung des Verstorbenen im November 1908 unmittelbar
verursacht worden sei, konnte allerdings nicht beigetreten werden.
Das Reichs-Versicherungsamt ist in dieser Hinsicht den insoweit
übereinstimmenden Gutachten der ärztlichen Sachverständigen
Prof. Dr. L., Prof. G., Dr. S. und Prof. O. gefolgt, die nach An-
sicht des Rekursgerichts in überzeugender Weise die Gründe dar-
getan haben, die einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang®
zwischen dem Unfall und dem Tode des Verletzten ausschließen.
Dagegen hat das Reichs-Versicherungsamt in Uebereinstimmung
mit dem von ihm gehörten Obergutachter angenommen, daß der
Unfall ein verborgen bestehendes Ohrleiden so verschlimmert hat,
daß schließlich aus ihm die Todeskrankheit hervorgegangen ist.
Auf einer unerschütterlichen Grundlage beruht diese Annahme frei-
lich nicht. Die Ausführungen, die Prof. O. zu dieser Frage 8%
macht hat, geben ihr aber nach der Ansicht des Rekursgerichts
einen für die Gewinnung der richterlichen Ueberzeugung genügend
hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Die Darlegungen des Prof.
Dr. L. in seinem zuletzt erstatteten Gutachten, mit denen er die
Ansicht des Prof. O. bekämpft, konnte das Reichs-Versicherungs-
amt, so beachtlich sie ohne Zweifel sind, doch nieht als aus-
schlaggebend ansehen. Da nach der ständigen Rechtsübung des
Reichs-Versicherungsamts das Bestehen eines mittelbaren ursäch-
lichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und dem Tod eines
Versicherten die Verpflichtung der Berufsgenossenschaft be-
gründet, den Hinterbliebenen die gesetzliche Entschädigung ZU
gewähren, war hiernach dem Rekurse der Beklagten der Erfolg zu
versagen. |
92. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
1561
Kon greß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
6. Internationaler Kongreß für Gynäkologie und Geburts-
hilfe vom 9. bis 13. September 1912 in Berlin.
Originalbericht von Dr. Aschheim, Berlin.
Am 9. September fand die Eröffnungssitzung des VI. inter-
nationalen Kongresses für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Berlin statt
In den Prachträumen des Herrenhauses war den Teilnehmern eine gast-
liche und glänzende Aufnahme bereitet. Wohl konnte man damit rech-
nen, daß Berlin als Kongreßstadt seine Anziehungskraft nicht verfehlen
würde, aber daß die Zahl der Teilnehmer über 600 sein würde, hatte
auch die Kongreßleitung nicht erwartet. Lange Zeit schon vor der Er-
öffnungsstunde sah man die aus der ganzen Welt herbeigeströmten Aerzte
die Räume des Herrenhauses füllen und als Geheimrat Bumm die Fest-
sitzung eröffnete, war Saal und Tribünen überfüllt. |
Nach der Eröffnungssitzung besichtigten die Teilnehmer die Aus-
stellung, die außer den technisch-instrumentellen Dingen hervorragende
Präparate zeigte. Anatomische Präparate hatten die Universitätskliniken
ausgestellt, Zeichnungen Carl Ruge, herrliche Lumiörebilder und
mikroskopische sowie makroskopische Sammlungen Robert Meyer
(Berlin), Frankl (Wien), Pick aus der Landauschen Klinik. Martin
und Sigwart, Liepmann, Straßmann, Falk hatten teils durch
Abbildungen, teils durch Präparate zur Bereicherung der Ausstellung
beigetragen, Blumreich sein Phantom ausgestellt. Ueberall gab es
Neues und Schönes zu sehen und zu lernen.
Am nächsten Morgen begannen um 9 Uhr die Verhandlungen.
Erstes Thema: Die peritoneale Wundbehandlung. Die Referate
weisen eine große Übereinstimmung in allen wesentlichen Punkten auf.
Isolierung des Operationsfeldes durch Abdeckung, sorgfältige Peritonisie-
rung der von Serosa enthüllten Flächen, sichere Blutstillung sind die
Punkte, auf die fast alle Operateure das Hauptgewicht legen und die die
Referenten zum Ausurucke bringen. Die Asepsis in vollkommenster
Weise ist heutzutage selbstverständliche Voraussetzung. Die Mehrzahl
der Operateure bedient sich der Gummihandschuhe. Die Drainage und
die Spilungen des Bauchraums bleiben nur für Ausnahmefälle reserviert.
Die Hauptgefahr für die Operierten werden nicht die Infektionen von
außen, Luftinfektionen haben keine Bedeutung, sondern gefürchtet werden
die Eigenkeime. Die prophylaktische Campherölinjektion (Hoehne) wird
von der Mehrzahl der Operateure abgelehnt. Diese Grundsätze vertritt
Brouha (Lüttich) in seinem Referat; Me yer (Kopenhagen) legt keinen
großen Wert auf die Peritonisierung (ihm schloß sich Veit [Halle] in
der Diskussion an), während Franz in ihr eine Hauptbedingung für
glatten Verlauf erblickt. Einen großen Vorteil sieht F. in der Anlegung
kleiner Schnitte, besonders des Querschnitts. Die Campherölbehandlung
lehnt er ab; er spricht sich für die trockne Behandlung der Bauchhöhle
aus. Auch Macnaughton-Jones (London) vertritt im wesentlichen die-
selben Ansichten. Als Nahtmaterial innerhalb der Bauchhöhle wird, wie
bei uns, hauptsächlich Catgut auch in England benutzt. Lec&ne (Paris)
gibt den gleichen Anschauungen Ausdruck. Auch Resinelli (Florenz)
teilt dieselben, er warnt vor dem Einbringen von Antisepticis und ist
gegen die Campherölprophylaxe. Kouwer (Utrecht) hebt die Bedeutung
der Technik besonders für die Operationen an infizierten Organen hervor;
Lovrich (Budapest), v. Mars (Lemberg), Wertheim äußern gleiche An-
sichten; die Behandlung der subperitoneslen Räume durch Offenhalten
zur Vermeidung von Retention hebt letzterer besonders hervor.
Grusdew (Kasan) empfiehlt die Ausspülungen der Bauchhöhle bei
ÖOperationsshock. J osephson (Schweden) spricht für die sofortige
Relaparotomie bei postoperativer Peritonitis. Beuttner (Genf) hat durch
Umfrage festgestellt, daß mit und ohne Gebrauch von Gummihandschuhen
gleich gute Resultate erzielt werden; daß in der Schweiz wenig die
prophylaktische Campherölbehandlung geübt wird. Recasens (Spanien)
bespricht eingehender die Indikation für die Drainage. v. Ott (Peters-
burg) tritt vor allem für das vaginale Öperieren ein.
An die Referate schlossen sich eine Anzahl zum Thema gehörende
Vorträge. Boldt (New York) sprach für das Frühaufstehen der Lapa-
rotomierten, verlangt aber dabei Immobilisierung des Leibes mit breiten
Jeftpflasterstreifen, die zweimal um den ganzen Leib gelegt werden.
eruntergekommene Individuen, solche mit schlechtem Herzen sollen
vom Frühaufstehen ausgenommen werden. Klotz (Tübingen) empfiehlt
zur Hebung des Blutdrucks bei Peritonitis den Hypophysenextrakt —
Pituitrin — in intravenöser Applikation, der zugleich die Darmperistaltik
und die Diurese anrege und bei Kollapsen die Patienten soweit vorbereite,
daß eine Operation gewagt werden kann; bei postoperativer Peritonitis
soll sofort aufgemacht werden. Höhne (Kiel) spricht auf Grund klini-
scher Erfahrungen für die Reizbehandlung des Peritoneums durch In-
jektion von Campheröl vor der Operation. Holzbach (Tübingen) sieht
den peritonitischen Kollaps als eine Capillarvergiftung, eine periphere
Schädigung der Capillaren an und empfiehlt auch Pituitrin. Sigwart
(Berlin) bespricht die bakteriologische Kontrolle bei Laparotomien, die
Ergebnisse lassen keine sichere Voraussage stellen. Histologische Studien
am Peritoneum haben Mayer (Tübingen) nur negative Resultate gebracht,
die Tierversuche zeigen die Bedeutung des Netzes als Schutzorgan.
Heimann (Breslau) wendet sich auf Grund seiner Tierversuche gegen
die prophylaktische Campherölbehandlung. Hannes (Breslau) spricht
über die Wundversorgung bei der abdominalen Totalexstirpation.
Amann empfiehlt dabei die paravaginale Drainage; der letzte Akt der
Operation soll die Eröffnung der Scheide seiu. Liepmann bespricht die
Bedeutung der bakteriologischen Untersuchung durch die Dreitupfer-
probe bei Operationen. Küster über die Tampondrainage. Hellendahl
weist auf die Bedeutung des Saftes hin, der sich unter den Gummihand-
schuhen ansammele. Rieck bespricht die extraperitoneale Operation bei
vaginalem Vorgehen. Solms teilt seine Methode der extraperitonealen
Stumpfversorgung durch Bildung eines Beckendiaphragmas aus dem
Peritoneum der Plica vesicouterina bei abdominalem Vorgehen mit. Falk
regt, gestützt auf Tierversuche an, bei Bauchfelltuberkulose die Röntgen-
strahlen auf die eröffnete Bauchhöhle einwirken zu lassen. Küstner
erklärt sich als unbedingter Anhänger des extraperitonealen Kaiserschnitts,
den er 73 mal ohne Todesfall ausführte. Henkel und Opitz treten für
den transperitonealen cervicalen Kaiserschnitt ein. Bondy teilt die bak-
teriologischen Untersuchungsresultate bei Küstners Fällen mit. |
In der Diskussion bemerkt Veit (Halle), daß er auf die sorg-
fältige Peritonisierung keinen besondern Wert lege; Schauta fürchtet
beim extraperitonealen Kaiserschnitt die großen Zellgewebswunden und
macht lieber den transperitonealen Schnitt, ohne indes absoluter Gegner
des extraperitonealen Vorgehens zu sein. Er erkennt für manche Fälle
die Berechtigung der Perforation des lebenden Kindes an.
Am zweiten Verhandlungstage wurde die Diskussion fort-
gesetzt.. Fehling sprach gegen Vaceinebehandlung, Sellheim gegen
Campherölprophylaxe, für das extraperitoneale Vorgehen; empfiehlt ferner
die von ihm modifizierte Mikuliezdrainage und das Pituitrin in der
Nachbehandlung. Opitz weist darauf hin, daß man auch Darmprophylaxe
treiben soll durch geeignete Diät vor der Operation, empfiehlt dazu
Yoghurtmilch. Auch Kroemer ist gegen Campherölvorbehandlung, spricht
für die Anwendung von Pituitrin und Physostigmin. Walthard fürchtet
nicht die primäre Infektion des Peritoneums, Gefahr bringe das infizierte
subseröse Gewebe. Fraenkel kritisiert die Art, wie die Statistiken
publiziert werden; hier müsse man anderas Vorgehen verlangen. Baisch
tritt für den extraperitonealen Kaiserschnitt ein und für die großen
Spülungen bei infiziertem Bauchfell. Daels und Töpfer für die extra-
peritoneale Stumpfverlagerung. Gegen das Campheröl wenden sich
v. Franqu6 und Jung. Den Unterschied der Empfindlichkeit bei der
schwarzen und weißen Rasse hebt Stratz hervor. Doederlein präzi-
siert seine Ansichten über den Gummischutz, die Drainage, die großen
Spülungen und den extraperitonealen Kaiserschnitt, für den er lebhaft
eintritt. Dührßen empfiehlt das Solmssche Verfahren des extraperi-
tonealen Kaiserschnitts. Damit schließt die Debatte über das erste
Thema. In der Kaiserschnittfrage stehen sich die Ansichten noch schroff
gegenüber, in der Frage der Campherölvorbehandlung sind die Mehrzahl
der Vortragenden Gegner des Verfahrens. Die Anwendung der Drainage
wird für wirklich infizierte Fälle fast allgemein bejaht.
Das zweite Thema, die chirurgische Behandlung der Uterus-
blutungen in der Schwangerschaft, der Geburt und dem Wochen-
beit, wurde am Nachmittage verhandelt. Couvelaire (Paris) er-
stattete das Referat, Jung (Göttingen) das Korreferat. Ersterer be-
zeichnet als chirurgische Behandlung die Blutstillung auf chirurgischem
Wege durch direktes Entfernen der Gebärmutter, und zweitens die
automatische Blutstillung, die durch den uterinen Muskel erzielt wird,
nachdem der Uterus durch Schnittverfahren entleert ist. Für die Placenta
praevia lehnt Couvelaire im allgemeinen, das heißt da, wo es möglich
ist, ohne Gewalt durch die Scheide zu entbinden, das Schnittverfahren ab.
Der chirurgische Weg erscheint nur berechtigt bei: 1. kompli-
zierter Geburt (Fibrom, Oervixnarben, Beckenverengerung), 2. ungenügen-
der Dehnungsfähigkeit des Gebärmutterhalses, wo Eile nötig ist, 3. In-
fektion der Genitalien — Porrosche Operation.
Für diese außergewöhnlichen Fälle empfiehlt er den transperitonealen
Kaiserschnitt mit oder ohne Entfernung der Gebärmutter.
Bei der vorzeitigen Lösung der normal sitzenden Placenta soll der
Uterus, wenn möglich, auf natürlichem Weg entleert werden, bei mangeln-
der Dehnungsföhigkeit aber. ist das Schnittverfahren anzuwenden, und
wonn der Kaiserschnitt eine Blutinfiltration der Wand des Uterus ergibt,
der Uterus zu entfernen.
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1562 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
Im allgemeinen befolgen die französischen Accoucheure bei obste-
trischen Blutungen die nicht chirurgische Art der Blutstillung und nur
da, wò die üblichen geburtshilflichen Eingriffe versagen oder gefährlich
sind, wenden sie das Schnittverfahren an. u
Jung (Göttingen) als Korreferent empfiehlt:
Bei Schwangerschaft: 1. bei Abortblutungen. digitale Ausräumung
als Verfahren der Wahl, 2. bei zu Abort führenden Myomen die Exstir-
pation des myomatösen Uterus, 3. bei Carcinomen und Gravidität, wenn
operabel, sofortige Radikaloperation, 4. bei penetrierenden Verletzungen
des schwangeren Uterus Laparotomie mit Naht oder Totalexstirpation.
Bei Geburt: 1. bei vorzeitiger Lösung und nicht genügend er-
öffneter Cervix Colpohysterotomia anterior; 2. bei Placenta praevia, leichte
Formen: Metreuryse, die der Wendung überlegen, bei Placenta praevia
totalis Colpohysterotomia anterior; 3. Cervixrisse- sollen genäht werden;
4. Uterusruptur soll durch Laparotomie — Naht oder Exstirpation — be-
handelt werden; 5. Atonie soll durch Erregung der Contraction des Uterus,
eventuell durch Tamponade; nur bei Versagen dieser Mittel durch Exstir-
pation behandelt werden; 6. Bei Inversio uteri Reposition; gelingt sie
nicht, Exstirpation des Uterus. | i
Im Wochenbett ist bei Zurückbleiben von Eiresten zunächst
Secale zu versuchen, wenn dies versagt, auszuräumen; Myome, die bluten,
sind operativ zu beseitigen, desgleichen Carcinome. Ä
Zur temporären Bilutstillung durch Aortenkompression empfiehlt er
den Momburgschen Schlauch.
Der deutsche Referent redet also im allgemeinen den chirurgischen
Verfahren mehr das Wort als der Franzose; die Vorschläge Jungs
nehmen aber doch weit mehr Rücksicht auf die klinische Geburtshilfe
und lassen den Verhältnissen in der Praxis nicht die genügende Beach-
tung zukommen. Hier kann doch, man mag ein noch so begeisterter An-
hänger der Forderung, bei Placenta praevia auch das Kind retten zu
müssen, sein, nur die Rücksicht auf das Leben der Mutter unser Handeln
entscheiden. In der Klinik wird man ohne Bedenken den Vorschlägen
des deutschen Referenten folgen können und wollen, in der Außenpraxis
aber mehr die französischen Methoden anwenden müssen.
In der Diskussion tritt auch das Bestreben, die Kinder durch die
Operation zu retten, hervor.
Davis (Philadelphia) ist für die Sectio caesarea bei schweren
Fällen von Placenta praevia; bei atonischen Blutungen ist er für Kom-
pression der Aorta als vorübergehend anzuwendendes Mittel. Die vagi-
nale Tamponade der Placenta praevia ist zu verwerfen.
Zweifel ist im allgemeinen får Metreuryse, da er aber auch
hierbei Verblutungen sah, so ist er bei Placenta praevia totalis, ausgetra-
genem lebenden Kind und aseptischem Geburtskanale für die Sectio
caesarea. Bei schweren Atonien in der Praxis Tamponade mit säurefreiem
Lig. ferri 1:4 Aqua, das mit Jodoformgaze aufgenommen wird.
Pankow ist für die Sectio caesarea; Mayer hat Bedenken
gegen die Anwendung des Momburgschen Schlauches, besonders bei
geschädigten Nieren. Jolly empfiehlt die Anwendung eines besonderen
großen Metreurynten bei Atonien, Hirsch die direkte Injektion von
Secacornin in die Portio, Solms bespricht die Naht hoher Cervixrisse.
Foges hatte bei Atonien gute Erfolge vom Pituitrin; Re-
casens ist bei Placenta praevia für die Sectio caesarea. Auch
Krönig empfiehlt die Sectio caesarea bei Placenta praevia; bei Atonien
den Momburg und das Gaußsche Aortenkompressorium. Stratz spricht
sich für Braxton Hicks aus, während Dührssen auf die einfache Aus-
führung des vaginalen Kaiserschnitts, auf dem Metreurynter hin-
weist und ibn empfiehlt. Schluß der Diskussion.
Während am Abend vorher Bumm die Kongreßteilnehmer im
Hotel Adlon als seine Gäste geladen hatte, wo der Abend in angeregtester
Weise verlief, folgte ein großer Teil der Mitglieder am dritten Abend
der Einladung der Stadt Berlin ins Rathaus, wo sie Oberbürgermeister.
Wermuth willkommen hieß. Bumm dankte der: Stadt Berlin, der Ver-
treter Englands, der berühmte und trotz seines hohen Alters bewunderns-
wert rüstige Sir A. Simpson aus Edinburg, sprach von seinen Berliner -
Erinnerungen aus den vierziger Jahren; Franzosen und Italiener priesen
die Wissenschaftlichkeit der deutschen Aerzte. (Schluß folgt.)
m: - Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
Klinischer Abend vom 17. Mai 1912 (Allerheiligenhospital).
Beerwald (Altheide):. Modifikation des Sahlischen Hämo-
meters. Es befindet sich dabei die zu untersuchende Flüssigkeit zwischen
zwei Teströhren, in unmittelbarem Kontakt mit ihnen. Es sind Ar-
beiten im Gange, eine haltbare, auf 100 eingestellte Testflüssigkeit her-
zustellen. | |
Brade: 1. Die anfänglichen Erscheinungen des vorgestellten Falles
von Lungenhernie infolge Unfalls (kindskopfgroße Vorwölbung, Haut-
emphysem, dauerndes Wallen an der betreffenden Stelle) und die damit
verbundenen Beschwerden sind in schnellem Rückgange begriffen; ein
chirurgischer Eingriff dürfte sich erübrigen. | I
2. Zwei Fälle von Verletzungen durch elektrischen Stark:
strom. Im ersten ging die eine Wunde ins Kniegelenk herein, darauf
Empyem, Weiterschreiten der Eiterung, Sepsis, Amputation des Beins.
Entstehung in diesem Falle wohl derart, daß der Patient beim Ueber-
_fahrenwerden durch die elektrische Straßenbahn zunächst unverletzt blieb,
nicht hervorgezogen werden konnte, weswegen der Strom, um den Wagen
zurückzuschieben, eingeschaltet wurde, wobei Stromschläge auf den Mann
übergingen. Im zweiten Falle (größere Reihe Brandwunden an den
Beinen) Entstehung durch leichtsinniges Klettern auf einen Mast der
Uebenlandzentrale, dabei Berührung jenseits des Transformators (hier nur
220 Volt Spannung, sonst 5000 Volt, wonach wohl gleich Tod eintreten
würde) und Herunterfallen.
Diskussion: Partsch weist im Anschluß an eigne Fälle darauf
hin, wie auffallend wenig Arbeiter aus elektrischen Betrieben über die
Gefahren seitens des Stroms beim Heraufklettern auf Masten usw. orien-
tiert sind.
Tietze: 1. Fall von Plastik bei Oesophagusfistel nach Kehl-
kopfexstirpation bei Ca. laryngis. Der Erfolg ist gut; es besteht ein
vollkommen geschlossenes Speiserohr; Patient kann sich selbst Nahrung
zuführen, ist rezidivfrei; nur die Sprache läßt zu wünschen übrig. Kleine
Fisteln schließen sich von selbst, wie ein vom 80. November 1911 ope-
rierter, bis jetzt rezidivfreier Fall zeigt.
2. Uebergroße Strumen geben dem Vortragenden Veranlassung,
darauf hinzuweisen, daß in dem kropfreichen Schlesien noch viel in puncto
Aufklärung über die Notwendigkeit der Operation getan werden muß.
Bei der Operation können Luftembolien und Einwirkung aufs Herz pein-
liche Zwischenfälle hervorrufen. Eine Patientin kam ad exitum, bei der
erst die eine Seite exstirpiert wurde, alsdann nach Resektion der andern
Tetanie auftrat, offenbar infolge Verletzung der Epithelkörperchen; Ein-
pflanzung anderer nutzte nichts. |
3. Einheilung der großen Zeho nach Operation eines Radius.
sarkoms vor zehn Jahren ist unter Gelenkbildung so prompt erfolgt,
daß Patientin — Musiklebrerin — ihre Hand voll gebrauchen kann.
Periodische Röntgenbilder zeigten deutliche periostale Wucherung.
4. Operationsmethode gangränöser oder auf Gungrän verdäch-
tiger Hernien wird am besten so geübt, daß man den Bruchsack gar
nicht berührt, Laparotomie macht, das zu- und abführende Ende aufsucht,
eine Anastomose macht, den Darm durchtrennt, vernäht, alles abtampo-
niert und dann erst die Hernie in Angriff nimmt, den Bruchsack abträgt,
alles vernäht. Solche Methode, die T. seit Jahren übt, ist auch von zwei
andern Autoren vorgeschlagen, woraus ihre Brauchbarkeit hervorgeht.
5. Zwei Dickdarmresektionen bei Hirschsprungscher Krank.
heit (unter 29 Diekdarmresektionen — 23mal bei Tumoren, 4mal. bei
Tuberkulose außer den genannten — im ganzen) machen dem Vortragen-
den die Zurückführung des Leidens auf die Anwesenheit kongenitaler
Klappen unwahrscheinlich. An dem Darm oberhalb der Stenose war keine
Hypertrophie zu konstatieren, ferner war das Mesocolon außerordentlich
zart und lang, zeigte weder Schwarten noch Vernarbungen. T. hält das
Megacolon für eine primäre kongenital-embryonale Störung.
O. Förster: 1. Hämatomyelie - Sehnenplastik. Es erfolgte m
dem demonstrierten Falle zunächst Restitution der Lähmung einer ganzen
Reihe von Muskeln, in der Reihe, wie sie untereinander nach ihrem Ur-
sprunge von den Segmenten her angeordnet sind. Eine Reihe von Hand-
muskeln weiter abwärts erfuhren durch Sehnenplastik eine Besserung.
2. Spinale Muskelatrophie in ihrer Beziehung zur Lues. Seit
einer Reihe von Jahren ist darauf hingewiesen worden, daß der Ursprung
der spinalen progressiven Muskelatrophie in der Lues zu suchen ist, and-
tomisch eine Art Meningitis, speziell an der Vorderfläche des Rücken-
marks, gefunden wird. Auffallenderweise ist niemals intra vitam der Be-
weis geführt worden. Ihn liefert der vorgestellte Fall, in dem sich eine
ganz langsam allmählich fortschreitende, schlaffe, atrophische Lähmung
beider Arme mit Störungen der elektrischen Erregbarkeit ohne Beeim-
trächtigung der Sensibilität herausbildete. Hier war in Blut und Spinal-
flüssigkeit der Wassermann positiv, starke Lymphocytose und Ver-
mehrung des Eiweißgehalts, positire Nonnesche Globulinreaktion 10
Liquor vorhanden. Daß die Therapie bei der spinalen progressiven
Muskelatrophie nicht nutzlos zu sein braucht, beweist der Erfolg der
hier angewandten energischen specifischen Behandlung (Kalomelinjektionen
und mehrmals Salvarsan): es trat nicht bloß völliger Stillstand ein, 805-
dern es wurde auch erhebliche Besserung erzielt. Die Kalomeltherapl®
ist zweifellos für das Nervensystem besonders zu empfehlen, bewährt sich
auch bei Kranken, die Kombination von Tabes und spinaler Muskel
atrophie zeigen. In Beziehungen zur Lues wird auch die Erbsche syphl-
litische spastische Spinalparalyse gebracht. |
22. September.
3. Syphilitische Meningitis acuta, Es ist bekannt, daß in der
sekundären Phase der Lues bereits meningeale Affektionen vorkommen.
Bei Erwachsenen bildet sich das Symptombild einer klinischen Meningitis
nicht gar zu selten heraus, sehr selten aber beim Kind auf dem Boden
der hereditären Lues. Im vorgestellten Falle sprach neben den Sym-
ptomen, die sich bisher in dreimaligen Schüben einstellten, die sero-
logisch-eytologische Untersuchung dafür. Beim zweiten Schube brachte
Schmieren, beim dritten vorsichtige Kalomelanwendung Besserung der
allgemein-meningitischon Symptome; die spastischen Beinlähmungen
blieben allerdings unverändert.
Diskussion zu 3: W. Freund fragt an, ob sich beim ersten
meningitischen Schub etwa ein Hydrocephalus bildete, der zu der jetzt
auffallend kleinen Schädelform unter Hg zurückging. Förster: Der
kleine Schädel bestand von vornherein; der Hydrocephalus fehlte hier.
4. und 5. Pseudoparalytische Demenz bei Stirnhirntumoren.
Zur Frage der Operabilität der Hirntumoren. Bericht über einen
Fall, der das Bild der paralytischen Demenz bot, wobei bloß das Fehlen
des Wassermann im Liquor auffiel, der, gelblich gefärbt, deutliche Leuko-
oytose aufwies. Die auf die Rinde gerichtete Hirnpunktion ergab kleine
Partikelchen der Rinde, in denen sich, besonders in den Marklager-
schichten, zellige Infiltrationen um die Gefäße von polymorphem Charakter
fanden. Das Bild des Falles blieb monatelang so; die Tumorendiagnose
trat dann in den Vordergrund, als heftiges Erbrechen, Kopfschmerzen,
Stauungspapille einsetzten; sie wurde durch eine weitere Hirnpunktion,
bei der man Sarkomgewebe erhielt, bestätigt. Die Operation (Tietze)
ergab einen Tumor im Marklager des Stirnhirns, von dem ein großer Teif
exstirpiert wurde; einige Tage nachher Exitus. Der Ausgangspunkt des
Tumors war das Septum pellucidum. Daß das Bild der Paralyse zustande
kam, während sonst der auch hier anfangs vorhandene Korsakowsche
Symptomenkomplex bestehen bleibt, kommt eben daher, daß der Tumor
seine Vorposten in das Stirnbirn vorschickt und überall die Rinde mit
Zeilmassen infiltriert. Es ist natürlich in solchen Fällen sehr schwer
operativ heranzugehen. Es trifft all das Gesagte auch für einen zweiten
Fall zu, den F. vorstellt: 37jähriger Mann, seit zwei Jahren sehr vergeß-
lich, nach dem klinischen Bilde Paralyseverdacht, aber serologisches und
eytologisches Verhalten (alle vier Reaktionen fehlen), sprechen dagegen,
und Hirnpunktion liefert das gleiche Ergebnis wie die erste im
vorigen Falle.
6. Atonisch-astatischer Symptomenkomplex bei Hydrocephalus.
Die Entwicklung erfolgte bei den drei vorgestellten Fällen allmählich.
| nt Emil Neißer.
Cassel.
Aerzte-Verein. Sitzung vom 10. April 1912.
Thielemann: Zur Frage der Keratoplastik. Vortragender gibt
einen Ueberblick über die bisherigen Erfolge der Keratoplastik: |
A. Ueber den Hornhantersatz durch anorganisches Material
(nach Nußbaum, v. Hippel, Dimmer, Salzer). Er bespricht einen
Fall von Salzer, in weichem eine platingefaßte Quarzeinlage in leukoma-
töser Hornhaut 23/4 Jahre getragen wurde, die längste bisher beob-
achtete Frist. |
Die annoch mangelhaften Erfolge dieser Art des Hornhautersatzes
beruhen meist auf Nichtbeachtung folgender Grundbedingungen:
1. Die Augen müssen entzündungsfrei, ihre Tension, Lichtschein,
Projektion normal, ihre Cornea nicht zu flach, nicht zu stark vorgewölbt
sein; 2. Blutungen bei der Operation sind tunlichst zu vermeiden, weil
ihre Organisation durch Membranenbildung hinter der Hornhaut den
Erfolg ganz aufheben kann; 3. das Gewicht der Prothese muß möglichst
klein, ihr Material chemisch möglichst indifferent sein; 4. die
Prothese muß nicht nur eingeklemmt, sondern auch im Gewebe selber
Sicher fixiert sein, eine Forderung, der bisher nur die Salzersche (durch
Häkchen) nachkommt, 2
‚.. Bisher hat für totale, adhärierende Leukome dər künst-
liche Hornhautersatz bessere Resultate ergeben als die
totale Keratoplastik mit eingepflanztem Hornhautmaterial
von Tieren oder Menschen.
B. Ueber die Transplantation von Hornhantmaterial (v. Hippel,
Fuchs, Zinn, Löhlein und Andere). Der Erfolg war in weitaus den
meisten Fällen unzureichend, wenn auch die Einheilungen oft gelangen.
(Einheilen 15ßt sich ja bei Vermeidung von Eiterung alles Mögliche in
die Hornhaut: Eihäutchen, in Formol konservierte Hornhautsubstanz,
Catgutfäden und natürlich auch Tierhornhaut.)
Scharf zu unterscheiden sind hierbei: totale und partielle |
Koratoplastik.
1; Die totale Keratoplastik in totalen adhärierenden Leukomen
hat ausnahmslos versagt und wird weiter versagen, da bei ihr nur wieder
'arbengewebe aus dem Untergrunde resultiert; in totalen, nicht adhä-
rerenden Leukomen, die sehr gefäßarm waren (Kalkverbrennungen, Blei-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38,
trübungen, alte Keratitis parenphymatosa mit obliterierten Gefäßen z. B.),
war sie vielfach günstiger, namentlich bei Verwendung von Menschen-
hornhaut (Fuchs, Zinn).
NB. Für die Ueberpflanzung von Hornhautgewebe gelten nach
Salzers ausdrücklichem Hinweis ausnahmslos die auch für andere
Gewebe gültigen allgemeinen Gesetze: Eins eigentliche Transplantation
mit Weiterleben des Transplantierten ist nur möglich bei Uebertragung
artgleichen Gewebes, hier also menschlicher Hornhaut. Aber auch bei
wirklich erfolgter, echter Transplantation artgleichen Gewebes (also von
Menschenhornhaut) bleibt dieses nach Salzers Ansicht nicht unverändert,
sondern wird mehr oder weniger schnell abgebaut (ganz oder doch zum
Teil) und durch Neubildungen des Mutterbodens ersetzt. Die anatomische
Natur solcher Neubildungen beeinflußt das Schicksal der Transplantation.
Wird in Bindegewebe (totale, adhärierende Leukome) transplantiert, so
wird das Regenerationsprodukt bindegewebig, also undurchsichtig.
2. Die partielle Keratoplastik kann bessere Erfolge geben,
wenn die zu eliminierende Narbentrübung umschrieben, mehr oberfläch-
licher, nicht oder mäßig vascularisiert ist, mithin in der Tiefe und von
der Seite her intakte Hornhaut steht, keine Gefäßsprossen in das neu-
gebildete Gewebe getrieben werden, das eingepflanzte Hornhautstück tun-
lichst indifferent ist (auch homoplastisches Material ist nieht immer in-'
different: Serumverschiedenheit!), kurz, wenn sowohl Leukocytose, wie
Gefäßneubildung, die Erzeuger der Lappentrübung, wegfallen. Wird in
solchen Hornhäuten dann ein Trepandefekt gesetzt, so kann das einfache
Regeneratiönsprodukt klarer sein als das entfernte, da es eben nicht
bindegewebiger Natur ist. Wenn also auch der transplantierte Lappen
nicht dauernd als solcher in diesen Fällen erhalten bleibt, sondern sub-
stituiert wird, so ist doch ein klinischer Erfolg möglich. In dieser Weise
erklären sich nach Salzer die erfolgreichen Fälle von partieller Kerato-
plastik mit Tierhornhaut, wie sie z. B. v. Hippel mitteilte. Nicht weil,
allen biologischen Gesetzen zum Trotze, diese Tierlappen angeblich
weiterleben sollten, sondern weil sie von klarem Hornhautgewebe und
nicht von Bindegewebe (das ja immer undurchsichtig ist) ersetzt wurden
blieben solche Stellen diaphan'). >
Es ist ein fundamentaler Unterschied zwischen Fällen, die mit
Irisanlagerung kompliziert sind, und solchen, die rein verlaufen, und zum
Bilde der reinen Keratoplastik in gesunder Cornea gehört das Auftreten
von (trübender) Vascularisation überhaupt nicht, Salzer hält es für
möglich, daß man einmal zur Verwendung konservierter Hornhautsubstanz _
bei der Keratoplastik kommen könne. Die bisher von ihm zu rein theo-
retischen Zwecken verwendete Konserrierungsmethode hält er noch nicht
für die geeignete; für die Praxis gibt er .einstweilen der Verwendung
frischen, artgleichen Gewebes, am besten wohl embryonaler, überlebender
Hornhaut den Vorzug. Denn nur von ihr kann man überhaupt ein
„Weiterleben“ erwarten, und wenn die Periode dieses Weiterlebens endet,
kann das artgleiche Gewebe vielleicht das beste und indifferenteste Spalier
für das Hornhautregenerationsprodukt bilden. Nach den von Salzer auf
Grund reichlicher Tierversuche formulierten Anschauungen lassen sich
am besten alle die scheinbar so widerspruchsvollen Tatsachen auf dem
Gebiete der Keratoplastik erklären. _ 2 ,
Vortragender bespricht im Anschluß an die klinischen Vorgänge
bei der Keratoplastik die (mikroskopisch) sehr interessante Tatsache der
stark aktiven Beteiligung des Epithels an der Regeneration der Horn-
haut, das nicht etwa pfropfartig später ausgestoßen wird (wie manclıe
annahmen), sondern großspindlige Zellen, „Keratoblasten“ nach Salzer,
entweder mit sich führt oder selbst bildet, die den Defekt erfüllen und
sich allmählich in Hornhautlamellen umwandeln, während die fixen Horn-
hautzellen, wie auch das Endothel der Membr. descem. anscheinend eine
in Betracht kommende Rolle bei der reinen Regeneration der tierischen
Cornea nicht spielen.
Diskussion: Stern: Es trüben sich die überpflanzten Hornhaut-
teile sowohl in gefäßreichen als auch in gefäßarmen Leukomen.
ee Alsberg.
Marburg.
Aerztlicher Verein. Klinische Demonstrationsstunden am 20. Juli 1912
in der Medizinischen Klinik. |
Kleinschmidt: Ueber die spontane Ausheilung kleiner Pleura-
empyeme bei Kindern. Vortragender hat im. letzten Jahre bei. zwei
Kindern von vier beziehungsweise zweieinhalb Jahren ein Pleuraempyem
spontan ausheilen sehen. Bei dem ersten Knaben handelte es sich um
ein metapneumonisches Exsudat; durch Probepunktion gewonnener Eiter
orwies sich als steril. Bei dem zweiten Kinde wuchsen aus dem Eiter
influenzaähnliche Stäbchen. i
1) Klinisch ist es in sehr vielen Fällen ganz unmöglich, zu unter-
scheiden, ob ein transplantierter Lappen noch an seinem Platze liegt oder
schon abgefallen ist, da die Regenerationsprodukte dem von ihnen sub-
stituierten Lappen eben sehr ähnlich sehen. Dr. Th
1563
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1564 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September,
In beiden Fällen war die Temperatur nur wenig erhöht, die Ver-
mehrung der Leukocyten mäßig — 15—17000 — der Pirquet negativ.
Weiterhin zeigten die Röntgenbilder einen sehr ähnlichen Befund.
In beiden Fällen stand über dem Schatten des Exsudats eine Luftblase.
Vortragender hält ihre Entstehung durch gasbildende Bakterien für un-
wahrscheinlich und glaubt, daß sie auf eine Kommunikation des Exsudats
mit der Lunge schließen lasse; und das sei auch der Grund für die
Spontanheilung der Empyeme gewesen. Er empfiehlt, derartige Fälle
konservativ zu behandeln. l
Guder betont in der Diskussion, daß er Pleuraempyeme nach wie
vor der chirurgischen Klinik überweisen würde.
König und Matthes: Zur Diagnose und Therapie der Er-
krankungen des Dieckdarms. M. demonstriert eine Anzahl von Röntgen-
bildera mit normalen und pathologischen Befunden am Dickdarm. Er
betont eine Reihe einzelner Punkte, die bei der Diagnostik eine Rolle
spielen. So sei der Beginn der Beschwerden bei einem Dickdarmcarcinom
mit Blasenstörungen gar nicht selten. Wichtig ist ferner die Neigung
zu Blähungen, die ischiasartigen Schmerzen im Beginn, das Auftreten von
„Spritzern®. Als diagnostisches Hilfsmittel ist außer Digitaluntersuchung
und Röntgenaufnahme die Recto-Romanoskopie nicht zu unterschätzen,
da sie ja eine Inspektion des Dickdarms auf 30 cm Länge ermögliche.
K: stellte eine 26jährige Frau vor, die als Gravida im siebenten
Monate mit einem inoperablen Mastdarmcarcinom zur Beobachtung kam.
Die Behandlung bestand in der Unterbrechung der Schwaugerschaft und
der Anlegung eines Anus praeternaturalis. Vortragender betont, daß bei
Beschwerden, die auf den Dickdarm hindeuten, noch mehr auf das Vor-
handensein von Tumoren geachtet werden müsse. Von Wichtigkeit sei
dabei die Technik der Digitaluntersuchung: der Kranke müsse gleichsam
auf dem tastenden Finger sitzen und die Därme ihm entgegendrängen.
Bei unklarer Diagnose solle man sich ruhig zur Probelaparotomie ent-
schließen, um häufiger operable Tumoren in Behandlung zu bekommen.
Differentialdiagnostisch ist an gewisse Formen der chronischen
Appendicitis zu denken, wie auch an früher weniger bekannte Krank-
heitsbilder: Divertikel im Dickdarm und eitrige Sigmoiditis und Peri-
sigmoiditis. i
Kirchheim: Intermittierender Magensafifluß. Es handelte sich
um einen 52jährigen Kranken, bei dem unter Schmerzparoxysmen An-
fälle von Hyperacidität und Hypersekretion des Magens auftraten, die bis
zu zwei Stunden dauern und von Wadenkrämpfen begleitet sind. Im
Intervall bietet der Magen in Sekretion und Motilität normale Verhältnisse.
Be a ut Georg Magnus.
München. |
Bayer. Gesellsch. fe Geburtshilfe u. Gynäkol. Sitzung v. 7. Juli 1912.
Engelhorn (Erlangen): Tötet. das Vaginalsekret Taberkel-
bacillen ab? Zur Entscheidung dieser Frage stellte der Vortragende
eine größere Zahl von Tierexperimenten an, indem virulente Tuberkel-
bacillenkulturen kürzere oder längere Zeit der Einwirkung von frischem
oder älterem Vaginalsekret ausgesetzt und dann auf Meerschweinchen
verimpft wurden. Dabei ergab sich, daß die bactericide Kraft des vagi-
nalen Sekrets lediglich von seinem Säuregehalt abhängt und beträchtlich
zunimmt, wenn sich durch 24 und mehr Stunden langes Stehen im Brut-
schranke der Säuregehalt des Sekrets vermehrt. Als mittlere Menge von
Vaginalsekret fand der Vortregende bei Schwangeren 0,9 bis 1,2 ecm,
bei Nichtschwangeren 0,5 bis 0,75 cem, der Säuregrad war bei Schwan-
goren im Mittel doppelt so groß wie bei Nichtschwangeren und zeigte
außerdem eine Verminderung mit zunehmendem Alter.
Hengge (München): Hypophysenextrakt und Dämmerschlaf in
der praktischen Geburtshilfe. Bericht über die an zehn Fällen von
rechtzeitiger Geburt und zwei Fällen von künstlichem Abortus ge-
wonnenen Erfahrungen mit der Verwendung von teils Pituitrin, teils
Pituglandol, zwischen welchen beiden kein Unterschied in der Wirkung
erkannt wurde. Die Anwendung erfolgte teils bei primärer, teils bei
sekundärer Wehenschwäche, die Injektion wurde immer nach Beginn der
Wehen, und zwar bei Erstgebärenden bei fünfmarkstückgroßem, bei Mehr-
gebärenden bei zweimarkstückgroßem Muttermunde, vorgenommen. Das
Mittel versagte nur in einem Falle, gerade dem zuletzt beobachteten. In
den übrigen Fällen setzten acht bis zehn Minuten nach der Injektion die
Wehen ein. Die Geburt erfolgte 40 Minuten bis 31/s Stunden nach der
ersten Injektion, dreimal künstlich durch die Zange, aber auch in diesen
Fällen leicht, weil die guten Wehen die Hauptschwierigkeiten bereits
überwunden hatten. Die Wehen pflegten zunächst stürmisch einzusetzen,
wurden aber nach einigen Minuten ruhiger. In zwei Fällen wurde die
Injektion nach 1!/, Stunde wiederholt, in einem von diesen ohne Erfolg.
Bei allen Geburten wurde der Skopolamin-Morphin-Dämmerschlaf an-
gewendet. Die Nachgeburt verlief immer ohne Störung, allerdings mit
Injektion von Ergotin „Denzel“. Bei Einleitung des künstlichen Abortus
versagte das Mittel in dem einen Falle vollständig, in dem zweiten
wurde fünf Tage lang jeden Tag eine Injektion gegeben, dann erfolgte
die Ausstoßung der Frucht, die Placenta aber mußte digital entfernt
werden. Die Schlußsätze des Vortragenden lauten also: Injektionen von
Hypophysenextrakt sind in der zweiten Geburtsperiode in der Mehrzahl
der Fälle von prompter Wirkung; sie bewirken eine Verkürzung der
Geburtsdauer; sie haben keine schädlichen Folgen für Mutter oder Kind;
sie bewähren sich besonders gut bei einem Mißverbältnisse mäßigen
Grades zwischen Bocken und Kopf des Kindes.
Diskussion: Eisenreich (München) berichtet über die Erfah-
rungen der Universitätsfrauenklinik an weit über 100 Fällen, welche im
wesentlichen günstig ausfielen. Eine Einschränkung der Zangenentbin-
dungen ist von dem Hypophysenextrakt aber wohl nicht zu erwarten, da
es sich Ja bei seiner Verwendung auch nur um von der Mutter aus-
gehende Indikationen handeln kann. In einem Falle wurde durch die
nach der Injektion einsetzenden starken Wehen der Tod des Kindes
herbeigeführt. Zur Einleitung der Geburt wurde das Mittel zehnmal zur
Anwendung gebracht, ein Erfolg trat aber nur in drei Fällen ein, wo es
sich um übertragene Kinder handelte.
Merkel (Nürnberg) erlebte in zwei Fällen eine sehr schlechte
Beeinflussung der kindlichen Herztöne durch die Injektion von Pituitrin
und wendet sie deshalb nur noch nach völliger Muttermundserweiterung
an, ist aber seitdem zufrieden mit dem Erfolg, insbesondere auch bei
Steißlagen. In einem Falle von Beckenverengerung und erschwertem
Eintritte des Kopfes wurden die Wehen nach der Injektion sehr stärmisch.
Wiener (München) führt eine zur Vorsicht mahnende Beob-
achtung an: Bei einem Falle von Placenta praevia totalis im siebenten
Monate machte er die Wendung nach Braxton-Hicks, brachte einen
Gewichtszug von einem Pfund an und gab eine Injektion von Pitu-
glandol; bald darauf setzten kolossale Wehen ein, welche die spontane
Ausstoßung der Frucht, aber gleichzeitig eine Cervixruptur bewirkten.
Bei zwei Fällen von klassischem Kaiserschnitte, wo vor der Operation
Pituglandol injiziert wurde, war die Wirkung sehr gut, wie aus der auf-
fallend geringen Blutung hervorzugehen schien.
Hussy (Basel) berichtet aus der van Herffschen Klinik, daß dort
zur Behandlung der Wehenschwäche mit bestem Erfolge geringe Dosen
von Secacornin (0,25) verwendet werden, Für Nachgeburtsstörungen wird
seit einiger Zeit mit ebenfalls sehr befriedigendem Erfolge zuerst Seca-
cornin und zehn Minuten später noch Pituglandol injiziert.
Zweifel (München): In der Münchner Universitätsfrauenklinik
wurden unter 44 Fällen der Kombination von Morphium-Skopolamin-
Dämmerschlaf mit Pituglandoleinspritzung nur zwei Versager beobachtet,
die letzteren sind also Seltenheiten.
A. Müller (München) lobt ebenfalls die gute Wirkung des Hypo-
physenextraktes in der Austreibungsperiode. Bei einem Versuch der Geburts-
einleitung 14 Tage vor dem normalen Termin erwies sich das Pituglandol
als wirkungslos. Vorzüglich bewährte sich dagegen die Kombination der
Metreuryse mit Injektion von Hypophysenextrakt zur Frühgeburts-
einleitung. 1
| Polano (Würzburg) erklärt, daß man auch in der Würzburger
Frauenklinik mit der Wirksamkeit des Hypophyseneztrakts im all-
gemeinen zufrieden war, wenn auch einzelne Versager nicht fehlten. Bei
zwei Fällen von Placenta praevia marginalis erwies sich die Wirkung als
sehr gut.
Albrecht (München): An der zweiten gynükologischen Klinik
hatten die Injektionen von Hypophysenextrakt in 25 Fällen keinen Erfolg,
weder zur Einleitung der Fehl- noch der Frühgeburt, und doch wurden
in einem Falle 8,0 in 24 Stunden injiziert. Als sehr nützlich zeigte sich
dagegen die Kombination von Metreuryse und Pituglandol, wovon unter
sechs Fällen nur ein Versager gefunden wurde. |
Lehle (München): Zur Prophylaxe der Ophthalmoblennorrhoes
neonatorum. Zur Erprobung der verschiedenen Mittel stellte der Vor-
tragende an der Münchner Universitätsfrauenklinik eine, Reihe von Par-
allelversuchen an: 25 Fälle wurden mit 1°/,iger Lösung von Argentum
nitricum behandelt; Erfolg: starke Bindehautreizungen jeden Grades, aber
keine Blennorrhöe. Bei 1000 Fällen wurde eins 1,2%/oige Lösung von
Argentum aceticum eingeträufelt mit dem Resultate, daß 35°/o leichtere
oder schwerere Reizerscheinungen aufwiesen und zwei Fälle von Infektion
mit Gonorrhöe vorkamen. Bei 2500 Fällen endlich gelangte 5°/oige
Sophollösung zur Anwendung und unter diesen zeigten nur 8°/o Reiz-
erscheinungen und von den zwei Fällen von Ophthalmoblennorrhöe, die
dennoch zum Ausbruche kamen, handelte es sich bei dem einen, der am
dritten Tag auftrat und nur das eine Auge befiel, offenbar um eine Folge
mangelhafter Technik, bei dem zweiten, wo die Erkrankung erst am
sechsten Tag einsetzte, um eine sekundäre Infektion. Es ergibt sich
also der Schluß, daß die 5%/oige Sophollösung das souveräne Prophylak-
tikum der Ophtalmoblennorrhöe der Neugeborenen ist, sowohl durch sein®
bactericide Kraft, als durch seine Reizlosigkeit, gänzliche Getahrlosigkeit
und monatelange Haltbarkeit.
29, September.
Diskussion: Hussy (Basel): In der van Herffschen Klinik
wurde bei 13500 Neugeborenen nach Anwendung von Sophol nur eine
einzige Frühinfektion beobachtet.
Polano (Würzburg) erlebte trotz sicherlich richtiger Einträuflung
von 5°%/oiger Sophollösung einen Fall von schwerer, zur Erblindung füh-
render Ophthalmoblennorrhoea.
Simon (Nürnberg) läßt in dem Nürnberger Wöchnerinnenheim
seit zwei Jahren das Sophol verwenden und sah bei über 2000 Fällen
nur zwei Frühinfektionen und acht Spätinfektionen (am zehnten Tag und
später).
P Engelhorn (Erlangen): In der Erlanger Klinik werden seit zwei
Jahren die Einträuflungen von 1,2°oigem Argentum aceticum gemacht
ohne besondere Reizwirkungen und ohne einen Fall von Infektion.
Doederlein (München) erwähnt, daß in Bayern seit zwei Jahren
die Einträuflung von Argentum aceticum für die Hebammen obligatorisch
eingeführt ist und einer Abänderung dieser Vorschrift große Schwierig-
keiten im Wege stehen würden.
Albrecht (München): Die diffuse gonorrhoische Peritonitis.
Vortragender hat bei einem Falle von diffuser eitriger Peritonitis 1. klinisch
die Entstehung der diffusen Peritonitis aus einer anfangs lokalisierten
Pelviperitonitis innerhalb weniger Stunden beobachtet, 2. bei der Laparo-
tomie die diffase Entzündung des parietalen und visceralen Peritoneums
mit reichlich freiem gelblichgrauen Eiter und dünnen Fibrinbelägen kon-
statiert, 3. in dem Eiterausstriche nur Gonokokken, und zwar auch
reichlich intracellulär, in dem abgeschabten Serosaendothel von Düun-
darmschlingen nachweisen (Demonstration), und endlich 4. den kulturellen
Nachweis führen können, daß es sich um eine rein gonorrhoische In-
fektion ohne aerobe und anaerobe Mischinfektion handelte (Demonstra-
' tion). Es ist damit der einwandfreie Nachweis erbracht, daß entgegen
der Ansicht Bumms und Frommes ein spentanes Fortkriechen der
gonorrhoischen Infektion über das Bauchfell, wenn auch sehr selten, vor-
kommt, und daß der Gonokokkus allein ohne Mischinfektion eine genera-
lisierte eitrige Bauchfellentzündung erzeugen kann. Drei weitere Fälle,
in denen nur der mikroskopische Nachweis von Gonokokkeneiter ohne
Züchtung gemacht wurde (darunter einer beim Manne), zeigten den
gleichen klinischen Verlauf: Auftreten der stürmischen Erscheinungen
von diffuser Peritonitis, die zur Operation drängten, innerhalb weniger
Stunden. Bei der Laparotomie diffuse Entzündung des Peritoneums und
eitrige Exsudation sowie dünne schleierartige Fibrinbeläge auf den Darm-
schlingen, Tuben im Zustande hochgradiger akuter Entzündung, während
der Operation Eiterdiagnose auf Gonokokken, Austupfen des Eiters,
Schluß der Bauchhöhle. Bereits am Tage nach der Operation kritischer
Abfall der schweren Erscheinungen und reaktionslose Heilung in kürzester
Zeit. Das Blutbild zeigte im akuten Stadium keine Eosinophilenvermeh-
rung, die als charakteristisch für gonorrhoische Infektion angegeben wurde;
dieselbe trat erst am dritten und vierten Tage nach Abklingen der
akuten Erscheinungen auf als Rekonvaleszenzeosinophilie.
(Schluß folgt.) Eggel (München).
Berlin.
Hufelandische Gesellschaft. Sitzung vom 13. Juni 1912.
‚ _ L. Kuttner: Fünf Fälle von Arsenvergiftung durch Tapeten.
Die Erscheinungen (unstillbare Durchfälle, perniziöse Anämie, Gastritis
anacida) wurden bei Dislokation der Patienten aus der Wohnung be-
seitigt, um dann bei Zurückkehr der Kranken in ihre Behausung wieder
aufzutreten. In den Tapeten wurde Arsen nachgewiesen. Weil nicht an
eine lange Retention des Arsens im Organismus geglaubt wurde, unter-
suchte man nur in zwei Fällen, aber mit positivem Befunde, den Uriv,
was ja an sich keinen absoluten Beweis bringt, während der negative Be-
fund die Diagnose auf Arsenintoxikation noch nicht ausschließt. Diese
betrifft die serösen Häute und Schleimhäute, die Nerven und die Haut.
Das Verhältnis der Vergiftung zu der perniziösen Anämie ist unklar bei
dem blutbildenden Einfluß des Arsens, das als arsenige Säure nicht als Arsen-
wasserstofft sowohl durch die Atmungsorgane als auch durch den Ver-
dauungskanal Eingang findet. Bei ätiologisch dunklen Fällen von Diar-
rhöen und perniziösen Anämien ist an Arsenätiologie zu denken, die durch
das polizeiliche Verbot von arsenhaltigen Tapetenfarben, Linoleumunter-
lagen ausgeschaltet werden könnte. Oppenheim: Es ist nichts über die
enge der zur Intoxikation notwendigen Arsenquantitäten in den Tapeten
und wenig über die pathologisch-anatomische Grundlage der Arsenik-
vergiftung bekannt. W. Loeb: Gewisse Quantitäten von Arsen in den
Tapeten läßt auch das Gesetz zu.
Auf Grund zweier vorgestellter Fälle, bei denen der Lupus auf
der Epidermis geheilt war, während in der Nasenhöhle noch Krankheits-
erscheinungen vorlagen, betont Max Senator die Notwendigkeit der ge-
nauen Schleimhautbeachtung und -behandlung bei allen Gesichtslupis,
welche letztere ebenso wichtig, ja wichtiger erscheint als die externe The-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. | | 1565
rapie, weil es ziemlich wahrscheinlich ist, daß in den meisten Fällen der
Lupus primär auf der Schleimhaut beginnt und ohne die Ausheilung der
letzteren keine wirkliche Restitutio ad integrum zustandekommt. l
Tiling: Fall von primärer Lungenaktinomykose im linken
Unterlappen bei 38jähriger Köchin durch Rippenresektion und Kauteri-
sierung der Absceßhöhle geheilt. Im hämoptoischen Sputum war Strahlen-
pilz nachgewiesen, während das Röntgenbild außer Exsudatresten "keine
Strukturveränderungen aufgedeckt hatte.
R. Mühsam: Diagnose eines Schläfenlappenabscesses auf
Grund der Schmerzhaftigkeit des Os temporale, eitrigen Ohrenausflusses,
rechter Ptosis und linksseitiger Hemiplegie mit Steigerung der Reflexe,
Kopfschmerzes und psychischer Verstimmung. Erfolgreiche Eröffnung des
Abscesses, Ausheilung ohne Hirnprolaps, Beseitigung der ‚Ohreneiterung.
Hans Guggenheimer demonstriert einen Fall von eunuchoidem
Hochwuchs mit auffälliger Disproposition im Körperwachstum und zwei
Fälle von eunuchoidem Fettwuchs. Bei letzteren neben einer starken
allgemeinen Adipositas die charakteristische Lokalisation der Fettanbäufung
in der Gegend der Mammae, des Unterbauchs, der Cristae iliacae und
der Nates. Allen gemeinsam Uhnterentwicklung der Genitalien, Bypotri-
chosis, breites Becken, kleiner Kehlkopf, knabenhafte Stimme, Annäherung
an den femininen Typus: Röntgenologisch in keinem Falle Vergrößerung
der Sella turcica nachweisbar, ebensowenig einer Thymus. Schilddrüsen
in dem Falle von eunuchoidem Hochwuchse deutlich palpabel, in den
beiden andern Fällen nicht zu tasten. Bei dem einen Falle von eunu-
choidem Fettwuchse Kombination mit echtem Diabetes und Mal perforant.
Difierentialdiagnose dieses Falles gegenüber der Dystrophia adiposo-geni-
talis im Sinne Fröhlichs bei Hypophysentumoren. Bei den beiden an-
dern Fällen keine alimentäre Glykosurie. In allen Fällen starke Ver-
mehrung der Lymphocyten bei Verminderung der Neutrophilen. Die
Eosinophilen in einem Falle deutlich vermehrt, in zwei Fällen an der
oberen Grenze der normalen Zahl. In beiden Fällen von Fettwuchs be-
trächtliche Vermehrung der roten Blutkörperchen. Auffällige Analogie
des Blutbefundes bei Frauen in der Menopause mit starker Adipositas
und mangslhafter Körperbehaarung. Therapeutische Pituitrindarreichung
bei einem jugendlichen Individuum mit eunuchoidem Fettwuchs ohne Er-
folg auf den eunuchoiden Habitus. Ewald faßt den zweiten Fall als
Myxoedöme fruste auf. Scheier: Bei Kastrierten entspricht in höherem
Alter die eintretende Ossification des Kehlkopfknorpels dem Typus, wie
man ihn nur bei dem weiblichen Geschlechte findet. Es verknöchert der
Schildknorpel nur im hinteren Teile, während der vordere Teil knorpelig
bleibt (daher weniger vorspringender Adamsapfel und Stimmveränderung
bei den Kastrierten).
Strauß demonstriert die Röntgenbilder eines Falles, bei welchem
es gelungen war, vor der Operation die Diagnose eines in ein Carcinom
übergegangenen Ulcus penetrans ventrieuli zu stellen. Das
ponetrierende Ulcus wurde durch die Anwesenheit der Haudeckschen
Nische diagnostiziert, der Uebergang des Careinoms aber aus den klini-
schen Erscheinungen erschlossen, Bei einem 63jährigen Manne, der Jahr-
zehnte hindurch Ulcusbeschwerden hatte, trat seit vier Monaten eine
Aenderung im klinischen Bild ein, indem ganz enorme Schmerzen und
außerdem Abmagerung auftraten. Objektiv fanden sich im Mageninhalte
normale Salzsäurewerte, Stauung des Inhalts mit Sarcine, nüchtern eine
blutige Flüssigkeit; auch der Stuhl enthielt Blutspuren. Die Diagnose
auf Carcinom wurde mit Rücksicht auf die Aenderung des klinischen
Bildes, sowie auf die eben genannten Daten hin gestellt. Außerdem
konnte aus dem wenige Monate vorher aufgenommenen Röntgenbild er-
schlossen werden, daß der Tonus der Magenwand in der Zwischenzeit
hochgradig nachgelassen hatte. Str. betont, daß solche Fälle zeigen, wie
sehr Röntgenbefunde, so wichtig sie auch sind, erst dann für die Dia-
gnose verwandt werden dürfen, wenn sie im Zusammenhang mit den
klinischen ‘Symptomen betrachtet werden. Erst aus der Summe der
Einzelbefunde darf die Diagnose gestellt werden.
Citron zeigt drei Diapositive eines typischen, bis zum Pankreas
penetrierenden Ulcus mit Sanduhrmagen. Die Sektion ergab, daß es sich
um Pseudosanduhrmagen handelte. Federmann: Die Diagnose der car-
cinomatösen Degeneration des callösen Ulcus kann nur in einer ganz ge-
ringen Minderzahl von Fällen gestellt werden. Das callöse Ulcus soll
reseziert werden, bevor es zu einem Carcinom geworden ist, was etwa in
40°/ geschieht. Damit wird erheblich der Entstehung von Carcinomen
vorgebeugt. | |
Leo Jacobsohn demonstriert zwei Patienten, bei denen Arthro-
pathien des Fußgelenks die ersten Erscheinungen der Tabes bildeten.
In einem Falle war es zur Spontanfraktur des Talus gekommen; nach
1!/s Jahren machten sich geringfügige sensible Störungen des Fußes be-
merkbar. Bei der zweiten Beobachtung bestand Hypästhesie am Unter-
schenkel und Fuß auch an der andern Seite. Zwei Jahre vorher Mal
perforant. In beiden Fällen W.R. positiv. Die Röntgenaufnahmen er-
gaben einen für neuropathische Gelenkerkrankung sprechenden Befund.
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1566 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 22. September,
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Tipe
A q L. Ratkowski: Fall von diffuser spindelförmiger Ektasie | Oesophaguserweiterung. Erfolgreiche Sondierung mit halbelastischer
ee ; des Oesophagus bei einem Phthisiker. Der Nachweis der bloßen | Geißlerscher Sonde und noch sicherer mit dem Brüningschen
ee A Schluckstörung und die dadurch angeratene Beobachtung langsamen | Dilatator. |
ee Essens und sorgfältigen Kauens führte Besserung des Zustandes, Zunahme Dünner: Distale Extremitätenveränderungen (Trommelschläger-
E des Körpergewichts herbei. 2. Fall: Seit sieben Jahren Schluckbeschwerden | finger, Osteoperiostitis, Weichteilzunahme der Hände und Unterschenkel)
: und Magenschmerzen. Durch Röntgen Nachweis einer wurstförmigen | bei chronischem Ikterus (hypertrophische Lebercirrhose).
R | — J. Rubemann (Berlin-Wilmersdorf).
a Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin. l i
oh 6 Kongreß des deutschen Reichsverbandes zur Bekämpfung der
Impfung vom 5. bis 8. September in Hamburg-Altona,
verbunden mit der 2, Jahresversammlung des internationalen
Impigegnerbundes.
Zur Verstärkung des Kontingents waren außer den Mannen des
Vereins impfgegnerischer Aerzte, Juristen und Frauen mit aufgeboten
Delegierte des Felkevereins, verschiedener Naturheilvereine und sonstiger -
durch ihre Gegnerschaft gegen die sogenannte „Schulmedizin“ ausge-
zeichneter Bestrebungen des In- und Auslandes. Das dreiteilige Pro-
gramm umfaßte: 1. Festlichkeiten, Theaterabend mit Ball, Helgolandfahrt
usw., 2. die einzelnen internen Tagungen, 3. zwei abendliche Volksver-
sammlungen in Hamburg beziehungsweise Altona. Erstere können wir
füglich übergehen; es sei nur erwähnt, daß auch das Theaterstück des
Begrüßungsabends, „Gestörtes Glück“, das der poetischen Ader des
Kongreßvorsitzenden [des Naturheilkundigen Bergmann (Hamburg)] ent-
strömt war, sich als Tendenzstück der Bedeutung des Tages anpaßte.
Auf den Einzeltagungen wurden neben der Reglung innerer Angelegen-
heiten natürlich erneut impfgegnerische Resolutionen mit den bekannten
alten Forderungen angenommen. Ein Antrag, Straf- und Prozeßkosten
von Kampfgenossen auf die Reichsverbandkasse zu übernehmen und
ihren Namen bei entsprechenden Veröffentlichungen zu verschweigen,
damit die Gerichte im Wiederholungsfalle nicht auf Freiheits- anstatt
der Geldstrafen erkennen, wanderte an eine Kommission unter dem
Vorschlag einer Impfstrefen-Versicherung nach englischem
Muster. Weiter wurde die Gründung einer Korrespondenz für die ganze
Presse und einer Wanderausstellung für alle Plätze und Impfgegner-
gruppen beschlossen. | |
Den Clou des Kongresses bildeten die beiden Volksversamm-
lungen mit je drei Vorträgen, in denen gewaltig die schmetternden
Kampfposaunen geblasen wurden, um endlich die Mauern des Impfschutzes
zu Falle zu bringen. Während der Vorträge bemühte sich ein schmuckes,
junges Mädchen mit freundlichen Worten Mitglieder für den Impfgegner-
verein zu werben, und wenn ihr Erfolg beinahe negativ war, so lag es
ganz gewiß nur daran, daß fast alle Anwesenden bereits zur Fahne ge-
schworen hatten.
Ueber den ersten Vortrag von Bilfinger (Bilz - Sanatorium):
Geschichte der Impfung in ärztlich kritischer Beleuchtung,
ist nur wenig zu sagen. Wer als Arzt über die Aetiologie der Pocken
die Worte spricht: „Durch dichtes Zusammendrängen haben sich die
Menschen vergiftet und die Natur schafft nun dieses Gift durch die Blattern
heraus“, und über die Prophylaxis bzw. Therapie: „Nur Courage, keine Angst
vor den Blattern, ordentlich lüften und Wasser anwenden, dann ver-
laufen sie gar nicht so gefährlich“ (also kein Wort von Isolierung, ge- -
schweige denn Desinfektion oder Impfung), der stellt sich außerhalb des
Bereichs ärztlicher Kritik. In demselben Rahmen hält sich der zweite
Vortrag von Spohr (Gießen): Das Impfgesetz vor dem Richter-
stuhle der Vernunft. Vortragender ist ein Bruder des Frankfurter
Arztes Spohr, der bekanntlich am eignen Leibe und dem einiger seiner
Mitmenschen den ungewollten aber dafür um so einwandfreieren Beweis
erbrachte, wohin die Impfgegnerschaft führt, und wegen Fahrlässigkeit
in Ausübung seines Berufs zu 100 M Geldstrafe verurteilt wurde!). Der
Tenor seiner Ausführungen gipfelt darin, daß die Impfung sich als ope-
rativer Eingriff darstellt. Da die Bedingungen für seine Zulässigkeit:
Nutzen, Notwendigkeit und Ungefährlichkeit nicht gegeben sind, ist er
unstatthaft. Der Fall seines Bruders wird kurz gestreift, die Schwere
seiner Erkrankung zugegeben, aber aus beruflicher Ueberarbeitung erklärt
und zur Ablenkung darauf hingewiesen, daß auch Impfärzte schon an
Pocken erkrankt, ja einer an Sepsis, bei der Impfung zugezogen, ge-
storben sei. .Mit sichtlichem Behagen wird G. Sticker (Bonn) von ihm
als neuer, „doppelt wertvoller Bundesgenosse und Mitkämpfer“ gebucht.
Der dritte Vortrag von Mirus (Dortmund) behandelte Staatsbürger-
pflichten oder Elternpflichten? Die Elternpflichten sind die älteren
und im Falle des Konflikts mit ersteren die stärkeren. Das Impfgesetz
verletzt Familien- und Menschenrechte, ist deshalb vom ethischen Stand-
Impfgesetzes hinarbeiten, ihre Staatsbürgerpflichten in gowissenhafte- |
ster Weise.
Zwischen den Vorträgen wurde eine. stattliche Anzahl von Sym-
pathietelegrammen verlesen. An der den Vorträgen folgenden Dis-
kussion beteiligten sich nur Impfgegner, was vom Vorsitzenden zu der
für impfgegnerische Logik bezeichnenden Feststellung benutzt wurde: Es
sind eine Menge Hamburger Aerzte anwesend, keiner meldet sich zum
Wort, ich stelle deshalb fest, daß — sie alle Impfgegner sind! Sämt-
lichen Vortrags- und Diskussionsrednern war neben der bekannten Vor-
liebe für zugkräftige Schlagworte, wie „schamlose Barbarei“, „stinkige
Jauche“, „Impfmord“, „gröbste Scheußlichkeiten“ usw., gemeinsam die
freihändige Art, in der sie mit der Statistik und ärztlich-wissenschaft-
lichen Ergebnissen jonglierten. Dafür, welchen Wert amtliche Richtig-
stellungen für die Impfgegner haben, legte Ingenieur Wegener (Frank-
furt), der unter Verzicht auf alle Objektivität am besten den Volksver-
sammlungston zu treffen verstand, das offene Geständnis ab: „Ueber alle
Erwiderungen aus der Reichsdruckerei gehen wir hohnlächelnd hinweg, .
mehr sind sie nicht wert.“
Am zweiten Volksversammlungsabend in. Altona wurde
wieder je ein Mediziner, ein Jurist und ein Philologe in die Arena ge--
schickt, die sich dort bis nach Mitternacht tummelten.
Es begann Schlüter (Hamburg): Impfschäden oder Zufalls-
krankheiten? Der Mensch hat sich als Produkt von Vererbung und An-
passung emporentwickelt und Krankheiten entstehen entweder durch ver-
erbte Anlage oder Einwirkungen der Umwelt mit abweichenden chemischen .
Umänderungen. Artfremde, chemische Produkte, wie die Lymphe, können
niemals heilend, sondern nur störend unsere Gewebe beeinflussen usf.
Weiterhin Max Graf Pilati (Schlegel): Der Standpunkt der Be-
hörden zum Impfgesetz. Er wendet sich erstens gegen die Stellung
der beamteten Aerzte in der Impffrage, zweitens gegen die der Exekutiv-
behörden und drittens die der Gerichte. Die Furcht vor dem Bekenntnis,
daß die ganze Serumtherapie ein Wahn sei und der pekuniäre Vorteil der
Aerzte bestimmen diese, fürs Impfgesetz einzutreten. 3.Vortrag. Molenaar
(München): Der Kampf gegen die Massenzwangsimpfung auf der
ganzen Erde. Vortragender führt die Hörer durch die Länder der
Erde und zeigt ihnen in großen Zügen, wie weit jeweils die Impfgegner-
schaft gediehen ist. |
In der freien Aussprache weist Dr. Stiebel (Hamburg) die unquali-
fizierbaren Beleidigungen des ärztlichen Standes durch Graf Pilati zu-
rück und macht dann in überaus klarer und gemeinverständlicher Form
der Versammlung das Wesen der Immunität im allgemeinen und des
Impfsehutzes im speziellen klar. Aus schwer ersichtlichen Gründen hatte
Graf Pilati auch einen Abstecher zum Ehrlichschen Salvarsan unter-
nommen; wie sich aus zahlreichen Zwischenrufen ergab, wurde es von
einem großen Teil des Publikums für — ein Serum gehalten.
Dr. Külz (Kamerun, zurzeit Altona) verwies hinsichtlich der Berech-
tigung staatlichen Impfzwangs auf andere mit weit größerem gesundheit-
lichen Risiko verbundenen Zwangseinrichtungen, wie Schulzwang und
Militärdienst. Die richtige Folgerung ist die, derartige im Interesse der
Allgemeinheit nötigen Einrichtungen nach Kräften ihrer Gefahren zu ent-
kleiden, und nur Unkenntnis oder böser Wille kann behaupten, daß dies
bei der Impfung nicht nach Kräften geschieht. Bei der Erörterung dar-
über, ob die Impfung nützt oder nicht, müssen ihre Anhänger und Gegner
aneinander vorbeireden, weil letztere Erfolge gar, nicht sehen wollen.
Die hauptsächliche Erklärung impfgegnerischen Anhangs findet Referent
neben skrupelloser Propaganda in der Tatsache, daß die jetzige Generation
mangels schwerer Blatternepidemien sich der Größe der Pockengefabr
nicht mehr bewußt ist und ihr die Wirkung der Impfung weniger drastisch
vor die Augen tritt. Anders z. B. in unsern Kolonien. Nach Schilde-
rung der Schreckensbilder einer dortigen Pockenseuche und dem Verhalten
der Naturvölker gegen die Impfung weist er darauf hin, wie dort dem
- unbefangenen Beobachter noch die unmittelbare Wirkung der Vaccination
entgegentritt. „Schicken Sie einige Ihrer Führer hinaus in eine koloniale
Pockenseuche; sie sollen in einem halben Dutzend Dörfern mit Conrag®,
Licht und Luft vorgehen und ich will in ebenso vielen andern impfen,
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a >: punkt aus gerichtet. Daher erfüllen auch alle, die auf Beseitigung des und wir wollen sehen, wer mehr Menschenleben rettet. Wollen Sie aber
rn Zu in der Heimat eine Verständigung über Impffragen, so unterlassen Sie
Rn !) Vgl. Med. Kl. Nr. 86. Ihre Beleidigungen des ärztlichen Standes, der mit der Impfung eme
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99. September.
doppelte Pflicht erfüllt, erstens eine gesetzliche und zweitens eine beraf-
liche Gewissenspflicht. Es ist nicht deutsche Art, Leute, die ihre Pflicht
erfüllen, zu verunglimpfen. Denen, die es in Zukunft doch tun, sage
ich: Häufen Sie ruhig das Maß Ihrer Invektiven turm- und bergehoch,
immer noch darüber hinaus wird uns die Ueberzeugung erheben, unser
Vaterland vor einer der schrecklichsten Seuchen zu bewahren.“ $)
Zum Orte der nächsten Tagung wurde Leipzig gewählt.
Be ern Külz.
Aerztliche Tagesfragen.
Otto Soltmann +.
Wieder hat die deutsche Pädiatrie einen ihrer Vorkämpfer ver-
loren. Kaum haben wir den Verlust von Steffen, Camerer, Henoch
und Escherich überwunden, da kommt uns die unerwartete Kunde, daß
der unerbittliche Tod Otto Soltmann, Geheimen Medizinalrat, ordent-
lichen Honorarprofessor der Kinderheilkunde an der Universität Leipzig,
Direktor der Universitäts-Kinderklinik und Poliklinik abberufen hat.
Mit Soltmann ist eine markante Persönlichkeit aus dem Leben
geschieden. Ein Mann von seltener unmittelbarer Lebensfrische und
-freudigkeit, besaß er in hervorragendem Maße die Eigenschaften eines
Universitätslehrers. Pflichttreu und arbeitsfreudig, reich begabt gab er
sich voll und ganz mit rastloser Energie einer Sacbe hin, die ihn be-
wegte. In der Inneren Medizin aufgewachsen, hat er stets den festen
Zusammenhang der Pädiatrie mit der Mutterwissenschaft betont, ander-
seits hat aber gerade er sich immer für die Sonderstellung der Kinder-
heilkunde an den Universitäten als Lehrfach eingesetzt.
Hermann Julius Otto Soltmann, geboren am 17. Dezember
1844 in Berlin stammte aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie; er
studierte in Berlin, Würzburg, Zürich, Prag und Wien und wurde 1869
auf Grund einer Dissertation über „Lepra nervosa“ zum Doktor der
Medizin promoviert. Nachdem er am Feldzug 1870/71 als Assistenzarzt
im Regiment Gardeducorps teilgenommen, ließ er sich 1872 in Breslau
als Kinderarzt nieder und widmete sich bier neben seiner Praxis theore- |
tischen Arbeiten. Angeregt durch die Entdeckungen Hitzigs, bearbeitete
er besonders experimentell das Centralnervensystem des jüngeren Kindes-
alters. Die Ergebnisse dieser Studien sind in verschiedenen Arbeiten nieder-
gelegt, die hauptsächlich im Jahrbuche für Kinderheilkunde erschienen sind.
Diese Arbeiten haben berechtigtes Aufsehen gemacht und ihm seinen Ruf
als wissenschaftlichen Forscher gesichert. Nachdem er 1876 zum Direktor
des Wilhelm-Augusta-Hospitals in Breslau ernannt war, erfolgte 1877
seine Habilitation für Innere Medizin und Kinderheilkunde. 1883 wurde
er zum Extraordinarius ernannt. Im gleichen Jahre wurde er zum
Direktor des in Gräbschen-Breslau zum Gedächtnis der goldenen Hoch-
zeit des Kaiserpaars errichteten „Kaiserlichen Kinderheims“ berufen. Es
sollte dies „ein Säuglingsasyl zur temporären Obsorge der hilflosen legi-
timen und illegitimen Neugeborenen und Säuglinge mit ihren in mate-
rieller Notlage befindlichen und noch arbeitsunfähigen Brustmüttern“ sein.
Hier in Gräbschen hat Soltmann — wohl als erster klinischer pädiatrischer
Lehrer — ein Mütterheim in einer Zeit organisiert, in der eigentliche
Säuglingsfürsorge in Deutschland noch nicht Mode war: ein großes Ver-
dienst, das in unserer schnellebenden Zeit wohl zu bald vergessen worden
ist. Ostern 1894 folgte er einem Ruf als Professor der Kinderheilkunde
an die Universität Leipzig an Stelle von Heubner. Sein Vorgänger
hatte mit großem Fleiß und zäher Energie ihm die Stellung der Kinder-
heilkunde als wissenschaftliches Lehrfach an der Universität vorbereitet
und befestigt. Soltmann hat die Stellung im Sinne Heubners bewahrt
und erweitert. Das Krankenhaus wurde unter ihm erheblich vergrößert
und gehört heute mit zu den schönsten und größten Kinderkranken-
häusern Deutschlands. Hier in Leipzig setzte er seine wissenschaftliche
Tätigkeit fort besonders als Kliniker und Lehrer. Wenn er auch gern
in Leipzig weilte, so war ihm doch stets die Breslauer Zeit als die
schönste seines Lebens erschienen und er sehnte sich manchmal dahin
zurück. In den letzten Jahren zog er sich mehr und mehr zurück und
lebte ganz seiner Klinik und seinem Lehrberuf, es mag hier schon — anderen
unbekannt — seine nicht ganz feste Gesundheit mit dazu beigetragen haben.
Durch seine Arbeiten, besonders der Breslauer Zeit, hat er seinen Namen als
wissenschaftlicher Forscher begründet. Und doch war Soltmann in erster
Anie nicht Akademiker, der spekulativen Ideen nachging, sondern er besaß
eine eminent praktische Ader. Er war Arzt, ganz Arzt und Kliniker,
und er war stolz darauf, dies zu sein. Von ihm trifft das Wort in vollem
mfange zu, das er selbst so gern gebrauchte: „Esse aliquid in medico,
quod neque dici, neque scribi posse.“ Es war ihm heiligste Pflicht als
klinischer Lehrer, seine Schüler nicht zu Theoretikern, sondern zu Aerzten
heranzuziehen. Deshalb pflegte er die klinische Tätigkeit so besonders
und ging ganz darin auf. Er war ein begeisterter und begeisternder Lehrer.
Tenma
) Vgl. hierzu „Von Aerzten und Patienten“.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38. 1567
Soltmann war eine Persönlichkeit, der sich die Herzen im Sturm
erobern konnte. Reich begabt, geistreich, witzig, voll künstlerischer
Interessen — er pflegte besonders die Musik — war er ein ausgezeich-
neter Gesellschafter; er liebte es, mit Freunden und Kollegen zusammen
zu sein und dabei die Sorgen des Alltags zu vergessen. Stets trat hier
immer wieder ein Grundzug seines warmen Herzens hervor, er war den
jüngeren Kollegen und Schülern ein wirklicher Freund.
Es würde. ein wesentlicher Zug in Soltmanns Lebensbild fehlen,
wenn ich eins nicht erwähnen wollte, sein Familienleben. Hier im Kreise
seiner Familie fühlte er sich stets am wohlsten. Die stille, bescheidene
Art seiner klugen Gattin ergänzte seinen Charakter in schönster Har-
monie. Eine große Kinder- und Enkelschar umgab ihn bis an sein
Lebensende mit zärtlicher Liebe.
Fern von der eigentlichen Arbeitsstätte in seinem Heim in Schreiber-
hau, und doch mitten aus der Arbeit heraus ereilte ihn der Tod.- Mors
certa incerta hora, unerwartet trat Freund Hain an ihn heran. Noch am
Mittag hatte er alter Gewohnheit zulieb Gäste bei sich gesehen, dann
hatte er noch Musik zugehört, er zog sich zurück, um etwas auszuruhen,
und nimmer wiederzuerwachen. Ein schöner Tod! aufs innigste zu wünschen.
So ist ihm schweres Leid erspart geblieben, der schönste Trost für jeden,
der ihm nabe stand und ihn lieb hatte. Rietschel (Dresden).
Die neubegründete Vereinigung zur wissenschaftlichen Erforschung
des Sports und der Leibesübungen und der Sportkongreß in
Oberhof i. Th., 20. bis 23. September 1912.
Ein sehr zweckmäßiger Gedanke von großer sozial-hygienischer
Bedeutung wird in nächster Zeit in einer verheißungsvollen Fassung Ge-
stalt gewinnen. Die wissenschaftlichen Grundlagen zur Erforschung jeder
Art sportlicher Betätigung und zur richtigen Bewertung der einzelnen
Sportzweige methodisch auszubauen, ist schon lange Zeit als eine Not-
wendigkeit und ein Bedürfnis empfunden worden. Was bisher fehlte, war
eine Zentralstelle, welche, auf breitester Basis und mit den genügenden
Mitteln eines großen Instituts versehen, an derartige Fragen planmäßig
herangehen konnte. Diese Wünsche sollen jetzt durch die neugebildete
Vereinigung zur wissenschaftlichen Erforschung des Sports
und der Leibesübungen erfüllt werden. |
Einer der Wege, auf denen der Gegenstand zunächst angefaßt
werden soll, besteht in der Einrichtung von Sportlaboratorien mit
allen notwendigen Vorkehrungen auf den Sportplätzen selbst. Hierzu
wurde bereits bei Gelegenheit der Internationalen Hygieneausstellung in
Dresden 1911 auf dem mit der Ausstellung verbundenen Sportplatz ein
Anfang gemacht. Es hat sich dabei eigentlich erst herausgestellt, wie
unendlich groß die wissenschaftlichen Aufgaben sind, welche hier noch
ihrer Ausführung harren. Das bisher brachliegende Material in metho-
discher Form zu sichten und zu verwerten, ist ein Gedanke, der ge-
rade deutscher Arbeitsweise recht eigentlich entspricht. Diese Aufgabe
ist aber auch zeitgemäß! Hat "doch auch bei uns zulande das sport-
mäßige Betreiben der Leibesübungen bereits:einen Umfang angenommen,
der nicht zurücksteht vor Ländern, die auf eine zum Teil recht alte Ge-
schichte sportlicher Betätigungen zurückblicken. Jenes Dresdener
Laboratorium, das sich auch in Sportkreisen großer Beliebtheit er-
freute, erwies jedenfalls die Möglichkeit und Brauchbarkeit einer solchen
Einrichtung und ergab damit die Wichtigkeit und Dringlichkeit, sie zu
einer ständigen Einrichtung auf den Sportplätzen auszubauen. Darin
liegt das erste praktische Ziel der neuen Vereinigung!
Um weitere Kreise, vor allen Dingen das Laienpublikum, auf die
große allgemeine Bedeutung des Programms hinzuweisen und dafür zu
interessieren, bereitete die Vereinigung einen Kongreß zur wissen-
schaftlichen Erforschung des Sportes und der Leibesübungen
vor, der vom 20. bis 23. September 1912 in Oberhof i. Thür. tagen
wird. Die Tagesordnung bringt Vorträge von Friedrich Kraus (Berlin):
Sportübertreibungen; von dem berufenen Erforscher der Physiologie des
Sports, N. Zuntz’(Berlin): Wert der Physiologie für die Leibesübungen;
und von Hueppe (Prag): Nutzen der einzelnen Leibesübungen.
Ferner wird auf dem Kongresse beraten werden über die Kon-
stituierung eines Reichskomitees zur wissenschaftlichen
Erforschung des Sportes.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Vorträgen behandelt Einzel-
fragen: Die Wirkung des Sports und seiner verschiedenen Arten auf die
einzelnen Organe, auf die Lebensalter, auf die Schuljugend und auf das
weibliche Geschlecht, Lichtbildervorführungen und Besichtigung der
Sportanlagen in Oberhof werden anschauliche Beispiele über Einzelheiten
der Sportübungen bringen. Die Teilnahme an dem Kongresse steht jeder-
mann frei. Der Schriftführer Prof. Dr. G. F. Nicolai, Berlin NW,
Kronprinzenufer 4, und das Geschäftsbureau erteilen die nähere Aus-
kunft. Den sozialhygienisch ebenso bedeutsamen wie wissenschaftlich
aussichtsreichen Bestrebungen ist der beste Erfolg zu wünschen. K. Bg.
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Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
... „Berlin. Die mit dem 1. Januar 1913 erfolgende Ausdehnung der
Reichsversicherungsordnung auf die Unfallversicherung bedingt
auch ihre Ausdehnung auf neue Gewerbezweige und damit zusammen-
hängend die Einrichtung neuer Berufsgenossenschaften. Es
wird sich der Bundesrat in seiner ersten Plenarsitzung nach den Ferien
am 10. Oktober mit dieser Frage zu beschäftigen haben. In Betracht
kommen hierfür eine Gärtnerberufsgenossenschaft, eine Detail-
handelberufsgenossenschaft und eine Versicherungsgenossen-
schaft für das nichtgewerbsmäßige Halten von Reittieren und Fahr-
zeugen. Dieser letzten Berufsgenossenschaft sind auch alle diejenigen
Sportzweige anzugliedern, in denen Fahrzeuge durch elementare (Auto-
mobile) oder tierische Kraft bewegt werden, sowie Reitpferde in Verwen-
dung kommen. Auch alle diejenigen Personen, die zu privaten oder
Berufszwecken Fuhrwerk oder Kraftwagen halten — soweit es sich nicht
um einen Gewerbebetrieb handelt —, werden dann verpflichtet sein, der
neuen Versicherungsgenossenschaft als Mitglieder beizutreten. Die
26. Genossenschaftsversammlung der Seeberufsgenossenschaft in
Bremen vom 14. September faßte unter anderm wichtige Beschlüsse
über neue Unfallverhütungsvorschriften für Dampfer und Segler, über
rudernde Besatzung in Rettungsbooten, über eine neue Auslegung
des Begriffs Passagierdampfer, sowie sonstige Maßnahmen, wie solche sich
nach dem Unglücksfalle der „Titanic“ im Frühjahre dieses Jahres als
erforderlich herausgestellt haben. Fr.
— Das „Berliner Seminar für soziale Medizin“ des Deutschen
Aerzteverbandes veranstaltet vom 8. bis 27. Oktober seinen 12. Zyklus
über „Das Verhalten des Arztes bei Epidemien und Massenerkrankungen“.
Vorträge halten die Herren: Prof. Kirchner, Gaffky, Goldscheider,
Diettrich, Proskauer und Stadtrat Dr. Gottstein. Genauere Pro-
gramme versendet die Leitung Charlottenburg Il, Grolmannstr. 42/43.
— Die von der Berliner Dozenten-Vereinigung veranstalteten Ferien-
kurse für praktische Aerzte finden in diesem Jahr in der Zeit vom
3. bis 30. Oktober statt. Das Bureau des Vereins (Herr Melzer,
Ziegelstr. 10/11, Langenbeck-Haus) versendet auf Wunsch ausführliche
Vorlesungsverzeichnisse und erteilt schriftlich und mündlich jede ge-
wünschte Auskunft. — Außer diesen alten bekannten Kursen veranstaltet
die Vereinigung seit einigen Semestern Gruppenkurse, die ein be-
stimmtes Thema behandeln und eingehend über die neuesten Forschungen
auf diesem Gebiet unterrichten sollen. Der diesjährige Kurs umfaßt das
Gebiet der Herzkrankheiten und findet vor den eigentlichen Ferien-
kursen in der Zeit vom 26. September bis 2. Oktober statt. Das
Honorar beträgt 20 M. — Außerdem werden während des Kursmonats
von den Mitgliedern der Vereinigung einstündige Vorträge gehalten,
deren jeder in sich abgeschlossen ein modernes Thema von allgemeinem
Interesse behandelt. Fünf von ihnen haben diesmal einen gewissen Zu-
sammenhang, als sie sich mit der Pathologie und Therapie des Morbus
Basedowii beschäftigen. Sie finden in den Abendstunden von 8 bis 9 Uhr
statt und zwar sämtlich im Auditorium des pathologischen Museums
(Charité). Das Honorar für den ganzen Zyklus von zwölf Vorträgen be-
trägt 3 M. l —
— Dank den Bemühungen dəs deutschen Zentralkomitees
für ärztliche Studienreisen wird es dèn Teilnehmern der diesjährigen
ärztlichen Studienreise nach Nordamerika möglich sein, eine große Reihe
technischer Betriebe zu besichtigen, um die gerade in Amerika besonders
ausgebildeten arbeiterhygienischen Einrichtungen kennen zu lernen und
zu studieren. Die Besichtigung großer Schlachthöfe, wie solche
besonders in Chicago vorhanden sind, dürfte interessante Aufschlüsse
über den Stand der Schlachthygiene in den Vereinigten Staaten geben.
Die Behörden der besuchten Städte werden es sich angelegen sein lassen,
gerade in dieser Beziehung den deutschen Aerzten eine zutreffende
Kritik über das bei ihnen Geleistete zu ermöglichen.
Hamburg. Die Gesellschaft Deutscher Nervenärzte hält ihre
nächste Jahresversammlung vom 27. bis 29. September 1912 in Hamburg
ab. Die Sitzungen und Demonstrationen finden im Hörsaale des Museums
für Völkerkunde statt. 1. Die klinische Stellung der sogenann-
ten genuinen Epilepsie (Referenten: Redlich [Wien] und Bins-
wanger [Jena]), 2. Stand der Lehre vom Sympathicus (Refe-
renten: L. R. Müller [Augsburg] und Hans H. Meyer [Wien]). Vor-
sitzender des Lokalkomitees A. Saenger, Hamburg, Alsterglacis 11.
Frankfurt a. M. In Wiederholung einer früheren Eingabe bat
der hiesige Aerztliche Verein jetzt wiederum ein mit ausführlicher
Begründung versehenes Gesuch an den Magistrat und die Stadtverord-
neten gerichtet, es möge den Privatspitälern, die den Patienten
der dritten Verpflegungsklasse unter denselben Zahlungs-
bedingungen wie das städtische Krankenhaus freie Arztwahl
gestatten, für jedes dabei beutzte Bett pro Tag der Benutzung
durch dazu berechtigte ortsansässige Kranke, Selbstzahler
wie Mitglieder von Krankenkassen, ein Beitrag von 1,50 M ge-
währt werden. — Es sollen hierdurch auch diejenigen Aerzte, die nicht
an einem Krankenhause tätig sind, in die Lage versetzt werden, ihre
minder bemittelten Patienten und die Kassenmitglieder auch dann weiter
behandeln zu können, wenn Krankenhausverpflegung notwendig wird. Es
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 38.
22. September.
wird nachgewiesen, daß das im Interesse der Erhaltung eines leistungs-
fähigen, auf der Höhe des Könnens stehenden Aerztestandes notwendig
ist, daß aber auf der andern Seite auch die Gemeindeverwaltung ihre
Rechnung dabei finden und wahrscheinlich Ersparnisse machen wird.
Leubus. Der Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt
Geh. San -Rat Dr. W. Alter, tritt am 1. Oktober in den Ruhestand; zu
seinem Nachfolger wurde der Oberarzt San.-Rat Dr. Johannes Dinter
von der Provinzial-Irrenanstalt in Brieg berufen.
Marburg. Prof. ao. Dr. Alfred Bielschowsky aus Leipzig
nahm den Ruf nach Marburg als ordentlicher Professor und Direktor
der Augenklinik in der Nachfolge von Prof. L. Bach an und wird sein
neues Lehramt zu Beginn des Wintersemesters antreten. Prof. B., welcher
im 40. Lebensjahre steht, studierte in Breslau, Heidelberg, Berlin und
Leipzig, promovierte 1893 in Berlin und erhielt 1894 die ärztliche Appro-'
bation. Seither ist B. an der Leipziger Universitäts- Augenklinik (Geh. Rat
Sattler) seit 1896 als Assistent tätig, woselbst er sich auch 1900 auf
en einer Schrift „Untersuchung über das Sehen der Schielenden“
abilitierte. _—
Budapest. Der Oberste Sanitätsrat hat mit Rücksicht auf das
hierzulande epidemische Auftreten der Poliomyelitis anterior acuta
zwecks Studiums dieser Affektion eine mit einem Fragebogen verbundene
Aufforderung an sämtliche Aerzte gerichtet und gleichzeitig die obligato-
rische Anmeldung der infantilen Kinderlähmung angeordnet.
Palästina. Im Frühjahre dieses Jahres begründete der amerika-
nische Philantrop Nathan Strauß hierselbst eine Office of health
zur Bekämpfung der in ganz Palästina verbreiteten Malaria. Das-
selbe steht unter Leitung von Dr. Brünn, bisher Koloniearzt der kleinen
jüdischen Kolonie Chedera. Zu gleicher Zeit bildete sich auch in Berlin
auf Veranlassung der Kaiserin und des Freikerrn v. Mirbach ein Ko-
mitee zur Durchführung von Maßnahmen gegen die Malaria in Palästina.
Den Anlaß hierzu boten die Erfahrungen, welche Frh. v. Mirbach im
Jahre 1910 bei Gelegenheit der Einweihung des Kaiserin-Auguste-
Viktoria-Sanatoriums auf dem Oelberge gemacht hatte. Das Komitee ent-
sandte Prof. Mühlens vom Institut für Tropenkrankheiten in Hamburg.
nach Jerusalem, welcher inzwischen dortselbst eintraf und mit Dr. Brünn
die Leitung des Office of Health übernahm. Wie feststeht. könnten
Jerusalem und damit Palästina die gesundesten Gegenden der Welt sein,
sobald es gelänge, der Seuche Herr zu werden. Von Vorteil für diese
Bestrebungen ist jedenfalls die Tatsache, daß der gegenwärtige Gouver-
neur von Palästina europäische Bildung besitzt und den festen Willen
hat, alles nur mögliche durchzusetzen, um auch die gesundheitlichen Ver-
hältnisse Palästinas von Grund auf zu verbessrrn.
Hochschulnachrichten. Berlin: Regierungsrat im Kaiserl.
Gesundheitsamt Priv.-Doz. Dr. E. Rost der Titel Professor. — Göttingen:
Priv.-Doz. Dr. Eichelberg mit der Leitung der Psychiatrischen Klinik
anstelle + Cramers beauftragt. — Marburg: Prof. Göppert (Heidelberg)
zum Professor a. o. und Abteilungsvorsteher am Anatomischen Institut. —
Tübingen: Priv.-Doz. Dr. August Mayer (Gynäkologie) der Titel
Professor a. o. — Zürich: Dozent Dr. Heuß, Spezialarzt für Haut-
krankheiten an der Universität, ist einem Herzschlage erlegen.
Von Aerzten und Patienten.
Aus der Geschichte der Schutzblatternimpfung.
Der englische Arzt Edward Jenner (1749—1823) geht nach einer
Reihe mühevoller Versuche und Beobachtungen am 14. Mai 1796 dazu
über, einen achtjährigen Knaben mit Namen Phipps mit einem Stoffe zu
impfen, den er einer Kuhpocke von der Hand des Melkmädchens Sarah
Nelmes entnimmt. 1798 veröffentlicht Jenner zum ersten Male seine
bisher gewonnenen Erfahrungen und findet fast allgemeine Anerkennung
in England wie im Auslande.
1799 wird durch Dr. Stromeyer in Hannover die Impfung nach
Deutschland gebracht. Der Berliner Arzt Ernst Ludwig Heim, ım
Volksmunde genannt der „alte Heim‘ (1747—1834), Leibarzt der Königin
Luise, verimpft am 1. Februar 1800 als erster Arzt in Berlin Kubpocken
bei drei Kindern mit einem Impfstoffe, den er aus England erhalten hatte.
Goethe äußert sich über die Impfung zu seinem Leibarzte, Hofrat
Dr. Carl Vogel, am 19. Februar 1831 wie folgt: „Ich bin dafür, dab
man von dem strengen Gebote der Impfung auch ferner nicht abgehe,
indem kleine Ausnahmen gegen die unübersehbaren Wohltaten des Go-
setzes gar nicht in Betracht kommen.“ (Eckermanns Gespräche.)
l Durch königliches Edikt vom 31. Oktober 1803 wird die Impfung
in Preußen empfohlen und 1816 direkt eingeführt. Das gegenwärtig
geltende deutsche Impfgesetz vom 8. April 1874 bedingt für die
gesamte jugendliche Bevölkerung die Verpflichtung zu einer ersten und
nach Ablauf von durchschnittlich zehn Jahren einer Wiederimpfung.
. %* *“
5
i. Georg Wilhelm Keßler, Der alte Heim. (Leipzig 1879, Bd. 1, S. 122.)
2. Prof. Martin Kirchner, Schutzpockenimpfung und Impfgesetz.
(Berlin 1911.)
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich dio
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Nr. 89 (408). 29. September 1912.
Medizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
VIII. Jahrgang.
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: A. Hoffmann, Herz- und Gefäßkrankheiten und Unfall. (Mit 2 Abb.) A. Bum, Die „funktionelle Behandlung von Knochen-
brüchen. W.Morgenth:ler, Ueber das Gedächtnis. (Schluß) H.Dorendorf, Zur intravenösen Anwendung des Römerschen Pneumokokkenserums bei
croupöser Pneumonie. P.Wolfer, Beiträge zur Gichttherapie mit Urosemin. (Mit3Kurven.) Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Anworten von W. Körte-Berlin, A. Bier-Berlin, W. Mäller-Rostock, F. König-Marburg a. L, O. Witzel-Düsseldorf, V. Lieblein-Prag,
M. Hofmeier-Würzburg, Stoeckel-Kiel. — E. Kuhn. Die Behandlung von Herzschwäche und Kreislaufstörungen mit Unterdruckatmung vermittels
der Lungensaugmaske. G. Hunaous, Ueber die Anwendung von Creosotal in der Kinderpraxis. (Mit 5 Abb.) F. Bruck, Soll man alle drei Mandeln in einer
Sitzung entfernen? Posselt, Bemerkungen zu dem Artikel von Cholewa, Ueber Asthma. E. Koch, Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell dijodoxy-
benzolparasulfosaures Quecksilber, in ihrem Verhalten zum Organismus. — Referate: H. v. Bardeleben, Chirurgie bei Lungentuberkulose und Schwanger-
schaft. C. Adam. Neues von der Staroperation. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Kindersterblichkeit. Zusammenhang von Morbus
Basedowii mit Krankheiten der Beckenorgane. Intravenöse Hedonalinfusion. Liermannsche Bolusmethode. Kombination von Arzneimittel. Bessere
Ausnutzung der Nahrungsmittel durch Maggiwürze. Operationen der Leisten- und Nabelbrüche im frühesten Kindesalter. Gicht. — Neuheiten aus
der ärztlichen Technik: Destillierapparat (D. R. G. M.) — Blicherbesprechungen: H. Nothnagel, Spezielle Pathologie und Therapie. M. Verworn,
Narkose. O. Langemak, Die Arbeitsstätte des Chirurgen und Orthopäden (mit Winken für Einrichtung von Privatkliniken. A. Schittenhelm
und W. Weichhardt, Der endemische Kropf mit besonderer Berücksichtigung des Vorkommens im Königreich Bayern. A. Hartmann, Die
Schwerhörigen in der Schule und der Unterricht für hochgradig Schwerhörige in Deutschland. H. Hirschfeld, Polycythämie und Plethora.
F. Völcker, Chirurgie der Samenblasen. Orlowski, Eindrücke und Erfahrungen über Syphilisverlauf und Behandlung. A. Gigon, Aus der Ge-
schichte der Respiration und der Ernährung. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: H. Engel, Beitrag zur Be-
urteilung metastatischer Eiterungen in der Unfallbegutachtung. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 84. Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte in Münster i. Westf. 6. Internationaler Kongreß für Gynäkologie und Geburtshilfe vom 9. bis 13. September 1912 in
Berlin. (Schluß.) Breslau. Bromberg. Dortmund. Frankfurta. M. Hamburg. Berlin. — Rundschau: Bumke, August Cramer f. — Aerztlich-soziale
Umschau: Der Ortskrankenkassentag und die Arztfrage. — Soziale Hygiene: Gefrierfleisch. — Aerztliche Tagesfragen: Das Zellersche Verfahren
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zur Behandlung Krebskranker in der ärztlichen Praxis. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Medizinischen Klinik in Düsseldorf.
Herz- und Gefäßkrankheiten und Unfall’)
von
Prof. Dr. August Hoffmann, Düsseldorf.
M. H.! Die Frage des Zusammenhangs von Herz-
und Gefäßkrankheiten mit Unfällen tritt durchaus nicht
selten an den Arzt heran, und man sollte erwarten, daß in
der Unfalliteratur eine reiche Ausbeute über dieses Gebiet
zu finden sei. Es ist dies aber nicht so. Die Zusammen-
stellung von Gutachten in den Mitteilungen des Reichs-
versicherungsamts?) z. B enthält nur sehr wenige Obergut-
achten, welche Herz- oder Gefäßerkrankungen zum Gegen-
stande haben; und in der gesamten übrigen Literatur, be-
sonders auch in den reichen Kasuistiken, welche Düms?),
Thiem®) und Stern) in ihren bekannten Handbüchern zu-
sammengestellt haben, ist in vielen Fällen der Zusammen-
hang von Unfall und Herzkrankheiten doch ein sehr proble-
matischer. Es soll nun hier kurz dargelegt werden, auf
welche Weise ein Unfall die Kreislauforgane schädigen kann
und wann man berechtigt ist, bei vorliegender Herzerkran-
kung eine Schädigung durch Unfall anzunehmen.
Obwohl das Herz durch den knöchernen Brustkorb und
die an diesem angebrachte Körpermuskulatur gegen äußere
Einwirkungen geschützt erscheint, wird es doch nicht selten
durch Unfälle in Mitleidenschaft gezogen. Wenn direkte
!) Referat, erstattet auf dem III. internationalen Unfallkongreß zu
Düsseldorf am 9. August 1912. |
ia jo amalung ärztlicher Obergutachten Bd, 1 und 2. Berlin 1903
| j Handb. d. Militärkrenkh. II. Leipzig 1899. |
Pe on. d. Unfallerkrankungen. 2. Aufl. Bd.2, Tl. 2. Stutt-
-= $) Ueber traumat. Entsteh. inn. Krankh. 2. Aufl. Jena 1907.
Gewalteinwirkungen, wie ein Stich oder eine stumpfe Gewalt
mit Zerträmmerung der Rippen das Herz getroffen hat, so
macht die Feststellung, daß es sich um eine traumatische
Erkrankung handelt, keine Schwierigkeit. Anders liegt die
Sache, wenn bei anscheinend unverletztem Brustkorbe sich
nach irgendeinem Unfalle Beschwerden von seiten des Her-
zens zeigen. |
Inwieweit es möglich ist, daß das Herz durch Unfall
erkranken kann und welche Zeichen sich dabei darbieten,
kann auf zweierlei Weise festgestellt werden, einerseits
durch experimentelle Untersuchung an Tieren, anderseits
durch eine sorgfältige Sichtung der vorliegenden Kasuistik.
Das Herz als Motor des Gefäßsystems kann nun in ver-
schiedener Weise geschädigt werden. Ohne an den alten
Streit rühren zu wollen, ob das Herz myogen oder neurogen
arbeitet, muß hier doch kurz darauf hingewiesen werden,
daß das Herz des erwachsenen Individuums durch die ganze
Wirbeltierreihe hindurch nicht rein myogen arbeitet, sondern
daß es, wie auch schon Engelmann,. ein Hauptbegründer
der Lehre von der myogenen Herztätigkeit betont, fort-
während durch Nerveneinwirkungen in seiner Tätigkeit be-
einflußt wird. Es kann demnach eine Störung der Herz-
tätigkeit nach Unfall einerseits durch Veränderung am
Herzen selbst, anderseits durch Störungen des Nerven-
einflusses auf das Herz hervorgerufen werden, die beide ge-
sondert zu betrachten sind. NRE
Das Herz selbst kann nun außer durch direkte Ver-
letzung durch Stich oder.durch einbrechende Rippen, wo-
bei ja die Feststellung des ätiologischen Zusammenhangs
keinerlei Schwierigkeiten macht, aber auch durch stumpfe
Gewalt geschädigt werden, und zwar nicht nur durch eine
umschriebene Gewalteinwirkung, welche den Thorax selbst
betrifft, sondern auch durch eine allgemeine Erschütterung
des Körpers, wie sie bei Sturz aus größerer Höhe oder beim
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1570 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
29. September.
Fortgeschleudertwerden, bei Explosionen usw. vorkommen
kann. Während die letztere Schädigung in ihrer mächtigen
Einwirkung auf den Körper als Ursache einer Herzver-
änderung leicht erkannt werden kann, ist es anderseits doch
recht fraglich, wie stark eine den Brustkorb treffende
stumpfe Gewalt sein muß, um eine organische Störung des.
Herzens hervorzurufen. Die Kasuistik gibt uns hierauf keine
befriedigende Antwort, zumal die nach leichteren Verletzun-
gen etwa vorkommenden Herzbeschwerden in der Regel als
funktionell oder nervös gedeutet werden, besonders wenn
sie neben oder als Teilerscheinung einer allgemeinen Neu-
rose auftreten. Wir besitzen aber sehr interessante, experi-
mentelle Untersuchungen an Tieren von Duffour!), Ro-
bino?) und besonders neuerdings von Külbs3).
Während die beiden ersten Autoren sich bei ihren Ver-
suchen eines Hammers bedienten und dadurch heftige Gewalt-
einwirkung erzielten, bediente sich Külbs eines nur 150 g
schweren Stabs aus Tannenholz und schlug Hunde ein- bis
dreimal gegen die linke Brustseite, womöglich in die Gegend
des Herzspitzenstoßes. Zwei Tiere starben unmittelbar nach
dem Schlage, die übrigen blieben längere Zeit am Leben.
Der Puls wurde in allen Fällen nachher arhythmisch und.
sehr starke Beschleunigung wurde beobachtet. Bei der
Autopsie fanden sichin den meisten Fällen organische Herz-
veränderungen, und zwar vorwiegend Blutungen, welche
an verschiedenen Teilen des Herzens sich zeigten, in den
meisten Fällen aber.än den Klappen lokalisiert waren. Von
diesen war wieder in erster Linie die Mitralklappe betroffen.
Ferner fanden sich etwa bei der Hälfte der Tiere Myokard-
schädigungen, ebenfalls in Blutungen bestehend, und etwa in
einem Drittel der Fälle Perikardblutungen. . Wenngleich
diese Ergebnisse für die menschliche Pathologie nur be-
dingungsweise zu verwerten sind, so ist doch dadurch fest-
gestellt worden, daß sich auch bei mäßiger Gewaltein-
wirkung, ohne daß stärkere Veränderungen der Thorax-
wand eintreten, Herzverletzungen einstellen können, und
daß sich an eine mäßig starke, Stumpfe Gewalteinwirkung
Herzstillstand und anatomische Veränderungen anschließen
können, welche zunächst vielleicht klinisch nicht nachweis-
bar sind. Ferner können sich daran chronische Erschei-
nungen von Myokarditis, Endokarditis und Klappeninsuffizienz
anschließen. l |
Dies weist vielleicht darauf hin, daß in manchen Fällen
von chronischen Herzbeschwerden, bei denen eine erhöhte
Reizbarkeit des Herzens gefunden wird, die sich in perma-
nenter oder auch nur in einer in umschriebenen Anfällen auf-
tretenden Tachykardie oder Arhythmie zu erkennen gibt,
vielleicht die Folgen einer latenten Myokardschädigung er-
blickt werden müssen und man mit der Annahme einer nur
nervösen Herzstörung in solchen Fällen dann recht vorsich-
tig sein muß. |
Die Mechanik der Entstehung der von Külbs be-
obachteten Blutungen ist nicht so einfach zu erklären.
Am wahrscheinlichsten ist es, daß der systolisch kontra-
hierte Herzmuskel beziehungsweise das Epikard oder das
Endokard durch die auftreffende Gewalt gewissermaßen
Splisse erleiden, die den Blutaustritt aus den dabei zerrissenen
Gefäßen hervorrufen. | |
Was die menschliche Pathologie anbelangt, so finden
sich in der Kasuistik von sichergestellten organischen Ver-
änderungen des Herzens nach derartigen umschriebenen
stumpfen Gewalteinwirkungen nur relativ wenig Fälle. Huf-
schläge, Steinwürfe und Schläge gegen die Brust vor allen
Dingen sind als Ursache von autoptisch sichergestellten
| 1) Des insuffisances aortiques d'origine traumatique. Thèse.
Paris 1896. EEE
3) Archives de biologie italiennes. 1892. =
3) Experimentelle Untersuchungen über Herz und Trauma (Mitt.
a. d. Gr. 1909, Bd. 19, S. 678). |
| organischen Herzerkrankungen in der Literatur nur spärlich
niedergelegt [cf. Bernsteind)].
Die Art der Erkrankungen, welche in der Literatur
vorliegen und sich auf stumpfe Gewalteinwirkung zurück-
führen lassen, ist dabei äußerst mannigfaltig. Von den in der
Medizinischen Klinik in Düsseldorf beobachteten Fällen er-
wähne ich vor allen Dingen bei acht Bergleuten Sturz von
Gestein auf die Brust. In all diesen Fällen handelte es
sich um subjektive Herzbeschwerden, welche in Druck und
Schmerzen in der Herzgegend bestanden, sowie um meist
dauernde Herzbeschleunigung, die bei geringfügiger Anstren-
gung sich sehr vermehrte. Dieselbe erweckte den Verdacht
einer Myokardschädigung. In zwei Fällen bestand zeitweilig
Arhythmie. = |
Viel häufiger als umschriebene Gewalteinwirkung auf
die Brust werden allgemeine Erschütterungen als Unfall-
ursache beschuldigt. Es handelt sich dabei um Sturz
aus dem Fenster, von der Treppe oder Beiseitegeschleudert-
werden durch eine heranfahrende Lokomotive, durch Ex-
plosion und ähnliche Ursachen, die zu einer heftigen Er-
schütterung des ganzen Körpers führen. Während auf
diesem Gebiet experimentelle Untersuchungen nicht vor-
liegen, ist anderseits die Kasuistik außerordentlich reich an
solchen Fällen. Und zwar werden als Ursache in derselben
meist Sturz aus größerer Höhe angegeben. m nr
Auch autoptisches Material liegt über derartige Fälle
genügend vor. Ohne hierauf näher eingehen zu wollen, er-
wähne ich nur die Reuboldschen?) Feststellungen, der bei
Autopsien von durch Sturz. Verunglückten nicht selten Blu-
tungen und Zerreißung von Klappen und Sehnenfäden im
Herzen gefunden hat, Wir können die Aetiologie einer all-
gemeinen schweren Erschütterung des Körpers für trauma-
tische Entstehung von Herzerkrankung als gesichert an-
sehen. | ‘7
Ich selbst war in der Lage, mehrere derartige Fälle zu beobachten.
Der erste betraf einen 40jährigen Mann, der, wie er in einem Wagen
über das Geleise der Eisenbahn fuhr, vom. Zug erfaßt wurde und, ohne
daß anscheinend eine äußere ‘Verletzung entstanden war, mehrere Meter
weit aus dem Wagen fortgeschleudert wurde. Während der sehr kräftige
Mann bis dahin nicht die geringsten Beschwerden hatte, traten un-
mittelbar nach dem Unfalle Schmerzen in der Brust, besonders in der
linken Seite, und von Anfang an Atembeschwerden auf. Die von mir vor-
genommene Untersuchung ergab ein auch im Röntgenbilde nachweisbar
nach allen Seiten verbreitertes Herz. eine beschleunigte Herzaktion und
über dem ganzen Herzen ein sehr lautes diastolisches und ein rauhes
systolisches Geräusch. Der Kranke ging an Herzinsuffizienz innerhalb
zweier Jahre auswärts zugrunde, wurde nicht obduziert, offenbar, weil
seine Entschädigungsansprüche von der Eisenbahnverwaltung anerkannt
waren. Ich bemerke noch dabei, daß die Wassermannsche Reaktion
negativ bei ihm ausfiel. Ä u EE e
Ein zweiter Fall betrifft einen 32jährigen Offizier, der einen heftigen
Sturz vom Pferd erlitt, wobei ein Beckenbruch erfolgte. Während er
früher seinen Dienst voll tun konnte, hatte er von da an Herzbeschwerden.
Bei der Untersuchung zeigte sich ebenfalls ein systolisch-diastolisches
lautes Geräusch neben Vergrößerung des Herzens. Er mußte der Herz-
affektion halber seinen Dienst aufgeben. | v
. Ein dritter Fall war ein 28jähriger Schlosser, welcher vorher nie-
mals Gelenkrheumatismus oder Herzbeschwerden gehabt hatte und voll
arbeitsfähig war. Er erkrankte an einer Pneumonie und stürzte sich im
Fieberwahn etwa 7 m hoch zum Fenster hinaus. Als’ er wieder zu sich
kam, fühlte er Stiche und Schmerzen auf der Brust und besonders Stiche
in der linken Seite. In der ersten Zeit schwollen ihm abends häufiger
die Füße an, es traten häufig Beklemmungen auf, die allmählich von
selbst vergingen. Bei einer etwa sechs Monate später vorgenommenen
Untersuchung fand sich ein systolisch-diastolisches Geräusch am Herzen
bsi beschleunigter Herzaktion und vergrößerte Herzfigur. ,
Wie es bei einem solchen Sturze zu einer speziellen
Verletzung des Herzens kommen kann, auch dann, wenn die
Rippen nicht gebrochen sind, erklärt sich aus emer- Art
Sprengwirkung. Es kommt darauf an, daß die Klappen i
Moment der Verletzung geschlossen sind. Sind es nur 2
Aortenklappen, so muß eine heftige Kompression des Brüst-
1) Traumatische Krankheiten des Herzens (Zt. f. kl. Med. 1896»
Ba. 29, S. 519). \ Brust‘
2) Bemerkungen über die Quetschung der Eingeweide von Sru
und Bauchhöhle (Friedreichs Blätter f. ger. Med. 1890).
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. = -= Wa
29. September.
korbs, durch den starken auf die Aorta ausgeübten Druck
eine hydraulische Wirkung auf die Aortenklappen haben.
Ist der Druck übergroß, so können die Klappen nicht wider-
stehen. Wie groß der Druck sein muß, um die Aorten-
klappen zu sprengen, ergeben die später zu erwähnenden
Untersuchungen : von Barrié. Dasselbe gilt für die Mitral-
klappen. Wenn sie geschlossen sind und der linke Ven-
trikel mit Blut gefüllt ist, was besonders in der soge-
nannten Anspannungszeit .der Fall ist, kann die plötzliche
Kompression den Druck in diesem derartig erhöhen, daß
auch die Mitralklappen gesprengt werden. Häufiger finden
sich aber an dieser Klappe nur die Sehnenfäden gerissen.
- Auch die Klappen des rechten Herzens sind so mehr-
fach zum Zerreißen gebracht worden. gi
Drittens werden für die Entstehung von Herzverletzungen
Unfälle beschuldigt, die darin bestehen, daß einmalige heftige
Muskelanstrengungen diese herbeigeführt haben sollen.
Diese Art der Entstehung fällt mit einer vierten teilweise
in ihrer Mechanik zusammen, das ist die der Entstehung
von Herzkrankheit durch heftigen Schrecken. Wir müssen
uns dabei klar machen, was denn in solchen Fällen gə-
schieht? Bei einer heftigen Muskelanstrengung erweitern
aan ae ' sich die Gefäß-
gebiete, welche
die Muskulatur
versorgen, ZU-
gleich arbeitet
das Herz heftig.
In der Regel
bringt eine hef-
tige Anstren-
gung es auch
mit sich, daß
dabei die At-
mung angehal-
ten wird, der
Betreffende,
der etwa ein
schweres Ge-
wicht heben
will, der sich
gegen eine
schwere Last
stemmt, hält
unwillkürlich
den Atem an
und macht eine
exspiratorische
aa Preßbewegung,
er stellt also den Valsawaschen Versuch bei Sich an.
Bei diesem wird der intrathorakale Druck stark erhöht,
der Abfluß aus dem Venensystem zum Herzen behindert,
das Blut staut sich rückwärts an und es tritt eine
Ueberfüllung der Arterien ein. Gegen diese überfüllten.
‘Arterien arbeitet der linke Ventrikel mit besonders hoher
Kraft, da der erhöhte intrakardiale Druck seine systo-
lische Arbeit ‘begünstigt, dadurch entsteht eine starke Blut-
druckerhöhung in den Arterien und damit eine starke ein-
seitige Belastung der zarten Segelklappen der Aorta, die in
der Diastole an dem schlecht gefüllten Ventrikel keine
Wiederlage haben. Durch Untersuchungen von Barrié’),
welcher an ausgeschnittenen Herzen experimentierte, ist fest-
gestellt, daß die Aortenklappen individuell verschieden starken
Druck aushalten. Druckhöhen von 3—400 mm Quecksilber-
druck brachten: in drei Fällen erst die Aortenklappen zum
Zerreißen, in einem Falle aber schon Druck von 116 mm Hg.
Druckhöhen von 300 mm oder ähnlicher Werte messen wir
aber niemals am‘ Lebenden. p
`
= 1) Recherches cliniques et “experimentales sur les ruptures _valvu-
laires du coeur. (R. de méd. 1881.) Ä |
. aneurysmatischen
. Vorbuchtung in die
‘halb des Ansatzes
mer. In der .Um-
‚gebung des Mus-
.kalkende Verände-
-frischere und ältere
Es ist demnach schwer .zu verstehen, daß unter solchen
Umständen Druckhöhen erreicht werden können, welche ge-
sunde Klappen zum Reißen bringen. Es zeigt uns aber die
Kasuistik, daß im Anschluß an eine heftige Anstrengung
Klappenzerreißungen vorkommen. 0... i
Während ein Teil der in der Literatur niedergelegten
Fälle ‚vielleicht zweifelhaft sein kann, so möchte ich hier
einen sichern, von mir längere Zeit — fast zwei Jahre hin-
durch — beobachteten Fall anführen. -
Es handelt sich um einen 30jährigen Matrosen, der am 10. April
1909 beim Ausladen eines Schiffes eine schwere Tonne, die ins Rutschen
geriet, aufhalten wollte. Er konnte das Gewicht: trotz aller Anstrengung
nicht aufhalten und wurde zurückgedrängt. Er fühlte dabei einen heftigen -
Stich in der Brust. Von dem Moment an klagte er über ein Gefühl in
der Brust, als ob etwas gerissen sei, und Atemnot. Er war sofort voll-
kommen arbeitsunfähig und wurde in ein Krankenhaus aufgenommen. Am
14. März 1910 kam er in die Düsseldorfer Klinik. Hier fanden sich alle
Zeichen der Herzinsuffizienz. Das Herz selbst war verbreitert nach beiden
Seiten und man hörte über dem ganzen Herzen, sogar schon aus einiger
Entfernung, ein rauhes, lautes, systolisches Geräusch, welches beim Auf-
legen der Hand als Schwirren ungemein stark vernehmbar war. Neben
' dem systolischen war ein leiseres, perlendes diastolisches Geräusch über
der Aorta zu hören.
Die Sektion
ergab einen Riß des
vorderen Aorten-
segels mit einer
rechte Herzkam-
mer, eine Zerrei-
Bung des Herzmus-
kels dicht unter- .
des Aortensegels
und dadurch eine
Verbindung der
linken mit der
rechten Herzkam-
kelrisses zeigten
sich chronische ver-
rungen der Herz-
innenhaut, Ver-
diekung des parie-
talen Endokards,
Sehnenflocke,
Blutungen des Epi-
kards. Es bestand
außerdem eine Er- -
weiterung beider
Herzkammern mit
mäßigerVerdickung
der Wandmuskula-
tur. Die Abbildung
u Abb. 2, |
des Präparats (Abb. 1 und 2) zeigt den Befund deutlich. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß diese Ruptur eine Folge jenes Unfalls war. :-
Als weitere Ursache von organischer Herzerkrankung
wird plötzlicher heftiger Schrecken oder eine sonstige
psychische Aufregung beschuldigt. In der Literatur. sind
manche Fälle niedergelegt, bei denen ein heftiger Schrecken
eine organische Erkrankung des Herzens hervorgerufen haben
soll. Wir müssen ja auch annehmen, daß der plötzliche Tod,
der bei starker, psychischer Erregung mitunter beobachtet
ist, eine Folge derselben sein kann. Bei gesunden Herzen
ist eine derartige Einwirkung psychischer Erregung im all-
gemeinen wohl sehr selten. Dagegen ist bei vorher kranken
Herzen, die an sich wenig widerstandsfähig waren, auch
durch Schrecken eine Schädigung sicher möglich.
"Komplizierter noch liegt die Aetiologie, wie sie in
einem Gutachten von Goldscheider in den Mitteilungen
_ des Reichsversicherungsamts!) niedergelegt ist. Es handelt
sich da um einen Mann, der einen Sturz ins Wasser getan
hatte und daran anschließend an rheumatischen Beschwerden
‚erkrankte. Auf dem Boden dieser Beschwerden entstand
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1572 © 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
ein Herzfehler. Der ursächliche Zusammenhang des Herz-
fehlers mit dem Sturz ins Wasser wird von Goldscheider
mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen. So können
also auch Erkältungen, Durchnässungen, wenn sie als Unfall
aufzufassen sind, indirekt über den Weg einer rheumatischen
Erkrankung zu einem Herzleiden führen.
Damit nun ein Herzleiden als Unfallfolge aufgefaßt
werde, muß der Unfall derartig sein, daß durch ihn ein
Herzleiden wirklich entstehen kann. Und da kommen eben
nur die angeführten Momente in Betracht.
Viel schwieriger ist es unter Umständen zu entscheiden,
ob der zweite Angriffspunkt für einen Unfall, nämlich das
Herznervensystem gelitten hat. Nervöse Herzstörungen
können nach jedem psychischen Trauma auftreten, doch
wird man auch da annehmen müssen, daß das Trauma oder
der damit verbundene Schrecken, die damit verbundene
psychische Einwirkung eine gewisse Schwere gehabt haben
müssen. Sind doch auch im praktischen Leben Herzstörun-
gen nach einmaligen psychischen Erregungen, wenigstens
soweit sie dauernd sind, etwas Seltenes. Ferner ist zu be-
achten, daß solche Herzstörungen stets Teilerscheinung einer
allgemeinen Neurose sind, auf die hier nicht weiter ein-
zugehen ist. |
Eine ebenso wichtige Frage, wie die der Entstehung der
Unfälle, ist die Frage der Verschlimmerung eines Herz-
leidens durch Unfall. Während wir bei der Annahme der
Entstehung streng genommen verlangen können, dab zu-
nächst der Nachweis geliefert werden müsse, daß das Herz
vorher gesund war, ist bei der Annahme der Verschlimme-
rung, die ja praktisch fast dieselbe Bedeutung für die Unfall-
versicherung hat, dies nicht notwendig.
Auch bei der Annahme einer Verschlimmerung durch
Unfall muß die Art des Unfalls besonders ins Auge ge-
faßt werden. Natürlich sind alle erwähnten Veranlassun-
gen, welche ein Herzleiden verursachen können, auch im-
stande, ein solches zu verschlimmern. Auf dem Gebiete der
Verschlimmerung aber werden die Folgen psychischer Einwir-
kungen besonders oft angegeben. Gewiß ist, wie schon
vorher erwähnt, ein geschädigtes Herz in Gefahr, durch starke
Aufregung weiter und dauernd geschädigt zu werden. Doch
muß auch in solchen Fällen der Schrecken derartig sein,
daß er etwas Außergewöhnliches bedeutet, und die Ver-
schlimmerung muß ebenfalls außergewöhnlich sein und sich
vor allen Dingen wirklich an den Unfall anschließen.
Ein Fall, welchen ich zu begutachten hatte, betraf eine fettleibige
62jährige Fran. Zwei Jahre vor ihrem Tode erlitt sie in einer Straßen-
bahn einen Unfall, der darin bestand, daß der Straßenbahnwagen gegen
die Deichsel eines Karrens fuhr, wobei eine Scheibe zertrümmert wurde
und ihr ein Splitter die Stirn verletzte. Der behandelnde Arzt entdeckte
erst ein halbes Jahr später einen Herzfehler, der aber damals wohl kom-
pensiert war. Sie ging 1!/a Jahre später an Herzinsuffizienz zugrunde. Eine
Autopsie war nicht gemacht worden. Ich mußte die Frage der Ent-
stehung des Herzfehlers durch Unfall verneinen, die Frage der Ver-
schlimmerung als nicht wahrscheinlich hinstellen, da nach dem Unfall
überhaupt keine Herzbeschwerden geklagt wurden, sondern der Herz-
fehler längere Zeit später zufällig entdeckt wurde und auch die Art des
Unfalls gar nicht bedeutend genug erschien, um eine Verschlimmerung
eines Herzleidens, welche sich ja überhaupt nicht unmittelbar an den
Unfall anschloß, zu erklären.
Es sind, wenn man die Art der Herzschädigungen
betrachtet, als Unfallsfolgen bekannt geworden: Perikard-
und Myokardveränderungen, Endokardblutungen, Klappen-
zerreißungen, wozu auch Sehnenfädenzerreißungen gerechnet
werden müssen. Es erhebt sich noch die wichtige Frage: Können
auch entzündliche- Erscheinungen am Herzen durch Unfall
hervorgerufen werden? Wenn irgendwo im Körper durch
Unfallsfolgen Eiterungen entstehen, so ist natürlich durch
verschleppte Infektionserreger eine entzündliche Erkrankung
am Herzen möglich. Aber auch besonders gern schließen
sich an Endokardverletzungen auch benigne Prozesse an,
wie sie ja auch in dem von mir angeführten Falle bestan-
den. Es entsteht aber durch eine Zerreißung des Endokards
auch ein Ort geringeren Widerstandes, in welchem sich im-
Blute kreisende Infektionserreger ansiedeln können. Insofern
ist unter Umständen eine schleichende Endokarditis oder
Myokarditis als Unfallsfolge anzuerkennen, doch muß der
Unfall immerhin so beschaffen sein, daß er zu einer wirk-
lichen Verletzung des Herzens führen konnte, und die Er-
krankung muß sich zeitlich an den Unfall anschließen.
Noch eine wichtige Frage ist die der akuten Herz-
dilatation nach Ueberanstrengung. Nach der Literatur der
letzten zehn Jahre dürfen wir annehmen, daß eine akute
Herzerweiterung bei gesundem Herzen als Folge einer ein-
maligen Ueberanstrengung nicht vorkommt. Daß ein an
der Grenze der Kompensation stehendes Herz dagegen durch
eine einmalige Ueberanstrengung dauernd geschädigt werden
kann, ist aber zweifellos.
Zum Schlusse noch ein Wort über die Entstehung der
Aneurysmen. Seitdem wir die Wassermannsche Reaktion
besitzen, ist mir noch kein Aneurysma vorgekommen, bei
welchem nicht durch diese Lues nachzuweisen war. Abgesehen
von der Wandzerreißung, dem Aneurysmas dissecans, ist die
Entstehung des chronischen Aneurysma ursächlich sicher sehr
viel seltener auf Unfall zurückzuführen, als mancherseits an-
genommen wird. Wohl kann ein Unfall zur Verschlimme-
rung führen, aber auch da wird man bedenken müssen, dab
nach einem Unfall ein längst bestandenes Aneurysma viel-
leicht erst zufällig entdeckt wurde. Auf die Frage einer
etwaigen Entstehung der Arteriosklerose durch Unfall soll
hier nur kurz eingegangen werden. Die Ursache der Ar-
teriosklerose und ihre Pathogenese ist nicht absolut sicher-
gestellt. Nimmt man toxische oder infektiöse Ursachen
an, so ist eine Entstehung durch Unfall nicht zu ver-
stehen. Tatsächlich wird aber häufig ein rasches Fort-
schreiten namentlich einer cerebralen Arteriosklerose nach
Unfall berichtet. Faßt man die Arteriosklerose mit Mar-
chand als Abnutzungskrankheit auf, so können nur die
durch psychische Einwirkungen erhöhten Beanspruchungen
des Gefäßsystems ätiologisch in Frage kommen. Diese
werden aber durch den Rentenkampf in größerem Maß er-
folgen, wie durch den Unfall selbst. Von Rentenkämpfern
kann man zwei Arten unterscheiden: Die Gutgläubigen,
welche eine schwere Schädigung durch den Unfall wirklich
befürchten und nun um ihre vermeintliche Existenz kämpfen,
und die andere Art, die im Unfall ein Mittel zur Verbesse-
rung ihrer Lage sehen. Erstere Kategorie wird wohl häufiger
schwere psychische Erregungen erleiden.
Die Symptome, welche Kreislaufstörungen nach Un-
fall zeigen, sind nicht verschieden von denen, die bei gleich-
artigen Erkrankungen ohne Unfallätiologie beobachtet
werden. Häufig ist ein plötzlicher Stich, verbunden mit
Atemnot, das erste Symptom. Bei einer Klappenzerreißung ent-
stehen dieselben Erscheinungen, wie bei einem Klappenfehler
von anderer Aetiologie.
Auffallend war in unsern Fällen, daß sich ein über-
lautes Schwirren über dem Herzen fühlen ließ; ebensosehr
laute systolische und diastolische Geräusche. Der autop-
tische Befund läßt in unserm Falle die Entstehung des
systolischen Geräusches erklärlich erscheinen. Intra vitam
hatten wir eine nebeu der Aorteninsuffizienz entstandene
Mitralinsuffizienz nach dem Vorgange von M. B. Schmidt‘)
angenommen. M. B. Schmidt erklärte die traumatische
Entstehung einer Mitralinsufizienz neben einer Aorteninsuffi-
zienz dadurch, daß er annahm, daß durch das zerrissen®
Aortensegel der erhöhte Druck sich rückwärts in die Jinke
Kammer fortpflanze und so die Mitralis ebenfalls zum
Reißen bringe.
| In unserm Falle fand sich keine Mitralinsuffizienz, und
das systolische Geräusch entstand offenbar dadurch, daß das
Blut während der Systole seitens des stärkeren linken Ven-
trikels durch den Septumriß in den schwächeren rechten
1) M. med. Woch. 1902, Nr. 88.
99, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. | 1573
gepreßt wurde. Dadurch mußten starke Wirbelbewegungen
entstehen. Auch flottierten die Wand des Septumaneurysma,
sowie die abgerissenen Klappen in dem Blutstrome, was die
Intensität des Geräusches erklärt. Es zeigte sich also
hier eine neue Art der Entstehung systolischer
Herzgeräusche bei Trauma.
Die Gestalt der Herzdämpfung entspricht auch in
traumatischen Fällen der vorliegenden organischen Er-
krankung. Vor allem ist hier auf den großen Wert der
Röntgentelephotographie für das Gutachten hinzuweisen.
Das Verhalten des Blutdrucks zeigt nichts für trauma-
tische Erkrankungen Charakteristisches. Ist der Blutdruck
sehr und andauernd erhöht, so ist fast stets eine Beteiligung
der Nierengefäße vorliegend.
Die Pulsfreqguenz ist bei Traumatikern häufig dauernd
oder zeitweilig vermehrt, ohne daß sich sonstige objektive
Erscheinungen nachweisen lassen. Man muß in solchen
Fällen immer an eine traumatische Herzmuskelschädigung
denken und mit der Annahme einer „nur“ nervösen Affektion
zurückhalten. Leider fehlt für derartige Fälle es sehr an
autoptischem Material. Die Versicherungsgesellschaften sollten,
wenn solche Fälle etwa später zum Tode führen, auf der Ob-
duktion bestehen. Genaue anatomische Untersuchung deg
Herzmuskels, insbesondere des Ueberleitungssystems, ver-
spricht hier weitere Förderung unserer Kenntnisse.
Auch für Pulsirregularitäten gilt das Gesagte. Bestimmte
Formen von Irregularität sind nicht für das Trauma
als Ursache charakteristisch. Das Elektrokardiogramm hat
uns hier auch nicht weiter gefördert. Es sind also die
Symptome traumatischer Herz- und Gefäßkrankheiten nur
in sehr geringem Maße und selten von der Aetiologie ab-
hängig, sondern durchaus von den vorliegenden anatomischen
Veränderungen. Eine sichere Kenntnis der Pathologie des
Herzens muß der Diagnose zugrunde liegen.
Abhandlungen.
Die „funktionelle“ Behandlung von Knochen-
brüchen')
von
Priv.-Doz. Dr. A. Bum, Wien.
„Funktionelle Behandlung“ ist der Inbegriff jener
therapeutischen Methoden, deren Endziel die vollständige
Wiederherstellung der Gebrauchstähigkeit des verletzten
Körperteils bedeutet. Sie steht durchaus nicht — wie mehr-
fach angenommen wurde — im Gegensatz zur anatomi-
schen Restitution, da sie fast ausnahmslos diese letztere zur
Voraussetzung hat. Sie begnügt 'sich nur nicht mit einer
lediglich anatomischen Heilung, verlangt vielmehr auch die
Wiedererlangung der physiologischen Fähigkeiten jener
Teile, die das Trauma betroffen hat. Die funktionelle Be-
handlung strebt sogar eine der Norm möglichst adäquate
anatomische Heilung an und bekämpft alle Momente, die
geeignet sind, diese Heilung zu verzögern oder zu stören.
Sie ist daher in erster Reihe bemüht, normaler Narben-
bildung nahekommende anatomische Verhältnisse zu schaffen.
Nur dort, wo dieses Ziel durch Umstände behindert ist, die
eine vollständige anatomische Wiederherstellung undurch-
führbar erscheinen lassen, weil eine solche die zukünftige
Funktion des verletzten Teils gefährden würde, kann die
funktionelle Therapie ausnahmsweise auf volle anatomische
Restitution im Interesse dieser Funktion dann verzichten,
wenn durch diesen Verzicht dem Verletzten kein größerer
Schaden droht als durch die gestörte oder aufgehobene
Funktion.
So stellt denn die funktionelle Behandlung die Standard-
therapie einer großen Zahl von Verletzungen dar, vor allem
jener des Knochensystems, zumal der Brüche der Extremitäten-
knochen. Auf die Besprechung dieser Frakturen will ich
mich hier beschränken.
. Die ärztliche Intervention zwecks dauernder Vereinigung
eines frakturierten Röhrenknochens erscheint — allgemein
gesprochen — als minimale Leistung. Wenn die beiden
Fragmente miteinander in Berührung treten und in Be-
rührung bleiben, so kommt es durch Osteoblastenbildung
des Periosts, des Markes und der Haversschen Kanäle zur
Entwicklung der Knochennarbe, des Callus, der die beiden
Bruchstücke miteinander vereinigt, fester und widerstands-
fähiger als der intakte Knochen an dieser Stelle vor der
Fraktur war. Um einen Knochenbruch zur grob-ana-
tomischen Heilung zu bringen, bedarf es in der Tat zu-
Meist keiner überragenden ärztlichen Kunst.
. Da wir aber wissen, daß eine allzu mächtige Knochen-
narbe funktionelle Gefahren für die Zukunft des verletzten
I) Referat, erstattet am III. Internationalen medizinischen Unfall-
kongreß zu Düsseldorf (August 1912). |
Teils in sich birgt; da wir wissen, daß diese Knochennarbe
sich durch übermäßige Zufuhr autoplastischen Zeillmaterials
um so mächtiger gestaltet, je größer die Berührungsflächen
dislozierter Fragmente sind; da wir ferner wissen, daß die
längere Ruhigstellung des verletzten Glieds zumal mit
Hilfe starrer, den Zu- und Abfluß des Bluts und der
Lymphe wenn auch nur zum Teil behindernder Verbände
die Ernährung der Muskulatur herabsetzt, einer Muskulatur,
die infolge längeren Nichtgebrauchs an sich ebenso leidet
wie die Funktion der der Fraktur benachbarten Gelenke; da
wir endlich die trophischen Störungen kennen, die Weich-
teile und Knochen durch Inaktivität erfahren, so kann nicht
geleugnet werden, daß eine die Situation voll erfassende,
durchaus individualisierende, voraussehende und richtig ein-
greifende ärztliche Intervention im Sinne funktioneller Vor-
sorge geboten erscheint, die an die Erfahrung wie an das
Wissen und Können des Arztes hohe Anforderungen stellt.
Diese Intervention ist nicht als eine Art kontrollierender
und zuwartender, sondern als eine ab initio aktive zu be-
zeichnen, weil hier gerade die Anfangsbehandlung geeignet
ist, den Heilungsverlauf zu bestimmen und hierdurch die
bisher irrtümlich der sogenannten „Nachbehandlung“ reser-
vierte, die bereits entwickelte Funktionsstörung bekämpfende
Mobilisierung überflüssig zu machen oder doch wesentlich
zu erleichtern. Wir trachten, anatomische und funktionelle
Wiederherstellung gleichzeitig zu erzielen.
Die erste und wichtigste Forderung jeder Fraktur-
therapie ist somit die Sorge für sofortige exakte Reposition
der Bruchstücke (manuelle und Gewichtsextension, womög-
lich unter Leitung des Röntgenbildes, das jedoch .nicht just
„ideale“ Stellung der Fragmente zeigen muß, und even-
tueller Narkose) und für Retention der reponierten Frag-
mente zumindest während der Entwicklung des provisorischen
Callus. |
Aber schon in diesem ersten Stadium der Fraktur-
behandlung kann häufig therapeutisch eingegriffen werden,
und zwar zwecks Begünstigung der Resorption des durch
die Fraktur gesetzten Blutextravasats. Die Blutung erfolgt
erfahrungsgemäß (P. Bruns) außer in die Markhöhle
namentlich in die Bruchspalte und an die Außenfläche der
Bruchenden zwischen Knochen und Periost, nicht selten
auch in das die Frakturstelle umgebende Zellgewebe, inter-
und intramuskulär. Es gelingt durch korrekte, zarte Massage
in Form zentripetal gerichteter, aber distal fortschreitender
Streichungen des verletzten Glieds, die Resorption des
Blutergusses zu befördern und schon damit das funktionelle
Schicksal der Fraktur günstig zu beeinflussen, da hierdurch
Verklebungen der Weichteile, Sehnenverwachsungen, Muskel-
contracturen verhütet und infolge Entlastung der Nerven
vom Drucke des Extravasats die Schmerzen wesentlich ver-
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1574
ringert werden. Dazu kommt — meiner Anschauung und
Erfahrung nach wohl zumeist erst nach Etablierung des
provisorischen (heterologen) Callus — zarte und gelenkige
Massage der Frakturstelle selbst.
Es ist das große Verdienst Lucas-Championnidres,
zuerst gezeigt zu haben, daß der Knochenbruch kein Noli
me tangere darstellt, daß vielmehr durch frühzeitige mecha-
nisch-mobilisierende Therapie zahlreiche funktionelle Schäden
dieser Verletzung verhütet werden und die Behandlungs-
dauer wesentliche Verringerung erfährt. Wenn die Chirurgie
der Frakturen unter dem Drucke der durch die Unfallkunde
eröffneten Erkenntnis dringender Notwendigkeit funktioneller
Therapie der frühzeitigen Mobilisierung nähergetreten ist, so
bedeutet diese Tatsache einen Triumph des unermüdlich für
sein Lebenswerk wirkenden Arztes. Dieser Triumph wird
in keiner Weise dadurch geschmälert, daß die Indikations-
stellung für die Anwendung frühzeitiger Massage und Mobi-
lisierung bei der Frakturbehandlung sich gegenwärtig mit
den Lehren Lucas-Championniöres nicht mehr voll-
ständig zu decken vermag.
An der im Eingang meiner Ausführungen begründeten
Anschauung festhaltend, daß die erste im Sinn anatomischer
und funktioneller Heilung zu stellende Forderung exakte
Reposition und verläßliche Retention der Fragmente
lautet, können wir der „sofortigen und kontinuierlichen
Massage“ Championnidres einzig und allein jene Frakturen
zubilligen, welche keinerlei Tendenz zu Dislokation
zeigen. Wir können diese Indikation nur noch auf solche
Frakturen eines von Doppelknochen (Radius und Ulna, ferner
Fibula) erweitern, die eine solche Tendenz in nur minimalem
Grad aufweisen, sowie auf jene Querbrüche der Patella und
des Olecranon, die bei nur geringer Diastase der Fragmente
‚keine erhebliche Schädigung des Streckapparats zeigen!).
Fast alle sonstigen Knochenbrüche erheischen nach
genauester Reposition Retention während der Bildung
des provisorischen Callus, mag diese Retention durch
„Bandagierung in Korrekturstellung mit Spielraum für un-
gefährliche Bewegungen“ (Lexer), durch Fixation im Kapsel-
und Schienenverbande bei Ausschluß des circulären Hart-
verbandes, durch Suspension, die zumal bei Frakturen des
Humerus und Femur zur Ausgleichung der longitudinalen
Dislokation so unentbehrliche, durch die Semiflexion
(Zuppinger) wesentlich verbesserte Extension, durch. die
blutige Naht usw. bewirkt werden.
Wir müssen jedoch von dieser Retention verlangen,
daß sie uns die Beobachtung, Untersuchung und
Behandlung der Frakturstelle und ihrer Umgebung
mit Einschluß der. nächsten Gelenke jederzeit er-
möglicht. Wir müssen fordern, daß der Arzt von dieser
Möglichkeit bald, regelmäßig und tunlichst häufig — wenn
irgend möglich, täglich — Gebrauch macht und sowohl
Massage in zarter Form mit besonderer Rücksicht auf die
Muskulatur des verletzten Teils, als auch passive Be-
wegungen mit größerer Frequenz und geringer, nur all-
mählich steigender Amplitude vornimmt. Nach Beseitigung
der Retention sind in der Mehrzahl der Fälle aktive Be-
wegungen genügend, um die volle funktionelle Restitution
zu erzielen. -
Bezüglich der Dauer der durch die manuelle Behand-
lung zeitweilig unterbrochenen Retention lassen sich be-
stimmte Regeln ebensowenig aufstellen, wie bezüglich
anderer Fragen einer Therapie, die niemals schematisieren-
den Charakter tragen darf. Wir kennen im allgemeinen die
Dauer der Umwandlung des plastischen provisorischen
Callus der einzelnen Knochen in den festen definitiven
1) Eine Gegenanzeige frühzeitiger Massage bilden die auf jeden
Eingriff übermäßig reagierenden Frakturen kindlicher Knochen mit
ihrer Tendenz zu hypertrophischer Callusbildung auch bei exakter
Fragmentstellung. u aea Pe a: a
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
29. September.
Callus, eine Dauer, die, 8 bis 21 Tage betragend, zum
Durchmesser der Knochen im geraden Verhältnis steht,
und müssen daher der Individualität des Knochens, seiner
Struktur, vor allem aber dem Umstand, ob er funktionell
der Belastung unterworfen ist, Rechnung tragen, gegebenen-
falls unter Kontrolle des Röntgenbildes. |
Dort, wo diese Belastung in Frage kommt, also zumal
am Skelett der unteren Extremität, bedarf der frakturierte
Knochen der Ruhe länger, als jener der Oberextremität.
Auch hier aber empfiehlt es sich, den „Gehverband“ als
Thomasschiene, abnehmbaren Bügel- oder Kapselverband
(Gips-Holzverband), besser noch als Schienenhülsenapparat
mit Extensionsgamasche nach Hessing in leichter Supination
des Fußes herzustellen, die Belastung durch anfängliche
Anwendung von Krücken, Laufbarren und dergleichen zu
vermindern und die abnehmbaren Verbände bei täglicher
Massage und Mobilisierung des verletzten Gliedabschnitts
nicht allzu rasch zu entfernen, um nachträgliche Knochenver-
biegungen zu verhüten. Dies gilt namentlich für die Frak-
turen beider Unterschenkelknochen, von Mittelfußknochen
und für Calcaneusbrüche. Ä
Eine durchaus exklusive Stellung nehmen die intra-
artikulären Frakturen, die Gelenkbrüche, ein. Im Bewußt-
sein, den Rahmen dieses Referats an dieser Stelle zu durch-
brechen, eines Referats, das nicht berufen erscheint, sich
mit der speziellen funktionellen Behandlung der einzelnen
Frakturarten zu beschäftigen, muß ich in Ansehung des Ver-
laufs dieser sowie der in dieser Beziehung in schroffem
Gegensatz zu ihnen stehenden parartikulären (Epiphysen-)
Brüche um die Erlaubnis. bitten, beiden Gruppen von
Knochenbrüchen eine tunlichst knappe Erörterung zu
widmen. Beiden fast ausnahmslos mit bedeutender Dis-
lokation der Bruchstücke einhergehenden Formen ist die
Blutung in das Gelenk, der Hämarthros, gemeinsam, dessen
baldige Resorption geboten erscheint, wenn nicht narbige
Gewebsneubildung und Kapselschrumpfung (Helferich), die
Vorboten einer oft schweren Arthroparthie, folgen ‚sollen.
Dieser gemeinsamen Komplikation steht das divergierende
Verhalten der Callusbildung einerseits bei intraartikulären,
anderseits bei parartikulären Frakturen gegenüber. Ersteren,
den Gelenkbrüchen in sensu strictiori, fehlt die Tendenz zur
Callusbildung oder ist doch sehr gering; „die Veränderung
der knorpeligen Gelenkenden führt zur Inkongruenz der-
selben und damit zu schweren Störungen der Funktion“
(Helferich). Die parartikulären Frakturen dagegen, die
noch innerhalb der periostalen Zone liegen, zeigen schon
infolge der zumeist erheblichen Dislokation des kurzen
Fragments vermehrte, die zukünftige Funktion gleichfalls
bedrohende Callusentwicklung. Wenn irgendwo, so ist hier,
bei den intra- und parartikulären Brüchen, genaueste Dia-
gnose 'und präziseste Individualisierung geboten. Ist doch
gerade hier stets die richtige Kombination von Bewegung
behufs Bekämpfung der drohenden Gelenksteife und Ruhe
zur Erzielung guter Retention der exakt (oft in Narkose)
adaptierten Fragmente und eines normalen Callus oder doch
einer kurzen fibrösen Vereinigung der Bruchstücke wünschens-
wert. Zu diesem Zweck empfiehlt sich bei einer Reihe
dieser Brüche, vor allem bei den Brüchen im Ellbogen-
(unteres Humerusende, obere Enden der Vorderknochen) und
Kniegelenk (unteres Femur-, oberes Tibiaende) die Anwen-
dung der Charnierverbände und Charnierschienen, die Hel-
ferich zuerst angegeben hat, von der zweiten bis dritten
Woche ab, wobei die möglichst baldige Vornahme der
Massage schon während der primären Fixation des vom
Verbando freigelassenen Gelenks nötig ist. Die Frakturen
des Humerus- und Schenkelhalses bedürfen oft zunächst 80-
fortiger Extension (erstere zuweilen in Form der Suspension)
unter frühzeitiger Anwendung der Massage, die Querfrak-
turen des Olecranon und der Patella bei geringer Diastase
der Fragmente ohne erhebliche Läsion des Reservestreck-
29. September. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 89. 1575
apparats sofortiger und fortgesetzter mechanischer Behand- Ueber das Gedächtnis
lung (Mezger und Tilanus), sonst der Naht der Fragmente
mit frühzeitiger Massage zumal der bedrohten Strecker und
schonender, aber konsequenter Mobilisierung der Gelenke.
Gut reponierte Rißfrakturen des distalen Radiusendes schließ-
lich verlangen lediglich Retention durch die Eigenschwere
der Hand und gleich jenen des unteren Fibulaendes so- | |
fortige mechanische Therapie, die, wie erwähnt, bei allen
intra- und parartikulären Frakturen einerseits Versteifung
der Gelenke, anderseits Etablierung hypertrophischen Callus
zu verhüten hat. Sie stehen im Gegensatz zu jenen Fällen,
in welchen die Dislokation des kleinen Fragments so hoch-
gradig und dessen Retention so aussichtslos ist, daß die so-
fortige operative Reposition und blutige Naht geboten er-
scheint. Ich möchte bei diesem Anlaß aber nachdrücklichst
auf die große Verantwortung verweisen, welche wir auch
im aseptischen Zeitalter durch Umwandlung der einfachen
in eine komplizierte Fraktur übernehmen, um die blutige
Naht, Verschraubung oder Bolzung von Fragmenten auszu-
führen, eine Verantwortung, welche für die blutige Fragment-
vereinigung die strengste Indikationsstellung fordert. Daß
im übrigen hierzu die Zustimmung des verletzten Arbeiters
nötig ist, kann nach den einschlägigen Bestimmungen der
deutschen und österreichischen Unfallversicherungsgesetze
kaum negiert werden. Einleuchtend ist, daß bei diesen
schwersten Fällen von Gelenkbrüchen dafür gesorgt werden
muß, daß eine eventuelle Versteifung des Gelenks in funk-
tionell günstigstem Winkel erfolgt und anderseits nach Aus-
führung der Naht möglichst frühzeitig Massage und Be-
wegungen, unterstützt durch Heißluftbehandlung oder Stau-
ung, einzusetzen haben. Denn nur so kann die gewünschte
relativ baldige Gewöhnung des Verletzten an die Unfall-
folge erwartet werden.
| *
z%
x ;
Resumieren wir das Gesagte, so erblicken wir in der
„funktionellen“ Behandlung der Knochenbrüche das ernste
Bestreben, anatomische und physiologische Wiederherstellung
gleichzeitig herbeizuführen. Wir erreichen erstere, wenn-
gleich nicht immer ideal — was durchaus nicht nötig —,
durch präzise Fragmentadaption und Retention, zumeist
durch zeitweilige Ruhigstellung, letztere womöglich in
idealer Weise, durch frühzeitige Mobilisierung; die Ver-
einigung dieser Gegensätze gelingt im Wege geeigneter
Verbandmethoden und häufigen Verbandwechsels, durch
streng individualisierende, stetige und zielbewußte Beob-
achtung und Behandlung nicht nur der verletzten Teile,
sondern auch der unverletzten Nachbargebilde. Es muß
deshalb als Mangel an Voraussicht erklärt werden, wenn
— wie dies gerade an der Arbeiterhand, so oft dem ein-
zigen Besitztume des Arbeiters, geschieht — gesunde Finger
versteifen, weil sie in einen Verband miteinbezogen worden
Sind, der für den frakturierten Fingerteil zu umfangreich
war und zu lange liegen blieb. Wir müssen es aber ander-
seits gleichfalls als das Gegenteil chirurgischer Vorsorge
bezeichnen, wenn, um eine geringe Dislokation ad longi-
tudinem von Femurfragmenten zu bekämpfen, die Extension
so lange und so intensiv betrieben wird, daß die Knie-
gelenksbänder elongiert und die Tragfähigkeit des Knie-
gelenks hierdurch gefährdet wird. |
Die Anforderungen, welche die „funktionelle“ Behand-
lung der Frakturen an den Arzt stellt, sind, wie wir ge-
sehen, nicht gering. Die Resultate dieser Therapie aber
entschädigen die aufgewendete Mühe in reichem Maß und
Sind geeignet, ein bis vor kurzem minder sorgfältig ge-
pflegtes Arbeitsgebiet des Chirurgen im „sozialen“ Zeitalter
erfolgreich auszugestalten.
| von |
Dr. W. Morgenthaler, Basel
Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik.
A (Schluß aus Nr. 38.)
Noch bedeutend interessanter, aber auch noch viel weit-
läufiger sind nun die Ergebnisse, die mit all diesen Methoden
zutage gefördert worden sind.
~ Was zunächst die Einprägung betrifft, so ist diese, wie
gesagt, hauptsächlich studiert worden am Erlernen von Reihen
sinnloser Silben und sinnvoller Wörter oder Sätze. Dabei hat
sich die merkwürdige Tatsache ergeben, daß es beim Einprägen
nicht auf die Zahl der Elemente, sondern auf die Zahl der Ein-
heiten ankommt. Daß es also einen großen Unterschied ausmacht,
ob man eine Reihe von 15 oder eine solche von 20 Buchstaben
zu lernen hat, dagegen einen kleinen oder gar keinen Unterächidd,
ob 15 einzelne Buchstaben oder 15 Silben eingeprägt werden
müssen, ob die Worte ein- oder zweisilbig sind usw. Es kommt
daher beim Einprägen vor allem darauf an, die Elemente möglichst
zu Einheiten zusammenzuziehen und den Stoff richtig zu gliedern;
darauf beruht auch der große Wert des Rhythmus für das Ein-
prägen, 'die Hervorhebung einzelner Silben durch Betonung, der
Takt usw. Bedeutend leichter ist natürlich die Einprägung von
sinnvollem Material und hier, eben wegen des Rhythmus, ist wieder
ein großer Unterschied, ob ein Gedicht oder ein Stück Prosa ge-
lernt werden soll. ° |
Aber nicht nur darauf kommt es an, daß der Stoff in
richtiger Weise gegliedert wird, sondern auch darauf, daß die
Repetitionen in richtiger Weise verteilt werden. Nichts ist ver-
fehlter, als die Einprägung durch Häufung der Lesungen auf ein-
mal erzwingen zu wollen. Das Resultat ist im Gegenteil viel
günstiger, wenn nach einigen Lesungen eine kleine Pause und
nach einigen Pausen ein größeres Intervall eingeschoben wird.
Diejenigen Schüler handeln also eigentlich ganz richtig, die die
Aufgaben am Abend nur ungenügend lernen, und den Rest auf
den nächsten Morgen verschieben. Ebenfalls gegen die gewöhn-
liche Art des Lernens sprechend ist das Ergebnis, daß es viel
ökonomischer ist, den ganzen Stoff ohne jede Teilung so oft durch-
zulesen, bis er als Ganzes eingeprägt ist. Lernt man nämlich
ein Gedicht z. B. strophenweise, so bildet sich eine störende Asso-
ziation zwischen dem Ende und dem Anfange der gleichen Strophe,
statt zwischen dem Ende der einen und dem Anfange der
nächsten Strophe. Noch zweckmäßiger soll es sein, das Ganze zu
lernen, hingegen kurze Pausen zwischen den einzelnen Teilen ein-
zuschalten.
Sehr wichtig ist auch die Tatsache, daß die Wirkung der
Einprägung stark herabgesetzt wird, wenn man sich sofort nachher
anderswie geistig beschäftigt, oder wenn überhaupt die Aufmerk-
samkeit auf etwas anderes gelenkt wird. Lipps!) erklärt dies
damit, daß die psychischen Vorgänge auch weiterdauern, wenn
ihnen die Aufmerksamkeit nicht mehr zugewendet ist, wobei sie
dann „als unbewußte Vorgänge an der Herstellung ihrer Ge-
dächnisspuren weiterarbeiten, wofern die psychische Kraft nicht
anderweitig völlig absorbiert ist“. Dies erklärt auch die über-
raschenden Resultate von Lay?), der durch Einprägen von Silben-
reihen gefunden hat, daß das Abendlernen dem Morgenlernen be-
deutend überlegen ist. Auch er erklärt dies durch die Annahme,
daß in der Nacht die Vorstellungen sich festigen können und „un-
bewußt weiterarbeiten*, während sie am Tage durch nachfolgende
Eindrücke geschwächt und ausgelöscht werden. Es ist das nichts
anderes, als was man unter dem Begriffe der „rückwirkenden
Hemmung“ versteht, das heißt der Tatsache, daß beim Lernen von
zwei Reihen hintereinander die erste durch die nachfolgende ge-
schwächt oder „gehemmt“ wird.
Dies einiges über die Einprägung. Was nun das Behalten
betrifft, so wird, wie schon in der Einleitung betont, immer noch
vielfach nicht genügend scharf unterschieden zwischen dem Be-
halten im engeren Sinn und der Reproduktion [Semon3), Offner®)].
Wird doch unverhältnismäßig viel mehr behalten, als für gewöhn-
lich reproduziert werden kann. Die ganze Freudsche Lehre ist
1) Lipps, Leitfaden der Psychologie. (Leipzig 1903.)
2) Lay, Ueber das Morgen- und Abendlernen. (Zt. f. Erforschg.
u. Behandlung d. jugendl. Schwachsinns 1910, Bd. 5.)
Mneme. |
+4) Offner, Das Gedächtnis. (II. Aufl., Berlin 1911.)
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selbst stellten sich jeweilen entweder einige der vorhergehenden.
Glieder scheinbar ganz wahllos ein, oder aber die Reihe wurde
schnell vom Anfange bis zum gemerkten Gliede durchlaufen.
Nicht zu verwechseln mit der Reproduktion ist das Wieder-
erkennen. Ein Gedächtnisinhalt kann ganz korrekt reproduziert
werden, ohne daß man ihn wiedererkennt, ja ohne daß man über-
|
oh ja auf dem Mißverhältnisse von Behalten und Reproduzierenkönnen
| aufgebaut, ebenso liefern der Hypnotismus und die temporären
Amnesien und Hypermnesien Beweise für die Verschiedenheit von
e Festhalten und Reproduzieren. Ganz ähnlich kann man beim
a Vergessen zwei Stufen unterscheiden: Ein Vergessen im engeren
|
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Sinne, das mit dem vollständigen Zerstören der Erinnerungsbilder
zusammenfallen würde und das Vergessen nach der gewöhnlichen
Auffassung, das einfach dem Nichtreproduzierenkönnen gleichzu-
setzen ist. Nun gibt es allerdings eine ganze Reihe von Autoren,
die der Ansicht sind, daß, wenigstens theoretisch, überhaupt nichts,
das einmal in der Psyche gewesen sei, absolut vergessen werden
könne [Lipps!), Ebbinghaus?), Ribot), Offner‘)]. Eine Stütze
für diese Ansicht sind die ganz erstaunlichen Hypermnesien, auf
die ich weiter unten zu sprechen komme. Auf der andern Seite
behauptet aber Ziehen), daß Vorstellungen, die nicht immer
wieder aufgefrischt werden, allmählich total vergessen werden, in-
dem durch den Stoffwechsel der Ganglienzellen die latenten Er-
innerungsbilder gelockert und schließlich ganz zerstört werden.
Sicher ist, daß das Vergessen oder vielmehr das Abblassen der
Erinnerungsbilder in den ersten Minuten nur langsam, in den
nächsten Stunden und Tagen immer schneller und später wieder
langsamer vor sich geht, und zwar je länger desto langsamer.
Weiter aber gilt zugleich die von Ebbinghaus®) aufgestellte
Regel: „Gedächtnisspuren erfahren, indem sie successive schwinden,
zugleich eine successive Konsolidierung des jeweiligen Restes“, so
also, daß frühere Eindrücke viel fester haften, als solche jüngeren
Datums. Ribot?) sagt darüber sehr treffend: „Unaufhörlich findet
der Uebergang vom Unbeständigen zum Beständigen statt, vom
Bewußtseinszustande, dem schlecht gesicherten Erwerb, bis zum
organischen Zustand, dem festen Erwerb. Dank diesem be-
ständigen Fortschreiten der Organisation bildet sich in dem Ma-
terial eine Vereinfachung, eine Ordnung, welche eine höhere Form
des Gedankens möglich macht. Für sich allein und ohne Gegen-
gewicht würde sie zur fortschreitenden Vernichtung des Bewußt-
seins streben und den Menschen schließlich zu einem Automaten
machen“ (absoluter Gewohnheitsmensch). Die Eindrücke müssen
„nicht nur aufgenommen, sondern auch fixiert, organisch einge-
prägt“ werden. Doch bedarf es „der Zeit, damit die Erinnerungen
sich fixieren, weil die Ernährung nicht sofort ihre Arbeit ver-
richtet“; es müsse erst „in Fleisch und Blut übergegangen“ sein.
Merkwürdig ist auch die Tatsache, daß die Reproduktion unmittel-
bar nach der Einprägung weniger gut ist, als ungefähr eine halbe
Minute später. Müller und Pilzecker?) wollen dies durch die
Ermüdung erklären. Beruht diese Erscheinung nicht vielmehr
darauf, daß das Erinnerungsbild Zeit braucht, um, wie Ribot?)
sagt, sich zu fixieren, um mit dem übrigen Bewußtseinsinhalt in
Beziehung zu treten, um sich sozusagen zu verankern? Darauf,
das heißt auf der geringeren Anzahl der Assoziationen beruht ja
auch die geringere Reproduktionsfähigkeit der Kinder gegenüber
den Erwachsenen.
Von den eigentlichen Reproduktionsgesetzen, wie sie haupt-
sächlich wieder an den Reihen sinnloser Silben gefunden wurden,
sind folgende die wichtigsten: Jedes Glied einer Reihe ist mit
allen nachfolgenden Gliedern assoziativ verbunden und hat daher
bei der Reproduktion das Bestreben, die andern Glieder ebenfalls
ins Bewußtsein zu rufen. Doch ist die Stärke dieser Assoziation
sehr verschieden: Am stärksten ist die Assoziation zwischen dem
reproduzierten und dem unmittelbar folgenden Glied und nimmt
dann von Glied zu Glied stetig ab. Etwas anders ist es nun mit
den sogenannten „rückläufigen Assoziationen“: Jedes Glied ist
zwar auch mit allen vorhergehenden Gliedern der Reihe . verbun-
den; doch sind diese Assoziationen ganz bedeutend schwächer als
die vorwärtslaufenden. Jede Reihe hat also die Tendenz, so ab-
zulaufen, wie sie eingelernt worden ist; dies kommt bekanntlich
sehr deutlich zum Ausdruck beim Vokabelnlernen: Auch jemand,
der „amnésie“ sofort korrekt verdeutschen kann, wird vielleicht
Mühe haben, das Wort „Gedächtnisschwäche“ ins Französische zu
übersetzen. Ebbinghaus!?) sagt, daß, wenn wir an etwas aus.
der Mitte einer uns bekannten Reihe erinnert werden, sich das
Vorhergehende auf einmal in abgestufter Klarheit darstelle. Ob
dies wohl allgemein zutrifft? Es scheint mir, als.ob hier Ebbing-
haus seine eigne durch jahrelange Uebung geschulte, sicher weit
über dem Durchschnitt stehende Reproduktionsfähigkeit zu sehr
verallgemeinert hat. Bei Versuchen an Bekannten und an mir
1) bis 4) A. a. 0.
5) Physiologische Psychologie.
6) bis ) A. a. Q.
haupt inne wird, daß dies eine Reproduktion und keine Neu-
schöpfung ist. Ribot!) erzählt von einem Engländer, der, wenn
man ihm am Abend etwas vorlas, dies am nächsten Morgen ganz
genau niederschrieb, ohne eine Ahnung zu haben, daß er es nicht
selbst geschaffen habe. Linné, dessen geradezu ungeheures Ge-
dächtnis ja sprichwörtlich geworden ist, habe mit großem Ver-
gnügen seine eignen Schriften gelesen, Walter Scott habe einmal
nach dem Autor eines seiner eignen Gedichte gefragt und Newton
soll sogar ganz vergessen haben, daß er selbst die Differential-
rechnung erfunden habe. Auf der andern Seite kann etwas mit
der größten subjektiven Sicherheit wiedererkannt werden, das sich
nachher als etwas ganz anderes, neues herausstellt. Ribot nennt
das Gedächtnis ein „Sehen in der Zeit“ und das Wiedererkennen
speziell sei die „Lokalisation in der Zeit“. Diese Lokalisation in
der Zeit sei das einzige, das die höchste Form des Gedächtnisses
von der niederen, organischen Form unterscheide. Selbstverständ-
lich ist aber. auch das Wiedererkennen keine einheitliche Funktion,
sondern zusammengesetzt aus den verschiedensten Apperzeptions-
und Assoziationsvorgängen. |
Ueber den Einfluß des Gefühlstons auf Einprägen, Behalten
und Reproduzieren sind die Ansichten der Autoren im allgemeinen
nur quantitativ verschieden. Es gilt als allgemein gesicherte Tat-
sache, daß die gefühlsbetonten Eindrücke bedeutend foster haften
als die indifferenten, und daß von den gefühlsbetonten wieder die
lustbetonten besser eingeprägt werden als die unlustbetonten. Da-
gegen ist die Reproduktionszeit nach Jungs?) Assoziationsstudien
bekanntlich für gefühlsbetonte Eindrücke gegenüber indifferenten
verlängert, wobei dann aber wieder [Ziehen?)] lustbetonte leichter,
rascher und auch treuer reproduziert werden als unlustbetonte.
Peters?) fand, daß „die älteren Erlebnisse mehr Lustbetonung,.
weniger Unlustbetonung und noch weniger Indifferenz aufweisen,
als die jungen Erlebnisse“, daß also „gewisse Faktoren die Er-
innerung der lustbetonten Erlebnisse begünstigen, oder die der
unlustbetonten oder indifferenten Ergebnisse hemmen“, Ebbing-
haus?) sagt: „Soweit die Gedanken die Wahl haben, bevorzugen
sie bei der Reproduktion früherer Erfahrungen entschieden die
lustvollen; die unlustvollen werden zurückgedrängt. Die Seele
vernachlässigt das Unlustvolle nicht, so lange es gegenwärtig ist;
es ist für sie — nicht notwendig mit ihrem Wissen aber objek-
tiv — das Anzeichen einer Gefährdung. Aber wenn es über-
wunden und vergangen ist, so hat sie die Tendenz, es von sich
fern zu halten“. Wreschner®) drückt sich ähnlich aus und fährt
dann fort: „Daher zum Teil die Idealisierung aller Vergangenheit,
die ja zuweilen soweit geht, daß selbst unangenehme Erlebnisse,
überstandene Mühen usw. in der Wiedererinnerung nicht nur ihre
Herbheit verlieren, sondern geradezu lustvoll werden. Daher aber
auch die oft geradezu leichtfertige Hoffnungsfreudigkeit in bezug
auf die Zukunft; denn wir stellen uns natürlich diese immer nur
auf Grund der Vergangenheit vor. Leider oder auch glücklicher-
weise schwebt uns nun diese Vergangenheit in einem viel zu ver-
klärten Lichte vor.“ Es findet also durch die Zeit sozusagen eine
Auslese unter den Erlebnissen statt, sodaß die lustbetonten am
meisten bevorzugt werden, die unlustbetonten weniger und die in-
differenten am wenigsten. Aehnlich verhält es sich beim systema-
tischen Einprägen; hier ist aber nicht eine besonders starke Lust-
betonung am günstigsten, sondern vielmehr eine gleichmäßige
ruhige Heiterkeit. „Was den Mangel an Uebung kennzeichnet,
sind vor allem die großen Gefühlsschwankungen: Uebertriebene
Lust zu dem Versuch und übermäßige Unlust über sich allmäh-
lich einstellende Schwierigkeiten. Der Geübte dagegen lernt In
gleichmäßiger Heiterkeit, und darum so leicht und so gut. Jeden-
falls aber ist die Aussicht auf Lohn und Lob der Lernarbeit
1) A. a. 0.
P o ung, Diagnostische Assoziationsstudien. (J. f. Psych. Bd. 8,
und 6. |
3) Ziehen, Physiologische Psychologie.
+) Peters, Gefühl und Erinnerung. (Kraepelins psychol. Arbeiten
1911, Bd. 6, H. 2.)
5 Ebbinghaus, Abriß der Psychologie. Leipzig 1908.
‚.% Wreschner, Das Gedächtnis im Lichte des Experiments.
Zürich 1910. Siehe auch Wreschner, Reproduktion und Assoziation
von Vorstellungen. (Zt. f. Psych. d. Sinn. Erg.-Bd. 3.)
29. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
1577
günstiger, als die Furcht vor Strafe und Tadel, und ein heiterer
Lehrer erzielt bessere Erfolge als ein mürrischer“ (Wreschner).
Einen ungemein großen Einfluß auf Behalten und Vergessen
schreibt Freud dem Gefühlstone zu. Seine Untersuchungen be-
ziehen sich allerdings meistens auf Ausnahmefälle. Ueber den
Mechanismus des eigentlichen Vergessens gibt er folgende An-
deutungen!): „Das Erinnerungsmaterial unterliegt im allgemeinen
zwei Einflüssen, der Verdichtung und der Entstellung.“ „Die in-
different gewordenen Spuren verfallen dem Verdichtungsvorgang
ohne Gegenwehr“, während die affektwirksam gebliebenen Er-
innerungsspuren sich gegen die Verdichtung resistenter verhalten.
Gegen diese (affektbetonten Spuren) richtet sich nun die Ent-
stellung. Bleiben aber die im Seelenleben herrschenden Ent-
stellungstendenzen dort, wo sie sich äußern wollten, aus irgend-
einem Grund unbefriedigt, so sättigen sie sich an dem indifferenten
Material. Diese Prozesse der Verdichtung und Entstellung sind
es, die die Erinnerungen unsicher und undeutlich machen und
nicht, wie man gewöhnlich glaubt, die Zeit. „Sehr wahrscheinlich
ist beim Vergessen von einer direkten Funktion der Zeit über-
haupt nicht die Rede.“ „Das Unbewußte ist überhaupt zeitlos.“
„An den verdrängten Erinnerungsspuren kann man konstatieren,
daß sie durch die längste Zeitdauer keine Veränderung erfahren
haben.“ Verschiedene von diesen Anschauungen Freuds stehen
bekanntlich in schroffem Gegensatz zu den Ergebnissen der ex-
perimentellen Psychologie. Eine Vergleichung und Abwägung der
Resultate zwischen den beiden Richtungen ist aber bis jetzt noch
sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, da nicht nur die Methoden,
sondern auch die Grundlagen der beiden Kreise zu verschie-
dene sind. _
Von unabsehbar praktischer Bedeutung sind auch die
neueren Ergebnisse über das Verhältnis von Wahrnehmung uud
Reproduktion. Ueber die Ansicht, daß die Erinnerung bei irgend-
einem Menschen ein getreuss Abbild der Wirklichkeit sei, ist man
ja längst hinaus, Doch haben eigentlich erst die systematischen
Untersuchungen der letzten Jahre die Wichtigkeit der normal-
psychologischen Erinnerungsfälschüngen richtig würdigen gelernt.
Stern kommt in seinen „Leitsätzen“?) unter anderm zu folgenden
Schlüssen:
Zusammenhängende spontane Berichte sind dem ausfragen-
den Verhör an Zuverlässigkeit um ein mehrfaches überlegen.
Die suggestive Form der Frage ist überhaupt unzulässig,
Wegen Suggestivwirkung ist die Einzelkonfrontation durch
die Wahlkonfrontation zu ersetzen. (Es werde also eine kleine
Zahl ähnlicher Personen vorgeführt und der Zeuge gefragt, ob der
Betreffende unter ihnen sei.)
Bei mehrmaligen Aussagen desselben Zeugen über den
gleichen Tatbestand haben die zuerst gemachten Aussagen durch-
schnittlich die größere Glaubwürdigkeit.
Die günstigsten Ergebnisse, sodaß die Angaben wenigstens
in den groben Umrißlinien und Hauptmomenten überwiegend richtig
sind, liefern Vorgänge, die mit Aufmerksamkeit ohne zu starke
Affektbeteiligung beobachtet worden sind. |
Dagegen sind Aussagen über Tatbestände, bei denen man
zwar physisch beteiligt war, denen man aber nicht bewußte Auf-
merksamkeit geschenkt hatte, nicht nur außerordentlich lücken-
haft, sondern auch in ihren positiven Teilen außerordentlich falsch,
sodaß z. B. nachträgliche Angaben über Haarfarbe, Kleidung usw.
überhaupt keine Glaubwürdigkeit besitzen.
Kindern wird im allgemeinen immer noch viel zu viel ge-
glaubt. Daher die Forderung von Schweickert, daß Kinder
unter sieben Jahren überhaupt nicht als zeugnisfähig zu be-
trachten seien, und die von Lipmann, daß auf alleinige Bekun-
dung von Kindern überhaupt keine Verurteilung stattfinden dürfe.
Stern fand weiter, daß Frauen weniger vergessen, aber mehr
verfälschen als Männer, und auch, daß Studierende der Rechts-
wissenschaft fast durchwegs geringere Aussägetreue zeigten als die
Angehörigen der andern Fakultäten. |
‚, „Er kommt daher zu dem Schluß, daß der fahrlässige Falsch-
eid nicht als straffälliges Delikt betrachtet werden könne, denn:
„Auch der Eid liefert, selbst bei Zeugen bester Qualität, keine
Gewähr für Fehlerlosigkeit der Aussage.“ Sehr wichtig ist auch
die Tatsache, daß Erinnerungsbilder durch Wiederholung der Aus-
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') Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens. (8. Auflage.
Berlin 1910.)
t °’) Stern, Leitsätze über die Bedeutung der Aussagepsychologie
B i g g ulgi Verfahren. (Beitr. z. Psych. der Aussage 1905,
.2, H. 2,
sage zwar gefestigt werden, daß sie dann aber immer mehr nicht
eine Erinnerung an Gesehenes, sondern an die schon früher ein-
mal darüber abgelegten Aussagen sind.
Kurz fassen kann ich mich über die Pathologie des Ge-
dächtnisses, wenigstens was die Geisteskrankheiten anbetrifft. Die
allgemein herrschenden Ansichten über das Gedächtnis bei den
einzelnen Psychosen sind bekannt und die (nicht sehr zahlreichen)
experimentalpsychologischen Untersuchungen darüber bestätigen im
großen und ganzen diese Ansichten.
Beim angeborenen Schwachsinn kann das Gedächtnis
entweder gleichmäßig herabgesetzt sein (und dies ist die Regel),
das heißt sowohl in bezug auf Auffassungsumfang wie auf Be-
halten, auf Assoziation und Reproduktion, oder aber es können
einige Gebiete stärker, andere weniger defekt sein, ja vereinzelte
Funktionen können sogar übernormal sein. So kommt bei ausge-
sprochenem Schwachsinn ausnahmsweise sowohl gute Aufnahme-
fähigkeit wie schnelle Reproduktion vor; vor allem ist es aber das
sehr gute Behalten in irgendeinem Spezialgebiete (Kalenderdaten,
Bergeshöhen usw.), das nicht selten Schwachsinnige eine gewisse
Berühmtheit erlangen läßt.
Das Gedächtnis der schweren Neurasthenien läßt sich
charakterisieren als Mangel an Konzentrationsfähigkeit bei Wissen
um den Defekt. Durch die mangelhafte Konzentration der Auf-
merksamkeit kommen die unklaren, verschwommenen Begriffe der
Neurasthenischen zustande und durch das Bewußtsein dieser Un-
klarheit die auffallende Verlangsamung der Reproduktionsdauer,
die [nach Ranschburg!)] manchmal sogar den Durchschnitt der
Paralytiker überragt. Selten fehlen dabei Zeichen von subjektiver
und objektiver Ermüdung. Kraepelin?) betont besonders das
Einseitige der ganzen Richtung der geistigen Entwicklung beim
chronisch Nervösen.
Noch ausgesprochener findet man wohl diese Einseitigkeit
bei der Hysterie. Hier ist das Gedächtnis im allgemeinen treu,
wenn es sich um gleichgültige Sachen handelt. Wo jedoch die
eigne Persönlichkeit hineinspielt, können die gröbsten — bewußten
und unbewußten — Fälschungen vorkommen. Da nun aber beim
Hysterischen seine Persönlichkeit eigentlich überall mitspielt, so
ist eben sein Gedächtnis im allgemeinen nicht zuverlässig.
Darüber, daß die Gedächtnisstörung bei circulärer Depression
hauptsächlich auf Hemmung von Assoziation und Reproduktion
beruht, ist man einig, nicht aber über das Gedächtnis bei Mani-
schen. Während die Kraepelinsche?) Schule zu dem Schluß
gekommen ist, „daß manische Kranke ihre Wahrnehmungen
schlechter als Gesunde festzuhalten und wiederzugeben imstande
sind“ und daß dabei vielfach Verfälschungen der Erinnerung auf-
treten, sprechen die Versuche von Ranschburg?) „eher für eine
Zunahme der Einprägungsfähigkeit und für den raschen Verlauf
der Reproduktion“.
Beim chronischen Alkoholiker fand Kraepelin®), daß
„das Gedächtnis und besonders die Merkfähigkeit“ empfindlich
leidet. Der Versuch habe gezeigt, „daß die Festigkeit, mit welcher
der Lernstoff haftet, schon unter dem Einfluß einer einmaligen
Alkoholgabe erheblich abnimmt“. Auch nach Ranschburg®)
lassen „sich bei chronischen Alkoholikern wohl gewisse Defekte des
Gedächtnisses nachweisen“, doch „kehrt der entsprechende Grad
der Retentionsfähigkeit innerhalb einer relativ kurzen Zeit (der
Abstinenz) mehr oder minder zurück, wobei jedoch eine Verlang-
ne der Reproduktion längere Zeit hindurch nachweisbar
bleibt“.
Bei der Korsakowschen Psychose steht bekanntlich die
schwere Störung der Merkfähigkeit und die Ausfüllung der Ge-
dächtnislücken durch Confabulationen im Vordergrunde, doch meint
Ranschburg®), „daß die Gedächtnisschwäche der Korsakow-
schen Patienten ohne experimentelle Untersuchung allzu leicht
überschätzt wird", denn „eine andauernde Nachwirkung in Form
latenter Disposition“ zeigt sich „auch schon nach einmaliger Er-
lernung für längere Zeiten“. Ebenso betont er die Uebungsfähig-
keit des Gedächtnisses bei Korsakowkranken.
Beim Gedächtnissse der Dementia praecox ist nach
Bleuler?) „die Registrierung des Erfahrungsmaterials und die
1) Ranschburg, Das kranke Gedächtnis.
2) Kraepelin, Psychiatrie. (2. Teil, 7. Aufl., Leipzig 1904.)
3) Kraepelin, a. a O. — S. a. Wolfskehl, Auffassungs- und
Merkstörungen bei manischen Kranken. (Kraepelins Psychol. Arbeiten
1906, Bd. 5.)
t) bis 6) A. a. O. , i
1) Bleuler, Dementia praecox. (Leipzig u. Wien 1911.)
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
Aufbewahrung der Gedächtnisbilder“ gut, gestört hingegen könne
sein „die Reproduktion des Eirlebten; dies aber sekundär: durch die
Störung der Assoziationen und der Affektivität.
Bei der Epilepsie zeigt das Gedächtnis dieselbe Langsam-
keit und Schwerfälligkeit wie die übrigen psychischen Vorgänge
und ebenso die bedeutende Verlängerung der Reaktionszeit und
die starke Perseverationstendenz, Es entwickelt sich „eine
fortschreitende Verarmung des Vorstellungsschatzes, sodaß der
Kranke, unfähig, neue Erfahrungen zu sammeln, schließlich nur
noch über einen ganz kleinen, allmählich immer mehr einschrumpfen-
den Vorrat von Ideen verfügt. Im Gegensatz zu andern Formen
des erworbenen Schwachsinns ist er jedoch imstaude, sich inner-
halb dieses kleinen Kreises von Vorstellungen noch klar und zu-
sammenhängend zu bewegen“ (Kraepelin).
Die schweren charakteristischen Gedächtnisstörungen der
Paralyse sind ebenfalls bekannt: Die Störung der Merkfähigkeit,
die allerdings im Anfang nicht so stark ist wie z.B. beim
Korsakow, dann besonders der frühe Verlust der Lokalisation in
der Zeit, die Erinnerungslücken im Längstvergangenen, die haar-
sträubenden Confabulationen, kurz, die absolute Urteilslosigkeit
ihren Erinnerungen gegenüber. DEN
Die Dementia senilis endlich ist bekanntlich ganz beson-
ders gekennzeichnet durch die fortschreitende Abnahme des Ge-
dächtnisses, oder besser durch das Mißverhältnis zwischen der
schwer defekten Merkfähigkeit und dem oft relativ gut erhaltenen
Gedächtnis für Längstvergangenes.
Ins Unabsehbare angewachsen ist auch die Literatur der
eigentlichen Amnesien. Hier waren es hauptsächlich die Fran-
zosen, die bahnbrechend gewirkt haben. Doch scheint mir, daß
gerade hier zu wenig die funktionelle und die organische Seite
auseinandergehalten wurde und zum Teil noch wird. Wenn
Ribot!) z. B. erzählt, wie jemand nach einem Schlag auf den
Kopf seine sämtlichen griechischen Kenntnisse verloren habe, wäh-
rend sonst sein Gedächtnis ganz intakt war, wie ein Kind nach
einem Trauma und dreitägiger Bewußtlosigkeit alle seine musikali-
schen Kenntnisse, sonst aber nichts vergessen hatte, wie ein
Kranker wohl noch Musik in Noten schreiben und sogar kom-
ponieren konnte, auch eine gehörte Melodie erkannte, jedoch nicht
mebr imstande war, nach Noten zu spielen, wie ein Chirurg nach
einem Sturz vom Pferde bis ins kleinste gehende Instruktionen
über seine Behandlung gab, dagegen drei Tage lang sich nicht
mehr erinnerte, Frau und Kinder zu haben, oder gar, wie jemand
plötzlich bei. sonst intaktem Gedächtnisse seinen eignen Namen
vergaß usw. —, wenn diese Beobachtungen alle wirklich einwand-
frei sind, so ist es doch sicher, daß sie alle gegenwärtig nicht
mehr oder doch nicht mehr ausschließlich zu den organischen
Amnesien gezählt und daraus Gesetze für organische Spezial-
gedächtnisse abgeleitet würden, sondern daß man diess oft ganz
seltsam umschriebenen Ausfälle jetzt ganz allgemein funktionell
zu erklären versucht. Ein Hauptargument dafür ist, daß sie meist
sehr schnell zurückgehen oder sich doch bei geeigneter Behandlung
meistens beseitigen oder stark bessern lassen. Haben ja doch
Riklin?) und Andere sogar die Amnesien während der epilepti-
schen Anfälle zu heben vermocht.
Mit den Amnesien auf organischer Grundlage beschäftigt sich
hauptsächlich die Aphasieforschung. Liepmann?) besonders hat
sich bemüht, die Aphasie „aus dem undifferenzierten Schleime des
Demenzbegriffs* herauszuheben. Doch scheinen auch hier die
psychogenen Störungen eine viel größere Rolle zu spielen, als bis
jetzt vielfach angenommen wird. Die Gedächtnislücken sind oft
so schön scharf begrenzt, oft so merkwürdig selektiv, dem Apha-
sischen stehen zum Schimpfen oft so viel mehr Worte zur Ver-
fügung, als zum gewöhnlichen Sprechen, daß sicher die Annahme,
daß auch bei organischen Rindenzerstörungen die funktionellen
Hemmungen eine sehr wichtige Rolle spielen, viel Wahrscheinlich-
keit für sich hat. Diese Lücke zwischen den verschiedenen Am-
nesien sucht nun von Monakows®) Lehre von der Diaschisis
auszufüllen und sie wird vielleicht einmal berufen sein, die Brücke
von den organischen zu den funktionellen Amnesien zu schlagen.
1) A. a. O. l
d Riklin, Hebung epileptischer Amnesien durch Hypnose. (J. f.
Psych. 1903, Bd. 1.)
3 A... O
4) von Monakow, Aphasie und Diaschisis (Neurol. Zbl. 1906);
Ueber Lokalisation der Hirnfunktionen (Wiesbaden 1910). |
durch alle möglichen Reizungen der Hirnrinde zustandekommen:
Bei hohem Fieber, im Inkubationsstadium von Gehirnkrankheiten
bei den verschiedensten chemischen Reizungen, besonders im Opium-
rausche, dann auch bei allen möglichen psychischen Ausnahme-
zuständen, bei Hysterischen, in der Hypnose, in der Ekstase, bei
Leuten, die plötzlich in Todesgefahr geraten usw. Ganz unerklär-
lich sind bis jetzt die vereinzelten Fälle von dauernder Hyper-
mnesie, die entstanden sein sollen nach Gehirnerschütterung, nach
Blattern usw. Natürlich ist der einwandfreie Nachweis aller dieser
Hypermnesien sehr schwierig, denn erstens ist Hypermnesie ein
sehr relativer Begriff, da ja meistens der Vergleich mit den Ge-
dächtnisleistungen „im Normalzustande“ fehlt; was bei dem einen
eine Hypo-, kann bei dem andern schon eine Hyperfunktion sein.
Und zweitens ist es oft sehr schwer (sowohl für den Untersuchten,
wie besonders für den Untersucher), festzustellen, was davon wirk-
liche Reproduktionen und was geschickt komponierte Phantasie-
gebilde sind. — Bekannt ist auch, daß in den letzten Lebens-
stunden oft Hypermnesie eintritt, sodaß die Erinnerungen an die
eigne Kindheit nicht selten ganz besonders deutlich werden. Ameri-
kanische Priester erzählen, daß sehr viele nach Amerika einge-
wanderte Deutsche und Schweden kurz vor dem Tod anfangen,
in ihrer Muttersprache zu beten, wenn sie diese auch seit 50 und
60 Jahren nicht mehr gesprochen und scheinbar ganz vergessen
hatten; und ferner, daß zum Protestantismus übergetretene Katho-
liken unmittelbar vor ihrem Tod oft anfangen, ausschließlich nach
dem Ritus der römischen Kirche zu beten. Ribot!) wendet auf
diese Fälle sein Regressionsgesetz an und sagt: Die Krankheit
zersört zuerst „die jüngsten Schichten des Gedächtnisses und diese
Zerstörung steigt stufenweise bis zu den ältesten, das heißt
festesten Erwerbungen hinab, setzt sie vorübergehend in Tätigkeit
und führt sie eine Zeitlang ins Bewußtsein zurück, ehe sie für
immer erlöschen®. Auf gleiche Weise will er auch „die Rückkehr
mancher religiöser Anschauungen in der Todesstunde“ erklären,
die „notwendige Folge einer unaufhaltsamen Auflösung“ seien.
Etwas ganz anderes ist natürlich das übernormale Gedächt-
nis der Rechenkünstler, der Wunderkinder und der großen Ge-
dächtnismenschen überhaupt. Schon aus der Geschichte wissen
wir, daß Themistokles alle Namen der 20000 Bürger Athens ge-
wußt hat, daß Alexander und Cäsar alle ihre Soldaten mit Namen
gekannt haben, daß der Kardinal Mezzofanti 66 Sprachen verstand
und 36 davon vollständig beherrschte usw. In neuerer Zeit sind
dann eine ganze Reihe von hervorragenden Gedächtnissen genauer
psychologisch analysiert worden; von diesen sind besonders die
klassischen Untersuchungen von Binet?) bekannt. Letztes Jahr
ist der erste Teil einer großen zusammenfassenden Arbeit über
dieses Gebiet von dem bekannten Gedächtnisforscher G. E. Müller‘)
erschienen. Er selbst hatte Gelegenheit, das ganz außerordent-
liche Gedächtnis von Dr. Rückle zu untersuchen. Dieser Rückle,
von Beruf Mathematiker, zeichnet sich aus durch ein außergewöhn-
liches Zahlengedächtnis. Während z. B. normale Menschen sechs
bis acht, allerhöchstens zehn bis zwölf Ziffern nach einmaligem
Anhören richtig zu wiederholen vermögen, war Rückle imstande,
25 vorgesagte Ziffern zu wiederholen, ja, er vermochte die gleiche
Reihe sofort nachher auch rückwärts herzusagen. Aufgaben, fünf-
stellige Zahlen in je vier Quadrate zu zerlegen, löste Rückle in
weniger als einer Minute. Schon nach 51 Sekunden hatte er z. B.
die Zahl 53116 zerlegt in 230? +14? + 4? + 22, indem er erst
noch der gleichen Aufgabe sofort eine zweite Lösung beifügte.
Was dies bedeutet, zeigt am besten die Bemerkung des Mathe-
matikers Lebesque, daß er selbst zur Lösung einer solchen Auf-
gabe zwei Wochen brauche. Müller kommt zum Schluß, daß
Rückle (wie die meisten Rechenkünstler) einen vorwiegend VI-
suellen Gedächtnistypus habe. Er besitzt in sehr hohem Grade
die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit mit voller Kraft zu konzen-
trieren, ferner eine sehr schnelle Auffassungsfähigkeit bei sehr
geringer Ermüdbarkeit, ein vorzügliches Haften des einmal Ein-
geprägten und daneben doch eine sehr schwache Perseverations-
tendenz der Vorstellungen, sodaß es ihm sehr leicht fällt, an
soeben eingelernte Reihen nicht mehr zu denken, sondern die volle
Aufmerksamkeit immer wieder einer neuen Aufgabe zuzuwenden.
Er stützt sich nicht auf die Kunstgriffe eines mnemotechnischen
) A.a.0. ;
2) Binet, Psychologie des grands calculateurs et joneurs d’schecs
(Paris 1894).
3) G. E. Müller, Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit und r
a I. Teil. Leipzig 1911. (Ergzb. 6 d. Zt. f. Paych.
. Sinn.
29. September. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. 1579
Systems, hat aber eine sehr große Geschicklichkeit, die Ziffern- | (Bei Rückle ist dies allerdings weniger der Fall als bei andern.)
reihen sofort in Komplexe zu zerlegen und diese zu andern der | Müller kommt dann zu dem Schluß, daß es ganz verfehlt ist, bei
überaus zahlreich in seinem Gedächtnis aufbewahrten Zahlen- | den Rechenkünstlern ein besonderes angeborenes Zahlengedächtnis
komplexe in irgendeine Beziehung zu bringen. Eine Hauptstütze | anzunehmen, oder gar, wie die Phrenologen, zu erwarten, daß ein
seines Gedächtnisses ist aber die ungemein zweckmäßige Vertei- | bestimmter, dem Rechnen dienender Hirnteil nun ein ungewöhn-
lung der Arbeit auf das visuelle, das akustisch-motorische und | lich großes Volumen besitzen müsse; ein solches „mathematisches
das gedanklich verknüpfende Lernen, die große Sicherheit, mit der | Organ“ müßte ja bei visuellen Zahlenkünstlern an einer gauz an-
or den kürzesten Weg zum Ziel jeweilen auffindet, und das Be- | dern Stelle des Gehirns liegen, als bei solchen mit akustisch-
streben, auf jedes Einprägen niemals mehr Lernarbeit zu ver- | motorischem Typus. | |
wenden, als unbedingt erforderlich ist. Ich bin zu Ende. Das Gedächtnis ist die Grundlage für
Bei der Vergleichung seiner Ergebnisse mit denen anderer | jede andere geistige Tätigkeit. Obue Gedächtnis gäbe es kein
‚Autoren kommt Müller zufolgenden Auschauungen über die Ent- | Wiedererkennen, keine Erinnerung, aber auch keine Phantasie und
wieklung hervorragender Spezialgedächtnisse: keine Kunst, kein Bewußtsein der Zeit, weder der Vergangenheit,
Damit sich ein solches Gedächtnis bilde, müssen erstens | noch der Zukunft. Und doch ist auch das Vergessen sehr wichtig
sehr gute Veranlagungen für eine Reihe von allgemeinen Fähig- | und nötig. Man braucht nicht in den Fehler des Ignoranten zu
keiten vorhanden sein (die Grundlagen für gutes Einprägen und | verfallen, der seine eignen mangelhaften Grundlagen damit ent-
Behalten, für gut konzentrierbare, schnelle Auffassung, für geringe | schuldigt, daß er Wissen und Gedächtnis als überwundenen Stand-
geistige Ermüdbarkeit usw.). Dabei kann sich ein hervorragendes | punkt bezeichnet. Aber man kennt doch einzelne berühmte For-
Gedächtnis sowohl bei einem Menschen von visuellem, wie auch | scher, die gar kein besonders gutes Gedächtnis gehabt haben
bei einem solchen von akustisch-motorischem Typus entwickeln. — |; sollen. Bei den meisten Gedächtniskünstlern steht zudem die all-
Zweitens tritt als ausschlaggebender Faktor ein in der Jugend | gemeine Intelligenz oder gar der Kulturwert des ganzen Menschen
irgendwie entstandenes hochgradiges Interesse für das betreffende | weit zurück hinter ihrem Gedächtnis; und erst der Durchschnitts-
Spezialgebiet hinzu. Und endlich drittens — die Hauptsache — | mensch mit einem etwas besseren Gedächtnis wird sehr leicht
es ist eine ungewöhnliche, durch viele Jahre hindurch beharrlich zum hohlen Zahlenautomaten und zur plappernden Tatsachenmühle.
fortgesetste Uebung nötig, eine Uebung, die beherrscht ist von So wertvoll und notwendig ein gutes Gedächtnis als Grund-
dem festen Willen, das Gedächtnis immer mehr zu vervollkommnen. | lage für jede geistige Tätigkeit ist, so schädlich und geradezu
Daß durch diese Spezialisierung sehr leicht eine gewisse Verödung | vernichtend für das geistige Leben kann es sein, sobald das Ge-
des übrigen geistigen Interessenkreises entsteht, ist begreiflich. dächtnis nicht Werkzeug bleibt, sondern Selbstzweck wird.
a E Terme Al eat FF a ia
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Inneren Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Berlin.
Bei allen Kranken war in dem Zeitpunkte. der ersten Serum-
& X er injektion der Entzündungsprozeß auf einen Lungenlappen oder
Zur intravenösen Anwendung des Römerschen auch nur einen Teil eines Lappens beschränkt.
Pneumokokkenserums bei croupöser Pneumonie Die intravenösen Seruminjektionen wurden so frühzeitig als
i von A: möglich ausgeführt. Die erste Injektion wurde einmal am ersten
H. Dorendorf Krankheitstage gemacht, bei vier Kranken am zweiten, bei vier
am dritten, aus besonderen Gründen bei zwei Kranken am vierten
Theoretisch erfüllt das Römersche Pneumokokkenserum alle | und bei einem am sechsten Tage.
Anforderungen, die an ein specifisches Heilserum bei unserer Außer bei einem sehr leichten Falle, der mit 200 I.-E. be-
jetzigen Einsicht in das Wesen des Pneumokokkeninfekts gestellt | handelt wurde, verwandten wir zu der ersten Injektion 400 I-E.
werden können. Mißerfolge der Serumbehandlung können ihren | Bei zwei leichten Erkrankungen wurde nur eine Injektion gemacht,
Grund in mehreren, vorläufig noch .unkontrollierbaren Störungen | bei den übrigen zwei und mehr von in der Regel 400 I.-E.
des Mechanismus dieser Therapie haben. Wir behandelten mit dem Serum zehn Männer und zwei
Auf die Frage, warum ein Serum nicht hilft, einzugehen, Frauen. nn i EL E
hat vorläufig keinen praktischen Wert. Von großem praktischen Davon standen im Alter von 29 Jahren ein Mann und eine Frau,
R A . . im Alter von 30 bis 36 Jahren zwei Männer, im Alter von 40 bis
nn. dagegen der Nachweis, daß es überhaupt eine Heil- | 44 Jahren vier Männer, im fünften Jahrzehnt ein Mann, im sechsten je
5 nat. ee | ein Mann und eine Frau.
, 77 Dieser Nachweis ist für das Pneumokokkenserum, wie es Ich bringe zunächst einige Krankheitsfälle, deren ungünstiger
jetzt hergestellt wird, in überzeugender Weise bisher noch nicht | Verlauf trotz Serumbehandlung von einiger Bedeutung für die
geführt. | | Beurteilung der Serumwirkung zu sein scheint, | ai
Neuerdings wird zur Erreichung eines Erfolges die intra- Fall I. Die bisher gesunde 64jährige Arbeiterin Wilhelmine S.
venöse frühzeitige Anwendung großer Serumgaben empfohlen. | erkraukte am Morgen des 1. Februar 1912 bei der Arbeit mit Schütte)-
(Neufeld-Haendel und Andere.) Günstige Berichte über die | frost und Bruststechen, wird am Nachmittag in das Krankenhaus gebracht.
Wirkung des intravenös angewandten Serums von Beltz aus | Gut genährte Frau, leicht cyanotisch, Temperatur 88,5%, Atmungszahl 40,
Hochhaus’ Abteilung veranlaßten mich, Versuche mit intravenösen ne Zr me ee en ee en ei
Iniek . 5 . . s Qa! ` 3 erra un onc 1a os spirium.
Te ee euren | Kite Buptyton. a ruhig nen Sputum ech ratak
\ ` ; sche- Diplokokken. Verordnung Digitalis. Neun Stunden nach dem
war, noch einmal aufzunehmen. | initialen Schüttelfrost 400 I.-E. Pneumokokkenserum intravenös. !/ə Stunde
Wir verwendeten das Serum nur bei Pneumonien, die sich | danach Nachlassen der Stiche und der Cyanose, kein Schweiß, Atmungs-
bakteriologisch als durch den Pneumokokkus Fraenkel bedingt | zahl 28, Temperatur unbeeinfiußt, 5 Uhr nachmittags 39,7%, 7 Uhr
feststellen ließen. Grundsätzlich haben wir nur solche Patienten | abends 39,9°. 2. Krankheitstag. 5 Uhr nachmittags Temperatur 39,8 °,
mit Serum behandelt, die früher noch niemals mit Pferdeserum sehr heftige Bruststiche, Atmung 40, stärkere Cyanose. Zweite Injektion
m: 2 SE von 400 1.-E. Wieder Abnahme der Bruststiche; Atmung ruhiger 80,
(Diphtherie- oder anderem Serum) injiziert worden waren. Cyanose geringer. 12700 Leukocyten. Abends 7- Uhr -38,9°, 10 Uhr
| Zur Behandlung kam eine Gruppe von schweren Fällen, bei | 38,50.. 3. Krankheitstag. Im Mittellappen und linken Oberlappen’ pneu-
denen die Widerstandskraft des Organismus durch verschiedene | monische Herde. 13100 Leukocyten. 4. Krankheitstag. Mittellappen
Ursachen (durch höheres Alter, durch Alkoholismus, durch be- | und rechter Unterlappen hepatisiert, linker Oberlappen zum größten
stehende Nieren- und Herzaffektionen) als herabgemindert ange- nn nn aa 2a = Pl N u oe e a
; . ‘ta. | weich. Camphor, Digalen intravenös. 5. Krankheitstag. Morgens 35,8 °,
eaa ee ee a hen Abkürzung des Krankheits- | Pols 112. Mittags 12 Uhr 38°, Puls 116. Unter dauernder Abnahme
S besonders erwünscht erschien. | des Drucks im arteriellen System tritt 3 Uhr nachmittags der Exitus eir.
Eine zweite Gruppe, die wir zur Serumbehandlung heran- | Dje Sektion ergibt leichtes Altersempbysem und Bronchitis, ältere Lobär-
zogen, betraf Pneumoniker, denen wir nàch Lage des objektiven | pneumonie des rechten Unterlappens und Mittellappens (in beiden Lappen
Befundes und unter Berücksichtigung ihrer Konstitution eine günstige | bereits wieder lufihaltige Partien), frische rote Hepatisation des. Jinkon
rognose glaubten stellen zu können, bei. denen wir möglichst ein- | Oberlappens, schlaffes Cor. P aA NOUS OERE"
fache Bedingungen für die Beurteilung der Wirksamkeit des Serums Bei einer 64jährigen Frau mit leichtem Altersemphysem,
zu gewinnen hofften. V die mit pneumonischer Anschoppung eines Teils des rechten Unter-
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1580
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
hehe nung
lappens am 1. Krankheitstage in die Behandlung kam und am
Í. und 2. Krankheitstage je 400 I.-E. Pneumokokkenserum intra-
venös erhielt, entwickelte sich eine Dreilappenpneumonie, der die
Kranke am dritten Tage erlag.
Von Interesse erscheint die folgende Beobachtung:
Die 29 jährige Ehefrau Martha N. mit kompensierter Mitralinsuff-
zienz und Stenose, die im 17. Lebensjabre bei einer Erkrankung an
Gelenkrheumatismus entstand, erkrankte mit Schüttelfrost am 16. Fe-
bruar 1912, 11 Uhr abends. Am Abend des 2. Krankheitstages Auf-
nahme in das Krankenhaus. Es bestand über dem rechten Unterlappen
neben dem medialen Schulterblattrande tympanitische Dämpfung, Bron-
chialatmen und Knisterrasseln. Fraenkelsche Diplokokken im rost-
farbigen Auswurf. 16000 Leukocyten. Sogleich (18. Februar, 7,80 post
mer.) 400 I.-E. Pneumokokkenserum intravenös. Danach keine subjektive
Erleichterung. In der Nacht Temperaturabfall von 88,89 bis 36,40. Am
3. Krankheitstage höchste Temperatur nur 38,4%. Kein Serum ange-
wandt. In der Nacht vom 3. zum 4. Krankheitstage Temperaturabfali
bis 386°, 4. Krankheitstag, mittags 12 Uhr. Temperatur 39,5%. 22.000
Leukocyten. Ganzer rechter Unterlappen hepatisiert. Zweite Injektion
von 400 I.-E. Allgemeinbefinden unverändert. In der Nacht Temperatur-
sturz, wie während der früheren Tage (intermittierende Pneumonie). Am
5. Krankheitstage Temperaturanstieg bis 39,8%. Beginnende Anschoppung
im linken Unterlappen (Hilusgegend). 6. Krankheitstag. Pneumonischer
Prozeß im rechten Unterlappen in voller Lösung. Der pneumonische
Prozeß im linken Unterlappen hat sich etwas weiter ausgedehnt. Am
9. Tage Krise. Seit dem 10. Tage kein rostfarbenes Sputum mehr,
fieberlos. 11. Krankheitstagg. Rechts hinten unten noch handbreite
Schallabschwächung, aber fast allenthalben reines Bläschenatmen; links
neben dem Angulus scapulae noch vereinzeltes Knisterrasseln bei vesi-
kulärem Atmen. 12. Krankheitstag. Nur rechts hinten unten in drei
Finger breiter Zone noch abgeschwächtes Vesikuläratmen, sonst überall
vollkommen regelmäßiger Lungenbefund. Am 18, Krankheitstage nach
kurzem Frost 12,30 post mer. Temperaturanstieg bis 39°, abends 40°.
Frisch rostfarbiges Sputum mit Pneumokokken. Pneumonierezidiv.
Rechter Unterlappen und Mittellappen sind befallen. Drei Tage später
Exitus unter zunehmender Herzinsuffizienz. Die Sektion ergibt rote
Hepatisation des rechten Unterlappens und größeren Teils des Mittel-
lappens, großes schlaffes Herz, Mitralinsuffizienz und mäßige Stenose.
Stauung mäßigen Grades in Leber, -Milz und Nieren.
Die Seruminjektionen verhindern eine weitere Ausdehnung
der Lungenentzündung in dem zuerst ergriffenen Lappen nicht;
ein zweiter Lappen wird teilweise ergriffen. Vier Tage nach der
Krise tritt ein Pneumonierezidiv in dem zuerst befallenen, seit
einigen Tagen freien Lappen auf und beteiligt den bisher freien
Mittellappen. Die Kranke geht in dem Rezidiv an Herzinsuffizienz
zugrunde,
Einlappenpneumonie aufgenommen, am 2, und 3. Krankheitstage mit
400 I-E. Pneumokokkenserum behandelt worden war, ohne daß das Fort-
schreiten der Infiltration auf einen zweiten Lappen dadurch verhindert
worden wäre Er starb am 4. Krankheitstage im Delirium an Herz-
insuffizienz.
Ein 52jähriger, vorzeitig gealterter Mann mit chronischer Nephritis
wurde am 6. Krankheitstage ` mit einem pneumonischen Infiltrat eines
Lappens aufgenommen. Er wurde am 6., 7. und 12. Krankheitstage mit
400 I.-E. intravenös behandelt. Der pneumonische Prozeß breitete sich
über einen zweiten Lappen aus. Entfieberung trat nicht ein und unter
zunehmender Schwäche erfolgte am 20. Krankheitstage der Exitus letalis.
Die Sektion zeigte, daß die ganze linke Lunge in Carnification über-
gegangen war.
| Ein 68jähriger, mit Pneumonie des rechten Unterlappens aufge-
nommener Patient, der am 4. und 5. Krankheitstage mit 400 I.-E.
Pneumokokkenserum behandelt wurde, starb am 7. Krankheitstage. Bei
der Sektion fand sich die ganze rechte Lunge und etwa die Hälfte des
linken Unterlappens hepatisiert. |
Auh unter den Pneumonien mit Ausgang in Heilung ist
‘eine Reihe, in denen das Versagen der Serumtherapie deutlich zu
Tage. tritt. | i
Fall I. Der sehr kräftige, 36jährige Gürtler Bruno L. tritt am
Abend des 2. Krankheitstages in unsere Behandlung mit einer Pneumonie
des linken Unterlappens. Er erhält 63 Stunden nach dem initialen
Froste 400 I.-E. Serum intravenös. Die Injektion verhindert nicht, daß
am 4. Krankheitstage eine Anschoppung des rechten Unterlappens auf-
tritt. Zweite Injektion von 400 I.-E. Pneumokokkenserum am 4. Tage.
— Da sich am Morgen des 5. Tages der rechte Oberlappen und der
Mittellappen ergriffen zeigten, nahmen wir von weiteren Seruminjektionen
Abstand. — Krise am 9. Krankheitstage. Vom 11. bis 13. Krankheits-
tage leichtes Fieber, kleines seröses pleuritisches Pneumokokkenexsudat.
Am 20. Krankheitstage Pneumokokkenangina mit eintägigem Fieber.
Am 22. Tage sind die Lungen frei.
Trotz zweimaliger Serumdosen von 400 I.-E. Wander-
pneumonie, die allmählich vier Lappen befällt, Pneumokokkenpleu-
ritis und in der Rekonvaleszenz Pneumokokkenangina.
Weitere Todesfälle betreffen einen 44jährigen Trinker, der mit
Fall IL Wenzel R., Tischlergeselle, 40 Jahre alt. Bei der Auf-
nahme am 3. Krankheitstage rechter Unterlappen in beginnender
Hepatisation. Rostfarkiges Sputum mit Pneumokokken. 400 I-E. Serum
intravenös. Temperatur sinkt nach der Injektion von 40 auf 88°, aber
schlechtes Allgemeinbefinden. Am 4. Krankheitstage mittags Tem-
peratur wieder 40°, zweite Injektion von 400 I.-E, Temperatur sinkt
um 1,5 °, steigt gegen Abend wieder zu größerer Höhe an, starke Stiche,
Am 5. Krankheitstage dritte Injektion von 200 I.-E., außer einem
Temperaturabfal um 1,209 ohne ersichtlichen Erfolg. 6. Krank-
heitstag. Herzdämpfung um 1!/» Fingerbreiten nach links verbreitert,
systolisches Geräusch an der Spitze. 8. Tag. Mittellappen befallen,
Diastolisches Aortengeräusch, das seitdem konstant. Seit dem neunten
Tage Iytischer Temperaturabfall, aber bis zum 80. Tage abendliche sub-
febrile Temperaturen (Endokarditis). Lunge am 31. Tage frei. Verläßt
mit ausgeglichener Aorteninsuffizienz am 51. Krankheitstage das Kran-
kenhaus.
Fall III. Holger A., 43 jähriger Tischler; am 24. Januar 1912,
10 bis 11 Uhr vormittags mit Schüttelfrost erkrankt, noch bis 2 Uhr
gearbeitet, dann der heftigen Stiche wegen bettlägerig.. Am 25. Januar
1912 Aufnahme. Tympanitische Dämpfung links hinten von der Spina
bis etwas unter den Angulus scapulae herab, daselbst Knisterrasseln, an
einzelnen Stellen Bronchialatmen. 5,30 nachmittags 400 L-E., Pneumo-
kokkenserum intravenös. Temperatur sinkt um 0,3%. Wesentliche sub-
jektive Besserung, keine Stiche mehr, Atmungszahl sinkt von 40 auf 28,
leichter Schweiß, Nacht gut. 3. Krankheitstag: Ganzer linker Unterlappen
hepatisiert. Zweite Seruminjektion 400 L-E. Wieder wesentlich besseres
Befinden nach der Serumgabe. Temperaturerüiedrigung um 0,3 0. 4. Krank-
heitstag. Ueber der ganzen linken Lunge Bronchialatmen. Am 6. Tage
beginnende Krise, am 7. Tage fieberlos. Patient ist verwirrt, strebt aus
dem Bette. (Größere Pantopongaben notwendig) Auch am 8. und
9. Tage noch unklar. Unter subfebriler Temperatur am 8. und 9. Tage
tritt ein kleiner linksseitiger pleuritischer Erguß auf, der am 10. Tage
etwa handbreit, seinen höchsten Stand erreicht. Am 12. Krankheitstage
abends 38,6 beginnendes Serumexanthem. Mit der weiteren Ausbreitung
des Exanthems steigt die Temperatur am 18. Krankheitstage bis 89,5,
das Fieber hält am 14. Tage in gleicher Höhe an. Exanthem in voller
Blüte in Form eines Erythema multiforme, bedeckt Gesicht, Rumpf und
Extremitäten. Heftige Gelenkschmerzen (linkes Hüft- und Kniegelenk)
ohne Schwellungen, keine Nephritis. Am 15. Tage verschwindet das
Exanthem, beginnende Entfieberung, Gelenkschmerzen im Abklingen. Am
17. Tage Wohlbefinden, fieberlos; am 18. Tage Lungen frei.
Auch bei diesem Kranken breitet sich die Pneumonie trotz
der Seruminjektionen am 2. und 3. Krankheitstage über die bisher
freien Abschnitte des anfangs befallenen linken Unterlappens aus
und befällt den linken Öberlappen. In der Rekonvaleszenz tritt
ein handbreites seröses Pneumokokkenexsudat im linken Pleura-
sacke auf. Serumkrankheit zehn Tage nach der ersten Injektion.
‚Zwei weitere Fälle bieten nichts Bomerkenswertes, außer daß trotz
frähzeitiger Anwendung des Serums der pneumonische Prozeß einen bis-
her freien zweiten Lungenlappen ergriff.
. _ Unter unsern zwölf mit Serum behandelten Pneumonikern
sind nur zwei, bei denen die Serumbehandlung einen „schein-
baren“ Erfolg hatte. Ich bringe kurze Notizen aus den beiden
Krankengeschichten.
‚Der 40jährige Arbeiter August B. kommt am 3. Krankheitstage
mit einem etwa kartenblattgroßen pneumonischen Infiltrate im rechten
Unterlappen ins Krankenhaus. Temperatur 39,20, Pals 116, 16800 Leuko-
cyten. Er erhält sogleich 200 I.-E. Pneumokokkenserum intravenös. Die
Temperatur sinkt danach auf 374° Wohlbefinden. 4, Krankheitstag.
Temperatur morgens 37 °, Leukocytenzahl 1300, Abendtemperatur 87,7 °.
Der pneumonische Prozeß hat sich über den größten Teil des rechten
Unterlappens ausgebreitet. 5. Krankheitstag. Temperatur mittags 39°,
akzentuierter zweiter Pulmonalton, Allgemeinbefinden gut, Haut feucht.
Abends beginnender Temperaturabfall, starker Schweiß. Am 6. Krank-
heitstage mittags entfiebert. Am 11. Tage ist die Lunge frei. .
‚ Ob die Seruminjektion Einfluß auf den günstigen Ablauf der
an sich leichten Pneumonie des Mannes gehabt hat, erscheint zum
mindesten zweifelhaft. Jedenfalls ließ sich am Tage nach der In-
jektion noch ein Fortschreiten des pneumonischen Prozesses fest-
stellen, und die Krise trat erst zwei Tage danach auf.
Im unmittelbaren Anschluß an die Seruminjektion kritisierte
ein Kranker.
Der 29jährige Schlossergeselle Franz J. kommt am 3. Krankheits-
tage mit einer pneumonischen Hepatisation des linken Unterlappens Ins
Krankenhaus. Temperatur morgens 38,2 °, abends 38,3 °,- Er erhält aus
äußeren Gründen erst am 4. Krankheitstage 12 Uhr mittags eine intra-
venöse Einspritzung von 400 L-E. Die Temperatur am 4. Krankheitsteg®
betrug morgens 37°, mittags 39°. Fast unmittelbar nach der Serum-
injektion ‚fängt die Temperatur zu fallen an, sie beträgt abends 7 Uhr
37,2%, die Pulszahl sinkt entsprechend, und in der Nacht vom 4. zum
5. Krankheitstage ist die Krise beendet. Am 18. Tage ist die Lunge fral-
Betrachtet man die 'Temperaturkurve, so drängt sich der
Gedanke auf, ob nicht der Temperaturanstieg am Mittag des
29, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
1581
4. Tages ein präkritischer war, und ob nicht auch ohne Serum-
injektion der Verlauf der gleiche gewesen wäre.
Fassen wir unsere Beobachtungen zusammen, so ergibt sich
folgendes: Als fast regelmäßige Folge der Seruminjektionen wurde
Sinken der Temperatur festgestellt. (Nur bei einem Kranken blieb
es ganz aus.) Zweimal erfolgte der Abfall nach vorhergegangenem
kurz dauerndem Anstieg um einige Zehntel Grade und betrug bei
der Hälfte der Injizierten nur einige Zehntel Grad.
"Stärkeres Herabgehen der Temperatur um 1—20 sehen wir
siebenmal nach der Serumeinspritzung. Für diesen Abfall der
Körperwärme war viermal ein anderer Grund als die Serumwirkung
nicht auffindbar. Zweimal war die Injektion abends gemacht und
der Temperaturabfall erfolgte vielleicht nur etwas stärker, als es
ohne die Seruminjektion während der Nachtstunden der Fall ge-
wesen wäre. |
Bei einer Beobachtung von starker Remission nach der
abendlichen Seruminjektion handelte es sich um eine intermittierende
Pneumonie. |
Unabhängig von dem Grade des Temperaturabfalls trat nach
den Seruminjektionen bei sieben Kranken für Stunden eine B esse-
rung des subjektiven Befindens auf, die in Nachlassen der Brust-
stiche, freierer Atmung und Nachlassen der Cyanose ihren Aus-
druck fand, bei einigen Kranken ein leichter Schweiß; zweimal
wurde das benommene Sensorium des Kranken nach der In-
jektion frei.
Besonders auffallend war die den Serumeinspritzungen fol-
gende Euphorie bei einem Kranken, dessen Temperatur danach nur
um 0,2 beziehungsweise 0,30 herunterging.
Besserung des Allgemeinbefindens blieb völlig aus bei fünf
Kranken, darunter sind zwei, deren Temperaturabfall nach den
Seruminjektionen 1,5—2° betrug.
Auf den Druck im arteriellen System übten die Serum-
injektionen keinen Einfluß aus. Der in stündlichen Zwischenräumen
nach der Injektion bei einigen Kranken festgestellte Blutdruck
war im wesentlichen der gleiche wie vor der Injektion.
Der pneumonische Lungenprozeß machte in der Regel nach
der Seruminjektion nicht Halt. Nur bei drei Kranken blieb er
auf den vor der Serumanwendung befallenen Lappen und nur bei
einem von diesen etwa auf den vor der speeifischen Behandlung
befallenen Teil des Lappens beschränkt.
Bei sechs Kranken beobachteten wir, wie nach der Behand-
lung mit Serum noch ein vorher freier Lungenlappen befallen
wurde, bei zwei Kranken wurden noch zwei weitere und einmal
drei weitere Lappen ergriffen.
Das Umsichgreifen des Infiltrationsprozesses in derLunge kann
nicht einer zu späten Serumanwendung zur Last gelegt werden,
denn die erste Seruminjektion wurde in den Fällen, bei denen die
- Pneumonie auf weitere Lappen übergriff, nur einmal erst am sechsten
und einmal am vierten Krankheitstage gemacht, dreimal am dritten,
viermal bereits am zweiten und einmal schon am ersten Krank-
heitstage. Gerade bei der letzterwähnten Kranken entwickelte sich
eine Dreilappenpneumonie. |
Ebensowenig wie die Serumbehandlung dem pneumonischen
Prozeß in der Lunge Halt gebot, vermochte sie das Auftreten von
Komplikationen, die durch den Pneumokokkus hervorgerufen werden,
zu verhindern.
Pleuritische Exsudate traten bei zwei der mit dem Serum
Behandelten auf (bei dem einen Kranken am achten, bei dem andern
am elften Krankheitstage). Der letztere erkrankte elf Tage
nach der Entfieberung (am 24. Krankheitstage) an einer Pneumo-
kokkenangina.
Bei einem dritten mit Serum behandelten Kranken ent-
wickelte sich während der Pneumonie eine Endokarditis, die zu
einer Aorteninsuffizienz führte. ae
Auch von einer prophylaktischen Wirkung, die Landmann
von der Anwendung des Serums erwartet, sahen wir nichts. Das
Auftreten einer Pneumokokkenangina am 24. Krankheitstage wurde
bereits erwähnt. — Wir haben den seltenen Fall beobachtet, daß
eine mit zwei großen Serumgaben behandelte Frau, die am neunten
Tage kritisierte, am 13. Tage ein Pneumonierezidiv bekam,
dem sie nach drei Tagen erlag. f
Eine Verschiebung der Krise nach vorn, die nach Beltz die
Wirkung der intravenösen Seruminjektionen am besten demonstrieren
sollte, konnten wir bei unsern Kranken nicht feststellen. Am
fünften Krankheitstage kritisierte ein Kranker, am sechsten zwel,
am siebenten ein, am achten ein, am neunten drei Kranke.
.... Der tödliche Ausgang trat einmal am vierten Krankheits-
tage ein. Die Sektion ergab graue Hepatisation eines Lungen-
. anwendung nicht verhindert.
lappens und beginnende rote Hepatisation eines zweiten Lappens,
| Auch bei einem zweiten am fünften Krankheitstage gestorbenen
Patienten war der Entzündungsprozeß in der Lunge im Fort-
schreiten begriffen, sodaß im Fall eines günstigen Ausgangs eine
„vorzeitige“ Krise jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit zu er-
warten gewesen wäre. Zweimal erfolgte der Tod am siebenten
und einmal am 20. Tage.
Auch auf die Lösung des pneumonischen Prozesses war nach
unsern Beobachtungen die Serumbehandlung ohne Einfluß. _
Wie auch ohne Serumbehandlung in der Regel am raschesten
sich die Pneumonien sonst organgesunder, namentlich jugendlicher
Kranker mit einer beim Eintritt der Krise relativ geringen Aus-
dehnung des Prozesses zu lösen pflegen, so war unter den mit
Serum behandelten die Lysis der Einlappenpneumonien im all-
gemeinen am schnellsten vollendet. Die Lungen waren am 1i.,
12. beziehungsweise 13. Tage frei. Eine Zweilappenpneumonie war
am 12., eine am 18., eine dritte mit Endokarditis komplizierte .erst
am 30. Tage gelöst. Bei einem Kranken mit Dreilappenpneumonie
. war die Lunge am 22. Tage frei.
Als Serumschädigung sahen wir ein mit mehrtägigem Fieber
und schwerem Krankheitsgefühl (heftigen Gelenkschmerzen) ver-
laufendes Serumexanthem.
Wenn sich unsere Beobachtungen auch nur auf zwölf Er-
krankungen an Pneumonie stützen, so haben uns die bisher ge-
machten Erfahrungen nicht von der Wirksamkeit des intravenös
angewandten Römerschen Pneumokokkenserums zu überzeugen
vermocht. ’
Was wir an Serumwirkungen beobachteten, bezieht sich ledig-
lich auf vorübergehende, sehr vieldeutige Besserungen des All-
gemeinbefindens und der Begleiterscheinungen der Pneumonie.
Eine Herabminderung der Mortalität, eine Beschränkung des pneu-
monischen Infiltrats auf den ursprünglichen Herd ist durch die
Serumbehandlung nicht erreicht worden. Komplikationen, die auf
der Wirkung des Pneumokokkus beruhen, wurden durch die Serum-
Auch prophylaktisch leistete das
Serum nichts.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Basel
(Direktor: Prof. Dr. R. Staehelin).
Beiträge zur Gichtiherapie mit Urosemin
Dr. med. P. Wolfer, Assistent der Klinik.
Einen neuen Vorschlag zur Behandlung sowohl des akuten
Gichtanfalls als auch der chronischen Gelenkgicht macht Falken-
stein!), indem er die Injektion einer Harnsäureanreibung subcutan
in die nächste Umgebung der Gelenke empfiehlt und die zu wieder-
holten Malen vorgenommen wird, je nach der Schwere und Inten-
sität der gichtischen Erscheinungen. Aus seinen mitgeteilten
Krankengeschichten und aus seiner Selbstbeobachtung scheint her-
vorzugehen, daß durch diese Therapie günstige Erfolge erzielt
worden sind. Neben den therapeutischen Erfolgen hebt Falken-
stein die Ungefährlichkeit der Therapie und ihre geringe Schmerz-
haftigkeit hervor, eine Erfahrung, welche ich auf Grund meiner
Injektionen nur bestätigen kann. Nach kurzer Kritik der internen
Gichttherapie, deren Zweck es wäre, Medikamente zu finden (His),
die mit der Harnsäure leicht lösliche Verbindungen eingehen, geht
er zur Erklärung der günstigen Wirkung seiner Injektionstherapie
über. Er greift dazu auf die von Wright und Douglas in-
augurierte Hypothese der Phagocytose. „Es besteht ein Unver-
mögen der Leukocyten die gichtische Form der Harnsäure [La-
ctimurat Gudzent?)] aufzunehmen, um diese zur Aufnahme vorzü-
bereiten, müssen opsonische Kräfte im Blute geweckt werden, dies
tut der Organismus, indem durch Uebertreten von Ablagerungs-
mengen in den Saftstrom der Abwehrmechanismus in Szene ge-
setzt wird. Dies kann — wenn die Ansicht Wrights richtig
ist, daß die bakteriotropen Substanzen in den Geweben der Impf-
stelle erzeugt werden — durch Injektionen von Harnsäure erreicht
werden, indem dadurch die für die gichtische Phagocytose erfor-
derlichen Stimuline und Opsonine respektive Antikörper hervor-
gerufen respektive die bakteriotropen Substanzen in den Geweben
der Impfstelle erzeugt werden.“
1) Falkenstein, Zur Heilung des akuten Gichtanfalls und der
chronischen Gelenkgicht (Med. Kl. 1911, S. 1724). |
2) &udzent, Physikalisch-chemisches Verhalten der Harnsäure
und ihrer Salze im Blute (Zt. f. physiol. Chem. Bd. 63, H.6).
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1912.-— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
‚ Im ferneren wirft er die Frage der Umwandlung des Mono-
natriumurats durch Hinzutreten von Harnsäure in Natriumquadri-
urat auf’). ,
Gestützt auf diese Angaben wandte ich in einigen Gicht-
fällen diese Therapie an, namentlich um ihren Einfluß auf die
Harnsäureausscheidung, auf die sie ja ohne Zweifel einen Einfluß
haben muß, wenn sie überhaupt eine Wirkung hat, in einer Serie
von Untersuchungen festzustellen. Es sind — da in unserer
Gegend die Gicht zu den seltenen Affektionen gehört — nur drei
Fälle, die ich auf diese Weise untersuchen konnte. Ueber Daten
und Therapie fasse ich mich kurz, da sich das Hauptinteresse auf
das Verhalten der Harnsäure richtet.
Tabelle I. Fall I. Chronische Gelenkgicht.
. Harn-
| Spee. | Harn- „Purin. | säure
Urin- | Ge- | säurd | total hofi Therapie Be-
menge ; total 100 ccm merkun en
wicht in
in g mg Urin
| in mg
| 2
18, Novemb, | 2800 0,29 | 24 10,35 | Baal
| 03
19. 5 2400 1006 0,280 28 11,66
W. y 1600 | 1008 | 0,236 | 17 ` 14,75-
21 y 1600 1008 0,219 15 13,68
2. y 1800 | 1006 | 0,186 | 18 10,33
23 a 1800 1005 0,195 14 . 10,83
A y 2600 | 1006 | 0,291 | 19 11,19
By 2500 - 02 18 CH
26. 3 | 2200 1005 | 0,186 18 8,45
Mn 2000 | 1006 | 0,826 | 14 11,3
28g. > | J600 | 1009 | 0,170 9 | 10625
Mittel . . | 2080 | 1006 | 0,225 10,8
5. Dezemb. | 2200 1012 0,239 16 10,86 |1 Amp. Urosemin
"a 1700 | 1006 | 0,81 | 12 10,65 |1 „ B
ve 2400 | 1004 | 0,253 | 7 10,54 |i „ yi
8 n 2100 | 1005 | 0,177 |. 15 8'43 |1 , 2
goo 1200 | 0,18 13 16,16 |1 „ 2
0. 2400 | 1007 | 0,248 | 17 10,33 115 0
Io» 1400 | 1007 | 0161 | 18 mo Aii 5 ” |Kost mit
: Fleisch
12. a 1700 1010 ! 0,220 15 129 1 „ j Kein Fleisch
3. n 2400 | 1005 ` 0,227 | 13 945 |1 „ B Fleisch
4. » 2000 | 1008 | 0,286 | 11 18 In ý
Mittel . .| 1930 | 1007 | 0213 | . | 11,96 | |
Fall I. (Tabelle I. IL) 79 Jahre, d. Beginn mit 49 Jahren.
1901 und 1906 in der Basler Klinik wegen Gicht?)’). Spitaleintritt
20. September 1911. Seit 14 Tagen, beginnend mit Anfall, stechende
Schmerzen in Finger-, Schulter-, Haft-, Knie- und Fußgelenken. Status
ergibt Druckempfindlichkeit beider Fuß- und Kniegelenke, Schmerzen in
den Gelenken der Oberextremität. Während des Aufenthalts in der
Klinik verschiedene Gichtanfälle mit Gelenkschwellung und -rötung und
Tomperaturanstiegen (4. Oktober, 10. Oktober, 6. November 1911, 24. Ja-
nuar 1912). Was den Eindruck und die Beobachtung in bezug auf die
vom 4.bis 14. Dezember vorgenommenen Injektionen betrifft, so läßt sich
konstatieren, daß durch dieselben keine wesentlichen Veränderungen im
Befinden hervorgerufen wurden und daß der Zustand des Patienten durch
andere therapeutische Maßnahmen — Fango, Bäder, Hitze — besser be-
einflußt wurde. Immerbin ist hervorzuheben, daß es sich um einen sehr
fortgeschrittenen Fall von chronischer Gelenkgicht handelt, bei dem die
Gewöhnung an die Gichtschmerzen und Gichtbeschwerden schon weit ge-
diehen war.
Fall II. (Tabelle IN, IV.) 54 Jahre, d. Beginn vor zwölf Jahren
mit Schmerzanfällen in der Großzehe, seitdem wiederholte Anfälle. Be-
ginn des letzten Anfalls vor 14 Tagen mit Schmerzen in beiden Schulter-
gelenken, im Ellbogen und in den Fußgelenken.
Organstatus o. B,
Schwellung des rechten Ellbogens und Druckempfindlichkeit der
Bursa olecrani. Rechtes Fußgelenk geschwollen und gerötet, lokale
Temperaturerhöhung, Druckempfindlichkeit. Akute Schwellung und Rö-
tung der linken Großzehe. Tophus am linken Ohrknorpel (ergibt: Harn-
säurenadeln [mikr.] Murexidprobe +).
Während des Spitalaufenthalts selten Anfälle. Ein Anfall am
7. März während der Injektionszeit, Anfall dehnt sich auf verschiedene
Gelenke aus und klingt in einigen Tagen langsam ab. Beim Austritte:
keinerlei giehtische Veränderungen zu konstatieren, freie Beweglichkeit
der Gelenke sowie subjektives Wohlbefinden. Patient gibt an, daß der
letzte Gichtanfall, der in die Zeit der Urosemininjektionen fiel, milder
wie die früheren verlaufen sei. Sonst konnten keinerlei Veränderungen
im Befinden, die mit der eingeschlagenen Therapie in Connex stehen
könnten, beobachtet werden.
——
1) Die Existenz eines Quadriurats ist durch Kohler widerlegt
rn f. physiol. Chem. Bd. 72, S. 169).
loch, Die Herkunft der Harnsäure im Blute bei Gi
physiol. Chem. Bd. 51, S. 472). ute bei Gicht (Zt. f.
) Reach, Purinuntersuchungen bei Gicht (M. med. Woch. 1907).
|
ES ae O 2900
Tabelle III. Fall 1. Chronische Gicht.
16, „ 2100 | 1019
0,672 18,4 32,
- 1015
3
; ; 0
0813 | 275 | 80 |
Mittel. . | 2850 | | 0798 | | 27,8 | |
Fall IIE. (Tabelle V. VI.) 66 Jahre, d. Ist seit acht Jahren
gichtkrank, jährlich zwei bis drei Anfälle. Dauer drei bis sieben Tage.
Beschräukten sich anf die Grundgelenke der großen Zehen. Anfälle mit
Rötung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit. Mitte Januar 1912 typischer
Anfall, Februar 1912 Schmerzen in beiden Füßen und im Knie.
Status ergibt neben leichter Bronchitis und ausgedehnter Narben
alter Brandwunden nichts Besonderes. Gegend des Grundgelenks der
ersten Großzehe aufgetrieben, hart, nicht gerötet und nicht druck-
empfindlich. Linkes Knie angeschwollen, nameutlich der Recessus superior.
Schwellung des Grundgelenks der linken Großzehe, nicht schmerzhaft.
Während des Spitalaufenthalts kein Anfall. Austrittsstatus o. B.
Patient kam am Ende eines Anfalls in die Klinik, und dieser An-
fall markiert sich noch in der Höhe der ausgeschiedenen Harnsäure am
ersten Bestimmungstag. In bezug auf die therapeutische Wirkung der
Injektionen konnte wiederum nichts Bestimmtes beobachtet werden, Pa-
tient fühlte sich gut und gab keine Besserung an, die auf Urosemin
hätte bezogen werden können. |
Tabelle V. Fall III. Chronische Gicht.
Harn- | Purin- | #8-
Urin- | SPec- | Säure [basen N .. Therapie Be-
menge total | total la? p merkungen
icht ing |inm 100 ccm
in mg
15. Februar | 2200 | 1017 | 0,378 10,0 17,2 | Lacto-vege-
| ; : tabilische
| Kost
16. „ 2200 | 1017 | 0411 | 14 18,7
17 3 2000 1013 0,333 10,2 16,6
8. „5 3000 | 1011 | 0,608 | 20 20,1
9. „ 1400 | 1020 | 0,208 6 14,8
20. m 2400 | 1018 | 0,47 13 | 196
2 2100 1013 0,350 12,7 16,6 ,
22 j 3000 1010 0,549 13,7 18,3 :L Periode
23 iR 2800 1015 0,859 13 12,8 |
24 5 2700 1011 0,404 13 15 l
25 5; 2500 1015 0,456 13 18,2 |
28 3 2100 1018 0,450 14,7 21,4 !
27. a 1800 1010 0,508 11,7 18,2
28. 5 2800 1020 0,586 10 22,5
Mittel. . | 2880 | 1014 | 0,434 | 186
|
29. Februar | 2000 1020 0.451 11 226 |1 Amp. Urosemin
1. März sooo | 1015 | 0879 | 17 ' 298 |i „ m
2. „ 2500 | 1014 | 058 | 127 | 211 1 „ E
3. „ 2800 | 1015 | 0,861 | 206 | 36 |1 „ : II. Periode
4. „ 2800 | 1018 | 0,49 | 12 148 |, „ ;
5 p 1600 1020. 0,391 76 AA ı1 „ N
6. 2800 | 1020 | 0733 | 206 82 |2 „ a
u 200 | 1020 | 0482 | 15 | 20,1 |2 „ AE
Mittel. . 2230 1015 0,578 27,7 7—12. März
Gichtanfall
8. März 2800 | 1015 | 0870 | 116 | 311 III. Periode
D y 2800 | 1017 | 0,505 | 16,7 | 18,0
Mittel. . | 2800 | 1016 | 0,688 24,5 Ä
| ®
13. März 2400 1020 | 0,690 21,0 287 |1 Amp. Urosemin|
14. „ 5000 | 1015 | 1,800 | 21 260 1 „ 5
15. „ 2000 | 1018 | 0,487 | 196 | 283 |i „ s IV. Periode
1
1
”
. ”
| | Harn- | Puri A
’ - urin- | saure
| Urin- | °C | 'säure |basen N| pro Therapie e a
menge | wicht | total | total |100 cem ral | eyten | merkungen
| ing |inmg | Urin R
| in mg —
7.Mörz| 1600 | 1018 |0,73604| 11 | 459 Abklingen-
der Anfall.
Lacto-vege-
tabilische
Kost
8. p 3200 | 1015 | 0,292 21 9,1
9. „ | 3200 | 1012 | 0,275 28 8,6 I. Periode
10. „ 3200 | 1012 | 0,272 36 85
il. „ 2200 | 1009 | 0,196 9 8,9 | Da
Mittel | 2950 | 1012 | 0,259 8,8
12. März | 3200 | 1011 | 0,288 12 7,4 |1Amp.Urosemin| 8400
13. „ | 2800 | 1014 | 0,854 | | 8600
14. „ 2900 | 1015 | 0,349 18 120 1 „ ; 7400
15. „ 2900 | 1017 | 0,327 33 i3 i „ 6400
16. „ | 2200 | 1018 | 0974 i9 | i24 lI „ - 8500
1T. » | 2100 | 1016 | 0,581 i9 | 281 á 11. Periode
18, „ 3100 | 1012 | 0,278 27 89 1 „ 8400 | `
19. „ | 2200 | 1010 | 0801 19 187 1 „ x 6900
20. „ 3100 | 1006 | 0,301 19,6 7 = 7500
21. „ 2600 | 1008 | 0,378 20 15 2 . : 8800
2. m | 2800 | 1005 | 0,428 = 50 l2 >? ” Í 6800
28. 3600 | 1007 | 0341 43 94 1 „ 7100
2%. „ | 3000 | 1008 Ioaı | 9 | 187 1 > 2 |e
Mittel | 8040 | 1009 | 0,08 | | 1389 De
H Seit Garrod spielt die Frage nach der im Blut enthaltenen
arnsäure bei der Gicht eine sowohl diagnostisch als theoretisch
29. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
1583
äußerst wichtige Rolle. Wenn auch die Angaben der Literatur
noch verschieden klingen [Bloch!), Staehelin und Maase?),
Brugsch und Schittenhelm3), Plehn®) usw.], so ist — wie
dies namentlich Brugsch und Schittenhelm betonen — ihr
Nachweis im Blute von großer Bedeutung, da nach ihren Unter-
suchungen der endogene Harnsäuregehalt des Bluts bei Gicht er-
höht ist und der Nichtgichtiker — abgesehen von den Nephritikern
— unter purinfreier Kost keine endogene Harnsäure im Blut ent-
hält. Im ersten Falle wurde schon früher im Blut eine Harn-
säurebestimmung vorgenommen, welche 9,7 mg und nach purin-
freier Kost 8,9 mg in 200 cem Blut ergab (Bloch). In den
Tabelle II. FalbI. beiden andern
A EREA EE TTV TIEFE EEE ir Fällen | ergab
= tan ern east die Blutunter-
Și E eL EA suchung im
enteiweißten
Blut eine ne-
Tabelle VI. Fall HI.
r EEE Joea TE =E gative mikroskopische
a= Ausbeute, sowie nega-
tiven Ausfall der
Murexidprobe, sodaß
die nach Krüger-
Schmid gefundenen
Werte nicht stich-
haltig sind (Brugsch
und Schittenhelm.)
Die Anamnese,
die klinische Beobach-
tung dieser beiden
Fälle, der Nachweis der Harnsäure enthaltenden Tophi in demi einen,
die Harnsäuresteigerung im Anfalle bei dem andern, lassen die
Diagnose auf Gicht eindeutig zu.
l In diesen drei Fällen machte ich Harnsäurebestimmungen
Im Urin, und zwar in einer Vorperiode und in einer Periode mit
Injektionen von Urosemin.
Die Werte wurden nach der Methode Krüger-Schmid?’) ge-
wonnen und finden sich in den Tabellen (Doppelbestimmungen und
Mittelwerte).
Die Kostordnung war im ersten Falle längere Zeit vor Beginn des
Versuchs lacto-vegetabilisch, am Schluß wurden zweimal Fleischzulagen
gestattet, die beiden andern Patienten erhielten konstant völlig fleisch-
freie lacto-vegetabilische Kost. |
In dem dritten Falle wurde während der Injektionszeit eine täg-
liche Kontrolle ‚der Leukocytenzahl vorgenommen, um den Einfluß des
rosemins zu beobachten und eine eventuelle Leukocytose, welche Ur-
sache für eine Vermehrung der Harnsäure hätte sein können, zu fixieren.
‚. Es zeigte sich indessen, daß die Leukocytenwerte keine Ab-
weichungen von der Norm darboten und sich ständig in normalen Grenzen
hielten, sodaß damit die Möglichkeit: Leukocytose mit vermehrter Nu-
cleinbildung und -zerfall und consecutiv vermehrter Harnsäureausscheidung
nicht zutraf. Ä
= Entsprechend den schon gemachten Bemerkungen fundiert
die Therapie Falkensteins darauf, die Elimination der gichti-
mu
IHM
a GLS amt mu Nu,
lii
iiile
Harnsäureausscheidung in Zentigramm. Die punktierten
Linien geben die Werte während der Injektionszeit an.
1) Bloch, L. c.
2) Staehelin und Maase. Zt. f. Balneologie 1912.
. „.) Brugsch und Schittenhelm, Harnsäurenachweis im Blute
bei Gicht. (A. f. exp. Path. u. Ther. 1907, S. 438.)
‚) Plehn, Zur Kenntnis der Wirkungsweise des Atophans bei
chronischer Gicht. (D. med. Woch. 1912, Nr. 38, S. 102; [vergl. die ent-
sprechenden Lehr- und Handbücher].
5 Hoppe-Seyler, Handb.
. physiol. u. pathol. chem. Analyse,
bearb. v. Thierfelder, 1908, S. 435. |
schen Form der Harnsäure durch Anregung der Phagocytose, was
er durch serologische Untersuchungen !) beiHarnsäureinjektion glaubt
annehmen zu können (oder durch chemische Beeinflussung, welche
möglich sei), günstig zu beeinflussen und zu steigern. Nach diesen
Annahmen müssen wir bei dieser Therapie eine Steigerung der
Harnsäureausfuhr erwarten und diese nachweisen ‘können, wenn
ihre Brauchbarkeit erwiesen werden soll.
Versuche über den Einfluß der Harnsäureinjektionen auf die
Harnsäureausscheidung sind schon mehrfach angestellt worden.
Ich führe die wichtigsten an. |
Soetbeer und Ibrahim?) fanden, daß injizierte Harnsäure als
solche quantitativ ausgeschieden wird und daß die Ausscheidungssteigerung
noch einige Tage andauert und deshalb mehr ausgeschieden als injiziert
wird. Nach Burian und Schur?)*)®) treten beim Menschen von freien
und gebundenen Mono- und Dioxypurinen, sowie von injizierter Harn-
säure und von gebundenem Guanin ungefähr die Hälfte als Purinkörper
(vorwiegend als Harnsäure) in den Harn über. - Bei Hund und Katze er-
geben Injektionen von Natriumurat eine Erhöhung der U.-Ausfuhr um
4 bis 5°/o der eingeführten Purinkörper, das Kaninchen führt nach subcutaner
und intravenöser Injektion von Harnsäure, Hypoxanthin und nucleinsaurem
Natron zirka 16 bis 18°/, der eingeführten Purinkörper als N. aus. Der
Abbau vollzieht sich ziemlich rasch, Ebstein und Nicolaier®) fanden
injizierte Harnsäure schon nach !/s Stunde im Harn wieder. Der zeit-
liche Ablauf der Purinkörperausscheidung ist von Pfeil?) untersucht
[vergl. Bloch®)?)]. | |
Von allen diesen Untersuchungen sei erwähnt, daß nur ein Teil
der enteral und parenteral beigebrachten Harnsäure nach allen Autoren
mit Ausnahme der Publikation von Soetbeer und Ibrahim eliminiert
wird. Von fundamentaler Bedeutung für diese Frage sind die Unter-
suchungen von His!) und Freudweiler!!), Freudweiler fand, daß
die durch Injektion von 0,1 bis 0,5 g von saurem harnsauren Natron
hervorgerufenen artifiziellen Gichtknoten sich zurückbilden, und zwar
konnte er an Hand der histologischen Bilder feststellen, daß mit Sicher-
heit an dem Rückbildungsprozeß dieser Knoten phagocytotische Zellen
beteiligt sind, zuerst sind es poly- und mononucleäre Leukocyten, nachher
Riesenzellen, die aus dem vorwuchernden jungen Bindegewebe entstehen.
Bemerkenswert ist, daß Freudweiler durch Säure- oder Alkalitherapie
kein schnelleres Verschwinden der Biuratherde beobachten konnte. Zu
ähnlichen Resultaten kam His, welcher sich äußert: Selbst größere
Mengen von Urat werden aus Bauch- und Gelenkhöhle in spätestens acht
Tagen resorbiert. An deren Entfernung beteiligen sich in ausgedehnter
Weise Phagocyten, ein- und mehrkernige Leukocyten, Granulations- und
Riesenzellen. Innerhalb dieser Zellen wird das harnsaure Salz rasch zer-
stört, in den regionären Lymphdrüsen ist es nicht mehr nächweisbar. Es
ist wahrscheinlich, daß bei frischer menschlicher Gicht dieselben Vor-
gänge sich abspielen, daß aber bei der chronischen Gicht die Reaktions-
fähigkeit des Organismus herabgesetzt ist.
Beide Untersucher stellten fest, daß durch die Injektionen eine
reaktive Entzündung hervorgerufen wird. Diese Untersuchungen mit
diesem therapeutischen Vorschlag in Konnex gebracht, würden zu dessen
Gunsten sprechen, da Freudweiler schon kurze Zeit nach der Injektion
(einige Stunden) Veränderung des histologischen Bildes und speziell
starke Extravasation der Leukocyten beobachten konnte. Er äußert sich
nach seinen Befunden: „Darum halten wir daran fest, daß an der Rück-
bildung der wahren Gichtknoten phagocytotische Prozesse tätig sind,
aber wie beim artifiziellen Biuratherd, so erklären wir auch hier für den
Gichtknoten, daß wir kein Recht haben, die phagocytotischen -Zellen als
den einzigen Faktor zu betrachten, der die krystallinischen Deposita der
harnsauren Diathese entfernt, sondern halten so lange die Möglichkeit
unterstützender chemischer und physikalischer Vorgänge offen, als ein
unanfechtbarer Gegenbeweis fehlt.“ Ihre Bestätigung fanden diese histo-
1) Anmerkung bei der Korrektur: Vergl. Ströbel, Zur Frage der
Komplementfization bei der Gicht (Zt. f. exp. Path. u. Ther. 1912, Bd. 11,
S. 112).
2) Ibrahim und Soetbeer, Schicksal eingeführter Harnsäure im
menschlichen Organismus. (Zt. f. phys. Chem. 1902, Bd. 35, S. 1.)
3) Burian und Schur, Stellung der Purinkörper im menschlichen
Organismus. (A. f. d. ges. Phys. 1900, Bd. 80, S. 241.)
*) Dieselben, Dasselbe. (Ebenda 1901, Bd. 87, S. 239.)
5) Dieselben, Das quantitative Verhalten der menschlichen Harn-
purinausscheidung. (Ebenda 1903, Bd. 94, S. 273.)
6, Ebstein und Nicolaier, Ausscheidung der Harnsäure durch
die Nieren. (Virchows A. 1896, Bd. 143, S. 337.)
) Pfeil, Ueber den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf die Aus-
scheidung der Harnsäure. (Zt. f. phys. Chem. 1903/4, Bd. 40, S.1)
8) Bloch, Die Umwandlung der Purinkörper im Säugetierorganis-
mus. (Bioch. Zbl., Bd. 5.)
Derselbe, Beiträge zur Kenntnis des Purinstoffwechsels beim
Menschen. (D. A. f. kl. Med., Bd. 83, S. 499.)
10) W, His, Schicksal und Wirkungen des sauren harnsauren Na-
trons in Bauch- und Gelenkhöhlen des Kaninchens. (D. A. f. kl. Med.
1900, Bd. 67, S. 80.) |
11) Freudweiler, Experimentelle Untersuchungen über das Wesen
der Gichtknoten. (Ebenda, Bd. 63, S. 266.) |
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1584 | | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29.. September.
logischen Resultate durch Fofanow'); dieser Autor stellte fest, daß
durch Radiumemanation die resktive Leukocyteninfiltration sehr stark
abgeschwächt ist oder fast vollständig fehlt. Er fand eine löslichkeits-
erhöhende Wirkung für Mononatriumurat durch Radiumemanation, die
durch histologische Untersuchung und gewichtsanalytische Methode nach-
gewiesen wurde.
Nach diesen kurzen Darlegungen, welche einige Punkte der
Harnsäureausscheidung illustrieren und die Frage der Phagocytose
und der chemischen Elimination beleuchten sollen, wende ich mich
meinen Untersuchungen zu. Es ergibt sich ohne weiteres, daß die
geringe Menge injizierter Harnsäure (1 mg) nicht für die gefundene
Steigerung verantwortlich gemacht werden kann, da sich rech-
nerisch viel größere Werte ergeben haben und eine quantitative
Elimination nicht gefunden wurde. (Vgl. Tabellen.)
Da nach Burian und Schur und andern Untersuchern ?)
der endogene Harnsäurewert einen individuell verschiedenen, aber
bei konstanter Nahrung gleichbleibenden Faktor darstellt (300 bis
600 mg Harnsäure pro die), so läßt sich erwarten, daß bei gleich-
bleihender purinfreier Kost sich bei unsern Untersuchungen gewisse
Schlüsse auf den Wert dieser Therapie ergeben. Erschwerend für diese
Bestimmungen respektive für ihregenaue Deutung fällt das Schwanken
der Harnsäureausscheidung unter normalen und pathologischen Zu-
ständen in Betracht. Ebstein äußert sich in dieser Frage (Gicht,
S. 268), „daß die mittlere tägliche Harnsäureausschwemmung: so-
wohl während der Gichtparoxysmen als auch in der anfallfreien
Zeit keine typischen Unterschiede im Vergleich zum Gesunden
zeigt und daß bei beiden die tägliche Harnsäureausscheidung er-
heblichen Schwankungen unterliegt.“ Bloch äußert sich in seinem
Sammelreferat, daß in der anfallfreien Zeit und bei der chroni-
schen Gicht sich die Menge der eliminierten Harnsäure innerhalb
normaler Grenzen hält und daß die Tageswerte schwanken, wie aus
den Zahlen beinahe aller Untersucher hervorgeht.
In unsern Fällen, wo die Patienten ständig unter der gleichen
Kostordnung lebten und so Bedingungen erfüllt waren, die eine
gewisse Konstanz ermöglichen, ergaben sich folgende Verhältnisse:
Fall I. In der I Bestimmungsperiode, die durch keine
Gichtparoxysmen gestört war, finden wir eine ziemliche Konstanz
der Harnsäurewerte und ebenfalls ein geringes Schwanken der pro-
zentualen Zahlen (vgl. Tabelle. Im Mittel wird 0,225 g Harn-
säure pro die ausgeschieden. In der zweiten Periode i. e. mit
Urosemininjektionen veränderte sich das Bild der U.-Aus-
scheidung nicht, die Urinmengen waren wie die specifischen Ge-
wichte annähernd gleich, wir finden eine geringe Senkung der
Mittelwerte, sodaß wir pro die 0,213 g Harnsäure bekommen, eine
minimale Steigerung der prozentualen Ausfuhr um 0,3 mg ist vor-
handen. Die beiden Fleischtage markieren sich auf der Kurve
nieht durch Anstieg der U.-Werte. Diese Zahlen bei einem
Falle von chronischer Gelenkgicht mit Konstanz der Symptome
zeigen, daß von einer Steigerung der Harnsäureausfuhr nicht ge-
sprochen werden kann, sondern die Werte konstant gleich sind.
Interessant ist in diesem Falle die Beziehung zu dem Ausspruche
von His, daß bei chronischer Gelenkgicht die Reaktionsfähigkeit
des Organismus herabgesetzt ist. Eine Beobachtung, welche sich
auch hier aufdrängte, namentlich im Vergleich zu den andern
Fällen.
Fall IL Eine ziemliche Schwankung der Harnsäureausfuhr,
welche als Mittelwert in 14 Tagen 0,434 g U. pro die, 18 mg
pro 100 ccm Urin, ergibt. In einer weiteren Periode, in welcher
(cf. Tabelle) Urosemininjektionen gemacht werden, ergibt sich eine
Steigerung der U.-Ausfuhr auf 0,578 g pro die und auf 27 mg pro
100 cem, sodaß wir eine um 0,14 g höhere Harnsäurezahl, und zwar
bei etwas geringerer Urinmenge, finden.
Die III. und IV. Periode sind in ihrer Beurteilung erschwert
de vom T. bis 12. März ein akuter Gichtanfall einsetzte und seine
Beeinflussung des U.-Stoffwechsels die Deutung der Befunde er-
schwert. Immerhin finden wir, wenn wir III. und IV. Periode ver-
gleichen, trotzdem eine Steigerung um 0,1 g. Die wichtigen Re-
sultate liefern uns die beiden ersten Perioden, wo kein Anfall
statthatte, höchstens könnten wir vor dem Anfall am 7. März eine
Senkung der U.-Ausfuhr erwarten, welche, da sie theoretisch
nicht völlig abzulehnen ist (erstes Depressionsstadium), noch zu-
gunsten einer Harnsäuresteigerung sprechen würde.
1) Fofanow, Ueber den Einfluß der Radiumemanation s
natriumurat im tierischen Organismus. (Zt. f. kl. Med., Bd. Ty Song
. °) Vgl. von Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels
(Berlin 1907, Bd. 2.) — Ebstein, Die Gicht. (Wiesbaden 1906.) —
Richter, Stoffwechselkrankheiten. (Berlin 1906.)
Fall III. Gleich zu Beginn der Bestimmungen fällt ein Tag
noch in die Zeit des abklingenden Anfalls und dokumentiert sich
durch hohen Harnsäurewert (vgl. His)!), ich eliminierte ihn des-
halb bei Berechnung der Mittelwerte. Eine weitere Frage ist
noch die, ob nicht die in die Zeit vom 8. bis 11. März fallenden
Bestimmungen vom Anfall beeinflußt waren, da sie theoretisch -in
das zweite Depressionsstadium fallen [von Noorden?)]. Als
Mittelwerte der ersten Periode ergeben sich 0,259 g U pro die,
8,8 mg pro 100 cem Urin; in der II. Uroseminperiode ergibt sich
ein Wert von 0,328 g U pro die, 13,9 pro 100-ccm Urin, was einer
Steigerung um 0,069 respektive 5,1 mg ausmacht. Eine Leuko-
cytose konnte während der ganzen Beobachtungszeit nicht kon-
statiert werden.
Bei den zwei letzten Versuchen läßt sich also eine Steige-
rung der U.-Ausfuhr bemerken. Während sie im ersten Falle nicht
zu konstatieren war. Fall III unsicher, mit ' entsprechender Re-
serve — Anfall. Aus diesen drei Fällen lassen sich natürlich
keine bindenden Schlüsse ziehen und ist man nur berechtigt, mit
der nötigen Reserve auszusprechen, daß eine Steigerung bemerkt
werden konnte; wenn sich das noch weiter bestätigen würde,
würde dies eine Gichttherapie im Sinne von von Noorden sein,
welcher sich ausspricht: „Ich halte die spontanen Schwankungen
der Harnsäureausscheidung, die im Verlauf der anfallfreien Zeit
vorkommen, für wichtig. Sie zeigen uns den Weg, den die Be-
handlung einzuschlagen hat. Wir müssen anstreben, das, was
zeitweise von selbst vorkommt und was offenbar zu einer gewissen
Reinigung des Bluts von Harnsäure führt, auch willkürlich herbei-
zuführen.“ |
Nochmals betonen möchte ich am Schlusse, daß ich keine
sichtbaren Erfolge, wie Falkenstein, von dieser Therapie gesehen
habe und ihre Anwendung lediglich aus schon angeführten Grün-
den anwandte, allerdings waren auch meine Fälle zu diesen Fest-
stellungen nicht so geeignet.
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Bett verlassen?
2. Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens?
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufstehen? K. Bg.
Geh. San.-Rat Prof. Dr. W. Körte, Krankenhaus am Urban, Berlin:
1. a) Bei glatt verlaufenen, aseptischen Laparotomien an Patienten
mit sonst gesunden Organen lasse ich zwischen dem zehnten und zwölften
Tage der Regel nach aufstehen.
b) Wenn wegen Eiterung usw. drainiert werden muß, lasse ich
etwas später aufstehen,
c) Aeltere Personen mit Bronchitis usw. lasse ich aufstehen, s0-
bald der Wundschmerz vorbei ist, das heißt etwa am dritten oder
vierten Tage.
d) Nach innerer Amputation, Strumektomien und andern agepti-
schen Operationen stehen die Patienten am zweiten Tag auf. |
2. Bei älteren Personen mit Reizung zu Bronchitis, Lungenatalo-
stasen und schwacher Circulation bewirkt das Frühaufstehen besser®
Lüftung der Lungen und regere Bluteirculation, kann also Lungenkom-
plikationen und Thrombosen in gewissem Grade vorbeugen.
Einen absoluten Schutz gegen Thrombosen und Embolien gibt das
Frühaufstehen auch nicht.
3. Vgl. sub 1b. Ferner bei fieberhaftem Verlaufe; wenn die Pa-
tienten selbst sich dem Aufstehen widersetzen wegen Schmerzen bei Be-
wegungen, wegen großer Angegriffenheit durch den Eingriff.
‚. Bei nicht völlig aseptischem Verlauf (Operationen wegen Peri-
tonitis, eitriger Perityphlitis, eitriger Cholecystitis usw.) halte ich den
1) His, Die Ausscheidun Harnsšure i r e ichtkranken.
(D. A. f. kl, Med. 1900, Bd. bE 8 186) T er
(Bd. 9) Von Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels.
29, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39, 1585
völligen Verlauf der Entzündung für notwendig, glaube, daß unter solchen
Umständen durch F'rühaufsteben einmal ein lockerer Thrombus gelöst
werden kann. Weitaus die meisten Patienten sind nach eingreifenden
Bauchoperationen angegriffen und ruhebedürftig, ziehen die Bettruhe vor.
— Daß eine Bauchwunde eine gewisse Zeit, zirka zehn Tage, braucht,
um fest zu werden, halte ich für sicher. Daß dieselbe besser heilt, wenn
an der frisch vereinigten Wunde gezerrt wird, durch frühzeitige Bewe-
gung, halte ich für nicht erwiesen. Thrombosen und Embolien habe ich
gelegentlich auch nach frühem Aufstehen gesehen. '
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Bier, Chirurgische Universitätsklinik, Berlin:
1. Ja. Die Kranken stehen meist am Tage nach der Operation
auf. Sie werden zunächst in einen Sessel gebracht. Die herzhafteren
und kräftigeren machen schon an demselben Tage Gehversuche, die übrigen
am folgenden.
Schon am Operationstage werden die Kranken meist im Bett auf-
gesetzt. Diese Maßregel wurde wohl schon vor dem Frühaufstehen von
den meisten Chirurgen befolgt.
2. Vor allen Dingen in der Abktirzung der Rekonvaleszenz, dann
in dem Vermeiden des postoperativen Meteorismus, der Harnverhaltung
und des Decubitus. Ob die Thrombosen, Embolien, Pneumonien und
Bronchitiden dadurch vermindert werden, steht noch nicht fest. Jeden-
falls kommen diese gefährlichen Komplikationen auch beim Frühaufstehen
keineswegs selten vor. |
Groß ist auch die prinzipielle Bedeutung des Frühaufstehens. Es
hat uns gezeigt, daß die Bruchwunden viel mehr aushalten als man ihnen
zugetraut hat. |
3. Sehr elende und heruntergekommene Operierte lassen wir nicht
früh aufstehen oder. wenigstens nur aufsitzen, nicht gehen. Besonders sehr
geschwächte, wegen Magencarcinoms operierte Patienten vertrugen häufig
das Frühaufstehen schlecht. Ferner lassen wir solche Laparotomierte
liegen, die sich durch das Frühaufstehen, auch bei vorsichtiger Hand-
habung, sehr angegriffen fühlen.
Besondere Gefahren scheinen mit dem Frühaufstehen nicht ver-
bunden zu sein, insonderheit schadet es der Operationswunde nichts.
Prof. Dr. W. Müller, Chirurg. Klinik, Rostock:
L Ja aber nicht mit streng prinzipiellem Standpunkte, sondern
individualisierend.
2. Kürzeres Rekonvaleszenzstadium. Kürzerer Hospitalaufenthalt.
Raschere Wiederkehr der Extremitätenfunktion. Seltenorgewordensein
von Thrombosen und Embolie.
3. Bei tamponierten, überhaupt partiell offengelassenen Bauch-
wunden und wenn der Wunsch des Patienten oder der Allgemeinzustand
ain Hindernis bilden, oder bei Komplikationen.
Prof. Dr. Fritz König, Chirurg. Klinik, Marburg a. L.:
~ L, Ich lasse die Operierten im Laufe der ersten Woche, vom
Iritten Tag an, aufstehen, sobald sie selbst sich kräftig genug fühlen;
zogen seinen Willen treibe ich niemanden aus dem Bett. Ausnahmen
iltere Patienten, die durch Hypostase gefährdet scheinen.
| 2. In dem nattirlicheren Inganghalten der physiologischen Körper-
unktionen, welche bei der absoluten Bettruhe, früherer Zeit, stark be-
Inträchtigt wurden. Allerdings halten wir eine solche auch bei den
ettlägerigen Patienten fast nie ein; die Kranken dürfen sich im Bette
ewegen, der Darm wird alsbald mobilisiert, Atemgymnastik ge-
rieben usw. |
3. Bei stark geschwächten und bei fiebernden Kranken, bei Pa-
ienten mit mangelhafter Herzaktion (Myokarditis), bei Thrombose.
Das Auftreten von Thrombosen wird nach meiner Beobachtung
cht sicher durch das Frühaufstehen verhindert.
teh.Med.-Rat Prof. Dr. Oskar Witzel, Chirg. Klinik d. Akademie, Düsseldorf:
1. Seit 18 Jahren lasse ich Kranke, zumal Laparotomierte (zuerst
tastrostomosen) früh aufstehen und bin von Jahr zu Jahr weiter-
egangen, z. B. Magenfisteloperierte (örtliche Betäubung), gleich nach der
)peration, Gallenblasenexstirpationen am folgenden Tage. Mammaexstir-
ation am selben Nachmittag. Ich habe aber immer mehr Wert auf
onstige Maßnahmen der „funktionellen Behandlung“ gelegt, der Be-
andlung, welche die normalen Funktionen in den Dienst der Heilung
tellt (Anregung der Circulation — ohne „Tumult“ —, systematische,
chon vor der Operation geübte Atemgymnastik, Funktion der abdomi-
ellen Organe, aktive und passive Bewegungen der Extremitäten usw.).
'chließlich erschien aber das „Frühaufstehen“ als ein Teil der „funk-
ıonellen Behandlung“, jedenfalls nicht der Endzweck, denn ‚ohne das-
elbe läßt sich vielfach gleiches erreichen, nur schwieriger, mit größerer
Jmsicht und Mühe. Wer „auf“ ist, tut eben von selbst vieles, was sonst
streng angeordnet werden muß und was im Bett eigentlich nur von selbst
die Kinder in sehr zweckmäßigem Unverstand und Ungehorsam tun.
2. Thrombosen und Thromboembolien, auf die wir sorgfältigst
achten (die meisten postoperativen Pneumonien sind thromboembolisch),
wurden immer seltener.
3. Nur bei Thrombosen.
Prof. Dr. V. Lieblein, Chirurg, Prag: |
1. Ich lasse nach wie vor meine Kranken nach aseptischen Laparo-
tomien erst am neunten oder zehnten Tag aufstehen, da ich der Meinung
bin, daß das frühe Aufstehen die Gefahr einer Embolie von den Thromben
an den Unterbindungsstellen in sich schließt und auch die Festigkeit der
Narbe gefährdet. Deshalb lasse ich Kranke, bei welchen die Bauchnaht
unter einer gewissen Spannung steht (z. B. operierte Ventralhernien oder
große Nabelhernien), gewöhnlich sogar 14 Tage liegen. Eine Ausnahme
hiervon mache ich nur bei alten Leuten und bei solchen, bei welchen die
Gefahr von Lungenkomplikationen droht.
Geh. Hofrat Prof. Dr. Max Hofmeier, Universitäts-Frauenklinik Würzburg:
1. Nein! Da ich nicht den geringsten Grund sehe, davon abzu-
gehen, Wöchnerinnen, wie bisher üblich, am achten bis zehnten Tag,
und Operierte, das heißt nach größeren Operationen, am 10. bis 14. Tag
aufstehen zu lassen. Erstere bedürfen nach der schweren Zeit der letzten
Schwangerschaftswochen und der Entbindung und für die normale Heilung
und Rückbildung der Genitalien der körperlichen Ruhe und werden, so-
wie sie aus dem Bette herausgelassen werden, wieder anfangen zu
arbeiten; letztere bedürfen ebenfalls zur ungestörten Heilung ihrer
Wunden der körperlichen Ruhe.
2. Vorzüge des Frühaufstehens vermag ich nur in Ausnahmefällen
zu erkennen, wenn es sich darum handelt, größere Gefahren (hypostat.
Pneumonien usw.) zu vermeiden.
Prof. Dr. Stoeckel, Universitäts-Frauenklinik Kiel:
Ich halte die abgekürzte Bettruhe nach Operationen und Geburten
unter kritischer Auswahl der Fälle für einen Fortschritt und verurteile
sowohl das forcierte Frühaufstehen um jeden Preis, wie auch die über-
trieben lange Bettruhe. Ich lasse die Wöchnerinnen, insofern keine be-
sonderen Gründe dagegen sprechen (Infektion, Dammriß), dann aufstehen, |
wenn sie selbst Neigung dazu verspüren. Dabei hat sich als Durch-
schnittstag der vierte bis fünfte Tag post partum ergeben. Die Wirkung
des früheren Aufstehens zeigt sich darin, daß der Gesamtstoffwechsel
angeregt, die Milchsekretion gefördert und ein arbeitsfähiger Zustand
früher erreicht wird, als es bei längerer Bettruhe der Fall war. Wöch-
nerinnen mit schlechtem Herzen oder erkranktem Gefäßsystem (Placenta
praevia, Varicen, Herzfehler) werden früher hochgebracht als ganz ge-
sunde Wöchnerinnen, bei denen es weniger wichtig ist, wie lange sie im
Bette bleiben. Nach gynäkologischen Operationen bringe ich die Pa-
tientinnen um so früher aus dem Bette, je mehr ich wegen bestehender
Herz- oder Lungenerkrankung eine Thrombose, Embolie oder Pneumonie
befürchten muß und scheue mich nicht, sowohl nach Längs- wie nach
Querschnitten durch die Bauchwand schon am Tage nach der Operation
'sitzende Stellungen einnehmen zu lassen oder auch die Frauen außer
Bett zu bringen, trotzdem ich zur Naht lediglich Catgut verwende. Ich
bin überzeugt, daß die Anregung der Circulation durch das Frühaufstehen,
durch Körperbewegungen und Lagewechsel ein ausgezeichnetes Pro-
phylaktikum gegen Thrombose und Embolie ist, wenn auch, was eigent-
lich selbstverständlich ist, ein völliges Verschwinden von Thrombose und
Embolie durch das Frühaufstehen nicht erzielt worden ist.
Die Behandlung von Herzschwäche und Kreis-
laufstörungen mit Unterdruckatmung vermittels
der Lungensaugmaske')
von
Stabsarzt Dr. E, Kuhn, Berlin-Schlachtensee.
Da die Unterdruckatmung durch Einatmung verdünnter Luft
nach Hauke-Waldenburg (der Bruhnsche Apparat ist ein
modifizierter Waldenburg) und die Unterdruckatmung durch Ein-
atmungserschwerung, wie ich sie jetzt seit zirka sechs Jahren
vermittels der Saugmaske vornehme, in vielen Punkten überein-
stimmen, so will ich mich darauf beschränken, nur das wichtigste
.der einzelnen Methoden und ihre Unterscheidungsmerkmale hervor-
zuheben.
1) Vortrag, gehalten auf der 33. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft zu Berlin 1912.
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1586 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
Negativer Druck in der Brusthöhle bewirkt ein Ansaugen
des venösen Blutstroms. Hervorgehoben muß dabei werden, daß,
je nach der Stärke des negativen Druckes, die Wirkung in ge-
wisser Hinsicht verschieden ausfällt. Bei mäßigen Graden der
Unterdruckatmung kommt es nur zu einer vermehrten
Durchblutung der Lunge und zu einer allgemeinen Be-
schleunigung des Kreislaufs. Bei höheren Graden des
negativen Druckes in der Brusthöhle wird dagegen das
Blut in der Lunge zurückgehalten und eine passive
Hyperämie erzeugt. Die Beweise dafür sind mannigfach er-
bracht?). | Ä
Die Hauptwirkung der Unterdruckatmung (geringeren Grades)
zum Zwecke der Circulationsbeförderung besteht in einer An-
saugung des Venenbluts bei der Einatmung. Hier zeigt sich nun ein
Unterschied zwischen der Waldenburgschen Methode, der Ein-
atmung verdünnter Luft, bei welcher zugleich auch die Ausatmung
in verdünnte Luft geschieht, und anderseits der Methode der Saug-
maskenatmung, insofern, als die Waldenburgsche Methode
gerade bei der wichtigen Einatmung verhältnismäßig
nur geringe Unterdruckwerte gestattet. Während sich
nämlich der Einatmungsunterdruck zum Ausatmungsunterdruck
normalerweise wie 4:1 verhält, sinkt er nach Bruhns Arbeiten?)
im Mittel bis auf 2,75:1, das heißt also gerade während die
Lungen bei der Einatmung weite, durchlässige Gefäße haben, ist
der Einatmungsunterdruck, welcher die Ansaugung bewirken soll,
im Verhältnis viel geringer als während der Ausatmung mit
ihren verengten Gefäßen, wo der Unterdruck nicht annähernd.
den gleichen Effekt haben kann. |
Dahingegen gestattet die Saugmaskenatmung be-
liebig hohe Einatmungsunterdruckwerte ohne die ge-
ringsten Beschwerden. Was nun die Ausatmung anlangt,
so stehe ich im allgemeinen nicht auf einem dem Bruhnschen ent-
gegengesetzten Standpunkte, daß man den Blutstrom bei der Aus-
atmung, wie es Albrecht auf dem Kongreß für innere Medizin
im vorigen. Jahre vorschlug, durch Ueberdruckatmung noch be-
schleunigen soll, weil die Ueberdruckausatmung zugleich eine
Rückstauung und Belastung des Herzens bedeutet. Ich halte hier
im allgemeinen den Mittelweg zwischen der Ausatmung in ver-
dünnte Luft (Waldenburg) und der Ausatmung in verdichtete
Luft (Albrecht) für geboten und richtig, nämlich die gewöhn-
liche freie, ungehinderte Ausatmung, wie sie unter der Saugmaske
erfolgt. Nur für einzelne Fälle von Mitralinsuffizienz, bei welchen
infolge der Rücksaugung des Bluts durch die schlußunfähige
Mitralklappe in manchen Fällen eine Austreibung des Bluts aus
der Lunge durch einen leichten Ueberdruck während der Aus-
atmung erwünscht sein kann, verwende ich manchmal die Ueber-
druckatmung, und zwar in der einfachen Form, die Sie hier sehen.
Ich habe zu diesem Zwecke das Nasenventil der Maske in dosier-
barer Weise feststellbar machen lassen, ich kann dadurch jeden
Grad von Ueberdruck bei der Ausatmung ohne weiteres sehr ein-
fach erzielen. Ich verordne dann, daß abwechselnd vermittels der
Nasenatmung ein Atemzug gegen Ueberdruck und der nächste
Atemzug mit der Mundatmung durch das frei spielende Mund-
ventil in gewöhnlichem Drucke vorgenommen wird. (Erwähnt sei
hier, daß sich auch der Unterdruck bei der Saugmaskenatmung
durch ein leicht anfügbares Ansatzrohr jederzeit genau messen und
kontrollieren läßt.)
Eine weitere Wirkung der Maskenatmung besteht darin, daß
das Herz bei Anwendung der Saugmaske, entsprechend dem im
Gesamtthorax herrschenden negativen Druck, ebenso wie die
Lungen, reichlicher durchblutet und dadurch der Herzmuskel besser
ernährt und gekräftigt wird.
+ Man erkennt im Röntgenbilde bei der behinderten Ein-
atmung meist sofort an dem größeren Schatten, daß das Herz
und die großen Gefäße (entsprechend dem im Gesamtthorax
herrschenden verstärkten -negativen Drucke) stärker mit Blut ge-
füllt werden. |
Ferner wird das Herz durch Verstärkung der physiologischen
Wirkung des Einatmungsmechanismus auf den kleinen Kreislauf
in seiner Tätigkeit entlastet. Da nun durch die Saugmasken-
atmung die Saugwirkung noch erheblich verstärkt wird, so gibt
es meines Erachtens kein ähnlich wirksames physikali-
sches Mittel, um die Herztätigkeit zu unterstützen und
1) Ich möchte deshalb hier nur kurz auf frühere Arbeiten ver-
weisen [siehe besonders: E. Kuhn, Die Lungensaugmaske in Theorie
und Praxis. (Berlin 1911, J. Springer.)).
2) Siehe Doktorarbeit Brühl (Marburg 1911).
.29. September,
Cireulationsstörungen mannigfacher Art auszugleichen.
Zum Beispiel sind Kohlensäurebäder nicht annähernd so
wirksam, als eine solche Widerstandsgymnastik, durch
welche das Herz zugleich entlastet und trainiert wird.
Natürlich wird (wie schon hervorgehoben) zur Förderung der
Cireulation das Verfahren (wie es in der Gebrauchsanweisung näher
angegeben ist) zu diesem Zweck immer nur kürzere Zeit und
unter mäßiger Atmungserschwerung angewandt, weil hier keine
stärkere Ansammlung von Blut in der Lunge (wie sie bei
stärkerer Einatmungserschwerung zustande kommt), sondern nur
‚die Förderung des Kreislaufs anzustreben ist.
Stolzenburg, Morelli, Greeff, Hammerschmidt, Tillisch,
Vehling, Zabel, Seebens, Birrenbach und Andere haben die Er-
fahrung bestätigt, daß subjektive und objektive Zustände von Herz-
schwäche und Herzinsuffizienz mannigfacher Art sich bei den Kranken
unter dem Maskengebrauch erheblich besserten beziehungsweise verloren.
Außerdem empfiehlt sich die Anwendung der Saugmaske nach
Morelli besonders auch bei Myodegeneratio cordis, Mitral-
fehlern, Chlorose usw. und nach e A auch bei arterio-
sklerotischen Herzerkrankungen, zumal, da der Blutdruck kon-
stant erniedrigt und das Blut vom Gehirn weggesogen wird, sodaß Ge-
hirablutungen nicht zu befürchten sind.
Zabel berichtet ferner von Besserung schwerster Herz-
insuffizienz mit allgemeiner Wassersucht, bei welcher die Maske
nach Versagen aller Cardiaca (Digitoxin usw.) dauernde, bereits jahrelang
beobachtete Hebung der Herzkraft ohne Wiedereintreten von ÜOedemen
herbeiführte.
Ebenso ist die Saugmaskenatmung bei Kreislaufstörungen
infolge mangelnder Beweglichkeit des Brustkorbs
(durch Starre, Emphysem, Schwarten usw.) unbedingt ange-
zeigt, um die fehlende Saugwirkung der Atmung zu ersetzen be-
ziehungsweise den Brustkorb wieder normal beweglich zu gestalten,
dessen Bewegungsausfall zu Stauungszuständen im Venengebiet
und schließlich zur Erweiterung des rechten Herzens führt.
Auf die in manchen Fällen geradezu frappante Wirkung bei
Asthma bronchiale und die das Asthma begleitenden Circulations-
störungen will ich hier nicht näher eingehen. (Näh. s. Fußnote.)
Ueber die Anwendung von Creosotal in der
Kinderpraxis
von
Dr. Georg Hunaeus, Kinderarzt in Hannover.
Die Destillationsprodukte des Buchenholzteers haben von
jeher in der Therapie der inneren Krankheiten sich eines guten
Rufs zu erfreuen gehabt. Insbesondere war es das Kreosot, wel-
ches sich bei hartnäckigen Lungenaffektionen, vornehmlich bei der
Behandlung der Phthisis pulmonum als wirksames Adjuvans be-
währt hat. Das häufige Auftreten gastrischer Beschwerden, welche
durch die ätzenden Eigenschaften des Kreosots auf die Magen-
schleimhaut hervorgerufen wurden, der unangenehme Geruch und
Geschmack führten zur Herstellung zahlreicher Verbindungen, von
denen sich besonders das Creosotal als örtlich indifferent und da-
bei äußerst wirksam erwiesen hat.
Es ist eine klare, zähe Flüssigkeit, die erst nach dem Er-
wärmen tropfbar wird, von nicht unangenehmem Geschmacke, 80-
daß es von Kindern in einem Löffel voll warmer Milch ohne Wider-
willen genommen wird. Die Resorption des Creosotals ist gut,
und schon eine Stunde nach dem Einnehmen ist das Kreosot im
Atem und Harne nachweisbar. Letzterer nimmt eine olivgrüne
Färbung an, die durch mehrere Zersetzungsprodukte des Präparats
bedingt ist. Auf diese Verfärbung macht man zweckmäßigerweise
die Patienten aufmerksam, sie ist völlig harmlos und lediglich der
Ausdruck, daß die Nieren des Kranken das Medikament gut aus-
scheiden. Die Aufspaltung im Darm in Kreosot erfolgt allmählich,
‚sodaß eine langanhaltende Resorption desselben auch bei Darreichung
in längeren Intervallen gegeben ist.
Französische Aerzte, Cassoute und Corgier, wandten 65
zuerst bei akuten Erkrankungen der Respirationsorgane, die nicht
tuberkulöser Natur waren, an, und ersterer konnte bereits im
Jahre 1895 auf dem Kongresse für Pädiatrie in Marseille über die
günstigen Erfolge bei Pneumonie berichten, die er bei Anwendung
großer Dosen von Creosotal erzielt hatte. Seine Beobachtungen
wurden wenige Jahre später von Corgier an einem großen Mate-
riale bestätigt. In Frankreich und Amerika verschaffte sich das
1) Physikalische B ialo. (Med. KE
1910, Nr. Da 43.) ehandlung des Asthma bronchiale ( |
99. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39, 1587
Präparat in Aerztekreisen schnell Eingang, wie aus der umfang- |
reichen, teilweise von namhaften Autoren herrührenden Literatur
über dasselbe hervorgeht. Bei uns in Deutschland scheute man sich
anfangs, so hohe Dosen anzuwenden, weil man fürchtete, durch das
im Darme sich abspaltende Kreosot namentlich im Kindesalter Ver-
giftungserscheinungen hervorzurufen. Auch die bereits erwähnte
dunkelolivgrüne Verfärbung des Urins, die häufig beunruhigend
wirkt, mag dazu beigetragen haben, daß es noch immer nicht
seinen ihm zukommenden Platz in der Behandlung der kindlichen
Lungenerkrankungen einnimmt.
Neben seiner specifischen lösenden Wirkung auf die Sekre-
tionsprodukte der erkrankten Schleimhäute, die sich in Verflüssi-
gung des Sekrets, Umwandeln des Knisterrasseln in feuchte groß-
blasige Rasselgeräusche und schneller Resorption bei vermindertem
Hustenreiz äußert, scheint es eine direkt bactericide Komponente
zu haben. 1
Besonders auffällig ist die konstante Beeinflussung beziehungs-
weise Erniedrigung der Temperatur, die oft schon nach einer ein-
maligen Gabe um 1,0 bis 1,50 C heruntergeht und bei genügend
langer Fortsetzung der Creosotaldarreichung Iytisch zur Norm
zurückkehrt, bei zu frühzeitigem Abbrechen desselben jedoch zu
erneutem Anstiege zurückführt, wie ich des öfteren beobachten
konnte. Ich kann Fournier nur beistimmen, wenn er sagt: „Mit
der Darreichung des Creosotals darf nur allmählich aufgehört wer-
den, indem man die Dosen seltener darreicht und verkleinert, bis
jedes Zeichen der Auskultation verschwunden ist, denn solange
die Lunge nicht ausgeheilt ist, muß einer Reinfektion und einer
Erhöhung der Virulenz abgeschwächter Bakterien durch fortgesetzte
Imprägnierung der Lunge mit Creosotal vorgebeugt werden.“
Auch die schweren Allgemeinsymptome der Intoxikation
(Somnolenz, Delirien, Krämpfe), die bisweilen pneumonische Affek-
tionen im Kindesalter einleiten oder begleiten, sind gewöhnlich
schon in 12 bis 24 Stunden völlig geschwunden. Vornehmlich bei
den schweren und hartnäckigen Bronchopneumonien im Gefolge von
Masern habe ich mich von dem günstigen Einflusse des Creosotals
überzeugen können, sodaß ich es vielfach als Prophylacticum gleich
bei Auftreten der Koplikschen Flecke gab und so einen bedeutend
schnelleren Ablauf der bronchitischen Symptome erzielte Auch
fiel mir auf, daß bei den mit Oreosotal behandelten Kindern die
so häufig bei den Masern sich einstellenden Diarrhösn fehlten,
was ich auf die Eigenschaft des Mittels, im Darme Kreosot abzu-
spalten, zurückführen möchte. |
Besonders günstig gestaltet sich die Heilwirkung bei Fällen
von Bronchitis chronica, die vorher allen sonst üblichen hydro-
therapeutischen und medikamentösen Maßnahmen getrotzt hatten.
Gerade bei diesen Kindern, die durch den langanhaltenden Husten,
durch das „Röcheln auf der Brust“ sowie die eigentlich stets als
Begleitsymptom auftretende Appetitlosigkeit die besorgten Eltern
ängstigen, habe ich oft in acht bis zehn Tagen ein völliges Schwin-
den der auskultatorischen Phänomene und eine sichtliche Hebung
des Appetits beobachten können, sodaß die Kinder in kurzer Zeit
Sich wieder erholten.
Auch bei Keuchhusten habe ich es des öfteren angewendet,
jedoch auf Zahl und Stärke der Anfälle bei l4tägiger ausschließ-
licher Darreichung keinen sichtlichen Einfluß wahrnehmen können.
Bei einem fünf Monate alten Kinde jedoch, wo im Stadium con-
vulsivum eine doppelseitige Bronchopneumonie hinzutrat, glaube
ich die drei Tage nach Creosotal einsetzende Besserung auf die
Heilwirkung des Präparats zurückführen zu dürfen.
Meine Beobachtungen, die ich bereits als Assistent im Elisa-
beth-Kinderhospital zu Berlin an klinischen und poliklinischen Pa-
tienten gemacht habe und heute in der Praxis noch fortgesetzt
mache, erstrecken sich über zirka 150 Fälle, sodaß ich den ge-
sehenen Erfolg nicht als zufällig zu betrachten genötigt bin.
llerdings muß es in relativ hohen Dosen gegeben werden schon
bei Säuglingen. Da aber das Präparat völlig frei von Gift und
ueavirkung ist, kann man es unbedenklich in folgender Dosierung
anwenden:
Im A Lebensjahre 3mal täglich 5 Tropfen = | - g Creosotal
” . $ 5 3 10 m T » ”
„ 3. u. 4. > e $ 15 „ = 1,5 n »
» 5. u. 6. á à ss 20 5 = 2, »
9» 7.—10. en m m 25—380 » E 2,0—3 „ n
Nach Schwinden der auskultatorischen Erscheinungen emp-
fiehlt es sich, etwa acht Tage lang noch die Darreichung in etwa
halber Dosis fortzusetzen, um Rückfällen vorzubeugen.
Da es vorkommt, daß unter dem Namen Creosotum carbo-
nicum minderwertige Produkte als Ersatz für Creosotal angepriesen
werden, ist es ratsam, Creosotal in Originalpackung „Heyden“
oder „Bayer“ zu veroränen.
Einige Krankengeschichten mögen zur Erläuterung der obigen
Ausführungen dienen.
I. Hans N., 3 Jahre alt, plötzlich erkrankt morgens 8 Uhr mit
Schüttelfrost, Schmerzen, die der Kleine in die rechte Unterbauchgegend
verlegt, und schmerzhaftem Anhusten. Atmung stoßweise, 50 pro Minute.
Nasenflügelatmen. Puls 150—160. Temperatur 40,1%. Lungenbefund:
Schallverkürzung über dem R.U.L. Bronchophonie. Crepitatio indux.
Therapie: Brustprießnitz 2stündlich. Creosotal 3mal 15 Tropfen. Abend-
temperatur 38,6%. Puls 140. Beginnendes Bronchialatmen. 10. April.
Nacht ziemlich unruhig, zeitweilig jedoch ruhiger Schlaf. Atmung mor-
gens ruhiger. Husten klingt lockerer und ist weniger schmerzhaft. Tem-
peratur 38,60. Puls i80. 12 Uhr mittags Erbrechen. Im Erbrochenen,
- deutlich von der geronnenen Milch unterscheidbar, rötlich-braune Schleim-
massen (Sputum). Abends: Temperatur 38,10, starker Schweißausbruch.
Kollaps. Campherinjektion. Creosotalfortgelassen. 11. April. Morgen-
temperatur 39,3%. Puls 140, kräftig. Ueber dem R.U.L.: Bronchialatmen
und vereinzeltes Knistern (Crepitatio redux). Creosotal wieder gegeben,
3mal 15 Tropfen. Abendtemperatur 38.10. 12. April. Morgentemperatur
38°. Atmung ruhig (30 pro Minute). Husten locker. Crepitatio redux.
Abendtemperatur 37°. 14. April. Atmung frei. Nur noch ganz verein-
zeltes Knistern hörbar. Dämpfung geschwunden. Temperatur normal.
Creosotal 3mal 10 Tropfen. 17. April. Kind ist äußerst munter, spielt
und verlangt dauernd, aufzustehen. Innere Organe: i. O. Geheilt.
OODEOEDEODGEOGOSBODLOLDEOR
mE
—
zum
an
a
zum
un
|
m
mE
pua
T iiia
=
U. Dora W., 12 Jahre alt, hat Masern und Keuchhusten im fünften
Lebensjahre durchgemacht. Häufiger an Angina erkrankt gewesen.
18. August. Plötzlich Seitenstiche links, Frösteln, Erbrechen und kurzes,
schmerzhaftes Anstoßen. Befund: Herpes labiales. Zurückbleiben der
linken Seite bei der Atmung. Atmung keuchend, 48 pro Minute; Puls
klein, 140 pro Minute. Ueber dem L.U.L. tympanitischer Klopfschall.
Beginnendes Knisterrasseln. Morgentemperatur 40,40, Abendtemperatur
40,60, trotz 1—2stündlicher Brustpackung. 19. August. Ueber dem
. ganzen L. U.L. Knisterrasseln. Bronchophonie stark. Husten sehr schmerz-
haft. Creosotal 3mal 30 Tropfen. Morgentemperatur 39,9°, Abend-
temperatur 38,8%. 20. August. Beginnendes Bronchialatmen. Hustenreiz
geringer. Puls kräftig, 110 pro Minute. Temperatur fällt Iytisch (cfr.
Kurve). 21. August. Atmung frei. Kind hustet leicht ab. Sputum deut-
lich rostfarben. Creosotal weiter! Crepitatio redux. 23. August. Per-
kussionsschall heller. Atmungsfrequenz 22 pro Minute. Temperatur nor-
mal. Dringendes Verlangen nach festen Speisen. 25. August. Kein ab-
normer auskultatorischer Befund zu erheben. Creosotal 3mal 15 Tropfen
noch acht Tage lang weitergegeben! Kein Rezidirv.
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III. Vilma G., 7jähriges, kräftig entwickeltes Kind, ist schon seit
zirka acht Tagen 'erkältet, ohue bislang jedoch gefiebert zu haben. Plötz-
lich gegen Abend heftiger Schüttelfrost, Stiche in der rechten Seite und
Schmerzen beim Atmen, sodaß die Kleine laut aufschreit. Temperatur
abends 9 Uhr 40%. Lungenbefund: Deutliches Schonen der rechten
Brustseite. Verschärftes Atmen über dem R.O.L., keine Schallverände-
rung nachweisbar. 28. Oktober. Kind hat die Nacht unruhig geschlafen
und oft gestöhnt. Häufiges Anhusten, dabei stets über Schmerzen in
der rechten Seite klagend. Atmung frequent (60) und oberflächlich. Tem-
peratur 40,8%. Ueber dem R.O.L. tympanitischer Perkussionsschall vorn
und hinten. Crepitatio indux. Therapie: Laues Bad (26° R), Creosotal
'8mal 25 Tropfen. 29. Oktober. Dämpfuug ausgesprochener. Beginnendes
Bronchialatmen mit Knisterrasseln. Sputum rostfarben. Starke Broncho-
phonie. Da das Kind mittags Erbrechen gehabt, läßt die Mutter Creo-
sotal fort. 30. Oktober. Sofortiger Wiederanstieg der Temperatur auf
40,80. Atmung oberflächlich, Nasenflügelatmen. Creosotal 3mal 30 Tropfen.
Abendtemperatur 89%, 81. Oktober. Gegen Mittag starker Schweißaus-
bruch. Absinken der Temperatur auf &8° R. Ueber dem R.O.L. Bron-
chislatmen mit feuchten klingenden Rasselgeräuschen. 1. November.
Atmung ruhiger (80 pro Minute).: Temperatur um 880 R. Kind ist
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1588 1919 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
munterer, verlangt dauernd. nach festen Speisen. Husten locker. 2. No- -
vember. Nacht durchgeschlafen. Kind sitzt im Bett, erzählt und spielt.
Keine Schallverkürzung mehr nachweisbar. Crepitatio redux.. Temperatur
37—37,3°. 4. November. Atmung noch etwas verschärft im Bereiche des
R.O,L. Temperatur normal. 6. November. Gesund entlassen.
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IV. Erhard v. F., 9 Monate alt, erkrankt, nachdem er schon einige -
Tage vorher leicht gehustet hatte, ohne in seinem Allgemeinbefinden
wesentlich gestört zu sein, plötzlich am 24. April 1910 nachmittags mit
39,6°. Atmung oberflächlich und beschleunigt. Puls 146. Starke Som-
nolenz. Lungenbefund: Bronchitis capillaris. 25. April. Temperatur
40,4%. Atmung keuchend. Puls klein, zirka 150 pro Minute. Im L.U.L.
und R.M.L. deutliche bronchopneumonische Herde. Therapie:
Laues Bad mit kühler Uebergießung, 2 stündlich Brustprießnitz. 26. April.
Nacht besser. Ueber den beiden Herden starkes Bronchialatmen. 27. April.
Da die Temperatur sich noch dauernd um 40° bewegt und keine sicht-
liche Besserung im Rückgang der auskultatorischen Erscheinungen fest-
stellbar, wird von heute früh ab 3mal 6 Tropfen Creosotal in 1 Teelöffel
warmer Milch gegeben. Abendtemperatur 38,6%. 29. April. Atmung
ruhiger. Bronchialatmen nicht mehr nachweisbar. Ueber beiden Lungen
nur noch spärliche feuchte, klingende Rasselgeräusche. Temperatur 38°.
1.Mai. Nur noch über den tiefsten Partien beider U.L. vereinzelte Rassel-
geräusche. Kind lacht wieder, trinkt gut. Abendtemperatur 37,40. 3. Mai.
Nur noch bei tiefster Inspiration (Schreien!) ganz vereinzeltes Rasseln
hörbar, das bei Fortsetzung der Creosotaldarreichung 3mal 5 Tropfen am
5. Mai nicht mehr vorhanden ist.
V. Carla W., 1'/sjährig, unehelich. Gut entwickeltes Kind in
mittlerem Ernährungszustande, künstlich ernährt. Seit 5. Juni 1911 ge-
ringer Husten. Kind trinkt schlecht und verweigert die sonst gern ge-
nommenen Gemüse- und Obstmahlzeiten. Da der Husten zunimmt und
das Kind kurzluftig wird, wird am 7. Juni ärztliche Hilfe verlangt. Be-
fund: Kind wirft sich unruhig hin und her, schreit dauernd. Atmung
oberflächlich und frequent. Ueber der ganzen Lunge beiderseits diffus
verteilte feuchte, klein- bis mittelgroßblasige Rasselgeräusche, ohne deut-
liche Schallverkürzung bei der Perkussion. Temperatur mittags 39,6 °,
Therapie: 3stündlich Brustprießnitz mit verschlagenem Wasser. Inf.
Ipecac. mit Liq. amon. anis 2stündlich. 8. Juni. Atmung ruhiger. Aus-
kultatorischer Befund unverändert. Temperatur 38,7%. 9. Juni. Atmung
keuchend. Starke Benommenheit. Temperatur 40,10. Im R.M.L. zirka
zweimarkstückgroßer bronchopneumonischer Herd, paravertebral gelogen.
Therapie: Creosotal 3mal 10 Tropfen. 10. Juni. Temperatur 39°. Kind
sieht besser aus. 11. Juni. Die Zahl der feuchten Rasselgeräusche in
Abnahme begriffen. Die Herdsymptome gehen zurück. 12. Juni. Tempe-
ratur normal. Kind setzt sich spontan auf, hustet nur noch wenig. Nur
noch in den abhängigen Partien beider Lungen vereinzeltes Rasseln. Fort-
setzung der Creosotaldarreichung. 16. Juni. Geheilt entlassen.
VI. Gustav W., 4!/a Jahre alt. Abgesehen von leichten Erkältungen
stets gesund gewesen. Nachdem er schon einige Tage stärkeren Schnupfen
und Augenschmerzen gehabt hatte, erkrankt er am 3. Juni 1911 abends
mit 88,6%. Befund: Conjunctivitis. Coryza. Pharyngitis. Ueber beiden
Lungen vereinzelte trockene Rasselgeräusche und diffuses Giemen. An
der rechten Wangenschleimhaut fünf bläulichweiße, von rotem Hof um-
gobene punktförmige Flecke (Koplik). 6. Juni. Ausbruch eines typi-
schen Masernexanthems mit starker Bronchitis. Diarrhöen. Temperatur
389,60. Atmung kurz. 7. Juni. Kind liegt apathisch da, schläft viel. In-
tensive Rotfärbung des Exanthems. (Therapie: Laue Bäder.) 8. Juni.
Nach heftigem Schweißausbruche während. des gestrigen Abends Absinken
der Temperatur auf 37,4%. Lungenbefund unverändert. Starker Husten-
reiz. 9. Juni. Temperatur steigt plötzlich wieder auf 39,6%. Atmung sehr
frequent (46 pro Minute). L.H.U.: bronchopneumonischer Herd. (Therapie:
imal 20 Tropfen Creosotal, Imal 15 Tropfen abends.) 10. Juni. Morgen-
temperatur 39,9%. Exanthem abgeblaßt! Creosotal 3 mal 20 Tropfen.
Abendtemperatur 88,40. 11. Juni. Kein Fieber. Abnahme der bronchi-
tischen Geräusche. Herdsymptome fast geschwunden. Fortsetzung der
Creosotalgaben. 14. Juni. Kein Husten mehr. Lungen völlig frei. Kind
eine Stunde außer Bett. 19. Juni. Geheilt entlassen.
VII, Fritz O., 5 Jahre alt, ist wegen Skrofulose seit seinem zweiten
Lebensjahre fast dauernd in ärztlicher Behandlung gewesen. Im Anschluß
an eine im vorigen Jahr überstandene Masernerkrankung soll er, nach
Angabe der Mutter, eigentlich den Husten nicht losgeworden sein.
24. April 1910. Befund: Elend aussehender Knabe von typisch skrofu-
lösem Habitus, .blasser Haut- und Schleimhautfarbe. Starke Drüsen-
schwellungen am Hals und im Nacken, starke Hypertrophie beider Gaumen-
mandeln. Adenoide sind im Vorjahre bereits entfernt. Lungenbefund:
Atmung oberflächlich (30 pro Minute). Perkussionsschall hinten beider-
seits tympanitisch gedämpft. Ueber der ganzen Lunge diffuse feuchte,
mittelgroßblasige Rasselgeräusche von teilweise klingendem Charakter.
Temperatur 37,60. Therapie: Atemgymnastik. Vegetarische Diät. Creo-
sotal 3mal 20 Tropfen. 29. April. Deutliche Abnahme der Rasselgeräusche,
Husten geringer. Sputum schleimig-eitrig, keine Tuberkelbacillen gefunden.
Appetit besser. Creosotal 3mal 25 Tropfen. 4. Mai. Nur noch in den
abhängigen Lungenpartien vereinzelte Geräusche. Husten und Auswurf
bedeutend geringer. 10. Mai. Katarrhalische Geräusche ganz geschwunden.
Patient sieht gut aus. Appetit ausgezeichnet. Fortsetzung des Creosotal
3mal 10 Tropfen. 11. Mai. Nach Angabe der Mutter ist kein Husten
wieder aufgetreten. Patient fühlt sich wohl und hat in den letzten vier
Wochen 2 Pfund zugenommen. Lungenbefund negativ. Drüsen am Hals
erheblich kleiner geworden,
VUI. Emmy B., 10 Jahre alt, hat Masern und Keuchhusten über-
standen, ist wegen Skrofulose des öfteren behandelt worden. Seit zirka
einem halben Jahre hustet das Kind fast ununterbrochen, sieht schlecht
aus und hat keinen Appetit. Da in den letzten 14 Tagen das „Röcheln
auf der Brust“ zunimmt und gelblich klumpiger Auswurf entleert wird,
kommt die Mutter am 2. Dezember 1909 in die Sprechstunde. Befund:
Elend aussehendes, stark abgemagertes Kind von blasser Hautfarbe. Hals-
muskeln deutlich vorspringend, Muskulatur des Stammes und der Ex-
| tremitäten dürftig und schlaf. Drüsen in der Hals- und Nackengegend
etwa haselnußgroß geschwollen. Tonsillen beiderseits mäßig vergrößert.
Gewicht 45 Pfund. Lungen: Ueber den unteren Partien hinten tym-
panitisch gedämpfter Schall von der Scapula abwärts. Untere Lungen-
grenze wenig verschieblich.. Ueber der ganzen Lunge, auch über den
beiden Spitzen reichliche klingende, feuchte Rasselgeräusche. Atmung
oberflächlich (40). Sputum:. Eitrig geballi. — Bei zweimaliger Unter-
suchung durch das hiesige Untersuchungsamt frei von Tuberkelbacillen
befunden. Innere Organe sonst o. B. Temperatur schwankt zwischen
37,4—37,9°. Therapie: Atemübungen, roborierende Diät, Creosotal 3mal
30 Tropfen. 10. Dezember. Atmung ruhiger (25 pro Minute). Rassel-
geräusche in Abnahme begriffen. Röcheln entschieden geringer. Appetit
nach Aussage der Mutter besser. 20. Dezember. Röcheln geschwunden.
Husten und Auswurf eigentlich nur noch morgens. Lungenspitzen und beide
Oberlappen: geringes Giemen. In den abhängigen Partien beider Lungen
noch vereinzelte klingende Rasselgeräusche. Gewicht 48 Pfund. 30. De-
zember. Kind ist munter, hustet nicht mehr. Atmung ruhig. Lungen-
befund normal.
Aus den vorstehenden Krankengeschichten, die ich aus einer
größeren Zahl ähnlicher herausgegriffen habe, geht deutlich hervor,
daß der Verlauf pneumonischer und bronchopneumonischer Erkran-
kungen im Kindesalter durch Creosotal wesentlich beeinflußt wird.
Die Wirkung des Medikaments war in vielen Fällen eine so prompte,
daß man annehmen konnte, die im Kindesalter häufiger vor-
kommende abortive Form der Pneumonie vor sich zu haben, wenn
nicht der Ablauf der physikalischen Lungenerscheinungen auf einen
schwereren Krankheitsprozeß hingewiesen hätte. Das Absinken der
Temperatur, die bei der sonst üblichen Pneumoniebehandlung nicht
gekannte schnelle Hebung des Allgemeinbefindens, die Umwandlung
der Krisis in einen Iytischen Temperaturabfall, der sich bei rich-
tiger und frühzeitiger Darreichung des Mittels stets beobachten
läßt, läßt die Wirkung desselben als eine specifische erscheinen:
Selbstverständlich ist der Erfolg bei schon weiter fortgeschrittenen
Lungenerkrankungen nicht so augenfällig hinsichtlich der Bin-
wirkung auf die Tempe-
Ep EERE pEREEEE] ratur, doch habe ich
EEEE HEE mich persönlich auch
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onan san wn: OS a a a TE a a a a a a u IESE TAE SEEN EA DE ES Tamm: I men von dem g nsi
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EEE E a oter
| lösen Lungenprozessen
im Kindesalter, ähnlich wie bei den chronischen Bronchial-
katarrhen, eine günstige Beeinflussung (Rückgang des Katarrhs,
Hebung des Appetits, Körpergewichtszunahme) statthat, erwähn®
ich nur der Vollständigkeit halber, da ja die Buchenholzteer-
derivate auch heute noch, neben der Allgemein- und specifischen
Tuberkulinbehandlung, als wertvolles Unterstützungsmittel bei der
Bekämpfung der Tuberkulose angewendet werden.
Literatur: 1. Fournier (Marseille), Die Wirkung des Oreosotala bei
akuten broncho-pulmonären Infektionskrankheiten. (Monographie, Lyon,
99, September.
Legendre &Co.) — 2. Prof. Smith (New York), Die Behandlung der Pneumonie
. basiert auf neuen Ansichten über ihre Pathologie. (Med. News Bd. 75, Nr. 25.)
— 8, Derselbe, Weitere Erfahrungen über die Behandlung der Pneumonie.
(Med. Rec. 1912.) — 4. Dorselbe, Ueber specifische Medikation. (Med. Rec.
1912.) — 5. Wilson, Die specifische Behandlung der cronpösen Pneumonie.
(The Journ. of the Med. Ass. Vol, 35, Nr. 2.) — 6. Thomson (Roosevelt-Hospital,
New York), Oreosotal bei Pneumonie. (Med. Rec. 1. Februar 1902.) — 7. Meit-
ner, Oreosotal bei Behandlung nichttuberkulöser Lungenkrankheiten. (Med.-chir.
Zbl., Wien, 1900, Nr. 25.) l
Soll man alle drei Mandeln in einer Sitzung
entfernen?
Von `
Dr. Franz Bruck, Berlin-Charlottenburg.
In No. 35 dieser Wochenschrift berichtet Kafemann über
einen Exitus letalis unmittelbar nach der in einer Sitzung in
Chloroformnarkose vollendeten Operation der Rachentonsille und
beider Gaumentonsillen. Diese für die Wissenschaft und Praxis
äußerst lehrreiche Veröffentlichung, für die man dem Verfasser nur
dankbar sein muß, zwingt, die in der Ueberschrift gestellte Frage
von neuem aufzurollen.
Ich selbst habe die Ansicht vertreten, man solle „nur ganz
ausnahmsweise“ adenoide Vegetationen und Hyperplasien der
Gaumentonsillen in einer Sitzung entfernen!). Diese Ausnahme
dürfte z. B. gegeben sein bei einem Kranken, der eigens zum
Zwecke der Operation von auswärts hergekommen ist, dessen Zeit
es aber nicht erlaubt, die drei Eingriffe in Intervallen vorzu-
nehmen. In der Regel sollte aber die Entfernung aller drei Ton-
sillen in einer einzigen Sitzung vermieden werden, und zwar wegen
der bekanntlich nicht allzu selten auftretenden Nachblutung. Denn
es ist natürlich nicht gleichgültig, ob man bei einem solchen
Ereignis der Blutung aus einer oder aus drei Wundflächen gegen-
übersteht. In dem Kafemannschen Falle wurde die Gefahr indes,
wie sich gleich zeigen wird, durch einen andern Umstand herauf-
beschworen. |
Nun hatte allerdings auch Kafemann ursprünglich die Ab-
sicht, bei seinem Patienten, der sich bei ihm etwa zwei Monate
aufhalten wollte, „im Abstand von ein bis zwei Wochen je eine
Tonsille unter Lokalanästhesie zu entfernen“. Als er jedoch damit
anfing, wurde der Kranke — ein l4jähriger Knabe — so unge-
bärdig, daß sich der Operateur zur Chloroformnarkose (Halb-
narkose) entschließen mußte. Dieser Entschluß war unter den
gegebenen Verhältnissen durchaus zu billigen. Denn wenn ich
mich auch bei diesen Operationen nur im Notfalle der Narkose be-
diene, weil ich sie für einen größeren Eingriff als die Operation
selbst halte (mit dieser Erklärung ist es mir bisher immer ge-
lungen, die zur Narkose drängenden Angehörigen davon abzu-
bringen), so ist doch auch für mich ein solcher Fall, wie der
Kafemanns, eine Indikation, den heftig widerstrebenden Patienten
durch Chloroforminhalation zur Ruhe zu bringen.
Mit dem Entschluß zur Narkose änderte nun aber Kafe-
mann merkwürdigerweise seinen ursprünglich gefaßten Plan.
Er entfernte nämlich jetzt alle drei Mandeln in einer Sitzung
ziemlich rasch hintereinander. Dieses Vorgehen hätte seine Be-
rechtigung gehabt, wenn die erste Operation schon vor dem Er-
wachen des Kranken aus der Narkose ganz vollendet gewesen
wäre, sodaß das unmittelbare Anschließen der weiteren Eingriffe
den durchaus zu billigenden Zweck verfolgt hätte, die einmal
herbeigeführte Betäubung möglichst auszunutzen, also den Pa-
tienten nicht noch an einem zweiten Tage der nicht gleichgültigen
Narkose auszusetzen.
In dem Kafemannschen Falle lagen die Dinge aber anders.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell
dijodoxybenzolparasulfosaures Quecksilber, in
ihrem Verhalten zum Organismus
von
Dr. med. E. Koch, Aachen,
N Die früher viel vertretene Ansicht, daß Quecksilber im Or-
sanismus in Form einer konstanten chemischen Verbindung -und
> .. `) Bruck, Aphorismen f. d. hals-, . u. i
Berlin bir Verl. = August Hirschwald. nn en = =
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK = Nr. 39. 15
89
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Hier war nämlich der Vorgang bei der Operation nach der Be-
schreibung des Autors folgender: Entfernung der rechten Tonsille
in Halbnarkose, Aufrichten, Ausbluten. Darauf Fortsetzung
der Narkose, Operation der zweiten Gaumenmandel, Abwarten
der Blutung. Mittlerweile wieder Erwachen, daher neue Nar-
kose, Operation der adenoiden Vegetationen, aufrechte Haltung,
normale Blutung aus der Nase. Plötzlich Stillstand der Blutung,
Cyanose, Stillstand der Atmung und der Herztätigkeit, Exitus.
Also: Narkose, erster Eingriff, Erwachen; neue Narkose, zweiter
Eingriff, Erwachen; neue Narkose, dritter Eingriff, Tod. Das
jedesmalige Erwachen aus der Narkose erforderte somit eine
jedesmalige neue Zufuhr von Chloroform, da sich die zweite
Operation der ersten und die dritte der zweiten anschließen sollte.
Jedoch erst nach der dritten in Narkose vorgenommenen Operation
trat der Exitus letalis ein. Diese dreimalige Einleitung der
Halbnarkose in einer Sitzung — nicht die Narkose an sich —
ist aber hier zweifellos als eine der Bedingungen anzusehen, auf
die der Tod zurückzuführen war.
Entschließt man sich daher aus bestimmten Gründen zur
Halbnarkose (Erhaltenbleiben der Rachenreflexe!), so soll man sie
— diese Lehre ist aus dem Kafemannschen Falle zu ziehen —
in einer Sitzung immer nur einmal vornehmen. |
Bemerkungen zu dem Artikel von
Cholewa, Ueber Asthma
(Med. Kl. Nr. 28)
von
Prof. Dr. Posselt, Innsbruck. . I
Als Entgegnung auf die Bemerkungen Cholewas beschränke ich
mich auf die wörtliche Anführung folgenden Satzes aus meinen ärztlichen
Fortbildungsvorträgen über chronische Bronchialerkrankungen: l
„Die häufige Koinzidenz von Asthma mit pathologischen Pro-
zessen der Nase (Polypen, Wucherungen der Schwellkörper, speziell
der unteren Muscheln, hochgradige Verengungen der Nasengänge usw.)
ist jedem Praktiker so geläufig, daß die allergenaueste Untersuchung
dieser Gebiete sozusagen reflektorisch bei jedem Asthmaverdacht vor-
genommen wird. Es muß ja allerdings zugegeben werden, daß ohne
Zweifel diese Feststellung von nicht geringer praktischer Bedeutung
namentlich für die Therapie ist, nichtsdestoweniger werden wir häufig
genug Leute mit schwersten derartigen Affektionen' treffen, die ihr ganzes
Leben vollständig verschont bleiben, anderseits bei vielen unserer Kranken
vergebens nach Nasenbefunden forschen.“
Zur Erläuterung möge dienen, daß ich seit jeher bei jedem irgend-
wie auf Asthma auch nur halbwegs verdächtigen Falle eine gründliche
spezialistische Untersuchung der Nasenhöhle veranlasse, in der lange
Zeit gehegten sicheren Erwartung, daß hierbei unter allen
Umständen ein positiver Befund erlangt werden müsse.
Gerade die sehr gewissenhaft von spezialärztlicher Seite angestellten
Untersuchungen belehrten mich, daß das „ausnahmslose Vorkommen
von Nasenprozessen bei Asthma nicht zutrifft.“ |
Eine Behauptung, daß „ungezählte Mengen von mit Nasenpolypen
versehenen Individuen nie an Asthma leiden“, habe ich ebensowenig auf-
gestellt, als es anderseits aus dem eingangs zitierten Satze mit größter Deut-
lichkeit hervorgeht, daß ich die Polypenbildung nicht nur nicht als „Quantité
négligeable“ behandle, sondern gerade im Gegenteil deren Bedeutung für
die Lehre vom Asthma in der Praxis voll würdigte, allerdings ohne in
ihnen das Um und Auf der Asthmaätiologie zu erblicken.
Uebrigens gibt ja Cholewa selbst zu, daß es immerhin Asthmatiker
gibt, bei denen Nasenaffektionen vermißt werden. us a .
Für die Frage wären wohl sehr umfangreiche Sammelforschungen
und eingehende Statistiken der Internisten und Rhinologen von aller-
größtem Werte.
zwar als Quecksilberoxydalbuminat zur Wirkung gelange, hat durch
die Ionentheorie eine für die Erklärung der Hg-Wirkung bedeutungs-
volle Aenderung erfahren. Letztere besagt, daß diese Wirkung
durch Hg in einem besonderen konstanten chemischen Zustand als
Mercuriion hervorgebracht wird und des weiteren von der Kon-
zentration dieser Mercuriionen abhängig ist. Es wird für die Be-
urteilung dieser Wirkung also von Bedeutung sein, wie schnell
dieser Zustand erreicht wird, und weiterhin, wie die Resorption
von statten geht und wie das Mittel lokal reagiert im Sinne der
Aetzung oder Eiweißfällung. Diese lokale Reaktion ist der’ erste;
die Resorption der zweite, die Erreichung des Mereuriionszustandes
der dritte Akt, und alle drei zusammen sind von Bedeutung für
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die Beurteilung der biologischen Wirksamkeit der verschiedenen
Queeksilberpräparate, die sich allein in diesen drei Punkten von
einander unterscheiden. Wie sich die einzelnen Phasen abspielen,
wird die Beobachtung ergeben müssen, wenn sich auch manche
Momente bis zu einem gewissen Grad im voraus abschätzen lassen.
Injiziert man Sublimat in die Venen, so nimmt seine Giftig-
keit ab, je kleiner die Konzentration der Ionen wird. Man muß
also darauf ausgehen, die elektrolytische Dissoziation circulierender
Quecksilberverbindungen auf einem möglichst tiefen Niveau zu
halten. Wie das Experiment gelehrt hat, liegt dieses Ziel durch-
aus im Bereiche der Möglichkeit und die Tatsache ist besonders
interessant, daß man je nach Wahl des beigefügten Mittels eine
Abstufung des Niveaus herbeiführen kann. Injiziert man vorher
in die Venen der Tiere Natriumchlorid, das bei der Gleichheit des
Anions mit dem des Quecksilberchlorids dessen Dissoziation zu-
rückdrängt, so werden sie gegen intravenöse Injektionen wider-
standsfähiger. Injiziert man vorher Natriumbromid, so wird die
Toleranz viel größer, weil das Quecksilberbromid, das sich im Or-
ganismus bildet, weniger dissoziiert ist als die Chlorverbindung.
Injiziert man vorher Jodnatrium, so wächst die Widerstandsfähig-
keit der Tiere gegen das Sublimat noch mehr, weil die Tendenz
vorhanden ist, Jodquecksilber zu bilden, nach dessen Entstehung
das Quecksilber noch weniger dissoziiert ist.
Aus diesen experimentellen Tatsachen geht zur Genüge her-
vor, warum gerade Jod-Quecksilberverbindungen in der medizini-
schen Wissenschaft und speziell in der Therapie eine große Rolle
spielen müssen, wenn es gelingt, sie in geeigneter Weise dem Or-
ganismus zuzuführen. Sie können aber nur dann nützen, wenn sie
sich zu trennbaren Salzen, wahrscheinlich zu Mercurisalzen, um-
bilden im Verhältnis zu den Mercuriionen, die sie direkt oder in-
direkt in den Kreislauf bringen. Dabei zeigt die klinische Beob-
achtung eine Identität in der Einwirkung aller Hg-Präparate, was,
wie gesagt, zur Annahme einer schließlichen Quecksilberalbuminat-
verbindung und zu dem Irrtume führte, in der Konstruktion von '
Quecksilberalbuminaten das Heil der Zukunftstherapie zu sehen,
Heute muß man sich der Ansicht anschließen, daß die vom circu-
lierenden Quecksilber im Organismus gebildeten Verbindungen sehr
zahlreiche sind, wobei es wahrscheinlich ist, daß die Quecksilber-
albuminatverbindungen Zwischenverbindungen darstellen und der
Schluß in dem endgültigen Uebergang in eine mineralische Form zu
suchen ist, wobei es wegen des bedeutenden Uebergewichts der Chloride
im Organismus zur Bildung von Quecksilberchlorid kommen wird.
Die angeführten Experimente geben nun den Wegweiser ab,
- daß nicht etwa der einfachste und beste Weg der ist, Chloridsalze
des Quecksilbers von vornherein in den Kreislauf zu bringen, denn
es fällt der Umstand ins Gewicht, daß bei der Bildung von Chlo-
riden im Organismus diese Umsetzung langsam vonstatten geht,
jedenfalls das Zellprotoplasma langsamer und in jemals kleineren
Mengen in Beziehung tritt, als wenn ein gewisses Quantum reinen
Chloridsalzes in den Kreislauf gebracht und dieser damit über-
schwemmt wird. Im letzteren Falle muß es .zu einer lebhaften und
gehäuften Ionenbildung kommen, von deren Konzentration, wie ge-
sagt, die Toleranz abhängig ist. R
Um mit diesem Gedanken zu Ende zu kommen, braucht man
sich nur noch zu vergegenwärtigen, wie die Ionen dem Protoplasma
gegenüber aktiv werden. Sehr wahrscheinlich ist dieser Umstand
von den Reaktionen abhängig, welche die Ionen mit Bestandteilen
des Protoplasmas selbst bilden. Dann muß jede toxische Erschei-
nung eine direkte Folge von bestimmten Verbindungen der Ionen
und Eiweißkörper sein, die sich nur bei bestimmten Konzentrationen
der Ionen bilden, wie die Vergiftungserscheinung konstant fort-
dauert, solange die Konzentration des toxischen Ions dieselbe
bleibt und mit ihr verschwindet, wenn die Konzentration der
Quecksilberionen unter einen kritischen Wert hinabsinkt, bei dem
die Verbindungen der Ionen und Eiweißkörper verschwinden. Man
kommt also zu der Forderung zurück, daß eine für die Therapie
brauchbare Quecksilberverbindung bei entsprechender Dosis im
Körperhaushalte zur Verwendung kommt, daß sie therapeutisch
wirksam und eine Jonenkonzentration dabei auszuschließen ist,
welche toxische Erscheinungen im Gefolge hat.
Man kann diese Betrachtung über die Wirkung der Queck-
silberpräparate kaum besser zum Abschlusse bringen, als wenn
man folgenden Passus aus einer Arbeit von Sabbatani zitiert:
„Das Quecksilber ist kein Gift von elektiver Wirkung, kein Gift
für nur einige Protoplasmen, sondern ein universelles Gift für alle; dies
will sagen, daß es nicht einige von den spezialisierten vitalen Wirkungen
und Schädlichkeiten der differenzierten Protoplasmen angreift, sondern ein
gewisses universelles, gemeinsames und sehr wesentliches Etwas im Leben
der Protoplasmen ist. Dieses Etwas finden wir gerade bei den Verände-
rungen, die es bei den Eiweißstoffen herbeiführt. Damit aber diese Wir- -
kungen (deren Grenze die Präcipitation ist) eintreten, damit die toxische
Wirkung auf ein Infusorium oder ein höheres Tier sich kundgibt, damit
eine lokale oder allgemeine Wirkung zustandekommen kann oder die
therapeutische Beeinflussung möglich ist, dazu ist stets die Anwesenheit
von Hg-Ionen in einer bestimmten Konzentration erforderlich, und diese
Konzentration muß auch unzweifelhaft die physikalisch-chemische Grund-
lage der anatomischen Lokalisation der Quecksilbervergiftung beim Men-
schen und bei den höheren Tieren sein.“
Ist die Annahme, daß letztere von der Ionenkonzentration abhängig
sind, richtig, so muß sie auch zur Erklärung beitragen, warum sich ihre
Symptome an bestimmten Stellen des Körpers lokalisieren, warum es sich
in erster Linie stets um Stomatitis, Kolitis und Nephritis handeln muß.
Ist das toxische Symptom durch die Konzentration der Ionen herbei-
geführt worden, so wird es auch vermieden, wenn diese Konzentration
gestört oder unmöglich gemacht wird. Wie dies geschehen kann, zeigen
die angeführten Experimente, wobei hier an dieser Stelle das Chlorid
interessiert, weil es im Organismus die wesentliche Rolle spielt und in
verschiedener Stärke vertreten ist. In diesem Punkte wird man also auch
die Erklärung für die pathologisch-anatomische Lokalisation finden müssen
und weiterhin, was ebenso wichtig ist, in der Anwesenheit der Eiweiß-
körper. Der Speichel enthält kein Eiweiß und ist die an Chloriden
ärmste Flüssigkeit im Organismus. Die Folge ist eine höhere Ionenkon-
zentration, und die vom Speichel benetzte Mundschleimhaut ist dio erste,
welche erkrankt. Die Tätigkeit der. Mikroorganismen ist eine Kompli-
kation sekundärer Natur. Im Magen befindet sich eine höhere Konzen-
tration von Chloriden und Eiweißstoffen der eingenommenen Nahrung,
daher hier keine Störung. Ebenfalls ist im Dünndarme die Menge der
Chloriden und Peptone noch eine große und infolgedessen die Konzen-
tration. der Quecksilberionen sehr schwach. In den tieferen Darm-
abschnitten werden Chloride und Albumosen mehr und mehr resorbiert,
bis sie in den Faeces fast völlig verschwinden. Hier ist also die Grenze,
wo die Konzentration der Ionen wieder eine höhere werden kann, und in
der Tat treten toxische Erscheinungen im Kolon wieder auf.
Etwas schwieriger gestaltet sich die Erklärung der mercuriellen
Nephritis. Der Grund liegt im komplizierten Bau des Organs selbst.
Wenn man aber mit Ludwig annimmt, daß der Harn zunächst in sehr
verdünntem Zustand ausscheidet und sich allmählich in den gewundenen
Kanälchen und Honleschen Schleifen konzentriert, so wird die Wirkung
des Quecksilbers an Stellen schwacher Konzentration am stärksten sein
müssen, weil hier die Chloride ebenfalls am spärlichsten vertreten sind.
So sehen wir denn auch, daß in der Niere ausschließlich die gewundenen
Kanälchen ergriffen werden; die übrigen Teile der Niere, Nierenbecken,
weiterhin Harnleiter, Harnblase, Harnröhre bleiben intakt. (Elbe.) Wie
verhält es sich mit den Eiweißkörpern in der Niere? Sie sind normaler-
weise im Harne nicht vertreten. Elbe unterband den Urether der einen
Niere und vergiftete dann das Tier durch Quecksilber. Die toxischen Er-
scheinungen traten an der gesunden Niere zutage, an der hydronephrotisch
gewordenen Niere fand man in diesem Sinne fast gar keine Veränderung,
eine Tatsache, die sich nicht anders als durch die Gegenwart der ge-
bildeten Eiweißkörper erklären läßt. |
Im Hinblick auf die chemische Grundlage kann man sich
von gewissen Erfahrungen leiten lassen, welche die Brauchbarkeit
eines Präparats in die Nähe oder Ferne rücken. Die bekannten
organischen Hg-Verbindungen lassen sich z. B. in mehrere Gruppen
trennen, in Verbindungen, in denen das Quecksilber den Hydroxyl-
wasserstoff im Phenol ersetzt oder den Wasserstoft von basischen
Resten sowie in Quecksilbersalze verschiedener organischer Säuren.
Diese Verbindungen haben den Nachteil, daß in ihnen nur em
Teil der ersetzbaren Gruppe durch ein Hg-Atom vertreten ist und
dieses Hg-Atom als zweiwertig und deshalb giftig wirkend an-
gesehen werden muß. Dieser Umstand findet zugleich seinen Aus-
druck, wenn wir sagen, daß sich die Mercuriionen in diesem Falle
schnell entwickeln und daher in einer starken Konzentration em-
wirken müssen, welch letztere der Stärke der Wirkung des Hg,
also auch einer akuten und toxischen Wirkung proportional ist.
Wir wissen jetzt, daß die tödliche Dosis nicht von einer bestimmten
Menge Quecksilber abhängt, sondern von einer bestimmten Kon-
zentration seiner Ionen, wie die antiseptische, präcipitierende und
die lokal kaustische Wirkung davon abhängig ist. Die Verhält-
nisse können sich nun ändern.
Ersetzt man in der Oxybenzolsulfosäure, entsprechend den
vorher entwickelten Ideen, den Hydroxylwasserstoff und den
Wasserstoff der Sulfosäure durch je ein einwertiges Quecksilber-
atom, führt man ferner statt zweier Wasserstoffe zwei Jodatom®
ein, so erhält man einen völlig neutralen Körper,‘[das dijodoxy-
benzolparasulfosaure Quecksilber CsH2J20 Hg, SOsHg, kurz Anogon
(Produkt der chemischen Fabrik H. Trommsdorff, Aachen) genannt.
Man findet in dem Körper Eigenschaften, die ihn zu; Experimenten
geeignet machen, welche ein Resultat, wenigstens in therapeutl-
scher Hinsicht, versprechen, wenn man die vorausgegangenen Er-
wägungen zugrunde legt. o>
29. September.
Dieser Körper, der demnach 48,95 0%, Hg und 31,78 o J enthält, j
stellt ein sehr feines, lockeres, schwefelgelbes, geruchloses, äußerst mikro-
krystallinisches Pulver dar. Bei schwachem Erhitzen im Porzellantiegel
ist Jodphenolgeruch, bemerkbar. Bei stärkerem Erhitzen verflüchtet er
sich unter Entwicklung von Jod- und Quecksilberdämpfen ohne wägbaren
Rückstand. Mit Ammoniakflässigkeit zersetzt er sich unter Schwärzung;
mit verdünnter Salzsäure entsteht weißer Niederschlag (Kalomel). Er ist
in gewöhnlichen Lösungsmitteln unlöslich und verträgt sich nicht mit
Säuren und Alkalien. Zu öliger Suspension eignet er sich sehr gut und
kann in dieser Form für das Experiment Verwendung finden.
Daß das Jod an den Kern festgebunden ist, haben. chemische
Untersuchungen ergeben. Es gelangt somit nur allmählich zur Abspal-
tung, sodaß nur eine langsame Resorption stattfinden kann und Auf-
treten von Jodismus unter gewöhnlichen Verhältnissen ausgeschlossen
erscheint.
Bevor zu Tierversuchen übergegangen wurde, wurden noch
eine Reihe Untersuchungen angestellt, welche über das Verhalten
des Anogon Bakterienkulturen gegenüber Klarheit bringen sollten.
Zu diesem Zwecke wurden stets zwei Versuchsreihen nebenein-
ander verfolgt, und zwar sellte die eine erläutern, ob Bakterien,
die auf die Oberfläche eines Nährbodens geimpft worden sind, sich
unter Anogon entwickeln oder, da dies von vornherein aus-
geschlossen erscheinen mußte, wo die Verdünnungsgrenze lag, bis
zu der jede Entwicklung aufgehoben wurde. Zur Bestimmung der
antiseptischen Wirkung dieser Verdünnungen wurde sodann Agar
in Petrischalen ausgegossen und nach dem Erstarren mit ver-
schiedenen Bakterienarten geimpft, indem sie mit einem einzigen
Striche dick aufgetragen wurden und dieser Strich mit einer
Schicht des zu untersuchenden Pulvers möglichst gleichmäßig und
etwa messerrückendick bestreut wurde. Als Testobjekte wurden
Bacterium coli, Pyocyaneus, Staphylococcus pyogenes aureus und
Bacillus anthracis gewählt.
Anogon pur und in den Verdünnungen bis 1:175 zog völlige Ste-
` rilität der Platten nach sich, wie Kontrollen zeigten, die nach einmal,
zweimal, viermal und achtmal 24 Stunden entnommen wurden. Bei der
Verdünnung 1:200 ließ sich wieder Wachstum konstatieren, sodaß also
die Grenze zwischen 1:175 und 1:200 zu suchen ist. Bei der Art der
Methode mußte diese approximative Bestimmung ausreichend erscheinen,
da es sich um eine in Wasser unlösliche Verbindung handelt, für die es
schwer sein dürfte, ganz subtile Grenzwerte zu finden. Es ließ sich
Jedoch feststellen, daß bis zur Verdünnung 1:175 alle in Betracht ge-
zogenen Bakterienarten gleichmäßig bactericid beeinflußt wurden und bei
1:200 bei allen das Wachstum, mehr oder minder ausgeprägt, wieder
auftrat. Die Resultate wurden durch die üblichen Kontrollen gesichert,
und vielleicht dürfte hier die Mitteilung von Interesse sein, daß Kalomel,
welches in der nämlichen Weise zu einem Parallelversuche herangezogen
wurde, ähnliche Resultate zu verzeichnen hatte wie das Anogon.
Die ursprüngliche Versuchsreihe schien noch in der Richtung er-
weiterungsfähig, daß man die in den einzelnen Zeitabschnitten von ein-
mal, zweimal, viermal und achtmal 24 Stunden entnommenen und in
Bouillon übertragenen Kontrollproben weiter ausnutzte, indem man sie
von neuem impfte, nachdem, wie mitgeteilt, ihre Sterilität festgestellt
worden war. Bei dieser Untersuchung wurde nur das Bacterium coli
herangezogen und dabei folgendes beobachtet. Nur bei der Reihe des
puren Salzes und der Verdünnung 1:1 tritt nach der wiederholten
frischen Impfung kein Wachstum auf und auch hier nur in den Proben
nach einmal, zweimal und viermal 24 Stunden. In allen übrigen Kontroll-
röhrchen tritt nach dieser zweiten Impfung Wachstum auf. Dieser Um-
stand ist dadurch erklärlich, daß bei der Kontrollentnahme soviel Salz
mit in die Kontrollbouillon gelangt, daß sich hier eine weitere des-
Infizierende Wirkung entwickeln kann. Infolge sukzessiver Zersetzung
des Anogon auf den Platten nach viermal 24 Stunden respektive ‚Infolge
zu starker Verdünnung des Antisepticums von Anfang an, änderten sich
ann die Verhältnisse so, daß die gleichzeitig mit hinübergenommenen
Lalzmengen eine antibakterielle Wirkung nicht mehr eklatant entfalten
onnten.
Was die zweite Versuchsreihe betrifft, so sollte sie darüber
Aufschluß geben, ob sich die bacterieide Kraft des Anogon auch
auf die Umgebung hin erstrecken konnte.
Es wurden also auf Agarplatten möglichst konzentrierte Bakterien-
aufschwemmungen ausgepinselt, sodaß ein sehr tippiges Wachstum erzielt
wurde, ‚Sodann wurde wiederum ein feiner Streustrich, etwa messer-
Tückendick und 1 cm breit, auf die Agaroberfläche gebracht, wobei die-
selben Konzentrationen wie auch dieselben Bakterienarten gewählt wurden.
me völlige Sterilität der Platte trat hier bei Anogon in purem Zustand
arg der Verdünnung 1:1 ein, und zwar bereits nach 24 Stunden und
ei allen Testobjekten. Schon in einer Verdünnung 1:2 war die Ein-
Bech g zur Peripherie begrenzt. Dabei ergab sich bei fortgesetzter
a ıchtung, daß die sterile Zone eine recht unregelmäßige war und alle
Da chen Varianten aufwies (so betrug sie bei einer Verdünnung 1: 150
Be zirka 1 bis 2 mm), während unter dem Streustriche kein Wachstum
schrie statieren war, bis die Grenze in der Verdünnung 1:175 über-
die R en war. Diese zweite Versuchsreihe erhärtet also im wesentlichen
esultate der ersten und kann deshalb auch als Kontrolle verwertet
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. | 1591
werden. Zu bemerken wäre noch, daß alle Wachstumsvorgänge bei 37°
im Thermostaten, vor Licht und Austrocknung geschützt, stattfanden.
Auf allen Platten konnten nun leicht an dem Anogon starke
Farbenveränderungen beobachtet werden, indem die ursprünglich
gelbe Farbe alsbald in Weiß, Mattgrau, Dunkelgrau und Schwarzgrau
überging. Es traten also, wie das in der Voraussetzung lag, Zersetzungs-
vorgänge ein, und um sich eventuelle genaue Aufschlüsse zu verschaffen,
wurde wieder eine Colikultur gewählt. Es wurden zwei Erlenmeyer mit
100 respektive 90 ccm der gewöhnlichen Nährbouillon gefüllt und letztere
mit 10 ccm Colibouillon intensiven Wachstums aufgefüllt. Nach 24 Stun-
den wird jedem der beiden Kolben je 1 g Anogon zugesetzt, und in beiden
Kolben tritt sofort die geschilderte Farbenveränderung nach Grau und
Schwarz hin auf. Proben, die der Colibouillon nach Einwirkung des
Anogons entnommen werden, zeigen, daß die Kultur bereits nach weniger
als einer Minute abgestorben ist. Ä
Eine chemische Untersuchung des Vorgangs führte zu folgendem
Resultate. Der Inhalt beider Kolben färbt infolge des Alkaligehalts der
Nährbouillon rotes Lackmuspapier blau. Wird die betreffende Colibouillon
' oder gewöhnliche Nährbouillon mit Anogon versetzt, so tritt bei ersterer
sofort, bei letzterer nach kurzer Zeit beim Umschütteln die oben ge-
schilderte Farbenveränderung ein, indem das zugesetzte Anogon eine
gelblichgrüne, später dunkelgraue Farbe annimmt. Bei näherer Unter-
suchung ergibt es sich, daß sich zunächst Quecksilberjodür infolge Zer-
setzung des dijodoxybenzolparasulfosauren Quecksilbers bildet, das Jod
abgibt und mit dem vorhandenen Alkali Jodalkali bildet. Das Queck-
silberjodür besitzt in reinem Zustand eine gelbe Farbe, welche aber in-
folge von Zersetzung und hauptsächlich bei Gegenwart von Jodalkali in
Grün übergeht, in zerstreutem Tageslichte dunkler und zuletzt schwarz
wird. Bei weiterer Bildung von Jodkalilösung zersetzt sich das Queck-
silberjodär weiter unter Abscheidung von metallischem Quecksilber. Da-
her lassen sich im Filtrat auf Zusatz von Schwefelwasserstoffwasser reich-
liche Mengen Quecksilber als Mereurosulfid nachweisen. Wird nun der
Niederschlag des Quecksilbers durch Filtration beseitigt, so zeigt das
klare Filtrat auf Zusatz einiger Tropfen von mit salpetriger Säure ge-
sättigter Schwefelsäure beim Aufschütteln mit Chloroform starke Jod-
reaktion, erkenntlich an der violetten Färbung des Chloroforms. Uebrigens
lassen sieh diese Reaktionen noch deutlicher nach Zerstörung der organi-
schen Substanz nachweisen. |
Kurz zusammengefaßt, scheint das im Anogon gebundene
Jod in statu nascendi sich mit dem vorhandenen Alkali zu binden.
Das entstehende Jodalkali wirkt nun weiter auf das vorhandene
Quecksilberoxydul ein, und zwar so, daß. es unter Doppelsalz-
bildung allmählich in Lösung geht. |
Folgt man diesem Vorgange der Untersuchung, so erhält
man einen Fingerzeig für die Art der antiseptischen Wirkung des
Anogons. Man muß dann sagen, daß sie in zwei Abschnitte Zer-
fällt. Der erste wird fast augenblicklich durch das naseierende
Jod eingeleitet, welches bei genügender Menge von anwesendem
Anogon schon ausreicht, um das Leben der Mikroorganismen zu
vernichten. In dem späteren Abschnitte gelangt das Quecksilber
in Gegenwart von Jodalkali zur Wirkung und verschafft sich lang-
sam, aber kontinuierlich Geltung. Für den Organismus sind die
Vorgänge, was das Endresultat betrifft, die nämlichen, nur können
die Zwischenstufen eine unabsehbare Reihe von Komplexbildungen
mit den vorhandenen Eiweißkörpern abgeben, wie vorher bereits
angedeutet wurde. Jedenfalls ergeben sich aber in dem Chemis-
mus, wenn man statt Nährbouillon Blutserum zu Hilfe nimmt,
keine weiteren Abweichungen in der Folge der Reaktionen, wie
auch äußerlich die nämlichen Veränderungen zutage treten.
Nach diesen Versuchen muß man sich die Frage vorlegen,
sich umgekehrt denken kann, daß eine schwache Konzentrati
für die Vernicht ung der Bakterien genügt und das Proisplauma
eines höheren Organismus diese Konzentration überwindet oder ihr
nur soviel opfert, als sich obme weiteres wieder ersetzt. Wie
bereits bemerkt, kann hierüber endgültig nur das Experiment ent-
scheiden.
‚ Um einen Einblick in die biologischen Vorgänge zu go-
winnen, muĝ man darauf ausgehen, den Abbau des Anogons im
Organismus zu beobachten, da ja schließlich die Aktivität des
rn auf a rande e und Quecksilber zurückzuführen
; e geschieht dies und welche i i
Vorgang im lebenden Gewebe? ne nn en
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1592
_ Tnjiziert man Anogon intramuskulär und untersucht mit
Hilfe des Mikroskops nach gewissen Zeitabständen die Injektions-
stelle, so erhält man Resultate, welche die Fragen nach Reaktion
und Resorption dieser Jod-Quecksilberverbindung bis zu einem
gewissen Grade beantworten und zugleich weiterhin Material liefern
zur Erklärung, wie es sich mit der Ionenkonzentration verhält. Da
in diesen Vorgängen, wie bemerkt, der Hauptunterschied in den
einzelnen Hg-Verbindungen zu suchen ist, so muß ein Vergleich
von verschiedenen Jod-Hg-Verbindungen bei Anstellung des Ver-
suchs instruktiv sein, wenn er mikroskopische Bilder liefert, welche
den Anogonbildern zur Seite gestellt werden können. Bei niedri-
gen Jod-Quecksilberverbindungen scheint dieser Gewinn , jedoch
zweifelhaft. | |
| In der Tat bietet auch beispielsweise das Quecksilberbijodid in
seinem Verhalten zum Gewebe dem Auge nichts, was die Reaktion und
Resorption dieses Körpers im entferntesten so deutlich vorführt, als es
Referatenteil.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
beim Anogon anschaulich wird. Im Anschluß an die Anogonversuche
lassen sich über diese in gewissem Sinne Kontroliversuche mit Hg)?
noch ein paar Worte sagen mit dem Resümee, daß sie wenig glücklich
ausgefallen sind.
Mit den Anogonversuchen verhält sich die Sache anders.
Wie bereits betont, stellt das Anogon eine kompliziertere organi-
sche Verbindung dar, von der sich ein typischer Zerfall im Orga-
nismus vermuten läst, und zwar wird dieser Zerfall eine Reihe von
Stadien zu durchlaufen haben. |
In der vorliegenden Arbeit ging die Aufgabe dahin, mikroskopische
Bilder zu gewinnen, welche diese einzelnen Stadien illustrieren. Dies
war wiederum nur möglich, wenn eine ziemliche Menge Material vorlag.
Ein Protokoll über sämtliche Tierversuche zu geben, erscheint jedoch an
dieser Stelle nicht am Platze. Eine Auswahl wird genügen, um Zweck
und Ergebnis der vorliegenden Versuchsreihe vor Augen zu führen. Die
Wiedergabe des lokalen pathologischen Befundes im Bereiche der Injek-
tionsstelle wird dabei für den Sektionsbericht ausreichend sein.
(Schluß folgt) _
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Chirurgie bei Lungentuberkulose und Schwangerschaft
von Prof. H. v. Bardeleben, Berlin.
Chirurgische Eingriffe am Generationstraktus der Frau in
der Schwangerschaft wegen Tuberkulose der Atmungsorgane er-
heischen eine besondere dringliche Begründung. Handelt es sich
doch dabei um die Unterbrechung des keimenden Lebens eines in
der Entwicklung begriffenen Foetus oder um Verstümmelung oder
Entfernung im allgemeinen gesunder Organe der Mutter.
Verschlimmerungen . sogenannter chirurgischer Tuberkulosen
sind während der Gravidität wiederholt beobachtet worden. Wir
befinden uns denselben gegenüber aber meist in der glücklichen
Lage, nötigenfalls gegen die Erkrankung . selbst vorgehen zu
können, ein wirksames direktes Hilfsmittel, welches uns bei der
Lunge fehlt (künstlicher Pneumothorax?). Findet bei Lungen-
tuberkulose eine wesentliche Verschlechterung infolge des Ge-
stationsprozesses statt, so bleibt uns nur die Alternative, dem
Fortgange des Verderbens tatenlos zuzusehen, oder aber die Quelle
des Uebels anzugreifen, sei es nun, daß dieselbe von der Frucht
allein ausgehe oder von den veränderten Genitalorganen selbst
weiter unterhalten wird, sofern und solange interne Mittel hierfür
nicht vorhanden sind.
| Die grundlegenden Fragen, deren Beantwortung Vorbedingung
ist, lauten demnach: 1. Leistet Schwangerschaft, Geburt und
` Wochenbett der Tuberkulose der Lungen in verderblicher Weise
Vorschub? 2. Gibt es ein Mittel, den verderblichen Fortschritt
ohne Schwangerschaftsunterbrechung aufzuhalten? 3. Rechtfertigt
die Prognose der Kinder tuberkulöser Mütter, das Leben des
unentwickelten Foetus dem Leben der Mutter gegenüber geringer
zu bewerten? . En 7
Nach Erledigung dieser drei Vorfragen wäre darüber zu
entscheiden: 1. Ob die Unterbrechung der Schwangerschaft in
allen Fällen von Lungentuberkulose geboten ist? 2. Ob die Ent-
fernung der Frucht allein in allen Fällen genügt, um die Ver-
schlechterung und deren Nachwirkungen auszugleichen? Endlich
wären außer diesen rein wissenschaftlichen ärztlichen Gesichts-
punkten die rein subjektiven und sozialen Momente zu erörtern.
„Hat es auch manchmal den Anschein, als ob während der
Gravidität ein Stillstand des Leidens eintrete, so bleibt doch die
Verschlimmerung im Wochenbette nicht aus und zeigt dann um
so deutlicher, welch raschen Fortschritt die Lungenerkrankung
genommen hat.“ Mit diesen knappen treffenden Worten kenn-
zeichnet Bumm den wahren Sachverhalt des Einflusses von
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett auf die Lungentuber-
kulose Die irrtümlichen Deutungen, welche lange Zeit vor-
herrschten, sind in diesem Ausspruch aus ihren Fehlerquellen
deutlich ausgedeckt. Wir erkennen sie wieder in den Ansichten
einiger. Autoren, welehe auch heute noch neben einer stattlichen
Anzahl von Aerzten älterer Schule an dem überholten Stand-
punkte vergangener Zeiten zähe festzuhalten bestrebt sind. Ich
zitiere als Beleg Wernichs Bemerkung, daß chronische. pneu-
monische Prozesse in der Gravidität milder verlaufen und geradezu
den Glauben an eine gewisse Latenz erwecken, und die Worte
Ruehles: „Während die Gravidität meist Stillstand- bewirkt,
bewirkt. das Wochenbett einen floriden Verlauf und führt zuweilen
in wenigen Monaten zum Tode.“ Auch der statistischen Fehl-
a a ei
schlüsse Weinbergs, deren Fehlerquellen Heimann in über-
zeugender Weise nachweist, sei an dieser Stelle gedacht. |
Die Zahl der Autoren und die Zahl der Fälle, welche den ver-
hängnisvollen Einfluß von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
illustrieren und erhärten, ist bereits sehr reichhaltig und noch ständig
im Wachsen. Ich nenne nur von umfassenderen Arbeiten von Rosthorn,
Kaminer, Fellner, Deibel, Heimann, Schauta, Pradella,
Pankow, Hofbauer, Reiche, van Ysendick, Eich, Frischbier,
Maragliano, Zirkel.
= Heimann berechnete aus den Angaben von fünf Autoren die
Verschlimmerung der Lungentuberkulose in Schwangerschaft und Wochen-
bett auf 73,4°/o.. Auffallend ist der Tatbestand, dab Herrmann und
Hart! experimentell den schädlichen Einfluß an Meerschweinchen nahezu
mit der gleichen Prozentzahl angeben, nämlich mit 71,2°/0, erkenntlich
an dem schnelleren und weiteren Umsichgreifen der Verkäsungen, welche
auch in 73,800 die Lebensdauer abkürzten, Im einzelnen erwähne ich
folgende Zahlen: Kaminer 80°, Pradella 90°, v. Rosthorn 100 %,
Fellner 68,3%, Reiche 77,30), Verschlimmerung.
Für die Mortalitätsberechnung trifft die erforderliche Frist der
Nachbeobachtung unter anderem zu für Reiche 45,5 0, Pradella 26%,
Lebert 72%, Kaminer 61°. Schauta berechnet aus alledem eine
Verschlimmerung von zirka 75 0/ und eine dadurch bedingte Mortalität
von zirka 50 °/o. |
Aus den zahlenmäßigen Angaben von 19 Autoren, welche Pankow
aufführt, ergibt sich eine durchschnittliche Mortalität von 47/0, und
zwar als niedrigste Zahl 6,40, (Eich) und als höchste Maragliano 94%
und Ploos van Amstel 10006. Der Durchschnitt der Verschlimme-
rung aus den Zahlen von 14 Mitteilungen ergibt 79,6°/ mit 88 %o
(Freund) als niedrigster und dreimal 100 °;o als höchster Angabe (Ploo8,
van Ysendick, v. Rosthorn). Pfannenstiel beobachtete die Ver-
schlimmerung im ganzen in 72,8°/0, davon 62,3 0/0 in der Schwangerschaft,
10 0/0 im Wochenbett. Aehnlich sah Eich die Aggravation in 20%,
davon 640/0 während der Gravidität, 11/0 während des Puerperiums.
Der Fortschritt der Lungentuberkulose im Wochenbette wird aller-
seits besonders gefürchtet. Pradella beobachtete dies in drei Fünftel
seiner Fälle, van Ysendick 21 mal von 26 Fällen und Reiche sah von
92 tuberkulösen Schwangeren, deren allerdings nur fünf das Ende der
Schwangerschaft ohne tiefere Schädigungen erreichten, zehn im Wochen-
bette sterben, und zwar sind zwei von den fünf scheinbar in der Schwanger-
schaft weniger Geschädigten unter den Toten. Flint konnte das Auf-
treten der tuberkulösen Lungenerkrankung unter 87 Fällen 22 mal auf
Gestationsvorgänge zurückführen, davon zwölfmal, also über die Hälfte
auf das Wochenbett. Schlimpert bezeichnet auf Grund pathologisch-
anatomischer Nachforschungen das rechtzeitige Wochenbett als den Höhe-
punkt der tuberkulösen Sterblichkeit in der Gestationsperiode des
Weibes, eine Tatsache, die Rudolf Virchow bereits vor 40 Jahren
hervorgehoben hat. Und Pankow, welcher unter 128 Fällen das Auf-
treten des tuberkulösen Lungenleidens 16 mal auf das Wochenbett zuräck-
zuführen vermochte, erinnert an die Möglichkeit einer Ausbreitung or
Tuberkulose von der Placenta her, welche in letzter Zeit immer häufiger
auch bei leichteren Erkrankungen der Lunge nachgewiesen worden ist,
und zugleich zur Erklärung der relativen Häufigkeit einer Miliartuber-
kulose im Wochenbette mit herangezogen werden könnte. |
Aus dem Gesagten erscheint die Prognose schon deshalb
zweifelhaft, weil die Zahl derjenigen Fälle, deren plötzlicher mn
bett fällt, nicht unbeträchtlich ist.
nicht, vermag im: Einzelfalle niemand mit Sicherheit vorauszusagel.
Hierzu kommt noch die bedenkliche Erscheinung, daß der F gr
schritt des. Lungenleidens nicht allzu selten erst in’ der zweiten
Hälfte der Schwangerschaft stattfindet. Solche Fälle habe ich
wiederholt beobachtet, und Pankow gibt hierfür gleichfalls trof
liche Belege. Aber auch diese Kenntnis ist nicht neu. Sie, ist
29. September.
nur kurze Zeit übersehen worden.. Fellner berichtet 1903 aus
dem großen Material der Schautaschen Klinik, daß er unter
270 Fällen von 65, die sich erst in der Schwangerschaft dokumen-
tierten, 18 mal die fortschreitende Erkrankung in der zweiten Hälfte
der Schwangerschaft beobachtete, und zwar mit einem für die
Mutter und die Kinder besonders schlechten Ausgange. Deibel
gibt die ungünstige Wendung sogar häufiger an für die späteren
Monate mit 40%, .gegen 240/ in den früheren. Ä
Aus diesem Erfahrungssatze, daß der Verlauf der Lungen-
tuberkulose zu Beginn der Schwangerschaft kein bündiges Urteil
über den endgültigen Ausgang zuläßt, wurde vielfach die logische
Schlußfolgerung gezogen: Der Prozentsatz der Todesfälle und der
fortschreitenden Verschlimmerungen ist für Lungentuberkulose in-
folge der Gestationsvorgänge sehr groß. Wann die Verschlimme-
rung stattfindet, ist ungewiß. Daher ist bei jeder nachgewiesenen
Lungentuberkulose unverzüglich die Schwangerschaft zu unter-
brechen. Das ist der Standpunkt von Maragliano, Cucei,
Acconzi, Hamburger, Heimann, Pradella, Schauta.
Unterstützt wird diese Ansicht durch drei Momente:
1. Alle wissenschaftlichen Erklärungsversuche, welche dem
Wesen des Zusammenhangs zwischen Progredienz der Tuberkulose
und Schwangerschaft gelten, deuten darauf hin, daß Veränderungen
daran Schuld sind, welche für die Schwangerschaft typisch und
von ihr unzertrennlich sind. Die einfache Tatsache, wie viel emp-
fänglicher schwangere Tiere für die Infektion mit Tuberkelbacillen
sind als nichtschwangere, illustriert am deutlichsten das Experi-
ment von Blau, welcher 13 Meerschweinchen in gleicher Weise
durch Einbringen von Tuberkelbacillen in die Scheide behandelte
und die Infektion nur bei den einzigen drei schwangeren Tieren
erzielte. Durch die Ueberschwemmung. des Bluts mit Lipoiden
(Neumann und Herrmann, Heynemann) wird ein besserer
Nährboden für den Tuberkelbacillen geschaffen, wie das Cristo-
foletti und Thaler auf Kulturen und Hofbauer am Tier-
experiment gezeigt haben. Nach Stern, welcher das Absinken
der Reaktionsfähigkeit auf Tuberkulin als charakteristische Eigenart
gesunder Schwangerer, besonders gegen Ende der Schwangerschaft
nachwies, nähert sich die Schwangere allmählich dem Zustande
der „Tuberkulosewehrlosigkeit Neugeborener“. Dazu kommen die
Veränderungen in der Schleimhaut der Bronchien, vor allem aber
im Kehlkopfe, welche Hofbauer beschrieben hat, endlich die rein
mechanischen Momente. „Sieht man doch häufig genug latente
Tuberkulose bei excessiven körperlichen oder auch geistigen An-
strengungen aktiv werden, oder offene stark fortschreiten“, sagt
Henius. Man braucht sich also obige Deduktionen nicht völlig
zu eigen machen, und es erscheint dennoch verständlich, „daß ein
Organismus, dessen Kräfte erheblich mehr als gewöhnlich in An-
spruch genommen werden, nicht so viel Schutzkräfte gegen die
tuberkulösen Infektionen mobilisieren kann, wie unter andern Ver-
hältnissen“. Sellheim faßt denselben Gedankengang in anderer
Form und gibt ihm eine noch breitere Grundlage. Die bekannten,
überzeugenden Erklärungen von Hanau und A. Fränkel für das
plötzliche verderbliche Aufflackern von Lungentuberkulose kurz
nach der Entbindung beruhen auf ähnlichen Anschauungen. End-
lich schafft der schwangere Zustand physiologische Verhältnisse,
welche man sonst bei Tuberkulose findet, Labilität und Herab-
setzung des opsonischen Index, aktivierende Kraft des Serums auf
die Cobragift-Pferdeblutkörperchenhämolyse (Calmette, Bauer
und Lehndorff, Heynemann). N:
2. Günstigere Lebensverhältnisse und Pflege in Sanatorien
verbessern die Prognose gar nicht oder unwesentlich. Den Beginn
der Lungenerkrankung führt Turban unter 62 Frauen in guter
bis vorzüglicher Lebensstellung 18mal oder in 29°/, auf den Ge-
stationsvorgang zurück, während Jacob und Pannwitz bei ein-
facheren Frauen für diesen Entstehungsmodus nur 25 °/ angeben,
Smal unter 337 phthisischen Frauen. Essen-Moeller hatte
selbst bei leichteren Erkrankungen und Sanatoriumbehandlung
50 %/ Todesfälle oder wesentliche Verschlechterung. Albeck verlor
von 16 bessergestellten tuberkulösen Patientinnen, welche ihre
Schwangerschaft im Privatsanatorium absolvierten, sechs innerhalb
eineinhalb Jahren, und Burckhardt konnte in Arosa, also unter
den besten klimatischen Vorbedingungen unter 15 ebensolchen
atientinnen nur siebenmal bei leichterer Erkrankung feststellen,
daß der ganze Gebärvorgang ohne nachteilige Folgen geblieben
war. Am besten aber. ist die geringe Aussicht der Heilstätten-
behandlung für tuberkulöse Schwangere daraus ersichtlich, daß
dieselben davon meist ausgeschlossen werden. Ich selbst mußte
es dreimal erleben, daß junge Frauen in der günstigsten Lebens-
lage nach 'klimatisch - diätetischer Behandlung eines „Spitzen-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. 1593
katarrhs“ in der Schwangerschaft im Anschluß an die Entbindung
innerhalb weniger Wochen oder Monate zugrunde gingen. Sie
waren alle Erstgebärende und hatten während der Schwangerschaft
an Gewicht zugenommen, . und diese augenscheinlich erhebliche
Besserung des Allgemeinbefindens täuschte über den wahren Sach-
verhalt hinweg. Zn | -
3. Die Prognose der Kinder von tuberkulösen Müttern 'is
eine sehr ungünstige. | E
Weinberg fand, daß die Häufigkeit der Totgeburten doppelt so
hoch sei, wie bei gesunden Müttern. Die vorzeitige Ausstoßung der
Frucht bezeichnet er gleichfalls als recht häufiges Vorkommnis (ein
Viertel der Geburten). Von den Kindern, deren Mütter innerhalb eines
Jahres nach der Geburt an Tuberkulose starben, gingen von Lebend-
geborenen noch 67,9% im ersten Lebensjahre zugrunde, und von den
Kindern der im Wochenbette Verstorbenen sogar 78,8 %/0, von später ge-
storbenen Müttern noch 65 °%/. Deibel berechnet die Sterblichkeitsziffer
gleichfalls auf 78%, und Ploos van Amstel-teilt mit, daß von 17 Kin-
dern eins totgeboren wurde und zwölf im ersten Lebensjahre starben.
Pankow gibt für die Kinder von Frauen mit manifester Tuberkulose
54,50%, für solche latent tuberkulöser Mütter 25,9%. an als Sterbezahl.
Die Ursache liegt nicht sowohl in der placentaren Uebertragung (Sitzen-
frey, Jung, Burckhardt und Andere), als auch in der zweifellos recht
oft gegebenen kongenitalen Disposition der Kinder im Verein mit der
ständigen Infektionsmöglichkeit aus ihrer tuberkulösen Umgebung.
Schäffer hat berechnet, daß das Geburtsgewicht von Neugeborenen
tuberkulöser Mütter durchschnittlich 800 g geringer ist und daß die Ge-
wicehtsabnahme aller Kinder von tuberkulösen Müttern am 14. Lebenstage
6,2 %/o beträgt gegen 0,14 °/, kei Gesunden. Bossi versuchte für diese
Tatsachen und zugleich für die Begründung der „Disposition“ einen intra-
uterinen Uebergang von Placentartoxinen in den Fruchtkörper als Aetio-
logie aus dem Tierexperimente nachzuweisen (durch intraperitoneale Ein-
verleibung von Placentarstückchen).
Die Kinder tuberkulöser Frauen sind daher in der Tat „ein
minderwertiger Beitrag zur Volksvermehrung“, und Bumm ruft
mit Recht aus: „Was wollen Sie mit so einem tuberkulösen Fötus?*
„Ist es wirklich für das Volk ein Nutzen, solche tuberkulöse
Nachkommenschaft zu züchten?“ Schauta bestätigt die schlechten
Aussichten der Kinder und tuberkulösen Mütter selbst für die
besten Gesellschaftskreise: „Die Frauen sterben und die Kinder
bleiben schwächlich und krank und erreichen selten das zwan-
zigste Lebensjahr trotz glänzender äußerer Lebensbedingungen.“
Aber der radikale Grundsatz von Maragliano und
Schauta schließt alle Fälle von Lungentuberkulose mit ein in
die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft, welche die-
selbe ohne Schaden überstanden hätten, wie ja die Statistik aus-
weist. Begreiflich und berechtigt ist daher das Streben, diese
bevorzugte Minderzahl herauszunehmen, ihre Merkmale zur Ent-
scheidung in jedem Einzelfall kenntlich zu machen. Dieser indi-
vidualisierende Standpunkt hat die meisten Anhänger, obschon
gerade die gründlichsten und ernstesten Versuche denselben aus-
zubauen und zu begründen, die Unmöglichkeit klarlegen. A. v,
Rostborn und A. Fränkel haben ihr Forschen und Wissen
dieser Aufgabe eingehend gewidmet, nach Charakter der Lungen-
erkrankung, nach Ausdehnung des Prozesses nach Komplikationen
einheitliche, übersichtliche Gesichtspunkte zu schaffen, und Henius
hat das gleiche Ziel mit umfassender Gründlichkeit angestrebt.
Die Differenz beider gleichgerichteten Forschungen in ihren Re-
sultaten ist bereits auffällig. Wir kennen zweifellos Formen mit
unbedingt schlechter Prognose, initiale Fälle (Kaminer, Larcher,
Burckhardt), von denen v. Rosthorn 8/5 im Wochenbette
sterben sah, ferner Kehlkopftuberkulose. Kuttner berichtet über
100 Schwangere mit Kehlkopftuberkulose, von denen sieben : die
Niederkunft überlebten, sechs unterbrochen wurden, 87 noch
während der Schwangerschaft starben. Ominöse Anzeichen: sind
auch höheres Fieber und starke Gewichtsabnahme, beides vielleicht
Folgen der Giftwirkung, schnelle Ausbreitung des lokalen Vor-
gangs und reichlicher Nachweis von Bacillen im Sputum. Hof-
bauer fand unter den posiliven Fällen 790/, Verschlimmerung
gegenüber 210%/, bei negativem Bacillenbefund oder fehlendem
Sputum. | 3 |
Die meisten Autoren der individualisierenden Richtung ver-
langen den Nachweis der Beobachtung, daß die Lungentuberkulose
durch die Schwangerschaft verschlimmert wird. Aus den obigen
tatsächlichen Berichten geht die Bedenklichkeit und Aussichts-
losigkeit dieser Forderung zur Genüge hervor. „Hoereditäre Be-
lastung“ oder „soziale Verhältnisse“ können schlechterdings nicht
als ernste Indikationen anerkannt werden.. Schlußfolgerungen aus
dem Verhalten in der einen. Schwangerschaft auf. eine andere sind
nicht stringent. Ich habe Frauen ohne Schaden austragen lassen
können, bei welchen mich 1!/2, 2 Jahre vorher eine strikte An-
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1594
zeige zur Notwendigkeit der Unterbrechung geführt hatte. Ebenso
kann die zweite, die dritte, ja eine noch viel spätere Schwanger-
schaft verderblich werden, nachdem die vorhergehenden spurlos
verlaufen waren (Pankow, Fetzer, Hofbauer, Verfasser). Allzu
einseitige Berücksichtigung einer Beeinflussung des Allgemein-
befindens, insbesondere der Gewichtsverhältnisse, wie dies nament-
lich Veit getan hat, ohne uns hinreichende tatsächliche Belege
hierfür zu erbringen, kann leicht zu verhängnisvollen Trugschlüssen
führen. Ich nannte bereits drei typische Beispiele aus eigner Er-
fahrung. Pankow hat solche Beobachtungen mehrfach gemacht,
und Kaminer hat darauf bereits mit Nachdruck hingewiesen, daß
das Allgemeinbefinden sich gelegentlich wesentlich heben, der
tuberkulöse Prozeß aber- trotzdem verderblich weiter fortschrei-
ten kann. |
Kraus bekennt, daß er nicht imstande sei, aus dem klini-
schen Befund eine ‘sichere Prognose zu stellen. Menge will
keinen künstlichen Abort mehr ausführen, weil er keine bestimmte
Anzeige im Einzelfall kennt. Tuberkulinimpfung, Diazoreaktion,
Agglutination sind auch von denen, die sie früher als zuverlässige
prognostische Methoden empfahlen, jetzt schon wieder teilweise
verlassen oder doch soweit eingeschränkt in ihrer Bedeutung, daß
sie ihren praktischen Wert verloren haben (Wolff-Eisner,
Calmette, E. Martin, Stern, Kaminer, Engelbach und
Shankland und Andere). v. Rosthorn und A. Fränkel
stürzen selbst die Grundfesten ihres Standpunkts, wenn sie die
Leitsätze voran stellen: „Die Schablone ist hier wie in der ge-
samten Medizin das Falsche“ und „Es gilt im ganzen der Satz,
daß die Prognose der Tuberkulose einer Graviden zusammenfällt
mit der Prognose des Tuberkuloseprozesses“, dann aber damit
schließen, daß gerade der Erfahrendste oft Täuschungen ausgesetzt
sei und die Schwierigkeit und Unsicherheit auf dem Gebiete der
Prognose der Tuberkulose die Schuld daran trage, „wenn es uns
heute noch nicht möglich ist, bestimmte Gesetze für die Not-
wendigkeit und den Zeitpunkt der künstlichen Unterbrechung der
Gravidität festzustellen“. o |
Demgegenüber beschreiten einen Mittelweg diejenigen Autoren,
denen die absolutistische Richtung zu weitgehend und das Indivi-
dualisieren zu ünzuverlässig erscheint, indem sie eine glatte Zwei-
teilung vornehmen in aktive, klinisch-manifeste und in latente in-
aktive Fälle, die einen mit besonders schlechter und die andern
mit relativ guter Gesamtprognose (v. Romberg, Bandelier und
Roepke, :Wolff-Eisner, Sellheim, Pankow, Fetzer, Ver-
fasser). Der grundverschiedene Verlauf beider diagnostisch gut
abgrenzbaren Formen von Lungentuberkulose bedingt die Ver-
schiedenheit der angegebenen Zahl in den oben erwähnten Sta-
tistiken, welche meist beide Formen einschließen. Auf diesen Um-
stand hatte ich bereits durch Gegenüberstellung der Extreme hin-
gedeutet, wobei freilich die Fehlerquelle einer ungenügend langen
Nachbeobachtung gleichfalls nicht außer Acht gelassen werden
darf. Reiche konnte an einem größeren Materiale den Satz er-
härten, daß aktive Tuberkulose häufig deletär beeinflußt wird, oft
auch in den prognostisch besten Formen, in denen die Lungenaltera-
tionen noch keine größere Ausbreitung gewannen, während um-
schriebene, rückgängig und obsolet gewordene Lungensch windsucht
keine so erhöhten Gefahren in sich schließt.
Der Unterschied läßt sich zahlenmäßig in überzeugender
Weise normieren. Von den 23 eignen Beobachtungen Kaminers,
welche der Beschreibung nach den manifest aktiven Prozessen zu-
zurechnen sind, starben 14 gleich 61 ?/ọ und zwar T im Wochen-
bette. Von 13 Fällen Fetzers mit inaktiver Lungentuberkulose,
bei denen die Unterbrechung der Schwangerschaft eben deshalb
abgelehnt wurde, blieben 12 unverändert. Pankow erlebte bei
latenter Tuberkulose 14%, Verschlechterung und 3,50/, Todes-
fälle, bei manifesten Verschlimmerungen 94,5°%/, Verschlimmerung
und 56,8, Verluste, ich selbst bei manifest aktiven Prozessen
86 0/9, bei inaktiven latenten 20°/. Verschlimmerung. Die Ein-
deutigkeit seiner gesamten Ergebnisse bestärken Fetzer mit Recht
in der Ueberzeugung, daß sich diese beiden Kategorien von
Lungentuberkulose mit genügender Sicherheit voneinander trennen
lassen. Es ergibt sich daher für die Indikation der einfache
Grundsatz: |
Klinisch-manifeste aktive Lungentuberkulose in-
diziert die künstliche Unterbrechung der Schwanger-
schaft, 2
Aber alle diese Deduktionen würden für die Notwendigkeit
der künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung nicht beweiskräftig
genug sein, wenn nicht die Erfolge, welche damit erzielt wurden,
ihre Berechtigung außer Frage stellten. Die Schädlichkeit des
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29. September.
Gestationsvorgangs haben selbst die strengsten Gegner, wie Pi-
nard, Bonnaire, Budin, Pozzi, Magnetta, niemals geleugnet.
Sie hielten nur den künstlichen Abort für unlogisch, da ja nach
seinem spontanen Eintritte niemals Besserung erfolge (Pinard).
Es ist jetzt zur Genüge bekannt, daß spontane Schwangerschafts-
unterbrechung bei Lungentuberkulose das Signum mali ominis par
excellence bedeutet. Am sichersten werden aber solche Vorurteile
durch die einwandfreien Ergebnisse widerlegt, welche uns zur
Verfügung stehen.
‚ Für den künstlichen Abort geben als Sterblichkeitsziffer an Ka-
miner 13,3°/, (2 t von 15), Pradella 16° (5 } von 32), Verfasser
17° (7 T von 41), also insgesamt 14 f von 88 oder 15,9%. Wenn
man die Patientin bis zu ihrem Ableben im Auge behält, wie das in
obigen Zusammenstellungen der Fall war, läßt es sich sehr wohl be-
urteilen, ob der Todesfall auf die Verschlechterung nach oder infolge
der Schwangerschaft und ihrer frühzeitigen Unterbrechung zurückzuführen
ist oder nicht. Die nachweisliche Frist liegt bis zum Maximum von 5)
bis 1/a Jahren, darüber und darunter würde also die ausschließliche Be-
rücksichtigung der Sterblichkeitszahl leicht Zerrbilder von der Wirklich-
keit geben. |
PR Die Resultate sind naturgemäß verschieden, je nach dem Grade,
bis zu welchem der ne Byron zur Zeit der Unterbrechung bereits
fortgeschritten war. Dies tritt schon deutlich zutage, wenn allein die
Turbansche Einteilung zugrunde gelegt wird. Wir finden da für die
drei Stadien in der Sammelstatistik von Pradella eine Mortalität von
6%), für 10, 25% für 20, 100°, für 30, bei Pankow aus 68 eignen
Fällen einen ungünstigen Einfluß (gestorben. oder verschlechtert) von
10%, 40%, 100%. l (Schluß folgt.)
Sammelreferate.
Neues von der Staroperation
von Priv.-Doz. Dr. ©. Adam, Berlin.
1. Die Starextraktion in der Kapsel.
Soweit auch sonst die verschiedenen Cataractoperationen in
ihren Details differieren, in dem einen stimmen sie aber überein,
daß sie den Linsensack im Auge belassen und nur den Sackinhalt,
das heißt die getrübte Linse, herausbefördern. Man tut dies aus
doppelten Gründen. Einmal bietet der Linsensack einen gewissen
Schutz gegen Glaskörperverlust und zum andern birgt seine Ent-
fernung deshalb Gefahren in sich, weil der Sack mit dem Corpus
ciliare innig verwachsen ist und ein Zerren und Reißen an diesem
empfindlichen Gebilde leicht Störungen in Gestalt einer Ent-
zündung (Cyclitis) im Gefolge hat. Anderseits kann nicht ver-
hehlt werden, daß auch der zurückbleibende Sack manche Unan-
nehmlichkeiten im Gefolge hat. Er kann sich trüben und dadurch
das neu gewonnene Sehvermögen wieder verschlechtern und Anlaß
zu neuen Operationen geben, außerdem ist er die Ursache, daß häufig
Linsenreste, die in engem Zusammenhange mit ihm stehen, im
Auge zurückbleiben und das Operationsresultat beeinträchtigen.
Trotzdem hat man die Unannehmlichkeiten (also eventuell Nach-
operation, geringerer Operationseffekt) für minder bedeutsam ge-
halten als die Gefahren, die die Entfernung der Linse inklusive
Sack (Glaskörperverlust, Cyelitis) in sich schließen, und hat den
Sack infolgedessen im Auge belassen.
Da kam ein kühner Mann, ein englischer Stabsarzt in indi-
schen Dienst, der Major Smith in Jullundus, und hatte den Mut
diese europäischen Bedenken über den Haufen zu werfen und eine
Methode auszuarbeiten, die es gestattete, die Linse mit samt der
Kapsel zu entbinden. Der Streit wogt hin und her, hie Smith,
hie Anti-Smith; ein Streit, in dem selbst das persönliche Mo-
ment nicht fehlt; noch hat man sich kein abschließendes Urteil
über den Wert und Unwert der Methode bilden können, die fol-
genden Referate geben ein Bild von dem Widerstreit der Meinungen.
‚ Lister (1) berichtet über 98 Fälle, die aus Tausenden von
Major Smith operierten Patienten zusammengestellt werden, bel
denen Glaskörper bei der Extraktion ausgetreten waren. In keinem
dieser Fälle war nach Jahren eine Netzhautablösung aufgetreten.
Achtmal fand sich eine Funduserkrankung. Astigmatismus über
eine Dioptrie kam selten vor. Eine direkte Folge scheint der
Glaskörperverlust nicht zu haben. | ur
Timbermann (2) ist ein begeisterter Anhänger der Smith-
schen Operation, die er selbst für komplizierte Fälle empfehlt.
In einer Debatte über die Smithsche Operation führt
Sattler (3) an, daß er diese Methode nur in den Fällen 88-
brauche, wo er deutlich eine Schwellung der Linse und abgerundete
Ränder feststellen könne. Auch empfiehlt er die präparatorische
Iridektomie. Timbermann macht ebenfalls die Iridektomie ut
hebt hervor, daß die Iritis nach der Smithschen Operation wesent-
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
1595
lich seltener auftrete, als nach den üblichen Methoden. Standish
macht die Smithsche Operation in den Fällen, in denen eine cen-
trale Trübung lange Zeit stationär geblieben ist. Weil bespricht
und empfiehlt die Smithsche Kataraktoperation. |
Fräulein Sephard (4) berichtet über 650 Linsenextraktionen
in der Kapsel und sieht die Vorteile der Operation in folgendem:
Geringere Gefahr der Iridocyelitis wegen F'ehlens von Corticalis
und Kapselresten, bessere Sehresultate und Ausbleiben der Nach-
staroperation. |
Nevin de Pontius (5) dadegen ist der Meinung, daß die Be-
funde der Smithschen Operation beträchtlich schlechter ‘seien, als
Smith selbst annimmt. So sah er ihn einenjungen Myopen nach seiner
intracapsulären Methode operieren, wo er seiner eignen Aussage
` nach weder von dem Zustand des Glaskörpers, noch von der Höhe
der Myopie unterrichtet war. Während der zehn Tage seines Auf-
enthalts in Jullundur sah Nevin de Pontius keinen Fall, der
ophthalmologisch oder mit seitlicher Beleuchtung untersucht oder
dessen Refraktion geprüft worden wäre. Durchschnittlich ver-
lassen die Patienten am Ende der ersten Woche das Krankenhaus,
um ohne weitere Prüfung in ihre Heimat zurückzukehren. Nur
‚wenige erhalten später eine Brille. Er wendet sich dann mit
einigen Worten gegen den Vorwurf Smith, daß er undankbar
und insdiskret sei und schließt mit den Worten: daß ein Mann
mit den Mitteln und der Geschicklichkeit Smiths gute Resultate
nach verschiedenen Methoden erzielen würde, daß aber seine An- -
sicht, die Operation wäre für alle Fälle geeignet, nichts weiter als
Halsstarrigkeit sei. i
Moreau (6) beschreibt seine Erfahrungen betreffs der Linsen-
extraktion in der Kapsel. Er läßt die Iris vollkommen intakt,
weil er sich vorstellt, daß sie ein Schutz gegen Glaskörperverlust
bedeutet. Das Sehvermögen war von 33 Fällen im Durchschnitt
ein gutes, nur vier Fälle hatten ein geringes Sehvermögen als 1/10.
Diese letzteren hatten alle starken Glaskörperverlust gehabt. Auch
bei den Fällen mit !/; Sehvermögen war Glaskörperverlust erfolgt.
Sechsmal trat Irisprolaps auf und verminderte dadurch den end-
gültigen Effekt, während die 24 Fälle, in denen kein Zufall ein-
trat, eine Sebschärfe mehr als 1/4 bekamen. Spätere Iridocyelitis
wurde nicht beobachtet. Moreau schließt seine Ueberlegung mit
den Worten: Die Operation ist schwierig, sie erfordert eine lange
Erfahrung, Glaskörperverlust kann nicht immer vermieden werden,
die Operation ist ungeeignet für unruhige Patienten und solche
Augen, die eine Herabsetzung des intraokularen Druckes zeigen.
Fink (7) gibt als Kontraindikation für die Extraktion der
Linse in der Kapsel folgende an: zu geringer Hornhautdurch-
messer, flache Vorderkammer, zu kleine und zu große Linse,
| Greene (8) ist der Meinung, daß die Smithsche Star-
operation nicht in allen Fällen indiziert‘.sei, z. B. kann ein zu
kleiner Hornhautdurchmesser (9!/2 mm statt 11) hinderlich für den
Austritt der Linse bei geschlossener Kapsel sein. Auch fordere
die Operation große operative Erfahrung und genaue Abwägung
der Indikationen und Kontraindikationen. |
| Eason (9) ist der Meinung, daß die von Smith angegebene
Extraktion der Linse in ihrer Kapsel keine besseren Erfolge gibt,
als die älteren Methoden, aber viel gefährlicher ist.
Stanculeanu (10) hat das Smithsche und sein eignes Ver-
fahren der intracapsulären Kataraktoperation (welches er im letzten
Jahre in Heidelberg beschrieb) angewandt. Mit dem Smithschen
erfahren waren die Resultate ziemlich befriedigend und in der
Mehrzahl der Fälle V =?/s. Trotzdem ist der Autor mit dem-
selben nicht einverstanden, weil man einige Male genötigt ist, die
Schlinge oder den Spatel in den Glaskörper zu schieben; öfters
ergaben sich auch in den folgenden Tagen Blutungen, Glaskörper-
trübungen, Verunstaltung der Pupille und ein starker Astigmatis-
mus. Die von Smith gegebene günstige Statistik ist nur so zu
verstehen, daß er diese Statistik unmittelbar nach der Operation
aufstellte und die Patienten nicht mehr sah. Anderseits ist je-
doch das Verfahren nicht so schwer und das Sehvermögen nicht
so schlecht, wie die europäischen Autoren es darstellen, aber
für den Operateur aufregend und aufreibend.
2. Modifikationen der alten v. Graefeschen Methode.
‚ Die Nachteile der alten v. Graefeschen Methoden sind bereits
teilweise hervorgehoben worden: die Notwendigkeit der eventuellen
achoperatiin und das Zurückbleiben von Linsenresten.
ergegen wendet sich eine Methode der Ausspülung des Kapsel-
sacks nach der Extraktion der Linse.
Das Instrument, das Kuhnt (11) zur Ausspülung des
Kapselsacks benutzt, besteht in einem Gummiballon von 3,
bis 4 em Durchmesser mit einem kurzen, 1 cm langen Schlauche,
der über ein aus feinem Silber gefertigtes Verbindungsstück ge-
zogen und auf einer Rinne mit Silberdraht befestigt wird. Das
benachbarte Ende des Verbindungsstücks besitzt ein Schrauben-
gewinde für die Aufnahme der Kanüle, die wie die Enden der
Branchen einer Iridektomiepinzette abgebogen und an der Spitze
sorgfältig abgerundet ist. Die Kanülenspitze wird über den
Wundrand geführt und die außen den Wundlefzen anhaftenden
Linsenbröckeln weggespült. Hierauf geht man unter stetem
leichten Irrigieren in die Vorderkammer ein und durch die Pupille
in den Kapselsack, zunächst gerade nach unten, etwa 1—2 mm
hinter der Iris. Man ist überrascht, wieviel von den Cortex-
schollen alsbald aus dem Sebloche herauswirbeln. Nunmehr be-
wegt man die Kanüle nasal- und temporalwärts und nach oben,
so weit dies bei schräger Stellung möglich ist. Der Druck muß
gering und gleichmäßig sein. Ungetrübte Linsenmassen kann man
nicht damit entfernen. In keinem Falle hat die Ausspülung des
Kapselsackes bisher schädlich gewirkt. Eine absolute Indikation
ist überall da gegeben, wo nach dem Austritt des Kernes sich
ein mehr oder weniger ausgesprochener Kollaps der Cornea zeigt.
Sehr zu empfehlen ist die Ausspülung bei allen Starformen mit
klebriger Corticalis, speziell bei der Üartaracta morgagniana.
Versuchen sollte man auch die Ausspülung bei allen unreifen.. und
traumatischen zumal stärker quellenden Staren, aber ohne einen
hohen Druck auszuüben und ohne sie lange auszudehnen.
v. Blaskowicz (12) bemerkt zu seinem im vorigen Jahre ge-
haltenen Vortrag über Kammerspülungen, daß er eine zu verdünnte
Kochsalzlösung vorgeschlagen habe, er empfiehlt eine Lösung von
19/9, zu benutzen, das diese dem osmotischen Drucke des Kammer-
wassers entspricht.
Auch Lukens (13) empfiehlt die Irrigation der Vorder-
kammer bei Staroperation zum Zwecke der Vermeidung von Nach-
starresten. Eine Kontraindikation dagegen besteht nur bei un-
ruhigen Patienten, beim Glaskörpervorfall und bei Extraktion der
Linse in der Kapsel. Sonst ist dies ein durchaus gefahrloses
‚Verfahren, das gestattet unreife Katarakte mit demselben Erfolg
zu operieren wie reife.
Um die Irrigation der Vorderkammer zu erleichtern, emp-
fieblt Smith (14), an die Undine ein 8 Zoll langes Rohr anzu-
bringen und dieses mit einem silbernen Mundstücke zu versehen.
Eine andere Schwierigkeit bereitet bei der Graefeschen Me-
thode das Verhalten der Iris. Man unterscheidet die einfache
Extraktion ohne Jridektomie und die kombinierte mit Iridektomie,
Die erste Methode hat den Vorteil, daß sie eine runde Pupille mit
normaler Sphincterwirkung ergibt, sie hat aber den Nachteil, daß
sie relativ häufig zu lrisvorfällen oder Einklemmungen führt, die
einen dauernden. Schaden ‚für das Auge herbeiführen können.
Dieser Nachteil wird zwar durch die Iridektomie vermieden, dafür
wird aber eine andere Unannehmlichkeit, nämlich eine Entstellung
"und ungewöhnliche Erweiterung der Pupille und damit die Möglich-
keit der Blendung eingetauscht. Dies sucht die Methode von
Pflüger-Heß dadurch zu vermeiden, daß sie an der Basis. der
Iris ein ganz kleines Stück Iris exeidiert und den Sphincter un-
‚berührt läßt.
. Haitz (15) hebt die Vorzüglichkeit der Pflüger-Heßschen
Basalexcision hervor, die er im Gegensatz zu der Smith’schen
intracapsulären Operation als das Verfahren der Zukunft bezeichnet.
Auch Weigelin (16) empfiehlt vor allem die Extraktion
mit peripherer Iridektomie. | |
Gallemarts (17) spricht über Starextraktion mit peripherer
Irisexcision nach Heß, die er in 18 Fällen mit gutem Resultat
ausgeführt hat. Er hat eine Pinzette herstellen lassen, bei welcher
‚eine Regulierschraube gestattet, die Spitzen soweit voneinander
zu entfernen, daß kein zu großes Stück der Iris gefaßt werden kann.
Claus (18) berichtet über die Erfahrungen der Freiburger
Klinik hinsichtlich der Kataraktoperation mit Pflügerscher Basal-
excision. Die Erfahrungen sind im allgemeinen bei 93 Patienten
günstige. Bei drei Patienten wurde Irisprolaps beobachtet. Die
‚Methode vereinigt die Vorteile der einfachen Extraktion mit denen
der kombinierten ohne der&n Nachteile, sie gestattet, in manchen
Fällen die runde Pupille zu erhalten, bei denen man sonst eine
einfache Extraktion obne Iridektomie nicht gemacht haben würde.
Elischnig (19) will es noch anders machen, er incidiert nur
die Iris. Er ist der Meinung, daß im allgemeinen die einfache
Extraktion der Katarakt mit Iriswurzelineision der kombinierten
mit Iridektomie vorzuziehen sei. Als Kontraindikation gegen die
einfache Extraktion betrachtet er 1. wenn am Tage vor der Ope-
ration durch Homatropin keine genügende Mydriasis (d. h. unter
Er; =
- now un on re Er N E
A x
1596
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
29, September.
5 mm) erzeugt wird 2. wenn der Patient bei stark hervortretenden
Augäpfeln und abnorm weiter Lidspalte oder abnorm starker
Festigkeit der Lider ein ungünstiges Verhalten nach der Ope-
ration erwarten läßt und 3. wenn bei Bestehen von Fettleibigkeit,
Herzfehler, Bronchitis, Lungenemphysem oder schweren Stoffwechsel-
anomalien nach Extraktion eine Iritis zu befürchten steht. Elschnig
‚hatte unter 233 mit einfacher Extraktion Operierten elf Irisprolapse
== 4,7 lo, bei der kombinierten Extraktion 2,2 0/o. Wenn es zum
Irisprolaps kommt, so excidiert Elschnig ihn nicht mehr, sondern
ineidiert und reponiert ihn in folgender Weise: Nach genügender
Anaesthesierung (subkonjunktivale Cocaininjektion in die Umgebung
des Wundbereichs) wird mit geschlossener Wecker’scher Schere
der Bindehautlappen gelüftet und unter ihm die Wecker’sche
Schere parallel dem Wundrande vorgeschoben, dann wird sie ge-
öffnet (indem die spitze Branche gegen die Cornea sieht) und dicht
an den Skleralwundrand angedrückt, die spitze Branche durch die
Iris durchgestochen und eine kleine Incision gemacht. Mit dem
schmalen Spatel kann man dann auch, wenn der Prolaps schon
drei bis vier Tage alt ist, die Iris leicht reponieren. Die beste
Prophylaxe gegen den Irisprolaps ist die Incision der Wurzel.
Seitdem er diese Methode benutzt hat, hat er unter 100 Fällen
keinen Prolaps mehr gesehen. Er geht dabei in folgender Weise
vor: Nach Eröffnung der vorderen Linsenkapsel durch die Kapsel-
pinzette wird der Rand des Bindehautlappens mit der Pinzette ge-
faßt und der Corneallappen aufgeklappt. Alsdann wird die Iris
mit der kleinen Wecker’schen Schere dicht am Skleralwundrande
mit der spitzen Branche eingestochen, etwas hoch gehoben und
eine Incision von höchstens 1 mm Länge parallel dem Hornhaut-
rand ausgeführt. Die Wurzelineision ist nicht nur leichter wie
die Exeision, sondern auch schonender für das Auge.
Hierzu bemerkt Heß (20), daß nach der Einschneidung die
Irisvorfälle zwar seltener werden, daß sie sich aber nicht ganz
vermeiden lassen. Er weist auch darauf hin, daß die Abtragung
eines Irisvorfalls nach Extraktion ohne Iridektomie nicht mehr
möglich ist, sondern daß man einen Repositionsversuch mit Tris-
einschneidung machen kann, doch ist dieses Verfahren nicht zu-
verlässig.
Literatur: 1. Lister, The after effects of escape of the vitreous during
the operation of extraction of cataract in the capsule, by Smith’s operation.
(A. f. Aug. Bd. 68, S. 425.) — 2. Timberman, Some observations and lessons
of Smith operation for cataract, based upon 207 cases operated upon in clinic
of St. Col. Henry Smith, Amritsar. India. (Ophthalmology. Bd. 7, S. 593).
— 3. Sattler, R., Extraction of tho lens in its capsule. (A. of Ophthalm. Bd. 40.
S. 577.) — 4. Shepherd, Bxtraction of the iens in its capsule. (Br. Med. Assoc.)
Ophth. Record, S. 637.) — 5. Pontius, D. Nevin, Korrespondenz über Major
Smith an den Herausgeber der „Ophthalmic Record“ (Juni 1911), ref. Zbl. f. Aug.
1911, S. 335.) — 6. Moreau, De Pextraction du cristallin dans la capsule.
(Clinique Opht. S. 450.) — 7. Fink, Contra-indications to the intracapsular
operation for cataract. (Ophthalmoscope. S. 266.) — 8. Greene, Smith’s
cataract operation. (Ophthalmoscope. p. 250. — 9. Eason, Notes on the
extraction of cataract. (Lanc. 29. Bd. 7. — 10. Stanculeano, Die Extraktion
der Linse in der Kapsel. (Ophth. Gesellsch. zu Heidelberg 1911.) — 11. Kuhnt,
Ueber die Ausspülungen des Kapselsackes. (Zt. f. Aug., Bd. 26, S. 501.) —
12.Blaskovios, v., Bemerkungen über seinen im vorigen Jahre gehaltenen Vortrag
über a er (Ber. ü. d. VOL. Vers. d. ungar. ophth. Ges. Zt f.
Aug., Bd. 27, S. 88) — 13. Lukens, Intra-ocular irrigation alter cataract
extraction. (Ophthalmology. Bd. 7, S. 560.) — 14. Smith, A note ofanterior
chamber irrigation after cataract extraction. (Ophthalmology. Bd.7, S. 240.) —
15. Haik, Einige operative Neuerungen in der Augenheilkunde. (Aerztl. Kreis-
verein Mainz.) (M. med. Woch., S. 2689.) — 16. Weigelin, Ueber die operative
Behandlung des grauen Altersstares. (S. A. a. d. Württemb. Med. Korre-
‚spondenzblatt.) — 17. Gallemaorts, De l’operation de la cataracte suivant la
methode de Heß. (Bull. de la soci6t6 d’opht. Belge. Nr. 32, S. 47.) — 18. Claus,
Ueber die Kataraktoperation mit Pflüger’scher Basalexzisiin-. (Inaug.-Diss.
Freiburg i. B.) — 19. Elschnig, Einfache Lappenextraktion der senilen Katarakt
mit Iriswurzelinzision. (A. f. Aug., Bd. 51, S. 319.) — Derselbe, Der gegen-
` wärtige Stand der Staroperation. (Versammlung deutscher Augenärzte Böhmens
und Mährens). (KL Mon. f. Aug., Jg.49, Bd. 2, S. 744.) — 20. Heß, Bemerkung
zu dem Aufsatze von Eischnig über Staroperation. (A. f. Aug., Ba. 70, S. 80.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Eine originelle und gewiß höchst segensreiche Einrichtung zur
Verminderung der erschrecklichen Kindersterblichkeit während des
Sommers in den Großstädten sind die sogenannten Säuglingszelte (Baby-
auf unbebauten Grundstücken zwischen den Häusern. Die Ausstattung
‘besteht aus eisernen Bettchen; eine Milchhalle, wo die verschiedenen
Mischungen hergerichtet werden, ist stets angegliedert. Die „Saison“
dauert ungefähr vom 1. Juli bis 15. September. Das Zelt bleibt Sonntags
und nachts nur in dringenden Fällen geöffnet. Eine Schwester mit ein
bis zwei Assistentinnen besorgt die Pflege. Weitere Schwestern haben
die Aufgabe die Häuser der Nachbarschaft regelmäßig abzusuchen und
arme Mütter von kranken Säuglingen zu bestimmen, das Kind ins Zelt
zu bringen. Die Aufnahme geschieht gratis; dafür werden nur wirklich
Arme zugelassen. Die ständige ärztliche Aufsicht wird geübt durch
einen Assistenten, der den konsultierenden Aerzten unterstellt ist. Jedes
Zelt hat deren drei, jeden für die Eintritte zweier bestimmter Wochen-
tage, deren dauernde Behandlung und tägliche Beaufsichtigung dann der
betreffende Arzt zu besorgen hat. Die Zahl der Zelte wurde sukzessive
vermehrt, indem überall dort neue aufgestellt wurden, wo viele Erkran-
kungen in der Nähe vorgekommen waren. Dadurch hat die Mutter nur
einen kurzen Weg zum Hinbringen und Zurückholen ihres Kindes zurück-
zulegen. Im ersten Jahre wurden bloß etwa ‘60 Säuglinge auf diese
Weise vorpflegt, in den abgelaufenen sieben Jahren im Ganzen 1750! In
einem der Zelte wurde die Mortalität auf 0,55 °/, herabgedrückt. Die
Säuglingszelte verwirklichen somit die wichtigsten Forderungen zur Be-
kämpfung der Sommerdiarrhöe, frische Luft und gute Milch, in einer
Weise, wie sie sich für die ärmste Bevölkerung der Großstädte überhaupt
praktisch in großem Maßstabe durchführen läßt. Das beweisen die Er-
folge. (J. of Am. ass. 1911, Bd. 57, Nr. 27, S. 2127.) Dietschy.
Hertzler (Kansas City) weist auf den häufigen Zusammenhang
von Morbus Basedowii mit Krankheiten der Beckenorgane hin;
letztere sollen immer schon vor Auftreten der Schilddrüsenerkrankung
vorhanden sein und bei spontaner Besserung auch eine Verminderung
der Basedowsymptome nach sich ziehen. Es scheint sich um einen
reflektorischen Reiz zu handeln, der von den Beckenorganen ausgeht.
Jedenfalls sollte bei jedem Falle von Morbus Basedowii eine genaue
Untersuchuung der Unterleibsorgane stattfinden und ein allfälliger Er-
krankungsherd sofort lokal behandelt werden. (J. of Am. ass. 1911,
Bd. 57, Nr. 26, S. 2076.) | Dietschy.
Die intravenöse Hedonalinfuasion hat Charles M. Page in
75 Fällen zur Erzielung allgemeiner Anästhesie angewendet. Er bediente
sich einer 0,75°/,igen Lösung in physiologischer Kochsalzlösung. Läßt
man diese Flüssigkeit kontinuierlich einlaufen, sodaß 50 bis 150 ccm pro
Minute verbraucht werden, so tritt nach fünf bis zehn Minuten eine tiefe
Narkose mit starker Muskelerschlaffung ein, wobei der Blutdruck etwas
sinkt, Puls und Respiration jedoch gut bleiben. Die Einleitung dieser
Narkose ist für den Patienten mit angenehmen Sensationen verbunden;
ein Excitationsstadium tritt zuweilen ein, hält sich jedoch in mäßigen
Grenzen. Langsameres Infundieren verzögert den Eintritt der Allgemein-
anästhesie beträchtlich, rascheres ist zu vermeiden, da es zu Üyanose
führen kann. Die langsame Ausscheidung des Hedonals gestattet es, die
Narkose mit nicht allzugroßen Mengen der Lösung lange Zeit aufrecht-
zuerhalten. Nach dem Aufwachen aus der Narkose kommt es nur selten
zu Erbrechen und Kopfweh; gewöhnlich geht die Narkose in einen tiefen
Schlaf von 6 bis 12 Stunden Dauer über. Die Gefahren der Hedonal-
narkose sind Respirationsstillstand infolge zu starker Dosierung und
Asphyzie durch Zurückfallen der Zunge;? Lungenkomplikstionen sind
selten. Page empfiehlt diese Methode für Operationen am Kopf und am
Halse, sowie (wegen der starken Muskelschlaffheit und der ruhigen
Atmung) für solche in den oberen Teilen des Abdomens. (Lanc. ii, Mai
1912.) Rob, Bing (Basel),
Die „Liermannsche Bolusmethode* zur Händedesinfektion emp-
fehlen Küster und A. Geisse auf Grund bakteriologischer Unter-
suchungen aufs angelegentlichste. Liermann verwendet bekanntlich zur
Erzielung einer möglichst sterilen Operationshand als Medium die Bolus
alba, und zwar aus folgenden Gründen:
1. In leicht angefeuchtetem Zustande ist die Bolus ein vorzügliches
Händereinigungsmittel. Sie schleift die Haut gründlich ab und glättet
sie besser als feinster Sand oder Marmorstaub.
2. Die Bolus ist außerordentlich hygroskopisch und wirkt daber
auf Gewebe und Bakterien stark austrocknend und damit fixierend.
(Wegen dieser Eigenschaft ist sie auch eines der besten Wundheilungs-
B, tents), wie sie in Chicago seit sieben Jahren eingeführt wurden. Aus
: dem außerordentlich interessanten Bericht von Allin seien nur einige | mittel.)
a Punkte hervorgehoben. In Chicago ist die Sterblichkeit an Sommer- 3. Die Bolus läßt sich mit Hilfe des Alkohols, des zurzeit
a diarrhöe ganz enorm; auch durch Besserung der Milchversorgung allein | besten Mittels zur Minderung der Keimabgabe von der Hand, 80 fein
T ließ sie sich nicht genügend herabdrücken. Anderseits lehrten aber die | über die Hand verteilen, daß sie eine dünne, gleichmäßige Schicht über
SE Erfahrungen mit Kindersanatorien am Seeufer, welch günstigen Einfluß | diese bildet. Dabei setzen sich die feinen Bolusteilchen in die Ver-
u die frische Luft ausübt. Da nun aber die Quartiere mit der größten | tiefungen der Haut, die Ausführungsgänge der Drüsen, die Linien der
= Sterblichkeit — der ärmsten Bevölkerung — weit weg vom See liegen, | Hand, in den Nagelfalz, in Schrunden fest hinein und fixieren die dort
Eu so errichtete man große Zelte auf den flachen Dächern von Häusern, oder | gerade mit Vorliebe sitzenden Keime. ee
a .
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29. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39, Rh 1597
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Die Anwendung dieser Methode geschieht in folgender Weise:
Nagelreinigung und Waschung mit einer Bolusseife zwei Mi-
nuten lang (die Seife ist ein Gemisch von Kaliseife, Glycerin und Alkohol
mit einem wohlriechenden Zusatz. Ihr kosmetischer Effekt ist ausge-
zeichnet. Schon nach kurzem Gebrauche der Seife verlieren die Hände
ihre Rauhigkeit, die Oberhaut wird glatt und geschmeidig). Nach der
Waschung Abtrocknen der Hände mit sterilem Tuch. Auftragen einer
Bolus-Alkoholpaste, die einen Ueberschuß von Alkohol enthält, damit
sie nicht leicht eintrocknet. (Ist sie gleichwohl — durch langes Lagern
— so trocken geworden, daß die Verteilung auf der Hand erschwert
ist, so befeuchtet man die Haut vor dem Auftragen der Paste gut mit
Hilfe von etwa 10 g Alkohol.) Die Verteilung der Paste über Hände
und Vorderarme muß sehr sorgfältig geschehen. An der weißen
Zeichnung der Papillarlinien der Hände, die nach Verdunsten des Alkohols
markant hervortritt, läßt sich stets gut feststellen, ob die Verreibung der
Paste lege artis vorgenommen ist. Je mehr Alkohol verwandt wird,
desto besser ist die Verteilung der Paste und desto intensiver die Ver-
nichtung der Keime und die Fixierung in der Tiefe. e
Die Dauer der ganzen Desinfektion beträgt etwa fünf Minuten.
Seife und Paste werden in Zinntuben von der Aktiengesellschaft
für Anilinfabrikation hergestellt.
Die stärkere Wirkung, die der Alkohol durch Zusatz von
Bolus auf die Minderung der Keimabgabe entfaltet, erklären sich die
Verfasser so: Die feinen Bolusteilchen, die kleiner sind als die meisten
Bakterien, werden. mit Alkohol beladen, unter Verdrängung der Luft und
des Hauttalgs in die feinsten Fältchen und Vertiefungen der Haut ge-
rieben. So wird durch die Bolus der Alkohol weiter in die Tiefe ge-
führt, als es bei der gewöhnlichen Waschung möglich ist, und er kann
seine desinfizierende und fixierende Wirkung dort entfalten, wo die
meisten Keime zu finden sind. Da nach der Verdunstung des Alkohols
die. Bolusteilchen in den Vertiefungen der Haut zurückbleiben, so wird bei
jeder neuen Befeuchtung der Hände mit Alkohol dessen energische
Wirkung wiederholt, da Bolus den Alkohol stark ansaugt. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 34.) | - F. Bruck.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität in Greifswald
(H. Schulz) berichtet Martin Kochmann über die Kombination von
Arzneimitteln. Die Bürgische Ansicht, daß Substanzen, die gleichen
Reihen angehören, bei ihrer Kombination eine Addition ihrer Wirkungen
zeigten, und solche, die aus verschiedenen Gruppen stammen, sich in
ihrer Wirkung potenzierten, läßt sich als allgemein gültiges Gesetz
nicht aufrecht erhalten. Es muß vielmehr von Fall zu Fall unter-
sucht werden, welche Substanzen sich addieren und welche sich in
ihrer Wirkung über das arithmetische Mittel hinaus verstärken. Eine
kombinierte Anwendung von Arzneimitteln am Krankenbette bat nur
denn einen Sinn, wenn entweder die zu kombinierenden Körper bei
gleicher Hauptwirkung verschiedene Nebenwirkungen ent-
falten, oder wenn die in Betracht kommende therapeutische Hauptwirkung
durch die Kombination potenziert wird, ohne daß jedoch die toxischen
Nebenwirkungen ebenfalls eine gleich große Verstärkung erfahren.
Der Verfasser verweist hierbei auf die Kombination von Chloro-
form und Aether zur Erzielung einer Narkose. Chloroform schädigt
nun bekanntlich die Circulation, Aether aber die Atmung. Während also
die Nebenwirkungen bei beiden verschieden sind, ist die erwünschte
Hauptwirkung, die vorübergehende Lähmung des centralen Nervensystems,
die gleiche. Wenn man nun bei der Kombination beider zur Herbei-
führung einer Narkose nur die Hälfte vom Chloroform und die Hälfte
vom Aether zu nehmen braucht, so hat sich damit zwar die Hauptwirkung
beider addiert, die unerwünschten Nebenwirkungen können aber nur zur
Hälfte sichtbar werden. Eine solche Kombination hätte mithin die
Aufgabe, die Nebenwirkungen nach Möglichkeit auszuschalten. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 34.) | F. Bruck.
Der Zusatz von Gewürzen zu Speisen ist, wie Kurt Schroeder
von neuem betont, wichtig für die Ausnutzung dieser im Organismus.
Dabei spielt nicht nur der „Appetitsaft“ (Pawlow) eine Rolle, das heißt
der ‚durch Einwirkung eines psychischen Reizes (z. B. Schmecken der
Speisen) auf die Magendrüsen abgesonderte Magensaft. Vielmehr werden
die Drüsen der Magenwand auch durch direkte Berührung mit Speisen
zur Absonderung des Magensaftes angeregt. Von allen Bestandteilen
der Nahrang besitzen aber Gewürze und Extraktivstoffe die
größte safttreibende Wirkung. Bekannt ist dies von der Maggi-
würze. Wenn nun auch die Annahme durchaus berechtigt war, daß durch
liese Sekretionsvermehrung eine bessere Ausnutzung der Nahrungs-
mittel erzielt werde, so fehlte bisher der Beweis dafür. Dieser war
Wmlich nur durch die Feststellung des Anstiegs des Körpergewichts
a erbringen. Der Verfasser hat nun in einem Falle am Menschen nach-
weisen können, daß bei gleichzeitiger Darreichung von Maggis Würze
lie Speisen besser ausgenutzt werden als ohne diesen Zusatz und
daß diese bessere Ausnutzung durch eine sehr beträchtliche Körper-
gewichtszunahme zum Ausdruck kam. (D. med. Woch. 1912, Nr. 32.)
| j F. Bruck.
Auf Grund seiner annähernd 100 Operationen der Leisten- und
Nabelbrüche im frühesten Kindesalter kommt Pfähler zu folgenden
Schlüssen: T a |
Die operative Behandlung der Leistenbrüche ist der langwierigen
und unsicheren Bruchbandbehandlung vorzuziehen. Einzige Kontraindika-
tion geben schwere organische Erkrankungen. Bei guter Asepsis kann
die Operation unbedenklich in jeder Jahreszeit ambulant durchgeführt
werden. Alle komplizierten Verbände und jede Immobilisation der Kinder
sind unnötig. Jede komplizierte Operationsmethode ist überflüssig; Ligatur
des Bruchsacks und einfacher Verschluß der Bruchpforte schützen sicher
vor Rezidiv. |
Bei Nabelbrüchen soll ebenfalls möglichst bald operiert werden.
Bei der Harmlosigkeit des Eingriffs hat es keinen Sinn, die Nabelpflaster-
behandlung länger als ein bis höchstens zwei Jahre durchzuführen. (D. 2.
f. Chir. 1912, Bd. 116.) Albert Wettstein (St. Gallen).
Theodor Brugsch weist von neuem auf die von ibm und
Schittenhelm aufgedeckte Tatsache hin, daß sich der Gichtiker
prinzipiell vom Gesunden wie dem nichtgichtischen Arthritiker dadurch
unterscheidet, daß er auch bei fleischfreier Kost (selbst monatelang)
Harnsäure in einer deutlich nachweisbaren Menge beherbergt. Das
einwandfreieste Mittel zur Diagnose einer Gicht ist also die Unter-
suchung des Bluts auf Harnsäure, vorausgesetzt, daß der Patient
drei Tage fleischfrei gelebt. hat. Auf diesen Punkt ist ganz beson-
ders zu achten, da auch der Gesunde Harnsäure in nachweisbarer Menge
nach einer Fleischmahlzeit, ja sogar noch am nächsten Tage danach, im
Blut aufweisen kann. Zum sichern Nachweis der Harnsäure ist es not-
wendig, dem Patienten 60—100 ccm Blut aus einer Armvene zu ent-
nehmen.
Der Verfasser teilt die Gicht in folgende Formen ein:
1. Akute Arthritis urica (akute Stoffwechselgicht).
2. Polyarthritis urica.
3. Nierengicht. 2
4. Arthritis urica chronica. (Hier unter anderm: Tophi der Ohr-
muscheln, das sind gewöhnlich stecknadelkopfgroße, acnepustelnähnliche
Knötchen, deren Inhalt man mit einer Nadel anstechen und durch die:
Murexidprobe als harnsäurehaltig qualifizieren kann. Ist die Harn-
säureprobe positiv, so handelt es sich um echte Gicht.)
Die Harnsäureanhäufung im Blut ist das Primäre. Ueberhäufung
des Bluts mit Harnsäure über die Löslichkeitsgrenze hinaus führt
zum Ausfallen von Harnsäure in den Geweben der Bindesubstanzreihe,
unter denen besonders der Knorpel eine große Affinität zur Harnsäure
besitzt.
Bei der regulären akuten Arthritis urica handelt es sich um ver-
langsamte Harnsäurebildung (Störung des gesamten Purinstofi-
wechsels,, verlangsamte Harnsäurezerstörung, verlangsamte
Harnsäureausscheidung. Aber man kann die Störung auch vollkommen
mit verlangsamter Harnsäurebildung. und verlangsamter Harnsäure-
ausscheidung definieren. Je mehr die Störung der Nieren in den
Vordergrund tritt, um so mehr gewinnt die Urikämie den Charakter der
Retentionsurikämie, sodaß für die Nierengicht die renale Harn-
säureinsuffizienz das wesentlichste Syndrom darstellt. |
` Wahrscheinlich ist zum Zustandekommen des Ausfallens der Harn-
säure deren längeres (jahrelanges) Verweilen im Blute notwendig
(daher gibt es z. B. beim Kinde so gut wie keine Gicht). Dieses
längere Verweilen im Blute muß in allen Fällen auf eine gewisse
Torpidität der Nieren zurückgeführt werden, es wird verhindert
darch die gute Ausscheidungsfähigkeit der Nieren gegenüber
der Harnsäure.
Therapeutisch empfiehlt der Verfasser: zwei bis drei Monate
lang eine purin-(fleisch- und fisch-)freie Diät; dann acht Wochen lang
wöchentlich zwei- bis dreimal Fleisch (150 g nur einmal mittags, wobei .
es gleichgültig ist, ob man weißes oder schwarzes Fleisch verbraucht,
während zellreiches Fleisch, also Thymus, Leber, Niere, Lunge, Hirn,
verboten ist) und später sechsmal in der Woche Fleisch, aber nur ein-
mal am Tage 150 bis 200 g. Sonst: viel Milch, Eier- und Mehlspeisen.
Absolut nicht notwendig ist es, die Eiweißzufuhr (im Milch-, Eier- und
vegetabilischen Eiweiß) herabzudrücken, da die Harnsäurebildung
so gut wie gar nicht vom Eiweiß abhängt. Ferner: reichlich Obst,
aber kein Alkohol. Bei alkalischem Urin (durch vegetabilische Ernährung
verursacht) ist Acid. hydrochlor. dilut. (dreimal täglich fünf bis zehn
Tropfen in Himbeerwasser während der Hauptmahlzeiten) zu empfehlen.
Wird man nachts zu einem akuten Anfalle gerufen, so ist das
beste Mittel die Einspritzung von Morphin (beim erwachsenen Manne
0,02—0,03). Am nächsten und den folgenden Tagen gebe man Granules
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1598
de Colchicine Houdé (am ersten Tago 4, am zweiten 3, am
dritten 2, am vierten 1 Granule. Ein Abführmittel ist nur dann am
Platze, wenn anf das Colchicin hin keine Diarrhöe erfolgt. Während der
arthritischen Attacke gebe man eine den Magendarmkanal womöglich gar
nicht belästigende Diät (Suppen, Breie), um, sobald als der Patient das
Bett verläßt, zur vollen purinfreien Diät überzugehen. Wichtig ist dabei,
den Patienten sobald wie möglich aufstehen, herumgehen und
körperliche Bowegungen machen zu lassen.
Mit dem Einsetzen der vollen purinfreien Diät beginnt auch das
Einsetzen der Atophantherapie. Beim Gesunden wie beim Gichtiker
tritt durch Atophan eine sich bald erschöpfende Harnsäuremehraus-
scheidung zutage; stellt also die Stoffwechselgicht verschleppte
Harnsäurebildung und -ausscheidung dar, so macht die Atophan-
darreichung einen beschleunigten Harnsäureumsatz und eine be-
schleunigte Harnsäureausscheidung. Man gibt vom Atophan vier-
bis sechsmal täglich 0,5, und zwar in Anfallsperioden nur unmittelbar
vor oder unmittelbar nach dem Anfalle (vor dem Anfalle genommen
kann es diesen coupieren, nach dem Anfall genommen kann es weitere
Exacerbationen verhindern), da in diesen Zeiten die Harnsäureausschei-
dung sehr niedrig zu sein pflegt. Also der Gichtiker muß das Atophan
nehmen, sowie die ersten prämonitorischen Zeichen eines Gichtanfalls
auftreten. Während der heftigsten Gelenkattacken gebe man aber das
Atophan nicht, da hier schon von selbst eine starke Harnsäureelimination
zustande kommt,
Die Erfolge der Radiumtherapie der Gicht sind nach dem Ver-
fosser so selten und so mühsam erkauft, daß man von dieser Behandlung
Abstand nehmen muß, es sei denn, daß größere Dosen in Anwendung zu
bringen sind, als es z. B. das Zwei-Macheeinheiten-Emanatorium liefert.
(Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 34.) F. Bruck.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Destillierapparat (D. R. 6. M.)
nach Dr. Katz
(zur Herstellung absolut reinen sterilen und destillierten Wassers).
Für den praktischen Arzt, der sich mit intravenösen Injektionen
befaßt, ist es ratsam, wenn er sich das notwendige destillierte Wasser
beziehungsweise Kochsalzlösung direkt vor dem Gebrauche selbst herstellt.
Der neue, vollständig zerlegbare Destillierkühler zeichnet sich durch
große Handlichkeit und Raumersparnis aus. Er besteht aus drei Glas-
teilen, die Jeder für sich gesäubert
werden können und beim Zerbrechen
jeder allein ergänzt werden kann.
Für Bereitung des sterilen
destillierten Wassers verfährt man
f nun folgendermaßen:
E Y | Man setzt den Apparat voll-
mn ständig zusammen, nachdem man nöti-
= genfalls sämtliche Teile gereinigt und
einige Zeit im Dampfe sterilisiert hat.
Der Erlenmeyerkolben wird zu etwa
2/3 bis 3/4 mit Wasser (destilliertes
N. o Wasser ist vorzuziehen, da es keinen
LEAG Kesselstein absetzt) beschickt und
einige Siedesteinchen (das ist kleine
Körnchen aus gebranntem porösen
Ton) hineingetan. Der Kühler da-
gegen soll noch kein Kühlwasser ent-
halten. Man bringt jetzt das Wasser
im Erlenmeyer zum Kochen und läßt
durch den Apparat fünf bis zehn Mi-
nuten lang den Dampf hindurchströd-
men. Man ist dann sicher, daß alle
Keime teils abgetötet, teils mecha-
nisch ausgeschwemmt sind.
r Dann stellt man das Kühlwasser
j=ian und stellt unter das Ablaufrohr
das vorher sterilisierte Auffanggefäß,
mit der Vorsicht, daß der Rand des
Gefäßes völlig von der Schutzglocke
des Ablaufrohrs bedeckt ist. Man destilliert nun weiter, bis die ge-
nügende Menge Wasser übergegangen ist.
Für die Herstellung steriler Kochsalzlösung ist es zweckmäßig,
die abgewogene Menge Kochsalz sogleich in dem Auffanggefäße trocken
bei 150° zu sterilisieren.
IN
I) I) f
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.39,
29. September.
Ein nachträgliches Sterilisieren des so gewonnenen sterilen destil-
lierten Wassers oder der sterilen Kochsalzlösung ist dann nicht mehr
nötig. Preis komplett M 13.
Firma: Franz Hugershoff, Leipzig.
Bücherbesprechungen.
H. Nothnagel, Spezielle Pathologie und Therapie. Supplemente:
Die Erkrankungen des weiblichen Genitales in Beziehung zur inneren
Medizin von A. Blau, Th. Jaschke, Fr. Kermauner, L. Knapp,
V. Kroph, P. Mathes, A. Mayer, M. Neu, J.. Novak, A. Payer,
Fr. Pineles, J. Schottländer, M. Stoltz, A. Wagner. Wien
und Leipzig 1912, A. Hölder. Bd. 1, 994 S. Preis M. 22,—.
Wenn je von einem Werke der soviel mißbrauchte Satz gilt, daß
es einem allgemeinen Bedürfnis entgegenkomme, so von diesem großen,
umfassend angelegten Buche. Es ist ein großes wissenschaftliches Ver-
dienst, daß uns hier ein Werk geboten wird, das unter Zusammenfassung
aller bisher gesammelten, unendlich zerstreuten und für den einzelnen nicht
mehr zu .überblickenden Erfahrungen eine Darstellung von den Be-
ziehungen der weiblichen Genitalerkrankungen zur inneren Medizin gibt
und damit ein neues Band knüpft, das den drohenden Auseinanderfall
der Disziplinen verhüten hilft. Dieses Verdienst geht in letzter Linie
auf Rosthorn zurück, dem das Buch gewidmet ist und dem es freilich
nicht mehr vergönnt war, die Verwirklichung seiner Lieblingsidee durch
seine Schüler zu erleben.
Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Referats den Inhalt
des Buches zu erschöpfen. Dazu ist das Werk viel zu inhaltreich. Wir
begnügen uns, auf die einzelnen Kapitel hinzuweisen und das Studium
des Buches jedem Arzt und Gynäkologen auf das angelegentlichste zu
empfehlen.
Insbesondere der von Novak verfaßte Abschnitt über die Be-
deutung des weiblichen Genitales für den Gosamtorganismus und die
Wechselbeziehungen seiner innersekretorischen Elemente zu den andern
Blutdrüsen wird weitgehendem Interesse begegnen. Der Leser findet
hier eine umfassende und erschöpfende Bearbeitung dieses großen und
aktuellen Stoffes unter Berücksichtigung der gesamten Literatur, wie sie
bisher nirgends geboten war. Dieselben Vorzüge, die diesen glänzend
geschriebenen Abschnitt auszeichnen, erschöpfonde Verwertung der Lite-
ratur und kritische Darstellung, meist auf Grund eigner Forschungen,
zeichnen auch sämtliche andere Abschnitte aus. Die Beziehungen zu
Herz- und Gefäßsystem hat Jaschke, den Harnapparat und die Re-
spirationsorgane Kermauner, die Knochen- und Gelenkerkrankungen
Knapp, das Blut und die blutbildenden Organe Payer, die Leber Blau
und den Digestionsapparat Wagner bearbeitet.
Möge dem verdienstvollen ersten Bande bald ein ebensolcher zweiter
nachfolgen! Baisch.
Max Verworn, Narkose. Mit zwei Abbildungen im Text. Jena 1912,
Gustav Fischer. M 1,—.
Diese kleine anregend geschriebene Publikation stellt eine Erweite-
rung eines in New York 1911 gehaltenen Vortrags vor und gibt eine Zu-
sammenfassung der Ergebnisse, die Verfasser seit Jahren mit seinen Mit-
arbeitern in der Frage nach dem Mechanismus der Narkosewirkung auf
experimentellem Wege gewonuen hat.— Verworn analysiert das physio-
logische Geschehen bei der Narkose auf folgende Weise: Er geht zu-
nächst von zwei in gewissem Sinn analogen Erscheinungen aus, der Er-
müdung und der Erstickung; beide sieht er als Folge von Oa-Mangel an;
denn auf Grund von Experimenten am künstlich durchströmten Frosch-
rückenmarke betrachtet Verworn auch die Ermüdung als relativen Sauer-
stoffmangel, die sich vollständig nur durch Sauerstoffzufuhr beseitigen
läßt. Experimente mit Zusätzen von Narkoticis zur Durchsptlungsflüssig-
keit ergaben nun das bemerkenswerte Resultat, daß ein ermüdetes Rücken-
mark auch bei reichlichem Angebote von Oa diesen in der Gegenwart
von Narkotieis nicht zur Erholung benutzen kann. Ganz dieselben Re-
sultate erhielten andere Mitarbeiter auch am erstickten Nerven. Aus
diesem Experiment schließt Verworn, daß die lebendige Substanz in der
Narkose die Fähigkeit verliert, Oxydationen in dem Maße auszuführen
wie in der Norm. In der sich daraus ergebenden weiteren Frage, auf
welche Weise ein Narkoticum diesen Verlust an Oxydationsfähigkeit be-
dinge, steht Verworn auf dem Standpunkte, daß die Narkotica wahr-
scheinlich die Sauerstoffübertragung erschweren; unter der Annahme nun,
daß die Sauerstoffübertragung in engerer Beziehung zu den Lipoiden stehe,
ließe sich die von H. Meyer und Overton gefundene gesetzmäßig®
Beziehung der narkotischen Wirkung zur Lipoidlöslichkeit der Nar-
kotica ungezwungen mit der Hypothese des Verfassers, daß die Nark0s
auf einer akuten Erstickung beruhe, vereinigen. 2
Der Schluß der Broschüre ist dem praktisch wichtigen Hinweise
gewidmet, welche Unterschiede zwischen Narkose und Schlaf bestehen:
29, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. © 1599
der Schlaf bringe Erholung hauptsächlich mit Hilfe des Oz, während der
Narkose bestehe dagegen umgekehrt eine Behinderung der Oxydations-
prozesse. Dieser Unterschiede müsse sich der Arzt bewußt sein, wenn
er Schlafmittel benutzt; er darf nicht vergessen, daß nicht die ganze
Zeit der Bewußtlosigkeit, die sich an den Gebrauch des Schlafmittels an-
schließt, wirklichen Schlaf bedeutet, sondern in ihrem ersten Abschnitt
wirkliche Lähmung, in der keine oder nur unvollständige Erholung von
der Ermüdung eintritt. Rohde (Heidelberg).
Oscar Langemak, Die Arbeitsstätte des Chirurgen und Ortho-
päden (mit Winken für Einrichtung von Privatkliniken). Mit
45 Abbildungen. Jena 1912, Gustav Fischer. 189 Seiten. M 5,—.
Ein Buch, das durch Wort und Bild zeigen will, daß es möglich
ist, mit verhältnismäßig geringen Mitteln eine Arbeitsstätte zu schaffen,
in welcher die Chirurgen die größten Operationen ausführen, der Ortho-
päde alle blutigen urd unblutigen Eingriffe vornehmen kann, dürfte
mancherorts willkommen sein. Dem jungen Spezialarzte, der sich neu
einrichten will, wüßten wir keine bessere Anleitung. Doch auch dem
praktischen Arzte möchten wir namentlich den ersten Teil warm zur
Lektüre empfehlen, insbesondere die Kapitel Sprech- und Wartezimmer,
Verbandstoffe, Gipstechnik. Für alle besprochenen Instrumente und Ge-
räte gibt Langemak Bezugsquelle und Preis an. Dies und jenes wird
sich jeder anders einrichten, als Langemak vorschlägt, aber daß er auf
alle Einzelheiten eingeht und auch auf scheinbare Kleinigkeiten hinweist,
macht nicht zum wenigsten den Wert dieses Buches aus.
A. Wettstein (St. Gallen).
A. Schittenhelm und W. Weichhardt, Der endemische Kropf mit
besonderer Berücksichtigung des Vorkommens im König-
reich Bayern. Mit 17 Textabbildungen und 2 Tafeln. Berlin 1912,
Julius Springer. 128 Seiten. M 9,—.
Eine äußerst fleißig zusammengestellte Arbeit, die das Interesse
weiter Kreise, nicht nur der Aerzte, verdient. Im Gegensatz zu den
klassischen Arbeiten von Bircher, Vater und Sohn, Aarau, die das
Urgestein der Schweiz fast kropffrei fanden, konstatierten die Autoren
ein Befallensein in beträchtlichem Grade der Urgesteinsgebiete des
bayerischen Waldes. Sie kommen daher zum Schluß, daß nicht die geo-
logische Formation das Ausschlaggebende sei für die endemische Ver-
breitung des Kropfes, sondern die Infektion des Wassers. Sie nähern
sich damit der Auffassung Theodor Kochers in Bern. Ist der Er-
reger auch noch nicht entdeckt, so sind doch bereits Anhaltspunkte vor-
handen, die jetzt schon eine rationelle Kropfbekämpfung ermöglichen.
Gisler.
Arthur Hartmann, Die Schwerhörigen in der Schule und der
Unterricht für hochgradig Schwerhörige in Deutschland.
Stuttgart 1912, W. Spemann. 84 Seiten. M 2,—.
Die Fürsorge für die schwerhörigen Schulkinder ist eine unab-
weisbare soziale Forderung unserer Zeit. Mehrere Serien von Massen-
untersuchungen — etwa an 100000 Schulkindern — durch die zuver-
lässigsten Untersucher haben ergeben, daß zirka 25% aller Untersuchten
nicht normalhörig sind, das heißt Flüstersprache auf 8 m Entfernung
nicht hören. Eine ohrenärztliche Fürsorge ist um so mehr geboten, als
mindestens 50°, durch entsprechende Behandlung auf ein Gehör über 8 m
gebracht werden können. Die hochgradig schwerhörigen Schulkinder —
mit einem Gehör von ! m und weniger auf dem besseren Ohre — be-
dürfen eines besonderen Unterrichts in sogenannten Schwerhörigenklassen,
um sie vor geistiger Verwahrlosung zu beschützen. In einer Stadt von
100 000 Einwohnern muß man zirka 20 bis 80 schwerhörige Schulkinder an-
nehmen, eine Schwerhörigenklasse mit ihrer besonderen Unterrichtsmethodik
larf nicht, mehr als zehn bis zwölf Schüler haben. Auf weitere Einzel-
heiten kann hier nicht eingegangen werden, das Studium dieses Buches
st für alle beteiligten Kreise (Aerzte, besonders Schulärzte, Verwaltungs-
beamte, Lehrer) unentbehrlich. Ernst Barth (Berlin).
H. Hirschfeld, Polycythämie und Plethora. Sammlung zwangloser
Abhandlungen aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechsel-
krankheiten. Bd. IV, H. 2, mit 3 Textabbildungen. Halle a. S. 1912
Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung. 54 Seiten. M 1,50.
H. gibt zunächst eine übersichtliche Darstellung der physiologischen,
toxischen und symptomatischen Polycythämien. Eine ausführlichere Dar-
stellung wird den keineswegs selten vorkommenden Krankheitsbildern der
sogenannten idiopathischen Erythrämien gewidmet, bei denen
die Vermehrung der roten Blutkörperchen und die,. wie es scheint, fast
stets vorhandene Plethora die wesentlichsten Symptome darstellen.
Die beiden Hauptgruppen werden als Vaquez-Oslersche und
Geisböcksche Form unterschieden. Die erstere geht mit einem Milz-
tumor einher, die letztere ist durch einen auffallend hohen Blutdruck
ausgezeichnet. Ob sich diese Einteilung aufrecht erhalten lassen wird,
ist allerdings fraglich.
Für die Therapie kommen Aderlässe und nach Ehrlichs Vor-
schlag eisenarme Diät in Frage, „bei der Zucker, Reis-, Gersten- und
Weizenmehl, Kuhmilch, Birnen, Datteln, Feigen, Pflaumen und Nüsse den
Hauptbestandteil der Nahrung bilden“.
' Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf das Original verwiesen,
das für Praktiker zweifellos von Interesse ist.
Werner Schultz (Charlottenburg-Westend).
F. Völcker, Chirurgie der Samenblasen. (Neue Deutsche Chir-
urgie, Bd. 2.) Mit 46 Textabbildungen. Stuttgart 1912, Verlag von
Ferdinand Enke. 229 Seiten. M 9,60.
Völcker bietet uns da ein Werk über ein Gebiet, das in
Deutschland für den Chirurgen beinahe Neuland ist. Auch er hat da
nur geringe persönliche Erfahrungen; Franzosen und besonders Ame-
rikaner haben den Großteil der Arbeiten über Samenblasenchirurgie ge-
liefert. Voelcker stellt das bisher Geleistete in übersichtlicher Weise
zusammen und sichtet kritisch. Daß eine Kritik sowohl nach der Seite
der Indikationsstellung als nach der Technik oft recht not tut, zeigt z. B.
das interessante Kapitel über Spermatocystitis, bei der über direkt fabel-
hafte Erfolge berichtet wird. Gegen diesen Abschnitt und den über die
Samenblasentuberkulose treten die andern Affektionen (Entwicklungs-
störungen, Verletzungen, Lues, Steinbildung, Cysten, Tumoren) an
Wichtigkeit zurück. Die letzten 20 Seiten sind der Operationstechnik
gewidmet.
Auf alle Fälle gewinnt man aus dem Werke den Eindruck, daß
die Samenblasenchirurgie zu Unrecht vernachlässigt wird, daß manchem
Kranken durch einen entsprechenden Eingriff wesentlich geholfen werden
kann. ERI A. Wettstein (St. Gallen).
Orlowski, Eindrücke und Erfahrungen über Syphilisverlauf und
Behandlung. Würzburg 1912, Curt Kabizsch. M 0,85.
Orlowskis Heftchen ist lesenswert; es stellt die Erfahrungen des
Praktikers mit seinen Sorgen und Wünschen recht anschaulich in den
berichteten Krankengeschichten. aus der Privatsprechstunde dar und zeigt
einen um das Wohl seiner Patienten besorgten Arzt, dem die Aufklärung
der ihm begegnenden Fälle durch eignes Nachdenken am Herzen liegt.
| Pinkus.
Alfred Gigon, Aus der Geschichte der Respiration und der Er-
nährung. Leipzig 1912, J. A.Barth. M 0,75. Sammlung klinischer
Vorträge, begründet von Richard von Volkmann. Neue Folge.
Nr. 658 (Innere Medizin Nr. 211). |
Die gründliche Arbeit bringt eins der interessantesten Kapitel aus
der neueren (Geschichte der Medizin und beweist den engen Zusammen-
hang zwischen den Fortschritten der Medizin und der Naturwissenschaften,
welche von den Praktikern nicht immer genügend gewürdigt werden. Der
kurze nur 15 Seiten umfassende Aufsatz zeigt ein ungewöhnlich gutes
historisches Wissen, und kann, wenn er auch keine leichte Lektüre ist,
gerade dem Praktiker empfohlen werden. Paul Richter (Berlin).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Priyat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Beitrag zur Beurteilung metastatischer Eiterungen in der
Unfallbegutachtung
von Ä En
| Dr. Hermann Engel,
Gerichtsarzt des Kgl. Oberversicherungsamts Groß-Berlin.
Vorgeschichte. Der damals 56jährige Arbeiter M. R. |
litt am 20. Oktober 1909 dadurch einen Betriebsunfall, daß er |
ron einer zusammenbrechenden Leiter stürzte und mit seinem
Kopf auf Messingrohre aufschlug. Außerdem zog er sich eine
Juetschung der rechten Schulter zu. | | a
Dem erstbehandelnden Arzte Dr. B. hatte R. mitgeteilt, er
sei bei dem Sturz auf die rechte Seite gefallen und habe sich den
Kopf blutig geschlagen. Neben einer Kopfwunde wurde festgestellt,
daß der rechte Arm passiv frei, aber unter Schmerzen im ganzen
. Oberarme, besonders unter der Schulterhöhe bewegt werden konnte.
` Handbreit unter dem Ellenbogen fanden sich Blutunterlaufungen auf
' der Außenseite des Unterarms. Die Gegend des Schultergelenk-
spalts war nicht wesentlich geschwollen, aber auf Druck, besonders
an der Außenseite, schmerzhaft.
Am 26. November 1909 hat R. seine frühere Beschäftigung
wieder versuchsweise aufgenommen.. Im Januar 1910 konnte der
' rechte Arm aktiv frei gedreht und nach hinten bewegt werden,
nach seitwärts und vorwärts nur unter abnormer Mitbewegung
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1600 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September.
des Schulterblatts und mit Zuhilfenahme einer gewissen Schleuder-
bewegung. Anfang März 1910 wurde R. durch Dr. Z. untersucht.
Eine Untersuchung mit Röntgenstrahlen hatte ergeben, daß eine
Knochenverletzung der rechten Sehulter bei dem Unfalle nicht
stattgefunden hatte. Das rechte Schultergelenk war noch nicht
frei beweglich, es fehlten an der Hebung des Armes bis zur Senk-
rechten noch ungefähr 20%. Bei Bewegungen fühlte man keinerlei
Geräusche im Gelenke. R. sollte eine Rente von 20%/, erhalten,
wovon 100% auf die Folgen der Kopfverletzung und 10°/, auf
die behinderte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks bezogen
wurden.
Unter dem 1. Juni 1910 teilte die Ehefrau des R. mit, daß
ihr Mann an den Folgen des erlittenen Unfalls verstorben sei.
Der Assistenzarzt des Krankenhauses hatte eine Bescheinigung
ausgestellt, wonach R. vom 3. März 1910 bis 2. Mai 1910 wegen
Lungenentzündung im Krankenhause behandelt worden und an
diesem Leiden am letztgenannten Tage gestorben sei.
Die Berufsgenossenschaft lehnte die Gewährung der Hinter-
bliebenenrente ab, weil ein Zusammenhang der Verletzungen mit
der fast fünf Monate später zum Tode führenden Lungenentzün-
dung ausgeschlossen sei. Hiergegen legte die Witwe Berufung
ein mit der Begründung, aus der Quetschung habe sich bei dem
siechen Körper ihres Mannes wohl allmählich die Lungenentzün-
dung gebildet. =
Das Schiedsgericht holte ein Gutachten des Kranken-
hauses ein. Dasselbe bekundet: R. erkrankte am 2. März 1910
an rechtsseitiger Lungenentzündung und wurde tags darauf in das
Krankenhaus eingeliefert. Wenige Tage nach der Aufnahme stellte
sich Schwellung und Schmerzhaftigkeit im rechten Scehultergelenke
ein. Es handelte sich um einen eitrigen Erguß ins rechte Schulter-
gelenk und der Eiter mußte durch Einschnitt entleert werden.
-Eine hinzutretende Wundrose zog den Heilungsverlauf der Opera-
tionswunde in die Länge. Das Krankheitsbild wurde später noch
durch einen eitrigen Erguß in den rechten Brustfellraum und
schließlich durch eine eitrige Gehirnhautentzündung kompliziert.
Am 2. Mai 1910 trat der Tod ein und die Sektion bestätigte die
oben aufgeführten Erscheinungen.
| Der Krankheitsprozeß des R. sei daher folgendermaßen zu
erklären: R. erkrankte an einer rechtsseitigen Lungenentzündung,
die mit dem erlittenen Unfall in keinem ursächlichen Zusammen-
hange stünde. Es käme jedoch im Verlaufe von Lungenentzündun-
gen vor, daß dieselben Krankheitserreger, welche die Lungenent-
zündung verursacht haben, auch Gelenkentzündungen hervorrufen,
besonders dann, wenn das Gelenk schon vorher geschädigt war.
Im vorliegenden Falle sei nun das betreffende Schultergelenk vor-
her durch einen Unfall betroffen worden, dessen Folgen nach dem
am 5. März 1910 vom Vertrauensarzte der Berufsgenossenschaft ab-
gegebenen Gutachten zur Zeit der Erkrankung an Lungenentzün-
dung noch nicht vollständig behoben waren. Das Gelenk hätte
für die dasselbe angreifenden Krankheitserreger eine Stelle mit
verminderter Widerstandsfähigkeit (einen Locus minoris resistentiae)
gebildet. |
Die eitrige Schultergelenkentzündung müsse deshalb
als mittelbare Unfallfolge angesehen werden. Sie müsse
ferner als eine schwere, mit den Tod herbeiführende Komplikation
betrachtet werden, denn an die Gelenkeiterung hätte sich nicht
nur eine Wundrose angeschlossen, es seien vielmehr auch Eiterun-
gen im rechten Brustfellraum und an den Gehirnhäuten, die
schließlich den Tod des Kranken herbeiführten, als Folgen der
ersten Eiterung, das heißt der Schultergelenkeiterung, anzusehen.
Es müsse deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen
werden, daß der am 2. Mai 1910 eingetretene Tod des R. mittel-
bar durch den Unfall vom 20. Oktober 1909 verursacht worden ist.
Begutachtung. Dieser Auffassung vermag ich nicht bei-
zutreten. In der Krankengeschichte wird R., dessen Körper die
eigne Ehefrau in der Berufungsschrift einen „siechen“ nennt,
am 3. März 1910 als mittelgroßer, schwächlicher Mann be-
schrieben. Ueber den Lungen bestand rechts hinten unten
Dämpfung und Bronchialatmen. Am 13. März 1910 — also nach
zehn Tagen — stellte sich eine starke Schwellung und Schmerz-
haftigkeit des rechten Schultergelenks ein. Ein plötzliches An-
steigen der schon vorher dauernd erhöht gebliebenen Körper-
temperatur läßt die Fieberkurve an diesem Tage nicht erkennen.
Sie stieg von 38, 38,80%, an den vorhergehenden Tagen auf 390,
während sie in den ersten drei Tagen der Erkrankung überhaupt
39,8, 39, 39,50 gezeigt hatte. Es wurde in der chirurgischen
Abteilung über die Höhe der Schwellung in der Längsrichtung
ein Einschnitt vorgenommen, aus dem sich reichlich gelbrahmiger
Eiter entleerte. Eine Kommunikation mit dem Gelenke schien
nicht zu bestehen. Der Lungenbefund änderte sich nicht. Die
Temperatur sank am nächsten und übernächsten Tage, dann blieb
sie aber wieder mit Ausnahme vereinzelter Tage dauernd über 380,
Am 31. März 1910 befand sich die Wunde in guter Granu-
lation. Patient wurde wieder auf die innere Abteilung verlegt.
Am 4. April 1910 bestand eine Dämpfung rechts hinten unten
über den Lungen noch fort. Ueber der Dämpfung hörte man
Bronchialatmen. (Am 8. März war nach der Fiebertabelle bereits
eine Probepunktion gemacht worden, über deren Ergebnis die
Krankheitsgeschichte nichts enthält.) Es zeigte sich dann in der
Umgebung der Wunde eine erysipelatöse Rötung. In diesen Tagen
— bis zum 4. April 1910 — war die Temperatur wieder über
890 gestiegen, was vermutlich auf die Wundrose bezogen werden
muß. Danach sank die Temperatur und bewegte sich vom
5. April bis 12. April zwischen 36 und 37,80. Hieraus muß ge-
schlossen werden, daß die Wundrose und die Eiterung der Schulter-
gegend beseitigt war. Am 14. April 1910 war das Erysipel (die
Wundrose) völlig zurückgegangen und hatte sich die Dämpfung
rechts hinten unten etwas aufgehellt. Bereits am 12. April 1910
war R. aufgestanden. Da aber die Temperatur jetzt wieder stieg
— über 390 —, blieb er wieder vom 15. bis 24. April im Bette
liegen. Zu dieser Zeit bestand die Dämpfung über den Lungen
noch immer. Auch im oberen Bereiche der rechten Lunge war der
Perkussionsschall jetzt gedämpft. Es fanden sich zahlreiche mittel-
großblasige Rasselgeräusche. Der Auswurf war reichlich. ‘Am
24. April 1910 stand R. wieder auf. Am 26. April begann die
Temperatur wieder sich zu erhöhen, sie stieg. auf 38,50, am
27. April trat ein Schüttelfrost ein, am 28. April betrug die
Morgentemperatur 40,1%, am 2. Mai 1910 trat unter Bewußtlosig-
keit der Tod ein.
Die Sektionsdiagnose lautete: Empyem, eitrige Schulter-
gelenkentzündung, metastatische Konvexitätsmeningitis.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß R. an einer
schweren Form der Lungenentzündung gelitten hat, deren Verlauf
ein vom normalen abweichender war. Die rechtsseitige eitrige
Schultergelenkentzündung halte auch ich für eine Folge der
Lungenentzündung. Will man aber zu der Lokalisation der Eite-
rung auf das rechte Schultergelenk den Unfall vom 20. Oktober
1909 in Beziehung bringen, so erscheint dies nicht ungezwungen.
Es ist doch viel näherliegend, daß die von einer rechtsseitigen
Lungenentzündung in die Lymphbahn eintretenden Krankheits-
erreger sich in einem dem Krankheitsherde am nächsten liegenden
Gelenke ansiedeln.
Anderseits kann nicht zugegeben werden, daß das eigent-
liche knöcherne rechte Schultergelenk selbst bei dem Unfalle be-
schädigt worden war. Die Röntgenphotographie ließ eine knöcherne
Verletzung ausschließen. Die Beschreibungen des Dr. Z. und
insbesondere des Dr. B. lassen es sehr wahrscheinlich werden,
daß R. bei dem Fall auf die rechte Seite eine Quetschung des
vorderen Brustnerven (Nervus thoracicus longus) akquiriert hatte.
Dem fügt sich die Beschreibung des Dr. B. zwanglos ein, daß der
Arm nämlich nach seitwärts und vorwärts nur unter abnormer
Mitbewegung des Schulterblatts und mit Zuhilfenahme einer ge-
wissen Schleuderbewegung bewegt werden konnte. Dies ist cha-
rakteristisch für eine durch Verletzung des obengenannten Nerven
verursachte Lähmung des großen sägeförmigen Muskels (Museulus
serratus anticus major), der durch entsprechende Bewegung des
Schulterblatts die Erhebung des Armes über die Horizontale zu
besorgen hat. Dr. Z. hatte anfangs März keinerlei Geräusche im
Gelenke festgestellt. Der Hebung des Armes bis zur Senkrechten
fehlten 20°,
Danach kann mit größter Wahrscheinlichkeit gesagt werden,
daß bei dem Unfalle nicht das rechte Schultergelenk, sondern der
zum Heben des rechten Armes dienende Bewegungsapparat zu
Schaden gekommen war. Eine derartige, auf nervösen Einflüssen
beruhende, lähmungsartige Schwäche einer Extremität kann für die
Lokalisation verschleppter Eiterungsprozesse in dem so in seiner
S beschränkten Gelenke nicht verantwortlich gemacht
werden.
Ich halte es also lediglich für ein zufälliges Zusammentreffen,
daß Unfall, Lungenentzündung und die daran anschließende Schulter-
gelenksvereiterung rechts ihren Sitz hatten.
Wenn man aber zugunsten der Kläger unterstellen wollte,
die Lungenentzündung führte zu einer Vereiterung des rechten
Schultergelenks, weil sein Bewegungsapparat fast fünf Monate
89, September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. E 1601
vorher durch einen Unfall beschädigt worden war, so ergeben sich
doch gegen die Schlußfolgerungen des Herrn Vorgutachters noch einige
andere schwerwiegende Bedenken. Es kann nicht bestritten
werden, daß die rechte von der Entzündung ergriffene Lunge das
Depot ' derjenigen Krankheitserreger darstellte, die die Schulter-
gelenkvereiterung, den eitrigen Erguß im rechten Bauchfellraume,
sowie die eitrige Gebirnhautentzündung verursachten,
Die Schultergelenkentzündung spielt in der Krankheits-
geschichte eine Rolle nur in der Zeit vom 13. März bis zum
4. April, die Wundrose an der Schulter eine solche vom 4. bis
14. April. Am 7. April finden wir in der Fiebertabelle zum letzten
Male verzeichnet: „Rechter Arm, feuchter Verband“. Nach dem
14. April finden wir auch in der Krankengeschichte keinen Ver-
merk mehr über die rechte Schulter. Am 31. März war R. bereits
von der chirurgischen auf die innere Station wieder zurückverlegt
worden, ein Zeichen, daß der Zustand der Schulter chirurgische
. Behandlung nicht mehr erheischte.
Die Erkrankung der Schulter war somit spätestens am
14. April abgelaufen. Sie bedeutet lediglich eine Episode. Wäh-
rend der ganzen Zeit war aber der Lungenbefund fast unverändert
geblieben. Es ist daher die Annahme nicht nur gerechtfertigt,
sondern sogar zwingend, daß während dieser ganzen Zeit die in der
Lunge vorhandenen Krankheitserreger wirksam waren.
Man kann also nicht etwa den Satz aufstellen, die Krank-
heitserreger wurden gegen den 13. März aus der Lunge in das
rechte Schultergelenk verschleppt, die Lunge war danach von
ihnen frei. Wenn nun später wieder auf dem Wege der Ver-
schleppung Krankheitserreger auf das Brustfell und in die Hirn-
haut gelangten, so könnten diese jetzt nicht mehr aus der nun-
mehr gesunden Lunge, sondern müßten aus dem rechten Schulter-
- gelenke stammen.
Das Gezwungene einer derartigen Erklärung liegt auf der
Hand. Vielmehr muß nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung an-
genommen werden, die Krankheitserreger, die gegen den 13. März
1910 die Schultergelenkentzündung, gegen den 27. März 1910 den
.eitrigen Erguß in den Brustfellraum (Schüttelfrost, - Zunahme der
Dämpfung!), endlich etwa gegen den 30. März die eitrige Hirn-
hautentzündung (Temperaturanstieg auf 39,2 und 40,70 und Be-
wußtlosigkeit!) verursachten, sie alle entstammen demselben Herde,
der rechten Lunge.
Von diesen Komplikationen war nun die Schultergelenk-
entzündung chirurgischen Eingriffen zugänglich gemacht worden.
Sie war zur Ausheilung gelangt. Auf den weiteren Verlauf der
Erkrankung hat sie keinen wesentlichen Einfluß gehabt. Nun ist
aber bei einer gewissen Art von Lungenentzündungen die Erkran-
kung des Brustfells eine ganz geläufige und die Erkrankung der
Hirnhaut keine ungewöhnliche Komplikation. Mit hoher Wahr-
scheinlichkeit wären sie im vorliegenden Fall auch aufgetreten,
wenn das rechte Schultergelenk überhaupt nicht erkrankt wäre.
‚Die totbringende Komplikation war die eitrige Gehirnhautentzün-
dung. Diese war eine Folge der Lungenentzündung, die mit dem
Unfall in keinem ursächlichen Zusammenhange steht.
‚.. Ich gelange daher zu dem Schluß: Es kann nicht mit
Sicherheit, aber auch noch nicht einmal mit hoher Wahrschein-
lichkeit angenommen werden, daß der am 2. Mai 1910 eingetretene
Tod des R. durch den Unfall vom 20. Oktober 1909 verursacht oder
wesentlich beschleunigt worden sei.
Es wurde nunmehr noch ein Gutachten von dem Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. H. eingeholt, das in seinen wesentlichen Punkten
folgendermaßen lautet: |
„Unter genauer Berücksichtigung der Krankheitsgeschichte,
der Fieberkurven und des Sektionsergebnisses und an der Hand
wissenschaftlicher und ärztlicher Erfahrungen läßt sich der Krank-
heitsverlauf bei R. mit größter Wahrscheinlichkeit folgendermaßen
auffassen: Es handelt sich um eine durch die Erreger der Lungen-
‚entzündung (Pneumokokken) hervorgerufene Blutvergiftung (Pneumo-
kokkensepsis). Die Pneumokokken waren zunächst wirksam im
Unterlappen der rechten Lunge, dort das klinische Bild einer
ungenentzündung mit typischem Auswurfe hervorrufend; von
‚dort aus verbreiteten sie sich wie bei einer Blutvergiftung auf
dem Blutweg im Körper und erzeugten an verschiedenen Stellen
sogenannte metastatische, das heißt durch Verschleppung der
Krankheitserreger entstandene Entzündungen: im Schultergelenk,
im rechten Brustfellraum, in den Hirnhäuten. Diese Entzündungen
waren, wie Operation und Sektion ergeben, eitriger Natur, die
Pneumokokken hatten also eitererzeugende Eigenschaften.
Es lag demnach von vornherein keine gewöhnliche Lungen-
entzündung vor, sondern eine Ansteckung (Infektion) zunächst
der Lunge, dann des Körpers mit eitererregenden Bakterien
(Pneumokokken).
Dieser Auffassung gegenüber läßt sich die Ansicht des
Krankenhauses über die ursächliche Bedeutung der eitrigen
Schultergelenkentzündung für das Auftreten der tödlichen Hirn-
hautentzündung nicht aufrecht erhalten, selbst wenn zugegeben
wird, daß die Entzündung des rechten Schultergelenks durch die
Unfallbeschädigung begünstigt worden wäre. Nicht die Gelenk-
eiterung war die Ursache der Eiterungen im rechten Brustfellraum
und an den Hirnhäuten, sondern die im Blute kreisenden, zuerst
in der Lunge wirksam gewesenen, offenbar von vornherein sehr
ansteckungstüchtigen, eitererregenden Bakterien (Pneumokokken).
Man kann es auch so ausdrücken, daß die tödliche Hirnhaut-
entzündung zu der ursprünglichen Lungenentzündung in demselben
ursächlichen Verhältnisse steht wie die Schultergelenkentzündung;
Schultergelenkentzündung und Hirnhautentzündung sind beides
selbständige, von einander ursächlich nicht abhängige Folgen der
auf dem Weg über die Lunge erfolgten Bakterieneinwanderung.
Der Unfall vom 20. Oktober 1909 hat weder unmittel- noch
mittelbar ursächlich etwas mit dieser Bakterieneinwanderung und
mit dem ursprünglichen Befallenwerden der Lunge, der „Lungen-
entzündung“ — wie letzteres ja auch Krankenhaus und Dr. Engel
annehmen — etwas zu tun, hat also auch den Tod des R. weder
verursacht noch beschleunigt. |
Noch aus einer andern Erwägung heraus ist die Ansicht des
Krankenhauses, daß die tödliche Hirnhautentzündung die Folge der
Eiterung im unfallgeschädigten rechten Schultergelenke sei, nicht
haltbar. Diese Ansicht geht von der Voraussetzung aus, daß -die
Reihenfolge der aufgetretenen Entzündungen die gewesen sei, daß
nach der Lungenentzündung zuerst das rechte Schultergelenk, dann
die Eiterungen im Brustfellraum und in den Gehirnhäuten aufge-
treten seien. Ein Beweis für diese Reihenfolge der Entzündungen
ist nicht erbracht. Und doch geht sie aus der Krankheits-
geschichte und Fieberkurve nicht hervor; im Gegenteil: beide
weisen mit größerer Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß nicht das
rechte Schultergelenk, sondern das rechte Brustfell zuerst nach
der Lungenentzündung in eitrige Entzündung geraten ist, und
zwar aus folgenden Gründen: |
1. Am sechsten Krankheitstag, also vor dem Auftreten von
Schmerzen im rechten Schultergelenke, wurde ein Probeeinstich in
den rechten Brustfellraum vorgenommen: es müssen also Anzeichen
für das Bestehen eines Ergusses im rechten Brustfellraume vor-
gelegen haben.. Das Mitergriffenwerden des Brustfells bei einer
Lungenentzündung ist außerdem eine ganz gewöhnliche Kompli-
kation. Der negative Ausfall des Probeeinstichs spricht durchaus
nicht dagegen, daß schon damals ein durch die Pneumokokken er-
zeugter eitriger Erguß bestanden hat; im Gegenteil: gerade bei
eitrigen Brustfellergüssen ergeben die Probepunktionen oft erst
nach vielfachen Wiederholungen ein positives Resultat, manchmal
überhaupt keins, trotzdem die nachfolgende Operation (Entfernung
eines Rippenstücks) einen eitrigen Erguß zeigt.
2. Aus der Krankengeschichte geht hervor, daß sich der
Lungenbefund nach dem Auftreten der Schultergelenkentzündung
nicht ändert. Am 13. April, wo nach fieberfreien Tagen erneut
steile Fieberzacken auftreten, die an ein Einwandern der Eiter-
erreger aus dem Schultergelenk in den Brustfellraum denken lassen
könnten, ist die Lungendämpfung sogar geringer geworden, was
gegen das Auftreten einer frischen Brustfelleiterung spricht.
Und der starke Fieberanstieg am 26. April mit Schüttelfrösten wird
durch die Krankenblattnotiz erklärt, daß auch im Oberlappen jetzt
Dämpfung mit zahlreichen Rasselgeräuschen und reichlichem Aus-
wurf aufgetreten sei. Der Fieberanstieg am 30. April weist offen-
bar auf die beginnende Hirnhautentzündung bin.
Also nirgends ein ausreichend wahrscheinlicher Grund für
die Annahme des Krankenhauses, daß die Schultergelenkentzündung
die erste Komplikation der Lungenentzündung gewesen sei und
daß von ihr aus erst die Brustfell- und die tödliche Hirnhaut-
eiterung ihren Ausgang genommen hätten.
Scheidet somit auch auf Grund dieser Erwägungen die
eitrige Entzündung des durch den Unfall vom 20. Oktober 1909
geschädigten rechten Schultergelenks als Quelle der totbringenden
Eiterung an den Hirnhäuten aus, so ergibt sich daraus der Schluß,
daß weder mit Sicherheit noch mit hoher Wahrscheinlichkeit an-
genommen werden kann, daß der am 2. Mai 1910 eingetretene Tod
des R. durch den Unfall vom 20. Oktober 1909 verursacht oder
wesentlich beschleunigt worden ist.“
Hierauf wurden die Ansprüche auf Hinterbliebenenrente
rechtskräftig zurückgewiesen. |
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84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Münster i, Westf.
Originalbericht von Prof. Dr. J.e Grober, Jena.
Die Münsterische Tagung der Naturforscher- und Aerzteversamm-
lung ist beendet. Sie hat einen eignen Charakter gehabt, und es kann
sein, daß ihr Verlauf dazu beitragen wird, der Versammlung eine ihrer
Vergangenheit würdige Zukunft zu bereiten. Die Wissenschaften in
ihren verschiedensten Disziplinen waren aufgeboten, das Ohr des Hörers
zu befriedigen. Die erste Allgemeine Versammlung, dazu bestimmt,
allen Teilnehmern, also auch dem gebildeten Publikum männlichen und weib-
lichen Geschlechts, einen Einblick in bestimmte wichtige und interessante
naturwissenschaftliche Tagesfragen zu gestatten, gab gleich auf drei ver-
schiedenen Gebieten Gelegenheit dazu. V. Czerny besprach die Methoden
der nichtoperativen Behandlung der Geschwülste;s er zeigte die
Anregungen zu solchen Versuchen auf, wies auf die tierärztlichen Er-
fahrungen hin und sonderte aus der Spreu der zahlreichen Vorschläge
und Versuche das Verdienstvolle und vorläufig bleibende, nicht ohne
die Wandelbarkeit menschlichen Wissens zu betonen. Auch gab er, vor
diesem Zuhörerkreise sicher von großem Wert, immer wieder den Hin-
weis auf die Erfolge der frühzeitigen chirurgischen Behandlung.
E. Becher, der Münsterische Philosoph, sprach über Leben und Beseelung,
gewiß ein Thema, das zuzeiten des Monistenbundes und seiner Freunde
einerseits, der scharfen Betonung kirchlicher Orthodoxie anderseits eines
eignen Reizes für die Zuhörer nicht entbehrte, die sich aus den ver-
schiedensten Kreisen des gebildeten Deutschland zusammensetzten. Graf
Arco endlich vermittelte mit Hilfe glücklich eingerichteter und gelingen-
der Versuche die Kenntnisse der Grundlagen der drahtlosen Tele-
graphie, ein Thema, das in seiner Bedeutung den Hörern große Auf-
merksamkeit abnötigte. — Die Gesamtsitzung beider Hauptgruppen
brachte zum ersten Thema zwei Redner zum Worte. K. Correns
(Münster) und R. Goldschmidt (München) sprachen über die Ver-
erbung und Bestimmung des Geschlechts, ersterer von der phylo-
genetischen und physiologischen Seite her, eingehend besonders auf die
Anwendung der Mendelschen Regel auf die Vererbung des Geschlechts
als einer Eigenschaft des Individuums, letzterer die morphologischen Vor-
günge scharf und klar, mit Hilfe ganz ausgezeichneter Demonstrationen,
darlegend. Man kann nur hoffen, daß die Arbeiten des Redners, die
jetzt durch die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte aus
ihren Stiftungsmitteln gefördert werden sollen, weitere so klare Ergeb-
nisse erzielen werden. Beide Redner kamen darin überein, daß die Ent-
stehung des Geschlechts für uns ein Zufallphänomen sei und daß vor-
läufig der Gedanke an eine Bestimmung des Geschlechts durch primäre
oder sekundäre Einflüsse direkt oder indirekt ohne Aussicht auf Ver-
wirklichung bleiben müsse. Je: genauer wir die Vorgänge hei der Ent-
stehung des Geschlechts kennen lernen, um so schärfer können wir
zwar angeben, von wo ab die Differenzierung des Geschlechts erfolgt,
aber was z. B. ein bestimmtes Chromosom veranlaßt abzusterben, sodaß
eine ungleiche Chromosomenzahl die beiden Geschlechter charakterisiert,
ist uns gänzlich unbekannt. Es darf vielleicht auch gesagt werden, daß,
selbst wenn wir einmal wissen sollten, das Experimentieren an dem stark
mikroskopischen Objekt zur willkürlichen Erzeugung des einen Ge-
schlechts vorläufig noch ganz außer Sichtweite der heutigen
Forschung legt.
l W. Straub (Freiburg) brachte in ganz ausgezeichneten und scharf
umrissenen Ausführungen seine Anschauungen über die Bedeutung der
Zellmembran für die Wirkungen chemischer Substanzen zu Gehör.
An der Schwelle des vorsichtigen Eintritts der Kolloidchemie in
die Biologie war das Thema sicher nicht leicht abzugrenzen, da viel-
fach noch Versuchsergebnisse durch vorgefaßte Meinungen beeinträchtigt
werden und die Entscheidung, um welche Arten von Stoff- und Kraft-
austausch durch die lebende Membran hindurch es sich handelt, außer-
ordentlich schwer ist. Der Vortrag eröffnet die Aussicht auf die Er-
werbung reicher biologischer Kenntnisse durch die Anwendung aller
Methoden der Chemie und Physik, namentlich auch auf dem Gebiete der
mikrochemischen Beobachtung, auf das lebende Protoplasma.
Die medizinische Hauptgruppe hielt zwei Gesamtsitzungen
ab, die beide der Erörterung gerade heute wichtiger Fragen der Medizin ge-
widmet waren; man darf sagen, daß erfreulicherweise in beiden Sitzungen,
obgleich jeweils drei Referenten das Wort nahmen, eine glückliche Ueber-
einstimmung gefunden wurde, daß ein Ziel erreicht werden konnte. Die erste
lichen, Mießner (Hannover) in der Veterinärmedizin. Dem Kliniker
waren die Ausführungen Rollys, die auf langjähriger Erfahrung an dem
reichen Material der Leipziger Klinik beruhen, das häufig angezogen
werden konnte, von größtem Interesse. Mit Deutlichkeit und ohne Be-
schönigung zeigte Rolly auch, wo die Erfolge vermeintlicher Art sich bei
näherer und weiterer Prüfung in Mißerfolge, die Sicherheit der günstigen
Wirkung nur in Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit verwandelt hatten.
Die Frage der schädlichen Wirkung der Serumtherapie, die anaphylakti-
schen Erscheinungen, wurden an vielen Stellen in den Kreis der Erörte-
rungen einbezogen. Im ganzen darf man das Ergebnis wenigstens für
die Klinik dahin zusammenfassen, daß die heute gebrauchten Sera nicht
injedem Falle wirken, daß das Tierexperiment am Menschen nicht immer
bestätigt wird und daß die Anwendungsart eine sehr wesentliche Rolle
spielt. Alle drei Referenten waren sich darin einig, daß die intravenöse
der intramuskulären, diese der subeutanen je um ein Vielfaches überlegen
sei und daß im allgemeinen die Dosen zu klein gewählt seien.
Die zweite Gesamtsitzung behandelte das Uedem und seine Ent-
stehung. Durch die Arbeiten des Amerikaners Fischer und durch
die Einführung der neueren kolloidchemischen Forschungen in die Me-
dizin überhaupt sind die Anschauungen tiber das Oedem einem Wandel
unterworfen worden und werden es noch. Und wenn, wie vermutlich,
die Fischersche Theorie, die das Oedem der Gewebe auf eine durch
saure Produkte des Stoffwechsels angeregte Quellung der Zellen zurück-
führt, sich als unzulänglich und nur teilweise gültig erweisen sollte, so
wird Fischer doch das Verdienst behalten, die wichtige Frage wieder
in Fluß gebracht und der Untersuchung aufs neue wieder zugeführt zu
haben. Man darf auch nicht behaupten, daß die bisherigen Theorien für
sich genügten, das Oedem und seine Entstehung zu begreifen. Klemen-
siewicz (Graz) begann sein Referat mit einer sehr sympathisch be-
grüßten Neubelebung der Arbeiten seines Lehrers Moritz Körner, der
grundlegende, aber heute fast völlig unbekannte Untersuchungen und,
auf ihnen aufgebaut, Begriffsscheidungen im Wasserverkehr des Körpers
ausgeführt hat. Er behandelte die physiologischen Grundlagen des Flässig-
keitswechsels und ihre Störungen in Gewebe- und in Hohlräumen. Lu-
barsch (Düsseldorf) gab in einer sehr klaren und verständlichen Weise
einen Ueberblick über die morphologischen und funktionellenAende-
rungen, die beim Oedem auftreten; Ziegler (Breslau) endlich besprach
die Beziehungen des Oedems zur Klinik in Symptomatologie, Diagnose
und bezüglich der Behandlung. Auch hier wird noch sehr viel Arbeit
nötig sein, um die biologischen Zusammenhänge ein wenig klarer zu
übersehen. Die Referate der drei Redner stimmten jedenfalls darın
überein, daß den Fischerschen Ausführungen, so anregend und inter-
essant sie an sich auch sein mögen, keine entscheidende Bedeutung in
der Lehre von der Entstehung des Oedems zukommt, sodaß sie viel-
leicht nicht einmal richtige, viel eher falsche Deutungen beobachteter
Erscheinungen sind. Sie stellen die pathologischen Vorgänge, die als an
biologischen Komplezen höchster Ordnung sich höchst verwickelt ab-
spielen, viel zu einfach hin. Das Oedem ist sicher keine einfache Säure-
quellung, und selbst wenn diese, was nicht ganz ausgeschlossen ist, eine
geringe Rolle bei der Oedementstehung spielt, sind die Bedingungen der
Quellung eines Gelatinestücks oder toten Muskelpulvers nicht der des
lebenden Protoplasma gleichzusetzen, das wiederum in seiner geweb- .
lichen Differenzierung nicht etwa einheitlich auf Quellungsursachen reagiert.
Die Abteilungssitzungen waren zum Teil recht schwach be-
sucht; manche sind überhaupt nicht, oder nur für ganz wenige Vorträge
eröffnet worden. Die Innere Medizin, die Chirurgie, die Pathologie, die
Kinderheilkunde und die Physiologie hatten wenigstens eine größere Zahl
von Vorträgen und eine mäßige Anzahl von Hörern. Von den Vorträgen
der genannten Gruppen seien diejenigen angeführt, die geeignet sind, ein
jebhafteres Interesse zu erwecken. Bei den Physiologen brachte Moll
den Nachweis lipoider Protoplasmasubstanzen auf mikroskopischem Wege,
Heubner sprach über Veratrinkurve und Belastung; Stübel konnte
wichtige morphologische Veränderungen am gereizten gegenüber dem un-
gereizten Nerven vorführen. Bei den Pathologen sprach Heller inter-
essant über Konzentrationsvorgänge am Herzmuskel, Lubarsch brachte
wichtige Beiträge zur Entstehung der Atherosklerose, die auf die Ent-
stehungsbedingungen der Veränderungen (mechanische und toxische)
neues Licht werfen; Aschoff sprach, ausgezeichnet durch Klarheit der
Worte und Begriffe, über die Wachstumszentren gutartiger Geschwälste;
Weidenreich, Schridde und Herxheimer brachten Neues und Wich-
tiges zur Frage der Leuko- respektive Lymphocytenbildung bei. Bei den
Sitzung behandelte die Fortschritte der Serumtherapie. W. Kolle
nn Chirurgen trug Henle seine auch dem Internen interessanten Erfahrung®%
Leu (Bern) gab einen Abriß über die ‚neueren Fortschritte der Serumtherapie,
bei chirurgischer Behandlung gutartiger Erkrankungen des Magens und
T k wie sie die theoretische Forschung und die Laboratoriumspraxis ergeben | Duodenums vor, Küttner sprach über die tumorbildende Fettgewobs-
ki hat. J. Rolly (Leipzig) zeichnete den Stand der Frage in der mensch- | nekrose, Morian brachte einen wichtigen Fall von hartem traumatischen
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29. September. a re
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Oedem vor, Roepke gab eine kritische Würdigung der Luftaufblähung
des Magens zur Röntgenaufnahme zur Kontrolle des Wismuthröntgenbildes.
Endlich sprach Wrede über einen sehr wichtigen und interessanten Fall
von direkter Herzmassage, die einen mehrere Tage dauernden Erfolg bei
vorher erloschener Herztätigkeit hatte, eine Beobachtung, die ebenso sehr
‚xperimentellen Studium der dabei sich abspielenden Vorgänge auffordert.
zum zur Anwendung der direkten Herzmassage in verzweifelten Fällen, wie
Bei den Pädiatern sprach Heubner über die wichtigen Nieren-
arkrankungen des Kindesalters, reichste klinische Erfahrung mit strenger
Kritik verbindend. Von weiteren Vorträgen mag nur die Gruppe erwähnt
worden, dio von Gräfin Linden und ihren Mitarbeitern über eine neue
Behandlungsmethode der Tuberkulose gehalten wurden. Es handelt
ich um die Einwirkung giftiger Metallverbindungen, die auf indirektem
Wege, durch einen lipoidlöslichen Ueberträger an das Protoplasma der
Bacillen herangebracht werden sollten. Die Diskussionen ergaben von
lenen der Vortragenden abweichende Urteile über den Wert der Methode.
Bei den Internen sprach Arneth über das qualitative Verhalten
ler eosinophilen Leukocyten bei der croupösen Pneumonie, Lieber-
neister über sekundäre Tuberkulose, Rindfleisch über einen inter-
sssanten Fall von Cystinurie und Cystinsteinen, Lommel über den Herz-
lternans, Külbs über vergleichende anatomische Untersuchungen am
teizleitungssystem des Herzens und endlich Bruns über die Blutcircula-
ion in abnehmenden und funktionell ausgeschalteten Lungengebieten.
Die zweite allgemeine Versammlung am Schluß der Tagung
ab noch einmal Gelegenheit, die Naturwissenschaften in ihrer Zusammen-
ehdrigkeit zu vereinigen: Aus dem Gebiete der Physik sprach Nernst
Berlin) über die neuerliche Entwicklung der Thermodynamik, Paul
arasin (Basel) legte die gegenwärtigen Verhältnisse des Weltnatur-
chutzes dar, indem er die Ausrottung der Großtierwelt des Erdballs
childerte, wie sie der Geldgier von Erwerbsgesellschaften und Jagdlust
eicher Nichtstuer zum Opfer fällt. Er bat dringendst um feste inter-
ationale Abmachungen und um Weltnaturschutzparke größten Um-
angs in den unbewohnteren Gegenden der Erde, deren es ja genug gibt.
ndlich teilte Küttner (Breslau) in sehr lebendiger und packender
orm dem eifrig lauschenden Publikum seine Erfahrungen über Kriegs-
hirurgie mit.
Zahlreiche Ausflüge in das benachbarte Industriegebiet und in das
jgenartige und schöne Münsterland wurden in Gemeinschaft unter-
ommen, die künstlerischen und historischen Sehenswürdigkeiten der
ten prächtigen Stadt waren, farbig ausgeschmückt, allen Teilnehmern
ıgänglich, gesellschaftliche Veranstaltungen in überreicher Zahl nahmen
st zu viel Zeit in Anspruch, Behörden und Bevölkerung haben großes
ı Gastfreundschaft und Entgegenkommen geleistet, reiche literarische
aben hat man verteilt: Aus solcher Dankesstimmung entstand der Ent-
'hluß der Versammlung, eine Eingabe an das preußische Kultusministerium
1 richten, die langersehnte Vervollständigung der medizinischen Fakultät
lünsters baldmöglichst in die Wege zu leiten.
Es wird bei anderer Gelegenheit von der Naturforscherversammlung
nd ihrer künftigen Gestaltung zu reden sein. An äußerem Glanz, an
dlichem Bemühen und bestem Gelingen desselben hat es nicht gefehlt.
ünster darf auf diese erste Tagung stolz sein. Hoffen wir, daß die
aturforscherversammlung selbst in ihrem gesunden Grundgedanken der
migen Zusammengehörigkeit aller Naturwissenschaften die Lebenskraft
ifs neue erhält, in 84 Jahren wieder in Münster zu tagen.
in. (Fortsetzung folgt.)
Internationaler Kongreß für Gynäkologie und Geburts-
hilfe vom 9. bis 13. September 1912 in Berlin.
Originalbericht von Dr. Aschheim, Berlin.
(Schluß aus Nr. 38.)
Am dritten Verhandlungstage wurden einzelne Vorträge
halten.
Eino Reihe betraf die Eklampsiefrage. Lepage (Paris) hat
ntersuchungen über das Ergehen der Patientinnen, die Eklampsie
erstanden haben, in weiteren Schwangerschaften angestellt und
det hier die Prognose im allgemeinen günstig; doch müssen die
tientinnen überwacht werden. Stroganoff begründete seine pro-
iylaktische Methode der Eklampsiebehandlung, die unter Anwendung
n Chloroform und Chloralbydrat bei absoluter Ruhe eine ab-
rtende ist. Zweifel empfiehlt den Aderlaß vor der Entbindung
d wendet die Stroganoffsche Methode an; ihm schließt sich
Ichtenstein an. Die beiden Berliner Kliniken, für die R. Freund
rach, stehen nach wie vor auf dem Standpunkte der Schnellentbin-
lng, die Bummsche Klinik (Voigts) hat bei der Stroganoffschen
öthode schlechte Resultate gehabt. Liepmann fand die Eklampsie-
acenta für Kaninchen giftig und ist zur schnellen Ausschaltung der Gift-.
elle für Frühentbindung. Die Meinungen über die beste Eklampsiebehand-
ng stehen sich also wieder einmal diametral entgegengesetzt gegenüber.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39. 1603
Die Diskussion über Röntgenstrahlenauwendung leitete Heyne-
mann (Halle) ein, der zu weiterer diagnostischer Anwendung der
Strahlen in der Geburtshilfe aufforderte. Immelmann und Fraenkel
(Berlin) machten Mitteilungen zur Anwendung in der Gynäkologie und
über die Technik, desgleichen Pankow. Krönig bat die Tiefenbestrah-
lung mit großen Röntgenstrahlendosen auch für inoperable Carcinome
augewandt und gute Erfolge dabei gesehen, weist aber den Gedanken,
diese Erfolge als Heilungen zu bezeichnen, mit aller Energie ab. Die
Hyperämiebehandlung von Narben nach Carcinomoperationen emp-
fiehlt Teilhaber (München). - Mackenrodt legt seine Statistik
nieder, die er seit 1901 gesammelt hat. Er hat im allgemeinen Car-
cinomoperabilität bis 95°/0, seine Mortalität beträgt 190/0; von den
Operierten sind nach fünf Jahren, soweit er Ermittlungen anstellen konnte,
31°/, geheilt. i
Die Prolapsbehandiung, die auch in Deutschland augenblick-
lich wieder im Mittelpunkte des Interesses steht, brachte Goffe (New
| York) zur Sprache. Bei Frauen in der gebärfähigen Periode näht Goffe
die Basis der Blase auf den Uteras und den breiten Mutterbändern so
hoch wie möglich herauf, bei Frauen nach dieser Zeit nimmt er den
Uterus heraus und näht die Stümpfe der breiten Bänder quer über den
Becken zusammen. Bei Rectocele wird das Rectum frei präpariert,
gefaltet und die Levatores ani darüber zusammengenäbt. Mit diesem
Vorgehen hat er gute Resultate erzielt. Lopez (Valencia) empfiehlt die
Landausche Operation der vaginalen Korpusamputation und Ver-
wendung des Anexstumpfes als Pelotte in dem Vernarbungsblock und hat
von dieser Operation gute Resultate. Sellheim spricht über die Be-
festigungsmittel der Baucheingeweide. Koblanck spricht über
seine Resultate des operativen Vorgehens kei puerperaler Sepsis.
Semon empfiehlt für vaginale Operationen Lokalanästhesie. Kneise
und Knorr tragen über endovesicale Operationen vor. Die Mehrzahl
der Vorträge am Nachmittag fiel aus, da die Redner nicht erschienen
waren: die Unsitte, Vorträge für den Kongreß anzumelden, ohne daß der
Anmeldende wirklich die Absicht hat, die Vorträge auch zu halten, stört die
ganze Einteilung der Kongreßarbeit und erschwert den Leitern nur ihr
ohnehin mühevolles Amt.
Am letzten Tage des Kongresses fanden die Demonstrationen in
der Frauenklinik der Charité statt. Schubert demonstrierte Pa-
tientinnen, bei denen er die Scheidenplastik aus dem Mastdarme bei
Fehlen der Scheide gemacht hatte. Pinkus hat mit Mesothorium bei
Carcinomen Stillstand und Besserungen, aber natürlich keine sicheren
Heilungen gesehen. Blumberg empfiehlt zur vorübergehenden Sterilisie-
rung das Einnähen der Ovarien in eine Peritonealtasche. Franke (Wien)
zeigt interessante elektrokardiographische Kurven bei Vitium cordis in
graviditate, andere Kurven, welche leh’en, daß das sogenannte Myomherz:
sich auf diesem Wege nicht erkennen läßt und daß bei Momburgschnürung
eine Verlangsamung der Schlagfolge im Tierexperiment eintritt. Viel
Beifall fand das Modell des gebärenden Uterus, das Sellheim (Tübingen)
‚erdacht hat, ebenso findet das Blumreichsche Phantom allgemeine An-
erkennung. Mannsfeld zeigt einen Apparat zur Trans-Condomoskopie,
der das Cystoskopieren auch bei Fisteln gestattet. Frank (Berlin)
Blasenschleimhautverletzungen bei Abortversuchen. Fromme demon-
striert Patientinnen, bei denen er Amenorrhöe erfolgreich mit Pituitrin
behandelt. Stabel stellt eine Reihe Menschen vor, die als sexuelle
Zwischenstufen zu bezeichnen sind. Kroemer spricht über pathogene
Hefen. Einige Apparate und Instrumente, die demonstriert wurden,
riefen Zeichen des Mißfallens hervor.
Um 12 Uhr schloß Bumm mit einigen Worten den Kongreß.
Pestalozza dankte im Namen der ausländischen Aerzte dem Vorstande.
Der Verlauf des Kongresses war im allgemeinen ein sehr befriedigender.
Zwar große neue Kenntnisse sind nicht auf ihm gefördert worden, aber
der Meinungsaustausch, der Austausch der Erfahrungen führt doch zur
Anerkennung mancher Methoden, die der einzelne früher verworfen hat,
die Erkenntnis, daß andere Nationen mit andern Heilmititeln dasselbe er-
reichen, wie wir mit den unsern, bewahrt vor Selbstüberschätzung. Be-
sonders wertvoll aber ist es, die Männer einmal gesehen zu haben, die
reden gehört zu haben, deren Arbeiten man gelesen hat. Die Ausländer
dürften aber den Eindruck erhalten haben, daß in Deutschland viel und
sorgfältig gearbeitet wird.
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Breslau.
Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 7. Juni 1912.
G. Rosenfeld: Zur Symptomatologie und Behandlung des
Magencareinoms. Im besprochenen Falle wiesen die klinischen Symptome
darauf hin, daß die Speisen schlecht passierten. Untersuchung mit starker
Sonde ergab bei 56 cm einen Widerstand; die Sonde lag bereits im
Magen, die Kardia war 6—10 cm hinter dem Sondenende. Es ist diese
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von R. schon einmal beobachtete Erscheinung 'kein Frühsymptom; auch
dieser Fall war inoperabel, bot aber bei anacidem Magensaft eine aus-
gezeichnete Ernährungsmöglichkeit mit Kohlehydrat-Fettkost. Das Fett
wirkt auf die Magenwand beruhigend und führt zu guter Durchlässigkeit.
Die Kost ist der Gastroenterostomie ebenbürtig an die Seite zu stellen.
. Goebel: Medizinisches aus Tripolis (mit Lichtbildern). Nach
Besprechung der Einrichtungen des Lazaretts der deutschen Hilfsexpedi-
tion bespricht der Vortragende speziell die 73 Typhusfälle, die er zu
beobachten Gelegenheit hatte. Kontaktinfektion spielte dabei die Haupt-.
rolle, was in Anbetracht der schlechten hygienischen Verhältnisse der
Räume nicht wunderbar ist. Wie vielfach in andern Kriegen wurden die
Typhusfälle zuerst negiert beziehungsweise als gastrische Fieber erklärt
oder fälschlich für Malaria angesehen, die in den Tropen sicher weniger
verbreitet ist als der Typhus. Im Gegensatz zu den sonstigen Tropen-
typhen waren mehr Diarrhöen vorhanden als Verstopfung, ferner selten
Psychosen, aber schwere Bronchitiden und Pneumonien als Komplika-
tionen. Es wurden keine Darmblatungen beobachtet, mehrmals aber
dysenterieartige Symptome. Trotz der Schwere der Fälle betrug die
Sterblichkeit nur 6—7°/,; der Tod erfolgte meist unter den Zeichen der
Herzschwäche. Bei sehr vielen Kranken trat eine ausgesprochene Schwer-
hörigkeit ein, wiederholt auch Parotitis. Therapeutisch lagen große
Schwierigkeiten hinsichtlich des Badens und der Diät vor; ersteres erfolgte
nach Möglichkeit, hingegen mußte von Milch abgesehen werden, viel
wurde von Eiern (Zuckereiern) Gebrauch gemacht. Pyramidon und
Tannismut wurden sehr viel gegeben, ferner Pantopon und Acid. tannicum.
Von andern Krankheiten kamen zur Beobachtung Rekurrens, Malta-
fieber, einzelne mit intramuskulären Chinininjektionen erfolgreich be-
kämpfte Malariafälle, wobei zu bemerken ist, daß im türkischen
Lager Mißbrauch mit Chinin getrieben wird. In der Poliklinik fielen
sehr schwere Fälle von Lues auf, speziell Rachenlues und Ulcera
cruris. Die Dysenterie war selten. Die Aetiologie der vorkommenden
Skorbutfälle liegt wohl in dem Fehlen frischer Gemüse, während sonst
die türkische Armee sehr gut verproviantiert sein soll, wie man sagt,
noch für zwei Jahre. Sehr viele Herzhypertrophien fanden sich (vielleicht
durch das starke Zigarettenrauchen bedingt), ferner sehr häufige Haut-
affektionen, durch die die zahlreichen Cancroide (besonders im Gesicht)
und Carcinome zu erklären sein dürften (Hausmittel zur Erweichung
Blätterteige). Chirurgisch Verletzte sah man sehr wenige beziehungs-
weise kamen sie sehr spät in Behandlung; die Araber verkriechen sich
sehr gern in ihre Zelte und sind sehr schwer zum Arzt zu bringen. Man
kann von einer relativen Ungefährlichkeit der Schrapnellkugeln sprechen;
die Verletzungen des italienischen Gewehrs, das als ein sehr humanes
zu bezeichnen ist, sind sehr feine Lochschüsse. Emil Neißer.
Bromberg.
Aerztlicher Verein.
In der Märzsitzung (20. März 1912) behandelte Ruppin das Thema
„Rückgratsverkrümmung und Schule“: Da der Schulbesuch für die
Entstehung der Skoliose — allerdings nicht als alleiniges ursächliches
Moment — verantwortlich zu machen ist, so ist ein prophylaktisches und
therapeutisches Vorgehen der Schulbehörden zum mindesten in den Volks-
schulen gerechtfertigt und angezeigt. Die systematische Fürsorge, wie
sio den Zöglingen der städtischen Volksschulen Brombergs zuteil wird,
entspricht fast allen vom ärztlichen wie sozialen Standpunkt aus zu
stellenden Anforderungen. Sämtliche Kinder mit mangelhafter Körper-
haltung werden regelmäßig spezialärztlicher Untersuchung unterworfen.
Sonderkurse für alle an Haltungsfehlern oder leichtester Rückgratver-
krümmung Leidenden durch geschulte Turnlehrer, beziehungsweise
-lehrerinnen gehen einher neben der spezialärztlichen Behandlung vorge-
schrittener Skoliosefälle durch den Vortragenden in dessem Zander-Institut.
Die Sonderturnkurse dauern ein halbes Schuljahr, während die Institut-
behandlung drei- bis viermal wöchentlich das ganze Jahr hindurch fort-
gesetzt wird. Daneben Messungen mit Zanders Rumpfmaßapparat am
Anfang und Schluß jedes Kurses; Registrierung des Körpergewichts,
Längenwachstums und Brustumfangs. Demonstration der Meßbilder des
letzten Behandlungsjahrs. Bericht über die bisher sehr befriedigenden
Resultate dieser Einrichtungen,
Diskussion: Prof. Dautwitz weist auf die Begünstigung der
Tuberkuloseentwicklung durch Skoliose in dem der Konvexität der Wirbel-
säule entsprechenden Lungenkonus hin, ferner auf die durch Skoliose ge-
schaffenen Veränderungen des Klopfschalls und deren diagnostische
Wichtigkeit. Bei den Skoliosen der unteren Lendenwirbel ergeben sich
auch Verdickungen der Muskulatur, die zu perkutorischer Täuschung
führen können.
Queisner spricht kurz über die Bedeutung der weiblichen Sko-
liose für die spätere Gebährfähigkeit.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September,
In der Sitzung vom 20. Mai referierte Schendell über den gegen-
wärtigen Stand der Frage der „Säuglingsernährung“. Eingehende
systematische Aufrollung aller Fragen der Quantität, Qualität und prak-
tischen Darreichung der Säuglingsnahrung, der natürlichen wie künst-
lichen, und der Ammenfrage. Beim Allaitement mixte nie unter drei
Brustmahlzeiten! Beikost vom Ende des sechsten, Anfang des siebenten
Monats an, und zwar Pflanzenkost und Bouillon zwecks erhöhter Zu-
fübrung von Salzen und vonEisen. Im achten Monate Hinzufügung einer
Mehlsuppenmahlzeit. Abstillen im neunten Monat; allmähliches Absetzen
ist dem plötzlichen vorzuziehen. An den Vortrag schließt sich eine leb-
hafte Aussprache. l |
Am 26. August sprach Med.-Rat von Mach über den „Blück- '
gang der Geburten ia Preußen und seine Ursachen“, . Ausgehend
von der seitens der obersten Medizinalbehörde gegebenen Anregung ent-
wickelt Vortragender das Bild der gegenwärtigen Geburts- und Sterb-
lichkeitsfrequenz im Verhältnis zueinander, um den Ursachen dos stati-
stisch festgestellten Geburtenrückgangs nachzugehen. Neben reichem,
amtlichem Zahlenmaterial bringt Vortragender folgende Ziffern über das
= Jahrzehnt der Bromberger Bevölkerungsbewegung: In Bromberg
wurden
. lebend als verstorben
im Jahre eboren gemeldet
1901 1606 1119, bei 355 Eheschließungen,
1907 1209 974, „ 372 a
1909 1409 1018, „ 339 b
1911 1333 1044, „ 395 5
Nach einer vergleichenden Statistik mit andern Städten und
Ländern behandelt der Vortrag und die sich anschließende eingehende
Diskussion die allgemeinen und speziellen Ursachen des Rückgangs der
Geburtenzahlen, sowie die von autoritativer Seite gegebenen Vorschläge
zur Abhilfe. Lebhaft gestaltete sich die Aussprache über das vom Vor-
tragenden geforderte strenge Verbot der Ankündigung, beziehungsweise
Anpreisung anticonceptioneller Mittel, die nach seinem Vorschlage
lediglich vom Arzte verordnet und vom Apotheker verabreicht werden
dürfen.
Callomon wendete sich entschieden gegen diese grundsätzliche
Erschwerung der Beschaffung jener Mittel, so weit sie nicht bloß con-
ceptionsverhindernd sind, sondern zugleich auch wirksame Prophylactica
gegen die Infektion mit Geschlechtskrankheiten darstellen; sicher würde
dieses generelle Verbot nur dem heimlichen und unmoralischen Vertrieb
minderwertiger Fabrikate Vorschub leisten. Die Stellungnahme des Vor-
standes der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts-
krankheiten sei in gleichem Sinn in deren Publikationsorganen präzisiert;
in der Ankündigung von Mitteln, welche zur Vorbeugung ansteckender
Krankheiten dienen, könne — wenn sie in einwandfreier Form abgefabt
sei — nun und nimmer etwas Unmoralisches oder Unhygienisches erblickt
werden. — Zum Thema „Vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft“
bringen von Mach in Ergänzung seines Vortrags und Queisner und
Meyer in der Diskussion eine Reihe wertvoller Beobachtungen, welche
sich auf das nachweishare, verdächtige Wirken gewisser Elemente in der
Stadt Bromberg beziehen, deren Aufdeckung und Unschädlichmachung
als gemeinsam zu verfolgendes Ziel angestrebt werden soll.
Vor dem Vortrage demonstrierte Rasmus (Bukowitz) einen Fall
von herdweiser Sklerodermie bei einem achtjährigen Mädchen. Callo-
mon weist auf den im Januar vorgestellten Fall von diffuser Sklerodermie
hin und stellt den akuten Verlauf jenes Falles dem sehr chronischen des
Rasmusschen gegenüber. Das vorgestellte Kind weist neben Sklero--
dermieplaques am Rumpf und behaarten Kopf (Haarausfall) eine „Sklero-
dermie en bande“ in einer Voigtschen Grenzlinie am rechten Ober-
arın auf. eu a hi ie Callomon.
Dortmund.
Klinische Demonstrationsabende der Städt. Krankenanstalten.
Aus den Sitzungen Mai-Juli 1912.
Engelmann: Zwei Fälle von doppelter Uterusruptar. E. hat
kurz hintereinander zwei dieser seltenen Fälle erlebt. Im ersten Falle
handelte es sich um eine II-para, die das erstemal spontan in der Klinik
niedergekommen war. Draußen Wendungsversuche: dabei doppelte Zer- .
reißung des Uterus mit Vorfall von Darm. Ze
Im zweiten Falle soll die Ruptur spontan entstanden sein. Hier
ebenfalls ein kompletter und ein subperitonealer Riß. In beiden Fällen
wird die Gebärmutter mit Erfolg supravaginal abgesetzt.
Die zwei Beobachtungen werden noch ausführlicher publiziert.
Fabry: I. Bericht über eine Patientin mit Acustieusaffektion
bei Salvarsanbehandlung. Die Patientin hatte anderwärts Salvarsan und
Quecksilber bekommen, ersteres intramuskulär. Bei der Aufnahme 8m
4. Mai bestand fast vollständige Taubheit beiderseits. Der Fall wurde
auf der Ohrenabteilung vor, während und nach der Behandlung genen
29. September. |
untersucht. Daß eine Salvarsanschädigung nicht vorlag, zeigte der Erfolg
der Behandlung. Patientin erhielt: weitere zwei Injektionen von Neo-
salvarsan (zusammen 0,8) und der Erfolg war ein so eklatanter, das heißt
die Hörfunktion stellte sich in einem so hohen Grade wieder her, daß
wir ung entschlossen haben, nach einiger Zeit noch eine dritte Injektion
zu machen. Der Fall spricht für die Auffassung Ehrlichs, daß die so-
genannten Neurorezidive lokale Syphilisrezidive sind.
II. Ueber Mercinolbehandlung der Syphilis. Unzweifelhaft ist
das Mercinol das am intensivsten wirkende Präparat von allen bei der
Depotbehandlung angewandten. Eine Gefahr aber liegt darin, daß die
Depots manchmal sehr schwer zur Resorption kommen; wenn dann dem
Patienten bereits eine größere Anzahl von Spritzen in den üblichen
Dosen verabfolgt sind, kann plötzlich an verschiedenen Depotstellen die
Resorption einsetzen, und das ist für den Kranken eine nicht zu unter-
schätzende Gefahr. Das sich häufende Auftreten von Stomatitis mercu-
rialis und eine ganz schwere Quecksilberintoxikation, welche fast den
Exitus des Kranken herbeigeführt hätte und monatelange Krankenhaus-
behandlung erforderlich machte, hat F. veranlaßt, zur altbewährten Be-
handlung mit Hydrargyr. salicyl. zurückzukehren.
III. Ueber Behandlung der Syphilis mit Neosalvarsan. Vor-
tragender begrüßt die Einführung des Neosalvarsans durch Ehrlich als
einen bedeutsamen Fortschritt. Das Mittel wurde an zahlreichen Pa-
tienten seit vier Monaten geprüft. Nach der Ansicht F.s steht dasselbe
dem Altsalvarsan an Wirksamkeit durchaus nicht nach, ist aber ent-
schieden viel weniger toxisch. Die Lösung geschieht in frisch herge-
stelltem Aqua destillata genau nach den Vorschriften Ehrlichs.
Im übrigen behandelt F. ähnlich wie früher kombiniert mit Quecksilber
und Salvarsan. Ob es nötig sein wird, wie es bereits manche Autoren
getan haben, zu den ganz großen Dosen überzugehen (bis insgesamt 6,0
und darüber), muß die weitere Erfahrung zeigen. Vorläufig hat Vortragen-
der an seinem Material den Eindruck gewonnen, daß es vielleicht gar
nicht nötig ist, wenigstens bei kombinierter Behandlung, so ganz große
Dosen anzuwenden; zweifellos scheint es ihm aber unbedenklich, in An-
betracht der geringen Toxität im allgemeinen größere Dosen wie bisher
üblich zu geben. Bei sekundärer Lues gibt F. für Männer 0,9, bei Frauen
0,75 Neosalvarsan pro dosi; es werden drei und manchmal vier Injektionen
gemacht, zwischen den einzelnen Injektionen liegen Zwischenräume von
sieben bis acht Tagen. |
Kretzmer bespricht die Ergebnisse der Behandlung von Haut-
krankheiten mit Aderlaß und Kochsalzinfusion beziehungsweise
intravenöser Seruminjektion. Nach einem kurzen Ueberblick über die
Arbeiten von Bruck (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 3), über eine Nachprüfung
an der Heidelberger Hautklinik, ferner über die Berichte von Linser
(Derm. Zt. 1911, Bd. 3, und Med. Kl. 1911, Nr. 4) gibt K. an, dab auf
der Dermatologischen Abteilung des Luisenhospitals 31 Fälle nach Bruck
mit Aderlaß und Infusion physiologischer Kochsalzlösung behandelt wor-
den sind und zwar 22 meist chronische, pruriginöse, durchweg sehr aus-
gedehnte Ekzeme beziehungsweise Dermatitiden, drei Psoriasisfälle, drei
Sykosisfälle (simplex), ein Pemphigus foliaceus, eine Furunkulose und ein
Fall von Urticaria gigantea.
In 19 Fällen war der Erfolg gleich null oder sehr zweifelhaft, dar-
unter die Psoriasisfälle, der Pemphigus, die Furunkulose und die Urti-
caria gigantea. In zwölf Fällen trat deutliche Besserung auf (Aufhören
des Juckens und Zurückgehen der klinischen Erscheinungen). Bei zwei
von diesen Fällen war die Veränderung der bis dahin geröteten, schuppen-
den und infiltrierten Haut sehr eklatant. Es handelte sich dabei mehr
um chronische Dermatitiden, von denen die eine schon monatelang keine
Schweißsekretion gehabt hatte, die sich dann nach zweimaligem Aderlaß
und NaCl-Infusion wieder einstellte.
Weiter bespricht dann Vortragender einen Fall von chronischem
prurigindsem Ekzem, der schon sechsmal mit Aderlaß und Kochsalz-
infusion ohne Dauererfolg behandelt worden war. Dieser Kranke erhielt
normales Blutserum intravenös und zwar zuerst 35 cem und elf Tage
später 45 ccm. Danach trat am Oberkörper fast völlig Heilung ein, wäh-
rend die Unterextremitäten sich nur wenig besserten.
Im ganzen sind demnach die Erfolge nicht so gut, wie die der
früheren Beobachter. Jedoch sind immerhin beachtenswerte Beeinflussungen
Jahrelang bestehender Dermäatosen, die jeder andern Therapie trotzten, zu
verzeichnen gewesen. Es wurde meist nicht über 200 cem Blut entleert,
dafür aber vereinzelt bis zu sechsmal.
Die Beobachtungen sollen noch fortgesetzt werden. Namentlich
soll der Injektion normalen Serums bei Hautleiden noch mehr Aufmerk-
jamkeit geschenkt werden.
Eine befriedigende Erklärung über die Wirkungsweise sowohl des
Aderlasses mit nachfolgender Kochsalzinfusion (Organismuswaschung) als
woh der Seruminjektion läßt sich wohl zurzeit noch nicht geben. E.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39, 1605
-— Ar
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 1. Juli 1912.
1. E. Fromm: Auf eine Anfrage aus der Versammlung berichtet
der Kreisarzt über eine kleine Pockenepidemie. Auf das Gerücht hin,
daß die echten Pocken in der Familie eines Arztes vorgekommen seien, der
ebenso wie sein Vater, dernicht Arztist, an der Spitze der Impfgegner steht,
hat F. die Wahrheit des Gerüchts nach gehöriger Legitimation durch die
Polizei in der Wohnung des Arztes festgestellt. Der betreffende Arzt hatte _
sich offenbar bei der Behandlung einer russischen Schauspielerin, die kurze
Zeit vorher „Scharlach“ gehabt haben soll, infiziert und ist selbst sehr
schwer erkrankt. Meldung an die Polizei hat nicht stattgefunden. Der
Arzt genas aber, wenn auch mit sehr starker Entstellung, und trat eine
Reise an. Während seiner Abwesenheit erkrankte sein Kind, das zwar
geimpft gewesen sein soll, aber mit geringem Erfolg; Impfnarben waren
nicht zu sehen. Der Vater selbst soll nie geimpft gewesen sein. Der
zugezogene Arzt, ebenfalls ein agitatorisch tätiger Impfgegner, sah das
Kind einmal, ohne es weiter zu behandeln, sodaß es beinahe ohne Be-
handlung blieb. Auch dieser Fall, der mittelschwer verlief, wurde nicht
gemeldet, sondern erst vom Kreisarzte selbst festgestellt. Die übrigen
Familienglieder (Mutter und drei Kinder), die sehr deutliche Impfnarben
trugen, blieben bis jetzt gesund. Im Nachbarhaus erkrankten noch leicht
zwei ältere weibliche geimpfte Personen, die im städtischen Krankenhaus ihrer
Genesung entgegengehen. Die wenigen Fälle, denen voraussichtlich nach
den getroffenen Maßnahmen keine weiteren folgen werden, haben schla-
gend bewiesen, daß schwer die nicht Geimpften erkranken, leicht die
ungenügend oder vor längerer Zeit Geimpften und gar nicht diejenigen,
die vor kürzerer Zeit eine erfolgreiche Impfung durchgemacht haben.
Es entbehrt nicht des pikanten Reizes, daß dieser Beweis gerade in der
Familie eines Arztes geliefert wurde, der zu den heftigsten Impfgegnern
zählt, Er hat übrigens, wie er selbst angab, seine Stellung zur Frage
der Impfung einer Revision unterzogen!).
2. Siegel: a) Fall von Pyonephrose. Eine 38jährige Frau war
vor sechs Jahren wegen Appendicitis, dann wegen Cholecystitis behandelt
worden. Im Urin wurde damals nichts gefunden. Später entleerte die
Frau zeitweise Eiter mit dem Urin, darnach war der Urin wieder normal
und sie fühlte sich selbst wohl, wenn der Urin normal war. Zuletzt
hatte sie bei der Eiterentleerung Schüttelfröste, Herzschwäche. Durch
Palpation war bei der kleinen dicken Frau nichts festzustellen, auch die
Cystoskopie ergab nichts. Ureterenkatheterismus und Indigkarminprobe
ließen erst eine rechtsseitige Erkrankung feststellen. Die Eiterniere
wurde entfernt. Patientin ist glatt genesen. |
b) Bei einem Patienten fand ein Eiterdurchbruch in die Harnwege
statt, dessen Quelle zunächst nicht gefunden werden konnte. Der Er-
krankung war ein Furunkel vorausgegangen. Vor dem Eiterdurchbruch.
bestand eine teigige Schwellung der Prostata, cystoskopisch konnte kein
besonderer Befund erhoben werden. Der Eiter und das Blut enthielten
Stsphylokokken. Endlich fand man durch wiederholte Probepunktionen
einen Riterherd in der Nierengegend, der, wie durch die Operation
festgestellt wurde, von einem osteomyelitischen Absceß in einem
Wirbelkörper ausging. Patient ist mit Gibbusbildung genesen.
c) In einem Falle, in dem der Sphincter ani wegen Tumor mit-
weggenommen werden mußte und der Patient darnach sehr an Inconti-
nentia alvi litt, wurde der Versuch gemacht, durch freie Fascien-
plastik einen besseren Schluß zu erzielen. Bei der Operation eines kleinen
Rezidivs wurde ein dem Oberschenkel entnommenes Stück Fascie etwa
4 cm oberhalb des Darmendes circulär um den Darm gelegt und hier be-
festigt. Es trat zwar erst eine Erweichung des Lappens ein, dann wahr-
scheinlich durch Narbenbildung wieder eine erhebliche Verengerung und
damit Besserung, sodaß der Kranke ohne Beschwerden ist und täglich
nur ein- bis zweimal Stuhl entleert.
3. Günzburg demonstriert die Röntgenbilder mehrerer Magen-
fülle. Im ersten Falle, der stets occulte Blutung im Stuhle hatte, zeigte
das Röntgenbild einen intermittierenden Sanduhrmagen. Es fand sich
ein altes Ulcus in der Pylorusgegend, an der Stelle der Contractur selbst
aber nichts Abnormes. Heilung durch Gastroenterostomie. — Bei einem
zweiten Falle ließ das Röntgenbild ein Schluckhindernis aunehmen, es
fand sich aber bei der Operation überhaupt keine organische Erkrankung.
— In einem dritten Falle zeigte das Bild des Magens Auszackungen, die
für einen Tumor sprachen. In einer zwei Tage später aufgenommenen
Photographie war aber der Befund wieder ganz normal. Man soll also die
Diagnose nie auf eine einzige Aufnahme gründen. — Im vierten Falle
fanden sich ebenfalls Aussparungen am Magenbild und eine Zapfenbildung
in die Duodenalgegend hinein. Trotzdem fand sich ein bewegliches, gut
operables ‚Carcinom des Pylorus. Die Röntgenbilder sind mit großer
1) Anmerkung dos Referenten: Wenige Tage später ist auch
noch ein homöopathischer Arzt, der bei den zwei im Nachbarhaus er-
krankten Fällen war, an Pocken erkrankt. Bar
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1606 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
29. Sej.tember.
Vorsicht zu beurteilen und man muß neben ihnen noch alle zur Ver-
fügung stehenden Methoden zur Diagnose heranziehen.
Sasse und S. Auerbach: Demonstration zweier Fülle von
dekompressiver Trepanation. a) Ein acht Monate altes Kind hatte
durch Fall eine große intradurale Blutung erlitten mit sebr schweren
Erscheinungen. Der Bluterguß wurde durch Trepanation entleert, das
blutende durale Gefäß unterbunden. Glatte und vollständige Heilung.
b) Bei einem Manne, der früher ein Ulcus penis gehabt hatte, entwickelte
sich unter Kopf- und Nackenschmerzen und Stauungspapille eine intra-
durale Drucksteigerung mit sehr rasch fortschreitender, zu fast völliger
Erblindung führender Abnahme der Sehschärfe. Hg und J waren ganz
erfolglos. Der Sitz der Erkrankung wurde rechts vermutet. Es wurde
in der Gegend des rechten Musculus temporalis eine große Trepanations-
öffnung gemacht. Im Gehirn wurde zwar nichts gefunden, der Erfolg der
Operation war aber ein überaus günstiger. Das Sehvermögen kehrte bald
wieder zurück, die Kopfschmerzen und sonstigen Erscheinungen schwanden,
sodab der Patient wieder völlig arbeitsfähig wurde. Worum es sich han-
delte, ist nicht sicher. Man kann eine luetische Basilarmeningitis, eine
Encephalitis gummosa oder einen sogenannten Pseudotumor annehmen.
ge ur a Hainebach.
Hamburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 21. Mai 1912. |
Vortrag Brauer: Die Behandlung der Bronchiektasien. Aus
praktischen Gesichtspunkten empfiehlt es sich, drei Hauptgruppen
aufzustellen: 1. die von einer Erkrankung des Bronchialbaums ausgehen-
den chronischen Eiterungen, 2. die verschiedenartigen Bronchiektasien
primär-pneumonischer beziehungsweise pleuro-pneumonischer Natur, 3, die
in sich besonders differente Gruppe von Krankheitsbildern, die sich aus
den beiden vorigen Typen entwickeln. Die Behandlung ist entweder
innerlich oder chirurgisch. Bettruhe und passende Allgemeinbehundlung
fördern schon an sich häufig die durch die chronische Eiterung herunter-
gekommenen Kranken. Weiterhin kommen die expektorierenden, des-
infizierenden oder desodorierenden Arzneimittel in Betracht, ebenso das
die Sekretion herabsetzende Atropin. Milde Narkotika sind nicht allzu-
. sehr zu scheuen. Morphium ist für die Lunge das, was Digitalis für dag
Herz ist. Von pbysikalischen Heilmethoden ist die Quinckesche Lage-
rung zur Entleerung der Kavernen am beliebtesten. Sie beugt der Sekret-
stauung und damit der fortschreitenden Zersetzung vor. Ein Teil der
Kranken verträgt sie aber schlecht, weil Kongestionen und Blutungen
auftreten können. Im ganzen ist jedoch die interne Therapie neben nicht
seltenem völligen Versagen nur imstande, einzelne Symptome zu mildern.
Weiter bringen kann den Patienten nur die chirurgische Behandlung.
Die zur Operation führenden Gründe sind mancherlei Art. Abgesehen
von dem Ausbleiben eines Dauererfolgs bei innerer Behandlung und dem
. Zurückbleiben eines den Patienten dauernd gefährdenden oder ihn sozial
schwer behindernden Zustandes sind es im einzelnen ständiger Husten-
reiz, fortschreitende Ernährungsstörung mit Kräfteverfall, Massenhaftig-
keit des Auswurfs, vor allem fötider Charakter desselben und der Atem-
luft, ferner häufig wiederkehrende schwerere oder dauernde kleinere Blu-
tungen, alsdann die häufigen akuten Fieberschübe, die Pleurakompli-
kationen, das beginnende Amyloid und schließlich die nicht zu bekämpfen-
den dyspeptischen Störungen. Die chirurgischen Eingriffe bestehen ent-
weder in der Lungenkollapstherapie (Plastik oder Pneumothorax), in der
Anlegung einer Lungenfistel, der Bruns-Sauerbruchschen Operation,
der breiten Verödung oder ausgedehnten Resektion mehr oder weniger
großer Lungenabschnitte und endlich der Methode der Fremdkörper-
extraktion und sonstiger bronchoskopischer Behandlungsweisen. Mit all
den genannten Methoden sind mehr oder weniger befriedigende Erfolge
zu erzielen, teils in kurativer, teils in palliativer Hinsicht. Anderseits
sind jeder von ihnen auch Grenzen gesteckt. Bei vielen Operationen
kommt es darauf hinaus, der Sekretstauung entgegenzuwirken, sodaß die
Frage, wie im einzelnen therapeutisch vorgegangen werden soll, sehr
wesentlich gerade von den Gesichtspunkten abhängt, die bei der Sekret-
entleerung zu berücksichtigen sind. Zusammenfassend läßt sich sagen,
daß durch eine konsequente und im einzelnen sorgfältig überlegte interne
Therapie häufig ein Dauerzustand erreichbar ist, der eine erträgliche
Lebensführung ermöglicht, daß aber, wenn dieses Ergebnis nicht zu er-
zielen ist, rechtzeitig ein passend zu wählender Eingriff vorgenommen
werden muß. Wartet man damit nicht, bis die Patienten in einen äußerst
decrepiden Zustand geraten sind, dann sind die operativen Erfolge nicht
so unglinstig, wie nach den Sammolstatistiken vielfach angenommen wer-
m Din aesioi in der Sitzung vom 4. Juni: Kümmell betont die
Schwierigkeit der Feststellung, ob die Bronchiektasien multipel sind,
ferner die Wichtigkeit der Frage, ob sie einseitig sind. Fisteln kommen
nach Operationen häufig vor. Die Hauptsache ist aber, daß der jauchige
Auswurf verschwindet.
Sudeck stimmt dem zu, daß bei sackförmiger Bronchiektasie in
einem Lappen die Operation klar vorgeschrieben ist. Meist sind aber die
Ektasien multipel. Von seinen sechs operierten Fällen sind drei, aller-
dings sehr schwere, gestorben. Leicht ist der Pneumothorax auszuführen,
technisch schwierig ist die Resektion.
Kißling ist der Ansicht, daß die interne Therapie völlig ver-
sagt. Er ist daher für chirurgisches Vorgehen. Vorbedingungen hie: für
sind, daß der Patient nicht zu alt, das Herz kräftig ist und daß die
Bronchiektasien möglichst nur einseitig sind. Als Indikationen haben zu
gelten: Größere sackförmige Bronchiektasien, Auftreten von Gangrän bei
nicht zu schlechtem Aligemeinbefinden, lebensbedrohliche Blutungen bei
jugendlichen Individuen, wiederkehrende schwere Pneumonien.
Schottmüller empfiehlt unter anderm Sauerstoffinhalationen, die
besonders bei den durch anaerobe Bakterien erzeugten Eiterungen von
Erfolg sind. Mit dem Vorschlage zur Operation soll man vorsichtig sein.
' Bei lokalisierten Herden ist er am ehesten angebracht. Sie mag man
öffnen. Beschränkt sich die Erkrankung auf einen Lappen, so ist die
Thorakotomie zu versuchen.
Brauer erklärt im Schlaßworte, daß wesentliche Differenzen
zwischen ihm und den Diskussionsrednern nicht zutage traten. Die
etwaigen Erfolge der Sauerstoffinhalation erklärt er sich durch Saug-
wirkung, erhöhte Expektoration. | Reißig.
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Berlin.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde. Sitzg.vom 15. Juli1912.
Vor Eintritt in die Tagesordnung hält Heubner dem vorstorbenen
Mitgliede Prof. Hugo Neumann einen warm empfundenen Nachruf mit
eingehender Würdigung seiner Verdienste auf rein wissenschaftlichem
und wissenschaftlich-statistischom Gebiete sowie seiner Arbeiten und
seiner Betätigung auf dem Gebiete sozialer Fürsorge.
Referat Eckert: Der Stand der Diphtherietherapie. E. stellt
sich in tlieoretischer Beziehung im wesentlichen auf den Standpunkt der
Marburger Schule von Behrings, in praktischer Beziehung teilt er die
vor Jahren ausgesprochenen Anschauungen Heubners. Er verlangt Er-
höhung der Dosen, zumal in schweren Fällen, wo sie bis zu der Maximal-
dosis an dem gesetzlich vorgeschriebenen Karbol zu steigern sind. E.
glaubt, damit auch sonst verlorene Fälle gerettet zu haben, gibt indessen
zu, dab es sich um Eindrücke handelt. Vor allem ist, wie er an der
Hand der Statistik der Universitäts-Kinderklinik dartut, von Wichtigkeit
der Moment der Injektion — je später injiziert wird, desto höher die
Mortalität. Frühzeitige Injektion beugt auch den Lähmungserscheinungen
| vor. Ebenso wirken sehr große Antitoxinmengen gegen die Lähmungen.
Diese hängen nicht von einem besonderen Toxon ab. Die subcutanen In-
jektionen sind anfzugeben und durch intramuskuläre zu ersetzen
(Morgenrot), eventuell auch durch intravenöse. Gefährliche Anaphy-
laxieerscheinungen sah man dabei ebensowenig wie vorher.
Auch für die Lokalbehandlung empfiehlt sich das Serum, das auch
antibakteriell wirke (Ramson). Endlich spricht sich Referent noch zu-
gunsten des Adrenalins bei Kreislaufschwäche aus.
Braun konnte sich von einer höheren Wirksamkeit größter Dosen
nie überzeugen. Die Mortalität am Krankenhaus Urban sank erst, als
unentgeltliche Impfungen in den Familien und Belehrung derselben em-
setzte. Statt 14 sah er nur noch 4°), Mortalität wegen der frühzeitigeren
Einlieferung. Die Kosten betrugen nur 700 Mark.
Heubner bezweifelt die antibakterielle Wirkung des antitoxischen
Serums.
Fritz Meyer: Myokarditis sieht man bei intramuskulärer An-
wendung großer Dosen, wie er gezeigt hat, vielmals seltener, als bei der
vorher üblichen Therapie. Objektive Maßstäbe findet er für die Schwere
der Infektion im Verhalten des Blutdrucks, für die Anaphylaxiegefaht m
dem Ausfalle der Intracutanreaktion. Ebenso günstig wie das Heilserum
wirkt lokal gewöhnliches Pferdeserum, das wegen seiner Billigkeit den
Vorzug verdient.
Jochmann teilt auf Grund seiner Beobachtungen an der In-
fektionsabteilung des Virchowhospitals mit denen Eckerts Aboras
mende Anschauungen mit. Schwere anaphylaktische Erscheinungen s
er nur einmal und zwar bei einer Erstinjektion. Bei Lähmungen au A
Herzlähmung sah auch er gutes von größten Dosen. Bei letzterer A
von dem Adrenalin nichts. Ausgezeichnet wirkt das Serum lokal app
ziert auf Augendiphtherie. R
Eckert: Schlußwort. K.R
Ophthalmologische Gesellschaft. Sitzung vom 17. Juli 1912.
Isakowitz zeigt einen 16 jährigen Patienten, der einen en
seitigen gemischten Astigmatismus von 6 Diop (+ 3,00 — 6,0 ie obario
durch Fingerdruck so weit zu kompensieren vermag, daß die Sehs
29. September.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 39, | 1607
von 6/60 auf fast 6/6 steigt. Er ist aus diesem Grunde bisher ohne
Brillo ausgekommen. |
Adam demonstriert einen Patienten mit einer anatomisch ver-
lagerten Macula lutea. Dieser, ein Student von 20 Jahren, war wegen
eines Strabismus divergens et sursum vergens (jeder von etwa 10 bis 15°)
in die Behandlung getreten. Bei Abschluß des Hauptauges verblieb das
Schielauge in seiner Schielstellung, sodaß eine exzentrische Fixation mit
Herabsetzung der Sehschärfe auf Fingerzählen in etwa !/2 m angenommen
wurde. Statt dessen hatte der Patient aber in eben jener Schielstellung
fast volle Sehschärfe. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung stellte
sich nun das eigenartige Verhalten heraus, daß die Macula nach oben
außen verlagert war und daß der Patient mit jener anscheinenden Schiel-
stellung tatsächlich die Macula einstellte. Gleichzeitig tanden sich noch
andere Abweichungen von der Norm, und zwar eine unregelmäßige Ver-
teilung der gröberen Netzhautgefäße, derart, daß der untere Teil der
Retina fast frei davon war, und weiter das Vorhandensein von weißen |
(Bindegewebs-?) Strängen, die von der Papille zu der eigenartig ge-
lagerten Macula hinzogen.
Römer hat seine Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen
Gesamtorganismus und Starbildung fortgesetzt. Nachdem der versuchte
Weg, organtherapeutisch durch eine etwaige Beeinflussung der Entwick-
lung des Alterstars etwas Sicheres über die Pathogenese desselben zu
erfahren, nicht zum Ziele geführt hat, hat Römer versucht, zunächst
theoretisch den Zusammenhang zwischen Starbildung und Gesamtorganis-
mus weiter aufzuklären. Er hat gefunden, daß bei der jugendlichen
Form der Cataracta diabetica im Blutserum Substanzen auftreten, welche
die Fähigkeit haben, Linseneiweiß rapide unter Bildung von giftigen
Stoffwechselprodukten abzubauen. Diese Eigenschaft kommt in der auf-
gefundenen Konzentration dem normalen menschlichen Serum nicht
zu. Die Verhältnisse bei andern Starformen liegen quantitativ und
qualitativ etwas anders, Darüber wird in der nächsten Sitzung be-
richtet werden. ©. Adam (Berlin).
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
August Cramer +.
Am 6. September ist der Ordinarius der Psychiatrie in Göttingen,
August Cramer, im 52. Lebensjahre an einem Blasencarcinom ge-
storben.
Sein Tod beraubt die Psychiatrie eines ihrer energievollsten Führer,
dessen Wirken in Göttingen nach mehr als einer Richtung vorbildlich
gewesen ist. Cramer hinterläßt eine ganze Gruppe von psychiatrisch-neu-
rologischen Anstalten, deren rasche Entstehung und Entwicklung sein Werk
war. Der Irrenanstalt, in deren Leitung er Ludwig Meyer 1900 ge-
folgt war, hat er während einer nur zwöltjährigen Tätigkeit eine Nerven-
klinik, eine Nervenheilstätte, eine Anstalt für psychopathische Fürsorge-
zöglinge und ein Verwahrungshaus für geisteskranke Verbrecher ange-
gliedert. Wer die vielfachen Schwierigkeiten kennt, die’ bei der
Schöpfung dieser modernen Institute überwunden werden müssen, kann
sich allein aus dieser Tatsache ein Bild von der Persönlichkeit des Mannes
bilden, dessen organisatorischem Geschick alle diese Gründungen ge-
langen und dessen Verwaltungstalent der Riesenaufgabe ihrer Leitung
gewachsen war.
Die geistige Energie Cramers ist unter der Last dieser viel-
seitigen Tätigkeit, die er neben reicher Lehrarbeit leistete, so wenig
erlahmt, daß er bis in die letzten Jahre seines Lebens einer der frucht-
barsten psychiatrischen Schriftsteller geblieben ist. Noch wenige Tage '
vor seinem Tode hat er mit Ziehen und Bruns zusammen ein um-
fassendes Werk über die Nervenkrankheiten des Kindesalters erscheinen
asson, Von früheren Arbeiten hat die über die Hallazinationen im
Muskelsinne vollkommen neue Gesichtspunkte in die Lehre von den
Sinnestäuschungen und besonders vom Gedankenlautwerden . hinein-
jetragen, eine andere die feinere Anatomie der Medulla oblongata we-
sentlich aufgeklärt. Allgemeine Verbreitung haben die anregenden
Vorträge über Nervosität und die (in vierter Auflage erschienene) ge-
ichtliche Psychiatrie gefunden. In diesem außerordentlich klar ge-
ichriebenen Lehrbuche hat Cramer die reichen Erfahrungen niedergelegt,
lie er seiner Wirksamkeit auf forensischem Gebiete verdankte. Er war
iner der Fachgenossen, denen die gerichtliche Psychiatrie die glückliche
®ntwicklung der letzten Jahrzehnte verdankt, und insbesondere an der
/orarbeit, die von psychiatrischer Seite für die Neugestaltung des Straf-
‚esetzbuchs und der Strafprozeßordnung geleistet worden ist, hat er
virksamsten Anteil gehabt.
Ein tragisches Schicksal hat der Arbeit dieses kraftvollen, lebens-
rohen und liebenswürdigen Mannes ein vorzeitiges Ziel gesetzt; seine
Verke sichern ihm trotzdem das dauernde dankbare Gedenken seiner
'achgenossen. Bumkoe (Freiburg i. Breisgau).
Aerztlich-soziale Umschau.
Der Ortskrankenkassentag und die Arztirage.
j Ueber den Verlauf des diesjährigen Krankenkassentags zu
.öÖln im allgemeinen ist in den Tagesblättern zur Genüge berichtet
orden. Für uns Aerzte hat er wohl keine Ueberraschungen gebracht,
»ndern nur die Bestätigung und Wiederholung der seit langen Jahren
ch regelmäßig abspielenden Vorgänge, beginnend mit der liebevollen
ateilnahme der Gemeinde-, Staats- und Reichsbehörden bis zu den
öchsten Höhen der Bureaukratie, sich fortsetzend in den üblichen Klagen
ber den FFF „L.V.“, den großen Friedensstörer, der die Kassen durch
ane unerhörten Forderungen unweigerlich dem Ruin entgegentreibt, und
ıdigend in der V ersicherung, daß die,Ortskrankenkassen jederzeit, friedlich
wie sie sind gesonnen, zu jedem Entgegenkommen bereit seien, voraus-
gesetzt — nun daß eben die Aerzte vertrauensvoll die Wohlfahrt ihres
Standes den von reinstem Wohlwollen geleiteten Händen der Kassen-
organisationen überlassen, die schon am besten wissen, was dem Aerzte-
stande not tut.
Ja, es muß in der Tat traurig bestellt sein (natürlich nur durch
die Schuld der Aerzte) um die Finanzen der Kassen. Nur 900 bis 1000
Delegierte haben an dem Krankenkassentag in Köln teilgenommen! Oder
sollten alle diese die Reise- und Zehrkosten opfermutig aus der eignen
Tasche bezahlt haben, ohne die dem Ruine nahen Mittel der Kassen in
Anspruch zu nehmen? Sonst wäre es ein recht erkleckliches Sümmchen,
das da vorausgabt ist — aus den „Arbeitergroschen“, den „Beiträgen der
Aermsten“, wie es immer heißt, wenn die Aerzte aus denselben Mitteln
bezahlt sein wollen, wohlverstanden jeder einzelne Arzt für ehrliche, un-
bedingt nötige Arbeitsleistungen, nicht nur für Teilnahme an einer Tagung,
die bei der größten Anzahl der Anwesenden weder als Arbeit noch als
unbedingt nötig bezeichnet werden kann. |
Weil die Finanzlage der Kassen so beklagenswert ist, sind sie ja
auch wohl gezwungen, immer neue freiwillige Erhöhungen der Leistungen
für die Mitglieder vorzunehmen, eigne Verwaltungshäuser anzuschaffen,
eigne Genesungsheime und Institute zu errichten, an möglichst vielen
Stellen sich die Familienbebandlung, die das Gesetz ihnen nicht vor-
schreibt, freiwillig aufzuladen usw. Da kann natürlich für eine wirkliche
Aufbesserung der ärztlichen Honorare nichts übrig bleiben. Dafür kann
man eine solche ja auf dem Papiere vornehmen, indem man in den
Statistiken unter „Kosten für ärztliche Behandlung“ immer lustig — oder
listig (?) — alles mit aufführt, was an Heilgehilfen, Zahntechniker usw.
bezahlt worden ist, und daraus dann die größten Summen „für Aerzte“
zusammenrechnet. Auf diese Tatsache der irreführenden Kassenstatistiken
und Kassenjahresberichte kann nicht oft genug hingewiesen werden, und
zum Beweise sei hier ausdrücklich aufmerksam gemacht auf die Artikel-
serie „Krankenkassen und Aerzte“ in den „Aerztlichen Mitteilungen“,
Fol. 717, wo es heißt: |
n... Es seien hier aus dem Bericht einer großen Berliner Betriebs-
krankenkasse mit mehr als 30000 Mitgliedern folgende Zahlen angeführt:
Ausgaben für ärztliche Behandlung 182179 M
darunter befinden sich:
wundärztliche Behandlung (das heißt Behandlung
von seiten niederen Heilpersonals). . . . . 990 „
Massagen. © 2 2 2 0 m 22er. 592 „
Zahnärztliche Hilfe . . . . 2 2 2 2 22. 14811 ,„.
Zehnfüllung . . . . 25223 „.
Demnach verbleiben tatsächlich für die ärztliche. Be-
handlung . . . 2 2 2 2 02. : . 135 243 „.“
Aber wer wird denn auch — namentlich von Behörden, Volksver-
tretung usw. — so neugierig sein, solche umfangreichen Statistiken nach-
zuprüfen? Die lassen sich dann prächtig verwenden, um nachzuweisen,
wie enorme Honorare die Aerzte jetzt -schon beziehen, mit denen sie
noch nicht einmal zufrieden sind.
Für die Kassenbeamten mußte natürlich ganz anders gesorgt
werden. Herr Fräßdorf (Dresden) selbst sagte darüber: „Beim Zu-
sammenschluß haben die Vorstände die Pflicht, die Interessen der Beamten
weitgehendst zu wahren.“ „Die Dienstverhältnisse und die Besoldung
der Kassenbeamten haben eine beide Teile befriedigende Lösung durch
den Ortskrankenkassentarif erfahren. Lange Zeit schien es, als sollte
das nicht möglich sein. Durch beiderseitiges Entgegenkommen wurde
eine Basis gefunden, auf der auch ferner ein friedliches Zusammenarbeiten
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1911 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. September,
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zwischen Kassenvorständen und Beamten gewährleistet ist.“ „Bei Ein-
führung der Angestelltenversicherung werden die Kassen dazu die vollen
Beiträge übernehmen oder den Beamten eine Pension aus der Kasse
sichern, die der reichsgesetzlich vorgeschriebenen mindestens gleich-
kommt. Ein Tarifausschuß, paritätisch besetzt, wird über die Durch-
fübrung der neuen Vereinbarungen wachen. Die neuen Verträge, die
zwischen dem Vorstande des Hauptverbandes deutscher ÖOrtskranken-
kassen und dem Vorstande des Zentralverbandes der Bureauangestellten
vereinbart wurden, entsprechen allenthalben den gesetzlichen Vorschriften,
sie fanden durch die Hauptversammlung einstimmige Annahme.“
Nun, daraus können wir wieder lernen. So notwendig wie die
Kassen ihre Kassenbeamten — ob alle? — brauchen, so notwendig brauchen
sie ihre Aerzte. Und, dank Hartmann, haben wir ja jetzt auch das
Gegenstück zu dem Vorstande des Zentralverbandes der Bureauangestellten,
und es wird den Kassen nichts übrig bleiben, als mit diesem ärztlichen
Zentralverband ebenfalls in Verhandlungen zu treten. Auch da wird
sich dann wohl, trytz allen jetzigen Widerstandes der Kassen, einmal die
Lösung finden, von der eg auch „lange Zeit schien, als sollte das nicht
möglich sein“,
Wir Aerzte wollen ja auch, genau wie die Kassenbeamten es dank
ihrer Einigkeit erreicht haben, nichts weiter als eine „befriedigende
Reglung der Dienstverhältnisse und der Besoldung“ sowie den „erforder-
lichen Schutz vor willkürlicher Entlassung“. An eine Pension haben
wir bisher noch gar nicht gedacht, vielleicht bekommen wir die als
Dreingabe.
Es wird keinen unter uns geben, der den Kassenbeamten ihren
Erfolg nicht von Herzen gönnte, aber — wie stimmt diese neue frei-
willige, ungesetzliche — sel. nicht im Gesetze geforderte, wenn auch
dem Gesetze nicht widersprechende — Leistung der Kassen zu der be-
haupteten schlechten Finanzlage?
Mit der Gewerkschaft der Aerzte will man nichts zu schaffen
haben, um so mehr mit andern. Herr Fräßdorf empfahl auf dem Kassen-
tag andeutungsweise ein neues Kampfmittel, das er in Nr. 25 der
„Krankenkassen-Zeitung“ genauer ausführt.
„Da man auf den Angriff des Leipziger Verbandes gefaßt sein muß,
hat man sich auch nach neuen Waflen und Abwehrmitteln umgesehen.
Als eine neue Waffe hat man den Boykott, den der Leipziger Verband
selbst so gern und häufig angewendet, bezeichnet und, wo nötig, seine
Anwendung empfohlen.
Die Gewerkschaften aller Richtungen werden, wenn nötig, dem
Leipziger Verbande fühlbar machen, daß auch seine Bäume nicht in den
Himmel wachsen. Die Gewerkschaften werden im Interesse der Kassen
und ihrer Mitglieder bestimmen, wieviel und welche Aerzte in Anspruch
zu nehmen sind.
Dabei können die Wünsche der Mitglieder weitgehend berück-
sichtigt werden, insbesondere kann jedes Mitglied den Arzt in Anspruch
nehmen, der ihm aus irgendwelchen Gründen genehm ist. Die bei den
Mitgliedern beliebten Aerzte, die sogenannten Kassenlöwen. müssen den
Mitgliedern empfohlen werden. Diese Aktion soll dann in recht vielen
Orten zu gleicher Zeit erfolgen. Zugleich soll darauf hingearbeitet
werden, daß die Aerzte nicht mehr in Anspruch genommen werden, als
es die Interessen der Mitglieder erfordern. Ohne daß die Mitglieder zu
spät oder zu selten zum Arzte gehen, hält man es für möglich, die In-
anspruchnahme der Aerzte um 25°/, zu mindern. Wie das zu erreichen
ist, soll zu geeigneter Zeit den Kassen und vor allem den Mitgliedern
nahe gelegt werden. Die Kassen sind also weder wehrlos noch macht-
los; sie wollen bekanntlich den Kampf nicht, sie haben ihn aber auch
nicht zu fürchten. Sie werden sich so einrichten, dab sie dort, wo
Differenzen bestehen, mit recht wenig Aerzten auskommen, ohne daß
die Mitglieder dabei an ihrer Gesundheit und ihrem Geldbeutel Schaden
erleiden.
Die nachdrückliche Anwendung dieser Mittel dürfte die Arztfrage
in kurzer Zeit lösen und zu einem Zustande führen, der allein im Inter-
esse der Kassen und der Aerzte liegt.“ È
Da hat Herr Fräßdorf, wohl ohne es zu wissen oder zu wollen,
einen großartigen Gedanken zum Ausdruck gebracht, den wir alle unter-
schreiben werden. „Zugleich soll darauf hingewiesen werden, daß die
Aerzte nicht mehr in Anspruch genommen werden, als es die Interessen
der Mitglieder erfordern.“ Das wäre ja ideal! Einschränkung der un-
nötigen Belästigung der Aerzte, — fügen wir eventuell noch hinzu:
auch des schauderhaften überflüssigen Schreibkrams! Und dann natür-
lich eine angemessene Bezahlung, reellen Lohn für reelle Arbeit! Wenn
die Kassenmitglieder dann wirklich nur kommen, so oft ihr Zustand es
verlangt, das heißt so oft eine wirklich künstlerische Leistung des Arztes
erforderlich ist, dann werden wir ja wohl mit Recht auch Künstler-
honorare verlangen, die selbst Herr Fräßdorf uns dann nicht wird ab-
streiten können. Künstlerhonorare — das sind natürlich nicht die Hunger-
löhne der Minimalsätze!
Nach diesem Krankenkassentage, nach seiner so ganz besonders
schroffen Stellungnahme gegen die Aerzte und ihre Organisation, da
möchte ich eigentlich wünschen, daß dies Jahr kein Aerztetag mehr
abgehalten würde Könnten wir denn anders als in gleich schroffer
Weise uns wehren, unsern Standpunkt öffentlich zum Ausdruck bringen,
damit die Kluft nur vertiefen, wenn dies überhaupt noch möglich ist?
Hätte das einen Zweck? Auf uns allein angewiesen sind und
bleiben wir ja doch auf jeden Fall. Wir Aerzte haben uns nichts -
Neues mehr zu sagen und den Treuschwur, den wir uns selbst, unserer
Organisation geleistet haben, den halten wir auch, ohne damit noch ein-
mal vor der Oeffentlichkeit zu paradieren! Das ersparte Geld aber
— — — os fließe nach Leipzig!
| Erhard Söchting (Berlin-Wilmersdorf).
Soziale Hygiene.
Gefrierfleisch.
Es ist eine im wirtschaftlichen Leben großer Völker immer wieder
hervortretende Erscheinung, daß die Zunahme der Bevölkerung nicht
gleichen Schritt hält mit der für ihre Ernährung notwendigen Fleisch-
erzeugung. Auch in Deutschland hat diese Frage in neuester Zeit zu
Schwierigkeiten geführt und unter dem 20. März dieses Jahres im Reichs-
tage zu einer von der äußersten Linken eingebrachten Resolution zu-
gunsten der Einführung gefrorenen überseeischen Fleisches
Veranlassung gegeben. In Frage kommen hierfür, wie gleich voraus-
geschickt sei, in erster Linie Australien und Südamerika.
Abgesehen von der politischen Bedeutung der Einfuhr gefrorenen
überseeischen Fleisches auf den einheimischen Markt und auf unsere
selbst fleischproduzierende deutsche Landwirtschaft, bat vor allem die
soziale Hygiene ein sehr erhebliches Interesse an diesem Gegenstand.
Es ist ohne weiteres klar, daß bei unzweckmäßiger Ernährung gesund-
heitliche Schädigungen auftreten werden und um so gefahrdrohender er-
scheinen, sobald sie aus Quellen stammen, die nicht so leicht ausfindig
zu machen und noch schwieriger zu schließen sind.
Nach den in den sechziger Jahren nach den bakteriolo-
gischen Entdeckungen Pasteurs von Frankreich aus begonnenen und
leider mißlungenen Versuchen, aus Uruguay Gefrierfleisch einzu-
führen, traf am 2. Februar 1880 die erste Ladung davon im Um-
fange von 40 Tonnen aus Sidney in London ein. Da Bedenken nicht
entgegenstanden, befürwortete die englische Regierung die weitere Ein-
fuhr und man begann sofort damit, geeignete Einrichtungen zur Lagerung
des Gefrierfleisches zu bauen. In diesem Punkt ist England auch gegen-
wärtig allen Staaten voran, indem London etwa 15 ungeheure Lager-
räume für Gefrierfleisch besitzt, die bis zu einer halben Million aus-
geschlachteter Tiere, Ochsen, Hammel, Schweine, in gefrorenem Zustand
aufnehmen können, sodaß in England insgesamt über acht Millionen
solcher gefrorener Tiere lagern.
Entsprechend der Nachfrage haben auch unsere großen über-
seeischen Linien ihre Dampfer ausnahmslos mit Kühlanlagen ver-
sehen, was insofern nicht schwierig war, als die sogenannten Tropen-
dampfer schon Jange auf die ausschließliche Ernährung mittels gefrorener
Nahrungsmittel angewiesen sind und die hierfür bestimmten Schiffsräume
durch eine sinnreiche automatische Vorrichtung ständig auf einer Tempe-
ratur von 3 bis 40 unter Null gehalten werden. Auch im gegenwärtigen
italienisch-türkischen Kriege spielt das Gefrierfleisch bereits eine
wichtige Rolle, indem unsere deutschen Dampfer es von Australien bis
Neapel führen, von wo es dann seitens der italienischen Heeresverwaltung
nach Tripolis weitergeschafft wird. Desgleichen fährt die französische
Heeresverwaltung seit dem Vorjahre Fleisch in gefrorenem Zustande den
Mannschaften ins Manöver nach und vermag auf diese Weise die Er-
nährung der Truppen besser zu bewirken als mit den bisherigen Schlach-
tungen auf freiem Felde.
Was nun die Technik des Verfahrens anbetrifft, so bleibt für
hygienische Gesichtspunkte hierbei von Wichtigkeit das Aus schlachten
der Tiere, ihr Einfrieren und ihr Auftauen. Das Ausschlachten und
Einfrieren wird zurzeit in Australien und Südamerika derartig ausgeführt,
daß die vorher erst tierärztlich untersuchten Tiere in unmittelbarer Nähe
der Dampfer in besonders hierfür vorbereiteten Räumen mittels sind-
reicher Verfahren und ungeheuer schnell in Massen geschlachtet ‚und
ausgenommen werden und die noch dampfenden Körper alsdann direk
in den Gefrierraum hinabgleiten, woselbst sie hängend nach Europa 8%
laugen. Es bedarf keines Hinweises, daß die betreffenden auswärtigen
Landesregierungen, insbesondere Argentinien, bei dem großen Interesse,
welches dieser Industriezweig auch staatlich bietet, das ordaungsgemäße
Vorgehen beim Ausschlachten und Einfrieren ständig überwachen, sod
29. .Soptember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39,
1608
ernsthafte hygienische Bedenken nach dieser Richtung hin kaum be-
rechtigt erscheinen. |
Welchen Einfluß hat nun
des Fleisches? |
Es haben sich mit dieser Frage wiederholt sogenannte internatio-
nale „Kältekongresse“ beschäftigt, . so. insbesondere der vorjährige in
Weiterhin sind auf dem Schlachthof in Köln im Jahre 1910
wissenschaftliche Versuche angestellt worden, die sehr bemerkenswerte
Resultate ergaben. Hiernach ist mit dem Gefrieren stets ein beträcht-
licher Wasserverlust verbunden, der sich sofort nachteilig bemerkbar
macht, sobald das Fleisch wieder aufgetaut ist. Es schlägt sich nämlich
die Feuchtigkeit der Luft nach dem Auftauen darauf nieder, durchdringt
die darch das Gefrieren auseinandergerissenen Gewebe und führt so eine
Neigung zu schneller Zersetzung herbei, da dieses Wasser stets mit
Der Woasserverlust beim Gefrieren
beträgt beim Rindfleisch 8, beim Schweinefleische 7, beim Hammelfleische
Wien.
pathogenen Keimen überladen ist.
41/a, beim Geflügel 1 bis 2°. Das Rindfleisch nimmt bei längerer Auf-
bewahrung in der Kälte eine schwärzliche, das Schweinefleisch eine graue .
Farbe an. Die Folge davon ist, daß das Fleisch nach seinem Auftauen
möglichst rasch verzehrt werden muß, andernfalls die Keime durch rasche
Entfaltung es ungenießbar machen oder gesundheitliche Störungen er-
folgen. Für die Tropen mit ihren hohen Außentemperaturen gilt diese
Erfahrung, wie Verfasser aus eigner Kenntnis bestätigen kann, in noch
höherem Maß und eine große Reihe anscheinend unerklärlicher Ver-
lauungsstörungen, welche sich in der Regel nach mehrwöchigen See-
ahrten einzustellen pflegen, sind unbedenklich darauf zurückzuführen, daß
im Auftauen und Verbrauchen der gefrorenen Nahrungsmittel — es
iommt hier selbstverständlich nicht nur das Fleisch in Frage — nicht
nit der notwendigen Vorsicht verfahren wird.
| Die Versuche am Kölner Schlachthöfe führten jedenfalls zu dem
ürgebnisse, daß das Gefrieren des Fleisches immer nur als ein
\otbehelf angesehen werden muß, indem dabei mit der Fleisch-
aser Veränderungen verbunden sind, die für dieselbe nicht gleichgültig
ein können. Auch der Geschmack des Fleisches — um dieses rein äußer-
iche Moment nicht außer Betracht zu lassen —- leidet und die in diesem
unkte besonders verwöhnten Engländer und Französen behaupten, ge-
toren gewesenes Fleisch von frisch geschlachtetem sofort durch die
‚unge unterscheiden zu können, was nach Ansicht des Verfassers doch
vohl etwas zuviel gesagt ist. Der große Vorteil besteht anderseits
arin, daß gefrorenes Fleisch, sobald es bei Temperaturen bis zu — 4°
tändig erhalten wird, fast unbegrenzt unverändert bleibt, sodaß
ach dieser Richtung hin eine zeitliche Grenze überhaupt nicht angegeben
‚erden kann. Ob für Deutschland eine dauernde Zulassung von Gefrier-
eisch möglich ist; und ob diese Art der Ernährung schließlich — ein
icht unwichtiger Punkt — dem deutschen Gaumen überhaupt zusagt,
iub . erst abgewartet werden.
Was die gesetzliche Seite der Frage anbetrifit, so ist vorerst zu
emerken, daß das für England bestimmte australische Schlachtvieh
ereits ausgeweidet in gefrorenem Zustande dort eintrifft. Der $ 12
es deutschen Fleischbeschaugesetzes vom 3. Juni 1900 enthält nun die
orschrift, daß mit dem in das Zollgebiet eingeführten Tierkörper Brust-
nd Bauchfell, Lunge, Herz und Nieren, bei Küben auch der Euter in
ıtürlichem Zusammenhange verbunden sein müssen. Der Bundesrat hat
303 die Bestimmung noch dahin erweitert, daß beim Rindvieh und
shwein auch Gehirn und Augen nicht fehlen dürfen, ja selbst der Kopf
. einer den Zusammenhang mit dem übrigen Körper kenntlich machenden
Teise vorhanden sein muß. Diese Vorschrift bedingt aber bei den un-
zählten Mengen von Tierkörpern eine sehr erhebliche Verteurung der
acht und ihrer Spesen durch einen im übrigen unverwendbaren Teil
r Ladung. Es würde somit vorerst eine Aenderung jenes $ 12 statt-
ben müssen, was umsomehr zu erwarten steht, als die Technik des
ersandgeschäfts von Gefrierfleisch grade in den letzten Jahren sehr
sgebaut und verbessert wurde. Neben der Einrichtung großer Gefrier-
llen, wiae wir sie bei ung in diesem Umfange noch nicht besitzen, und
ben der Verbilligung der Eisenbahntarife werden sich aus der Einfuhr
n Gefrierfleisch nach Vorstehendem vor allem auch Forderungen pro-
ıylaktisch-hygienischer Natur‘ ergeben, deren gesetzgeberische
glung nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Erwin Franck.
Aerztliche Tagesfragen.
as Zellersche Verfahren zur Behandlung Krebskranker in der
ärztlichen Praxis.
Das von Dr. Zeller vorgeschlagene Verfahren zur Behandlung
n Krebskranken (M. med. Woch. Nr. 34 und das Referat in dieser
itschrift Nr. 35, S. 1450) besteht in dem innerlichen Gebrauch eines
lieiumpulvers und der äußeren Anwendung einer Zinnober-
5O kai i a
das Gefrieren auf die Substanz
Arsenik-Paste. Die Vorschrift zur Paste, die von Zeller „Cinnabarsana“
genannt wird, lautet: Acid. arsenic. 2 2... 20° | |
Hydragr. sulfurat, rubr. . 6,0
Carb. anim. . . . . . 20 | Ä
(Hydragr. sulfurat. rubr. Zinnober, nicht Hydragr. oxydat. rubr., wie
einige Berichte irrtümlich angeben.) Wie eine Einsendung in der
„Pharmazeutischen Zeitung“ Nr. 75, 18. September 1912, feststellt,
sind nur die Bestandteile des Pulvers zur Krebspaste damit gegoben.
Ueber die Zusammensetzung der gebrauchsfähigen Paste ist man also
auf Vermutungen angewiesen. Die offizinellen Pasten enthalten die pulver-
förmigen Teile und Vaselin zu gleichen Teilen. —
Für die Arsenik-Zinnober-Paste würde das für die Apotheken ver-
wendbare Rezept etwa zu lauten haben:
Acid. arsenic. . . . . 20
Hydragr. sulfurat. rubr. . 6,0
Ca'b. anim. . . . . 20
Glycerin . ; . 10
Vaselin ad . 4 . 20,0
Diese Salbe würde je nach dem vorliegenden Fall in achttägigen
Zwischenräumen auf die zu behandelnden Teile eingestrichen werden.
Das für den innerlichen Gebrauch empfohlene Siliciumpulver,
„Nacasilicum“ von Zeller genannt, hat die Vorschrift:
Natr. silic.
Kal. silic. . aa 20,0
Sach. lact. 60,0
3 mal täglich 0,25 g zu nehmen.
Für die Anfertigung und Verwendung dieses Siliciumpulvers ent-
stehen gewisse Schwierigkeiten aus der starken hygroskopischen
Eigenschaft der kieselsauren Salze. In der gegebenen Vorschrift backt
das Pulver zusammen und läßt sich schlecht dispensieren. Um dieser
Schwierigkeit zu entgehen, wird von Oberapotheker Meubrink (Berlin)
der Vorschlag gemacht, einen Teil des Milchbzuckers durch gebrannte
Magnesia zu ersetzen. Dadurch gelingt es, eine körnige, trockne Pulver-
masse zu erhalten, die sich gut in Einzelgaben teilen und messer-
spitzenweise nehmen läßt. Diese Vorschrift für das Siliciumpulver
würde demnach lauten: Natr. silic
Kal. silic.
Magn. ust. . aa 20,0
Sach. lact. 40,0
M.f. pulv., da ad. vitr.
S. Messerspitzenweise zu nehmen.
Aus der Zuschrift in der „Pharmazeutischen Zeitung“ geht hervor,
daß in verschiedenen Apotheken die Zellerschen Vorschriften als ärzt-
liche Rezepte eingelaufen sind. Offenbar machen verschiedene Aerzte
Gebrauch von den Zellerschen Vorschriften zur Behandlung von Krebs-
kranken. Daher dürfte dieser Hinweis auf einige kleine Schwierigkeiten
für die Verordnung und auf die Wege, diese Schwierigkeiten zu um-
gehen, manchem Kollegen willkommen sein. . Bg.
Kleine Mitteilungen. |
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Auf Grund einer Reihe von Reichsgesetzen ist die Reichs-
postverwaltung verpflichtet, bei der Durchführung durch Vertrieb von
Marken und durch Zahlung von Renten und Entschädigungen
mitzuwirken. Welchen Umfang diese Mitwirkung erreicht hat, geht aus
der Statistik des letzten Berichtsjahrs hervor. Auf Grund des Invaliden-
versicherungsgesetzes vom Jahre 1899 haben die Postanstalten den Ver-
kauf der Versicherungsmarken zu übernebmen. Von diesen Marken
wurden im letzten Berichtsjahre 491447040 Stück in einem Gesamtwerte
von 158374584 M verkauft. — Auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes
vom Jahre 1900 hat die Reichspostkasse vorschußweise Unfallentschä-
‚digungen, Invalidenrenten, Altersrenten, Beitragserstattungen und
Witwen- und Waisengelder zu zahlen. Hierdurch wurden in dem be-
treffenden Jahr insgesamt an 2315100 Personen Beträge im Gesamt-
werte von 283322342 M vorschußweise gezahlt.
Die Berliner Universität gibt soeben die von ihr für das
Jabr 1913 gestellten zahlreichen Preisaufgaben bekannt. Die medizi-
nische Fakultät verlangt die Bearbeitung folgender Aufgaben: Für
den königlichen Preis: Es soll untersucht werden, ob die Branntwein-
steuer vom Jahre 1909 einen Rückgang der alkoholischen psychischen
Störungen in Berlin zur Folge gehabt hat, Für den städtischen Preis:
Lebensdauer bei Herzkrankheiten.
Schöneberg-Berlin. Die Einnahmen der dirigierenden Aerzte
des Städtischen Auguste - Viktoria - Krankenhauses, welche bisher aus
einem Teil der Verpflegungssätze der Kranken I. und II. Klasse sich zu-
sammensetzten, ändern sich in Zukunft dahin, daß den Aerzten aus diesen
Klassen ein Liquidationsrecht innerhalb der Gebührenordnung für Opera-
tionen und innere Leistungen mit operativem Charakter nunmehr zusteht.
Es wurden auch die Kurkosten herabgesetzt. Von den Kranken I. Klasse
bezahlen nunmehr hiesige täglich M 12.50 (bieh-r M 15,—), auswärtige
M 18,— (bisher M 24,—), IL Klasse M 7,— (M 7,50), für auswärtige
M 10,— (M 12,—).
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1610
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 39.
29. Septeinbör.
n a dh«d nn ————— m m ua
Berlin. Zum Vorsitzenden der Centralstelle für das Rettungs-
wesen an Binnen- und Küstengewässern wurde in der Vorstands-
sitzung im September dieses Jahres Se. Exzellenz der Wirkliche Geheime Rat
Dr. v. d. Leyen gewählt. —
Breslau. Zum Andenken an den jüngst verstorbenen Zahnarzt
Dr. Hafke wurden von dessen Eltern der Universität 10000 M über-
wiesen, deren Zinsen alljährlich an einen Studierenden der Zahnheilkunde
vergeben werden sollen. —
Dresden. Das Königlich sächissche Unterrichtsministerium hat
die von der freien Vereinigung sächsischer Ortskrankenkassen beantragte
Errichtung eines Lehrstuhls für Naturheilkunde an der Universität
zu Leipzig abgelehnt. In der Begründung heißt es unter anderm: Ein
neuer Lehrstuhl kann nur für einen besonderen, selbständigen Wissens-
zweig errichtet werden. der an der Hochschule bisher noch nicht oder
noch nicht ausreichend vertreten ist. Als ein solcher Wissenszweig
könne aber die sogenannte Naturheilkunde nicht erachtet werden, da sie
nicht ein auf selbständiger. wissenschaftlicher Grundlage beruhendes und
von der sonstigen Medizin unterschiedenes Wissensgebiet sei, Sondern
vielmehr als eine mehr oder weniger willkürliche Zusammenstellung und
Verwertung einer Anzahl einzelner Erfahrungssätze über heilsame Wir-
kung gewisser Naturwerte sich darstelle. Derartige natürliche Hilfsmittel
würden von den Vertretern der ärztlichen Wissenschaft keineswegs aus-
geschlossen, sondern seit geraumer Zeit schon in steigendem Maß in
geigneten Fällen angewendet; auch sei ihre Verwendung an den klini-
schen Anstalten der Leipziger Universität schon gegenwärtig in umfang-
reicher Weise vorgesehen und auch für die Zukunft in noch weiterem
Maße geplant. . l
l Frankfurt a. M. Am. 20. September ist hier im Alter von erst
47 Jahren Sanitätsrat Dr. Nicolaus Nahm einem Herzschlage erlegen.
Der Verstorbene war der Organisator und langjährige leitende Arzt der
Lungenheilstätte in Ruppertshain im Taunus, der ersten deutschen Volks-
heilstätte. Er hat damit ein Vorbild für andere Anstalten geschaffen,
das weit über Deutschlands Grenzen hinaus Beachtung gefunden hat.
Nach seinem Rücktritt von der Leitung der Anstalt vor fünf Jahren ist
er hier als Arzt tätig gewesen. u
Geh. Sanitätsrat Dr. Heinr. Rehn ist von der Deutschen Gesell-
schaft für Kinderheilkunde auf ihrer Tagung in Münster zum Ehren-
mitglied ernannt worden. —_—
Münster i. W.: Zum Vorort der 85. Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte im Jahre 1913 wurde Wien gewählt.
Zu Geschäftsführern dieser Versammlung die Professoren Becke (Mine-
ralogie) und Freiherr von Pirquet (Kinderheilkunde), zum Präsidenten
der Gesellschaft Hofrat Prof. H. H. Meyer (Wien).
Wien. Das neue Wehrgesetz vom 5. Juli 19i2 enthält hin-
sichtlich der Binjährig-Freiwilligen-Mediziner folgende Bestim-
mungen: Einjährig-Freiwilligen, die den medizinischen Studien obliegen,
wird die Begünstigung zuerkannt, drei Monate im Frontdienste bei der
Infanterie oder Jägertruppe und nach Bedarf bei der Kriegsmarine als
„Einjährig-Freiwillige-Mediziner“ und — nach Erlangung des Doktor-
grades der gesamten Heilkunde (Ablegung der zur Erlangung des Doktor-
grades erforderlichen Rigorosen) — neun Monate, davon sechs in Militär-
sanitätsanstalten, als „Einjährig-Freiwillige-Aerzte“ präsent zu dienen.
Der Frontdienst bei der Infanterie oder Jägertruppe beziehungsweise bei
der Kriegsmarine ist am 1. Juli anzutreten und in der Regel im ersten
medizinischen Studienjahre, spätestens aber in jenem Jahre abzuleisten,
in dem der Betreffende das 24. Lebensjahr vollendet. Nach vollstrecktem
Frontdienst werden die Einjährig-Freiwilligen-Mediziner dauernd beurlaubt.
Jene Einjährig-Freiwilligen-Aerzte, die während ihres Präsenzdienstes den
Nachweis der Befähigung für die Erlangung der Charge eines Reserve-
militärarztes erbringen, eine entsprechende Konduite aufweisen und den
sonst vorgeschriebenen Bedingungen entsprechen, werden noch während
der Ableistung des Präsenzdienstes als Eınjährig-Freiwilligen-Aerzte zu
Assistenzarztstellvertretern befördert und nach Ableistung des Präsenz-
dienstes — nach Maßgabe des Bedarfs — zu Assistenzärzten in der Re-
serve ernannt. Jene Einjährig-Freiwilligen-Mediziner, welche die medi-
zinischen Studien aufgeben oder bis zu dem oben festgesetzten Zeit-
punkte den Doktorgrad nicht erlangen (die zur Erlangung des Doktor-
grades erforderlichen Rigorosen nicht ablegen), haben den einjährigen
Präsenzdienst als Frontdienst bei der Truppe beziehungsweise im Sanitäts-
hilfsdienst — unter Anrechnung der etwa bereits zurückgelegten Präsenz-
dienstzeit — abzuleisten.
Meran: Hierselbst findet vom 11. bis 18. Oktober der VIL. Kon-
greß der Balneologen Oesterreichs statt, der zugleich eine Ehrung
für den Altmeister der Hydrotherapie, Hofrat Winternitz, den lang-
jührigen Präsidenten des Vereins, bedeuten wird. Zahlreiche Anmeldungen
der Österreichischen, ungarischen, dentschen und schweizerischen Balneo-
logen versprechen den Kongreß zu einem sehr interessanten zu machen
und stellen einen starken Besuch in Aussicht.
Paris. Nunmehr sind die endgültigen Zahlen über die Be-
völkerungsbewegung im Jahre 1911 erschienen. Es besteht ein
Ueberschuß von 34869 Todesfällen, während noch 1910 die Anzahl der
Geburten jone der Todesfälle um 71418 überwog. Diese Differenz er-
klärt sich, wenn man erwägt, daß die Zahl der Lebendgeburten anno 1911
nur 742 114 Geburten betrug, während die Geburtenanzahl pro 1910 noch
774390 betrug. Anderseits ist die Zahl der Todesfälle im Jahre 1911
um 74011 größer als anno 1910. Man muß bis zum Jahre 1907 gehen,
um eine Geburtenziffer zn finden, die um 19071 niedriger ist als die Zahl
der Todesfälle. 1907 gab es 45000 Hochzeiten und 1911 38000 Hoch-
zeiten mehr als 1890. Die Fruchtbarkeit der Ehen hat also stark ab-
genommen. Die relative Bevölkerungszunahme ‚betrug für 10000 Ein-
'wohner im Mittel 12 tür die Zeit 1901 bis 1910. Für 1910 war die be-
treffende Zahl 18, 191i dagegen 9, 1907 ebenfalls pro 10000 Ein-
wohner 5. Beer
Paris. In der hiesigen Akademie der Wissenschaften wurde die
Mitteilung gemacht, daß der Pestbacillus wie die Tiere, auf denen er sich
fortpflanzt, eine Art von Winterschlaf hält und dann wieder seine Tätig-
keit beginnt. Die Experimente wurden an Alpenmurmeltieren unter-
nommen. Diese wurden mit Pestbacillen geimpft und schliefen dann
rubig ein. Zwei Tage nach ihrem Erwachen wurde der Bacillus auch
wieder lebendig und tötete alle Tiere. |
London. Das deutsche Hospital in London (eröffnet 1845)
wird zurzeit einem Umbau unterzogen. Die Zahl der Betten wird “auf
150 erhöht (bisher ausschließlich des Gonesungsheims 100), zwei neue
Operationssäle, ein Haus für Schwestern und weibliches Personal, ein
Haus für Assistenten und Wärter, ein neues pathologisches Institut und
ein neues Ambulatorium werden erbaut. Die Kosten für den Umbau be-
laufen sich auf eine Million Mark. Die Arbeiten sollen bis Mitte 1913 fertig-
gestellt sein, sodaß die zahlreichen deutschen Aerzte, die im nächsten
Jahre zum internationalen medizinischen Kongreß nach London‘ kommen,
das Pea Hospital in seiner neueren schönen Gestalt kennen lernen
werden.
Christiania. Der Minister ernannte den bisherigen Konservator
am Zoologischen Laboratorium der Universität Dr. phil. Christine
Bonnevie zum Professor der Zoologie an der Universität Christiania.
Damit erhält Norwegen den ersten weiblichen Professor.
Rom. Hierselbst findet vom 11.. bis 14. Oktober der I. Kongreß
der Italienischen Gesellschaft für kritische Geschichte der
Medizin und Naturwissenschaften statt. Ä
Hochschulnachrichten. Berlin: Priv.-Doz. Dr. Axhausen
(Chirurgie) dar Professortitel. — Göttingen: Prof. Hirsch zum Ge-
heimen Medizinalrat ernannt. Graz: Prof. Albrecht (pathologische
Anatomie) an die Stelle Eppingers berufen. — Dr. Löhner habilitiert
für Physiologie. — Wien: Es habilitierten sich: Dr. Fleckseder
(Innere Medizin), Lerner, Schick (Kinderheilkunde). — Budapest:
Habilitiert: Dr. L. Bakay (Chirurgie), Dr. Th. Wenczel (Gynäkologie).
Von Aerzten und Patienten.
Diätetik vor 2000 Jahren. u
Im Sommer und Herbst werden die Nahrungsmittel am schwersten
vertragen, am leichtesten im Winter und nach ihm im Frühling.
5 * f *
i |
Greise vertragen am besten das Fasten, dann diejenigen, welche
im Mannesalter stehen, sehr wenig die jungen Leute, unter allen aber
am wenigsten die Kinder, insbesondere solche, welche lebhaften Tempera-
ments sind. * +
%
Bei Befolgung einer sparsamen Diät fehlen die. Kranken und
schaden sich damit desto mehr. Denn dann ist jeder etwa begangen®
Fehler von größerem Nachteil als bei einer etwas reichlicheren Kost.
Aus diesem Grunde ist auch für Gesunde eine allzu sparsame, genaue
und streng festgesetzte Diät gefährlich, weil sie Abweichungen davon
desto schwerer ertragen. Deswegen ist eine magere und sparsame Dißt
meistens nachteiliger als eine etwas nahrhaftere,
%
%
Milch ist Nahrung für diejenigen, denen sie bekommt, für andere
hingegen nicht; für die einen ist Wein eine Nahrung und für andere
nicht, desgleichen Fleisch und viele andere Arten von Nahrung, sowohl
mit Rücksicht auf das Land als auch mit Rücksicht auf die Gewohnheit.
#* m % |
Die Speisen und die Leibesübungen haben eine einander entgegen-
Run Wirkung, unterstützen sich jedoch gegenseitig zum Zwecke der
esundheit. Haben doch die Uebungen von Natur den Beruf, das Vor-
handene aufzuzehren, die Speisen und Getränke hingegen den, das Leor-
gewordene auszufüllen.
Aussprüche des Hippokrates (460—377 v. Chr.)
nach Dr. Rud. Bandel, Dissertation Erlangen 1899, und Prof. Dr.
P. M. Merbach, Dresden 1860, Verlag H. Burdach.
E
Berichtigung zu „Scharlachfragen in England“, Med. Kl.
Nr. 37, S. 1519. Darch Herrn Prof. Dr. Bäumler (Freiburg) in ver-
dankenswerter Weise aufmerksam gemacht, möchte der Unterzeichnete
den Ausspruch Dr. Milnes betreffend Isolierdauer der Scharlachkranken
anders wiedergeben. Dr. Milne sagt, daß er keine Uebertragung®
fälle („Return cases“) (nicht „Rückfälle“) gehabt habe, obgleich i
Kinder nach zehn Tagen wieder in die Schule gingen. Gisler.
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker,, Berlin W 8,
Nr. 40 (409). 6. Oktober 1912. VII. Jahrgang.
edizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert vn Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
| Berlin
Berlin
Inhalt: Originalarbeitens L. Casper, Ueber Nieren- und Uretersteine. O. Kahler, Die Fortschritte der Laryngologie. und Rhinologie im
20: - Jahrhundert. J. Flesch, Die Verwertung diagnostischer Fortschritte in versicherungsärztlicher Hinsicht. M. Neißer, Untersuchung auf
Diphtkeriebacillen. und Bekämpfung der. Diphtherie. A. Niemann, Ueber Icterus simplex und seine Behandlung beim Kinde. (Mit 1 Kurve).
Umfrage über das Frühaüfstehen nach Operationen und Geburten. Anworten von H. Schloffer-Prag, H. Küttner-Breslau, Seitz-Erlangen,
D: Pupovac-Wien, H. Fehling-Straßburg i. E., Zangemeister-Marburg a. L., Jung-Göttingen, A. Brenner-Linz, R. H. Tillmanns-Leipzig,
A. Hirschberg, Ueber Erystypticum. H. Piper, Der Verlauf der Druckschwankungen in den Hohlräumen des Herzens und in den großen Gefäßen. (Mit
1 Abb.) E. Koch, Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell dijodoxybenzolparasulfosaures Quecksilber, in ihrem Verhalten zum Organismus. — Aus der
Praxis für die Praxis: M. Kahane, Die physikalische Therapie der habituellen Obstipation. — Referate; Peusquens, Balnsologie und Klimatologic.
H. v. Bardeleben, Chirurgie bei Lungentuberkulose und Schwangerschaft. (Schluß.) — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Blutdruck-
untersuchungen. ` Operationen von Gehiritumoren. Osteomalacie. Typhusbacillenträger. Chininvorbeugung der Malaria. Facialiskonvulsionen. Wirkung
des Salvarsans auf das Herz und die Gefäße. Ulcus ventriculi, — Neuerschlenene pharmazeutische Präparate: Ervasin. — Bücherbesprechungen :
H. Gutzmann, Stirmmbildung und Stimmpflege. G. Hahn, Das Geschlechtsieben des Menschen. A. Sonntag und H. J. Wolff, Anleitung zur
Funktionsprüfung des Ohres. W. Karo, Die Gonorrhöe des Mannes, ihre Pathologie und Therapie. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete
des Versicherungswesens: Kaeß, Paralysis agitans als Folge eines psychischen Traumas. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte:
84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster. Kassel. Kiel. Köln. Straßburg i. Els. Budapest. — Rundschau: G. B. Gruber,
Der Arzt ein Künstler. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Inwieweit muß ein Anstaltsarzt vor seiner Au-
| "stellung über seine persönlichen Verhältnisse Aufschluß geben? — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
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Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Ueber Nieren- und Uretersteine
Prof. Dr. L. Casper, Berlin.
—M. H.! Wenn wir bei unsern Kranken jetzt auffallend
oft Nieren- und Uretersteinen begegnen, so liegt das nicht
daran, daß die Krankheit häufiger geworden ist als früher,
sondern es hat darin seinen Grund, daß wir in früheren
Zeiten nur diejenigen Nieren- und Uretersteine entdeckten,
die von außen fühlbar waren oder die so eindeutige Sym-
ptome zeitigten, daß ihre Anwesenheit mit Sicherheit er-
schlossen werden konnte Das war aber ersichtlich die
Minderzahl. Dank der Vervollkommnung. unserer Unter-
suchungsmethoden und unserer gereiften klinischen Erfahrung
haben wir in der Erkennung dieses Leidens solche Fort-
schritte gemacht, daß, wie ich hoffe, Sie am Schluß dieser
Vorlesung mit mir der Meinung sein werden: „fast jeder
‚Stein im oberen Harntraktus ist erkennbar und dies bereits
in sehr frühem Stadium“. . |
Unsere Diagnostik baut sich auf den subjektiven
Symptomen der Erkrankung und dem objektiven Nach-
weise des Steines auf.
‚: . Beginnen wir mit den subjektiven Symptomen, so
ist es von praktischen Gesichtspunkten aus zweckmäßig,
die Schulfälle von den andern abzusondern. Die beiden
Kardinalsymptome der Steinerkrankung sind Schmerzen
und Blutungen aus dem Harnapparat. Schulfälle nenne ich
solche, in welchen diese beiden Symptome in unverkenn-
barer Weise in den Vordergrund -des Krankheitsbilds treten.
....Behmerz sowohl wie Blutung können in verschiedener
Weise auftreten. -Am bekanntesten ist der Schmerz in der
Form- der: gefürchteten Nierenkoliken. Die Kranken be-
kommen, ohne daß irgendein. Krankheitszeichen vorange-
gangen zu sein braucht, plötzlich heftige Schmerzen in der
Klinische Vorträge.
Seitengegend, meist vom Rücken beginnend nach vorn zu
bis in die Weichen, ja bis ins Membrum, in den Hoden und
die Beine ausstrahlend. Der Schmerz ist so wütend, daß er
den vehementesten Darmschmerzen gleicht; daher der Name
Kolik. Er macht die Kranken hinfällig, zwingt sie, sich ins
Bett zu legen. Sie werden ganz matt und elend, Schweiß
bricht aus, Uebelkeit und Erbrechen stellen sich ein. Fieber
kann vorhanden sein oder fehlen. Der Schmerz verstärkt
sich meist ähnlich wie eine Darmkolik in gewissem Zeit-
abständen; auf Minuten des Nachlassens folgen solche von
großer Vehemenz. Das kann Stunden und mit Unterbrechun-
gen viele Tage andauern. In andern Fällen sind die Koliken
nicht so scharf ausgeprägt, es fehlen Schweiß und Erbrechen,
es kommt nur bis zu Uebelkeiten.
Uretersteinkoliken verlaufen in gleicher Weise.
Zuweilen gesellt sich bei ihnen zu dem oben gezeichneten
Bilde das Gefühl von Harnzwang dergestalt, daß die Kran-
ken unausgesetzt das Bedürfnis empfinden, Harn zu entleeren,
obwohl wenig Harn in der Blase vorhanden ist und bei der
Miktion nur wenige Tropfen entleert werden. Mit dem Nach-
lassen der Kolik verschwindet auch der Tenesmus. Man
beobachtet ihn auch bei Nieren- und Nierenbeckensteinen,
aber im allgemeinen darf man sagen: dies Symptom ist um
so ausgeprägter, je tiefer, das heißt je näher zur Blase der
Stein sitzt. |
Die Kolikschmerzen erklären sich aus einer Verlegung
des Harnleiters, sei es, daß sich ein Stein im Ureter oder
Nierenbeckenausgang festklemmt und diesen ganz verschließt,
oder daß eine akute ödematöse Schwellung der Schleimhaut
am Sitze des Steins zu einem Verschlusse führt. Der
Sehmerz ist der Ausdruck der fruchtlosen Kontraktionen der
Nierenbecken- und Ureterwände, welche den im Becken oder
im Anfangsteile des Ureters befindlichen Harn herauszube-
fördern vergeblich bestrebt sind. =
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1612
Ist die Harnentleerung durch einen im Nierenbecken
oder im Ureter befindlichen Stein nicht wesentlich gehindert,
so pflegen auch keine Koliken vorhanden zu sein.
Schmerz der betreffenden’ Seite, ein Druckgefühl in der
Nierengegend, das die Kranken wenig oder gar nicht ver-
läßt, sich bei Bewegung steigert und besonders gewisse
Arten der Bewegung, wie Bücken und Biegen, erschwert.
Uebt man einen Druck auf die Nierengegend aus oder stößt
gegen die Lumbalgegend unterhalb der letzten Rippe, so
steigert sich die Schmerzempfindung.
Fast immer ist auf der Seite des Schmerzes auch der
Stein vorhanden. Manchmal aber haben von der Niere aus-
gehende Schmerzen die Eigentümlichkeit, daß sie nicht auf
der kranken, sondern, der gesunden Seite in Erscheinung
treten. Man kann dies nur durch einen den Nieren charak-
teristischen Schmerzreflex (renorenaler Reflexschmerz) er-
klären. e
Wie mit dem Schmerz, so ist eg auch mit dem
zweiten Kardinalsymptom der Nieren- und Ureterstein-
erkrankungen, den „Blutungen“. Sie treten in verschie-
dener Weise auf. |
Einmal gibt es Blutungen, die sich ähnlich verhalten
wie die Blutungen bei Blasensteinen. Die Blutung ist be-
trächtlich, sodaß sie makroskopisch ohne weiteres .erkannt
wird, sie schließt sich meist an Bewegungen an, sie wird
durch körperliche Anstrengungen verstärkt, während sie bei
der Ruhe meist zum Stillstand kommt. Die Blutungen
pflegen selten lange anzuhalten und sind auch selten so
profus, wie wir sie bei andern Nierenkrankheiten, z.-B. bei
den Nierentumoren, Kennen. u |
Bei andern Steinfällen kommt es nicht zu makroskopisch
erkennbaren Blutungen, allein der Harn enthält stets Blut,
das entweder chemisch oder mikroskopisch nachgewiesen
werden kann. Legen Sie einen Tropfen des zentrifugierten
Harns unter das Mikroskop, so sehen Sie entweder frische
rote Blutzellen mit der typischen rötlichen Delle oder Stech-
apfelformen oder abgeblaßte Blutscheiben, Blutschatten und
kleinere Blutplättchen, Mikrocyten.
Sagte ich Ihnen vorhin, daß Schmerz und Blut die
beiden Kardinalsymptome der Steinerkrankung sind, so
müssen Sie dennoch in Ihren Schlüssen Vorsicht walten
lassen. Denn selbst wenn beide in einem Falle vorhanden
sind, so dürfen Sie immer noch nicht schließen: hier liegt
mit Sicherheit ein Stein vor, sondern Sie können nur die
Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Stein stellen und müssen
diese durch die objektive Untersuchung, auf welche wir so-
gleich eingehen werden, beweisen. Denn es gibt mehrfache
Erkrankungen anderer Art, in denen Schmerz und Blut in
ähnlicher Weise auftreten. Dazu kommt, daß wir Ureter-
und Nierensteine beobachten, bei denen weder der leiseste
Schmerz noch auch die geringste Blutung vorhanden ist.
Was den ersten Fall betrifft, so gibt es kolikartige
Schmerzen bei allen Nierenafiektionen, welche gelegent-
liche Verlegungen des Harnauslasses herbeiführen. Der ein-
gedickte Eiter einer Tuberkulose oder Pyonephrose, Parasiten,
eine abgeknickte Wanderniere oder Hydronephrose, die Kom-
pression des Ureters durch eine nachbarliche Geschwulst
können Koliken auslösen. Ich erinnere Sie ferner daran,
daß gewisse Formen von Nephritiden, die sogenannten Kolik-
nephritiden, vorkommen, die typische Nierenkoliken auslösen,
so typisch, daß sie von Nierensteinkoliken nicht zu unter-
scheiden sind. Ihnen gesellen sich die mit schweren
Nierenkoliken einhergehenden sogenannten Fälle von Ne-
phralgie hinzu, in welchen jegliche pathologische Be-
schaffenheit der Niere fehlt. Endlich, um das Maß der dia-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
Wohl
aber klagen die Kranken häufig über einen dauernden
‚andern Gruppe von Fällen zuwenden, denjenigen, in welchen
6. Oktober,
Auch der dauernde Druckschmerz bei Nierensteinen
ist kein pathognomonisches Symptom, da beispielsweise Tu-
moren, Tuberkulose, Nephritiden: das gleiche zeigen können.
Nicht in gleichem Maße mehrdeutig wie der Schmerz
sind die Blutungen. - Speziell heben sich die Fälle von
Nierenstein heraus, bei welchen die Blutungen sich immer
nur an Bewegungen und körperliche Anstrengungen an-.
schließen. Das kommt in dieser Weise kaum bei einer
andern Affektion vor. Dagegen sind diagnostische Schlüsse
aus dem Blute nicht möglich, wenn dasselbe mehr oder weni-
ger dauernd im Harn erscheint. Das finden wir bei der
Tuberkulose, bei gewissen Arten der Nephritis ebensogut wie
bei Steinen. |
Hilft uns über diese Zweifel das Auffinden von Tu-
berkelbacillen oder Cylindern hinweg, so wachsen.die dia-
gnostischen Schwierigkeiten gewaltig, wenn wir uns nun der
nur Schmerz und keine Blutung öder umgekehrt Blutung,
aber kein Schmerz vorhanden ist, oder gar jene, in welchen
eines dieser beiden Symptome nur in geringstem Maß und
nur sporadisch auftritt. PER Br re.
Es gibt viele Fälle von Nieren- und Ureter-
steinen, die ganz schmerzlos verlaufen. Die Patienten
können gehen, springen und tanzen, es erfolgt keine Kolik,
es besteht kein dauerndes leichteres Schmerzgefühl, es wird
auch durch Druck kein Schmerz hervorgerufen. we
Aehnlich ist es mit dem Blut. Es ist falsch, zu
glauben, daB jeder Nierenstein Blutungen mache; nur für
die Nierensteinkoliken ist das richtig. ‚Wenn eine Kolik da
ist oder dagewesen ist, wird stets etwas Blut produziert,
offenbar eine Folge der durch die fruchtlosen Contractionen
entstandenen Reibungen der Schleimhaut gegen den Stein.
In der Intervallzeit aber braucht kein Blut vor-
handen zu sein. Blutspuren fehlen auch dann, wenn die
Passage der Steinniere gänzlich verlegt ist, sodaß kein Harn
mehr durch den betreffenden Ureter durchgelassen wird.
So folgt denn, meine Herren, aus diesen einer langen
Erfahrung entnommenen Tatsachen, daß die Diagnose „Nieren-
oder Ureterstein“ sehr unsicher ist, wenn man sich auf die
subjektiven Anzeichen verläßt. Diese können einen Stein
vortäuschen, wo keiner da ist, und die Symptome
können fast gänzlich fehlen oder sehr vage Sell;
und dennoch ist ein Stein vorhanden. Daraus ziehen
wir die Lehre, daß wir in allen Fällen der Art dureh.:ob-
jektive Untersuchung zu einer präzisen Diagnose zu kommen
suchen müssen. Diesen objektiven Untersuchungsmethoden
wollen wir uns daher zuwenden. | | n
Früher wurde die Palpation als ein wertvolles dia-
gnostisches Hilfsmittel gerühmt. Das beruhte.auf einer
Ueberschätzung des Könnens, hervorgerufen dadurch, daß es
gelegentlich mal gelungen war, einen besonders günstig
liegenden Nierenstein durchzufühlen. Die größte Mehrzahl
der Nierensteine ist nicht zu palpieren, die Nieren liegen
meist unter dem Rippenbogen verborgen, sodaß ein Abtasten
sogar des ganzen Organs eine physische Unmöglichkeit ist,
In andern Fällen, in denen die Nieren unter den Rippen-
bogen herabsteigen, verhindern die bedeckenden Weichteile
ein unterscheidendes verläßliches Fühlen. Viele Nierensieit®
sind zudem so klein, daß es noch schwer wird, sie zu fühlen,
nachdem man die.Niere bei der Operation ausgehülst hat.
. -Fast ebenso steht es mit der Uretersteinpalpation.
Die große Mehrzahl aller Steine ist der Palpation unzugäng-
lich. Nur im tiefsten Teil des Ureters gelingt es zuweilen,
einen größeren Stein durch das Rectum und besonders VON
der Vagina aus abzutasten. Be
Wegen dieser großen Seltenheit, mit der man Nieren-
he ho nt.
EZ
n gnostischen Schwierigkeiten vollzumachen, kennen wir Unter- | und Uretersteine durch die Palpation nachweisen kann
ee leibskoliken bei Gallensteinen, Appendicitis und Darm- | dürfen Sie dieser Methode nicht trauen; denn Sie können
EEE okklusionen, deren Attacken den Nierensteinkoliken sehr |, niemals sagen, wenn Sie einen Stein: nicht gefühlt haben,
i o ähneln. : daß keiner da ist. u, A
poa
a]
" H = l >
i B 7 t F f w
6. Oktober.
Weiter gibt uns die Harnuntersuchung nach der |
gewünschten ‘Richtung hin keinen Aufschluß. Da einerseits
viele Nieren- und Uretersteine gar keine oder selten auf-
tretende Blutungen machen und anderseits Blut im Harn
sich auch bei andern Nieren- und Ureteraffektionen findet,
so ist weder der positive noch der negative Blutbefund im
Harn allein in diagnostischem Sinne zu verwerten.
Von der Cystoskopie wird kein Verständiger Auf-
schluß darüber erwarten, ob ein Nierenstein vorhanden ist
oder nicht. Nur in den Fällen, in welchen der Ureterstein
dicht vor der Uretermündung liegt, macht sich dies durch
‚charakteristische Veränderungen am Ostium (bullöses Ocdem)
bemerkbar. | u
- Nach diesen vielen negativen Urteilen kommen wir
nun zu einer Methode, die, wie auch auf andern Gebieten
der Medizin, für die Diagnose der Nieren- und Uretersteine
wahre Triumphe feiert: das ist die Radiographie.
Die Technik der Röntgenaufnahmen speziell für Nieren-
zwecke ist dank der emsigen Arbeit einiger Röntgenologen
so gefördert worden, daß man sagen darf: Es gelingt,
fast jeden Stein in der Niere, dem Nierenbecken
und dem Ureter nachzuweisen. Eine Ausnahme machen
nur kleine Uratsteine und auch manchmal sehr kleine
Oxalate. Einen Oxalat, der größer ist als eine Erbse, habe
ich noch nie nicht auf der Platte erscheinen sehen. Bei
Uraten habe ich aber leider die Erfahrung gemacht, daß
diese Steine bis zu Bohnengröße selbst bei guten Aufnahmen
nicht sichtbar gemacht werden konnten. Machen wir aber
diese Einschränkung in bezug auf sehr kleine Steine und
auf Urate, so ist die Radiographie siegreich in allen andern
Fällen, ein Umstand, der zu großem Segen für die Kranken
geworden ist. |
Denn nicht nur die Abwesenheit oder Anwesenheit
eines Steins kann durch sie festgestellt werden. Des
weitern sind wir in der Lage, auszusagen, wie groß der
Stein ist oder ob deren mehrere da sind, wo im Harntraktus
sich dieselben befinden. Wir können genau die Stelle im
Ureter angeben, wir wissen, ob der Stein im Nierenbecken
oder im Parenchym liegt, Momente, die therapeutisch von
größter Wichtigkeit sind, wie wir sogleich erörtern werden.
-Nur noch auf einen Punkt möchte ich Ihre Aufmerk-
samkeit vorher lenken: das sind die Fehlerquellen bei
der Beurteilung der Bilder. Es können Schatten auf
der Platte erscheinen, die Steine vortäuschen, aber keine
sind. Verknöcherungen an den Rippen, verkalkte Drüsen,
Kotsteine in der Nierengegend kommen in Frage. Durch
mehrfache Aufnahmen in verschiedenen Lagerungen des
Kranken und zu verschiedenen Zeiten wird aber hierüber
selten Unklarheit bestehen bleiben.
= Größere Schwierigkeiten können falsche Schatten
in der Uretergegend machen, die sogar sehr häufig sind.
Doch auch diese zu deuten besitzen wir jetzt eine Methode.
Ist es zweifelhaft, ob ein Schatten in der Uretergegend bei
einem suspekten Falle von einem Stein herrührt, so führen
wir einen Mandrin- oder Wismutkatheter in den Harnleiter
ein und schieben ihn hoch hinauf. Mit diesem Katheter in
situ wird der Kranke geröntgent. Ist der Fleck ein Stein,
so müssen sich Katheter und Stein im Bilde decken, während
bei Verkalkungen, Phlebolithen usw. zwischen Fleck und
Katheterschatten ein Zwischenraum bleibt. =
' Sonach dürfte ich, meine Herren, mein Versprechen ein-
gelöst haben, Ihnen zu zeigen, daß wir fast jeden Stein im Harn-
trakt bereits im Frühstadium zu diagnostizieren vermögen. Man
darf nicht vom allgemeinen Praktiker verlangen, daß er die
Details von Röntgenaufnahmen beherrsche, aber man darf
verlangen, daß er wisse: in diesem Falle besteht ein Ver-
dacht auf das Vorhandensein eines Steins, hier müssen |
Röntgenaufnahmen gemacht werden. Er muß wissen, daß
eine negative Röntgenaufnahme nicht absolut beweisend ist.
Er muß wissen, daß die Aufnahme einer Niere, derjenigen,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
1613
in welcher die Schmerzen gefunden werden, nicht genügt,
da es Nierensteine mit kollateralen Schmerzempfindungen
gibt. Er muß wissen, daß in jedem suspekten Falle wie
beide Nieren, so auch beide Ureteren photographiert werden
sollen, weil Uretersteine ganz dieselben Symptome machen
können wie Nierensteine Er muß endlich wissen, daß es
oft nur möglich ist, durch eine Kombination der ver-
schiedenen Untersuchungsmethoden zu einer präzisen Dia-
gnose zu gelangen.
Mit diesen Kenntnissen ausgestattet, lassen Sie uns
nun zur Therapie der Nieren- und Uretersteine übergehen,
die manches Erfreuliche darbietet. |
Unsere therapeutischen Aufgaben Steinkranken gegen-
über sind dreifacher Natur. Einmal gilt es, symptomatisch.
die Hauptsymptome der Krankheit, die Blutung und den
Schmerz, zu bekämpfen, zweitens werden wir, wenn mög-
lich, für Beseitigung des Steins Sorge zu tragen haben,
und drittens endlich müssen unsere Bestrebungen dahin
gehen, die Wiederkehr der Steinbildung hintenanzu-
halten. Ä
Was vorerst die Blutungen betrifft, so ist nicht viel
zu tun nötig. Wir haben erfahren, daß die Blutungen bei
. Nieren- und Uretersteinen nur selten sehr heftig sind. Die
Blutungen halten sich meist in so engen Grenzen, daß gegen
sie etwas Besonderes zu unternehmen meist überflüssig ist.
Es genügt fast immer, daß die Kranken Ruhe halten oder
einige Zeit das Bett hüten, um die Blutung verschwinden zu
machen. Ist die Blutung erheblicher und besteht sie trotz
der Ruhe fort oder wiederholt sich immer von neuem, so
daß man fürchten muß, daß der dauernde Blutverlust zu
einer bedrohlichen Anämie führt, dann fallen die anzu-
wendenden Mittel mit denen zusammen, welche behufs Ent-
fernung des Steins sogleich näher besprochen werden. Es
sind das operative Maßnahmen, denn die inneren Mittel
versagen gänzlich. Mit den Hämostaticis ist nichts auszu-
richten.
Kommen wir nun zu dem zweiten Symptom, dem
Schmerz, so ist zu unterscheiden zwischen dem leichteren,
aber dafür dauernd vorhandenen Schmerz in der Nieren-
gegend und den mit großer Heftigkeit anfallsweise auf-
tretenden Schmerzattacken,. den Nierenkoliken.
Gegen jenen leichteren, aber konstant vorhandenen
Nierenschmerz, den wir als Druckschmerz bezeichnen
wollen, versuchen Sie zunächst die bekannten Analgetica,
Aspirin, Pyramidon, und die leichteren Narkotica, wie
Codein, Pantopon. Macht man sich klar, daß man hiermit
nur vorübergehend Effekt erzielen kann, so wird man sich
logischerweise vor einem Mißbrauch der Narkotica hüten.
Von allen andern gegen den Nierenschmerz vorgeschlagenen
Mitteln habe ich einzig und allein das Glycerin. pur. als
wirksam erkannt. Hin und wieder läßt der Druckschmerz
danach zeitweilig nach. Es wurde von Hermann in Dosen
von 50 bis 100 ccm empfohlen. Ich habe es bis 150 ccm,
dreistündlich einen Eßlöffel, im ganzen zweiFlaschen wöchent-
lich, verordnet und bin damit zufrieden. Geben Sie es ge-
meinschaftlich mit Tinct. Cort. aurant. und Tinct. amar.
aa 5,0, weil leicht Uebelkeit nach dem reinen Glycerin auf-
tritt. Schädliche Wirkungen, insbesondere Hämoglobinurie,
wie hier und da berichtet wird, habe ich niemals danach
auftreten sehen, nur zuweilen leichte Diarrhöen.
Die Nierenkolik muß mit heißen Umschlägen
ln auf die Rückengegend, Anregung der
iurese durch reichliches Trinken und vor allem durch
Narkotica bekämpft werden. Das sicherste Mittel, die
Contraction des Ureters, die gegen das Hindernis ankämpft,
ruhigzustellen, ist eine Morphiuminjektion. Die Dosis
muß voll und den Gewohnheiten des Patienten angepaßt
sein. Deshalb geizen Sie nicht mit diesem segensreichsten
aller Mittel. Die Schmerzen bei einer akuten Nierenstein-
kolik können so heftig sein, daß es die vornehmste Aufgabe
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1614 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. i | | 6. Oktober.
des Arztes ist, dem Kranken zunächst die Schmerzen zu
nehmen. Die Injektion lassen Sie so oft wiederholen, bis
die Schmerzen gewichen sind oder sich wenigstens bis zur
Erträglichkeit verringert haben. In leichteren Fällen genügt
auch Morphium oder Heroin oder Pantopon als Klysma mit
einer kleinen Glycerinklistierspritze oder als Suppositorium
verabfolgt. In den der Kolik folgenden Tagen ist absolute
Bettruhe und Milchdiät indiziert. Die Milchdiät ist wichtig,
weil der Harn meist am zweiten oder dritten Tag Eiweiß
enthält, das durch eine Reizung der Niere oder durch Ab-
schürfung der Schleimhaut während der Passage des Steins
durch den Ureter entsteht. Diese Traumaturien gehen
aber meist schnell vorüber.
Ist nun das akute Stadium vorüber, der Kranke wieder
schmerzfrei, dann stellen Sie durch eine Röntgenaufnahme
fest, ob noch ein Stein vorhanden ist. Fällt die Aufnahme
positiv aus, so befinden wir uns nun der zweiten wichtigsten
Aufgabe gegenüber: den Stein aus den Harnwegen
herauszuschaffen.
Man hat seit langen Zeiten nach Mitteln gesucht, die
imstande sind, Steine aufzulösen. Immer von neuem
werden solche angepriesen. Es sei hier von vornherein be-
tont, daß es dergleichen wirkende Mittel nicht gibt. Wir
haben alle gerühmten, so das Lysidin, Urecidin, Lysetol,
Urotropin, Urosin, Chinotropin, Sidonal usw., geprüft und
von keinem gefunden, daß es die ihm nachgesagte Wirkung
besitzt. Die spontane Entfernung eines Steins aus dem
Nierenbecken oder dem Ureter wird nur dann möglich sein,
wenn sein Kaliber nicht zu groß ist, um den Harnleiter
passieren zu können. Hierbei muß man allerdings berück-
sichtigen, daß der Harnleiter sich vorübergehend dehnt, so-
daß selbst Steine von über Bohnengröße und Umfang ge-
legentlich den Harnleiter passieren. Auch kommt es vor,
daß ein Stein unter der Einwirkung der komprimierenden
Uretercontractionen abbröckelt. Dies gilt besonders für die
weicheren Steine, die aus Erdphosphaten und Magnesia be-
stehenden. So erklärt es sich, daß man mit Sicherheit fest-
gestellte Steine hat verschwinden sehen, ohne daß der Ab-
gang des Steins bemerkt wurde. Der Stein war eben zu
Bröckein, zu Sand zerdrückt worden und konnte dadurch
unbemerkt mit dem Harn abgehen.
Es ist auch mal empfohlen worden, diesen Vorgang
der Natur nachzuahmen und durch von außen auf den
Ureter und die Nierengegend ausgeübte Massage zu ver-
suchen, den Stein zu zerdrücken. Dies Verfahren ist aber
so unsicher wie rob, das letztere deshalb, weil man durch
ein derartiges brüskes Vorgehen ein Trauma in den Harn-
wegen setzen und damit leicht eine Infektion herbei-
führen kann. |
Um kleine Steine ohne Operation aus dem Nieren-
becken herauszubefördern, gibt es nur das eine Verfahren,
die Diurese stark anzuregen. Man läßt soviel wie mög-
lich, bis zu 81 pro Tag, Flüssigkeit nehmen. So gelingt es
zuweilen, kleine Konkremente herauszuschwemmen. Oefter
aber läßt auch dieses im Stich.
Etwas günstiger liegen die Verhältnisse bei Ureter-
steinen, besonders bei den nahe der Blase sitzenden. An
= und für sich hat die Ureterwand eine stärkere Contractions-
kraft als das Nierenbecken, und dann vermögen wir mit
dem Uretercystoskop hin und wieder kleine im
Harnleiter sitzende Steine zu lockern. Zuweilen
kamen wir mit einer Einspritzung von sterilem Olivenöl
oder Glycerin hinter und neben den Stein, zum Teil durch
Aufblähung des Ureters an der Stelle, die unmittelbar vor
dem Steine liegt, zum Ziel. Allein alles in allem sind die Er-
folge zweifelhaft, ja, ich möchte glauben, die Zahl der Miß-
erfolge ist größer als die der Erfolge. Da aber das Ver-
fahren unschädlich ist, so kann es in jedem Falle zunächst
versucht werden.
ner
~
Lassen alle die geschilderten Maßĝnalmen im Stich
und besteht eine Indikation, den Stein aus den Harnwegen
herauszuschaffen — ein Umstand, auf den wir noch zurück-
‚kommen —, dann tritt die operative Therapie in ihr
Recht, |
Es gibt drei Arten von Operationen, die bei Nieren-
steinen in Frage kommen: Die Nephrolithotomie, die
Pyelolithotomie und die Nephrektomie.
Bei der Nephrotomie wird die Niere ausgehülst, auf-
geschnitten, der Stein oder die Steine entfernt. Die Nieren-
wunde wird entweder wieder vernäht, oder die Nierenwunde
bleibt nach Entfernung des Steins offen, nachdem sie aus-
tamponiert oder ein Drain eingenäht worden ist.. Das erstere
Verfahren paßt nur für aseptische Steinnieren, das zweite
für diejenigen, in welchen bereits Eiterung der Niere be-
steht, sei es im Parenchym oder auch nur im Nierenbecken.
Die Heilung geht dann so vor sich, daß nach Entfernung
des Steins die Eiterung der offenen Nierenwunde, durch
täglich vorgenommene Argentumspülungen begünstigt, aus-
heilt und allmählich eine Vernarbung zustande kommt.
In den letzten Jahren bevorzuge ich statt der Nephro-
tomie die Pyelotomie, bei der nur das Becken eröffnet
und dieses je nach Lage des Falles geschlossen oder drainiert
wird. Diese Operation ist viel weniger gefährlich als die
Nephrotomie, bei der öfters schwere, ja verhängnisvolle Nach-
blutungen beobachtet worden sind. Leider aber reicht die
Pyelotomie nur für die Fälle aus, in denen man der Steine
vom Beckenschnitt aus habhaft werden kann. Zurück-
bleibende Nierenbeckenfisteln, die man früher gefürchtet hat,
habe ich in meinen Fällen niemals erlebt. ee
Ist die Niere zum großen Teil zugrunde gegangen, ein
pyonephrotischer Sack vorhanden oder das noch restierende
Nierengewebe hochgradig erkrankt und die andere Niere
gesund, dann ist die Nephrektomie am Platze. — ->
Für Uretersteine kommt einzig und allein die Ure-
tero-Lithotomie in Frage, eine Operation, die extraperl-
toneal ausgeführt wird und seit der Vervollkommnung der
Technik an Gefahr so verloren hat, daß sie als ein er-
heblich geringerer Eingriff als die Pyelotomie angesehen
werden kann. o
Muß denn nun jede Steinniere operiert werden?
Diese vorher gestreifte Frage nach der Indikation zur Ope-
ration wäre nunmehr zu erörtern. ,
Zunächst gibt es Fälle, in denen über dio Notwendig-
keit zur Operation kein Zweifel bestehen kann, Wieder-
holen sich unaufhörlich die Koliken, besteht ein dauernder
unerträglicher, die Bewegung einschränkender Druckschmerz,
nehmen die Blutungen überhand, ist eine Eiterung der Stein-
niere vorhanden, die in ersichtlicher Weise als toxische
Noxe auf den Organismus wirkt, so muß eine Operation
stattfinden. Welche? Das wird nach Lage der Sache und
nach der Beschaffenheit der zweiten Niere entschieden
werden. E rn
Ebenso zwingt die durch Steine bedingte Anurio,
wenn sie nicht durch den Ureterkatheterismus zu. heben ist,
zum sofortigen Eingriffe, weil die bei Fortbestehen der
mar zu fürchtende Urämie mit Sicherheit zum Tode
führt. a
Liegt keine dieser Indikationen vor, so kann man über
die Frage: „Operieren oder nicht operieren“ verschie-
dener Meinung sein. Das bezieht sich besonders auf die
sogenannten aseptischen Steinnieren. Wenn ein Stein VOT
handen ist, der weder Blutungen noch nennenswerte
Schmerzen macht, wenn Koliken so selten sind, dab sie nur
in Zwischenräumen von Jahren auftreten, und wenn vo!
allen Dingen der Harn nicht infiziert ist, das heißt mit
andern Worten, wenn er frei von Eiter und Bakterien ist,
dann darf man in die Nichtoperation eines nachgewiesene;
Nierensteins einwilligen. Ich habe unter meiner Kliente
Patienten mit Nierensteinen, die seit einem Jahrzehnt 12
„ Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. - 1615
keiner Weise in ihrer Tätigkeit und ihrem Lebensgenusse
behindert sind, mit klarem, normalem Harne. Sie zu ope-
rieren wäre unnötig, die Natur nimmt im Lauf der Zeit eine
Art Selbstheilung vor, indem das Nierengewebe unter dem
Drucke des stets wachsenden Steins atrophiert. Ich ver-
fehle aber nicht zu betonen, daß das die seltenen Aus-
nahmen sind. Für gewöhnlich pflegen sich Steinnieren zu infi-
zieren, es entsteht eine Pyelitis calculosa, die sich zu einer
Pyonephrosis calculosa entwickelt. Diese aber gibt, wie ich
schon ausgeführt habe, eine Indikation für die Operation ab.
Natürlich sind bei diesen Ueberlegungen etwaige sich aus
andern Gründen ergebende Kontraindikationen in Rechnung
zu ziehen. |
Aehnlich liegt es bei Uretersteinen. Nur in den
seltenen symptomlos verlaufenden Fällen mit klarem asepti-
schen Harne darf man ein längeres Zuwarten anraten.
Ist es nun auf die eine oder andere Weise gelungen,
einen Patienten von seinem Nieren- oder Ureterstein zu be-
freien, so befinden wir uns nun der letzten Aufgabe gegen-
über: Maßnahmen zu treffen, die eine Wiederbildung
von Steinen verhüten. Diese Aufgabe ist um so wich-
tiger, als gerade Steinleiden zu Rezidiven besonders in-
klinieren.
| Hat es sich um sogenannte sekundäre Steine ge-
handelt, das heißt solche, die sich in einem infizierten Nieren-
becken gebildet haben, in welchem Eiter- und Schleim-
massen die Veranlassung für den Niederschlag der die
Steine bildenden Harnsalze gegeben haben, und besteht die
Eiterbildung nach der Entfernung des Steins fort, so sind
ersichtlichermaßen die Bedingungen für die Wiederbildung
von Steinen günstig.
Handelt es sich um primäre Steine, die ihre Ent-
stehung einer besonderen Anlage verdanken, so wird die
Gefahr einer immer erneuten Steinbildung drohen, solange
die ursprüngliche Disposition zur Steinbildung fortbesteht.
Hiernach sind unsere Aufgaben streng vorgezeichnet.
Auf der einen Seite werden wir bestrebt sein müssen,
gleichzeitig mit der Entfernung des Steins die Pye-
litis zur Ausheilung zu bringen, und auf der andern
. Seite‘ müssen wir versuchen, der Steinbildungsanlage
zuleibe zu gehen.
Was das erstere betrifft, so wird darauf bereits bei
der Operation Rücksicht genommen. Infizierte Nieren und
Nierenbecken bleiben in der Regel offen, sodaß man sie
während der Heilung mit aseptischen Lösungen bespülen
kann. Man benutzt dazu Argentum nitricum-Lösung mit
gutem Erfolge. Bleibt noch nach der Ausheilung eine Pye-
litis zurück, so kann man die Nierenbeckenspülung
per vias naturales mit dem Ureterkatheter fortsetzen.
Schwieriger ist es, die Anlage zur Steinbildung
zu bekämpfen. Wir wissen über die Ursache der Ent-
stehung primärer Steine in den Nieren noch recht. wenig.
Die primären Steine, die Harnsäure-, Oxalat- und Xanthin-
steine bilden sich nach unserer Annahme dadurch, daß ent-
weder die normalen Bestandteile des Harnes im Uebermaß
ausgeschieden werden, oder dadurch, daß bei normaler Aus-
scheidungsmenge der Harnsalze die Lösungsfähigkeit des
Harnes für sie verringert ist. So lösen sich z. B. in der
gleichen Menge Harnes bei bestimmter Temperatur um so
weniger .Urate, je kleiner der Chlornatriumgehalt des
Harnes ist.
Den gesteigerten Salzausfall bei den Harnsäuresteinen
führt man auf eine ungenügende Verbrennung der or-
ganischen Stoffwechselprodukte zurück. Uebermäßiger
Fleischgenuß und dazu mangelhafte Bewegung werden als
Ursache nicht ausreichender Oxydation beschuldigt.
‚ Ueberladung des Körpers mit Pflanzenkost, viel Ge-
müse, besonders Spargel, Tomaten, Sellerie, Aepfel, Birnen
soll die Entstehung der Oxalate begünstigen. Allein der ur-
sächliche Zusammenhang zwischen dem Genusse dieser
Lebensmittel und der Entstehung von Steinen ist nur in den
seltensten Fällen erkennbar. |
Sicherlich spielt die Erblichkeit .bei der Steinkrank-
heit eine Rolle. Auffallende Verschiedenheiten zeigen sich
in bezug auf die Gegenden, in welchen die Steine vor-
kommen: Sie sind häufig in Rußland, Kleinasien, im öst-
lichen England, im Nordwesten Deutschlands, in Holland,
Ungarn, Persien, Aegypten und Indien. Nicht sowohl das
Klima als Ernährung und Lebensweise scheinen hier-
bei ausschlaggebend zu sein. | |
Bei diesen mangelhaften Kenntnissen, die wir über die
Entstehung primärer Harnsteine besitzen, begreifen Sie, wie
schwer es ist, der gedachten Aufgabe, die Wiederbildung
von Steinen zu verhüten, zu genügen. |
‘ Wir müssen zunächst die Diät regeln. Patienten, die
Harnsäuresteine gehabt haben, müssen möglichst vege-
tarisch leben: Obst, Gemüse, Kompott, Salat dürfen bei
keiner Mahlzeit fehlen. Fleisch ist nur in mäßigen Mengen
erlaubt. Die Art des Fleisches spielt keine Rolle. Dunkles
Fleisch ist ebenso zu bewerten wie weißes. Nur die inneren
Organe als bevorzugte Uratbildner wie Milz, Nieren, Hirn,
Leber, Thymus sind zu meiden. |
Bestand der Stein aus oxalsaurem Kalk, so sind die
Vegetabilien, vor allem Spinat, Aepfel und Tomaten, einzu-
schränken. l |
Unmöglich wird es, die Diät zweckentsprechend einzu-
richten, wenn es sich um gemischte Steine, solche, die
zum Teil aus Uraten, zum Teil aus Oxalaten bestanden,
"gehandelt hat.
Wir halten uns deshalb an das zweite erörterte Mo-
ment, wir empfehlen eine Lebensweise, durch welche eine
möglichst gute Verarbeitung der eingeführten Speise
erzielt wird. Das sind vor allem körperliche Arbeit,
Körperbewegung und Bäder. Die sitzende Lebensweise
hemmt die Verbrennung und die Ausscheidung der Abfall-
stoffe. Aber auch Uebermüdung ist zu vermeiden, weil
diese die Schweißsekretion und dadurch die Konzentration
des Urins steigert und eine Zunahme der Acidität der Säfte
bewirkt. Mäßige Fußtouren, Massage, Gartenarbeiten sind
zu empfehlen. Leichte Douschen, kühle Abreibungen mit
Wasser oder mit Alkohol, warme Bäder erweisen sich als
nützlich. Auf die Regelmäßigkeit des Stuhles und der Harn-
entleerung ist zu achten. | Ea
In dritter Linie suchen wir die Lösungsfähigkeit
des Harnes für Harnsäure und Oxalsäure zu er-
höhen. Zu ersterem Zweck führt man Alkalien in Form
von kohlensauren und pflanzensauren Verbindungen oder in
Form von Mineralwässern ein. Natr. phosph., Natr. bicarb.,
Natr. und Magn. eitr., Lith. carbon. sind messerspitzenweise
mehrmals des Tags zu nehmen. Die alkalischen erdigen
Mineralwässer wie Wildunger, Contrex6ville, Vichy, Offen-
bacher, Abmannshauser, Biliner, die einfachen Säuerlinge
wie Appollinaris, Harzer Sauerbrunnen, Elster, Franzensbad
üben eine alkalisierende Wirkung aus, wodurch die Lösungs-
fähigkeit für Harnsäure gesteigert wird.
‚Das Magn. carbonicum scheint die Eigenschaft zu
haben, daß bei seiner Gegenwart eine größere Menge oxal-
sauren Kalkes in Lösung gehalten wird. Es ist deshalb be-
sonders bei Oxalatsteinen angezeigt. |
Für die wichtigste aller Maßnahmen aber halte ich die
Anregung der Diurese. Je größer die Menge Harnes ist,
um so mehr der in ihm vorhandenen Salze werden zur
Lösung gebracht. Außerdem aber, wenn wirklich Salze aus-
gefallen sind und sich zu Grieß oder gar kleinen Steinen
anzugliedern streben, so werden sie durch die große Menge
des Harnes herausgeschwemmt. Es wird die Gefahr des
Sitzenbleibens der Steine wenn auch nicht aufgehoben, so
doch vermindert. Deshalb müssen solche Patienten an-
dauernd viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Welcher Art die
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leicht’ geworden.
1616
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Flüssigkeit ist, ist weniger wichtig. Wir lassen Mineral-
brunnen, meist die einfachen Säuerlinge, Zitronenlimonaden,
dünnen. Tee, Milch und gewöhnliches Wasser trinken.
. Est auch keins der genannten Verfahren verläßlich,. so
haben wir doch die Erfahrung gemacht, daß alle zusammen-
genommen, sorgfältig und lange genug angewendet, einen
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guten Schutz gegen das Wiederentstehen von Harnsteinen
bilden. Ich will aber zum Schluß nicht unterlassen hinzu-
zufügen, daß in dieser Beziehung noch viel zu tun übrig
bleibt. Hoffen wir, daß es der rastlosen Forschung gelingen
werde, auch nach dieser Richtung hin die wünschenswerten
Fortschritte zu erzielen.
Abhandlungen.
Die Fortschritte der Laryngologie und Rhino-
logie im 20. Jahrhundert‘)
von
Prof. Dr. Otto Kahler, Freiburg i. Br.
Es ist ein schöner Brauch an der altehrwürdigen Al-
berto-Ludoviciana, den neuernannten Dozenten Gelegenheit zu
geben, vor so feierlicher Versammlung durch eine Antritts-
rede gleichsam zu dokumentieren, daß er das Vertrauen,
das die Fakultät ihm durch seine Berufung gezeigt, auch
rechtfertigen will. Mit großer Freude und ohne lange Ueber-
legung bin ich dem Rufe des Kollegiums gefolgt, trotzdem
mir das Scheiden von der Wiener Hochschule gerade wegen
der innigen Beziehungen meines Faches zu derselben nicht
Galt doch Wien stets als die Hauptstadt
im Laryngologischen Reiche, wurde doch am Donaustrande
die klinische Laryngologie durch Türck begründet. Dort
hat auch das Fach in Schrötter, Störck und Chiari
Vertreter gefunden, die es rasch aus kleinen Anfängen zu
einem Spezialfach emporhoben, das heute allgemeine An-
erkennung gefunden und seinen Platz neben den andern
Spezialdisziplinen behauptet. Wenn ich freudig und stolz
bin, gerade in Freiburg mein Fach vertreten zu können, so
hat dies darin seinen Grund, daß Freiburg wie Wien klassi-
scher Boden für die Laryngorhinologie geworden ist. Wenn
man Wien als die Stadt bezeichnet, der die Laryngologie
ihr erstes Aufblühen verdankt, so kann man vielleicht Frei-
burg eine ähnliche Bedeutung für die Rhinologie zusprechen,
denn hier wirkte leider nur zu kurze Zeit Hack, dessen
Lehre von den Reflexneurosen der Nase wir es zu verdanken
haben, daß die bis dahin noch wenig geschätzte Rhinologie
mit Feuereifer betrieben wurde und bald zu hoher Entwick-
lung kam. Mit großer Begeisterung und jugendlichem Feuer
verfocht Hack seine Lehre und wußte ihr zahlreiche Freunde
zu gewinnen. Und wenn auch manche seiner Ansichten
später als nicht stichhaltig erkannt wurden, so hat sich
doch der Kern seiner Lehre erhalten und sein Name bleibt
unvergänglich mit ehernem Stift eingegraben in den Gesetzes-
tafeln unserer Wissenschaft. Hack starb in der Vollkraft
seines Lebens im Jahre 1887. So schmerzlich der Verlust
für die Universität war, sie konnte sich leicht trösten, denn
ein neuer Stern am laryngologischen Himmel ging auf,
Killian wurde Hacks Nachfolger und brachte die Laryn-
gologie hier zu solcher Blüte, daß die Hegemonie Wiens
gefährdet schien und die Spezialärzte der ganzen Welt nach
Freiburg strömten, um Killians Lehren zu hören.
Es kann heute nicht meine Aufgabe sein, die
ganze Bedeutung Killians für unser Fach zu schildern,
aber wenn ich über die modernen Errungenschaften der
Laryngorhinologie spreche, so bedeutet dies gleichzeitig eine
Ehrung Killians, denn sein Name ist mit dem Fortschritte
der Laryngologie innig verbunden.
Unser Fach verdankt einer Untersuchungsmethode seine
Entwicklung, der von Garcia entdeckten, von Türck als
klinische Methode ausgebildeten Laryngoskopie, bei der der
Einblick in den Kehlkopf durch ein in den Rachen einge-
führtes Spiegelchen ermöglicht wird; wiederum ist es eine
Methode, der wir ein neues Arbeitsgebiet verdanken, die uns
= 1) Antritisrede, gehalten in der Aula der Universität zu Frei-
burg i. Br. am 4. Juli 1912,
ein Fortschreiten, ein weiteres gedeihliches Zusammenarbeiten
mit den andern medizinischen Disziplinen ermöglicht. Ich
meine hier die direkten Untersuchungsmethoden der Luftwege,
die sich seit ungefähr einem Dezennium allgemein eingebürgert
haben. Die Versuche, den Kehlkof direkt zu besichtigen, sind
schon sehr alt. Schon in den Schriften Savanarolas im
elften Jahrhundert lesen wir, daß es in manchen Fällen
möglich ist, den Kehldeckel nach Herunterdrücken der Zunge
mit einem Spatel zu sehen. Auch in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts, kurz vor Entdeckung des Kehlkopfspiegels,
wurde, wie Imhofer berichtet, diese Methode angewandt
und selbst Behandlungen des Kehlkopfs, Einblasungen von
Pulvern und Aetzungen auf diesem Wege vorgenommen.
Doch geriet dies Verfahren, besonders nach der Entdeckung
des Kehlkopfspiegels, der uns ja ein Mittel zur Diagnose
und Behandlung der Kehlkopfkrankheiten in die Hand gab,
ganz in Vergessenheit, und erst Kirstein verdanken wir
die Wiedereinführung der direkten Besichtigung des Kehl-
kopfs. Er gab eine Methode an, durch Vordrücken der
Zunge mit einem Spatel den winkeligen Weg zum Kehlkopf
in einen geraden umzuwandeln. und so die. direkte Unter-
suchung zu ermöglichen. Er wurde zu diesem Verfahren
geführt durch die schon. ein Dezennium früher bekannte
direkte Rohruntersuchung der Speiseröhre, der Oesophago-
skopie, bei der es gar nicht so selten vorkam, daß das Rohr
statt in die Speiseröhre in die Luftröhre glitt. - Bei einer
solchen Untersuchung wurde er nun durch den schönen An-
blick der Stimmbänder überrascht und beschloß nun, die
Methode auch zur Untersuchung des Kehlkopfs auszubilden.
Er warnte aber ausdrücklich davor, mit einem Rohre durch
den Kehlkopf in die Luftröhre vorzudringen, weil ihm dies
wegen der daselbst sichtbaren heftigen Pulsationen zu ge-
fährlich erschien. Killian war es vorbehalten, diesen Weg
zuerst zu betreten. Er sah die Untersuchungsmethode
Kirsteins auf einem Kongreß und faßte sofort den. Ge-
danken, durch die Einführung eines geraden Rohres in die
Luftröhre, die ihm nach dem gegebenen Verfahren und nach
den Erfahrungen der Oesophagoskopie leicht möglich erschien,
bei einem eventuellen Fremdkörper der Luftröhre diese Me-
thode therapeutisch zu verwerten. Bald fand er Gelegenheit
zu einem Versuche, der glänzend gelang, und so schuf
Killian die direkte Tracheobronchoskopie. Was man noch
vor 20 Jahren für ein wahnsinniges Beginnen gehalten hätte,
ist jetzt leicht möglich geworden. Wir können mit graden
Rohren vom Mund aus durch den Kehlkopf bis in. die feinsten
Verzweigungen der Luftröhre, bis tief in die Lunge vor-
dringen, Licht in diese dunklen Gebiete werfen -und große
therapeutische Erfolge erzielen. Ä
Was für eine Bedeutung hat nun die direkte Kehlkopf-
untersuchung gewonnen? Bietet sie wirklich Vorteile gegenüber
der Spiegelmethode? Vor allem kommt der direkten Laryngo-
skopie hohe Bedeutung für die Untersuchung von Kindern zu.
Gerade die Untersuchung von ganzkleinen Kindern, Säuglingen,
gelingt überraschend leicht, und sie ist für das Kind gewiß
weniger belästigend als die alte Spiegeluntersuchung. Wir
können nun ohne Schwierigkeiten die kindlichen Kehlkopfer-
krankungen diagnostizieren. Wichtig scheint z. B. die Diffe-
rentialdiagnose zwischen dem sogenannten Pseudokrupp,
einem katarrhalischen Zustande des Kehlkopfs und der echten
Diphtherie, die häufig nur durch die Kehlkopfuntersuchung
möglich ist. Manche Aerzte pflegen bei Verdacht auf Kehl-
6. Oktober..
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1617
kopfdiphtherie gleich eine Seruminjektion zu machen. Es
ist nun sehr wünschenswert, in zweifelhaften Fällen die
Diagnose durch die Kehlkopfuntersuchung zu sichern, da
nach unsern heutigen Anschauungen über die sogenannte
Anaphylaxie, das ist die Ueberempfindlichkeit eines Indi-
viduums für eine zweite Injektion, ein unnötiges Injizieren,
vor allem im Hinblick auf eine eventuell später wegen wirk-
licher Erkrankung an Diphtherie notwendige Injektion ab-
solut nicht gleichgültig ist. Wir können mit dem neuen
Verfahren unschwer bei chronischer Heiserkeit der Kinder
die so häufigen Knötchen an den Stimmlippen erkennen, die
so gefürchteten Papillome frühzeitig einer rationellen Behand-
lung zuführen. Diese so rasch wachsenden Geschwülste
machten früher meistens den Luftröhrenschnitt nötig. Diese
Operation mit ihren unmittelbaren und späteren Gefahren
ist jetzt fast immer zu umgehen, da wir mit der direkten
laryngoskopischen Methode in Narkose den kindlichen Kehl-
kopf leicht von den Papillomen säubern können. Allerdings
gehört zur Ausübung dieser Methode bei Kindern recht
große Uebung, und Technik und mit Recht betont Kümmel,
daß diese Untersuchungsmethode nur ganz Geübten an-
zuvertrauen ist. Ein Gemeingut der Kinderärzte kann sie
noch nicht werden. | |
Bei Erwachsenen hat die direkte Kehlkopfuntersuchung
weniger Wert. Wir kommen zu diagnostischen und thera-
peutischen Zwecken meist mit der Spiegelmethode aus. Er-
heblich erleichtert wurden durch die Anwendung des direkten
Verfahrens operative Eingriffe im Kehlkopfe, z. B. die Ent-
fernung eines Stimmlippenpolypen. Für die Behandlung der
Kehlkopftuberkulose bietet unser Verfahren recht große Vor-
teile. Hier sind oft ausgedehntere Operationen nötig, Ent-
fernung von größeren Verdickungen an den Stimmlippen
oder an andern Teilen des Kehlkopfs, Verätzungen mit dem
elektrischen Brenner, die leichter bei der direkten Besichti-
gung des Kehlkopfs auszuführen sind. Es wurden auch
bereits Versuche angestellt, auf diesem Wege Röntgen-
bestrahlungen des Kehlkopfs vorzunehmen, allerdings bisher
mit noch wenig befriedigendem Resultate. Für Unterrichts-
zwecke hat sich die direkte Laryngoskopie als sehr ver-
wendbar gezeigt. Wir können auf diese Weise einem größe-
ren Auditorium mit geringerer Belästigung als mit der alten
Methode einen Patienten demonstrieren, auch sind die so
gewonnenen Kehlkopfbilder für den Anfänger vielleicht
leichter verständlich als die Spiegelbilder. So wurde durch
die direkte Laryngoskopie unser Können vielfach erweitert.
Vielversprechend, namentlich für die Kehlkopfoperationen,
erscheint auch ein neues, von Killian erst vor kurzem an-
gegebenes Verfahren, die Schwebelaryngoskopie. Die freie
Zugänglichkeit zum Larynx wird bei dieser Methode da-
durch erzielt, daß der Kopf des Patienten frei in Schwebe
gebracht wird durch einen an einem Galgen hängenden, in
an ung eingeführten und am Zungengrund anliegenden
patel.
Die direkte Untersuchungsmethode der Luftröhre und
ihrer Aeste, die Tracheoskopie und die Bronchoskopie ver-
danken wir, wie schon erwähnt, Killian. Wohl hatten
schon vor ihm Piniaczek und Schrötter zu diagnostischen
und therapeutischen Zwecken gerade Röhren von einer
Trachealwunde nach dem Luftröhrenschnitt in die Luftröhre
öingeführt, dies schmälert aber das Verdienst Killians nicht,
en genialen Gedanken gefaßt zu haben, mit Umgehung des
Luftröhrenschnitts zu demselben Ziele zu gelangen und durch
anatomische Untersuchungen nachgewiesen zu haben, daß
es möglich sei, die winklig verlaufenden Bronchien gerade
zu strecken und so direkt sichtbar zu machen. Wie segens-
reich die Erfolge der Bronchoskopie für die Behandlung der
Fremdkörper der Luftwege sind, ist heute ganz allgemein
anerkannt. Standen wir doch früher einem in die Tiefe der
Luftwege aspirierten Fremdkörper fast machtlos gegenüber,
schon deshalb, weil selbst die Diagnosenstellung häufig auf |
große Schwierigkeiten stieß. Es ist erstaunlich, daß selbst
große Fremdkörper in die Luftwege aspiriert werden können,
ohne zunächst erhebliche subjektive Erscheinungen zu machen.
Wenn der Fremdkörper nicht im Kehlkopf oder in der Luft-
röhre hängen bleibt, sondern, und das ist speziell bei Er-
wachsenen das häufigere, in einen Bronchus aspiriert wird,
so wird die Atmung, weil die andere Lunge frei ist, nicht
erheblich beeinträchtigt. So hatte ich erst kürzlich einen
Patienten in Behandlung, der beim Zahnarzt eine sogenannte
Brücke, wie er meinte, verschluckt hatte. Er ging von dort,
ohne irgendwelche Beschwerden zu haben, noch in eine
Sitzung, hielt eine zweistündige Rede und erst abends fühlte
er sich etwas unwohl, bekam Hustenreiz, was er auf eine
Erkältung schob, die er sich auf der Jagd zugezogen haben
konnte. Der herbeigerufene Arzt konstatierte eine Bron-
chitis, schon am nächsten Tage trat jedoch hohes Fieber
ein und Zeichen einer Lungenentzündung. Erst einige Tage
später erfuhr der behandelnde Arzt von dem angeblich ver-
schluckten Fremdkörper und sofort wurde nun der Verdacht
auf Aspiration desselben wach, Da es sich um einen me-
tallischen Fremdkörper handelte, konnte die Diagnose rasch
durch die Röntgenuntersuchung gesichert werden. Bei der
bronchoskopischen Untersuchung konnte ich den Fremdkörper
leicht sichten und extrahieren. Der Fall soll zeigen, wie
geringe Symptome oft die Aspiration eines Fremdkörpers
macht. Nicht immer ist die Diagnose mit den Röntgen-
strahlen zu stellen, da nur metallische Fremdkörper auf
diesem Wege nachweisbar sind. Das einzig verläßliche
Mittel bleibt zur Diagnose die Bronchoskopie und manche
Patienten wurden schon von lange bestehendem Lungen-
leiden, das durch einen unwissentlich aspirierten Fremd-
körper verursacht war, durch die Killiansche Methode
geheilt. |
Es kann wohl kaum ein erhebenderes und befriedi-
genderes Gefühl geben als das nach einer geglückten Fremd-
körperextraktion.e Ein Kind wird mit den Zeichen der
höchsten Erstickungsgefahr zu uns gebracht. Die entsetzten
Eltern geben an, es habe eben noch ruhig gespielt, eine
Münze, irgendein Spielzeug in den Mund genommen und
gleich darauf kam der Erstickungsanfall. Eine leichte Nar-
kose — oft ist auch diese entbehrlich —, rasch wird das
Rohr durch den Kehlkopf in die Luftröhre eingeführt und
schon sieht man den verhängnisvollen Fremdkörper, der mit
einer Art Zange erfaßt und herausgezogen wird, das Kind
ist gerettet. Niemand wird sich wohl hochbefriedigt durch
den so leicht und mit so einfachen Mitteln erzielten Erfolg
des Gefühls der Bewunderung und des Dankes für den Be-
gründer dieser segensreichen Methode erwehren können.
Natürlich geht es nicht immer so glatt wie in dem geschil-
derten Beispiel, das ich gewählt habe, um die Methode zu
illustrieren. Man findet oft die schwierigsten Verhältnisse,
speziell wenn die Aspiration des Fremdkörpers schon längere
Zeit zurückliegt. Aber selbst in solchen Fällen vermag eine
geschickte Hand durch wohlüberlegte, sorgfältig durchdachte
Eingriffe noch Erfolge zu erzielen; dies zeigt ein Fall
Killians von glücklicher Extraktion eines Tapeziernagels,
der zwölf Jahre in der Lunge gelegen war.
Man kann sagen, daß für die Therapie der Fremdkörper
die Bronchoskopie bahnbrechend gewirkt hat. Wohl hilft sich
auch bei Fremdkörperaspiration Mutter Natur manchmal selbst.
Die reflektorische Erregbarkeit desKehlkopfs und der Luftröhre
bringen es mit sich, daß Fremdkörper ausgehustet werden.
Selten aber nur tritt dies glückliche Ereignis ein, nach einer
Statistik von Pohl in 20,5%, der Fälle. Kein Wunder, daß
die Mortalität bei eingeatmeten Fremdkörpern früher eine
erschreckend hohe war. Nach einer Statistik Preobra-
'schenskis über 770 Beobachtungen betrug sie 52%/,. Diese
Zahl ist aber sicher eher zu klein, wenn man bedenkt, wie-
viele Patienten damals wohl an den Lungenkomplikationen
zugrunde gingen, die durch nichtdiagnostizierte Fremdkörper
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1618
verursacht wurden. Schon die Erfindung des Kehlkopf-
spiegels brachte eine bedeutende Abhilfe. So ergibt eine
statistische Berechnung der Fremdkörper der unteren Luft-
wege von 1861 bis 1891 eine Mortalität von nur mehr 30°/,.
.— Wie steht es nun seit der Einführung der Bronchoskopie?
‚Ich habe die bronchoskopisch ‚behandelten Fälle von Fremd-
körpern bis zum Jahre 1911 gesammelt. Fast 600 Beob-
achtungen waren es schon damals, sodaß die Zahl 1000
heute wohl sicher schon überschritten ist. Was die Methode
heute leistet, kann man nicht nach dem Verhältnis der Todes-
fälle zu den Gesamtbeobachtungen schließen, da die Resul-
tate in den ersten Jahren der Bronchoskopie vielfach noch
durch das ungenügende Instrumentarium, die mangelhafte
Technik beeinflußt wurden. Ein Vergleich der letzten Jahre
mit den früheren Jahren der Kindheit der Bronchoskopie
wird ein besseres Bild geben. Die Mortalität betrug im
Jahre 1909 13%/,, also schon ein erfreulicher Fortschritt
gegenüber der vorbronchoskopischen Periode. Sie ist bis
1911 auf 9%/, gesunken. Noch immer ist die Mortalität eine
recht hohe, wenn man sie z. B. mit der bei der Blinddarm-
operation vergleicht, die im anfallfreien Stadium wohl kaum
1100/0 beträgt. Dies hängt damit zusammen, daß viele Pa-
tienten eben doch noch zu spät zum Spezialisten kommen.
Jeder Fremdkörper hat eine Lungenkomplikation im Gefolge.
Je früher wir eingreifen, desto eher ist eine schwere Lungen-
veränderung zu vermeiden, und es sind die praktischen
Aerzte, die uns helfen müssen, noch mehr den Mortalitäts-
quotienten herabzudrücken durch rascheste Diagnose einer
Fremdkörperaspiration, denn fast alle Todesfälle der. letzten
Jahre nach Bronchoskopien sind auf die Lungenkomplikafionen
zurückzuführen.
Die Bronchoskopie hat ihre fast zwei Jahrzehnte ältere
Schwestermethode, die direkte Rohruntersuchnng der Speise-
röhre, die Oesophagoskopie, was die Behandlung der Fremd-
körper anbelangt, rasch überflügelt. Die Oesophagoskopie
hat zur Extraktion der Fremdkörper der Speiseröhre noch
lange nicht so große Verbreitung gefunden. Es hängt das
wohl hauptsächlich damit zusammen, daß für verschluckte
Fremdkörper auch andere bewährte Methoden verwendbar
sind. So die chirurgische Methode der Eröffnung der
Speiseröhre von außen. Für die Fremdkörper der Luftröhre
hatte zwar die große Chirurgie auch ein Mittel zur Behand-
lung. Es ist das der Luftröhrenschnitt. Bei der Behand-
lung der Fremdkörper in den Luftröhrenästen versagte diese
aber fast vollständig, nur selten gelang es nach dem Luft-
röhrenschnitte mit einer Zange blind eingehend den Fremd-
körper zu fassen und extrahieren. Nebenverletzungen waren
dabei sehr zu fürchten. Auch die moderne Thoraxchirurgie
konnte hier keinen Wandel bringen. Die Eröffnung der
Bronehien von außen durch Thorakotomie stellt eine äußerst
gefährliche Operation dar. Karefsky konnte 1903 bei 14
derartigen Operationen wegen Fremdkörper nur über zwei
Erfolge berichten. Für die Speiseröhre bleibt uns auch noch
das Mittel des Hinunterstoßens der verschluckten Fremd-
körper. Für die Fremdkörper der Bronchien aber ist die
Killiansche Methode die Allretterin geworden.
Bei kleinen Kindern wenden wir lieber die sogenannte
untere Bronchoskopie an. Es ist das das ältere Verfahren, das
Einführen eines Rohres von einem Luftröhrenschnitt aus.
Denn der enge kindliche Kehlkopf kann leicht bei der Durch-
führung von Rohren verletzt werden, und es kommt zu nach-
träglichen Schwellungen, die dann doch noch den Luftröhren-
schnitt notwendig machen. Auf diese Gefahren haben erst
kürzlich Killian und Kümmel hingewiesen. Immerhin
gelingt in günstigen Fällen auch bei Säuglingen die obere
Bronchoskopie; so konnte ich auf diesem Wege einmalbei einem
61/,monatigen Kinde einen Knochen aus der Lunge ent-
fernen, ohne daß es nachträglich zu Komplikationen ge-
kommen wäre. i
Außer den segensreichen Leistungen auf dem Gebiete
1912 — MEDIZINISOHE KLINIK — Nr. 40.
6. Oktober.
der Fremdkörperbehandlung hat aber die Bronchoskopie
speziell in den letzten Jahren auch Tüchtiges zur Er-
forschung und Behandlung der Krankheiten der unteren
Luftwege geleistet. Auch können wir Erkrankungen der
Organe in der Umgebung der Luftröhre und der Bronchien
daran erkennen, daß sie Verdrängungen und Verengerungen
dieser zur Folge haben. Vieles ist hier noch zu neu, zu
wenig erprobt, um ein definitives Urteil fällen zu können.
Doch können wir heute schon sagen, daß die Bronchoskopie
der internen Klinik ein Mittel in die Hand gibt, um in
zweifelhaften Fällen von Erkrankungen der Lunge zur rich-
tigen Diagnose zu gelangen. Hohes Interesse beanspruchen
die Versuche der bronchoskopischen Behandlung der chro-
nischen Bronchitis. ‘Wir hatten bisher kein Mittel, um lokal
auf die erkrankte Bronchialschleimhaut bei Katarrhen ein-
wirken zu können. Andere Schleimhautkatarrhe werden
bekanntlich mit großem Erfolge lokaltherapeutisch beein-
flußt, durch Pinselungen, Einträuflungen wie die Rachen-
katarrhe, Bindehautkatarrhe usw. — Es ist daher nicht von
der Hand zu weisen, daß auf die Schleimhaut gebrachte
Mittel auch bei den alten verschleppten Bronchialkatarrhen
von Vorteil sein könnten. Die Inhalationen haben nun,
wie experimentell nachgewiesen wurde, wohl einen Wert für
den Rachen und Kehlkopf, nicht aber für die Luftröhre und
die Bronchien, da nur der allergeringste Teil der Inhalations-
flüssigkeit wirklich in die tieferen Luftwege gelangt. Es
wurden nun von Ephraim sehr schöne Erfolge mit der
endobronchialen Behandlung, Einspritzung von .Kokain- und
Adrenalinlösungen bei der chronischen Bronchitis erzielt
und wenn auch die Zahl der günstig behandelten Fälle noch
zu klein ist, um sich ein abschließendes Urteil zu bilden,
so verdient die Sache doch jedenfalls vollste Beachtung.
Geradezu verblüffend sind die Erfolge der bronchoskopischen
Behandlung des Bronchialasthmas. In vielen Fällen wurde
schon durch eine einmalige endobronchiale Besprayung mit
Kokain- und Adrenalinlösungen vollkommene Heilung er-
zielt. Großes Interesse bietet auch die endoskopische Unter-
suchung in wissenschaftlicher Beziehung bei einem asthma-
tischen Anfall, um die Veränderungen im Bronchialbaum
zu studieren, die ein so prägnantes klinisches Bild ergeben.
In den meisten Fällen fand man nun einen fast normalen
Befund an der Luftröhre und ihren Aesten, sodaß wir uns
durch diese Methode davon überzeugen konnten, daß die
Atembeschwerden nicht in einer Verengerung der größeren
Bronchien, sondern nur in der ihrer Endverzweigungen
ihren Grund haben.
Sehr wertvolle Aufschlüsse hat uns die Broncho-
skopie auch über die chronischen Infektionskrankheiten
der Luftröhre und ihrer Verzweigungen, speziell über die
luetischen Veränderungen daselbst gebracht. Wir können
die so schwer zu behandelnden Verengerungen, wie
sie im Gefolge von luetischen Narben nicht selten vor-
kommen, jetzt einer systematischen zielbewußten Behandlung
zuführen. Die schönsten therapeutischen Erfolge aber
wurden mit der Killianschen Methode bei Geschwülsten
der Bronchien erzielt. Patienten, die früher sicher dem lang-
samen Erstickungstod anheimgefallen wären, können jetzt
von gutartigen Geschwülsten dauernd geheilt werden. Han-
delt es sich um krebsartige Wucherungen, so kann man
durch Entfernung dieser dem unglücklichen Patienten doch
wenigstens Erleichterung und ein ruhiges Ende verschaffen.
Unsere Erfahrungen haben gelehrt, daß die primären Er-
krankungen der Luftröhre bei weitem häufiger sind, als man
früher angenommen hatte, und es ist dringend zu raten, 10
allen Fällen von länger bestehenden Luftröhren- und Bron-
chialkatarrhen, bei Atembeschwerden, häufigem Hustenreiz®,
die endoskopische Untersuchung zu Rate zu ziehen, um
rechtzeitig ein eventuell primäres Leiden der Luftröhre oder
ihrer Verzweigungen als Ursache der Beschwerden aufdecken
zu können, (Schluß folgt.)
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. | 1619
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
ee
Die Verwertung diagnostischer Fortschritte
in versicherungsärztlicher Hinsicht
von
Dr. Julius Flesch, em. I. poliklin. Assistent in Wien.
Seit meiner letzten Publikation über den Gegenstand
hat sich auf diagnostischem Gebiete so manches ereignet,
wovon die Versicherungsmedizin ernstlich Notiz nehmen sollte.
Teils sind es neuere Untersuchungsmethoden, zum Teil
wieder Erfahrungen auf dem Gebiete der Statistik oder auch
Beobachtungen über den Wert modernerBehandlungsmethoden,
die unser Interesse erregen müssen, damit die versicherungs-
ärztliche Auslese an sicherem Boden gewinne.
Bei anamnestisch erhobenen Blutabgang durch den
After soll die bloße Inspektion uns über die Quelle der Blutung
belehren. Wegen bloßer Noduli hämorrhoidales wird
kein Versicherungswerber abzulehnen sein; auch die Ein-
reihung in eine erhöhte Gefahrenklasse ist nicht berechtigt.
Wohl aber sollten wir über den Zustand der höhergelegenen
Schleimhaut orientiert sein. Anstatt bei Verdacht einer
höhergelegenen Blutungsquelle mit einer drakonischen Ab-
lehnung vorzugehen, wird uns die in den letzten Jahren
vervollkommnete Recto-Romanoskopie über alles wissens-
werte mit hinreichender Sicherheit Aufschluß geben. |
Bei Dunkelrotfärbung der Haut ohne arteriosklero-
tischen oder apoplektischen Habitus, soll die Untersuchung
einiger Tropfen Blut aus der Fingerbeere uns darüber be-
lehren, ob nicht das Krankheitsbild der Erythrocythaemia
vera alias Polycythaemia vera vorliegt.
Nicht selten ist Milzschwellung und zumeist deutliche
Blutdrucksteigerung nachweisbar. Die Gefahren der Er-
krankung liegen im Auftreten von Thrombosierung, Hämor-
rhagien. und Albuminurie. Pathologische Leukocytenformen
fehlen, das Hämoglobin ist auf 90 bis 110%), vermehrt.
Manchmal fehlen tatsächlich sämtliche subjektiven Be-
schwerden und dann kann bloß durch den Blutbefund die
Diagnose gestellt werden.
Recht schwierig ist die Unterscheidung nervöser Tachy-
kardie und nervöser Extrasystolen von solchen organischen
Ursprungs. Myogene Arythmien bleiben stets unverändert
und verschlechtern sich auf Muskelarbeit, während nervöse
Extrasystolen auf häufige Kniebeugen oder auch bei Druck
auf den Vagus eher schwinden. Desgleichen verschwinden
sie auf Injektion von 0,001 Atropin. Die Tachykardie
nervösen Ursprungs kann man durch Physostigmin (dreimal
täglich drei bis neun Tropfen einer 1 °/,igen Physostigmin-
salieyl.-Lösung) in Bradykardie verwandeln.
... Diethyreogene Tachykardie nimmt eine gesonderte
Stellung ein. Charakteristisch dafür ist die rasche Ermüd-
barkeit und das Pulsieren der großen Gefäße. Die Schild-
drüse braucht dabei nicht vergrößert zu sein. (Basedowoid,
Forme fruste). Der Blutdruck ist meist niedrig und es be-
steht starke Empfindlichkeit gegen Adrenalin. |
Bei Aufnahme von Kürschnern und Pelzarbeitern soll
sorgfältig auf verlängertes Exspirium und Zeichen von
Lungenblähung geachtet werden. Ich habe auffallend häufig
emphysematöse Bronchialkatarrhe und Bronchialasthma bei
solchen Leuten sich entwickeln gesehen. Es handelt sich um
eine Berufskrankheit, bedingt durch Inhalation der feinsten
Härchen, die dann eine chronische Irritation der Respirations-
Organe unterhalten. |
‚,, Bei präklimakterischer Amenorrhöe soll an die Mög-
lichkeit einer Hypophysenerkrankung gedacht werden.
Sind ‚auch noch Erscheinungen von Dystrophia genitalis
— wie Adipositas, blasses Aussehen, Fehlen der Scham-
und Achselhaare — vorhanden, dann soll die Schädelbasis
radiographiert werden, um die Gestaltung der Sella tureica
festzustellen.
Ich hatte zu wiederholten Malen Gelegenheit zu beob-
achten, daß das Vorhandensein eines leichten Enopthal-
mus der einen Seite als schwerwiegender Befund angesehen
wurde und rundweg zur Ablehnung geführt hat. Die En-
ophthalmie ist teils angeboren, teils die Folge einer intra-
orbikularen Affektion der Sympathicusfasern, teils die Folge
einer posttraumatischen Schädigung des Bindegewebsringes,
der den Aufhängeapparat des Bulbus ausmacht, oder einer
posthämorrhagischen retrobulbären Narbe. Seltener ist sie die
Folge einer Affektion des Halssympathicus durch geschwellte
Halsdrüsen oder einer Affektion des Halsmarks. Sie ist
durch die bekannte Trias — Enophthalmus, Miosis, Ptosis
— gekennzeichnet. Bei ungenauer Beobachtung wird sie
häufig wegen der begleitenden Miosis mit Pupillenstarre ver-
wechselt und besiegelt dann begreiflicherweise das Schicksal
des Versicherungswerbers.
Zur frühen Erkennung syphilogener Nerven-
erkrankungen dienen der galvanische Lichtreflex von
Bumke und die sekundäre Lichtreaktion von Weiler.
Bei jedem sehenden Menschen ruft der konstante Strom in
der Nähe des Auges einen Lichtblitz hervor, der von einer
Pupillenverengerung begleitet wird. Diese Pupillenreaktion
schwindet in 87°/, vor Eintritt der reflektorischen Pupillen-
starre. Die Weilersche Reaktion ist eigentlich eine con-
sensuelle doppelte Lichtreaktion.e Man belichtet die eine
Pupille und beobachtet die consensuelle Reaktion der andern.
Nun belichtet man auch noch die andere Pupille, worauf
beide Pupillen sich noch um ein Stück verengern. Diese
Reaktion schwindet in 84°, vor Eintritt der reflektorischen
| Pupillenstarre. !
Zufolge der zunehmenden Zuverlässigkeit radioskopischer
Befunde wird die Röntgenographie von nun ab im ver-
sicherungsärztlichen Rüstzeug einen immer breiteren Raum
einnehmen müssen. Hauptsächlich gilt dies von der Dia-
skopie der Brust- und Baucheingeweide. Selbstredend
wird man von dieser Methode zufolge ihrer Kostspieligkeit
nur bei hohen Summen und ausgesprochenem Verdacht einer
röntgenologisch diagnostizierbaren Erkrankung Gebrauch
machen. Bei Verdacht auf Lungenerkrankung wird man je-
doch gut tun, den Röntgenbefund dem klinischen Befunde
gegenüber nicht zu überwerten. Der Röntgenbefund an den
Verdauungsorganen hingegen ‚wird unter allen Umständen
den Ausschlag geben. |
Was die Serodiagnostik anbelangt, so wird man sich
derselben bei anamnestisch erhobener Lues nur in seltenen
Fällen bedienen. Zunächst dann, wenn der Centralnerven-
befund den Verdacht einer metaluetischen Affektion aus-
spricht, ohne klinische Beweise hierfür anführen zu’können.
So sind beispielsweise neurasthenische Anzeichen oder neuro-
tisch degenerativer Habitus bei überstandener Lues immer
verdächtig für metaluetische Disposition. In solchen Fällen
wird der positive Ausfall der Wassermannschen Probe die
Ablehnung des Antrags herbeiführen; bei negativem Aus-
fall der Serumprobe kann die Aufnahme aueh nur dann
empfohlen werden, wenn nebst mangels jedweder specifischen
Lokalveränderung und genügend langem gesunden Intervall
die Anzahl und die Art der speeifischen ‚Heilkuren eine
gründliche Heilung vermuten lassen.
Es wurden statt der Originalmethode nach Wasser-
mann Ersatzreaktionen empfohlen, so z. B. die nach
Dungern-Noguchi, doch haben sich dieselben ais nicht
zuverlässig ergeben. :
Hinsichtlich der Syphilisbehandlung stimmen alle
neueren Berichte darin überein, daß die Behandlung mit
Salvarsan allein niemals Heilung bewirkt. Zuverlässiger ist
schon eine Kombinationsbehandlung mit Quecksilber und Sal-
varsan. Die besten Resultate jedoch gibt frühzeitige Excision
des Primäraffekts mit Kombination von Quecksilber und
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Salvarsan. Es blieben laut Publikation aus jüngster Zeit
nach einer einjährigen ‚Beobachtungszeit sechs von acht
Fällen symptomfrei. bei negativem Wassermann.
= Gravidität festzustellen ist unter- Umständen nicht
immer leicht. Manchmal verhindern dies sozial-ethische
Momente, ein andermal sind die anamnestischen Angaben
ungenau. Abderhalden gelang .es nun mittels der op-
tischen Methode und mit Hilfe des Dialysierverfahrens mit
voller Sicherheit Schwangerschaft zu diagnostizieren. Die
Methode basiert auf der Tatsache, daß die Chorionzotten
der Placenta als artfremde Zellen in die mütterliche Blut-,
bahn eindringen, wobei Fermente auftreten.
Wenn wir mütterliches Serum und Placentapepton ins
Polarisationsrohr bringen, ändern sie bei bestehender
Schwangerschaft die Anfangsdrehung. Wenn wir ferner
mütterliches Serum und koaguliertes Placentargewebe in
einen Dyalisierschlauch geben und außen destilliertes Wasser
füllen, dann gibt die Außenflüssigkeit nur dann die Biuret-
reaktion, wenn Gravidität vorliegt. Die optische Diagnose
der Gravidität kann in einzelnen, wenn auch seltenen
Fällen zu Rate gezogen werden.
= Die Freundsche Reaktion zur Erkennung eines
Neoplasma hat sich bei klinischer Prüfung nur in einem
kleinen Prozentsatze bewährt. Doch sind weitere wichtige
Arbeiten desselben Forschers im Zuge, die eine allgemeine
Verwertbarkeit der chemischen Geschwulstdiagnose in
Aussicht stellen.
Die perkutorisch-palpatorische Leberuntersuchung
kann uns naturgemäß nur über die Gestalt, nicht aber über
die Funktion der Leber Aufschluß geben.
Wir wissen, daß die Leberzellen im Haushalte des
Organismus drei differente Funktionen vollführen.
a) Die regulierende Wirkung auf die Produktion des
Zuckers und auf dessen Gehalt im Blute, deren Störung
einen Uebergang des Zuckers ins Blut nach stärkerem
Zuckergenusse zur Folge hat — alimentäre Glykosurie.
b) Die Produktion von Harnstoff, deren Störung
Abnahme der Harnstoffausscheidung und Zunahme der
Ammoniakausscheidung, bei schwer gestörter Funktion eine
Ausscheidung von Leuein und Tyrosin im Harn zur Folge
hat. Der Ausdruck dieser Funktionsstörung ist im rela-
tiven Verhältnisse der H;3N-Menge zur Gesamtaus-
scheidung des Harnstoffs gegeben.
c) Die Gallensekretion. Ihre Störung bewirkt Oligo-
cholie, Acholie oder Urobilinurie. Wenn nicht zugleich
Acholie der Stühle besteht, dann darf man aus der Urobli-
nurie auf Insuffizienz der Leber schließen. Findet sich jedoch
auch Bilirubin im Harn, dann ist dieser Schluß nicht voll-
berechtigt, da Urobilin auch bei größeren Blutergüssen trotz
suffizienter Leberfunktion vorkommt.
Eine recht empfindliche Probe auf intakte Leberfunktion
ist die Prüfung auf alimentäre Galaktosurie. Pathogno-
monisch ist die Probe bei Icterus katarrhalis, bei Cirrhose
in jedem Stadium, bei Stauungscirrhose infolge Vitium cordis,
bei Lues latens, bei Fettleber infolge allgemeiner Tuberkulose,
bei primärem Lebercarcinom, bei akuter gelber Leberatrophie.
Negativ ist der Befund bei einfacher Cholelithiasis mit oder
ohne Ikterus, desgleichen bei metastatischem Lebercarcinom,
bei Gummen der Leber, Echinococcus. Nach den ausge-
dehnten Untersuchungen von R. Bauer ist alimentäre
Galaktosurie identisch mit Leberinsuffizienz. Aller-
dings wurde ab und zu auch einmal bei intakter Leber
Galaktosurie gefunden, doch war immer auch Dextrosurie
dabei, bedingt durch abnorme Resorptionsverhältnisse im
Darm — Pseudo-Lebergalaktosurie Solche seltene
Befunde werden jedoch den Wert der alimentären Galaktos-
urie in versicherungsdiagnostischer Hinsicht nicht ver-
mindern. Die Probe auf alimentäre Lavulosurie ist ihr
ungetähr gleichwertig, während die obenerwähnte Methode
zur Ermittlung des Verhältnisses der Ammoniakausscheidung
zur Harnstoffausscheidung inkonstant ist.
Die Anwesenheit von Urobilin beziehungsweise von
Urobilinogen im Harne beweist mit großer Wahrscheinlich-
keit eine Stauung im Pfortaderkreislaufe. Bei Ueberlastung
des rechten Herzens — Mitralstenosen, chronischem Emphy-
sem, myogene Schwäche, Dilatation, Asthma bronchiale —
kommt es zu einer Störung im venösen Kreislaufe der Leber,
diese führt zu erhöhter Urobilinbildung und diese wieder zu
Urobilingenausscheidung im Harne, das mittels Ehrlichs
Aldehydreaktion leicht nachweisbar ist. Bei völliger Kom-
pensation verschwindet die Reaktion. o
Andere Methoden zur Funktionsprüfung der Leber sind
noch die Prüfung auf Glykuronausscheidung und die Untersu-
chung auf alimentäre Aminosäurenausscheidung (Glaeßner).
Diabetes wird mitunter mit Peutosurie verwechselt,
Letztere wurde im Jahre 1892 von Salkowsky entdeckt
und ruft kaum jemals körperliche Störungen hervor. Die
Verwechslung mit Diabetes geschieht dadurch, daß der Harn
deutlich reduziert, und zwar Fehlingsche Lösung nach
einer halben Minute, wobei das Kupferoxyd erst bei längerem
Stehen ausfällt. Nylanders Reagens wird gleichfalls schwach
reduziert. Mit Hefe tritt keine Gärung ein und der Polari-
sationsbefund ist inaktiv. |
Wie schützt man sich also vor Verwechslung einer
Pentosurie mit einem Diabetes? Als Regel gelte, daß ein
Harn, der bei Anstellung der Trommerschen Probe erst
beim Erkalten reduziert, dann aber schußweise, auf:
Pentosen verdächtig ist. Ein Pentoseharn gibt nun die
Orcin-Reaktion: 3 cem Harn und 6 ccm rauchende Salpeter-
säure plus eine Messerspitze Orcin werden zum Sieden er-
hitzt, worauf sich ein charakteristischer blaugrüner Farb-
stoff ausscheidet. |
Bei Frauen findet sich im Puerperium, namentlich wenn
sie nicht nähren, bis in die sechste Woche fast stets Milch-
zucker im Harne, der gleichwie Traubenzucker alle Reduk-
tionsproben — mit Ausnahme der Gärungsprobe
— zeigt.
Die sogenannte Butenkosche Reaktion mit Liquor
Bellosti (10 °/,ige Lösung von salpetersaurem Quecksilber
und 24 Tropfen 25 °|„iger Salpetersäure) soll für Paralyse
charakteristisch sein. Man kocht 3 cem Harn mit zehn
Tropfen Reagens mehrmals auf, worauf ein Niederschlag
entsteht, der bei Paralytikern schwarzgrau, bei Nichtpara-
lytikern weißgelb ist. Die Beweiskraft dieser Reaktion ist
jedoch noch kontrovers. | i
Pathologische Chondroiturie täuscht erheblichen Ei-
weißgehalt des Harns vor, da die Chondroitinschwefelsäure
für geringste Eiweißmengen noch in Verdünnung von
1:40000 ein starkes Füllungsmittel darstellt. Fügt man
zu einem solchen Harn mit geringem Eiweißgehalt Essig-
säure, so bildet sich deutliche Opaleszenz, die von der. un-
löslichen Verbindung der Chondroitinschwefelsäure mit Eiweiß
herrührt. Bei orthostatischer Albuminurie besteht gleich-
zeitig pathologische Chondroiturie. |
Zur Klärung von Urinen, die neben reichlichen
Uraten und Kreatinin auch geringe Mengen von Eiwel
enthalten, was bekanntlich auf die Zuckerbestimmung störend
wirkt, benutzt Clarance E. May Phosphorwolframsäure.
Der Vorgang ist folgender: 50 ccm Harn werden mit einigen
Tropfen conc. Salzsäure angesäuert. Bei Zimmertemperatur
werden nun 50 cem Phosphorwolframsäure zugefügt, bis
150 ccm aufgefüllt und filtriert. Vom Filtrate werden 100 cem
abgenommen, mit Bariumhydroxyd neutral oder schwach
alkalisch gemacht, auf 200 ccm aufgefüllt, filtriert und direkt
zur Titration oder zur Polarisation benutzt. 50 ccm des
Reagens genügen in der Regel, um alles Eiweiß, Harnsäure
und Kreatinin zu fällen. Ein eventueller Ueberschuß von
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6.. Oktober.
Untersuchung auf Diphtheriebacillen und
Bekämpfung der Diphtherie
von
Prof. Dr. M. Neißer, Frankfurt a. M.
~ Wenn ein Forscher von der Bedeutung v. Behrings den
Wert der centralisierten Diphtherie-Untersuchungsstellen in mancher
Hinsicht in Zweifel zieht, wird es nötig sein, auf seine Einwände
genauer einzugehen. Bereits 1901!) hatte er den Bericht über die
Untersuchungsstation Breslau, den ich in Gemeinschaft mit Hey-
mann 1899 im Ki. Jahrb. veröffentlicht hatte, kritisch be-
leuchtet und trotz mancher anerkennenden Worte das System
verurteilt. In seinem neuesten Buche?) druckt er Teile
dieses Urteils wieder ab und fügt einige neue Bemer-
kungen hinzu. So sagte er 1901: „Durch die Üentralisierung
der bakteriologischen Untersuchung von diphtherieverdächtigen
Krankheitsprodukten in besonderen Instituten ist zweifellos wert-
volles statistisches Material gesammelt worden; für die Bedürfnisse
des praktischen Handelns halte ich es aber eher für schädlich,
wenn dem Arzte die Meinung beigebracht wird, er sei zur Fest-
stellung von Diphtheriefällen nicht befähigt... .“, und er sagt
jetzt: .. . „und ich muß es als schwere Unterlassungssünde be-
zeichnen, daß nur zu oft der Termin für die rechtzeitige und dann
fast unfehlbare rettende Serumbehandlung versäumt wird aus
allerlei niehtigen Gründen, zu welchen ich auch das
Abwarten der bakteriologischen Diagnose in besonderen
Instituten rechne). Schon Variot, der berühmte französische
Kinderarzt, hat sich mit großer Lebhaftigkeit dagegen ausge-
sprochen, daß nach der klinischen Diphtheriediagnose vorerst ein
Bakteriologe, der mit dem Patienten im übrigen gar nichts zu tun
hat, sein Placet zur Serumeinspritzung abgeben soll. Abgesehen
davon, daß unwiederbringliche Zeit damit verloren geht, die in
schweren Fällen dem Patienten oft genug schon das
Leben gekostet hat), betrachte ich es auch als unwürdig für
einen wissenschaftlich geschulten Arzt und als ein schlechtes
Testimonium, wenn er zugestehen muß, daß er eine so einfache
Sache, wie den Diphtheriebaeillennachweis, nicht selber leisten
kann. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, daß der Ba-
cillennachweis über das Vorhandensein einer diphtherischen Er-
krankung nicht entscheiden kann, da wir ja wissen, dab es
Diphtheriebacillenträger ohne Diphtherie gibt.“
Es ist mir nie ganz verständlich gewesen, aus welchen
Gründen v. Behring ein Gegner dieser centralisierten Unter-
suchungen ist. Soviel ist sicher: Er wendet sich sowohl gegen
die Centralisierung wie auch gegen den Wert der bakteriologischen
Untersuchung überhaupt.
Gegen die Centralisierung wendet er ein: .. . „Das durch-
schnittliche Können des praktischen Arztes wird nach meiner Mei-
nung auf ein gar zu niedriges Niveau heruntergedrückt, wenn ihm
so einfache Aufgaben, wie die mikroskopische Untersuchung von
Diphtheriemembranen, aus der Hand genommen wird. Selbst die
kulturelle Prüfung müßte, wo sie notwendig- erscheint, zu den Ob-
liegenheiten eines jeden praktischen Arztes gerechnet werden.
Wenn derselbe sich zweckentsprechende Nährböden, in Reagens--
gläsern schräg erstarrt, vorrätig hält, dann ist das Anlegen von
Kulturen das einfachste Ding von der Welt; einen kleinen Brut-
apparat, wo Gas fehlt durch eine Petroleumflamme geheizt, kann
jeder Arzt in seinem Hause haben. Wird erst das Bedürfnis für `
külturelle Prüfungen in ärztlichen Kreisen allgemeiner, dann wer-
den sich ohne Schwierigkeit Lieferanten für die fertigen Nähr-
böden finden.“
Es bedarf eigentlich nicht vieler Worte, um diesen Stand- |
Punkt zu bekämpfen. Gewig scheint auch mir das Anlegen der
Kulturen das einfachste Ding von der Welt zu sein, aber die bak- |
teriologische Untersuchung auf Diphtheriebacillen ist nicht so-
einfach; ja ich behaupte, selbst gegen die Autorität eines v. Beh-
ring, die ich eben in diesem Pünktchen nicht anzuerkennen ver- _
mag, daß die bakteriologische Untersuchung auf Diphtheriebacillen
in vielen Fällen zu den schwierigeren Aufgaben gehört, denen nur
ein dauernd darauf eingestellter Untersucher gewachsen ist, wenig- `
stens wenn man Wert auf wirklich richtige Diagnosen legt. Man
) v. Behring, Diphtherie-Bibliothek von Coler, Bd.2. (1901,
Jv. B
Hirschwald.)
‚) v. Behring, Einführung in die Lehre von der Bekämpfung d
Infektionskrankheiten. (Berlin: 1912, Hirschwald.) ren
) Im Original nicht gesperrt. N.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
1621
kann Sputa auf Tuberkelbacillen von dem jüngsten Volontär oder.
vom Laboratoriumsdiener untersuchen lassen, aber zu der Diphtherie-
bacillen-Untersuchung gehört ein Geübter. Ich habe im Laufe der
16 Jahre, die ich mich mit dem Gegenstande zu beschäftigen ge-
habt habe und während deren ich mehr als 20.000 Untersuchungen.
erlebt habe, eine große Zahl männlicher und weiblicher Unter-
sucher ausgebildet, stets unterstützt durch ein reichliches Mate-
rial. Einen typischen positiven Fall kann fast jeder in wenigen
Tagen erkennen, eine wirkliche Sicherheit in seinem Urteile hat
noch keiner erreicht, der nicht ein paar hundert Fälle selbst unter-
sucht hat, der nicht dabei dauernd Reinkulturen anlegt und identi-
fiziertt. Und das soll man vom praktischen Arzte verlangen? Er
soll wohl auch für die Sterilisierung und Reinigung der ge-
brauchten Glassachen, für die Beschaffung eines frischen einwand-
freien Nährbodens, womöglich für die Sterilisierung der Entnahme-
röhrchen sorgen und soll sich dann am Morgen, so gegen 9 Uhr,
hinsetzen und schnell ein bischen bakteriologische Diphtherie-
baeillen-Untersuchungen machen! Und wer bezahlt ihn dafür?
Hat er vielleicht auch das noch von dem hohen Kassenhonorar zu
bestreiten? Und diese ganzen Umstände und die Kosten soll er
sich machen, damit er im Jahre vielleicht zehn- oder selbst
dreißigmal in die Lage kommt, sein Diphtherielaboratorium in Gang
zu setzen.
Nieht viel anders steht es mit den kleineren Kranken-
anstalten. Ich kenne zwar wohl dirigierende Aerzte kleinerer An-
stalten, die sich ihre Diphtheriebacillen-Diagnose selbst machen,
kenne andere Anstalten, wo recht gut eingeübte Schwestern oder
Laborantionen diesen Dienst versehen. Aber das sind. große Aus-
nahmen, und ich kenne noch viel mehr Anstalten, wo zwar auch kulti-
viert wird, wo ich aber den Diphtheriebacillen-Diagnosen nicht den
mindesten Wert zuschreiben würde. Das ist ja auch bei dem Betriebe,
dem Personalwechsel, den Urlaubszeiten usw. gar nicht anders mög-
lich; selbst bei intensivem Interesse des klinischen Chefs gehen diese
Untersuchungen, wie so viele andere, in die Hände des Personals
über, bei dem doch nur der Wechsel beständig ist. Und .die be-
kannte Freude der klinischen Chefs, die nötigen Untersuchungen
im eignen Laboratorium ausführen zu lassen, läßt erfahrungsgemäß
im Laufe der Jahre sehr nach. Da ich aber nun einmal weiß,
wieviel Sorgfalt und Mühe nötig ist, um den scheinbar so ein-
fachen Betrieb dauernd, also auch in Fällen von Krankheit und
Urlaub, an Sonn- und Feiertagen, auf der Höhe zu halten, und da
der Betrieb stets in bester Verfassung sein muß, wenn nicht
falsche Diagnosen, Verwechslungen, Verzögerungen usw. unter-.
laufen sollen, da auch gelegentlich immer wieder Reinkultivierungen,
Tierversuche usw. erforderlich sind, so komme ich immer wieder
zu der Forderung besonders darauf eingerichteter Laboratorien,
das heißt also zu den so angegriffenen centralisierten Stationen.
Man wende nicht ein, daß das ja auf dem Lande doch nicht mög-
lich sei; ich glaube, man soll sich darüber den Kopf erst dann
zerbrechen, wenn für die 30 Millionen Menschen in den 600 Ge-
meinden über 15000 Einwohner in dieser Beziehung gesorgt ist.
Denn selbst für diese kleinen Gemeinden, bei denen ja doch jährlich
allmählich 100—300 Untersuchungen erforderlich sein müßten, lohnt
sich vielleicht schon eine kleine Station. Es ist hier nicht der
Platz, darauf einzugehen, ob die heutige Organisation, welche eine
verhältnismäßig geringe Zahl von Medizinaluntersuchungsämtern
geschaffen hat, gerade für die Diphtheriebaeillen-Untersuchung
schon die definitive und richtigste Form ist, und ob man sich diese
Organisation nicht anders und wirkungsvoller denken kann, — es
kommt hier nur darauf an, zu zeigen, daß die Diphtheriebacillen-
Untersuchungen im Prinzip in centralisierte Stationen gehören.
Der Arzt büßt dadurch gewiß nichts ein, denn er hat Krank-
heiten zu erkennen, der Bakteriologe Bakterien. Wir sind über
die Jahre hinaus, wo man fordern konnte, daß jeder Arzt auch
aktiver Bakteriologe sein soll — man mag das bedauern oder als
Fortschritt ansehen —, an der Tatsache dieser Entwicklung ist nicht
mehr zu zweifeln.
Was soll und kann denn die bakteriologische Diph-
theriebacillen-Untersuchung leisten? Bestenfalls -doch nur,
wie ja auch v. Behring sagt, die Erkennung des Diphtherie-
bacillus, und daß Diphtheriebacillen und Diphtherie zweierlei sind,
diese Erkenntnis ist doch nicht etwa neuen Datums, sie ist so
alt, wie die Entdeckung des Bacillus selbst durch Löffler. Ich
behaupte aber nach wie vor, daß die Untersuchung auf Diph-
theriebacillen einen sehr großen Wert hat, durchaus nicht in
jedem Fall, aber -sie ist in vielen Fällen einfach unersetzlich.
Beginnen wir mit dem hauptsächlichsten Streitpunkt, der Bedeutung
der Diphtheriebacillen-Untersuchung für das therapeutische Handeln
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des Arztes. Ich schrieb 19081) .... „Wir haben hier in Frank-
furt häufig genug betont, daß unsere Diagnosen wesentlich dem
prophylaktischen Zwecke dienen sollen, daß das therapeutische
Handeln des Arztes, speziell bei negativem Resultat der Diph-
theriebacillen-Untersuchung, von seinem klinischen Urteil abhängig
sein soll. Es. kann aber nach unsern Erfahrungen nicht bezweifelt
werden, daß die Diphtheriebaecillen-Untersuchung häufig genug auch
für das therapeutische Handeln bestimmend ist. Der Arzt wird
sich eben in leichten Fällen, in denen wir Diphtheriebacillen
konstatieren, auf Grund unserer Diagnose viel leichter zur Serum-
injektion entschließen. So erleben wir es denn sehr häufig, daß
der Arzt von uns ein möglichst schnelles Urteil im Interesse seines
therapeutischen Handelns verlangt — ein Beweis, daß unsere
Diagnosen auch für die Therapie als wichtig befunden werden.“
Ich kann dem Gesagten nach weiteren neun Jahren heute nichts
hinzufügen, ich kann immer nur wiederholen, daß der Arzt sich
zunächst nach dem klinischen Bilde riehten soll und deshalb so-
fort spritzen soll, wenn ihm Eile nötig erscheint. Er wird aber
doch in manchen leichten, beginnenden, unsicheren Fällen, z. B.
bei Erwachsenen, aus klinischen Gründen noch einen Tag warten
und es wird dann nichts schaden, wenn er gleichzeitig auch bak-
teriologisch untersuchen läßt; ich habe nie verlangt, daß das bak-
teriologische Urteil die suprema lex sein soll, aber mir zeigt
tausendfältige Erfahrung, wie wertvoll den Aerzten häufig unsere
Antwort ist. Ich habe das auch bei einer kleineren Epidemie?),
wo die bakteriologische Feststellung doch eigentlich die geringste
Bedeutung haben sollte, statistisch festgestellt und unter 93 Fällen
(von 39 Privatärzten) in 81,7 °% die Fragebogenantwort „wertvoll“,
in 18,3%, „nicht wertvoll“ erhalten. „Also auch zu Zeiten einer
Epidemie sind den Aerzten von fünf Diagnosen, welche bakterio-
logisch sicher gestellt werden, vier wertvoll.* Schließlich gibt
doch auch die Tatsache zu denken, daß die Diphtherie-Unter-
suchungsstellen sehr an Zahl zugenommen haben und überall zu-
nehmende Frequenz zeigen. So sind dank der Organisation infolge
des preußischen Seuchengesetzes allein in Preußen im Jahre 1910
in mehr als 30 Medizinaluntersuchungsstellen über 30 000°) Unter-
suchungen auf Diphtheriebaeillen ausgeführt worden, davon etwa
1/4 mit positivem Ausfalle. Dazu kommen noch viele nicht in
diese Zusammenstellung mit aufgenommene Stellen, wie Frank-
furt a. M. und die großen Krankenhäuser und Kliniken. Wie ist
ferner die Tatsache, daß im Etatsjahre 1911/12 (abgesehen von
allen Krankenanstalten und einigen auswärtigen Aerzten) 179 ver-
schiedene Privatärzte Frankfurts 1643 Proben zur Untersuchung
auf Diphtheriebacillen an das mir unterstellte Städtische Hygienische
Institut eingeschickt haben, anders zu erklären, als daß die Aerzte
diese Untersuchungen für wertvoll halten, und den „Reiz der Neu-
heit“ darf man wohl in einem Betriebe, der seit mehr als zwölf
Jahren besteht, nicht zur Erklärung heranziehen. Der tatsächlich
vorhandene, wenn auch niemals als hauptsächliches Ziel angestrebte,
unmittelbare Zusammenhang von Diphtheriebacillen-Untersuchung
und Serumtherapie ergibt sich weiterhin aus der von mir mit-
geteilten Tatsache, daß bei der Epidemie 1903 unter 79 bakterio-
logisch sichergestellten Fällen 77 injiziert wurden, unter 102
bakteriologisch nicht untersuchten Fällen aber nur 71 und dabei
ist immer wieder zu betonen, daß die überwiegende Zahl, der
uns eingesendeten Fälle nicht die klinisch sicheren, sondern die
klinisch zweifelhaften sind. Aber die Zahl dieser klinisch anfangs
zweifelhaften Fälle ist schon bei den Halserkrankungen groß, bei
Augen-, Nasen-, Ohren- und Hauterkrankungen ist der Zweifel
anfangs noch größer. Wie oft habe ich es erlebt, daß der Arzt
in solchen Fällen erst durch unsere Untersuchung zur Injektion
bewogen wurde, ich habe es aber auch erlebt, daß ein Arzt aus
„klinischen Gründen“ sich nicht entschließen konnte, sein Kind zu
injizieren — trotz unseres positiven Befundes — und dieses Kind
ist gestorben.
Ich habe 18994 über 341 Fälle berichtet, bei denen in
51:°/o eine glatte Uebereinstimmung zwischen klinischer Anfangs-
diagnose und bakteriologischem Resultat war; im Jahre 19035)
waren es bei 1091 Fällen 48,4 0/0; unter unsern letzten 1000 Fällen
sind es wiederum etwa 50%, während 15 bis 20°], glatt diver-
gierten und der Rest auf der klinischen (oder auch bakteriologi-
schen) Seite zweifelhaft war.
1) Die Untersuchung auf Diphtheriebacillen in centralisierten Unter-
suchungsstationen. ' (Hygien. Rundsch. 1903, Nr. 14.)
= 2) Berl. kl. Woch. 1904, Nr. 1i.
`) hie a. d. Gebiete der Medizinalverwaltung . (Schoetz 1912).
) L. c. |
6) L. c.
- Verein mit Heymann 18992) gezeigt habe.
Es zeigt sich also in etwa 2500 Fällen, die aus drei ver-
schiedenen Perioden innerhalb 16 Jahren und aus zwei Städten
(Breslau und Frankfurt) stammen, fast genau das gleiche: In etwa
500/ stimmen klinische Anfangsdiagnose und bakteriologisches
Resultat überein, in dem Rest ist ein erheblicher Teil glatt diver-
gierend, der Rest fraglich. Bedarf es noch einmal des Nachweises,
daß es zwecklos ist, sich darüber zu streiten, ob diejenigen Fälle,
in denen glatte Divergenz bestand, nach dem klinischen oder nach
dem bakteriologischen Urteil als „Diphtherie* oder als „Nicht-
diphtherie* zu bezeichnen sind. Das hängt doch natürlich von
der Definition des Begriffs „Diphtherie*“ ab. Wer darunter die
Bretonneausche Diphtherie versteht und die Bretonneausche
Diphtherie als Maßstab für die specifische Therapie und die Pro-
phylaxe nimmt, wird sich klar machen müssen, daß die Bre-
tonneausche Diphtherie ein Krankheitsbild ist, das sich erst ent-
wickelt, ehe es typisch ist, ehe es mit Sicherheit als solches
erkannt werden kann. Er wird dann konsequenterweise die so
zahlreichen atypischen Hals-, Nasen-, Ohren- usw. Fälle von der
specifischen Behandlung und den prophylaktischen Maßnahmen aus-
nehmen müssen. Das ist aber heute ein unhaltbarer Standpunkt,
wir können heute nur noch unterscheiden zwischen Hals- usw.
Erkrankungen mit Diphtheriebacillen und solehen ohne Diphtherie-
bacillen und werden die mit Diphtheriebacillen einhergehenden Er-
krankungen kurz als „Diphtherie“, klinisch etwa abzusondernde
Fälle kurz als „Diphtheroid* (Escherich 1893) bezeichnen. Die
Berechtigung liegt darin, daß die Erkrankungen mit Diphtherie-
bacillen sich von .den Erkrankungen ohne Diphtheriebacillen auch
in ihrem Verlauf unterscheiden, natürlich nicht im Einzelfalle —
denn es gibt selbstverständlich leichte Erkrankungen mit Diph-
theriebacillen und schwere Erkrankungen ohne Diphtheriebacillen,
und wir können Erkrankungen mit Diphtheriebacillen speeifisch
beeinflussen, diejenigen ohne Diphtheriebacillen aber bisher nicht —
aber bei der Betrachtung einer großen Anzahl von Fällen ist der
statistische Nachweis der Verschiedenheit der beiden Erkrankungen
möglich, wie Escherich!) schon 1893 betont hat und ich es im
Auch in ihrem epi-
demiologischen Verhalten sind die beiden Gruppen verschieden,
denn die Erkrankungen ohne Diphtheriebacillen sind wohl auch
gelegentlich infektiös, aber es entsteht im allgemeinen Angina aus
Angina; anders bei den Erkrankungen mit Diphtheriebacillen.
Hier sehen wir, wofür ich zahlreiche Belege habe und auch schon
mitgeteilt habe, daß aus einer Augen- oder Nasen- usw. Er-
krankung mit Diphtberiebacillen eine echte Halserkrankung mit
Diphtheriebacillen entstehen kann oder umgekehrt. Es kann also
heute kein anderer Standpunkt als berechtigt anerkannt werden
als derjenige, alle Hals- usw. Erkrankungen mit Diphtherie-
bacillen als Hals- usw. „Diphtherie“ beziehungsweise „Diphtheroide“
zu bezeichnen, Der einzige Einwand ist immer der, daB es Ja
auch vereinzelt Gesunde mit Diphtheriebacillen gibt — nun, man
bezeichnet mit dem Namen einer Krankheit weder einen Gesunden
noch einen Bacillus. Diese Träger sind nicht als behaftet mit
„Diphtherie* zu bezeichnen, sie sind Gesunde‘ mit Diphtherie-
bacillen; und an diesen Einwand knüpft sich ein weiterer: Diese
Gesunden mit Diphtheriebacillen könnten doch krank werden, ohne
daß diese Krankheit mit den Diphtheriebacillen etwas zu tun hat.
Sofern es sich hierbei um Erkrankungen handelt, die erfahrungs-
gemäß in das Bereich der Diphtheriebaeillen-Erkrankungen fallen,
ist eine Entscheidung nicht möglich. Die Möglichkeit ist natür-
lich nicht von der Hand zu weisen, daß bei einem diphtherle-
immunen Menschen, der Diphtheriebacillen beherbergt, eine Angina
entsteht, für deren Entstehung und Verlauf die schon vorher vor-
handenen Diphtheriebacillen ganz oder fast gänzlich belanglos sind.
Aber man wird doch nicht die seltenen Ausnahmen zur Regel
machen wollen und es wird jedenfalls kein Fehler sein, wenn man
diese Erkrankungen therapeutisch und prophylaktisch als Diph-
therie ansieht. Es ist nach allem sehr verständlich, daß die
Bretonneausche Diphtherie, also das entwickelte, typische Krank-.
heitsbild, außerordentlich viel seltener geworden, aber die „Diph-
therie“ im bezeichneten Sinne noch reichlich vorhanden ist,
Um nicht wieder mißverstanden zu werden: Zur Erkennung
der „Diphtherie* im bezeichneten Sinne, also der „Diphtherle
mit Diphtheriebacillen, ist durchaus nicht immer die bakteriolo-
gische Untersuchung erforderlich. Die klinische Erfahrung läßt
auch bei der ersten Besichtigung vielfach die Fälle von „Diph-
therie“ (diphtheriebacillenhaltig) von den „Nichtdiphtherien“ (diph-
, 7 ireilnngen des Vereins der Aerzte in Steiermark 1898. E
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6. Oktober.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1623
theriebacillenfrei) unterscheiden, aber, wie betont, nur in etwa
50%) der Fälle. In der Hälfte der. Fälle ist also zur Unter-
stützung der Anfangsdiagnose die bakteriologische Untersuchung
erforderlich.
Daß auch das negative bakteriologische Urteil für den Arzt
wichtig sein kann, habe ich ebenfalls genug erlebt und beschrieben.
Ich erinnere an eine Anginaepidemie (18 Fälle) in einem Pensionat,
bei der wir bei etwa 50 Untersuchungen niemals Diphtheriebacillen
fanden. Ich kenne Todesfälle an scheinbarer Diphtherie, die bak-
teriologisch völlig aufgeklärt wurden und sicher nicht durch Diph-
theriebacillen verursacht waren und bei denen auch größte Serum-
dosen, rechtzeitig gegeben, erfolglos waren; ich habe „Diphtherie“
am dritten Tage nach einer Diphtherieserum-Immunisierung gesehen,
ıber es war eben keine Diphtherie im ätiologischen Sinne.
Es ist ja auch nicht richtig, daß ungeschiekte Entnahme
jes Materials oder sonstige Zufälligkeiten häufig ein negatives
jakteriologisches Resultat vortäuschen, trotz Vorhandensein von
Diphtheriebacillen; ich habe ja schon vor langen Jahren nach-
yewiesen, daß man in frischen Fällen bei Vorhandensein von
Jiphtheriebacillen diese in der ganzen Mundhöhle, auch unter der
unge finden kanut). Wo sind denn aber die Todesfälle, die
lurch negative Diphtheriebacillen-Untersuchung und dadurch —
rerkehrter Weise! — unterlassene Seruminjektion entstanden sind.
Jnter meinem großen Material kenne ich keinen solchen Fall, und
r wäre mir nicht entgangen, denn wir erfahren es immer, wenn
lem Arzt auf unserer Seite ein Mißerfolg vorzuliegen scheint.
Nie kann man also das negative bakteriologische Urteil als schäd-
ich bezeichnen; man mag es in vielen Fällen für irrelevant, in
eltenen Fällen für unzutreffend halten, und man wird sich doch
arüber wundern müssen, daß die Aerzte immer wieder zu uns
ommen.
Für uns interessant ist es, wie es v. Behring in seiner
ignen Familie hält, er schreibt darüber): „Als ultimum
efugium bleibt immer die sofortige Serumeinspritzung beim Vor-
andensein eines genügend begründeten Verdachts, daß diphthe-
ische Halserkrankung vorliegt.“ ... Er spritzt; also therapeutisch
uch nur, wie wohl die Allermeisten, bei „genügend begründetem
'erdachte, daß diphtherische Halserkrankung vorliegt“. Dann
ird er wohl auch in die peinliche Lage kommen, beim ersten
erdacht, also bei noch unbestimmten Krankheitssymptomen, noch
was zu warten, vielleicht bis zum nächsten Morgen, also auch
is zu der Zeit, wo er von einer guten Untersuchungsstelle eine
ntwort hätte. Nehmen wir nun einmal an — und wir erleben
as so oft —, der klinische Verdacht wäre auch am nächsten
orgen noch nicht „genügend begründet“ und unsere Antwort
äre negativ, und das wäre vielleicht am übernächsten Morgen
enso, und schließlich ginge die Angina harmlos vorbei, oder aber
entstände etwas anderes wie Scharlach — ich weiß nicht, ob
mn noch die Untersuchung in der centralisierten Station so
nsympathisch zu beurteilen wäre.
Ich resümiere: Die bakteriologische Untersuchung aut
iphtheriebacillen gehört nicht in die Hand des Arztes, sondern
besondere Laboratorien, und ich vermag durchaus nicht ein-
sehen, warum diese Untersuchung für den Arzt, der über ihre
jwertung unterrichtet ist (und das gehört zu den Funktionen
sser Stellen) schädlich sein soll, ich weiß vielmehr, daß sie ihm
sehr vielen Fällen nützlich ist. Ist noch der Nachweis er-
:derlich, daß für das gesamte prophylaktische Handeln der bak-
"lologischen Untersuchung eine conditio sine qua non ist? The-
pie kann man und wird man bis zu einem gewissen Grad auf
und der Symptome treiben, — Prophylaxe muß man heute
ch ätiologischem Gesichtspunkte handhaben. Für die The-
ie ist die Krankheit, für die Prophylaxe das krankmachende
yens der Leitstern. Die bakteriologische Diphtheriebacillen-
ıtersuchung stellt das krankmachende Agens fest und ist darin
'ht zu ersetzen. So handhabt es ja auch v. Behring in der
nen Familie: „... Wird dieser Verdacht (scil. daß diphtherische
Iserkrankung vorliegt, N.) später durch den Krankheitsverlauf
d die bakteriologische Untersuchung bestätigt, dann bekommen
' gesunden Kinder präventive Injektionen ...“
‚. Daß übrigens die centralisierten Stationen wichtiges Ma-
ial, das eben nur auf diesem Wege zu erhalten war, gebracht
ven, erkennt auch v. Behring an. Es sei z. B. an die noch
meiner Zeit aus dem Flüggeschen Institut erschienene Arbeit
1) Zt. f£. Hyg. 1897, Bd. 24.
3) 1912], =
von Kobert!) erinnert, von der ich 1903 schrieb: „... In ihr
ist an einem großen Material dargelegt, wie wenig berechtigt das
Märchen von der Ubiquität des Diphtheriebacillus ist, ist ferner
gezeigt, daß es freilich gesunde oder fast gesunde Diphtherie-
bacillen-Träger gibt, aber zu 11,7°/, in der nächsten Umgebung
von Diphtheriebacillen-Kranken und nur zu 0,830, bei Kindern
selbst des empfänglichsten Alters, welche, soweit erweislich, außer
Konnex mit Diphtheriebaeillen-Kranken standen ...“, und wenn
v. Behring in einem gewissen Gegensatz zu seiner Bemerkung
1901: „...daß sie?) wie diese®)in dieMundhöhle des Menschen kommen,
man weiß nicht woher, und wieder verschwinden, man weiß nicht
wohin... .“, jetzt im Sperrdrucke schreibt: „... Nur wo Di-
phtherieerkrankungen vorkommen oder vor nicht langer
Zeit beobachtet worden sind, läßt sich bei gesunden
Menschen der Diphtheriebacillusnachweisen.. .“, so steht
das ganz im Einklange mit dem, was ich 1903 auch im Sperr-
drucke schrieb: „Der Diphtheriebacillus findet sich also,
abweichend von dem Verhalten mancher andern Krank-
heitserreger, wesentlich da, wo schwerere oder leichtere
Krankheitssymptome bestehen oder kurz zuvor bestan-
den haben. Sein längeres Vorkommen bei dauernd voll-
kommen Gesunden ist außerordentlich selten.“
In einzelnen Punkten sind wir natürlich im Lauf der Jahre
auch weiter gekommen; durch systematische Untersuchung hat
Herr Dr. Braun am Institut nachgewiesen, daß sich die Unter-
suchung von Rekonvaleszenten auf Diphtheriebacillen dadurch
verfeinern läßt, daß man der Untersuchung der Platten am ersten
Tag eine am zweiten Tage wiederholte Plattenuntersuchung nach-
folgen läßt (576 Fälle, von denen 55 erst am zweiten Tage Di-
phtheriebacillen zeigten). Dadurch wird die bekannte Schwierig-
keit, bei Rekonvaleszenten noch vereinzelte Diphtheriebacillen
nachzuweisen, erheblich verringert, und daß sich die Antwort da-
durch gelegentlich um einen Tag verzögert, ist, da es sich um
Rekonvaleszenten handelt, nicht von großer Bedeutung. Bei
frischen Fällen aber führt die am zweiten Tage wiederholte
Plattenuntersuchung im allgemeinen zu keinem andern Resultat,
als die Untersuchung am ersten Tage (159 Fälle, von denen nur
ein Fall am zweiten Tage positiv wurde, und das war vermutlich
kein frischer Fall).
Also auch in prophylaktischer Beziehung ist die Diphtherie-
bacillen-Untersuchung in centralisierten Stationen nicht nur nicht
schädlich, sondern vielmehr unersetzlich.
Daß die Untersuchung freilich nur die Vorbedingung der
Prophylaxe ist, das ist klar. Es lag auch nicht im Rahmen der
damaligen Arbeit, einen Plan zur Bekämpfung der Diphtherie des
Menschen aufzustellen, und v. Behring hat recht, wenn er 1901
schreibt: „... weder in dem von mir kritisierten Bericht, noch
an andern Stellen finden sich Anhaltspunkte für ein Urteil nach
dieser Richtung...“ Ich möchte auch heute noch in dieser Be-
ziehung vorsichtig sein und mich nicht öffentlich auf Pläne fest-
legen, deren Erfolg bei der Eigenart der Krankheit und ihres Er-
regers schwer vorher zu sagen ist.
Das eine wissen wir jetzt, allein durch Isolierung und Des-
infektion werden wir die Diphtherie praktisch nicht ausrotten
können, wir werden sie eindämmen, stark eindämmen, aber nicht
zum völligen Verschwinden bringen. Das lehren die ausgedehnten
Erfahrungen in Skandinavien, das zeigt sich auch bei uns. Nur
schütte man nicht das Kind mit dem Bad aus und glaube, daß,
weil man nicht alles erreicht, man nichts erreiche. Wir stehen
ja merkwürdigerweise erst am Anfang einer ätiologischen Di-
phtherieprophylaxe und sehen doch schon in mancher Beziehung
z. B. Schulen (Halle a. S., v. Drigalski), Krankenanstalten
(Hamburg, Lippmann), Pensionaten (Berlin, Seligmann) usw.
Erfolge. Da man die Diphtherie aber bisher nicht völlig zum
Verschwinden bringen kann, so ist es nicht verwunderlich, wenn
sie hier und da wieder lebhafter aufflackert, wie es in den
letzten Jahren in Paris und in vielen Teilen von Deutschland der
Fall war.
Ganz das Gleiche gilt eigentlich für die antitoxische Pro-
phylaxe. Praktisch hat sie zur Tilgung der Volksseuche Di-
phtherie ebenso versagt, wie die andern Maßnahmen. Ich unter-
schätze.dabei ihren außerordentlichen Wert im Einzelfalle (Kranken-
hause, Pensionat, Familie usw.) in keiner Weise, aber die Aus-
rottung der Seuche ist ihr nicht gelungen. Auch in dieser Be-
1) Zt. f. Hyg. 1899, Bd. 31.
2) Scil. Diphtheriebacillen, N.
$ Scil. Pneumokokken, N
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PURE "GEHE . * E E NEE BF EENE E E A
1624
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
6. Oktober.
ziehung wirkt übrigens die bakteriologische Untersuchung unter-
stützend. Bei unserer kleinen Epidemie 1903 haben von 40 Aerzten,
welche bakteriologisch haben untersuchen lassen, 17 in den
Familien prophylaktisch immunisiert, von den 30 Aerzten, welche
bakteriologische Untersuchungen bei ihren Fällen nicht haben aus-
führen lassen, nur zwei. |
Es bleibt als weiteres Prinzip die Vernichtung der Bacillen
im Mund oder Nase usw. der Kranken- und Baeillenträger übrig.
Jeder weiß, was da seit Löfflers Zeiten alles schon versucht worden
ist, ohne völlig genügenden Erfolg; allerhand chemische Mittel, die
Pyocyanase (vergleiche z. B. Jochmann), die lokale Anwendung
von bacterieidem Diphtherieserum in Form von Pastillen (Martin
1903), die lokale Anwendung des gewöhnlichen Diphtherieserums,
die aktive Immunisierung mit Diphtheriebacillen, der Gedanke:
y- . . echte, aber in ihrer Virulenz abgeschwächte Diphtherie-
bacillen zum Zweck der Selbstimmunisierung auf die Hals-
organe des Menschen zu übertragen .. .“D) usw. usw. Von
der lokalen Anwendung des gewöhnlichen Diphtherieserums in
Form von Spray oder energischer Betupfung verspricht sich
v. Behring viel für die Entkeimung der Bacillenträger, aber es
fehlt der Beweis, denn der von ihm angeführte Hinweis auf die
experimentelle Phagocytose der durch Antitoxin entgifteten Diph-
theriebacillen ist gewiß interessant, aber bedarf für die besonderen
Verhältnisse der Unterstützung durch direkten ausführlichen Be-
weis. Die neusten Mitteilungen von Petruschky?) sprechen da-
gegen und auch unsere eignen, kleineren Erfahrungen waren nicht
auffallend günstig. Der aktiven Immunisierung mit Diphtherie-
bacillen redet Petruschky in der erwähnten Mitteilung das Wort.
Ich habe auch das, wie so manches andere, vor einiger Zeit geprüft.
Es wurden 30 Patienten der Inneren Klinik des Städtischen Kranken-
hauses (Prof. Schwenkenbecher) mit einem polygenen Vaccin
aus Diphtheriehaeillen (abgetötet bei 60°) in Dosen von 1/2 bis zu
100 Millionen Baecillen injiziert, bis. zu viermal in wöchentlichen
Intervallen. Die Bacillen verschwanden auch, aber das tun sie ja
auch — entgegen der leider sehr verbreiteten irrigen Meinung —,
in der größten Zahl der Fälle ohne besondere Maßnahmen; aber
jene vereinzelten ärgerlichen Fälle, wo sie das nicht tun wollen,
haben wir auch trotz Immunisierung erlebt: Es mußten zwei Pa-
tienten mit Diphtheriebacillen entlassen werden, der eine nach 19,
der andere nach 43 Tagen (vom ersten Diphtheriebacillen-Nachweis an).
Ich halte mich demnach noch nicht für berechtigt, darauf einen
Plan der Bekämpfung aufzustellen, sondern werde versuchen, bei
günstiger Gelegenheit wieder 30 oder 50 Fälle bei mindestens der
gleichen Anzahl von Kontrollen zu immunisieren und das Ergebnis
der bakteriologischen Untersuchung festzustellen.
Ueber die kombinierte Immunisierung v. Behrings (Serum
-+ Gift) liegen Mitteilungen über größere Erfahrungen an Menschen
ebensowenig vor, wie über die öftere passive Immunisierung mit
seinen neuen „gereinigten“ Serumpräparaten; sie kommen bis dahin
zur Aufstellung eines Plans zur Bekämpfung der Volksseuche
noch nicht in Betracht. Wenn es schon schwer ist, für die thera-
peutische Beeinflussung eines Prozesses Beweise beizubringen, so
ist es häufig noch unendlich viel schwerer, den Wert einer pro-
phylaktischen Maßnahme zu erweisen; ohne einen solchen Beweis
aber hat ihre Empfehlung keinen bleibenden Wert. Es existiert
auch heute noch kein Beweis, daß irgendeine der in Betracht
kommenden Maßnahmen zur völligen Tilgung der Diphtherie als
endemischer Seuche wirklich geeignet sei. Ich kann nur wieder-
holen, was ich 1903 schrieb: „. . . Freilich wird dies immer noch
ein Punkt sein müssen, an dem Kliniker und Bakteriologen ge-
meinschaftlich arbeiten müssen, um den Kreis der Diphtheriepro-
phylaxe lückenlos zu gestalten. Und gerade für diesen Punkt wird
es wichtig sein, daß eine ausreichende Station über ein großes
Material verfügt, um so den günstigen Einfluß mancher lokalen
Behandlungsweisen zum Ausdruck und damit die letzteren zur
allgemeinen Einführung zu bringen. . .“
Vielleicht gelingt es auch doch noch, durch specifische Allge-
meinbehandlung die Träger ohne Ausnahme zu entkeimen. Viel-
leicht ist es auch möglich, einen Modus der passiven Immunisierung
der Gesunden zu finden, der allgemein anwendbar ist und wirklich
dauernden Schutz gewährt. Wenn die Versuche v. Behrings in
dieser Hinsicht weiteren Erfolg bringen, so würde seine unsterb-
liche Großtat, die Entdeckung und Herstellung des Heilserums,
gekrönt werden durch die Eröffnung eines Weges zur völligen
Tilgung dieser Krankheit.
1) v, Behring 1901, 1. c.
2) D. med. Woch., No. 28, 1912.
. Und wenn ich in den Jahren 1897, 1899 und 1903 mich von der
Aufstellung eines Plans zur Bekämpfung der Diphtherie als Volks-
seuche vorsichtig zurückhielt, so kann ich auch jetzt noch nicht
einsehen, daß das falsch war oder daß die publizierten Pläne er-
folgreicher gewesen wären als die unpublizierten Versuche und
Ansichten. Aber ich sehe nach wie vor in der bakteriologischen
Untersuchung die Basis jeder Prophylaxe, und auch an dieser
Grundlage fehlt es noch vielfach. Ich muß deshalb leider mit dem-
selben Satz endigen, mit dem ich vor 15 Jahren meine Arbeit
schloß: „Ich glaube auch nicht, daß es vor der Hand nötig ist,
eine Vereinfachung der bakteriologischen Untersuchung anzu-
streben. Nötig ist zunächst nur in größerem Umfange die gründ-
liche Ausbildung geeigneter Kräfte zu zuverlässigen Diphtherie-
untersuchern und die größere Verbreitung der in guten Laboratorien
centralisierten bakteriologischen Diphtherieuntersuchungen.“
Die Untersuchung auf Diphtheriebacillen an sich heilt natür-
lich weder die Diphtherie, noch vertreibt sie die Seuche; aber sie
schafft einheitliche Anschauungen über die Krankheit, die man
bekämpfen will, und über die Verbreitung des Erregers, sie mahnt
in vielen Fällen zur Vorsicht bezüglich Therapie und Prophylaxe
und sie eröffnet zahlreiche Gelegenheiten, diejenigen prophylaktischen
Maßnahmen in größerem Umfange auf ihre Wirksamkeit zu prüfen,
welche sich im Laboratoriumsversuch als aussichtsreich erwiesen
haben.
Aus der Poliklinik für kranke Kinder in der Kgl. Charité zu Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heubner).
Ucber Icterus simplex und seine Behandlung
beim Kinde
Dr. Albert Niemann, I. Assistent der Poliklinik.
Die Bezeichnung „Icterus simplex“ dürfte, wie auch
Eppinger!) meint, die richtigste sein für jene klinisch wohl-
bekannte, aber ätiologisch noch so gut wie ganz ungeklärte Form
des Ikterus, die sich einerseits durch ihren in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle gutartigen und raschen Verlauf und anderseits
durch die Art ihres Auftretens auszeichnet, das häufig an eine
Infektionskrankheit erinnert oder gar den Charakter einer Epidemie
annimmt. Es ist deshalb dieser Ikterus auch als „infeetiosus“
oder „epidemicus* bezeichnet worden; die letztere Bezeichnung ist
deshalb nicht glücklich, weil die Erkrankung nur selten als eine
richtige Epidemie, vielmehr unter einer größeren Bevölkerung —
so z. B. in Berlin — in der Weise auftritt, daß die Erkrankungs-
fälle das ganze Jahr hindurch vorkommen und sich nur zu ge-
wissen Jahreszeiten besonders häufen. Von einem Icterus „infec-
tiosus“ zu sprechen, macht uns die klinische Beobachtung zwar
geneigt, doch wird durch diesen Namen zuviel präjudiziert, da wir
weder einen specifischen Erreger kennen, noch über den Weg der
Infektion im Körper und den Ort ihrer Lokalisation etwas Genaues
wissen, noch auch die Erkrankung durch Uebertragung zu erzeugen
imstande sind. Die alte Bezeichnung „Icterus catarrhalis“ wäre
insofern keine schlechte, als sie ja das infektiöse Moment, auf
dessen Vorhandensein uns die klinische Beobachtung hinweist,
nicht auszuschließen braucht, doch war sie in der Annahme gè-
wählt, daß es sich’ stets um einen Gastroduodenalkatarrh oder um
eine — primäre oder sekundäre — Cholangitis handle, was keines-
wegs erwiesen ist für diejenigen Fälle, in denen alle katarrhalischen
Symptome fehlen und die Krankheit vielmehr den Charakter eines
Allgemeininfekts annimmt. |
Somit muß der Name „Icterus simplex« als der beste an-
erkannt werden, zumal er auf den leichten Verlauf der Erkrankung
deutlich hinweist. Von Eppinger wird er besonders deshalb vor-
geschlagen, weil dieser Autor die einheitliche Aetiologie der Er-
krankung in Zweifel zieht und die Möglichkeit offen läßt, daß ver-
schiedene Ursachen das Krankheitsbild erzeugen können. Dem
dürfte, wenigstens soweit das Kindesalter in Betracht kommt, nie
unbedingt beizupflichten sein. Das Auftreten und der Verlauf der
Erkrankung voliziehen. sich hier in so gleichmäßiger und typischer
Weise, daß man sich der Annahme einer einheitlichen Astiologl®
doch nicht entziehen kann. Rine gewisse Einschränkung ist allor-
dings zu machen, auf die ich noch zurückkommen werde.
Gerade im Kindesalter ist der Icterus simplex eine sebr
häufige Erkrankung; wie mir scheint, bedeutend häufiger als Im
1) Erg. d. inn. Med. 1908, Bd. 1.
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40, .
1625
späteren Lebensalter, wenn ich dies auch nicht mit Zahlen belegen
kann. Derselben Ansicht war aber schon Meinert?!), der im Jahre
1890 einen Bericht über 179 Fälle veröffentlicht hat, unter denen
sich 180 — 73°?/ Kinder befanden. Bei einer von Nikolaysen?)
in Norwegen beobachteten Epidemie befand sich die Hälfte der
Kranken im Kindesalter. Bei der anerkannten Neigung des Kindes-
alters zu Infektionen sind diese Tatsachen eine Stütze für die
Annahme einer infektiösen Aetiologie.
In der Kinderpoliklink der Charité in Berlin kommt die Er-
krankung etwa in 10/ọ aller Fälle vor; so kamen z. B. im Jahre
1911 86 Fälle zur Beobachtung, bei einer Gesamtfrequenz von
8400 Patienten. In ähnlichem Umfange wird die Erkrankung auch
an andern Berliner Polikliniken beobachtet, wie z. B. aus einer
Arbeit von Ewer?) hervorgeht. Leider hat auch die Pädiatrie
zur Aufklärung der Aetiologie und Pathogenese bisher wenig
beitragen können, , was sich ja aus der Schwierigkeit der Auf-
gabe und dem leichten Verlaufe der Erkrankung, die nur aus-
nahmsweise zur Aufnahme in die Klinik Veranlassung gibt,
erklärt. Während die pädriatische Literatur aus früheren Jahren
mehrere Mitteilungen über den Icterus simplex enthält, werden
solche in neuerer Zeit fast ganz vermißt. Ich halte es deshalb
nicht für überflüssig, einige an einem ziemlich umfangreichen
Material angestellte Beobachtungen hier mitzuteilen, zumal sie be-
züglich der Stoffwechselvorgänge und der diätetischen Behandlung
der Affektion einiges Neue enthalten dürften.
Das Material, das meinen Beobachtungen zugrunde liegt,
umfaßt 130 Fälle aus den Jahren 1910 und 1911.
Betrachtet man das klinische Bild, unter dem sich uns die
Erkrankung darbietet, so lassen sich sogleich zwei Typen scharf
voneinander unterscheiden. Die allergrößte Mehrzahl der Fälle zeigt
den bekannten, ganz leichten Verlauf, der sich meist über eine
Woche, selten über mehr als zwei erstreckt. Meist sind hier aus-
gesprochene Krankheitssymptome gar nicht vorhanden, abgesehen
von der ikterischen Hautfärbung, die denn auch fast immer die
alleinige Ursache ist, daß der Arzt aufgesucht wird. Daneben
lassen sich zwei Gruppen von Symptomen unterscheiden. Einmal
handelt es sich um solche von seiten des Magendarmkanals;
diese waren bei unsern Kranken allerdings selten sehr ausge-
sprochen, in vielen Fällen fehlten sie ganz. Meist wurde nur über
Appetitlosigkeit, belegte Zunge, allenfalls Uebelkeit geklagt. Er-
brechen, Leibschmerzen und Störungen von seiten des Darmes,
die sich meist im Sinn einer Obstipation geltend machten, kamen
seltener vor; Durchfälle nur ausnahmsweise. In der Mehrzahl der
Fälle sind die Stuhlentleerungen normal. Alle diese Symptome
machen sich meist geltend, bevor die Eltern eine Gelbfärbung der
Haut, Verfärbung des Urins oder der Stühle bemerken.
Eine andere Gruppe von Prodromalerscheinungen wird durch
Symptome allgemeiner Natur gebildet; besonders sind es hier Kopf-
Schmerzen und große Mattigkeit, über die die Kinder schon
mehrere Tage vor Beginn des Ikterus klagen. Gelegentlich ge-
sellen sich hierzu wohl auch Schwindelanfälle, Meist ist ein, wenn
auch nicht hochgradiges, Fieber vorhanden, auch Sehüttelfröste
kommen vor. Diese Gruppe von Symptomen ist es, die, im Gegen-
satz zur ersten, mehr auf eine Erkrankung allgemeiner — in-
fektiösser — Natur hindeutet, zumal es recht häufig ist, daß
diese Allgemeinerscheinungen ohne Magendarmsymptome auftreten.
Und wo Appetitlosigkeit, Uebelkeit oder gar Erbrechen sich dazu
gesellen, da könnte man diese wohl ebenso gut als Folgen einer
Allgemeininfektion wie als Folgen eines Magendarmkatarrhs auf-
assen,
, Nach einer Reihe von Tagen, oft erst einer Woche, pflegt
Sich Gallenfarbstoff im Urin zu zeigen, Gelbfärbung der Skleren
und der Haut sowie Acholie der Stühle einzustellen. Ueber eine
etwaige Inkubationszeit — falls es sich um eine specifische In-
fektion handeln sollte — können wir bei unserm poliklinischen
Material schon deshalb wenig aussagen, weil selbst in den Fällen,
wo der Ikterus bei mehreren Familienmitgliedern hintereinander
auftritt, der erste Beginn der ikterischen Färbung meist über-
sehen wird. Gewöhnlich pflegt nach dem Verschwinden aller
andern Symptome die letztere noch einige Zeit fortzubestehen.
Von direkten Folgen der Cholämie haben wir nur ganz
selten eine Pulsverlangsamung beobachtet, schwerere Symptome
und solche, die der Weilschen Krankheit entsprechen würden,
1) Vortrag in der Ges. f. Natur- u. Heilkunde zu Dresden (Dresden
1890, Conrad Weiske).
2) D. med. Woch. 1904, Nr. 24.
3) A. f. Kind. Bd. 42, H. i u. 2.
fehlten in unsern Fällen immer. Dagegen war sehr häufig eine
Vergrößerung der Leber zu konstatieren, die oft ziemlich erhebliche
Dimensionen annahm und mit dem Nachlassen des Ikterus meist
wieder zurückging. Milzschwellung war nur sehr selten vor-
handen,
Von den in dieser Weise ganz leicht verlaufenden Fällen
unterscheidet sich scharf eine — allerdings sehr kleine — Gruppe
von soleben, in denen der Verlauf sich über viele Wochen und
selbst Monate hinzieht. In diesen Fällen sind auch keine andern
als die eben besprochenen Symptome vorhanden; allerdings pflegen
die Magendarmerscheinungen intensiver zu sein. Was aber in
diesen Fällen besonders intensiv und hartnäckig zu sein pflegt,
das ist der Ikterus selbst, der ein sehr viel tieferes, oft ins grünliche
oder graue spielendes Kolorit zeigt, und die Leberschwellung, die
sehr hochgradig zu sein pflegt. Wenn in solchen Fällen eine
andere Erkrankung (Lues) ausgeschlossen werden kann und nach
langer Zeit, wenn auch wochen- und monatelang jede Behandlung
erfolglos war, doch völlige Heilung eintritt, so pflegt man auch
diese Erkrankung Icterus simplex zu nennen. Ich habe mich aber
nie des Eindrucks erwehren können, daß diese so ganz von dem
typischen Verlauf abweichenden Fälle vielleicht auch eine ganz
andere Aetiologie haben.
Es sind nun drei weitere Momente bemerkenswert. Zunächst
das an unserer Klinik ganz regelmäßig zur Beobachtung kommende
Phänomen, daß hauptsächlich in den Herbstmonaten die Krankheit
sich in sehr auffallender Weise häuft. Während zu andern Jahres-
zeiten die Krankheit nur sporadisch auftritt, ändert sich dies regel-
mäßig gegen den Herbst hin, und dem ersten mit Eintritt dieser
Jahreszeiten zur Beobachtung gelangenden Falle folgt stets mit
Sicherheit eine ganze Reihe weiterer. Von meinen 130 Fällen er-
krankten 69 = 55 °/, in den Herbstmonaten: Ende September bis
Anfang Dezember. Die andern Fälle verteilen sich auf die übrige
Zeit des Jalıres.
Diese Häufung der Krankheitsfälle in den Herbstmonaten ist
auch von fast allen andern Beobachtern konstatiert worden, so von
Meinert!), Ewer?), Nikolaysen?), Langer‘) und Flesch));
während die meisten Autoren den Ikterus im Herbst in epidemi-
scher Weise auftreten sahen, beobachtete Ewer ein ähnliches Ver-
halten wie wir, daß nämlich die Krankheit — wenigstens in einer
se großen Menschenmenge, wie es die Berliner Bevölkerung ist, an
der auch Ewer seine Beobachtungen machte — immer vorhanden
ist und nur während der Herbstmonate sich besonders häuft. Es
ist möglich, daß hier Witterungseinflüsse eine Rolle spielen und
die Disposition zur Erkrankung erhöhen; damit würde der Icterus
simplex in eine gewisse Parallele treten zu der genuinen Pneu-
monie, die ja auch nicht eigentlich epidemisch auftritt, deren Er-
reger vielmehr stets vorhanden ist und die sich gleichfalls zu ge-
wissen Jahreszeiten, durch Witterungseinflüsse begünstigt, zu
häufen pflegt.
Es ist interessant, daß Meinert die Krankheit gleichfalls vor-
zugsweise in den Herbstmonaten und zwar häufig in Verbindung
mit Katarrhen der Atmungsorgane und mit Influenza auftreten
sah, sodaß er direkt die Atmungsorgane als Eintrittspforte für
den Erreger des Icterus epidemicus bezeichnet. Im übrigen
schildert Meinert das Auftreten des Ikterus in Dresden (Winter
1889/90) als ein ausgesprochen epidemisches; zu andern Zeiten
scheint er die Krankheit nicht beobachtet zu haben; das ist wohl
dadurch zu erklären, daß ihm ein so großes Material, namentlich
an Kindern, nicht zur Verfügung stand, wie wir es in unserer
Poliklinik sehen, wo die Krankheit niemals völlig erlischt,
Ein anderes für den Ikterus disponierendes Moment stellen
vielleicht Diätfehler dar; so gibt z. B. Langer an, daß in einem
Fünftel seiner Fälle ein Diätfehler der äußere Anlaß der Er-
krankung gewesen sei. An unserm Material hatten wir nur selten
Gelegenheit, Diätfehler als ätiologisches Moment betrachten zu
können. Wie verschieden sich übrigens die Komplikation des Ik-
terus mit Magendarmsymptomen gestaltet, geht daraus hervor,
daß Nikolaysen die letzteren fast stets beobachtete und die
Krankheit geradezu als einen „infektiösen Magendarmkatarrh“ be-
zeichnet, während Flesch meist keine Magendarmsymptome fand.
Ein zweiter für den infektiösen Charakter der Affektion
sprechender Umstand ist die Häufung der Krankheitsfälle in einer
Se.
2 L e.
le
t) Prag. med. Woch. 1905, Nr, 23—27.
*) Jahrb. f. Kind. 1904, Bd. 60, S. 776.
1626 .
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
6. Oktober.
Familie, besonders unter Geschwistern, die auch wir in Ueberein- :
stimmung mit Meinert, Ewer und Langer häufig beobachteten.
Unter 130 Fällen war 14 mal (= 10 ?/ọ) eine Erkrankung mehrerer
Familienmitglieder, meist mehrerer Geschwister, zu konstatieren.
Der Beginn der Erkrankungen innerhalb einer Familie erfolgte
immer kurz aufeinander, sodaß von den Eltern direkt angegeben
wurde, die Kinder hätten sich „angesteckt“.
Von Interesse ist schließlich das Alter der Kinder. Im
Säuglingsalter und auch noch im zweiten Lebensjahre kommt die
Krankheit so gut wie gar nicht vor. Unter meinen 130 Fällen
befinden sich nur zwei Säuglinge, von denen der eine mit größter
Wahrscheinlichkeit luetisch war (Frühgeburt, Schniefen); auch bei
dem andern konnte der Verdacht auf Lues nicht von der Hand
gewiesen werden. Leider konnten wir die Entwicklung der Kinder
nicht verfolgen und auch das Blut nicht untersuchen. Meinert
hatte unter seinen 179 Fällen fünf Säuglinge; einen von diesen
scheidet er selbst aus, weil schwere Komplikationen (Infiuenza-
pneumonie) vorhanden waren. Zwei andereSäuglinge starben, woraus
man vielleicht schließen kann, daß auch bei diesen eine andere,
schwerere Erkrankung: vorhanden war. So ist z. B. die Weilsche
Krankheit von Brüning!) bei Säuglingen einwandfrei beobachtet
worden. Im übrigen sind wir wohl auch heute besser als vor
20 Jahren in der Lage, die Lues beim Säugling zu diagnostizieren.
Bei Ewer finden wir die Angabe, daß unter seinen 344 Fällen
drei Säuglinge gewesen seien, doch wird nichts darüber gesagt,
ob in diesen Fällen Lues sicher auszuschließen war. Ein von
Georg Neumann?) beschriebener Fall ist als Frühgeburt gleich-
falls der Lues sehr verdächtig. Wenn ich bei meinen Fällen die
beiden eben erwähnten Säuglinge nicht mitzähle, so bleiben
128 Kinder übrig, von denen keines weniger als zwei Jahre alt
war. Dies stimmt mit den Angaben von Flesch und Langer
überein, die gleichfalls im ersten und zweiten Lebensjahre die
Krankheit nur ganz selten oder gar nicht beobachteten.
Ueber das spätere Kindesalter verteilt sich die Krankheit
nicht gleichmäßig. Nikolaysen sah sie zwischen dem fünften
und zehnten, Langer zwischen dem zweiten und sechsten, Ewer
zwischen dem vierten und
fünften Jahre am häufigsten
auftreten. Aus der hier bei-
gegebenen Kurve ist zu er-
sehen, wieviel von meinen 128
Fällen auf jedes einzelne
Lebensjahr kommen. Man
sieht, daß die meisten Fälle
zwischen das fünfte und achte
Lebensjahr fallen, während die
Frequenz der Erkrankung im
früheren Alter gering ist und
auch in den späteren Kind-
beitsjahren rasch absinkt.
Wenn die Altersverhältnisse
~ meiner Kinder auch mit dem
Materiale der früheren Autoren nicht genau übereinstimmen,
so findet sich jedenfalls eine Parallele insofern, als gegen das Ende
des Kindesalters die Krankheit seltener wird und wir also wohl
annehmen dürfen, daß eine besondere Prädilektion für den Icterus
simplex im mittleren Kindesalter besteht.
Ich komme nun zu zwei Punkten, die mich besonders inter-
essiert haben, nämlich zum Stoffwechsel und der diätetischen Be-
handlung.
Die Behandlung des Icterus simplex besteht von alters her
in der Verabreichung einer möglichst fettarmen Kost, wobei man
von der Voraussetzung ausging, daß es sich um einen völligen
oder teilweisen Abschluß der Galle vom Darme handle, und daß
dadurch die Fettresorption verschlechtert sei. Diese Annahme
wurde durch das tatsächliche Vorhandensein von viel Fett in den
acholischen Stühlen gestützt. So wurden bei uns diese Fälle stets
einer Diät unterworfen, die aus Buttermilch, Kartoffelsuppe, Kakao
. magerem Fleische, trockener
(mit Wasser gekocht), ferner aus mage l 3 ;
Semmel und etwas Kompott bestand. Diese Diät wurde so lange
gereicht, als Ikterus und Acholie der Stühle vorhanden war, und
ist bei diesem Regime zweifellos in den allermeisten Fällen die
Krankheit schnell zurückgegangen. Nur ist die Frage, ob hierbei
der fettarmen Diät wirklich ein Verdienst zukommt, niemals ernst-
lich geprüft worden.
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ETA
1) D. med. Woch. 1904, Nr. 35—36.
2 Zol f Kind. 1908, Bå. 8, Nr. 7.
Bei Beobachtung einer großen Reihe von Fällen und im
Laufe der Jahre ist mir indessen bei dieser Behandlung zweierlei
aufgefallen. Einmal, daß viele Kinder dabei recht erheblich an
Gewicht abnabmen, ja oft geradezu herunterkamen, und daß von
den Eltern oft lange Zeit nach Abheilung des Ikterus darüber
geklagt wurde, daß die Kinder sich gar nicht recht erholen könnten.
Bei dem geringen Caloriengehalt einer solchen Diät ist es ja
leicht verständlich, daß die Kinder an Gewicht abnehmen, und in
vielen Fällen hatte ich doch den Eindruck, daß eine solche Unter-
ernährung im Kindesalter, besonders wenn sie lange fortgesetzt
wird, nicht gleichgältig ist.
Zweitens war bemerkenswert, daß in Fällen, wo eine Alte-
ration des Verdauungstraktus in Form von Durchfällen vorhanden
war, diese letzteren sich oft verschlimmerten, was wohl auf den
hohen Kohlehydratgehalt der Diät zu beziehen ist, der ja nicht
vermieden werden kann, wenn man das Fett ganz weglassen und
doch wenigstens das nötigste Brennmaterial zuführen will.
Diese Beobachtungen haben mich veranlaßt, der Frage ein-
mal etwas näher zu treten, wie es sich denn mit der Fettresorption
in diesen Fällen von Icterus simplex beim Kinde eigentlich ver-
hält. Es liegen meines Wissens Untersuchungen hierüber,
wenigstens für das Kindesalter und aus der neueren Zeit, nicht
vor. Ich habe daher bei zwei Kindern die folgenden Versuche
angestellt:
Das erste Kind, Antonie Sch., litt an einem besonders schweren
und hartnäckigen Icterus simplex. Es erkrankte Ende September 1909 und
wurde Anfang November in die Klinik aufgenommen, weil der Ikterus,
nachdem er sich Mitte Oktober infolge ärztlicher Behandlung gebessert
hatte, Ende Oktober mit erhöhter Intensität wiedergekommen war. Auch
in der Klinik dauerte es noch bis Anfang Dezember, ehe das Kind ge-
heilt entlassen werden konnte. In diesem Falle war neben einem ganz
enormen Ikterus noch eine beträchtliche Leberschwellung vorhanden. Es
bestand meist Verstopfung, die Stühle waren grau, tonfarben, enthielten
aber Gallenfarbstoff. Der Urin enthielt viel Bilirubin, kein Urobilin.
Das Kind war mit fettfreier Diät und Karlsbader Kuren schon längere
Zeit erfolglos behandelt worden.
Das zweite Kind, Hilda K., war angeblich im Anschluß an einen
Diätfehler, Mitte Dezember 1910 erkrankt. Auch hier war nach einer
vorübergehenden Besserung, die aber nicht auf diätetische Behandlung,
sondern auf ein Sympathiemittel hin erfolgt war, der Ikterus rezidiviert
und nun in sehr hartnäckiger Form aufgetreten, sodaß das Kind erst am
1. März geheilt entlassen werden konnte. Die Symptome waren ganz
ähnlich denen bei dem andern Kinde.
Bei diesen beiden Kindern, die also ziemlich schwere und
hartnäckige Fälle von Icterus simplex darstellten, habe ich die
Fettresorption untersucht.
Das Kind Sch. erhielt, nachdem es vier Wochen bei einer
fettarmen Diät (Buttermilch, Kartoffelsuppe, Wasserkakao, Semmel),
sich nicht gebessert hatte, täglich etwa 30 bis 40 g Butter und
60 bis 70 g Rindfleisch zugelegt. Nachdem es diese Kost, die es
gut vertrug, acht Tage erhalten hatte, wurde ein dreitägiger
Resorptionsversuch gemacht, indem die Ein- und Ausfuhr von Fett
und N bestimmt wurde. Nach dem Versuche wurde diese Kost
beibehalten, unter der der Ikterus bald abheilte.
Das Kind K. erhielt auf der Höhe der Erkrankung, gleich
nach Aufnahme in die Klinik, eine sehr fetthaltige Kost, die es
übrigens auch schon vorher zu Hause bekommen hatte. Die Zu-
sammensetzung der Kost war folgende:
Früh: 200 g Milch,
1/2 Schrippe,
5 g Butter.
200 g Milch,
1 weiches Ei,
1/3 Schrippe,
10 g Butter.
200 g Suppe,
10 g Fleisch,
40 g Gemüse,
50 g Kartoffelbrei,
90 g Apfelmus (2. Tag 40 g Aepfel)
Nachmitttags: 200 g Kakao,
1/2 Schrippe,
5 g Butter (ab 2. Tag 10 g).
200 g Milch,
1 o Ei,
3 DCOrIppe
' g Butter (ab 2. Tag 10 g),
Es wurde bei dieser Diät ein dreitägiger Resor pio ndigung
in derselben Weise wie bei Sch. durchgeführt. Nach j
desselben wurde das Kind nun auf eine fettfreie Diät gebracht, WI
Vormittags:
Mittags:
Abends:
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1627
sie sonst bei Icterus simplex verabreicht zu werden pflegt. Drei |
Tage nach Beginn dieses Regimes wurde ein zweiter dreitägiger Re-
sorptionsversuch gemacht. Nach Beendigung desselben wurde die
fottarme Kost noch 14 Tage lang weiter gegeben, doch zeigte sich
auch hierbei keine Besserung. Dagegen nahm das Körpergewicht
in ganz erheblichem Maß ab, sodaß wieder Fett zugelegt wurde.
Hierbei hat der Ikterus auch noch weitere 14 Tage gedauert, um
dann ziemlich rasch zu verschwinden.
Die Ergebnisse der Versuche sind in folgender Tabelle zu-
sammengestellt:
Ausnutzung der Nahrung:
| Kind K.
Kind Sch. fettarme
Periode
fettreiche
Periode
N | Fet| xN | Fett | N | Fett
22,87 | 109,7 23,93 | 168,1 11,06 a
’
Verlust durch den Kot ing. . . 2,85 | 14,7 260 | 474 2,69 | 15
davon Fettsäuren in o. . . _ 77,5 _ 75,0 — 38.7
»„ Seifen in %%%. .... _ 1,7 = 1,7 _ 87,3
Fettgehalt der Stühle in % . — 80,0 — 44,0 — 33,0
Verlust durch den Kot in % . .| 135 13,4 10,9 30,0 24,4 81,2
N-Bilanzen:
Kind K.
Kind Beh: fettreiche | fettarme
Periode Periode
N-Zufahr in drei Tagen ng... ... 22,37. 23,93 41,06
N-Ausfuhr durch Urin . . x 2 2 20. 20,00 11,08 12,43
u Kol. on tn 2,85 2,60 2,69
Gesamt-N-Ausfüuhr . . . . 2. 2 2.02. e 22,85 13,68 15,12
N-Bilanz von drei Tagen .-. ..... | +-0 | + 10,25 | — 4,06
Wir sehen also zunächst bei dem Kinde Sch. bei einer doch
immerhin ziemlich beträchtlichen Fettzufuhr von beinahe 110 g in
drei Tagen eine recht günstige Resorption. Nur 13,4%), sind durch
den Kot verloren gegangen. Die bei weitem größte Menge des
Fettes ist im Körper verblieben. Bei Kind K. sehen wir in der
Periode fettreicher Kost von 158 g Fett 30° durch den Kot
verloren gehen. Immerhin sind hier also, obwohl die Resorption
etwas schlechter war, noch etwa 100 g Fett in drei Tagen vom
Körper zurückbehalten worden. Es kann also bei beiden Kindern
gar keine Rede davon sein, daß größere Mengen zugeführten Fettes
nicht — wenigstens zum größten Teil — retiniert worden wären.
Völlig anders gestaltet sich die Sache in der zweiten Periode
des Falles K. Hier wurde nur verschwindend wenig Fett —
18,6%, in drei Tagen — zugeführt und 81,20%), dieser Menge’
erschienen wieder im Stuhl. Ohne Zweifel ist dieses Verhalten
auf Rechnung von Fett zu setzen, das von den Darmsekreten
geliefert worden ist. Das zeigt uns auch schon die völlig andere
Zusammensetzung des Stuhlfetts!). In der ersten Periode und
bei Kind Sch. bestand dies zum größten Teil (75 bis 770/,) aus
Fettsäuren, zu 1,7 0/ọ aus Seifen, der Rest war Neutralfett (also
eine ziemlich normale Spaltung). In der zweiten Periode des Ver-
suchs Köhler haben wir 37,3 0/9 Seifen und ungefähr ebensoviel
en, Neutralfett in ähnlicher Menge wie in den andern
ällen.
Wir sehen also, daß bei sehr geringer Fettzufuhr die pro-
zentuelle Ausnutzung des Fettes sehr verschlechtert wird, daß sie
dagegen bei reichlicher Zufuhr durchaus nicht ungünstig ist. Ich
darf hier vielleicht einen Fall von Ikterus zum Vergleich heran-
ziehen, der auf angeborenem Verschluß der Gallenwege beruhte
und in dem ich gleichfalls den Stoffwechsel untersucht habe?).
Hier gingen 61 und 72?jọ des zugeführten Fettes durch den Kot
verloren, ja, bei geringer Fettzufuhr wurde sogar mehr Fett vom
Darm ausgeschieden, als eingenommen war. Hier war in der Tat
eine hochgradige Insuffizienz der Fettverdauung vorhanden, von
der in den von mir untersuchten Fällen von Icterus simplex nicht
die Rede sein kann.
Interessant ist es nun auch, einen Blick auf die N-Bilanz
zu werfen. Diese ist bei Sch. + — 0, trotz ziemlich reichlich zu-
geführten Stickstoffs. Bei K. in der ersten Periode, wo nur wenig
mehr N, dagegen zirka 300/, mehr Fett zugeführt wurde, ist sie
1) Es sei hier zur Methodik bemerkt, daß das Fett nach Sozlethb,
die Fettsäuren durch Titration und die Seifen nach Behandlung mit Salz-
säurealkohol gleichfalls durch Titration bestimmt wurden.
Niemann, Das Verhalten des Stoffwechsels bei angeborenem
Verschluß der Gallenwege. (Zt. f, Kind. 1912, Bd. 4, S, 152.)
dagegen sehr stark positiv. Wir sehen hier offenbar die bekannte
Tatsache bestätigt, daß Zufuhr größerer Fettmengen die N-Bilanz
günstig beeinflußt.
Sehr ungünstig zeigt sich die N-Bilanz in der zweiten Periode
des Versuchs K. Die Art der Diät brachte es hier mit sich, daß
die Nahrung sehr wenig N enthielt (nur 11,06 in drei Tagen).
Diese geringe Menge wurde aber von der Ausfuhr übertroffen, so-
daß eine negative Bilanz (— 1,38 pro Tag) zustande kam. Wir
sehen hier also deutlich, daß bei dieser fettfreien Diät dem Or-
ganismus recht erhebliche Verluste entstehen „können, was auch
mit der starken Gewichtsabnahme bei dem Kinde K. übereinstimmt.
Ich hielt es für erlaubt, aus diesen Stoffwechselversuchen
den Schluß zu ziehen, daß man beim Icterus simplex mit einer
sehr schlechten Fettresorption nicht zu rechnen braucht, daß da-
gegen eine Diät, wie die übliche fettfreie, eine recht erhebliche
Unterernährung darstellt. Für den Fall, daß man eine solche
zu vermeiden wünscht, glaubte ich mich nach diesen Versuchen
berechtigt, den Kindern größere Mengen von Fett zu verabreichen,
da man erwarten kann, daß diese gespalten und zum größten Teil
resorbiert werden. Allerdings war erst zu prüfen, ob die Zufuhr
von Fett nicht in irgend einer andern Weise schädigend wirken würde.
Ich habe daher seit dem Jahre 1910 eine Reihe von Fällen
in der Weise behandelt, daß, sofern sie frisch in Behandlung
kamen, eine ganz bestimmte Diät verordnet wurde, in der Fett in
reichlicher Menge vorhanden war, etwa der ähnlich, die das Kind
K. in der ersten Periode bekam. Es wurde täglich 1 1 Milch
gereicht, zum Frühstück und Abendessen Butter auf das Brot und
mittags die gewöhnliche Mahlzeit gestattet. Medikamentöse Be-
handlung wurde in allen diesen Fällen nicht angewandt, außer wo
eine ganz besondere symptomatische Indikation vorlag. Die Kinder
wurden im Hause, aber nicht im Bette gehalten.
Obwohl es sich um poliklinisches Krankenmaterial handelt,
so glaube ich doch, daß man die Erfahrungen insofern verwerten
darf, als wohl in den meisten Fällen die Diät, die auf einem
Zettel genau aufgeschrieben wurde, auch wirklich verabreicht
worden ist. Da sie den Kindern fast immer durchaus zusagte und
gut bekam, worauf ich gleich näher eingehen werde, so hat auch
wohl fast nie für die Eltern Veranlassung vorgelegen, die Anord-
nungen nicht zu befolgen.
Mein Beobachtungsmaterial setzt sich im ganzen aus 130
Fällen zusammen; von diesen wurde ungefähr die Hälfte mit der
üblichen fettfreien Kost behandelt, der Rest mit der eben be-
sprochenen fettreichen Diät.
Es scheiden indessen von diesen Fällen 49 aus, die nach der
ersten Konsultation nicht wiedergekommen sind und bei denen
daher der Verlauf nicht beobachtet werden konnte. (Es ist wahr-
scheinlich, daß der größte Teil dieser Fälle rasch abgeheilt ist.)
Danach würden 81 Fälle übrigbleiben, bei denen wir uns über den
Verlauf ausreichend orientieren konnten.
Von diesen 81 Fällen wurden 35 mit fettarmer, 46 mit fett-
reicher Diät behandelt. Irgendwelche nachteiligen Folgen der zu-
geführten Fettmengen auf das subjektive Befinden traten so gut
wie niemals auf. Die Kinder nahmen die Diät meist mit Appetit;
Magenbeschwerden, Erbrechen usw. zeigten sich oder, wenn schon
vorhanden, verschlimmerten sich nicht. Dasselbe gilt von den
andern Symptomen (Ikterus, Leberschwellung). Die Kinder waren
im ganzen munterer und besser bei Appetit als die mit der fett-
freien Kost, bei der oft die Kinder infolge des Hungers recht un-
leidlich sind.
Vergleichen wir nun in beiden Gruppen von Fällen den
Krankbeitsverlauf, so ergibt sich folgendes:
Es wurden während der Dauer der poliklinischen Behandlung
nicht gebessert:
von den 46 fettreich genährten: 3 = 6,60%
» » 35 fettarm » :8 = 23%.
Es sind dies stets hartnäckige Fälle gewesen, die, meist nachdem
sich im Laufe von einer bis zwei Wochen keine Besserung gezeigt
hatte, aus der Behandlung weggeblieben sind. Von den drei mit
fettreicher Kost behandelten Kindern gehört das eine auch in
diese Kategorie. Bei den beiden andern wurde, nachdem sich nach
einer Woche keine Besserung gezeigt hatte, von der fettreichen
zur fettarmen Diät übergegangen. In einem Falle verschwand
hierauf der Ikterus bald, in dem andern Falle blieb er noch aber-
mals eine Woche unverändert; dann wurde das Kind nicht mehr
gesehen.
Alle andern Fälle verliefen in beiden Kategorien günstig.
Von den 46 fettreich genährten wurden geheilt entlassen 28 =
TV gg ee _ Deu re eein Eai a s
BE? e rn F EG YO n *— EFF = Pe . 5 R Zaren z £ =
= ke se ia
‘ a-
x -
R ` j
u aa a a a a a a a
1628
61%, die übrigen wurden erheblich gebessert, haben sich aber
später nicht wieder vorgestellt, doch darf man wohl annehmen,
daß die Heilung in diesen Fällen bald eingetreten und deshalb die
Vorstellung unterblieben ist. Von den 35 fettarm genährten sind
16 = 450/9 geheilt, die andern gebessert. In dieser Beziehung
weisen also die beiden Kategorien keine Unterschiede auf, und
nichts spricht für eine weniger günstige Stellung der mit Fett
genährten Fälle.
Fragen wir nun nach der jeweiligen Dauer der Erkrankung,
so ergibt sich folgendes: Bei den völlig geheilten Fällen der fett-
reichen Kategorie (28) betrug die Dauer der Erkrankung durch-
schnittlich zehn Tage, in elf Fällen — 400/9 betrug sie länger als
eine Woche. Bei den geheilten Fällen der fettarmen Kategorie
war die Krankheitsdauer im Durchschnitt 11,6 Tage!), länger als
eine Woche dauerte die Erkrankung zehnmal = 62%). In den
Fällen, in denen nur eine wesentliche Besserung, keine absolute
Heilung in der Poliklinik konstatiert werden konnte, zeigte sich
diese Besserung stets in ziemlich kurzer Zeit, bei den fettarm
sowohl wie den fettreich genährten Kindern.
Ueber die Beschaffenheit der Stühle kann ich bei der Art
meines poliklinischen Materials wenig aussagen; die Stoffwechsel-
versuche (siehe Tabelle) zeigen, daß der Prozentgehalt des Stuhles
an Fett bei fettarmer Kost nicht wesentlich geringer ist.
Es scheint mir hiernach erwiesen zu sein, daß die bisher
übliche fettarme Kost beim Icterus simplex ziemlich
zwecklos ist. Sie steigert weder die Prozentzahl der schnell in
Heilung übergehenden Fälle,.noch kürzt sie den Verlauf ab, Im Gegen-
teil ergibt sich bei meinem Material noch ein kleines Plus zugunsten
der mit Fett ernährten Kinder. Irgendwelche schädlichen Folgen
sind von der Fettdarreichung nicht zu fürchten. Wenn also die
Ernährung ohne Fett und mit viel Kohlehydraten keinen Zweck
hat, so soll man sie lieber weglassen, da die dadurch bedingte
Unterernährung, wie ich bereits ausgeführt, nicht immer gleichgültig
ist und die Ueberfütterung mit Kohlehydraten besonders die Ver-
abreichung von Buttermilch manchmal Durchfälle zur Folge hat.
Bezüglich des — noch sehr wenig aufgeklärten — Wesens
der Erkrankung scheinen mir diese Erfahrungen dafür zu sprechen,
daß wir es sicher nicht mit einer Störung im Digestionstraktus
und auch nicht mit einer erheblichen Störung der Verdauungs-
funktion zu tun haben, vielmehr mit einer Erkrankung, die sich
durch diätetische Maßnahmen nicht beeinflussen läßt. Dies
bestätigt die schon mehrfach ausgesprochene und auch aus den von
mir eingangs mitgeteilten Beobachtungen sich ergebende Annahme,
daß der Icterus simplex eine Infektionskrankheit ist, die
wohl übertragen werden kann, aber nicht in einzelnen Epidemien
auftritt, vielmehr, ähnlich wie die croupöse Pneumonie, zu jeder
Zeit beobachtet wird, sich aber in den Herbstmonaten, offenbar
durch Witterungseinflüsse begünstigt, zu häufen pflegt.
Was die Behandlung der Krankheit im übrigen anbetrifft,
so wird man natürlich dafür sorgen, daß irgendwelche Diätfehler
vermieden werden; man wird die Kinder, wenn auch nicht im Bette,
so doch zu Hause halten und die große Mehrzahl der Fälle bei dieser
exspektativen Behandlung rasch heilen sehen. Medikamente sind
meist entbehrlich; wo hartnäckige Obstipation besteht, mag ein
Abführmittel (Tartarus natronatus oder Karlsbader Salz) gereicht
werden. Sind Durchfälle vorhanden, so wird natürlich die Diät ent-
sprechend einzurichten sein und in diesen — seltenen — Fällen
habe auch ich von der Darreichung von Milch Abstand genommen.
Mit Medikamenten wird man auch in jenen hartnäckigen
Fällen, die mit erheblicher Leberschwellung einhergehen, wenig
ausrichten. Dagegen haben wir hier häufig den Eindruck gehabt,
als ob Kataplasmen auf die Lebergegend (morgens zwei bis drei
Stunden lang appliziert) und hohe Eingießungen in den Darm
(1 bis 2 1 lauwarmes Wasser) einen günstigen Einfluß ausübten.
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Belt verlassen?
1) Meinerts Fälle heilten durchschnittlich in 11,5 Tagen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
6. Oktober.
2. Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens? .
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufsiehen? K. Bg.
Prof. Dr. H. Schloffer, Vorstand der deutschen chirurgischen Klinik, Prag:
'1. Nein. Wenn die Operationswunde mit Rücksicht auf ihre Lage
beim Aufstehen belastet oder gezerrt würde, also bei Operationen am
Bauche, Becken und den unteren Extremitäten, wird im allgemeinen die
Wundheilung bei Bettruhe abgewartet (8—14 Tage). Nur bei älteren
Leuten, insbesondere wenn eine bestehende Bronchitis die Pneumonie-
gefahr nahelegt, versuchen wir, sobald Narkosewirkung und Operations-
shock vorüber sind und der Wundschmerz es nicht mehr verbietet, die
Kranken schon am zweiten oder dritten Tag aus dem Bette zu bringen,
Demgegenüber lassen wir natürlich die an der oberen Körperhälfte Ope-
rierten sehr häufig schon nach wenigen Tagen aufstehen. Unter den
Laparotomierten eignen sich Frauen mit schlaffen Bauchdecken am besten
für das Frühaufstehen.
2. Anregung der Circulation, Ventilation der Lungen (Verringerung
der Thrombosen- und Pneumoniegefahr).
8. Für viele Kranke ist das Frühaufstehen schon wegen des Wund-
schmerzes eine arge Belästigung, bei geschwächten Personen stellt es oft
unverhältnismäßig hohe Anforderungen an die Körperkräfte.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Küttner, Kgl. Chirurgische Klinik Breslau:
Ich lasse alle Patienten, welche an Kopf, Hals und oberen
Extremitäten operiert worden sind, wenn es der Kräftezustand irgend
gestattet, am Tage nach der Operation aufstehen. Allerdings zwinge ich
Kranke, welche sich zu elend fühlen, nicht zum Verlassen des Bettes, es sei
denn, daß eine Disposition zu Bronchitis und Pneumonie besteht. Basedow-
kranke mit labilem Herzen bleiben durchschnittlich eine Woche im Bett. Am
Gehirn Operierte machen selbstverständlich eine Ausnahme. Bei Thorax-
operationen lasse ich Mammaamputierte ebenfalls am Tage nach der
Operation aufstehen und sofort mit ausgiebigen Armbewegungen be-
ginnen. Bei intrathorakalen Operationen läßt sich eine Regel nicht auf-
stellen, doch wird auch hier, wenigstens bei Pneumotomien, die Bettruhe
nach Möglichkeit eingeschränkt. Bei Laparotomien bin ich vom prin-
zipiellen Frühaufstehen wieder abgekommen, nachdem ich auch bei solchen
Patienten Thromkosen und Embolien gesehen habe. Nur bei aus-
gesprochener Pneumoniegefahr lasse ich, wenn irgend möglich, schon am
Tage nach der Operation die Patienten auf den Sessel bringen. Alte Leute
mit Gastrostomien, incarcerierten Hernien, stehen fast stets schon am
Tage nach der Operation auf. Bei der gewöhnlichen aseptischen Lapa-
rotomie wird eine Bettruhe von sieben bis zehn Tagen, selten mehr, ein-
gehalten; größtes Gewicht wird dabei auf eine systematische Atem-
gymnastik gelegt, auch mit den Armen und in den meisten Fällen auch
mit den Beinen lasse ich gymnastische Uebungen ausführen, ferner wird
täglich zweimal der ganze Körper mit Franzbranntwein abgerieben und
auf sehr ruhiges Liegen kein Gewicht gelegt, es sei denn, daß Blutungs-
gefahr besteht. Wegen Hernie Radikaloperierte lasse ich sieben bis
zehn Tage im Bette. Was die Operationen am Urogenitaltraktus
eanlangt, so behandle ich Nierenoperationen im allgemeinen wie Lapa-
rotomien. Prostatektomierte (Lumbalanästhesie) stehen meist schon am
Nachmittage des Operationstages, jedenfalls aber am folgenden Tag auf,
auch andere Blasenoperierte lasse ich schon in den ersten Tagen aus dem
Bett, ebenso die Mehrzahl der an Penis und Hoden Operierten. Auch
bei Patienten, welche an den unteren Extremitäten operiert wurden, wird
die völlige Bettruhe nach Möglichkeit eingeschränkt, die Kranken werden
baldigst auf Sofa oder Sessel gebracht. Bei Frakturen wird von der
Gehbehandlung ausgiebigster Gebrauch gemacht.
Prof. Dr. Seitz, Universitäts-Frauenklinik Erlangen:
1. Ich lasse regelmäßig die Wöchnerinnen und die Patientinnen
am zweiten Tag aus dem Bette heraussitzen und sie für zirka eine halbe
Stunde in einem bequemen Sessel sitzen. Außerdem lasse ich gleich
nach den Operationen und Geburten ausgiebig die Kranken die Beine
bewegen, auch die Lage wechseln und fordere sie zu ausgiebigem
Atmen auf.
2. Die Vorteile des Frühaufstehens erblicke ich in der Anregung
der Circulation und in der Vermeidung der Blutstauungen. Ich habe
nach meinem eignen Material den Eindruck, als ob die Thrombosen seit
Anwendung des Verfahrens seltener geworden sind.
3. Von dem Frühaufstehen sehe ich bei Frischoperierten ab, wenn
plastische Operationen am Damme gemacht worden sind oder wenn der
Kräftezustand der Kranken so ist, daß sie gar nicht zum Aufstehen zu
bewegen sind. Auch Temperatursteigerungen halten mich ab, Frisch-
operierte oder Wöchnerinnen früh aufstehen zu lassen.
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1629
E L
Das Frühaufstehen bei Fieber vermeide ich aus dem Grunde, weil
durch die Bewegungen die weitere Ausbreitung der Infektion be-
günstigt wird, NR,
Dr. D. Pupovac, Privatdozent für Chirurgie, Wien:
1. Bei reaktionslos geheilter Laparotomiewunde lasse ich die Pa-
tienten in der Regel am zwölften Tage nach der Operation aufstehen.
Besteht in dem Liegen der Patienten eine Gefahr, so lasse ich sie, sobald
es möglich ist, aufstehen.
2. Verhütung bypostatischer Pneumonien; günstige Beeinflussung
der Darmtätigkeit.
3. Wenn keine Kontraindikationen gegen das Liegen bestehen; jede
Wunde braucht zur Heilung Ruhe.
Prof. Dr. H. Fehling, Universitäts-Frauenklinik, Straßburg i. Els.:
1. a) Ich zwinge die Operierten nicht, das Bett zu verlassen, sie
dürfen täglich eine Stunde außer Bett sitzen, sobald sie wollen. Frühestens
am dritten oder vierten Tage tun es die Operierten in Straßburg frei-
ern Die Laparotomierten gehen erst vom zwölften Tag ab im Zimmer
erum.
b) Die Wöchnerinnen bleiben wie bisher bis zum achten Tag im
Bette, verlassen die Klinik am neunten Tage. Sie sitzen aber vom ersten
Tag ab zum Stillen und Essen im Bett auf.
2. a) Die Operierten haben den Vorteil besserer Funktion der
Därme, Zunahme des Appetits und besseren Schlafs. Ich habe jedoch
trotz Frühaufstehens Embolien gesehen, vielleicht weniger.
b) Ich glaube, daß für Wöchnerinnen die Nachteile des Früh-
aufstehens die Vorteile überwiegen.
| 3. a) Bei Fieber nach Operationen und bei Vaginaldrainage Ope-
rierter nach Laparotomie sehe ich vom Frühaufstehen ab. Ob wir beim
Frühaufstehen später mehr Bauchhernien bekommen, muß erst die Zu-
kunft lehren.
b) Bei den arbeitenden Klassen ist Frühaufstehen im Wochenbette
gleichbedeutend mit Arbeit. Lernen sie es in der Klinik, so tun sie das-
selbe zu Hause. Die enormen Senkungen und Vorfälle unserer poliklini-
schen Patienten gegenüber den besser situierten Klassen entstehen nur
durch zu frühes Aufstehen und Arbeit.
Prof. Dr. Zangemeister, Universitäts-Frauenklinik, Marburg a. L.:
1. Nein; im allgemeinen halte ich eine Erholung der Patienten und
Wöchnerinnen durch Bettruhe für zweckmäßig. Nur ausnahmsweise —
Bronchitis, Herzfehler, erhöhte Thrombosegefahr und dergleichen — lasse
ich früher aufstehen.
I-Para . . . . liegen 10 Tage
Mehrpara . . . ; 8 ,
Laparotomierte . „1%,
Vaginal Operierte =. 4 5%
2. Frühere Anregung der Herz-, Lungen- und Darmfunktion.
3. a) Im allgemeinen immer;
b) Schädigung des Heilverlaufs, vorzeitige Inanspruchnahme der
Herzkraft, der Bauchpresse sowie anderer Funktionen, denen zunächst
Ruhe zu gönnen ist.
Prof. Dr. Jung, Universitäts-Frauenklinik, Göttingen:
1. Teilweise ja. Wöchnerinnen lasse ich, wenn sie selbst es
wünschen, am zweiten bis vierten Tage post partum aufstehen. Operierte
verlassen, je nach der Schwere des Falles, am fünften bis zehnten Tage
das Bett,
Während der Bettruhe lasse ich ausgiebige Bewegungen, besonders
der Beine, ausführen. Alte Frauen stehen auch nach Operationen schon
am zweiten Tag auf. |
2. Raschere Erholung, frühere Wiederherstellung des Appetits,
Vermeidung von Bronchitis und Pneumonie, sowie Decubitus. Für die
Verhütung von Thrombose und Embolie halte ich das Frühaufstehen
nicht so sehr wichtig.
3. a) Nach Geburten bei größeren Dammrissen, bei großer Anämie
und bei Infektion, Ä
b) Nach Operationen bei sehr großen Eingriffen, Herzschwäche und
Anämie, sowie bei Infektion.
Eine Gefährdung der Patienten kann ich im Frühaufstehen nicht
erblicken, dagegen ist es, besonders nach großen Eingriffen, oft inhuman.
Dr. Alexander Brenner, Primararzt der chirurgischen Abteilung, Linz:
1. Bei einfachen Laparotomien, Magen-Darmoperationen, Appen-
dicitis, Hernien nach acht Tagen. Alte Leute schon am nächsten Tage,
ebenso Kranke nach Operationen der oberen Körperhälfte.
2. Bei alten Personen Vermeidung der Pneumonie und des Maras-
mus, bei jüngeren Personen fördert es das Gefühl der Genesung und sie
verlassen früher das Spital.
3. Nach komplizierten Operationen, namentlich wenn Drainage oder
Tamponade notwendig war, ferner bei sehr anämischen oder sehr schwachen
Kranken. |
Wir haben ein großes Hernienmaterial; alle Operierten könnten
am nächsten Tage aufstehen — aber ich fürchte, daß sie dann jede Vor-
sicht außer acht lassen und sich schädigen —, solange sie im Bette
sind, ist die Ueberwachung leicht.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R. H. Tillmanns, Chirurg, Leipzig:
1. Auf Grund meiner günstigen Erfahrungen bin ich dafür, daß
die Patienten sobald als möglich nach der Operation bei nor-
malem, fieberlosem Heilungsverlaufe das Bett verlassen; wann
das geschieht, hängt von der Art der Operation ab und läßt sich ganz
allgemein nicht sagen. |
2. Kreislaufstörungen (Thrombosen, Embolie, Hypostasen der
Lungen usw.) werden durch frühzeitiges Aufstehen eher vermieden und
die Körperkräfte heben sich schneller.
3. Bei Fieber und abnormem Heilungsverlaufe der Operationswunde,
bei Entzündungen und Eiterungen lasse ich die Patienten nicht frühzeitig
aufstehen.
Aus der Klinik und Poliklinik für Frauenkrankheiten von
Prof. Dr. W. Nagel (Berlin).
Ueber Erystypticum
Dr. A. Hirschberg, 1. Assistenzarzt.
Die Kombination von Secale mit Hydrastis hat sich schon
seit langem in der Gynäkologie bei der Bekämpfung der Uterus-
blutungen gut bewährt, nachdem schon vorher experimentelle
Untersuchungen am überlebenden Organ die theoretischen Grund-
lagen für eine solche .Wirkung ergeben hatten.
Bei der Secalewirkung dürften nach den pharmakologischen Unter-
suchungen als hauptsächlich wirksame Prinzipien das von Barger, Kraft
und Dale aus der Rohdroge isolierte Hydroergotinin oder Ergotoxin
sowie die dem Adrenalin in ihrer Wirkung ähnlichen Basen, nämlich das
p-Oxyphenyläthylamin und das Imidazolyläthylamin in Betracht kommen.
Diese Körper üben nach Kehrer und Andern eine tonussteigernde und
die automatischen Contractionen verstärkende Wirkung auf den über-
lebenden Uterus aus.
Im Gegensatz zu dieser primären Contractionserregung der Uterus-
muskulatur durch das Secale greift die Wirkung der Hydrastispräparate
und des synthetischen Hydrastinins an den Uterusgefäßen an.
Nach Falk und Marfori sind sie hauptsächlich imstande, sowohl
durch Reizung des vasomotorischen Centrums wie der peripheren Vaso-
un allgemeine Gefäßcontraction mit Blutdrucksteigerung hervor-
zurufen.
Aus den verschiedenen Angriffspunkten des Secale und der
Hydrastis bei ihrer Wirkung auf den Uterus resultiert die schon
längere Zeit bekannte potenzierende Wirkung ihrer Kombination.
Bereits Fellner!) schreibt 1897, daß sich Hydrastis und Mutter-
korn gegenseitig beeinflussen, und zwar derart, daß die akute
Wirkung des Secale gemildert, die der Hydrastis verstärkt wird.
Bisher stand für die kombinierte Wirkung nur die Mischung
des Fluidextrakts der beiden Rohdrogen zur Verfügung, die natür-
licherweise gemäß dem wechselnden Gehalt an wirksamen Prin-
zipien eine konstante Wirkung nicht gewährleisten konnten.
Die Firma Hoffmann-La Roche & Co. in Grenzach (Baden)
bringt nun seit neuerer Zeit unter dem Namen „Erystypticum
Roche“ eine Kombination des nur die wirksamen Prinzipien in kon-
stanten Verhältnissen enthaltenden Secacornins mit Extractum
hydrast. und Hydrastininum synth. in den Handel. Infolge der
konstanten Zusammensetzung der Kombination wird hier eine zuver-
lässige Wirkung garantiert.
Erystypticum wird als eine dunkelbraune Flüssigkeit in Fläschchen
von 10 und 20 g Inhalt sowie in fester, granulierter Form in den Handel
gebracht. Klinische Prüfungen an dem Material der Frauenklinik der
Kgl. Charité durch Fromme haben günstige Resultate gezeigt. Auch
Pinkus rühmt dem Erystypticum seine zuverlässige und konstante Wir-
kung nach. -
Ausgedehnte Beobachtungen an dem großen Material unserer
Poliklinik haben uns von dem Wert des Erystypticums als internes
Hämostaticum überzeugt.
Das Präparat fand vorwiegend Verwendung bei allen Menor-
rhagien und Metrorrhagien des Uterus, die bei unserer Klientele
meist auf endometritischer, klimakterischer oder myomatöser Basis
1) Wr. med. Pr.
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1630
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40,
6. Oktober.
beruhen. Ueberall dort, wo es nicht auf eine momentane und
kräftige Dauercontraction ankam, haben wir uns auf die Verord-
nung des Erystypticums beschränkt. Vor allem bedienten wir
uns des Präparats gern bei Erkrankungen, die eine länger fort-
gesetzte Medikation erforderten. Subeutan wurde Erystypticum
nie appliziert.
Natürlich repräsentiert Erystypticum kein Allheilmittel für
alle Uterusblutungen, in manchen Fällen führt eben keine interne
Therapie zum Ziel. Im. allgemeinen waren wir jedoch mit den
Erfolgen seiner Wirkung recht zufrieden. Meist gelang es, die
Blutung einzuschränken oder zu beseitigen. Auch in der Nach-
behandlung der Aborte aus den ersten Schwangerschaftsmonaten
führte es zu Involution des Uterus. Nach der Geburt von aus-
getragenen Kindern oder bei stärkeren Blutungen in der Nach-
geburtsperiode und im Wochenbett haben wir es nicht angewandt.
Bei solchen Fällen möchten wir auf die prompte und kräftige
Wirkung des Secacornins nicht verzichten.
Als übliche Dosis werden von der in Fläschchen à 10 ccm
im Handel befindlichen Lösung drei- bis viermal täglich 20 Tropfen
gegeben. Da der Gehalt an Hydrastis dem Präparat einen bitteren
Geschmack verleiht, der allerdings erheblich hinter dem sonst in
der Therapie verwandten Fluidextrakt zurücksteht, läßt man die
Tropfen am besten in Zuckerwasser nehmen. Bei der Verdünnung
mit Wasser entsteht eine kleine Trübung, die der Wirksamkeit
keinen Abbruch tut. Andere Nachteile konnten wir beim Ery-
stypticum nicht beobachten. Als Vorteil für die Praxis sei der
billige Preis erwähnt, während nämlich 10,0 Extr. hydrastis fluid,
in einfacher Flasche 1,90 M kosten, beträgt der Preis für 10,0
Erystypticum nur 1 M. Deshalb ist das Erystypticum bei den
Berliner Krankenkassen an Stelle von Hydrastisextrakt getreten.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
a on
Der Verlauf der Druckschwankungen in den
Hohlräumen des Herzens und in den großen
Gefäßen ')
von
Prof. Dr. H. Piper.
Es wurde unter Benutzung eines von Straub?) auf Grund
der Frankschen?) Prinzipien konstruierten Troikarmanometers der
zeitliche Verlauf der Druckschwankungen in den Herzhohlräumen
und in den großen Gefäßen registriert. Als Versuchstiere dienten
Katzen. Nach Curaresierung oder in Hedonalnarkose und bei künst-
licher Atmung wurde das Herz freigelegt und das Manometer
durch die Ventrikel- und Vorhofwandungen direkt in die zu
untersuchenden Hohlräume eingeführt, beziehungsweise in die Aorta
und Vena cava superior eingebunden. Die Ausschläge der mit
Spiegel armierten Manometermembran wurden mit65cm langem Licht-
hebel photographisch nach Frankscher Methode registriert. In
den meisten Versuchen wurde ein Herzhohlraum nach dem andern,
also immer nur einer zurzeit manometrisch untersucht. Es erwies
sich aber als notwendig, in besonderen Versuchen auch die Druck-
schwankungen in zwei aneinander grenzenden Hohlräumen zugleich
zu registrieren. In diesen technisch nicht einfachen Experimenten
wurde also z. B. in den linken Vorhof und in den linken Ventrikel
oder in den linken Ventrikel und in die Aorta je ein Manometer
eingeführt. Aus den so erhaltenen Kurven konnte die zeitliche
und funktionelle Beziehung der komplizierten Druckperioden und
ihrer einzelnen Oscillationen mit Sicherheit abgelesen werden. Nach
jedem Tierversuche wurde das Instrument durch Nebenschaltung
eines Quecksilbermanometers in mm Hg geaicht.
In nebenstehender Abbildung ist eine Uebersicht über die
tatsächlichen experimentellen Befunde dieser Untersuchung
in graphischer Darstellung gegeben, und zwar sind die Druckkurven
der einzelnen Herz- und Gefäßhohlräume so untereinander ge-
zeichnet, daß gleiche Zeitphasen der Druckperioden auf gleiche Or-
dinaten fallen.
Die Ergebnisse und ihre Deutung sind folgende:
1. Der Druckverlauf im linken Ventrikel. Nach der
flachen Erhebung der Vorhofsystole V setzt mit steilem Druck-
anstieg die Ventrikelsystole ein. Der ansteigende Schenkel der
systolischen Druckschwankung zeigt zwei superponierte Wellen,
deren erste Wı eine Druckoscillation repräsentiert, welche bei der
Oeffnung der Semilunarklappen und durch den Stoß des heraus-
geschleuderten Ventrikelbluts gegen die Blutsäule und Wände der
Aorta entsteht. Sie liegt bei normalem Blutdruck in etwa 100 bis
120 mm Hg Druckhöhe. Die zweite Welle Wz erscheint mehr als
rundlicher Buckel in der Kurve. In der Erhebung Wa dürfte der
steile Druckanstieg in der Aorta und die von Frank in der
Aortendruckkurve gefundene, dem Maximum voraufgehende „An-
fangsschwingung“ zum Ausdruck kommen, welche als Eigen-
schwingung des ganzen in Bewegung gesetzten elastischen Systems
aufzufassen ist. Das Druckmaximum in der Aorta liegt meist
früher und hat niedrigeren Druckwert als das des Ventrikels.
1) Nach einem in der Physiologischeu Gesellschaft zu Berlin ge-
haltenen Vortrag. 9. Sitzung am 5. Juli.
9, Straub, Der Druckablauf in den Herzhöhlen.
Ba. 43, S. 69
(Pflügers A.
3) Frank, Hämodynamik. (Tigerstests Handb, 1911.)
Das Druckmaximum G wird bei normalen Blutdruckverhält-
nissen (150 bis 170 mm Hg Druck) in rundem Gipfel, nicht in
einem Plateau passiert. Plateaukurven findet man nur, wenn das
Manometer niedrigen Maximaldruck anzeigt. Der Druckabfall vom
Gipfel G bis zum Nullwerte, nicht etwa bis zu negativen Werten,
geht ohne superponierte Druckwellen vor sich. Der Aorten-
klappenschluß kann sich im Ventrikel nicht manometrisch geltend
machen, weil die Kammer zu dieser Zeit blutleer ist. Die
Systole, gerechnet
vom Beginne des
Druckanstiegs A
bis zum Maximum
G dauert etwa ein
Drittel der ganzen
Herzperiode, eben-
so die Entspannung
vom Gipfel G bis
zur Wiedererrei-
chung des Null-
werts E gerechnet
und ebenso die
Zeit der Neufül-
lung des Ventrikels
mit Blut von E _.
bis A. Die Diastole ker
von G bis A ge-
messen dauert also
Aorta
zwei Drittel der Vortrikel
Herzperiode Von
A bis Wı ist die Linker
Anspannungszeit, Vorhof
von Wı bis G die
Austreibungszeit
zu bemessen. Rechter
2.Der Druck. Yo
ablauf in der
Aorta (überein-
stimmend mit
Franks!) Befun- an
den am Hunde).
Zuerst tritt die
„vVorschwingung“
ı auf, und zwar
in derselben Druckhöhe (100 bis 120 mm Hg) und in derselben
Zeit liegend, wie die sehr wahrscheinlich identische Klappen-
öffnungszacke W, in der Druckkurve des linken Ventrikels. Sio
kommt durch den Stoß des Ventrikelbluts gegen die stagnie
rende Aortenblutsäule zustande. Dann folgt die „Anfangsschwin-
gung“ Wə, welche von Frank als Eigenschwingung des den
Druckstoß des Ventrikels empfangenden elastischen arteriellen Ge-
fäbsystems gedeutet wird, Nach ein oder zwei mit starker
Dämpfung abklingenden Nachschwingungen wird der runde Gipfel
M erreicht, und von diesem sinkt die Aortendruckkurve in Yie
flacherem Gefälle als der steil fallende Ventrikeldruck ab, sodaß
sehr bald der Aortendruck größer ist als der der Kammer. Wenn
der Druck in der Kammer den der Aorta gerade unterschreitet,
erfolgt der Semilunarklappenschluß, ein Vorgang, der in der
') Frank, Der Puls in den Arterien. (Zt, f. Biol, Bd. 28,)
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1681
Aortendruckkurve durch das Auftreten der „Incisur“ (Frank) ge-
kennzeichnet ist. Diese und die nachfolgenden mit gleicher Periode
und starker Dämpfung abklingenden Schwingungen sind also durch
das Zuschlagen der Semilunarklappen und den Rückprall der arte-
riellen Blutsäule hervorgerufen. ‘Dann sinkt der Druck in flachem
Gefälle, bis ein neues Schlagvolumen vom Ventrikel her folgt.
Die ganze Druckschwankung in der Aorta liegt zwischen 100 bis
120 und 150 bis 170 mm Hg Druck, beträgt also etwa 50 mm Hg.
3. Der Druckverlauf im rechten Ventrikel. Nach der
Vorhofsystole V treten am Fußpunkte des ansteigenden Schenkels
der Ventrikelsystole eine oder zwei Schwingungen K ein, welche
durch den Schluß und die Anspannung der Atrioventrikularklappen
bedingt sind. Im ansteigenden Schenkel ist die Druckoseillation
W superponiert, welche bei Oeffnung der Semilunarklappen in
ähnlicher Weise entsteht, wie die analoge Zacke W in der Druck-
kurve des linken Ventrikels.. Nach dem in runder Wölbung er-
reichten Maximum (40 bis 50 mm Hg) erfolgt die Diskontinuität
J, welche in die Zeit des Aortenklappenschlusses fällt und durch
den Schluß der Semilunarklappen bedingt sein dürfte. Von A bis
W ist die Anspannungszeit, von W bis G die Austreibungszeit,
von A bis G die Systole, von G bis zum Nullwert E die Ent-
spannung, von G bis A die Diastole und von E bis A die Zeit
der Wiederfüllung des Ventrikels zu rechnen.
4. Der Druckverlauf im linken Vorhofe. Die Vorhof-
systole erreicht 10 bis 12 mm Hg maximalen Druckwert (nach
Straub nur 30 mm H,O = 2,3 mm Hg). Dabei dauert die
Druckzunahme etwa 1/ıo der ganzen Herzperiode Es folgen in
der Regel zwei Druckoseillationen K, deren erste in den Beginn
der Ventrikelsystole fällt und, wie auch Straub angibt, durch
den Schluß der Atrioventrikularklappen und durch den Stoß der
plötzlich in das Vorhoflumen vorgebuchteten Segel bedingt ist.
Die zweite ist vielleicht nur eine Nachschwingung der ersten. Es
ist aber möglich, daß sie identisch ist mit der Zacke W der Ven-
trikeldruckkurve. Mit diesen fällt sie zeitlich sehr annähernd zu-
sammen. Dann würde diese am Aortenursprung entstehende
Druckoseillation sich durch das Ventrikelblut fortpflanzen, auf die
Atrioventrikularklappen treffen und durch diese auf den Vorhof-
inbalt übergehen. Es folgt die langsam zunehmende Erhebung H,
welche durch die Neufüllung des Vorhofs mit Blut bedingt ist,
und diese biegt in den steilen Druckanstieg der neuen Vorhof-
systole in der Regel ohne vorherige Drucksenkung ein. Auf der
Erhebung H sind manchmal einige kleinere Zacken superponiert,
welche zeitlich mit den Incisurschwingungen der Aortendruck-
kurve zusammenfallen und sich von der Aorta auf den Vorhof
ausgebreitet haben dürften (2. Herzton).
5. Der Druckverlauf im rechten Vorhofe Die Vor-
hofsystole V erreicht maximale Druckwerte von etwa 6 mm Hg
(nach Straub nur 20 mm H0 = 1,5 mm Hg). Auf diese folgen
in der Regel zwei Druckwellen K, die sich ebenso verhalten, wie
die analogen Oseillationen im linken Vorhofe, mit dem Beginne der
Ventrikelsystole zeitlich zusammenfallen und durch den Schluß der
Trieuspidalklappe bedingt sein dürften. Die dann folgende langsame
Erhebung H während der Vorhofdiastole dürfte durch das neueinströ-
mende, nachdrängende, den Vorhof ausdehnende Blut bedingt sein.
6. Der Druckverlauf in der Vena cava ist sehr ähnlich
dem im rechten Vorhofe, weil zwischen beiden die Kommunikation
ständig offen ist. Von der benachbarten Aorta aus scheinen sich
Druckwellen noch leichter auf die Vena cava zu übertragen als
auf den rechten Vorhof. Auf die Vorhofsystole V folgen die
Druckwellen K, dann die Erhebung H ganz ähnlich wie beim
rechten Vorhof. Auf H sind meist zwei oder drei kleinere Wellen
superponiert, welche in die Zeit des Semilunarklappenschlusses
und des zweiten Herztons fallen. Sie dürften als Druckoseillationen
von der Aorta herübergeleitet sein und mit den Incisionsschwin-
gungen identisch sein.
Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell
dijodoxybenzolparasulfosaures Quecksilber, in
ihrem Verhalten zum Organismus
"von
Dr. med. E. Koch, Aachen.
(Fortsetzung aus Nr. 39.)
Injektionsversuche
I. mit Anogon.
„ 1. Versuche am Kaninchen. Es wird an demselben Tier eine
Reihe von Injektionen vorgenommen, in der Folge an jedem fünften Tag
und in ansteigender Dosis. Begonnen wird mit einer Quantität von
0,02 Anogon, gesteigert um je 0,01 Anogon bei jeder folgenden Injektion,
bis eine Dosis von 0,1 Anogon erreicht ist. Die Injektionen wurden
stets intramuskulär ausgeführt und abwechselnd bald in die rechte, bald
in die linke hintere Extremität gemacht. Bei keiner der Injektionen war
nennenswerte Reizwirkung zu konstatieren. Ebenso zeigten sich keinerlei
Symptome, daß die Injektionen irgendwie schlecht vertragen wurden. Im
ganzen wurde also dem Tiere 0,34 Anogon in knapp sieben Wochen in-
Jiziert. Dieser Versuch hatte den Zweck, die Toleranz des Organismus
dem Anogon gegenüber festzustellen.
2. Einer weißen Maus wird ein Teilstrich einer Anogonsuspen-
sion Oleum olivarum 1:10 = 0,01 Anogon in den rechten hinteren Ober-
schenkel injiziert. In den ersten 24 Stunden zeigt das Tier keine be-
sonderen Symptome, bleibt lebhaft und freßlustig und wird nach Ablauf
der 24 Stunden getötet, um die Injektionsstelle genauer zu untersuchen.
* Es ergibt sich, daß die Injektion nur die obersten Muskelpartien
getroffen hat, sodaß sich die Hauptmenge der Injektionsflüssigkeit zwischen
Muskelsubstanz und Fascie eingelagert hat. Dabei ist es zur Bildung
einer etwa linsengroßen Abkapselung gekommen, welche eine grünlich-
klare Flüssigkeit auf weißlichschimmerndem Untergrund enthält. Bei
dem Versuche, diese, wenn man so sagen darf, cystenartige Bildung
herauszupräparieren, zerreißt die sehr dünne, zum größten Teil durch
die Muskelfascie gegebene Membran, und es entleert sich eine klare,
ölige Flüssigkeit, die sich als steril erweist. Auf dem Muskel wird nun
ein weißlicher Niederschlag mit metallartigem Glanze deutlich sichtbar.
Bei der mikroskopischen Untersuchung an gefärbten Präparaten
treten folgende Verhältnisse zutage. Der erwähnte Niederschlag ist
durch eine entzündlich infiltrierte Zone von dem Muskelgewebe abgegrenzt
und letzteres teilweise mit ganz kleinen entzündlichen Herden durchsetzt.
Man kann also drei Zonen genau unterscheiden:
a) Ablagerung,
b) Entzündung,
c) Muskel.
Alle Zonen sind bei schwacher Vergrößerung scharf voneinander
getrennt, wobei die erste durch ihre grauschwarze Verfärbung deutlich in
die Augen springt.
Bei stärkerer Vergrößerung sieht man nun, daß die Auflagerungen
aus einer anscheinend amorphen Masse bestehen, welche in verschiedener
Diehtigkeit und Menge sich deponiert hat. Ueberall, namentlich aber in
fein verteilteren Bezirken löst sich diese amorphe Masse in zwei Bestand-
teile auf, in einen Teil mit mehr lockerem, verwaschenem, grau verfärbten
Gefüge, welcher gewissermaßen die Grundsubstanz bildet. Hiervon heben
sich deutlich eine Menge feinster, intensiv grau bis schwarz gefärbter,
scharf abgegrenzter Körnchen ab, und man sieht, wie dieser fein gekörnte
Teil der Auflagerung sich mehr und mehr in einzelne Körnchen nach
der Entzündungszone auflöst. Diese Zone wird von den Körnchen in
mehr vereinzelten Exemplaren durchsetzt, die nach der Muskelschicht hin
immer seltener werden und in der letzteren nur noch ganz vereinzelt
auftreten.
Dieses Bild wiederholt sich an allen Stellen des Präparats. Hier
und da ist über das Muskelgewebe eine Fettschicht eingeschoben. Man
kann hier keine Besonderheiten konstatieren als die, daß die Entzündungs-
zone unregelmäßiger gestaltet erscheint, der Niederschlag und dessen
Auflösung aber im wesentlichen dem angegebenen Typus folgt. Hier
und da hat man den Eindruck, als ob er an solchen Stellen, wo Fett-
gewebe mit in Betracht kommt, besonders massig sich abgelagert hat.
3. Einer weißen Maus wird ein Teilstrich einer Anogonsuspen-
sion 1:10 = 0,01 Anogon in den rechten hinteren Oberschenkel injiziert.
Das Tier macht nach 24 Stunden einen kranken Eindruck. Die betreffende
Extremität erweist sich als geschwollen und wird deutlich beim Gehen
nachgeschleift. Nach zweimal 24 Stunden ist der Exitus vorauszusehen
und die Maus wird durch Chloroform getötet.
Bei der Sektion zeigt es sich, daß der Einstich in der Nähe des
Kniegelenks durch eine Sugillation deutlich erkennbar ist. In der Mus-
kulatur deutliche Flüssigkeitsansammlung, anscheinend abgekapselt. Ober-
flächliche Venen deutlich geschwollen. Von der Flüssigkeitsansammlung
wird mit einer Pravazspritze eine kleine Probe steril entnommen. Makro-
skopisch hat die Flüssigkeit etwa das Aussehen dünnflüssigen Eiters,
mikroskopisch zeigt sie deutlich eine klare, serumartige Beschaffenheit,
in der zahlreiche kleine und kleinste Fetttröpfchen suspendiert sind. So-
dann finden sich gelbliche Schollen und körnige Gebilde, ebenfalls in
äußerst fein verteiltem Zustande lange, glänzende Stäbchen mit deut-
lichen doppelten Konturen, die man für Krystallbildungen halten muß.
Leukocyten lassen sich kaum konstatieren, anderweitig zellige Gebilde
ebenfalls nicht außer vereinzelten roten Blutkörperchen, schließlich noch
etwas Detritus unbestimmter Herkunft. Bei 500facher Vergrößerung
kann man deutlich sehen, wie die Krystallnadeln direkt aus den gelb-
lichen Anogonschollen hervorgehen. Behandelt man die intramuskuläre
Flüssigkeit mit Aether, so treten die oben geschilderten Verhältnisse
nach Lösung der Fetttröpfehen noch deutlicher zutage. Im übrigen er-
weist sich der Muskelinhalt als steril. Ein Tröpfchen, in Nährbouillon
gebracht und in den Thermostaten bei 37° eingestellt, ergibt bei mehr-
tägiger Beobachtung und Kontrolle kein Wachstum.
Die rechte hintere Extremität wird im Hüftgelenk exartikuliert
und in Alkohol gehärtet. Nach der Härtung tritt der Befund in der
Muskulatur noch deutlicher als bläulicher, oval abgegrenzter Bezirk zu-
tage. Präpariert man den Muskel ab und öffnet man die Injektionsstelle,
so sieht man, daß tatsächlich eine Art Abkapselung stattgefunden hat
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und auf der Kapselwand ein grauweißlicher Niederschlag sich vorfindet.
Auch in diesem Präparate läßt sich mikroskopisch eine Anordnung in
drei Schichten feststellen, doch ist eine ganz scharfe Abgrenzung nicht
mehr vorhanden, vielmehr gehen die Grenzen meistens ineinander über.
Der Anogonniederschlag zeigt eine ähnliche Struktur wie bei der Maus
Nr. 1, nur daß auch hier die soeben geschilderteu Krystallbildungen deut-
lich sich nachweisen lassen. Bei starker Vergrößerung läbt sich aber
nun weiterhin ein Resorptionsvorgang in die tiefer liegenden Muskel-
schichten deutlich verfolgen, denn man kann in einzelnen Muskelspalten
ebenfalls feinste körnige Gebilde und sehr kleine Krystallnadeln ent-
decken, und zwar scheint dieses Vorkommnis die ganze Dicke des Muskels
zu durchsetzen. Die Muskelpartien selbst haben an einzelnen Stellen
ihre Strukturschärfe verloren, im allgemeinen ist jedoch die Muskelsub-
stanz noch gut erhalten. |
4. Einem Meerschweinchen werden 5 cg Anogon, in 0,25 g
Oleum sesami suspendiert, in den rechten hinteren Unterschenkel injiziert.
Das Tier bleibt vier Tage völlig munter und geht am fünften in einem
Zustande vollständiger Lethargie ein. l
Der lokale Befund am rechten Unterschenkel ergibt folgendes:
Während die Extremität frei präpariert wird, zeigt sich an der Injektions-
stelle eine ziemlich intensive Verklebung der äußeren Haut mit den:
Muskeln, welche durch fibrinöse Auflagerungen bedingt ist. Es zeigt
sich dann in der Muskulatur des Unterschenkels eine deutlich gelbver-
färbte, kaum kleinfingerkuppengroße Partie, welche etwas hervorgewölbt
ist, und die Veranlassung war, weshalb der rechte Unterschenkel gegen
den linken etwas geschwollen erschien. An der Innenseite ist die Zeich-
nung der Muskelstruktur etwas verfärbt,. die Muskelpartie selbst leicht
geschwollen, zeigt aber sonst keine bedeutende Veränderung. Durch
eine kleine Einschnittöffnung findet sich im übrigen in dieser Depotstelle
noch ganz wenig absolut klare dlige Flüssigkeit. Fa
Die mikroskopische Untersuchung dieser Flüssigkeit, welche sich
als vollkommen steril erweist, ergibt jedwedes Fehlen zelliger Ele-
mie Selbst Leukocyten können nicht konstatiert werden. Es finden
sich aber
1. gelblichgraue, schollige, amorphe Gebilde, durchsetzt mit läng-
lichen, rhomboedrischen Krystallen, welche stark lichtbrechend und
' wasserhell sind; sodann sieht man weiterhin an vereinzelten Stellen in
diesen Schollen scharf abgegrenzte kleine graue bis schwarze Kugeln,
welche teils größer, teils kleiner sind,
9, von den eben beschriebenen Krystallen zahlreiche freie Exemplare,
9 yon den beschriebenen Kugeln ebenfalls eine große Anzahl freier
Exemplare, welche in der Größe schwanken.
Eine genaue Untersuchung des in 5%/oigem Formalin gehärteten
Unterschenkels zeigt, daß die gesamte Muskulatur stark entzündlich ver-
ändert ist, namentlich finden sich zwischen den einzelnen Muskelpartien
starke Ablagerungen von Anogon vor, ‘sodaß die Mukeln im Centrum
noch eine natärliche rote Farbe bewahrt haben, nach der Peripherie hin
jedoch wie mit einem gelblichgrauen Saum eingefaßt erscheinen. Das
Periost längs der Tibia ist grauglänzend verfärbt. Ein Strichpräparat
zeigt mikroskopisch die obenbeschriebenen kleinen Krystalle und eben-
falls kugelförmige kleinste Gebilde, welche aber nicht so scharf abgegrenzt
auftreten wie in dem dligen Depotrest. Im übrigen zeigt die gesamte
Muskulatur in ihrem Querschnitte mikroskopisch die Reduktionsvorgänge
in den Anogonablagerungen ebenfalls sehr deutlich. Der erwähnte graue
Saum weist sich bei stärkerer Vergrößerung als ein dichtes Konglomerat
metallischer Quecksilberkügelchen aus, welche von hier meist recht zahl-
reich in die tieferliegenden Gewebsschichten vordringen. Bemerkenswert
ist vielleicht noch der Umstand, daß die kugeligen Gebilde in ihrer starken
Menge durchweg besonders klein und fein auftreten. i
II. Mit Quecksilberbijodid.
i. Einer weißen Maus wird mittels einer Pravazspritze zwei
Teilstriche einer Suspension von Quecksilberbijodid 1:20 Oleum sesami
— 5 mg Quecksilberbijodid intramuskulär in den rechten hinteren Ober-
schenkel eingespritzt. Das Tier wird am andern Morgen tot in seinem
Behälter vorgefunden und die Sektion ergibt folgenden lokalen Böfund.
Nach Bloßlegung des Oberschenkels sieht man auch auf der Innen-
seite durch die Fascie deutlich unverändertes Quecksilberbijodid hindurch-
schimmern. An dieser Stelle ist der Oberschenkel wesentlich geschwollen
und ödematös. Blutgefäße stark injiziert. Die Extremität wird in toto
im Hüftgelenx exartikuliert und in 40/,ige Formalinlösung gelegt. An
der Einstichstelle selbst ist mit bloßem Auge keine Veränderung nach-
zuweisen, nur kann man an der Einstichstelle des Muskels eine nadel-
spitzengroße Sugillation noch konstatieren. An dieser Seite des Muskels
sieht man weiter keine entzündlichen Veränderungen, welche sich ledig-
lich auf die Depotstelle erstrecken, welche nach innen und oben gelegen
ist (schrägverlaufender Stichkanal).
9, Einer weißen Maus wird ein Teilstrich einer 1P/oigen Queck-
silberbijodidlösung in Sesamöl in den rechten hinteren Oberschenkel ein-
gespritzt. Nach 24 Stunden macht das Tier einen moribunden Eindruck,
zeigt sich aber gegen Abend wieder freßlustig und wird erst am andern
Morgen”tot in seinem Behälter vorgefunden. Die Sektion ergibt folgen-
den lokalen Befund.
Die betreffende Extremität ist etwas Ödematöds. Die Venen sind
sehr stark mit Blut gefüllt. Einstichstelle nicht mehr deutlich nach-
weisbar, doch findet sich an den Außenseiten des Unterschenkels eine
etwas verfärbte Partie, welche bis auf weiteres für die Depotstelle gelten
muß. Die Extremität wird im ganzen exartikuliert und in Formalin ge-
härtet, wobei die Depotstelle einstweilen intakt gelassen wird.
3. Einem Meerschweinchen werden 2,5 mg Hg Js = 2!/a Teil-
strich einer 1°/oigen Suspension in Sesamöl in den rechten hinteren
Unterschenkel injiziert. Ungestörter Verlauf. Sechs Tage, später wird
demselben Meerschweinchen 5 mg Hg Ja = 2'Ja Teilstrich einer 2 9/o igen
Suspension in Sesamöl in den linken hinteren Unterschenkel injiziert.
Verlauf ebenfalls ungestört. Nach weiteren vier Tagen wird -das Tier
durch Chloroform getötet und seziert.
Der lokale Befund ergibt am rechten Unterschenkel makroskopisch
keine Veränderungen, am linken Unterschenkel ist anscheinend die In-
jektionsstelle oberflächlich durch den Einstich noch etwas markiert; der
Befund muß jedoch als zweifelhaft bezeichnet werden. Sonst weiter
nichts zu bemerken. |
Bei all diesen Versuchen ergab die mikroskopische Untersuchung
keinerlei Aufschluß über das Verhalten des Quecksilberbijodid im Gewebe.
Während sich rein histologisch alle Stadien der Entzündung in verschiedenen
Bildern feststellen ließen, konnte man vom Quecksilberbijodid nur soviel
sehen, daß es entweder ganz unverändert in scheinbar amorphen Konglo-
meraten verschiedener Größe sich abgelagert hatte oder daß es aus den
Gewebsschichten verschwunden war, während diese selbst mehr oder
minder destruktive Vorgänge, durch die Entzündung bedingt, zur Schau
trugen. Speziell konnte nirgendwo etwas von metallischem Quecksilber
aufgefunden werden, trotzdem auch tiefer liegende Gewebsschichten,
welche intakt schienen, durchsucht wurden. Auch durch mikrochemische
Reaktion ließ sich in den Schnitten von intaktem Gewebe die Anwesen-
heit von Quecksilber nicht nachweisen, So 2. B. nach der Methode, welche
Justus beschrieben hat (Zinkchloridlösung und schweflige Säure).
Aus den Befunden der Anogonversuche geht ohne Zweifel
hervor, daß bei der Methode, das Anogon intramuskulär dem Or-
ganismus zuzuführen, eine Depotbildung stattfindet und daß zu-
gleich damit auch schon ein Abbau der Quecksilberverbindung ein-
geleitet wird. Weiterhin läßt sich sagen, daß die Resorption ziem-
lich flott eingeleitet wird, denn nach zwölf Stunden ist sie schon
im Gange. Von Anfang an ist die Leukoeytenzone, welche als ein
Hauptfaktor der Depotbildung angesehen werden muß, nur schmal,
nebenbei auch ein Beweis, daß der Reiz, welchen die Injektion
verursacht, kein erheblicher sein kann. Schon nach 24 Stunden
ist sie durchbrochen, und man findet metallisches Quecksilber in
den tieferen Schichten vor, welche keine Läsionen zeigen, auch
keine entzündlichen Veränderungen. Irgend ein Reiz von Belang
kann also in diesen Schichten überhaupt nicht mehr stattfinden.
Der Chemismus, der Platz greift, nachdem das Anogon zu
den Körperflüssigkeiten in Beziehung getreten ist, muß dem vorher
bereits geschilderten in seinen wichtigeren Momenten analog sein.
Auch bei der Injektion kommt es zunächst zu Jodabspaltungen
und zur Bildung einfacher Quecksilberverbindungen, die im wesent-
lichen wohl als Quecksilberjodür zutage treten, um sich langsam in
Jodid umzusetzen. Schließlich endigen sie als Jodalkali und me-
tallisches Quecksilber. Wie dies geschieht, entzieht sich aller-
dings direkt der Beobachtung. Man muß aber die Krystallbil-
dungen als Jodverbindungen auffassen, wenn auch nicht als Jod-
alkali, welches, wenn bereits vorhanden, wohl in gelöstem Zustand
anwesend sein wird. Die geschilderten Krystallnadeln werden wohl
eine Zwischenstufe in Form einer noch etwas komplizierteren Jod-
verbindung darstellen. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß es
sich etwa um dijodoxybenzolparasulfosaures Natrium respektive
Kalium handelt, zumal sich der Beweis erbringen läßt, dab die
Krystalle direkt aus dem Anogon hervorschießen. Die Körnchen
und kugeligen Gebilde sind ohne Zweifel als metallisches Queck-
silber aufzufassen. Sie treten in verschiedener Größe auf, sind
aber stets sehr klein, sodaß im allgemeinen in der Größe 1/10 des
Durchmessers roter Blutkörperchen nicht überschritten wird, sondern
meist der Durchmesser als ein kleinerer geschätzt werden muĝ.
Bei den relativ größeren Gebilden läßt sich eine eigenartige Struk-
tur feststellen in Form von konzentrischen Ringen von abwech-
selnd heller und dunkler Farbe. Hier und da kann man bei An-
wendung sehr scharfer Vergrößerungen ein Bild erhalten, welches
dem einer Schießscheibe durchaus ähnlich ist.
‚Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, daß diese kugeligen
Gebilde in noch nicht zersetztem Quecksilberoxydul suspendiert sind.
Versetzt man nämlich Blutserum mit Anogon, bringt das Eiweiß zuf
Gerinnung und filtriert vom Niederschlag ab, so läßt sich im Filtrat durch
Reduktion mit Stannochloridlösung ein grauer Niederschlag von metal-
lischem Hg erzielen, der das nämliche mikroskopische Bild zeigt
An dieser Stelle muß man daran erinnern, daß bei dem Ver-
such mit Quecksilberbijodid sich diese kugeligen Gebilde nicht
konstatieren ließen.
Vergleichende Versuche mit andern Präparaten konnten nicht ge-
‚macht werden, da sich der Gang der Untersuchung auf J odquecksilber-
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verbindungen zu erstrecken hatte und in dieser Richtung kaum Präparate |
vorlagen, die hätten in Betracht gezogen werden können.
Anders gestaltet sich die Frage, wenn man sich darüber
klar wird, daß die auftretenden kugeligen Gebilde das metallische
Quecksilber in einer Art kolloidalen Zustandes repräsentieren, daß
also eine kolloidale Quecksilberlösung vorliegt, wodurch, wie hier
bereits bemerkt werden kann, die Giftigkeit herabgesetzt werden
wird, wenn man daran denkt, daß, ganz allgemein genommen,
Metallverbindungen durch Ueberführung in den kolloidalen Zu-
stand oder in ein kolloidales Milieu an Giftigkeit einbüßen. Wenn
man aber im Auge behält, daß bei den kugeligen Gebilden ein
kolloidaler Zustand vorliegt, so kann man durch Vergleich mit
andern Präparaten, die ebenfalls das Metall in kolloidaler Ver-
teilung enthalten, weitere Aufschlüsse über die Art und Weise
gewinnen, wie das aus dem Anogon gebildete kolloidale Queck-
silber sich verhält.
Es kann hier an dieser Stelle auch nur auf ein Präparat eingegangen
werden, welches aber einen recht intensiven Vergleich gestattet, nämlich
auf das Oleum cinereum. Auch im grauen Oel findet man bei mikro-
skopischer Untersuchung das metallische Quecksilber in Form feinster
Kügelchen, und man hat von der Feinheit dieser Kügelchen die Verträg-
lichkeit des Präparats abhängig gemacht. Emery und Dusminil haben
ganz verschiedene Wirkungen beobachtet. Wird die „Extinktion des Hg“
durch ein- bis zweitagelange Verreibung bis zu der Grenze getrieben,
daß bei 200facher Vergrößerung kaum noch die Kügelchen sichtbar sind,
so wirkt es auf die Lues außerordentlich stark, aber auch stark toxisch.
Dosen von 0,05 reinen Quecksilbers sind ohne Gefahren nicht anwendbar.
Es erzeugt aber keine lokale Infiltration, dagegen lokalen Schmerz. Letz-
terer ist geringer bei weniger weit getriebener Extinktion, aber die Wir-
kung ist dann weniger leicht zu berechnen, da die Resorption nicht so
gleichmäßig ist. Am besten sowohl in der therapeutischen Wirkung als
auch in der Erträglichkeit scheint ein graues Oel zu sein, dessen Kügel-
chen !/4 bis Y/ıo des Durchmessers roter Blutkörperchen an Durchmesser
entsprechen.
Treten diese Beobachtungen in Beziehung zu dem über
Anogon erzielten mikroskopischen Ergebnis, so müßte die Wirkung
des hier abgespaltenen Hg eine außerordentlich starke sein, wenn
man die Kleinheit der Kügeichen ins Auge faßt, welche die nach
äußerster Extinktion des Hg womöglich noch übertrifft. Trotzdem
ist die Wirkung, wie das Experiment beweist, nicht so toxisch,
daß sie dem Organismus gefährlich wird. Ueber diesen Punkt
werden sich noch später einige Erklärungen ergeben.
Ueber die lokalen Veränderungen nach Injektion unlöslicher Queck-
silberpräparate im allgemeinen, insbesondere des grauen Oels findet sich
unter anderem eine Arbeit von M. Dohi vor, der Tierversuche anstellte
im Anschluß an die histologischen Untersuchungen einer Injektionsstelle
eines an einer Quecksilberenteritis verstorbenen Mädchens. Seine Be-
funde waren ähnlich wie beim Menschen, aber doch unter Vorbehalt mit
den beim Menschen vergleichbar. Aus seinen Versuchen geht dann
weiterhin hervor, daß die Bildung von größeren Einschmelzungen und
Nekrosen als etwas Ungünstiges anzusehen ist, daß ferner das graue Oel
einerseits eine längere Zeit im Gewebe liegen bleibt, anderseits eine viel
geringere Wirkung auf das Gewebe als Kalomel ausübt. Der Chemismus
beim Anogon gestaltet sich wesentlich anders, indem von einem längeren
Aufenthalt im Gewebe nur ausnahmsweise die Rede sein kann und damit
die Bildung von Nekrosen ausgeschlossen erscheint. Auch was den Ver-
gleich mit den Tierversuchen angeht wird man im dieser Beziehung sagen
können, daß beim Anogon in dem menschlichen Gewebe der Chemismus
wohl analog dem geschilderten verläuft, da er im wesentlichen von der
Alkaleszenz abhängig ist und dieser zufolge gewiß nur in recht engen
Grenzen oder auch nur in labilen Zwischenstadien variiert. (Schluß folgt.)
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der habituellen Obstipation
von
Dr. Max Kahane, Wien.
Allgemeines. Ein richtiges Verständnis des Wesens der
habituellen Obstipation läßt sich nur durch Betrachtung der nor-
malen Verhältnisse der Stuhlentleerung gewinnen. Die Norm be-
steht darin, daß alle 24 Stunden einmal, in der Regel nach dem
Erwachen, eine ausreichende Entleerung ohne stärkere Anstren-
gung erfolgt, der Stuhl eine plastische Konsistenz zeigt und sich
nach der Entleerung ein behagliches Gefühl einstellt. Obstipation
liegt vor, wenn die Stuhlentleerung in größeren, mehrtägigen, even-
tuell unregelmäßigen Intervallen erfolgt, wenn die Stuhlentleerung
unzureichend ist, das heißt ein Teil der Faeces im Darme zurück-
bleibt, ferner die Absetzung des Stuhles unter angestrengter Ak-
tion der Bauchpresse erfolgt, der Stuhl selbst harte Konsistenz
zeigt und nach dem Absetzen des Stuhles das behagliche Gefühl
der Erleichterung ausbleibt. Bloße Vergrößerung des Intervalls
der Stuhlentleerungen ist noch nicht als Obstipation aufzufassen,
während anderseits auch bei täglicher Entleerung Obstipation be-
stehen kann, wenn die Entleerung unzureichend ist. Bestehen von
Diarrhöe spricht nicht unbedingt gegen Obstipation, weil gerade
bei mächtiger Anhäufung stagnierender Kotmassen infolge der
Reizung der Darmschleimhaut Diarrhoe auftreten kann.
Die Diagnose der habituellen Obstipation stützt sich auf die
anamnestischen Angaben, wenn diese genügend sorgfältig fest-
gestellt sind und der Patient selbst verläßlich ist, sowie auf die
Ergebnisse der Untersuchung des Abdomens, speziell des Nach-
weises harter Kotmassen im Diekdarme durch Palpation von außen
her oder direkte Untersuchung.
Nach der Diagnose der Obstipation und vor Einleitung der
Therapie ist festzustellen, ob passagere oder habituelle Obstipation
vorliegt, im letzteren Fall, ob die Obstipation kongenital, eventuell
hereditär oder erworben ist. Weiter ist danach zu forschen, ob
die Obstipation sekundär, das heißt durch ein Grundleiden bedingt
oder primär ist, beziehungsweise im Vordergrunde des Krankheits-
bildes steht. Für die einzuschlagende Therapie ist auch die
Unterscheidung zwischen atonischer und spastischer Obstipation
von Wichtigkeit, das heißt ob die Störung der Stuhlentleerung
nur auf Schwäche der Darmmuskulatur zurückzuführen ist oder
ob auch ein partieller Krampf der Darmmuskulatur ein Hindernis
der Entleerung darstellt. Die Existenz der spastischen Obstipation
kann. als sichergestellt betrachtet werden, doch bestehen meist
Atonie und Spasmus gleichzeitig. In jüngster Zeit ist auch auf
den Unterschied zwischen Stuhlmangel und Stuhlträgheit hin-
gewiesen worden, wobei der Stuhlmangel dadurch charakterisiert
a a a a m ss En —
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und konsekutive
sein soll, daß zu wenig Stuhl produziert wird. Diese Unterschei-
dung hat geringeres praktisches Interesse, da bei der habituellen
Obstipation die Stuhlträgheit im Vordergrunde steht.
Zu berücksichtigen ist die hochgradige Disposition des weib-
lichen Geschlechts für habituelle Obstipation, das Vorwiegen bei
Personen mit hauptsächlich geistiger Tätigkeit und geringer
Körperbewegung, sowie die Förderung der Obstipation durch un-
regelmäßige Lebensweise, unzweckmäßige Ernährung, besonders durch
unrichtige Erziehung im Kindesalter.
Vieles spricht dafür, daß mangelhafte Entwicklung
mangelhafte motorische Leistungsfähigkeit
der Ringmuskulatur des Dieckdarms die reale Grundlage der kon-
genitalen und habituellen Obstipation bilden, ferner auch Knickungen
des Diekdarmrohrs zum Teil mit abnormer Länge der Mesenterien
zusammenhängend, Obstipation begünstigen. Die Therapie kann nur
dann auf Erfolg rechnen, wenn sie auf einer ganz genauen Ana-
lyse der vorliegenden Funktionsstörung — durch sorgfältige
Anamnese und Untersuchung erhalten — basiert und den indivi-
duellen Verhältnissen des vorliegenden Falles nach jeder Richtung
zu entsprechen trachtet.
Die wichtigsten physikalischen Heilmethoden der habituellen
Obstipation sind: Elektrotherapie, Massage und Heilgymnastik.
Elektrotherapie. Es wird die Anwendung des faradischen
Stroms bevorzugt. Große Plattenelektrode stabil auf das Epi-
gastrium, Rolle oder Kugel labil über das Abdomen, wobei auch
die Unterbauch- und Flankenregion einbezogen wird. Der Strom
soll deutliche, aber nicht peinlich empfundene Contractionen der
Bauchmuskeln auslösen. Dauer der Einzelsitzung: 12 bis 15 Mi-
nuten. Es empfiehlt sich besonders, die dem Dickdarm ent-
sprechende Region vom Coecum bis zum S-Romanum der Einwirkung
des faradischen Stroms auszusetzen. In schwereren Fällen muß
die Faradisation durch vier bis sechs Wochen zunächst täglich,
dann mindestens drei- bis viermal wöchentlich ausgeführt werden.
Weniger gebräuchlich ist die Galvanisation des Abdomens,
größere Plattenelektrode als Anode stabil auf das Epigastrium,
Knopfkathode labil auf das ganze Abdomen, insbesondere dem Ver-
laufe des Dickdarms entsprechend. Sitzungsdauer zirka 10 Mi-
nuten, Stromstärke 3 bis 4 Milliampdre, gelegentliche Stromwen-
dung, zunächst täglich, dann drei- bis viermal wöchentlich, even-
tuell mit Faradisation alternierend.
Es kann auch die gleichzeitige Anwendung des galvanischen
und faradischen Stroms in Form der Galvanofaradisation nach den
gleichen Grundsätzen durchgeführt werden.
Seltener als die bisher angeführten perkutanen Methoden
der Elektrotherapie findet die innere Galvanisation Anwendung,
wobei der eine Pol in Sondenform nach Einfettung möglichst tief
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in den Mastdarm eingeführt, bei spastischer Obstipation als Anode,
bei atonischer Obstipation als Kathode, das Rectum mittels Spritze
oder Irrigator mit lauwarmem Wasser gefüllt, der indifferente Pol
als Plattenelektrode auf die Haut des Abdomens gesetzt und ein
Strom von 3 bis 4 Milliampere durch 5 bis 6 Minuten durch-
geleitet wird. Diese Methode eignet sich gut für die Behandlung
der spastischen Obstipation. Zur Vermeidung einer Aetzwirkung
ist für Füllung des Mastdarms mit lauwarmem Wasser zu sorgen.
Auf gleiche Weise wird auch die innere Faradisation des Darmes
durchgeführt.
_ Mechanotherapie (manuelle und instrumentelle Massage und
Heilgymnastik),. Zweck: Kräftigung der Bauchmuskulatur, der
Darmmuskulatur, Förderung des Kreislaufs und der Sekretions-
vorgänge.
Manuelle Massage — am besten vom Arzte selbst oder
unter strenger ärztlicher Kontrolle auszuführen.
Angriffspunkte: Bauchdecken, Bauchmuskeln und Dick-
darm. Knetungen, Streichungen, Klopfungen, Erschütterungen —
anfangs leichter, später kräftiger. Uebermäßige Kraftanwendung
ist zu vermeiden. Die Massage wird am besten morgens nach
dem Erwachen durchgeführt. Sitzungsdauer: 5 bis 15 Minuten,
täglich durch vier bis sechs Wochen. Bei der spastischen Form
der Obstipation ist die Stelle des Krampfes Angriffispunkt der Be-
handlung; in diesen Fällen nur Streichungen und leichte Klopfung
ar Erschütterung, energisches Zugreifen nicht an-
gezeigt. |
Sehr empfehlenswert: Erstreckung der Massage auch auf die
unteren Brustmuskeln.
Instrumentelle Massage. Die Vibrationsmassage mit
Hilfe eines stabilen, elektrischen Motors, wodurch allein eine
genaue Regulierung der Stärke ermöglicht wird, ist ein wertvoller,
der manuellen Massage an Wirksamkeit überlegener Heilbehelf bei
habitueller Obstipation. Als Ansatzstück wird die Kugel oder
eine der Krümmung des Abdomens angepaßte länglich - schmale
Platte verwendet. Sitzungsdauer: 4 bis 6 Minuten, gleichmäßige
Einwirkung namentlich dem ganzen Dickdarmverlauf entsprechend,
Die sogenannte Selbstmassage mit rollender Kugel wenig emp-
fehlenswert.
Manuelle beziehungsweise maschinelle Massage
werden am besten unmittelbar mit der Faradisation des Abdomens
kombiniert — zuerst Massage, dann unmittelbar anschließend
Faradisation. Kombination von Vibrationsmassage und Faradisa-
tion bewährt sich auch bei sehr inveterierten Formen der habi-
tuellen Obstipation. Nicht zu verwechseln mit Elektromassage,
die an Wirkung der Kombination von Elektrizität und Massage
nicht gleichkommt. (Schluß folgt.)
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin,
UVebersichtsreferate.
Balneologie und Klimatologie
von Dr. Peusquens, Köln.
Die hydropathische Reaktionsfähigkeit beurteilt Dalmaty (1)
auf folgende Weise: Er versucht die Geschwindigkeitsänderung der
Capillareirculation abzuschätzen, indem er die Zeit beobachtet, in
welcher ein durch Fingerdruck erzeugter blasser Fleck von zirka
1 cm Durchmesser verschwindet. Die vor und nach der Prozedur
erhaltenen Werte differieren um so stärker, je ausgeprägter die Re-
aktion, je größer die Reaktionsfähigkeit des Individuums ist. Das
Verfahren ist einfach und beim Verordnen und bei der Leitung
einer Kaltwasserkur leicht anzuwenden.
Seine Versuchsergebnisse über die Wirkung Kohlensäure-
bäder auf Bluteireulation und Herzarbeit bei Gesunden faßt.
Skorczewski (2) folgendermaßen zusammen: 1. Hautreizung unter
der Wirkung von COz in sämtlichen Gasbädern; in wärmeren
Bädern stärker als in kühleren; nach Entfernung von CO? nur
schwach. 2. Schwankende Beeinflussung des palpatorischen Drucks
bei Bädern von 240 und 27° mit einer gewissen Tendenz zur
Herabsetzung. Zunahme des Drucks bei 200 R. Die Wasserbäder
verhalten sich ähnlich. 3. Dieselben Ergebnisse von Messung des
systolischen Oseillationsdrucks. 4. Unverhältnismäßig schwache
Herabsetzung des diastolischen Drucks, als specifische Gasbäder-
wirkung. 5. Herabsetzung der Pulsfrequenz mit Abnahme der
Bäderwärme größer, Zunahme der Pulsfrequenz schon bei 300 R,
6. Wechselndes Verhalten der Atmungsfrequenz gewöhnlich mit
verlängertem Inspirium und tieferer Respiration verbunden.
Die Untersuchungen bei Kranken ergaben folgendes: 1. Herab-
setzung des Palpationsdrucks bei Bädern von 280 bis 300 R.
9. Geringe Zunahme des Palpationsdrucks bei kühleren Bädern.
3. Bei zwei Kranken mit Herzmuskelinsuffizienz, Oedemen und
atheromatösen Veränderungen Steigerung des Drucks bei indiffe-
renten und wärmeren Bädern. 4. Aehnliche Ergebnisse bei Messung
des systolischen Oseillationsdrucks. 5. Geringe Herabsetzung des
diastolischen Oseillationsdrucks. 6. Je nach der Erschöpfung des
Herzmuskels keine Pulszahlabnahme bei kühleren, und stärkere
Zunahme bei wärmeren Bädern. 7. Pulszunahme und dadurch
sowohl wie durch Druckherabsetzung bedingte Veränderungen im
Puiskurvenbilde. 8. Vertiefung der Atmung. 9. Dadurch be-
dingte Abnahme der Cyanose und Atemnot. 10. Verkleinerung
der Herzdämpfung. 11. Zunahme der Herzarbeit im indifferenten
wärmeren Bade,
Vergleicht man die Zusammenstellung der Ergebnisse mit
denjenigen an Gesunden, so findet man deutlich ausgesprochene
Unterschiede in der Reaktion des Herzens auf den Reiz, welchen
das Kohlensäurebad auf das kranke Herz ausübt.
Fleißig (8) empfiehlt als Badezusatz Ozofluin. Auszüge
der zerkleinerten Pflanzenteile, der Kiefernadeln usw. werden im
Vakuum zur Trockne eingedampft, die dabei entweichenden flüch-
tigen ätherischen Substanzen werden aufgefangen und mit dem ein-
getrockneten Extrakt wieder vereinigt. Dem trockenen Extrakt
werden geeignete, unschädliche fluorescierende Farbstoffe zugesetzt.
An einem Hunde, der nach Pankreasexstirpation längere Zeit
am Leben und bei im übrigen ungestörtem Befinden diabetisch ist,
hat Boruttau (4) Versuche über die Beeinflussung der Zucker-
ausscheidung und des gesamten Stoffwechsels durch Ernährung,
Medikamente usw. angestellt, und suchte zu eruieren, ob eine
positive Einwirkung getrunkenen Mineralwassers dort stattfindet,
wo bereits eine strenge Diät die Zuckerausscheidung günstig be-
einflußt. Verfasser wählte für seine Versuche den Hersfelder
Lullusbrunnen, ein kräftig alkalisch-sulfatisches Wasser. Nach
seinen Ergebnissen scheint ihm die Möglichkeit nachgewiesen,
durch Einverleibung natürlich-alkalisch-sulfatischen Mineralwassers
die Zuckerausscheidung beim Pankreasdiabetes herabzusetzen. Auch
Versuche an Patienten sprechen dafür, daß der Aufnahme al-
kalisch-sulfatischen Mineralwassers als solches eine die Zucker-
ausscheidung herabsetzende Wirkung zukommen kann, speziell bei
den leichteren Formen des Diabetes und als Unterstützung einer
gleichzeitigen Diätkur.
An elf Patienten hat Liehtwitz (5) insgesamt 97 Sand-
bäder auf ihre Wirkung beobachtet, und zwar auf Pulsfrequenz,
Temperatur, Körpergewicht, Blutdruck und zum Teil Menge des
ausgeschiedenen Urins an den Sandbadetagen im Vergleich zu den
badefreien Zwischentagen. Das Sandbad erzeugt ein künstliches
Fieber, mit dem Durchschnitt einer Temperaturerhöhung von 1,
und einer Pulsbeschleunigung bis zu 120 Schlägen in der Minute,
eine Blutdruckerniedrigung, welehe auch bei anfangs erheblich er-
höhtem Blutdruck noch längere Zeit nach einer Sandbadekur kon-
statiert werden kann, eine starke Transpiration, welche sich In
verminderter Diurese und bedeutendem Gewichtsverlust bei jedem
einzelnen Bade zu erkennen gibt und eine auffallende allgemeine
Hyperämie. Das Sandbad bewirkt bei sachgemäßer Bereitung und
entsprechender Verordnung keinerlei Schädigung des Gesamtorga-
nismus und ist ein kräftiger Faktor der physikalischen Therapie,
besonders für Arthritis urica, Arthritis rheumatica, acuta sub-
acuta, chronica und deformans; ferner für neuralgische und gich-
tische Ischias, für chronische Nephritis, für Fälle, bei denen emê
Resorption oder Ausscheidung chronischer Exsudate oder tozisch
wirkender Stoffe angestrebt werden muß, parametritischer Exsudate,
Intoxicatio saturnina und mercurialis. ,
Lenkei (6) hat Versuche angestellt, um einige Unterschiede
zwischen der Wirkung von Wannen- und Freibädern ursächlich zu
ergründen. Er kommt zu dem Schlusse, daß der Organismus sich
in und nach dem Seebad im allgemeinen und besonders in bezug
auf das Verhalten der muskel- und contractionsfähigen Elemente
der Haut und der oberflächlichen Blutgefäße so verhält, als wenn
derselbe in diesem durch einen geringeren Kältereiz getrofien
würde, als der Temperatur des Wassers entspricht, und daß er
seinen Wärmeverlust nach dem Seebad schneller und vormittels
geringerer Muskelaktion ersetzt, als nach dem Wannenbad. Dies®
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abweichende mildere Wirkung des Freibads wird in erster Reihe
durch die in demselben mitwirkende stärkere Bestrahlung des
Körpers hervorgerufen. Unter den andern mitspielenden äußeren
Faktoren hat darauf auch die im Freibad ausgiebigere Körper-
bewegung einen nachweisbaren Einfluß. Diese beiden Faktoren be-
wirken, daß die oberflächlichen Capillaren sich im Freibad in ge-
ringerem Maße kontrahieren. Die Wärmezufuhr durch Bestrahlung
bewirkt auch, daß der Körper endgültig weniger abgekühlt wird,
als nach dem Wannenbad. Die Haut wird im Freibad infolge der
regeren Blutströmung in demselben geringer abgekühlt, der
Badende fühlt daher in diesem auch die Kälte in geringerem Maße.
Da dabei die oberflächlichen Nervenendigungen im Freibad einem
geringeren Kältereiz ausgesetzt sind, werden auch jene Funktionen
(Stoffwechsel usw.), welche durch diesen angeregt werden, in und
nach diesem Bade gesteigert. Dies ist der Grund, daß der Orga-
nismus durch das Freibad im Vergleich zum Wannenbad — ce-
teris paribus — weniger gereizt und in minderem Maße er-
schöpft wird.
Entgegen der Ansicht anderer Autoren, die aus ihren Fest-
stellungen den Schluß ziehen, daß die Seeluft praktisch salzfrei
sei, jedenfalls den in ihr enthaltenen Salzspuren keine physiolo-
gische Wirkung beigemessen werden könne, glaubt Heubner (7),
daß den in der Seeluft enthaltenen Salzen eine physiologische
Wirkung zugeschrieben werden muß.
Unter den Wirkungen der Seereise auf den Organismus
nennt Zuntz (8) die Erweiterung der Baucheingeweideblutgefäße,
die in mäßigerem Grade zu energischerer Tätigkeit des Ver-
dauungsapparats, und damit zu den günstigen Wirkungen auf die
Verdauung führt. Eine notwendige Folge des reichlicheren Blut-
zuflusses zu den Baucheingeweiden und des dadurch erniedrigten
Blutdrucks ist die schwächere Blutversorgung des Gehirns, welche
ihren charakteristischen Ausdruck bei sehr vielen Menschen in dem
Bedürfnis nach horizontaler Lage findet, häufig auch ein ge-
steigertes Verlangen nach Ruhe bedingt, die gerade bei den Ner-
vösen zu den wesentlichen Heilfaktoren der Seereise zählt. Eine
weitere wohlbegründete Indikation zu längeren Seefahrten bietet
ferner der erhöhte Blutdruck, wie er bei den Anfängen der Arterio-
sklerose, bei der Schrumpfniere und ähnlichen Krankheiten be-
steht. Asthmatische, ferner Menschen, die an Heufieber und ähn-
lichen reflektorischen Störungen im Bronchialapparate leiden, fühlen
sich auf dem Meere besonders wohl. Zu alledem kommt für nervös
überarbeitete oder aus andern Gründen einer Entfernung aus ihren
Berufsgeschäften bedürftigen Menschen die außerordentlich wohl-
tuende Wirkung der neuen Umgebung, der eigenartig interessante
und doch unter normalen Umständen wenig aufregende Eindruck,
welchen die Seefahrt naturgemäß bringt.
Als ein ‘ausgezeichnetes Mittel gegen die Seekrankheit emp-
fehlt übrigens Citron (9) das Veronalnatrium, und zwar in Form
von Suppositorien 0,5 pro dosi. Neben der Sicherheit der Wirkung
betont er vor allem die Schnelligkeit des Eintritts.
Die Hauptunterschiede funktioneller Art zwischen Farbigen
und Weißen in den Tropenländern sind, wie Däubler (10) aus-
führt, fast nur: 1. die hohe Abnahme der Arbeitsfähigkeit des
Europäers, 2. die Schwierigkeit der physikalischen Wärmeregulierung,
3. die Abmagerung bei Europäern, 4. die allmählich eintretende
geistige und körperliche Degeneration in den Tropen geborener,
reiner Europäer, am deutlichsten hervortretend von der dritten
Generation an, ohne Zufluß frischen europäischen Bluts. Beim
gesunden farbigen Tropenbewohner ist von diesen Zuständen nichts
zu bemerken. Zur Erklärung dieser größtenteils funktionellen
Veränderungen des europäischen Organismus im Tropenklima führt
Verfasser folgendes aus: Das Zustandekommen der Hyperthermie
ist abhängig von einer Alteration der Wärmecentren im Gehirn,
von für das Wärmecentrum ungewohnten starken Reizen. Als ein
solcher für den Europäer in den Tropen ungewohnter Reiz ist der
erhöhte permanente Wärmereiz anzusehen. Die schwarze Haut
besitzt außer dem Pigmentschutz gegen strahlende Wärme noch
einen ebenso bedeutsamen, mächtigen Schutz in ihrem Schweiß-
drüsenapparate, der von dem der weißen Haut sich anatomisch
wesentlich unterscheidet. Besonders auffällige Unterschiede bieten
die Haarbalg- oder Talgdrüsen der schwarzen Haut im Vergleich
zur weißen. Gerade die nervös bedingte, mangelhafte physika-
lische Wärmeregulierung des Europäers in den Tropen ist als
das hauptsächlichste Hindernis seiner völligen Akklimatisierung
anzusehen,
Entgegen der Ansicht, daß die Wirkungen der Tropensonne
auf den menschlichen Organismus dem Einfluß der chemisch aktiven
und der Lichtstrahlen zugeschrieben werden müssen (aktinische
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Theorie), ist Aron (11) der Ansicht, daß besonders die akuten
Wirkungen der tropischen Sonne in erster Linie auf die Wärme-
strahlen zurückgeführt werden müssen, also als thermische Wir-
kung anzusehen sind (kalorische Theorie), Verfasser hat eine
Reihe von Temperaturmessungen sowohl unter der Haut, wie rectal
bei Kaninchen, Hunden und Affen vorgenommen. Während Ka-
ninchen und Hunde durch Wasserverdampfung sich Abkühlung
verschaffen konnten, ist dies beim Affen fast gar nicht der Fall.
Es zeigt sich, daß ein kräftiger Affe, dessen Heimat doch die
Tropen sind, in 70 bis 80 Minuten der Sonne erliegt, wenn er an
einer langen Kette auf einem sonnigen Platze festgemacht wird,
selbst in der kühlsten Tageszeit. Wird ein Affe der Sonne aus-
gesetzt, aber zu gleicher Zeit ein Luftstrom mittels Ventilator
über das Tier geblasen, so bleibt der Affe gesund, während ein
Kontrollaffe außerhalb des Bereiches des Luftstroms in 58 Minuten
einging. Wird nur der Kopf des Affen bestrahlt, der Körper da-
gegen durch zwei Kisten vor den Strahlen geschützt, dann blieb
das Tier ebenfalls gesund. Also lokale Erwärmung hat keine
nachteiligen Folgen, solange es im Körper nicht zur Wärmestauung
kommt. Was den Einfluß der Sonnenstrahlen auf den Menschen
angeht, so glaubt Verfasser, daß die Hauttemperatur der Farbigen
(Malayen) in der Sonne nicht die gleiche Höhe erreicht, wie die
Hauttemperatur der Weißen. Er erklärt sich das so: Die dunkle
Haut absorbiert zwar anfänglich mehr Wärme als die weiße und
wird dadurch wärmer. Infolge dieser schnelleren Erwärmung
treten aber die Schweißdrüsen rascher in Tätigkeit und durch die
früher als auf der weißen Haut einsetzende Schweißsekretion. ver-
liert die dunkle Haut Wärme durch Wasserverdampfung.
An einigen 30 Fällen von Blutkrankheiten, die sämtlich
durch mehr als zwei Monate in Beobachtung blieben, hat Widmer (12)
die Beeinflussung durch das Hochgebirge studiert. Das Hoch-
gebirge, respektive sein Sonnenlicht, ist für die Neubildung: des
Bluts, beziehungsweise Häufung des Hb.-Gehalts ein ungleich
mächtigeres Stimulans als die chemischen Mittel. Bei größter
Aehnlichkeit dieses Heilungsverlaufs mit demjenigen bei der Eisen-
therapie steht hier die Mitbeteiligung der Epidermis besonders im
Vordergrund. Zum Verarbeiten des Reizes des Hochgebirges
braucht aber die Haut die atmosphärische Berührung, vor allem
das Licht, denn wenn der Haut nicht reichlich Gelegenheit ge-
geben wird, die atmosphärische Berührung zu genießen, dann er-
fährt der Körper durch den Hochgebirgsreiz Schaden und Verlust.
Während bei den Chlorotischen, die sich dauernd im Freien, auf-
gehalten haben, sowohl subjektiv wie objektiv eine erhebliche
Besserung vom Verfasser konstatiert werden konnte, sah er hei
notorisch chlorotischen Mädchen des Hotelpersonals nach 40 Tagen
nur noch in einem Falle die ursprünglichen Blutwerte. Bei 16
hiervon war das Körpergewicht zum Teil bedeutend gefallen,. Das
Eingeschlossensein bei einer durch ihre Eintönigkeit anstrengenden
und meist ungewohnten Arbeit störte und hinderte die Akklimati-
sation und die durch den Hochgebirgsreiz mobil gemachten Energien
(vermehrteBlutkörperchenzahl, erhöhte Capillartätigkeit und Osmose)
gelangen nicht zur Verwendung, sondern kommen in Verlust. Ver-
fasser illustriert seine Ausführungen durch die genaue Angabe
über Erythrocyten, Hb.-Gehalt und Körpergewicht bei 9 Kurgast-
patienten und 18 Hotelangestellten und zeigt auch den günstigen
Einfluß der Heliotherapie bei einem Falle von Leukämie und einem
Falle von Ankylostomumanämie. | m
Die guten therapeutischen Erfolge mit Sonnenlicht-
bestrahlung beichirurgischer Tuberkulosesind, wieJerusalem (13)
ausführt, zurückzuführen einmal auf die rationelle Allgemein-
behandlung, besonders die Mastkur, dann zweitens kommt die
tonisierende Wirkung der Höhenluft, speziell ihr Ozon und viel-
leicht auch ihr Radiumgehalt, in Betracht, und drittens ist es
hauptsächlich die Wirkung der Sonnenbestrahlung selbst. Als
lokale Wirkung der Heliotropie ist zunächst die Erzeugung von
aktiver Hyperämie zu erwähnen, ferner die bactericide Wirkung.
Eine gewisse Rolle spielt besonders bei sezernierenden Wundflächen
die rasche direkte Verdunstung des Sekrets, die durch keinen Ver-
band gehindert wird. Außerdem soll durch die Sonnenstrahlen die
Bildung von Fibroblasten angeregt werden. Nicht unwahrschein-
lich ist auch die Pigmentbildung, die Rollier geradezu als Maß
für die Widerstandskraft des Patienten betrachtet. Was die Tiefen-
wirkung der Sonnenstrahlen angeht, so läßt sich wohl nicht an-
nehmen, daß Knochen- und Gelenkherde direkt von den Sonnen-
strahlen beeinflußt werden. Es muß vielmehr angenommen werden,
daß die klimatische und Sonnenlichtbehandlung dem Organismus
im allgemeinen sowie auch die erkrankte Partie selbst derart
günstig beeinflußt, daß die Infektion, welcher der Kranke sonst
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erlegen wäre, überwunden werden kann. Was hierbei lokale
Hyperämie, was bactericide physikalische und chemische Wirkung
der Sonnenstrahlen, was die tonisierende Wirkung der Höhenluft,
was die Mastkur dabei leistet, läßt sich wohl kaum scharf aus-
einanderhalten; Tatsache ist, daß die Heilungsresultate über-
raschend, oft geradezu verblüffend sind.
Widmer (14) schildert den Verlauf einer größeren Sport-
tour mit Untrainierten im Winter mit ihren „Zufällen“ und Un-
annehmlichkeiten und bespricht die Rolle der Psyche bei der
Bergkrankheit und den psychischen Faktor bei Steigermüdungen.
Zuerst wird der losehaftende, oberflächliche Bewußtseinsinhalt
eingeengt; durch Bewältigung des Niveauunterschieds werden
gleichsam zwiebelschalenartig die Vorstellungskomplexe nachein-
ander losgelöst. Tätigkeitsdrang, Vielgeschäftigkeit sind Zeichen
weggefallener Hemmungen. Ueberlegungen und Schlüsse, die
gestern noch hinderten Einfälle und Gefühle zu äußern, sind heute
vergessen, das Ichgefühl ist dadurch gesteigert, die Wünsche,
durch die Großartigkeit der Natur aufgestachelt, bekommen freiere
Bahn, je höher man steigt. Sehr bald beginnt auch das Gedächtnis
zu leiden. Eine sukzessive Entblößung des individuellen Sexual-
begriffs geht unter dem Einfluß des Hochgebirges vor sich. Aus
den Experimenten, die Verfasser über die Ermüdung angestellt
hat, ergibt sich die Schlußfolgerung, daß der rapid einsetzenden
Anfangsermüdung, die praktisch die einzige in Betracht fallende
ist, regelmäßig eine Erholung folgt, die relativ lange andauert.
Selbst die vollkommenste körperliche Ruhe bringt höchst auf-
fallenderweise den ganzen Symptomenkomplex der Ermüdung nur
sehr langsam zum Verschwinden, und zwar deshalb, weil der
Hauptvorgang der Ermüdung sich nicht in den Peripherorganen
abspielt, sondern im centralen Nervensystem.
Die meteorologischen Faktoren, die während einer Ballon-
hochfahrt beim Menschen merkliche Veränderungen herbeiführen,
sind, wie Flemming (15) ausführt, ab- oder zunehmende Luft-
dichte, erhöhte Lichtwirkung und Erwärmung durch die weniger
absorbierten Sonnenstrahlen, vermehrte Abkühlung durch die mit
der Entfernung von der Erde sinkende Temperatur. Es tritt vor
allem allmählich und ohne Vorboten ein Erlahmen jeglichen
Interesses ein; stumpfsinnig und apathisch sitzt oder steht man
stierend im Korbe, ohne Lust die Beobachtungen oder Unter-
suchungen auszuführen, um deretwegen man die Fahrt häufig
unternommen hat. Diese Erschlaffung jeder geistigen Tätigkeit,
deren Ursache in mangelhafter Ernährung der Großhirnrinde durch
den Sauerstoff zu suchen ist, ist sofort behoben, wenn man einige
Atemzüge aus der Sauerstoffflasche getan hat. — Die somatischen
Veränderungen des Höhenklimas zeigen sich an durch eine mehr
oder weniger hochgradige Cyanose der Haut, der Schleimhäute,
des Gesichts und der Hände.
Die Pulsfrequenz ist erhöht, bei O-Atmung wird sie wieder
normal. Den Blutdruck fand Verfasser entgegen den Befunden
von Schrötters nicht erniedrigt, sondern sogar erhöht. Er glaubt
nicht, daß bei Hochfahrten der Blutdruck mit der Pulsfrequenz in
besonders engem Verhältnis steht, vielmehr scheint der Blutdruck
relativ abhängig von der Außentemperatur zu sein. Die Atmung
nimmt mit der Luftverdünnung an Frequenz zu, wird flacher, oft
unregelmäßig. Die Blutkörperchenzahl nimmt ab, und zwar nach
Ansicht des Verfassers deshalb, weil infolge der niedrigen Tempe-
ratur bei der Blutentnahme die Hautcapillaren größtenteils sich
so sehr zusammenziehen, daß sie nur für Blutplasma durchgängig
waren, nicht aber für die korpusculären Elemente. Die bei der
Hochfahrt mitunter auftretenden Blutungen aus Nase, Ohren und
Mund sind nach des Verfassers Ansicht zurückzuführen auf eine
Stauung, als deren Ursache er die niedrige oder schnell schwankende
Temperatur verantwortlich macht. Zum Schutze gegen die durch
die intensive Sonnenbestrahlung hervorgerufene Conjunctivitis
empfiehlt Verfasser Brillengläser von grüngelblicher Farbe, die
das violette und ultraviolette Ende des Sonnenspektrums an einer
bestimmten Stelle nicht allein abschneiden, sondern die besonders
die Intensität dieser Strahlung dämpfen. — Die keimtötende
Wirkung der Sonne in großen Höhen hat Verfasser an ver-
schiedenen Bakterienkulturen bestätigen können.
: 1. Dalmaty, Die Beurteilung der hydropathischen Reak-
en 3 alt ah Th. Bd. 15, H. 6) — 3. W Skörczewski,
Die Wirkung der Kohlensäurebäder auf Biutcirculation und Herzarbeit. (Zt. f.
exp. Path. Bd. 9, H. 1) — 3. Fleißig, Ueber Ozofluin, ein neues Fichten-
nadelbad. (Th. Mon. 25. Jahrg., Nr. 9.) — 4. Boruttau, Ueber Herabsetzung
der Zuckerausscheidung durch Mineralwasser beim experimentellen und
menschlichen Diabetes. (Zt. f. Baln., Klimat. u. Kurorthyg. Jahrg. 4, H. 9.) —
5. Lichtwitz, Die physiologische Wirkung der heißen Sandbäder. (Zt. f.
Baln., Klimat. u. Kurorthyg. Jahrg. 4, Nr. 10.) — 6. Lenkei, Binige Unter-
schiede zwischen der Wirkung der Wannen- und Freibäder von gleicher Tem-
peratur und deren Ursachen., (Zt. f. diät. phys. Th. Bd. 15, H. 5 u. 6.) —
7. Heubnor, Ueber den Salzgehalt der Seeluft. (Th. Mon. Jahrg. 25, Nr. 10.) —
8. Zuntz, Physiologische und hygienische Wirkungen der Seereise. (Zt. f,
Baln., Klimat. u. Kurorthyg. Jahrg. 4, Nr. 7.) — 9. Citron, Ein Beitrag zur
Behandlung der Seekrankheit. (Borl. kl Woch. 19i1, Nr. 36.) — 10. Däubler,
Ueber die Klimawirkung der Tropenländer auf den Europäer im Vergleich
zum Farbigen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 14) — 11. Aron, Experimentelle
Untersuchungen über die Wirkungen der Tropensonne auf Mensch und Tier.
(Berl. kl. Woch. 48. Jahrg., Nr. 25.) — 12. Widmer, Die Beeinflussung der
Blutkrankheiten durch das Hochgebirge. (Zt. f. Baln., Klimat. u. Kurorthyg.
Jahrg. 4, H. 1.) — 13. Jerusalem, Zur Sonnenlichtbehandlung der chirurgi-
schen Tuberkulose. (Wr. med. Woch. 1911, Nr. 13.) — 14. Widmer, Die Rolle
der Psyche bei der Bergkrankheit und der psychische Faktor bei Steig-
ermüdungen. (M. med. Woch. 1912, Nr. 17.) — 15. Flemming, Physiologische
und pathologische Wirkungen des Höheuklimas bei Hochfahrten im Freiballon.
(D. med. Woch. 1911, Nr. 45 u. 46.) |
Chirurgie bei Lungentuberkulose und Schwangerschaft
von Prof. Dr. H. v. Bardeleben, Berlin.
(Schluß aus Nr. 39.)
Nahezu ebenso wichtig für den endgültigen Erfolg ist die
Zeit der Unterbrechung nach Schwangerschaftsmonaten. Das er-
hellt schon aus der Todeszahl von 26°, welche Pradella als
Gesamtmortalität seiner 19 eigenen Fälle angibt, worunter sich
aber nicht weniger als sieben künstliche Fehl- und Frühgeburten
befinden. Das zweite und um so mehr das dritte Turbansche Sta-
dium ergibt jenseits des vierten Monats eine ganz schlechte Pro-
gnose, zwischen 60 und 80°), endgültige Verschlechterung im
zweiten und 100°, im dritten Stadium (Pankow, Pradella).
Beim ersten Stadium fand Pankow unter sieben Fällen je einen
verschlechtert und gestorben, Verfasser zwei Todesfälle von acht.
Dies gilt nur jenseits des vierten bis zum siebenten Monat.
Pankow machte auch fünf Unterbrechungen im achten und neunten
Monat mit einem Todesfall und zwei Verschlechterungen im ersten
Stadium, während von zwölf gleichen Fällen aus dem zweiten und
dritten Stadium acht starben und einer sich weiter verschlechterte.
Stellen wir die eigenen (10) und die gesammelten (17) Fälle von
Pradella mit den 61 von Pankow und den 30 Fällen vom Verfasser
zusammen, so erhalten wir für künstlichen Abort im ersten Stadium eine
Mortalität von 2,54%, (Verfasser 8,3%) gegenüber 20 bis 250/ vom
vierten bis siebenten Graviditätsmonat (Pankow, v. Bardeleben).
Die angeführten Zahlen zeigen uns zunächst, daß die künst-
liche Fehl- und Frühgeburt bei fortgeschrittenen tuberkulösen
Lungenerkrankungen wenig Wert hat, dahingegen bei einfachen,
unkomplizierten Spitzenkatarrhen ein Ergebnis liefert, welches zwar
achtmal so schlecht ist, wie bei gleichen Lungenverhältnissen vor
dem vierten Schwangerschaftsmonat, dennoch aber doppelt oder
dreifach so günstig, als wenn man die Patientinnen austragen und
das Wochenbett am Ende durchmachen läßt. Diese Erfahrung
entspricht den Ansichten von v. Rosthorn und A. Fränkel und
von Fehling. Es wäre nach diesen Autoren in der Tat bedauer-
lich oder unlogisch, dieses nützliche und gerechtfertigte Hilis-
mittel zur Erhaltung des mütterlichen Lebens in vielen Fällen
missen zu sollen.
Zweitens lehren die Zahlen, daß der künstliche Abort bel
einfachen Spitzenaffektionen recht gute Erfolge zeitigt, sodaß wir
bei dieser Erkrankungsform keine kostbare Zeit mit weiterem Zu-
warten verlieren, sondern die Unterbrechung vornehmen sollten,
sobald die Aktivität des Prozesses nachgewiesen ist.
Wir stehen vor einer gleich undankbaren Aufgabe, wenn die
Gravidität sich bereits über den vierten Monat hinaus entwickelt
hat, oder wenn wir Prozesse an den Lungen antreffen, welche
durch Ausdehnung oder tuberkulöse Komplikationen der Gruppe
der einfachen Spitzenkatarrhe nicht mehr eingereiht werden können.
Daraus ergibt sich, insbesondere für die ersten Schwangerschafts-
monate nach den zahlenmäßigen Ergebnissen der künstlichen Unter-
brechungen die Notwendigkeit einer weiteren glatten Zweiteilung,
nämlich in einfache, und komplizierte katarrhalische Lungentuber-
kulose, welehe sich auf die Spitzen beschränken, und in eine leicht
und streng davon abzusondernde Gruppe, welche alle andern
Formen außer den Spitzenkatarrhen umfaßt, sei es nun, daß sie
sich durch räumliche Ausdehnung oder durch. Vergesellschaftung
mit deutlich sichtbaren, erschwerenden Nebenumständen aus-
zeichnen, welche gleichfalls tuberkulöser Natur sind. Hierhin ge-
hören ausgesprochene Infiltrate, pleuritische Ergüsse, reichlicher
Befund, von Tuberkelbacillen im Sputum, endlich als schlimmste
Komplikationen Kehlkopftuberkulose, Haut- und Knochentuber-
kulose, Bauchfelltuberkulose und andere. Diese zweite Kategori?
ergibt, selbst wenn die Fälle von vornherein ausgeschlossen Wer-
den, welche keine Aussicht auf Heilung mehr gewähren, nach
‚künstlichem Abort eine bedeutend schlechtere Prognose als bei
6. Oktober.
einfachem unkomplizierten Spitzenkatarrh. Bereits die weitere
Ausdehnung über die Spitze hinaus zeitigte bedeutend schlechtere
Resultate, etwa denselben Unterschied wie künstlicher Abort und
künstliche Fehlgeburt bei Spitzenkatarrhen, welche nach den Zahlen
des Verfassers 3,3: respektive 25 %/, Mortalität ergaben. Pradella
verlor von fünf komplizierten Lungentuberkulosen vier durch den
Tod. Ich hatte nach künstlichem Abort bei einfachem Spitzen-
katarrh 1 von 30 = 3,3%, bei weiter ausgedehnten oder kompli-
zierten tuberkulösen Prozessen 6 von 11 = 54,5 %/, der Fälle.
Fassen wir diese Beobachtungen zusammen, so ergibt sich
als zweiter Satz, daß die künstliche Schwangerschafts-
unterbrechung auffallend ungünstige Resultate liefert
bei allon unkomplizierten Spitzenkatarrhon jenseits des
‚ vierten und bei allen andern tuberkulösen Lungen-
erkrankungen, auch in den frühesten Monaten der
Schwangerschaft. Ä
Für die Ausführung des künstlichen Aborts mehren sich in
letzter Zeit die Stimmen derer, welche ein chirurgisches Vor-
gehen statt der in der alten Geburtshilfe gebräuchlichen, unsicheren,
langwierigen und nicht immer ungefährlichen Methoden laut be-
fürworten. Schnelligkeit, Einzeitigkeit, Blutersparnis, Schonung
der körperlichen und psychischen Kräfte der Kranken sind die
leitenden Gesichtspunkte. Das wird aber alles am wenigsten er-
reicht durch Anwendung der scheinbar schonenden Methoden,
durch Einlegen von Stiften oder Gazetamponade. Dies Verfahren
ist das unsicherste: Ich habe es selbst nicht einmal, sondern zu
wiederholten Malen beobachtet, daß die Frau drei-, vier-, fünfmal
auf den Untersuchungstisch gebracht werden mußte ohne Erfolg,
sodaß zum Schluß doch noch die forcierte Dilatation und Aus-
räumung in Narkose notwendig wurde, und die Patientin inzwischen
durch Blutverluste, Anstrengung und Aufregung sichtlich her-
unter kam. Dieses angeblich schonende Verfahren ist aber auch
nicht ungefährlich: E. Runge und Henkel erlebten dabei je einen
tödlich verlaufenen Fall von Infektion. |
Es erscheint danach das Vorgehen am zweckmäßigsten, bis
zum dritten Monat in einer Sitzung bis zur Durchgängigkeit eines
Fingers zu dehnen und sofort auszuräumen, für den Geübten ein
leichter Eingriff, der 10 bis 15 Minuten erfordert!
Aber hier gilt bereits, was E. Martin mit Recht betont:
„Jeder muß freilich wissen, was er sich zumuten darf“ und „wir
geben Herrn Veit ohne weiteres Recht, wenn er meint, daß für
denjenigen, welcher die genügende Technik nicht besitzt, der Ein-
griff nicht so einfach ist“.
Naturgemäß muß diese Voraussetzung in noch höherem Maße
erfüllt sein, wenn wir für die Entleerung des Uterus vom dritten
Monat der Schwangerschaft ab den vorderen Gebärmutterscheiden-
schnitt als die glatteste, unblutigste, zuverlässigste und schnellste
Methode empfehlen (Schauta, Landau, Dützmann, E. Martin).
Ein jeder, welcher häufig die schnelle Dehnung der Cervix mit
Hegarschen Stäben im dritten und vierten Schwangerschafts-
monat ausgeführt hat, wird wissen, daß die Zerreißung des Mutter-
mundes, welche hierbei oder bei der nachfolgenden Ausräumung
zustande kommt, keine Seltenheit bedeutet. Ueberdies ist in
solchen Fällen die Ausräumung nach Dehnung erheblich zeitrau-
bender, blutiger und unübersichtlicher.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage der Sterilisation.
Die Beobachtung läßt sich alltäglich erneuern, daß Lungentuber-
kulose, welche nach künstlicher Schwangerschaftsunterbrechung
glücklich in den Zustand der Latenz und Inaktivität zurück-
gekehrt waren, bald darauf durch erneute Schwangerschaften reak-
tiviert werden. Von sieben Fällen der Art, welche nach 11/, bis
3 Jahren wieder concipiert hatten, sah ich nur zwei unbeeinflußt
und stationär bleiben, sodaß die Schwangerschaft ohne Schaden
ausgetragen werden konnte Prägnante Fälle derart, daß die
ersten Schwangerschaften gut überstanden wurden, bis plötzlich
beim fünften ‘oder siebenten Mal eine Verschlimmerung erfolgte,
welcher die Frauen im Wochenbett erlagen, beschreiben Hof-
bauer und Pankow. Es wäre daher sehr wohl zu erwägen,
ob nicht die Schwangerschaftsunterbrechung gleichzeitig mit einer
Dauersterilisation verbunden werden soll. |
Eine besondere Methode, welche diesem doppelten Zwecke
gerecht wird, beschreibt Dützmann. Der Uterus wird in der
Vorderwand ineidiert, entleert, vorgezogen und die Tubensterili-
sation angeschlossen. Kroemer schlägt zu diesem Behufe die
Amputation des graviden Uterus per vaginam vor, ein Verfahren,
welches Füth in gleicher Absicht bereits des öfteren ausgeführt
und an mehreren Fällen bekanntgegeben hat.
1912 —-MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40, 1637
Solche Dauersterilisationen schließen den Nachteil in sich,
dab die Patientin der Hoffnung auf Nachkommenschaft beraubt
bleibt, selbst wenn sich ihr Lungenzustand nach Jahren soweit
gebessert hat, daß einem solchen Wunsche keine ärztlichen Be-
denken mehr entgegenstehen.
Dieser recht mißliche Umstand, welcher bei jugendlichen
Patientinnen, um die es sich ja in der Mehrzahl handelt, recht
einschneidende Bedeutung gewinnen kann, hat das begründete Be-
streben gezeitigt, in all denjenigen Fällen eine Dauersterilisation
zu meiden, wo sie nicht aus besonderen triftigen Gründen unum-
gänglich ist, und statt dessen Verfahren zur zeitigen Sterilisierung
zu ersinnen. Alle solche Methoden sind naturgemäß auch anzu-
wenden bei Frauen, welche zwar zurzeit nicht gravide sind, aber
die deutlichen Anzeichen klinisch manifester, aktiver Lungen-
tuberkulose aufweisen, sodaß die Möglichkeit des Eintritts einer
Schwangerschaft für dieselben eine ständige Gefahr bedeutet.
Solche Eingriffe wären also auszuführen im Anschluß an eine
Schwangerschaftsunterbrechung wegen aktiver Lungentuberkulose
oder aber prophylaktisch bei nicht graviden aktiven tuberkulösen
Frauen. Kraus betont, daß Maßnahmen zu letzterm Ziele wich-
tiger und nötiger seien als solche zur Schwangerschaftsunter-
brechung. Ä |
Leider sind diese Methoden noch nicht insofern für ihre
Brauchbarkeit erhärtet, als sie die Probe abgelegt hätten, daß
späterhin nach Wiederherstellung der künstlich geschaffenen Ver-
änderungen wirklich eine Empfängnis stattfinden könne. Es sind
dies die Verfahren von Sellheim, Schauta, Bucura.
Sellheim pflanzt das freie Tubenende unter das Bauchfell
des breiten Mutterbandes ein. Das kann von der Scheide, vom
Leistenkanal, von einer Laparotomiewunde aus geschehen. Hof-
meyer demonstrierte in München einen Fall derart, bei welchem
die Tubenenden, vielleicht infolge von reaktiver Hypersekretion,
Flüssigkeitsansammlung und Platzen der Bauchfellüberdachung,
ihre Freiheit wieder erlangten, sodaß sie in den Bauchraum hinein-
ragten und zur großen Enttäuschung wider Willen Conception er-
folgte. Bucura will in gleicher Weise die Eierstöcke aus dem
Bauchraume heraus unter das Bauchfell verlagern. Es bleibt noch
fraglich, ob die Fimbrienenden der Tuben nach längerem Aufent-
halt im Bindegewebe wieder tauglich werden können, ebenso ob
der eben dort eingelagerte Eierstock nicht seiner Fähigkeit zur
regelmäßigen Reifung und Entleerung von Follikeln allmählich
beraubt wird. Schauta stellt per vaginam, eventuell nach Ent-
leerung der schwangeren Gebärmutter, mit Spiegeln die Tuben-
ecken des Uterus ein, zieht dieselben an den runden Mutterbändern
hervor, ohne den Uterus vorzustülpen, schneidet die Tuben ab,
übernäht den uterinen Stumpf und läßt das andere abgeschnittene
Tubenende frei in der Bauchhöhle. Soll die Conceptionsmöglich-
keit wieder hergestellt werden, so wird das einst abgeschnittene
freie Tubenende wieder in den Uterus eingepflanzt, was Schauta
bereits ausgeführt hat.
Es wäre eine glückliche Lösung zu nenner, wenn alle ge-
kennzeichneten Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt würden
durch die Möglichkeit, eine zuverlässige, temporäre Sterilisation
mit Hilfe der Röntgenstrahlen herbeizuführen. Leider ist die
Frage aber noch nicht geklärt, ob und wann die Eierstöcke ihre
Funktion wieder aufnehmen können, nachdem sie einmal so gründ-
lich geschädigt wurden, daß eine zeitlang bestimmt keine Be-
fruchtung erfolgen konnte (Gaus, Reifferscheid, Bondi,
Heynemann und Andere). Jedenfalls darf nicht vergessen werden,
daß es immerhin einiger Wochen und Monate bedarf, bis die ge-
wünschte Wirkung zuverlässig erreicht werden kann. Dasselbe
gilt von dem Bestreben, stärkeren menstruellen Blutungen, wie
wir sie nach Abort gelegentlich auch bei Gesunden, besonders
häufig aber bei aktiv Tuberkulösen antreffen, durch Röntgenbe-
handlung abzuhelfen oder vorzubeugen.
Nicht sowohl um die Frauen vor den körperlichen und
psychischen Schädigungen erneuter Schwangerschaft zu bewahren,
als vielmehr um die Bilanz des Organismus im ganzen günstig
zu beeinflussen, möchte E. Martin den schwangeren Uterus bis |
zum vierten Monat mitsamt den Ovarien per vaginam entfernt
wissen. Dieser Vorschlag erinnert an den gleichen Gedankengang
von A. Martin, welchen derselbe bereits in Rom vor acht Jahren
ausgesprochen hat. Der vermehrte Fettansatz soll der äußerliche
Ausdruck der verbesserten Bilanz im körperlichen Haushalte sein.
v. Noorden und Kraus halten diesen Fettansatz lediglich für
den Ausdruck der mangelnden Keimdrüsen. Hierbei kommt es
frühzeitig zu einer Fettdurchwachsung der Muskulatur. „Dies ist
| der wesentliche Grund für die von den Züchtern ausgeführte
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1638
Kastration der Schlachttiere. Das fettdurchwachsene Fleisch der
kastrierten Tiere ist schmackhafter und wird besser bezahlt als
das Fleisch der einfach gemästeten Tiere“, so drückt sich
v. Noorden aus, um den Unterschied des Kastratenfetts und
des einfachen Fettzuwachses deutlich zu veranschaulichen. Um-
fangreiche statistische Daten (Glievecke, Liesau, v. Rosthorn)
lehren uns, daß ein späterer Fettansatz nach Kastration nur etwa
in 42,5%, eintritt, ähnlich wie Kisch eine wesentliche Zunahme
der Körperfülle im Klimakterium nur in 42°), fand. Die Energie
des Stoffumsatzes wird aber durch Kastration keineswegs gehoben,
‘ im Gegenteil nach P. Richter und A. Loewy eher beeinträchtigt.
Sie machten ihre Versuche mit weiblichen Hunden. Zuntz fand
bei früheren Untersuchungen die Energie des Stoffwechsels bei
kastrierten Frauen, die mager blieben, nicht wesentlich herab-
gesetzt; dahingegen gelang ihm kürzlich dieser Nachweis deutlich
bei kastrierten Frauen, die fetter wurden (mündliche Mitteilung).
Nach v. Noorden ist die regulatorische Leistungsfähigkeit der
Schilddrüse ausschlaggebend, ob es zu einem Ausgleich oder zu
einer Herabsetzung der Oxydationsprozesse kommt.
Bandelier und Roepke sprechen sich fast wörtlich so aus
wie v. Noorden über die Gefahren, welche einer Lungenschwind-
süchtigen durch Fettleibigkeit erwachsen. Sie stellen der Lungen-
tuberkulose bei Fettleibigkeit die ungünstigste Prognose,
v. Noorden bespricht eingehend die Schwierigkeit, unter solchen
Umständen die Fettleibigkeit zu bekämpfen, notwendig zugleich,
um die Aussichten zu bessern, welche sonst infolge Ueberlastung
des Herzens, Stauungen in den Lungen, Behinderung der Expekto-
ration, funktionelle Störungen der Muskeln und der drüsigen
Organe stark herabgemindert werden. v. Noorden warnt nach-
drücklich „vor dem Fehler, aus der gegen die Tuberkulose ge-
richteten Behandlung leistungsunfäbige Fettlinge hervorgehen zu
lassen“.
Cristofoletti und Thaler konnten an kastrierten Tieren
keine vermehrte Resistenz gegen Tuberkulose erheben, streifen
vielmehr die theoretische Frage, ob eine wesentliche Anreicherung
der Körpersäfte an Fett auch aus dieser Quelle nicht eher einen
günstigen Nährboden für den Tuberkelbacillus abgeben könnte bei
seinem natürlichen Bedürfnis zur Bildung und Erhaltung seiner
Fettwachshülle. Bestätigt wird diese Vermutung durch Erfah-
rungen an kastrierten Männern, welche uns eine stark herab-
gesetzte Widerstandsfähigkeit gegen Tuberkulose lehren: Eunuchen
sind für Tuberkulose besonders disponiert und anfällig (v. Raven).
Die direkte Beeinflussung der Tuberkulose durch Kastration,
etwa durch Hormonausfall, ist vor der Hand noch bypothetisch.
Klinisch werden die Schädlichkeiten der Ausfallerscheinungen,
welche sich durch schwere trophische und nervöse Störungen
geltend machen können, von vielen gefürchtet, nicht allein als
solche, sondern vor allem als ein Umstand, welcher die Wider-
standskraft des Organismus gegen einen Eindringling nicht zu
vermehren, sondern nur abzuschwächen imstande ist. Halten wir
uns demnach an die tatsächlichen Erfolge, um ein sachliches Urteil
über die Wirksamkeit des Verfahrens zu bilden, so müssen wir in
erster Linie die Auswahl der Fälle betrachten, welche E. Martin
selbst mit folgenden Worten bezeichnet: „Im allgemeinen wird
also die Totalexstirpation in denjenigen seltenen Fällen ausgeführt,
in welchen schon zu Beginn der Schwangerschaft bei wenig aus-
gedehntem lokalen Befunde der ungünstige Einfluß, also eine
klinisch fortschreitende Tuberkulose, festgestellt werden muß.
Hier ist bisher wohl allgemein zur Erhaltung des mütterlichen
Lebens und zum Schutze vor erneuten Schädigungen durch weitere
Schwangerschaft der Abort und die Sterilisation ausgeführt
worden.“
Die Resultate bei dieser Indikation nach künstlichem Abort
ergaben unter 118 Fällen von Pankow, Pradella, v. Barde-
leben eine durchschnittliche Mortalität von 2,54%. E. Martin
hatte unter 16 Fällen nach mindestens einem Jahre 4 7 = 25%,
also beinahe zehnmal so viel.
In letzter Zeit hat Henkel wiederholt auch in vorgerückteren
Stadien der Gravidität und des Lungenprozesses die Totalexstir-
pation von Uterus und Adnexen per laparotomiam ausgeführt.
Die Resultate stehen noch aus,
Im Gegensatz zu dem Verfahren von E. Martin, welches
nur dort angewandt werden soll, wo der künstliche Abort, wie
wir sahen, Befriedigendes, jedenfalls viel Besseres leistet, war ich
gleichfalls seit vier Jahren bestrebt, an größerem Material eine
Methode zu finden, welche die Ergebnisse wesentlich aufzubessern
vermöchte für diejenigen, keineswegs hofinungslosen Fälle, welche
aber nach Unterbrechung der Schwangerschaft eine viel höhere
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.40.
6. Oktober.
Mortalität aufweisen, sodaß die Entfernung der Frucht allein
offenbar nicht genügte, um die geöffneten Quellen des üblen Ein-
flusses wieder völlig und schnell genug zu schließen. Diese Fälle
sind nach den oben wiedergegebenen Resultaten:
1. Spitzenkatarrhe jenseits des vierten Graviditäts-
monats, 2. alle andern Lungentuberkulosen jedweden
Graviditätsmonats.
Das Charakteristische liegt also in den beiden Umständen,
daß entweder der schwangere Uterus und mit ihm die Placenta
und die Placentarstelle bereits weiter entwickelt ist, oder darin,
daß, ganz abgesehen hiervon, die klinischen Anzeichen einen inten-
siveren tuberkulösen Prozeß durch die Art seiner Komplikationen
und die Lebhaftigkeit seiner Ausbreitung verraten. Ä
Wir wissen aber durch die in letzter Zeit reichlich ver-
mehrten und vervollkommneten Forschungen über die Placentar-
tuberkulose, daß sich bei intensiver fortschreitender Lungentuber-
kulose nicht nur Tuberkelbacillen, sondern sogar ausgeprägte
Tuberkulose der Placenta und der Decidua basalis finden lassen,
wie dies zuerst E. Runge im vierten, Rieländer und Mayer
sogar für den zweiten und dritten Monat der Schwangerschaft
nachgewiesen haben. In späteren Monaten aber ist die Placentar-
tuberkulose selbst bei leichteren Lungenerkrankungen keine Selten-
heit (Schlimpert, Nowak und Ranzel). Durch die beiden
letzten Autoren wurde teils der Tuberkelbacillennachweis, teils die
Uebersichtlichkeit der histologischen Untersuchung erheblich ge-
fördert und vereinfacht, sodaß Schlimpert unter elf Fällen acht-
mal Placentartuberkulose und zweimal Tuberkelbacillen, Nowak
und Ranzel in sieben von zehn Fällen positive Ergebnisse hatten.
Unter diesen 21 Fällen waren drei im vierten, zwei im vierten
bis fünften Graviditätsmonate, Tuberkulose .der Decidua basalis im
ganzen sechsmal. Am häufigsten, wie das ja auch bereits Schmorl
und Geipel gezeigt hatten, fand sich die Tuberkulose der inter-
villösen Räume, bei Schlimpert allein fünfmal.
Placentartuberkulose bei leichteren Formen von Lungen-
tuberkulose ist offenbar deshalb noch nicht öfter nachgewiesen
worden, weil dieselben einfach nicht in geeigneter Weise unter-
sucht wurden. Die bisher allein gültige Anforderung Schmorls,
500 bis 2000 Schnitte zu untersuchen, verlangt so viel Zeit, daß
es einem daran gebrechen kann, wie es Jung für viele seiner
Fälle eingesteht, und wie es Bossi, Ascoli und dem Referenten
ergangen ist. Nach Schmorl — und die ihm nachfolgenden
Autoren haben dies bestätigt — ergreift die Tuberkulose gewöhn-
lich in den früheren Monaten die Decidua basalis, um sich dann
erst weiter fötalwärts auszudehnen.
Benecke und Kürbitz bezeichnen an der Hand ihres Falles
die Placentarstelle vermöge ihrer Circulationsverhältnisse als einen
Ort geringeren Widerstandes, besonders geeignet zur Ablagerung
und zur Ansiedlung von Tuberkelbacillen aus dem Blute, In
welchem dieselben ja auch bei leichteren Tuberkulösen häufig kreisen
(Liebermeister, Forster, Lüdke, Jessen und Rabinowitsch,
Acs Nagy und Ändere).
Von dieser Tuberkulose der Placentarstelle aus kann sich
späterhin eine isolierte Uterustuberkulose entwickeln, wie das
Schlimpert unter fünf Frauen im gebärfähigen Alter zweimal
mit Sicherheit und zweimal mit großer Wahrscheinlichkeit nach-
weisen konnte. Das ist aber ein besonders günstiger und schein-
bar seltenerer lokaler Ausgang dieses Prozesses. Häufiger ent-
steht daraus eine erneute Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses
im ganzen Körper, entweder schleichend oder plötzlich unter dem -
Bilde der Miliartuberkulose (Hunziker). Leuenberger be-
schreibt einen besonders lehrreichen Fall derart im vierten
Schwangerschaftsmonate mit völlig vernarbter obsoleter Primär-
affektion.e Endlich hat Menge einen puerperalen Uterus einer
Frau gezeigt, die acht Wochen nach der Geburt ihrer Lungen-
tuberkulose erlag, mit einer ausgedehnten Tuberkulose der Pla-
centarstelle,
Burckhardt berichtet von einem solchen Ereignis nach
Spontanabort, Kamann zeigte in München ein einschlägiges Prö-
parat, und Hunziker beobachtete dasselbe nach Abortausräumung.
Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß die Tuberkelbaeillen durch
die Zerreißung der intervillösen Räume ihrem Prädilektionssitze,
oder aber von der Deeidua basalis aus bei der Ablösung der Placenta
in das Blut der Mutter ausgesät werden können. Zweifellos be-
ruht darauf zum größten Teil die allgemein gefürchtete, nicht
seltene plötzliche Verschlimmerung im Wochenbette, die dann
früher oder später unaufhaltsam zum Tode führt. E
In diesem Sinne besteht, wie wir sehen, die Möglichkeit
einer puerperalen, lokalen Rückwirkung seitens des Uterus ebenso-
6, Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40,
1639
wohl in den früheren Schwangerschaftsmonaten von der Placentar-
stelle her, wenigstens für die bereits progredienteren oder tuber-
kulösen komplizierten Fälle, die für uns hier allein in Betracht
kommen, ferner in allen Fällen, auch in den leichteren, aus späteren
Schwangerschaftsmonaten. |
Auf diesen Zusammenhang wurde ich nun aber hingeleitet,
als ich in dem Bestreben, den Ursprung der Verschlimmerung aus-
zumachen, die klinischen Symptome verfolgte, die bei den nach
künstlichem Abort in mehr oder weniger kurzer Zeit Verstorbenen
hervorgetreten waren. Eigenartige typische Schwankungen und
Erhebungen der Fieber- und Pulskurven in den ersten Tagen nach
dem künstlichen Aborte, wie sie außer von v. Rosthorn merk-
würdigerweise nirgends vermerkt wurden, unter lebhafter Steige-
rung der subjektiven Erscheinungen, die ich bei diesen Fällen fand
und demonstrierte, wiesen den richtigen Weg: Ich nannte diese
schnell fortschreitende klinische Schädlichkeit, welche vom puer-
peralen Uterus ausging, kurzweg die puerperale Schädigung.
Weiter aber fand ich noch bei der klinischen Analyse der-
jenigen Fälle, bei denen sich im Wochenbette keine besonders
auffallenden Störungen bemerkbar machten, dahingegen im An-
schluß daran und späterhin Schädlichkeiten, die schleichender und
schleppender wirkten, das Allgemeinbefinden niederhielten und eine
Besserung nicht aufkommen lassen wollten, heftige Menorrhagien,
oft mit Fluor und Dysmenorrhöe vergesellschaftet, als Urquell des
Uebels. Es lag zweifellos ein Circulus vitiosus vor, indem die
konstitutionelle Erkrankung die Rückbildung und normale Funktion
des postpuerperalen Uterus störte, die Schwächung des Allgemein-
befindens aber, die von hier ausging, die Ueberwindung der ba-
cillären Affektion beeinträchtigte. Dementsprechend fanden wir
die Menorrhagien nach künstlichem Abort unter den zur Aus-
heilung neigenden nur in 26/0, bei den weiterhin progredienten
Fällen hingegen in 90/4, und sprachen von der klinischen Schäd-
lichkeit des postpuerperalen Uterus.
Der Weg zu dem Ziele, die Mortalität zu vermindern in
denjenigen Fällen, wo sie bisher nach künstlichem Aborte so außer-
ordentlich hoch war und naturgemäß auch nicht durch gleichzeitige
Dauersterilisation irgendwie beeinflußt wird, schien also durch die
klinische Beobachtung auf den Fruchthalter als Ursprungsquelle
der klinischen Schädigungen zurückzuführen.
Daher der begründete und berechtigte Versuch, in diesen
klinisch klar gekennzeichneten Fällen und ausschließlich bei diesen
den Eingriff auf den Fruchthalter selbst auszudehnen, seine Funk-
tion zugleich mit seinem Inhalt auszuschalten oder auf ein un-
schädliches Maß einzuschränken.
Ich habe es 18 mal durch Uterusexstirpation ohne Ovarien
angestrebt mit einer Tuberkulosemortalität von 5,60%. Da ich
fünfmal periodische Störungen im Allgemeinbefinden infolge
Uterusmangels beobachtete und zwar gerade bei den Patientinnen,
die sich nachher wieder verschlechterten, so suchte ich denselben
günstigen Effekt durch das hierfür denkbarst konservative Ver-
fahren zu erreichen, nämlich durch einfache Exeision der Placentar-
stelle am Uterus unter Blutleere, und nannte dieses Korpus-
excision.
Die Korpusamputation halte ich für schlechter als die
Uterusexstirpation, weil sie uterine Ausfallerscheinungen ebenso-
wenig verhütet und überdies von der zurückgelassenen Üervix
aus häufig lebhafte Beschwerden entstehen, die mich vor vier
Jahren bereits zweimal zwangen, die Cervix nachträglich zu
entfernen.
Ich habe daher grundsätzlich nicht die Korpusamputation,
sondern meine Korpusexeision der Placentarstelle ausgeführt und
zwar innerhalb von 31/, Jahren neunmal per laparotomiam jenseits
des fünften Graviditätsmonats, 43 mal per vaginam bis zum vierten
Monat ohne Todesfall,
Die Dauersterilisation war mir keineswegs Selbstzweck,
sondern notwendiges Uebel zur wesentlichen Aufbesserung der
Sterblichkeit gegenüber dem künstlichen Abort in denselben Fällen.
Legte ich die längste Todesfrist von 16 Monaten der unter
puerperalem Einflusse nach künstlichem Abort an Tuberkulose
erstorbenen zugrunde, so erhielt ich bei gleicher Indikation die
Mortalitätsziffern: künstlicher Abort (20 Fälle) 450/,, Uterus-
exstirpation (18 Fälle) 5,6 0/0, Korpusexeision 0, wodurch die Ein-
wirkung beziehungsweise der Fortfall der sogenannten lokalen
Puerperalen und postpuerperalen Schädlichkeiten anschaulich zum
Ausdrucke gebracht wird. Nach meiner Corpusexeision sah
ich keinmal lokale Störungen weder trophischer noch vasomoto-
Tischer Art, keine Genitalatrophien, keinen pathologischen Fett-
ansatz. Geschlechtsempfinden und schwache Regel blieben erhalten
bei einer durchschnittlichen Gewichtszunahme von 12 Pfund. Ich
möchte den weiteren Unterschied in der Sterblichkeit von 20 bis
250/9 bei Totalexstirpation (E. Martin), von 5,60/, bei Uterus-
exstirpation und von bisher 00/, bei Korpusexeision aus der Be-
deutung der durch den Eingriff gesetzten klinischen Störungen
für das Allgemeinbefinden erklären. Bei der Indikation, der Kenn-
zeichnung der Fälle und der Art des Vorgehens sprachen keinerlei
theoretische, serologische, hormonistische Anschauungen mit,
sondern wir standen lediglich auf dem festen Boden klinischer
und anatomischer Tatsachen und Erfahrungen. Sollen nun aus
allen hier wiedergegebenen Beobachtungen einheitliche Sätze für
chirurgische Eingriffe am Genitale tuberkulöser Schwangerer
abgeleitet werden, so möchten wir dieselben kurz dahin abfassen:
1. Dieselben sind nur geboten bei klinisch-manifester, aktiver
Lungentuberkulose.
2. Sie sind auszuführen unabhängig vom Schwangerschafts-
monate, | | |
3. Der Eingriff soll nur in den Fällen von einfachem, un-
kompliziertem Spitzenkatarrh auf die Entfernung der Frucht be-
schränkt bleiben und zwar nur bis zum vierten Monate der
‚Schwangerschaft. |
4. In allen andern Fällen von Lungentuberkulose jedweden
Monats, ferner in allen Fällen einfachen unkomplizierten Spitzen-
katarrhs jenseits des vierten Schwangerschaftsmonats ist eine
Excision der Placentarstelle gleichzeitig mit der Entfernung der
Frucht vorzunehmen, per vaginam bis zum vierten, per lapa-
rotomiam jenseits des vierten Schwangerschaftsmonats.
5. Nur in denjenigen Fällen, wo die Ansiedlung der Placenta
im Isthmus des Uterus eine einfache Korpusexeision unmöglich
macht, ist der Uterus ganz herauszunehmen. u
6. Die Ovarien sind, wenn sie gesund befunden werden, un-
bedingt zurückzulassen.
Zweierlei darf bei Erörterung dieser chirurgischen Eingriffe
gegen die Schwangerschaft. wegen Lungentuberkulose nicht ver-
gessen werden. Zuvörderst dienen sie nur dazu, eine Schädlich-
keit auszuschalten. Sie bilden eine Vorbedingung, eine Vor-
bereitung, nicht aber die Heilung selbst. Deshalb gehört dazu
ein sachgemäßes Kur- und Heilverfahren als integrierender Be-
standteil im unmittelbaren Anschluß an den Eingriff.
Leider ist häufig die Möglichkeit verschlossen, ein solches
Heilverfahren unvermittelt folgen zu lassen. Und in diesem Sinn,
aber auch nur in solchem, ist die Frage eine soziale. Wir würden
von allen Schwierigkeiten befreit, wenn sich besondere Heilstätten
errichten ließen, deren Aufgabe es ist, Patientinnen mit Lungen-
tuberkulose unmittelbar nach dem Eingriffe gegen die Schwanger-
schaft aufzunehmen. Dann aber könnte stets an die Einwilligung
des Arztes zum aktiven Einschreiten gegen die Schwangerschaft die
bindende Verpflichtung seitens der Lungenkranken geknüpft
werden, sich unverzüglich danach einer genügenden Heilstätten-
behandlung zu unterziehen. Bis dieses geschehen ist, wird durch
den verheerenden Einfluß der Schwangerschaft stets von neuem
verdorben und vereitelt werden, was vorher an den Nicht-
schwangeren mit Hilfe der jetzigen Heilstättenbehandlung ge-
wonnen wurde.
Endlich und zweitens ist der subjektiven Momente zu ge-
denken. Sie haben bei der rein ärztlichen, wissenschaftlichen
Beurteilung zur Auswahl des Verfahrens nieht mitzusprechen.
Der Arzt selbst hat sich sein Urteil ohne dieselben zu bilden.
Aber es ist selbstverständlich, daß sie in vollem Maße Berück-
sichtigung zu finden haben, da sie gelegentlich von einschneiden-
derer Bedeutung sein können als die Erhaltung von Gesundheit
und Leben der Mutter. Solche heroische Auffassung ist mir be-
reits zweimal begegnet. Die eine Mutter hat ihren Mut für ihr
Kind bereits mit dem Tode bezahlt und die andere wird ihr
folgen. Am gerechtesten erscheint der Modus, offen und ein-
gehend die rein ärztlichen Erwägungen und die subjektiven Mo-
mente mit der Patientin durchzusprechen, das ärztliche als Arzt
zu entscheiden und die Wahl aus den subjektiven Momenten der
Patientin zu überlassen.
Ueber die Beziehung zwischen Internist und Gynäkologen
erscheint der Standpunkt gerechtfertigt: Der Lungenarzt, und
zwar nur ein alterfahrener Lungenarzt, stellt die Diagnose,
der Operateur, und zwar nur ein erprobter Operateur, stellt
die Indikation und trägt die Verantwortung.
Literaturs Der Kürze kalber verzeichne ich nur einige Arbeiten und
Berichte, welche die enechläg ee Literatur enthalten. (Zeitschrift für Geburts-
hilfe und Gynäkologie = Z., Archiv = A., Monatsschrift = M., Zentralblatt = C
Medizinische Wochenschrift = m. W.) Baisch (A. 1908, Bd. 84, S. ar —
Blau, Ueber Entstehung und Verbreitung der Tuberkulose usw. (Berlin 1909, -
*
1640
S. Karger.) — Bandelier und Rocpke, Klinik der Tuberkulose. (1911.) —
v. Bardeleben (C. 1911, Nr. 80). — Follnor, Die Beziehungen innerer Krank-
heiten zu. Schwangerschaft usw. (Wien 1909, F. Deuticke.) — Forster (Mili-
tary Surgeon 1910, Nr. 2), — A. Fraenkol, Spezielle Pathologie und Therapie
der Lungenkrankheiten. (Berlin-Wien 1904) — Heimann (Med. Kl. 1907,
Nr. 19 u. 29, — Henius (M. 1911, S. 345). — Hofbauer (Z. Bd. 67, S. 572
und Volkmanns Vorträge, Gynäkologie Nr. 210). — Jessen und Rabinowitsch
(Deutsche m. W. 1910, Nr. 24), — Kaminer (Deutsche m. W. 1901, S. 587). —
Lüdke (Wr. kl. Woch. 1906, Nr. 31). — E. Martin (Münchener m. W. 1909). —
v. Noorden, Die Fettsucht. (Wien 1910, Hoelder.) — Nowak und Ranzel
(Z. Bd. 67. S.719). — Pape (Hegars Beiträge 1903, S. 422). — Pankow, Die
ar rschaftsunterbrechung usw. (Leipzig 1911, Thieme.) — Palano (Z. 1901,
Bd 44, 8.85). — Pradella (Inauguraldissertation, Zürich 1906). — Rieländer
und Mayer (A. 1909, Bd. 87, 8.131), — v. Rosthorn (M. Bd. 23, S. 581). —
v. Rosthorn und A. Fraenkel (Deutsche m. W. 1906). — Reiche (Münchener
m. W. 1905, Nr. 28), — Schauta (M. 1911, Bd. 3). — Schlimpert (A. Bd. 90,
S. 121 und Bd. 64, 8.868). — Schmorl und Geißol (Münchener m. W. 1904,
Nr. 88). — Simmonds (A. 1909, Bd. 88, S. 29). — Sitzenfrey, Die Lehre von
der kongenitalen Tuberkulose usw. (Berlin 1909, S. Karger.) — Stern (Z.
Bd. 66, S. 533). — Ferner Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynä-
kologie XIV. und Naturforscherversammlung Königsberg 1910.
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Biutdruekuntersuchungen bei Patienten mit schlaffer Abdominal-
muskulatur, die von Birtch und Juman (San Francisco) angestellt
worden sind, zeigen folgendes: Bei solchen Kranken, die keine subjek-
tiven Beschwerden haben, verhält sich der Blutdruck bei Stellungs-
wechsel wie bei Gesunden, indem beim Uebergange vom Liegen zur auf-
rechten Körperhaltung der systolische Druck etwas sinkt, der diastolische
aber sich in gleicher Höhe hält, ein Zeichen für gutes Funktionieren des
vasomotorischen Mechanismus. Bei Enteroptotikern dagegen mit circula-
torischen. Symptomen sinkt der systolische und der diastolische Druck
beim Aufstehen. Die neuropathischen Erscheinungen bei diesen Patienten
rühren daher nach den genannten Autoren von der Hirnanämie und nicht
von der Verlagerung der Eingeweide her. Die primäre Ursache des
ganzen Leidens, die große Muskelatonie, kann in ihrer Aetiologie noch
nicht geklärt werden. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 58, Nr. 4, S. 265.)
i Dietschy.
William Taylor, einer der bestbekannten amerikanischen Chir-
urgen, veröffentlicht die Endresultate seiner Operationen von Gehirn-
tumoren. Die Zahl seiner Operationen beträgt 63. In 33 Fällen konnte
der Tumor nicht gefunden werden; es verblieb bei der einfachen De-
kompression. 30mal wurde die Geschwulst gefunden und entfernt: 14mal
vollständig, 8mal entsprechend deren infiltrierenden Charakter nur teil-
weise, 8mal wurden Cysten drainiert. Im Anschluß an die Operation
starben insgesamt 19 — 30°, der Operierten. Nur drei von allen Ope-
rierten lebten noch sechs Jahre nach dem Eingriff, alle andern starben
innerhalb der folgenden drei Jahre; dabei war das Nahresultat oft ein
ausgezeichnetes gewesen, trotzdem immer Rezidiv. In drei noch lebenden
Fällen sind seit der Operation noch keine drei Jahre vergangen.
Angesichts dieser wahrhaft betrübenden Spätresultate ist Taylor
für viele Fälle ein begeisterter Verfechter der einfachen, frühzeitigen
Dekompression geworden; sie soll beim Fehlen einer ganz genauen Lo-
kalisation angewandt werden. (Ann. of surg. 1912, Juli.)
Albert Wettstein (St. Gallen).
Nach Dr. Knipe (New York) kommt die Osteomalacie in Ame-
rika seltener vor als auf dem europäischen Kontinent. Bis zum Jahre
1895 hatte Dr. Doelz zehn Fälle berichtet, die amerikanischer Ab-
stammung, alle Frauen, fünf ledig und kinderlos; vier von den Ver-
heirateten hatten zahlreiche Kinder (fünf bis zehn), die Krankheit hatte
erst nach der Menopause begonnen. Ein puerperaler Fall war 35 Jahre
unter Beobachtung.
Seit 1895 liegen zehn weitere Beobachtungen vor, zwei Männer,
einer aus England, der andere aus Norwegen; die Hälfte unter 25 Jahren;
von sieben weiblichen hatten vier nie geboren; fünf stammten aus Ame-
rika oder Kanada,
Knipe glaubt übrigens, dab das Vorkommen doch ein weit
größeres sei; die leichten Fälle gingen unter dem Namen Rheumatismus
unerkannt durchs Leben, die schweren starben an interkurrierenden
Krankheiten. Bis jetzt hat die Entfernung der Ovarien die besten Re-
sultate ergeben. (Br. med. j., 29. April 1912, S. 1501.) Gisler.
Untersuchungen an Typhusbacillenträgern haben nach Gould
und Qualls (St. Louis) ergeben, daß zwar die Gallenblase der Lieblings-
sitz der Bacillen ist, daß sie aber auch in der Prostata ausgeschieden
oder mit dem Sputum exspektoriert werden können. Die Zahl der Leuko-
cyten war eine normale; indessen bestand eine prozentuale Vermehrung
der großen mononucleären Zellen und eine Erhöhung des opsonischen
Index. Mit der Aggiutinationsprobe lassen sich Bacillenkörper nicht er-
kennen. (J. of the Am. Ass. 1912, Bd. 58. Nr. 8, 5.542. Dietschy.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
6. Oktober.
Hoffmann weist auf die Ausführungen von Ruge hin über die
Chininvorbeugung der Malaria, da sie mit früher aligemein gültigen
Anschauungen aufgeräumt haben. Es hat sich nämlich gezeigt, daß
selbst bei gewissenhaftester Verabreichung des Chinins in je einsm Gramm
jeden sechsten und siebenten Tag doch bei so vorbehandelten Fällen am
fünften und sechsten Tage Fieber auftreten kann. Auch die Neben-
erscheinungen bei dieser Verabreichungsweise sind außerordentlich un-
angenehm. Ruge empfiehlt daher, entweder jeden vierten Tag 1 g in Dosen
von 0,2 g zu geben oder jeden vierten und fünften Tag je 0,5 g. Nach
allen neueren Berichten scheint die Chininvorbeugung mit täglichen
kleinen Gaben von 0,25 bis 0,3 in den Tropen am meisten empfehlenswert zu
sein, da sie keine Nebenerscheinungen hervorruft und daher leicht durchzu-
führen ist. : Ueber die Chininvorbeugung darf zwar nicht der Stab ge-
brochen werden, denn sie hat zweifellos Nutzen gestiftet; aber man soll
sich bewußt sein, daß sie noch keineswegs so vollkommen ausgearbeitet
ist, um unter allen Umständen als unfehlbares Schutzmittel zu wirken.
(Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 34.) F. Bruck.
Einseitige Faclaliskonvrulsionen behandelt man nach Gordon
(Philadelphia) erfolgreich mit Alkoholinjektionen in den irritierten
Nerven. Die Folge davon ist dann eine Lähmung der betreffenden Seite,
die in einigen Wochen bis Monaten wieder verschwindet, ohne daß ein
Rezidiv der früheren Affektionen auftritt. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 58,
Nr. 2, S. 97.) Dietschy.
Die Wirkung des Salvarsans auf das Herz und die Gefäße
studiert Burzi. Subjektive Störungen nach Arsenobenzolinjektionen sind
ein seltenes Vorkommnis: es handelt sich um ein Gefühl von Herz-
klopfen mit Beklemmung. Viel häufiger hat Burzi objektive Störungen
konstatiert, obwohl er grundsätzlich Patienten mit früheren Herz-
störungen oder Arteriosklerose unberücksichtigt ließ. Meistens geht der
Blutdruck einige Stunden nach der intravenösen, einen bis zwei Tage
nach der intramuskulären Einspritzung um zirka 15 mm Riva-Rocci
herunter und kehrt erst nach einigen Tagen zur Norm zurück. Seltener
wird Tachykardie, noch seltener Arrhythmie beobachtet; diese Phänomene
halten gewöhnlich nicht lange an. Bradykardie boten nur 8,5% der
Injizierten dar; sie scheint eher nach intravenöser Applikation vorzu-
kommen, im Gegensatz zur Tachykardie, die man besonders nach sub-
kutanen und intramuskulären Einspritzungen ‚konstatiert. In einem Fal
erreichte die Tachykardie einen hohen Intensitätsgrad, indem der Puls
binnen drei Tagen auf 44 herunterging und trotz Atropininjektionen
tagelang nicht frequenter wurde. Als sich dann Schwindelerscheinungen,
Sinken des Blutdrucks und Herzdilatation der Bradykardie hinzugesellten,
mußten Coffein- und Strychnininjektionen vorgenommen werden, trotz
welcher die Bradykardie nur langsam zurückging. Burzi hält dieses
Phänomen für den Ausdruck einer Herxheimerschen Reaktion, das
heißt für das Aktivieren eines latenten specifischen Prozesses durch das
Arsenobenzol. (Rif. med. 1912, Nr. 11.) Rob. Bing (Basel).
Gegen Ulcus ventriculi:
Rp. Magnesiae hydrat. . . 22.2... 18
Natr. biearbonic. . . . : 2 2.2.2. 10
Cretae.
Bismuth. subnitric. . 22.2.3 0,6
Belladonnae pulver. . . 2 . . . . 0,02. ,
(Eventuell, bei sehr starken Schmerzen, 0,01 Codein phosphoric. bel-
fügen.) D. tal. dos. ad capsul. amylac. Morgens 10 und nachmittags
4 Uhr eine Kapsel zu nehmen. (Robin, Rif. med. 1912, S. 616.)
Rob. Bing (Basel).
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Ervasin (Acetylparakresotinsäure)
nach eigenem Fabrikverfahren durch Acetylierung der Parakresotinsäure
hergestellt.
ČO OH
Formel: CeHsÇO - CH;CO
-\CH3
Eigenschaften: Ervasin bildet weiße, geruchlose Krystalinädel-
chen (vierseitige Prismen) von schwach säuerlichem Geschmack. In
kaltem Wasser schwer löslich, in den üblichen organischen Lösungs
mitteln leicht löslich. Beim Kochen mit Wasser tritt ebenso wie bel
Einwirkung von Alkalilauge oder von Alkalikarbonaten Zersetzung, Ver-
seifung ein. Schmelzpunkt 141° bis 142°,
Indikationen: Bei akutem und chronischem Gelenk- und Muskel-
rheumatismus, Influenza, Neuralgien, Gicht, Keuchhusten, Diabetes, Dys-
menorrhöe, überhaupt in allen Fällen, wo Acetylsalicylsäure Anwendung
zu finden pflegt. 1
Pharmakologisches: Die unangenehmen Nebenwirkungen 1
Acetylsalieylsäure, die auf die Salicylkomponente zurückzuführen 80“
6.. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
1641
treten hier — wenn überhaupt — kaum wahrnehmbar auf. Tierversuche
haben gegenüber der Acetylsalicylsäure eine weit. geringere Giftigkeit
ergeben. oo.
á Die Resorption erfolgt vom Darm aus, bereits nach 30 Minuten
konnte Ervasin im Darme nachgewiesen werden.
Nebenwirkungen sind nicht beobachtet worden.
Dosierung und Darreichung in Pulver: oder Tablettenform.
In leichten Fällen 3—4mal täglich zu 0,5, in schweren Fällen 3—4—bmal
täglich zu 1,0. Kindern die Hälfte,
Rezeptformel: Für die Kassenpraxis
Ervasin 0,5 20 Tabl. Ervasin 0,5 10 Tabl. Ervasin 0,5
.dts. Nr. X Originalröhre Originalröhre K. P.
3—4mal tägl. 1Pul. 83—4mal tägl. 1 Tabl. 3—4mal tägl. i Tabl.
Literatur: Prof. Rautenberg
Med. Kl. 1912, Nr. 14, Ehrlich;
Deutsche Medizinal-Ztg. 1912, Nr.37, Richter. |
Firma: Goedecke & Co., Berlin-Leipzig.
Bücherbesprechungen.
Hermann Gutzmann, Stimmbildung und Stimmpflege. Mit 57 Fi-
guren. 2. vermehrte Auflage. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann.
216 Seiten. M 3,20.
Es gibt reichlich Bücher über Gesang- und Stimmbildung. Die
darin oft von einer Gesangsgröße geäußerten Phantasien werden von den
Schülern als bare Münze genommen. Oft hört der Laryngologe in
der Sprechstunde: Mein Lehrer sagt, Entfernung der Mandeln (oder
irgendein anderer notwendig gewordener Eingriff) verdirbt die Stimme.
Darum ist es zu begrüßen, wenn berufene Kräfte wie Gutzmann auch
durch gemeinverständliche Darstellung die Kenntnis über Stimmbildung,
Stimmpflege verbreiten. Es werden in dem vorliegenden Werk in zwölf
Vorlesungen Anatomie, Physiologie und Pathologie der: Stimme be-
sprochen. Die für Sänger und Redner wichtigen Punkte werden be-
sonders berücksichtigt. Die schädlichen Folgen des falschen Gesang-
unterrichts in der Schule, das Singen während der Mutation werden mit
Recht nachdrücklich beleuchtet. | |
Experimente werden anschaulich geschildert, gute Abbildungen
sind beigefügt.
Jedem Redner, Sänger, Kommandorufer müßte der Inhalt des
Büchleins vertraut sein. Auch dem Arzte, dem es an der Zeit fehlt, sich
in die umfangreiche Literatur und Spezialwerke einzuarbeiten, wäre dieses
Buch warm zu empfehlen, da es in prägnanter Kürze das Wichtige der
Materie gibt. Haenlein.
Die neu erschienene 219. bis 220. Lieferung des Handbuchs der
gesamten Augenheilkunde von Graefe-Saemisch enthält die
Fortsetzung der Behandlung der Verletzungen aus der Feder A. Wagen-
Manns. .
‚... Der Autor behandelt in diesem Teil die Verletzungen durch ther-
mische, chemische und elektrische Einwirkung, sowie durch anderweitige
strahlende Energien (leuchtende und ultraviolette Strahlen, Röntgen-
strahlen, Radiumstrahlen). Es ist zu bedauern, daß die beigegebene
Röntgenphotographie nur sehr unvollkommen den gewünschten Bildeffekt
argibt. C. Adam (Berlin).
Gerhard Hahn, Das Geschlechtsleben des Menschen. Mit 47 Toxt-
abbildungen und 3 farbigen Tafeln. Leipzig 1911, Joh. Ambrosius
Barth, 123 S. M3,—.
Das (mit einem Begleitworte von A..Blaschko versehene) Buch
lürfte seinen Zweck, über Grundfragen des Geschlechtslebens in einer
ür Laien verständlichen Weise aufzuklären, im allgemeinen wohl aus-
reichend erfüllen. Ganz besonders darf dies von den ersten, die Lehre
von der Fortpflanzung und die Fortpflanzungsorgane, den Befruchtungs-
vorgang, die ersten Eintwicklungsstadien des befruchteten Eies sowie
dessen fernere Entwicklung, Vererbungslehre usw. behandelnden Kapiteln
gelten; was hier geboten wird, dürfte zur Orientierung meist hinreichen,
ist klar und dem Verständnisvermögen gebildeter Laien durchaus ange-
paßt und durch zweckmäßig gewählte, gut ausgeführte Textbilder reich-
lich unterstützt. Weniger befriedigend erscheinen manche der späteren
Abschnitte, die sich auf Ehe und Prostitution, Geschlechtskrankheiten und
ihre Bekämpfung, Verirrungen des Geschlechtstriebs, sexuale Hygiene,
sexuale Pädagogik und Ethik beziehen; bei diesen allerdings sehr schwie-
rigen Fragen wird man je nach dem eingenommenen Standpunkte bald von
einem zu viel, bald von einem zu wenig sprechen und auch den Ansichten
und Aeußerungen des Verfassers nicht durchweg beistimmen. — Dem
gut ausgestatteten Buche sind 47 Textabbildungen und 3 Farbentafeln
beigegeben. Von letzteren paßt die erste, dem Buche vorangestellte —
die aus Jacobis Atlas entnommene Abbildung eines ausgedehnten Lippen-
schankers — wohl nicht recht hierher, trägt außerdem die irreführende
Unterschrift „Sclerosis syphilitica labii majoris“ und die nicht minder
irreführende Ueberschrift „Zu Hahn, Die Grundlagen des Geschlechts-
lebens“ — wogegen Tafel2 und 3 „Die Grundfragen des Geschlechts-
lebens“ überschrieben sind, und das Buch selbst sich einfach „Das Ge-
schlechtsleben des Menschen“ betitelt! A. Eulenburg (Berlin).
A. Sonntag und H. J. Wolff, Anleitung zur Funktionsprüfung
des Ohres (Prüfung des Gehör- und Gleichgewichtsappa-
rates). Mit einem Vorwort von Prof. Dr. G. Brühl. Mit 19 Ab-
bildungen. Berlin 1912, Verlag von S. Karger. 69 Seiten. M 2,50.
Nach einer physiologisch-akustischen Einführung wird die Prüfung
der Hörweite für Sprache, konstante Geräusche, für Töne gegeben. In
weiteren Kapiteln folgt unter anderm Feststellung der Taubheit, Prüfung
bei Simulationsverdacht. In der zweiten Hälfte werden die in der Neu-
zeit ausgebauten Prüfungen des Gleichgewichtsapparates geschildert.
Drehnystagmus, kalorischer, Kompressions- und Aspirationsnystagmus.
Mit Recht wird der galvanische Nystagmus zur Entscheidung der Funktions-
fähigkeit des Labyrinths abgelehnt. Den Anhang des zweiten Teils bildet
eine übersichtliche Tabelle zur Differentialdiagnose der wichtigsten La-
byrintherkrankungen.
Bei der Wichtigkeit der Funktionsprüfung des Ohres für die Ohren-
heilkunde und ihre Grenzgebiete verdient das gut geschriebene, alles
Wichtige berücksichtigende Buch sehr das Interesse der Aerzte.
Haenlein.
W. Karo, Die Gonorrhöe des Mannes, ihre Pathologie und Tho-
rapie. Berlin 1911, Julius Springer. 100 S. M 2,80.
Der Verfasser hat es verstanden, auf diesen wenigen Seiten die Go-
norrhöe so vollständig zu bearbeiten, daß praktische Aerzte und Studierende,
für welche das Buch bestimmt ist, die Krankheit darnach mit Verständ-
nis behandeln können. Für Kassenärzte ist die von Karo geübte Be-
handlungsmethode viel zu teuer. Er bevorzugt die Präparate der Firma
Poehl (Orchicetin, Spermin usw.). Statt Injektionen mit der Tripper-
spritze läßt er Tubogonaleinspritzungen machen, das ist eine dem Ka-
theterpurin ähnliche Masse, welche aus einer Tube in die Harnröhre ge-
| drückt wird. Die angeblichen glänzenden Heilerfolge konnte ich nicht
nachprüfen. Dagegen habe ich mich davon überzeugt, daß die vom Ver-
fasser besonders gelobten Buccosperinkapseln durchaus nicht mehr helfen
als die bekannten Kawasantalkapseln. Der Preisunterschied (2,50 M für
50 Stück zu 4,50 M) ist höchstens in der Praxis aurea gerechtfertigt,
weil die Buccosperinkapseln Geloduratkapseln sind und sich im Magen
nicht auflösen. A.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versichgrung),
Redigiert von Dr, Hormann Engel, Berlin W 80,
Paralysis agitans als Folge eines psychischen Traumas
von
San.-Rat Dr. Kaeß, Gießen.
Vertrauensarzt der Kgl, Eisenbahndirektion Frankfurt a. M.
Nach Untersuchung des Unterassistenten T. zu B. (18. Sep-
ember 1911) erstatte ich das von mir geforderte Gutachten über
lie Frage, a) ob dauernde Dienstunfähigkeit besteht und bejahenden-
alls b) ob die diese bedingende Erkrankung eine Folge eines vor-
'üsgegangenen psychischen Traumas darstellt.
‚ Schleppenden, schlotternden Ganges mit leicht gebeugten
ien und in nach vorn geneigter Haltung erschien bei mir der
:9jährige Mann. Ausgiebige Zitterbewegungen an dem Körper,
sonders den Armen, fallen sofort auf und beschränken die
Leistungsfähigkeit der Arme derart, daß zum Auskleiden fremde
Hilfe erforderlich ist. T. gibt an, einer gesunden Familie zu ent-
stammen, in welcher Nervenleiden und Trunksucht unbekannt sind.
Er selbst will ernstlich nie krank gewesen sein, insbesondere Ge-
schlechtskrankheiten nicht erworben haben; seit 1893 verheiratet,
habe er sechs gesunde Kinder, Fehlgeburten seien bei seiner Frau
nicht vorgekommen. Im Alkoholgenusse sei er sehr mäßig ge-
wesen, habe nur zuweilen ein Glas Bier getrunken, geraucht habe
er drei bis vier Pfeifen am Tage.
Die ersten Erscheinungen seiner jetzigen Krankheit hätten
nach einem heftigen 1898 im Dienst erlittenen Schreck ihren An-
fang genommen und sich allmählich im Laufe der 13 Jahre zu
dem heutigen schweren Zustand entwickelt. Die Veranlassung zu
der heftigen Gemütsbewegung schildert T. derart, daß am 23. Juli
ae E E ER
E
ENEL SE
BEER, PE E ES EE E
= á p- Že eoe L
een, e er LE
a $
= N
1642
1898 nachts, als er diensttuender Beamter einer kleinen Station B.
war, während eines Gewitters an dem Telegraphenapparat Alarm-
signal laut wurde, dem der dringende Ruf der benachbarten höher-
gelegenen Station folgte, es kämen zwei mit Steinen beladene
Wagen, welche sich losgelöst hätten, auf der Strecke angefahren.
Fast unmittelbar darauf seien diese Wagen schon, während T.
hinausstürzte, rasend herangekommen. In höchster Aufregung, da
ein entgegenkommender Güterzug auf der Strecke nur etwa zwei
Kilometer weit entfernt war, sei es ihm gelungen, noch durch
Weichenumstellung die Wagen auf das sogenannte tote Gleis ab-
zulenken. Infolge des ausgestandenen Schreckens habe T. mehrere
Nächte nicht schlafen können und will von der Zeit an sehr leicht
aufgeregt gewesen sein. Nach wenigen Wochen habe sich im
rechten Arme Zittern eingestellt, das bei jeder aus geringfügiger
Ursache entstandenen Aufregung sich stärker und störend be-
merkbar machte. Er sei dann vom Bahnarzte Dr. N. und noch-
mals 1901 von Dr. Str. (beide Aerzte sind inzwischen verstorben)
mit Elektrisieren behandelt worden mit anscheinend vorüber-
gehender Besserung. Besonders beim Telegraphieren habe sich
das Zittern des rechten Armes schon frühzeitig geltend gemacht,
während das Schreiben durch das Auflegen des Armes und An-
fassen mit der linken Hand noch längere Zeit wenig gestört
wurde. Das Zittern des rechten Armes zwang T. bereits 1900,
links zu telegraphieren, nahm rasch an Heftigkeit zu und ging
dann auf den linken Arm und beide Beine über. Ein erneutes
dienstliches Erlebnis (Zugtrennung eines durchfahrenden Zuges am
11. November 1909) verschlimmerte den Zustand derart, daß seit
diesem Tage dauernde Dienstunfähigkeit eintrat. Eine letzte Be-
handlung in der Universitätsklinik zu G. (1910) war auch ohne
Erfolg. T. weist bei einer Größe von 166 cm mittleren Knochen-
bau und mangelhafte Ernährung mit dürftigem Fettpolster auf.
Während schon beim Stehen und Gehen neben der eigentümlichen
nach vorn geneigten Haltung fortwährende zitternde Bewegungen
vorwiegend in den Armen (an Zahl etwa 160 bis 180 in der
Minute) auffallen, treten diese beim Sitzen auch noch deutlicher
in den Beinen hervor, stärker am rechten Beine wie auch am
rechten Arme.
Die Arme werden in leichter Beugestellung im Ellbogen-
gelenke gehalten, desgleichen die Finger in den Gelenken zu den
Mittelhandknochen, die Daumen stehen nach dem Zeigefinger zu
eingezogen, wobei die Finger gegen den Daumen fortwährende
Bewegungen wie beim Geldzählen ausführen. Die Muskeln an den
Vorderarmen fühlen sich leicht starr an. Der Gesichtsausdruck
des etwas nach vorn geneigten Kopfes hat etwas Starres, dabei
macht der Unterkiefer häufige Bewegungen. |
Bei gutem Gedächtnisse berichtet der Untersuchte ruhig
und sachlich. Weder Kopf noch Wirbelsäule zeigen besondere
Klopf- oder Druckempfindlichkeit. Die linke Lidspalte ist etwas
enger wie rechts, die Lidbewegung jedoch unbehindert, ebenso
erscheint die linke Pupille wenig enger, beide Pupillen reagieren
dabei prompt auf Lichteinfall. Die Augenbewegungen sind aus-
giebig, gleichmäßig, es findet sich kein Nystagmus. Das Gesichts-
feld ist nicht eingeengt. Die Zunge wird gerade herausgestreckt,
zittert dabei jedoch heftig. Die Lungen sind gesund. Herz-
dämpfung in normalen Grenzen, Herztöne rein, Herztätigkeit etwas be-
schleunigt, Puls von mittlerer Spannung. Leichte Schlängelung der
Schläfenarterien, doch keine Härte an der Wandung der Radialarterien _
bemerkbar.
wegungen der Extremitäten geordnet.
Abgesehen von dem Zittern vollziehen sich die Be-
Stehen bei Fuß-Augen-
schluß bewirkt kein Schwanken, doch starkes Flattern der Lider. .
Bindehaut-, Gaumen- und Bauchdeckenreflexe sind auslösbar, Knie-
scheibenbandreflexe beiderseits etwas verstärkt, doch gleich. Nach-
röten der Haut nicht vorhanden.
ändert. Die Organe des Unterleibs zeigen nichts Krankhaftes.
Der Urin ist frei von Eiweiß und Zucker.
Wir erkennen hier in den vorgeschilderten Eigentümlich-
keiten des Zitterns, der charakteristischen Haltung des Körpers
und der Muskelsteifigkeit das Bild einer ausgeprägten Schüttel-
lähmung (Paralysis agitans) in vorgeschrittenem Stadium. Der
derzeitige Zustand bedingt vollkommene Dienstunfähigkeit, und da
Heilungen der Schüttellähmung bisher nicht beobachtet worden
sind, ist die Dienstunfähigkeit als dauernde zu bezeichnen.
Ist nun die Erkrankung an Schüttellähmung in ursächlichen
Zusammenhang mit der angeführten Schreckwirkung (am 23. Juli
1898), als psychischem Trauma zu bringen? Die Schüttellähmung
ist eine nicht gerade häufige Erkrankung, über deren eigentliches
Wesen sowie die ihr zugrunde liegenden anatomischen Verände-
rungen bisher Sicheres nicht bekannt ist. In den meisten Fällen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
Die Sensibilität überall unver-
6. Oktober.
‚entsteht das Leiden ganz allmählich und nimmt einen sehr
schleichenden, sich über Jahre ja über Jahrzehnte hinziehenden
Verlauf. Als besondere Veranlassungsursachen hat man beobachtet
und verbürgt heftige Gemütsbewegungen und traumatische Ein-
flüsse, wobei die ersten Zeichen des Zitterns nach verschieden
langer Zeit, nach wenigen Wochen und nach Monaten aufgetreten
sind. Voraussetzung für die Annahme des ursächlichen Zusammen-
hangs der Entstehung des Leidens mit einer erlittenen Gemüts-
bewegung ist vor allen Dingen, daß die Gemütsbewegung von
einer gewissen Heftigkeit gewesen sein und einen direkten Einfluß
auf das Nervensystem erkennen lassen mußte, sodann daß die
Erscheinungen des Zitterns oder doch einer Unsicherheit in den
Bewegungen eines Körperteils (Arms) in nicht zu ferner Folge
aufgetreten sind. Beides trifft in unserm Falle zu. T. zeigte bei
und direkt nach dem Vorkommnisse vom 23. Juli 1898 heftige
Aufregung, sodaß er selbst die nach dem Unfall erforderlichen
telegraphischen Zugmeldungen nicht abzugeben vermochte, sondern
dieses durch den mit ihm Dienst tuenden Weichensteller D. tun
lassen mußte, wie aus den Akten ersichtlich. Auch das Fort-
bestehen einer Aufregung bei T. während der nächsten Tage ist
durch Zeugenaussagen bestätigt. Dabei muß bei der Beurteilung
noch berücksichtigt werden, daß die Schreckwirkung wohl deshalb
so intensiv den T. traf, weil das gleichzeitige nächtliche Gewitter
doch schon eine gewisse erhöhte Erregbarkeit vorbereitet hatte.
Der Zeitpunkt des Eintritts der Erscheinung des Zitterns
ist wohl in die nächsten Wochen nach dem Ereignisse zu ver-
legen. Ein Zeuge (Weichensteller D.) gestand, daß T. bald bei
Vorkommen geringfügiger Unregelmäßigkeiten im Dienst durch
Zittern der rechten Hand nicht fähig war, zu telegraphieren und
daß er dann, wenu das Telegraphieren mit der rechten Hand ihm
Mühe machte, mit der linken Hand zu telegraphieren versuchte
und später (seit 1900) nur noch links telegraphierte. Daß in der
Handschrift erst wesentlich später, erstmals 1904 (Blatt 33 der
Akten) die Zitterschrift erkennbar wird, beruht auf der Möglich-
keit, durch festes Auflegen des Armes, solange das Zittern noch
nicht allzu heftig geworden, die Hand noch ruhig zu stellen.
Durch Zeugenaussagen ist nun einwandfrei bestätigt, dab
der Vorgang (23. Juli 1898) eine hochgradige Gemütserregung bei
T. veranlaßte, sowie daß, dessen Angabe entsprechend, das Zittern
des rechten Armes bereits kurze Zeit nach dem Vorfalle sich ein-
gestellt habe. Wir müssen daher nach dem heutigen Stand
unserer Kenntnis über das Wesen der Sehüttellähmung und deren
Entstehungsursachen bekennen, daß mit großer Wahrscheinlichkeit
der geschilderte Vorgang als psychisches Trauma für die Ent-
stehung der Schüttellähmung bei T. verantwortlich zu machen ist.
Ich beantworte daher die mir gestellten Fragen dahin, daß erstens
T. durch die Erkrankung an Schüttellähmung dauernd unfähig ist
zur Erfüllung der Dienstobliegenheiten seiner jetzigen Stellung,
sowie eines andern Amtes von gleichem Rang und Einkommen,
zweitens die Entstehung der Schüttellähmung mit großer Wahr-
scheinlichkeit mit dem Unfalle vom 23. Juli 1898 in ursächlichem
Zusammenhange steht und auf diesen zurückzuführen ist.
Es erübrigt noch die Frage, ob und eventuell in welchem
Grade bei T. neben der dauernden Dienstunfähigkeit Hilflosigkeit
besteht. Nach dem preußischen Gesetze betreffend die Fürsorge
für Beamte infolge von Betriebsunfällen vom 2. Juni 1902 steht
den Beamten, die infolge eines im Dienste erlittenen Betriebs-
unfalls dienstunfähig und deshalb pensioniert werden, eine Pension
von 662/3 0/, ihres Diensteinkommens zu, und ist diese Pension bis
zu 100 ®/, des Diensteinkommens zu erhöhen, wenn der Verletzte
nicht nur völlig dienst- oder erwerbsunfähig sondern auch derart
hilflos geworden ist, daß er ohne fremde Wartung und Pflege
nicht bestehen kann. Dieses trifft nun bei T. nicht in dem vollen
Umfange zu, sein derzeitiger Zustand ist vielmehr derart, daß
wohl in Zeiten der Erregung, und solche war jedenfalls bei der
Untersuchung vorhanden, die Leistungsfähigkeit der Arme 80 be-
einträchtigt ist, daß das selbständige An- und Auskleiden, wie ich
es selbst beobachten konnte, fast unmöglich wird. T. bedarf nicht
unausgesetzter Wartung, es liegt vielmehr nur teilweise i
losigkeit vor, welche sich auf zeitweilige Hilfe beim Aus- und
Ankleiden, vielleicht auch bei den Mahlzeiten im Zerkleinern der
Speisen und dergleichen beschränkt. Umhergehen kann T. ohne
fremde Hilfe. Dieser Zustand teilweiser Hilflosigkeit kann
schätzungsweise mit 500/9 des Pensionszusatzes für völlige HI
losigkeit bewertet werden. Da jedoch der Krankheitsprozed der
Schüttellähmung unaufhaltsam fortschreitet, so dürfte in absel.
barer indes nicht genau vorauszubestimmender Zeit der Eintrit
völliger Hilflosigkeit zu erwarten sein. |
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
1643
Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Münster.
Sektion für Kinderheilkunde.
Originalbericht von Prof. Dr. Arthur Keller, Berlin.
Otto Heubner (Berlin): Ueber chronische Nephrose im
Kindesalter. Auf 17000 Gesamtaufnahmen, welche in den letzten
17 Jahren in der Berliner Kinderklinik erfolgten, kamen 73 Kinder mit
chronischer Nephrose. Der Hauptanteil unter den Erkrankungen fiel auf
zwei Formen. An erster Stelle (30 Fälle) steht ein Syndrom, wie es
beim Erwachsenen nicht oder nur sehr selten beobachtet zu werden
scheint, eine chronische hämorrhagische Nephrose, welche einerseits
durch die monate- und jahrelange, fast ununterbrochen bestehende hämor-
rhagische Beschaffenheit des Urins und anderseits durch das regelmäßige
Auftreten meist sehr hochgradiger Wassersucht gekennzeichnet wird.
Die Urinmenge ist zumeist unternormal, der Eiweißgehalt bedeutend.
Im Sediment weiße und rote Blutkörperchen und Cylinder aller Art.
Immer besteht eine Gefahr der Urämie. Die Prognose ist stets un-
günstig. Aetiologisch scheint eine kostitutionelle Veranlagung (Lym-
phatismus) unter Hinzutritt infektiöser Momente von Bedeutung zu sein.
Eine zweite Form (16 Fälle) steht der ersten zwar nahe, unter-
scheidet sich aber von ibr dadurch, daß der hämorrhagische Charakter
vollkommen fehlt und daß der Verlauf zumeist nicht so protahiert ist
wie bei der ersten Form. Die Behandlung beider Formen ist symptoma-
tisch und leistet am ehesten etwas in der Beseitigung des Hydrops durch
Diuretica und Digitalis.
Diesen 46 Fällen stehen 17 Fälle leichterer Natur gegenüber, von
denen 13 zur Pädonephritis gehören und 4 zur intermittierenden Albu-
minurie mit nephritischen Erscheinungen. Das Besorgniserregende bei
diesen beiden Gruppen besteht in der langen Dauer der Erkrankung. Die
Behandlung ist diätetisch; der Vortragende warnt ausdrücklich davor,
auch in diesen leichten Fällen den ganzen großen Apparat wie bei Be-
handlung schwerer Formen anzuwenden.
Der Rest der Fälle besteht aus einigen Erkrankungen an Schrumpf-
niere und aus chronischen Nierenaffektionen im Anschluß an Pyelitis.
Dikussion: Friedrich von Müller (München) weist darauf
hin, daß Nierenerkrankungen mit dauernder Blutausscheidung größten-
teils auf vorangehende einmalige oder wiederholte Anginen zurückzuführen
sind; sie gehen beim Erwachsenen nicht so häufig mit Oedemen einher
als beim Kind und sind auch prognostisch weniger ungünstig. Die Stick-
stoffausscheidung ist zumeist gestört und daher diagnostisch und pro-
gnostisch wichtig. Göppert (Göttingen): Nach Pyelitis findet sich sehr
häufig monatelange Eiweißausscheidung; meist sind es leichtere Fälle.
Abelmann (St. Petersburg) beobachtete unter zirka 1000 Fällen beim |
Kinde 88 Fälle von chronischer Nephritis, die zumeist der von Heubner
geschilderten ersten Gruppe angehörten.
Schick (Wien) berichtet über Untersuchungen von Schick und
Magyar: Ueber Diphtherietoxin-Intracutanreaktion beim Menschen.
Darch intracutane Injektion von Diphtherietoxin in der Menge von 0,1
ner Verdünnung von 1:1000 wird eine Hautreaktion erzielt, deren
Entstehen durch gleichzeitige Injektion von Heilserum unterdrückt wird.
Von den untersuchten zirka 400 Kindern reagierten etwa die Hälfte
positiv. Es konnte in 50 Fällen nachgewiesen werden, daß positiv rea-
jierende Fälle keinen Schutzkörper im Serum besitzen, während bei
ıegativem Ausfalle Schutzkörper im Serum nachweisbar sind. Die Beob-
ıchtung, daß Tuberkulöse nicht nur auf Tuberkulin, sondern auch auf
Jiphtherietoxin positiv reagieren, wurde nicht bestätigt. (160 Fälle
leichsinniger, 150 Fälle divergenter Ausfall.)
Diskussion: Noegerath (Berlin) fragt an, ob den Untersuchun-
‚on ein diagnostischer Wert, z. B. bei Eruierung der diphtberischen
\etiologie von Lähmungen beizulegen ist. Bahrdt (Berlin) fragt an, ob
'esondere Beziehungen zu der Reaktion bei den Bacillenträgern bestehen.
3auer (Düsseldorf) bestreitet mit dem Vortragenden die Annahme von
er unspecifischen allgemeinen Allergie, z. B. bei Tuberkulose.
Schick (Schlußwort): Postdiphtherische Lähmungen geben einen
egativen Ausfall der Reaktion, wenn Antitoxin im Blutserum verhanden
it, und das ist meist der Fall.
Johanna Schwenke (Breslau): Ueber die diagnostische Be-
eutung der Döhleschen Leukocyteneinschlüsse bei Scharlach. Im
anzen wurden 81 Fälle, darunter 11 Scharlachfälle, untersucht. Letztere,
ı der ersten Krankheitswoche untersucht, gaben alle positiven Befund.
he Einschlüsse nahmen von Tag zu Tag ab und sind jenseits des
‘benten Krankheitstags nur noch vereinzelt zu finden. Für Scharlach
athognostisch sind die Leukoeyteneinschlüsse nicht. Sie finden
ch z. B, in allen Fällen von croupöser Pneumonie (zweiter bis neunter
Krankheitstag) und bei einer ganzen Reihe anderer Erkrankungen. Die
Annahme Döhles, daß es sich um eine Spirochäteninfektion handelt,
erscheint der Vortragenden unwahrscheinlich. Es dürfte sich bei den
Einschlüssen um eine Reaktion des hämatopoetischen Systems auf bak-
terielle Gifte handeln.
Diskussion: Vogt (Straßburg): In der Kinderklinik untersuchte
Kretschmer zirka 100 Scharlachfälle und zirka 170 Kontrollfälle In
sämtlichen Scharlachfällen fiel das Ergebnis positiv aus, soweit die Unter-
suchungen innerhalb der ersten acht Krankheitstage ausgeführt wurden.
Bei den Nicht-Scharlachfällen fielen die Untersuchungen vielfach positiv aus;
doch finden sich die Einschlüsse regelmäßig und am schnellsten beiScharlach.
Roberg (Münster i. W.): Ueber einen Fall von eigentüm-
lichem Serumexanthem nach Einspritzung von Diphtherieserum.
Nach Injektion von 2000 I.-E. von Höchster Antidiphtherieserum bei
einem an Diphtherie kranken, ein Jahr alten Knaben trat zwölf Tage
nach der Injektion ein stark juckender Quaddelausschlag und am nächsten
Tag ein Hautausschlag von teils hellroten, teils blauen Stellen auf, der
dem Körper ein marmoriertes Aussehen gab.
Diskussion: v. Pirquet (Wien) bemerkt, daß die beschriebene
Abart des Serumexanthems bei den jetzt üblichen Dosen von Diphtherie-
serum nur selten vorkommt; häufig dagegen in früherer Zeit und bei den
großen Serumdosen, wie z. B. beim Scharlachserum.
Dünzelmann (Leipzig): Salvarsan und Neosalvarsan bei Lues
congenita. Die Untersuchungen erstrecken sich auf ein Material von
40 Fällen, bei welchen, da die subcutane und intramuskuläre Methode
sich wegen der Gefahr von Nekrosebildung als ungeeignet erwiesen hatte,
nur intravendse Injektionen ausgeführt wurden, und zwar in zehn Fällen
stark verdünnte Lösung, in den übrigen 5°/oige Lösung; in letzter Zeit
0,1 bis 0,2 Neosalvarsan pro Injektion und bis zu 1,6 Neosalvarsan in
neun Injektionen bei einem Kinde. Die Wirkung des Mittels auf die
lustischen Symptome war immer sehr auffallend. Das Exanthem und die
Papeln verschwanden prompt, nicht so schnell die Rhinitis, Milz- und
Lebertumor und Osteochondritis. Besonders stark reagierten vorher schon
Infizierte (Bronchitis, Bronchopneumonie). Alle Erscheinungen, welche
nach der Injektion eintraten, waren bei den verschiedenen Kindern äußerst
wechselnd. Zweimal traten nach der Injektion multiple Hautnekrosen
auf. Von 37 intravenös mit Salvarsan oder Neosalvarsan injizierten Kindern
starben fünf. Rezidive wurden fünfmal beobachtet. Das Neosalvarsan,
in der Wirkung dem Salvarsan gleich, .hat den Vorzug schnellerer Lös-
| lichkeit und einfacherer Zubereitung, vielleicht auch geringerer Giftig-
keit. Auch besteht weniger die Gefahr der Nekrose. Die mit Queck-
silber kombinierte Behandlung scheint der alleinigen. Salvarsantherapie
' überlegen zu sein.
Welde (Berlin): Poliklinische Behandlung der kongenitalen
Lues mit Neosalvarsan (beziehungsweise Salvarsan). Ambulant be-
handelt wurden 30 Fälle mit insgesamt 122 Injektionen, davon 70mal
nur intravenös (mit Altsalvarsan). 52mal mit Neosalvarsan (24 intra-
venös, 28 intramuskulär). Die Dosierung war regelmäßig 0,1 Altsalvarsan.
Zumeist Lösungen von 0,1 auf 2; sämtliche intravenösen Einspritzungen
in die Schädelvenen. Der Erfolg spricht dafür, daß die Salvarsanbehand-
lung bei nicht allzu schweren Fällen (die visceralen Fälle wurden der
Klinik überwiesen) auch ambulant mit Erfolg durchgeführt werden kann.
Ellenbeck (Düsseldorf): Zur Hämolyse der Frauenmilch. In
der Frauenmilch entsteht beim Aufbewahren ein inkomplexes, stabiles
' Hämolysin. Die Bildung desselben wird verzögert durch starkes Er-
wärmen oder Abkühlen, findet aber im Eisschranke gut statt. Hierdurch
kann das Bestehen eines hämolytischen Komplements vorgetäuscht werden.
Der Ursprung dieses Hämolysins liegt in der Sahne der Frauenmilch.
In der Kuhmilch findet es sich nicht.
Diskussion: Söldner (Stuttgart) macht darauf aufmerksam, ob
nicht die Einwirkung des Sauerstoffs der Luft beim Stehen und Schütteln
der Frauenmilch zur Bildung der hämolytischen Wirkung führe. Engel
(Düsseldorf): Die Veränderungen der Frauenmilch beim Schütteln be-
ziehen sich namentlich auf das Fett. Bauer (Düsseldorf): Das inkom-
plexe Hämolysin der Frauenmilch, wie es der Vortragende beschreibt, hat
nichts mit der Komplementhämolyse zu tun. Kuhmilch besitzt das in-
komplexe Hämolysin nicht. Köppe (Gießen): Von der Entfernung aus
der Milchdrüse an ändert sich die Milch ununterbrochen. Es können
dabei auch fermentartige Stoffe entstehen: die Peroxydasereaktion fällt
positiv aus; der Gehalt an Katalase nimmt ab.
Moro (Heidelberg): Molke und Zelle. Kritik der sogenannten
Molkenaustauschversuche von L. F. Meyer unter Vorführung neuer Er-
nährungsversuche an sieben Säuglingen. Bericht über Versuche zur Be-
antwortung der Frage nach dem Einflusse der Molke auf die Darm-
epithelzelle Methodik: Vitale Zellfärbung und Zellatmung.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40 6. Oktober.
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z Diskussion: Friedenthal (Nikolassee): Für die Vitalfärbung
Ä wäre Methylenblau besser geeignet gewesen. Bahrdt (Berlin) meint,.
man hätte statt der Darmepithelzellen Magenepithelien verwenden sollen.
Finkelstein (Berlin) geht ausführlich auf die Ludwig F. Meyerschen
bleiben, verfügen die Tiere, wenn sich die Hemmung des Wachstums
nicht über die ganze Jugendzeit erstreckt, noch über eine lebhafte
Wachstumsfähigkeit und sind imstande, die Folgen der erlittenen Wachs-
tumsbeschränkung anscheinend restlos auszugleichen. Nur wenn die
Molkenaustauschversuche ein und verweist auf die Ausführungen in seinem
Lehrbuche.
E. Benjamin (München): Zur Frage der Schwerverdaulichkeit
des Kuhmilcheaseins. Aus den Austauschversuchen L. F. Meyers
läßt sich nicht ableiten, daß die Verschiedenheit der Molke vor allem
andern die Ursache für die verschiedene Bekömmlichkeit der Kuh- und
Frauenmilch ist. Bei Frauenmilchmoike + Kuhmilchfett - Casein
kommt es zuweilen zu toxischen Erscheinungen, fast stets zur Entleerung
zäher Klumpen im Stuhle, deren Zusammenhang mit dem Casein sich
erweisen ließ. Bei Eiweißmilch kommt es dagegen niemals zur Aus-
scheidung derartiger Gebilde, wenn der ihr zugefügte Käse aus roher
Milch stammt; wird dagegen ihr Buttermilchanteil durch rohe Mager-
milch ersetzt, so treten häufig Bröckel auf, deren Zahl, Größe und Kon-
sistenz durch Milchsäurezusatz verringert werden kann. Jene Säuglinge,
die bei Fütterung mit diesem Gemische große Mengen Casein aus-
scheiden, gedeihen scheinbar auch bei Ernährung mit gewöhnlicher
Eiweißmilch langsam.
Kleinschmidt (Marburg): Experimentelle Untersuchungen
über Sensibilisierung durch Milchfütterung. Darmgesunde, aus-
gewachsene Meerschweinchen, die zirka drei Wochen mit Kuhmilch ge-
füttert wurden, bekamen regelmäßig nach intrakardialer Injektion von
Kuhmilch Ueberempfindlichkeitserscheinungen, gewöhnlich schwersten
anapbylaktischen Shock mit tödlichem Ausgange. Mit kurz aufgekochter
Milch sind die gleichen Resultate zu erhalten. Bei Verwendung von
I Stunde gekochter Milch treten höchstens leichte oder zweifelhafte Er-
scheinungen ein. An der entstandenen Ueberempfindlichkeit sind sowohl
Casein wie Albumin beteiligt, wie durch Injektion dieser Eiweißkörper
nach Milch beziehungsweise Molkenfütterung bewiesen wurde. Antiana-
phylaxie durch Milchfütterung nach subcutaner Sensibilisierung zu er-
zeugen, gelang nicht.
Diskussion: Bahrdt (Berlin): Beweisend würden erst Versuche
sein, per os gegen eine Zufuhr per os zu sensibilisieren. Lust (Heidel-
berg) sieht das Auffallende an den Versuchsergebnissen darin, daß der
anaphylaktische Zustand bei intakter Darmwand sich erzielen ließ. Ihm
selbst sei es beim Meerschweinchen nicht gelungen, den Uebergang von
artfremdem Eiweiß ins Blut nachzuweisen solange nicht eine starke
Darmschädigung vorangegangen war; ebenso Krasnogorsky beim
Hunde. Bauer (Düsseldorf) ist es nicht gelungen, Meerschweinchen
durch Verfüttern von Kuhmilch gegen diese zu anaphylaktisieren. Lang-
stein (Berlin) hebt hervor, daß die Versuchstiere, an denen Kassowitz
arbeitete, an einer hochgradigen Enteritis litten, die durch Podophyllin
hervorgerufen war.
C. T. Noegerath (Berlin): Einfluß der Zubereitung auf die
Verlabbarkeit von Säuglingsmilch. N. verglich die Verlabungszeiten
roher, pasteurisierter und gekochter Vollmilch, sowie ihre Verdünnungen
mit Wasser, Schleimen und Zuckerarten untereinander. Die Cerealien.
schleime. (Reis, Weizen, Hafer), sowie Soxhlets Nährzucker, Rade-
manns und Kufeckes Mehl wirkten stark, Theinhardts Infantina
weniger und Nestles Mehl kaum beschleunigend auf die Verlabung.
Letzteres hemmte gelegentlich ebenso wie manchmal Malzzucker und
wie regelmäßig Rohr- und Milchzucker. Erhöhte Konzentration der
Schleime und Zucker beschleunigt die Verlabung. Hierzu kommt die
verlangsamende Wirkung steigender Erhitzung, sowie des Zusatzes von
Wasser. In den verschiedenen trinkfertigen Schleimzucker-Milchmischungen
addieren sich die Einflüsse gleichsinnig wirkender Zusätze, während bei
deutlich entgegengesetzt wirkenden Bestandteilen das stärkere die Ver-
labungsgeschwindigkeit beeinflußt. Erhitzen und Verdünnen und in er-
höhtem Maße Schleimzusatz lassen den Käse lockerer werden, während
die Zucker mit Ausnahme des verhärtenden Soxhletschen Nährzuckers
hierfür bedeutungslos sind. Jedenfalls verwandeln sich zum mindesten
beim jungen Säuglinge die in praxi verwendeten Milchmischungen nicht
zu abschmelzenden Klumpen, sondern in durehgemischte Breie.
Hans Aron (Breslau): Weitere Untersuchungen über die Be-
einflussung des Wachstums durch die Ernährung. In Fortsetzung
älterer Untersuchungen an Hunden wurden die Wirkungen einer zeit-
weisen Unterernährung (Beschränkung der Nahrungszufuhr) bei wachsen-
den Ratten studiert. Trotz Gewichtsstillstandes schreitet auch hier das
Knochenwachstum und damit das Längenwachstum im Anfange deutlich
fort, wie sich auf Photographien und Röntgenbildern zeigen läßt. Die
chemische Analyse ergibt selbst bei Gewichtsabnahme eine Vermehrung
des absoluten Mineralstoffbestandes, und bei Gewichtsstillstand kann der
Aschegehalt bis auf das Zweieinhalbfache zunehmen. Selbst nach sehr
intensiver Beschränkung der Nahrungszufuhr, durch die die Tiere an
Gewicht und Größe weit hinter ihren normalen. Brudertieren zurück-
Nahrungsbeschränkung und die dadurch hervorgerufene Wachstums-
hemmung über die ganze Jugendzeit andauert, dürfte, nach einem
früheren Hundeversuche zu urteilen, die Wachstumsfähigkeit erlöschen.
Diskussion: Schloßmann (Düsseldorf) weist auf die völlige
Analogie der Tierexperimente mit den klinischen Beobachtungen an atro-
pbischen Kindern hin, bei denen die spätere Entwicklung in vielen Fällen
sich ganz normal abspielt, wenn die richtige Nahrung in ausreichender
Menge gegeben wird. Tobler (Breslau) begründet nochmals gerade die
Austellung von Tierversuchen und bespricht die Möglichkeit eines Nach-
wachstums. Ä
Erich Aschenheim (Heidelberg): Beitrag zum Fett-, Kalk-
und Stickstoffwechsel des Säuglings. Bei Verabreichung einer fett-
reichen und kalkarmen Nahrung kommt es nicht zur festen Stuhlbildung.
Bei Darreichung fettfreier Kost findet sich stets etwas Fett im Kote, das
demnach in den Darm ausgeschieden sein muß. Die absoluten Mengen
sind so gering, daß sie bei Berechnung der Fettausnutzung bei fettreicher
Kost wohl vernachlässigt werden können. Dagegen ergibt eine prozentuale
Berechnung, daB ein nicht unerheblicher Teil des Trockenkots bei fett-
freier Kost von Darmfett gebildet werden kann. Der Kalkstoffwechsel
steht stets in engstem Zusammenhange mit dem Fettstoffwechsel. Dies
zeigt sich bei allen Kindern in der Beeinflussung der Kalkausscheidungs-
wege: Bei fetthaltiger Kost geht die Harnkalkmenge zugunsten der Kot-
kalkmenge zurück, während bei fettreicher Kost das umgekehrte Ver-
halten Platz greift. Beim gesunden Kinde wird durch diese Korrelation
der Ausscheidungswege eine Verschlechterung der Kalkbilanz meist ver-
bindert, während beim kranken oder rekonvaleszenten Kinde die Ver-
mehrung der Kotkalkmenge bei vermehrter Fettzufuhr so groß sein kann,
daß es zu einer deutlichen Verschlechterung respektive negativen Kalk-
bilanz kommen kann. Der Stickstoffnutzungswert wurde in zwei unter-
suchten Fällen durch eine Fettzulage sehr gebessert.
Diskussion: Tobler (Breslau) weist auf seine früheren Unter-
suchungen über Phosphaturie und Calcariurie hin, sowie auf den Versuch
Molls, den Einfluß des Fettes therapeutisch zu benutzen, um die ver-
mehrte Harnkalkmenge nach dem Darm abzuleiten. Bahrdt (Berlin)
sieht gleichfalls in der durch die Fettzufuhr hervorgerufenen erhöhten
Kalkausscheidung in den Darm einen Schutzmechanismus. °
Kassowitz und Langstein (Berlin): Gemtsekost im Säuglings-
alter. L. berichtet über Versuche mit nach dem Verfahren von
Friedenthal hergestellten Gemüsepulvern. Schon die Untersuchung
der Stühle jener Kinder, welche mit diesem Gemüsepulver ernährt wurden,
ließ den Schluß zu, daß die Ausnutzung eine ungleich bessere ist als
die der nach der .üblichen Art zubereiteten Gemüse. Vom klinischen
Standpunkt aus ist zu bemerken, daß es möglich ist, Kindern schon Im
fünften bis sechsten Monate Gemüsepulver in Milch und Milchmischungen
zu verabreichen; auch große Mengen werden ohne Schaden vertragen.
Bei der oft bestehenden Notwendigkeit, Säuglingen vom sechsten Monat
'an Salz in genügender Menge für den Gewebeausbau zuzuführen, ist
diese Tatsache von nicht geringer Bedeutung. Den stringenten Beweis
einer guten Ausnutzung gaben vier Stoffwechselversuche, die von K.
unternommen wurden, in denen sich zeigte, daß sowohl Stickstof
als auch Asche dieser Gemüsepulver vom Säuglinge verwertet werden
kann. Es scheint, daß diese Methode nicht nur bei der Ernährung des
gesunden Säuglings, sondern auch bei der des kranken Vorteil hat. Jeden-
falls verdient die Methode eine Erprobung in großem Stil.
E. Benjamin und H. Drey (München): Stickstoffansatz und
Wachstum bei einem Säuglinge. Ausgangspunkt der Untersuchung ist
der Versuch, eine „Wachstumskurve“ des Säuglings zu gewinnen. In
einem 7Otägigen Stoffwechselexperiment (unter Anwendung einer neuen
Vorrichtung zum Auffangen des Stuhles) wird die Kurve des Stickstoff-
ansatzes der Gewichtskurve an die Seite gestellt. Das schwer ernährungs-
gestörte Kind wird zuerst mit Frauenmilch, dann im Allaitement mixto
mit Magermilch (und Nährzucker) ernährt und akqairiert zum Schluß bei
ausschließlich künstlicher Nahrung (Magermilch mit Nährzucker) ‚eine
Dyspepsie. Die Stickstoffkurve verläuft völlig unabhängig von Perioden
der Körpergewichtszunahme und langdauernden Gewichtsstillständen
70 Tage hindurch ununterbrochen ansteigend. Je größere Stickstoff
mengen mit der Nahrung gereicht werden, um so steiler ist ihr Anstieg.
Im ganzen werden während der Versuchsdauer 70 g Stickstoff angesetzt.
Wenn die Verluste an Schweiß schätzungsweise mit 16 g veranschlagt
werden, so ergibt das einen berechneten Fleischansatz von 1652 g. Die
Gewichtszunahme beträgt aber nur 820 g. Unberücksichtigt bleibt der
Fettansatz, der die Differenz zwischen beobachteter und berechneter Ge-
wichtszunahme noch viel beträchtlicher machen würde. Es ist anzu
o
nehmen, daß, besonders während der Magermilchernährung, der Organismus
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr, 40. . 1645
eine durch Wasserabgabe bedingte Konzentrationsänderung durchmachta
(während der ausschließlichen Brusternährung stimmt berechnete und
beobachtete Gewichtszunahme gut überein), außerdem kommt eine Ab-
lagerung von Stickstoff in Form von Reserveeiweiß- oder Fleischextraktiv-
stickstoff in Frage. (Fortsetzung folgt.)
Kassel.
Aerzteverein. Sitzung vom 8. Mai 1912.
Wittgenstein: Der heutige Stand der Röntgenuntersuchung
des Magens. (Im Anschluß an die Verhandlungen des Kongresses für
innere Medizin.) Nach einem Hinweis auf das Hauptthema des dies-
jährigen Kongresses und seine Ergebnisse für die Röntgenwissenschaft
der Verdauungsorgane verbreitet sich W. zunächst über die heute übliche
Technik des Verfahrens. Es folgt die Darlegung, wie sich der normale
Magen und seine Funktionen auf Schirm und Platte ausnehmen. Sodann
werden die einzelnen Magenerkrankungen, für die die Radioskopie förder-
lich gewesen, abgehandelt: Gastroptose, Atonie, Ektasie, Ulcus, Sanduhr-
magen und.Carcinom. Eine größere Anzahl Pausen von Originalaufnahmen
dienen zur Illustration der pathologischen Verhältnisse. Dabei wird auf
den Inhalt der Vorträge von Rieder, Quervain, Magnus (Utrecht),
Grödel, v. Bergmann, Haudek und Andern, soweit sich diese For-
scher in. Wiesbaden zu dem Gegenstande geäußert, von Fall zu Fall ein-
gegangen. Auf die Wiedergabe der Einzelheiten darf um so eher ver-
ziehtet werden, als das Referat über den Kongreß in den letzten Nummern
dieser Zeitschrift vorliegt. — Den jetzigen Standpunkt, betreffend An-
wendung des Röntgenverfahrens zur Diagnose der Magenleiden, kenn-
zeichnet Vortragender zusammenfassend dahin, daß wir einmal für un-
klare gastrische Zustände von Bedeutung nach Erschöpfung der klinischen
Untersuchungsmethoden die Radioskopie nicht mehr entbehren können,
und daß diese anderseits auch für die Feststellung des genaueren Sitzes
und Umfangs des Prozesses und besonders auch in bezug auf die Frage
der Operabilität von Tumoren hochbedeutsam ist. W.
Sitzung vom 5. Juni 1912.
W. Brandenburg: Beitrag zur Laryngitis subchordalis acuta.
Das Wesen der Krankheit wird erst genauer erkannt werden, und die
scharfe Abgrenzung gegen andere ähnliche Larynxerkrankungen ist erst
dann möglich, wenn für schwere und unklare Fälle die Tracheoskopie
immer mehr in Anwendung kommt und in letalen Fällen der histologische
Befund erhoben wird. Im vorliegenden Falle sind die subchordalen
Wülste als durch Iymphatische Dyskrasie hervorgerufene Schwellungen
der in dieser Gegend vorkommenden Lymphfollikel aufzufassen. Es lag
ein, ausgeprägter Status thymico lymphaticus vor. Die Thymus mußte
dann auch hinterher noch wegen ihrer komprimierenden Wirkung exstir-
piert werden. Aus den Narbenzügen, die durch die Exstirpation der
subchordalen Wülste, durch eine partielle Chondromalacie des Ring-
knorpels infolge längeren Kanülendrucks und durch das Längerliegen-
bleiben der Kanüle an der Tracheahinterwand (Sporn) entstanden, re
sultierte eine starke Larynxstenose, die durch die Thostsche Bolzen-
methode vollkommen beseitigt wurde. Ä B.
Kiel.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 20. Juni 1912.
I. Wilke demonstriert 1. zwei Fälle von freiem Cysticercus der
IV. Hirnkammer. Bei Fall 1, dem Dienstmädchen eines Schlächters,
fanden sich zwei abgestorbene, verkalkte kleine Finnen in der Großhirn-
rinde; die Ventrikelfinne füllte die Hirnkammer völlig aus und hatte
durch Verlegung des Aquaeductus Sylvii, der V. magna Galeni und des
Foramen Magendie einen beträchtlichen Hydrocephalus herbeigeführt.
Tod durch Atemlähmung. Keine Veränderung am Ependym. Bei Fall 2
— Tod durch Sepsis infolge von Extremitätenverletzung — war der Ven-
trikeleysticereus ein Nebenbefund, der bei Lebzeiten keinerlei klinische
Erscheinungen gemacht hatte; die Finne lag als bräunlich gefärhtes,
kollabiertes, kleines Säckchen frei beweglich im IV. Ventrikel und hatte
— ausschließlich hier — eine Ependymwucherung recht beträchtlichen
Grades in Form von Leisten und Kämmen und mamillensrtigen Er-
hebungen hervorgerufen.
2. Fall von Hernia diaphragmatica congenitalis: Infolge links-
seitigen Zwerchfelldefekts lagen in der linken Pleurahöhle die Milz, fast
der gesamte Dünndarm, Teile des Kolon und des Magens; die linke
Lunge als schmales Gebilde gegen die Wirbelsäule und die Rippen ge-
preßt. Das kräftige und zunächst lebhaft schreiende Kind starb etwa
eine halbe Stunde post partum, als mit infolge der Atmung ‚zunehmender
Füllung auch des Magens und Dünndarms mit Luft durch Luftschlucken
eine Kompression auch der rechten Lunge und eine starke Verlagerung
des Herzens nach rechts eintrat. Als weitere Entwicklungsstörung be-
stand beiderseitiger Bauchhoden. I
8. Ueber Befunde an der Dura mater cerebri. Es werden ge-
zeigt vollständige und unvollständige Zerreißungen des Tentoriums, Bilder
von Fensterungen der Falx und hernienartiger Ausstülpung derselben
bei Neugeborenen, Tentoriumrisse bei Erwachsenen mit Schädelbasis-
frakturen.
U. Langes: Hämatometra einer atretischen Uterushälfte bei
einem 15 jährigen normal menstruierten Mädchen. Das Mädchen
hatte seit einem Jahre normale, wenn auch etwas schmerzhafte Perioden
gehabt. Während der letzten Menstruation, die mit starken Koliken und
Erbrechen verlief, trat in der linken Unterbauchgegend eine Geschwulst
auf. Eine Narkosenuntersuchung ergab einen bis fast zum Nabel reichen-
den, in der linken Inguinalgegend liegenden, prall elastischen Tumor, der
wie die rectale Untersuchung ergab, bis fast zum Spincter ani nach unten
reichte und breitbasig der linken Beckenwand aufsaß. In der virginellen
Scheide fühlte man neben der bis fast zum Introitus vaginae herab-
'reichenden Geschwulst eine nach rechts verdrängte normale Portio mit
durchgängigem Oervicalkanal. Die Punktion des Tumors von der Scheide
her ergab nicht geronnenes Menstrualblut. Aus alledem, besonders aus
dem Auftreten der Geschwulst wäbrend der Menses bei gleichzeitiger
Blutung nach außen, wurde eine Doppelbildung des Uterus mit ein-
seitiger Hämatometrabildung infolge Atresie angenommen und wegen des
weiten Herunterreichens der Geschwulst und Heranreichens bis an die
Beckenwand eine. wenigstens teilweise Doppelbildung der Scheide mit
Atresie -der linken Seite und Hämatokolpos angenommen. Die ausge-
führte Laparotomie ergab in der Tat einen rechten normalen Uterus mit
normalen Adnexen und einen linken mit altem Menstrualblut angefüllten
Uterus, der nach unten in einen mit Plattenepithel ausgekleideten Blind-
sack, der mithin einen Scheidenteil darstellte, überging. Die linke Hä-
matosalpinx und das infolge eines Corpus luteum-Hämatem vergrößerte
Ovarium wurden mitsamt dem linken Uterus exstirpiert. Zum Schluß
Excision der linken atretischen Scheide von der Vagina her. In der
Gegend des inneren Muttermundes des linken Uterus fand sich ein Ueber-
rest des Wolffschen Ganges in Gestalt etwa bleistiftdicker gewundener
Schläuche. Im übrigen waren keine Entwicklungsstörungen an dem
Mädchen nachweisbar. Nach glatter Heilung und Rekonvaleszenz wurde
bei der Entlassung der Uterus und die Portio in guter Lage festgestellt.
Diskussion. .Bauereisen: Der vorgetragene Fall ist besonders
interessant wegen der guten Erhaltung des linken Wolffschen Ganges.
Dieser ließ sich außerhalb des Uterus noch bis zu den großen Gefäßen
verfolgen. Der obere Teil ist rundlich, während der untere Teil ein.
scheidenförmiges Lumen aufweist. Das Lumen ist von einer Schleimhaut
ausgekleidet, die ein meist einfaches, gut färbbares, niedriges Epithel be-
sitzt. Die Umgebung des unteren Teils, auch Hauptkanal genannt, ist
von zahlreichen cystischen Gebilden umgeben, die als eine adenomatöse
Hyperplasie von Teilen des Wolffschen Ganges aufzufassen sind. Die
gute Erhaltung des Wolffschen Ganges ist wohl der gleichen Ursache
zuzuschreiben, die auch die Entwicklung eines doppelten Uterus veran-
laßt hat. |
II. Bauereisen: Demonstration einer Patientin mit geheilter
perniciöser Anämie. Ich erlaube mir, Ihnen beute eine Patientin vor-
zustellen, die ich bereits vor einem Jahr an dieser Stelle gezeigt habe.
Es handelt sich um eine 25 jährige Person, die im März vorigen Jahres
in unserer Klinik wegen engen Beckens operativ entbunden worden ist.
Sie litt bereits seit längerer Zeit an einer schweren Anämie, die sich
während der Schwangerschaft verstärkte und im Wochenbett derartige
‘Formen annahm, daß das Leben der Patientin bedroht schien. Die Unter-
suchung des Bluts ergab 1600000 Erythrocyten und einen Hämoglobin-
gehalt von zirka 25°%,. Im gefärbten Präparat fanden sich Megalo-
blasten. Die roten Blutkörperchen zeigten fast sämtlich pathologische
Formveränderungen. Wir stellten auf Grund dieses Befundes die Dia-
.gnose perniciöse Anämie, die uns von der medizinischen Klinik bestätigt
wurde. Da trotz intensiver Allgemeinbehandlung das Befinden der Pa-
tientin sich weiter verschlimmerte, wurden Injektionen von körperwarmem
Menschenblut intramusculär verabreicht, wie ich sie bereits früher bei
einem in Marburg beobachteten Falle von perniciöser Anämie ausgeführt
hatte. Im ganzen erhielt die Patientin sieben Injektionen von je 6 bis
10 cem. Bereits nach den ersten Injektionen besserte sich der All-
gemeinzustand, das Erbrechen hörte auf, der Appetit nahm zu. Nach
zirka zehn Wochen ergab die Blutuntersuchung 3 Millionen Erythroeyten
und einen Hämoglobingehalt von zirka 40°/,. Die roten Blutkörperchen
zeigten teilweise noch pathologische Veränderungen. Darauf erhielt die
Patientin im Juli und August drei Injektionen von je 10 com Menschen-
blut. Später trat die Patientin in eine Stellung ein. Sie suchte erst vor
kurzer Zeit unsere Klinik auf wegen Vorfallbeschwerden. Wir waren
überrascht von dem guten Aussehen der Patientin, deren Kolorit früher
dem Wachsbleichen glich. Die Untersuchung des Bluts (Dr. Böhme,
medizinische Klinik) ergab 5'/s Millionen Erythrocyten und einen Hämo-
globingehalt von zirka 60 bis 70°/%. Nach dem Untersuchungsergebnis
1646 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40,
6. Oktober,
hat sich augenscheinlich das Blut so ausgezeichnet restituiert, daß wir so
gut wie von einer Heilung der schweren Anämie sprechen können.
Ich benutze die Gelegenheit nochmals auf die einfache, unge-
fährliche und erfolgreiche Methode hinzuweisen und sie besonders dem
praktischen Arzt zu empfehlen, dem der komplizierte Apparat einer
Klinik bei der Behandlung von schweren akuten und chronischen Anämien
nicht. ohne weiteres zur Verfügung steht.
IV. Jeß berichtet über zwei Kinder, welche zweimal an Di-
phtherie erkrankten; das eine, ein zweijähriger Knabe, ein Jahr nach
der ersten Erkrankung, das andere, ein dreijähriger Knabe, fünf Monate
nach der ersten Erkrankung. Michaud (Kiol).
Köln.
Allgemeiner ärztlicher Verein. Sitzung vom 17. Juni 1912.
Füth spricht über die therapeutische Verwendung der Röntgen-
strahlen in der Gynäkologie. Vortragender betont, daß die Röntgen-
strahlen zunächst einen stimulierenden Einfluß ausüben und daß daher die
erste menstruelle Blutung nach der Bestrahlung vielfach wesentlich ver-
stärkt ist. Hierauf muß man die Patienten aufmerksam machen. Der
Wert der Bestrahlung mit Bezug auf Myome wird ganz verschieden be-
urteilt. Das Richtige liegt in der Mitte. Ein sicherer Todesfall ist
durch die Bestrahlung auf jeden Fall nicht erfolgt. Am schnellsten tritt
bei älteren Frauen die Aufhebung der Ovarialtätigkeit ein, an die sich
eine sekundäre Rückbildung der Myome anschließt. Die Tumoren ver-
kleinern sich und werden hart. Die Blutung wird geringer oder hört
ganz auf. Die Ausfallerscheinungen sind bei älteren Patienten nicht er-
heblich, bei jüngeren (Einde der 20, Anfang der 30) zuweilen unangenehm.
Daher ist hier die operative Entfernung mit Erhaltung der Ovarien vor-
zuziehen. Der Wert der Bestrahlung liegt ferner darin, daß die Dia-
gnose unter Umständen gesichert wird, da zweifellos Fälle mit schwie-
rigerer Diagnose vorkommen. Doch können trotzdem Täuschungen vor-
kommen. So bildete sich, wie Vortragender beobachtete, ein Ovarial-
sarkom unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen zunächst zurück,
wodurch die Vermutung eines Myoms verstärkt wurde Die Rück-
bildung der Myome wird in vielen Fällen erzielt, am besten bei den
intramuralen, am wenigsten bei den submukösen. Vollständig refraktär
verhalten sich die Adenomyome. Auch bei Komplikationen (Nekrose,
Sarkom, Careinom, Pyosalpinx, die unter Röntgen neu aufflackern kann)
ist von der Bestrahlung Abstand zu nehmen. Bleibt die Blutung be-
stehen trotz Schrumpfung der Myome, so muß man an Leukämie denken.
— In zweifelhaften Fällen ist die Operation vorzuziehen.
Aus allen diesen Gründen darf daher der Röntgenologe allein die
Verantwortung nicht übernehmen, sondern nur gemeinsam mit dem
Gynäkologen. Der Einwand, daß die Bestrahlung zu lange dauere und
daher zu kostspielig sei, ist beute nicht mehr stichhaltig, da Krönig
angeblich schon durch eine Sitzung Heilung erzielt. Auch die Tatsache,
daß trotz Röntgenbestrahlung die Operation in einzelnen Fällen später
nicht zu vermeiden ist, darf von dieser Behandlung nicht abhalten. Unter
Umständen können solche Patienten bezüglich ihres allgemeinen Zu-
standes doch soweit gebessert werden, daß die Operation nunmehr unter
günstigen Umständen ausgeführt werden kann. Die Patienten werden
infolge der Röntgenbestrahlung operationsfähig. — Zu beachten ist, daß
auch allgemeine Erkrankungen vorliegen können, so z. B. Diabetes, die eine
Operation kontraindizieren. Direkt kontraindiziert ist die Röntgen-
behandlung erstens bei der in seltenen Fällen vorkommenden Idiosyn-
krasio gegen Röntgen, zweitens bei zu jugendlichem Alter (bis Anfang
der 30), drittens bei submukösen, polypösen, nekrotisierenden Myomen,
viertens bei Verdacht auf Carcinom oder Sarkom, fünftens bei plötzlicher,
lebensbedrobender Raumbeschränkung (Einklemmung des Rectums, der
Harnröhre usw.), sechstens bei Adenomyomen. — Die Röntgenbehandlung
soll direkt nach der Menstruation oder spätestens in der Mitte zwischen
zwei Menstruationen beginnön.
Vorzüigliche Erfolge erzielt man mit der Röntgenbestrahlung
bei den klimakterischen Blutungen; doch muß man sich vor Ver-
wechslungen mit Corpuscarcinom hüten. Auch bei Kraurosis und Pru-
ritus vulvae sind gute Resultate erzielt worden. Bei der Dysmenorrhöe
von jugendlichen Personen ist auch schon die Röntgenbehandlung emp-
fohlen worden, doch erscheint sie hier nicht zweckmäßig. i
Die von F. in 15 Fällen erzielten Erfolge waren zum Teil recht
gute, sodaß zweifellos in der Röntgenbehandlung eine vorzügliche Be-
reicherung der Therapie erblickt werden muß.
Graeßner referiert über die Technik der Bestrahlung. Bei
der Bestrahlung sind harte Röhren zu verwenden. Die Dosis ist genau
zu messen; die Wirkung wird verstärkt durch Filter. Das frühere Leder-
filter ist durch das Aluminiumfilterglas verdrängt. Die Wirkung läßt
sich weiter noch verstärken durch Anämisierung der Haut mittels Kom-
pression oder Einspritzung von Adrenalin. Jenäher wir mit den Röntgen-
strahlen an den Leib herangehen, um so stärker ist die Wirkung.
Krönig geht bis auf 5 cm heran. Zu benutzen sind Rapidröhren und
Röhren mit unscharfem Brennpunkte. Vier bis sechs Eingangspforten
dürften genügen. Auch Röhren mit doppelter Kathode sind zu emp-
fehlen. Ob die Beckenhochlagerung vorteilhaft ist, erscheint nicht sicher,
Die Bestrahlung von hinten ist nicht gerechtfertigt. Der Patient ist
durch Schirm zu schützen. Krönig ist bis zehn X gegangen und hat
durch einmalige Bestrahlung mit zehn X bei Metrorhagie vollständige
Amenorrhöe erzielt. Die Behandlungsdauer bei Myomen schwankt zwischen
zwei bis vier Monaten und wurden im ganzen 101—166 Minuten bestrahlt,
hierbei 53 bis 110 X verabfolgt. Der Redner stimmt F. bei, daß der
Röntgenologe gemeinsam mit dem Gynäkologen die Behandlung vor-
nehmen müsse, Ä
Zöllner berichtet über vier Fälle von Myomen bei älteren Pa-
tienten über 40 Jahre. In einem Falle konstatierte er eine erhebliche
Verkleinerung des Uterus ohne Aufhörung der Blutung. Aber auch in
solchen Fällen ist die Bestrahlung unter Umständen von Vorteil, da sie
die vaginale Operationsmethode, der er den Vorzug gibt, ermöglicht. Die
Röntgenbehandlung soll nach seiner Auffassung nur klinisch, nicht am-
bulant angewandt werden.
In der Diskussion, die sich an diese Vorträge anknüpft, betont
Graeßner, daß er nach dem Verfahren von Albers-Schönberg etwa
70 bis 75°, sehr gute Erfolge erzielt hat. In letzter Zeit hat er sich
allerdings dem Verfahren von Gauß und Krönig genähert; er benutzt
eine Entfernung von 20 bis 24 cm, etwa zwölf Eingangspforten und ver-
abfolgt 12 bis 15 X. Er bestrahlt täglich eine Stunde, drei Tage lang
und wartet dann 2!/s bis 3 Wochen. Bei den Bestrahlungen verwendet
er ein 3 mm dickes Aluminiumfilter. Kaiser betont, daß man in den
Fällen, die dazu geeignet sind, die Enucleation bevorzugen soll. Die
Frage ist nicht, ob Röntgenkastration oder operative Kastration be-
vorzugt: werden soll, sondern die Frage müsse lauten, radikale
Operation oder konservative Operation. Bei der Enucleation sind
die Gefahren der Blutung, der Rezidive, der Sepsis nicht so sehr zu be-
fürchten. Auch eine Ruptur tritt weder in der Schwangerschaft, noch
bei der Geburt, höchstens ganz ausnahmsweise auf. Auffallend ist es,
wie vorzüglich sich der Uterus, welcher nach Enucleation mehrerer
Myomknoten öfter eine ganz unregelmäßige Gestalt hat, sich in wenigen
Wochen zur Norm zurückbildet. Die Enucleation soll bei Myomen, die
mehr an der Oberfläche sitzen, mittels der Laparotomie geschehen.
Zöllner betont gleichfalls, daß er in geeigneten Fällen der Enu-
cleation den Vorzug gibt. |
Füth bevorzugt bei jüngeren Frauen (bis Mitte 30) die Enu-
cleation, dagegen bei älteren nicht mehr, zumal die Enucleation eine
höhere Mortalität liefert als die Radikaloperation. ,
Wette stellt verschiedene orthopädische Fälle vor, so einen
Defekt der Fibula, bei dem er, falls die Affektion einseitig ist, die Ar-
throdese empfiehlt. Bei einem Schlottergelenk an der Schulter infolge
Poliomyelitis hat er durch Arthrodese, obschon dieselbe nur zu einer
festen fibrösen Verwachsung geführt hat, sehr gutes Resultat erzielt.
Drei Fälle von infantiler cerebraler Lähmung zeigen infolge von Sehnen-
durchschneidung und Sehnenverpflanzung gute Besserung.
Im Anschluß daran teilt Tilmann mit, daß er fünfmal die
Förstersche Operation ausgeführt hat. Alle Patienten sind geheilt,
Der erste Fali führte zu einer geringen Besserung. Bei dem zweiten,
dritten und vierten Falle lag Tabes vor. Die Darmkrisen sind in diesen
drei Fällen wesentlich gebessert, beziehungsweise geschwunden. Im
fünften Falle handelte es sich um eine Spondylitis tuberculosa, die auf
heilte, dann aber zu Darmkrisen und Darmlähmung führte. Abführmittel
halfen nicht mehr. Hochgradige Atemnot entwickelte sich. Das Leiden
dauerte 11/5 Jahr und wurde ein retroperitonealer Absceß vermutet. Der
sechste Brustwirbel wurde reseciert. Das vorhandene Ganglion war
erbsengroß und wurde exstirpiert, es zeigte deutlich entzündliche Vor-
änderungen. Vom Tage der Operation an waren die Schmerzen sowie
die Obstipation verschwunden. Einmal hat Tilmann bei einem Knaben
mit Spasmen im Ulnaris- und Medianusgebiete die Stoffelsche Opora-
tion gemacht. Der Erfolg war eine Besserung. Aktivbewegungen waren
möglich, die Spasmen waren verschwunden und nur am Daumen noch
zurückgeblieben. Lähmung trat nicht ein. Dr.
| Straßburg i. Els.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein. Sitzung v. 21. Juni 1912.
H. Uhlenhuth: Experimentelles aus dem Gebiete der Syphilis.,
Tuberkulose- und Krebsforschung. Den Tuberkelbacillenauswurf m
Sicherheit zu desinfizieren sind wir nicht imstande. Möglichst einfache
und sichere Methoden für den praktischen Arzt müssen gesucht werden.
Der geballte Auswurf kann den Desinfektionsmittela nicht zugänglich
gemacht werden. Wenn die Desinfektionsmittel wirken sollen, muß der
6. Oktober.
1913 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40,
1647
Auswurf erst homogen gemacht werden. Das ist mit dem von U. ge-
fundenen Antiformin möglich. (Demonstration von in Autiformin auf-
gelösten organischen Stoffen.) Die Tuberkelbacillen werden vom Anti-
formin nicht aufgelöst, sie sind sehr widerstandsfähige Mikroorganismen,
Desinfektionsmittel wie Lysol, Carbol usw. heben die homogenisierende
Wirkung vom Antiformin auf, Das Natriumsalz der Jodoxychinolinsulfo-
säure macht in einer halben Stunde das Tuberkelbacillensputum voll-
kommen steril. Das Jodpräparat kenn gleichzeitig mit dem Antiformin
zugesetzt werden. Nachteilig ist nur, daß das Präparat teuer ist.
Bösartige Geschwülste. Da man nicht von Tier auf Mensch
schließen kann, handelt e3 sich bei den Experimenten immer um speci-
fische Erkrankungen der Maus oder Ratte. U. hat sich mit der Frage
der Immunisierung und der Chemotherapie beschäftigt. Das Sarkom, das
zu den Versuchen verwendet wurde, ist ein Spindelzellensarkom, das
sehr schnell wächst. Die Impfausbeute beträgt 80% bis 100%. Um
die Bösartigkeit und Virulenz zu erproben, wurde das Präparat subcutan,
intraperitoneal und in die Blutbahn eingespritzt. Es wurde Tumormasse
in die Haut eingerieben, Tiere mit in den Tumor eingestochenen Nadeln
gestochen; diese Tiere reagierten in 14 Tagen mit Tumorbildung. Durch
Blutegel und Fliegen, die auf Tumormassen gesessen waren und die man
dann Tieren applizierte, konnte durch das Saugen beziehungsweise Stechen
kein Tumor erzeugt werden. Durch intravenöse Einspritzung von Tumor-
massen gingen die Tiere zugrunde. |
Immunitätsfrage. Wenn man 80 bis 40 Tiere mit Tumor-
substanz impft, wächst bei einzelnen Tieren kein Tumor. Diese Tiere
sind immun. Bei manchen Tieren wächst der Tumor nicht mehr gut, er
resorbiert sich oder stirbt ab. Dieser Vorgang wurde durch künstliche
Nekrose nachgeahmt, durch Alkohol, wasserentziehende Präparate; Pyo-
cyanase hat sich hier gut bewährt. Die Tiere werden dadurch immun
und refraktär, beim Nachimpfen geht kein Tumor an. Wenn man den
ganzen Tumor mit dem Messer entfernt und impft das Tier mit dem-
selben Tumor nach, so bleibt es immun. Die Immunität besteht nicht,
wenn man auch nur eine Spur von dem Tumor zurückläßt.
Wenn man mehrere Impfungen gleichzeitig vornimmt, so gehen
die Tamoren an, sie wachsen gleichmäßig und gut. Bei Impfungen acht
Tage später ist die Impfausbeute 80 %., nach 14 Tagen zirka 40°/,, nach
drei Wochen 20 °/o, nach vier Wochen geht der Tumor nicht mehr an.
Die Tiere sind immun. l
. ` U. glaubt diese Immunität auf folgende Weise erklären zu können.
Beim Wachstum des Tumor kommt es zu einer Wechselbeziehung, zu
einem Kampfe zwischen Organismus und Tumor. Entwickelt sich der
Tumor kräftig, so werden vom Körper Schutzstoffe in kräftiger Weise
gebildet, je besser diese gebildet werden, um so schwerer wird die Nach-
impfang angehen. Entwickelt sich der Tumor langsam, dann entwickeln
sich auch die Schutzstoffe langsam, schließlich gewinnen die Antikörper
die Oberhand und können den Tumor nekrotisch abstoßen. Durch Pyo-
Cyanase wird dieser Vergang unterstützt. Bei radikaler Operation werden
die Schutzstoffe frei und können wirken. Ist die Operation nicht radikal,
` gewöhnt sich der Organismus bei langsamem Wachstum des Tumor an
die Antikörper, so wird er serumfest und die zurückgebliebenen Zellen
wachsen daher lebhaft weiter. Die Abwehrstofle sind durch das Rezidiv
parallelisiert, in Auspruch genommen und ein neuer nachgeimpfter Tumor
kenn angehen.
‚ Das Serum von immanisierten Tieren bietet bei tumorkranken
Tieren gar keinen Schutz, im Gegenteil, die Tumoren wachsen nachher
noch schneller. Mit Preßsäften von immunisierten Tieren gespritzte
tumorkranke Tiere zeigten ein schnelleres Wachstum der Tumoren als
die Kontrolltiere. Die nachweisbare Immunität ist nach der Annahme
U.s an die Vitalität der Zelle gebunden.
Chemotherapeutische Beeinflussung. Mit Atoxyl behan-
delte Tiere zeigten ein schnelleres Wachstum der Tumoren als die Kon-
trolitiere. Auf Grund der Untersuchungsergebnisse von U. muß man in
der Anwendung der Arsenpräparate, wie Salvarsan, vorsichtig sein, da
auch Beobachtungen beim Menschen vorliegen, wonach dadurch schnelleres
Wachstum der Tumoren entstand. Die auf verschiedene Weise ein-
gebrachten Arsenmedikamente, Farbstoffe wie Eosin, Jodpräparate, Anti-
monpräparate, Fluoraatrium, Thyreoidin, Selen- und Tellurpräparate
regten die Tumorbildung nur an. |
Vortragendem ist es zusammen mit Mulzer gelungen, die all-
gemeine Syphilis mit Keratitis, Paronychien, Nasentumoren usw. beim
Kaninchen experimentell zu erzeugen. Bei trächtigen Tieren konnte
durch Einspritzung von syphilitischem Material die Nachkommenschaft
syphilitisch gemacht werden. Nach Einspritzung von syphilitischem Ma-
terial in die Ohrvene eines trächtigen Tiers sah man schon fünf Minuten
später die Spirochäten durch die Placenta in die: Jungen gehen Die
Verimpfung von syphilitischom Material von Mensch auf Tier ist zu
diagnostischen Zwecken verwendbar. U. gelang es in 13 Fällen von
sekundärer Syphilis durch Einspritzung von Blut idor Kranken in die
Hoden von Kaninchen Syphilis zu erzeugen. In zwei Fällen, von primärer
Syphilis mit negativer W.R. gelang der Spirochätennachweis durch- die
Tierimpfung. Durch syphilitisches Sperma wurde experimentell Syphilis
beim Tiere hervorgerufen. Die Syphilis möchte U. als eine chronische
Septikämie auffassen. Minimale Mengen genügen, um ein Tier zu in-
fizieren und wahrscheinlich ist dies auch beim Menschen der Fall; denn
im Blute, mit dem die Tiere infiziert wurden, konnte mikroskopisch nichts
gefunden werden.
| H. Dold: Der gegenwärtige Stand der Typenfrage des.
Taberkelbaeillus. Die auf Glycerinbouillon üppig wachsenden Stämme,
welche bei Rindern keine Tuberkulose erzeugen konnten, wurden Typus
humanus, die auf Glycerinagar langsam mit dünnem Häutchen wachsen-
den Stämme wurden Typus bovinus bezeichnet, weil sie aus Rindertuber-
kuloseformen herausgezüchtet waren. Aus 737 einwandfrei untersuchten
Fällen von menschlicher Tuberkulose war es nur viermal möglich, Rinder-
tuberkulosebacillen zu züchten, einmal beide Formen, im übrigen nur den
Typus humanus. Die Infektionsgefahr durch Milch und Milchprodukte |
tuberkulöser Tiere ist gering gegenüber der durch tuberkulöse Menschen.
Die natürliche Tuberkulose der Rinder kann nur durch Rindertuberkulose
erzeugt werden, die menschliche Tuberkulose in den meisten Fällen
durch den Typus humanus. Es wurde behauptet, daß es möglich sei,
den Typus humanus durch Tierpassage in den Typus bovinus umzuwan-
deln; das menschliche Material wurde auf Meerschweinchen und von da
erst auf das Rind übertragen. Bei diesen Versuchen ergeben sich Fehler-
quellen. Es könnte sich beim menschlichen Material um eine Misch-
infektion handeln. Es könnte sich bei der Impfung der Typus bovinus
eingeschmuggelt haben. Bei den Versuchsrindern könnte eine latente
Tuberkulose bestanden haben, die .durch die Tuberkuloseimpfung auf-
flackerte. Diese Fehlerquellen wurden von D. nachgeprüft. Es ist D. in
13 Fällen nicht gelungen, den Typus umzuwandeln. Damit ist die Frage
der Identität der Menschen- und Rindertuberkulose abgeschlossen. Die
Rinder sind sehr resistent gegen die menschliche Tuberkulose. Daß sich
der Mensch mit Rindertuberkulose infizieren kann, steht fest, ist aber.
selten. Die Mittel zur Bekämpfung sollen hauptsächlichst zur Bekämp-
fang der menschlichen Tuberkulose dienen, daneben soll man aber die
Sorge um einwandfreie Milch nicht außer acht lassen. E. Hirsch.
Budapest,
Königliche Gesellschaft der Aerzte. Sitzung vom 27. April 1912.
C. v. Kötly: Fall von akuter Bulbärparalyse. Bei dem 20 Jahre
alten Mann entwickelte sich in drei bis vier Tagen unter Fiebererschei-
nungen eine auf die Muskeln der rechten Gesichtshälfte, der Zunge, des
Rachens und des Kehlkopfes sich erstreckende Lähmung, die als Paralysis
bulbaris acuta erkannt wurde. Die rasche Entstehung unter hohem Fieber
spricht für eine Polioencephalitis acuta, also für eine akute Entzündung
in der Nervensubstanz des verlängerten Markes: Eine eventuell trauma-
tische Läsion ist auf Grund 'der Anamnese, die Annahme einer Hämor-
rhagie, Embolie infolge Fehlens von Zeichen der Arteriosklerose, Lues
oder Nephritis auszuschließen.
B. Kelen: Röntgenbehandlung von VUterusblutungen und
Myomen. An der frauenärztlichen Universitätskliniik Bärsonys be-
handelte er bisher 556 Patientinnen mit Röntgen und erreichte hervor-
ragende Resultate in Fällen maligner Neubildungen, Metrorrhagien, kli-
makterischer Störungen, Pruritus vulvae und Uterusmyomen. Die Be-
strahlung geschieht in der Rückenlage der Patientin durch die Bauch-
haut. Der Brennpunkt der Lampe kommt in eine Entfernung von 30 bis
40 cm oberhalb der Haut zu liegen. Wichtig ist die genaue Dosierung
der Quantität der Bestrahlung, was durch das Meßverfabren von Kien-
böck und Walter geschieht. Stets wird in einer Sitzung eine durch
eine längere Versuchsserie genau gemessene, so große maximale Dosis
der Bestrahlung angewandt, die auf der gesunden Haut Rötung oder
anderweitige Veränderungen nicht hervorrufen kann. Die Wirkung dieser
Bestrahlung dauert einige Wochen; die Behandlung in einer nachfolgen-
den Sitzung geschieht je nach Empfindlichkeit der Haut nach drei bis
vier Wochen. Der Schlüssel des Erfolges liegt darin, daß mit starker
Penetrationskraft versehene Strahlen anzuwenden sind, die in genügender
Quantität zu den erkrankten Organen in die Tiefe gelangen. Die Be-
handlung ist absolut gefahrlos; die gegen dieselbe vorgebrachten Ein-
wände über die Degeneration der Blutgefäße, eventuell auftretende
Atrophien in den Eingeweiden sind nicht stichhaltig. Während die Mor-
talität der operativen Entfernung der Myome bei vollkommenster Technik
5 bis 8°/, beträgt, ist die der Röntgenbehandlung gleich Null. Bei
Blutungen und Myomen wendete er die Röntgenbehandiung in 306 Fällen
an, von welchen in 79°/, dauernde Heilung, in 4,9 %/0 Besserung, in
8,7 0°/o Rezidiven, in 10,5%, Ausbleiben der Besserung konstatiert wurden,
doch stets fand er, daß die Röntgenbestrahlung das Myom in:seinem
Wachstum aufhielt. Von verläßlicher Wirkung ist die Bestrahlung bei
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1648 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
klimakterischen Blutungen. Falls letztere in der ersten Zeit der Be-
handlung noch bestehen blieben, dort wendete er je nach Bedarf Stypticin,
Formalinausspülungen, Jodinjektionen an; wenn der im übrigen dringend
indizierte operative Eingriff wegen hochgradiger Herzdegeneration, An-
ämie, allgemeiner Schwäche nicht ausführbar war, erreichte er durch
Röntgenbestrahlung noch bemerkenswerte Resultate. Jenseits des
40. Lebensjahres tritt eine raschere Einwirkung auf die Myome auf, doch
reagierten auch viele Fälle jugendlicher Frauen. Die Bestrahlung wirkt
nicht nur auf dem Wege der Ovarien, sondern es verfällt das Myom auch
direkt der Schrumpfung. Die mit der Menopause eintretenden Ausfalls-
erscheinungen fehlen entweder ganz oder äußern sich nur in geringer
Nervosität. Starke Verfettung der Bauchwand verzögert wesentlich die
Heilung. Die Patientin in einer Sitzung zu heilen, wie dies Krönig
versucht, würde allzu intensive Ausfallserscheinungen auslösen. Derzeit
werden die Patientinnen in drei bis acht Sitzungen, die beiläufig 1/4 bis
1/2 Jahr in Anspruch nehmen, geheilt. Während dieser Zeit beobachtete
er mehrfach, daß das Myom vollständig verschwand. Die Behandlung
wird aber nur '/ Jahr nach auftretender Menopause fortgesetzt. Das
geschrumpfte Myom verkleinert sich nachher allmählich weiter. Rezidiven
konstatierte er meist bei einer !/4 Jahr dauernden Behandlung. Wenn
eine unmittelbare Gefahr (Blutung usw.) keine strikte Indikation zum
operativen Eingriff abgibt, ist die Röntgenbehandlung stets zu ver-
suchen.
| P. Kubinyi: Wie seinerzeit bei der Behandlung der Myome mit
galvanischem Strome nach Apostoli, stehen auch hier die verschiedenen
Meinungen schroff einander gegenüber. So viel steht fest, daß jugend-
liches Alter, submuköse Entwicklung der Myome, Adnextumoren eine
Kontraindikation abgeben. Nur dem Klimax nahestehendes Alter, kleine
Myome ohne Komplikationen, insbesondere Feblen von Malignität er-
scheinen geeignet, falls infolge schlechter Kondition des Organismus ein
operativer Eingriff nicht ausführbar erscheint, ferner zur Konservierung
der Patientin bis zur Operation kann allenfalls die Röntgenbehandlung ver-
sucht werden.
6. Oktober.
O. Mannsfeld (Klinik Tauffer): Bei einfacher Metritis ist vor-
her die Abrasio auszuführen. Die für Röntgenbehandlumg absolut kontra-
indizierte Malignität können wir nicht immer konstatieren; denn die in
20/ sämtlicher Fälle vorhandene sarkomatöse Entartung entgeht unserer
Aufmerksamkeit. Auszuschließen sind auch Fälle mit tuberkulösen Herden,
ferner mit älteren oder frischeren Entzündungsprozessen kombinierte
Myome. Sehr zu erwägen ist auch, daß durch die Bestrahlung jede
einzelne, einmal zur Befruchtung gelangende Eizelle getroffen werden
kann; da die Eizellen präformiert sind und im Ovarium während des
extrauterinen Lebens keine neuen Eizellen mehr sich entwickeln, leitet
die Freiburger Klinik bei jeder röntgenisierten Frau, wenn dieselbe
schwanger wird, wegen Furcht vor einer Mißgeburt den künstlichen
Abortus ein. Die Röntgenbehandlung ist daher nur im Alter, nahe dem
Klimax angezeigt. Das Resultat ist aber besser bei durch Metritis be-
dingter Blutung, als bei solcher durch Myome. 5
J. Bärsony: Nur diejenigen verurteilen die Röntgenbehandlung,
die keinen Apparat besitzen, oder mit demselben nicht umgehen können.
Die von Kelen hervorgehobenen Erfolge wurden an der Klinik unter
strenger Kontrolle konstatiert. Bei entsprechender Dosierung braucht
man sich auch bei jüngeren Frauen nicht vor der vollkommenen Stenili-
sation zu fürchten, da ja nur eine Menopause eintritt, was beweist, daß
nur oberflächliche Follikeln zerstört wurden, die wahrscheinlich nicht
befruchtet worden wären. Bei unregelmäßigen klimakterischen Blutungen
ist die Röntgenbehandlung von sehr guter Wirkung begleitet.
. W. Tauffer: Er steht auf dem Standpunkte des Münchner
Gynäkologischen Kongresses, daß die Frage zur wissenschaftlichen Dis-
kassion noch nicht spruchreif ist. Die Statistik Kelens kann nicht
akzeptiert werden. Die operative Behandlung der Myome sei nicht so
gefährlich, denn postoperative Thrombose, Embolien, Herztod sind meist
Resultat einer septischen Infektion bestimmten Grades und durch asöpti-
sches Operieren zu vermeiden. Zur näheren Aufstellung der Indikationen
der Röntgentherapie haben die Daten Kelens ebenfalls einen be-
ı stimmten Wert.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Der Arzt ein Künstler!)
von
Dr. 6. B, Gruber, Assistenzarzt in München.
Motto: Am hellsten leuchtet der Menschengeist,
wo Glanz der Kunst mit Glanz der Wissen-
schaft sich eint.
Du Bois-Reymond, Festrede am 3. Juni 1890.
M. H.! In der Einleitung zu seinem berühmten Buche „Jugend-
erinnerungen eines alten Arztes“ sagt Adolf Kußmaul, dieser Prototyp
eines gediegenen deutschen Arztes, über das vorige Jabrhundert:
„Als Wissenschaft und Kunst hielt die Medizin gleichen Schritt mit den
Naturwissenschaften und technischen Künsten.“ Aus diesem Satze ließen
sich, wenn wir ihn nach Art der Mathematik etwa zerpflücken wollten,
verschiedene Gleichungen herausziehen, von denen die eine diesseits des
„Ist-gleich“-Zeichens den Begriff „Medizin“, jenseits die Summe der all-
gemeinen Begriffe „Wissenschaft und Kunst“ enthalten würde. Seit
Kußmaul seino Jugenderinnerungen schrieb, ist noch kein Menschen-
alter vergangen, aber das, was diese kurze Frist an sogenanten Kultur-
fortschritten gebar, ist erstaunlich. Gleichwohl? können wir — gerade
in unserm Vaterlande — mehr und mehr noch andere, wie mir scheint,
weniger schöne Begriffe in Verbindung mit dem Begriffe Medizin hören,
nämlich die Begriffe „Handwerk und Gewerbe“. Ja, es möchte manch-
mal den Anschein erwecken, als bestünden nur die Begriffe „Wissen-
schaft“ und „Gewerbe“ zu Recht, wenn man heute die Tätigkeit der
ärztlichen Welt definieren will. Lassen Sie uns in kurzer Betrachtung
die Frege untersuchen, ob wir eine Künstlerehre, wie sie schon Homer
dem Arzte zusprach, heute missen wollen und können, oder ob wir sie
fordern und erstreben. | u
“Es ist wohl unnötig, ausdrücklich zu betonen, daß sich unsere
Darlegungen mit der sogenannten „ausübenden Medizin“ befassen, daß
sie sich auf das Verhältnis zwischen dem studierten, promovierten und
approbierten Arzt und der Schar von Hilfe heischenden Patienten be.
ziehen, in demselben Sinn etwa, wie es die lesenswerten Ausführungen
des englischen Arztes Ernest Reynolds dartun?), der in einem längeren
Vortrage die ausübende Medizin als eine schöne Kunst anerkannt hat.
Auf seine Ausführungen stützen sich weitgehendst unsere Darlegungen.
1) Vortrag, gehalten in der Medizinischen Gesellschaft „Isis“ in
er S. Reynolds, Hinweis auf die ausübende Medizin als eine
schöne Kunst. (Br. med. j. 1912, Nr. 2671.)
Darüber wollen wir uns nicht streiten, ob man die Medizin zu den
exakten Wissenschaften rechnen darf oder nicht; müßten wir uns ja doch
erst über den Begriff der sogenannten „exakten Wissenschaft“ völlig
einigen. Nein, wir nehmen an, die medizinische Forschung ist eine
Wissenschaft, die begründet ist auf Ergebnissen, welche, allerdings nicht
restlos, aber zum großen Teil auf messender und wägender Vergleichung,
ferner auf logischen und mathematischen Schlußfolgerungen basieren.
Vielmehr bedarf es einer genaueren Erklärung dessen, was wir unter
„Kunst“ verstehen. Denn unser Sprachgebrauch gibt diesem Abstraktum
recht verschiedenen Wert. „Es ist eine Kunst, über ein Pferd zu sprin-
gen“, sagt man wohl und meint damit eine Geschicklichkeit, die nicht
jedem gegeben ist, die aber auf körperlicher Gewandtheit allein beruht.
Und wenn Wagner im Faust sagt:
„Tut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und peinlich auszuüben“ |
so ist damit eine Kunst gemeint, die gebunden an übernommenen Brauch
zur leblosen und blinden gewohnheitsmäßigen Methode wurde.
Die Kunst, die wir meinen, ist anderer Art, Wenden wir uns mit
Reynolds zu Ruskin, der einmal scharfen Unterschied machte zwischen
Handwerk, Kunst und schöner Kunst. Während der Handwerker nur
mit der Hand — ohne Maschinenhilfe und obne momentane, schöpferische
Geistestätigkeit — gewissermaßen reflektorisch sein Werk schafft, ‚soll
man in der „Kunst“ eine Betätigung von Hand und Geist zugleich sehen.
In diesem Sinn ist es eine Kunst, Uhren zu machen, Flugschiffe zu
bauen, ein Skelett zu montieren oder das Ohrlabyrinth frei zu präparlereD.
Höher aber steht die schöne Kunst (fine art), bei deren Aus-
übung Hand, Kopf und Herz zusammenwirken. In dieser Trias
ist eines vom andern abhängig, fehlt eine der Komponenten, SO wird die
Kunst nie als die edle, als die feine, als die schöne, hohe Kunst vor der
Welt geboren werden können. Ruskin sagt, daß nur ein ganzer Mann
solche Kunst ausüben kann; bei Platen finden wir einen ähnlichen Ge-
danken: „Dem ergibt die Kunst sich willig, der sich völlig ihr
ergibt.“ Darum mag man auch von der Tätigkeit irgendeines u
Genies als von einer Kunst reden; denn wer als Genie gelten kann, der
ist mit Leib und Seele an seinem Werke gewesen, handelt es sich =
einen Strategen, einen Staatsmann, einen Maler, einen Redner goor
einen Arzt. | an. ea
Wir sind uns wohl bewußt, daß eine solche Definition, wI? IR
sie eben referierten, keine völlig befriedigende Begriffsbestimmung dess
6. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40. 1649
gibt, was ärztliche Kunst ist. Sie ist zu weit, diese Definition; deshalb
erscheint sie auch nicht geeignet, das Wesentliche in der Tätigkeit des
bildenden Künstlers zu umschreiben und zu deuten. Und gerade eine
Komponente, die in der Betätigung der schönen Künste, der bildenden
und darstellenden Künste eine große Rolle spielt, die Phantasie, aus
deren Tiefe der Künstler neue Werke schafft, diese Komponente kommt
für den Begriff der ärztlichen Kunst kaum im geringsten in Betracht.
Sio wissen ja alle, wie wenig günstig man über ärztliche Phantasie und
über die allzu phantasiebegabten Aerzte urteilt. Doch reicht der weite
Begriff der schönen Kunst von Ruskin aus, um darzutun, daß wirklich
die ärztliche Tätigkeit nur dann schöne Blüten und keine tauben Nüsse
zeitigt, wenn sie als eine schöne Kunst aufgefaßt und geübt wird. Es
ist tatsächlich nicht schwer, Beispiele aus dem Gebiete der gesamten
Medizin zu finden, welche geeignet sind, die Ausübung der Medizin als
einer schönen Kunst im Sinne Ruskins darzutun, und es gibt auch Bei-
spiele genug, an denen man erkennt, daß beim Mangel auch nur einer
Komponente Ruskins die Ausübung der Medizin als einer schönen Kunst
illusorisch wird. Wer gebrochene Glieder gewohnheitsmäßig und starr-
köpfig nur mit Gipsverbänden behandelt, wer auf die Klage „Schlaflosig-
keit“ fast instinktiv und mechanisch nur mit dem Rezept: „Veronalis 0,5;
D.S. jeden Abend eine Tablette“ reagiert, wer jeden Kreuzschmerz un-
untersucht mit Chloroformdleinreibung wahllos bekämpft, für jede Stuhl-
verhaltung eo ipso das Curellasche Mittel aufschreibt, der dürfte vom
Handwerker nicht allzu weit entfernt stehen. Wer hingegen mit Auf-
bietung aller optischen, akustischen, mechanischen, elektrischen, chemi-
schen und biologischen Mittel die Sicherung einer Disgnose anstrebt,
dann aber zufrieden den Kranken sich selbst und seinem Schicksal über-
läßt, wer eine Totalexstirpation mit höchster manueller Geschicklichkeit
vornimmt, jedoch ohne Berücksichtigung der Tragweite der nachherigen
Ausfallserscheinungen bei der operierten, aus dem Spitale wieder ins Er-
werbsleben hinausgesetzten Patientin, der übt nur jene Kunst, die nicht
edel ist; ihm ist das Beiwort Künstler nicht zu verleihen, eher das eines
Virtuosen. Sein Tun ist dabei oft nur selbstsüchtig, vielleicht sogar mit
Rücksicht auf den Patienten unnötig; — aber es ist eben klendend
und mächtig genug, dem Ehrgeize neue Bahnen zu öffgen — in dem
gleichen Sinn, als in Schillers „Wallenstein“ ausgesprochen ist:
„Manch blutig Treffen wird umsoust gefochten,
Weil einen Sieg der junge Feidherr braucht.“
Der echte Stratege, der die Kunst des Kriegführens versteht, läßt sich
lieber mit dem etwas zweifelhaften Epitheton eines „Cunctators“ belegen,
ehe er Menschenkraft und -Leben auf ein Spiel setzt, mit dem er nur
einen Augenblickserfolg erzielt oder nur einen Beweis seines virtuosen
Könnens zu geben vermag.
Hand, Kopf und Herz muß der Arzt vereinen, will er der
Künstlerehre teilhaftig sein uud bleiben. Keines darf fehlen. Was hilft
das beste Herz und Gemüt, der kritischste Kopf von der Welt, wenn
der Mut, die Geschicklichkeit zur tatkräftigen Umsetzung des Wollens
in die Handlung fehlt, wenn die zitternde Hand regelmäßig beim Star-
stich mehr Schaden als Segen bringt, das mangelnde Tastempfinden einen
Uterus mit der Curette durchstoßen läßt, plumpe und langweilig Unbe-
holfenheit eine Operation hinauszieht und die Gefahren einer Narkose
vermehrt? Solche Aerzte sind bedauernswerte Stümper — bei aller
Intelligenz, allem’ guten Willen, ja sie sind .die unglücklichsten Vertreter
ihres Berufs; für sie trifft Gellerts Spruch!) zu:
„Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.“
Hand und Herz allein ist wiederum zu wenig, um in der ärztlichen
Kunst ein Lorbeerreis zu erringen. Für einen subelternen Soldaten reicht
dies allenfalls; denn für ihn denkt der Vorgesetzte. Der Arzt soll selbst
seine Grenzen kennen und seine Befugnisse bestimmen, wenn er handeln
will, andernfalls wird er sich vom Pfuscher kaum merklich unterscheiden.
„Die Kunst bleibt Kunst, wer sie nicht durchgedacht,
Der darf sich keinen Künstler nennen,
Hier hilft das Tappen nicht, eh’ man was Gutes macht,
Muß man es erst recht sicher kennen.“ (Goethe.)
Dies „Kennen“ ist nun zu einem Gegenstand des Streits ge-
worden, seit sich mehr und mehr die verschiedenen Disziplinen der Me-
dizin spezialisiert und emporgebaut haben, seit mehr und mehr Leute der.
verschiedensten Mittelschulbildung nach dem Schlangenstabe greifen. Man
streitet sich darum, ob der Realgymnasiast bessere oder gerade so gute
Vorbedingungen für das ärztliche Studium mitbringt als der Abiturient
des humanistischen Gymnasiums. Vielfach hören wir die Klagen der
Lehrer, aber auch der Studenten selbst, daß die Mediziner nicht genügend |
mathematisch, nicht genügend naturwissenschaftlich geschult zur Alma
mater kommen, daß sie sich darum in der Verarbeitung dessen, was ihnen
an exakten Forschungsergebnissen mitgeteilt wird, in der kritischen Be-
1) Fabeln, 1. Buch, Spinne.
urteilung und Nachprüfung der Forschungsmethoden sehr schwer tun, ja
daß sie sich vielfach ganz spröde gegenüber dem Lehrstoffe verhalten.
Wir verstehen die Forderung ernsthafter Forscher sehr wohl, wenn sie
den studentischen Nachwuchs ausgerüstet wissen wollen mit den Grund-
lagen zum Verständnis der Differential- und Integralrechuung, mit weit-
gehender Beherrschung der analytischen Geometrie. Solche Lehrer gehen
darauf aus, ihren Schülern ein Verständnis ihres eignen Forschens bis in
das Einzelne zu vermitteln, sie pflegen ihren eignen medizinischen Wissens-
schatz sorgsam und wollen, daß nicht eine Ranke an ihm verdorre, son-
dern sich mit tausend Haftorganen um die Schüler schlinge und an diesen
weitersprosse und neue Früchte treibe. Aber nicht nur die Lehrer
schätzen das Wissen der Medizin so hoch ein, die Studenten selbst geben
sich vielfach die größte Mühe, eine möglichste Vollkommenheit darin zu
erlangen, schon aus dem mehr äußeren Grunde, weil die Examina nur dem
Wissenden Anerkennung erteilen. Und es scheint, als ob das oberflächliche
breite Publikum, geleitet von der unheimlichen Macht der täglich ver-
gossenen Druckerschwärze, sich zu einer Wertschätzung medizinischen
Wissens mausern wollte; denn die Aerzteinserate, welche, sehr wenig
begrüßenswert, oft nähe dem unlauteron Wettbewerb, angeben, bei wie
vielen mehr oder wenig anerkennenswerten Kapazitäten ein neu nieder-
gelassener Praktikus geweilt und gelernt, haben doch nur einen Zweck,
wenn das Publikum den Sinn herausliest: „Der Mann hat bei vielen
Größen gelernt, dem wollen wir vertrauen, der weiß etwas, der kann
etwas.“ In dieser Logik steckt aber mitunter ein doppelter Fehler. Ganz
abgesehen davon, daß einer bei den sieben Weisen in die Schule gegangen
sein kann und dennoch nie selbständige Kritik erlangt, ist es nicht gut,
Kennen und Können absolut zu subordinieren. „Wissen macht frei.“
Gewiß! Aber es gibt Naturen, die lassen sich vom Wissen in Fesseln schlagen
— und je größer das Wissen, desto gehemmter werden sie, desto un-
praktischer erweisen sie sich im Kampfe dieser Welt; manche wagen sich
in unüberwindlicher Selbstkritik kaum an den Versuch einer Leistung
heran — um ihre Kunst ist es also höchst traurig bestellt. Andere
sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, sie haben soviel gelernt, daß
sie nicht fertig werden mit den nebensächlichen Dingen am Objekt ihrer
Kunst. Beispiele hierfür hat wohl jeder von uns zur Verfügung, der
vollgepfropft mit tausend Einzeldingen über die Feinheiten und Raffiniert-
heiten der Frühdiagnosestellung mancher Erkrankungen ins Examen geht,
sagen wir für den speziellen Fall der Spitzentuberkulose, der nun aber
plötzlich vor einem sinnlich ganz groben Symptomenkomplex, wie ihn
die Hämoptöe eines schweren, delirierenden Phthisikers bietet, erschrocken
zurückschaudert, weil er sich nicht gewappnet fühlt, als Arzt dieser Er-
scheinung gerecht zu werden. Da merkt man bald, daß es nicht das
Wissen allein ist, will man sich als Herr der Situation erweisen und dem
Patienten und seinen Angehörigen ein guter Arzt sein. (Fortsetzung folgt.)
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versiecherungsmedizin.
Inwieweit muß ein Anstaltsarzt vor seiner Anstellung über seine
persönlichen Verhältnisse Aufschluß geben?
Der Oberarzt einer staatlichen Irrenanstalt war wegen Zuckerleidens
und dadurch herbeigeführter dauernder Dienstunfähigkeit mit einem Ruhe-
gehalte von 3680 M pensioniert worden. Sieben Jahre später trat er
nach Behebung seiner Krankheit und da er wieder vollständig arbeits-
fähig geworden war, in eine Privat-Nervenheilanstalt neben dem Besitzer
und Leiter dieser Anstalt als zweiter Arzt ein. Als ein halbes Jahr
nach seinem Eintritte der Besitzer starb, wurde er von dessen Erben als
Chefarzt der Anstalt auf drei Jahre fest angestellt. Kaum ein halbes
Jahr später fochten sie aber den Anstellungsvertrag wegen Irrtums und
arglistiger Täuschung an. Das Reichsgericht wies die Klage zurück, da
weder Irrtum noch arglistige Täuschung vorlag. |
Bezüglich desIrrtums führte es aus: Die Berufung eines längere
Zeit als Hilfsarzt beschäftigten Irrenarztes als Leiter der gleichen (pri-
vaten) Heilanstalt wird bei verständiger Würdigung nicht durch die Tat-
sache einer jahrelang zurückliegenden Pensionierung wegen eines in-
zwischen behobenen Leidens ausgeschlossen. Zu den im Verkehr wesent-
lichen Eigenschaften des Chefarztes einer größeren Nervenheilanstalt
gehört ein ungeschwächtes Maß körperlicher und geistiger Rüstigkeit
und Kraft, das den Arzt in den Stand setzt, dem übertragenen ver-
antwortungsvollen Amt in ersprießlicher Weise vorzustehen. Diese Eigen-
schaften besaß aber der Kläger zur Zeit des Vertragsschlusses .....
In einer früheren Pensionierung wird aber die verständige Verkehrs-
auffassung nicht einen Makel erblicken, der dem Pensionierten für alle
Zukunft anhängt und ihn zu späterer erfolgreicher Versehung -einer
Stellung unfähig macht und der geeignet wäre, das Vertrauen der Aerzte
und des Publikums in eine sachverständige Leitung einer Anstalt durch
den Pensionierten irgendwie erheblich zu erschüttern. Denn die Pen-
Ana A) SE 1 See Ze cr Me Sa ee ne a
1650
run
sionierung eines Beamten setzt regelmäßig dessen dauernde Dienst-
unfähigkeit zur Zeit der Pensionierung voraus, schließt damit aber keines-
wegs die Möglichkeit der künftigen Wiederaufnahme einer ersprießlichen |
Tätigkeit aus. Wo es sich, wie hier, um eine Wiederanstellung . nach
sieben Jahren handelt, ist damit zu rechnen, daß die Verhältnisse sich
inzwischen wesentlich verändert haben... .. l |
Hinsichtlich der arglistigen Täuschung. dagegen stellte
sich das Reichsgericht auf den Standpunkt, daß Verschweigen einer
früheren geheilten Krankheit und der hierwegen vor Jahren erfolgten
staatlichen Pensionierung bei privater Wiederanstellung nicht immer An-
fechtung wegen arglistiger Täuschung begründe.
Es mag dahinstehen, inwieweit ein Arzt, der erstmals von einer
Anstalt zu einer Vertrauensstellung berufen wird, nach den Grundsätzen
anständigen Geschäftsverkehrs verbunden ist, über seine persönlichen
Verhältnisse, insbesondere seine frühere Tätigkeit und eine frühere Pen-
sionierung ohne besondere Aufforderung des Anstellenden Auskunft zu
erteilen. Hier war der Kläger vor dem fraglichen Vertragsschlusse schon
ungefähr ein halbes Jahr in der Anstalt der Beklagten beschäftigt ge-
wesen und er hatte bei seiner ersten Anstellung dem damaligen Inhaber.
der Anstalt Mitteilung von der Pensionierung gemacht. Dann war es
von ihm nicht zu erwarten, daß er erneute gleiche Mitteilung gegenüber
den Erben des Anstalsbesitzers abgab, da er seine früheren Mitteilungen
als bekannt voraussetzen und etwaige weitere Fragen den Änstellenden
überlassen durfte. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß es sich
um eine Beförderung zum Chefarzte handelte. S.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
. mit genauer Quellenangabe gestattet.)
.Berlin. Der em. Professor der Physiologie an der Tier-
ärztlichen Hochschule in Berlin, Geheimrat Prof. Dr. Hermann Munk
ist am 1. Oktober im 74. Lebensjahre gestorben. Hermann Munk
galt allgemein als einer der bedeutendsten Physiologen. Dies kam auch
dadurch zum Ausdruck, daß er nach dem Tode Du Bois-Reymonds
als dessen Nachfolger ausersehen war. Mit ihm ist einer der letzten aus
jenem Kreise bedeutender Physiologen dähingegangen, die sich um
Emile Du Bois-Reymond scharten und den Weltruf der Berliner
Physiologenschule begründeten. Munk war vor allem wegweisend und
anregend auf dem Gebiete der Physiologie des Üentralnervensystems
und es haben seine Experimente am Großhirne ganz neue Er-
kenntnisse gebracht. Während der langen Lehrtätigkeit Munks an
der Tierärztlichen Hochschule und Berliner Universität hat er nicht |
nur eine große Zahl von Schülern erzogen und ihnen das Interesse für
die Physiologie und damit für das wissenschaftliche Denken in der Medizin
‚eingepflanzt, auch in seinem Laboratorium versammelten sich Jahre hin-
durch -tüchtige Forscher, die unter des Meisters Augen wichtige Beiträge
zur Hirpphysiologie lieferten. Auf diese Weise sind eine Reihe unserer
hervorragendsten Neurologen durch Hermann Munk gefördert worden.
Ausgezeichnet war an ihm die Klarheit, mit der er in den wissenschaft-
lichen Sitzungen im Vortrag und in der Diskussion schwierige Probleme
erörterte, und der Eifer, mit dem er den Jüngeren aus dem Schatze
seiner gewaltigen Kenntnisse Belehrung und Anregung zu genen Te
; ee . g.
— Nachdem nunmehr auch für die außerpreußischen Univer-
sitäten die Statistik des letzten Wintersemesters vorliegt, ist ein
Ueberblick über den Anteil möglich, den die humanistischen höheren
Schulen und die Realschulen an den Studierenden der sämtlichen
deutschen Universitäten haben. Insgesamt waren auf den Universitäten
im letzten Wintersemester immatrıkuliert 46653 Studierende; von
diesen entfallen auf die Gymnasien 34205 und auf die Realanstalten 12448.
Die theologische Fakultät-ergänzt sich nahezu ausnahmslos aus den Gym-
nasien., Auch in der juristischen Fakultät überwogen bei weitem die
Reifezeugnisse der humanistischen Anstalten. In der medizinischen Fa-
kultät waren 10645 Studenten immatrikuliert, davon auf Grund eines
Reifezeugnisses eines Gymnasiums 8181, eines Realgymnasiums 1765 und
einer Oberrealschule 699. In der stärksten Fakultät, der philosophischen,
treten die Realanstalten mehr in den Vordergrund.
— Die Zahnpflege wird jetzt auch beim Militär in
erhöhtem Maße durchgeiührt. Von den Korpskommandos ist ange-
ordnet worden, daß die Soldaten in bestimmten Zwischenräumen auf Er-
krankungen der Zäbne zu untersuchen sind. In den QGarnisonlazaretten
wurden besondere Zahnstationen eingerichtet, die von zahnärztlich aus-
gebildeten Sanitätsoffzieren geleitet werden, auch erhalten einige Sanitäts-
unteroffiziere Unterricht in der Zahnheil-und Zahnersatzkunde. Bisher wurde
die Zahnbehandlung beim Militär zwar nicht vernachlässigt, die Anferti-
gung künstlicher Zahnstücke durch Zivilzahnärzte stellte sich jedoch so
teuer, daß Ersatzstücke nur in ganz dringenden Fällen bewilligt wurden.
Jetzt, nach Einrichtung besonderer Zahnstationen in den Militärlazaretten,
kann die Zahnpflege somit bedeutend sorgfältiger gehandhabt werden. —
Es sei hier anschließend auf das Merkblatt für Zahnpflege aufmerk-
sam gemacht, das von Dr. Carl Schmidt, Arzt und Schularzt in Berlin-
Friedrichsfelde, zusammengestellt wurde und den Zweck verfolgt, gesunde
Anschauungen über Zahnpflege bei unsern Schülern und deren Eltern zu
verbreiten. Das überaus praktische Merkblatt kann für billigen Preis von
dem genannten Arzte bezogen werden.
— Ein Renvers-Denkmal wird am 15. Oktober vor dem
Städtischen Krankenhaus in Moabit enthüllt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 40.
N Üktóh or.
et — men,
Bochum. Die Knappschaftsverwaltung kündigt iù :einem Rund-
schreiben an die Knappschafts-Augenärzte an, daß sie in der Angelegen-
heit der Krankheit des Augenzitterns unter den Bergleuten. eine
nochmalige Entscheidung des: Oberschiedsgerichts, das im Gegensatz zu
der bisherigen Praxis Augenzitternde für arbeitsfähig unter Tage erklärt
hat, herbeiführen werde. Erst wenn das Oberschiedsgericht bei seiner
Entscheidung bleibe, solle eine grändliche, dem bisherigen Zustande inög-
lichst gerecht werdende Reglung erfolgen.. Die Knappschaftsverwaltung
ersucht die Augenärzte, vorläufig Unfähigkeit zu den wesentlichen berg:
männischen Arbeiten und den gleichwertigen Arbeiten über Tage, ferner .
Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenversicherungsgesetzes nur dann
zu bescheinigen, wenn schon bei Tageslicht durch mehrmaliges langsames
Bücken Augenzittern ausgelöst wird. Mitgliedern, die nach ihren eignen
Angaben unter Tage arbeiten können und wollen, könne die Arbeit unter
Tage nicht verboten werden, sie sollten also nicht zwangsweise invalidi-
siert werden. Für Mitglieder, die neu zur Bergarbeit kommen, sei
folgendes zu beachten. Die Mitgliedschaft zur Krankenkasse ist aus-
geschlossen, wenn nach der obigen Untersuchungsmethode Augenzittern
ausgelöst wird, wenn also Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Satzung be-
ziehungsweise Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenversicherungs-
gesetzes vorliegt. Die Mitgliedschaft zur Pensionskasse ist ausgeschlossen,
wenn überhaupt Augenzittern, gleichgültig durch welche Untersuchung,
festgestellt wird, weil eine frühzeitigere Unfähigkeit zur Berufsarbeit währ-
scheinlich ist. ER
Köln. Die Stadt Köln beabsichtigt in der Tuberkulosefürsorge
einen großen Schritt weiter zu gehen und in absehbarer Zeit ein’ großes
Spezialkrankenhaus für Tuberkulose im rechtsrheinischen Köln
zu errichten. Dieses Krankenhaus soll bei Köln-Poll auf dem Gelände
zwischen Gremberger Weg und Siegburger Straße nach dem Rhein zu
errichtet werden. Die Anstalt soll, sowie es das Bedürfnis erfordert,
so ausgebaut werden, daß ein Krankenhaus mit vielleicht 1200 bis 1600
Betten entsteht. Die tiberschläglich angegebenen Kosten belaufen sich
auf 12311000 M oder pro Bett auf 7695 M. u SR
Boston. Auf dem kürzlich hierselbst abgehaltenen Kongreß wurde
beschlossen, den nächsten internationalen Otologenkongreß in Deutsch-
land abzuhalten. Zum Präsidenten desselben wurde ‚Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Denker (Halle a. S.) gewählt, | | .
Im Verläge von Urban & Schwarzenberg in Berlin und Wien ist
die 1. Abteilung einer chirurgischen Operationslehre erschienen,
die von Prof. Dr. Fodor Krause mit seinem Oberarzte Dr. Heymann
herausgegeben wird. Die Anlage des Werkes ist eigenartig. Der wesent-
liche Inhalt des Buches ist gegeben durch die zahlreichen künst-
lerisch ausgeführten Abbildungen. Diese Abbildungen sind von
dem Maler während des Verlaufs der Operation aufgezeichnet
worden und geben dadurch ein naturgetreues Bild von der Situation.
Die Abbildungen sind neben den Text gestellt. Das Buch ist damit In
vollkommener Weise seinem Zweck angepaßt, der darin besteht, dem
praktischen Arzte die persönliche Erfahrung zu ergänzen und ihn hei
dem chirurgischen Eingriff sachgemäß zu beraten. _
Hochschulnachrichten. Freiburg i. B.: Prof. Küster zum
Regierungsrat und Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamts. — Mar-
burg a. L.: Prof. Dr. Matthes; (innere Medizin) der Charakter Ge-
heimer Medizinalrat. — München: Priv.-Doz. Dr. Spielmeyer aus
Freiburg als Nachfolger Alzheimers zum Leiter des Anatomischen La-
boratoriums der Psychiatrischen Klinik. — Prag: Prof. ao. Dr. Oscar
Bail als Nachfolger von Prof. Hueppe zum Professor ord. für Hygiene.
> run Prof. ao. Dr. G. Masini (Laryngologie) zum ordentlichen
rofessor. PR EUREN: 2
Von Aerzten und Patienten.
.... Der größte Schritt in der Naturerkenntnis aber geschah
durch Isaak Newton, einen der hervorragendsten Männer aller Zeiten,
den Begründer der mathematischen Physik. In seinen weltberühmten
„Philosophiae naturalis principia mathematica“, die zwischen 1686 und
1687 erschienen, konnte er nachweisen, daß dasselbe Gesetz, welches den
Fall der schweren Körper auf die Erde beherrscht, auch für die Drehung
des Mondes um die Erde und für die Bewegungen der Planeten um die
Sonne gilt. Er zeigt, daß unter der Voraussetzung, daß zwischen den
materiellen Teilchen anziehende Kräfte wirken, welche den Massen direkt
und dem Quadrat der Entfernungen umgekehrt proportional sind, diese
Kräfte nicht nur den Fall der schweren Körper auf die Erde, sondern
auch die Bewegungen der Himmelskörper erklären. Freilich darf nicht
zu erwähnen vergessen werden, daß schon etwa 100 Jahre früher
Galilei die Grundlagen der Mechanik, die Bewegungsgesetze, die Fail-
. und Pendelgesetze entdeckt hatte.
Das so entstandene System der Welt ist von einer Großartigkeit,
die uns auch heute noch zur Bewunderung hinreißt und grell absticht
von der Auffassung des Mittelalters. Auch hier zeigte es sich, dab die
phantasiereichsten Spekulation nur Kinderspielzeug hervorbringen gegen”
über der genialen und großartigen Einfachheit der Natur selbst, freilich
zeigte sich auch, daß zur Erkennung derselben jahrhundertlang® auf-
opferungsvollste Tätigkeit der größten Intelligenzen notwendig wa —
Albert Ladenburg, Ueber den Einfluß der Naturwissenschaften aut
die Weltanschauung. Vortrag, gehalten auf der 75. Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte zu Kassel am 21. September 1903. Leipzig,
Veit-& Comp:
Erki Terminologie; -Auf Seiter19 dés Anzeigenteils findet sich dio
ärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
es, egor Nummer vorkomander Fachansdrta ">
Gedruckt von Julius Sittenfeld. Hofbuchdrucker Rarlin ur a
Nr. 41 (410). - 18. Oktober 112. . VIII. Jahrgang.
D
Medizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin . Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: Lubarsch, Die Bedeutung des Traumas für Entstehung und Wachstum krankhafter Gewächse. J. Schütz, Ueber
Plethora abdominalis und ihre praktische Bedeutung. O. Kahler, Die Fortschritte der Laryngologie und Rh’nologie im 20. Jahrhundert. DAN)
L. Bürger, Ueber Abtreibung mit Intrauterinpessaren. C. Decker, Zur Behandlung der Radiusfraktur mit der Schedeschen Schiene. (Mit 2 Abb.
M. Silberberg, Ein Hohlkompressorium als Hilfsmittel für die kombinierte röntgenoskopisch-palpatorische Abdominaluntersuchung. (Mit 1 Abb.)
.C. Petersen, Ueber Auscultation des oralen und nasalen Atemgeräusches. C.S. Engel, Ueber therapeutische Beeinflußung des insuffizienten Herzens
durch Venenstauung. L.J.Frankenstein, Opiumentziehung mittels Pantopon. Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten. Antworten
von Latzko- Wien, K. Bayer-Prag, W. Kausch-Berlin, M. Martens- Berlin, R. Stich-Göttingen. H. Riese-Groß-Lichterfelde. — Kromayer und
"Trinchese, Der „verfeinerte Wassermann“. V.Franz, Stimmen zur Psychologie der Tiere. E.Koch, Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell dijodoxy-
benzolparasulfosaures Quecksilber. in ihrem Verhalten zum Organismus. (Schluß.) — Aus der Praxis für die Praxis: M.Kahano, Die physikalische Therapie
. der habituellen Obstipation. (Schluß.) — Referate: R. Dietschy, Bakteriologische Untersuchungen bei Tuberkulose. L. Freund, Fortschritte auf dem
‚Gebiete der Röntgenstrahlen. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Sterilität des Weibes. Chronische Dakryocystitis. Epiphora.
Akute Formaldehydvergiftung. Akute toxische Erblindung. Onycholysis und Onychomadesis. Postpneumonische Bradykardie. Balantidium coli.
Das „Frühaufstehen der Wöchnerin“. Morphinismus und Cocainismus. Künstliche Befruchtung bei Epididymitis duplex. Drei Fälle von höchst-
gradiger Stauungspapille nach Salvarsaninjektion. Digifolin. Fieberhafter Abort. Kalktherapie bei Blutungen. Conjunctivitis eccematosa. Chlorose.
- Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Alkoholometrisches Meßbesteck. — Bücherbesprechungen: C. Garrö und H. Quincke, Lungenchirurgie.
.Rud. Birkhäuser. Leseproben für die Nähe aus der Universitäts-Augenklinik Bern. Carl Klieneberger und Walter Carl, Die Blutmorphologie
der Laboratoriumstiere. L. Hirschlaff, Ueber Ruheübungen und Ruheübungsapparate. Zur Psychologie und Hygiene des Denkens. Meyers Hand-
lexikon des allgemeinen Wissens. M. Klimmer und A. Wolff-Eisner, Handbuch der Serumtberapie und Serumdiagnostik in der Veterinär-Medizin.
— Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster. (Fortsetzung.) Vereinigung
- westdeutscher Hals- und Ohrenärzte zu Köln. (Schluß.) Frankfurt a. M. Halle. Leipzig. Straßburg. Wien. — Rundschau: G. B. Gruber, Der
Arzt ein Künstler. (Fortsetzung) — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Naturheilkunde vor dem Reichs-
gericht. — Aerztliche Briefe: Zürich. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unrerkürzter Quellenangabe gestattet
—
Klinische Vorträge.
3:0
Die Bedeutung des Traumas für Entstehung
und Wachstum krankhafter Gewächse’)
von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lubarsch, Düsseldorf.
M. H.! Es sind fast 50 Jahre her, daß Virchow
-in seinem großen Geschwulstwerke die Worte schrieb:
„Wollte man auch jemand auf das Blut pressen, daß er
sagen sollte, was Geschwülste eigentlich seien, so glaube
ich nicht, daß man irgendeinen lebenden Menschen finden
würde, der in der Lage wäre, dies sagen zu können.“
Wenn wir auch seit dieser Zeit in vieler Hinsicht
‚große Fortschritte auf dem Gebiete der Geschwulstlehre ge-
macht und auch viele neue und bestimmtere Namen, wie
„Gewächse, Blastome“, eingeführt haben, sind wir in bezug
auf eine scharfe Begriffsbestimmung und Abgrenzung und
vor allem die Erkenntnis des Wesens der Gewächse doch
nicht viel weitergekommen, und es ist fast dahin gekommen,
daß jeder einzelne Pathologe seine eigne Geschwulsttheorie
hat und man beinahe sagen kann: „Tot capita, tot sensus“.
Nur über einen Punkt dürfte wohl im allgemeinen Ueber-
einstimmung herrschen, daß es für einen gewissenhaften
Forscher und Begutachter keine unangenehmere Aufgabe
gibt, als im einzelnen Fall ein Gutachten darüber abzugeben,
ob ein krankhaftes Gewächs in ursächlichem Zusammenhang
‚mit einem Unfall — einer einmaligen Gewalteinwirkung —
steht. Denn fast überall wird er finden, daß wirklich zu-
verlässige und wissenschaftliche Grundlagen für die Be-
urteilung fehlen. Ich lege dabei kein Gewicht auf die
Fassung, wie sie gewöhnlich gewählt ist, ob ein ursäch-
licher Zusammenhang vorhanden sei, denn in der Haupt-
.. 1) Nach einem auf dem III. internationalen Kongreß für Unfall-
heilkunde in Düsseldorf erstatteten Referat.
sache sind wohl alle Pathologen darüber einig, daß der Ur-
sachenbegriff in der Arzneiwissenschaft nur in dem Sinne
angewandt werden darf, daß es sich um wesentliche Be-
dingungen für das Zustandekommen eines krankhaften Vor-
gangs handelt. Denn selbst bei den Infektionskrankheiten
betrachten wir die Spaltpilze nicht mehr als die Ursache
der Erkrankung, sondern wir wissen, daß ihnen nur die Be-
deutung einer wesentlichen Bedingung zukommt, daß aber
meist zur Entstehung der besonderen Infektionskrankheiten
noch eine ganze Reihe von andern, ebenfalls wichtigen und
wesentlichen Bedingungen erfüllt sein müssen. Daran denkt
ja tatsächlich wohl niemand, daß eine einmalige Gewalt-
einwirkung als einzige genügende Bedingung für das Zu-
standekommen einer Gewächsbildung angesehen werden
dürfte, sondern es kann nur gefragt werden, ob ihm die
Bedeutung einer wesentlichen Bedingung zukommt.
Bevor wir untersuchen, welche theoretische und prak-
tische Grundlage die Lehre von der Entstehung der Ge-
wächse durch Unfälle hat, wollen wir feststellen, bei welcher
Art von Gewächsen derartige Beziehungen hauptsächlich in
Betracht gezogen werden. Nun könnte man diese Frage
allerdings kurz dahin beantworten, daß dies. bei allen Ge-
wächsen geschehen ist, doch sind eine Reihe von Gewächsen
besonders hervorzuheben. Das wären die Lipome, die
Keloide, die Enchodrome und.vor allem die Sarkome und
Carcinome!). Unter den Lipomen sind es hauptsächlich die
Lipome der Finger, die mit Unfällen in Zusammenhang ge-
1) Auf die sogenannten traumatischen Epitheleysten will ich hier
nicht näher eingehen, weil es sich bei ihnen kaum um eigentliche Ge-
wächse, Blastome, handelt. Daß durch Verlagerung von Epithel in der
Tiefe des Bindegewebes kleine cystische Wucherungen entstehen können,
ist beim Menschen sicher beobachtet und auch experimentell nach-
gewiesen. Eine Bedeutung kommt aber diesen Bildungen weder in theo-
retischer noch in praktischer Hinsicht für die Unfallbegutachtung zu.
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1652 č <ć ` 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
bracht werden. Bei den Keloiden ist der Zusammenhang
insofern mehr ein indirekter, als die sogenannten Narben-
keloide sich rst längere Zeit, nachdem sich eine feste
Narbe gebildet hatte, entwickeln. Für die Unfallbegutachtung
ist aber von hauptsächlichstem Interesse die Frage nach
dem Zusammenhange von Sarkomen und Carcinomen mit
Unfällen. Als wissenschaftliche Stütze für diese Lehre hat
man in erster Linie angeführt die Reiztheorie der Geschwülste
überhaupt und besonders der Krebse, daß sie sich infolge
äußerer Reize entwickeln. Allein es liegt auf der Hand,
daß diese Stütze keine genügende ist, denn bei dieser Reiz-
theorie sind im wesentlichen wiederholt und fortdauernd
wirkende Reize in Betracht gezogen und nicht einmalige
Reize. Während die Cohnheimsche Geschwulsttheorie der
Lehre von der 'traumatischen Entstehung der Gewächse
nicht günstig war, ist in neuerer Zeit die Ribbertsche
Theorie, die die Entstehung von Gewächsen auf embryonal
oder postembryonal verlagerte Zellen zurückführt, als eine
besondere Stütze angesehen worden. Ich sehe ganz davon
ab, daß die Ribbertsehe Theorie gerade bei den Patho-
logen allgemeine Anerkennung nicht hat finden können und
daß sie von ihrem Autor in neuerer Zeit in vielfacher Hin-
sicht modifiziert worden ist — auch in ihrer ursprünglichen
Form ist sie keineswegs eine feste Stütze der traumatischen
Geschwulttheorie —, denn Ribbert hat selbst immer be-
tont, daß aus den verlagerten Zellen nur unter ganz beson-
deren Bedingungen Gewächse entstehen und er hat hierbei
wieder langdauernden Reizen eine sehr viel größere Be-
deutung zuerkannt, wie einmalig wirkenden. Es ist des-
wegen auch nicht erstaunlich, daß Ribbert selbst sich in
seinem neuesten Buch über den Krebs außerordentlich zu-
rückhaltend über die traumatische Entstehung des Krebses
ausspricht und eigentlich nur einen einzigen Fall als einiger-
maßen beweisend betrachtet, bei dem aber das Trauma nur
als indirekte Ursache in Betracht kommt. Wir müssen aber
weiter fragen: „Was wissen wir überhaupt von den Be-
dingungen, die Zellen zu verstärktem und vor allem blasto-
matösen Wachstum veranlassen können?“ Tatsächlich sehr
. wenig, Das einigermaßen Gesicherte, was wir wissen, ist,
daß chemische Einwirkungen, und zwar besonders lipoid-
lösliche Stoffe, starkes Zellwachstum hervorzurufen imstande
sind (Versuche von J. Reinke und Askanazy). Einmalige
Gewalteinwirkungen haben aber, soweit wir wissen, höchstens.
einen schädigenden, schließlich den Zerfall herbeiführenden
Einfluß auf Zellen.
Ich komme daher zu dem Ergebnis:
Ein sicherer wissenschaftlicher Beweis dafür,
daß einmalige Gewalteinwirkungen die Entstehung
von krankhaften Gewächsen direkt auszulösen ver-
mögen, ist bisher nicht erbracht.
Jedoch: „Grau ist alle Theorie“, wird man einwenden
und mir entgegenhalten, daß zahlreiche klinische und sta-
tistische Beobachtungen den entgegengesetzten Beweis liefern.
So hat neuerdings Röpke!) angegeben, daß unter 1248
beobachteten Fällen von Hautkrebs 11,30%), einem einmaligen
Trauma ihre Entstehung: verdanken — Bormann?) gibt
allerdings kaum 1°%, an —, und selbst Loewenstein’),
der ein entschiedener Verteidiger der traumatischen Ent-
stehung der Krebse und Sarkome ist, gelangt bei seinem
Heidelberger Material nur zu Ziffern von 1,2°/, posttrauma-
tischen Carcinomen und 0,9°/, posttraumatischen Sarkomen.
Betrachtet man aber die Statistiken im einzelnen etwas ge-
nauer, so sieht man, daß einer scharfen Kritik die wenigsten
Fälle standhalten. Das gilt besonders auch von der Statistik
Loewensteins, der unser seinen beweisenden Fällen z. B.
den Fall eines 59jährigen, von einer Walze überfahrenen
Mannes anführt, bei dem erst drei Jahre nach dem Unfalle
1) A. f. kl. Chir. Bd. 78.
3) D. Z. f. Chir. 1905, Bd. 76.
3) Ueber Unfall und Krebskrankheit, Tübingen 1910,
13. Oktober.
die Diagnose auf chronische Gastritis und fünf Jahre danach
auf Magencarecinom gestellt werden konnte. Ebensowenig
beweisend dürfte ein Fall sein, wo bei einem 32jährigen
Tagelöhner schon am Tage nach einem Stoße gegen den
linken Hoden eine akute Hodenentzündung und fünf Wochen
danach ein hühnereigroßes Carcinom festgestellt wurde!
Durch die klinische Beobachtung und Statistik kann im
günstigsten Fall bewiesen werden, daB nach Unfällen Ge-
wächse in die Erscheinung treten, die vorher nicht bemerkt
worden waren. Das beweist aber wenig für die traumatische
Entstehung der Gewächse, zumal die klinische Latenz von
selbst fortgeschrittenen Krankheiten ein gesichertes Ergebnis
der ärztlichen Wissenschaft ist. Ganz besonders haben die
Erfahrungen der pathologischen Anatomen gezeigt, daß es
wohl keine Art von Gewächsen gibt, Sarkome- -und Carci-
nome eingeschlossen, die nicht bereits erhebliche Größe er-
reicht haben können, bevor sie die geringsten Leistungs-
störungen an den befallenen Organen hervorrufen. Ich
selbst habe Magenkrebse von Apfelgröße, Nierensarkome
und -krebse von über Wallnußgröße, Sarkome der Muskeln
von Pflaumengröße und selbst Knochensarkome von fast
Wallnußgröße als zufällige Befunde bei Sektionen entdeckt,
ohne daß in den sehr genau klinisch beobachteten Fällen
irgendwelche Krankheitserscheinungen auf diese Gewächse
hingewiesen hätten. Den Statistiken muß man ferner noch
zwei Gesichtspunkte entgegenhalten. Wenn man die Be-
deutung einmaliger Traumen auf die Entstehung von Ge-
wächsen statistisch richtig beurteilen will, müßte man
eigentlich auch eine Statistik darüber haben, wie oft an den
gleichen Stellen Traumen vorkommen, ohne zur Gewächs-
bildung zu führen. |
Zweitens zeigt die Erfahrung der Kliniker und der
Anatomen, daß diejenigen Stellen, die Traumen am häufigsten
ausgesetzt sind, wie z. B. Finger, Ellbogen, Schienbein,
keineswegs den häufigsten Sitz von Sarkomen und Carci-
nomen abgeben.
Auf eine andere öfter hervorgehobene Tatsache, daß
es noch niemals gelungen sei, bei Tieren durch Traumen
experimentell Krebse zu erzeugen, möchte ich kein großes
Gewicht legen; denn die Erzeugung von Gewächsen ist auch
auf keine andere Weise im Experiment gelungen !). Gegen die
Beweisführung Loewensteins möchte ich mich aber richten,
der ausführt, daß man auch bei der Erklärung der trauma-
tischen Entstehung von Gelenk- und Hodentuberkulose nicht
weiter wäre und vor allem nicht wüßte, warum es in einem
«Falle nach einem Trauma zu der tuberkulösen Erkrankung
kommt und im andern Falle nicht. Der Vergleich hinkt des-
wegen sehr erheblich, weil es bei der erwähnten traumatischen
Tuberkulose sich um die Bildung von Metastasen handelt,
denn die traumatische Gelenk- oder Hodentuberkulose ent-
steht immer nur, wenn bereits ein älterer Primärherd im
Körper vorhanden ist. |
Ich komme daher zu dem Ergebnis: Als beweisend
angeführte klinische Beobachtungen und Statistiken
sind deswegen nicht beweiskräftig, weil die ana-
tomische Erfahrung immer mehr gezeigt hat, dab
alle Arten von krankhaften Gewächsen — auch
Krebse und Sarkome — eine lange Latenzzeit be-
sitzen und zunächst auch nur langsam wachsen.
Eine zweite Frage, die bei der Unfallbegutachtung
häufig aufgeworfen wird, ist die, ob ein einmaliges Trauma
einen verschlimmernden oder wachstumbeschleunigenden Ein-
fluß gehabt hat. Diese Frage kann vom theoretischen Stand-
1) Die Fälle von Sticker, der beim Hund nach Einimpfung einer
Mischung von Hundesarkom und Menschenkrebs ein Mammacareinom sich
entwickeln sah, und von mir, der ich bei einem Kaninchen nach Ein-
impfung normaler Speicheldrüsensubstanz nach vier Monaten ein großes
embryonsles Adenosarkom der Niere beobachtete, sind zu verwicke ee
als an. für eine traumatische Erzeugung von Geschwülsten ‚angefüh)
zu werden.
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1653
punkt aus leichter bejaht werden, wie die erste Frage. Denn
einmalige Traumen können in Geschwülsten zu Blutungen
und Nekrosen führen und damit wohl eine Aenderung des
Chemismus und des Stoffwechsels der Gewächse bewirken.
Auch wird ja für diese Ansicht meist die Tatsache ange-
führt, daß unvollständig operativ entfernte Gewächse be-
sonders rasch wuchern sollen. Allein diesen Erfahrungen,
die man auch keineswegs für alle Geschwulstarten verall-
gemeinern darf, stehen auch entgegengesetzte gegenüber.
Ich erinnere besonders an die interessanten Zusammen-
stellungen von Lomer!), der eine Anzahl von Fällen zu-
sammengestellt hat, wo in unvollständig entfernten Krebsen
ein Wachstumsstillstand, oder sogar eine erhebliche Rück-
bildung eintrat. |
Für die Gewinnung eines einigermaßen zuverlässigen
Urteils müßte man aber eigentlich wissen, wie die betreffende
Neubildung gewachsen wäre, wenn sie von der Gewalteinwir-
kung nicht betroffen worden wäre. Das ist aber nicht möglich
und nach den allgemeinen Erfahrungen über das Wachstum
der betreffenden Geschwulstart das Urteil zu fällen, ist
gerade durch neuere Erfahrungen erschwert.
Die Einzelbeobachtungen verlieren nämlich deswegen
an Wert, weil wir durch zahlreiche neuere Beobachtungen
an Tier- und Menschenkrebsen wissen, daß auch diese Ge-
wächse keineswegs immer kontinuierlich weiterwachsen,
sondern auch bei ihnen Zeiten des Wachstumsstillstandes
mit solchen von Wachstumsbeschleunigung wechseln.
Ich komme daher zu folgendem Ergebnis: Ein wachs-
tumsbeschleunigender Einfluß von. Traumen auf
bereits bestehende Gewächse ist theoretisch nicht
zu bestreiten, im einzelnen Falle aber sehr schwer
zu erweisen, weil alle Gewächse nicht kontinuier-
lich weiterwachsen, sondern Zeiten des Wachstums-
stillstandes mit solchen der Wachstumsbeschleuni-
gung wechseln.
Seitdem wir in unsern Laboratorien über mannigfache
Stämme von Tiergeschwülsten verfügen, war es möglich, der
Frage auch experimentell näher zu treten. Ich selbst habe
eine Reihe von Versuchen nach dieser Richtung vorgenommen
und zwar 1. an Impfkrebsen und Impfsarkomen weißer Mäuse,
2. an Impfsarkomen weißer Ratten, 3. an spontan entstan-
denen Fibroadenomen der Mamma der weißen Ratte, 4. an
spontanem Mäusekrebs, 5. an spontanen Epitheliomen des
Hundes. Ich habe die Geschwülste minutenlang mit Per-
kussionshammer geklopft, sie geknetet und geguetscht, gleich-
artiges und fremdartiges Blut in sie eingespritzt, ich habe alle
diese Manipulationen zum Teil durch Wochen und Monate fort-
gesetzt, ohne jemals eine deutliche Wachstumsbeschleunigung
zu finden. Ganz besonders tolerant erwiesen sich die Fibro-
adenome der Mamma der Ratten, deren außerordentlich lang-
sames Wachstum sich absolut nicht änderte und in denen
sich trotz der energischsten Mißhandlungen niemals Mitosen
nachweisen ließen. Hier. konnte ich sogar mit größter Sicher-
heit. die völlige Einflußlosigkeit von Traumen feststellen,
da ich vor Beginn des Versuchs Stückchen zur mikro-
skopischen Untersuchung aus den Gewächsen herausschnitt
und während verschiedener Stadien des Versuchs ebenfalls
wieder Stückchen entfernte, deren mikroskopisches Bild ich nun
mit den zuerst entfernten vergleichen konnte. Bei den Impf-
krebsen und -sarkomen wurden die Versuche so vorgenommen,
daß die Tiere an zwei symmetrisch gelegenen Stellen mit der
gleichen Menge Geschwulstmaterial geimpft wurden. Ich
wartete dann, bis beiderseits die verimpften Stücke zu gleicher
| röße, etwa Erbsgröße, herangewachsen waren und begann
dann die traumatischen Schädigungen. In nicht wenigen Fällen
war der Erfolg ein Wachstumsstillstand, in manchen sogar eine
vollkommene Rückbildung, während auf der andern nicht ge-
schädigten Seite das Wachstum ungestört fortging, um dann
1) Zur Frage der Heilbarkeit des Careinoms. (Zt. f. Geb, 1905.)
allerdings mitunter auch ohne nachweisbare Veranlassung
wieder aufzuhören. Nur in einem Fall entwickelte sich der
geschädigte Knoten zunächst rascher wie der nicht-malträ-
tierte, doch wurde er nach einiger Zeit wieder im Wachs-
tum von den andern Knoten eingeholt. Ich weiß wohl, daß
es nicht angeht, die Mäuse- und Rattentumoren und auch
Hundetumoren ohne weiteres mit den menschlichen zu ver-
gleichen, aber die Unterschiede zwischen ihnen sind, wie
alle meine eignen Erfahrungen und auch die Bashfords
und Apolants beweisen, nur graduelle und keine Wesens-
unterschiede.
Ich komme deswegen zu dem Ergebnis: Experimen-
telle Untersuchungen an Tiergewächsen, sowie Er-
fahrungen über den Einfluß selbst wiederholter
Reizungen an menschlichen Gewächsen sprechen
zum mindesten nicht für einen wachstumsbeschlöu-
nigenden Einfluß einmaliger Unfälle. WE
Wie soll man sich nun auf Grund dieser Ergebnisse in
der praktischen Unfallbegutachtung verhalten?
Es liegt auf der Hand, daß man nicht einen rein nega-
tiven Standpunkt einnehmen darf, wohl aber wird es nötig
sein, gegenüber der außerordentlich großen Neigung vieler
Aerzte in fast jedem Falle, wo ein Unfall nachgewiesen und
später ein Gewächs entstanden ist, einen Kausalzusammen-
hang anzuerkennen, äußerste Vorsicht und Skepsis walten
zu lassen und die strengsten Anforderungen für die An-
erkennung eines ursächlichen Zusammenhangs zu stallen.
So bedenklich es ist, auf diesem schwierigen Gebiete Sche-
mata zu geben, so will ich doch kurz den Standpunkt ski- |
zteren, nach dem ich die beiden erörterten Fragen im Einzel-
falle zu beurteilen pflege. Ich schicke als selbstverständlich
voraus, daß das Unfallereignis sicher und klar erwiesen sei
muß und ebenso das Bestehen eines echten Blastoms. |
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ein-
maligem Trauma und Gewächsentwicklung wird nur
dann als einigermaßen wahrscheinlich angesehen.
werden dürfen, wenn | | |
a) die Gewalteinwirkung derartig stark und
derartig lokalisiert war, daß sie eingreifende und
länger dauernde Veränderungen an der Stelle her-
vorzurufen geeignet war, an der späterhin die Ent-
wicklung des Gewächses beobachtet wurde, =
b) der zwischen Trauma und Offenbärwerden
desGewächses liegende Zeitraum ein derartiger ist,
daß er mit Größe, Art und histologischem Bau der
Neubildung in Einklang gebracht werden kann.
| ad a) Aus dieser Fassung geht hervor, daß ich es
nicht für berechtigt halte, ein Trauma als einen direkt
auslösenden Reiz für Gewächsentwicklung anzusehen, sondern
nur dann, wenn durch dieses Trauma sich über längere Zeit
hinziehende Gewebsveränderungen zustande kamen. Auf
der andern Seite verlange ich aber nicht den Nachweis, das
genau diejenige Stelle von der Gewalteinwirkung betroffen
war, an der späterhin das Gewächs auftrat, denn eingreifende
und länger dauernde Veränderungen können durch eine er-
hebliche Gewalteinwirkung auch an solchen Stellen hervor-
gerufen werden, die von der direkt betroffenen Stelle ent-
fernt sind. |
ad b) Alle Versuche, in Zahlen Mindest- und Höchst-
angaben zu machen über den Zwischenraum, der zwischen
dem Trauma und dem. Offenbarwerden des Gewächses ver-
laufen sein darf, damit ein Zusammenhang anerkannt werden
könne, sind nach meiner Meinung aussichtslos; denn gerade
darüber, wieviel Zeit die Zellen brauchen, um zu einem wahr-
nehmbaren Gewächs heranzuwachsen, wissen wir gar nichts.
Der Versuch Loewensteins durch Feststellung der Zeiten,
die zwischen der Operation und dem Eintreten eines Rezidivs
verlaufen, zu einem Urteil zu kommen, ist logisch verfehlt,
denn die Rezidive gehen aus von Zellen eines bereits manifest
gewordenen Gewächses und es sind gewöhnlich die jüngsten,
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1654 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
mit der größten Wachstumsenergie begabten Zellen, aus
denen die Rezidive hervorgehen. Deswegen darf man nach
meiner Meinung auch nicht sagen, daß ein Zusammenhang
zwischen einer Neubildung und einem Trauma deswegen
ausgeschlossen wäre, weil etwa bereits drei bis vier Jahre
seit dem Trauma vergangen sind. Es kommt auf die Art
des Gewächses an; bei einem langsam wachsenden Sarkom
und Carcinom (einem Fibrosarkom, einem harten skirrhösen
Krebs) ist dies durchaus nicht vollkommen ausgeschlossen.
Auf der andern Seite wird man aber wohl sagen dürfen,
daß nach allen vorliegenden Erfahrungen ein Zeitraum von
einigen Monaten viel zu gering ist, als daß es zur Bildung
walnuß- und hühnereigroßer Gewächse kommen kann.
Ein verschlimmernder oder wachstumsbe-
schleunigender Einfluß eines Traumas auf ein be-
reits bestehendes Gewächs wird nur dann mit Wahr-
scheinlichkeit angenommen werden dürfen, wenn
a) die Gewalteinwirkung von derartiger Natur
und Lokalisation war, daß sie eingreifende und
besonders den Zellstoffwechsel beeinflussende
Störungen in den Gewächsen hervorzurufen ge-
eignet war,
b) das Wachstum der Neubildung ein im Ver-
gleich zur erfahrungsgemäßen Norm ungewöhnlich
beschleunigtes war,
c) die histologische Untersuchung des Gewächses
deutliche Spuren einer Gewalteinwirkung (frischere
oder ältere Blutungen, ungewöhnliche Nekrosen usw.)
und Anzeichen einer für die besondere Art der Neu-
bildung ungewöhnlichen Wachstumsgeschwindigkeit
aufdeckt.
Zu diesen Thesen möchte ich nur folgendes bemerken:
Sie zeigen, daß ich für die Begutachtung eine genaue
Kenntnis der histologischen Struktur des in Frage stehenden
Gewächses und eine genaue Kenntnis der Geschwulstpatho-
logie überhaupt verlange In der Tat werden die ver-
wickelten Fragen, um die es sich handelt, nur von dem mit
einiger Objektivität beantwortet werden können, der große
Erfahrung über die.Gewächse überhaupt besitzt. Besonders
ist es wichtig, daß man auch objektiv den Nachweis erbringt,
daß das in Frage stehende Gewächs eine ungewöhnliche
Wachstumsgeschwindigkeit darbot, was durch den Befund
zahlreicher Mitosen, ungewöhnlicher Vielgestaltigkeit der
Zellen und Kerne usw. geschehen kann. Ich sehe, daß auch
andere Pathologen, wie z. B. Orth, in ihrer Begutachtung
grundsätzlich denselben Standpunkt einnehmen wie ich. Ich
verweise in dieser Hinsicht auf ein von ihm unterm 20. Mai
1909 abgegebenes Gutachten !), wo er einen verschlimmernden
Einfluß eines Traumas auf eine Krebsmetastase des Gehirns
hauptsächlich auch deswegen annahm, weil diese Metastase
eine ungewöhnlich schwere Schädigung des Gehirns hervor-
gebracht hatte.
Eine besondere Frage ist es noch, ob ein Trauma
dadurch verschlimmernd auf ein bestehendes Gewächs ein-
wirken kann, daß es erst die Bildung der Metastasen herbei-
führt, oder wenigstens die Lokalisation der Metastasen be-
stimmt. Orth hat in dem erwähnten Gutachten sich dahin
geäußert, daß für eine solche Annahme die wissenschaftliche
Grundlage fast ganz fehle. Diesem Urteile kann ich mich
nicht vollkommen anschließen. Ich glaube vielmehr selbst
Fälle beobachtet zu haben, in denen eine ungewöhnlich aus-
gedehnte, sich auf fast alle Organe erstreckende Metastasen-
bildung dadurch zustande kam, daß der Primärtumor von
einem Trauma getroffen wurde und nun die Geschwulst-
massen direkt in eine Vene einbrachen und den ganzen
Körper überschwemmten. Wenn ferner eine für die Art des
Tumors ungewöhnliche Lokalisation einer Tumormetastase
an einer Stelle auftritt, die von dem Trauma betroffen wurde,
so möchte ich ebenfalls einen ursächlichen Zusammenhang
anerkennen. So habe ich einen Fall beobachtet, wo sich
bei einem Manne, der bereits unbestimmte Verdauungsbe-
schwerden hatte, im Anschluß an ein Trauma, das den
linken Unterarm betroffen hatte, in einigen Monaten eine
Geschwulst ausbildete, die sich bei der zirka dreiviertel Jahre
nach dem Trauma vorgenommenen Sektion als Metastase
eines Speiseröhrenkrebses herausstellte, der sonst nur noch
zwei kleine Metastasen in der Leber gemacht hatte. Einen
ähnlichen Fall hat Pfalzgraf!) bei einem 78 jährigen Fischer
mit Lippenkrebs beobachtet. Diese Frage habe ich auch
experimentell zu klären gesucht, freilich in zunächst sehr
groben Versuchen, indem ich bei Mäusen mit solchen Krebs-
stämmen, die bisher noch niemals Metastasen gemacht hatten,
nachdem sich unter der Haut bereits Geschwulstknoten von
Pflaumen- oder Walnußgröße entwickelt hatten, Knochen-
brüche anlegte, oder kleine Stiche in die Leber hinein machte.
An den Stellen der Knochenbrüche kam es niemals zur
Metastasenbildung, dagegen in zwei Fällen an den Stellen
der Leberstiche zu kleinen metastatischen Knötchen. Nach
diesen Erfahrungen möchte ich es doch für einigermaßen
wahrscheinlich erklären, daß durch ein einmaliges
Trauma das Zustandekommen und die Lokalisation
der Metastasen bewirkt werden kann.
Ich brauche kaum hervorzuheben, daß die gutachtliche
Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Un-
fall und Gewächsentwicklung eine unvollständige und unge-
nügende sein würde, wenn nicht auch der gesamte Krank-
heitsverlauf in Betracht gezogen würde. Denn gerade aus
ihm ergibt sich nicht selten mit Sicherheit, daß ein ursäch-
licher Zusammenhang nicht anerkannt werden kann.
Ich bin darüber nicht im Zweifel, daß meine Aus-
führungen keine allseitige Zustimmung finden werden,
aber darin hoffe ich Zustimmung zu finden, wenn ich zum
Schlusse sage, daß wir einen sicheren Boden zur Entschei-
dung der besprochenen Fragen erst dann erhalten werden,
wenn wir durch die gemeinsame Arbeit der Klinik der
pathologischen Anatomie, experimentellen Pathologie und
Chemie genauere Kenntnisse über die Wachstumsbedingungen
der Zellen und der Gewächse gewonnen haben als bisher.
Erst dann wird der Gutachter das unangenehme Gefühl los
werden, daß er trotz aller Gewissenhaftigkeit zu einem
wissenschaftlich gut begründeten objektiven Urteil nicht
kommen kann. '
Abhandlungen.
Ueber Plethora abdominalis und ihre praktische
Bedeutung’)
von
Dr. Julius Schütz, Marienbad.
Es sei mir gestattet, über ein Krankheitsbild zu be-
richten, welches der älteren Aerztegeneration wohl bekannt
1) Siehe die amtlichen Nachrichten des Reichsversicherungsamts
)
. 653—655. .
1911, Er Vortrag, gehalten am 18. März 1912 in der wissenschaftlichen
Sitzung des Wiener medizinischen Doktorenkollegiums.
war, der jüngeren entweder ganz unbekannt ist oder von
ihr nur als vage Vorstellung empfunden, manchmal auch
als obsolet bezeichnet wird. Ich möchte zeigen, daß die
Abgrenzung eines Symptomenkomplexes, welcher sich mit
den älteren Beschreibungen vielleicht nicht vollständig deckt,
sich jedoch aus ihnen ableiten läßt, uns eine Reihe praktisch
wichtiger Gesichtspunkte bieten kann. Es wird hierzu aller-
dings nötig sein, gewisse pathologische Vereinheitlichungen
vorzunehmen, einzelne Symptome des ursprünglichen Bildes
t) Diss. Greifswald 1889.
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1655
vielleicht fortzulassen, andere, welche sonst für sich zer-
flattern würden, dem Krankheitsbilde einzufügen. `
Zunächst einige Worte über die Plethora. Man unter-
scheidet bekanntlich hierbei zwei Formen: die Plethora
universalis und die Plethora abdominalis. Die Plethora
universalis hat man mehr oder weniger als einen Ueber-
fluß an Blut, das heißt als eine absolut vermehrte Blutmenge
aufgefaßt, und dies galt so lange, als noch kein ent-
sprechendes experimentelles Material vorlag.
Cohnheim und Lichtheim haben unter anderm zu
dieser Frage Stellung genommen und auf Grund ihrer Tier-
versuche behauptet, daß eine wirkliche Vermehrung der ab-
soluten Blutmenge unmöglich sei. Es wurden gegen ihre
Versuche einige Einwände erhoben. Anderseits aber haben
pathologische Anatomen erklärt, sie hätten an einer Anzahl
von Leichen mehr Blut gefunden als der Norm entspricht.
Als Resumé der Streitfrage ergab sich, daß eine Ver-
mehrung der Blutmenge nicht sehr wahrscheinlich ist, sondern
daß es sich bei derartigen Fällen eigentlich nur mehr oder
weniger um eine Stauung im peripheren Gefäßsystem
. handelte und dadurch eine erhöhte Blutmenge vorgetäuscht
wurde t). |
Wenn wir bei diesem Begriff stehen bleiben, so ergibt
sich, daß Plethora in letzter Linie eine Stauungs-
erscheinung ist und der Uebergang ergibt sich recht einfach
— die „Plethora abdominalis“ erweist sich als eine Teil-
erscheinung der Stauung mit der speziellen Lokalisation in
den abdominalen Gefäßen.
Es würde sich nun die Frage erheben, welches Inter-
esse es denn bieten kann, darüber zu sprechen, denn all-
gemeine Stauungen im Portalgebiete sind in der klinischen
Symptomatologie recht häufig und bieten eigentlich wenig
Anlaß zu einer speziellen Untersuchung. Die zweite Frage
ist die: Kommt die Plethora abdominalis als essen-
tielle selbständige, also als primäre Form vor? Ich
habe versucht, darüber in der Literatur Auskunft zu er-
halten. Die ältere Literatur war mir wenig zugänglich.
Ich kann jedoch sagen, daß es mir nicht gelang, irgendwo
eine strikte Abgrenzung zu finden. Die neuere Literatur
behandelt die Plethora abdominalis sehr stiefmütterlich und
es ist begreiflich, daß ihr daher von der heutigen Aerzte-
generation nicht die entsprechende Beachtung geschenkt
wird. Nun hat mich eine Reihe von Fällen anfangs durch
Zufall, dann aber — indem ich absichtlich darauf achtete —
dazu veranlaßt, diesem Symptomenkomplex eine größere Be-
deutung beizulegen. Ich ging dabei von dem Standpunkt
aus, ob es nicht möglich sei, die Plethora abdominalis als
eine primäre selbständige Erkrankung anzusehen,
von der sich eine Reihe anderer Erkrankungen und
Cireulationsstörungen ableiten lassen. Es lautet also
die Fragestellung: Gibt es einen Symptomenkomplex,
in dessen Mittelpunkt Stauungen in den Abdominal-
gefäßen stehen, sodaß man alle oder den größten
Teil der betreffenden Symptome davon ableiten
kann?
~ Ich möchte Ihnen zwecks größerer Anschaulichkeit
eine Art von konstruiertem Idealtypus schildern.
‚.. Ein Mann (bei Männern liegen die Verhältnisse über-
Sichtlicher) von 40 bis 50 Jahren tritt in das Sprechzimmer.
Er stellt denjenigen Typus der Korpulenz dar, welchen
(wenn ich nicht irre) Ebstein so treffend als „das beneidete“
Stadium der Fettleibigkeit bezeichnet.
Seine Klagen sind gewöhnlich typisch folgende: Gefühl
vonDruck und Völle im Bauche, häufig Obstipation, (bei
manchen aber ist der Stuhl ganz normal), dagegen fast
immer Flatulenz. Er habe „das Gefühl, als ob er abnehmen
müsse“. Er habe es auch schon selbst versucht, eine Kur
ne ERURAERECHSGER
1) Bezüglich der Literatur hierüber siehe z. B. A. Vogt, Pathologie
des Herzens. Berlin 1912. Springer.
durchzuführen, indem er weniger aß und mehr herumlief
als sonst. Aber er habe eher zu- als abgenommen. Als
Resultat dieser „Kur“ sei nur Schwäche und Unlustgefühl
zurückgeblieben. Er klagt ferner über Sodbrennen, Herz-
klopfen und Herzangst, Beklemmung und Schwindel.
Wenn man diese Anamnese gehört hat, so ist man sich
anfangs nicht darüber klar, nach welcher Richtung man bei
der Untersuchung in erster Linie fahnden soll. Es liegen
abdominelle Symptome vor, Symptome, wie sie der Atonie,
Enteroptose, Hyperacidität usw. zukommen, ferner Allgemein-
erscheinungen der Neurasthenie, anderseits direkt aus-
gesprochene kardiale Symptome.
Wenn sich nun der Mann entkleidet, so sieht man nicht
selten zu seiner Ueberraschung, daß er, der einem vorher
als wohlgenährt erschienen ist, in entkleidetem Zustande
recht dünne Arme und Beine, einen flachen Brustkorb und
einen aufgetriebenen Bauch aufweist. Das Gesicht ist häufig
lange nicht das, wie man es bei Plethora erwartet. Es ist
im Gegenteil häufig blaß, oft grau. Natürlich ist letzteres
nicht die Regel, muß aber doch hervorgehoben werden, da
man sich unter einem „Plethoriker“ immer einen Patienten
mit rotem und vollblütigem Gesichte vorstellt.
Wenn wir ihn nun genauer untersuchen, so findet sich
‘in den meisten Fällen eine Verbreiterung der Herzdämpfung,
speziell nach rechts bis zum rechten Sternalrand, und häufig
ein erhöhter Blutdruck. Man findet ferner Meteorismus und
nicht selten ein Symptom, welches anscheinend wenig be-
kannt ist: nämlich in der Axilla, etwa der siebenten bis
achten Rippe entsprechend, einen umschriebenen Bezirk, wo
Rasselgeräusche zu hören sind, klein- oder mittelblasige,
nicht klingende und nicht konsonierende Rasselgeräusche.
Am sinnfälligsten ist dieses nicht konstante Symptom dann,
wenn über den übrigen Lungenpartien nichts Auffälliges zu
finden ist. Ferner finden wir im Harne nicht selten Eiweiß
und granulierte Cylinder; die Leber ist in den meisten
Fällen leicht vergrößert, gelegentlich etwas druckschmerzhaft.
In solchen Fällen wird nicht selten die Diagnose „Cor
adiposum“ gestellt. Ich konnte nun — erst durch Zufall —
dann, absichtlich darauf achtend, feststellen, daß die Ver-
breiterung der Herzdämpfung nach rechts bei solchen Fällen
nur im Stehen nachweisbar ist, bei Einnehmen der horizon-
talen Rückenlage jedoch verschwindet. Der röntgenologische
Befund ist hier nicht immer anwendbar, da es sich tat-
sächlich in den meisten Fällen nur um eine scheinbare Ver-
größerung durch das Anpressen des Herzens an die vordere
Thoraxwand handelt. Denn infolge des Druckes im Ab-
domen wird das Zwerchfell gehoben, und das Herz weicht
nach der Richtung des geringsten Druckes aus. Legt man
den Patienten hin, so erschlafit das Abdomen, das Herz
sinkt tiefer und die scheinbare Verbreiterung läßt sich
nicht mehr nachweisen!. Wenn man solche Leute einer
Entfettungskur mit abführenden Mineralwässern unterzieht,
so sieht man, daß in den meisten Fällen nach Abnahme
von 2 bis 3kg das Abdomen kleiner wird. Infolge des
Zurückgehens des Zwerchfellhochstandes zeigt sich auch
ein Zurückgehen der Herzverbreitung. Es ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach anzunehmen, daß es sich bei diesen
Fällen nur um ein Angepreßtsein des Herzens infolge des
Zwerchfellhochstandes handelt.
Als sich derartige Fälle bei mir häuften, war ich be-
müht, eine befriedigende Diagnose zu stellen, denn ich mußte
mir gestehen, daß alle Diagnosen, die sich stellen ließen,
nicht befriedigend waren. Sie waren nämlich immer nur
auf das eine oder das andere Symptom anwendbar. Ob-
stipationen kommen nicht in allen Fällen vor, und die Dia-
gnose „Obstipation*“ wäre daher eine recht unvollständige
und den Kern der Sache nicht treffende gewesen. Auch der
1) Näheres darüber in meiner Arbeit „Ueber ein Herzsymptom bei
ı Meteorismus‘“, Prag. med. Woch. 1912. (Fostnummer.)
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sache bildet einen der Anhaltspunkte für die Annahme einer
1656
Zwerchfellhochstand ist schließlich nur ein Symptom, ebenso
die übrigen genannten Einzelsymptome. Während ich nun
versuchte, für alle diese Symptome einen gemeinsamen Aus-
gangspunkt zu finden, wurde ich zufällig mit dem Ausdruck
„Plethora abdominalis“ bekannt. Ich hörte ihn manchmal
von älteren Kollegen, und es kam mir die Idee, ob der
Ausdruck „Plethora abdominalis“ nicht doch mehr sei als
eine obsolet gewordene Bezeichnung, und ob man ihn nicht
wieder neu herausschälen und zu einem einheitlichen Be-
griffe verdichten könne. Dadurch könnte die Vorstellung
davon wieder aufgefrischt und eine bessere Abgrenzung des
Krankheitsbildes gegeben werden, als es sonst gemeiniglich
der Fall ist. © -
Ich versuchte vor allem, die Plethora abdominalis auf
eine gemeinsame Ursache zurückzuführen. Vorausschicken
möchte ich, daß diese Beweisführung nicht die organische
Folgerichtigkeit haben kann, wie sie einer Beweisführung
zukommt, die mit mikroskopischen und andern modernen
technischen Mitteln arbeitet. Daher bitte ich, diese Be-
gründung nicht etwa als eine endgültige Beweisführung an-
zusehen, sondern nur als einen Versuch, einen Symptomen-
komplex vorläufig in befriedigender Weise zu erklären. Es
läßt sich etwa folgender Gedankengang entwickeln:
Emil Schwarz hat in diesem Kreise vor 2!/, Jahren
einen sehr interessanten Vortrag über Flatulenz gehalten.
Er hat gezeigt, daß es sich hier in erster Linie um ein
Mißverhältnis zwischen der Menge der im Darme gebildeten
beziehungsweise in den Darm hineingelangten und der re-
sorbierten Gase handelt. Er hat ferner gezeigt, daß die Ur-
sache hierfür in einer passiven Hyperämie und einer ver-
langsamten Circulation in den Abdominalgefäßen liegt, wo-
durch die Resorption der Gase vermindert wird. Diese Tat-
primären passiven Hyperämie beziehungsweise einer verlang-
samten Circulation in den Abdominalgefäßen. Der klinische
Ausdruck ist — der Meteorismus. Der zweite Anhaltspunkt
besteht in einer meist vergrößerten Leber, von der wir an-
nehmen können, daß es eine Stauungsleber ist, da sich in
fast allen diesen Fällen eine organische Erkrankung aus-
schließen läßt. E |
Ein weiteres sehr wichtiges Symptom ist das häufige
Auftreten von Hämorrhoidenbildung, bald äußerer, bald
innerer, ferner Varizen an den Unterschenkeln. Als ferneres
nicht immer konstantes Symptom ist in zahlreichen Fällen
ein erhöhter Blutdruck zu konstatieren. S. Federn hat
unter anderem bekanntlich häufig auf den Zusammenhang
zwischen Motilitätsstörungen des Darmes und erhöhtem Blut-
druck hingewiesen. Ohne ihm in allen Konsequenzen zu-
stimmen zu können, halte ich doch den Grundgedanken für
sehr wertvoll. Es bleibt sein Verdienst, auf den Zusammenhang
von — ganz allgemein gesprochen — Vorgängen im Ab-
domen und dem Blutdruck immer und immer wieder nach-
drücklich hingewiesen zu haben.
Es ist mir völlig klar, daß alle die Punkte, speziell
ieder für sich genommen, nicht Beweisführungen im Sinne
der Experimentalmethoden darstellen. Doch können wir an-
nehmen, daß bei Analyse eines Symptomenkomplexes die-
jenige Erklärung vorläufig als die beste anzusehen ist,
durch welche sich alle Symptome in möglichst einfacher
Weise auf ein gemeinsames Grundprinzip zurückführen lassen.
Versuchen wir nun, wie weit uns die Annahme einer
primären Circulationsstörung im Splanchnicusgebiete bei der
Deutung der oben angedeuteten Symptome führt. |
Es ist zunächst klar, daß unregelmäßige Durchblutung
des Darmes zu Obstipation führen kann — aber nicht muß;
denn es hängt von unübersehbaren Verhältnissen ab, ob
hierdurch Erschlaffung oder Reizung des Darmes entsteht.
Dem entspricht auch die Tatsache, daß die Obstipation bei
Plethora abdominalis lange nicht so konstant ist wie der
Meteorismus und nicht selten „spastischen“ Charakter hat,
1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
x
13. Oktober.
- Der Meteorismus als Ausdruck herabgesetzter Circu-
lation in den Darmgefäßen wurde bereits oben erwähnt,
Eine Folge des Meteorismus ist der Zwerchfellhochstand.
Durch das obenerwähnte Andrücken des Herzens an die
vordere Brustwand kann eine Reihe von Herzerscheinungen
auftreten (so Herzklopfen, „Herzangst“ usw., sowie alle
Schattierungen der stenokardischen Beschwerden). Es kann
ferner zur Circulationsstörung in der Vena cava inferior
kommen, welche sich nach rückwärts fortpflanzt, sodaß ein
Circulus vitiosus entsteht. |
Ich möchte noch einige Worte bezüglich der isolierten
Rasselgeräusche in der Axilla sagen. Bezüglich ihrer
Deutung kann ich noch kein abschließendes Urteil fällen.
Man könnte leicht verleitet werden, dies als eine Art hypo-
statischer Bronchitis anzusehen, doch scheint es mir wahr-
scheinlicher, daß es sich um Atelektasen infolge ungenügen-
der Entfaltung des Sinus handelt. Indem ich mir die ein-
gehendere Deutung dieser — meines Wissens nicht allgemein
bekannten — Erscheinung, welche, ohne für Plethora ab-
dominalis pathognomonisch zu sein, häufig .mit ihr vergesell-
schaftet ist, vorbehalte, sei noch auf eine praktische Mög- -
lichkeit hingewiesen. Wenn z. B. ein derartiger korpulenter
Herr fieberhaft erkrankt ist und wir an dieser Stelle die
Rasselgeräusche-hören, so könnten wir gelegentlich an be-
ginnende Pneumonie denken und so einen Fehler begehen.
Dies nur nebenbei. | >.
Ueber die Aetiologie und Pathogenese der Plethora
abdominalis seien noch einige Bemerkungen gemacht, welche
jedoch nicht als erschöpfend anzusehen sind. Mein Beob-
achtungsmaterial beträgt etwa 80 bis 100 Fälle, und ich
bin noch zu keinem endgültigen Resultat gelangt. Aus den
Krankengeschichten ergibt sich, daß es sich meistens um
Leute von sitzender Lebensweise handelt. Suchen wir —
diesen Spezialfall vorausgesetzt — uns klar zu machen, auf
welche Weise daraus die Symptome der Plethora abdominalis
sich entwickeln können.
Die verlangsamte Circulation bewirkt eine verminderte
Resorption der Darmgase, zugleich eine — allgemein aus-
gedrückt — Unregelmäßigkeit der Darmmbotilität, welche in
den meisten Fällen vermindert ist, also Obstipation. Das
Stagnieren des Darminhalts wird eine erhöhte Produktion
toxischer Produkte, sowohl gasförmiger als flüssiger, zur
Folge haben. Die toxischen -Produkte werden bei ihrer Re-
sorption begreiflicherweise in erster Linie die Darmgefäbe
schädigen, da sie ja hier in ihrer Maximalkonzentration 6m-
wirken — das ist der erste Circulus, vitiosus. Weiter
werden die in vermehrter Menge produzierten Gase den‘
Meteorismus steigern. Durch den Meteorismus wird es unter
den entsprechenden Bedingungen zum Zwerchfellhochstande
kommen, welcher häufig zu der oben erwähnten Achsen-
drehung des Herzens und Angepreßtsein desselben an die
vordereBrustwand führt. Sowohl durch diese „Raumbeengung“
(M. Herz) als auch durch die verminderte Exkursionsfählg-
keit der Lunge und des Zwerchfells kommt es dann zu mehr
oder minder deutlichen Strömungsbehinderungen im Gebiete
der Abdominalgefäße mit allen ihren Folgeerscheinungen.
Es ist in erster Linie die dadurch entstehende Verlang-
samung der Circulation in den Abdominalgefäßen, welche
den Anlaß zu einem weiteren Circulus vitiosus bietet. Es
ist klar, daß bei längerem Bestehen eines derartigen Zu-
standes das Herz dauernd gegen einen vermehrten Wider-
stand zu arbeiten hat. Resultat: Ueberanstrengung des
Herzens und der Gefäße mit ihren Folgen. on
Ich behalte mir die begründete Analyse dieser und
ähnlicher Erscheinungen für meine ausführliche Arbeit vo’
und wollte damit nur andeuten, auf welche Weise sich eme
Reihe von Symptomen durch die Annahme einer primären
Circulationsstörung in den Abdominalgefäßen ungezwunge"
erklären und begründen läßt. Natürlich habe ich die
sitzende Lebensweise hier nur als speziellen Fall genommen.
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1657
Ohne Zweifel kommt in der Aetiologie der Plethora abdomi-
nalis der Alkohol ätiologisch stark in Betracht, doch scheint
mir das Nikotin ätiologisch eine noch weit wichtigere
Rolle zu spielen, obgleich der pathogenetische Mechanis-
mus seiner Wirkung nach hier nicht ganz durchsichtig ist.
Nun zu einigen praktischen, speziell therapeutischen Kon-
sequenzen. |
Wenn wir den geschilderten Typus als Fettherz, be-
ziehungsweise als Adipositas schlechtweg auffassen, so ist
natürlich die Indikation zu einer Entfettungskur gegeben.
Was geschieht nun, wenn wir eine solche im Sinne
der üblichen Verordnungen — Calorienverminderung der
Nahrung und verstärkte Muskelarbeit — einleiten? DasKörper-
gewicht wird abnehmen und das Herz wird zwar infolge der
Gewichtsverminderung geringere Widerstände zu überwinden
haben, aber dieser günstige Umstand wird durch einen
andern unglinstigen kompensiert und überkompensiert; denn
die vermehrten Widerstände im Gebiete des 'Abdominal-
kreislaufs mit allen ihren Folgeerscheinungen sind die gleichen
geblieben, während dem Herzen durch die vermehrte Muskel-
arbeit ein mehr als unerwünschtes Plus an Leistungen zu-
gemutet wird. Ich kann diesen Gedankengang hier nicht
weiter ausspinnen — er soll nur andeuten, wie prinzipiell
verschieden unser therapeutischer Plan wird, je
nachdem man die abdominalen Stauungserscheinun-
gen zum Ausgangspunkte nimmt oder nicht.
Im ersten Fall ergibt sich eine ganz genau präzisierte
Forderung. Wenn wir nämlich die passive Hyperämie im
abdominellen Gefäßgebiet als das Primäre des vielgestaltigen
Symptomenkomplexes ansehen, so gilt die Forderung, an-
statt der passiven Hyperämie, normale Kreislaufverhältnisse
herzustellen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen.
Allgemein gesprochen: durch Ableitung auf den Darm und
Ableitung auf die Haut. Der Ableitung auf den Darm
dienen in erster Linie systematische Abführkuren mit Glauber-
salzwässern (bezüglich deren ich auf meine Monographie im
Band 7 der Erg. d. inn. Med. verweise), ferner Bauch-
massage, sowie eine gegen die Obstipation gerichtete Diät.
An dieser Stelle möchte ich vor der wahllosen Verordnung
der „schlackenreichen“ Kost warnen, denn es darf nicht
vergessen werden, daß der Begriff der schlackenreichen
Kost zum Teile den der cellulosereichen — also unter Um-
ständen auch stark gasbildenden — in sich schließt, sodab
dieser letztere Umstand im Hinblick auf den Meteorismus in
jedem einzelnen Falle mit beachtet werden muB.
Von dem gleichen Standpunkt aus muß auch berück-
Sichtigt werden, daß alle Substanzen, welche entweder direkt
oder durch die aus ihnen im Darme gebildeten Produkte
eine Schädigung der Gefäßwand vermuten lassen, zu ver-
. meiden sind.
Der Ableitung auf die Haut beziehungsweise an die
Peripherie dienen Bäder, speziell CO,-Bäder, unter Umständen
auch Moorbäder, streng individuell dosierte medico-mecha-
nische Maßnahmen, eventuell auch Massage. Es wäre auch
bei geeigneten Fällen an Heilgymnastik und Luftbäder zu
denken.
Es ist mir vollkommen klar, daß die Abgrenzung des
Symptomenkomplexes der Plethora abdominalis als eines mehr
oder weniger einheitlichen Krankheitsbildes derzeit noch
nicht als abgeschlossen. betrachtet werden kann. Es wird
die Aufgabe weiterer experimenteller und klinischer Beob-
achtungen bilden, um zu einer noch größeren Vereinheit-
lichung zu gelangen. Immerhin dürften meine Ausführungen
gezeigt haben, daß es sich hier um ein Gebiet handelt,
welches das Interesse des Arztes wohl verdient, und daß die
Annahme einer primären Circulationsstörung im Abdomen
unserm diagnostischen und therapeutischen Gedankengange
nicht selten den richtigen Weg weisen kann. Und noch mehr —
wenn wir zugeben, daß manche sonst als selbständig ange-
sehene Affektionen (Arteriosklerose, gewisse psychische Er-
scheinungen [M. Löwy], enterogene Stoffwechselstörungen
usw.) pathogenetisch mit der Plethora abdominalis zusammen-
hängen können, so eröffnet sich uns bei diesen Affektionen
ein Ausblick auf ein Ziel, welches ja überhaupt das Endziel
der gesamten wissenschaftlichen und praktischen Medizin
bildet — die kausale Therapie.
Die Fortschritte der Laryngologie und Rhino-
logie im 20. Jahrhundert
von
Prof. Dr. Otto Kahler, Freiburg i. Br.
(Schluß aus Nr. 40.)
Streifen möchte ich noch die Bedeutung der Broncho-
skopie für die Diagnose der Veränderungen der benach-
barten Organe. Den Chirurgen ist vor der Operation einer
Schilddrüsenvergrößerung stets ein Befund willkommen, ob
eine Verengerung der Luftröhre durch den Kropf zustande
kam, dies ist in allen Fällen mit der Spiegelmethode nicht
möglich. Positives ist leicht hingegen nach der direkten
Rohruntersuchung zu sagen. Die bei Kindern recht häufigen
Erkrankungen der endothorakalen Lymphdrüsen sind, falls
sie Verengerungen der Luftröhre durch ihre Vergrößerung
verursachen, leicht zu diagnostizieren und auch die Mög-
lichkeit der eventuellen Behandlung, Entleerung eines
Drüsenabscesses auf bronchoskopischem Weg ist uns ge-
geben.
Die berühmte Diagnose Traubes, eines Aortenaneurys-
mas aus der Konstatierung einer Lähmung der linken
Stimmlippe, hat der Laryngoskopie gewiß viele Freunde
unter den internen Klinikern gewonnen. Die direkte Tracheo-
skopie setzt uns heute in den Stand, noch viel früher, lange
bevor es zur Kompression des Kehlkopfnerven gekommen,
ein Aneurysma nachzuweisen, ja man kann sagen, daß es
keine Methode gibt, mit der Aneurysmen und Erweiterungen
der Aorta in so frühen Stadien diagnostiziert werden können.
Ich kann hier nicht alle Möglichkeiten aufzählen, in denen
die Bronchoskopie der internen Klinik von Nutzen sein
kann. Wir können z. B. die Quelle einer Blutung aus der
Lunge eruieren, so konnte Killian als erster die Diagnose
eines Lungencareinoms, das eine Lungenblutung verursacht
hatte, auf bronchoskopischem Wege stellen. Aber auch
die Chirurgie sollte sich für unser Verfahren interes-
sieren, da eg für die moderne Thoraxchirurgie verwendbar
erscheint. So gelang es Hofmeister, einen Fremdkörper,
der tief in der Lunge saß, durch Thorakotomie zu entfernen,
aber erst als gleichzeitig auch ein bronchoskopisches Rohr
eingeführt wurde, das ihm den Weg wies. Gluck war der
ertse, der vorgeschlagen hat, bei Verengerungen der Luft-
röhre in tieferen Abschnitten, bei denen die Patienten unfehl-
bar dem Erstickungstode entgegengehen, durch Anlegung
einer Bronchusfistel von außen die sogenannte retrograde
Atmung zu ermöglichen. Man wußte ja schon von Patienten
mit spontan entstandenen Lungenfisteln (nach Verletzungen
oder Operationen), daß die Atmung bei geschlossenem Mund
und Nase durch eine solche Fistel möglich. Nun bietet die
Auffindung eines größeren Bronchus bei der Thorakotomie
dem Chirurgen Schwierigkeiten. Ich konnte nun in einem
Falle durch das während der Operation eingeführte Broncho-
skop dem Chirurgen diese Operation erleichtern. Diese
Bronchotomie wurde bisher wohl nur in den verzweifeltsten
Fällen ausgeführt, bei Patienten, die schon dem Erstickungs-
tode nahe waren. Die Resultate der Operation sind daher
auch noch recht ungünstige. In Wien wurden vier Patienten
auf unsere Veranlassung dieser Operation unterzogen, doch
starben alle wenige Tage nach der Operation, vielleicht
bringt da eine mit Hilfe der Bronchoskopie ausgearbeitete
verbesserte chirurgische Technik Wandel.
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1658 © 1942 — MEDIZINT:CHB KLINIK — Nr. 4i.
~ Aber nicht nur die praktischen Fächer haben von der
Killianschen Methode Nutzen geschöpft, auch die theore-
tische Medizin verdankt ihr wertvolle Aufschlüsse. -Die
Physiologie hat Beobachtungen über die früher kaum ge-
kannten respiratorischen Bewegungen des Tracheobronchial-
baums,- Analysen der Bronchialluft, Untersuchungen über
Kreislaufgeschwindigkeit, Herzschlagvolumen und anderes
mehr gewonnen.
Ich habe mich bemüht, Ihnen kurz ein Bild über die
mannigfache Verwertbarkeit der neuen Untersuchungs-
methoden zu geben und es obliegt mir nur noch die Beant-
wortung der Frage, die sich wohl jedem aufdrängt: birgt
denn dieses Verfahren nicht auch Gefahren in sich? Die
Bronchoskopie erfordert eine ruhige, geschickte Hand und
große Uebung. Wer diese. erworben hat, wird nie Unheil
anstiften. Die wenigen Todesfälle nach Bronchoskopie sind
meistens auf Vergiftungen mit den Anästhesierungslösungen
zurückzuführen. Diese werden zu vermeiden sein, wenn
wir die weniger giftigen Ersatzpräparate des Cocains ver-
wenden und die Narkose möglichst ausschalten. Auf eine
Gefahr wird von vielen Autoren aufmerksam gemacht. Es
sind dies die nachträglichen Schwellungen des Kehlkopfes,
die zum Luftröhrenschnitt zwingen können. Ihnen vorzu-
beugen gelingt durch möglichst rasches Untersuchen. Nur
bei längerem Verweilen der Rohre im Kehlkopf kommt es
zu solchen Schwellungen. Sieht man sich, wie es bei
Fremdkörpern vorkommen kann, vor eine schwierigere Auf-
gabe gestellt, die vermutlich eine länger dauernde Broncho-
skopie erfordert, so wird es vorzuziehen sein, den Luft-
röhrenschnitt zu machen und die Einführung des Rohres
von der Wunde, die untere Bronchoskopie, vorzunehmen, um
schwerere Schädigungen des Kehlkopfs zu vermeiden.
Killian hat der allgemeinen Medizin ein wertvolles
Geschenk gegeben. Das Kapitel der Bronchoskopie bei den
Fremdkörpern der Luftwege bildet schon ein abgeschlossenes
Ganzes. Anders steht es noch um die Leistungen der
Bronchoskopie bei den Erkrankungen dieses Gebiets. Hier
ist vieles noch nicht genügend fundiert, manches muß noch
klargestellt werden, vieles ist noch zu erreichen. Doch ist
zu hoffen, daß die direkten Untersuchungsmethoden für die
interne und chirurgische Klinik bald ebenso unentbehrlich
werden wie die Laryngoskopie. a:
‚Die andern Errungenschaften unsers Spezialfachs seit
Beginn dieses Jahrhunderts liegen hauptsächlich auf chirur-
gischem Gebiet. Allmählich hat sich eine Umwandlung in
unserer Disziplin vollzogen. Früher ein Zweigfach der
inneren Medizin, hat sie sich jetzt die Chirurgie als ihre
Meisterin und Führerin erkoren und ein moderner Laryngo-
loge ohne chirurgische Vorbildung ist heute wohl undenk-
bar. Semon, Chiari, Koschier und vielen andern ver-
danken wir eine tatkräftige Propaganda, speziell was die
Radikaloperation des Kehlkopfkrebses anbelangt. Die ge-
nialen Operationsmethoden Glucks machen es möglich,
heute Kranke von ihrem Leiden zu befreien, die noch vor
wenigen Jahren überall als inoperabel abgewiesen worden
wären. Die totale Entfernung des Kehlkopfs, die noch vor
zwei Jahrzehnten als ein Eingriff auf Leben und Tod galt,
hat jetzt viel von ihrem Schrecken verloren, und es gelingt
heute nicht nur solchen Patienten das Leben zu erhalten,
wir können sie auch ihrem Berufe wiedergeben, da wir durch
die von Gutzmann und Gluck ausgearbeitete Methode ihnen
eine Sprache ohne Kehlkopf anlernen können.
Einen erfreulichen Fortschritt brachten die letzten Jahre
auch in der so mühevollen Behandlung der Narbenverenge-
rung des Kehlkopfs, wie sie so häufig bei Kindern nach
Diphtherie infolge der Intubation vorkommen. Früher wurde
fast allgemein das endolaryngeale Verfahren angewendet. Es
wurden Röhren und Bolzen vom Munde aus in den Kehlkopf
eingeführt, um die Verengerung zu erweitern. Dieses bei
3. Oktober:
num mn nn ~
Kindern sehr qualvolle und mühsame Verfahren wird in
neuerer Zeit durch eine Operation von außen, durch die
sogenannte Laryngostomie, das ist die Spaltung des Kehl-
kopfs und Behandlung der Verengerung desselben von der
Hautwunde bedeutend abgekürzt. i i i
Ein Kapitel, das noch weiterer Bearbeitung bedarf, in
dem manches noch nicht geklärt ist, ist die Nervenlehre des
Kehlkopfs, doch haben uns auch hier zahlreiche experimen-
telle und anatomische Arbeiten in den letzten Jahren ein
hübsches Stück vorwärts gebracht. Erhöhte Aufmerksam-
keit wurde den nervösen Affektionen des Kehlkopfs bei den
verschiedenen Nervenkrankheiten, bei der multiplen Sklerose,
der Syringomyelie, der Tabes geschenkt, wie ja unser
Spezialfach überhaupt stets trachtet, mit der Aligemein-
medizin in Fühlung zu bleiben. Auch ein therapeutischer
Behelf bei Stimmbandlähmungen zur Verbesserung der
Funktion hat uns die letzte Zeit beschert. Die sehöne Idee
Brünings, in das gelähmte und atrophische Stimmband
Parafân zu injizieren und so den für eine laute Stinme
notwendigen Schluß der Stimmlippen zu ermöglichen, ver-
spricht gute Erfolge. | |
Die Lehre Wilhelm Meyers von dem schädlichen
Einfluß der Rachenmandel auf den Gesamtorganismus hat
schon lange nicht nur bei allen Aerzten, sondern auch im
Laienpublikum sich festgewurzelt, und ich glaube, es ist wohl
heute die erste Sorge einer jeden Mutter, ob ihr Kind nicht
eine vergrößerte Rachenmandel bat. Wie wertvoll die
Operation der vergrößerten Rachenmandel für die. ganze
leibliche und geistige Entwicklung eines Kindes ist, brauche
ich nicht näher auseinanderzusetzen. Und mit Recht frägt
sich Moritz Schmid in seinem berühmten Vortrag auf dem.
JubiläumskongreßB in Heidelberg mit Rücksicht auf den
ungünstigen Einfluß der Rachenmandelvergrößerung auf die
Entwicklung des Charakters der Menschen, bei der Betrach-
tung der Büste Marc Aurels, der Bilder Karl V., Philipp IL
von Spanien und Franz II. von Frankreich, die zweifellos
Zeichen dieser Affektion boten, wie würde der Verlauf der
Weltgeschichte gewesen sein, wenn die genannten Herrscher
in ihrer Jugend von ihren Rachenmandeln befreit worden
wären? D u
Unsere Kenntnis von den Vorteilen. der Operation der
Rachenmandel datiert wie gesagt nicht erst aus den letzten
Jahren. Doch hat man erst in neuerer Zeit besonders den
Wert der radikal:n Operation der Gaumenmandeln betont.
Diese Bewegung ging speziell von Amerika aus und hat
eine Flut von Arheiten für und wider die Operation zur
Folge gehabt. Zwei Theorien sind es, die sich gegenüber-
stehen. Die eine, nach der die Gaumenmandeln als Schutz-
organe gegen lıufektionserreger, wie Wächter und Ver-.
teidiger vor den Zugang zu dem Atmungs- und Verdauungs-
organe gestellt seien, die andere, die in den Mandeln die
Eingangspforte für die Infektionskeime sieht. Die allgemeine
Ansicht hat sich heute wohl soweit geklärt, daß die Man-
deln wohl als Abwehrorgane angesehen werden, aber nur
solange sie sich im normalen Zustande befinden. Bei den
so häufigen pathologischen Veränderungen werden sie ZU
einer Quelle ständiger Gefahr für den Träger. Zahlreiche
Arbeiten haben nachgewiesen, daß schwere septische Er-
krankungen ihren primären Sitz in der Mandel haben. An
eine einfache Angina kann sich ein schwerer septischer
Prozeß schließen, der zum Tode führt. (So .starb ja der
bekannte Komponist und Kapellmeister Mahler an einem
derartigen Prozesse.) Viele Forscher haben primäre Tuber-
kulose in den Mandeln gefunden, sodaß es nicht unmöglich
erscheint, daß es durch die Mandeln zu einer Erkrankung
der andern Organe, z. B. der Drüsen kommen kann.
erwiesen erscheint auch der Zusammenhang des akuten. und
chronischen Gelenkrheumatismus mit einer primären Mandel-
erkrankung, ja sogar von Blinddarmentzüindung infolge YON
13. Oktober.
_ 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. _ 1659
chronischer Tonsillitis wird gesprochen. Dazu kommen noch
die so häufigen Anginen, Mandelabscesse, von denen die-
jenigen heimgesucht werden, die an chronischen Mandel-
entzündungen leiden. Also Gründe genug, um den Gaumen-
mandeln. scharf zu Leibe zu gehen, daher ist die neue
Strömung, die auf vollständige Entfernung derselben nicht
nur wie früher auf partielle Resektion drängt, nicht genug
zu begrüßen. p
. Auch die ins Auge springenden Fortschritte der Rhino-
logie in den letzten Dezennien liegen hauptsächlich auf
chirurgischem Gebiet, obwohl auch zugegeben werden muß,
daß auf anatomischem und pathologisch-anatomischem Gebiet
ebenfalls sehr wertvolle Beiträge in den letzten Jahren ver-
öffentlicht wurden. |
Die Lehre von den Nebenhöhleneiterungen wurde
weiter ausgebildet, wozu auch die Wiener Schule, speziell
Hajek, nicht wenig beigetragen hat. Wir haben genaue
Kenntnis über. die Komplikationen bei Nebenhöhlenerkran-
kungen erlangt; so hat sich Gerber mit den gar nicht so
seltenen Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute bei
Nebenhöhleneiterungen beschäftigt. Wir sind auf die recht
häufigen Augenkomplikationen aufmerksam geworden und
wissen heute, daß Erkrankungen des Augenhintergrundes
gar nicht selten durch eine Eiterung der Siebbeinzellen her-
vorgerufen wird. In operativer Hinsicht brachte uns der
Anfang dieses Jahrhunderts die Killiansche Radikalopera-
tion der chronischen Stirnhöhleneiterung, die jetzt wohl fast
ganz allgemein geübt wird. Die rationelle Behandlung der
Eiterungen der Siebbein- und Keilbeinhöhle, die wohl schon
von Schaeffer 1892 inauguriert wurde, liegt auch nur
wenige Jahre zurück. Die schöne Operationsmethode
Hajeks hat schon manchen von einem quälenden Leiden
befreit. | |
~ Großes Aufsehen erregte die erste gelungene Operation
einer Geschwulst der Hypophyse, auf nasalem Wege durch
die Keilbeinhöhle, die Schloffer vor wenigen Jahren aus-
führte. Die zahlreichen Krankheitsbilder, die durch eine
Geschwulst des Hirnanhangs ausgelöst werden können — ich
erwähne beispielsweise die Sehstörungen, die oft zur voll-
ständigen Erblindung führen — unerträgliche Kopfschmerzen,
akromegalische Zustände mit der bekannten Extremitäten-
vergrößerung, besonders an den distalen Enden, abnorme
Fettleibigkeit und anderes mehr — allen diesen stand man
früher therapeutisch machtlos gegenüber. Der schöne Er-
folg, den Schloffer schon bei seiner ersten Operation er-
zielen konnte, brachte bald weitere Versuche. So konnte
bald nachher v. Eiselsberg über eine gelungene Operation
berichten, desgleichen Hohenegg, dessen Fall besonders
deshalb Interesse beanspruchte, da bei dem Patienten bald
nach der Operation die akromegalischen Veränderungen be-
deutend zurückgingen. Heute können wir schon auf eine
stattliche Reihe meist von chirurgischer Seite operierter
Fälle zurücksehen. — Aber auch unser Spezialfach, die
Rhinologie, hat sich mit diesem Kapitel beschäftigt und
manchen wertvollen Beitrag zur Operation solcher Tumoren
geliefert; so hat Hirsch in Wien, Spieß in Frankfurt z. B.
schon mehrere Fälle von Hypophysis-Tumoren auf endo-
nasalem Wege mit Erfolg operiert. Chiari benutzte die
Killiansche Methode zur Eröffnung der Siebbeinzellen und
der Keilbeinhöhle und gelangte auf diesem Weg an das
Neoplasma -heran. Zwei Patienten wurden so erfolgreich
behandelt; die bereits manifest gewesenen Sehstörungen
besserten sich rasch. |
Noch will ich die kosmetischen Nasenoperationen er-
wähnen, die erst in den letzten Jahren eine bedeutende
Verbesserung erfahren haben. Es sind dies die verschiede-
nen Verfahren zur Korrektion von Sattelnasen durch Ein-
spritzung von Paraffin oder Fett, Implantation von Knochen,
Knorpelgewebe usw. Auch ist man darangegangen, erfolg-
reich Vergrößerungen der Nase, die sogenannten Adlernasen
und Höckernasen zu behandeln. Ich brauche kaum zu er-
wähnen, von welch einschneidender Bedeutung derartige
kosmetische Eingriffe in sozialer Hinsicht gelegentlich sein
können. Auch unsere endonasale Operationstechnik wurde
sehr verfeinert. Die Nasenscheidewandverbiegungen, die
früher eine langwierige und meist nur zu recht schlechten
funktionellen Resultaten führende Behandlung fanden, können
wir jetzt mit einer eleganten Operationsmöthode, zu deren
Vervollkommnung auch Killian beigetragen, rasch be-
seitigen. | on
Erhöhte Aufmerksamkeit wird seit einigen Jahren von
den Laryngologen auch den Stimm- und Sprachstörungen
zugewandt, und es ist das Verdienst der Berliner Schule
mit Gutzmann an der Spitze, die Behandlung der ver-
schiedenen Sprachfehler, des Stotterns, Stammelns und Lis-
pelns auf wissenschaftliche Grundlage gestellt zu haben.
Wertvolle physiologische Ergebnisse wurden in den Arbeiten
der letzten Jahre gewonnen, die Krankheiten der Sing-
stimme, früher fast ausschließlich von den Gesanglehrern ge-
kannt und behandelt, finden jetzt auch bei den Aerzten Be-
achtung, gewiß nicht zum Schaden der Sänger. |
Als ich mich mit der Laryngorhinologie intensiver zu
beschäftigen begann, tagte gerade die Festversammlung zur
Feier des zehnjährigen Bestandes des Vereins deutscher
Laryngologen in Heidelberg. Ich las die glänzenden Reden
Moritz Schmids „Ueber die Beziehungen der Laryngologie
zur Gesamtmedizin“ und Seiferts „Ueber die heutigen
Leistungen der Laryngologie und Rhinologie* und staunte,
was dieses Fach in der kurzen Zeit seit seinem Bestehen
geleistet. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, daß auch in
den letzten Dezennien unsere: Disziplin nicht stehen ge-
blieben ist, sie blüht, wächst und gedeiht trotz vielfacher
Anfeindungen. Wir Laryngologen haben Virchows Wort:
„Daß keine Spezialität gedeihen kann, die sich gänzlich
loslöst von dem Gesamtkörper der Wissenschaft, daß
keine Spezialität fruchtbar und segensreich sich ent-
wickeln kann, wenn sie nicht immer wieder von neuem
schöpft aus dem gemeinsamen Borne“, seit jeher beherzigt.
Die Laryngologie ist durch die innere Medizin und die
Chirurgie groß geworden, und es scheint fast, als wären
die Eltern. manchmal eifersüchtig auf ihre herangewachsene,
nun in voller Blüte dastehende Tochter. Sie sollen nicht
vergessen: Die Laryngologie hat ihnen wohl manches ge-
nommen, aber auch viel. gegeben. Noch haben wir nicht
das Ziel erreicht, das jeder Laryngologe sehnlichst wünscht
und zu erstreben hofft: Die Gleichstellung mit den andern
Spezialfächern. Die Laryngologie ist noch nicht Prüfungs-
gegenstand geworden, doch eins ist schon erreicht: Die
Studenten müssen sich behufs Erlangung der Approbation
über den Besuch einer laryngologischen Klinik ausweisen.
So ist also damit schon eine Gewähr gegeben, daß die
heranwachsende medizinische Jugend mit der Bedeutung
und dem Umfang unsers Spezialfachs bekannt wird, und
ich sehe meine höchste Aufgabe als akademischer Lehrer
darin, meine Begeisterung für die Laryngologie auf die Stu-
denten zu übertragen, in wissenschaftlicher Beziehung aber
will ich meinem großen Vorgänger .nacheifern. Dies sei
heute mein Gelöbnis. |
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1860 2 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
3. Oktober.
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Aus der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde
(Direktof: Geh. Rat Prof. Dr. Straßmann).
Ueber Abtreibung mit Intrauterinpessaren')
von
Dr. L. Bürger,
Assistent und Laboratoriumsleiter.
Wer viel mit Strafsachen zu tun hat, dem fällt es sehr bald
auf, daß hier wie überall, wenn man so sagen darf, gewisse Moden
existieren. Immer sind es dieselben Straftaten, die in der Ver-
brecherchronik bestimmter Zeiten wiederkehren. Ich erinnere nur
an die Warenhaus- und Marktdiebstähle, die augenblicklich fort-
dauernd die Gerichte beschäftigen. Besonders in die Augen fallend
ist es, wie die gewerbsmäßigen Abtreiber ganz bestimmte Abortiva
bevorzugen. Auf dem Lande werden fast immer dieselben meist
wirkungslosen inneren Mittel benutzt. Hier kann nämlich die An-
wendung mechanischer Abtreibemittel niemals große Verbreitung
gewinnen, denn es fehlt an Leuten, die eine genügende anatomische
Kenntnis vom Bau der weiblichen Geschlechtsorgane besitzen. Die
Hebammen und Heilgehilfen auf dem Lande sind meist zuver-
lässige Personen, die genau wissen, daß es der Behörde nicht
lange verborgen bleiben könnte, wenn sie sich gewerbsmäßig mit
Abtreibung beschäftigen würden.
Ganz anders in den Städten, besonders in den Weltstädten.
Hier liegt die Abtreibung fast ganz in den Händen gewerbs-
mäßiger Abtreiber, wie Hebammen, Masseusen, Krankenpfleger usw.
Diese brauchen sich nicht, wie ihre Kollegen auf dem Lande, vor
der Entdeckung zu fürchten, denn im Dunkel der Großstadt bleibt
ihr Treiben oft lange verborgen. Trotzdem versuchen auch in der
Stadt die Abtreiber gelegentlich ihre Klienten mit unwirksamen,
ganz ungefährlichen inneren Mitteln abzuspeisen. Aber die Groß-
stadtfrauen und -mädchen fallen nur zum Teil auf diesen Betrug
herein und verlangen, wenn die ihnen für teures Geld, 10, 20 und
30 M, verkauften inneren Abortiva nichts gefruchtet haben, die
Anwendung der wirksamen mechanischen Mittel. Die Mehrzahl
der gewerbsmäßigen Abtreiber scheut sich übrigens nicht, sie an-
zuwenden. Ich selbst habe in einer früheren Arbeit?) die Zahl
der Abtreibungen in Berlin auf über 8000 pro Jahr geschätzt.
Sie alle sind nach unsern Erfahrungen auf mechanische Mittel
, zurückzuführen.
-In früheren Jahren war in Berlin der Eihautstieh die häufigste
Abtreibungsmethode, die aber bei den gewerbsmäßigen Abtreibern
immer mehr in Mißkredit kam. In Aerztekreisen hatte man beob-
achtet, daß die spontanen Aborte der ersten Monate günstiger
verliefen, wenn das Ei in toto abging, daß hingegen leicht Kom-
plikationen eintraten, wenn erst die Blase sprang, Fruchtwasser
und Frucht geboren wurden und längere Zeit verging, bis der
Rest folgte. Viele Geburtshelfer, z. B. Ahlfeld®), hielten daher
die Empfehlung des Blasenstichs zur Einleitung des künstlichen
Aborts in den ersten Monaten nicht für richtig und machten den
Eihautstich nur, wenn bei abnorm großer Menge von Fruchtwasser
usw. schleunige Entleerung der Gebärmutter zur Beseitigung er-
heblicher Gefahr notwendig war. |
Auch die Abtreiber machten sich diese Erfahrungen der Ge-
burtshelfer bald zu eigen und wandten sich immer mehr vom
Eibautstich ab. Lange Jahre wurden dann die intrauterinen Ein-
spritzungen bevorzugt, die bekanntlich außerordentlich leicht aus-
zuführen sind und sehr rasch zum Ziele führen. Bald aber zeigte
sich, daß auch diese Methode weit gefährlicher ist, als man an-
fangs glaubte. Alljährlich wurde in den letzten Jahren in Berlin
eine ganze Reihe von Personen gerichtlich seziert, die bei intra-
uterinen Einspritzen plötzlich verstorben waren. In einigen Fällen
fanden wir bei der Sektion Luft im rechten Herzen, in andern
konnte ich erhebliche Mengen seifehaltiger Flüssigkeit im Uterus
und in den ihm benachbarten Gefäßen nachweisen. In einer Reihe
dieser Fälle blieb die Todesursache unaufgeklärt. Diese plötzlichen
Todesfälle bei der Abtreibung wurden für die betreffenden Ab-
treiber und ihre Gehilfen fast stets verhängnisvoll und führten in
der Mehrzahl der Fälle ihre Verurteilung zu empfindlichen Frei-
heitsstrafen herbei. Das ist wohl der Grund, warum die sonst
1) Vortrag, gehalten in der Freien gerichtlich-medizinischen Ver-
ini zu Berlin.
i emg Friedreichs Bl. 1909.
3) Lehrbuch der Geburtshilfe 1898,
zweifellos sehr wirksamen intrauterinen Injektionen an Popularität
Einbuße erlitten haben.
Ein altes Mittel, das Intrauterinpessar, scheint an ihre
Stelle treten zu sollen. Die Geschichte dieses Instruments ist für
den Werdegang der Medizin sehr bezeichnend. Wohl selten wurde
ein Instrument bald so gepriesen, bald so verdammt, wie dieses.
Während bedeutende deutsche und französische Geburtshelfer, ich
nenne nur v. Winckel?), Vailleix, es sehr empfahlen, kam schon
1854 die Academie de Médecine in Paris zu dem Resultat: „Die
verschiedenen Intrauterinpessare sind als wirkungslos und gefähr-
lich ganz aus der Praxis zu verbannen!).“ Als besonders schäd-
lich erwiesen sich die komplizierten Apparate von Kiwisch usw.
und die federnden Pessare von Greenhalgh und Wright. Die
gynäkologische Literatur aus früheren Jahren enthält zahlreiche
Todesfälle respektive Schädigungen, die bei Anwendung dieser Appa-
rate auftraten. |
Weniger gefährlich waren die Intrauterinstifte von Am-
mussat, E. Martin, v. Winckel usw. Auch diese Apparate
wurden zwar heftig bekämpft, fanden aber allzeit Anhänger, selbst
bis in die jüngste Zeit hinein. Auch Martin und Jung?) emp-
fehlen in ihrem neu erschienenen Lehrbuche den Intrauterinstift
bei der Behandlung der Amennorrhköe und der Atrophia uteri,
ebenso einige Ausländer, z. B. Bissel?). In weitaus den meisten
deutschen Lehrbüchern werden aber die Intrauterinpessare ent-
weder gar nicht genannt oder doch wird von ihrer Anwendung
abgeraten. In seinem Leehrbuche der Frauenheilkunde?) sagt z. B.
Küstner: „Wenn ich auch von Beobachtungen aus früher Zeit
die Leistungsfähigkeit und relative Ungefährlichkeit der kom-
binierten Pessare — Intrauterinstift und Schultzesche 8 kenne,
so wende ich sie doch nicht mehr an. Die Uterushöhle ist bei
dieser Methode nicht keimfrei zu erhalten. Das muß sie sein,
wenn man nicht gelegentlich doch eine Infektion derselben und
von da aus der Tuben gewärtigen will.“ An anderer Stelle°) be-
tont Küstner, daß er seit 20 Jahren ein Intrauterinpessar nicht
mehr benutzt habe.
Er glaubt, daß kein Mensch, selbst nieht der beste Gynäko-
loge, bei Verwendung von Intrauterinpessaren mit Sicherheit eine
Infektion vermeiden könne. Selbst bei größter Reinlichkeit drohen
beständig Gefahren. Wenn Sippel das Tragen von Intrauterin-
stiften, deren Anwendung nach den Schultzeschen Vorschriften
erfolge, gegen durch Anteflexio erzeugte mechanische Dysmennor-
rhöe empfehle und weder Nachteile noch Infektionen gesehen habe,
so erschüttere das die Warnungsrufe von Opitz, Falk, Birmer
usw. nicht. Schauta®) erwähnt das Intrauterinpessar in seinem
Lehrbuch überhaupt nicht. Runge?) schreibt in seinem Lehr-
buche, daß eine mechanische Behandlung des Uterus bei Anteflexio
mittels intrauteriner Stifte mit Recht längst aufgegeben sei. Der
Fremdkörper würde die Beschwerden nur steigern. Hofmeier‘)
betont, daß die Anwendung der Intraunterinpessare wegen der damit
verbundenen Gefahren verlassen sei. Auch Fehling?) hält die
Stifte mit Dunkan, ihrem alten Gegner, für gefährlicher als das
Uebel, das sie bessern sollen. Fritsch!) hat zwar seit vielen
Jahren kein Intrauterinpessar mehr gebraucht, möchte es aber
doch nicht für falsch erklären, in verzweifelten Fällen von Dys-
mennorrhöe, ehe man zur Operation schreitet, einen Versuch mit
dem Intrauterinstift zu machen. In der neuesten Auflage erwähnt
er ihn überhaupt nicht mehr. Bei Chrobak!!) kam nach einer
Mitteilung aus dem Jahre 1900 auf 10000 Krankheitsfälle nur
einmal die Anwendung des Intrauterinpessars. Es handelte sich
dann um ganz verzweifelte Fälle.
Noch andere Gynäkologen raten von der Verwendung der
Intrauterinstifte ab. Weagner!2) bedauert es, daß Martin und
Jung die Intrauterinstifte empfehlen, ohne irgendeine Bemerkung
1) v. Winckel, Die Behandlung der Flexionen des Uterus mit
intrauterinen Elevatoren 1872.
2) Zitiert nach Wagner, Mon. f. Geb. u. Gyn. 1907, S. 504.
3) Sterility and its surgical treatment. (Am. j. of obstetr. Aug. 1902.)
4) Küstner, Lehrbuch der Gynäkologie 1901.
5) Handbuch der Gynäkologie, 2. Auflage, 1907, Bd. 1, S. 196.
6) Schauta, zitiert nach Wagner.
1) Lehrbuch der Gynäkologie 1910, S. 165, neu bearb. v. Birnbaum.
°) Hofmeier, Handbuch der Frauenkr. 1901, S. 253.
°) Fehling, Lehrbuch der Frauenkr. 1906, S. 46.
10) Fritsch, Die Krankheiten der Frauen 1900, S. 587 u. 1910.
11) Billrot-Lücke, Handbuch der Frauenkr. Bd. 1, S. 258.
12) A. a. 0.
13. Oktober.
über ihre großen Gefahren beizufügen. Abel!) erwähnt die Intra-
uterinpessare überhaupt nicht, ebensowenig Dührßen?).
| Diese besonders für den gerichtlichen Sachverständigen be-
dauerliche Verschiedenheit in der Beurteilung der Intrauterin-
pessare wird verständlich, wenn man bedenkt, daß Mitteilungen
über Schädigungen durch diese Instrumente in der neueren Lite-
ratur nur spärlich zu finden sind. Auch bei diesen Fällen muß
man noch scharf unterscheiden zwischen Schädigungen durch
fodernde Pessare und denen durch gewöhnliche Intrauterinstifte.
Ende vergangenen Jahrhunderts kam ein neues Intrauterinpessar,
der Obturator Frauenschutz auf. Es bestand aus einem 7 cm
langen, dem Verlaufe der Gebärmutter entsprechenden, gebogenen,
versilberten Stäbchen, welches in zwei federnde, mit einem Kopfe
gekrönte Enden auseinanderging. Diese federnden Enden wurden
mit Hilfe eines hohlen Führungsstabs so gelegt, daß sie ausein-
andersprangen und sich dort in die Gebärmutter einlegten, wo die
Tuben sich ansetzen, sodaß das Stäbchen nicht herausfallen konnte.
Am andern Ende trug das Stäbchen einen Ring, der durch eine
Platte bedeckt werden konnte. Dieser Obturator hatte Aehnlich-
keit mit dem federnden Pessar, welches Wright seinerzeit
empfahl. Auch Greenhalgh hatte einen ähnlichen Apparat
konstruiert. Es war ein Stift, der mittels eines Stiletts in den
Uterus geführt wurde und nach Zurückziehung jenes Stiftes nach
beiden Seiten auseinanderfoderte. Greenhalgh hatte den Apparat
gar nicht bekannt gegeben, weil er gleich bei seiner Anwendung
einen Exitus erlebte. Er warnte deshalb vor der Anwendung federnder
Pessare, und die Mehrzahl der Gynäkologen seiner Zeit schloß sich
ihm an. Auch der obenerwähnte federnde Obturator erwies sich
als ein gefährliches Instrument. Der Erfinder legte ibn binnen
vier Jahren 6— 700 gesunden Frauen zum Zwecke der Verhütung
der Conception ein. -Er bezeichnete ihn als ein sicheres Mittel
gegen Conception, das bei gesunden Frauen keinerlei Beschwerden
mache und ohne Schaden beliebig lange liegen könne. Bald aber
erwies sich entsprechend den fast 100 Jahre früher gemachten
Erfahrungen das federnde Intrauterinpessar als äußerst gefährlich.
Im Jahre 1900 zeigte Opitz®) in der Berliner Gesellschaft für
Geburtshilfe und Gynäkologie einen solchen Obturator, welcher
aus dem Uterus einer Frau mit jauchiger Endometritis entfernt
worden war. Es war eine der federnden Branchen durchgerostet
und tief in die Gebärmuttersubstanz eingedrungen. Ueber ähn-
liche Schädigungen durch einen Obturator berichtete Birmer im
Jahre 1901 in der Medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg.
Keferstein®) konnte fünf Fälle schwerer Gesundheitsschädi-
gungen durch den Obturator nachweisen.
Im Fall I waren die federnden Enden abgebrochen. Die eine
Branche fiel heraus, die andere spießte sich in die Muskeln ein, machte
Jauchende Eiterungen, Schmerzen, Blutungen und Fieber und mußte
operativ entfernt werden. Als die hochgradig tuberkulöse Frau später
starb, fand man Verwachsungen des Netzes mit der Vorderseite des
Mastdarms und der Rückseite der Gebärmutter.
Im Fall II trat jauchiger Ausfluß ein und die Frau kam ganz
herunter. Schon früher hatte die Patientin einen Obturator getragen, der
damals eine Fehlgeburt hervorrief.
Im Fall IIL war der Obturator acht Monate getragen worden, er
hatte Rückenschmerzen, beständigen Ausfluß, von bald gelblicher, bald
rosaroter Farbe und Menorrhagien hervorgerufen. Alle Beschwerden
schwanden, nachdem die Frau den Obturator entfernt hatte.
Im Fall IV war trotz des Obturators Schwangerschaft eingetreten;
es stellten sich Leibschmerzen, weißer Fluß ein und im achten Monat
erfolgte die Fehlgeburt. Bei der Untersuchung fand die Hebamme quer
im Muttermunde den abgebrochenen Federschenkel eines Obturators, der
zweite war am oberen Ende der Gebärmutter in die Muskulatur einge-
bettet und konnte nur mit Mühe entfernt werden.
Im Fall V traten nach Einlegen des Obturators so heftige
Schmerzen auf, daß er bald wieder entfernt werden mußte.
Falk’) warnte daher im Jahre 1902 dringend vor Anwendung des
federnden Obturators und aller Intrauterinpressare. Trotzdem ist dieses
gefährliche Instrument noch immer in Gebrauch.
Noch 1908 sah Natansons) bei einer Frau, welche ein
Pessar fünf Wochen getragen hatte, einen schweren eitrigen
Cervixkatarrh, der nach Entfernung des Pessars und entsprechen-
der Behandlung heilte. |
‚ Häufiger noch wie die federnden Intrauterinpessare werden
lie gewöhnlichen Uterusstifte angewandt. Sie wurden bald aus
1) Vorlesungen über Frauenkrankheiten. Berlin 1912.
2) Gynäcol. Vademecum. 1909.
3) Zbl. f£. Gyn. 1901, S. 50.
+) Zbl. £. Gyn. 1902, Nr. 23.
5) Th. Mon. 1902, S. 621.
°) Wr. kl. Woch. 1908, S. 545.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1661
‘Metall, Gold, Silber, Aluminium, Blei, bald aus Holz, speziell aus
Buchsbaumholz, Elfenbein, Hartkautschuk usw. hergestellt. Durch
alle möglichen Vorschriften über ihre Länge, Dicke und Form
versuchten die Freunde der Intrauterinpessare vergebens die Ge-
fahren zu beseitigen. Um Verletzungen des Fundus uteri zu ver-
hüten, sollte der Stift kürzer sein, wie die genau gemessene
Uterushöhle Trotzdem sah man Verletzungen, von denen man
zum Teil annahm, daß sie bei Beischlaf entstanden seien, indem
der zu kleine Kopf in den Muttermund hineingetrieben wurde.
| Als besonders groß erwies sich die Gefahr der Fundusverletzung,
wenn Schwangerschaft und damit Erweichung des Uterus eintrat.
Um des Hineinrutschen des Stiftes, welches übrigens auch ohne
Beischlaf allein durch den Druck der Scheidewand und des Levator
ani geschehen kann, zu verhüten, empfahl man, den Kopf nicht zu
klein zu machen. Um dem Menstrualblut und dem Uterussekret
den Abfluß nicht zu versperren, riet man den Stift nicht zu dick
zu wählen, anderseits aber auch nicht zu dünn, da sonst die
Gefahr einer Verletzung der Uterusmuskulatur zu groß sei. Trotz
Befolgung all dieser Vorschriften blieben nachteilige Folgen bei
Verwendung des Intrauterinpessars nur selten aus. Es zeigten
' sich meist Zunahme des Ausflusses und der Regel, zeitweise auf-
tretende Contractionen des Uterus, Erosionen und kleine Geschwüre,
besonders an den Muttermundlippen und blutige Absonderungen
‚zwischen der Menses.
Auch die Literatur der letzten Jahre zeigt einige Fälle von
schweren Schädigungen durch diese Instrumente. Wagner!) be-
richtete im Jahre 1907 über einen septischen Abort, der dure
einen Intrauterinpessar hervorgerufen war. Ä
Eine Hebamme hatte einer 38jährigen gesunden Frau, die mehr-
mals geboren hatte, ein silbernes Intrauterinpessar eingelegt, das aber :
verloren gegangen war. Später hatte sie ihr einen leicht gebogenen
Hartgummistift von 7 cm Länge verkauft, den sich die Frau vor jedem
Beischlaf selbst einführte. Trotzdem war eine Schwangerschaft und dann
Ende des zweiten Monats ein Abort eingetreten, der eine tödliche Sepsis
zur Folge hatte. Die Leichenöffnung ergab in der linken Tubenecke einen
tiefen Defekt. Wagner hält es nicht für unwahrscheinlich, daß der
während des Beischlafs im Uterus liegende Stift durch das männliche
Glied in die erweichte Wand des gegen das Kreuzbein gelegenen Fundus
eingebohrt wurde.
Spaeth?) sah nach Anwendung des Steriletts von Dr. Arens,
einem leicht gebogenen versilberten Stäbchen, trotz genauer Auswahl
Menorrhagien, lästigen Ausfluß und dreimal bei liegendem Pessar
Schwangerschaft, die bei zwei Frauen mit Abort endete, obwohl das In-
strument sofort nach Erkennung der Sachlage entfernt worden war. In
‘einem weiteren von Spaeth beobachteten Falle hatte eine Hebamme einer
40jährigen, gesunden Frau zur Verhütung der Empfängnis ein aus Peters-
burg bezogenes Pessar eingelegt. Es war ein 5 cm langer, leicht ge-
krümmter Stift aus Elfenbein von 3/4 cm Dicke, der sich nach oben hin
verjüngte und auf einer konvexen Scheibe von 2!/ cm Durchmesser be-
festigt war. Bei liegendem Stift blieb die Regel aus und die Frau er-
krankte drei Monate später unter den Zeichen des infizierten Aborts und
der Peritonitis. Trotz dieser Beobachtung glaubt Spaeth den Intra-
uterinstift zu therapeutischen Zwecken für gewisse, allerdings seltene
Fälle nicht missen zu können, rät aber, seine anticonceptionelle Verwen-
dung zu verbieten.
Knauer?) berichtet von einer 25 Jahre alten Frau, die bereits
dreimal spontan geboren hatte, bei der neun Tage nach Einführung eines
Intrauterinstifts Blutungen eintraten. Obwohl der Stift entfernt wurde,
stellten sich nach fünf Tagen Schmerzen in der linken Unterbauchgegend
ein, welche an Intensität zunahmen. Bei der Aufnahme fand sich ein
faustgroßer Tumor der linken Adnexe. Mangels einer andern Ursache
mußte die Schädigung durch den Stift für die plötzliche Entstehung des
Adnextumors verantwortlich gemacht werden.
Cohen?) sah einen Abort bei einer Frau, die längere Zeit einen
vom Arzt eingelegten Aluminiumobturator getragen hatte. Die Fehl-
geburt lief spontan ab und war sofort von einer schweren zu Exsudat-
bildung führenden Infektion mit hohem Fieber gefolgt.
Im. folgenden will ich einige Fälle mitteilen, die uns sowohl
die Gefahr der Sepsis als der Verblutung bei Abtreibung durch
gewöhnliche Intrauterinpessare zeigen. |
Der erste Fall, den ich gemeinsam mit Herrn Med.-Rat Dr.
Hoffmann begutachtete, betrifft ein am 3. Juni 1889 geborenes
junges Mädchen, R. F., das im Anschluß an eine Abtreibung durch
ein Intrauterinpessar am 18. September 1911 im Krankenhaus an
Sepsis starb. Die Abtreibung erfolgte durch eine gewerbsmäßige
Abtreiberin, die in Berliner Zeitungen bald R. M., Masseuse, bald
1) Mon. f. Geb. u. Gyn. 1907, S. 504.
2) Wr. kl. Rundsch. 1908, S. 146.
3) Wr. med. Woch. Nr. 88,
4) M. med. Woch. 1908, S.: 1823.
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1912 — MEDIZINISOHE KLINIK — Nr, 41. 13. Oktober.
E. M., Dampfbäder, Massage, annoneierte. Auf die Annoncen hin
kamen zahlreiche Frauen, welche über Periodenstörungen klagten.
Ihren Kunden gab die Abtreiberin eine Karte mit, auf der sie sich
als staatlich geprüfte Krankenpflegerin und Masseurin bezeichnete
und sich für Massagen, Dampfbäder, Abtreibungen sowie jede ins
Fach gehörige Leistung in und außer dem Haus empfahl.
Nach Angabe der Abtreiberin kam die Verstorbene zum
erstenmal im Januar und Februar 1911 zu ihr. Sie klagte damals
über Ausfluß und .Rheumatismus und wurde deswegen mit Sitz-
und Schwitzbädern, Packungen und Massagen behandelt. Im August
1911 fand ganz dieselbe Behandlung wegen derselben Beschwerden
statt. Die Verstorbene selbst erzählte ihrer Wirtin, sie sei seit
Mai schwanger und habe sich zweimal von der M. einen Stift in
die. Gebärmutter einführen lassen.
genützt, beim zweitenmal aber sei die Frucht getötet worden.
Bei der gerichtlichen Vernehmung gab die M. den Sachver-
halt zu. Sie habe der F., die angab, daß sie Verkehr gehabt habe
und, da die Regel ausgeblieben sei, befürchtete, schwanger zu sein,
ein Schutzpessar in die Gebärmutter eingeführt und ihr auf-
getragen, dieses solange zu tragen, bis sich Blutungen einstellten.
Nach 14 Tagen war die Verstorbene wieder bei ihr erschienen.
Blutungen hatten sich noch nicht eingestellt. Auf eingehendes
Bitten der F. führte die M. den Stift nochmals ein. Unmittelbar
nachher wurde der F. schlecht, sie stieß wiederholt auf, klagte
über Schmerzen in der rechten Leibeshälfte und mußte nach Hause
gebracht werden. Am it. September 1911 bemerkte die Wirtin,
daß die F., die schon seit Anfang August krank war, sich über-
gab, große Schwäche zeigte und viel Blut verlor. Am 13. Sep-
tember verließ die Kranke heimlich ihre Wohnung und begab sich
zu ihrem verheirateten Bruder. Sie klagte diesem gegenüber über
furchtbare Schmerzen, die sie auf ihr Unwohlsein schob. Da sich
der Zustand rasch verschlimmerte, wurde die F. am 17. September
1911 in die Klinik gebracht. Bei der Aufnahme war sie blaß und
elend, hatte ein systolisches Geräusch an der Herzapitze, aufge-
triebenen, druckempfindlichen Leib, profuse Durchfälle und eine
Temperatur von 38,80 und mäßig starke Blutung. Die Größe der
Gebärmutter entsprach dem dritten Monate. Der Cervicalkanal
war für drei Finger durchgängig. Die an der hinteren Uterus-
wand liegenden Placentarreste wurden ausgeräumt. Geringe Reste
mußten, da ihre Ablösung mit dem Finger nicht gelang, zurück-
gelassen werden. Am 18. September starker Verfall, Puls kaum
fühlbar. Laparotomie, Drainage. Tod fünf Stunden nach der Ope-
ration. Die Leichenöffnung ergab eitrige Peritonitis, septische
Endometritis, Milzschwellung, parenchbymatöse Trübung der Organe
und Corpus luteum verum im linken Ovarium. Die Größe der
Gebärmutter entsprach dem dritten bis vierten Monate.
Ein zweiter Fall betrifft eine 28jährige, gesunde, verheiratete
Frau N., die eine normale Entbindung durchmachte, aber keine
Kinder mehr haben wollte, da sie „zuverdienen mußte“. Als nun
Weihnachten 1910 die Regel ausblieb, ging die Frau auf den Rat
einer Freundin zu der Masseuse Z., der sie angab, daß sie sich
ein Schutzpessar einlegen lassen wollte. Von dem Ausbleiben der
Regel machte die Frau N. der Masseuse keine Mitteilung. Ohne
sich nach irgend etwas zu erkundigen oder zu untersuchen, kam
die Masseuse dem Wunsche der Frau nach. Sie legte ohne vor-
herige Scheidenspülung ein 6 cm langes, leicht gebogenes Stäbchen
aus Hartkautschuk ein, das etwas unter der Spitze eine Ver-
diekung zeigte. Nach oben verjüngte sich der Stift etwas, war
aber doch so dick, daß eine Verletzung beim Einführen nicht leicht
stattfinden konnte. Weitere Verhaltungsmaßregeln wurden der
Frau von der Masseuse nicht gegeben. Sie verlangte und erhielt
für das Einlegen inklusive Stift 25 M. Sofort beim Einlegen
stellten sich bei der Frau Leibschmerzen ein. Am folgenden Tage
traten Blutungen auf, die mehrere Tage dauerten. Obwohl die
Blutungen noch 14 Tage anhielten, Schüttelfröste und Fieber ein-
traten und die Frau sich sehr schwach fühlte, wurde kein Arzt
zugezogen. Allmählich, nach drei Wochen, ließen die Blutungen
nach und die Frau konnte ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Die
Periode kehrte wieder, war aber stets sehr schmerzhaft. Das
Pessar wurde nach stattgehabtem Abort nicht mehr getragen.
Als ein halbes Jabr später die am 26. Juni erwartete Regel
wieder ausblieb, ging Frau N. am 30. Juni abermals zu der
Masseuse Z. und bat wieder um Einlegung des Schutzpessars, was
auch geschah. Hierbei trat sofort ein schmerzhaftes Ziehen im
Leibe auf. An den beiden folgenden Tagen bestand allgemeines
Unbehagen. Am vierten Tage Schüttelfrost, Kopfschmerz, Tempe-
ratur 38,20, Puls 140, wehenartige Schmerzen, starker Blutverlust.
Am fünften Tage Temperatur 39,8°, fortdauernde Blutungen. Nach
der auch heute noch nicht ganz beseitigt ist.
legte.
kurzer Zeit immer wieder herausfiel.
keine Blutungen eingetreten waren, legte ihr die Masseuse ein
Das erstemal habe es nichts .
Ausräumung des Uterus durch einen Arzt allmählich Besserung.
Die Frau kam außerordentlich herunter. Im September entwickelte
sich bei der hochgradig abgemagerten, blutarmen Frau ein Basedow,
Ein dritter Fall betrifft eine 32jährige tuberkulöse Frau.
Sechs Wochen nach Ausbleiben der Regel ging sie zu der Masseuse
A., die ihr gegen Bezahlung von 30 M ein Intrauterinpessar ein-
Sie mußte es sich wiederholt einlegen lassen, da es nach
Da nach 14 Tagen noch
Pessar mit längerem Stift ein. Jetzt traten Blutungen auf, die
außerordentlich heftig wurden. Die Masseuse entfernte nun selbst
die Frucht. Da trotzdem die Biutungen nicht aufhörten und sich
ein hohes Fieber einstellte, wurde die Kranke in die Klinik ge-
bracht, wo die Totalexstirpation vorgenommen wurde. BE
Diese Fälle führen uns die großen Gefahren der Intrauterin-
pessare vor Augen. Die Gefahren bestehen einmal in Infektionen,
Endometritis, Metritis, Parametritis und allgemeiner Sepsis, sodann
in schweren Blutungen. Ist schon der nicht schwangere Uterus
mit seinem einschichtigen Cylinderepithel gegen mechanische Insulte
sehr empfindlich und antwortet'er auf ein Intrauterinpessar meist
mit entzündlichen Erscheinungen, so gilt dies noch vielmehr vom
schwangeren Uterus. Dieser wird durch den Stift viel leichter
verletzt wie der normale und die hierbei sowie bei der. Ablösung
des Eies entstehende Blutungen geben einen ausgezeichneten Nähr-
boden für das Wachstum der Infektionserreger ab. Selbst wenn
Aerzte unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßregeln eine künst-
liche Fehlgeburt einleiten, entsteht zuweilen Fieber,. sodaß die
' Aerzte gezwungen sind, die Entleerung des Uterus zu beschleunigen.
‘Viel größer ist die Gefahr der Infektion bei Verwendung der Intra-
uterinstifte, und zwar auch dann, wenn ganz aseptisch respektive
antiseptisch gearbeitet wird, was aber von seiten der Abtreiber
fast nie geschieht. Vergrößert wird die Gefahr noch dadurch,
daß die Intrauterinstifte, wie bei Fall 3, außerordentlich . leicht
herausfallen und dann wiederholt eingelegt werden müssen, oder
daß kürzere Stifte sich als wirkungslos erweisen und dann durch
längere ersetzt werden. Das häufige Auftreten von Infektionen
nach Benutzung der Intrauterinstifte zur Abtreibung dürfte end-
lich darin seinen Grund haben, daß der Abgang der Frucht nach
Einlegen von Intrauterinstiften im allgemeinen viel langsamer zu
erfolgen scheint, wie nach Verwendung der von Aerzten zur Er-
zeugung der künstlichen Fehlgeburt benutzten Mittel, und dab der
Abfluß des Sekrets häufig erschwert ist. | |
Neben der Infektion ist es der Blutverlust, der Leben und
Gesundheit der Frauen bei Abtreibung durch Intrauterinpessare
so häufig gefährdet. Auch hier ist es der langsame Eintritt der
Fehlgeburt vor allen Dingen, der die Frauen der Gefahr der Aus-
blutung aussetzt. Diese Schädigungen durch Sepsis und Blut-
verlust werden noch dadurch gesteigert, daß aus Furcht vor Ent-
deekung des Verbrechens ein Arzt entweder gar nicht oder doch
viel zu spät zugezogen wird. Besonders sträuben sich die Kranken,
vielfach junge Mädchen, gegen die Zuziehung eines Arztes, da sie
die Entdeckung der Tat fürchten. ER =
Trotz dieser schweren Schädigung der Frauen bei Abtreibung
durch Intrauterinpessare und der Verbreitung dieses Abtreibemittels
sind Bestrafungen bisher nur wenig bekannt geworden. Mehrere
Gründe sind hierfür anzuführen. Zunächst einmal scheinen plötz-
liche Todesfälle bei dieser Methode nicht vorzukommes. Diese
sind es aber, wie wir oben gesehen haben, gerade, die garnicht
selten zur Bestrafung der am meisten beschäftigten gewerbsmäßigen
Abtreiber führten. Dann aber ist den Abtreibern bei Verwendung
von Intrauterinpessaren viel leichter möglich, sich den Rücken zu
decken, wie z. B. bei Benutzung. der Mutterspritze. Der Sach-
verständige wird wohl immer erklären, daß die Spritze mit dem
langen spitzen Ansatze zu nichts anderm als zum Abtreiben diene
und wohl ausnahmslos wird Verurteilung wegen versuchter Ab-
treibung erfolgen. ‘Anders liegt: das Verhältnis bei Anwendung
der Intrauterinpessare. | | IE
Auch nach tödlich endenden Abtreibungen mit Intrauterin-
pessaren wird man den Abtreibern nur selten etwas auhaben
können, solange man die Verwendung der Stifte in Aerztekreisen
nicht ‚allgemein als’ Kunstfehler ansieht. Die Verteidiger werden
den Sachverständigen immer entgegenhalten, daß die Intrauterlt-
pessare nicht zur Abtreibung, sondern zur Verhütung von Schwan-
gerschaft oder zur ‚Behandlung eines Frauenleidens gedient haben.
Die Abtreiber selbst heben immer hervor, daß sie ihre Pessare
zur Verhütung von Schwangerschaft anwenden. Erzählt eine
Schwangere, daß ihre Periode ausgeblieben sei und daß sie sich
13. Oktober.
schwanger wähne,. so erhält. sie meist kein Pessar. So mußte die
eine: Schwangere (Fall 3), die der Abtreiberin über den wahren
Sachverhalt. Mitteilung gemacht hatte, zunächst‘ unverrichteter
Sacha nach Hause ‚zurückkehren. — Sie wußte sich aber zu helfen.
Acht 'Tage später. ging‘ sie’nochmals zu derselben Abtreiberin, sie
teilte ihr mit, daß ihre Periode wiedergekehrt sei- und daß sie
sich jetzt einen: Schutz einlegen: lassen wolle, was die Abtreiberin
dann auch"ohne weiteres tat. Die hohe Summe, die die Frau be-
zahlen mußte, nämlich 30 M, beweist wohl zur Genüge, daß die
Abtreibörin wußte, worum es sich handelte. Auch in den übrigen
zu meiner Kenntnis gelangten Fällen wurden den Schwangeren
20 bis 40 M abgenommen, obwohl die Pessare für 1 M zu haben
sind.. Trotzdem jedermann weiß, daß eine Arbeiterfrau einer
Masseuse für Einlegung eines Intrauterinpessars als Schutz gegen
` 'Schwangerscha‘t nicht 30 M bezahlt, wird es doch voraussichtlich
- selten zur Bestrafung der Schuldigen kommen, höchstens der un-.
glücklichen. Schwangeren selbst, die meist einer Freundin usw.
mitgeteilt haben, daß sie schwanger seien und.nur zum Zweck, einen
Abort “körbeizuführen, die Abtreiberin aufgesucht haben. Ein Ver-
bot, die Intrauterinstifte als Anticonteptionsmittel zu verwenden,
ihre Benutzung zu therapeutischen Zwecken aber zu gestatten,
wie Spaeth es will, hat keinen Zweck, denn dann würden die
Abtreiber eben: stets angeben, sie hatten ein vorhandenes Leiden
usw. :mit...diesen Pessaren zu:behandeln. . Unbestraft werden die Ab-
treiber, die‘ diese Methode. anwenden, zumeist ihr gefährliches
Handwerk . ausüben können, solange die Verwendung der Intra-
uterinpessare: in Aerztekreisen. nicht allgem«in als Kunstfehler gilt.
Diese: Zeit. :wird:wohl .nie. kommen. Dagezen würde ein Verbot
der. Behandlung -aller Leiden und Krankh.iten der Geschlechts-
organe durch Kurpfuscher, wie es der Gesetzentwurf gegen Miß-
stände:im:Heilgewerbe im’ $ ‘4 vorsah, von großem Nutzen sein.
‚Gewerbsmäßigen’Abtreibern könnte dann auf Grund des $ 5 dieses
Gesetzes das-Handwerk. gelegt werden. Ä ur ue
£s
Aus, der Chirürgischen Abteilung des St.-Vincenz-Krankenhauses
in Köln (leitender Arzt: Prof. Dr. Dreesmann).
: Zur. Behandlung der Radiusfraktur mit der
© =- ~ "Schedeschen Schiene
Sa | von = -
m | . Dr. €. Decker. |
l E ‚Eine der häufigsten Frakturen, die. der praktische Arzt, so-
wohl wie der. Kliniker zu behandeln hat, ist die sogenannte
typische. Radiusfraktur.: Die Dislokation bei diesen - Brüchen ist
bald eine geringere, bald eine erheblichere. _ Während die Reposition
sehr‘. oft ohne Narkose gelingt ünd auch quoad restitutionem ad.
integrum zu einem guten Resultat führen kann, muß man jedoch
in vielen’ andern Fällen die Narkose. bei den Repositionsmanövern
zu Hilfe-nebmen. - _ ~ oo a
„Die moderne Behandlung einer Fraktur besteht bekanntlich
in’ der Anlegung eines Streckverbandes und dauernder Kontrolle
mittels des Röntgenapparats. Während diese Methode auch bei
den meisten Frakturen angewandt wird, so kommt doch bei der
Behandlung des Radiusbruchs neben dem Gipsverbande sehr. oft
die Anlegung -einer sogenannten Schedeschen Schiene in Frage.
Für den praktischen Arzt ist jedenfalls die Anwendung dieser
Schiene die einfachste ünd beste. Methode.
dorso-volare_.oder volo-dorsale ‘Dislokation von. nicht zu. erheb-.
lichem Grade- beseitigt. `. -
Jetzt ist es Pflicht des Arztes, sich durch ‚Anfertigung
der. Arz
kein Röntgenapparat zur Verfügung steht,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4. `
!schen Schiene habe ich
' men verdeckt. Mitunter
‘ Die Röntgenaufnahme soll nun: in dem vom: Hausarzte
respektive vom. zuerst. behandelnden ‘Arzt angelegten -Verband
gemacht werden, da einerseits die Abnahme des Verbandes
dem Patienten erneute :
Schmerzen: verursacht;.
anderseits aber _auch
eine gute Stellung der
Bruchenden unnötiger-
weise verdorben werden .
Bei der Anfertigung
solcher Röntgenaufnah-
men in der Schede-
einen großen Mißstand
konstatieren können, Um
den aus gepreßtem Kar-
ton bestehenden Radius-
schienen einen festen -
Halt zu geben, ist auf
der Unterseite ein Me-
tallstreifen angebracht.
Dieser Streifen liegt nun
gerade so, daß er bei
einer dorso-volaren oder
auch volo-dorsalen Rönt- `
genaufnahme den Radius,
der doch sehr oft allein
frakturiert ist, vollkom-
kann man bei Erwach-
senen noch durch den
Streifen hindurch den
Knochen und die Stel-
lung der Bruchenden zu- (sr
einander erkennen; bei : = TER | ER:
Kindern dagegen ist dies ~ | Abb, 1, „Alte Schiene,
schier unmöglich i DR
l Daher habe ich die Schedesche Radiusschiene in der Weise
ümändern lassen, daß ich den breiten Metallstreifen von der
RD,
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"Abb. a. Modifizierte 'Schlene. - -.
Unterseite dar Schiene wegnehmen. und statt dessen zu, beiden.
. Lähgsseiten einen starken Stahldraht aübringen ließ. - Auch hier-
durch erhält die Schiene die nötige Widerstandskraft. . Röntgen:.
aufnahmen, die in. dieser ‘so` modifizierten ‚Schiene: angefertigt
wurden, -lassen deutlich. böide Knochen. erkennen. Zür. Illustration,
. des Unterschieds : der beiden‘ Röntgenaufnahmen. füge ich 'oben-
stelende Photograpbien bei (ef. : Abbildung). - f i PSRS
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13. Oktober
1664 | | - 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
Aus dem Radiologischen Institut .des . Rudolf Virchow-Kranken-
hauses zu Berlin (Leiter: Prof. Dr. Levy-Dorn).
Ein Hohlkompressorium als Hilfsmittel für die
- kombinierte röntgenoskopisch-palpatorische Ab-
dominaluntersuchun
| von
Dr. Max Silberberg, Assistenzarzt.
=` Das Bild, welches die Röntgenstrahlen auf dem Fluorescenz-
schirme beziehungsweise der photographischen Platte von dem
Magendarmkanal erzeugen, wird bekanntlich nicht durch den
Schatten dieser Hohlorgane selbst, sondern ihres mit schwer durch-
gängigen Substanzen durchmischten Inhalts hervorgerufen.
Wollen wir aus diesem Füllungsbild irgendwelche diagnostischen
Schlüsse ziehen, so müssen wir: sicher sein, daß. der eingeführte
Brei auch wirklich einen vollständigen Ausguß der untersuchten
Organe darstellt! Nun gibt es eine große Zahl von Ursachen,
welche eine vollkommene Ausfüllung der Höhle durch den Speisen-
brei verhindern können; hier sind besonders zu nennen: Funk-
tionsstörungen:des Organs selbst, wie Hypotonie' oder Atonie,
ferner álle äußeren Einflüsse, welche gestaltverändernd auf den
Magendarmkanal wirken: z. B. Ptosen der Bauchdecken, Kyphosen
der Wirbelsäule mit Einziehung des Abdomens, epigastrische
Hernien, Tumoren -des Abdomens usw. usw. Durch solche und
ähnliche Umstände kann die Silhouette des Magens ein Aussehen
erfahren, das eine organische Veränderung der Magenwand selbst
vortäuscht. Br l
Das beste Mittel, welches in der Praxis angewandt wird,
um zu entscheiden, ob eine Abnormität der Füllungsfigur wirklich
_ durch eine intraventrikuläre Bildung bedingt ist, ist zweifellos
die kombinierte röntgenoskopisch - palpatorische Untersuchung.
Diese zielt darauf ab, während der Durchleuchtung möglichst
reichliche Speisenmassen in den ungenügend oder gar nicht gefüllten
Abschnitt des Verdauungsorgans hineinzutreiben und ihn so sicher
zur vollständigen Füllung zu bringen. Aber die Unvollkommen-
heit der Methode, wie sie bisher geübt wurde, „wird sofort aus
folgendem klar: Verwenden wir für die palpatorische Exploration
unsere eigne Hand, welche als das bequemste und beweglichste In-
strument vor allen andern stets. den Vorzug verdient, so geben
wir uns einer großen Gefahr preis, schützen wir aber wiederum
die Hand durch irgendeine Hülle, so verliert sie an Sicherheit
und Gewandtheit. Das zweite Uebel, das der Methode anhaftet,
besteht in dem Umstande, daß stets, welcher Art auch die Mani-
pulationen sein mögen, die lichtauffangende Fläche auf eine
größere Distanz von dem untersuchten Objekt entfernt werden
muß, sodaß eine größere Undeutlichkeit des Bildes unvermeidlich
ist. Der dritte und schwerste Mangel der Methode ist aber der,
daß der erstrebte Eindzweck, die Wismutmassen in den un-
genügend gefüllten Abschnitt hineinzutreiben,. häufig gar nicht er-
reicht wird! Die Speisenmassen weichen sogleich nach allen
Seiten hin aus und werden jedenfalls nicht längere Zeit in dem
besonders zu erforschenden Teil des Magens beziehungsweise des
Darmes festgehalten! Stets ist die angreifende Kraftwirkung eine
einseitige: da, wo die Finger oder die. geballte Faust oder
irgendein planes oder konveXes Instrument : aufgesetzt wird, wird
der Wismutbrei fortgedrängt und eine nach außen zu abnehmende
Helligkeit im Bilde hervorgerufen; oft wissen wir tatsächlich nicht
genau, ob ein sichtbarer Schattendefekt nicht gerade durch diesen
einseitigen Druck erzeugt wird! |
Wollen. wir wirklich einen bestimmten Abschnitt voll auf-
füllen und gefüllt erhalten, so muß die angewandte Druckwirkung
eine ganz andere sein! Dies soll durch ein kleines Instrument
erreicht werden, dem ich vorläufig die aus der schematisierten
Abbildung ersichtliche Gestalt gegeben habe; es ist dies ein cylin-
drisches Hohlkompressorium aus Metall von. zirka 18. cm, Durch-
messer und zirka. 10 cm Höhe, das mit einem Durchleuchtungs-
schirme verbunden ist. Ob Modifikationen dieses Instruments in
bezug auf Form, Ausmessüngen oder Material von Vorteil sind,
ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. — Setzt man den Cy-
linder dem Abdomen auf, so wird ein circumscriptes Areal des-
selben eingeengt; infolge des durch den Cylinderrand ausgeübten
Druckes werden die im Bannkreise des Cylinders befindlichen Or-
gane festgehalten und am seitlichen Entweichen verhindert. Hohl-
organe, die mit flüssigen oder halbfesten Massen erfüllt sind,
müssen sich unter diesem Druck aufblähen! So ist es beispiels-
weise bei atonischen, schlaffen Mägen, bei denen der eingeführte
Inhalt dem wirklichen Fassungsvermögen nicht: genügt, durch -ge-
schicktes : Aufsetzen des Cylinders- möglich, größere Wismutgquanten
in irgendeinen Abschnitt des Magens, etwa’ den absteigenden- ver-
tikalen Schenkel oder die Hubhöhe hineinzudrängen, ihn zu füllen
und festzuhalten. Will man also das Antrum, das als Lieblings-
sitz vieler Affek- pii
tionen stets be-
sondere Auf-
merksamkeit
verdient, zur
vollkommenen
Füllung brin-
gen, so setzt
man den Cylin-
der mit einem
Rande zunächst
schräg derart
auf, daß er eine
Furche in das
Abdomen dicht
unterhalb des
linken Rippenbogens gräbt; durch eine abwärts und dann medial-
wärts gerichtete Bewegung preßt man den größten Teil des Magen-
inhalts pyloruswärts und hält ihn nun durch allseitiges Anpressen
des Cylinderrandes in dem Kreise gefangen. So wird dieser
spezielle Abschnitt einer genaueren Inspektion zugänglich.
Die Vorteile des Verfahrens sind einleüuchtend: Das Hohl-
kompressorium sammelt die Speisenmassen und fixiert sie! Da
der die Palpation und Dislokation ausführende Teil des’ Instru-
ments mit dem Untersuchungsschirme zu einem starren Ganzen
verbunden ist, so wird die sonst so unbequeme kombinierte rönt-
genoskopisch-palpatorische Untersuchung wesentlich erleichtert
und für den Untersucher weniger gefahrvoll. Man kann das ein-
gestellte Feld in Muße betrachten. — Bei der Untersuchung mit
dem Kompressorium wird der Schirm um einen der Höhe des Cy-
linders entsprechenden Betrag von der Bauchwand entfernt ge-
halten. Diese Vergrößerung des Abstandes hat aber keine Ver-
schleierung des Bildes zur Folge; denn tatsächlich ist ja die Ver-
mehrung der Distanz zwischen schattenwerfendem Objekt und
schattenauffangender Fläche nur unbedeutend, zweitens wird
selbstverständlich durch Verkleinerung der Blende des Röhren-
kastens dafür gesorgt, daß der Röntgenstrahlenkegel bis auf einen
dem Durchmesser des Cylinders entsprechenden Winkel eingeengt
wird, woraus schon bei relativ großem Objektschirmabstand eine
große Bildschärfe resultiert, und drittens darf man sogar er-
warten, was mir Bucky schon früher einmal gezeigt hat!), daß ein
zwischen Objekt und Projektionsfläche eingeschalteter Cylinder
gewissermaßen als eine „fortgesetzte Albers-Schönberg-Blende“
wirkt und eine weitere erhebliche Absorption der Sekundärstrah-
lung, somit eine größere Klarheit des Bildes zur Folge hat. Jeden-
‚falls haben die Beobachtungen mit Sicherheit ergeben, daß die
Bilder eine merkbare Einbuße an Schärfe keineswegs erleiden!
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Instrument haben er-
wiesen, daß der erwartete Erfolg den theoretischen Voraussetzungen
durchaus entspricht! . | Ä |
Ueber Auscultation des oralen und nasalen
Atemgeräusches |
von
Dr. Carl Petersen, Lehe.
Ein kürzlich in dieser Zeitschrift gebrachter Bericht machte
mich auf eine Arbeit von Takata über Oralauscultation, die in No. 2
d. Jahrg. der Berl. kl. Woch. erschienen ist, aufmerksam. Da ich
selbst diese Untersuchungsmethode seit Jahren übe, möchte ich
meine damit gewonnenen Erfahrungen . veröffentlichen. Ich hoffe,
daß diese Veröffentlichung dazu beiträgt, die Methode dem allge-
meinen diagnostischen Rüstzeuge des Arztes hinzuzufügen; denn
‘die Methode verdient es sicherlich. Ohne einen weiteren Apparat,
nur durch Beobachtung mit dem bloßen Ohre, sind vielfach diagnosti-
sche Aufschlüsse zu erlangen, die sonst mindestens umständlichere
Verfahren nötig machen.
In den Jahren 1899 bis 1901 wurde ich als Assistenzarzt an
der medizinischen Poliklinik und der Poliklinik für Nase- und Kehl-
“ 4 Die Publikation von Bucky erscheint in der nächsten Nummer
dieser Zeitschrift. i ; | Kae a
19: Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 4.
1665
kopfkrankheiten in Greifswald (Prof. Dr. Strübing) auf die Neben-
geräusche, die bei Bronchitikern und Phthisikern neben dem Atem-
geräusche bei Kehlkopfuntersuchungen hörbar waren, aufmerksam,
ohne daß ich der Erscheinung besondere Bedeutung beigelegt hätte.
Aber bereits ein Jahr später stellte ich eine Diagnose auf Phthisis
pulmonum per distance durch richtige Deutung des auf kurze Ent-
fernung hin hörbaren feinen Rasselns und einen Blick auf die
Temperaturkurve. Im Jahre 1904 behandelte ich den etwa zehn-
jährigen Sohn eines Lehrers an einem pleuritischen Exsudat. Der
Vater, ein Mann von guter Beobachtungsgabe, machte mich auf
die bei jeder Atmung auftretenden knisternden Geräusche aufmerk-
sam und fragte nach deren Bedeutung. Ich schloß auf eine das
Exsudat verursachende Bronchopneumonie, die ich durch Aus-
cultation der Brustwand nicht festgestellt hatte. Dieser Fall ver-
anlaßte mich, mit steigendem Interesse auf die Geräusche zu
achten, die bei Erkrankung der Atmungsorgane vor Mund oder
Nase hörbar sind. Ich habe seitdem wenige Patienten gehabt, bei
denen ich diese Auscultation nicht angewandt hätte, ohne Zweifel
mit großem Nutzen. Bereits vor einigen Jahren wollte ich meine
Erfahrungen veröffentlichen, habe es aber versäumt, weil mir die
physikalischen Grundlagen der Untersuchungsmethode in mancher
Hinsicht noch nicht klar waren.
Was die Methode der Auscultation angeht, so habe ich sie
anders ausgeübt als Takata. Ich habe stets die Auscultation
mit dem bloßen Ohre bevorzugt, indem ich vor dem geöffneten
Munde des Patienten horchte. Da dies natürlich bei Infektions-
krankheiten mir unangenehm war, suchte ich nach Abhilfe und
drehte mir eine Tüte aus Papier, die ich durch einen Streifen
gummiertes Papier in ihrer Form festhielt und dann in ein Hart-
gummirohr von etwa 12 cm Länge, das ich in heißem Wasser
rechtwinklig abbog, und an der einen Seite mit einer trichterförmigen
Erweiterung versah mit etwas Lack befestigte. Das ist ein vor-
zügliches Hörrohr, das leicht, wenn es beschmutzt ist, mit einer
neuen Tüte versehen werden kann. Trotzdem gefiel mir die Aus-
cultation mit dem bloßen Ohre besser; die Geräusche sind zwar
nicht so laut, aber sie klingen reiner, und da ich ein gutes Ohr
besitze, kam ich immer zum Ziele, wenn ich mich von der Seite
und von hinten her mit meinem Ohre dem geöffneten Munde des
Patienten näherte und so den Luftstrom an meinem Ohre vorüber-
streichen ließ. Auch fürchte ich die Infektion nicht mehr so sehr,
weil ich überlege, daß mit dem Luftstrome, der bei der Atmung
durch Nase und Mund geht, wohl kaum infektiöses Material mit-
gerissen wird, jedenfalls viel weniger als beim Sprechen, dem man
sich bei jeder Unterhaltung aussetzt, und beim Husten. Bei ein-
tretenden Hustenstößen suche ich die Richtung des Hustenstoßes
zu vermeiden. Auch fordere ich die Kranken auf, beim Husten
den Kopf so nach der Seite zu richten, daß der Luftstrom mich
nicht trifft. | i
Ich glaube, daß ich bei der Auscultation mit dem bloßen
Ohre die aus den tiefen Atmungswegen stammenden Nebengeräusche
von den Geräuschen, die aus den oberen Luft- und Speisewegen
quellen, leicht unterscheiden kann, und ich habe nicht nötig, wäh-
rend der Auscultation den weichen Gaumen zu beobachten, was
meines Erachtens die Methode erschwert, ohne sie sicherer zu ge-
stalten. Man muß eben die Geräusche nach ihrer Herkunft mittels
des Gehöreindrucks zu unterscheiden suchen. Ich glaube, daß mir
das gelingt. Dazu kommt, daß der Gaumen und die sichtbaren
Teile des Rachens nicht der einzige Ort sind, wo Geräusche ent-
stehen, die zu Täuschungen Anlaß geben können. Ich komme noch
darauf zurück.
Wir hören bei der nasalen Atmung ein weiches, dem vesi-
culären Atmen ähnliches Geräusch, das in der Nase entsteht, bei
Atmung durch den weit geöffneten Mund ein hauchendes Geräusch,
das im Kehlkopf entsteht und durch die Resonanz der Mundhöhle
verstärkt wird. Uebertönt wird dieses letzte Geräusch manchmal
durch die willkürlich hervorgebrachten Reibelaute, die zwischen
Zungenrücken und Hinterrachenwand oder zwischen Zunge und
Gaumen entstehen. Es ist nicht Zweck der Auscultation, diese
von der Willkür abhängigen Atemgeräusche zu unterscheiden, ich
erwähne sie nur, weil sie bei Kindern, Schlafenden und Be-
wußtlosen öfter gehört werden. Wo man die Wahl hat, wird man
die Atmung so gestalten lassen, daß die Nebengeräusche, auf die
allein es ankommt, möglichst deutlich hörbar sind, das eigentliche
Atemgeräusch möglichst wenig stört. Das ist der Fall, wenn der
Luftstrom durch den weit geöffneten Mund geht und innerhalb
und oberhalb des Kehlkopfs keine Enge findet. Man kann aber
auch bei den übrigen, vorher erwähnten Typen des normalen
Atemgeräusches sehr wohl auscultieren und ist bei kleinen Kindern
meistens genötigt, bei nasaler Atmung zu auscultieren.
Zweck der Auscultation des oralen oder nasalen Atem-
geräusches ist, pathologische Nebengeräusche zu erkennen.
Die pfeifenden, giemenden und schnurrenden Geräusche sind
die weniger bedeutungsvollen. Pfeifen und Giemen sind Stenose-
geräusche. Der normale Mensch kann sie künstlich hervorbringen,
wenn er nach der Ausatmung noch mit großer Kraft Luft heraus-
preßt. Ich nehme an, daß der starke Druck unter dem die Lunge
bei dieser forcierten Ausatmung steht, die Bronchiolen oder feinen
Bronchen, durch die der Druck sich nicht so schnell ausgleichen
kann, zusammenpreßt, sodaß eine Stenose entsteht, die die Be-
dingung für das Auftreten des Pfeifens und Giemens bildet. Bei
pathologischen Prozessen ist die Enge der Bronchen verursacht
durch eine Schwellung der Schleimhaut, wie sie vorkommt bei der
Bronchitis und beim Asthma, bei dem meist ein lautes und reich-
liches Giemen und Pfeifen hörbar ist. Ich halte wenigstens diese
Erklärung auch in bezug auf das Asthma für die ungezwungenste.
Wenn Takata nun angibt, man höre bei Pfeifen und Giemen, das
durch Auseultation der Brustwand festgestellt ist, meistens bei
Oralauseultation feuchtes Rasseln, so kann ich dem nicht ganz
zustimmen. Richtig ist, daß Pfeifen und Giemen bei Auscultation
durch die Brustwand deutlicher gehört werden als bei oraler Aus-
cultation. Pfeifen und Giemen kommt ohne Rasseln aber kaum
vor, ich wenigstens erinnere mich nicht, eg ohne Rasseln jemals
gehört zu haben. Man wird, wenn Pfeifen und Giemen durch die
Brustwand hörbar ist, auch durch orale Auscultation wohl immer
das Pfeifen und Giemen neben dem Rasseln hören, es wird aber
durch das Rasseln leicht verdeckt; das Rasseln hat dann einen
musikalischen Charakter. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß
die hohen Töne des Pfeifens und Giemens besser durch die Brust-
wand dringen als durch die Luftsäule der Bronchien, während das
Rasseln beim Durchdringen der normalen Lunge und Brustwand
seinen klingenden Charakter verliert, den es an sich immer hat.
Schnurrende Geräusche entstehen wahrscheinlich dadurch, daß
Sekretmassen durch den Luftstrom in flottierende Bewegung ver-
setzt werden. Sie sind bei Auscultation der Mund- oder Nasen-
atmung sehr gut hörbar. Man wird bei schnurrenden Geräuschen
auf das Vorhandensein von Sekret in den groben Luftwegen
schließen können.
Das bei weitem wichtigste Nebengeräusch der Atmung ist
das Rasseln. Man hat herkömmlicherweise die Rasselgeräusche in
trockne und feuchte geschieden die letzteren wieder in groß-,
mittel- und kleinblasige. Diese Bezeichnung halte ich nicht für
berechtigt. Wenn man pfeifende und giemende Geräusche, im
Gegensatze zum eigentlichen Rasseln, trockene Geräusche nennt,
mag: das insofern eine Berechtigung haben, als das Pfeifen und
Giemen ohne Sekret wenigstens in der Theorie vorhanden sein
kann, aber die Bezeichnung ist überflüßig. Wenn man jedoch das
eigentliche Rasseln in trocknes und feuchtes Rasseln scheiden will,
so ist das sicher unrichtig. Wenn man aus der Unzahl der Rassel-
geräusche, z.B. beim Lungenödem, schließen kann, daß sehr viel
Sekret in den Bronchien vorhanden ist, so ist das kein Grund, das
Geräusch darum ein feuchtes zu nennen. Wenn anderseits das
Rasseln gleichzeitig mit Pfeifen und Giemen vorhanden ist, sodaß
es bei Auscultation durch die Brustwand sich anhört wie das
Knarren trocknen Leders, so ist das kein Grund, das Rasseln ein
trocknes zu nennen. Ohne Feuchtigkeit kann kein Rasseln ent-
stehen. Machen wir uns doch klar, in welcher Weise das Rassel-
geräusch entsteht. Es sind immer die beiden gleichen Vorgänge,
die das Rasselgeräusch hervorbringen, nämlich erstens das Springen
von Sekretblasen und zweitens die Lösung verklebter, feuchter
Schleimhautflächen. Die Bedingung zum Springen von Sekret-
blasen ist bei intakter Lunge. nur gegeben in der Trachea und
den groben Bronchen, wo es, wie ich glaube, nur bei Lungenödem
und ganz vereinzelt bei Katarrhen mit sehr reichlicher Sekretion
vorkommt. Takata nimmt an, daß das Blasenspringen in der
Trachea überhaupt nicht vorkommt, auch nicht bei Lungenödem.
Es ist aber nicht einzusehen, warum es nicht vorkommen sollte,
daß die eiweißhaltige, schaumige Flüssigkeit gelegentlich, nament-
lich wenn ungenügend expektoriert wird, bis in die Trachea ge-
worfen wird und daß es dort zum Springen von Sekretblasen
kommt. In der Hauptsache hat Takata jedenfalls recht, daß das
Rasseln in den mittleren und feineren Bronchien entsteht. Bei
Katarrhen halte ich die Entstehung des Rasselns durch Blasen-
springen für möglich, wenn der Luftstrom bei der Ausatmung aus
einem Bronchus Sekret vor sich hertreibt und bei der Mündung
- A
Re a EEE a a De D mo a o
R- 2.5 nu,
1666
des Bronchus in einen größeren Bronchus sich eine Blase bildet,
die dann platzt. Das Rasseln entsteht aber auch beim Einatmen
und ist hier nicht anders zu erklären, als daß die mittels des-
Sekrets verklebten Schleimhautflächen sich voneinander lösen.
Schließlich kann das Rasseln infolge von Blasenspringen vorkommen
in Lungenhöhlen der verschiedensten Art, also Bronchiektasien,
Abcess- und Brandhöblen, sowie in tuberkulösen Höhlen. Meistens
entstehen die Rasselgeräusche durch Lösung verklebter, sekret-
bedeckter Schleimhautflächen. Es wäre richtig, die Bezeichnung
trocknes und feuchtes Rasseln ganz fallen zu lassen. Zu unter-
scheiden sind, nach Gehörseindruck und Entstehungsweise, erstens
die Stenosegeräusche, nämlich Pfeifen und Giemen, zweitens däs
Schnurren, drittens das eigentliche Rasseln, das als grobes und
feines Rasseln und vielleicht noch Knisterrasseln unterschieden
werden Könnte,
Diese Geräusche sind nun bei Auskultation des oralen oder
nasalen Atemgeräusches sämtlich wohl zu unterscheiden von dem
groben Rasseln des Lungenödems und der Kavernen bis zu dem
feinsten Knistera bei der Bronchiolitis der Säuglinge, das man
meistens bei nasaler Atmung auskultieren muß, indem man das
Ohr ganz nahe an den Atmungsluftstrom heranbringt. Das Rasseln
‚kann reichlich und spärlich sein. Es kann die Atmung in ersterem
Falle vom Beginn der Einatmung bis zum Schlusse der Aus-
atmung dauernd begleiten, in letzterem Falle sind es nur ver-
einzelte Rasselgeräusche, die dann meist am Schlusse der Inspiration
oder Exspiration zur Wahrnehmung kommen, jedenfalls sich aber
immer an dieselbe Atmungsphase anschließen.
Ich muß nun noch eingehen auf die Unterscheidung .der
Rasselgeräusche, die in den tiefen Luftwegen entstehen, von den
Geräuschen, die aus den oberen Luft- und Speisewegen stammen
und die nach Entstehungsweise und Gehörseindruck den Rassel-
geräuschen genau gleichen können. Wie ich bereits erwähnte,
habe ich diese Geräusche in anderer Weise zu unterscheiden ge-
sucht als Takata. In der Nase entstehen zuweilen durch Ver-
klebungen der geschwollenen Muscheln, wohl meist der geschwollenen
hinteren Enden mit dem Septum und deren Lösung durch den
Luftstrom vereinzelte Rasselgeräusche.e Auch bei Kindern hört
man, wenn Sekret in der Nase vorhanden ist, manchmal Rasseln,
das aber leicht von bronchialem Rasseln zu unterscheiden ist. Man
wird bei Erwachsenen und größeren Kindern bei Mundatmung,
eventuell bei geschlossener Nase auskultieren, bei kleinen Kindern,
wenn die nasalen Nebengeräusche alle übertönen, und der Uebel-
stand durch Zudrücken der Nase und Schreienlassen sich nicht
beseitigen läßt, für eine Weile auf die Auskultation des oralen
oder nasalen Atmungsgeräusches verzichten. Die im Rachen her-
vorgebrachten schnarchenden und gurgelnden Geräusche sind leicht
zu erkennen.
Von den Geräuschen, die in der Mundhöhle entstehen, sind
diejenigen, die willkürlich hervorgebracht werden, uns entweder
als Sprachiaute oder als Geräusche, die bei schmeckenden Kiefer-
und Zungenbewegungen zu Gehör kommen, ohne weiteres bekannt.
Schwieriger sind die Geräusche zu unterscheiden, die durch ganz
leichte Bewegungen der Zunge und des Gaumens während der
Atmung bei offenem Munde verursacht werden, indem sich kleine
verklebte Schleimhautflächen von einander lösen, z. B. in der Tasche
zwischen vorderem Gaumenbogen und Zunge. Diese Geräusche
gleichen dem Rasseln meistens grobem, zuweilen auch feinem
Rasseln ganz und gar. Hierher gehört auch Taketas Palatinal-
rasseln, das am häufigsten vorkommt. Sie sind dadurch zu unter-
scheiden, daß sie vereinzelt und unregelmäßig bei der Atmung
auftreten und daß sie bei anderer Stellung der Zunge ver-
schwinden. Man wird übrigens bei vereinzelt auftretendem groben
Rasseln, das ja nur als Kavernensymptom praktische Bedeutung
hat, sich durch Befragen des Kranken überzeugen, ob Sekret in
größeren Mengen ausgehustet wird. Dem feinen Rasseln gleicht
das Geräusch, das kurz nach dem Verschlucken lufthaltigen
Speichels oftmals entsteht und dadurch zu Täuschungen Veran-
lassung geben kann, daß es manchmal erst eine Weile nach dem
Schlucken vor sich geht. Es erscheint als ein feines, mehrfaches
Rasseln von einiger Dauer, das sich aber nicht an eine Atmungs-
phase anschließt und deshalb erkannt werden kann. Ich habe es
lange für ein Schluckgeräusch gehalten, das aus der Speiseröhre
durch Trachea und Mundhöhle fortgeleitet würde, bin aber davon
zurückgekommen, weil das Schluckgeräusch regelmäßig nach dem
Schlucken bei Auskultation der Lungenspitzen, namentlich hinten
oben hörbar ist, das Geräusch aber, das ich meine,. bei weitem
nicht regelmäßig auftritt. Es muß sich um Bewegungen lufthal-
tigen Speichels durch Muskelconträctionen im Hypopharynx handeln.
1919 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
Erwähnenswert erscheint mir noch, daß man auch beim Husten
auskultieren kann und daß besonders grobes Rasseln hierbei oft
deutlicher hervortritt, als bei ruhiger Atmung. Grobe Rassel-
geräusche unterscheiden sich von den feinen dadurch, daß sie lauter
hörbar sind und oftmals einen tieferen Klang haben. Die Klang-
höhe ist abhängig von der Gestalt des Raums, in dem das Rasseln
entsteht, und ferner von dem Umstand, ob es durch einen Raum
hindurchgeht, der, wie die Mundhöhle, einen ausgesprochenen
Eigenton hat. Nach dem Ausgeführten halte ich es für keinen
Vorteil, den Gaumen während der Auskultation zu beobachten,
diese Beobachtung schützt absolut nicht vor Trugschlüssen; man
ist doch genötigt, die Geräusche nach dem Gehörseindrucke zu
unterscheiden. Etwas Selbstbeobachtung wird bald die nötige
Uebung bringen. Ich empfehle also Auskultation mit dem bloßen
Ohr in der Weise, daß der Untersucher den Atem des zu Unter-
suchenden nahe an seinem Ohre vorbeistreichen läßt, und zwar
bei Erwachsenen während der Atmung durch den weitgeöffneten
Mund, beim Kind auch während der nasalen Atmung. Bei in-
fektiösen Erkrankungen wird ein einfaches Hörrohr aus Papier
mit rechtwinklig abgebogenem Ohransatz oder mit Hörschlauch
gute Dienste leisten. | |
Es bleibt noch die Frage zu erörtern, ob alle Rasselgeräusche,
die in den Luftwegen oder auch in Lungenhöhlen entstehen, den
Weg durch die Luftwege in das Ohr des Untersuchers finden. Ich
glaube, man muß die Frage verneinen. Ich habe selten Rasseln
durch Auskultation des oralen Atemgeräusches nicht wahrgenom-
men, das ich durch Auskultation der Brustwand festgestellt hatte.
Die Erscheinung wird sich in der Weise erklären, daß oberhalb
des Entstehungsorts des Rasselgeräusches sich eine Stenose be-
findet, die Lunge unterhalb desselben durch atelektatische, pneu-
monische oder narbige Prozesse ganz oder teilweise luftleer ge-
worden ist, sodaß der Gaswechsel nur ein geringer ist. Dann
gelangt das Rasselgeräusch durch die enge Stelle nicht bis an das
Ohr, anderseits entsteht auch kein Stenosegeräusch, weil die Kraft
des Anblasens nicht vorhanden ist. Dieser Mangel des oralen
Rasselns wird meist vorübergehend sein, für längere Zeit habe
ich ihn bemerkt bei einer ganz eircumscripten, schrumpfenden Lungen-
spitzentuberkulose.e Wenn so manchmal Rasselgeräusche, die bei
Auskultation durch die Brustwand hörbar sind, bei oraler Aus-
kultation nicht vernommen werden, so werden wiederum bei oraler
Auskultation oftmals Geräusche festgestellt, die man bei Auskul-
tation der Brustwand nicht auffinden kann. Das ist der Fall
namentlich bei centralen bronchitischen und pneumonischen Vor-
gängen und oftmals beim pleuritischen Exsudat aus bronchopneu-
monischer Ursache. Hier ist die orale Auskultation der andern
überlegen. i
| Was nun die speziellen klinischen Erscheinungen der Aus-
kultation des oralen und nasalen Atemgeräusches bei den ver-
schiedenen Erkrankungen der Luftwege und Lungen angeht, so
möchte ich darüber folgendes bemerken: Bei der Brouchitis be-
weist das bei oraler Auskultalion hörbare feine Rasseln immer,
daß die tieferen Luftwege affiziert sind. Ob das in einem circum-
scripten Bezirk oder über der ganzen Lunge der Fall ist, darüber
läßt die Methode nur ein schätzungsweises Urteil zu. Die Ent-
scheidung muß die Auskultation durch die Brustwand bringen.
Bei Kindern erscheint bereits feines Rasseln bei Affektionen der
mittleren Bronchien entsprechend der geringeren Weite derselben.
Ein feines Knistern ist ein Beweis für die Erkrankung der Bron-
chiolen. Bei allgemeiner Bronchiolitis hört man Knistern in reich-
lichstem Maße, wie bereits erwähnt, auch bei nasaler Atmung.
Dieses reichliche Knistern kommt in der gleichen Weise, aber ohne
die bedrohlichen klinischen Erscheinungen vor bei dem asthmati-
schen Katarrh von Kindern, die meist an exsudativer Diathese
leiden oder gelitten haben. Die Kinder können ein etwas cyano-
tisches Aussehen darbieten, dabei ist Puls, Temperatur und Allge-
meinbefinden aber gut. Von den Bronchitiden der Infektionskrank-
heiten ist zu erwähnen, daß beim Keuchhusten sich besonders kurz
vor dem Anfalle meist ein reichliches feines und vereinzeltes
groberes Rasseln und auch Knistern findet, das nach dem erfolg-
ten Anfall oft ganz verschwunden ist, indem das Sekret ausge-
hustet wird. Dies ist ein Beweis, daß der Keuchhusten mit einem
specifischen Katarrh der tieferen Luftwege verbunden: ist. Findet
man reichliches Knistern und feines Rasseln bei einem Kind,
ohne daß bedeutende Fiebererscheinungen vorausgegangen oder
noch vorhanden sind, so handelt es sich meistens entweder um
Keuchhusten oder um asthmatischen Katarrh. Eine neben der
Affektion der Bronchien bestehende Bronchopneumonie läßt sich
durch orale Auskultation nicht feststellen. |
13. Oktober.
Ob das Knisterrasseln bei croupöser Pneumonie durch orale
Auskultation überhaupt hörbar ist, ist sehr zweifelhaft, ich habe
os meist vermißt und wo ich dennoch Knistern und feines Rasseln
hörte, neigte ich mehr der Ansicht zu, daß es sich um begleitende
Bronchitis handele. Ich glaube, daß beim pneumonischen Knistern
die oben geschilderten Verhältnisse der Enge der zuführenden
Bronchien und der Luftleere der Lunge vorliegen und daß deshalb
las Knistern nicht hörbar ist. Entfaltungsknistern der gesunden
Lunge habe ich niemals gehört. |
Beim asthmatischen Anfalle hört man neben Pfeifen und
Giemen ein reichliches Knistern. Ich möchte den asthmatischen
Anfall auffassen als einen mit starker Schwellung und spärlicher
Sekretion verbundenen Katarrh der Luftwege bis in die Bronchiolen
iinein. Aus dem Pfeifen und Giemen beim asthmatischen Anfall
st auf eine Stenose der feinen Bronchien, aus dem Knistern auf
ine Sekretbildung zu schließen. Bei foreierter Ausatmung der
iesunden entsteht nur Pfeifen und Giemen, kein Knistern, weil
sein Sekret vorhanden ist. Die Erscheinungen des asthmatischen
Anfalls erklären sich am ungezwungensten durch die Annahme
ines schnell einsetzenden Katarrhs der feinen Bronchien. Ich
iabe asthmatische Anfälle häufig bei älteren Kindern gesehen, die
n frühester Jugend an exsudativer Diathese gelitten hatten. Ich
‚laube, daß die Respirationsschleimhaut hier auf leichte Reize, die
icht einmal die ganzen Luftwege, vielleicht nur die oberen zu
reffen brauchen, mit einer heftigen Schwellung reagiert, ebenso
vie die äußere Haut bei der exsudativen Diathese auf Entzündungs-
eize, die eine normale Haut gänzlich unbeantwortet läßt, und die
ur eine circumsoripte Stelle zu treffen brauchen, mit ausgedehnter
intzündung reagiert. Ich finde eine weitgehende Analogie zwischen
len Erscheinungen der exsudativen Diathese und dem Asthma.
tin Teil der asthmatischen Zustände wird seine Ursache in einer
ngioneurotischen Schwellung der Schleimhaut der Bronchien haben.
ine Idiosynkrasie der Respirationsschleimhaut gegen Gräserpollen
nd ein dadurch veranlaßter Katarrh der feinen Bronchen scheint
em Heufieber zugrunde zu liegen.
Bei initialer Tuberkulose wird man oft feines Rasseln hören,
n den späteren Stadien kommt auch grobes Rasseln, das in
en Höhlen entsteht, zur Beobachtung. Bedeutenden diagmosti-
chen Wert hat ein feines Rasseln, das nach diagnostischen
un ektionen auftritt, wie ich einige Male feststellen
onnte. Ä
Ueber das grobe Rasseln bei Kavernen der verschiedensten
irt ist das Nötige bereits gesagt. Daß Rasselgeräusche auch von
em Patienten selbst wahrgenommen werden können, dürfte be-
annt sein. Takata hat mit Recht darauf hingewiesen, daß alle
asselgeräusche, die durch Auskultation des oralen Atemgeräusches
u Gehör kommen, auch von dem Träger des Rasselns gehört wer-
en können und daß der Entstehungsort in den Hals verlegt wird.
ch habe die Erfahrung gemacht, daß gröberes Rasseln meistens von
en Patienten selbst, bei Kindern von den Müttern wahrgenommen
ird, feineres Rasseln seltener von Menschen mit guter Beobach-
ıngsgabe, Wenn es gehört worden ist, läßt es sich anamnestisch
ehr gut verwerten. Pfeifen, Giemen und Schnurren wird häufiger
ahrgenommen. |
Herzgeräusche sind durch Auskultation vor geöffnetem Munde
icht hörbar; die Geräusche, die, die Herztätigkeit begleitend, hier
örbar sind, halte ich für Atemgeräusche respektive für. Verände-
angen des Atemgeräusches, die durch die Herzbewegungen her-
orgerufen werden, sozusagen ein Pulsieren des Atemgeräusches,
le man es auch gelegentlich bei Auskultation durch die Brust-
and wahrnimmt. Unter welchen Bedingungen es entsteht, ob
3 diagnostischen Wert hat, ist mir, da mir die Kontrolle meiner
efunde durch Obduktionen fehlt, nicht klar geworden. Bis jetzt
abe ich nichts damit anfangen können.
Pleuritische Reibegeräusche sind ebenfalls durch Auskultation
58 oralen Atemgeräusches nicht wahrnehmbar. Takata meint,
aB dieser Umstand sich differential-diagnostisch gegenüber den
asselgeräuschen verwerten ließe. Da Reibegeräusche oftmals
neumonische und bronchopneumonische Prozesse begleiten, möchte
h zur Vorsicht raten und jedenfalls nur dann darauf zurück-
reifen, wenn das orale Atemgeräusch frei von Nebengeräuschen
t und ein rein pneumonischer Prozeß ausgeschlossen werden
Ann. Sicher werden pleuritische Reibegeräusche am besten direkt
agnostiziert.
Ich möchte ebenso wie Takata den Aerzten die Auskulta-
on des oralen und nasalen Atemgeräüsches als eine einfache
ntersuchungsmethode dringend empfehlen, die oftmals, besonders
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1667
bei centralen!) und ferner bei cärcumscripten Prozessen, die nicht
leicht auffindbar sind, eine Diagnose ermöglicht, wo die andere
Auskultation versagt. Im einzelnen möchte ich noch hervorheben,
daß das Rasseln, das bei oraler Auskultation bei pleuritischen Ex-
sudaten hörbar ist, seinen Grund hat in einer Affektion der Lunge,
im Gegensatz zu den Exsudaten, die von Entzündungsprozessen
anderer Organe verschleppt sind. Ferner, daß das Knistern und
das feinblasige Rasseln, das bei Auskultation des oralen oder
nasalen Atemgeräusches festgestellt war, bei fieberhaften Erkran-
kungen namentlich kleiner Kinder mich oft auf Entzündungspro-
zesse der Luftwege und Lungen aufmerksam gemacht hat, wo ich
bei Auskultation der Brustwand keinen Befund hatte. Auch bei
beginnender Lungenschwindsucht hat mir die Auskultation der
oralen Atemgeräusche oftmals, in einigen Fällen auch nach Tuber-
kulininjektionen willkommenen Aufschluß gebracht.
= Die Methode ist im ganzen viel einfacher, als sie nach
diesen Ausführungen zu sein scheint. Das wesentliche ist, daß
man ein feines Rasseln oder Knistern wahrnimmt und zu unter-
scheiden weiß. In den meisten Fällen wird ein kurzes Hinhören
auf die orale oder nasale Atmung die Entscheidung bringen, ob
dieses leicht erkennbare, die Atmung regelmäßig begleitende Ge-
räusch vorhanden ist oder nicht, und so wertvolle diagnostische
Schlüsse zulassen, in jedem Fall aber nur in Ergänzung, nicht als
Ersatz der Auskultation der Brustwand.
Ueber therapeutische Beeinflussung des
insuffizienten Herzens durch Venenstauung
von
Dr. C. S. Engel, Berlin.
Bekanntlich verfügt ein gesundes Herz über soviel Reserve-
kraft, daß es nach einer leichteren Anstrengung in wenigen
Minuten, ohne Störungen zu hinterlassen, wieder zur normalen
Tätigkeit zurückkehrt. Von diesem normal funktionierenden
Herzen gibt es alle möglichen Uebergänge zu dem relativ insuffi-
zienten — welches in der Ruhe noch die wesentliche Herzarbeit
zu leisten imstande ist, bei stärkerer Inanspruchnahme jedoch ver-
sagt — und zu dem absolut insuffizienten Herzen, welches auch
die zum normalen Leben notwendige wesentliche Herzarbeit nicht
mehr zu leisten vermag. Da der Herzmuskel nur während der
Erweiterung der Coronargefäße, das heißt während der diastoli-
schen Ruhe, ernährt werden kann, da anderseits die Beschleuni-
gung der Herztätigkeit bei der Arbeit in erster Linie auf Kosten
der Diastole zustande kommt, ist die Ruhe nicht nur für das er-
müdete, gesunde, sondern auch für das relativ insuffiziente, vor-
nehmlich aber für das absolut insuffiziente Herz von größter
Wichtigkeit. Für das letztere ist Ruhe zur möglichsten Verminde-
rung der Ansprüche an das Herz im Verein mit den Herztonika
überhaupt die einzige Möglichkeit zam Fortbestehen des: Lebens,
während bekanntlich für das gesunde Herz sowie für das relativ
insuffiziente systematische Körperbewegungen und vorsichtig
dosierte physikalische Uebungen und Heilmethoden zur Erhaltung
beziehungsweise zur Wiedererlangung der Reservekraft des Herzens
erforderlich sind. Wenn bei schwerer Herzinsuffizienz — sei es
als Folge endokardialer oder myokarditischer Erkrankungen —
das Blut sich in den Vorkammern staut, die Wände derselben sich
dehnen und die Druckdifferenz zwischen den Arterien und Venen
des großen Kreislaufs sinkt, dann kann, wenn es gelingt, die
falsche Blutverteilung auf medikamentösem oder physikalischem
Wege zu beseitigen, eine für längere Zeit vorhaltende günstige
Wendung im ganzen Krankheitsverlauf herbeigeführt werden.
Unter den Medikamenten nimmt zur Verbesserung der Aus-
nutzung der vorhandenen Muskelkraft des Herzens die Digitalis
seit mehr als 100 Jahren die erste Stelle ein. Erst in neuerer
Zeit haben die physikalischen Heilmethoden zur Verbesserung von
. Kreislaufstörungen größere Bedeutung erlangt. Die wohltätige
Wirkung derselben beruht vornehmlich auf der Regulierung der
peripheren Widerstände, welche das gesunde und das kranke Herz
zu überwinden hat. Während ein gesundes Herz dank seiner
Reservekraft größere Widerstände, welche ihm namentlich durch
1) Nachträglich finde ich in dem bekannten Lehrbuch der klinischen
Untersuchungsmethoden von Sahli, IV. Aufl. 1905, das orale Rasseln
und die Möglichkeit einer diagnostischen Verwendung desselben bei
centralen pneumonischen Processen kurz erwähnt. Im übrigen ist Takata
der erste und einzige, von dem mir bekannt geworden ist, daß er die
Auskultation des oralen Atemgeräüsches methodisch geübt hat.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
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18.. Oktober,
Elastizitätsveränderung und Verepgerung der peripheren Gefäße
entstehen, längere Zeit zu überwinden vermag; muß ein insuffi-
zientes bereits bei geringer Erhöhung der Ansprüche in abnormer
Weise arbeiten. Gelingt es durch Bäder, Muskelübungen und
andere physikalische Maßnahmen die peripheren . Gefäße zu er-
weitern, dann wird nicht nur dem Herzen die Arbeit erleichtert,
es kann auch das .intestinale Blut infolge der verminderten Kon-
kurrenz der in den Extremitäten und in der Haut befindlichen
Blutmengen leichter in die Hohlvenen abfließen, sodaß auch der
Stoffwechsel in den inneren, besonders in den drüsigen. Organen
wieder ein lebhafterer werden kann.
Wenn die Widerstände, welche der Druckkraft des Herzens
entgegenarbeiten, durch Erweiterung der peripheren Capillaren mit
dem Erfolge der Entlastung des : Herzens herabgesetzt werden
können, dann ist es einleuchtend,' daß eine zeitweilige Verminde-
rung der von dem ermüdeten . oder organisch. minderwertigen
sein muß. Eine derartige zeitweilige Verminderung der von dem
Herzen . in Circulation. zu haltenden Blutmenge ist möglich durch
eine ausgiebigere Blutentziehung mittels Aderlaß oder durch eine
Blutanstauung in den Extremitäten. j
- Es liegt auf der Hand, daß eine ausgiebigere Venaesektion,
wie sie von Tabora!) bei Herzkrankheiten empfiehlt, das sich vor
und in der rechten Vorkammer stauende Blut verringert und
daß dadurch die Dehnung der Muskulatur herabgesetzt und diese
zu kräftigeren Contractionen befähigt wird. Diese dauernde reich-
lichere Blutentziehung kann jedoch nur bei dazu geigneten Per-
sonen vorgenommen und nicht beliebig oft wiederholt werden. Zu
diesem Zwecke wird vielfach der „unblutige Aderlaß“ zur zeit-
weiligen Verringerung der durch das Herz in Circulation gehaltenen
Blutmenge angewendet, und zwar durch Stauung des venösen
Bluts in den Extremitäten, wie es zuerst von Tornai?) und von
Lilienstein®) für Herzkranke empfohlen worden ist. Während
jedoch der erstere die Extremitäten mittels elastischer Gummi-
binden umschnürt, staut Lilienstein durch mehrere v. Reck-
linghausensche Manschetten. Den Stauungsdruck erhöht er
unter Kontrolle eines Baschschen Sphygmomanometers mittels
eines Gummigebläses zwei bis drei Minuten lang bis kurz vor dem
Verschwinden des Arterienpulses, das heißt bei 80—120 mm Hg.
Dann wird langsam die Luft abgelassen und die Manipulation
drei- bis fünfmal wiederholt. Den von ihm verwendeten Apparat
nennt Lilienstein Phlebostat®); derselbe gestattet die Ausführung
der Stauung in der Sprechstunde. | | |
Wie von TaboraS). gezeigt hat, wird durch eine derartige
zeitweilige Verringerung des Zuflusses des venösen Bluts zum
rechten Herzen der krankhaft erhöhte Venendruck im rechten Vor-
hof erniedrigt. Dadurch wird auch im Lungenkreislauf eine Druck-
herabsetzung erreicht und die Stromgeschwindigkeit von den
Arterien zu den Venen erhöht. | 3
Die günstigen Erfahrungen, welche Tornai und Lilien-
stein. mit dieser physikalischen Behandlungsmethode besonders
auf das subjektive Befinden Herzkranker veröffentlicht haben, ver-
anlaßten mich zu dem Versuche, mittels des Jaquetschen
Sphygmokardiochronographen die Wirkung dieser Stauung objektiv
zu registrieren. Zu diesem Zwecke wurde bei Gesunden und bei.
Herzkranken vor, während und nach der Stauung der Venen der
Puls der Arteria radialis, der der Carotis und der Spitzenstoß des
Herzens geschrieben. Ueber den Einfluß der Venenstauung auf
die Puls- und Herzkurven habe ich mich auf dem diesjährigen
Deutschen Kongreß für Innere Medizin in Wiesbaden eingehender
ausgelassen, an dieser Stelle soll auf einige Wirkungen der
Stauung hingewiesen werden, welche mehr den klinischen Krank-
heitsverlauf betreffen. ; T x
Es liegt auf der Hand, daß bei Kranken, deren Herzinsuffi-
zienz sich noch vorwiegend in subjektiven und einigen unerheb-
licheren objektiven Störungen -— wie länger dauernder Pulsver-
mehrung nach unerheblichen Bewegungen, leichterer Atemnot beim
scheinungen der Besserung des Zustandes vorwiegend subjektiver
Art sein werden. Erst nach wiederholter Anwendung der Venen-
stauung konnten bei unseren Kranken auch objektiv deutliche
günstige Veränderungen festgestellt werden. pao Ze
| i) Verhandl. d. Kongresses für Innere Medizin 1809 und M. med.
Woch. 1910, H. 24. |
2) Berl. kl. Woch. 1911, H. 5. |
8) Med. Kl. 1912, Nr. 8. B i og
4) Hergestellt von C. u. E. Streisguth, Straßburg i. E.
6) Kongreß f. Innere Med. 1909. |
Zur Erklärung der ‚günstigen Wirkung der Stauung der
. Venen ‚an ‚den Extremitäten ‚braucht man sich nur die veränderten
Cireulationsbedingungen, die beim Kranken durch diese Stauung
geschaffen werden, kurz zu vergegenwärtigen, um. zu erkennen,
daß durch den ganz unerheblichen, niemals lästigen Eingriff gerade
den schwersten Circulationsstörungen "mechanisch entgegengear-.
l beitet wird. ; l
BEN 5 ' a a et PER 5 Re E ee
So verschieden die anatomischen Voraussetzungen der Herz-
an ‚N
‚insuffizienz sein mögen, so sind doch die Grundzüge der Circula-
tionsstörung im großen und ganzen bei den einzelnen Herzverände-
rungen dieselben. Früher. oder später staut sich das venöse Blut
in der rechten Vorkammer, die von allen Herzkammern am wenig-
: sten muskulös, passiv gedehnt und in der Coutractionsfähigkeit
. beschränkt wird. Eine venöse Stauung in den Organen ist die
. Folge der verminderten Druckdifferenz zwischen. arteriellem und
, venösem Kreislauf. g l
Herzen zu bewältigenden Blutmassen in ähnlicher Weise nützlich |
Durch die zeitweilige Zurückhaltung des venösen Bluts in
den Extremitäten, in welche anderseits mit jedem Pulsschlag neues
‚ arterielles Blut einströmt, wird die in die rechte Vorkammer
' einfließende Blutmenge allmählich geringer, die passive Dehnung
läßt nach, die um das Extremitätenblut verringerte venöse Blut-
menge kann leichter in die Lungen geschleudert werden. Die
Capillaren der Lungenalveolen, welche bei den meisten Herzstörun-
. gen durch venöse Stauung erweitert sind, erhalten weniger Blut,
während der Abfluß durch die Aorta während der wenigen Minuten
der Stauung: keine wesentliche Einbuße erleidet. Dadurch "kann
das Lumen der Lungencapillaren enger werden, wodurch wieder
' die Inspiration durch größere Lungenkapazität, die Exspiration
' durch Erleichterung der Tätigkeit der elastischen Fasern in den
' Alveolarwänden verbessert wird. Das dadurch besser mit Sauer-
stoff versorgte Blut gelangt zuerst am Ansatz der Aorta in die
Coronararterien und beeinflußt den Herzmuskel in günstiger Weise.
Durch das zeitweilige Zurückbalten des Venenbluts in den Ex-
tremitäten ist ein leichterer Abfluß desselben aus dem Kopf und
den Bauchorganen geschaffen. Das Atemcentrum der ‘Medulla
oblongata wird durch die bessere Arterialisierung weniger gereizt,
' wodurch sich ebenfalls die bessere Atmung erklärt.‘ Auch die
durch CO>-Ueberladung 'hervörgerufene Reizung des ‘Vasomotören-
centrums fällt weg, wodurch die vermehrte Herzarbeit hervor:
rufende Gefäßverengerung ebenfalls aufhört.” Auch die "Bauch-
organe werden mechanisch durch den besseren Abfluß; chemisch
_ durch die bessere Versorgung mit Sauerstoff günstig beeinflüßt. ``
Ist einmal der Circulus vitiosus der falschen BlutverteHung
mittels der Venenstauung durchbrochen, dann kann; ähnlich wie
bei der Anwendung von Digitalis, ein Umschwung im ganzen
: Krankheitsbild eintreten. ‘Dem’ entsprechen die veränderten
. Krankheitserscheinungen, welche bei meinen Versuchen beobachtet
. werden konnten. mn = a
-Was zunächst ‘das Herz betrifft, so ‘war eine Beruhigung
. der Tätigkeit desselben, auf welche bereits Tornai und: besonders
Lilienstein hinweisen, auch bei meinen Kranken deütlich 'er-
. kennbar. Bereits nach wenigen Sitzungen wiesen dieselben Aus
freien Stücken gerade auf diese Veränderung ihres Befindens be-
sonders hin. Die Spannung über dem Brustbein sowie der Druck
über derselben Stelle — der wohl auf Blutstauung im rechten
Herzen zurückzuführen ist — ließen fast regelmäßig nach, wenn
‚ auch durch Perkussion nur zuweilen eine Verkleinerung. der Herz-
dämpfung erkannt werden konnte. Daß mit Hilfe des Sphygmo-
: gramms und des Kardiogramms eine erhebliche Verbesserung der
‚ Herztätigkeit sich auch objektiv an der veränderten Herzkurve fest-
‚ stellen läßt, habe ich an anderer Stell ausgeführt. Kurzatimigs
' Herzkranke ‚konnten unter dem Einfluß der Venenstauung mit
; siehtlicher Erleichterung und mit der Angabe, nun wieder „durch-
atmen“ zu können, die Atmung vertiefen und verlangsamen. Der
Bronchialkatarrh, wie er als Stauungserscheinung in den Lungen
neben dem Lufthunger nach Bewegungen häufig vorkommt, lieb
. nach einigen Sitzungen nach und blieb oft sogar längere Zeit weg.
Treppensteigen und ähnlichem — zu erkennen gibt, auch die Er- |
Kranke, welche in Folge von Hirnhyperämie oft. über Be-
" nommenheit im Kopfe, über Kopfschmerz, leichten Schwindel oder
_ Ohrensausen klagten, gaben nach einigen Sitzungen an, daß diese
' Beschwerden sich erheblich gebessert hätten. Es wäre von Wert,
' die Wirkung der Venenstauung bei Kranken mit Meningitis und
andern entzündlichen Vorgängen im Schädelinnern zu beobachten,
; doch kamen derartige Kranke nicht zur Beobachtung.
Den günstigen Erscheinungen von seiten des Herzens, der
| Lungen und des Kopfes schließen sich diejenigen der Bauchorgans,
namentlich diejenigen der Leber an. Nach wiederholter Durch-
führung der Venenstauung wurde bei Klagen über Druck- und
8. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1669
\bannungsbeschwerden ‚in der. Lebergegend. sehr häufig Nachlaß
ieser Beschwerden angegeben. Eine Verkleinerung der Leber-
ämpfung konnte jedoch objektiv. nicht sicher nachgewiesen werden.
“Nach meinen bisherigen Beobachtungen scheint die Nieren-
tigkeit ebenfalls günstig beeinflußt zu werden, doch werden diese
Intersuchungen noch weiter fortgesetzt.
ng auf die Schrumpfniere und auf die Retinitis albuminaria
ünstig 'einwirkt, gibt bereits Lilienstein an.
‚Nach den bisherigen Erfahrungen scheint die Stauung der
'xtremitätenvenen — die im Gegensatz zu Digitalis den Herz-
ıuskel bei häufiger Anwendung nicht schädigt — auch wegen
er Einfachheit der Anwendungsweise besonders in der Form der
hlebostase eine hervorragende Stelle unter den physikalischen
ehandlungsmethoden der Kreislaufstörungen zu verdienen.
-Opiumentziehung mittels Samono
. YOD
Dr. L J. Frankenstein, Berlin.
= Vor mehreren Monaten suchte mich die 38 jährige Kranken-
flegerin Schwester E. P. auf, mit der Bitte, sie von ihrer Opium-
ucht zu heilen. Sie gab an, vor 61/a Jahren an einer schweren
[ervendepression gelitten zu haben und sich damals mit der Tinctura
pii spl. Nachtruhe und Erholung bei Tage verschafft zu haben.
on dreimal täglich 15 Tropfen, mit denen sie begann, stieg sie
n Laufe von zwei Jahren bis zu der kolossalen Menge von 60,0
ro Woche und endete schließlich mit 15,0 pro Tag (über ein
abr lang). Als sie sich an mich wandte, war sie verfallen, ah-.
emagert, nervös und gab offenherzig als Grund ihrer Abkehr
om Opium an, daß ihr der Apotheker wegen einer Karambolage
it der Polizei infolge unherechtigter Giftabgabe den weiteren
ezug von Opium gesperrt hätte. Anfang Juni begann ich mit
or Behandlung und wählte dazu, um die Entziehung ganz in meiner
and zu haben, die Form der Injektion. Als Mittel entschied ich
ich, Pantopon zu nehmen, weil es am ehesten imstande ist, auch
1 verhältnismäßig geringen subeutanen Gaben eine prompte, opium- |
bnliche Wirkung zu erzielen. Ich begann damit, zweimal täglich je
ne. Pantopenampuile (Inhalt 1,1 ccm der 2"/oigen sterilen Pantopon-
sung) zu injizieren und ‚ging allmählich um einen halben Teil-
rich zurück, bis ich mit einem Teilstriche die Behandlung schloß.
ieser Schluß erfolgte Anfang August. Somit hat .die Behand-
ing- zwei, Monate lang gedauert, während der die Patientin nur
enige. Tage aus Mattigkeit verhindert war, ihrem Berufe nach-
ıgehen. Nach der völligen Entziehung suchte ich ihr über die
sten acht Tage mit .Mixtura nervin. hinwegzuhelfen; seit vier
"ochen, aber hat sie überhaupt keine medikamentöse oder sonstige |
ehandlung nötig. Darmerscheinungen unerheblich.
Wenn ich diese Beobachtung den Herren Kollegen zur Ver-
gung stelle, so geschieht das nur deshalb, : weil: ich nirgends von
ner derartigen Verwendung des Pantopons gelesen habe und
eil mir der Erfolg nach 61/3 Jahre langer Gewöhnung an so be-
ächtliche. Opiumdosen. ein. ‚verblüffend FORNAL GN BERODIPR. is
Umfrage
über das
rühaufstehen nach Operationen und Geburten.
len die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer fahnen. zu 0 frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb. welcher ih lassen.
~ Ste die Patienten das Bett verlassen?
2. Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens?
. 3. Unter welchen- Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen |
. allem schnellere Arneitsfelngkaik und Vermeidung unnützer Krankenhaus-
und Klinikkosten.
‚ab, und worin erblicken Sie die BEraBLaHEN des Patienten
vom Frühaufstehen? K. Bg. l
Prof. Dr. Latzko, Vorstand T Battina-Stiftungspavillons, Wien: _
1. Nach Geburten lasse ich die Wöchnerinnen , ungefähr. eine
Frühaufstohen or on paok daeet; Von Ren selbst mache ich keinen
ebrauch... gasi '
Daß ‘die Venenstau-
Nach Operationen mit Eröffnung der Bauchhöhle lasse ich (aus-
schließlich bei Temperaturen unter 37°) vor dem zehnten Tag aufstehen,
wenn die Patienten dies ausdrücklich verlangen. .
2. Ich glaube nicht, daß das Frühaufstehen die Gefahr. der
. Thrombose und. Embolie im gering:ten vermindert. Bei alten Leuten
käme die Vermeidung von Lungenhypostasen in Betracht.
3. Beim geringsten Verdacht auf stattgehabte Infektion — auch
'solche leichtester Natur — halte ich Steigerung der Bewegungen für
direkt gefährlich durch eventuelle Propagierung von Keimen.
Reg.-Rat Prof. Dr. Karl Bayer, Chirurg, Prag:
1. Zu einem prinzipiellen Frühaufstehen Operierter bin ich nicht
übergegangen. Im allgemeinen lasse ich Kranke mit chirurgischen Krank-
heiten des Oberkörpers (Kopf, Brust, obere Extremitäten) das Bett ver-
, lassen, sobald es ihr Allgemeinzustand zuläßt. Bauchoperierte lasse ich
1: mindestens 12 bis 14 Tage liegen; nur an incarcerierten Hernien operierte
alte Leute bringe ich bald (auch schon am zweiten Tage) außer Bett,
ebenso Blasensteinkranke nach Litholapaxie, sobald fieberfreier Verlauf
folgt. Frakturen der unteren Extremitäten bleiben wegen der Gefahr der
Eimbolie mindestens drei Wochen liegen,
2. a) Zur Vermeidung von Lungenkomplikationen (Erleichterung
der Expektoration).
b) Zur rascheren Hebung der Verdauung (in einzelnen Fällen, ‘die
im Liegen mit Harnverhaltung geplagt sind, zur Erleichterung spontäner
Miktion).
c) Zur raschen Wiederherstellung der Muskelkraft und Wieder-
erlangung des Gesundheitsgefühls (Vorteil baldiger aelenkibungen: in
. einzelnen Fällen.)
3. Jede Wunde braucht zur Heilung vor allem möglichste Ruhe;
bei Wunden speziell, die viele versenkte Ligaturen haben und Suturen
einschließen, sah ich auch ohne Phlegmone Abstoßung dieser Fremd-
' körper und damit einhergehende Binbuße an erwünschter Festigkeit
der Narbe.
Unter Umständen kann, speziell nach eingreifenden Operationen,
das Frrühaufstehen ungünstig aufs Herz wirken.
Prof. Dr. W. Kausch, Chir. Abt. d, Auguste-Viktoria-Krankenhauses, Berlin:
1. Ich bin in den letzten Jahren zum früheren Aufstehen nach
Bauchoperationen: übergegangen. Patienten mit Operationen außerhalb
der Bauchhöhle ließ ich schon immer früh aufstehen, soweit dies irgend
zulässig war (nicht z. B Varicenoperationen); von Bauchoperationen ließ
ich schon immer Gastrostomierte, die ich grundsätzlich in Lokalanästhesie
; operiere, an demselben oder am folgenden Tag aufstehen.
Ich lasse heute alle Patienten mit leichteren Bauchoperationen früh
| aufstehen, falls sie Lust dazu verspüren, so Gastroenterostomien usw.
Grundsätzlich rede ich aber keinem Patienten sehr zu. Kleine Hernien
lasse ich nicht vor acht, größere nicht vor 14 Tage aufstehen.
Bei großen, schweren. Bauchoperationen, wie Magen- und Darm-
"resektionen, erlaubt schon der Allgemeinzustand frühes Aufstehen nicht.
Und ob der Patient im Stuhl aufrecht sitzt oder dasselbe im Bett tut,
. halte ich für keinen großen Unterschied. i
2. Darin, daß die Patienten früher entlassen werden kömen. Vom
Einfluß auf das Vermeiden von Thromkosen und Pueumonien bin ich
; nicht überzeugt.
3. Ich glaube, daß bei leichter Störung der Wundheilung (Serom,
Hämatom) zu frühes Aufstehen den Verlauf verzögert. Ich habe auch
gelegentlich schwere Kollapse nach zu frühem Aufstehen gesehen.
Prof, Dr. Max Martens, Krankenhaus Bethanien, Berlin:
1. Ja, ich lasse die Patienten jetzt wesentlich früher aufstehen,
‚Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit, fort ünd wieder- een U Ier Jos ma
Patienten nach Dohovor onen Laparotomien werden — wenn
: besondere Indikationen vorliegen, z. B. alte Leute mit Disposition zu
Katarrhen — schon einen bjs zwei Tage post operationem in den Lehnstuhl
: gesetzt, sonst stehen sie in der Regel am siebenten Tage post opera-
tionem auf und werden am achten bis zehnten Tag entlassen, wenn
nieht Mangel an häuslicher ‚Pflege besteht. . Voraussetzung: Schluß der
Papato tomow ande:
2. Vermeidung von bypostatischen Pneumonien, Thrombosen, vor
3. Wenn die Tapärstontiewänder nicht ganz "oder fast ganz ge-
schlossen werden konnte, bei Operationen wegen Eiterungen in der Bauch-
' höhle, bei großer Schwäche des Kranken.
"oche liegen — gegen früher eine wesentliche Abkürzung. Žu. dieser |
enderung des Regimes habe ich mich auf Grund der Berichte über |
- Prof. Dr. R. Stich, Chirurgische Universitätsklinik Göttingen:
1. Nach allen Operationen lasse ich so früh wie möglich aufstehen,
80 z. B, im Anschluß an Laparotomien (Perityphlitis, Gastroenterogtgmie)
i .
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1670 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
nach zwei bis drei Tagen, wenn die Patienten selbst Lust dazu haben.
Stärkeren Zwang übe ich nicht auf die Kranken aus. Auch nach
Varicenoperationen lasse ich früh (nach zwei bis vier Tagen) aufstehen.
d. Ich habe den Eindruck, daß die Rekonvaleszenz rascher fort-
schreitet und daß die Embolie- und Pneumoniegefahr günstig beein-
flußt wird.
3. Nach Bruchoperationen sehe ich vorläufig noch vom Früh-
aufstehen ab, ferner bei Patienten, 'bei welchen die Bauchwunde tampo-
niert oder drainiert werden mußte, endlich dann, wenn aus irgendeinem
Grunde statt Seite Catgut zur Bauchnaht verwandt wurde. Bruchoperierte
dürfen am 10. Tag p. op- auftreten.
San.-Rat Prof. Dr. Heinrich Riese, Kreiskraukenhaus Groß-Lichterfelde:
1. Ich babe die Patienten mit Operationen an Hals- und Brust-
organen schon seit 15 Jahren am Tage nach der Operation aufstehen
lassen. Nach Operationen an den Bauchorganen habe ich mich nicht zum
Frühaufstehenlassen entschließen können. Ich lasse die Patienten im
allgemeinen erst nach 14 Tagen, selten etwas früher aufstehen, weil
ich Schädigungen davon nicht gesehen habe, nach zu frühem Aufstehen
aber eine Abspannung der Nerven fürchte. Die Patienten sind mit diesem
Verbot durchaus zufrieden gewesen und wünschen meist selber gar nicht
früher aufzustehen.
%. Nach 14 Tagen haben sich die Laparotomierten allgemein ge-
kräftigt und können gewöhnlich bald wieder ihren Geschäften nachgehen.
3. Die Gefährdung der Patienten durch das Frühaufstehen erblicke
ich im allgemeinen darin, daß sie ihre Körperkräfte nach schwerer
Erkrankung zu wenig schonen und dadurch nervös werden. Nachteile von
14tägiger Bettruhe sah ich nicht.
Aus dem Serologischen Laboratorium des Ostkrankenhauses
(Dirig. Aerzte: Prof. Kromayer und Dr. v. Chrismar).
Der „verfeinerte Wassermann“
von
Prof. Dr. Kromayer
und
Dr. Trinchese, Leiter des Laboratoriums.
In Nr. 19 dieser Zeitschrift bespricht A. Alexander!) die
von uns vorgeschlagenen Methoden?), die Wassermannsche Re-
aktion zu verfeinern und zu präzisieren. Er erkennt unsere Me-
thoden durchaus als Fortschritt an, glaubt aber, daß ein Teil der-
selben, nämlich die Komplementabschwächung, ebenso wirksam und
dabei bequemer durch Anpassung des Amboceptors an das jeweilige
Komplement erreicht werden kann.
Wir sind Herrn Dr, Alexander dafür dankbar, daß er uns
durch seine sachgemäße Kritik Veranlassung gegeben hat, auf
diesen sehr wichtigen Punkt der Wassermannschen Reaktion
zurückzukommen und Verhältnisse klarzustellen, die bisher nicht
genügend beachtet sind.
Die Differenz zwischen Alexander und uns ist folgende:
Das von Wassermann absichtlich sehr stark angegebene
hämolytische System schwächt Alexander dadurch ab, daß er den
Amboceptor an das jeweilige Komplement anpaßt, das heißt die
geringste Amboceptormenge festhält, die mit einem 10°/,igen Kom-
plement noch eine Hämolyse im Vorversuche gibt.
Wir suchen dasselbe zu erreichen durch Anpassung des
Komplements an den Amboceptor, indem wir die geringste Kom-
plementmenge feststellen, die eine Hämolyse gibt mit dem im
Ueberschuß vorhandenen Amboceptor, und zwar der vierfachen
Quantität der minimal lösenden Menge (nach Wassermanns Ori-
ginalangabe).
Mit andern Worten: Bei Alexander ist im hämolytischen
System das Komplement im Ueberschuß, der Amboceptor in ge-
ringst möglicher Menge, bei uns umgekehrt der Amboceptor im
Deberschuß und das Komplement in geringst möglicher Menge
vorhanden. |
Die Frage ist nun: Welche dieser beiden gleich fein abge-
stimmten hämolytischen Systeme gibt die feinere Reaktion für den
Wassermann?
1) A. Aləxander, Zur Frage der „verfeinerten Wassermann-
schen Reaktion“ [Kromayer und Trinchese)]. (Med. KI. 1912, Nr. 19.)
% Kromayer und Trinchose, Der „negative Wassermann“,
(Med. Ki. 1912, Nr. 10.)
13. Oktober.
Theoretisch ‚wäre von vornherein anzunehmen — voraus-,
gesetzt, daß Amboceptor. und Komplement sich gleichmäßig; gegen-
seitig ergänzen —, daß beide Systeme gleich gut arbeiten.
Tatsächlich ist das nicht der Fall, da zwar im hämolyti-
schen Vorversuche Komplement und Amboceptor sich im gewissen
Grade gegenseitig ergänzen können, im Hauptversuch aber die
ausschlaggebende Rolle vom Komplement gespielt wird, das nicht
durch noch so reichliche Menge von Amboceptor ersetzt werden kann.
Das läßt auch eine systematische Prüfung der Vorversuche
erkennen: | | |
1. Ein nach Alexander bis zur äußersten Grenze abge-
schwächtes hämolytisches System läßt noch eine bis zu 30], be-
tragende Abschwächung des im Ueberschuß vorhandenen 10%/sigen
Komplements zu, ohne seine Lösungskraft zu verlieren (cf. Tabelle).
2. Desgleichen ein nach unserer Vorschrift abgeschwächtes
hämolytisches System läßt stets noch eine über 50 %/, betragende
Abschwächung des Amboceptors zu, ohne seine Lösungskraft zu
verlieren (cf. Tabelle). |
Austitrierungstabelle eines hämolytischen Systems,
in welchem das kräftige Komplement in °/,, der kräftige Amboceptor im
Mengenverhältnis !/oo angegeben sind.
Sean I | IE.) Hu | m y | v | vu VINI
o 1faso | Mso | ts | Ymo | Veso | "soo | Vao |7250 Amboceptor
|» | -I-]|-I-I1-1I-12l +
ZI:
INES
erde. 2
are 1.
| al- I el-|- | |
sje |
— bedeutet vollständige Lösung,
-£ beginnende Hemmung,
-+--+ gut erkennbare Kuppe.
Das nach Alexander abgeschwächte hämolytische System liegt
bei A, Feld 1, VII. Es hat 10%, Komplement und Amboceptor 1:2000.
Das nach unserer Vorschrift abgeschwächte hämolytische System
liegt bei K, Feld 6, II; es hat 4°/, Komplement und Amboceptor 1:500.
Das erstere kann nicht mehr in seinem Amboceptor abgeschwächt
werden, da das nächste Feld, 1 VIII, schon Hemmung -+ zeigt, während
das Komplement noch abgeschwächt werden kann, da erst Feld 4, VII
bei 6° Komplement Hemmung -+ zeigt. ; ,
Das zweite hämolytische System, Feld K, kann wohl bedeutend im
Amboceptor abgeschwächt werden, da erst Feld 6, VI Hemmung +
(Amboceptor 1:1500) zeigt, während das Komplement nicht verringert
werden kann, da das nächste Feld 7, II schon Hemmung + zeigt.
Wenn daher im Vorversuche zwar ein gewisses vicariierendes
Eintreten vom Amboceptor und Komplement festgestellt wird, s0
ist doch das punetum saliens, daß im Hauptversuche das Komple-
ment und nicht der Amboceptor gebunden wird.
Läßt sich doch jeder positive Wassermann nachträglich durch
Zugabe genügender Komplementmengen negativ machen!), während
diese negative Umwandlung niemals durch noch so große Ambo-
ceptormengen erreicht werden kann.
Da. bei unserm abgeschwächten hämolytischen System das
Komplement nun aber in geringst möglicher Menge vorhanden ist,
so wird jede, auch die geringste Komplementbindung bemerkbar
durch die Nichtauflösung von Blutkörperchen, also durch positive
Reaktion; bei dem von Alexander abgeschwächten hämolytischen
System kann indessen bis zu 30°), des vorhandenen Komplements
gebunden werden, ehe diese Bindung durch mangelhafte Hämolyse
in Erscheinung tritt, da das Komplement im Ueberschuß vor-
handen ist, - |
Wenn im Hauptversuche der Amboceptor und nicht das Kom-
plement gebunden würde, dann wäre das Alexandersche System
das feinere; da aber tatsächlich das Komplement und nicht der
Amboceptor gebunden wird, so ist naturgemäß das unsere das
exaktere, | h
Es dürfte hieraus ganz eindeutig hervorgehen, dab schwach-
hemmende Sera stets mit unserm hämolytischen System gefunden
werden müssen, während sie dem Alexanderschen System ent-
gehen können.
. . u
1) Kromayer und Trinchese, Der „negative Wassermann »
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
1671 -
Und zwar bat sich bei der weiteren Untersuchung dieser
Verhältnisse gezeigt, daß das Alexandersche System um so prä-
ziser arbeitet, je schwächer das Komplement ist, däs jeweilig vor-
liegt, und je mehr Amboceptor dementsprechend zur „Anpassung“
gebraucht wird, daß aber das Alexandersche System von seiner
Feinheit um so mehr verliert, je stärker das Komplement und
dementsprechend je schwächer der „angepaßte“ Amboceptor ausfällt.
Das läßt sich ja auch in logischer Folgerung aus den Ver-
hältnissen selbst erwarten.
Tatsächlich hat sich nun in praxi gezeigt, daß ein Teil der
im Original-Wassermann negativen Seren, die aber mit dem nach
unserer Methode abgeschwächten hämolytischen System positiv
waren, mit dem Alexanderschen System negativ ausfielen,
während ein anderer Teil allerdings ebenfalls positive Reaktion
zeigte.
Wenn wir daher auch anerkennen, daß mit dem nach
Alexander abgeschwächten hämolytischen System eine wesentliche
Verfeinerung gegenüber dem ÖOriginal-Wassermann erreicht wird,
so geht doch diese Verfeinerung nicht bis zur äußersten Grenze,
die durch die Komplementabschwächung erreicht werden kann.
In einem weiteren Punkte stimmen wir aber Alexander voll-
kommen bei: daß bei der Austitrierung vom Komplement und
Amboceptor zweckmäßig schon das Antigen im Vorversuche
hinzugesetzt werden soll, um gleich von vornherein diese Kompo-
nente des Hauptversuchs mit in Rechnung zu ziehen, sodaß ein
Mißlingen des Hauptversuchs durch Hemmung in den Antigen-
kontrollen unmöglich wird.
Die durch eine ungenaue Ausführung in weiten Aerztekreisen
zu Unrecht diskreditierte Wassermannsche Reaktion hat bei
Feststellung aller in Betracht kommenden Faktoren die Genauig-
keit eines mathematischen Rechenexempels, in der nur eine Un-
bekannte, das zu untersuchende Serum, ist.
Der negative Ausfall des bis zur äußersten Grenze
nach unsern Methoden verfeinerten Wassermann hat —
wir wiederholen es — eine eminent positive Bedeutung:
Die Wahrscheinlichkeit der Heilung der Syphilis.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Stimmen zur Psychologie der Tiere
von
Dr. V. Franz, Cronberg-Frankfurt am Main.
Diejenige Richtung, welche sich gewöhnlich die „moderne
Tierpsychologie* nennt, obwohl sie eigentlich nur einen Teil der
gegenwärtigen tierpsychologischen Bestrebungen darstellt, geht auf
Wilhelm Wundt zurück, welcher die Lehre vom psycho-physi-
schen Parallelismus, von dem gesetzmäßigen Nebeneinanderlaufen
und doch nicht Ineinandergreifen der psychischen Vorgänge einer-
seits und der physischen anderseits in die tierpsychologischen Be-
trachtungen einführte und ihr damit gewissermaßen ein Gebiet
praktischer Anwendbarkeit zuwies. Damit wurden sowohl die
extrem antropomorph-psychologischen Vorstellungen, welche zum
Beispiel eine Ameise von heftigster Gemütsbewegung überwältigt
sein lassen, als auch die extrem mechanistischen Deutungen des
tierischen Verhaltens, bei welchen man namentlich den Tieren,
deren Verhalten uns sehr stereotyp erscheint, das Bewußtsein ab-
sprechen wollte, auf ein richtiges Maß eingedämmt. „So kann es
zwar keinem Zweifel unterliegen, daß ein Wesen, das überlegt und
wählt, psychische Eigenschaften besitzt. Man hat aber nicht das
allergeringste Recht anzunehmen, wie dies gewöhnlich geschieht, ein
Wesen, das noch nicht überlegen und wählen kann, müsse solche
Eigenschaften entbehren.“ Da also statt der fehlerhaften Alter-
native „psychisch oder physisch“ besser die Annahme des koordi-
nierenden „psychisch und physisch“ viel wahrscheinlicher ist, so
ist, wie schon Wundt hervorhob, nicht unwahrscheinlich, daß
auch die Lebensäußerungen zum Beispiel bei einem Protist mit
psychologischen Elementarvorgängen verbunden sind, „die wir
etwa nach Analogie mit unserm eignen Bewußtsein als einfache
Empfindungen und daran gebundene sinnliche Gefühle voraussetzen
mögen“ (W. Wundt: Vorlesungen über Menschen- und Tierseele).
Da anderseits jedoch die psychischen Inhalte des Lebens sich
unserer Beobachtung vollständig entziehen, so kann es kaum Auf-
gabe wissenschaftlicher Forschung sein, sich nach ihnen bei den
Lebensäußerungen der Tiere zu fragen; die Tierpsychologie, als die
Betrachtung der zugleich psychischen und physischen Vorgänge
wird damit de facto zu einer Physiologie des Nervensystems und
der durch dasselbe vermittelten Handlungen, oder, wo das Nerven-
System fehlt, wie bei Schwämmen und Protozoen, zu einer Physio-
logie des Organismus überhaupt in bezug auf diejenigen seiner
Tätigkeiten, die ein psychologisches Aussehen haben. Man sucht
also das „Verhalten“, das „Behavior“, wie die amerikanische
Schule der „modernen Tierpsychologie“ sagt, mechanisch zu er-
klären und läßt die eigentlich psychologische Seite der Vorgänge
aus der Betrachtung heraus. Es mag als ein Widerspruch er-
scheinen, „Psychologie ohne Psyche“ zu treiben, überlegt man es
sich aber genauer und bedenkt man, daß wir auch für die kom-
pliziertesten und feinsten Verstandes- und Gefühlsreaktionen beim
Menschen materielle Grund- oder Parallelvorgänge annehmen, so
sieht man, daß jene „Psychologie ohne Psyche“ in sich vollständig
konsequent ist, ferner hat sie den großen praktischen Vorteil, uns
So weit wie immer möglich zur Suche nach einfachen Erklärungen
statt nach komplizierten anzuhalten, und heute verfällt man nicht
mehr auf Aeußerungen wie die, daß die Vortizellen durch die
Zuckungen ihres Stiels und das Einschlagen ihres Wimpernkranzes
ihrem Unmut Ausdruck gäben, während man früher, als man die
Umgehbarkeit der psychischen Erklärung sich noch nicht klar ge-
macht hatte und das auf Mach und Avenarius zurückgehende
„Sparsamkeitsgesetz* noch weniger befolgte, auf derartige Deu-
tungen immerfort verfiel.
Der konsequenteste Vertreter der „modernen Tierpsychologie“
im obigen Sinne, welcher bis jetzt leider nur gelegentlich lite-
rarisch, regelmäßig aber in seinen laufenden Vorlesungen die voll-
ständig lückenlose mechanistische Erklärbarkeit aller „psycho-
logischen“ Vorgänge im Prinzip zu erweisen versucht, ist Prof.
Dr. O. zur Strassen in Frankfurt am Main, dessen Vortrag auf
der Dresdner Naturforscherversammlung im Jahre 1907 so großes
Aufsehen erregt hat, weil er fast allerseits zunächst nur halb ver-
standen wurde.
Nun ist das merkwürdige, daß diesem Manne die Aufgabe
zuteil wurde, die Neubearbeitung von Brehms Tierleben in der
4. Auflage zu redigieren. Hat nicht der „Brehm“ gerade wie
kein anderes Buch die mehr oder weniger antropomorphe Tier-
psychologie älterer Richtung gefördert und verbreitet? Ganz gewiß,
und so ist zweifellos ein Gegensatz zwischen den in diesem Buche
ehemals dargelegten Ansichten und denen der modernen Tier-
psychologie vorhanden, und es konnte nicht ausbleiben, daß das
Buch in dieser Richtung reformiert werden mußte. Durch diese er-
wähnte und manche andere Reform, unter denen ich die Umkehrung
der Tierreihe nicht für die wichtigste halte, hat der alte „Brehm“
an Wissenschaftlichkeit gewonnen, ohne an Reichhaltigkeit des
Inhalts etwas einbüßen zu müssen. Die gegenwärtige Tierpsycho-
logie hat ja nicht nur das Bestreben, das Verhalten der Tiere zu
erklären, es liegen immer noch genug Aufgaben vor, auch das
Verhalten der Tiere zu beschreiben, und derartige schlichte Be-
schreibungen, die einen breiten Raum im „Brehm“ einnehmen,
interessieren den Forscher heute noch in hohem Maße, und das
ist der Grund, warum ich, wie schon oben angedeutet, den Aus-
druck „moderne Tierpsychologie‘ nur für die erklärenwollende
Richtung für etwas zu umfassend halte.
Der neue „Brehm“ wird in Zeitungen und Zeitschriften viel-
fach in der Weise angekündigt, daß ein Kapitel aus ihm mit Ge-
nehmigung des Verlags abgedruckt wird, und hierzu haben be-
sonders häufig die Ausführungen Prof. Hecks über den Verstand.
der Säugetiere in dem Eingangskapitel der Säugetiere gedient.
„Bis ist bis jetzt“, heißt es darin unter anderm, „noch kein ein-
wandfreier Fall festgestellt, wo sich die geistige Leistung eines
Tieres über das Niveau erhoben hätte, das der Psychologe mit der
von ihm so genannten Assoziation bezeichnet ........ „Es
besteht eine Grenze zwischen menschlicher und tierischer Intelligenz;
begriffliches abstraktes Denken bleibt dem Tiere versagt, und des-
halb fehlt ihm auch diejenige Fähigkeit, die der sicherste Beweis
für begriffliches abstraktes Denken ist, die Sprache . . . .‘“ Nach-
dem dann in noch längeren Ausführungen auf die Frage, warum
die Tiere nicht sprechen, mit Wundt die Antwort gegeben wird,
daß es nicht am Kehlkopfe, sondern am Gehirn fehlt, endigt
dieses den „Brehm“ ankündigende Zitat mit den Worten, „daß es
doch einen tiefgreifenden Unterschied zwischen menschlichem und
tierischem Geistesleben gibt‘. Nehmen wir nun aber den betreffenden
von Prof. Heck bearbeiteten Band selbst zur Hand, schlagen jene
Stelle nach und lesen weiter, so finden wir noch den Hinweis auf
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. 1672
an als für andre Säugetiere.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
die Träume und die Spiele der Tiere, wodurch die Säugetiere dem
Menschen doch in eine gewisse unmittelbare Nähe rücken. Ueber
die Träume, deren Vorhaudensein man nur aus dem Vorhalten des
schlafenden Hundes oder Pferdes erschließen, deren Art und Inhalt
man jedoch nicht ergründen kann, läßt sich weniger Bestimmtes
sagen, als über die Spiele, das heißt die spielende Nachahmung
der elementarsten, für den Nahrungserwerb und die Lebenshaltung
erforderlichen Lebensbetätigungen: Kampf, Jagd und Flucht. Es
zeigt sich somit, „daß das Tier imstande ist, seine ernsthaften
wilden Triebe kis zum harmlosen Spiel abzuschwächen“. Heck
geht dann noch kurz auf den Gebrauch von Werkzeugen ein; es
soll also einwandfrei feststehen, daß die Affen sich gelegentlich der
Steine als Wurfwaffe oder eines belaubten Zweiges als Fliegen-
wedel bedienen, noch interessanter ist vielleicht, daß Heck bei
seinen Ausführungen über die dem Säugetiere nicht abzusprechenden
Gemütsbewegungen auch die Anfänge von Moral und Sittlichkeit
bei den gesellig lebenden Tieren in der „Unterdrückung des naiven
rohen Egoismus und rücksichtslosen Strebens nach dem eignen
Vorteile zugunsten des Wohls der Gesamtheit‘ erblickt. Ä
Auf fast demselben Standpunkte wie die Bearbeiter des neuen
Brehm steht ein ausgezeichneter Tierbeobachter, Greppin,
welcher im Biol. Zbl. 1911 einige Ausführungen über das Ver-
halten dieser Tiere bringt, deren Inhalt vielleicht niemanden über-
rascht, aber für jedermann die Garantie bietet, daß sie durchaus
kritisch durchdacht sind. Für die Affen nimmt dieser Autor
immer noch höhere, menschenähnlichere psychologische Leistungen
„Daß die Quadrumanen nicht nur
wie die meisten Vögel und die große Mehrzahl der Säugetiere über
ein auf sensorieller Grundlage beruhendes, individuell erworbenes
Assoziationsvermögen verfügen, sondern daß sie auch aus eigenem
Antriebe anfangen, sich selbst im Gegensatz zur Außenwelt zu
beobachten, und daß es ihnen deshalb möglich ist, eine große Zahl
von zufälligen Vorgängen, die sich um sie herum abspielen, ge-
treulich zu kopieren“, hält dieser Autor für erwiesen.
Wir dürfen wohl die Psychologie der Säugetiere heute nicht
verlassen, ohne noch mindestens der Objektivität halber auf den
klugen Hans und die Elberfelder Pferde einzugehen, wobei uns als
Grundlage die Diskussion dieses Gegenstandes bei Gelegenheit der
Versammlung der deutschen Zoologischen Gesellschaft 1912 dienen
kann. Wie auch das spätere Urteil über die Fragen, um die es
sich hier handelt, einmal ausfallen wird, es kann nicht ohne Inter-
esse sein, festzustellen, wie namhafte Forscher sich bis jetzt in
der Diskussion zu dem Hempelmannschen, fast nur referieren-
den und das Für und Wider der verschiedenen Erklärungen ab-
wägenden Vortrage äußerten. Bekanntlich handelt es sich darum,
daß entweder die Pferde wirklich logisch denken, und in diesem
Falle „stehen wir vor dem größten Problem, etwas ganz Neues
hat sich vor uns aufgetan, und wir haben nach allen Richtungen
ein neues Arbeitsgebiet vor uns“; oder aber die Logik in den
Antworten der Pferde stammt vom Menschen selbst, dann fragt
sich, auf welche Weise eine Uebertragung, wenigstens ein Kon-
takt zwischen Mensch und Tier möglich ist, da augenscheinlich
die von Pfungst aufgestellte Hypothese der optischen Zeichen-
gebung nicht genügt. Wie verschiedentlich hervorgehoben worden
ist, könnten dennoch die Antworten der Pferde auf „Zeichen“ be-
ruben, es könnten als solche z. B. akustische, wie unwillkürliches
Flüstern, ferner Schwankungen der Atmung, der Pulsfrequenz und
des Blutdrucks beim Frager, vielleicht auch der Sekretion in
Betracht kommen, denkmöglich sind auch Temperaturschwankungen,
Strahlungen unbekannter Art, elektrische Ströme. Nach dem
‚Vortrage Hoempelmanns trat Prof. H. E. Ziegler (Stuttgart) in
längeren, in dem gedruckten Berichte nur sehr gekürzt wieder-
gegebenen Ausführungen mit großem Eifer für die Ansicht ein,
daß die Versuche Kralls mit seinen Pferden äußerst wichtig sind,
daß sie einen. bisher nicht möglichen Einblick in die Tierseele ge-
statten, da niemand bisher geahnt hat, daß die Pferde durch
Unterricht die Fähigkeit erwerben, Zahlen und Buchstaben anzu-
geben und sogar ziemlich schwierige Rechnungen auszuführen.
Nur für das Wurzelausziehen glaubt Ziegler noch keine Er-
klärung finden zu können, dagegen hält er für erwiesen, daß die
Pferde in Buchstaben eigne Gedanken ausdrücken können, daß sie
über eignes Denken verfügen. „Man darf sich der Einsicht nicht
verschließen, daß hier eine neue Methode zu erstaunlichen neuen
Beobachtungen geführt hat.“
Diese weitgehende Anerkennung steht in einem unverkenn-
baren Gegensatze zu vielen andern Aeußerungen von Physiologen,
wie denn auch Pütter bei jener Gelegenheit unter anderm durch
den Hinweis, daß auch französisch gestellte Fragen richtig beant-
wortet wurden, wahrscheinlich zu machen suchte, daß es auf die
Frage eben gar nicht ankomme. Einen vermittelnden Standpunkt
nahm zur Strassen ein, welcher bei vielen Leistungen von den
Pferden zunächst nichts sieht, was über schon Bekanntes wesent-
lich hioausginge. Pferde sind reizbar für optische Bilder und be-
sitzen hohe Empfindlichkeit für kinästhetische Reize, und durchaus
nicht unerklärlich wäre zunächst das „Lesenlernen“, das heißt das
Reagieren durch eine durch Abrichtung (mit Fütterung) einge-
prägte Folge von Hufschlägen auf ein bestimmtes Zahlenzeichen.
Auch die Reaktion auf zweistellige Zahlen durch Huftritte rechts
und links, diejenige auf komplizierte Zahlenbilder wie das einer
Rechenaufgabe mit Wurzeln und Brüchen mit einer richtigen bei
früherer Gelegenheit von Belohnung begleiteten Antwort, die Re-
aktion auf Bilder von Menschen, Pferden usw. mit passenden
Trittfolgen usw. usw., alles dies und manches Aehnliche wäre ganz
interessant, aber nicht gerade verblüffend. Aber die Pferde geben
ja richtige Antworten auch dann, wenn sie vor Rechenaufgaben
gestellt sind, die sie niemals zuvor gesehen haben! In solchen
Fällen wird das Wahrscheinlichkeitsverhältnis der Erklärungen
ein andros, denn wenn auch einfache Rechenaufgaben wie 12 + 13
vom Pferde allenfalls „selbständig“, das heißt doch nur durch eine
besondere Form des Abzählens gelöst werden könnten, so spricht
die Lösung der fünften Wurzel aus einer Millionenzahl bis zum
Beweise des Gegenteils für die Deutung der Elberfelder Leistungen
durch unwillkürliche Signale von seiten des Menschen, zu welcher
Auffassung der Redner auch bei seinem Besuche der Pferde ge-
führt wurde. Nunmehr aber wird diese Signalhypothese, bei der
es sich. nicht nur um optische Signale zu handeln braucht, auch
dort konkurrenzfähiger, wo man vorher einfache Assoziationen auf
seiten des Pferdes angenommen hätte, wenigstens scheinen für
diese Fälle die Chancen beider Erklärungsmöglichkeiten gleich.
„Im ganzen“, schloß zur Strassen seine Ausführungen, „ist mein
Urteil folgendes. Ich halte für fast gewiß, daß das Studium der
Elberfelder Pferde zur Feststellung einer Art von unwillkürlicher
Signalgebung zwischen Mensch und Pferden führen wird, die man
bisher nicht kannte oder nicht für so leistungsfähig hielt. Sehr
wahrscheinlich wird ferner ein unvermutet hoher Grad von asso-
ziativer Lernfähigkeit der Pferde nachgewiesen werden. Daß Herr
Krall die Wege zu solchen Erkenntnissen geebnet hat, bleibt sein
dauerndes Verdienst. Daß aber ein Umsturz der ganzen Tier-
psychologie durch seine Arbeit eingetreten sei oder in Aussicht
stehe, glaube ich nicht.“
Immerhin ist mit diesen Worten zugegeben, daß es in der
Tierpsychologie noch manche Dinge gibt, von denen sich unsre
Schulweisheit noch nichts träumen läßt.
In diesem Sinn, als ein Beispiel unwillkürlicher und noch
unerklärter Signalgebung von seiten des Menschen, sei, obwohl
das mehr in die Sinnesphysiologie als in die Psychologie im
engeren Sinne gehört, nach Leonore Niessen-Deiters!) noch der
Fall eines tauben Hundes erwähnt. Niemand war lange Zeit darauf
verfallen, daß das Tier taub wäre, denn — der Hund lernte
schnell auf kurze und einfache Stichworte hin Kunststücke aus-
führen, überhaupt gehorchte er im Zimmer allen Anweisungen,
während er im Freien bei etwas größerer Entfernung vollständig
versagte, auch gar nicht wachsam war. Mag die Zeichengebung
in diesem Fall auch nur eine optische gewesen sein, es ist über-
raschend, zu erfahren, daß sie beim gesprochenen Worte den Ton
der menschlichen Stimme vollständig ersetzen kann.
Gehen wir zu den Vögeln über, so seien zunächst wiederum
einige Worte aus dem neuen Brehm zitiert. Hier wird von
zur Strassen auf die geringe Intelligenz der Vögel hingewiesen
sowie darauf, daß sich die meisten Leistungen der Vögel durch
assoziative Eindrücke der die günstigen und schädlichen Erleb-
nisse begleitenden Umstände, größtenteils auch durch angeborne
Instinkte oder noch viel einfacher erklären lassen. Die bekannte,
oft rührend empfundene Muttertreue der Vögel erscheint uns in
einem ganz andern Lichte, wenn wir uns mit Watson vergegen-
wärtigen, daß nicht das Bewußtsein, ein Ei gelegt zu haben, son-
dern der bloße Anblick des Eies im Neste bei der Seeschwalbe die
scheinbar so rühmliche Ausdauer bei drohender Gefahr auslöst.
„Denn wenn der Forscher einer Seeschwalbe, die noch der Mutter-
schaft entgegensah und dementsprechend bei seiner Annäherung
schon die Flucht ergriff, ein fremdes Ei ins Nest legte, so nahm
der zurückkehrende Vogel, kaum, daß er das Ei erblickt hatte,
die „Furchtlosigkeit“ und „Treue“ eines brütenden an“... Da
sind Tatsachen, auf Grund deren uns allerdings scheint, daß wir
1) Köln. Ztg. vom 5. Mai 1912,
13. Oktober.
1673
die Vögel manchmal zu anthropomorph betrachtet haben, immerhin
sind derartige Instinkte in der Muttertreue wohl auch dem Men-
schen nicht ganz fremd, wie einerseits Beispiele des rühmens-
wertesten Heldenmuts, die eben durch den Verstand des Menschen
durchaus nicht erklärt werden könnten, andrerseits das Spielen
mit Puppen, welches nicht nur bei Kindern vorkommt, anzeigen.
Im „Brehm“ wird. fernerhin als Beispiel für die Fähigkeit,
Sinneseindrücke in geeigneter Weise mit Bewegungen zu assozjiieren,
sodaß späterhin nur noch die nützlichen Bewegungen wiederholt
werden, das Beispiel des jungen Hühnchens angeführt, welches
anfangs nach allen möglichen Gegenständen, selbst Flecken am
Erdboden und den eignen Zehen pickt, bald aber das Bild der
Körner oder Brotkrümchen, mit denen es gefüttert wird, mit den
Piekbewegungen assoziiert und darauf nur noch nach diesen pickt.
Es ist zweifellos, daß man in dieser Weise das „Lernvermögen“,
welches in gleichem Grade wie hier beim neugeborenen Kind ent-
wickelt ist, umschreiben muß, wenn man in der Tierpsychologie
nur von objektiv nachweisbaren Tatsachen und nicht vom Innen-
leben der Tiere sprechen will.
Mit Greppin- sei darauf eingegangen, inwieweit gewisse
Assoziationen, ein gewisses Lernen bei erwachsenen Vögeln ganz
sicher feststeht; die Vögel lernen (nach Beobachtungen an Sper-
lingen, Krähen und sonstigen Vögeln) den Jäger — wenigstens
sein allgemeines Bild — und seine Gewohnheiten kennen und ver-
ändern danach die ihrigen, sodaß z. B., wenn man sich vornimmt,
die überhandnehmenden Spatzen abzuschießen, man schon nach
acht Tagen die größte Mühe hat, einen Vogel vor die Flinte zu
bekommen. Weiterhin ist sehr wichtig für die Psychologie der
Vögel eine Arbeit von O. Heinroth: Beiträge zur Biologie,
namentlich Ethologie und Psychologie der Anatiden [Entenvögel]!),
welche die interessantesten Aufschlüsse über einige Verstands-
leistungen, vor allem aber über zahlreiche instinktive Verrichtungen,
die eine viel größere Rolle spielen, bringt.
Zum Lernvermögen der Vögel sei nach Heinroth berichtet,
daß sie die Warn- und Lockrufe anderer Arten, mit denen sie im
Zoologischen Garten untergebracht sind, kennen und verstehen
lernen, daß Wildgänse es selbst bei öfterer Wiederholung nur sehr
langsam lernen, ein Loch in einem Gitter aufzusuchen, welches
ihnen den gewünschten Durchgang nach dem dahinterliegenden
Weideterrain schon einmal gewährt hat, daß sie nur mit der Zeit
ein Gefühl dafür erwerben, an welcher Stelle ungefähr der Durch-
gang sich befindet. Dieser „Labyrinthversuch“ fällt also bei der
Wildgans nicht sehr zugunsten von deren intellektuellen
Leistungen aus; und in ähnlicher Weise bringen domestizierte
Entenarten es fertig, tagelang an dem Trennungsgitter vor ihren
Familienangehörigen auf und ab zu schwimmen und erstmalig nur
durch zufällige Umstände die Drahtwand zu überfliegen, aber
auch durch häufigen Gebrauch dieses Mittel sich nur in sehr
geringem Maß anzueignen. Andere Arten, insbesondere Casarca,
lernen besser durch Erfahrung, begreifen verbältnismäßig bald die
Undurchdringlichkeit einer durchsichtigen Drahtwand, erkennen
einzelne Personen usw. Es sei noch erwähnt, daß der oft als in-
stinktive Leistung angesehene alljährliche Vogelzug (der ja in der
Tat dadurch, daß man ihn als instinktiv hinstellt, nicht im min-
desten erklärt ist), wohl mindestens teilweise auf individuellem
Lernvermögen beruht: denn es ist eine Regel, die für Wildgänse
und Kraniche gilt, daß diejenigen Vögel, deren Eltern in der
Gefangenschaft flugunfähig gemacht sind, im Herbste nicht weg-
ziehen; sie werden zwar unruhiger, kehren aber von ihren Luft-
reisen immer wieder zu Vater und Mutter zurück, ein Beweis,
daß der Herbstzug dieser Vögel unter Führung der Eltern statt-
findet. Auch ist nach Heinroth bekannt, daß junge Vögel der
Wildgans, deren Eltern man abgeschossen hat, in der Gegend
umherirren, ohne den Versuch zu machen, selbständig weiter zu
reisen,
Muß sonach das Vermögen, durch individuelle, erworbene
Assoziationen zu lernen, immerhin eine gewisse Rolle im Leben
des Vogels spielen, so ist als Beweis für die hohe Bedeutung der
Instinkte namentlich die Tatsache anzusehen, daß sehr viele Sing-
vögel wie auch Enten bei der Wahl des Nestplatzes augenschein-
lich gar keinen „Verstand“ zur Anwendung bringen. Das Nest
wird in den frühen Morgenstunden an einem geeignet erscheinenden
Orte gebaut, gleichviel, ob die betreffenden Vögel durch lange Er-
fahrungen bereits wissen müßten, daß die betreffende Stelle viel-
leicht infolge eines lebhaften menschlichen Verkehrs in den übrigen
. ) Aus dem Bericht über den fünften Internat. Ornithologenkongreß,
Berlin 1910,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
Tagesstunden, in denen doch auch gebrütet werden muß, ganz
ungeeignet ist. „Die Vögel denken also nicht daran, daß sie auch
die übrigen Tagesstunden, in welchen sie nicht gerade auf Suche
nach einem geeigneten, ungestörten Nistplatze gehen, in Betracht
ziehen müssen!).* | i 5
Es seien sodann noch einige sehr interessante Züge aus
dem Geschlechtsleben der Anatiden erwähnt. Dabei gestatte ich
mir zunächst darauf hinzuweisen, daß J. Gesierich in der „Um-
schau“ 1912 Seite 559 unter der Ueberschrift „Eine Eheirrung“
erzählt, wie ein Enterich neben seinen drei Enten plötzlich vor
einer vorbeikommenden Henne stutzte und sich auf Sie stürzte, um
an ihr seine illegale Glut zu kühlen. Das Geschrei- der Henne
fand bei in der Nähe befindlichen Gänsen ein verständnisvolles
Echo, welche, voran drei Gäuseriche, den Uebeltäter auf das
Fürchterlichste zerzausten, bis dieser die Flucht ergriff, aber noch
den Hohn seiner Gemahlinnen ertragen mußte, die ihm nach-
gegangen waren und mit aufgesperrten Schnäbeln an vorgestreckten
Köpfen zu ihm herankamen. Nach drei Minuten war alles wieder
vergessen. — Ich habe den Vorfall hier möglichst ohne die aus-
schmückenden Ausdrücke aus der menschlichen Psychologie wieder
erzählt; die Beobachtung an sich dürfte ganz richtig und einwand-
frei erscheinen, da man ähnliches auch in der Heinrothschen
Arbeit findet. Eigenartig ist z. B. das Triumphgeschrei, welches
ein Angreifer nach glücklicher Vertreibung des Gegners ausstößt
und welches dann auch benutzt wird, um sich bei einem andern
Artgenossen lieb Kind zu machen. Ein auf Brautschau aus-
gehender Gänsejüngling verrät z. B. seine Absichten dadurch, daß
er ein ihm sonst ganz gleichgültiges schwächeres Tier vertreibt,
um dann auf die Zuschauerin zuzueilen. Vor allem aber betont
Heinroth, daß erst wenn das Weibchen in das Triumph-
geschrei einstimmt, die Ehe geschlossen ist, dann aber
auch normalerweise für die Lebenszeit. Vorher kann wohl
gelegentliches Schöntun oder dann und wann eine Begattung
zwischen Männchen und Weibchen stattfinden, aber jene Stimm-
äußerung dient dem Paar augenscheinlich dazu, gemeinsam der
ganzen Außenwelt gegenüberzutreten, während sie vorher bei der
Annäherung des werbenden Ganserts einem Einschmeicheln durch
Schlechtmachen anderer und Sichbrüsten mit den eignen Helden-
taten gleichkam. Ich übergehe hier nähere Ausführungen über
das Verhalten eines „Flitterwochenpaars“, wo man trotz Fehlens
aller sekundären Geschlechtsmerkmale das Männchen sofort an
seiner Haltung und seinem ritterlichen Auftreten erkennt, unter-
lasse aber nicht, auf die merkwürdigen Verhältnisse bei den
Casarcaarten hinzuweisen, wo (wie es auch von vielen andern
Tieren berichtet wird) der Anblick eines sich gerade paarenden
Artgenossen den Gansert geradezu mit Wut erfüllt. Dieser ärgert
sich schon, wenn das zur Paarungseinleitung oder Paarungs-
aufforderung augenscheinlich unbedingt nötige Halseintauchen be-
ginnt. Auch bei Goldfasanenhähnen wird eine solche „Lex
Heinze-Stimmung“ bemerkt, und Heinroth bemerkt dazu,
diese Ausführungen könnten nur dem Uneingeweihten recht ver-
menschlichend und gerade so spaßig erscheinen. „Bei gesellig
und familienweise lebenden Geschöpfen, zu denen ja
auch der Mensch gehört, bilden sich eben in den ver-
schiedensten Tiergruppen dieselben Gewohnheiten
heraus. Für mich ist das Verhalten der Gänse nicht ein Zeichen
menschenähnlicher Intelligenz, sondern dafür, daß viele unserer
Verkehrsformen, wie das Schlechtmachen anderer und die Ver-’
herrlichung der eignen Angehörigen weiter nichts als- gesellige
Instinkte sind... i
„Natürlich sind bei so familientfeuen Tieren, wie es die
Gänse sind, alle die hier in Rede stehenden Eigenschaften viel
gefestigter als bei uns Menschen, wo sie sich ja erst durch Gesetze
und Ueberlieferung entwickeln und daher auch nach Volksstämmen
verschieden sind. Bei den Änseres und wohl überhaupt bei
den in Einehe lebenden Vögeln rächt sich eben von jeher
eine lässige Pflichterfüllung beider Eltern gegen ihre
Kinder durch den Tod der letzteren, und damit stirbt
die ganze unsolide Familio aus.“
„Nicht darin liegt der Schwerpunkt derMonogamie,
daß jedes Männchen nur mit einem Weibchen Nach-
kommen erzeugt und umgekehrt, sondern daß sie zu-
sammenhalten und gemeinsam für die Brut sorgen.“ `
Ebenso ist es sehr bemerkenswert, daß das „Aergernis-
nehmen an dem Geschlechtsverkehr anderer durchaus
1) Von dem bei Heinroth reichlich verwendeten Sperrdrucke
mache ich auch in Zitaten nur teilweise Gebrauch. -
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Er
1674 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
nicht etwa an den menschlichen Verstand gebunden ist,
sondern ein natürliches, in der Tierreihe auch sonst vielfach ver-
breitetes Empfinden zum Ausdruck bringt.“
Der Verfasser dürfte jedenfalls nicht im Unrecht sein, wenn
er diese bis zu einem gewissen Grade menschenäbnliche Züge im
Leben der Vögel als instinktive, also als angeborene betrachtet,
und es dürften dies nur besonders deutliche Beispiele dafür sein,
daß auch beim Menschen die Instinkte einen beträchtlichen
Teil der meisten Lebensverrichtungen bilden.
Verlassen wir die Säugetiere und die Vögel, gehen wir zu
den kaltblütigen Wirbeltieren und zu den wirbellosen
Tieren über, so müssen teilweise etwas andere Betrachtungen
platzgreifen als in den vorstehenden Zeilen. Was die Fische be-
trifft, so sieht man sich wohl genötigt, diese hinsichtlich ihres
Assoziationsvermögens jetzt den Warmblütern etwas näher zu
bringen, als früher geschehen, jedenfalls nimmt der Schreiber
dieser Zeilen sowohl nach dem Baue des Fischgehirns als auch
nach dem Verhalten der Fische den Standpunkt ein, daß die
Fische in psychologischer Hinsicht über den Amphibien stehen;
aber auch die Amphibien sind nicht, wie man von ihnen und den
Fischen zeitweilig angenommen hat, bloße Reflextiere. Unter-
suchungen hierüber, wie z. B. die Yerkesschen Labyrinthversuche
(bei denen die Tiere den Weg durch das Labyrinth mit der Zeit
genau kennen lernen) oder die Schaefferschen Fütterungsver-
suche (bei welchen der Frosch Regenwürmer meidet, nachdem er
einmal beim Fressen eines solchen einen elektrischen Schlag be-
kommen hat) oder die Oxnerschen Fütterversuche an Fischen
(welche nicht nur die Lokalität, an der das Futter untergebracht
wird, sondern auch den Angelhaken so genau kennen lernen, daß
sie die Lockspeise ganz vorsichtig von ihm abknabbern), derartige
experimentelle Untersuchungen nebst Betrachtungen des Freilebens
der Tiere spielen heutzutage in der Tierpsychologie eine gewisse
Rolle und zeigen deutlich, daß man von dem Assoziationsver-
mögen, welches die Grundlage aller Verstandestätigkeiten
ist, bei den sogenannten „niederen“, in Wahrheit nur weniger
menschenähnlichen Tieren nicht zu gering denken darf. Ich
gehe jedoch auf diese Dinge hier nur kurz ein, weil sie im Hin-
blick auf die Verhältnisse des Menschen doch schon wieder etwas
weniger interessieren.
Nicht wesentlich anders als mit den kaltblütigen Wirbel-
tieren steht es mit den Insekten und Krebsen, auch bei diesen
sind gewisse Assoziationsfähigkeiten, also das Lernvermögen, durch
Experimente von Yerkes sowie von Szymanski (1912), nicht
minder durch Beobachtungen an freilebenden Tieren festgestellt
worden.
Es fehlt schließlich auch nicht an einer Beobachtung über
das Lernvermögen bei Protozoen [Day und Bentlyl)]l. Auch die
Aneignung rbythmischer Reaktionen bei Tieren, deren Milieu
rbythmische Eigenschaften aufweist, wie bei Tieren der Gezeiten-
zone, kann als Lernvermögen aufgefaßt werden, sofern der Rhyth-
mus des Tiers auch nach Unterbleiben des Rhythmus des Milieus
fortbestebt, und das ist bei den Aktinien der Fall. In gleicher
Weise kann aber auch das Fortbestehen der Schlafbewegungen
bei der Pflanze als ein Anzeichen des „Lernvermögens“ betrachtet
werden.
« Ueber Jodquecksilberverbindungen, speziell
dijodoxybenzolparasulfosaures Quecksilber, in
ihrem Verhalten zum Organismus
von
Dr. E. Koch, Aachen.
(Schluß aus Nr. 40.)
Bei der Beurteilung der Toxizität spielt auch das Jod,
welches das Anogon konstruieren hilft, ohne Zweifel eine Rolle.
An dieser Stelle muß wieder auf den Anfang der Ausführungen
verwiesen werden, wo der Beweis erbracht wurde, daß die Wider-
standsfähigkeit des tierischen Organismus gegen Sublimat ganz
bedeutend wächst, wenn man vor der intravenösen Sublimatinjek-
tion eine solche von Jodnatrium vornimmt. Das vorhandene Jod
hat die Tendenz, mit dem freiwerdenden Quecksilber Jodqueck-
silber zu bilden. In diesem ist das Quecksilber im Vergleich zur
Chlorverbindung weniger dissoziiert und damit ist eine Erhöhung
der Toleranz ausgesprochen. Daß beim Anogon Jod frei wird
bevor es zur Abspaltung von Quecksilber kommt, darf experi-
—
1) J. of animal behavior 1911.
ı mentell als sicher angenommen werden. Ebenso, daß es zu Jod-
quecksilberverbindungen kommt. Ä
Wie verhält es sich endlich mit der Bildung des Mercuriions?
An Hand des gesammelten Materials muß man sich diese Frage
vorlegen, um zur Abrundung der vorliegenden Arbeit zu kommen.
Zunächst geben die mikroskopischen Bilder und chemischen Ver-
suche einen Anhaltspunkt, wie schnell der Zustand des Mereuriions
erreicht wird. Schon im Anfang der Untersuchung wurde die
Wichtigkeit dieses Vorgangs für die heutige Beurteilung der Sach-
lage betont. Während nun die Versuche mit Quecksilberjodid gar
keine Aufschlüsse ergeben haben, liegen für das Anogon die Ver-
hältnisse günstiger. Sie wären äußerst günstig, wenn das be-
waffnete Auge dem Schluß auf die Spur kommen könnte, wie sich
das abgespaltene metallische Quecksilber wieder in das Chlorid-
salz umsetzt, wenn man sich der Ansicht anschließt, daß das im
Organismus eirculierende Quecksilber wegen des bedeutenden Ueber-
gewichts der Chloride sebr wahrscheinlich mit diesen die Endver-
bindung eingeht. Nimmt man jedoch an, daß die Abspaltung des
metallischen Quecksilbers der entscheidende Wendepunkt ist, so
ist es wichtiger, den Weg bis zu diesem Punkte zu kennen, als
von dort weiter zum Chloridsalz, wenn man die Einwirkung auf
den Organismus in den Vordergrund der Betrachtung rückt, und
von diesem ersten Teil wissen oder sehen wir wenigstens soviel, daß
es, wenn auch auf Umwegen, ziemlich schnell zur Bildung von
metallischem Quecksilber kommt, daß letztere aber auch stets nur
in kleinsten Mengen erfolgt und dementsprechend die Chlorid-
bildung vor sich gehen wird. Daß die Bildung nur in kleinsten
Mengen erfolgt, zeigen die mikroskopischen Bilder an allen Stellen,
wo es zur Resorption des metallischen Quecksilbers, das heißt zum
Eindringen der Quecksilberkugeln in die tiefer liegenden Geweb-
schichten kommt. Diese Gewebschichten sind niemals mit Material
überschwemmt. Man hat vielmehr den Eindruck, als wenn das
Vordringen ein langsames, kontinuierliches, abgemessenes ist, und:
so muß es auch zur Bildung von Mercuriionen kommen, welche
in kleinen Mengen, wenig konzentriert, dafür aber kontinuierlich
in Kraft treten. Daraus wird sich für den Organismus eine Ver-
ringerung der toxischen Wirkung ergeben, während die antisepti-
sche Wirkung der jeweilig gebildeten Menge für Mikroorganismen
ausgemacht bleibt.
Die praktischen Vorzüge, welche bei der Verwendung des
Anogons in der Therapie maßgebend werden, ergeben sich größten-
teils aus den vorangegangenen Ausführungen. Das Anogon er-
füllt demnach die Bedingungen, welche es in erster Linie unter
die gut brauchbaren Hg-Präparate stellen. Es entwickelt lokal
einen relativ sehr geringen Reiz, es gelangt schnell in die Cir-
culation und schnell zur Wirkung, wobei eine Akkumulation mit
verhängnisvollen Folgen ausgeschlossen erscheint. Daß mit diesem
Präparat ein für die Injektionskur brauchbarer Jod-Hg-Körper ge-
funden ist, der prompt und vollständig in Aktion tritt und bei
dem von der kombinierten Jodquecksilberwirkung im Organismus
nichts verloren geht, wie dies bei oraler Verabfolgung von Hg-
Präparaten der Fall sein kann, ist ein Umstand, der das Anogon
speziell auszeichnet. Bei der intramuskulären Inkorporierung wird
ein Depot geschaffen, aus dem heraus sich diese Doppelwirkung
gleichmäßig gestaltet und verläuft. In der kombinierten Wirkung
von Quecksilber plus Jod ist aber, und das bedarf eigentlich kaum
der Erwähnung, eine für die Bekämpfung luetischer Prozesse
konsequente Arbeitsteilung gegeben, wenn man diese Prozesse
näher ins Auge faßt, indem das Quecksilber als Vernichter der
Syphiliserreger und das Jod als Ausscheider der Endotoxine
tätig ist.
Die Anwendung der Jodquecksilberpräparate, welche seit Ricord
in der Behandlung der Syphilis eine bedeutsame Rolle gespielt haben,
ist eine vorwiegend interne gewesen und vermochte sich in die Injektions-
therapie kaum Eingang zu verschaffen. Auf dem Gebiete der Interne
hat es aber stets Kliniker gegeben, welche der Kombination von Jod plus
Quecksilber begeistert anhingen und immer wieder auf sie hinwiesen,
wenn sie in Vergessenheit geraten wollte; so Penzoldt, welcher die
Quecksilberjodid- Jodkaliumlösung speziell bei Spätformen der Syphilis
warm empfiehlt und die Vereinfachung der Kur betont im Gegensatz zur
Injektionskur mit gleichzeitiger Verabfolgung von ‚Jodalkalien. Renault
ist sogar der Ansicht, daß die subcutanen Sublimateinspritzungen 416
manifesten Erscheinungen der Syphilis nicht rascher und nicht besser
zum Schwinden bringen, als es der interne Gebrauch des Protojoduretum
hydrargyri vermag. Daß man gerade auf dem Gebiete der Syphilis-
therapie unmöglich mit einer Methode auskommt, ist maßgebend für diese
Therapie. So hat es auch nicht an Versuchen gefehlt, J odquecksilber-
präparate für die Injektionskur verwendbar zu machen. Eigentlich ver-
mochte sich hier nur ein organisches Präparat, und zwar das „Sozojodol -
Quecksilber, in Form der Solution nach Schwimmer zu behaupten, da
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
1675
—— — — — — — | — — — — —_—__— — — — — ———— — — — — _ țy — — —_ — — — — —— ZZ [ [ [ [y —m—m—mm——m—— ————
es die sonst gerade bei der ganzen Kategorie dieser Präparate auftreten-
den üblen Nebenwirkungen nicht besaß, unter denen. lokale Reizerschei-
nungen, Infiltration und Absceß, endlich mercurielle Vergiftungssymptome
sich häufig beobachten ließen. Trotzdem ist das „Sozojodol“-Hydrargyrum,
wie Rille sich einmal gelegentlich geäußert hat, nicht genügend ge-
würdigt worden, und es hat bis in die letzte Zeit hinein nicht an solchen
gefehlt, die es durch weitere Präparate ersetzen wollten. Diese Versuche
sind im wesentlichen als gescheitert zu betrachten.
So dachte sich Dunning den Umstand nutzbar zu machen, daß
rotes Hydrargyrumjodid bis zu 0,4°0 in Sesamöl löslich ist. Aber auch
diese Lösung erwies sich ebenso schmerzhaft wie die Suspension einer in
Oel unlöslichen Verbindung dieser Gattung. Nardelli gibt von seinem
Jodargür, von dem er merkwürdigerweise behauptet, es stelle die erste
organische Verbindung von Jod und Quecksilber dar, eine allzu starke
lokale Reizung unumwunden zu. Midy will es gelungen sein, durch Zu-
satz von Subcutin (paraphenolsulfosaures Anästhesin) durch Natriumjodat
in Wasser gelöstes Quecksilberjodat für die Injektion schmerzlos zu ge-
stalten. Natürlich kann diese Schmerzlosigkeit nur für die Dauer der
Subeutinwirkung in Anspruch genommen werden.
Daß dem Jod eine gewisse specifische Wirkung auf Syphilis-
erscheinungen aller Krankheitsperioden, also auch für die sekundäre
Periode, zukommt, beweist z. B. die günstige Beeinflussung des
sekundären Syphilisfiebers durch Jodkalium noch vor Ausbruch
des Exanthems, während das Quecksilber hier weniger wirksam ist.
Seitdem Binz feststellen konnte, daß nach der Einnahme von
Jodkalium eine gesteigerte Ausscheidung des Hydrargyrums durch
den Harn statthat, was die Wirksamkeit einer mercuriellen Kur
sehr unterstützen muß, ist in diesem Moment ein weiterer Vorzug
der kombinierten Jodquecksilberbehandlung zu finden. v. Zeissl
empfahl deshalb eine Jodbehandlung vor der Mereurialisierung,
|
um eine möglichst ungiftige Ausscheidung des Quecksilbers zu
bewirken und dadurch eine Steigerung seiner Wirkung zu erzielen.
Es spricht also auch diese Tatsache dafür, daß Jod die Toleranz
des Organismus dem Hydrargyrum gegenüber erhöht. Im Anfang
dieser Arbeit wurde auch mit Hilfe der Ionentheorie eine Er-
klärung dafür gefunden.
Inzwischen ist das Anogon von Dr. Glaser auf der Universitäts-
klinik für Syphilis und Hautkrankheiten in Straßburg i. E. und von
Dr. Terrepson auf der Männerabteilung für venerische Krankheiten des
Stadthospitals in Dorpat für die Injektionskur klinisch geprüft worden.
Der mitgeteilten Kasuistik zufolge entspricht das Präparat den Erwartungen,
die man auf Grundlage von experimentellen Ergebnissen an diese Jod-
quecksilberverbindung zu stellen berechtigt ist.
Literatur: L. Sabbatani, Physikalisch-chemische Betrachtungen über
die pharmakologische und toxische Wirkung von Quecksilber. (Biochem, Zt.
XI. Bd., S. 294.) — Elbe, Die Nieren- und Darmveränderungen bei Sublimat-
vergiftung des Kaninchens und ihre Abhängigkeit vom Gefäßnervensystem.
(Virchows A. Bd. 182, S. 445/98.) — Simon, Studio fisico-chimico dell’anti-
dotismo fra albumine e chloruro mercurico. (Communicazione fatta all Congresso
della Società per il progresso delle Scienze in Parma, settembre 1907.) —
Justus. (A. f. Derm. u. Syph. Bd. 57.) — Emery und Dusmenil, Note sur
la pr6paration et l’action comparée de diverses huiles grises. (Bull. de la Soc,
franç. de Dermatol. et Syph. 27. April 1908, S. 169—172.) — Dohi, Ueber die
lokalen Veränderungen nach Injektion unlöslicher Quecksilberpräparate, ins-
besondere des grauen Oeles. (Derm. Zt. 1909, Januar.) — Penzoldt, Quecksilber-
jodid-Jodkaliumlösung bei Syphilis. (Th. d. G. 1905, S. 23.) — Renault. (Pariser
Soc. de thér. 8. Oktober 1902.) — Schwimmer, Therapeutische Erfahrungen
über einzelne „Sozojodol“-Präparate, insbesondere über das „Sozojodol“-Hydrarg.
(Wr. kl. Woch. 1891, Nr. 26.) — Dunning. (Pharm. j. 1910, S. 341.) — Nar-
delli. (A. di farmacol. sperimentale e scienze offini 1908.) — Midy. (Bull. de
la Soc. de Thér. 1905, Nr. 14.) — Binz. (Vorlesungen über Pharmakologie 1891,
S. 168.) — Glaser, Ueber Anogon. (D. med. Woch. 1911, Nr. 6.) — Terrep-
son, Ueber Anogon, ein neues Antisyphiliticum. (Petrsb. med. Woch. 1911, Nr. 14.)
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der habituellen Obstipation
von
Dr. Max Kahane, Wien. (Schluß aus Nr. 40.)
Heilgymnastik. Uebungen: Kniebeugen, . Rumpfbeugen,
Rumpfwenden, Rumpfkreisen im Stehen und Sitzen, Spreizung der
Beine mit Seitwärtsstoßen, Anziehen der Beine an den Leib im
Liegen. Atemgymnastik: Systematisches Tief- und Langsamatmen
im Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen.
Maschinelle Heilgymnastik: Uebungen an Reit-, Ruder-
und Fahrradapparaten.
Sport: Rudern, mäßiges Radfahren, Tennis.
Bewegung: Systematisches Traininggehen, besonders in den
Morgenstunden ; gewöhnliches Spazierengehen fast wertlos — wichtig:
Erreichung eines bestimmten Ziels in einer bestimmten Zeit, mit
systematischer Steigerung der Distanz und Geschwindigkeit, am
besten lange Alleen geeignet. Bergsteigen. Ueber den Wert des
Automobilismus herrscht noch keine Uebereinstimmung; Angaben
über stuhlfördernde Wirkung der Erschütterung des Körpers und
des Aufenthalts in freier Luft liegen vor.
Hydrotherapie. Prinzipiell bei atonischer Obstipation an-
regende, bei spastischer Obstipation beruhigende Prozeduren. An-
regend: Kalte Duschen auf das Epigastrium oder Perineum in
Form von Strahl-, Regen- oder Fächerduschen. Schottische
Duschen, kalte Sitzbäder von 10 bis 120 R, 5 bis 10 Minuten
Dauer ; vorzügliche, mild anregende Wirkung: Prießnitzumschläge
mit stubenwarmem Wasser. Empfehlenswert: Mehrmals täglich
rectale Einspritzung von zirka 25 bis 50 g Wasser von 8 bis 10° R,
danach 25 Minuten liegen bleiben. Beruhigende Prozeduren bei
spastischer Obstipation: Lauwarme Sitzbäder 26° R, warme Regen-
duschen 28 bis 300 R, warme Kompressen, warme Einpackungen.
Kombination von Elektrotherapie, Mechano- und Hydro-
therapie am besten in gut geleiteten Anstalten.
‚ Diätotherapie — von größter Wichtigkeit. Zweck der
Diätotherapie: Förderung der Stuhlbildung durch Zufuhr von
Ballast, bei stark hervortretendem Stuhlmangel, besonders im Gefolge
blander Diät, Anregung der Peristaltik durch chemische, ther-
mische, mechanische Reizwirkung der Nahrung. Förderung der
Peristaltik:
a) Gesalzene, saure, gewürzte Speisen, Heringe, Sar-
dellen, Pickles, Essiggurken, Zusätze von Pfeffer, Senf, englischen
aucen usw.,
.b) Fette Speisen, das heißt mit Butter, sonstigen tieri-
schen Fetten oder feinem Olivenöl zubereitet. Höchst emp-
fehlenswert reichlicher Buttergenuß, am besten in Form von gut-
gesalzenem Butterbrote (Schwarzbrot), wohl das beste Diäteticum
bei habitueller Obstipation — weil Butter, Schwarzbrot und Salz
stuhlfördernd wirken.
c) Süße Speisen: Zucker, Honiggebäck, Kompott, Frucht-
gelee, Fruchtsäfte (Schokolade ungeeignet).
d) Obst, Gehalt an Zucker und Pflanzensäuren, am besten
Feigen, Trauben, Pflaumen. X
e) Sauermilch, Molke, Kumys, bestimmte Kefyrsorten. Die
Wirkung der Süßmilch ist individuell verschieden.
f) Kalte Getränke: Ein Glas kaltes Wasser morgens nüch-
tern, vielgebrauchtes Hausmittel. Kalte kohlensäurehaltige Ge-
tränke: Gießhübler, ferner Limonaden, eingekühlte Fruchtsäfte.
g) Alkoholische Getränke: Sehr stark anregend wirken gären-
der Most, junger Wein, stark hefehaltiges Bier, Weißbier, der
aus gärendem Brot bereitete Kwaß; mild anregend dunkle, malz-
reiche Biere. a
h) Coffeinhaltige Getränke: Kaffee wirkt ausgesprochen stuhl-
fördernd, wirksam die empyreumatischen Oele.
i) Tabak als Pfeife oder Zigarre. Die enorme Beliebtheit
des morgendlichen Kaffee und Tabakgenusses hängt mit der stuhl-
fördernden Wirkung innig zusammen.
Förderung der Stuhlbildung: a) Durch ballasthaltige
Speisen: Kleienbrot, grobes Schwarzbrot, Kartoffeln, Kraut, Kohl,
Rüben, Gurken, Pilze.
b) Durch Gelatine und Gallerten von Schweins- und Kalbs-
kopf, Kalbsfüßen, Schwarten. | i
Ballastkost darf nur bei entsprechender Toleranz des Magens
gegeben werden, ist bei Atonie des Magens kontraindiziert. Ferner
sind kontraindiziert verstopfend wirkende Speisen, Getränke und
Genußmittel: Buchweizen, Mais, Reis, Gerste, Sago, Schokolade,
Kakao, Tee, Rotwein, Heidelbeerwein.
Bei der Diätverordnung individualisieren, auch nicht zu viele
peristaltikfördernde Nahrungs- und Genußmittel auf einmal, am
besten zunächst: Butter, Honig, Obst, Kompott, Fruchtsäfte. Stete
Berücksichtigung des Zustandes der Magenschleimhaut ist von
größter Wichtigkeit.
Allgemeine Hygiene der Obstipation. Gewöhnung des
Patienten, täglich, am besten nach dem Erwachen, eventuell nach
dem Frühstück, zu einer bestimmten Stunde sich auf das Klosett
zu begeben und die Stuhlentleerung zu versuchen; reinliches, gut-
gelüftetes Klosett mit reichlicher Wasserspülung, strikte Weisung,
eingetretenen Stuhldrang nicht zu unterdrücken, besonders wichtig
bei jungen Mädchen der gebildeten Stände, die aus ästhetischen (!)
Gründen die als höchst widerwärtig empfundene Stuhlentleerung
soweit als möglich unterdrücken. Hautpflege, Mund- und Zahn-
pflege, Bewegung in frischer Luft, Sport. Rationelle Kleidung:
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1676
Verbot stärken Schnürens wegen Begünstigung der Enteroptose.
Psychische Einwirkung zur Bekämpfung der Stuhlhypochondrie.
Balneotherapie. Trinkkuren: Alkalisch-salinische Quellen:
Marienbader Ferdinandsbrunnen, Elster, Franzensbad. KalteK.ochsalz-
quellen: Rakoczyquelle inKissingen, Elisabethquelle in Homburg. Bei
anämischen undälteren Individuen :Glaubersalz-und Kochsalzthermen:
Karlsbad, Neuenahr, Nauheim, Soden, Wiesbaden. Bitterwässer:
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
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Ofner (Hunyadi-Janos, Apenta usw.), Friedrichshall, Saidschitz,
Püllna sind bei starker Kotanhäufung transitorisch zu verwenden,
und zwar tf bis 1 Glas morgens nüchtern.
Bäder. Bei jüngeren, kräftigen Individuen: Nord- und
Ostseebäder, kalte Binnensee- und Flußbäder; schwächere Indivi-
duen — südliche Seebäder; Grado, Lido, Rimini, eventuell gewärmte
Seebäder., | |
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolf, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Bakteriologische Untersuchungen bei Tuberkulose!)
von Dr. Rudolf Dietschy, Sanatorium Allerheiligen (Schweiz).
Die Methode dieser von Weber, Dieterlen, Linde-
mann, Kersten, Steffenhagen und Ungermann angestellten
Untersuchungen war im großen und ganzen folgende: Das zu
untersuchende Material wird zuerst auf Meerschweinchen subeutan
in der Gegend der Leistenbeuge verimpft. Sobald die Inguinal-
drüsen deutlich vergrößert sind, wird ein Tier getötet und aus
der Milz Kulturen auf Serum oder Glycerinserum angelegt. So-
bald die einzelnen Kolonien eine solche Größe erlangt haben, daß
sie mit der Platinöse gut gefaßt werden können, werden sie auf
einem zweiten Serumröhrchen gut verrieben, um auf diese Weise
einen gleichmäßigeren, zusammenhängenden Kulturrasen zu erhalten.
‚Stücke desselben werden dann mit dem Platinspatel auf Glycerin-
bouillon übertragen. Hierdurch wird das Ausgangsmaterial für
die Tierimpfungen erhalten.
Schon die Bouillonkultur zeigt in ihrem Wachstum
Unterschiede, je nachdem es sich um den Typus humanus oder
bovinus handelt. Humanus wächst schneller, üppiger; meist
schon nach 20 bis 30 Tagen bilden sich gleichmäßige, die ganze
Oberfläche der Bouillon überziehende, gefaltete, an den Wänden
oft hochkletternde Kulturrassen. Der viel langsamer wachsende
Bovinus bildet auf der Bouillon seidenpapierdünne Häute, die mit
Knoten durchsetzt sind; nur mit Mühe wird die ganze Bouillon-
oberfläche überwachsen, ein Emporklettern findet kaum statt.
Immerhin kann die Bouillonkultur zur sicheren Unterscheidung
nicht ausreichen; der Typus bovinus erscheint zwar in seinen
Wachstumsverhältnissen als die konstantere Rasse; dagegen legt
Humanus eine viel größere Variabilität an den Tag und vermag |
in einzelnen Fällen auch in der reinen Wuchsform des Bovinus zu
erscheinen. |
. Aus diesem Grunde ist der Tierversuch, die Prüfung der
Kaninchenpathogenität, unbedingt nötig, und zwar mit subcutaner
Injektion von 0,01 Kultur. Intravenöse Impfungen mit Mengen
unter 1 mg können zwar auch verwertbar sein, während größere
Mengen tuberkulöse Veränderungen in einer Ausdehnung hervorrufen
können, welche eine Entscheidung, ob es sich um Typus humanus
oder bovinus handelt, nicht mit Sicherheit zulassen; zuweilen
sterben auch die Tiere vorzeitig (Toxinwirkung?). Bovine Stämme
töteten die Kaninchen nach der subeutanen Impfung durchschnitt-
lich in 59 Tagen unter dem Bilde der schwersten Kachexie und
einer progredienten generalisierten Tuberkulose. Schon einige Zeit
nach der Impfung, wenn die Tiere noch in gutem Ernährungs-
zustande sich befanden, ließ die Impfstelle durch ihre beträcht-
liche Entzündung und die sehr häufig eintretende Exulceration die
bösartige Natur der Infektion erkennen. Die Sektion dieser Tiere
zeigte jedesmal durch die schwere Veränderung der regionären
die an manchen Stellen das Lungenparenchym
geradezu ersetzenden tuberkulösen Neubildungen und Infiltrate, so-
wie die massenhafte Tuberkeleruption in den Nieren, daß die Tiere
an der tuberkulösen Infektion selbst eingegangen waren. Drüsen-
verkäsungen und tuberkulöse Nierenherde sind besonders charak-
teristisch. Bei Humanusinfektion bildeten sich zwar oft auch
recht beträchtliche Veränderungen, besonders an der Impfstelle
und in den Lungen, aus; doch genügten dieselben nicht einmal
dazu, die Tiere sichtlich krank zu machen, da die meisten von
ihnen in sehr gutem Ernährungszustande zur Sektion kamen. Die
Größe des Impfknotens schwankte bei den mit Humanus infizierten
Kaninchen in ziemlich weiten Grenzen. Verkäsung der regionären
Drüsen fand sich nie, und in den Nieren waren im Gegensatz zur
Bovinusinfektion nur enorm selten kleine Tuberkel zu finden. Um-
Lymphdrüsen,
1) Sammelreferat über „Tuberkulose-Arheiten aug dem Kaiserlichen
Gesundheitsamte“ H, 11 u. 12.
gekehrt ist das Vorkommen von Perlsuchtkulturen mit ab-
geschwächter Kaninchenvirulenz ein enorm seltenes Vor-
kommnis. Hier wird der Rinderversuch klärend wirken. . Jeden-
falls waren die Forscher im Gesundheitsamt im Gegensatz zu den
Angaben vereinzelter anderer Autoren nach genauer Durchführung
der Untersuchungsmethode nie im Zweifel, ob sie es mit dem
Typus humanus oder bovinus zu tun hatten.
Handelte es sich um Züchtungen aus menschlichem
Sputum, so mußte entsprechend dem mit Robert Koch auf-
gestellten Versuchsplane die Vorsichtsmaßregel beachtet werden,
daß die betreffenden Kranken während der Versuchszeit, und zwar
mindestens zwei Tage vor jeder Entnahme des Sputums (min-
destens zweimalige Entnahme im Verlauf von 14 Tagen ist absolut '
nötig), keine Butter, und Milch nur in gutgekochtem Zustande ge-
nießen, um so eine akzidentelle Verunreinigung des Auswurfs mit
Perlsuchtbacillen zu vermeiden, |
Neben der Züchtung der Tuberkelbacillenstämme durch
Meerschweinchenpassage wurde häufig auch in Parallelversuchen,
besonders bei Sputumuntersuchungen, das Antiforminverfahren
angewandt, und es zeigte sich, daß die Virulenz beider Typen
durch diese Behandlung auch nicht im geringsten gelitten hatte.
Es wurde verwendet eine 100/ige Antiformin-Sputummischung;
nach einer Stunde wurde zentrifugiert (zweimal mit Antiformin,
einmal mit Kochsalzlösung). Ganz besonders bewährte sich das
Antiforminverfahren bei der Untersuchung der Mesenterialdrüsen,
die häufig für Meerschweinchen sehr virulente Keime enthalten,
denen mitunter das gesamte geimpfte Tiermaterial in kurzer Zeit
| erliegt. Die der Tuberkulose verdächtigsten Teile dieser Drüsen
gelangten in kleinen Mengen ohne Vorbehandlung zur Verimpfung,
wäbrend die Hauptmasse, in kleine Partikel zerteilt, der Ein-
wirkung einer 100/oigen Antiforminlösung so lange ausgesetzt
wurde, bis das Gewebe durchscheinend geworden war, was in dor-
Regel in 1/ bis 8/4 Stunden erreicht wurde. Dann wurden die
Drüsen auf einem Filter ausgiebig gewaschen und in der üblichen
Weise subeutan verimpft. Es wurde durch dieses Material weder
eine Schädigung der Versuchstiere bedingt, noch wirkte das
Mittel auf die Virulenz der Tuberkelbacillen ungünstig ein. Die
mit dem so vorbehandelten Material geimpften Tiere erkrankten
und starben an Tuberkulose ebenso schnell wie die mit unbehan-
delten Drüsen geimpften Meerschweinchen. Dagegen waren die
Antiformindrüsentiere .den oft sehr mörderischen, interkurrenten
Wundinfektionen in viel geringerem Grad ausgesetzt als die-andern,
obwohl sie sehr viel größere Mengen des Impfmaterials erhielten.
Bei den bakteriologischen Drüsenuntersuchungen zeigte ©
‚sich einmal, daß die makroskopische Prüfung infolge der Aehnlich-
keit der Lymphfollikel mit jungen Tuberkeln zu der Annahme
führen kann, es handle sich um eine im Entstehen begriffene
Tuberkulose, während der Tierversuch durch seinen negativen
Ausfall das Freisein des Gewebes von Tuberkelbacillen beweist.
Aber auch bei Verkalkungen oder nekrotischen, verkästen Gebieten,
speziell in Mesenterialdrüsen, konnte zuweilen durch Tierversuc
und histologische Untersuchung keine Tuberkulose nachgewiesen
werden. Es sind das drei Fälle, über welche Ungermänn be-
richtet: sie hatten alle schon makroskopisch einen von dem 8%
wöhnlichen Bilde tuberkulöser Veränderungen abweichenden Cha-
rakter. Die gelblichen, blassen Herde lagen nicht in den zentralen
Teilen der Drüse, sondern erstreckten sich oft keilförmig von der
Peripherie zum Centrum und waren nicht scharf begrenzt, sondern
gingen diffus in das normale Gewebe über; sie bestanden auc
nicht aus dem mehr trocknen, krümeligen Material des tuberkulösen
Käses, sondern waren mehr schlaffes, weiches Gewebe. In einem
Falle hatte die fragliche Affektion mehr den Charakter eines binde-
gewebig abgegrenzten, eingedickten Abscesses.
Aber auch das Umgekehrte kam vor: makroskopisches Aus-
sehen normal, trotzdem Züchtung positiv. Freilich gelangte diese
Tatsache meist nur dann zur Beobachtung, wenn das betreffende
| Individuum an anderer Stelle bereits deutlich tuberkulöse Drüsen
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1677
hatte, und ferner hätte vielleicht die histologische Untersuchung
ebenfalls bereits Tuberkulose festgestellt.
Die wichtigsten Resultate der Untersuchungen, deren
Protokolle jeweilen genau mitgeteilt werden, sind etwa folgende:
Die Untersuchungen des Auswurfs Lungenkranker
auf den darin enthaltenen Bacillentypus ergab bei 50 Fällen 49 mal
Typus humanus und einmal eine Mischung von beiden Typen.
Wenn man alle 26 Veröffentlichungen aus der Literatur zusammen-
nimmt, so waren unter 790 Fällen 784 Humanus-, 3 Bovinus-
infektionen, zwei eine Mischung von beiden und ein Fall nicht
sicher feststellbar (Mohler und Washburn). Mit Recht sagt
deshalb Lindemann: Die Zahl der untersuchten Fälle von Phthise
ist eine so große, und der Prozentsatz der dabei gefundenen Perl-
suchtinfektionen ein so geringer, daß man für die Aetiologie
der weitaus wichtigsten Form der menschlichen Tuber-
kulose den bovinen Bacillen gegenüber den humanen
eine nur ganz untergeordnete Rolle zuschreiben kann.
Dieselbe Schlußfolgerung läßt sich ziehen aus Unter-
suchungen, die wahllos an tuberkulösem menschlichen
Material verschiedener Herkunft (bei Operationen und Sek-
tionen gewonnen) durch Steffenhagen ausgeführt wurden. Unter
21 Fällen ergab sich dreimal der Typus bovinus, und zwar bei
Kindern von vier bis sechs Jahren, zweimal bei Fällen schwerer
Darm- und Peritonealtuberkulose, einmal in einer exstirpierten
Cervicaldrüse, alles Lokalisationen, die auf eine Deglutitionstuber-
kulose hindeuten.
Ueber die BEingangspforte des Bacillus konnten am ehesten
Untersuchungen an Säuglingen Aufschluß geben, wie sie
Steffenhagen angestellt hat, da hier die Tuberkulose meist rasch
tödlich verläuft.
Es ergab sich folgendes:
Unter den 40 untersuchten Fällen beruhten vier auf einer
Infektion mit Perlsuchtbaeillen, einer auf einer solchen mit beiden
Typen, die übrigen 35 auf einer Humanusinfektion.
Unter den vier Perlsuchtinfektionen waren drei tödlich, einer
konnte am Lebenden (vereiterte Submaxillardrüse bei einem zehn
Monate alten Knaben) festgestellt werden. .Perlsuchtinfek-
tionen können beim Säugling also tödliche Tuberkulosen
verursachen, ein Resultat, das wichtig ist im Hinblick auf die
bald zu besprechenden Perlsuchtinfektionen bei älteren Kindern.
Bei den drei tödlichen Fällen waren die tuberkulösen Herde im In-
testinaltraktus, beziehungsweise in der Bauchhöhle am ausgedehn-
testen, also wohl Fütterungstuberkulosen. Ueber die Häufigkeit
solcher Perlsuchtinfektionen beim Säugling kann uns das Material
keinen sicheren Aufschluß geben, da es zu klein ist; sie scheinen
immerhin nicht ganz selten vorzukommen. Ueber die Provenienz
dieser Perlsuchterreger konnte nur in dem einen Falle von Drüsen-
eiterung. anamnestisch mit Sicherheit eine eutertuberkulöse Kuh
aufgefunden werden. Bei den drei übrigen Fällen schien zwar
eine Infektion vom Menschen mit Sicherheit ausgeschlossen zu |
sein, aber bezüglich der Infektionsmöglichkeit durch die Milch
waren höchstens Vermutungen möglich.
Unter den 35 Fällen von Humansısinfektion waren nur
zwei, welche nach Maßgabe des anatomischen Befundes auf eine
Fütterungstuberkulose hinwiesen. Die Infektionsquelle beider Fälle
ist nicht bekannt. Das anatomische Bild der übrigen 33 Pälle
war dasjenige einer mehr oder weniger generalisierten Tuberkulose
mit den ausgedehntesten Herden in den Lungen, beziehungsweise
Bronchialdrüsen. Für die überwiegende Mehrzahl der untersuchten
Fälle ergab sich folgender Befund: Die Ansteckungsquelle ist
der hustende Mensch, bei der Obduktion werden die
fortgeschrittensten Herde in den Lungen oder Bronchial-
drüsen gefunden, die bakteriologische Untersuchung
ergibt Bacillen des Typus humanus. Die Erkrankung
braucht wohl nicht aerogen sein; sie könnte vom Darme her er-
zeugt werden, ohne daß der letztere und die zugehörigen Drüsen
Spuren der Infektionswege zu hihterlassen brauchen, besonders
wenn man in der Lunge bei jeglicher Tuberkuloseinfektion den
Locus minoris resistentiae sieht. Aber es muß allerdings ander-
seits beachtet werden, daß kein Lebensalter in dem Maße der
Aktionssphäre des hustenden Phthisikers ausgesetzt sein kann, wie
gerade das Säuglingsalter.
Ueber die Häufigkeit der Tuberkuloseinfektion in
den verschiedenen Stufen des Kindesalters, sowie über die
rage der Infektionswege und die Bedeutung der beiden
Bacillentypen geben uns einige Aufschlüsse die Untersuchungen
von Ungermann, welcher an einem wahllosen von 171 Kindern
im Alter von drei Wochen bis zu zwölf Jahren stammenden
Sektionsmaterial stets die Cervical-, Bronchial-, Mesenterial- und
in einigen Fällen auch die Axillardrüsen bakteriologisch unter-
suchte. Es wurden in 22,8%, Tuberkelbacillen gefunden. Ueber
die Häufigkeit der Infektion der einzelnen Altersstufen gibt am
besten folgende Zusammenstellung Aufschluß:
7 ahl d er | Davon hatten
Tuberkelbacillen
Alter en in den Drüsen
0/9
| | |
1 bis 2 Monate. . . 2 2 22. 14 l 0
2, 6 S E TE E 88 | 10,52
6 „12 Sn a e a a E 39 | 23.06
1 „ 2 Jahre » 2 2 2 2 20a 24 | 87,5
8. Lebensjahr . . . 2» 2 20. 11 | 38,18
4. bis 5. Lebensjahr. . . . ... 21 | 33,33
6. „10. 7 aa aie Ra a Y 2L | 23.8
11. „12. M a a e e ie 3 8383,33
Die tuberkulöse Infektion im Kindesalter zeigt
also nach einem Höhepunkt im zweiten und dritten
Lebensjahr ein Absinken im vierten bis zehnten Jahre.
Ein latentes Vorkommen der Tuberkelbacillen in den Lymph-
drüsen, das heißt Bacillengehalt bei anatomisch normalem Ver-
halten aller Drüsen, konnte nur in 2,34 0/ọ der Fälle beobachtet
werden!).
Die Prüfung der Drüsensysteme im Tierexperiment ergab
nur eine geringe Mehrheit von Infektionen der Bronchialdrüsen
gegenüber den Mesenterialdrüsen; diese waren zweimal ohne die
Bronchialdrüsen erkrankt, die Bronchialdrüsen ohne die Mesenterial-
drüsen dreimal.
Nach der anatomischen Untersuchung prävalierten dagegen
die Bronchialdrüsen weitaus als der älteste Sitz der tuberkulösen
Infektion.
In 76° der tuberkulös infizierten Fälle waren alle
visceralen Drüsensysteme infiziert. Dieses häufige Vor-
kommen einer generalisierten Drüseninfektion ist wohl am ein-
fachsten durch die Annahme eines baldigen Eindringens von
Tuberkelbacillen in den Blutkreislauf zu erklären.
Eine isolierte Infektion der Bronchialdrüsen wurde nur ein-
mal festgestellt. Eine isolierte Darmdrüsentuberkulose kam im
infektiösen Stadium in zwei Fällen, also in 1,16 0/, der gesamten
Untersuchungen und in 5,12 ®/, der tuberkulösen Fälle vor; ein-
mal waren Baeillen des Typus humanus ihre Erreger, das zweite-
mal solche des Typus bovinus. In zwei weiteren Fällen primärer
Darmdrüsenerkrankung mit dem makroskopisch-anatomischen Be-
funde der Tuberkulose war das Material nicht mehr infektiös. _
Infektionen mit dem Typus bovinus wurden nur zweimal,
das heißt in 1,16 ®/, aller Fälle (5,13 ®/o der Tuberkulosefälle) nach-
gewiesen; diese beiden Infektionen hatten klinisch und anatomisch
einen gutartigen Charakter, obwohl sie in einem Fall auch zu
einer generalisierten Drüseninfektion geführt hatten.
Daß solche Perlsuchtinfektionen bei Kindern nicht
bösartig zu sein brauchen, zeigt auch die dauernde Beob-
achtung von vier Kindern durch das Kaiserliche Gesundheitsamt,
bei welchen sich infolge des Genusses von sicher perlsüchtiger
Milch eine abscedierende Halsdrüsentuberkulose mit Typus bovinus
als Erreger ausgebildet hatte. Sie boten noch nach 5l/g beziehungs-
weise 6 Jahren (nach der bakteriologischen Feststellung der Perl-
suchtinfektion), wie Weber und Steffenhagen berichten, weder
lokale noch allgemeine Krankheitserscheinungen in erheblichem
Grade dar. Anderseits weisen die bei den einzelnen Fällen sich
äußernden Ernährungsstörungen, die Blutarmut, die mangelnde
Rückbildung der Drüsen bei allen Kindern, die entzündliche Re-
aktion einer Drüse auf eine Scharlachinfektion bei einem Falle,
die langsame Heilungstendenz der Operationswunde bei einem
andern Falle, mit Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß die Tuber-
kuloseinfektion in allen Fällen noch nicht endgültig ausgeheilt sein
dürfte. Bisher zeigen die Fälle allerdings einen gutartigen Ver-
lauf und mangelnde Neigung des Prozesses zur Generalisation.
Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, daß Halsdrüsen-
tuberkulosen, die ja bei Kindern sehr häufig sind und nur zum
Teil (nach den bisherigen Untersuchungen etwa zur Hälfte) auf
Perlsuchtinfektion beruhen, meistens lokalisiert bleiben.
1) Of. dagegen die Bemerkung auf S. 1676 (positives Impfresultat aus
makroskopisch intakten Drüsen bei tuberkulöser Erkrankung anderer
Drüsengruppen).
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20. Ei, zæ - - m 5
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1678
In der gleichen Arbeit bringen .die genannten Autoren einen
Beitrag zur Frage, ob etwa durch langes Verweilen von Perl-
suchtbacillen im menschlichen Körper eine allmähliche
Umwandlung seiner kulturellen und tierpathogenen
Eigenschaften gegen den Typus humanus hin sich ausbilden
könne Für ihren Fall, einen Knaben mit einer chronischen
Knocheneiterung an einer Hand, der bei der erstmaligen Fest-
stellung der Perlsuchtinfektion sieben Jahre alt war, können sie
diese Möglichkeit verneinen. Es wurde nämlich bei vier
Wiederholungen der Untersuchung in Intervallen von je zirka
einem Jahr unter sorgfältigster Vermeidung aller Fehlerquellen
stets dasselbe Kultur- und Impfresultat erhalten, mit der Ein-
schränkung, daß die Virulenz sich änderte. Diese Aenderung läßt
sich in einer Kurve zum Ausdrucke bringen, welche zunächst fällt
und sich dann allmählich wieder zur alten Höhe erhebt. Der
Grund für diese Virulenzschwankungen mag in allerhand thera-
peutischen Prozeduren liegen, die im Verlaufe der Jahre gegen
diesen hartnäckig fistelnden Prozeß zur Anwendung kamen.
Die enorm wichtige Frage nach der Größe der Gefahr,
die dem Menschen durch den Genuß von Milch und Milch-
produkten eutertuberkulöser Kühe droht, kann nun zweifellos
nicht nur durch solche Einzelbeobachtungen restlos gelöst werden.
Deshalb hat das Kaiserliche Gesundheitsamt eine Sammel-
forschung im Reiche begonnen, über die erstmalig in Heft 10
berichtet wurde (von Weber). Ein weiterer Bericht von Unger-
mann liegt nun vor, der einmal über das weitere Ergehen der
im ersten Berichte berücksichtigten Personen berichtet (also nach
einer Beobachtungszeit von drei bis sechs Jahren) und zweitens
42 neue Fälle mit 327 Personen beibringt. Als Ergebnis der ge-
samten bisherigen Sammelforschung geht hervor, daß unter den
111 Fällen von Genuß roher Milch oder der Milchprodukte euter-
tuberkulöser Kühe durch 687 Personen, von denen mindestens
280 Kinder waren, nur zweimal eine Infektion mit Perlsucht-
bacillen nachgewiesen werden konnte und daß nur in 14 Fällen
der Verdacht einer solchen Infektion besteht, während sich die
betreffenden Personen in allen andern Fällen, von den nicht sehr
zahlreichen Tuberkuloseerkrankungen humaner Natur und andern
Krankheitsfällen abgesehen, dauernd eines guten Gesundheits-
zustandes erfreuen. Es ist somit die Gefahr, welche dem
Möonschen durch den Genuß der Milch und der Milch-
produkte eutertuberkulöser Kühe droht, sehr gering im
Vergleich zu der Gefahr, welche der mit offener Lungen-
tuberkulose behaftete Mensch für seinen Nebenmenschen
bildet.
Dafür ist die Perlsucht der Kühe eine große Gefahr
für die Schweine, wie die Untersuchungen von Kersten und
Ungermann dartun: Bei 19 tuberkulösen Schweinen wurden
durch Gewinnung von Reinkulturen und Virulenzprüfung derselben
am Kaninchen in jedem Falle Tuberkelbacillen des Typus bovinus
als Erreger nachgewiesen. In 17 Fällen bezogen sich die Unter-
suchungen auf wahlloses Schlachthausmaterial, während zweimal
Material von Fällen zur Prüfung gelangte, in denen der Verdacht
einer Infektion der Schweine mit Bacillen des Typus humanus
vorlag; einer dieser’ Fälle bot den anatomischen Befund der
Kastrationstuberkulose.
Literatur: Tuberkulose-Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte
H. 11: Weber und Steffenhagen, Was wird aus den mit Perisuchtbacillen
infizierten Kindern, und welche Veränderungen erleiden Perlsuchtbacillen bei
jahrelangem Aufenthalt im menschlichen Körper? — Steffenhagen, Ver-
leichende bakteriologische Untersuchungen über Tuberkelbacillen verschiedener
erkunft, — Steffenhagen, Untersuchungen über Säuglingstuberkulose. —
Kersten und Ungermann, Untersuchungen über den Typus der bei der
Tuberkulose des Schweines vorkommenden Tuberkelbaciiien. — H. 12: Weber
und Dieterlen, Untersuchungen über den Typus der im Auswurf Lungen-
kranker vorkommenden Tuberkelbacillen. Virulenzprüfung von mittels der
Antiforminmethode gezüchteten Tuberkelbacillen. — Lindemann, Unter-
suchungen über den Typus der im Auswurfe Lungenkranker vorkommenden
Tuberkelbacillen. — Ungermann, Untersuchungen über die tuberkulöse In-
fektion der Lymphdrüsen im Kindesalter. — Derselbe, Welche Gefahr droht
dem Menschen durch den Genuß von Milch und Milchprodukten eutertuber-
kulöser Kühe? (Sammelforschung, II. Bericht.)
Sammelreferat.
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen
von Priv.-Doz. Dr. Leopold Freund, Wien.
Max Reichmann beschreibt einen kongenitalen Defekt beider
Schlüsselbeine bei einem Individuum ohne sonstige Entwicklungs-
hemmungen. An Stelle der beiden Knochen fanden sich binde-
gewebige Stränge. (XVIII, 3.)
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 41.
13, Oktober,
Bei einem Falle von Spina bifida occulta fand P. Ewald
radiographisch die Bögen des vierten und fünften Lendenwirbels
nur zur Hälfte geschlossen. (XVII, 4.)
Paul Müller beschreibt einen Fall von Luxation im
Chopartschen Gelenke. Das wichtigste Symptom ist die Ver-
kürzung des Fußes in der Längsrichtung. Ferner erscheint der
Fußrücken infolge der fast immer vorhandenen seitlichen Ver-
schiebung der Fußwurzeiknochen meist verbreitert. Außerdem ist
die Abduktion und Adduktion bei intakter und nicht schmerz-
hafter Flexion und Extension behindert. (XVIIL, 3.)
Haenisch berichtet über einen Fall von Bursitis humero-
scapularis, bei welchem (wie bei den vom Röferenten in dieser
Zeitschrift 1909, Nr. 11 beschriebenen Fällen) entgegen der ur-
sprünglichen (Bd. XV) Annahme Haenischs Mechanotherapie und
Schwitzkuren Heilung herbeiführten, ohne daß eine Operation not-
wendig geworden wäre. (XVIII, 2.)
Die isolierte Tuberkulose des Os naviculare carpi zeigte sich
in einem Falle Deutschländers radiographisch als eine kreis-
runde Aufhellung, deren Ränder sich bei geeigneter Aufnahme als
scharfgeschnittener Kraterwall präsentierten. Die benachbarten
Knochen (Capitatum und Multangulum minus zeigten Atrophie
(XVII, 4.) |
Hesse beschreibt ein Chondromyxom der zehnten Rippe,
das unter den Erscheinungen eines Rheumatismus verlief, unter
eingehender Erörterung der Differentialdiagnose. (XVII, 4.)
In einer gründlichen anatomischen und pathologischen Studie
über den letzten Lendenwirbel weist V. Fischer nach, daß ab-
norme Beschaffenheit desselben sehr häufig einzig und allein auf
pathologische Neigungsverhältnisse zurückzuführen ist. (X VIII, 5.)
Einen seltenen Fall von Korpusfraktur des vierten Hals-
wirbels, entstanden bei einem Kopfsprung in flaches Wasser, be-
schreibt P. Lohfeldt. (XVIII, 1.)
Einen Fall von Rotationsluxation der Lendenwirbelsäule,
radiographisch nachgewiesen, beobachtete Schmid. (XVII, 4.)
Pförringer weist nach, wie oft den neuroseartigen Be-
schwerden von Patienten, die sich verhoben oder eine Verletzung
der Kreuzgegend erlitten haben, radiographisch nachweisbare
Wirbelfrakturen zugrunde liegen. (XVIU, 5.)
Nach Kienböck gibt es Becken, welche eine eigentümliche
ein- oder doppelseitige Erkrankung des Hüftgelenks in Form von
Protrusion des Bodens des Acetabulums gegen die Beckenhöhle
zeigen. Der Grund des Acetabulums ist dann solider oder poröser,
brüchiger oder auch perforierter Knochen. Der Femurkopf und
Hals, sowie die benachbarten Teile des Beckenknochens sind mehr
oder weniger mitbeteiligt (frakturiert oder durch Wwucherungen
deformiert, verwachsen). Die Affektion findet sich bei gonorrhoi-
scher Arthritis und Tabes. (XVIII, 4.)
Bei einem linksseitigen Acusticustumor, der vom Boden des
inneren Gehörgangs ausging und wachsend in den Kleinhirn-
brückenwinkel vordrang, ergab Henschen die vergleichende
radiologische Untersuchung beider innerer Gehörgänge die Er-
weiterung des linken Porus acusticus internus. Der Knochen
Yingsherum erschien verdünnt und aufgelockert. (XVII, 3.)
Mit Hilfe der Kollargolinjektionen ins Nierenbeeken gelang
es Nemenow, einen überzähligen und anormal mündenden Ureter,
x aan Fall eine Beckenniere radiographisch festzustellen.
, 9.)
Die Röntgenuntersuchung des Schädels bietet dem Radio-
logen ganz besondere Schwierigkeiten. Dies gilt nicht nur von
den eigentlichen Schädel- und Gesichtsknochen, sondern auch von
den Kiefern. Cieszyhski bespricht in einer ausführlichen Ab-
handlung die Technik der extraoralen Kieferaufnahmen und stellt
die Indikationen für dieselben zusammen. (XVII, 1, 2.)
Max Scheier ist es gelungen, durch Momentaufnahmen von
1/go bis 1/ıoo Sekunden Dauer der Mund- und Schlundorgane_ die
blitzartig schnell vor sich gehenden feinen Bewegungen des Kehl-
deckels und anderer am Schlingakte beteiligter Organe während
des Schluckens zu studieren und zu ana'ysieren. Daraus geht
unter anderm hervor, daß sich der Kehldeckel für einen ganz
kurzen Moment wie eine Klappe über den Eingang zum Kehlkopfe
legt, eine Tatsache, welche von früheren Untersuchern auf Grun
unvollkommenerer Aufnahmen in Abrede gestellt worden war.
Außer den katarrhalisch-eitrigen Erkrankungen der Neben-
höhlen geben noch Varietäten der Nebenhöhlen, SchädelverletzungeN,
bei denen Fremdkörper oder Blut in die Nebenhöhlen gelangen
Geschwülste der Nasenhöhle, ihrer Nebenhöhlen sowie der Pe
basis und Hypophysentumoren Indikationen aus dem Gebiete def
Rhinologie für Röntgenuntersuchungen ab. (XVIII, 4.)
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
1679
In einer eingehenden, auf Röntgenuntersüchungen mit nacb-
folgender anatomischer Kontrolle basierenden Studie behandelt
H. Aßmann die Röntgendiagnostik der latenten beziehungsweise
inzipienten Lungentuberkulose. Technische Voraussetzung einer
jeden solchen Untersuchung ist nach Amann die sogenannte
Momentaufnahme in absolutem Atemstillstande.. Nur bei Ueber-
einstimmung des Durchleuchtungs- und Aufnahmebefundes in
dorsoventraler und ventrodorsaler Durchstrahlung, am sichersten
bei ausgesprochener Einseitigkeit sind dieselben diagnostisch ver-
wertbar. Die Verdunklungen der Spitzenfelder können außer durch
tuberkulöse Veränderungen bedingt sein durch Adipositas, durch
ungleichmäßige Entwicklung beziehungsweise Contraction der
Muskulatur, durch Ueberlagerung der Claviculae, durch verschie-
dene Gestaltung der Thoraxkuppen (verschiedene Tiefendimen-
sionen, ungleicher Hoch- oder Tiefstand der Lungenspitzen), ein-
seitige Schrumpfung des Brustkorbs und Skoliose. Der häufig
den unteren Rand der zweiten Rippe begleitende Schattensaum
hat nach Aßmann keine pathognostische Bedeutung. Ihm liegt
als anatomisches Substrat die obere Weichteilbegrenzung der
Lungenspitze zugrunde. Auch die Arteria subelavia bildet einen
nicht pathologischen Schatten neben der Wirbelsäule im dritten
und vierten Intercostalraum. Eine pathologische homogene Spitzen-
trübung kommt durch bindegewebige Induration des Lungen-
gewebes oder durch Konfluenz und Ueberlagerung einzelner
Knötchen zustande. Pleuraschwarten sind an der Entstehung der
gleichmäßigen Trübung nur verhältnismäßig wenig beteiligt. Auch
durch Bronchostenose bedingter verminderter Luftgehalt und
pneumonische Infiltration können gelegentlich Spitzentrübungen
erzeugt werden. Bindegewebige Narben, Kalk- und Kreideherde,
peribronchitische Knötchen bilden das Substrat von einzelnen
Flecken oder Y-förmigen Streifen, welche man innerhalb tuber-
kulöser Spitzentrübungen nicht selten findet. Doch sollen aus
solchen Befunden allein keine Schlüsse auf Alter und Progredienz
des Prozesses gezogen werden. Außer der Spitzentrübung kommen
als Zeichen der beginnenden Lungentuberkulose strangartige, von
den Hilis zu den Spitzen ziehende Verdichtungen und ihnen an-
gelagerte Fleckehen in Betracht. Diese Zeichnungen erscheinen in
Fällen von Stauung im kleinen Kreislaufe ganz besonders deutlich.
Als weiteres pathologisches Substrat derselben sind entzündlich-
indurative Verdichtungsprozesse um die Bronchien und Lymph-
gefäße, Sekretfüllung, Lymphstauung anzusehen. Doch sieht man
solche Strangzeichnungen nicht nur bei beginnender Tuberkulose,
sondern auch bisweilen bei Pneumonien in der Lösung, bei ex-
sudativer Pleuritis, bei Kapillärbronchiolitis der Säuglinge und
fieberhafter Bronchitis älterer Kinder. Die den strangartigen Ver-
dichtungen aufsitzenden, durch ihre Größe und scharfe Vorbuchtung
Charakterisierten Schattenflecken im Oberlappen, welche Drüsen
entsprechen, sind nach Stürtz weitere Merkmale der inzipienten
Tuberkulose, Allerdings können verknöcherte Bronchialknorpel
dann Verdieckungen und Bronchialektasien ähnliche Bilder geben.
Eine pathologische Verstärkung des Hilusschattens wird hervor-
gerufen durch Vergrößerung der Lymphdrüsen und Verdichtung
des umgebenden Gewebes durch Stauung im Lungenkreislauf oder
durch abnorme Helligkeit des Lungenfeldes bei Emphysem. Doch
bilden sich nicht nur tuberkulöse Drüsen ab. Aßmann zeigt dies
an mehreren Beispielen. Die tuberkulösen Hilusdrüsen sind aber
an den scharf umrissenen, bogenförmigen, manchmal gekerbten
Konturen kenntlich. Derartige Veränderungen finden sich nicht
nur bei inzipienten, sondern auch vielfach bei ausgeheilten tuber-
kulösen Prozessen. Ein für die beginnende Tuberkulose sehr
charakteristisches, allerdings seltenes Merkmal ist der Befund von
disseminierten, diffus über beide Lungenfelder verbreiteten, an
orm und Intensität unter sich gleichen Schattenfleckchen, welche‘
Das Zurückbleiben einer
Knötehen (Tuberkeln) entsprechen.
Zwerchfellhälfte gegenüber der andern bei tiefer Inspiration
'\lliamssches Phänomen) ist nach Aßmanns Beobachtungen
kein charakteristisches Symptom für die beginnende Lungentuber-
kulose. Auch dem Nachweis einer partiellen oder totalen Ver-
knöcherung des ersten Rippenknorpels schreibt Aßmann keine
besondere, für die Lungentuberkulose pathognomonische Beweis-
kraft zu. Nach Aßmann deckt das Röntgenverfahren Verdich-
tungen in der Tiefe des Lungengewebes auf, welche sich dem
achweise durch die Perkussion entziehen. (Die durch direkte
Fingerbeklopfung des namentlich kindlichen Thorax ermittelten
efunde stimmen nach der Erfahrung des Referenten mit den
Röntgenbefunden viel besser und häufiger überein als jene der
Inger-Finger oder Finger-Plessimeterperkussion.) Hingegen wurden
viele anamnestische, auf Tuberkulose hinweisende Tatsachen, wie
Heredität, Nachtschweiße, Hämoptöe, durch das Röntgenverfahren
verifiziert. Von besonderem Wert ist das Röntgenverfahren bei
der akuten peribronchitischen Lungentuberkulose, der Miliartuber-
kulose der Lungen, der Bronchialdrüsentuberkulose und bei tuber-
kulösen Veränderungen, welche sich dem physikalischen: Nachweis
wegen Emphysom ‚oder Starrheit des Thorax entziehen. (X VIII, 1.)
Ein einfaches Verfahren zur Bestimmung der Herzgröße bei
der Systole und Diastole besteht darin, daß das Herz in diesen
beiden Phasen in einem Focusabstande von 1,5 m am Fluorescenz-
schirm abgezeichnet wird, wäbrend der Körper eine Mittelstellung
hat, die jede falsche Projektion ausschließt. (XVII, 4.)
Einen Fall von offenem Ductus Botalli mit Pulmonalstenose
beschreibt Johs. Weicksel (XVIII, 5).
Unter Reproduktion von vier schönen Röntgenaufnahmen von
Kalkplatten im Aortenbogen Lebender gibt A. Köhler an, daß
namentlich solche Kalkplatten radiographisch nachweisbar sind,
welche mit ihrer Fläche parallel der Strahlenrichtung liegen. Diese
erscheinen dann im Bilde als opake Spangen (XVIII, 3), doch
können auch Kalkablagerungen in andern Organen in den Aorten-
schatten projiziert erscheinen. |
Von den großen von der Aorta abzweigenden und in die
Vena cava superior einmündenden Gefäßen lassen sich nur die
Arteria anonyma und die Vena anonyma radiographisch auffinden.
Die Breitenzunahme dieses Schattens konstatierte Franz M.
Groedel bei Dilatation der Anonyma. Die Sklerose der
Arteria anonyma verläuft häufig unter demselben Bilde; manch-
mal lassen sich dann am lateralen Schattenrande perlenschnur-
artig angeordnete oder plaqueförmige Kalkschatten konstatieren.
Die Dilatation und Sklerose der Arteria subclavia sin. verur-
sucht ein senkrecht vom Bogen nach oben strebendes Schatten-
band. Die dilatierte Vena anonyma ist ausnahmslos in jenen
Fällen zu erkennen, wo die Arteria anonyma sichtbar wird.
(XVII, 3).
Um die Stillerschen Einwände gegen die Untersuchung
des mit der Riederschen Mahlzeit gefüllten Magens zu prüfen, in-
korpiererte J. v. Ellischer dem zu radioskopierenden Magen eine
geringe Menge (30 bis 40 ccm) dickflüssiger Gummiemulsion von
Zirkonoxydpulver, welche der inneren Magenwand anhaftet, Keine
adstringierende Wirkung hat, unlöslich und chemisch neutral ist
und auch als Belastung nicht in Betracht kommt. Das so ge-
wonnene Röntgenbild des normalen leeren Magens hat die Syphon-
oder Hackenform und weicht von dem mit Wismutbrei gefüllten
nur in seinen Dimensionen ab; es entspricht dem Bilde eines ge-
falteten Schlauches. Bei Tumoren und Stenosen lassen sich mit der
Ellischerschen Methode viel feinere Details erkennen. (XVIII, 5.)
Bezüglich des Wertes säurefester, sichtbarer Boli für die
Röntgenuntersuchung des Pylorus und die Brauchbarkeit der
Glutoid- und Geloduratkapseln kam Fujinami zu dem Schluß,
daß die im Wasser gelösten, formaldehydgehärteten Glutoidkapseln
genügend säurefest sind, Geloduratkapseln aber nicht. Findet man
die Kapseln im Magen, so kann daran die Quellung und auch ver-
minderte motorische Kraft schuld sein; es kann dies bei normalem
oder wenig verengtem Pylorus der Fall sein. Der Fund von
Kapseln außerhalb des Magens kann mit der Quellung und
Weicherwerden derselben zusammenhängen. Dieser Umstand macht
die Kapseln für die radiologischen Untersuchungen ungeeignet.
(XVII, 3.) |
H. Rieder macht zum Zwecke des Studiums der motorischen
Vorgänge bei der Verdauung, insbesondere der physiologischen
Diekdarmbewegung fortlaufende Serienaufnahmen bei zwei ge-
sunden Individuen. Die Magenverdauung war bei einem Falle nach
3, bei dem andern nach 3!/2 Stunden beendet. 31/g, respektive
4 Stunden nach der Nahrungsaufnahme traten die ersten wismut-
haltigen Partikel im Coecum auf, aber erst nach 8 bis 9 Stunden
war die Dünndarmverdauung beendet.
Um den Dickdarm zu durchwandern, brauchten die Ingesta
20 Stunden. Im letzteren wurde die Kotsäule im allgemeinen lang-
sam und periodisch (peristaltisch) vorgeschoben. Mitunter traten
aber auch große, schnelle Kolonbewegungen auf, wahrscheinlich
durch einen besonderen Reiz. Dieselben verliefen analwärts oder
oralwärts. Außerdem waren überall am Dickdarme kleine Pendel-
bewegungen, welche wohl starke Formveränderungen, aber nur ge-
ringe Dislokation der Haustren bewirkten, und wogende große
Pendelbewegungen am Transversum descendens und Sigmoideum,
und zwar am Schlusse der Dickdarmverdauung zu beobachten.
Das Transversum erschien bald aufsteigend beziehungsweise hoch-
stehend, bald tiefliegend, wie bei Ptose, Vor der Defäkation zeigte
sich am Transversum nebst den erwähnten wurmartigen, wogenden
1680 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.41.
13. Oktober.
Krümmungen eine haustrale Segmentation : wie ein Feigenkranz.
Sehr charakteristisch war die rückläufge Bewegung im Dickdarm
im ganzen Kolon bis über die linke Flexur hinaus im Rectum,
aber auch im Ileum zu sehen. Typische Kotballenbildung zeigte
sich nur jenseits der linken Flexur. (XVIII, 2.)
Durch ihren höhen Kalkgehalt eignen sich, wie Aßmann zeigt
(XVII, 4), Pankreassteine gut zum radiographischen Nachweise.
Als Folge von Preßlufterkrankungen kann es nach Bornstein
und Platz zu einer chronischen Arthritis kommen. Die Entstehung
ist so zu denken, daß es durch Gasblasenbildung zu einer Ernährungs-
störung eines umschriebenen Knochenteils kommt.
Während Albers-Schönberg und Schmidt beobachteten,
daß die Applikation von kleinen Dosen von Röntgenstrahlen auf
Gartenerde wachstumfördernd auf in ihr keimende Samen wirken,
Schmidt überdies eine wachstumhemmende Wirkung großer Dosen
beobachtete, hat E. Ruediger in zahlreichen Versuchen keine
Wirkung in irgendeinem Sinne konstatieren können. (X VIII, 1.)
Nach H.. E. Schmidt verhindert die künstliche Anämie der
Haut das Auftreten einer Spätreaktion nach Applikation großer
Röntgenstrahlendosen (1—2—3 E.D.), nicht aber das Auftreten der
Frühreaktion. (XVIII, 2.)
‘Mit Rücksicht auf die erwiesene Tatsache, daß keines der
für die Röntgentherapie angegebenen Meßinstrumente (Dosimeter)
verläßliche und genaue Meßresultate gibt, daß keines der in den
Handel gebrachten Instrumente die sichere Garantie bietet, daß
es richtig ausgeführt und geeicht sei, verlangt G. Schwarz
(XVII, 1), daß der Staat die Fabrikation dieser Apparate, und in
etwa im Anschluß an die staatlichen Lebensmitteluntersuchungs-
stellen zu kreierenden Radiometerkontrollstationen mit Hilfe des
Kolomelradiometers von G. Schwarz die Empfindlichkeit und
Eichung der Dosimeter scharf überwache.
Zur Prüfung der Farbenveränderung der Sabouraudschen
Pastillen empfiehlt H. Bordier Kerzen-, Benzin- oder Petroleum-
licht. (XVIL, 5.) l
| Eine wichtige Fehlerquelle in der Dosierung der Röntgen-
strahlenenergie mit Hilfe des Milliamperemeters liegt in der ver-
schiedenen Wanddicke der in den Handel kommenden Röntgen-
röhren. |
Th. Christen gibt ein Verfahren an, das mit Hilfe einer
Lichtspalte und eines Theodolits die Wanddicke jeder fertigen
Röhre genauestens zu messen gestattet. (XVII, 2.)
Emil G. Beck bespricht die Vorteile der stereoskopischen
Radiographie chirurgischer Affektionen gegenüber der einfachen
Röntgenaufnahme (XVII, 5.) James T. Case das gleiche bei
der Stereoröntgenographie des Verdauungstraktes. (X VIII, 6.)
Bela Alexander setzt seine Studien über die räumliche |
Darstellung der Gegenstände und Körper durch Röntgenstrahlen
an einfachen und komplizierten Beispielen fort. (XVIII, 6.)
Albers-Schönberg konstruierte ein Spezialröntgeninstru-
mentarium für gynäkologische, diagnostische und therapeutische
Zwecke. (X VIII, 4.)
Rzewuski beschreibt ein Verfahren, wie der durch Graetzsche
Zellen gleichgerichtete Wechselstrom in hohem Maße zum Betrieb
von Intensivstrominduktoren für Röntgenzwecke geeignet gemacht
werden kann. (XVID, 1.) |
Rosenstiel konstruierte einen Quecksilberunterbrecher mit
offener Zentrifuge, (XVIII, 4,)
George E. Pfahler gibt eine einfache Methode an, eine
scharf zeichnende Röntgenröhre auszuwählen. (X VIII, 5.)
J. E. Lilienfeld konstruierte eine neue Röntgenröhre, bei
welcher die für den Stromdurchgang erforderliche Leitfähigkeit
nicht von dem Grade der Gasdichte der Gasreste in der Röhre ab- `
hängt, sondern dadurch hergestellt wird, daß im höchsten erreich-
baren Vakuum zwischen einer genügend hoch erhitzten Kathode
und einer gewöhnlichen Anode ein unabhängiger primärer Entladungs-
kreis erzeugt wird. Mit der Größe des Primärstroms wächst und
fällt die Leitfähigkeit. Da von letzterer die Penetrationskraft der
Strahlen ahhängt, hat man es in der Hand, durch Regulierung des
Primärstroms den Härtegrad der Röhre momentan einzustellen.
Dafür gibt auch W. J. Rosenthal die Beweise. (XVII, 4.)
Robert Fürstenau beschreibt ein neues Verfahren der
Fernregulierung von Röntgenröhren. (XVII, 6.)
In einer interessanten technischen Studie kommt Loose
zu dem Schluß, daß die Bauersche Luftfernregenerierung der
Röntgenröhren allen andern Systemen überlegen sei. (VVII, 2.)
E. Weber beschreibt das Ozobromverfahren zur Verstärkung
stark unterexponierter Röntgenplatten. (XVII, 1.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Nicht die mangelnde Vereinigung von Sperma und Ovalum wird so
häufig die Grundursache der Sterilität des Weibes bilden, wie W. Bokel-
mann auseinandersetzt, sondern vielmehr das Unvermögen des Endo-
metriums, das befruchtete Ei festzuhalten und ihm eine weitere normale
Entwicklung zu gestatten. Bei der weiblichen Unfruchtbarkeit ist der
Zustand der Uterusschleimhaut von viel größerer Bedeutung, als im
allgemeinen angenommen wird. Es gibt eine Eindometritis, die trotz
jahrelangen Bestehens weder irgendwelche Beschwerden zu machen braucht,
noch auch diagnostisch festgestellt werden kann. Das einzige von ihr
ausgehende Symptom ist eben die Sterilität, gelegentlich die wiederholte
Fehlgeburt, und wenn man, von diesen Anzeichen geleitet, die Schleim-
haut durch Ausschabung entfernt, so wird man an ihr den anatomischen
Nachweis der Endometritis führen können. Dann kann man auch eine
Heilung der Unfruchtbarkeit durch die entsprechende Behandlung der
Schleimhaut erzielen. |
Der heutige „Flitterwochenabort“ kommt nach dem Verfasser in
folgender Weise zustande: Unter der Einwirkung andauernder und wieder-
holter, immer wiederkehrender erotischer Reizungen während der Ver-
lobungszeit, ohne daß die erlösende Abschwellung des Reizes durch die
Cohabitation erfolgt, bildet sich eine besonders prägnante Form endo-
metritischer Wucherung aus, und die so veränderte Schleimhaut ist
später nicht imstande, die Bebrütung des bald nach der Hochzeit be-
fruchteten Ovulums in geeigneter Weise vorzunehmen. Durch den Abort
wird die während der Brautzeit krankhaft degenerierte Schleimhaut aus-
gestoßen. Durch Nachwachsen einer gesunden werden dann der nach-
folgenden erneuten Conception günstigere Verhältnisse geschaffen. Natür-
lich braucht diese Naturheiluoug nicht immer einzutreten, sondern ge-
legentlich kann auch nach dem erfolgten Abort die Endometritis und mit
ihr die Sterilität andauern (hierbei ist übrigens nicht die Endometritis
die Folge des Aborts, sondern umgekehrt der Abort die Folge der Endo-
metritis). In diesen Fällen wird man eine Ausschabung, eventuell mit
nachfolgenden Aetzungen, vornehmen.
. Abgesehen von den ebengenannten Fällen, wo krankhafte Ver-
änderungen der Uterusschleimhaut die Entwicklung des befruchteten
Eis verhindern, und natürlich auch, abgesehen von denjenigen Fällen,
wo der Einwanderung der Spermatozoen Hindernisse im Wege stehen,
warnt der Verfasser vor jeder Polypragmasie. In der Behandlung der
weiblichen Sterilität soll man nur das wirklich Notwendige tun und alles
vermeiden, was die ohnehin häufig sehr vulnerable Psyche derartiger
Frauen weiter zu schädigen imstande sein könnte. (Berl. kl. Woch. 1912
Nr. 87.) F. Bruck.
Die chronische Dakryocystitis ist, wie Rhese betont, sehr häufig
auf eine Siebbeinerkrankung, und zwar auf eine Ethmoiditis anterior.
zurückzuführen. Durch die Siebbeinoperation pflegen auch hartnäckige,
mit Fistelbildung einhergehende Fälle zu heilen. (Da die Zellen des
vorderen Siebbeins und der Tränensack nur durch ein zartes, feines
Knochenplättchen voneinander getrennt sind, so können entzündliche
Vorgänge des Siebbeins leicht die Tränenwege in Mitleidenschaft ziehen,
unter anderm auch durch ein unmittelbares Uebergreifen auf die Wan-
dungen des Tränensacks selbst. Bei dem Drucke, den die gequollene
Siebbeinschleimhaut auszuüben vermag, werden sich Stauungs- und
Druckerscheinungen beträchtlich geltend machen müssen, der be-
stehende Druck begünstigt eventuell die Einschmelzung der trennenden
Zwischenwand.)
Der Epiphora, dem Augentränen, liegt am häufigsten eine Ste-
nose des Ductus nasolacrymalis zugrunde, und zwar fand der Ver-
fasser die Stenose stets oberhalb der unteren Muschel. Die Ursachen
sind häufig rein mechanische. (Deviationen des Septums, Leisten und
Dorne, die das vordere Ende der mittleren Muschel nach lateralwärts
drücken; dadurch kommt es zu Verlagerungen, Abknickungen, Vereng®-
rungen des Ductus nasolacrymalis.)
. Aber bei einem Teil dieser Kranken ist das Auftreten und Be-
stehen der Epiphora gebunden an das Vorhandensein einer akuten
Rhinitis oder der Exacerbation einer chronischen. Man kann hiernach
schließen, daß in vielen Fällen die Stenose keine komplette ist und er-
schwerter Abfluß nicht zu Augentränen führen muß. Hier kann der
akute Entzündungsreiz in folgender Weise wirken: 1. Durch den akuten
Entzündungsreiz wird der relative Verschluß des Ductus nasolaerymalig
gesteigert und eventuell ein absoluter. 2. Die akute Entzündung kann
vom Ostium nasolacrymale aus zu den Tränenwegen kontinuierlich fort-
geleitet werden. Aber eine dritte Möglichkeit dürfte ausschlaggebender
sein. Der Verfasser fand nämlich in manchen Fällen von Augsntränen
die obere Nasenregion besonders stark durch die Entzündung ‘beteiligt,
die untere aber relativ frei. Ferner ist die Zahl derer, die bei akuten
Rhinitiden, selbst bei außergewöhnlich heftigen, an Tränenträufeln leiden,
auffallend gering. Der Verfasser glaubt daher, daß die durch die akute
13. Oktober.
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Rhinitis gesetzte Schleimhautschwellung auf reflektorischem Wege
einerseits eine Steigerung der Tränenproduktion, anderseits eine Hyper-
ämie im Ductus nasolacrymalis auslöst. Notwendig ist natürlich eine
gewisse Disposition der Nerven, sowie bestimmte anatomische Verhält-
nisse im Bau der Nase. Bei bestehender Stenose werden natürlich schon
recht geringe Nerveneinflüsse zu Augentränen führen. Die fraglichen
reflektorischen Reize können natürlich an jeder Stelle der Nase ausgelöst
werden, das Gebiet des Nervus ethmoidalis anterior — und somit die
obere Nasenregion — scheint indessen vorzugsweise in Frage zu kommen.
(D. med. Woch. 1912, Nr. 35.) F. Bruck.
James Watt (Aberdeen) berichtet über einen Fall von akuter
Formaldehydvergiftung, der der Erwähnung wert ist. Ein 63 jähriger
Bürstenbinder, Alkoholiker, der arbeitslös war und am 15. und. 16. April
viel getrunken hatte, wurde in einem Park aufgegriffen, wo er plötzlich
von Unwoblsein befallen worden war. Man legte ihn auf eine Bank, er
verfiel dabei in vollständige Bewußtlosigkeit und zeigte eine Art von
Opisthotonus. Die Umstehenden dachten an einen epileptischen Anfall,
legten ihn auf die Erdo und öffneten den Kragen. Er atmete angestrengt,
Krämpfe wurden keine beobachtet. Nach !/4 Stunde erwachte er wieder
und klagte nun über heftige Leibschmerzen. Nach kurzem Versuche, zu
gehen, brach er wieder bewußtlos zusammen. Im Spital fand man ihn
fast pulslos, blaß und kalt, mit Ausnahme des Cornealreflexes waren alle
Reflexe erloschen. Der Tod trat trotz aller Maßregeln 1/2 Stunde nach
der Spitalaufnahme ein. In seiner Tasche fand sich ein Brief, der den
Selbstmordversuch anzeigte, daneben eine Flasche mit zirka 108 ccm
Formalininhalt. Die Flasche stammte vom Sanitätsdepartement und war
der Frau vier Jahre vorher zu Desinfektionszwecken gegeben worden. Die
genaue Menge, die der Mann getrunken hatte, konnte nicht eruiert werden,
auch wurde keine Autopsie gestattet. Da Formalin ziemlich häufig zur
Verwendung kommt, ist es gut, wenn man an den ziemlich hohen Grad
der Giftigkeit denkt. (Br. med. j., 17. August 1912, S. 350.) Gisler.
Von denjenigen Giften, die akute toxische Erblindung erzeugen
können, haben, wie Erich Harnack ausführt, die sonst so heterogenen
Substanzen: Metbylalkohol, salpetrige Säure usw. und Atoxyl usw. das
eine Moment gemeinsam, daB es sich dabei um die Wirkung aktivierten
Sauerstoffs in den nervösen Elementen des Auges handelt. Die Erblin-
dung erfolgt hier durch akute entzündlich-degenerative Prozesse, von
denen jene Nervenelemente getroffen werden. Abgesehen davon, daß die
toxische Substanz in genügender Menge in die nervösen Elemente des
Auges eindringen muß, kommt noch hinzu, daß der oxydative Prozeß
im lebenden Gewebe, um auf dieses nachteilig zu wirken, eine ge-
wisse Langsamkeit haben muß; denn sonst könnte ja die normale
Verbrennung der Nährstoffe stets Gefahren zur Folge haben. Wird der
verbrennbare Körper, wie es zum Beispiel mit mäßigen Weingeistgaben
geschieht, rasch und nahezu vollständig verbrannt, so kommt es nicht zu
einer dauernden Sauerstoffaktivierung und jede weitere Wirkung bleibt
ausgeschlossen. Daher können auch zum Beispiel für die akute Holz-
geistvergiftung individuelle Verhältnisse, Ernährung, Energie des Stoff-
wechsels usw. auf die Empfänglichkeit für das Gift von Einfluß sein.
Je rascher jemand imstande ist, den Methylalkohol vollständig zu
verbrennen, um so mehr wird er gegen die Vergiftung geschützt sein.
Bei andern Giften dagegen, namentlich dem Chinin, Kokain und
wahrscheinlich auch dem Filix mas erfolgt die akute Erblindung auf einem
ganz andern Wege, nämlich durch heftigen Krampf der Netzhaut-
gefäße, der ähnlich wie die Embolie der Arteria centralis retinae zur
Blutabsperrung mit nachfolgender Atrophie der Nervenelemente
führen kann. (M. med. Woch. 1912, Nr. 36.) F. Bruck.
Heller schlägt vor, die Bezeichnung Onycholysis nur für jene
Prozesse zu gebrauchen, bei welchen es zu einer Loslösung der Nägel
vom Nagelbett und aus den Falzen kommt, ohne daß ein pathologischer
Prozeß rein mechanisch diese Lösung bedingt, während er für den Aus-
all und Abfall der Nägel aus allen möglichen Gründen, ‚wie Traumen,
intzündlichen Prozessen usw., die Bezeichnung Onychomadesis ge-
raucht. Die von Heller beobachteten Fälle von Onycholysis betrafen
stets jüngere, weibliche Personen, welche außerdem an Hyperidrosis der
{ände litten. Die Ursache der Onycholysis besteht darin, daß bei Ein-
wirkung der Kälte Stauungssymptome auftreten, welche durch den Kol-
ateralkreislauf nicht ausgeglichen werden können; besonders ist dies an
len Extremitätenenden, das heißt an den Nägeln, der Fall. Durch den
Wechsel zwischen Schwellung und Contraction der Haut, infolge der
'erösen Durchtränkung des Nagelbetts und auch der Nagelplatten kommt
S schließlich zu einer Ablösung der Nägel.
‚Daß nur die Kälteeinwirkung bei der Onycholysis eine Rolle spielt
ınd nicht etwa Chlorose, beweist ein Fall, den Heller nachträglich beob-
<hten konnte und der einen 84 jährigen, kräftigen Privatforstbeamten
straf, (Derm. Zt., Bd. 19, H. 7.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Vier Fälle von postpneumonischer Bradykardie hat Salvini
beobachtet, bei denen mit Eintritt der Krise der Puls unter deutlicher -
Arhythmie auf 45 bis 30 Schläge pro Minute sank. Es kann sich ent-
weder um eine Ermüdungserscheinung des Herzmuskels oder um den
Ausdruck leichter Myokarditis handeln, sei es infolge bakterieller Toxine,
sei es infolge der beträchtlichen Mehrarbeit, die das Herz während des
akuten Stadiums der Lungenentzündung zu leisten hat. Die Anschauung, .
daß es sich um ein Phänomen myokardialen Ursprungs handelt, kann
durch sphygmographische Untersuchung und durch das Studium der Bella-
donnawirkung erhärtet werden. (Rif. med. 1912, S. 753.)
Rob. Bing (Basel).
Daß Balantidium coli nicht immer ein harmloser Darmschmarotzer
ist, sondern schwere Fälle von Ruhr mit tötlichem Ausgange hervor-
rufen kann, beweist aufs neue Bowman (Baltimore). Er zeigt an
Hand zahlreicher vorzüglicher Mikrophotogramme, wie dieses Infusorium
die Darmwand durchwandern und in die Blutgefäße und Lymphdrüsen
gelangen kann; es ist imstande, Ulcerationen der Darmschleimhaut zu
erzeugen. Da Fälle von Rußland, Schweden, Finnland, Italien, Deutsch-
land, Afrika, China, Nord-Amerika und den Philippinen beschrieben sind,
so kann diese Dysenterie nicht als eine eigentlich tropische angesprochen
werden. (J. of Am. ass. 1911, Bd. 57, Nr. 23, S. 1814.) Dietschy.
Das „Frühaufstehen der Wöchnerin“ darf nach L. Seitz nicht
etwa in dem Sinne gedeutet werden, daß den Frauen damit erlaubt sein
soll, sich bereits in den ersten Tagen wieder im Haushalte zu betätigen
und zu arbeiten. Dagegen können gesunde Wöchnerinnen schon in
den ersten Tagen Bewegungen im Bette machen, die Körperlage
öfter wechseln, sich im Bett aufsetzen und, sofern sie Lust haben,
auf eine halbe oder eine Stunde in einem bequemen Lehbnstuhle heraus-
sitzen, Das Wesentliche bei allen diesen Maßnahmen ist die aktive
Betätigung der Muskulatur. Man sucht auf diese Weise einer Er-
schlaffung der Muskulatur durch die lange Ruhelage vorzubeugen und
zugleich auch die Rückbildung der Bauchdecken und der Genitalien zu
befördern. Wenn aber zu befürchten ist, daß die Wöchnerin nicht nur
heraussitzt, sondern mitzuarbeiten versucht, soist es besser, ihrdas Aufstehen
überhaupt zu verbieten. Damit, daß mit der absoluten Ruhelage der
Wöchnerin gebrochen wurde, hat sich die früher so häufig notwendig
werdende Anwendung des Katheters entbehrlich gemacht. In
Kliniken, wo die Frauen bereits in den ersten Tagen aufsitzen und
heraussitzen, ist fast nie mehr der Katheter notwendig, es ver-
mögen die meisten Frauen in sitzender oder stehender Stellung weit
besser ihre Blase zu entleeren als in der horizontalen Ruhelage. Es
wird damit so manche Wochenbettcystitis mit ihren unangenehmen Folgen
verhütet. (D. med. Woch. 1912, Nr. 36.) F. Bruck.
Beim Morphinismus und Cocainismus ist, wie Alexander
Zweig ausführt, die Dauerentwöhnung so schwierig wegen der
degenerativen Anlage der meisten, wenn nicht aller dieser Süchtigen,
deren Energie an und für sich schon herabgesetzt ist. Vielleicht ist
auch nach Bonhöffer die für den chronischen Morphinismus so charak-
teristische Lügenhaftigkeit in Wirklichkeit nur als das ungehemmte
` Hervortreten der degenerativen Anlage zu betrachten. Diese hat der
Morphinist mit dem primären Alkoholiker gemein, mit dem man ihn oft
verwechselt. Im Gegensatz zum Alkohol bewirkt aber das Morphium
die Abnahme der Willensimpulse und ein verringertes Bedürfnis
zu motorischer Betätigung. Dementsprechend handelt es sich bei den
kriminellen Handiungen des Morphinisten weniger um Roheitsdelikte,. wie
beim Alkoholiker, sondern eher um Eigentumsvergehen, um Betrug und
Urkundenfälschung (Rezeptur). Hinsichtlich der Excitation dem Alkohol
ähnlicher wirkt das Cocain. Die Erregung der motorischen und der
Sinnessphären führt zu den verschiedensten Halluzinationen, von denen
besonders charakteristisch sind die Hautsensationen mit dem Erkläruvgs-
wahn parasitärer Hauterkrankung sowie die sexuellen Beeinträchtigungs-
ideen. Die genaue Besichtigung der Einstichstellen erlaubt übrigens oft
schon allein die Diagnose des Cocainismus infolge ihrer bräunlich-
schwärzlichen Pigmentierung. Auch der Cocainismus entstammt einem
degenerativen Boden, und hieraus resultiert die gleiche Schwierigkeit
der Dauerheilung wie beim Morphiumabusus. So schwer aber bei beiden
Narkoticis die Erziehung zu dauernder Abstinenz ist, so leicht ist die
jedesmalige Entwöhnung. Hierzu ist nicht einmal die allmähliche
Reduzierung der Dosis nötig, sondern man kann ohne Schädigungen
sofort die Totalabstinenz durchführen, wobei allerdings vor allem die
Herztätigkeit sorgfältig beobachtet werden muß. Der Uebergang wird
zweckmäßig erleichtert, z. B. hinsichtlich der Schlaflosigkeit, durch Brom,
Veronal usw. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 35.) F. Bruck,
Ueber künstliche Befruchtung bei Epididymitis duplex äußert
sich Rohleder. Sie kann nicht einfach dadurch geschehen, daß man
einem Manne, der durch doppelseitige Epididymitis gonorrhoica azoosper-
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1682 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
| 18. Oktober.
misch geworden ist, durch Punktion des Testikels Spermatozoen ent-
- nimimt und diese dann sofort in die Uterushöhle der Frau injiziert. Denn
dabei fehlt- der für die Befruchtung wichtige saure Prostatasaft,. der
nach Fürbringer das in den starren Spermatozoen schlummernde Leben
in:.specifischer Weise auslöst und der Träger des Spermagerüchs ist.
Will. man. daher eine künstliche Befruchtung mit direkt dem Hoden ent-
nommenem Sperma versuchen, so muß man diesem frisch ausgedrückten
Prostatasaft zusetzen. (Voraussetzung: ist natürlich, daß:das Sperma
überhaupt gut ausgebildete Spermatozoen aufweist; deren Unbeweg-
lichkeit ist natürlich normal. Sind. mehr als zwei Jahre nach der
Epididymitis _verstrichen, so „Weraonwinden die a i im
Hodensekret.)
Den Prostatasaft erhält man . ändurch, daß man dem Manne vom
Mastdarın aus mittels des Felekischen Instruments die Prostata aus-
drückt. .Das auf einem trocknen Glasschälchen aufgefangene Sekret muß
gonökokkenfrei sein, Spermageruch haben, Böttehersche Sperma-
krystalle aufweisen (an diese ist der für die Bewegung der Samenfäden
` besonders wichtige Stoff im Succus prostaticus gebunden) und, dem
Hodensekret zugesetzt, imstande sein, die Spermatozoen: in lebhafte Be-
wegung zu setzen. ` |
. Weist nun aber der Hodensaft noch genügende normale und gut
ausgebildete Spermatozoen auf, ist aber der Prostatasaft unbrauch-
bar, so kann man nach Rohleder mit fremdem Suceus prostaticus
eine ‚Wiederbelebung der Spermatozoen des an doppelseitiger Epididymitis
leidenden Ehemanns vornehmen (man macht ja auch Hauttransplantationen
mit der Haut eines andern Menschen!). Dann hätten die Eltern doch
immerhin ein Kind, das beiderseitig- ihr eignes Produkt wäre, von
beiden. abstammte, denn der Succus prostaticüs spielt ja in der Ver-
erbungsfrage keine Rolle. Beide Ehegatten müssen natürlich wissen,
daß fremdes Prostatasekret benutzt werden soll. Ein solches Kind ist
also ein eheliches, trotzdem fremder Prostatasaft mitgewirkt hat. Da-
mit aber der Arzt vor allen Eventualitäten geschützt ist, muß der Ehe-
mann den Prostatasaftspender aussuchen. Auch darf dieser nur ein Un-
verheirateter sein, weil Hergabe von Prostatasaft von einem Verheirateten
von dessen Frau vielleicht als eine „Verletzung der ehelichen Pflichten“
oder als „Ehebruch“ aufgefaßt werden könnte.. (D. med. Woch. 1912,
Nr. 36.) F.-Bruck.
‘Drei Fälle von ea ek nach . Sal-
varsaninjektion bei Lues hat R. Vollert beobachtet. Allen drei Fällen
gemeinsam war die außerordentliche Herabsetzung . der Sehschärfe und
das langsame Abklingen der schweren Erscheinungen. In einem Falle
kam ès nach der Injektion auch noch zu einer Facialislähmung. Ob
Salvarsan oder Syphilis oder beides als Ursache der schweren Erkrankung
anzusehen sei, will der Verfasser nicht entscheiden. Auffallend bleibe
es jedenfalls, daß sicher vor der Salvarsanära ähnliche Befunde bei Sy-
philis nicht bekannt geworden seien, obgleich gerade die Ophthalmologen
viele Nachkrankheiten der Lues sehen und oft Schmierkuren verordnen. i
Der Verfasser will daher, daß das Salvarsan nur für die schweren Fälle | -
reserviert bleibe, wo die alten Mittel versagen. (M.. med. Woch 1912,
Nr. 36.) ! F. Bruck.
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Leipzig
berichtet C. Hartung über Digifolin, ein neues Digitalisblätter-
präparat, däs von der Gesellschaft für chemische Industrie in Basel
als wäßrige Lösung (in Ampullen) und in Tablettenform
hergestellt wird. Es enthält nach den Angaben der Fabrik die Gesamt-
glykoside der Digitalisblätter im natürlichen Mischungsverhältnis,
also die wirksamen Digitalisglykoside, es ist aber frei von allen über-
flüssigen und schädlichen Beimengungen. Die Lösung des Digifolins
ist geruchlos und farblos (also frei von Lüteolin und Chlorophyll); sie ist
ferner frei von Saponinen und Kaliumsalzen (abgesehen von minimalen,
nur durch Flammenreaktion nachweisbaren Spuren). . Die pharmako-
logische Untersuchung: des Präparats an Fröschen ergab, daß Digifolin
die volle Digitaliswirkung entfaltet, indem es auf irregulär schlagende
Herzen regularisierend wirkt, bei zweckmäßiger Dosierung die in der
Zeiteinheit geleistete Herzarbeit steigert“ und in größeren Dosen den
systolischen Herzstillstand herbeiführt. Das İn der Ampulle enthaltene
wäßrige Digifolin entspricht in der Stärke der Wirkung etwa einem
100/oigen Infus von Folia digitalis titrata (1911; Caesar und Loretz):
Demnach wirkt 1 cem Digifolinsmpulleninhalt (= 1 Digifolintablette)
etwa so stark wie 0,1 g Folia digitalis titrata.
Vor dem Digitalisinfus hat das Digifolin folgende Vorzüge: es ist
frei von allen überflüssigen und schädlichen Beimengungen, insbesondere
von den die Schleimhäute reizenden Digitsaponinen, die im Digitalisinfus
reichlich vorhanden und auch im Digipuratum noch nachweisbar sind; os
ist ferner haltbar und gegenüber dem zersetzenden Einfluß der Fermente
des :Magendarmtraktus viel weniger en als Digitalisinfus. (M. |
med. Woch. 1912, Nr. 36.). F, Bruck, |
Ist die Ausräumung des Uterus bei fleberhaftem Abort er:
forderlich, so nimmt Max Jacoby prinzipiell weder. vor .noch nach
der. Ausr&umung eine Uterusausspülung vor. Von einer solchen-hat
er keinen Nutzen gesehen. Hat man sich davon überzeugt, daß der
Uterus frei von Schwangerschaftsprodukten ist, dann kommt es einzig
darauf an, ihn in guter Contraction zu erhalten. Das erreicht man
` aber durch reichliche Gaben von Secale und andern Präparaten’ sicher
ebenso gut, wenn nicht besser, als durch eine Uterusausspülung. Man
sollte nach erfolgter Ausräumung von jedem weiteren intra-
uterinen Eingriff absehen, da durch diesen die noch im: Uterusinnern
- befindlichen Infektionskeime wieder von neuem aufgerüttelt und gar zu
löicht in den Kreislauf verschleppt werden können. Dies trifft, bo-
sonders. für die Fälle zu, wo der Inféktionsprozeß auch nach‘ ‚erfolgter
Entleerung des Uterus noch fortdauert. (D. med. Woch. 1912, Nr. 36.)
© E ‚Bruck.
Zur Kalktherapie hei Blutungen äußert sich: N. Voorhoeve,
Nicht jedes Blut kann durch Kalkzusatz zur-Gerinnüng gebracht werden;
denn das Calcium ist nur eines der ‚Gerinnungsfaktoren. - Erhöhung des
Blutkalkgehalts braucht also. nicht "unbedingt eine. erhöhte Gerinnungs-
fähigkeit des Bluts zur Folge zu haben: Aber der Blutkalkgehalt kann
. beim Menschen durch Verabreichung großer Dosen: Kalk. erhöht: werden
(Art und Kalkgehalt der Nahrung sind dabei Faktoren; denen man genau
Rechnung tragen soll). Verringerter Kalkgehalt- des Bluts ist jedoch
nicht stets die Ursache für eine’ bestehende Neigung zu Blutungen. So-
lange: wir also nicht genau unterrichtet. sind. über die Folgen der Kalk-
verabreichung auf alles, was mit der Blutgerinnung‘ zusammenhängt,
das heißt auf alle Komponenten der Blutgerinnung, kann. von einer
rationellen Kalktherapie bei ie keine ‚Rede sein. - (Berl. kl. : Woch:
1912, Nr. 36.) a : F. Bruck. _
Die ranee von Tivnen (Chicago) bei. Conjunetivitis öece-
matosa (Conjunctivitis et Keratitis phlyctaenularis); die er auf Grund von
50 Fällen ‚gewonnen hat, beweisen ihm; die tuberkulöse Natur des Leidens,
. Er hat. infolgedessen :auch recht gute Erfolge mit Kochs Baeillen-
‚ emulsion erzielt, beginnend mit ein oder einhalb Zehntausendstel Milli-
gramm. (J.;of Am ass. 1911, Bd. 57,:Nr. 24, S. 1886.) - : Dietschy. '
"Gegen ` Chlorose empfiehlt Herzen tägliche Injektionen. von Us
‚bis 1 cem (bei schweren. Fällen sogar bis 2 ccm) folgender Lösung:
Ferri eitriei ammoniati . ea 50°
Netrü aseniki Be
= Strychnini sulfar. . 2 2.2. aa 0,05
à Aq. destill. sterilis. 2 R E . 50,0.
Rit. ièi 1918, S. 950.) Bob. Bing (Base).
Neuheiten aus der ärztlichen’ Technik,
Alkoholometrisches Meßbesteck
nach Prof: Dr. Plate, Jena. `
Musterschutznummer: D.R.G.M. Nr. 469 680.
Kurze. Beschreibung: Dreiteiliges Besteck. Bar der ein-
zelnen Alkoholometer zirka 9 cm. Auf diesen drei Alkobolometern. ist
| die Gesamtskala des großen Alkoholometers angebracht.
. Anzeigen für die Verwendung: Zur Gradbestimmung alko-
holischer "Elarig kaicen in kleinen Präparatengläsern, ae usw.
ALKOHOL -MESSBESTECK, ..
ne :ZEÍSS, VENA: NR
'Anwendungsweise: ` Einfaches Eintauchen - in ` ` dio Flüssigkeit
Temperatur der zu messenden Flüssigkeit 150 C. Bei dieser Temperatur
findet die Prüfung statt. - -
Zusätze (Reinigungsweise, Ersatzteile usw): Zorbrochene
Alkoholometer werden einzeln: nachgeliefert: Wu
. Firma: Fabrikant E. Köllner, Glastechnische Werkstatt, Jena. -
ung: Carl Zeiß, ‚ Optische Werke, Jon. ©
4
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1683
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Bücherbesprechungen.
C. Garrö und H. Quincke, Lungenchirurgie. 2. Auflage. Mit 114
zum Teil farbigen Abbildungen im Text und 2 farbigen Tafeln. Jena
1912, Gustav Fischer. 250 Seiten. M 7,50.
| Als „Grundriß der Lungenchirurgie“, 120 Seiten stark, mit 30 Ab-
bildungen, ist 1903 die erste Auflage dieses Werks erschienen. Die
Darstellung ist dieselbe gedrängt-übersichtliche geblieben; der Umfang
des Werkes hat sich trotzdem mehr als verdoppelt. Die großen Fort-
„schritte, die in den letzten Jahren gerade die Lungenchirurgie machte,
finden ihre eingehende Würdigung: die verschiedenen Druckdifferenz-
‚verfahren, der künstliche Pneumothorax, die Thoracoplastik, die operative
Mobilisierung des Thorax nach Freund, Trendelenburgsche Operation
der Embolie. Sehr angenehm empfindet man die wesentliche Vermehrung
der Illustrationen. |
= Wenn die kürzlich erschienene „Technik der Thoraxchirurgie“ von
Sauerbruch und Schumacher dem Chirurgen unentbehrlich ist, so
bildet das Buch von Garr und Quincke, eine glückliche Verbindung
von Chirurgen und Internen, für jeden Arzt die denkbar beste Einführung
in ein wohl der Mehrzahl noch nicht sehr vertrautes Gebiet. Um so
angenehmer ist es darum, darauf hinweisen zu können, daß das Werk
nicht nur gut, sondern auch billig ist. A. Wettstein (St. Gallen).
Rud. Birkhäuser, Leseproben für die Nähe aus der Universitäts-
- Augenklinik Bern. Berlin 1911, Julius Springer. M. 4,80 gebunden.
Nur derjenige, der selbst sich mit der Herstellung von Leseproben
für die Nähe befaßt hat, kaun die ungeheuren Schwierigkeiten ermessen,
die sich dabei ergeben, ein passendes Optimum zwischen dem wissenschaft-
lich Gefordertem und praktisch Erreichbarem respektive praktisch Ver-
wertbarem zu finden. B. ist in der Weise vorgegangen, daß er von vor-
handenen Schriften diejenigen auswählte, bei denen die Strichbreite zur
Höhe möglichst genau im Verhältnis von 1:5 stand; so daß es möglich
wurde, bei geeigneter photographischer Verkleinerung, den ganzen Buch-
staben unter einem Winkel in fünf Minuten und die Einzelheiten unter
einem solchen von einer Minute erscheinen zu lassen. Damit wurde das
Prinzip durchgeführt, das auch ‘für die Zusammensetzung der Leseproben
für die Ferne im allgemeinen bestimmend ist. Die Proben sind auf
mattem Kunstdruckpapier gedruckt, wodurch einmal die Fehlerquellen
vermieden werden, die durch schlechten Druck der Proben entstehen
können und wodurch anderseits ein völliges Fehlen von störenden Re-
flexen gewährleistet wird. Den Proben sind weitere Auflagen dringend zu
wünschen, vielleicht sieht sich der Verfasser dann auch veranlaßt, bei den
einzelnen Proben etwas mehr Text zu geben. Priv.-Doz. Dr. Adam.
Carl Kliteneberger und Walter Carl, Die Blutmorphologie der
.Laboratoriumstiere. Mit 14 Farbendrucktafeln.. Leipzig 1912,
J, A. Barth. 109 S. M 10,—. SNE
l Der vorliegende Licbthəim gewidmete Leitfaden beschäftigt sich
mit der descriptiven und bildlichen Darstellung der Blutmorphologie von
Versuchstieren und füllt, wie ohne weiteres anerkannt werden muß, eine
wesentliche Lücke der Laboratoriumsbibliothek aus. Bearbeitet sind:
Weiße Maus, Ratte, Meerschwein, Kaninchen, Katze, Hund, Igel, Affe,
Schaf, Huhn, Taube und Frosch:
~ . Der Text bringt in gedrängter Kürze praktisch wichtige Notizen
über Blutentnahme, Hämoglobinfeststellungsergebnisse und Zählungs-
resultate von Erythrocyten und Leukocyten inklusive Differentialz&hlung,
Beschreibung des Blutbilds sowie Beschreibung von Schnitten und Ab-
strichpräparaten von Leber, Milz und Knochenmark. Auf Alter und Ge-
schlecht, Fütterungsart und -zeit ist geachtet, auch sonstige physiologi-
sche Eigenarten, Winterschlaf, Gravidität, Brut- beziehungsweise Brunst-
zeit, wurden berücksichtigt. 14 farbige Tafeln, meist nach Jennerfärbung,
illustrieren die morphologischen Daten instruktiv. Literaturangaben sind
dem Zweck und Umfang des Buches entsprechend auf ein Minimum
reduziert. | Be
l Von Einzelheiten sei bemerkt, daß der bereits aus einer früheren
Mitteilung (Zbl. f. i. Med. 1910) bekannte skeptische Standpunkt der
Autoren gegenüber dem Vorhandensein einer Verdauungsleukocytose mit
Protokollen belegt: wird, auch in Versuchen beim Affen. Die Autoren
sind geneigt, ihre Skepsis- auf: die analogen Verhältnisse beim Menschen
auszudehnen. ar |
Die Darstellung bringt bezüglich der Morphologie das wesentliche,
ohne sich zu sehr in Details zu verlieren. Manche weiteren Einzelheiten,
wie z. B. eine Notiz über die Kurloffschen Körperchen der Monocyten
beim Meerschweinchen können später ohne wesentlichen Raumverlust ein-
gefügt werden. |
Der Bemerkung tiber die Stase der morphologischen Betrachtung
des Blutes kann man sich heute nur bedingt anschließen. Gerade über -
vergleichende Morphologie enthalten die letzten Bände der Folia hae-
matologica umfangreiche und sabtil bearbeitete Aufsätze.
Das übersichtliche und handliche Buch wird aller Voraussicht nach
eine weite Verbreitung finden, die es nach Form und Inhalt vollauf ver-
dient, und der Hämatologie den Weg für die Gewinnung neuen Terrains
ebnen. Werner Schultz (Charlottenburg-Westend).
L. Hirschlaff, Ueber Ruheübungen und Ruheühbungsapparate.
Zur Psychologie und Hygiene des Denkens. Zwei Vorträge.
Berlin 1911, Julius Springe: 4i S. M 1,—. bu,
Hirschlaff versucht eine wissenschaftliche, systematische direkte
Hygiene des Geisteslebens psychologisch zu begründen und praktisch
durchzuführen. Seinen theoretisch-psychologischen Erörterungen im ein- -
zelnen nachzugehen, ist hier nicht möglich; er schließt sich im großen
und ganzen Brentano und der Grazer Psychologenschule, „der moder-
nen Psychologie“, wie er sie zu nennen pflegt, an. Er konstruiert eine
Hygiene der Ruhezustände und der Tätigkeitezustände; um sie zu er-
lernen gibt er ein System an, daß im Fernhalten aller gröberen. Sinnes-
eindrücke, Fixierung der Aufmerksamkeit auf die willkürliche Verände-
rung der Atmung, vollkommene Muskelerschlaffung (auch der Augen-
muskeln!!), Unterdrückung der Sprech- und Schluckbewegungen usw.
besteht. Bei ihrer Anwendung auf die Therapie der funktionellen Nerven- -
krankheiten bedient sich Hirschlaff besonderer, teilweise recht ver-
wickelter Apparate, so z.B. eines „Hesychiskops* und eines „Augen-
kissens“ zur Bedeckung. der Augen. Im Gegensatz zu dieser seiner
Heilmethode nimmt er an, „daß für die Ruhe des ganzen Organismus
heute wohl kaum andere Methoden allgemein zur Anwendung kommen
als der natürliche Schlaf und die medikamentöse Betäubung des Nerven-
systems“. Die Mehrheit der Nervenärzte wird allerdings etwas anderer
Meinung sein. Referent ist nicht der Meinung, daß den theoretisieren-
den Ausführungen des Verfassers ein größerer praktischer Wert zu-
kommt. l ` Seigo (Dresden).
Meyers Handlexikon des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich ver-
änderte und neubearbeitete Auflage. Annähernd 100000 Artikel und
Verweisungen auf 1520 Seiten Text mit 1220 Abbildungen auf 80 Illustra-
tionstafeln (davon 7 Farbendrucktafeln), 82 Haupt- und 40 Nebenkarten,
85 selbständigen Toxtbeilagen und 30 statistischen Uebersichten. 2 Bände,
in Halbleder gebunden, zu je 11 M. 1912. Bibliographisches Iustitut,
Leipzig und Wien. l
Jeder, der sich über irgend etwas ihm Unbekanntes oder Ent-
schwundenes orientieren oder sich mit den Errungenschaften irgendeiner
Wissenschaft vertraut machen will, sei auf dieses treffliche Nachschlage-
werk hierdurch hingewiesen. Schon bei oberflächlichem Durchblättern
ist man erstaunt darüber, wie in dem verhältnismäßig geringen Umfange
die Menge des Wissensstoffs bewältigt worden ist. Doch bei näherem
Zusehen erkennt man bald, daß das nur durch eine äußerst geschickte
Raumeinteilung ermöglicht werden konnte, die sich nicht mit Abkürzungen
begnügt, sondern durchweg den Stoff selbst planmäßig gegliedert und
abgegrenzt hat. Dabei ist denn jener Vorteil erreicht worden, der, wie
das. Vorwort bemerkt, darin besteht, daß der Nachschlagende an ein und
derselben Stelle findet, was zu abgerundeter Gesamtvorstellung der Einzel-
gegenstände desselben Gebiets gehört. Die in reichlichem Maße außer-
dem vorhandenen bunten und schwarzen Tafeln mit ihrer Fülle vortreff-
licher Abbildungen erhöhen den günstigen Eindruck des vornehm aus-
gestatteten, preiswerten Werkes.
M. Klimmer und A. Wolff-Eisner, Handbuch der Serumtherapie
und Serumdiagnostik in der Veterinär-Medizin. Leipzig 1911,
Werner Klinkhardt. 495 Seiten. M 18,—. | Ei
Unter Beihilfe von zahlreichen namhaften. Mitarbeitern haben
Klimmer und Wolff-Eisner ein schön ausgestattetes Handbuch der
Serumtherapie und Serumdiagnostik in der Veterinär-Medizin heraus-
gegeben, das in erster Linie dazu bestimmt ist, der Klinik und dem Prak-
tiker die Fortschritte der biologischen Wissenschaft auf dem angegebenen
Gebiete zu vermittela.. Das Buch behandelt in 34 Kapiteln alle Schutz-
‘und Heilimpfungen, die in der Veterinärmedizin angewendet werden, wie
auch die wichtigsten Abschnitte der Serodiagnostik.
. Ueber ein so ausgedehntes Gebiet im speziellen zu urteilen, dürften
nur wenige berufen sein. Jedenfalls bietet das Handbuch eine Fülle von
‘objektiv dargestelltem Material in sehr schön geordneter Form. Man
gewinnt einen Ueberblick über das ganze Gebiet, wie es kaum an anderer
Stelle zu finden sein dürfte. Auch viel historisch interessantes ist ein-
geschoben, so z. B. in der Tuberkulosefrage. Sehr wertvoll ist die An-
gabe über die Herstellung der verschiedenen Immunsera und die Art ihrer
Anwendung. Durch Einbeziehung der- Statistik kann man sich über die
Erfolge solcher Behandlungen einen guten Ueberblick verschaffen.
H. Pringsheim (Berlin).
1684
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
- Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Münster.
Sektion für Kinderheilkunde.
Originalbericht von Prof. Dr. Arthur Keller, Berlin.
(Fortsetzung aus Nr. 40.)
Heß (New York): Der Gebrauch eines einfachen Duodenal-
katheters in der Klinik und im Experiment. Der Vortragende de-
monstriert seinen Apparat, den er innerhalb der letzten zwei Jahre er-
probt und ständig vervollkommnet hat. An der Hand von Röntgeno-
grammen demonstriert: er die Anwendungsweise des Katheters, welche in
jedem einzelnen Fall ohne Schwierigkeit möglich ist. Für die Therapie
verschiedener Magendarmerkrankungen (insbesondere Pylorusstenose), so-
wie für die Ausführung wissenschaftlicher Untersuchungen über die
Magendarmfunktionen eröffnet die neue Methodik mannigfache Perspektiven.
Diskussion. Langstein (Berlin) und Finkelstein (Berlin)
bestätigen den praktischen und wissenschaftlichen Wert der neuen
Methode. Selter (Solingen) erinnert an die Versuche von Scheltema
_ (Groningen), welcher vor einigen Jahren gleichfalls in erfolgreicher Weise
den Dünndarmkatheterismus ausgeführt bat. Doch ließ dieser das
Katheterende im Magen liegen, das nunmehr von der Peristaltik in das
Duodenum vorgeschoben wurde. In einzelnen Fällen wurde das Katheter
per anum entleert. Czerny (Straßburg) berichtet über seine eigenen
Erfahrungen mit der Scheltemaschen Methode, die sich ihm als leicht
durchführbar erwiesen hat. Heß betont im Schlußwort, daß es sich bei
seiner Methode im Gegensatze zu der von Scheltema um eine aktive
Einführung der Sonde in das Duodenum handle.
F. Lust (Heidelberg): Fanktionsprüfungen des Magendarmkanals
ernährungsgestörter Säuglinge. In Gestalt des Hühnereiweißes be-
sitzen wir ein äußerst feines Reagens zur Beurteilung der Funktions-
tüchtigkeit der Darmwandung als Barriere gegenüber artfremdem Eiweiß.
Nach den Untersuchungen des Vortragenden an zirka 100 Säuglingen ist
der gesunde Darm gegenüber einer relativ großen Menge von Hühner-
eiweiß vollkommen resistent. Mit dem Eintritt einer Ernährungsstörung
ändert sich das insofern, als nunmehr genuines Hühnereiweiß die Darm-
wandung passiert und mit Hilfe biologischer Methoden im Urin nach-
weisbar wird. Andere artfremde Eiweißkörper eignen sich zur Vornahme
einer derartigen Toleranzprobe weniger. l
Diskussion: Kleinschmidt (Marburg. Die Prüfung mit
Rinderserum ist nur dann angebracht, wenn Rinderserum verfüttert wurde.
Ist Kuhmilch gegeben worden, so muß auch mit Milch gepräft werden.
Köppe (Gießen) erinnert an die Versuche von Levin mit Hühnereiweiß-
fütterung an Erwachsenen: es trat im Urin der gesunden Versuchs-
personen Eiweiß nur dann auf, wenn mit dem Eiweiß gleichzeitig Koch-
salz eingeführt wurde. Lust (Schlußwort): Die Prüfung auf Kuhmilch
mit Lactoserum vorzunehmen, ist zweifellos richtig, erwies sich aber
technisch nicht durchführbar.
A. von Reuß (Wien): Zur Frage der Albuminurie der Neu-
geborenen. Gemeinsam mit M. Zarfl ausgeführte Untersuchungen an
500 Harnportionen von Brustkindern der ersten fünf Lebenswochen führten
zu folgendem Ergebnisse: Fast alle Kinder scheiden während der ersten
Lebenstage geringe Mengen von Eiweiß aus. Das Maximum der Aus-
scheidung bezüglich Häufigkeit und Intensität fällt auf den ersten bis
dritten Tag. Eiweißspuren findet man bis in die zweite Woche recht
häufig, und auch später, in der zweiten Hälfte des ersten Monats, kann
man im Harne von Brustkindern solche nicht selten nachweisen. Bei
Anstellung der Essigsäureferrocyankaliumprobe kommt fast stets die ge-
samte im Harne vorhandene Eiweißmenge durch die Essigsäure zur
Fällung, was auf die Anwesenheit von relativ reichlichen Mengen von
eiweißfällenden Substanzen (Mörner) zurückzuführen sein dürfte. Letztere
sind in der Regel in überschäüssiger Menge vorhanden.
Die Art der Eiweißausscheidung, die mit der orthotischen Albu-
nurie gewisse Aehnlichkeiten aufweist (H. Pollitzer), sowie die zeit-
lichen Verhältnisse der Ausscheidung lassen die Annahme berechtigt er-
scheinen, daß die Ursache der Albuminurie der Neugeborenen in Circu-
lationsstörungen gelegen ist, und zwar insbesondere in den beim Geburts-
vorgang eintretenden Stauungserscheinungen. Andere Faktoren, wie In-
fektion, Toxinwirkung, Harnsäureinfarkt und besonders der in den ersten
Lebenstagen eintretende Wasserverlust und die daraus resultierende
mangelhafte Durchblutung und Durchspülung der Nieren können die
Dauer und Intensität der Eiweißausscheidung beeinflussen, sind aber nicht
als ihre primären Ursachen aufzufassen.
Rohmer (Köln am Rhein): Ueber Magenerweiterung bei Py-
lorusstenose. Während Magenerweiterung im Beginne der Pylorus-
stenose des Säuglings, so lange alle Nahrung erbrochen wird, nicht vor-
zukommen scheint, dürfte sie in den späteren Stadien nicht so selten
sein, trotzdem nur spärliche Mitteilungen hierüber vorliegen. Zwei eigene
derartige Beobachtungen, von denen der eine Fall zur Sektion kam, ge-
statten die Annahme, daß die mit dem Nachlassen des Erbrechens ein-
hergehende Stagnation und Zersetzung der eingeführten Nahrung für die
Ausbildung der Dilatation ursächlich in Betracht kommt. Therapeutisch
sind hier Magenspülungen von vorzüglicher Wirkung. In dem Falle,
welcher zur Heilung kam, bildete sich der Magen wieder zu normalem
Umfange zurück; seine motorische Funktion erwies sich schon vorher
wieder als normal.
H. Risel (Leipzig): Verbreitung der Sommer-Säuglingssterblich-
keit in Deutschland. Aus den Sterblichkeitsaufstellungen der Veröfent-
lichungen des Kaiserlichen Gesundbeitsamts wird für 343 deutsche Orte
mit mehr als 15000 Einwohnern und 57 Städten des Auslandes die Zahl
der pro Monat verstorbenen Säuglinge ausgezogen und die Sommer-
sterblichkeit so berechnet, daß sie für Deutschland der Quotient ist
zwischen den Sterblichkeitszahlen des Monats Mai und des August. Dar-
nach haben unter diesen deutschen Orten während der heißen Jahre 1904
und 1911 nur 16.4°/ keine oder nur eine geringe Spätsommersterblich-
keit, in 56,1 °/o beträgt sie das Zwei- bis Vierfache und in 27,4°/, geht
sie über das Vierfache des Mai hinaus. Im hohen Gegensatze hierzu sind
die entsprechenden Zahlen des Auslandes 66,5, 31,6 und 1,8°%/,. In
Deutschland tritt die Sommersterblichkeit am stärksten auf in Mittel-
deutschland westlich der Elbe bis zur Westgrenze, besonders im Rhein-
land und Westfalen, im Ausland in Nordfrankreich, Belgien, Holland
und England. Im ganzen übrigen Europa ist sie nur wenig zu beob-
achten, während bei uns nur Bayern und Schlesien von ihr in größeren
Teilen verschont bleiben. Zwischen der allgemeinen Jahres-Säuglings-
sterblichkeit und der des Sommers besteht daher bei uns ein gegensätz-
liches Verhalten.
Von der Größe der Stadt ist die erhöhte Sterblichkeit des August
nicht absolut abhängig; auch bei dem Versuche, die verschiedene Höhe
der Sterblichkeit mit dem Klima in Beziehung zu bringen, ergeben sich
Schwierigkeiten. Enger scheinen die Beziehungen zur Bevölkerungsdichte
und zum Kulturzustande zu sein. der die breiten Massen am meisten von
einer naturgemäßen Lebensweise entfernt. |
Erich Aschenheim (Heidelberg): Eosinophilte und exsudative
Diathese. Die Eosinophilie findet sich beim floriden Ekzem häufiger
als bei andern Manifestationen der exsudativen Diathese. Die Eosinophilie
verschwindet mit dem Abklingen der Hauterscheinungen. Da aber von
einem gleichwertigen Symptom der exsudativen Diathese die Annahme
berechtigt erscheint, daß es 1. bei den verschiedenen Manifestationen
dieser Konstitutionsanomalie ungefähr gleich häufig anzutreffen ist, 2. daß
es bei Verschwinden eines Symptoms dieser Konstitutionsanomalie nicht
auch verschwindet, ist 8. die Eosinophilie nicht als gleich-
wertiges Symptom der exsudativen Diathese zu betrachten.
Dagegen spricht auch, daß es nicht gelungen ist, ein familiäres Auftreten
der Eosinophilie in solchen Fällen nachzuweisen, in denen mehrere, Fälle
von exsudativer Diathese vorgekommen sind. Es gibt gesunde Menschen
mit Eosinophilie, bei denen niemals Manifestationen der exsudativen
Diathese beobachtet worden sind.
C. von Pirquet (Wien): Die Boxstation der neuen Wiener
Kinderklinik. Die Isolierstation der neuen Wiener Kinderklinik (Box-
station) besteht im wesentlichen aus zwei Reihen von je sechs einbettigen
Glaskammern, die außen durch Korridore verbunden sind, auf welchen
der Verkehr der Aerzte und Pflegerinnen mit den Kranken erfolgt.
Zwischen beiden Reihen befindet sich ein neutraler Mittelgang, der von
den infektidsen Räumen durch komplette Glaswand abgeschlossen ist un
daher von den Verwandten und Studenten betreten werden kann.
Diese Isolierstation hat sich sehr gut für folgende Gruppen v0?
Kranken bewährt: 1. Zur Aufnahme und Beobachtung unklarer Initial-
stadien, sowie anderer infektionsverdächtiger Kinder; 2. zur Transferie-
rung von infektionsverdächtigen Kindern des Spitals selbst; 3. zur Auf-
nahme von Doppelinfektionen; 4. zur Aufnahme oder Transferierung VON
solchen einfachen Infektionskrankheiten, für die eine größere Abteilung
nicht zur Verfügung steht (sporadische Fälle).
Die Isolierung auf der Boxstation schließt Hausinfektionen nicht
vollständig aus; es sind in einem Zeitraume von zehn Monaten elf Baus-
infektionen vorgekommen, und zwar je viermal Varicellen und Masern,
dreimal Scharlach. Die Infektionen erfolgten vermutlich durch Ueber-
tragung durch Wartepersonal von Kranken der benachbarten Räume aus.
Trotz mannigfaltiger sukzessiver Belegung der einzelnen Räume mit vor-
schiedenen Erkrankungen sind Infektionen durch den Raum selbst nicht
vorgekommen. Die diesbezüglichen Desinfektionsvorschriften sind also
genügend. Derartige Isolierstationen sind für endemische Krankheiten
sehr gut verwendbar, für gemeingefährliche Krankheiten (Cholera, Blattern)
nicht zu empfehlen.
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
1685
Diskussion: Schloßmann (Düsseldorf) ist auf Grund sorg-
fältiger Beobachtungen zu dem Resultat gekommen, daß in einem Kranken-
saal ohne Gefahr die verschiedensten Infektionen nebeneinander liegen
können, wenn nur zuverlässiges Personal, ein guter Arzt und die nötige
Reinlichkeit vorhanden sind. Er verweist auf die ausführliche Publika-
tion seiner Erfahrungen in Brauers Beiträgen der Infektionskrankheiten.
Abelmann (St. Petersburg), Moro (München) und Falkenheim
(Königsberg) sprechen sich gegen den Standpunkt Schloßmanns aus
und halten ihn für die Praxis als gefährlich. Freund (Breslau) hat das
von Lesage (Paris) eingeführte System nachgeprüft, dessen Boxen aller-
dings ringsum geschlossen und von halbhohen Wänden umgeben sind.
Die Boxenabteilung wurde bisher mit 54 infektionskranken Kindern be-
legt, ohne daß eine Uebertragung vorkam. Schloßmann sagt zum
Schluß, daß bei dem neuen System gewiß nicht mehr Uebertragungen
vorkommen als bei dem bisher üblichen alten System.
Schloßmann (Düsseldorf): Was lehrt das Jahr 1911? Auf
Grund der Statistik der Säuglingssterblichkeit und Sommersterblichkeit
n den Großstädten einerseits und der speziellen Zahlen für Düsseldorf
anderseits erwägt der Vortragende, was wir aus dem abnormen Hitzejahr
[911 für Schlüsse ziehen können. Zunächst das eine, daß wir noch weit
lavon entfernt sind, mit all unsern Fürsorgeeinrichtungen, so gut sie
auch sein mögen und so erfolgreich sie im einzelnen arbeiten, die Säug-
ingssterblichkeit zu beherrschen. Die Höhe der Sommersterblichkeit
[911 hat sich im großen und ganzen unabhängig von der Intensität der
"ürsorgebestrebungen erwiesen. Interessant ist die Feststellung, daß an
ler Sommersterblichkeit insbesondere die Kinder des zweiten und dritten
jebensquartals beteiligt sind. Im übrigen bestätigt der Vortragende die
ron Risel (Leipzig) mitgeteilten Beobachtungen und führt an dem Bei-
spiele Düsseldorfs aus, welch ausschlaggebenden Einfluß auf die Sommer-
sterblichkeit die Wohnungsverhältnisse der Familien haben.
Rollier (Leysin): Die Sonnenbehandlung der Tuberkulose.
Auf Grund seiner im Laufe von neun Jahren gesammelten Erfahrungen,
lie sich auf mehr als 700 behandelte Fälle von chirurgischer Tuberkulose
rstrecken, spricht R. die Ueberzeugung aus, daß diese Krankheit in
eder Form, in jedem Stadium, sowie in jedem Alter durch die Sonnen-
ehandlung in der Höhenluft zur Ausheilung gebracht werden kann. Die
reschlossene Tuberkulose heilt immer, sobald man es versteht, sie ge-
chlossen zu halten.
Bei der chirurgischen Tuberkulose ist eine richtige Allgemein-
ehandlung ebenso wichtig wie eine richtige Lokalbehandlung. Die Be-
ingungen scheinen dem Vortragenden am besten erfüllt in der von ihm
eit dem Jahre 1903 ausgeführten methodischen Anwendung der Sonnen-
ur. Diese sowie der unaufhörliche Aufenthalt in der Höhenluft kann
n Leysin Sommer und Winter zur Anwendung kommen. Specifisch für
ts Behandlung ist das Sonnenvollbad, an welches eine langsame An-
assung stattfindet, bis die Pigmentierung der Haut eine besondere Wider-
tandskraft verleiht und die Wundheilung begünstigt. Die Schnelligkeit
nd die Intensität dieser Pigmentierung erlaubt meist einen Schluß auf
ie Heilungsdauer. Unbedingt notwendig ist, daß die gesamte Oberfläche
er Haut und ganz besonders der kranken Körperstellen soviel wie mög-
ch mit der Sonne und mit der Luft in Berührung kommt. Infolge-
essen ist die Behandlung tuberkulöser Gelenke mit nicht abnehmbaren
'erbänden mit der Heliotherapie vollkommen unvereinbar. An der Hand
iner außerordentlich großen Anzahl von Photographien und Röntgeno-
rammen demonstriert der Vortragende seine Erfolge bei den verschiede-
en Formen der Tuberkulose, und zwar der chirurgischen wie der internen.
ie Dauer der Behandlung erstreckt sich in schweren Fällen bis auf zwei
ahre und darüber.
Diskussion: Felten (Süudstrand, Föhr) berichtet über die gün-
tigen Erfolge, welche iu seiner Anstalt mit der Sonnenbehandlung ge-
acht wurden. v. Pirquet (Wien): Die Sonne wirkt nicht bloß im
:öhenklima und an der See, sondern überall wo sie scheint. Wir können
© auch in den Großstädten haben, wenn wir einen Dachgarten in zweck-
äßiger Weise benutzen. Wolff (Reiboldsgrün) zweifelt, ob es sich um
ne Lichttherapie und nicht vielmehr um eine Lufttherapie handelt, und
3zweifelt ferner den Zusammenhang zwischen Pigmentierung der Haut
ad der Besserung der Kranken.
Keiner (Straßburg): Zur Böntgendiagnostik der kindlichen
ronchialdrüsentuberkulose. Bei Kindern mit äußerer Tuberkulose
urden röntgenologische Studien über pathologische Veränderungen der
ronchialdrüsen ausgeführt. Wiederholt warden mitten im Lungen-
3webe scharf umrissene Herde von äußerster Schattentiefe angetroffen,
a denen es sich um verkalkte Pulmonaldrüsen handelte. Besonders auf-
llend aber waren die Befunde im oberen Lungenfeld, und zwar be-
'nders im Bereiche -des ersten und zweiten Intercostalraums. Dort
nden sich Schattengebilde von beträchtlicher Schatientiefe, welche zum
Bil dem Halse des Mittelschattens aufsaßen oder ihn scheinbar ver-
'eiterten, zuweilen beiderseits, zuweilen einerseits. Zuweilen . konnte
man in den centralen Partien aufgehellte Stellen wahrnehmen, daneben
wieder kleinere Herde von intensiver Schattentiefe. Bei der Sektion
zeigte sich, daß Konvolute von verkästen, zum Teil verkalkten para-
trachealen beziehungsweise bronchotrachealen Lymphdrüsen vorlagen.
St. Engel (Düsseldorf): Die Topographie des Bronchialbaums.
Mit verschiedenen Methoden wurde die Topographie des Bronchialbaums
und der dazu gehörigen Lymphknoten studiert. Vor allem wurde die
Lage der fraglichen Gebilde im Röntgenbilde fixiert; dabei ergab sich,
daß mit Ausnahme der am rechten Hilus gelegenen Lymphknoten keine
andern Aussicht haben, im Röntgenbilde sichtbar zu werden, falls sie
nicht ungewöhnlich stark vergrößert sind. Ferner konnte gezeigt werden,
daß bei genauer Kenntnis der Topographie des Bronchialbaums und der
Lungenpforten auch solche Drüsen der Diagnostik zugängig gemacht
werden können, deren Schatten durch Form und Größe keine sichere
Identifizierung erlauben.
Lehmann (Düsseldorf): Zur Diagnose der Tuberkulose. Vor-
tragender hat die Frage der Bacillämie bei Tuberkulose geprüft. Es
wurde einer Reihe von Meerschweinchen 1 bis 2 cem Blut intraperitcneal
verimpft von Kindern, die auf Tuberkulin reagierten und ganz wahllos
ausgesucht waren. Von 29 Versuchen waren nur zwei positiv, Die
Untersuchungen an einem weit größeren Material stehen noch aus.
H. Schelble (Bremen): Zur Pathologie der Kindertuberkulose.
In fast allen Fällen von aktiver Kindertuberkulose läßt sich nachweisen,
daß in der näheren Umgebung des Kindes sich ein Phthisiker aufgehalten
hat. Die Kinder akquirieren die Infektion, an der sie klinisch nachweis-
bar erkranken, fast stets vor ihrem fünften Lebensjahre. Auf welchem
Wege die Tuberkelbacillen an die Stelle im Organismus gelangen, an
der sie den Primäraffekt setzen, ferner auf welchem Wege von dort aus
die Weiterverbreitung erfolgt, läßt sich noch nicht bestimmt sagen.
Säurefeste Stäbchen sind zwar schon im Blutstrome von über 100 teils
tuberkulösen, teils tuberkaloseverdächtigen Kindern, sogar bei Kindern,
die auf Tuberkulose nicht reagierten, nachgewiesen worden. Die Meinung
jedoch, daß diese Bakterien in jedem Falle virulente Tuberkelbacillen
gewesen sind, muß bis heute noch stark angezweifelt werden. Schelbles
darauf gerichteten Tierversuche mit 29 Meerschweinchen sind sämtlich
negativ ausgefallen. Es mag wahrscheinlich sein, ist aber noch nicht
bewiesen, daß die Kindertuberkulose ihrem Wesen nach eine Bacillämie ist.
G. Bessau (Breslau): Experimentell - klinische Tuaberkulin-
studiens Der Vortragende hat mit der Intracutanmethodik Tuberkulin-
und Serumtberempfindlichkeit miteinander verglichen. Ein wesentlicher
Unterschied besteht darin, daß bei der Tuberkulinreaktion das Maximum
der Entzündungserscheinungen stets im Centrum liegt, während man bei
den Serumreaktionen zuweilen die stärksten Entzündungserscheinungen
an der Peripherie beobachtet. Es scheint sich um eine differente Genese
der Ueberempfindlichkeit zu handeln. B. hält die Antikörperhypothese
der Tuberkulinüberempfindlichkeit für nicht bewiesen und glaubt, daß die
letztere an die tuberkulöse Entzündung geknüpft ist. Bei täglicher intra-
cutaner Einführung kleiner Tuberkulindosen ändert sich nach anfänglichen
Schwankungen die Tuberkulinüberempfindlichkeit selbst bei monatelanger
Fortsetzung des Versuchs nicht mehr wesentlich. Bei Einverleibung
plötzlich ansteigender Tuberkulindosen tritt nach Injektionen, die allge-
meine Erscheinungen auslösen, eine plötzliche Herabsetzung der Tuber-
kulinempfindlichkeit ein. Diese Unempfindlichkeit ist unspecifisch und
der Zustand wird daher als Antianaphylaxie gedeutet. Wenn die durch
Tuberkulinbehandlung erzeugte Herabsetzung der Tuberkulinempfindlichkeit
kein Immunitätszustand sondern Antianaphylaxie ist, so erhebt sich die Frage,
welche Bedeutung die Antianaphylaxie für die tuberkulöse Infektion hat.
Diskussion: von Pirquet (Wien) betont die Wichtigkeit der
Bessauschen Untersuchungen, durch dessen Auffassung von der Anti-
anaphylaxie eine Reihe bisher unverständlicher Erscheinungen der Tuber-
kulindiagnostik und Therapie erklärt wird. Bauer (Düsseldorf) hat Tuber-
kulinunempfindlichkeit bei tuberkulinisierten Patienten gesehen, die eine
Dauer von einem Jahre hatte. Das würde dagegen sprechen, daß es sich
um eine unspecifische Antianaphylaxie handelt.
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte zu Köln
(Offizieller Sitzungsbericht.)
XXIX. Sitzung vom 21. April 1912. l
(Schluß aus Nr. 34)
Moses sieht in der Chloräthylnarkose bei Tonsillotomien keine beson-
deren Vorzüge vor dem Bromäther, da auch bei ersterer unangenehme Exci-
tationserscheinungen nicht immer fehlen und die Gefahren bei Bromäther-
narkose, zumal bei Anwendung der Tropfmethode, die des Chloräthyls nicht
überwiegen dürften. Der Auffassung, daß man bei Tonsillotomien und Para-
centesen der Narkose immer entraten könnte, möchte M. nicht beipflichten,
besonders bei Kindern, da gerade die Paracentese unter Umständen zu
den schmerzhaftesten Operationen gehört.
1686
bu nn sn nn nn BT en nnnan nn En nn nn nn mens se men un an
Bernd (Coblenz) erinnert an die von Herrenknecht (Freiburg)
angegebene, erprobte und zweckmäßige Maske, die von Fischer in Frei-
burg i. Br. geliefert wird und aus einem mit Gaze überzogenen Draht-
gestelle besteht, über das eine Gummikappe gespannt ist, in deren Mitte
sich ein Loch befindet, durch das das Chloräthyl gespritzt wird. Herren-
knecht verwendet das Narkosenchloräthyl von Dr. Q. Robisch, München;
Thorwaldsenstraße, in graduierten Spritzflaschen, an denen eine Ablesung
der gebrauchten chloräthylmenge möglich ist. Auch empfehlenswert
sind die kleinen Ampullen, die nur Chloräthyl für eine Narkose (2,0 bis
5,0 ccm) enthalten.
| Falk (Schlußwort): Die Einwände gelten in erster Linie der
Allgemeinnarkose überhaupt, da sie im Verhältnis zu den angegebenen
Eingriffen zu gefährlich sei; es genüge eventuell Lokalanästhesie (Rup-
recht usw.) Diesen prinzipiellen Gegnern jeder Allgemeinnarkose
versagt natürlich jede Empfehlung; im übrigen sind die meisten Kollegen
aber zu irgendeiner Narkose gezwungen, da das Publikum Schmerz-
losigkeit verlangt und zu dem Arzt geht, der ihm in dieser Hinsicht
entgegenkommt. Und meines Erachtens ist zurzeit die beste Allgemein-
narkose und ungefährlichste die mittels Aethylchlorid.
Preysing: 1. Bericht über vier weitere Fälle von Total-
_ exstirpation des Kehlkopfs bei Careinom. Zu den früher Ihnen vor-
gestellten und berichteten Fällen von Larynxexstirpationen (vgl. Zt. f.
Lar. 1912) habe ich Ihnen heute über vier weitere Fälle von derartigen
Erkrankungen zu berichten, welche ich im letzten Vierteljahr operiert
habe. Zwei davon kann ich Ihnen lebend vorstellen: 1. diesen 65 jährigen
Mann, welcher vor fünf Wochen operiert ist und vor drei Wochen die
Plastik gemacht bekommen hat; 2. diesen 50jährigen Mann, welcher
ebenfalls vor fünf Wochen operiert wurde und vor drei Wochen plastisch
geschlossen worden ist. Beide Patienten befinden sich dauernd aufer
Bett; sie haben schon in der ersten Woche nach der Operation das Bett
zeitweilig verlassen können. Bei beiden Patienten lagen die oft geschil-
derten, dem Larynx aufsitzenden Hypopharynxcarcinome vor, das ganze
Kehlkopfgerüst einnehmend, und zwischen Thyreoidknorpel und Ary-
knorpel der einen Seite unter die Mucosa der einen Kehlkopfhälfte
hineingewuchert, beide fast hühnereigroß.
Zwei andere in dieser Zeit total exstirpierte Fälle kann ich Ihnen
leider nicht zeigen; sie sind an der Erkrankung zugrunde gegangen, und
zwar der eine am zweiten Tage nach der Operation (55 Jahre alt), der
zweite (47 Jahre alt) ein Vierteljahr nach der Operation.
In beiden Fällen handelte es sich ebenfalls um die typischen, in |
einem Hypopharynxwinkel sitzenden und in den Kehikopf hinein-
gewucherten Carcinome. Bei dem ersten bestand aber außerdem schon
ein faustgroßes metastasisches Drüsenpaket auf der rechten Halsseite,
vom Unterkieferwinkel bis zum Schlüsselbeine reichend. Im zweiten
Falle hatte das Carcinom ebenfalls auf der einen Halsseite einen großen
metastasischen Lymphdrüsentumor gemacht, hatte außerdem die ganze
Epiglottis und den Zungengrund zerstört, sodaß der größte Teil der
Zunge mitreseziert werden mußte, In beiden Fällen mußte die Carotis
und die Vena jugularis auf der einen Seite mitreseziert werden. Hier-
aus geht hervor, daß es sich um zwei sehr eingreifende und ausgedehnte
Operationen bandelt. Der ältere der beiden Patienten ist auch an den
Folgen der Operation am zweiten Tag infolge Herzschwäche zugrunde
gegangen, während der zweite die Operation ausgezeichnet überstand,
sehr bald das Bett verlassen konnte und ein Vierteljahr sich sehr wohl
befand. Vor vierzehn Tagen trat aus der arrodierten Anonyma der
rechten Seite eine tödliche Blutung ein; es befand sich hier nach dem
Mediastinum reichend ein Rezidiv, außerdem war die Lunge von Meta-
-stasen durchsetzt. Wie frühzeitig wir bei dieser Art der Carcinome auf
Metastasen rechnen müssen, das mögen Ihnen einige Präparate zeigen,
die ich Ihnen hier vorführe.
Ich muß bei dieser Gelegenheit immer wieder auf den schwer-
wiegenden Unterschied hinweisen, welcher zwischen den relativ gut-
artigeren, endolaryngealen und den weitaus bösartigeren ekto-
laryngealen Carcinomen besteht. Alle vier vorgeführten Fälle gehören
zu der Kategorie der exquisit bösartigen ausgedehnten Pharynxcarcinome;
bei zweien davon bestanden außerdem Metastasen, deren Beseitigung die
Operation bedeutend komplizierten. Bei den Fällen der letzten Art ist,
wie Sie aus den heutigen und früheren Demonstrationen entnehmen
wollen, wohl kaum jemals ein Dauererfolg zu erwarten. Es muß noch
vielmehr als es bisher geschehen ist, in Publikationen und statistischen Mit-
teilungen auf den erwähnten prognostisch schweren Unterschied zwischen den
dem Larynx angehörigen Carcinomen hingewiesen werden. Ich erinnere
Sie an eine der letzten Veröffentlichungen von Hinsberg (Zt. f. Ohr,
Bd. 64), in welcher acht Fälle von auffallend gutartig verlaufenen, mit
Larynxfissur behandelten Carcinomen berichtet werden, Sie wollen wohl
beachten, daß diese Fälle isolierter Carcinome des Larynx innere waren
und mit den vier heute Ihnen dargestellten Fällen gar nicht zu ver-
gleichen sind, Auch die letzte Glucksche Veröffentlichung (Handbuch
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober,
der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege) läßt über
den Unterschied der Qualität der operierten Carcinome leider zum Teil
im unklaren.
Daß die schweren Fälle, mit welchen ich ausschließlich bei meinen
Totalexstirpationen zu tun hatte, prognostisch sehr ungünstige Fälle dar-
. stellen, zeigen Ihnen die hier aufgestellten Präparate. Es muß also da-
von abhängen, diese Art der Carcinome viel frühzeitiger zu erkennen
und zu operieren, als es bisher geschieht. Ich hebe dabei hervor, daß
der eine der heute mitgeteilten Fälle der Anamnese nach schon zirka
` acht Jahre - seine metastasischen Halsdrüsen besaß, ohne daß bei dem
Manne bis vor etwa acht Tagen etwas anderes als eine chronische Pha-
ryngitis diagnostiziert und behandelt war. In einem andern der mit-
geteilten Fälle besteht das Carcinom sicher schon seit vier Jahren. Es
muß zugegeben werden, daß sich dem frühen Erkennen dieser Krankheit
große Schwierigkeiten entgegenstellen: Selbst die Oesophagoskopie kann
hier schwer täuschen, da, wie Sie an :diesem Bilde sehen, das primäre
Careinom infiltrierend in der einen Seite des Hypopharynx und des Oeso-
phagusanfangs sitzt und ein eingeführtes Rohr, wie ich es mehrmals
konstatieren konnte, fast immer die Tendenz hat, auf der gesunden Seite
des Pharynx und des Oesophagus herabzugleiten, sodaß gerade aus-
gedehntere Prozesse trotz dieser direkten Untersuchung leicht verborgen
bleiben können. Wie leicht hier. Irrtümer in Zukunft mehr zu vermeiden
sind, das müssen weitere Untersuchungen zeigen. Die mitgeteilten aus-
gedehnten Carcinome legen einem gewiß die Frage nahe, ob wir über-
haupt bei solcher Ausdehnung noch operieren sollen. Ich habe zwar
unter neun Totalexstirpierten vorläufig zwei Heilungen bis zu drei Jahren
und zwei noch lebende von kurzer Beobachtungsdauer, aber ich nehme
an, daß wir auch in den beiden heute gezeigten Fallen auf Rezidive ge-
faßt sein müssen, da z. B. einer der früher mitgeteilten Fälle jetzt noch
im dritten Jahr eine große metastasische Lympdrüse entwickelt hat.
Trotzdem glaube ich, daß uns meistens aus verschiedenen Erwägungen
heraus doch nichts anderes übrig bleibt als zu operieren, da die Fälle
meistens in einem Zustande kommen, in welchem doch auf alle Fälle
etwas geschehen muß, daß sie entweder nicht mehr schlucken oder nicht
mehr atmen können. Und wenn daun schon eine Tracheotomie oder
Pharyngotomie gemacht werden muß, so läßt es sich wohl verantworten,
wenn man den Schritt weiter zur Totalexstirpation tut, da gewisse
Chancen einer Ausheilung doch nicht ausgeschlossen sind. (Genauere
Mitteilungen erfolgen in der Zt. f. Lar.) | |
2. Zur Technik der Hypophysenoperationen. Ich möchte Ihnen
weiter über den Versuch einer operativen Beherrschung des Hypophysen-
gebiets berichten, welcher zwar im vorliegenden Falle zu keinem Erfolge
geführt hat, welcher aber während der ganzen Operation erkennen ließ,
daß der beschrittene Weg wahrscheinlich zu den bequemsten und gefahr-
losesten gehört, Hypophysentumoren zu exstirpieren oder zu erweichen.
Der zwölfjährige Patient, an welchem die Operation vorgenommen
wurde, bot schwere Symptome eines intrakraniellen Leidens (Erblindung,
schwerer Schwindel usw.). Auf dem Röntgenbilde zeigte sich eine deut-
liche Ausdehnung des Türkensattels. Da gleichzeitig Andeutungen von
Akromegalie bestanden, mußte an die Möglichkeit eines Hypophysen-
tumors gedacht werden. Die zweite Möglichkeit war nach den vorhan-
denen Symptomen, auf welche ich hier nicht näher eingehen will, da uns
ausschließlich die Technik beschäftigen soll, ein Kleinhirntumor. Ein ge-
wisser Grad von Hydrocephalus war sicher vorhanden. Eine achttägige
Beobachtung auf der Station des Herrn Geheimrat Moritz führte zu
keiner absolut sicheren Diagnose, sondern ließ die Möglichkeit eines
Hypophysentumors und eines Kleinbirntumors offen. Tatsächlich zeigte
der spätere Obduktionsbefund, daß es sich um einen das ganze rechte
Kleinhirn einnehmenden, gliomatösen Tumor handelte. Bei der Unsicher-
heit der Diagnose und dem hofinungslosen Zustande des Patienten hielten
wir den Versuch, einen etwa vorhandenen Hypophysentumor anzugreifen,
für berechtigt, und ich entschied mich dann den Weg einzuschlagen,
welchen meines Wissens zum ersten Male Kuhn in seiner Monographie:
„Die perorale Intubation“ empfiehlt, welcher aber am Lebenden
noch nicht eingeschlagen zu sein scheint. K. empfiehlt unter Anwen-
dung seiner Intubation, durch einen Querschnitt den weichen Gaumen
vom harten abzulösen, dann beiderseits mit einem Meißelschlag® ‚die
Proc. pterygoidei zu durchtrennen und berechnet dann, dab man sich,
wenn der abgelöste weiche Gaumen tief in den Hypopharynx herab-
gedrückt wird, in einer Nähe zur Keilbeinhöhle und damit auch zur
Hypophyse befinden müsse, welche auf andern empfohlenen Wegen nicht
zu erreichen ist. Ich muß diese Andeutung K.s durchaus bestätigen,
habe nur nach den Erfahrungen bei der vorgenommenen Operation aus-
zusetzen, daß die bloße Ablösung des weichen Gaumens nicht genügt,
Ich mußte im vorliegenden Fall, um bequem zur Keilbeinhöhle zu 8%
langen, auch die hintere Hälfte der harten Gaumenplatte, einen Teil der
Nasenscheidenwand, den Vomer und die hinteren Enden der Muschėln
resezieren, Dann lag allerdings das Gebiet der Keilbeinhöhlen bei zurtick-
| 13. Oktober.
gebeugtem Kopfe so bequem, so nahe, und für Lampenbeleuchtung so
schön übersichtlich da, daß ich die hintere Wand der Keilbeinhöhlen und
damit den Grund des Türkensattels mit den kurzen, allgemein gebräuch-
lichen Ohrmeißeln abtragen konnte, ein Zeichen, wie nahe wir auf dem
eingeschlagenen Wege zu dieser sonst so versteckt sitzenden Gegend
kommen können. Ich würde in Zukunft empfehlen, statt der K.schen
Ablösung die ganze Gaumenplatte und den weichen Gaumen temporär
zu resezieren, etwa wie es C. Hofmann zur Freilegung des Nasen-
rachenraums im Zbl. f. Chir. 1910, Nr. 24, empfohlen hat. Nachdem die
Hinterwand der Keilbeinhöhle und der Boden des Türkensattels, welcher
dilatiert war, reseziert waren, fand sich statt der erwarteten vergrößerten
Hypophyse ein ganz atrophischer, durch einen Hydrocephalus des Infun-
dibulums plattgedrückter Hypophysenrest vor, dieser wurde reseziert, die
dahinterliegende vermeintliche Cyste punktiert; sie erwies sich als das
bedeutend erweiterte Infundibulum, aus welchem mit einem kräftigen
Strahle reichlich. klare Cerebrospinalflüssigkeit abfloß. Es wurde darauf
abtamponiert und die Operation abgebrochen. Der Patient hat die Ope-
ration bei seinem sehr schweren Zustande nur zwölf Stunden überstan-
den. Es fand sich bei der Obduktion, wie erwähnt, ein großer inoperabler
Tumor der rechten Kleinhirnhälfte, an welchem der Patient voraussicht-
lich innerhalb kurzer Zeit zugrunde gegangen wäre.
auf die Operationstechnik interessiert, ist nun die Tatsache, welche ich
Ihnen an einer Photographie der Schädelbasis vorführen kann, daß nach
Abtragung des Operculums (der von den Proc. clinoidei sich ausspannen-
den und den Türkensattel abschließenden Dura) sich zeigte, daß die vom
Rachen aus vorgenommene Knochenresektion sich genau deckte mit den
Grenzen des Türkensattels, ein Beweis, daß der eingeschlagene Weg in
geeigneten Fällen zum Ziel führen muß, und zwar, wie ich ausdrücklich
non muß, auf eine verhältnismäßig bequeme und ungefährliche
eise. |
Die K.sche Intubation erleichterte den Verlauf der Operation bei
absolut ungestörter Narkose so außerordentlich, daß sie mir für derartige
Fälle vollständig unentbehrlich erscheint. Es muß dazu noch bemerkt
werden, daß die Operation, bei wirklich vorhandenem Hypophysentumor
und stark ektatischem Türkensattel technisch bedeutend leichter sein
würde, als im vorliegenden Falle, wo ein Tumor sich nicht vorfand. Ich
kann bei sicherer Diagnose von Hypophysentumor die Operation nach
dieser Erfahrung aufs wärmste empfehlen.
Diskussion. Hansberg (Dortmund): Auf die Frage, die von
Preysing und Blumenfeld angeschnitten wurde, ob es zweckmäßig
sei, daß die äußeren Operationen des Larynx am besten von Laryngo-
logen gemacht würden, bin ich der Meinung, daß es das Ansehen unsers
Faches nur heben kann, wenn das in weitreichendem Maße geschehen
würde. Es besteht nur die Schwierigkeit das durchzuführen, weil es
den Laryngologen häufig an Gelegenheit dazu fehlt, besonders dann,
wenn in den Krankenhäusern, in denen sie operieren können, eine laryngo-
logische Abteilung nicht eingerichtet ist. Es ist daher notwendig, darauf
hinzuarbeiten, daß derartige Abteilungen, mehr als es bisher der Fall ist,
eingerichtet werden.
Die Fälle von Kehlkopfkrebs, die von mir operiert sind, waren
sämtlich endolaryngeale; Fälle, die bereits den Pharynx ergriffen hatten
oder primär dort entstanden waren, habe ich von vornherein von der
Operation ausgeschlossen, da man so gut wie immer mit einem Rezidiv
rechnen muß. Sie haben das ja auch von Preysing bestätigt gefunden.
Ich bin indessen nicht prinzipieller Gegner dieser Operation.
Es ist richtig, daß die Totalexstirpation an sich ungefährlicher ist
als die halbseitige Resektion, da man das Einfließen von infektiösem
Sekret in die tiefen Luftwege während der Nachbehandlung mit Sicher-
heit vermeiden kann. Aber auch bei der Resektion ist die Gefahr nicht |
SO groß, wenn man sorgfältige Tamponade verwendet. Diese ist auch
dann nötig, wenn z. B. nur ein Aryknorpel entfernt wurde, und es
ist bedenklich, sich in solchen Fällen auf den Schluckmechanismus zu
verlassen. In einem meiner Fälle von halbseitiger Resektion. ließ ich
einige Tage die Tamponade fort, konstatierte dann aber Temperatur-
steigerungen, die sofort nachließen, als die Tamponade angewandt wurde.
Ferner: Blumenfeld, Schickendantz, Vobis.
De Moses.
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 19. August 1912.
l! Fischer demonstriert Hautstücke und Organe eines im Städti-
schen Krankenhause gestorbenen Falles von Variola vera.
‚% Reiß demonstriert im Anschlusse hieran die Lumidre-Photo-
Fe nen einiger Varlolafälle und berichtet über sechs im Kranken-
vun beobachtete Pockenerkrankungen, von denen fünf leichter verlieten
(Variolois) und einer (Variola confluens) starb. Charakteristisch für die
neatenen Fälle ist, daß das anfängliche Fieber des Prodromalstadiums,
as meist mit schwerer Prostration einhergeht, bei der Erupti,n des Ex-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
Was uns in bezug
1687
anthems zur Norm abfällt, im Gegensatz zu andern exanthematischen In-
fektionskrankheiten. Im Beginn ähnelt der Ausschlag manchmal sehr
dem bei Masern. In den leichteren Fällen ist mit der Entfieberung beim
Beginne des Eruptionsstadiums auch das Krankheitsgefühl geschwunden,
die Patienten bleiben fieberfrei und machen das Stadium exsiccationis bei
vollem Wohlbefinden durch. In den schwereren Fällen tritt zwar ein
Temperaturrückgange mit dem Ausbruche des Exanthems ein, aber keine
völlige Entfieberung; das Fieber steigt dann wieder im Stadium suppura-
tionis. In einem Fall, in dem das Exanthem anfänglich große Aehnlich-
keit mit dem bei Masern hatte, wurden auf der Wangenschleimhaut auch
Flecke beobachtet, die sebr den Koplikschen ähnelten. Von Varicellen
unterscheidet sich Variola vera dadurch, daß die Efflorescenzen in einer
Körpergegend alle dasselbe Stadium zeigen, während bei Varicellen frische
und alte Efflorescenzen nebeneinander bestehen. Ä
8. Herxheimer: Ueber Carboneol. Um die verschiedenen Bə-
standteile des Teers für therapeutische Zwecke zu isolieren und verwend-
bar zu machen, muß man verschiedene Lösungsmittel zur Anwendung
bringen. H. hat durch Extraktion des Teers mit Tetrachlorkohlenstoff
: und Eindampfen des Extrakts ein vielseitig verwendbares Produkt er-
- halten, dem er den Namen Carboneol gegeben hat. Es ist in Salben
und in spirituöser Lösung zum Einpinseln verwendbar, doch ist zu be-
achten, daß es die Haut schwärzt, also nicht ambulant an unbedeckten
Hautstellen zu verwenden ist, und daß es die Wäsche befleckt. Es be-
sitzt vor dem gewöhnlichen Teer den Vorzug der Reizlosigkeit. Nur in
ganz wenigen Fällen wurde Hautreizung beobachtet, und zwar bei ekzema-
tösen Stellen. wenn zu gleicher Zeit direktes Sonnenlicht einwirkte. Es
wirkt stark entzündungswidrig, ganz besonders bei Ekzemen, und zwar
gibt es selbst akute und nässende Ekzeme, die es ganz vorzüglich ver-
tragen, und es hat sich auch gerade bei Leuten mit empfindlicher Haut
bewährt, die andere Teersorten nicht vertrugen. Weitere Indikationen
sind postskabiöse und Kinderekzeme. Bei Psoriasis wirkt es gerade bei
alten, infiltrierten Fällen vorzüglich. Hervorragend ist die juckstillende
Wirkung, so bei postskabiösem Pruritus, bei Neurodermitis chronica, bei
Dermatitis herpetiformis usw., auch bei Pemphigus pruriginosus, wo es
aber auch heilend auf die Blasen wirkt. Es ist eine der reizlosesten
Teersorten. ———— . Hainebach.
Halle.
Verein der Aerzte. Sitzung vom 10. Juli 1912.
Tagesordnung. Denker: 1. Zur operativen Behandlung der
traumatischen Meningitis. Vortragender will nicht von den gewöhn-
lichen Schädelbrüchen sprechen, denen eventuell eine Meningitis folgt,
sondern von jenen Fällen von Schädelbasisfraktur, bei denen die Bruchlinie
durch das Felsenbein hindurch geht und die später zur Meningitis führen.
Von vornherein muß man zwischen den Fällen unterscheiden,
deren Mittelohr eine normale Schleimhaut besitzt, und solchen, bei denen
eine Eiterung des Mittelohrs besteht. In diesen hat Voß (Frankfurt)
die Operation vorgeschlagen, um die Quelle der Infektion fortzuschaffen.
Demonstration eines von D. operierten Falles.
14 Tage nach einer gewöhnlichen Schädelbasisfraktur war es zu
einer Mittelohreiterung mit Meningitis gekommen.
Die Infektion war durch die Tuba Eustachii erfolgt.
Bei der Operation fand man das Mittelohr mit seröseitrigem
Exsudat gefüllt. Es ließ sich eine Fraktur des Schädels feststellen, die
durch das Felsenbein hindurch weiter auf die Grenze zwischen mittlerer
und hinterer Schädelgrube sich fortsetzte. Der Sinus war mit Granula-
tionen bedeckt. Durch ausgedehnte Freilegung und Radikaloperation
. wurde der Fall zur Heilung gebracht.
Diskussion: Stieda hat in der chirurgischen Klinik den Fall
auch beobachtet, bevor er zur Operation in die Ohrenklinik verlegt wurde.
Eine Woche vorher trat an der rechten Halsseite eine Schwellung
auf, die an eine Otitis media denken ließ. Als sich eine Schmerzhaftig-
keit am Processus mastoideus einstellte, wurde die Diagnose sicher. Die
von Voß angegebene Präventivtrepanation lehnt Stieda bei den unkompli-
zierten Fällen von Schädelbasisbrüchen ab.
D. rät an dem Gehörgang, aus dem sich bei Schädelbasis-
brüchen Blut entleert, keine desinfizierenden Maßnahmen vorzunehmen.
2. Denker berichtet über einen Fall von Pyämie, der von einer
Eiterung des mittleren und inneren Ohres ausgehend, einen Schläfenlappen-
abscoß bekommen hatte. Es wurde eine ausgedehnte Radikaloperation
vorgenommen mit Unterbindung der Vena ingularis, die ebenso wie der
Sinus mit eitrigen Thromben gefüllt war. Der Fall kam zwei Tage
operationem ad exitum, da eben die streptopyämischen Erscheinungen
schon über 14 Tage bestanden hatten.
Demonstration des Gehirns.
Vor der Tagesordnung: Grund stellt zwei Patienten der medi-
zinischen Klinik mit Myotonia congenita vor. Es besteht Dystrophie
einer größeren Reihe von Muskeln. Besonders stark sind betroffen die
An r e
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Fern me ee ne TE TOR nn ELST 2.55 i i < a i =
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1688
vom Facialis versorgten Muskeln, die beiden Sterno cleidomastoidei, die
Armstrecker, die Strecker der Hand und die Peronaei.
Nach der Tagesordnung spricht Fränken über die von ihm in
Halle unternommene Bekämpfung der Rauch- und Rußbelästigung.
Zander.
l Leipzig.
Medizinische Gesellschaft. 8. Sitzung vom 4. Juni 1912.
I. Payr: Kapselfüllung zur Erleichterung der Reposition nicht
ganz frischer und veralteter Luxationen. Ausgehend von der Beob-
achtung, daß Luxationen mit starkem Bluterguß innerhalb und außerhalb
der zerrissenen Kapsel sich oft spielend leicht reponieren lassen, hat der
Vortragende ein Verfahren künstlicher Kapselfüllung für nicht ganz frische
und veraltete Verrenkungen ausgearbeitet. Es wird mittels langer dünner
Nadeln in den leeren Kapselschlauch eingegangen und dieser durch Injektion
mit ?/a°/oiger Novocain-Adrenalinlösung unter allmählich steigendem Drucke
zur Entfaltung gebracht. Eventuell wird auch periartikulär injiziert. —
Die anästhesierende Lösung setzt die reflektorische Muskelspannung
herab, der Nebennierenextraktzusatz verringert die Blutung bei der nach-
folgenden Reposition und anämisiert das Gewebe. Die Anästhesie ist
nicht die Hauptsache. Bei schwierigeren Fällen wurde stets Aether-
rausch in Verwendung gezogen. Die Hauptsache ist die mechanische
Erleichterung des Repositionsmanövers durch Entfaltung des durch Blut
und Fibrin verklebten Kapselschlauchs durch die Wiedereröffnung des
Kapselrisses. P. hat 14mal mittels dieses Verfahrens nicht mehr frische
und veraltete Luxationen ohne größeren Kraftaufwand reponiert. Bei
veralteter Luxation zeigt sich beim Versuche der Kapselfüllung, ob ein
Kapselschlauch überhaupt noch vorhanden ist. Bei völliger Obliteration
ist das blutige Vorgehen besser. — Vorteile des Verfahrens sind: Viel
geringere Kraftentfaltung bei der Reposition, deshalb weniger Nebenver-
letzungen. Lockerung der neugebildeten Adhäsionen durch Oedemisierung;
geringe Blutung durch Anämiesirung. Für viele Fälle genügende An-
ästhesioe zur Ausführung der Reposition. Bei veralteten Fällen Schutz
vor zwecklosen brüsken Versuchen der Reposition. (Autoreferat.)
II. Eber: Untersuchungen über den Tuberkelbacillengehalt der
Milch und der Molkereiprodukte einer Kleinstadt nebst Bemerkungen
über die Rolle der Genossenschaftsmolkereien bei der Verbreitung der
Tuberkulose. Durch die Untersuchungsbefunde E.s wird die schon bei
der Untersuchung der Milch und Molkereiprodukte der Großstadt Leipzig
früher festgestellte Tatsache aufs neue erhärtet, daß die im eignen kleinen
Wirtschaftsbetrieb erzeugte Milch und Butter nur außerordentlich selten
Tuberkelbacillen enthalten, während die von der Molkerei gelieferte Milch
und die Molkereibutter verhältnismäßig oft tuberkelbacillenhaltig befunden
werden. Es wird somit die segensreiche Wirkung, die namentlich den
Genossenschaftsmolkereien als Milchverwertungszentralen zweifellos zu-
kommt, unter Umständen dadurch wieder ausgeglichen, daß ihre Produkte
infolge der in den Molkereien stattfindenden Mischung und gemeinsamen
Verarbeitung der gesamten Milch eines größeren Bezirks der Gefahr einer
Verunreinigung mit Tuberkelbacillen in erhöhtem Maß ausgesetzt sind.
Hierdurch wird nicht nur der Wert dieser Erzeugnisse als Nahrungsmittel
für Menschen herabgesetzt, sondern es ergeben sich auch hieraus ganz er-
hebliche weitere wirtschaftliche Schäden, namentlich durch die von Jahr zu
Jahr zunehmende Tuberkuloseverseuchung der Schweinebestände infolge Ver-
wendung der tuberkelbacillenhaltigen Molkereirückstände alsSchweinefutter.
Bezüglich der als Futtermittel für Tiere Verwendung findenden
Molkereierzeugnisse wird zweifellos das kürzlich in Kraft getretene neue
Reichsviehsseuchengesetz eine wesentliche Besserung herbeiführen, indem
es die Erhitzung dieser Produkte zur Abtötung der darin enthaltenen
Tuberkelbacillen vor Rückgabe an die Genossen vorschreibt. Leider aber
feblen gerade in Deutschland, wo man es sich jährlich Hunderttausende
kosten läßt, um die Gewähr zu haben, daß in den Verkaufsstätten überall
nur tuberkelbacillenfreies Fleisch feilgeboten wird, ähnliche Vorschriften
für die Herstellung einer einwandfreien Butter; und doch ist gerade die
Butter ein Produkt, das der Konsument so verwenden muß, wie er es
vom Produzenten bezieht. Um so berechtigter erscheint daher das Ver-
langen, daß auch für dieses wichtige Nahrungsmittel der Menschen Vor-
schriften erlassen werden, die ein Freisein desselben von Tuberkelbacillen
mit einiger Sicherheit garantieren. Es gibt aber nur einen Weg, dieses
Ziel zu erreichen, das ist die Forderung einer genügenden Er-
hitzung der für die Buttererzeugung bestimmten Molkerei-
milch zur sicheren Abtötung der darin enthaltenen Tuberkelbacillen, wie
sie z. B. für Dänemark seit längerer Zeit durch das dänische Butter-
gesetz vorgeschrieben ist. Berücksichtigt man weiterhin, daß, wie die
Erfahrung gelehrt hat, die aus pasteurisiertem Rahme hergestellte Butter
nicht nur frei von Tuberkelbacillen, sondern zugleich auch schmackhafter
und baltbarer als gewöhnliche Butter ist, so versteht man es kaum, wie
es möglich ist, daß die allgemeine Einführung einer solchen Maßnahme
noch immer auf Schwierigkeiten stößt. Mohr.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober. |
Straßburg.
Unterelsässischer Aerzteverein. Sitzung vom 29. Juni 1912.
Würtz: Demonstration eines Säuglingss mit Buminatio,
W. demonstriert ein sieben Monate altes Mädchen, das selbst kleine
Mablzeiten nach einiger Zeit unter gurgelndem Geräusch wieder in den
Mund hebt und dann herunterschluckt. Manchesmal kommt es auch zum
Brechen. Es sollen nur vier Fälle von Rumination im Säuglingsalter in
der Literatur bekannt sein. Die Prognose ist günstig.
Müller: Ueber einen Todesfall nach Salvarsan mit
Sektionsbefand. Bei einer 19jährigen Gravida im vierten Monat mit
Cervical- und Uretralgonorrhöe treten nach vier Wochen harte indolente
Leistendrüsen und ein luetisches Exanthem auf. W.R. positiv. Es wird
eine Inunctionskur vorgenommen und 0,4 Salvarsan intravenös eingespritzt.
Am vierten Tage nach der Injektion cerebrale Symptome, Uebelsein,
Stierer Blick, Singultus, unruhiger Schlaf, vollkommene motorische Aphasie,
träge Pupillenreaktion, Babinski positiv, rechtsseitige Abdücenslähmung,
unwillkürlicher Stuhl- und Urinabgang. Wegen Annahme eines Juetischen
Gehirnherdes wird eine neue Salvarsaninjektion vorgenommen. Hierauf
wird das Allgemeinbefinden noch schlechter, starke Benommenheit, Cheyne-
Stokesscheg Atemphänomen. Wegen Annahme erhöhten Hirndrucks
Lumbalpunktion. Danach rapider Verfall, Exitus.
Gehirn, Herz und Niere werden im Senckenbergischen Institut
in Frankfurt seziert. Ziemlich gleichmäßige Verfettung der Epithelien
in den gewundenen Harnkanälchen. Hirnsubstanz der Brücke von kleinen
Blutpunkten durchsetzt. Mikroskopisch kleine Blutungen in der Gehirn-
substanz, die keine Beziehung zu Gefäßen haben. Gehirnsubstanz öde-
matös, perivasculäre Räume enthalten polynucleäre Leukooyten, in der
Brückensubstanz ist die Ansammlung der Leukocyten besonders groß,
Spirochäten nicht nachgewiesen. Ueber der Basis der Brücke Verdickung
und Quellung der weichen Hirnhäute. Es handelt sich um eine akute
hämorrhagische Encephalitis mit akuter, auf die Basis der Brücke be-
schränkter Meningitis haem.
Nach Ansicht Ehrlichs handelt es sich in diesen Fällen um einen
Wasserfehler oder um eine Oxydation des Salvarsan. M. glaubt, daß in
seinem Fall ein technischer Fehler nicht in Betracht komme, daß viel-
mehr wegen der Nierenveränderungen eine toxische Arsenwirkung in Er-
wägung zu ziehen ist. Die toxische Schädigung durch das Salvarsan ist
aber nicht als solche allein zu erklären, denn dann hätten die Hämor-
rhagien unmittelbar nach der Injektion eintreten müssen. Die Lues hat
erst die Wirkung des Salvarsan vorbereitet. Die Encephalitis haem. ist
durch die Lues- und Salvarsankomponente hervorgerufen.
Diskussion: H. Mulzer glaubt, daß das Salvarsan einen Locus
minoris resistentiae an den Nerven schafft, woselbst dann das luetische
Gift leichter wirkt. Meta- und postsyphilitische Erkrankungen sollen in-
folgedessen bei mit Salvarsan behandelten Luetikern eher zustande
kommen. Eine Heilung der Syphilis mit Salvarsan wird nicht erzielt.
Die sekundären Symptome treten bloß später auf. Rezidive nach aus-
giebiger Salvarsaninjektion sind fast täglich in der Klinik zu beobachten.
Bei Anwendung von Salvarsan in frischen Füllen muß man eine intensive
Hg-Kur nachschieben. M. verlangt, um Todesfälle zu vermeiden, striktere
Indikationen zur Salvarsanbehandlung.
Obermüller verwendete bei Salvarsaninjektionen Wasser, das
vier Wochen lang im Laboratorium gestanden war, dann sterilisiert und
mit Kochsalz versetzt wurde. Er sah davon keine Schädigung beim
Menschen. An einen Wasserfehler kann er deshalb nicht glauben. Nach
seiner Ansicht handelt es sich bei diesen Fällen um eine Idiosynkrasie
gegen Salvarsan. Bei der Wirkung des Salvarsan kommt eine toxische
und eine individuelle Komponente in Betracht.
Woltf hat das Neosalvarsan versucht, das die schädlichen Wir-
kungen des Salvarsans nicht aufweisen soll. Bei zwei Fällen von Lippen-
sklerose blieb es wirkungslos. Bei einem Mädchen, das mit Neosalvarsan
behandelt wurde, traten eine hämorrhagische Nephritis und ein großes
Decubitalgeschwür am Kreuzbein auf. R l
Chiari stimmt der Ansicht Müllers bei, wonach es sich bei den
toxischen Erscheinungen nach Salvarsaninjektion um zwei Komponenten
handelt, Schädigung durch Syphilis und Salvarsanwirkung.
Blum berichtet über einen Fall von Intoxikation durch Salvarsan:
Cahn bemerkt, daß das Salvarsan ein Mittel ist, welches ar
syphilitische Erscheinungen mit großer Schnelligkeit zum Verschwinden
bringt. Bei Erkrankung lebenswichtiger Organe muß man zum Salvarsan
greifen. MERA E. Hirsch.
| Wien. | TR
Gesellsch. f. innere Medizin u. Kinderheilkunde. Sitz. v. 13. Jum 19-4
J. Zappert stellt ein achtjähriges Mädchen mit nn =
sencen vor, welche vor zwei Jahren nach einem Schreck en x
haben und bis zu 80mal im Tag auftreten. Bei dem Anfalle sie
13. Oktober.
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Kind einen Moment starr vor sich, blinzelt dann durch einige Sekunden
und blickt nach oben. Für Hysterie und Epilepsie bestehen keine Anhalts-
punkte. Der Ulnaris zeigt für die Kathodenschließung eine Uebererreg-
barkeit. Der Fall dürfte in die Gruppe der von Friedmann beschriebe-
nen Affektionen gehören, welche selbst nach jahrelangem Bestehen heilt
und nicht als Epilepsie aufzufassen ist.
M. Zarfl demonstriert das anatomische Präparat eines taber-
kulösen Primärherdes in der Lunge eines 24 Tage alten Säug-
lings. Letzterer wurde von einer schwer tuberkulösen Mutter geboren,
welche acht Tage nach der Entbindung starb. ‘Das Kind, eine Früh-
geburt, bekam nach Schnupfen eine Capillarbronchitis und pneumonische
Herde in den Unterlappen und starb am 24. Lebenstage. Die Obduktion
ergab außer der Cappillarbronchitis und der lobulären Pneumonie noch
fibrinöse Pleuritis und in einem nicht pneumonisch veränderten Teile des
Oberlappens der linken Lunge einen kleinen Herd von käsiger Pneumonie,
in welchem massenhafte Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden. Sämt-
liche Drüsen waren frei von Tuberkulose. Der Herd ist durch Inhalation
von hochvirulenten Tuberkelbacillen entstanden.
v. Pirquet hebt die Seltenheit des Falles hervor und fragt, wie
sich die regionären Lymphdrüsen verhalten haben.
M. Zarfl erwidert, daß sie nicht verändert waren.
M. Zarfl zeigt einen Säugling mit eltriger Hüftgelenk-
entzündung und berichtet über zwei weitere Fälle, welche gestorben
sind. Auch diese betrafen Säuglinge, welche am 18. respektive 23. Tage
von dem Leiden befallen wurden. Bei diesem entsteht eine Vorwölbung
in der Hüftgegend, im Hüftgelenke bildet sich ein eitriges Exsudat, in
welchem in den besprochenen Fällen Streptokokken gefunden wurden.
In einem Fall erzeugte die Eiterung einen PsoasabsceB und führte zu
Peritonitis. Es handelt sich wahrscheinlich um eine metastatische, von
einer Eiterung der Nabelgefäße ausgehende Erkrankung. Derartige Fälle
nehmen sehr oft einen infausten Verlauf.
N. Swoboda hat bei einem acht Tage alten luetischen Säugling
eins gonorrhoische Erkrankung des Hüftgelenks beobachtet.
B. Sperk bemerkt, daß monoartikuläre Entzündungen im Säug-
lingsalter nicht so selten sind; allerdings sind die Kinder meist älter als
das vorgestellte. Er hat auf der Säuglingsabteilung des St. Anna-Kinder-
spitals drei Fälle mit benignem Verlaufe beobachtet.
M. Zarfl erwidert, daß Gonorrhöe und Osteomyelitis in dem vor-
gestellten Fall auszuschließen sind.
M. Zarfl demonstriert schließlich einen Säugling mit atypisch
verlaufender Dermatitis exfoliativa.. Die Affektion begann nicht
mit einem Erythem, sondern es bildete sich ein der Miliaria eristallina
ähnlicher Ausschlag, welcher sich rasch ausbreitete und zur Abhebung
des Epithels führte. Von dem Kinde wurde auch die Mutter angesteckt,
indem bei ihr an der Brust Dermatitis auftrat, welche zur Abhebung der
Epidermis und zur Rhagadenbildung führte. |
B. Sperk hat ebenfalls eine Infektion von einer Dermatitis ex-
foliativa beobachtet. Es handelte sich um ein älteres Kind; es kam zu
keiner Veränderung der Haut, wahrscheinlich, weil diese wegen des
höheren Alters des Kindes widerstandsfähiger war. '
K. Leiner meint, daß es sich um Pemphigus neonatorum handeln
dürfte, da die Epidermolysis fehlt.
M. Zarfl erwidert, daß es auch leicht verlaufende Fälle von Der-
matitis exfoliativa gibt; bei dem Kinde ging die Epidermis in Fetzen ab,
wenn man es anfaßte.
W. Knöpfelmacher weist darauf hin, daß zwischen Pemphigus
und Epidermolysis eigentlich kein Unterschied besteht. Bei gering-
gradiger, aber rasch sich ausbreitender Exsudatbildung unter der Epi-
dermis kommt es nicht zur Blasenbildung, sondern nur zur diffusen Aus-
breitung des Exsudats und der Epidermis auf weite Strecken, ohne daß
diese in Form einer Blase abgehoben wird, sie läßt sich aber sehr leicht
abziehen.
B. Sperk hat zwölf Fälle von Dermatitis exfoliativa gesehen, von
welchen elf gestorben sind.
Art. Weiss hat ein Kind beobachtet, bei welchem am fünften
Tag aus dem Pemphigus neonatorum binnen wenigen Stunden sich eine
Dermatitis exfoliativa entwickelte. Das mit Zinköl behandelte Kind genas.
Vater und Mutter infizierten sich und trugen eine hartnäckige Impetigo
contagiosa davon.
N. Swoboda hat in einem Fall eine mehrfache Rezidive, von
Dermatitis exfoliativa beobachtet, welche in Heilung ausging. |
‚©. Kirsch führt aus der Abteilung Jehle zwei Kinder mit ab-
dominalen und cerebralen Gefüßkrisen vor. Das eine Kind be-
kommt anfallsweise starke Magenschmerzen mit heftigem Erbrechen,
Kopfschmerz und starkem Herzklopfen; es wird dabei sehr blaß. Die
Untersuchung ergibt rigide Arterien, und Schlängelung der Arteria tem-
poralis, Das zweite Kind verliert während der Anfälle, welche sonst den
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41. 1689
früher erwähnten gleichen, für einige Augenblicke die Fähigkeit, zu
sprechen. Derartige Fälle sind im Kindesalter ziemlich häufig; die Sym-
ptome sind als eine Art von intermittierendem Hinken bei Arteriosklerose
anzusehen. Sie dürften auf der Basis der Vagotonie entstehen.
H. Januschka bemerkt, daß der Darm schmerzempfindende Appa-
rate unabhängig von den Gefäßen besitzt. Alle abdominalen Schmerzen
sind nicht auf Blutgefäße zu beziehen. Er fragt, welche Therepie ein-
geleitet wurde.
A. Souček erwidert, daß in mehreren derartigen Fällen Atropin
gute Dienste geleistet hat. |
H. Januschka betont, daß dieser Erfolg dafür spricht, daß es
sich um einen Darmspasmus und nicht um einen Gefäßkrampf gehandelt
hat. Das Atropin bringt die Darmmuskulatur zur Erschlaffung.
R. Pollak berichtet, daß in einem solchen Fall Amylnitrit gut ge-
wirkt hat. | | |
R. Monti demonstriert folgende Fälle: 1. ein dreijähriges Kind,
bei welchem vor drei Wochen ein 1!/ kg schweres perivaskuläres
Sarkom in der linken Nierengegend entfernt wurde, welches viel-
leicht von einem Teratom seinen Ursprung genommen hat; 2. einen neun
Monate alten Säugling, bei welchem der Appendix mit Kotsteinen
in einer linksseitigen eingeklommten Hernie gefunden wurde.
Unterhalb der Schnürfarche war die Schleimhaut des Appendix zugrunde
gegangen und in dieser fanden sich zwei Kotsteine, obwohl das Kind
bisher nur Milchnahrung genossen hatte. Das primäre Moment war hier
die Einklemmung, das sekundäre die Appendicitis. Der Fall beweist, daß
letztere durch Sekretstauung im Wurmfortsatze hervorgerufen werden
kann. Aus der Radikaloperation der Hernie wurde noch die Appendek-
tomie ausgeführt. |
H. Schlesinger bezeichnet die Appendicitis im Bruchsacke bei
so jungen Kindern als eine große Seltenheit.
B. Sperk bemerkt, daß die Appendicitis im Kindesalter selten,
im Säuglingsalter außerordentlich rar ist.
Fr. Spieler möchte die große Seltenheit der Befunde von Appen-
dieitis im Säuglingsalter durch die Schwierigkeiten der Diagnose erklären.
Fr. Magyar zeigt einen Säugling mit einem großen bösartigen
Hämangiom des Gesichts. Das Kind hatte schon bei der Geburt je
einen blauroten Tumor an beiden Wangen, welcher sich seither in die
Tiefe und Breite ausgedehnt und an Kontinenz zugenommen hat. Das
Kind verfällt in der letzten Zeit. Es dürfte sich um eine sarkomatöse Ge-
schwulst handeln.
H. Neumann macht darauf aufmerksam, daß auch einfache An-
giome ohne sarkomatösen Charakter eine rasche Ausbreitung gewin-
nen können. |
Fr. Magyar zeigt ferner ein Kind mit einem melanosarkomatösen
Schwimmhosennävus. Ueber den Körper zerstreut finden sich melano-
sarkomatöse Flecke.
Kemmetmüller demonstriert ein Kind mit Spasmophilie. Die
Finger sind in die Faust eingeschlagen, die Muskeln des Nackens, Rückens
und der Beine befinden sich seit einigen Tagen in einem toxischen Krampf-
zustand und die Beine sind dabei gestreckt. Für Tetanus findet sich
kein Anhaltspunkt.
Pichler zeigt aus der Abteilung Friedländer ein Kind mit
Pseudotetanus. Bei dem Kinde befindet sich die quergestreifte Mus-
kulatur mit Ausnahme derjenigen der oberen Extremitäten, der Augen
und des Zwerchfells in einer starren Contraction; früher war Patient so
‚steif wie ein Holzklotz, in der letzten Zeit haben die Krämpfe in ihrer
Intensität. etwas nachgelassen. Die Körperfunktionen sind sonst normal,
es besteht kein Fieber. Auch hier findet sich kein für Tetanus.charakte-
ristisches Symptom. | |
R. Pollak zeigt ein durch Obduktion gewonnenes Präparat von
Atresie des Oesophagus und Kommunikation zwischen Magen
und Trachea. Dasselbe stammt von einem sieben Tage alten Kinde,
welches nach jeder Nahrungsaufnahme erbrach und niemals einen Milch-
stuhl hatte. Durch Sondierung wurde ein Verschluß des Oesophagus
festgestellt. Es wurde die Gastrostomie ausgeführt; die eingegossene
Milch kam zum Teil zum Munde heraus. Das Kind starb und die Ob-
duktion ergab einen, Verschluß der Speiseröhre knapp oberhalb der Bi-
furkation der Trachea und eine Kommunikation der letzteren mit dem
Magen.
E. Nobel demonstriert ein Präparat von multipler Sklerose, von
einem 21/s jährigen Kinde stammend, welches er in der Sitzung vom
7. Dezember 1911 vorgestellt hat. Das Kind war dement und hatte epi-
leptiforme Anfälle sowie spastische Erscheinungen. Es starb und die
Untersuchung des Rückenmarks ergab graue Herde, in welchen die Achsen-
cylinder erhalten waren und die Markscheiden fehlten. Die Glia ist
normal. sekundäre Dogenerationen fehlen. Es finden sich auch geringe
vaskuläre Infiltrate vor. H.
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1911 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
13. Oktober.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Der Arzt ein Künstler
von
Dr. 6. B. Gruber, Assistenzarzt in München.
(Fortsetzung aus Nr. 40.)
Nun glauben Sie aber nicht, daß ein umfassendes, medizinisches
Wissen geringen Wert hat; oder daß wir uns unterfangen wollen, es zu
verachten. Nichts wäre falscher als das. Im Gegenteil, je kritischer der
Kopf, je eingehender, umfangreicher und gediegener der Wissensschatz
eines Arztes ist, um so mehr Achtung wird er uns abringen müssen,
vorausgesetzt, daß er die beneidenswerte Gabe besitzt, dies Wissen im
Verein mit einem herzerwärmenden Wesen in die Tat umzusetzen, also
wenn er nach Ruskinscher Definition ein Künstler ist. Dann kaun ja
wohl ein Arzt nicht gebildet genug sein. Wir werden den höchsten Re-
spekt vor ihm haben, wenn er ebenso wie die empirischen, alle auf
Mathematik und Physik beruhenden Methoden bis in ihre Grundsätze
kennt, wenn er in der Lage ist, diagnostische und therapeutische Maß-
nahmen an Hand einer physikalischen, chemischen und biologischen Schu-
lung stets klaren Geistes zu durchschauen. Und es besteht gewiß kein
Zweifel, daß solch ein Arzt, bei dem sich höchstes Wissen und wahre
Kunst paaren, berechtigt ist, das höchste Ansehen zu genießen.
Umgekehrt gilt auch der Satz, daß ein Arzt, der zwar das beste
Herz von der Welt, den feinsten Willen, es recht zu machen, eine gute
Gabe zur künstlerischen Auffassung seines Berufs hat, aber keine ge-
nügend sichere Vorbildung genoß, daß solch ein Arzt nie und nimmer
als einigermaßen vollkommen oder gar als Beispiel eines guten Arztes
gelten kann. Solche Männer tappen in der Medizin herum. Und das
„Tappen nach all den Siebensachen“ nimmt sich nur im Mund eines
Mephistopheles gut aus. Lassen wir uns hierfür ein erlebtes Beispiel
genügen: Ein Arzt hat viel gehört, gelesen und gesehen von der guten
Wirkung der Massage. Mit feinem Gefühle hat er bemerkt, daß nicht
nur seine neuerungssüchtigen Patienten dafür empfänglich sind, daß eine
gewisse Suggestivkraft in ihr wirkt, sondern daß eine wirkliche Muskel-
beeinflussung und eine Möglichkeit, die Blutverteilung zu befördern, in
der Massage gegeben ist. Er verwendet sie nun bei einem tabischen,
längst kranken Weibe, das Para- und Anästhesien der Beine und arthro-
pathische Kniegelenke hat, zur Bekämpfung der Atrophien — gewiß mit
Recht. Das Weib hatte früher mehrfach geboren und besitzt varicöse
Venen. Eines Tages hat die Patientin ein geringes Beinddem, natürlich
klagt sie nicht über Schmerzen, sie ist ja tabisch. Der Arzt massiert
weiter — er versäumt keine Zeit mit langwieriger Erforschung der Ur-
sache des Oedems; es kann von der „mangelnden Herzkraft“, von der
„leicht insuffizienten Niere“ kommen; auch kann ja die Frau kaum gehen,
sitzt stets und läßt die Beine herabhängen. Die Massage wird wohl eine
günstigere Blutverieilung herbeiführen. Derweilen steckt eine thrombo-
sierende Phlebitis der Poplitealvene des arthropathischen Knies dahinter,
und während der Arzt meint, den Blutkreislauf zu unterstützen, sorgt er
womöglich dafür, daß sich Gerinnselmassen losreißen und in Herz und
Lungen fahren. — Analoge Vorkommnisse könnte man recht zahlreich
aufführen; denn bei der Menschennatur jedes Arztes, bei der Unvoll-
kommenheit des menschlichen Denkens und Tuns wird auch beim besten
Willen schließlich von jedem, auch vom gewissenhaftesten und glänzendst
veranlagten Medicus manch ein Fehler begangen.
Um so deutlicher tritt die Richtigkeit der Anschauung vor Augen,
` daß die Kritik des Arztes, die Auslese, die er bei seinem therapeutischen
Handeln zu treffen hat, eine scharfe sein muß und daß sie sich auf der
guten Diagnose aufbaut, denn der Satz: „Qui bene diagnoscit, bene
curat", der viel zitiert, viel verdreht und viel mißverstanden wird, gilt,
wenn man seine erste Hälfte als verkappte Condition auffaßt, ohne deren
Erfüllung der Inhalt des zweiten Satzteils Unsinn ist. Die gute Diagnose
macht man mit Hilfe des Kopfes, der Sinnesorgane, — viele reden, wohl
auch in Rücksicht auf die Uebung der Sinnesorgane, einer vorwiegend
praktischen Ausbildung das Wort. Gewiß ist das sehr viel wert. Doch
werden sich hier keine Gesetze aufstellen lassen. Wie das Lehren, so
ist auch das Lernen individuell;- man soll hier Freiheit lassen; der eine
kommt so zum Ziele, der andere so; man stelle nur das Ziel klar auf;
es soll für alle eine Vereinigung von Theorie und Praxis sein — und ich
vermag mir auch eine Art von Examen vorzustellen, in dem jeder Seite
der medizinischen Tätigkeit und des ärztlichen Wesens Rechnung ge-
tragen werden könnte. — Es gibt Verächter unserer modernen diagnosti-
schen Hilfsmittel; das ist bedauerlich; noch bedauerlicher ist es, unter-
steht sich jemand, diese Methoden hochmütig oder einfältig abzukanzeln.
Man muß ihren Gebrauch erlernen, wiederum um eine Kritik ihrer Ver-
wendbarkeit zu haben, auch wenn man nicht in der Lage ist, sich selbst
auf sio zu stützen; denn jeden Arztes Tätigkeit — ob er will oder nicht
— kann sich heutzutage bis vor die Gerichtsschranken erstrecken, er
muß gelegentlich im Rahmen des Gutachtens und oft in Diskussionen —
nicht immer in Aerztekreisen — eine gewisse hinreichende Vertrautheit
mit all diesen Methoden beweisen, soll seine Wertschätzung als guter
Arzt nicht leiden.
Wer natürlich von den technischen Hilfsmitteln, den Apparaten
und Kurvenzeichnern, vom biologisch-diagnostischen Versuch alles er-
wartet, wer meint, ohne das alles im speziellen Falle nicht auskommen
zu können, der ist auch kein guter Arzt. Ein Epigramm Goethes
besagt: `
„Vergebens werden ungebundene Geister
Nach der Vollendung Höhen streben.
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister...“
Man muß sich das heute gewiß sehr vor Augen halten, heute, da
man in technischen Dingen mit Riesenschritten voranging, da man mit
1000 Hilfsmitteln viel sicherer an sein Ziel zu kommen wähnt, wie früher,
als man schlicht auf sich selbst und engere Gesetze angewiesen, das
gleiche Ziel erstrebte. Denken Sie an die guten alten Aerzte! Oder
aber denken Sie an die allbekannte Erscheinung, als vor etwa 30 bis
50 Jahren die alte Segelschiffahrt von der Dampfschiffahrt verdrängt zu
werden begann. Scheelen Auges sahen die alten Seebären, die in Sturm
und Wetter durch 1000 Gefahren mühsam ihre schwerfälligen, wenig
mobilen großen Kähne geführt, auf die beweglicheren, viel praktischeren
Dampfschiffe und sagten: ‚Nun ist es keine Kunst mehr, die Meere zu
befahren.“ Oder überschauen Sie noch einmal die furchtbare, titanische
Katastrophe, die seit Wochen alle Gemüter in Aufregung hält. Das
modernste Schiff der Welt, mit allen Hilfsmitteln der Technik versehen
— die Auswüchse der Genußsucht, die es barg, berühren uns nicht —
angeblich mit allen Schikanen des Ingenieurs ausgerüstet und für alle
Eventualitäten bereit — ein Triumph mathematisch-technischer, berech-
nender Wissenschaft — das größte Vertrauen der Menschen heischend
— erliegt einem höchst einfachen, unerwarteten Zwischenfall. Nun unter-
sucht man. Was kommt heraus? Im Vertrauen auf die Technik hatten
die Menschen, auf welchen die Verantwortung lag, diese Verantwortung
zu leicht genommen; auch spielte das Geld eine übergroße Rolle bei
dieser Sache — und wo das Geld über eine gewisse Grenze in den
Vordergrund rückt, da schweigen andere Stimmen zumeist, auch die der
gesunden Vernunft und die des Herzens, da ist nur für eine kalte, be-
rechnende Auffassung des Berufs und der Leistung Platz. Die Schiffs-
leute glaubten alles auf dem besten Wege zu einem neuen Triumph und
fahren mit geringerer Aufmerksamkeit als sie wohl sonst gefahren
wären. Jetzt kann man allenthalben von berufener und unberufener Seite
lesen, welche Kardinalanzeichen das Unglück angekündigt hätten, jeder
weiß jetzt, was der unglückliche Schiffsführer hätte tun sollen. Das zu
lesen ist höchst unerguicklich. Wie ein trostreiches Wort, wie ein Be-
sinnen auf menschliche Grenzen erschien uns da die Ausführung eines
von langer Seefahrt ruhenden, alten Kapitäns, der auch zur Sache sprach,
der aber keinen Stein auf den unglückseligen Schiffsführer zu werten
suchte. Er sagte ungefähr das Folgende: „Was man da über die be-
stimmten Anzeichen der nahen Gefahr äußert und liest, das ist alles
hinfällig. Die Natur kennt keine so engen Gesetze, das alles
braucht nicht da, nicht bemerkbar gewesen zu sein. Man muĝ
Fall für Fall trennen und gesondert beurteilen. Nicht die großen
Anzeichen sind es, die uns warnen, nicht die mit groben Aus-
schlägen an feinen Instrumenten sich kundgebenden Veränderungen; nem,
es sind eine Reihe kleiner und kleinster Faktoren, die der wirklich
erfahrene Schiffer beachtet. Sie warnen ihn; mittels der technischen
Mittel erhärtet er nun seine Wahrnehmung oder er erkennt sie als hin-
fällig und richtet sich danach. Wenn aber einmal wirklich die groben
Anzeichen da sind, ist es schon sehr spät.“ Was lehrt uns die Ge-
schichte? Wer die Erfahrung hat, der hat die Kunst. Wer sie nicht
hat, der spielt — vielleicht mit Glück — wie ja auch manchmal em
Maler glücklich mit Farben experimentiert, und dabei schließlich etwas
produziert, was einem Kunstwerke gleichkommt. Wie auf allen Gebieten,
dürfen auch wir Mediziner nicht glauben, daß wir durch die uns 8%
wordene mehr oder weniger raffinierte Technik, sei es der Untersuchung:
sei es der Therapie, soviel weiter geschritten sind, daß wir die stän-
dige Uebung unserer eigensten natürlichsten Sinnesgaben vernachlässigen,
ihnen weniger Beachtung schenken, oder gar, daß wir deshalb des nackten,
sogenannten gesunden Menschenverstandes entbehren können. Auch für
die auf exakter Basis konstruierten Hilfsmittel gilt Platens Wort:
„Auch das Beste, was ihr bildet,
Ist ein ewiger Versuch.“
(Schlaß folgt.)
13. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
1691
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Naturheilkunde vor dem Reichsgericht.
Bei einem Schadenersatzprozesse, den eine an syphilitischer Regen-
bogenhautentzündung erkrankte Patientin gegen eine bekannte Natur-
heilanstalt angestrengt hatte, weil die Anstaltsärzte durch die arzneilose
Behandlung dieser schweren Erkrankung einzig nach dem Naturheil-
verfahren gegen die Regeln der ärztlichen Heilkunde schuldhaft ver-
stoßen haben, stellte das Reichsgericht folgende überaus wichtige Grund-
sätze auf: „In Ermanglung einer abweichenden Vereinbarung wird ein
Arzt dadurch, daß der Erkrankte sich mit einer bestimmten Art der Be-
handlung einverstanden erklärt oder sich sogar nur zum Zweck einer
solchen an den Arzt wendet, der Pflicht nicht tiberhoben, die Richtigkeit
dieser Behandlung in dem gegebenen Falle zu prüfen und, wenn nach
den Regeln der ärztlichen Wissenschaft ihre Erfolglosigkeit oder gar
Schädlichkeit anzunehmen ist, sie aufzugeben oder wenigstens von ihr
abzuraten. Dementsprechend beschränkt sich auch die Vertragspflicht
der Aerzte an einer Naturheilanstalt nicht etwa darauf, den in die An-
stalt Aufgenommenen nach den Regeln des Naturheilverfahrens zu be-
handeln, sondern sie sind kraft des Vertrags verpflichtet, bei der Auf-
nahme des Kranken in die Anstalt und auch in dem späteren Laufe der
Behandlung ihr Augenmerk darauf zu richten, ob die Anwendung des
Naturheilverfahrens in diesem Falle den Regeln der ärztlichen Wissen-
schaft entspricht, und handeln vertragswidrig, wenn sie die Be-
handlung nach dem Naturheilverfahren beginnen oder fort-
setzen, obwohl sie bei pflichtmäßiger Berücksichtigung der
Regeln der ärztlichen Wissenschaft ihre Untauglichkeit oder
Schädlichkeit erkennen müssen.“ Von diesen Grundsätzen hat
das Reichsgericht für den vorliegenden Fall auch nicht etwa deshalb eine
Ausnahme zugelassen, weil der Anstaltsarzt der Klägerin erklärt hat, er
habe nicht die genügende Erfahrung, um ihr die Heilung durch das
Naturheilverfahren in Aussicht zu stellen; denn diese Aeußerung enthält
kein hinreichendes Abraten von der Naturheilbehandlung, keinen Hin-
weis auf die Möglichkeit schädlicher Folgen und auch keine Ablehnung
der Haftung der Beklagten für diese, zumal der Anstaltsarzt die Klägerin
gleichzeitig an den damaligen Chefarzt der Beklagten verwiesen hat. Der
Vorderrichter bat auch weiter ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß die
Anstaltsärzte durch die Behandlung der Klägerin nach dem Naturbeil-
verfahren bei der Schwere ihrer Erkrankung gegen die Regeln der ärzt-
lichen Heilkunde schuldhaft verstoßen haben, daß die arzneilose Be-
handlung der syphilitischen Regenbogenhautentzündung der
Klägerin nicht nur wirkungslos, sondern auch schädlich go-
wesen sei, und daß die von der Beklagten angestellten Aerzte dies
auch hätten erkennen müssen. Mit dieser Feststellung steht der von der
Revision hervorgehobene gute Glaube der Anstaltsärzte an die Möglich-
eit eines Erfolges des Naturheilverfahrens und ihr Zweifel an der Wirk-
amkeit der Behandlung mit Quecksilber und Atropin nicht in Wider-
pruch. Trotz solchen guten Glaubens kann man fahrlässig handeln, bei
Beobachtung der ihnen als Aerzten obliegenden Sorgfaltspflicht hätten
eno die Gefährlichkeit der Bebandlung erkennen müssen.
Schließlich stellte der Berufsrichter auch fest, daß der Klägerin
lurch das schuldhafte Verhalten der Anstaltsärzte ein Schaden erwachsen
st. Er ließ zwar dahingestellt, „inwieweit“ die Klägerin bei sofortiger
’ehandlung mit Arznei geheilt, insbesondere ihr Augenlicht erhalten
Jorden wäre, er fügt aber hinzu, soviel sei nach dem Gutachten des
jachverständigen als sicher anzusehen, daß bei rechtzeitiger Anwendung
on Atropin die nicht wieder zu beseitigenden Verwachsungen der Linse
it dem Pupillenrande, die zur Erblindung auf dem einen und zur Ver-
inderung der Sehkraft des andern Auges geführt haben, in dem Maße
icht eingetreten sein würden. Damit ist sowohl das Vorliegen eines
Chadens in einer zur Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs
; 304 der Zivilprozeßordnung) gentgenden Weise als auch die Ursäch-
chkeit des Verhaltens der Anstaltsärzte für diesen Schaden ohne Rechts-
rstoß festgestellt. | D.
Aerztliche Briefe.
Zürich.
Vom 5. bis 12. September fand die internationale soziale
/oche in Zürich statt. Zu dem Kongreß zur Bekämpfung der
rbeitslosigkeit, dem Internationalen Heimarbeiterkongreß,
ı der VII. Generalversammlung der Internationalen Vereinigung
r gesetzlichen Arbeiterschutz gesellte sich noch eine Sitzung
8 Internationalen permanenten Komitees für Sozialver-
cherung.
Von den die Aerzte hauptsächlich interessierenden Themata: „Aus-
hnung der Versicherung auf die höher besoldeten Arbeiter, die halb-
selbständigen Personen und die selbständigen mit geringem Einkommen“,
„Simulation und Uebertreibung der Erwerbsunfähigkeit“ und „Die kleinen
Unfälle und die Anpassung“ wurde nur das erste behandelt. Es fand in
dem Prof. Dr. jur. Piloty aus Würzburg einen vortrefflichen, von
neutraler, hoher Warte aus urteilenden Referenten, der selbstverständ-
lich die vorteilhaften Seiten der staatlichen Zwangsversicherung voll an-
erkennt, aber trotzdem vor deren allzuleichten Ausdehnung auf die Selb-
ständigen warnt. Er befürchtet eine verhängnisvolle Rückwirkung eines
noch so gut gemeinten und wirtschaftlich segensreich wirkenden Zwangs
auf die Persönlichkeit, welche bis anhin oft mit schwersten Opfern und
Eutbehrungen kämpfte, gelegentlich unterging, aber als höchstes Gut und
als reiche Quelle individueller Widerstandsfähigkeit ihre unberührte Selb-
ständigkeit: bewahrte und rettete. Wo wirtschaftliche Not absolut zum Ein-
greifen zwingt, da mag die Zwangsversicherung als Notbehelf unvermeid-
lich sein, aber sonst sollte wo immer die zwanglose Versicherung ge-
fördert werden.
Natürlich blieb dieser reservierte Standpunkt von seiten besonders
der deutschen Zwangsversicherer nicht unwidersprochen, aber immerhin
mußte man aus all diesen Voten den Eindruck bekommen, daß der
Glaube an das alleinseligmachende Dogma der allgemeinen Zwangsrver-
sicherung, welcher bei früheren Gelegenheiten oft gepredigt wurde, doch
nicht mehr so fest ist und daß man sich auch wieder auf andere Wege
zum Heile besinnt.
Wer sich meiner prinzipiellen Stellungnahme zur Einführung der
unentgeltlichen Geburtshilfe auf weite Kreise erinnert, wird nicht ver-
wundert sein, daß mich die Ausführungen von Prof. Piloty mit Genug-
tuuug erfüllten. Sne
Im übrigen ist für den Aerztestand aus dieser Diskussion noch
das besonders wichtig, was nicht gesagt wurde. Obschon Prof. Piloty
an Hand der allein einigermaßen zuverlässigen sächsischen Einkommen-
statistik und bei Zugrundelegung einer oberen Grenze von 2500 M Ein-
kommen ausrechnete, daß 7/s der ganzen deutschen Bevölkerung, wirt-
schaftlich gesprochen, versicherungsbedürftig sind, sodaß also eine eyen-
tuelle Ausdehnung für die wirtschaftliche und soziale Stellung der Aerzte
von einschneidendster Bedeutung sein würde, hat kein Redner dieser Seite
gedacht. Um nicht einen Zankapfel in die Versammlung zu werfen —
für eine selbst nur kurz orientierende Diskussion fehlte die Zeit — über-
gab ich dann einen „kleinen Beitrag zur Lösung der Aerztefrage bei
der eventuellen Ausdehnung“ dem Schriftführer zur nachträglichen Ver-
öffentlichung.
Die vollständige Ignorierung eines so wichtigen Faktors beweist
von neuem die Notwendigkeit‘ der ärztlichen Selbsthilfe Es ist dringend
nötig, daß Aerzte in den permanenten nationalen Komitees sitzen, daß
sie ihre Interessen in den Kongressen uneingeladen vertreten. Um dies
aber mit Erfolg tun zu können, ist vorausgehende internationale Ver-
ständigung sehr wünschbar.
Daß, nebenbei gesagt, die rechtzeitige Mitarbeit der Aerzte auf
dem Gebiete der staatlichen Versicherung ihnen auch einen Einfluß
sichern kann bei der Durchführung der Gesetze, zeigte die Ernennung
von zwei Aerzten zu Mitgliedern des Verwaltungsrats der eidgenössi-
schen Unfallversicherungsanstalt. Dr. Häberlin.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.) |
Berlin. Nach einem in der Medizinalabteilung des Reichs-
marineamts bearbeiteten statistischen Berichte betrug im letzten
Berichtsjahre bei einer Kopfzahl von rund 50000 Mann der Kranken-
zugang 28461 oder beinahe 570 auf 1000. Die Tatsache, daß durch-
schnittlich jeder Kranke sich 17 bis 18 Tage in ärztlicher Behandlung
befand, spricht dafür, daß es sich in vielen Fällen um schwere und lang-
wierige Leiden gehandelt hat. Anderseits ist es als erfreulich zu be-
zeichnen, daß, trotz des absolut hohen Krankenbestandes, die Todesfälle
noch nicht einen auf 1000 der etatsmäßigen Sollstärke ausgemacht haben.
Unablässig wird daran gearbeitet, die sanitären Verhältnisse auf den
Kriegsschiffen, die ja auch durch die engen Raumverhältnisse besonders
ungünstig beeinflußt werden, ständig zu verbessern. Hierzu ist in erster
Linie der Einbau von Frischwassertanks in die Gefechtsverbandsräume zu
zählen. Die in der letzten Zeit immer zahlreicher auf den Kriegsschiffen
aufgestellten Selterswasserapparate finden bei der Mannschaft immer
mehr Anklang. Im Zusammenhang hiermit ist die entschiedene Abnahme
des Verbrauchs alkoholischer Getränke zu bemerken.
— Zur Krankenversicherung der Dienstboten. Die Be-
stimmungen der Reichsversicherungsordnung, die den Krankenversicherungs-
zwang für Dienstboten vorschreiben, treten, wie nunmehr feststeht,
keinesfalls vor dem 1. Januar 1913 in Kraft. Die Befreiung von dieser
Verpflichtung ist jedoch nach $ 418 zulässig, wenn dem Dienstboten ein
Rechtsanspruch an seinen Dienstgeber so zusteht, daß dieser ihm im Er-
1692 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4,
13. Oktober.
krankungsfalle Unterstützung im Umfange der Krankenkassenleistungen
zu gewähren hat. Der Anspruch wird durch entsprechende Vereinbarung
beim Mieten. geschaffen. Voraussetzung für die Befreiung ist, dab die
Leistungsfähigkeit des Dienstgebers gesichert ist. Damit ist die Not-
wendigkeit des weiteren Bestehens des Abonnementsvereins von Dienst-
herrschaften für kranke Dienstboten zu Berlin auf Gegenseitigkeit auch
für den Fall gegeben, daß die Reichsversicherungsordnung in Kraft treten
sollte. Wie weiteren Kreisen wohl bekannt sein dürfte, besteht die Ver-
pflichtung des Abonnementsvereins zu Leistungen so lange, wie die Dienst-
herrschaft zur Bezahlung der Kosten verpflichtet sein würde, jedoch nicht
über die Dauer von 26 Wochen hinaus. |
Breslau. Der „Deutsche Verein für Schulgesundheits-
pflege“ und der „Verein für Volksbäder“ haben fürs nächste Jahr
Breslau zum Tagungsort erwählt. — Auf der 1913 stattfindenden großen
Ausstellung zur Erinnerung an die Befreiungskriege wird die Kaiser-
Wilhelm-Akademie mit einer Sonderabteilung, die den damaligen
Stand des Militärsanitätswesens darstellt, vertreten sein. |
Berlin: Der Geschäftsausschu 8 des Deutschen Aerztetags
hat beschlossen: Unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage und des
jetzigen Standes der schwebenden wichtigsten Standes- und. wirtschaft-
lichen Fragen sieht der Geschäftsausschuß von der Einberufung des
Aerztetags vorläufig ab, behält sich aber vor, einen solchen sofort ein-
zuberufen, sobald die Umstände es notwendig erscheinen lassen.
— Der Magistrat hat beschlossen, das Kollegium durch ein
besoldetes und ein unbesoldetes Mitglied zu vergrößern. Als besoldetes
Mitglied wird ein Stadt-Medizinalrat gewählt werden.
— Eine Poliklinik für gerichtliche und versiche-
rungsrechtliche Medizin ist von dem Kgl. Universitätsinstitut,
Luisenstraße 42, errichtet worden. Daselbst sollen Unbemittelte unent-
geltliche Auskunft und Begutachtung in Unfall-, Invaliden-, Strafsachen
erhalten. — |
Charlottenburg. Auf der Dresdener Hygieneausstellung befand
sich ein Sportlaboratorium; darin konnte mittels verschiedener
Apparate der Einfluß des Sports und der Turnübungen auf den mensch-
lichen Körper beobachtet und zugleich festgestellt werden, bis zu wel-
chem Grade die Leibesübungen für den menschlichen Organismus nütz-
lich sind, und wann sich Nachteile einstellen. Die Stadt Charlotten-
burg will nun dieses Institut übernehmen und hat einen Bauplatz und eine
angemessene Subvention zur Unterhaltung des Laboratoriums zur Ver-
fügung gestellt. Man hofft dadurch eine Förderung des Turnens und der
Jugendfürsorge zu erzielen, und es ist außerdem gleichzeitig die Mög-
lichkeit gegeben,‘ eine ganze Reihe praktischer Aufgaben der Schul-
gesundheitspflege zu lösen. Zugleich wird es auch möglich sein, festzu-
stellen, inwieweit sich die Wirkung der Erholungsstätten und Ferien-
kolonien auf schwächliche und kranke Kinder erstreckt.
Der Internationale Hygienekongreß in Washington bat be-
schlossen, im Haag ein Hygienebureau zu schaffen.
London. Dem „Athenaeum“ zufolge machte gelegentlich der
jüngsten Jahresversammlung der Medico-Psychological Association Groß-
britanniens und Irlands der Arzt Dr. Briscoe die nachfolgende allgemein
interessierende Mitteilung. Er wies nach, daß bei den Patienten der
Irrenhäuser die Blinddarmentzündung beinahe nie vorkommt.
+
Seine Ausführungen stützten sich auf die Statistik einer großen Anzahl
von Heilanstalten und wurden in der Diskussion von vielen Äerzten be-
stätigt. Dr. Briscoe schreibt das Nichtvorkommen dieser Krankheit
dem Umstande zu, daß man der Ernährung der Geisteskranken ganz be-
sondere Sorgfalt zuwendet, was Abwechslung, Gehalt, Qualität und
Quantität betrifft, und zieht daraus den naheliegenden Schluß, daß ver-
nünftige Sorgfalt bei der Zubereitung und Bedächtigkeit beim Essen der
Speisen das Auftreten dieser Modekrankheit erheblich verringern würden.
Paris. Ein interessanter Honorarprozeß beschäftigte vor
kurzem das Tribunal. Auf den Rat eines Hausarztes wurde Prof. D. zu einem
Consilium hinzugezogen. Dieser hielt eine Operation des betreffenden
Kranken für dringend notwendig und operierte denselben in einem Sana-
torium. Der Hausarzt verlangte nun von dem Vater des unmündigen
Kranken ein Honorar von 1200 Fr. für die Assistenz während der Ope-
ration und für seine Besuche während der Nachbehandlung. Der Vater
bot ihm 800 Fr. an mit der Begründung, er hätte weder die Anwesen-
heit des Arztes während der Operation, noch seine Besuche während des
Aufenthalts im Sanatorium verlangt. Das Gericht wies die Forderung
des Arztes als unbegründet zurück, da das Familienoberhaupt nicht ver-
pflichtet sei, für die ohne direkte Aufforderung [geleistete Assistenz bei
der Operation und Nachbehandlung zu zahlen. |
— Die Fortschritte auf allen Gebieten der Heilkunde haben .nun-
mehr auch der in früheren Jahrzehnten in großem Umfang ausgeübten
Blutegelindustrie ein unrühmliches Ende bereitet. Im Jahre 1850
kauften in Paris die Krankenhäuser für 80000 Fr. Blutegel; heute genügen
für den Ankauf von Blutegeln jghrlich 200 Fr. In den letzten Jahren
des zweiten Kaiserreichs zählte man in der Seinemetropole zwölf „Spe-
zialisten*, deren ganzes Geschäft im Blutegelverkaufe bestand; jeder ver-
kaufte an die Apotheker monatlich 800000 bis 400000 Stück zum Darch-
schnittspreise von 250 Fr. pro Tausend. Jetzt gibt es in ganz Paris nur
einen Blutegelhändler, der tausend Stück für 65 Fr. verkauft. Bestehen
kann der Biutegelhandel einzig und allein noch durch den Export. Es
muß nämlich bemerkt werden, daß die amerikanischen Aerzte dem alten
Systeme der Blutabzapfung treu geblieben sind. Bis vor wenigen Jahren
gab es noch in der Gegend von Bordeaux eine Anzahl Blutegelzüchter,
die in künstlich angelegten Sümpfen ihre Blutegel mit dem Blu
alter Pferde fütterten. Jetzt liegt die Industrie Vollständig danieder Ma
fängt die Blutegel heutzutage in der Türkei, in Dalmatien und in Kroatien
und sie werden von dort in Körben oder Kisten, in welchen sich eine
Schicht Schlamm befindet, dorthin versandt, wo man ihrer noch bedarf.
Paris. Für den im Vorjahre von einem Patienten ermordet
Guinard soll im Hofe des Hötel Dieu an der Stelle, an welcher Pi
‚Attentat stattfand, ein Monument errichtet werden. Die Sammlung
erreichte bisher die Höhe von 13000 Fr., es ist indessen begründete
Hoffoung vorhanden, insgesamt zum mindesten 20000 Fr. zusammen-
zubringen.
Wien. Im Monat Mai d. J. ist in Wien die Oesterreichische
‚Gesellschaft für Schulgesundheitspflege gegründet worden, an
deren Spitze Reg.-Rat Dr. Leo Burgerstein steht. Der Ausschuß wendet
sich an alle diejenigen, die bereit sind, die Förderung der körperlichen
Ausbildung unserer Schuljugend aller Altersstufen zu unterstützen, Lehrer,
Aerzte, Bautechniker, Verwaltungsbeamte sowie Freunde des Schulwegens.
Um die Teilnahme aus dem ganzen Reiche möglichst intensiv zu ge-
stalten, wurde der Mindestjahresbeitrag vorläufig auf eine Krone ange-
setzt, doch ist in den Statuten auch für höhere Beiträge vorgesorgt.
Näheres ist aus den Satzungen des Vereins zu ersehen, die von der
Vereinssekretärin Dr. Mathilde Gstettner, Augenärztin und Fach-
lehrerin, VII., Neubaugasse Nr. 80, zu beziehen sind,
WienerRöntgenkurse. Unter diesem Titel und unter der Leitung
der Herren Ingenieur Heinz Bauer, Dozent Dr. G. Holzknecht und
Dozent Dr. R. Kienböck hat sich eine Vereinigung aller bekannten
Wiener Röntgenologen gebildet, um einen jährlich sich wiederholenden
Kursus in der Dauer von zehn bis zwölf Tagen, der das Gesamtgebiet
des Faches sowohl theoretisch als praktisch umfaßt, zu veranstalten. Der
erste Kursus soll im Frühjahr 1913 stattfinden. |
Berlin. Dr. Hinz, langjähriger Assistent von Prof. Riese am
Kreiskrankenhaus in Groß-Lichterfelde, ist zum dirigierenden Arzte des
Eee e in Köpenick gewählt worden, das Oktober 1913 eröffnet
werden soll. —
— Geh. Sanitätsrat Dr. Jaquet, Ehrendoktor der Universität
Königsberg, Ehrenmitglied der Gynäkologischen Gesellschaft, sehr beliebter.
und gesuchter Frauenarzt, bekannt durch seine fachwissenschaftlichen
Beiträge und geschätzt als vorzüglicher Praktiker, ist im Alter von
76 Jahren gestorben. — |
Bochum. Der Vorsitzende des Deutschen Aerztevereinsbundes
und des Ausschusses der preußischen Aerztekammern,. Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Karl Löbker, Chefarzt des Krankenhauses Bergmannsheil in
Bochum, ist nach längerem Leiden am 9. Oktober gestorben. Löbker
war 1854 zu Coesfeld (Westfalen) geboren, hat sich 1882 in Greifswald
für Chirurgie habilitiert und wurde 1889 als Leiter an das Krankenhaus
Bergmannsheil in Bochum berufen.
Hochschulnachrichten. Bonn a.Rh.: Priv.-Doz.Prof.Dr.Schön-
dorff, bisher physiologischer Assistent am physiologischen Institut zum
Abteilungsvorsteher am genannten Institut. — Düsseldorf: Geh. Sen.-
Rat Prof. Dr. Keimer, außerordentliches Mitglied der Akademie für
praktische Medizin (Laryngologie und Otologie), im Alter von 65 Jahren
gestorben. — Halle a. S.: Dr. Kathe für Hygiene habilitiert. — Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. E. Harnack feierte am 10. Oktober seinen 60. Ge-
burtstag. — München: Priv.-Doz. Dr. Westelmeyer zum Dozenten an
der militärärztlichen Akademie. — Rostock i. M.: O. Honorarprofessor
Dr. Wolters, Direktor der Dermatologischen Klinik, zum 0. Professor.
— Graz: A. o. Professor Dr. H. Albrecht (Wien) zum o. Professor
der pathologischen Anatomie an Stelle Eppingers. — Wien: Dr. Karl
Leiner für Kinderheilkunde habilitiert.
Von Aerzten und Patienten.
,. . .. Physiologisch interessant ist es, an Parfums die hohe
Leistungsfähigkeit unseres Geruchsinns zu erproben. ge
Milligramm Moschus reichen aus, um einen Raum, der häufig gelüftet
wird, jahrelang mit Moschusduft zu erfüllen. Wir riechen diesen Moschus,
und doch kann er in jener Luft, die uns umgibt, nur in unnennbar geringen
Mengen vorhanden sein. Direkte Versuche, die Passy mit alkoholischen
Lösungen stark riechender Substanzen anstellte, haben ergeben, da fünf
hundert Tausenästel eines Milligramms Vanilin ausreichen, um eim Br
Luft merklich zu parfümieren. Derselbe Effekt wird schon mit fün
Tausendstel Milligramm Campher erreicht; von dem künstlichen Moschus
reichten fünf Millionstel eines Tausendstel Milligramm aus, um durch den
Geruchsinn wahrgenommen zu werden. Will man diese Menge 10 Zahlen
ausdrücken, so ergibt das 0,000 000 000 005 g und dabei steht die Leistungs-
fähigkeit des Geruchsinns beim Menschen gegen jene vieler Tiere noc
bedeutend zurück.....
„Eduard Straßburger, Streifzüge an der Riviera‘.
Jena 1904, Gustav Fischer.
Jene DIUS, Lrastar Fischer. O O ooer
Bemerkung der Redaktion: Auf Seite 15 des Inseratentels
findet sich eine Figur, welche der Arbeit von Dr. Helmbold (Danzig):
„Weiterer Beitrag zur Bestimmung des Pupillenabstandes“ in Nr. i
S. 1854, beizulegen ist. Der Druck ist so eingerichtet, daß die Fig"
ausgeschnitten und eingeklebt werden kann.
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich die
Erklärung einiger in dieser- Nummer vorkömmender Fachansdrücke
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
20. Oktober 1912.
Nr. 42 (411). VII. Jahrgang.
Medizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: P. Schuster, Welche Vorsichtsmaßregeln sind bei der Untersuchung des Nervensystems Unfallverletzter zu beobachten ?
K. Biehl, Ueber Hörprüfung und ihre Verwertung in der amts- und zivilärztlichen Praxis. Graessner, Der röntgenologische Nachweis von Ver-
letzungen der Wirbelsäule. Rammstedt, Zur Operation der angeborenen Pylorusstenose. Hausmann, Die topographische Gleit- und Tiefen-
palpation und ihre klinische Bedeutung. D. Natonek, Ueber einen Fall von Typhussepsis. Umfrage über das F'rühaufstehen nach Operationen und
Geburten. Antworten von F.Fromme-Berlin, Döderlein-München, A. Neumann-Berlin, H. Sellheim-Tübingen. — Aumann, Kaninchenimpfung
mit Syphlitikerblut und Blutserum. — Referate: S. Rosenberg, Ueber experimentellen Diabetes und seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer
Sekretion. Adam, Aus der neuesten ophthalmologischen Literatur. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Diagnose der Lungen-
tuberkulose im Kindesalter. Pharyngoskop. Dermatitis papillaris capiliti. Klimax. „Asthmolysin“. Diätetik der Nierenkranken. Luminal. Hexal.
Heilung des Keuchhustens. Magenschmerzen bei Gastritis aleoholica. Unangenehme Begleiterscheinungen nach intramuskulärer Injektion von „Joba“.
Wirkung des Hypophysenextraktes in der Geburtshilfe. „Sedo-Roche-Tabletten“. Transplantation von freien Lappen von Fascie. — Neuheiten aus
der ärztlichen Technik: Graduierte und ungraduierte Pipetten und Pipettenflaschen mit automatischer Saugvorrichtung. — Büicherbesprechungen:
A. Adler, Ueber den nervösen Charakter. Ph. Bockenheimer, Plastische Operationen. Leredde, La Stérilisation de la Syphilis. A. Gabriel,
Die kassenärztliche Frage. Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: P. Frank, Fibrom, angeblich nach Unfall entstanden,
Zusammenhang verneint. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster.
(Fortsetzung.) 837. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Breslau, 3. bis 6. September 1912. I. Kongreß. zur
wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen in Oberhof i. Thür., 20. bis 23. September 1912. Breslau. München. Berlin.
— Rundschau: F. Haker, Karl Löbker t. — Geschichte der Medizin: G. B. Gruber, Der Arzt ein Künstler. (Schluß.) — Kleine Mitteilungen.
| Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe gestattet
oe: ST Er u ET ng nme P aaa a a aa Dei e e e N
Klinische Vorträge.
Welche Vorsichtsmaßregeln sind bei der Unter-
suchung des Nervensystems Unfallverletzter zu
beobachten *)?
Von
Prof. Dr. Paul Schuster, Berlin.
M. H.! Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die
Beschäftigung mit Unfallnervenkranken sich bei den Aerzten
einer recht geringen Beliebtheit erfreut. Das Gros der
Aerzte geht der Behandlung und besonders der Begutachtung
von Unfallneurotikern ängstlich aus dem Wege. Wie ist
das zu erklären?
Das rührt zweifellos daher, daß, die Untersuchung
nervenkranker Traumatiker außerordentlich häufig nur ein
unsicheres und zweifelhaftes Resultat ergibt, sowie daher,
daß nicht gar zu selten dem Arzte durch seine Untersuchung
und Begutachtung Weiterungen und Unannehmlichkeiten
entweder bei dem Versicherten oder bei dem Versicherungs-
träger erwachsen.
Ich will nun heute versuchen, Ihnen klarzulegen,
welche Vorsichtsmaßregeln man bei der Untersuchung
Nervenkranker anwenden muß, um eine möglichst einwand-
freie Unterlage für die Begutachtung zu gewinnen und um
gleichzeitig das Interesse jeder der beiden streitenden Par-
teien zu wahren.
„„. Zuvörderst muß ich Ihnen als außerordentlich zweck-
mäßig empfehlen, schon vor der Untersuchung jedes trauma-
tischen Nervenkranken sich über den bisherigen Verlauf der
Unfallangelegenheit und über die etwa schon von andern
Aerzten gemachten Beobachtungen zu orientieren, respektive
') Vortrag, gehalten auf dem 3. Internationalen Unfallkongreß zu
Düsseldorf am 10. August 1912. ü
das Studium der Unfallakten schon vor Untersuchung des
Kranken vorzunehmen. Sie werden dann schon von vorn-
herein wissen, wie Sie den Patienten zu nehmen haben, Sie
werden auf etwaige psychische Besonderheiten des Patienten
eher acht geben und Rücksicht nehmen können, und Sie
werden gleich zu Beginn der Untersuchung wissen, welche
Symptome oder Beschwerden Ihre besondere Aufmerksam-
keit verlangen. Treten Sie dagegen vollkommen unvor-
bereitet an die Untersuchung heran, so werden Sie nur
unter großem und unnützem Zeitverluste die Untersuchung
befriedigend zu Ende führen können. Durch ein vorbereiten-
des Aktenstudium schützen Sie sich aber in der Regel auch
vor der schon angedeuteten Gefahr der Weiterungen und
Unannehmlichkeiten. Wenn Sie aus den Akten erfahren,
daß Sie einen Alkoholiker oder einen Querulanten vor sich
haben, welcher schon wiederholt mit andern Gutachtern Zu-
sammenstöße gehabt oder dieselben gar bedroht hat — die
Bedrohung mit dem Revolver, die ich einigemal in den
Akten vermerkt fand, bildet glücklicherweise eine seltene
Ausnahme — so werden Sie mit doppelter Aufmerksam-
keit alles bei der Untersuchung vermeiden, was zu Kon-
flikten führen und die Untersuchung stören könnte. Wie
wichtig, ja unerläßlich das Studium der Akten vor der
Untersuchung in allen jenen Fällen ist, in welchen der Ver-
letzte mit Recht oder Unrecht der Simulation beschuldigt
wird, brauche ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen.
Man könnte mir einwenden, daß die Durchsicht der
Akten vor der Untersuchung den Untersucher beeinflussen
und mit einem Vorurteil gegen den Exploranden erfüllen
könnte. Nun, daß diese Gefahr der Beeinflussung nicht sehr
groß ist, das ersehen Sie schon daraus, daß Meinungs-
verschiedenheiten, selbst solche fundamentaler Art, zwischen
Untersuchern, welche ihre gegenseitigen Gutachten kennen,
keineswegs zu den Seltenheiten gehören.
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1696
TB m ————— nn
traumatikern findet, er beweist also nichts gegen die bona
fides des Exploranden, sobald die Möglichkeit der Hysterie
vorhanden ist.
In der motorischen Sphäre sind etwaige Widersprüche
im Untersuchungsbefund epikritisch schon ernster zu nehmen.
Sobald ein Patient, wenn er das Hemd beim Auskleiden
über den Kopf zieht oder wenn er beim Ausziehen der
Beinkleider längere Zeit auf einem Bein allein steht, keine
Spur von Unsicherheit aufweist, während er bei der Prüfung
auf das Rombergsche Symptom schwer getaumelt ist, so
ist das ein Mißverhältnis, welches auch durch die Annahme
einer Hysterie in der Regel nicht zu erklären ist. Das
gleiche gilt für den Fall, daß irgendeine Bewegung, welche
. bei der Untersuchung wegen angeblicher Lähmung oder
Muskeisteifigkeit oder angeblich vor Schmerz nicht aus-
geführt werden konnte, außerhalb der Untersuchung frei
vorgenommen wird. Aber selbst hier ist noch immer Vor-
sicht bei der Deutung nötig. Hysteriker können nicht
selten bestimmte Bewegungen unter gewissen Umständen
nicht ausführen, während sie dieselben unter andern Be-
dingungen und im Zusammenhang mit andern Bewegungs-
komplexen ausführen können. Ich nenne Ihnen nur die
Astasie-Abasie. Außerdem müssen Sie sich daran erinnern,
daß Hysteriker unter dem Einfluß eines Affekts vorüber-
gehend Bewegungen machen können, welche sie willkürlich
nicht ausführen können (hysterische Aphonie usw.).
Es ist Ihrer Aufmerksamkeit kaum entgangen, dab ich
bei der Angabe aller Untersuchungsmodifikationen und aller
kleinen Kunstgriffe, welche ich Ihnen zur Gewinnung mög-
lichst einwandfreier Resultate empfahl, stets genötigt war,
eine Einschränkung und einen Vorbehalt zu machen, und
zwar stets unter dem Hinweis auf hysterische Erscheinungen.
Daraus folgt, daß alle genannten Untersuchungsmodi-
fikationen nur in der Hand des geübten und aus-
gebildeten Untersuchers, der die Hysterie und alle
psychogenen Erscheinungen gründlich kennt, mit
Erfolg verwendet werden können, aber in der Hand
des ungeübten Arztes großen Schaden stiften
können. Ich komme somit notgedrungen wieder auf das
zurück, was ich Ihnen schon gleich zu Beginn dieses Vor-
trags sagte, daß nur die genaue Kenntnis und das
Vertrautsein mit dem Verhalten nicht simulations-
verdächtiger Nervenkranker den Arzt befähigt, solche
Nervenkranke zu untersuchen und richtig zu beurteilen,
welche irgendwie pekuniär an dem Ausfalle der Untersuchung
direkt oder indirekt interessiert sind.
Aus der Ohrenabteilung des k. u. k. Garnisonspitals Nr.1 in Wien.
Ueber Hörprüfung und ihre Verwertung in
der amts- und zivilärztlichen Praxis‘)
von
Prof. Dr. Karl Biehl, Wien,
k. und k. Stabsarzt und Vorstand der Ohrenabteilung.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
20. Oktober.
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Arbeiten gerade die früher so stiefmütterlich
Ohrenheilkunde, besonders was die ee
anbelangt, erfreuliche Fortschritte gemacht hat. Ebenso
müssen wir aber auch offen bekennen, daß es kaum ein
schwierigeres Kapitel in der praktischen Ohrenheilkunde gibt
als das der funktionellen Prüfung des Gehörorgans. — Will
man verwertbare Prüfungsresultate erhalten, so muß man
vor allem vollkommene Kenntnis des Krankheitszustandes
des Gehörapparats, der Untersuchungstechnik und nicht zu-
letzt Menschenkenntnis besitzen. Selbst wenn allen diesen.
Anforderungen entsprochen ist, empfiehlt es sich — beson-
ders in kritischen Fällen —, erst wenn durch wiederholt
angestellte Prüfungen ein gleiches oder annähernd gleiches
Resultat erzielt wurde, das endgültige Urteil abzugeben.
Beobachten wir diese Voraussetzungen, dann werden
wir auch zur Erkenntnis gelangen, daß viele Fehler in den
Untersuchungsresultaten, welche bei oberflächlicher Prüfung
dem Untersuchten zugerechnet werden könnten, wir selbst
als Untersucher verursacht haben.
Auf diese Weise kommt auch der in diesem Fach er-
fahrene Praktiker allmählich zur Einsicht, daß alle Methoden,
welche zur Aufdeckung angeblicher ein- oder doppelseitiger
Schwerhörigkeit angegeben sind, in der Hand eines uner-
fahrenen Arztes wertlos, wenn nicht gar gefährlich sind.
Ostmann betont auch mit Recht in seinem Lehrbuche der
Ohrenheilkunde, daß sie der erfahrene Arzt kaum ge-
braucht.
Aber selbst dann, wenn die Angaben des zu Unter-
suchenden bezüglich seiner Hörschärfe teils untereinander,
teils mit unserer wissenschaftlichen Erkenntnis nicht in Ein-
klang zu bringen sind, so haben wir noch lange kein Recht,
die Angaben desselben in Zweifel zu ziehen und ihn zu
einem Simulanten zu stempeln. Hat man Gelegenheit,
Schwerhörige aus den verschiedensten Bevölkerungschichten
zu untersuchen, und zwar Leute, die nur ein Interesse an
der Wahrheit haben, so wird man beobachten können, wie
erheblich voneinander abweichende, ja einander gegenüber-
stehende Resultate erzielt werden können; eben nur des-
halb, weil der Kranke das Wesen und den Sinn der Unter-
suchung nicht erfaßt.
Wir müssen uns aber zugestehen, das, was man den
unverdächtigen Kranken zubilligt, mindestens den der Simu-
lation verdächtigen zuzuerkennen.
Was nun die Vornahme der Gehörprüfung anbelangt,
so ist vor allem das Hören für die Sprache einer näheren
Prüfung und Feststellung zu unterziehen.
Die Physiker messen allerdings der Hörprüfung mittels
der menschlichen Stimme keinen allzu großen Wert zu.
Vasihide betont, daß bei Verwendung dieses Hörprüfungs-
mittels 1. der Maßstab kein konstanter ist, da die die
Sprache konstituierenden Elemente außerordentlich ver-
schieden und nach ihrer psycho-physiologischen Bedeutung
kaum abzuschätzen sind, 2. die Distanz die Prüfung auber-
ordentlich kompliziert. Die Otologen dagegen verwenden,
obwohl die
je di inwä tragen,
M. H. Ich will Ihnen heute aus meiner sicherlich sie diesen Einwänden Rechnung {rag
reichen Erfahrung, welche ich während meiner nun 16 jäh-
rigen Tätigkeit als Obrenarzt im größten Militärspitale der
Monarchie gesammelt habe, einiges berichten.
Da ich als Militärarzt gerade im Kapitel „Hörprüfung“
bedeutend mehr Verantwortung sowohl dem Untersuchten
gegenüber wie auch mir selbst, meiner Behörde und nicht
in letzter Linie der Außenwelt zu tragen habe als die
meisten meiner Zivil-, ja sogar Fachkollegen, glaube ich
hiermit gleichzeitig auch Ihrem Interesse zu begegnen, wenn
ich meine Erfahrungen, welche ich gerade in diesem Kapitel
gewonnen habe, Ihnen hier vortrage.
Wir müssen uns ja zugestehen, daß durch rastloses
Sprache als Mittel der Funktionsprüfung, weil
1. eine gute Perception der menschlichen Sprache für
das Individuum von hohem Wert ist,
2. die Sprache eine große Zahl von Tönen umfaßt,
3. diese Töne bequem reproduziert werden können un
4. die Physik bisher kein Mittel zur Verfügung g%
stellt hat, das das Hörvermögen für die Sprache mit Ge-
nauigkeit bestimmen kann.
Die Hörprüfung mittels der Sprache hat vor den
andern vielleicht noch in Betracht kommenden Methoden
auch den einen unschätzbaren Vorteil, daß der Prüfende
rasch und objektiv feststellen kann, ob der Geprüfte, welcher
das vorgesprochene Wort sofort wiederholen muß, auch tat
sächlich die richtige Gehörempfindung gehabt, er ë A
richtig gehört hat. Die Prüfung mit musikalischen Instru-
. 1) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des
Wiener Medizinischen Doktorenkollegiums am 11. März 1912,
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 42. 1697
menten kann ja auch hierüber Aufschluß geben; jedoch
muß der zu Untersuchende genügend musikalisch
sein, um den angegebenen Ton richtig wiedergeben zu
können, und auch der Prüfende muß soweit musikalisch ge-
bildet sein, dies sicher beurteilen zu können. Auf das Er-
gebnis dieser Prüfung werden wir also in manchen Fällen
infolge der entgegentretenden Schwierigkeiten ganz ver-
zichten müssen, manchmal wird dasselbe recht zweifelhaft
sein, sodaß also nur ein Bruchteil übrig bleibt, welcher
tatsächlich einwandfrei zu verwenden ist. Nichtsdestoweniger
dürfen diese Untersuchungen keineswegs von vornherein
außer acht gelassen werden. |
Die Prüfung mittels Sprache ist aber auch deshalb
wichtig, weil das Hören beziehungsweise Verstehen derselben
praktisch von viel größerem Wert ist als die Wahrnehmung
der einzelnen Töne und Geräusche. Allerdings bedarf es
auch bei Benutzung der Sprache als Schallquelle einer ge-
wissen Uebung von seiten des Untersuchers, um eine mög-
liehst gleichmäßige Stärke zu erzielen. Dies ist jedoch ver-
hältnismäßig leicht bei einiger Uebung zu erlangen, beson-
ders wenn man sich der zu diesem Zweck allgemein üblichen
Flüstersprache bedient. Diese ist schon aus dem Grunde
auch zu empfehlen, weil die gewöhnlichen Laute durch den
Sprechenden abgedämpft und dadurch dem Ohre Schall-
wellen von weit geringerer Differenz in der Schallstärke zu-
geführt werden als mit der lauten Sprache.
Die Flüstersprache bietet auch infolge ihrer geringen
Intensität und kurzen Hörweite folgende Vorteile:
1. sie gestattet die isolierte Prüfung eines jeden
Ohres;
2. sie ist auch in den beschränkten Räumlichkeiten des
Sprechzimmers anwendbar;
3. sie wird in geringerem Grade von den Oberflächen
geschlossener Räume reflektiert als die laute Stimme;
außerdem zeigt sie geringere individuelle Differenzen,
und sind infolgedessen z
4. die Resultate verschiedener Untersucher eher ver-
gleichbar.
Bezold benutzt beim Flüstern, damit dieses möglichst
gleichmäßig geschehe, nur die nach einer nicht forcierten
Exspiration in der Lunge zurückgebliebene Residualluft;
aber auch diese wird nicht bei allen Personen gleich groß
sein und anderseits wieder bei denselben Personen zu ver-
schiedenen Zeiten anders ausfallen. Daraus schon ersehen
wir, daß zwei verschiedene Flüstersprachen sich selten
gleichen. Um diesen Fehler nun möglichst zu vermindern,
wurden die verschiedensten Vorschläge gemacht, von denen
jedoch bisher keiner befriedigte. z
Die Hörprüfung wird nun:in folgender Weise vor-
genommen: Zu
Der zu Untersuchende wird vorerst angewiesen, jedes
Wort, welches ihm vorgesprochen wird und das er gehört
zu haben glaubt, sofort nachzusprechen. Hat man sich nun
durch Wiederholenlassen dieser Aufforderung davon über-
zeugt, daß dieselbe richtig verstanden wurde, so werden
beide Augen des zu Prüfenden verdeckt. Hierdurch wird
ein Ablesen vom Munde des Sprechenden unmöglich gemacht,
da ja mancher, namentlich schwerhörige Kranke, eine be-
sondere Gewandheit im Absehen der Sprache von den Lippen
besitzt. Das Verdecken der Augen hat auch den Vorteil,
daß der zu Untersuchende die Entfernung, aus welcher ge-
sprochen wird, nicht sieht. Empfehlenswert ist es immer,
während der ganzen Vornahme der Prüfung das Mienenspiel
und besonders die Bewegung der Lippen zu verfolgen. So-
dann verschließt gleichzeitig derjenige, welcher die Augen
verdeckt hält, mit einer Fingerbeere seiner eignen Hand
den Gehörgang des einstweilen auszuschaltenden Ohres. Der
Gehörgang soll möglichst luftdicht abgeschlossen werden,
darf jedoch nicht derart eingepreßt werden, daß die dadurch
auftretenden Nebengeräusche, entstanden teils durch Pul-
sation der Gefäße, teils durch den vermehrten intralabyrin-
thären Druck, störend auf den Gang. der . Untersuchung
wirken. Ist nur ein Ohr angeblich schwerhörig oder gar
taub, so ist selbstverständlich der Verschluß dieses bei
der Prüfung des andern zu ersparen. Um so größer jedoch
die Schwierigkeit, dann bei der gegenteiligen Prüfung das
bessere auszuschalten. Wir müssen immer der Tatsache
Rechnung tragen, daß selbst durch luftdichten Verschluß
Flüster- oder gar laute Sprache in einiger Entfernung von
einem guten Ohre gehört wird. |
Es ist sohin immer möglich, daß in diesem Falle das
vorgesprochene Wort wiederholt, jedoch tatsächlich vom
guten, nicht vom kranken Ohre erfaßt wird. Hier ist nun `
ratsam, beide Ohren zu verschließen, die Prüfung zu wieder-
holen und hierbei. dieselben oder gleichlautende Worte zu
gebrauchen. Wird nun das schlechtere Ohr geöffnet und
das vorgesprochene Wort wiederholt, bei Verschluß desselben
aber nicht, so kann man wohl mit Sicherheit annehmen,
daß nur vom letzteren Ohre gehört wurde. Hier kann man
nun die Beobachtung machen, daß häufig Leute, selbst
solche, welche mit gutem Willen an die Untersuchung heran-
treten, der Aufforderung, die vorgesprochenen Worte wieder-
zugeben, nicht nachkommen. Sie gehen eben von der Vor-
aussetzung aus, daß sie bei Verschluß des besseren Ohres
keine oder nur eine geringe Hörempfindung wahrnehmen
können; bei Hysterie kann dies zutreffen. In diesem Falle,
auf dieses Untersuchungsergebnis allein, den schwerwiegen-
den Verdacht der Simulation auszusprechen, wäre übereilt.
Einerseits ist es ja möglich, daß die .Betreffenden tatsächlich
nicht hören, anderseits von der Befürchtung erfüllt sind,
daß, wenn sie wirklich nachsprechen, ihren Worten bezüg-
lich des Grades der Schwerhörigkeit nicht Glauben geschenkt
wird. Hier ist es von Vorteil, daß der Arzt an sich selbst
die ganze Untersuchung vornehmen läßt (womöglich sogar
bei Verschluß seiner Ohren durch den zu Untersuchenden),
um auf diese Weise die Brücke zur Wahrheit herzustellen.
Sind nun diese nicht unwichtigen Maßregeln beobachtet
worden (am besten von dem Arzte selbst, welcher das fer-
nere Schicksal des zu Untersuchenden zu bestimmen hat),
so entfernt und nähert sich der Sprecher dem zu Unter-
suchenden beim Vorflüstern in einer Ebene entsprecheud der
Verlängerung der Gehörgangsachse. Es empfiehlt sich, das
rasche und häufige Wechseln der Entfernung möglichst laut-
los vorzunehmen, damit hierdurch nicht die Entfernung, aus
welcher gesprochen wird, verraten werde.
Zu beachten wäre, daß der Mund des Sprechers und
der Ohreingang des zu Untersuchenden möglichst in gleicher
Höhe sein sollen. Die größte Entfernung, in welcher ein
Wort bei vollständiger Ruhe im Untersuchungszimmer richtig
verstanden und nachgesprochen wird, wird als Hörweite für
dasselbe im Augenblicke der Untersuchung bestimmt und in
Metern ausgedrückt. |
Besonders in gerichtlichen Fällen ist es durchaus an-
gezeigt, für. möglicherweise vorkommende Nachprüfungen
durch fremde Untersucher auch das Wort, für welches man
im gegebenen Falle die Hörweite bestimmt hat, zu notieren.
Aus der Physiologie wissen wir, daß die einzelnen Vokale
und Konsonanten selbst unter sonst gleichen Verhältnissen
eine sehr ungleiche Hörweite besitzen. Oskar Wolf hat
die Laute in drei Gruppen geteilt und mit Hilfe dieser drei
Lautgruppen drei Reihen von Wörtern gebildet, die eine
akumetrische Skala für die deutsche Sprache darstellen.
Bezold hat den Gedanken von Wolf aufgenommen
und die Zahlwörter von 1 bis 100 zur Prüfung vorgeschlagen,
ein Vorschlag, der zwar von Wolf abgewiesen wurde, je-
doch für den Militär- und den Amtsarzt den großen Vorteil
bietet, daß Zahlworte leicht, selbst in den verschiedenen
Sprachen, erlernt und bei der jeweiligen Prüfung von dem
zu Untersuchenden auch leicht erfaßt werden. Allerdings
ist hier der Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen,
m _ -
Pe
A C en
„ ’ =
K “
i s
w aope - - H
kepti = 5 m
~ E \ ve å
ka = $ 4
= 4: y & n
en en ee Ar ee ia.
; ar
Tr
= ae Be TS ee ne
1698
19192 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober,
daß dieselben auch leichter erraten werden. Aus der Schnellig-
keit der Antwort läßt sich aber entnehmen, ob und inwie-
weit erraten wird. l
| Um nun das Erraten und Kombinieren möglichst zu
vermeiden, ist es angezeigt, nicht allein den zu Unter-
suchenden aufzufordern, nur dann nachzusprechen, wenn er
das Vorgesprochene deutlich verstanden hat, sondern immer
eine größere Anzahl von Worten, wenn möglich auch gleich-
lautende: Messer, Semester, Schwester, besser, letzter und
dergleichen vorzusprechen. Am besten wäre es (Urban-
tschitsch), eine dem zu Prüfenden vollständig unbekannte
Sprache zu wählen, jedoch dürfte die meist niedere Bildungs-
stufe hier in manchen Fällen hemmend sein.
In einer großen Anzahl der Fälle werden wir uns
noch weiterer Hilfsmittel bedienen müssen, um einerseits
nicht nur den Grad der Hörstörung, sondern anderseits
auch den Sitz derselben beurteilen zu können. Störungen
im Centralapparat oder inneren Ohr, also im schallempfinden-
den Teil des Gehörorgans, werden anders beurteilt und be-
gutachtet werden müssen als solche im mittleren oder gar
äußeren Obr — also in der Schalleitung. Die ersteren trotzen
wohl, besonders wenn nicht akut entstanden, jeglicher Be-
handlung, dagegen wird bei letzteren eine solche oft von Er-
folg gekrönt sein.
Nun zu den weiteren Hilfsmitteln selbst: Ein Geräusch
von stets gleichbleibendem Charakter und Intensität finden
wir in dem Ticktack der Taschenuhr. Diese hat ferner
auch den Vorzug, stets zur Hand zu sein und auch in
kleineren Räumen zum Nachweise geringfügiger Schwer-
hörigkeit dienen zu können. Behufs Kontrolle der Angaben
des Kranken ist es empfehlenswert, die Uhr mit einer
Hemmungsvorrichtung versehen zu lassen, welch letztere
der Arzt für den zu Prüfenden unbemerkt, durch einen
Fingerdruck auf einen kleinen Knopf (gegen die Unruhe der
Uhr) jederzeit in Aktion treten lassen kann. Die Auf-
stellung bei der Prüfung wird in derselben Weise vor-
genommen, wie früher angegeben. Angezeigt ist es, die
Uhr vorher dem zu Prüfenden kurze Zeit ans Ohr zu legen,
damit er den Schlag derselben kennt, sie aber sofort bis
über die Grenze des deutlichen Hörens, also am besten bis
jenseits seiner normalen Hörweite, welche natürlich vorher
genau bestimmt werden. muß, zu entfernen, um sie dann
allmählich dem Ohre des zu Untersuchenden zu nähern, bis
er deutlich das Ticktack wahrnimmt. Auf diese Weise
wird nicht durch Nachempfindung die Lage der Hörschwelle
unrichtig nach außen verschoben. Wenn auch in vielen
Fällen das Ergebnis der Uhrprobe im geraden Verhältnis
zum Hören der Sprache steht, so ist es doch keineswegs
immer der Fall. Physiologisch ist die Inkongruenz zwischen
Uhr- und Sprachgehör bei bejahrten Personen. Angezeigt
ist es, um ein flüchtiges Urteil über die Schallempfindung
durch den Knochen zu erhalten, die Uhr auch leise an die
Schläfe und den Warzenfortsatz zu drücken, um auf diese
Weise zu erfahren, ob eine Schallwahrnehmung erfolgt.
In vereinzelten, namentlich gerichtlichen, Fällen werden
wir der Prüfung auf einzelne Töne kaum entraten können.
Hierzu bedienen wir uns der Stimmgabeln. Diese bieten
uns den Vorteil, daß man mit ihnen neben der Perception
durch die Luftleitung auch das Verhalten der Wahrnehmung
durch- die Knochenleitung prüfen kann.
Nun wenden wir uns zu den speziellen Methoden, und
zwar nur zu jenen, welche für unsere Zwecke am geeignet-
sten erscheinen. Das Prinzip derselben besteht in der dia-
gnostischen Verwertung gewisser Abweichungen von der
normalen Schallperception durch die Schädelknochen und
des Vergleichs zwischen dieser und der Perception durch
die Luft und der Vermittlung von Trommelfell und der
Gehörknöchelchen. Ä ER
<- Weberscher Versuch: Setzt man eine durch Anschlag
zum Schwingen gebrachte Stimmgabel von mittlerer Ton-
höhe mit der Grundfläche des Stiels in der Medianebene des
Schädels auf, so wird in der Regel bei gleichem Zustande
beider Gehörorgane und bei normaler Hörfähigkeit der Ton
gleichmäßig in der Mitte des Kopfes oder zugleich in beiden
Ohren wahrgenommen. Verstopft man dagegen das eine
Ohr mit dem Finger oder einem Wattepfropf, so tritt der
Stimmgabelton plötzlich nur in dem verschlossenen Ohr, und
zwar verstärkt hervor. Das gleiche ist meist der Fall,
wenn durch pathologische Veränderungen auf einer Seite
ein Schalleitungshindernis vorliegt (Verstopfung des äußeren
Gehörgangs durch Cerumen, Fremdkörper, Furunkel, Er-
krankungen des Mittelohrs). Wir können demnach gegebenen-
falls eine Erkrankung des äußeren oder inneren Ohres an-
nehmen. Ueber die Schallempfindung sagt uns dieser Ver-
such nichts. | |
Wichtig ist jedoch eine Beobachtung, welche wir bei
der Vornahme dieses Versuchs wahrnehmen können, Manche
Leute mit einseitiger Schwerhörigkeit bezeichnen bei An-
wendung des Weberschen Versuchs auf die Frage, in wel-
chem Ohre sie den Ton hören, ohne überhaupt weiter auf-
zupassen, sofort das gesunde Ohr, „da sie ja auf dem andern
schwerhörig oder gar taub seien“. Hier wird erst die Er-
mahnung zur ruhigen Beobachtung zum Ziel führen, manch-
mal aber auch Anlaß vorhanden sein, die weiteren Angaben
auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. In andern Fällen mit
einseitiger Schwerhörigkeit kann es tatsächlich vorkommen,
daß trotz größter Aufmerksamkeit nicht entschieden werden
kann, auf welcher Seite der Ton stärker gehört wird.
Rinnescher Versuch: In seiner Ausführung setzt man
die kräftig angeschlagene, laut tönende Stimmgabel (c) mit
ihrer Grundfläche auf den Wärzenfortsatz des zu - Unter-
suchenden und läßt sie abklingen. Sodann bringt man die-
selbe, ohne sie von neuem anzuschlagen und ohne sie durch
Berührung eines festen Körpers — z.B. der Ohrmuschel
oder der Haare — in ihren Schwingungen zu dämpfen, s0-
fort knapp vor den Ohreingang, und zwar in der Weise,
daß die Enden der Zinken beiläufig in der Höhe derselben
und parallel der Sagittalebene sind. Wird der: Ton der
Stimmgabel länger vom Ohr aus durch die Luft gehört als
durch den Schädel, so bezeichnet man diesen Rinne als
positiv, wird er dagegen vor dem Gehörgange nicht mehr
gehört, so bezeichnet man dies als negativen Rinne.
Dieser Versuch dient also zur Vergleichung der Per-
ceptionsdauer eines Tones bei aero-tympanaler Zuleitung
einerseits und osteo-tympanaler anderseits. Unbedingt not-
wendig ist es, daß die Wahrnehmungsdauer aller zur Ver-
wendung gelangenden Stimmgabeln — natürlich auch die
Hörweite für die Uhr — genau an einem normalen Ohre
vorher geprüft wird. Nach Lucae, welcher zuerst für die
differentialdiagnostische Bedeutung des Rinneschen Ver-
suches eintrat, und dazu eine kleine e-Stimmgabel mit An-
satzstelle auf den Proc. mäst. benutzte, bedeutet der positive
Rinne in solchen Fällen, in denen Flüsterworte nur 106
nahe am Obre gehört werden, mit Sicherheit eine Erkran-
kung jenseits der Paukenhöhle im schallempfindenden Appa-
rate. Je länger in solchen Fällen die Stimmgabel vor dem
Ohre vernommen wird, um so sicherer ist eine gleichzeitige
Störung im schalleitenden Apparat auszuschließen. Fällt
jedoch der Rinnesche Versuch negativ aus, so handelt es
sich um eine Störung im schalleitenden Apparate. Dabei
bleibt freilich ungewiß, ob nicht gleichzeitig ein Leiden des
Nervenapparats vorliegt.
Die Prüfung der Wahrnehmung hoher Töne.
Diese wird am besten durch das von Burkardt Merian
eingeführte und von Edelmann vervollkommnete Galton-
pfeifchen vorgenommen. Durch die Untersuchungen der
neuen Zeit wurden die Fehlerquellen, die- auch diesem In-
strument anhaften, nachgewiesen und an dessen Stelle der
bis jetzt als am brauchbarsten erkannte -Monochord.oMP.
fohlen. Es ist auch dieser ein einfaches und billiges UN
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
1699
deshalb nicht nur dem Facharzte, sondern auch den Kol-
legen, die allgemeine Praxis ausüben, zu empfehlendes In-
strument.
Schließlich wäre noch die vergleichende Unter-
suchung der Hörschärfe durch hohe und tiefe Stimm-
gabeln in Betracht zu ziehen. Auffallend gute Wahr-
nehmung der tiefen Töne bei gleichzeitig herabgesetzter Per-
ception der hohen Töne spricht eher für ein Leiden des
schallempfindenden Apparats. Die Untersuchung selbst wird
am besten in der Weise vorgenommen, daß man zunächst
die Stimmgabeln vor dem Ohre des Kranken abtönen läßt,
bis ihm der Ton derselben verschwindet. Der Augenblick,
in dem dies geschieht, soll von dem zu Untersuchenden, den
man natürlich vorher daraufhin instruiert haben muß, durch
ein Zeichen mit der Hand bekanntgegeben werden; irgend-
eine Bewegung des Kopfes, ein Nicken oder Schütteln ist zu
vermeiden, da hierdurch leicht ein Mißverständnis entstehen,
auch die Gabel berührt werden und hierdurch ein falsches
Resultat erzielt werden kann.
Wird nun die Gabel vom kranken Ohre nicht mehr
gehört, so bringt man sie sofort vor das eigne, voraus-
gesetzt natürlich, daß dasselbe normal ist, und untersucht,
ob der Ton derselben noch hörbar ist und wie laut er etwa
erscheint. = —
Hat man auf diese: Weise die Untersuchung beendet,
so ist es angezeigt, das Resultat derselben in ein Schema
zu bringen. Dieser Vorgang hat den Vorteil, daß man so-
wohl die Untersuchung auf ihren Wert überprüft, anderseits
kann man dadurch, was dem Amtsarzte von Wichtigkeit ist,
viel Schreibereien ersparen. Ä
Ergibt die zu wiederholten Malen und unter ver-
schiedenen Umständen vorgenommene Hörprüfung ein
gleiches oder annähernd gleiches Resultat, dann kann man
wohl annehmen, daß man der Wahrheit möglichst nahe-
gekommen ist.
Als Schema bewährte sich mir in meiner langjährigen
Tätigkeit das folgende als das beste:
W
Hierbei bedeutet das abseits stehende R rechtes uud
R L das kontrastierende L linkes Ohr. W ist der Weber’sche
U Versuch, welcher entweder < nach rechts oder > nach
Us links lateralisiert wird oder schließlich = nach beiden Seiten
Uw gleich gehört wird. U ist die Uhr vor dem Ohre, Us, Uw
R die Uhr an der Schläfe und am Woarzenfortsatze. St laute
Cp Stimme, Fi Flüsterstimme; die Entfernung wird in Ganzen
Co und Dezimalen ausgedrückt. Wird die Uhr nur am Obre
+ wahrgenommen, so drückt dies das Zeichen -} aus, die
Ga kleinste mathematisch ausdrückbare Entfernung. R bedeutet
Rinne’scher Versuch, Cw und C die Stimmgabel C in
Knochen- und Luftleitung, Ga die Galtonpfeife. Für wichtige Fälle ist
dann noch die Prüfung der Tonreihe von Ca bis c’.
Mit Befriedigung werden Sie heute aus meinen Worten
die Empfindungen mit nach Hause nehmen, daß es auch mir
in meiner so verantwortungsvollen Stellung nicht immer
leicht ist, ein vollständig einwandfreies Urteil gegebenenfalls
bei einer Hörprüfung abzugeben, und daß meine Worte wohl
berechtigt waren, wenn ich offen einbekannte, dab es kaum
ein schwierigeres Kapitel in der Ohrenheilkunde gibt, als die
funktionelle Prüfung des Gehörorgans. Ich wiederhole noch-
mals, will man verwertbare Prüfungsresultate erhalten —
und das müssen wir, da wir ja als Amtsärzte ein schrift-
liches Gutachten abgeben müssen — so ist es unbedingtes
Erfordernis, vor allem vollkommene Kenntnis des Krank-
heitszustandes des Gehörapparats, der Untersuchungstechnik
und nicht zuletzt Menschenkenntnis zu besitzen.
Abhandlungen.
Der röntgenologische Nachweis von Verletzungen
der Wirbelsäule‘) |
von
Oberstabsarzt Prof. Dr. Graessner, Köln.
Bei der Begutachtung von Verletzungen der Wirbelsäule spielt
die Röntgenuntersuchung eine Hauptrolle, nicht so sehr bei jenen
schweren Schädigungen, wo durch das Röntgenogramm nur der
klinische Befund bestätigt wird, als bei solchen Fällen, bei denen
nach einer verhältnismäßig geringfügigen Gewalteinwirkung an-
dauernde Beschwerden in der Wirbelsäule, namentlich Schmerzen
im Kreuz geltend gemacht werden, für die der untersuchende Arzt
objektiv nachweisbare Veränderungen nicht findet, Beschwerden,
die sich mit der Geringfügigkeit des Traumas vielfach nicht in
Einklang bringen lassen. Die Begutachtung solcher Fälle ist auch
für den geübtesten Untersucher eine schwierige Aufgabe. Hier gibt
das Röntgenbild nun oft allein Aufschluß und weist Verletzungen
der Wirbelsäule nach, die die Beschwerden des Untersuchten glaub-
haft machen können. In solchen schwierig zu beurteilenden Fällen
ist es daher die Pflicht des Begutachters, und hierauf kann nicht
genug hingewiesen werden, die Röntgenuntersuchung zur Klar-
stellung der Diagnose heranzuziehen. Es gibt noch eine große
Zahl von Kollegen, selbst solchen, welche täglich mit der Begut-
achtung von Unfallverletzten zu tun haben, die sich von Wirbel-
säulen-Röntgenogrammen zur Klärung der Diagnose nicht viel
versprechen. Die Ursache dieser Abneigung ist wohl die, daß
brauchbare Röntgenogramme der Wirbelsäule nicht immer gelingen
und auch die Deutung des Befundes sehr schwierig sein kann.
_ Zu einer einwandfreien Beurteilung sind aber gut gelungene,
das heißt scharfe und womöglich auch kontrastreiche Röntgeno-
gramme durchaus erforderlich. Die Fortschritte in der röntgeno-
logischen Technik, abgekürzte Belichtungszeiten, verbesserte Ver-
stärkungsschirme, die Kompression durch Luffahschwämme usw.
gestatten uns heute in der Mehrzahl der Fälle bei einiger Uebung
yon allen Abschnitten der Wirbelsäule brauchbare Bilder anzu-
fertigen. Bei korpulenten Personen fallen die Bilder nicht immer
._) Auszug, aus einem Vortrage, gehalten auf dem Dritten inter-
nationalen medizinischen Unfallkongreß zu Düsseldorf.
zur Zufriedenheit aus, sie werden nicht immer Knochenstruktur
und Details an den Gelenkverbindungen erkennen lassen, dagegen
immer aber wohl Formveränderungen, sodaß gröbere Verletzungen
nicht übersehen werden können. Merkwürdig ist es, daß bei
manchen, selbst sehr mageren Personen, es bei mehreren Auf-
. nahmen nur mit Mühe gelingt, ein einigermaßen befriedigendes
Bild zu erhalten. Nach Sudeck „scheint dieses manchmal an be-
sonderen persönlichen Eigenschaften einzelner Individuen zu liegen“.
Auf die Aufnahmetechnik kann ich nicht näher eingehen; ich
verweise auf die Ausführungen in den bekannten Lehrbüchern von
Albers-Schönberg, Dessauer-Wiesner und Andern, nament-
lich aber auf eine Arbeit von Simon?!) aus dem Serafimer Lazarett
in Stockholm, die die Röntgenanatomie der Wirbelsäule und die
Röntgendiagnose von Wirbelverletzungen eingehend behandelt.
Zur Darstellung der Halswirbel genügen in der Regel Auf-
nahmen in sagittaler und frontaler Strahlenrichtung, zur Darstellung
der Brust- und Lendenwirbel ventrodorsale Aufnahmen. Bei sagit-
talen Aufnahmen der obersten Halswirbel ziehe ich die Einstellung
durch den durch einen Korken oder ein Stückchen Holz geöffneten
Mund derjenigen mit Schrägstellung des Kompressionscylinders
vor. Bei Individuen mit einem langen Halse läßt die seitliche
Aufnahme den Körper des sechsten und siebenten Halswirbels unter
Umständen auch noch des ersten Brustwirbels erkennen; selbst-
verständlich müssen die letzteren Aufnahmen mit abgekürzten
Belichtungszeiten im Atmungsstillstand angefertigt werden. Zur
Sicherstellung der Diagnose sind unter Umständen aber auch Auf-
nahmen in schräger Strablenrichtung erforderlich, wenngleich die
Deutung der Befunde nur komplizierter wird. Ossig?) besonders
empfiehlt zur Darstellung von Halswirbelverletzungen die schräge
Einstellung. Die seiner Arbeit beigefügten Bilder zeigen, daß
solche Aufnahmen den Körper, den Aufbau der Gelenkfortsätze,
die hinteren Wirbelbögen usw. sehr gut erkennen lassen. Zur
Erzielung brauchbarer Lendenwirbel-Röntgenogramme ist wie bei
Nierenaufnahmen die vorherige gründliche Reinigung des Darmes
durch Abführmittel, eventuell Klystiere, spätere Ruhigstellung durch
Opiate unerläßlich.
1) F, d. Röntg., Bd. 14, H, 6.
2) Mon. f. Unf. 1907, H. 3.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober:
Die Frage, wieviel Aufnahmen zur exakten Diagnosen-
stellung unter Umständen angefertigt werden müssen, ist schwer
zu beantworten. Ludloff mußte bei Halswirbelfrakturen in einem
Falle 27, in einem andern 42 Aufnahmen von demselben Kranken
zur Sicherstellung der Diagnose machen. Ueber vier Aufnahmen
von demselben Wirbelsäulenabschnitte bin ich bei einem Unfall-
patienten in letzter Zeit nicht hinausgegangen. Ich glaube auch
nicht, daß in der Regel diese Zahl überschritten zu werden braucht,
zumal die ein Gutachten einfordernden Behörden schwerlich für
die Kosten noch mehrerer Aufnahmen aufkommen werden und die
Aufschlüsse, die uns vier Bilder geben, wohl meistens für die
Beurteilung, ob eine Verletzung vorliegt oder nicht, auch genügen.
Von manchen Behörden wird aus Sparsamkeitsrücksichten
nicht gewünscht, daß Abzüge der angefortigten Röntgenogramme
dem Gutachten beigefügt werden. Ich halte dieses Verfahren nicht
für angebracht. Wenngleich die Abzüge ja nie die Feinheiten der
Originalplatte wiedergeben, so kann doch der Nachbegutachter aus
ihnen ersehen, ob er zur Klärung des Falles eine erneute Auf-
nahme anzufertigen die Pflicht hat.
Ich stellte bei einer Frau, die beim Fensterputzen etwa 0,5 m
tief auf das Gesäß gefallen war, eine deutliche Kompressionsfraktur
des zwölften Brustwirbels fest. Der Vorbegutachter hatte die Be-
schwerden der Untersuchten als übertrieben, wenn nicht als
simuliert hingestellt und in seinem Gutachten ausdrücklich her-
vorgehoben, das Röntgenbild läßt eine Wirbelverletzung aus-
schließen. ú
Wie sich später herausstellte, hatte er das Röntgenbild in
einem andern Institut anfertigen lassen und von diesem die Mit-
teilung erhalten, der Röntgenbefund sei negativ. Wahrscheinlich
war das Bild nicht scharf genug ausgefallen und daher ein Abzug
nicht beigefügt. Der erwähnte Fall hat mich auch immer davor
gewarnt, aus unscharfen Bildern allzu bestimmte Schlüsse zu ziehen.
Wir müssen bei nicht einwandfrei gelungenen Bildern, wenn der
Verdacht auf eine Wirbelverletzung besteht, in unsern Gutachten
darauf hinweisen, daß das angefertigte Röntgenogramm zwar Ver-
änderungen nicht erkennen lasse, daß trotzdem solche aber doch
vorliegen können.
Größere Schwierigkeiten als die Anfertigung von brauch-
baren Röntgenogrammen der Wirbelsäule kann ihre Begutachtung,
die Stellung der Diagnose bieten. Zur Deutung des Befundes ist
die genaue Kenntnis der Bilder der normalen Wirbelsäule, und
zwar in verschiedenen Ebenen aufgenommen, unbedingt erforderlich.
Solche finden wir in den eben erwähnten Arbeiten von Simon und
Ossig, in dem Atlas typischer Röntgenbilder von Grashey, in
einer Arbeit von Kienböck!), vor allem aber in einer größeren
Abhandlung von Sudeck?). l
Die Betrachtung der Bilder hat nach einem ganz bestimmten
Schema zu erfolgen, und ich kann nur raten, die Anweisungen,
welche Sudeck hierfür gibt, genau zu beachten. Zuerst betrachte
man die einzelnen Wirbelkörper der Reihe nach nach Form, Größe
und Umriß, dann achte man der Reihe nach auf Breite und Form
der Zwischenwirbelräume. Nachdem man sich dann über die Lage
und Richtung der Dornfortsätze genau orientiert hat, folgt die
systematische Betrachtung sämtlicher Fortsätze der einzelnen
Wirbel, zuerst der beiden unteren, dann der beiden oberen Ge-
lenkfortsätze und der Querfortsätze. Auch die Form des Quer-
schnitts der Wirbelbögen, die Bogenwurzeln, die als ringförmige
oder ovale Gebilde in der Substanz auf beiden Seiten des Körpers
zu erkennen sind, darf nicht vernachlässigt werden. Hierauf folgt
die Zählung der Rippen und Querfortsätze und die Abschätzung
ihres gegenseitigen Abstandes. Wenn man in dieser von Sudeck
angegebenen Weise seine Bilder absucht, wird man Veränderungen
nicht übersehen. Man begnüge sich nie damit, an einem Wirbel
etwas Pathologisches gefunden zu haben, sondern fahnde nach Ver-
änderungen auch an den übrigen Wirbeln des Bildes.
| Ich möchte nebenbei nicht unerwähnt lassen, daß gar nicht
so selten über andern augenfälligen Verletzungen Wirbelschädi-
gungen anfangs übersehen und daher nicht behandelt werden. Ich
habe einige solche Fälle begutachtet, und es ist eine mißliche
Sache, sagen zu müssen, daß bei der Behandlung derartige Ver-
letzungen übersehen sind.
Besondere Schwierigkeiten bietet die röntgenologische Be-
urteilung der Verhältnisse am fünften Lendenwirbel und an seinen
1) „Die Untersuchung der gesunden und kranken Wirbelsäule
mittels des Röntgenverfahrens“. Wr. kl. Woch. 1901, Nr. 17.
2) „Die röntgenographische Untersuchung der Wirbelsäule“. Handb.
d. soz. Med., Bd. 8 Abt. 2.
Gelenkverbindungen mit dem Kreuzbeine. Schede!) hat in einer
Arbeit aus der Langeschen Klinik in München die röntgeno-
logische Darstellung des fünften Lendenwirbels studiert und die
Fragen „1. warum der Körper des fünften Lendenwirbels oft nur
ein schwacher Schatten ist, während die übrigen Lendenwirbel-
körper und das Kreuzbein sich scharf und deutlich abheben, ja
ganz verschwinden kann, sodaß nur der Bogen des fünften Lenden-
wirbels, und zwar auffallend hochgerichtet zu sehen ist; 2. warum
der fünfte Lendenwirbel in einer großen Zahl von Fällen bedeutend
niedriger erscheint als die andern Lendenwirbel; 3. warum der
fünfte Lendenwirbel oft in seiner sagittalen Achse schief gestellt
ist, sodaß der Querfortsatz der einen Seite dem Darmbeinkamme
näher liegt als der andere; 4. warum die eine Articulatio sacro-
lumbalis oft dunkler erscheint als die andere“, zu beantworten
gesucht. Er sieht das Ergebnis seiner Studien zunächst als ein
rein negatives an, kommt aber zu dem Schlusse, daß die eben er-
wähnten Befunde anatomische und physiologische Ursachen haben
können und daher erst nach deren Ausschaltung als pathogno-
monische Zeichen verwertet werden können. Dieser Auffassung
wird jeder, welcher viele Röntgenogramme der Wirbelsäule studiert,
auch ohne weiteres zustimmen, da wir solche Befunde, besonders
die Verschmälerung des Körpers auf einer Seite und den stärkeren
Schatten der einen Gelenkverbindung häufig sehen bei Individuen,
welche nie ein Trauma erlitten und eine ganz normale Beweglich-
keit der Lendenwirbeilsäule haben.
Auch Ludiloff2) hat sich mit der röntgenologischen Dar-
stellung des fünften Lendenwirbels eingehend befaßt und glaubt,
„daß das Verschwinden des fünften Lendenwirbels, die Verschmäle-
rung und Aufrichtung des Bogens durch die Verschiebung: des
fünften Lendenwirbels auf dem Promontorium nach vorn und durch
größere Aufrichtung des fünften Bogens entsteht, indem sich der
ganze fünfte Lendenwirbel um eine frontale Achse dreht“. Lud-
loff faßt auch die Schrägstellung des fünften Lendenwirbels um
eine sagittale Achse und die größere Dichtigkeit der einen Arti-
culatio sacro-lumbalis als pathognomonisch für eine Verletzung dieses
Gelenks auf. Daß dies nicht für alle Fälle zutrifft, darauf ist
eben hingewiesen.
Die Abnormitäten in der Verbindung zwischen fünftem Lenden-
wirbel und Kreuzbein sind mannigfach. Nach Waldeyer stellt
der fünfte Lendenwirbel in 8,3 Jọ einen Uebergangswirbel dar, so-
daß die Querfortsätze in diesen Fällen einen mehr oder minder
costalen Fortsatz tragen können. Der betreffende Querfortsatz ist
dann in der Regel sehr breit, vielfach auf einer oder beiden Seiten
mit dem ersten Sakralwirbel knöchern verbunden. Oft ‘bleibt der
Boden des ersten Sakralwirbels offen, ein Vorkommnis, welches
gar nicht so selten nach einer Schädigung des Kreuzes als eine
Fraktur gedeutet wird. (Im letzten halben Jahre habe ich diesen
Irrtum noch in zwei Gutachten gefunden. Sogar in der Literatur
ist ein solcher Fall als Fraktur bezeichnet.) Um sich vor Fehl-
diagnosen zu hüten, ist die Kenntnis dieser Abnormitäten not-
wendig. In einer Reihe von Arbeiten, besonders aber in dem
Werke von Breus und Kolisko „Die pathologischen Becken-
formen“ und in dem Waldeyerschen Atlas „Das Becken“ finden
wir eine Uebersicht über diese Varietäten.
Aber auch an der übrigen Wirbelsäule kommen Abnormi-
täten vor, die zu Irrtümern Anlaß geben können. Ich erinnere
nur an die bei der angeborenen Skoliose vorkommende anormale
Ausbildung, Vermehrung und Verschmelzung einzelner Wirbel.
Auch die Veränderungen, welche bei den allmählich entstandenen
Verbildungen der Wirbelsäule im Röntgenogramm sich finden,
müssen bekannt sein, um die nicht immer leichte Entscheidung,
ob es sich um die Folgen eines Traumas handelt oder nicht, riehtig
zu deuten. :
Die Mehrzahl aller Wirbelverletzungen bilden die Kom-
pressionen der Wirbelkörper. Es handelt sich meistens um indirekte
Quetschungen der Wirbelsäule, die durch Schlag, Fall auf den
Kopf, den Nacken, die Schultern, durch Fall auf die Füße, auf das
Gesäß, durch Zusammenstauchung des Körpers erfolgen können.
Je nach der Schwere der Gewalteinwirkung kommt es in solchen
Fällen zu einer bloßen Stauchung ohne nachweisbare Veränderungen,
vielfach zu einer Schädigung der Zwischenwirbeischeiben, dann ZU
einer Infraktion der Wirbelkörper oder zu einer Kompressions-
fraktur. Da außer der Stauchung der Wirbelsäule in der Längs-
richtung meistens auch eine übermäßige Beugung beteiligt ist, 80
wird besonders die vordere Partie des Körpers komprimiert und 8
1) F. d. Röntg., Bd. 17, H. 6.
3) F, d. Röntg., Bd. 10, S. 175.
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
1701
kommt zu einer vollständigen Keilform. Liegen solche Form-
veränderungen vor, so ist auch klinisch die Diagnose meistens
nicht schwer zu stellen. Der Höhenunterschied und die Ver-
breiterung des Wirbelkörpers ist aber oft nur minimal. In solchen
Fällen kann allein das Röntgenbild uns sichern Aufschluß geben.
Wie geringfügig Kompressionen der Wirbelkörper sein können,
sahen Wagner und Stolpe!) in einer Reihe von Fällen. Bei
Verletzten, die an anderweitigen Verletzungen gestorhen waren,
konnten sie bei der Sektion an der Außenseite der Wirbelsäule
nichts Abnormes erkennen. Bei der Durchsägung fanden sie aber
das Spongiosagewebe der Wirbelkörper zusammengepreßt. Das
Gleiche beweist die Mitteilung Reuters?), der an einem mace-
rierten Wirbelkörper die Kompression auch erst bei der Durch-
schneidung an der Verdichtung der Bälkchenzeichnung entdeckte.
Aeußerlich waren Formveränderungen nicht vorhanden. Etwas
Aehnliches sehen wir ja auch bei den Kompressionsfrakturen des
Calcanaeus bei seitlichen Aufnahmen, wo nur eine Verdichtung in
der Spongiosazeichnung auf die Fraktur hinweist, während eine
sogenannte Grundrißaufnahme bei aufgestellter Ferse unter Um-
ständen die Verbreiterung des Calcanaeus nachweisen läßt. Daß
klinisch solche Veränderungen nicht zu erkennen sind, leuchtet
ohne weiteres ein. Solche Fälle von geringfügigen Kompressionen
sind nun gar nicht so selten, und ich habe in den drei letzten
Jahren 12mal Kompressionsbrüche nachweisen können, wo die
klinische Untersuchung nur einen traumatischen Hexenschuß an-
genommen hatte. Am häufigsten finden wir Kompressionsfrakturen
am untersten Teile der Brust- und obersten Teile der Lendenwirbel-
säule, da die Teile der Wirbelsäule am meisten gestaucht werden,
welche wegen ihrer verhältnismäßig straffen Gelenkverbindung am
wenigsten nachgeben können. Aber auch der fünfte Lendenwirbel
spielt bei den indirekten Frakturen, besonders den sogenannten Ver-
hebungsbrüchen, eine große Rolle. Es wird ja immer nochange-
zweifelt, daß einfaches Verheben Ursache einer Kompressionsfraktur
sein kann. Daß dies aber möglich ist, Jehren uns die Beobachtungen
von Wagner und Stolpe. Ich selbst habe mehrfach Kom-
pressionsbrüche durch Verheben entstanden, nachweisen können.
Von diesen hat Feinen?) vier Fälle mitgeteilt. Beim Tragen von
schweren Lasten kann die plötzliche unwillkürliche Erschlaffung
der Rückenmuskulatur, welche die Wirbelsäule absteift, durch das
Gewicht der Last eine plötzliche Zusammenstauchung der Wirbel-
säule und damit die Kompression eines Wirbelkörpers herbeiführen.
Daß man beim fünften Lendenwirbel aus der Verschmälerung der
einen Seite nicht ohne weiteres eine Kompressionsfraktur an-
nehmen darf, darauf habe ich schon weiter oben hingewiesen. Die
Veränderung in der Zeichnung der Bogenringe kann eventuell die
Diagnose ermöglichen. Während bei gesunden Wirbeln der Bogen-
ring klar und scharf ist, weil die Spongiosa des Körpers gleich-
mäßig durchlässig ist, sehen wir bei einem komprimierten Wirbel.
einen oder beide Ringe unscharf, verwaschen und zackig.
Aus dem Umstande, daß Leute nach einer Verletzung der
Wirbelsäule noch gehen oder gar leichte Arbeiten verrichten
konnten, wird vielfach der Schluß gezogen, daß eine Schädigung
der Wirbel nicht erfolgt sein könne. Dieses ist durchaus un-
richtig; es gibt eine ganze Reihe von Fällen in der Literatur, und
auch ich selbst habe mehrere solche Fälle begutachtet, wo Leute
mit Kompressionsfrakturen noch in der Lage waren zu gehen und
selbst tagelang leichtere Arbeiten zu verrichten.
Zur Darstellung der akuten entzündlichen Atrophie müssen
die Röntgenogramme sehr scharf ausfallen. Der Nachweis des
Schwindens dieses Prozesses kann oft maßgebend sein bei der
Beurteilung, ob eine Verletzung im Ausheilen begriffen ist. Auch
bei der Differentialdiagnose zwischen Fraktur und tuberkulöser
Spondylitis kann der Grad der akuten entzündlichen Atrophie von
Wichtigkeit sein. Bei Tuberkulose ist er hochgradiger und aus-
gedehnter. Der röntgenologische Nachweis von Abscessen, von
tuberkulösen Herden oder bei nicht fortgeschrittenen Prozessen
von zackigen Substanzverlusten an den Rändern der Wirbelkörper
(Sudeck) läßt ferner die Spondylitis von der Kompressionsfraktur
meist unterscheiden. Zieht man nach Sudeck noch die genaue Anam-
nese, welche die erbliche Belastung, die Tuberkulose anderer Organe,
besonders der Lungen, die zeitige Entwicklung des Gibbus nach
dem Unfalle, die Begleiterscheinungen und den Verlauf der Er-
1) Deutsche Chir., Lief. 40. Verletzungen der Wirbelsäule und des
Rückenmarks. $
.?) „Ueber die Beziehungen zwischen Spondylitis traumatica und
Ankylose der Wirbelsäule,* A. f, Ortb., Bd. 2.
% „Der Verhebungsbruch des Lendenwirbels,* A. f. Orth., Bd. 5.
krankung eingehend berücksichtigt, in Betracht, so wird die Ent-
scheidung wohl meistens richtig ausfallen.
Der Zwischenwirbelraum im Röntgenogramm gibt uns über
die Zwischenwirbelscheiben Aufschluß. Die Frage, liegt eine Ver-
letzung der Intervertebralscheiben vor oder nicht, kann sehr
schwierig zu beantworten sein. Um möglichst geringe Verzeich-
nungen zu erhalten, ist es notwendig, den Normalstrahl genau
einzustellen. Aber auch die physiologische Krümmung der Wirbel-
säule und deren Ausgleich müssen berücksichtigt werden. Erst
mehrere Aufnahmen unter den gleichen Bedingungen mit immer
gleichen Befunden werden sichern Aufschluß geben. Einfach ist
die Diagnose, wenn ein einziger Intervertebralraum aufgehoben er-
scheint, während die übrigen benachbarten normale Breite haben.
Zeigen bei gleichzeitiger Verschmälerung des Zwischenwirbel-
raums die benachbarten Wirbel knöcherne, zackige Auswüchse
oder sind sie durch knöcherne Spangen verbunden, so trägt dieser
Befund zur Sicherung der Diagnose bei. Wir wissen ja, daß
gerade Schädigungen der Zwischenwirbelscheiben zu deformieren-
den Prozessen an den Wirbelkörpern führen. Die Wucherungen
an den vorderen und seitlichen Partien der Wirbelkörper, aber
auch an den Seitengelenken können eine solche Mächtigkeit und
Festigkeit erreichen, daß die physiologische Beweglichkeit zweier
oder mehrerer Wirbel gegeneinander außerordentlich eingeschränkt,
sogar ganz aufgehoben sein kann. Wir sprechen ‘dann von einer
partiellen, traumatischen Ankylose der Wirbel im Gegensatze zur
fortschreitenden Wirbelsäulenversteifung. Isolierte hochgradige
Kompressionen der Zwischenwirbelscheiben sind selten. Meistens
haben auch die benachbarten Wirbelkörper eine nachweisbare Kom-
pression erlitten. Isolierte Kompressionen der Zwischenwirbel-
scheiben ohne Verletzung der Wirbelkörper können zur Bildung
eines Gibbus führen und Kompressionsfrakturen vortäuschen.
Die Frakturen des Processus spinosus, welche durch direkte
Gewalteinwirkung oder indirekt durch Muskelzug entstehen können,
erkennt man am sichersten auf seitlichen Aufnahmen. Man sieht
sie aber auch meistens auf ventrodorsalen Bildern, auf denen dann
die markante Zeichnung des Dornes an seiner richtigen Stelle
fehlt und an anderer Stelle zu sehen ist. Oft bandelt es sich nur
um kleine Abrisse an den Spitzen der Dornen.
Bei älteren Verletzungen sei man mit der Diagnose einer
Fraktur eines Dornfortsatzes vorsichtig, wenn nicht Dislokationen
die Diagnose sicherstellen. Aus einer geringen Schiefstellung
schließe man nie gleich auf einen Bruch. Bei Betrachtung einer
Reihe von Skeletten kann man sich leicht überzeugen, daß einzelne
Dornen von der Gerade abweichen. Ueberhaupt ist die Form des
Processus spinosus eine mannigfache; besonders kann die nicht so
seltene Verdickung am unteren Ende zu Trugschlüssen führen,
Isolierte Frakturen der Querfortsätze finden sich in der
Regel nur an den Lendenwirbeln. Sie sind meistens.die Folge einer
direkten Gewalteinwirkung, seltener entstehen sie durch Muskel-
zug. Im ventro-dorsalen Bilde sind sie gut sichtbar. Die in Form
eines Ansatzes an den Querfortsätzen vorkommenden und durch
einen Spalt von ihnen getrennten Costae spuriae, welche gar nicht
so selten nicht nur am ersten, sondern bis zum dritten Lenden-
wirbel herab vorkommen, können bei frischen Verletzungen zu
Fehldiagnosen Anlaß geben, indem der Spalt eine Frakturlinie
vortäuschen kani. Bei alten Frakturen weisen Abknickungen,
Verbreiterungen oder auch Dislokationen auf die Verletzung hin.
Man beachte aber, daß die Querfortsätze der Leendenwirbel oft
unregelmäßige Formen haben und nicht immer symmetrisch ge-
staltet sind. |
Isolierte Frakturen der Wirbelbögen sind nicht häufig. Daß
das gar nicht so seltene Offenbleiben des Bogens des ersten Sakral-
wirbels fälschlicher Weise als Bruch gedeutet wird, darauf habe
ich oben schon hingewiesen. Nach Simon soll man den Bruch
der Spange zwischen Korpus und Processus articularis ohne größere
Verschiebung am besten auf einem Seiten- oder schrägen Ventro-
dorsalbilde erkennen, einen Sprung der Lamina dagegen auf der
ventrodorsalen Aufnahme, am Halse auch auf einem Seitenbilde.
Die Beurteilung und Deutung solcher Befunde ist nicht leicht.
Meistens handelt es sich bei Bogenfrakturen um gleichzeitige
andre schwere Wirbelverletzungen.
Ein schwieriges Kapitel ist auch die Darstellung und Be-
urteilung der Verletzungen der Gelenkverbindungen.
Ludloff zeigte auf dem ersten Röntgenkongreß eine Reihe
von Röntgenogrammen von Leuten mit Kreuzschmerzen, bei denen
durch die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden keine objektiven
Veränderungen nachzuweisen waren. In diesen Fällen war es ihm
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1702 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42, = _ 20. Oktober.
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durch zahlreiche Aufnahmen bei den verschiedensten Röhrenein-
stellungen gelungen, neben Veränderungen in der Gestalt der
Wirbelkörper besonders Deformierungen der Gelenkkomponenten,
Knochenauflagerungen, Knochenverdiekungen, Frakturlinien und
Spalten nachzuweisen und zwar an den Gelenken zwischen viertem
und fünftem Lendenwirbel und erstem Kreuzbeinwirbel. Er hatte
das Glück, an einem alten Knochenpräparat vom Kreuzbein und
den untersten Lendenwirbeln aus der Breslauer anatomischen
Sammlung den Beweis bringen zu können, daß solche Verletzungen
vorkommen. Interessant ist es, daß die Röntgenogramme von
diesem Präparat die doch immerhin erheblichen Verletzungen nur
schwer erkennen und nur bei besonderer Röhreneinstellung zur
Darstellung kommen ließen, sodaß wir es verstehen können, wenn
am Lebenden, wo die Dislokationen der Bruchstücke an dieser
Stelle infolge ihrer Einbettung in mächtige Band- und Muskel-
massen nur gering sind, die Verhältnisse noch schwieriger dar-
zustellen und zu deuten sind. Die Ludioffschen Befunde erhalten
ihre Bestätigung durch eine Beobachtung von Burk?), der bei
einem 3i1jährigen Manne, welcher in gebückter Stellung eine
schwere Last gehoben und dabei plötzlich heftige Schmerzen im
Kreuze verspürt hatte, einen Bruch des rechten unteren Gelenk-
fortsatzes des fünften Lendenwirbeis im Röntgenogramm feststellte.
Die Operation hestätigte den Befund, und die Entfernung des ab-
gequetschten Gelenkfortsatzes beseitigte die Beschwerden. Ich
habe selbst in drei Fällen isolierte Gelenkverletzungen röntgeno-
logisch nachweisen können. Die Verletzten hatten beim Heben
einer schweren Last in gebückter Stellung ‘plötzlich einen Schmerz
im Kreuze verspürt. In dem einen Falle zeigte das Röntgenogramm
einen deutlichen Querbruch des einen Gelenkfortsatzes des ersten
Sakralwirbels, in den beiden andren Fällen kleinere Absprengungen.
In der Beurteilung von Knochenauflagerungen muß man aber sehr
vorsichtig sein und deformierende Prozesse ausschließen können.
Wenn ventrodorsale Aufnahmen nicht genügen, geben seitliche oft
Aufschluß. Zur Vermeidung des Uebelstandes, daß bei centraler
Einstellung die Processus articulares durch den Wirbeikörper ge-
deckt werden und so Veränderungen an ihnen und am Gelenk-
spalte nur schwer zu erkennen sind, empfiehlt Schleyer?), bei der
Aufnahme mit der Kompressionsblende den Fokus nicht über der
Mitte, sondern dicht unter dem oberen Rand der Blende einzu-
stellen, wodurch die Gelenkfortsätze der unteren, im Bilde sicht-
baren Wirbel in den Zwischenwirbelraum projiziert werden. Daß
die Verdichtung der einen Gelenkverbindung in der Artieulatio
sacro-lumbalis nicht allein zur Annahme einer Schädigung berech-
tigt, habe ich schon oben betont.
Zum Schluß möchte ich noch mit einigen Worten auf den rönt-
genologischen Nachweis der Veränderungen, wie sie die fortschreitende
Wirbelsäuleversteifung bietet, eingehen. Es wird ja heute allgemein
angenommen, daß beide Formen dieser Erkrankung, sowohl die
Spondylarthritis ancylopoetica als auch die Spondylitis deformans
häufig in einem Trauma ihre Ursache haben. Bei ersterer Er-
krankung handelt es sich anfangs nur um eine Entzündung in den
Zwischenwirbel- und Rippenwirbelgelenken, bei letzterer um dg-
formierende Prozesse an den Wirbelkörpern mit knöchernen Aug-
wüchsen an den Wirbelrändern bei gleichzeitiger Verknöcherung
der Bänder zwischen den Wirbelkörpern. Die Spondylarthritis
ancylopoetica können wir in ihren Anfängen röntgenologisch nicht
nachweisen, wohl aber die deformierende Spondylitis. Wir sehen
statt der glatten Abrundungen an den Wirbelkörpern kleine spitze,
zackige Auswüchse, ähnlich wie wir sie bei der beginnenden de-
formierenden Arthritis im Kuiegelenke röntgenologisch wahrnehmen
können, Im weiteren Verlaufe zeigt auch die Spondylitis aneylo-
poetica solche knöcherne Auswüchse, die allmählich zu klammer-
artig ineinandergreifender Spangenbildung führen können. Defor-
mierende Prozesse an den Wirbelkörpern finden. wir nun vielfach
nicht nur im Alter, sondern auch schon bei Individuen von 30 bis
40 Jahren, ohne daß ein Trauma vorausgegangen ist und ohne
daß Beschwerden bestehen. Wir müssen daher bei der Begut-
achtung berücksichtigen, ob nicht schon vor dem Unfalle defor-
mierende Prozesse an den Wirbeln bestanden haben; anderseits
muß man aber zugeben, daß durch ein verhältnismäßig geringfügiges
Trauma in solchen Fällen erhebliche Beschwerden ausgelöst werden
können, ähnlich wie wir es bei den latent verlaufenden Fällen von
Arthritis deformans in den großen Gelenken häufig beobachten
können. Es sei darauf hingewiesen, daß vielfach die Ausdehnung
der deformierenden Prozesse im Röntgenbilde mit den vorgebrachten
Beschwerden nicht im Einklang steht.
Ich hoffe, mit meinen kurzen Ausführungen den Beweis er-
bracht zu haben, daß wir das Röntgenverfahren bei der Beurteilung
der Wirbelsäulenverletzungen nicht: entbehren können. Der Arzt
hat als Begutachter die Pflicht, namentlich in den Fällen, bei
denen nach einer verhältnismäßig geringfügigen Gewalteinwirkung
auf die Wirbelsäule der Verletzte über mehr oder minder erheb-
liche Beschwerden klagt und die klinische Untersuchung keinerlei
Veränderungen nachzuweisen vermag, sodaß diese Leute oft als
Uebertreiber, wenn nicht gar als Simulanten hingestellt werden,
durch eine röntgenologische Untersuchung den Wirbelbefund klar-
zustellen; es wird dann mancher von diesen Verletzten zu seinem
Rechte kommen. Man hüte sich aber, in den Fehler zu verfallen,
aus dem Röntgenbefund allein einen Schluß auf die Glaubhaftigkeit
und den Grad der geäußerten Beschwerden ziehen zu können. Wir
ersehen aus dem Röntgenogramm im großen und ganzen nichts
andres, als daß die Wirbelsäule geschädigt ist, . wir können aber
aus ihm allein nicht beurteilen, in welchem Grade die Beschwerden
begründet sind. Hierüber gibt vor allem die klinische Unter-
suchung, die bei Wirbelsäulenverletzungen oft eine tagelange
Beobachtung erfordert, den nötigen Aufschluß.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Hedwigsklinik (Dr. Rammstedt) und dem Säuglingsheim
(Dr. Schulte) in Münster i. W.
Zur Operation der angeborenen Pylorusstenose?)
von
Prof. Dr. Bammstedt, Oberstabsarzt.
Die Frage, ob man die Pylorusstenose der Säuglinge
intern oder operativ behandeln soll, wird heute wohl von
keinem Pädiater mehr einseitig im Sinne der internen Be-
handlung beantwortet, sondern von Fall zu Fall entschieden.
Da unzweifelhaft unter zweckmäßigen diätetischen Maß-
nahmen, wie sie besonders Heubner, Pfaundler, Ibrahim
und Andere empfohlen haben, die größte Zahl der Säuglinge
mit Pylorusstenose ausheilt, ist eine abwartende Therapie
in allen Fällen erst zu versuchen. Schwieriger ist die Frage
zu beantworten, wie lange man diese durchführen soll, wenn
der Erfolg auf sich warten läßt. Diese Entscheidung
wird, wie mir scheint, wesentlich mit dadurch be-
1) B, z. Chir., Bd. 58.
2) „Ueber chronische Wirbelsäuleversteifung“. F. d. Röntg.,
Bd. 10, H. 5.
3) Nach einem Vortrage, gehalten auf der Naturforscherversamm-
lung in Münster 1912,
einflußt, daß der operative Eingriff an sich von den
Kinderärzten sowohl wie von den Chirurgen immer
noch als besonders gefahrvoll für den Säugling an-
gesehen wird. Diese Furcht ist meiner Ueberzeugung
nach nur berechtigt, wenn die betreffenden Säuglinge schon
sehr heruntergekommen sind und an Widerstandskraft ver-
loren haben. Dem Chirurgen kann es daher nur willkommen
sein, wenn ihm die Fälle möglichst frühzeitig oder wenig-
stens in noch leidlichem Kräftezustande zugeführt werden.
= Anderseits ist es Pflicht des Operateurs, den
Eingriff so zu gestalten, daß er .möglichst einfach
und ungefährlich ist, ein Minimum von Zeit erfordert
und dennoch Erfolg verspricht.
‚ Diese Forderung erfüllen nun, wie ich glaube,
die bisher angewandten Operationsmethoden nicht
oder wenigstens nicht in ausreichendem Maße.
Betrachten wir dieselben einmal kritisch: |
l 1. Die Jejunostomie ist nur einmal von Cordua ausgeführt
mit letalem Ausgange. Sie greift das Uebel nicht bei der Wurzel
an, schafft einen unnatürlichen Zustand, eine Fistel, deren Be-
handlung bei einem Säugling an sich schon überaus schwierig UN
im Erfolge mindestens zweifelhaft ist.
= 2. Die Pylorusresektion ist ebenfalls nur einmal mit un-
günstigem Ausgange gemacht. Sie ist viel zu eingreifond und
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
1703
nach meiner Ansicht auch technisch nicht ausführbar. Einmal
sind die Verhältnisse des ÖOperationsfeldes zu winzig und dann
habe ich in meinen Fällen die Beobachtung gemacht, daß der
hypertrophische Pylorus beim Säuglinge sehr wenig verschieblich
ist. Er läßt sich nur unter größter Spannung des Duodenums
vor die -Bauchhöhle bringen. Ueberdies hätte die Resektion nur
Sinn, wenn es sich um eine maligne Geschwulstbildung handelte.
8. Die Dehnung des stenosierten Magenpförtners nach Lo-
reta ist zuerst von Nıcoll angewandt. Von einer kleinen Magen-
öffnung aus wird der Pylorus mit einer Kornzange oder stärker
werdenden Sonden gedehnt. Die Methode hat den Vorzug der
Einfachheit und Schnelligkeit der Ausführung, doch beträgt die
Mortalität nach Ibrahim 53/, von 44 bekannten operierten Fällen.
Der Erfolg scheint demnach auch unsicher zu sein. Die Methode
ist ja auch alles weniger, wie schonend. Bei der stumpfen Dehnung
muß die Schleimhaut, die ja bei dem stenosierenden Prozesse gänz-
lich unbeteiligt ist, den ersten Druck aushalten, wiederholt sind
Schleimhautverletzungen mit schweren Blutungen beobachtet. Die
hypertrophische Muskelschicht nebst Serosaüberzug werden nicht
gedehnt, sondern gesprengt. Wahrscheinlich bleiben Teile der
ringförmigen Muskulatur stehen, und ich kann mir denken, daß es
von diesen aus wieder zu einer Verwachsung des Muskelrings,
und zwar nun zu einer narbigen Verengerung des Pylorus kommt.
Rezidive sind denn auch wiederholt beschrieben worden. Kurz,
die Methode ist unchirurgisch, sie hat in Deutschland, soviel ich
weiß, keins Anhänger gefunden, trotz der Empfehlung durch
Meinhard Schmidt auf dem Chirurgenkongreß 1901.
4. Die Gastroenterostomie ist nach einer Zusammenstellung
von Scudder 135 mal mit 49°/, Mortalität ausgeführt. Sie scheint
auch heute noch am meisten geübt zu werden und ihre Resultate
haben sich in den letzten vier Jahren zunehmend gebessert; von
33 Fällen, die ich in der mir zugänglichen Literatur autfinden
konnte, starben neun, also nur etwa 27%. Und doch ist dee
Gastroenterostomie bei den winzigen Verhältnissen eines Säuglings
überaus schwierig, es bedarf dazu größter Ruhe und sicherster
Technik, um so mehr, als der Operateur durch die beständigen,
den ganzen Körper des kleinen Patienten erschütternden Atem-
bewegungen gestört und nicht wenig behindert wird. Zweifellos
spielt das Geschick des einzelnen Operateurs zum Erfolg eine große
Rolle. Den Rekord hält bisher Scudder in Boston, der eine
Serie von acht Fällen mit hinterer Gastroenterostomie geheilt hat,
die vor der vorderen Gastroenterostomie noch den erheblichen
Nachteil hat, daß Magen und Kolon vor die Bauchhöhle gelagert
werden müssen, wodurch die Gefahr des Shocks bei einem so
schwachen Wesen unzweifelhaft erhöht wird. Scudder betont
möglichst frühzeitige Operation. |
65. Die Pyloroplastik. 1908 waren 21 Fälle mit 57°), Mor-
talität bekannt. Die Operation ist von einem kleinen Bauch-
schnitt aus ausführbar. Mißerfolge sind jedoch wohl darauf zurück-
zuführen gewesen, daß die Passage durch Wulstung der Schleim-
haut infolge der queren Nahtvereinigung des Längsschnitts ver-
legt wurde. Ferner wird die quere Naht durch die Dicke der
längs durchschnrittenen Muskelschicht erschwert. Trotz dieser
Nachteile ist die Pyloroplastik in den letzten Jahren anscheinend
häufiger ausgeführt worden. Besonders Weber in Dresden hat
sie 1910 wieder warm empfohlen, aber mit der Modifikation, daß
er die Schleimhaut nicht eröffnet und nur eine partielle Pyloro-
plastik ausführt. Nach Spaltung der Serosa und des dicken
Muskelrings sah er den Schnitt stark klaffen und es schien ihm
die Verengerung auch schon ohne Eröffuung der Schleimhaut ge-
hoben. Da ihm zudem bei der Starrheit der durchschnittenen
Muskelwandungen eine regelrechte Pyloroplastik mit Eröffnung
der Schleimhaut unsicher erschien, bezüglich einer wasserdichten
Vernähung des Schnittes in querer Richtung, verzichtete er auf
die Incision der Mucosa und vernähte einfach die äußere Wand
+ Serosa. Zwei von ihm so operierte Säuglinge wurden geheilt.
Die Vorteile des Weberschen Verfahrens liegen klar zutage.
Der Eingriff ist kurz und einfach. Infektion durch Magen-
Inhalt ist ausgeschlossen, auch wenn nachträglich die eine
oder die andere Naht durchschneiden sollten. Ob indessen Passage-
störungen durch Wulstung der Schleimhaut ausgeschlossen sind,
ist nicht ganz sicher (Kausch). | |
6. Eine Kombination von Pyloroplastik und Divulsion ist
schließlich von Nicoll schon 1906 angegeben. Er macht in querer
Richtung zur Längsachse des Pylorus einen V-förmigen Schnitt
ebenfalls ohne Eröffnung der Schleimhaut und vernäht ihn in Y-Form
nach vorheriger Dehnung des Pylorus von einer in der Magenwand an-
gelegten Oeffnung. Von sechs Fällen wurden so fünf gehöilt. Ob
diese Methode Nachahmung gefunden hat, ist mir nicht bekannt.
Als ich im September 1911 bei einem männlichen
Säugling, den mir Herr Kollege Schulte, dirigierender Arzt
des Säugslingsheims hier; zugewiesen hatte, zum ersten Male
vor die Ausführung der Operation einer angeborenen Pylorus-
stenose gestellt wurde, entschloß ich mich, die Webersche
partielle Pyloroplastik anzuwenden. Bei der Operation fiel
mir ebenfalls auf, daß nach Durchtrennung des sehr kontra-
hierten, fast blutlosen, hypertrophischen Muskelrings die
Wundränder stark klafften, und ich hatte den Eindruck, daß da-
durch die Verengerung bereits beseitigt war. Trotzdem ver-
nähte ich den Schnitt in querer Richtung in der Absicht,
die Webersche Pyloroplastik zu vollenden. Die Spannung
der Wundränder war aber sehr stark und die Nähte schnitten
durch, sodaß mir die Vereinigung der Wundränder in der
veränderten (queren) Richtung nur unvollkommen gelang.
Ich befestige deshalb über der Nahtstelle einen Netzziptel
zum Schutze.
Der Kleine ist geheilt. Heute, etwa ein Jahr nach der
Operation, steht er hinter andern Knaben seines Alters in
der Entwicklung keinesfalls zurück.
Die Rekonvaleszenz war indessen nicht ganz ohne
Sorgen und dauerte ziemlich lange. In den ersten acht
Tagen nach der Operation trat trotz Darreichung minimaler
Mengen abgedrückter Frauenmilch noch ab und an Erbrechen
auf. Man hatte den Eindruck, daß die Verengerung doch
nicht vollkommen gehoben war und daß vielleicht die Schleim-
haut infolge der queren Vernähung in Falten gelegt im
Pylorus noch ein Hindernis abgab (vgl. Krankengeschichte
am Schluß der Abhandlung). Schon damals nahm ich
mir deshalb vor, bei einem nächsten Fall überhaupt
keine quere Vernähung des gespaltenen Muskels
auszuführen, sondern einfach den Schnitt klaffend,
unvernäht zu lassen. Ä
Dieser Plan schien mir auch eine Stütze zu finden in
den Ansichten, welche über die Ursache der Pylorusstenose
des Säuglings herrschen. Die Meinungen der meisten Pä-
diater, welche sich eingehend mit der Aetiologie beschäftigt
haben, stimmen darin fast alle überein, daß nicht allein die
Muskelhypertrophie des Pylorus die Ursache der Stenose-
erscheinungen ist, sondern daß ein Spasmus des Piörtner-
muskels ursächlich mitwirkt. Es würde zu weit gehen,
hier auf Meinungsverschiedenheiten im einzelnen einzugehen,
insbesondere halte ich es für die Frage der Operation an
sich für gleichgültig, ob man annimmt, daß der Spasmus
das primäre und daß die Muskelhypertrophie eine Folge
desselben sei oder umgekehrt. Jedenfalls glaube ich auch,
daß spastische Zustände bei dem Krankheitsbild eine Rolle
mitspielen, um so mehr, als man ja bei mehreren intern
geheilten und später an andern Leiden gestorbenen Kindern
bei Sektionen den Pylorus immer noch im hypertrophischen
Zustand angetroffen hat (Ibrahim). |
Ein Analogon zu dem ringförmigen Muskel des Pylorus
findet sich am menschlichen Körper nicht, es sei denn, daß
man den Sphincter ani damit vergleicht. Wenn man diesen
z. B. bei der Spaltung der kompletten Mastdarwfistel durch-
schneidet, so bleibt häufig eine Insuffizienz des Sphinkter
zurück, die höchst unerwünscht ist. Bei dem hypertrophi-
schen im Zustande des Spasmus befindlichen Pylorussphink-
ter soll hingegen die Spaltung den Krampf und damit zu-
gleich die Stenose beseitigen. Hier kann also eine zeitweilige
Insuffizienz des Pylorusringmuskels nur erwünscht sein.
Von diesen Erwägungen ausgehend, habe ich einen
zweiten kleinen Jungen, welchen mir ebenfalls Kollege
Dr. Schulte hier zugewiesen hat, am 18. Juni dieses Jahres
in der geplanten Weise operiert Der Erfolg war ein voll-
kommener, der Junge hat überhaupt nıcht mehr gebrochen
und sich schnell unter Einhaltung einer sorgfältigen Diät
erholt.
RR, N L ` ig
1704 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
= Man könnte nun verschiedenes gegen diese Operation
einwenden. Zunächst den Vorwurf, daß die Schleimhaut an
einer Stelle vollkommen unbedeckt von Muskulatur und
Serosa bleibt und brandig werden könne. Ich glaube, daß
dies nicht zu befürchten ist, die freigelegte Stelle der Mu-
cosa ist sehr schmal, 1 bis 2 mm breit, Ernährungs-
störungen sind also nicht zu befürchten. Dufour und
Fordet, die im Jahre 1908 ebenfalls schon die Pyloro-
plastik ohne Eröffnung der Schleimhaut empfohlen haben,
mußten in einem Falle, da die Spannung bei der queren
Naht zu groß war, ein Stück der Mucosa ungedeckt lassen
und sahen keinen Schaden davon. Um sicher zu gehen,
kann man übrigens, wie ich es in meinem ersten Falle bei
der queren Naht getan habe, die Spalte mit einem Netz-
zipfel decken. Sodann tritt die Frage auf: Können die
Schnittränder nicht wieder verwachsen und Rezidive auf-
treten? Auch das glaube ich verneinen zu dürfen. Wenn
die Ringmuskulatur bis auf die Schleimhaut durchschnitten
ist, klafft sie derartig, daß eine Wiedervereinigung der ge-
trennten Muskelfasern außer durch Bindegewebe in längerer
Zeit unmöglich erscheint. a
Selbstverständlich kann dieser eine Fall, bei dem die
einfache Incision des Muskelrings Erfolg gehabt hat, für die
Richtigkeit meiner Ansicht noch nicht beweisend sein, dies
vermag erst eine größere Reihe in derselben Weise glück-
lich operierter Fälle, die immerhin nicht gerade häufig dem
Chirurgen zugeführt werden. Jedenfalls ist aber die Opera-
tion an sich überaus einfach und schnell auszuführen. Es
genügt ein kleiner Bauchschnitt von 4 bis 6 cm in der
Gegend des Magenpförtners. Dieser allein wird vor die
Bauchhöhle gezogen, nach Möglichkeit keine andern Ein-
geweideteile. Der Tumor wird vorsichtig in ganzer Länge
gespalten bis auf die Schleimhaut unter sorgfältiger Schonung
derselben. Die Muskelränder klaffen sofort stark. Die
Blutung aus denselben war in meinen Fällen gering, man
kann sie durch feinste Umstechungsnähte schnell stillen.
Nach der Operation tritt der Kinderarzt unbedingt
wieder in sein Recht, denn dann gerade muß eine besonders
vorsichtige Nahrungsanordnung einsetzen. Da der Dünn-
darm immer stark atrophisch und die Zufuhr von größeren
Nahrungsmengen nicht gewöhnt ist, würde eine plötzliche
Ueberfüllung schwere Darmstörungen verursachen, an denen
schon manches Kind, auch von den intern behandelten,
nach Lösung des Spasmus zugrunde gegangen ist. Der | —
Dünndarm wird um so weniger widerstandsfähig und um
so mehr geschrumpft sein, je länger der Hungerzustand ge-
dauert hat. Auch aus diesem Grunde darf man raten,
die abwartende Therapie nicht zu lange auszu-
dehnen, Ä |
So mancher ursprünglich kräftige Säugling geht heute
noch an dem Pylorospasmus trotz zielbewußter innerer Be-
handlung zugrunde; mancher ist den bisher geübten opera-
tiven Eingriffen nicht mehr gewachsen. Ob die von mir
vorgeschlagene einfache Einkerbung des hypertrophi-
schen Pylorusmuskels die Prognose bessern kann, läßt
sich zunächst nicht sagen. Weitere so operierte Fälle müssen
dies zeigen. Davon bin ich jedoch überzeugt, daß diese Art
der Operation so kurz und so wenig eingreifend ist, daß
sie auch schon geschwächten Säuglingen unbedenklich zu-
gemutet werden kann. Ä
Ich lasse nun die Krankengeschichten folgen, bei derem
Vergleich es auffallen muß, um wie viel glatter der Verlauf
in dem zweiten Falle war, welcher mit einfacher Einker-
bung des Pylorusmuskels behandelt wurde, im Gegensatz zu
dem ersten Fall, in dem die Webersche Pyloroplastik aus- :
geführt ist. Es liegt nahe, anzunehmen, daß im Fall I
durch die quere Wundnaht die Schleimhaut im Innern des
Pylorus in Falten gelegt wurde und zunächst für den Magen-
abfluß noch ein Hindernis abgab, welches im Fall II ohne
quere Vernähung nicht entstehen konnte. |
I. Clemens GrafG. aus Groß-Lichterfelde, geboren am 6, Juli 1911,
stammt von durchaus gesunden, in keiner Weise erblich belasteten Eltern,
wog bei der Geburt 3810 g und entwickelte sich unter ständiger Ge-
wichtszunahme in den ersten fünf Wochen vollkommen normal bei einer
Ernährung, die zum kleinen Teil aus Muttermilch, zum größeren aus
Kuhmilch bestand. Etwa vom 8: August ab setzten Erbrechen ein,
häufige Schmerzen, mangelhafter Stuhl. Trotz ärztlicher Behandlung zu
Hause keine Besserung. Gewicht am 11. August 5030 g. 15. August
Aufnahme in das Säuglingsheim in Münster (Dr. Schulte).
Befund 15. August: Wohlgebautes Kind, Gesichtsfarbe blaß,
Haut und Muskulatur etwas schlaff. Leib weich, Magengegend vor-
getrieben, Steifung des Magens nach Nahrungsaufnahme, häufiges Er-
brechen der Milch ohne Gallebeimengung unter Schmerzäußerung. Ge-
schwulst in der Pylorusgegend nicht sicher palpabel. Gewichtsabnahme.
Gewicht 4970 g. Stühle bräunlich-schleimig schmierig-spärlich, Urin-
absonderung gering. Hände und Füße beständig kalt.
Diagnose: Angeborene Pylorusstenose. A f
Behandlung: Zunächst intern, kleine Mengen abgedrückter
Frauenmilch, ab und an Magenausspülungen. Trotzdem weiter Erbrechen,
zunehmende Gewichtsabnahme. 20. August Gewicht 4910 g. Deshalb
Operation vorgeschlagen. Verlegung in die Hedwigsklinik.
August. Laparotomie. 6 cm langer Schnitt. Vor-
ziehung des Magens mit Pylorus. Dieser walzenförmig ver-
dickt bis zur Größe eines Kleinfingerglieds, etwa 2 cm lang,
knorpelhart, gelblich-rot gefärbt, läßt sich nur mit Mühe
vor die Wunde bringen. Dünndarm sehr atrophisch.
Spaltung des hypertrophischen Pylorusmuskels in der Längs-
richtung etwa 2 cm lang bis auf die Schleimhaut. Vernähung des
Schnittes in querer Richtung, starke Spannung der Muskelränder, Nähte
schneiden durch, deshalb Abzweigung eines Netzzipfelchens, welches über
der Nahtstelle befestigt wird. Naht der Wunde, Heftpflasterverband.
Dauer der‘ Operation zirka 30 Minuten. |
Abends: Operation gut überstanden. Temperatur 36,5, Puls 120,
Erbrechen von Schleim, starke Schmerzen, deshalb Opiumtinktur per
Klysma (1 Tropfen auf 50 ccm Wasser) per os Tee. |
24. August. Keine Schmerzen, Puls 120, Temperatur 37,9. Zwei-
stündlich 10 bis 15 g abgedrückte Frauenmilch, Warme Hände und
Füße. Windeln naß. Ab und an geringes Erbrechen von Milch.
Abends Temperatur 37,8. |
25. August. Sehr gute Nacht. Morgens Temperatur 38,0. Trinkt
eifrig, zweistündlich 20 g. Bauch weich. Puls 100. Nachmittags Tem-
peratur 37,5. Unruhe, Schmerzen, geringes Erbrechen. Auf Einlauf
Bläbungen und ziemlich reichlicher grüngelber, schleimiger Stubl. Abends
Opium per Klysma. Gewicht 4830 g. l
26. August. Temperatur 37,0. Bauch weich. Zweistündlich’ 30 g
nn Kein Stuhl; viel Urin. Abendtemperstur 37,2. Geringes
peien.
27. August. Temperatur normal. Zweistündlich 30 g F'rauenmilch.
10 Uhr spontan reichlicher grüngelber Stuhl. |
28. August. Zweistündlich 40 g\Frauenmilch. Stuhl spontan,
schleimig, grüngelb. Schmerzen. Opium. Gewicht 4780 g.
29. August. Zweistündlich 60 g Frauenmilch. Abends Er-
brechen!!!
Drei dünne grüne Stühle.
a Su Zweistündlich 15 bis 20 g zentrifugierte Frauenmilch.
Kein Erbrechei--. , ,
2. September- _ Verbandwechsel. Wunde primär geheilt. Ver-
legung in das Säugling eim zur weiteren Nachbehandlung.
Erbrechen trat nichtmehr auf. Der Kleine nahm zunächst noch
etwas im Gewicht ab, weil immer noch Darmkatarrh vorhanden, der nur
allmählich verschwindet unter sorgfältiger Diät; Gewicht am 2. Septem-
ber 4680 g. Von da ab ständige Gewichtszunahme.
Gewich$stabelle:
8. September: 4730 g
14, 4 % 4950 »
23. „ ` 5060 „
27. 2 5120 „
9.’Oktober: ğ800 „
as 6. Januar 1912, Entlassung aus dem Säuglingsheime. Gewicht
8. :
IT. Joseph L. aus Paderborn, geboren am 27. Mai 1912. Gesunde
Familie, keine erblichen Krankheiten, Vater Arzt, Mutter vollkommen
gesund, beide nicht nervös veranlagt. Vorher schon drei Kinder. K
1. Tochter, geboren 1904, bekam acht; Tage nach der Geburt an-
dauernd Erbrechen mit krampfartigen Bauchschmerzen. Dieser Zustand
dauerte zirka fünf Monate. Erhebliche Ab\magerung, dann spontane,
ziemlich plötzliche Besserung, jetzt kräftiges Kind.
2. Knabe, geboren 7. Dezember 1909, kam kräftig zur Welt, nach
14 Tagen viel Aufstoßen, Erbrechen, schleirüig-schmieriger, minimaler
Stuhl, spärlicher Urin. Starke Gewichtsabnahme. Alle internen Mab-
nahmen Conop Magenspülungen) ohne Erfolg. Tod an Schwäche. Vier
Monat alt.
~. 8. Knabe, geboren 5. April 1911, kräftig, nach drei Wochen plötz-
lich krampfartiges Erbrechen, dieselben Erscheinungen wie beim ersten
Knaben. 'Fortschreitende Gewichtsabnahme . trotz interner Maßnahmen
(Amme). Im Säuglingsheim in Münster scheint Besserung einzutreten.
30. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42. 1705
Kind wenigstens au niveau erhalten. Dann plötzlich tot im Bett-
chen im vierten Monate, wahrscheinlich infolge Krampfanfall,
der schon acht Tage vorher einmal aufgetreten war. Sektion: Ty-
pische hypertrophische Pylorusstenose.
Der dritte Knabe Joseph wog bei der Geburt etwa 4000 g, trank
gut von der Brust, nahm zu, nach zehn Tagen wird Muttermilch geringer,
deshalb Flasche zugegeben, dreimal täglich 40 g. Von da ab (6. Juni)
Erbrechen, Aufstoßen, schleimig-schmieriger, spärlicher Stuhl, keine wesent-
lichen Schmerzen. Gewichtsabnahme. Da nach fünf Tagen keine Besse-
rung, Aufnahme in das Säuglingsheim in Münster (Dr. Schulte).
Befund am 14. Juni 1912: Gesunder, wohl gebauter Knabe, macht
schlaffen, matten Eindruck. Hände und Füße kalt. Bauch weich. Py-
lorustumor auch nach Nahrungsaufnahme nicht sicher fühlbar. Gewicht
3460 g. Stuhl schmierig-bräunlich, gering. Urin spärlich. Häufiges
Erbrechen,
Behandlung zunächst abwartend. Kleine Mengen abgedrückter
Frauenmilch, Magenspülungen ab und an.
17. Juni. Keine Besserung. Gewicht 3440 g. Eltern wünschen
Operation. |
18. Juni. Verlegung in die Hedwigsklinik und Operation. 6 cm
langer Bauchschnitt. Magen mit Pylorus vorgezogen. Pylorus in typi-
scher Weise verändert; 2 cm langer, rötlich-gelber, knorpelharter Tumor,
der sich nur unter starker Anspannung des Duodenums vor die Wunde
ziehen läßt. Dünndarm kollabiert, atrophisch. Magen nicht vergrößert,
Wandungen aber verdickt. Spaltung des Pylorusmuskels in Längs-
richtung 2 cm lang bis auf die Schleimhaut. Schnitt klafft
stark! Schleimhaut liegt strichförmig zirka 2 cm lang und `
1 bis 2 mm breit zutage, wölbt sich aber nicht vor.. Beider-
seits aus dom gespaltenen Muskel geringe Blutung, die durch
je zwei feine Umstechungen gestillt wird. Keine Netz-
plastik. Zurücklagerung des Pylorus. Verschluß der Bauchwunde.
Heftpflasterverband.
Abends Temperatur 38,0%. Operation gut überstanden. Tee. Ge-
ringe Schmerzen. Opium per Klysma. |
19. Juni. Nacht ziemlich ruhig. Morgentemperatur 38,70. Leib
weich. Allgemeinzustand gut.
Kleinste Mengen Muttermilch von der Brust der Mutter (zwei-
stündlich 10 g). Kein Erbrechen. Abendtemperatur 37,0%. Auf Einlauf
Blähungen.
| 20. bis 30. Juni. Der weitere Verlauf ohne Besonderheiten. Wunde
primär ohne weitere Temperaturerhöhung geheilt. Erbrechen trat nie
wieder auf. Muttermilch in kleinen Mengen, allmählich nur ansteigend,
da Stühle diarrhoisch. Ständige Gewichtszunahme.
20. Juni Gewicht. . . . 3100 g
22. y 5 3120 „
24. „ E . 8160 „
26. „ £ 3200 „
30. „ “ . 3320 „ nach Hause entlassen.
Nach brieflicher Mitteilung der Mutter 80 g Muttermilch drei-
stündlich, zeitweise noch Leibschmerzen, da immer noch Katarrhstühle,
sonst gutes Befinden. |
17. Juli Gewicht. . . . 3560 g
21. 2200. 8630 „
20. August í . . . » 4000,
Literatur: Ibrahim, Die Pylorusstenose der Säuglinge. (Erg. d. inn.
Ueber eine technische Neuerung bei der Operation der Pylorusstenoso des Säug-
lings. (Borl. kl. Woch. 1910, Nr. 11) — Dufour und Fordot, Die hyper-
trophische Pylorusstenose dos Säuglings und ihre Behandlung. (R. de chir.
Bd. 28, Nr.2.) — Bernhein-Carrer, Ueber Pylorùsstenose im Säuglings- und
Kindesalter. (Verhandlungen dor 25. Versammlung der Gesellschaft für Kinder-
heilkunde, Köln 1908.) — Pfaundler, Beiträge zur. Frage der Stenose im
Säuglingsalter. (Jahrb. f. Kind. 1909, H. 3.) — Scudder, Congenital Stenosis
of the Pylorus. (Referat. Zbl. f. Chir. 1911, Nr. 7T.) — Stillmann, Hypet-
trophische Pylorusstenose, 22 Fälle. (Referat. Ebenda 1911.) — Bunts, Sieben
Fälle hypertrophischer Stenose im Säuglingsalter. (Referat. Ebonda 1912.) — |
hintere Bauchwand zu erreichen oder den auf ihr liegenden Teil,
Berau, Kongenitale Pylorusstenose. (Referat. Ebenda 1912.) — Kausch, Zur
extramukösen (partiellen, submukösen) Pyloroplastik. (Berl. kl. Woch. 1910,
Nr. 21.) — M. Schmidt, Ueber chirurgische Heilbarkeit des Pylorospasmus
durch Ueberdehnung des Pylorus.
Die topographische Gleit- und Tiefenpalpation
und ihre klinische Bedeutung‘)
von
Hofrat Dr. Hausmann, Rostock.
Die methodische Palpation des Magendarmkanals mit Hilfe
der topographischen Gleit- und Tiefenpalpation habe ich aus den
durch Obratzow gegebenen Anfängen im Laufe der Jahre heraus-
gebildet. Diese Methode ermöglicht, es auf palpatorischem Wege,
1) Vortrag, gehalten auf der 38. Versammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Berlin 1912. |
die Lage, den Verlauf und die Eigenschaften gewisser Teile
(des Verdauungsschlauches der Tastung zugänglich zu machen:
. den Pylorus . . . . > g © i E i
„. Curvatura major . . . . 2.40%
„ Colon transversum . . . . . „ 60
„ Coecum . ... pai „ 0%
» Pars caecalis ilei. . . . . . „ 80%
» Beckenteil der Flexura sigmoid. „ 90 °/o
Wie von mir nachgewiesen worden ist, sind außer der Pars
caecalis ilei keine Dünndarmschlingen tastbar. Dieser Umstand
erleichtert in hohem Grade das Erkennen der getasteten Teile, so-
fern wir im gegebenen Fall eine Dünndarmschlinge nicht in den
Kreis unserer Erwägungen zu ziehen brauchen. Um das erwähnte
Tastresultat zu erreichen, brauchen wir nun keineswegs besonders
tastbegabte Finger. Ganz allein die Methodik des Tastens ist es,
die uns befähigt zu den sonst unerreichbaren Tasterfolgen. Die
Methodik unterscheidet sich nun ganz wesentlich von dem all-
gemein noch gelehrten Tastverfahren, welches mehr für die paren-
chymatösen Organe und Tumoren berechnet, für den Verdauungs-
schlauch aber nicht am Platz ist.
Es muß nun einleuchten, auf welche Weise eine plastische
Tastwahrnehmung der einzelnen Abschnitte erhalten werden kann.
Nicht etwa durch einfaches Draufdrücken, auch nicht durch die
so beliebten „kreisenden“* oder „bohrenden“ Bewegungen mit den
Endphalangen der flachgehaltenen Hand. Auf diese Art erreichen
wir das Ziel nicht. Vielmehr müssen wir mit den Fingerspitzen gerad-
linige Gleitbowegungen ausführen, welche in einer zur Achse
des betreffenden Abschnitts queren Richtung über denselben hin-
weggehen, von einer Seite desselben zur andern. Haben wir nun
einen Darmteil oder die Pars pylorica vor uns, so erhalten wir den
plastischen Eindruck eines Cylinders oder Schlauches mit oberer
und unterer Kontur. Handelt es sich um die große Kurvatur, so
gleiten die Finger über einen Strang mit nur einer unteren Kontur.
Zum Tasten der einzelnen Abschnitte des Verdauungs-
schlauchs verfahren wir nun in folgender Weise:
Stellen wir uns den der Tastung zugänglichen Teil des
Verdauungsschlauchs als ein gujirlandenartiges Gebilde vor,
bei welchem die Endpunkte der einzelnen Guirlandenabschnitte
fixiert sind. | - -
| 1. Curvatura major + Pylorus (Magenschlauch),
2. Colon transversum,
3. Colon descendens -+ Ooecum + Pars coecalis ilei (Ileocoecal-
schlauch), |
4. Colon descendeus und Beckenteil der Flexura sigmoidea.
Nun sind ja die einzelnen Abschnitte mehr oder weniger
verschieblich und können daher bei den Gleitbewegungen sich vor
den Fingern her verschieben, ohne daß die Finger über sie hin-
weggleiten. Doch da die einzelnen Abschnitte der Guirlande an
ihren Endpunkten fixiert sind und langgestreckte Gebilde mit weit
| abstehenden Endpunkten vorstellen, so wird bei genügend weit
geführten Gleitbewegungen der betreffende Teil schließlich doch
Med. Berlin, Springer 1908. Genaues Verzeiehnis der Literatur.) — Webei, arretiert, und dann gleiten die Finger doch über ihn hinweg.
. Nun kann ja der betreffende Teil in gewissen Fällen zur
hinteren Bauchwand ausweichen und so den vorbeigleitenden Fin-
gern entgehen. Das ist dann der Fall, wenn die vordere Bauch-
wand von der hinteren weit. entfernt ist. In diesem Falle kann
der zu tastende Teil auch von vornherein so tief liegen, daß die
gleitenden Finger ihn nicht erreichen. Um auch in diesen Fällen
mit dem zu tastenden Teil in tastarische Fühlung zu kommen,
wenden wir die Tiefenpalpation an. Dieselbe hat zum Zweck, die
und in der Tiefe die Gleitbewögungen auszuführen. Dabei ver-
senken wir die Fingerspitzen der mehr oder weniger gekrümmten
Finger oder der mehr oder weniger steilgehaltenen Hand in die
Tiefe. Das Tieferdringen und ganz ebenso dieGleitbewegungen werden
ausschließlich während des Exspiriums ausgeführt, respektive
am Ende des Exspiriums oder in der Atempause. Denn in dieser
Atemphase werden die Bauchdecken erschlafft. Aus diesem Grunde
. muß der Kranke zu regelmäßigem, genügend tiefem Atmen mit
offenem Mund angehalten werden. Ein Untersucher, der sich um
die Atemphase nicht kehrt oder den Kranken so atmen läßt, wie
es demselben gerade einfällt, wird wenig Erfolg bei der Tiefen-
palpation haben. Denn ein Eindrücken der Finger im Inspirium
entgegen der Muskeltendenz der Bauchwand stößt nicht nur auf
. gespannte Bauchdecken, sondern ruft auch eine Spannungszunahme
‘hervor. Natürlich gibt es Individuen, die selbst im Exspirium die
Bauchdecken nicht entspannen, z. B. bei nervöser Reizbarkeit,
schmerzhaften Affektionen.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
Auch bei unzweckmäßiger Lagerung nimmt die Spannung
der. Bauchwand zu, sei es, daß die Lagerungsweise direkt eine
Muskeleontraction der Bauchwand erfordert, oder sei es, daß die
Lagerung andere Muskelgruppen zur Spannung bringt, und con-
sensuell auch die Bauchmuskeln. Die Lagerung ist die beste, bei
der eine größtmögliche Erschlaffung der Gesamtmuskulatur erreicht
‚wird. Ich bemerke, daß unzweckmäßige Untersuchungslager ge-
legentlich selbst in erstklassigen Anstalten angetroffen werden.
Auch der Untersucher muß eine möglichst ungezwungeno
und bequeme Haltung des Körpers und der Hände einnehmen, ganz
wie beim Klavierspiel. So z. B. ist das Aufrechtstehen beim Unter-
suchen eines auf niedrigem Lager ruhenden Kranken durchaus un-
zulässig, ebenso wie das Stehen beim Klavierspiel. Bei unzweck-
mäßiger Haltung des Untersuchers machen die Finger überflüssige
Muskelanstrengungen, und das hindert erstens die Tastarbeit,
zweitens führt es zu schneller Ermüdung der Finger.
D Zur Vermeidung einer Ermüdung der palpierenden rechten
Hand wird die linke auf die rechte gelegt und der Druck mit der
linken ausgeführt. (Palpation mit der Doppelhand.) Ein ähnliches
Verfahren, die octodigitale Palpation, hat Pollatschek zur Pal-
pation des Leberrandes empfohlen.
Die Tiefenpalpation kann erleichtert werden durch künst-
liches Nähern der hinteren Bauchwand an die vordere; in den
Flanken geschieht dies durch Entgegendrücken von der Lenden-
gegend aus mit der andern Hand. E
In der Psoasregion wird der Abstand der vorderen Wand
von der hinteren künstlich verkleinert durch aktives An-
spannen des M. psoas; Dazu lassen wir den Kranken das
im Knie gestreckte Bein im Hüftgelenke beugen. Auf dem Psoas-
bauche lassen sich dann die über ihn hinwegziehenden Teile aus-
gezeichnet fühlen, so Colon transversum, Pars caecalis ilei, Appen-
dix, Flexura sigmoidea. | 1
Es ist mir nicht möglich, hier alle Details der Gleit- und Tiefen-
palpation zu erörtern. Wer sich dafür interessiert, findet alles in meinem
bei Karger (Berlin) erschienenen Buche „Die methodische Intestinal-
palpation“, | | |
Die Gleit- und Tiefenpalpation ermöglicht eine topo-
graphische Palpation des Gastrointestinalschlauchs.
Wir bestimmen die Lage und den Verlauf der einzelnen tast-
baren Teile, und aus der topographischen Beziehung der
einzelnen Abschnilte zueinander bestimmen wir die Zugehörig-
keit eines jeden einzelnen palpierten Abschnitts. Die topo-
graphische Lagebestimmung der normalen Gastrointestinalteile
ermöglicht eine absolut sichere Lokalisation von Tumoren.
Nach althergebrachtem Gebrauch wird ein Tumor nach seinen
Verschieblichkeitsverhältnissen und hauptsächlich nach der Region
lokalisiert, in der er liegt, also z. B. ein Tumor wird als
Blinddarmgeschwulst angesprochen, wenn er in der Blinddarm-
gegend liegt. Da die Lage der Abdominalorgane im Gegensatz
zu den Brustorganen eine überaus wechselnde ist, führt diese Me-
thode allzuhäufig zu Fehldiagnosen. Ganz besonders mannigfaltig
ist die Lage des Magens und des Colon transversum, aber auch
das Coecum liegt durchaus nicht immer auf der Darmbeinschaufel,
sondern wird gelegentlich an jedem beliebigen Orte der Bauch-
höhle gefunden, selbst unter dem linken Rippenbogen. Ich erinnere
auch an das zuerst von mir beschriebene Coecum mobile und den
Wanderblinddarm)). |
Mit Hilfe der von mir geübten Methode können die Lage-
anomalien palpatorisch bestimmt werden. Die Methode gestattet
es auch, einen Tumor nicht nur bei gewöhnlicher Lagerung der
Gastrointestinalteile, sondern auch bei Lageanomalien derselben
zu lokalisieren. Man bestimmt dabei, ob der Tumor überhaupt
einem der tastbaren Abschnitte des Verdauungsschlauchs angehört
oder nicht, und wenn nicht, welch eine topographische Lage er
zu den einzelnen Abschnitten einnimmt, |
Was für Tumoren gilt, gilt auch für andere pathologische
Zustände, Exsudate, schmerzhafte Zonen usw. Sie alle
können mit Hilfe der von mir geübten palpatorischen Methode
meist ebenso sicher, gelegentlich aber noch sicherer lokalisiert
werden wie mit Hilfe der Röntgenstrahlen. .
Die topographische Gleit- und Tiefenpalpation ermöglicht es,
die Diagnose einer chronischen Appendicitis sicher zu stellen
oder sie auszuschließen. Sie macht uns unabhängig von dem so unzu-
verlässigen Mac Burnay. Ebenso wie wir auf dem Psoas die
1) Ich habe vier Jahre vor Wilms in einer „Das Coeeum mobile“
betitelten Arbeit das klinische Bild dieser Anomalie und ihre Diagnose
beschrieben. (Berl. kl. Woch. 1904, Nr. 44) . |
Pars caecalis ilei tasten können, können wir auf dem Boden dieses
Muskels den Wurmfortsatz tasten und zwar, wenn er genügend
fixiert ist, durch Adhäsionen, durch ein eignes Moesenterium oder,
wenn er hinter dem Mesenterium des Ileumendes liegend, von
diesem festgehalten wird. Dies sind die Bedingungen zu seiner
Palpierbarkeit und nicht etwa eine starke pathologische Ver-
diekung. Ein stark beweglicher und flexibler Wurmfortsatz da-
gegen läßt sich sehr schwer fixieren und daher nur selten tasten.
Der Wurmfortsatz unterscheidet sich von der Pars
caecalis ilei durch das Fehlen von Gurrgeräuschen und durch den
Mangel von Konsistenz- und Volumwechsel. Nach diesem Unter-
scheidungsmerkmal muß stets gesucht werden, und allzuoft entpuppt
sich dann ein anfangs für den Wurmfortsatz gehaltener Strang als
Pars caecalis ilei. Denn nicht selten fühlt sich die Pars caecalis
ilei wurmähnlich an, nämlich wenn sie stark kontrahiert ist, und
erst bei längerer Untersuchung machen sich seine charakteristischen
Eigenschaften bemerkbar: Gurren, Konsistenzwechsel, Volum-
wechsel. Ehe wir nach dem Wurmfortsatze suchen, muß jedesmal
die Pars caecalis ilei palpatorisch bestimmt sein, und nur dann,
wenn wir außerdem noch ein wurmähnliches Gebilde tasten, nur
dann, können wir sicher sein, daß dieses nicht die Pars caecalis
ilei vorstellt. Das ist die Grundregel bei der Appendixpalpation.
Eine Verwechslungsmöglichkeit mit andern Dünndarmschlingen
liegt nicht vor, da andere Dünndarmschlingen nicht tastbar sind.
Der durch Druck auf den Wurmfortsatz erzeugte,isolierte
Schmerz zeigt seine Erkrankung an, ebenso eine konstatierte Ver-
diekung und Derbheit. Sehr wichtig ist die Konstatierung von
Schmerz beim Druck auf den Psoasbauch. Ist dieser Psoas-
schmerz sowohl rechts als auch links vorhanden, dann besagt er
nichts und weist nur auf nervöse Ueberempfindlichkeit hin. Ein nur
auf einer Seite gefundener Psoasschmerz aber deutet auf Organ-
erkrankung hin: bei Pyelitis, Nephrolithiasis; Wanderniere, . Chole-
cystitis schmerzen mehr die oberen Partien des Psoas, bei: Appen-
dieitis, Coecum mobile, Sigmoiditis mehr die unteren. Daher kann
bei ‚kritischer -Würdigung dieses Symptoms dasselbe zur Diagnose
einer Appendicitis verwertet werden. Es ist dann etwa auf der
Verbindungslinie zwischen Nabel und Spina oder auf der Inter-
spinallinie eine Schmerzzone auf dem Psoas bei direkter Betastung
desselben vorhanden. Der sogenannte Mac-Burney-Punkt aber ist
so sehr irreführend, daß er nur einen geringen diagnostischen
Wert hat. |
Die direkte Palpation des Verdauungsschlauchs gibt uns
Aufklärung über die verschiedenen Zustände,®'in denen sich seine
einzelnen Abschnitte befinden können. Es ist klar, daß Coecum
mobile, Gastroptose, Pylorus mobile, Coloptose alle sicher durch
die Palpation erkannt werden können. Die Palpation ‚erkennt
auch einen Pylorospasmus, Gastrospasmus, sie erkennt einen
schlaffen Magen und einen wandstarken Magen oder einen ektatisch .
geblähten Magen. | | |
Ferner können am Kolon die verschiedenen Contractions-
zustände leicht erkannt werden, ebenso die verschiedenen Füllungs-
zustände oder die Qualität des Inhalts, ob flüssig oder fest oder
meteroristisch. In Abhängigkeit von der Konsistenz des In-
halts und dem Gasgehalte werden die verschiedensten akustischen
Phänomene erzeugt: Knistern, Gurren, Quetschen, Plätschern.
Lokale Kotanhäufungen sind besonders häufig im Coecum
und in der Flexura sigmoidea, aber auch im rechten Schenkel des
Colon transversum. Wenn diese lokalen Kotanhäufungen dauernd
angetroffen werden und wenn sie, wie Rosenheim gefunden hat,
stets auch morgens nüchtern vorhanden sind, können wir èine
pathologische Stuhlverhaltung annehmen. Eine tumorartige Kot-
anhäufung im Coecum gibt nicht selten den Anlaß zu der falschen
Diagnose eines perityphlitischen Exsudats, wenn das Üoecum
gleichzeitig druckschmerzhaft ist. Der mit der methodischen Pal-
pation des Dickdarms vertraute Arzt wird in diesen Fehler nicht
verfallen. Er wird finden, daß das vermeintliche Exsudat genau
die Form des Blinddarms hat, daß der zu tastende Körper sich
verschieben läßt und von allen Seiten, auch von der hinteren
Bauchwand, gut abgrenzbar ist. Es wird daneben der Psoas-
bauch deutlich hervortreten, es wird auch das gelegentliche Auf-
treten von akustischen Phänomenen in dem Gebilde und sein
Konsistenzwechsel weitere Klarheit bringen, und schließlich wird
sich nachweisen lassen, daß die Pars coecalis ilei in normaler
Weise mit dem Gebilde sich vereinigt. Eine daraufhin vor-
genommene purgierende Oelbehandlung wird zeigen, daß.es sich
tatsächlich nur um eine Kotstauung im Coecum gehandelt hat.
In andern Fällen von Obstipation finden wir keine: Spur
von Kotstauung, sondern den Dickdarm in seinem ganzen Verlauf
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42. 1707
als schlaffen, inhaltsleeren oder inhaltsarmen Schlauch. Dieser
palpatorische Befund bei Obstipation läßt sich nicht durch die
Annahme einer Kotstauung in der Ampulla recti erklären; denn
reetoskopische Untersuchungen haben mir gezeigt, daß hier oft
auch das Rectum vollständig leer ist. Vielleicht koinzidiert diese
Form mit der von Schmidt gefundenen Tatsache, daß Obstipation
entstehen kann infolge übermäßig großer Resorptionskraft des
Darmes. Wahrscheinlich scheint es mir aber, daß der von
Schwartz erhobene Röntgenbefund hier eine Erklärung gibt.
Schwartz fand, daß gelegentlich der Wismutbrei übermäßig lange
in den Dünndärmen verweilt, ohne in das Coecum zu treten, und
zwar infolge einer Atonie der Dünndärme. |
Eine dritte Form, in der sich der Dickdarm bei Obstipation
finden kann, ist der sogenannte spastisch - kontrahierte. Der
spastisch-kontrahierte Darm repräsentiert sich als bleifederdicker
bis höchstens kleinfingerdicker, spiegelglatter, kleinkalibriger Cy-
linder ohne jede Gurrgeräusche. Fälschlicherweise wird von den
Autoren, so seinerzeit auch von Glenard, ein Darm als spastisch
kontrahiert bezeichnet, welcher wurstförmig, derb sich anfühlt und
zwei- bis dreifingerbreit ist. Letztere Form hat aber gar nichts
damit zu tun, sondern stellt einen kommunen, stark kotgefüllten
Darmteil dar, in welchem ein mittlerer Tonus des Darmes dem
formbaren Inhalte Cylinderform gibt. n
Nun fragt sich, berechtigt der Befund eines kleinkalibrigen,
sozusagen spastisch kontrahierten Diekdarms zu der Annahme einer
spastischen Obstipation? Ich antworte mit Nein, so wie ich
es schon in meinem Buche „Die methodische Intestinalpalpation“
getan habe. Denn erstens finden wir nicht selten einen solchen
Dickdarm dort, wo überhaupt keine Obstipation vorhanden ist,
zweitens finden wir ibn oft bei einer Obstipation, bei der sonstige
Zeichen einer sogenannten spastischen Obstipation fehlen: es fehlt
spastischer Kot und rectoskopischer Flexurkrampf. Daher können
auch die Fälle, wo bei Obstipation neben dem kleinkalibrig kon-
trabierten Dickdarme die vermeintlichen Zeichen einer sogenannten
spastischen Obstipation tatsächlich vorhanden sind, nicht als Be-
weis gelten, daß der kleinkalibrige Darm der Ausdruck einer
spastischen Obstipation sei. Vielmebr ist der kleinkalibrige Darm,
der als spastisch kontrahiert: imponiert, nur ein Ausdruck dessen,
daß der Darm inhaltsleer oder inhaltsarm ist und dabei nicht
schlaff ist, wie die vorher erwähnte Form, sondern gut kontrahiert.
Ich erwähne, daß Boas und Rosenheim gleich mir das Vor-
handensein palpatorischer Zeichen der spastischen Obstipation
leugnen. Die spastische Obstipation muß überhaupt ins Gebiet
der noch zu lösenden Probleme verwiesen werden und ich finde,
daß Boas’ Zweifel sehr berechtigt ist. Die Existenz einer
spastischen Obstipation ist durch nichts bewiesen. So
wird sie nicht bewiesen durch die Koinzidenz mit dem Flexurkrampfe
beim Rectoskopieren. Denn wir können gelegentlich den Flexurkrampf
beim Rectoskopieren auch dort beobachten, wo gar keine Obstipa-
tion vorhanden ist. Erstens ist- der Metalltubus eben kein ad-
äquater Reiz für das Rectum. Zweitens darf man wohl, wie
Rosenheim es tut, den circulären Verschluß an der Rectum-
flexurgrenze als normale Erscheinung betrachten. .
Die Existenz einer spastischen Obstipation wird auch nicht
bewiesen ex juvantibus, nachdem Belladonna oder Atropin die Ob-
stipation- behoben hat. Denn die Pharmakologie des Atropins in
bezug auf den Darm ist gar nicht .so einfach, wie manche sich
vorstellen, und es ist nicht erlaubt, aus dem Erzeugen von Stuhl
durch Atropin zu schließen, daß eine Verminderung der Muskel-
contraction die Ursache der erzielten Stuhlentleerung ist. Ich
will nur kurz unterstreichen, daß in der Pharmakologie des Atro-
Pins auch erregende Eigenschäften eine Rolle spielen. Also die
Existenz einer spastischen. Obstipation ist nicht bewiesen. Daraus
folgt aber nicht, daß jede ‚Obstipation eine atonische ist. Es gibt
sicher noch andere Formen von Obstipation, wie die infolge über-
starker. Resorption und die infolge erhöhter Antiperistaltik. _Die
Frage endgültig zu klären, ist Sache der Zukunft. ‘Die Klärung
kann aber nicht durch eine Untersuchungsmethode allein herbei-
geführt werden, sondern nur durch Kombinationen von Röntgen-
untersuchung, Kotuntersuchungen, Pharmakologie, Recetoskopie und
Palpation. Letztere kann wichtige Bausteine liefern, wenn sie in
der von Obrastzow und von mir geübten Weise methodisch aus-
geführt wird. en. 0%
‚ Die topographische Gleit- und Tiefenpalpation hat nicht nur
diagnostische Bedeutung, sondern sie kann auch therapeutisch
verwertet werden, und zwar zur Ausübung der von. mir so ge-
nannten palpatorischen Massage des Kolons. Schon vor
mir hat der Karlsbader Badearzt Weiß die direkte Pal-
pation des Kolons zu seiner Massierung benutzt und be-
schrieben. Doch leider schleppt sich in den Lehr- und Hand-
büchern der Massage die Darstellung einer Dickdarmmassage
fort, die man nicht anders als eine illusorische Massage
nennen kann. Denn wenn man in der Richtung des vermuteten
Verlaufs des Kolons mit der Hand streicht, so befinden wir uns
wegen der variablen Lage des Kolons meist gar nicht auf dem
Kolon, und wenn wir auch mal das Kolon zufällig richtig treffen,
so bleiben die streichenden Hände gar nicht in Fühlung mit ihm,
sondern gleiten ab oder verschieben es seitwärts. So also dürfen
wir den Diekdarm nicht massieren, vielmehr müssen wir die Lage
und den Verlauf des ganzen Kolons bestimmen. Dann erst führen
wir die Massage aus, indem wir in strenger palpatorischer Füh-
lung mit dem Kolon bleiben. Wir führen an den einzelnen Partien
des Dickdarms der Reihe nach eine Anzahl quer über das Darm-
rohr gehende Gleitbewegungen aus unter mehr oder weniger
starkem Drucke. Die Finger bleiben die ganze Zeit mit dem
Kolon in Fühlung. Auf diese Weise sind wir sicher, daß eben
das Kolon massiert wird und nicht etwas anderes. Wegen der
spontanen Beweglichkeit besonders des Colon transversum können
-wir dasselbe oft zu verschiedener Zeit an verschiedenem Orte
finden. Daher muß die Lage- des Kolon vor jeder Massagesitzung
immer wieder von neuem bestimmt werden.
Von röntgenologischer Seite ist empfohlen worden, einmal
vor einer Massagekur die Dickdarmlage zu bestimmen. Dieser
Modus ist aber durchaus verfehlt. Denn wie ich auf palpatori-
schem Wege nachgewiesen habe, und wie ich in letzter Zeit auch
röntgenologisch habe bestätigen können, ist die Lage des Colon
transversum bei einem und demselben Individuum eine überaus
wechselnde. Diese spontane Beweglichkeit des Dickdarms hat
seine Ursachen:
1. In aktiver Contraction der Längs- oder Circulärmuskulatur
oder beider zusammen, entsprechend den von Exner experimentell
gefundenen Tatsachen. |
2. Infolge wechselnder Gas- und Flüssigkeitsfüllung des
Diekdarmrohrs selbst oder benachbarter Teile des Verdauungs-
traktus. Bewiesen wird es durch die künstliche Aufblähung und
durch Wasserklystiere.
3. Die Speiseaufnahme führt oft zu einem erheblichen und
raschen Höhertreten des gesunkenen Colon transversum infolge
einer reflektorisch ausgelösten Muskelaktion des Kolons. Ander-
seits wird durch rein mechanische Einflüsse ein nach Speise-
aufnahme seine Lage ändernder Magen das Kolon zum Verschieben
bringen.
4. Die Defäkation führt zu einer Senkung des Kolons.
5. Die Lage des Kolons ist abhängig von der jeweiligen
‚Bauchmuskelspannung. |
6. Bei Hernien wirkt der Austritt des Bauchinhalts in den
Herniensack verschiebend auf das Kolon.
7. Unterschied der Kolonlage im Liegen und im Stehen.
Es ist hier nicht möglich, das ganze Anwendungsgebiet: der
| topographischen Gleit- und Tiefenpalpation des Verdauungsschlauchs
vollständig und erschöpfend zu bebandeln. Doch glaube ich durch
meinen Vortrag meinen Zweck erreicht und einiges Inter-
esse für diese so wirkungsvolle Untersuchungsmethode erweckt
zu haben. N |
Jeder, der es nur will, kann die Methode erlernen. Sie ist
nicht schwerer zu lernen wie die Perkussion. Nur haben wir die
topographische Perkussion unter systematischer Anleitung als
Studenten ro eh die Palpation aber ist erstens überhaupt
kein Gegeustand systematischen Unterrichts, zweitens aber müssen
wir zum Erlernen der Palpation des Verdauungsschlauchs sozu-
sagen „umlernen“, die sonst geübten Palpationsbräuche verlassen.
Wer sich mit gutem Willen dazu entschließt, wird bald zur Ein-
sicht kommen, daß die Sache gar nicht so schwer ist.
Aus dem Patholog.-bakteriolog. Institut der Landeskrankenanstalt
in Czernowitz (Vorstand: Doz. Dr. H. Raubitschek).
Ueber einen Fall von Typhussepsis
| Zu von
Dr. Desider Natonek, Assistenten.
Es ist bekannt, daß durch die Anwendung neuerer bakterio- .
logischer Untersuchungsmethoden und ausgiebige Heranziehung
der Immunitätsreaktionen einheitliche, seit langem wohl umschrie-
bene und durch ihre klinische und pathologisch-anatomische Sym-
ptomatologie anscheinend festgefügte Krankheitsbilder ihre Grenzen
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1708
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
20. Oktober,
teils erweitern, teils einengen müßten. Beides trifft besonders für
den Typhus zu.
Während durch die Vervollkommnung kultureller Methoden,
z. B. Züchtung aus dem strömenden Blute, und durch die serolo-
gische Diagnostik Krankheitsbilder, die sich sonst von Typhus
abdominalis nicht unterscheiden ließen, von diesem abgetrennt
werden konnten (gewisse Formen von Paratyphus), Befunde, die
auch auf dem Obduktionstische bestätigt wurden [vgl. Burck-
hardt!)], sah sich anderseits der pathologische Anatom vor die
Notwendigkeit gestellt, die Typhusdiagnose auch in Fällen zu
stellen, die von dem gewohnten anatomischen Bilde beträchtlich
abwichen. Ueber solche Fälle wird schon in der älteren Literatur
berichtet (Rokitansky und Andere), aber die Beweise für die
Richtigkeit der Annahme von Typhus bei fehlendem oder atypi-
schem anatomischen Darmbefunde konnte erst die moderne bak-
teriologische Diagnostik liefern.
Relativ. häufiger als beim Erwachsenen sind Beobachtungen
von Typhus ohne Darmbefund beim Neugeborenen respektive
beim Fötus anzutreffen?2). Die Fälle von bakteriologisch sicher-
gestelltem Typhus, bei denen die Nekropsie zwar typische, aber
auffallend geringe Veränderungen des lymphatischen Apparats
der Darmschleimhaut zutage förderte, gehören eigentlich nicht in
die Gruppe der Typhussepsis, deren hervorstechendstes Merkmal
vielmehr das Fehlen jeder charakteristischen oder überhaupt
jeder Darmveränderung ist. |
Den nicht eben zahlreichen Beobachtungen dieser Art hat
vor kurzem Jores?) eine weitere hinzugefügt, von der die unsrige,
abgesehen von dem Umstande, daß die Diagnose auf Typhus intra
vitam gestellt worden war, nur in Einzelheiten abweicht.
Am 8. Juli kam auf die Abteilung für Infektionskrankheiten des
Herrn Ordinarius Dr. Stouermann, dessen Freundlichkeit ich die Kran-
kengeschichte verdanke, der Feldarbeiter M. J., 30 Jahre alt, zur Auf-
nahme. Aus der Anamnese geht nur soviel hervor, daß Patient vor
zirka acht Tagen mit Frieren, Mattigkeit, Schmerzen in den Beinen und
Appetitlosigkeit erkrankt war.
Kopfschmerzen. Seit mehreren Jahren besteht Husten und Atembe-
schwerden bei stärkerer körperlicher Anstrengung.
Status praesens: Knochenbau kräftig, Ernährungszustand relativ
gut. Leichte Cyanose der Lippen. Zunge trocken, weiß belegt. Rachen-
schleimbaut und Tonsillen etwas gerötet. Puls 100, voll, rhythmisch,
dikrot. Keine Roseolen. Sensorium frei.
Thorax faßförmig, Lungengrenzen tiefstehend. Perkussionsschall
laut und tief. Beiderseits trockene, bronchitische Geräusche, Pfeifen und
Schnurren, an den unteren Partien, besonders links, feinblasige Rassel-
geräusche. Herzdämpfung eingeengt, Töne dumpf.
Abdomen unter dem Niveau des Thorax, Milz palpabel, über-
schreitet bei tiefer Inspiration den Rippenbogen um zwei Querfinger.
Stuhl angehalten. Im Urin Eiweiß in Spuren, keine renalen Ele-
mente. Diazo negativ. Temperatur 39,5 °.
Decursus: Die Temperaturkurve bewegte sich kontinuierlich
zwischen 39,80 und 89%, Am 4. Tage ante mortem erreichte die Tem-
peratur 40° zugleich mit Ansteigen der Pulsfrequenz von 90 bis 96 auf
110 bis 130 Schläge. Patient expektorierte stets reichlich schleimig-
eitrig, am zirka 13. Krankheitstage traten feinblasige Rasselgeräusche
auch an den unteren Partien der rechten Lunge auf. Unter Dyspnöe
und zunehmend schlechter Spannung und Füllung des Pulses Exitus.
(Zirka 19. Krankheitstag.)
Zu bemerken wäre noch, daß die am 12. Juli (nach Angabe des
Patienten der 12. Krankheitstag) angestellte Gruber-Widalsche Re-
aktion nach zwei Stunden bei 37° in allen Verdünnungen ein negatives
Resultat zeigte.
Trotz fehlender Roseolen und negativer Diazoreaktion war
von Ord. Dr. Steuermann die Diagnose Typhus gestellt und
trotz der negativen Widalschen Reaktion aufrecht erhalten
worden. l
Die Sektion wurde zirka sechs Stunden post mortem vor-
genommen. Aus dem Sektionsprotokoll sei das wiehtigste wieder-
gegeben. i
Mittelgroße männliche Leiche von schlechtem Ernährungszustand.
An den abhängigen Körperpartien spärliche, grauviolette Totenflecke.
Weiche Schädeldecke blaß, ohne Blutungen; harte Hirnhaut gespannt.
In den großen Sichelblutleitern spärliche Mengen geronnenen Bluts.
Innere Häute feucht, glatt, glänzend. Gehirn selbst o. B., normal, blut-
reich. Mund und Racheneingang frei. Beide Tonsillen stark ver-
größert, bei ihrem Durchschneiden wird beiderseits eine fast erbsengroße
Absceßhöhle eröffnet, die mißferbigen Eiter enthält. Schilddrüse nicht
vergrößert. In der Luftröhre und den Bronchien blutiger Schleim. Die
1) Zbl. f. allg. Path. 1912, Nr. 2.
9) Lit. siehe bei Neufeld in Kolle-Wassermanns Handb. d.
path. Mikroorg., Bd. 2.
| 3) M. med. Woch. 1911, Nr. 23. Daselbst auch Lit.
Seit vier Tagen bettlägerig und starke
Lungen überragen breit den Herzbeutel, sind nirgends adhärent, stark
gebläht, von fast schwarzroter Farbe, zeigen an ihrem Lungenfell, beson-
ders am Unterlappen gegen die Zwerchfellfiäche zu teils kleinste, teils
konfluierende, daneben aber auch mehr flächenhafte, subpleurale Blutungen.
Beim Durchschneiden sinken beide Lungen merklich zusammen, es fließen
große Mengen einer blutig-schaumigen Flüssigkeit ab. Beide Unterlappen
relativ luftarm, sehr blutreich, an einzelnen Stellen derselben etwa bohnen-
große Verdichtungsherde, die etwas über die Schnittfläche erhaben sind,
im Centrum deutlich erweicht und von mehr grauer Farbe, sodaß sie von
dem schwarzroten Lungengewebe sich deutlich abheben. Im Herzbeutel
einige Kubikzentimeter blutiger Flüssigkeit. Das Epikard zeigt in der
Nähe des linken Herzrohrs einige kleinste spritzerförmige Blutungen.
Muskel- und Klappenapparat o. B. Die Leber nicht auffällig verändert,
Leberzeichnung etwas verwaschen. Die Milz sehr weich, etwa auf das
Vierfache ihrer normalen Größe vergrößert. Pulpa sehr blutreich, zer-
fließend. Beide Nieren gleich groß, nicht vergrößert, am Durchschnitte
keine auffälligen Veränderungen; bei bestimmter Beleuchtung springen
die Glomeruli deutlich als kleinste Punkte vor. Kapsel leicht abziehber.
Magenschleimhaut o. B. Dünndarm mit dünnbreiigem, hellbraunem
Inhalt. Auf der Schleimhaut gewahrt man neben schleierhaften, grau-
weißen, zarten Belegen allenthalben Blutungen, größtenteils vereinzelt,
an manchen Stellen aber konfluierend. Die Peyerschen Plaques sowie
Solitärfollikel des Dünn- und Dickdarms nicht geschwellt, nicht
hyperämisch, keine Pigmentierung oder Narbenbildung. Die
Lymphdrüsen des Mesenteriums stark vergrößert, markig geschwellt, am
Durchschnitte von rötlicher Farbe. Harnblase leer. Genitale o. B.
Anatomische Diagnose: Abscessus recentiores pulmon. utriusque.
Emphysema et Oedema pulm. Petechiae subpleurales. Bronchitis dif.
Angina tonsillaris suppur. abscedens. Catarrhus intestini tenuis. Haemor-
rhagiae multiplices mucosae eiusdem. Tumor lienis acutus. Septico-
pyaemia.
Aus dem Inhalte der Gallenblase und aus der Milz wurden
Kulturen angelegt. Nach 24stündiger Bebrütung zeigten die
Endoagarplatten, sowohl die aus der Galle als aus der Milz be-
schickten, überwiegend farblos gewachsene Kolonien. Die
weitere kulturelle Prüfung dieser gramnegativen, beweglichen Stäb-
chen in Bouillon, Gelatine, Milch, Lackmusmolke, Traubenzucker-
und Milchzuckerlackmusagar, Neutralrotnährboden ergab durchaus.
das für Bact. typhi typische Wachstum. u
Ein hochwertiges Typhusimmunserum vom Kaninchen
agglutinierte diese unsere Stämme „Galle“ und „Milz“ bis zur
Titergrenze, wobei zu bemerken ist, daß der Endwert der Aggluti-
nation erst nach 18stündigem Verweilen der Proben bei Zimmer-
temperatur erreicht wurde. Das Serum der Leiche agglutinierte
einen. sicheren Laboratoriumstamm bis zur Verdünnung 1:400,
die eignen Typhusstämme „Galle“ und „Milz“ bis 1: 800.
Ueber die Identität unserer Stämme mit dem Typhusbaeillus
konnte nach alledem kein Zweifel mehr bestehen. Es handelte sich
jedoch auch darum, festzustellen, ob wir es nicht mit einem zu-
fälligen, für den Krankheitprozeß des Obduzierten irrelevanten
Bakterienbefunde zu tun hatten [vgl]. Bussel)], was allerdings mit
Rücksicht auf die Kultivierung des Typhusbaeillus aus der Milz in
unserm Fall unwahrscheinlich schien.
Wir haben aber den Beweis dafür, daß der Verstorbene an
Typhus erkrankt gewesen war, in dem Vorhandensein der speci-
fischen Agglutinine im Leichenserum, während gleichzeitig aus
dem Umstande, daß die am zwölften (nach der Angabe des Pa-
tienten) Krankheitstag angestellte Widalsche Reaktion noch ne-
gativ gewesen war, hervorgeht, daß es sich nicht etwa um von
einem früher durchgemachten Typhus zurückgebliebene Agglutinine
handeln kann. | |
Resümieren wir kurz, so haben wir es mit einem klinisch
diagnostizierten Falle von Typhus zu tun, der, durch broncho-
pneumonische Erscheinungen kompliziert, am beiläufig 18. Krank-
heitstag ad exitum kam. Bei der Sektion finden sieh neben
pneumonischen Herden mit beginnender Abscedierung und Emphysem
der Lungen, Hämorrhagien der Dünndarmschleimhäut, akute
Schwellung der Milz und der Mesenteriallymphdrüsen. Alte die
für Typhus so charakteristischen Veränderungen des Jymphatischen
Apparats der Darmschleimhaut oder deren F'olgezustände werden
vermißt. Die bakteriologische Untersuchung der Galle und Milz,
die Typhusbaeillen ergab, die Prüfung des Leichenserums auf
Typhusagglutinine, die positiv ausfiel, klären den Fall ätiologisch
vollständig auf. Es handelt sich um eine klinisch ziemlich typisch
verlaufende Typhusinfektion, die aber anatomisch ein völlig
atypisches Bild bietet,
Seitdem Chiari und Kraus?) Fälle dieser Art als „reine
Typhussepsis“ bezeichnet haben, sind unsere Anschauungen über
1) M. med. Woch. 1908, Nr. 21.
2) Zt. f. Heilk. 1897, Bd. 18.
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42. 1709
den Typhus vor allem durch den Nachweis der Erreger im strömen-
den Blut und in den verschiedensten Krankheitsherden [Lit. vgl.
auch Klewitz!)] derart erweitert worden, daß wir ihre Propa-
gierung nicht als Ausnahmsfall, sondern als Regel annehmen
müssen. Deswegen erscheint uns auch die Bezeichnung derartiger
Fälle als Typhussepsis nicht ganz gerechtfertigt. Wir werden aber
immer gezwungen sein, sie vom pathologisch-anatomischen Stand-
punkt als atypische Typhen zu führen; die Ursache des Aus-
bleibens der typischen pathologischen Darmveränderungen ist der-
zeit noch unbekannt. Ob es sich hierbei um eine weniger ge-
wöhnliche Eintrittspforte handelt (die Tonsillarabscesse unseres
Falles verdienen Beachtung) ist Mutmaßung.
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Bett verlassen?
2. Nach welcher Richtung kin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens? |
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufstehen? K. Bg.
Prof. Dr. F. Fromme, Frauenklinik der Königl. Charité, Berlin:
1. Ich halte das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten
unter gewissen Einschränkungen für ein gutes Mittel, die Rekonvaleszenz
zu fördern. Das Bett soll in den Fällen, wo es angebracht erscheint, am
dritten bis fünften Tage verlassen werden.
2. Die Vorzüge des Frühaufstehens beruhen vor allen Dingen in
einer rascher erfolgenden Kräftigung der Patienten. Hauptsächlich bei
Operierten jenseits der sechziger Jahre ist ein frühzeitiges Verlassen des
Bettes zur Vermeidung von Erkrankungen der Atmungsorgane angezeigt.
Bei Wöchnerinnen sieht man durch das Frühaufstehen — womit nicht
der Begriff des Arbeitens verbunden sein darf — raschere Erholung und
gute spontane Entleerung von Blase und Mastdarm, hauptsächlich, wenn
mit dem Frühaufstehen gewisse gymnastische Uebungen verbunden wer-
den. Ob bei Wöchnerinnen durch das F'rähaufstehen geringere Morbi-
dität und geringere Neigung zu Thrombosen erzielt wird, ist noch nicht
zu entscheiden.
3. Vom Frühaufstehen sowohl bei Wöchnerinnen als bei Operierten
muß abgesehen werden, wenn die Patienten subjektiv sich nicht kräftig
genug fühlen, das Bett zu verlassen. Auftretendes Fieber, peritonitische
Reizungen, auftretende Thrombosen geben unter allen Umständen eine
Kontraindikation, ebenso bei Wöchnerinnen mangelhafte Rückbildung des
Uterus und Neigung zu Blutungen. In der Praxis muß auch bei Wöch-
nerinnen vom Frühaufstehen in den Fällen abgeraten werden, in denen
man den Verdacht hat, daß das Frühaufstehen für die betreffende Wöch-
nerin gleichbedeutend mit der Verrichtung von allerlei Arbeit ist. Das
Frühaufstehen soll nur ein Sitzen oder Liegen im Stuhle mit mehr-
maligem täglichen langsamen Umhergehen sein.
Geh. Hofrat Prof. Dr. Döderlein, Direktor d. Univ.-Frauenklinik München.
1. Ich bin auf Grund meiner Erfahrungen ein sehr warmer An-
hänger des frühzeitigen Aufstehens der Wöchnerinnen und Operierten .
geworden. Gesunde Wöchnerinnen verlassen schon am zweiten Tage das
Bett. Selbstverständlich haben sie stärkere körperliche Bewegungen zu
meiden. Die Laparotomierten verbringen wir vom dritten Tag ab täglich
mehrere Stunden auf einen Liegestuhl.
2. Die Vorzüge des Frrühaufstehens erblicke ich darin, daß die Be-
treffenden einen Wechsel ihrer Lage einnehmen können, daß dadurch die
Circulation und auch die Atmung eine belebtere wird, und daß weniger
leicht Stauungen und Thrombosen entstehen, daß der Appetit und Stuhl
etwas angeregt wird und die Abwechslung die Eintönigkeit etwas mildert.
Wöchnerinnen sowohl wie Operierte empfinden subjektiv das frühe Außer-
bettbringen sehr angenehm.
3. Sehr große Schmerzen, irgendwelche Komplikationen, wie
Fieber oder Lungenerkrankungen kontraindizieren das frühe Aufstehen.
Bei einer sehr anämischen Wöchnerin erlebten wir einen Ohnmachts-
anfall, wobei sie sich beim Umfallen leicht verletzte.
1) Med. Kl. 1911, Nr. 29.
Prof. Dr. A. Neumann, Direktor der Chir. Abt. d. Krankenh. Friedrichshain:
1. Ich bin nur bedingter Anhänger des Frühaufstehens. So lasse
ich Patienten nach Zungen- und Kehlkopfoperationen bereits am Tage
nach der Operation, nach Strumektomie und nach Mammaamputationen
am dritten bis vierten Tage, Laparotomierte, bei welchen die Bauchwunde
primär ohne Drainage geschlossen werden konnte, zumeist bereits am
achten Tage usw. aufstehen.
2. In der Verminderung der Störungen von seiten der Atmungs-
und Verdauungsorgane, in der Verminderung der Störungen in der spon-
tanen Harnentleerung, vielleicht auch in der Verminderung der Throm-
bosen- und Eimboliegefahr.
3. a) Bei Kranken, deren Konstitution, sei es durch die Alltags-
arbeit, sei es durch das vorausgegangene Leiden oder durch die Operation
hochgradig geschwächt ist, können die Vorteile einer längeren Bettruhe
die Vorteile des Frühaufstehens überwiegen.
b) Bei Patienten mit nicht ganz geschlossenen Wunden kann durch
das Frühaufstehen die Sicherheit der festen Vernarbung gefährdet werden.
c) Bei unintelligenten oder überhaupt unzuverlässigen Kranken
kann oft nar bei strenger, länger dauernder Bettruhe die nötige Ueber-
wachung durchgeführt werden.
Prof. Dr. H. Sellheim, Universitäts-Frauenklinik, Tübingen:
Früher haben wir vom Frühaufstehen ausgiebigen Gebrauch ge-
macht, sind aber jetzt davon etwas mehr zurückgekommen. Trotz der
Versuche mit aktiven Vorbeugungsmaßregeln habe ich in Tübingen doch
noch manche Thrombosen und Embolien gesehen. Auf tausend aufein-
anderfolgende Operationen haben wir einmal 1,3%), große Schenkel-
thrombosen und Lungenembolien beobachtet. Ich ziehe daraus nicht den
Schluß, daß die Bewegungstherapie als solche nicht den erwarteten
Nutzen gebracht hätte, sondern habe die Empfindung, daß bei der Be-
urteilung der Thrombosenfrequenz die Besonderheit des Materials eine
Rolle spielt. Zu dieser Ansicht bewegt mich vor allen Dingen die Er-
fahrung, daß unsere Thrombosen und Embolien, obwohl wir alle Patienten
auf die Eventualität einer Thrombose und Embolie beim Eintritt in die
Klinik zu untersuchen, beobachten und danach zu behandeln pflegen, in
der Regel unerwartet auftraten.
Ich muß in Tübingen sehr viele, gegen meine früheren Beob-
achtungsgelegenheiten auffallend viele alte, schlecht genährte, abgeschaffte
Frauen entbinden und operieren. Ueber die Verteilung der Operationen
auf das Lebensalter verfüge ich über Zahlen. Ich habe einmal unter
1000 aufeinander folgenden operativen Fällen gezählt:
Ueber 50 Jahre 322, also zirka !/s,
n» 50 bis 60 „ 206, „ ” ts,
” 60 n 70 „ 106, „ ” 1/10,
„n „ 10.
Ich pflichte nach dem Ueberblick über mein Material der allge-
meinen Anschauung bei, daß im wesentlichen eine Circulationsverschlech-
terung die Ursache für die Thrombose abgibt. |
Außerdem sehe ich sehr viele Frauen, welche mit mehr oder
weniger deutlichen alten Thrombosen oder Resten von alten Thrombosen
ins Wochenbett oder Wundbett kommen.
In diesem so beschaffenen Materiale sind nach meiner Ansicht drei
Arten von Thrombosenkandidatinnen enthalten.
Die erste Gruppe bringt keine Thrombose, sondern nur die mehr
oder weniger gut diagnostizierbare Konstitution oder Disposition zur
Thrombosenentstehung mit.
Bei einer zweiten Gruppe ist mit einer Thrombose oder Eimbolie
zu rechnen, welche sich an eine vorher bestehende und auch vorher dia-
gnostizierte Thrombose oder an einen Thrombosenrest anschließt.
Die dritte Gruppe ist für unsere Betrachtung die wichtigste. Sie
umfaßt die Fälle, in welchen Thrombosenanfänge oder Thrombosenreste
in die Situation nach der Operation oder im Wochenbett mitgebracht
werden, welche wir aber zu diagnostizieren nicht in der Lage waren.
Wo wir sicher diagnostizieren können, wissen wir, was wir zu
tun haben. Den Frauen mit Thrombosenresten oder Thrombosenanfängen
verordnen wir Ruhe, den Frauen mit bloßer Disposition zur Thrombose —
und eine solche Konstitution ist bei jeder Operierten oder Wöchnerin
schließlich mehr oder weniger gegeben — empfehlen wir zeitige Be-
wegung als Prophylaktikum gegen weiteren Schaden.
Wo wir aber nicht mehr sicher diagnostizieren können, tappen wir
auch mit unserer Thrombosen- und Embolieprophylaxe im dunkeln. Die
Fälle mit kleinen beginnenden Thrombosen oder Thrombosenresten, die
sich unserer Erkenntnis entziehen, werden wir falsch behandeln, wenn
wir sie bewegen. Ebenso wie wir die Fälle mit Anlage zur Thrombose,
aber ohne eingetretene Thrombose falsch behandeln, wenn wir sie aus
übertriebener Vorsicht zu lange liegen lassen. Vom diagnostischen Fehler
kommt es, daß wir gelegentlich, sowohl beim Bewegen als beim Ruhen-
lassen trotz der vermeintlichen richtigen Prophylaxe von unerwarteten
.
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Thrombosen und Embolien im Wochenbett und . Wundbett überrascht
werden, weil wir die der Ruhe Bedürftigen sich bewegen und die der
Bewegung Bedürftigen ruhen ließen. |
Sofern wirklich Ruhe bei bestehender Thrombose und frühzeitige
beziehungsweise rechtzeitige Bewegung bei Konstitution zur Thrombose
vor weiterem Nachteile bewahren können, müssen wir die beiden Kate-
gorien, die Thrombosenanlage und die wirklich eingetretene Thrombose,
so scharf unterscheiden zu lernen uns bestreben, daß wir jene dritte un-
deutliche Gruppe, in welcher wir nicht wissen, ob wir es mit einer bloßen
Gefahr der Thrombose, oder schon mit kleinen Thrombosen selbst zu tun
haben, möglichst verringern, um weder durch aktives noch durch indiffe-
rentes Verhalten am verkehrten Platz einen vermeidbaren Schaden auf-
kommen zu lassen.
Nach unserm seit längerer Zeit durchgeführten Standpunkte
wurden die Frauen am Tage der Operation oder am Tage nachher im
allgemeinen nur dann zum Aufstehen veranlaßt, wenn eine besondere
. Indikation vorlag. Darunter verstehen wir vor allem die Gefahr der
Pneumonie bei sehr alten oder sehr fetten Frauen oder nach ausnahms-
weise augewendeter Inhalationsnarkose. Nach der für gewöhnlich durch-
geführten Lumbalanästhesie verlassen die frisch Operierten das Bett zum
erstenmal durchschnittlich am fünften, bis achten, bis zehnten Tage.
Später sind die Patientinnen nur aufgestanden, wenn eine Störung
der Rekonvaleszenz vorlag. |
Das Aufstehen besteht die ersten zwei Male im Aufsitzen außer
Bett (auf dem Sofa mit erhöhten Beinen), dann wird bald auch Umher-
gehen unter Aufsicht erlaubt.
Wo wir längeres Liegenlassen für angezeigt halten, haben wir
schon in den ersten Tagen nach der Operation mindestens einen baldigen
Lagewechsel im. Bett (Rücken- und Seitenlagerung) eintreten lassen, so-
fern nicht auch das bei etwaigen alten Thrombosen mit Gefahr der Em-
bolie kontraindiziert erschien. |
Großes Gewicht legen wir auf Massage der Beine, besonders bei
Varicen, Herzfehlern und bei erlittenem starkem Blutverluste.
Die Massage haben wir neuerdings in sehr befriedigender Weise
durch den Büdingenschen Bewegungsapparat ersetzt. Wir haben den
. Eindruck, daß dadurch eine rasche Erholung, ähnlich wie durch das Früh-
aufstehen erzielt wird. Die durch den Apparat ausgeführten Beinbewe-
gungen lassen sich bequem im Bett durchführen und nach Hubhöhe und
Stärke dosieren. Keine der Patientinnen hat dabei über irgendwelche
unangenehme Empfindungen geklagt. In einem Falle mußte jedoch die
Gymnastik sistiert werden, da es trotzdem zu einer Thrombose der Vena
saphena kam.
Bei der genannten ersten Gruppe, die keine Thrombose, sondern
nur die mehr oder weniger gut diagnostizierbare Konstitution oder Dis-
position zur Thrombosenentstehung mitbringt, können wir durch früh-
zeitige Bewegung gegen weiteren Schaden prophylaktisch wirken.
Daß man aber auch mit frühzeitiger Bewegung aus den eingangs
angeführten Gründen nicht alle Thrombosen und Embolien vermeiden
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
| größeren Emboliegefahr ausgesetzt werden.
20. Oktober.
kann, beweisen die Tbrombosen in Körperteilen, die kein- Mensch ruhig-
stellt, nämlich in den Armen. lch habe zweimal nach Myomoperationen
Thrombosen der Armvenen auftreten sehen. Das eine Mal entwickelte
sich eine Thrombose des linken Armes mit gleichzeitiger Anschwellung
der linken Gesichtshälfte am dritten Tage nach der- Operation. Das
andere Mal entstand am 23. Tage nach der Operation eine Thrombose des
rechten Armes, der elf Tage vorher eine Thrombose des linken Beins
vorausgegaugen war.
Ob demnach die Thrombosegefahr durch frühzeitiges Aufstehen
vermindert worden ist, geht aus unserm Materiale nicht mit Deutlichkeit
hervor: Thrombosen und Embolien sind hauptsächlich nach schweren
Operationen aufgetreten, bei denen ein längeres Liegenlassen schon durch
den allgemeinen Zustand notwendig wurde, während die leichteren Fälle
mit an sich geringerer Thrombosengefahr das Hauptkontingent der am
frühesten Aufgestandenen bildeten.
Wir sehen vom Frühaufstehen ab bei Patientinnen der genannten
zweiten Gruppe, bei denen wie schon bei der Aufnahme oder bei der
Operation alte Thrombosen feststellen. Viele unserer Patientinnen bringen
außerordentlich starke Varicen der Beine mit älteren oder jüngeren
Thromben mit herein und nicht selten finden wir bei der Operation
Thromben im Spermatica- oder Uterinagebiet. Es erscheint sehr wohl
möglich, daß gerade diese Patientinnen durch das Erühaufstehen einer
Wenigstens ist uns auf-
gefallen, daß wir öfter vor der Operation im Anschluß an den Trans-
‚port in die Klinik, also nach größeren Bewegungen, Embolien avf-
treten sahen.
Außerdem sehen wir vom Frühaufstehen ab bei Fiebernden, nach
oben oder unten drainierten Frauen, bei Patientinnen mit Herzfehlern,
sonstigen Allgemeinerkrankungen, oder solcher Reduktion des Organismus,
daß Bewegungen auch schon vor der Operation als gefährlich anzusehen
waren. Im Tübinger Materiale sind aufs äußerste anämiscbe Patientinnen
mit Myom gar nicht selten.
Die an unsern Wöchnerinnen!) gemachten Erfahrungen sind
im ‘großen und ganzen dieselben wie bei den Operierten. Auch dort
haben wir nicht beobachtet, daß durch Frühaufstehen sich alle Throm-
bosen vermeiden lassen. An den Ursachen der Wochenbettsthrombosen
scheinen nach unserer Statistik (Inauguraldissertation von Erich
Schneider) zur Geburt mitgebrachte Körperschäden, wie Varicen,
Nephritis usw., und unter der Geburt einwirkende Schädigungen, wie
großer Blutverlust, einen erheblichen Anteil zu haben. Diese Ursachen
lassen sich auch durch Frühaufstehen nicht beseitigen.
Nach der Art der Derangierung des regulären Beckenverschlusses
unter der Geburt und der fakultativen Uebernahme der Beckenverschlußd-
funktion durch den Uterus und seine direkten und indirekten geweblichen
Verbindungen mittels der Nachbarorgane mit dem Becken erscheint im
.‚Frühwochenbett eine mäßige Bewegung ohne Anstrengung der
Rumpfpresse empfehlenswert, bis der reguläre Verschluß wieder ge-
nügend erstarkt ist. .
| Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft..
Aus dem Staatlichen Hygienischen Institut zu Hamburg.
(Direktor: Prof. Dr. Dunbar, Abteilung für serobivlogische Unter-
suchungen.) |
Kaninchenimpfung mit Syphilitikerklut und
Blutserum‘)
Oberarzt Dr. Aumann, kommandiert zum Institut.
Es ist bemerkenswert, eine wie geringe Beachtung in der
experimentellen Syphilis die Tatsache gefunden hat, daß bei syphi-
litisch-infzierten Individuen das Virus zu gewissen Zeiten im
Gefäßsystem kreisen muß. Die experimentelle Sicherstellung dieses,
schon bei Betrachtung des klinischen Verlaufs der Syphilis sich auf-
drängenden Schlusses wurde allerdings bereits 1906 von E. Hoff-
mann .durch positive Impfungen von Affen mit Blut erbracht?);
Impfversuche an andern Tieren, vor allem an Kaninchen, mit Blut
und Blutserum wurden aber in den folgenden Jahren zunächst nicht
ausgeführt, obwohl doch dieses Verfahren gerade zur Gewinnung
von reinen Kaninchenspirochätenstämmen von vornherein die
1) Weitere Ausführungen zu einer Demonstration in der biolo-
gischen Abteilung des Aerztlichen Vereins zu Hamburg am 11. Juni 1912.
2) Ich verweise auf die Abhandlungen von E. Hoffmann (Aetio-
logie der Syphilis) und Landsteiner (Experimentelle Syphilis) im Hand-
buch der Geschlechtskrankheiten von E. Finger, Leipzig 1912, Bd. 2.
besten Aussichten bieten mußte. Anfang dieses Jahres erst haben
Uhlenhuth und Mulzer?) die Kaninchenimpfung mit Blut und Blut-
serum in den Kreis „ihrer experimentellen Studien über die-Frage,
.ob es möglich sei, menschliches syphilitisches Material, in dem
mikroskopisch (Dunkelfeld) keine Spirochäten sich nachweisen
ließen, im Kaninchen zur Anreicherung zu bringen...... “ auf-
genommen. In zwei zur Untersuchung herangezogenen Fällen
sekundär-syphilitischer Personen konnten sie bei insgesamt zehn
mit Blut respektive Blutserum geimpften Kaninchen siebenmal
positive Impfergebnisse nachweisen („spirochätenhaltige Hoden-
syphilome“); ein als sehr günstig zu bezeichnendes Ergebnis.
Ich selbst wählte die Methode der intratestikulären Kaninchen-
impfung mit Blut oder Blutserum aus dem bereits angedeuteten
Grunde, nämlich zur leichten Gewinnung von reinen Kaninchen-
spirochätenstämmen, in dem Bestreben, für die in Gemeinschaft
mit Dr. Fr. Graetz begonnenen Studien auf dem Gebiete der
experimentellen Syphilis ein Material zur Verfügung zu haben, das
folgenden zwei Anforderungen im weitesten Maße gerecht wurde:
Einmal sollte das spirochätenhaltige Substrat absolut frei. von Be-
gleitbakterien sein und zweitens sollte es die Spirochäten in mög-
lichster Anreicherung enthalten. Dieses Ziel läßt sich zum Teil
allerdings schon in einer großen Zahl durch Passagenimpfung mit
1) Vergleiche auch Fetzer: Ueber das Frühaufstehen der Wöchne-
Klin.-therap. Woch. 1909. x
°) Uhlenhuth und Mulzer, Berl, kl, Woch. 1912, Jahrg. 49, S. 152.
rinnen.
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42, | 1711
spirochätenhaltigen menschlichen Organstücken (excidierte Skle-
rosen usw.) direkt in die Hoden erreichen; man ist aber bei diesem
Verfahren, die saprophytischen Begleitbakterien völlig auszu-
schalten, wegen der Verwendung unreinen Ausgangsmaterials doch
in gewissen Grenzen vom Zufall abhängig.
Als aussichtsreicher ist daher ein Verfahren zu betrachten,
das als Impfmaterial ein solches Substrat wählt, welches das
syphilitische Virus bereits rein enthält, womit dann die Begleit-
bakterien a priori überhaupt ausgeschaltet sind.
Hierzu kann im großen und ganzen für praktische Zwecke
nur Blut oder Blutserum herangezogen werden. Im Sperma ist
allerdings das syphilitische Virus, wie bereits früher schon von
Finger durch Impfung an Affen, jetzt von Uhlenhuth und
Mulzer auch durch Kaninchenimpfung nachgewiesen worden; und
ich zweifle nicht, daß man bei sorgfältiger Auswahl der Fälle auch
des öfteren seine Anwesenheit in der Lumbalflüssigkeit (bisher
E. Hoffmann in einem Falle) durch Impfung wird feststellen
können. Die Beschaffung dieses Materials verlangt aber schon
wieder umständlichere Maßnahmen, sodaß man sich nur zu Zwecken
der Gewinnung von reinen Kaninchenpassagestämmen auf die
Impfung mit Blut oder Blutserum beschränken wird.
Außer Blut!), das steril aus der Armvene entnommen und
durch Schütteln mit Glasperlen defibriniert war, wurde auch fast
durchgängig durch Zentrifugieren erhaltenes Blutserum zur
Impfung herangezogen. Die überimpften Mengen schwankten
zwischen 1—2 cem. |
Als Zeitpunkt zur Gewinnung von Blut, das sicher syphi-
litisches Virus enthält, wird nach meinen Impfergebnissen am
zweckmäßigsten die Periode kurz vor dem Auftreten oder während
des Erscheinens der Roseola (diskrete Roseola) gewählt. Besonders
geeignet sind dabei die Fälle, in denen neben Temperatursteige-
rung noch subjektive Erscheinungen einer schwereren Allgemein-
infektion bestehen (Kopfschmerzen, Gefühl von Abgeschlagen-
heit usw.). Schon kurze Zeit später scheinen mir die Aussichten
für die Erzielung positiver Ergebnisse bedeutend schlechter zu sein.
Meine Ergebnisse stehen in dieser Beziehung in einem ge-
wissen Widerspruch zu denen von Uhlenhuth und Mulzer,
deren Fälle bereits vorgeschrittenere Erscheinungen ihrer syphili-
tischen Infektion aufwiesen (Fall I: kein Exanthem, Papeln ad
anum, Fall II: schweres Rezidiv). Die Beurteilung dieser Frage
wird sich, auch im Hinblick auf den diagnostischen Wert der
Methode, am besten bei Betrachtung der weiter unten mitgeteilten
klinischen Angaben der von mir untersuchten Fälle erörtern lassen.
Das Impfmaterial wurde entsprechend Uhlenhuth und
Mulzer direkt in das Hodengewebe injiziert. Von intrakardialen
Impfungen wurde abgesehen, da ich für meine Zwecke keine Vor-
teile daraus ersah. Abgesehen von den unzweifelhaft bestehenden
Schwierigkeiten, die die intrakardiale Impfung bietet, halte ich es
für zweckmäßiger, die — sei es aus diagnostischen oder sonstigen
Gründen vorgenommene — Impfung an einer Stelle auszuführen,
die einer ständigen Kontrolle und Untersuchung leicht zugänglich
ist — also dem Kaninchenhoden.
Die Impfungen fanden etwa eine bis zwei Stunden nach der
Entnahme des Materials statt. Stets wurden vorher Dunkelfeld-
untersuchungen vorgenommen, um eventuell schon so den Nachweis
von Spirochäten zu erbringen. Ich will gleich vorwegnehmen, daß
diese Dunkelfelduntersuchungen in sämtlichen Fällen negativ verliefen.
Ich lasse zunächst die Protokolle meiner bisherigen positiv
verlaufenen Versuchsreihen folgen.
Tabelle I.
e
Re e E Spirochäten-
| an cnen-
jg Ae TOA Fo une = hoden Bemerkungen?)
-© 13 | Bezeich- | klinische An- _—
A f fun
| nung gaben Ari a. positiv | nogativ
1.| Kan. 6 | Pat. Wenh. äefibr. | 29, 1.12 | 26.3 12 — | nicht früher
|; S.W.I Uleus iurum, | Blut 8 Woch, untersucht.
I. Roseola inci-
2.| Kan. 7 | Piens, indolente | Serum |29, 1. 12 | 26.3.12) — | nicht früher
| S. W. II Bubonen. 8 Woch. untersucht,
1) Das Impfmaterial verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren
Dr. E. ‚Arning, Oberarzt, Krankenhaus St. Georg, Dr. Delbanco,
Dr. Philip und Dr. Zadik. Den genannten Herren sowie auch Herrn
Dr. Wachenfeld, Assistent am Krankenhaus St. Georg, spreche ich an
dieser Stelle nochmals meinen ergebensten Dank aus.
, 2) Die bereits kurze Zeit nach derImpfung gestorbenen Kaninchen sind
nicht mit aufgeführt, da in diesen Fällen kein rgebnis zu erwarten war.
Tabelle I (Fortsetzung).
Spirochäten-
= |N Eeri — en | Bemerkungen
la] L 2
Š | Bezeich-| klinische An- | art | funs ——
nung gaben positiv | negativ
IL] 83| Kan.i0 | Pat. Stemmil. | defibr. |12 2.12 | 26. 3. 12 — 2 weitere Ka-
S. St. II. | Ulcus durum, | Blut i6 Woch. ninchen vor
Roseola, Bu- Abschluß t.
bonen.
4| Kan. 22 : | defibr. | 1.4.12| — |15.5.12| später nicht
8. F.1. Blut 6 Woch.| mehr unter-
| sucht.
6.| Kan. 23 Pet. Friedh. Pr 1.4.12 | 15.5.12 — —
S. F. II. Sklerose im 6 Woch. l
IJIL| 6.| Kan. 24 | Sulcus, Roseola,! Serum | 1.4.12 | — 115.5.12| später nicht
S, F.JII.| allgemeine . 6 Woch.| mehr unter-
Bubonen. | sucht.
7.| Kan. 25 3 1412) — |15.5.j2| später nicht
S. F.IV. 6 Woch.| mehr unter-
| | sucht.
8.| Kan. 34 | eh St ngel defor. [944.121 — |18.6.12| 1 Kaninchen
S. Ste. I. : =.) Blut 8Woch| vor Ab-
Infektion Mitte schluß +
März, seit 4, s
IV. | 9.| Kan. 36 | Wochen wunde | Serum |24. 4. 12 | 18.6.12] — m
S. Ste. III.| Stelle, Sklerose, 8 Woch.
diskrete Ro-
10. | Kan. 37_| seola, Bubonen, | »
24, 4.12 | 5.6.12 — —
S. Ste. IV. Papeln. 6 Woch.
11. Kan.30 | Pat. Hen, | defibr. |25.4.12| 6.6.12! — | er
vy. S. He. 1. | 25 Jahre. Infek- | Blut 6 Woch.
12.| Kan. 31 |tion vor neun | ) |25.4.12] 6.6.12 | — | =
S. He. IL. Wochen. 6 Woch.
Es konnten also nach den vorstehenden Unter-
suchungen in fünf Fällen durch Kaninchenimpfung mit
Blut respektive Blutserum nach einer sechs- bis
achtwöchigen Inkubationsdauer typische Spirochäten
nachgewiesen werden. Und zwar erwiesen sich von insgesamt
zwölf geimpften Kaninchen acht als syphilitisch infiziert, ein Er-
gebnis, das nicht ganz so günstig ist, wie das von Uhlenhuth und
Mulzer erzielte. Die Mindestinkubationszeit ist nach den Unter-
suchungen auf etwa sechs Wochen anzusetzen. Wir finden dann
im .Dunkelfeld erst einzelne Spirochäten (im Gesichtsfelde sechs bis
acht), deren Zahl im Laufe der nächsten zwei Wochen eine Zu-
nahme erfährt. Die Spirochäten bleiben zunächst noch in gleicher
Menge konstant nachweisbar, nehmen dann allmählich an Menge ab,
um in der Zeit der elften bis zwölften Woche nach dem Tage der
Impfung ganz zu verschwinden — dem Beginne der Latenzperiode?).
Naturgemäß wird die Inkubationszeit entsprechend der Menge
des in dem Ausgangsmaterial enthaltenen syphilitischen Virus
innerhalb gewisser Grenzen wenn auch nur geringe Schwankungen
aufweisen. Jedenfalls dürfte die Grenze nicht sehr viel unterhalb
eines Zeitraums von sechs Wochen liegen, wie die weiteren Passage-
impfungen zeigen.
Es handelt sich nach den oben aufgeführten klinischen An
gaben um Personen, bei denen gerade zur Zeit des ersten Auf-
tretens der sekundären Erscheinungen (Roseola incipiens, subjektive
Klagen) das Impfmaterial gewonnen werden konnte. Um so auf-
fälliger sind die Fehlimpfungen in Fall III bei den Kaninchen 22,
24, 25, sowie in Fall IV bei Kaninchen 34; besonders bei Fall IV
müssen die positiven Impfungen mit Blutserum als überraschend
bezeichnet werden, da die Impfung mit defibriniertem Blute kein
Resultat ergab. Umgekehrt verliefen in Fall III die Impfungen
mit Blutserum ergebnislos, während bei der Impfung mit defibri-
niertem Blute der Spirochätennachweis gelang; ein Ergebnis, das
schon leichter erklärlich ist. Jedenfalls sind gerade diese Ergeb-
nisse ein weiterer Beweis dafür, daß das syphilitische Virus nur
in geringer Menge im Gefäßsystem kreist, selbst bei klinisch deut-
licher Ueberschwemmung des gesamten Körpers mit Spirochäten.
In gewissen Grenzen werden wir auch die „Individualität“ des
Kaninchenorganismus zur Erklärung heranziehen müssen.
Bevor ich auf die mit vier von den gewonnenen acht
Stämmen durch Passagezüchtungen erzielten Ergebnisse weiter
eingehe, will ich in Kürze die Fälle aufführen, die bei meinen
Untersuchungen ein negatives Ergebnis lieferten, da gerade solche
Fälle für die Auswahl geeigneten Materials von Bedeutung sind
und den Wert der Blutimpfungen für diagnostische Zwecke de-
‘) Untersuchungen über die Infektiosität in der Tatenzperiode
werden noch ausgeführt. |
DEI RT
De TE ER re TOE- h SE te EEE ee AT a
N oe — a a -z - b-i Enn Per
Ta ern De ie er
i: MW A HE a a aa a Ee: TER re Tr rt ee ET RE RETTEN EN DER
z — C oe ne nn I a era a en
= 2 E ge re sÁ er Bee - - = al
+
u caa
mi
lichen Krankheitsfalle Syphilis vorliegt oder nicht“, scheint mir
1712 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
monstrieren. Ich habe die in Betracht kommenden drei Fälle in
der folgenden Tabelle zusammengestellt:
Tabelle II.
= Kaninchen Material Tag
Fall t | Nummer der |Untersuchungs-
$| ud Be- III Imp- ergebnis
3 | zeichnung | klinische Angaben | Art fung
1.| Kan.ı5 | Pat. Hül, 20 Jahre. | defibr. Blut | 6.3.12 | negativ. bis zu
S. Hü. I. | Infektion vor 6 bis neun Wochen
yI. 8 Wochen. Virgo in- beobachtet.
2.| Kan.16 | tacta. Primärafekt | „ „| 6.3.12 | negativ, bis zu
S. Hü. I1. | im Munde. Halsbubo. neun Wochen
Roseola. beobachtet.
3.| Kan. 17 defibr. Blut |11.3.12| negativ, acht
S. H. I. ochen beob-
Pe 28 i aa achtet.
4. | Kan. 18 ektion vor 10 bis | durch Inci- | 11.3.12 | negativ, acht
1 S.H.m. |14 Wochen. Roseola | sion aus ochen beob-
recidivans. Roseolen achtet.
gewonnenes
Blut
VII.) | & Pat. Lionh„, 50Jahre. | Blutserum |26.4.12| negativ), acht
Infektion vor einigen Wochen beob-
Wochen. Noch be- achtet.
stehender Primär- Ein Kaninchen
affekt. Papeln. Aus- vor Ab-
gesprochene Roseola. schluß t.
Kopfschmerzen.
Wir haben demnach unter bisher insgesamt sieben Fällen?)
zwei sichere Versager gehabt und werden hiernach also selbst in
Fällen manifester Lues mit frischen Sekundärerscheinungen, bei
denen eigentlich der experimentelle Nachweis der Anwesenheit des
sypbilitischen Virus im Blute fast mit Bestimmtheit zu erwarten
gewesen wäre, nicht immer in der Lage sein, auch durch Ka-
ninchenimpfung den Nachweis des Erregers im Blut oder Blut-
serum zu erbringen. Die von Uhlenhuth und Mulzer ausge-
sprochens Hoffnung, „auf diese Weise — vielleicht hauptsächlich
durch Blutimpfung — entscheiden zu können, ob in einem frag-
daher nicht allzu große Aussicht auf Erfüllung zu haben, wenn
wir schon in einem verhältnismäßig großen Prozentsatze sicher
syphilitischer Krankheitsfälle mit Fehlergebnissen rechnen müssen.
Dagegen möchte ich wohl glauben, daß die von ihnen aus-
gesprochene Hoffnung, entscheiden zu können, „ob eine bestehende
Lues durch eine speeifische Kur geheilt worden ist“, in Erfüllung
gehen kann, wenn zu diesen diagnostischen Zwecken Sperma oder
vielleicht Hodenpunktat für die Kaninchenimpfung gewählt wird.
Die große Affinität der Spirochäten zu Testisgewebe steht un-
zweifelhaft fest, und auch manche klinische Beobachtung läßt den
Schluß zu, daß trotz des Fehlens klinisch nachweisbarer syphi-
litischer Erscheinungen gerade das Sperma noch infektiös ist.
Diese Frage ist von allergrößter Wichtigkeit — und für Nup-
turienten oft von entscheidender Bedeutung — und sollte daher
an einem umfangreichen Material einer systematischen Unter-
suchung unterzogen werden. Ich hoffe, daß ich selbst in der
Lage sein werde, später dieser außerordentlich bedeutungsvollen
Frage nähertreten zu können.
Meine weiteren Züchtungen mit vier durch Blutimpfung ge-
wonnenen Kaninchenstämmen zeigten in besonders schöner Weise
die Anpassung und Virulenzsteigerung der Spirochaeta
pallida in dem Kaninchenhoden: Die Inkubationsdauer
wird, ohne irgendwelche Schwankungen aufzuweisen,
gradatim eine geringere, die Zahl der nachweisbaren
Spirochäten trotz der bedeutend geringeren Inkubations-
dauer außerordentlich vermehrt, ein Abbrechen der
Passagen, wie es sonst häufig beobachtet wird, macht sich
nicht mehr störend bemerkbar. Diese drei Punkte sind sehr
1) In diesem Falle sind mehrere (etwa vier bis fünf) Stunden
zwischen der Entnahme und der Impfung vergangen. Diesem Umstande
dürfte das negative Ergebnis bei dem sonst sehr geeigneten Falle zu-
zuschreiben sein. Er muß daher wohl ausgeschaltet werden.
Anmerkung bei der Korrektur: Fall VI—VIII bis jetzt (26. 8. 12)
negativ geblieben. l
2) Drei weitere Fälle sind bisher noch nicht zur abschließenden
Untersuchung gekommen. i l
Anmerkung bei der Korrektur: Ich werde über sie demnächst ab-
schließend berichten; dabei werde ich auf die ausführliche Mitteilung von
Uhlenhuth und Mulzer (Zbl. f. Bakt. 1912, Bd, 64, 5. 165), die mir
erst nach Abschluß meiner Arbeit zugänglich gewesen ist, eingehen.
wertvoll, da das experimentelle Arbeiten auf dem Gebiete der
Syphilis bei Verwendung solcher Kaninchenstämme sehr erleichtert
wird. In erster Linie sind diese günstigen Ergebnisse wohl auf
den Umstand zurückzuführen, daß das Impfmateriai von Anfang
an absolut frei von Begleitbakterien ist, die, wie ich glaube, ge-
eignet sind, bei der Infektion des Tierkörpers mit syphilitischem
Virus eine antagonistische Wirkung zu entfalten.‘
Die Inkubationsdauer sinkt bei den Passageimpfungen
mit diesen Blut-Kaninchenstämmen regelmäßig von sechs bis acht
Wochen auf vier Wochen in der zweiten Passage und beträgt in
der dritten Passage nur noch zwei Wochen; ich habe sogar in
einem Falle bereits nach elf Tagen eine außerordentliche Vermeh-
rung der Spirochäten feststellen können; bei den weiteren Passagen
bleibt dann die Inkubationsdauer eine konstante (etwa zwei Wochen).
Ich brauche wohl nicht erst noch zu betonen, daß wir auch in den
Passagen mit zeitlichen Schwankungen zu rechnen haben, aber
diese sind so unbedeutend, daß sie gar nicht ins Gewicht fallen,
geschweige den Wert der Blutzüchtung beeinträchtigen könnten.
Die Vermehrung der Spirochäten ist bei den einzelnen
Passagen eine solch massenhafte, daß in manchen Fällen bei
Dunkelfelduntersuchungen fast der größte Teil des Gesichtsfeldes
mit Spirochäten ausgefüllt ist. Dabei finden sich die Spirochäten
in Hoden und Nebenhoden in gleichem Maße reichlich verteilt, so-
daß sich die Zunahme nicht nur auf die Stelle der Impfung be-
schränkt.
Da ich schließlich nach meinen Untersuchungen bei dieser
Methode ein Abbrechen der Passage bisher nicht: beobachtet
habe, so ist das Verfahren der Blutimpfung auch aus diesem
Grund als äußerst wertvoll zu beurteilen, wie jeder Autor, der
sich auf dem Gebiete der experimentellen Kaninchensyphilis be-
schäftigt hat, bestätigen wird. |
Der folgende „Stammbaum“ mag zur Illustration der An-
passung und Virulenzsteigerung der Spirochaeta pallida in dem
Kaninchenkörper dienen:
Ausgangsmater |.
Pat. Stemml. (Fall II
Defibr. Blut.
- I. Passage,
Geimpft 12. Februar 1912.
Kaninchen 10.
Spirochätennachweis nach
sechs Wochen, 26. März 1912.
II. Passage,
Geimpft 2. April 1912.
Kaninchen 26.
Spirochätennachweis nach
vier Wochen, 1. Mai 1912.
III. Passage.
Geimpft 1. Mai 1912.
BEER a
Kaninchen 32. Kaninchen 33. Kaninchen 40.
Spirochätennachweis nach Spirochätennachweis nach Spirochätennachweis nach
zweiWochen,14.Mai1912. zweiWochen,14.Mai1912. zweiWochen, 14. Mai 1912
IV. Passage.
Geimpft 17. Mai 1912
BARON a Bags SEN
Kaninchen 53. Kaninchen 54. Kaninchen 50.
Spirochätennachweis nach Spirochätennachweis nach Spirochätennachweis nach
elf Tagen, 28. Mai 1912. zwei Wochen,1.Juni19i2. zwei Wochen, 1. Juni 1912.
| V. Passage.
Geimpft i8. Juni 192.
S E rena nach
zwei Wochen ,28.Juni1912.
Ich möchte diese Passagenzusammenstellung fast als vorbild-
lich bezeichnen; denn ich habe die gleichen Ergebnisse in durch-
aus derselben Anordnung bei den übrigen Stämmen ebenfalls er-
halten und glaube daher mit Berechtigung annehmen zu dürfen,
daß dieses absolut gleichmäßige Sinken der Inkubationsdauer
bei Impfung mit reinem Material die Regel ist. l
Diese Anpassung an den Kaninchenorganismus ist mit Be-
zug auf die Inkubationsdauer und die Zunahme der Spirochäten
eine beinahe streng specifische, wie es sich durch Uebertragung
auf andere Tiere zeigen läßt. Zweigt man nämlich nach mehr-
maliger Kaninchenpassage — z.B. in der dritten oder vierten
Passage, wenn die Inkubationsdauer beim Kaninchen bereits auf
zwei Wochen herabgesunken und die Zahl der Spirochäten emè
‚außerordentlich große ist — den Stamm ab durch Uebertragung
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
1713
auf Meerschweinchen, so steigt die Dauer der Inkubation wieder
auf drei bis vier Wochen, die Zahl der Spirochäten nimmt ent-
gegengesetzt ganz bedeutend ab. Ich will schon jetzt dem Ein-
wand entgegentreten, daß diese Erscheinung dadurch eine be-
friedigende Erklärung finde, daß Meerschweinchen nach den An-
gaben der Autoren [E. Hoffmann, T. Margolis!)] bei weitem
nicht so geeignet wären für Impfungen mit syphilitischem Material
wie Kaninchen. Meine eignen Untersuchungen, die sich
allerdings zurzeit noch auf eine kleine Versuchsreihe erstrecken,
haben bisher erwiesen, daß auch im Meerschweinchen
bei intratestikulärer Impfung mit Blut-Kaninchen-
stämmen die Züchtung der Spirochaeta pallida ohne
große Schwierigkeiten gelingt. Weitere Versuche werden
nun noch zeigen müssen, wie weit sich die Anpassung der Spiro-
chaeta pallida auch an das Meerschweinchen wird steigern lassen?)
— Untersuchungen, die gerade durch die Verwendung reiner
Spirochätenstämme in schöner Weise ermöglicht werden und bei
der Reinheit des Impfmaterials beweisend sind. Ich denke über
diese Untersuchungen in Kürze berichten zu können.
Zusammenfassung: Fasse ich die bisher gewonnenen Er-
gebnisse zusammen, so ergibt sich, daß durch die Kaninchen-
impfung mit Syphilitikerblut oder Blutserum in einem ziemlich
hohen Prozentsatze positive Impfergebnisse erzielt werden. Da
aber auch selbst in Fällen frischer Sekundärerscheinungen aus
noch nicht geklärten Ursachen negative Impfresultate konstatiert
werden mußten, so wird der Wert des Verfahrens für diagnostische
Zwecke erheblich beeinträchtigt. Die durch Impfung mit Blut
oder Blutserum gewonnenen Kaninchenpassagestämme zeigen be-
sonders deutlich die Anpassung und Virulenzsteigerung im Tier-
körper. Diese Erscheinung ist wohl hauptsächlich darauf zurück-
zuführen, daß die Impfungen mit einem von Begleitbakterien freien
Ausgangsmaterial ausgeführt wurden.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr, Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Ueber experimentellen Diabetes
und seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer Sekretion?)
von Dr. S. Rosenberg, Berlin.
Unter den Stoffwechselkrankheiten nimmt der Diabetes
mellitus insofern eine Sonderstellung ein, als der Experimental-
pathologe jederzeit in der Lage ist, durch eine verhältnismäßig
einfache Operation, durch eine Totalexstirpation des Pankreas, diese
Anomalie zu erzeugen.
Nachdem zuerst von Klinikern, unter den Franzosen von
Bouchardat, Baumel und Lancereaux, unter den Deutschen
von Frerichs auf Zusammenhänge zwischen Bauchspeicheldrüse
und Zuckerharnruhr hingewiesen worden war, gelang es ziemlich
gleichzeitig v. Mehring und Minkowski und de Domenicis den
Beweis dafür zu erbringen, daß totale Entfernung des Pankreas beim
Hunde von einem schweren Diabetes progredienter Natur gefolgt
ist, als dessen charakteristische Symptome Glykosurie, Hyper-
glykämie und schneller Schwund des Leberglykogens erkannt
wurden. — Aber schon unter den ersten Beobachtern fanden sich
einige — de Domenicis, de Renzi und Reale —, welche ge-
legentlich nach dieser Operation eine Glykosurie nicht konstatieren
konnten. Während Minkowski seinerzeit der Meinung war, daß
in diesem Falle die Drüsenexstirpstion keine totale gewesen sein
könne, wissen wir aus den Untersuchungen neuerer Beobachter,
unter denen ich nur Hesse und Mohr nennen will, daß die
Zuckerausscheidung im Harne bei absolut sicherer Totalentfernung
des Pankreas in der Tat fehlen kann. Daraus ergibt sich, daß
wir nicht die Glykosurie, sondern die Hyperglykämie als das
wesentlichste diagnostische Kriterium des Diabetes anzusprechen
haben, und wo man diesem Umstande nicht Rechnung getragen
hat, da ist man zu schweren, und wie wir noch sehen werden,
manchmal recht verhängnisvollen Irrtümern in der wissenschaft-
lichen Betrachtung der Dinge gekommen.
Es war Minkowski nicht gelungen, bei Vögeln und Am-
phibien einen Diabetes zu erzeugen; doch wußte er, daß in je
einem Falle Langendorff und Weintraud bei fleischfressenden
Vögeln nach Pankreasentfernung Zuckerausscheidung beobachtet
batten. Später stellte Kausch dann fest, daß, wenn man bei
Gänsen und Enten das Pankreas mitsamt dem Duodenum entfernt,
ein Zustand von Hyperglykämie und schnellem Schwund des Leber-
elykogens eintritt, wohingegen Glykosurie nur ganz selten und
ausnahmsweise beobachtet wurde. Wir haben also auch hier
wieder den Fall, wo die Zuckerausscheidung im Harne für die Dia-
gnose der Diabetes nicht ausschlaggebend ist.
Aldehoff war dann der erste, der bei Amphibien — und
zwar bei Schildkröten und Fröschen — die Pankreasexstirpation
von einem Diabetes gefolgt sah; und endlich konnte Diamare
‘) T. Margolis, Untersuchung über die Empfänglichkeit der
Meerschweinchen für Syphilis. Diss. 1911. Berlin, Klett.
. _ ) Untersuchungen über die Empfänglichkeit von Meerschweinchen
bei Impfungen mit Blut usw. sind bereits aufgenommen, da Mangel an
Kaninchen uns zwingt, leichter zu beschaffende Versuchstiere zu ge-
winnen. Aus dem gleichen Grunde haben wir auch Ratten in den Kreis
unserer oa un einbezogen. Gia
ortrag, gehalten in der Berliner Physiologischen Gesellschaft
am 24, Mai 1912. © d
an Riesenexemplaren von Torpedo marmorata den Beweis dafür
erbringen, daß auch bei Fischen nach totaler Entfernung der
Bauchspeicheldrüse Hyperglykämie und Glykosurie in die Er-
scheinung tritt.
Minkowski hatte schon die Beobachtung gemacht, daß ge-
legentlich auch eine nur partielle Drüsenentfernung zu einer dann
allerdings ganz leichten Zuckerausscheidung führen kann, und
Sandmeyer bereicherte unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht
durch folgende Feststellungen. Wenn man bei Hunden eine teil-
weise Pankreasentfernung vornimmt derart, daß ein mit dem Darme
nicht mehr in Zusammenhang stehendes Stück zurückgelassen
wird, so tritt eine Alteration des Kohlehydratstofiwechsels ein,
welche sich darin zu erkennen gibt, daß solche Tiere glykosurisch
werden, wenn man sie mit rohem Pferdefleisch unter Beigabe von
rohem Pankreas füttert. Wird der Versuch öfter angestellt, so
tritt die Zuckerausscheidung auch in der Zwischenzeit ein, in
welcher kein Pankreas gereicht wird. Sandmeyer sah als Quelle
dieses Zuckers das Glykogen des Fleisches an, doch ist nicht ein-
zusehen, warum nicht auch der aus Eiweiß und Fett gebildete
Zucker hier in Betracht kommen sollte. Vor kurzem hat nun
Reach darauf aufmerksam gemacht, daß es einen gewaltigen Unter-
schied ausmacht, ob man gekochtes oder rohes Fleisch verfüttert;
in letzterem Fall ist die Glykosurie viel erheblicher als im ersteren,
und Reach nimmt an, daß ein im Fleisch steckender Giftstofi
diese Erscheinung hervorrufe. — Gelingt es, derartig operierte
Tiere am Leben zu erhalten, so werden sie nach mehr oder
weniger langer Zeit — in Sandmoeyers Fällen nach vier, be-
ziehentlich 13 Monaten — diabetisch so, als wenn die Bauch-
speicheldrüse total entfernt worden wäre.
Es entstand nun die Frage, wie die nach Pankreasentfernung
auftretende Zuckerharnruhr zu erklären sei, und da entwickelte
zunächst Lépine eine sehr bestechende Theorie, welche geeignet
erschien, die beobachteten Erscheinungen in befriedigender Weise
zu erklären. Er glaubte nämlich festgestellt zu haben, dab das
Blut normaler Individuen in höherem Maße Zucker zerstöre, als
das Blut diabetischer, und das führte ihn zu der Annahme, daß
das Pankreas die Bildungsstätte eines glykolytischen Ferments
sei, welches durch den Ductus thoracicus in die Blutbahn gelange
und hier den weißen Blutkörperchen anhafte. Das Fehlen dieses
Ferments nach Entfernung der Drüse müsse dann unbedingt
wegen Hemmung der Glykolyse zum Diabetes führen. Die Nach-
prüfung dieser Le&pineschen Lehre dureh andere Untersucher
führte aber zu der Ueberzeugung, daß sie nicht richtig sei, und daß
ihre wesentlichste Grundlage — Verminderung der Blutglykolyse im
Diabetes — tatsächlich gar hicht existiere. So konstatierte
de Domenicis, daß wenn man pankreasdiabetischen Hunden
Pfortaderblut von normalen, auf der Höhe der Verdauung befind-
lichen Tieren — welches nach L6pines Vorstellungen reich an
glykolytischem Ferment sein müßte — injizierte, dieser Eingriff
nicht von einer Verminderung, sondern im Gegenteil von einer
Zunahme der Glykosurie gefolgt war. Minkowski Konnte an
einem pankreasdiabetischen Hunde, bei dem eine subcutan einge-
spritzte Zuckermenge quantitativ im Harne wiedererschien, in dem
aseptisch aufgefangenen Blut ein hohes glykolytisches Vermögen
nachweisen. Kraus sah die Zuckerumsetzung im Blute Gesunder
und Zuckerkranker ganz gleich ablaufen, und Arthus endlich
leugnete überhaupt die Existenz eines glykolytischen Ferments im
Blut unter Hinweis auf die Tatsache, daß der Blutzuckergehalt in
Er Ne
1714 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42
20. Oktober.
abgebundenen Gefäßen nicht vermindert wird. Die außerhalb der
Gefäße auftretende Glykolyse soll nach diesem Autor eine post-
mortale Erscheinung sein. Bendix und Bickel endlich wollen
den Zuckerschwund im Blute schon deswegen nicht als Beweis
für das Vorhandensein eines glykolytischen Ferments ansehen,
weil Zucker in eiweißhaltigen Flüssigkeiten überhaupt nicht exakt
nachgewiesen werden könne, und weil der Alkaligehalt des Blutes
genüge, um Zucker bei Bluttemperatur zu zerstören oder eine Zer-
störung doch vorzutäuschen. Ä
All diese Einwände jedoch veranlaßten Lépine nicht, seine
Meinung aufzugeben; nur wollte er in Zukunft nicht mehr von
einem zuckerzerstörenden Ferment, sondern nur noch von einer
.glykolytischen „Kraft“ sprechen. — Inzwischen aber hatte er mit
seinem Mitarbeiter Boulud festgestellt, daß im Harne diabetischer
und anderer Kranker ein kristallisierbarer Stoff vorhanden sei,
dessen Einspritzung in die Niere eines Hundes oder unter die
Haut eines Meerschweinchens Glykosurie zur Folge habe, der aber
nach Passage durch die pankreatischen Gefäße sich als unwirk-
sam erweise. Dieser Befund veranlaßte ihn zu der Annahme, daß
im Körper Hemmungssubstanzen für die Glykolyse gebildet würden,
die zu zerstören eine weitere Aufgabe des Pankreas sei. — In
späterer Zeit bezog Lépine die Wirkung der Bauchspeicheldrüse
auf ein inneres Sekret, dessen Existenz er erschloß aus dem Um-
stande, daß nach Unterbindung des Ductus Wirsungianus Ver-
mehrung der glykolytischen Potenz des Blutes und Hypoglykämie
beobachtet werden könne, und daß ferner Faradisation der pankreati-
schen Nerven dem Blute der Vena pancreatica und der Lymphe des
Ductus thoracicus in erhöhtem Maße die Fähigkeit verleihe, alko-
holische Gärung zu erzeugen. |
Auch andere Autoren sahen die Zuckerzerstörung als eine
Funktion der Bauchspeicheldrüse an, ohne sich zum Teil Vor-
stellungen über die Art der Glykolyse zu bilden. So z.B. Baldi,
welcher mit Dextrose versetztes Blut durch die Drüse strömen
ließ und in der Vena pancreatica eine Abnahme des Zuckergehalts
gegenüber der im zufließenden Blute befindlichen Anfangsmenge
konstatierte; welcher ferner auch darauf hinwies, daß der Zucker-
gehalt in der Carotis höher sei als in der pankreatitischen Vene.
:— Sympson beobachtete bei der Digestion von Zuckerlösungen
mit wäßrigen oder Glyzerinextrakten des Pankreas einen Zucker-
schwund, welcher ausblieb, wenn man das Drüsenextrakt kochte.
. Daraus schloß er, daß im Pankreas ein glykolytisches Ferment
vorhanden sein müsse, dessen Fehlen den Diabetes bedinge. Ferner
stellte Simadek aus dem Drüsenpreßsafte nach dem Verfahren von
Stoklasa ein Ferment dar, welches Traubenzucker in Alkohol
und Kohlensäure aufspaltete, und welches er für den normalen
Ablauf der Zuckeroxydation im Organismus verantwortlich machte,
Daß das Pankreas zuckerzerstörend wirkt, wurde noch von
einer ganzen Anzahl anderer Autoren, so von Blumenthal,
Ssobolew, Herzog, Feinschmidt, Arnheim und Rosen-
baum, Sehrt, Rappaport und Braunstein festgestellt, ohne
daß diese daran dachten, aus dieser Tatsache den pankreatischen
Diabetes erklären zu wollen. Denn inzwischen hatte man erkannt,
daß die gleiche Eigenschaft allen andern Organen des Körpers zu-
kommt; und Stoklasa hatte schon vor Simadek aus Herz,
Leber, Lunge und Muskeln ein alkoholisierendes Ferment gewonnen,
Es ergibt sich hieraus, daß die Bauchspeicheldrüse als zucker-
zerstörendes Gewebe gar keine Sonderstellung einnimmt, daß die
. Zuckerzerstörung: vielmehr eine allgemeine Eigenschaft der Körper-
zellen darstellt, sodaß auf diese Art der pankreatische Diabetes
schlechterdings nicht erklärt werden kann.
‘ Trotzdem, wie wir soeben gesehen haben, die glykolytische
Kraft des Pankreas von sehr vielen Seiten sichergestellt war,
wurde sie von Rahel Hirsch, Cohnheim und de Meyer ge-
leugnet und von letzterem behauptet, daß Täuschungen durch un-
genügende Entfernung des Blutes aus der Drüse hervorgerufen
worden seien. Alle drei Autoren stimmen darin überein, daß sie
dem Pankreas lediglich einen activierenden Einfluß auf die Gly-
kolyse zuschreiben, während ‘ihre Meinungen in der Auffassung
des ganzen Vorgangs voneinander abweichen.
Fräulein Hirsch verlegt die Zuckerverbrennung in die Leber,
die nach ihrer Meinung Dextrose nur recht langsam und erst
innerhalb beträchtlicher Zeiträume zerstören könne. Durch das
Pankreas, das an sich unwirksam sei, würde die glykolytische
Potenz des Lebergewebes erheblich vermehrt und gesteigert und
zwar dadurch, daß das Pankreas ein Proferment oder eine Kinase
liefere, welche der Leber erst die Fähigkeit gebe, Traubenzucker
in beträchtlichem Ausmaße zu zersetzen. Die angestellten Nach-
prüfungen der dieser Meinung zugrunde liegenden Versuche haben
zu einer Bestätigung nicht geführt, was nicht überraschen kann,
da von anderer Seite das glykolytische Vermögen sowohl der
Leber als der Bauchspeicheldrüse sicher erwiesen war.
Nach Cohnheim spielt sich die Glykolyse hauptsächlich in
den Muskeln ab, die ein zuckerzerstörendes Ferment enthalten
sollen, das jedoch nur dann wirksam wird, wenn es von einem
der inneren Sekretion der Bauchspeicheldrüse entstammenden Stoff
activiert wird. Dieser Activator kann kein Ferment sein, da er
kochbeständig und in Alkohol löslich ist. Er hat die besondere
Eigentümlichkeit, daß, wenn er in steigenden Mengen gleich-
bleibenden Quantitäten von Zucker und Muskelpreßsäften zugesetzt
wird, er die Glykolyse zunächst steigert und später hemmt. Diese
„Ueberschußhemmung“ bringt Cohnheim in Analogie zu der
Kompiementablenkung bacterieider Sera; doch gibt er die Mög-
lichkeit zu, daß sie bedingt sein könne durch einen die Reduktion
hemmenden Körper, der neben dem Activator — den er aus ge-
kochtem Pankreas mit Alkohol extrahiert — in das Alkoholextrakt
übergehe. — Den Gehalt an glykolytischem Ferment in den Mus- _
keln fand Cohnheim ganz verschieden je nach der Art der Er-
nährung, der äußeren Temperatur und der Arbeit, die seine Ver-
suchstiere leisten mußten. Wenn er seine Katzen — an denen er
die Feststellungen machte — in einen kalten Raum verbrachte und
sie mit gesüßter Milch fütterte, so war die zuckerzerstörende
Kraft ihrer Muskulatur eine hobe, wenn er sie dagegen in einen
warmen Raum sperrte, ihnen fette Nahrung gab, sie im Tretrade
arbeiten ließ oder sie durch Morphium ermüdete, dann vermochten
ihre Muskelpreßsäfte Zucker nur in geringem Ausmaße zu zersetzen.
Diese Cohnheimschen Lehren fanden nur durch einen ein-
zigen Autor, Sehrt, eine Bestätigung, welcher an der Muskulatur
von Mumien aus der Zeit 300 vor Christi Geburt ein glykolyti-
sches Vermögen nicht feststellen : konnte. Wenn er dagegen
Rinderpankreas als Activator hinzufügte, so wurde Zucker in be-
trächtlichem Ausmaße zersetzt, und da der Autor unter aseptischen
Kautelen arbeitete, so bezieht er die erzielte Wirkung im Sinne
Cohnheims auf ein in den Mumienmuskeln enthaltenes Ferment.
Zu ganz andern Resultaten kamen Claus und Embden, die
die Versuchsergebnisse Cohnheims auf Wirkungen von Ver-
unreinigungen wahrscheinlich bakterieller Natur bezogen. Cohn-
heims Einwand, daß ihre negativen Befunde verursacht seien
durch Verdünnung der Muskelpankreasgemische mit physiolo-
gischer Kochsalzlösung, deren NaCl eine Glykolysehemmung zur Folge
gehabt hätte, wiesen sie ab durch den Nachweis, daß der Koch-
salzgehalt. in Cohnheims Versuchen 10 bis 60mal so groß ge-
wesen sei, wie in ihren eigenen. Aber. auch nach vollkommener
Ausschaltung des Chlornatriums kamen sie zu keinen andern Re-
sultaten und konnten vor allem die Existenz eines kochbeständigen
Activators nicht anerkennen.
Auch de Meyer tritt den Angaben Cohnheims entgegen;
er konnte weder einen Hemmungskörper für die Glykolyse ım
Blute nachweisen, noch die „Ueberschußhemmung“ feststellen, noch
endlich ein glykolytisches Ferment in der Muskulatur auffinden,
das seiner Ansicht nach gar nicht in den Muskeln, sondern in
den weißen Blutkörperchen vorhanden ist. Und endlich sprach
sich auch Nanking gegen Cohnheim aus, der -- ganz in Ueber-
einstimmung mit andern Autoren — die Muskeln allein. schon
glykolytisch wirksam fand, jedoch keine Erhöhung des Efekts
durch Zusatz von Pankreasextrakt im Sinn einer Activierung fest-
zustellen vermochte.
Aber auch aus ganz allgemeinen Gründen muß, wie ich
glaube, Cohnheims Lehre abgewiesen werden. Denn wenn wirk-
lich die Glykolyse in so hohem Maße von der Art der Ernährung,
der Höhe der Temperatur und dem Ausmaße der Arbeit abhängig
wäre, wie Cohnheim das aus seinen Versuchen an Katzen an-
nimmt, dann müßte eigentlich doch jeder ganz normale Mensch
recht häufig glykosurisch werden, und vor allen Dingen wären alle
Polarforscher in großer Gefahr, Diabetiker zu werden, weil sle
sich im wesentlichen unter den gleichen Bedingungen befinden,
unter denen Oohnheims Katzen nur ein geringes glykolytisches
Vermögen in ihrer Muskulatur aufwiesen. Wir haben nun aber
eine Erklärung dafür gewonnen, warum Cohnheim gerade au
Katzen zu so eigentümlichen Resultaten gekommen ist. Cannon,
Stohl und Wright zeigten nämlich, daß bei Katzen außerordent-
lich leicht eine Hemmung der Glykolyse eintrete, und- daß man
nur nötig habe, diese Tiere in einen Erregungszustand zu ver
setzen dadurch, daß man sie etwa lose an einen Halfter anbindet
oder sie in einen Käfig sperrt oder auch nur von einem Hun
anbellen läßt, um sofort bei ihnen eine Glykosurie auftreten ZU
sehen, bei der in 24 Stunden pro Kilo Tier 1/4 bis mehr als ih g
20. Oktober.
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171
Zucker ausgeschieden wird. Aus diesem Verhalten erklärt sich,
warum bei Experimenten an Katzen ein Befund erhoben werden
konnte, der bei Versuchen an Hunden nicht vorhanden war.
Cohnheim hatte einen Glykolyse im Blute selber abgelehnt,
. ursprünglich unter der Annahme eines antiglykolytischen Fer-
ments im Serum, nach seiner späteren Auffassung, weil ein im
Serum vorhandener Activator nach Pankreaszusatz durch Ueber-
schußhemmung unwirksam werde, ein Verhalten, das nach seiner.
Meinung im Interesse der für die Arbeitsleistung so wichtigen
Zuckerverbrennung in den Muskeln ‚gelegen sei. Im Gegeusatz zu
dieser Auffassung betrachtet de Meyer die Zuckerzerstörung ganz
direkt als eine Funktion des Blutes; und dieser Autor sucht den
pankreatischen Diabetes durch folgende Vorstellung zu erklären.
Die Leber habe die Aufgabe, fortdauernd Zucker in das Blut
hinein zu secernieren, wo er sich als „eirculierender Zucker“ vor-
finde. Ein Teil desselben trete in die Zellen und Gewebe in irgend-
einer Form als deren Bestandteil ein, ein anderer Teil werde im
Blute selber abgebaut und zwar unter Mitwirkung des Pankreas,
das an sich keine glykolytischen Eigenschaften besitze, das aber die
Fähigkeit habe, bei Zusatz zum Blute dessen glykolytisches Ver-
mögen wesentlich zu steigern. Diese Activierung der Glykolyse
beruhe auf einer von der Bauchspeicheldrüse ausgehenden Ein-
wirkung auf die weißen Blutkörperchen oder eine von diesen se-
cernierte Substanz. Erhitzt man Blut auf 55°, so wirkt es nicht
mehr glykolytisch, sodaß Pankreaszusatz nunmehr unwirksam sei.
Diesen selbst kann man auf 115° erhitzen, ohne ihn seiner activie-
renden Fähigkeit zu berauben. Aus diesen Versuchen folgert
deMeyer, daß im Pankreas eine sensibilisierende Substanz enthalten
sein müsse, welche ein von den Leukocyten secerniertes Proferment
in aktives glykolytisches Ferment umwandle.. Wird das Pankreas
exstirpiert, so bleibt das Ferment inaktiv, und auf diese Weise
müsse mangels genügender Glykolyses ein Diabetes zustande
kommen.
De Meyer versuchte dann noch, die wichtige Rolle des
glykolytischen Ferments im lebenden Organismus direkt nach-
zuweisen durch Herstellung eines antiglykolytischen Serums,
welches er dadurch gewann, daß er Hundeblut oder aseptische
Pleuraexsudate des Hundes Kaninchen zu wiederholten Malen in-
jizierte. Das Serum solcher vorbehandelten Kaninchen wurde dann
auf 56° erhitzt, um seine eigne glykolytische Kraft zu zerstören
und dann zu Versuchen in vitro und in vivo benutzt. Bei den
Versuchen in vitro ließ sich eine deutliche Hemmungswirkung auf
die Glykolyse nachweisen und bei den Versuchen in vivo war die
Injektion dieses Serums von Hyperglykämie und Glykosurie ge-
folgt. Daraus schließt de Meyer, daß die Blutglykolyse in hohem
Maß an der Regulation des glykämischen Gleichgewichts beteiligt
ist, und daß eine Störung der glykolytischen Funktion des Blutes
sofort die wichtigsten diabetischen Symptome Hyperglykämie und
Glykosurie in die Erscheinung treten läßt.
Weiterhin war de Meyer bemüht, die Bedeutung eines
inneren pankreatischen Sekrets für die Glykolyse durch Her-
stellung eines antipankreatischen Serums zu erweisen. Zu diesem
Zwecke wurde eine Aufschwemmung von Hundepankreas auf 70°
erhitzt, um die Fermententwicklung des äußeren Sekrets zu ver-
nichten. Nunmehr wurden diese Aufschwemmungen zu wiederholten
Malen Kaninchen in den Peritonealraum gespritzt und das Serum
‚dieser vorbehandelten Kaninchen wiederum zu Versuchen in vitro
und in vivo benutzt. Auch hier wiederum ergaben die Versuche
in vitro eine Hemmung der Glykolyse, während die Injektion dieses
Serums bei Hunden zu Hyperglykämie und mehrtägiger Glykosurie
führte In dem Ausfalle dieser Versuche erblickt de Meyer
einen Beweis für die Existenz eines endokrinen pankreatischen
Produktes, ohne welches ein normaler Ablauf der Glykolyse nicht
möglich sei.
Wenn wir von diesem Punkt absehen, über den nachher noch
zu sprechen sein wird, so läßt sich eine große Aehnlichkeit zwi-
schen der Auffassung de Meyers und der ersten Theorie Lé-
pines nicht verkennen, und jedenfalls können alle Gründe, durch
weiche diese Lépinesche Lehre widerlegt wurde, auch für die
Ablehnung des de Meyerschen Erklärungsversuches geltend ge-
macht werden. Auch durch dessen fleißige Arbeiten sind wir
also nicht hinter das Geheimnis des pankreatischen Diabetes ge-
kommen. i
Nun kann man keine Pankreasexstirpation ausführen, ohne
daß man alle Nerven zerstört, durch die die Bauchspeicheldrüse
zu den Nachbarorganen und zum Centralnervensystem in Be-
ziehung tritt, und auch diese Nervenläsionen sind für die Er-
Klärung der Diabetes herangezogen worden. Es waren. zuerst die
Gebrüder Cavazzani, welche nach Entfernung des Pankreas Ent-
artungserscheinungen im Plexus coeliacus und in den die Leber-
gefäße begleitenden .Nerven beobachteten, und welche die Zucker-
harnrubr auf die durch die Operation bedingten Schädigungen der
Eingeweide- und Lebernerven zurückführten. |
Desgleichen traten Chauveau und Kaufmann für die ner-
vöse Aetiologie des pankreatischen Diabetes ein. Nach ihrer
Auffassung hängt der Zuckergehalt des Blutes von der Zucker-
bildung in der Leber ab, die vom Pankreas so reguliert werde,
daß dessen Exstirpation eine gesteigerte Zuckerbildung in der
Leber nach sich ziehe. Die Regulierung der Zuckerbildung in der
Leber durch die Bauchspeicheldrüse geschehe durch zwei nervöse
Centren, ein Hemmungscentrum im Bulbus und ein Reizungs-
centrum im oberen Rückenmark, die beide.durch Rami communi-
cantes mit dem Sympathicus in Verbindung stehen. Das Pankreas
reize das Hemmungs- und hemme das Reizungscentrum der Leber,
übe also eine doppelte Hemmungswirkung auf die in ihr statt-
findende Zuckerproduktion aus. Nach Entfernung der Bauch-
speicheldrüse falle die Reizung des Hommungscentrums aus, während
die Tätigkeit des Reizungscentrums erhöht wurde, was dann eine
starke Hyperglykämie und Glykosurie zur Folge haben müsse,
Weiterhin macht Tbiroloix die Nervenverletzungen bei der
Pankreasexstirpation für den Diabetes verantwortlich. Nach ihm
sind Leber und Pankreas die wesentlichsten Komponenten des
zuckerbildenden Apparates. Jene produziert den Zucker, dieses
liefert eine Substanz, .welche die Zuckerbildung beschränkt und
die Retention des Zuckers vermittelt. Beide Organe werden
durch regulierende Nervencentren in Tätigkeit erhalten, und
Störungen in diesen haben Hyperglykämie zur Folge, die von einer
Funktionsteigerung der Lieberzellen abhängig sein soll.
Endlich hat auch Pflüger das nervöse Moment für die Er-
klärung des Diabetes in den Vordergrund gerückt. Dieser Autor
glaubte nämlich beobachtet zu haben, daß wenn man bei Fröschen
das Duodenum reseziert, oder das Mesenterium zwischen Pankreas
und Duodenum durchschneidet, oder endlich bloß die hier ver-
laufenden Nerven funktionsunfähig macht, ein Diabetes in die Er-
scheinung tritt, der den nach Pankreasexstirpation beobachteten
noch an Schwere übertreffen sollte. Für das Verständnis dieses
Vorkommnisses hat man sich nach Pflüger vorzustellen, daß der
Zuckergehalt der Säfte im Organismus zweien antagonistischen
Kräften untergeordnet ist. Die eine Kraft, in der Medulla ge-
legen und-eine Funktion des Nervensystems, ‘vermag den Zucker-
gehalt durch wechselnde Anregung der Zuckerbildung in der Leber
zu steigern. Diesem Centrum steht eine antagonistische oder anti-
diabetische „Arbeitskraft“ entgegen, deren Sitz im Pankreas ge-
legen ist, und die das Wachsen des Zuckergehalts der Säfte
hindert. | | |
Diese antidiabetische Kraft produziert die Bauchspeichel-
drüse mit Hilfe von Nerven, die vom Duodenum zum Pankreas
hinziehen. Doch läßt das Zustandekommen des Sandmeyerschen
Diabetes (Auftreten der Zuckerkrankheit längere Zeit nach einer
partiellen Drüsenexstirpation) darauf schließen, daß die Drüsen-
substanz selber beim Diabetes eine wesentliche Rolle spielt, viel-
leicht indem die Epithelzellen ein antidiabetisches Ferment an den
Blutstrom abgeben. — Auch bei Hunden fand Pflüger nach
Duodenalexstirpation Glykosurie;' doch starben die Tiere so schnell,
daß die Frage, ob auch bei ihnen ein dauernder Diabetes eintritt,
von diesem Autor nicht entschieden werden konnte. Dagegen ge-
lang es Ehrmann, mir selber und Minkowski, nach dieser Ope-
ration Hunde längere Zeit am Leben zu erhalten; doch sahen wir
nach dem Eingriff allenfalls vorübergehende Glykosurie, niemals
aber einen Diabetes auftreten.
Während nun Ehrmann und Minkowski die Pflügersche
Lehre kurzer Hand als falsch zurückwiesen, riet ich selber doch
noch zu einiger Vorsicht, weil schon lange vor Pflüger
de Renzi und Reale die Existenz eines Duodenaldiabetes be-
hauptet hatten. Diese Autoren hatten den Darm unterhalb der
Einmündungsstelle des Wirsungschen Ganges reseziert und nach
diesem Eingriff eine bis zum Tode der Tiere anhaltende Zucker-
ausscheidung im Harne gemeldet, während das Pankreas sich bei
der makroskopischen, mikroskopischen und funktionellen Prüfung
als ganz normal erwies. Alsich selber an die Nachprüfung dieser
Versuche heranging, da kam ich sehr schnell zu der Ueberzeugung,
daß de Renzi und Reale sich getäuscht haben müßten; denn ich
konnte niemals bei der von ihnen gewählten Versuchsanordnung
einen Diabetes erzeugen. Und auch Pflüger, der anfangs sehr
lebhaft für die italienischen Autoren eintrat, kam endlich zu dem
Schluß,. daß ein. boshafter Student oder ein niederträchtiger Labo-
aa x
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3 %
= -anA =
u.
1716
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
20. Oktober.
ratoriumdiener diese durch Hineinwerfen von Zucker in den Harn
ihrer Versuchstiere absichtlich getäuscht haben müsse. — Wie stand
es nun aber mit dem Duodenaldiabetes beim Frosche? Da fiel es
auf, daß Pflüger seine Versuchstiere, um sie länger am Leben
zu erhalten, auf Eis gelagert hatte. Und um dem Einwand zu
begegnen, daß die von ihm nach der Operation beobachteten
Zuckerausscheidungen alsKälteglykosurien gedeutet werden könnten,
hatte er einen ganz normalen Frosch sechs Tage lang auf Eis ge-
kühlt, ohne etwas Abnormes an ihm wahrnehmen zu können.
Leider hatte Pflüger diese Kontrolle nur an einem einzigen Tier
angestellt, und dieses gerade verhielt sich der Kältewirkung gegen-
über refraktär, während Löwit kurz darauf zeigen konnte, daß
Frösche ungemein häufig durch starke Abkühlung glykusorisch ge-
macht werden können. Ich ging nun daran, von diesem Gesichts-
punkte aus die Pflügersche Frage nachzuprüfen. Ich exstirpierte
einer Serie von Fröschen das Duodenum und kühlte einen Teil
derselben auf Eis ab, während ich den andern Teil im warmen
Zimmer hielt. Da zeigte es sich denn, daß nur die eisgekühlten
Frösche Zucker ausschieden, niemals aber die im warmen Zimmer
gehaltenen. Wurden nun die Gruppen vertauscht derart, daß die
vorher abgekühlten Tiere ins Warme kamen, so hörte die Zucker-
ausscheidung bei ihnen auf, während sie gelegentlich bei solchen
Individuen auftrat, die vorher sich im warmen Raume befunden
hatten und nunmehr abgekühlt wurden. Und damit war bewiesen,
daß das, was Pflüger für einen Duodenaldiabetes angesehen hatte,
lediglich eine Kälteglykosurie gewesen war. (Fortsetzung folgt.)
Sammelreferat.
Aus der neuesten ophthalmologischen Literatur
von Priv.-Doz. Dr. C. Adam, Berlin.
Rudas (1) empfiehlt zur Behandlung des Trachoms Jodsäure-
stäbchen nach folgendem Rezept:
Rp. Acid. Jodiei Gtt XX.
Gummi arabici (oder aq. dest.) qu. sat. ut fiant bacilli No. 3,
wozu eventuell noch drei Tropfen Acoin hinzugefügt werden können.
Nach ausgiebiger Anästhesierung durch Cocain und subconjunctivale
Injektionen werden die Uebergangsfalten freigelegt und dann mit
dem Jodsäurestäbchen geätzt. Sobald die Anästhesiewirkung auf-
hört, treten erhebliche Schmerzen ein, die aber durch erneute
Cocaineinträufelung gelindert werden können. Später macht sich
eine mächtige Entzündung geltend, mit deren Hilfe die Bindehaut
die von der Jodsäure zerstörten Teile abstößt. Zur Linderung
der Beschwerden kann man kalte Umschläge machen lassen. Damit
die Bindehäute nicht miteinander verkleben, muß man die Wund-
flächen täglich voneinander abheben und mit Jodgallicinpulver be-
streuen. Nach drei bis vier Tagen kann man Zink oder Cupro-
eitrolsalbe anwenden. Die Resultate sollen bedeutend besser sein .
als mit andern Methoden.
Um die Rigidität der Selera bei chronischem Glaukom zu
verringern, geht Wicherkiewicz (2) in der Weise vor, daß er
nach subconjunctivaler Anästhesierung die Bindehaut in einem
Meridionalschnitte von etwa 12 mm Länge eröffnet. Während die
Wundränder vom Assistenten auseinander gehalten werden, macht
er in die nunmehr freigelegte Sclera vier bis sechs parallele
Schnitte von etwa 10 bis 12 mm Länge, ohne die Sclera in ihrer
ganzen Dicke zu durchschneiden. Hierauf werden eine Reihe senk-
recht dazu gestellter Schnitte vollzogen. War der Druck sehr
hoch, so vertieft man schließlich einen der meridionalen Schnitte
so weit, daß er die ganze Sclera durchsetzt, ohne die Chorioidea zu
verletzen; diese letztere Incision darf aber nicht länger als 3 bis
4 mm sein. Nach Abspülung durch Borsäure beschließt man die
Operation durch einige Bindehautnähte. Diese durchaus gefahr-
lose Operation ist vor allem beim chronischen Glaukom, dem
hämorrhagischen Glaukom und solchen, die sonst erfolglos iridek-
tomiert worden sind, am Platze.
Am Schlusse einer sehr umfangreichen Arbeit kommt Gil-
bert (8) zu folgendem Resultat: bei vorgeschrittenem Glaucoma
simplex, besonders in Fällen mit sichtbaren Gefäßveränderungen,
sodann bei denen mit starker Gesichtsfeldeinschränkung über 20V
nasal, empfiehlt er, überhaupt nicht zu operieren oder von den
Operationsmethoden solche zu wählen, die den Druck nicht allzu
stürmisch herabsetzen, da dauernde stärkere Hypertonie zweifellos
ebenso schädlich ist, wie es die brüske Entspannung sein kann.
Bei der Untersuchung auf das Vorhandensein von glauko-
matöser Gesichtsfeideinschränkung ist, wie Fleischer (4) betont,
in erster Linie der blinde Fleck und seine Umgebung zu unter-
suchen. Normaler blinder Fleck läßt ein Glaukom geradezu aus-
schließen. Dagegen ist eine Verbreiterung des blinden Fleckes
sehr verdächtig für Glaukom. |
Gegenüber der Untersuchung von Klesckewski konnten
Vogt (5) und Jaffe in keinem Falle von Glaukom einen ver-
mehrten Gehalt von Adrenalin im Blute nachweisen.
Durch chronische Einwirkung der an kurzwelligen Strahlen (6)
übermäßig reichen künstlichen Lichtquellen kann sich eine unter
Umständen recht hochgradige Beeinträchtigung der Empfindlich-
keitszunahme der Netzhaut entwickeln. Die Patienten klagen über
Flimmererscheinungen und schlechtes Sehen, besonders beim Blicke
vom Dunkeln ins Helle. Eigentliche hemeralopische Erscheinungen
fehlen dabei vollkommen, lediglich der Eintritt der Adaptation ist
verlangsamt, die maximale Empfindlichkeit nach längerem Dunkel-
aufenthalte bleibt unbeeinflußt. Die Beschwerden können sich ohne
jede Therapie zurückbilden, wenn der Patient unter normale Be-
leuchtungsverhältnisse zurückkehrt. Besonders gefährdet sind
solche Patienten, die Katarakt operiert worden sind, weil die Linse
fehlt, die sonst imstande ist, einen Teil der kurzwelligen Strahlen
zu absorbieren und auf diese Weise ihren schädigenden Einfluß
auf die Netzhaut hintanzuhalten.
Nach Bednarski (7) sind die Erkrankungen des Sehnerven
bei Kindern in etwa 500/, auf Oerebralaffektion zurückzuführen;
er empfiehlt deshalb, in allen Fällen die Frage der Dekompressions-
operation in Erwägung zu ziehen und empfiehlt hierfür vor allem
den Bramannschen Balkenstich.
Lederer (8) hat gefunden, daß die Contraction der Augen-
muskeln und die passiven Bewegungen des Auges zweifellos eine
Steigerung des intraokularen Druckes hervorrufen und hat bei will-
kürlichen seitlichen Augenbewegungen — normalen Augendruck
von 25 mm Hg vorausgesetzt — eine intraokulare Drucksteige-
rung von 5 mm konstatieren können.
Kugel (9), der selbst ein Anisometrop ist, hat das doppel-
äugige Sehen bei diesen Patienten in der Weise geprüft, daß er
durch Stereoskope Bilder verschiedener Objekte auf identische
Netzhautfalten brachte. Es gelangen dann diejenigen des seh-
schwächeren Auges nicht zur Perception, weil bei dem sich ent-
faltenden Wettkampfe der Konturen die Bilder des sehschwächeren
Auges die unterliegenden sind. Der Anisometrop steht also unter
diesen Verhältnissen dem Schielenden gleich, der ebenfalls beim
Wettstreite beider Augen das Bild des schielenden Auges unter-
drückt. Dies ist auch die Ursache, daß Anisometropen im allge-
meinen die beide Augen voll korrigierenden Gläser nicht ver-
tragen, weil durch die Korrektion des sehschwächeren Auges ein
stärkerer Wettkampf der Sehbilder provoziert wird und dieser In-
folge des Ungewohntseins unangenehme Folgen, wie Kopfschmerzen,
Schwindel usw. hervorrufen. Es ist infolgedessen am vorteilhaf-
testen, die Anisometropen so zu korrigieren, daß das eine Auge
die Korrektion für die Ferne des andern die Korrektion für die
Nähe erhält.
Greeff (10) hat auf der Wartburg eine Reihe von Brillen
entdeckt, die nach den Ermittlungen dem Humanisten Willibald
Pirkheimer in Nürnberg gehört haben. Pirkheimer wurde
1470 geboren und starb im Jahre 1530, sodaß die Brillen ein
Alter von 400 Jahren haben. Es waren acht Stück, von denen
die Einfassung noch lediglich gut erhalten war, während die
Gläser meist gesprungen oder nur in Scherben vorhanden waren.
Die Gestelle waren aus Leder gefertigt, das auf der Oberfläche
schwarz gefärbt war. Innen fanden sich keine Nuten oder Ringe,
in die das Brillenglas eingelassen war, sondern das Leder war IN
feuchtem Zustand um die Gläser gelegt und trocknete auf dem
Glas allmählich schrumpfend an. Die Gläser waren durch einen
plumpen, gebogenen Bügel miteinander verbunden, ohne Klemmen
oder Federn und ohne Seitenstangen, sodaß sie beim Lesen ent-
weder in der Hand gehalten werden oder auf der Nase reiten
mußten. Die Gläser sind rund und groß, haben etwa 37 mm Im
Durchmesser. Das Glas hat sich im Laufe der Jahrhunderte ge-
trübt, sodaß es wie gefroren und mit Eisblumen bedeckt aus-
sieht; auf der einen Seite war es plan, auf der andern ungefähr
3 Diop. stark.
Literatur: 1. Rudas, Ueber die Behandlung des Trachoms mit Jodsäure.
(A. f. Aug. Bd. 72, S. 51.) — 2. Wicherkiewioz, La sclörotomie raus
pesterlenge superficielle. (Ann. d'oc. Bd. 148, S. 1) — 3. Gilberh
eiträge zur Lehre vom Glaukom. (Gräfes A. Bd. 82, S. 389.) d
4. Fleischer, Die Bjerumsche Methode der Gesichtsfelduntersuchun en
ihre Resultate beim Glaukom. (Kl. Mon. Bd. 50, S. 62.) — 5. Vogt und 2 :
Einige Untersuchungen über den angeblich vermehrten Adrenalingehalt Ir
Biutes beim Primärglaukom. (Kl. Mon. f. Aug. Bd. 50, S. 62.) — ®. Behr,
Beitrag zu der Frage zu den Veränderungen und Schädigungen des za
durch Licht. (Gräfes A. Bd. 82, S. 509.) — 7. Bednarski, Ueber
80. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
1717
Dekompressionsoperationen bei Erkrankung des Sehnerven. (A. f. Aug. Bd. 72,
S. 84.) — 8. Lederer, Der Binnendruck des experimentell und wilikürlich
bewegten Auges. (A. f. Aug. Bd. 72, S. 1.
) — 9. Kugel, Ueber das doppel-
äugige Sehen der Anisometropen und Brillen bei denseiben.
(Gräfes A. Bd. 82,
. 489.) — 10. Greeff, Die ältesten uns erhaltenen Brillen. (A. f. Ang.
Bd. 72, S. 44.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Die Diagnose der Lungentuberkulose im Kindesalter wird, wie
Hans Vogt aus der Universitäts-Kinderklinik zu Straßburg i.E. berichtet,
häufig irrtümlich gestellt. Eine Gruppe von Fällen, bei denen immer
wieder der Verdacht auf Lungentuberkulose auftaucht, bilden die mit
schweren Formen von exsudativer Diathese behafteten Kinder. (Fälle
dieser Art wurden früher als Skrofulose bezeichnet.) Die Symptome der
exsudativen Diathese, wie Phlyktänen, Blepharitis, chronische Ekzeme
und Schleimhautkatarrhe, können sich aber ganz unabhängig von einer
Infektion mit Tuberkulose entwickeln und treten häufig bei Säuglingen
schon in der ersten Lebenszeit auf, wo eine Infektion mit Tuberkulose
durch den Ausfall der Cutanimpfung mit Tuberkulin mit Sicherheit aus-
geschlossen werden kann. Eine gewisse Beziehung der exsudativen
Diathese zur Tuberkulose besteht nur insofern, als die Symptome dieser
Konstitutionsanomalie wie durch andere Infektionen, so auch durch die mit
Tuberkulose ungünstig beeinflußt werden. Ein Bedürfnis nach einem
besonderen Namen für Fälle dieser Art, die gleichzeitig an exsuda-
tiver Diathese und an Tuberkulose leiden, ist nicht einzusehen, und des-
halb sollte die Bezeichnung Skrofulose, die nur Verwirrung stiftet, am
besten ganz verschwinden. Jedenfalls können die obengenannten Sym-
ptome der exsudativen Diathese für sich allein in keiner Weise als
Verdachtsgründe für Tuberkulose gelten.
Zu beachten ist ferner, daß vorübergehende und selbst länger an-
haltende Temperatursteigerungen bei Kindern ein sehr häufiges
Ereignis sind. Es wäre falsch, sie in jedem Fall auf eine Lungentuber-.
kulose zu beziehen. Bei vielen Kindern genügen leichte Infektionen der
‘oberen Luftwege, ihre Rectaltemperatur dauernd auf 38° und mehr zu
erhöhen. Anscheinend können bei sensiblen Kindern sogar psychische
Erregungen hinreichen, ihre Körpertemperatur. vorübergehend bis zu sub-
febrilen Werten in die Höhe zu treiben.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß nicht jede Infektion mit Tu-
berkelbacillen gleichbedeutend ist mit Erkrankung an Tuberkulose im
klinischen Sinne. Nur unter ganz bestimmten Einschränkungen sind die
Tuberkulinreaktionen für die Diagnose einer aktiven Erkrankung heran-
züuziehen, wie im Säuglingsalter, wo fast jede Infektion mit Tuberkel-
bacillen zu einer progredienten Tuberkulose führt. Bei älteren Kindern
dagegen ist nur der negative Ausfall der Reaktion von klinischem Interesse,
es müßte denn eine unzweifelhafte Herdreaktion nachweisbar sein.
Abgesehen vom Säuglingsalter kommen aber in den späteren
Kinderjahren (etwa vom zweiten bis zehnten Lebensjahre) sehr häufig
nichttuberkulöse chronische Lungenerkrankungen vor, auch wenn man
die durchaus nicht seltenen Fälle berücksichtigt, wo Kinder immer wieder
an hartnäckigen Bronchitiden erkranken. Bei diesen nichttuber-
kulösen Erkrankungen. bestehen häufig dauernd an umschriebener Stelle
Symptome von Infiltration in den Lungen und daneben diffuse Bronchitis,
die nur von Zeit zu Zeit exacerbiert oder zu Bronchopneumonien führt
(chronische Bronchiolektasie). Hier entscheidet nur die Beobachtung des
Verlaufs im Verein mit der Anamnese. Bei der Lungentuberkulose ge-
hört es zu den seltenen Ausnahmen, daß eine akute Ausbreitung des
Prozesses in den Lungen erfolgt, die sich wieder zurückbildet,
während dies bei den chronischen Bronchiolektasien fast die Regel ist.
(M. med. Woch. 1912, Nr. 36.) F. Bruck.
Ueber das Pharyngoskop zur endoskopischen Untersuchung des
Nasenrachenraums und des Kehlkopfs berichtet Oertel. Es soll nach
einigen Autoren an Stelle des einfachen Kehlkopf- und Rachenspiegels
treten. Aber ein Nachteil des Pharyngoskops zur Untersuchung des
Nasenrachenraums, der”den Ungeübten irreführen kann, ist die Ver-
zeichnung des Bildes, da die Teile,..die dem-optischen Apparat am
nächsten liegen, vergrößert und heller beleuchtet werden; ferner lassen
Sich feinere Farbenunterschiede nicht deutlich erkennen; endlich
sieht man den unteren Teil der Choanen und die unteren Muscheln häufig
nicht oder wenigstens erst, wenn man sich eine gewisse Uebung in der
Rhinoskopia posterior mittels des Pharyngoskops angeeignet hat.
| Bei der Untersuchung des Kehlkopfs mittels des Pharyngoskops
treten die ebengenannten Nachteile (Verzeichnungen der Bilder und
Verschwinden der Farbenunterschiede) noch stärker und unangenehmer
hervor als bei der Rhinoskopia. posterior. Selbst Schmuckert, der das
Hayssche Pharyngoskop modifiziert hat, sagt: „Für die Besichtigung des
Kehlkopfs muß betont werden, daß unsere heutigen Endoskope noch
keineswegs einen völligen Ersatz des Kehlkopfspiegels, besonders für den
Spezialisten, zu geben vermögen, da die feinsten Farbenunterschiede, wie
sie gerade an den zarten Stimmbändern vorkommen und welche häufig
für die Diagnose wichtig sind, durch das gleichmäßig rötliche Licht des
Endoskops verloren gehen.“
Ist so dem praktischen Arzte die Anschaffung des Pharyngoskops
nicht anzuraten, so ist der Apparat für den Spezialisten im allgemeinen
vollkommen überflüssig, Da wo die Rhinoskopia posterior mit dem
Pharyngoskop gut ausführbar war, gab die einfache Spiegeluntersuchung
mindestens ebenso gute Resultate. In vielen Fällen aber, wo das Pha-
ryngoskop versagte, führte die Spiegeluntersuchung noch zum Ziele. (M.
med. Woch. 1912, Nr. 37.) F. Bruck.
Schmidt und Wagner haben in der Dermatologischen Klinik
des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. Main eine Anzahl von
Schnittserien untersucht, in der Absicht, der Frage der pathologischen
Anatomie der Dermatitis papillaris capilitii näher zu treten.
Während seit Kaposi (1869) das klinische Bild dieser Dermatose
feststeht, konnte von einer Uebereinstimmung der Dermatologen bezüglich
der pathologischen Anatomie lange Zeit nicht gesprochen werden. Kaposi
sah das Wesentliche des Prozesses in einer punkt- und herdförmigen
perifollikulären Entzündung der Cutis; die alte französische Schule glaubte
an eine Zugehörigkeit zu der Acne. Ehrmann ist der Ansicht, daß es
sich nicht um eine Dermatitis, sondern um eine Follieulitis handelt,
deshalb er die Krankheit Sykosis sive Follicnlitis nuchae sclero-
tisans benennt und auch Scheuer (1910), Pautirier und Gouin
(1911) sehen in dem Krankheitsbild eine Entzündung der Haarfollikel.
Schmidt und Wagner schließen sich auf Grund ihrer Untersuchungen
der Ansicht Ehrmanns, Scheuers, Unnas und Anderer an, daß das
Primäre des Krankheitsprozesses eine Follieulitis ist. Sie nehmen eine
im Anfang akute Entzündung an, welche jedoch bald in einen äußerst
chronischen Prozeß übergeht. (Derm. Zt., Bd. 19, H. 7.)
Eugen Brodfeld (Krakau).
Ueber die „Ausfallserscheinungen“ bei der physiologischen und
bei der artefiziellen antezipierten Klimax berichtet A. Martin. Dabei
hat er seit langer Zeit neben den Fällen unzweifelhaft erhöhten Blut-
drucks auch solche beobachtet, wobei es sich unverkennbar — bei sonst
völlig einwandfreier Verfassung des Gefäßapparats — um erhebliche
Senkung des Blutdrucks handelt. Seit etwa Jahresfrist hat er in der-
artigen Fällen von Herzschwäche — einer Anregung Ed. Martins
folgend — von dem Suprareninum hydrochloricum syntheticum
Gebrauch gemacht. Er ließ von der Lösung 1:1000 — je nach der
Konstitution des Patienten — fünf bis acht Tropfen ein- bis dreimal
täglich nehmen. Von 14 Kranken haben elf ein bis vier Monate lang,
allerdings nicht täglich, aber doch ohne längere Unterbrechung, diese
Tropfen genommen. Bei allen konnte der Verfasser eine deutliche
Kräftigung des Herzens wahrnehmen, alle empfanden eine wesentliche
Abnahme ihrer Beschwerden, besonders der Mattigkeit, der Kopfschmerzen
und der Schlaflosigkeit. Die Wirkung hielt allerdings nur stundenlang
an, die Dosis mußte wiederholt werden. Eine kumulative Wirkung war
nicht festzustellen. Keine dieser elf Patientinnen hatte erkennbare Magen-
störungen empfunden. Der Verfasser empfiehlt eine Nachprüfung dieser
Beobachtungen. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 37.) F. Bruck.
Von der Hypothese ausgehend, daß eine der Bedingungen für
das Entstehen des Asthmas eine krankhafte Veränderung in der Zu-
sammensetzung des Blutes sei, wie solche unter anderm durch Er-
krankung der Drüsen mit innerer Sekretion, namentlich der Nebennieren,
der Hypophyse und der Geschlechtsdrüsen, herbeigeführt wird, verabfolgt
O. Weiß zur Beseitigung des Asthmaanfalls mit bestem Erfolg eine
wäßrige Lösung von Nebennierenextrakt in Verbindung mit einem
Extrakt aus dem infundibulären Lappen der Hypophysis cerebri,
und zwar als subcutane Injektion. Diese Lösung wird in Ampullen unter
dem Namen „Asthmolysin“ von der Firma Dr. Kade (Berlin SO. 26) in
den Handel gebracht. Jede Ampulle enthält 1,1 ccm Asthmolysin, und
zwar an Nebennierenextrakt 0,0008 und an Hypophysenextrakt 0,04, dazu
einige unwesentliche Zutaten, die den Zweck haben, die Lösung voll-
kommen haltbar zu machen. Die subcutane Injektion von Nebennieren-
extrakt allein soll nach dem Verfasser den Asthmaanfall auch nicht an-
nähernd so prompt und so häufig beeinflussen wie die obige Kombination
(D. med. Woch. 1912, Nr. 38.) F. Bruck.
Zur Diätetik der Nierenkranken äußert sich A. Kakowski.
Er hebt unter anderm die Tatsache hervor, daß Fleisch fast nie unmittel-
bar nach dem Schlachten, vollständig frisch, sondern gewöhnlich erst nach
einiger Zeit zur Nahrung verwandt wird, wenn die Zersetzungs-
prozesse schon begonnen haben und sich je nach den Umständen eine
größere oder kleinere Menge von Produkten der Lebenstätigkeit der
Bakterien gebildet hat. Die Schädlichkeit der im Fleisch enthaltenen
Gifte für die mit eignen Giften belasteten Nierenkranken wird niemand
1718
in Abrede stellen. Von diesem Standpunkt aus ist z. B. ein zu Hause
geschlachtetes Huhn oder ein absolut frischer, lebend erstandener Fisch
dem Fleisch oder gar der Wurst, den Räucherwaren, Fleischextrakten
usw. vorzuziehen. Anderseits kann eher gekochtes Fleisch als Wildpret,
importierte Fische, Fischkonserven, Austern und dergleichen gestattet
werden. | Bed
Der Verfasser weist ferner besonders auf den Kürbis (mit Reis,
Sahne usw. zubereitet) als diätetisches Mittel bin. Seine Wirkung ist:
eine sehr starke Zunahme der Harnmenge und der Chloride, rasche Ab-
nahme der Oedeme und entsprechendes Sinken des Körpergewichts, Ab-
nahme der Cylinder, Erythrocyten und Nierenepithelien, alkalische Harn-
reaktion, leichte Abführung und Verschwinden der urämischen Erschei-
nungen. Guter Herrenkürbis ist daher bei Nephritis, besonders bei
hydropischer (von Oedemen begleiteter), jedenfalls zu den besten Nähr-
mitteln zu zählen. |
Nach dem Grundsatze, die Nieren ohne Schaden für den ganzen
Organismus zu schonen, soll der wesentlichste Punkt der Diätverordnung
bei Nephritis das Bestreben sein, für jeden Patienten im besondern eine
Kost ausfindig zu machen, die zur Erhaltung des Ernährungsgleich-
gewichts (gegen 2500 Calorien) hinreicht und daneben so wenig wie
möglich schädliche Produkte zuführt, da Nierenkranke mehr oder weniger
unter den eignen Giften zu leiden haben. Diese Forderung erfüllt die
überwiegend laktovegetabilische Nahrung in ausreichendem Maße.
Das Bedenken, daß sie zur Gleichgewichtserhaltung nicht genüge, wird vom
Leben selbst zerstreut, das zeigt, daß sich der weitaus größte Teil der
Bevölkerung der ganzen Welt auf diese Weise ernährt. (Berl. kl. Woch.
1912, Nr. 38.) . F. Bruck.
Wie Alfred Hauptmann aus der Psychiatrischen und Nerven-
klinik der Universität Freiburg i. B. (Geheimrat Hoche) berichtet, ist
das Luminal natürlich kein Heilmittel der Epilepsie, es beeinflußt nicht
specifisch den epileptischen Gehirnprozeß, sondern es kann höchstens
imstande sein, die Erregbarkeit der Hirnrinde herabzusetzen und auf diese
Weise die Anfälle hintanzuhalten. Nach den Erfahrungen des Verfassers
scheint nun das Luminal die Zahl und Schwere der Anfälle herabzu-
setzen. Sein Anwendungsgebiet wird es hauptsächlich bei jenen aller-
schwersten Fällen von Epilepsie finden, die selbst durch die höchsten
Bromdosen nicht mehr beeinflußt werden. Mittelschwere Fälle werden
schon durch Dosen von 0,15 bis. 0,2 pro die anfallfrei gemacht, bei
schweren braucht wohl nicht über 0,3 hinausgegangen zu werden. Irgend-
welche schädliche Nebenwirkungen sind selbst nach monatelanger täg-
licher Verabreichung nicht beobachtet worden, speziell trat keine kumu-
. lierende Wirkung auf. Luminal kann deshalb auch in den leichteren Fällen
das Brom dort, wo dieses infolge seiner Nebenwirkungen unangebracht
erscheint, zweckmäßig ersetzen. (M. med. Woch. 1912, Nr. 35.)
| F. Bruck.
Hexal, ein neues sedatives Blasenantiseptikum, empfiehlt
S. Boß bei: 1. Blasenentzändungen, akuten und chronischen, gleichgültig
welchen Ursprungs; 2. gonorrhoischer Entzündung des hinteren Teils der
Harnröhre, um die Infektion der Blase zu verhüten; 3. bakteriellen Er-
krankungen der Harnwege, also Pyelitis und Pyelonephritis; 4. harn-
saurer Diathese, harnsauren Ablagerungen in den Nieren und der Blase.
Im Hexal sind die beiden bewährten Blasenmittel, die stark sedativ
wirkende Salicylsäure, und zwar die Sulfosalicylsäure (das ist eine
durch Einführung der Sulfogruppe entgiftete Salicylsäure), und das bac-
tericid wirkende Urotropin (Hexamethylentetramin) chemisch mit-
einander verbunden. Das Präparat wird von der Chemischen Fabrik
J. D. Riedel in Berlin hergestellt und kommt in Tabletten zu 0,5 g und
als Pulver in den Handel. | |
Im allgemeinen genügt drei- bis viermal täglich 1 g. Man läßt
das Pulver oder die Tabletten, in einem Glase Wasser aufgelöst, nach
den Mahlzeiten laugsam nehmen. Sind die heftigen Entzündungserschei-
nungen zurückgegangen, so beschränke man die Dosis auf zwei- bis drei-
mal täglich 1 g. Das Mittel kann wochenlang genommen werden. Es
verursacht keine Magenstörungen und vor allem keine Reizung des Harn-
apparats. Das Hexal ist ferner geruchlos und hat einen angenehmen
zitronensäureäbnlichen Geschmack. In erster Linie beseitigt es rasch
die dysurischen Erscheinungen, das Brennen. und den Zwang nach dem
Urinieren, die längs der Harnröhre bis zum After ausstrahlenden
Schmerzen. In allen Fällen von Cystitis dürfen natürlich neben der
Darreichung von Hexal die allgemeinen hygienischen Maßregeln, wie
warme Umschläge und Bäder, Diät, Ruhe und dergleichen nicht vernach-
lässigt werden. Ist eine Lokalbehandlung indiziert, so wird durch die
gleichzeitige interne Verabreichung von Hexal raschere Heilung erzielt,
als mit der örtlichen Behandlung allein. (D. med. Woch. 1912, Nr. 86.)
Er | = F. Bruck.
Zur Heilung des Keuchhustens gibt es nach Heidenhain nur
gwei Mittel: Ortswechsel (und zwar in weiterer Entfernung) und
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
Chinin. Wegen des schlechten Geschmacks dieses Mittels verwende
man eine Chininlösung (2,0:200,0) als Klystier — selbstverständlich
ohne Säure, um eine Darmreizung zu vermeiden —, und zwar dreimal
täglich einen bis zwei EBlöffel voll, je nach dem Alter des Kindes. (M.
med. Woch. 1912, Nr. 33.) F. Bruck.
Gegen die Magenschmerzen bei Gastritis alcohollea:
Rp. Morphin. hydrochlor. . . 0,05
Cocaini hydrochlor.. . . 0,2
| Aquae . `. . &d 150,0.
Alle fünf Minuten bis zum Nachlassen der Schmerzen einen Kaffeelöffel
voll zu nehmen; jedoch nicht mehr als zehn Kaffeelöffel binnen
24 Stunden. (Rif. med. 1912, S. 668.) Rob. Bing (Basel).
‚Aus der Medizinischen Klinik in Zürich berichtet Otto Steiger
über unangenehme Begleiterscheinungen nach intramuskulärer In-
jektion von „Joha“ (einem 40°),igen Salvarsanpräparate). Der Ver-
fasser hat sich bei diesen Einspritzungen streng an die Schindlerschen
Vorschriften gehalten. Er verwendete immer die vorgeschriebene Ori-
ginalspritze, sodaß der Einwand, durch die Kanüle könnte das im „Joha“
enthaltene Salvarsan in den Stichkanal gebracht worden sein und dadurch
zu Infiltraten geführt haben, hinfällig ist. Auch wurde im äußersten
Drittel der Duhotschen Linie, die von der Spina iliaca anterior. zur Spitze
des. Kreuzbeins verläuft, eingestochen. Die Nadel wurde schräg nach
außen eingestoßen, um keine Nerven zu verletzen, und zwar so tief, bis
man auf die Fascie stieß. Seit Anfang dieses Jahres wurde die neue
abgeänderte Injektionsstelle in der Regio coxae des Glutasus medius be-
nutzt, wobei der Widerstand der straffen Fascie langsam überwunden
wurde. Nach der Injektion lagen die Kranken zweimal 24 Stunden ruhig
im Bette, sodaß eine Senkung des eingespritzten Salvarsans nicht mög-
lich war. |
Es wurden nun mit „Joha“ sechs Erwachsene behandelt, und zwar
erhielt jeder 0,6 Salvarsan. Kein einziger dieser Fälle verlief ohne
Beschwerden. Alle zeigten eine mehr oder weniger starke Infiltration
in der Umgebung der Injektionsstelle, ja zwei der Kranken boten ein
höchst unangenehmes Bild. Bei dem einen mußte daher ein Stück des
zum Teil nekrotischen Glutaeus medius in der Regio coxae entfernt
werden. Bei dem andern hatte sich ein fast kindskopfgroßer Absceß an
der Injektionsstelle gebildet. Die Untersuchung des Eiters ergab reich-
lichen Arsenikgehalt. Später mußte ein nekrotischer Pfropf mit der
Schere entfernt werden. Aber das genügte nicht, sodaß nichts anderes
übrig bleiben wird, als das infiltrierte und zum Teil nekrotische Muskel-
stück zu entfernen. |
Sicher ist, daß sich bei den hochdosierten „Joha“-Injektionen die
hochprozentige Salvarsansuspension im Muskel abgekapselt und daß sie
so ein Arsenikdepot gebildet hat. Es ist aber unwahrscheinlich, daß
eine erhebliche Salvarsanaufsaugung von diesen abgekapselten Herden aus
stattgefunden habe. (M. med. Woch. 1912, Nr. 37.) F. Bruck.
Die Wirkung des Hypophysenextrakts in der Geburtshilfe faßt
D. Grünbaum in folgenden Sätzen zusammen:
Der Hypophysenextrakt (Pituitrin, Pituglandol und Veporole) ist
ein ausgezeichnetes Mittel zur Verstärkung der- Wehentätigkeit
während der Geburt und zur Anregung von Wehen bei vollstän-
digem Wehenstillstand. Es wirkt um so intensiver, je mehr die Ge-
burt vorgeschritten ist, und zwar am besten, wenn der Muttermund
vollständig erweitert ist.
Dagegen ist es nicht geeignet zur Einleitung der künstlichen
Frühgeburt oder zur Beendigung eines Abortus. Ebensowenig hat es
einen deutlich wahrnehmbaren Einfluß auf die Nachgeburtsperiode. (M.
med. Woch. 1912, Nr. 38.) , F. Bruck.
Aus der psychiairischen Universitätsklinik in Zürich berichtet
Hans W. Maier tiber die „Sedo-Roche-Tabletten“. Er empfiehlt sie
überall da, wo man die Bromzufuhr mit einer mäßigen Kochsalz-
reduktion (salzarmen Kost) verbinden will. Jede Sedotablette wiegt
2 g, enthält 1,1 Bromnatrium, nur 0,1 Kochsalz und dazu als Würze koch-
salzfreie pflanzliche Extraktivstoffe und etwas Fett. Eine Tablette löst
sich leicht in 100 g heißen Wassers und gibt ohne jeden weiteren
Zusatz eine schmackhafte Suppe, die also eine etwa 1/oige Brom-
natriumlösung darstellt. In maximo werden vier Tabletten pro die go-
geben, das heißt mittags und abends je zwei Tabletten (in 200 g heißen
Wassers gelöst). Im übrigen wurde den Kranken empfohlen, die aus der
Küche erhaltenen Speisen nicht noch weiter zu salzen. Durch die „Sedo -
Suppe wird die gewöhnliche Suppe (oft die hauptsächlichste Kochsalz-
quelle unserer Nahrung) ersetzt. Da zu ihrer Herstellung nichts als
heißes Wasser nötig ist, kann sie jeder leicht zubereiten. In geschlossenen
‚Blechgefäßen aufbewahrt (da Brom leicht hygroskopisch ist), halten sich
die Tabletten gut.
20. Oktober.
In einem Falle (schwere Epilepsie) wurden 14 Tage lang vier Sedo-
"abletten pro die in Form von Suppen mit sehr gutem Erfolge genommen.
's stellte sich dann aber, wohl infolge der relativ hohen Tagesdosis von
„4 g Bromnatrium, schwere Bromulcerationen an beiden Unterschenkeln
in. Da die Wirkung der Sedotabletten auf das Nervensystem aber ge-
ade in diesem Fall eine ausgezeichnete war, wurden die Suppen in der-
elben Tagesmenge weiter gegeben, die Ulcera dagegen mit Auflegen von
Jnguentum cinereum behandelt, unter gleichzeitiger innerlicher Ver-
breichung von Arsen in der gewohnten Dosis. Die Wirkung war eine
berraschende; innerhalb zweier Wochen waren an einem Beine die tiefen
iewebsverluste ausgefüllt und mit Epidermis. überzogen, am andern kurze
it nachher. (M. med. Woch. 1912, Nr. 36.) F. Bruck.
John Strige Davis gibt in der Dezembernummer von Ann. of
urg. 1912 einen Bericht von seinen experimentellen Untersuchungen
ber die Transplantation von freien Lappen von Fascie. Die Fascie
rurde vom Ileotibialband der Fascia lata des Hundes genommen, hier
nd da auch von der Bauchfascie Die Fascie wurde in einfacher und
oppelter Schicht transplantiert, wo Adhäsionen nicht gewünscht wurden,
it der Innen-, das heißt Muskelseite nach dem Hohlraume hin, also
eim Peritoneum nach der Leibeshöhle zu, da erfahrungsgemäß dann
eniger starke Verwachsungen vorkommen. Die Ergebnisse sind in acht
uppen eingeteilt. Die erste betrifft die gelungene Transplantation in
ıbcutanes Gewebe, Fett, Muskeln, Peritoneum, Knochen, Knorpel, Sehnen
nd Ligamente. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß die Fascie
wre ursprüngliche Struktur beibehält und daß sie gut anwächst und
rnöhrt wird, auch wenn sie bis zu 35 Tagen in Kälte aufbewahrt worden
ar vor der Transplantation auf ein anderes Tier. Die zweite Gruppe
strifit die Fälle, wo Sehnen- und Muskeldefekte durch Fascienlappen
berbrückt worden waren. Für Sehnentransplantationen ist es besonders
ichtig, lange Fascienstreifen zur Hand zu haben. Es bestand nie Neigung
ır Verwachsung mit der Umgebung. Die dritte Gruppe umfaßt die
ersuche, Arterien, Venen und Nerven mit Fascie zu umgeben, ohne
nen Druck auszuüben. In .der vierten Gruppe waren frakturierte
nochen, die mit Fascienstreifen genäht worden waren. Die Fascie wirkt
cht als Fremdkörper und hat doch genügende Kraft zum Zusammen-
lten. In der fünften Gruppe waren Fascienlappen in Schädeldefekte
ngenäht worden zwischen Dura und Knochenränder und hatten sich als
äftige, widerstandsfähige Bedeckung erwiesen. Ebenso waren Defekte
der Trachea damit ausgefüllt worden, wobei es sich zeigte, daß die
chleimhaut über dem Defekt und der Fascie zusammenwuchs. In der
chsten Gruppe waren Fascienlappen in Peritoneum- und Muskulatur-
cken in der Bauchwand genäht worden und hatten sich gut an die
inder adaptiert, ohne daß es zu Verwachsungen mit den Därmen ge-
mmen wäre. Bei künstlich hergestellten Hernien der Bauchwand wurde
wch Einfügen von Fascienlappen eine haltbare Verstärkung der Bauch-
and erzielt. In den beiden letzten Gruppen wurden Stücke auf den
agen, die Leber, die Nieren, die Milz und Blase transplantiert. Beim
enschen könnte Fascie zur Verstärkung von genähten oder schwachen
ırtien dienen; auf rauhen, blutenden Oberflächen wirkt sie blutstillend.
Bei all diesen Experimenten traten nie Muskelhernien auf.
Es scheint, daß die Fascie genügend ernährt wird, wenn sie auch
r auf einer Seite mit lebendem Gewebe zusammenkommt. (Br. med. j.,
. Februar 1912, S. 314 B.) | Gisler.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik. |
Graduierte und ungradulerte Pipetten
und Pipettenfiaschen mit automatischer Saugvorrichtung
nach Suchy.
. Musterschutznummer: D. R. G. M. a. S:
Kurze Beschreibung: Auf die erweiterten oberen Enden de
Jettehsteigrohre sind Glascylinder gesetzt, welche über einer inneren
‚htung gleiten, wie aus den Abb. 1 bis 3 — durchbrochen gezeichnet —
ichtlich ist. Abb. 4 und 5 zeigen nach derselben Anordnung eine
schen- und eine Augenpipette. In Abb. 2 und 3 ist die automatische
agvorrichtung vermittels Stopfens auf die Pipetten aufgesetzt.
Anzeigen für die Verwendung: Für alle Zwecke des Pipet-
rens zur Abstellung des an sich unhygienischen und unappetitlichen
ıgens mit dem Mund in der Medizin und Chemie. Dasselbe Prinzip
" Augenpipetten und Pipettenflaschen angewendet, um die Gummi-
‚chen und -Bälle zu ersetzen. |
Anwendungsweise: Nach Einführung der Pipette in die Säuren
r andern Flüssigkeiten zieht oder dreht man bei verdecktem Loch
dem Rohrende den Glascylinder nach oben. Dann pipettiert man
ch Abheben des Fingers wie sonst oder auch durch langsame oder
sprechend schnelle Herunterführung des Glascylinders bei zugedrücktem
‚he. Die Vollpipetten (Abb. 3) größeren Inhalts pumpt man durch
t- und Herschieben des Glascylinders und abwechselndes Zudrücken
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
m — ae; nvrvvcir>>v vr HH
und Abheben des Fingers voll. Bei der 25 cm-Pipette in Abb, 3 braucht
man etwa 3 bis 4 Hub zum Vollsaugen.
Abb. i. Abb. 2. Abb, 3. Abb. 4, Abb. 5.
Zusatz: Bei den Augen- und Flaschenpipetten ist der Einfachheit
halber der Glascylinder ohne Loch, da man die gewünschten Tropfen
auch durch Herunterführung der Glaskappe bekommen kann.
Preis: Je nach Art und Größe. Augenpipetten 30 Pf., Pipetten-
flasche 65 Pf., bakteriologische Pipetten M 1,— bis 2,75, je nach der
Einteilung und Justierung. Ansauger für Vollpipetten 40 Pf., für Meß-
pipetten 35 Pf.
Firma: Dr. Heinrich Göckel, glastechnische Präzisions- und
Prüfungsanstalt in Berlin NW 6, Luisenstraße 21.
Bücherbesprechungen.
Alfred Adler, Ueber den nervösen Charakter. Wiesbaden 1912,
J. F. Bergmann. 195 S. M 650.
Die Freud-Literatur, die Literatur der Psychoanalysen und der
symbolischen Traumdeutungen, schwillt unheimlich an. Freilich „Viele
sind Tbyrsusschwinger, aber wenige Bakchen.‘“ Ob Adler wohl unter
die Bakchen im engsten Sinne zu rechnen ist? Er ist natürlich Freu-
dianer nach seinem Ausgangspunkte — aber nach seiner bisherigen Ent-
wicklung Ueberfreudianer und, wenn man will, zugleich Antifreudianer.
Denn er hat eine neue psychoanalytische Theorie ausgedacht, die der
Freudschen zuwider, in gewissem Sinn entgegenläuft. Während Freud
von der aflektiven Ueberwertigkeit (der erogenen Zonen) ausgeht und mit
dem Wunsche nach affektiver Lustbefriedigung und der als Reaktion da-
gegen gekehrten „Triebverdrängung‘“ operiert — so Adler, von einer
Minderwertigkeit der bezüglichen Organe (funktionellen Minderwertigkeit)
ausgehend, mit einer dagegen gekehrten „Sicherungstendenz“, die
insbesondere als „männlicher Protest“ bei ihm wirksam wird. Beide
arbeiten also mit einem verschiedenen Prinzip oder, für Psychoanalyse und
Traumsymbolik, mit Benutzung eines verschiedenen, natürlich auch zu
ganz andern Deutungen und Auslegungen führenden Schlüssels. Man hat
neuerdings beide Theorien als miteinander vereinbar, sich gewissermaßen
als positiv und negativ ergänzend hinstellen wollen (so Erwin Wex-
berg, Zt. f. Psychother. Bd. 4, H.2) — ob im Sinne der Autoren selbst,
bleibt freilich unentschieden. Genug also: mit diesem wunderbaren Chiffre-
schlüssel werden von Adler alle innersten Geheimräume der nervösen
Charaktere, alle Neurosen und Psychoneurosen, sexuelle Perversionen und
Inversionen usw. aufgeschlossen, analysiert und erklärt. Bei Mann und
Weib. Denn auch die Frauen bedienen sich der „Sicherungen“ und des
„männlichen Protestes“, weil sie sich als Frauen minderwertig fühlen,
weil sie insgeheim Männer sein wollen — die (nervösen) Männer dagegen,
weil sie sich als Männer irgendwie minderwertig empfinden und daher
ihren Charakter umwandelnde Kunstgriffe — eben die Symptome der
Neurose — kompensatorisch verwenden. Es ist unmöglich, von dem
Ideenlabyrinth, den „Theorien“ Adlers und ihrer auf so unermeßliche
Gebiete übertragenen praktischen Verwertung mit kurzen. Worten einen
veranschaulichenden Bericht zu geben; wer Mut genug dazu fühlt, muß
sich schon selbst hineinwagen. Die Kritik hat vor dreihundert Jahren
vorahnend der große Brite kurz und schlagend gegeben: „Ist dies gleich
Tollheit, hat es doch Methode“, A. Eulenburg (Berlin).
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1720 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 22. 20. Oktober.
Ph. Bockenheimer, Plastische Operationen. I. Band. Mit 258 zum
Teil farbigen Abbildungen und 3 Instrumententafeln. Würzburg 1912,
Kurt Kabitzsch. 160 Seiten. M 9,—.
Die Absicht Bockenheimers, den heutigen Stand der plastischen
Operationen in einer zusammenfassenden Bearbeitung darzulegen, ist
recht zu begrüßen. Das Werk ist auf zwei Bände berechnet. Der vor-
liegende erste enthält neben einer allgemeinen Einführung in die plastische
Chirurgie überhaupt die im Gesichte zur Ausführung kommenden plasti-
schen Operationen. Den weitesten Raum nehmen naturgemäß die Rhino-
plastik und die Operation von Hasenscharte und Wolfsrachen (bei welchem
die Operation als das heutige Normalverfahren bezeichnet wird) ein; doch
sind auch die mannigfachen andern Plastiken der Gesichtsweichteile ein-
gehend berücksichtigt. Die an sich schon recht klare Darstellung wird
durch die zahlreichen Abbildungen wirksam ergänzt; dabei sind besonders
die instruktiven schematisierenden Skizzen hervorzuheben. Aus dem
Bockenheimerschen Atlas chirurgischer Krankheitsbilder sind acht
Tafeln herübergenommen worden; sie sind schön und doch findet man
sie hier nicht ganz am Platze, würde sie gerne weggelassen sehen. Um
so angenehmer sind dafür die drei Tafeln mit der Zusammenstellung der
in der plastischen Chirurgie gebräuchlichsten Instrumente.
A. Wettstein (St. Gallen).
Leredde, La Sterilisation de la Syphilis. Paris 1912, A. Maloine,
147 Seiten, Fr. 2,50. f
Leredde hat ein lesenswertes Kompendium der Salvarsantherapie
geschafen. Es ist bewundernswert, wie er bei seinem nicht etwa so
sehr großen Material (er spricht von einigen Hundert von ihm selbst be-
handelten Fällen) den Stoff beherrscht und alle Möglichkeiten, Gefahren
‘und namentlich Erfolge der nun ja schon auf mehr als zweijährige Er-
fahrung gestützten neuen Therapie in klarer, geradezu elementarer Weise be-
spricht. Der Inhalt ist in vier große Kapitel eingeteilt, Allgemeines und
Technik, Gefahren und Dosierung, Wassermäannsche Reaktion, Sterili-
sation der Syphilis. Die Wassermannsche Reaktion hat erst eine in-
dividuelle Behandlung der Syphilis ermöglicht, viele Kranke müssen vom
allerersten Beginn an viel länger, viel intensiver behandelt werden als os
in früheren Zeiten geschah, und wir haben die Mittel dazu, ja wir haben
‚sogar die Mittel, ganz späte Folgeerscheinungen noch zu bessern: das ist
ungefähr die Quintessenz des Buches. Sollte diese (nicht von Leredde
entdeckte, aber von ihm mit Feuer und Geschick vertretene) Ansicht
durch sein Buch, das niemand ohne Genuß lesen wird, größeres All-
gemeingut der Aerzte werden als sie es bisher ist, dann hat das Werk-
chen, auch wenn man sich nicht mit allen darin ausgesprochenen An-
schauungen einverstanden erklären wird, seinen Zweck im weitesten
Sinne des Wortes erfüllt. Pinkus.
Arthur Gabriel, Die kassenärztliche Frage. Leipzig 1912, Max
von Criegern. 560 Seiten. M 8,—.
In unserer schnellebenden Zeit geraten nur zu bald die ersten An-
fänge, die fundamentalen Bedingungen in Vergessenheit, aus denen. heraus
sich große, weit umfassende Bewegungen entwickelt haben. Auch der
Aerztestand, zumal in seinen jüngeren Vertretern, steht zwar mitten
darin in den Fragen der Standesorganisation, der Kämpfe um die soziale
und ethische Hebung der deutschen Aerzteschaft, die im wesentlichsten
eben „die kassenärztliche Frage“ ist. Aber wie viele kennen denn den
inneren Zusammenhang, die Entwicklung, die Vorgsschichte? Da
stellt sich das Buch von Arthur Gabriel zur rechten Zeit als ein
sicherer, getreuer, objektiver Führer zur Verfügung. In eingehender,
oft fast etwas zu eingehender Darstellung entwickelt es die ganze Ge-
schichte der materiellen und ethischen Erniedrigung des ärztlichen
Standes durch die soziale Gesetzgebung und des Kampfes um die Wieder-
erbebung. Es erinnert uns daran, wie namentlich auch die Behörden
und gesetzgebenden Körperschaften sich immer wieder als Gegner
unserer wohlberechtigten Forderungen erwiesen haben, ganz besonders
das Reichsamt des Innern, das bei mehrfachem Wechsel in der
Leitung doch immer ärztefeindlich gewesen ist. Aber das Werk
führt uns dadurch auch aufs deutlichste vor Augen, daß die Aerzteschaft
eine Besserung in der verderblichen kassenärztlichen Frage nur durch
festen inneren Zusammenschluß, nur durch die Selbsthilfe erreichen
kann. Jeder Arzt, vor allem jeder, der sich auch nur etwas für das
Wohl und Wehe seines Standes interessiert, sollte im Besitze des
Buches sein. Soechting.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung),
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80,
Fibrom, angeblich nach Unfall entstanden, Zusammen-
hang verneint
von
Dr. Paul Frank, Berlin-Charlottenburg.
Der damals 37jährige Former Robert D. brachte am 10. Sep-
tember 1910 bei der Fabrik, in der er beschäftigt war, einen Un-
fall zur Anmeldung, welchen er am 23. April 1910 erlitten haben
wollte. Der Unfall sollte darin bestanden haben, .daß er mit der
linken Oberkörperseite auf einen Formkasten aufgefallen war. Es
hätten sich im Anschlusse daran heftige Schmerzen eingestellt, |
wegen deren er, nachdem er bis dahin die Arbeit fortgesetzt, am
13. Juni sich in Behandlung des Kassenarztes Dr. B. begeben
habe. Dieser stellte eine schmerzhafte, entzündliche Schwellung
der linken Achselhöhlendrüsen fest. Am 3. Juli 1910 suchte D.
einen andern Kassenarzt auf, dem er zuerst von dem Unfall etwas
sagte und der verschiebliche Verdickungen an der linken Brust-
seite unterhalb der linken Schulter feststellte, die er für Lymph-
drüsenschwellungen oder Geschwulstbildungen hielt. Dieser Arzt
‚überwies D. am 29. August an die Kgl. Klinik. Hier wurde
folgender Befund aufgenommen:
D. ist ein kräftig gebauter Mann von gutem Ernährungszustand
und befriedigender Muskulatur. Haut und Schleimhäute zeigen ausge-
sprochene Blässe. Die Untersuchung der inneren Organe läßt keine
krankhaften Veränderungen erkennen. Die Lungen bieten überall das
gewöhnliche Bläschenatmen dar bei lautem Klopfschall und freier Ver-
schiebbarkeit ihrer Grenzen. Die Herzdämpfung ist nicht verbreitert,
die Töne des Herzens sind rein und deutlich wahrzunehmen.
In der linken Achselhöhle fühlt man einen etwa hühnereigroßen,
harten, höckrigen Tumor (Geschwaulst), über den die Haut zwar verschieb-
lich ist, der aber anderseits mit der Unterlage fest verwachsen scheiht.
Es wurde am 30. August eine Operation vorgenommen, bei der
sich zeigte, daß die Geschwaulst vom sogenannten vorderen großen Säge-
muskel ausging. Es gelang, dieselbe in toto zu entfernen und stellte.
sich dieselbe makroskopisch wie mikroskopisch als Fibrom, das ist gut-
artigo Neubildung, heraus. Bei glattem Wundverlaufe konnte D. am
8. September bereits aus der Klinik entlassen werden.
Seitens des Arztes der Klinik wurde der beteiligten Berufs-
genossenschaft auf die Frage nach dem Zusammenhange zwischen
dem Leiden und einem Unfalle die gutachtliche Auskunft erteilt,
daß es sich bei D. um eine von der Fascie des vorderen großen
Sägemuskels ausgehende gutartige Geschwulst gehandelt habe.
Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Angaben über den Un-
fall wurde dem Glauben Ausdruck gegeben, daß ein Zusammen-
hang mit diesem Unfall anzunehmen sei. Die Klinik hielt es für
wahrscheinlich, daß die Geschwulst sich durch die Organisierung
eines bei der Verletzung entstandenen Blutergusses gebildet habe.
Im Gegensatze hierzu hielt der Vertrauensarzt der Berufs-
genossenschaft einen Zusammenhang zwischen dem Tumor und
dem Unfalle vom 23. April für ausgeschlossen. Er wies darauf
hin, daß, wenn diese Geschwulst sich aus einem Bluterguß ent-
wickelt hätte, dieser Bluterguß D. früher veranlaßt hätte, den
Arzt in Anspruch zu nehmen. Die Berufsgenossenschaft wies auf
Grund dieses Gutachtens ihres Vertrauensarztes den Renten:
anspruch des D. zurück. Aber auch der Schiedsgerichtsarzt
Dr. Engel erklärte, daß er den ursächlichen Zusammenhang des
Leidens mit dem behaupteten Unfalle schon aus zeitlichen Gründen
für ausgeschlossen hielte. Die Zeit vom April bis August sel
viel zu kurz, um eine so langsam wachsende Geschwulst wie ein
Fibrom entstehen zu lassen, und anderseits viel zu lang, um eim
rascheres Wachstum der bereits vorhanden gewesenen Geschwulst
herbeizuführen.
Geheimrat Körte, der vom Reichsversicherungsamt auf den
von D. eingelegten Rekurs hin als Obergutachter gehört wurde,
hat sich der Ansicht des Dr. Engel im Gegensatze zum Gutachten
der Kgl. Klinik durchaus angeschlossen. Er führt in seinem Gut-
achten aus, daß die Entstehung einer Neubildung nach einer
Quetschung, wie die stattgehabte, nur ganz langsam und allmäh-
lich erfolgen könne, besonders wenn es sich um ein Fibrom handle,
welches eine gefäßarme und langsam wachsende Geschwulst 80.
Selbst wenn die Angaben des D., daß eine Verletzung der Br-
krankung vorausgegangen sei, auf Wahrheit beruhen, so könne ef
| diese Verletzung nicht als Grund für die Entstehung der Ge-
schwulst ansehen.
Auf dieses Gutachten hin hat das Reichs-Versicherungsamt
den Rekurs gegen das die Rentenablehnung der Berufsgenossen-
schaft bestätigende Urteil des Schiedsgerichts zurückgewiesen.
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
1721
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- Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
I in Münster i. W. -
Chirurgische Sektion.
' Kausch (Berlin) spricht über paroxysmale Herzaktion. Er
schildert zwei Fälle. In einem Falle trat eine Pulsfrequenz von über
200 ein; die Haut der Patientin war bräunlich gefärbt, sodaß Addison
vorzuliegen schien. Durch Darreichung von Antithyreoidin wurde lang-
same Besserung erzielt. Zu bemerken ist, daß Beschleunigung bestand
trotz absoluter wochenlanger Ruhe. Auch nach Operation von Basedow
hat er erhebliche Pulsbeschleunigung beobachtet, in einem Falle Puls-
steigerung bis 214 nach doppelseitiger Resektion und ausgiebigster
Drainage, auf die er besonderen Wert legt. Die Pulssteigerung ging
allmählich völlig zurück. Er empfiehlt in allen diesen Fällen, die Zählung
am Herzen vorzunehmen. In einem Falle von Choledochusverschluß beob-
achtete er Brachykardie (32—48); nach der Operation (Beseitigung
einer narbigen Stenose an der Papille) trat völlige Genesung (Puls 80
bis 100) ein. Er faßt die Erkrankung als Myokarditis oder Neurose auf.
Burgh-Breitner betont, daß man das Coloid in der Schilddrüse
als unfertiges Sekret der Drüse auffassen müsse; ist es diekflüssig und
jodhaltig, dann liegt Hypothyreose vor, ist es dünnflüssig und jodarm,
dann Hypertbyreose. Diese Auffassung wird durch Resultate von Experi-
menten, bestehend in Resektionen der Drüse, nahegelegt. Durch die
Theorie der Komplexe erklärt er die verschiedenen Erscheinungen der
Schilddrüsenerkrankung.
Coenen teilt einen Fall von Chondrom der Schädelbasis mit,
ein Tumor, der außerordentlich selten ist. Es bestand Lähmung des
Hypoglossus. Unter Durchschneidung des aufsteigenden Astes des Unter-
kiefers in der Mitte konnte Redner den Tumor von Atlas und Epistro-
pheus ablösen. Der Tumor platzte dann und wurde der Rest mit scharfem
Löffel entfernt. Mikroskopisch wurde festgestellt, daß es sich um ein
Chondrom handelte, nicht um ein Chordom.
Müller (Rostock) teilt einen Fall eines faustgroßen Chordoms
mit, welches in den Schädel gewachsen war und dessen Beseitigung auf
Grund des Röntgenbildes als aussichtslos angesehen werden konnte.
Schulz (Barmen) spricht über die verschiedenen Arten der
Fisteln und Dermoide in der Sacrococeygealgegend, deren gründliche
Entfernung erstrebt werden müsse.
Tillmann (Köln) betont an der Hand von 34 selbstbeobachteten
Fällen von Hirntumoren, daß dieselben sehr häufig im Beginn unter
dem Bilde der Epilepsie verlaufen. Die Hälfte seiner Fälle waren vor-
her jahrelang wegen Epilepsie behandelt worden. Der operative Eingriff
ist nur dann gefährlich, wenn bereits Verblödung eingetreten ist. Von
Wichtigkeit ist bei der Operation die Blutersparnis, ferner Spülung mit
Kochsalzlösung von 40°. In einem Falle war durch Zufall die Lösung
kalt geworden, worauf er den Tod infolge Shock zurückführt. Joddesin-
fektion hält er nicht für zweckmäßig. Die Wunde muß völlig geschlossen
werden. Sorgfältige Betastung und Beklopfung geben vielfach Anbalts-
punkte für den Sitz der Geschwulst, auch zuweilen hyperästhetische
Zonen; doch nur Resultate wiederholter Untersuchungen können ver-
wertet werden. Die Röntgenuntersuchung ist meistens ohne Effekt, da-
zogen gibt die Punktion der Ventrikel oder des Gehirns öfter gute
Anhaltspunkte. Lumbalpunktion schadet oft, besonders bei Kleinhirn-
moren. Zu beachten ist, daß ein Tumor nicht notwendig erhöhten
Druck hervorrufen muß. — Ob durch ein Trauma ein Tumor hervor-
serufen werden kann, ist zweifelhaft. Auf jeden Fall ist es nicht richtig,
‚u sagen, daß höchstens zwei Jahre dazwischen liegen dürften, wenn ein
usammenhang bejaht werden solle. Dieser Zeitraum ist zu kurz. In
inem Falle glaubt er einen Zusammenhang zwischen Trauma und Tumor
hls wahrscheinlich annehmen zu müssen. Das Resultat der Operation ist
veit besser, wenn frühzeitig operiert wird. Die Fälle von Epilepsie sind
renau zu sichten und früher als bisher die ungefährliche Probetrepanation
‚u machen.
Coenen empfiehlt bei der Trepanation die lokale Anästhesie, die
r dreimal mit Erfolg ausgeführt hat; sogar die Hammerschläge wurden
‘on den Patienten nicht schmerzhaft empfunden; es muß das Periost
orgfältig anästhesiert werden. Die Ausscheidung des Narkotiseurs ist
chon ein Vorteil. Von anderer Seite wird betont, daß man bei der
kalen Anästhesie wegen der verringerten Blutung die vorherige Um-
techung der Hautwunde unterlassen könne.
Schmieden macht darauf aufmerksam, daß man bei der lokalen
ınästhesie die Centren nicht elektrisch reizen könne; infolge der Herab-
Se der firregbarkeit der Rinde muß ein zu starker Strom gewählt
erden.
Müller (Rostock) befürchtet, daß auch durch dftere Ausführung
er Probetrepanation die Resultate nicht wesentlich gebessert werden.
Vorschütz (Köln). Die bactericide Kraft des Biuts ist ab-
hängig von der Alkalescenz desselben. Eigne Experimente ergeben,
daß das angesäuerte Blut weniger Gift überwinden kann wie das nicht
angesäuerte; infolgedessen hat er den Kranken, und zwar den Erwachsenen
30 g täglich, den Kindern 10 g täglich NasCOs gegeben, und zwar bei
septischen Prozessen. Vor allem konnte festgestellt werden, daß die
Kranken sich subjektiv hiernach wesentlich besser fühlten und daß sich
meistens auch die objektive Besserung anschloß. Einmal wurde bei
Sepsis nach Scharlach starke Albuminurie beobachtet, bei der Darreichung
von NaCO; schwand die Albuminurie, die nach Aussetzen des Medika-
ments wieder eintrat, um bei erneuter Gabe definitiv zu verschwinden.
In einzelnen Fällen wurden gleichzeitig mit bestem Erfolge hohe Dosen
von Adrenalin gegeben.
Goebell (Kiel) zeigt einen Patienten, welchem im Alter von vier
Jahren infolge eines Sarkoms ein Teil des Unterkiefers entfernt worden
war; jetzt, 15 Jahre später, hat er diesen Defekt mit Erfolg durch
überpflanzte Rippe mit Periost ersetzt. Bei der Operation ist es wichtig,
die Mundschleimhaut völlig zu schonen. Die bereits vorhandene Innen-
rotation der hinteren Molarzähne wurde durch eine Schienenvorrichtung
während der Einheilung beseitigt.
Unter Bezugnahme auf den Vortrag vom 16. September in der
allgemeinen Sitzung zeigt Czerny eine ganze Anzahl von Bildern von
Patienten, die wegen maligner Tumoren konservativ behandelt worden
sind. Es handelte sich meistens um Fälle, die schon mehreren Opera-
tionen wegen Rezidive unterworfen worden waren. Unter mannigfaltigster
Behandlung, Röntgenbestrahluug, Anwendung von Mesothor, Exeision
mittels des elektrischen Lichtbogens, Fulguration, Injektion von Thor-
präparaten wurde ein völliges Schwinden großer Tumoren beobachtet und `
Jahre hinaus festgestellt. Auch die Cholininjektion zeigte bei Mäuse-
tumoren auffallend gute Einwirkung, hingegen ist sie bei Menschen nicht
ganz schmerzlos. Es bedarf erst noch weiterer Erfahrungen, ehe das
Präparat in den Handel gebracht werden kann. Günstige Einwirkung
wurde auch erzielt durch Bestrahlung mit Röntgen bei einem vorgela-
gerten Magencarcinom, sowie bei einem Kardiacarcinom, bei welchem
durch eine Magenfistel hindurch die Bestrahlung ausgeführt werden konnte.
Nobel (Wien) zeigt eine große Anzahl von Elektrokardiogram-
men, die die Beeinflussung des Herzens durch die Chloroformnarkose
nachweisen; Atropin, welches aber intravenös zur besseren Resorption
injiziert werden muß, erzielt hemmende Wirkung auf die Schädigung
der Narkose. Die Schädigungen durch Aether sind weniger schwer und
leichter ausgleichbar. |
In der Diskussion wird betont, daß bei normaler Narkose selbst
bei langer Anwendung eine besondere Aenderung am Kardiogramm nicht
erkennbar ist.
Dreesmann (Köln) betont, daß die Behandlung des Klumpfaßes,
wie auch von vielen, wenn auch nicht von allen anerkannt, möglichst so-
fort nach der Geburt beginnen soll. Sie muß aber dann so gestaltet sein,
daß auch der praktische Arzt in der Lage ist, die Behandlung selbst zu
leiten und zu überwachen. Die von v. Oettingen und Finck empfohlene
und in der Hand des Orthopäden bestbewährte Methode ist hierfür zu
kompliziert. Auch die Anlegung von Gipsverbänden stößt bei den Säug-
lingen auf große Schwierigkeiten. Dagegen hat sich eine einfache Ban-
dage als außerordentlich zweckmäßig erwiesen. Dieselbe besteht aus einer
Metallsoble für den Fuß, die vermittels einer Lederhülse über dem Fuß-
rücken am Fuße befestigt wird. Eine von der Fußsohle über die Ferse
ziehende Kappe, mit Schnallen über den Knöcheln fixiert, hindert das
Abgleiten der Fußsohle nach vorn. Von dieser Fußsohle gehen an der
Außenseite zwei Gummigurte aus, einer im Bereiche des Grundgelenks
der kleinen Zehe, der zweite an der Ferse. Dieselben werden an einer
ledernen Oberschenkelhülse bei gebeugtem Knie angeschnallt, so fest, daß
der Fuß in die richtige Lage zu stehen kommt. Die Oberschenkelhülse
selbst ist an der Außenseite, um das Herabgleiten zu verhüten, an einem
Beckengurte befestigt. Der Beckengurt kann bei kleinen Säuglingen aus
einem einfachen Gurtbande bestehen. Um das Herabziehen dieses Gurtbandes
zu verhüten, gehen von demselben zwei Gurtbänder aus, die über die
Schulter geführt sind und sich sowohl im Rücken- wie auf der Brust
kreuzen. Ze
Lediglich unter Zuhilfenahme dieses einfachen Apparats, der leichte
Ueberwachung gestattet und der die Beweglichkeit der Gelenke nicht
einschränkt, ist es Vortragendem gelungen, innerhalb weniger Wochen
bei Säuglingen eine vollständige Korrektur von schwerstem Klumpfuße
zu erzielen. Selbstverständlich wird der Apparat‘ noch längere Zeit,
später nur mehr nachts getragen werden müssen, bis das Kind gehen
kann und durch normale Belastung ein Rezidiv verhütet wird. Bei älteren
Kindern wird man am zweckmäßigsten ein unblütiges Redressement der
Apparatbehandlung vorausschicken. (Demonstration.)
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| Die Distraktionsklammern sollen erst nach Ablauf der Weichteil- -
1722
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
20. Oktober.
Schultze (Duisburg) glaubt, daß die beste Zeit für den Beginn
der Klumpfußbehandlung das Ende des ersten Lebensjahrs sei und emp-
fiehlt ausschließlich die gewaltsame Redression mit nachfolgender Fixation.
Müller (Rostock) berichtet, daß er bei einem älteren Manne mit
schwerstem Klumpfuß an der Außenseite des Fußes eine Keilexeision
vorgenommen habe und daß er diesen Keil in den operativ gesetzten De-
fekt an der inueren Seite des Fußes eingepflanzt habe. Der Erfolg war
sehr gut. l
Schultze betont, daß man jeden Klumpfuß, auch bei älteren
Leuten mit Apparaten, allerdings nicht manuell, redressieren könne,
Becher ist unter Umständen für operative Eingriffe, die in kürzerer
Zeit schon zum Ziele führen und gute Resultate liefern.
Dreesmann betont, daß im ersten Lebensjahre die Redression
leichter gelinge und daher bei frühzeitigem Beginne der Behandlung mit
dem von ihm empfohlenen Apparate meist Heilung erziele; sollte sie bis
zum Ende des ersten Lebensjahrs nicht erreicht sein, so sei noch Zeit
genug, die gewaltsame Redression mittels Apparaten anzuwenden, dis ja
nach Schultze vorher überhaupt nicht am Platze sei.
Morian (Essen) stellt einen Patienten, einen jungen Mann vor,
der nach einem Trauma allmählich ein hartes Oedem der linken Hand
bekommen hat. Nach mehreren Eingriffen (eingelegte Seidenfäden, In-
cision) schwand das Oedem jedesmal, um aber bald wieder in der früheren
Stärke zurückzukehren. An der Excisionsstelle (zum Zwecke der mikro-
skopischen Untersuchung) hat sich ein torpidos Geschwür entwickelt. Die
bisherigen theoretischen Erklärungen ähnlicher Fälle können zurzeit noch
nicht befriedigen. Analoge Fälle werden von Kausch und Becher
berichtet.
Hackenbruch (Wiesbaden) weist auf die Nachteile der bisher
angewandten Behandlungsmethoden (Extension, Gipsverbände) bei
.Knochenbrüchen hin. Da es sehr wichtig sei, die Kranken mit Unter-
schenkelbrüchen recht früh aufstehen zu lassen, so legte er nach. querer
Durchtrennung des Gipsverbandes zu beiden Seiten desselben eine
KaeferscheDistraktionsklammer an und verschaffte so dem Patienten einen
mehr gesicherten Halt für das Auftreten. Die Kaefer-Klammern ge-
statten indessen nur eine Distraktion in der Längsrichtung, deshalb
änderte er dieselben zweckentsprechend um. Durch kugelgelenkige Ver-
bindung der Fußplatten mit dem in Stahlbichsen verlaufenden Gewinde-
stabe, sowie unter paarweiser Verwendung dieser neuen Distraktions-
klammern, welche zu beiden Seiten des in der Frakturebene circulär
durchtrennten Gipsverbandes durch Gipsbinden befestigt sind, wird es
nach erfolgter Längsdistraktion durch die gelösten und leicht feststell-
baren Kugelgelenke ermöglicht, einen wirksamen Einfluß auf die genaue
Einrichtung der Fragmente des Knochenbruchs auszuüben und letztere in
dieser reponierten Stellung bis zur knöchernen Vereinigung zu erhalten.
Wenn, wie an einem Phantom gezeigt wird, die vier Kugelgeienke der
zu beiden Seiten angegipsten Klammern gelöst werden, so kann, da der
Gipsverband ciroulär durchschnitten ist, das untere Bruchstück sowohl
nach innen als nach außen, nach vorne und hinten verschoben und ferner
nach innen und außen rotiert werden. Die gewonnene gute Stellung wird
durch Festschrauben der Kugelgelenke bei gleichzeitiger Distraktion: bei-
schwellung, also acht bis zehn Tage nach erfolgtem Knochenbruche, be-
nutzt werden. Der erste Verband wird dann entfernt und bei recht-
winklig gebeugtem Knie ein Trikotschlaueh von den Zehen bis zum Knie
gezogen. Zur Polsterung werden flache Faktiskissen (pulverisierter
Gummi) verwendet, welche für die Kniekondylen Manschettenform haben,
für die Druckstellen am F'ußrücken, der Achillessehne und den Knöcheln
nach dem Modell einer Fußextensionslasche angefertigt sind. Diese
Faktiskissen müssen oben am Knieanteile des Unterschenkels und unten
am Fuße mittels Cambrickinden fest angewickelt werden. Darüber kommt
ein dünnschaliger Gipsverband, der von den Zehen bis zum Knie reicht.
Sobald der Verband erhärtet ist, wird er in der Bruchebene der Tibia
eirculär durchschnitten und dann werden die vorher in ihren Kugelgelenken
in gerader Richtung leicht festgestellten Distraktionsklammern, das heißt
deren längsgestellte Fußplatten, durch Gipsbinden derartig am Verbande
befestigt, daß die Drehknöpfe in die Ebene des circulären Spaltes des
Gipsverbandes zu liegen kommen. Die beiden längsseitig augegipsten
Klammern, welche möglichst symmetrisch anzulegen sind, wirken vor-
läufig nur als stützende Schienen des Verbandes. Andern Tags wird
durch Umdrehung der Drehknöpfe des Gewindestabs (abwechselnd innen
und außen) die Distraktion begonnen und kann dank der Faktispolsterung
in kurzer Zeit schon soweit getrieben werden, daß die Verkürzung des
Beins beseitigt ist. Nach Lösung der vier Kugelgelenke (je zwei an jeder
Klammer) wird dann unter Kontrolle mit Röntgen die seitliche Dislokation
beseitigt.
Bei schwierigen Fällen bezüglich der seitlichen Verschiebung be-
nutzt H. eine kleine Hilfsschraubenvorrichtung, welche aus einer in ihrer
Höhe reguliorbaren Druckpelotte, einem verbindenden Schraubenstift und
einem gabelförmigen oberen Ansatzstücke besteht. Die Pelotte wird auf
das wegzudrückende Knochenende gesetzt, das gabelförmige Ansatzstück
gegen den Längsgewindestab der gleichseitigen Distraktionsklammer;
durch Umdrehung einer kleinen runden Schraubenmutter des Verbindungs-
stifts kann man dann auf das betreffende Knochenstück einen seitlichen
Druck ausüben und dasselbe nach der erforderlichen Seite hinüberschieben.
Mit Vorteil werden diese Distraktionsklammern angewandt bei
Malleolenbrüchen, den Kondylenbrüchen an der Tibia und dem Femur,
bei den verschiedenen Brüchen am Oberschenkel, bei den analogen
Knochenbrüchen am Vorderarm und Oberarm, auch bei den Frakturen
der Wirbelsäule. |
Vorschütz (Köln) berichtet, daß er zur Heilung der Torsions-
brüche vor Jahren auch eine Schiene konstruiert habe mit Distraktions-
vorrichtung. Die Befürchtung, daß Decubitus eintrete, habe sich bewahr-
heitet. Die von Hackenbruch empfohlenen Faktiskissen dürften viel-
leicht geeignet sein, den Decubitus zu verhindern. Dreesmann.
(Fortsetzung folgt.)
37. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege in Breslau, 3. bis 6. September 1912.
Die diesjährige Tagung war von zirka 250 Mitgliedern, darunter
einer großen Zahl namhafter Mediziner, besucht. Nach der Eröffnung durch
den Vorsitzenden Peters (Magdeburg), der Begrüßung durch die Ver-
treter der Regierung, der Stadt, die den Teilnehmern eine fast 500 Seiten
starke, sehr beachtenswerte Festschrift über das Gesundheitswesen Breslaus
überreichen ließ, und der Universität (Pfeiffer) erstattete das
I. Reterat Mayer (München): Massenerkrankungen durch Nah-
rungs- und Genußmittel. In gedruckten Leitsätzen kommt der Vor-
tragende zu folgender übersichtlicher Gruppierung:
A. Massenerkrankungen durch chemische Gifte anorganischer und
organischor Herkunft können entstehen durch:
1. Giftige Beimengungen zum Mehl (Blei, Mutterkorn, Kichererbse,
Kornrade), ,
. Fette (Marattifett, ranzige Fette),
. schwere Alkohole (Methyl-, Propyl-, Buthyl-, Amylalkohol),
. Beimengungen zu Branntweinschärfen (Wacholderdl, Pfefferminzöl,
Piperin aus schwarzem Pfeffer),
. Pilze (Muscarin des Fliegenpilzes, Helvellasäure der Lorchel,
Phallin des Knollenblätterschwamms),
. Muscheln (Mytilotoxin der Miesmuschel),
. giftige Fische (Barbencholera).
B. Massenerkrankungen durch Bakterien und ihre Giftstoffe können
entstehen durch: Ä
1. Fleisch kranker und besonders wegen Krankheit notgeschlachteter
Tiere und aus deren Fleisch hergestellte Erzeugnisse, roh oder
zubereitet,
. Fleisch kranker Fische, roh oder zubereitet, |
10 a P 0 oO
v N
Fleisch von Warm- und Kaltblütern, welches womöglich noch
durch „Präservesalze“ „konserviert“ wurde,
4. Nahrungs- und Genußmittel aller Art, welche durch die Hände
von kranken oder gesunden Trägern von Bakterien der Para-
typhus-Enteritisgruppe berührt wurden,
. unzweckmäßig hergestelltes oder aufbewahrtes Speiseeis,
. unzweckmäßig aufbewahrte Mehlspeisen,
Bruch- und Fleckeier,
. Käse, besonders Weichkäse,
. ungenügend zubereitete oder aufbewahrte Fleisch- und Gemüse-
konserven, namentlich in Blechbüchsenpackung.
C. Massenerkrankungen durch Trichinen entstehen stets, wenn das
Fleisch trichinöser Tiere (Schweine, Wildschweine, Hunde, Dachse, Bären)
roh oder ungenügend lange gekocht, geräuchert oder gopökelt 5
nossen wird.
Die Grundlagen für diese Leitsätze gibt Referent in einer für
Kongreßvorträge geradezu vorbildlichen Form in zahlreichen Tabellen
und Bildern, deren Projektion die Bemerkung vorausgeachickt wird,
daß die Nahrungsmittelherstellung zweifellos ein gesunder Betrieb ist,
es sich nur um einzelne Schwächen und Auswüchse und Verfehlungen
Einzelner handelt. Es ergibt sich aus den historischen Daten, dab die
Bestrebungen zur Vermeidung solcher Massenerkrankungen bis IN das
Jahr 1550 vor Christi zurückgehen uud ganz vorzügliche zur Blütezeit
der Reichsstädte im Mittelalter waren. Bei den aktuellen Vergiftungen
der letzten Jahre verweilt Redner länger, indem er die deletären Wir-
kungen des Methylalkohols durch Gehirnpräparate Dr, Rühles (Ucht-
sam a
. unzweckmäßig oder zu lange aufbewahrtes, rohes oder zubereitetes
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42,
1723
springe) vom Hunde mit starken Blutungen, Auseinanderdrängung der Mark-
fasern usw. belegt und im Anschluß an die Altonaer Margarinevergiftung
(Marattifett) ausdrücklich hervorhebt, daß sie seit dem Aufkommen der
deutschen Margarineindustrie (jährlicher Verbrauch zirka 100 000 000 kg)
in den 70er Jahren die erste war, entstanden ist durch das Bestreben,
neue billige Fette in den Handel zu bringen. Man soll gegen maschinendl-
ähnliche Fette keine Vorurteile haben, wenn sie unschädlich und ver-
daulich sind und Wert und Preis einander entsprechen. Manche Ver-
giftungen kommen nicht so häufig vor als im allgemeinen angenommen
wird, z. B. Käse- und Fischvergiftungen. Manche Substanzen sind fälsch-
lich als die Träger der Giftwirkung angenommen worden, wie die Vanille
in Eierspeisen und das Solanin in den Kartoffeln, deren langes Stehen
nach dem Schälen bis zur Verarbeitung der Bakterienzersetzung Raum
verschafft. Muscheln und Schnecken wirken giftig, wenn sie in der Nähe
der Einmündung: von Kloaken sitzen, nicht, wenn sie in flioeßendem Wasser
sind; die schleswig-holsteinische Auster unterscheidet sich in vorteilhafter
Weise vor ihrer englischen Kollegin. Während München in den markt-
polizeilichen Maßregeln gegen giftige Pilze durch Zulassung nur bestimmter
Arten, immer feilzuhalten in gesonderten Körben, durch Verbot des Verkaufs
geschnittener Pilze und des Hausierhandels vorbildlich dasteht, fallen ander-
seits die neuesten Trichinoseepidemien auf Bayern, während seit Ein-
führung der Trichinenschau um das Jahr 1900 in vielen andern Staaten
ein rapider Abfall zu konstatieren ist. Bei einem jährlichen Fleischver-
brauche von 50 bis 55 kg pro Kopf in Deutschland werden zirka 12000000 kg
jährlich vernichtet; die Hauptmasse der Notschlachtungen und Beanstan-
dungen entfällt auf die Kühe, auf die auch die meisten der bis 1909 vor-
gekommenen Massenerkrankungen durch Genuß des Fleisches kranker
Tiere (Enteritis und Eutererkrankungen) entfallen. 174 Massenerkrankungen
durch Fleischwaren mit rund 5000 daran beteiligten Personen hat Vor-
tragender zusammengestellt; die Wurstwaren stehen an der Spitze der
Ursachen, dann kommen die Fleischwaren im allgemeinen, dann das rohe
Hackfleisch. Es hat sich ergeben, daß dorthin, wo rohes und schlecht
gekochtes Fleisch genossen wird, die größte Zahl der Erkrankungen fällt;
Provinz und Königreich Sachsen stehen an der Spitze. Kranke Tiere
sind eher auf dem Lande, wo die Fleischbeschau nicht so ausgebildet ist,
Fleischwaren in den großen Städten, wo die Erkrankungen nicht so leicht
bekannt werden wie auf dem Lande, die Ursachen für Vergiftungen.
Man kann in í g Wurstsubstanz 16000000 Bakterien finden, und dies in
Würsten, die gegessen werden, ohne Schaden zu stiften, in einer Sorte
aber, die, wie andere Proben ergaben, auch steril sein kann; auf der
einen Seite also ein sauberes, auf der andern ein unsauberes Arbeiten.
Es erscheint als keine unbillige Forderung, daß man, wie bei der Milch
und beim Wasser, auch bei der Wurst eine bestimmte Keimzahl nor-
miert. Ohne Schädigung der Ware läßt sich eine Temperatur von 100°
erreichen (20 Minnten). Als Auswüchse sind ferner zu nennen: 2 bis 16 g
Faeces in 1 m Wurst, alte Sommel und Kaldaunen als die Bestandteile einer
Prima-Leberwurst, männliche und weibliche Geschlechtsorgane als Leberkäse.
Den Massenerkrankungen muß abgeholfen werden auf dem Wege
der polizeilichen Aufsicht und Verordnung, welcher, soweit noch nicht
vorhanden, reichs- und landesgesetzliche Unterlagen zu geben sind. In
dem diesbezüglichen Entwurf einer distriktspolizeilichen Verordnung stellt
der Referent 14 allgemeine und 23 besondere Bestimmungen auf. Aber
auch der Weg der Belehrung von Produzent und Konsument soll be-
gangen werden. Das Reichsgesundheitsamt arbeite auch für dieses Ge-
biet ein Merkblatt aus und man sorge bereits beim Schulunterrichte für
die Verbreitung von Kenntnissen über Entstehung und Verbreitung der
Massenerkrankungen durch Nahrungs- und Genußmittel.
Il. Ed. Brackenhoeft (Hamburg): Die Feuerbestattung und
ihre Ausführung. Die Feuerbestattung, deren technischer Teil und
Ritus genau geschildert wird, leistet nicht nur den Anforderungen der
Pietät vollauf Genüge, sondern entspricht auch hygienischen und volks-
wirtschaftlichen Gründen. Neben der Versicherung der nächsten An-
gehörigen, daß die Feuerbestattung den Anschauungen des Verstorbenen
nicht widerspricht, ist für die Gestattung und Ausführung der Feuer-
bestattung die Feststellung der Todesursache durch einen beamteten Arzt
zu fordern. Die Aschenüberreste einer jeden Leiche sind in einem be-
sonderen Behältnis in einer behördlich genehmigten Bestattungsanlage
beizusetzen (Beisetzungszwang).
Diskussion: Riedel (Lübeck) erwähnt unter anderm, daß in
Lübeck das Zeugnis über die Todesursache nicht von einem beamteten
Arzte herzurühren braucht. Stadtrat Herbst (Elberfeld): Gegenüber der von
anderer Seite unter Berufung auf Virchow geäußerten Ansicht, daß die
alte Friedhofsbestattung auf Epidemien keinen Einfluß ausübe, erscheint
os doch auffällig, daß 1866 in Elberfeld besonders viele Choleraerkran-
kungen in der Nähe von Brunnen, die einer Friedhofsanlage benachbart
waren, auftraten. |
III. Oberingenieur Privatdozent Dr. Mautner (Düsseldorf-Aachen):
Schallsichere Bauten, Die Mittel zur Erreichung der Schallsicherheit,
einer hervorragenden Aufgabe der Hygiene, laufen zwar vielfach den
statischen Anforderungen, der Wirtschaftlichkeit und auch der Wärme-
dichtigkeit, einem andern hygienischen Postulat, zuwider. Es ist jedoch
durch sorgfältig von Fall zu Fall zu erwägende Mittel möglich, schall-
sichere Konstruktionen ohne wesentliche Beeinträchtigung anderer be-
rechtigter Ansprüche an ein neuzeitliches Bauwerk zu schaffen. |
Diskussion. Roth (Potsdam): Die Schalldämpfang ist gerade für
den Bau von Krankenhäusern und Sanatorien im Interesse der sehr häufig
besonders empfindlichen Patienten ein sehr zu berücksichtigender Faktor.
IV. Bruno Heymann (Berlin): Die Mückenplage und ihre
Bekämpfung. Die gesundheitlichen Schäden, die die Stechmücken
(Genus Culex und Anopheles) infolge ihrer großen, ja anscheinend zu-
nehmenden Verbreitung verursachen, sowie die wirtschaftlichen Einbußen,
die die besonders heimgesuchten Gegenden trotz sonstiger- Vorzüge er-
leiden, machen durchgreifende Bekämpfungsmaßregeln notwendig. Die
„Sommerbekämpfung“ soll die Entwicklung neuer Mücken in den warmen
Monaten verhüten. Sie umfaßt 1. Maßregeln gegen die Eier, Larven und
. Puppen, indem die Brutplätze beseitigt werden, sei es durch Regulierung
stagnierender größerer Gewässer, sei es durch künstliche Bewegung,
Bedeckung oder Entfernung kleinerer Wasserbehälter, wobei zu bemerken
ist, daß die Mücken sich zur Ablagerung ihrer Brut weniger große Ge-
wässer, als Scherben, Blechbüchsen usw. mit geringem stagnierenden
Inhalt aussuchen. Die Vernichtung der Larven und Puppen in vorhande-
nen Brutplätzen erfolgt durch chemische Zusätze, besonders Petroleum, Saprol
und Larveo], das auf die Oberfläche geschüttet wird, ferner durch Be-
günstigung beziehungsweise Züchtung mückenfeindlicher Wassertiere
(Fische, Wasserkäfer, Molche, Frösche) und -Pflanzen. Als Sommer-
bekämpfung kommt schließlich auch die Errichtung von Mückenfaig-
apparaten und Begünstigung mückenfeindlicher Landtiere und -Pflanzen
in Betracht. Gegen die in geschlossenen Räumen (Kellern) überwintern-
den Mücken richtet sich die sogenannte Winterbekämptung. Diese
zweite Methode erfolgt a) durch Bespritzen mit Chemikalien, b) durch
Ausräuchern, c) durch Abbrennen. Ferner ist eine Verfolgung der
im Freien überwinternden Mücken durch Aufstöbern oder Abtötung in
ihren Schlupfwinkeln in Betracht zu ziehen. Die Gemeinden müssen
detaillierte Bekämpfungspläne ausarbeiten, für eine sachverständige Ober-
leitung und geeignete Hilfskräfte aus ihrem Beamtenpersonal (Desinfek-
toren, Feuerwehrleuten, Promenadenpersonal) sorgen, die etwa zwei
Winter- und vier Sommermonate hindurch, das heißt an zirka 200 Ar-
beitstagen tätig sein müssen. Publikum und Behörden müssen die Maß-
regeln, deren jahrelange Fortführung nötig ist, nach Kräften unterstützen-
Für den persönlichen Schutz gegen die Mücken werden Schleier und
Netze, Räucherungen, Ventilatoren, Immunisierungsmethoden, riechende
Einreibungen und Salben herangezogen. Es sind Eucalyptusdl, Terpentin,
Extrakt von Knobloch und Zwiebeln empfohlen worden; manche verflüch-
tigen sich aber, an andere gewöhnen sich die Mücken; auch für die
Schmerzlinderung gibt es kaum etwas Brauchbares.
Diskussion. Mayer (München) verspricht sich von der Aus-
räucherung mit chemisch reinem Stangenschwefel, der mittels Spiritus in
einem Schwefeldesinfektor angezündet wird, nach Vorversuchen an
Wanzen gute Erfolge. Max Neißer (Frankfurt a. M.), der sich für das
Abbrennen im Winter ausspricht, hält auch das mindestens vierzehntägige
Abgehen der Tümpel usw. durch berufsmäßige Schnackentöter im Sommer
für nötig. Oberbürgermeister Ebeling (Dessau) fürchtet bei der allzu-
reichlichen Verwendung von Chemikalien, wie Saprol, für die Vogel-
welt, sieht nach den Dessauer Erfahrungen wertvolle Bundesgenossen im
Kampfe gegen die Mücken in den Stichlingen (Fischen). Czaplewski(Köln),
Riedel (Lübeck) berichten über die dortigen Erfolge; auch sie stimmen
dem Referenten bei, daß es wünschenswert und auch möglich ist, gegen
die Mückenplage etwas zu tun. Mayer: Die Vogelwelt leidet nicht
direkten Schaden; aber es kehren Vögel in Landstriche, die von aus-
geufertem Wasser bedeckt und damals mit dligen Flüssigkeiten behandelt
waren, nicht wieder. Max Neißeor glaubt, daß man ohne letztere nicht
gut auskommen kann, |
V. Die Frage der Wasserversorgung vom hygienischen Stand-
punkt unter Berücksichtigung des preußischen Wassergesetzent-
wurfs. 1. Referent: Luther (Magdeburg): Die Vorschriften, nach
denen künftig über die Wasserläufe verfügt werden soll, genügen auch
in hygienischer Beziehung, wofern man die Forderungen der Hygiene im
Einklang mit der Gesamtwasserwirtschaft hält. Protest ist gegen die
Beschlüsse der Wassergesetzkommission zu erheben, nach denen noch
nachträglich Ansprüche gegen die bereits bestehenden Grundwasserwerke
erhoben werden können. Ueberhaupt ist die Neureglung des Grund-
wasserrechts so ungünstig, daß viele Gemeinden vor der Anlegung von
Grundwasserversorgung zurückschrecken werden, was im Interesse der
Hygiene sehr bedauerlich ist. In andern Bundesstaaten liegt die Gesetz-
gebung günstiger als in Preußen. Ein einheitliches Reichswassergesetz
erscheint wünschenswert.
1724
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
2. Referent: Gärtner (Jena): Wassergeber und Wassernehmer
finden in dem Gesetzentwurfe vielfach allzuviel Berücksichtigung im Ver-
hältnis zu dem gesundheitlichen Interesse, das die Mitwirkung des Arztes
erforderlich macht. Leider wird man die Benutzung von Oberflächen-
wasser zu Trinkwasserzwecken nicht überall umgehen können, obwohl
` dazu nur Grundwasser benutzt werden sollte. Nach dem neuen Gesetze
wird unvernünftigerweise sich eine Besteuerung des Wassers ergeben.
Die Grundwasserversorgungen beziehungsweise Grundwasserentziehung
dienen überhaupt der Landwirtschaft, deren Schutz durch den Gesetzentwurf
ersichtlich bezweckt wird, da dort, wo das Grundwasser hoch steht, der
Ackerbau leidet infolge „saurer Wiesen“. Emil Neißer (Breslau.)
I. Kongreß zur wissenschaftlichen Erforschung des
Sportes und der Leibesübungen in Oberhof i. Thür.,
20. bis 23. September 1912.
Die Reihe der wissenschaftlichen Vorträge
(Berlin) mit dem Thema: Sportübertreibungen. In dem Sport sieht
er eine Betätigung, die der einzelne aus Neigung, aus Lust
und Liebe zur Sache selbst treibt. Aber er hebt hervor, daß der Sport
auch andern Zwecken dienen kann; vor allem kann er die Wehrtüchtig-
keit des Volkes fördern, was um so wichtiger ist, als die Umgestaltung
der sozialen Verhältnisse in unserer Zeit die Wehrtüchtigkeit zu ge-
fährden drohen, daß man bei den militärischen Aushebungen dem Habitus
asthenicus immer mehr begegnet, ebenso der Skrofulose, der Blutarmut
und andern Konstitutionsschwächen. Für alle diese Erscheinungen ist
nicht allein die einseitige geistige Ausbildung anzuschuldigen, sondern
vielfach auch sind die Gründe tieferliegender Natur. Gegen die ein-
seitige geistige Ausbildung wird von verschiedenen Seiten der Sport als
Aequivalent empfohlen, und das zum großen Teil mit Recht; aber man
darf nicht vergessen, daß Sport und Leibesübungen zwar als Heilmittel
viel Nutzen stiften können, selbst bei ganz entgegengesetzten Disposi-
tionen und Erscheinungen, aber nur dann, wenn er Scharf dosiert wird
und als ein nicht indifferentes Heilmittel angesehen wird. Dem Sport
in der heute allgemein geübten Form sollten sich nur diejenigen zu-
wenden, die körperlich kräftig genug dazu sind. Der Schwächliche soll nur
langsam zum Sport geführt werden und die Grenzen der Leistungen
niemals aus dem Auge verlieren. In dieser Hinsicht droht nicht nur
ein Schaden; er ist vielmehr schon hier und da hervorgetreten,
Nur zu oft zeigt es sich, daß übertriebener Sport auch beim gesunden
Menschen Funktionsstörungen hervorruft und zwar besonders Störungen
des Herzens und seiner rechten Kammer. Ist das beim gesunden
Menschen schon von einer gewissen Tragweite, so steigert sich die Be-
deutung dieser Schädigung ganz enorm, wenn es sich um Individuen
handelt, die an der Grenze zwischen normalen und pathologischen Zu-
ständen stehen, deren Organismus gewisse Schädigungen oder Anlagen
dazu auf die Welt gebracht hat, sei es, daß sie sich in einer verminderten
Nervenkraft äußern, die durch übermäßige Anspannung immer weiter er-
eröffnet Kraus
sorgfältig wie möglich vorgenommen werden, und dazu gehört vor allem
Beobachtung durch den geschulten Arzt. Die kritischste Zeit ist die des |
größten Wachstums und der Pubertät, und in dieser Zeit muß dem-
gemäß die Sorgfalt ganz besonders einsetzen. Man kann es dem jungen
Kinde noch nicht ansehen, ob sich in der Zeit des Wachstums nicht
Konstitutionsanomalien entwickeln werden.
E. A. Schmidt (Bonn) sprach über „Die Feststellung des
hygienischen Wertes des Schulturnens“. In hygienischer Beziehung
ist eine Grenze zu ziehen zwischen denjenigen, die Sport treiben
und den Schülern, die turnen. Sport treiben im allgemeinen nur gesunde
und kräftige Menschen; Schwächlinge halten sich fern vom Sportplatz.
Es wählt auch ferner jeder diejenige Sportart, die ihm auf Grund seiner
Konstitution, seiner Kraft und seiner Körperverfassung liegt. Im Gegen-
satz zu dieser freiwilligen Betätigung steht das Schulturnen unserer
Schuljugend, der das Turnen auferlegt wird und die sich nicht die ein-
zelnen Uebungen nach Neigung auswäblen kann. Die Art und Weise,
wie die körperliche Ausbildung in der Schulzeit geleistet wird, ist für
das ganze Leben entscheidend. Bei der Bedeutung dieser Frage ist eine
ganz besondere Sorgfalt auf das Turnen unserer Schuljugend zu verlegen-
Dabei ist noch besonders zu berücksichtigen, daß ein großer Teil der
Schuljugend nicht kräftig genug ist, ein anderer Teil unter dem Eindruck
konstitutioneller Krankheiten steht und, was besonders wichtig ist, ein
großer Teil unter ungenügender Ernährung leidet. So macht Vor-
tragender für die schlechte Körperhaltung, die falsche Stellung der
Wirbelsäule, die gerade bei Mädchen in den Schulen außerordentlich ver-
breitet ist, das Stillesitzen in der Schule an zweiter Stelle erst verant-
wortlich, an erster Stelle die Konstitution und Ernährung. Wenn beim
Sport Höchstleistungen erstrebt werden, so soll der Turnlehrer vielmehr
bei seinen Schülern nur an die Lösung von Durchschnittsaufgaben heran-
treten. Von großer Wichtigkeit ist es, daß bei jugendlichen Individuen
die Kreislaufverhältnisse anders sind als beim Erwachsenen, was sich
namentlich bei den Schnelligkeitsbewegungen zeigt. Wenn von dem
Turnunterrichte der Schüler die Rede ist, so soll das nicht bedeuten, daß
nur die Zeit bis zum 14. Lebensjahre in Frage kommt, sondern gerade
die Zeit vom 14. bis zum 17. Lebensjahre verdient hinsichtlich des Turn-
unterrichts die größte Berücksichtigung. Die Schüler der höheren Lehr-
anstalten genießen den Vorteil eines Turnunterrichts in dieser für die
Entwicklung des Menschen so wichtigen Zeit. Schlimmer daran sind die
weiten Schichten der Bevölkerung, vor allem die Lehrlinge in den ge-
werblichen Betrieben. Es ist ein großes Unglück, daß diese gewerbliche
Lehrlingszeit, welche so ungeheure Ansprüche an die geistige und körper-
liche Seite des heranwachsenden Menschen stellt, "zusammenfällt mit der
Zeit der Veränderung zweier sehr wichtiger Organe, des Herzens und
der Lunge. Für diese Zeit muß etwas geschehen, wenn nicht Raubbau
getrieben werden soll an unserer Jugend. Die Schüler der höheren Lehr-
anstalten haben in diesem Lebensalter Ferien, vielleicht zu viel Ferien,
die gewerblichen Lehrlinge dagegen haben keine Ferien und keine Er-
holung. Wenn sie abends in der staubigen Halle turnen, ermüdet von
ihrer Tagesarbeit, so haben sie damit ihrer körperlichen Ausbildung
keinen nennenswerten Dienst geleistet. Die Zeit zwischen Schule und
Militärdienst ist bis jetzt in der körperlichen Ausbildung ein Stiefkind,
das eine bessere Behandlung verdient und erfahren muß. Die Tuam-
stunden dürfen keine Ermüdung sein, sondern sie sollen eine Erholung
bedeuten. Die Art des Turnunterrichts, die Berücksichtigung der
einzelnen Berufsarten beim Turnunterrichte sind Fragen, die noch eines
gründlichen wissenschaftlichen Studiums bedürfen und die in der Tätigkeit
des neuen Forschungsinstitutes eine große Rolle spielen sollen. An einer
Forderung aber solite festgehalten werden, nicht nur für die Schüler,
sondern, so schwer es auch erscheinen mag, auch für die Lehrlinge, und
das ist der freie Nachmittag in der Woche, der ausschließlich dem Spiele
gewidmet sein soll, wo das Kind auch frei von Schularbeiten und Schul-
Sorgen zu halten ist. |
Fräulein R. Hirsch (Berlin) sprach über die körperliche Er-
tüchtigung der Frau. Solange das junge Mädchen die Schule besucht,
wird für ihre körperliche Ausbildung etwas getan. Viel weniger schon
nach dieser Zeit, und nach der Verheiratung gar nichts. Die Vernach-
lässigung der körperlichen Ausbildung ist eine grobe Unterlassungs-
sünde. Die Frau, die ihren Körper kräftig und gesund gestaltet, wird
sich ihrer Familie länger gesund und frisch erhalten, wird eine bessere
Mutter und eine bessere Ehefrau sein. Für diese körperliche Ertüch-
tigung der Frau ist es nicht notwendig, daß sie komplizierte Sportarten
treibt. Am meisten zu empfehlen sind regelmäßige Spaziergänge, aber
man soll dabei berücksichtigen, daß nur der reine Spaziergang, der aus-
schließlich als solcher angesehen wird, einen hygienischen Wert hat,
. Die Erledigung der häuslichen Besorgungen als eine hygienisch zweck-
schüttert wird, oder um Iymphatische Individuen, die besonders im jugend- |
lichen Alter zu Erkältungen neigen, oder um blutarme Menschen, deren |
Herz durch Sportübertreibungen gefährdet wird. Das Training muß so |
mäßige Bewegung anzusehen, ist unrichtig. Neben dem Gehen kommen
gymnastische Uebungen, Schwimmen, Rudern, Golf, Tennis usw. in Frage.
Die gesunde Frau kann ebenso Sport treiben wie der gesunde Mann, soll
sich aber natürlich vor den Uebertreibungen ebenso hüten wie jener.
Grundbedingung wäre allerdings eine Verbesserung in der Frauenkleidung.
Aus der Diskussion über diese mit großem Beifall aufgenommenen
Vorträge seien nur einige Bemerkungen hervorgehoben. De la Camp
(Freiburg i. Br.) erinnert an die Häufigkeit der akuten Herzinsuffizienzen
nach Sportübertreibungen (Skiherz), auch wo keine konstitutionellen Ano-
malien vorhanden waren, und weist auf die Bedeutung der geringeren
Lüftung der Lungen für die Entstehung der Tuberkulose hin. Doerty
(Berlin) hält es für notwendig, daß in den Sport- und Turnvereinen die
jungen Mitglieder systematisch unterrichtet werden müssen, wie sie Sport
treiben und turnen sollen, worauf Willner (Berlin) anregte, dab die
Forschungsinstitute nicht nur wissenschaftlichen Zwecken dienen sollen,
sondern vor allem auch dem Unterrichte mit besonderer Berücksichtigung
der Schulärzte. Toeplitz (Breslau) begrüßt als Turner ganz besonders
die Gründung des neuen Sportwissenschaftlichen Laboratoriums wie über-
haupt jede Stelle, welche auf die Schädigungen hinweist, die durch Ueber-
treibungen von Körperübungen entstehen. In letzterer Hinsicht richtet
das Turnen naturgemäß weniger Unheil an als der Sport, da es keine
Höchstleistungen erstrebt und vor allem körperlich nicht einseitig belastet.
| Ä (Schluß folgt‘)
| Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
Klinischer Abend vom 28. Juni 1912. (Königliche medizinische Klinik.)
Minkowski: 1. Krankenvorstellungen. a) Riesenaneury3M®
— seit zehn Jahren bestehender, seit sechs Jahren durch die Brust hin-
d urchgewachsener pulsierender Tumor. b) Ungewöhnlich ausgeprägt®
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42. 1725
Trichterbrust. Die etwa 80 in der Literatur niedergelegten Fälle
zeigen, daß im Vergleiche zur Kyphoskoliose die Störungen seitens des
Herzens eigentlich immer ‘gering sind. Es ist eine gewisse geringere
Widerstandstähigkeit der Organe allerdings gewöhnlich vorhanden; die
Patienten sind weniger leistungsfähig, besitzen ein weniger widerstands-
fähiges Herz. Hier füllt das Herz die linke Seite ganz aus. Trotzdem
gewisse Beschwerden, wohl mehr von einer Kyphoskoliose ausgehend,
bestehen, erscheint eine Indikation zu der neuerdings für Fälle von
Trichterbrust vorgeschlagenen Freundschen Operation nicht gegeben.
2. Resultate der Thoriumbehandlung. In vier Fällen von
myeloider Leukämie wurden in der Breslauer medizinischen Klinik trotz
mehrfacher Injektionen von 100000 und 200000 Mache-Einheiten sehr
geringe, eigentlich negative Resultate erzielt: es erfolgte kaum eine
Aenderung, dann einmal Steigerung und wieder Abfall der Leukocyten-
werte, jedenfalls keine konstant günstige Wirkung im Gegensatz zur
Röntgenbehandlung; dabei ist das Mittel bekanntlich nicht gleichgültig.
Woran es liegt, daß das Präparat hier nicht das leistete, was mitgeteilt
wurde, ist nicht recht ersichtlich, zumal die Messung entsprechende Werte
ergab, die bekannten Hauteffekte und die Blutdruckerniedrigung da waren,
letztere findet man allerdings bei den verschiedensten intravenösen In-
jektionen. Ein Fall von perniziöser Anämie ist noch in Beobachtung;
eine Steigerung der Erythrocyten scheint einzutreten. Bei Diabetes hat
ein Versuch keine Einwirkung auf Zucker- beziehungsweise Stickstoff-
ausscheidung ergeben.
Diskussion: A. Wolff hat von berufener Seite vor einigen Mo-
naten eine Injektion von 6500000 Mache-Einheiten bei einer schwer
herzkranken Dame mit Ascites, welcher durch kardiale Cirrhose ent-
standen war. Die erwartete Anregung der Diurese blieb gänzlich aus.
Zehn Minuten nach der Injektion wurde der jahrelang beschleunigte, un-
regelmäßige Puls regelmäßig und ging auf 80 zurück, nach zwölf Stunden
aber bot er wieder dasselbe Bild. Kolossale Lichterscheinungen, auch
bei geschlossenen Augen, beeinflußten das auch sonst verschlechterte
subjektive Befinden noch weiterhin ungünstig. Nach zehn Tagen ging
die Patientin an einem (wohl paralytischen) Ileus ein, dessen Zusammen-
hang mit der Injektion natürlich nicht behauptet werden kann.
Minkowski: Der Ausgang ist interessant, da klinisch Darm-
erscheinungen bei Thoriumbehandlung beobachtet sind.
8. Röntgenbefunde bei Magendarmerkrankungen. Im Verlaufe
der Demonstration von Bildern, die normale Verhältnisse, Ptosen, gut-
artige Stenosen, Atonie, Carcinome, Coloptose, Typhlatonie, spastische
Obstipation, ferner drei mit gutem Heilerfolg operierte Fälle der Payer-
schen Stenose an der Flexura coli sinistra, schließlich Darmtumoren und
einen Pyothorax subphrenicus von einer Pankreasnekrose aus betreffen,
erfolgt auch ein Hinweis darauf, daß deutlich sichtbare Wismuthäufchen
neben dem Magen nicht nur für ein perforiertes Ulcus sprechen, sondern
auch eine divertikelartige Ausbuchtung des oberen Teils des Magens in-
folge Stenosierung bedeuten können.
Diskussion: Rosenfeld: Das Bild, das nach der Riederschen
Mahlzeit gewonnen wird, stellt keinen normalen Magen dar; senkrecht
steht er allerdings. Mit einer Sonde, durch die Luft eingeblasen wird,
kann man den Magen darstellen, so wie er ist und so, wie er erhebliche
Mengen aufnehmen kann. Die Wismutschicht übt ausgesprochen spasti-
sche Wirkungen auf die Magenwand aus. Eine Gastroptose gibt es über-
haupt nicht; es handelt sich nie um ein Herunterfallen, sondern um eine |
Verlängerung des Magens. Ein Sanduhrmagen kommt durch spastische
Wirkung des Wismuts auf eine Stelle des Magens zustande. Die Wichtig-
keit der Nebenhöhle beim Ulcus perforans und der Aussparung durch
Careinome ist das wesentliche der Wismut- und Salzmethodik, nach
deren Anwendung aber die Darmperistaltik auch ganz anders erscheint
als sie ist. Die Passage durch den Dickdarm wird durch den Wismut-
brei künstlich beschleunigt. Man soll den Darm mit Luft füllen, worauf
sich die Haustra haarscharf absetzen und Tumoren als dunkle Punkte
erscheinen.
Minkowski: Selbstverständlich schafft die Luftaufblasung viel
anormalere Verhältnisse als die Wismutfüllung.
Tietze: Der Operateur muß, da er so oft die verschiedene Fixation
des Magens an seinen Aufhängebändern sieht, an das Bestehen einer
Gastroptose bestimmt glauben.
E. Frank und F. Heimann: Die biologische Schwangerschafts-
diagnose nach Abderhalden und ihre klinische Bedeutung.
Bei Besprechung der experimentellen Seite geht Frank im
Anschluß an Abderhalden auf die biologische Bedeutung der blut-
fremden Substanzen ein, auf die große Empfindlichkeit des Bluts gegen
qualitative Aenderungen, auf die Abgabe von Fermenten an das Blut,
wenn zwar körpereigne, aber blutfremde Stoffe hineingelangen. Die
Frage nach dem Auftreten besimmster Abbauprodukte im Blute, wenn
während der Schwangerschaft Zellen von Chorionzotten hineindringen,
wurde nach Zusammenbringen von Placentarpepton mit dem Serum von
Schwangeren durch die Veränderung des Drehungsvermögens im Polari-
sationsapparat, dadurch daß es bald größer, bald kleiner wurde, bejaht.
Es ist zu der Feststellung auf optischem Weg allerdings ein erstklassiger
Polarisationsapparat erforderlich und die Herstellung von Placentarpepton
ist schwierig. Viel einfacher ist das Vorfahren mittels Dialyse, bei der
Fischblaseneondome und als Außenflüssigkeit destillierres Wasser benutzt
werden; letzteres ist dann mit der unter allen Kautelen angestellten
Biuretreaktion zu prüfen, die bei Schwangerschaft positiv ausfällt. Die
Dichtigkeit beziehungsweise und zu oft vorhandene Undichtigkeit des
Condoms prüft man, indem man einen Tropfen Lackmuslösung darunter-
bringt; die Außenflüssigkeit muß auf Eiweiß geprüft werden. Auf diese
Weise ist die Diagnose der Schwangerschaft mit derselben Sicherheit wie
auf dem optischen Wege zu stellen. 1
Zur Sicherung der klinischen Erfahrungen wurden, wie Heimann
ausführt, zu jeder Schwangeren mindestens eine bis zwei Kontrollen,
Vingines oder Nulliparae ohne besonderen gynäkologischen Befund, auch
Sera von Männern hinzugenommen; nie fanden sich bei ihnen in der
Außenflässigkeit mittels der Biuretreaktion nachweisbare Peptone. Es
wurden zweifelhafte Graviditäten untersucht, aus der Poliklinik wahllos
Blut von Graviden und Nichtgraviden, ohne daß die Untersucher vor
Anstellung der Reaktion den klinischen Befund kannten. Die Anamnese
in den 33 systematisch untersuchten Fällen war stets dieselbe: ein- bis
zweimaliges Ausbleiben der Regel — Frauen, die man sich sonst nach
vier Wochen wiederbestellt, um aus der Vergrößerung des Uterus die
Gravidität feststellen zu können. Häufig ist ein Resultat schwer, nur
durch die Kontrolle erhältlich, ob positiv oder negativ. Nicht alle Frauen
kamen zur Nachuntersuchung wieder; nach den Resultaten kann aber gesagt
werden, daß die Abderhaldensche Schwangerschaftsreaktion für die
frühesten Monate zuverlässig ist. Sechsmaliger negativer Ausfall erfolgte
bei Frauen, die fälschlich geglaubt hatten, schwanger zu sein; bei 15 Frauen
mit positivem Ausfalle war dann die Schwangerschaft manifest; nur zwei-
mal war die Reaktion positiv, ohne daß Gravidität vorlag. Die Reaktion
verhält sich im Wochenbett in jedem Falle bis zum siebenten Tage
positiv, vom achten an wechselnd, vom dreizehnten an stets negativ; das
Wochenbett bei Aborten verhält sich ganz ebenso. In einem der Fälle
mit positiver Reaktion wurde eine Extrauteringravidität angenommen, bei
der Operation aber keine Spur davon gefunden; wahrscheinlich hatte die
Frau vor Eintritt in die Klinik einen Abort durchgemacht; ein zweiter
Fall verlief ganz ähnlich. Die Reaktion ist also nicht geeignet dazu,
eine Operation davon abhängig zu machen. Eklampsieserum lieferte stark
positive Reaktion, Serum allein ohne Placentareiweiß einmal eine frag-
lich positive, einmal negative Reaktion.
Vorläufig kann die theoretisch und praktisch wichtige Schwanger-
schaftsreaktion in der Allgemeinpraxis noch keine Verwertung finden, da
sio wegen der Unzuverlässigkeit der Condome nicht ohne große Mühe
anwendbar ist. . Emil Neißer.
München.
Bayer. Gesellsch. f. Geburtshilfe u. @ynäkol. Sitzung vom 7. Juli 1912.
(Schluß.)
Eisenreich (München): „Ueber wiederholte Geburten nach
Hebosteotomie*. Die Hebosteotomie ist durch den extraperitonealen Kaiser-
schnitt wesentlich eingeschränkt worden; der letztere verdient bei hoch-
gradiger Beckenverengerung und bei ungenügend erweitertem Muttermund
unbedingt den Vorzug; die Hebosteotomie wird an der Münchener
Universitätsfrauenklinik nur noch bei einer Coningata vera von mindestens
7,5 cm und bei völlig erweiterten Weichteilen, nicht aber bei Erst-
gebärenden angewandt. Verlassen wird sie aber wegen ihres Verzugs
einer dauernden Erweiterung des knöchernen Beckens nicht. Ob eine
solche Erweiterung zustande kommt, hängt nicht nur von der Art der
Heilung der Knochenwunde ab, welche nach den bisherigen Untersuch-
ungen in zwei Drittel der Fälle bindegewebig und nur in ein Drittel
knöchern zu erfolgen scheint; denn die bindegewebige Vereinigung kann
durch Straffheit eine Erweiterung verhindern und anderseits ein breiter
Callus eine solche bestehen lassen.
Aus der Literatur konnte Vortragender 92 Fälle von späterer
Schwangerschaft nach Hebosteotomie zusammenstellen. Unter diesen kam
es in 27 Fällen zu Fehl- und Frühgeburten; von den übrigen 65 hatten
30 Frauen spontane Geburten oder leichte künstliche Entbindungen, wo
eine dauernde Beckenerweiterung in Frage kommt, unter den übrigen
35 kam es viermal zur Perforation des Kindes, 31 mal zu erneuter Heb-
osteotomie, Symphyseotomie oder Sectio caesarea; darunter befinden
rs aber allerdings auch Fälle, wo die Coningata vera 7 cm und weniger
etrug.
An der hiesigen Klinik konnten von den 36 Frauen, bei welchen bisher
die Hebosteotomie ausgeführt wurde, 26 wieder ermittelt werden. Von
diesen wurden 9 bisher nicht mehr schwanger, 4 weitere hatten teils
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1726
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spontane, teils künstliche Frrühgeburten, die übrigen 13 Frauen bekamen
ausgetragene Kinder. Fünf von diesen hatten keinen Nutzen von der vor-
ausgegangenen Hebosteotomie, sondern wurden durch wiederholte Heb-
osteotomie (2), Kaiserschnitt, Perforation des toten Kindes oder Zange
mit nachfolgendem Tod des Kindes (je 1) entbunden; bei 2 von diesen
maß allerdings die Coningata vera nur 7 cm, bei den 3 andern aber 9,
9!/a und 81/a om.
Die letzten 8 Frauen aber hatten spontane Geburten; bei einer
von ihnen war das Kind um 300 g leichter als bei der vorausgegangenen
Geburt mit der Hebosteotomie, bei den andern allen schwerer sodaß hier
wohl eine dauernde Erweiterung des Beckens als Folge der Operation
angenommen werden muß, — ein Vorteil dieses Verfahrens, der ihm seine
Berechtigung auch fernerhin sichert.
Polano (Würzburg): „Ueber Chorionepithelione mit langer
Latenzzeit*. Eine 52 Jahre alte Frau mit acht Entbindungen, die letzte vor
zehn Jahren, seit einem Jahr in der Menopause, erkrankte an allgemeiner
Kachexie und einem carcinomähnlichen Tumor der Vulva mit Metastasen
in der Scheide und den Drüsen; die mikroskopische Untersuchung des
exstirpierten Tumors ergab, daß ein ektopisches Chorionepitheliom vorlag.
In der Literatur sind bisher 34 Fälle mit langer Latenzzeit niedergelegt,
darunter í mit 18 Jahren, 2 mit 9 Jahren usw. Die Prognose ist bei
allen derartigen Fällen ganz schlecht, es ist noch kein Fall einer Dauer-
heilung von über zwei Jahren bekannt.
Emrich (München): „Ueber Kolpotomie bei Beckeneiterung“,
Bericht über die Erfahrungen, die in der II. Gynäkologischen Klinik seit
dem Jahre 1907 an 183 ausgeführten Kolpotomien gemacht wurden.
Es betrafen davon 49 Parametrititen, 63 Flüssigkeitsansammlungen
im Perimetrium, 71 Adnextumoren, darunter 6 vereiterte Ovarialcystome.
Auf Grund der erzielten Resultate kommt Verfasser zu folgendem
Schlusse: |
Er hält die Kolpotomie für indiziert erstens bei sämtlichen von
unten erreichbaren abgekapselten Flüssigkeitsansammlungen im Douglas,
dann bei allen dem hintern Scheidengewölbe anliegenden parametranen
Infiltraten, bei denen eine wenn auch noch so geringe Einschmelzung im
Centram vermutet wird, endlich bei den rasch wachsenden Adnex-
tumoren, wo eine Infektion mit Coli oder Streptokokken in Frage steht.
Er schließt von der Kolpotomie im allgemeinen aus: akute und
subakute gonorrhoische Pysalpingen, die sterilen Hämatocelen und endlich
die ungünstig liegenden Parametrititen soweit sie Nebenverletzungen be-
fürchten lassen.
Hörrmann (München): „Die orthopädische Beckenbauchbinde
nach Bracco“ mit Demonstration. Hervorhebung und Vorführung der
Vorteile der Binde, welche tadellosen Sitz mit kräftiger Wirkung und
außerordentlicher Leichtigkeit und Luftdurchlässigkeit vereinigt. Dis-
kussion: Albrecht (München) empfiehlt nach den sich auf etwa 750
Fälle erstreckenden Erfahrungen der Il. gynäkologischen Klinik die
Braccobinde besonders für fette und mittelfette Hängebäuche, für Ptosen
des Magens und des Kolons, leichte Nephroptosen, Bauchbrüche infolge
Muskeldiastase zur Fixation des Leibes. Nutzlos ist die Binde bei
Sympathizismus und bei mageren Patientinnen mit Ptöse. Ihr einziger
Nachteil ist der sehr hohe Preis von allermindestens 25 M.
Kolde (Erlangen): „Veränderungen der Hypophyse während
der Schwangerschaft und nach Kastration“. Tierversuche an Kaninchen
und Meerschweinchen und Leichenuntersuchungen ergaben, daß während
der Schwangerschuft eine Gewichtsvermehrung und Vergrößerung der
Hypophyse stattfindet, ferner auch Veränderungen im Bau insofern, als
während der Schwangerschaft das Verhältnis der eosinophilen Zellen zu den
Hauptzellen, von denen die letzteren im Normalzustande die ersteren weit
überwiegen, sich umkehrt und auch das Protoplasma der Hauptzellen färbbar
wird; im Wochenbett erfolgt wieder eine langsame Zurückbildung zum
Normalzustand. Aehnlich wurde auch nach der Kastration an den Tieren
eine Gewichtsvermehrung des Organs und Zunahme der eosinophilen
Zellen gefunden; auch mit zunehmendem Alter ließ sich eine Vergröße-
rung des Organs und Zurücktreten der Hauptzellen gegen die eosino-
philen nachweisen. Der Schlußsatz des Vortragenden lautet demnach:
Durch Ausfall der inneren Sekretion der Ovarien wird die Hypophysis
zur Hypertrophie angeregt; analog ist auch ihre Schwangerschaftshyper-
trophie durch Hypofunktion der Ovarien zu erklären.
Simon (Nürnberg): „Die Einschränkung der inneren Unter-
suchung und ihr Einfluß auf die Morbidität des Wochenbetts“. Im
Wöchnerinnenheim in Nürnberg ist seit í. Januar 1911 die innerliche
Untersuchung im allgemeinen abgeschafft und wird nur bei unumgäng-
licher Notwendigkeit noch ausgeführt. Bis April d. J. wurden 1000 Ent-
bindungen in dieser Weise geleitet. Es ergab sich, daß bei 741 Ent-
bindungen auf die innere Untersuchung verzichtet werden konnte und
nur 259 Fälle innerlich untersucht werden mußten, davon wenige mehr-
mals. Die Gesamtmorbidität betrug 33 = 3,3 fo und zwar zeigte sich
zwischen den Nichtuntersuchten und den Untersuchten kein Unterschied;
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober.
von wirklichem Puerperalfieber ereignete sich nur ein Fall und dieser
betraf eine Nichtuntersuchte. Die Gesamtmortalität betrug 3 = 0,3 %,,
davon 2 Fälle an Eklampsie und 1 an Verblutung bei Placenta praevia.
Alle Untersuchungen wurden nur in sterilon Gummihandschuhen aus-
geführt, vaginale Spülungen wurden nicht angewandt. Die Schlußsätze
des Vortragenden lauten also: 1. Dreiviertel aller Eutbindungen lassen
sich ohne innere Untersuchung leiten, 2. die mit sterilisierten Gummi-
handschuhen ausgeführte innere Untersuchung hat keine besonderen
Nachteile. |
Hussy (Basel) als Gast: „Die Virulenz der Keime im Infek-
tionskampfe*“. Der Vortragende beginnt mit einer genauen Definition
des Begriffs Virulenz und schließt sich dabei in gewissen Beziehungen der
Hallenser Schule an, die im allgemeinen die hämolytischen Streptokokken
für virulenter erachtet als die nichthämolytischen. Auch glaubt er mit
Veit annehmen zu dürfen, daß die Streptokokken eventuell virulenter
werden können. Zur Virulenzprüfung empfiehlt der Vortragendo seine
Prüfung, die auf serologischen Untersuchungen beruht und die genau in
der gynäkologischen Rundschau veröffentlicht wurde. Was die Anaerobier
anbetrifft, so hält H. sie durchschnittlich für weniger virulent als die aeroben
Bakterien. Wie Bauereisen, so hat auch der Vortragender im weiblichen
Genitaltraktus viel seltener obligat anaerobe Streptokokken gesehen als
Schottmüller-Rosowsky. Die Virulenzuntersuchungen lassen sich
auch in therapeutischer Hinsicht verwerten. Da es bis jetzt immer mib-
lungen ist, eine Behandlungsweise des Puerperalfiebers zu finden, die auf
die Stärkung der Schutzstoffe des Körpers abzielt, so könnte man daran
denken, die Angriffsstoffe der Bakterien zu lähmen, z. B. die Agressine
und die Lenkoeidine. ”
Petri (München): „Ueber einen Versuch der intrauterinen Ge-
schlechtsdifferenzierung“. Bericht tiber eine Reihe mit großer Mühe
und eingehender Sachkenntnis ausgeführter Tierexperimente, um auf dem
Wege der Präcipitinreaktion oder mit Hilfe der Anaphylaxie oder der
Komplementbildung zu einer brauchbaren Methode intrauteriner Ge-
schlechtsbestimmung zu gelangen. Alle diese Verfahren erwiesen sich
aber trotz verschiedenartigster Versuchsanordnung als ungeeignet, so daß
der Vortragende zu der Ueberzeugung gelangte, daß auf diesem Wege
das Ziel der intrauterinen Geschlechtsdifferenzierung nicht zu er-
reichen jst.
Brocks (Erlangen) als Gast: „Ueber postoperative Cystitis“. Nach
200 Operationen wurden in der Erlanger Universitäts- Frauenklinik 40 Fälle
von schwerer oder leichterer Cystitis beobachtet und dabei ein regel-
mäßiger Zusammenhang zwischen der Schwere der Blasenschädigung und
der Häufigkeit der Cystitis gefunden; am häufigsten trat die Cystitis
auf nach der Operation des Uteruscarcinoms und nach der vaginalen Uterus-
exstirpation. Als Ursachen der postoperativen Cystitis sind anzusprechen
1. Katheterismus bei Harnverhaltung, 2. direkte Verletzung der Blase,
3. Infektion des perivesicalen Bindegewebs, 4. schon vorher vorhandene
Cystitis.
Diskussion. Baisch (München) spricht seine Verwunderung aus
über eine so große Häufigkeit der postoperativen Cystitis und empfiehlt als
Gegenmittel die Einschränkung des Katheterismus durch Einspritzung
von 20 ccm einer 3 %/oigen Borglycerinlösung oder wenigstens die Ver-
hütung schädlicher Folgen des Katheterismus durch nachfolgende Aus-
spülung der Blase mit Borsäureldösung. Eggel (München.)
| Berlin.
Physlologische Gesellschaft. Sitzung vom 19. Juli 1912.
(Offizieller Sitzungsbericht.)
1. M. Rothmann (vor der Tagesordnung): Demonstration zur
Beziehung der Großhirn- zur Kleinhirnfanktion. Vortragender de-
monstriert zwei Hunde, bei denen die Ausschaltung der Kleinhirnfunktion
durch Darchtrennung der vorderen und hinteren Kleinhirnschenkel (Sitzung
vom 1. März 1912) mit Exstirpationen von Teilen des Großhirns kombi-
niert ist. Bei dem ersten Hunde handelt es sich um gemeinschaft-
liche Ausschaltung der Stirnhirn- und Kleinhirnfunktion, Dio
beiden Stirnlappen waren bis in den Gyrus sigmoid. anterior hinein am
20. April und 7. Juni 1911 exstirpiert worden; am 8. November 1911 konnte
der Hund in dieser Gesellschaft mit deutlicher Imbeeillität, aber erhaltener
Tondressur (Kalischer) demonstriert werden. Am 9. März 1912 wurden
beide hintere und vordere Kleinhirnschenkel durchtrennt. Seit dieser Zeit
ist derHund nicht wiederimstande gewesen, zu stehen oder zu gehen. Er liegt
in rechter Seitenlage oder in Bauchlage, bewegt lebhaft die vier Extrem!-
täten, ohne in die Höhe zu kommen. Beim Tischversuche mit Herab-
hängen des Hinterkörpers vermag er weder rechts noch links den Rampi
hochzuheben. Es handelt sich offenbar um schwerste Schädigung ‚der
Innervation der Rumpfmuskulatur und der Gleichgewichtshaltung, bedingt
durch Ausschaltung der entsprechenden Centren in Stirnhirn und Kem-
hirn. — Der zweite Hund zeigt gemeinschaftliche Ausschaltung
20. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42. 1727
von Kleinbirnfunktion und linker Extremitätenregion. Bei
ihm wurde die Ausschaltung der Kleinhirnfunktion am 19. Dezember 1911
vorgenommen und der Hund hier am 1. März 1912 mit den typischen
Symptomen der Kleinhirnausschaltung demonstriert. Er konnte in der
letzten Zeit, ‚breitbeinig hin- und herschwankond, stehen und längere
Strecken laufen, ohne umzufallen. Am 29. Juni 1912 wurde die linke
Extremitätenregion in toto entfernt; seit dieser Zeit lay der Hund auf
der rechten Seite, zeigte starke Parese und Lagegefühlsstörung der rechts-
seitigen Extremitäten. Auch die Schmerzempfindung war fast ganz er-
loschen. Seit einigen Tagen vermag er kurze Zeit breitbeinig zu stehen,
fällt dann aber infolge Versagens der rechtsseitigen Extremitäten nach
rechts um. Er kann jetzt, durch Fleisch gelockt, einige Schritte machen
unter eigenartiger steifer Vorwärtsbewegung der rechtsseitigen Extremi-
täten, die über den Boden schleifen. Hochgehoben zeigt er die typische
spastische Extensionsstellung der rechtsseitigen Extremitäten, wie sie auch
nach alleiniger Entfernung der Extremitätenregion auftritt. — Beide Fülle
zeigen die große Bedeutung der Großhirn-Kleinhirn-Verbindungen für
den normalen Ablauf und für die Restitution der Bewegungsinnervationen.
(Autoreferat.)
2. M. Rothmann: Ueber die elektrische Erregbarkeit der
Centralwindungen. Vortragender weist auf die alte Streitfrage hin, ob
der hinteren Centralwindung neben der vorderen elektrische Er-
regbarkeit und weiterhin auch motorische Funktion zukommt.
Finden Ferrier, Horsley, Schäfer, Beevor, H. Munk, Rothmann,
Trendelenburg beim niederen Affen elektrisch erregbaro Stellen, vor
allem für die Finger, auch in der H.C.W.!), so konnte Hitzig bei
einem Affen nur die V.C.W. erregbar finden, und C. und O. Vogt be-
zeichnen die H. C.W. als unerregbares postcentrales Feld. Beim Anthro-
poiden fanden zwar Beevor und Horsley auch Reizstellen in der
H.C.W., Grünbaum und Sherrington konnten aber an einem großen
Material nur die V.C.W. erregbar finden, und C. und O. Vogt erhielten
bei einem Orang von der H.C.W. nur bei etwas stärkeren Strömen Reiz-
effekte. Vortragender berichtet zunächst über einon älteren Versuch bei
einem Macacus cynomolgus, bei dem nach Durchschneidung beider Hinter-
Seitenstränge im obersten Halsmark, Exstirpation der rechten Armregion
im Gebiet der V.C.W. und Totalausschaltung der linken Armregion
in den von Munk angegebenen Grenzen die nochmalige Freilegung
der rechten Armregion, drei Monato nach der ersten Operation, im
Gebiete derselben sichere elektrische Reizeffekte von der H.C.W.
aus im linken Arm ergab bei Unerregbarkeit der Narbe des Gyrus
centralis anterior. Schien damit die selbständige elektrische Er-
regbarkeit der H. C.W. bewiesen, so konnten Lewandowsky und Si-
mons bei Totalexstirpation der V. C.W. nach drei bis sechs Wochen von
der hinteren, allerdings mitlädierten C.W. keine Reizeffekte erzielen.
Auch die Ergebnisse der cytoarchitektonischen Forschung und die Reiz-
resultate beim Menschen, bei dem allerdings stärkere Ströme nicht ver-
wendet werden dürfen, sind für den rein motorischen Charakter der vor-
deren, den rein sensiblen der hinteren C.W. verwertet worden. Dabei
ist aber sicher bewiesen, daß auch bei Zerstörung der Pyramidenleitung
und schwerster Schädigung der Betzschen Riesenzellen elektrische Reiz-
effekte von der V. C. W. im gekreuzten Arme beim niederen Aften, Anthro-
poiden und Menschen zustande kommen. Ferner ist für den Menschen
und den Affen erwiesen, daß nach Ausschaltung der V. C.W. Restitution
der isolierten Bewegungen durch die H.C.W. zustande kommt.
Vortragender konnte nun zunächst bei zahlreichen Reizungen an
normalen Makakengehirnen die elektrische Erregbarkeit der H. C.W., die
vor der vorderen gereizt wurde, bei ebenso oder annähernd so schwachen
Strömen, wie sie später Reizoffekte von der V. C. W. ergaben, nachweisen.
Aber auch nach Vereisung der V.C.W. mit Acthylchlorid bis zur
völligen Unerregbarkeit derselben (nach Trendelenburg) ließ sich stets
eine elektrische Erregbarkeit der H.C.W. feststellen. Endlich demon-
striert Vortragender die Gehirne zweier Affen (Macacus Rhesus), bei
denen 21/,—8 Monate nach Exstirpation der V.C.W. Reizeffekte von der
H.C.W, erzielt wurden. In dem ersten Falle wurde am 12. Dezember
1911 die linke V.C.W. im Gebiete der Armregion derart in toto exstir-
piort, daß der vordere Rand der H. C. W. bis in den Fundus bei absoluter
Schonung der H.C.W. völlig freigelegt wurde. Nach Wiederkehr von
isolierten Bewegungen im rechten Arme wurde am 11. Januar 1912 die
rechte V.C.W. und am 1. Februar 1912 die rechte H.C.W. im Bereiche
der Armregion exstirpiert (nicht. ganz bis in die Tiefo der Centralfurche).
Nun wurde am 12, März 1912 nochmals die linke Armregion freigelegt
und bei Unerregbarkeit der Narbe der V. C.W. eine schwache, aber deut-
liche elektrische Erregbarkeit der H. C. W. für Finger und Armsupination
konstatiert. — Bei dem zweiten Affen wurde am 23. März 1912 die ganze
. .„) V.C.W. = vordere Centralwindung, H. C. W. = hintere Central-
windung. |
linke V.C.W. bis in die Tiefe des Sulcus centralis exstirpiert. Nach
Wiederkehr isolierter Bewegungen des rechten Armes wurde am 5. Juni
1912 (nach 2!/2 Monaten) — der Affe war bereits sehr matt — die linke
Extremitätenregion nochmals freigelegt. Die Narbe war unerregbar; von
der H.C.W. waren schwache Bowegungen des Daumens, Zeigefinger, der
übrigen Finger, im Handgelenk zu erzielen. In beiden Fällen trat nach
zwei bis drei Reizungen eine Ermüdung auf, sodaß erst nach einer
kleinen Pause die Reizeffekte wieder zu erzielen waren.
Neben der überaus leicht ansprechenden phylogenetisch jungen elek-
trischen Erregbarkeit der V.C.W. über Betzsche Riesenzellen und Pyra-
midenbahn gibt es eine selbständige extrapyramidale Erregbarkeit der
V.C.W. und nach Fortfall der letzteren und genügend langer Einübung
des betreffenden Armes (2!/a—3 Monate) auch der H.C.W. Beide be-
ruhen auf phylogenetisch alten Einrichtungen der Hirnrinde. Die
Bahnung der Willensimpulse geht auf diesen extrapyramidalen Bahnen
viel besser und rascher von statten als die des elektrischen Reizes. Auch
für den Menschen dürften noch ähnliche Verhältnisse obwalten, nur daß
die H. C.W. noch schwerer erregbar geworden ist, sodaß sie bei den beim
Menschen erlaubten Reizstärken unerregbar erscheint. Jedenfalls ist weder
die V. C.W. als rein motorisch noch die H. C. W. als rein sensibel zu be-
trachten. (Autoreferat.)
3. Max Cremer: Ueber den Verlauf des Schlages von
Malopterurus electricus. Für die Erforschung des Schlages der
elektrischen Fische war bis zur Erfindung des Saitengalvanometers von
Einthoven das Capillarelektrometer das bestgeeignetste Instrument,
dessen sich Burch und Gotch und später auch Garten zur Schlag-
aufnahme bedienten. Nachdem das Saitengalvanometer bekannt geworden
war, wurden von verschiedenen Seiten die Vorteile, die der stromdurch-
flossene, dünne Faden im magnetischen Folde bot, auch für das elektro-
statische Feld erkannt und fast gleichzeitig von mehreren Autoren
Saitenelektrometer angegeben. Ein besonders sorgfältig ausgeführtes
großes Instrument habe ich in Heidelberg auf dem internationalen Kongreß
vorgeführt (1907)'). Damals hatte ich schon mit dem Saitenelektrometer,
und zwar in der biologischen Versuchsstation in Wien, den Schlag von
Malopterurus electricus beobachtet, brauchbare Kurven allerdings noch
nicht gewinnen können, da der zur Verfügung stehende photographische
Registrierer dafür noch nicht vollkommen genug war. Immerhin konnte
ich bereits feststellen, daß das Saitenelektrometer sichor für die nähere
- Untersuchung des Schlages sehr brauchbar sein würde. Kurze Zeit
später habe ich zum Teil gemeinsam mit Herrn Dr. Max Edelmann jun.
in Neapel Aufnahmen am Torpedo und später allein in München am
Malopterurus gemacht. Die dabei gewonnenen Kurven habe ich zum
Teil in Köln auf der Naturforscherversammlung, zum Teil auf dem Phy-
siologischen Kongreß in Wien demonstriert. Herr Kollege Garten hat
die Liebenswürdigkeit gehabt, zwei dieser Aufnahmen zum Abdruck zu
bringen?). Er selbst und seine Schüler haben sich des Saitengalvano-
meters zur Aufnahme des Schlages bedient.
In Wien habe ich mitgeteilt, daß es auch gelingt, den Schlag-
verlauf zu beobachten, wenn man die Saite im Saitengalvanometer ersetzt
durch einen nur einseitig befestigten, kurzen, dünnen, leitenden Stab.
Ich habe Herrn Tierarzt Sürder beauftragt, in meinem Institut eine
Reihe von Versuchen darüber anzustellen, wie weit ein solches „Stab*-
elektrometer zur Untersuchung des Fischschlages geeignet sei. Er hat
eine Reihe von Stäbchen aus verschiedenem Material untersucht. Am
besten geeignet erwiesen sich einstweilen dünne, versilberte Quarzstäb-
chen, die Kurven liefern, die denen mit dem Saitenelektrometer gewon-
nenen Jedenfalls nicht viel nachstehen. Hervorheben möchte ich aber
auch, daß mit einem Menschenhaare relativ gute Kurven erzielt werden
können. Es ist nicht ausgeschlossen, daß durch passende Wahl des
Stabes und namentlich beim Ausprobieren verschiedener „Stäbe“ aus dem
Tier- und Pflanzenreich (auch ein Algenfaden wurde verwandt) sich ein
Instrument konstruieren läßt, das für diese Zwecke dem Saitenelektro-
meter vielleicht überlegen ist. Daß ein solches Instrument gleichzeitig
"auch die mannigfaltigste physikalische Verwertung finden könnte, sei nur
nebenbei bemerkt’).
Um nun die verschiedenen mit Saiteninstrumenten erhaltenen
Kurven genauer würdigen zu können, war es doch wünschenswert, ein
praktisch genaues Bıld des Schlagverlaufs zu haben und als ich hier den
Öscillographen von Siemens & Halske im Betrieb kennen lernte, schien
es mir nicht unmöglich, daß auch die rasch schwingendsten Systeme noch
hinreichend empfindlich wären, um einen Malopterurusschlag zu analy-
1) Zbl. f. Phys., Bd. 21, S. 491.
?) Handb. d. vergl. Phys., Bd. 3, H. 2. Naturforscherversammlung
Karlsruhe 1911. |
3) Dem Instrument läßt sich eine besonders kompendiöse Form
sn Man kann im gewissen Sinne von einem „Tascheninstrument“
sprechen.
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1728
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
20. Oktober,
sieren. Durch das Entgegenkommen der Firma Siemens & Halske,
und speziell des Herrn Ingenieurs Mylo, war es mir möglich, einige
solcher Aufnahmen tatsächlich zu erhalten. Man gewinnt so ein direktes
Bild des Schlages, etwa in gleicher Art, wie man mit dem Saitengalvano-
meter unmittelbar richtige Elektrokardiogramme erhalten kann, denn die
Einstellungszeit des Systems, das heißt die Zeit, in der bei einer
Aichungskurve mit konstantem. Strom zum erstenmal die- definitive Ruhe
erreicht wird, ist sicher kleiner als oo s, und wenn das System auch
noch nicht völlig aperiodisch ist, so sind die Schwingungen (6000 in der
Sekunde) doch stark gedämpft und als sehr rasch gegenüber dem Schlag-
verlauf zu bezeichnen. Nach bekannten Prinzipien ist eine nennenswerte
Verzeichnung des letzteren nicht mehr möglich. Schätzungsweise kann
man sagen, daß die Ordinatenhöhe der gewonnenen Kurve nicht um 1°,
von dem wahren Wert abweicht. Die maximale, nach außen ableitbare
elektromotorische Kraft des Schlags haben wir zunächst bei dem einen
der von uns verwandten Fische zu 370 Volt bestimmt. Auf Grund
meiner früheren Aufnahmen beim Malopterurus hat Garten die maximale
elektromotorische Kraft auf 450 respektive 270 Volt geschätzt. Obschon
diese Schätzungen auf'nicht ganz sicherer Grundlage fußen, ist Garten
doch, wie man sieht, der Wahrheit sehr nahe gekommen und ist die
elektromotorische Kraft des Schlages von Malopterurus (der erste Schlag
des ausgeruhten Fisches ist immer der größte) auf mindestens rund
400 Volt zu veranschlagen, da es wegen der Nebenschließung schon
durch den Fisch selbst theoretisch nicht möglich ist, die wahre maximale
elektromotorische Kraft des Organs auf dem angegebenen Wege direkt
zu bestimmen, außerdem der zufällig verwandte Fisch ja nicht gerade
die maximale elektromotorische Kraft zu zeigen braucht. Auch diese
Kurven werden in der Dissertation des Herrn Sürder veröffentlicht
werden.
Es sollen natürlich noch weiters Versuche mit dem Oscillographen
angestellt werden. Soweit die oscillographischen Kurven die früheren
kontrollieren, ergibt sich, daß die letzteren etwas erhöht und verschmälert
werden müssen, im allgemeinen aber schon ein gutes Bild des Schlag-
verlaufs geben.
Der Oscillograph verspricht überhaupt als Kontrollinstrument für
die Saiteninstrumente wertvoll zu verden. Durch ein passendes Kon-
densatorarrangement lassen sich die Aktionsströme des Froschnerven zum
Beispiel nachahmen, namentlich wenn man noch Selbstinduktionen zu
Hilfe nimmt, und man kann dann gleichzeitig etwa im Hauptkreise den
Oscillographen und im Nebenkreise zum Beispiel das Saitengalvanometer
"einschalten und so diese Kurven direkt miteinander vergleichen und das
Resultat zur Auswertung der physiologischen Kurven verwerten.
Außer den hier mitgeteilten Versuchen am unverletzten Fische
' hat Herr Privatdozent Dr. von Zeliony aus St. Petersburg auch Ver-
suche am herausgeschnittenen Organ angestellt und zwar mit Hilfe des
Saitenelektrometers. Es sollte hierbei zunächst der bekannte Versuch von
Babuchin über das doppelseitige Leitungsvermögen der Nerven nach-
geprüft und durch Aufnahmen erhärtet werden. Es konnte in Ueber-
einstimmung mit Gotch dabei festgestellt werden, daß es auch vom
distalen Ende des Nerven möglich ist, dieselbe Entladung des Organs zu
erzielen, wie vom proximalen; nur schien es in einem Falle, als ob von
der Peripherie aus die Entladung etwas schwächer wäre, wie vom cen-
tralen Ende, doch ist zu bemerken, daß auch von ein und derselben Stelle
aus bei verschiedenen Reizungen die (erste) Entladung nicht immer gleich
hoch ausfällt und zwar unabhängig von der Rollenstellung, mit der man
gerade reizt. Herr Kollege von Zeliony hat den Versuch gemacht,
mit Rücksicht auf das Alles- oder Nichts-Gesetz durch schwächere
Reizung zu deutlich untermaximalen Schlägen zu kommen, also zu
Schlägen, die etwa nur !/3 oder !/« der normalen Schlaghöhe ergeben,
wie dies beim Nervmuskelpräparat bezüglich der Hubhöhe leicht möglich
ist. Diese Versuche sind gänzlich fehlgeschlagen und sollte sich dieses
Resultat in der Folge immer wieder bestätigen (bei negativen Versuchen ist
natürlich eine gewisse Vorsicht in der Behauptung am Platze) so würde
das herausgeschnittene Organ vom Malopterurus mit seinem Nerven
geradezu ein klassisches Beispiel für die Gültigkeit des Alles- oder Nichts-
Gesetzes abgeben. Es würde das in der eigentümlichen Struktur dieses
. Nerven seine Erklärung finden; bekanntlich enthält derselbe nur. einen
einzigen Achsencylinder.
Diese einzigartige Stellung des Nerven veranlaßte mich, auch ein
altes Desiderium von Du Bois-Reymond zu erfüllen und zu konsta-
tieren, daß auch dieser Nerv einen Ruhestrom zeigt. Es ergab sich
(chemischer Querschnitt mit konzentrierter KC1-Lösung) 5 Millivolt. Auch
‘ den Aktionsstrom glaube ich deutlich gesehen zu haben, allerdings waren
die Ausschläge beim Saitengalvanometer nur sehr klein.
+
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Kari Löbker +
I von
Dr. Friedrich Haker, Berlin.
Am 9. Oktober ist der Geheime Medizinalrat Professor Dr. Karl
Löbker, der Vorsitzende des’ Deutschen Aerztevereinsbundes, gestorben.
Wir wußten seit langem schon, daß seine urwüchsige, kraftvolle West-
falennatur in schwerem, aussichtslosem Kampfe mit dem Tode rang, und
doch, nun, wo das lang Erwartete zum erlösenden Ereignis für den Kranken
ward, trifft uns der Schlag nicht minder schwer. Uns alle, die wir den
Eihrennamen eines deutschen Arztes tragen, denn der uns Entrissene war
der besten, der wertvollsten einer.
Karl Löbker ist am 15. September 1854 zu Coesfeld in Westfalen
geboren. Er studierte in Greifswald, wo er auch nach seiner Promotion
1877 Assistent wurde, zunächst am anatomischen Institut, seit 1879 an
der chirurgischen Klinik. Er habilitierte sich 1882, gab aber die Uni-
versitätslaufbahn auf, als er 1839 an das Krankenhaus der Knappschafts-
Berufsgenossenschaft „Bergmannsheil“ in Bochum berufen wurde, dessen
leitender Arzt er bis zu seinem Tode geblieben ist. Wissenschaftlich
trat er besonders hervor mit den Arbeiten über Knochenchirurgie, einer
in mehrfacher Auflage erschienenen „Chirurgischen Operationslehre“ und
zahlreicher Arbeiten, die aus der Tätigkeit auf seinem eigentlichen Berufs-
felde hervorgingen, u. a. über die Wurmkrankheit der Bergleute. Auch
an Eulenburgs Real-Encyklopädie war er als Mitarbeiter beteiligt.
Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als ausübender Chirurg fand
er Zeit, seinem angeborenen Drange folgend, für das allgemeine Wohl zu
wirken, indem er sowohl in Greifswald wie in Bochum in kommunalen
Ehrenämtern tätig war (in Bochum seit 1904 als Stadtverordnetenvor-
steher) und für seine Berufsgenossen im besonderen als Vorsitzender des
Aerztevereinsbundes, der westfälischen Aerztekammer und (seit 1910) des
Ausschusses der preußischen Aerztekammer.
Die 58 Jahre, die Löbker gelebt, umfassen eine reiche Fülle an
Arbeit und Mühen, aber auch an Erfolg und Ehren. Stand, Stadt und
Staat haben sein Wirken dankbar anerkannt, und die Regierung hat ihn
mit Orden und Titeln ausgezeichnet. Aber kein Amt dünkte ihn wichtiger,
keine Würde höher, das wissen wir, als die Stellung des Vorsitzenden
des großen Bundes, an dessen Spitze die deutschen Aerzte ihm in freier
Wahl mit seltener Einmütigkeit wieder und wieder seit 1900 berufen
hatten. Und in der Tat, sein Wirken in dieser Stellung ist es auch, das
seinem Namen die historische Prägung gab und ihn unvergeßlich erhalten
wird vor vielen; in dieser Stellung gewann sein Leben den höchsten
Wert nicht nur für die deutsche Aerzteschaft, sondern für die ganze
sozial-wirtschaftliche Entwicklung unseres Volkslebens. An tfchtigen
Aerzten, an geschickten Chirurgen, an eifrigen Forschern und Lehrern
haben wir, gottlob, unter den deutschen Aerzten keinen Mangel, aber
. Löbker war mehr. Wenn man die deutschen Aerzte in Stadt und Land
nach ihrem Führer fragte, so nannten sie keinen noch so leuchtenden
Namen aus den Reihen der Universitätsprofessoren, sondern den taten-
freudigen, kampfbereiten Westfalen. Löbker war der geborene Führer.
Die Fähigkeit, eine große Versammlung zu leiten und ihre Arbeitskraft
auf das Wesentliche zu sammeln, die Gabe der Rede, die je nach der
Forderung der Stunde Begeisterung oder Hohn, Freude oder Grimm,
' Zorn oder Lachen erweckte, war ihm wie wenigen verliehen. Und er
besaß auch die noch viel seltenere Gabe der unerschrockenen Mannhaftig-
keit, die ihn bei aller Verbindlichkeit in der Form scharf und unerschätter-
lich in der Sache sein ließ, unbekümmert darum, ob der Gegner ein
proletarischer Kassenpotentat oder eine hohe Behörde war. Und neben
der Treue in der Arbeit, die auch das Kleine nicht für unwichtig or-
achtete, hatte er viel von dem politischen Weitblick eines Staatsmanns,
der auch in ungewohnter Lage sich schnell zurechtfindet und aus den
gegebenen Möglichkeiten sicher das Notwendige errechnet.
Es ist ein großes Glück für die deutschen Aerzte gewesen, dab
sie einen Löbker an ihrer Spitze hatten in dem letzten Jahrzehnt. Dont
in dieser Zeit hat sich die Stellung des Arztes in der Volkswirtschaft
und dem Leben der Nation von Grund auf geändert. Dem Leben und
Wirken der alten Aerzte gab ihr Beruf den fast ausschließlichen Inhalt,
sich um wirtschaftliche Fragen zu kümmern, fiel ihnen nicht ein, wäre
ihnen wohl gar, wie heute noch manchem, der rückständig die Zeichen
der neuen Zeit nicht zu deuten versteht, unter ihrer Würde erschienen.
Und als ungeheuerlich hätten sie sicher den Gedanken zurückgewies®l:
daß die bittere Notwendigkeit einmal den „idealen“ Stand der Aerzte
zwingen würde, sich gewerkschaftlich zu organisieren, um mit den Mitteln
der Selbsthilfe sich lebensmögliche Bedingungen zu erkämpfen. Auch.
90. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42, 1729
Löbker konnte unmöglich den Gang der Entwicklung übersehen, als er
die Leitung des Aerztevereinsbundes übernahm; ja im Anfang mag der
Gedanke an wirtschaftliche Kämpfe in den Formen der neuen Zeit auch
ihn, der trotz aller Bonhomie einen aristokratischen Wesenszug nicht
verleugnete, abgestoßen haben, aber gerade darin liegt seine Bedeutung,
daß ihm zur rechten Stunde die klare Erkenntnis aufging: der wirt-
schaftliche Kampf ist eine harte, aber unabweisliche Notwendigkeit für
die deutschen Aerzte geworden, und es gilt dabei nicht nur, erträgliche
Lebensbedingungen zu erringen, sondern ein viel höheres Gut zu wahren:
die Freiheit und Unabhängigkeit des ärztlichen Handelns, ohne die der
Beruf des Arztes nicht bestehen kann, ohne die er seinen Wert verliert
im Leben der Gesamtheit.
Es ist Löbkers unvergängliches Verdienst, daß er aus seiner Er-
kenntnis sofort die richtige Folgerung für sein Handeln zog. Was wäre
aus der ärztlichen Bewegung geworden, wenn der Aerztevereinsbund und
der Leipziger Verband sich nicht zusammengefunden hätten? Daß diese
Vereinigung zustande kam auf dem Kölner Aerztetag, ist vor allem
Löbkers Verdienst, und nirgends hat er besser bewiesen, wie sehr er zum
Führer in schweren Zeiten berufen war.
Die schweren Zeiten sind noch lange nicht vorüber. Wer immer
auch der Nachfolger in dem höchsten Ehrenamt sein wird, das die deutschen
Aerzte zu verleihen haben, er wird in Löbkers Wirken das beste Vorbild
finden. Doch nicht er allein, für uns alle liegt in diesem zu früh abge-
schlossenen Leben Vorbildliches. Denn Löbker, obgleich keiner der
Jungen, gehörte doch zum Typus des modernen Arztes, des sozial und —
sagen wir es ruhig: gewerkschaftlich empfindenden. Seinem Tätigkeits-
drange genügte es nicht, nur Kranke zu behandeln, er mußte auch in der
Oeffentlichkeit wirken für Stadt und Staat. Und sein Standesgefühl er-
schöpfte sich nicht darin, Arbeiten zu veröffentlichen oder Vorträge zu
halten, er mußte mitkämpfen in dem großen wirtschaftlichen Ringen, das
die heutige Zeit den Aerzten aufgezwungen hat. Und er fragte nicht
lange, ob solches Tun, bei dem er die ganze kraftvolle Persönlichkeit
einsetzte, allon Mandarinen und Zopfträgern angenebm war. Und wenn
die deutschen Aerzte auch heute in tiefer Trauer an Löbkers Grabe
stehen, so empfinden sie doch mit dankbarem Stolz, wie vieles ihnen an
Unvergänglichem und Unvergeßlichem bleibt aus dem Leben dieses
ganzen Mannes.
Geschichte der Medizin.
Der Arzt ein Künstler
von
Dr. 6. B. Graber, Assistenzarzt in München.
(Schluß aus Nr. 41.)
M. H.! Die ärztliche Wissenschaft und die ärztliche Technik
bilden bis zu einem gewissen Grade die Voraussetzung der. ärztlichen
Kunst. Soweit gilt dieser Satz jedoch nicht, daß alle äußersten Konse-
quenzen des Wissens und alle Feinheiten der Technik vom einzelnen
Arzt beherrscht werden müssen, damit der Arzt Künstler auf seinem
Gebiete sein kann. Gerade in den beschränkten Verhältnissen der täg-
lichen Praxis wird eine Künstlernatur viel eher an den Tag treten, als
dort, wo alle Mittel zur Verfügung, alle Fäden der medizinischen For-
schung und Wissenschaft gespannt sind, alle Schifflein der medizinischen
Gedankenfabrik zum Heil des Patienten hin- und herschießen können.
Die Aufgabe des Landarztes ist unendlich viel schwerer als die des
Klinikers einer großen Stadt. Beide aber können ihren Beruf als Kunst
auffassen und ausüben. Unbedingte Vorbedingung dafür sind jedoch ihnen
eingeborene, vielleicht durch Erziehung noch gestärkte und pointierte
Qualitäten. Man spricht wohl manchmal von ärztlicher Kunst
und in Verbindung damit von einem „ärztlichen Blick“, als
einer gewissermaßen intuitiven Befähigung des raschen Erkennens von
Krankheiten. Es handelt sich — wenn man den ärztlichen Blick, ‚den
mancher erfahrene und gewandte, sinnenscharfe Arzt zweifellos besitzt,
wirklich so definieren wollte — doch wohl um eine Verkennung des
Vorgangs. Der ärztliche Blick, eine gute Stütze bei Ausübung ärztlicher
Kunst, ist nichts anderes als die Resultante zweier Komponenten, deren
eine in der blitzschnellen Wahrnehmung und Zurechtlegung einer Reihe
kleinster, fast unscheinbarer Symptome beruht, deren andere in der Re-
gistrierung und Vergleichung an Hand des Erfahrungsmaterials besteht,
das eine gute Erinnerung und absolut sichere und prompte Reproduk-
tionsgabe jede Sekunde zur Verfügung stellt. „Der ärztliche Blick“,
wie wir ihn verstehen, ist eine recht naturgemäße, nur aut Grund der
Koordination der Sinnesfunktionen und der Logik mögliche Eigenschaft,
die dem Arzte trefflich zustatten kommt, ja geradezu bei ihm voraus-
gesetzt werden muß. Denn das schnelle Erfassen der körperlichen und
seelischen Lage des Patienten, das in einer Konzentration aller Sinne
nur auf ihn, aber doch auch in einem Ueberblicken von scheinbaren
‚Aeußerlichkeiten beruht, die Stimme des vorhin erwähnten gesunden
Menschenverstandes sind ihm dringend nötig. Es ist nahezu selbstver-
ständlich und durchaus nicht von E. Schweninger!) zuerst gefordert,
daß sich im Arzte feine Beobachtungs-, Auffassungs- und Orientierungs-
gabe, Umsicht, „schärffähiger Verstand, durchdringender Scharfblick,
Spürsinn, Findergeist, logische Denkkraft und Gewandtheit eines Diplo-
maten, Sentiment, Unerschrockenheit, Entschlossenheit, Willens- und
Tatkraft neben ritterlicher Gesinnung, Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe“
vereinen soll. Der Arzt muß ein allgemein gebildeter Mann sein, und
diese Bildung muß auch erkennbar sein. Alle diese Eigenschaften zu
bewähren, ist nicht schwer unter günstigen Verhältnissen — man möchte
sagen, es sei dann keine Kunst. — Nun liegen aber bei der ärztlichen
Tätigkeit meist die Vorbedingungen auf Seiten der Klientel ungünstig
für den Arzt. Das gilt für den Arzt auf dem Lande, der unter schlech-
testen hygienischen Verhältnissen, nur auf sich angewiesen, auch vor ein-
greifenden, klippenreichen Operationen nicht zurückschrecken soll; es
gilt von dem Arzte des städtischen Proletariats, der unter mindestens
ebenso schlimmen, hygienischen, noch schlimmeren sozialen Verhältnissen,
eingeengt durch die Schranken der Behandlungsvorschriften für Kassen-
kranke, angegeifert von der rohen, niederen Gesinnung der seiner Klientel
vielfach nahestehenden Menschenhete, seinem Berufe mit Ernst und
Optimismus obliegen will; es gilt von dem Arzte, der in sozial angeblich
hochstehenden Kreisen ans Krankenbett tritt und der mit tausend „Wenn
und Aber“ seiner Klientel, mit dem oft geradezu sinnwidrigen, blöden,
mehr unlogischen Vorurteil der weiteren und näheren Familie des Pa-
tienten zu kämpfen hat, mehr als mit dem Patienten selbst. Alle drei
dürfen bei ihren Kämpfen den Mut und die Geduld nicht verlieren; das
will aber etwas heißen; denn das sind keine Kämpfe, die mit ebenbürti-
gen Gegnern und mit blanken Waffen ausgefochten werden!
Hier heißt es, zur rechten Zeit sich selbst zu bezwingen, nur um
dem Patienten das sein zu können, was der Patient in gesunden Tagen
für den Fall seiner Krankheit vom Arzte verlangen würde. Eine Sklaven-
seele braucht darum der Doktor noch lange nicht zu sein, darf er nicht
einmal sein. Wie der Maler gering geschätzt wird, der sich dem Tages-
geschmacke des Publikums unterwirft und sogenannten „Kitsch“ fabri-
ziert, so schätzen wir den Arzt schlecht ein, der als das willenlose
Werkzeug der Launen seiner Klientel es nicht versteht, sich leise aber
stetig durchzusetzen, sondern mit billigen Mitteln und sinnwidrigem Tun
dem Willen der Klientel fröhnt, die Stimme des ärztlichen Gewissens
aber unterdrückt. Wenig künstlerisch mutet es auch an, wenn der Arzt
am Ende seines vielleicht kleinen Wissens, — bestürmt von Fragen, be-
drängt von unlogischen Wünschen — sich als Kundiger auf anderm, der
Medizin fernliegendem, recht spekulativem Wissensgebiete gibt und tut,
als ob die Medizin viel richtigere Stützen in diesem Gebiete hätte. Das
muß besonders betont werden für die Fälle, wo dunkle, sogenannte
mystische Gebiete betreten werden; und sie werden mit Vorliebe betreten,
weil hier der Phantasie aller Spielraum bleibt, die Sophistik Blüten
treiben kann und die Möglichkeit besteht, für alles einen — natürlich
nur unbewiesenen — Grund, für alles einen — natürlich nur
Scheinbaren — Ausweg zu finden. Das ist Unehrlichkeit, ist Dunst, —
aber keine Kunst. .
Kunst nennen wir es, wenn ein Arzt es versteht, inner-
halb der Gesetze ärztlicher Ethik, unter den verschiedensten
sozialen Verhältnissen dem Hilfe oder Linderung heischen-
den Kranken gerecht zu werden, zu sorgen, daß die Schädigung,
die die Krankheit schafft, nicht einen Umfang annimmt, der nicht un-
bedingt dem Rahmen der betreffenden Krankheit entspricht. Natürlich
kann er den Tod nicht aufhalten, wenn er einen an schwerster Strepto-
kokkensepsis Leidenden vor sich hat; aber er wird es verstehen, dem
Kranken die Gefahr zu verbergen, — ja er muß es verstehen — und
wird dennoch sorgen, daß der Kranke seine nötigsten Verfügungen trifft
für den Fall eines ungünstigen Ausgangs. Das klingt paradox! Das ist
aber eben ein Teil der großen Kunst, der erlaubten und nötigen Diplomatie,
die den Arzt unterstützen muß. Man hört ja so oft, der Arzt müsse
Priester sein. Ach nein, er muß noch viel mehr sein können. Ein
halber Jurist, ein halber Pfarrer, ein humorvoller Schau-
spieler, ein Diplomat, ein milder Lehrer — und ein guter
Pfleger. Wer das alles sein kann und sich dabei auf dem Boden ge-
diegenen Wissens bewegt, ist gewiß ein künstlerisch arbeitender Mann.
Mit wenig Worten und mit einem Tone, der bei der Gemütslage des
Patienten resonniert, muß er oft mehr wirken, als mit teuren Mitteln
und Kuren. „Der Ton macht die Musik“, dahinter steckt eine
große Wahrheit, und viele wirklich gute Aerzte könnten des schönsten
Ruhmes teilhaftig werden, fänden sie den rechten Ton, die rechte Be-
wegung zur rechten Zeit und beschränkten ihre Gelehrsamkeit. Ein für
1) Schweninger, Zur Psychologie des Arztes. (Nord. und Süd.
Halbmonatsschr. Berlin 1912, 86. Jahrg., Bd. 140, H. 449, S. 518.)
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1730
diese kleinen Mittel plädierendes Gedichtlein stand kürzlich in den „Flie-
genden Blättern“). -Ich will es Ihnen nicht vorenthalten und würde
auch gerne die hübsche Zeichnung -dazu vorführen, wenn ich es ver-
möchte: u
: „Krank lag ich im Bett
. Im großen Spital,
Kam der Doktor herein
‚Und redet ein langes,
Redet ein breites.
- Ueber den Rücken
Und über das Mark.
Und ich unterdessen
. Stöhnte und litt.
. Darnach kam Herr Schmidt,
Kollege von mir, . ‚Do‘, sagte sie, ‚80°,
Bedauert mich sehr Nichts weiter als ‚so‘
Und redet und schwätzt, — — — —
Von dem und von dem, Und dann ward mir besser.“
Und der Mann im Bureau,
Der jetzt mich ersetzt,
Der sei ein Kameel —
Und ich unterdessen
Stöhnte und litt.
Dann war ich allein —
Kam die Schwester herein
Mit dem stillen Gesicht
Und redete nicht,
Strich die Kissen zurecht,
"Wenn wir dies alles überdenken, glaube ich sagen zu dürfen, daß
sich hinter dem simpelsten Praktikus vom Lande oft ein gerade so guter
Arzt, ein ebenso großer Künstler verbirgt, als hinter manchem hoch-
gefeierten Chirurgen. Es wäre unrecht, den nicht spezialisierten, ein-
fachen Arzt, den man scherzhaft wohl als „Feld-, Wald- und Wiesen-
doktor“ bezeichnet, der bei Tag und Nacht, vielleicht manchmal ver-
drossen seinem Berufe nachgeht und kaum Ruhe für sich selbst findet,
als bäuerisches Arbeitstier zu qualifizieren, von dem kein feines Werk
zu erwarten ‚ist. Es wäre auch unbillig, wollte der, welcher sich der
autoptischen Methoden bedienen kann, in Verkennung der.Schwierigkeiten
jene Aerzte, die im beschränkten Rahmen der täglichen Praxis arbeiten
und bei der mangelnden Möglichkeit vollkommener Diagnosenstellung
Fehler begangen haben, hochfahrend als Stümper beschimpfen; da
kann man immer noch sich vorstellen: Wenn man den so scharf Ur-
teilenden auf die Basis des so scharf Verurteilten vor dasselbe Objekt
mit der gleichen Aufgabe stellte, möchte ein Resultat zustande kommen,
das den Verurteilten mehr ehrt, als den Verurteiler. Man vergesse nicht,
daß əs viel schwerer ist, den Arzt vom künstlerischen Stan d-
punkt aus darzustellen, bei dem heutigen Gewerbekampfe,
zu dem entsprechend der sozialen Gesetzgebung die ausübende Medizin
verdammt ist als früher, wo der Arzt tatsächlich als freier Künstler vor
dem Publikum stand, der nicht von Konkurrenz bedroht, nicht von
Kassenwillkür bedrückt war, der nicht aus persönlichen, materiellen
Gründen in eilender Hast Dutzenden von Patienten und Simulanten ge-
recht werden mußte; heute ist es viel schwerer als Arzt ein Künstler
zu sein und zu bleiben; denn die Kunst, diese „Vermittlerin des
Unaussprechlichen“, wie sie Goethe nennt, ist „keine Dienerin der
Menge“ (Platen).
Soll uns das nun abhalten, in der ärztlichen Tätigkeit eine künst-
lerische Befähigung zur Blüte zu bringen? Ich glaube, das wäre grund-
falsch.‘ Denn wir selbst würden darunter leiden. Wir sollten uns viel-
mehr bestreben, das künstlerische Empfinden für den Beruf bei unserm
Nachwuchse nach jeder Möglichkeit zu stärken und zu fördern, durch
Beispiele den jungen, leicht enttäuschten Medicus zu heben, der nie ver-
gessen darf, was im Prolog zum „Wallenstein“ dem Schauspieler gesagt
ist: „Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preis“.
Denn gar leicht möchte die köstliche Gabe, die in der Seele vieler
junger, beginnender Mediziner schlummert, verdorren, ersticken, wenn
sie nur von den Unbilden des Berufs berührt und nicht gepflegt: wird.
Man kann niemand zum Künstler machen, der dazu nicht veranlagt ist.
Trotzdem dürfte den Bildnern der medizinischen Jugend die Aufgabe
zufallen, auch dem Kunstempfinden ihrer Schüler Rechnung zu tragen
und zu zeigen, daß es mit Handfertigkeit und Wissen allein beim Arzte
nicht getan ist; das Bewußtsein, daß es eine ärztliche Kunst gibt, muß
stets neu geweckt werden, und diese Kunst muß bewährt werden —
ohne Rücksicht auf soziale Unterschiede und blinkenden Lohn. Der
irdische, materielle Preis der Kunst ist gar hinfällig. Die ärztliche
Jugend muß beizeiten das Gefühl bekommen, daß ein abstrakter Gewinn
aus der ärztlichen Kunst hervorgeht, der höher steht als Lohn, Titel und
Nachruhm. Ohne ein Quentchen von Idealismus können wir
uns keinen guten Arzt vorstellen. Nur als Künstler wird der
Arzt seiner Aufgabe gerecht, nur dann, wenn er von der Wahrheit des
Körnerschen Distichons überzeugt ist:
„Auch das stolzeste Werk ins Leben gestellt, ist
vergänglich;
Was man im Herzen gebaut, reißt keine Ewigkeit um“.
1) Fliegende Blätter Bd. 136, Nr. 3483, S. 207.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 42.
v
6 M, abgehalten werden.
20. Oktober,
Kleino Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur )
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Die Medizinische Fakultät stellt für 1913 die folgenden
Preisaufgaben: 1. Für den Königlichen Preis: „Es soll untersucht
werden, ob die Branntweinsteuer vom Jahre 1909 einen Rückgang der
alkoholischen psychischen Störungen in Berlin zur Folge gehabt hat“,
2. Für den Städtischen Preis: „Lebensdauer bei Herzkrankheiten“.
— Die nächste Plenarsitznng der Aerztekammer
findet am Sonnabend, den 9. November 1912, mittags 1 Uhr, statt. Am
gleichen Tage, abends 6 Uhr, wird aus Anlaß des 25 jährigen Bestehens
der Kammer im Hotel Bellevue ein Festessen, das trockene Gedeck zu
Die jetzigen und ehemaligen Mitglieder und
stellvertretenden Mitglieder der Kammer erhalten besondere Einladungen,
aber auch andere Kollegen sind zu der Festlichkeit willkommen. An-
meldungen können schon jetzt an das Bureau der Aerztekammer, Berlin
W9, Schellingstraße 9, gerichtet werden. |
Dr. med. et phil. F. Kanngießer, Braunfels a. L., richtet an die
Kollegen die Bitte, ihm Mitteilungen über die Gesundheitsverhältnisse
der Kinder blutsverwandter Eltern zukommen zu lassen. Dabei interessiert
auch die Frage, ob beobachtete Fälle von Retinitis pigmentosa, Idiotie,
Taubstummheit, Wachstumshemmung lediglich ererbt oder Folgen der
Blutsverwandtschaft sind. Nach seiner Berechnung sind von 200 Nach-
kommen blutsverwandter Eltern 2,5% taubstumm, 13%, sehen sehr
schlecht oder sind blind und 13°), sind geistesschwach oder geisteskrank.
Hingegen sind von 200 Nachkommen nichtblutsverwandter Ehen 0%
taubstumm, 0,5°/0 sehr schwachsichtig oder blind und nur 4%/o geistes-
schwach oder geisteskrank. i
Berlin. Der 34. Balneologenkongreß, welcher diesmal eine selb:
ständige Sektion des IV. Internationalen Kongresses für Physio-
therapie bildet, wird unter dem Vorsitz von Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Brieger vom 26. bis 30. März 1918 in der Königl. Charité in Berlin
tagen. Anmeldungen von Vorträgen und Anträgen sind zu richten an
den Generalsekretär der Balneologischen Gesellschaft, Geh. San.-Rat
Dr. Brock, Berlin NW, Thomasiusstr. 24. |
Coburg. Prot. Dr. Colmers, Leiter des hiesigen Landkranken-
hauses, wurde vom König von Bulgarien dazu berufen, in leitender Stellung
auf dem Kriegsschauplatze tätig zu sein, und hat dieser Berufung statt-
gegeben. Prof. Colmers ist weiteren Kreisen durch seine erfolgreiche
Tätigkeit gelegentlich des russisch-japanischen Feldzugs bekannt. Auch
die erfolgreiche Organisation der Hilfstätigkeit des Roten Kreuzes ge-
legentlich der Erdbebenkatastrophe zu Messina war im wesentlichen
seinem Einfluß zuzuschreiben. — — —
Hochschulnachrichten. Berlin: Aus Anlaß der Neuorganisation
des zahnärztlichen Studiums an der Berliner Universität hat Pro-
fessor Dr. Albu vom Kultusministerium einen Lehrauftrag für die Vor-
lesung über klinische Untersuchungsmethoden erhalten. — Göttingen:
Dr. Walther. Fischer (Pathologische Anatomie) als Dozent an die
Deutsche Medizinschule in Shanghai berufen. — Greifswald: Prof. Ernst
Schultze (Psychiatrie) erhielt einen Ruf nach Göttingen. — Köln:
Dr. Karl Zilkens (Zahnheilkunde), Dr. Gottfried Thelen (Blasen-
und Nierenleiden) zu Dozenten an der Kölner Akademie berufen. —
Königsberg i. Pr.: Prof. Dr. Hans Strehl, Privatdozent für Chirurgie,
verstarb im Alter von 40 Jahren. — Bern: Prof. Dr. Ernst Tayel
(Chirurgie) verstorben. Ein Schüler Kochers, bekleidete er seit 1892
das Extraordinariat für Bakteriologie und.seit 1906 das für Chirurgie als
Nachfolger von Prof. Girard.
Von Aerzten und Patienten.
Der Philosoph Immanuel Kant (1724—1804) über den Biergenuß.
er Kant aß nur einmal des Tages und so war die Masse
der von ihm genossenen Speisen nicht eben so groß, besonders da er me
Bier trank. Von diesem Getränke war er der abgesagteste Feind. Wenn
jemand in den besten Jahren seines Lebens gestorben war, so sagte
Kant: „Er hat vermutlich Bier getrunken.” Wurde von der Unpäßlich-
keit eines andern gesprochen, so war die Frage nicht fern: „Irinkt er
abends Bier?“ Aus der Antwort auf diese Frage stellte dann Kant dem
Patienten die Nativität. Er erklärte das Bier für ein langsam ee |
Gift, wie der junge Arzt; den Kaffee, bei dem er Voltaire eben antrai;
allein die Antwort, die jener Arzt von Voltaire erhielt: „Langsam
tötend muß dieses Gift wohl sein, weil ich es schon gegen 70. Jahre 89%
nieße“, würde Kant von echten Biertrinkern nicht leicht erhalten haben.
Zu leugnen ist nicht, daß das viel für sich habe, was Kant behauptete,
daß Wegschwemmung der Verdauungssäfte, Verschleimung des Bluts
und Erschlaffung der Wassergefäße Folgen des häufigen Genusses o
Getränks wären, deren Wirkungen durch eine bequeme Lebensart 1
mehr beschleunigt werden. Kant wenigstens nahm das Bier als Haupt-
sache aller Arten von Hämorrhoiden an, die er nur dem Namen nach kannte.
£ , * A % P
„Immanuel Kant, Sein Leben in Darstellungen von Zeitgenossen.
Für die Deutsche Bibliothek in Berlin herausgeg. von Felix Groß 1912. Mi.
Terminologie. Auf Seite 17 des Anzeigenteils findet sich die
a s o . . cke.
| Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
—
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8.
27. Oktober 1912. VII. Jahrgang.
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenbur Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: R. Jolly, Die Atonia uteri und ihre Behandlung. (Mit 1 Abbildung). H. E. Hering, Ueber die Koeffizienten für das
Auftreten postmortaler Herzcontractionen. F. Lust, Kuhmilch-Idiosynkrasie und Anaphylaxie. F. Pawlicki, Zur Frage der akuten infektiösen
Nephritis. H. Müller, Die therapeutische und diagnostische Bedeutung der Vaccination bei Gonorrhöe des Mannes. E. Brodfeld, Ein Fall von
syphilitischem Ikterus. R. Ziegenspeck, Hydrastis und synthetisches Hydrastinin (Bayer). E. Schepelmann, Ueber die Anästhesie mit Chinin-
präparaten, speziell mit Sinecain. (Mit 3 Abbildungen). G. Bucky, Ueber ein neues Blendenverfahren bei Rönitgendurchleuchtungen. (Mit 2 Ab-
bildungen). A. Schlesinger, Tod an Lokalnarkose. (Bemerkungen zu dem Aufsatze von Ritter in Nr. 30 dieser Wochenschrift), Kromayer
und Trinchese, Entgegnung auf den Artikel von B. P. Sormani „Ueber die von Prof. Kromayer und Dr. Trinchese vorgeschlagene Therapia
causalis der pseudonegativen Wassermannschen Reaktion. O. Steiger, Beiträge zur Frage der experimentellen Hyperglobulie. — Aus der Praxis
für die Praxis: M. Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten. — Referate: S. Rosenberg, Ueber experimentellen Diabetes und
seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer Sekretion. (Fortsetzung). Haenlein, Neuere Literatur über Pharynx- und Kehlkopftuberkulose. —
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Rectale Temperaturmessung. Bromoderma tuberosum vegetans aut papillomatosum. Lymphatische
Leukämie mit Hauttumoren. Unterernährung der Säuglinge. Ervasin. Protargol. Formamintwirkung. Charakteristisches Arzneiexanthem nach
subcutaner Pantoponinjektion. Prophylaktikum der Ophthalmoblennorrhoea neonatorum. Uzara.. Akute Kreislaufschwäche. Luminal. Neuronal.
Status epilepticus. Pellidol und Azodolen. Hoher Blutdruck bei Arteriosklerose. Totale Enucleation der Gaumenmandeln. Jodostarin „Roche“.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate: Brophenin. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Perkussionshammer mit Maßstab und
Sensibilitätsprüfer. — Bücherbesprechungen: B. Bandelier und O. Roepke, Die Klinik der Tuberkulose. Kolle-Wassermann. Handbuch
der pathogenen Mikroorganismen. K. Hoffendahl, Taschenbuch der Zahnheilkunde für praktische Aerzte. E. Flatau, Die Migräne. A. Köhler,
Das Röntgenverfahren in der Chirurgie. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens: R. Schönfeld, Tod nach Fall auf
den Kopf ohne schwerere Erscheinungen in den ersten Tagen nach dem Unfall. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: 84. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster. (Schluß) I. Kongreß zur wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen
in Oberhof i. Thür., 20. bis 28. September 1912. (Schluß). Halle a S. Breslau. Bonn. — Geschichte der Medizin: H. Deichert, Zur Ge-
schichte des Hexenwahns. — Aerztlich-soziale Umsehau. — Medizinalgesetzgebung, Medizinaistatistik und Versicherungsmedizins Die
Bezeichnung „Spezialist für äußere und innere Tuberkulose“ widerspricht den Vorschriften der Standesordnung und ist somit unstatthaft, — Kleine
N Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten. |
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürster Quellenangabe ‚gestattet
Klinische V orträge.
Die Atonia uteri und ihre Behandlung’)
Prof. Dr. R. Jolly, Berlin.
M. H.! Starke Blutungen in der Nachgeburtsperiode
gehören von jeher zu den Schrecken des Geburtshelfers.
Mag die Geburt selbst glücklich verlaufen sein, vielleicht
nach größerem operativen Eingriff oder nach kurzer, kaum
schmerzhaft empfundener Dauer — da tritt eine schwere
Blutung ein und bringt die frisch Entbundene an den Rand
des Grabes. Mit einem Schlage ändert sich das Bild der
Wochenstube; die Freude über die Geburt des Kindes macht
ängstlicher Spannung Platz, und an Stelle der ruhigen Be-
'obachtung treten energische Versuche der Blutung Herr zu
werden; die Instrumente, die vielleicht schon eingepackt
waren, werden eilends wieder herausgenommen, alle Hilfs-
kräfte werden herangeholt, alle Mittel versucht, bis schließ-
lich die Gefahr bezwungen ist. |
A f Solche Blutungen können hervorgerufen sein erstens
durch Risse und zweitens durch Atonie des Uterus; und es
muß zunächst in jedem Fall einer Nachblutung nach der
Geburt des Kindes nach der Quelle gesucht werden. Die
Risse können in der Cervix, in der Vagina und im Gebiete
der Vulva sitzen. Es braucht keineswegs immer ein ope-
Tativer Eingriff vorangegangen zu sein. Bei ganz spontanen
'Entbindungen werden Cervixrisse beobachtet, kommen Kli-
torisrisse vor, können Varicen bersten.
Eine Rißblutung unterscheidet sich von einer atonischen
Nachblutung dadurch, daß sie sofort nach der Geburt des
Kindes auftritt, daß das Blut dauernd hervorrieselt und eine
hellere Farbe hat. Dagegen treten atonische Blutungen
häufig erst nach einer gewissen Zeit in Erscheinung, das
-. 1) Nach einem Vortrag auf dem 6. internationalen Kongreß für
Geburtshilfe und Gynäkologie zu Berlin am 11. September. 1912.
Blut kommt mehr schußweise heraus, ist mit großem Koagula
vermischt und dunkelrot. | |
Immerhin kann es schwer sein, ohne weiteres zu ent-
scheiden, welcher Art die Blutung ist. In fraglichen Fällen
tut man gut, eine genaue Untersuchung vorzunehmen und
Scheide und Cervix im Speculum abzusuchen. Auch mag
es vorkommen, daß beide Arten der Blutung gemeinsam
auftreten und man nach der Naht eines Risses noch eine
Atonie des Uterus bekämpfen muß.
Unter Atonie des Uterus versteht man seine mangel-
hafte Contraction. Im physiologischen Vorgang verkleinert
sich nach der Geburt des Kindes der stark ausgedehnte
Uterus; die Muskelfasern ziehen sich zusammen, gehen eine
Art von Verfilzung ein, und die Gefäße..der Placentarstelle
schließen sich. Die Placenta selbst vermag der Verkleine-
rung ihres Haftbodens infolge ihrer Starrheit nicht nachzu-
gehen, sie löst sich in ihrer ganzen Ausdehnung los und
sinkt tiefer. Aus verschiedenen Gründen kann diese Con-
traction ausbleiben und der Uterus bleibt groß und schlaff;
Teile der Placenta lösen sich los oder die Erschlaffung des
Uterus tritt erst nach der Geburt der Placenta ein, und so.
kommt es zur Blutung aus den offenstehenden Gefäßlumina
der Placentarstelle. |
Meistens läßt sich eine Ursache für das Auftreten der
Atonie finden. Es gibt zwar Fälle, in denen der Geburts-
verlauf ein ganz physiologischer war, und in denen doch
nach der Geburt der Placenta eine schwere Atonie eintritt.
Aber sie sind selten. Bei kritischer Betrachtung des Falles
kann sich schließlich doch eine Ursache für das Auftreten
der Atonie ergeben.
Die Ursachen der Atonie sind zu suchen: erstens
in einem pathologischen Verlauf der Geburt selbst und zweitens
in Störungen der Nachgeburtsperiode. Zur ersten Gruppe.
gehören alle die Fälle, in denen der Uterus, zumal wenn er
SENSE i e a a Sn re Sana 2 0
1732
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober.
| übermäßig stark ausgedehnt war, sehr rasch entleert wurde.
Dann hat er nicht Zeit, sich zu kontrahieren, und erschlafft.
Dies kann eintreten bei dem durch Hydramnios überspannten
Uterus, wenn das Fruchtwasser plötzlich im Schwall ab-
fließt oder abgelassen wurde; bei Mehrlingsgeburten, wenn
nach der Geburt des ersten Kindes nicht mindestens eine
halbe Stunde bis zu der des zweiten verläuft; bei Sturz-
geburten; in Fällen, bei denen eine rasche entbindende Ope-
ration vorgenommen wurde, obne daß vorher eine regel-
mäßige Wehentätigkeit vorhanden gewesen wäre; überhaupt
bei Wehenschwäche.
Störungen in der Nachgeburtsperiode entstehen haupt-
sächlich durch eine fehlerhafte Ablösung der Placenta;
sei es, daß sie bereits vor der Geburt des Kindes erfolgt ist,
sei es, daß die Expression in der Nachgeburtsperiode zu
früh forciert wird, sei es, daß Placentarreste zurückbleiben
und eine Contraction des Uterus verhindern. Ein primär
ungünstiger Sitz in der Tubenecke oder als Placenta praevia,
überhaupt pathologische Verbindungen zwischen Placenta
und Uteruswand können die Veranlassung abgeben. Auch
mechanische Hindernisse kommen in Betracht, z. B. wenn
die Uterusmuskulatur von Myomen durchwachsen ist.
Wie das Wesen der Atonie in zwei Momenten be-
steht, der Schlaffheit der Uteruswand und der Blutung
aus der Placentarstelle, so sind auch der Therapie in
der Hauptsache zwei Wege gewiesen. Das erste Bestreben
muß sein, wieder eine Contraction des Uterus zu erzielen,
das zweite, die Placentarstelle zu komprimieren, wenn der
Uterus schlaff bleibt und die Blutung nicht zum Stehen
kommt.
Die Stärke, in der die Atonie auftritt, ist außerordent-
lich verschieden. In leichten Fällen genügen Mutterkorn-
präparate, von denen das Secacornin obenan steht, und
eine manuelle Massage des Uterus mittels der den Fundus
umgreifenden Hand. Tritt hierbei eine Contraction ein, so
ist häufig eine weitere Ueberwachung des Uterus und er-
neutes Reiben erforderlich, wenn wieder eine Erschlaffung
erfolgt.
Svor dies Mittel, so liegt der Fall schon ernster
und man ist gezwungen, intrauterin vorzugehen. Zunächst
wird man heiße oder kalte Spülungen ausführen; bleibt
auch dann der Erfolg aus, so geht man mit behandschuhter
Hand ein und tastet zunächst die Uteruswand auf etwa
zurückgebliebene Placentarreste ab. Sodann ballt man
die Hand zur Faust und reibt über ihr mit der äußeren
Hand den Uterus. Bleibt auch jetzt noch die Uteruswand
schlaff, so ist man bisher auf eine feste, möglichst aus-
giebige Tamponade der Uterushöhle mit steriler Gase an-
gewiesen. |
Schließlich hat man neuerdings in der Kompression
der Bauchaorta mit dem Momburgschen Schlauch oder
in der Klinik mit dem Tourniquet (Gauß) ein Verfahren,
welches für extreme Fälle noch wirksam sein kann, wenn
bereits alles andere versagt hat. Aber es hat doch stets
als ein Ultimum refugium zu gelten und muß für Fälle
reserviert bleiben, in denen die direkte Behandlung des
Uterus wirkungslos geblieben ist oder keine Zeit mehr war,
diese vorzunehmen. Außerdem ist das Mittel bei fetten
Frauen von erheblich geringerer Sicherheit und kann unan-
genehme Schäden nach sich ziehen.
Ich habe seinerzeit als Oberarzt der Berliner Universitäts-Frauen-
klinik in einer In.-Diss.!) die Fälle zusammenstellen lassen, die sich dort
in der Zeit von 1905 bis 1910 ereignet haben. Es waren unter 6494 Geburten
dieser fünf Jahre 99 Fälle von Atonie = 1,5°/o. Unter diesen 99 Fällen
befinden sich elf Todesfälle, die jedoch nur zum geringsten Teil der
Atonie allein zur Last zu legen sind. Bei den meisten spielt die Atonie
eine sekundäre Rolle, die Todesursache ist in einer andern Komplikation
zu suchen. So starb eine Frau an Sepsis, zwei an Eklampsie, zweimal
war eins Placenta praevia centralis und dreimal eine vorzeitige Lösung
der Placenta mit abundanter Blutung (siehe später Fall 2) vorhanden
1) Drucker, Ueber Atonia uteri. (Berlin 1910.)
gewesen. Die eine von den Frauen mit Pläcenta praevia. centralis hatte
hohes Fieber und Schüttelfrost, bei der Sektion erwies sich der Uterus
von zahlreichen Myomen durchsetzt, auf welche die Atonie zum Teil
zurückzuführen ist.
Dagegen ist in drei Fällen die atonische Blutung als direkte
Todesursache anzusehen. Von diesen drei Fällen lag einer allerdings
besonders kompliziert, indem es sich um eine Zwillingsgeburt bei einer
38 jährigen I-para handelte. Wegen hohen Fiebers und jauchigen Frucht-
wassers nach langer Geburtsdauer und schlechter Wehentätigkeit mußte
forciert entbunden werden. Die Folge war eine Atonie, die sich durch
kein Mittel bekämpfen ließ. In den beiden andern Fällen saß die Pla-
centa fest, davon einmal in der Tubenecke. Wegen sehr starker Blutung
mußte bei beiden die manuelle Lösung vorgenommen werden. Die Atonie
blieb bestehen und die Frauen gingen an der Verblutung zugrunde, die
ei Ni ihnen eine blühende 20jährige Erstgebärende (siehe später
all 1). Ä
Aus alledem geht hervor, daß die Atonie des Uterus
post partum häufig ein so schweres und lebensbedrohliches
Ereignis ist und ihre Bekämpfung auch an den erfahrensten
Geburtshelfer so außerordentliche Anforderungen stellt, daß
das Forschen nach neuen, besseren Hilfsmitteln berechtigt
erscheint. Immer noch kommt es vor, daß Frauen auch
unter geübter Hand sich an einer Atonie verbluten, keine
der gebräuchlichen Methoden der Behandlung ist von un-
fehlbarer Wirksamkeit. Ich habe bisher in den ganz schweren
Fällen hauptsächlich von der Tamponade Gebrauch ge-
macht; aber sie hat den Nachteil, daß ihre Anwendung um-
ständlich und zeitraubend und ihre sicher aseptische Aus-
führung nicht immer garantiert ist. E
Ich kam daher schon vor vier Jahren auf den Ge-
danken, diese Uterustamponade zu vereinfachen und zu
ersetzen durch Einführung eines großen Gummiballons,.
Der Gedanke ist an sich nicht neu. Schon in der alten .
Geburtshilfe hat man Ballons in den Uterus eingeführt, um
die Blutung zu bekämpfen. Die Methode geriet aber wieder
in Vergessenheit, vielleicht weil das Material unzureichend
war, mit dem gearbeitet wurde. |
Ich habe zunächst eine größere Anzahl puerperaler
Uteri aus der Sammlung des pathologischen Instituts der
Universitäts-Frauenklinik ausgemessen und ihre Form auf-
gezeichnet. Nach einem mittleren Wert habe ich sodann
einen festen Gummi-
ballon mit langem
Schlauche herstellen
lassen (siehe Abb.).
Der Ballon hat, wenn
er Luft enthält, etwa
die Größe eines Manns-
kopfes.. Wird er auf-
geblasen, so kann er
sich aber noch erheb-
lich vergrößern und
eine Ausdehnung er-
reichen, die etwa einem
ausgetragenen Ei ent-
spricht. Diese Ausdeh-
nungsfähigkeit ist not-
wendig, damit bei stär-
kerer Anfüllung in
utero keine Berstung
erfolg. Die Füllung
in utero wird selbst-
verständlich nicht mit
Luft vorgenommen,
sondern wie beim Me-
treurhynter sonst auch
mit einer indifferen-
ten Flüssigkeit, Borlösung oder dünnem Lysolwasser.
Das Einlegen des Ballons geschieht am besten IN
der Weise, daß die Portio im Speculum eingestellt und mit
Hakenzangen vorgezogen wird, und daß nunmehr der zu-
sammengelegte leere Ballon mittels einer Kornzange 6m-
geführt wird. Tut Eile not, so gelingt auch die Einführung
210 em
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1733
entlang der Hand. Nunmehr wird der Schlauch des mit der
betreffenden Flüssigkeit gefüllten Irrigators mittels Glasrohr
an den Schlauch des Ballons angesetzt und: der Irrigator
langsam zu mäßiger Höhe angehoben. Sofort dehnt sich
unter dem Drucke des sich füllenden Ballons der Uterus aus,
Der Ballon legt sich überall der Uteruswand an. Er ist
zunächst ein sehr starker Reiz zur Anregung von Wehen;
bleiben diese aber aus und füllt man den Ballon weiter an,
so übt er eine sehr feste und völlig ausreichende Kom-
pression der Placentarstelle aus.
Wenn man ein so eingreifendes, die mechanischen Ver-
hältnisse des Uterus so erheblich beeinflussendes Mittel emp-
fiehlt, so muß man sich zunächst über seine Ungefährlichkeit
ein Bild verschafft haben. Ich hatte mir infolgedessen vor-
genommen, den Ballon zunächst bei Moribunden zu ver-
suchen und hier seine mechanische Wirkung kennen zu
lernen. |
So habe ich den Ballon zum erstenmal am 26. August 1908 an-
gewandt. Es handelte sich um eine 20 jährige I-para. Nach normaler
Geburt saß die Placenta fest. Nach forciertem Or6d6 in Narkose folgte
sie zwar,. war aber nicht vollständig, und es kam zu einer starken Blutung.
Die manuelle Austastung ergab, daß in der rechten hornartig aus-
gebuchteten Tubenecke noch Placentareste saßen. Diese wurden entfernt,
aber die Blutung stand nicht, und der Uterus blieb schlaff trotz aller
angewandten Mittel. Als ich gerufen wurde, fand ich die Patientin be-
reits in ganz schlechtem Zustande. Kochsalzinfusionen wurden nicht mehr
resorbiert, und die Blutung aus dem schlaffen Uterus war noch nicht
zum Stehen gekommen. Ich habe dann den Ballon eingeführt und mit
etwa 2 1 Lysolwasser gefüllt. Der Uterus dehnte sich bis etwa hand-
breit oberhalb des Nabels aus, und die Blutung stand sofort. Aber die
Patientin war nicht mehr zu retten. Der Exitus trat bald darauf, im
ganzen kaum drei Stunden post partum ein.
Erst am 18. Januar 1910 konnte ich den Ballon zum zweiten Male
versuchen bei einer 35 jährigen V-para, die bereits in sehr schlechtem
Zustand eingeliefert wurde. Es handelte sich um eine vorzeitige Placentar-
lösung bei Scnädellage. Die Patientin war äußerst anämisch, Gesicht
und Extremitäten kalt, Puls wechselnd, Sensorium benommen, 1!/a°/% Al-
bumen, leichte Oedeme. Bei dreimarkstückgroßem Muttermunde wurde
auf den Fuß gewendet und extrahiert. Die Placenta folgte sofort mit
Blutklumpen. Die Blutung stand nicht trotz ‚Anwendung aller Mittel.
Erst nach Einführung des Ballons und Anfüllung desselben mit etwa
21/2 1 Lysolwasser hörte sie auf. Aber die Patientin hatte vorher zu-
viel Blut verloren, eine Stunde nach der Geburt des Kindes trat der
Exitus ein.
Ich habe den Ballon dann noch in einem dritten Falle leichterer
Atonie angewandt. Hier wirkte er sofort wehenanregend und wurde
u —
schon nach Eingießung einer geringen Menge Flüssigkeit wieder aus dem
Uterus ausgestoßen. Ä
Diese drei Versuche haben gezeigt, daß der Ballon in
der Tat zweifach wirksam ist. Erstens übt er einen starken
Reiz auf die Innenfläche des Uterus aus und kann dadurch
eine Atonie geringeren Grades beseitigen. Vor allem aber
komprimiert er in schweren Fällen die Placentarstelle in
ungleich kürzerer Zeit und viel einfacher als dies durch
eine Uterustamponade möglich ist. Die weitere Behandlung
eines solchen Falles von schwerer Atonie hat dann so vor
sich zu gehen, daß der ausgedehnte Uterus über dem Ballon
vorsichtig gerieben und nach einiger Zeit der Irrigator lang-
sam gesenkt wird. Die Flüssigkeit soll dadurch allmählich
wieder aus dem Ballon heraustreten, wenn der Uterus an-
fängt sich zu kontrahieren. |
Ich hatte leider keine Gelegenheit, den Ballon weiterhin
anzuwenden und kann infolgedessen kein. abschließendes
Urteil über ihn abgeben. Das Einzige was man gegen ihn
einwenden könnte, ist die Möglichkeit einer Luftembolie.
Aber diese ist bei einer Metreurhyse bei Placenta praevia
in höherem Grade vorhanden und bei der Tamponade des
atonischen Uterus in ähnlicher Weise gegeben. Dagegen
hat man in dem Ballon ein Hilfsmittel, welches mit einem
Schlage die atonische Blutung zum Stehen bringt. Der
Ballon muß allerdings zu einer Zeit angewandt werden, in
der die Patientin noch nicht verloren ist, und es noch ge-
lingt, nach der Bilutstillung die Anämie zu bekämpfen. Es
darf auch mit seiner Vorbereitung keine kostbare Zeit ver-
gehen, er muß immer gebrauchsfertig, „klar zum Gefecht“
gehalten werden. | |
Die beste. Therapie liegt in der Prophylaxe. Dieser
Satz ist auch für die Atonia uteri geprägt. Es ist Kein
Zweifel, daß die Atonie um so seltener auftritt, je größer
die geburtshilfliche Kunst ist, je mehr man die Gefahr
rechtzeitig im Auge hat und ihr vorbeugt, sei es z. B. nur
durch eine prophylaktische Mutterkorngabe vor einer ent-
bindenden Operation. Aber es wird immer Fälle geben, in
denen eine Atonie unvermeidlich war. Die Atonie wird
stets ein pathologischer Zustand sein, mit dem der Geburts-
helfer vertraut sein muß, zu dessen Bekämpfung er kein
Mittel unversucht lassen darf.
Abhandlungen.
Aus dem Institut für experimentelle Pathologie der deutschen
| Universität in Prag.
Ueber die Koeffizienten!) für das Auftreten
postimortaler Herzcontractionen
von
Prof. Dr. H. E. Hering.
Für das Auftreten postmortaler Herzeontractionen sind zum
mindesten zwei Koeffizienten erforderlich:
1. Ein reaktivierbarer Zustand des Herzens.
2. Ein reaktivierender Umstand.
Für Punkt 1 kommen wieder zwei Umstände wesentlich in
Betracht: i `
1. Die Todesart des Individuums. |
1) Den Ausdruck Koeffizient (das Mitwirkende) habe ich einge-
führt, da bekanntlich in der Aetiologie der Krankheiten die zu starke
Betonung der Causa vielfach zu einer einseitigen Auffassung über das
ustandekommen einer Erkraukung geführt hat und auch heute noch
vielfach führt, indem immer wieder vergessen wird, daß eine Erkran-
kung das Ergebnis mindestens zweier Faktoren ist. Der
Median ortartigo Gebrauch des Ausdrucks Ursache führt den lernenden
ediziner dazu, zu glauben, eine Erkrankung könne durch eine Ursache
allein hervorgerufen werden. Sobald man aber nach Möglichkeit diesen
Ausdruck vermeidet und dafür den Ausdruck Koeffizient verwendet,
wird der Mediziner durch diesen Ausdruck immer wieder daran erinnert,
daß eine Erkrankung niemals durch eine Ursache allein hervorgerufen
rd. Ich gedenke bei anderer Gelegenheit darauf zurückzukommen.
m
2. Das Intervall T—S zwischen dem Tod (T) des Individuums
und der Sektion (S). | | |
Für Punkt 2 ist es zweckmäßig, auch zwei Fälle zu unter-
scheiden, je nachdem, ob wir absichtlich das Herz wiederzu-
beleben suchen, oder ob die Wiederbelebung unabsichtlich
erfolgt.
Ueber einen solchen Fall von unabsichtlicher Wiederbelebung
des Herzens hat in dieser Wochenschrift kürzlich L. Drozyäski})
berichtet. In sehr fleißiger Weise hat Drozyhski alle Umstände,
die nach seiner Meinung mit der Erklärung der postmortalen Herz-
contractionen in seinem Fall etwas zu tun haben könnten, unter
eingehender Berücksichtigung der einschlägigen Literatur zu-
sammengestellt. Zu einer bestimmten Erklärung, soweit eine
solche in derartigen Fällen überhaupt möglich ist, ist er aber
nicht gekommen. Der Zweck dieser Mitteilung ist unter Anderem;
eine bestimmte Erklärung für seinen Fall zu geben. |
Es handelt sich um einen ö5jährigen Mann. Die klinische Dia-
gnose lautete: Dementia paralytica, Bronchitis bilateralis, Arteriosclerosis
mediocris gradus. Im Anschluß an eine am 5. Juni mit 38,89 ein-
setzende linksseitige Unterlappenpneumonie soporöser Zustand und Tod
am 7. Juni 8!'/2 Uhr morgens. Sektion 9 Uhr, also T—S = !/g Stde.
Nachdem der Thorax und das Perikard eröffnet, das Herz aber
noch nicht aufgeschnitten war, folgte aus einem bestimmten Grunde erst
die Hirnsektion. „Soeben hatte ich“, erzählt Drozyiski, „den das Ge-
hirn vom Rückenmarke trennenden Schnitt (etwa in der Höhe des zweiten
Wurzelsegments) geführt, als der neben mir stehende Diener meine Anf-
merksanıkeit auf das Herz lenkte. Man sah am Herzen lebhafte Pul-
1) Med. Kl. 1912, Nr. 35 u. 36.
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1734 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober;
sationen, die so deutlich und stark waren, daß man sie auf die Ent-
fernung von einigen Metern sehen konnte.“
Zusammenfassend sagt dann Drozyäski:
‚. ni. 40 Minuten nach dem Toda nimmt das rechte Herz eines
jährigen Paralytikers seine Tätigkeit wieder auf und setzt sie mit
kurzen Pausen unter allmählicher Beschränkung auf den Vorhof einige
Stunden fort. |
2. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit scheint im Anschluß an die
mit der Rückenmarksdurchtrennung zusammenhängenden Manipulationen
erfolgt zu sein.“
Nachdem Drozyhski verschiedene Bedingungen für den
Wiedereintritt der Herzeontractionen diskutiert hat, kommt er zum
Schluß auf „das isochrone Auftreten der Herzpulsationen mit der
Durchtrennung des Rückenmarks oder wenigstens mit den dazu
führenden Manipulationen“ zu sprechen und bemerkt: „Diese Iso-
chronie kann ein Zufall sein, wäre hier aber auch eine kausale
Verknüpfung nicht denkbar?* Bei Besprechung dieser Hypothese
kommt Drozynski zu keinem bestimmten Schluß. Nach meiner
Meinung ist jene „Isochronie“ von Rückenmarksdurchtrennung und
Herzpulsation nur ein Zufall. Das läßt sich auch unschwer zeigen.
Würde durch jenen Schnitt das Auftreten der Pulsationen
bedingt sein, dann käme entweder der Fortfall eines herzhemmenden
Vagustonus oder die Erregung der Acceleratoren in Betracht.
Eine halbe Stunde nach dem Tod ist aber der Vagustonus längst
vorbei infolge der centralen Lähmung; die Acceleranserregung ist
ebenfalls auszuschließen, denn ein solcher Schnitt genügt nicht, um
den Accelerans, der verhältnismäßig schwer erregbar ist, so zu er-
regen; der Vergleich mit meinen Versuchen ist insofern nicht
möglich, als ich!) in meinen hierhergehörenden Versuchen den
Accelerans postganglionär gereizt habe; bei einer Rückenmarks-
reizung wird der Accelerans aber präganglionär gereizt. Auch
dürfen alle die Versuche, bei denen es sich um eine Wieder-
belebung der Centralorgane handelt, hier nicht zur Erklärung
herangezogen werden, denn es handelt sich in diesem Falle nicht
um eine solche.
Bevor DroZynski auf diese unhaltbare Hypothese zu
sprechen kommt, erörtert er unter andern in Betracht kommenden
_ Umständen auch die Bedeutung des Sauerstoffs.
„Zu den Momenten“, sagt er, „die, ohne unbedingt notwen-
dig zu sein, das Fortbestehen der Automatie begünstigen, gehört
die Anwesenheit von Sauerstoff.“ Hier befindet sich Drozynski
im Irrtum, denn Sauerstoff ist unbedingt notwendig, nicht nur
für das Fortbestehen, sondern auch für die Wiederbelebung der
Herztätigkeit. Wie aus den Untersuchungen von Langendorff
und seinen Schülern [Rusch?), Strecker?®), Winterstein®)]
hervorgegangen ist, stellt das Säugetierherz ohne Sauerstoffzufuhr
seine Tätigkeit bald ein. Die von Drozyäski angeführten Ver-
suche von Magnus) mit Durchströmung von Wasserstoff zeigen
nur, daß das Herz wenig O bedarf, nicht aber, daß letzterer nicht
nötig sei. Drozyäski meint, daß die Lebensdauer von über fünf
Minuten zwischen Herzinspektion und Beginn der Pulsationen gegen
die Annahme spräche, daß „die Luft- respektive Sauerstofireizung“
als Bedingung für den Wiedereintritt der Herzcontractionen ent-
scheidend gewesen sei. Hier scheint Drozyäski auch durch die Be-
nutzung des unzweckmäßigen Ausdrucks Sauerstoffreizung sich
haben beirren zu lassen, denn sonst wäre jener Einwand unver-
ständlich.
Nach meiner Meinung ist vielmehr gerade der Sauerstoff-
zutritt nach Eröffnung des Thorax und des Perikards der eine
Koeffizient gewesen, welcher bei Vorhandensein des
andern Koeffizienten, das ist der reaktivierbare Zustand
des Herzens, das Wiederschlagen des Herzens erklärt.
Hierfür kann ich auch einen experimentellen Beleg bringen,
den ich noch nicht veröffentlicht habe, obwohl er mir aus der
Literatur nicht bekannt ist.
Folgendes habe ich schon häufig bei Säugetieren (Hunden,
Kaninchen) beobachtet. Ich machte Versuche mit diesen Tieren,
welche zum Tode fübrten; öffnete ich dann den Thorax und das
Perikard, so schlug noch in manchen Fällen das Herz (teilweise oder
ganz), in andern Fällen stand das Herz ganz still. Ohne das
Herz irgendwie zu reizen, fingen nun öfter diese stillstehenden
ı) Hier sei erwähnt, daß ich nicht nur die Vorhöfe, wie
Drosyüski auf S. 1461 angibt, durch Acceleransreizung zum Schlagen
brachte, sondern auch die Kammern (siehe Pflügers A. 1906, Bd. 115,
S. 354. ;
h Pflügers A. 1898, Bd. 73.
3) Pflugers A. 1900, Bd. 80.
4) Zt. f. Phys. 1904, Bd. 4, S. 333.
5) A. f. exp. Path. u. Pharm. 1902, Bd. 47, S. 200.
Herzen wieder zu schlagen an, und zwar zu einer Zeit, wo die
Bedingungen für den centralen Vagustonus oder die dyspnoische
Acceleransreizung längst nicht mehr vorhanden waren. Diese von
mir gemachten Beobachtungen sind der von Droäyhski am
menschlichen Herzen gemachten Beobachtung ganz ähnlich; hier :
wie dort haben wir es mit zwei Koeffizienten zu tun, einem reaktions-
losen Zustand des Herzens und einem reaktivierenden Umstand, dem
Sauerstoffzutritte. ai:
Für das Wiederauftreten der Herzcontractionen kommt aber
auch das Entweichen der Kohlensäure und noch ein Ko-
effizient in Betracht, das ist die Temperatur, die Drozyäski
nur insofern berücksichtigt hat, als er auf S. 1459 die Ab-
kühlung als eine Bedingung für den Wiedereintritt der Herz-
contractionen erwähnt, „die freilich, wie er fortfährt, unter
Berücksichtigung der Jahreszeit (Juni) kaum von Belang sein
konnte“. Der Gedanke, daß die Abkühlung eine Bedingung für
den Wiedereintritt von Herzcontractionen sei, ist überhaupt nicht
zutreffend; im Gegenteil, es wird das Herz unter den geschilderten
Umständen um so sicherer wieder schlagen, je wärmer es ist. Da
die Sektion schon eine halbe Stunde post mortem stattfand, wird
das Herz noch relativ warm gewesen sein, was auch aus der Be-
merkung von Drozyäski bezüglich der Abkühlung hervorgeht.
Die Temperatur kann man, wenn man will, bei dieser Art
von Wiederbelebung des Herzens mit zu dem reaktivierbaren Zu-
stand des Herzens rechnen, während bei Wiederbelebungen nach
vollständiger Abkühlung mit Hilfe künstlicher Durchströmung die
Temperatur der Flüssigkeit ein reaktivierender Koeffizient ist. —
Ich möchte bei dieser Gelegenheit meine Erfahrungen mit-
teilen, die ich bei den Wiederbelebungsversuchen am Herzen er-
wachsener Menschen bis jetzt gemacht habe, wobei ich mich
immer der Langendorffschen Methode bedient habe; zur Durch-
strömung der Coronargefäße verwendete ich immer nur Ringersche
Lösung (ohne künstliche Zufuhr von O oder Hinzufügung von
Dextrose).
Ringerdurchströmung menschlicher Herzen.
—
—
Alter | T-S, Zeit in
und 3 Stunden Es `
Nr.| Datum | Ge- Sektionsbefund zwischen Tod | schlugen
schlecht und Beginn der
Durchströmung
1.129. 3.05] 35 m. | Dementia paralytica, Atrophia 1i Vorböfe .
cerebri, Tbc. chr. gland lymph. und
colli et peribronch. Pneumon. lob. Kammern
inf. Marasmus universalis,
2.121. 4.05| 25 m. Selbstmord; Schädeischuß - 48
8.21. 4.05) 67 m. | Opiumvergiftung (?). Linksseitige - 24
Pneumonie. Dysenterie.
4.113. 5.05) 62 m. Dementia senilis, Arteriitis 11
chron. def.
6.110.12.05| 65 m. | Carcinoma ventriculi mit Meta- 13
stasen. Endarteriitis chron. def.
6.| 1.10.07| 85 m. | Dementia senilis, Bronchitis, Myo- | 31/3
carditis, Degen. parench. et adip.
myocardii. Arteriosclerosis univ.
Concretio cordis cum pericard.
7.1 1.10.07| 87 m. | Paralysis progressiva, Arterio- 4
sclerosis, Hypertrophia cord. sin.
8.| 8.10.07| 43 w. | Oarcinoma ventriculi, Degen. adip. dlh
et parench. myocardii.
9.| 8.10.07| 21 w. | Salpingo-Oophoritis, Peritonitis. 8
10. | 14. 12.07 | 23 w. | Endocard. verrucosa vy. biscup. 7
et tricusp. recrud. Sepsis.
i1. |22. 3.10| 3i m. | Multiple Neurofibrome; eines am 8 Vorhöfe
Rückenmark unterhalb der Medulla
oblongäta. Bronchopneumonie.
Pericarditis fibrinosa. 6%
Aus der Tabelle ersieht man, daß von zwölf Herzen nur
zwei schlugen, und von diesen bei einem nur die Vorhöfe; aen
merkwürdigen ersten Fall mit einem Intervall T— S von 11 Stunden
habe ich?) schon im April 1905 kurz publiziert und veröffentliche
ihn jetzt ausführlich in der Zt. f. exp. Path.; den Fall 11 habe
ich eben in Pflügers A., Bd. 147, mitgeteilt. Da das Alter, die
Todesart und das Intervall T—S sehr verschieden ist, lassen sich
bei dem kleinen Material keine wesentlichen Schlüsse ziehen. Her-
vorheben möchte ich nur, daß die wiederschlagenden Herzen
(1 und 11) nicht von Herzkranken stammen, vielmehr sind es beide
Nervenfälle. Aus der Krankengeschichte des ersten Falles, der
von der psychiatrischen Klinik von Hofrat A. Pick stammt, jst zu
1) Irrtümlicherweise hat Drożyński bei diesem Falle 3 statt
11 Stunden angegeben (S. 1420). EE
2) Verhandlungen des 22. Kongresses für iunere Medizin. p
1905, S. 206. |
12. |22. 5.10| 64 m |
97. Oktober.
entnehmen, daß am Herzen nichts Abnormes beobachtet wurde; am
8. März ist angegeben, daß er zum Skelett abgemagert ist, am
29. März, daß er nach langer Agonie starb und während der letzten
zwölf Stunden eine Herztätigkeit kaum nachweisbar war.
Dabei sei daran erinnert, daß es sich im Falle von Dro-
zyhski auch um keinen Herzkranken handelt, vielmehr auch um
einen Nervenfall (Dementia paralytica) mit hinzutretender Broncho-
pneumonie. |
Bis hierher hatte ich diese Abhandlung gerade geschrieben, als
ich durch die Freundlichkeit von Kollegen Ghon wieder Gelegenheit
hatte, ein Herz wieder zu beleben. Auch in diesem Falle handelt es sich
um einen Fall von Paralysis progressiva (46jährigen Mann), der auch an
einer Bronchopneumonie starb. T—S = 31a Sunden. Es schlugen Vor-
höfe und Kammern, aber wie im Fall 1 dissociiert').
Wir hätten demnach jetzt vier Fälle (drei von mir, einen
von DroZyäski), in denen das Herz post mortem wieder schlug
(T—S = 11, 8, 31/3, 1/2), die darin übereinstimmen, daß alle an
Bronchopneumonie starben, also nicht an einer Herzkrankheit.
Bei den Wiederbelebungsversuchen am menschlichen Herzen
kommt es natürlich auch sehr auf den Zweck an, den man im
Auge hat. Will man Studien machen am menschlichen schlagenden
Herzen, so wird man nach Möglichkeit Fälle wählen, in denen
T—S möglichst kurz ist und der Tod nicht durch eine Herzkrank-
heit erfolgte. Will man jedoch das größte Intervall T—S (bis jetzt
11 Stunden) feststellen oder wissen, bei welchen Todesarten über-
haupt eine Wiederbelebung möglich ist, dann wird man die ver-
schiedenartigsten Fälle zur Untersuchung heranziehen. Experimentell
steht fest, daß sich die verschiedensten Gifte aus dem Herzen -bei
der künstlichen Durchströmung entfernen lassen; schlägt also ein
künstlich durchströmtes Herz wieder, so ist damit nicht gesagt,
daß es nicht infolge einer Vergiftung seine Tätigkeit einstellte.
Da in dem Falle von Drozyäski das Herz ohne künstliche
Durchströmung wieder schlug, so geht daraus hervor, daß dieses
Herz nicht infolge irgendwelcher ausspülbarer giftiger Substanzen
seine Tätigkeit einstellte, sondern, wie oben gezeigt, infolge Mangels
an Sauerstoff, das heißt das Herz ist erstiekt, hat also nicht in-
folge Anhäufung von ausspülbaren Stoffwechselprodukten seine
Tätigkeit eingestellt.
Es sei noch betont, daß in meinen beiden Fällen die Kammern
von den Vorhöfen dissoeiiert schlugen, die Funktion der Ueber-
leitungsfasern also nicht wieder hergestellt wurde; dasselbe scheint
in dem Falle von Droźyński zu sein, der zwar keine graphische
Verzeichnung vorgenommen, aber angegeben hat, daß die Ventrikel-
pulse in bezug auf Rhythmus und Phase mit den Vorhofpulsen
nicht vollständig übereinstimmten und die Zahl der Ventrikel-
pulsationen gleich bei der ersten Besichtigung ziemlich beträcht-
lich schwankte. Meine Fälle zeigen jedenfalls für den Menschen,
daß unter diesen Umständen die Erregungsüberleitung
schwerer reaktivierbar ist als die Reizbildung und die
Contractilität, was mit den Erfahrungen beim Säugetierexperi-
ment über den Ausfall der Erregungsüberleitung bei Erhaltensein
der Reizbildung und Contractilität in Uebereinstimmung steht.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Heidelberg
(Direktor: Prof. Dr. E. Moro).
Kuhmilch-Idiosynkrasie und Anaphylaxie
von
Dr. F. Lust, I. Assistent der Klinik.
Nicht die praktische Wichtigkeit des Vorkommens einer Idio-
synkrasie gegen Kuhmilch bei Säuglingen, sondern das so überaus
eigenartige und eindrucksvolle Krankheitsbild, das vereinzelte, bis
dahin mit Frauenmilch ernährte Kinder nach der einmaligen Dar-
reichung kleiner Kuhmilchgaben zeigen, hat das Interesse der
Kinderärzte für die uns immer noch rätselvolle Aetiologie dieser
Erkrankung immer wieder wachgehalten, seitdem vor etwa acht
Jahren Schloßmann und Moro und fast gleichzeitig Finkel-
stein die ersten kasuistischen Mitteilungen veröffentlicht haben.
Inzwischen sind allenthalben ähnliche Beobachtungen gemacht wor-
~ _ 1) Beiläufig bemerkt, konnte ich mich auch in diesem Falle, wio
in Fall 11, davon überzeugen, daß beim Menschen die Vorhöfe auch nach
Entfernung des Sinusknotens und Stücke vom rechten Vorhof auch nach
solieruug vom Tawaraknoten schlagen können, entgegen der Meinung
von W. Koch (Med. Ki. 1912, Nr. 3); siehe auch meine Mitteilung in
Pflügers A. 1912, Bd. 147. Ich werde diesen 13. Fall mit in der Zt. f.
exp. Path. ausführlich veröffentlichen. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. 1735
den; trotzdem dürfte die Zahl der bisher eingehender studierten
und publizierten Fälle kaum ganz drei Dutzend betragen.
Die Einzelzüge des Krankheitsbildes sollen an dieser Stelle
nicht detaillierter geschildert werden als es zum Verständnis der
nachfolgenden Betrachtungen unumgänglich notwendig ist. Es
genügt wohl, wenn ich daran erinnere, daß es sich um Säuglinge
handelt, die nach einer meist einige Wochen oder noch längere
Zeit durchgeführten Ernährung mit Frauenmilch die erste Kuh-
milch oder auch nur einzelne Kuhmilchbestandteile enthaltende
Nahrung zu sich genommen haben und nun schon kurz danach,
häufig bereits nach wenigen Minuten bis zu einer Viertelstunde,
ernste, ja oft lebensbedrohliche Erscheinungen darbieten: sofortiges,
meist mehrmaliges Erbrechen, Biässe bis zu tiefblasser Oyanose,
Unruhe, Tremor, zuweilen auch Benommenbheit, ferner Durchfälle
und Veränderungen der Körpertemperatur, häufiger Fieber, seltener,
besonders bei schwereren Kollapserscheinungen, auch Untertempe-
raturen. Nicht immer sind die Reaktionserscheinungen alle zu-
sammen oder alle gleich schwer vorhanden, nicht selten stehen die
rein lokalen Symptome, Erbrechen und Durchfälle, im Vorder-
grunde, während das Allgemeinbefinden weniger alteriert ist. Ge-
meinsam aber ist allen Kindern, daß — von ganz vereinzelten
Ausnahmen abgesehen — auch die am gefährdetsten aussehenden
bei zweckmäßiger Therapie schon nach wenigen Tagen der Ge-
nesung zugeführt werden können, und ferner, daß die Gefahr, nach
einiger Zeit durch eine gleiche Gabe von Kuhmilch wieder gleich
schwere Krankheitserscheinungen auszulösen, bei jeder Wieder-
holung des Versuchs sich von Mal zu Mal immer mehr abschwächt,
sodaß diese Kinder oft schon nach Wochen ohne jegliche Schwierig-
keit ausschließlich mit Kuhmilch ernährt werden können. |
Schon in dieser Gewöhnung an die anfangs toxizierend
wirkende Nahrung zeigt sich ein Verhalten, wie es andern uns be-
kannten Idiosynkrasien — ich nenne hier die Idiosynkrasie gegen
gewisse Medikamente oder gegen Nahrungsmittel wie Hühnereiweiß,
Erdbeeren, Krebse, Austern usw. — in der Regel nicht zukommt.
Bei zu derartigen Zuständen neigenden Personen schwächt sich
die abnorme Reaktion nicht nach öfterem Genusse des auslösenden
Agens ab, vielmehr erhält sie sich meist ungeschwächt bis weit
über das erste Kindesalter hinaus, nicht selten sogar bis ins
spätere Alter. Daß es von dieser Regel zwar auch Ausnahmen
gibt, lehrt unter anderm eine Beobachtung Moros. So vertrug ein
Kind Hühnereiweiß schon in den ersten Lebensjahren ganz gut,
das am Ende des ersten Jahres sowohl als auch bei einem zweiten
Versuche einige Monate später nach dem Genusse weniger Löffel
Hühnerei plötzlich mit schwerster Atembeklemmung, pfeifendem,
stenotischem Respirium und Üyanose reagiert hatte.
Abgesehen von dieser Differenz in der Dauer des Bestehen-
bleibens des idiosynkrasischen Zustandes gegen Kuhmilch bei
Säuglingen gegenüber der durch andere Stoffe auslösbaren Idio-
synkrasie bei älteren Kindern und Erwachsenen scheint mir noch
ein anderes Moment auffallend zu sein, auf das wohl schon von
manchen Seiten nebenbei hingewiesen wurde, das aber meines Er-
achtens wegen seiner prinzipiellen Bedeutung eine besonders nach-
drückliche Betonung verdient. Nur ein verschwindend kleiner
Prozentsatz der Säuglinge mit „Kuhmilch-Idiosynkrasie* zeigt dio
krankhafte Reaktion auf die allererste Zufuhr von Kuhmilch
(einzelne Fälle von Finkelstein, Schloßmann, Zybell), sodaß
man mit Recht hier von einer angeborenen Anomalie, von einer
konstitutionellen Idiosynkrasie reden darf. Die weitaus größere
Mehrzahl der betreffenden Säuglinge hat hingegen die Kuhmilch
während der ersten Lebenswochen oder während der ersten Ab-
lactation mit Kuhmilch nach bisheriger Frauenmilchernährung zu-
nächst anstandslos vertragen, ohne während dieser Zeit auch nur
den geringsten Hinweis auf die spätere schwere Reaktionsgefahr
zu bieten. Erst wenn diese Säuglinge wegen einer unter Kuh-
milch allmählich entstandenen Dyspepsie — und es sei besonders
betont, daß diese Dyspepsie in allen typischen Fällen beob-
achtet wurde — an die Brust gebracht worden sind, löst der
nunmehrige, also immer erst der zweite, meist nach Wochen vor-
genommene Ablactationsversuch die geschilderten Symptome aus.
Dieses differente Verhalten der Kinder mit sogenannter „Kuh-
milch-Idiosynkrasie“ muß naturgemäß in einer ganz verschiedenen
Astiologie beider Formen begründet sein, sodaß es mir geboten er-
scheint, diese Säuglinge nicht vom Standpunkte des klinischen
Krankheitsbildes aus unter ein und derselben Marke zu führen,
sondern sie in zwei scharf von einander zu trennende Gruppen zu
scheiden: die erste mit der angeborenen, die zweite mit der er-
worbenen „Idiosynkrasie*. Nur der Pathogenese dieser letzteren
Gruppe können wir heute wohl schon einiges Verständnis ent-
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1736 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
2a. Oktober.
gegenbringen. Von ihr allein soll daher auch nur in den folgenden ' kuhmilchmolkenhaltige Nahrung führte stets zu einem positiven
Betrachtungen die Rede sein.
Seit den ersten klinischen Mitteilungen ist die Streitfrage
nach dem die Reaktion auslösenden Faktor in der Kuhmilch nie
endgültig entschieden worden. Sämtliche überhaupt möglichen
Komponente der Kuhmilch sind der Reihe nach als Schuldige zur
Diskussion gestellt worden, das Eiweiß (Schloßmann), das Fett
[Siegertl)], der Zucker und die Salze (Finkelstein, L. F.
Meyer), und wir sind heute, gerade wieder am Anfange des Kreis-
laufs, daran, das zuerst vornehmlich von Schloßmann beschul-
digte artfremde Eiweiß zu verdächtigen, allerdings in einem
ganz andern Sinn als dies vor Jahren geschehen war.
Schloßmann hatte, in Anlehnung an die Hamburgersche
Hypothese von der allerdings nur lokalen Giftwirkung artfremden
Eiweißes auf die Schleimhaut des Magendarmkanals von Säug-
lingen, die Behauptung aufgestellt, daß durch das Eindringen art-
fremden Eiweißes in die Blutbahn des Säuglings die Giftwirkung
sich hier besonders stark entfalten könnte und zu den schweren
ÄAbwehrerscheinungen des Organismus führe Schloßmann stützte
diese Behauptung durch die Beobachtung, daß auch parenteral
einverleibtes Rindereiweiß bei Säuglingen krankhafte Reaktionen
auszulösen imstande ist, besonders stürmische dann, wenn es sich
um Säuglinge mit Kuhmilch-Idiosynkrasie handelte; zugleich
glaubte er aber auch festgestellt zu haben, daß diese Erscheinungen
nur bei Kindern zur Beobachtung gelangten, die noch nie Kuh-
milch als Nahrung erhalten hatten, und daß es gelänge, durch
mehrmalige subcutane Injektionen von Rinderserum eine specifische
Immunität dieser injizierten Kinder gegen Rindereiweiß zu erzielen.
Umgekehrt. seien künstlich mit Kuhmilch ernährte Kinder gegen
Rindereiweiß immun geworden und damit auch gleichzeitig gegen
eine subcutane Injektion dieses Eiweißes.
Das war der schwächste Punkt der Schloßmannschen
Beobachtung, denn es konnte von Salge im Gegenteil bewiesen
werden, daß Kinder, die anfangs mit Kuhmilch ernährt worden
waren, inzwischen aber eine Amme oder Allaitement mixte be-
kommen hatten — Kinder also, die nach Schloßmanns Annahme
hätten immun sein müssen — auf eine subcutane Injektion von
0,1 g Rinderserum regelmäßig mit Temperatursteigerungen und
vereinzelt auch mit schweren Allgemeinerscheinungen reagierten.
Die daraus gezogenen Schlußfolgerungen, die ganz im Sinne des
damaligen Standes der Immunitätslehren waren, würden heute auf
Grund der Anaphylaxieforschung zweifellos wesentlich anders,
vielleicht sogar ganz im entgegengesetzten Sinne lauten. Damals
schienen sie eindeutig genug zu sein, um die ganze Lehre von der
Giftwirkung des artfremden Eiweißes abzutun. (Fink elstein,
L. F. Meyer, Salge, Reiss.) Dazu kam noch, daß für die weit-
aus wichtigste Voraussetzung dieser Hypothese, für die Annahme
nämlich, daß artfremdes Eiweiß im genuinen Zustande beim Säug-
ling durch die Darmwand ins Blut zu dringen vermag, ein voll-
gültiger Beweis bisher — abgesehen von den eine Ausnahme-
stellung einnehmenden Neugeborenen (Römer, Ganghofner und
Langer, Hamburger, Römer und Much) und einigen ganz
vereinzelt gebliebenen positiven Befunden bei schweren Atro-
phikern (Moro, Bauer) — nicht erbracht worden war.
Man begnügte sich begreiflicherweise nicht mit diesen ne-
gativen Beweisen der Unschädlichkeit des artfremden Eiweißes,
sondern suchte durch Zufuhr der einzelnen Komponenten
der Kuhmilch bei derart disponierten Säuglingen auf dem Wege
der Analyse zu einem besseren Resultate zu gelangen. Diese
Untersuchungsreihen, die sich an die Namen Finkelsteins,
L. F. Meyers, Freunds und Halberstadts knüpfen, kamen zu
wenig eindeutigen, in manchen Punkten sogar zu direkt entgegen-
gesetzten Resultaten. Nur einige davon, die uns hier inter-
essieren müssen, seien von diesen angeführt. Allgemeine Ueber-
einstimmung besteht bei den Autoren darin, daß fettarme Milch
(Mager- oder Buttermilch) eine Reaktion ebensogut auszulösen ver-
mag als Vollmilch. In scheinbarem Widerspruche zu der daraus
anfangs vermuteten Irrelevanz des Fettes steht die Beobachtung
Freunds, der auch auf 4 g Butter, die in Frauenmilch gemischt
waren, gleichfalls stürmische Erscheinungen gesehen hat. Nach
der Zufuhr von Caseinaufschwemmungen wurden von L. F. Meyer
keine, von Freund dagegen zweifellose Reaktionen beobachtet. —
Ein noch komplizierteres Resultat, lieferten die Molkenversuche:
1) Der Fall Siegerts sollte zwar streng genommen nicht zu den
eigentlichen Idiosynkrasien gegen Kuhmilch gezählt werden, da er weder
nach seinem klinischen, noch nach seinem ätiologischen Verhalten sich
in eine dieser beiden Gruppen einreihen läßt,
Ergebnis, in den Untersuchungen L. F. Meyers aber nur dam
wenn die Molke gleichzeitig mit Frauenmilch gegeben, oder wenn
diese letztere bald nach der Molkennahrung gereicht wurde. Dieses
von Halberstadt bestätigte zeitliche Abhängigkeitsverhältnis der
Aufnahme von Kuhmilchmolke und Frauenmilch zur Auslösung
einer Idiosynkrasieerscheinung haben Finkelstein und L, PF,
Meyer zu der höchst merkwürdigen Theorie verleitet, daß die
Kuhmilch, respektive deren Molke nur die vorbereitende Schädi-
gung, nur den ersten Anstoß setze, während die eigentlich toxische
Wirkung von der Frauenmilch ausgehe. Ich komme später auf
diesen Punkt noch einmal zurück. Nur sei hier noch erwähnt,
daß die supponierte, schädigende Wirkung der Kuhmilchmolke
schon deshalb nicht im angegebenen Sinne Bedeutung haben kann,
da auch ohne Molke (man denke an den Butterversuch Freunds)
sowie durch Frauenmilchmolke, der Kuhmilcheasein und Kuhmilch-
fott beigemischt waren (Halberstadt), die gleichen Reaktionen
erzielt werden konnten. |
Für uns drängt sich aus diesem Wirrwarr sich wider-
sprechender Ergebnisse nur die eine Frage als wissenswert auf,
ob es den bisherigen Untersuchungen einwandfrei zu beweisen ge-
lungen ist, daß an irgendeiner der durch die Einfuhr der einzelnen
Nährstoffe bewirkten krankhaften Reaktionen das artfremde Eiweiß
mit Sicherheit als nichtbeteiligt ausgeschlossen werden kann,
respektive daß trotz der Anwesenheit von Eiweiß eine Reaktion
auch ausbleiben kann. Ich glaube, daß diese Frage überhaupt nur
für zwei Einzelbeobachtungen beantwortet zu werden braucht,
Diese beiden Fälle betreffen den einen negativen Versuch mit
Caseinaufschwemmung (L. F. Meyer) sowie den positiven mit
Butter (Freund). Abgehen davon, daß es im Üegensatze zu
L. F. Meyer, Freund gelungen war, mit Casein doch eine idio-
synkrasische Reaktion auszulösen, muß darauf hingewiesen werden,
daß das Casein, wie wir aus einer Reihe von Untersuchungen
wissen, als Nucleoproteid eine Sonderstellung gegenüber den
Molken- und Serumeiweißkörpern einnimmt, und daß die Möglich-
keit einer Resorption im genuinen Zustande, selbst unter den
günstigsten Umständen (siehe unten) durch die bald erfolgende
Labfällung schon aus rein physikalischen Gründen zweifellos ganz
wesentlich erschwert wird.
Der Butterversuch Freunds dagegen darf anderseits nicht
als Beweis für die Entbehrlichkeit von Eiweiß angesprochen
werden, da in jeder Butter noch mindestens 0,5 bis 0,7 %/, Eiweiß
enthalten sind, eine Menge, die als wirksam wohl noch angesehen
werden darf, wenn wir uns daran erinnern, daß bekanntlich schon
nach geringen Mengen, ja selbst nach nur wenigen Tropfen. Kub-
milch, bedrohliche Symptome beobachtet worden sind.
Wir können also von diesen geschilderten Untersuchungs-
serien zusammenfassend nur sagen, daß aus ihnen allein zwar
noch keine einwandfreie Handhabe gewonnen werden
konnte, die die ursächliche Beteiligung des Kuhmilch-
eiweißes am Zustandekommen des Krankheitsbildes ein-
deutig bewiese, aber noch weniger eine, die gegen eIN®
solche Beteiligung ins Feld geführt werden könnte.
Stehen uns nun außer diesen genannten Untersuchungen,
die so wenig zur Klärung der ganzen Frage beigetragen haben,
noch andere Beobachtungen zur Verfügung, die trotz den bis-
herigen, wenig verlockenden Aussichten doch wieder dazu auf-
fordern, die Rolle des artfremden Eiweißes in der Aetiologie der
Kuhmilchidiosynkrasie von neuem zu revidieren?
Ich komme zu diesem Zwecke nochmals auf die Klinik der
Erkrankung zurück. Wer jenes schwere Krankheitsbild vor Augen
hat, das sich bei anaphylaktisch gemachten Tieren unmittelbar auf
die Zufuhr weniger Kubikzentimeter des entsprechenden artfremden
Eiweißes einstellt, oder das man in glücklicherweise seltenen
Fällen bei Kindern nach einer zweiten Seruminjektion: gelegentlich
beobachtet hat, dem wird die weitgehende Analogie des anapbylak-
tischen Shockes mit den Symptomen der Kuhmilchidiosynkrasi®
so auffallend erscheinen, daß er instinktiv dazu gedrängt wird,
einen inneren Zusammenhang beider Reaktionen zu vermuten. Es
ist daher auch gar nicht verwunderlich, daß diese Anomalie
mancher Säuglinge auch schon gelegentlich als Beispiel emos
anaphylaktischen Shockes beim Menschen angeführt worden ist
(Sehittenhelm und Andere). Es ist aber gewiß kein remer
Zufall, ‚wenn solche Behauptungen fast ausschließlich von nieht
pädiatrischer Seite aufgestellt wurden, ohne daß bisher auch von
dieser Seite gleichzeitig der Versuch gemacht worden wäre, dieser
Behauptung eine experimentelle Unterlage zu schaffen. Ich habe
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97. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1737
den Eindruck gewonnen, als ob von mancher solchen Seite die
Notwendigkeit einer besonderen Beweisführung auch als gar nicht
bestehend erachtet würde, da scheinbar vielfach der Glaube be-
steht, als ob die Conditio sine qua non zur Auslösung eines
anaphylaktischen Shockes unter diesen Umständen, das heißt das
Eindringen artfremden Eiweißes durch die Darmwand in die Blut-
bahn, beim Säugling als völlig gesichert gelten kann — so, wenn
Kelling die „Anaphylaxie*“ gegen Hühnereiweiß damit erklären
möchte, daß solche Patienten als Säuglinge bei Darmkatarrhen
mit Eiereiweißwasser genährt wurden und der „Darmkanal ja be-
kanntlich unter solchen Umständen unschwer durchgängig für art-
fremdes Eiweiß sei.“
| Wenn demgegenüber vón seiten der Pädiater der so nane-
liegenden Vermutung, die Idiosynkrasie gegen Kuhmilch als eine
anaphylaktische Erscheinung anzusprechen, bisher eine wesentlich
größere Zurückhaltung bewahrt worden ist — nur Wernstedt
hat vor zwei Jahren in einer „vorläufigen Mitteilung“,
aber ohne jeglichen Begründungsversuch, den Gedanken
an einen solchen Zusammenhang geäußert —, so liegt das
in der einfachen Tatsache begründet, daß bisher ein experimen-
teller Beweis, der einen solchen Analogieschluß zu einem zwingen-
den machte, noch vollständig aussteht. Ja, sogar für die allererste
Voraussetzung zum Zustandekommen eines anaphylaktischen Zu-
' standes beim Säugling, für die Resorption von genuinem Rinder-
- eiweiß, waren bisher nur ganz spärliche Anhaltspunkte vorhanden,
Diese letzteren haben allerdings dadurch eine gewisse Er-
weiterung erfahren, als es mir gelungen ist, den Beweis zu er-
bringen, daß in der Tat auch bei schon älteren Säuglingen unter
gewissen Bedingungen artfremdes Eiweiß unverändert die Darm-
barriere passieren kann!). Diese Voraussetzungen sind einmal eine
schwere, möglichst akute dyspeptische Verdauungsstörung des
Säuglings und zweitens eine besondere Belastung: des Magendarm-
kanals durch artfremdes Eiweiß, eine Belastung aber, der die
natürlichen Schutzkräfte des Darmes unter normalen Verhältnissen
gewachsen gewesen wären. So konnte ich den Durchgang von
artfremdem Eiweiß nicht nur für Hühnereiweiß, was gelegentlich
auch schon bei Erwachsenen beobachtet worden war, sondern auch
für Rindereiweiß, in allerdings ungleich selteneren Fällen bei
schwer dyspeptischen Säuglingen sowie bei jungen Kaninchen mit
künstlich erzeugter, schwerer Dyspepsie durch die Präcipitations-
und Anaphylaxieprüfung nachweisen.
Wenn ich jetzt noch darauf hinweise, daß die Idiosynkrasie der
Säuglingefast durchweg beischwächlichen, zurückgebliebenen Kindern
beobachtet und, was mir besonders betonenswert erscheint, immer
erst nach einer unter Kuhmilch entstandenen schweren Dyspepsie
erworben wird — in einer Periode also, in der nach meinen Unter-
suchungen der Resorption von genuinem Eiweiß sehr viel geringere
Schwierigkeiten entgegenstehen, so wird auch dieses Moment wohl
noch dazu beitragen können, den Verdacht, daß die Idiosynkrasie-
erscheinungen einem anaphylaktischen Shock gleichzusetzen sind,
merklich zu vertiefen.
Ich glaube, daß einer solchen Auffassung auch die Beob-
achtungen Finkelsteins und L. F. Meyers nicht widersprechen,
die die Reaktionen auf Molkenzufuhr nicht nach einer Hunger-
periode, sondern nur dann beobachteten, wenn Frauenmilch gleich-
zeitig oder unmittelbar vorher oder nachher gegeben wurde. Wir
wissen durch die experimentellen Untersuchungen Mayerhofers und
teins, daß die Permeabilität von Kaninchendärmen post mortem
wesentlich erhöht werden konnte, wenn diese einige Zeit in einer
Zuckerlösung gelegen hatten. Auch habe ich bei meinen eignen
Versuchen an Kaninchen die Dyspepsie und die dadurch erst er-
möglichte Resorption von Rindereiweiß gerade durch Fütterung
mit großen Zuckerdosen erzielt. Man könnte sich also wohl vor-
stellen, daß auch die zuckerreiche Frauenmilch bei den Versuchen
Finkelsteins und Meyers erst das geeignete Milieu geschaffen
hat, auf dessen Boden die Resorption des artfremden Eiweißes er-
leichtert wurde2). Eine solche Annahme scheint mir wesentlich
plausibler als eine, die die Frauenmilch als das eigentlich toxisch
1!) Lust, Funktionsprüfungen des Magendarmkanals ernährungs-
gestörter Säuglinge. Vortrag in den Verhandlungen der Gesellschaft für
Kinderheilkunde, Münster 1912.
‚ _*) In diesem Zusammenhang ist es auch wohl erwähnenswert, daß
zwei Erkrankungen an Kuhmilch-Idiosynkrasie, die Moro an der Esche-
Tichschen Klinik beobachtete, durch sehr zuckerreiche Buttermilch hervor-
gerufen wurden.
wirkende Prinzip verantwortlich macht, — dieselbe Frauenmilch,
die bei weiterer Darreichung ihre „Toxieität“ plötzlich verliert
und nun ebenso schnell zur Heilnahrung wird.
Man muß sich aber trotz .dieser zahlreichen Hinweise, daß
die Kuhmilch-Idiosynkrasie eine anaphylaktische Erscheinung ist,
durchaus bewußt bleiben, daß die Aetiologie dieser Erkrankung
solange als ein ungelöstes Problem betrachtet werden muß, als
zweifelsfreie experimentelle Beweise ausstehen. Als solche wären
erst anzusehen: 1. Der sichere Nachweis von Rinderserum im
Blute des „anaphylaktisch“ gewordenen Säuglings; 2. die passive
Uebertragbarkeit des Anaphylaxie-Antikörpers!), und 3. das Ent-
stehen eines antianaphylaktischen Stadiums gegen Kuhmilch nach
dem Auftreten der stürmischen Reaktion. Nur für diese. letzte
Forderung scheinen mir schon jetzt einige Anhaltspunkte vor-
handen zu sein. Bekannt ist schon lange, daß die Reaktion mit
jeder erneuten Kuhmilchzufuhr an Intensität sich abschwächt,
um sich schließlich ganz zu verlieren. Noch verwertbarer scheint mir
in diesem Sinne jedoch eine Beobachtung Halberstadts zu sein,
daß eines seiner Idiosynkrasiekinder (Fall 4) trotz Eintritts stür-
mischer Erscheinungen nach Kuhmilch (wiederholtes Erbrechen,
vermehrte, dünne Stühle, Temperaturanstieg bis zu 39,80, leichter
Kollaps) nach zwei Tagen entfiebert war und sich allmählich er-
holte, ohne daß irgendeine Aenderung der Quantität oder
Qualität der Nahrung vorgenommen wurde. Aehnlich ver-
hielt sich auch ein zweiter Fall (Fall 5). Ich glaube, hier liegt
der Gedanke an das Entstandensein eines der Antianaphylaxie
ähnlichen Zustandes sehr nahe,
Zum Schluß noch eine Bemerkung: Es besteht zweifellos
eine große Gefahr, daß neue, in wissenschaftlicher Notwendigkeit
‚geprägte Schlagworte durch ihre Popularisierung sehr bald viel
von ihrer ursprünglichen, scharf umgrenzten Begriffsbestimmung
verlieren und dann in spekulativer Weise zur Lösung anderer
Probleme in einem erweiterten, oft schließlich ganz entstellten Sinn
ausgebeutet werden. Dieser Gefahr scheint die „Anaphylaxie“ ganz
besonders leicht zu unterliegen. Ein solcher Gedanke drängt sich
einem unwillkürlich auf, wenn man erfährt, daß schon in unserer
Frage das Wort „Anaphylaxie* eine von seiner ursprünglichen
Bedeutung weit abweichende Verwendung gefunden hat: so, wenn
Halberstadt davon spricht, daß die Idiosynkrasie gegen Kuh-
milch „nur ein Symptom einer angeborenen, konstitutionellen Ano-
malie sei“, und dann fortfährt: „sie tritt ähnlich dem Pyloro-
spasmus nicht schon in den allerersten Lebenstagen, sondern erst
später in Erscheinung als eine mehr oder minder große, vorüber-
gehende Ueberempfindlichkeit gegen Kuhmilch — Anaphylaxie*.
Noch begriffsverwirrender wird das Wort Anaphylaxie von dem fran-
zösischen Pädiater Barbier angewandt, der eine „angeborene“
und eine „erworbene Anaphylaxie“ unterscheidet und darunter
alle die Kinder umfaßt, die entweder von Anfang an oder erst
nach einer Zeit guten Gedeihens bei Kuhmilchernährung stillstehen
und bei Zulagen immer mehr an Gewicht verlieren — Kinder
also, die einfach unter den uralten Begriff der Atrophia oder,
wenn man will, des Milchnährschadens oder der Dekomposition fallen.
Solche durchaus unzulässigen Begriffserweiterungen können
nur verwirrend wirken. Es muß unbedingt gefordert. werden, nur
jene kleine, eingangs skizzierte Gruppe von Säuglingen mit Kuh-
milch-Idiosynkrasie der neuen Betrachtungsweise zu unterziehen.
Nur dann ist eine Lösung der Frage zu erwarten, ob es in der
Tat berechtigt ist, statt von einer „Idiosynkrasie“ von einer „Ana-
phylaxie“ der Säuglinge gegen Kuhmilch künftighin zu sprechen.
Literatur: 1. Barbier, A. de méd. des enf. 1910, Bd. 13, S. 499. —
2. Bauer, Berl. kl. Woch. 1906, Nr. 22. — 3. Finkelstein, Mon. f. Kind.
1905, Bd. 4, S. 65. — 4. Derselbe, Lehrbuch d. Säuglingskrankheiten. —
5. Freund, Mon. f. Kind: 1908, Bd. 7, S. 602. — 6. Ganghofner und Langer,
M. med. Woch. 1904, Nr. 84. — 7. Halberstadt, A. f, Kind. 1911, Bd. 55. —
8. Kelling, nach Ref. d. M. med. Woch. 1912, $. 1784. — 9. L. F. Meyer,
Berl. kl. Woch. 1907, S. 1480. — 10. Meyerhofer und Stein, Biochem. Ztschr.
1910, Bd. 27. — 11. Moro, M. med. Woch, 1906, Nr. 47. — 12. Derselbe,
in Lubarsch-Ostertag (Erg. d. path. Anat. Bd. 14). — 13. Reiß, Mon. t. Kind.
1906, Bd. 5. — 14. Salge, Mon. f. Kind. 1906, Bd. 5. — 15. Schittenhelm
D. med. Woch. 1912, S. 489. — 16. Schloßmann, A. f. Kind. 1905, Bd. 41, —
17. Derselbe, Mon. f. Kind. 1905, Bd. 4. — 18. Siegert, Verh. d, Ges. I.
Kinderh,. Salzburg 1909. — 19. Wernstedt, Mon. f. Kind. 1910, Bd. 9. —
20. Witzinger, zit. bei Moro (Lubarsch-Ostertag Bd. 14). — 21. Zybell, Med.
Kl. 1910, Nr. 30, ie p
1) In einem zwar typischen, aber bereits im Ausklingen begriffenen
Falle hat Witzinger auf Veranlassung Moros die Ueberempfindlichkeit
mit defibriniertem Blute (allerdings nur 3 bis 5 ccm) intraperitoneal nicht
auf ein Meerschweinchen übertragen können. | |
1738
—
191% — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
————n
Aus der Chirurgischen Abteilung des Marienhospitals Bonn
(Chefarzt: Prof. Dr. H. Graff).
Zur Frage der akuten infektiösen Nephritis
von
Dr. F, Pawlicki.
Wenn über die chirurgische Nephritis in letzter Zeit viel
geschrieben worden ist, so ist dies ein Beweis dafür, daß über |
Indikationsstellung und Behandlungsmodus eine Einigung nicht
erzielt worden ist. Dieser Umstand veranlaßt mich, unsere auf
dem Gebiete der sogenannten chirurgischen Nephritis liegenden
Erfahrungen und unsere Indikationsstellung kurz mitzuteilen.
Wir wollen uns einer bestimmten Erkrankung zuwenden,
der durch Bakterienverschleppung verursachten Entzündung der.
Niere, der akuten infektiösen Nephritis, welche auch, falls es zur
‘Die urogene Infektion muß als die unwahrscheinlichste bei
einseitiger akut infektiöser Nephritis angesehen werden. Ohne
mechanische Abflußbehinderung ist eine aufsteigende Infektion
schlecht denkbar, obwohl sie im Bereiche des Möglichen liegt und
in vereinzelten Fällen konstatiert sein soll. Bei doppelseitiger,
Nierenerkrankung, zumal mit Eiterabsonderung — Pyelonephritis,
Pyonephrose usw. —, ist dieser Infektionsmodus sogar wahr-
scheinlich.
Im allgemeinen wird man wohl mit Recht behaupten können,
daß die Erkrankung der Niere auf urogenem: Wege in der Mehr-
zahl der Fälle doch wohl kaum sehr akut auftreten wird, auch
wird dann die Erkrankung in den meisten Fällen mehr oder
weniger, besonders im Anfang, lokalisierte Herde betreffen, wäh-
rend das dazwischen liegende Gewebe gesund bleibt, im Gegensatz
zu dem anatomischen Befunde der akut septisch infizierten Niere,
bei der die Herde diffus durch das ganze Nierengowebe ver-
teilt sind.
Wenden wir uns dem Krankheitsbilde zu, so besteht dieses
darin, daß die Patienten in den meisten Fällen plötzlich erkranken
mit rasch ansteigendem Fieber, Schmerzen in der Nierengegend
— gewöhnlich handelt es sich nur um eine Seite —, Muskel-
spannung, in vielen Fällen mit Schüttelfrösten, allgemeiner Nieder-
geschlagenheit, zu der oft Erbrechen und Benommenheit sich ge-
sellt. Daß der Symptomenkomplex oft variiert und in verschieden
intensiver Stärke auftritt, braucht kaum erwähnt zu werden, des-
gleichen, daß die Differentialdiagnose oft große Schwierigkeiten
bereiten kann.
Im Urin findet sich meistens Eiweiß, Cylinder, rote und
weiße Blutkörperchen, Epithelien. Hervorgehoben sei jedoch gleich,
daß der Urin frei sein kann von jeglichen festen Bestandteilen
trotz des entzündlichen Charakters der Nierenerkrankung. Nach
'Abscedierung kommt, als Nephritis apostematosa bezeichnet zu
werden pflegt.
Es ist oft schwer, bei der erwähnten Form von akuter Ne-
phritis den Grad der Erkrankung festzustellen und zu entscheiden,
. ob bereits Eiterbildung vorliegt oder nicht. Aus dem Krankheits-
.verlauf ergibt sich oft erst die definitive Bestätigung der Diagnose,
. falls man nicht zur Operation, durch die bedrohlichen Erscheinungen
. gedrängt, per autopsiam in vivo die Diagnose bestätigen oder be-
richtigen kann. 2.
Für die Invasion der Bakterien in die Niere sind verschiedene
Wege möglich, von denen der hämatogene als der wahrschein-
lichste angenommen werden muß. Die Jymphogene und urogene
Infektion ist möglich, jedoch stehen diese bei der akut eintreten-
. den infektiösen Nephritis im Hintergrunde gegenüber der hämato-
genen Infektion.
-= Die Bakterien können vom primären Entzündungsherde, z. B.
_Furunkel, Cystitis usw., in die Capillaren übergehen und sich in
. denselben vermehren, um dann vom Blute mitgenommen und ver-
schleppt zu werden, ähnlich wie sie bei Infektionskrankheiten im
Blute nachgewiesen werden können.
In den meisten Fällen werden die Bakterien ohne sichtbare
Münnich (A. f. kl. Chir., Bd. 98) fehlen Eiterzellen bei der Coli-
infektion der Niere in ganz frischen Fällen meistens.
Ob beide oder nur eine Niere erkrankt ist, kann man meistens
aus den subjektiven Symptomen und dem objektiven Befünd ent-
scheiden und in zweifelhaften Fällen durch Ureterenkatheterismus
feststellen, der nach Möglichkeit immer ausgeführt werden sollte,
- Schädigung des Organismus von diesem ausgeschieden, und zwar
-zum größten Teil durch die Nieren. Es ist bekannt, daß der Urin
. Typhus- und Scharlachkranker virulente Mikroorganismen enthält;
. ebenso konnten bei andern Infektionskrankheiten von verschiedener
Seite virulente Bakterien im Urin nachgewiesen werden. Diese
passieren in den meisten Fällen die Nieren, ohne Entzündung in
' ihnen hervorzurufen oder ihr Parenchym zu trüben. Doch kommt
- es zuweilen zu Schädigungen und unter anderm dazu, daß die
Bakterien in irgendeinem Teile der Niere selbst sich festsetzen
‚oder von der Niere aus in das diese umgebende Gewebe eindringen.
Stürmisch einsetzende klinische Erscheinungen geben in den meisten
Fällen Zeugnis. davon, daß eine akute Schädigung des Nieren-
.gewebes selbst oder des perirenalen Gewebes stattgefunden hat.
Um auf die andern Infektionsmöglichkeiten zurückzukommen,
so ist die Verschleppung der Bakterien auf dem Lymphwege für
-die akute infektiöse Nephritis wohl möglich und von verschiedenen
. Autoren nachgewiesen. So gelang z.B. Küttner der Nachweis,
' daß das perirenale Gewebe mit dem Pleuraraume durch Lymph-
- gefäße in Verbindung steht und durch Bakterien der Pleurahöhle
.eine Perinephritis verursacht werden kann. Franke konnte nach-
. weisen, daß vom Colon ascendens nach der rechten Niere Lymph-
. gefäße führen. Wenn außerdem an die Versuche Frankes er-
innert wird, durch welche er den Austritt von Bakterien aus dem
. Darme nach geringfügiger Schädigung desselben nachweisen konnte,
„so unterliegt es keinem Zweifel, daß der Iymphogene Infektions-
modus wohl zu Recht besteht bei Nierenerkrankungen. Allerdings
wird man annehmen müssen, daß die Bakterien, die auf dem
“-Lymphwege das perirenale Gewebe erreichen, in erster Linie eine
- Entzündung in diesem hervorrufen, als dem schlechter ernährten,
- und wohl in den bei weitem selteneren Fällen in das Parenchym
der Niere eindringen und dasselbe schädigen. Nach dem Gesagten
ist also der Lymphweg für die Paranephritis eher als möglich
und wahrscheinlich heranzuziehen, als für die Erkrankung der
' Niere selbst. Es sei nebenbei bemerkt, daß dadurch für die
Paranephritis die Invasion der Bakterien aus der Niere selbst
: durch die fibröse Kapsel nach .außen nicht bestritten werden soll.
Für akut infektiöse Nephritis tritt die lymphogene
. damit man über das Vorhandensein der zweiten Niere und ihre
Funktionsfähigkeit sich vergewissert. Ä
Was die Therapie der akuten infektiösen Nephritis anbe-
langt, so wird sich diese nach der Schwere der Infektion und den
mehr oder weniger bedrohlichen Erscheinungen richten. Nach
Möglichkeit wird man den konservativen Weg einschlagen und
den radikalen, operativen erst dann wählen, wenn man mit dem
ersteren nicht zum Ziele kommt. Betonen möchte ich, daß die
konservative Therapie länger als bei akut entzündlichen Erkran-
kungen anderer Organe beibehalten werden und daß sie in den
schwersten Fällen zum Ziele führen kann.
Von operativen Eingriffen wird man die Wahl haben zwischen
Dekapsulation, die man bei starker Hyperämie des Organs ohne
Abscedierung vornehmen wird, und der Nephrotomie und Ne-
phrektomie. |
Am raschesten führt zum Ziele bei multipler Abscedierung
| die Nephrektomie, jedoch wird man diesen radikalsten Eingriff für
die mit schwersten Lokal- und Allgemeinerscheinungen einher-
gehenden Erkrankungen reservieren, um den Körper möglichst
rasch von der Schädlichkeit zu befreien. Die Nachteile liegen
darin, daß verschiedene Gefahren dem Patienten mit dem Verluste
des Organs erwachsen bei eventuell nach der Operation sich heraus-
stellender Insuffizienz der andern Niere oder bei einer akuten Ent-
zündung dieser. Zu empfehlen ist daher der Versuch, mit der
Nephrotomie auszukommen. Es führt oft dieser Eingriff zu Blu-
tungen, Fistelbildung, ausgedehnten Nekrosen des Nierenparenchyms,
aber falls dieser Weg nicht zur Heilung führt, kann man später
immer noch die Nephrektomie folgen lassen.
Da ich der möglichst konservativen Behandlung das Wort
reden möchte, sei es mir gestattet, folgende Fälle hier anzuführen,
‘die mir besonders charakteristisch erscheinen.
Frau W., 82 Jahre alt, leidet seit vielen Wochen an „Brennen
beim Wasserlassen“. Ihr Hausarzt behandelte sie wegen Blasenent
zündung mit Spülungen. Einige Tage vor der Einlieferung in das Hospita,
stellten sich Schmerzen in der rechten Nierengegend ein, welche mi
Fieber bis 39° und Verschlimmerung des Allgemeinbefindens einher:
gingen. Einlieferung in das Hospital am 22. Januar 1912 nachmittag”
wegen ständig wachsenden Fiebers und zunehmender Schmerzen 12
era
Infektion entschieden hinter der hämatogenen zurück.
rechten Seite.
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1739
Bei der Aufnahme macht die Patientin einen schwerkranken Ein-
druck. Die Temperatur beträgt 39,5°, die Pulszahl in der Minute 120.
Der Puls ist regelmäßig. In der rechten Seite des Abdomens besteht
bedeutende Empfindlichkeit beim Versuche, die rechte Niere zu palpieren.
Die Schmerzen werden genau lokalisiert und sind auf die Nierengegend
beschränkt. Die Lumbalgegend ist schmerzempfindlich. Es besteht deut-
liche Muskelspannung daselbst, geringere vorn am Abdomen der rechten
Seite. Die nächste ne insbesondere die Gallenblasen- und Blind-
darmgegend, sind frei von Druckschmerz und Empfindlichkeit. Das übrige
Abdomen ebenfalls frei. Die Brustorgane, insbesondere die Lunge rechts
hinten unten, weisen keine Besonderheiten auf. Der Urin ist frei von
Gallenfarbstoff, enthält deutlich Albumen, keinen Zucker. Im mikro-
skopischen Präparat finden sich reichlich Leukocyten, spärlich Erythro-
cyten und Blasenepithelzellen, sonst keine Formelemente. Der Urin ist
durch den Katheter aufgefangen worden.
Zunächst wird Bettruhe verordnet und sofort Salol und Wildunger
Wasser verabreicht. Die Temperatur beträgt abends 40,20, Pulszahl 120
bis 130. Das subjektive Befinden hat sich nicht verschlechtert. Am
nächsten Morgen beträgt dio Temperatur 40,5 0%, Empfindlichkeit beim
Palpieren wie vorher, Puls frequent, regelmäßig, 120 bis 130 in der Mi-
nute. Bevor ein Entschluß zum operativen Eingriff gefaßt wird, wird die
Cystoskopie vorgenommen. Es wird festgestellt, daß es sich um eine
diffuse Cystitis mittleren Grades handelt. Der durch Katheterisieren des
Ureters der kranken Seite aufgefangene Urin ist fast völlig klar, enthält
mikroskopisch wenig rote Blutkörperchen, wenig Leukocyten. Die Ope-
ration wird noch aufgeschnben, weitere Verabreichung von Salol usw.
Abends desselben Tages fällt die Temperatur etwas, das subjektive Be-
finden hat sich nicht geändert. Am nächsten und den folgenden Tagen
fällt die Temperatur täglich um einige Teilstriche, teilweise ziem-
lich rapid, die Pulsfrequenz nimmt ab. Nach etwa acht Tagen ist die
hohe Temperatur geschwunden und ist fast zur Norm zurückgekehrt (bis
380). Im Maße der schwindenden hohen Temperatur verringern sich die
Schmerzen in der Nierengegend. Nach etwa zehn Tagen verläßt die
Patientin das Bett und nach 14 Tagen das Hospital fieber- und be-
schwerdefrei. Es sei bemerkt, daß die Cystitis nach Abfall der Tempe-
ratur mit Spülungen behandelt wurde.
Fassen wir das Krankheitsbild zusammen, so handelt es sich im
vorliegenden Fall um eine im Anschluß an eine chronische Cystitis
eintretende akute infektiöse Erkrankung der rechten Niere, die mit
höchsten Temperaturen, starken Schmerzen, hoher Pulsfrequenz,
Muskelspannung, Verschlimmerung des Allgemeinzustandes ein-
hergeht. Sicher ist, daß die Nachbarorgane gesund sind. Ob
bereits multiple Herderkrankungen des Parenchyms mit Absceß-
bildung vorliegen, läßt sich nicht entscheiden. Es ist trotz der
bedrohlichen Symptome nicht operiert, sondern eine medikamentöse
Therapie eingeschlagen worden. Die schweren Krankheitserschei-
nungen sind, nachdem sie sich zuerst noch steigerten, verhältnis-
mäßig rasch zurückgegangen und es trat Heilung ohne operativen
Eingriff ein.
Es könnte uns jemand vorwerfen, daß bei derartig bedroh-
lichem Krankheitszustand, insbesondere bei so hohen Temperaturen
eine expektativ-medikamentöse Behandlung nicht mehr angebracht
sei. Darauf sei die Antwort, daß wir damit einverstanden wären,
wenn es sich um akute Appendieitis oder Cholecystitis oder ähn-
liche, mit denselben bedrohlichen Erscheinungen einhergehende,
ganze Körperhöhlen und Nachbarorgane in Mitleidenschaft ziehende
Erkrankung gehandelt hätte, bei akut infektiöser Nephritis war
das Risiko unseres Erachtens nicht so groß. . Ä
Die Niere, dasjenige Organ, welchem ganz besonders die
Aufgabe zufällt, schädliche Stoffe aus dem Körper zu eliminieren,
ist wohl ganz besonders geeignet, Bakterien festzuhalten und durch
Bildung von Entzündungsherden zu erkranken — ebenso ist aber
gerade dieses Organ der Wirkung desinfizierender Mittel besonders
zugänglich, Dieser Umstand erklärt die Besserung und Heilung
in unserm Falle.
Wäre die Temperatur weiterhin auf der beängstigenden
Höhe geblieben, hätten wir uns wohl am nächsten Tage zu einem
Eingriff? entschlossen, die Zögerung jedoch bedeutete für die
Patientin Ausnutzung der Chancen, ohne irgend etwas aufs Spiel
zu setzen. Ein Risiko wie bei akut-entzündlichen Erkrankungen
anderer Organe bestand nicht.
Ich kann nicht umhin, im Anschluß hieran eines Falles zu
gedenken!), dessen Schlußfolgerung ich nicht unterschreiben kann.
Carl Ritter beschreibt einen Fall von einseitiger, septisch infek-
tiöser Nephritis, den er operativ behandelt hat. Er ist Anhänger des
radikalen Vorgehens bei dieser Erkrankung und spricht seine Ansicht
dahin aus, „daß es in solchen akuten Fällen einer infektiösen, nicht nur
py&ämischen, sondern auch septischen einseitigen Nephritis gelingt, die
schwere Erkrankung der Niere durch die Operation geradezu zu kupieren.“
1) M. med. Woch, 1912, Nr. 22,
freie Bauchhöhle.
Es mag sein, daß Ritter in Rücksicht auf den immerhin für In-
: fektionen weniger widerstandsfähigen kindlichen Organismus Rücksicht
genommen hat und sich zur Operation entschloß, um das schädigende
Agens möglichst rasch zu beseitigen. Gelohnt hätte aber auf jeden Fall.
der Versuch, Desinfizientien innerlich zu verordnen, neben der Verab-
reichung von Wildunger oder Fachinger Wasser. Die Möglichkeit, daß
diese Therapie von Erfolg gewesen wäre, ist nicht von der Hand zu
weisen, zumal die Operation die Bestätigung gebracht hat, daß es sich
um keine mit Abscoßbildung einhergehende Erkrankung der Niere
handelte.
Wenn in diesem. Falle eine gewisse Berechtigung zum
operativen Vorgehen bestand, so möchte ich doch diesen .einen
Fall nicht verallgemeinert und diese Therapie auf andere ähnliche
Fälle angewandt wissen. Zu versuchen ist auf jeden Fall die
konservative Therapie mit interner Medikation. Handelt
es sich um eine Erkrankung ohne Eiterbildung, so wird diese
Therapie Nutzen bringen; tut sie das nicht, so handelt es sich
wahrscheinlich um Abscedierung in der Niere. Man kommt mit
dem operativen Eingriff dann noch zur rechten Zeit.
Dem oben beschriebenen Falle sei ein zweiter angereiht, der
geeignet ist, unsere bezüglich der akuten infektiösen Nephritis
eingeschlagene Therapie zu rechtfertigen und zu bekräftigen.
Es handelt sich um eine junge Frau, die mit hohem Fieber,
Schüttelfrost, jagendem Puls, Muskelspannung in der rechten Bauchseite,
namentlich in der Nähe des Rippenbogens, erkrankte und in diesem Zu-
stande in das Hospital eingeliefert wurde. Unsere Wahrscheinlichkeits-
diagnose lautete: akute Cholecystitis mit eventuellem Durchbruch in die
In der rechten Bauchseite war zwischen der vorderen
Axillar- und der Mammillarlinie eine äußerst empfindliche Vorwölbung
fühlbar. Die Notwendigkeit eines sofortigen Eingriffs war absolut vor-
handen. Bei Eröffnung des Abdomens erwies es sich, daß die Vorwöl-
bung der untere Pol der vergrößerten und gesenkten, an der Oberfläche
mit multiplen kleinen Abscessen bedeckten Niere war. Es folgte die
Exstirpation der Niere, die auf dem Durchschnitte von gleichmäßig ver-
teilten miliaren Abscessen durchsetzt war. Die Heilung ging gut und
rasch vonstatten. Nach etwa drei Wochen wurde die Patientin geheilt
entlassen. Nach einigen Wochen bekam dieselbe Patientin Schmerzen in
der linken Nierengegend. Beunruhigt, ließ sie sich am 15. Mai 1911 ins
Hospital aufaehmen mit einer Temperatur von 38°, Der objektive Befund
führte zu der Diagnose akut-infektiöse Nephritis der linken Niere. Die
Verordnung bestand in Salol, Bettruhe usw. In der darautfolgenden
Nacht verschlimmerte sich der Zustand bedenklich. Die Temperatur stieg
auf 40,2°, der Puls war jagend, das subjektive Befinden war schlecht,
kurz, die Patientin machte einen schwerkranken, septischen Eindruck.
Eine andere als expektative Therapie war nicht angebracht, da die rechte
Niere fehlte. Nachdem den nächsten und den darauffolgenden Tag die
Temperatur sich auf der Höhe von 39 bis 40° gehalten hat, stieg sie
langsam wieder zur Norm herab, sodaß die Patientin sich rasch erholte
und nach knapp drei Wochen fieberfrei nach Hause ging. Jetzt nach
einem Jahre ist sie völlig gesund und ohne Rückfall geblieben.
Die beim ersten Falle vorgebrachten Ausführungen finden
durch diesen Fall ihre Bestätigung. Weiterer Erörterungen bedarf
es nicht.
Zum Schluß sei kurz gesagt, daß der Zweck dieser Zeilen
ist, darzutun, daß bei der akuten infektiösen Erkrankung der
Niere — in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um einseitige
Erkrankung —, auch bei bedrohlichen Krankheitserscheinungen
eine abwartende Therapie bei interner Medikation angebracht ist
und ihre volle Berechtigung hat. Führt diese Therapie nicht zum
Ziel — es wird sich dann wohl um beginnende Abscedierung im
Parenebym handeln —, dann bleibt‘ immer noch als ultima ratio
die Operation, mit der man nicht zu spät kommt.
Aus der Kgl. Poliklinik für Hautkrankheiten zu Halle a. S.
(Prof. Grouven).
Die therapeutische und diagnostische Bedeutung
der Vaceination bei Gonorrhöe des Mannes
von
Dr. Hermann Müller.
In seiner Arbeit über die kausale Behandlung der akuten
und chronischen Gonorrhöe des Mannes hat Menzer!t) die örtliche
antiseptische Behandlung als unzweckmäßig und unzulänglich ver-
worfen und die Vaccinetherapie als die wahre und wirksame
Therapie der Gonorrhöe erklärt. Sind auch diese Behauptungen
durch den Widerspruch Grouvens?) und Brucks?) alsbald er-
1) M. med. Woch. 1911, Nr. 46, u. 1912, Nr. 2.
2) Diskussion im Verein der Aerzte zu Halle a. S, 26. Juli 1911.
3) M. med. Woch. 1911, Nr. 49.
4
1740
4: 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
aaa a a m — — — — — — — — — — — — — — — [ — _ — —Z—_———— —
heblich eingeschränkt worden, so haben sie doch, wie es der
Wichtigkeit der Gonorrhöetherapie entspricht, den Anlaß zu zahl-
reichen Nachprüfungen gegeben, die in den Arbeiten von Schulz?),
Rohrbach?), Hagen®), Simon) und Andern niedergelegt sind.
Diese Autoren bekunden übereinstimmend, daß die Vaccine-
therapie einen merkbaren Einfluß auf die offene Schleimhaut-
gonorrhöe nicht ausübt und wollen sie auf ihr bisheriges Auwen-
dungsgebiet, welches ihr Bruck bereits zugewiesen hat, auf die
abgeschlossenen gonorrhoischen Herde, insbesondere auf die Epi-
didymitis und Arthritis beschränkt wissen.
Zur weiteren Prüfung dieser Verhältnisse habe ich auf An-
regung Prof. Grouvens 100 Fälle männlicher Gonorrhöe der
Vaceination unterzogen. Verwendet wurde das Menzersche
Gonokokkenvacein und das Brucksche Arthigon.
Das Menzersche Vacein, welches 10 Millionen Gono-
kokken in 1 cem enthält, wurde etwa alle vier Tage injiziert, be-
ginnend mit 0,5, dann steigend auf 1,0, 2,0, 3,0, 4,0, 5,0 cem. Bei
stärkerer Reaktion wurde dieselbe Dose nach Ablauf der Reak-
tionserscheinungen wiederholt, dann erst höher dosiert. Die Ein-
verleibung erfolgte intraglutäal oder subcutan, zumeist intraglutäal.
Die Stichreaktion: Rötung, Schwellung und Schmerzhaftig-
keit der Einstichstelle war zumeist nicht sehr erheblich, sie begann
einige Stunden nach der Injektion und dauerte 11/,—2 Tage. Die
Allgemeinreaktion begann 6—8 Stunden post injectionem mit
Kopfschmerzen, Uebelkeit, leichtem Schüttelfrost und geringen
Temperatursteigerungen um 0,5—1,00 und verschwand in der
Regel innerhalb 24 Stunden. Manchmal verspätete sie sich um
einen Tag, häufig fehlte sie auch ganz. Am prägnantesten war
im allgemeinen die Herdreaktion, welche sich in vermehrter Sekre-
tion aus der Urethra mit gelegentlichem Wiederauftreten von
Gonokokken, stärkerer Trübung des Urins, subjektiven Beschwer-
den am Krankheitsherd (Brennen beim Urinlassen, vermehrtem
Urindrang, stärkeren Erektionen, Schmerzen im erkrankten Neben-
hoden und Gelenken) äußerte. Einmal wurde nach jeder neuen
Injektion ein Wiederaufflammen der Stichreaktion an den alten
Stichstellen beobachtet.
Das Arthigon Bruck, welches 20 Millionen Gonokokken
in 1 cem enthält, erzeugt in der Regel eine erheblich stärkere
Stich- und Allgemeinreaktion, insbesondere Fieber. An 40° heran-
reichende Temperaturen sind nicht ganz selten, auch wurden 40 9
gelegentlich überschritten. In der Regel bewegte sich das Fieber
zwischen 38° und 390. Deshalb wurde stets mit kleinen Dosen
(0,2) begonnen, dann auf 0,3, 0,5, 1,0, 1,5, 2,0 2,5, 3,0, manchmal
auch auf 4,0 und 5,0 cem gestiegen, sobald das Allgemeinbefinden
es erlaubte. Die Allgemeinreaktion begann in der Regel 6 Stunden
post injectionem mit leichtem Schüttelfrost und Kopfschmerzen.
Die Temperatur erreichte ihren Höhepunkt in 8—12 Stunden, um
nach 24 Stunden zum Teil unter lebhaftem Schweißausbruch wieder
zur Norm zu sinken. Bei einzelnen Kranken blieb die Temperatur-
erhöhung zweimal 24 Stunden bestehen, in zwei Fällen wurde
Herpes labialis beobachtet. Die Störung des Allgemeinbefindens
ist dem Patienten oft lästig, es folgt eine mehrtägige allgemeine
Mattigkeit und Abspannung, manchmal mit Kopfschmerzen und
Uebelkeit. Außerdem behindert die Stichreaktion bei intraglutäaler
Injektion das Liegen auf der betreffenden Seite. Ein Patient, der
stets außerordentlich heftige Stichreaktionen hatte, bekam im An-
schluß an eine subcutane Injektion unter der Clavicula ein Oedem
der Brust und des Halses mit Anfällen subjektiver Atemnot.
Immerhin sind diese Störungen vorübergehend, bleibende Schädi-
gungen wurden niemals beobachtet.
Bemerkenswert sind die stärkeren Reaktionen des Arthigons,
welche nicht allein vom größeren Gonokokkengehalt abhängen, da
auch die doppelte Dose des Menzerschen Vaceins nicht so starke
Reaktionen erzeugt, wie die einfache, die gleiche Gonokokkenzahl
enthaltende Arthigondose. Im Gegensatze zur Temperaturerhöhung
fielen als Allgemeinstörungen durch das Menzervacein die größere
Neigung zur Uebelkeit und nervösen Symptomen (kalter Schweiß,
Gliederzittern) auf.
Die Wirksamkeit der Gonorrhöetherapie richtig zu bewerten,
ist, wenn der Erfolg nicht ganz prägnant und mit einiger Regel-
mäßigkeit eintritt, im allgemeinen recht schwer, da die Gonorrhöe
ohne jede Behandlung lediglich durch Ruhe und Fernhaltung von
1) D. med. Woch. 19i1, Nr. 50.
2) Derm. Zt. 1912, Nr. 1.
3) Med. Kl. 1912, Nr. 7.
4) M. med. Woch. 1912, Nr. 10.
der Vaceinetherapie bei
27. Oktober,
Schädlichkeiten sich wesentlich bessern und sogar heilen kann.
Das gilt in noch höherem Grade von den Komplikationen, -ins-
besondere von der Epididymitis, die ohne Behandlung unter Bett-
ruhe meist in wenigen Tagen zurückgeht. Auch kann die
quälendste Prostatitis ohne jedes Zutun infolge Eiterdurchbruchs in
einem Tage vollkommen abklingen. Strikte Beweise und zahlen-
mäßige Belege können infolgedessen nur durch große vergleichende
Zeahlenreihen gewonnen werden, andernfalls bleibt das Urteil stets
mehr oder weniger subjektiv, von Temperament und der persön-
lichen Auffassung des Beobachters abhängig. Ueber die Erfolge
den gonorrhoischen Komplikationen,
namentlich bei der Epididymitis und Arthritis ist das Urteil der
zablreichen Beobachter so einstimmig, daß man es wohl als über
einem persönlichen Eindruck stehend gelten lassen kann. Von
der tatsächlichen Wirksamkeit des Arthigons konnten wir uns in
einem Falle von Polyarthritis gonorrhoica ganz speziell überzeugen,
der wegen der Multiplizität der Gelenkerkrankungen differential-
diagnostische Schwierigkeiten machte. Während eine länger
dauernde energische Aspirinbehandlung ohne jeden Erfolg blieb,
brachte die Arthigonbehandlung nach Ablauf der allgemeinen Reak-
tion und örtlichen Verschlimmerung der Gelenkschwellungen eine
prompte, in die Augen fallende Besserung. Das Arthigon erwies
sich bei den Komplikationen entschieden wirksamer als das
Menzervacein — wohl wegen der stärkeren Allgemeiureaktion,
die es erzeugt. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, was
auch Hagen und Simon betonen, daß die Einwirkung des Arthigons
auf die Prostatitis viel weniger deutlich als auf die Epididymitis
ist. Besonders zeigen sich die chronisch infiltrativen Formen, die
theoretisch — als geschlossene Herde — der Vaccinetherapie be-
sonders zugänglich sein müßten, äußerst resistent.
Uns interessierte vor allem die Einwirkung des Vaccins auf
die Schleimhauterkrankung der Urethra selbst.
Bei der akuten und subakuten Schleimhautgonorrhöe
mußten wir uns sehr bald von der absoluten Wirkungslosig-
keit der Vaceinetherapie überzeugen, die auch Bluck, Schulz
und die folgenden Beobachter einmütig betont haben. Es zeigte
sich stets nach mehreren Wochen, in einem Falle selbst nach sechs
Wochen nicht die geringste Abnahme der Eitersekretion und Gono-
kokken, während die hierauf eingeleitete örtliche Silberbehandlung _
prompt wirkte, i
Wenn es aber als erwiesen gilt, daß die abgeschlossenen
Herde die geeigneten Objekte für die Vaceinebehandlung sind,
so müßte das gonorrhoische Schleimhautinfiltrat und damit die
chronische Gonorrhöe der ideale Boden für die Vaceinetherapie
sein. Daß diese Infiltrate in der Tat eine erhebliche Herdreaktion
zeigen können, davon konnten wir uns in mehreren Fällen über-
zeugen. Hier trat jedesmal nach der Vaccination eine vermehrte
Blutfüllung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit auf, welche einen bis
zwei Tage andauerte. Eine auffallend schnelle Rückbildung haben
wir aber selbst nach Ablauf einer ganzen Reihe solcher Reaktionen
niemals beobachten können, außer wenn zugleich Dehnungen vor-
genommen waren. Der besondere therapeutische Effekt war dem-
entsprechend auch bei der chronischen Gonorrhöse nicht sehr in
die Augen fallend. Weder konnte das dauernde Verschwinden jeder
Sekretion und eine beständige Klarheit des Urins häufiger erzielt
werden als mit der örtlichen Therapie, noch erfüllte sich die Hof-
nung auf die Nachhaltigkeit der erreichten Erfolge.
Um einen ziffernmäßigen Ausdruck der Erfolge be-
ziehungsweise Mißerfolge der Vaccinetherapie zu geben,
stellen wir in folgendem eine Kategorie von Patienten zusammen,
die naturgemäß am längsten beobachtet werden konnten.
Von 16 vaceinierten Studenten bekamen drei bis vier Monate nach
Beendigung der Vaccination:
2 Rückfälle der Urethritis mit Gonokokken; von diesen hatte einer
16,5 Menzer-Vacein erhalten; s
i frische Epididymitis nach 10,7 Arthigon + 17,0 Menzer-Vaccia
wegen Urethritis; nach neunmonatiger Behandlung fanden sich hier noch
drei ausgedehnte Infiltrate in der Pars cavernosa;
i frische Epididymitis und Funiculitis nach 5,0 Arthigon + 10,0
Menzer-Vaccin wegen Arthritis;
1 Epididymitis auf der bisher gesunden Seite, Patient hatte 6,5
Mercksches Vaccin wegen Epididymitis erhalten;
‚ 2 zeigten keine wesentliche Verkleinerung der Infiltrate trotz hoher
Vaceindosen: 19,5 Arthigon + 14,5 Menzer-Vacein;
„ „1 ‚zeigte nach 5,0 Arthigon + 14,0 Menzer-Vaccin in Verbindung
mit Dilatationen ein merkbares Zurückgehen der Infiltrate.
Bei den übrigen gelang es nicht, die schon beim Beginn der Kur
nur geringe und zeitweilige Morgensekretion dauernd zu beseitigen.
97. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1741
In 2 Fällen sind wir später von der schnell steigenden Dosierung
auf die chronische Einverleibung kleinerer Dosen — wöchentlich 1,0
Menzer-Vaccin — übergegangen. In einem Falle mit gutem Erfolge
(Rückgang der Infiltrate), im andern Falle konnte die chronische Vacci-
nation wegen eingetretener Ueberempfindlichkeit, die sich in heftigen
Kopfschmerzen jedesmal nach der Vaccination äußerte, nicht fortgesetzt
werden. Auch sonst haben wir zweimal erhebliche „Nervosität“ nach der
Kur beobachtet. |
Danach sind die Erfolge der Vaceination auch bei der
chronischen Gonorrhöe nicht gerade sehr ermutigend.
Indessen haben wir manchmal den Eindruck gehabt, als ob die
chronischen Infiltrationen durch die reaktive Entzündung nach der
Vaceinierung der örtlichen Therapie (Dehnungen) besonders zugäng-
lich geworden wären. Bei der sonst so undankbaren Therapie und
der Möglichkeit, den vielgeübten örtlichen Eingriff durch den An-
griff am fernen Orte zu ersetzen, halten wir deshalb die Vaccine-
therapie bei den infiltrativen Formen chronischer Gonorrhöe jeden-
falls eines Versuchs wert, allerdings nicht in schnellsteigenden
großen Dosen, sondern in der chronischen Anwendung kleiner
Dosen. Diese Art der Anwendung scheint nicht unwirksam zu
sein und steht auch wegen der geringeren Störung des Allgemein-
befindens und der Arbeitsfähigkeit nicht in so schreiendem Miß-
verhältnis zu dem erreichbaren Heilerfolge. Hierzu halten wir das
Menzer-Vaccin für ebenso geeignet wie das Arthigon. Nach un-
serer Ueberzeugung leistet aber die Vaccinetherapie auch bei der
chronischen Gonorrhöe nicht einmal soviel, wie die Tuberkulin-
injektionen beim Lupus. Und wem fiel es heutzutage noch ein,
den Lupus allein durch Tuberkulin heilen zu wollen? Sie ist des-
halb keinesfalls geeignet, die örtliche Therapie entbehrlich zu
machen, höchstens vermag sie dieselbe manchmal durch die reak-
tive Irritation des gonorrhoischen Gewebes zu unterstützen.
Was die diagnostische Bedeutung der Vaccination anbetrifft,
so hat man geglaubt, durch dieselbe feststellen zu können, ob
noch irgendwo im Körper Gonokokken vorhanden sind oder nicht.
Das trifft mit Regelmäßigkeit nicht zu, weder für das Arthigon,
noch für das Menzersche Vacein, und weder hinsichtlich der All-
gemein- noch der Stich- oder Herdreaktion.
Die Stichreaktion — Schmerzhaftigkeit und Schwellung der
Injektionsstelle — tritt bei den meisten Injektionen, bei gonor-
rhoischen und nichtgonorrhoischen auf und hat sich auch bei der
weiblichen Gonorrhöe als ganz ungenaues Reagens erwiesen). Nur
ganz heftige Stichreaktionen haben wir ausschließlich bei Gonor-
rhoischen beobachtet. Auch die Allgemeinrsaktion mitsamt dem
Fieber, welches Fromme?) für die weibliche Gonorrhöe als zuver-
lässigsten Indikator bezeichnet, halte ich für kein sicheres Dia-
gnostikum. Das Menzersche Vacein macht in einem Viertel aller
sicheren Gonorrhöen überhaupt keine bemerkenswerte Temperatur-
erhöhung, und das Arthigon erzeugte in Dosen von 0,5 bei einigen
sicher gonorrhöefreien Knaben Temperaturanstiege von über 1° C.
Am zuverlässigsten ist jedenfalls die Reaktion des Krank-
heitsherdes, wie sie für die Epididymitis und Arthritis gon. schon
von Bruck beschrieben ist. Daß diese Reaktion an Infiltraten
der Urethra mehreremal als vermehrte Schwellung und Schmerz-
haftigkeit urethroskopisch festgestellt werden konnte, ist bereits
erwähnt. Bemerkenswert war, daß diese Reaktion sich nach jeder
Vaceineinjektion aufs neue in alter Stärke wiederholte (wohl be-
dingt durch das Nochvorhandensein von Gonokokken), während
gleich große Infiltrate bei andern Patienten niemals Veränderungen
zeigten. Auch wurde bereits erwähnt, daß häufig eine vermehrte
Sekretion der Urethra zuweilen mit Wiederauftreten von Gono-
kokken, sowie eine stärkere Trübung des Urins in Erscheinung
traten. Doch ist auch hier von Regelmäßigkeit keine Rede. Etwa
in der Hälfte aller Vaccinationen war die vorhandene Sekretion
am folgenden Morgen geringer oder verschwunden, der Urin klarer
beziehungsweise ganz klar. Ja es wurde sogar einige Male die
bestehende Gonokokkenproduktion vorübergehend sistiert.
Das Erscheinen latenter Gonokokken in dem durch die Herd-
reaktion vermehrten Sekret war relativ selten, gab jedoch in
zirka 100/, der Fälle unerwarteten Aufschluß über ihr Nochvor-
handensein. In zwei Fällen traten sie zuerst auf nach einer sehr
heftigen Allgemeinreaktion, nachdem vorhergehende Reaktionen
ganz milde ausgefallen waren. Die Herdreaktion konkurriert also
in diagnostischer Bedeutung mit der provokatorischen Argentum-
injektion, bei der ja auch durch Vermehrung beziehungsweise
1) Guggisberg, M. med. Woch. i912, Nr. 22, ne
2) Fromme, Ueber die spezifische Behandlung der weiblichen
Gonorrhöe. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 21.)
86,82.
Wiederanregung der Sekretion latente Gonokokken zutage gefördert
werden können. Doch wäre es verfehlt, aus dem negativen Er-
gebnis einzelner Vaceineinjektionen die Anwesenheit von Gono-
kokken ausschließen zu wollen. Hierfür ein Beispiel:
. St. Nr. 30. Gonorrhöe seit drei Jahren. Prominentes Infiltrat
in der Pars bulbosa. Zahlreiche flache Infiltrate in der Mitte der Pars
cavernosa. Circuläre, zum Teil hypertrophische, zum Teil erodierte In-
filtration dicht hinter der Fossa navicularis.
15. Februar 1912. Ab und zu morgens ein Tropfen schleimige
Sekretion aus der Urethra. Erster Urin leicht getrübt. 0,5 Menzer-Vacein.
Höchste Temperatur danach 36,60. 16. Februar. Keine Sekretion. Erster
Urin wie gestern. 22. Februar. 1,0 Menzer-Vaccin. Höchste Temperatur
36.70. 28. Februar. Morgens ein Tropfen schleimige Sekretion Go —
Lk ++ Ep+-+. Erster Urin leicht getrübt. 27. Februar. 2,0 Menzer-
Vaccin. Höchste Temperatur 37,4%. Stichreaktion. Kopfschmerzen.
28. Februar. Morgens ein Tropfen Schleim, enthält nur Epithelien und
grampositive Diplokokkenhaufen. 2. März. Dilation der .Urethra bis
43 Oberländer. 5. März. Keine Sekretion. Erster Urin klar mit Flocken.
3,0 Menzer-Vaccin. Höchste Temperatur 86,0%. Keine Allgemeinstörungen.
6. März. Morgens ein Tropfen Schleim mit Monokokken und Stäbchen:
11. März. Morgens auf Druck ein Tropfen Schleim. Go-+-+. (Gram)
Lk — Ep+. Dehnung bis 43. 4,0 Menzer-Vaccin. Keine Allgemein-
störungen. 12. März. Go— (Gram) Lk ++ Ep-+, Massen von Mono-
kokken. 16. März. 5,0 Menzer-Vaccin. Höchste Temperatur danach
Keine Allgemeinstörungen. 17. März. Keine Sekretion. Erster
Urin fast klar. 18. März. Dehnung bis 45. 20. März. Morgens ein
Tropfen Schleim. Go+ Lk-+ Ep+-+. Erster Urin klar mit Fäden.
Wir haben also im vorliegenden Fall eine geringe Allgemein- und
Stickreaktion nach 2,0 Vaccin, während 0,5, 1,0, 3,0, 4,0, 5,0 keine solche
erzeugten. Der Nachweis von Gonokokken gelang einmal sechs Tage
nach 3,0, einmal vier Tage nach 5,0, während an dem der: Injektion fol-
genden Tage keine nachweisbar waren. Nach 4,0 Vaccin waren die vor-
her vorhandenen Gonokokken sogar verschwunden. Wenn wir also das
Erscheinen der Gonokokken hier überhaupt auf die Vaccination zurück-
führen wollen, so sehen wir aber auch zugleich, daß die diagnostische
Verwertung einzelner Injektionen Trugschlüsse bedingen kann.
Wenn es auch einleuchtet, daß oberflächliche, vielleicht so-
gar auf einem erodierten Infiltrat sitzende Gonokokken durch die
entzündliche Herdreaktion und die dadurch vermehrte Exsudation
herausgeschwemmt werden, so wäre es anderseits unverständlich,
wie tieferliegende Gonokokken plötzlich in größeren Mengen aus-
gestoßen werden sollten, da doch eine schnelle Einschmelzung der
Infiltrate nicht stattfindet. Es können also auch bei ausgesprochen-
ster Herdreaktion rein mechanische Momente das Hervortreten
vorhandener Gonokokken verhindern. Der Gonokokkennachweis
durch die Vaceination hat also das mit der Wassermannschen
Reaktion bei der Lues gemeinsam, daß der negative Ausfall nichts
Definitives besagt und nur der positive Ausfall Beweiskraft
besitzt. g |
Analog der Tuberkulinwirkung ist also auch dem Gono-
kokkenvacein eine gewisse specifische Beeinflussung des durch die
Gonokokken erkrankten Gewebes zuzuschreiben, welche in einer
vorübergehenden Erhöhung des entzündlichen Zustandes besteht.
Vieltach wird der Krankheitsherd hierdurch mit und ohne schmerz-
hafte Sensationen zu einer vermehrten Exsudation und gelegent-
licher Ausstoßung von Gonokokken angeregt. Diese Reaktion ist
aber oft nicht bemerkbar und im allgemeinen zu unwirksam, als
daß sie zur Eliminierung des Krankheitserregers ausreichte. Die
größere Wirksamkeit der Vaccinetherapie bei den gonorrhoischen
Komplikationen hängt offenbar damit zusammen, daß die Gono-
kokken in den Metastasen an und für sich leichter zugrunde gehen,
sodaß die Vermehrung der Schutzstoffe des Bluts durch die Vacei-
nation oft zu ihrer Vernichtung genügt.
Zusammenfassend möchten wir unsere Erfahrungen mit der
Vaceinetherapie bei der männlichen Urethralgonorrhöe wie folgt
formulieren: |
Diagnostisch verwertbar sind nur exzessive Stich- und All-
gemeinreaktionen und der positive Ausfall der Herdreaktion,
welcher sich in vermehrter Sekretion mit gelegentlichem Wieder-
auftreten von Gonokokken und stärkerer Trübung des Urins äußert.
Der negative Ausfall aller Reaktionen schließt die Gonorrhöe
nicht aus.
Therapeutisch ist die Vaccinetherapie völlig unwirksam. bei
der offenen Schleimhautgonorrhöe. Bei der chronischen Gonorrhöe
ist die längere Zeit fortgesetzte Anwendung kleiner Dosen (0,2
bis 0,5 Arthigon, 1,0 Menzer-Vacein wöchentlich) eines Versuchs
wert, indem hierdurch die Involution bestehender Schleimhaut-
infiltrate angeregt zu werden scheint. Die bisherige örtliche Be-
handlung wird durch die Vaceinetherapie in keiner Weise entbehrlich.
y
E a B a a ae a i
1742
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 483.
27. Oktober.
Aus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des k. u. k.
Garnisonspitals Nr. 15 in Krakau.
(Kommandant: Oberstabsarzt 1. Kl. Dr. Nikolaus Thomáu.)
Ein Fall von syphilitischem Ikterus
von
k. u. k. Regimentsarzt Dr. Eugen Brodfeld,
Chefarzt der Abteilung.
Nachdem es bis nun an einer sicheren Methode fehlt, um
die durch Syphilis im sekundären Stadium erfolgten Störungen
.der Leberfunktion festszustellen, .kann oft die Diagnose nur aus
dem Erfolg der Behandlung gestellt werden. Es erscheint oft un-
möglich, bei einem Patienten, der sicher Luetiker ist, eine auf-
getretene ikterische Verfärbung der Haut als durch die Toxine
der Syphilis hervorgerufene Störungen der Leberfunktion oder als
genuine, nicht durch die Lues herbeigeführte, sondern aus andern
Ursachen entstandene Erkrankung zu bestimmen. i
Buschke und Zernik haben nachgewiesen, daß Tyrosin und
Leucin auch bei gesunden Individuen im Harn, wenn auch in Spuren, zu
finden sind, daher ihr Auftreten als nicht charakteristisch für eine
toxische Schädigung des Leberparenchyms angesehen werden kann.
Mayer behauptet, daß Ikterus in einer erheblichen Minderzahl der
Fälle von syphilitischem Leberleiden vorhanden ist und daß ein Versuch
der Behandlung mit Hg und Jod unbedingt geboten ist. Er stellt also
auch die Differentialdiagnose hauptsächlich aus dem Erfolg der Bobandlung.
Im Jahre 1849 und 1850 erschienen in der Prager Vierteljahr-
schrift von Dittrich zwei Aufsätze, worin er behauptet, daß die Leber-
syphilis sehr häufig mit Rachen- und Halsgeschwüren specifischer Natur
kompliziert ist. Dies mag ja in den meisten Fällen zutreffen, beweist
aber noch immer nicht, daß ein aufgetretener Ikterus bei Luetikern nur
die Folge der specifischen Erkrankung der Leber darstellt.
In letzter Zeit hat R. Roubitschek in Karlsbad auf der 33. Ver-
sammlung der Balneologischen Gesellschaft in Berlin 1912 über seine ex-
perimentellen Versuche berichtet und zieht aus diesen den Schluß, daß
bei akuten Erkrankungen, welche in disseminierter Weise das Leber-
parenchym schädigen, eine alimentäre Galaktosurie auftritt, während bei
längerdauernden Parenchymschädigungen der Leber dies nicht der Fall ist.
Reiß fand bei Icterus catarrhalis eine Ausscheidung bis zu 50 °/,
der eingeführten Galaktose, während bei Lebercirrhose oder Ikterus in-
folge Choledochusverschluß keine oder höchstens 15 %/o der eingeführten
Galaktose ausgeschieden wird. Leider konnte ich beim unten ange-
führten Falle diese gleichsam differentialdiagnostische Untersuchung nicht
vornehmen, weil ich dieselbe erst nach der Genesung des Patienten
kennen lernte.
Endlich hat jüngst Großmann im wissenschaftlichen Vereine der
Militärärzte der Garnison Wien einen Soldaten vorgestellt, bei dem die
Diagnose auf luetischen Ikterus auch nur infolge Versagens der in-
ternen und Erfolges der antiluetischen Therapie gestellt wurde.
Nachstehend der Krankheitsverlauf: Oberleutuant K. P.,
33 Jahre alt, zugegangen dem Spital am 11. Mai 1912. — Der-
selbe hat im März 1912 in seinem Hause eine Karlsbader Kur
mitgemacht, weil er an Gelbsucht erkrankt war. Bei seiner Auf-
nahme auf der internen Abteilung bot er folgenden Befund: Mittel-
groß, mittelkräftig; Herz- und Lungenbefund normal; Haut und
Conjunctiven gelblich gefärbt; die Magengegend druckempfindlich.
Der Stuhl acholisch, der Harn bierbraun gefärbt, Patient klagt
über Hautjucken. Unter diätetischem Regime, Karlsbader Salz
und Bäder schwanden langsam die Erscheinungen der Gelbsucht,
sodaß Patient am 20. Juni mit dem Antrag auf Badegebrauch in
Karlsbad entlassen wurde. Der Erfolg hielt aber nicht lange an.
Schon am 24. Juni stellte sich ein Schüttelfrost ein, die Tempe-
ratur erreichte 39,20, die ikterische Verfärbung der Haut und
Bindehäute trat wieder auf, ohne daß Patient einen Verdauungs-
fehler begangen hätte. Bei seiner abermaligen Aufnahme bot er
folgenden Befund dar: Die Haut und Conjunctiven stark ikterisch,
Zunge belegt, Leber druckschmerzhaft, Stuhl acholisch, Harn bier-
braun, zeigt beim Schütteln einen gelben Schaum, Appetitlosig-
keit, Mattigkeit. Es bestand kein vollständiger Gallengangverschluß,
weil neben Bilirubin auch Urobilinogen im Harne nachweisbar war.
Die Milz nicht vergrößert.
Diese mehrfachen Anfälle von Ikterus unter Schüttelfrost,
die Druckschmerzhaftigkeit der Leber, der nur vorübergehende Er-
folg der Karlsbader Kur veranlaßten mich, auf Lues zu inquirieren.
Patient gab zu, vor Jahren eine Sklerose akquiriert zu haben,
von der man noch jetzt eine Narbe am Penis merkt. Er habe
auch seinerzeit ein maculöses Exanthem auf der Brust gehabt,
gegen welches er nur einige Inunctionen mit Hg gebrauchte. Die
Drüsen waren bei der Untersuchung überall tastbar. Die Sklerose
wurde seinerzeit nur mit „Pulver“ behandelt.
Ich leitete eine Friktionskur à 5 g Hg täglich ein. Schon
nach zehn Inunctionen begann das ikterische Kolorit abzunehmen,
der Appetit hob sich bedeutend. Die Druckschmerzhaftigkeit der
Leber verschwand, der Urin wurde weniger braun, der Stuhl be-
gann gelbgefärbte Farbe anzunehmen. Nach 30 Einreibungen und
auch in der letzten Zeit vorgenommenen Medikation mit Jodipin
per os schwanden alle Erscheinungen des Ikterus und trat voll-
kommenes Wohlbefinden ein. Der Ikterus rezidivierte bis nun
nicht. Der Erfolg der antiluetischen Therapie bestätigte also die
Diagnose auf syphilitischen Ikterus,.
Hydrastis und synihetisches Hydrastinin (Bayer)
von
Dr. Rob. Ziegenspeck,
Privatdozent für Gynäkologie, München.
Wer von den älteren Kollegen erinnert sich nicht noch jenes
Fortschritts, als vor etwa anderthalb Dezennien, namentlich unter
dem Einflusse von Geh. Rat Prof. Schatz (Rostock), die Mutter-
korntherapie für manche Indikationen durch Hydrastis verdrängt
wurde. Als Vorzug dieser Medikation wurde angeführt, daß nicht
die gesamte glatte Muskulatur des ganzen Körpers in, Contraction
versetzt würde, sondern specifisch die Uterusmuskulatur, wodurch
jegliche nachteilige Einwirkung auf den Blutdruck ausgeschaltet
sein sollte. Die Contraction derselben begünstigt schon an und
für sich das Stehen der Blutung, denn die Uterusgefäße sind von
Schlingen der Uterusmuskulatur umgeben, und da sie das Organ
in schiefer Richtung durchsetzen, so werden sie durch die Con-
traction der Muskelfasern in weiterem Verlaufe verengt, sodaß sich
Thromben ausbilden können [Gottlieb Meyer (Experim. Pharma-
kologie S. 191)]. Damit stimmen denn auch die neueren pharma-
kologischen Versuche von Kurdinowski (Engelmanns A, 1904,
Suppl. II, S. 323) und Kehrer (Mor. f. Geb. u. Gyn. 1907, Bd. 26,
S. 709) ganz gut überein.
Das Mutterkorn behauptete seinen Platz als Wehenmittel
bis auf den heutigen Tag, während Hyärastis als reines uterines
Stypticum an dessen Stelle trat überall da, wo man eine Contrac-
tion des ganzen Organs wegen dessen unerwünschter Expulsiv-
bewegung vermieden sehen wollte. Bekanntlich hat Fellner (Í)
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bezüglich der uteruskontra-
hierenden und blutstillenden Eigenschaften ein deutlicher Unter-
schied besteht und dies gut durch Versuche begründet,
Schuld an der zum Teil ungleichmäßigen Wirkung des
Fluidextrakts aus Hydrastis war nicht selten dessen widerwärtig
bitterer Geschmack, öfter wohl noch die ungleichmäßige Zu-
sammensetzung des Präparats. So hatte ich an meiner Klinik hin
und wieder Patientinnen liegen, welche die Tropfen einfach nicht
hinunterbrachten und dieselben auf alle mögliche Weise — so durch
heimliches Eingießen in die Blumentöpfe des Krankenzimmers
usw. — zu beseitigen suchten. Die Klagen über den schlechten
Geschmack verstummten erst dann, als durch einen Apotheker das
Fluidextrakt bis zur Extraktdicke eingedickt und daraus ohne
weitere Zusätze Pillen mit Schokoladeüberzug hergestellt wurden.
Diese unter dem Namen Dr. Pflaums Pillen in München
rasch. bekannt gewordene Spezialität leistete mir gute Dienste, bis
ich in letzter Zeit auf das synthetisch hergestellte Hydrastinin
Bayer aufmerksam gemacht wurde. Dieses synthetische Produkt
erschien just im richtigen Moment, als sich der Großhandel eben
angeschickt hatte, die Preise für die Hydrastiswurzel ganz
enorm in die Höhe zu treiben.
Bekanntlich enthält die Hydrastiswurzel als wirksamen Bestandteil
die drei Alkaloide: Hydrastin, Berberin und Canadin. Die spocifisch
blutstillende Wirkung kommt in erster Linie dem Hydrastin zu, unsicher
wirkt das Berberin, während beim Canadin ein Einfluß auf den Uterus
überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Durch Oxydation entsteht aus
dem Hydrastin (CsıHsıNOs) das Hydrastinin, dessen Chlorhydrat
(CııHısNO> * HCI + H20) zwar offüzinell ist, das aber wegen seines hohen
Preises nur wenig verwendet wurde. .
Die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, sind
kürzlich dazu übergegangen, dieses Hydrastinin nach einem Verfahren
H. Beckers (2) im Großen synthetisch herzustellen und damit der
Therapie leichter zugänglich zu machen.
‚. Als Ausgangsprodukt für den synthetischen Aufbau des Hydre-
stinins dient das Heliotropin (auch Piperonal genannt), jener bekannte
Riechstoff aus der Heliotropblüte, welches über das Oxim des Homop!-
peronals zu Homopiperonalamin reduziert, in die entsprechende Formy’
verbindung übergeführt und schließlich zu Methylendioxydihydroisoebinolin
kondensiert wird. Dieses letztere ergibt durch Anlagerung von „O7
methyl das Hydrastininjodhydrat, das durch entsprechende Behandlung
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43,
1743
TEE EU U Ta aLL
mit Alkali zunächst in die Hydrastininbsse und dannn mit
das Hydrastininchlorhydrat der Formel Ana ne Selehure in
CH;
2
übergeführt wird. Letzteres ist therapeutisch bekanntlich sehr wertvoll
und im Gegensatz zu Hydrastin weder ein Herzgift (Kobert)
noch Krampfgift (3). Seine specifische Wirkung auf die Uterus-
muskulatur ist klinisch längst festgestellt.
Bei den Versuchen an meiner Anstalt habe ich das
Hydrastinin hydrochlor. zum Teil in Form von 'Pulvern verab-
reicht mit Einzeldosen von 0,025, zum Teil den von der Fabrik
eingeführten Liquor Hpydrastinini Bayer gegeben, habe aber
schließlich die mir auf Wunsch gelieferten, mit Zuckerglasur über-
zogenen und versilberten Hydrastinintabletten bevorzugt, da die-
selben von den Patientinnen am liebsten genommen wurden.
Im allgemeinen bietet sich dem Gynäkologen vom Fach ja
seltener Gelegenheit wie dem praktischen Arzte, Styptica zu ver-
abreichen, da zu ihm die Patientinnen gewöhnlich erst dann ge-
schickt werden, wenn der praktische Arzt die intern zu verab-
reichenden Styptica alle der Reihe nach schon durchgeprüft hat.
Beim Gynäkologen handelt es sich mehr darum, durch systematisch-
ätiologische Diagnose die Quelle der Blutung festzustellen, sei es
nun, daß sich Tumoren, Eireste oder dergleichen aufdecken lassen,
und dann durch operative Eingriffe eine Stillung der Blutung
herbeizuführen. Aber es gibt immerhin noch genügend klar be-
gründete Indikationen zur Darreichung der Styptica auch an
Anstalten. Ä |
So ist es eine Tatsache, daß nach intrauterinen Eingriffen,
angefangen von der Abtastung des Organs mit intrauterinen Ope-
rationen bis herab zur einfachen Excochleation, ja bis zur simplen
Uterusspülung, die erste Menstruation meist sehr profus ist. In
solchen Fällen haben früher Dr. Pflaums Pillen mancher meiner
Patientinnen überstarken Blutverlust intra menstruationem erspart
und gerade die Gleichartigkeit dieses Beobachtungsmaterials ließ
den sichersten Schluß zu, ob das synthetisch hergestellte
Hydrastininum hydrochlor. dem aus der Rhizoma Hydrastis canad.
gewonnenen Extrakt an Wirkung gleichkäme.
Bei der übergroßen Mehrzahl der über 50 zählenden Patien-
tinnen aus öffentlicher Klientel des gynäkologischen Ambulatoriums
sowie aus meiner Privatpraxis, welche die Hydrastinintabletten er-
hielten, war die Wirkung intensiver, sicherer und gleich-
mäßiger wie beim Hydrastisextrakt. Das haben alle
Patientinnen übereinstimmend angegeben, welche beide Präparate
genommen hatten.
Es war ein solch günstiges Resultat auch von vornherein
zu erwarten, ausgehend von der Ueberlegung, daß man es beim
synthetischen Hydrastinin eben mit einem chemisch absolut reinen
und konstanten Präparat zu tun hat, während das Fluidextrakt
meist wechselnden Alkaloidgehalt aufweist.
Für das offizinelle Extr. hydr. canad. fluid. schreibt das
deutsche Arzneibuch zwar einen Hydrastingehalt von 2,2 °/o vor.
Nun ist es aber klar, daß dieser Gehalt nicht immer genau stimmt,
da ja alle Drogen mehr oder weniger nach dem Standorte, nach
der Zeit, zu der sie gesammelt wurden usw., variierenden Gehalt
an wirksamer Substanz aufweisen. Jedenfalls spricht die von mir
beobachtete schwaukende Wirkung beim Fluidextrakt dafür, daß |
nicht ein Handelspräparat dem andern gleich ist, daß vollwertige
und zu dünnflüssige Fluidextrakte existieren.
Ist man schon bei klinischer Beobachtung derartiger Ver-
suche mit blutstillenden Mitteln auf das Urteil und den Eindruck
angewiesen, den die Patientin von der Wirkung des genommenen
Mittels selbst gewonnen hat — die Zahl der blutigen Unterlagen
ist nur ein durch den individuellen Reinlichkeitssinn beeinflußter
Maßstab —, so ist es für den Arzt noch schwieriger, ein
objektives Urteil zu gewinnen bei ambulanten Kranken.
Immerhin waren die Erfolge der Prüfung derart gute und gleich-
mäßige, daß ich nicht anstehe, das synthetisch hergestellte
Hydrastinin mur Bayer als promptes und sicheres Hämostaticum
zu empfehlen.
Bei dem zurzeit enorm hohen Preise des Extr. fl. hydr. canad.
(25 g davon kosten 4,55 M) bieten die Spezialitäten aus Hydrastinin für
den Patienten auch. noch Vorteile in pekuniärer Hinsicht. Für Kassen-
praxis existiert von dem Liquor Hydrastinini Bayer eine 10 g-Packung,
die nur 1,25 M kostet, während die gleiche Menge Extr. fl. hydr. auf
1,90 M zu stehen kommt; also ein ganz wesentlicher Preisunterschied.
Die Verordnungsformel lautet: l
í. Rp. Tabul. Hydrastinini hydrochl. „Bayer“ à 0,025 No. XV
Originalpackung
D.S. 3x tgl. 1—2 St.
2, Liquor Hydrastinini „Bayer“ 10,0 resp. 25,0
Originalpackung
3—-4X tgl. 20—30 gtts. in Zuckerwasser.
Literatur: i. A. f. Gyn. 1906, Nr. 3B. 78. — 2. Zt. £, angew. Chem.
1911, H, 40. — 3. Laidlaw, The action of hydratinine and cotarnine. (Br. med. j.
1910, Bd. 2, S. 1519.)
+
Aus Professor Wullsteins chirurgischer Klinik in Halle a. S.
Ueber die Anästhesie mit Chininpräparaten,
| speziell mit Sinecain
(Klinische und experimentelle Untersuchungen)
von l
Dr. Emil Schepelmann, Assistenzarzt der Klinik.
Seit meiner Publikation in der „Th. d. G.“1) habe ich
in zahlreichen Versuchen an Menschen und Tieren weitere Er-
fahrungen über die anästhetische Wirkung des Chinins gesammelt,
Hauptsächlich arbeitete ich mit 3%, Chininum muriaticum, dem
ich zur Beseitigung des unangenehm brennenden Einstichschmerzes
sowie zur Erhöhung seiner Löslichkeit?) 3°/, Antipyrin (manchmal
auch noch .0,005 0/o Adrenalin) zusetzte, und erzielte damit nach
1/2 bis 1 Minute totale Unempfindlichkeit. Je nach der Größe des
Öperationsfeldes gebrauchte ich 1/4 bis 1 oder auch 2 Spritzen, ver-
wendete also im letzten Falle 0,06 g Chinin. muriaticum, eine
Dosis, die natürlich weit unter der toxischen liegt. Chinin so-
wohl als Antipyrin entfalten geringe antiseptische Eigenschaften,
letzteres nach Amante auch blutstillende Um eine Zersetzung
des Chininsalzes im offenen Glase bei längerer Aufbewahrung zu
verhüten, habe ich mir von Herrn Apotheker Schommartz (Ost-
seebad Prerow) Veloxampullen mit 1 cem Chinin-Pyrazolonlösung,
eventuell unter 0,05 mg Adrenalinzusatz füllen lassen, die dann
von jener Apotheke unter dem Namen Sinecain in den Handel ge-
7 T "N —
[ED hote Stroman PREO oreen | I >
em Í
a
. Abb. 1.
bracht werden (Abb. 1 und 2). Diese weithalsigen Veloxampullen
haben vor den bisher üblichen zugeschmolzenen Gläschen den Vor-
zug, daß man mühelos mit der Kanüle ins Innere gelangt und daß
eine Infektion der Kanüle durch unbeabsichtigtes Berühren der
Außenwände oder des Inhalts durch Hineinfallen von Glassplittern
verhütet wird; den Verschluß bewirkt uämlich — wie bei Soxleth-
flaschen — ein fest aufgepreßtes, aber abhebbares Gummihütchen.
Neben ihrer Handlichkeit und Keimsicherheit zeichnen sich die
Ampullen auch dadurch aus, daß sie nach Benutzung von neuem
gefüllt und verwendet werden können. | |
Als Alkaloid wird das Chinin durch Ammoniak, fixe Alkalien
und andere Basen entsprechend ihrer Stärke und Massenwirkung
aus seinen wäßrigen Salzlösungen verdrängt und als freies, in
Wasser schwer lösliches Alkaloid abgeschieden. Aus diesem Grunde
empfiehlt es sich, die Spritze nicht in Sodalösung zu kochen, oder
wenigstens sie vor Gebrauch mit Wasser respektive Alkohol ab-
zuspülen. | '
Wie bei allen Lokalanästhetieis gilt auch hier die Regel,
beim Einspritzen Quaddeln auf der Haut zu erzeugen und die
nächsten Einstiche stets in das schon betäubte Gebiet zu legen.
Die Anästhesie hält stundenlang, die Hypästhesie einen ganzen
1) Chinin als Lokalanästheticum, 1911, Nr. 12.
2) Chininum hydrochloricum löst sich in 30 Teilen Wasser, bei ent-
sprechendem Zusatz von Antipyrin im Verhältnisse 1:1.
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1744 z 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
27. Oktober,
Tag oder mehr an. Ueber die Giftwirkungen des Sinecains gibt
gewiß nichts besser Aufschluß als meine schon früher begonnenen,
jetzt noch weiter ausgeführten Versuche über Lumbalanästhesie bei
Kaninchen, da das empfindliche Rückenmark doch gewiß den
feinsten Indikator für gewebsschädigende Substanzen darstellt.
Anatomische Untersuchungen hatten mir gezeigt, daß der Conus
terminalis nur wenig unter eine die Trochanteren verbindende
Linie herunterreicht, während der Ischiadieus, der sich schon ober-
halb der Crista von der Medulla abzweigt, in Höhe des Trochanter
aus dem Canalis vertebralis heraustritt. Stach ich also mit der
Nadel (einer einfachen Pravazspritze) ein bis zwei Dornfortsätze
unterhalb der Trochanteren
(siehe Abb. 3) 3 bis 4
bis 5 mm tief median ein,
so traf ich den Wirbel-
kanal, ohne das Mark zu
lädieren. 1/3 bis 1/s ccm
der Sinecainlösung ge-
nügte, um nach zirka fünf
Minuten eine Parese oder
Paralyse des Beckens und
Crista ilei.
Trochanter.
Tuber ischii.
Abb. 3.
der Hinterbeine zu erzeugen. Diese Motilitätsstörung ist bei Ka-
ninchen das wichtigste objektive Symptom der Wirksamkeit des
Mittels, weil die Indolenz jener Tiere eine Sensibilitätsprüfung nicht
zuläßt. Da aber erfahrungsgemäß von den Apparaten des spinalen
Reflexbogens die receptorischen stets schneller und stärker durch
narkotische Gifte angegriffen werden als die motorischen, da auch
die Lumbalanästhesio am Menschen mit den Üocainderivaten die
Sensibilität vor der Motilität lähmt, so darf ich annehmen, daß in
analoger Weise bei meinen Tierversuchen die Anästhesie bereits
erfolgt ist, wenn die Extremitäten paretisch werden. Hierfür
spricht übrigens sehr deutlich die Ataxie und der mangelnde Lage-
sinn kurz vor Eintritt der Parese, sodaß sich die Tiere jede be-
liebige Stellung der Hinterbeine gefallen lassen,
Obgleich nun, wie oben erwähnt, 1/s bis 1/5 Spritze Sinecain
(= 0,004 bis 0,01 g Chinin) zur Lumbalanästhesie ausreicht, habe
ich auch größere Dosen, bis zu vier Spritzen, appliziert. Hierbei
ließ 1/2 bis í Spritze gewöhnlich keinen Unterschied in der. Wir-
kung gegen 1/3 Spritze wahrnehmen, höchstens den, daß die Lähmung
rascher, oft fast sofort eintrat und etwas länger dauerte. Nahm
ich mehr als 1 ccm, so wurden nicht nur Becken und Hinterbeine,
sondern auch Bauch, Brust und Vorderextremitäten paretisch, und
lediglich der Kopf konnte noch willkürlich bewegt werden. Bei
weiterer Steigerung, etwa 11], bis 2 Spritzen, also der 6—16fachen
therapeutischen Dosis, machten sich cerebrale Wirkungen bemerk-
bar; die Tiere liefen anfangs rückwärts, dann trat rasch Paralyse
des Hiuterkörpers, Parese des Vorderkörpers ein; Ohren, Kopf,
Augenlider sanken wie im Schlummer herab, und nur hin und
wieder fuhren die Tiere wie erschrocken mit dem Kopf empor. In
andern Fällen begann die Vergiftung mit Rückwärtsgehen, Zuckungen
des Kopfes, plötzlichem Zubodenstürzen, Drehen um die Längs-
achse, Purzelbaumschlagen nach hinten, Opisthotonus der Nacken-
muskeln. Erst nachdem sich das hochgradig erregte Tier beruhigt
hatte, beobachtete man starke dynamische Totalskoliose nach links,
Drehen des Kopfes nach links, Treten mit den Vorderbeinen nach
rechts, also Symptome des Drehschwindels.
Nach solchen Hirnerscheinungen erholten sich die Tiere nie
wieder vollständig; zwar verschwanden die Lähmungen der Vorder-
beine und des Rumpfes nach 1/4 bis 1/2 Tag gänzlich, aber die Hinter-
beine behielten eine ganz leichte Parese dauernd bei. Todesfälle
im raschen Anschluß an Kollapszustände habe ich indes nur nach
Dosen von 21/g bis 3 bis 4 g Sinecain gesehen; sie sind wie jene
bleibenden Paresen Zeichen irreparabler Gewebsschädigung durch
zu große Gaben. |
Zum Vergleiche zog ich nun Cocain und Novocain heran,
jenes in Form des Eusemins (1 cem = 0,0075 Cocainum hydro-
chloricum + 0,00005 Adrenalin. hydrochlorieum -+ Kochsalzlösung),
dieses in der gebräuchlichen Mischung für centrale Leitungs-
anästhesie. Die Wirkungsschwelle lag bei 1/gbis!/, ccm für Eusemin;
aber schon mit 1/3 cem (= 0,0038 g Cocain) stellten sich augen-
blicklich heftigste Erregung, nach drei Minuten Krämpfe und all-
gemeine Paralyse ein, doch war die Anästhesie bereits nach
1/, Stunde völlig verschwunden.
Bei weiterer Erhöhung der Dosis erfolgte rascher Exitus im
Kollaps.
Mit der üblichen 50/oigen Novocain-Suprareninlösung zur.
Medullaranästhesie (1 ccm — 0,005 g Novocain, Solut. Suprarenini
1:1000 Gtt. I) waren die Wirkungen ähnliche, wenn auch weniger
intensiv. Die Betäubung des Hinterkörpers erforderte gleichfalls
l/acem. Mit 1/2 cem ließen sich in sieben Minuten Gliedmaßen und
Stamm mit Ausnahme des Kopfes lähmen, und zwar auf die Dauer
von etwa 8/4 Stunden, worauf Restitutio ad integrum eintrat. Bei
Einspritzung von 1 cem Novocainlösung beobachtete ich sofort
Krämpfe am ganzen Körper, unregelmäßige Atmung, Protrusio
bulbi, verminderten Lidreflex, schweren Kollaps und, allgemeine
Paralyse, der nach acht bis zehn Minuten psychische Erregung
folgte. Nach 20 Minuten waren die Tiere nur noch hinten pa-
retisch, nach einer Stunde normal. Dosen über 1 cemfriefen meist
sofort unter starker Protrusio bulbi, ohne jeden Krampf, den
Exitus hervor.
Ein Vergleich zwischen der, Cocain- und Novocainwirkung
einerseits mit der Chininwirkung anderseits lehrt uns, daß thera-
peutische und toxische, noch mehr aber letale Dosis bei dem
Sinecain am weitesten, bei Cocain am wenigsten weit auseln-
anderliegen. Während indes bei hohen Cocain- und Novocaingaben
entweder der Exitus oder totale Restitutio ad integrum erfolgen,
irgendwelche bleibenden Schäden dagegen nie zur Beobachtung
kamen, findet sich bei großen Chinindosen ein Punkt, wo zwar
noch nicht der Exitus eintritt, aberiirreparable Zerstörungen Im
Dorsalmarke gesetzt werden, welche fzu dauernder spastischer
Parese der Hinterbeine führen. Wo die Grenze der therapeutischen,
unschädlichen und der lokal gewebsschädigenden Dosen beim
Menschen liegt, läßt sich theoretisch nicht erschließen; diese Un-
sicherheit war für mich jedenfalls ein Grund, eine Lumbalanästhesie
mit Sinecain am Menschen nicht auszuführen, um so mehr, &8
mir im Laufe der Zeit ein Fall vorkam, welcher schon bel
cutaner Anwendung gewisse nachteilige Folgen nicht von der Hand
weisen ließ. Wenngleich im allgemeinen ein schädlicher Einfluß
auf die injizierten Gewebsteile‘ nicht bemerkbar wird, wenngleic
ich an allen möglichen Körperpartien — Gesicht, Kopf, Rumpf,
Extremitäten, Finger usw. — die Chininanästhesie vollführte, ohne
eine Störung der Wundheilung zu beobachten, so glaube ich doch,
damals Wundrandnekrosen und daran anschließend kaum zur Ueber-
häutung zu bringende schlaffe Granulationen im Bereiche vorher
stark gespannter, verdünnter und demnach schlecht genährter Haut
mit der Chininwirkung in Zusammenhang bringen zu können; B
doch dem Physiologen längst bekannt, daß Chinin die anabolischen
Prozesse hemmt, dem Anbau neuen Zelimaterials hindernd im Wege
steht, das Leben und Sterben der Gewebe verlangsamt,
Ich habe auch mit andern Chininpräparaten, die mir zum
Teil von der Firma Zimmer & Co. in Frankfurt a. M. zur Ver-
fügung gestellt wurden, Versuche angestellt, so zum Beispiel m
Hydrochininum hydrochloricum, das sich durch einen Mehrgehalt
von zwei Atomen Wasserstoff vom Chinin unterscheidet und I
Wasser und Alkohol (nicht in Aether) sehr leicht löslich ist. Die
Toxieität ist etwa die gleiche wie die des Chinins. Beim Bir
spritzen ruft es nur unbedeutenden, sofort wieder verschwindenden
Schmerz hervor, der — im Gegensatz zum Chininum hydrochlor!-
cum — durch Zusatz von Antipyrin nicht nur nicht gemildert,
sondern im Gegenteil ganz erheblich verstärkt wird, Die duro
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 43. 1745
das Dihydrochinin bewirkte Anästhesie ist ähnlich der durch
Sinecain erzeugten, hält aber nicht ganz so lange an und hinter-
läßt beim Abklingen stundenlang dauernde unangenehme Sen-
sationen, welche mich von diesem Mittel bald wieder abkommen
ließen, um so mehr, als der Tierversuch (Lumbalanästhesie) eine
etwas geringere Differenz zwischen therapeutischer und toxischer
Dosis erwies.
Auch das von Ephraim!) zur Schleimhautanästhesie ver-
wendete Chininum bimuriaticum carbamidatum habe ich in 30/oiger
Lösung allein oder in Kombination mit Antipyrin versucht, ohne
einen Vorteil gegenüber dem Sinecain bemerken zu können; im
Gegenteil ist die Wirkung eher schwächer. Zum Aufpinseln auf
Schleimhäute benutzte ich, wie Ephraim, eine Lösung von Chi-
ninum bimuriaticum carbamidatum, Antipyrin und Wasser zu gleichen
Teilen, halte aber die Anästhesie für oberflächlicher und weniger
intensiv als zum Beispiel die mit Novocain. Da der ungemein
bittere Geschmack, das scharfe Brennen auf der Schleimhaut, das
oft am nächsten Tage noch nicht ganz verschwunden ist, die
Patienten belästigt, außerdem durch die hohe Konzentration leicht
Epithelschädigungen erzeugt werden, glaube ich nicht, daß es sich
für nasale und orale Applikation unter den Cocainersatzmitteln ein
Bürgerrecht erwerben wird; Ephraim selbst hält- ja auch seine
Versuche nicht für endgültig abgeschlossen, sondern nur für einen
Hinweis auf eine neu zu betretende Bahn. Bei Kindern, Herz-
kranken und gegen Cocain und Novocain empfindlichen Personen
würde ich aber auf jeden Fall zu der Ephraimschen Methode der
Schleimhautanästhesie raten, weil giftige Allgemeinwirkungen da-
mit ganz ausgeschlossen sind. Dasselbe gilt unbedingt auch für
die von mir beschriebene cutane Betäubung mit Sinecain, das
sich auch da besonders empfiehlt, wo während einer Operation
schon größere Mengen Cocainderivate angewendet sind, aber weitere
Anästhesierung nötig ist; hier kann man die Ueberschreitung der
Maximaldosis dureh Fortführen der Betäubung mit Sinecain um-
gehen. Eine Kontraindikation zur lokalen Verwendung des Sine-
cains besteht nach den oben mitgeteilten Erfahrungen einzig und
allein an schlecht ernährten, stark gespannten Geweben, die die
Möglichkeit einer Zellschädigung und Verlangsamung der Wund-
heilung nicht ausschließen lassen. Bevor aber Sinecain zur
Lumbalanästhesio am Menschen versucht wird, müßten unbedingt
erst noch weitere Erfahrungen aus Tierexperimenten und klinische
Resultate bei örtlicher Applikation abzuwarten sein.
Aus dem Röntgen-Laboratorium von Dr. Bucky, Berlin.
Ueber ein neues Blendenverfahren bei Röntgen-
durchleuchtungen
von
Dr. med. 6. Bucky, Spezialarzt für Röntgenologie.
Die Güte des Durchleuchtungsbildes beim Röntgenverfahren
hängt einerseits ab von der Qualität der verwendeten Strahlung
und zweitens von der Beschaffenheit des zu durchleuchtenden
Objekts. Weiche Strahlen bringen bekanntlich den Fluorescenz-
schirm zu hellerem Aufleuchten als harte Strahlen. Daraus er-
gibt sich, daß wir der Röntgenröhre bei gleichbleibenden Be-
dingungen mehr Strom zuführen müssen, wenn sie harte Strahlen
aussendet, um gleiche Helligkeit der Fluorescenz zu erhalten. Je
dicker aber das Objekt ist, um so härter (durchdriogungsfähiger)
müssen die in Anwendung gelangenden Strahlen sein. Es ist je-
doch nicht möglich, mit sehr harten Strahlen ein gutes Bild auf
dem Leuchtschirme zu erzeugen, da mit der zunehmenden Härte
das Bild an Kontrastreichtum verliert. Man erhält bei sehr harter
Strahlung einen Schleier, der das ganze Bild überdeckt, und zwar
um so mehr, je dieker das Objekt ist. Diese Erscheinung beruht
auf der Sekundärstrahlung, die beim Auftreffen der Strahlen auf
den zu durchleuchtenden Körperteil entstehen. Diese Sekundär-
strahlung ist im Gegensatz zur primären Röntgenstrahlung eine
diffuse Bekanntlich können die Röntgenstrahlen in praxi als
nicht brechbar aufgefaßt werden; sie setzen ihren Weg geradlinig
fort. Die Sekundärstrahlen dagegen sind zu vergleichen mit
diffusen Lichtstrahlen, die nach allen Seiten hin ausgestrahlt
werden. Aus diesem Grunde müssen sie den primären Röntgen-
strahlen in ihrer Wirkung schädigend entgegenstehen, das heißt
also das entstehende Bild verschleiern. Gerade aber bei harten .
Röhren tritt die Sekundärstrahlung unangenehm in Erscheinung.
1) Ungiftige Schleimhautanästhesie. Mon. f. Ohr. Nr. 9, 1911.
passieren, im Körper selbst
| Grunde habe ich (zunächst für
Berlin geliefert worden.
Um die Wirkung der Sekundärstrahlen möglichst einzu
dämmen, werden verschiedene Blendensysteme benutzt, von denen
die Albers-Schönbergsche Cylinderblende an erster Stelle steht.
Albers-Schönberg geht von dem Gedanken aus, daß eine der-
artige Cylinderblende (c), wie sie in Abb. 1 schematisch dar-
gestellt ist, einerseits die Sekundärstrahlen, die in der Röhren-
wand entstehen, abfangen und anderseits die für das Bild un-
nötigen Nebenstrahlen ver-
hindert, überhaupt das Ob- g A
jekt (o) zu treffen. Gleich- 4
zeitig benutzt Albers-Schön- 7
berg seine Cylinderblende zu
Verringerung des Körperquer-
schnitts, indem er damit eine
kräftige Kompression auf den
Körper ausübt. In Abb. 1 be-
deutet a die Antikathode, g
die Glaswand der Röntgen-
röhre, c stellt die Cylinder-
blende dar, o das Objekt und
s die bildauffangende Schicht.
Der Strahl ], der, von a aus-
gehend, œ trifft, erzeugt in
P 1 eine nach allen Seiten ge-
richtete diffuse Sekundärstrah-
lung, die aber, wie aus der
Zeichnung ersichtlich, durch
die Cylinderblende c fast völlig
abgefangen wird. Strahl 2
erzeugt in P 2 gleichfalls eine
nach allen Seiten gerichtete
Sekundärstrahlung, von der
die Hauptmasse wiederum durch c abgefangen wird. Wenn hieraus
ohne weiteres ersichtlich ist, daß eine große Menge schädlicher
Strahlen vernichtet werden, so ist noch zu beachten, daß ein
Strahl 3 durch die Cylinderblende gebindert wird, überhaupt das
Objekt zu treffen, und somit
von vornherein eine Sekundär-
strahlung im Körper von ihm
nicht hervorgebracht werden
kann. Dagegen werden die
Strahlen, die den Cylinder
ZIN
H l 2
5 |
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A
1
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f
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2
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| nn ae nen,
.
ECT TTTITTELITILD SCHILD ERLEBT TITEL
Abb. 1.
eine noch viel intensivere und
schädlichere Sekundärstrablung
erzeugen (P 3), die die Albers-
Schönbergblende nicht ver-
hindern kann. Aus diesem
die Durchleuchtung) eine An-
ordnung getroffen, wie sie aus
Abb. 2 ersichtlich ist!). Die
Bezeichnungen sind diegleichen
wie in Abb. 1, und die Anord-
nung entspricht völlig der
Albers-Schönbergschen,
nur daß zwischen Objekt
und Leuchtschirm eine zweite
Cylinderblende eingeschoben
wurde, die mit c 2 bezeichnet
ist. Es ist ohne weiteres
ersichtlich, daß bei dieser An-
ordnung die Sekundärstrahlung,
die im Objekt entsteht, wesent-
lich eingeschränkt wird. Es
ist nur nötig, einen Blick
auf die Zeichnung zu werfen, um das Gesagte zu erkennen.
In der Tat sind die Erfolge in der praktischen Anwendung
dieser „Doppelcylinderblende*, z.B. bei Magendurchleuch-
tungen, ganz erstaunliche. Selbst bei ganz harter Strahlung
erhält man gute Kontraste, die namentlich bei feineren Be-
wegungsvorgängen unerläßlich nötig sind. Die erhöhte
Kontrastwirkung läßt uns auch nicht zu Bewußtsein kommen,
daß das Bild infolge der Entfernung des Leuchtschirms vom Ob-
1) Diese Anordnung ist mir von der Firma Siemens & Halske A.-G.,
ar a A ae EE
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1746 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. 27. Oktober,
e a
jekt etwas unschärfer werden muß, und es ist sogar nicht einmal
notwendig, besonders scharf centrierte Röhren zu benutzen.
Inwieweit die Doppeicylinderblende für Röntgenauf-
nahmen anwendbar ist, soll in einer späteren Mitteilung dar-
gelegt werden.
Tod nach Lokalnarkose
(Bemerkungen zu dem Aufsatze von Ritter in No. 30
dieser Wochenschrift)
von
Dr. Arthur Schlesinger, Berlin.
Der Todesfall von Ritter gibt mir bei der Wichtigkeit der
Sache Veranlassung zu einigen kurzen Bemerkungen.
. Ritter hat vor der Operation 1,5 Adalin und 0,015 Mor-
phium gegeben und dann 50 ccm 2P|oige Alypinlösung injiziert.
Er glaubt nun den Unglücksfall auf die Kombination von Narko-
ticum und Anaesthetieum zurückführen zu müssen. Dem kann man
nicht ohne weiteres zustimmen. Das nächstliegendste scheint mir
zu sein, allein das Anästheticum dafür verantwortlich zu machen.
Das Alypin wird ungefähr in derselben Dosis und Konzentration
wie das Novocain angewandt. In den mir bekannten Arbeiten über
Alypin wird bei Strumen die Injektion einer 1/2 oder 10/igen
Lösung, genau wie beim Novocain empfohlen. Wenn ich nun schon
auch manchmal 100 cem 1°/%ige Lösung eingespritzt habe, würde
ich doch nicht wagen, 50 cem 2°%/yige Lösung zu injizieren, da sich
die Vergiftungsgefahr mit steigender Konzentration er-
höht. Ich bin übrigens gerade bei Strumaoperationen von der
früher angewandten 1°/igen Lösung zu 1/2P/oiger übergegangen,
da man damit vollständig auskommt.
Eine schwere Vergiftung bei Lokalanästhesie habe ich seit
der Anwendung der neueren Ersatzpräparate des Coeains nur
einmal gesehen, als ich 15 cem 2P/sige Novocainlösung in den
Plexus brachialis über der Clavicula nach Kuhlenkampf einem
Manne, mit schwerer Arteriosklerose einspritzte. Es trat ein schwerer
Kollaps ‘mit Zuckungen im ganzen Körper und Aussetzen des
Pulses ein, der’nach. einigen Minuten vorüberging. Seitdem bin
ich auch mit kleineren Dosen 2°/yiger Lösung vorsichtig.
Aus dem Serologischen Laboratorium des Ostkrankenhauses Berlin
(Dirigierende Aerzte Prof. Kromayer, Dr. von Chrismar).
Entgegnung auf den Artikel vonB.P.Sormani „Ueber die von
Prof. Kromayer und Dr. Trinchese vorgeschlagene Therapia
causalis der pseudonegativen Wassermannschen Reaktion“
von
Prof. Kromayer und Dr. Trinchese.
1. Sormani hat Recht, daß wir seine Arbeit: „Quantitative Kom-
plementbindungsreaktion usw.“, Zt. f. Im. 1911, Bd. 2, in welcher er dem-
selben von uns seit drei Jahren verfolgten Ziele, wenn auch auf anderm Wege
zustrebt, übersehen haben. Diese an zwei Stellen unabhängig voneinander
einsetzenden Bestrebungen sind ein indirekter Beweis für die Richtigkeit
des Ziels. Wir freuen uns dessen und danken Sormani für den Hinweis.
2. Auf seine Frage: „Warum nehmen (Kromayer und Trin-
chese) die eben lösende Dose zweimal und warum haben sie denn eigent-
lich titriert?“ Hätte aber Sormani die Antwort selber in unserer Arbeit
finden können. Weil wir vom Originalwassermann (doppelte Komplement-
menge) als festen Punkt in der Erscheinungen Flucht ausgehen und anf
diese Weise einen Vergleich zwischen dessen und den Resultaten unserer
Methode ermöglichen, einen Vergleich, der klinisch von größter Wichtig-
keit ist. Die klinische Bedeutung unserer Versuchsanordnung ist Sor-
mani als einem reinen Theoretiker verzeihlicher Weise entgangen.
3. Nicht verständlich auch vom rein theoretischen Standpunkt ist,
was Sormani über unsere Versuche bemerkt, daß ein nachträglicher Zu-
satz von 20% Komplement in Gegenwart von hinreichendem Amboceptor
sicher lösend auch bei stark hemmenden syphilitischen Seren wirke. Daß
Bordet und Gengou mit Caviaserum allein Hämolyse erzielt haben,
weiß doch alle Welt, hat aber mit unsern Versuchen nichts zu tun, da
wir nicht wie Bordet und Gengou unverdünntes, sondern in toto 80%
Komplement anwandten, das allein ohne Amboceptor keine Hämolyse be-
wirkt, was Sormani hätte wissen oder durch einen einfachen Versuch
hätte feststellen können.
Wir verweisen betreffs des ganzen komplizierten bisher offenbar
recht unbekannten reziproken Verhältnisses zwischen Amboceptor und
Komplement auf unsere Arbeit in dieser Zeitschrift Nr. 41 „Der ver-
feinerte Wassermann“, durch die auch Sormanis irrtümlicher Schluß-
satz über die Möglichkeit einer negativen Reaktion durch Verstärkung
der Amboceptorwirkung bei Anwendung von reinem Serum am besten
seine Erledigung findet.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik Zürich
(Direktor: Prof. Dr. H. Eichhorst).
Beiträge zur Frage der experimentellen Hyper-
globulie
von
Dr. Otto Steiger, I. Assistenzarzt der Klinik.
Die ausführlichen Untersuchungen von Leo Heß und Paul
Saxl!) über Hämoglobinzerstörung in der Leber haben gezeigt,
daß gewisse Gifte, wie Arsen, Phosphor, Chloroform, Adrenalin,
Stryehnin, Morphin, Coffein, während der postmortalen Autolyse
von Tier- und Menschenlebern den hepatogenen Hämoglobinabbau
verlangsamen, ja ihn sogar verhindern können. In der Leber findet
nach den neuesten Anschauungen ausschließlich die Umwandlung
von Hämoglobin in Bilirubin statt. Es müssen also zwischen dem
Gehalte des Bluts an Hämoglobin, ‚das heißt an Erythrocyten, da
ersteres an die roten Blutkörperchen gebunden ist, und der Gallen-
produktion der Leber Beziehungen bestehen. Es müßten, theore-
tisch wenigstens, in den Fällen, wo eine pathologische Verände-
rung des Leberparenchyms und eine Störung der normalen Funk-
tion der Leberzelle vorläge, nicht nur eine Verminderung der
Gallenproduktion, sondern auch eine Vermehrung der Erythrocyten-
zahl auftreten. Bekannt ist, daß v. Jaksch bei der Phosphor-
vergiftung des Menschen Hyperglobulie konstatiert hat, und da in
seinen Fällen der Wasser- und Eiweißgehalt des Blutserums nor-
male Werte hatte, konnte die Vermehrung der roten Blutkörperchen
nicht auf Eindickung des Bluts bezogen werden. Auch bei der
Kohlenoxydvergiftung und bei der akuten gelben Lieberatrophie
findet man oft nach E. Grawitz erhöhte Erythrocytenwerte. Bei
einigen auf unserer Klinik untersuchten Fällen von hypertrophischer
1) L. Heß und P. Saxl, Hämoglobinzerstörung in der Leber.
Biochem. Zt. 1909, Bd. 19, S. 274ff.)
Lebereirrhose ohne Ikterus fand ich nur in einem einzigen Fall
eine Erythrocytenzahl von 7200000, während die übrigen zwet
untersuchten Fälle normale Werte zeigten; da in diesen beiden
Fällen Lues die Grundkrankheit war, so kann dieselbe an und für
sich eine Alteration des Knochenmarks hervorgerufen haben und
damit eine Schädigung der Blutregeneration, ganz abgesehen da-
von, daß bei der hypertrophischen Lebereirrhose neben den degene-
rativen Prozessen überwiegende proliferative Veränderungen Vor-
kommen können, welche die Ausfallserscheinungen vollkommen
kompensieren. Was nun die zweite oben aufgestellte theoretische
Forderung anbelangt, die Verminderung der Gallenproduktion bei
Sehädigung der Leber, so konnte ich darüber keine sicheren An-
haltspunkte in der Literatur finden. Erwähnt mögen allerdings
jene Sektionsbefunde werden, wo bei Phosphorvergiftung und der
braunen : Atrophie der Leber die Blasengalle bedeutend herab-
gesetzt war.
Von großer klinischer Bedeutung sind die oben erwähnten
Untersuchungen von Heß und Saxl für die Erklärung aller jener
Krankheitsfälle, wo eine anatomisch oder funktionell bedingte Stö-
rung der Leber eine Veränderung des Bluts, das heißt der das
Hämoglobin führenden roten Blutkörperchen hervorrief. Die Autoren
haben in einer neuen Arbeit (A. f. kl. Med.) die Versuche aM
lebenden Tier und zum Teil auch am Menschen fortgesetzt mi
interessanten Resultaten, die eine weitere Prüfung und Unter-
suchung rechtfertigen.
Ich habe daher versucht, durch experimentell hervorgerufen®
Störung der Leberfunktion mit Giften, welche zum Teil oben 8°
nannte Autoren bereits verwendeten und mit denen sie im Tierversue
immer Hyperglobulie erzeugten, eine Veränderung des Bluts im
Sinne der Erythrocytenvermehrung zu erreichen. Versuchspersonel
waren einige meiner Krankenschwestern, verschiedene entlassungs-
fähige Patienten der Klinik und ich selber. Erwähnen möchte ieh
noch, daß ich wie in den Experimenten von Heß und Saxl vor
erst bei den Versuchspersonen die annähernde Konstanz der Erythro-
97. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1747
cytenzahl festgestellt habe (übermäßige körperliche Arbeit, Wasser-
verlust durch Schweiße usw. waren ausgeschlossen). Gezählt wurde
ungefähr immer zu derselben Tagesstunde und zwar mit zwei Me-
langeuren.
Was nun die vergiftenden Präparate
selber anbelangt, so
erzeugen Schwefel, Arsen, Phosphor usw. eine direkte anatomische
Veränderung des Lebergewebes.
Von Strychnin und Morphin ist
eine anatomische Wirkung nicht bekannt; dagegen sollen diese
Substanzen in der Leber entgiftet werden.
gerem Gebrauch eine leichte Glykosurie auslösen.
Coffein soll bei län-
Zahl der
Datum Verordnung roten Blut- |- Bemerkungen
körperchen
1911 1. Versuchsperson:
10, Okt 4 800 000
15. „ 4 750 000
16, „ 0,004 g Strophantus
I. y 0,004 g »
18. „ |7 0,004 g » 4 900 000
21, „ 5 480 000
2. „ 5 500 000
28. n 5 200 000
3. Nov 4 950 000
1911 2. Versuchsperson:
10. Okt. 5100000 | Urobilin und Urobilinogen
1b. „ | | 5000000 im Harne negativ
I 5 } z mal tgl. 20 Tropfen Tinctura opii
. 9 m ” 9 9 ”
18. „ | 8mal „ 0 ,„ ý „ | 53850000
2i. „ 5 650 000
. 000000 | Trobilin und Urobilin
robilin und Urobilinogen
EN GO IN nach Methode Hilde-
randt:
8. y 5100000 | Urobilin u. Urobilinogen: —
1912 3. Versuchsperson:
9. Juni 4900000 | Urobilin und Urobilinogen
15. „ 4 900 000 im Harne negativ
16. „ 3 mal tgl. Flores Sulfur. 2,0 (Pulver)
17. ” 3 mal n ” ” 2,0 „
18. „ 3mal „ $ »„ 20 3 5 300 000
20. „ 5 820 000
25. „ 5 980 000 ,
F on, 6450000 |} Urobilin und Urobilinogen
2. Juli 6 840 000 nach Methode Hilde-
6. „ 6 120.000 brandt: +
8 oy 5 450 000
10. „ 4950000 | Urobilin u. Urobilinogen: —
1911 4. Versuchsperson:
10. Okt. 4800000 | Urobilin und Urobilinogen
1b. „ 4 850 000 im Harne: —
18:5 3mal tgl. 20 Tropfen Solutio Fowleri
1. „ 4mal „ 20 ” „ „
18. „ 3mal „ 20 j s „ 5 180 000
2l: -y 5 200 000
28. „| 5 650 000 \ Urohilin u. Urobilinogen
| in Spuren nach Methode
71: Se 6 200 000 f Hildebrandt: -+
3. Nov. 5 400 000
8. p |! 4900000 | Urobilin u. Urobilinogen: —
1911 5. Versuchsperson (1):
15. Nov 5300000 | Urobilin und Urobilinogen
Il g 5 250 000 im Harne: —
20. „ 0,005 g Phosphor (Oelemulsion)
21. „ 0,005 g » »
22. „ |J Ol. phosphorat. (1:80) 15 Tropfen | 5300000 |
28. „ 5420000 |
2, „ 5830000 `
29. y 5 980 000 \ Urobilin u. Urobilinogen
in Spuren nach Methode
1. Dez 612000 f Hildebrandt: +
5 „ 5 600 000 |
e 5350000 , Urobilin u. Urobilinogen: —
1911 6. Versuchsperson (2):
1b. Nov 4 950 000
17. „ 4 980 000
20. „ 3mal tgl. 20 Tropfen Adrenalin
(Stammlösung)
2l. „ 1 ccm Adrenalin 1° „ subcutan
(morgens u. abends)
22, „ 8mal tgl. 20 Tropfen Adrenalin 5 850 000
(Stammlösung) |
23. y 5 940 000
25. „ 5 800 000
1. Dez. 5 250 000
B „ 5 120 000
9 „ 4 950 000
1911 7. Versuchsperson (8):
15. Nov 4 950 000
1. 5.000 000
20. „ 3mal tgl. 0,1 g Natrium nitrosum
al. n 3 mal ” 0,1 g ” p
22, y 3mal „ Oig i ii 5 550 00
28. „ 5920000 | Glykosuriel
25. p 5 200 0
1. Dez. 5 150 000
5. „ 5 000 000
9 „ 5 920 000
Zahl der
Datum Verordnung roten Blut- Bemerkungen
körperchen
1911 8. Versuchsperson:
9. Dez 5120000 | Ein angestellter 2. Versuch
BD „ 5100000 | mußte unterbrochen wer-
9.5 0,5 Coffein. natr. benz. innerlich den, da die Schwester aus
10. „ 05 „ » n 5 Versehen 1,0 Coffein. natr.
I s 05 » “ N 5 5220000 | benz. nahm und eine sehr
12, „ 5690000 | starke Unruhe mit Tachy-
14. „ 5 970 000 kardie sich einstellte.
18. „ 5 280 000
20. y 5 200 000
22. y 5150 000
1912 9. Versuchsperson:
8. Jan 5 200 000
10. „ | a 5 180.000
1l. „ $mal tgl. 0,2 Digitalis
12. „ 8mal „ 0,2 y
138. » 8mal „ O1 5 5 650 000
14, „ 5 920 000
16.- 5 810 000
20. m 0
25. „ 5 850 000
80. „ 5 180 000
1912 10. Versuchsperson:
9. Juli 5100 000
14. „ f 5 120 000
15. „ Subcutane Injektion von Pilocar-
i pinum hydroghlorioni (2%,) 0,08
. „ 0.
Il: do. 5320000 |
18. „ 5 680 000 ``
20. „ 5 950
25. 5 6 280 000
28. „ 5 920 000
80, „ 6 600 000
1. Aug 5 250 000
| | 5170000
Während in den Versuchstabellen von Heß und Saxl nach
Opium und Strophantus die höchsten Erythrocytenwerte auftraten,
nach Arsen und Coffein mittlere, wurde nach den vorliegenden
Tabellen die höchste Erythrocytenzahl erreicht durch Opium,
Schwefel, Phosphor, Pilocarpin und Arsen. Nach Natrium nitrosum
stieg die Zahl der roten Blutkörperchen etwas höher an als in
den Versuchen der genannten Autoren, auch erreichte sie das
Maximum etwas später.
Aber jedenfalls kann von einer Gefäßwirkung der genannten
Gifte und damit verbundener Aenderung der Erythrocytenzahl
deshalb keine Rede sein, weil gerade das beste Gefäßgift, das
Natrium nitrosym, nur geringe Vermehrung erzeugt und bei den
übrigen wirksamen Giften das Maximum erst nach zirka acht
Tagen erreicht wird. Der Einwand, Arsen und Phosphor rufen
allein durch Reizung des Knochenmarks Hyperglobulie hervor,
kann dadurch entkräftet werden, daß in den genannten Versuchen
keine Jugendstadien, keine Erythroblasten gefunden wurden. Eine
weitere Stütze für diese Ansicht bildet die Tatsache, daß bei den
Versuchen mit Schwefel, Opium, Arsen und Phosphor an den
Tagen, wo die Erythrocytenzahl ihr Maximum erreichte (über
6000 000), Urobilin und Urobilinogen im Harne nach den
Methoden von Hildebrandt!)?2) in Spuren nachzuweisen waren.
Das Auftreten dieser beiden Körper läßt sich nur durch eine
Schädigung der Leberfunktion erklären. W. Hildebrandt?) hat
das Entstehen des Urobilins beziehungsweise Urobilinogens folgen-
dermaßen geschildert: Auf dem Wege des Ductus choledochus
gelangt das Bilirubin der Galle in den Darm und wird zu Urobilin
und Urobilinogen reduziert. Aus dem Darmlumen wird das Uro-
bilin auf dem Wege der Pfortader der Leber zugeführt, wo es
von den Leberzellen reabsorbiert, in die Gallencapillaren ausge-
schieden wird, in die großen Gallenwege und später wieder in den
Darm gelangt. Es findet also ein Kreislauf des Urobilins zwischen
Darm und Leber durch Vermittlung der Pfortader und zwischen
Leber und Darm durch Vermittlung der Gallenwege statt. In
unsern Fällen von hoher Hyperglobulie bei Verabreichung von
Phosphor, Arsen, Schwefel, Opium, Pilocarpin gelangt das Urobilin
und seine Vorstufe, das Urobilinogen, nur deshalb im Harne zur
Ausscheidung, weil die Leberfunktion insuffizient ist und daher
eine Störung des intermediären Urobilinkreislaufs zwischen Leber
und Darm auftritt.
Arsen, Phosphor, Opium (?), Pilocarpin (?) und Schwefel
schädigen die Leber, und wir müssen wohl, wie Heß und Saxl in
1) Vgl. z. B, Jolles, Zbl. f.i. Med. 1895, und derselbe in Pflügers
A., Bd. 61, S. 623—637.
2) Zt. f. kl. Med. 1906, Bd. 59. =
Ueber das Vorkommen und die Bedeutung des Urobilins im
gesunden und kranken Organismus usw. (M. med. Woch. 1909, Jg. 56,
Nr. 14 u. 15.)
TE a M e ra ar an
KA E En aee ae aa e o aa E e a a er paa a a
|
4
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4
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1748 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober.
bezug auf die Hyperglobulie annehmen, daß diese Gifte in kleinen
Dosen die Hämoglobinzerstörung in der Leber hemmen, den inter-
mediären Urobilinkreislauf alterieren und zu einer langsam auf-
tretenden Hyperglobulie führen, welche nach einigen Tagen,
wie das Urobilinogen im Harne, wieder verschwindet.
Ä Literatur: 1. Th. Brugsch, Zur Frage der Gallenfarbstöftbildung
aus Blut. (Zt. f£. exp. Path. 1911, Bd. 8, S. 639.) — 2. W. Türk (Klin. therap,
Woch. 1903, S. 1382). — 3. W. Schlesinger (D. med. Woch. 1903), —
4. O. Steiger, Ueber das Vorkommen von Gallenfarbstoffen im Sputum, Urin
und Blutserum des Pneumonikers. (L-D. Zürich 1911) — 5 v. J aksch,
Klinische Diagnostik innerer Krankheiten. 1896, S. 97.
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten
von 2
Dr. Max Kahane, Wien.
Vorbemerkungen. Nach anatomischen Gesichtspunkten
unterscheidet man: Erkrankungen des Perikards, des Herzmuskels,
des Endokards beziehungsweise der Herzklappen und der Er-
nährungsgefäße des Herzens, speziell der Coronararterien. Außer
den anatomischen Läsionen gibt es auch funktionelle Er-
krankungen, welche auf den Nervenapparat des Herzens — Vagus-
accessorius, Sympathicus, die Herzganglien — zurückgeführt
werden, die sogenannten Herzneurosen. Anatomische und
funktionelle Erkrankung sind oft vergesellschaftet. Zu den Herz-
neurosen zählt die Tachykardie, beziehungsweise die paroxysmale
Tachykardie, die Phrenokardie und die Angina pectoris vasomo-
toria, sowie die Angina pectoris spuria, während die echte Angina
pectoris — nach der herrschenden Lehre — auf Sklerose der
Coronararterien basiert. Von großer Wichtigkeit ist der Nachweis,
daß es Erkrankungsformen gibt, welche einen der echten Angina
pectoris täuschend ähnlichen Anfall produzieren, aber mit Bildung
fibröser Knoten in der Brustmuskulatur zusammenhängen. Eine
eigenartige Stellung nehmen die Affektionen des sogenannten His-
schen Bündels ein, welches der Ueberleitung der rhythmischen
Herzaktion von den Vorhöfen auf die Ventrikel dient und dessen
Erkrankung als Grundlage des sogenannten Stokes- Adamsschen
durch paroxysmale Bradykardie, Arythmie und Ohnmachtsanfälle ge-
kennzeichneten Krankheitsbildes erwiesen wurde. Die Frage, ob das
Herz in seinem Rhythmus vollständig autonom oder von einem
Nervenapparat abhängig ist, erscheint noch strittig. Die Physio-
logie des Herzens befindet sich in vollster Umwälzung, doch
können die Ergebnisse der neuesten Forschung noch nicht als
sichere Basis für die Diagnostik und Therapie der Herzkrank-
heiten verwendet werden.
Für die Therapie der Herzkrankheiten ist der Zustand
der Arbeitsleistung des Herzens wichtiger, als die anatomischen -
Veränderungen, die, wenn sie Myokard oder Endokard betreffen,
einer therapeutischen Beeinflussung kaum zugänglich sind. Es
muß, bevor man an die Behandlung eines Falles herangeht, eine
möglichst exakte Diagnose gestellt werden und zwar:
1. Unterscheidung zwischen anatomischen und funktionellen
Läsionen,
2. Bei anatomischen Läsionen Beantwortung der Frage, ob
die Affektion das Perikard, Myokard oder Endokard, besonders die
Herzklappen betrifft, ob eine akute, subakute oder chronische Er-
krankung vorliegt. Bei Klappenfehlern a) welche Klappe be-
troffen ist, beziehungsweise ob mehrere Klappen erkrankt sind;
b) ob die Herzdämpfung verkleinert, normal oder vergrößert ist;
c) ob bei allgemein oder partiell vergrößerter Herzdämpfung —
Dilatation oder Hypertrophie beziehungsweise eine Kombination
beider vorliegt d) welche Abteilungen des Herzens — Vorhöfe,
Ventrikel — von der Dilatation beziehungsweise Hypertrophie be-
troffen sind. Bei Erkrankungen des Myokards: Allgemein oder
umschrieben, Entzündung oder Degeneration, in letzterem Falle:
fettige Degeneration oder Sklerose, Beteiligung der Coronararterien.
Die Betrachtung muß sich in jedem Fall auch auf das Verhalten der
Lungen — der großen Gefäße, speziell der Aorta — Atherosklerose,
Aneurysma? und des Zwerchfells erstrecken, ebenso die Thoraxfor-
mation — Emphysem, Skoliose, Kyphose usw. berücksichtigen.
Nach Stellung der anatomischen Diagnose ist eine
sorgfältige Analyse der nachweisbaren Funktionsstörungen für die
Feststellung der therapeutischen Maßnahmen unerläßlich. Hier
sind a) die objektiven b) die subjektiven Erscheinungen zu unter-
scheiden. Die Funktionsstörungen lassen sich aus der Betrachtung
der Normalfunktion des Herzens ableiten. Das Herz ist nicht der
einzige, aber der zentrale Motor des Kreislaufs, seine Arbeit
äußert sich in der Ueberwindung von Widerständen und findet am
systolischen und diastolischen Blutdrucke, beziehungsweise in der
Differenz beider Werte ihren Maßstab. Die Arbeit vollzieht sich
unter normalen Verhältnissen in einem bestimmten Rhythmus,
der durch das Elektrokardiogramm und das Sphygmogramm
einen sichtbaren Ausdruck findet, auch die Frequenz der
Herzarbeit, die sich aus scheinbar zeitlich geschiedenen, aber doch
kontinuierlich ineinander übergehenden Aktionen der Herzmusku-
latur zusammensetzt, ist an bestimmte Normen gebunden, wobei aller-
dings Variationen durch Alter, Geschlecht, körperliche Arbeit,
Affekte, Funktion von Organen usw. gegeben sind. Von größter
Wichtigkeit für den Rhythmus der Herzarbeit ist die normale
Ueberleitung der Impulse von den Vorhöfen zu den Ventrikeln;
das Hissche Bündel ist ein diesem Zwecke dienender neuro-mus-
kulärer Apparat.
Wichtiger als die Befunde der Auskultation und Perkussion
sind für die Therapie die Störungen der Herzleistung und des
Rhythmus der Herzarbeit, die unabhängig voneinander, aber auch
kombiniert auftreten. Bei Klappenfehlern treten im allgemeinen
die Störungen der Arbeitsleistung, bei Myokarderkrankungen die
Störungen des Herzrhythmus in den Vordergrund, bei den Neu-
rosen sind meist die Störungen der Frequenz dominierend.
Die Hauptfragen lassen sich in folgender Fassung stellen:
1. Ist das Herz suffizient oder insuffizient.
2. Ist der Rhythmus im Ablaufe der Herzaktion normal oder
gestört? a) Welchen Teil der Herzarbeit betrifft die Störung —
Vorhofs- oder Ventrikelcontraction, b) besteht eine Störung der
Ueberleitung zwischen Vorhof und Ventrikel, c) ist die Rhythmus-
störung dauernd oder zeitweilig, d) gleichartig oder wechselnd,
e) entspricht jeder Ventrikeleontraction eine Pulswelle — Extra-
systolen?
3. Ist die Frequenz der Herzaktion a) normal, verlangsamt
oder erhöht, b) sind die Veränderungen der Frequenz anhaltend
oder zeitweilig, c) gleichartig oder wechselnd.
Falls Herzinsuffizienz besteht a) Ursache, b) Art und Grad
der Insuffizienz — von größter Wichtigkeit, c) Erscheinungen der
Insuffizienz:
Ad a. Die Arbeit des Herzens äußert sich in Ueberwindung
von Widerständen. Insuffizienz kann entstehen: 1. Durch Herab-
setzung der Leistungsfähigkeit des Triebwerks, 2. durch Erhöhung
der peripheren Widerstände, 3. durch eine Kombination beider
Faktoren. Die daraus abgeleiteten Aufgaben der Therapie be-
stehen in direkter Trübung der Herzleistung beziehungsweise in
Herabsetzung der peripheren Widerstände.
Ad b. Unterscheidung zwischen akuter und chronischer
Herzinsuffizienz, sowie Bestimmung der Grade der Insuffizienz.
1. Grade der akuten Herzinsuffzienz. Erster Grad: Herzklopfen,
leichte Beklemmung, Dyspnöe von kurzer Dauer nach körperlicher
Anstrengung. Zweiter Grad: Kollaps, Blässe, Cyanose, Kälte der
Haut, Puls klein, beschleunigt, eventuell unregelmäßig, Angst,
Beklemmung, eventuell Hebung des Sensoriums, Ohnmacht. Dritter
Grad: Plötzliches, völliges Versagen der Herztätigkeit, sogenannter
Herzschlag (Ventrikelfimmern als wahrscheinliche Ursache des
Herztodes, Vorhofsflimmern als Ursache dauernder Arbythmie
supponiert. | |
2. Grade der chronischen Herzinsuffizienz. Erster Grad:
Das Herz versagt nur bei erhöhten Anforderungen, die Störungen,
zum Beispiel nach körperlicher Anstrengung, Treppensteigen treten
schon bei einem relativ geringen Maße der erhöhten Anforderung
ein, sind intensiver und von längerer Dauer, als bei Gesunden. Die
Erkennung dieses Stadiums der chronischen Herzinsuffizienz ist
von größter praktischer Wichtigkeit, weil die Therapie hier
leistungsfähig ist. Zweiter Grad: Das. Herz genügt nur bei Re-
duktion der Anforderungen an seine Arbeitsleistung, das heißt nur
bei Ruhe und Schonung, ist aber normalen Anforderungen nicht
mehr gewachsen. Dritter Grad: Das Herz ist auch den geringsten
Anforderungen nicht gewachsen, schließlich Erlahmung und Exitus.
(Fortsetzung folgt.)
97. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
. 1749
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin. è
Uebersichtsreferat.
Ueber experimentellen Diabetes
und seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer Sekretion
von Dr. S. Rosenberg, Berlin.
(Fortsetzung aus Nr. 42.)
Wenn wir nun die nervösen Theorien generell betrachten, so
läßt sich gegen dieselben folgender Einwand erheben. Exstirpieren
wir ein Pankreas in einer Sitzung, so werden sofort alle Nerven
durchtrennt, die eine Verbindung mit den Nachbarorganen her-
stellen, und wir sehen den Diabetes sofort in die Erscheinung
treten. Wenn wir dagegen nach dem Vorschlag von Minkowski
und von Hédon die Operation dreizeitig ausführen derart, daß
wir in der ersten Sitzung einen Lappen der Drüse unter die Haut
pflanzen, in der zweiten Sitzung den Rest des Pankreas exstirpieren
und in der dritten endlich den unter die Haut gepflanzten Pfröpf-
ling entfernen, so tritt der Diabetes erst nach der dritten Ope-
ration ein, obwohl durch die zweite schon alle nervösen Verbin-
dungen zu den Nachbarorganen zerstört waren. Hiergegen hat
Pflüger geltend gemacht, und Hödon hat sich diesem Einwande
angeschlossen, daß der unter die Haut gepflanzte Lappen sich
wieder in Beziehung zu den nervösen Centren gesetzt haben könne.
Wenn man diese Auffassung gelten lassen will, so werden
die nervösen Theorien doch erschüttert durch die von Hödon fest-
gestellte Tatsache, daß Pankreasexstirpation auch nach Durch-
schneidung des Rückenmarks zum Diabetes führt. Durch diesen
Befund entfällt für uns die Möglichkeit, uns vorzustellen, daß die
Organe, welche der Zuckerbildung, beziehentlich der Zucker-
verbrennung im Organismus vorstehen, auf dem Wege nervöser
‚Reflexe zueinander in Beziehung treten. Es bleibt aber die Mög-
lichkeit bestehen, daß die Korrelationen dieser Organe durch
innere Sekrete (Hormone) reguliert werden.
Seit Brown-Séquard unter Hinweis auf ein inneres Sekret
in den Testikeln die Lehre von den inneren Sekreten überhaupt
inaugurierte, hat man in allen möglichen Drüsen derartige endo-
krine Produkte gesucht und gefunden. Aber nur das Sekret der
Nebennieren ist uns so genau bekannt geworden, daß wir dessen.
chemische Konstitution kennen, und daß man an seinen syntheti-
schen Aufbau hat herangehen können. Alle übrigen inneren
Sekrete sind uns in ihrem Wesen unbekannt geblieben, und ihre
Existenz kann lediglich auf Umwegen ermittelt werden.
Wenn wir z.B. einem Individuum die Thyreoidea total ent-
fernen, so beobachten wir Anomalien im Wachstum, im Stoff-
wechsel, im psychischen Verhalten, in den Circulationsverhält-
nissen und in der Beschaffenheit der Haut. Wenn wir nun Thy-
reoidealsubstanz zufüttern, dann schwinden alle abnormen Erschei-
nungen so, daß ein solches schilddrüsenloses Individuum von einem
normalen nicht mehr unterschieden werden kann. Es muß also
in der Schilddrüse ein unbekanntes Etwas stecken, dessen Fehlen
zu Störungen führt, dessen Zufuhr die Störungen wieder zum
Schwinden bringt, und dieses unbekannte Etwas ist das, was wir
ein inneres Sekret oder Hormon nennen. — Exstirpiert man einem
Tiere die Hoden, so unterbleibt die Ausbildung der sekundären
Sexualcharaktere; pflanzt man — wie dasNußbaum bei Fröschen
getan hat — die exstirpierten Geschlechtsdrüsen unter die Rücken-
haut, so entwickeln sich die sekundären Geschlechtscharaktere —
in diesem Falle Schwellung der Daumenschwielen und Hyper-
trophie der Vorderarmmuskulatur — genau so, als wenn die
Testikel sich an ihrer normalen Stelle befunden hätten. Aus den
gewählten Beispielen sehen wir, daß man durch Verfütterung be-
ziehentlich Transplantation von Drüsen deren inneres Sekret zur
Wirkung gelangen lassen kann. — Wie sieht das nun beim Pankreas
aus? Wenn man ein solches entfernt, so tritt als Ausfalls-
erscheinung ganz prompt ein Diabetes auf, der aber weder durch
Zufütterung von Bauchspeicheldrüse, noch durch Transplantation
einer solchen zum Schwinden gebracht werden kann. Auf diesem
Wege also ist ein etwa im Pankreas vorhandenes inneres Sekret
nicht nachzuweisen.
Da kam Forschbach auf den glücklichen Gedanken, die
von Sauerbruch und Heide angegebene Operation der Parabiose
in den Dienst dieser Frage zu stellen. Wenn wir zwei Tiere zur
Parabiose miteinander verbinden wollen, so bringen wir sie derart
nebeneinander, daß die Köpfe gleich gerichtet sind, und daß die
rechte Flanke des einen Tieres der linken des andern gegenüber-
steht. Wir machen nun bei beiden Tieren je einen Flankenschnitt
vom Rippenrande bis zum Hüftkamme, durch den wir Haut, Mus-
kulatur und Peritoneum durchtrennen, und vernähen dann in der
ganzen Circumferenz der Wunde das Bauchfell des einen Tieres
mit dem des andern und verfahren mit Muskulatur und Haut in
der gleichen Weise. Wenn dann die Wunden verheilt und Gefäße
herüber- und hinübergewachsen sind, dann stellen solche Tiere bis
zu einem gewissen Grade eine Einheit dar, etwa so wie früher
die siamesischen Zwillinge oder neuerdings die Geschwister Blazek.
Gibt man einem solchen mit einem andern parabiotisch verbun-
denen Individuum ein Jodsalz ein, so kann man nach kurzer Zeit
im Harn des andern Jod nachweisen, als Zeichen, daß eine Ueber-
wanderung von einem Tier zum andern stattgefunden hat. —
Forschbach brachte also zwei Hunde zur Parabiose und exstir-
pierte dem einen das Pankreas in der Erwartung, daß wenn
dieses ein inneres, den Kohlehydratstoffwechsel regulierendes Sekret
produziere, nunmehr die Zuckerverbrennung im pankreaslosen Tiere
von dem normalen her beeinflußt werden würde. Und in der Tat
sah er, daß unter solchen Umständen der Diabetes des pankreas-
losen Hundes eingeschränkt, zeitweise sogar verhindert wurde,
während er nach Trennung der Tiere sofort in schwerer Form in
die Erscheinung trat. Aus diesem Versuchsergebnis schloß
Forschbach auf die Existenz eines vom Pankreas gebildeten
endokrinen Produktes.
Nun war es aber vorgekommen, daß gelegentlich solcher
Versuche einmal Zuckerausscheidung beim normalen Tiere, nicht
aber beim pankreaslosen beobachtet wurde. Während Forsch-
bach diese Erscheinung als einfaches Ueberfließen des Zuckers
von einem auf den andern Organismus deutete, war Pflüger der
Meinung, daß durch die Parabioseversuche gar nicht die Existenz
eines inneren Sekrets erwiesen worden sei, sondern daß aus
ihnen hervorgehe, daß im pankreaslosen Organismus ein giftartiger
Stoff gebildet werde, der in den normalen Organismus überwandere
und etwa nach Art des Adrenalins zur Glykosurie führe. — Ich
weiß nicht, ob dieser Einwand von irgendeiner Seite für ge-
rechtfertigt angesehen worden ist. Sollte es der Fall sein, dann
müssen alle Zweifel schwinden angesichts einer sehr eleganten
Versuchsanordnung, durch die Carlsson und Drennan das Vor-
handensein des pankreatischen inneren Sekretes nachgewiesen
haben. Diese Autoren entfernten die. Bauchspeicheldrüse bei
hochträchtigen Hündinnen — kurz vor der Zeit des Wurfes — und
sahen unter diesen Umständen keinen Diabetes auftreten. Wurden
aber die Föten vom Muttertiere getrennt, sei es, daß die Zeit
des normalen Partus eintrat, sei es, daß man die Sectio caesarea
machte, so trat sofort ein schwerer Diabetes in die Erscheinung. Hier
lag die Sache ganz ohne Zweifel so, daß die schon reifen Föten
durch ihre pankreatischen endokrinen Produkte den Kohlehydrat-
stoffwechsel im Muttertiere regulierten, der sofort in Unordnung
geraten mußte, sobald die Trennung von Mutter und Föten vor
sich gegangen war.
Auch Hödon hatte sich bemüht, die Existenz eines inneren
pankreatischen Sekretes nachzuweisen, indem er zwei Hunde in
Gefäßverbindung brachte derart, daß das centrale Carotisende
eines pankreasdiabetischen Hundes mit dem peripherischen eines nor-
malen und das centrale des normalen mit dem peripherischen des
pankreaslosen vernäht wurde. Blieben die Tiere genügend lange
in Verbindung, so wurde das pankreasdiabetische Tier oligurisch
oder selbst anurisch und hörte auf, Zucker auszuscheiden. Das
geschah aber nicht durch die Wirkung eines inneren Sekrets,
sondern infolge einer Nierenschädigung. Das wesentlichste dia-
betische Symptom, die Hyperglykämie, blieb bestehen.
Hédon versuchte nun noch auf eine andere Weise zum Ziel
zu gelangen. Er anastomosierte Carotis und Jugularis eines dia-
betischen Tieres mit der pankreatischen Arterie und Vene eines
normalen Individuums, sodaß das diabetische Blut aus der Carotis
in die pankreatische Arterie und aus der pankreatischen Vene in
die Jugularis hineinströmte. Bei dieser Versuchsanordnung wurde
die Zuckerausscheidung nicht beeinflußt, Wählte er aber statt
Carotis und Jugularis die Arterio und Vena splenica, so ver-
schwand der Zucker oder wurde doch nur in geringerem Ausmaß
ausgeschieden. Welcher Unterschied war nun zwischen den beiden
Operationen? Er lag darin, daß in letzterem Falle die Vena por-
tarum und Leber des diabetischen Tieres in den Kreislauf mit ein-
bezogen wurde. Wenn Hödon ferner einem diabetischen Tiere
Pankreasvenenblut eines normalen Tieres in eine Vene der all-
gemeinen Circulation injizierte, so blieb die Glykosurie bestehen;
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1750 | 19182 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober.
sie schwand aber, wenn die Injektion in eine Vena meseraica er-
folgte, algo wieder die Vena portarum eingeschaltet wurde.
Hödon schloß hieraus, daß das Pankreas eine auf die Glykolyse
wirkende Substanz absondere, die jedoch der Mitarbeit der Leber
bedürfe, um aktiv zu werden. Diese Auffassung ist sicher nicht
richtig, wie aus den Beobachtungen hervorgeht, die man an
Trägern Eckscher Fisteln machen kann. — Wenn man eine
Ecksche Fistel anlegt, so stellt man eine Anastomose zwischen
Vena cava inferior und Vena portarum her und unterbindet letztere
dicht unterhalb der Leber und oberhalb der pankreatischen Vene.
Es kann also das Pankreasvenenblut nicht mehr die Leber passieren,
sondern muß durch die Fistel hindurchfließen. . Und wenn nun die
Hödonsche Annahme zu Recht bestände, dann müßten alle Tiere
mit Eckschen Fisteln unbedingt diabetisch werden, was aber sicher
nicht der Fall ist. Dazu kommt noch, daß in den Versuchen
Hédons trotz Herabgehens oder selbst Schwindens der Glykosurie
die Hyperglykämie bestehen blieb, und wer in dieser das wesent-
lichste Charakteristikum des Diabetes erblickt, der wird durch die
Hö&donsche Versuchsanordnung den Diabetes auch nicht als beein-
flußt erachten können.
Endlich gibt noch Drennan an, die Existenz eines inneren
pankreatischen Sekrets auf folgende Weise erwiesen zu haben.
‘Wenn er defibriniertes Blut eines normalen Tieres einem pankreas-
diabetischen transfundierte, so wurde der Zuckergehalt im Urin
des letzteren vermindert. Kontrollexperimente mit Salzlösungen
und dem Blute pankreasdiabetischer Tiere zeigten diesen Effekt
nicht, der also nicht auf Blutverdünnung, sondern auf eine innere
Sekretion des Pankreas ins Blut zu beziehen sei. Das defibrinierte
Biut verliere sein inneres Sekret sehr schnell, das also ein sehr
wenig stabiles Gebilde sein müsse.
Es entsteht nun die Frage, welche Zellen im Pankreas wir
als Bildungsstätten des inneren Sekrets anzusprechen haben.
Wenn wir ein Pankreas mikroskopisch betrachten, so unterscheiden
wir in ihm zwei Arten von Zeligebilden, die eigentlichen Paren-
chymzellen, welche das äußere Sekret produzieren, und Häufchen
von Rundzellen, welche nach Langerhans, ihren ersten Beob-
achter, Langerhanssche Inseln benannt werden, und die in der
Diskussion der Diabetesätiologie auch jetzt noch eine große Rolle
spielen. Langerhans hatte diese Inseln für nervöse Gebilde ge-
halten; später sah man sie für Blutgefäßdrüsen an, und Laguesse
war der erste, der ihnen die Produktion eines inneren Sekrets zu-
schrieb, obne sie jedoch zunächst mit den glykolytischen Vor-
gängen im Organismus in Verbindung zu bringen. Erst später,
als man bei schweren Fällen von Diabetes auch schwere Verände-
rungen der Inseln — hyaline Degeneration, Sklerose, Atrophie,
Blutungen, Verfettungen, Rarefikation und vollkommenen Schwund
— beobachtet hatte, bildete sich die Meinung aus, daß diese
Inseln die Regulatoren des Zuckerstoffwechsels im Organismus
seien. Ein solcher Schluß ist ganz willkürlich, weil hier anato-
mische Untersuchung und klinische Beobachtung wohl das Neben-
einander der Dinge erkennen lassen, ihre ätiologische Verknüpfung
jedoch nicht klarlegen. Die Anhänger der Inseltheorie machten nun
für ihre Auffassung folgendes geltend. Wenn man die pankreatischen
Ausführungsgänge unterbindet, so findet, wie das von Schulze
und von Ssobolew festgestellt wurde, ein vollkommener Schwund
des Parenchyms statt, und das ganze Pankreas besteht zuletzt
nur noch aus einem Konglomerat von Inseln. Unter diesen Um-
ständen findet aber eine Zuckerausscheidung nicht statt und man
kann, wie Laguesse gezeigt hat, Kaninchen in diesem Zustande
drei bis vier Jahre am Leben erhalten, ohne daß sie diabetisch
werden. Sowie man aber die nur noch aus Inseln bestehende
Bauchspeicheldrüse entfernt, tritt sofort der Diabetes in die Er-
scheinung. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Beobachtungen
sehr zugunsten der Inseltheorie zu sprechen scheinen; aber einer-
seits haben Pratt und Spooner festgestellt, daß wenn man alle
pankreatischen Gänge unterbindet, nicht bloß das Parenchym,
sondern auch die Inseln not leiden, und daß nach Gangunterbin-
dungen unter allen Umständen die Kohlehydrattoleranz vermindert
ist, anderseits aber ist man, wie wir noch sehen werden, zu der
Erkenntnis gelangt, daß die Inseln gar nicht ein Gewebe sui
generis, sondern nur ein besonderer physiologischer Zustand des
Parenchyms sind, sodaß unter diesen Umständen die Aufrecht-
erhaltung der Funktion durch sie nicht als etwas Besonderes im-
ponieren kann.
Man hat dann ferner zum Beweis eines Zusammenhangs‘
zwischen Kohlehydratstoffwechsel und Langerhansschen Inseln
auf die Veränderungen hingewiesen, welche letztere nach reich-
licher Kohlehydratfütterung erleiden. Lépine und Diamare
hatten nämlich nach Zufuhr großer Kohlehydratmengen Volum-
veränderungen der Inseln beobachtet, und Ssobolew sowie Adel-
heim sahen unter diesen Umständen fuchsinophile beziehentlich
saphranophile Körnchen aus dem Protoplasma der Inseln schwin-
den, die im Hungerzustand oder bei kohlehydratfreier Nahrung
die Inselzellen prall anfüllen. Allein aus derartigen Befunden
läßt sich doch nur der Schluß herleiten, daß die Kohlehydrate
eine Einwirkung auf die Zellformen der Inseln haben, nicht aber,
daß letztere die Zuckerverbrennung regulieren.
Eine Zeitlang schien es nun aber doch, als wenn eine ganz
direkte Einwirkung der Inseln auf die Zuckerzerstörung sich hätte
erweisen lassen. Kuliabko und Diamare hatten nämlich ge-
funden, daß bei gewissen Fischen, bei Scorpaena seropha und
Lophius piscatorius die Inselsubstanz sich von dem übrigen pan-
kreatischen Gewebe vollkommen isolieren lasse, und als sie diese
Inselsubstanz auf Zuckerlösungen einwirken ließen, da beobachteten
sie eine „Invertierung“ von Traubenzucker, womit sie wohl sagen
wollten, daß Dextrose zerstört worden sei. Bei späteren Unter-
suchungen jedoch, die Diamare nachmals allein anstellte, kam er zu
ganz andern Resultaten; er hielt nunmehr eine direkte Einwirkung
der Inseln auf Glukose nicht für wahrscheinlich, meinte vielmehr,
daß das endokrine Produkt der Inseln nach Art einer aktivieren-
den oder zymoplastischen Substanz nur indirekt auf Zuckerlösungen
einwirke. - Auch Rennie konnte die Angaben von Kuliabko und
Diamare nicht bestätigen, schloß aber aus seinen Erfolgen bei
Darreichung von Inselsubstanz in Diabetesfällen, daß diese Inseln
dennoch zu der Regulierung der Zuckermenge im Blut in Be-
ziehung stünden. Bei späteren Versuchen, bei denen Rennie und
Fraser wiederum Inselsubstanz von Teleostiern Diabeteskranken
mit Erfolg einverleibten, erwiesen sich die Autoren in ihrem Ur-
teil wesentlich zurückhaltender und meinten, daß aus diesen Ver-
suchen keine Schlüsse über die Beziehungen der Inseln zum Dia-
betes herzuleiten seien.
Es ist ganz selbstverständlich, daß eine Theorie, die 50
wenig feste Stützen hat wie die Inseltheorie, keine allgemeine An-
erkennung finden konnte, und ihre Gegner wiesen in erster Linie
darauf hin, daß man zahlreiche Diabetesfälle mit anatomisch ganz
intakten Inseln anträfe. Aber demgegenüber nahm Sauerbeck
in diesen Fällen eine funktionelle Störung in der Tätigkeit der
Inselzellen als Ursache des Diabetes an, und Heiberg ist der
Meinung, daß eine Rarefikation der Inseln, die er in Diabetesfällen
sehr häufig beobachtete, allein schon eine Störung der normalen
Glykolyse zur Folge habe. Letztere Ansicht ist gewiß nicht
richtig; denn erstens würden nach bekannten Analogien die noch
vorhandenen Inseln die Funktion der verloren gegangenen über-
nehmen, und dann ferner können wir den allergrößten Teil des
Pankreas und damit auch der Inseln akut entfernen, ohne daß es
zu einem Diabetes kommt. Das spricht also unbedingt gegen die
Auffassung Heibergs.
Nun aber muß gegen die Inseltheorie vor allen Dingen geltend
gemacht werden, daß die Inseln Gebilde von großer anatomischer
Inkonstanz sind. Allerdings gibt es noch Autoren, welche — Wie
Weichselbaum und Stangl, Helly, Heiberg, Kyrle und
Andere — die Langerhansschen Inseln als Gebilde sui generis
betrachten, die schon in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Anlage
vom Pankreasparenchym vollkommen verschieden seien. Allein die
Zahl der Beobachter wächst immer mehr und mehr, welche im
Gegensatz zu dieser Meinung in ihnen nur eine besondere Er-
scheinungsform des Parenchyms erblicken, und welche Uebergäng®
der einen Zellform in die andere für absolut sichergestellt er-
achten. So haben — um nur die besten Kenner dieser Verhält-
nisse hier zu nennen — Vincent und Thompson zahllose Unter-
suchungen an den Bauchspeicheldrüsen von Säugetieren, Vögeln,
Fischen und Amphibien angestellt und überall Umbildungen von
Parenchymzellen in Inseln und Rückbildungen dieser in jene beob-
achtet. Und das gleiche hat Laguesse, einer der eifrigsten Ver-
fechter der Inseltheorie, gesehen, der so sehr von den Ueber-
gängen der Zellformen ineinander überzeugt ist, daß er von einem
„Balancement“ derselben spricht und auch den Versuch gemacht
hat, dieses Balancement experimentell zu erweisen. Er ging dabel
in der Weise vor, daß er zunächst bei Tauben durch Auszählen
einen Durchschnittswert für die Anzahl der Inseln feststellte.
Dann ließ er eine Gruppe von Tauben hungern und tötete sie IM
Hungerzustande, während er eine zweite Gruppe erst hungern Jie
und sie dann nach wieder erfolgter Fütterung tötete. Da dae
sich denn bei der Auszählung der Inseln heraus, daß die zwe!
Gruppe den normalen Durchschnittswert aufwies, während die
| Inselzahl der in der Hungerperiode getöteten Tiere wesentlich Ye
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1751
mehrt war, Ich lasse es dahingestellt sein, ob man das Balance-
ment durch derartige Experimente als erwiesen erachten will,
möchte doch aber erwähnen, daß ganz neuerdings Fischer an
Amphibien die Beobachtung von Laguesse bestätigt hat.
Wenn nun aber die Langerhansschen Inseln keine be-
sonderen morphologischen Gebilde sind, dann ist auch gar nicht
daran zu denken, sie als die Träger einer so lebenswichtigen
Funktion, wie es die Glykolyse ist, zu betrachten und anzunehmen,
daß sie mit dem Wechsel der Form bald imstande sein sollten,
ein inneres und bald ein äußeres Sekret zu produzieren.
Es kommt noch ein weiteres Moment hinzu, welches gegen
die Regulation des Kohlehydratstoffwechsels durch die Inseln
spricht, und welches von den Vertretern der Inseltheorie bisher
immer mit großer Konsequenz außer acht gelassen worden ist,
das ist die Tatsache, daß man schwere Inselveränderungen beob-
achten kann, ohne daß dabei Zuckerausscheidung stattfindet. So
berichtet Ohlmacher über einen Fall von ausgedehnter hyaliner
Degeneration der Langerhansschen Inseln, bei dem keine Spur
von Glykosurie gefunden wurde, und Carnot und Amet beob-
achteten wiederholentlich Fälle, in denen sie Veränderungen der
Inseln allein oder vergesellschaftet mit solchen der Parenchym-
zellen konstatierten, ohne daß Diabetes vorhanden war. Diesen
Autoren gelang es auch, experimentell bei Tieren durch Vergiftung
mit Arsen, Phosphor, Morphium und Diphtherietoxin Verfettungen
und hyaline Degeneration der Inseln hervorzurufen, ohne daß je-
mals dabei Zuckerausscheidung beobachtet werden konnte Max
Mosse sah erhebliche Inselveränderungen ohne Zuckerausscheidung
nach Pyrodinvergiftungen, Paul Lazarus Hyperplasie und Hyper-
trophie nach Anwendung von Phloridzin; kurzum es gibt eine
ganze Reihe von Giften, welche zu anatomischen Läsionen der
Inseln führen, ohne daß diese von Zuckerausscheidung begleitet
sind. Nun aber ist auch der im Uebermaß im Blute circulierende
Zucker als Gift zu betrachten; desgleichen die beim schweren
Diabetes auftretenden abnormen Stoffwechselprodukte (Acidose) und
endlich haben wir oben gesehen, daß die Zellen der Inseln nach
reichlicher Kohlehydratzufuhr ganz direkt Formveränderungen er-
kennen lassen; und alle diese Umstände machen es mir wahr-
scheinlich, daß die Inselveränderungen, die man beim Diabetes
beobachtet hat, nicht die Ursache, sondern die Folge dieser
Krankheit sind. |
Sei dem nun, wie ihm wolle, jedenfalls können wir die
Langerhansschen Inseln nicht als Regulatoren des Kohlehydrat-
stoffwechsels anerkennen, sondern werden diese Funktion mit Lé-
pine und Ugo Lombroso den gesamten Zellen des Pankreas
als Bildungsstätten eines endokrinen Produkts zuerkennen.
Wir können uns nun aber auch eine Vorstellung von dem
Wege machen, auf welchem das innere Sekret aus der Bauch-
speicheldrüse abgeführt wird. Im Jahre 1899 hatte Biedl ge-
zeigt, daß beim Hunde die Ausschaltung des Chylus- und Lymph-
stroms durch Unterbindung des Ductus thoracicus oder Ableitung
der Ductusiymphe nach außen zu einer andauernden Glykosurie
führt, die mit Entwicklung mächtiger Kollateralen schwindet und
durch intravenöse Infusion von Lymphserum behoben werden kann.
Damals nun hatte man keine Möglichkeit, diese Form der Zucker-
ausscheidung zum pankreatischen Diabetes in Beziehung zu setzen.
Inzwischen haben wir in der Loewischen Reaktion ein Verfahren
kennen gelernt, welches die Diagnose auf einen pankreatischen
Diabetes gestattet. Diese Reaktion besteht darin, daß nach
Pankreasexstirpation bei Hunden und Katzen auf Adrenalininstilla-
tion ins Auge, von welcher normale Tiere unbeeinflußt bleiben,
innerhalb 24 Stunden eine beträchtliche Mydriasis erfolgt, woraus
Loewi schließt, daß die Bauchspeicheldrüse sympathische
Hemmungen erregt, beziehungsweise die Reizbarkeit sympathischer
Förderungsnerven herabsetzt, und daß der Diabetes vielleicht auf
Beseitigung derartiger Hemmungen zurückzuführen ist. Diese
Loewische Reaktion fällt nun beim Lymphdiabetes positiv aus,
sodaß eine Wesensgleichheit des Lymph- und pankreatischen Dia-
betes wahrscheinlich erscheint. Und unter diesen Umständen
dürfen wir annehmen, daß das endokrine pankreatische Produkt
auf dem Lymphwege der Blutbahn zugeführt wird, und daß
dessen Fernhaltung von der Circulation durch Unterbindung be-
ziehungsweise Fistelbildung am Ductus thoracieus die Zuckerver-
brennung schädigt und zur Glykosurie führt.
Es hat nun auch nicht an Versuchen gefehlt, das innere
Sekret der Bauchspeicheldrüse zu fassen und im Sinne der The-
rapie nutzbar zu machen. So stellte Vahlen aus dem Pankreas
eine Substanz dar, die Zucker zwar nicht zersetzt, aber die Zucker-
zersetzung beschleunigt. Versuche mit dieser Substanz an phlo-
ridzindiabetischen Tieren ergaben eine Herabsetzung der ausge-
schiedenen Zuckermenge, doch konnte die gleiche Wirkung an
einem pankreasdiabetischen Hunde nicht beobachtet werden, und
die in Aussicht gestellten Versuche am Menschen sind bisher nicht
gemeldet worden.
Ferner stellten Zülzer, Dohrn und Marxer aus dem Pan-
kreas verdauender Tiere ein Hormon dar, dessen intravenöse In-
jektion bei pankreasdiabetischen Hunden und diabetischen Menschen.
einen günstigen Einfluß'auf die Zuckerausscheidung und die Aci-
dose haben und die gespritzten Menschen in einen Zustand subjek-
tiven Wohlbehagens versetzen sollte. Aber dieses subjektive Wohl-
befinden wurde eingeleitet durch Schüttelfröste und hohes Fieber,
Schwindel, Ueblichkeit und Ohnmacht, und es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß das Hormon eine Giftwirkung ausgeübt hat, auf
deren Rechnung auch die Verringerung der Zuckerausscheidung
geschrieben werden muß. Eine Beeinflussung der Acidose konnte
Forschbach bei einer von ihm vorgenommenen Nachprüfung nicht
feststellen.
Endlich ist im Zusammenhange mit diesen Dingen noch zu
erwähnen, daß nach Stoklasa das Pankreas nur auf diejenigen
Hexosen einwirken soll, welche durch Enzymhydrolyse aus Di-
sacchariden entstanden sind, eine Angabe, welche ihrer Seltsamkeit
wegen sehr der Bestätigung bedarf, meines Wissens aber bisher
noch nicht nachgeprüft worden ist. (Schluß folgt.)
Sammelreferat.
Neuere Literatur über Pharynx- und Kehlkopftuberkulose
von Dr. Haenlein, Universitäts-Ohren- und Nasenklinik, Berlin.
Tuberkulöse Granulationsgeschwülste des Rachens sind an
und für sich eine ziemliche Rarität. Ganz unbekannt aber sind
nach Imhofer (1) Tuberkulome der Pars oralis des Pharynx, also
jenes Teils der hinteren Rachenwand, der mit Plattenepithel aus-
gekleidet ist. Der vom Verfasser beobachtete Fall stellt daher
ein Unikum dar. 21jährige Patientin klagte über behinderte
Nasenatmung links. Es bestand links eine vom vorderen Anteile
des Septums ausgehende blasse, höckrige Geschwulst, die bei Be-
rührung blutete und den vorderen Anteil der linken Nasenseite
fast völlig ausfüllte. Sonst normaler Befund. Entfernung der
Geschwulst, die bei der Untersuchung als Tuberkulom des Septums
sich erwies. Nach einem Jahre wieder Granulationszapfen an der
Stelle der Geschwulst und im Rachen in der Mitte der Hinter-
wand, zum Teil von der Uvula verdeckt eine erbsengroße Ge-
schwulst mit glatter Oberfläche. Larynx normal. Entfernung der
Geschwulst, Verätzung mit Milchsäure. Nach einem halben Jahre
wurden an der hinteren Circumferenz der ursprünglichen Opera-
tionsstelle einige kleine Wucherungen entfernt, die Stellen ver-
schorft. An den Lungen war nichts Krankhaftes nachzuweisen.
Wahrscheinlich handelte es sich hier um Kontaktinfektion. Es
dürften Partikelehen der Nasenwucherungen sich losgelöst haben
und im Schlaf in den Rachen gefallen sein, wo sie Erkrankung
veranlaßten. — Safranek (2) berichtet über 51 Patienten mit
Lupus vulgaris der oberen Luftwege. Die Differenzierung zwischen
Lupus und Tuberkulose im engeren Sinn ist in einzelnen Fällen
schwierig. Verfasser beobachtete folgende Stadien des Schleim-
hautlupus: 1. Initialstadium, welches eine subepitheliale Infiltration
der Schleimhaut darstellt. Es folgt 2. das Stadium der lebhafteren
Proliferation in Knötchenform, 3. Ulcerationen der Knötchen, even-
tuell später auch der knorpligen Unterlage, 4. Heilung durch
Granulationsbildung und Vernarbung. Subjektive Symptome fehlen
oft. Schleimhautlupus, wie Lupus überhaupt, ist bei Frauen
häufiger als bei Männern; der Lupus kommt vornehmlich in jün-
geren Jahren vor. Bei den 51 Patienten war in 47 Fällen die
Nasenschleimhaut, in 2 der Nasenrachen, in 6 die Mundhöhle, in
4 der Rachen, in 6 der Kehlkopf beteiligt. Bei der Nase ist der
vordere Teil des Septum cartilagineum Prädilektionsstelle, dann
folgt untere Muschel, Boden des Cavum. Es herrschte die
Knötchenform vor mit stellenweisen oberflächlichen Ulcerationen.
In zwei Fällen pflanzte der tuberkulöse Prozeß sich durch den
Tränennasenkanal nach dem Auge fort. In Mund und Rachen-
höhle sind Zahnfleisch, harter und weicher Gaumen Sitz der Er-
krankung. Einmal wurde der seltene Fall von Lupus der Zunge
‚beobachtet. Am rechten Zungenrande war ein bohnengroßes
Konglomerat von gelblichen, teilweise ulcerierten Knötchen. Ent-
fernung durch Excision im Gesunden. Am harten Gaumen zeigten
die großen und zahlreichen Knötchen nur geringe Neigung zur
Ulceration und nie zur Destruktion..;Auch am weichen Gaumen
1 auiii See Fu Tan
poi
RT ER
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
27. Oktober,
nicht, wo nie eine Perforation beobachtet wurde. Die Uvula wird
zu einer unförmigen Masse von Knötchen umgeformt und leicht
zerstört. Primärer Pharynxlupus ist selten, oft ist er aber mit
intranasalem Lupus verbunden; der Pharynxlupus ist nur aus-
nahmsweise als direkte Fortsetzung des endonasalen Lupus aufzu-
fassen. Selten werden die Tonsillen vom Lupus ergriffen. In den
beobachteten Fällen auch nur einmal. Auch primärer Larynx-
lupus ist .sehr selten. In Safraneks Fällen war es dreimal;
stets war die Epiglottis, besonders der Kehldeckel erkrankt. Die
Schwellung der Epiglottis war ziemlich stark, zweimal enorm; bei
der Tuberkulose im engeren Sinne bekommt man eine derartige
Schwellung nicht zu sehen. Vorherrschend war die Knötchenform.
Bei keinem Falle der subchordalen Infiltration wurden namhafte
Atmungsbeschwerden beobachtet. Oedeme, wie sie bei Tuberkulose
häufig sind, fehlten, die subjektiven Beschwerden waren durchwegs
sehr gering. Wahrscheinlich handelt es sich beim Larynxlupus
nicht um Inhalationsinfektion, sondern um eine Fütterungstuber-
kulose. Nur in einem Falle von Larynxlupuserkrankung war
tuberkulöse Lungenerkrankung nachweisbar, ebenso nur bei einem
geringen Teile der Lupuspatienten überhaupt. Häufig wurden
katarrhalische Veränderungen der oberen Luftwege vorgefunden.
Ein Teil der Lupuskranken fällt schließlich der Tuberkulose innerer
Organe zum Opfer; quoad vitam ist der Schleimhautlupus nicht
ungünstig. Die therapeutischen Versuche (Pfannenstiel), Jod-
natrium innerlich, Inhalieren von Ozon bei oberflächlichen Ulcera-
tionen, waren bei zwei Fällen erfolglos. Bei Strandbergs
Therapie, wobei statt Ozon in 2 bis 30/, Wasserstoff getauchte
Tampons in die Nase eingeführt wurden, wurden beim Nasenlupus
50 °/, Heilung erreicht. Chirurgische Behandlung, möglichst radi-
kale Entfernung des Kranken hält Verfasser für die entsprechende
Behandlung; allgemeine Therapie muß damit verknüpft sein. —
3. Epithelläsion und baecillenreiches Sputum können die Larynx-
tuberkulose in die Erscheinung rufen.
Der Phthisiker ist infolge der Schmerzlosigkeit meist in boff-
nungsvoller Stimmung. Diese fehlt aber bei der im Verlauf der
Kehlkopfschwindsucht auftretenden Dysphagie. Die Ursache der
Schluckschmerzen sind Ulcerationen, ferner einseitige, seltener
beiderseitige Hypersensibilität des Nervus laryngeus superior, in-
ferior, des Glosso pharyngeus.
Rethi führt als therapeutische Maßnahmen gegen die
Dysphagie an:
I. Allgemeine Analgetica.
II. Beeinflussung der Kehlkopfaffektion
1. durch allgemeine Behandlung: Roborierung, Schweigekur,
Diäthydrotherapie;
2. specifische Behandlung: Tuberkulin, Hetol:
3. lokale Behandlung: Anaesthetica, Phototherapie, Bier-
sche Stauung, lokale Applikation von ätzenden usw.
Mitteln, endolaryngeale, chirurgische, galvanokaustische
Eingriffe, äußere chirurgische Behandlung.
III. Aufhebung der Leitungsfähigkeit des Nerven.
1. Einspritzung chemischer Stoffe. =
2. Unterbrechung der Kontinuität des Nerven. -
Verfasser bespricht unter Hinweis auf die von ihm und an-
dern erzielten Resultate die einzelnen Methoden.
Die Galvanokaustik ist die beste unter den radikalen thera-
peutischen Faktoren. Bei flächenhaften Prozessen werden durch
den flachen Brenner, bei tiefergehenden Prozessen durch den Tiefen-
stich gute Erfolge erzielt. Bei instrumentellen Eingriffen ist die
Doppelcurette besser wie die einfache. Günstige Erfolge bezüglich
der lokalen Prozesse nach Tracheotomie hat Verfasser nie ge-
sehen. Für die Durchtrennung des inneren Astes des oberen
Kehlkopfnervs werden als Indikationen aufgestellt: sehr starke
Schmerzen, Unmöglichkeit zu schlucken, Versagen anderer Methoden,
um Besserung zu erzielen; ferner muß Heilung oder Besserung
überhaupt auszuschließen und der Kranke für den kleinen Eingriff
noch kräftig genug sein. — Nach A. Meyer (4) ist für die am-
bulante Behandlung der Kehlkopftuberkulose das Tuberkulin das beste
Mittel neben physikalischer und diätetischer Therapie. Es ist
besser, daß zunächst laryngologische Behandlung einsetzt, als daß
unter Vernachlässigung des Kehlkopfs eine Freiluftkur eingeleitet
wird. Das Tuberkulin sei dem Serum vorzuziehen. Versuche mit
Marmoreks Serum fielen unbefriedigend aus. Die allgemeine wie
örtliche Reaktion scheint beim T. R. geringer zu sein als beim
Alttuberkulin. Bei subfebrilen Temperaturen, die auf Bettruhe
nicht weichen, kann Tuberkulinkur versucht werden. Bei schwerer
Lungenerkrankung bietet das Tuberkulin keine großen Chancen.
Dagegen sei große Ausdehnung des Larynxprozesses nicht als
Kontraindikation zu betrachten. Man beginnt mit 0,01 cmm und
steigt; langsam. Ohne Reaktion keine Heilung. Bis zu 1 mg, oft
noch bis 1 cg kann man unter steter Verdopplung der Dosen
fortschreiten, dann wird langsamere Steigerung nötig (1:2:4:7:10):
von 0,1 g reines Tuberkulin 0,1:0,15:0,2:0,25:0,3:0,4. Als
Kontraindikation gelte:
a) der Tuberkulinkur:
1. schwere Lungenerkrankung,
2. hohes Fieber,
3. wirtschaftliches Elend,
4. Darmkomplikationen,
5. Kachexie, °
6. Neigung zu Hämoptoe;
b) der aktiven Lokaltherapie:
1. A
St
2. progrediente Affekte im Larynxeingang,
3. miliare Prozesse im Kehlkopf,
4. ausgedehnte Miterkrankung der Trachea.
Galvanokaustik müsse, um stürmische Reaktion zu ver- -
meiden, sowohl der Flächen wie der Tiefenausdehnung nach be-
schränkt werden. Tiefere Infiltrate werden zuerst mit der Doppel-
ceurette entfernt und dann die Wunde unmittelbar verschortt,
Flachbrenner zieht Verfasser vor. Bei großen flachen Geschwüren
ist 80°, und reine Milchsäure indiziert. Schweigekur läßt sich
ambulant nicht durchführen, durch Alkoholinjektion in den Nerv
schwindet die Dysphagie. — Steiner (5) berichtet zur Frage der
Fälle von primärer Kehlkopftuberkulose. Bei ausgedehnter Ver-
änderung im Larynx war der Lungenbefund klinisch negativ. Ein
32 Jahre alter, stark Zigaretten rauchender Maun war seit
11/4 Jahren heiser. Der Verdacht auf Larynxtuberkulose wurde
durch die histologische Untersuchung eines von der Hinterwand
exzidierten Stückes bestätigt. Das Sputum ließ säurefeste Ba-
cillen vom Aussehen der Tuberkelbaeillen erkennen. Der Patient
ging plötzlich durch Erstickung zugrunde. Die Sektion ergab
partielle adhäsive Pleuritis der rechten Lunge, einen mohngroßen
Kalkherd in einem Lymphknoten am rechten Hilus und einige
suspekte kleine graue Herde in der Peripherie eines Lymphknotens
am linken Hilus. Mikroskopisch fanden sich in einem Lymphknoten
vom rechten Hilus zwei Gebilde, die als Konglomerattuberkel mit
nur geringen regressiven Veränderungen angesprochen werden
konnten. Die Larynxveränderungen zeigten papilläre Wucherungen
mit teilweiser Exulceration, aus Granulationsgewebe bestehend, in
dem Plasmazellen und Lymphocyten dominierten, in welchem
| Sich auch Riesenzellen fanden, zum Teil in umschriebenen Ge-
bilden mit epitheloiden Zellen, die Tuberkeln entsprachen.
Solche Gebilde fanden sich auch in der rechten Tonsille. In
einem Lymphknoten am linken Hilus war ein mikroskopischer
Kalkherd mit Riesenzellen. Trotzdem keine Tuberkelbaeillen
in den Schnittpräparaten gefunden wurden, hält Verfasser an der
klinisch gesteliten Diagnose der Tuberkulose fest. Es handle sich
im unteren Respirationtraktus um Residuen eines abgelaufenen,
wahrscheinlich weit zurückgreifenden tuberkulösen Prozesses. Der
Prozeß im Larynx und in der rechten Tonsille sei anatomisch weit
jünger als der in den Lymphknoten am Hilus. Es wäre denk-
bar, erstens daß die Larynxtuberkulose vom Prozeß im unteren
Respirationstraktus aus entstanden wäre, und zweitens, daß es sich
um eine neue Infektion des Larynx handle. Im ersteren Falle käme
eine Sputuminfektion in Betracht; ebenso berechtigt wäre die An-
nahme einer neuen Infektion.
Es könnte die Larynxtuberkulose von der Tonsillentuber-
kulose entstanden sein, aber der umgekehrte Fall sei ebenso denk-
bar. Alles spricht aber dafür, daß die Tonsillentuberkulose vom
Larynx aus auf dem Wege des Sputums entstanden war. Bei der
Auffassung einer neuen Infektion stelle der Fall eine primäre Kehl-
kopftuberkulose dar. Die in neuerer Zeit zugunsten der Annahme
einer intestinalen Infektion in den Hintergrund getretene ärogen®
Infektion werde durch diesen Fall deutlich vor Augen geführt.
Hutter (6) macht auf die sich widersprechenden Ansichten
bezüglich der Wirkung des Tuberkulins auf die Kehlkopftuber-
kulose aufmerksam. Die Schwierigkeiten, die Wirksamkeit der
Tuberkulintherapie zu beurteilen, seien allerdings groß. Aus emer
Anzahl von Larynztuberkulosen und einem Falle von Lupus Di
ryngis et laryngis, die Verfasser in der Hajekschen Poliklin!
beobachtet hat, schließt er, daß der Hauptwert des Tuberkulin
in der mitunter erzielten entfiebernden Wirkung und der dam!
verbundenen Besserung des Allgemeinbefindens liege. Der ne
mittelbare Einfluß des Tuberkulins sei ein negativer auf d®
Be "ET 5
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1753
Schleimhautprozeß, oft, im Gegensatz zur Allgemeinwirkung, ein
ungünstiger. Zuerst allgemeine Behandlung, dann specifische! Bei
günstigem Allgemeinbefinden sei im Anfang lokale chirurgische
Behandlung angebracht.
Killian (7) schildert Instrumentarium und Technik der von
ihm erfundenen Schwebelaryngoskopie, die als eine große Be-
reicherung des laryngologischen Rüstzeugs anzusehen ist. Die
Schwebelaryngoskopie eignet sich besonders auch für gründliche
Auskratzung der tuberkulösen Geschwüre in einer Sitzung.
Killian verwendet dazu eine drehbare einfache Curette, mit der
das Geschwür ausgeschabt wird. Mit der Doppelcurette werden
herumhängende Gewebszipfel abgetragen. Dann kann Milchsäure
folgen. Infiltrate lassen sich mittels Tiefenstich leicht behandeln.
Die Phthisiker vertrugen den Morphiumscopolamindämmerschlaf
ausgezeichnet. Als einmal Schwebelaryngoskopie bei einem Phthi-
siker in Narkose versucht ‘wurde, bekam Patient Stenoseerschei-
nungen und kollabierte. Einige Tage später konnte der Mann
unter Scopolamin sehr leicht operiert werden. Um sich beim
Cocainisieren und Auskratzen des Phthisikers vor Infektion durch
Anhusten zu schützen, verwendet Killian eine runde Glasschutz-
scheibe, die an einer Stirnbinde befestigt ist. Die Dauer der
Temperatursteigerung nach der Auskratzung der Geschwüre war
kurz. Die Geschwüre — nur einige Male wurde zweimal aus-
gekratzt — reinigten sich sehr schön. Nachblutungen wurden
nicht beobachtet.
Literatur: 1. Imhofer, Ein Fall von Tuberkulose der hinteren Rachen-
wand. (Mon. f. Ohr. Nr. 46, H. 1.) — 2. Safranek, Zur Pathologie und The-
rapie des Lupus vulgaris der oberen Lultwege. (Mon. f. Ohr. Nr. 46, H. 5.)
— 8. Rothi, Die Therapie der Kehlkopftuberkulose mit besonderer Rücksicht
auf die Dysphagie. (Mon. f. Ohr. Nr. 46, H. 7 u. 8) — 4. A. Meyer, Be-
handlung der Kehlkopftuberkulose. (Zt. f. Lar. Nr. 5, H. 1.) — 5. Steiner)
Zur Kenntnis der primären Kehlkopftuberkulose. (A. f. Laryng. Nr. 26, H. 2.,
— 6. Hutter, Kehlkopftuberkulose, Tuberkulin- und Lokalbehandlung. (Wr.
kl. Woch. 1912, Nr. 8, S. 297.) — 7. Killian, Die Schwebelaryngoskopie. (A.
f. Laryng. Nr. 26, H. 2
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Aus dem Kinderhospital in Zürich (Prof. Feer) berichtet Paul
Tachau über die rectale Temperaturmessung beim Kinde. Es ist
ein Unterschied, ob man hierbei .das gewöhnliche Fieberthermometer
nur soweit in den After einführt, bis die Quecksilbersäule eben ver-
schwunden ist (etwa 3 cm) oder ob man es bis zum Beginne der Skala
einschiebt (zirka 5 cm). Dieser Unterschied macht sich in einer
Differenz bemerkbar, die sich in der Grenze zwischen 0,1 und 1,7°
bewegt und deren Mittel 0,5° beträgt. Der Verfasser fordert daher, man
solle das Thermometer möglichst tief und bei einem und demselben
Kinde jedenfalls stets gleichmäßig tief in das Rectum einschieben.
(M. med. Woch. 1912, Nr. 39.) F. Bruck.
Kudisch beobachtete drei Fälle von Bromoderma tuberosum
vegetans aut papillomatosum, die bei Epileptikern nach monatelangem
Gebrauche von Brompräparaten aufgetreten waren. In allen Fällen war
das Krankheitsbild charakterisiert durch rasches Auftreten papillenförmiger,
warzenartiger Geschwülste am Unterschenkel und Eitersekretion unter
den Papillen, in einem Falle traten auch noch Pusteln am Rücken, Brust
und im Gesicht auf. Das pathologisch-anatomische Bild einer derartigen
nun zeigte eine Hyperplasie des Epithels und Eiterung im Binde-
gewebe.
Therapeutisch wendete Kudisch die Ulrichsche Kur, das ist
Chlornatriumkompressen und -Bäder (3 kg pro Wanne) und innerlich
NaCl-Dosen (15 bis 20 pro die), an, wobei die Wucherungen sorgfältig
mit Benzin gereinigt und der Eiter aus den Papillen mechanisch aus-
gepreßt wurde. Der Bromgebrauch wurde natürlich sistiert und an dessen
Stelle Zinc. valerian. gegen die Epilepsie verordnet.
Durch diese Therapie schwanden die Wucherungen total und es
blieben nur bräunliche Hautpigmentationen zurück. (Derm. Zt., Bd. 19,
E. 8.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Fimmen untersuchte in der Dermatologischen Klinik des städti-
schen Krankenhauses zu Frankfurt a. Main eine Frau, die an Iymphati-
scher Leukämie mit Hauttumoren litt. Das Krankheitsbild ist kurz
folgendes: Beginn des Leidens, als Fimmen die Patientin sah, vor
1'/a Jahren, mit Knoten am Kopfe. Zur Zeit der Untersuchung apfel-
große Tumoren der Kopfhaut und der Stirne, die regionären Drüsen ver-
größert, nur Leber und Milz nicht. Die Zahl der roten Blutkörperchen
(8,220,000) vermindert, die der weißen um das Zehnfache erhöht (107000).
Nach vierwöchentlicher, täglich vorgenommener Röntgenbestrahlung und
täglicher Injektion von 0,01 Natrium arsenicosum sind die Tumoren völlig
verschwunden, die Zahl der weißen Blutkörperchen ist völlig normal
(4400). Nach achitägiger Pause, während welcher jedoch 0,0015 Acidum
arsenicum täglich in Pillenform genommen wurde, sind die Drüsen-
schwellungen vollkommen geschwunden, die Zahl der weißen Blutkörper-
chen ist aber auf 10240 gestiegen. Fimmen suchte nun zu ergründen,
was das Primäre am Krankheitsbilde sei, die Veränderung der blut-
bildenden Organe und des Bluts, oder die Erscheinungen auf der Haut.
Mit Rücksicht darauf, daß zuerst Tumoren am Kopf auftraten, die nicht
über die Stirne hinausgingen, wohl die regionären, nicht aber die ent-
fernteren Drüsen ergriffen, außerdem Milz und Leber nicht vergrößert
‚waren, ferner mit Rücksicht darauf, daß mit dem Abnehmen der Tumoren
infolge eingeleiteter Therapie, auch die Drüsenschwellungen wichen, läßt
sich vermuten, daß die Hauterscheinungen das Primäre waren und der
Prozeß im Begriffe war, sich langsam im ganzen Körper auszubreiten.
(Derm. Zt., Bd. 19, H. 8.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Zur Erzielung besserer Nahrungsaufnahme (und zur Ver-
meidung des Speiens) bei der Unterernährung der Säuglinge emp-
fiehlt Iwan Rosenstern das den Müttern längst bekannte Aufsitzen-
oder Aufnehmen- und Aufstoßenlassen des Säuglings während des
Trivkens oder nach dem Trinken. Man findet, daß besonders junge Säug-
linge, nachdem sie eine zeitlang getrunken haben, plötzlich „nicht mehr
können“, weil sie „zu voll“ sind. Sie drucksen, werden rot und wehren
sich mit Händen und Füßen, weiter zu trinken. Setzt man sie auf,
so erfolgt bisweilen sofort, bisweilen nach einigen Minuten Aufstoßen,
und dabei werden nicht selten große Mengen Luft herausgebracht. Das
Kind ist nun wieder „frei“, durch Lutschen an den Fingern zeigt der
Säugling, daß er weiter trinken möchte, und er trinkt nun in der Tat
ohne Anstrengung eine mehr oder weniger große Menge. (D. med. Woch,
1912, Nr. 39.) F. Bruck.
Ervasin (Acetylkresotinsäure) — von der Firma Goedecke
& Co., Leipzig, hergestellt — empfiehlt Richter angelegentlichst als Anti-
rheumaticum, Antineuralgicum, namentlich auch bei akutem Gelenkrheu-
matismus. Man gibt täglich eine bis vier Tabletten à 0,5. (Berl. kl. Woch.
1912, Nr. 38.) F. Bruck.
K. Sitzier empfiehlt von neuem angelegentlichst das Protargol
rein als Streupulver bei schmierig belegten eltrigen Wunden,
speziell bei Pyocyaneusinfectionen, Diese Behandlung führt am
raschesten zum Ziele. Man geht hierbei in der Weise vor, daß man die
Wunde zunächst mit schwachen Lösungen von Wasserstoffsuperoxyd
oder essigsaurer Tonerde reinigt, die Umgebung mit Benzin von Schmutz
befreit und dann die Wunde mit reinem Protargolpulver mittels eines
Pulverbläsers bestreut. Die Wunde wird dann verbunden. Ist der Ver-
band durchgeschlagen, wird er in gleicher Weise erneuert. |
Innerhalb ganz kurzer Zeit, manchmal schon nach der ersten Be-
handlung, ist die Blaufärbung des Verbandes und der lästige Pyocyaneus-
geruch verschwunden. Bei etwaigem Wiederauftreten des Pyocyaneus
wird Protargolpulver wieder angewandt. Ferner läßt die Sekretion schon
nach kurzer Zeit nach, die Wunde reinigt sich und zeigt gute Granu-
lationsbildung. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 40.) F. Bruck.
Ueber Formamintwirkung berichtet Frisch aus einer fünfjährigen
Erfahrung heraus. Bei Infektionskrankheiten, die sich im Munde und
Rachen abspielen oder von dort ihren Ausgang nehmen, wurde rasche
Temperaturerniedrigung beobachtet, der Verlauf katarrhalischer und phleg-
monöser Anginen gestaltete sich bei rechtzeitigem Formamintgebrauch
erheblich milder und kürzer. Ebenso zeigten sich bei mit Formamint
behandelten Scharlachfällen Komplikationen, wie Nephritis und Otitis,
seltener, und es schien ein gewisser Schutz auch für die Umgehung aus _
dem Formamintgebrauche zu resultieren.
Das Mittel zeigte keinerlei unangenehmen Nebenwirkungen und
wurde von Erwachsenen wie auch von Kindern, selbst unter zwei
Jahren, gern genommen. (Jahrb. f. Kind. 1912, Bd. 25, H. 6.)
E. Klausner beschreibt ein charakteristisches Arzneiexanthem
nach subcutaner Pantoponinjektion, das bei allen so behandelten
Kranken auftritt, aber wegen seines passageren Charakters leicht über-
sehen wird. Dieses Hautphänomen ist charakterisiert durch Erythem
und.Quaddelbildung. Es handelt sich aber dabei nicht um das Sym-
ptomenbild einer Idiosynkrasie, einer Ueberempfindlichkeit bestimmter
Individuen gegen das Pantopon, sondern um ein bei allen Individuen
auftretendes, durch einen chemischen Körper des Pantopons hervor-
gerufenes echtes, lokales Arzneiexanthem. (M. med. Woch. 1912, Nr. 40.)
F. Bruck.
Das von v. Herff zuerst empfohlene Sophol ist, wie Anselm
Lehle aus der Döderleinschen Klinik in München berichtet, das
souveräne Prophylaktikum der Ophthalmoblennorrhoea neonatorum.,
v. Herff hat von 2900 mit 5°%/oiger Sophollösung geschützten Kindern
eine einzige Infektion nach manueller Reposition der Nabelschnur ge-
sohen. Der Verfasser erlebte bei der Prophylaxe mit Sophol unter
+
Pe E E a
1754
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
27. Oktober.
2500 Fällen zweimal Ophthalmoblennorrhde. Die 5%/oige Sophollösung
ist absolut schmerzlos und fast vollkommen reizlos. Sie ist monatelang
haltbar und ganz gefahrlos, kann daher Laienhänden anvertraut werden.
Sophol ist eine Verbindung von Formaldehyd-Nucleinsäure mit Silber.
Es ist ein gelblich-weißes, in Wasser sehr leicht lösliches Pulver. Da
es lichtempfindlich ist, muß es in braunen Gläsern aufbewahrt werden.
(Hergestellt wird es von den Farbwerken vorm. Friedr. Bayer & Co. in
Elberfeld.) (M. med. Woch. 1912, Nr. 40.) F, Bruck.
Uzara, jenes aus einer afrikanischen Droge hergestellte alkaloid- '
freie Medikament, wird von Otto Hirz aufs wärmste empfohlen. Das
Mittel versetzt hauptsächlich die gesamte glatte Muskulatur, besonders
des Magen- und Darmtraktus, in einen Zustand der Ruhe, und zwar
durch eine Reizung und Tonussteigerung des peristaltikkemmenden
Splanchnicus. Daher ist es indiziert
1. bei Diarrhöen verschiedenen Grades und Ursprungs, sowohl bei
Erwachsenen als ganz besonders bei Kindern,
2. bei Magenschmerzen und bei Darmkoliken verschiedenen
Ursprungs,
8. beidysmenorrhoischen Beschwerden und schmerzhaften
Wehen in der Gravidität durch Beeinflussung der Uterusmuskulatur.
Nach Eintritt der Wirkung setzt keine Verstopfung ein, wie
nach dem Opium, sondern es folgen normale und geregelte Stühle. Uzara
wirkt eben nicht durch eine Lähmung der motorischen Darmfunktion,
sondern durch eine Unterstützung des normalen Hemmungsmechanismus
der Darmbewegung.
Uzara versagt bei tuberkulösen und bei septischen Diar-
rhöen. Daß ein neurotrop wirkendes Medikament bei schwerer Organ-
schädigung und bei septischen Zuständen versagen kann, ist durchaus
erklärlich. Es kann selbstverständlich der Reiz eines Giftes auf die mo-
torische Abwehrfunktion des Darmes so intensiv sein, daß ein noch so
starker Gegenimpuls auf den Hemmungsmechanismus des Darmes nicht
mehr imstande ist, den Reiz zu paralysieren. Auch kann durch eine
schwere Erkrankung der Darmwand und durch allgemeine Intoxikation
das centrale und periphere Nervensystem, vor allem das gegen Infektions-
gift sehr empfindliche Splanchnicusgebiet, so schwer geschädigt sein,
daß auch der stärkste neurogene Reiz keine Wirkung mehr ent-
falten kann.
Der Verfasser gab 1. bei Diarrhöen entweder dreimal täglich
drei bis vier Uzaratabletten oder zwei- bis dreimal täglich 30 Tropfen
Liquor Uzarae. Bei kleinen Kindern dreimal täglich acht Tropfen Liquor
in Milch. |
2. Bei Schmerzen und Koliken des Magen- und Darm-
traktus drei bis fünf Tabletten oder 80 bis 40 Tropfen Liquor und
wiederholte die Dosis nach Bedarf. *
3. Bei dysmenorrhoischen Beschwerden dreimal täglich zwei
Tabletten oder einmal 40 Tropfen Liquor.
4. Bei schmerzhaften Wehen nach Bedarf 20 bis 40 Tropfen
Liquor. (M. med. Woch. 1912, Nr. 40) F. Bruck.
Gegen eine akute Kreislaufschwäche, die in einem primären
Versagen der Vasomotoren, also in einer Erschlaffung oder Lähmung der
Gefäße ihren Ursprung nimmt, namentlich bei der Pneumonie, kommen
nach August Hoffmann drei Mittel in Betracht: Campher, Coffein
und Adrenalin (Suprarenin). Die Höhe der Frequenz des Pulses
unter Nachlaß seiner Spannung gibt hier die ersten Alarmzeichen.
Alle drei Mittel verwendet man subcutan, und zwar Camphor als
20 0/,iges Campherdl, Coffein in einem seiner Doppelsalze als 20%), ige
wäßrige Lösung und Suprarenin in Form der 1°/ „igen Lösung von
Suprareninum hydrochloricum (die intravenöse Zufuhr des Suprarenins
ist bei der Kreislaufschwäche, wie sie sich bei Infektionskrankheiten
einstellt, meist zu gefährlich, weil dadurch eine zu brüske Contraction
der peripherischen Gefäße erfolgt).
Alle diese Mittel verengern die Arterien, besonders im Splanchni-
cusgebiete, wirken aber nicht auf die Coronararterien des Herzens,
Diese werden nicht vom sympathischen, sondern vom kranialen auto-
nomen System (Vagus) innerviert und verhalten sich unabhängig von den
peripherischen Gefäßen. Dadurch, daß nun die Füllung der Aorta und
damit der Druck in ihr bei Wirkung dieser Mittel ansteigt, erfolgt auch
eine bessere Füllung der Coronararterien, und somit wird jedes druck-
steigernde, gefäßverengernde Mittel auch mindestens indirekt zu einem
Herzmittel, indem es eine bessere Durchblutung und damit Ernährung
des Herzens berbeiführt.
Man injiziert nun in der Regel von der Campherlösung zwei-
stündlich 1 ccm und zugleich von der Üofleinlösung ebenfalls 1 ccm
zweistündlich, und zwar in der Weise, daß alle Stunde abwechselnd
eine Einspritzung des einen oder andern Mittels erfolgt. Von der Supra-
reninlösung wird 1 ccm injiziert. Hat man Verdacht, daß das Herz go- -
schwächt ist, und das ist bei fieberhaften Infektionskrankheiten niemals
so ganz auszuschließen, so empfiehlt es sich, die subcutane Zufuhr des
Suprarenins mit der Digitalistherapie zu verbinden. (D. med. Woch.
1912, Nr. 40.) F. Bruck.
Kritische Bemerkungen über Luminal veröffentlicht H. König
aus der Psychiatrischen und Nervenklinik Kiel (Geheimrat Siemerling).
Er hält das Luminal für das beste und verläßlichste uns derzeit zur
Verfügung stehende Schlafmittel, das geeignet erscheint, sowohl die
übrigen Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen, als das Scopolamin
und Duboisin etwas in ihrer Verwendung einzuschränken. Die Dosis
(innerlich als Tabletten oder subcutan) beträgt zwischen 0,3 und 0,9.
Der Schlaf tritt erst längere Zeit — eine bis zwei Stunden — danach
ein, ist aber dann ziemlich tief und schwankt, je nach der Dosis und
dem Kranken, zwischen sechs und zehn Stunden. 0,3 bis 0,45 gibt man
bei leichten Fällen von Agrypnie (Hysterischen, leicht Melancholischen)
0,6 bei stärkerer Unruhe, 0,8 subcutan oder 0,9 innerlich (drei Tabletten
à 0,3) bei großer Erregung.
Der Verfasser hat jedoch zwei Fälle von lokaler Hautgangrän
nach subeutaner Luminalinjektion beobachtet, von denen der eine auch
sonst noch in abnormer Weise, in Form eines schwer fieberhaften
Exanthems, das eine schwere Infektionskrankheit befürchten ließ, auf
das Luminal reagierte. Außer diesem Exanthem kam noch ein solches
zur Beobachtung, das ebenfalls mit Temperatursteigerung verbunden war,
aber nicht denselben schweren Eindruck machte, wie das erste. (Berl, kl.
Woch. 1912, Nr. 40.) F. Bruck.
Max Seige berichtet aus der Psychiatrischen Klinik in Jena
(Geheimrat Binswanger) über das seit acht Jahren eingeführte
Neuronal. Dieses Mittel ist ein gutes und unschädliches Sedativam
und Hypnoticum, das verdient, neben andern Medikamenten auch jetzt
noch als gleichwertig angewandt zu werden. Man gibt es in leichten
Fällen in Dosen von 0,5 bis 1,0 g, in schweren von 2,0 bis 3,0. Weniger
gute Wirkung hat man bei den Neurasthenikern, bei denen das Ein-
schlafen besonders erschwert ist, die unter Gedankenjagen zu leiden
haben; ferner bei Hysterikern mit hypnagogen Halluzinationen. Bei
derartigen Kranken wirkt bis jetzt wohl überhaupt nur das Paraldehyd
mit absoluter Promptheit, das aber die bekannten Nachteile des schlechten
Geschmacks und Geruchs hat, vor allem des schlechten Geruchs der
Ausatmungsluft am nächsten Tage.
Bemerkenswert ist die Wirkung des Neuronals bei bedrohlichen
epileptischen Zuständen (Dämmerzustände und Status epilepticus),
und zwar in Kombination mit Amylenhydrat — 2,0 Neuronal +
6,0 Amylenhydrat —, ferner bei chronisch erregten Geisteskranken in
refraktärer Dosis (dreimal täglich 0,5). .
Neuronal in Kombination mit Antifebrin, und zwar 1,0 Neu-
ronal + 0,25 Antifebrin oder neuerdings 0,5 Neuronal 4- 0,5 Anti-
febrin, zeigt häufig eine deutlich schmerzstillende Wirkung bei schweren
organischen Schmerzen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 389.) F. Bruck.
Bei Status epilepticus verwirft Domaye die Einführung großer
Bromkalidosen als nutzlos; selbst kolossale Dosen (30. g!) hat er beinahe
wirkungslos bleiben sehen. Das Chloralhydrat bleibt das beste Medika-
ment gegen den Status, nur soll man es nicht, wie es vielfach geschieht,
_ per Klysma verabreichen (da dieses vielfach nicht gehalten wird), sondern
mittels Schlundsonde, eventuell durch die Nase, in den Magen eingieben.
Dosis 4 bis 6 g in 300 bis 500 cem Wasser. Abführende Klistiere sind
dagegen als Revulsivum zu empleblen; man kann außerdem Senffußbäder
geben. (Presse méd. 1912, Nr. 55.) Rob. Bing (Basel).
Bantlin berichtet aus der Kinderpoliklinik in Gießen (Prof.
Koeppe) über Pellidol und Azodolen zur Behandlung der Ekzeme
bei exsudativer Diathese. (Beide Mittel werden von Kalle & Co.
A.G., Biebrich, hergestellt) Pellidol ist dem Epithelisierungsmittel
Scharlachrot verwandt, aber im Gegensatz zu diesem leicht in Fett
und Oel löslich. Azodolen ist eine Verbindung des Pellidols mit einem
Jodeiweißpräparat. Beide Präparate kommen als 2 bis 4 Ooige Salbe in
den Handel. Ein endgültiges Urteil über die verschiedene Wertigkeit
beider Mittel abzugeben, ist der Verfasser bis jetzt nicht in der Lage.
Er erreichte aber mit der 2 0/vigen Salbe etwa dasselbe Resultat wie mit
der 4 /sigen.
Zur Behandlung kamen: Brandwunden, die überraschend schnel
epithelisierten, Intertrigo mit starken Epithelverlusten, wobei es gleichfi
zur raschen Heilung kam. Ferner: Ekzeme auf Grund exzsudativer Diathese
(hierbei sind natürlich noch außerdem notwendig die diätetischen
Vorschriften). Auch hier war die sofort einsetzende Wirkung eklatanl.
Behandelt wurden Ekzeme in allen Stadien: nässende, krustöse, schuppend®,
trockene.. Der quälende Juckreiz ließ fast von einem zum andern Toge
nach. Die derben Infltrationen der Cutis bei den schon länger be:
stehenden Ekzemen bildeten sich zurück. (M. med. Woch. 1912, Nr. 4
~ P, Bruck
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1755
Herbert French legt Wert darauf, daß der hohe Blutdruck
bei Arteriosklerose, sobald diese einmal in das fibröse Stadium eingetreten,
mehr oder weniger zur Notwendigkeit wird. Eine Herabsetzung der
Hypertension ist nämlich nur dann angängig, wenn der Patient ins Bett
gelegt oder mindestens zu weitgehender Invalidität verurteilt wird. Soll
er aber seine volle Tätigkeit aufrechterhalten, so muß im Gegenteil
seinem Herzen nach Möglichkeit die Aufrechterhaltung eines hohen Blut-
drucks erleichtert werden. Deshalb gibt French der Tinctura digitalis
den Vorzug vor den Jodiden, Nitriten usw. und legt außerdem großen
Wert auf systematisches Training des Herzens durch Massage, Terrain-
kuren usw. (Lanc. 12. Juli 1912.) Rob. Bing (Basel).
Für die totale Enucleation der Gaumenmandeln empfiehlt
Eduard Borchers in den Fällen, wo die Tonsillen derbe, kugelige
Gebilde darstellen (nicht aber da, wo es sich handelt um sehr kleine, be-
sonders aber sehr weiche Tonsillen und solche, die durch Verwachsungen
von oft unglaublicher Festigkeit mit den Gaumenbögen verbunden sind)
eine einfache, rasch und ambulant auszuführende Methode.
Die lokale Anästhesie ist dafür nicht zu ompfehlen. Dagegen
eignet sich ein kurzdauernder Rausch oder eine leichte Narkose
mittels des Chloräthyls (in Spritztuben). Man legt dem Kranken zirka
aclıt-Schichten dünne Gaze über den Naseneingang und tropft darauf nicht
allzu rasch das Chloräthyl. In zirka einer halben Minute ist das Stadium
analgeticum, der Rauschzustand, und in ein bis zwei Minuten dasjenige
Stadium erreicht, wo man mit der Enucleation beginnen kann. Ist diese
beendet, was nach wenigen Minuten der Fall ist, so erholen sich die
Patienten rasch und vollkommen von der Narkose. Man beginnt mit der
Operation in dem Stadium kurz vor dem Anfang des tiefen Schlafs,
.wenn die Reflexe noch eben auslösbar sind (um die Aspiration von
Blut zu vermeiden); die Zeitspanne bis zum Erwachen des Kranken genügt
vollauf, die Enucleation einer Tonsille vorzunehmen. Eine Exeitation vor
Eintritt des Toleranzstadiums, wie bei Aether und Chloroform, wird selten
beobachtet.
Man lagert den Patienten am besten mit aufgerichtetem Oberkörper
und etwas nach rechts oder links gedrehtem Kopf. Zur Seite steht ein
Assistent, der mit einer Hand mittels der Roserschen Mundsperre die
Kiefer auseinander hält, mit der andern an einer Zungenzange die Zunge
vorzieht. Rechts oder links vom Kranken stellt sich der Operateur auf.
Zunächst erfolgt nun die Ablösung des vorderen Gaumen-
bogens von der Tonsille mittels eines gewöhnlichen gekrümmten Eleva-
toriums, was in der Weise geschieht, daß man die leicht gebogene
Spitze dieses Instruments am oberen Pol der Tonsille hinter den
vorderen Gaumenbogen schiebt und diese mit einem Ruck nach unten
löst. (Ist dieses Ablösen nicht so möglich, so greife man gleich zur
Zange und Cooperschen Schere.)
Darauf schiebt man die Spitze seines ausgestreckten Zeige-
fingers der linken oder rechten Hand an die Stelle des Elevatoriums,
hinter den Gaumenbogen, drängt sie hinter die Tonsille und löst diese
durch streifende Bewegungen nach oben und unten völlig aus ihrem Bett
heraus — was meist in wenigen Sekunden geschehen ist —, bis sie nur
noch an einem nach dem Zungengrunde zu verlaufenden Strange hängt.
Diesen Strang, den man zwischen Daumen und Zeigefinger erfaßt, kann
man bei Kindern meist leicht und ohne irgend etwas zu verletzen, durch-
reißen, bei Erwachsenen empfiehlt es sich, ihn mit der Schere zu durch-
trennen.
Eine Kontrolle des Fingers durch das Auge ist nicht möglich und
auch völlig überflüssig; man kann während des Verlaufs der Operation
‘ständig die Tonsille mittels des Gefühls scharf gegen ihre Umgebung
abgrenzen.
Die Blutung steht in der Regel nach Ausspülen des Mundes mit
Wasserstoffsuperoxydlösung. (M. med. Woch. 1912, Nr. 41.)
F. Bruck.
Jodostarin „Roche“ empfiehlt Beck wegen der bequemen Yer-
abreichung, des Wegfalls des schlechten Geschmacks und des Aus-
bleibens unangenehmer Nebenwirkungen. Es enthält 47,5 %0 Jod. Man
gibt das Mittel in Tabletten (& 0,12), und zwar — der Verfasser ver-
ordnete es bei solchen Augenerkrankungen, wo man Jod erfahrungsgemäß
mit Vorteil anwendet — täglich meist 8 bis 10 Tabletten, in akuten
Fällen im Anfang 10 bis 15. Jodostarin kann eine Reihe von Wochen
gebraucht werden, wobei dann öfter eine Pause von 2 bis 3 Tagen ein- |
zuschalten ist. (M. med. Woch. 1912, Nr. 41.) F. Bruck.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Brophenin.
Sein chemischer Aufbau, aus einer Reihe hochwirksamer Bestand-
teile, sichert dem Brophenin einen weiten Anwendungskreis und eine gute
Wirkung als fieberwidriges, schmerzstillendes, beruhigendes und leicht
einschläferndes Mittel. Seine Wirkung hält lange an und ist von keinen
unangenehmen Folgen begleitet. Durch die geringe Löslichkeit in Wasser
ist Brophenin nahezu geschmacklos und geruchlos, sodaß sich beim Ein-
nehmen keinerlei unangenehme Sensationen einstellen.
Grundkörper des neuen Medikaments ist das schon lange als emi-
nent fieberwidrig bekannte Paramidophenol, welches in einer Reihe von
Fiebermitteln die Gruandsubstanz abgibt, die mit dem Namen Phenetidide
bezeichnet werden. Die Entgiftung des Paramidophenol-Moleküls in den
Phenetididen erfolgte bisher durch Einführung mehr ‚oder weniger un-
wirksamer Säureradikale, wie Essigsäure (Phenacetin), Milchsäure (Lacto-
phenin), Zitronensäure (Apolysin, Citrophen), Amidoessigsäure (Phenocoll).
Beim Brophenin ist in das Molekül des Phenitidins die Bromisovalerian-
säure eingeführt und so das |
GHs°0<«_ JNH'CO'CH.'NH-CO’CH-Br'CH:(CH»)
Bromisovaleryl-aminoacetat-paraphenetidin geschaffen. Dadurch erhält
das neue Präparat die Wirksamkeit der schon vielfach erprobten Brom-
valeriansäure, während gleichzeitig die Entgiftung des Phenetidinmoleküls
in vollkommenster Weise bewirkt wird. |
Da heutzutage, entsprechend den modernen Anschauungen tiber
Entfieberung, die sedative und antineuralgische Kraft der Fiebernarcotica
viel mehr Anwendung findet als ihre antipyretische Wirkung, lag der
Synthese des Brophenins die Absicht zugrunde, ein Präparat zu gewinnen,
dem in erhöhtem Maße sedative und antineuralgischoe Wirkung zukommt.
Eigenschaften: Brophenin ist ein weißes, in Wasser wenig lös-
liches, bei 157° schmelzendes Pulver, das im Tierexperiment sich als un-
giftig erwies (1,5 g pro Kilogramm Kaninchen werden ohne die geringste
Schädigung vertragen). Brophenin ist nahezu geschmacklos und geruch-
los, macht, nach den vorliegenden klinischen Erfahrungen, prompt an-
dauernde Analgesie, ohne Kollapse oder andere Nebenwirkungen seitens
des Circulationsapparats hervorzurufen und ohne Exantheme oder andere
Giftwirkungen zu erzeugen. Bei fieberhaften Erkrankungen wirkt das
neue Mittel mild antipyretisch, bei Erregungszuständen beruhigend.
Indikationen: Brophenin wirkt prompt bei fieberhaften Zustän-
den; bei Neuralgien; bei Kopfschmerzen (speziell bei Influenza und
Schnupfen); bei den lanzinierenden Schmerzen der Tabiker; bei Schmerzen
durch entzündliche Erkrankungen (Rheumatismus articulorum, Rheumatis-
mus musculorum, Periostitis usw.). u
Anwendung und Dosierung: Das Brophenin kommt lose zur
. Rezeptur in Pulverform und in Form von Tabletten in Originalpackungen
(Schachtel & 12 Tabletten) in den Handel. Man verordnet pro dosi 0,5
bis 1,5 g zwei- bis viermal täglich. Die Tabletten enthalten 0,3 g, so-
daß 2 bis 5 Tabletten pro dosi verordnet werden können. Bei Kindern
ist die Dosis natürlich entsprechend zu verkleinern.
Fabrik: Dr. R. Scheuble & Co., Tribuswinkel (Nied.-Oest.).
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Perkussionshammer mit Maßstab und Sensibilitätsprüfer
nach Dr. Erich Ebstein, Leipzig.
. Der neue Perkussionshammer ist aus Metall gefertigt und wiegt
zirka 55 g. Der Stiel ist etwa i7 cm und der Hammer selbst inklusive
der Gummikappe 6 cm lang.
Der Rücken des Hammerstiels ist gerade gestaltet und zwecks
Vornahme von Messungen mit einem Centimetermaß versehen. Dieses
ist zweckentsprechend doppelseitig angebracht, sodaß es
1. besonders zur Bestimmung der sogenannten Lungen-
schallfelder nach Kroenig — zwecks Erkennung der be-
| ginnenden Lungentuberkulose — benutzt werden kann,
2. zur Bestimmung der Herzgröße, 3. der Leberhöhe, 4. der Milzgröße
und 5. zur Ausmessung von Narben, Wunden usw.
Die Spitze der eingeschraubten — zirka 4 cm langen — mit einem
etwas zugespitzten Sondenknopfe versehenen Nadel ist geeignet zu einer
genauen Sensibilitätsprüfung auf „spitz“; die Sondenkuppe zur gleichen
Prüfung auf „stumpf“. Außerdem kann mit dieser Kuppe bequem und
einwandfrei die Auslösung der Bauchdeckenroflexe sowie des sogenannten
Babinskischen Reflexes erfolgen.
= _ Der in dem Hammer selbst eingefügte Haarpinsel — zwecks Scho-
nung mit einer Arretierung versehen — kann zu feinen Berührungen bei
der Sensibilitätsprüfung verwandt werden.
A a e e -E e
r ž `
1756
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober,
Zn GO ss EL Lu u u ann nn nenne nennen ee een ne nero nn nr nr ba en tan nn nn er er er rn br m Dr nn non en nn nn
Der Perkussionshammer ist im ganzen zur Auslösung der Knie-
sehnenreflexe sowie aller übrigen Reflexe geeignet und ermöglicht ein-
wandfrei die Prüfung der Motilität.
Mithin ist das neue Instrument ein Reflex- (oder Motilitäts-) und
Sensibilitätsprüfer.
Das Ende des Hammerstiels kann außerdem, wenn man es mit dem
Sondenknopfe beklopft, zur Ausführung der sogenannten Heubnerschen
Stäbchen-Plessimeterperkussion verwandt werden.
Literatur: M. med. Woch. 1912, Nr. 29; B. z. KL d. Tub., Bd. 28; Zt. f.
Fortb. 1912; A. f. Gesch. d. Med. 1912, Bd. 6.
Fabrik: Bernhard Schädel, Leipzig, Georgiring 6b.
Bücherbesprechungen.
B. Bandelier und 0. Roepke, Die Klinik der Tuberkulose. Hand-
buch der gesamten Tuberkulose für Aerzte und Studierende. 2. Aufl.
Mit 3 Abbildungen und 7 Kurven und Text, sowie 2 farbigen und
2 schwarzen Tafeln. Würzburg 1912, Kurt Kabitzsch. 641 S. M 13,50.
Die für die zweite Auflage des Tuberkulosehandbuchs der Ver-
fasser getroffenen Abänderungen sind nur zum kleinen Teil auf den Fort-
schritt unserer Wissenschaft zurückzuführen; zum größten Teil handelt
eg sich in dem um fast ein Drittel des früheren Umfangs gewachsenen
Band um neue, beziehungsweise besser bearbeitete Kapitel, so z. B. bei dem
über die Tuberkulose des Blut- und Lymphgefäßsystems, des Kindes-
alters und der oberen Luftwege. Der letztgenannte Abschnitt ist durch
zwei instruktive Tafeln aus dem Kriegschen Atlas wesentlich brauch-
barer geworden. Eine sehr schöne Bereicherung sind vier neu eingefügte
Tafeln aus Kochs klassischer Abhandlung, aus Cornets Handbuch und
eine Tafel über den Tuberkuloseerreger, sowie die Kurven der Fieber-
typen. Allenthalben merkt man die bessernde Hand, beispielsweise im
Kapitel über die Infektionswege der Tuberkulose, wo die Orthschen
Anschauungen ausführlichere Wiedergabe gefunden haben und im Abschnitt
über die Mischinfektion. Der Eiweißreaktion des Sputums ist genügend
Erwähnung getan, die Technik der intrahepatischen Impfung ausführlich
mitgeteilt, der Pneumothorax eingehender besprochen, der operativen Be-
handlung der Lungentuberkulose mehr Raum gegönnt.
Nun noch einige Wünsche: Seite 257 hätte wohl bei der Be-
sprechung der carcinomatösen Bronchostenose die Bedeutung der Röntgen-
durchleuchtung, die hier im Augenblicke die Diagnose gibt, erwähnt
werden köunen.
ihrer meist schwierigen Diagnose. und der Möglichkeit, auf chirurgischem
Wege hier leicht Heilung zu erzielen, eine etwas ausführlichere Be-
sprechung unter den differentialdiagnostisch wichtigen Erkrankungen.
Auf Seite 38 (Zeile 7 von unten) ist durch die in den alten Text
neu eingeschaltete Wiedergabe der geänderten Ansichten der Verfasser
über die diagnostische Bedeutung der orthotischen Albuminurie eine
kleine Unkorrektheit im alten Text entstanden („Ebensowenig“ [?] f).
Das schöne Handbuch hat seine große Beliebtheit daher, daß es in
einem Band übersichtlich, klar und zuverlässig das Wichtigste aus dem
großen Gebiete der Tuberkulose bringt. Durch diese Eigenschaft kommt
es vor allem dem entgegen, der sich schnell über irgendeine Frage
orientieren will. Ä Gerhartz (Berlin).
Kolle-Wassermann, Handbuch der pathogenen Mikroorganismen.
Zweite vermehrte Auflage. Jena 1912, G. Fischer.
Die 12. und 13. Lieferung setzen den ersten Band fort. Zuerst
bringen Wassermann und Keyßer ihren Artikel über das Wesen der
Infektion zum Abschluß. Als das wesentliche Charakteristikum der
pathogenen infektiösen Bakterien gegenüber den Saprophyten bezeichnen
sie die Fähigkeit der Vermehrung im lebenden Organismus. Sie geben
in großen Zügen die verschiedenen Kategorien in bezug auf Wachstum
und Ausbreitung der Bakterien im Körper, besprechen allgemein die Ein-
gangspforten, die Virulenz (deren Veränderung durch Züchtung) und
unterscheiden zwischen den lokalen und allgemeinen Wirkungen der In-
fektionserreger. Dann wird die Wirkung der Toxine geschildert (Einfluß
auf das Fieber) und der Leukocytose gedacht.
Ferner verdiente wohl die Lungengangrän wegen.
Kapitel V und VI behandeln die Mischinfektionen und die erbliche
Uebertragung von Infektionskrankheiten. Die Mischinfektionen werden
in sieben Klassen eingeteilt, wobei vornehmlich die Mischung von Para-
siten und Saprophyten, verschiedener Parasiten, von Bakterien und andern
Erregern usw. behandelt werden. Die Vererbung von Krankheiten ist
ein besonders interessantes Gebiet; so wird z. B. die Vererbung der
Tuberkulose eingehend behandelt. Beim Menschen ist nur in wenigen
Fällen vorgeschrittenster Tuberkulose der Mutter ein Uebergang von
Tuberkelbacillen in dən fötalen Kreislauf beobachtet worden. Dann wird
die hereditäre Syphilis behandelt, die natürlich ein ganz anderes Bild
gibt. Sie schließen: „Nicht durch Vererbung, sondern durch stets er-
neute Ansteckung erhält sich jede Infektion im Menschengeschlecht.“
Die Biochemie der Antigene füllt das Ende der 12. und den An-
fang der 13. Lieferung. Sie wurde von Ernst P. Pick (Wien) ge-
schrieben, der diesem schwierigen Gebiet in bester Weise gerecht wird.
Behandelt wird besonders die chemische Grundlage der Antigenspecificität.
Dann beginnt noch W. Kolle (Bern) seine Abhandlung über die Speci-
ficität der Infektionserreger. - E. Pringsheim (Berlin).
K. Hofendahl (Berlin), Taschenbuch der Zahnheilkunde für prak-
tische Aerzte. Mit 47 teils farbigen Abbildungen. Berlin-Wien
1912, Urban & Schwarzenberg. 160 S. M 4,—. '
In dem vorliegenden Buche gibt der Verfasser eine knappe, über-
sichtliche und vollständige Darstellung der Zahn- und Mundkrankheiten
nebst eingehender Besprechung der Therapie. Besondere Berücksichtigung
finden neben der Anatomie der Zähne die Dentition und die sogenannten
Dentitionskrankheiten. Den Schluß bildet eine kurze Uebersicht über
die Beziehungen der Zahnaffektionen zu den Erkrankungen anderer *
Organe. Zahlreiche instruktive Abbildungen ergänzen den anschaulich
geschriebenen Text. Die reichhaltige Rezeptsammlung dürfte nicht un-
willkommen sein. So füllt dieses Buch eine empfindliche Lücke in der
ärztlichen Literatur aus und kann bei seinem reichen Inhalt und seiner
hervorragenden Ausstattung dem praktischen Arzte nicht warm genug emp-
fohlen werden. M. Neuhaus.
Edward Flatau, Die Migräne. Mit 1 Textfigur und 1 farbigen Tafel.
Berlin 1912, J. Springer. 253 Seiten. M 12,—.
Die vorliegende Monographie stellt ein Werk von hervorragender
Bedeutung dar, in dem uns, neben staunenswerter Beherrschung der Lite-
ratur und geschickter Verwertung reichen eignen Erfahrungsmaterials,
besonders die äußerst klare, logische und systematische Gliederung des
weitschichtigen Stoffes sympathisch berührt. Durch bis jetzt unerreichte
Vollständigkeit zeichnet sich der Abschnitt „Symptomatologie“ aus, in
dem, neben der vulgären Migräne, die Hemicrania ophthalmica, epileptica,
psychica, ophthalmoplegica, facioplegica eingehende Besprechung finden
und sodann auch die interparoxysmalen Erscheinungen bei Migränösen
und die Dauersymptome abgehandelt werden. Dagegen läßt der thera-
peutische Abschnitt etwas zu wünschen übrig: so vermissen wir die An-
führung der systematischen Cannabiskur nach Mackenzie, die sich doch
allen Neurologen, welche sie in ihrer ursprünglichen oder in modifizierter
Form anwenden, als ein Agens von meist befriedigender, oft erstaunlicher
Wirksamkeit erwiesen hat. Rob. Bing (Basel).
Dr. Alban Köhler, Das Röntgenverfahren in der Chirurgie. Mit
55 Figuren auf 4 Tafeln und 17 Figuren im Texte. Berlin 1911, Verlag
von Hermann Meusser. 79 S. Preis M 5,75.
Der sein Fach meisterhaft beherrschende Autor hat es verstanden,
in dem kleinen Raume von fünf Druckbogen nicht nur alles Wissenswerte
über die Anwendung der Röntgenstrahlen zu diagnostischen und there-
peutischen Zwecken in der Chirurgie zusammenzutragen, sondern auch
mit Geschmack und instruktiv vorzubringen. Sehr viele der in dem
Büchlein gelehrten Kenntnisse beruhen auf den grundlegenden Arbeiten
Köhlers, welcherauch in diesem neuen Werke durch manche hochinteressante
Beobachtung und Erfahrung zur Aufklärung strittiger Punkte beiträgt.
Die Ausstattung ist glänzend, die Zahl der zur Illustration des Textes bei-
gefügten photographischen Reproduktionen vollständig ee i
i . Freund.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung)
Redigiert von Dr, Hermann Engel, Berlin W 80,
Tod nach Fall auf den Kopf ohne schwerere Erscheinungen
in den ersten Tagen nach dem Unfall
von
Dr. Bich. Schönfeld, Schöneberg.
In folgendem möchte ich über einen meines Erachtens für
die Begutachtung nicht uninteressanten Fall berichten:
mittags 12 Uhr schlafend und bewußtlos in seinem Bett auf-
gefunden; nach 48 Stunden verstarb derselbe unter Erscheinungen
der Lungenentzündung. Um festzustellen, ob der Tod die Folge
eines Betriebsunfalls sein könne, wurde von der zuständigen Bo-
rufsgenossenschaft die Leichenöffnung angeordnet. Das Gutachten
der Obduzenten ging dahin:
„1. Der Tod des M. ist nach dem Ergebnis der Obduktion
Am 14. Februar 1910 wurde der 48jährige Brenner M. ; unter den Erscheinungen einer starken Blutüberfüllung der Organ®
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1757
der Brusthöhle und des Gehirns eingetreten, und zwar, wie mit
Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, infolge doppelseitiger beginnender
Lungenentzündung. |
2. Ob diese Lungenentzündung die Folge einer vorangegangenen
Kohlendunstvergiftung gewesen ist, konnte durch die Obduktion
nicht nachgewiesen werden; nach dem Ergebnisse der vorläufigen,
bei der Obduktion vorgenommenen chemischen Untersuchung ist
eine Kohlenoxydvergiftung nicht festzustellen gewesen.
3. Da der verstorbene Mann noch 48 Stunden nach dem
Auffnden in der Brennerstube gelebt hat, und da ihm nachträg-
lich noch 4 kg Sauerstoff mit dem Apparat zugeführt sind, so
spricht der negative Ausfall der bisherigen chemischen Unter-
suchung nicht ohne weiteres gegen die Annahme, daß eine Kohlen-
dunstvergiftung bestanden hat und möglicherweise auch die mittel-
bare Ursache für das Entstehen der doppelseitigen Lungenentzün-
dung gewesen ist. Ä
4. Die Quetschung der Gehirnsubstanz des linken Schläfen-
lappens und die kleineren Blutergüsse in der weichen Hirnhaut
deuten auf eine Gehirnerschütterung hin, welche durch die Ein-
wirkung einer stumpfen Gewalt (Fall, Sturz vom Rade) hervor-
gerufen sein dürfte. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen
diesen Verletzungen und dem Tode glauben wir nicht annehmen
zu Sollen.“
Der genaue Befund der Kopfhöhle war folgender:
Oberhalb des Hinterhauptstachels bestand eine von Haaren
entblößte braunrot verfärbte Stelle der Kopfhaut, etwa 3 zu
2 cm groß, von unregelmäßig rundlicher Gestalt. Beim Ein-
schneiden dieser Stelle zeigte sich das Gewebe der Haut bis auf
die Knochenhaut braunrot verfärbt und blutig durchtränkt. Das
Schädeldach war überall unversehrt, auch an der Stelle, die der
oben beschriebenen Veränderung der Kopfhaut entsprach. Auch die
Innenseite des Schädeldachs war unversehrt. Die harte Hirnhaut
war prall gespannt und sah an der Außen- und Innenseite glatt
und spiegelnd aus. Die weiche Hirnhaut war zart, stellenweise
leicht milchig getrübt, zu beiden Seiten der großen Hirnspalte
etwas verdickt und mit Pachionischen Granulationen reichlich
bedeckt. Die Blutadern der weichen Hirnhaut waren sehr stark,
besonders nach hinten zu, gefüllt. Eine Eiterauflagerung, oder
auch nur eine stärkere Trübung der weichen Hirnhaut war weder
an der Oberfläche der Großhirnhalbkugel, noch an der Grundfläche
des Gehirns festzustellen. Die Gefäße an der Grundfläche waren
zart und wenig gefüllt.” Der linke Schläfenlappen war etwas ab-
geflacht und fühlte sich an seiner unteren Kuppe weicher (er-
weicht) an, während im übrigen das Gehirngewebe sich ziemlich
fest anfühlte.e An der untern Kuppe des linken Schläfenlappens
sah die weiche Hirnhaut in einer Ausdehnung von 1 bis 2 cm
dunkel gerötet aus (Bluterguß), auch erschien hier der Zusammen-
hang der weichen Hirnhaut unterbrochen. Die an dieser Stelle
befindliche Hirnsubstanz sah in einer Ausdehnung von 1 bis 2 em
erweicht und gerötet aus. Diese Rötung setzt bis zu einer Tiefe
von 1,5 em sich fort, das Gewebe ist an dieser Stelle auch mit
zahlreichen Blutpunkten (feinsten, freien Blutergüssen) durchsetzt.
In der weichen Hirnhaut fanden sich außerdem am rechten Lappen
des Kleinhirns ein bohnengroßer, flächenhafter Bluterguß, ebenso
an beiden Hinterhauptlappen kleinere Blutergüsse, eine Erweichung
des Gehirngewebes war jedoch an diesen Stellen nicht nachweis-
bar. Das in den Gefäßverzweigungen an der Gehirngrundfläche
sichtbare Blut, ebenso das aus den Querleitern heraustretende Blut
sah ziemlich hellrot aus. Nach dem Abziehen der harten Hirn-
haut vom Schädelgrunde zeigten sich die Knochen derselben, be-
sonders auch in der linken Schläfengrube, unversehrt. In den
Seitenhirnhöhlen des Gehirns fanden sich einige Tropfen klarer,
gelblicher Flüssigkeit, die dritte und vierte Hirnhöhle waren leer.
Die Adergeflechte und die obere Gefäßspalte sahen blaßbraunrot
aus, die Adern waren stark gefüllt. Auf den großen glatten
Durehschnitten durch die Großhirn- und Kleinhirnhalbkugeln,
durch die Seh- und Streifenhügel, durch die Brücke und das ver-
längerte Mark zeigte das Gewebe überall die gewöhnliche Be-
schaffenheit, die Blutpunkte traten jedoch außerordentlich zahlreich `
auf die Schnittfläche.e Ein Bluterguß innerhalb des Gehirns war
nichtYzu finden, abgesehen von dem kleinen Bluterguß im linken
Schläfenlappen.
Auf Veranlassung der Berufsgenossenschaft, mich gutacht-
lich darüber zu äußern, ob der Tod des M. als die Folge eines
Betriebsunfalls anzusehen sei, erstattete ich folgendes Gutachten:
„Aus den mir vorliegenden Akten geht hervor, daß der
am 13. Januar 1862 geborene Brenner M. in der Nacht vom 13.
bis 14. Februar um 2 Uhr, als er von seinem Arbeitsposten ab-
gelöst wurde, noch vollkommen gesund war, wenigstens hat weder
M. dem ihn ablösenden E. gegenüber über irgendwelche Beschwerden
geklagt, noch hat dieser E. an M. irgend etwas Auffälliges wahr-
genommen. Auch der vernommene Schiffseigner Sch. hat bekundet,
daß M. am 13. Februar gegen Abend, als er ihn besucht habe,
noch gesund und munter war, und daß er anM. nichts Auffallendes
bemerkt habe; von seinem Falle mit dem Fahrrade habe M. ihm
nichts erzählt. Dagegen hat M. dem E. gegenüber erwähnt, daß
er in der Nacht vom 12. zum 13. Februar auf dem Heimwege mit
dem Rade gestürzt sei; daß or sich dabei verletzt habe, hat er
nicht angegeben.
M. ist am 14. Februar morgens nicht zu der gewohnten Zeit
aus der Brennerstube, wo er übernachtete, zur Arbeit erschienen;
auf das Klopfen seines Mitarbeiters E., der ihn wecken wollte, hat
er nicht geantwortet, doch hörte ihn dieser deutlich schnarchen.
AlsM. auch bis zum Mittag nicht erschienen war, und auf wieder-
holtes Klopfen nicht antwortete, wurde die Tür der Schlafkammer
geöffnet, und man fand M. fest schlafend im Bette, die eine Hand
unter der Decke, die andere Hand auf der Brust. Nach der Aus-
sage der Frau R. soli M. Schaum vor dem Munde gehabt haben.
Die Zeugen E. und Frau M. wollen dagegen nichts von Schaum
bemerkt haben. Der Zeuge E. hat ausgesagt, daß es in dem
Zimmer, in dem M. geschlafen habe, nach Kohlendunst gerochen
habe, wenn auch nicht in starkem Maße; diese Angabe wird aber
von den andern Zeugen nicht bestätigt.
Nach der Auskunft des Arbeitgebers befand sich die Brenner-
stube, in der M. schlafend gefunden wurde, nicht auf dem Ring-
ofen, stand auch mit dem Ringofen oder dessen Schornstein in
keiner Verbindung, sondern war ungefähr 80 bis 100 m von dem
Ringofen entfernt. Der Raum diente nur zum Schlafen, hatte
einen mit Eisenplatten abgedeckten Kochherd, der völlig dicht und
mit keiner Ofenklappe versehen war; nach der Ansicht des Arbeit-
gebers ist es ausgeschlossen, daß Kohlendunst in diesen Raum ge-
langt ist. |
Nach der Aussage des behandelnden Arztes hat M. nach
seiner Auffindung noch 48 Stunden gelebt, nachdem ihm noch 4kg
Sauerstoff zugeführt waren; sein Tod trat ein, nachdem die Tem- .
peratur bis auf 40° gestiegen war und Erbrechen und unfreiwilliger
Kotabgang stattgefunden hatte.
Nach dem Gutachten des Kreisarztes Dr. V. und des Dr. W.,
die die Leichenöffnung vorgenommen hatten, ist mit Wahrschein-
lichkeit anzunehmen, daß der Tod infolge beginnender doppelseitiger
Lungenentzündung eingetreten ist; ob diese Lungenentzündung die
Folge einer voraufgegangenen Kohlendunstvergiftung gewesen ist,
ließ sich nicht feststellen, die Möglichkeit einer solchen Ent-
stehung sei trotz des negativen Ausfalls der Blutuntersuchung
immerhin vorhanden. Die Quetschung des linken Schläfenlappens
und die kleineren Blutergüsse in der weichen Hirnhaut seien wahr-
scheinlich durch den Sturz vom Rade verursacht worden, ein ur-
sächlicher Zusammenhang zwischen dieser Verletzung und dem Tode
könne aber nicht angenommen werden.
Was nun zunächst die Frage anlangt, ob tatsächlich der
lange, tiefe Schlaf, in dem M. bis zu seinem Tode gelegen hat,
als die Folge einer Kohlenoxydgasvergiftung anzusehen ist, so
muß ich dieselbe verneinen. In dem Blute des Verstorbenen
konnte weder von dem Arzt, der die Leichenöffnung vorgenommen
hat, noch in dem Untersuchungsinstisut des Dr. P. Kohlenoxydgas
nachgewiesen werden. Wenn ich nun auch zugebe, daß dieser
negative Ausfall der Blutuntersuchung nicht mit Sicherheit be-
weist, daß keine Einatmung von Kohlenoxydgas stattgefunden hat,
so beweist er anderseits doch auch das Gegenteil nicht. Die Tat-
sache, daß M., der nach der Angabe seines Mitarbeiters gesund
seine Arbeit verlassen und sich zur Ruhe begeben hat, in der
Brennerstube Kohlenoxydgas eingeatmet haben und hierdurch in
seinen tiefen Schlaf verfallen sein soll, ist meines Erachtens durch
nichts sicher bewiesen. Die Angabe des einen Zeugen, der in dem
Schlafraum Kohlenoxydgas bemerkt haben will, steht im Wider-
spruch mit den Aussagen von zwei andern Zeugen, außerdem ist
die Aussage des Arbeitgebers, der die Entstehung von Kohlen-
dunst in diesem Schlafraum für ausgeschlossen erklärt, nach der
ganzen Sachlage mit von ausschlaggebender Bedeutung. Wäre
wirklich Kohlenoxydgas in dem Raum, in dem M. schlief, vor-
handen gewesen, und zwar in einer solchen Menge, daß es die
schweren Erscheinungen bei dem Schlafenden hervorrufen konnte,
so hätte dieses ein jeder von den Zeugen, die das Zimmer be-
‘treten haben, bemerken müssen, denn der Geruch dieses Gases ist
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober,
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ein derart intensiver, daß er von keinem unbemerkt bleibt. Daß
also wirklich eine Kohlenoxydgasvergiftung bei M. bestanden hat,
ist weder durch die Blutuntersuchung, noch durch die Zeugen-
aussagen bewiesen oder hinreichend wahrscheinlich gemacht.
Aber wollte man wirklich annehmen, eine solche Vergiftung
hätte doch stattgefunden, dann ist dieselbe nicht als ein Betriebs-
unfall anzusehen, denn der Raum, in dem sie eingetreten ist, ist
kein eigentlicher Betriebsraum und steht auch mit dem Betriebs-
raum nicht in direkter Verbindung, sondern es ist ein Raum, der
der Bequemlichkeit der Arbeiter dient und der damit nicht direkt
zu dem Betrieb gehört.
Was die Ursache für den Eintritt des soporösen Zustandes,
in dem der Verstorbene gefunden wurde, gewesen ist, ist auch
durch die Sektion nicht festgestellt worden. Die bei der Leichen-
öffnung vorgefundene beginnende, doppelseitige Lungenentzündung
ist meines Erachtens nicht die Ursache für den schlafähnlichen
Zustand, sondern ist eine Folge desselben; sie ist meines Er-
achtens eine sogenannte hypostatische Pneumanie, die dadurch
entstanden ist, daß bei der langdauernden Rückenlage die unteren
Lungenpartien nicht ordentlich atmen konnten. Für diese meine
Annahme spricht auch das späte Auftreten des Fiebers.
Ich komme also zu folgendem Schluß: |
i. Die Ursache für den schlafähnlichen Zustand, in dem M.
verstorben ist, ist auch durch die Leichenöffnung nicht festgestellt
worden.
2. Die Lungenentzündung, die bei der Leichenöffnung ge-
funden ist, ist nicht die Veranlassung des Schlafzustandes, sondern
eine Folge desselben.
3. Der Eintritt einer Kohlenoxydgasvergiftung ist nicht er-
wiesen oder wahrscheinlich gemacht, hätte aber wirklich eine
solche bestanden, so wäre dieselbe nicht als ein Betriebsunfall
anzusehen. |
4, Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tode des
M. und einem Betriebsunfall liegt meines Erachtens also nicht vor.
Nachdem auf Grund dieses Gutachtens die Berufsgenossen-
schaft die Zahlung der Hinterbliebenenrente abgelehnt hatte, trat
die Witwe des Verstorbenen in ihrer Berufung gegen den Be-
scheid der Berufsgenossenschaft mit der Behauptung hervor, daß
ihr verstorbener Mann am 11. Februar beim Kohlenkarren aus-
gerutscht und auf den Hinterkopf gefallen sei; dieser Unfall sei
ihrer Ansicht nach die Ursache der am Hinterkopfe gefundenen
Beule, der Gehirnerschütterung und des Todes gewesen. Durch
Zeugenaussage wurde bestätigt, daß M. tatsächlich an dem be-
zeichneten Tag auf den Hinterkopf gefallen ist, daß er sich aber
ohne fremde Hilfe sofort. wieder erhoben und seine Arbeit weiter
verrichtet hat. Einer von den Zeugen gibt an, daß er weder an
diesem Tage, noch später über Kopfbeschwerden geklagt hat,
während ein anderer ausgesagt hat, daß M. ihm gegenüber beim
Mittagessen über Schmerzen im Kopfe geklagt und wenig gegessen
habe, und daß er auch am folgenden Tag angegeben habe, nicht
auf dem Posten zu sein.
Professor W., den das Schiedsgericht um Abgabe eines Gut-
achtens ersuchte, führte in seinem Gutachten aus, dab die katarrha-
lische Lungenentzündung, an der M. verstorben sei, nicht die
Ursache für den Schlafzustand gewesen sein könne, denn diese
Erkrankung erzeuge wohl auf der Höhe ihres Verlaufs, wenn
das Fieber sehr hochgradig geworden sei, eine Bewußtlosigkeit,
nicht aber bei ihrem Beginn. Eine croupöse Lungenentzündung,
die im Beginne zu Bewußtlosigkeit führen könne, habe hier nach
dem Leichenbefunde nicht vorgelegen. Was eine Kohlenoxyd-
vergiftung anbeträfe, so könnte man aus dem Zustand, in dem
man den M. angetroffen habe, und aus dem weiteren Verlaufe der
Krankheit, deren Vorhandensein wohl annehmen, dagegen spreche
allerdings der Umstand, dab in dem Raum, in dem M. vor-
gefunden wurde, das Vorhandensein von Kohlendunst nicht mit
genügender Sicherheit nachgewiesen, und daß der Blutbefund ein
negativer gewesen sei. Allerdings sei dieser negative Befund kein
zwingender Gegenbeweis für das Vorhandensein einer solchen Ver-
giftung, denn selbst nach äußerst schweren, zum Tode führenden
Kohlenoxydvergiftungen fände man im Blute des noch lebenden
Menschen oft nicht die charakteristischen Veränderungen. Uebrigens
müsse hervorgehoben werden, daß das Kohlenoxydgas ein völlig
geruchloses Gas sei, welches in sehr erheblicher Menge in einem
Raume vorhanden sein könne, ohne sich der Wahrnehmung der
Menschen überhaupt erkennbar zu machen, und daß zum Zustande-
kommen einer Vergiftung schon wenige Spuren genügten, und daß
es dazu nicht einer erheblichen Menge bedürfe.
Die Ursache für die schwere Bewußtlosigkeit des p. M. sei
seiner Ansicht nach in den Unfällen zu suchen, welche zu Ver-
letzungen des Kopfes und Erschütterung des Gehirns zu führen
infolge ihrer Schwere wohl geeignet gewesen wären. Diese Folgen
seien die durch die Leichenöfinung festgestellten, mehrfachen
blutigen Erweichungsherde im Gehirn, die in dem Schläfenlappen,
im Kleinhirn und im Hinterhauptlappen aufgefunden seien.
Es müsse zwar auffallend erscheinen, daß M. nach diesen
Verletzungen nicht sogleich irgendwelche schwerere Symptome
zeigte, oder wenigstens Klagen äußerte, jedoch sei es nicht er-
forderlich, daß solche Erschütterungen und Verletzungen des Ge-
hirns sofort ernstere Krankheitssymptome hervorriefen; durch das
Hinzutreten einer auch nur relativ leichten Infektionskrankheit,
z. B. einer Influenza, könnten aber schwerere Gehirnschädigungen
sich einstellen. Für das Hinzutreten einer Influenza spräche die
allmähliche Entwicklung einer Lungenentzündung, denn eine solche
gehöre zu den häufigst gesehenen klinischen Befunden einer In-
fluenza. Die nicht vorgefundene Milzvergrößerung finde in der
kurzen Dauer der Erkrankung ihre Erklärung. Aus dem Wohl-
befinden des M. in den letzten Tagen vor seiner Erkrankung
schließen zu wollen, daß nicht der Unfall vom 11. Februar, son-
dern der in der Nacht vom 12. zum 13. erlittene, die Gehirn-
schädigungen verursacht habe, sei nicht angängig, denn der
Gehirnbefund beweise, daß mehrere Gewalteinwirkungen auf das
Gehirn stattgefunden haben müßten. Es sei deshalb der Tod in-
direkt auf. den Hergang am 11. Februar zurückzuführen, weil
mindestens ein Teil der Gehirnverletzungen, dem ein ausschlag-
gebender Einfluß auf den Verlauf der Krankheit zugesprochen
werden müsse, durch den Sturz vom 11. Februar bedingt sei.
Diesem Gutachten des Professors W. konnte ich mich nicht
anschliessen, weil meines Erachtens nicht mit absoluter Sicher-
heit sich behaupten ließ, daß die in dem Schädelinnern vorgefun-
denen Veränderungen die Folge eines der erwähnten Unfälle ge-
wesen ist, und man vor allen Dingen nicht in der Lage war, zu
behaupten, welche Folgen der einzelne Unfall gezeitigt hat.
In einem Nachtragsgutachten, welches Prof. W. auf Veran-
lassung des Schiedsgerichts zur Aufklärung eines im ersten Gut-
achten scheinbar bestehenden Widerspruchs abgab, erklärt dieser
Gutachter, daß bei der Leichenöffnung zwei Krankheitsbefunde im
Gehirn festgestellt seien, nämlich Erweichungsherde mit punkt-
förmigen Blutungen im Schläfenlappen einerseits, und Blutungen
ohne Erweichungen am Kleinhirn und Hinterhauptlappen anderseits.
Als Ursache für diese verschiedenen Gehirnbefunde müßten zwei
zeitlich getrennte Ereignisse angenommen- werden, und zwar der
Sturz bei der Arbeit am 11. Februar und der Fall vom Rade am
13. Februar, nicht aber könne eine andere, später eingetreten®
Krankheit, etwa eine Kohlenoxydgasvergiftung, diese verschiedenen
Gehirubefunde verursacht haben. Die Tatsache, daß M. nach seinen
Stürzen nicht über Gehirnbeschwerden geklagt habe, sei kein Be-
weis gegen die Entstehung der vorgefundenen Gehirnbefunde durch
die beiden Stürze, denn es sei allgemein bekannt, daß weit größere
Herde als die hier vorliegenden im Gehirn beschwerdefrei besteheu
können. Was endlich den Einfluß der Gehirnherde auf den Ver-
lauf der tödlichen Lungenentzündung betreffe, so könne man aus
den schweren Gehirnerscheinungen, mit der die Lungenentzündung
vom Anfang an verlaufen sei, was immerhin doch bei kleinherd-
förmigen Lungenentzündungen sicher eine ungewöhnliche Tatsache
sei, sogar den Schluß ziehen, daß die Gehirnerscheinungen als das
eigentlich maßgebende anzusehen seien, und daß als Folge der-
selben, wie dies nicht selten geschehe, erst die Eintzündungsherde
in der Lunge entstanden seien.
Gegen diese Ansicht des Prof. W. glaubte ich folgende Be-
denken geltend machen zu müssen: „Nach dem Ergänzungsgut-
achten des Prof. W. nimmt dieser Sachverständige an, daß der
bei der Leichenöffnung festgestellte Gehirnbefund die Folge zweier
zeitlich getrennten Verletzungen sein müsse. Als Folge der ersten
Verletzung vom 11. Februar sollen die Erweichungsherde mit
punktförmigen im Schläfenlappen und die Folgen der zweiten, M
der Nacht vom 12. zum 18. Februar stattgehabten Verletzung die
Blutungen ohne Erweichungen am Kleinhirn und am Hinterhaupt-
lappen sein. Ganz abgesehen davon, ob es sich tatsächlich um
wirkliche Erweichungsherde gehandelt hat — diese Frage labi
sich jetzt nicht mehr entscheiden —, ist der Zeitraum, der zwischen
den beiden Ereignissen, die von Prof. W. als Ursache der Blutungen
angesehen werden, liegt, meines Erachtens ein so kurzer, d
eine Scheidung zwischen den Folgen dieser beiden Ereigni3®
nicht gut möglich ist. Auch ist der Zeitraum, der zwischen
dem Fall am 11. Februar und dem Tode des M. liegt, 0"
so kurzer, daß in dieser Zeit sich wirklich kaum Erweichung®
97. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. 1759
herde bilden können. Aber angenommen, es hätten wirklich Er-
weichungsherde bestanden, dann ist damit noch nicht erwiesen,
daß dieselben unbedingt eine Folge des am 11. Februar erlittenen
Sturzes sein müssen; dann ist es nicht unwahrscheinlich, daß
diese Herde auch schon vor dem Fall am 11. Februar bestanden
haben, sagt doch auch Herr Prof. W.: „Weit größere Herde
als die hier vorliegenden können im Gehirn beschwerdelos be-
stehen.“ |
Wenn ich auch als richtig zugebe, daß Blutergüsse und Er-
weichungsherde im Gehirn, ohne Beschwerden zu machen, bestehen
können, so können dieselben meines Erachtens ohne irgend eine
andere Veranlassung nicht mit einem Male einen so schweren
Krankheitszustand herbeiführen, wie dies bei M. der Fall war, es
müßte denn durch eine neue Blutung eine wesentliche Ver-
schlimmerung in dem bis dahin vorhandenen Zustand eingetreten
sein; einen Beweis für eine derartige plötzliche Verschlimmerung
hat die Leichenöffnung aber nicht ergeben. Die Annahme einer
eingetretenen Influenza als Verschlimmerungsmoment, mit dem Herr
Prof. W. den Eintritt des plötzlich aufgetretenen schweren Krank-
heitszustandes in seinem ersten Gutachten zu erklären versucht
hat, hat er in seinem Nachtragsgutachten nicht mehr zur Be-
gründung seiner Ansicht verwertet; diese Annahme ließ sich
meines Erachtens auch durch nichts rechtfertigen. Meines Er-
achtens ist durch das Zusatzgutachien des Herrn Prof. W. nicht
erwiesen, daß die bei der Leichenöffnung gefundenen Veränderungen
im Gehirn den plötzlich eingetretenen soporösen Zustand und den
Tod des M. verursacht haben, es ist auch nicht erwiesen, daß
beide Ereignisse Schädigungen im Gehirn veranlaßt haben; wollte
man letzteres aber auch annehmen, so muß man nicht das erste
Ereignis als Ursache für den Ausbruch der schweren Krankheits-
erscheinung annehmen, sondern das zweite, weil dieses dem offenen
Ausbruch des Leidens zeitlich näher liegt.“
Das Schiedsgericht lehnte die beantragte Einholung eines
Obergutachtens ab und sprach der Witwe und deren Kindern die
Hinterbliebenenrente zu. In der Begründung seines Urteils führte
das Schiedsgericht folgendes aus: „Nach der Aussage der Zeugen
H. und K. muß angenommen werden, daß M. am 11. Februar
recht erheblich mit dem Hinterkopf auf das Karrbrett aufgeschlagen
ist. H. hat den Schlag aus einiger Entfernung gehört und beide
Zeugen bekunden, daß M. sich erst nach etwa einer Minute wieder
aufrichtete. Dem Zeugen K. gegenüber hat der Verstorbene auch
über Schmerzen im Kopf geklagt und ihm am 12. Februar, also
noch vor dem zweiten Unfell, eine Beule am Hinterkopf gezeigt.
Es ist also im hohen Grade wahrscheinlich, daß wenigstens ein
erheblicher Teil der bei der Sektion festgestellten Kopfverletzungen
durch diesen Unfall verursacht ist. Demgegenüber hat sich über
den Unfall vom 13. Februar nach keiner Richtung etwas be-
stimmtes ermitteln lassen. M. hat dem Zeugen E. nur erzählt,
daß er in der Nacht mit dem Rade gestürzt sei, ohne anzugeben,
ob er sich dabei verletzt habe. Es kann daher bei dem Fehlen
aller tatsächlichen Unterlagen diesem Unfall eine erhebliche Be-
deutung nicht beigemessen werden. Das Schiedsgericht hat viel-
mehr mit Prof. W.. die Ueberzeugung gewonnen, daß die an der
Leiche des Verstorbenen aufgefundenen Kopfverletzungen der Haupt-
ursache nach auf den zweimaligen Sturz auf den Hinterkopf am
11. Februar zurückzuführen sind, und daß durch diese Verletzungen
die am 14. Februar aufgetretene Bewußtlosigkeit hervorgerufen
ist, an die sich dann die totbringende Lungenentzündung ange-
schlossen hat. Der Gerichtshof hat daher angenommen, daß der
Ehemann der Klägerin an den Folgen des Betriebsunfalles vom
11. Februar gestorben ist.“
Die Berufsgenossenschaft ersuchte nun Prof. Th. um Ab-
gahe eines Gutachtens; dieser Sachverständige führt in seinem
Gutachten aus, daß sich zwar mit Sicherheit nicht feststellen
lasse, was die wesentliche Ursache des Todes des M. gewesen sei,
daß man aber doch den festgestellten Hirnveränderungen eine
wesentliche Bedeutung beimessen müsse, und daß diese mit größter
Wahrscheinlichkeit als Folgen des Falles auf das Brett, nicht des
Sturzes vom Rade, zu deuten seien. Daß M. bei dem Fall auf
das Brett mit dem Kopf aufgeschlagen sei, sei erwiesen, nicht
aber sei erwiesen, daß bei dem Sturz vom Rade eine Verletzung
des Kopfes stattgefunden habe. Auch der Sturz vom Rade könne,
wenn man wolle, als Folge des ersten Falles angesehen werden,
denn infolge des Sturzes sei M. nicht mehr in der Lage gewesen,
das Gleichgewicht auf dem Rade zu halten. Mit Sicherheit müsse
der bis auf die Knochenhaut reichende Bluterguß oberhalb des
Hinterhauptstachels und vor allem die Blutung an der linken
Schläfenlappenspitze dem Sturz auf das Brett zur Last gelegt
werden. Aus dem Vorhandensein eines Erweichungsherdes sei zu
schließen, daß die Schädigung des Gehirns vor der Nacht vom
12. zum 13. Februar, der Zeit des Sturzes vom Rade, eingetreten
sei, ein Unterschied von zwei Tagen sei nach einer Hirmverletzung
in dieser Hinsicht nicht gleichgültig. Die Tatsache, daß M. am
Tage des Sturzes auf das Brett über ein steifes Genick geklagt
habe, beweise, daß dieser Sturz nicht so harmlos gewesen sei,
wie nach den Angaben mehrerer Zeugen geschlossen werden könne.
Die bei der Leichenöffnung festgestellte Erweiterung der linken
Pupille lasse auch vermuten, daß noch andere Veränderungen im
Gehirn oder Halsmark bestanden hätten, die die Ursache für den
plötzlichen Eintritt des schlafähnlichen Zustandes gewesen seien;
vielleicht habe es sich um eine Spätblutung in den Ursprung des
zehnten Hirnnerven gehandelt, welche nur sehr klein zu sein
brauche, um zum Tode zu führen. Eine Kohlenoxydgasvergiftung
sei nicht vorhanden gewesen, die Lungenentzündung sei eine Folge
des schlafsuchtähnlichen Zustandes.
Endlich ersuchte die Berufsgenossenschaft Herrn Geheimen
Medizinalrat Professor O. um Abgabe seiner Ansicht in dieser
Sache Dieser Sachverständige führte in seinem ausführlichen
Gutachten folgendes aus: „Als Todesursache sei die doppelseitige
Lungenentzündung anzusehen, dieselbe habe sich offensichtlich
erst nach Eintritt der schweren Gehirnstörung entwickelt und sei
eine Folge der schlafsüchtigen Benommenheit; daß eine Influenza
bestanden habe, sei durch nichts bewiesen. Eine befriedigende
Aufklärung über die Entstehung der nervösen Störungen lasse
sich jetzt nicht mehr geben, man könne nur von Wahrscheinlich-
keiten reden. Das ganze Krankheitsbild mache unzweifelhaft am
meisten den Eindruck einer Kohlendunstvergiftung, als Beweis
dafür, daß wirklich eine solche bestanden habe, könne man an-
sehen die am Kopf und den Augenlidern gefundenen Rußpartikel-
chen, den übeln Geruch, den die Ehefrau bemerkt haben will, den
Geruch nach Kohlendunst, den ein Zeuge wahrgenommen haben
will, und die Angabe der Ehefrau, daß die Maschine etwas defekt ge-
wesen sei. Der negative Ausfall der Blutuntersuchung sei kein
Beweis gegen das Vorliegen einer Kohlendunstvergiftung. Wenn
aber auch vieles dafür spreche, daß eine Kohlendunstvergiftung
vorgelegen habe, so lasse sich doch ein sicherer Beweis hierfür
nicht erbringen, denn die Rußteilchen könnten auch bei der ver-
richteten Arbeit auf dem Ziegelofen an die Stellen, wo sie ge-
funden sind, gelangt sein, und der üble Geruch könnte auch auf
andere Weise entstanden sein, außerdem habe der Zeuge E. aus-
drücklich erklärt, daß der Geruch nach Kohlendunst nicht stark
gewesen sei. Diese Angabe des E. sei aber insofern sehr wichtig,
als sie dafür spreche, daß, selbst wenn eine Kohlendunstvergiftung
vorgelegen habe, diese nur eine verhältnismäßig geringe gewesen
sein könne, und daß die schweren Gehirnerscheinungen nur des-
halb hätten eintreten können, weil das Gehirn schon vorher ge-
schädigt gewesen sei. Es sei eine bekannte Tatsache, daß die
Wirkung von Kohlendunst durch andere Erkrankungen und un-
. günstige Umstände erheblich befördert werden könne. In diesem
' Falie müsse man also annehmen, daß die Schädigung des Gehirns
eine wesentliche Bedeutung auf den Verlauf der Erkrankung aus-
geübt habe. Was nun den bei der Leichenöffnung festgestellten
Gehirnbefund anbelange, so könne man — entgegen der Ansicht
des Professors W. — aus dem vorliegenden Sektionsbefund nicht
feststellen, ob die Blutungen gleichzeitig oder an verschiedenen
Tagen entstanden seien, ob sie am 11, Februar oder am 12. oder
in der Nacht vom 12. zum 13. oder vom 13. zum 14, Februar
eingetreten seien. Diese Frage hätte nur eine mikroskopische
Untersuchung entscheiden können; da aber eine solche nicht ge-
macht sei, so sei man auch hier nur auf einen Wahrscheinlich-
keitsbeweis angewiesen. Aus den Feststellungen, daß M. schon
am 11. Februar, mittags, über Schmerzen im Kopf geklagt habe
und Appetitmangel hatte, dem Zeugen E. gegenüber schon an
diesem Tage über ein steifes Genick und am folgenden Tage dem
Zeugen K. über allgemeines Unwohlsein geklagt und letzterem
eine Beule am Hinterkopfe gezeigt habe, — dies alles noch vor
dem Fall mit dem Rade — müsse man den Schluß ziehen, daß
der Sturz am 11. Februar die Ursache für die Gehirnschädigung
gewesen sei; daß diese Schädigung im Gehirn durch den Sturz
mit dem Rade verstärkt worden sei, sei nicht anzunehmen. Diese
durch den Sturz vom 11. Februar bedingte Gehirnveränderung
habe für den Eintritt des Todes höchstwahrscheinlich eine wesent-
liche ursächliche Rolle gespielt.“ |
Auf Grund dieser Gutachten hat dann die Berufsgenossen-
schaft der Witwe und den Kindern des Verstorbenen die Hinter-
bliebenenrente gewährt.
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1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. `
2T. Oktober.
Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Münster i. W.
Chirurgische Sektion.
(Schluß aus Nr. 42.)
Goebell (Kiel) berichtet über einen Fall von Contractur der Finger-
beuger, behandelt mit freier Muskeltransplantatlon. Die Contractur
war eingetreten nach Fract. hum., welche fünf Wochen lang mit Gips-
verband behandelt worden war. Drei Monate später hat Vortragender
operativ den Flexor dig. subl. freigelegt, der stark fibrös verwachsen
war; der Muskel wurde quer durchtrennt, wobei das Messer knirschte,
ebenso der Flexor profundus. In den Spalt des Sublimis wurde eine
Zacke des Obliq. ext. mit Nerv eingepflanzt, in den Spalt des Profundus
ein Stück aus dem oberen Teile des Sartorius mit Nerv; dann wurde
noch eine freie Fascientransplantation vorgenommen. Vom zweiten Tag
an wurden regelmäßige Faradisation, sowie aktive und passive Bewegungen
gemacht. Bei dem fünfjährigen Knaben ist heute nach acht Monaten
eine völlige Heilung zu verzeichnen.
In der Diskussion wurde betont, daß der Fall für die Frage
der Funktion des frei transplantierten Muskels nichts beweise. Tier-
versuche hätten trotz Faradisation gezeigt, daß das Centrum des im-
plantierten Muskels nekrotisch werde und nur die Peripherie erhalten bleibe,
Henle (Dortmund) hat zwei Fälle von tuberkulösem Ulcus am
unteren Ende des Duodenums beobachtet. Die Symptome bestanden
in Retention des Mageninhalts sowie Anwesenheit von Galle im Magen;
dabei bestand Marasmus. Die Röntgenuntersuchung ergab Stenose des
Duodenums. Redner betont unter eingehender Mitteilung der von ihm
-operierten Fälle von Magen- und Duodenalulcus, daß man unter
Umständen bei der Ausschaltung des Pylorus nach v. Eiselsberg am
Duodenum ein Stück des Magens belassen kann. Die Salzsäureausscheidung
hört in demselben auf. Bei gutartigem Ulcus ist er für die Gastro-
enterostomie. Ausnahmsweise macht er auch Resektion.
In der Diskussion betont Schmieden, daß die einfache Unter-
bindung und Uebernähung des Pylorus wieder zur Durchgängigkeit führe,
wie die Röntgenuntersuchungen beweisen; praktisch ist es zwar ohne
Belang, da inzwischen der Mageninhalt gewohnheitsmäßig den neuen Weg
passiert. Die vordere Gastroenterostomie führt viel bäufiger zu Ulcus
pepticum. Bei Sanduhrmagen hilft die Gastroenterostomie nicht radikal,
die Querresektion ist ihr vorzuziehen. |
Dreesmann glaubt, daß die einfache Unterbindung des Pylorus
mit Seide oder Zwirn, mittels Aneurysmanadel herumngeführt, und nach-
folgender Uebernähung und Einstülpunglediglich an der vorderen Wand
definitiren Verschluß des Pylorus bewirkt; Unterbindung mit Catgut er-
zeugt, wie Versuche gezeigt haben, nur vorübergehenden Verschluß.
Schultze (Duisburg) empfiehlt die dftere Anwendung der Mo-
settigplombe. Auch nach Resektion eines infolge Arthritis deformans
stark veränderten Hüftgelenks hat er durch die Verwendung der Plombe
einen erstaunlich guten Erfolg erzielt. Notwendig ist völliger Verschuß
der Wunde, die Heilung tritt fast stets ein, wenn auch zuweilen unter
vorübergehender Fistelbildung.
Coenen (Breslau) zeigt eine Reihe sehr schöner Gefrierschnitte
von Sarkomen, tuberkulöser Arthritis, Arthropathie am Fußgelenke, Fraktur
der Wirbelsäule mit Blutung ins Rückenmark, Steisteratom eines Neu-
geborenen; die Schnitte werden so angefertigt, daß man das Präparat in
einer Kiste mit Eis unter Salzzusatz zum Gefrieren bringt, dann ein-
spannt und mit einer einfachen gewöhnlichen Blattsäge in feine Scheiben
zerschneidet. |
Dreesmann (Köln) betont bezüglich der operativen Behandlung
des Leistenbruchs, daß er wohl mit der größten Anzahl der Chirurgen
neben der Exstirpation des Bruchsacks dem Verschlusse des Bruchkanals
größte Bedeutung beilege. — Aber auch bei sorgfältigster Ausführung
treten noch Rezidive ein, und zwar 80°/, dieser Rezidive an der Aus-
trittsstelle des Samenstrangs.. Will man möglichste Sicherheit gegen
Rezidive haben, so muß diese letztere Stelle sorgfältigst geschlossen werden.
Dies ist möglich, wenn man den Austrittspunkt des Samenstrangs lateral-
wärts verlegt.
Er empfiehlt, nach Durchtrennung der Fascie des Obliquus externus
in fast senkrechter, leicht nach außen abweichender Richtung nach oben,
wie Hackenbruch angegeben, den Samenstrang ganz lateralwärts zu
verlagern und dem Leistenkanal eine senkrechte Richtung von innen unten
nach außen oben zu geben durch weitere Einstülpung der Fascie des
Obliquus externus an der lateralen Seite des Samenstrangs; derselbe ver-
lšuft dann von hier ab subcutan. Im Bereiche des früheren Leistenkanals
ist dann ein doppelter Fascienverschluß, der an dem früheren Austritts-
punkte des Samenstrangs durch Herbeiziehung der Fascie des Rectus,
unter Umständen der Fascie des Pectineus, noch weiter verstärkt werden
kann. — In ttber 100 Fällen hat sich diese Methode aufs beste bewährt
und sind niemals Schädigungen des Samenstrangs beziehungsweise des
Testis, noch auch Rezidive beobachtet worden.
In der Diskussion betont Hackenbruch, daß er unter 284
Operationen, nach seiner Methode ausgeführt, nur einmal ein Rezidiv ge-
sehen habe.
Götjes (Köln) betont, daß die bisherigen Operationen bei
Aseites auf der mechanischen Entstehung desselben fußen. Er führt den
Ascit zurück auf Stauung in dem Gebiete der Art. mes. sup., daher kann
die Fixation des Omentum, welche nur’den Magen und das Querkolon
berücksichtigt, nicht genügen. Seine Versuche bei Hunden haben ihm
gezeigt, daß die Unterbindung der Vena mes. sup. nie vertragen wird,
wohl dagegen die Unterbindung der Nebenstämme. Die Unterbindung
der Vena portae wurde in zwei Fällen vertragen, nach breiter Anheftung
des Mesenteriums auf das Nierenlager. Bei einem Hunde, der 14 Tage
später an Peritonitis zugrunde giog, fanden sich ausgedehnte Kollateral-
venen. Redner empfeblt, linksseitig mit Rücksicht auf die an der rechten
Seite öfter vorhandenen Komplikationen und Verwachsüngen einzugehen,
den Peritonealüberzug des Mesenteriums zu spalten und das Moesenterium
breit auf das Nierenlager anzuheften. Hierdurch wird eine Verbindung
der Mes. sup. mit der Renalis erzeugt.
Keining (Soest) empfiehlt die spiralige Umwicklung der Drees-
mannschen Glasdrains mit Gaze von unten anfangend. Nach Entfernung
des Glasrohrs läßt sich die Gaze leicht herausziehen. Dieser sogenannte
„Inversionstampon“ verhütet auch das Einwachsen von Fettgewebe ins
Glasrohr. Dreesmann betont, daß dieses Einwachsen von Fettgewebe
nicht eintrete, wenn die Oeffnung im Glasrohre nicht zu weit ist. Es
darf dieselbe höchstens eine dünne Stricknadel passieren können, bei
weiterer Oeffnung hat er einmal in einem Falle von Peritonitis die Ent-
wicklung einer Darmwandhernie im Glasrohre beobachtet. Seine Ver-
suche an Kaninchen haben gezeigt, daß die Glasrohre den großen Vorteil
besitzen, keine oder nur ganz lockere Verklebungen in der Umgebung
zu erzeugen, während Gaze schon nach 24 Stunden und noch früher feste
Verwachsungen bewirkt. |
Vogel (Dortmund) begnügt sich mit Rücksicht darauf, daß 99%
der Wandernierenträger Asteniker im Sinne Stillers seien und daher
eine Inferiorität der Zugfestigkeit des Bindegewebes besitzen, zur Be-
handlung der Wanderniere nicht einer Narbe, sondern bildet aus der
Kapsel der Niere einen Zügel, den er um die unterste Rippe horum-
führend an die Niere wieder anhettet. Damit die Niere hoch genug
gehoben werde, wird der Zügel vom oberen Pol aus abgelöst‘ mit
unterer Basis.
Vogel (Dortmund): Ueber Hermaphroditismus. Redner be-
richtet über ein junges Mädchen von 20 Jahren, welches mit der Angabe
einer doppelseitigen Hernia ing. zu ihm kam. Patientin besaß aus-
gesprochenen weiblichen Habitus, voll entwickelte Brüste, normal weite
Vagina, dagegen keinen Uterus und keine Ovarien. Da die in der rechten
Leistengegend vorhandene Geschwulst Beschwerden machte, wurde Sie
entfernt. Bei der Untersuchung ergab es sich, daß die Geschwalst aus
einem normal entwickelten Testis bestand, an welchem eine Tube mit
Fimbrien sich ansetzte, ferner ein Rudiment vom Uterus und ein
Lig. rot.
Wrede (Jena) berichtet über einen Patienten, bei dem er wegen
Nierenstein operativ eingreifen wollte. Im Beginne der Operation trat
Herzstillstand ein; nachdem alle andern Mittel vergeblich versucht waret,
machte er Bauchschnitt zum Zweck der direkten Herzmassag®; ii
konnte das Herz durch das Zwerchfell nicht fühlen, daher machte er mi
einer Kornzange ein Loch ins Zwerchfell und übte nun mittels des Zeige-
und Mittelfingers rythmische Stöße gegen das Herz nach der Brustwan
zu aus; währenddessen wurde künstliche Atmung mit Rot-Drägerschen
Apparat ausgeführt. Es entstanden aber zunächst nur Contractionel S
Vorhofe, zuletzt machte er nur 15—20 Stöße in der Minute, nämlic
jedesmal dann, wenn das Herz sich wieder gefüllt hatte, aber auch ur
Erfolg, worauf er wieder zu öfteren Stößen überging. Nach 11/ Stun 5
Bemühungen fingen auch die Ventrikel an zu schlagen, 1/2 er
später kam Patient zu sich. Der Herzbeutel wurde drainiert. ge
aber bleibt fernerhin somnolent, sagte nur ja oder nein, Omme ns
schmerzt“. Der am folgenden Tage gebesserte Puls verschlechtert er
am dritten Tage wieder und Patient starb. Bei der Sektion fand > i
fibrinds-eitrige Perikarditis und doppelseitige Pneumonie. In der Ra
kussion wurde hervorgehoben, daß bei diesem wie auch bei allen ander
Fällen Gehirnanämie wohl die Schuld des Todes sei.
Küttner (Breslau) berichtet über eine erfolgreiche Operation eine!
Struma suprarenalis, Bei der 43jährigen Frau batte sich rechts pr
halb eines Jahres eine mannskopfgroße fluktuierende Geschwulst 0n
wickelt. Die Röntgenuntersuchung ergab beiderseits das Vorhandenseiß
97. Oktober.
von zwei Uretheren, alle vier Uretheren sonderten normalen Urin ab.
Die Geschwulst wurde durch Lumbalschnitt nach vorheriger Punktion,
wobei i 1 schokoladenfarbige Flüssigkeit entleert wurde, unter größeren
Schwierigkeiten entfernt. Das Kolon ließ sich nur schwierig abschieben,
von der nach unten gedrängten Niere mußte !/ıo reseziert werden, die
Nierenwunde wurde sofort fest vernäht. Verwachsungen mit der Leber
mußten gleichfalls durch Schnitt beseitigt werden. Da die Geschwulst
mit der Nebenniere fest verwachsen war, wurde letztere mit entfernt.
Wie die mikroskopische Untersuchung ergab, ist der Tumor wahrschein-
lich aus versprengtem Nebennierenkeim entstanden. Redner betont, daß
heute wohl nur die Totalexstirpation in Betracht komme, dieselbe ist
fünfmal gemacht worden, nur ein Patient ist gestorben. Die Eröffnung
der Peritonealhöhle ist in den meisten Fällen nicht zu umgehen; beein-
trächtigt, zumal bei Lumbalschnitt, den Ausgang nicht.
Küttner (Breslau) teilt zwei Fälle umschriebener tumorbildender
Fettgewebsnekrose im Abdomen mit; im ersten Falle täuschte die
Geschwulst eine vergrößerte Gallenblase vor, es war aber nur Netzgewebe
mit Nekrose, welches entfernt wurde. Im zweiten Falle bei einer
ö6jährigen Patientin, die akut erkrankte, glaubte man an eine Appen-
dicitis. Die Laparotomie ergab ein Konglomerat von Darmschlingen, in
deren Mitte sich nekrotisches Fettgewebe befand. Die bakterielle Unter-
suchung war wie im ersten Falle negativ. Außerdem beobachtete K.
bei einer 63jährigen Patientin, im Anschluß an einen Stoß gegen die
Brust, eine Geschwulst, die bei der Operation sich als aus dem Unter-
hautfettgewebe hervorgehend erwies. Die Drüse selbst war intakt. Die
mikroskopische Untersuchung ergab chronische Entzündung.
Küttner zeigt eine Reihe interessanter Präparate, ein ungewöhn-
lich großes Hauthorn von der Kopfhaut stammend, großes papilläres
Fibrom, welches bei einem jungen Mädchen hinter dem Ohre gesessen
hatte, eine Reihe von Schädeln mit mehr oder weniger ausgedehnten
gummösen Zerstörungen, diffuse Osteombildung am Schädel, sowie
' Ostitis fibrosa, einen ganz enormen Hydrocephalus, diffuses Sarkom des
Unterkiefers, ein Präparat von Neurofibromatose. Im Anschluß an die
Demonstrationen eines Präparats von Chlorom der Mamma von einem
jungen Mädchen stammend, welches in frischem Zustand auf dem Durch-
schnitte grasgrün war, betont K., daß die Träger dieser Tumoren wie
auch in diesem Fall unter dem Bilde der Pseudoleukämie sterben.
Außerdem zeigt K. noch ein Präparat einer gangrändsen Gallen-
blase, eine Gallenblase mit anhaftender Echinococcuscyste, eine
Darmceyste, eine nicht parasitäre Cystenmilz, eine Cystenniere.
Letztere stammte von einem jungen Manne, dessen Schwester gleichfalls
an Cystenniere leidet; Patient wurde durch Exstirpation geheilt, doch hat
die andere Niere begonnen, sich zu vergrößern. Ferner demonstriert K.
noch sehr schöne. Präparate einer Niere mit Nierensteinen, eine ganz
kleine, infolge von Nephrolithiasis geschrumpfte Niere. Ein Fibrom
des Beckens konnte nach vorheriger Resektion der Synchondrose ent-
fernt werden. Unter Vorzeigung eines Präparats und der Röntgenbilder
berichtete Vortragender über den Fall von Transplantation des oberen
Drittels des Femurs von der Leiche; funktionell war ein sehr gutes
Resultat eingetreten, doch ist Patient eineinhalb Jahre später an Meta-
stasen gestorben. Unter Vorweisung eines Fingers mit Röntgencar-
cinom betont Redner die üble Prognose dieser Erkrankung und weist
darauf hin, daß diese Carcinome der Auffassung der bakteriellen Ent-
stehung der Carcinome einen schweren Schlag versetzen. Zum Schluß
zeigt er noch mehrere sehr schöne Präparate von Knochenfracturen,
die nach Spalteholz durchsichtig gemacht waren.
Landois (Breslau) berichtet über Muskelsarkome, deren Patho-
logie er eingehend bespricht. Er betont die ungünstige Prognose der-
selben. Von den neun operierten Fällen sind vier gestorben, zwei leiden
an einem Rezidiv.
Plücker (Wolfenbüttel) zeigt Präparate von Nierenver-
etzungen, darunter eine Hufeisenniere. In dem letzten Falle von ver-
etzter Hufeisenniere, der unter dem Bilde des schwersten Shock bei
mittelschwerem Trauma eingeliefert wurde, lag ein ausgedehntes retro-
'peritoneales Hämatom vor. Trotz Blutstillung starb Patient, es zeigte
sich, daß die Blutung sich in dem subserösen Bindegewebe von der
Leber bis zum kleinen Becken verbreitet hatte.
Schmieden (Berlin) berichtet im Anschluß daran über einen ähn-
lichen Fall ausgedehnter peritonealer Blutung. Dieselbe war entstanden
durch einen gleichzeitigen Riß in der Vena cava. Der Riß wurde ge-
näht, Patient geheilt, starb indessen vier Monate später an metastatischer
Eiterung. |
Ramstedt (Münster) spricht über die angeborene Pylorus-
stenose. Wenn bei abwartender Behandlung eine Besserung nicht ein-
tritt, soll operiert werden, solange der Säugling noch kräftig ist. Die
Operation muß kurz sein. Er empfiehlt die partielle Pylorusplastik ohne
Spaltung der Schleimhaut. Im ersten derartig operierten Falle hat er
die Serosa quer darüber vernäht, was schwierig war, im zweiten Falle
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. 1761
hat er diese Naht unterlassen, wodurch die Operation noch mehr ab-
gekürzt wurde. Bei dem drei Wochen alten Säuglinge hörte das Er-
brechen, welches zehn Tage lang bestanden hatte, sofort auf. Die geringe
Blutung bei der Operation kann durch Umstechungsnähte gestillt werden;
ein Brandigwerden der freigelegten Schleimhaut ist bei dieser einfachen
Einkerbung des hyperirophischen Pylorusmuskels nicht zu fürchten.
Zur Verth (Kiel) teilt drei Fälle von Induratio penis plastica
mit. Die Erkrankung kann unter Umständen durch Trauma entstehen.
Durch Operation, Entfernung der Verhärtung mit der ganzen elastischen
Fascie, nicht nur des Knotens, ist ein Patient völlig geheilt worden.
Becher (Münster) stellt eine Reihe interessanter Fälle vor. Ein
Handgänger, wesentlich gebessert durch Arthrodese der Knie- und
Fußgelenke, einen geheilten Patienten, welcher eine pathologische
Luxation beider Hüftgelenke hatte, ein Kind, bei dem er wegen
ischämischer Lähmung eine Resektion der Vorderarmknochen in der
Diaphyse gemacht hat. Der Radius ist noch nicht knöchern konsolidiert.
Aehnlich ist er auch vorgegangen bei einem Patienten, der durch Durch-
trennung der Nörven eine lange bestehende Lähmung der Hand hatte.
Unter Vorstellung einiger Fälle von geheilter und noch in Behandlung
befindlicher Lux. cox. cong. bei älteren Patienten hebt Redner hervor,
daß man diese Patienten nur kurze Zeit im Verbande belassen dürfe, in
letzter Zeit habe er sich mit drei Wochen begnügt. Auch dann noch
ist die entstehende Contractur schwierig zu beseitigen. Reluxationen
treten bei diesen älteren Patienten, selbst bei Verkürzungen von 6 bis
7 cm selten ein. Dann zeigt B. Röntgenbilder einer Knochencyste im
Oberschenkel, sowie die unter starker Verkürzung des Beins geheilte
Patientin. Außerdem einen Patienten, der vollkommene Lähmung
beider Extremitäten infolge von Spondylitis hatte; derselbe wurde
nach Wullstein behandelt und völlig geheilt. B. ist in diesen Fällen
stets ohne Operation zum Ziele gekommen. Eine Patientin mit habı-
tueller Luxation des linken Schultergelenks, die willkürlich
jederzeit hervorgerufen werden kann, wird demnächst operativ behandelt.
Henle (Dortmund) betont, daß er zur Verkürzung der Vorderarm-
knochen dieselben treppenförmig anfrische.
Felten (Stolzenburg) teilt sehr schöne Resultate mit, welche
durch Sonnenbehandlung an der See erreicht wurden. Schwere
Fälle tuberkulöser Gelenkerkrankungen mit Fistelbildung und hohem
Fieber sind völlig ausgeheilt. Die Heliotherapie zeitigt an der See min-
destens die gleichen Erfolge wie im Hochgebirge. Die heutigen See-
hospize genügen indessen noch nicht, da sie meist an unglünstiger Stelle
_ liegen, keine Vorrichtung für Insolation besitzen und nicht unter fachmänni-
scher Leitung stehen. In der Diskussion wird auf die guten Erfolge der
Röntgenbestrahlungen bei der chirurgischen Tuberkulose auf Grund der
Erfahrung an der Heidelberger Klinik hingewiesen.
Küttner bestätigt diese Erfahrungen, betont, daß die Röntgen-
bestrahlungen konsequent, unter Umständen jahrelang mit Unter-
brechungen durchgeführt werden müssen. Auf Anfrage betont Felten,
daß über die Erfolge der Winterbehandlung an der See noch keine Er-
fahrungen vorliegen, doch glaube er, daß die See im Winter sich besser
eigne als das Hochgebirge, man muß aber bei der Einrichtung für Insola-
tion auf den Reflex vom Wasser Rücksicht nehmen.
Flörcken (Paderborn) berichtet über zwei Fälle von Einheilung
der Fibula in Diaphyse des Humerus beziehungsweise der Fibula
in das Hüftgelenk als Ersatz für das verlorengegangene obere Drittel
des Femur. Die Bolzenstelle ist konsulidiert, im Hüftgelenke sind aktive
Bewegungen in mäßigem Grade möglich. F. berichtet dann weiter, daß
er auf Grund von Experimenten in fünf Fällen zur direkten Blut-
transfusion mittels Gefäßnaht gegriffen habe, niemals hat sich hierbei
ein Nachteil für den Spender ergeben, die Transfusion wurde von der
Arteria radialis in die Vena mediana gemacht, und zwar viermal bei Anämie,
einmal bei Hämophilie. Der Hämoglobingehalt ist in allen Fällen erheb-
lich gestiegen, in einem Falle von perniziöser Anämie zeigte sich eine
merkliche Besserung. Die Technik der Transfusion ist nicht leicht. Bei
Blutungen infolge von chronischem Ikterus liegen Erfahrungen noch
nicht vor.
Goebell teilt mit, daß er dreimal die direkte Transfusion mit
gutem Erfolge gemacht habe.
Müller (Rostock) betont, daß öfter die Heilung der Wirbel-
tuberkulose bei konservativer Behandlung nicht erzielt werde, sechs-
mal hat er jetzt transperitoneal den Erkrankungsherd be-
seitigt. Der erste Fall ist jetzt sechs Jahre bereits geheilt, der zweite
Fall, welcher Beckenfistel und Abscesse zeigte, hat ebenfalls einen über-
raschend guten Verlauf genommen und zur vollkommenen Heilung ge-
führt, sodaß Patient über zwei Jahre die Stelle eines Krankenwärters
bekleiden konnte. Der Gibbus ist fast völlig verschwunden. In den
sechs Fällen, in denen er wegen Tuberkulose vorgegangen ist, waren
meistens Fisteln vorhanden. Ein Kind ist in direktem Anschluß an die
Operation wahrscheinlich infolge Peritonitis gestorben; das Kind befand
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1762
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
27. Oktober.
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sich in desolatem Zustande, die Flexur war mit dem Eiterherde ver-
wachsen, bei der Ablösung entstand eine Perforation. Ein weiterer Pa-
tient starb an miliarer Tuberkulose, bei einem dritten, bei dem lange Zeit
die Vena cava nach der Seite gehalten werden mußte, ist die Todes-
ursache unklar, vielleicht Folge der Betupfung des Herdes mit roher
Carbolsäure. In zwei weiteren Fällen, in denen er diesen Weg mit Er-
folg beschritten hat, lag ein Tumor vor (einmal ein Periteliom). Der
transperitoneale Weg ist möglich vom dritten Lendenwirbel ab nach
abwärts.
Westhoff (Münster) hält die konservative Behandlung bei Gelenk.
tuberkulose für die empfehlenswerteste; wenn man aber einzugreifen
gezwungen ist, dann muß man radikal vorgehen. Beim Kniegelenk er-
strebt er eine knöcherne Ankylose. Bei der Resektion soll das Gelenk
nicht vor Durchtrennung des Femurs und der Tibia eröffnet werden, es
ist dann leichter, die hintere Gelenkkapsel, wenn möglich ohne Eröffnung
des Gelenks, selbst zu entfernen.
Westhoff (Münster) empfiehlt beim Anus praeternaturalis nach
Vorlagerung der Schlinge die Bauchwunde etagenweise zu nähen, und
zwar treppenförmig. Im andern Falle gestalten sich die Verhältnisse wie
beim Bauchbruch und kann daher mit einer Pelotte ein fester Verschluß
nicht erwirkt werden. Nach Anwendung seiner Methode ist es möglich,
durch eine ringfürmige Pelotte, welche die subcutan gelegene Partie des
Darmes komprimiert, einen zuverlässigen Verschluß zu erwirken. Das-
selbe wird noch sicherer erzielt durch eine Bandage, welche Tendering
(Wesel) konstruiert hat. Die in der Bandage vorhandene Pelotte, welche
zum Verschlusse dient, kann bei der Defäkation leicht gegen ein Säck-
chen von Mossetigbattist ausgewechselt werden.
In der Diskussion betont Schmieden, daß die komplizierten
Methoden lediglich durch die geschaffene Verengerung Kontinenz be-
wirkten. Je besser die Kontinenz, um so schwieriger ist die willkür-
liche Entleerung. Flatus lassen sich nach seiner Auffassung durch eine
Bandage nicht zurückhalten. Wollte man es versuchen, so werden Un-
bequemlichkeiten erzeugt.
Westhoff betont, daß sich seiner Erfahrung nach durch die de-
monstrierte Bandage auch Flatus zurückhalten lassen, machen dieselben
Beschwerden, so kann der Patient die Bandage etwas lüften, worauf die
Flatus abgehen. |
Roepke (Barmen) zeigt mehrere Röntgenbilder von durch Luft
geblähtem Magen. Dieselben lassen die feineren Details der Magen-
erkrankung wesentlich besser erkennen; meist genügt eine Aufnahme,
um sich zu orientieren, im Notfalle kann man zur Kontrolle eine Auf-
nahme des mit Wismut angefüllten Magens hinzufügen.
Henle (Dortmund) hat bei Spondylitis in sechs Fällen durch eine
besondere Operationsmethode eine Fixation der Wirbelsäule erzielt.
Die Dornfortsätze im Bereiche der erkrankten Partie werden operativ
freigelegt. Ein Tibiaspahn mit Periost wird in zwei Teile halbiert und
an die Dornfortsätze durch Naht fixiert. Unter Umständen kann man
durch Herumlegen eines Seidenfadens um die Dornfortsätze letztere an-
einander heranziehen und dadurch den Gibbus etwas beseitigen. Ist der
Gibbus stark, so müssen die Knochenlappen auf die freigelegten Bogen
gelegt werden. Nach 14 Tagen läßt er die Patienten aufstehen. In fünf
Fällen, die er so operierte, wurden die Beschwerden sowie der Gibbus
geringer, der sechste Fall ist erst vor einigen Tagen operiert; in der
Nachbehandlung wird ein Stützkorsett getragen. In einem Fall entstand
durch den Druck des Gipsverbandes über dem Gibbus Decubitus. Einer
der eingepflanzten beiden Knochen wurde, vielleicht unnötigerweise,
herausgezogen, der andere heilte fest ein. Die Operation ist nicht
empfehlenswert bei starkem Gibbus, der durch andere Methoden viel-
leicht vermindert werden kann. In der Diskussion wird bemerkt, dab in
der Becherschen Klinik bei der Spondylitis sich irgendein operativer
Eingriff niemals als notwendig herausgestellt habe, selbst dann nicht,
wenn schwere Lähmungen bestanden.
Schultze (Duisburg) empfiehlt bei der Coxa vara traumatica das
unblutige Verfahren und zeigt an Bildern die hierdurch erzielten Erfolge.
rE L Dr.
I. Kongreß zur wissenschaftlichen Erforschung des
Sportes und der Leibesübungen in Oberhof i. Thür.,
20. bis 23. September 1912.
(Schluß aus Nr. 12.)
Grober (Jena) sprach „Ueber den Einflug dauernder körper-
lichen Leistungen auf das Herz“. Er erinnert an die wertvollen Ar-
beiten von Bollinger (München), welcher eine Vergrößerung des Herzens
unter dem Einfluß längerer körperlicher Arbeit beim Menschen feststellte.
In der ganzen Tierreihe zeigt sich die Erscheinung, daß das Herz relativ
um so größer ist, je größer die Arbeitsleistung und Bewegung des
einzelnen Tieres ist. Unter den bekannteren Tieren hat das relativ
größte Herz das Reh, das relativ kleinste das Schwein. Sehr inter-
ossant ist auch die Tatsache, daß das Herz der domestizierten Tiere
kleiner ist als das ihrer wilden Stammesgenossen. So ist das Herz des
Stallkaninchens viel kleiner als das des wilden Kaninchens oder gar des
Hasen. Der Unterschied in der Muskulatur tritt ganz besonders deutlich
hervor in der rechten Herzkammer. Daraus darf man wohl den Schluß
ziehen, daß die Arbeit ` und die körperliche Ueberanstrengung zuerst die
rechte Herzkammer angreifen. Diese Erscheinung dürfte wohl auch in
Zusammenhang zu bringen sein 'mit der Tatsache, daß sich als Folge
akuter Ueberanstrengungen leicht zunächst ein Emphysem zeigt.
Nicolai (Berlin) erörterte das Thema: -Sport und Herz. Den
Sport als Heilmittel anzuwenden, wie man vielfach vorgeschlagen
hat, hält Vortragender noch nicht für angebracht, vor allem nicht, s80-
lange der Ehrgeiz beim Sport im Vordergrunde steht. Daß der Sport
vielfach die Gesundheit angreift, ist bekannt. Von allen Organen, die
dabei betroffen werden können, steht das Herz an erster Stelle Das
kommt daher, daß die Organe beim Sport überangestrengt werden,
namentlich die Muskeln, und daß sie infolgedessen einer besseren Er-
nährung bedürfen. Diese Aufgabe fällt dem Blut und weiter dem Herzen
zu. Daß das Herz beim Sport das wichtigste Orgen ist, wissen die
Sporttreibenden genau. Nicht die Kraft der Armmuskulatur verleiht dem
Ruderer den Sieg, nicht die Kraft der Beinmuskulatur dem Läufer,
sondern die Kraft des Herzens. Vortragender geht dann eingehend
darauf ein, daß es falsch ist, von jedem vergrößerten Herzen als von
einem kranken Organ zu sprechen. Jede höhere Arbeitsleistung be-
dingt eine Vergrößerung des Herzens. Die Vergrößerung des Herzens
ist kein Nachteil, sondern bedeutet vielfach eine Erhöhung seiner Funk-
tionstüchtigkeit, sodaß eine mäßige Hypertrophie oft eine nützliche Er-
scheinung darstellt. Das ist allerdings nicht zu behaupten von einer
starken Hypertrophie. Die akute Dilatation ist stets als schädlich an-
zusehen. Das Herz mäßig hypertrophieren zu lassen, ist eine thera-
peutische Maßnahme. Hierauf beruht auch die leider in Mißkredit gə-
rateno Oertelsche Kur, die nicht als Anstrengung angesehen werden
darf, sondern als eine schonende Prozedur, und deswegen möglichst vor-
sichtig und auf dem Wege des langsamen Trainings vor sich gehen soll.
Beim Sport soll man vor allen Dingen niemals mit offnem Munde atmen,
soll darauf achten, ob der Puls sicb schnell wieder erholt und daß der
Sporitreibende nicht bleich wird. Zeigt sich eins dieser Symptome, dann
ist das Zeichen dafür gegeben, daß der Sport übertrieben wurde. Wer
Sport treiben soll, wieviel Sport der einzelne Mensch treiben kann und
welchen Sport er auswählen soll, das alles bedarf einer genauen und
sorgfältigen Prüfung.
In der Diskussion über die letzten Vorträge machte v. Grützner
(Tübingen) darauf aufmerksam, daß beim Radfahren nicht so sehr die
körperliche Anstrengung als schädigendes Moment anzugehen ist, sondern
vielmehr die Ruhigstellung des Brustkorbs und die Beengung des
Herzens. Wie sehr das Herz beim Radfahren in Mitleidenschaft
gezogen wird, dafür spricht die Mitteilung von Müller (Laandesturn-
anstalt Spandau), daß bei der militärischen Ausmusterung wenigstens
40°), derjenigen, die wegen Herzerkrankung zurückgestellt werden, 80-
geben, Radfahrer zu sein. Mallwitz (Berlin) erinnert en die Schädlich-
keit der übertriebenen Gepäckmärsche und empfiehlt die Abendläufe Im
Walde, wie sie jetzt im Grunewalde vorgenommen werden. Die Oertel-
schen Terrainkuren sieht Eulenburg (Berlin) für segensreiche Mab-
nahmen an und fūhrt die Abneigung und den Widerspruch gegen die
Oertelschen‘’Kuren nur auf die Beschränkung der Flüssigkeit und die
sonstigen diätetischen Maßnahmen hin, die ganz gegen Oertels Ir
tentionen als Entfettungsmittel ausgegeben wurden. Krieg (Hamburg)
schlägt vor, Erhebungen über die Gesundheitsverhältnisse der Telegramm
besteller und der Redfabrerboten anzustellen, denen im jugendlichen
Alter so schwere Ueberanstrengungen aufgebürdet werden.
Willner (Berlin) teilte seine Beobachtungen an den vier Berliner
Sechstagerennen mit. Interessant war bei den Ausführungen, dab ‚die
wichtigste Folge der Ueberanstrengung eine Verstopfung von hartnäckiger
Form war. Allgemein interessierten auch die Ausführungen über die
schwarze Kunst und die eigenartige Tätigkeit des amerikanischen
Medizinmanns, den sich die amerikanischen Sportsleute für diesen Zweck
mitgebracht hatten und den sie als ihren Siegeshelfer priesen. nter-
essant ist die Tatsache, dab Sport und Militärtauglichkeit zwei ganz
verschiedene Dinge sein können. So waren die meisten Matadoren 08
Sports für militäruntauglich erklärt worden, und zwar, 80 eigenartig ©
auch klingen mag, meist wegen allgemeiner Körperschwäche, 2. B. pe
Rütt und andere mehr. Das beste Kriterium, ob eine Uebertreibung 5
Sports vorliegt oder nicht, ist die Beobachtung des Pulses. Die, Sauer
stoffatmung hat sich nicht bewährt, sondern sie wirkte vielmehr a
die plötzliche Aenderung wie ein Shock auf die Menschen oim. ns a
weißausscheidung war auffallend hoch, aber nach längerem Fabr
besserte sich die Funktion der Nieren sehr schnell. |
97. Oktober.
en nn u mn e. ern m.
Krieg (Hamburg) erörterte die Beziehungen des weiblichen
Geschlechts zu Turnen und Sport. Es ist außerordentlich bedauerlich,
daß das weibliche Geschlecht so wenig Interesse und noch weniger Ver-
ständnis für diese Frage hat. Wichtig ist es, daß man bei der Aus-
übung des Sports auf die physiologische Eigenart des weiblichen Organis-
mus die größte Rücksicht nehme. Einer besonderen Schonung bedürfen
die Tage vor der Menstruation und die Entwicklangsjahrs. Natürlich ist
die Kombination dieser beiden Momente um so bedeutsamer. Erschwert
wird die Frage besonders durch die Tatsache, daß die Periode lange nicht
so regelmäßig eintritt, als man gewöhnlich annimmt. Die Zeit, die den
Entwicklungsjahren unmittelbar vorausgeht, verdient ebenfalls die größte
Sorgfalt, weshalb auch dem Turnunterrichte der Mädchen in der Schule
eine sorgfältige Kontrolle von ärztlicher Seite gewidmet werden muß.
Außer der rein gesundheitlichen Seite soll auch die ästhetische berück-
sichtigt werden. Durch zu starke Körperleistungen erleidet der weibliche
Habitus leicht Veränderungen nach der männlichen Seite hin.
Matzdorf (Schmalkalden) beleuchtete die Bedeutung der
Leibesübungen für die Landjugend, Zunächst brachte er einen wert-
.vollen Ueberblick über die Schäden, denen die schulentlassene Jagend
in den Werkstätten der im Kreise Schmalkalden besonders gepflegten
Hausindustrie ausgesetzt sind. Außer der Bedeutung der Leibesübungen
für die körperliche, geistige, sittliche und wirtschaftliche Entwicklung
der Landbevölkerung hebt er besonders ihren sozialpolitischen Einfluß
hervor. Wie bisher, wird die Landbevölkerung maßgebend sein für die
Wehrhaftigkeit des Landes und staatserhbaltend wirken, wenn die Leibes-
übungen als der wichtigste Zweig der Jugendpflege in richtiger Weise
unter der Landjugend Eingang finden, nach dem Grundsatze: Wer die
Landjugend hat, hat die Zukunft. Besonders hervorgehoben werden noch
die Verdienste des Landrats Geheimrat Hagen (Schmalkalden) auf dem
Gebiete der Pflege der Leibesübungen und des Spiels bei der Land-
bevölkerung.
In der Diskussion über die letzten Vorträge weist Willner
(Berlin) auf die besonderen Schädlichkeiten des Radfahrens in den Tagen
vor der Menstruation hin, da hierbei Stauungserscheinungen im Circula-
tionsapparat in den Vordergrund treten, und betont die Schädlichkeit des
jetzt modernen, tiefhinuntergehenden Korsetts. Die Ansicht von der
schädlichen Einwirkung des Korsetts hob auch F. A. Schmidt (Bonn)
hervor, wobei er besonders betonte, daß durch das Korsett die Rücken-:
muskulatur stark geschädigt würde. Die Angabe, daß durch die Körper-
übungen der weibliche Habitus nachteilig beeinflußt würde und sich dem
männlichen näherte, kann Redner nicht teilen. Toeplitz (Breslau) hob
den Einfluß der Turn- und Spielvereine für die Landjugend hervor, der
auch von den Fabrikbesitzern anerkannt wurde; auch die Tätigkeit des
Jungdeutschlandbundes in dieser Hinsicht ist von großer Bedeutung.
Die Ansicht, daß die Kinder der Landbevölkerung körperlich eine bessere
Ausbildung zeigten und günstiger ernährt werden, als die der großen
Städte, kann Vortragender aus seiner reichen Erfahrung nicht teilen.
Die Annahme, daß Gipfelleistungen beim weiblichen Geschlechte den
männlichen Habitus bei ihnen begünstigten, kann Friedenthal (Breslau)
nicht als richtig anerkennen und behauptet vielmehr, daß man Ursache
und Wirkung dabei verwechselt, daß Gipfelleistungen im allgemeinen nur
von denjenigen Frauen erstrebt werden, die auch sonst, namentlich in
ihrem Denken und Fühlen, dem männlichen Typus zuneigien. Als einen
wichtigen Zweig der Atmungsgymnastik empfiehlt Weidhaas (Oberhof)
den methodischen Gesangsunterricht.
Bieling (Friedrichsroda) sprach über Winterkuren und Winter-
sport in der Behandlung neurasthenischer Zustände. Die psychothera-
peutische Seite des Wintersports ist von außerordentlich hohem Werte.
Vortragender kommt zu dem Schluß, daß die winterlichen Klimakuren
In Verbindung mit dem Wintersport, wenn er richtig dosiert und ärzt-
lich überwacht ist, gute Resultate in der Therapie der Nearasthenie er-
zielen lassen.
Jäger (Leipzig) teilte seine Erfahrungen über den Skilauf mit.
Er hob besonders hervor, daß Unfälle beim Skisprunge, wenn er auch so
gefährlich aussehe, lange nicht so häufig sind und infolge seiner Anlage .
sein können, wie man gewöhnlich annimmt. Beim Skilaufen ist es
wichtig, den Mund geschlossen zu halten. Den Schädigungen des Ohres
wird auch nicht genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht. Das Ski-
herz, das de la Camp beschrieben hat, hat Vortragender nicht beob-
achtet. Das führt er darauf zurück, daß in Sachsen nicht so schwere
Aufstiege sind, wie auf dem Felberg im Schwarzwald und dab es wohl
diese schweren Aufstiege sein dürften, die das Herz am meisten be-
lasteten. Das weibliche Geschlecht eigaet sich für den Skilauf nach den
Erfahrungen des Vortragenden besser als das männliche. Allerdings ist
die Kleidung sorgfältig zu berücksichtigen und besonders das Korsett
abzulegen. Für die E-nährung des Menschen beim Sport empfiehlt
Vortragender den Zucker, aber nicht in Substanz, sondern in Lösung,
da er so am besten vertragen wird. Schlioßlich wendet er sich gegen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
1763
den Mißbrauch, den man beim Sport mit übermäßigem Genuß der Zi-
trone treibt. |
Friedenthal (Breslau) sprach über neue Methoden von anthro-
pometrischen Messungen. Er betonte, daB man die Photographie zu
stark vernachlässigt habe, und teilte mit, daß er die Meßmethoden
wesentlich vereinfacht hat. Im Prinzip handelt es sich darum, daß jeder
Punkt einer Körperoberfläche zweimal abgebildet wird. Das kann man
einmal dadurch erreichen, dab man eine Stereoskopkamera benutzt, und
anderseits dadurch, daß man den Gegenstand vor einem oder mehreren
Spiegeln mit einer gewöhnlichen oder, noch besser, einer Sterokamera
abbildet. In Breslau, wo man von seiten des Magistrats ein lebhaftes
Interesse für die Einführung des orthopädischen Schulturnens zeigt,
stellte Vortragender eine von seinem Bruder, dem Physiologen H.
Friedenthal (Berlin) angegebene Spiegeleinrichtung in einer Turn-
halle auf.
Mallwitz (Berlin) sprach über „Sport und Sexualität“. Er hob
hervor, daß die sexuelle Abstinenz beim Training nicht so in den Vorder-
grund stehe, wie die Abstinenz von Alkohol, Nikotio. Sie wird nur. bei
jangen Leuten erstrebt, um Geschlechtskrankheiten zu vermeiden. Für
die Behandlung der sexuellen Neurasthenie dürfte man in Sport und
Turnen ein gutes Heilmittel sehen, ebenso für die Frigidität der Frau.
Die Kräftigung der Muskulatur des Weibes, die für die Geburt in Frage
kommt, ist von großer Bedeutung.
Gelegentlich des Kongresses wurde auf Vorschlag der Vereinigung
zur wissenschaftlichen Erforschung des Sportes und der Leibesübungen
die Gründung eines Reichskomitees zur wissenschaftlichen
Erforschung des Sportes und der Leibesübungen beschlossen,
um die Aufgaben, welche die Vereinigung sich zum Ziele gemacht hat,
über ganz Deutschland auszudehnen. Aus den Ausführungen des Schrift-
führers der Vereinigung, Nicolai (Berlin), ging hervor, daß die Stadt
Charlottenburg der Gründung des wissenschaftlichen Forschungsinstituts
ein lebhaftes Interesse entgegengebracht hat und vor allem außer der
finanziellen Förderung auch eine Verbindung mit den Schulärzten er-
möglicht hat. Vorläufig wird in Charlottenburg ein provisorisches La-
boratorium errichtet, das dann einem mustergültigen und vorzüglichen
definitiven Laboratorium Platz machen soll.
Halle a. S.
Verein der Aerzte. Sitzung vom 24, Juli 1912.
Vor der Tagesordnung: Veit junior stellt einen Fall von Noma
bei einem Kinde vor und demonstriert an farbigen Photographien das
Vorwärtsschreiten des Prozesses. Von allen in den letzten Jahren in der
von Bramannschen Klinik behandelten Fällen ist nur einer durch aus-
gedehnte Kauterisation gerettet worden.
Fielitz junior demonstriert ein durch Operation gewonnenes
Adenomyom des Magens (Pylorus); es ist der einzige bisher beobachtete
Fall. Sodann bespricht er die Resultate der in diesem Jahre bisher von
‘ihm operierten 19 Fälle von Magenkrebs unter Demonstration eines sub-
total wegen Gallertkrebses resezierten Magens und mehrerer anderer Re-
sektionspräparate. Sodann demonstriert er eine nach Cholecystotomie
entstandene Oyste der Gallenblase mit darin gebildeten Gallensteinen.
Gräfe demonstriert ein Carcinom des Corpus uteri, das erst vier
Wochen Beschwerden machte und dann operiert wurde.
Tagesordnung. Gräfe: Ueber den Geburtenrückgang in
Deutschland im allgemeinen und in Halle im besonderen und dessen
Ursachen. Nach einleitenden Bemerkungen über den Geburtenrückgang
in Frankreich geht Vortragender sogleich über zur Statistik. Er gibt
im genaueren die Zahlen für die einzelnen Jahre in Halle an. Der
Geburtenrückgang ist ein bedeutender; 1890 kamen auf 1000 noch
39 Geburten, 1910 nur 28,5. Derselbe ist nicht durch Totgeburten zu
erklären. Redner geht dann auf die Ursachen ein. Er lehnt die An-
sicht ab, daß bei Kulturvölkern überhaupt die Fruchtbarkeit abnehme
(Impotenz, Neurasthenie, Bildungsfehler usw.). Auch schwere Infektions-
krankheiten scheinen ihm keine Erklärung für den Geburtenrückgang zu
geben. Ebenso lehnt er die Syphilis als Ursache ab. Dagegen glaubt
er in der weitverbreiteten Gonorrhöe einen wichtigen Faktor dafür be-
haupten zu können.
Durch sie wird eine große Zahl von männlicher und weiblicher
Sterilität erklärt. Als zweiten Hauptfaktor nennt er die Conceptions-
verhinderung und den kriminellen Abort. Zur Bekämpfung des Geburten-
rückgangs empfiehlt er:
Kampf gegen dieGeschlechtskrankheiten, Verbot des Anpreisens anti-
conceptioneller Mittel, gerichtliche Verfolgung der gewerbsmäßigen Ab-
treiber, Hebung der ethischen Anschauungen durch Erziehung und
Fürsorge. |
. Diskussion: Veit betont die Verbreitung des kriminellen
Aborts. Er sieht einen Faktor für den Geburtenrückgang in den un-
Keen u) g üben » e E E EE E BEN "
1764
günstigen Erwerbsverhältnissen und bespricht die Bedeutung der gewerb-
lichen Konkurrenz in den Berufen. Er empfiehlt Vorsicht und streng
Indikation zur Unterbrechung der Gravidität. |
Fielitz senior beweist statistisch, daß auch auf dem Land ein
Rückgang der Geburten zu bemerken ist. Er kann die enorme Häufig-
keit des kriminellen Aborts bestätigen.
Wullstein glaubt eine wichtige Ursache für den Geburtenrück-
gang in politisch sozialen Verhältnissen zu finden. Durch die Konkur-
renz, besonders auch die weibliche, wäre der Mann genötigt, erst sehr
spät zu heiraten. Dis Sorge, unmündige Kinder zurückzulassen, veran-
lasse die Vermeidung von Kinderreichtum. Zander.
Breslau.
Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur. (Medizin. Sektion.)
Sitzung vom 19. Juli 1912.
Bittorf und Schidorsky: Untersuchungen über das Wesen
der Wassermannschen Reaktion. Infolge der mehrfach gemachten
Beobachtung, daß bei unspecifischer Zerstörung eines lipoidreichen Organs
(Leber- und Gehirnerkrankungen) eine. mehr oder weniger starke Hem-
mung der Hämolyse bei der Wassermannschen Reaktion auftrat, wur-
den Versuche gemacht, ob ein positiver Wassermann vorhanden ist, wenn
Meerschweinchen mit lipoidreichem Gewebe überschwemmt werden; dem-
gemäß wurde bei den Tieren ohne Narkose Leber oder Gehirn zer-
trümmert oder Lipoidiösung eingespritzt; in der überwiegenden Mehrzahl
ergab sich eine starke, deutliche oder fragliche Reaktion. Es kommt
also, wie auch schon Bruck in anderm Zusammenhange gezeigt hat, der
Wassermannschen Reaktion eine specifische Komponente nicht zu. Es
handelt sich bei dem unspecifischen Stoff wohl hauptsächlich um das Auf-
treten von Lipoid oder Lipoideiweiß, das zur Auflösung des lipoiden
Ambozeptors führt. Die vorübergehend positive Reaktion nach Narkose
ist ja auch mit dem Auftreten von Lipoiden im Blute danach zu erklären.
Wenn Bergell das sekundäre Auftreten von Lipasen für das Zustande-
kommen der Reaktion heranzieht, so kann man auch hier an diese denken,
die dann zu einer Lipoidamboceptorbildung führen.
Röhmann: Ueber das cholesterinesterspaltende Ferment
des Bluts. Seit langem ist es festgestellt, daß die roten Blut-
körperchen Cholesterin entbalten, in letzter Zeit auch, daß in
ihnen Cholesterinester vorkommen. Der naheliegende Gedanke, daß
im Blut ein Ferment vorhanden ist, das nach Art anderer fettab-
spaltender Fermente Cholesterin in Cholesterinfettsäureester spaltet, hat
sich mit einer verfeinerten Methode bestätigen lassen; das Ferment be-
findet sich iu den roten Blutkörperchen. Es lassen sich eventuell zur
Wassermannschen Reaktion, die nach Röhmann noch viele Unklar-
heiten in sich birgt, chemische Beziehungen feststellen, indem man im
normalen Serum und in dem, das die Reaktion gibt, die Menge des freien
Cholesterins im Verhältnis zu dem im ganzen vorhandenen Cholesterin
feststellt; das erstere ist bei positivem Wassermann anscheinend vermehrt.
Diskussion: C. Bruck hält die R.schen Versuche für sehr wert-
voll und weist auf den erhöhten Lecithingehalt des Luesserums, beson-
ders aber des Tabes- und Paralyseserums, hin.
Severin: Blutzuckerbestimmungen bei Diabetischen. An zehn
Diabetikern leichter und schwererer Form wurden unter Berücksichtigung
des Blutzuckers Untersuchungen über folgende drei Fragen angestellt:
1. Ueben die verschiedenen Kohlehydrate, Hafer, Weizenmehl, Trauben-
zucker, bei längerer Darreichung gleichmäßige Wirkung aus? 2. Worin
ist die Ursache der Erfolge der Kohlehydratkuren bei Diabetikern zu
suchen? 3. Wie verhalten sich die verschiedenen Diabetiker den ver-
schiedenen Kuren gegenüber? — Keinem der Kohlehydrate ist eine spe-
cifische Wirkung beizumessen. Es finden sich ganz unbedeutende Schwan-
kungen bei den Mehlen; bald wird das eine etwas besser vertragen, bald
das andere, wohl infolge der verschiedenen chemischen Zusammensetzung.
Durchweg wird der Traubenzucker etwas schlechter verwertet, dies wohl
dadurch, daß er sofort resorbiert wird und plötzlich die Blutbahn über-
schwemmt. Am besten werden die Kuren bei Einschränkung der Eiweiß-
Fettdiät vertragen; je energischer nämlich diese erfolgt, desto mehr wird
der Blutzuckergehalt heruntergedrückt bis zur Norm bei der Gemüsediät,
die Hungertagen gleichzusetzen ist. In den schwersten Fällen versagen
die Kohlehydratkuren in bezug auf die gute Verwertung der Kohle-
hydrate darum, weil die Hyperglykämie trotz der Kohlehydrate bestehen
bleibt, während in leichten und mittelschweren die Hyperglykämie auch
bei Traubenzuckerdarreichung zu beseitigen ist. Immerhin haben die
Kuren auch bei den sehr schweren Formen wegen der Beseitigung der
Acidosis innerhalb weniger Tage große praktische Bedeutung.
Diskussion: R. Fuchs erinnert an die eintretende Gewichts-
abnahme,
E. Frank: Wie unspecifisch die Kohlehydratkuren sind, geht aus
einem schweren Falle hervor, dessen Zuckerausscheidung in 4 bis 5 Tagen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
97. Oktober,
von 300 g auf 5 g herunterging bei einer Kost, in der zuerst der
N-haltige Anteil herabgesetzt, das heißt das Fleisch gestrichen, 150 g
Brot aber neben Eiern, Sahne, Gemüse, Butter erlaubt wurde; es kommt
eben wohl auf die Fleischfreiheit an. Das Körpergewicht wurde voll
erhalten.
Straßhurger: Das Kartoffelmehl wird auffallend schlechter ver-
tragen, besonders wenn es nicht recht gar ist.
Röhmann: Es bestehen wohl Unterschiede in bezug auf die Re-
sorption; von der Kartoffel passiert bei reichlicher Fütterung von Hunden
ein großer Teil unverändert den Darm.
Aron: Die Verbrennung erfolgt desto intensiver, je länger sich das
Mehl im Darm aufhält. |
Felix Rosenthal und Josef Severin: Ueber die Beein-
flussung der experimentellen Trypanosomeninfektion durch Salieyl-
säure und verwandte Substanzen. (Autoreferat.) Bericht über chemo-
therapeutische Versuche, welche an frühere Experimente von Morgen-
roth und R. über die Beeinflussung der experimentellen Trypanosomen-
infektion durch Salicylsäure und deren Abkömmlinge anknüpfen (vgl,
Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 8). Von den bisher geprüften Benzoedicarbon-
säuren zeigte nur die Terephthalsäure eine geringe den Infektionsverlauf
verzögernde Wirkung. Dagegen kommt der a- und ß-Oxynaphtoesäure
eine den bisher geprüften Salicylderivaten deutlich überlegene chemo-
therapeutische Wirkung zu. Bei einer beträchtlichen Zahl von Versuchs-
tieren erlitt die Infektion im prophylaktischen Versuch eine deutliche
Hemmung, in einer gewissen Zahl wurde sogar ein Angehen der Infektion
definitiv verhindert. Als Versuchstiere dienten weiße Mäuse, zur Infektion
Trypanosoma Brucei (Nagana). Die Versuche werden fortgesetzt.
Emil Neißer.
Bonn.
Niederrhein. 6esellsch. f. Natur- u. Heilkunde. Sitz. v. 15. Juli 1912.
v. Franqu6: Scheldenbildung aus dem Rectum. Bei einem
31 jährigen Mädchen, welches niemals menstruiert gewesen, fand sich
vollständiger Mangel der Vagina und Ovarien bei rudimentärem Uterus.
Dagegen fand sich im Introitus ein wohlausgebildetes Hymen, dessen
Bildung also ziemlich unabhängig von der Entwicklung der inneren Geni-
talien zu sein scheint. Da das Mädchen absolut heiraten will, entschlok
sich v. F. zur Scheidenbildung aus dem Rectum nach dem Vorgehen von
Schubert. Das unterste Stück des Roctums oberhalb des Sphincters
wurde reseziert, das obere Lumen durch Nähte verschlossen und hierauf
das resezierte Stück in den vom Introitus aus gebildeten Wundkanal
hineingezogen, wo das Lumen des Darmes in die Hautwunde eingenäht
wurde Zum Schluß wurde dann das heruntergezogene Rectum mit dem
Darmstumpf oberhalb des Sphincters vereinigt. Das Resultat der Ope-
ration ist ein befriedigendes.
Maccas: Zur Behandlung der Blasenektopie. In einem Fallo
von Blasenektopie bei einem kleinen Mädchen ging M. so vor, daß er m
einer ersten Sitzungen das Coecum ausschaltete und eine Appendicostomie
anlegte. Nach fünf Wochen excidierte er den Blasenrest, mobilisierte
die Uretheren und implantierte den Blasenlappen in das isolierte Stück
des Kolons. Das Kind entleerte den Urin anfänglich durch einen
Dauerkatheter. Jetzt katheterisiert es sich alle zwei Stunden und ist
sonst trocken. Die Kapazität der neuen Blase beträgt 200 ccm, der
Urin enthält dauernd eine Spur Eiweiß und Leukocyten. Jetzt, zwei
Jahre nach der Operation, hat sich eine Komplikation eingestellt: 68 sind
durch das Röntgenbild kleine Steinchen in der neugebildeten Blase fest-
gestellt worden.
Stertz stellt einen Patienten mit typischer Myotonie vor, be
dem sich außerdem Atrophien und Paresen verschiedener Muskeln finden,
insbesondere des linken und rechten Peronaeus, des Sternocleidomastol-
deus, des Supinator longus. Psychische Störungen, die zeitweilig bei
dem Kranken beobachtet wurden, bestehen jetzt nicht. Ta
Heuck berichtet über die Erfahrungen der Bonner dermatolog
schen Klinik mit Neosalvarsan. Dasselbe wurde in Dosen von 0,6 bis 02
in Abständen von vier bis sechs Tagen vier- bis sechsmal injiziert. Nur
einmal, allerdings nach der hohen Dosis von 1,5, zeigten sich drel Tag?
nach der Injektion Schwindel, Flimmern, Nystagmus bei seitlichen Augen:
bewegungen, gesteigerte Patellarreflexe und Fußklonus, ein Bild wi® bei
beginnender multipler Sklerose. Sämtliche Erscheinungen verschwanden
nach drei Tagen. Eine vier Tage später vorgenommene Injektion Y0
0,5 Salvarsan wurde anstandslos vertragen.
Einige Male traten Temperatursteigerungen, bis über 88° rectal A
messen, auf, meist nach der ersten Injektion; Herzheimer war seltener ?
bei Salvarsan, Spätexantheme wurden zweimal beobachtet, neuritische en
scheinungen niemals. Es wurde allerdings stets mit Hg vorbehandel,
um eklatante Reaktionen zu verhindern. Meist wurden neben der In
tionskur vier bis sechs Salvarsaninjektionen gemacht.
97. Oktober.
1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43.
nn m
1765
Die Wirkung des Neosalvarsans war nicht wesentlich geringer als
die des alten Salvarsans. Wassermann wurde in allen Fällen von pri-
märer Lues negativ, bei sekundärer waren nach drei Wochen ein Drittel
aller Fälle, vier bis sechs Wochen nach beendeter Kur alle Fälle negativ.
Reifferscheid demonstrierte zunächst das Präparat eines Falles
von Myom der hinteren Muitermundlippe bei Gravidität im fünften
Monat. Die Geschwulst prolabierte bei der Aufnahme der Kranken stark
und begann zu nekrotisieren. Fünf Tage nach der Excision des Tumors
erfolgte der Partus. l
Sodann zeigt R. die Präparate einiger Fälle von Uterusruptur.
Im ersten Falle war beim Versuche, mit Hegar zu dilatieren, um nach
der Ursache einer chronischen Blutung zu suchen, bei Nr. 22 der Uterus
bis unter den Tubenwinkel geplatzt. Die starke Blutung stand auf Tam-
ponade; am nächsten Tage wurde daun die Totalexstirpation ausgeführt.
Die letzte Entbindung lag hier schon längere Zeit zurück; also auch bei
nichtpuerperalem Uterus Vorsicht bei der Dilatation!
Im zweiten Falle hatte derselbe Arzt bei Blutung nach Abort nicht
genügend dilatiert und mit einer zu kleinen Curette den Uterus perforiert.
Das dritte Präparat zeigte eine Perforation im Fundus uteri, welche
sich die Patientin beim Versuche der Abtreibung durch eine der überall
käuflichen „Mutterspritzen“ selbst beigebracht hatte.
Etwas unklar, aber auch wohl auf kriminellen Abort zurückzuführen,
war der letzte Fall. Bei der mit starken Blutungen zur Aufnahme
kommenden Patientin wurde ein Riss im Uterus festgestellt. Bei der
Operation fand sich eine große Placenta ohne Nabelschnuransatz im Ab-
domen zwischen Darmschlingen liegend. Der kindskopfgroße Uterus war
zweifingerbreit hinter dem Muttermunde bis zum Tubenwinkel aufgerissen;
kein Foetus in demselben oder sonstwie zu finden. Anamnestisch war
nichts zu erfahren, als daß vor einigen Monaten die Menses ausgeblieben.
Die Patientin leugnet, daß irgend etwas mit ihr vorgegangen. Spontan-
Tupturen des schwangeren Uterus kommen ja vor; aber dann hätte die
Frucht sich irgendwo finden müssen. |
Zurhelle: Die Leistungsfähigkeit der Röntgenstrahlen zur
Diagnose der Extrauteringravidität in späteren Monaten bei abge-
storbener Frucht. Eine 40 jährige Frau hatte vor 14 Jahren zum letzten
Male geboren. Im Januar 1910 hatte sie die letzte regelmäßige Periode,
im März unregelmäßige Blutung, dann Sistierung. Im Januar 1911 wieder
Biutung. Bis Mai 1910 war der Leib allmählich stärker geworden. Im
Juni 1911 wurde die Patientin unter der Diagnose Ovarialtumor in die
Frauenklinik aufgenommen; es wurde eine bis über den Nabel reichende
Geschwulst neben dem Uterus festgestellt. Fiebererscheinungen. Bei
der vorliegenden Anamnese schwankte die Diagnose zwischen Tumor
neben dem Uterus oder Extrauterinschwangerschaft mit ausgetragener
Frucht. Die Röntgenaufnahme ergab dann neben dem etwas vergrößerten
Uterus den kindlichen Kopf und darüber kindliche Extremitäten. Bei
der Operation wurde der Fruchtsack punktiert; es entleerte sich stinkende,
braunrote Flüssigkeit. Der Fruchtsack und der Uterus wurden entfernt.
Heilung.
Cramer: Ueber Bauchdeckenresektionen nach Entfernung von
Riesentumoren. Bei einer enorm fetten Frau, die sich infolge ihrer
Hilflosigkeit seit drei Jahren nicht mehr aus ihrem Zimmer bewegt
hatte, entfernt C. einen Ovarialtumor mit 101 Flüssigkeit. Er resezierte
dann ein großes Stück der Bauchhaut mit dem Fett im Gewicht von
ı 15 Pfund. l Ls.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Geschichte der Medizin.
Zur Geschichte des Hexenwahns
von
Dr. H. Deichert, Hannover.
Wegen seiner Begleitumstände dürfte ein Hexenprozeß, der sich
1648 in Hannover zutrug, nach verschiedenen Richtungen hin unser Inter-
esse fesseln. Der vermeintlich „Behexte“ war nämlich ein Arzt, der
über die ihm „angetane“ Krankheit eine ausführliche Abhandlung ge-
schrieben hat !).
Gegen Ende des dreißigjährigen Krieges lebte auf der Neustadt
Hannover ein Dr. med. Joachim Legel, von dessen Lebensschicksalen
sich nur soviel ermitteln ließ, daß er später nach Braunschweig verzogen
ist. Als ihm eines Tages im Frühjahr 1641 die alte Wärterin seiner
Kinder den gewohnten Morgentrank in Gestalt eines Warmbiers reichte,
bekam er nach dem ersten Schluck plötzlich einen furchtbaren Schmerz,
der von der Gegend des linken Kiefergelenks nach dem Kinn ausstrahlte.
Der Anfall ging in Kürze spurlos vorüber, wiederholte sich aber drei
Wochen später noch heftiger. Danach traten im Verlaufe von sieben
Jahren — soweit reicht nämlich der Krankheitsbericht — in unregel-
mäßigen Abständen, meist während des Frühjahrs oder des Herbstes,
immer wieder neue Anfälle auf, die sich als typische Trigeminusneuralgien
charakterisieren. Der Schmerz, der namentlich in den Wangen- und Kau-
muskeln wütete, wird als bohrend, reißend und „quasi convulsivus“ ge-
schildert. da weder der. Befallene selbst noch seine Umgebung äußerlich
etwas Krampfartiges — wie bei dem von Celsus beschriebenen Spas-
mus cyni („Hundskrampf‘) — wahrzunehmen vermochten. Auch vaso-
motorische und sekretorische Störungen fehlten nicht, um das Krank-
heitsbild zu ergänzen: „Ameisenkriechen“ und rote Streifen an der be-
fallenen Gesichtshälfte, Thränenträufeln, abnorme Trockenheit im Munde,
abwechselnd mit vermehrtem Speichelfluß usw. Zeitweise löste die ge-
ringste Bewegung der Lippen und des Kiefers, ja schon das Berühren
der Haare, Schnäuzen oder Pressen inter defaecationem einen Anfall aus.
"Während desselben mußte der Kranke absolute Ruhe einhalten und
flüssige Nahrung mittels eines Röhrchens einschlürfen. Auch noch längere
Zeit nachher soll das Sprechen Schwierigkeit gemacht haben. Die Be-
handlung erschöpfte sich in den verschiedensten allgemeinen und lokalen
Mitteln: Abführ- und Schwitzkuren, Aderlässen an allen möglichen
Venen, Schröpfköpfen, Fontanellen, warmen Breiumschlägen usw.
Als mutmaßliche Ursache beschuldigte man zunächst eine von
mütterlicher Seite her vererbte „skorbutische Diathese“, worauf aber
wegen der über diesen Krankheitsbegriff herrschenden Unklarheit wenig
. . 1) Joachim Legel, Rari admirandi et plusquam ferini, veneficio
illati adfectus historia. Brunsvici 1648. Nach Jöchers Gelehrtenlexikon
existieren noch zwei Nachdrucke von 1651 und 1698, Vergleiche auch
Hannoversche Chronik, herausgegeben von Jürgens, S. 590.
zu geben ist. Dagegen erfahren wir beiläufig, daß Legel sich einige
Jahre zuvor an der linken Wange mit einem Glassplitter verletzt hatte,
und die entstandene Wunde erst nach langwieriger Eiterung und Granu-
lationsbildung verheilt war. Möglicherweise bildete diese Narbe den Aus-
gangspunkt für die Neuralgie.
Die merkwürdige Krankheit, die den armen Doktor oft ganz plötz-
lich befiel und jeder ärztlichen Bemühung trotzte, sprach sich natürlich
in der Stadt herum, und so tauchte allmählich das Gerücht auf, daß die
Sache nicht mit rechten Dingen zuginge. Der Verdacht blieb an der
Kindermuhme hängen und erschien auch Legel ganz einleuchtend. Als
er daher die boshafte Dienerin — non sine gravi reprehensione — ent-
ließ, hätte man schon „aus ihrem fürchterlichen Gesicht“ die Begierde
nach Rache erkennen können. Und siehe da — kurz darauf trat ein
Anfall ein, der alle vorhergehenden an Heftigkeit weit übertraf und
sieben volle Tage und Nächte anhielt. Da Legel offenbar ebenso fromm
wie abergläubisch war, wurde es diesmal mit Gebet und öffentlicher Für-
bitte versucht. An dem Resultat würden unsere Gesundbeter sicherlich
Freude gehabt haben: Tandem enim puerulorum abecedarium (Abc-
Schüler) in tribus Scholis Brunsvicensibus Deus victus precibus, Satbanam
quiescere jussit, ubi statim insultuum frequentia et acerbitas remisit.
Inzwischen war auch die als „Zauberinne“ verdächtigte Alte in
Langenhagen vor Hannover festgenommen und hatte nach dem un-
günstigen Ausfalle der Wasserprobe eingestanden, daß sie in jene
ominöse Biersuppe ein ihr vom Teufel gegebenes schwarzes Pulver ge-
schüttet habe. Auf die Frage, wie denn das Pulver nach solch langer
Zeit immer wieder seine furchtbare Wirkung entfalten könne, wußte sie
natürlich keine Antwort, sondern begnügte sich mit der nichtssagenden
Erklärung, daß dies eben das Geheimnis des Teufels sei. Dagegen ent-
lockte ihr die weitere Folter das übliche Geständnis auf eine Mit-
schuldige, der sie das Hexen gelehrt habe. Beide wurden „verdienter-
maßen“ verbrannt. |
Für den „Behexten” war die Aufhebung des Zaubers wichtiger.
Glücklicherweise ließ sich seine Peinigerin dazu herbei, indem sie ihm
riet, drei Kräuterbäder aus „Bittersüß“ zu nehmen. Er befolgte schleu-
nigst diesen Rat und fand, daß nach dem ersten Bade die Schmerzen
schlimmer wurden, nach den beiden andern wenigstens nachlioßen. Des
Teufels Macht war nun nach Legels Meinung zwar gebrochen, aber sein
Körper schon derartig geschwächt, daß er jetzt auch auf eine gering-
fügige natürliche Ursache, z. B. einen Wetterumschlag, mit Schmerzen
reagierte.
Der Gesichtsschmerz ist bereits von den alten Aerzten beschrieben
worden. Aretäus von Kappadocien (im 2. Jahrhundert nach Christi)
verstand darunter eine Form der Cephalaen, ohne allerdings die Unter-
scheidung gegenüber der Migräne genügend zu betonen‘). Eine exaktere
1) Mann, Die auf uns gekommenen Schriften des Kappadocier
Aretius, aus dem Griechischen übersetzt. Halle 1858, S. 45.
selten, sodaß selbst Wepfer trotz seiner ausgedehnten konsultativen
‚Willis in London (1622 -75), nach der alten Volksanschauung die Mög-
1766 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 27. Oktober.
Schilderung gab Johann Jacob Wepfer (1620—95), jener schweizerische
Arzt, dem die Physiologie und Pathologie des Nervensystems eine wesent-
liche Förderung verdankt. Mit den landläufigen Neuralgien dürfte auch
Lege! vertraut gewesen sein, da die Gelegenheitsursachen derselben, In-
flaenza, Wechselfieber usw., im Ueberschwemmungsgebiete der Leine
damals häufig genug waren. Die bösartigen Neuralgien sind immerhin
verlangt die Gegenwart auch stetige Berücksichtigung hygienischer Ge-
sichtspunkte bei der Wasserversorgung, der Kanalisation, der Armen-
und Waisenpflege, in der Parkverwaltung, beim Straßen- und Hochbau,
kurz nahezu auf jodem Gebiete des sich immer weiter ausdehnenden Be-
triebs der Millionenstadt. Hoffentlich glückt es dem Magistrat, aus
der großen Zahl der „papabiles“ den geeigneten Mann für dieses
schwierige Amt ausfindig zu machen, das neben den unentbehrlichen
wissenschaftlichen Qaalitäten ein nicht minder notwendiges Maß yon
Diplomatie und persönlichem Takt verlangt.
In engerem Zusammenhange mit dem vorstehenden erscheint auch
das Bestreben des Berliner Magistrats, das gesamte Städtische Kranken-
pflege- und Transportwesen zu verstadtlichen. Es konnte seine
Einb>ziehung in die städtische Verwaltung um so weniger ausbleiben,
als das Berliner Rettungswesen bereits seit einigen Jahren verstadtlicht
ist und sich in dieser Gestalt aufs beste bewährt hat, das Krankenpflege-
und -transportwesen aber so eng damit in Beziehung steht, daß eine
weitere Trennung auf die Dauer nicht durchzuführen war. Die hierfür
eingesetzten beiden Kommissionen haben ihre Tätigkeit bereits begonnen
und wünschen wir ihnen einen guten und raschen Erfolg.
Auch die erneut vorgenommene Örganisierung des Berliner
Schwerhörigen-Bildungswesens muß an dieser Stelle erwähnt
werden. Es befinden sich in den Berliner Gemeindeschulen zahlreiche
Kinder, die mehr oder weniger schwerhörig sind und für welche 1902
die erste Klasse für Schwerhörige eingerichtet ist, wodurch der Grund
zu einem besonderen Schwerhörigenunterricht überhaupt gelegt wurde.
So werden von jetzt ab die Rektoren, die Lehrer, wie nicht weniger die
Eltern durch besondere Merkblätter auf die Bedeutung hingewiesen
werden, die ein oft unbewußt vorhandenes Ohrenleiden auf die Schul-
leistungen der davon Betroffenen anszıtben vermag. Dementsprechend
sollen für die nur leicht Schwerhörigen besondere Maßnahmen in den
Klassen getroffen werden, wie Anweisung von Vorderplätzen und anderes
Praxis nur über zwei kaum annähernd so schwere Fälle verfügte!).
Anderseits ließ auch er, gleich seinem berühmten Zeitgenossen, Thomas
lichkeit des Aunhexens von Krankheiten gelten, falls nämlich eine „ver-
dächtige Person“ den Betreffenden direkt berührt oder ihm etwas ein-
gegeben habe. Beide stimmen jedoch darin überein, daß mit dieser An-
nahme vielfach Unfug getrieben werde. Willis hatte dabei nur gewisse
Krampfformen im Auge’). Gliederverrenkungen, die nicht einmal ein
Gaukler nachahmen könne, im Verein mit einer übermenschlichen Kraft-
entfaltung und dem Abgange seltsamer Fremdkörper, z. B. von Nadeln
per vomitum oder einer lebenden Schlange per sedes, machen es für ihn
unzweifelhaft, daß in hac tragoedia Diabolum partes suas habere et agere.
Das ist nichts anderes als das klassische Bild der Hysterie, und wenn es
überhaupt noch eines derartigen Beweises bedürfte, so mag man hieran
ermessen, welch verhängnisvolle Rolle dieselbe im Zeitalter der Hexen-
verfolgungen gespielt haben wird.
Nach dem Gesagten kann von einer besonderen Rückständigkeit
hinsichtlich des Hexenwahns in Hannover nicht die Rede sein. Im Gegen-
teil weisen die Kriminalakten der Stadt seit 1648 keinen Hexenprozeß
mehr auf. Wenn während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch
im weiteren Hannoverlande nur noch wenige Prozesse dieser Art geführt
wurden, so wird man dies bis zu einem gewissen Grade dem Einflusse
Leibnizens zuschreiben dürfen. Er war zuvor Rat am Revisions-
kollegium in Mainz gewesen, dessen Erzbischof, Johann Philipp, wegen a
mehr.
seiner Bekanntschaft mit dem Jesuitenpater Friedrich y. Spee als einer
der ersten deutschen Fürsten die Hexenverfolgungen abgeschafft hatte,
Dieser Spee ist der anonyme Verfasser jener berühmten Cautio criminalis
circa processus contra sagas, woranf Leibniz in seiner 1712 erschienenen
Theodicee ($ 97) zum erstenmal aufmerksam machte.
Schon bald nach seiner Berufung an den hannoverschen Hof (1676)
fand Leibniz selbst Gelegenheit, sich in amtlicher Eigenschaft mit einer
Hexenanklage zu befassen, die ein interessantes Gegenstück zu dem
obigen Falle bildet und daher noch kurz berichtet werden mag’). Ein
vierjähriger Knabe (!) in Lachem (Amt Hameln) hatte erzählt, daß er mit
seiner Mutter nächtlicherweile auf dem „Töverkeplatze“ gewesen sei:
„da hetten sie bei lichte getanzet und Spielleute gehabt, hätte auch eine
Braut daselbst bekommen, die heiße Margarete“. Der übereifrige Amts-
schulze behielt den Jungen in seinem Hause, wo er noch mehr unge-
reimtes Zeug schwatzte und unter anderm vorgab, weiße Mäuse machen
zu können. Hierzu bemerkte Leibniz, augenscheinlich, um die Richter
ad absurdum zu überführen: „il faut luy promettre une recompense, s'il
en montre, et un châtiment, s'il en montre point.“ Als man endlich der
Matter, die sich aus guten Gründen verborgen hielt, habhaft wurde, ergab
sich die recht harmlose Aufklärung, daß der vielversprechende Knabe
einfach den Besuch einer Hochzeitsfeier in lüganhafter Weise ausgeschmückt .
hatte. Und damit schlief die Sache ein, die ein halbes Jahrhundert
früher nicht so glimpflich abgelaufen wäre.
Aerztlich-soziale Umschau.
Habemus papam! Dieser Ruf, der nach vollzogenem Konklave
von der Galerie des Vatikans verkündet wird, er findet sein Gegenstück
in dem vor kurzem erfolgten Beschluß des Berliner Magistrats,
einen besoldeten Stadtmedizinalrat mit Sitz und Stimme im Ma-
gistrat anzustellen. Das allgemeine Verlangen nach einem obersten Ratgeber
ia allen Fragen ärztlicher oder hygienischer Natur, fand damit dank der
Einsicht des neuen Berliner Stadtobarhaupts, Oberbürgermeister Wer-
muth, eine raschere Erledigung, als man es noch bis vor kurzem ge-
dacht hätte. Hat sich doch die öffentliche Gesundheitspflege mehr und
mehr zu einem der wichtigsten Zweige der städtischen Verwaltung heraus-
gebildet. Neben den Krankenhäusern, Heimstätten und Säuglingsanstalten
1) Joh. Jacobi Wepferi Observationes medico-practicae de
affectibus capitis. Tiguri 1745. 2 Bde. Die Ausgabe mit einer Lebens-
beschreibung des Verfassers ist von seinen Enkelin besorgt. —
2) Thomae Willis Pathologiae cerebri et nervosi generis
specimen. Oxonii 1667, S. 90 u. ff. Hierbei sei daran erinnert, daß
ein Jahrhundert früher ein Arzt, Johann Weier, als Vorkämpfer gegen
die Hexenverfolgungen auftrat.
3) Der eigenhündige Aktenauszug befindet sich in den Leibniz-
handschriften der hiesigen Kgl. Bibliothek.
Diejenigen Kinder jedoch, die infolge vorgeschrittenen Ohren-
leidens dem Unterricht überhaupt nicht mehr folgen können, werden dann
weiterhin einer aus fünf bis sechs Klassen bestehenden besonderen Schwer-
hörigenschule überwiesen. Dieses nach voraufgegaugener Begutachtung
durch den Direktor der Taubstummenschule in Gemeinschaft mit einem
in der Methodik der Hörprüfungen erfahrenen Ohrenarzte. Die Schwer-
hörigenschulen, welche in Zukunft einen erheblichen Bestandteil des Ber-
liner Stadtschulwesens ausmachen dürften, unterstehen den zuständigen
Schulinspektoren. Es wird für sie auch ein entsprechender Lehrplan
aufgestellt werden mit der Anfgabe, neben möglichst hoher Fertigkeit im
Ablesen vom Mande des Sprechenden die Entwicklung und Erhaltung
einer korrekten Sprache als wichtigstes Ziel zu verfolgen. |
Privater Natur ist eine neue soziale Einrichtung von Groß-Berlin,
die Poliklinik für gerichtliche und versicherungsrechtliche
Medizin. Von dem Abteilungsassistenten am Institute für Staatsaranel-
kunde, Dr. Bürger, ins Leben gerufen, dient sie dazu, Unbemittelten, Ver-
letzten oder Invalidenrentenbewerbern Atteste und Gutachten za erteilen,
auf Grund deren dieselben dann die Wiederaufnahme ihres Verfahrens
beantragen können, da das Gesetz den Nachweis der wesentlichen Ver-
änderung des Zustandes im Sinne einer Verschlimmerung bekanntlich
den Versicherten selbst auferlegt. Bürger will dabei, so zeitraubend
dies mitunter sein dürfte, auf die Eigenart jedes Falles nach Möglichkeit
eingehen, wozu nicht selten langwierige Erhebungen oder gar eine kli-
nische Beobachtung notwendig sein werden. Nebenher soll diese Poli-
klinik aber auch Lehrzwecken dienen und für die Ferienkurse des Leiters,
sodann für wissenschaftliche Arbeiten auf dem (Gebiete der gericht-
lichen und versicherungsrechtlichen Medizin das erforderliche Material
liefern.
Verwirklichen sich die Absichten Bürgers in der beabsichtigten
Form, so ergäbe sich der Nutzen eines derartigen poliklinischen Instituts
obne weiteres von selbst, da es den Versicherten bisher kaum möglich
war, sachverständigse Unterstützung in gutachtlichem Sinne kostenfrei zu
erlangen. Anderseits können auch an dieser Stelle gewisse. Bedenken
nicht unterdrückt werden, dahingehend, daß in bestimmten Fällen ohne
Kenntnis des Akteninhalts und der bereits erstatteten Gutachten brauch
bare Ergebnisse für die Rechtsprechung aus solchen poliklinischen Be’
gutachtungen, wenn überhaupt, nur schwer zu erzielen sein werden. Es
wird auch der angespannten Aufmerksamkeit des poliklinischen Leiters
bedürfen, um Auswüchsen bei der Abfertigung gerade dieser „Patienten
vorzubeugen.
Eine Schädigung der praktischen Aerzte dürfte sich aus der nouet
Einrichtung kaum ergeben, da die Versicherten, von geringen Ausnahmen
abgesehen, nicht zu der zahlungsfähigen Klientel gehören und es ihnen
ja auch jetzt immer noch frei steht, den Arzt ihres. Vertrauens um et
Gutachten zu ersuchen. Auch die bereits bestehenden amtlichen Aus-
kun'tsstellen treten mit der neuen Poliklinik nicht in Wettbowerb, indem
sie nur der Rechtsbəlehrung dienen, Anträge entgegennehmen und anderes
27. Oktober.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. | 1767
mehr, das heißt aber mit rein ärztlichen oder gutachtlichen Dingen nichts
zu tun haben. | ee. |
Es sei an dieser Stelle noch auf eine zweite wichtige soziale Ein-
richtung hingewiesen, auf die von der Zentralkommission der
Krankenkassen Berlins und der Vororte begründete Anstalt für
bydrotherapeutische und physikalische Therapie. Die ersten
Abteilungen dieses Instituts, für Hydrotherapie, Massage und Mechano-
therapie, wurden schon am 15. Mai 1911 in Betrieb genommen und wiesen
in ihrem ersten Geschäftsjahre bereits eine Frequenz von 4642 Männern
und 2166 Frauen auf. Es handelt sich dabei natürlich nur um Kranken-
kassenmitglieder, die von ihren Krankenkassenärzten der Anstalt über-
wiesen sind. Nunmehr schloß sich daran in diesen Tagen die Eröffnung
der neueingestellten Abteilung für Röntgenologie. Hierselbst wer-
den Durchleuchtungen, photographische Aufnahmen und therapeutische
Bestrahlungen vorgenommen, wodurch auch dieses wichtige moderne
Hilfsmittel für die Diagnose und Therapie der weiteren kassenärztlichen
Praxis in einem Maße dienstbar gemacht wird, wie es bisher aus Mangel
an Mitteln und Gelegenheit nicht der Fall war.
Während die vorstehend aufgeführten stadtlichen und privaten
Maßnahmen im Grunde darauf hinausgehen, die ärztliche Tätigkeit zu
erweitern, ihr Gebiete zu erobern, die noch vor einem Jahrzehnte mehr
Sache der Armen- und Waisenpflege gewesen wären, vergessen die Aerzte
selbst die Fürsorge für ihre persönliche Gesundheit und Leistungsfähig-
keit nicht. Neben der bereits vollzogenen Organisierung des ärzt-
lichen Sonntagsdienstes ist es da die ärztliche Ferienvertre-
tung, mit deren Ausgestaltung Berlin-Osten den Anfang gemacht hat.
Beide Einrichtungen gehen im Grunde darauf hinaus, die Ruhe und Be-
wegungsfreiheit des Arztes auch zu Zeiten seiner Erholung zu sichern,
ihn der Notwendigkeit zu entheben, für den genannten Zweck neben der
unausbleiblichen Ausgabe auch noch unverhältnismäßige Abgaben an den
Vertreter zu zahlen. Daß nach dieser Richtung hin eine Reform dringend
notwendig ist, wird jeder ermessen, der außerhalb eines engeren Aerzte-
kartells stehend, von’trüben Erfahrungen nicht verschont blieb und sich
deshalb vielleicht veranlaßt sah, der notwendigen Ausspannung mehr und
mehr zu entsagen. Wir werden an dieser Stelle norh einmal auf den
Gegenstand zurückkommen, sobald die noch in der Entwicklung begriffene
Bewegung eine festere Gestalt angenommen hat.
Doch nicht allein die Aerzte, auch der Deutsche Aerztetag
verlangt nach „Sonntagsruhe“* und gedenkt in diesem Jahre die übliche
Herbstsitzung nicht abzuhalten. Dieser Entschluß ist nur zu billigen, da
die aus der Einführung der RVO. für die praktischen Aerzte sich er-
gebende soziale Lage noch nicht derartig geklärt erscheint, um bereits
abschließend beurteilt werden zu können. Dafür indessen, daß die zahl-
reichen Weihnachtswünsche der deutschen Aerzte doch noch zur Geltung
kommen, wird die am 28. und 24. November in Leipzig stattfindende
12. ordentliche Hauptversammlung des Leipziger Verbandes
die erwünschte Gelegenheit bieten. Oder ist es vielleicht ein Zeichen
der Zeit, daß diese Generalversammlung des L. V. in diesem Jahre für
den Aerztetag gewissermaßen „vicariierend“ eintritt. ...
| Erwin Franck.
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versieherungsmedizin.
Die Bezeichnung „Spezialist für äußere und innere Tuberkulose“
widerspricht den Vorschriften der Standesordnung und ist somit
unstatthaft.
Sachsen vom 20. April 1912,
Der Beschuldigte hat sich, wie vom Eihrenamte für erwiesen er-
achtet und vom Beschuldigten selbst niemals in Abrede gestellt worden
ist, seit dem März 1910, zu welcher Zeit er sich in N.N. niedergelassen
hat, als „Spezialist für äußere und innere Tuberkulose“ bezeichnet, ob-
schon der Aerztliche Bezirksverein sein Verlangen, sich so nennen zu
dürfen, als unzulässig abgewiesen hatte.
Im vorliegenden Falle kann es völlig dahingestellt bleiben, ob sich
der Beschuldigte, wie der Ehrenrat für erwiesen angesehen hat, eine
gründliche Ausbildung im Sinne von $ 5 der Aerztlichen Standesordnung
auf dem Gebiete der Tuberkulose erworben hat und weiter, ob der Be-
schuldigte sich vorwiegend auf diesem Gebiete beschäftigt, weil nach
Ansicht des ärztlichen Ehrengerichtshofs die „äußere und innere Tuber-
kulose“ kein Spezialfach im Sinne von $ 5 St.-O. ist.
Der Ehrengerichtshof hat von jeher die von hervorragenden
Männern der ärztlichen Wissenschaft und Praxis — z.B. Quincke,
v. Czerny, Schwalbe, His, Ottomar Rosenbach — geteilte An-
sicht vertreten, daß eine zu weitgehende Spezialisierung bei der Aus-
übung der ärztlichen Tätigkeit dem Publikum gefährlich werden kann,
und daß einer allzu großen Zersplitterung in Einzelgebiete berechtigte
Bedenken entgegenstehen. Liegt hiernach ohnehin alle Veranlassung vor,
an die Zulässigkeit einer neuen Spezialität einen strengen Maßstab an-
zulegen, so muß insbesondere bei Auslegung von $5St.-O. nach Ansicht
des Ehrengerichtshofs verhütet werden, daß nicht die Kranken durch. die
Art und Weise, wie sich einige Aerzte als Spezialisten für einzelne
„Fächer“ bezeichnen, zum Selbstdiagnostizieren verleitet werden. Wenn
sich beispielsweise ein Arzt „Augenarzt“ oder „Spezialarzt für Hals-,
Nasen- und Ohrenkrankheiten“ bezeichnet, so ist dies, vorausgesetzt, daß
er sich eine gründliche Ausbildung erworben hat und sich vorwiegend
mit seinem Spezialfache beschäftigt, für das Publikum ungefährlich, weil
der Kranke selbst beurteilen kaun, ob es ihm an den Augen fehlt, ob er
Beschwerden im Hals, in der Nase oder im Ohre hat und dergleichen
mehr. Dagegen kann der Laie nicht obne weiteres selbst beurteilen, ob
er Tuberkelbacillen hat und ob die Erkrankung, unter der er leidet,
tuberkulöser Natur ist, mit andern Worten: Die Spezialität ist nach An-
sicht des Ehrengerichtshofs nur zulässig für einzelne Organe des Körpers,
nicht aber für den Begriff einer pathologisch-anatomischen Krankheit, die
alle Organe des Körpers befallen kann. Die Bezeichnung als Spezialist
für „&ußere und innere Tuberkulose“ ist daher eine mißbräuchliche im
Sinne von $ 5 St.-O. und infolgedessen unstatthaft. |
Kleine Mitteilungen. °
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.) Ä
Berlin. Im Verein für innere Medizin und Kinderheil-
kunde hielt am 21. Oktober im Hörsaale der II. Medizinischen Klinik
der Charité vor einer zahlreichen Zuhörerschaft der bekannte Londoner
Krebsforscher und ehemalige Assistent von Paul Ehrlich, Herr Bash-
ford, die zweite Leyden-Vorlesung über das Krebsproblem. Der
Vortrag, welcher in deutscher Sprache gehalten wurde, beschränkte sich
im wesentlichen auf die Lichtbilddarstellung von über 100 statistischen
Tafeln als Ergebnis der Mäusekrebsforschung größten Stils, wie sie nur
mit den großen Mitteln des Londoner Instituts durchzuführen war.
Während die Ergebnisse dieser statistischen Bearbeitung wohl wenig
Neues brachten, interessierten mehr die Hinweise auf die koloniale Krebs-
forschung, die gleichfalls von Bashford in sämtlichen englischen Ko-
lonien mit großen Mitteln in Angriff genommen wurde. Soviel den sehr
vorsichtig und zurückhaltend abgegebenen Schlußfolgerungen zu ent-
nehmen war, ist Bashford ein unbedingter Anhänger der Reiztheorie
der Krebsgenese und ein Gegner der Uehertragbarkeit des Krebses.
Ueber die Verbreitung des Krebses in England belehrten gleichfalls sta-
tistische Aufzeichnungen. Die Beziehungen zwischen dem menschlichen
und dem Mäusekrebs berührte der Vortragende nicht weiter, wie er sich
auch jedes Hinweises auf die Therapie enthielt. Fr.
— Am 19. Oktober beging die Deutsche Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im großen Hör-
saale des Kaiserin-Friedrich-Hauses die Feier ihres zehnjährigen
Bestehens. Prof. Biaschko begrüßte die zahlreich Erschienenen und
| gab in größeren Zügen ein Bild der Wirksamkeit der Gesellschaft in
| dem verflossenen Jahrzehnte. So ist zurzeit das gesamte Deutsche Reich
mit einem Netze von Ortsvereinen umspannt, die bestrebt sind, im Ein-
verständnis mit der Centrale die Aufklärung über die Gefahren der Gə-
schlechtskrankheiten auf weiteste Kreise des Volkes zu übertragen.
Merkblätter und populäre Schriften unterstützen dies Beginnen. Mini-
sterialdirektor Kirchner umgrenzte alsdann den Standpunkt, den die
Reichsregierung dieser ganzen Bewegung gegenüber einnimmt, und wies
dabei auch auf die Schwierigkeiten hin, die sich einer ausgedehnten
Sexualpädagogik zurzeit noch entgegenstellen. Den eigentlichen wissen-
| | f ‚.. | schaftlichen Vortrag des Abends hielt Geheimrat Neißer (Breslau) über
Urteil des ärztlichen Ehrengerichtshofs für das Königreich
die Syphilistherapie. Ein geschichtlicher Abriß derselben führte von
‘den Forschungen von Metschnikow und Roux bis zu dem Ehrlich-
schen Salvarsan, dessen Bedeutung Neißer voll gerecht wurde. Eine
besondere Freude bereitete es allen Anwesenden, Prof, Neißer nach dem
schweren Unfalle, der ihn vor Jahresfrist auf ein mehrmonatliches Kranken-
lager warf, wieder völlig hergestellt zu sehen.
— Am 15. Oktober 1912 fand unter großer Beteiligung von
Aerzten und Freunden im kleinen Tiergarten gegenüber dem Städtischen
Krankenhause Moabit die feierliche Enthüllung des Denkmals für
Ernst von Renvers, den so früh verstorbenen ärztlichen Leiter des
Krankenhauses, statt. Sein Nachfolger, Prof. Georg Klemperer,
sprach hierbei weihevolle Worte, in denen er hervorhob, daß neben der
hervorragenden organisatorischen Betätigung, die besonders bei dem Neu-
bau des Krankenhauses. zur Geltung kam, von Renvers einer jener
seltenen großen Aerzte war, der die gesamte ärztliche Kunst in vorbild-
| licher Universalität umfaßte. Das Denkmal, ein Meisterwerk bildnerischer
Porträtkunst von Tuaillon hergestellt, besteht aus,einem Sockel von
bayrischem Muschelkalk, auf dem sich die überlebensgroße Bronzebüste
erhebt. Da die von Freunden und Patienten des Verstorbenen zusammen-
ebrachte Summe die Kosten des Denkmals wesentlich überstieg, wurden
17000 Mark zur Stiftung eines Unterstützungsfonds bestimmt.
rn Er en Zen oe ng gen =—
N
ur :
1768 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 43. 27. Oktober,
Berlin. Zum Besten von Witwen und Waisen Berliner
Aerzte veranstaltet Dr. B. Pollack am 17. November, 4'/s Uhr, im
Beethovensaal ein Konzert, dessen Programm ausschließlich von An-
gehörigen des Aerztestandes ausgeführt wird. Ihre Mitwirkung haben
unter Ändern zugesagt: Frau Dr. Annie Vogel, Dr. John Isakowitz,
Br Franz Nagelschmidt, Sanitätsrat Dr. Eugen Pick und Dr. Kurt
inger. Zus) Ä
. — Professor Dr. Krusius, Assistent der Universitäts-Augen-
klinik der Königlichen Charite, hat auf Grund einer Verleihung aus
der „Stiftung für Auslandsreisen von deutschen Lehrern und Gelehrten“
und einer ebensolchen des Prinzregenten Luitpold von Bayern mit Unter-
stützung der preußischen und bayrischen Kultusministerien und des
Reiches zu wissenschaftlichen Zwecken eine längere Auslandsreise
angetreten. Wie verlautet, wird Professor Krusius, der letzthin im
Auftrage der Regierung Untersuchungen über die Verbreitung der Kurz-
sichtigkeit an den höheren Lehranstalten geleitet hatte, neben andern
auch diese Fragen bei seinen Auslandsstudien berücksichtigen. — Prof.
Dr. Paul Lazarus wurde von dem „College of physicians of Philadelphia“
zum Associate fellow erwählt. — Sanitätsrat Dr. Gustav Wagner,
ärztlicher Hilfsarbeiter im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, wurde
zum Geheimen Medizinalrat ernannt. |
Charlottenburg: Vorträge zum Zwecke der Krankheits-
verhütung veranstaltet in diesem Winter der Charlottenburger
Aerzteverein im Saale des Charlottenburger Rathauses, Berliner Straße.
Die Vorträge werden stets an einem Mittwoch, abends !/s9 Uhr, ge-
balten, der Zutritt ist unentgeltlich. Als. erster Vortragender wird am
23. Oktober der Leiter des Untersuchungsamts am Krankenhaus Westend,
Professor Dr. Dietrich, über „Ansteckende Krankheiten und ihre Ver-
hütung“ sprechen. In diesen Vorträgen übernehmen zum ersten Male die
organisierten Aerzte als solche die Belehrung über Krankheitsverhütung.
Dresden. Hierselbst beginnt in dieser Woche eine Konferenz,
in der ein Verfahren gefunden werden soll zur Feststellung der Zahl
der Versicberten, die bei einer Herabsetzung der Altersgrenze auf
65 Jahre in Betracht kommen. An der Konferenz nehmen Vertreter
des Reichsamts des Innern, des Reichsversicherungsamts, der Reichs-
versicherungsanstalt für Angestellte und der sächsischen Laandesversiche-
rungsanstalt teil,- außerdem ein Mathematiker. Es findet bei der
sächsischen Landesanstalt eine Probeauszählung von Versicherungskarten
statt, die, wie der ganze Zweck der Auszählung, eine lediglich ver-
sicherungstechnische Angelegenheit ist. Das ganze Verfahren bezweckt,
durch Auszählungen bei sämtlichen Landesversicherungsanstalten die an-
nähernde finanzielle Belastung bei einer etwaigen Herabsetzung der
Rentenaltersgrenze zu ermitteln.
Eisenach. Als eine weitere Folge der diesjährigen feuchten
Witterung kamen hier gegen Schluß der Erntezeit Vergiftungs-
erscheinungen zur Beobachtung, die eine Reihe älterer Schulknaben
und jüngerer landwirtschaftlicher Arbeiter befielen. Sämtliche Erkrankte
hatten sich vorher beim Dreschen des infolge langen Lagerns bereits
stark schimmelig gewordenen Hafers betätigt. Es stellten sich kurz
darauf Schüttelfrost, Fieber, Kopfweh und Erbrechen ein, die nach An-
nahme der behandelnden Aerzte durch die eingeatmeten Schimmelpilze
verursacht worden sind.. In einigen Tagen klangen die Erscheinungen ab,
Todesiälle traten nicht ein. 2———
Bad Kissingen. Im hohen Alter von 88 Jahren starb Geheim-
rat Dr. Oskar v. Diruf, langjähriger Badearzt hierselbst. Der Name
des Verstorbenen ist mit der Entwicklung, die Kissingen als Badeort in
den letzten Jahrzehnten erfuhr, aufs engste verknüpft.
Straßburg i. Els. Hierselbst starb am 14. Oktober im 69. Lebens-
jahre der em. Professor ao. für innere Medizin, Geh. Med.-Rat
Dr. Oswald Koths. K., der 1868 in Königsberg promoviert hatte,
war ein Schüler Leydens, dem er 1872 als Assistent von Königsberg
nach Straßburg folgte, woselbst er sich 1874 habilitierte. 1876 wurde
er ao. Professor und Direktor der Kinderklinik, 1909 trat er in den
Ruhestand. o en
San Remo. Das unter Schutz und Aufsicht des Deutschen
Reiches stehende Kaiser-Friedrich-Krankenhaus hierselbst gewährt,
soweit der Platz reicht, auch in diesem Jahre vom 15. Oktober bis 15. De-
zember deutschen Offizieren, Beamten im Reichs-, Staats-, Gemeinde-
und Privatdienste, Geistlichen, Aerzten, Lehrern sowie den Angehörigen
dieser Kreise Aufnahme zu ermäßigten Preisen. Für den Satz von 7,50
bis 8 Fres; täglich, der während des Betriebs der Centralheizung einen
Aufschlag von 50 Cts. erfährt, wird geboten ein Zimmer 1. Klasse, gute
Beköstigung, Pflege, Bedienung und Licht. Bei Bemessung des ärzt-
lichen Honorars werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Patienten
nach Möglichkeit berücksichtigt. Den Gesuchen um Aufnahme zu er-
mäßigtem Preise ist außer 20 Pf. in Briefmarken für die Antwort ein
Zeugnis des behandeluden Arztes über das Leiden der Antragsteller bei-
zulegen, mit der Angabe, daß und warum die Anstaltsbehandlung zur
schnelleren Heilung oder Besserung des Leidens nötig ist.
Stockholm: Der medizinische Nobelpreis für 1912 wurde dem
Dr. Alexis Carrel am Rockefeller Institut in New York für seine Ar-
beiten über die Gefäßnaht und die Transplantation von Organen ver-
liehen. Der Preis beziffert sich in diesem Jahr auf etwa 195000 Francs.
Prof. Alexis Carrel steht im 89. Lebensjabr. Er stammt aus Lyon und
ging vor Jahren nach Amerika, wo er durch seine Arbeiten über die Ge-
fäßnaht und seine Methode der Nierentransplantation vor einigen
Jahren bekannt wurde. So glückte es, wie auch an dieser Stelle be-
richtet wurde, im vergangenen Jahre Prof. Carrel, Körpergewebe, die
‘verschiedenen Organen entnommen waren, außerhalb des Körpers zu
-weiterem Wachstume dadurch anzuregen, daß er sie auf einen besonderen
Nährboden, sogenanntes Blutplasma, brachte. |
Rom. Auf der diesjährigen Internationalen Hygiene-Ausstellung
hierselbst hat die Dr. C. Schleußner Aktiengesellschaft, Frankfurt a. M.
für ihre Leistungen auf dem Gebiete der elektro-radiographischen Technik
und der Herstellung von Röntgenplatten den Grand Prix erhalten. Ä
Schanghai. Die Deutsche Medizinschule in Schanghai
hat Anfang Angust zum erstenmal seit ihrem Bestehen Abgangs-
prüfungen abgehalten, und sie hat allen drei Kandidaten das Recht,
als praktische Aerzte zu praktizieren, verlieben. Den Wunsch der Kan-
didaten, ihnen auch den Titel eines deutschen Doctor medicinae Zu ver-
leihen, konnte sie nicht erfüllen, da dieses Recht nur den deutschen
Universitäten zusteht. Die drei Kandidaten stehen im Alter von 33, 27
und 23 Jahren. Sie stammen aus Schanghai, aus Tschekiang und Kuang-
tung. Sie sind im Frühjahr 1907 in die Medizinschule eingetreten, haben
im Juli 1909 das Tentamen physicum bestanden und seitdem drei volle
Jahre lang dem Klinikum der Schule angehört. Die drei von der Medizin-
schule neu approbierten Aerzte werden ihre Praxis in Schanghai ausüben
und hier gleich den deutschen Aerzten eine chinesische Aerztefirma
bilden. Es ist dafür gesorgt, daß sie im engsten Verkehr mit der Me-
‚dizinschule und den deutschen Aerzten bleiben, sodaß es ihnen ermöglicht
wird, sich weiter auszubilden und im Zusammenhang mit den Fortschritten
der deutschen Wissenschaft zu bleiben., Zu diesem Zweck wird ein
deutsch-chinesischer Aerzteverein gebildet werden, und den gewösenen
Abiturienten wird weiter der Besuch der Vorlesungen, die Benutzung
der Bibliothek und der Zeitschriften, der Krankenhäuser usw. der Me-
dizinschule und der deutschen Aerzte gestattet : werden. Die nächste
Approbationsprüfung wird erst 1915 stattfinden. Bekanntlich wird jetzt
mit der Medizinschule eine Deutsche Technische Hochschule in Schanghai
verbunden werden. Die Vorarbeiten dafür schreiten erfreulich schnell
vorwärts und der theoretische Unterricht hat begonnen.
Hochschulnachrichten. Berlin: Generalarzt Hünermann»
Korpsarzt des 8. Armee-Korps (Koblenz) zum etatmäßigen Mitglied des
wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser-Wilhelms-Akademie ernannt, —
Göttingen: Prof. Dr. Ernst Schultze, Ordinarius der Psychiatrie
aus Greifswald, wurde zum Nachfolger des verstorbenen Geheimrais
Prof. Cramer hierselbst gewählt. S. war früher in Bonn tätig, kam
1904 nach Greifswald und wurde dort 1906 zum Ordinarius ernannt. —
Leipzig: Priv.-Doz. Dr. P.Frangenheim zum Oberarzt derChirurgischen
Klinik ernannt. — Rostock: Dr. Hans Queckenstedt, Assistent an
der Medizinischen Universitätsklinik, habilitiert für innere Medizin. —
Wien: Dr. Ludwig Adler (Frauenheilkunde) habilitiert. — Zürich:
Priv.-Doz. Dr. O. Nägeli-Näf (Innere Medizin) von hier als Professor a0.
un nn der Medizinischen Poliklinik nach Tübingen berufen, nahm die
an.
Von Aerzten und Patienten. =
pn»... Bisher war man gewöhnt, die Tuberkulose als den Ausdruck
| des sozialen Elends anzusehen, und : hoffte von dessen Besserung auch
eine Abnahme dieser Krankheit. Eigentliche gegen die Tuberkulose
selbst gerichtete Maßnahmen kennt deswegen die Gesundheitspflege noch
nicht. Aber in Zukunft wird man es im Kampfe gegen diese schreck-
liche Plage des Menschengeschlechts nicht mehr mit einem unbestimmten
Etwas, sondern mit einem faßbaren Parasiten zu tun haben, dessen
Lebensbedingungen zum größten Teil bekannt sind und noch weiter er-
forscht werden können .... Es müssen vor allen Dingen die Quellen,
aus denen der Infektionsstoff fließt, soweit es in menschlicher Macht
liegt, verschlossen werden. Eine dieser Quellen, und gewiß die haupt-
sächlichste, ist das Sputum der Phthisiker, um dessen Verbleib und
Ueberführung in einen unschädlichen Zustand bis jetzt nicht genügend
Sorge getragen ist. Es kann nicht mit großen Schwierigkeiten verknüpft
sein, durch passende Desinfektionsverfahren das phthisische Spatum u-
schädlich zu machen und damit den größten Teil des tuberkulösen In-
fektionsstoffs zu beseitigen. Gewiß verdient daneben auch die Desinfek-
tion der Kleider, Betten usw., welche von Tuberkulösen benutzt wurden,
Beachtung ...“ |
Robert Koch, Die Aetiologie der Tuberkulose 1892.
(Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig 1912, Georg Thieme.)
DE nn ne en TREE -
Druckfohlerberichtigung. In dem Beitrag von Geb. Rat Prof.
Dr. Körte zu der „Umfrage über das Frübaufstehen nach Operationen
und Geburten“ in Nr. 39 der Wochenschrift sind verschiedene S0-
entstellende Druckfehler stehen geblieben. Es muß sinnentsprechen
heißen: Unter 1.d) Nach Mammaamputation, Strumektomien und andern
aseptischen Operationen stehen die Patienten am zweiten Tag auf; unter
2. bei älteren Personen mit Neigung zu Bronchitis, Lungenatelektasen
und schwacher Circulation bewirkt das Frühaufstehen bessere ker:
der Lungen; im letzten Abschnitt: Bei nicht völlig aseptischem Verlauie
halte ich den völligen A b lauf der Entzündungen für notwendig.
ae oe a a EN NER OEE CUGA N I N nee
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich die
| Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
Nr. 44 (413). 3. November 1912. VI. Jahrgang.
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
`
redigiert von | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: M. Matthes, Die Diagnose der Miliartuberkulose. H. H. Meyer, Die Pharmakologie des vegetativen Nervensystems.
Heine, Erfahrungen und Gedanken über Tuberkulose und Tuberkulin. (Mit 1 farbigen Tafel) M. Rosenfeld, Ueber juvenile Paralyse.
Th. G. Janowski, Zur Perkussion der Lungenspitzen bei Tuberkulose. Lenzmann, Zur Therapie der Tussis convulsiva. G. Becker, Milzbrand
und Salvarsan. W. Wangerin, Das mitteleuropäische Landschaftsbild in seiner pflanzengeographischen Entwicklung. — Aus der Praxis für die Praxis:
M. Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten. (Fortsetzung.) — Referate: Aschheim, Die Therapie des engen Beckens. Ed. Stadler,
Wichtige Arbeiten über Herz- und Gefäßkrankheiten. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Spontane, diffuse Blutungen in die
weichen Hirnhäute. Diagnostik der Meningitiden mittels der Taurocholnatriumreaktion. Versuche zur Verstärkung der Wassermannschen Reaktion.
Idiopathische Erytheme. Eigenartige Röntgenbofunde am Dickdarme. Wie man in New-York die Tuberkulose behandelt. Physikalische Behandlung
des Lungenemphysems. Chirurgische Behandlung der Lungentuberkulose. Myoma uteri. Verbesserung der Gewichtsbezeichnungen auf Rezepten.
Paralysis agitans. Leucoplakia oris et linguae. — Neuerschienene pharmazeutische Präparate: Amphotropin. — Neuheiten aus der ärztlichen
Technik: Ein neuer Apparat zur Attikspülung des Ohres. — Bücherbespreehungen: Adam, Ophthalmoskopische Diagnostik an der Hand typischer
Augenhintergrundbilder. W. Wolff, Taschenbuch der Magen- und Darmkrankheiten. Lebenserinnerungen von Franz König. K. Basch, Ueber
Ammenwahl und Ammenwechsel vom Standpunkt einer Physiologie und Pathologie des Milchapparats. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete
des Versicherungswesens: F. Schultze und H. Stursberg, Gehirnblutung bei einem Arteriosklerotiker als Folge einer Durchnässung anerkannt.
Tod an erneuter Blutung nicht Unfallfolge. — Vereins- und Auswärtige Berichte: Frankfurt a. M. Kiel. Leipzig. Rostock. Berlin. — Koloniale
Medizin: Külz, Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun. — Reisebriefe: Haenlein, Soziale Hygiene in Nordamerika. — Aerztliche
Tagesfragen: Die Organisation des türkischen Kriegs-Sanitätsdienstes. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet
Klinische Vorträge.
Aus der Medizinischen Universitäts-Klinik in Marburg.
(Direktor: Prof. Dr. M. Matthes.)
Die Diagnose der Miliartuberkulose
| von
M. Matthes.
M. H.! Die Diagnose der Miliartuberkulose galt bis
in die jüngste Zeit als eine der schwierigsten und konnte
in vielen Fällen nur als eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose
gestellt werden. Neuere Untersuchungsmethoden haben darin
bis zu einem gewissen Grade Wandel geschaffen und es
ermöglicht, daß man in einer Reihe von Fällen die Diagnose
rationell begründen kann und nicht mehr allein auf den
klinischen Scharfblick angewiesen ist.
Es sollen deswegen die Fortschritte, die in dieser Rich-
tung gemacht sind, im folgenden zusammengestellt und
durch die eigne Erfahrung ergänzt werden, die vielleich
auch ein Körnchen Neues hinzufügen kann. Ä
Das klinische Krankheitsbild der Miliartuberkulose ist
bekanntlich ein recht wechselndes. In der lehrbuchmäßigen
Darstellung unterscheidet man gewöhnlich drei Formen ihres
Auftretens, die typhoide, die pulmonale und die meningitische
Form. Selbstverständlich haftet aber einer solchen Bin-
teilung etwas Schematisches an. Es gibt zwar Fälle, in
denen sich mit den Methoden der Auskultation und Per-
kussion Lungenveränderungen nicht nachweisen lassen und
auch meningitische Erscheinungen fehlen, die also nur die
Zeichen einer hoch fieberhaften Allgemeinerkrankung bieten,
typhoid verlaufen. Es gibt auch Fälle, bei denen die Cya-
nose, die Dyspnöe, die Lungenblähung, die. Tympanie bei
der Perkussion der Lunge, der Hustenreiz und die bronchi-
tischen Erscheinungen, also pulmonale Symptome sebr im
‚Vordergrunde stehen, und endlich kommen Formen vor, die
rein unter dem Bilde der Meningitis verlaufen, aber häufiger
sind doch Kombinationen dieser Erscheinungen. Meist ist
der Verlauf doch so, daß neben den Zeichen der fieber-
haften Infektionskrankheit zwar einige Lungenerscheinungen
nachweisbar sind, die aber mehrdeutig erscheinen müssen
und meist nicht derartige sind, daß sie an sich die Schwere
des Krankheitsbildes erklären würden.. Das gleiche gilt
von den meningitischen Symptomen; namentlich seitdem wir
über die Häufigkeit der sogenannten Meningismen bei den
verschiedensten Infektionskrankheiten einige Erfahrung ge-
wonnen haben, wird man nicht jedes und besonders nicht
die allgemeinen Symptome der Meningealreizung, wie
Nackensteifigkeit usw., als tuberkuloseverdächtig ansehen
dürfen. Bei der Miliartuberkulose gesellen sich die menin-
gitischen Erscheinungen, im Gegensatz zu den andersartigen
Meningismen, allerdings gewöhnlich erst den Schlußstadien
zu. Wenigstens kann man dies sagen, wenn man die eigent-
liche Miliartuberkulose von der tuberkulösen Meningitis
trennen will und eine Miliartuberkulose mit Beteiligung der
Meningen der Meningitis ohne wesentliche miliare Aus-
streuung in andern Organen gegenüberstellt. Diese reine Form
der Meningitis findet man namentlich in den Fällen, in
welchen sich von einem älteren Hirntuberkel die Tuber-
kulose in den Meningen ausbreitet.
Bei dem anfangs also gewöhnlich vieldeutigen Sym-
ptomenkomplex der Miliartuberkulose ist es nicht verwunder-
lich, daß die Differentialdiagnose schwierig erschien, beson-
ders dem Typhus und der Sepsis gegenüber mußten früher
häufig Zweifel walten. Aber auch Erkrankungen anderer
Art, wie die Influenza und besonders im Kindes- und
Greisenalter einfache hartnäckige Bronchiolitiden, ferner
centrale croupöse Pneumonien mit Meningismen und die ver-
schiedenen Formen der akuten eitrigen Meningitiden, die
Malaria, ja selbst akute ‚Geistesstörungen, wie die Manie,
a a ne
1770 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
kurz also beinahe jede unklare fieberhafte Erkrankung mußte
differentialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden.
Bevor wir auf die Besprechung der neueren Fortschritte
in der Diagnose eingehen, ist es deswegen vielleicht ganz
nützlich, an einige länger bekannte Dinge zu erinnern. Eine
sorgfältige Anamnese, die eine tuberkulöse Belastung oder
die Möglichkeit einer tuberkulösen Infektion (tuberkulöse
Dienstboten!) feststellt, ist wichtig, ebenso natürlich der
Nachweis sonstiger tuberkulöser Affektionen, eines alten
Lungenherdes, tuberkulöser Drüsen, Knochentuberkulose;
namentlich ist auch auf eine etwaige Urogenitaltuberkulose
zu achten, von der bei Erwachsenen meiner Erfahrung nach
nicht selten eine Miliartuberkulose ihren Ausgang nimmt.
Die Erkrankungen des Urogenitalapparats machen übrigens
bei unklaren Fieberzuständen häufig diagnostische Schwierig-
keiten, sie können leicht übersehen oder auch unrichtig ge-
deutet werden. So sah ich, daß eine durch Colibacillen be-
dingte Pyelitis beziehungsweise Cystitis für eine Miliartuber-
kulose gehalten war und daß in einem andern Fall unklaren
Fiebers ein kleiner Prostataabsceß übersehen worden war.
Der Fall war dadurch noch bemerkenswert, daß keine Leuko-
cytose bestand und man wegen ihres Fehlens eine eitrige
Affektion ausgeschlossen hatte. Anderseits sah ich, daß bei
einer Miliartuberkulose ein Adnextumor für eine eitrige
Salpingitis gehalten war, sich dann aber bei der Sektion
doch als tuberkulös erwies. Endlich will ich noch eines
Falles gedenken, in dem eine Frau mit Miliartuberkulose
im Anfange der Erkrankung abortierte und dadurch natür-
lich die Verwechslung mit einer Puerperalerkrankung sehr
nahe lag. Aehnliche Schwierigkeiten, wie durch die Symptome
der Urogenitalerkrankungen können auch bei Erkrankungen
des Ohres entstehen. Auch hier ist sehr sorgfältig abzu-
wägen, ob eine Erkrankung als tuberkulös oder nicht anzu-
sehen ist, wenn sie als Ausgangspunkt für eine fieberhafte
Allgemeinerkrankung in Betracht kommt.
Besprechen wir dann die einzelnen Symptome weiter.
Der Fieberverlauf ist bekanntlich nicht charakteristisch bei
Miliartuberkulose. Sie kann ganz akut mit Schüttelfrost,
entsprechend einem plötzlichen größeren Einbruch infek-
tiösen Materials in die Blutbahn einsetzen. Das Fieber kann
aber auch langsam ansteigen und den Typus eines etwa
schon vorhandenen, von einer gewöhnlichen Lungentuber-
kulose bedingten Fiebers kaum verändern. Im weiteren
Verlaufe kann das Fieber eine hohe Continüa sein, es kann
aber auch stark remittierend verlaufen, Schweißausbrüche
können die Temperatursenkungen begleiten, aber auch völlig
fehlen. In manchen Fällen erreicht das Fieber nie erheb-
liche Höhen, und Leichtenstern will sogar gänzlich fieber-
los verlaufende Fälle bei älteren Menschen beobachtet haben.
Auffällig ist allerdings, wenn das Fieber, wie es nicht selten
vorkommt, im Verlaufe der Erkrankung seinen Typus wechselt,
sodaß man direkt sagen darf, daß eine solche Regellosig-
keit der Temperaturkurve den Verdacht auf Miliartuberkulose
erweckt. |
Freilich kann dies auch bei anderweitigen tuberkulösen
Erkrankungen der Fall sein. So sahen wir neulich derartige
korrespondierende Kurven bei zwei Geschwistern, von denen
das eine an Miliartuberkulose starb, das andere im Röntgenbilde
nur Hilusdrüsen erkennen ließ. Aus der Temperaturkurve läßt
sich also im allgemeinen ein sicherer Schluß nicht ziehen,
und dies gilt namentlich auch den chronisch verlaufenden
Formen der Sepsis gegenüber.
Auch die Dauer des Fiebers gibt keinen sicheren Hin-
weis. Andere Autoren, sowie ich selbst, haben Fälle gesehen,
die erst mehrere Monate nachdem die Diagnose Miliar-
tuberkulose mit Sicherheit gestellt war, zum Exitus gelangten.
Allerdings darf man wohl sagen, daß, wenn im Verlauf
einer Miliartuberkulose sich erst meningitische Symptome
ausbilden, der Exitus kaum länger als drei Wochen auf
sich warten läßt.
3. November.
Betrachten wir die allgemeinen Zeichen der Infektion
weiter, so kann bekanntlich eine Milzschwellung nachweis-
bar sein, sie kann sich aber auch im Leben dem Nachweis
entziehen. Ist sie vorhanden, so ist sie nur im Sinn eines
infektiösen Milztumors zu verwerten, nicht als speecifisch
tuberkulöse Erkrankung anzusehen. Am Herzen ist ge-
wöhnlich ein positiver Befund nicht zu erheben, obwohl
akzidentelle Geräusche vorkommen können. Dies ist nament-
lich der Sepsis und speziell der Endocarditis lenta gegen-
über wichtig. Der Puls ist zwar regelmäßig bei Miliartuber-
kulose beschleunigt und auch gelegentlich irregulär, er ist
aber meist in seiner Qualität leidlich und nie so weich und
klein wie bei der Sepsis, auch nicht so relativ verlangsamt
wie beim Typhus, es sei denn, daß bereits eine Meningitis
durch Vaguswirkung den Puls verlangsamt oder stärker be-
schleunigt. Die Untersuchung des Urins ergibt hie und da
Eiweiß, es ist diese Eiweißausscheidung aber wohl als febrile
anzusehen, jedenfalls kaum auf eine Miliartuberkulose der
Niere zurückzuführen. Die Diazoreaktion pflegt bei. Miliar-
tuberkulose positiv zu sein, doch ist dies Verhalten im all-
gemeinen wenig brauchbar, namentlich natürlich dem Typhus
gegenüber nicht. Ä
Die Untersuchung des Bluts ist insofern von ausschlag-
gebender Bedeutung, als der Nachweis speecifischer, nicht
tuberkulöser Mikroorganismen, wie der der Eiterkokken,
Pneumokokken, Typhusbacillen, Malariaplasmodien im allge-
meinen die Diagnose Miliartuberkulose ausschließen lassen.
Dasselbe gilt von der Widalschen Agglutinationsreaktion,
die sich ja allerdings nicht zur Frühdiagnose eignet. Es
soll aber nicht verschwiegen werden, daß in der Literatur
mehrfach Beobachtungen vorliegen, z. B. von Busse und
von Krenker, in denen bei Kranken mit Miliartüuberkulose
Typhusbacillen im Blute gefunden wurden. Es sind dies
gewiß seltene Fälle und wohl nur so zu erklären, daß die
Erkrankten gleichzeitig Typhusbacillenträger waren. Meist
wird angenommen, daß in diesen Fällen die Typhusbacillen
durch tuberkulöse Darmgeschwüre den Eintritt in die Blutbahn
gefunden hätten. Ebenso liegen eine ganze Reihe von Beob-
achtungen vor, in denen bei bestehender Miliartuberkulose
die Widalsche Reaktion positiv war. Man wird sich also
im Zweifelsfalle, namentlich wenn sonst sichere Zeichen der
Miliartuberkulose vorhanden sind, an diese, wenn auch
seltenen Befunde erinnern müssen.
Im übrigen kann der: Blutbefund bei Miliartuberkulose
nach den bisher vorliegenden Untersuchungen nicht als
charakteristisch angesehen werden. Wenn Steinitz und
Rostoski in dem jüngst erschienenen Handbuche der inneren
Medizin von Mohr und Stähelin angeben, daß eine Leuko-
penie bei Miliartuberkulose die Regel sei, so trifft das meiner
Erfahrung nach nicht zu. Die Zahlen der Leukoeyten mM
unsern letzten‘ vier Fällen waren beispielsweise 500,
14200, 6000, 10800 und bei Meningitis tuberculosa mit
miliarer Ausstreuung 21000, 10000, 6000 und 8900. In
einem Falle sind zufällig fortlaufende Zählungen durch
mehrere Tage gemacht worden. Sie ergaben starke, vol
der Nahrungsaufnahme sicher unabhängige Schwankungen
von 3400 bis 9900, um nur die Grenzwerte anzugeben. $s
wird in Zukunft darauf zu achten sein, ob solche starke
Schwankungen in den Leukocytenzahlen öfter bei Miliar-
tuberkulose vorkommen, vorläufig möchte ich aus diesem
einmaligen Befunde keine Schlüsse ziehen. l
Aufgefallen ist mir einigemal, daß eine sehr deutliche
Verschiebung des Blutbildes sich fand, insofern als die
Lymphocyten im strömenden Blute stark vermindert waren.
Ich gebe hier nur die Zahlen eines Falles, in dem die Zäb-
lung von sehr geübter Hand vorgenommen wurde und sicher
zuverlässig ist. Es fanden sich bei 5800 weißen Blutzellen
890%), Leukocyten, nur 2,70%, große und 1,7% kleine
Lymphocyten, 5,3%, Uebergangsformen. Bei einer zweiten
Zählung unter” 400 weißen Blutkörperchen 95/0 Louko-
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4. 1771
cyten, 2,5%), große mononucleäre und Uebergangsformen,
30/, Lymphocyten. Auffallenderweise keine einzige eosino-
philgekörnte Zelle. Ich möchte diesen Befund deswegen
besonders betonen, weil die in der Literatur vorliegenden
Untersuchungen über das Verhalten der Leukocyten bei
sonstigen tuberkulösen Erkrankungen dazu sehr gut stimmen.
Bekanntlich ist das Resultat dieser Untersuchungen — ich
. verweise nur auf die Arbeit von Steffen!) — festgestellt
worden, daß bei tuberkulösen Erkrankungen das Vor-
handensein .einer Lymphocytose die Prognose günstiger
erscheinen läßt, während in den ungünstig verlaufenden
Fällen sich meist eine auffallende Polynucleose nachweisen
ließ. Sollten nun weitere Beobachtungen meinen Befund
einer so erheblichen relativen Verminderung der Lympho-
cyten im Blut und einer entsprechenden Vermehrung der
polynucleären Zellen auch bei der Miliartuberkulose als
Regel bestätigen, so würde mir ein so einfach nachweisbares
Symptom doch von erheblicher diagnostischer Wichtigkeit
erscheinen, zumal die ähnlichen Befunde (vergl. Naegeli)
bei Pneumonie höchstens unmittelbar vor der Krise und bei
Typhus nur ganz im ersten Beginn sich finden; bei letzterem
ist ja später sogar meist eine Lymphocytose vorhanden.
Ich möchte also, da scheinbar von anderer Seite noch nie
darauf geachtet ist, auf diese Polynucleose bei Miliar-
tuberkulose ganz besonders hinweisen.
Die Erythrocyten zeigen keine Besonderheiten. Meist
findet man eine mäßige Herabsetzung des Hämoglobin-
gehalts, doch sind so ausgesprochene Anämien, wie man sie
bei gewissen Formen der Sepsis sieht, keineswegs die Regel.
Der Nachweis von Tuberkelbacillen im Blut ist leider
nicht, wie man meinen könnte, für die Diagnose Miliar-
tuberkulose charakteristisch. Neuere Untersuchungen, von
denen ich vor allem diejenigen Liebermeisters nennen
möchte, ergaben nämlich, das Tuberkelbacillen im strö-
menden Blute bei allen Formen der Tuberkulose, selbst
bei den latenten gefunden und auch durch den Tier-
versuch als solche identifiziert werden können. Man kann
also ein positives Ergebnis nur dahin verwerten, daß
der Erkrankte überhaupt tuberkulös ist, aber nicht für die
Diagnose Miliartuberkulose. Natürlich ist trotzdem bei
zweifelhafter Diagnose der Nachweis der Tuberkelbacillen
im Blute nicht ohne Wert. Das gleiche gilt für die Tuber-
. Kulinreaktion. Sie kommt des bestehenden Fiebers wegen
bei Miliartuberkulose wohl nur in Form der Pirquetschen
Impfung in Betracht und diese ist bekanntlich nur im Kindes-
alter bedeutungsvoll. Zudem soll die Tuberkulinreaktion bei
Miliartuberkulose meist negativ ausfallen. Ich kann dies an
meinem Kindermaterial eigentlich nicht bestätigen. Wir er-
hielten gewöhnlich, wenn auch nicht sehr starke, so doch
Sicher positive Ausschläge. =
. dch möchte nun zu den Befunden kommen, die die
Diagnose Miliartuberkulose mit Bestimmtheit stellen lassen.
Schon längst bekannt ist der zuerst von Cohnheim und
Manz beschriebene Befund der Choroidaltuberkel. Sie
sitzen häufig in ‚der Peripherie der Netzhaut, man tut
also gut, die Iris zu erweitern. Leider sind sie nicht in
allen Fällen und gewöhnlich auch nicht in den Anfangs-
stadien vorhanden. Ebensowenig ist eine Neuroretinitis, die
besonders gern bei den meningitischen Formen auftritt, ein
regelmäßiger Befund. Es muß aber sowohl auf Choroidal-
tuberkel als auf Neuroretinitis in jedem zweifelhaften Falle
sorgfältig und wiederholt untersucht werden.
‚Etwas ausführlicher müssen wir die diagnostischen Er-
gebnisse der Lungenuntersuchung besprechen. Mit Recht
weisen Steinitz und Rostoski darauf hin, daß gegenüber
nichtspecifischen Prozessen, wie der Capillarbronchitis, es
Sich häufig nur um eine quantitative Abschätzung der beob-
achteten Lungenerscheinungen im Vergleich zur Schwere
1) D. A. f. kl. Med., Bd. 98.
des Krankheitsbildes handelt, die den Verdacht auf Miliar-
tuberkulose erweckt. Aber immerhin kommt die Gruppie-
rung einiger Symptome doch bei Miliartuberkulose besonders
charakteristisch vor. Kranke mit Miliartuberkulose sehen
häufig etwas cyanotisch beziehungsweise gleichzeitig livide
aus. Gerade diese weder durch den Lungen- noch durch
den Herzbefund erklärbare Cyanose ist verdächtig. Kranke
mit Miliartuberkulose können eine ganz auffällige, gleichfalls
durch den Befund nicht erklärbare Dyspnöe haben, und zwar
sowohl mit oberflächlicher und beschleunigter Respiration,
wie ich meist sah, als auch, worauf Romberg hinweist, eine
auffallend tiefe und angestrengte Atmung. Oft ist auch ein
trockner, quälender Husten ohne Auswurf vorhanden. Die
Perkussion der Lunge kann an Stelle des sonoren einen
hypersonoren oder fast tympanitischen Klang ergeben, als
Ausdruck der durch die Einlagerung der miliaren Knötchen
bedingten Entspannung des Lungengewebes. Ferner kann
eine akute Blähung der Lunge, namentlich durch Verkleine-
rung der Herzdämpfung nachweisbar sein, auf die zuerst
Burckhardt und Litten aufmerksam gemacht haben. Bei
der Auskultation finden sich die Zeichen einer mehr minder
ausgebreiteten Bronchitis, die im Gegensatz zu dem ge-
wöhnlichen Verhalten oft über den Oberlappen am ausge-
prägtesten ist. Auch auffallend weiche pleuritische Reibe-
geräusche sind von Jürgensen beschrieben und auf eine
Tuberkeleruption an den Pleuren bezogen worden. Sie sind
meiner Ansicht nach nicht immer sicher von bronchitischen
Geräuschen zu unterscheiden. Alle diese Erscheinungen
können aber, wie ja schon mehrfach betont wurde, fehlen oder
nur ungleichmäßig und in sehr verschiedener Stärke ausge-
bildet sein. Krehl hat neulich darauf hingewiesen, daß
diese Symptome ebenso wie bei Miliartuberkulose auch bei
akut sich entwickelnder, käsiger Tuberkulose auf Grund
bronchogener Dissemination vorhanden sein können. Krehl
glaubt auch, weil diese Erscheinungen anderseits auch bei
ausgebreiteter Miliartuberkulose völlig fehlen können, daß
sie nicht so sehr durch die Tuberkeleruption bedingt sind,
als durch gleichzeitige Entwicklung von Bronchopneumonien
und bezieht sich sowohl auf seine eigne Erfahrung bei
Sektionsbefunden als auch auf die gleiche Erfahrung
von Recklinghausens. Danach würden die Lungen-
erscheinungen also gewissermaßen nur sekundäre sein. Das
trifft aber sicher nicht in allen Fällen zu. Ich sah erst
kürzlich einen Fall von Miliartuberkulose mit stärkerer
Cyanose und Dyspnöe ohne bronchitische Erscheinungen,
bei dem bei der Sektion, trotzdem besonders darauf geachtet
wurde, weder makroskopisch noch mikroskopisch nennens-
werte Bronchopneumonien konstatiert werden konnten. Wohl
waren in den Unterlappen einige Hämorrhagien geringeren
Umfangs vorhanden, aber auch diese dürften kaum die
Cyanose und die Dyspnöe erklären können. Ich möchte
mich also der Ansicht von Krehl wenigstens nicht für alle
Fälle anschließen.
Einen sehr bedeutenden Fortschritt in der Diagnose
Miliartuberkulose hat die Röntgenuntersuchung der Lungen
gebracht, namentlich, seitdem wir in der Lage sind, Moment-
aufnahmen zu machen und infolgedessen viel schärfere
Bilder erhalten wie früher, weil sie bei angehaltener At-
mung aufgenommen werden können. Während die früheren,
bei Zeitaufnahmen erhaltenen Bilder neben einer diffusen
Verdunklung der Lungenfelder eine eigentümliche Marmorie-
rung erkennen ließen, wie sie beispielsweise von Achelis
beschrieben ist, ergeben Momentaufnahmen eine sehr charak-
teristische Zeichnung: Helle Stellen von der Größe eines
Stecknadelkopfs bis zu der eines Graupenkorns wechseln im
Negativ mit dunkleren Partien; die hellen Schatten sind
weich, sie Konfluieren wohl stellenweise miteinander und
bilden dann netzförmige Zeichnungen, aber von einer Mar-
morierung kann man nicht sprechen. Die neueren Beob-
achter Haudek, Aßmann, Lorev und Andere stimmen
1772 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4. 3. Novémber
darüber überein, daß dies Sichtbarwerden kleinster Knötchen
das Kennzeichnende für Miliartuberkulose ist, und ich möchte
mich dieser Ansicht völlig anschließen. Die Meinungen dar-
über, wodurch dieser Befund zustande kommt, gehen noch
etwas auseinander. Haudek glaubt, daß man tatsächlich
die einzelnen Tuberkelknötchen, die in Plattennähe lägen,
sehe, anderseits wird auch die Ansicht vertreten, daß die
Schatten Kombinationsbilder von hintereinander gelegenen
Knötchen darstellten. Ich möchte glauben, daß die Haudek-
sche Ansicht zutrifft, und daß man höchstens für die diffuse
Abschattung des Lungenfeldes, wenn diese vorhanden ist,
Kombinationsschatten verantwortlich machen kann. Ich
verzichte darauf, hier Beispiele der charakteristischen Zeich-
nung abzubilden, weil sie im Drucke doch nicht genügend
deutlich sich darstellen lassen würden. Ich möchte nur noch
bemerken, daß namentlich bei Leichenaufnahmen, die man
ja auch unbeschadet der Schärfe der Zeichnung als Zeit-
aufnahmen machen kann, die Bilder sehr schön werden.
Es ist von M. Wolf darauf aufmerksam gemacht
worden, daß eine Verwechslung des Befundes bei Miliar-
tuberkulose mit dem bei chalikotischen Lungen möglich sei,
ich möchte mich aber nach meiner Erfahrung der Dietlen-
schen Ansicht anschließen, daß die Herde bei Chalikosis
grobfleckiger, zackiger sind und nicht so dicht stehen, wie
bei Miliartuberkulose. Auch bei den Bronchopneumonien im
Kindesalter ist der Röntgenbefund doch anders, die Herde
differieren viel mehr in der Größe und konfluieren stärker
als bei Miliartuberkulose. Eine gewisse Aehnlichkeit mit
dem Befunde bei Miliartuberkulose haben endlich die merk-
würdigen Schattenherdchen, die man nach früheren Jodipin-
injektionen unter die Rückenhaut gelegentlich zu sehen be-
kommt. Herr Dr. Hürter hat diesen an unserer Klinik
zuerst beobachteten Befund seinerzeit ausführlich beschrieben.
Die Herde sind aber viel kräftiger und schärfer konturiert
als die weiche Zeichnung bei Miliartuberkulose, sodaß eigent-
lich eine Verwechslung doch kaum möglich ist.
Die Röntgenuntersuchung auf Miliartuberkulose ver-
dächtiger Kranker stellt einen um so größeren diagnostischen
Fortschritt dar, als man den charakteristischen Befund schon
sehr zeitig erheben kann, z.B. bei unserm letzten Falle
bereits zwei Monate vor dem Tod. Auch Dietlen macht
darauf aufmerksam, daß man den Befund schon erhält, ebe
noch irgendein Zeichen auf die Beteiligung der Lunge hin-
weist. |
Ich komme weiter zu einem Befunde bei Miliartuber-
kulose, der ebenfalls einen sicheren diagnostischen Schluß
im allgemeinen zuläßt. Es ist das das Ergebnis der Spinal-
punktion. Es kann zwar bei Miliartuberkulose mit Beteili-
gung der Meningen sowohl ein getrübtes, als auch ein klares
Punktat erhalten werden. Es können auch bei sehr akutem
Verlaufe, worauf schon Lenhartz aufmerksam gemacht
hat, sich nicht nur Lymphocyten, sondern auch poly-
nucleäre Zellen finden. In der Regel sind aber die Punk-
tate wenig getrübt oder ganz wasserklar. Sie enthalten
aber Lymphocyten und als Ausdruck des entzündlichen Vor-
gangs mehr Eiweiß als ein normaler Liquor. Diese Eiweiß-
vermehrung weist man bekanntlich mit der Nonneschen
Aussalzungsreaktion nach oder neuerdings wohl auch mit
der Methode der Bestimmung der Goldzahl nach Lange.
Außerdem pflegt sich beim Stehen des Punktats ein feines
Gerinnungsnetz in ihm zu bilden, das häufig Tuberkelbacillen
einschließt. Der Druck, unter dem das Punktat entleert
wird, ist meist ein hoher, doch habe ich Fälle mit niedrigem
Drucke mehrfach beobachtet. Gewiß kommen, mit Aus-
nahme des Tuberkelbaeillenbefundes, auch bei andern chro-
nisch entzündlichen Erkrankungen der Meningen ähnliche.
Ergebnisse der Spinalpunktion vor, aber im allgemeinen
bieten diese Erkrankungen doch sonst nicht das Bild der
fieberhaften Allgemeinerkrankung, sodaß praktisch man aus.
dem Punktionsbefunde doch wohl im einschläglichen Falle
Ėė a e En nn nn nn nd +
wird den richtigen Schluß ziehen können. Meist wird man
ja die Spinalpunktion erst beim Auftreten von meningiti-
schen Erscheinungen ausführen, es wäre aber vielleicht an-
gezeigt, von ihr als diagnostisches Hilfsmittel bei unklaren
fieberhaften Erkrankungen schon früh Gebrauch zu machen,
denn es ist durchaus denkbar, daß die Veränderungen des
Liquor dem Manifestwerden der meningitischen Symptome
vorangehen können. Auf die meningitischen Symptome
. selbst will ich hier nicht näher eingehen, ich müßte sonst
die Differentialdiagnose gegen die übrigen Formen der Me-
ningitis ausführlich besprechen und dürfte damit wobl nur
Bekanntes wiederholen. Entsprechend der vorwiegend ba-
salen Ausbreitung der tuberkulösen Meningitis sind bekannt-
lich gerade die basalen Erscheinungen charakteristisch,
Als sehr wichtig für die Diagnose Miliartuberkulose
sind endlich die Erscheinungen seitens der Haut zu er-
wähnen. Es kommt zunächst eine akute, disseminierte Miliar-
tuberkulose der Haut vor. Eine gute Literaturzusammen-
stellung über die bisher beobachteten Fälle findet man in
einem Artikel von Leiner und Spieler in den Ergebnissen
der inneren Medizin und Kinderheilkunde 1911. Es treten
die Miliartuberkel nach der Beschreibung dieser Autoren als
punktförmige, knötchenartige, bläschenförmige Efflorescenzen
auf, selbst größere Pusteln und furunkelartige Infiltrate und
Geschwüre sind beobachtet. Alle diese Formen sind aus-
gezeichnet durch regressive Metamorphosen, beziehungsweise
Nekrosen im Centrum und zeigen deswegen dort eine Dellen-
bildung. Sie enthalten meist reichlich Tuberkulbacillen, mit-
unter sind die Bacillen aber nur spärlich, ja sie können
ganz fehlen. Diese letzteren Formen, die auch Rends-
burg beschrieben hat, sind dann schwer von den Haut-
tuberkuliden abzugrenzen, die in der Literatur unter dem
Namen der Folliklis bekannt sind. In einem kürzlich auf
unserer Abteilung beobachteten Falle fehlten die Baeillen
in den Hautefflorescenzen gleichfalls, und die Affektion
zeigte makroskopisch wie mikroskopisch den Charakter des
papulonekrotischen Tuberkulids, als welche ja die Folliklis
auch gilt. . |
Leiner und Spieler haben ferner das Auftreten
hämorrhagischer Formen folgendermaßen beschrieben: Das
Exanthem tritt disseminiert am Stamm, aber auch am Ge-
sicht auf und hat im allgemeinen purpuraähnlichen Cha-
rakter. Die einzelnen Efflorescenzen sind stecknadelkopf-
bis hirsekorngroß, ganz flach, kaum über das Hautniveau
hervorragend, livide bis rotbraun verfärbt, auf Fingerdruck
nicht völlig abblassend, central teils nur einen helleren
Farbenton, teils Krüstchen oder Schüppchen zeigend. Sie
können innerhalb weniger Tage unter Zurücklassung central
gedellter Pigmentflecken abheilen. Die Efflorescenzen ent-
halten sehr reichlich Tuberkelbacillen und bilden mikrosko-
pisch meist nur einfache Nekroseherde, ohne für Tuberku-
lose charakteristische Zellformen. Sie sind augenscheinlich
Folge von Bakterienembolien, beziehungsweise Thrombosen
kleinster Hautarterien und auch die nachweisbaren Throm-
ben können Bacillen enthalten. Diese Formen sollen 50
charakteristisch sein, daß sie die Diagnose'Miliartuberkulose
erlauben, und zwar schon als Frühdiagnose. Bei der syste-
matischen Durchmusterung der Haut an Miliartuberkulose
Verstorbener hat übrigens, wie beiläufig erwähnt werden
mag, Geipel in mehreren Fällen Miliartuberkel nachweisen
können, die makroskopisch nicht sichtbar waren. |
Endlich möchte ich bemerken, daß mehrfach In der
Literatur das Auftreten von roseolaähnlichen Flecken bel
Miliartuberkulose beschrieben ist, die vielleicht zu diesen
hämorrhagischen Formen gehören, ebenso scheint, allerdings
selten, bei Miliartuberkulose ein Herpes vorzukommen, de!
aber auch mit diesen tuberkulösen Ausschlägen verwechselt
sein kann. | | |
Es ist natürlich bei der immerhin vorhandenen Poly-
morphie der tuberkulösen Efflorescenzen eine Verwechslung
3. November.
namentlich mit der typhösen Roseola oder mit septischen
Exanthemen nicht ausgeschlossen: : Im allgemeinen scheinen
aber die tuberkulösen Hautaffektionen : doch durch die cen-
tralen Nekrosen ein eigentümliches und für die Diagnose
wichtiges Aussehen darzubieten.
Fassen wir nuü’zum Schlusse die sicheren diagnosti-
schen Merkmale der Miliartuberkulose noch einmal zu-
sammen, so läßt sich sagen, daß die Diagnose sonst un-
klarer Fieberzustände als Miliartuberkulose gesichert wird,
wenn Choroidaltuberkel nachweisbar sind. Ferner läßt sich
die Diagnose, und zwar schon frühzeitig, auf Grund des
Röntgenbefundes sicherstellen. In einer Reihe von Fällen
wird sie auf die Ergebnisse der Spinalpunktion möglich sein,
und ebenso wenn die charakteristischen Hautaffektionen
vorhanden sind. In Zukunft wird auf den Blutbefund
genauer zu achten sein in der Richtung, ob eine Herab-
setzung der Lymphocytenwerte beziehungsweise eine relative
Polynucleose und ein auffälliges Schwanken der Leukocyten-
zahlen überhaupt sich regelmäßig findet.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Wien.
Die Pharmakologie des vegetativen Nerven-
systems’)
von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hans H. Meyer.
M. H.! Wir verstehen unter vegetativen Nerven im
allgemeinen die Nerven, welche die unwillkürlichen Muskeln
motorisch und die Drüsen sekretorisch, und zwar im posi-
tiven oder negativen Sinne, das heißt fördernd oder hemmend
versorgen; sie sind charakterisiert durch die Synapse, in
der ein vom Centralnervensystem herkommendes Neuron mit
der Ganglienzelle eines efferenten, zum Erfolgsorgan ziehenden
Neurons zusammentrifft.
Es ist nun ein ziemlich allgemein gültiges Gesetz, daß
bei allgemeiner Vergiftung die Nervenstränge selbst nicht
affiziert werden, sondern nur ihre Ausgangszellen und
ihre Endapparate. Das gilt auch für das vegetative
Nervensystem, und zwar betrifft es hier drei Angriffspunkte,
die Centralzellen im Centralnervensystem, die End-
ausbreitung und die Zelle in der Synapse, und drittens
die Endapparate in den Erfolgsorganen. |
1. Wir beginnen mit der einfachsten oder wenigstens
übersichtlichsten Giftwirkung an der Synapse. Die erste
entscheidende Beobachtung verdanken wir Schmiedeberg,
welcher fand, daß das Nikotin beim Frosche den Herzvagus
an einem, vor seiner Endausbreitung gelegenen, Zwischen-
stück, das heißt also an der Synapse nach vorübergehender
Erregung lähmt. Langley hat später gezeigt, dab ganz
allgemein alle Synapsen des gesamten vegetativen
Nervensystems durch Nikotin und übrigens auch durch
einige andere Gifte elektiv erst erregt, dann gelähmt werden,
sodaß zuletzt der Uebergang vom präganglionären zum post-
ganglionären Neuron blockiertist. Langley hat diese wichtige
Entdeckung zur strengen Bestimmung und Lokalisierung der
Synapsen der vegetativen Nerven verwertet. Viele der bei der
Tabakvergiftung auftretenden Symptome lassen sich auf diese
Elementarwirkung des Nikotins zurückführen, wie nament-
lich die Herzstörungen, bald Brady-, bald Tachykardie,
Diarrhöe und Erbrechen wechselnd mit Obstipation, die Er-
regung der Drüsen, des Uterus, der Blasenmuskulatur, die
Contraction verschiedener Gefäßgebiete usw.?).
2. Sehr viel verwickelter aber sind die pharmakologischen
Wirkungsbilder an den vegetativen Endapparaten. Zu-
nächst läßt sich ein durchgreifender, scharfer Reaktions-
. N Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung der Gesellschaft
Deutscher Nervenärzte aı 28. September 1912.
Vgl. A. Fröhlich, Referat über die Toxikologie des Tabak-
rauches, Jahresvursammlung derselben Gesellschaft, 1911.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1773
unterschied zwischen autonomen und sympathischen
Endapparaten konstatieren. Die autonomen Endapparate
reagieren mit ganz wenigen und noch aufzuklärenden Aus-
nahmen mit Erregung auf eine Gruppe von Giften, die ich
kurz als Cholingruppe bezeichnen will, mit Lähmung
auf Gifte der Atropingruppe. Die sympathischen End-
apparate dagegen werden ganz elektiv erregt durch die Gifte
der Adrenalingruppe; specifisch betäubende Gifte, gleich-
sam einem Sympathicus-Atropin entsprechend, kennen wir
hier nicht.
Dieser pharmakologische Reaktionsunterschied ist ganz
typisch und dient uns als diagnostisches Mittel zur Ent-
scheidung, welchem der beiden Systeme ein bestimmter vege-
tativer Nerv physiologisch, das heißt funktionell zugehört.
' Die anatomische Untersuchung kann uns darüber nicht
immer genügenden Aufschluß geben: sie bestimmt nach den
äußern Ursprüngen aus dem Centralnervensystem die kranio-
bulbär und sakral entspringenden als autonome, die spinal
austretenden als sympathische Nerven; über die Verflechtung
und gegenseitige Durchdringung beider Systeme im Central-
nervensystem und dadurch etwa bewirkte Vermischung eines
anatomisch scheinbar ganz reinen Nerven der einen vege-.
tativen Art mit Fasern der andern kann sie nichts aussagen.
Wir wissen aber z. B. sicher, daß sich im reinen, von allen
sympathischen Anastomosen äußerlich freien Vagusstamme
sowohl kardiale und vasomotorische wie auch bronchiale und
stomachale Sympathicusfasern physiologisch nachweisen
lassen. Seitdem nun — abgesehen von älteren Beobach-
tungen über Erregungscentren des Vagus und Sympathicus
in der Hirnrinde — durch Kreidl und Karplus an der
Zwischenbirnbasis eine Centralstation des Sympathicus ent-
deckt worden ist, und zwar in unmittelbarer Nähe des Tuber
cinereum, das nach Aschners Untersuchungen Vagusbahnen
enthält, so ist die Möglichkeit centraler Beimischung von
sympathischen Zügen zu denen des Vagus und vice versa
ohne weiteres einleuchtend. Analoges werden wir danach
auch bei andern vegetativen Nerven annehmen dürfen. Das
gilt insbesondere von den Schweißdrüsennerven und den
Pilomotoren, die anatomisch zwar rein sympathisch er-
scheinen, pharmakologisch aber mit ihren Endapparaten und
auch, wie ich hier vorweg erwähnen möchte, mit ihren
Centren typisch autonom reagieren, die daher, wie ich an-
nehme, vom Centralnervensystem her in der Bahn des Rücken-
marks überwiegend beigemischte autonome Fasern enthalten.
So wird auch der Befund von Langley verständlich, wo-
nach der Uterus der Katze anatomisch ausschließlich von
sympathischen Nervenfasern versorgt wird, obschon die
pharmakologischen Reaktionen auch auf eine autonome
Innervation mit Sicherheit schließen lassen.
Die autonom versorgten Organe werden im allgemeinen,
das heißt unter normalen Erregbarkeitsverhältnissen,
durch die Gifte der Cholingruppe, nämlich Cholin, Pilokarpin,
Physostigmin, Muskarin und andere in ihrer motorischen
oder sekretorischen Funktion angeregt, durch Atropin und
seine Verwandten autonom gelähmt.
Bleiben wir einen Moment hierbei stehen: die autonome
Erregung wird sich äußern mit Miose und Akkommodations-
krampf, Magen- und Darmperistaltik, Uterus-, Blasen-, Ureter-,
Milzcontraction, Contraction der Bronchialmuskeln, wie beim
Asthma bronchiale, verlangsamter und abgeschwächter Herz-
aktion, wahrscheinlich Erschlaffung der Abdominalgefäße,
Blässe der Haut, verstärkter Sekretion aller echten Drüsen.
Diese Wirkungen treten aber keineswegs immer gleichzeitig
oder gleich stark auf, sondern je nach dem angewandten
Gift unserer Gruppe und auch je nach der verschiedenen
Empfindlichkeit der Organe bei verschiedenen Individuen,
Tierarten und pathologischen Zuständen tritt die eine
oder andere Wirkung dominierend hervor. Auf die sub-
tileren pharmakologischen Unterschiede der einzelnen auto-
nomen Gifte will ich hier nicht eingehen, nur hervorheben,
= « i
= & s
m rane Aa Ba ap
y i *
a a un rn au S E a
1774 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
daß. das Phystostigmin (und vielleicht auch das Cholin)
wahrscheinlich nicht, wie die andern, direkt erregt, sondern
nur die Erregbarkeit für die physiologischen Reize erhöht,
wodurch diese Wirkung gewissermaßen mehr den Charakter
normaler Erregungen trägt; das hat gewisse praktisch ver-
wertbare Vorteile und hat z. B. bei der Behandlung atoni-
scher Obstipation mit Meteorismus, sowie zur Verlang-
samung der Vorhofsaktion bei relativ zu träger Ueberleitung
und daraus resultierenden Intermissionen der Ventrikelpulse
wichtige Anwendung gefunden. Außerden möchte ich aber
noch auf zwei Punkte besonders aufmerksam machen.
Erstlich, daß das. autonome Gift Cholin ein konstanter Be-
standteil wahrscheinlich aller Gewebe des Tierkörpers ist;
es ist bekanntlich eine Komponente gewisser Zell-Lipoide,
wie des Lecithins; wo und wie es entsteht, ist nicht be-
kannt; Lohmann fand es sehr reichlich in der Nebennieren-
rinde und vermutet, daß es hier gebildet und dem übrigen
Körper zugeführt werde. Das läßt sich einstweilen nicht
entscheiden; es ist nur sicher, daß es ein im Körper selbst
gebildetes Erregungsgift, ein Hormon ist, unter dessen
Wirkung der Körper dauernd steht und an das er gewöhnt
ist Daraus begreift sich die relative Ungiftigkeit des Cholins
im Vergleich zu den andern autonomen Giften. Wir wissen
nicht, ob das Cholin für die Erhaltung des normalen Erreg-
barkeitsgrads der autonomen Nerven erforderlich ist; da
diese aber unter seiner dauernden Wirkung tatsächlich
stehen, ist es sehr wahrscheinlich, daß ein Fehlen des Cholins
wohl die Funktion des autonomen Nervensystems schwer
schädigen würde. Experimentell dies zu prüfen, ist bisher
nicht gelungen.
Eine zweite hier interessierende Tatsache ist der Sym-
ptomenkomplex des anaphylaktischen Shocks; je nach
der Tierart wechselnd in der Betonung der einzelnen Sym-
ptome, zeigt er doch neben andern Erscheinungen das
typische Gesamtbild einer heftigen autonomen Vergiftung:
Krampf der Bronchial- und Visceralmuskulatur, inotrope
und chronotrope Hemmung der Herzaktion, Erschlaffung
der Abdominalgefäße, Temperaturabfall. Biedl und Kraus
haben bekanntlich gezeigt, daß dieses Vergiftungsbild bis
auf unwesentliche Nebenpunkte gleichartig hervorgerufen
werden kann durch eine intravenöse Vergiftung mit Witte-
pepton, das heißt dem Gemenge peptischer Abbauprodukte
des Fleisches; beide Vergiftungen lassen sich in gleicher
Weise durch das autonom lähmende Atropin aufheben,
wie zuerst.Auer und Lewis gefunden haben. Das im ana-
phylaktischen Shock plötzlich entstehende Gift ist noch
nicht bekannt, ebensowenig das im Pepton enthaltene auto-
nome Gift; nach Dale und seinen Mitarbeitern wäre es nicht
unwahrscheinlich, daß beide Gifte identischh und zwar
nichts anderes sind als das sogenannte Histamin. Diese
Base ist von Barger und Dale und von Kutscher schon
vorher im Mutterkornextrakt gefunden, von Ackermann
durch Bakterienwirkung aus Histidin, einem Eiweißabbau-
produkt, erhalten worden. Werden Peptone noch weiter
durch die Verdauungsfermente Trypsin und Erepsin ab-
gebaut, so resultiert ein Substanzgemenge, welches Erepton
genannt wird, und das nun nicht mehr allein jene Gift-
wirkungen des Peptons hat; vielmehr ist nach den Unter-
suchungen von Pick und von Knaffl darin neben Histamin
noch eine andere sehr aktive Substanz enthalten, die vor-
wiegend sympathische Centren im Centralnervensysten
(namentlich die Vasoconstrietoren) erregt und sich als
identisch mit dem sogenannten Tyramin erwiesen hat.
Diese Tatsachen führe ich hier an, weil sie zeigen, daB
unter den Produkten nicht nur der bakteriellen, sondern
auch der normal enzymatischen Zersetzung des Eiweißes
sich Stoffe finden, die, ins Blut gelangt, sehr energische
Wirkungen gerade auf das vegetative Nervensystem auszu-
üben imstande sind; in der Norm werden sie durch die
Darmwand und Leber entgifte. Das Entstehen aber von
Autointoxikationen, z. B. bei Darmverschluß, und auch die
allgemeinen, das vegetative Organsystem in erster Linie be-
treffenden Vergiftungssymptome bei vielen bakteriellen
Darmerkrankungen werden dadurch unserm Verständnisse
nähergerückt.
Die peripher autonome Lähmung durch Atropin,
Scopolamin usw. ist in ihren Folgen im allgemeinen be-
kannt; unter den vielfältigen therapeutischen Anwendungen
möchte ich aber die Behandlung der Obstipation mit
Atropin hervorheben, weil sie mir Anlaß gibt, das schema-
tisch einfach gezeichnete Bild der Wirkung autonomer Gifte
zu berichtigen und zu vervollständigen. Wir wissen, daß
ein spastischer tonischer Darmverschluß, wie z. B. bei Blei-
vergiftung, durch Atropin gelöst wird, daß also die bei dem
Krampfe beteiligten motorischen Vagusendapparate durch
Atropin betäubt, das heißt für die vorher wirksamen Reize
(z. B. Bleisalz, Pilocarpin, Cholin usw.) unerregbar werden.
Nun haben aber Bayliss und Starling sowie Cushny
gezeigt, daß auch der atropinisierte Darm, der also auf
Pilocarpin nicht mehr reagiert, durch elektrische Reizung des
Vagusnervenstamms noch immer wirksam erregt werden
kann; es müssen also, wie namentlich Cushny hervor-
gehoben hat, vom Vagus aus auf zwei Wegen Er-
regungen zum Darme gelangen, von denen nur der
eine durch Pilocarpin, Cholin usw. gebahnt, durch Atropin
blockiert werden kann, der andere aber unbeeinflußt bleibt.
Dieser andere Weg führt wahrscheinlich nicht direkt zum
Darmmuüskel, sondern zu dem ihm anliegenden Auerbach-
schen Ganglionplexus, der seinerseits dem Muskel auto-
matisch-rhythmische Erregungen erteilt. In der Tat wissen
wir aus den Untersuchungen von Magnus, daß die Auer-
bachganglien durch Pilocarpin nicht erregt, durch kleine
Mengen Atropin nicht gelähmt, im Gegenteil durch letztere
sogar angeregt werden. Wir verstehen nun, wie durch
Atropin ein vagaler tonischer Darmmuskelkrampf aufgehoben
wird, während dierhythmisch-peristaltischen Pendelbewegungen
des Darmes nicht nur nicht gehemmt, sondern sogar ge-
steigert werden können, und wie auf diese Art also sowohl
eine spastische Obstipation wie anderseits auch eine wegen
zu schwacher Auerbachperistaltik bestehende atonische
Darmträgheit durch Atropin erfolgreich behandelt werden
kann. Ein dem Auerbachplexus analoges neben- und
zwischengeschaltetes automatisches Gangliensystem — nach
Langleys Bezeichnung Enteric System — findet sich
auch an andern Hohlorganen, Ureter, Blase, Uterus, und
auch hier gelten dieselben Wirkungsverhältnisse der auto-
nomen Gifte wie am Darm: auch an diesen Organen hebt
Atropin einen tonischen Krampf auf, blockiert aber nicht,
wie an Herz und Gefäßen, an den Augen- und Bronchial-
muskeln und an den Drüsen, die centralautonome Inner-
vation und hindert auch nicht, sondern erleichtert eher die
normalreflektorische Rhythmik.
Ich wende mich nun zum sympathischen Nerven-
system. Abgesehen von den Schweißdrüsen, wird es an
allen seinen Endpunkten durch Adrenalin erregt, sodaß die
sympathisch versorgten Organe durch Adrenalin in ihren
Funktionen genau so beeinflußt werden — sei es fördernd
oder hemmend —, wie wenn der versorgende sympathische
Nerv gereizt würde. Die dadurch hervorgerufenen Wir-
kungen sind allbekannt. Nur auf zwei derselben möchte
ich mit einigen Worten eingehen: Das eine ist die sym-
pathische Beeinflussung der Bronchialmuskulatur. Nach
den Beobachtungen von Januschke und Pollak ruft die
intravenöse Adrenalininjektion an den normalen Bronchien
eine kaum merkliche Erweiterung hervor, die krampfhaft
kontrahierten Bronchialmuskeln aber werden durch Adre-
nalin hochgradig erschlafft. Abgesehen von der prak-
tischen Wichtigkeit dieser Tatsache für die Behandlung des
Asthma bronchiale durch Adrenalininjektion zeigt sie I
schlagender Weise, wie der Zustand eines Organs be-
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44
1775
stimmend ist für die Wirkung eines Arzneimittels:
Den Zustand aus der normalen Mittellage abzulenken, ist
im allgemeinen schwerer, als den schon vorher abgelenkten
zur Norm zurückzubringen; im letzteren Fall arbeitet man
konform mit der jeder lebenden Zelle inhärenten regulieren-
den oder kompensierenden Tendenz des „self repair“, im
ersteren ihr entgegen. Dies gilt ganz besonders für die
vegetativen, antagonistisch innervierten, zwischen positiver
oder negativer Ablenkung balancierenden Organe: es macht
verständlich, warum der gravide oder puerperale, abnorm
gedehnte Uterus, wie Cushny gezeigt hat, mit Con-
traction auf Reize antwortet, die den virginal kon-
trahierten zur Erschlaffung bringen; daß ebenso der
Darm, die Harnblase, die Gefäßmuskulatur und auch das
Herz je nach dem vorhandenen Erregungszustand ihrer
antagonistischen Nervenapparate auf pharmakologische Ein-
wirkungen jeweils verschieden reagieren können.
Das andere ist die sympathogene Hyperglykämie
und Glykosurie. Sie besteht in Zuckerausscheidung aus
der Leber und tritt ein nicht nur nach künstlicher Zufuhr
von Adrenalin zum Blute, sondern auch auf gesteigerte
Adrenalinsekretion aus der Nebenniere; und diese kann
durch Erregung der die Nebenniere versorgenden sympathi-
schen Nerven veranlaßt werden. Daß eine solche Beziehung
sympathischer Nerven zur Nebenniere besteht, hat man zu-
erst aus dem Versagen des Zuckerstichs nach Splanchnicus-
durchtrennung oder nach Nebennierenexstirpation (A. Mayer)
erschlossen, und durch neuere Untersuchungen (Dryer,
Asher, Elliot) ist es völlig sichergestellt, daß Erregung der
sympathischen Nebennierennerven die Nebenniere zur Ent-
leerung ihres Adrenalins bringt!). Dadurch erklärt sich nun
nicht nur der durch den Zuckerstich, sondern auch der durch
viele Vergiftungen (CO, Diuretin, Cocain, Erstickung aller
Art usw.) sowie auch der beim Nervenshock eintretende
Diabetes; denn Elliot hat zeigen können, daß jede Art
heftiger centraler, psychischer Erregung (Schreck, Manie,
Schmerzreflexe usw.) das Nebennierencentrum mit erregen
und durch die sympathischen Nerven auf die Nebenniere
wirken, somit die Folge einer Adrenalinämie, Diabetes,
Hyperglykämie, Blutdrucksteigerung, Pupillenerweiterung,
Herzbeschleunigung, Hemmung der Darmperistaltik usw. her-
vorrufen kann.
Da das Adrenalin alle sympathisch innervierten Apparate erregt,
so müßte man erwarten, daß die Nebenniere durch Adrenalinsekretion
ins Blut sich selbst zu stärkerer Sekretion antreibt, ähnlich wie in einem
autokatalytischen Prozeß; und ihr Adrenalingehalt müßte demzufolge
zwischen völliger Erschöpfung und Regeneration auf- und abschwanken.
Da dies aber nicht zutrifft, so wird man schließen müssen, daß die Neben-
niere selbst immun ist gegen Adrenalin.
DasAdrenalin ist optisch aktiv,und zwarlinks drehend;
synthetisch läßt sich aber auch das rechtsdrehende Adre-
nalin gewinnen; dieses wirkt qualitativ ähnlich, aber ungleich
schwächer als linksdrehendes Adrenalin, sodaß es viel weniger
giftig ist. Die analoge Differenz hat Cushny schon früher bei
den links- und rechtsdrehenden Tropeinen beobachtet. Wäh-
rend aber die Wirkung des linksdrehenden Adrenalins immer
sehr rasch abklingt und nur durch kontinuierliche Zufuhr
unterhalten werden kann, bleibt die Wirkung des rechts-
drehenden Adrenalins,‘ nämlich der maximale Krampf der
kleinsten Gefäße und Capillaren, die Mydriasis, die Blasen-
erschlaffung usw. stundenlang bestehen. Eine Folge dieses
Dauercapillarkrampfs ist unter anderm das völlige Ver-
sagen der Speichel- und der Harnsekretion, sowie
auch der Transsudation und chemotischen Entzün-
dungsreaktion der Schleimhäute auf sonst wirksame
Reize (Fröhlich). Diese toxisch extreme Wirkung
illustriert uns die sonst schwerer erkennbare, normale Be-
deutung der sympathischen Blut- und wahrscheinlich auch
1) Vergl. auch Dale und Laidlaw (J. of Phys. 1912, Bd. 45):
Nikotin und Pilocarpin' bewirken Adrenalinsekretion durch Reizung der
Sympathicussynapsen.
Lymphbahnen-Innervation für alle sekretorischen und auch
trophischen Vorgänge.
Dem Adrenalin sind eine große Zahl Basen, Amino-
alkohole und Aminoketone chemisch und in ihren pharmako-
logischen Wirkungen verwandt, sie sind alle, wie Dale es
bezeichnet, sympathomimetisch. Daran schließen sich
noch einige chemisch ganz andersartige und in ihrem sym-
pathischen Wirkungsbereich und -Modus auch mehr weniger
abweichende Substanzen an: das chemisch noch unerforschte
Infundibularsekret Pituitrin und das Tetrahydronaphthy-
lamin; von beiden werden wir später noch zu reden haben;
ferner das Ephedrin, das nur den Augensympathicus, das
Coffein, das die Herzacceleratoren erregt; endlich in ganz
besonderer Weise das Cocain: bekannt ist längst, daß es
örtlich appliziert durch den Dilatator Iridis Mydriasis, und
an Schleimhäuten Contraction der kleinen Gefäße ver-
ursacht, also möglicherweise hier die sympathischen Nerven-
enden erregt. Die Untersuchungen von Fröhlich und
Loewi haben es aber wahrscheinlich gemacht, daß das Cocain
die sympathischen Endapparate nur sensibilisiert für das
sonst unter dem wirksamen Schwellenwerte vorhandene Adre-
nalin; sie konnten zeigen, daß kleine, an sich nicht er-
kennbar wirksame Cocainmengen die Wirkung des Adre-
nalins auf die glatten Muskeln der Iris, der Blase, der Ge-
fäße außerordentlich steigern. Eine Erklärung für diese Er-
scheinung haben wir einstweilen nicht. Die Tatsache selbst
aber wirft ein Licht auf die Ueberempfindlichkeit
mancher Individuen für Cocain und ist auch nach einer
andern Hinsicht interessant: es ist als Synergismus ein
Analogon zu den Erscheinungen der Basedowschen Krank-
beit, die von Fröhlich und namentlich von Gottlieb auf
Grund experimenteller Untersuchungen als Sensibilisie-
rung dessympathischen Nervensystems für die nor-
male Adrenalinwirkung durch abnorm reichliches
Schilddrüsensekret!) erklärt werden. In der Tat ist auf
der einen Seite (Eppinger, Falta und Rüdinger, Ritz-
mann, Pick und Pineles) gezeigt worden, daß das Fehlen
von Schilddrüsensekret im Blute (nach Exstirpation der
Drüsen) die Wirksamkeit des Adrenalins auf einzelne sym-
pathische Apparate (bei verschiedenen Tieren verschiedene)
schwächt, auf der andern (durch Asher und Flack, Kraus
und Friedenthal, Falta, Newburgh und Nobel), daß
die Vermehrung des Schilddrüsenhormons im Blute die
Adrenalinreaktion verstärkt; in neuester Zeit hat Gottlieb
gefunden, daß am isolierten, mit Ringerlösung gespeisten
Kaninchenherzen die acceleratorischen Endapparate für Adre-
nalin durch Zusatz von (an sich ganz unwirksamem) Schild-
drüsenextrakt (Tbyradenextrakt) empfindlicher gemacht
werden, ja daß isolierte und ausgewaschene Herzen von
Tieren, die längere Zeit vorher mit Schilddrüsen gefüttert
worden waren, eine höhere Pulsfrequenz, das heißt höhere
Erregbarkeit der Acceleratoren aufwiesen, als normale
Herzen. Endlich hat Loewi gezeigt, daß am Menschen die
Adrenalinempfindlichkeit bei der Basedowkrankheit wirklich
gesteigert ist, das heißt daß die bei gesunden unwirksame
Einträuflung von Adrenalin ins Auge bei Basedowkranken
mydriatisch wirksam ist.
Aehnlich wie das Schilddrüsenhormon verhält sich
in dieser Beziehung auch das Hypophysenhormon, das vor-
erwähnte Pituitrin. Zunächst ist die sympathische Sensibi-
lisierung durch Pituitrin für die Muskulatur der Iris und der
Gefäße (Kepinow) und für die glykosurische Wirkung des
Adrenalins (Borchardt, Falta) gezeigt worden. Im übrigen
sind die Angaben der Autoren über die Wirkung des Hypo-
physenextrakts nicht immer übereinstimmend, was bei einem
Gemenge unbekannter Bestandteile, wiePituitrin, kaum anders
zu erwarten ist (nach Campbell sind darin mindestens zwei
1) Schilddrüsensekretion kann stark erregt werden durch Jod-
verbindungen; durch sympathisch nervösen Einfluß. (Wiener, Asher
und Flack.) Ä
weg
1776
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
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verschiedene, zum Teil gegensätzlich wirkende Stoffe vor-
handen). Am graviden und puerperalen Uterus haben
v. Frankl - Hochwart und Fröhlich eine hochgradige,
therapeutisch sehr wertvolle Erregbarkeitssteigerung der Nervi
hypogastrici, und Bayer und Peter das gleiche an den
hemmenden sympathischen Nerven des Darmes konstatiert.
Die Wirkungen des Pituitrins sind aber keineswegs darauf
beschränkt, sondern ziemlich kompliziert; es erregt auto-
nome Nerven, wie den Nervus pelvicus der Blase und ander-
seits auch die sympathisch innervierte Muskulatur von
Herz und Gefäßen (Dale, Wiggers).
Dies waren einige Fälle von Synergismus. Wir
kennen aber auch Tatsachen, die auf gewisse physiologische
Antagonismen oder besser vielleicht Aneirgismen, Ver-
hinderung der Wirkung, schließen lassen. Wenn das
Pankreas operativ entfernt oder degeneriert ist, so zeigt
die Iris eine erhöhte Adrenalinempfindlichkeit; die Leber,
die sonst nur durch abnorm. hohen Adrenalingehalt des
Bluts zur übermäßigen Zuckerbildung gezwungen wird,
treibt jetzt spontan all ihr Glykogen als Zucker aus: das
deutet darauf hin, daß ein Pankreashormon!) existiert,
das wenigstens an einzelnen sympathischen Apparaten
die Wirksamkeit des Adrenalins abschwächt oder ganz
hindert. Ob die Produktion dieses Hormons unter dem
Einfluß von Nerven steht, wie bei der Thyreoidea oder der
Nebenniere, ist nicht sichergestellt; es ist aber nach Faltas
Versuchen plausibel, daß ein solch nervöser und zwar ein
autonom nervöser Einfluß besteht; es gelang Falta
nämlich durch autonom erregende Gifte (Pilocarpin), die
ädrenalinhemmende Wirkung zu steigern, das heißt den
Adrenalindiabetes zu verhindern, und umgekehrt ihn durch
Atropin zu fördern. Ein anderes hierhergehöriges Beispiel
der Behinderung respektive Dämpfung von Hormon- und
Giftwirkungen durch einen normalen Körperbestandteil bietet
der Kalk. Abgesehen vom.Skelett findet sich Kalk in allen
Geweben als wesentlicher lebenswichtiger Bestandteil. Wird
er ihnen, insbesondere den Nervenapparaten ganz entzogen,
so werden sie gelähmt, geschieht es nur teilweise, so wird
ihre Erregbarkeit in gewisser Richtung gesteigert. Am
leichtesten läßt sich die Kalkentziehung in beliebigem Grade
durch‘ Oxalsäurevergiftung herbeiführen und damit
gelingt es nach Chiaris und Fröhlichs Untersuchungen
mit Sicherheit, die Empfindlichkeit der vegetativen Nerven-
endapparate, sowohl der sympathischen wie der autonomen,
für Adrenalin bezw. Pilokarpin zu steigern. Die dämpfende
Wirkung des Kalkes ist nicht speziell elektiv und auch
nicht auf die vegetativen Nerven beschränkt, sondern geht
auch auf die cerebrospinal motorischen; sie werden durch
Kalkentziehung elektrisch und speziell kathodisch über-
erregbar, ein Symptom, das charakteristisch ist für die
Tetanie und Spasmophilie. Diese Erkrankung ist,
wenigstens in den meisten Fällen, die Folge von Insuffizienz
oder Fehlen der Epithelkörperchen. Die Untersuchungen
von Mc Callum und Vögtlin und namentlich die aus-
gedehnten und gründlichen Studien von Erdheim über die
Beziehungen der Epithelkörper zum Kalkstoffwechsel haben
nun gelehrt, daß die organische Assimilation des Kalkes in
den Zellen von der normalen Funktion der Epithelkörper
bedingt ist. Mittelbar durch Beherrschung des Kalkstofi-
wechsels haben also die Epithelkörperchen einen wesent-
lichen Einfluß auf die Erregbarkeit der Nerven,
insbesondere auch der vegetativen Nerven; ob sie auch noch
einen andern mehr unmittelbaren Einfluß darauf haben,
wissen wir nicht. | | |
Ich darf hier nicht unerwähnt lassen, daß es beim Kalk
nicht sowohl -auf seinen. absoluten Gehalt in dem Proto-
plasma ankommt, als auf sein zu andern Ionen relatives
~ - 1) Neben dem von Starling kürzlich ‚nachgewiesenen Pankreas-
hormon, das den Zuckerverbrauch im Muskel beeinflußt, a i i
‘nomen Oculomotorius,
Verhältnis: einseitige Vermehrung der andern Ionen (K’ und
Na‘) wirkt schon wie Kalkverminderung und ändert dement-
sprechend die Erregbarkeit der Organe. |
‚. Campbell untersuchte die Wirkung des Pituitrins auf -Gefäß-
streifen in Ringerlösung mit verschiedenem Ca- und K-Gehalt: in der Ca-
reichen Lösung bewirkte Pituitrin Erschlaffung, in der Ca- ärmeren Con-
traction der Arterien.
Den Aerzten ist das sogenannte „Kochsalzfieber“ be-
kannt, das namentlich bei Kindern, gelegentlich aber auch
bei Erwachsenen nach reichlicher Zufuhr von Kochsalz per os
oder intravenös beobachtet wird: es ist die Folge relativer
Kalkminderung, nämlich Steigerung der sympathischen
und zwar hier besonders der central-sympathischen
Erregbarkeit. Und damit komme ich zur Pharmakologie
der vegetativen Centren.
Auch die Centralapparate des vegetativen Nerven-
systems scheiden sich physiologisch in sympathische und
autonome und lassen sich auch als solche pharmako-
logisch — wenn auch keineswegs so präzis und elektiv wie
die peripheren Endapparate — differenzieren. So wird durch
Vergiftung mit Picrotoxin das medullare Centrum des
Vagus erregt und mit ihm zugleich auch das des auto-
der Chorda tympani, der
Schweißinnervation und des Nervus pelvicus; diese
selben Centralapparate des autonomen Nervensystems wer-
den — neben einigen cerebrospinal-motorischen Centren —
elektiv gelähmt durch das Botulismustoxin. ke;
Die sympathischen Centralapparate ihrerseits werden
durch eine ganze Reihe von Agentien erregt, s0 namentlich
durch das Tetrahydronaphthylamin, das Cocain, Atropin,
Coffein; durch andere werden sie gehemmt, so durch
Morphium, durch Chloralhydrat und wohl auch durch die
Antipyretica. | | |
Aber weder bei den autonom- noch bei den sym-
pathisch-centralwirkenden Giften ist die Wirkung scharl
specifisch begrenzt, vielmehr greift sie fast immer auch auf
andere centrale Nervenapparate über und ruft dadurch ein
sehr kompliziertes Symptomenbild hervor. Die lokalisierte
Wirkung eines Giftes an irgendeinem bestimmten Punkte
des Centralnervensystems mit Sicherheit nachzuweisen, ist
ohnehin aus technischen Gründen kaum möglich und wird
außerdem hochgradig erschwert durch die gegenseitige
antagonistische Beeinflussung, die gegenseitige Balance
der autonomen und der sympathischen Centren. Es
ist sicher, daß, wenn die einen, z. B. die sympathischen, de-
primiert werden, automatisch der Erregungszustand der
autonomen Centren ansteigt und umgekehrt: so erklärt sich
z. B. der erhöhte Tonus des autonomen Oculomotoriuß
(Miose), des Vagus (Bradykardie), der Schweißdrüsennervei
bei der Depression des sympathischen Centralsystems dure
Morphin-!) oder Chloralvergiftung, und umgekehrt die
Schwächung des autonomen Nerventonus — die Erschlaffung
des Irissphineters, Schwächung der Herzvagusbemmung usw.
bei jeder starken Erregung sympathischer Centren.
In der Regel verbindet sich die Erregung der uns be-
kannten sympathischen Centren mit der Erregung psy cho-
motorischer Hirncentren und auch der wärmeregt-
lierenden Apparate: Heftige psychische Aufregung (2. B.
Angst, Wut, Freude, geschlechtliche Erregung usw.), erregt
auch die Centren des Nervus splanchnicus, der Herzaccelera-
toren, der Irisdilatatoren und unter Umständen auch das
Wärmecentrum. Psychische Depression (Kummer, Molan-
cholie) hat bekanntlich die entgegengesetzten Begleiterschel-
nungen. Anderseits verursachen die notorisch central-sym-
pathisch erregenden Gifte Tetrahydronaphthylamin, Coca,
Atropin und andere durchwegs auch eine psychomotorische
S ‚) Beim Menschen, beim Hunde; — bei Pferden, Rindern
chweinen und bei der Katze ruft Morphin nicht Depression, sondern ZU
nächst heftige Erregung des sympathischen Centralsystems mit all
ihren Folgen hervor. Ae m
Medizinische Klinik 1912 Nr. 44
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3. November.
Erregung mit gleichzeitiger Temperatursteigerung, die sym-
pathisch hemmenden wie Morphin!), die Antipyretica und
andere eine psychomotorische und thermische Depression
(Kollaps, Nausea); und ergänzend fügt sich hier an, daß die
vorwiegend central-autonomerregenden Gifte, Picrotoxin,
Santonin, Phenol, Anilin und andere mehr, obschon sie
Krämpfe verursachen, doch betäubend, das heißt psycho-
motorisch hemmend und zugleich auch temperaturherab-
setzend wirken (Harnack): Hier wie in den andern oben-
genannten Vergiftungen erkennen wir immer die grobe
Gleichgewichtsverschiebung zwischen den autonomen
und den sympathischen Centralapparaten, das abnorme Ueber-
wiegen der einen auf Kosten der andern Innervation.
In abgeschwächter Form sehen wir diesen Wechsel und
Unterschied der nervösen Betonung natürlich auch in der
Norm und erkennen nun die vorwiegend „sympathische
Stimmung“ an der rosigen trockenwarmen Haut, den weiten,
spielenden Pupillen, dem raschen Herzschlage, der hohen
Eigenwärme, dem lebhaften, vielleicht leidenschaftlich be-
wegten Temperament — gegenüber dem mehr „autonom be-
stimmten* Typus der ruhig gemessenen Haltung mit der
engen, scharfen Pupille im tiefliegenden Auge, mit der
kühlen, blassen Haut, mit langsamem Herzschlag und kaltem
Blut. Und daß auch der gesamte chemische Stoffwechsel,
die ganze „Konstitution“ dadurch mitbetroffen und bestimmt
wird, ergibt sich von selbst aus den schon erwähnten Beob-
achtungen, daß die Bildung und Sekretion der wesentlichen
Stoffwechselhormone — der sogenannten inneren Drüsen-
sekrete — von dem Innervationstonus der vegetativen Nerven
unmittelbar abhängig ist. l
‘Ich habe versucht, in allerdings nur ganz groben Um--
rissen, Ihnen ein Bild von den aktiven Funktionen des
vegetativen Nervensystems zu entwerfen, und zwar mit Be-
nutzung der mir geläufigen Methodik, das heißt mit Hilfe
pharmakologischer Agentien, die uns dabei zur besseren
Differenzierung und schärferen Markierung der einzelnen
Linien und Konturen haben dienen können, wie etwa die
chemischen Verstärker auf einer photographischen Platte.
Ich möchte zum Schluß noch einige Worte anfügen
über die passiven, das heißt die receptorischen oder
sensiblen Apparate und Funktionen des vegeta-
tiven Systems. Wir werden dabei von vornherein
zweierlei Arten receptorischer Nerven annehmen dürfen:
erstlich solche, die die adäquaten Reize in den Organen
empfangen und auf kurzem Wege, das heißt ohne Rücken-
mark — vermutlich durch Ganglienzellensysteme wie den
Auerbachplexus — auf die effektorischen Nerven umladen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44
1777
Diese kurzen Receptorenbahnen sind selbstverständlich inte-
grierende Teile des vegetativen Ganglien-Nervensystems;
einer gesonderten physiologischen oder pharmakologischen
Untersuchung sind sie einstweilen nicht zugänglich.
Von ihnen höchstwahrscheinlich ganz verschieden
sind die receptorischen Nerven, welche gewisse Reize zum
Rückenmark und weiter direkt oder indirekt zur Hirn-
rinde führen unter Erzeugung von Druck- oder Schmerz-
empfindung. | |
Es ist bekanntlich von namhaften Gelehrten behauptet
worden, daß die vegetativ innervierten Organe, wie Darm,
Blase usw., selbst gar nicht schmerzvermittelnde Nerven
besitzen, sondern nur das mit ihnen zusammenhängende,
parietale Peritoneum respektive Mesenterium, deren Zerrung
und Verletzung die visceralen Schmerzempfindungen veran-
lassen; von anderer Seite wird aber die unmittelbare
Schmerzempfindlichkeit der Visceralorgane als sicher erwiesen
betrachtet. "o
Mit meinem Kollegen A. Fröhlich habe ich selbst an
Hunden die Schmerzempfindlichkeit von Dick- und Dünn-
darm, Blase, Niere, Testikel und von den Extremitätenarterien
untersucht, und wir sind zu der Ueberzeugung gekommen,
daß unmittelbar von allen diesen Organen aus durch
adäquate Reize Schmerzempfindungen ausgelöst werden
können. Daran knüpft sich nun weiter das ebenfalls um-
strittene Problem, ob die Schmerznerven der Visceralorgane
den vegetativen oder aber den afferenten cerebro-
spinalen Nerven zugehören.
Wir haben daraufhin die Organsensibilität bei Tieren
geprüft, an denen wir mehrere Tage vor der Prüfung syste-
matisch Durchschneidungen hinterer Rückenmarkswurzeln,
Durchtrennung des Rückenmarks selbst in verschiedenen
Höhen und endlich Durchtrennung der Nervi. splanchnici
beziehungsweise bypogastriei ausgeführt hatten, und müssen
auf Grund unserer Versuche, die ich hier nicht wiedergeben
möchte, einstweilen schließen, daß weder die Nervi
splanehnici noch hypogastrici' die schmerzvermittelnden
Nervenbahnen enthalten, sondern daß diese in andern, durch
die hinteren Wurzeln ins Rückenmark eintretenden Spinal-
nerven verlaufen. Und zwar fanden wir als oberste
(orale) Grenze für den Eintritt der sensiblen Bahnen:
für den Dünndarm das 11. Thorakalsegment
12
» » Dickdarm A : a
„ die Femoralarterien „ 2. Lumbalsegment
» »„ Testikel Pe; > =
” ”
Blase „6. Zu
Abhandlungen. |
Aus der Augenklinik der Universität Kiel.
Erfahrungen und Gedanken über Tuberkulose
und Tuberkulin
von
Prof. Dr. Heine.
(Mit 1 farbigen Tafel.)
‚ Wenn wir die Bedeutung der Tuberkulose in der Aetio-
logie der verschiedenen Augenkrankheiten würdigen wollen, so
erhebt sich die Frage, auf welche Weise wir die tuberkulöse Natur
gewisser Krankheiten überhaupt feststellen oder — vorsichtiger
gesagt — wahrscheinlich machen können. Dazu gibt es der
Hauptsache nach zwei Wege:
1. Das klinische Bild in des Wortes weitester Bedeutung
einschließlich des Verlaufs der Krankheit, des Allgemeinstatus,
der individuellen wie der familiären Anamnese.
‚2. Die specifische Reaktion des erkrankten Organismus
auf diagnostische Injektion von Alttuberkulin (AT) nach Koch.
') Vgl. dazu O. Fischer, W. kl. W. 1912, Nr. 16.
A
1. Das klinische Bild.
| a) Typische Formen. |
1. Was zunächst das klinische Bild, z. B. der Keratitis,
Skleritis (sklerosierende Keratitis), Iritis, Iridocyclitis (Uveitis
anterior), Ohorioiditis (Uveitis posterior) anbetrifft, so gibt es
zweifellos Typen, denen es der Kenner sofort ansieht, daß hier
wohl mit der uns möglichen Sicherheit eine tuberkulöse Affektion
anzunehmen ist. Hierin stimme ich z. B. völlig mit Stock
überein, wenn ich annehme, daß gewisse Formen minimaler grau-
durchscheinender glasiger Knötchen im Bereiche des Circulus iridis
minor und besonders des Pupillarrandes selbst nicht anders
als tuberkulös gelten können. Wenn dagegen z. B. von Vossius
geltend gemacht wird, daß solche Knötchen innerhalb von zwei
bis vier Wochen abheilen, also schwerlich Tuberkeln dargestellt
haben könnten, so ist diese klinische Beobachtung zweifellos
richtig und auch von mir selbst vielfach erhoben, die Deutung als
Tuberkeln ist mir dadurch aber keineswegs zweifelhaft geworden,
denn die Knötchen kommen und gehen, heilen scheinbar, oft mit
minimalster Narbenbildung, oft. nur mit kleinsten, partiellen
Atrophien, kommen daneben aber wieder und bilden dann Tumoren,
La D Natur man nicht mehr bezweifeln kann.: (Tafel-
1g. 1-2. a a peba Zr Pr
d
?
1778
Von Leber wurde für solche — abortiv verlaufenden —
Tuberkulosen der Begriff der abgeschwächten Tuberkulose ein-
geführt. Neuerdings ist man geneigt, noch weiter zu gehen in
dieser gedanklichen Richtung und Embolie toter Tuberkelbaeillen,
Baeillentrümmer oder gar nur eine chemisch-toxische Entstehungs-
art solcher Knötchen anzunehmen. Damit betreten wir jedoch das
Gebiet der Theorie, klinische Tatsache bleibt — und diesen Punkt
möchte ich besonders unterstreichen —, daß diese geschilderten
Knötchen speeifisch-tuberkulöse Neubildungen darstellen. Gerade
diese Knötchen (s. Tafel-Fig. 1—2) sind eben auch meines Erachtens
mit nichts anderm zu verwechseln, haben im besonderen keine
Aehnlichkeit mit denen bei Lues, sympathischer Ophthalmie
(Tafel-Fig. 19), der Fremdkörperchen- und Raupenbaariritis,
haben also eine eminent wichtige diagnostische und — wie wir bei
der Besprechung der „Lokalreaktion“ sehen werden — theoretische
Bedeutung, sie lassen nämlich keine örtliche Reaktion bei der Alt-
tuberkulininjektion erkennen, Im Tierexperiment hat Stock diese
Bildungen erzeugt und mikroskopisch untersucht. Er hat sie beim
Menschen wiedergefunden, und zwar nur bei solchen Fällen, wo
die diagnostische Tuberkulininjektion eine allgemeine oder örtliche
Reaktion gab. „Sie sind, wenn die Tuberkulinprobe im übrigen
positiv ist, nach meiner Ansicht geradezu für Tuberkeln charak-
teristisch.* In diesem Satze könnte ich meinerseits noch den
Mittelsatz entbehren. | |
Noch eine zweite Sorte von „Knötchen“ ist für Tuberculosis
iridis charakteristisch, das sind solche, wie deren zwei in Tafel-
Fig. 3 u. 5 (Hübner, Rasch) dargestellt sind. Ciliarkörperwärts ge-
legene tumorartige rundliche Stromaverdiekungen ohne irgend-
welche Destruktionen des Gewebes. Bei der geringen Größe und
noch geringeren Prominenz ist es ohne weiteres verständlich, daß
diese Dinge sehr oft übersehen werden, wenn man nicht bei stark
seitlicher, scharfer Beleuchtung untersucht und besonders die
Sehattenwirkung beobachtet.
Der in Abb. Hübner abgebildete temporal gelegene Tumor
zeigt vertikal-elliptische Form, unterhalb desselben entwickelte sich
unter unsern Augen noch ein zweiter kleinerer. Bei enger Pupille
nahm der Tumor horizontal-elliptische Form an, eine Erscheinung,
die uns eine gewisse Vorstellung von der Konsistenz solcher
Tumoren gibt.
In einem andern Falle (bei Keratitis scleroticans) lag ein
genau ebensolcher Tumor etwa in der Mitte zwischen Pupillar-
und Öiliarrand, im Laufe einiger Wochen wanderte er bis fast zum
Ciliarrand. In diesem Falle stellte sich nach allen Excessen, z. B.
in alkoholischer Hinsicht, eine lebhafte partielle ciliare Injektion
an der entsprechenden Stelle ein, während das Auge sonst
blaß war. |
Im obigen (abgebildeten) Falle trat plötzlich eine typische
Phlyktäne in unmittelbarer Nachbarschaft des Tumors auf, eine
Erscheinung, die auf die bekannten intimen Beziehungen zwischen
Tuberkulose und Skrophulose hindeutet.
Gelegentlich sieht man nun solche Tumorbildungen aus den
noch viel kleineren Knötchen am Pupillarrande, wie sie in
Tafel-Fig. 1 abgebildet sind, direkt hervorgehen. Der beiden ge-
meinsame Tuberkulosecharakter ist also zweifellos sicher.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
| Eine dritte Sorte/von Knötchen (Paustian, Tafel-Fig. 18)
stellen diejenigen Verdickungen dar, welche sich mit{Vorliebe im
Bereiche des Circulus (arteriosus) minor vorfinden. Es sind das
nicht fremdartige Einlagerungen, wie die ersten kleinsten Knötchen
nicht Tumoren, die man für physiologische Verdickungen oder
partielle Vorbuckelungen des Irisgewebes halten könnte, wie die
sub 2 beschriebenen, sondern entzündliche Infiltrationen akuter
oder chronischer Provenienz. Bei weiterem Wachstum kann ein
ganzer Irisquadrant, ja eine Hälfte in eine Tumormasse verwandelt
sein, der man es aber sofort ansieht, daß eine entzündliche In-
filtration stattgefunden hat. Diese Tumoren gehen meist all-
mählich in das mehr oder weniger gesunde Gewebe der Iris über.
Diese Formen sind jedoch keineswegs so eindeutig tuberkulösen
Ursprungs wie die unter 1 und 2 beschriebenen. Je chronischer
sie sind, um so häufiger sind sie freilich tuberkulös — wenn nicht
sympathische Ophthalmie in Frage kommt —, je akuter entzündet
aber die benachbarten Irispartien sind, um so mehr tritt die Syphilis
ätiologisch in den Vordergrund. Abb. Kneif, Tafel-Fig. 19, zeigt das
Bild einer sympathischen Ophthalmie, wo nasal und temporal oben
je einmal eine Iridektomie wegen Drucksteigerung versucht werden
mußte. Das Bild ähnelt — wie ja so häufig die sympathische
Ophthalmie — wohl den tuberkulösen Iritiden. Erinnert sei in
differentialdiagnostischer Hinsicht betreffs dieser dritten ‘Sorte an
die „Fremdkörperchentuberkulose* und die Raupenhaariritis
(„Ophthalmia nodosa“).
Die theoretische Wichtigkeit, welche diese Bildungen, be-
sonders die ersten beiden Arten von Knötchen, beanspruchen, ver-
anlaßt mich, noch einen Augenblick bei ihnen zu verweilen. Daß
sie vielfach übersehen werden, ist schon von Stock ganz gewiß
mit Recht betont worden. Man sieht sie nur bei bester seitlicher
Beleuchtung bei mindestens zehnfacher Vergrößerung im bin-
okularen Mikroskop (Czapski-Drüner). Die Frage ist also die,
ob sie sich ausschließlich bei solchen Iritiden finden, wo wir in
Ermangelung jeder andern Aetiologie uns berechtigt glauben, die
Tuberkulose anzuschuldigen. Ich bitte zu beachten, daß wir uns
hierbei rein auf dem klinischen Erfahrungsgebiete zu halten haben.
Sollte sich der Patient also als sonst in jeder Beziehung völlig
gesund erweisen, reagiert er aber auf eine gewisse Dosis Alt-
tuberkulin, so bleibt die Frage vorläufig noch offen und soll unten
genauer erörtert werden, ob wir berechtigt sind, ihn — vielleicht
nur auf Grund einer geringen Temperatursteigerung — für „tuber-
kulös“ zu erklären. Hat er auch sonstige mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit als tuberkulös anzusprechende Lungen-,
Knochen- oder Hautaffektionen, so wird uns die Auffassung der
Irisveränderungen als tuberkulös schon näherliegend erscheinen.
Zeigt der Betreffende nun aber syphilitische Symptome (acquirierte
oder hereditäre), zeigt er Diabetes, Gicht oder Rheuma, hat er
diese oder jene Infektionskrankheit (Influenza, Gonorrhöe,: Febris
recurrens, Malaria und andere) durchgemacht, so ist damit durch-
aus nicht widerlegt, daß die Knötchen Tuberkeln seien, denn alle
die genannten Krankheiten können auch einen von Haus aus
Tuberkulösen betreffen, und als syphilitisch, diabetisch, giehtisch
usw. können wir eine Iritis nur dann mit Sicherheit ansprechen,
wenn keine andere Aetiologie nachzuweisen ist. Es gehört also,
Erklärung zu den Bildern auf nebenstehender Tafel.
1. Beginnende tuberkulöse Iritis, erste Synechienbildung. S. Kr.-G. 3.
2. Derselbe Fall mehrere Monate später: Tumorenbildung am
Pupillarrande, Pigmentschwund peripupillär. Fall K. Rechtes Auge.
. Zwei Tuberkel temporal und nasal unten. Temporal eine Phlyk-
täne. Fall Hübner. Rechtes Auge. S. Kr.-G. 10.
4. Alte und frische Synechien, ein Tuberkel temporal. Fall Würde-
mann. Rechtes Auge. S. Kr.-G. 12.
5. Doppelseitige Iritis tuberculosa. Rechtes Auge. Der nasale Pupillar-
rand ist von konfluierenden Tuberkeln eingenommen. Fall Rasch. S.Kr.-G. 5.
6. Heterochromie. Die linke Hälfte stellt das gesunde, die rechte
das kranke Auge dar: leichte Atrophie des Irisstroma und des Pupillar-
randes, Aphakia operativa Cataracta. Fall Motzen. S. Kr.-G. 13.
7. Pigmentierte Tuberkulomnarbe, unterhalb derselben noch einige
Tuberkeln. Fall Grünwald. S. Kr.-G. 11.
8. Partielle Atrophie der Iris, vermutlich tuberkulds. Schwund
der Iris bis zum Pigmentblait; am Pupillarrand fehlt auch dieses. Linkes
Auge. Fall Pagels. S. Kr.-G. 2.
Periphere vordere Synechien mit partieller Irisatrophie: Leu-
coma corneae adhärens, ohne daß Perforation stattgefunden hätte. Peri-
pupillaratrophie. Fall Dietrich.
10. „Getigerte“ Iris. Disseminierte Atrophien im Lidspaltenbereich.
Fell Johannsen. S. Kr.-G. 4.
11. Partielle (peripupil’äre) Atrophia tuberculosa? Descemetsche
Beschläge. Fall Libba S. Kr.-G. 16.
12. Diffuse und besonders peripupilläre Atrophie mit Resten hin-
terer Synechien, beiderseits symmetrisch, bei negativer Anamnese. Linke
Auge. Fall Hasenbank. S. Kr.-G. 15.
13. Partielle Iritis syphilitica, später ohne Atrophie abgeheilt, Fall
Hass. Das Bild ist in keiner Weise übertrieben!
14. Iritis gummosa, einseitig, sechs Wochen nach Salvarsan 0,8.
15. Dasselbe Auge, einige Wochen später, nach Hg-Jk-Behand-
lung: Partielle Atrophie, Narben und Reste hinterer Synechien. Linkes
Auge. Fall Dittmann.
‚16. Tritis acuta syphilitic.. Links unten .peripheres Gumma, später
einem Tuberkel gleichend. Fall Böhm.
17. Iritis syphilitica chronica mit Cyelitis (Descemetschoh Be-
schlägen), oben rechts ein Gumma; sebr tuberkuloseähnlich. Fall Höck.
‚ ‚18. Iritis syphilitica subacute. Die linke Irishälfte ist tumorarüg
verdickt, wirft Schatten bei seitlicher Beleuchtung von rechts. Pigment-
saum des Pupillarrandes überwulstet. Später Restitutio ad integrum.
Könnte dem klinischen Bilde nach auch Tuberkulose sein. Fall Paustian.
19. Iritis sympathica mit diffuser Atrophie und Knötcheneinlage-
rungen. Zweimal Iridektomie versucht oben nasal und temporal. Fa
Kneif.
20. Glaukomatöse Irisatrophie: das vordere Trisblatt ist teilweise
a den) die untere Hälfte wie „mit Schnupftabak bestreut‘.
Q
3. November.
‚1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44,
1779
wenn wir Tuberkulose ausschließen wollen, dazu der Befund einer
negativen Reaktion auf Alttuberkulininjektion. Es ist dies ein
Punkt, der vielleicht bisher noch nicht genügend beachtet ist.
Gewiß gibt es eine charakteristische Form auch ‘der syphilitischen
Tritis. Ich bin sogar der festen Meinung, daß man in geeigneten
Fällen allein aus dem klinischen Bilde der Regenbogenhaut-
veränderungen mit größter Wahrscheinlichkeit die Diagnose stellen
kann; gleichwohl gewinnt die Diagnose noch an Sicherheit, wenn
die Alttuberkulininjektion negativ ausfällt und sich auch sonst
keine der genannten Aetiologien findet, dann erst ist es ein „reiner
Fall“. Ebenso gehört zur Diagnose „rein tuberkulöse Iritis“ das
Fehlen anderer Aetiologie, so z. B., was die Lues anbetrifft, unter
anderm das Fehlen der Wassermannschen Reaktion. In prin-
zipiell wichtigen Fällen kompliziert sich — von diesem Gesichts-
pnnkte — die Untersuchung bisweilen ganz erheblich, zumal
wenn man zur Erkennung eines latenten Diabetes den Zucker-
gehalt des Bluts, bei Gichtverdacht die endogene Harnsäurekurve
bestimmt und bei Malariakranken die Erreger im Blute suchen will.
Vielleicht gelangen wir aber dann, wenn erst ein größeres Material
möglichst mit allen modernen Hilfsmitteln der Diagnostik unter-
sucht ist, zu der Ueberzeugung, daß die ätiologische Bedeutung
aller andern Dinge gegenüber der Tuberkulose und der Syphilis
ganz erheblich zurücktritt, daß namentlich die der Tuberkulose
sich immer weitere Anerkennung verschaffen wird, ja daß man
vielleicht bald über das noch hinausgehen wird, was-v. Michel
— seinerzeit unter weitverbreitettem Widerspruch — als erster
gesagt hat. Sahli sagt: „Endlich möchte ich noch erwähnen,
daß es mir in den letzten Jahren auffällig häufig vorgekommen
ist, daß ich bei chronischen deformierenden Arthritiden, besonders
der Fingergelenke, aber auch anderer Gelenke, ausgesprochene
Zeichen einer latent verlaufenden Lungentuberkulose konstatieren
konnte. Ich habe dadurch die Ansicht bekommen, daß die År-
thritiden eine ähnliche Bedeutung und Genese haben wie die Haut-
tuberkulide, das heißt, sie beruhen auf der Verschleppung von
Tuberkelbacillen auf dem Blutwege in die in diesen Fällen eine
eigenartige Disposition darbietenden Gelenke, wobei aber diese
Verschleppungen infolge von Allergie oder Ueberempfindlichkeit
nicht zum Bilde der gewöhnlichen Gelenk- oder Knochentuberkulose
führen, sondern einfach chronisch entzündliche Affektionen hervor-
rufen. Und diese sind der Tuberkulinbebandlung zugänglich. ...
Es werden sich überhaupt meiner Ueberzeugung nach manche
dunklen Affektionen des Körperinnern, manche schmerzhaften
Affektionen des Abdomens, auch sogenannte chronische Appen-
dieitiden als Tuberkulide in diesem allgemeinen Sinn erweisen und
einer entsprechenden Behandlung zugänglich werden“ (S. 83).
Sodann zieht Sahli auch die Skrofulose in den Bereich seiner
Erwägung und Behandlung.
Von dem Gebiete der „rheumatischen Ursachen“ ist ja schon
manches abgebröckelt, bemerkenswerterweise gerade mehrfach
solches, was auch zu Iritis Veranlassung gibt, erinnern wir uns an
die Gonorrhöe mit ihrer Arthritis (Tripperrheuma) und Iritis. Ge-
wiß ist es mit Freuden zu begrüßen, wenn solche dunklen Gebiete
der Diagnostik hier und da durch präzisere Begriffe aufgehellt
werden. Natürlich soll damit der Begriff des chronischen Rheu-
matismus nicht in Tuberkulose und Gonorrhöe aufgelöst werden.
Immerhin ist mir das beklemmende Gefühl, wenn ich in der Klinik
„den sogenannten Rheumatismus“ für dieses oder jenes anschuldige,
den Zuhörern gegenüber nicht so peinlich, wenn ich zwei Erreger
dieser Diathese direkt namhaft machen kann. Möglich, ja wahr-
scheinlich, daß noch andere dahinter stecken, erfreulich ist es zu-
nächst, daß wir zwei kennen und bekämpfen können. Wie ist
aber auch die Bedeutung der einfachen Erkältungsursachen (im
Sinne der Außentemperaturdifferenzen) eingeschränkt worden zu-
gunsten der bakteriellen Aetiologie!
Wenn aber die fast allein ausschlaggebende Bedeutung der
klinischen Beobachtung für die richtige Bewertung des grauen
Irisknötchens betont wurde, so bedarf das noch einiger Begründung:
Was zunächst die anatomische Untersuchung solcher Knöt-
chen anbetrifft, so war der mikroskopische Bau in den Befunden
von Stocks Tierexperimenten nicht charakteristisch für Tuber-
kulosebildungen, erst der tinktorielle Nachweis der Baeillen
schaffte ihm für seine Deutung die Anerkennung von seiten
der Anatomen. Aber wo auch die Bacillen fehlen, würde man
mit den Dermatologen Baeillensplitter oder sogar Toxine an-
nehmen können (ähnlich den Hauttuberkuliden), ohne die intime
Zugehörigkeit der gedachten Irisknötehen zur Tuberkulose preis-
geben zu müssen. Die Verimpfung solcher Knötchen gibt nur
ausnahmsweise ein positives Resultat, was sich auch relativ leicht
und einfach dadurch erklärt, daß entweder keine Bacillen vor-
handen sind, oder nur Splitter, oder tote, oder avirulente Formen.
Diese Gedankengänge weisen uns also eindeutig auf die ob-
jektive klinische Beobachtung ohne vorgefaßte Meinung über die
Malignität der in Frage stehenden Prozesse. Gerade über den
Charakter der Tuberkulose haben sich die Ansichten in den
letzten Jahren wohl ganz besonders modifiziert, ad bonam vergens,
wenn ich so sagen darf. Möglich, daß sich auch der Charakter
der Infektion selbst — wie es hier und da scheint — geändert,
das heißt gemildert hat.
War im obigen der Gedanke vertreten, daß es eine durch
verschiedene Arten von Knötchen scharf charakterisierte Form
der Irisbeteiligung bei Tuberkulose gäbe, wo keine andere Aetio-
logie aufzufinden, wohl aber durch Alttuberkulininjektion allge-
meine oder örtliche Reaktion hervorzurufen sei, so taucht nun
die Frage auf, ob es auch andere Formen von typischen
Augenkrankheiten gibt, für die klinisch einzig Tuberkulose in
Frage käme,
Ich glaube dies allerdings für gewisse Formen von Conjunc-
tivitis und Keratitis, sowie eventuell Skleritis annebmen zu sollen.
Betreffs der Conjunctivitis tuberculosa mit den vier Sattler-
schen Typen dürfte es kaum auf Widerspruch stoßen, wenn auch
hier die Diagnose meist nicht allein durch die klinische Beobach-
tung gestellt, sondern durch anatomische und bakteriologische
Untersuchung erhärtet werden muß. Diese Bindehautafiektionen
haben indes eine wesentlich andere Bedeutung als die tuberkulösen
Iritiden. Während wir für letztere Frernwirkung von irgend
einem versteckten Herd im Körper annehmen — mit welchem
Rechte werden wir unten sehen —, sind erstere wohl öfter als
Lokalaffektionen aufzufassen, vielleicht in der Conjunctiva selbst
primär lokalisiert, wie im Falle Schwartz’s, wo von einem schwind-
süchtigen Vater dem Sohn ein Fremdkörper aus der Conjunctiva
mit dem Taschentuch entfernt wurde, oder sie sind fortgeleitete
Prozesse von einer Tuberkulose der Haut (der Wangen, der Nase),
der Schleimhaut (der Tränenwege), der Knochen (Fistelbildungen).
Solehe Bindehauttuberkulosen können also sehr wohl Lokal-
erkrankungen darstellen, wobei der ganze Körper im übrigen ge-
sund erscheint, sie können selbstverständlich aber auch Metastasen
darstellen. Wahrscheinlicher ist der letztere Entstehungsmodus
z. B. schon für die Thränendrüsentuberkulose. Für die Cornea
müssen wir wobl bald diesen, bald jenen Modus annehmen, für
beide Arten glaube ich auch selbst eigne einwandfreie Beobach-
tungen gemacht zu haben.
Ein Kuhschweizer (Fall Hansen) erkrankte, nachdem ihm die Kuh
mit dem Schwanz in das rechte Auge geschlagen hatte, an einer schweren
Keratitis, die trotz aller (klinischen) Behandlung immer tiefer grif.
Sämtliche Untersuchungen (bakteriologische, experimentelle mit Impf-
versuch usw.) ergaben ständig ein negatives Resultat.! Auch nach Asper-
gillus wurde vergeblich gesucht. Die Infiltration ging auf die Iris nach
Perforation und Kammerabfluß über und erzeugte hier eine typische
schwammige Iristuberkulose. Durch eine Tuberkulinkur wurde Heilung
erzielt: Leucoma adhaerens mit Irisatrophie. Patient hatte suspekte
Lungenspitzen. Der Fall läßt sich verschieden deuten. Am wahrschein-
lichsten scheint mir doch, daß es sich nicht um eine traumatische Meta-
stase, sondern um eine äußere Inokolution handelte. Daß der Patient
vielleicht selbst das infektiöse Material dazu geliefert hat, ist von se-
kundärer Bedeutung, es kann ebenso gut an dem Kuhschwanze ge-
haftet haben.
Anderseits kommen bei Uveitis anterior oder Keratitis inter-
stitialis, aber auch ohne daß ihre Aetiologie manifest ist, tiefe
und subepitheliale graue Hornhautinfiltrate vor, die sich
bald gelblich sättigen, oberflächlich zerfallen, somit kleine Ge-
schwüre bilden und unter Vaskularisation abheilen. Für eine Reihe
dieser eigentümlichen Bilder schien mir metastatische Tuberkulose
die nächstliegende Ursache bei Fehlen jeder andern Aetiologie zu
sein. Man vergleiche hierzu die tiefen Hornhautinfiltrate, wie sie
von Förster bei Meningitis epidemica beobachtet sind.
Fragen wir nach typischen tuberkulösen Veränderungen der
Selera, so ist die Frage der primären Scleritis tuberculosa auch
im Sinn einer kryptogenetisch-metastatischen wahrscheinlich zu
verneinen, indem es sich hierbei vermutlich um Prozesse handelt,
die zunächst (aber wohl meist im Sinne der Metastase) die vorderen
Teile der Uvea befallen, und sekundär — oder wenn man die
Metastasen das Sekundäre nennen will, tertiär per continuitatem
die Sklera befallen. Auch die Cornea kann auf diese Weise dann
auch noch beteiligt werden.
Nach dieser Abschweifung durch die äußeren, zum Teil jeden-
falls lokal aufzufassenden, zum Teil wohl auch metastatischen,
1780
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44,
3. November.
typisch tuberkulösen Augenkrankheiten sind wir nunmehr wieder
bei- den sicherlich metastatisch bedingten Uveitiden angelangt.
Die nächste wichtige Frage, die sich erhebt, ist diese: Sind
die geschilderten typischen oder die atypischen Formen der
Augenbeteiligung bei Tuberkulose die häufigeren? Ohne Zweifel
die letzteren.
/ b) Atypische Formen,
Unter atypischen tuberkulösen Augensymptomen
verstehen wir solche, die wir auch bei andern Aetiologien finden,
die aber beim Fehlen der letzteren tuberkulös sein können. Liegt
eine doppelte Aetiologie vor, so ist die Entscheidung, durch welche
die Augenaffektion bedingt sei, unmöglich. Liegt zum Beispiel
‘die häufige Kombination von Lues und Tuberkulose vor, so würde
man doch bei den oben geschilderten typischen Symptomenformen
sagen können, sie sind durch Tuberkulose bedingt, bei andern für
Lues typischen Symptomenformen würde man doch diesen Faktor
bei der doppelten Veranlagung in erster Linie haftbar machen und
danach die Therapie einrichten; sind die Symptome aber nicht
typisch, das heißt nicht für diese und jene Aetiologie charakte-
ristisch, so wird man beide Ursachen bekämpfen müssen.
An erster Stelle steht die Keratitis parenchymatosa
(sive interstitialis). Wenn wir auch für die meisten (oder alle?)
Fälle von Keratitis parenchymatosa als Ursache eine Uveitis anterior
annehmen müssen, so steht doch die Hornhauttrübung oft derartig
im Vordergrunde des klinischen Bildes, daß der Name wohl ge-
rechtfertigt erscheint. Oft ist auch das Epithel oberflächlich mit
alteriert, so daß die Cornea nicht glatt spiegelnd und glänzend
erscheint. Die Trübung ist oft ganz diffus, zu gleicher Zeit die
Hornhaut in toto befallend, öfter aber schiebt sie sich von einer
Seite oder von unten her, in beiden Augen oft auffallend symmetrisch,
nach der Mitte zu und dann darüber hinaus vor. Oft sind die
Trübungen aber nieht diffus und kontinuierlich, sondern fleck-
förmig, oft nicht so sehr tief, doch stets subepithelial, also paren-
chymatös gelegen. Das Epithel kann trotzdem völlig normal sein.
Solche Bilder werden meines Erachtens oft mit skrofu-
lösen i. e. oberflächlichen Keratitiden verwechselt, zumal wenn
die Blutgefäße zum größten Teil der Bindehaut entstammen, was
ja aber erklärlich ist, wenn die subepithelialen Parenchympartien
befallen sind. Der springende Punkt ist, daß das Epithel dauernd
intakt ist, und daß sich zu den oberflächlichen Gefäßen meist bald
tiefe, ciliare, hinzugesellen, wenn die Trübungen in die Tiefe gehen.
Je mehr die klinischen Bilder der Keratitis parenchymatosa
diesen letztgeschilderten ähneln, um so häufiger scheint mir die
Tuberkulose gegenüber der Lues ätiologisch in Frage zu kommen.
Alle übrigen Aetiologien reduzieren sich diesen beiden großen
Schädlichkeiten gegenüber auf ein Minimum. Die Astiologie der
Keratitis parenchymatosa ist nun, je nachdem das Krankenmaterial
mehr der Großstadt oder mehr der Landbevölkerung entstammt,
ja auch nach der geographischen Lage sicher sehr verschieden; für
so verschieden, wie die Statistiken angeben, möchte ich es gleich-
wohl nicht halten. Für eindeutig syphilitisch möchte ich eine
Keratitis parenchymatosa nur halten, wenn keine andere markante
Aetiologie vorliegen kann (z. B. Malaria und anderes) und wenn
namentlich eine reguläre Alttuberkulininjektion bei Kindern bis
zu 5 oder 6 mg keine Reaktion auslöst. Solche Fälle sind auch
mir sehr wohl bekannt. Es gibt aber auch solche Fälle, in
denen nichts von Lues vorliegt, keine Hutchinsonschen Zähne,
keine Kniegelenksschwellungen, keine Sattelnase, Mundrhagaden
und Schwerhörigkeit; wo Wassermann negativ ist und wo bei
Fehlen anderer Aetiologien auf Alttuberkulin nur allgemeine
Reaktion — bisweilen von örtlicher Reaktion begleitet — auftritt.
Solche Fälle, und sie sind nicht so selten, wie es nach einzelnen
Statistiken zu sein scheint, sind meines Erachtens tuberkulös
bedingt. Sehr oft liegen nun beide Aetiologien vor, wie sich ja
Lues mit Tuberkulose oft kombiniert, dann ist das klinische Bild
ätiologisch aber nicht eindeutig. (Siehe Seite 1781) oben!
Es ist vielleicht nicht überflüssig, ein Wort über die Diagnose
ex juvantibus zu sagen. Diese ist — wenn irgendwo — so hier
am allerwenigsten am Platze. Denn erstens werden viele Fälle
von Keratitis parenchymatosa durch die zweckmäßigste Allgemein-
behandlung gar nicht beeinflußt, was schon daraus hervorgeht, daß
nach wochenlanger Behandlung oft das zweite Auge befallen wird.
| Ein negativer therapeutischer Effekt der Inunktion beweist
also nicht etwa etwas für tuberkulöse, ein negativer Effekt der
Tuberkuliokur nichts für syphilitische Aetiologie Eine günstige
Wirkung der Inunktion beweist aber auch nichts für Lues, denn
abgesehen davon, daß viele Fälle spontan abortiv verlaufen, wirkt
ausgesprochen bevorzugt.
Hg + Ik oft auffallend günstig. auf sicher tuberkulöse Prozesse
das wissen wir aus der Vortuberkulinzeit. i
-= Eher könnte man geneigt sein, eine günstige Wirkung der
Tuberkulinkur, zumal wenn Hg + Ik nicht sichtlich wirkten, für
die Aetiologie zu verwerten, doch dürfte auch dies bei dem oft
gutartigen Verlauf der Krankheit nur mit allergrößter Vorsicht
geschehen.
Unter 30 Fällen von Keratitis parenchymatosa ver-
schiedenster Form, welche einer Tuberkulinbehandlung unter-
worfen wurden, da sie auf Tuberkulin reagiert hatten, zeigten
nur 9 positiven, 21 negativen Wassermann. Von den ersten
9 Fällen zeigten 4 Zeichen von Lues, 2 von Tuberkulose, 1 von
beiden. Von den 21 zeigten nur 1 Zeichen von Lues, 3 von
Tuberkulose.
In 16 Fällen von Keratitis scleroticans zeigten dagegen
15 negativen Wassermann, sämtliche reagierten auf Tuberkulin.
Gilt das Gesagte zunächst von der reinen Keratitis
parenchymatosa, so liegen die ätiologischen Verhältnisse klarer
bei den Keratitiden, welche sich mit Skleritis oder Episkleritis,
mit Knötcheniritis charakteristischer Form kombinieren. Ich kenne
eine Reihe solcher Fälle, welche in der Tat auf nichts anderes
günstig reagierten, als auf eine konsequente Tuberkulinkur.
Gerade bei solchen Fällen finden sicher oft diagnostische Irrtümer
statt, zumal wenn Kombinationen mit interkurrenten skrofulösen
Conjunetivalaffektionen vorkommen. Oft wird der Lidspaltenbereich
Temporal und nasal unterhalb der
Horizontalen sehen wir episkleritische Injektionen, das Binokular-
mikroskop zeigt eine Hornhauttrübung und einige tiefe Gefäße,
nach einigen Tagen kann alles spontan oder unter topischer Be-
handlung verschwinden, um bald zu rezidivieren. An den ent-
sprechenden Stellen der Hornhauthinterfläche finden sich einige
Beschläge, hier und da ein minimales aber charakteristisches Iris-
knötchen. Alles kann restlos verschwinden, oder aber es bleiben
geringe Atrophien in der Iris zurück, die nur der sicher als
solche erkennt, der die Knötchen vorher an eben diesen Stellen
hat sitzen sehen. Solche Knötchen habe ich vielfach entstehen
und gehen sehen, habe die Stelle, wo im Laufe der Krankheit ein
solches auftrat, vorher genau als absolut normal meinem Ge-
dächtnis eingeprägt und konnte sodann nach dem Verschwinden
des Knötehens mich überzeugen, daß doch meist keina absolute
restitutio ad integrum eintrat, sondern eine minimale Atrophie.
Zeigte ich aber gelegentlich eine solche Stelle meinen erfahrensten
Mitarbeitern, so waren sie nicht in der Lage, etwas Pathologisches
zu erkennen. Abb. (Tafel-Fig. 1) oben! ww
Die tuberkulösen Irisverdickungen hatten uns schon In ein
Gebiet bemerkenswert verfeinerter Diagnostik bineingeführt, mit
der Besprechung der Descemetschen Beschläge der Horn-
hauthinterwand dringen wir noch um einen Schritt weiter In
ein Gebiet vor, welches meines Erachtens zu den interessantesten
und wichtigsten gehört. Hier sehen wir in der Tat die allerersten
Anfänge schwerer, stets ernster Iritiden oder — vielleicht
richtiger — Cyclitiden. Anatomisch bestehen diese Beschläge aus
weißen Blutkörperchen, meist kleinen rundkernigen Lymphocyten.
Unter günstigen optischen Bedingungen bei seitlicher Beleuchtung
im Dunkelzimmer vor dem schwarzen Hintergrund der erweiterten
Pupille sehen wir mit binokular-mikroskopischer Vergrößerung
Häufchen, deren jedes höchstens einige Hundert Leukoeyten
enthält. Da die Iris in solehen Fällen absolut normal erscheinen
kann, so bezieht man diese „Beschläge“ auf entzündliche Verände-
des Ciliarkörpers. Könnten wir diesen uns aber in vivo sichtbar
machen, so erschiene er vielleicht ebenso normal wie die Iris.
In der klinischen Diagnostik der Augenkrankheiten ist 0s Ja
nichts Seltenes, daß auf diesem Wege die Befunde eher erhoben
werden können als in Tabula einschließlich der mikroskopischen
Untersuchung.
Ein noch initialeres— bescheideneres — Symptom als eben diese
„Beschläge“ können wir uns kaum denken und da es gleichwohl nle
bei Gesunden vorkommt, sondern stets ernst zu nehmen ist, 50
ergibt sich, bei weiterer Betrachtung der Aetiologie, daraus ohne
weiteres die enorme Bedeutung für die Diagnostik. ri
Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Diagnose der begin-
nenden sympathischen Ophthalmie, ist das andere Auge also 8°-
sund, hat es im besonderen nie eine Verletzung erlitten, infolge
deren ein Reizzustand zurückblieb, traten also auf einem von zwei
gesunden Augen, oder auch auf beiden, solche Beschläge auf, £0
spricht das in allererster Linie für konstitutionelle Tuber-
kulose. Offenbar sind solche Iymphocytischen Häufchen ja no?
initialere Symptome als die Knötchen und wenn sie auch noch 50
andere Auge.
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44,
1781
klein sein sollten. Noch interessanter werden diese Beschläge da-
durch, daß man ihnen oft das Alter ansehen kann, zum mindesten
kann man sagen, ob ihr Alter nach Tagen, Monaten oder Jahren
zählt. Anfangs sind sie klein und grau-weißlich, runde kleine
Scheibchen darstellend, nehmen sie dann größere Dimensionen an,
so bekommen sie einen Stich ins gelbliche, speckige. In diesem
Stadium können sie konfluieren und eigenartige Formen bilden,
Kıeise, Guirlanden. Gedeihen sie noch üppiger, so können sie als
Hypopyon auf den Boden der Vorderkammer herabsinken. Kommt
es nicht so weit, so verlieren sie die gelbliche Farbe, werden grau,
die sie begrenzende kreisförmige Kontur wird irregulär, stechapfel-
äbnlich, die Farbe geht durchs Hellbraune ins Dunkelbraune bis
fast Schwarze über. Diese letzteren Reste sind sicher viele Mo-
nate, meist wohl Jahre alt. Oft sieht man verschiedene Serien
solcher Beschläge neben einander, die nicht von einer, sondern von
verschiedenen Cyelitisattacken stammen. Sieht man die frischen
Beschläge am besten von dunklem Hintergrund, also vor der er-
weiterten Pupille oder vor dunklen Iriden, so sieht man die alten
am besten vor möglichst hellen Regenbogenhäuten. Unerläßlich
ist seitliche Beleuchtung: die kleine elektrische Lampe muß auf
dem Gullstrandschen Bogen seitlich zu verschieben sein, bei ko-
axialer Beleuchtung werden diese Beschläge oft durchstrahlt und
damit unsichtbar.
Solche Descemetschen Beschläge können nun, wie gesagt,
das einzige initiale Symptom einer konstitutionellen Tuberkulose
sein, und es ist bei dem Schwergewichte des Symptoms vielleicht
nicht überflüssig, auf einen kleinen Kunstgriff einzugehen, das ist
die Bestäubung der Hornhautvorderfläche mit Kalomel. Nimmt
der Patient gleichzeitig Jod innerlich in irgendwelcher Form, so
muß das Kalomel jedenfalls, wenn man etwas eingepudert hat,
nach der Untersuchung schleunigst wieder ausgespült werden.
Die feinen Kalomelstäubchen machen uns die Hornhautvorderfläche
sichtbar, die Descemetschen Beschläge müssen also bei zehnmaliger
Vergrößerung im binocularen Mikroskop 5 bis 10 mm dahinter liegen.
Liegen. die grauen Fleckechen aber mit den Kalomelteilchen in
einer Ebene, so sind es sicher keine Beschläge auf der Hornhaut-
hinterfläche, sondern Flecke auf der Vorderfläche infolge Verletzung
durch Fremdkörper (Eisen und Stein). Tiefe Hornhautinfiltrate
sind gewöhnlich schon dem Aussehen nach leichter von Beschlägen
zu unterscheiden. |
. Subjektive Beschwerden machen minimale Beschläge gewiß
nicht, wenn die Patienten in diesem Stadium bereits zu uns kommen,
so sind es meist Klagen über „leichte Verschleierungen“ bei nor-
maler oder übernormaler Sehschärfe und negativem Befund mit
dem Augenspiegel, somit ergibt sich die irrtümliche Diagnose
Mouches volantes. Oefter habe ich solche Beschläge bei ganz
allgemeiner Klage über leichte Ermüdbarkeit der Augen, ja auch
ohne solche Klagen „zufällig“ entdeckt. Leitet man keine Therapie
ein, so können die Dinge sicher restlos zurückgehen ohne die ge-
ringsten Spuren zu hinterlassen. Behält man die Patienten aber
unter Beobachtung, so dauert es gewöhnlich nicht lange, bis sie
wieder kommen: dasselbe findet sich jetzt auf dem andern Auge.
Man glaubt zunächst an eine Verwechslung von „Rechts“ und
„Links“. Aber nein — auch wo diese auszuschließen ist — die
Dinge springen hin und her: das nächste Mal ist es wieder das
Vielleicht heilt auch diese Attacke spontan oder
unter- Jodtherapie aus. Das nächste Mal ist plötzlich ein glasiges
Knötchen in der Iris — allerdings nur dem Kenner erkennbar.
Dann an der entsprechenden Stelle nach einigen Tagen eine hintere
Synechie (Verwachsung mit der Linse), also Iritis chronica. Auch
dies geht vorüber, vielleicht bleibt auch nicht einmal die Spur
einer Synechie sichtbar. Die Sehschärfe ist dauernd normal, die
Mouches volantes sind auf Schwitzen und Jod oder Salizyl ver-
schwunden. Vielleicht ist auch nur eine gewisse Gewöhnung ein-
getreten. Vielleicht hat die Einschränkung eines etwas reich-
lichen Nikotin- und Alkoholgenusses oder die Beseitigung einer
habituellen Obstipation diese Wirkung erzielt. Bald treten aber
doch ernste Sehstörungen auf: die Linse zeigt deutlich Cataracta
incipiens oder der Glaskörper läßt staub- oder wolkenförmige Trü-
bungen erkennen.
Sieht man sich nun den Patienten einmal ganz genau bei
Tageslicht an, indem man beide Augen mit einander vergleicht,
so findet man oft eine minimale Heterochromia (siehe unten),
das heißt die eine Regenbogenhaut ist eine Spur heller als die
andere. Die hellere zeigt oft eine um ein Minimum weitere Pu-
pille. Sehen wir uns mit dem Binokularmikroskop nun das Auge
genau an, so finden wir ganz alte, daneben vielleicht auch noch
einige frischere Beschläge, eine ganz leichte diffuse Irisgtrophie
erklärt die hellere Farbe und die Pigmentkrause der Pupille (das
physiologische Ektropium uveae) ist hier. und da, oder auch in toto,
wie von Mäusen angenagt. In andern Fällen bestehen Verwach-
sungen des Pupillarrandes mit der Linsenvorderfläche, Glaskörper-
trübungen, schließlich Chorioiditis, Amotio retinae (Cataracta com-
plicata), endlich Phthisis bulbi. Ä
Daneben kann das andere Auge dann irgend eins der ge-
schilderten Stadien darbieten, auch kann es ganz gesund sein.
Stock sagt im Anschluß an eine ähnliche Krankenskizze:
„Wenn ein Patient, der früher einmal einen Gelenkrheumatismus
gehabt hat, mit einer Iritis chronica in unsere Behandlung kommt,
so werde ich als Wahrscheinlichkeitsdiagnose Iritis rheumatica
stellen, auch wenn eine Ällgemeinreaktion auf Alttuberkulin eintritt.
Heilt diese Iritis aber auf Salicyl usw. nicht, so werde ich eine
Tuberkulinkur (TR) einleiten. Geht jetzt die Iritis rasch zurück,
so habe ich ganz dasselbe Recht, diese Iritis als tuberkulös zu
bezeichnen, das ich gehabt hätte, sie als rheumatisch zu bezeichnen,
wenn sie auf Salieyl geheilt wäre.“ Es wäre das eine Diagnose
ex juvantibus mit allen ihren Bedenken. (Siehe S. 1780 unten). Dazu
ist zu bemerken, daß doch wohl seltener der akute Gelenkrheuma-
tismus (Polyarthritis rheumatica) als vielmehr der chronisch rezidi-
vierende Rheumatismus der Muskeln und Gelenke und die Arthritis
deformans zur Beteiligung der Iris führen. Welche Aetiologie
aber diesen letzteren zugrunde liegt, das ist noch weniger klar
als bei ersteren. Die weit präzisere Diagnose der positiven Reak-
tion auf Alttuberkulin würde ich demnach zunächst der der „rheu-
matischen“ vorziehen, wenn gewählt werden muß. Die Wahl scheint
mir aber durchaus unnötig, es liegt eben hier eine doppelte Aetio-
logie oder doch die Möglichkeit einer doppelten Aetiologie vor,
falls sich nicht, der „Gelenkrheumatismus“ des Patienten als tuber-
kulös auffassen ließe (siehe Sahli, S. 83 oben zitiert‘, dann wäre die
Einheitlichkeit der Aetiologie zugunsten der Tuberkulose gerettet.
Vor einigen Jahren hätte ich den Stockschen Satz auch
noch Wort für Wort unterschrieben, jetzt neige ich aber weit
mehr dazu, die Tuberkulose stärker zu bewerten als den Rheu-
matismus. |
Die schweren bis zur ein- und doppelseitigen, zum Teil
operablen, aber auch unheilbaren Blindheit führenden Augenkrank-
heiten, welche sich an die unscheinbaren „Beschläge“ anschließen
können und oft genug tatsächlich anschließen, legen uns meines
Erachtens die Pflicht auf, zunächst einmal klarzustellen, ob der
Patient tuberkulös veranlagt ist und ob wir hier nicht vielleicht
das Uebel an der Wurzel fassen können. Je eher wir mit dem
Tuberkulin beginnen, um so besser sind bekanntlich die Resultate,
zumal nirgends in der gesamten Medizin so die initialsten mini-
malsten Symptome diagnostizierbar sind wie bei den geschilderten
Erkrankungen des vorderen Bulbusabschnitts. Ein Lungenherd,
selbst oberflächlich gelegen, würde, wenn er perkutorisch, auskulta-
torisch, röntgographisch oder sonstwie diagnostizierbar sein sollte,
wohl fast so groß sein müssen, wie der ganze Augapfel. Im
Mediastinum, im Abdomen können sich tuberkulöse Giftquellen von
beachtenswerten Dimensionen lange völlig latent halten, wenn der
Patient nicht das fragliche Glück hat, daß sie das Auge be-
teiligen. Gerade auf Tuberkulose scheint das Auge im speziellen die
Uvea, das empfindlichste Barometer zu sein, welches eine Aussaat
von Bacillen, Bacillensplittern oder ihrer Toxine mit erstaunlicher
Deutlichkeit erkennen läßt und sozusagen das Gesundheitsminimum
zahlenmäßig „ad oculos“ demonstriert. Welche enorme Zer-
störungen müssen bereits eingetreten sein, ehe die Nierentuber-
kulose diagnostizierbar wird, was muß ein Gelenk oder ein Knochen
alles durchmachen, ehe man auch nur die Wahrscheinlichkeits-
diagnose stellen kann, und wie minimal sind dagegen die ersten
Spuren schwerster Augentuberkulose und wie leicht zu erkennen
für den, der diese Dinge kennt.
Es ist mir keine systematische Augenuntersuchung von
Insassen der Lungenheilstätten bekannt, ich meine eine solche mit
besten optischen Hilfsmitteln: seitlicher Beleuchtung und bin-
okularem Mikroskop im Dunkelzimmer. Ich glaube, hier müßten
sich weit öfter und weit leichter, wenn ich so sagen soll, baro-
metrische Beobachtungen über den Gesundheitszustand der Patienten
machen lassen, als dies bisher mit den Methoden der Lungenunter-
suchung üblich ist. Zu untersuchen wäre freilich zunächst, ob
die an den Lungen Tuberkulösen überhaupt solche, wenn auch noch
so geringe Augenkomplikationen darbieten. Es führt mich dieser
Gedankengang auf die Verschiedenartigkeit des Materials der
Innern- und der Augenkliniken.
Die Morbiditäts- und Mortalitätsziffer für Lungentuber-
kulose scheint in Schleswig-Holstein nicht wesentlich erhöht gegen-
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BIFEISESEAHENEBEBE EEE SCH EERRRNEE a a BERGER ER EEE SEHE EEE N nr
-in Rostock, Breslau und Tübingen.
1782
‚ über den übrigen Gegenden unseres Vaterlandes, gleichwohl ist
die Zahl der tuberkulösen Augenleiden zweifellos erheblich höher
als z. B. in Breslau, wo ich ein annähernd gleich großes Material
fast acht Jahre lang beobachtet habe. Der Unterschied ist frappant,
obwohl wir dort mit genau denselben technischen Hilfsmitteln
‚arbeiteten wie hier. |
Auch Axenfeld und Stock weisen darauf hin, daß das
Krankenmaterial in Freiburg ein ganz anderes Gesicht habe als
Speziell solche chronischen
Uveitiden — meist tuberkulösen Ursprungs — Chorioiditis
disseminata, sind in Freiburg und besonders Würzburg häufig,
wo denn auch v. Michel einen großen Teil seiner Erfahrungen
gesammelt hat. Noch häufiger als die Tuberkulose des vorderen
scheint in Freiburg die des hinteren Uveaabschnitts zu sein.
In Kiel hingegen ist der hintere Bulbusabschnitt meist verschont,
wenn auch die Fälle nicht fehlen, in denen sich Uveitis anterior
chron. und Chorioiditis disseminata vergesellschaftet findet, die
also gewissermaßen das theoretische Verbindungsglied darstellen.
Daß das Ostseeklima hier eine wesentliche Rolle spielt, will mir
— zumal des andersartigen Materials in Rostock wegen — nicht
recht einleuchten. Eher könnte man schon an einen Einfluß
von seiten der Nordsee denken, der sich ja bei uns natürlich stärker
geltend machen muß als in Mecklenburg. Möglich, daß der Volks-
stamm der Eingeborenen hier andere Empfänglichkeiten zeigt als
anderswo. Auffallend war mir oft die stärkere Beteiligung der in
der Lidspalte gelegenen Bulbusbezirke, was sich auch in der
Gruppierung der. „Beschläge“ kennzeichnete: Diese hatten ihr
Maximum nicht unten in der vertikalen Mittellinie, sondern
nasal und temporal unten, zirka 45° unter der horizontalen. Dies
läuft der gewöhnlichen Anordnung der Größe und Zahl nach ja
auffallend zuwider. Auffallend häufiger waren in diesem Sinne
auch die betreffenden Skleral- und Kornealpartien befallen.
Folgezustände.
Heterochromie, Atrophie, Katarakte, Amotio retinae.
Der unscheinbarste — aber durchaus nicht bedeutunglose —
Folgezustand der Iridocyclitis ist die Heterochromie. Schon die
leichteste Farbdifferenz in beiden Regenbogenhäuten kann schon
pathologisch sein. Von einer Serie von 100 Heterochromien, die im
Laufe von zwei Jahren in unserer Klinik zu Beobachtung kamen,
waren nur 34 von angeboren stationärem Zustande, 56 zeigten
mehr oder weniger starke pathologische Komplikationen: iritische
Reste, partielle oder diffuse Atrophien, Beschläge, Chorioi-
ditis, Glaskörpertrübungen, zum Teil aus Blutungen hervor-
gegangen und in etwa der Hälfte der Fälle (28) Katarakte, 10%,
waren durch Glaukom bedingt. Die Heterochromie ist also nach
meinen Erfahrungen in drei Fünftel aller Fälle etwa ein patho-
logisches Symptom. Es ist der leichteste Grad der Atrophie
des Stroma iridis, die wir nie als pathologisch erkennen könnten,
wenn wir nicht in der glücklichen Lage wären, stets das normale
Vergleichsobjekt daneben zu haben. Die Augendiagnostik ist hier
in einer ganz besonders günstigen Lage. Befällt die Krankheit,
die zu Heterochromie führt, beide Augen, so fällt dieser Umstand
allerdings weg. Wie oben schon bemerkt, ist die hellere Iris ge-
wöbnlich die pathologische, die auch die (siehe Tafel-Fig. 6, Fall
Motzen) weitere Pupille zeigt.
Zunächst möchte ich einige Worte über die Diagnose der
Heterochromie sagen, so einfach diese auch zu sein scheint. Zeigt
ein Auge eine conjunctivale oder ciliare Injektion, so sei man mit
der Diagnose Heterochromie äußerst zurückhaltend, da der Si-
multankontrast sehr täuschen kann. Man beobachte dann jede Iris
durch ein rundes Loch in einem grauen Bogen Papier, welches
die Skleren abblendet. Handelt es sich übrigens um Entzündungs-
erscheinungen, so ist meist nicht die hellere, sondern die dunklere
Iris die pathologische, denn eine hellblaue Iris wird z. B. bei Iritis
grünlich. Da es sich hier um minimale Farbdifferenzen handeln
kann, die trotzdem ihre diagnostische Bedeutung haben, so pflege
ich in solchen Fällen das rechte Auge des Patienten mit meinem
rechten, das linke mit meinem linken Auge anzusehen und, um die
Fusion der Bilder zu vermeiden, eine seitliche Kopfneigung (auf
die Schulter) auszuführen, wodurch die mittleren Doppelbilder
übereinander zu stehen kommen; dadurch wird eine unmittelbare
Simultanvergleichung möglich. Nicht berücksichtigt wurden -in
obiger Zusammenstellung Heterochromien infolge von Verletzungen.
Bei diesen sind sie ja meist hämatogenen Ursprungs, bei Glaukom
dagegen zeigen die Atrophien des Irisrewebes meist etwas andern
Typus, So z. B. ist in Tafel-Fig. 20, Fall Waldeck (Glaukomatrophie),
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
`~
die Iris unten ziemlich intakt und wie „mit Schnupftabak bestreut“,
oben zeigt sie verschiedene Grade vor Atrophie mit Heterochromie,
Die Heterochromie ist, wie gesagt, die leichteste Form der Iris-
atrophie, undzwar der diffusen, zu dieser können sich nun partielle
(eircumscripte) stärkere Atrophien hinzugesellen. Letztere können
selbstverständlich auch isoliert — ohne jene — vorkommen. Daß
schwere Kondylom- und Tuberkelbildungen in der Iris restlos
verschwinden können, ist eine bekannte Tatsache. Aus dem Fehlen
von partiellen oder diffusen Atrophien schließe man also niemals,
daß keine Iritis vorgelegen haben könnte.
Aus dem Vorhandensein solcher darf man aber stets auf
eine recht gravierende Aetiologie schließen, wenn Verwechslungen
mit angeborenen Zuständen ausgeschlossen sind. Daß es oft nicht
leicht ist, diese Verwechslungen zu vermeiden, lebrt ein Blick auf
die Bilder Brückners, der rudimentäres Colobom und anderes
in größerer Anzahl abgebildet hat.
Die Unterschiede zwischen Resten hinterer Synechien (Zu-
sammenhang mit dem Pupillarrand) und foetalen Pupillarmembran-
resten (Zusammenhang mit dem Circulus arteriosus minor) setze ich
als bekannt voraus.
Eine der häufigsten partiellen Atrophien, die sich zu den
diffusen hinzugesellen, aber auch isoliert auftreten kann, ist die
des Pupillarrandes in wechselnder Hochgradigkeit. Wenn man
die ersten Tuberkelknötchen an einem normalen Pupillarrand ent-
stehen sieht, so kann man gelegentlich deren spontanes Ver-
schwinden beobachten und konstatieren, daß an der betreffenden
Stelle entweder gar nichts zu sehen ist oder so wenig, daß man
es nicht hätte für pathologisch halten können, wenn man nicht
vorher die Knötchen gesehen hätte: eine minimale Pigmentunregel-
mäßigkeit, eine winzige Einkerbung. Hatten die Knötchen größere
Dimensionen angenommen oder saßen sie reihenweise aneinander,
so sieht der Pupillarrand nachher „wie von Mäusen angenagt“ aus,
Diese Anomalie kann die ganze Circumferenz des Pupillarrandes
betreffen.
Leichteste Heterochromie kombiniert mit dieser Form der
Pupillarrandatrophie findet sich nun als häufigste Teilerscheinung
der einseitigen — selten doppelseitigen — Kataraktbildung bei
jugendlichen Individuen. Dabei können Descemetsche Beschläge
vorhanden sein, sie können aber auch völlig fehlen, sodaß wir zur
Diagnose schwerer atrophischer Zustände im Corpus ciliare
kaum berechtigt sind. Auch die Irisveränderungen können minimal
sein und speziell Synechien völlig fehlen. Der Gedanke drängt
sich hier förmlich auf, daß die Toxine der Tuberkelknötchen oder
da Bacillen selbst lokal durch Diffusion kataraktbildend wirken
könnten, ein Punkt, der vielleicht der experimentellen Untersuchung
nicht unzugänglich ist, nur dürfte man nicht mit Kaninchen experi-
mentieren, sondern müßte wohl schon Affen wählen). Ä
Während in Breslau der größte Teil der Katarakte bei Per-
sonen unter 40 Jahren durch Tetanie bedingt war, scheint diese
Aetiologie hier kaum vorzukommen, denn in den fünf Jahren
meiner Tätigkeit hier, habe ich noch keinen Fall von Tetanie-
katarakte gefunden, trotz eifrigen Suchens, von den geschilderten
Heterochromiekatarakten habe ich indes schon mehrere Dutzend
operiert. Da es sich gewöhnlich um blauäugige, relativ jugend-
liche Individuen handelt und die Katarakte das Bild der weißen
Phakomalacie bietet, da es sich ferner empfiehlt, solche Regen-
bogenhäute möglichst nicht anzuschneiden, so sind sämtliche In-
dikationen zur Extractio simplex (ohne Irisausschneidung) mit mo-
difiziertem Linearschnitte gegeben.
‘Eine weitere Form der partiellen Irisatrophie betrifit ‚den
Pupillarrand bis zum Circulus arteriosus minor. In dieser
Ausdehnung kann das vordere Blatt der Iris — das Stroma —
mehr oder weniger völlig fehlen, sodaß die Pupille größer und
unregelmäßiger erscheint als sie ist. Die Iristeile zwischen Cir-
culus arteriosus minor und Ciliarrand sind dabei völlig normal.
Daß eine solche partielle Atrophie aber auch durch syphilitische
ei ale kommen kann, zeigte Fall Hass (siehe Tafel-Fig. 11
is 13).
Ist die Atrophie nun ausgesprochener, so sieht man außer
der Farbveränderung (Heterochromie) auch deutliche Struktur-
unterschiede im Trabekelwerk: Zuerst verschwinden die Quer-
respektive Schrägbälkchen und die radiären Fasern treten mehr in
den Vordergrund. Besonders augenfällig ist diese Irisveränderung;
+) Man vergleiche hiermit die Ansichten von Handtmann, zitiert
und bestätigt von Axenfeld (Heidelb. Vers. 1911 referiert ım Kl. T
bildas 1911, 49. Jabrg., Bd. 2, S. 1911): Ueber Irieatrophie und Kataraf
8. i
3. November.
—
wenn sie nur eine Hälfte oder einen Quadranten der Iris betrifft,
wie es z. B. von Krückmann, Syphilis der Regenbogenhaut!) ab-
gebildet ist. Freilich muß man mit der Deutung solcher Bilder
vorsichtig sein, denn in einem Falle, der dem Krückmannschen
außerordentlich ähnlich sah, fand ich dieselben Veränderungen auf
dem andern Auge symmetrisch gelegen, sodaß ich — bei gänzlich
negativer Anamnese — eine kongenitale Anomalie annehmen zu
sollen: glaubte.
Weitere Formen partieller Atrophien sind in den Tafel-
Fig. 7—12 dargestellt: Cireumscripte Defekte, die fast bis auf das Pig-
mentblatt reichen, aber noch nicht zur Lochbildung geführt haben. In
der Umgebung Strukturirregularitäten mit allmählichem Uebergang
durch die verschiedenen Stadien bis ins Normale. Auch das Ver-
halten des Pupillarrandes verdient Beachtung. (Tafel-Fig. 8 und 9).
Abb. 7 zeigt, daß auch hier bei diesen Prozessen — wie so
oft am Auge — Pigmentwucherungen in den von der Atrophie be-
fallenen Bezirken eintreten können. |
In Abb. 10, Fall Johannssen, ist die obere Hälfte der Iris
diffus atrophisch, die untere zeigt das von v. Michel „getigert“
genannte Aussehen: multiple Defektbildungen im Pigmentblatte der
Iris, ausgefüllt von Granulationsgewebe. S.Kr.-G.1. Auch hier fällt
die eigentümliche Bevorzugung des Lidspaltenbereichs auf, wie ich
schon für die Descemetschen Beschläge und die Keratitis besonders die
sklerosierende betont habe. Witterungs- oder Belichtungseinflüssen
ist hierdurch vielleicht eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen.
Ein besonderes Wort zu sagen, wäre aber meines Erachtens.
über die Amotio retinae im emmetropen Auge.
Schon lange hat mich die Erklärung der bei Amotio se-
kundär auftretenden Iritiden beschäftigt. Näher kam ich der Er-
klärung schon, als ich bei frischer Amotio interkurrente iritische
Attacken beobachtete, die ich bei Fehlen jeder andern Aetio-
logie und positiver Allgemeinreaktion auf Alttuberkulin von ge-
ringer Dosis kaum anders als tuberkulös bedingt auffassen konnte.
Die postulierte, öfter auch direkt beobachtete faserige Glaskörper-
schrumpfung, oder vorsichtiger gesagt: die im Glaskörper schwim-
menden strangförmigen und gespannten Fasern und Trübungen
scheinen mir — wenigstens in einem Teil der Fälle — tuber-
kulös bedingt zu sein, durch chronische Cyelitis. Haben wir eine
mittlere oder hohe Myopie als Ursache für die Amotio retinae, so
ist doch nicbt zu vergessen, daß auch ein Myop tuberkulös sein
kann, daß also gelegentlich auch eine doppelte Aetiologie vorliegen
kann. Ich möchte also, zum Teil jedenfalls, die Iridocyclitis,
wenn auch in ganz latenter Form, für das primäre, die Amotio
für das sekundäre, die iritischen Verwachsungen für Rezidive der
primären Erkrankung ansehen. Unter sechs Fällen von Amotio
retinae im (etwa) emmetropen Auge blieb keiner auf Tuberkulin
reaktionslos. l
Die Glaskörpertrübungen können offenbar den verschie-
densten Ursprung haben.
Daß sie bei chronischen oder akuten Entzündungen aus den
vorderen Abschnitten der Uvea stammen können und somit aus
Lymphoeyten und Fibrin bestehen, aber auch aus Blutungen her-
vorgegangen sein können, ist sicher.
scheinlich, daß sie auch aus Retinalblutungen entstehen. können.
Welche Provenienz die Glaskörperblutungen bei „sonst
gesunden“ jungen Leuten — meist Männern — haben, ist noch
unbekannt, denken wird man auch hier — mit Axenfeld und
Stock — an Tuberkulose. Auch solche Glaskörperblutungen
können zu sekundärer Amotio führen, sodaß wir, besonders bei
Emmetropie, mit unsern. Gedanken wieder bei der Tuberkulose an-
kommen. |
Weitere atypische Formen tuberkulöser Augenkrankheiten
stellen subakute, ja akuteste Iritiden dar, die ganz ohne Knöt-
chen als Iritis simplex oder unter dem Bilde der makulösen Iritis
mit Blutaustritten verlaufen können. Einen solchen völlig ein-
deutigen Fall werde ich bei der Schilderung der Tuberkulinwirkung
weiter unten kurz beschreiben (Fall Struve, siehe Kr.-G. 18).
Bei der Besprechung der typischen tuberkulösen Augenafiek-
tionen, im speziellen der typischen tuberkulösen Iritis mit charakte-
ristischen Knötchenbildungen war der Standpunkt vertreten, daß
sich die tuberkulösen Knötchen von den syphilitischen stets unter-
scheiden lassen; dieser Standpunkt bedarf jedoch vielleicht einer
gewissen Einschränkung. Einerseits kann nämlich ein Syphilom in
gewissen Stadien seines Entstehens und noch mehr seines Ver-
schwindens einem Tuberkulom ganz außerordentlich ähnlich sehen,
1) Magnus, Unterrichtstafein Bd. 25, T. 8, F. 6).
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
Fraglich ist, aber wahr-
1783
wenn es auch meist schneller kommt und geht als die Tuber-
kulome, welche ihnen ähneln. Auf der Höhe seiner Entwicklung,
oder wenn der ganze Verlauf beobachtet werden konnte, wird sich
nach Farbe, Form, Injektion usw. ja meist eine sichere Diagnose
stellen lassen. S. Tafel-Fig. 16—18.
Anderseits kann ein Tuberkulom gelegentlich — wenn auch
weniger leicht — für ein Syphilom gehalten werden, wenn die
Reizerscheinungen bei akuten Prozessen dem Krankheitsbild einen
sonst für Tuberkulose ungewöhnlichen Anstrich gaben.
Eine wichtige Frage ist, inwieweit die Chorioiditis ätio-
logisch mit Tuberkulose in diesem oder jenem Zusammenhange
steht. Ich sehe hier ab von den anerkanntermaßen specifischen
(miliaren) Tuberkelbildungen bei Miliartuberkulose. Nur auf einen
Punkt möchte ich hinweisen, das ist die Größe der einzelnen
Tuberkel. Daß deren Größe recht verschieden sein kann, ist
ja wohl hinreichend bekannt, daß es aber überhaupt so kleine
Tuberkel gibt wie die am Pupillarrande zu beobachtenden, die
mit unbewaffnetem Auge überhaupt nicht wahrnehmbar sind, ist
vielleicht doch noch nicht hinreichend gewürdigt. Andernfalls sind
die mit dem Augenspiegel bei akuter Miliartuberkulose auftreten-
den ja erheblich viel größer. Vielleicht haben wir darin doch
einen Fingerzeig zu sehen, daß die Größe derselben in einem ge- -
wissen Verhältnis zur Malignität — also vielleicht zum Bacillen-
gehalte — steht. |
Dem scheint allerdings zu widersprechen, daß die con-
fluierenden oder conglobierten Tuberkulome der Netzhaut und
Sklera, ausgehend vermutlich meist von der Aderhaut, und die die
ganze Vorderkammer ausfüllenden schwammigen Massen durchaus
nicht immer. die maligneste Form der Tuberkulose darzustellen
scheinen, |
Handelte es sich in den genannten Fällen von miliaren und
conglobierten Tuberkulomen wohl meist ganz zweifellos um ätio-
logisch eindeutige Prozesse, so ist die Bedeutung der Tuberkulose
für die Chorioiditis disseminata und diffusa noch sehr be-
stritten. Den Weg zur richtigen Würdigung der Tuberkulose
weisen uns hier die Fälle, wo wir neben einer Chorioiditis disse-
minata eine Uveitis anterior (Iridocyclitis chronica mit Descemet-
schen Beschlägen und eventuell Knötchenbildungen) fanden. Solche
Fälle sind gar nicht so selten, und je mehr man gewohnt ist, auf
die Formen der partiellen und diffusen Irisatrophie zu achten, um
so öfter findet man Reste abgeheilter Tuberkulose bei alten oder
frischen Chorioiditiden der disseminierten Form, seltener der
diffusen, bei der ja weit öfter die Lues ätiologisch in Frage
kommt. |
Eine andere Bedeutung scheint die Chorioiditis anterior
(Chorioretinitis atrophicans, Pfeffer- und Salzperipherie, marmo-
rierte Peripherie) besonders bei Kindern zu haben. Meist sind es
wohl abgelaufene Manifestationen der Lues hereditaria. Darin
stimme ich also Igersheimer völlig bei, nur möchte ich strenger
als er bei Erwachsenen (respektive Nicht-Kindern) die dissemi-
nierten von den diffusen Formen trennen. | |
In dieser Beziehung glaube ich auch größere ätiologische
Differenzen konstatieren zu können zwischen den zwei Formen
von Retinitis, deren eine — die Retinitis der äußeren
Schichten = Chorioretinitis, und darunter besonders wieder
die disseminierten Formen — weit häufiger tuberkulösen —
deren andere — die Retinitis der inneren Schichten =
Neuroretinitis, meist diffus — öfter syphilitischen Ur-
sprungs ist.
Ferner muß man, glaube ich, bei den verschiedenen Formen
der Retinitis apoplectica noch mehr das Alter betonen, denn
was in den 50er bis 60er Jahren gewissermaßen physiologisches
Atherom ist, das ist in den 30er und 40er wohl öfter syphilitisch,
sehr selten tuberkulös; in der Jugend dagegen („Glaskörperblutun-
gen“) öfter tuberkulös. Dieselben Erwägungen scheinen mir gültig
für die sogenannte Embolie und Thrombose. Von den übrigen
Formen der Retinitis kommt ätiologisch wohl meist Albuminurie in
Frage, doch ist damit die Lues nicht immer, auch die Tuberkulose
nicht ohne weiteres ausgeschaltet, denn die Albuminurie kann im
ersteren Falle durch syphilitisches Atherom (specifische arterio-
sklerotische Schrumpfnieren), im zweiten durch Amyloid be-
dingt sein.
Auch bei den sonstigen Formen der Retinitis dürfte es
durchaus nicht überflüssig sein, nach Lues oder Tuberkulose zu
forschen, denn die Beseitigung oder Besserung einer schweren In-
fektion wird einen bestehenden Diabetes sicherlich günstig beein-
fussen, auch wenn dieser nicht dirckt als durch jene bedingt
A
ik]
aufgefaßt' werden kann; doch kommen wir mit diesen Gedanken-
gängen aus dem ätiologischen schon mehr in das praktisch-thera-
peutische Gebiet.
` Ursächlich kommt weder Tuberkulose noch Lues für die
übrigen Formen der akuten und chronischen Retinitis in-
klusive der Pigmentdegeneration in Frage. | l
Was nun den Sehnerven selbst anbetrifft, so müssen wir
hier unterscheiden zwischen Neuritis optici intraocularis und retro-
bulbaris.
Eine isolierte Neuritis optici intraocularis dürfte wohl in den
allerseltensten Fällen mit Tuberkulose Beziehungen haben, eher
schon sich gelegentlich aus Lues erklären lassen. Eine häufige
Erkrankung stellen diese Fälle von einseitiger oder doppelseitiger
isolierter Neuritis optici intraocularis ja überhaupt nicht dar, meist
finden wir wohl — wie bekannt — Albuminurie, Chlorose und
andere Anomalien der Blutmischung, Hirn- und Nervenkrankheiten
oder andere Allgemeinerkrankungen, darunter wohl auch in einer
Reihe von Fällen Lues (auch ohne gerade basiläre Lokalisation
zu haben), kaum wohl Tuberkulose.
Anders scheinen nun die Verhältnisse bei der einseitigen —
seltener doppelseitigen — Neuritis optici retrobulbaris zu liegen.
Daß bei den doppelseitigen Opticusstammaffektionen die Intoxi-
kationen die erste Stelle einnehmen (auch die Autointoxikation),
dürfte als allgemein angenommen gelten. In einer einseitigen
1784 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44. 3. November.
Neuritis optici retrobulbaris können sich nun ganz gewiß die ver-
schiedensten Allgemeinerkrankungen äußern, die alle aufzuzählen
hier zu weit führen dürfte. Zur Diskussion steht aber, ob nicht
in der Kategorie der sogenannten „rheumatischen“ axialen: Neuri-
tiden vielleicht sich bei einigen das „Rheuma“ als tuberkulös er-
weisen ließe. Diesen Standpunkt vertrat v. Michel, und Igers-
heimer bringt Krankengeschichten, die er für beweisend hält.
In Ermanglung eigner Erfahrung möchte ich mich zunächst. einer
bestimmten Meinung enthalten und folgendes zu bedenken geben:
Die Steigerung der Körpertemperatur hat ja bekanntermaßen einen
meist günstigen — oft zunächst allerdings irritierenden — Einiluß
auf die verschiedensten Augenaffektionen. Man denke z. B. auch
an die Heilung von Tuberkulosis conjunctivae und Trachom durch
Streptokokken, wobei wohl außer der Temperatursteigerung noch
die lokaltoxische Wirkung (z. B. des Erysipels) in Frage kommt.
Mit dem Begriff der absoluten Specificität kommt man hier in die
Enge. DaB sich gewisse Mikroorganismen nicht miteinander ver-
tragen - können, daß die Toxine des einen den andern schädigen
können, durchbricht offenkundig diesen modernen Begriftl. Es ist
also nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß auch ein-
mal eine Neuritis optici retrobulbaris durch Tuberkulin und
Temperatursteigerung günstig beeinflußt werden könnte, ohne
specifisch-tuberkulös zu sein. Hier sollten Kontrollversuche mit
andern fiebererregenden Mitteln angestellt werden. (Schluß folgt.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität
Straßburg i. E.
Ueber juvenile Paralyse
von
Prof. Dr. M. Rosenfeld, Straßburg i. E.
Die Fälle, in welchen im jugendlichen Alter — etwa
bis zum 18. oder 20. Jahre — eine Dementia paralytica
zur Entwicklung gelangt, lassen sich zunächst mit Rück-
sicht auf die Art, wie die syphilitische Infektion stattgefun-
den hat, in zwei Gruppen einteilen; die erste umfaßt die-
jenigen Fälle, in denen die Infektion erst nach der Geburt
im frühesten Kindesalter durch irgendeinen Zufall, meist
extragenital zustandegekommen ist(1); in der zweiten Gruppe
finden sich die Fälle, in denen das syphilitische Virus schon
während des intrauterinen Lebens eingewirkt hat und den
Organismus schon in seiner Entwicklung schädigen konnte.
Diese letzte Gruppe umfaßt also die echten Fälle von here-
ditärer juveniler Paralyse. Der erste Infektionsmodus ist
seltener. Die hereditäre Paralyse kann aber auch erst
später, nach dem 20. Jahre, in die Erscheinung treten. Es
sind Fälle im 40. und 50. Jahre beobachtet worden, in
welchen eine hereditäre Syphilis angenommen werden
mußte (2). Der Lehrsatz: „Ohne Syphilis keine Paralyse“ gilt
auch für die juvenilen hereditären Formen. Andere Schädlich-
keiten spielen keine nennenswerte Rolle in ihrer Aetiologie.
Manche der jugendlichen Individuen, welche im zweiten
Dezennium an Paralyse erkranken, können die körperlichen
Stigmata der hereditären Lues an .sich tragen; besonders
häufig finden sich diese Zeichen an der Zunge und an den
Zähnen (3); die Körperentwicklung ist oft von Anfang an
sehr zurückgeblieben. Es sind Fälle mit Mikrocephalie be-
schrieben worden (4). Auch die intellektuelle Entwicklung
der juvenilen Paralytiker zeigt oft von Anfang an eine
mehr oder weniger starke Hemmung, sodaß es beim Manifest-
werden der körperlichen Symptome oft nicht leicht ist, zu
entscheiden, ob die gleichzeitig nachweisbaren Intelligenz-
' störungen bereits von Geburt an vorhanden gewesen sind
oder erst sich entwickelt haben. Andere Fälle zeigen aber
zunächst eine durchaus normale geistige Entwicklung, und
die Symptome der hereditären Lues finden sich nicht immer
bei jugendlichen Paralytikern. Die Vorhersage, ob eine
progressive Paralyse bei einem jugendlichen Individuum
sich entwickeln wird oder nicht, ist also aus dem Vorhandensein
oder Fehlen der gewöhnlichen Zeichen der hereditären Lues
nicht ohne weiteres möglich. Nicht jedes Kind, welches
mit der letzteren behaftet ist, erkrankt an Paralyse').
Das Krankheitsbild der juvenilen Paralyse unterscheidet
sich von der Paralyse der Erwachsenen nicht gerade in
wesentlichen Punkten. Immerhin lassen sich gewisse Eigen-
heiten im Krankheitsverlauf und namentlich auch in der
pathologischen Anatomie der Fälle finden, welche die klini-
sche Sonderstellung der echten hereditären juvenilen Para-
lyse berechtigt erscheinen lassen.
Mädchen und Knaben werden gleich häufig betroffen.
Der Infektionsmodus ist offenbar daran schuld. In den
Pubertätsjahren kommt die Erkrankung am häufigsten vor.
Sie verläuft in der Mehrzahl der Fälle unter dem Bilde der
einfachen Demenz und zeigt einen protrahierteren Verlauf
als die Paralyse der Erwachsenen. Die Kinder entwickeln
sich etwa vom 12. bis 14. Jahr ab plötzlich nicht weiter,
zeigen vielmehr einen Rückgang ihrer Schulleistungen, sind
nicht mehr aufnahmefähig und es entwickelt sich schließlich
eine große Merkschwäche und ein völliger Mangel jeder
geistigen Regsamkeit. Die andern psychischen Störungen,
wie sie von der Paralyse der Erwachsenen her bekannt sind,
können natürlich auch vorkommen; . hier sind zu nennen:
Zustände von Depression, Exaltation mit Größenideen, hypo-
chondrische Verstimmungen, persekutorische Ideen, welche
durch ihre Unsinnigkeit von vornherein als paralytisch 1m-
ponieren. Auch Gehörs- und Gesichtstäuschungen werden
angegeben, ferner eine große Reizbarkeit und Suieidimpulse,
deren Heftigkeit aber keine so erhebliche ist, wie bei der Paralyse
der Erwachsenen. Was nun die körperlichen Symptome angeht,
so kommen Krampfanfälle mit Bewußtseinstrübungen beson-
ders häufig vor. Auch epileptische Anfälle vom Typus der
Rindenepilepsie sind beobachtet worden. Ferner sind Zu
nennen 'apoplektiforme:Insulte mit restierenden Hemiparesen,
an welche sich später ein- oder doppelseitige Contracturen
und enorme Tonussteigerungen in der Muskulatur sämtlicher
Extremitäten anzuschließen pflegen. Die Fälle mit spasti-
schen Erscheinungen überwiegen überhaupt, während die
Zahl der Fälle, welche mit mehr oder weniger ausge
sprochenen Tabessymptomen einhergehen, seltener sind.
Fröhlich fand unter 50 Fällen von juveniler Paralyse DU
zehn mit erloschenen Sehnenreflexen, drei mit abgeschwäch-
~ 3) ‚Die psychische und körperliche Beschaffenheit von RA
lytikerkindern hat Herrmann (5) genauer untersucht; unter 124 ch
Iytikerkindern fanden sich sechs Fälle mit Mißbildungen und Spra
defekten und 54 waren geistig abnorm, darunter vier Paralytiker.
3. November:
— [2.2
— M m m O- a u
ten Sehnenreflexen, während 37 eine pathologische Reflex-
steigerung zeigten (6). Arsimoles und Halberstadt (8)
weisen auf das Vorkommen von choreiformen Bewegungen
hio. Auch Gleichgewichtsstörungen und Gangstörungen
kommen vor, die so beschaffen sind, daß man an eine Be-
teiligung des Kleinhirns denken kann. Re£gis, Claude und
Levy-Valensi(7) beschreiben unter den Herdsymptomen
noch apraktische und passagere aphasische Störungen. Die
Veränderungen der Pupillenreaktion sind die gleichen wie bei
der Paralyse der Erwachsenen; häufig finden sich noch Spontan-
nystagmus, Strabismus und Sehnervenatrophie. Vasomoto-
rische Störungen von der Art der Akroneurose und Akrocyanose
und ferner Menstruationsanomalien kommen häufig vor.
Ueber das Verhalten der Cerebrospinalflüssigkeit läßt
sich kaum etwas sagen, was nicht von der Paralyse der Er-
wachsenen her bekannt wäre. Die Wassermannsche Re-
aktion wurde, sowohl im Lumbalpunktat wie im Blute, häufig
positiv gefunden.
Ein Fall, welcher in der Straßburger Psychiatrischen Klinik zur
Beobachtung kam, sei hier kurz mitgeteilt, da er gewisse klinische Eigen-
tümlichkeiten in der juvenilen hereditären Paralyse besonders deutlich er-
kennen läßt. Es handelte sich um einen i5jährigen Knaben, bei dem die
ersten Symptome der Erkrankung im 14. Lebensjahre auftraten. Die
Mutter des Kranken hatte viermal geboren, das erste Kind starb einige
Wochen nach der Geburt und soll einen Ausschlag gehabt haben; die
zweite Geburt war eine Fehlgeburt von 6!/a Monaten; das dritte Kind ist
der gleich zu beschreibende Fall von juveniler Paralyse und das vierte
Kind ist bis jetzt gesund. Im Blute der Mutter fiel die Wassermann-
sche Reaktion auch jetzt noch positiv aus. Der Knabe war von Anfang
an schwächlich und soll in den ersten Tagen nach der Geburt einen Aus-
schlag gehabt haben. Abgesehen davon, daß das körperliche Wachstum
des Knaben sehr zurückblieb, zeigte er im übrigen keine Symptome einer
körperlichen Erkrankung und die psychische Entwicklung war weder
durch Intelligenzmangel noch durch andere psychische Störungen auf-
fällig. Im ‘14. Jahre traten nun sehr heftige Kopfschmerzen und Er-
brechen auf; auch bemerkte man ein Schlechterwerden der Sprache und
Gleichgewichtsstörung. Bei der ersten Untersuchung des Knaben im
März 1911 waren schon alle Symptome vorhanden, welche die Diagnose
einer juvenilen hereditären Paralyse stützen konnten. Die Pupillen waren
lichtstarr und zeigten nur eine geringe Konvergenzreaktion. Am Augen-
hintergrunde ließen sich keine Veränderungen nachweisen. Es bestand
eine spastische Paraparese beider Beine mit hochgradiger Steigerung der
Sehnenreflexe und Babinskischem Phänomene rechts. Der Gang war
schwer gestört, taumelnd; der Knabe konnte nur mit Unterstützung sich
fortbewegen. Die oberen Extremitäten zeigten ein starkes Zittern,
namentlich bei intendierten Bewegungen, sodaß es dem Kranken kaum
möglich war, mit Gegenständen zu hantieren und sich selbst zu bedienen.
Eine schwere Artikulationsstörung machte die Sprache fast unverständ-
lich. In dem körperlichen Zustande waren noch auffällig die geringe
Körpergröße, die welke, trockne Haut des Gesichts, welche dem Knaben
einen greisenhaften Ausdruck gab, die Landkartenzunge, schlechte Zähne
und auffällig blaurot gefärbte, kühle Extremitäten. Die Lumbalpunktion
ergab eine starke Lymphocytose, eine starke Vermehrung des Eiweiß-
gehalts und eine positive Wassermannsche Reaktion. Auch im Blute
war eine komplette Hemmung nachweisbar. Anfallsweise traten heftige
Kopfschmerzen mit Erbrechen auf; später gesellten sich noch epileptische
Anfälle dazu. In dem psychischen Verhalten war nur eine hochgradige
Reduktion der intellektuellen Fähigkeiten zu konstatieren; der Knabe
zeigte ein ganz indifferentes, stumpfes Benehmen; Wahnideen, expansiver
oder depressiver Natur, waren nicht nachweisbar.
‚Besonders beachtenswert ist in dem Falle das Domi-
nieren der körperlichen Symptome, so namentlich die starken
Kopfschmerzen, das Erbrechen und die frühzeitig auftretenden
hochgradigen Gang- und Gleichgewichtsstörungen mit Con-
tracturbildung und die hochgradige Anarthrie. Alle diese
Symptome waren am Ende des ersten Krankheitsjahres
bereits voll entwickelt. Der Fall zeigt ebenso wie andere
einen sehr protrahierten Verlauf; die Krankheitsdauer be-
trägt jetzt bereits fast drei Jahre. Remissionen sind nicht
zustande gekommen, abgenommen davon, daß infolge einer
in dem Falle vorgenommen Dekompressivtrepanation die
schweren cerebralen Symptome vorübergehend an Intensisät
nachließen.
~ Die Diagnose solcher Fälle, wie ich soeben einen
mitgeteilt habe, ist meist nicht schwer. Für die Abgrenzung
der hereditären juvenilen Paralyse gegenüber den andern
Formen von Hirnlües gelten dieselben diagnostischen Grund-
sätze, wie sie von den entsprechenden Erkrankungen bei
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1785
Erwachsenen genügend bekannt sind. Es kommen bei heredi-
tärer Lues genau die gleichen Formen von Erkrankung der
Blutgefäße, der Meningen, vor und namentlich finden sich
häufig Kombinationen der verschiedenen Erkrankungsformen,
welche auf Lues zurückzuführen sind.
Besondere Schwierigkeit bietet noch die Abgrenzung
der hereditären Paralyse von gewissen Formen der
hereditären Syphilis des Centralnervensystems, bei
welchen eine Entwicklungshemmung eine hervorragende Rolle
spielt. Ich komme damit zu der wichtigsten und inter-
essantesten Seite, welche die juvenile hereditäre Paralyse
bietet und in welcher eigentlich allein ihre Sonderstellung
der Paralyse der Erwachsenen gegenüber begründet liegt.
Es hat sich nämlich gezeigt, daß, abgesehen von den Rinden-
veränderungen, wie sie auch bei der Paralyse der Er-
wachsenen vorkommen, bei den hereditären Fällen ange-
borene Mißbildungen und Entwicklungshemmungen im Central-
nervensystem an verschiedenen Stellen sich finden, welche
ihre Entstehung wohl auch der hereditären Syphilis ver-
danken. Sträußler (9) hat folgende Anomalien bei heredi-
tärer Paralyse beschrieben: Veränderung am Kleinhirn
speziell in den Purkinjeschen Zellen, Anomalien im Central-
kanal, Heterotopien einzelner Ganglienzellen und grauer
Substanz und schließlich Kleinhirnatrophie und abnorme
Kleinheit der Medulla oblongata. Auch Trapet (10) be-
richtet über Störungen des Schichtenbaues der Kleinhirn-
rinde und der Purkinjeschen Zellen, und Klieneberger (11)
teilt einen Fall mit, in welchem neben den paralytischen
Rindenveränderungen Balkenmangel zu konstatieren war.
Die Kombination von paralytischen Rindenveränderungen mit
Entwicklungsstörungen im Centralnervensystem wird von
manchem als etwas für die juvenile hereditäre Paralyse ganz
Charakteristisches angesehen. Sträußel vermutet in dieser
Kombination von progressiver Paralyse mit Entwicklungs-
hemmungen im spinocerebellaren System nicht ein zufälliges
Zusammentreffen, sondern einen tieferen Zusammenhang.:
Die juvenile Paralyse soll überhaupt zu den hereditären Er-
krankungen Beziehungen haben. Es ist hier zu denken an.
die von Marie beschriebene Hérédoataxie cerebelleuse und
ferner die juvenilen Formen der amaurotischen Idiotie.
Sträußel beschreibt einen Fall, in welchem neben .einer:
hereditären Paralyse auch eine Mariesche Ataxie vorlag;
er rechnet die hereditäre Paralyse zu denjenigen Erkran-
kungen, welche auf dem Boden einer fehlerhaften Ent-
wicklung zustande kommen.
So kann man der echten hereditären juvenilen Para-
lyse wohl eine Sonderstellung einräumen, die sie aber nur
zum kleinen Teil wegen ihrer klinischen Besonderheiten ver-
dient, sondern hauptsächlich deswegen, weil neben den ge-
wöhnlichen paralytischen Rindenveränderungen auch echte
Entwicklungshemmungen bestehen, welche sich auch klinisch
bemerkbar machen können. 5 ren E
Eine weitere diagnostische Schwierigkeit besteht noch
in denjenigen Fällen, in welchen vereinzelte Symptome am
peripheren oder centralen Nervensystem sich. finden, welche
auf hereditäre Syphilis beruhen können. Es können an
dieser Stelle nicht alle hierher gehörigen Symptome auf-
geführt werden; kurz erwähnt sei die angeborene Taubheit,
die Sehnervenerkrankungen, Erkrankungsherde in der Cho-
reoides, Symptome eines mehr oder weniger hochgradigen
Hydrocephalus, gewisse Intelligenzmängel und: allgemeine
körperliche oder nervöse Schwäche... In.all solchen Fällen
mit monosymptomatischer hereditärer Syphilis ist die -Be-
antwortung der Frage sehr schwierig, ob auch noch eine
juvenile Paralyse zu erwarten ist oder nicht. Beachtung
verdienen noch die Fälle, in welchen bei Kindern epilep-
tische Anfälle infolge ererbter Syphilis auftreten. Es ist in
solchen Fällen oft nicht leicht zu entscheiden, ob diese
epileptischen Anfälle etwa ein Frühsymptom einer beginnen-
den juvenilen Paralyse darstellen.
1786 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
Was nun die Behandlung der Fälle von hereditärer
Paralyse angeht, so sind wir auch bei dieser Form der
Paralyse machtlos. Die specifischen Kuren haben bis jetzt
keine Erfolge aufzuweisen. In dem oben mitgeteilten Falle
wurde der Versuch gemacht, durch eine Dekompressivtrepa-
nation die schweren subjektiven und objektiven Hirnsym-
ptome, welche namentlich im Anfange der Erkrankung be-
standen, zu beseitigen. Bei der Trepanation in der Gegend
des rechten Schläfenbeins (nach Cushing) bot sich ein ganz
eigentümliches Bild dar. Die Dura stand unter sehr hohem
Drucke; bei der Spaltung der Dura wölbten sich die stark
ödematösen weichen Häute, welche eine bläulich - weiße
Färbung zeigten, pilzförmig vor, sodaß man direkt von einem
Prolaps sprechen konnte. Nach der Durchschneidung der
oberen, sich vordrängenden Schichten der weichen Häute
fiossen große Mengen von klarem Liquor ab und das Gehirn
erschien nachher deutlich zusammengesunken. Der Erfolg
der Trepanation, welche weiter keinen Prolaps verursachte,
war der, welcher beabsichtigt war. Die schweren subjek-
tiven Beschwerden des Knaben verschwanden und die Gang-
störung und der Tremor gingen wieder zurück, sodaß der
Kranke sich eine zeitlang wieder selbst bedienen und allein
gehen konnte. In dem weiteren ungünstigen Verlaufe des
Falles hat sich natürlich auch durch diesen chirurgischen
Eingriff nichts geändert.
S. 443.) — Genauere Literaturangaben finden sich in der oben zitierten Arbeit
von Arsimoles und Halberstadt.
Zur Perkussion der Lungenspitzen bei
Tuberkulose
von
Prof. Th. G. Janowski, Kiew.
Bei der Entwicklung eines tuberkulösen Prozesses in den
Lungenspitzen wird der perkutorische Ton in verschiedener Be-
ziehung verändert, nämlich er wird gedämpft, leerer und höher.
Diese drei Eigenschaften können nicht als Synonyme bezeichnet
werden, weil sie auf verschiedene physikalische Eigenschaften hin-
weisen; jedoch stellen sie gewissermaßen Aequivalente dar, da sie
auf ein und dasselbe pathologische Substrat — die Tuberkulisa-
tion des Lungengewebes — zurückzuführen sind. In -manchen
Fällen gelingt es mit Leichtigkeit, eine Tonveränderung in sämt-
lichen drei Richtungen zu konstatieren, das heißt man nimmt
deutlich sowohl Dämpfung als Leere und Höherwerden des Tons
wahr. In der Frühperiode der Tuberkulose, wo es wünschenswert
erscheint, den Beginn des tuberkulösen Prozesses aufzudecken, ist
es von großer Wichtigkeit, die geringsten Veränderungen des
Perkussionsschalls feststellen zu können, was am leichtesten be-
züglich der Tonhöhe gelingt. Die Differenz in der Tonhöhe beider
Lungenspitzen kann mit der Musiktonleiter verglichen werden.
Selbst wenn der Untersucher über kein besonders feines Gehör
verfügt, fällt es ibm nicht schwer, festzustellen, ob der Per-
kussionsschall über beiden Lungenspitzen einem und demselben
Tone, wie das normaliter der Fall ist, oder verschiedenen Tönen
der Musikskala entspricht. Dagegen können die andern Eigen-
schaften des Perkussionsschalls, nämlich die Dämpfung und Leere
desselben nicht so genau festgestellt werden, da hierbei ein derart
präziser Maßstab nicht vorhanden ist. Diese prävalierende Be-
deutung der Tonhöhe hat seinerzeit bereits Sco da!) hervorgehoben,
indem er geradezu behauptete, daß von allen: Eigenschaften des
Perkussionsschalls die Tonhöhe desselben am leichtesten bestimmt
werden kann. A. Woillez setzte, trotzdem er es nicht für mög-
lich hielt, die perkutorischen Töne den Tönen der Musikskala
gleichzustellen, jedoch „die Tonalität an die Spitze aller Eigen-
schaften der perkutorischen Töne“.
| Nirgend gewinnt wohl die Möglichkeit, Differenzen der Ton-
höhe präzise und leicht zu bestimmen, größere Bedeutung als bei
der Diagnostik der Frühperioden der Lungentuberkulose. Daß der
Prozeß der Lungenverdichtung bei Tuberkulose mit einem Höher-
werden des perkutorischen Tons einhergeht, gilt bereits als fest-
stehender Satz. Doch selbst in dem Falle, wenn wir als Haupt-
merkmal der Verdichtung des Lungengewebes die Dämpfung des
Perkussionsschalls betrachten, muß der Tonhöhe eine wichtige Be-
deutung zugemessen werden, da dieselbe der Tondämpfung parallel
geht und, da sie leichter wahrgenommen und festgestellt werden
kann, uns indirekt gestattet, auch die Dämpfung in genauerem
Maße zu beurteilen. Dieser Gedanke ist bereits im Jahre 1843
von dem englischen Kliniker W. Walsche?) und später im Jahre
1854 von A. Flint?) ausgesprochen worden. Herard, Cornil
und Hanot) betonen gleichfalls den Parallelismus dieser beiden
perkutorischen Erscheinungen, das heißt der Dämpfung und des
Höherwerdens des Tons. Obschon diese Autoren die Bezeichnung
„Dämpfung“ beizubehalten vorschlagen, machen sie darauf auf- '
merksam, daß eigentlich diese Bezeichnungen sich weitaus häufiger
auf die größere Tonhöhe als die Dämpfung des Schalles beziehen.
G. S66°) behauptet, daß in manchen Fällen von Tuberkulose das
Höherwerden des Tons die einzige Veränderung der perkutori-
schen Schallqualitäten darstellt. Auch Grancher®), der allerdings
den Auskultationserscheinungen für die Erkennung der Früh-
perioden der. Tuberkulose größeren Wert beimißt, hebt dennoch
die Wichtigkeit gerade der perkutorischen Tonhöhe hervor.
Barbier?) spricht es direkt aus, daß ein Höherwerden des Tons
mit zu den allerersten Frühsymptomen der Lungentuberkulose
ehört.
: Wenn somit das Höherwerden des Tons bei Tuberkulose der
Lungenspitzen die Regel bildet, fast Gesetz ist, so erheischen die
Fälle, welche davon abweichen, um so größeres Interesse. Im vor-
liegenden Artikel möchte ich mir erlauben, auf derartige Fälle
näher einzugehen, die uns zu der Annahme drängen, daß hierbei
der tuberkulöse Prozeß das Gegenteil von der Regel — ein Tiefer-
werden des perkutorischen Tons — hervorgerufen hat. Unter den
Fällen von beginnender Tuberkulose hat man nämlich bisweilen
Gelegenheit, solche zu beobachten, wo an der Lungenspitze mit
dem höheren Perkussionsschalle keineriei pathologische Auskulta-
tionserscheinungen beobachtet werden, und daß letztere gerade au
der andern Lungenspitze mit dem tieferen Perkussionsschalle kon-
statiert werden. Auf Fälle einer derart paradoxalen Kombination
der betreffenden Symptome bin ich schon seit langer Zeit ge-
stoßen und haben sie natürlicherweise, als Ausnahme von einer
allgemeinen Regel, meine Aufmerksamkeit gefesselt. Ich habe
diese Erscheinung im Lauf vieler Jahre vertolgt und bin zum
Schluß gekommen, daß solche Fälle eigentlich gar nicht selten
vorkommen — und das allein verleiht ihnen schon klinischen
Wert. Außerdem haben sie noch darum ihre Bedeutung, weil ihr
Studium eine prinzipielle Frage — über die Möglichkeit einer
Tonerniedrigung infolge der Entwicklung eines tuberkulösen Lungen-
prozesses — entscheidet. .
Indem wir an die Bewertung dieser Fälle herantreten, müssen
wir zuvor bemerken, daß ein Höherwerden des Tons überhaupt
einen relativen, durch Vergleichung der perkutorischen Schall-
qualitäten beider Lungenspitzen erhaltenen Begriff darstellt.
Wir besitzen ja kein normales Maß, mit dem sich der Per-
kussionsschall in jedem Falle vergleichen ließe, um zu best
ob tatsächlich im Vergleich mit der Norm eine Tonerhöhung stat
gefunden hat. Finden wir, daß der Ton über einer Lungenspitie
höher ist, so müssen wir stets zwei Möglichkeiten in Bon ý
ziehen, nämlich einerseits, daß der Perkussionsschall über der be
1) Abhandl. über Perkussion u. Auskultation, 6. Aufl. 1864, S. 20.
2) Zit. bei Woillez.
3) A. Flint, Physical exploration of the chest.
4) La phthisie pulmonaire 1888, S. 500.
5) De la phthisie bacillaire du poumons 1884, S. 254. itation
es; g oralen de l’appareil respiratoire, tuberculose et ausc
1) Sémeiologie pratiquo des poumons et de la plövre S. 177.
b
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1787
treffenden Lungenspitze tatsächlich höher geworden, und ander-
seits, daß er normal geblieben und bloß höher im Vergleich mit
der andern Lungenspitze, die eine Tonerniedrigung erfahren hat,
erscheint. Letztere Annahme ist augenscheinlich bisher von den
Klinizisten zu wenig berücksichtigt worden, sodaß man den Ein-
druck erhält, als ob die betreffende Erscheinung gar nicht existiere.
Zugunsten einer solchen sprechen aber auch einige Angaben der
Autoren. Schon Andral!) berichtet in seinem aus dem Jahre
1826 stammenden Traktat über Fälle, wo die Tondifferenz an
beiden Lungenspitzen von einer „Augmentation de sonoréité“ ab-
hängt. Auch in dem klassischen Werke Piorrys?) „Traité de
diagnostic et de séméiologie“ findet sich eine entsprechende Stelle.
Es heißt daselbst, daß in manchen Tuberkulosefällen, wo die Zahl
der Tuberkel gering ist und sie innerhalb des Lungengewebes,
deren Alveolen erweitert sind, zerstreut sind, der Perkussions-
schall nicht gedämpft ist, sondern im Gegenteil lauter erscheint.
Fernerhin machen Herard, Cornil und Hanot?) anläßlich der
Behandlung der Frage über die vorwiegende Entwicklung des
Emphysems in einer Lungenspitze, die Bemerkung, daß der Arzt
häufig diejenige Seite, an welcher er eine Abschwächung der
Helligkeit des Perkussionsschalls konstatiert, für affiziert hält,
während es sich in Wirklichkeit gerade um eine Affektion der
andern Seite handelt, wo eine Verstärkung der Tonhelligkeit vor-
liegt. Auch G. Séet) meint, daß die Tuberkulose im Anfangs-
stadium nicht nur Abschwächung, sondern auch Verstärkung des
Perkussionsschalls erzeugen kann, obgleich letztere seiner Meinung
nach ein seltenes Vorkommnis ist. Bei allen diesen Autoren ist
freilich nicht von einem Niedrigerwerden des perkutorischen Tons,
sondern von „größerer Helligkeit“ desselben die Rede. Jedoch
gehen diese beiden Schallqualitäten, wie Herard, Cornil und
Hanot) richtig hinweisen, parallel zueinander, indem der helle
Ton der niedrigen, der gedämpfte der höheren Tonqualität ent-
spricht. Leube®) warnt gleichfalls vor einer irrtümlichen Diagnose-
stellung, wo bei Tondifferenz über den Lungenspitzen die Ver-
dichtung einer Spitze angenommen wird, während tatsächlich
Emphysem der andern vorliegt. Die Möglichkeit derartiger dia-
gnostischer Fehler erwähnen ferner Cornet’) und neuerdings
L. Brown). |
Darum ist auch in unsern derartigen paradoxalen Fällen als
Erklärung der tatsächlichen Tondifferenz durchaus die Annahme
berechtigt, daß nicht der Ton an einer Lungenspitze höher, son-
dern daß er an der andern tiefer geworden ist. |
Man muß bei dieser Behauptung auf folgende Entgegnung
gefaßt sein: An der Lungenspitze mit höherem Perkussionsschalle
schließt das Fehlen von ausgesprochenen Auskultationserschei-
nungen noch nicht das Vorhandensein eines Krankheitsprozesses aus.
Grancher°) allerdings behauptet, daß bei Tuberkulisation
der Lungenspitzen die auskultativen Phänomene weit früher als
die perkutorischen in die Erscheinung treten, sodaß dort, wo schon
perkutorische Veränderungen vorliegen, man a priori ausgesprochene
Auskultationsphänomene erwarten könne.
Fränkel und Senator schließen sich dieser Ansicht des
französischen Klinizisten an. Man kann jedoch nicht in Abrede
stellen, daß in manchen, wenn auch seltenen Fällen der Prozeß
in einer Lungenspitze nach einem andern Typus verlaufen kann,
indem er vorderhand nur der Perkussion zugängliche Verände-
rungen hervorruft, während sich die Veränderungen der andern
Lungenspitze in auskultativen Erscheinungen äußern. Eine solche
Erklärung ist durchaus zweckmäßig, weil sie in natürlicher und
einfacher Weise die entsprechenden Tatsachen auf die allgemein
als Gesetz anerkannte Tonerhöhung bei tuberkulöser Spitzen-
affektion zurückführt. Und wenn bisher diese Fälle von „para-
doxaler Kombination“ nicht die gebührende Beachtung gefunden
und, soweit mir bekannt ist, in der Literatur nicht behandelt
worden sind, so liegt das wahrscheinlich daran, daß man die eben-
erwähnte Deutung als die einzig mögliche akzeptierte.
Ist also diese Deutung tatsächlich gerechtfertigt oder — um-
gekehrt — kommt im gegebenen Fall ein Niedrigerwerden des
Tons der Lungenspitze als Folge der Tuberkulisation derselben
t) Clin. méd. 1826, T. 3, S. 62.
°) Traité de diagnostic et de la s&meiologie 1837, S. 561.
a) Ta phthisie pulmonaire, S. 499.
0.
5 L. c.
c) Spezielle Diagnose der inneren Krankheiten, 7. Aufl., Bd. 1, S. 180.
) Die Tuberkulose 1907, Bd. 2, S. 666.
K, A System of Medicine by Osler and Mec Crae, Bd. 3, S. 287.
) L. c. S. 208. | |
zustande? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zur
andern Lungenspitze wenden, also derjenigen, wo der Ton höher
ist und auskultative Veränderungen fehlen. Wenn wir uns über-
zeugen könnten, daß in Wirklichkeit keine Affektion dieser Lungen-
spitze vorliegt, daß sie vollkommen gesund ist, so müßte daraus
der natürliche Schluß gezogen werden, daß die Tonerhöhung, dieser
einzige Hinweis auf einen Prozeß in dieser Spitze, nur eine rela-
tive Erscheinung darstellt; der Perkussionsschall müßte hier in bezug
auf Tonhöhe als normal gelten, da er ja bloß im Vergleich mit der
andern Liuungenspitze, wo eine Tonerniedrigung durch Tuberkulose-
entwicklung entstand, höher erscheint. Somit besteht der Schwer-
punkt dieses Problems in der Lösung der Frage, ob die betreffende
Lungenspitze, an der keine auskultativen Veränderungen vorliegen,
gesund ist oder nicht.
Es fällt recht schwer, in jedem entsprechenden Falle diese
Frage zu beantworten. Es ist ja immer der Verdacht möglich,
daß die Tuberkulose bereits begonnen hat, jedoch bloß einen ge-
ringen, der Auskultation vorderhand nicht zugänglichen Grad er-
reicht hat; sogar die verschiedenen biologischen Reaktionen sichern
gleichfalls nicht eine zuverlässige Lösung der Frage: män erhält
auf jeden Fall ein positives Resultat, da die Auskultationserschei-
nungen der andern Lungenspitze ja für ein Vorhandensein eines
tuberkulösen Prozesses im Organismus sprechen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten benutzte ich zwecks Lösung
der uns interessierenden Frage eine besondere Methode, nämlich
die Beobachtung der betreffenden Patienten im Lauf eines langen
Zeitraums. Ich rechnete darauf, daß in denjenigen Fällen, wo der
tuberkulöse Prozeß begonnen, jedoch sich vorläufig noch nicht
geltend machte, im Laufe der Zeit, später oder früher, irgend-
welche, wenn auch schwach ausgeprägte Symptome auftreten
müssen, auf Grund deren man das Vorhandensein eines tuber-
kulösen Prozesses bestimmen könnte. Diese Methode erforderte
freilich viel Zeit, zuweilen einige Jahre lang, sicherte aber in ge-
nügendem Maß eine richtige Schlußfolgerung. Konnten im Lauf
einer solchen Jangandauernden Beobachtung auch späterhin keinerlei
Veränderungen in der betreffenden Lungenspitze konstatiert werden,
so war die Annahme berechtigt, daß auch bei der anfänglichen
Beobachtung die Lungenspitze intakt, gesund und der höhere
Ton daselbst eine fiktive, relative Erschoinung war.
Freilich ist auch hier folgende Entgegnung möglich: Der
tuberkulöse Prozeß konnte an der Spitze beginnen, eine perku-
torische Tonerhöhung bervorrufen und ist alsdann erloschen, zum
Stillstande gekommen; sind auch späterhin keine neuen Symptome
hinzugekommen —, der Prozeß war trotzdem vorhanden. Auf
diesen Einwand kann man schon a priori erwidern, daß wenn
solche Ausnahmefälle auch — theoretisch betrachtet — möglich
sind, jedoch wohl dermaßen selten sind, daß sie bei der Lösung
der Frage praktisch nicht in Erwägung kommen.
Das passendste Material für die Lösung der vorliegenden
Aufgabe bildete die Privatpraxis, da sie es ermöglicht, den Zu-
stand des Patienten im Lauf eines langen Zeitraums, zuweilen
Jahre hindurch, zu verfolgen und zu beobachten, wie sich Schritt
für Schritt die tuberkulöse Affektion entwickelt; außerdem ist
hierbei eine wiederholte Nachprüfung des bei der früheren Unter-
suchung erhobenen Befundes möglich.
Diese von mir in solcher Richtung angestellten Beobachtungen,
die sich durchweg auf längere Zeitperioden beziehen, haben mich
davon überzeugt, daß in manchen Fällen, wo im Anfange der Beob-
achtung lediglich Tonerhöhung konstatiert werden konnte, auch
späterhin keinerlei Anzeichen einer Affektion sich entwickelten.
Der höhere Ton war also hier fiktiv, das heißt er erschien bloß
höher durch Vergleich mit der andern Lungenspitze, an der die
Tuberkulose, außer Auskultationsphänomenen, einen niedrigeren
Perkussionsschall erzeugt hatte.
Bei eingehender Betrachtung dieser Fälle muß man außer-
dem die Frage in Erwägung ziehen, ob hier nicht jene Er-
scheinung vorliegt, über welche Herard, Cornil und Hanot,
Leube, Cornet und L. Brown berichten, nämlich eine ungleich-
mäßige Entwicklung von Emphysem in einer Lungenspitze.
Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß man ja
für das Zustandekommen eines Lungenemphysems irgendeine lang-
andauernde Erkrankung, welche eine derartige Strukturveränderung
des Lungengewebes hervorrufen könnte, annehmen müßte; außerdem
hätte ein Emphysem, das zu einem Tieferwerden des perkutorischen
Tons geführt hat, auch gleichzeitig die üblichen Symptome einer
empbysematischen Lungenveränderung, als recht lauten und be-
sonders vollen Perkussionsschall, Verlagerung der Lungenspitzen-
grenzen nach oben, erzeugen müssen. Diese Symptome charakteri-
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1788 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
sieren in genügendem Maße diese Fälle mit Empbysem als spezielle,
ihre klinische Sonderstellung besitzende Gruppe und ermöglichen
eine Scheidung von den hier in Frage kommenden Fällen. Die-
selben waren tatsächlich in anamnestischer Hinsicht öfters ganz
frisch, das heißt sie boten keine entsprechende vorangegangene
Erkrankung dar; außerdem waren auch die andern, eben erwähnten
perkutorischen Anzeichen des Emphysems hier nicht vorhanden.
Kurzum, es lag keine Veranlassung vor, unsere betreffenden Fälle
auf Emphysem zurückzuführen.
Dieser Umstand ist übrigens von Bernheim!) hervor-
gehoben worden. Dieser Kliniker bemerkt nämlich bei der Er-
wähnung von „Tonverstärkung“ mit leichtem tympanitischen Klang
infolge einer Emphysementwicklung, daß eine Tonverstärkung auch
ohne Emphysem möglich ist, läßt jedoch die Frage, was hierbei
die Ursache der Tonerniedrigung darstellt, offen. |
Dieser Frage mußten auch wir bei der Untersuchung der
Fälle von „paradoxaler Kombination“ nähertreten. In der ent-
sprechenden, zu meiner Beobachtung gelangenden Kasuistik wurde
meine Aufmerksamkeit auf den Umstand gelenkt, daß ein Tiefer-
werden des Tons stets zusammen mit dem Auftreten eines tym-
panitischen Klangs beobächtet wurde; letzterer ist freilich in diesen
Fällen schwach ausgeprägt, bisweilen kaum angedeutet, wie das
übrigens in solch frühen Perioden der Lungengewebeveränderungen
nicht anders zu erwarten ist.
-= Das Auftreten von tympanitischem Schalle scheint mir einen
Schlüssel zur Erklärung der perkutorischen Tonerniedrigung zu
liefern. Der tympanitische Schall wird bekanntlich bei tuberkulöser
Affektion des Lungengewebes in sämtlichen Entwicklungsperioden
dieses Leidens beobachtet. Der Perkussionsschall bei Tuberkulose
bietet, wie Rühle?) sagt, allmähliche Uebergänge vom nichttym-
panitischen zum tympanitischen Charakter, in Abhängigkeit von
dem Grade der Spannung des Lungengewebes, des Auftretens
emphysematöser Bezirke und der Höhlenbildung. Handelt es sich
aber um Anfangsstadien, so beruht das Auftreten von tympani-
tischem Schall auf einer Erschlaffung des Lungengewebes.
Die Ursache der letzteren ist nicht immer ein- und dieselbe.
Einerseits besteht bekanntlich ein Druck der neugebildeten soliden
Tuberkel auf die umgebenden Partien des Lungenparenchyms; dank
diesem Drucke können die Gewebe bis zu einem gewissen Grad in
den Zustand des Gleichgewichts („Relaxatio“ der alten Autoren) zu-
rückkehren. Doch genügt diese Erklärung nicht für sämtliche Fälle
von Erschlaffung des Lungenspitzengewebes. Wie Oestreich und
de la Camp?) richtig bemerken, kann eine Spannungsverminderung
der Lungenmembran auch von einer stärkeren Durchtränkung der-
selben mit Flüssigkeit abhängen. Eine infolge von hyperämischer
Blutfüllung auftretende Durchtränkung, respektive Schwellung der
Membran muß notwendigerweise die physikalischen Eigenschaften
derselben verändern und ihre Spannungsverminderung herbeiführen.
Schon seit Wintrichs Zeiten her aber wissen wir, daß der
Spannungsgrad des Lungengewebes einen Einfluß auf die Höhe des
Perkussionsschalls ausübt.
Wintrich®) hat das sowohl für den tympanitischen als
nichttympanitischen Lungenschall bewiesen; hierbei wird mit Ver-
stärkung der Spannung der Ton höher, mit Erschlaffung niedriger.
Dieselbe Ansicht vertritt auch Weil) bezüglich der pathologischen
Prozesse; nämlich den niedrigen Perkussionsschall bei Lungen-
emphysem erklärt Weil durch eine Schwächung der Spannung des
Lungengewebes als Folge der Atrophie seiner elastischen Fasern;
den niedrigen Ton der gesunden Lungenpartie über dem pneumo-
nisch-hepatisierten Lappen führen Weil und Traube auf den Druck
zurück, den eine solch hepatisierte und im Umfange vergrößerte
Lunge auf die umgebenden gesunden. Lappen, deren Gewebe in-
fo)gedessen die Möglichkeit erhält zu erschlaffen, ausübt. Diese
Beispiele bilden eine gewisse Analogie mit den von uns erörterten
Fällen, denn auch hier muß die Gewebserschlaffung, obschon
andern Ursprungs, zum Niedrigwerden des Perkussionsschalls Ver-
anlassung geben.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ich hervorheben, |
daß — obschon in diesem Artikel von einem Niedrigerwerden des
1) Traité clinique et tberapeutique de la tuberculose pulmnaire.
)
Ba. 2, S. 152.
(1902, ; re der Lungen. (Ziemssens Handb. d. spec. Path. u.
. Bd. 5, Th. 3, S. 68.
ai D Anatomie und hysikalische Untersuchungsmethoden. (1905,
. í d 145. ,
en 9 en der Respirationsorgane. (Virchows Handb. d. spec.
Path. u. Ther. 1854, Bd. 5, Abt. 1, S. 28 u. a.)
i sj Handbuch d. topographischen Perkussion 1870, S. 31 u. 37.
3. November.
Tons die Rede ist — der Tuberkulisationsprozeß in den Lungen-
spitzen natürlich weit häufiger dennoch den perkutorischen Ton
höher macht — infolge Bildung und Entwicklung von Tuberkeln
und käsigen Herden in dem Lungengewebe; in manchen Fällen
stellt sogar, wie schon Scodat) bemerkt hat, das Höherwerden
des Tons das erste Symptom einer beginnenden Infiltration dar,
wo Veränderungen der andern Eigenschaften des Perkussionsschalls
noch nicht vorhanden sind.
Ich wende mich nun zum zweiten Teil meiner Beobachtungen,
deren Resultate ich nur summarisch, in Form kurzer Schlußergeb-
nisse anführe. Als mir klar wurde, daß die Tuberkulose ein
Niedrigerwerden des Tones hervorrufen kann, entstand die Frage,
ob diese Erscheinung nicht diagnostische ` Bedeutung auch in
andern Fällen — außer den eben behandelten Fällen von „para-
doxaler Kombination* — haben kann. l
Schon nach der Entstehungsart dieser Tonerniedrigung
durfte man annehmen, daß letztere als Frühsymptom der Tuber-
kulisation des Lungengewebes dienen kann. In der Anfangsperiode
der Tuberkuloseentwicklung kann der pathologische Prozeß in ver-
schiedener Form verlaufen. In dem einen Falle tritt neben den
Erscheinungen von Hyperämie und Schwellung des Lungengewebes
sofort Infiltration desselben mit Tuberkeln, Entwicklung einer
katarrhalen Verdichtung in deren Umgebung und partielle Atelek-
tase auf — in einem Grade, der genügt, um ein Höherwerden des
Perkussionsschalls zu bewirken. i
Im andern Fall aber kommt es zu einer Dissoziation dieser
beiden Erscheinungskategorien: die eben aufgezählten, zur Ver-
dichtung des Lungengewebes und folglich auch zur „Tonerhöhung“
führenden Prozesse entwickeln sich relativ schwach im langsamen
Tempo; dagegen sind die zu einem Niedrigerwerden des Perkussions-
schalles führenden Prozesse — also vermehrte Blutfüllung und
Schwellung — des Lungengewebes schon im genügenden Grade
ausgeprägt, um ein Niedrigerwerden des Tones zu bewirken.
Letzteres Symptom tritt also in einigen — allerdings seltenen —
Fällen recht deutlich als erstes Frühsymptom eines beginnenden
tuberkulösen Prozesses auf. Möglicherweise würde dieses Zeichen
nicht als Seltenheit konstatiert werden, wenn man jedesmal bei
der Untersuchung der betreffenden Fälle schon im voraus im Auge
hätte, daß eine Tonerniedrigung — wenn auch in schwachem
Grade — zusammen mit tympanitischem Charakter auftreten kann.
Ich spreche hier aus eigner Erfahrung heraus, da ich mich über-
zeugt habe, daß, wenn man darauf achtet, dieses Symptom gar
nicht selten, und zwar in den frühesten Perioden der Tuberkulose
zu finden ist.
Zum Studium derartiger Fälle war wiederum Zeit, das heißt
Beobachtung im Laufe einer längeren Periode erforderlich. Auch
für diesen Zweck waren Patienten aus der Privatklientel geeignet,
nämlich solche, die ganz geringfügige Hinweise auf beginnende
Lungentuberkulose boten, am besten aber solche Patienten, welche
anderer ‚vorübergehender Erkrankungen wegen sich an mich
wandten —, Individuen, bei denen der Habitus und verschiedene
andere Umstände den Verdacht auf den Beginn eines tuberkulösen
Prozesses erweckten. Stoße ich auf solche Fälle, so lenke ich
außer der allgemeinen Untersuchung noch eine besondere Auf-
merksamkeit darauf, ob beide Lungenspitzen einen Ton von gleicher
Höhe aufweisen, da normaliter bei der Perkussion symmetrische
Stellen an beiden Brusthälften nach dem Ausdrucke von Barbier
„isotonisch“ sein müssen.
Fand sich eine Differenz in der Tonhöhe beider Lungen-
spitzen beim Fehlen jeglicher anderer Veränderungen, so kon-
trollierte ich späterhin bei jeder Untersuchung, sowohl die perku-
torischen als die auskultativen Erscheinungen. Im Lauf einer
Reihe von Jahren war die Möglichkeit geboten, in erwähnter Rich-
tung recht viele Fälle zu verfolgen, es erwies sich hierbei, dab
eine spätere Entwicklung von lokalen Veränderungen dennoc
häufiger an der Seite, wo der Ton anfangs höher war, beobachtet
wurde.
Diese Beobachtungen stimmen also überein mit dem allge-
mein gültigen Satze, daß die Tuberkulose ein Höherwerden des
Tons bewirkt. In manchen Fällen von beginnender Tuberkulose
jedoch konnte ich mich mit Sicherheit davon überzeugen, daß a
Niedriger-, nicht Höherwerden des Tons das Krankheitsbild ein-
leitete. Allerdings sind diese Fälle seltener als diejenigen, w
eine Tonerhöhung von vornherein besteht; doch im allgome m
läßt sich, wohl wegen der weiten Verbreitung der Lungentubèr
kulose, die primäre Tonerniedrigung gar nicht selten antreten.
1) Abhandlung über Perkussion und Auskultation. (4. Aufl. 8.20)
3. November.
Unterläßt man aber in solchen Fällen gerade in der An-
fangsperiode, so werde sie uns diese Ausnahme von der allgemein
gültigen Regel nicht bieten, weil auch hier im Laufe der Zeit, mit
der zunehmenden Zahl von Tuberkeln, katarrhalen und atelektati-
schen Bezirken in genügendem Maße Bedingungen zustande kommen,
um statt des Niedrigerwerdens ein Höherwerden des Perkussions-
schalls zu bewirken.
In Zusammenfassung der Beobachtungsergebnisse darf ich
behaupten, daß das Studium der hier erörterten Fälle von „para-
doxaler Kombination“ folgende Schlüsse gestattet:
1. Der tuberkulöse Prozeß bewirkt bei seiner Entwicklung
im Lungengewebe nicht nur ein Höherwerden des perkutorischen
Tons, was natürlich am häufigsten oder die Regel ist, sondern
kann auch bisweilen ein Tieferwerden des perkutorischen Tons,
mit tympanitischem Charakter einhergehend, erzeugen..
2. Letzteres tritt entweder zusammen mit andern Symptomen
auf und ergänzt, respektive bestätigt die Diagnose, oder wird ohne
sonstige Symptome beobachtet und stellt dann das einzige Zeichen
der Entwicklung eines tuberkulösen Prozesses in der Lungen-
spitze dar.
3. Das Tieferwerden des Perkussionsschalls stellt daher,
seiner Entstehungsweise nach, eines der frühesten Symptome der
Lungentuberkulose dar und gewinnt somit zweifellase Bedeutung
in der Diagnostik dieses Leidens.
Zur Therapie der Tussis convulsiva
von
Sanitätsrat Dr. Lenzmann, Duisburg.
Ich habe mich mit der Behandlung der Tussis convulsiva
eindringlicher beschäftigt — gewissermaßen der Not gehorchend.
Für den Krankenhausarzt bedeutet es immer einen Schreckschuß,
wenn eines Tages ein kleiner Patient auf der Kinderabteilung an-
fängt, den ominösen krähenden Ton beim Husten auszustoßen.
Das ist oft das Signal für den Ausbruch einer langen Leidenszeit
auf der Kinderstation, die manche Heilpläne des Arztes durch-
kreuzt, selbst wenn man den kleinen Bringer des Unheils sofort
aus der Gesellschaft der Mitkranken entfernt. Ich habe mich jedes-
mal von neuem gefragt: Wie kann und soll man einen Keuchhusten
mit Erfolg behandeln?
Behandelt werden ja die Keuchhustenkranken bekanntlich
alle recht ausgiebig und vielseitig, Mittel stehen in Hülle und
Fülle zur Verfügung. Ich habe — soweit ich mich orientieren
konnte — etwa 45 gegen Keuchhusten empfohlene Arzneikörper
gezählt. Jeder einzelne wird mit den besten Empfehlungen, meistens
auch gestützt durch eine Anzahl günstiger Krankengeschichten,
auf den Markt gebracht. Im Grunde genommen teilen alle das-
selbe Schicksal. Die tatsächliche Wirkung aller dieser Mittel steht
in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Zahl.
Wenn man an die Frage herantritt, wie der Keuchhusten
auch mit Nutzen für den Patienten zu behandeln sei, dann muß
man sich zunächst klar über Wesen und Pathogenese dieser Krank-
heit werden. — Daß der Keuchhusten eine eminent übertragbare
Infektionskrankheit ist, das darf als ausgemacht betrachtet werden.
Der Erreger scheint von Bordet und Gengou gefunden zu sein
in der Form eines sehr kleinen, dünnen, ziemlich ovoiden
grammnegativen Stäbchens, das keine Sporen bildet. Klimenko
ist es gelungen, Affen und Hunde durch den genannten Erreger
zu infizieren. — Das, was an der Regio laesa im Organismus vor
sich ‘geht, kann am besten beobachtet werden bei einem er-
wachsenen Keuchhustenkranken, bei dem die Laryngoskopie un-
gestört ausgeübt werden kann.
Wer Gelegenheit hatte, an Keuchhusten leidende Erwachsene
genau zu untersuchen und bei ihnen den Verlauf der Erkrankung
zu verfolgen, der wird zu der Ueberzeugung kommen, daß der
Katarrh des Respirationstraktus eine besondere Rolle "nicht spielt.
Wenn Sie einen erwachsenen Keuchhustenkranken laryngoskopieren,
dann werden Sie herzlich wenig finden, auskultatorisch im Bron-
cbialbaum erst recht nichts. Höchstens handelt es sich um eine
geringfügige Rötung der Interarytaenoidealschleimhaut. Berühren
Sie/aber mit der Kehlkopfsonde diese Stelle, dann wird sofort der
charakteristische Glottiskrampf ausgelöst, der durch eine klonische
Contraction der Musculi crico-arytaenoidei laterales und der Mus-
culi thyreo-arytaenoidei bewirkt wird. Diesem Krampfe folgt der
charakteristischoe Husten mit seinen staccatoartigen Stößen, bis
endlich?der erlösende Inspirationston folgt, der die Stimmbänder
auseinandersprengt. — Der Reflexbogen, der centripetal im La-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1789
ryngeus superior verläuft, und centrifugal im Laryngeus inferior
und der ganzen Nervenausbreitung, die der aktiven Exspiration
vorsteht, zurückkehrt, muß an irgend einer Stelle überreizbar sein.
Die geringfügigsten Reize lösen bereits hochgradig krankhafte re-
flektorische Akte aus. Psychische Affekte, geringe Temperatur-
unterschiede der eingeatmeten Luft, Ansammlung der geringsten
Schleimmenge an der abnorm reizbaren Stelle, mechanischer Druck
dieser Stelle können den Anfall bewirken. Ob wirklich ein Katarrh
der oberen Luftwege zu dem Krankheitsbilde gehört, ist mir sehr
zweifelhaft. Soweit ich aus meinen Untersuchungen beim er-
krankten Erwachsenen schließen kann, möchte ich den Ausgangs-
punkt des — den Anfall auslösenden — Reizes in der Regio inter-
arytaenoidea annehmen. Die katarrhalischen Erscheinungen, die
eventuell im Bronchialbaume beobachtet werden können, möchte ich
als sekundäre betrachten, sie werden durch den eigenartigen-
Husten, infolge von Stauung, sich ausbilden können. — Tatsäch-
lich brauchen im sogenannten Stadium catarrhale auch bei Kindern
die Zeichen des Katarrhs nicht vorhanden zu sein — und doch
finden wir Husten, der allmählich die spastische Form annimmt.
Daß die — unter Fiebererscheinungen auftretenden — heftigen
Bronchitiden und lobulären Pneumonien sekundärer Natur sind, ist
selbstverständlich.
Auf Grund unserer neuesten Untersuchungen und Erfahrungen
müssen wir wohl bei allen Infektionskrankheiten den gelegentlichen
Uebertritt des Infektionserregers von dem ursprünglichen Ansied-
lungsort ins Blut annehmen, sodaß er sich in den verschiedensten
Organen ansiedeln kann. Auch bei dem Keuchhusten werden wir
nicht alle — eventuell festzustellenden — Veränderungen auf Se-
kundärinfektion oder die Mechanik der Anfälle zurückführen
können, auch hier werden wir gelegentliche Befunde am Gehirn
und Rückenmark auf eine direkte Ansiedlung des Krankheits-
erregers oder doch mindestens auf eine allgemeine Toxinwirkung
schieben müssen.
. Ich stelle mir vor, daß von dem Krankheitserreger, der vor-
nehmlich sich in der Gegend zwischen den Gießbeckenknorpeln an-
siedelt, ein eigenartiges, die Ausbreitung der Endfasern des
Laryngeus superior beeinflussendes Toxin gebildet wird. Die End-
fasern werden durch dieses Toxin in einen erhöhten Reizzustand
versetzt. Auf Grund dieses abnormen Reizzustandes treten die
Anfälle auf, die ihrerseits — allein durch ihre Mechanik — die
bekannten, bier nicht näher zu erörternden Folgen haben, unter
andern auch Stauungskatarrhee Daß nicht alle eventuell beim
Keuchhusten gefundenen Erscheinungen auf die Mechanik der An-
fälle zurückgeführt werden können, haben wir schon oben betont.
Bei dieser Auffassung, nach welcher der Katarrh ein inte-
grierendes Symptom des Keuchhustens nicht ist, nach welcher er
allerdings als Nebenerscheinung sehr oft beobachtet werden kann,
können alle Mittel, die den Katarrh zu beeinflussen suchen, als
wirkliche Keuchhustenmittel nicht betrachtet werden. — Ich will
nicht bestreiten, daß zähe Schleimmassen eventuell den Locus
morbi reizen können und daß eine gewisse Verflüssigung des
Schleims diese Reizung herabsetzt. Der dadurch bewirkte Nutzen
ist aber nicht faßbar.
In der richtigen Annahme, daß hier bei unserer Krankheit
abnorm erhöhte Reflexvorgänge vorliegen, sind mit Recht von
jeher alle die Mittel empfohlen worden, die die abnorm erhöhte
Reizbarkeit und Reflexerregbarkeit herabsetzen sollen. Die so-
genannten Antispasmodica, Sedativa, Narkotica sind in großer An-
zahl angewandt worden — ohne Zweifel mit einigem Nutzen. Ich
erinnere mich, daß der Altmeister Henoch — gewiß nach vielen
Enttäuschungen nach Anwendung aller möglichen andern Mittel
— allein das Morphium in entsprechenden Dosen empfahl, es sei
das einzige Mitte), das die Anfälle in ihrer Häufigkeit und Heftig-
keit herabsetzen könne. Dieser Auffassung kann ich nur bei-
stimmen. Zumal das Morphium in Verbindung mit Extractum
Hyoscyami oder Extractum Belladonnae zeigt eine deutliche Herab-
setzung der Anfälle. Alle andern — nach dieser Richtung hin
wirkenden — Mittel stehen dem Morphium nach. | |
Endlich die Gruppe der Antizymotica. Man denkt sich von
ihnen eine ätiotrope Wirkung, eine Beeinflussung des Erregers.
Selbstverständlich ist eine derartige Therapie die erstrebenswerteste.
Man hat eine große Anzahl derartiger Mittel — vom Zypressenöl
über das Naphthalin zum Formalin — teils innerlich, teils örtlich,
durch Inhalation, Insufflation, Pinselung usw. angewandt. Alle
diese Mittel haben nicht den gewünschten Erfolg. Von einer ört-
lichen Applikation ist wegen der mechanischen oder chemischen
Reizung des Krankheitsherdes direkt abzuraten. Das einzige
Mittel, das bei konsequenter innerer Anwendung in möglichst
RER: Sa a
seno 4
RR `
1790
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
großen Dosen ohne Zweifel die Zahl und Heftigkeit der Anfälle
herabsetzt, ist das Chinin. Seiner Anwendung stehen allerdings
große Schwierigkeiten entgegen. Kleinen Kindern kann man das
Chinin wegen seines bitteren Geschmacks nicht geben, man muß
da schon zu geschmacklosen Ersatzpräparaten — Euchinin,
Aristochin — seine Zuflucht nehmen. Die Wirkung dieser Chinin-
ester steht der Wirkung des Ausgangspräparats aber nach.
l Das Chinin ist nun weder ein antispasmodisches, noch ein
antikatarrhalisches Mittel, der Mechanismus seiner Wirkung ist
nicht anders zu denken, als durch Annahme einer ätiotropen
Wirkung, einer Beeinflussung des Krankheitserregers. Eine der-
ärtige chemotherapeutische Wirkung ist von dem Chinin wohl zu
erwarten. Soll aber das Chinin nach dieser Richtung seine Wirkung
entfalten, dann wird die Methode seiner Anwendung sehr wichtig
Sein. Wir haben überhaupt in den letzten Jahren immer mehr
gelernt, die richtige Anwendungsmethode eines Heilmittels als
wesentlich für die Entfaltung seiner Wirkung zu erkennen. Ich
erinnere nur an die Vorteile der intravenösen Applikation vieler
Arzneimittel. Sollte das Chinin seine volle Wirkung auf den
Krankheitserreger entfalten, daun durfte es nicht innerlich ange-
wandt werden, wir mußten uns von der unkontrollierbaren Regel-
losigkeit der Resorption vom Darm aus frei machen, wir mußten
wissen, daß wir dem Patienten eine Heildosis mit Sicherheit in
bestimmter und genügender Menge an den Ort der Wirkung
brächten. Ich habe zunächst meine Heilversuche mit Chinin bei
keuchhustenkranken Erwachsenen angestellt, denen ich das Chinin
per Schub intravenös gab. Bei diesen derartig behandelten
Patienten war die Wirkung zauberhaft. Bereits nach zwei — an
zwei aufeinanderfolgenden Tagen applizierten — intravenösen
Injektionen von je 0,25 Chinin waren die Anfälle für immer ver-
schwunden. Ich habe zuerst das Chininum muriaticum angewandt
und zwar: Chinin. mur. 10,0; Aquae destill. steril. 100,0; Natr.
chlorat. puriss. 0,8; S. 2,5 cem zu injizieren. Diese Lösung muß
immer vor der Injektion erwärmt werden, da sich ein Teil des
salzsauren Chinins in der Kälte ausscheidet. Besser löst sich das
Chininum lacticum (Boehringer), das — ganz in derselben Weise
verordnet — sich deshalb für die intravenösen Injektionen besser
eignet.
- In der letzten Zeit habe ich ein Präparat verwandt, das mir
von den vereinigten Chininfabriken Zimmer: & Cie. in Frank-
furt a. M. zur Verfügung gestellt wurde, das Hydrochininum
muriaticum. Dasselbe ist ebenfalls ganz vorzüglich löslich und
wird ausgezeichnet vertragen. Ich habe es in der genannten
Lösung und Dosis verordnet. Der Keuchhusten der Erwachsenen
ist nun eine große Seltenheit, er befällt ja fast nur Kinder. Die
ersten Lebenswochen bleiben nicht verschont. Bei kleinen Kindern
ist eine intravenöse Injektion schwer durchführbar, sie erfordert
große Uebung und Geschicklichkeit, wenn sie überhaupt möglich
ist. Da eignet sich das Hydrochinin nun ganz vorzüglich zur
intramuskulären Injektion. Die Wirkung ist bei dieser Art der
Einverleibung nicht gerade so prompt, wie bei der intravenösen
Injektion, aber immerhin sehr deutlich.
Ich habe in dem letzten Jahre Keuchhustenfälle, die mir in
der Praxis vorkamen, systematisch mit intramuskulären Injektionen
von Hydrochinin. muriat. behandelt. Der Verlauf war immer der-
selbe. Er wurde wesentlich abgekürzt, sodaß nach einer Woche
energischer Behandlung die Anfälle bis auf einige leichte Husten-
stöße, die noch an die überstandene Krankheit erinnerten und die
bekanntlich nach dem Keuchhusten gewöhnlich noch eine Zeitlang
bleiben, verschwunden waren. Komplikationen habe ich seit der
konsequenten Chininbehandlung nicht mehr gesehen.
Die intramuskulären Hydrochinininjektionen werden ausge-
zeichnet vertragen, selbst von jüngsten Säuglingen. Sie sind
wenig schmerzhaft und bilden — kunstgerecht ausgeführt — selten
Infiltrate. Ich gebe Kindern bis zu einem halben Jahre pro dosis
0,02 bis 0,05. Am Schlusse des ersten Jabres kann man 0,1 geben,
im zweiten Jahre 0.1 bis 0,15, im dritten Jahre 0,2. Größere
Kinder bekommen 0,25 bis 0,3. Kinder von 10 bis 14 Jahren
vertragen Dosen bis zu 0,5!). Ich gebe gewöhnlich die ersten
vier bis fünf Tage täglich eine Spritze, bei kleinen Dosen müssen
diese täglichen Spritzen noch länger gemacht werden. Dann wird
immer ein Tag überschlagen. Nach einwöchiger Behandlung ist
der Erfolg deutlich, eventuell müssen in der zweiten Woche auch
noch einige Spritzen gegeben werden.
Heubner hat mit Recht von einem Mittel, das auf eine
1) Zur intravenösen Injektion nimmt man die Dosen geringer, bei
Kindern von 10 bis 14 Jahren 0,1—0,2, bei Erwachsenen 0,25.
Wirkung beim Keuchhusten Anspruch machen will, verlangt, daß
es — wenn es auch nicht sofort die Anfälle kupiert — doch deut-
lich den natürlichen Decursus morbi durchbricht, indem die An-
fälle nach seiner Anwendung seltener und weniger heftig werden
daß es also den Verlauf der Krankheit wesentlich abkürzt und
milder gestaltet, daß es vor allem auch Komplikationen verhütet,
Dieser Forderung genügt das intramuskulär oder noch besser intra-
venös angewandte Hydrochinin. Man muß auch verlangen, daß
das Mittel — im Vorstadium angewandt — das Auftreten der
Anfälle verhütet. Auch diese Beobachtung habe ich mehrere Male
gemacht bei Kindern, die von ihren keuchhustenkranken Ge-
schwistern infiziert waren.
Nun noch ein Wort zur Technik. Intramuskuläre Injektionen
auszuführen, ist nicht schwer, man muß es aber doch gelernt
haben. Ich mache die kleine Operation mit einer Liebergschen
Spritze, die ganz aus Glas gefertigt ist und am sichersten sterili-
siert werden kann. Für die Injektionen eignet sich am besten
folgende Gegend. Ich ziehe mir von der Spina anterior superior
über die obere Gesäßgegend eine Linie zur Spitze des Kreuzbeins,
auf dieser Linie können die Injektionen gemacht werden. Man
bleibt am zweckmäßigsten auf dem lateralen Drittel dieser Linie,
man befindet sich da im Bereiche des Musculus glutaeus medius,
einer Gegend, die verhältnismäßig wenig Nerven und Blutgefäße
führt. Man sticht — selbstverständlich streng aseptisch — senk-
recht durch Haut und Faszie, bis man im Muskelgewebe sich
befindet. Hier wird die Spritze entleert. Gewöhnlich be-
kommen kleine Kinder bei dem Eingriff einen Anfall, und es
ist schon als ein wesentlicher Erfolg zu betrachten, wenn bei
der dritten oder vierten Spritze der Anfall ausbleibt. Einmal
habe ich einen besorgniserregenden Anfall bei dem Einstich er-
lebt, sodaß ich nicht wagte, diesem Kind eine weitere Spritze zu
machen. Ich konnte in diesem Falle deutlich beobachten, wie die
weiter behandelten Geschwister im Vorteil waren gegenüber diesem
Kinde, das alle Qualen der widerwärtigen Krankheit auskosten
mußte.
Es ist empfehlenswert, die Lösung zur intramuskulären In-
jektion steril und fertig zu beziehen. Derartige fertige Ampullen
unter der Bezeichnung „Tussalvin“ sind erhältlich in Simons Apo-
theke, Spandauer Straße 33/35, Berlin C 2. Die Apotheke hält
vorrätig Dosen von 0,02, 0,05, 0,1, 0,15, 0,2 und 0,25.
Ich habe ganz Neues nicht bringen können, die Anwendung
des Chinins beim Keuchhusten ist ja bekannt, auch die extraorale
Applikation ist schon vor Jahren von Ungar versucht, die
Methode ist aber nieht weiter verfolgt worden; jedenfalls finde ich
in der Literatur keine Angaben, daß die Methode irgendwo in
Anwendung käme. Ich wollte doch die Mitteilung nicht unter-
lassen, daß es möglich ist, bei richtiger und vorsichtiger Technik
und bei Verwendung eines geeigneten Präparats den Keuchhusten
wesentlich abzukürzen und ihm seine Schrecken zu nehmen, ja IM
Vorstadium ihn geradezu zu kupieren.
Milzbrand und Salvarsan’)
von
Dr. Georg Becker, Plauen i. V.
Die bakteriologische Untersuchung des Blutes hat sich bel
dem Milzbrande des Menschen als außerordentlich wertvolles pro-
gnostisches Hilfsmittel erwiesen. Die Anwesenheit der Milzbrand-
bacillen im Blut ist leicht nachzuweisen, wenn man das mit emer
Lüerschen Spritze aus der Armvene entnommene Blut direkt In
verflüssigten und auf 40 bis 450 abgekühlten Agar verimpft; auf
den dann in Petrischalen ausgegossenen Nährböden entwickeln
sich nach 12- bis 24stündigem Aufenthalt im Brutschranke die
charakteristischen Kolonien.
Die in 45 Fällen des Hamburg-Eppendorfer Krankenhauses
vorgenommene bakteriologische Untersuchung des Bluts ergab in
zwölf Fällen ein positives Resultat. Es zeigte sich, daß in allen
zum Tode gekommenen Fällen die Bacillen sich während
des Lebens im Blute nachweisen ließen. Der früheste Zeitpunkt,
in dem uns bei den tödlich endenden Fällen der Nachweis der
Bacillen im lebenden Blute gelang, war dreimal 24 Stunden vor
dem Tode. In diesem frühen Zeitpunkte wurden in einem Falle
fünf Kolonien auf vier Platten zu 2 ccm, in einem andern
Kolonien auf sechs Platten zu 2 com Blut gezüchtet. Bei der erst
= 1) Vortrag, gehalten am 25. September 1912 auf dem XV. Inter-
nationalen Kongreß für Hygiene und Demographie in Washington.
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4&4. 1791
kürzere Zeit vor dem Tod angelegten Blutkultur war die Zahl
der Bacillen wesentlich größer, wenige Stunden vor dem Tode
waren die Platten mit Kolonien übersät. Im Leichenblute ließ sich
regelmäßig der Milzbrandbacillus durch die Kultur nachweisen.
Wenn wir vorerst die Fälle unberücksichtigt lassen, die mit
einer Milzbrandbakteriämie in unsere Behandlung kamen, deren
positiver Blutbefund also schon von vornherein eine schlechte
Prognose gab, so erzielte die konservative Behandlung sehr
gute Resultate. Unter 34 Fällen, deren Blutkultur bei der Auf-
nahme steril war, hatten wir nur einen Todesfall zu beklagen.
Bei diesem, einem 28jährigen Gerber, saß die Milzbrandpustel an
der linken Halsseite, es bestand ein sehr ausgebreitetes Oedem,
doch war das Allgemeinbefinden kaum gestört, die Temperatur
normal. Zwei Tage später erfolgte, wie die Blutkultur ergab, der
Einbruch der Baecillen in die Blutbahn unter Fieber bis zu 40,80
und 168 Pulsen. Zwei weitere Tage danach erlag der Patient
seiner Milzbrandsepsis. In diesem Falle, in dem die notwendige
Ruhigstellung des Krankheitsherdes durch einen Verband wegen
der Lokalisation am Hals nicht gut zu erreichen war und eine
Ruhighaltung von dem Patienten wegen des fehlenden Krankheits-
gefühls nicht beobachtet wurde, versagte die konservative Therapie.
In allen übrigen Fällen, unter denen, wie aus der ausführlichen
Veröffentlichung!) des näheren zu ersehen ist, sehr schwere Er-
krankungen mit weit ausgedehntem Oedem und schwer mitge-
nommenem Allgemeinbefinden waren, heilten die Kranken unter
absoluter Ruhe und Analeptica, besonders Alkoholdarreichung.
Ganz anders gestaltete sich die Prognose der Kranken, in
deren Blut sich die Bacillen bei der Aufnahme nachweisen
_ ließen. Wir mußten die Prognose bei ihnen nach unsern Er-
fahrungen absolut infaust stellen und erst in jüngster Zeit haben
sich uns auch für diese Fälle noch Heilungsmöglichkeiten
ergeben in dem Salvarsan. |
Ich habe zuerst das Salvarsan am 20. Mai 1911 bei einem
öbjährigen Mann angewandt, bei dem aus 8 cem Blut 55 Kolonien
gezüchtet wurden und der einen so schweren allgemein septischen
Eindruck machte, daß er von allen Beobachtern für verloren an-
gesehen wurde. Das Blut war an dem Tage nach der intravenösen
Infusion von 0,6 Salvarsan steril, die Temperatur fiel zwei Tage
danach zur Norm ab und der Kranke genas. Ä
Dieser Fall schwerer Milzbrandbakteriämie ist bis jetzt der
einzige durch Salvarsan geheilte geblieben. Wir hatten inzwischen
nur noch bei zwei Fällen Gelegenheit, diese Therapie anzuwenden:
in dem einen Falle war die in dem Blute vorhandene Bacillenmenge
etwa siebenmal so groß wie in dem geheilten Fall, also etwa 50
Kolonien in 1 cem, in dem andern war das Blut -schon über-
schwemmt mit Bacillen und die Infusion wurde an dem moribunden
Patienten gemacht, in beiden Fällen ohne Erfolg. Trotzdem halte
ich mich für berechtigt, diese eine Heilung einer schweren Milz-
brandbakteriämie hier mitzuteilen, weil es durch das Tierexperiment
gelungen ist, die Wirksamkeit des Salvarsans bei der Milzbrand-
infektion darzutun. | nz
Angeregt durch diesen Fall hat Herr Dr. Schuster?) in dem
Stadtkrankenhause Plauen i. V. Versuche an Kaninchen angestellt, die er
mit einer 24 stündigen auf Agrarschrägröhrchen gewachsenen Reinkultur
eines hochvirulenten Milzbrandstammes infizierte. Es. zeigte sich, daß
ein Kaninchen durch eine gleichzeitig mit der subcutanen Mılzbrand-
infektion vorgenommenen intravenösen Salvarsaninfusion von 0,04 g pro
Kilo Tier gerettet wurde. Auch ein Tier, bei dem die Salvarsaninfusion
zwölf Stunden nach der subcutanen Milzbrandinfektion vorgenommen
wurde, blieb am Leben und dauernd gesund. Bei einem intravenös mit
Milzbrand infizierten Tiere gelang es, durch eine fast gleichzeitig (etwa
drei Minuten später) am andern OÖhre gemachten intravenösen Salvarsan-
infusion das Tier zu retten, dagegen starben die erst nach zwölf, vier
oder einer Stunde mit Salvarsan behandelten Tiere, nachdem ihnen die
Milzbrandkultur in div Vene eingespritzt worden war. Bei einer Wieder-
holang dieser Versuche mit der halben Salvarsanmenge, also 0,02 g pro
Kilo Tier, starben alle Tiere an Milzbrandsepsis. Das Ergebnis dieser
Versuche, die mit sicherem Ausschluß von Versuchsfehlern und bei Auf-
stellung aller Kontrollen angestellt wurden, ist also, daß Salvarsan in
einer Menge von 0,04 g pro Kilo Tier imstande ist, Kaninchen mit sonst
sicher tödlicher Milzbrandinfektion zu retten.
Unabhängig hiervon wurden zu derselben Zeit von Lauben-
heimer!) Tierversuche in gleichem Sinn angestellt. Er verwendete Meer-
schweinchen als Versuchstiere, die er subcutan infizierte, und zwar mis
0,1 g Salvarsan pro Kilo Tier, also mit wesentlich höherer Dosis wie
Schuster. Die Resultate waren sehr ähnlich denen von Schuster:
von den Tieren, die bis 20 Minuten nach der Infektion mit Salvarsan be-
handelt worden waren, starb nur eins an Milzbrand und auch dieses erst
22 Tage später als das Kontrolltier. Aber auch noch sechs Stunden nach
der Infektion konnten bei einem Teil der Tiere durch die Salvarsaninjek-
tion die in den Körper eingeführten Milzbrandkeime vollständig abgetötet
werden. Wenn die Salvarsanbehandlung noch später, 16 bis 22 Stunden
nach der Infektion einsetzte, so war der tödliche Ausgang nicht mehr zu
verhindern. p
Der Ausfall dieser Tierexperimente macht es wahrscheinlich,
daß der günstige Ausgang in meinem Falle schwerer Milzbrand-
bakteriämie dem Salvarsan zu danken ist. Es ist außerordentlich
schwer, über die Wirkung des Salvarsans auf den menschlichen
Milzbrand ein sicheres Urteil zu gewinnen. Denn beweisend für
die Salvarsanwirkung sind nur die Fälle, in deren Blut die Ba-
cillen nachgewiesen wurden, die andern heilen, wie wir gesehen
haben, auch bei Ruhigstellung. Die Dauer der Anwesenheit der
Bacillen im Blut ist aber nur kurz, nach unsern Erfahrungen etwa
drei Tage vor dem Tode. Von dieser Zeit kann für eine Heil-
wirkung des Salvarsans nur der Teil in Betracht kommen, in dem
| noch keine schrankenlose Vermehrung der Bacillen im Blute statt-
gefunden hat, indem also die in 1 ccm Blut gefundene Bacillen-
menge gering ist. Ist dagegen die mit 1 cem Blut beschickte
Kulturplatte mit Bacillen übersät, dann ist das Salvarsan unwirk-
sam. Der Zeitraum im Verlauf.einer Milzbranderkrankung, in dem
die Salvarsananwendung einwandfrei als Heilwirkung sich darstellt,
ist also sehr kurz, es ist das Anfangsstadium der Bakteriämie.
Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich in aller Deutlich-
keit aussprechen, daß ich bei dem Milzbrande, der immer die Ge-
fahr einer Allgemeininfektion in sich schließt, und bei dem trotz
fehlenden schweren Krankheitsgefühls schon eine Bakteriämie be-
stehen kann, unbedingt die sofortige Anwendung des Salvarsans
empfehle, sobald der Kranke sich in unsere Behandlung begibt.
Ein Beweis für die Heilwirkung des Salvarsans ist durch diese
Fälle aber nicht erbracht, auch wenn, wie es in beiden von Prof.
Bettmann [Heidelberg2)] mitgeteilten Fällen war, eine wesentliche
Besserung nach der Injektion eintritt. Das subjektive Gefühl des
Beobachters und sein allgemeiner Eindruck sind zu unsichere
Kriterien bei der Entscheidung dieser Frage. Es wäre bedauer-
lich, wenn bei den Nachprüfungen über Salvarsanwirkung beim
Milzbrande die Blutkultur nicht berücksichtigt würde, wie es in
England 1905 geschah, als auf die Anregung Leges hin das Milz-
brandserum vielfach Anwendung fand und jeder, der zwei oder
drei Fälle behandelt hatte, über seine Erfolge berichtete, ohne eine
bakteriologische Kontrolle des Bluts vorgenommen zu haben. . Es
sollte, wo es möglich ist, zugleich mit der Salvarsaninfusion eine
Blutentnahme zur bakteriologischen Untersuchung gemacht werden,
nur so ist es möglich, mit Sicherheit festzustellen, ob dem Sal-
varsan wirklich eine Heilwirkung bei dem Milzbrande des Menschen
zukommt. |
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Das mitteleuropäische Landschaftsbild in seiner
pflanzengeographischen Entwicklung
von
Dr. W. Wangerin, Königsberg: i. Pr.
Für ‘die landschaftliche Physiognomie eines Gebiets in erster
Linie entscheidend sind die natürlichen Vegetationsformationen,
das heißt jene Vereine von Pflanzen, die (wie zum Beispiel Wälder,
Moore, Wiesen, Hügeltriften usw.) sich infolge gleichartiger
1) Mitteilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten,
Bd. 13, H. 2. | |
2) M. med. Woch 1912, Nr. 7.
Lebensbedingungen herausgebildet haben und deren Wesen und Ver-
teilung beim freien Walten der Natur hauptsächlich durch das
Klima einerseits und die physikalisch-chemischen Eigenschaften
des Bodens anderseits bestimmt wird. Freilich ist in dem heutigen
Mitteleuropa das Landschaftsbild längst nicht mehr allein durch
das Walten natürlicher Kräfte bedingt, sondern fast überall hat
der Mensch in die ursprünglichen Verhältnisse entscheidend ein-
gegriffen, teils durch gänzliche Verdrängung der natürlichen
Pflanzenvereine und ihre Ersetzung durch Kulturbestände, wie sie
insbesondere die immer ausgedehntere und intensivere Ausnützung
des Bodens für landwirtschaftliche Zwecke mit sich gebracht hat,
1) D. med. Woch. 1912, Nr. 8.
2) D. med. Woch. 1912, Nr. 8.
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1192 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44
3. November.
teils durch Umgestaltung des ursprünglichen Zustandes der natür-
lichen Formationen, wie wir dies am deutlichsten an der Zu-
sammensetzung der Wälder, dem Gegensatze zwischen natürlichem
Wald und Forst wahrnehmen; so ist sowohl der heutige Zustand
auch der scheinbar urwüchsigen Formationen wie auch ihre gegen-
wärtige Verbreitung in mehr oder weniger starkem Grade durch
menschliche Beeinflussung bestimmt. i
Es erhebt sich hier nun die Frage, wie man sich den Land-
schaftscharakter Mitteleuropas in prähistorischer und frühgeschicht-
licher Zeit zu denken hat, als die menschliche Tätigkeit dem niedri-
geren Kulturzustande und der geringeren Bevölkerungszahl ent-
sprechend noch nicht einen so tiefgreifenden Einfluß ausübte,
vielmehr noch weite Gebiete in ihrem natürlichen Zustande ver-
harrten. In der Regel wird unter dem Einflusse der Schilde-
rungen der römischen Schriftsteller aus der Kaiserzeit, insbe-
sondere des Tacitus, der ja Germanien mit den bekannten Worten
„aut silvis horrida aut paludibus foeda“ charakterisiert, Deutsch-
land als fast ganz von endlosem, unwirtlichem Wald und Sumpf
bedeckt gedacht. Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegen
kann, daß Deutschland in frühhistorischer Zeit viel waldreicher
war als gegenwärtig, und daß, bliebe das Land längere Zeit ohne
störende Eingriffe seitens des Menschen sich selbst überlassen, der
Wald von weiten Strichen bald wieder Besitz ergreifen würde, so ent-
spricht doch jene Vorstellung einer ununterbrochenen, gleichmäßigen
Urwaldbedeckung Mitteleuropas weder den tatsächlichen pflanzengeo-
graphischen Verhältnissen, noch den neueren Anschauungen über das
Verhältnis desUrwalds zur menschlichen Besiedlung. Wollte man jene
Aussprüche der römischen Schriftsteller, die wohl in erster Linie den
Gegensatz Germaniens zur südeuropäischen Kulturlandschaft stark
hervorheben wollten, wörtlich nehmen, so wäre es nicht zu ver-
stehen, wie das Land die nach denselben Berichten vorhanden ge-
wesenen Völkermassen hätte ernähren sollen, denn diese brauchten
notwendig ein ausgedehntes, waldfreies Acker- und Weideland.
Wollen wir ein zutreffenderes Bild von dem einstigen Land-
schaftscharakter Mitteleuropas gewinnen, so müssen wir vor allem
die pülanzengeographische Entwicklung unserer heimischen Flora
und Pflanzendecke zu Rate ziehen. Den naturgemäßen Aus-
gangspunkt für diese Fragen bildet die Glazialperiode, weil erst
seit dem Einde derselben eine kontinuierliche Entwicklung möglich
war. Bekanntlich wird die Eiszeit, während deren sich die
Gletscher der Alpen weit aus dem Gebirge heraus erstreckten,
auch zahlreiche Mittelgebirge vergletschert waren und fast die
ganze norddeutsche Tiefebene unter einer mehrere hundert Meter
mächtigen, von Skandinavien her vordringenden Inlandeismasse be-
graben lag, von der überwiegenden Mehrzahl der Geologen nicht
mehr als ein einheitliches Phänomen betrachtet, sondern man
nimmt -eine Mehrzahl von Eiszeiten mit dazwischen liegenden
warmen Perioden, den Interglazialzeiten, an. Belege hierfür er-
geben einerseits die Moränen- und fluvioglazialen Schotterablage-
rungen, deren Untersuchung im Alpengebiet Penck und Brückner
zu der Unterscheidung von vier Eiszeiten geführt hat, teils die
Funde von zwischen Moränen gelagerten fossilen Pflanzenresten,
deren Vorkommen sich nur bei der Annahme eines dem glazialen
gegenüber erheblich günstigeren interglazialen Klimas befriedigend
erklären läßt. Solcher Funde sind im Laufe der Zeit eine ganze
Menge bekannt geworden; aus ihnen wissen wir z. B., daß während
eines Abschnitts der Interglazialzeiten im nordwestlichen Deutsch-
land eine Waldvegetation existierte, in der die Mehrzahi unserer
heutigen Waldbäume vertreten war, unter andern auch die Tanne,
deren heutiges Verbreitungsgebiet sich nicht bis in jene Gegend
erstreckt, während umgekehrt die Stechpalme, die heutzutage eine
Charakterpflanze des nordwestlichen Deutschland darstellt, so weit
ins Binnenland, wie bis in die Gegend von Kottbus reichte; auch
einzelne seither bei uns gänzlich ausgestorbene Pflanzenarten sind
in interglazialen Ablagerungen aufgefunden worden; ferner legen
gewisse andere Erscheinungen die Annahme nahe, daß zeitweise
während der Interglazialzeiten ein kontinentales Steppenklima herr-
schend war.
Weit wichtiger aber als die Frage nach der Zahl der Ver-
eisungen, von denen unser Gebiet betroffen wurde, ist in pflanzen-
geographischer Hinsicht diejenige nach den klimatischen Ver-
hältnissen der Eiszeit selbst, weil von ihrer Beantwortung die Vor-
stellungen, die wir uns von dem weiteren Verlauf der Entwicklung
zu machen haben, höchst wesentlich beeinflußt werden. Es stehen
sich in dieser Hinsicht hauptsächlich zwei Anschauungen gegen-
über, über die gerade in letzter Zeit die Diskussion wieder recht
lebhaft gewesen ist; die eine, neuerdings in erster Linie von dem
Schweizer Brockmann-Jerosch verfochtene, erblickt die zum An-
wachsen der Gletscher führende eiszeitliche Klimaverschlechterung
hauptsächlich in einer starken Vermehrung der Niederschläge, die
andere, die man wohl als die allgemeiner angenommene bezeichnen
kann und als deren Vertreter vor allem Penck und Brückner
genannt seien, sucht die Ursache in einer Abnahme der Tempe-
ratur, welche zu einer Verlängerung der Frostperiode und damit
zu einer Steigerung der in Form von Schnee niedergehenden
Niederschläge und einer Herabdrückung der alpinen Schneegrenze
führte. Der erstgenannte Autor stützt sich insbesondere auf gewisse,
hier nicht näher zu erörternde Funde von Resten einer Waldvege-
tation, die in unmittelbarer Nähe eines eiszeitlichen Gletschers be-
standen haben und demgemäß auf ein ozeanisches Klima der Eis-
zeit schließen lassen soll; demgemäß haben nach der Ansicht von
Brockmann-Jerosch in dem gesamten nicht vergletscherten Ge-
biete mit Ausnahme des unmittelbaren Randgebiets der Verglet-
scherung Wälder von ähnlicher Zusammensetzung wie die heutigen
bestanden, und auch die Interglazialzeiten sollen ein ähnliches
Klima besessen haben, sodaß ihm also die gesamte Glazialperiode
als ziemlich einheitlich erscheint. Abgesehen aber davon, daß die
fraglichen Funde auch einer andern Deutung fähig sind, als sie
ihnen der genannte Autor gegeben hat, sprechen sehr gewichtige
Gründe zugunsten der entgegengesetzten Anschauung, also der An-
nahme einer beträchtlichen Temperaturerniedrigung und eines
waldfeindlichen Klimas während der Eiszeit, Es ist dies in
pflanzengeographischer Hinsicht vor allem die Mischung arktischer
und alpiner Florenelemente, die wir heutzutage in den Hoch-
gebirgen und manchen höheren Mittelgebirgen Mitteleuropas beob-
achten und die sich nur daraus erklären läßt, daß auf weiten
Strichen zwischen den Grenzen der alpinen Vereisung im Alpen-
vorland einerseits und des nordischen Inlandeises anderseits der
Wald verschwunden war und so ein Austausch der Florenelemente
ermöglicht wurde. Auch haben Penck und Brückner den Nachweis
geführt, daß die Firnbecken der eiszeitlichen Gletscher in den Alpen
keine Spur einer ehemals stärkeren Füllung derselben erkennen
lassen, und daß die eiszeitliche Schneegrenze der heutigen annähernd
parallel lief, was auf eine der heutigen ähnliche Verteilung der
Niederschläge hinweist; auch wäre man, um das Anwachsen der
Gletscher allein aus einer Vermehrung der Niederschläge zu er-
klären, zu der Annahme einer unwahrscheinlich hohen Nieder-
schlagsmenge genötigt. Es ist nach alledem anzunehmen, dab
nicht bloß der unmittelbare Saum der glazialen Vereisung von
einer tundraartigen, arktisch-alpinen Vegetation begleitet war,
sondern daß auch in den eisfrei gebliebenen Strichen Mittel- und
Süddeutschlands glaziale Pflanzenvereine, präalpine Schotterforma-
tionen und Bergheiden herrschend waren, vermischt vielleicht mit
einzelnen Waldinseln von kälteertragenden Bäumen, wie Kiefer,
Birke und vielleicht auch Fichte.
Als dann am Ende der Eiszeit infolge der zunehmenden
Wärme ein allmählicher, freilich noch von mehrfachen Halten und
erneuten Vorstößen unterbrochener Rückzug der glazialen Eis-
massen eintrat, folgte die Tundrenflora, deren fossile Reste nament-
lich in Norddeutschland vielerorts nachgewiesen sind, in einem
breiten Gürtel dem zurückweichenden Eisrande, während in den
eisfrei gewordenen Teilen des Landes sich zunächst wohl unter
dem Einfluß des immer noch kühlen und trocknen Klimas eine
subarktische Steppe ausbreitete und allmählich auch der Wald
an Ausbreitung gewann. Schließlich wurde dann die arktisch-
alpine Vegetation, soweit sie sich nicht in das Gebirge zurück-
ziehen konnte, fast ganz verdrängt, und nur geringe Reste der-
selben haben sich insbesondere auf den Mooren als den kältesten
Formationen zu erhalten vermocht; es sind das die sogenannten
„Glazialrelikte“, von denen als bekanntestes Beispiel hier nur die
nordische Zwergbirke (Betula nana) genannt sein möge, die gegen-
wärtig im norddeutschen Flachlande nur noch an zwei Stellen, bel
Bodenteich in der Lüneburger Heide und bei Neulinum in West-
preußen, an beiden Orten jetzt als Naturdenkmal geschützt, vor-
kommt.
Für die genauere Beurteilung des Ganges, welchen die nach-
eiszeitliche Entwicklung der mitteleuropäischen Flora und Pflanzen-
decke genommen hat, stehen im wesentlichen zwei Quellen zur Ver-
fügung: einerseits die subfosssilen, namentlich in den Torfmooren
aufbewahrten Reste der ehemaligen Vegetation, anderseits Rück-
schlüsse aus der gegenwärtigen Verbreitung der spontanen Floren-
elemente; denn inmitten der Kulturflächen sind bis heute gewiss?
Trümmer der Urlandschaft mehr oder weniger unversehrt erhalten
geblieben und der immer noch vorhandene Reichtum der Flora 18ßt
darauf schließen, daß kein wesentlicher Typus der mitteleuropäischen
Urlandschaft gänzlich verloren gegangen ist. Was zunächst die
3. November.
Ergebnisse der Torfmooruntersuchungen angeht, so haben dieselben
insbesondere für die skandinavischen Länder ein leidlich klares
und sicheres Bild geliefert; es hat sich gezeigt, daß hier die
Wiederbewaldung in vier Hauptentwicklungsstufen vor sich ge-
gangen ist, die durch die folgenden Bäume als herrschende Arten
charakterisiert sind; Birke und Espe, Kiefer, Eiche, endlich Buche
und Fichte. Die Einwanderung der meisten dieser Bäume ist von
Süden her über die jütische Halbinsel erfolgt; nur die Fichte ist von
Nordosten beziehungsweise Osten her in Skandinavien eingedrungen
und ihre Ausbreitung scheint daselbst auch gegenwärtig noch nicht
ihre natürlichen Grenzen erreicht zu haben. Hand in Hand mit
diesen sukzessiven Wandlungen der herrschenden Baumvegetation
gingen gewisse Aenderungen in den hydrographischen Verhält-
nissen des Ostseebeckens; dasselbe verwandelte sich infolge einer
Landhebung, vermöge deren Jütland durch eine zusammenhängende
Landbrücke mit der skandinavischen Halbinsel verbunden wurde,
in einen Binnensee, der der allmählichen Aussüßung anheimfiel
(sogenannter Ancylussee); während der Eichenzeit erfolgte eine be-
deutende Senkung des Landes, die die Ostsee in offene Verbin-
dung mit dem Ozean brachte und das Eindringen eines starken
Stroms von warmem und salzhaltigem Wasser zur Folge hatte
(Litorinameer), bis schließlich durch eine erneute Hebung des
Landes das Ostseebecken seine heutige Gestalt gewann. Es liegt
auf der Hand, daß diese Aenderungen auch auf das Klima der um-
gebenden Länder einen gewissen Einfluß ausgeübt haben müssen,
indem der Ancyluszeit ein mehr kontinentaler, der Litorinaperiode
ein mehr ozeanischer Klimacharakter entsprach; auch hat sich vor
allem aus dem Nachweis einer ehemals weiter nach Norden
reichenden Verbreitung gewisser wärmebedürftiger Arten der
skandinavischen Flora ergeben, daß in Skandinavien die Aenderung
des nacheiszeitlichen Klimas sich nicht einfach als eine fort-
schreitende Besserung darstellt, sondern daß der Eichenzeit ein
postglaziales Wärmeoptimum entsprach und seither eine rück-
läufige Bewegung Platz gegriffen hat. Auch in den heutigen Ver-
breitungsverhältnissen vieler Pflanzenarten spiegeln sich diese kli-
matischen Oscillationen noch deutlich wieder.
Für Norddeutschland hat die Untersuchung der Moore ein
in vielfacher Hinsicht ähnliches Bild ergeben. Auch hier waren
Birke, Espe und Kiefer die ersten Waldbäume, die der Tundra
folgten, doch scheint die Herrschaft der Kiefer wesentlich weniger
lange gedauert zu haben als in Skandinavien, sie wurde bald
durch die Eiche verdrängt, die während des größten Teils der
Postglazialzeit der herrschende Waldbaum blieb und deren Ab-
lösung durch die Buche wohl erst in die Zeit des Uebergangs
zum heutigen Klima, zum Teil vielleicht auch erst in die früh-
geschichtliche Zeit fällt. Wesentlich schwieriger lassen sich die
Verhältnisse in Mittel- und Süddeutschland beurteilen, zumal in-
folge regionaler Verschiedenheiten und lokaler Einflüsse der Ver-
lauf im einzelnen ein sehr ungleichartiger gewesen sein dürfte;
für Böhmen ist festgestellt, daß die Buche schon seit Beginn der
Postglazialzeit hier wieder heimisch war, und in der Schweiz
scheint die Ausbreitung des Waldes dem Rückzuge der Gletscher re-
lativ schnell gefolgt zu sein. Für die Annahme etwaiger klimatischer
Öseillationen gibt der Wechsel in den bestandbildenden Baumarten
keine unmittelbaren Anhaltspunkte; doch legen die Hochmoore
Nordwestdeutschlands in anderer Weise von einer Aenderung des
Klimas Zeugnis ab. In denjenigen größeren Mooren nämlich, in
welchen die Torfbildung schon vor sehr langer Zeit begann, sind,
wie zuerst C. A. Weber nachgewiesen hat, zwei verschiedene
Schichten von Moostorf, eine untere ältere, stark zersetzte, und
eine jüngere obere, wenig zersetzte, zu unterscheiden; beide sind
getrennt durch den sogenannten Grenztorf, in welchem Reste von
Wollgras und .Heidepflanzen die Hauptmasse bilden. Diese Grenz-
torfschicht muß sich in einem Zeitabschnitte gebildet haben, wo
die Oberfläche der Moore einer weitgehenden Austrocknung unter-
lag, also ein dem Wachstume der Torfmoore ungünstiges, mehr
kontinentales Klima herrschte, während sich die Moortorfschichten
H as reichlicher Niederschläge, also eines ozeanischen Klimas,
ilden.
Im übrigen liegt es in der Natur der Sache, daß die Unter-
suchung der Torfmoore im wesentlichen nur über das Verhalten
der Holzgewächse Aufschluß gibt, weil es hauptsächlich deren
Reste (Blätter, Holzstücke, Blütenstaubkörner) sind, welche in
dem Torfe neben denjenigen der torfbildenden Pflanzen selbst sich
erhalten haben. Für die Kraut- und Staudenvegetation sind wir,
wenn wir unser Bild von der nacheiszeitlichen Florenentwicklungs-
geschichte vervollständigen wollen, fast ganz auf Rückschlüsse -aus
der heutigen Verbreitung unserer heimischen Phanerogamenflora
>
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1793
angewiesen. Auch diese legt von der einstigen Herrschaft eines
ausgeprägt kontinentalen Klimas mit erhöhter Sommerwärme und
verringerten Niederschlägen in postglazialer Zeit deutlich Zeugnis
ab. Es handelt sich hierbei nämlich um eine Reihe von Pflanzen-
arten von vorwiegend südöstlicher Verbreitung, die sogenannten
pontischen Elemente oder Steppenpflanzen, die wir bei uns in
Deutschland in bestimmten Landstrichen, z. B. im Thüringer
Becken und am östlichen Harzrande, im Mainzer Becken, im Oder-
tal bei Frankfurt, im Culmer Land in Westpreußen usw., oft
durch weite Lücken von ihrem Hauptareal getrennt, antreffen,
während sich nur wenige von den Arten dieser Gruppe gegen-
wärtig bei uns einer relativ weiten Verbreitung erfreuen. Da die
betreffenden Arten größtenteils mangels besonderer Verbreitungs-
einrichtungen nur schrittweise und in kleinen Sprüngen zu wan-
dern vermögen und während der Eiszeit an ihren heutigen Wohn-
stätten sicher nicht existiert haben können, so erscheint die An-
nahme unabweisbar, daß während eines Abschnitts der Post-
glazialzeit ein Klima von ausgeprägt kontinentalem Charakter die
Ausbreitungshindernisse (Wälder, Sümpfe und dergleichen) ge-
nügend reduzierte, um jenen Elementen eine allmähliche Wande-
rung von ihrem Hauptverbreitungsgebiet aus nach Deutschland
hinein zu gestatten. Die Einwanderungswege folgten zum großen
Teil den Stromtälern: von Böhmen durch das Elbtal, von Mähren
durch die Senke zwischen Sudeten und Beskiden und weiter längs
des Odertais, von Galizien aus durch das Weichseltal, von Nieder-
österreich aus das Donautal aufwärts; bei der Ausbreitung dieser
Florenelemente im norddeutschen Flachlande haben auch die Ur-
stromtäler mit ihrem von Ost nach West gerichteten Verlauf eine
nicht unwichtige Rolle gespielt. In manchen Landstrichen ins-
besondere Mitteldeutschlands mögen damals steppenartige Vege-
tationsverhältnisse geherrscht haben, weshalb man wohl gelegent-
lich auch kurzweg von einer postglazialen „Steppenzeit“ spricht;
dadurch, daß das Klima später wieder feuchter wurde und die
Ausdehnung des Waldes förderte, entstanden die Areallücken,
welche die heutige Verbreitung vieler dieser südöstlichen Arten
aufweist, indem dieselben sich nur in besonders günstigen Land-
strichen, insbesondere im warmen Hügellande zu erhalten ver-
mochten. Uebrigens sind damals auch Arten der Mittelmeerflora
das Rhonetal aufwärts und westlich des Jura entlang in das
Rheintal eingewandert; einzelne von ihnen sind bis nach Thüringen
gelangt.
Von besonderem Interesse ist es nun, und damit kommen
wir zu der eingangs gestellten Frage nach dem Landschafts-
charakter Mitteleuropas in prähistorischer Zeit zurück, daß, wie
insbesondere Gradmann nachgewiesen hat, die menschlichen
Siedlungen vom Beginn der neolithischen Epoche an durch die
Bronze-, Hallstadt- und La-Töne-Periode bis zur Römerzeit hin
im wesentlichen die gleichen Flächen bevorzugen, welche durch
die eben besprochenen Pflanzengenossenschaften vorwiegend süd-
östlicher und südlicher Herkunft charakterisiert sind, und daß alle
die Landschaften, welche man in spätgermanischer Zeit besiedelt
findet, auch schon zur jüngeren Steinzeit bewohnt waren, wenn
auch wahrscheinlich weniger dicht, daß also irgendein erheblicher
räumlicher Fortschritt der Besiedlung während der ganzen prä-
historischen und frühgeschichtlichen Zeit nicht zu konstatieren ist,
während daneben andere Flächen, deren Rodung auch nachweislich
erst im Mittelalter erfolgt ist, ganz oder nahezu siedlungsfrei
blieben. Die erwähnte Uebereinstimmung mit den pflanzen-
geographischen Tatsachen zeigt sich z. B. in der Schweiz im
Unterwallis und im Oberrheintal von Chur und St. Gallen, ferner
im gesamten nördlichen Alpenvorland, in der Schwäbischen und
Fränkischen Alb, im Main- und Neckarbecken, am Ostrande des
Harzes, in der Elbniederung bis Magdeburg abwärts usw. Offen-
bar kann diese Uebereinstimmung in der Verbreitung der auf
offene, sonnige Standorte angewiesenen Pflanzengesellschaften und
derjenigen der, älteren Siedlungen nur von einem gemeinsamen
dritten, in der Landesnatur liegenden Faktor abhängig sein, und
diesen findet Gradmann teils in der Bodenbeschaffenheit (vor-
wiegend Löß), teils in dem auch heute noch relativ kontinentalen,
niederschlagsarmen Klima der betreffenden Landstriche, Eigen-
' schaften, welche einerseits steppenartige Pflauzenvereine im Kampfe
gegen den Wald unterstützen und eine Art von Parklandschaften
entstehen lassen, und welche anderseits den Bedürfnissen einer auf
niedriger Kulturstufe stehenden Bevölkerung entsprechen. Denn
der Urwald ist der Feind und nicht der Freund des Menschen,
das zeigen insbesondere auch die Schilderungen der Reisenden,
die, wie Middendorf, die unwegsamen, menschenleeren Urwälder
Sibiriens kennen gelernt haben. Nicht als ein in kleinen Horden
wo
1794 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44,
die Urwälder durchstreifendes Jägervolk haben wir uns die primi-
tiven Bewohner Mitteleuropas zu denken, sondern schon die Neo-
lithiker besaßen Rinder, Schafe und Schweine und bauten Weizen,
Hirse, Gerste und Lein, müssen also über Weide- und Ackerland
verfügt haben, und auf eine solche Bevölkerung mußte gerade das
Grenzgebiet zwischen Wald und Steppe anziehend wirken. Denn
wenn wir sehen, daß in der ganzen Folgezeit keine Rodung von
Wäldern mehr stattgefunden hat, so können wir nicht wohl an-
nehmen, daß durch die neolithische Bevölkerung mit ihren primi-
tiven Steinwerkzeugen die weiten Kulturflächen entwaldet wurden;
vielmehr ergibt sich unabweisbar der Schluß, daß die ersten
menschlichen Besiedler Mitteleuropas bestimmte Landstriche be-
reits in waldfreiem Zustande vorgefunden haben und diesen von
Natur waldfreien Flächen gefolgt sind, daß also das Zeitalter der
beginnenden neolithischen Kultur noch in die postglaziale kon-
tinentale Klimaphase fällt. Oder anders ausgedrückt: Deutsch-
land war in prähistorischer Zeit keineswegs ein ausschließlich von
Urwald bedecktes Land, in welchem Sümpfe und Moore die einzige
Unterbrechung bildeten, sondern die Waldgebiete waren in erheb-
lichem Umfange von Steppen und Grasfluren, im Nordwesten auch
von Heiden durchsetzt. Und in diesem Zustande hat sich das
Land auch weiterhin erhalten, als das wieder mehr ozeanisch ge-
wordene Klima die Ausbreitung des Waldes förderte, indem teils
die obengenannten natürlichen Verhältnisse, teils auch schon der
Einfluß der neolithischen Bevölkerung dafür sorgten, daß jene zur
Steppenbildung neigenden Landschaften sich dauernd waldfrei er-
hielten.
Werfen wir nun zum Schluß noch einen kurzen Blick auf
die seit Beginn der geschichtlichen Zeit eingetretenen Wandlungen
der Landschaft, so ist also für die germanische Zeit festzuhalten
an dem Gegensatze zwischen offener, besiedelter Landschaft einer-
seits und umfangreichen Urwaldgebieten, deren Kern vor allem die
Mittelgebirge bildeten, anderseits. Und dieser Gegensatz hat sich
bis über die Zeit der Völkerwanderung hinaus erhalten; nur so-
weit deutsches Land von den Römern dauernd besetzt wurde,
haben diese, z. B. im Gebiete des Taunus und der Oberrheinebene,
Rodungen in größerem Stil ausgeführt. Eine energische Rode-
tätigkeit setzt erst mit der Karolingerzeit ein, zum großen Teil
‘wohl dadurch verursacht, daß es nicht mehr möglich war, der
immer mehr wachsenden Bevölkerung durch Wanderzüge nach
Westen Luft zu schaffen. Diese große Rodungsperiode, in der
unter anderm das schwäbisch-fränkische Waldgebiet, die Rhön,
der Thüringer- und Frankenwald urbar gemacht wurden, erreichte
ihren Höhepunkt im 12. und 13. Jahrhundert; auch im östlichen
Deutschland fällt die Besiedlung der Waldgebiete erst in die Zeit
nach der Verdrängung der Slaven, diese selbst haben keine
nennenswerten Rodungen vorgenommen. Vor allem waren es die
frühmittelalterlichen Klöster einerseits, die weltlichen Grundherr-
schaften anderseits, welche Rodungen in großem Maßstabe vor-
nehmen ließen; daneben drangen auch vielfach freie Bauern auf
eigne Faust in den Urwald vor. So wurde innerhalb weniger
Jahrhunderte eine dem ursprünglichen Kulturland an Größe wohl
nahezu gleichkommende Bodenfläche erobert und jene Verteilung
von Wald und Feld geschaffen, die heute noch für das Land-
schaftsbild der meisten Gegenden maßgebend ist; der ursprüngliche
Gegensatz von Urwaldgebieten und offener Landschaft war damit
nahezu aufgehoben. Etwa seit dem Jahre 1300 tritt ein Stillstand
oder mancherorts sogar ein Rückschlag ein, bedingt vor allem
wohl dadurch, daß im Uebereifer der Rodetätigkeit auch zu ge-
ringer Boden, der einen landwirtschaftlichen Betrieb auf die Dauer
nicht lohnte, mitbesiedelt worden war, wozu der Einfluß der
mittelalterlichen Fehden, Volksseuchen und wirtschaftliche Krisen
als sekundäre Ursachen hinzukamen. So kam der Kampf gegen
den Wald zum Stillstand; auch das Bedürfnis, die Deckung des
Holzbedarfs zu sichern, die Sorge der Wildbannbesitzer, ihre Jagd-
gebiete nicht allzusehr geschmälert zu sehen, und die Nutzung
der Eichen- und Buchenwälder zur Schweinemast mag dazu bei-
getragen haben. Der Dreißigjährige Krieg hat auf die Erhaltung
und Ausdehnung der Waldflächen ebenfalls günstig eingewirkt,
die spätere Siedlungstätigkeit beschränkte sich vielfach auf das
früher urbare Land, und wenn auch das 18. und der Anfang des
19. Jahrhunderts nochmals eine Begünstigung der Rodungen mit
sich brachte und zu einer Verwüstung und Vernichtung der
Wälder in manchen Landstrichen führte, so hat doch seither die
Wertschätzung des Waldes sehr gewonnen und können wir wäh-
rend der letzten 50 Jahre eine Zunahme der Waldflläche kon-
statieren insbesondere infolge der Aufforstung von Böden, deren
landwirtschaftliche Benutzung nicht rentabel ist, sowie von Oed-
3. November.
ländereien, wie Heiden, Dünen, Flugsandgelände und dergleichen.
Freilich ist durch den gesteigerten Forstbetrieb auch eine tief-
greifende Umgestaltung des Waldbildes hervorgerufen worden,
Vor allem waren die Nadelhölzer in germanischer Zeit bis zum
Ende des Mittelalters viel weniger verbreitet als gegenwärtig und
haben in vielen Gegenden überhaupt gefehlt; z. B. waren. in Süd-
deutschland die Schwäbische Alb, die Rheinebene zwischen Mainz
und Basel, der Odenwald und Spessart, das württembergische
Unterland und der westliche Teil der schwäbisch-fränkischen
Keuperhöhen ausschließlich oder doch vorwiegend von Laubhölzern,
also vor allem Buche und Eiche, welch letztere früher viel häufiger
gewesen sein muß, als gegenwärtig, bestanden; von besonderem
Interesse ist es, daß, wie Gradmann gezeigt hat, der den römi-
schen Herrschaftsbereich abgrenzende Limes das vom Fichtel-
gebirge sich über die fränkische Hochebene erstreckende Nadel-
holzgebiet in scharfem knieförmigen Verlauf umging und nur das
Laubholzgebiet mit einbezog. Auch das mittelrheinische und
hessische Bergland, wie auch die nordwestdeutsche Tiefebene
waren vorwiegend Laubholzgebiete; von den Nadelhölzern waren
Fichte und Tanne fast ausschließlich auf die höheren Lagen der
Gebirge beschränkt (in Ostpreußen ist die Fichte allerdings seit
jeher urwüchsiger Waldbaum), obwohl. sie auch in diesen nicht
allenthalben ihre heutige dominierende Stellung eingenommen
haben, und die Herrschaft der Kiefer beschränkte sich in der
Hauptsache auf das Flachland östlich der Elbe. Seit dem Mittel-
alter ist dagegen eine entschiedene Bevorzugung des Nadelholzes
eingetreten; zum Teil war diese wohl dadurch bedingt, daß bei
der Rodung die Laubhölzer, als die besseren Böden bevorzugend,
stärker gelitten hatten als die Nadelhölzer, ferner hatte in der
Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege teils die übermäßige Holz-
fällung, teils die Streunutzung des Waldbodens zu einer Wald-
verwüstung geführt, welche künstliche Waldverjüngung erforder-
lich machte; hierbei aber wurden Kiefer und Fichte, weil rascher
wachsend und in bezug ‚auf den Boden anspruchsloser als Buche
und Eiche, stets bevorzugt. Auch führte die mit der Verbesserung
der Verkehrsverhältnisse schnell um sich greifende Benutzung der
Kohlen als Feuerungsmaterial zu einer Entwertung des Brenn-
holzes, während das Nadelholz in viel höherem Grade Nutzholz
liefert, zumal auch die Entwicklung der Papierindustrie einen
hohen Nadelholzbedarf ergab. So entspringt die Bevorzugung von
Kiefer und Fichte dem Bestreben, die Walderträge möglichst zu
steigern; anderseits aber hat sich gezeigt, daß gerade reine Nadel-
holzbestände den Gefahren, die seitens schädlicher Insekten einer-
seits, durch Trockentorfbildung im Boden anderseits drohen, in
besonders hohem Maß unterliegen, es macht sich daher neuerdings
auch seitens der Forstwirtschaft eine Tendenz zur Pflege des ge-
mischten Waldes, der sehr viel widerstandsfähiger ist, geltend.
Zeigt uns so der Wald am deutlichsten das Bild einer Reihe
sukzessiver Wandlungen, die durch natürliche Verhältnisse einer-
seits, durch menschliche Beeinflussung anderseits bedingt waren,
so möge doch auch noch kurz der andern für die heimische Land-
schaft charakteristischen Formationen gedacht sein. Die Wiesen
können nur mit Einschränkung den natürlichen Formationen zu-
gezäblt werden; zum großen Teil verdanken sie ihre dauernde Er-
haltung als Grasland nur der regelmäßigen Benutzung, ohne
welche eine Wiederbewaldung Platz greifen würde; viele Wiesen
und Weiden sind ja auch erst künstlich auf ehemaligem Wald-
boden durch den Menschen angelegt, und wenn es auch als wahr-
scheinlich bezeichnet werden kann, daß im Augebiet der Flüsse,
in den Marschen usw. natürliches Grasland sich bilden kann, 50
würde dasselbe doch kaum eine bleibende Formation, sondern nur
ein Uebergangsglied zu Busch- und Waldformationen darstellen.
Eine Ausnahme bilden selbstverständlich die oberhalb des Wald-
gürtels gelegenen Alpenwiesen, da es in der subalpinen Region
wirklich natürliche, von Holzgewächsen freie Pflanzenverein®
gibt. Den Wiesen bis zu einem gewissen Grade gleich zu er-
achten sind die Heiden. Wohl ist die Heide an sich eine natür-
liche, durch Boden- und Klimaverhältnisse bedingte Formation,
die unter Umständen auch gegen den Wald erfolgreich. vorzu-
dringen vermag; zum großen Teil erklärt sich aber die weite Aus-
dehnung der Flächen auch auf Gelände, das nachweislich 12
früherer Zeit Laubwald getragen hat, aus der Verwüstung des
Waldes und der Art und Weise der früheren landwirtschaftlichen
Benutzung seitens der Heidebauern (Schafweide, Streugewinnung
durch Abmähen oder Piaggenhieb), die zu einer Auslaugung und
Erschöpfung des Bodens führen und die Wiederbewaldung Yer-
hindern mußte. Anders liegen die Verhältnisse dagegen bezüglich
der Moore. Es sind dies Pflanzenformationen, die auch im natür-
3, November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44. 1795
‚lichen Gange der Entwicklung starken Veränderungen unterliegen
und durch Verlandung von Seen einerseits, durch das peripherische
Wachstum der Hochmoore anderseits seit der Zeit der mensch-
lichen Besiedlung noch an Ausdehnung gewonnen haben; auch der
Mensch hat hier bisweilen noch fördernd eingegriffen, indem auf
Gebirgen (z. B. im Schwarzwald) durch Niederschlagen des Waldes
auf den Viehweiden infolge der nicht mehr ausreichenden Ver-
dunstung eine Versumpfung und Vermoorung Platz griff. In weit
größerem Umfange jedoch ist durch die menschliche Tätigkeit eine
Reduktion der Moore zu verzeichnen, teils durch Entwässerungen in
der Umgebung der Moore, Maßnahmen zur Regulierung des
Wasserstandes und dergleichen zugunsten des benachbarten land-
wirtschaftlich benutzten Geländes, teils durch Gewinnung von Torf
zu Brennzwecken und Urbarmachung der Moorflächen. Wiesen-
moore sind schon seit alter Zeit teils durch Beweiden und Ab-
mähen nutzbar gemacht, teils auch entwässert worden; zu den
größeren im Mittelalter meliorierten Niederungsmooren gehört z.B.
die Goldene Aue zwischen Kyffhäuser und Harz. Eine weit regere
Tätigkeit auf diesem Gebiet entfaltete aber das 18. Jahrhundert;
es sei nur an die Urbarmachung des Rhin- und Havelländischen
Luches unter Friedrich Wilhelm I., des Warthe-Netzebruches und
des Oderbruches unter Friedrich dem Großen erinnert; ein neuer
Aufschwung erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
durch die Erfindung der Rimpauschen Moordammkultur, welche
darauf beruht, das Moor durch ein enges Grabennetz zu ent-
wässern und den Torf mit einer 10 bis 12 cm starken Sandschicht
zu bedecken, welcher durch Düngung die erforderlichen Nährstoffe
zugeführt werden, während er aus den darunter liegenden, nicht
angegriffenen Torfschichten die erforderliche Feuchtigkeit erhält.
Die Urbarmachung der sehr viel wasserreicheren und an minera-
lischen Nährstoffen ärmeren Hochmoore ist erst sehr viel später in
Angriff genommen worden. Die ersten rationellen Hochmoorkulturen
entstanden gegen den Ausgang des Mittelalters in Holland; es ist
die sogenannte Fehnkultur, bei der der abgetorfte Untergrund
kräftig gedüngt wird, während durch schiffbare Kanäle ein Absatz
des Torfs und der erzielten landwirtschaftlichen Produkte ermög-
licht wird; im nordwestlichen Deutschland ist lange Zeit in den
Moorkolonien die Brandkultur geübt worden, da erstmals abge-
brannte Moorflächen, mit Buchweizen bestellt, gute Erträge geben;
es müssen dann immer neue Flächen in Angriff genommen werden,
da dieselbe Fläche nach wenigen Jahren erschöpft ist und längere
Zeit brach liegen bleiben muß. Da die Erträge bei wiederholtem
Umtrieb aber immer mehr zurückgehen, so ist das Verfahren im
Laufe des 19. Jahrhunderts sehr in Mißkredit gekommen. Gegen-
wärtig wird durch die Moorversuchsstation in Bremen die Hoch-
moorkultur intensiv gefördert durch Ausbildung eines Verfahrens,
welches die Gewinnung hochwertiger Kulturböden ermöglicht und
das auf der Düngung des entwässerten Moorbodens mit gebranntem
Kalk sowie Kalisalzen und Phosphaten beruht; die Erhaltung so-
wohl der Wiesen und Weiden wie der Ackerflächen erfordert
regelmäßige Düngung. Gerade in den letzten Jahren macht sich
ja wieder ein steigendes Interesse für die Urbarmachung der Hoch-
moore geltend; die noch in Deutschland brach liegende Hochmoor- :
fläche wird auf über eine Million Hektar geschätzt, doch gibt es
kaum mehr irgendwo ein wirklich unberührtes größeres Hochmoor.
Endlich ist daran zu erinnern, daß auch die landwirtschaft-
lich benutzten. Flächen tiefgreifende Wandlungen insbesondere seit
dem 18. Jahrhundert erfahren haben, teils durch Aenderung des
Betriebes (Uebergang von der Dreifelderwirtschaft zur rationellen
Fruchtfolge infolge Einführung der künstlichen Düngung, Ver-
schwinden der Weiden und vielfacher Uebergang zur Stallfütterung,
Ausdehnung der Wiesenkultur und vermehrter Anbau von Futter-
pflanzen), teils durch Verschwinden früherer (Hirse, Linse, Heide-
korn) und Einführung neuer, in großem Maßstabe angebauter
(Kartoffel, Zuckerrübe) Kulturpflanzen. Nehmen wir noch die durch
Ausdehnung der Großstädte und durch Schaffung von dem mensch-
lichen Verkehr dienenden Anlagen hervorgerufenen Aenderungen
hinzu, so ergibt sich auch für die neuere Zeit eine Umwälzung
des Landschaftsbildes, welche den früheren mindestens nicht nach-
steht.
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten
von
Dr. Max Kahane, Wien.
(Fortsetzung aus Nr. 43.)
Die Therapie kann im ersten und im zweiten Stadium
Beträchtliches leisten, speziell die physikalischen Heilmethoden;
im dritten Stadium sind die therapeutischen Chancen reduziert.
Kennzeichen vorgeschrittener Herzinsuffizienz: Dyspnöe, Cyanose,
Beschleunigung eventuell Unregelmäßigkeit des Pulses auch nach
ganz geringen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit, schließ-
lich Flüssigkeitsansammlung im Unterhautzellgewebe und den
serösen Höhlen hochgradige Dyspnöe mit Cyanose auch bei völliger
Ruhe, Stauungskatarrhe, Verminderung der Diurese, Albuminurie usw.
Die Störungen des Herzrhythmus bedürfen einer weiteren
Analyse: Elektrokardiogramm, Kardiogramm, Spbygmogramm.
Hochgradige, anhaltende Arhythmie wird mit Vorhofflimmern in
Verbindung gebracht und kann funktionell oder durch anatomische
Läsionen des Myokards bedingt sein. Ueberleitungsstörungen bei
Erkrankungen des Hisschen Bündels. |
Die Frequenz der Herzaktion soll 1. am Herzen, 2. am
peripheren Arterienpuls, z. B. Radialpuls, gemessen werden. Nach-
weis von Differenzen zwischen Herz- und Pulsfrequenz, speziell
Extrasystolen, Ventrikeleontractionen, die nicht zu den peripheren
Arterien fortgeleitet werden. Die Unterscheidung zwischen Tachy-
kardie und Bradykardie erfordert die Bestimmung der Herzfre-
quenz. Bradykardie namentlich bei paroxysmalem Auftreten und
Kombination mit Arbythmie ist prognostisch höchst bedenklich,
Tachykardie prognostisch günstiger.
Hauptursachen der Herzinsuffizienz: 1.akute und chronische In-
fektionskrankheiten: akute rheumatische Infektion, akute Exantheme,
Typhus, Diphtherie usw., Syphilis; 2. Intoxikationen: Bleivergiftung,
Alkohol, Kaffee, Tee, Tabak; 8. körperliche Ueberanstrengung;
4. Gemütsaffekte; 5. Ueberlastung des Kreislaufs durch überreich-
liche Flüssigkeitsaufnahme; 6. Erkrankungen der Lunge, der Nieren,
raumbeengende Erkrankungen der Brust- und Bauchhöhle Aus
der Betrachtung der Aetiologie lassen sich die prophylaktischen
Maßnahmen leicht ableiten. (Große Bedeutung der Heredität.)
‚. Für die Behandlung der Herzkrankheiten steht ein
reiches therapeutisches Arsenal zur Verfügung. Rechtzeitige An-
wendung geeigneter therapeutischer Maßnahmen kann auch in
scheinbar schweren Fällen Hervorragendes leisten, sodaß Pessimis-
mus oder Nihilismus ganz ungerechtfertigt sind. Selbst schwere
Grade von Herzinsuffizienz sind der Therapie zugänglich. Diese
Tatsachen sind wichtig, weil die feste Ueberzeugung von der
Leistungsfähigkeit der Therapie eine gute Basis für ihre Durch-
führung bildet. Physikalische und medikamentöse Therapie sind
auf dem Gebiete der Herzkrankheiten keine sich ausschließenden
Gegensätze. Meist ist ihre kombinierte Anwendung angezeigt,
sodaß der Arzt sich von jeder Exklusivität, die schließlich dem
Patienten zum Schaden gereichen könnte, fernhalten soll.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten umfaßt
im weitesten Sinne die hygienisch-diätetische Behandlung, die
Klimato- und Balneotherapie, die Hydro- und Thermotherapie,
Elektro- und Mechanotherapie; für die Photo- und Radiotherapie
lassen sich derzeitig noch keine gesicherten Indikationen auf-
stellen.
Die Vorteile der physikalischen Heilmethoden sind: 1. das
Fehlen schädlicher Nebenwirkungen bei richtiger Anwendung und
Dosierung; 2, die Möglichkeit, die verschiedenen physikalischen
Heilmethoden miteinander zu kombinieren. Von größter Wichtig-
keit ist die genaue Kenntnis der Indikationen und der Anwendungs-
technik der einzelnen physikalischen Heilmethoden, da unrichtige
Indikationsstellung und fehlerhafte Technik großen, manchmal irre-
parablen Schaden stiften können. Die Ausführungen solcher Heil-
methoden, welche in ihrer Technik kompliziert sind — Hydro-,
Mechano-, zum Teil auch Elektrotherapie — oder deren Wirkungs-
weise noch nicht voll erforscht ist, z. B. Radiotherapie, muß den
spezialistisch geschulten Fachmännern überlassen bleiben. Der
praktische Arzt kann neben der Durchführung der medikamentösen
Therapie die hygienisch-diätetische Behandlung, sowie die technisch
einfacheren Formen der physikalischen Therapie: Hydro-, Elektro-
und Mechanotherapie in sein Tätigkeitsgebiet einbeziehen.
Hygienisch-diätetische Behandlung. 1. Ruhe, der
wichtigste Heilfaktor bei drohender, beziehungsweise akuter und
höhergradiger chronischer Herzinsuffizienz. Bei akuter Endo-, Myo-
und Perikarditis absolute Bettruhe von möglichst langer Dauer.
Vermeidung brüsker Bewegungen, namentlich rasches Aufrichten
im Bette gefährlich! (akute Hirnanämie, Herzlähmung). Sorge für
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1796
weichen Stuhl — Rhabarber, Mittelsalze — der im Liegen entleert
wird. Auch bei chronischer Herzinsuffizienz mit Schwäche und
Erschöpfungsgefühl, länger anhaltende Ruhe, Verbot vielen und
lauten Sprechens, bequeme Lagerung, z. B. erhöhte Rückenlage
mit verstellbaren Polstern. Bettruhe muß nicht unbedingt mit
Zimmeraufenthalt verbunden sein, bei günstiger Witterung Bett,
Diwan oder Lehnstuhl auf einer Veranda oder in einem Garten,
Schutz vor direkter Sonneneinwirkung oder stärkerem Winde.
2. Lebensweise. In Fällen, wo absolute Bettruhe nicht
erforderlich ist, ruhige, geordnete Lebensweise, ausgiebiger Schlaf
bei Nacht, Ruhe nach den Mahlzeiten, Vermeidung von Exzessen
aller Art, Vermeidung rauchiger Gast- und Kaffeehäuser, Tanz-
verbot für junge Mädchen und Frauen mit Herzinsuffizienz.
3. Haut- und Mundpflege: laue Bäder 24° R, bei kräfti-
geren Individuen Abreibungen bis 16° R, bei Bettlägerigen täg-
liche Einreibung der Haut mit Franzbranntwein, eventuell Zu-
satz von Salz, Menthol, Abreibungen mit Wasser, dem aromatische
Lösungen zugesetzt werden, Eau de Cologne. Zur Mundpflege
mehrmals tägliche Spülung mit 1%/yiger Thymollösung oder ein
Teelöffel Franzbranntwein und eine Messerspitze Natrium bicar-
bonicum auf ein Glas Wasser.
4. Wohnung. Sorge für frische, reine, wohltemperierte
(18°C), genügend durchfeuchtete Luft — Schalen mit Salzwasser,
Fichtennadelextrakt in Wasser usw. Besonders wichtig Schlaf-
zimmer: geräumig, gut ventiliert, nicht zu heiß, nicht zu kalt, Bett-
decke nicht zu schwer. |
5. Kleidung. Nicht zu eng, nieht zu schwer. Bei Frauen
Schnürbrust, enge Rockbänder, enge Strumpfbänder, enge Schuhe,
bei Männern straffe Leibriemen, straffe Hosenträger verboten. Bei
kalter, feuchter Witterung Flanellunterkleidung, undurchlässiges
Schuhwerk!
6. Sexualleben. Warnung vor sexuellen Exzessen, nament-
lich im Anschluß an reichlichere Mahlzeiten oder Alkoholgenuß.
Bei Frauen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Ge-
fahren verbunden. Eheverbot für herzkranke Mädchen, Conceptions-
verbot für herzkranke Frauen.
1912.— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
intensive geistige Anstrengungen oder große Verantwortung mit
sich bringen, sind für Herzkranke ungeeignet.
8. Diät und spezielle Diätkuren. Allgemein gültige Gesetze
für die Ernährung Herzkranker lassen sich nieht aufstellen, da
vielfach individuelle Faktoren, der Zustand des Magendarmtraktes
usw, berücksichtigt werden müssen.
In den Fällen, wo absolute Bettruhe indiziert ist, muß auch
die Diät entsprechend reguliert werden: a) Flüssige Kost: Milch,
weiche Eier, kleine Mengen von Bouillon, Zusatz von Nestlemehl,
Odda, Hygiama, reichlich Zueker, welcher ein Herznahrungsmittel
ersten Ranges ist. b) Breiige Kost in der Rekonvaleszenz; Milch-
reis, Hafermehlsuppen, faschierte Hühnerbrust, faschiertes Kalbs-
bries, faschiertes Kalbshirn, später leichte Mehlspeisen. Bouillon —
Gehalt an Extraktivstoffen und Kalisalzen — nur in kleinen Mengen.
Heiße Bouillon wirkt als Analeptieum. Ta
Herzkranke, auch mit leichteren Graden von Insuffizienz,
müssen kopiöse Mahlzeiten streng vermeiden — Ueberfüllung des
Magens, Empordrängung des Zwerchfells, Erschwerung der Herz-
arbeit. Am besten fünf Mahlzeiten von zwei- bis dreistündigen
Intervallen; die letzte Tagesmahlzeit leicht, zwei bis drei Stunden
vor dem Schlafengehen.
Erstes Frühstück: Milch, Weißbrot, Butter, zwei weiche
Eier, Fruchtgelee, Schinken.
Zweites Frühstück: Weißbrot, Ei, Butter, eine kleine Tasse
Bouillon.
.‚Hauptmahlzeit: Eine kleine Schale Suppe, 15 dg Fleisch
oder Fisch (Schill, Forelle), Gemüse — Spinat, Karotten, Kartoffel-
püree, Reis usw., leichte, süße Mehlspeise aus Mehl, Ei, viel Zucker,
Kompott, geschältes Obst.
Nachmittag: Milch, Weißbrot, Kompott.
Abendmahlzeit: Weißbrot, 10 dg Schinken oder zwei Eier,
Butter, Obst.
Für die Ernährung des Herzmuskels ist Zufuhr von Eiweiß
und Zucker von größter Bedeutung.
Verboten: Grobe, schwer verdauliche, stark blähende Speisen:
Zähes oder sehr fettes Fleisch, Schwarzbrot, Kartoffeln, Kraut,
Bohnen, Erbsen, Kohlrüben, ferner Austern, Krebse, Wildpret,
7. Beruf. Berufsarten, welche schwere körperliche Arbeit, | starke Gewürze, Fruchteis. (Fortsetzung folgt.)
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr, Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat. | Getränke für den ganzen Tag: 300 bis 400 g Rot- oder
ı Moselwein oder die entsprechende Menge Wasser.
Die Therapie des engen Beckens
von Dr. Aschheim, Berlin.
Als vor zirka acht Jahren Döderlein die von Gigli vor-
geschlagene Durchsägung des horizontalen Schambeinastes, die
Pubiotomie oder Hebosteotomie, in die Behandlung des engen
Beckens einführte und Publikation auf Publikation das neue Ver-
fahren empfahl, da schien es fast, als ob die Frage nach der
rationellsten Behandlung der Geburt bei engem Becken gelöst sei.
Der Dresdener Gynäkologenkongreß 1907 brachte noch einmal auf
Grund größerer Erfahrungen eine Uebersicht über die Erfolge,
und wenn auch damals schon einige Geburtshelfer ihre Skepsis
gegen die Methode zum Ausdruck brachten, so waren doch die
meisten Anhänger des Verfahrens. Aber bald folgten die Mit-
teilungen über Mißerfolge und Schädigungen bei Pubiotomien und
die große Sammelstatistik von Schläfli aus der Basler Klinik
brachte die Operation in Mißkredit. Und von neuem beherrschte
die Frage über die Therapie des engen Beckens die geburts-
hilfliche Diskussion.
Ob die Hoffnung unseres Altmeisters Hegar (1) daß die
natürliche Ernährung durch Muttermilch die Rachitis, rationelle
Volkshygiene den Infantilismus und so das enge Becken numerisch
herabdrücken werden, sich erfüllt, werden erst die nächsten
zwanzig Jahre entscheiden können. Allzu große Erwartungen
dürfen wir einstweilen für diese Prophylaxe gegen das enge Becken
nicht hegen.
Von den prophylaktischen Verfahren, das Mißverhältnis
zwischen Geburtsobjekt und Beckenkanal vor der Geburt auszu-
schalten, sei zuerst Prochownicks (2) diätetische Behandlung
genannt. Sie lautet nach des Autors Angaben: Morgens: Eine
kleine Tasse Kaffee, 25 g Zwieback oder eine halbe Semmel.
Mittags: Alle Arten Fleisch, Fische mit ganz wenig Sauce, Eier,
etwas grünes Gemüse, fett zubereitet, Salat, Käse. Abends: Wie
mittags, 40. bis 50 g Brot und nach Belieben Butter, Eier, Fleisch.
Zu meiden sind größere Mengen Flüssigkeit, Suppen, Kar-
toffeln, Mehlspeisen, Zucker, Bier.
Neuerdings gibt Prochownick die Diät vom sechsten Monat
an, schaltet den Alkohol ganz aus und gestattet kleine Mengen Obst.
Er berichtete über die Erfolge seines Verfahrens beim engen
Becken 1909 in Hamburg gelegentlich eines Vortrags von
Lomer, in dem dieser die Diät bei normalen Becken und er-
fahrungsgemäß großen Kindern empfahl. Prochownick verfügt
über 40 eigne Beobachtungen und 60 Fälle aus der Literatur.
Alle Kinder sind so schmiegsam, daß sie ohne Schwierigkeit leicht
geboren wurden; sie haben entweder verminderte Gewichte oder
zum mindesten verschiebliche Kopfknochen, geringes Fettpolster,
lockere Haut aufzuweisen. Die Stillfähigkeit der Mutter litt
niemals durch die Diät. Energisch verwahrt sich Prochowniek
dagegen, daß die Diät eine Entziehungskur darstelle. Ta
Ais unterste Beckenmaße gibt Prochownick für die Diät
8 cm für das platte Becken, 81/, cm für das allgemein verengt®
Becken an.
Die künstliche Frühgeburt kann, wie Prochownick dies
auch hervorhebt, nicht durch die Diät verdrängt werden und wird
von ihm selbst mit Erfolg geübt. | Rn
Die künstliche Frühgeburt, die ja auch das Mißverhältnis
zwischen Becken und Schädel durch Berücksichtigung des letzteren
zu umgehen sucht, scheint sich an den großen Kliniken nur geringer
Beliebtheit in letzter Zeit zu erfreuen. Ihren wärmsten Für-
sprecher hat sie in v. Herff (8). Er hat die künstliche Früh-
geburt 120 mal gemacht; über 80%, der Geburten verliefen nach
dem Blasenriß (den v. Herff zur Einleitung als Methode empfiehlt)
spontan; in etwas über 13 0/, mußte hauptsächlich wegen Lage-
anomalien sekundär eingegriffen werden. Von den Kindern gehen
etwa 20 0/, bei der Geburt zugrunde. Eine Mutter starb an
atonischer Blutung. 96 Kinder konnte Herff lebend entlassen.
Den Einwand, daß diese Kinder ‚geringere Lebensaussichten habon,
erkennt v. Herff nicht an, allerdings gibt er keine genauen Zahlen
3. November.
über das fernere Schicksal dieser Kinder. Auch aus den Nach-
forschungen von Bagger-Jorgensen und Scheffzeck (4) geht
nicht hervor, daß die Mortalität der Frühgeburten größer ist als
die der reifen Kinder, auch nicht, daß ihre vitale Dignität ge-
ringer sei. Aber die Zahlen sind hier sehr’ gering und ein Be-
denken gegen die künstliche Frühgeburt wäre es wohl, wenn es sich
herausstellte, daß bei diesen Kindern die Entwicklung eines Hydro-
cephalus häufiger vorkomme. Es wird- wenigstens von pädia-
trischer Seite behauptet, daß bei zu früh geborenen Kindern sich
relativ häufig Hydrocephalus entwickle. Ob das aber auch für
künstliche Frühgeburten gilt, ist nicht bekannt, und es wäre gewiß
ein Verdienst der Basler Klinik, bei einer Nachforschung diesen |
' risse; drei größere ÜOervixrisse, eine eine Uterusruptur.
Punkt zu berücksichtigen; was das Aüfziehen der zu früh ge-
borenen Säuglinge betrifft, so können gewiß : die Bedenken, die
früher am Platze waren, dank der Fortschritte der Säuglingspflege,
jetzt fallen gelassen werden.
Ein weiterer Bericht über die künstliche Frühgeburt stammt
aus der Klinik in Lund und berücksichtigt 29 Fälle, 4 mit Con-
jugata vera von 8,0 bis 8,5 cm, 25 mit Conjugata vera von 8,5
bis 10 cm. Die kindliche Mortalität beträgt 10°/,, von den
Müttern starb keine. Bagger-Jorgensen (5) hat das Schicksal
der Kinder verfolgt und gefunden, daß sie in ihrer Vitalität und
weiteren Entwicklung gegenüber ausgetragenen Kindern derselben
Mütter keine Unterschiede aufweisen. Auf geeignete Fälle be-
schränkt, wird daher nach Bagger-Jorgensen die Künstliche
Frühgeburt ihre Stellung unter den Hilfsmitteln für die Behand-
lung der Geburt bei Beckenenge bewahren. Als Methode zur Ein-
leitung wurde der Blasenstich zuletzt gewählt, nachdem in den
ersten zahlreicheren Fällen die Bougiemethode angewandt war,
aber in zwei Fällen zu Komplikationen geführt hatte.
Auch Scheffzeck (4), der über die engen Becken aus der
Hebammenlehranstalt in Breslau berichtet, liefert ein größeres Ma-
terial zur künstlichen Frühgeburt. Er berichtet genauer über
242 Fälle, von denen 145 spontan verliefen — 60 °/ọ, 97 operativ
beendet wurden. Erstere weisen 22 tote Kinder = 15,1 °/ọ Mor-
talität der Kinder auf, letztere 51 = 52,5 °/o. Die operative Hilfe
bestand 16mal in hoher Zange mit 6 toten Kindern = 37,5 0/o
Mortalität, 34mal innere Wendung mit 20 = 58,8 %/, Mortalität,
8 Extraktionen mit 7=87,50%0 Mortalität. 18mal mußte per-
foriert werden, 2mal Symphyseotomie, 4mal Pubiotomie, 16mal
typische Zangen. Die Schwierigkeit, die Größe des Kindes richtig
zu schätzen, die häufige Komplikation mit schlechter Wehentätig-
keit und dann die Wahl einer falschen Methode der Einleitung,
führen die Notwendigkeit, operativ einzugreifen, herbei. Als
Methode der Einleitung wurde in der Baummschen Anstalt in
den letzten Jahren ein Bougie mit Tiermembran, die mit Glycerin
aufgefüllt ist, eingeführt. Von den Müttern starben drei unter
242 Fällen. Bei 20 künstlichen Frühgeburten der Bonner Klinik
[Bericht von Yamasaki (6)] starben acht Kinder und je eine Mutter
an Sepsis, eine an Salolintoxikation.
Hofmeier (13) plädiert auf Grund seiner Erfahrungen an
71 Frühgeburten mit einer kindlichen Mortalität von 140), für dieses
Verfahren, das nach ihm bei Becken unter 7,5 im Interesse des
Kindes allerdings nicht am Platze ist (Mortalität — 250/0). Seine
mütterliche Mortalität ist — 0°. Er empfiehlt als Methode die
Metreuryse (600—650 cem Flüssigkeit), nach Ausstoßung des Balles
Wendung und Extraktion. Das angeschlossene operative Ent-
bindungsverfabren gab ihm bessere Resultate als Abwarten. Die
Mortalität der entlassenen Frühgeburten im ersten Jahre ent-
spricht der allgemeinen Säuglingssterblichkeit. Der Kaiserschnitt
bei dem abwartend-operativen Verhalten hat eine mütterliche Mor-
talität von 2—6°/,; auch für die Kinder beträgt sie etwa 6/n.
Die prophylaktische Wendung hat nach den Publikationen
der letzten Jahre nur wenig Anhänger noch. Zu Gusserows
Zeit war sie von seiner Schule viel geübt, wie die Statistik von
Bruno Wolff (T) aus dem Jahre 1901 lehrt. Als prophylaktische
Wendung bezeichnet er mit Gusserow die Operation bei Schädel-
lage, ausgeführt wegen des engen Beckens zu einer Zeit, zu der
im Befinden von Mutter und Kind noch keinerlei Störung auf-
getreten waren. Günstige Resultate gibt sie bei Mehrgebärenden
mit einer Conjugata vera nicht unter 8 cm, bei denen man. bei
vollständig erweitertem Muttermunde die Blase noch erhalten
findet. Im ganzen wurde die prophylaktische Wendung im strengen
Sinn in 69 Fällen vorgenommen; davon starben 13 Kinder=
18,80/4, für die Becken mit Conjugata vera bis 8 cm = 7,9 °/o
kindliche Mortalität. Von den Müttern starben zwei, eine an
UÜterusruptur, eine an Sepsis. Für die Becken von 73/4 bis 93/4 Con-
jugata vera kommt Wolff zu dem Schluß, daß das Ergebnis fast
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr..44. |
1797
absolut gut ist, wenn bei stehender Blase und ganz erweitertem.
Muttermunde gewendet und extrahiert wurde, viel ‚schlechter: ist
es, wenn erst nach dem Blasensprunge gewendet und bei genügen-
der Erweiterung‘ des Muttermundes sogleich danach extrahiert
wurde. Noch schlechter, wenn die Größe des Muttermundes nach
der Wendung die Extraktion nicht gestattet. Bei höheren Graden
der Beckenverengerung sind die Resultate schlecht.
Aus der Schautaschen Klinik berichtet Kraus (8) 1905
über 117 prophylaktische Wendungen unter 40 000 klinischen Ent-
bindungen, und zwar bei 91 Mehrgebärenden und 26 Erstgebären-
den. Die kindliche Gesamtmortalität beträgt 25,6 °/,, von den
Müttern starb eine im Wochenbett, drei erlitten komplette Damm-
Die un-
günstigen Resultate bezüglich der Kinder beruhen erstens darauf,
daß eine Anzahl sehr großer Kinder (über 3600) gewendet und
extrahiert wurden, zweitens die Weichteile zum Teil (bei Ip.) sehr
rigide waren und drittens die Wendung und Extraktion jüngeren,
nicht geübten Hilfskräften überlassen wurde. | |
Von den 117 Fällen waren |
58 Fälle platt rachitische Becken Cönjugata vera 7,5—10 cm
26 „ einfach platte Becken R „.82—102 „
19 „ allgemein verengte rachi-
tische Becken . . . 5 „ 76— 92.,
11 „ allgemein verengte Becken „ „ 83-10 ,
Die Indikationsstellung bei Iparis ist sehr schwierig, bei
Mehrgebärenden auf Grund der Kenntnis vorangegangener Ge-
burten leichter. |
Bei der prophylaktischen Wendung verlor die Bonner Klinik
unter 32 Wendungen eine Mutter an Verblutung; es wurden zwei
Cervixrisse und ein Dammriß IIl? gemacht; acht Kinder waren tot,
davon fallen sechs der klinischen Therapie zur Last; daneben noch
drei Clavicularfrakturen und zwei Oberarmbrüche.
Die hohe Zange bei engem Becken sollte im allgemeinen nur
ein Versuch sein, das lebende Kind vor der Perforation zu be-
wahren; sie muß von seiten der Mutter oder des Kindes absolut
streng indiziert sein. Viele Geburtshelfer verwerfen sie. In: der
Herffschen Klinik ist sie, wie Miescher (9) berichtet, in 51 Fällen
ausgeführt worden; davon betreffen 25 Fälle das enge Becken,
10mal bei Iparis, 15mal bei Mehrgebärenden; die kindliche Mor-
talität betrug dabei 32 0/0, das Wochenbett war in 40/5 febril,
ein Todesfall der Mutter an Atonie.
Unter 484 hohen Zangen aus der Literatur beträgt die
kindliche Mortalität 30%. Die mütterliche Mortalität wird durch
hohe Zangenversuche außerhalb der Klinik, denen dann weitere
für das Kind bisweilen erfolgreiche in der Klinik folgten, belastet.
Bei 37 hohen Zangen berichtet Scheffzeck eine kindliche
Mortalität von 15 = 41%.
Die zehn hohen Zangen, die in der Bonner Frauenklinik vor-
genommen wurden, hatten keine Mortalität der Mütter, wohl- aber
zwei Dammrisse III? und ein Cervixscheidenriß zur Folge; drei
kindliche Todesfälle.
Unter diesen Fällen sind die hohen Zangen, die erfolglos
versucht wurden und an die sich Perforationen anschlossen, nicht
mitgerechnet worden.
Uebersieht man die vorstehenden Statistiken, so geht zwar
aus ihnen hervor, daß bei der künstlichen Frühgeburt das Leben
der Mutter am wenigsten gefährdet ist (zirka 1°/, Mortalität), die
Kinder eine Mortalität von 20°/, haben; die prophylaktische
Wendung hat kaum eine andere Prognose für die Mutter (auch
etwas über 10/0), für die Kinder beträgt sie mindestens 20/,.
Die hohe Zange ist eine Operation der Not, daß bei ihr die kind-
liche Mortalität nur 30°/, beträgt, erscheint auffallend. (Es sind
aber hier nicht die Zangenversuche mit nachfolgender Perforation
angeführt worden, dann würden die Resultate für die Kinder wohl
ganz anders ausschauen.) |
Daß mit den obigen Resultaten diejenigen Kliniker nicht zu-
frieden sein konnten, die das kindliche Leben so hoch einschätzten,
daß sie der Mutter auch eine etwas erhöhte Gefahr zumuten zu
dürfen sich für berechtigt hielten, ist klar. Deshalb die sofortigen
Versuche fast aller Kliniker mit der Pubiotomie. |
Die Hebosteotomie hat nun das, was man von ihr erwartet
hatte, nämlich günstigste Resultate für die Kinder ohne nennens-
wert erhöhte Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter, nicht
gehalten.
Ihr Sündenregister ist außerordentlich groß; über 700 Fälle
berichtet Schläfli (Basel) (10) aus der Literatur, weitere 300 Fälle
läßt dann 1910 Römer (Erlangen) (11) folgen. Gibt dieser auch,
da er die Fälle der: letzten Jahre mitteilt, bessere Resultate, es
1798
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
fallen ja alle die Fälle fort, die in dem Anfang der. Operation als
sogenanntes Lehrgeld gelten, so ist Römers Statistik doch nicht
günstig genug, um zur Fortsetzung der Versuche mit der Pubiotomie
anzuspornen. Es folgen einige Zahlen aus Schläflis und Römers
Statistik. | | Ä u
Es hatten in Prozenten T
unter 228 Fällen unter- 510 Fällen
| (Römer) (Schläfli)
Stärkere Blutung . . . .-. 154 | 158
Verbutung . . 2: ... . 03 0,3 (664 Fälle)
Hämatome . . . ."2 2... 14 17 | |
Kommunicierende Risse 7,0 15,5
Weichteilzerreißung . . . . 39 17,8
Blasenverletzung 2. 2 12,35.
Fieber. . 2. 2 2.2.2.2.2.20,6 81,76
Thrombophlebitis . 85 8,2
Mortalität ne 2,66 4,96
Kindliche Mortalität
(durch die Operation). . | 9,18
Schläfli fand ferner bei 120 Nachuntersuchten 7,5 %
Hernien im Knochenspalt, 24,17%), Descensus vaginae,
4,17%, Incontinentia urinae. |
Nach diesen Resultaten dürfte die Pubiotomie ihre Rolle in
der Behandlung des engen Beckens fast ausgespielt haben, sie ist
aus einer Operation der Wahl eine solche der Not geworden und
dürfte nur hie und da mal bei Mehrgebärenden ausgeführt werden.
Auch die von Frank empfohlene subcutane Symphyseotomie hat
bis jetzt, scheint es, keine Anhänger gefunden. In den Kliniken
wird jetzt ja zumeist der Kaiserschnitt ausgeführt, wena die ab-
wartende Leitung der Geburt ein spontanes Durchtreten des
Schädels durch das Becken ausgeschlossen erscheinen läßt und
die Frau noch nicht manifeste Symptome von Infektion zeigt. Die
Entscheidung, ob intraperitoneales (transperitonealer Cervixschnitt)
oder extraperitoneales Vorgehen bessere Resultate für Mutter und
Kind bringt, wird erst durch große Zahlenreihen der nächsten
Jahre herbeigeführt werden. Wenn Römer für den suprasym-
physären Kaiserschnitt aus den ersten Publikationen eine mütter-
liche Mortalität von 7,2%, eine kindliche von 2,4 0/, herausrechnet,
so wird diese Zahl in der Hauptsache auch durch die infizierten als
solche nicht erkannten Fälle bedingt, das gleiche gilt für die von
Hofmeier citierten Zahlen. Gelingt es, diese Fälle sicher aus-
zuschalten, so dürfte die Mortalität des Kaiserschnitts die der
prophylaktischen Methoden beim engen Becken nicht übersteigen.
Die nächsten zwei Jahre werden dies wohl lehren.
Die letzte Statistik, die Leopold über den klassischen
Kaiserschnitt publizierte, betrifft 79 Fälle mit einem Todesfall=1,2 %/o
Mortalität, dieselbe Zahl, die er für sein Material bei Hebosteotomie
hatte, aber während er hierbei 6 bis 80/ọ Kinder verlor, war die
Mortalität der Kinder beim Kaiserschnitt — 0 /o.
Aus der vorliegenden Uebersicht geht hervor, daß wohl das
Beste für Mutter und Kind geleistet werden kann, wenn die
Schwangere 1 bis 2 Wochen vor der Entbindung in die Anstalt
kommt. Nach genügend langer exspektativer Geburtsleitung kann
für Mutter und Kind gutes Resultat durch den Kaiserschnitt er-
reicht werden. Da es aber nun einmal nicht möglich ist, alle
Frauen mit engen Becken ante partum in die Klinik zu senden,
so muß der Praktiker mit seinen Mitteln das möglichst Beste zu
leisten suchen. In der Praxis wird bei Iparis deshalb die Geburt
völlig exspektativ zu leiten sein, ein Versuch mit der hohen Zange
wird nur der Perforation des lebenden Kindes vorausgehen müssen.
Tote Kinder sind zu perforieren, nicht, wie das leider oft geschieht,
mit der hohen Zange zu entwickeln. Bei Mehrgebärenden dürfte sich
in geeigneten Fällen, bald nach dem Blasensprung und bei erweitertem
Muttermund, in der Prazis die Wendung und Extraktion, schon aus
äußeren Gründen, nicht immer umgehen lassen. Aber man soll
sich dessen bewußt sein, daß 80°), der engen Becken einen
spontanen Geburtsverlauf haben, daß bei kräftigen Wehen — und
wir können bei schwachen Wehen erfolgreich das Pituitrin an-
wenden — noch manches Kind das Becken passieren kann, dem
schon von der Zange oder gar dem Perforatorium Gefahr drohte.
Die Wendung indes ausführen, um dann den nachfolgenden Kopf
des inzwischen abgestorbenen Kindes zu perforieren, ist Selbst- |
betrug. Die künstliche Frübgeburt ist im Privathause sicher ge-
fährlicher als in der Klinik, wo sie doch mindestens 1 °0/ọ mütter-
liche Mortalität hat. Wer sie macht, sei es, daß er sie mit Blasen-
riß, sei es, daß er sie durch Balloneinführung herbeiführt, hat eine
Operation begonnen, die erst nach der Geburt der Placenta be-
endet ist und so lange auch ärztliche Anwesenheit erfordert. Fälle
mit absoluter Kaiserschnittindikation werden, wenn .der Kaiser-
' sehnitt abgelehnt wird, mit künstlichem Abort behandelt werden
müssen.
-. Literatur: 1. Hegar (M. med. Woch. 1908, Nr. 34). — 2, Prochow-
nick (Zbl. f. Gyn. 1908, S. 884). — 3. v. Herff (M. med. Woch. 1910, Nr. 48), —
4. Scheffzeck (A. fi. Gyn., Bd. 81). — 5. Bagger-Jörgensen (Mon. f. Geh,
u. Gyn.. Jahrg. 36, H. 1). — 6. Jomasaki (A. f. Gyo. Bd. 91). — 7. Bruno
Wolff (A. f. Gyn., Bd. 62). — 8. Kraus (Zt. f. Geb, Bd.56). — 9. Miescher
(Hegar-Beiträge 1909, Bd. 14) — 10., Schläfli (Zt. f. Gyn, Bd. 64, —
i1. Römer (Zt. f. Gyn., Bd. 68) — 12. Leopold (A. f. Gyn., Bd. 9i). —
- 18. Hofmeier (Mon. f. Geb. u. Gya., XXXVI, Ergänzungsheft).
Sammelreferat.
Wichtige Arbeiten über Herz- und Gefäßkrankheiten
(8 Bericht aus 1912)
von Priv.-Doz. Dr. Ed. Stadler, Leipzig.
Kaufmann (1) studierte die Frage, ob die Arterien zentri-
petal leitende Nervenfasern führen, durch deren Erregung der all-
gemeine Blutdruck reflektorisch beeinflußt würde. Er führte in
die in situ belassene Carotis von Hunden einen geschlossenen
Gummischlauch ein, den er durch Wasserdruck dehnen konnte.
Selbst bei Druckhöhen bis zu 360 mm Hg und Volumzunahme
des Gefäßrohrs bis zu 1,5 cem änderte sich der Gesamtblutdruck
in keiner Weise. Auch durch Einträufeln von Silbernitratlösung
in das peripherwärts abgeschlossene Ende der Carotis, durch
elektrische Reizung des durchschnittenen Gefäßes und durch Ver-
letzung des Endothels mit einer harten Bürste wurde niemals ein
Reflex auf Blutdruck und Herz beobachtet. Die gegenteiligen Be-
hauptungen Paganos sind auf eine falsche Methodik zurückzu-
führen. Der Ursprung der reflektorischen Einwirkungen auf das
Gefäßsystem wird wahrscheinlich von den Capillaren oder den
präcapillaren kleinen Arterien ausgehen. Die größeren Arterien
sind (mit Ausnahme der Aorta) unempfindlich.
Eine zweite Mitteilung Kaufmanns (2) beschäftigt sich mit
den Resultaten früherer Forscher in diesem Gebiete (Latschen-
berger und de Ahna, Heger, Delezenne). Kaufmann konnte
im allgemeinen ihre Resultate zum Teil mit vereinfachter Methodik
bestätigen. Nur nimmt er auf Grund seiner oben angeführten
Experimente an, daß alle Drucksteigerungen durch chemische oder
mechanische Reizung peripherer Arterien nicht von den Wänden
dieser größeren Blutgefäße, sondern von dem zugehörigen Capillar-
gebiet und dessen Geweben ausgelöst werden, die sich mikrosko-
pisch stets nach den Versuchen stark anatomisch verändert er-
weisen.
Einen Apparat zur Bestimmung des Druckes in den kleinsten
Blutgefäßen der menschlichen Haut beschreibt Basler (8). In
einem kastenartigen Gestell werden zwei Finger einer Hand neben-
einander gelagert, stark beleuchtet und durch einen Prismentubus
betrachtet. Durch Lufteinblasen kann man den Druck in den
durch dünne Membran abgeschlossenen Kästchen über den Fingern
erhöhen und an einem Manometer ablesen, bei welchem Drucke
zuerst ein Blaßwerden des komprimierten Fingers eintritt. Basler
nennt seinen Apparat: ÖOchrometer.
Zur experimentellen Stütze seiner Anschauungen über die
aktive Beteiligung der peripheren Arterien an den Veränderungen
des Blutdrucks und der Pulswellenform hat Hasebroek (4) Wellen-
studien an einem Apparat ausgeführt, der aus einem elastischen
Schlauchsystem besteht, das intermittierenden Zufluß erhält und
peripher an umschriebener Stelle durch ein kurzes Mantelrohr
rhythmisch komprimiert werden kann. Mittels eines Sphygme-
graphen werden unmittelbar vom Hauptrohr an beliebigen Stellen
Kurven aufgenommen. Es fand sich, daß unter gewisser Versuchs-
anordnung eine typische dikrote Welle intensiver und über eme
größere Schlauchstrecke stromaufwärts durch die periphere Pression
mittels des Mantelrohrs zu erzeugen ist, als es stromabwärts
durch direkte centrale Wirkung ohne periphere Pression möglie
ist. Hasebroek versucht diesen Befund für die Erklärung der
dikroten Welle im Arteriensystem zu verwerten, speziell für die
Frage nach der Vergrößerung der Dikrotie unter bestimmten Um-
ständen. Er glaubt vor allem aus seinen Versuchen eine Erklärung
für die Dikrotie bei hohem Blutdrucke (Muskelarbeit, Nephritis,
juvenile Sklerose) ableiten zu können. Er sucht 'sie in einer bisher
nicht berücksichtigten Energie des Kreislaufsystems, in der aktiven
Mitarbeit der Arterienwände, die sowohl direkt central als indire
peripher sich bemerkbar machen kann. | :
Aug. Hoffmann (5) mahnt zu großer Vorsicht iD der
Deutung von Abweichungen der typischen Elktrokardiogramme I
3. N ovember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44. 1799
m — — —— m — m ——— —mmo—nmHRZ————R————
symptomatischer Beziehung, da die Bedeutung der einzelnen Zacken
und die Bedingungen, unter denen sie eine Veränderung erleiden,
noch keineswegs geklärt sind. Nach den Untersuchungen seines
Mitarbeiters Selenin läßt sich das typische Elektrokardiogramm
aus einer gegenseitigen Kompensation der Einzel-Elektrokardio-
gramme beider Ventrikel erklären. Trennte er beim narkotisierten
Hund im Versuche schnell den rechten Ventrikel vom Septum ab,
so änderte sich das Elektrokardiogramm: es zeigte große dipha-
sische Schwankungen mit nach abwärts gerichteter Initialzacke.
Es erfolgt also bei spontaner Tätigkeit des isoliert schlagenden
Ventrikels eine einfache diphasische Schwankung und nicht die
Form des typischen Elektrokardiogramms. Der Reiz im Herzen
muß demnach auch in der Norm geradlinig wie in einem parallel-
fasrigen Muskel geleitet werden. Es bedarf durchaus nicht der
Annahme von zweierlei Leitungen im Herzmuskel, um die Form
des typischen und atypischen Elektrokardiogramms zu erklären.
Aus dem jeweiligen Verhalten der Tätigkeit der beiden Ventrikel
zueinander und zum Körper resultiert das jeweilige Elektro-
kardiogramm. So ist es orklärlich, daß Verschiebungen der Lage
des Herzens, zeitliche und dynamische Dissoziationen beider Ven-
trikel auf den Kompensationsvorgang einen Einfluß haben und sich
im Elektrokardiogramm bemerkbar machen.
Gött und Rosenthal (6) beschreiben ein Verfahren zur
Darstellung der Herzbewegung mittels Röntgenstrahlen (Röntgen-
kymographie), deren Zweck die Registrierung der pulsatorischen
Bewegungen verschiedener Herzabschnitte in Kurvenform ist.
Durch den Spalt einer Bleiplatte hindurch erzeugen sie auf dem
Schirme das Bild des sich bewegenden Herz- oder Aortenschattens
im Bereiche seiner dunklen Grenzlinie gegenüber dem hellen
Lungenfelde. Auf einer schnell vor dem Spalte vorübergezogenen
photographischen Platte erhalten sie so ein wellenförmiges Schatten-
bild, eins Bewegungskurve desjenigen Herzteils, auf dessen Kontur
der Spalt eingestellt wurde. Die Kurve des linken Ventrikels zeigt
einen kurzen systolischen und längeren diastolischen Schenkel mit
mehreren, noch unerklärten Schwankungen im Verlaufe. An der
Kurve des rechten Vorhofs erkennt man zwei Erhebungen, von
denen die eine, zeitlich mit der Ventrikelkurve verglichen, der
Vorhofspulsation entspricht. Die Aortenkurve zeigt nur einen
raschen Anstieg als Ausdruck der schnellen Füllung und ein
gleichmäßiges, langsames Absinken ohne sekundäre Erhebungen.
Das Verfahren erlaubt vor allem einen Vergleich der zeitlich zu-
sammenfallenden Kurvenpunkte verschiedener Herzabschnitte. Wie
für das Herz, so wird es auch zur Registrierung anderer Bewegungs-
vorgänge im Körper gut verwendbar sein.
Aus der Tübinger Klinik veröffentlichen Friberger und
Veiel (7) eine Fortsetzung der Pulsformstudien mit dem Frank-
schen Spiegelsphygmographen. In der vorliegenden Arbeit wird
die Aenderung der Pulsform in einer Arterie des elastischen Typus,
der Carotis, bei Arteriosklerose, chronischer Nephritis und juveniler
Sklerose behandelt im Vergleich zum Pulse muskulöser Arterien,
speziell der Radialis. Die Carotis zeigt das typische Bild der
zentralen Pulsform, die im Gegensatz zur Radialis durch kalte und
nn Bäder und Eisapplikation nur sehr wenig beeinflußt wird.
ie Arteriosklerose macht den Puls in muskulösen wie in elastischen
Arterien träge, die sekundären Wellen im absteigenden Schenkel
erschwinden. Bei der chronischen Nephritis und der juvenilen
klerose ohne nachweisbare Arteriosklerose bleibt die Pulsform
er elastischen Arterie unverändert; an der muskulösen Arterie
reten die sekundären Wellen verstärkt und in größerer Zahl auf.
Jie Differenz dieser Erscheinungen erklärt sich durch den ver-
:chiedenen Gehalt der beiden Gefäßarten an Muskulatur. Durch
len arteriosklerotischen Prozeß werden aber elastische und mus-
ulöse Gefäße gleichartig in ihrer Dehnbarkeit beeinträchtigt, daher
lie Uebereinstimmung ihrer Pulsform bei dieser Erkrankung.
Friberger (8) hat mit demselben Apparat die Pulswellen-
‚eschwindigkeit bei Arterien mit fühlbarer Wandverdickung unter-
ucht. Der maßgebendste Faktor für die Pulswellengeschwindigkeit
st der Elastizitätskoeffizient der Arterienwand. Die Durchschnitts-
'sschwindigkeit beträgt bei Normalfällen 8,3 m, bei jugendlichen
'ersonen mit Arterienverdickung 8,7 m, bei älteren Leuten mit
erdickten Arterien 9,8 m. Mit zunehmendem Alter nimmt die
ulsgeschwindigkeit nennenswert zu. Am höchsten ist sie bei
vanken mit Schrumpfniere. Entsprechend der großen Bedeutung
es Blutdrucks für den Elastizitätskoeffizienten der Arterienwand
teigt die Pulswellengeschwindigkeit in gleicher Weise mit seiner
unahme. Die große Geschwindigkeit der Pulswelle bei jugend-
chen Nephritikern ist wohl durch eine Kombination regressiver
eränderungen mit vermehrter Muskelspannung der Arterien zu
erklären. Aus der fühlbaren Wandverdieckung der Arterien kann
man keinen sicheren Schluß ziehen auf die Stärke derjenigen Ver-
änderungen, welche die Pulsgeschwindigkeit maßgebend beeinflussen.
Verdickte Schlagadern mit wellenreichen Pulsen, wie wir sie bei
manchen Nephritikern und der juvenilen Sklerose antreffen, leiten
die Pulswellen im allgemeinen langsamer fort als derartige Arterien
mit wellenarmen oder trägen Pulsen, die stets für das Vorhanden-
sein stärkerer arteriosklerotischer Prozesse sprechen.
Seine Studien über. die Atemmechanik bei der kardialen
Dyspnöe führten Siebeck (9) zu dem Ergebnis, daß die Venti-
lation der Alveolen dabei erschwert ist: es wird einmal ein größerer
Teil der Inspirationsluft (Spirometerluft) wieder ausgeatmet, und
dann wird der Rest der Inspirationsluft im Lungenhohlraume viel
weniger gleichmäßig verteilt als bei Gesunden durch gleiche Atem-
bewegung. Die Ursache dieser verminderten Ventilation ist haupt-
sächlich in einer geringeren Dehnbarkeit der Alveolenwände durch
die Stauung im Kreislaufe zu suchen, in der „Lungenstarre“.
Dazu kommt weiterhin die Stauungsbronchitis und das Lungen-
ödem. Alle Momente schaffen rein mechanisch ungünstige Be-
dingungen für die Ventilation der Lunge bei Herzinsuffizienz und
erfordern eine Steigerung der Atmungsgröße, also Dyspnöe ent-
weder schon bei Ruhe oder erst bei Muskelarbeit. — Die Resultate
Siebecks sind auch wichtig für die Untersuchungen der Gas-
spannung in der Lungenluft und im Blute des rechten Herzens:
unter pathologischen Verhältnissen ist die sogenannte „Alveolen-
luft“ ein sehr ungleich zusammengesetztes Gasgemisch, da bei der
mangelhaften Ventilation in der Lunge die Größe des „schädlichen
Raums“ nicht beurteilt werden kann.
Das Verhalten des Blektrokardiogramms bei akuter paren-
chymatöser Degeneration des Herzmuskels durch Vergiftung mit
Phosphor und Arsen bei Kaninchen hat Eduard Schott (10)
untersucht. Das Elektrokardiogramm wird auf der Höhe der Ver-
giftung in allen Maßen größer, die einzelnen Zacken markieren
sich schärfer. Besonders deutlich tritt diese Veränderung an der
Finalschwankung auf, die meist ganz excessive Größen erreicht.
Auch die Entfernung zwischen der Initial- und Finalschwankung
ist relativ groß, eine Erscheinung, die wahrscheinlich mit der
längeren Systolendauer bei der Phosphorvergiftung zusammenhängt.
Ganz ähnliche Befunde wie bei den Kaninchen konnte Schott bei
einem 21jährigen Mädchen erheben, das im Laufe von fünf Tagen
einer Phosphorvergiftung erlag.
C. Hirsch und Thorspecken (11) betonen die Bedeutung
der mechanischen Schädigung, der Abnutzung, für die Entstehung
der Arteriosklerose gegenüber der letzthin wachsenden Neigung,
Störungen im nutritiven Zeilstoffwechsel chemischer Natur dafür
verantwortlich zu machen, wie sie besonders im Tierexperiment
durch Injektion zahlreicher Substanzen erzielt werden. Die ex-
perimentelle Arteriosklerose der Versuchstiere ist aber nicht
identisch mit der menschlichen Arteriosklerose. Letztere ist vor
allem eine Intimaerkrankung. Ihre Pathogenese ist eng verknüpft
mit der Dehnung beziehungsweise Ueberdehnung der Gefäße, als
deren Ursache Veränderungen des Blutdrucks anzuschuldigen sind.
Ein Zusammentreffen mechanischer und chemischer Schädigungen
muß besonders deletär auf die Gefäßwand wirken. Die Verfasser
studierten im Experiment am Kaninchen diesen Fall, indem sie die
Nervi depressores durchschvitten und damit eine dauernde größere
Inanspruchnahme der Aortenelastizität bewirkten, und gleichzeitig
den Tieren Adrenalin injizierten. Bei zwei Tieren eines Wurfes
zeigte nur das Tier, dem vor Beginn der Adrenalininjektionen die
Depressoren durchschnitten waren, hochgradige sklerotische Ver-
änderungen der Aortenwand, während das Kontrolltier ohne De-
pressordurchschneidung bei der gleichen Adrenalinapplikation ge-
sund blieb. Die „chemische“ Wirkung war bei dem zugleich mehr
angestrengten Gefäß eine wesentlich stärkere.
Ausgehend von der Angabe Kunkels, daß sich bei Ar-
beitern in Essigsäurefabriken infolge chronischer Aldehydwirkungen
Bindegewebswucherungen in der Leber und an den Blutgefäßen
zeigen, behandelte O. Loeb (12) Kaninchen mit aliphatischen Alde-
hyden und vergleichsweise mit aromatischen Aldehyden, Alkoholen,
Ketonen usw. Fast konstant wurden durch aliphatische Aldehyde
(Formaldehyd, Hexamethylentetramin, Helmitol, Paraldehyd usw.)
Arterienveränderungen erzeugt, die makroskopisch und mikrosko-
pisch genau der Adrenalinarteriosklerose entsprachen. Die andern
Substanzen (cyclische Aldehyde, Alkohole usw.) führten dagegen
niemals zu Arterienveränderungen. Es besteht also ein sinnfälliger
Zusammenhang zwischen Konstitution und Wirkung. Eine Er-
klärung für diese specifische Aldehydwirkung ist vorerst nicht mit
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1800
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44..
3. November.
Sicherheit zu geben. Blutdrucksteigerung und Kachexie kommen
Jedenfalls nieht in Betracht. =
Erwin Rohde und Oga wa (13) haben die Gaswechselstudien
am normalen Warmblüterherzen, welche eine annähernd einfache
Proportionalität zwischen Sauerstoffverbrauch und Druckleistung
erkennen ließen, am vergifteten Herzen fortgesetzt. Adrenalin und
Strophantin, indem sie die Tätigkeit steigern, erhöhen auch parallel
damit den Sauerstoffverbrauch. Bei zahlreichen lähmenden Giften
(Chloralhydrat, Atropin, Cyankali, Veratrin, Muscarin) und beim
natürlichen Absterben. sinkt dagegen die Tätigkeit des Herzens
stets stärker als sein Sauerstoffverbrauch, ein geringerer Prozent-
satz chemischer Energie als normal wird in aktive Muskelspannung
übergeführt. Die einzelnen Teile der energetischen Zeilprozesse
(Pulszahl, Sauerstoffverbrauch und -ausnutzung) werden quantitativ
sehr verschieden von den Störungen ergriffen, sind also weitgehend
unabhängig voneinander.
Teile der Energiewandlung àb. Bei der Veratrin- und Muscarin-
vergiftung steigt dagegen anfangs der Sauerstoffverbrauch und die
Druckleistung des einzelnen Pulses; die Pulszahl sinkt jedoch so
stark, daß die Gesamtdruckleistung weit geringer ist als dem
Sauerstoffverbrauch entspricht. Besonders interessant ist, daß die
Störungen bei den Vergiftungen ganz oder teilweise durch Adre-
Daraus folgt, daß die gesamte
nalin prompt beseitigt werden.
Ennergiewandlung in nächster Beziehung zum sympathischen Nerven-
system steht.
van Leersum (14) hat die Angabe von Lubarsch, daß
mit Leber und Nebenniere gefütterte Kaninchen fast ausnahmslos
atheromatöse Gefäßwandveränderungen bekommen, einer Nachprüfung
unterzogen, und zwar mit durchaus negativem Resultat. Die makro-
skopische Untersuchung und die Bestimmung des Kalkgehalts der
Organe der Kaninchen ließen keine Abweichungen von der Norm
erkennen.
durch zu erklären, daß Lubarsch und seine Schüler Kaninchen
mit spontanem Atherom benutzten. Dagegen fand van Leersum
bei allen mit Leber gefütterten Kaninchen eine Erhöhung des Blut- _
drucks im Laufe mehrerer Wochen und Monate allmählich sich
steigernd. Durch welchen Bestandteil dieser unnatürlichen Nah-
rung die Veränderung hervorgerufen wurde, ist bislang unerklärt.
Eine Herzhypertrophie fehlte bei den Tieren durchaus.
Die Frage nach der Beeinflussung des Herzschlagvolums
durch Bäder hat in letzter Zeit durch die Verwendung verschie-
dener Untersuchungsmethoden zu einer lebhaften Diskussion ge-
führt. Otfried Müller kam mit Hilfe einer Kombination von
Plethysmographie, Blutdruckmessung und Flammentachographie zu `
dem Resultat, daß Bäder unterhalb des Indifferenzpunkts (340 ©)
das Herzschlagvolum herabsetzen, Bäder oberhalb dieser Tempe- .
ratur und Kohlensäurebäder es steigern. Zuntz und seine Schüler |
Bornstein und Plesch erhielten genau entgegengesetze Ergeb-
nisse mittels verschiedener gasanalytischer Methoden durch Be-
stimmung der Atmungsgase.
Bei diesem Gegensatze der Resultate haben Otfried Müller |
und Finckh (15) versucht, im Tierversuch Klarheit zu schaffen .
mittels Plethysmographie der Herzventrikel bei Katzen und Hunden.
Die Methode ergab eine glänzende Bestätigung der bisherigen Be-
hauptungen Otfried Müllers: Warme Bäder und Kohlensäure-
bäder steigerten, kühle Bäder verminderten das Schlagvolum des
Herzens. Schmerzhafte Heißreize durch Temperaturen über 40% C
rufen am Herzen wie an den Gefäßen eine vorübergehende Umkehr
der typischen Warmreaktion in ihr Gegenteil hervor. Da Katze
und Hund in allen andern Fällen des Kreislaufapparats ebenso
reagieren wie der Mensch, so ist anzunehmen, daß auch das Herz-
schlagvolum bei Tier und Mensch sich gleichartig verhält.
In der vielumstrittenen Frage nach dem Diphtherieherztod |
haben elektrokardiographische und anatomische Untersuchungen
von Rohmer (16) einige Aufklärung gebracht. Es lag ihm vor
allem an dem Nachweis, ob das Diphtheriegift eine specifische
Affinität zum Reizleitungssystem besitzt und ob vielleicht Zer-
störungen des letzteren für den Diphtherieherztod verantwortlich
zu machen sind. In zwei Fällen von schwerer Rachendiphtherie,
in denen die Herzerscheinungen am sechsten und achten Tag ein-
setzten, zeigten sich im Elektrokardiogramm die Erscheinungen
kompletter atrioventrikulärer Dissoziation. Die anatomische Unter-
suchung dieser Herzen ließ eine nennenswerte Veränderung des
Hauptstamms des Atrioventrikularbündels aber nicht erkennen, nur
in den Schenkeln zeigte sich etwas Verfettung und stellenweise
hyaline Degeneration der Muskelfasern, die aber die schweren kli- -
nischen Symptome in keiner Weise erklären. Es muß sich also
um eine Funktionsschädigung des Reizleitungssystems ohne ana-
Bei narkotischen Zuständen sinken alle |
Der’ Unterschied in den Ergebnissen ist vielleicht da-
tomische Veränderung gehandelt haben. In mehreren leichteren
Fällen von diphtherischer Myokarditis, die Rohmer untersuchte,
zeigte das Elektrokardiogramm nur Veränderungen, wie sie bei
schwerer Herzinsuffizienz überhaupt oft gesehen werden. l
Reinhard Ohm (17) bringt neue Untersuchungen über”den
normalen und pathologischen Venenpuls mit Hilfe seiner kombinier-
ten photographischen Methodik, der gleichzeitigen Verzeichnung
des Venenpulses, Arterienpulses und Derzschalls. Von seinen Er-
gebnissen interessiert die Ansicht übor die „vs + d“-Welle Rihls,
die Ohm nicht als Ausdruck der Stauung des venösen Bluts an
den geschlossenen Atrioventrikularklappen auffassen will, . sondern
als Folge der Durchbiegung der Pulmonalisklappe in das Lumen
des rechten Ventrikels anspricht. Stauungen mäßigen Grades
machen sich in einer Aenderung der Biegung der Kollapslinie des
systolischen Venenkollapses, als Ausdruck der Erschwerung des
Abflusses bemerkbar. Bei hochgradigen Stauungen macht die
normale atrioventrikuläre Form der ventrikulären Platz. Die der
Arbeit beigegebenen Kurven zeigen sehr anschauliche und klare
Bilder des Venenpulses und dienen der Ohmschen Methodik als
beste Empfehlung.
Rihl (18) konnte in zwei Fällen von Kammeralternans beob-
achten, daß Vaguserregung im Üzermakschen Vagusdruckversuch
eine Zunahme der Größendifferenz der alternierenden Pulse und
gleichzeitig eine Abschwächung der großen und kleinen Kammer-
contractionen bewirkte. Diese klinische Beobachtung stimmt mit
Tierversuchen von H. E. Hering überein, in denen die faradische
Reizung des rechten Vagus Dissoziation zwischen Kammer und
Vorhof und die oben beschriebenen Contractionsänderungen der
Kammern ergab. Es ist damit zum ersten Male der Beweis er-
bracht, daß auch beim Menschen der Vagus eine unmittelbare
Wirkung auf die Kammern ausüben kann, die sich in einer Ver-
änderung ihrer Contractionsstärke ausprägt. Als Ursache für die
Entstehung dieser Vaguswirkung ist in dem einen Falle vielleicht
ein erheblicher Blutverlust mit anzuschuldigen. Ä
Spier (19) stellt fest, daß das „Sportherz“ kein „schlechtes
Herz“ ist. Er hat bei dem letzten Berliner Sechstagerennen un-
sere Eliteradfahrer vor dem Röntgenschirm auf ihre Herztätigkeit
hin untersucht und festgestellt, daß trotz kolossaler Leistungen
niemals eine Dilatation vorhanden war. Nach vier- bis sechs-
stündiger Fahrt waren die Herzen entweder gleich groß oder ein
wenig verkleinert. Die Ausmessung der Röntgenogramme ergab,
daß die Herzgröße der zwölf besten Radfahrer der Welt sich inner-
halb der Dietlenschen Durchschnittszahlen der Herzgröße hielten,
nur bei einem war eine geringe Vergrößerung vorhanden. Die
Leistungsfähigkeit der Kreislauforgane aller dieser Fahrer war aber
eine unerhört gute. Von einer Erschöpfung war niemals die Rede.
Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, daß ein rationell be-
triebener, mit planmäßiger Steigerung der Leistungsfähigkeit ein-
hergehender Sport gesunden Menschen nicht schadet. Die Stati-
stiken der Lebensversicherungsgesellschaften unter andern lassen
erkennen, daß auch Arteriosklerose bei vernünftigen Sportjüngern
nicht mehr beobachtet wird als bei andern Menschen. Für Kranke
und konstitutionell durch regelmäßige Zufuhr von Giften Ge-
schwächte liegen natürlich alle Bedingungen anders.
Ehrenfried Albrecht (20) teilt seine Erfolge mit seiner
kombinierten Methode der Ueber- und Unterdruckatmung bei Herz-
kranken mit. Er sieht seine Behandlungsart als ein mächtiges,
funktionell wirkendes Hilfsmittel zur Beseitigung jeder Art von
Dilatation des Herzens an. Nur Dilatation als Begleiter akuter
Herzerkrankungen, oder im akuten Stadium, bei Beginn oder als
interkurrente Nachschübe im Verlauf chronischer Erkrankungen
verbieten die Anwendung der Methode. gi
Popoff (21) führt mehrere Fälle von syphilitischer Aortitis
an, bei denen er Fieber als Folge der Aortitis beobachtet haben
will. Meist erhob sich die Temperatur nieht über 38° C, sie gug
unter Einleitung einer Jod-Quecksilbertherapie gewöhnlich inner-
halb weniger Tage (!) zur Norm zurück.. |
Messungen der Intensität des Herzschalles mit dem Bock-
schen Differentialstethoskop hat Goldschmidt (22) ausgeführt.
Er findet in dem Bockschen Instrumente zahlreiche Fehlerquellen,
die bereits erhebliche Differenzen der Tonstärke, z. B. nach «0r
Art des Anfassens und der Stärke des Aufdrückens auf den Thon
erzeugen. Er hält aber trotzdem das Stethoskop für gentge i
zuverlässig zur Messung der Herzschallstärke. Von den a
nissen interessiert nur eine Abnahme der Schallstärke über is
Ventrikeln beim Uebergang des Patienten aus der Vertikal- m i
Horizontallage, die Goldschmidt als durch die Verminderung ®
! Pulsfrequenz bei der Lageänderung bedingt ansieht. Und ferner-
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4
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hin eine konstante erhebliche Zunahme der Töne über den Ge-
fäßen und Gleichbleiben der Ventrikeltöne bei körperlichen An-
strengungen. Verkürzung der Diastole und höherer Druck in den
Gefäßen sind wohl die Ursache dieser Erscheinung.
Unsere Kenntnisse der sogenannten physiologischen Arhythmie
beim ruhenden Gesunden hat Mosler (23) durch Pulsaufnahmen
beim Gesunden nach bestimmter Körperarbeit erweitert. Es stellte
sich heraus, daß die Frequenzverminderung des Pulses nach der
Arbeit nicht allmählich, sondern absatzweise eintritt. In den Puls-
kurven zeigen sich dabei sehr erhebliche Differenzen der Puls-
längen. Selten sind mehr als zwei Pulsschläge hintereinander
ganz identisch. Sofort nach der Arbeit bei noch hoher Puls-
frequenz kommt es häufig zu einem plötzlichen Absturz und darauf
folgend sofortigem Anstieg der Pulsfrequenz, sodaß die Kurve in
steilem Ziekzacke verläuft. In andern Fällen sinkt sie mehr treppen-
förmig. Die Art des Abklingens der Pulsfrequenz nach einer
Arbeitsleistung ist individuell sehr verschieden. Die Ursache dieser
Schwankungen liegt wohl in dem Widerspiel zwischen Vagus und
Accelerans.
| Ragnar Friberger (24) hat über Vorkommen und Art der
Kinderarhythmie bei gesunden Kindern durch sphygmographische
Registrierung des Pulses Untersuchungen angestellt und gefunden,
daß von 321 Kindern kein einziges einen völlig regelmäßigen Puls
aufwies, bei zwei Dritteln der Fälle 0,2 bis 0,3 Sekunden Differenz
in der Länge sich fand, bei 12 %/, die Längendifferenz der Pulse
0,1 Sekunde, bei 19%, 0,5 Sekunde und darüber betrug. Die
Genese der Arhythmie hält Friberger insofern für einheitlich,
als der nächste Ursprung der Unregelmäßigkeit an einem oberhalb
des Vorhofs gelegenen Punkte des Reizerzeugungs- und Reiz-
leitungssystems gesucht werden muß. Niemals wurde eine atrio-
ventrikuläre oder ventrikuläre Extrasystole, ein Blockrhythmus
oder eine Arhythmia perpetua gesehen. Gewöhnlich verlängert sich
die Dauer der Pulse allmählich während einiger Schläge, um dann
wieder nach und nach kürzer zu werden. Andere Längendiffe-
renzen des Pulses entstehen plötzlicher, um aber auch langsam
wieder abzuklingen. In keinem Falle fehlt der respiratorische
Typus der Arhythmie.
aber vielfach nicht vorhanden. Die Häufigkeit der stärkeren
Arhythmie sinkt ziemlich gleichmäßig vom 5. bis zum 12. Jahre
ab, um mit dem 13. und 14. wieder etwas anzusteigen. Ein be-
sonderer Einfluß der Konstitution, vorhergegangener Krankheiten,
neuropathischer Veranlagung auf die Häufigkeit der Arhythmie
ließ sich nicht feststellen. Die Arhythmie kann also bei Kindern
im Alter von 5 bis 14 Jahren als physiologisch angesehen werden.
Erich Schlesinger (25) beschreibt zwei Fälle von paroxys-
maler Erweiterung großer Arterien, einmal der Aorta, wobei mit
dem Anfalle der enorm gesteigerten Aortenpulsation gleichzeitig
Hämoglobinurie auftrat; das andere Mal der linken Carotis.
dieser Kranken bestand eine Struma vasculosa. Mit dem Anfalle
stellte sich eine Verengerung der linken Pupille und Lidspalte bei
leichtem Relaps des linken Bulbus ein; das Krankheitsbild ähnelte
der angioneurotischen Form der Hemikranie. Schlesinger glaubt
als Ursache der anfallsweisen Arterienerweiterung nicht wie
Ottomar Rosenbach eine Vagusneurose annehmen zu dürfen,
sondern sieht sie als passive Dehnung des Gefäßes an, verursacht
durch die plötzliche Stauung des Blutstroms vor den durch Sym-
pathicusreizung stark verengten feinsten Arterien an der Grenze
von arteriellem und capillarem Gebiete. Die Reizung sympathischer
Ganglien durch Autotoxine bei krankhaftem Ablauf des Verdauungs-
vorgangs ist wohl in erster Linie ätiologisch in Betracht zu
ziehen. Therapeutisch sind außer lokaler Applikation von Kom-
pressorien im schweren Anfalle Narkotica, manchmal auch Coffein
von Nutzen. Prophylaktisch kann man durch Reglung der Diät
und des Stuhlgangs der Wiederkehr der Anfälle vorbeugen.
An der Hand von 22 Fällen der Leipziger medizinischen
Klinik gibt Wichern (26) eine ausführliche, klare Darstellung des
Krankheitsbildes der Hirnaneurysmen. Aetiologisch mußte die
Hälfte der Fälle als kongenitale Aneurysmen angesprochen werden,
vier waren auf syphilitischer, nur zwei auf atherosklerotischer
Basis entstanden, der Rest war embolischer Natur. Unter den
Aneurysmen waren nur vier größer als eine Erbse oder Bohne,
alle andern kleiner. Es kam deshalb erst zu klinischen Erschei-
nungen bei ihrer Ruptur. Das charakteristische Bild war dann das
plötzliche Auftreten schwerer, cerebraler Erscheinungen, das Zu-
rückbleiben starker Kopfschmerzen mit ausgesprochener Nacken-
starre, die Wiederholung dieser Zustände nach verschiedenen Zeit-
räumen (Tagen oder Jahren) und endlich der jedesmal typische
Befund von zum Teil veränderten roten Blutkörperchen, von s80-
Ein Zusammenhang mit der Atmung ist
Bei
.
genannter Xanthochromie und einer sekundären Lymphocytose im
Liquor cerebrospinalis. Die Diagnose bleibt häufig namentlich
ätiologisch nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose. Der Sitz der
Aneurysmen ist nur in den seltensten Fällen sicherzustellen.
Eine chirurgische Behandlung des Leidens ist kaum möglich.
| Literatur: 1. u. 2. Kaufmann, Die zentripetalen Nerven der Arterien.
(Pflügers A. Bd. 146 u. 147.) — 3. Basler, Druck in den kleinsten Blut-
gefäßen. (Pflügers A. Bd. 147.) — 4. Hasebroek, Dikrotie des Arterien-
pulses. (Ebenda.) — 5. Aug. Hoffmann, Klinische Bedeutung des typischen
Kammerelektrokardiogramms. (D. med. Woch. Nr. 33.) — 6. Gött u. Rosen-
thal, Röntgenkymographie. (M. med. Woch. Nr. 38.) — 7. Friberger u.
Veiel, Die Pulsform in elastischen Arterien. (D. A. f. kl. Med. Bd. 107.) —
8. Friberger, Pulswellengeschwindigkeit. (Ebenda.) — 9. Siebeck, Atem-
mechanik bei kardialer Dyspnöe. (Ebenda.) — 10. Ed. Schott, Blektro-
kardiogramm bei parenchymatöser Degeneration des Herzmuskels, E onda
— 11. C. Hirsch u. Thorspecken, Experimentelle Arteriosklerose. (Ebenda.)
— 12. O. Loeb, Experimentelle Arterienveränderungen durch aliphatische
Aldebyde. (A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 69.) — 13. Erwin Rohde u.
Ogawa, Gaswechsel des Herzens unter dem Einfluß von Giften. (Ebenda.) —
14. van Leersum, Alimentäre Biutdruckerhöhung. . (Zt. f. exp. Path. u. Ther.
Bd. 11.) — 15. Otfr. Müller u. Finckh, Herzschlagvolum. (Ebenda.) —
16. Rohmer, Diphtherieherztod und Reizleitungssystem. (Ebenda.) — 17. Reinh.
Ohm, Venenpuls. (Ebenda.) — 18. Rihl, Verstärkung des Kammeralternans
durch Vagusreizung. (Ebenda.) — 19. Spier, Sportherz. (Berl. kl. Woch.
Nr. 32.) — 20. Ehrenfr. Albrecht, Behandlung Herzkranker mit Druck-
änderung der Lungenluft. (Th. d. G. August u. September.) — 21. Popoff,
Aortitis und Fieber. (Zt. f. kl. Med. Bd. 75.) — 22. Goldschmidt, Messung
der Intensität des Herzschalls. (Ebenda) — 23. Mosler, Physiologische
Arhythmie. (Ebenda.) — 24. Friberger, Arlıythmie bei gesunden Kindern.
A..f. Kind. Bd. 58.) — 25. Schlesinger, Paroxysmale Erweiterung großer
rterien. (D. med. Woch. Nr. 34.) — 26. Wichern, Hirnanueurysmen. (D. Z.
f. Nerv. Bd. 44.)
‘ Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Spontane, diffuse Blutungen in die weichen Hirnhäute sind
verhältnismäßig weniger bekannt und erst im letzten Dezennium, da die
Lumbalpunktion eine allgemeine Anwendung erlangte, haben namentlich
französische Autoren eine Anzahl hierher gehörender Fälle beobachtet und
beschrieben. In der deutschen Literatur hat bloß Ziehen eine kürzere
Darstellung des Krankheitsbildes geboten. Ehrenberg berichtet über
zwei Fälle, von denen der eine genesen ist, während der zweite zur
Sektion kam.
Im ersteren Falle, der einen 46 Jahre alten Mann mit luetischer
Anamnese betraf, traten plötzlich heftige Schmerzen im Nacken und
Hinterhaupt auf. Somnolenz mit gesteigerter Reizbarkeit und Unruhe;
der Kopf nach rückwärts gobeugt, vollständige Nackensteifigkeit, große
Druckempfindlichkeit der Halswirbel; zuweilen Schielen am linken Auge,
Nystagmus. Papillen gerötet, Retinalvenen erweitert. Keine Parese,
keine Reflexstörung. Puls regelmäßig 52 bis 56. Temperatur 38,5. Die
Lumbalpunktion ergibt stark blutiges, nicht koagulierendes Serum unter
einem etwas stärkeren als normalen Drucke. stehend, sehr viele rote und
im Verhältnis wenige weiße Blutkörperchen, die sich beim Stehen der
Flüssigkeit auf dem Boden des Gefäßes sammeln, enthaltend. Jodkali
sowie Injektionen grauen Oels haben alsbald eine Besserung herbei-
geführt, die allmählich zum Schwunde sämtlicher Symptome führte,
sodaß der Kranke nach sechs Wochen das Krankenhaus geheilt. ver-
lassen konnte. Das Krankheitsbild war dasjenige einer akuten Menin-
gitis, das plötzliche apoplektiforme Einsetzen der Krankheit sowie der
Befund der Lumbalpunktion entschieden die Diagnose einer Subarachnoidal-
blutung, welche auch in der sukzessiven, aber raschen Abnahme der
Symptome, die sich durch die Resorption des Extravasates leicht erklären
läßt, ihre Stütze gefunden hat.
‚Der zweite Fall betraf eine 57jährige Frau, die fünf Jahre vor
ihrer Erkrankung unter heftigen Kopfschmerzen mit nachfolgender Be-
wußtlosigkeit plötzlich erkrankte, innerhalb drei Monaten jedoch wieder
genesen war. Sie erkrankte nun plötzlich an heftigen Nackenkopf-
schmerzen und Bewußtlosigkeit, die zirka 20 Minuten dauerte. Den
nächsten Tag wiederholtes Erbrechen sowie Anfälle intensiver Kopf-
schmerzen mit kurzdauernder Bewußtlosigkeit mit Zuckungen in den
Gliedern und leichter Atemnot. Zwischen den einzelnen Anfällen Klagen
über Kopfschmerzen.
Im Krankenhause beobachtet man sichere Nackensteifheit, keine
Lähmung oder Hyperästhesie, deutliches Kernigsches Symptom, erhöhten
Blutdruck, viel Albumin im Urin. Unter zunehmendem Koma Tod nach
48 Stunden. Bei der Obduktion findet man in dem Maschenraum der
weichen Gehirnhäute um die Pons, Medulla oblongata bis gegen das Klein-
hirn zu, ein mächtiges Blutextravasat, welches die Gehirnsubstanz selbst
ganz unverändert gelassen hat. Leichte Arteriosklerose der Kranzarterien
und Aorta, Hypernephrom beider Nieren. Auch hier war das Bild einer
meningitischen Reizung vorhanden, der plötzliche Anfang, das kurz
dauernde Koma, das sich jedoch während der Krankheit ‚wiederholte, der
erhöhte Blutdruck, ließen den Verdacht auf eine in Absätzen erfolgte
Blutung aufkommen, die nur auf die weichen Hirnhäute beschränkt blieb,
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1912 -- MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
da typische einer Gehirnblutung entsprechenden Symptome fehlten. In
der Literatur findet man bei französischen Autoren 22 sichergestellte
Fälle spontaner Subarachnoidalblutungen, während in sieben Fällen die
Diagnose zumindest wahrscheinlich ist.
Wesentlich gestätzt wird die Diagnose durch das Ergebnis der
Lumbalpunktion, welche eine gleichförmig und stark mit Blut gemischte
Flüssigkeit ergibt, die unter starkem Druck entleert wird und aus welcher
die Blutkörperchen sich zu Boden senken, ohne daß das klare, gelbliche
oder rötliche Serum koaguliert. Die Prognose der Fälle ist nach Ziehen
dort, wo die Diagnose gestellt werden kann, ungünstig, und bietet na-
mentlich ein initiales Koma stets ein ungünstig zu deutendes Symptom.
Eine eventuell wiederholte Lumbalpunktion kann in der Behandlung bei
Beobachtung weiterer Fälle eine gewisse Bedeutung erlangen. (Hygiea,
August 1912) Klemperer (Karlsbad).
Aus der Bukarester Klinik beschreibt Danielopolu eine Dia-
gnostik der Meningitiden mittels der Taurocholnatriumreaktion. Er
geht davon aus, daß die cystologische Untersuchung der Cerebrospinal-
flüssigkeit nicht in allen Fällen genügt, eine sichere Diagnose auf Menin-
gitis zu stellen. Seine neue biologische Reaktion stützt sich auf das
Hemmungsvermögen der Cerebrospinalflüssigkeit auf die hämolytische
Eigenschaft des Taurocholnatriums. Das Taurocholnatrium besitzt die
Eigenschaft, auf das Blut verschiedener Tierarten hämolytisch einzuwirken.
Das normale Serum ist imstande, diese hämolytische Fähigkeit zu ver-
mindern, das heißt wenn man einem Gemisch von Taurocholnatrium und
' roten Blutkörperchen eine ganz geringe Menge normalen Serums hinzu-
setzt, wird die Hämolyse verhindert oder offenbar verspätet. Normale
Cerebrospinalflüssigkeit besitzt nicht das gleiche Hemmungsvermögen; es
ist vielmehr viel geringer, pathologische Flüssigkeit besitzt jedoch in viel
ausgesprochener Weise die Fähigkeit, die Hämolyse zu hemmen, und
zwar erwies sich diese Taurocholnatriumreaktion als positiv in allen beob-
achteten Fällen von Meningitis. Sie war schon zu Beginn der Krankheit
positiv, wenn in manchen Fällen die cytologische Untersuchung zur Dia-
gnostizierung der Meningitis nicht ausreichend war. In den Fällen von
Meningismus war die Taurocholreaktion stets negativ. Gleichfalls negativ
war sie bei den Flüssigkeiten, die von Individuen stammten, die im Ver-
lauf ihrer Krankheit, infektiös oder nicht, eine anormale Leukocyten-
reaktion boten, ohne daß irgendein klinisches Symptom der Meningitis
vorhanden gewesen wäre. Diese Reaktion hat außer der theoretischen
eine praktisch viel größere Bedeutung, besonders in den Fällen, die den
folgenden zwei Gattungen angehören: 1. im Beginne bestimmter Fälle
von Meningitis, in denen die Leukocytenreaktion fehlt oder die normalen
Grenzen so wenig überschreitet, daß keine Meningitis angenommen werden
kann; 2. in den Fällen von Meningismus, da das Fehlen der Leukocyten-
reaktion nicht genügt, um die Meningitisdiagnose auszuschalten. Die
Cerebrospinalflüssigkeit der Individuen, die an Krankheiten des Central-
nervensystems leiden, die mit Endzündungsprozessen der Hirnhäute ein-
hergehen, verfügt über ein Hemmungsvermögen, das ausgesprochener ist,
als jenes der normalen Flüssigkeit, aber bedeutend geringer als die
Flüssigkeit bei Meningitis. In betreff der Diagnose der Spielart der
Meningitis kann uns diese Reaktion nicht von Nutzen sein. In sämtlichen
Formen der Meningitis, die die Verfasser bisher untersucht haben, zeigte die
Cerebrospinalflüssigkeit beinahe den gleichen Grad der antihämolytischen
Wirkung. (Wr. kl. Woch. Nr. 40, S. 1476.) Zuelzer.
Während bei manifester Syphilis die Wassermannsche Reaktion
fast immer positiv ausfällt, ist dieselbe bei Fehlen syphilitischer Er-
scheinungen oft negativ. Man glaubte früher, daß das Negativwerden
der Reaktion schon Heilung bedeute oder wenigstens einen Anhaltspunkt
für den gegenwärtigen Stand der Erkrankung gebe; als sich aber heraus-
stellte, daß die Resultate bei demselben Serum variieren können, wurde
man an obiger These irre.
Blumenthal und Hercz haben nun Versuche zur Verstärkung
der Wassermannschen Reaktion gemacht; sie fanden, daß außer den
Verschiedenheiten des Extrakts und der Komplemente, noch der über-
mäßig hohe Gehalt des Serums an hämolytischen Normalambozeptoren
die Ursache dafür abgeben, die zur Vortäuschung einer negativen Re-
aktion führen. Bei ihren Versuchen zeigte es sich, daß bei Ausfällen
unverdünnter Seren mit Kaolin eine erheblichere Verstärkung der Re-
aktion eintritt, als nach Ausfällen mit Bariumsulfat, wie es Wechsel-
mann angab, Sie empfehlen daher für die Praxis ein Arbeiten mit der
Wechselmannschen Modifikation in denjenigen Fällen, in denen die
Wassermannsche Reaktion negativ ausfällt, weil erstere bei demselben
Serum, das nach Wassermann negativ ist, noch positive Resultate geben
kann. (Derm. Zt., Bd. 19, H. 9.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Geber kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schlusse,
daß die sogenannten idiopathischen Erytheme als Folge leichter, ab-
geschwächter septischer Erkrankungen auftreten können. Das morpho-
logische Bild ist abhängig von der Virulenz der Bakterien und davon,
in welcher Schicht der Haut die Veränderungen sitzen. Entweder kommt
es zu akuten Entzündungen, die nach längerer oder kürzerer Zeit ver-
gehen, oft nur einige Stunden dauern, wie die Urticaria, oder an die Ent-
zündung kann sich Eiterung und Nekrose anschließen (Pusteln, oberfläch-
liche Geschwürsbildung).
Diese Veränderungen faßt Geber als Metastasen auf, da es ihm
oft gelang, in denselben, sowie auch mitunter im Blute, die Krankheits-
erreger nachzuweisen. (Derm. Zt., Bd. 19, H. 9.) |
Eugen Brodfeld (Krakau).
Eigenartige Röntgenbefande am Dickdarme bei tiefgreifenden
chronisch-entzündlichen Prozessen beschreibt Schwarz und Novas-
cinsky aus der v. Noordenschen Klinik. In drei Fällen, von denen zwei
zur Autopsie kamen, fanden Verfasser 8 bis 24 Stunden nach Einnahme
der Wismutmahlzeit eigenartige Röntgenbilder; sie waren gekenn-
zeichnet durch bandartige, schmale, parallelrandige, höchstens Daumen-
breite erreichende, dem Verlaufe des Dickdarms entsprechende Schatten-
züge, die keine haustrale Segmentierung zeigten und bei näherer Be-
trachtung sich überwiegend als ein Konglomerat kleiner, netzartig mit-
einander konfluierender Kontraststuhlpartikelchen erwiesen. Verfasser
nehmen an, daß die geschilderten abnormen Schattenstrukturen am Kolon
hervorgerufen seien durch diffus ausgebreitete Höckerigkeit der schwer
geschädigten Schleimhaut einerseits und durch abnormen Schleimgehalt
des Stuhls anderseits. Sie halten diese Röntgenbefunde als charakte-
ristisch für tief eingreifende Läsionen der Dickdarmwand. (Wr. kl. Woch.
Nr. 39, S. 1447.) Zuelzer.
Nathan Neuville Stark, Arzt des New Yorker Lungenspitals
berichtet in anschaulicher Weise, „wie man in New York die Tuber-
kulose behandelt“, Er schreibt: Bis vor wenigen Jahren hielt man es
fast für unmöglich, einen Fali von Tuberkulose. in einem Klima, wie das
von New York eines ist, zu heilen. Einem Kranken, der an beginnender
Erkrankung der Lunge oder des Halses litt, zuzumuten, in der Stadt zu
bleiben, hätte die scharfe Kritik anderer Aerzte und des Publikums
herausgefordert; ein hohes, trocknes Klima wurde für unerläßlich ge-
halten. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre haben glänzende Re-
sultate bei Lungen- und Kehlkopftuberkulose auch in dem feuchten Klima
New Yorks geliefert; sie stammen aus der Tuberkuloseabteilung des
New Yorker Hals-, Nasen- und Lungenspitals, darunter Leute aus allen '
Nationen, mit den sonst ungünstigsten Prognosen, aus den schlechtesten
sanitären Verhältnissen heraus, meist hereditär belastet. Der Grund der
früheren schlechten Resultate liege darin, daß man zu wenig Aufmerk-
samkeit den Wohnungen und dem häuslichen Leben der Kranken go-
schenkt und sich mit Anweisungen begnügt habe, ohne sich zu ver-
sichern, ob sie auch ausgeführt wurden. Die Eröffnung der Tuberkulose-
klinik, die Einteilung der Stadt in Distrikte und Besuche derselben durch
eine Pflegerin hätten schon Wandlung geschafft. Die ideale Behandlungs-
methode werde erreicht durch den Aufenthalt in der Tuberkuloseabteilung
obengenannten Spitals. Hier wird kein Fall aufgenommen ohne aus-
gesprochene physikalische Veränderungen in Lunge oder Hals, auch keiner
mit stark vorgeschrittenen Prozessen, endlich keine solchen, die durch
zu starkes und anhaltendes Husten die Nachtruhe der andern stören
könnten. Die Kranken werden 2—4 Stunden im Tag an der freien Luft
gehalten, bei jedem Wetter. Das Tageszelt ist mit einem Wetterdache
versehen, sodaß bei Regen oder Schnee die Liegekur oder der Auf-
enthalt draußen fortgesetzt werden kann. Der Nachtraum besteht aus
einem großen Saal, 20 zu 50 Fuß breit und lang und 20 Fuß hoch, an
drei Seiten offen, mit Schutzvorrichtungen gegen Wind und Sturm. Die
Temperatur des Saals ist fast immer die gleiche wie die der Außenlaft.
Die Kranken sind reichlich mit Wäsche und Kleidern versehen, sod
sie nie über Kälte klagen. Dr. Stark sagt, er habe es noch nicht er-
lebt, daß ein Kranker die erste Nacht, die er dort zugebracht habe, nicht
besser geschlafen habe als die Nächte vorher. Ei
Die Kranken erhalten eingehende Instruktion, wie sie sich reinlich
halten und andere vor Infektion schützen können. Am Morgen erhalten die
Kranken nach dem Aufstehen eine kalte Dusche in einem warmen Baie-
raume, daneben müssen sie sich in einem ebenfalls erwärmten Raum z
ziehen und dann rasch in ihre Betten eilen. Sehr viel Gewicht wird au
Qualität und Quantität der Nahrung gelegt; medizinische Präparate voR
Fett oder Oel dürfen nicht gebraucht werden. Alle hier bebandelnden
Aerzte müssen die diätetische Heilmethode in Anwendung bringen. £
besteht die feste Ueberzeugung, daß offene Luftbehandlung, viel Rubo
mit geistiger Ablenkung, die richtige Nahrung in genügender Menge W-
stande sind, die Tuberkulose aufzuhalten und zu heilen, nicht nur IM
Gebirge, sondern auch in der Stadt.
Die Ernährung wurde nach folgenden Gesichtspunkten vorgenommen‘
Der Durchschnittsbedarf an Calorien beträgt bei einem Manne pro
zirka 3200 Calorien; der Tuberkulöse bedarf wegen der Produktion m
. November.
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1803
‘oxinen und wegen des Gewebszerfalls mehr. Sie werden folgendermaßen
erteilt:
Erstes Frühstück 7 Uhr:
! ə | Milch = 325 Cal., ein Teller Hafermehlbrei
= 150 Cal., 3 Eier = 203 Cal, 120 g Brot =
320 Cal. und zirka 35 g Butter = 280 Cal., zu-
sammen > so rn = 1278 Cal.
Zweites Frühstück 10 Uhr: !/21 Milch . = 325 „
Mittagessen 12 Uhr:
Suppe; 120 g Brot = 320 Cal., zirka 35 g Butter
= 280 Cal., !/4 kg Fleisch — 560 Cal, 120 g
- stärkehaltige Nahrung = 80 Cal., grünes Gemüse
= 50 Cal., Dessert = 100 Cal., zusammen — 1390 „
Nachmittags 3 Uhr: Ya1 Milch = 805 „
Abendessen 6 Uhr:
!/a 1 Milch = 325 Cal., 120 g Brot = 820 Cal.,
35 g Butter = 280 Cal., !/ı kg kaltes Fleisch =
560 Cal., zirka 120 g stärkehaltige Nahrung =
80 Cal., Dessert = 100 Cal., zusammen . . = 1665 „
| Summa = 4083 Cal.
Die beigegebene Kasuistik von zehn geheilten Fällen ist ganz
zu angetan, diese Behandlungsmethode zu empfehlen; bei allen ist auf-
llig die starke Zunahme des Gewichts.
Dr. Stark warnt davor, die Patienten zu früh zu ihrer Arbeit
rückkehren zu lassen. Sechs oder mehr Monate sollten verstreichen,
chdem die Krankheit zum Stillstande gekommen sei. Ferner sollte ein
Geheilter sich keiner Operation unterziehen, wenigstens nicht in der
se oder im Halse. Wichtig ist die frühzeitige Diagnose und Isolierung.
Y. med. j. 4. Mai 1912, S. 927.) Gisler.
I. v. Benczur (Koranyische Klinik) beschreibt seine physi-
lische Behandlung des Lungenemphysems. Aus seinen Beobachtungen
ht hervor, daß die Straßburgersche Methode, den Emphysemkranken
ein Vollbad zu setzen, den Kranken in einzelnen Fällen eine vorüber-
hende geringe Linderung verschafft. Bei schweren Emphysematikern
nanen wir die Dyspnö in einzelnen Fällen ein wenig lindern, wenn
' den Kranken beständig eine oder mehrere Stunden täglich einen
iten, aus Leinwand verfertigten Gürtel tragen lassen, mit welchem wir
ı untern Teil des Thorax stärker, den obern nur geringer kompri-
sren. Den optimalen Grad der Kompression muß der Kranke seinem
nen Gefühle nach aussuchen. (Wr. kl. Woch. Nr. 39, S. 1444.)
Zuelzer.
Josef Sorgo hat sehr ausführlich die chirurgische Behandlung
*" Lungeutuberkulose unter Berücksichtigung der gesamten Literatur
| seiner eignen Erfahrungen besprochen. Er kommt zu folgendem Re-
tate: Der künstliche Pneumothorax schafft durch den Kollaps und die
mpression der Lungen die günstigsten Heilungsbedingungen für die-
be. Das ist eine erwiesene Tatsache. Unter diesem Gesichtspunkt
die Anwendung der Therapie gerechtfertigt bei allen schweren ein-
igen Phthysen. Es ist aber nicht erwiesen, daß der künstliche
umothorax auch in der andern Lunge günstige Heilungsbedingungen
zo. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Der künstliche Pneumothorax
irkt auch in den meisten Fällen eine Abnahme des Körpergewichts,
on Ursache noch unbekannt ist und welche geeignet sein kann, in der
ern Lunge die Tendenz zur Propagation des tuberkulösen Prozesses
steigern. Daher soll man nur solche Fälle der Behandlung unter-
en, in denen die Erkrankung der andern Lunge auf die Spitze be-
'änkt, leichten Grades und von gutartiger Tendenz ist. Um diese
er zu erkennen und um sie zu fördern, ist eine vorausgehende
ere Heilstättenbebandlung und -Behandlung wünschenswert. Das
ultat der Behandlung ist in letzter Linie abhängig von dem Ver-
en der andern Lunge. Eine sichere Prognose ist in dieser Hinsicht
Abschluß der Behandlung nicht möglich, da nach vielen Monaten
ı auch Erkrankungen leichtester Art progredient werden können.
. kl. Woch. Nr. 34, S. 1279.) Zuelzer.
Berdez und Exchaquet haben 28 Fälle von Myoma uteri mit
tgenstrahlen behandelt, teils nach der Methode von Albers-
önberg, teils nach derjenigen von Bordier. Die Patientinnen
den im Alter von 37 bis 60 Jahren; es wurden je 7 bis 34 Be-
lungen vorgenommen, die, abgesehen von leichten Erythemen, stets
toleriert wurde. Zur Verwendung kamen sehr penetrante, durch
ninium filtrierte Strahlen. In 15 Fällen soll völlige Heilung ein-
sten sein, siebenmal eine objektive wie subjektive Besserung; bei
r Patientin war das Resultat gleich null, die übrigen entzogen sich
Behandlung oder ließen zur Zeit der Veröffentlichung noch keine Be-
lung zu. In verschiedenen Fällen, besonders bei den jüngeren Pa-
tientinnen, ging die Cessatio mensium mit Wallungen und Schlaflosig-
keit einher. (Soc. vandoise de méd. — Presse méd. 1912, Nr. 64.)'
Rob. Bing (Basel).
Zur Verbesserung der Gewichtsbezeichnungen auf Rezepten
macht Erich Harnack folgende Vorschläge:
1. Statt der Dezimalbrüche auf Rezepten sollen die Gewichte nur
. durch ganze Zahlen (ohne Komma und Null) oder durch echte gemeine
Brüche oder durch beides zugleich (z. B. 14) angegeben werden. Un-
echte Brüche (z. B. 4) sind zu untersagen.
2. Jeder Zahlenangabe muß stets eins der beiden Siegel:
6 (= Gramm) oder M (= Milligramm) unmittelbar vorgesetzt werden.
3. Der Bereich des Siegels M geht von der kleinsten, in ge-
meinem echten Bruch anzugebenden Menge aufwärts bis zur ganzen Zahl
99 inklusive, der Bereich des Siegels Œ von „,; (= 0,1) ab aufwärts
bis zu jeder gewünschten Höhe in ganzen Zahlen.
Die beiden vorgeschriebenen Siegel sind ganz verschieden ge-
formt, das eine (M) aus Winkeln, das andere (G) aus Bögen, eine
Verwechslung beider ist selbst bei flüchtiger Schrift ausgeschlossen.
Zweckmäßig ist es, die Brüche stets mit. horizontalem Trennungs-
striche zu schreiben.
Man hat hierbei nichts umzulernen, sondern muß sich nur daran
gewöhnen, in Grammen und Milligrammen zu denken. Alle sonstigen
Bezeichnungen, wie Dezigramm, Zentigramm, fallen weg.
Es müßte also geschrieben werden:
statt 0,0001 . M 1r statt 01 . .. Gib
» 0,0005 . M} 2 05..:...0G% o
» 0,001 Mi k 15 . G1
a 0,01 M10 „ 100,0 . G 100.
_ Das’ dritte, lediglich für die Tropfenbezeichnung anzuwendende
Siegel bleibt das alte „gtt“, dem die Zahl in römischen Ziffern folgt
(gtt X). (D. med. Woch. 1912, Nr. 39.) F. Bruck.
Bei einem 53jährigen Patienten mit Paralysis agitans hat Leriche
(nach Analogie der Försterschen Operation bei Littlescher Krank-
heit usw.) rechterseits die sechste und siebente, linkerseits die sechste
Hinterwurzel des Halsmarks durchschnitten. Er ging von der Annahme
aus, daß bei der Parkinsonschen Krankheit, so dunkel auch ihre Pa-
thogenese erscheint, periphere Reize am Zustandekommen der Muskel-
starre und des Zitterns mitwirken. Die Operation habe den Tremor
wesentlich gebessert, sodaß trotz unveränderter Muskelrigidität die
oberen Extremitäten mehr Bewegungsfreiheit bekommen hätten. Der
Patient wünsche selbst eine Wiederholung des Eingriffs im Bereiche der
Untergliedmassen. (Lyon chir. 1912, S. 287.) Rob. Bing (Basel).
Gegen Leucoplakia oris et linguae empfiehlt Avi6rinos folgen-
des Verfahren: Nach gründlichem Trocknen der kranken Partien werden
sie je 20 Tage hintereinander zunächst mit einer 10°/oigen, bei guter
Toleranz später mit einer 20°/,igen Lösung von Kupfersulfat in einem
Wasserglyceringemische (zu gleichen Teilen) betupft. Diese Anwendung
geschieht am besten morgens, nach vorausgegangener Mundspülung mit
Decoctum althaeae. Nach je 20 Tagen Behandlung sollen zehn Tage
Ruhepause eingeschoben werden. (Presse méd. 1912, Nr. 49.)
Rob. Bing (Basel).
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Amphotropin,
camphersaures Hexamethylentetramin .CsHı«(COOH)s . [(CHa)eN4Ja ist ein
internes Harnantisepticum von intensiver Wirkung bei guter Bokömm-
lichkeit.
Indikationen: Zufolge seiner diuretischen Wirkung, die mit einer
beschleunigten Regeneration von krankhaft aufgelockertem Epithel ein-
hergeht und seiner bactericiden, die Entwicklung entzündlicher Vorgänge
verhindernden Eigenschaften ist Amphotropin besonders indiziert bei
Bakteriurie, bei chronischer und subakuter Cystitis, Pyelitis, nicht tuber-
kulöser Pyelonephritis, bei Nephritis und bei schwächeren Formen von
harnsaurer Diathese. Nebenwirkungen oder irgendwelche Beschwerden
sind nicht beobachtet worden. Alkalischer Harn wird alsbald wieder
sauer nach Amphotropindarreichung, zum mindesten aber neutral. Die
Harnzersetzung wird gleichzeitig verhindert beziehungsweise hint-
angehalten. Die bactericide Wirkung des Amphotropins erstreckt sich
auch auf solche Bakterienarten, denen gegenüber andere Harnantiseptica
versagen.
Darsteller: Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst
am Main.
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1804
‘Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Ein neuer Apparat zur Attikspülung des Ohres
von Dr. Oscar Beck, Assistent der Universitäts-Ohrenklinik in Wien.
Eine gewöhnliche Glas- oder Metallfiasche, die mittels eines Häk-
chens am Rocke des Arztes angehängt werden kann, ist mit einem doppelt
durchbohrten Stöpsel verschlossen. Durch jede Bohrung geht ein Glas-
rohr, von denen das eine mit einem Gebläse verbunden ist. Das andere
SEEN Glasrohristdurch
einen Gummi-
schlauch mit dem
Attikröhrchen
verbunden. Ein
kleiner Sperr-
hahn, der mit
derselben Hand,
die das Attik-
röhrchen bält, zu
regulieren undam
Gummischlauche
nach Belieben
verschiebbar ist,
ermöglicht es, in
jedem Moment
den Wasserstrahl
nicht nur zu
unterbrechen,
sondern auch in
seiner Stärke zu
variieren.
Nachdem die
Flasche mit Was-
ser gefüllt und
= verschlossen ist,
== |; wird das Gebläse
SS u aufgeblasen.
Nach Einführung
== T = | des Attikröhr-
i a a E E T | chens öffnet man
den Sperrhahn und nach den physikalischen Gesetzen des Xeronsballs wind
das Spülwasser unter jenem Druck ausströmen, den man jeweilig wünscht.
Der Apparat ist bei der Firma Carl Reiner & Lieberknecht, Wien,
Marianneng. 13, erhältlich. |
Bücherbesprechungen.
Adam, Ophthalmoskopische Diagnostik an der Hand typischer
Augenhintergrundbilder. Mit 86 mehrfarbigen Abbildungen auf
48 Tafeln und 18 Textabbildungen. Berlin u. Wien 1912, Urban
& Schwarzenberg. Preis M 21,—.
Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, eine systematische An-
leitung zur ophthalmoskopischen Diagnosenstellung zu geben, welche
durch die bildliche Darstellung nur unterstützt werden soll. Deshalb hat
er als Einteilungsprinzip die im Augenhintergrunde sichtbaren Verände-
rungen genommen: Blutungen, schwarze Herde, weiße Herde usw., und
versucht auf Grund dieser Zeichen zur Diagnose und klinischen Auf-
fassung des Krankheitsbildes zu kommen. Diese Aufgabe hat er mit
vollem Erfolge gelöst. Das Buch wird zum Studium der ophthalmo-
skopischen Diagnostik eine vortreffliche Anleitung sein. Darüber hinaus
hat aber das Buch noch einen außerordentlichen Wert für allgemeine
Praktiker wie für Spezialisten, weil Verfasser, ein Schüler Julius
von Michels, dessen Andenken das Buch gewidmet ist, sich bemüht,
den Zusammenhang zwischen den Augenspiegelbildern und den zugrunde
liegenden Allgemeinleiden klar herauszuschälen.
Es kann deshalb das eingehende Studium des Buches dem Studie-
renden sowohl wie dem fertigen Praktiker, besonders aber auch dem
Nervenarzt und Syphilodologen aufs wärmste empfohlen werden.
Den inneren Vorzügen des Buches entspricht die äußere Aus-
stattung an Papier, Druck und bildlicher Darstellung.
| Brandenburg (Trier).
Walter Wolff, Taschenbuch der Magen- und Darmkrankheiten.
Mit 13. Textabbildungen und 1 farbigen Tafel. Berlin und Wien 1912,
Urban & Schwarzenberg. 168 Seiten. M 4,—.
Der Verfasser gibt eine gedrängte Uebersicht über die Pathologie
und Therapie der Erkrankungen des Magens, des Darmes und der Speise-
röhre. Der allgemeine Teil des Buches bringt ausführlich und anschaulich
die als nützlich bewährten und für den Arzt brauchbaren klinischen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44
3. November,
mikroskopischen und chemischen Untersuchungsverfahren der Organe und
ihrer Abscheidungen und im Anschlusse daran die diätetische, physikalische
und arzneiliche Behandlung. In dem speziellen Teil des Taschenbuchs
werden nach den Magenkrankheiten im engeren Sinne die mittelbar ent-
standenen Funktionsstörungen skizziert. Von Wichtigkeit für den Leser
sind hier die differentieldiagnostischen Auseinandersetzungen und die aus-
. führlichen Kostzettel und Diätschematas. In dem Gebotenen sind die Er-
fahrungen niedergelegt, die der Verfasser als Oberarzt an der-Ewald-
schen Klinik in mehrjähriger Tätigkeit gemacht hat.. Das kleine inhalt-
reiche Werk ist damit zugleich der Ausdruck für das auf dieser für die
Lehre von den Verdauungskrankheiten so fruchtbaren und ergebnisreichen
Arbeitsstätte Erprobte und Geübte. Die zweckmäßige Auswahl und Dar-
stellung des Stoffes, die Beschränkung auf das durch die Bedürfnisse der
Praxis Geforderte, die gute Ausstattung mit Abbildungen von Instra-
menten und mikroskopischen Präparaten verleihen dem Wolffschen Leit-
faden die Eigenschaften eines guten Taschenbuchs, das hiermit den
Aerzten besonders empfohlen sei. K. Bg.
Lebenserinnerungen von Franz König. Mit einem Porträt Königs.
Berlin 1912, August Hirschwald. 155 Seiten. Broschiert M 2,—.
Es sind hier die Gedanken und eigenhändigen Aufzeichnungen
Königs, welche der vorliegenden Schrift ihren besonderen. Reiz ver-
leihen. Sie führen den Leser von der Mitte des verflossenen Jahrhunderts
durch die große Zeit des Erwachens der Chirurgie bis in die Gegenwart
mit ihrer aufs beste ausgebildeten Aseptik. War uns hiervon auch schon
vieles bekannt, wir erblicken doch hinter jedem Satze, hinter manchem
Kraftausdrucke die knorrige, aufrechte Gestalt des Göttinger Alten, eines
Mannes, dem Grundsätze und ein aufs höchste ausgebildetes Verant-
wortlichkeitsgefühl nicht nur Schlagworte waren, in dessen Gemüt aber
nichtsdestoweniger ein nur zu fein ausgeprägter Sinn für alles, was ihn
umgab und ihm je begegnete, schlummerten. So entbehrte auch der
Lebensgang Königs trotz vielem, was ein in diesem Maße erfolg- und
tatenreiches Dasein äußerlich wohl beneidenswert ‘erscheinen läßt, nicht
der Tragik, die überall dort zu finden ist, wo der einzelne zu hohe An-
forderungen an sich und andere stellt, Ansprüche, denen die allem
Menschlichen nun einmal anhaftende Unzulänglichkeit in diesem Umfange
nie gerecht werden kann. Neben seiner Göttinger Lehrtätigkeit und
Forscherarbeit bleiben der Aufbau der Chirurgischen Charitöklinik in
Berlin und ihre bis ins kleinste nach den Anordnungen des Meisters er-
folgte Ausgestaltung die beiden Marksteine in Königs Leben. „Immer
wieder aufs neue berührte ihn die Schicksalsfrage seiner Kranken tief
_ Nur die ernsteste Erwägung des Für und Wider bestimmte die Indikation
seines Handelns.“ Diese Sätze aus der so warm empfundenen, form-
vollendeten Erinnerungsrede seines Schülers Otto Hildebrand kem-
zeichnen König als Arzt und Menschen. |
Leider war sein Lebensabend kein ungetrübter. Schweres körper-
liches Leiden breitete seine Schatten Jahre hindurch über Tage und
Nächte des anscheinend so rüstigen, unangreifbaren Körpers. Morbus ipse
senectas! So raffte der Tod, den König so oft bezwungen, und zuletzt
doch herbeigesehnt, als Tröster den 78 jährigen auf seinem Krankenlager
in der Charité dahin, dort, wo er selbst Stein auf. Stein gefügt und nun
ausgesöhnt mit allem, was er je an Freud’ und Leid erfahren, noch die
letzten bewußten Worte aussprechen konnte: „Es war ein schönes, langes
Leben“. Wenn je, so findet auf König der Spruch des alten griechischen
Tragöden Anwendung „Adoc avdpwrw dam“ — des Menschen Charakter
ist sein Schicksal. . .. Erwin Fr.
K. Basch, Ueber Ammenwahl und Ammenwechsel vom Stand
punkt einer Physiologie und Pathologie des Milchapparats
Mit 24 Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln. Wiesbaden 1912,
J. F. Bergmann. 49 Seiten. M 1,80. nn
Der erste Abschnitt befaßt sich, wesentlich basiert auf die eignen
Untersuchungen des Autors, mit der Mechanik des Saugens und den be-
züglichen Störungen. In sehr dankenswerter Weise werden ‚die wenig
bekannten und noch weniger gewürdigten Tatsachen, illustriert durch
ausgezeichnete Abbildungen, klar und einfach dargestellt. Hiernach folgt
die Schilderung der Momente, von denen die Tätigkeit der Brustdrüs
abhängt, Momente, die, wie bekannt, durch die Arbeiten des Autors
wesentlich aufgeklärt worden sind. In diesen Abschnitten liegt der
Schwerpunkt des kleinen Werkes. Leider läßt sich für die praktische nn
teilung und Wahl der Amme und für die Begutachtung des Ammenwechseb
aus den theoretischen Darlegungen wenig Kapital schlagen, sodab Baso
hierzu wenig neue Gesichtspunkte beibringen kann. Um s0 interessantes
ist es, daß der Verfasser glaubt, gestützt auf seine Arbeiten über P
Auslösung der Milchsekretion, Aussicht eröffnen zu können auf 00
Möglichkeit der Behandlung der Hypogalaktie mit Organextrakten.
Die äußerst anregend geschriebene Abhandlung wird Praktikon
und Spezialisten dringend zum Studium empfohlen. |
Engel (Düsseldorf).
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44. 1805
. Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat- Versicherung).
Rediglert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Aus is Medizinischen Universitätsklinik zu Bonn.
Gehirnblutung bei einem Arteriosklerotiker als Folge
einer Durchnässung anerkannt. Tod an erneuter Blutung
nicht Unfallfolge.
Von |
Geh. Rat Prof. Dr. F. Schultze und Priv.-Doz. Dr. H. Stursberg.
Wilhelm L. wurde vom 11. bis 29. Mai 1910 in der Medi-
zinischen Klinik beobachtet. Im Jahre 1897 hat er angeblich an
Rheumatismus, 1898 an Ischias gelitten, 1909 im Anschluß an
eine Verletzung der Hand mit Anschwellung der Hand und der
Drüsen Blutspucken gehabt, welches einen bis zwei Tage in geringem
Grad anhielt. Krankenhausbeobachtung habe damals keine Ur-
sache hierfür ergeben.
Am 14. Februar 1909, mittags 18/4 Uhr, wəllte er seiner
Angabe nach im Förderkorb aus der Grube ausfahren. Durch
eine Störung an der Pumpe der dritten Sohle seien von hier zur
vierten Sohle ziemlich erhebliche Wassermengen herabgestürzt,
und dadurch sei er ebenso wie die übrigen im Korbe befindlichen
Leute vollständig durchnäßt worden. Durch die Zeugenaussagen.
wird diese Angabe durchaus bestätigt. Aus ihnen geht hervor,
daß sich auf dem Förderkorb ein Blechdach befand, welches aber
in der Mitte einen 5 bis 10 cm breiten Spalt aufwies. L. fuhr
zutage, zog trockene Kleider an und begab sich dann wieder zu
seiner Arbeitsstelle in der vierten Sohle, die er, ohne durchnäßt
zu werden, auf einem andern Wege erreichte. Er arbeitete dann
noch acht Stunden, nachdem er bereits vorher eine achtstündige
Schicht gemacht hatte.
Am folgenden Tage verfuhr L. seine regelmäßige Schicht,
er will aber damals Kopfschmerzen, Schwindel und Frost bemerkt
haben. Am 26. Februar nahmen diese Beschwerden angeblich
stark zu, sodaß er sich krank melden mußte. Nach dem Berichte
von Herrn Dr. S. trat dann in der Nacht vom 26. zum 27. Fe-
bruar ein Erregungszustand ein; L. sei nach der Schilderung der
Hausgenossen sehr unruhig gewesen, habe im Hause umhergetobt
und sei von einem Zimmer zum andern gewandert. Als der Arzt
ihn dann am folgenden Morgen untersuchte, fand er ihn bewußt-
los, die Pupillen träge reagierend, den Puls langsam, und ordnete
Ueberführung ins Krankenhaus an. Dort wurde nach der Mit-
teilung von Dr. S. eine rechtsseitige Lähmung mit Störungen des
Empfindungsvermögens festgestellt. Dr. S. bemerkt noch, daß ihm
pereits damals eine starke Schlängelung der Schläfenarterien auf-
zefallen sei. Im Krankenhause wurde regelrechter Urinbefund fest-
restellt. —
L. ist ein sehr kräftig gebauter Mann mit ausreichender
Muskulatur, ziemlich gutem Fettpolster. Das Gesicht erscheint
neistens etwas stärker gerötet. Auf der Stirn, dem Nasenrlicken
ınd der rechten Wange sind mehrere rundliche, etwas gelblich
sefärbte alte Narben, angeblich von einer Pockenerkrankung im
rsten Lebensjahre herrührend, zu erkennen. Am linken Beine
indet sich eine ziemlich große alte Brandnarbe. Die Unter-
uchung der Lungen ergab zeitweise über der rechten Spitze
pärliches, kleinblasiges Rasseln, im übrigen regelrechten Befund.
Das Herz ist nach links verbreitert (bis 1 cm außerhalb der
3rustwarzenlinie), die Herztöne sind rein. Der zweite Ton über
ler Brustschlagaderklappe ist paukend.. Die Speichen- und
schläfenschlagadern sind deutlich verhärtet und stärker als normal
eschlängelt, das Arterienrohr ist ziemlich eng, der Blutdruck
tark erhöht (bis 250 nach Riva- Rocei). Der Puls war meist
eschleunigt, 96 bis 120 Schläge in der Minute. Veränderungen
n: den Verdauungsorganen waren nicht erkennbar. Der Harn
urde meist in regelrechter Menge entleert, nur einmal betrug
ie Menge etwas mehr als 21 in 24 Stunden. Das specifische
tewicht schwankte zwischen 1012 und 1022. Zeitweise fand sich
iweiß in mäßiger Menge im Harne, zu anderer Zeit nur geringe
lengen, gelegentlich gar kein Eiweiß. Dementsprechend fanden
ich bei mikroskopischer Untersuchung zeitweise ziemlich zahl-
eiche Cylinder verschiedener Art, zu anderer Zeit nur ver- |
, erweitert waren, für das Blut also ein verhältnismäßig weites
Strombett boten, und wenn nunmehr durch eine plötzliche
inzelte.
Die Untersuchung des Nervensystems ergab Steigerung der
nie- und Achillessehnenreflexe sowie der Armreflexe rechterseits.
erner fand sich auf der rechten Seite bei Reizung der Fußsohle
ine Aufwärtsbewegung der großen Zehe (B abinskisches Zeichen)
nd Herabsetzung des Bauchdeckenreflexes. \
Die Kraft des Fechten Armes und der rechten Hand ist
mäßig herabgesetzt. Bewegungen werden nur langsam und mit
Anstrengung ausgeführt. Die Kraft des rechten Beins ist be-
trächtlich herabgesetzt. In ihm bestehen starke Muskelspannungen,
während solche im rechten Arme nur in geringem Maße erkenn-
bar sind. Der Gang ist schwerfällig, das rechte Bein wird mit
schleifender Fußspitze etwas nachgezogen.
Auf der ganzen rechten Körperseite ist angeblich die Be-
rührungs- und Schmerzempfindung herabgesetzt und zwar am
stärksten an der Außenseite des Unterschenkels und am Fuß, an
der Innenseite des Oberschenkels, an. der Außenseite des Leibes
und an der Hand.
Die Untersuchung der Gehirnnerven ergab deutliches Zurück-
bleiben der rechten Mundhälfte beim Zähnezeigen, geringe Ab-
weichung der Zunge nach rechts und Behinderung ihrer Be-
wegungen nach dieser Richtung. Die Sprache war nicht deutlich
beeinträchtigt.
Zeitweise klagte L. über Kopfschmerzen und geringen
Schwindel, zu anderer Zeit war er angeblich beschwerdefrei. _
Begutachtung. Außer dem unbedeutenden Katarrh der
rechten Lungenspitze, der mit dem Unfall nicht in Zusammenhang
steht, finden sich bei L. die Zeichen einer erheblichen Schlagader-
verhärtung, verbunden mit Verdickung der linken Herzkammer
und Störungen in den Nieren, ferner Reste einer mit größter
Wahrscheinlichkeit durch eine Gehirnblutung veranlaßten rechts-
seitigen Lähmung. —
Daß die Schlagaderverhärtung und die mit ihr zusammen-
hängenden Zustände nicht durch den von L. geschilderten Be-
triebsvorgang hervorgerufen sind, ist zweifellos und bedarf
keiner besondern Erörterung. Es handelt sich vielmehr nur um
Beantwortung der Frage, ob der angeschuldigte Betriebsvorgang
bei Entstehung des Schlaganfalls eine wesentliche Rolle gespielt
hat oder ob anzunehmen’ ist, daß der Anfall auch ohne eine
"äußere Einwirkung eingetreten wäre. Hier ist zunächst hervor-
. zuheben, daß das herabstürzende Wässer eine erhebliche mecha-
. nische Einwirkung auf den Kopf des L. nicht wohl ausgeübt
haben kann. L. selbst möchte den Vorfall zwar in diesem Sinne
darstellen, die durch die Zeugenaussagen gegebene Beschreibung
des Förderkorbs macht aber seine Aussage in“ dieser Richtung
unwahrscheinlich. Denn selbst wenn er gerade unter dem Dach-
spalte stand, so würde er seinen Kopf bei der Enge des Spaltes
doch ohne weiteres durch Beiseitebiegen ausreichend haben
schützen können und das ohne Zweifel schon unwillkürlich ge-
tan haben.
Es bleibt also nur zu erörtern, ob die völlige Durchnässung
des L., die jedenfalls zu einer starken Abkühlung des Körpers
geführt hat, als Ursache des Schlaganfalls zu betrachten ist.
Daß eine derartige Einwirkung bei völlig gesunden Gefäß-
system zu einer Schlagaderzerreißung im Gehirne führen könnte,
halten wir für ausgeschlossen. Es muß aber als sicher an-
genommen werden, daß L. bereits zur Zeit des Unfalls an Schlag-
aderverhärtung litt und dadurch zu derartigen Zerreißungen ge-
neigt (disponiert) war. Da wahrscheinlich damals auch schon eine
Blutdrucksteigerung, wenn vielleicht auch nicht in dem Maße wie
jetzt, bestand, so ist die Möglichkeit durchaus anzuerkennen,
daß auch ohne jede äußere Einwirkung zu etwa der gleichen Zeit
ein Schlaganfall eingetreten wäre. Anderseits sind wir aber. nicht
in der Lage, uns der Anschauung der Herren Prof. L., Dr. N.
und Dr. S. anzuschließen, die in ihrem gemeinsamen Gutachten
die Möglichkeit eines Einflusses der Durchnässung auf den Ein-
tritt der Gehirnblutung völlig abweisen.
Für unsere abweichende Stellungnahme führen wir folgen:
des als Begründung an. Es ist eine bekannte Tatsache, daß
eine Abkühlung der Haut zu einer Zusammenziehung der Haut-
gefäße und infolgedessen zu einer Blutdrucksteigung in den
inneren Organen führt, die schon unter normalen Umständen
nicht ganz unbeträchtlich ist. Wenn nun gar, wie das bei L.
nach seiner Angabe der Fall gewesen zu sein scheint, die Haut-
gefäße infolge von Erhitzung bei der Arbeit zunächst stark
Durchnässung eine starke Zusammenziehung dieser erweiterten
Gefäße hervorgerufen wurde, so muß sich die Zunahme des
Drucks in den Gefäßen des Körperinnern besonders stark be-
I merklich machen. Bestand nun schon vorher, wie wir bei L. an-
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1806
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
gn A
3. November.
nehmen müssen, eine Blutdrucksteigerung und eine Verhärtung
der Schlagadern, welche deren Dehnbarkeit herabsetzt, so muß
eine durch die Zusammenziehung der Hautgefäße hervorgerufene
Blutdrucksteigerung besonders stark zur Geltung kommen. Daß
dadurch für erkrankte, einer regelwidrigen Druckzunahme gegen-
über nicht mehr ausreichend widerstandsfähigen Gefäße besonders
ungünstige Verhältnisse geschaffen werden, bedarf wohl keines
Beweises. Nebenbei sei bemerkt, daß dieser Gefahr schon seit
langem auf Grund der ärztlichen Erfahrung praktische Bedeutung
beigemessen wird, wie daraus hervorgeht, daß Kranken mit Schlag-
aderverhärtung kalte Bäder verboten zu werden pflegen.
Wäre der Schlaganfall bei L. unmittelbar nach der Durch-
nässung eingetreten, so würden wir mit großer Wahrscheinlich-
keit einen ursächlichen Zusammenhang annehmen. Die Schwierig-
keit liegt im vorliegenden Falle darin, daß die Gehirnblutung erst
nach mehr als zweitägigem Zwischenraum eintrat. Dieser Umstand
kann aber nicht entscheidend sein, weil z. B. nach Verletzungen
anderer Art gar nicht selten sogenannte „Spätapoplexien* ein-
treten, das heißt Schlaganfälle, die als durch den Unfall veranlaßt
angesehen werden müssen, obwohl sie erst nach einem mehr oder
minder langen Zeitraum eintreten. Man muß in solchen Fällen
annehmen, daß unter der Einwirkung der Verletzung eine Ver-
änderung in der Gefäßwand, etwa ein Einreißen einer Wandschicht,
oder ein weiteres Einreißen einer vorher bereits geschädigten Stelle
eintrat, daß die Gefäßwand aber nicht sogleich vollständig zerstört
wurde. Erst allmählich gibt das Gefäß dem Blutdrucke nach und
wird endlich an der geschädigten Stelle soweit verändert, daß die
Wand nicht mehr genügend widerstandsfähig. bleibt und infolge-
dessen einreißt.
Ob sich bei L. ein derartiger Vorgang abgespielt hat, ist
nicht mit unbedingter Sicherheit zu entscheiden. Die Möglichkeit
müssen wir durchaus anerkennen, und wenn die Angaben des L.
über bald nach dem Unfall eintretende und bis zum Eintritte. des
Schlaganfalls zunehmende Beschwerden richtig sind, scheint uns
auch die Annahme einer etwas überwiegenden Wahrscheinlichkeit
zugunsten eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der
Durehnässung und dem Schlaganfalle gegeben.
L. ist zurzeit vollständig erwerbsunfähig, und zwar sind
etwa 80°, der vollständigen Erwerbsunfähigkeit den Folgen des
Schlaganfalls zur Last zu legen. Am 25. Mai 1909 wird wahr-
scheinlich die Behinderung durch die Folgen des Schlaganfalls
noch größer gewesen sein, sodaß damals L. durch ihn allein er-
werbsunfähig war.“
Das Schiedsgericht schloß sich diesem Gutachten an und
hielt es „unter Würdigung der sonst in Betracht kommenden
Umstände für genügend wahrscheinlich gemacht, daß der Unfall
vom 24. Februar 1909 wenigstens als wesentliche mitwirkende
Ursache für die Erkrankung und den Schlaganfall des L. zu be-
trachten ist“.
Die Berufsgenossenschaft legte gegen dieses Urteil Rekurs
ein, der Verletzte starb aber inzwischen und die Witwe stellte
den Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente In dem
dadurch veranlaßten neuen Verfahren wurde nochmals ein Gut-
achten von uns eingefordert, in welchem wir folgendes ausführten:
„Die weiteren Erhebungen haben wesentlich neue Gesichts-
punkte nicht erbracht, sodaß wir an unserer Beurteilung des ur-
sächlichen Zusammenhanges zwischen der Durchnässung und dem
Schlaganfall festhalten müssen. u
Zu den Ausführungen von Herrn Prof. L. bemerken wir,
daß zwar die von ihm angeführte Anschauung über die Ent-
stehungsursache von sogenannten „Spätapoplexien“ als Folge einer
durch die Verletzung entstandenen Erweichung von Gehirn-
substanz, durch die erst mittelbar eine Gefäßschädigung und
Blutung herbeigeführt werde, von Bollinger, der den Begriff
der Spätapoplexie aufstellte, vertreten worden ist, daB wir aber
diese Auffassung nicht in allen Fällen als berechtigt anerkennen
können. Vielmehr trifft sicher für viele Fälle eine Auffassung zu,
wie wir sie in unsern früheren Gutachten darlegten, daß nämlich
durch die Unfalleinwirkung eine Schädigung einer Gefäßwand her-
beigeführt wird, die in ihrer weiteren Entwicklung späterhin zu
einer Blutung führt. Auf Grund dieser Anschauung, nicht der
ursprünglichen, von Bollinger ausgesprochenen, übrigens von
andern Untersuchern bekämpften Auffassung haben wir das Bei-
spiel der Spätapoplexie herangezogen.
L. ist inzwischen am 3. Oktober 1910 gestorben, und zwar
an einem Schlaganfall. Genauere Angaben über die dem Tode
vorausgehenden Erscheinungen sind in den Akten nicht enthalten.
Die Oeffnung der Leiche wurde von der Witwe verweigert.
In unserm früheren Gutachten haben wir bereits betont,
daß ein Zusammenhang der Schlagaderverhärtung und der mit ihr
zusammenhängenden Zustände (Herz- und Nierenveränderungen)
bei L. mit dem angeblichen Betriebsunfalle vom 24. Februar 1909
durchaus abzulehnen ist, und haben uns demgemäß bei der Be-
antwortung der Frage nach der durch den angeblichen Unfall
herbeigeführten Erwerbsbeschränkung nur mit der Entstehung des
Schläganfalls beschäftigt. Wir müssen auch jetzt an der Auf-
fassung festhalten, daß ein einmaliger Unfall.$der beschriebenen
Art nicht imstande ist, eine Schlagaderverhärtung hervorzurufen.
Denn die Schlagaderverhärtung ist ein Leiden, welches sich im
Laufe von Jahren oder Jahrzehnten ganz allmählich entwickelt.
Die Annahme einer plötzlichen Entstehung läßt sich?weder durch
klinische Beobachtungen stützen, noch steht sie mit den ana-
tomischen Befunden irgendwie in Einklang. Wir müssen also
nach wie vor annehmen, daß zur Zeit des Unfalls bereits die
Schlagaderverhärtung usw. bestand, und haben ja auch nur auf
Grund dieser Annahme die Möglichkeit eines Zusammenhangs
zwischen der Durchnässung und dem Schlaganfall anerkennen
können. Bei völlig gesunden Gehirngefäßen hätte die Kälte-
einwirkung sicher keine derartigen Folgen haben können.
Unter diesen Umständen müssen wir die Annahme eines
unmittelbaren Zusammenhaugs der zum Tode führenden Fr-
krankung des L. mit dem Betriebsvorgange vom 24. Februar 1909
als durchaus unwahrscheinlich bezeichnen. Es bliebe also nur die
Frage zu erörtern, ob ein mittelbarer Zusammenhang denkbar ist
in dem Sinne, daß durch den erstmaligen Schlaganfall, über dessen
Zusammenhang mit dem in Frage stehenden Betriebsvorgange
sich unser früheres Gutachten geäußert hat, eine Verschlimmerung
der bestehenden Schlagaderverhärtung herbeigeführt und dadurch
der Eintritt eines zweiten Schlaganfalls begünstigt wurde. Auch
diese Annahme müssen wir als unwahrscheinlich bezeichnen. Denn
eine Gehirnblutung, wie sie L. erlitten hat, setzt nur an um-
schriebener Stelle des Gehirns einen Krankheitsherd, obne die
Schlagadern des Gehirns in erkennbarer Weise in Mitleidenschaft
zu ziehen. Dieser Herd kann zwar durch Druck vorübergehend das
ganze Gehirn beeinflußen, bildet sich dann aber zurück unter
Hinterlassung einer narbenartigen Bildung. Man könnte höchstens
behaupten, daß die durch den ersten Schlaganfall hervorgerufenen _
Beschwerden ungünstig auf den gesamten Zustand des L. el-
gewirkt hätten und daß hierdurch auch eine Verschlimmerung der
Schlagaderverhärtung herbeigeführt worden sei. Aber auch diese
Annahme hat sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich, zumal
L. durch die Erkrankung veranlaßt wurde, körperliche An-
strengungen, die erfahrungsgemäß die Fortentwicklung einer
Schlagaderverhärtung und der mit ihr einhergehenden Herz- und
Nierenveränderungen beschleunigen, zu vermeiden.
Daß etwa die tödliche Gehirnblutung an der vollkommen
gleichen Stelle stattgefunden hätte, die durch den erstmaligen
Schlaganfall verändert war, ist sehr wenig wahrscheinlich, weil
ein Gefäß, welches durch Einreißen zu einer Blutung Veranlassung
gibt, sehr bald durch Gerinnselbildung verschlossen wird und m-
folgedessen verödet.
Wir müssen unter diesen Umständen die uns vorgelegte
Frage, ob wenigstens mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, Dr
der Unfall vom 24. Februar 1909 auch als direkte oder wesentlie
mitwirkende Ursache für den Tod des L. anzusehen ist, nn
Zu der weiteren Frage, ob durch die Oeffnung der Leio i
die von der Witwe des L. verweigert worden ist, der Sachverha
voraussichtlich aufgeklärt worden wäre, bemerken wir, daß dor
klinische Befund in diesem Fall ausreichend klar war, um eine
sichere Diagnose zu ermöglichen. Da seit dem ersten So
anfall, dessen Beurteilung ja besondere Schwierigkeiten bot, Ye
lange Zeit vergangen war, so würde die Leichenöffnung aut ht
bezug auf dessen Zustandekommen keine weitere Klärung go i
haben. Wir glauben daher, die eben erwähnte Frage verneim
zu können.“ | ai
Das Schiedsgericht schloß sich auch diesem Gutachten 8
und die Witwe legte gegen das Urteil keinen Rekurs em. e
erste Urteil des Schiedsgerichts wurde vom Reichsversicherung
amte bestätigt.
3. November. _
Mi
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
1807
Vereins- und Auswärtige Berichte.
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 16. September 1912.
1. B. Fischer: Ueber ein Epitheliom der Tibia. Bei einem
37 jährigen Manne bildete sich im Anschluß an ein Trauma an der Tibia
eine Geschwulst, die durch Resektion des erkrankten Knochenstücks ent-
fernt wurde. Die pathologisch-anatomische Untersuchung ergab, daß die
Geschwulst in der Corticalis lag und ziemlich weich war. Mikroskopisch
zeigte sie nicht das Bild eines Osteosarkoms, das man zuerst angenommen
hatte, sondern hatte durchaus epithelialen Charakter; epitheliale Ge-
schwülste sollen jedoch am Knochen nicht vorkommen. Die Zellen und
das ganze Geschwulstgewebe hatten die größte Aehnlichkeit mit einem
embryonalen Schmelzkeime der Zahnanlage, und F. kommt zu dem
Schlusse, daß es sich um ein Adamantinom der Tibia handelte,
Dieses sei, wie überhaupt sehr zahlreiche Geschwülste, nicht auf eine
Keimversprengung zurückzuführen, sondern auf abnorme Differenzierung.
2. Großer: Das Problem der Sommersterblichkeit der Säug-
linge. Der heiße Sommer von 1911 hat eine. sehr bedeutende Säuglings-
sterblichkeit gebracht, besonders in den Städten, wo sie zum ersten Male
größer war als auf dom Lande. Als Ursache dieser Todesfälle kommt
weniger die Wärmestrahlung als die Wärmestauung in Betracht, die
durch unzweckmäßige Kleidung und schlecht gelüftete Wohnungen be-
günstigt wird. Die aus Amerika stammenden Schilderungen von Hitze-
todesfällen bei Erwachsenen zeigen viel Aehnliches mit den Erkrankungen
der Säuglinge, insbesondere treten auch bei ihnen Durchfälle und Er-
brechen auf. Hyperthermie braucht nicht zu bestehen und der Tod kann
auch bei normaler Körpertemperatur eintreten. Es kann auch, nachdem
die Temperatur wieder normal geworden ist, erst nach Tagen ein Wieder-
anstieg folgen und der Tod unter dem Bild einer Infektion eintreten.
Der Wärmestauung sind die Säuglinge ganz besonders ausgesetzt und sie
können leicht durch sie erkranken und sterben. Demgegenüber treten
die indirekten Schädigungen, wie z. B. durch zersetzte Milch, zurück.
Sind aber die Kinder durch die Hitze schon geschädigt, dann können
auch leichte Darmstörungen verhängnisvoll werden. Nach Tageskurven
von Finkelstein folgt die Säuglingssterblichkeit im Vorsommer der
Erhöhung der Lufttemperatur und nimmt wieder entsprechend der Sen-
kung der Temperaturkurve ab. Im Hochsommer tritt ebenfalls mit Er-
röhung der Temperatur eine Steigerung der Sterblichkeit ein, sie fällt aber
licht sofort mit dem Sinken der Temperatur ab, sondern erst später und nur
zanz allmählich. Nach Untersuchungen von Liefmann in Berlin sind im Vor-
sommer die Todesfälle an Krämpfen häufiger, im Hochsommer die an
Durchfällen, ferner sind im Vorsommer mehr die Brustkinder gefährdet,
weniger die Kellerkinder, im Hochsommer dagegen sind die Brustkinder
esser gestellt und schlecht die Kellerkinder. Das beruht wohl darauf, daß
nit der Hitzeschädigung die Toleranzgrenze in bezug auf die Nahrung _
inkt und nun die Kinder darmkrank werden. Dann werden sie unter-
rnährt und erliegen leichter den Infektionen Die Krämpfe dagegen
ind als direkte Hitzeschädigung aufzufassen, ihr erliegt ein Teil der
Säuglinge, aber nur im Vorsommer. Im Hochsommer gesellt sich zur Hitze-
chädigung die enterale oder parenterale Infektion, die Ungunst der Wohn-
'erhältnisse usw., und diesen Schädigungen erliegen die Kinder, nachdem
lie große Hitze vorbei ist. — Die Säuglingssterblichkeit ist zum großen
'eil ein sozial-hygienisches Problem. Mit der Abnahme der Geburten-
äufigkeit geht auch eine starke Abnahme der Säuglingssterblichkeit
inher, sodaß zunächst eine wesentliche Abnahme des Geburtenüberschusses
icht zu befürchten ist.
Neißer weist auf die Versuche mit Mäusen hin, die nach Ein-
pritzung von fluorescierendeu Stoffen keine Veränderung zeigen, wenn
ie vor Licht geschützt werden, sofort aber aufs schwerste. erkranken
nd zugrunde gehen, wenn sie den Sonnenstrahlen ausgesetzt werden.
\uch das Hämoglobin ist, ebenso wie die Galle, ein fluorescierender Stoff.
Inter besonderen Umständen kann vielleicht auch hierdurch schwere
chädigung durch die Lichtstrahlen bewirkt werden. Hainöbach.
Kiel.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 4. Juli 1912.
1. Stoeckel: Ueber die chirurgische Behandlung der puer-
eralen Peritonitis. Von allen puerperalen Infektionen scheint mir die
uerperale Peritonitis an Frequenz am meisten abgenommen zu haben
verschärfte Prophylaxe, Vermeidung intrauteriner Manipulationen bei
ormalen Geburten, strengere Vorschriften für die Hebammen). Die weit-
us überwiegende Mehrzahl der Peritonitiden schließt sich an kriminelle
der instrumentell behandelte Aborte an. Von 15 in 1!/2 Jahren in der
ieler Gynäkologischen Klinik beobachteten Fällen waren 13 im Anschluß
n einen kriminellen Abort oder an Abortausräumungen durch den Arzt
wegen Fiebers entstanden. Die puerperale Peritonitis ist von allen puer-
peralen Infektionen die schwerste und von allen Peritonitiden die pro-
gnostisch ungünstigste, wahrscheinlich wegen der besonders gesteigerten
Virulenz oder Invasionskraft der Keime, oder weil die Wege für die
Verbreitung der Keime gangbarer sind als im nicht puerperalen Körper
(enorm weite Venen und Lympbgefäße in den puerperalen Genitalien).
Bei richtiger Auswahl der Fälle kann der Zeitpunkt für ‚eine Frühope-
ration gefunden werden, wo die Infektion «ben erst die Grenze des
Uterus überschritten und das Bauchfell noch so wenig in Mitleidenschaft
gezogen worden ist, daß der chirurgische Eingriff, sofern er eine weitere
Ueberschwemmung der Bauchhöhle mit virulenten Keimstoffen verhütet,
rettend wirken muß. Zwei verschiedene Wege kommen in Betracht:
entweder man behandelt die Bauchhöble wie jede Lymphangitis oder
Lymphadenitis an anderer Stelle des Körpers mit Incision oder man macht
die Totalexstirpation des Uterus.
Schwierig ist die Entschlußfassung, ob man überhaupt operieren
soll und wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.
Weder das klinische Bild, noch die Untersuchung des Bluts, noch
die Bestimmung des Keimgehalts in der Uterushöble genügen im An-
fangsstadium vieler Fälle zu einer strengen Indikation. Das Zuwarten
ist das gefährliche. Nur die Frühoperation ist aussichtsreich. Die Ge-
fahren steigen rapide bei längerem Aufschube. Der Uterus ist dis Gift-
quelle, und wenn sie nicht ausgeschaltet wird, so nützt es nichts, das
Bauchfell zu öffnen, weil in diesem Stadium gewöhnlich abgekapselte
Eiterherde noch gar nicht vorhanden sind. Der Entschluß zur Total-
uterusexstirpation muß zu einer Zeit gefaßt werden, in der nach unsern
heutigen Methoden die Diagnose der Peritonitis mit Sicherheit kaum ge-
stellt werden kann.
Bezüglich des Weges empfiehlt Vortragender bei vorausgegangenen
kriminellen Aborten oder bei Verdacht eines solchen stets abdominal vor-
zugehen; nur auf diesem Wege können etwaige Verletzungen des Darmes
erkannt werden. Auch sonst ist der Abdominalweg, weil man eben die
ganze Situation im peritonealen Raume kritisch prüfen kann, der richtige,
Ineisionen der Bauchhöhle genügen nur in denjenigen Fällen, in denen
der Prozeß schon älter ist und in denen das Peritoneum der Infektion
schon soweit Herr geworden ist, daß abgekapselte Herde sich gebildet
haben. In diesen Fällen spielt der Uterus nicht mehr. die entscheidende
Rolle. Es genügt, die ihrerseits wieder Giftstoffe produzierenden Eiter-
herde nach chirurgischen Regeln zu entfernen.
Von den bereits erwähnten 15 Peritonitiden waren zwei nach aus-
getragenen Geburten, 13 nach Aborten. Die beiden ersteren sind nicht
operiert (eine gestorben, hämolytische Streptokokken; eine geheilt, Pseudo-
diphtheriebacillen). Von 13 Fällen von Peritonitis nach Abort wurden
acht operiert. Von diesen acht ÖOperierten sind drei gesund geworden,
bei zweien wurden Incisionen der abgekapselten Herde gemacht, bei
dreien die Abdominaltotalexstirpation des Uterus im Frühstadium. Von
den fünf Gestorbenen wurden zwei mit vaginaler Totalexstirpation und
drei mit Incision und Drainage abgekapselter Eiterherde behandelt. Von
den fünf nicht operierten Fällen sind vier gestorben.
2. Hoehne: Zur operativen Behandlung der puerperalen Py-
ämie. H. gibt einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der Venen-
unterbindung bei puerperaler Pyämie, demonstriert an Tafeln die durch
Kownatzki geklärten Abflußbahnen des venösen Bluts aus dem weib-
lichen Becken und bespricht die Berechtigung, die Leistungsfähig-
keit und die Indikationsstellung der Trendelenburgschen Opera-
tion. Im Anschlusse daran berichtet er über eine prompte Heilung einer
puerperalen Staphylokokkenpyämie durch Unterbindung und Excision
der linken thrombophlebitischen Spermaticalgefäße und gleichzeitige
Unterbindung der linken Vena hypogastrica (Vena iliaca media und Vena
iliaca interna). In diesem Falle handelte es sich um eine 21 jährige
I-para, bei der wegen bedrohlicher Nachgeburtsblutung vom behandelnden
Arzte die Placenta manuell gelöst war. Die Operation geschah auf trans-
peritonealem Weg am 24. Wochenbettstage; am 16. Tage nach ante-
operativer Reizbehandlung des Peritoneums mittels 30 com 1°), Campher-
öls, nach fünf zu Hause aufgetretenen und sieben in der Klinik beob-
achteten, sich deutlich häufenden Schüttelfrösten. Bei der Ablösung des
thrombosierten Venenpaketes vom linken Musculus psoas wurde ein in
die Substanz des Muskels hineinreichender, flacher AbsceßB eröffnet. Die
Schüttelfröste waren nach der Venenunterbindung wie abgeschnitten, Das
Befinden der Kranken besserte sich zusehends; sie wurde am 20. Tage
post operationem als geheilt entlassen. Später entstand an der Ab-
tragungsstelle der linken Adnexe ein größeres Stumpfexsudat, das sich
unter konsequenter Hitzebehandlung innerhalb von vier Wochen spontan
zurückbildete. Die prompte Heilung der schweren Staphylokokkenpyämie
ist um so bemerkenswerter, als der eitrige Prozeß nicht auf das Lumen
i PR, Hi
BR: E EES A ORDENS EE D O
CEN
a
1808
und die Wand der Spermaticalvenen beschränkt war, sondern auch die
Umgebung der Gefäße, besonders im Bereiche des Psoas, betraf. Es
widerspricht diese Erfahrung dem, dr Veit in seiner Arbeit: „Die ope-
rative Behandlung puerperaler Pyämie“. Praktische Ergebnisse der Geb.
u. Gyn. 1912, 4. Jahrg., S. 360, sagt: „Wenn schon außerhalb der throm-
bosierten Vena iliaca oder spermatica schmierig-eitrige Entzündung in
dem Bindegewebe besteht, dann ist die Operation mit der größten Sicher-
heit erfolglos“. Veit verlor einen unserer Pyämie ähnlichen Fall an
Peritonitis (l. c., S. 350 B:) Der von wir operierte Fall ist nach peri-
tonealer Vorbehandlung ohne eine Spur von Peritonitissymptomen
geheilt, obwohl aus dem Psoasabsceß, aus der ödematösen Schnittfläche
des linken Ligamentum latum und besonders aus dem Peritoneum am
Schlusse der Operation große Mengen von Staphylokokken gezüchtet
wurden.
Angezeigt ist die Venenunterbindung nur für die reinen Pyämie-
fälle, die also nicht durch Septicämie oder durch phlegmondöse Prozesse
kompliziert sind. Sind die charakteristischen Symptome einer reinen
Pyämie deutlich, so soll man bei rasch aufeinander folgenden Schüttel-
frösten nicht zu lange mit der Operation warten, weil sonst schwere
metastatische Erkrankungen, speziell der Lunge den Fall zu einem
hoffnungslosen machen, und weil der thrombotische Prozeß leicht so weit
fortschreitet, daß man eine Unterbindung centralwärts von dem infizierten
und zerfallenden Thrombus nicht mehr fertig bringt. Gegen diese Ope-
rationsregel darf auch nicht die Erfahrung sprechen, daß gelegentlich die
Schüttelfröste von selbst aufhören, also jeder Schüttelfrost der letzte
sein kann.
3. Bitter: Zur Technik der Sporenfärbung. Es bewährte sich
die einfache Sporenfärbungsmethode bei zahlreichen Versuchen mit
den bekannteren aeroben und anaeroben Bacillen: 1. Ausstreichen des Ma-
terials auf gut gereinigten Objektträgern. 2. Fixieren des Objektträger-
ausstrichs in der Flamme. 3. Behandlung des fixierten Ausstriches mit
Formalin (unverdünnt) 10 bis 20 Minuten. 4. Kräftiges Abspülen mit
fließendem Wasser und Trocknen. 5. Färben mit einer alkalischen
Methylenblaulösung (zwei Teile einer gesättigten alkoholischen Me-
thylenblaulösung -+ acht Teile Wasser + 0,3 ccm einer 0,5°/oigen Kali-
lauge — alkalisches Farbgemisch jedesmal frisch zu bereiten —) unter
kräftigem einmaligen Aufkochenlassen über der Flamme drei Minuten.
6. Kräftiges Abspülen mit fließendem Wasser. 7. Nachfärben mit
Safranin (ein Teil einer gesättigten alkoholischen Safraninlösung + vier
Teile Wasser) oder mit Bismarckbraun (ein Teil einer gesättigten
Lösung von Bismarckbraun in Wasser und Glycerin aa + ein Teil
Wasser) 30 Sekunden. 8. Abspülen in Wasser, Trocknen usw.
Die Sporen erscheinen nach dieser Behandlung tief blau, der Ba-
cillenleib deutlich und schön rot oder gelbbraun.
Flüssige Kulturen von sporenhaltigem Material, z. B. Milzbrand-
sporen, kann man, was sehr zu empfehlen ist, mit 4°/, Formalin ver-
setzen, Agarkulturen mit 4°/, Formalin übergießen und abschwemmen.
Derartig behandeltes Sporenmaterial bleibt jahrelang unverändert und
färbt sich nach der angegebenen Methode ohne nochmalige Vorbehandlung
mit Formalin außerordentlich schön. Auch beim Möllerschen Ver-
fahren ersetzen die Formalinbehandlungen das Beizen mit 5 °/oiger Chrom-
säure vollständig. — Michaud (Kiel).
Leipzig.
Medizinische Gesellschaft. IX. Sitzung vom 18. Juni 1912.
I. Erich Ebstein spricht über den Perkussionshammer. Er
selbst hat einen solchen konstruiert (Firma: Bernhard Schädel in
Leipzig), der im Stielende eine Nadel mit Kuppe zur Sensibilitätsprüfung
enthält; im Hammerkopf befindet sich ein Haarpinsel oder Dermatograph.
Der Stiel selbst trägt beiderseits ein Zentimetermaß, das E. be-
sonders zur Ausmessung des Krönigschen Schallfeldes, Bestimmung der
rechten Herzgrenze, Milzgröße ünd Leberresistenz verwendet. — Weiter
wird die Entwicklung des von Dietrich 1841 in die medizinische Klinik
eingeführten Hammors besprochen, der seit 1875 nur als Reflexhammer
gebraucht wird. Als solcher wird er auch seine Bedeutung behalten.
Im übrigen schließt E mit den Worten von Carl Gerhardt,
der sagte: „Tatsächlich ist weniger daran gelegen, womit mam per-
katiert, als wie man perkutiert und ob man durch Uebung hören gelernt
hat.“ (Vergl M. med. Woch., Brauers B. z. Kl. d. Tub. und Sudhoffs
A. f. Gesch. d. Med. 1912.)
II. Birch-Hirschfeld: Ueber Sonnenblendung. Nach der
Sonnenfinsternis vom 17. April 1912 hat B.-H. 34 Fälle (50 geblendete
Augen) eingehend untersucht. Nur 4 mal war der Hintergrund normal.
19 mal fand sich eine Vergrößerung, Verschleierung und unregelmäßige
Form des Fovealreflexes, 4 mal dunkelbraunrote Färbung seiner Um-
gebung. Am Gullstrandschen Augenspiegel konnte 2 mal eine
leichte Prominenz des Fovealberds nachgewiesen werden. In 11 Fällen
schwanden die Hintergrundveränderungen völlig, in 16 Fällen entwickelte
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. November.
sich eine unregelmäßige Pigmentierung der Macula mit punktförmigen
grauen Herden und Stippchen. Eine direkte Beziehung zwischen dem
Augenspiegelbefund und der Funktionsstörung war nicht vorhanden. In
12 Fällen bestand volle Sehschärfe. 19 mal mäßige und 19 mal hoch-
gradige Sehstörung (P/ıs bis %eo). Von den leicht gestörten Augen ge-
wannen 11 nach einigen Wochen oder Monaten vollen Visus. während
bei 6 Besserung, bei 2 keine Aenderung eintrat. Von den Fällen mit
hochgradiger Sehstörung wurden 3 geheilt, 10 gebessert, 6 nicht be-
einflußt. |
Besondere Sorgfalt wurde auf die Prüfung des centralen Skotoms
gelegt. Von den 50 Augen batten 31 ein centrales, 19 ein paracentrales
positives Skotom, das anfangs stets absolut war und sich später mehrfach
in ein relatives umwandelte. Die Form dieses Skotoms war verschieden
und ließ keine Beziehungen zu der Form der Sonnenscheibe im Moment
der Blendung nachweisen, die Größe lag meist zwischen !/a und 1 Grad.
Neben diesem positiven Skotom ließ sich in fast allen Fällen ein relatives
centrales Skotom feststellen (durch circuläre Prüfung), das sich excentrisch
5 bis 10 Grad erstreckte und sich meist schnell verkleinerte. Der Nach-
weis und die Kontrolle dieses relativen Skotoms ist prognostisch ver-
wertbar. Ein geschlossenes. Ringskotom zwischen 15 und 40 Grad, wie
es Jeß beschreibt, konnte Vortragender nie beobachten. Dagegen komto
er nachweisen, daß auch das gesunde Auge im oberen inneren Sektor
des Gesichtsfeldes bei 15 bis 40 Grad Seitenabstand regelmäßig eine
relativ farbenblinde Zone besitzt, in der rot als gelb, gelb als weiß, grün
als grau und blau ungesättigt erscheint. Diese Zone scheint ia ihrer
Ausdehnung von der Lage des Bulbus in ler Orbita abhängig zu sein —
bei tiefliegenden Augen ist sie kleiner als bei vorstehenden.
B.-H. hat weiter zur Ergänzung seiner früheren Untersuchungen
Versuche über Sonnenblendung angestellt. Diese zeigten einmal, dab
dieselbe Blendungsintensität beim dunkelpigmentierten Auge hochgradigere
Veränderungen hervorruft als beim albinotischen Tier. Anatomisch
wurde als wesentliche Läsion Zerfall der Außenglieder des Sinnesepithels,
der äußeren Körner und des Pigmentepithels, Hyperämie der Aderhaut
und Transsudation in die äußeren Netzhautschichten festgestellt, während
die inneren Netzhautschichten intakt blieben. Auch die Frage nach der
ätiologischen Rolle der verschiedenen Spektralbezirke hat Vortragender
auf experimentellem Wege zu klären gesucht. Vorschaltung eines
Schwerflintglases, das tast alle ultravioletten Strahlen und Vorschal-
tung einer Kammer mit Ferrosulfatlösung, die den größten Teil der
ultraroten Strahlen absorbiert, verhinderte nicht das Auftreten typischer
Blendungsherde. Hieraus ist zu schließen, daß die leuchtenden
Strahlen das wirksame Agens bei der Sonnenblendung darstellen. Durch
die Brechkraft der Linse und die Absorptionsfähigkeit des Pigment-
epithels wird die umschriebene Wirkung der leuchtenden Strahlen auf
einen kleinen, aber funktionell sehr wichtigen Bezirk der Netzhaut ver-
stärkt. Als ausreichender Schutz des Auges bei späteren Sonnenfiaster-
nissen ist ausschließlich der Gebrauch von Schutzgläsern zu empfehlen
die die leuchtenden Strahlen der Sonne so stark abschwächen, daß kein
Blendungsnachbild entsteht.
II. Herzog demonstriert einen ungewöhnlich großen, lappig 8°
bautən Cysticercus im vierten Hirnventrikel; der letztere ist enorm 808-
gedehnt, die Medulla oblongata hochgradig komprimiert. Aus ‚dieser
Kompression erklärt sich die Bradykardie (30 bis 40 Pulse in der
Minute), die während der sechswöchentlichen Beobachtungszeit unter den
klinischen Erscheinungen, die nur allgemeinen Hirndrucksymptomen ont-
sprachen, besonders auffiel und beständig war. H. weist ferner
darauf hin, daß in der Mehrzahl der Fälle von Oysticereus im vierten
Ventrikel der Tod plötzlich eingetreten ist und seine Erklärung 1
dem durch den Blasenwurm selbst oder durch Ependymverdickung be-
dingten Verschluß des Foramen Magendii findet, wodurch der Abfub der
in der Hauptsache dem Plexus entstammenden Gehirnflüssigkeit versperrt
wird; dadurch wird die Medulla oblongata komprimiert, es tritt Läbmung
des Atemcentrums ein.
IV. Mohr demonstriert einen recht ungewöhnlichen Urinbofund.
Der Harn (zirka 100 cem), der von einem bereits gestorbönen Patienten,
einem 51 Jahre alten Brauereivertreter E.V. stammt, stellt eine röt-
lichgelbe, zähflüssige, . klebrige Flüssigkeit von durchaus
honigartiger Konsistenz dar, die eine ausgesprochen saure Reaktion
zeigt, und in der zahlreiche sagoartige Körnchen suspendiert sind. Beim
vorsichtigen Erwärmen tritt keinerlei Veränderung auf, beim stärkeren
Erhitzen erstarrt die gesamte Probe. Die Bestimmung des Hiweißgehalts
nach Ausfällung durch Kochen mit Essigsäurezusatz und Wägung dos
bis zur Gewichtskonstante getrockneten Niederschlags ergab den Kan
Gehalt von 46,8%. Mikroskopisch zeigten sich in dem Urin A r
reichliche hauptsächlich wachsartige Cylinder von verschiedener Ye ô,
auch geschlängelte sogenannte Cylindroide und unregelmäßig® Scho =
von ähnlichem Lichtbrechungsvermögen wie die Wachseylinder. Auf eit
zelnen der Cylinder lagen spärliche Nierenepithelien. Keine Erythrocy go,
3. November.
Aus der Krankengeschichte ist zu erwähnen, daß sich der am
14. Juni gestorbene, am 12. Juni ins Krankenhaus aufgenommene Patient,
der starker Potator war, bis zum 20. Mai völlig wohl befunden haben
will, nur soll im Oktober 1911 anläßlich einer ärztlichen Untersuchung
zwecks Aufnahme in eine Lebensversicherung Eiweiß im Urin festgestellt
worden sein, ein Befund, der auch Ende Februar d. J. bei einer weiteren
ärztlichen Untersuchung erhoben wurde. Am 20. Mai will Patient plötzlich
auf der Straße ein eigentümliches Stechen in der rechten Kopfseite und gleich
darauf eine Schwäche des linken Armes und Beins, sodaß er von seinen Be-
kannten geführt werden mußte, gespürt haben. Seitdem ist er bettlägerig.
Bei der Untersuchung des fettleibigen. nicht benommenen Mannes
finden sich keine Reste einer Hemiparese. Es bestehen keinerlei Oedeme,
auch das Gesicht ist nicht gedunsen, nur ziemlich stark cyanotisch. Der
Puls ist klein, wenig gespannt, frequent. das Herz kaum vergrößert, der
Spitzenstoß nicht fühlbar, die Extremitäten kühl, livide bläulich. Auf
den Lungen leichte Lobulärpneumonie, die sub finem zunimmt. Am Tage
nach der Aufnahme betrug die 24stlindige Urinmenge 600 com (zirka 52%/oo
Albumen nach Esbach), am Tage des Todes wurde innerhalb von sechs-
zehn Stunden der demonstrierte Urin (zirka 100 ccm) gelassen. Der
Tod erfolgte ohne urämische Krämpfe (nur sehr häufiges Erbrechen) unter
zunehmender Herzschwäche.
Die Sektion (Dr. Löhlein) zeigte mäßig geschwollene, fleckig
gelbliche Nieren, dió mikroskopisch hauptsächlich Veränderungen der Epi-
thelien der Harnkanälchen fiu denselben reichliche Eiweißcylinder) auf-
wiesen, während Glomeruli und Interstitium relativ wenig verändert
waren. Im Nierenbecken fanden sich bräunlich - gelbliche, sagoartige
Klümpchen, die mikroskopisch aus massenhaften wachsigen Cylindern und
rundlichen, den im Urin an Größe nachstehenden, ihnen aber im übrigen
ähnelnden Eiweißschollen bestanden. Das Herz war nur wenig vergrößert.
Es handelt sich also wohl um eine chronische Nephritis (Potatoren-
niere) mit Albuminurie höchsten Grades. Anhaltspunkte für eine
Fibrinurie ergab die genaue Untersuchung des eine spontane Gerinnung
nicht aufweisenden Urins nicht. Der höchste von Senator (Erkran-
zungen der Niere, Wien 1896) bei chronischer Nephritis. bei der nach
seinen Angaben höhere Eiweißgehalte als bei der akuten Nephritis beob-
achtet werden, gefundene Eiweißgehalt beträgt 28% (ebenfalls durch
Wägung bestimmt). Höheren Albumengehalt als Senator hat. wohl nur
Bartels (in Ziemssens spez. Path. u. Ther. 1875) beobachtet, der
'hronische parenchymatöse Nephritiden mit Albumengehalt von 40, 50
ınd selbst über 60° (durch Ausfällung mit Alkohol und Wägung des
[rockenrückstandes) beschreibt. So stellt der demonstrierte Urin wohl
inen der eiweißreichsten bisher beobachteten dar. Mohr.
Rostock.
Aerzteverein. Sitzung vom 14. September 1912.
Wirths demonstriert einen 29jährigen Patienten. mit einem seit
lrei Wochen bestehenden Irisclliarkörpertumor. Der gut erbsengroße
‚oldgelbe Tumor ist von der Kammerbucht her rapide in die Vorder-
ammer hineingewachsen, indem er das vordere Irisblatt vor sich her-
chiebt. Differentialdiagnostisch kommt in Betracht Lues und Tuberkulose.
Schwartzkopff zeigt ein 1';sjähriges Kind mit doppelseltiger
3lennorrhöe, die zu schwerem Eotropium beider Oberlider geführt hat
nd jeder Behandlung trotzte. Erst nach einfacher Vernähung der Lid-
palten wurde das Ectropium beseitigt.
Meinertz spricht über einige ungewöhnliche hämorrhagische
‘ormen innerer Krankheiten, (Der Vortrag erschien als Original in
er Med. Kl. 1912, Nr. 37.)
In der Diskussion berichtet Grünberg über einen Fall von doppel-
eitiger Posticuslähmung, der durch. ‚septische Blutung in die Nervi re-
urrentes seine Erklärung fand.
Hausmann führt mehrere Fälle aus seiner Praxis an, bei denen
lagenblutungen auftraten, ohne daß Ulcus vorhanden war. Ein 21jähriges
[ädchen litt an Schmerzen nach dem Essen und blutigem Erbrechen.
Vurde der Magen einige Stunden nach solchem ausgehebert, so war kein
lut nachzuweisen. Operation. Chloroformspättod. Sektion ergab ledig-
ch einige hanfkorngroße Hämorrhagien im Antrum pylori, sowie eine
mschriebene Verwachsung mit einem der Nachbarteile. Bei einem zweiten
alle waren schwere Magenblutungen der Ausdruck einer Lebercirrhose.
ach Stillstand der Blutungen trat später Ascites auf. In einem dritten
alle bestand eine Achylia gastrica ohne Tumor, sowie eine starke Ne-
hritis. Der Patient starb später unter urämischen Symptomen. In einem
ierten Fall einer 62jährigen Frau führte Hausmann die Magenblutung
ıf mechanische Gefäßstrangulation zurück. Es bestand eine Visceral-
tose und ein ‚großer wandernder linker Leberlappen. In einem fünften
all erbrach ein 30jähriger Luetiker während eines gehirnluetischen An-
Jls Blut. Experimentell haben einige Autoren Aagondarmbininngen
arch Läsion gewisser Gehirnbezirke hervorgerufen.
1912 .— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44. 1808
Hausmann erwähnt dano im Zusammenhang mit der Syphilis
noch eine Reihe von Momenten, die eventuell zu Magenblutungen Ver-
anlassung geben können. Daß die Magenschleimhaut verhältnismäßig
leicht blutet, erklärt sich daraus, daß die Venen dortselbgst wenig An-
astomosen haben. Schon die bloße Contraction der Muscularis mucosa
soll eine Venenstauung in der Schleimhaut hervorrufen können. B.
Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 23. Oktober 1912.
Vor der Tagesordnung: Sticker: Durch Radiumstrahlung be-
seltigte Drüsen- und Narbenrezidive nach Ca. pharyngis. St. stellt
eine 45 jährige Patientin vor, bei welcher wegen Krebs des Kehlkopfs
und Schlundkopfs eine radikale Operation von Gluck und Sörensen
im Mai 1911 vorgenommen werden mußte. Drei Monate später wurden
die linksseitigen Halsdrüsen entfernt. Da im Beginne dieses Jahres er-
neute Krebsknoten auftraten und die Kranke eine abermalige Operation
verweigerte, wurde die Radiumbehandlung eingeleitet. Nach einmaliger
Bestrahlung verschwanden die linsen- und bohuengroßen Knoten, welche
in der Nähe des Luftröhrenstumpfes aufgetreten waren; die kastenien-
und pflaumengroßen Drüsenknoten am Halse konnten erst nach vier-
monatlicher Behandlung vollständig zum Verschwinden gebracht werden.
Der Fall verdient eine besondere Beachtung, als er nicht nur zeigt, daß
das so gefürchtete Krebsgewebe durch Radiumstrahlung ohne alle andern
Hilfsmittel vollständig beseitigt werden kann, sondern auch zeigt, daß
diese Eigenschaft der Radiumstrahlung ebenfalls dem von Hahn ent-
deckten Mesothorium zukommt. Obiger Fall wurde ausschließlich mit
Mesothorium behandelt, welches nach dem Hahnschen Verfahren aus den
wertlosen. Rückständen der Gasglühstrumpffabrikation gewonnen wird.
Nachdem das Radium einzig und allein auf der ganzen Welt nur in
Oesterreich in ganz beschränkten Mengen gewonnen wird und der Preis
geradezu unerschwinglich geworden ist — 1 mg kostet 450 M —, werden
jetzt in Deutschland, wie Emil Fischer jüngst betonte, alljährlich so-
viel Mengen Mesothor gewonnen, wie der ganze Weltvorrat an Radium-
salzen bisher beträgt. (Autoreferat.)
Tagesordnung: A. Bapnenhein: Der Ausbau, die Entwick-
lung und der jetzige Stand der hämatologischen Diagnostik.
1. Hämatologie im engeren Sinne ist die Lehre von den aelligen
Bestandteilen des Bluts.
2. Die Blutzellen sind ein Zellsekret; der hamspoglischen Gewebe
in das Blut, und zwar finden sich im Blute normalerweise funktionel]
außerordentlich hoch differenzierte Gebilde, die sich selbst nicht erhalten
können, sondern immer vom blutzellbildenden Apparate neu gebildet
werden. Das Blut ist daher auch kein Gewebe, und die normalen Blut-
zellen keine Parenchymzellen des Bluts (Exemplifikation auf Spermien
und Inhalt der Samenblasen).
3. Es gibt daher keine selbständigen aktiven Blutkrankheiten im
hämomorphologischen Sinne (keine Hematitis); hämopathologische Blut-
veränderungen sind nur Symptome und zwar Symptome von Affektionen
des hämopoetischen Apparats.
4. Hämatologie ist keine klinische Spezialdisziplin, wie Neurologie
und Dermatologie, sondern hat ihr Analogon in der Urinologie, ist eine
besondere diagnostische Methode.
5. Klinische Hämatologie ist nicht so sehr das kleine Kapitel das
speziellen Pathologie, der sogenannten Blutkrankheiten i. e. der patho-
logischen symptomatischen Blutveränderungen beziehungsweise die Pa-
thologie der das Blut affizierenden primären Krankheiten oder konko-
mittierenden Reizzustände des hämopostischen Apparats — als vielmehr
die gesamte Lehre und Methodologie der hämatologischen Blutdiagnostik.
Sie ist die Lehre von der pathologischen Blutzusammensetzung und ihrer
diagnostischen Bedeutung auf pathogenetischer Grundlage.
6. Zur vollständigen Krankenuntersuchung gehört ebenso sehr wie
die Urinuntersuchung auch die Blutuntersuchung.
7. Die Blutveränderungen sind also nur symptomatischer Natur,
zeigen zunächst nur unspecifische Affektionen des hämopoetischen Appa-
rats an, gewöhnlich keine Krankheiten (Ausnahmen: Aufdeckung der
Aetiologie im Blute, wie Malaria, specifische Degenerationen, wie Schüffner- -
tüpfelung und Heinzkörper, Kraukheiten, bei denen die Blutsymptomato-
logie als führendes Symptom im Vordergrunde des klinischen Bildes steht
[Anämie, Chlorose, Erythrocytose] und gleichzeitig idiopathischen Wert
zu haben scheint, und wo die Krankheit. vom Blutsymptom den Namen..
hat [idiopathische Anämie, idiopathische Erythrocytose, Chlorose, Leu-
kämie)).
Die Blutveränderungen sind zumeist weder für eigentliche Krank-
heiten noch für krankhafte Affektionen des hämopoetischen Apparats
specifisch.
8. Positive Blutveränderungen treten nur auf, wo der häimopoetische
Apparat zufällig primär oder deuteropathisch mitaffiziert ist; auch dann
1810
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
ji ITAR TrA
3. November.
sind nur positive Blutbefunde beweisend; der hämopoetische Apparat
kann erkrankt sein, ohne daß das Blut in Mitleidenschaft gezogen ist;
negative Blutbefunde beweisen nichts für Intaktheit des hämopoetischen
Apparats (Aleukämie, pseudoaplastische Anämie).
Die Blutveränderungen sind bedingt nämlich nicht allein durch
Zellbildung im hämopoetischen Apparat, sondern auch durch Mobilisation
und Ausfuhr der gebildeten Zellen.
9. Ist das Blut positiv verändert, so finden sich nur in den seltensten
Fällen irgendwie charakteristische, eine Krankheit oder Gruppe von Er-
krankungen anzeigende specifische Einzelbefunde. Meist ist nur erst
ein ganzes Blutbildensomble charakteristisch, und selbst dieses ist
auch gewöhnlich nicht für eine bestimmte nosologische Entität, sondern
nur für eine abgrenzbare größere Krankheitsgruppe pathognomonisch.
Zur differentialdiagnostischen Aufklärung muß zumeist noch der
sonstige klinische Symptomenbefund hinzutreten. Das ist ganz be-
sonders der Fall in den sogenannten atypischen’ Fällen, wo der vor-
handene Blutbefund nicht in typischer reiner und extremer Weise aus-
geprägt ist.
10. Es gibt von solchen wohlcharakterisierten umschriebenen Gruppen-
symptomen oder Symptomengruppen nur eine geringe Skala; sie zerfallen,
je nach der Art der zellulären Blutbestandteile, die qualitativ oder quantitativ
verändert sind, in zwei Hauptgruppen; die eine zeigt sich an den roten
Blutkörperchen (rotes Blutbild) und umfaßt die Veränderungen der Anämie
und Erythrocytose.
Die zweite umfaßt die Veränderungen der weißen Blutkörperchen
(Leukocytenbild) und tritt auf in den Erscheinungen der Blutleukämie
und Leukocytose. Somit gibt es nur vier Kardinalsymptome.
Sie bauen sich ihrerseits auf aus den elementaren Einzelsymptomen
qualitativer und quantitativer Natur und setzen sich weiter zusammen
zu Gesamtblutbildern (Anämie + Leukocytose, Leukämie + Anämie).
11. Die Kardinalsymptome sind es, die über die vorhandenen Zu-
'stände des [hämopoetischen Apparats wesentliches auszusagen imstande
sind, nicht aber die qualitativ und quantitativ singulären Elementar-
symptome, aus denen sie sich aufbauen. |
Letztere, die direkten und unmittelbaren Feststellungen unserer
hämodiagnostischen Untersuchungen, sind ebenfalls nur in den seltensten
Fällen für ein Kardinalsymptom specifisch (Polycytbämie für Erythro-
cytose). In den meisten Fällen findet sich dasselbe Elementarsymptom
bei mehreren Gruppen desselben Kardinalsymptoms (Oligochromämie bei
Chlorose und Anämie, Oligocythämie bei hypər- und hypochromer Anämie;
verkleinerter Index bei Chlorose und hyperchromer Anämie), oder es findet
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Koloniale Medizin.
Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun
von |
Regierungsarzt Dr. Külz, Kribi (Südkamerun).
Unter unsern deutschen Schutzgebieten steht Kamerun seit dem
durch das Marokkoabkommen ihm zugefallenen Gebietszuwachs im Vorder-
grunde des heimischen Interesses. Nicht zum geringsten ist dieses ein
hygienisches. Stellen uns doch die neugewonnenen Länder, abgesehen
von allen andern Aufgaben der politischen und wirtschaftlichen Er-
schließung, vor die Pflicht der Bekämpfung einer der fürchterlichsten
tropischen Seuchen, der Schlafkrankheit, die wir zwar über weite
Flächen Altkameruns verbreitet schon hatten, die aber unter den südlichen
Stämmen Neukameruns weit stärker wütet. Da außer der Bekämpfung
der in der Heimat augenblicklich besonders populär gewordenen Schlaf-
krankheit die Lösung hygienischer Probleme für Eingeborene und Euro-
päer überhaupt eine der obersten kolonialen Pflichten ist, wird es nicht
uninteressant sein, das Gesundheitswesen Kameruns in seinen
Grundzügen kennen zu lernen.
Die Einwohnerzahl des bisherigen Schutzgebiets wird bei einer
Größe, die knapp der des deutschen Reiches entspricht, auf 2'2 Mil-
lionen geschätzt, sodaß sich eine Bevölkerungsdichte von durchschnittlich
fünf Köpfen auf den Quadratkilometer ergibt (gegen mehr als 120 ver-
gleichsweise in Deutschland). Für dieses Gebiet sind nach dem neusten
Etat von 1912 insgesamt 24 Aerzte im Dienste des Gouvernements
vorgesehen. Wir haben also durchschnittlich einen Arzt auf reichlich
100000 Eingeborene; oder, auf die Fläche bezogen, einen auf ein
Land von der Größe des Königreichs Sachsen. Die Zahl muß
auf den ersten Blick ungemein niedrig erscheinen. Aber wir haben zu
wenigen Jahren in rascherem Tempo das
Inland Kameruns in Angriff genommen wurde, während sich früher die
kolonisatorische Arbeit auf die Küstenstriche konzentrierte, die deshalb
bedenken, daß erst seit
sich sogar bei ganz. verschiedenen Kardinalsymptomen (Hyperleukocytose
bei Leukämie und Leukocytose). _
12. Es bedarf also eingehendster theoretischer Kenntnis der zellu-
lären Grundlagen und umfassendster praktischer Erfahrung, um aus den
mannigfaltigen Variationen der oft untypischen Symptome im Verein mit
dem sonstigen klinischen Befund die hämatologische Diagnose aus dem
veränderten Blutbilde zu stellen.
13. Zum Schluß werden die hämatologischen praktischen Unter-
suchungsmethoden und die Verbesserungen ihres Instrumentariums ge-
schildert, so die Bürkersche Zählkammer mit der Netzteilung von
Goriaew-Pappenheim und Deckglasklammern, die Präzisionspipetten
von Hirschfeld und Pappenheim und vor allem die wichtigste Unter-
suchungsmethode der Trockenpräparatfärbung nach Ehrlich mittels der
von Pappenheim angegebenen panoptischen Universalfärbung (kombinierte
May-Giemsafärbung). (Eigenbericht.)
C. A. Koch (Surinam): Zur Behandlung der Frambösie. Die
Frambösie wurde durch Negersklaven in Amerika importiert. Sie kommt
nur im heißen Klima vor. In ihrer Symptomatologie hat sie große Aehn-
lichkeit mit der Syphilis. Man beobachtet bei ihr drei Stadien, die gleich-
zeitig nebeneinander vorkommen können. Die Effloreszenzen, welche bei
ihr auftreten, können zu handtellergroßen Flächen zusammenfließen. Sie
‘sondern ein Sekret ab, das die Uebertragung der Krankheit vermittelt,
und zwar findet die Infektion meistens durch einen direkten Kontakt
statt, indem Kleidungsstücke, die mit Sekret beschmutzt sind, auch von
Gesunden benutzt werden. Die Bekämpfung der Frombösie war trotz
strenger hygienischer Maßnahmen lange erfolglos. Auch die Behandlung
mit ammoniakalischer Kupfersulfatlösung nach Abkratzung des Schorfes
war ergebnislos. Eine eventuelle Heilung war mit sehr störender Narben-
contractur verbunden. Erst die Anwendung von Salvarsan brachte auch
bei dieser Spirochätenerkrankung Erfolg, und zwar war der Erfolg über-
raschend und alle Erwartungen übertreffend. Sechs Tage nach der Bin-
spritzung war wesentliche Besserung nachzuweisen und nach 14 Tagen
erfolgte Heilung. Manchmal trat schon nach 24 Stunden wesentliche
Besserung ein. Es wurden im ganzen 1200 Kranke behandelt, bei denen
nur zehn Rezidive auftraten. Die Rückfälle können dadurch bedingt ge-
wesen sein, daß die injizierte Menge zu gering war. Die Injektion er-
folgte anfangs intramuskulär (in den ersten 20 Fällen), alle übrigen er-
hielten intravendöse Einspritzungen von 0,2 bis 0,4 g. Kinder erhielten
entsprechend weniger. An Lichtbildern zeigte Vortragender die Sym-
ptomatologie der Frombösie und den Erfolg der Behandlung. Außerdem.
wurden Bilder von Patienten mit Filaria sanguinis demonstriert.
Fritz Fleischer.
auch im Ausbau ihres Sanitätswosens weit voraus sind. Zu dieser anfäng-
lichen Bevorzugung zwang vor allem auch der Umstand, daß an der
Küste bisher der größte Teil der weißen Bewohnerschaft ansässig ist,
auf deren ärztliche Versorgung natürlich zuerst Rücksicht genommen
werden mußte. Von den rund 1500 Europäern Kameruns entfallen
noch heute zwei Drittel auf die Küstenbezirke. Entsprechend unserm
Vordringen ins Innere und der Etablierung der Verwaltung daselbst ist
auch die Zahl der Aerzte in Zunahme begriffen. Vor zehn Jahren war
noch kein halbes Dutzend im Lande. Zu den im Regierungsdienste be-
findlichen Kräften gesellen sich drei bis vier Bahnärzte, die ausschließlich
für die beim Bahnbau beschäftigten Weißen und Farbigen engagiert sind,
von welch letzteren dauernd an 6000 Mann unter den ungünstigsten 5%
sundheitlichen Bedingungen in Arbeit stehen. Ferner hat eine amerika-
nische Missionsgesellschaft im Süden der Kolonie noch einige „Doktoren
in ihrem Dienste, durch tropenhygienische Kurse und Vorlesungen 18
Amerika leidlich ausgebildete Laien. Von den 24 Arztstellen der Re-
gierung entfallen 15 auf die Schutztruppe und 9 auf „Regierungs-
ärzte“. Trotz dieses Dualismus ist doch eine gewisse Einheitlichkeit
der Leitung dadurch erzielt, daß der Chefarzt der Truppe (früher Prof,
Ziemann, jetzt Oberstabsarzt Dr. Kuhn) gleichzeitig Medizinalreferent
des Gouvernements ist, und alle Aerzte der Kolonie ihm in „technisch-
medizinischer Hinsicht“ unterstellt sind. Durchs Medizinalreferat
geht aller Schriftverkehr mit dem Gouvernement, es hat den Jahresetat
aufzustellen und unter die einzelnen Dienststellen zu verteilen, hat Sie
mit Medikamenten, Instrumenten, Verbandmitteln und Lymphe zu ver
sorgen. Der Referent ist berechtigt, Inspektionsreisen zu unternehmen,
hat dem Gouverneur Vorschläge über die Stellenbesstzung zu machen
und verfügt selbständig über die Verteilung des farbigen Hilfspersonals.
Außer den bisher erwähnten ärztlichen Kräften hatte man, gleichfalls
unter Oberleitung des Referats, schon seit reichlich zwei Jahren zWe!
Aerzte mit dem Spezialauftrage zur Erforschung und Bekämpfung der
Schlafkrankheit angestellt. Einer derselben (Stabsarzt Dr. Freyer),
dem es in außerordentlich rascher und vollkommener Weise gelang, das
3. November.
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Vertrauen der auf tiefster Kulturstufe stehenden verseuchten Stämme zu
gewinnen, sodaß sich sein Schlafkrankenlager in kurzer Zeit mit reichlich
200 freiwillig zur Behandlung kommenden Eingeborenen füllte, und dem
wir wertvolle Grundlagen über die Ausbreitung der Seuche verdanken,
ist leider Ende vorigen Jahres auf seinem Arbeitsfelde gestorben. Da
sich sehr bald zeigte, daß sowohl die Ausdehnung des verseuchten Ge-
biets als die Zahl der Infizierten anfangs unterschätzt worden war, sind
für 1912 fünf Schlafkrankheitsärzte mit dem nötigen weißen und farbigen `
Hilfspersonal vorgesehen. Entsprechend hat man anstatt der im Jahre
191i bewilligten 45000 M. diesmal 129000 M. vom Reichtag erbeten,
die hoffentlich inzwischen bereits bewilligt sind. Im stillen haben wir
sogar die weitere Hoffnung, daß das Parlament, wie es das zu unserer
freudigen Ueberraschung im Vorjahre tat, aus eignem Antrieb über die
von der Kolonie angeforderte Summe hinausgehen wird. Es wäre dies
um so erwünschter, als auch der letztgenannte Betrag noch zu niedrig ge-
griffen ist, um ganze Arbeit zu leisten. Hat mau doch bei seiner Be-
recbnung nur einen durchschnittlichen Bestand von 220 in Konzentrations-
lagern zusammengezogenen Patienten angenommen, während sie selbst
der letzte amtliche Jahresbericht über die Entwicklung der Schutzgebiete
auf 5 bis 600 schätzt. Ferner sind von dieser Summe nicht nur die
Isolierung, Verpflegung und Behandlung der Infizierten zu bestreiten,
sondern ebenso alle Gehälter der bei der Schlafkrankheitkampagne be-
schäftigten Weißen und Farbigen. Natürlich handelt es sich bisher nur
um die verseuchten Distrikte des alten Schutzgebiets. Sobald die fak-
tische Uebernahme von Neukamerun erfolgt ist, wird hoffentlich die
Bewilligung weiterer Summen und weiterer Kräfte nicht auf sich
warten lassen. |
Die Schwierigkeiten, die sich teils vom Gelände, teils von der Be-
völkerung her gerade in Südkamerun der Bekämpfung der Trypano-
somiasis entgegenstellen, sind ganz enorme und mit denen in Ostafrika
und Togo gar nicht zu vergleichen. Ich hatte die Gebiete in den Jahren
1905 und 1909 zu bereisen. Sie liegen sämtlich in einer Urwaldzone
mit zahlreichen Fluß- und Sumpfniederungen; ibre spärliche Bewohner-
schaft ist nicht in größeren Dörfern angesiedelt, sondern in einzelnen
kleinen Niederlassungen zerstreut, dazu stellenweise erst in neuster Zeit
unterworfen, scheu gegen den Europäer, wenig diszipliniert und selbst
noch dem Kannibalismus ergeben. Der ganze südkameruner Schlaf-
krankheitsgürtel erstreckt sich in einer Längsausdehnung durchs Land,
die etwa der Entfernung Berlins von Basel entspricht. Wenn wir be-
denken, daß es gilt, möglichst alle Infizierten dieses Gebiets zu er-
mitteln und zu isolieren, so wird sich die Größe dieser Aufgabe ahnen
lassen. Eine weitere, sehr erheblich ins Gewicht fallende, von Fern-
stehenden durchweg übersehene Schwierigkeit ist darin gegeben, daß
gerade das Schlafkrankheitsterrain die Hauptproduktionsstelle des wert-
vollsten Kameruner Exportprodukts, des Gummis ist, daß es von vielen
tausenden unter fremden Stämmen angeworbenen Händlern und Kara-
wanenträgern durchzogen wird, sodaß eine Verschleppung der Krankheit
die günstigsten Bedingungen findet. Die Maßnahmen zur Bekämpfung
müssen notgedrungen Rücksicht nehmen auf die Offenhaltung dieses Ver-
kehrs, der zwar überwacht, aber nicht unterbunden werden kann, ohne
jährlich Millionenwerte zu opfern. Erreicht doch die Gummiausfuhr
allein Südkameruns die jährliche Höhe von rund 10 Millionen
Mark. So befindet sich der Kolonialhygieniker hier in der Lage des:
Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht naß! In dem gewaltigen
Verkehr liegt auch der Hauptgrund des neuerlichen epidemischen An-
schwellens der seit. langer Zeit endemischen Trypanosomiasis, und die
Notwendigkeit, diesem möglichst energisch halt zu gebieten, um so mehr,
als die im Bau befindliche und zu weiterer starker Verkehrsvermehrung
führende Kameruner Mittellandbahn ihren Endpunkt gerade mitten im
Schlafkrankheitsgebiet erreichen und dieses der Küste angliedern wird,
wo gleichfalls in dem Vorhandensein der übertragenden Glossinen die Ge-
fahr der Ausbreitung der Krankheit gegeben ist. Der Hauptplatz der
Kolonie Duala ist bereits infiziert, wenn auch nicht von Stüdkamerur,
sondern von der gegenüberliegenden spanischen Insel Fernandopo aus,
die aber ihrerseits vom Kongobecken her verseucht wurde. Leider —
kann man sagen — gehört die Trypanosomiasis nicht zu den explosions-
artig in die Erscheinung tretenden Seuchen wie Pocken, Pest oder
Cholera. Gerade ihre Anfangsstadien, die allein noch einer Therapie zu-
gänglich sind, können äußerlich beinahe symptomlos verlaufen und eine
längst befallene Bevölkerung als frei erscheinen lassen, bis sie auf Grund
zahlreicher Blut- beziehungsweise Drüsensaftuntersuchungen als infiziert
erkannt wird. i
Es wird sich hoffentlich vermeiden lassen, daß die außergewöhn-
lichen Anforderungen, welche die Schlafkrankheitsbekämpfung an uns
stellt, die Weiterentwicklung des übrigen Medizinalwesens der Kolonie
beeinträchtigen. Wir haben nicht nur über einzelne Landesteile, sondern
über das ganze Kameruner Schutzgebiet verbreitet, noch andere schwere
Volkskrankheiten, deren Ruf zwar augenblicklich nicht so weit gehört
wird, wie derjenige der Trypanosomiasis, die aber an Größe der Verluste
zum Teil sehr wohl mit ihr konkurrieren können. Ich greife die Lepra,
die Ankylostomiasis, die zunehmende venerische Durchseuchung
und die Variola heraus, die alle unsere nachhaltige Beachtung verdienen.
Sich ihnen zu widmen wird Aufgabe der in den einzelnen Bezirken sta-
tionierten Aerzte sein. Eine auch jetzt schon ohne Schwierigkeiten
durchführbare und nicht unbillige Forderung ist deshalb die, für jeden
kolonialen Verwaltungsbezirk mindestens einen Arzt vorzusehen; denn
in letzter Linie sind alle kolonialhygienischen Probleme zugleich kolonial-
wirtschaftliche, da jeder Volksstamm für uns als Produzent von Ausfuhr-
werten und Konsument unserer Einfuhr einen nach Möglichkeit zu er-
haltenden beziehungsweise zu mehrenden Kapitalwert darstellt; die
koloniale Güterökonomie ist ganz direkt abhängig von der kolonialen
Menschendökonomie. Aber die Pflicht, von vornherein in das Verwaltungs-
programm eines Bezirks auch die Eingeborenenhygiene aufzunehmen,
wird noch durch einen weiteren Grund bedingt. Das Einsetzen euro-
päischer Verwaltung bringt für die Farbigen neben der völligen Um-
gestaltung ihrer früheren politischen und sozialen Verhältnisse auch eine
Verschiebung aller ihrer Lebensbedingungen mit sich und kann gar nicht
anders, als sie auch in ihrem hygienischen Gleichgewicht zu stören. Sie
müssen zu den Diensten der Stationen, zur Anlage und dem Ausbau von
Verkehrswegen herangezogen werden, Umsiedlungen lassen sich nicht
vermeiden, Massenaufgebote von Arbeitern mit erhöhter Möglichkeit der
Ausbreitung infektiöser Erkrankungen werden nötig auf den Plantagen,
beim Bahnbau, im Karawanenverkehr. Die früher geringe Fluktuation
auf den Haupthandelsstraßen schwillt gewaltig an, in wachsender Zahl
kommt :der Europäer ins Land und mit den gepriesenen Segnungöän seiner
Kultur treten auch ihre Gefahren an ihn heran. Auf erstere allein darf
sich der Hygieniker nicht verlassen; sie haben weder die Naturvölker
Amerikas noch die Australiens vor dem Aussterben bewahrt. Die noch
weitverbreitete Meinung von der besonders großen konstitutionellen
Widerstandskraft der Farbigen bedarf sehr der Einschränkung. Gewiß
werden durch eine gründliche natürliche Auslese, die schon mit der
großen Kindersterblichkeit anhebt, die Schwächlinge im ersten Lebens-
alter ausgemerzt, sodaß der Neger in vollkommener Weise an seine
Scholle angepaßt und von erstaunlicher Leistungsfähigkeit ist. Aber
auch nur auf ihr und nur unter den durch Jahrhunderte gewohnten
Lebensbedingungen! Wird er irgendeinem eingreifenderen Wechsel des
Klimas oder der Ernährung unterworfen, so ist er bedeutend widerstands-
loser als z. B. der Angehörige der weißen Rasse. Immer schnellt die
Sterblichkeit erschreckend empor, wenn ein Stamm seinen Wohnsitz ver-
lassen muß oder sonst neuartige Verhältnisse ihn treffen. Auch in
Afrika wird die Kultur allein, die wir einer durch die Kluft von Jahr-
tausenden von uns getrennten Bevölkerung bringen, diese nicht retten.
Sie bedarf im Gegenteil des Schutzes gegen viele in ihrem Gefolge kom-
mende Begleiter. Denken wir z.B. an die Syphilis, die für viele In-
landstämme Kameruns erst mit der europäischen Zivilisation ihren Einzug
hielt und unter andern wenigstens vermehrte Ausbreitungsbedingungen
fand, denken wir an den Alkoholismus durch ungern Schnapsimport
und an die den Farbigen drohende Tuberkulose. Aufgabe der Kolonial-
hygiene ist es, forschend und helfend hier auf den Plan zu treten.
(Fortsetzung folgt.))
Reisebriefe.
Soziale Hygiene in Nordamerika
von
Dr. Haenlein, Berlin.
Bei einer zum Studium des amerikanischen Taubstummenwesens
mit Hilfe der Gräfin-Boose-Stiftung unternommenen Reise nach Nord-
amerika konnte ich Beobachtungen über hygienische Einrichtungen der
Städte machen. Die internationale Städteausstellung zu Chicago, die
Budgetausstellung der Stadt New York lieferten mir ebenfalls anschau-
liche Beiträge. Der Direktor der städtischen Ausstellung in Chicago war
eine Dame. Aber auch sie hatte ihre Ausstellung nicht fertig bei der
Eröffnung — oder vielleicht gerade deshalb.
Relativ häufig findet man in der amerikanischen Presse hygienische
Fragen erörtert: „Was europäische Städte New York lehren können.“ —
„Folgen von erblichen Krankheiten bei Kindern.“ — „Schwachsinnige
Kinder.“ — „Kinderarbeit in Bergwerken und Fabriken.“ — Mit Hilfe
packender Illustrationen wird dem Leser der Stoff kraß vor Augen ge-
führt. Wenn die Statistik berichtet, daß 3421 Personen in 80 Städten
wegen Spuckens auf das Straßenpflaster bestraft wurden in einem Jahre,
so glaubt man, es werde sehr. auf die Reinlichkeit der Straßen geachtet.
Dies ist aber nicht der Fall. In den von New York nach Coney Island,
dem Seebade, fahrenden Straßenbahnwagen, werden 500 Dollars Strafe
1812
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44,
3. November,
oder ein Jahr Gefängnis oder beides für Spucken in den Wagen ange-
droht, Dieses Spucken ist eine nationale Unsitte. Das Rauchen der
kurzen Pfeife, die durch den Rauch der Industrie verdorbene Luft (De-
partment of Smoke Inspection zur Unschädlichmachung des Rauches), die
scharfen Getränke (Whisky) und besonders das allgemein übliche Kauen
von Gummizucker (Pepsin-gum, chewing gum) befördern dieses Ausspucken.
Es berührt sonderbar, wenn man zirka jeden dritten oder vierten
Menschen auf der Straße Kaubewegungen machen sieht. Der Posten vor
der Liberty-Statue im Hafen von New York kaute ebenso eifrig seinen
Gummi, wie der hohe Chef einer städtischen Behörde zu Chicago, als er
mich empfing. Und während amerikanische Damen es unanständig finden,
im Restaurant eine Zigarette zu rauchen — in New York war es ihnen
sogar polizeilich verboten —, kauen sie leidenschaftlich überall ihren
Gummi. Außer dem Ausgespuckten bedecken Unrat von Tieren, Papier,
Obstschalen und Abfallstoffoe das Pflaster mohr wie wir es in Deutschland
zu sehen gewohnt sind. Große Geschäftshäuser, z. B. Wanamaker in
Philadelphia, lassen ihre Kisten auf dem Trottoir vor dem Geschäftshaus
auspacken. Dabei verloren gehendes Packmaterial bleibt liegen. Als ich
in Philadelphia nach dem Verlassen des Schiffes aus Land ging, standen
um 12 Uhr mittags die Abfalleimer noch gefüllt vor den Häusern in den
Straßen in der Nähe des Hafens. In New York ist es noch nicht lange
her, daß das Abholen des Mülls nachts erfolgt. New York sammelt
162 Pfund Abfall pro Person, Milwaukee 218, Chicago 77. „Wo bleibt
in Chicago der Rest?“ fragt die Statistik.
Der 1910 gegründete Club der Frauen Chicagos hatte in der Städte-
ausstellung ein weit sichtbares Plakat angeheftet: „Help the woman city
club: Clean up.“ Das Programm dieses Frauenklubs lautet: Reine
Straßen, reine Häuser, reine Schulen, reine Straßenbahnen, Sauberkeit in
Nahrung, Wasser, Luft. Solche Frauenklubs spielen in Amerika eine
Rolle und setzen mancher Behörde arg zu. Während meiner Anwesen-
heit in Washington berichtete die Presse, daß in der Nacht gegen 11 Uhr
drei Vertreterinnen eines Frauenklubs (ältere Jahrgänge) auf einer Polizei-
station erschienen, um einen Polizisten baten, der sie zu den Bordells
führe. Sie erhielten ihn und gingen in zwei Häuser — der „Schutz“mann
wartete außen —, fragten die Wirtinnen aus, um für ihre Sittlichkeits-
bestrebungen Material zu sammeln,
Um sich ein Bild über die hygienischen Verhältnisse einer Stadt
zu machen, muß man auch die Straßen und Unterkunftsverhältnisse in
den ärmeren Stadtteilen durchwandern. Da sind einzelne Straßen der
Bowery in New York recht wenig zufriedenstellend.. Zum Beweis ander-
seits, wie gesund das Leben in New York sei, sind auf der Städte-
ausstellung Photographien von Straßenreinigern ausgestellt. Es sind Typen
von Gesundheit, die inmitten ihrer sehr zahlreichen, sehr wohl aussehenden
Kinderschar stehen. Wenn Straßenreiniger, die so viel Bacillen schlucken,
so gesund sind, wie müssen es dann erst die andern Bewohner der Stadt sein!
Die Riesengebäude, die Wolkenkratzer, geben den amerikanischen
Städten ihre charakteristische Note. Es steckt etwas Imponierendes in
diesen Giganten. Wohl heißt es, je größer das Haus, um so kürzer die
Lebensdauer seiner Bewohner, um so höher die Säuglingssterblichkeit.
Aber diese mit allem Raffinement der Technik eingerichteten Massen-
quartiere dienen meist nur zu Geschäftszwecken. Es ist begreiflich, daß
man in die nichts kostende Luft baut, wenn man hört, daß in dem
Broadway in New York 850 Dollar = 3400 M für den Quadratfuß eines
Platzes bezahlt wurden. Selbst die Feuerwehr, die wegen der Schwierig-
keit, einem Brand in solchem Wolkenkratzer beizukommen, in ihren Zeit-
schriften gegen diese Häuser kämpft, vermag es nicht durchzudrücken, daß
man von ihrer Erbauung Abstand nimmt. Ist nun vom hygienischen
Standpunkte wenig gegen den Aufenthalt in diesen Turmhäusern einzu-
wenden, so muß es scharfe Bedenken erregen, daß auch bis zu zwei bis
drei Etagen unterhalb des Erdbodens die Räume benutzt werden! Ich
sah dies in Warenhäusern, und die geschäftliche Tätigkeit in diesen stets
künstlich beleuchteten und trotz Ventilation dumpfigen Räumen muß auf
die Gesundheit der Verkäufer unglinstig wirken. l
In den öffentlichen Gebäuden, in Hotels, vermeidet man Staub-
fänger. Aber die Fußböden der Hotels findet man sehr häufig mit
Teppichstoff ausgelegt. In einem Lande, wo Händearbeit so teuer bezahlt
wird, läßt wohl aus diesem Grunde die Sauberkeit in Theatern, Hotels,
Restaurants, Eisenbahnen oft zu wünschen übrig. Time is money. Be-
sorgen doch vielfach Neger das Reinemachen (Kellner). Neger sein und
Sinn für Reinlichkeit besitzen — das habe ich bei meinen Reisen in den
Weltteilen, die ich besuchte, selten vereint angetroffen. Dabei ist der
Amerikaner für seine Person sehr sauber. Das Bad spielt eine große
Rolle. Bei vielen Hotels ist eine Badezelle mit jedem Zimmer verbunden.
Die Zahnpflege ist Bedürfnis. Die Barbiere bearbeiten den Kunden mit
Desinfektionsmitteln, heißem Wasser, um Infektionen zu verhüten, daß
dem Fremden die Haut brennt. Es ist unglaublich, welche Hitzegrade
der Amerikaner bei diesen Prozeduren mit nassen heißen Tüchern durch
den Barbier wohlgefällig verträgt.
Auf Parkanlagen wird von den Städten große Sorgfalt verwendet.
Große wie kleine Städte leisten darin Hervorragendes. In der Monats-
schrift „The American city“ schätzt ein Bürgermeister den ideellen Wert
eines besonders schönen alten Baums seiner Stadt auf 5000 Dollars =
20 000 M. Große Städte haben „Tree surgeons“ = Baumärzte angestellt,
deren Aufgabe es ist, kranke, gerissene Bäume wieder lebensfähig zu
machen. Im Gegensatz hierzu werden die Wälder zu Geschäftszwecken
ohne Rücksicht auf,die Zukunft ruiniert und abgeholzt. |
Die gesundheitspolizeilichen Aufgaben der Städte werden von dem
Department of health wahrgenommen. Diese Behörde hat überall — trotz
der von einander abweichenden Verfassung und Gesetze der einzelnen
Staaten eine große Machtbefugnis. In einem Lande, wo infolge der Ein-
wanderung aus allerlei Ländern die Gefahr der Seucheneinschleppung nicht
gering ist, muß dies auch sein. Es ist ein großes Verdienst der ame-
rikanischen Gesundheitsbohörden, daß es gelungen ist, bisher größere Epi-
demien fernzuhalten. Welch eine Menschengattung von Einwanderern
stellen polnische, galizische Landstriche! Welche Mühe gab sich der
Norddeutsche Lloyd, als ich hinüberfuhr, diese Leute zur Reinlichkeit zu
bringen! Eine ganze Anzahl zog sich während der Ueberfahrt nie aus,
wusch sich nicht. Die ärztlichen Untersuchungen in Bremen, an Bord,
bei der Einfahrt, in New York auf Ellis Island sieben die Zwischendecker
gründlich. Es wird über Chikanen der amerikanischen Einwanderungs-
behörden geklagt. Leute mit Sprachfehlern werden wieder zurück-
geschickt; es wird Trachom diagnostiziert, wo es nicht vorhanden ist —
dann muB die Schiffahrtsgesellschaft hohe Strafe zahlen und den
„Kranken“ wieder zurückbringen.
Aerztliche Tagesfragen.
Die Organisation des türkischen Kriegs-Sanitätsdienstes.
Wie weiteren Kreisen bekannt sein dürfte, hat erst im Herbste
1910 die Organisation des Kriegs-Sanitätsdienstes für das
osmanische Heer durch den Königl, preußischen Generaloberarzt
Dr. Vollbrecht begonnen. Es ist daher schwer, wenn nicht unmöglich,
jetzt bereits von feststehenden Einrichtungen zu sprechen, und noch be-
denklicher, die in diesen zwei Friedensjahren erzielten Fortschritte als
maßgebend für die voraussichtlichen Leistungen im Kriege anzusehen.
Soweit es im Rahmen eines kurzen Referats geschehen kann, möge in-
dessen an dieser Stelle im Hinblick auf die augenblickliche Kriegalage
im Balkan das notwendigste über das türkische Sanitätswesen mitgeteilt
werden. Es fanden hierbei vorwiegend die maßgebenden Veröfient-
lichungen zweier deutscher Militärärzte, Dr. Kowalik!) und Voll-
brecht?), Berücksichtigung. Ä
Die militärärztliche Vorbildung vollzieht sich hiernach in der Weise,
daß die türkischen Knaben, denen eine höhere Ausbildung zuteil werden
soll, von ihrem 7. bis 13. Jahre auf Primärschulen den Elementar-
unterricht erhalten, um daun vom 13. bis 16. Jahre den Militär-
vorschulen anzugehören, deren es zwei für „Militärs“ und Mediziner
gibt. Diese strenge Trennung erscheint besonders wichtig deshalb, weil
Sie die Ursache dafür abgibt, daß die osmanischen Militärärzte nicht
mit der Waffe dienen, das heißt keinerlei militärische Ausbildung
erhalten, ein Uebelstand, auf den Vollbrecht wiederholt hinweist und
der auch bei der Organisation es verhinderte, daß die Führung der
Sanitätskompagnien bisber einem Sanitätsofizier anvertraut werden
konnte. So gehen, um auch auf diesen Punkt hinzuweisen, etwa 40%
der türkischen Offiziere aus dem Mannschaftsstande hervor, haben jedoch
wenig Aussicht auf Beförderung in höhere Stellen. Diese bleiben viel-
mehr den auf den Kriegsschulen vorgebildeten Offizieren vorbehalten, die
auch in ihrem Auftreten ihre deutsche Erziehung selten verleugnen Un
als einzige Berufsklasse in der Türkei, die über eine abgeschlossene Bil-
dung verfügt, den Kern des Heeres ausmachen.
Nach Absolvierung der medizinischen Vorschule beginnt für die
Schüler der Eintritt in die Kaiserlich Ottomanische Fakultät der
Medizin. An ihrer Spitze steht ein ärztlicher Direktor mit dem Titel
Pascha, Excellenz und Generalsrang. Hier gibt es als Professoren Yor-
zügliche Lehrer, von denen wohl die Mehrzahl ihre Kenntnisse in Frank-
reich und Deutschland gesammelt oder vervollkommnet hat. Unterrichts-
sprache war früher ausschließlich das Französische, jetzt ist sie das
Französische und Türkische. Das medizinische Studium dauert hier sechs
Jahre und unterscheidet sich von dem unsrigen darin, daß erst vom
vierten Jahre ab die klinischen Semester des Mediziners beginnen. #8
darf diese klinische Ausbildung natürlich mit der ungrigen nach keiner
Richtung hin verglichen werden, da medizinische. und chirurgische Klin akeg
. !) Dr. Kowalk, Das ärztliche Bildungs- und Sanițātswesen der
türkischen Armee. Berlin, Otto Enslin. ‚D
... °) Oberst Dr. Vollbrecht Bey, Kgl. preuß. @eneraloberarzt & U
Militärärztliches aus der Türkei. (Ð. mil. Zt., 20. Februar 1912.)
3. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44, 1813
Ed
2
immer noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und es
vor allem auch an dem notwendigen Leichenmaterial für die Operations-
kurse fehlt. Nach dem Austritt aus der „medizinischen Fakultät“
kommen die für die Armee bestimmten Aerzte zur weiteren praktischen
Ausbildung in das große Lazarett zu Haidar, die für die Marine vor-
gesehenen Aerzte in das Marinelazarett am Goldenen Horn. Der ge-
steigerte Bedarf an Militärärzten führte indessen in den letzten Jahren
recht häufig dazu, daß die jungen Aerzte ohne vorherige Vorbereitung
von der Fakultät weg direkt der aktiven Truppe oder Marine zugeteilt
wurden. |
Was nun die Kriegsorganisation der osmanischen Armee an-
betrifft, so fußt dieselbe auf den erprobten deutschen Einrichtungen, wo-
bei natürlich die besonderen Verhältnisse in der Türkei in Abzug ge-
bracht werden müssen. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale sind
hierbei die geringe Stärke des Sanitätsoffizierkorps, das Fehlen eines
Reserve-Sanitätsoffizierkorps sowie die Besonderheiten der in Frage kom-
menden türkischen Kriegsschauplätze. Zu letzteren rechnen das wenig
ausgebaute Eisenbahnnetz, der Mangel an fahrbaren Straßen, die dünn-
gesäte Bevölkerung, schroffo klimatische Unterschiede und anderes mehr.
So biwakiert die türkische Armee fast immer in Zelten oder im Freien.
Es erwiesen sich auch die deutschen Feldfahrzeuge für die Zugtiere in
der Türkei (Pferd und Maultier) als zu schwer und mußten so verändert
werden, daß sie dem Dienst im Gebirge und in der Ebene zugleich ge-
„ recht werden konnten.
In Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wurde durch Voll-
brecht die Organisation auf folgender Grundlage geschaffen.
Die Leitung des Sanitätsdienstes im großen Hauptquartier entspricht
genau den Vorschriften in der deutschen Armee. Der Hygieniker beim
Generalkommando erhält Mikroskop, bakteriologischen und Reagenzien-
kasten. Jeder Sanitätsoffizier, Sanitätssoldat und Krankenträger ist
kenntlich durch die weiße Armbinde mit dem roten Halbmonde, jeder
Krankenpfleger durch den roten Halbmond, aufgenäht auf den linken
Rockärmel. Als Vollbrecht die Organisation übernahm, gab es nur.
Sanitätsoffiziere und Krankenpfleger, die Sanitätssoldaten und Kranken-
träger sowie die der preußischen entsprechende Ausrüstung aller vier
Klassen wurden erst von Vollbrecht geschaffen und die hierzu not-
wendigen Sanitätsschulen im Jahre 1911 eröffnet. Bine Modell-Sanitäts- >»ımen d
| werden lassen, daß die Universitätsinstitute Preußens sür die Abhaltung
kompagnie diente als Muster.
Das türkische Infanterie-Regiment zu 3 Bataillonen verfügt
über 1 Regimentsarzt, 3 Bataillonsärzte, 3 Apotheker und 3 Feldschere,
das heißt handwerksmäßige niedrige Chirurgen, welche aufgebraucht und
nicht wieder neu angestellt werden sollen. An Sanitätspersonal besitzt
jedes Regiment 12 Sanitätssoldaten und 48 Krankenträger; die Musiker
werden hierfür als Hilfskrankenträger ausgebildet. Jeder Offizier und
jeder Soldat trägt in einer Tasche im linken Vorderschoße des Waffen-
rocks ein Verbandpäckchen, zusammengestellt nach Angabe von Prof.
Dr. Wieting Pascha, dessen Kontrolle auch die Herstellung der
aseptischen Verbandstoffe in der Verbandstoffabrik, welcbe der Fort-
bildungsanstalt Gülhane angegliedert ist, unterliegt. Beim Stabe des
Regiments befindet sich eiu lufanterie-Sanitätswagen, dessen Inhalt dem
deutschen etwa gleichkommt und in Kisten verpackt werden kann, sodaß
die einzelnen Traglasten auf Maultierrücken verladen werden können.
Gewicht für ein Tier 80 kg.
Beim Stabe des Bataillons befinden sich zwei Sanitätskästen
mit Arzneien (Tablettenform) und Verbandmitteln, vier Krankentragen,
vier Sanitätstonrister, je zehn Flanelldecken und Leibbinden. Diese Aus-
rüstung wird auf zwei Tragtiere verteilt. Verbandmittel sind sehr reich-
lich, für Stätzverbände werden Schusterspan und Siebdrahtschienen be-
vorzugt. Als Sanitätstornister ist der von dem preußischen Oberstabsarzte
Dr. von Tobold angegebene eingeführt.
Diese Ausrüstung soll die erste ärztliche Hilfe im Felde ermög-
lichen, ihr Schwerpunkt auf dem Regimentsverbandplatze liegen. Wenn
irgend angängig, wird er sich an Gebäude anlehnen, andernfalls sollen
mit Hilfe der tragbaren Zeitausrüstung größere Verwundetenzelte er-
richtet werden. Die Sanitätsausrüstung der Kavallerieregimenter ist die
gleiche wie in der deutschen Armee. Da die türkische Kavallerie, mit
Ausnahme eines Regiments, keine Lanzen führt, wird die Nottrage mit
Bambusstangen versehen. Dies gilt auch für die Artillerieregimenter.
Die Sanitätskompagnie ist nach deutschem Vorbilde formiert,
doch nur halb so stark wie die deutsche, ihr Kommandant ist aus dem
bereits angegebenen Grunde ein Hauptmann vom Train. Als Ver-
bindezelt wurde das deutsche Modeli 1906 eingeführt. Von Acethylen-
beleuchtung ist als zu kompliziert vorerst Abstand genommen. Da die
Wasserversorgung in der Türkei unter Umständen große Schwierigkeiten
bereiten kann, führt jeder Krankentransportwagen ein bis zwei Wasser-
fässer mit, außerdem werden im Lebensmittelwagen sechs Wassersäcke
untergebracht. Aufmarsch und Marschordnung der Sanitätskompagnie
entsprechen im großen und ganzen den deutschen Vorschritten.
Die schwierigste Aufgabe für den türkischen Sanitätsdienst im Ge-
birge bildet immer noch die erste vorläufige Unterkunft und der Transport
der Verwundeten, zumal bei dem Mangel an Eisenbahnen und der nur dünn
gesäten Bevölkerung, welche in primitivsten Hütten wobnt. Jedes Armee-
korps verfügt daher über sechs Feldlazarette, welche für je 200 Ver-
wundete eingerichtet sind und im Notfall in zwei Gebirgsfeldlazarette für
je 100 Verwundete umgewandelt werden können. Das Material wird auf
Tragtiere verladen. Für den Krankentransport mit der Eisenbahn wurde
das System Linxweiler gewählt. Material für Sanitätszüge lagert zu-
nächst in Konstantinopel und Saloniki, doch wird auch der Kranken-
transport auf Sanitätsschiffen eine große Rolle spielen. |
Diese eben entwickelte Kriegssanitätsorganisation ist in einem Buch
im Format der deutschen Kriegssanitätsordnung auf 43 Seiten gedruckt,
Die Dienstvorschriften für die Sanitätskompagnien und Feldlazarette folgen
als Anhang. l
Der leitende Gesichtspunkt, den die türkische Organisation durch
Vollbrecht somit anstrebte, ist der, eine möglichst leicht bewegliche
Kolonne zu schaffen, die den individuellen örtlichen Verhältnissen sich
rasch anzupassen vermag. Dieselbe muß vor allen Dingen ihrer Truppe
schnell folgen und sich dort einrichten können, wo die Sanitätskompagnie
ihren Hauptverbandplatz aufgeschlagen hat. Wenngleich die hierzu-
notwendigen Anordnungen noch neu sind, und ihre Feuerprobe im
wahrsten Sinne des Wortes früher zu bestehen haben, als es ihrer ge-
deihlichen Entwicklung zu wünschen gewesen wäre, steht doch zu er-
warten, daß bereits jetzt vieles sich bewähren und späterhin unter dem
Einflusse der gemachten praktischen Erfahrungen die Entwicklung des
Kriegssanitätsdienstes sich rascher vollziehen wird, als es sonst vielleicht
der Fall gewesen wäre. Erwin Franck.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
: mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Zur Einrichtung von Fortbildungskursen für Apo-
theker hat sich in Preußen ein Hauptausschuß gebildet, der vom
Ministerium des Innern und den großen Fachkorporationen nicht nur
Preußens, sondern auch Deutschlands Förderung eriuhr. Ebenso hat das
Kultusministerium dem Unternehmen dadurch eine Unterstützung zuteil
der Fortbildungskurse zur Verfügung gestellt wurden. Zum Vorsitzenden
des Hauptausschusses wurde der Direktor des Pharmazeutischen Instituts
der Uuiversität Berlin, Professor Dr. H. Thoms, bestimmt. Den Ehren-
vorsitz hat der Ministerialdirektor in: Ministerium des Innern, Geheimer
Obermedizinalrat Professor Dr. Kirchner übernommen. Die Berliner
Fortbildungskurse nahmen am Dienstag, 15. d. Mts., mit einem einleitenden
Experimentalvortrag des Professors Dr. H. Thoms im Pharmazeutischen
Institut der Universität in Berlin-Dahlem ihren Anfang. Der Genannte
wird über die „Elektrochemie als Hilfsmittel der chemischen Analyse und
der Fabrikation chemischer Präparate“ sprechen.
— Der „Verband zur Wahrung der Iateressen der deutschen
Betriebskrankenkassen“ mit dem Sitz in Essen a. Ruhr trat in ver-
gangener Woche unter starker Beteiligung aus dem ganzen Reich in
Berlin zu einer Konferenz zusammen, um zu den vom Ministerium des
Innern angeregten Verständigungsversuchen zwischen Kranken-
kassen und Aerzten Stellung zu nehmen.. So sind hier die Zuge-
ständnisse eingehend besprochen, die seitens der Krankenkassen gemacht
werden können und im wesentlichen in Sicherung der Stellung der Kassen-
ärzte und Erhöhung ihres Honorars bestehen sollen. Anderseits wurde
seitens des Krankenkassenverbandes von der Regierung eine eingehende
Einwirkung auf den „Leipziger Verband“ vorausgesetzt. Inwieweit diese
Zusammenkunft zu brauchbaren Ergebnissen führen wird, muß abgewartet
werden. Es sei bei dieser Gelegenheit auf die kleine Schrift von Dr.
Karl Wiebel (Leipzig) hingewiesen, die unter dem Titel: „Die Arzt-
frage in der Krankenversicherung* die einschlägigen Verhältnisse nach
den verschiedenen Richtungen hin beleuchtet und geeignete Mittel zum
Ausgleich der bestehenden Unterschiede in Vorschlag bringt.
— Am 29. Oktober verstarb hierselbst im 66. Lebensjahre der
Kaiserliche Wirkliche Geheime Rat Dr. med. hon. c. Karl
Köhler, der 1885 bis 1905 an der Spitze des Reichsgesundheitsamts
stand, nachdem er vorher vortragender Rat im Reichsamt des Innern
gewesen war. In den Beginn seiner Amtszeit fallen die wichtigen Ent-
deckungen Robert Kochs im Laboratorium des Reichsgesundheitsamts.
Große Verdienste erwarb sich Köhler im besonderen um die Förderung
der deutschen Tuberkulosebekämpfung.
— Am 29. Oktober wurde mit großer Mehrheit San.-Rat Dr.
Mugdan, der frühere Reichstagsabgeordnete, in der Ersatzwahl für den
verstorbenen Geh. Justizrat Albert Träger zum Landtagsabgeordneten
für Berlin I gewählt. —
— Frau Pauline Schütze. die Mutter des im Dienste der Roten-
Kreuz-Expedition in Tripolis an Typhus verstorbenen Prof. Schütze
vom Krankenhaus Moabit, spendete 10000 M zur Errichtung einer nach
ihr benannten Stiftung für arme Patienten.
1814
Göttingen. Hierselbst verstarb am 23. Oktober an den
Folgen eines Schlaganfalls im 76. Lebensjahre der Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Wilhelm Ebstein. Seine Studien hatte er in Breslau und Berlin
vollendet und sich 1869 in Breslau habilitiert. 1874 kam Ebstein dann
als Professor eo. und Direktor der Medizinischen Klinik nach Göttingen,
um hier bis zum Eintritt in den Ruhestand 1906 eine ausgebreitete prak-
tische und wissenschaftliche Tätigkeit zu entfalten. Insbesondere war es
das Gebiet der Stoffwechselkrankheiten, dessen Ausbau den Inneren Kli-
niker immer wieder anzog. Nebenher entstanden noch eine Reihe medi-
‚zinisch-historischer Arbeiten, so schrieb er über die Pest im Thucydides und
über die Krankheiten der großen Armee in Rußland. Wir werden noch an
anderer Stelle auf das Lebenswerk Ebsteins eingehender zurückkommen.
Kissingen. Der hiesige ärztliche Bezirksverein beschloß ein-
stimmig: „Die Aerztekammer möge die Königliche Staatsregierung ver-
anlassen, beim Bundesrate den Antrag zu stellen, daB ausländischen,
in Deutschland nicht approbierten Aerzten die Ausübung der.
Praxis in jeder Form und unter jeder Bezeichnung verboten werde,
unbeschadet der für die Grenzbezirke bestehenden internationalen Verein-
barungen.“ Es handelt sich dabei im wesentlichen um die Beseitigung
gewisser Uebelstände, die sich für Kissingen in den letzten Jahren aus
der Anwesenheit ausländischer, besonders russischer Aerzte ergaben, die
unter Umgehung der Bezeichnung „praktischer Arzt“ entsprechend $ 147
Ziffer 3 der Gewerbeordnung eine ausgedehnte Praxis betrieben. In der
‚Begründung seines Antrags weist der Bezirksverein zutreffend darauf
‚hin, daß kein einziger der in Betracht kommenden Kulturstaaten heute
noch deutsche Aerzte zuläßt. Bekanntlich hat auch Italien vor kurzem
seine Gesetzgebung in diesem Sinne geändert und gibt seither, wio es
auch England und die Schweiz tun, nur Aerzten jener Nationen Nieder-
lassungsrecht, die in einem Reziprozitätsverhältnis mit ibm stehen.
Oesterreich, Frankreich und Rußland dagegen kennen auch dieses Rezi-
prozitätsverhältnis nicht, sondern schließen ausländische Aerzte in jedem
Falle von der Praxis aus, solange sie nicht sämtliche Landesexamen be-
standen haben. Hierin liegt aber eine Benachteiligung der deutschen
Aerzte, welche das in dem vorliegenden Antrage zum Ausdruck ge-
brachte Vorgehen rechtfertigt. |
Leipzig. Hierselbst verstarb am 23. Oktober im Alter von
62 Jahren Generalarzt a.D. Düms. Die Verdienste des Verstorbenen,
der sich vielfach literarisch hervorgetan hat, liegen vor allem auf dem
Gebiete des Samariter- und Rettungswesens.
Saarbrücken: Am 27. Oktober wurde hierselbst das König-
liche Institut für Infektionskrankheiten in Anwesenheit der
Staats-, Kommunal- und Militärbehörden und einer großen Anzahl ge-
ladener Gäste eröffnet. Anwesend waren aus dem Ministerium des Innern
Ministerialdirektor Dr. Kirchner und Geheimrat Dr. Finger, weiterhin
Geheimrat Prof. Dr. Gaffky, der Generalarzt des 21. Armeekorps
Dr. Johannes als Vertreter des Kriegsministeriums u. a. m. Ministerial-
direktor Dr. Kirchner übernahm das Institut, welches dem Direktor Prof.
Dr. Lentz untersteht, und gab eine Reihe von Auszeichnungen bekannt.
Wien. In der Sitzung des Heeresausschusses der öster-
reichischen Delegation vom 1. Oktober d. J. streifte der Kriegsminister
die Frage der Militärärzte. Den Abgang an Militärärzten müsse er
zugeben. Es fehlen zirka 200 Militärärzte und alle versuchten Sanierungs-
maßnahmen haben bisher nur geringe Erfolge gehabt. Der ärztliche Beruf
werde jetzt überhaupt weniger gesucht, da das Studium zu kostepielig
und andere Berufe lukrativer geworden seien, sodaß auch im Zivil ein
ganz fühlbarer Mangel an Aerzten eingetreten ist. Die Avancements-
verhältnisse der Militärärzte sind eigentlich gut und werden noch weiter
verbessert. Allein daß die Militärärzte auch in entlegene Stationen
kommen, ist nicht zu vermeiden, in solehen Fällen verlassen aber viele Aerzte
den Militärdienst. Für den Mobilisierungsfall liegen die Verhältnisse
günstiger, da die Aerzte zumeist in dem wehrpflichtigen oder landsturm-
pflichtigen Alter sind und auch auf Freiwillige gerechnet werden kann.
Diesbezüglich babe der Minister keine Besorgnis.
England: Wir berichteten an dieser Stelle bereits wiederholt tiber
den Widerstand, dem das neue Arbeiterversicherungsgesetz bei
den englischen Aerzten begegnete, sodaß seitens der British Medical
Association das bekannte „Six Point Programm“ aufgestellt wurde, welches
die Forderungen der Aerzte in sechs Punkten zusammenfaßt. Wäre das
gegenseitige feindliche Verbältnis in dieser Form bestehen geblieben, so
hätte sich am 1. Januar 1918, dem Tage des Inkrafttretens des neuen
Gesetzes ein regulärer Aerztestreik entwickelt. Der Schatzkanzler Lloyd
George hat sich jedoch neuerdings auf den Vorschlag der Krankenkassen-
kommission hin veranlaßt gesehen, nunmehr 1 Million Pfund = 20 Mil-
lionen Mark in den Etat des nächsten Jahres einzustellen, wodurch es
ermöglicht wird, die Honorarfrage, welche die Bezahlung als Pauschale
pro Kopf vorsieht, den Wünschen der Aerzte entsprechend zu regeln.
Auch hinsichtlich der Besuche im Hause der Erkrankten sind die Be-
stimmungen verschärft worden, um einer mißbräuchlichen Ausbeutung
der Aerzte nach Möglichkeit vorzubeugen. Wie wir noch erfahren, sind
es jetzt eher die Arbeiter selbst, denen das neue Gesetz aus dem Grunde
widerstrebt, weil hier zum ersten Male der Versicherte nicht mit seinem
vollen Namen vertreten ist, sondern sein Name durch eine bestimmte
Zahl ersetzt wird. So heißt es z. B. nicht, der Arbeiter John Smith
meldet Invaliditätsansprüche an, sondern Nr. 5023 tut dies. Schließlich
bleibt es immer noch fraglich, ob bei einem politischen Systemwechsel in
England, wie er gerade jetzt nicht ausgeschlossen erscheint, mit dem
Aufkommen einer konservativen Mehrheit das Gesetz in seinem wichtigsten
Teil nicht so abgeändert wird, daß auch die Aorztefrage alsdann wieder
von einem neuen Gesichtepunkt angesehen werden muß. Fr.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 44.
3. Noveniber,
Kairo. Hierselbst wird Antang November d. J. auf Grund einer
Stiftung ein Erholungsheim für minderbemittelte Deutsche,
„König-Wilhelm-Hospiz“ eröffnet. Vorderhand ist es in einem von
einem Mitgliede des Verwaltungsrats überlassenen, in Kubbeh-les-Bains,
einer Vorstadt Kairos, am Rande der Wüste günstig gelegenen Hause
untergebracht, das 20 Personen Unterkunft gewährt und die notwendigen
Wohnräume nebst Gesellschaftszimmer, Terrasse und Garten bietet. Eis
besteht die Absicht, auf dem Wege von Sammlungen später ein eigenes
Gebäude zu errichten. Aufgenommen werden im allgemeinen Erholungs-
bedürftige aller Art, soweit sie nicht bettlägerig sind. Ausgeschlossen sind
geisteskranke, tuberkulöse und an andern Infektionskrankheiten leidende
Personen. Aerztlicher Beirat der Stiftung ist Prof. Dr. Engel in Kairo.
Das Pfarramt der deutschen Kirche in Kairo kann Näheres mitteilen. _
Als Sonderband zu der im Verlage von Urban & Schwarzenberg,
Berlin und Wien, herausgegebenen Zeitschrift „Strahlentherapie“ er-
schien eine monographische Bearbeitung der BRöntgen-Tiefen-
therapie von Gauss und Lembcke. Seit den ersten Erfahrungen über
die Schädigung der Keimdrüsen durch Röntgenstrahlen und den ersten
Mitteilungen, die eine darauf begründete Therapie auf die Rückbildung
der Uterusmyome hat, ist dieser therapeutische Weg von verschiedenen
Seiten eingeschlagen worden. Der Nutzen des Verfahrens wurde in Ver-
folg der Beobachtungen und nach Einführung einer verbesserten Technik
allgemein anerkannt. Die Erfolge jedoch, die in den letzten Jahren aus
der Freiburger Frauenklinik bei Myomen und hämorrhagischen - Metro-
pathien mitgeteilt worden sind und auf 100% Heilungen bewertet
werden, sind von anderer Seite bisher nicht erreicht worden. Unter diesen
Umständen ist es von Wert, daß das gösamte Material der Krönigschen '
Klinik in dem vorliegenden Sonderband eine umfassende Darstellung
findet. Es werden in ausführlicher Weise alle Einzelheiten der Technik
und Methodik: an Hand von zahlreichen Abbildungen geschildert. Es wird
weiterhin die praktische Durchführung in ihrer fortlaufenden Entwick-
lung und Verbesserung dargestellt und das ausführliche klinische Material
nach dem therapeutischen Erfolge durchmustert. Der Höhepunkt des
therapeutischen Vorgehens liegt in der gegenwärtig geübten Methode der
Intensivbestrahlung mit großen Dosen. Welche „Schwierigkeiten hier
überwunden werden müssen, allein schon nach der Seite hin, um Schädi-
gungen und Verbrennungen zu vermeiden, ist dem auf diesem Gebiete
Versierten geläufig, und desto wertvoller werden, zumal für diejenigen,
die selbst die Tiefenbestrahlungen in der Gynäkologie ausüben, die
wichtigen Beobachtungen werden, die hier niedergelegt sind. Die Um-
wälzungen aber, welche für die operative Gynäkologie durch die Ein-
führung des neuen Behandlungsverfahrens gegeben sind, verleihen der
Monographie eine Bedeutung, die über. den Kreis des Spezialisten hinaus-
geht und somit das allgemeine ärztliche Interesse im besonderen: Maße
erregen muß. PEER « DE.
Hochschulnachrichten. Freiburg i. Br.: Priv.-Doz. Dr.
K. Gauß (Gynäkologie) der Professortitel. — Halle a. S.: Prof. Hilde-
brandt, Privatdozent für Pharmakologie, verstorben. — Königsbergi. Pr.:
Priv.-Doz. Dr. Kurt Goldstein das Prädikat ‚Professor. Priv.-Doz.
Dr. Paul Bartels, Assistent am Anatomischen Institut in Berlin, in
derselben Stellung hierher berufen. — Marburg a. L.: Dr. Richard
Hagemann (Chirurgie) habilitiert mit einer Antrittsvorlesung „Ueber
moderne allgemeine Narkosen“.
Von Aerzten und Patienten.
Medizinische Aussprüche Napoleons.
(Bei der Geburt seines Sohnes zum Arzt:)
Vergessen Sie, daß Sie eine Kaiserin accouchieren. Mit der Mutter
werde ich ein auderes Kind haben können. Behandeln Sie Marie Louise
als wäre sie eine Krämersfrau aus der Rue St. Denis. Sie haben die Mutter
zu retten, sie bat das Vorrecht, das ist alles, was ich von Ihnen verlange.
(Zu seinem Leibarzt Antommarchi auf St. Helena.) s
Nun Doktor, was meinen Sie? Werde ich noch lange störend auf die
Verdauung der Könige wirken? Lassen Sie Ihre Arcana fahren. Der Mensch
ist wie eine Festung, in die weder Sie, noch ich hineinsehen können. Dio
Verteidigungsmittel der Festung aber sind mehr wert als Ihre Drognen.
(Napoleon nimmt mit Widerstreben einen Teelöffel Aethersyrun und spricht su
seinem Leibarzt 31, 12. 1820) nn ;
Einem Magen, der schon seit langem der Apotheke ‚verfallen ist,
mag das Zeug ja gut bekommen; ich habe einen jungfräulichen Magen,
dem Mixturen fremd sind. Aeußerlich mögen Sie bei mir verwenden
was Sie wollen, aber mir innere Präparate aufzundtigen, die ar
sind, die kräftigste Konstitution zu zerstören, das geht nicht anl i
will nicht zwei Krankheiten auf einmal haben, eine natürliche und eine dure
Medizin hervorgerufene. Medizin ist nur etwas für alte Leute. Lassen Sie
mich tüchtig Wasser trinken und nichts essen, das wird mir schon helfen.
(Als er erfuhr, dap Marie Louisens Mutter 13, ihre Großmutter 17, ihre
Urgroßmutter gar 26 Kinder hatte, zu Champagny') |
Das ist gerade der Uterus, den ich zum Heiraten brauche.
e $
Berühmte Worte und Aussprüche Napoleons von Corsika bis St. Helena.
Leipzig 1906, Julius Zeitler. ne
Druckfehlerberichtigung. In dem Aufsatze von er en
Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten, ID - r, Jer
S. 1748, Spalte 2, Zeile 25 von unten, befindet sich ein sinnstören.
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich dt
Erklärung einiger in dieser Nummer vörkommender Wachausdrücke.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
Nr. 45 (414). 10. November 1912. VII. Jahrgang,
Pra: ————_ mMm
Medizinische Klinik
_ Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von | | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenber
| Berlin Berlin |
'nhalt: Originalarbeitene Rumpf, Zur Begutachtung und Behandlung der traumatischen Herz- und Gefäßerkrankungen. M. Marcuse, Ueber
\tonie der Prostata. Heine, Erfahrungen und Gedanken über Tuberkulose und Tuberkulin. (Mit 1 Abbildung.) (Schluß) C. Decker, Ueber
’ankreaseysten. Kyaw, Ueber eine neue Behandlungsweise der akuten und chronischen Gonorrhöe, der akuten und chronischen Prostatitis und der
kuten und chronischen Urethritis mit Thermopenetration und Heißwasserspülungen. O. Simmonds, Thermopenetration bei Prostatitis gonorrhojca
hronica. A. Adler, Die Pathogenese des akuten Gichtanfalls. H.Treber, Ueber Melubrin. A.I.M. Lamers, Noviform in der Gynäkologie. E. Steinitz,
‚ur Verwendung der Wassermannschen Reaktion in der inneren Medizin. J.Sellei, Die Wirkung der Farbstoffe in Verbindung mit Giften und Arzneimitteln.
— Aus der Praxis für die Praxis: M. Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten. (Fortsetzung.) — Referate: S. Rosenberg, Ueber
xperimentellen Diabetes und seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer Sekretion. (Schluß.) H. Pringsheim, Neuere Ergebnisse der Tuberkulose-
»rschung II. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Traumatische Amnesie. Thorium-X-Therapie. Funktionelle Nierenprüfung
Jttels Phenolsulfophthalein. Verwertung des Urochromogennachweises bei der Indikationsstellung der Tuberkulinbehandlung. Konservierte Ammen-
ülch. Nomenklatur medizinisch wichtiger Salze. Typhus abdominalis. Luminal. Methylenblau. — Bücherbesprechungen: W. v. Oettingen,
‚eitfaden der praktischen Kriegschirurgie. A. Hamm, Die puerperale Wundinfektion. J. Werner, Venedig und Lido als Klimakurort und Seebad
om Standpunkte des Arztes. H. Dold, Das Bakterien-Anaphylatoxin und seine Bedeutung für die Infektion. — Kongreß-, Vereins- und Aus-
ärtige Berichte: 1. Kongreß für biologische Hygiene in Hamburg vom 12. bis 14. Oktober 1912. Frankfurt a. M. Kiel. Marburg. Straßburg i. E.
erlin. — Koloniale Medizin: Külz, Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun. (Fortsetzung). (Mit 2 Abbildungen.) — Medizinalgesetz-
ebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Schadenersatzansprüche bei fehlerhaften Operationen. — Aerztliche Tagesfragen: Das
Rote Kreuz im Balkankriege. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet,
Klinische Vorträge.
Zur Begutachtung und Behandlung der
raumatischen Herz- und Gefäßerkrankungen')
von
Prof. Dr. Rumpf, Bonn.
—
M. H.! Zwei hervorragende Mediziner neuerer Zeit, der
erliner Pathologe von Hansemann und der Physiologe
erworn, mein Bonner Kollege, haben vor kurzem fast gleich-
itig und unabhängig voneinander ausgeführt, daß das, was
_ der Medizin als Kausalität bezeichnet wird, einer wesent-
hen Umwertung bedürfe. An Stelle der einen Ursache,
e es nur in Ausnahmefällen gäbe, müsse der Begriff der
ıslösenden Bedingungen gesetzt werden.
Für diejenigen, welchen der Beruf Veranlassung gibt,
o Beziehungen von Krankheiten zu Unfällen zu studieren,
; es eine bekannte, wenn auch nicht immer genügend
harf betonte Tatsache, daß der Unfall vielfach krankhafte
rperliche Verhältnisse trifft, zu deren Entstehung die ver-
hiedensten Bedingungen beigetragen haben, bis das als
fall bezeichnete Ereignis als letztes hinzutretendes
ment die Resultante aus verschiedenen krankhaften
nwirkungen zutage treten läßt. |
Aber neben dieser größeren Zahl von Krankheits-
dern treffen wir in der Pathologie auch solche Fälle, bei
Ichen anscheinend nur ein einziges schädliches Moment
Iwerste Störungen ausgelöst hat, wobei wir natürlich von
ı Zufälligkeiten des Lebens in Beziehung auf Zeit und
; als auslösende Bedingungen absehen.
Erfreulicherweise hat die eifrige Arbeit, an der auch
le der Anwesenden teilgenommen haben, uns in der
hologie der traumatischen Herzerkrankungen, über die
‘) Referat, erstattet auf dem III. Internationalen medizinischen
llkongreß in Düsseldorf.
ı ich zu referieren habe, ganz außerordentlich gefördert. Sie
haben in dem vorangegangenen Referat vom Kollegen Hoff-
mann!) gehört und gesehen, welche pathologischen Ver-
änderungen des Herzens und Gefäßsystems im An-
schluß an Unfälle auftreten können, und ich hoffe, daß
Herr Kollege Feilchenfeld?) nachher unsere Kenntnisse noch
weiter bereichern wird.
Diese Erfahrungen müssen die Grundlage sein, von
welcher aus wir die Beurteilung und die Behandlung der
einzelnen auf einen Unfall zurückgeführten Herzerkrankung
zu gestalten haben. Aber wir bedürfen außerdem ein-
gehender Kenntnisse der gesamten Pathologie des
Herz- und Gefäßsystems, um nicht die eine der in
Frage kommenden auslösenden Bedingungen falsch
einzuschätzen.
In dem einzelnen Falle, der uns entgegentritt, haben
wir naturgemäß niemals ein abgeschlossenes, nach allen
Seiten klargestelltes Bild, sondern nur einen mehr oder
weniger großen Ausschnitt pathologischen Lebens vor
uns. Ueber die Entstehung der krankhaften Seite und über
Mittel zu ihrer Beseitigung sollen wir urteilen. In einzelnen
Fällen scheint der pathologische Befund ein völlig klarer.
Wenn durch äußere Gewalt auf das Herz die Funktion
desselben plötzlich zum Stillstande gekommen: ist oder
schweren Schaden erlitten hat, wenn die schweren ge-
setzten Veränderungen völlig ausreichen, den Tod oder
das schwere Leiden zu erklären, dann können wir gewiß
von einer traumatischen Ursache des Herzleidens sprechen.
Ein so zweifelloses Urteil läßt sich aber nur in selteneren
Fällen gewinnen. |
Wir stehen viel häufiger vor der schwierigen Aufgabe,
die Entstehung des uns vorliegenden krankhaften Befundes
1) Siehe Nr. 39,
2) Erscheint in Nr. 46,
1816 _
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.
weitgehend zu erwägen. Aber diese Aufgabe zu lösen, ge-
nügt keineswegs die genaue Kenntnis der gesamten Patho-
logie einschließlich der traumatischen Einwirkungen, nicht
das Studium der augenblicklich vorliegenden Erscheinungen;
wir müssen, und das wird leider häufig versäumt, das
ganze Leben des zu Beurteilenden mit allen guten
und schädigenden Einwirkungen so weit als möglich,
bis zu den Erzeugern, verfolgen, wir müssen ferner die bei
dem Unfallereignis eingetretenen Aenderungen an der
Hand eigner oder anderweitiger ärztlicher. Beob-
achtung prüfen und dann in ihrem Verlaufe bis zu dem
augenblicklichen Befunde verfolgen. Nur auf diesem Wege
können wir den wichtigen Fragen nähertreten:
= 1. -Welche Momente haben schon in früherer
Zeit einen ungünstigen Einfluß auf das Herz aus-
geübt? | |
2. Haben ungünstige Momente zu offenkundigen
oder mit Wahrscheinlichkeit anzunehmenden krank-
haften Erscheinungen geführt?
3. Welcher Einfluß auf die vorhandene Störung
muß dem Unfall als auslösende Bedingung zugeschrieben
werden? |
Nicht in allen Fällen ergibt die Vorgeschichte sichere
Anhaltspunkte zur Beurteilung des Herz- und Gefäßsystems
im Augenblicke des Unfalls. |
Allerdings finden wir häufig vermerkt, daß das Herz
vor dem Unfalle keine wahrnehmbare Erkrankung er-
kennen ließ. Aber diese Angabe gibt keineswegs die
Sicherheit, daß in Wirklichkeit ein gesundes Herz vor-
handen war. Wir wissen, daß manche Klappenfehler an
der Mitralis, seltener an der Tricuspidalis, daß gewisse
Formen von Muskelerkrankung des Herzens, daß skle-
rotische Prozesse der Aorta und der Coronararterien
sich lange Zeit der Diagnose entziehen können und auch
häufig ohne wesentliche Beschwerden einhergehen. Das
gleiche gilt naturgemäß für Arteriosklerose.
Indessen dürften fortgeschrittene Fälle nur ganz aus-
nahmsweise symptomlos verlaufen. Man kann vielleicht
auch sagen, daß bei den letzteren eine Erscheinung kaum
lange fehlen wird, eine Herabsetzung der Leistungs-
fähigkeit des Herzens, die naturgemäß auch eine Herab-
setzung der gesamten Leistungsfähigkeit im Gefolge hat.
Diese dürfte sich in anstrengender Arbeit vielfach leichter
bemerkbar machen als bei den klinischen Untersuchungs-
methoden, sodaß wir in vielen Fällen großer körper-
licher Leistungsfähigkeit bis zu dem Augenblicke des
Unfalls und Aufhebung respektive Minderung dieser vom
Unfall an mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen
können, daß gröbere Störungen am Herzen fehlten.
Ganz einwandfrei ist dieser Schluß nach den obigen Aus-
führungen nicht; aber für die Frage der Unfallerkrankungen
ist er praktisch deshalb berechtigt, weil für die so wichtige
Frage der Entschädigung der Unfall nicht die alleinige
Ursache der Erwerbsstörung zu sein braucht. Es ge-
nügt vielmehr, wenn er als mitwirkende Ursache be-
schuldigt werden muß. Wir müssen uns aber stets klar
sein, daß der ätiologisch-klinische und der gesetz-
liche Begriff der Unfallfolgen sich nicht immer decken.
Aber trotz dieser Erweiterung des Unfallbegriffs ist
die frühzeitige sorgfältige Erhebung des Befundes ein-
schließlich der Vorgeschichte möglichst direkt nach dem Un-
falle, wie für alle inneren Erkrankungen, so auch für Herz-
und Gefäßkrankheiten von größter Bedeutung. Die Unter-
suchung kann beispielsweise einmal einen Befund ergeben,
der in keiner Weise durch den Unfall seine völlige Er-
klärung findet. Bei einem Falle geringer Brustverletzung
mit starkem psychischen Shock kann das Untersuchungs-
ergebnis einen ausgebildeten Klappenfehler zeigen, der
dem ganzen Symptomenbilde nach schon seit Jahren be-
stand. Es wäre unrecht, nach dem Abklingen der wesent-
. eine vorgeschrittene Arteriosklerose.
lich nervösen Beschwerden alle Folgen dieses Klappenfehlers
der -Unfallentschädigung aufzubürden. Anderseits verfüge
ich über einen Fall, der nach einem schweren Brusttrauma
und vorübergegangenem Shock nur subjektive Beschwerden
neben Tachykardie und Beschleunigung der Atmung
darbot. Vergrößerung des Herzens, Geräusche an den
Klappen wurden viele Wochen -von verschiedenen Unter-
suchern vermißt. Dann traten fast gleichzeitig trotz großer
Ruhe zunächst leise, dann deutlichere systolische Ge-
räusche an der Herzspitze und über der Aorta auf.
Später konstatierte ich auch ein leises diastolisches Ge-
räusch über dem Sternum und eine deutliche Vergröße-
rung des Herzens. In diesem Falle dürfte die Resorption
von Blutungen in die Klappen mit Schrumpfungsprozessen
‚nachträglich die Folgen des Traumas beleuchten.
Daß in solchen Fällen nicht allein die Perkussion- und
Auskultation sorgfältig vorzunehmen, daß eine eingehende
Untersuchung des ganzen Herzgefäßsystems erforderlich ist,
bedarf kaum der Betonung. Es muß das Verhalten des
Pulses, der Blutdruck, der Gehalt des Bluts an Blut-
eisen, das Verhalten der Venen festgestellt werden, eine
Untersuchung mit Röntgenstrahlen, sei es eine Durchleuch-
tung allein, sei es, je nach dem Fall, eine orthodiagraphische
Aufnahme der Herzgrenzen, sollte möglichst in jedem Falle
vorgenommen werden. Hieran muß sich die eingehende
Untersuchung des ganzen Körpers anschließen. Daß die
Urinuntersuchung nicht versäumt werden darf, ist selbst-.
verständlich. Denn nur auf Grund eingehender Unter-
suchung läßt sich ein einigermaßen sicheres Urteil abgeben.
Die möglichst frühzeitige Feststellung des Befundes
hat deshalb eine so große Bedeutung, weil sie für Jahre
hinaus, vielleicht für die ganze Dauer des Lebens eines Be-
troffenen, die Basis bildet, von der aus der Fall immer er-
neut der Beurteilung unterliegt. Denn wenn in den Ver-
hältnissen, welche für die Festsetzung einer Entschädigung
maßgebend waren, eine wesentliche Aenderung eintritt,
so kann eine neue Feststellung der Unfallfolgen ge-
troffen, oder ein neues Heilverfahren eingeleitet werden.
Nur führen manche dem Unfalle zur Last fallende Herz-
leiden zur völligen Arbeitsunfähigkeit und zum Tode, nach-
dem vielleicht in der ersten Zeit nach dem Unfalle zeitweise
eine gewisse Leistungsfähigkeit bestand. Andere Fälle
zeigen zunächst schwere Erscheinungen von Herzstörung
mit perikarditischeon und endokarditischen Geräuschen,
Störungen der Respiration und der Circulation — aber nach
und nach bessert sich der Zustand, die abnormen Geräusche
schwinden in der Ruhe völlig und treten vielleicht nur bel
stärkeren Anstrengungen auf, aber es bleibt eine Be-
schleunigung des Pulses bestehen, die ebenfalls bei An-
strengungen besonders deutlich wird und längere Zeit nach
Aufhören der Anstrengung anhält. Wollte man in einem
solchen Falle nur den augenblicklichen objektiven Be-
fund berücksichtigen und darauf sein Urteil aufbauen, 80
wäre eine nicht völlig entsprechende Begutachtung zu, be
fürchten. Die subjektiven Beschwerden könnten leicht
unterschätzt und von dem Kranken eine größere Arbeits-
leistung verlangt werden, als er zu leisten vermag. Hier-
gegen schützt nur die sorgfältige Anamnese und das Stu-
dium des ersten Befundes nach dem Unfalle, der häufig auf
einen viel schwereren Prozeß hinweist, als er nach der ob-
jektiven Untersuchung vorzuliegen scheint.
Aber das Bild kann auch ein von dem geschilderten
völlig verschiedenes sein. Bei einer Herzstörung nach Vn-
fall werden nur geringe Störungen von seiten des Herzens
konstatiert, aber es findet sich bei der ersten Untersuchung
Im Laufe der Zeit
schwinden die geringen Herzstörungen völlig oder fas
völlig, aber der schon vorher an der Grenze seiner Arbeits
fähigkeit nahezu angelangte Mann hat infolge der at
' gezwungenen Ruhe die Energie verloren, wieder eine 768°"
10. November.
mäßige Tätigkeit aufzunehmen. Müssen wir diesen Verlust
der Energie, der eng mit der Arteriosklerose verknüpft ist,
völlig dem Unfalle zur Last legen? Meines Erachtens würde
das mit Unrecht geschehen. Denn der vielleicht 50- oder
60jährige Mann hätte in ein bis zwei Jahren auf Grund
der fortschreitenden Arteriosklerose vielleicht seine Arbeits-
fähigkeit völlig eingebüßt oder auf ein Minimum reduziert.
Nun kam der Unfall, der diesen Termin etwas früher ein-
treten ließ.
' Derartige Fälle bieten allerdings in der Schätzung der
Unfallfolgen größere Schwierigkeiten. Man wird gewiß be-
rücksichtigen müssen, daB in der ersten Zeit nach dem Un-
falle die geringe Herzstörung, welche zu der Arteriosklerose
hinzutrat, die Folgen dieser stärker hervortreten ließ. Da
nach dem Gesetz ungünstige Folgen des Unfalls diesem zur
Last fallen, so muß die Beurteilung die ganze Erwerbs-
beschränkung durch den Unfall und seine Folgen für andere
Leiden berücksichtigen. Aber mit dem Rückgange der zu-
erst gesetzten Störungen hören diese Folgen ganz oder teil-
weise auf. Es ist dann Sache des Verletzten, den Rest von
Arbeitskraft, der wiedererlangt ist, entsprechend zu ver-
werten. Tut er das nicht, so fällt die Schuld ihm zu.
Allerdings wird dabei auch dem psychischen Moment eine
gewisse Berücksichtigung zuteil werden müssen. Deshalb
wird jeder derartige Fall eine individuelle Beurteilung er-
fordern. Aber dem Unfalle darf gewiß nur der Teil
der Erwerbsbeschränkung zur Last gelegt werden,
welcher ihm gesetzlich gebührt. |
Ganz besondere Schwierigkeiten für die Beurteilung
bietet eine andere Herzgefäßerkrankung, das Aneurysma,
insbesondere dasjenige der Aorta. Wir wissen, daß das
Aortenaneurysma in der Mehrzahl der Fälle auf syphiliti-
scher Grundlage sich entwickelt, und wir werden des-
halb bei allen Befunden, welche an eine vorausgegangene
Syphilis denken lassen, das Blut auf die Wassermannsche
Reaktion untersuchen oder untersuchen lassen. Wir wissen
aber weiter, daß der Prozeß, durch welchen das Aorten-
aneurysma entsteht, auf einer ausgebreiteten Entzündung
des Anfangsteils der Aorta beruht, mit Untergang der Mus-
cularis, des elastischen Gewebes und Ersatz durch Binde-
gewebe, Intimawucherung usw. Dieser Prozeß mit dem
Ausgang in aneurysmatische Erweiterung bedarf zu seiner
Entwicklung in der Regel mehrerer Jahre. Wenn wir
also bei einem früher an Syphilis Erkrankten kurz nach
einem Unfall ein schon ausgedehntes Aortenaneurysma
an-typischer Stelle finden, so können wir fast mit Sicher-
heit sagen, daß dieses nicht auf den Unfall zurückzuführen
ist, und diese Sicherheit wird um so größer, je weniger der
Unfall geeignet war, die Entwicklung eines Aneurysmas
hervorzurufen.
Aber wir haben andere Aneurysmen, bei welchen eine
syphilitische Infektion nieht mit Sicherheit nachweisbar und
die Entstehung durch ein Trauma denkbar ist. So befindet
sich unter meinen Beobachtungen ein Fall, bei welchem eine
Feilenspitze in den zweiten Intercostalraum rechts neben
dem Brustbein eingedrungen war und nach längerer Zeit
neben andern Symptomen eine Ausbuchtung der aufsteigen-
den Aorta sich fand. Hier konnte man an eine direkte
Verletzung der Aorta durch die Feilenspitze und ein durch
direktes Trauma hervorgerufenes Aneurysma denken. Aber
die Untersuchung der Feilenspitze und der Tiefe, bis zu
welcher die Spitze vorgedrungen war, ließ es als aus-
geschlossen erscheinen, daß die Aorta oder das Herz von
der Spitze getroffen war. Wir neigten deshalb der Ansicht
zu, daß das Aneurysma mit der Brustverletzung nichts zu
tun habe — der Fall erfuhr später dadurch eine Klärung,
daß eine Dementia paralytica sich nach kurzer Zeit ent-
wickelte,.
Immerhin darf man nicht vergessen, daß auch leichte
Erschütterungen unter besonderen Verhältnissen zu Aneu-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1817
rysmenbildung führen können. Mir ist besonders ein Fall
in Erinnerung geblieben, der auf meiner Abteilung im
Eppendorfer Krankenhause lag. Der Patient hatte eine un-
bedeutende Erkrankung überstanden und befand sich in der
Rekonvaleszenz. Eines Tages hatte er sich über irgendein
Vorkommnis auf dem Pavillon geärgert und ging zum In-
spektor, um sich zu beschweren. Dieser konnte ihm nicht
völlig recht geben; darüber ärgerte sich der Kranke und
drehte sich mit einer kräftigen Bewegung um, wobei er mit
dem Fuße heftig auftrat. In diesem Augenblicke wurde er
von einem Schwindel befallen, der Inspektor ließ ihn zur
Abteilung geleiten, der Zustand wurde schlimmer, Cyanose,
Herzschwäche, Angst stellten sich ein und innerhalb
weniger Stunden erfolgte der Tod.
Die von Herrn Prosektor Dr. E. Fraenkel ausgeführte
Leichenöffnung ergab, daß die Intima der Aorta descen-
dens einige Finger breit unterhalb des Bogens von der
Muscularis in etwa dem halben Umfang abgehoben und bis
tief in die Bauchaorta abgelöst war. Der dadurch ent-
standene Sack war mit Blut ausgefüllt und verengte das
Lumen der Aorta auf eine lange Strecke in der Art, daß
kaum noch ein Blutstrom hindurchging. Da der Sack unten
geschlossen war, konnte sich auch keine Nebenleitung bilden.
In diesem Falle muß durch die Erschütterung die
atheromatöse Stelle der Aorta zu einer Ablösung der In-
tima geführt haben. Hinter die abgelöste Intima drang das
Blut aus der Aorta ein und löste fortschreitend größere
Teile der Intima ab, bis der vollständige oder fast voll-
ständige Verschluß der Aorta den Tod herbeiführte.
Der Prozeß hätte in diesem Falle vielleicht auch
anders verlaufen können, indem die atheromatöse Stelle an-
fangs eine kleinere, später eine größere Ausbuchtung erfuhr
und zum Schluß ein Aneurysma sich dokumentierte.
Alle diese Möglichkeiten werden wir also bei der Be-
urteilung von Aneurysmen in Beziehung auf traumatische
Entstehung berücksichtigen müssen, und es wird dann leider
mancher Fall bleiben, in welchem ein sicheres Urteil nicht
abgegeben werden kann.
Im allgemeinen wird aber jeder Fall von Aorten-
aneurysma bei dem Verdachte der traumatischen Entstehung
Veranlassung geben, .
1. auf vorangegangene Syphilis zu untersuchen,
2. die Art und Stärke des Traumas zu erforschen und
die Möglichkeit zur Bildung eines Aneurysmas zu erwägen,
.3. die Ausdehnung des Aneurysmas in bezug auf die
Wahrscheinlichkeit der Zeitdauer des Bestehens desselben
möglichst genau festzustellen. |
Unter Abwägung jedes einzelnen dieser Punkte wird
die Beurteilung zu gestalten sein. Nur dann wird der Arzt
in der Lage sein, an Beziehungen eines Aneurysmas zu
einem Trauma zu denken, wenn bei dem Fehlen von
Syphilis das Trauma geeignet war, die Entstehung
eines Aneurysmas zu veranlassen. Aber auch die Ver-
schlimmerung eines schon vorhandenen Aneurysmas durch
ein Trauma muß erwogen werden.
Anscheinend häufiger als schwere Erkrankungen des
Herzens sind nervöse Störungen nach Unfällen. Wir
werden hier drei verschiedene Formen zu unterscheiden
haben: 1. Nervöse Herzstörungen nach Kontusionen der
Brust und des Rückens, 2. nervöse Herzstörungen nach
Kontusion anderer Organe, 3. nervöse Störungen infolge von
Schreckwirkungen. Dieselben charakterisieren sich teils
durch Veränderung und Unregelmäßigkeit der Herz-
tätigkeit, häufig mit Extrasystolen oder auch Aus-
setzen des Pulses, teils durch abnorme Gefühle in der.
Herzgegend, als Herzklopfen, Beengung,
Anfälle von Herzensangst usw.
Was die erste Form betrifft, so muß immer erwogen
werden, ob nicht neben dem anscheinend rein nervösen
Symptom, bei welchem also Befunde einer organischen
Druck,
nn
1818
1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November,
Affektion fehlen, nicht doch anderweitige Störungen in der
Muskulatur, im Perikard usw. vorhanden sind. Derartige
Störungen können sich längere Zeit der Diagnose entziehen,
wie der obenerwähnte Fall gezeigt hat. Ich beobachtete
aber auch längere Zeit einen andern Fall, bei welchem in-
folge von Kontusion der Brust häufige Anfälle von Tachy-
kardie auftraten. Weder von seiten der Herzklappen noch
der Muskulatur oder des Perikards ließ sich ein patho-
logischer Befund erbeben. Der Kranke führte ein sehr
schonendes Leben, aber trotzdem ließ sich nach zwei Jahren
eine deutliche Vergrößerung der Herzdämpfung konstatieren.
Daß diese nur eine Folge der tachykardischen Anfälle war,
ist nicht sehr wahrscheinlich.
Was die nervösen Herzstörungen nach Kontusion
anderer Organe betrifft, so stehen an erster Stelle solche
des Kopfes. Bei Fällen mit Hirndruck findet sich häufig
Verlangsamung des Pulses, die auch vereinzelt durch Reiben
schmerzhafter Teile des Schädels vermehrt oder wieder
deutlich wird. Häufiger folgt für längere Zeit eine Be-
schleunigung der Herztätigkeit, hier und da mit Extra-
systolen oder vereinzelter, nicht immer klarer Unregelmäßig-
keit der Herzaktion. Dabei können die verschiedensten
abnormen Sensationen von seiten des Herzens bestehen.
Da diese Erscheinungen im Laufe der Zeit völlig schwinden
können, so sind sie den rein funktionellen Störungen zu-
zurechnen.
Aehnliche Störungen können durch Kontusionen des
Unterleibs ausgelöst werden. In einigen Fällen sah ich
auch im Anschluß an ein Trauma einen Morbus Basedow
sich entwickeln mit Schwellung der Schilddrüse, Tachy-
kardie, Zittern der Finger. Es kann allerdings fraglich
sein, ob die Entstehung eines Morbus Basedow nicht mehr
auf Schreckwirkung zu beziehen ist. Es läßt sich auch
kaum ausschließen, daß schon vor dem Unfall eine Dis-
position zu Schilddrüsenerkrankung vorhanden war. Bei
selbst leichtem Morbus Basedow pflegen die Herzerscheinungen
ziemlich hartnäckig zu sein; bei einfachen Schreckwirkungen
ist das weniger der Fall. In einer großen Zahl von Fällen,
welche nach Eisenbahnunfällen Beschleunigung des Pulses
in der Ruhe und noch mehr bei Bewegungen boten, sah ich
im Laufe von Monaten bis Jahren die Herzstörungen lang-
sam zurückgehen. Bei manchen Fällen bleibt allerdings
eine gewisse Labilität des Pulses zurück, welche mit
mancherlei subjektiven Beschwerden bei Anstrengungen oder
Erregungen leicht auftritt.
Daß infolge eines schwereren Nervenshocks ein vor-
handenes Herzleiden einen rapiden Verlauf nehmen und
rasch zum Tode führen kann, hat uns kürzlich Placzek an
einem interessanten Beispiel gezeigt. |
- Die Entstehung von Arteriosklerose nach einem
Unfall ist sicher keine häufige Erscheinung. Die regel-
mäßige Messung des Blutdrucks nach Riva-Rocci, welche
ich bei allen frischen und älteren Erkrankungen trauma-
tischer Beziehung vornehme, hat mir gezeigt, daß in ein-
zelnen Fällen nach Traumen Blutdrucksteigerungen
vorkommen und wieder schwinden, in andern mit größter
Wahrscheinlichkeit schon vor dem Unfalle vorhanden
waren und im Laufe der Zeit eine langsame, naturgemäße
Steigerung erfuhren. Es gibt aber vereinzelte Fälle, be-
sonders von schwerer Kopfverletzung, in welchen kurz
nach dem Unfalle der Blutdruck normal gefunden wurde,
aber im Laufe kürzerer Zeit mit dem Bestehenbleiben
der Kopfbeschwerden, vielleicht auch unter dem Ein-
drucke psychischer Begleiterscheinungen, beträchtlich
anstieg, ohne daß ein Nierenleiden nachzuweisen war, Ich
möchte mich also Goldscheider anschließen, der für die
vereinzelte Entstehung der Arteriosklerose durch Unfall ein-
getreten ist. Aber vielleicht haben wir in dem Unfalle
nichts weiter als eines der auslösenden Momente vor uns.
Die Behandlung der traumatischen Herz- und
Gefäßerkrankungen ist naturgemäß dieselbe wie bei
Herz- und Gefäßerkrankungen überhaupt. Daß den chirur-
gischen Aufgaben, daß der Erhaltung der Herzkraft
und der Circulation nach Möglichkeit Rechnung getragen
werden muß, bedarf hier kaum der Erwähnung. Aber eine
wichtige Aufgabe tritt in frischen Fällen an den Arzt heran,
die möglichste Beruhigung des Kranken. Eine Spritze
Morphium oder ein anderes Beruhigungsmittel pflegt bei
einer traumatischen Erkrankung des Herzens häufig besser
zu wirken als Campher. Auch in der späteren Zeit und
nach Ablauf der ersten Erscheinungen fällt der psychi-
schen Behandlung eine hervorragende Rolle zu. Die
traumatischen Erkrankungen haben außerdem das Gemein-
same, daß häufig durch größere oder kıeinere Blutergüsse
in das Herz oder seine Umgebung ein hochgradiger
Reizungszustand längere Zeit unterhalten wird, und
von diesem Gesichtspunkt aus gehört die Verordnung von
Ruhe zu den ersten und wichtigsten ärztlichen Maßnahmen.
Je weniger zunächst an Reizmitteln verwendet wird, um 50
besser. Sorge für ausgiebigen Schlaf ist sehr wichtig, die
Diät soll eine einfache, aber reichliche mit möglichst
wenig Gewürzen sein. Für den Stuhl ist Sorge zu tragen.
Von Badeprozeduren kommen in der ersten Periode großer
Reizbarkeit und Empfindlichkeit vor allem warme Bäder
von etwa einviertelstündiger Dauer in Betracht. Patienten,
welche diese nicht vertragen, erhalten Teilwaschungen, warme
Hand- und Fußbäder. Wird das Herzklopfen sehr unan-
genehm empfunden, so nützt oft ein kleiner Eisbeutel oder
eine Kühlflasche über der Herzgegend. Auf die vielen
Mittel zur Beruhigung einzugehen, würde zu weit führen.
Erst wenn die Reizungserscheinungen vorübergegangen
sind, kann man an Mittel zur Anregung und Kräftigung der
Herztätigkeit denken. Doch werden kohlensaure Salz-
bäder in manchen Fällen ebensowenig gut vertragen wie
die Anwendung der Elektrizität in verschiedener Form.
Dann kann man mit kühleren Bädern und Vibrationsmassag®
einen Versuch machen. Bei manchen Fällen beruht aber
der Schwerpunkt in der suggestiven Behandlung, und
bei denjenigen, welche einen gewissen Grad von Arbeits-
fähigkeit erlangt haben, in der Aufnahme der Arbeit.
Denn auch der Herzkranke vermag, wie Sachs ausgeführt
hat, lange Zeit zu arbeiten. Der Fall von Insuffizienz der
Mitralis und Aorta, von welchem ich Ihnen berichtet habe
und dessen Röntgenphotographie ich zeigte, verdiente nach
Verlauf von eineinhalbem Jahre nach seinem Unfalle wieder
zwei Drittel des früheren Lohnes. ein erfreulicher Beweis
dafür, daß keineswegs alle Unfallpatienten ihre Gedanken
nur der Rente zuwenden.
Abhandlungen.
Ueber Atonie der Prostata
von
Max Marcuse, Berlin.
Das Interesse, das die verschiedenen Organe des Körpers
verdienen und im allgemeinen auch finden, ist in hohem Maß ab-
hängig von dem Grade, bis zu dem ihre Beziehungen zu den
Nachbarorganen wie dem gesamten Organismus überhaupt noch
unerforscht sind. In diesem Sinn ist die Prostata unzweifelhaft
eines der interessantesten Organe; denn sie ist zum größten Teil
noch immer ein Problem, und neuerdings hat dieses durch die
biologischen Forschungsergebnisse der letzten Jahre sogar noch eime
unerwartete Komplikation erhalten, da wir auch in der Prostata
eine Drüse mit innerer Sekretion erkannt zu haben glauben.
So ist denn seit den grundlegenden Arbeiten Fürbringer®
bis zum heutigen Tage die Prostata stets ein bevorzugtes bjo
anatomisch-physiologischer sowie klinisch -pathologischer Unter-
suchungen geblieben. Daß dabei die mannigtaltigen Formen der
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. p 1819
Prostatahypertrophie die ganz besondere Aufmerksamkeit,
namentlich der Urologen und Chirurgen, auf sich gelenkt haben,
begreift sich leicht, wenn man die enorme Verbreitung, die ur-
sächliche Vielgestaltigkeit und die sowohl durch die Beschwerden
wie den Befund bedingte Auffälligkeit der dadurch verschuldeten
Leiden bedenkt. Immerhin bleibt eine sehr große Zahl hyper-
trophischer Vorsteherdrüsen noch ständig unentdeckt, ja ungesucht
und somit die Ursache einer trotz alles Spritzens und Kapsel-
schluckens nicht heilenden Gonorrhöe, einer trotz aller physikalisch-
diätetischen und psychischen. Behandlung unbeeinflußbaren Neur-
asthenie, einer trotz aller antieystitischen Medikamente fortdauernden
oder doch von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Blasenentzündung —
kurz, einer Fülle mehr oder weniger beschwerlicher und bedroh-
licher Symptome, die gegen jede, weil nicht-ätiologische, Therapie
sich refraktär verhalten, bestehen und in der die Krankheit unter-
haltenden oder verschlimmernden Richtung wirksam.
Viel häufiger aber als die Prostatahypertrophie wird die
Prostataatrophie und — von der allein hier die Rede sein soll: die
Prostataatonie bei den Erwägungen über die Ursache und den
Herd eines Leidens zu Unrecht vergessen; ja, daß es eine solche
Atonie gibt und daß sie überdies in der Urosexualpathologie eine
ätiologisch bedeutsame Rolle spielt, ist wenig bekannt. Sogar die
Literatur berichtet über sie sehr spärlich, und abgesehen von
Porosz, der meines Wissens als erster den Symptomenkomplex
unter dem Namen Atonia prostatae zutreffend beschrieben hat,
scheint ihn bisher kaum jemand gebührend gewürdigt zu haben.
Die Prostataatonie ist nicht selten. Geschlechtlich noch
nicht vollentwickelte Jünglinge sind allem Anscheine nach gegen
die Erscheinung nicht vollkommen geschützt, und Greise leiden
bisweilen ebenfalls unter ihr; am häufigsten konnte ich sie bei
Männern im Anfang des dritten, demnächst im Anfang des sechsten
Lebensjahrzehnts beobachten. |
Die Diagnose wird durch den Palpationsbefund ge-
sichert: man fühlt vom Rectum aus statt des — bei Erwachsenen
— kastanienförmigen, ziemlich festen, dem Fingerdruck etwa nach
Art eines Gummiballs nachgebenden, unschwer abgrenzbaren Pro-
statatumors entweder einen schlaffen, wie leeren und in sich zu-
sammengefallenen Beutel oder eine ganz flache, sehr weiche und
lockere Vorwölbung, die unscharf in das Nachbargewebe übergeht;
diese Veränderungen betreffen in der Regel das ganze Organ,
können sich aber .auch auf einen Lappen und sogar Teile dieses
beschränken. Bei Knaben ist der Befund naturgemäß viel schwerer
zu erheben, weil hier schon normalerweise die Prostata kaum an-
zedeutet ist; dennoch kann es bisweilen gelingen, die Diagnose auf
Grund der auffallend lockeren und schlaffen Konsistenz der betreffen-
len Gewebspartie zu stellen. — Die Empfindlichkeit der atoni-
schen Prostata scheint im allgemeinen eher geringer zu sein als die
er normalen; eine deutlich erhöhte Sensibilität auf Druck und bei
Massage habe ich nie festzustellen vermocht.
Das — bei Erwachsenen — aus der atonischen Prostata
3xprimierbare Sekret braucht sich von dem normalen Prostata-
te nicht zu unterscheiden. In vielen Fällen lassen sich aber
ifferenzen beobachten, die sich im einzelnen nach der besonderen
rsache der Erkrankung bestimmen. Des öfteren führt z. B. die
an. Prostatitis zu einer Atonie; daß in diesen Fällen
iter und Gonokokken in dem Ausstrichpräparat gefunden werden
tönnen, versteht sich von selbst. Leukocyten scheinen regelmäßig
n dem Sekret der atonischen Prostata vorzukommen, fehlen aber
wuch in dem normalen Sekret kaum je völlig, wenn sie hier auch
neist viel spärlicher angetroffen werden. Auch die Prostatakörner
ind in der Mehrzahl der Fälle von Prostataatonie reichlicher vor-
handen als in der Norm. Eine größere Bedeutung kommt allem
Anschein der Beobachtung zu, daß bei der atonischen Prostata
las Rohledersche Experiment vielfach gar nicht oder nur mangel-
aft gelingt; darauf hinzielende Versuche sind angesichts des sehr
Wäufigen Zusammentreffens von Spermatorrhöe und Prostataatonie
icht anzustellen und sehr lehrreich; das spermatorrhoische Sekret
eigt unterdem Mikroskopmeist nur wenige, sich sehr träge bewegende
samenzellen; durch Zusatz des durch Expression der Prostata ge-
vonnenen Sekrets wird die Beweglichkeit — wenn die Prostata
leutlich atonisch ist — nicht oder kaum, dagegen bei normaler
’rostata erheblich gesteigert; die Wirkung des Sekrets der atoni-
chen Prostata nach dieser Richtung hin ist manchmal noch ge-
inger als die von physiologischer Kochsalzlösung. Dieses Phänomen
st Jedoch namentlich dann nicht oder nur andeutungsweise vor-
anden, wenn dem exprimierten Prostatasekret reichlich Samen-
lasensekret beigemischt ist, und das ist bei der Atonia prostatae
nscheinend besonders häufig der Fall. `
Dem Palpationsbefunde vom Rectum aus entspricht das Er-
gebnis der Urethra- respektive Blasenuntersuchung mittels
Katheters, insofern gewöhnlich schon fast unmittelbar nach dem
Eintritt in die Pars prostatica Urin auszufiießen beginnt; damit
gibt sich die geringe Höhe der Prostata zu erkennen, deren ge-
ringe Dicke durch die kombinierte Untersuchung bestätigt wird.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen liegen, soweit
ich die Literatur übersehe, nieht vor, und auch ich habe Gelegen-
heit zu ihnen nicht gehabt. Die Frage bleibt daher offen, welchen
Anteil das Muskel- und welchen das Drüsengewebe an der Atonie
hat und auf welcher organischen Gewebsveränderung überhaupt
die funktionelle Erkrankung beruht. Aus den Verhältnissen bei
der Prostatahypertrophie und -atrophie und aus der Verschieden-
artigkeit der Symptomatologie wird man schließen müssen,
daß auch an dem atonischen Prozeß und Zustand in der
Prostata das Muskel- und das Drüsengewebe in den verschiedenen
Fällen verschieden stark beteiligt ist; in der Regel beruht allem
Anschein nach die Atonie auf einer muskulären und adeniden
Atrophie, beziehungsweise ist mit dieser vergesellschaftet, wobei
die Entscheidung meist nicht getroffen werden kann, ob der
funktionellen Atonie die Gewebsatrophie, über die neuerdings
Kümmel auch für diesen Zusammenhang interessante Mitteilungen
gemacht hat, als Ursache voraufgegangen oder als Wirkung gefolgt
ist. Im übrigen ist die Atonie der Atrophie durchaus nicht immer
an Intensität entsprechend, insofern die Schlaffheit bei einer noch
umfangreicher erscheinenden Drüse größer sein kann als bei einer
viel kleineren. Es ist festzuhalten, daß das pathognostische Merk-
mal nicht etwa die A- oder Hypotrophie, sondern lediglich die
Atonie ist, wie sie oben beschrieben wurde und in allen deutlichen
Fällen freilich stets mit einer erheblichen Verkleinerung des ganzen
Organs einhergeht. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, daß diese
Verkleinerung durch die Atonie vielfach nur vorgetäuscht wird.
Die häufige Beteiligung der Prostata an gonorrhoischen
Prozessen ist bekannt, wenn auch, wie schon angedeutet wurde,
in praxi noch immer nicht in dem gebührenden Maße gewürdigt.
Ich habe nun mehrfach die gonorrhoische Prostatitis, und zwar
anscheinend die katarrhalische Form häufiger als die parenchymatöse,
in eine Atonie übergehen sehen, beziehungsweise eine solche in
Fällen beobachtet, in denen eine chronische, bis dahin nicht oder
unzweckmäßig behandelte Gonorrhöe noch offensichtlich be-
stand oder eine Gonorrhöe voraufgegangen und — ohne daß
während der Krankheit jemals die Prostata untersucht worden
war — „ausgeheilt“ worden ist; auch in letzteren Fällen erweist
sich die Atonie durch den Gonokokkenbefund mitunter als noch
gonorrhoisch, häufiger allerdings muß sie als postgonorrhoisch an-
gesehen werden, weil Gonokokken nicht mehr auffindbar sind. Die
Prostataatonie ist eine erheblich seltenere Komplikation beziehungs-
weise Folge der Gonorrhöe als die katarrhalische und die
parenchymatöse Entzündung der Vorsteherdrüse. Besonders weisen
auf sie Harnträufeln und Sexualausflüsse hin; im übrigen alle
diejenigen Beschwerden und Symptome, die die Aufmerksamkeit
des erfahrenen und sorgfältigen Untersuchers ohnehin auf die
Prostata hinlenken; wird dann aber nicht die übliche Vergrößerung
oder eine sonstige der bekannten Anomalien an ihr entdeckt, so
pflegt eine Erkrankung der Prostata nicht angenommen, vielmehr —
im Fall einer Atonie — mit der schriftlichen oder mündlichen Be-
merkung ausgeschlossen zu werden: „Prostata nicht erkrankt, im
Gegenteil: ganz weich und klein!* —
Daß eines der häufigsten Symptome der gonorrhoischen re-
spektive postgonorrhoischen Prostataatonie das Harnträufeln, nament-
lich auch das sogenannte Nachspritzen des Urins ist, steht im Ein-
klang mit andern auf eine Schwäche des Sphincter vesic. urinaria
binweisenden Folgezuständen der Prostataatonie überhaupt. Zu
ihnen gehört die Enuresis nocturna. Ueber deren Wesen und
Ursache ist Sicheres und Unbestrittenes nicht bekannt, und die
allerverschiedensten Auffassungen stehen hier neben- und gegen-
einander. In solchen Fällen, die in unserer Wissenschaft ja nicht
übermäßig selten sind, wird man für die Widersprüche vielfach
den Umstand mit verantwortlich machen dürfen, daß ein und dás-
selbe Symptom der Ausdruck verschiedener Ursachen sein kann.
Daß es nun Fälle gibt, in denen die Enuresis auf einer Schwäche
der hinteren Harnröhrenpartie und des Blasenschließmuskels be-
ruht, die ihrerseits wieder — nicht etwa eine Neurose, sondern
eine Folge von atonischer Prostata ist, scheint mir nicht zweifelhaft.
Bei zwei Knaben von 13 und 16 Jahren wies der objektive Pal-
pationsbefund darauf hin, wenn auch der Kausalzusammenhang in
diesen Fällen nicht mit Bestimmtheit erwiesen werden konnte,
weil ich die Patienten nicht geheilt sah und ich eine lokale Be-
En i a
a o i
1820
handlung vom Rectum aus, wie sie bei Prostataatonie sonst indi-
ziert und meist erfolgreich ist, bei solchen Jungen aus psy-
chischen Gründen für nicht unbedenklich hielt und um so eher
unterlassen zu können glaubte, als die Enuresis nocturna ja ge-
wöhnlich die Pubertät nicht überdauert, sondern nach erfolgter
Geschlechtsreife spontan aufzuhören pflegt. Diese Zeit bedeutet
unter anderen auch die völlige Entwicklung der Vorsteherdrüse,
sodaß schon aus diesem Grunde der Gedanke an eine ursächliche
Bedeutung einer schon normalerweise noch unvollkommen ent-
wickelten, überdies gar pathologisch atonischen Prostata, deren
Einfluß auf die Blasenfunktion ja feststeht, naheliegt. Die Pro-
stataatonie bei Enuretikern stände auch im Einklang mit der Tat-
sache, daß diese Knaben meist erst später als normale mit der
Pubertät fertig werden. Auch die erfolgreichen Behandlungen
von Enuresis nocturna mit Schilddrüsenextrakt wären bei der
Wechselbeziehung, in der die innersekretorischen Drüsen stehen,
mit einer ursächlichen Bedeutung der Prostataatonie wohl zu
vereinbaren. Uebrigens hat schen Dittel auf Grund seiner
Beobachtung, daß bei den meisten derartigen Patienten die
Prostata mangelhaft entwickelt ist, die Enuresis auf eine durch
die unvollkommene Ausbildung der Verschlußvorrichtung der Blase
und der Prostata bedingte Schwäche des Verschlußapparats zurück-
geführt. Auch mit der Ansicht Oberlaenders, daß in einer Anzahl
von Fällen der Enuresis eine angeborene Schwäche der Musku-
latur der hinteren Harnpröhrenpartie zugrunde liegt, ist die ursäch-
liche Bedeutung der Prostataatonie leicht in Uebereinstimmung zu
bringen, namentlich auch die weitere ganz gewöhnliche Beobach-
tung, daß Individuen, die in ihrer Jugend an Enuresis gelitten
haben, auch nach ihrer geschlechtlichen Entwicklung nicht selten
noch analoge Erscheinungen aufweisen; sie werden besonders leicht
von Störungen des Urosexualapparats befallen, wie Urethrorrhoeen,
häufigen Pollutionen, Spermatorrhoen usw., worauf unter andern
schon Peyer und Karl Rieß hinwiesen. Ich werde noch er-
örtern, daß gerade bei den letztgenannten Erscheinungen die
Prostataatonie eine bedeutsame Rolle spielt, und für die Fälle, in
denen frühere Enuretiker spätere Spermatorrhoiker usw. werden, wird
die Erklärung darin zu suchen sein, daß die Prostataatonie, vielleicht
eben weil es sich in diesen Fällen um einen konstitutionellen
Defekt handelt, nicht mit dem Abschluß der Pubertät von selbst be-
hoben wird, sondern persistiert und dann entsprechend der ver-
änderten Anatomie und Physiologie des Urogenitalapparats nur in
andersartigen Störungen zum Ausdruck kommt. Ich habe auch
gefunden, daß die Prostataatonie in denjenigen Fällen, in denen
es sich um Individuen handelt, die in ihrer Kindheit Bett-
nässer waren, sich gegen die Therapie besonders refraktär verbalten
und ein Dauererfol& hier sehr selten zu erzielen ist. Anderseits
bleibt doch die größte Zahl jugendlicher Enuretiker nach erlangter
Geschlechtsreife von allen auffälligeren urosexuellen Störungen
dauernd frei; in diesen Fällen darf angenommen werden, daß die
Enuresis hier eben auf andern Ursachen als einer atonischen Pro-
stata beruht, oder daß letztere nicht eine konstitutionell ange-
borene, sondern eine vielleicht durch irgendwelche reflektorischen
oder entzündlichen Vorgänge erworbene und spätestens mit der
Beendigung der Pubertät sich ausgleichende Schwäche darstellt.
| Diese Beobachtungen und Gedanken führen zu einer kurzen
Erörterung der Beziehungen zwischen der nächtlichen Enuresis
und den nächtlichen Pollutionen. Daß solche Beziehungen bestehen,
habe ich schon seit längerem angenommen. Freilich hat, als ich
die übliche Auffassung von den Pollutionen als einer normalen
Erscheinung seinerzeit mit der Bemerkung abgelehnt hatte, daß
die „Pollutionen ebenso eine Anomalie“ seien, „wie die unwillkür-
lichen nächtlichen Harnentleerungen, an denen namentlich viele
Kinder leiden (Enuresis nocturna)*, Touton dagegen folgendes er-
widert: „Und nun die Analogie mit der Enuresis nocturna! Hier
ist es wirklich schwer, ernst zu bleiben. Bloß um die Pollution
als etwas krankhaftes zu stempeln, wird -an den Haaren ein
anderer, anerkannt krankhafter Zustand zum Vergleich heran-
gezogen . . .“ Darauf habe ich zunächst auf folgende Aus-
führungen A. Molls verwiesen: „Groß meint allerdings, die nächt-
liche Pollution beweise gerade, daß es nicht notwendig sei, ihrer
auf dom Wege natürlicher oder unnatürlicher Unzucht los zu
werden. Bei einigem guten Willen kann man bekanntlich alles
beweisen. So könnte man ungefähr dasselbe in bezug auf den
Urin behaupten, indem man sagte, daß es nicht notwendig sei,
ihn zu lassen, da er von selber abläuft. Bekanntlich hält man
nächtliches Bettnässen für krankhaft, und man verhindert es
gerade dadurch, daß man die Kinder am Abend Urin entleeren
läßt.“ Ferner konnte ich schon damals mich auf M. Porosz be-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 45b.
10. November,
rufen, der die Enuresis und die Pollution einer anatomisch-physio-
logischen Vergleichung unterzogen und ihre Analogie, bei einer
späteren Untersuchung sogar ihre Identität — eben auf Grund
der für beide Vorgänge vielfach entscheidenden Prostatastonie —
festgestellt hat. Auf eine weitere Uebereinstimmung hat unter-
dessen Näcke hingewiesen, indem er drei Fälle mitteilte, zwei von
Kindern, einen von einem Erwachsenen, in denen — analog dem
Sexualtraume bei Pollutionen — die Enuresis nocturna von einem
Mictionstraum ausgelöst, beziehungsweise begleitet worden ist —,
und er erinnert dabei an die Frage von Dubois: „Beruht sie*
(i. e. die Inkontinenz) „auf einem Krampf oder auf einer Parese?
Kommt sie vielleicht im Traume zustande unter dem Einflusse ge-
wisser Vorstellungen, wie der Samenerguß nach einem wollüstigen
Traume?“ Ich muß nun aus eigner Erfahrung dazu bemerken, daß
solche Traumvorstellungen, die Näcke als eine seltene Möglich-
keit betrachtet, bei den kindlichen Bettnässern außerordentlich
häufig, ja anscheinend die Regel sind; kleinere Kinder geben an,
daß sie geträumt hätten, sie säßen auf dem Töpfchen, und daß sie
dann losuriniert hätten; größere Knaben vertauschen das Töpfehen
mit dem Klosett; sechs- bis zwölfjährige und ältere Jungen be-
vorzugen in ihrem Traume die Öffentlichen Pissoirs. Daß der
physio-psychische Mechanismus bei Enuresis und Pollution ein
gleicher oder doch außerordentlich ähnlicher ist, scheint mir nach
alledem zum mindesten für viele Fälle erwiesen, und die Prostata-
atonie ist die Grundlage dafür!). Wenn es im allgemeinen üblich
ist, die Enuresis als einen „anerkannt krankhaften Zustand“, die
Pollution dagegen als einen „normalen“ Vorgang zu betrachten, so
liegt der Fehler in der Verkennung, daß eine noch so häufige und
regelmäßige Erscheinung nicht im physiologischen Sinne „normal“
zu sein braucht, ihre Allgemeinheit vielmehr auf der allgemeinen
Verbreitung der pathogenen Ursache beruhen kann. Für die ver-
meintlich „normale“ Pollution — von den anerkannt krankhaften
Pollutiones nimes, dolorosae usw. ist hier nicht die Rede — sind
die hinsichtlich der Frequenz ebenfalls „normale“, d.h. durch
unsere ganze Kultur bedingte, in deren Interesse notwendige, die
„Regel“ bildende Hinausschiebung des Beginns des regelmäßigen
Geschlechtsverkehrs über die Zeit des Eintritts der körperlichen
Geschlechtsreife hinaus sowie überhaupt die relative Abstinenz die
in physiologischem Sinn „anomale“ Ursachen. — Das hiermit
berührte, namentlich von S. Freud und von Christian von
Ehrenfels bearbeitete Thema der kulturellen und der kon-
stitutionellen Gegensätze auf sexuellem Gebiete kann hier nicht
näher erörtert werden. |
Die Enuresis nocturna ist nicht die einzige, überhaupt nicht
die häufigste Miktions- respektive Blasenstörung bei atonischer
Prostata. Das Harnträufeln und sogenannte Nachspritzen wurde
bei Erörterung der gonorrhoischen Prostataatonie bereits erwähnt.
Es leuchtet 'ein, daß hierbei die gonorrhoische Genese der Atonio
ohne Belang ist und auch jede nicht auf einer Gonorrhöe, sondern
auf irgend einem andern, sei es parasitären, sei es niehtparasitären
Entzündungsprozeß beruhende Prostataatonie dieselben Erschel-
nungen hervorrufen kann. Ein Beispiel hierfür scheint mir ein Fall
von Colibacillose zu sein, den W. Karo beschreibt mit der Notiz:
„Prostata auffallend schlaff, nicht vergrössert“. Der möglicherweise
angeborenen Atonie der Prostata ist auch schon Erwähnung getan
worden, und die unvermeidbaren „kryptogenen“ Fälle fehlen auch hier
nicht. Ausgesprochene Incontinentia habe ich gelegentlich ebenfalls
auf eine atonische Prostata zurückführen können. Die verhältnis-
mäßige Häufigkeit der Prostataatonie bei Männern zwischen 50 und
60 habe ich schon angedeutet. Es handelt sich hier fast immer um
diejenigen Beschwerden, die wir auf eine Prostatahypertrophl®
zurückzuführen gewohnt sind. Es ist vielleicht verwunderlich,
daß diese gleichsam entgegengesetzte Ursache die gleiche oder
ähnliche Wirkung haben soll; jedoch das fände ein Analogon IN
der weitgehenden Uebereinstimmung mancher Symptome beim
Myxödem und dem Morbus Basedow, und die Erklärung ‚darf
darin gesucht werden, daß die Folgeerscheinungen der hyper-
trophischen sowohl wie der atonischen Prostata weit wenige
auf mechanischen als auf „innersekretorischen“ Störungen beruhen.
Ich halte auch die Prostataatonie in diesen Fällen für einen ~I-
volutionsvorgang, habe sie mehrmals bei Männern angetroffen, die
den ausgesprochenen Kurt Mendelschen Symptomenkomple& >
Climacterium virile aufwiesen, und möchte glauben, daß die neuer
1) Der Einwand, daß doch auch bei kleinen Mädchen Enuresis ~»
vielleicht auch Pollutionen! — vorkommen, also die Prostata bezie me
weise eine Atonie dieser an den Erscheinungen nicht ursächlich bete i
sein kann, vermag die Auffassung von solchem Zusammenhang? _
männlichen Individuen nicht zu entkräften.
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. 1821
dings z. B. von W. Karo unter der Bezeichnung „Prostatismus“ ver-
öffentlichten Fälle, für die bei klarem Harn ohne Vorhandensein von
Residualharn „das Symptomenbild der Prostatiker“, in dem aber „die
Volumenzunahme der Prostata eine untergeordnete Rolle spielt“ —
„oft ist das Organ palpatorisch gar nicht vergrößert“ — wesentlich
ist, vielleicht nicht durchweg, aber doch zu einem Teile Prostata-
atonien sind. Ich habe derartige Fälle von „Prostatismus“ gesehen,
bei denen das Organ nicht nur „palpatorisch gar nicht vergrößert“
war, sondern auch beim Bougieren und Katheterisieren sich von der
Urethra aus nicht als vergrößert erwies; im Gegenteil gelangten
Bougie und Katheter ohne Hindernisse ganz besonders leicht in die
Blase; auch war in einigen Fällen, die das Symptomenbild des
Guyonschen „Prostatisme sans prostate“, für den Kümmel viel-
fach eine Prostata-Atrophie verantwortlich macht, in aus-
gesprochener Weise boten, die Atonie palpatorisch deutlich er-
kennbar. Sie macht gerade den alternden Männern nicht immer
diejenigen Beschwerden, die man von vornherein auf eine Er-
krankung der Prostata überhaupt und auf eine Atonie insbesondere
beziehen würde. Ich erwähnte schon, daß ich sie wiederholt beim,
„Climacterium virile“ antraf, auch in solchen Fällen, in denen
dabei deutliche „prostatische* Symptome fehlten, die ja übrigens
von Mendel bei seiner Schilderung des Krankheitsbildes gar
nicht genannt werden. Eine ursächliche Bedeutung dürfte
hier der Prostataatonie vielleicht nur insofern zukommen, als
sie die Bedeutung eines Gliedes in der Kette des ganzen
„Rückbildungs- und Mauserungsprozesses“, eines den übrigen In-
volutionsphänomenen koordinierten Symptoms hat. Bemerkenswert
ist, daß ich gefunden zu haben glaube, daß die älteren Prostata-
atoniker ebenso regelmäßig von Arteriosklerose frei, wie die
gleichaltrigen Prostatahypertrophiker von ihr befallen sind.
Die häufigsten und wichtigsten Symptome der Prostata-
atonie bestehen in pathologischen Sexualausflüssen, insbeson-
dere libidinösen Urethrorrhöen, Spermatorrhöen und
Pollutionen. So wie die Prostata am Blasenverschlusse stark
beteiligt ist oder — wenn man mit Posner diese Ansicht ab-
lehnt — zum mindesten durch ihre Anordnung am Blasenhalse
den Akt des Urinierens beeinflußt, so wirkt sie mit ihren den
Ductus ejaculatorius umgebenden circulären Muskelbündeln am
Samenblasenverschluß entscheidend mit, und bei einer Atonie der
Prostatamuskulatur wird natürlich unter Umständen jene Schließung
nicht so vollkommen sein wie in der Norm. Diese Unvollkommen-
heit des Schließens wiederum hat die mannigfaltigsten Störungen
der Sexualfunktionen zur Folge. Von der Spermatorrhöe bei der
gonorrhoischen Prostataatonie ist schon gesprochen worden; ebenso
von derjenigen bei früheren Enuretikern infolge einer möglicher-
weise konstitutionellen Schwäche der Vorsteherdrüse; vor allem
aber zeigt sich die Kombination von Spermatorrhöe — und allen
andern anomalen Sexualausflüssen, insbesondere Pollutionen —
mit einer Atonie der Prostata bei jugendlichen Individuen um die
20 herum. Bei Masturbanten und Nichtmasturbanten, bei Ent-
haltsamen und Excedenten, die über Sexualausflüsse klagten, habe
ich die Prostataatonie feststellen können; je häufiger die Aus-
flüsse auftreten, um so sicherer und deutlicher war die Prostata-
atonie vorhanden. Und während ich sie — im Gegensatz zu
Porosz — bei „gewöhnlichen“ Pollutionen doch auch recht oft nicht
nachweisen konnte, fand ich sie ausgesprochen in allen den drei
Fällen, in denen die Betreffenden die Pollutio interrupta
übten. Rohleder hat deren Vorkommen bestritten oder doch
sehr bezweifelt, weil er sie mit dem Mechanismus der Erektion
und Ejakulation nicht; hat in Einklang bringen können; Näcke
hat als erster sie beschrieben und noch für immerhin selten ge-
halten; ich habe schon an anderer Stelle ihr häufiges Vorkommen
betont, und selbst wenn nun auch eine Erklärung für sie nicht
gefunden werden könnte, so wäre dennoch jeder Zweifel au ihrer
gar nicht raren Existenz ausgeschlossen. Nun scheint mir aber
überdies eine mechanische Erklärung für die Pollutio interrupta
gegeben, seitdem ich in allen zur Untersuchung gelangten Fällen
eben die atonische Prostata gefunden habe. Man wird künftig
überhaupt auf einen etwaigen Zusammenhang von Störungen des
Sexualaktes, insbesondere auch der Fälle, in denen beim Coitus
statt des Spermas Urin entleert wird (Flesch), auf eine Prostata-
atonie regelmäßig untersuchen müssen. Welchen Ursachen
nun letztere‘ihre Entstehung verdankt und ob die Prostataatonie
stets das Primäre sein muß und nicht auch umgekehrt erst
durch die infolge anderer Ursachen — Onanie, Excesse, Abstinenz,
Coitus interruptus und andere — entstandenen Sexualstörungen
hervorgerufen werden kann, bin ich im Begriffe, zu ermitteln;
daß nach letzterer Richtung hin ein Circulus vitiosus oft wirksam
ist, darf als sicher angenommen werden. In zwei Fällen, deren
einer einen Kavallerieoffizier, deren anderer einen Gutsbesitzer
betrifft, glaube ich die Prostataatonie, die mit Impotenz einher-
ging, auf das viele Reiten zurückführen zu müssen, da bei
beiden Patienten nach monatelangem Aussetzen des Reitens
ohne andere differente Behandlung die Atonie zuerst, dann die
Impotenz wesentlich gebessert wurde. Diese Beobachtungen können
vielleicht für die Beantwortung der umstrittenen Frage nach der
potenzmindernden Wirkung des Reitens nutzbar gemacht werden.
Einige andere Beobachtungen, die mit den von Porosz gemachten
völlig übereinstimmen, haben mir die ursächliche Bedeutung der
sexuellen Abstinenz für die Prostataatonie und ihre Folge-
zustände im höchsten Maße wahrscheinlich gemacht. Die Schuld
der Onanie an der Prostataatonie scheint mir im Gegensatz zu
Porosz und in Uebereinstimmung mit Rohleder noch nicht
sichergestellt.
Eine beachtenswerte Rolle spielt die Atonie der Prostata
augenscheinlich in vielen Fällen sogenannter sexueller Neur-
asthenie, namentlich in denjenigen mit libidinösen Sexualausflüssen
und den bekannten „Kreuz“- und „Rückenmark“schmerzen; auch ein-
zelne Fälle von Ejaculatio praecox und Impotenz gehören un-
zweifelhaft hierher. Auch hier muß — wie bei der Erörterung
des Climacterium virile — vermerkt werden, daß irgendwelche
Sexualstörungen und sonstige als „prostatisch“ überhaupt kennt-
lichen Symptome fehlen können und nur diejenigen einer „vulgären“
Neurasthenie vorhanden zu sein brauchen; daß dann etwa die
trotzdem bestehende Prostataatonie gar nicht in kausale Beziehung
mit den Beschwerden zu bringen, sondern als zufälliger Neben-
befund aufzufassen sei, wird schon durch den Erfolg der Prostata-
behandlung, beziehungsweise ihren heilenden Einfluß auf die Be-
schwerden ausgeschlossen. Einer meiner Patienten, ein 32jähriger
Neurastheniker, der kürzlich eine sehr schwere Herzneurose durch-
gemacht hatte, zurzeit an den bekannten nervösen Erscheinungen
litt, aber von urosexuellen Symptomen stets frei war, hatte eine
offenbar konstitutionelle Prostataatonie, mit deren jeweiliger Besse-
rung (bei Behandlung) respektive Verschlechterung (ohne Behandlung)
der, anderweitig gar nicht beeinflußte, Zustand der Neurasthenie,
deutlich parallel ging. Man wird in allen diesen Fällen außer
oder gar statt der mechanischen wieder die innersekretorische Be-
deutung der Prostata als die ausschlaggebende zu betrachten
haben. Dafür spricht unter anderm ebenfalls der therapeutische
Effekt, insofern ich — wenigstens in einem Falle von anscheinend
nichtsexueller Neurasthenie bei ausgesprochener Prostataatonie —
einen überraschenden Erfolg mit Testiculininjektionen (nach dem
Vorgange Karos) erzielte.
Die Therapie der Prostataatonie ist im allgemeinen aus-
sichtsreich und dankbar. Refraktär verhalten sich nur einige
wenige Fälle, in denen, wie erwähnt, es sich wahrscheinlich um
konstitutionelle Mängel handelt. Auch bei den älteren „Pro-
statikern“ und den die Symptome des Klimakteriums aufweisenden
Fällen sind die Erfolge einer örtlichen Behandlung der Prostata
nicht immer befriedigend, ob auch nicht die einer „Organotherapie“,
entzieht sich gegenwärtig noch meinem Urteil. In den völlig un-
beeinflußbaren Fällen, die es ganz sicher gibt, wird man, wenn die
Störungen sehr beträchtliche sind, in Erinnerung an die Ueber-
legungen und Erfolge namentlich Kümmels bei Prostata- Atrophie
gelegentlich auch an eine Operation denken müssen. Aber in den
das Hauptkontingent stellenden Fällen junger und jüngerer
Sexualneurastheniker mit Prostataatonie führt eine einfache, wenn
systematisch durchgeführte Lokalbehandlung der atonischen Pro-
stata fast immer zum Ziele. Ich konnte in der Regel auf die von
Porosz empfohlene Elektrotherapie verzichten und mich mit der
Massage und Hitze-Kälte-Einwirkung begnügen. Auch Behand-
lungen von der Urethra aus waren unnötig; in einem Falle von
Impotenz bei Prostataatonie habe ich versuchsweise den Colliculus
mehrmals mit 20°/,iger Argentumlösung nach Orlowski betupft
und dabei das auffällige Resultat erhalten, daß die Prostataatonie
und die Impotenz verschwanden — beide aber nur für ganz kurze
Zeit. Das Rezidiv behandelte ich dann in der üblichen Weise —
freilich nicht mit Verzicht auf das sexuelle Verhalten regelnde
Verordnungen — und erzielte einen dauernden Erfolg. Auch die
gonorrhoische und postgonorrhoische Prostataatonie wird nicht
anders behandelt wie eine gonorrhoische Prostatitis überhaupt;
nur scheint mir hier die Urethralinjektion regelmäßig stark zu
reizen und auf die Atonie selbst nicht günstig einzuwirken. : Ich
bin bei der Gonorrhöebehandlung überhaupt immer mehr von den
Injektionen, das heißt von den wäßrigen Lösungen zugunsten der
Salbenstiftbehandlung abgekommen, seitdem die Beyersdorfschen
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1822
Gonostylpräparate die Nachteile und Schäden der früheren Schmelz-
bougies und ähnlicher Mittel und Applikationsformen vermeidbar
gemacht haben, und insbesondere bei einer Miterkrankung der
Prostata, und hier wieder namentlich bei einer Atonie, leisten die
Gonostyli Vortreffliches. Indessen gibt es einige wenige Fälle,
in denen bei vorhandener Prostataatonie diese sowohl wie die
Gonorrhöe auf alle Heilversuche ganz auffallend schwer reagieren;
es scheinen das wiederum diejenigen Fälle zu sein, in denen die
Prostataatonie nicht oder nicht wesentlich durch die Gonorrhöe
erworben, sondern höchstens durch sie verschlimmert wurde, der
Hauptsache nach aber auf einer angeborenen Minderwertigkeit des
Organs beruht. Denn bei diesen Patienten habe ich wiederholt
frühere Enuretiker angetroffen, des öfteren auch gleichzeitig andere
konstitutionelle Defekte oder Stigmen gefunden. Auf die hier
angedeuteten Zusammenhänge hat u. a. Rob. Müller hingewiesen.
t Daß in jedem Falle nach einer Ursache für die Prostata-
atonie gefahndet und, wenn sie aufgefunden ‘oder wahrscheinlich
gemacht wird, zugleich eine ätiologische Therapie ausgeübt werden
muß, bedarf besonderer Betonung kaum.
Aus der Augenklinik der Universität Kiel.
Erfahrungen und Gedanken über Tuberkulose
und Tuberkulin
von
Prof. Dr. Heine.
(Schluß aus Nr. 44.)
2. Die specifischen Reaktionen.
Wenn ich mich jetzt zu den specifischen Reaktionen
des erkrankten Organismus auf diagnostische Injektionen von
Alttuberkulin (Koch) wende, so sehe ich mich angesichts des
entschieden ablehuenden Standpunkts eines so hervorragenden
Kenners der Verhältnisse wie Sahli gegenüber jeder diagnostischen
Injektion genötigt, ein Wort der Rechtfertigung zu sagen: Es ist
nicht zu verkennen, daß wir Augenärzte ein ganz anderes Kranken-
material unter den Händen baben als der Innere Kliniker. Sahlis
praktische Erfahrungen beziehen sich ausgesprochenermaßen in
erster Linie auf Lungenkranke Er legt denn auch eine Lanze
ein für die „rechtzeitige“ Diagnose der Tuberkulose „Es steht
aber mit der rechtzeitigen Diagnose der Tuberkulose auch ohne
diese modernen Methoden (Intracutanreaktionen) nicht so schlimm
für einen Arzt, der die Gesamtheit des klinischen Bildes der Tuber-
kulose voll beherrscht, die hereditären Verhältnisse mit berück-
sichtigt und auch über die enorme Häufigkeit der Tuberkulose
und des Polymorphismus der klinischen Bilder orientiert ist.“ Wir
Augenärzte dürfen, glaube ich, in der Diagnostik der Tuberkulose
noch einen weiteren Schritt rückwärts, das heißt zu den noch
unscheinbareren Anfängen tun, die sich aber nur uns offenbaren,
da das Auge das erste Organ ist, welches sichtbar beteiligt wird.
Die Lungen sind in unsern Fällen fast ausnahmslos gesund,
und zwar begnügen wir uns in den meisten und besonders den
prinzipiell wichtigen Fällen nicht mit unserm eignen Urteil, sondern
erfreuen uns der konsultativen Beratung von seiten der Inneren
Klinik (Prof. Lüthje). Die Patienten meiner Privatklientel sieht
fast ausnahmslos Kollege Lüthje selbst, oft mehrmals. Daß
Anamnese usw. auch meist oder oft ganz negativ ist, ist bei der
Tuberkulose noch weniger verwunderlich als bei der Lues. Wo
sitzt also der primäre Herd in den die Augen beteiligenden Fällen?
In den Lungen wohl selten! So erklärt es sich aber auch, daß
wir unter vielen Hunderten eigner diagaostischer Injektionen und
unter den Tausenden der augenärztlichen Literatur nirgends einen
Unglücksfall berichtet finden. Im Gegenteil steht über allen augen-
ärztlichen Tuberkulosearheiten gewöhnlich obenan: Geschadet hat
es nie. So glaube ich auch nach wie vor, daß Injektionen nach
alter Kochscher Vorschrift (1, 3, 6, 10 mg Alttuberkulin) in
unsern Fällen nicht schaden. Nur die Erfahrung, daß auch ge-
ringere Mengen des „Giftes“ oft schon das Bild ätiologisch genügend
klären, hat uns veranlaßt, mit !/ıo, bei Kindern oder schwächlichen
Personen mit suspekten Lungen mit 1/100 ja 1/1000 mg zu beginnen,
dann auf das- Doppelte, wieder auf das Doppelte und so weiter
zu steigen, bis eine möglichst geringe, aber doch deutliche Tempe-
ratursteigerung erfolgt. Da wir die Injektionen zur Mittagszeit
vornehmen, so ist Ausbleiben der Morgenremission am andern Tage
schon verdächtig. Wird dieselbe Dosis nach einigen Tagen wieder-
holt, so erfolgt dann meist eine. deutliche Reaktion um ein bis
zwei, seltener drei Grade. Was sollen nun aber solche Reaktionen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.
beweisen? Von seiten des Inneren Klinikers sind solche Patienten
mit Irisknötchen oder Descemetschen Beschlägen „gesund“. Er
würde sich scheuen, ihnen gegenüber das Wort Tuberkulose über-
haupt in den Mund zu nehmen. Von seiten des Augenarztes ist
ein solcher Patient aber ernstlich krank, sein empfindlichstes Organ
zeigt ein barometrisches Minimum. Für Lues kein Anhaltspunkt,
Wassermann negativ, kein Diabetes, auch kein latenter, keine
Gicht, Rheumatismus, Gonorrhöe, Influenza, Rekurrens — das Aus-
gefallendste wird diskutiert, nur nicht die nächstliegende und
häufigste aller Ursachen: die Tuberkulose. Warum nicht? Weil
sie nicht nachweisbar ist. Da tritt die diagnostische Reaktion in
ihr Recht. Ä
Wenn Sahli nun sagt, daß die diagnostische Reaktion po-
sitiv ausfallen kann, ohne daß Tuberkulose wirklich. vorliege, und
daß sie negativ sein könne, obwohl sicher schwere Tuberkulose
vorliege, so ist zu beachten, daß er diese Bedenken im theoretischen
Teil seiner Ausführungen bringt, daß sie also — vielleicht als
Ausnahmefälle betrachtet — weniger praktische Bedeutung bean-
spruchen können. „Daß dies vorkommt (positive Reaktion, ohne
daß Tuberkulose vorliegt), ist nicht zweifelhaft. Am sichersten
weiß man es vom Tier.“ Vom Menschen also -doch wohl nicht
ebenso sicher? Der exakte Nachweis, daß wirklich nirgends im
Körper ein kleiner Tuberkelherd sitzen könnte, scheint mir doch
recht schwierig. Daß aber ein wirklich tuberkulöser Organismus
doch auf Tuberkulin nicht mit Fieber reagiert, ist — wie ja
Sahli selbst ausführlich bespricht, nicht so schwer theoretisch zu
erklären, praktisch scheint es, was die Augenkranken anbetrifft,
doch relativ selten vorzukommen. Möglich ist das letztere auch;
dann würden wir eben einige Fälle ätiologisch nicht klarstellen,
während wir beim Aufgeben der diagnostischen Injektion’ viele
(sehr viele) Fälle ätiologisch überhaupt nur ex juvantibus be-
urteilen könnten. |
Die allgemeinen Reaktionen.
Praktisch stellen sich für mich die Dinge folgendermaßen dar:
Es gibt Menschen, die auch auf 10 mg Alttuberkulin (Koch) nicht
reagieren, auch dann nicht, wenn sie längere Zeit mit Baeillen-
emulsion bis zu starken Dosen behandelt sind. Conaminis causa
habe ich solehe Beobachtungen mehrfach konsequent durchgeführt,
Es gibt also Organismen, die man auch durch energische provo-
katorische Bacillenemulsioninjektionen nicht für Alttuberkulin
empfindlich machen kann. Unter diesen befinden sich auch einige
mit Iritis serosa e causa ignota. Halten wir an der Specificität
des Tuberkulins fest, so müssen wir demnach sagen, wer auf mäßige
Dosen mit Fieber reagiert, muß sich von Leuten wie den ge-
schilderten prinzipiell unterscheiden, er muß aus irgendwelchen
Gründen reizbarer sein. Diesen Reizbarkeitszustand, die Reiz-
schwelle, suchte ich nun mit Alttuberkulin zahlenmäßig festzu-
stellen, mit Bacillenemulsion zu beeinflussen. Ich benutzte also
Alttuberkulin als Diagnostikum, Bacillenemulsion als Thera-
peutikum. Daß man mit jeder Alttuberkulininjektion zugleich eine
therapeutische Wirkung erzielt, versteht sich von selbst, doch tritt
diese bei seltenen Injektionen geringe Alttuberkulinmenge doch
wohl gegenüber der diagnostischen erheblich zurück.
ee aa Á
. Injektionen Allgemeine Reaktion trat ein bei:
begonnen
mit Yo Yon |00| hoo 1/10 [t/o S/a 1 | 2-3 | 46 | 10
3 8 | Die Höhe des
a Ba) 2|2 $ 3 li| 8| 4] 2 1 42 reaktiven
g Ch) als! 9! 3] 1i( 1 | 34 | Fiebers ist
ho j 115/|3Iı] -von a
1(2 und 2,5) 26 18 28 | 8 e0 Anpi o
6 2 2
|12| 2f 9] 6 |18] 22] 40] 2 | s4 |10 |17 |
Wo nun die primäre Reizschwelle des unbehandelten
Organismus liegt, ist zahlenmäßig kaum sicher zu sagen: beginnt
man eine große Serie von diagnostischen Injektionen mit I ME:
so findet man sie zwischen 3 und 6 mg, das heißt bei der
zweiten oder dritten Injektion reagieren die meisten. Beginnt
man jedoch mit !/ı mg, so reagieren plötzlich die meisten
auch bei der zweiten oder dritten Injektion, also zwischen */0
und ĉja mg! Und manchmal — aber doch seltener — geht es
mit 1/10 mg ebenso, meist muß man dann aber doch öfter wieder-
holen, sodaß man oft in die zehntel Milligramm kommt. Die
'Temperatursteigerung tritt zwischen der sechsten und zwölften
Stunde, seltener zwischen der 12. und 24. Stunde ein, sie erreicht,
10. November.
wie gesagt, schnell ein bis zwei, selten drei Grade und fällt meist
kritisch nach einigen Stunden ab; daß man zweistündlich messen
soll, wenn man kleinste Reaktionen nicht übersehen will, ist eine
altbewährte Regel. |
Ist somit die Reizschwelle festgestellt, so beginnt die Be-
handlung mit Bacillenemulsion VI 1 Teilstrich, dann das Doppelte:
2, dann 3,5, dann 6. Dies beansprucht mindestens zwei Wochen.
Nun wird mit Alttuberkulin wieder die Reizschwelle festgestellt.
Sehr oft, aber keineswegs immer, finden wir nun eine erheblich
erniedrigte Schwelle: ein Zehntel, ein Fünfzigstel, ja noch weniger
genügt, um die nämliche Reaktion zu bewirken. Darüber vergehen
meist ein bis zwei Wochen. Nun kommt Baeillenemulsion V in
derselben Weise wie Bacillenemulsion VI, wozu zwei Wochen ge-
braucht werden, wenn keine Reaktion erfolgt. Tritt leichte Reak-
tion bei einer bestimmten Dosis ein, So wird diese wiederholt,
denn Bacillenemulsion macht den Organismus (gegenüber Bacillen-
emulsion) meist nicht empfindlicher, sondern es tritt oft sofort
Abstumpfung ein. Wollte man einige Tage nach einer Alttuber-
kulininjektion, deren Dosis etwa die Reizschwelle getroffen hat,
auch nur dieselbe Dosis wiederholen, so könnte man bedenkliche,
also auch für den Patienten recht unangenehme Temperatursteige-
rungen hervorrufen.
Es ist dies ein prinzipieller — aber nicht ausnahmsloser —
Unterschied von Alttuberkulin und Bacillenemulsion. Nach längerer
Applikation gestalten sich für Alttuberkulin die Verhältnisse denen
bei Bacillenemulsion ähnlicher. Es ist wichtig zu betonen, daß diese
primäre Empfindlichkeitszunahme gegenüber Alttuberkulin nicht nur
als Fieberwirkung aufzufassen ist, denn auch ohne wesentliche Tem-
peratursteigerung nimmt die Empfindlichkeit gegen Alttuberkulin
zunächst unter konsequenter langsamst ansteigender Bacillen-
emulsion-Behandlung schnell zu, um nicht schon bei der zweiten,
sondern oft erst bei der dritten oder vierten Alttuberkulininjektion,
also meist nach einer Reihe von Wochen ihr Maximum zu erreichen,
dann bleibt sie wieder einige Zeit — oft einige Wochen — kon-
stant, um dann langsam herunterzugehen. Ein gewisser — wie
mir scheint, recht interessanter — Typus läßt sich hier nicht
verkennen. In selteneren Fällen tritt bei Alttuberkulin sofort eine
gewisse Abstümpfung ein, sodaß man sofort weiter steigen kann.
Dieses ist bei Bacillenemulsion, wie gesagt, die Regel, und recht
selten sind die Fälle, wo Bacillenemulsion, ähnlich dem Alt-
tuberkulin bei Beginn der Anwendung, für Bacillenemulsion selbst
empfindlicher macht. Anderseits kann man nach längerer Injek-
tionskur mit Alttuberkulin meist unentwegt bis auf 10, ja 20 mg
steigen, ohne Reizungen zu erleben. Demgegenüber kommt man
bei Bacillenemulsion viel öfter schon bei mittleren, noch häufiger
bei höheren Dosen (Baeillenemulsion III und II) an eine gewisse
Grenze, über die man nicht hinwegkommt. Die Empfindlichkeiten
gegen Alttuberkulin und Baeillenemulsion fallen also nicht zu-
sammen, sie sind beim Individuum zu verschiedenen Zeiten —
in verschiedenen Stadien der Behandlung — sehr. verschieden.
Mit Baeillenemulsion kann man die Empfindlichkeit gegen Alt-
tuberkulin beeinflussen, zunächst meist steigern, dann herabsetzen,
der umgekehrte Einfluß von Alttuberkulin auf die Bacillenemulsion-
Empfindlichkeit scheint mir weniger ausgesprochen, kommt aber
auch vor. l
Zahlenmäßig lassen sich Alttuberkulin und Bacillenemulsion ja
nun freilich nicht vergleichen, aber gewisse klinische Beobachtungen
geben doch gelegentlich für den Einzelfall eine gewisse Vorstellung
von der Wirksamkeit. Wenn z. B. eine Patientin in sechs auf-
einander folgenden Injektionen (im Laufe von sechs Wochen) von
!/ıo Alttuberkulin konstant mit einer Temperatursteigerung von
zwei bis drei Zehntel Grad reagiert bei sonst außerordentlich
konstanter Körpertemperatur, wenn sie dann auf sechs Injektionen
(innerhalb von sechs Wochen) von Bacillenemulsion Il 1 genau so
reagiert, auf Bacillenemulsion III 2 doppelt so hoch — also etwa
um 1/2 Grad, dann sechs Wochen lang wieder wie zuerst auf
Alttuberkulin 1/10, so kann man für diesen Fall in diesem Stadium
eine gewisse Aequivalenz von Alttuberkulin !/jo und Bacillen-
emulsion III i wohl annehmen. Die primäre Reizschwelle lag in
diesem Falle bei 1 mg Alttuberkulin. (Siehe auch Krankenge-
schichte 17, Voss.) |
Diese Ausführungen lassen es verständlich erscheinen, daß
wir weniger Wert auf die Höhe der Alttuberkulindosis legen, auf
die ein Patient reagiert, sondern mehr danach fragen, ob er über-
haupt reagiert. Erfahrungsgemäß hat es aber keinen Sinn, bei
Kindern weiter als bis 5, bei Erwachsenen weiter als bis 10 mg
zu gehen. Reagiert der Patient auf diese oder eine weit geringere
Dosis, so reagiert er gewöhnlich im Laufe der Behandlung auch
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1823
auf sehr viel kleinere Dosen; reagiert er darauf aber nicht, so
reagiert er auch auf größere Dosen oder auf provokatorische
Bacillenemulsion-Therapis nicht.
Stock gibt an, daß seine Patienten, sofern sie auf 1 mg nicht
reagiert hätten, auch auf höhere Dosen gewöhnlich nicht reagierten.
Dieser Unterschied gegenüber unseren Befunden erklärt sich viel-
leicht zum Teil so, daß Stock oft mit !/ıo angefangen hat; hätte
er mit 1 angefangen, so hätte er vermutlich öfter Reaktionen erst
bei 3 oder 6 mg eintreten sehen. Fängt man mit noch kleineren
Dosen an, so reagieren die Patienten oft noch früher, wie dies
‚oben dargelegt wurde, was aus dem primär sensibilisierenden
Einfluß des Alttuberkulins ja auch relativ verständlich er-
scheint. Die von Herrn Lüttjohann zusammengestellte Tabelle
zeigt dies auf das deutlichste (siehe oben).
Sehr wohl möglich ist aber auch, daß die Stockschen
Patienten von Hause aus eine andere Empfindlichkeit besaßen, daß.
ihre Tuberkulose vielleicht eine andere Virulenz zeigte. Auch die
klinischen Bilder Stocks sind ja andere: er hat weit häufiger die
Erkrankungen der hinteren Hälfte, wir die der vorderen der Uvea.
Eine hier naheliegende Frage ist die: Sollen wir mit mög-
lichst geringen Dosen in der Tuberkulinbehandlung auszukommen
suchen, also auch mit möglichst kleinen Dosen anfangen? oder
sollen wir möglichst bald eine gewisse Höhe mit einer sicheren,
wenn auch subfebrilen Wirksamkeit zu erreichen suchen? Wenn
wir es als ein Zeichen von Gesundheit betrachten, daß ein Mensch
5 oder 10 mg Alttuberkulin reaktionslos verträgt, So wäre es
logisch, diesen Zustand möglichst schnell anzustreben und gleich
mit 1 mg zu beginnen, wenn man auch die Dosis nachträglich
vorübergehend reduzieren muß. Ob aber diese so erreichte Gift-
festigkeit gleichbedeutend mit Heilung ist, und wie lange diese
vorhält, darüber scheinen noch wenig systematische Beobachtungen
vorzuliegen. Immerhin ist der Gedanke gewiß nicht von der Hand
zu weisen, daß man möglichst bald wirksame Dosen anstreben
soll, zumal bei akuten Fällen, wo für das Auge periculum in mora
ist, während man bei den chronischen sich vielleicht ungestraft
etwas mehr Zeit lassen kann. Einem kräftigen „sonst gesunden“
Mann wird man also bei akuter tuberkulöser Iritis sofort 1 oder
0,1 mg geben und baldmöglichst steigern, bei Reaktion dann Bacillen-
emulsion in schnell steigender Dosis geben. Bei einem schwäch-
lichen jungen Mädchen mit suspekten Lungenspitzen wird man
statt dessen mit 1/100, bei Kindern mit !/ıooo mg beginnen. Also
auch hier ist weitgehendste Individualisierung dringend geboten.
Auch uns lehrt die Erfahrung, wie ich dies auch in den
Mitteilungen anderer Autoren lese, daß gelegentlich nur ein sehr
bescheidener Grad von Giftfestigkeit erreicht wird, und trotzdem
der therapeutische Effekt ein vorzüglicher ist. Heilung ohne Gift-
festigkeit ist also sehr wohl möglich, a priori noch wahrschein-
licher wäre vielleicht die Möglichkeit der Giftfestigkeit, ohne daß
Heilung eintritt. Für unsere theoretischen Vorstellungen hat die
Frage gewiß ihr großes Interesse, ob die mit oder ohne Giftfestig-
keit günstig verlaufenden Fälle die weniger zu Rezidiven neigenden
darstellen. Ich kann darüber noch nichts Sicheres sagen.
. Betreffs der „Reaktion“ des Organismus ist nun keines-
wegs nur auf die Körpertemperatur allein zu achten. Schon
Sahli hebt mit Recht hervor, daß ansteigende Pulsfrequenz
allein auch eine Reaktion darstellt, eine Reaktion, von der der
Patient selbst gar nichts zu merken braucht. Noch häufiger sind
influenzaartige Gliederschmerzen, besonders bei Alttuberkulin,
sehr viel seltener bei Bacillenemulsion. Empfindliche Patienten
haben mir oft gesagt, was ich ihnen injiziert hatte: Alttuber-
kulin oder Baeillenemulsion, auch wenn keine 'Temperatursteige-
rung eingetreten war. „Ein gewisses Unbehagen“, „flaues
Gefühl“, „Mattigkeit“*, „Schwere in allen Gliedern“,
„wundes Gefühl in der Brust“ sind prämonitorische Sym-
ptome der Reaktion.
Mit der Zeit werden diese subjektiven Reaktionen be-
deutend weniger unangenehm, die zunächst oft recht unregelmäßige
Temperaturkurve (obne daß man direkt von Fieber hätte reden
können) wird ruhiger, die Differenzen zwischen Morgen und Abend
werden kleiner, das subjektive Wohlbehagen hebt sich, dement-
sprechend das Körpergewicht. Die lokalen Erscheinungen, Des-
cemetschen Beschläge, die Knoten, Hornhauttrübungen gehen zu-
rück und es kann zur Restitution ad integrum kommen.
Oertliche Reaktionen.
Bevor wir in dieser Richtung weitergehen und die Heil-
wirkungen genauer betrachten, verdient noch ein Punkt eingehende
Besprechung, das ist die „örtliche Reaktion“ oder Lokal-
1824
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
O See r
10. November,
reaktion. Darin muß ich — entgegen z. B. dem Standpunkte der
meisten Dermatologen — in diagnostischer Hinsicht, einen sehr
abweisenden Standpunkt einnehmen. In klinisch einwandfreien
Fällen von Iristuberkulose mit Knötchenbildung (typische siehe oben)
vermissen wir die örtliche Reaktion sehr oft, meist, möchte ich
sagen, und dieses in Fällen, wo auch der ganze Verlauf für Tuber-
kulose, nichts für eine andere Aetiologie spricht. Das Aus-
bleiben der örtlichen Reaktion beweist also in der Augen-
heilkunde nichts gegen die Tuberkuloseätiologie der vor-
liegenden Affektion.
Änderseits erhalten wir gelegentlich örtliche Reaktion zu-
gleich mit allgemeiner Reaktion. Nun diese örtlichen Reaktionen
müssen ja bekanntlich deshalb ganz besonders vorsichtig be-
wertet werden, weil sich im Fieber oft- beide Augen etwas iu-
jizieren, auch eiliar und nicht nur conjunctival. Rötet sich ein
- Auge dabei deutlich stärker als das andere und ist dieses
auch sonst injizierter oder kranker, so ist man ja leicht ge-
neigt, diese örtliche Reaktion als beweisend anzusehen. Ich habe
aber öfter auch das Gegenteil gesehen, daß sich nämlich das
gesunde Auge rötete, das kranke nicht. Sollte dies etwa als
(Calmettesche) Conjunctivalreaktion aufzufassen sein, wo das inji-
zierte Tuberkulin von innen heraus auf die Bindehaut ausgeschie-
den wird und in die Conjunctiva des gesunden Auges entweder
in größerer Menge gelangt oder bier durch zufällige lokale Ver-
hältnisse wirksamer wird? Hat man doch die Beobachtung gemacht,
daß selbst leichte Conjunctivitis follicularis und ähnliches, die ja
auch einseitig stärker entwickelt sein kann, bei der Calmette-
schen probatorischen Instillätion stark exacerbieren kann.
Ueber diese Calmettesche Instillation fehlen mir die eigenen
Erfahrungen, ich konnte mich ebensowenig wie Sahli „entschließen,
ein Organ von solcher Dignität, wie das Auge, für dieses dia-
gnostische Verfahren heranzuziehen“. Schwere Schädigungen sind
denn auch mehrfach vorgekommen.
Am ehesten möchte ich einer örtlichen Reaktion eine ge-
wisse Bedeutung beimessen, wenn sie ohne allgemeine Reaktion
am kranken Auge auftritt, doch das ist sicher nicht häufig. So-
mit reduziert sich für uns die Bedeutung der örtlichen Reaktion
ganz bedenklich, denselben Eindruck gewinne ich auch aus andern
Mitteilungen, z. B. denen Stocks und Anderer. |
Der positiven örtlichen Reaktion steht nun aber noch eine
praktisch wie theoretisch sehr interessante Örtliche Reaktion ent-
gegen, die man die negative örtliche Reaktion nennen könnte,
wenn dieser Ausdruck nicht (leider) schon für die fehlende ört-
liche Reaktion mit Beschlag belegt wäre. Wir müssen also von
einer „Abblassungsreaktion“ reden. Daß wir durch aller-
hand fieberhafte Erkrankungen oft eine sehr günstige Beeinflussung
äußerer und innerer entzündlicher Augenkrankheiten, besonders der
akuten und subakuten oder selbst der chronischen, erhalten, ist
eine bekannte Tatsache: ich erinnere nur an das Abblassen skrofu-
löser Ophthalmien bei Bronchitis und Pneumonie, besonders bei
Kindern, und ähnliches. Auch lokal kann eine äußere Augenkrank-
heit günstig beeinflußt werden, indem eine andere Krankheit dar-
über hingeht, z. B. ein Trachom, eine Bindehauttuberkulose durch
ein darüber hingehendes Erysipel. Mir will scheinen, hier könnten
sich die Bakteriologen und Serumtherapeuten Winke entnehmen
und naturam ducem sequi. So finden wir nun auch bei der Alt-
tuberkulin- und Bacillenemulsionsdiagnostik und -therapie bei Tempe-
ratursteigerungen gar nicht selten Abblassungsreaktion, besonders
häufig bei den skrofulösen, seltener bei den eigentlich tuberkulösen
Affektionen. Diese Abblassungsreaktionen schließen sich oft an die
positiven örtlichen Reaktionen an, Aas Auge rötet sich, um nach-
her um so blasser zu werden, sie köunen aber auch völlig primär
auftreten und — und darauf möchte ich ganz besonderes Gewicht
legen — sie können auch ohne Fieber auftreten als rein toxische
Lokalwirkung. Einen recht interessanten Fall beobachtete ich vor
einiger Zeit, den ich kurz skizzieren will.
Eine junge Frau litt seit zirka drei Jahren an Ophthalmien, von
denen sich eine immer an die andere anschloß, sodaß sie von allem ge-
sellschaftlichen Verkehr fast ausgeschlossen war. Von spezialistischer
Seite war sie topisch behandelt — ohne dauernden Effekt. Als sie das
erstemal zu mir kam, zeigte sie das Bild der heftigen Episkleritis, wie
ich vermutete, tuberkulöser Natur, jedenfalls fehlte jede sonstige Aetio-
logie. Da sie im sechsten Monate gravid war (zweite normale Gravidität
in zirka vierjähriger Ehe), so empfahl ich Alttuberkulininjektionen, nach-
dem die Entbindung erfolgt sei. Als Patientin dann vier Wochen post
partum kam, zeigte sie das Bild der oberflächlichen skrofulösen Oph-
thalmie. Auf Alttuberkulia reagierte sie bei 0,1 mg mit Fieber bis
37,8, bei sonst leicht subnormaler Temperatur und Abblassung des
Bulbus. Sobald die therapeutisch wirksame Dosis bei ihr erreicht war,
reagierte sie 24 Stunden post injeetionem mit etwas Kopfweh ünd
Abblassung des Auges ohne Temperaturerhöhung. Diese Abblassung
dauerte einen bis zwei Tage, um dann langsam wieder der gewöhn-
lichen Injektion Platz zu machen. Bei steigender Bacillenemulsiondosis
hielt die Abblassungsreaktion länger an, sodaß die Wirkungsphasen der
einzelnen Einspritzungen ineinander übergingen. Als aus äußeren Grtn-
den in einer Woche einmal nur eine Injektion (statt zwei) gemacht wurde,
rötete sich das Auge — welches jetzt dauernd blaß erschien — sofort
wieder, um 24 Stunden nach der nächsten Injektion wieder abzublassen.
Plötzlich trat ein Rezidiv der Episkleritis ein, genau in der Art und -an
derselben Stelle wie etwa ein Jahr vorher. Dieses zeigte nun auf dib
Bacillenemulsioninjektion positive örtliche Reaktion! Unter konse-
quenter Bacillenemulsiontherapie ging es aber bald zurück.
Solche Beobachtungen könnte man — glaube ich — häufiger
machen, wenn man systematisch darauf achtete. Die Privatklientel
bietet hierfür bessere Gelegenheit als die klinische und poliklinische,
Daß die obenerwähnte Patientin nach jahrelangen Serien von
Ophthalmien skrofulöser und tuberkulöser Aetiologie durch we-
nige Injektionen sich wie erlöst vorkam, ist verständlich. Theore-
tisch bemerkenswert scheint mir die positive und Abblassungs-
reaktion bei demselben Individium in Anbetracht des verschiedenen
Charakters der Affektion. |
Die auf vorstehenden Seiten zum Ausdruck gebrachten Ge-
danken und Erfahrungen basieren auf einem Material von über
300 durchgeführten Tuberkulinkuren. Von diesen entfielen schon
über 200 auf die ersten drei Jahre meiner Kieler Zeit (Oktober
1907 bis Oktober 1910). Seitdem ist noch eine größere Anzahl
hinzugekommen. |
Unter der genannten ersten Serie befanden sich 71 Kerati-
tiden, 97 Iridoeyclitiden, 13 Skrofulöse, 19 Chorioiditiden, 7 Amotiones.
Auf eine Anzahl von cerebralen und retinalen Tuberkulosen
werde ich später einzugehen Gelegenheit nehmen. Ä
Die Familienanamnese war in der obigen Serie positiv für Tuber-
kulose 37 mal, für Lues 9 mal, die persönliche Anamnese war positiv
für Tuberkulose 37 mal, für Lues 19 mal, das klinische Bild der Br-
krenkung charakteristisch für Tuberkulose 41 mal, der körperliche All-
gemeinbefund charakteristich für Tuberkulose 73 mal, für Lues 9 mal,
die Wassermannsche Reaktion war negativ 158 mal, positiv 13 mal.
Mit Alttuberkulin wurden nicht untersucht 17. Keine Re-
aktion auf Alttuberkulin, Neutuberkulin oder Bacillenemulsion
ergaben 9 Fälle. Unter diesen letzteren befanden sich drei be-
merkenswerte Fälle:
1. Mile Blanchard: Typische schwere skrofulöse Ophthalmie
(siehe Krankengeschichte 7), welche weder auf 10 mg Alttuberkulin, noch
auf höchste Dosen Bacillenemulsion reagierte. Bu
2. Frau Thomsen (siehe Krankengeschichte 9), schwere typische
Knötcheniridocyclitis, welche auf Neutuberkulin und 10 mg Alttuberkulin
nicht reagierte.
3. Möhle (siehe Krankengeschichte 6), typische Miknliczsche
Krankheit mit Knötcheniritis, welche auf 6 mg Älttuberkulin und Neu-
tuberkulin nicht reagierte. |
Von. andern Aetiologien kam in Frage: Lues 28 mal, Gelenk-
rheumatismus neunmal, Gonorrhöe einmal, Malaria einmal.
Von den elf letztgenannten reagierten. indes sieben auf Alt-
tuberkulin 1/1 bis 1 mg, einer auf Alttuberkulin 6 mg, zwei auf
Alttuberkulin 10 mg, einer nicht auf Alttuberkulin 3 mg und Neu-
tuberkulinkur. 2
Eine örtliche Reaktion zeigte sich unter 173 allgemeinen
Reaktionen nur 41 mal (24 Io).
Eine Feststellung der Empfindlichkeit gegen Alttuberkulin
während der Bacillenemulsionbehandlung wurde in 66 Fällen durch-
geführt: eine Steigerung der Empfindlichkeit ließ sich in 29 Fällen
deutlich nachweisen, in 37 Fällen nicht erkennen.
Betreffs der Aetiologie sei besonders auf den gänzlichen
Mangel der Gicht hingewiesen, obwohl von mir beständig de
nach geforscht wurde, und obwohl sonst die Gicht hier durchaus
nicht zu den Seltenheiten gehört. Für gute Fleischkost, besonders
vom Rind, ist Schleswig-Holstein ja bekannt. Auch lebt man 1m
den benachbarten Hansestädten ja gern gut und reichlich in dieser
Beziehung. | R
Auch der Diabetes tritt ganz gewiß sehr in den Binter-
grund gegenüber allen andern Ursachen. Daß der Urin in jedem
Falle öfter untersucht wurde, ist selbstverständlich. Einige Male
wurde auch der Blutzucker zahlenmäßig bestimmt, wofür ich
Herrn Kollegen Lüthje zu danken verpflichtet bin. Wo sich Zucker
fand, trug ich gleichwohl doch meist Bedenken, diesen Befund
ätiologisch zu sehr zu bewerten, da andere Ursachen mir, zumal bei
Iritis, wesentlicher erschienen. ,
‚ Was die Heilerfolge der Tuberkuliukuren anbetrifft, 80 ist
es ja aus leicht ersichtlichen Gründen mißlich, sich auf zahlen-
: 10: November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —.Nr. 45, 1825
mäßige Angaben festzulegen. Gleichwohl. möchte ‚ich über 125
Kuren mein Urteil dahin abgeben, daß ein primärer günstiger Ein-
Auß in der Hälfte der Fälle unverkennbar war, Etwa ebenso oft
ließ sich eine gute Beeinflussung nicht konstatieren. | à
= Rezidive traten elfmal trotz vollendeter Kur ein, dreimal
bei Unterbrechungen der Behandlung. Je frühzeitiger die Behand-
lung: begonnen wurde, um so besser die Wirkung. Diese alte Weis-
heit fand auch hier täglich ihre neue Bestätigung. Scheint mir
schon aus: diesen Zahlenangaben — ein Vergleich mit der Vor-
tuberkulinzeit stößt wohl auf die größten Schwierigkeiten — her-
vorzugehn, daß wir im Tuberkulin ein recht energisches Heilmittel
besitzen, so beweisen die Angaben über das Körpergewicht und
das subjektive Befinden meines Erachtens dasselbe vielleicht noch
überzeugender. |
In etwa der Hälfte der regelmäßig gewogenen 103 Fälle hob
sich das Körpergewicht. Diese Uebereinstimmung mit der Pro-
zentzahl der primären Heilerfolge dürfte doch mehr als zufällig
sein. Keine Aenderung trat ein in einem Viertel der Fälle.
. Anfänglicher leichter Abfall mit darauf folgender leichter
Zunahme trat ein in einem Zehntel der Fälle.
Anfängliche leichte Zunahme mit darauf folgendem leichten
Abfall in einem Zwänzigstel, dauernde Abnahme von Anfang an
in einem Zehntel. :
Diese Abnahme betrug nur in einem Falle höhere Grade,
nämlich 14 /,, und wurde durch Sistierung der Kur bald wieder aus-
geglichen, ja sogar erheblich (um 7 "/,) überkompensiert.
. Was die Gewichtsabnahmen anbetrifft, so waren sie -offenbar
meist durch 'Temperatursteigerungen bedingt und ließen sich bei
größerer Erfahrung immer mehr vermeiden. Die Zunahmen da-
gegen — das möchte ich ganz besonders betonen — kommen nicht
auf Rechnung der Anstaltsverpflegung und der Ruhe, denn erstens
wurden die Patienten meist — oder doch oft — nur zwei bis drei
Wochen stationär behandelt, und die Gewichtszunahme trat erst
während der ambulanten Behandlung auf. Zweitens zeigte sie sich
in meiner Privatklientel vielleicht noch deutlicher als bei den poli-
klinischen Patienten.
Sie trat — auch das scheint mir besonders bemerkenswert J.
— auch auf ohne jede Veränderung dar äußeren Tebensbslingungen
und ohne irgendwelche diätetischen Vorschriften. (z: B. siehe
M. Struve Krankengeschichte 18.) |
Anhang: Krankengeschichten. l
1. Frau Daniel, 62 Jahre, litt seit mindestens zweieinhalb Jahren an
Iritis. Sie war schon wegen Sekundärglaukoms iridektomiert. Familiär
war sie tuberkulös belastet, für Lues keine Anhaltspunkte. Zweites
Auge normal. Klinisch bot das Auge durchaus den Anblick, wie es in
Tafel-Fig. 10 von einem andern Falle (Johannsen) gegeben ist, nur daß noch
ein operatives Colobom nach oben vorhanden war. Die Text-Figur stellt einen
anatomischen Befund bei „getigerter Iris“ dar. Die dunklen Flecke in
der Iris erklärten sich nun — zu meinem Erstaunen — als Defektbil-
dungen im Pigmentepithel der Iris, als Löcher, die durch kleinzellige In-
filtrationen bedeckt sind. Daneben fand sich eine zweifellose Riesenzelle
und ein — nicht ganz typischer — Tuberkel. Bacillen konnten nicht
nachgewiesen werden. Ich hatte erwartet, das Pigmentepithel gerade
intakt, die darüber liegenden Irisschichten aber atrophisch zu finden,
sodaß die dunklere Färbung der Irisflecke durch Zutagetreten des Pig-
ments. zu erklären sei. Nach dem anatomischen Befunde müssen wir uns
meines Erachtens vorstellen, daß wir durch die mit Infiltrationen aus-
gefüllten Defekte des Pigmentepithels in das dunkle Bulbusinnere hinein-
sehen. Bei hinreichend großen Herden müßten die dunklen Stellen in
der Iris bei Durchleuchtung mit dem Augenspiegel also rot aufleuchten.
Recht interessant erscheint mir dieser Befund im Hinblick auf die von
Krusius im Tierexperiment konstatierte Tatsache, daß Alttuberkulin, in
die vordere Kammer gebracht, depigmentierend auf die Iris wirkt. (Auto-
referat über Heidelberg, 37. Versammlung 1911, Klin. Mon. f. Aug.,
August 1911; Bd. 49.) |
Demgegenüber ist in dem klinischen Bild Tafel-Fig. 8 (Frau E. Pagels)
der rundliche bräunliche Fleck nasal unten nicht durchleuchbar, das
braun erscheinende ist das Pigmentepithel, über dem die Iris sehr redu-
‚ziert ist. Wohl aber durchleuchtbar ist der Saum zwischen dem braunen
Bezirk und dem .atrophischen .Pupillarrande. Hinter dieser Brücke .fehlt
also das Pigmentepithel. Dunkle Stellen in der Iris können demnach
eine verschiedene Erklärung erfordern.
2. Frau Elsa Pagels, 25 Jahre, Familien- und persönliche Anam-
nese negativ. Die Krankheit wurde zufällig entdeckt,. als Patientin wegen
einer Strohhalmverletzung den Arzt aufsuchte. Am 18. September 1910
noch keine Irisatrophie (Dr. Schlodtmann), diese begann jedoch sehr
bald und erreichte die in der Tafel-Fig 8 wiedergegebene Höhe Mitte No-
vember 1910. Für Lues nichts zu finden, auch Wassermann negativ.
Tuberkulose positiv bei 8 mg Alttuberkulin,
| 8. Frau K., 50 Jahre, Knötcheniritis rechts. Auf. dem linken Augo
hatte eine rezidivierende Iritis zu heftigstem Sekundärglaukom geführt
(Iridektomie).. Rechts ‚minimale -ciliare Injektion.. Oben anßen am :Pu-
pillarrand ein minimales graues Knötchen, .welches unter Hinterlassung
einer 'kaum ‚wahrnehmbaren Irregularität nach wenigen Tagen verschwand.
Andere kamen und gingen, zum Teil blieben sie .aber, wuchsen, bildeten
kleine Tumoren,- schließlich wurde der ganze Pupillarrand aufgelockert, `
depigmentiert und nasal wulstig verdickt. Wir haben hier die Genes®
der peripupillären Atrophie in ihren allerersten Anfängen.
Wassermann negativ. Auf ®ıco mg Alttuberkulin Reaktion bis 880.
Vier Stunden nach der .In-
jektion „Rötung des Auges,
besonders nasenwärts“. Eine
Stande lang Hitzegefühl im
Auge Während konsequenter
Tuberkulinkur (Alttuberkulin
und Bacillenemulsion abwech-
selnd) ein (leichtes) Rezidiv.
(Tafel-Fig. 1 uud 2). |
| 4. Dienstmagd Christine
Johannsen, 51 Jahre, Augen-
entzündungen seit 18 Jahren.
(Tafel-Fig. 10).
Links vor einem Jahre
iridektomiert: absolutes Glau-
kom (sekundär), alte Oyklitis.
Rechts alte Präcipitate,
Reste tiefer Keratitis, peripu-
pilläre Irisatrophie und „ge-
tigerte Iris“ in der unteren
Hälfte. Cataractaincipiens.Opth. |.
nihil. Wassermann negativ. `
5. Fräulein .Rasch,
21 Jahre, (Tafel-Fig. 5). Knöt-
cheniritis doppeleitig. Mutter
an :chronischer Iridocyklitis
(Tuberkulose?) erblindet. Ein
Bruder an Blutsturz gestorben. .
Patientin selbst hat „aine sver-
iee Trungenspitze“* (Prof.
Lüthje).
In beiden -Iriden: finden .
sich annähernd symmetrisch an |
dem nasalen Pupillarrande
kleinste bis mittelgroße Knöt-
chen. Die temporalen Pupillar-
randhälften, sowie das Iris-
stroma sind frei. Das Bild
zeigt „den Uebergang von
kleinsten perlenartigen Knöt-
chen zu soliden Tumoren.”
Wassermann nezativ. Allge-
meine (keine örtliche!) Reak-
tion auf 6/19 mg Alttuberkulin,
später auf '/ıo bis 38,2. Körper-
gewicht hob sich von 56 auf
61 kg. Wichtig erscheint mir
dieser Fall besonders durch das
Fehlen der örtlichen Reaktion
bei sicher tuberkulöser Iritis.
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Getigierte Iris.
6. Rob. Möhle, 17 Jah prat Ay o arg ern 2 A peruna,
. Rob. Möhle, abre, ritis se 9 Jahren. Tuberkulöse Belastung.
Fanad’ Nichts für Lues. Klinisches Bild wi» Frau
Hausdiener. Eltern und Ge- ^ -© „Johannsen > -o o.
schwister gesund, eins starb ` ur
an Diphtherie. Patient, abgesehen von Mumps vor ‘der Schulzeit, nie
krank gewesen. Vor fünf Wochen bemerkte er zufällig bei Verdecken .
des rechten Auges Nebel vor dem linken. Nach 14 Tagen geringe Rötung.
1. Mai 1908. R. V.: 6s E. L.: $ıs. Massenhaft speckige Prä-
cipitate, dicke glasige Knoten in allen Partien der Iris, Hyperämie. Tem-
peratur normal. mäßige ciliare Injektion, Glaskörper und Hintergrund
normal. Der Allgemeinstatus : ergab einige Drüsen am Halse, rechte
Cubitaldrüse fiihlbar. Haut, Lunge, Herz, Abdomen normal. Nach vier
Wochen — 27. Mai — trat eine doppelseitige harte Schwellung der
Parotis auf; Submaxillaris und Sublingualis beiderseits deutlich verhärtet,
Tränendrüse nur rechts eben fühlbar. Alttuberkulin bis 6 mg wirkungs-
los. Neutuberkulin trotz sieben Monate langer konsequenter Injektionen
wirkungslos (auch auf die Körpertemperatur). Blutbetund, Milz, Lungen
(auch mit Röntgendurchleuchtung), Hoden normal. Bis 25. September 1908
Status idem. Als Patient sich auf unsern Wunsch 1911 wieder vorstellte,
war in der Iris weder von Knötchen noch von Narben oder Atrophie
etwas zu seben. l 2
Es handelte sich also um eine durch eine Knötcheniritis ein-
geleitete symmetrische Schwellung der Speicheldrüsen (Mikuliczsche
Krankheit), die auf. Tuberkulin nicht. reagierte, aber später spontan
abheilte,
$J; Infilltrat
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EB
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Er Yaral $ ER N i
Re, sad *# Tuberkel
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Bi ei ser
1826
7. Jeanne Blanchard, 24 Jahre, hatte als Kind „Drüsen“, im
15. Lebensjahre war das rechte Auge zum erstenmal entzündet und
wurde längere Zeit behandelt. Nach zwei Jahren trat ein Rezidiv auf.
Jetzt ist das Auge seit zwei Monaten entzündet.
Rechts findet sich ein altes Leucoma adhaerens, daneben frische
oberflächliche Infiltrationen mit Vaskularisation vom Typus der schweren
` skrofulösen Ophthalmie. V.: 8/2. Auch links finden sich alte skrofulöse
Makeln. V.: ®s. Iris frei. Opbthalmoskopisch normal.
Drüsen und Narben am Halse, sonst nichts von Tuberkulose zu
finden. Kalomel wird nicht vertragen.
Vom 19. Oktober 1910 bis 15. Dezember 1910, also zirka acht
Wochen lang, ließ sich der Prozeß so gut wie gar nicht beeinflussen,
Alttuberkulin 1/100 usw. bis 10 mg, Bacillenemulsion bis I drei Teilstriche,
dann wieder 10 mg Alttuberkulin, waren völlig wirkungslos auch auf die
Körpertemperatur, was sich keineswegs aus einer schwächlichen Allgemein-
konstitution erklären ließ, denn das Mädchen war sonst durchaus normal
und kräftig.
` Zusammengefaßt: Schwere skrofulöse Ophthalmie ohne jede Re-
aktion auf Alttuberkulin und Bacillenemulsion.
8. Dora Wiese, 42 Jahre. 25. September 1909. Iridocyclitis tuber-
culosa beiderseits, Familienanamnese negativ für Lues und Tuberkulose.
Patientin selbst hat seit Juli 1909 einen: rechtsseitigen Spitzenkatarrh
(Prof. Pfeiffer) mit Schallverkürzung und Krepitieren.
23. August 1909. Aufnahme in die Dermatologische Klinik wegen
Haut,sarkoiden“. Reaktion auf !/; mg Alttuberkulin bis 37,9, auf !/2 mg
Alttuberkulin bis 39,1. Wassermann negativ. Wegen einer mit Knötchen-
bildung einhergehenden Iridocyclitis dpl. wurde Patientin in die Augen-
klinik aufgenommen und einer Bacillenemulsionskur unterworfen. Die
Knötchen waren zunächst rötlich, nicht glasig, nahmen später glasigen
Charakter an.
In Verlauf einiger Monate trat eine ideale Abheilung der Irido-
cyelitis ein, die Bacillenemulsionskur wurde zu Ende durchgeführt, das
Körpergewicht hob sich in einem halben Jahre von 57 auf 64 kg.
Gleichwohl entwickelte sich in dieser Zeit, in der die Patientin gegen
höchste Dosen Bacillenemulsion und 10 mg Alttuberkulin unempfindlich
‘ geworden war, ein typischer Lupus vulgaris der Extremitäten. Es scheint
mir dieser Fall eben dadurch besonders bemerkenswert, daß eine Haut-
krankheit tuberkulösen Ursprungs (Lupus vulgaris) frisch entsteben kann,
während eine Augenkrankheit desselben Ursprungs (Knötcheniritis) unter
Hebung des Körpergewichts glänzend abheilt, nachdem ein Tuberkulid
(Sarkoid) schon vorher fast restlos verschwunden war.
9. Luise Thomsen, 51 Jahre. 14. August 1908. Zwei Geschwister
sind an Schwindsucht gestorben, Vater an Asthma; Mann gesund, ebenso
ihre drei Kinder. l
In der rechten Iris fünf typische Tuberkelknötchen im Circulus
minor, massenhafte Beschläge, mehrere hintere Synechien. V.: + 1,0 D 5/so.
Papille nicht sichtbar. |
In der linken Iris zwei ebensolche Knötchen und Beschläge.
Papille normal. V.: + 1,0 D 5/5. Wassermann negativ.
Allgemeinbefund zeigt nichts sicher Pathologisches. Eine Lungen-
spitze suspekt. Auf 1 bis 10 mg Alttuberkulin keinerlei Reaktion.
Trotz einer regulären ?/, Jahre dauernden Neutuberkulinkur kein Effekt.
Das Bemerkenswerte an dieser Beobachtung scheint mir zu sein,
daß keinerlei Reaktion, weder allgemeine noch örtliche, zu erzielen war,
obwohl an der tuberkulösen Natur der Knötcheniritis kaum gezweifelt
werden kann.
An Stelle der Knötchen fanden sich später atrophische Stellen,
ganz ähnlich dem Bilde der „getigerten Iris“. Wegen absoluten Glaukoms
mußte das linke Auge später enukleiert werden, das rechte Auge zeigte
progressive Katarakt.
10. Hans Hübner, 22 Jahre, Dreher (Tafel-Fig. 3). Subj.: Beider-
seits Lichtscheu und Tränen infolge Corp. alien. corn. Rechts, zufälliger
Befund: Knötcheniritis neben Phiyktänenbildung. Der temporale Irisknoten
vergrößerte sich, während der nasal unten gelegene verschwand. Aetio-
logie: Keine Anhaltspunkte für Lues, auch Wassermann negativ.
i1. Otto Grünwald, 14 Jahre. Weder in der Familien- noch in
der persönlichen Anamnese ist irgend etwas von Tuberkulose oder Lues,
ebensowenig im Allgemeinbefund. Wassermann negativ. April 1909.
Rechts: Iridoeyclitis: Dicke Descemetsche Beschläge. Iris wulstig,
einige Synechien. Temporal ein Knötchen. Auf 6 mg Alttuberkulin All-
gemeinreaktion bis 39,6 und örtliche Reaktion. RN
Das in Tafel-Fig. 7 wiedergegebene Bild bildete sich im Laufe
weniger Monate aus.
12. Marg. Würdemann, 42 Jahre (Tafel-Fig. 4), kräftige Bäckerfrau.
(Körpergewicht 80 kg.) Mutter und eine Schwester an Schwindsucht ge-
storben. Allgemeinbefund negativ. Nichts für Tuberkulose und Lues.
Wassermann negativ. Alttuberkulinreaktion auf ©/ıoo bis 38,6. Keine ört-
liche Reaktion! Leichte et a Uranin-
jtiv, links negativ (alte syn ; .
Be lesie Iristuberkulose ohne örtliche Reaktion
bei lebhafter Allgemeinreaktion auf sehr kleine Dosen. . l
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
! Augen. (Gräfes A. Nr.46 H. 1.
10. November.
18. Joh. Motzen, 17 Jahre, Schlosserlehrling. Links: Heterochromie-
katarakt. Noch massenhaft frische Beschläge. Aetiologie unklar.
Wassermann negativ. Auch in Dosen 10 mg Alttuberkulin keine Re-
‚aktion. Auch auf Bacillenemulsion in größten Dosen (I, 5 Teilstriche)
keine Reaktion. Links: Iris blau. Rechts: grünlich. Links: Papille
weiter als rechts. Pupillarrand angenagt. Cat. secundaria: + 10,0 D.
6/10 V. Vom Mai 1909 bis Juni 1911 andauernd frische Präcipitate.
Zusammenfassung: Heterochromiekatarakt bei chronischer Cyelitis
ohne jede Tuberkulinreaktion. (Tafel-Fig. 6.) |
14. Marie de Drusina, 18 Jahre. Irido-cyclo-choroiditis dupler.
Patientin ist tuberkulös belastet, hat selbst zweimal Lungenbluten gehabt.
Jetzt von Tuberkulose nichts mehr nachweisbar, auch während der
Tuberkulinreaktionen nicht. |
Vom Mai bis November 1907 mehrere Schmierkuren. Da jetzt
Beschläge, Glaskörpertrübungen und Irisknötchen auftraten, wurden Alt-
tuberkulininjektionen gemacht. Reaktion allgemeine (nicht örtliche!)
1. Dezember 1908 bei */io mg bis 89,7, Ohne sichtlichen Erfolg wurde
die Alttuberkulininjektion vom i. Dezember 1909 bis 4. Februar 1910
fortgesetzt. Februar-April weitere Behandlung mit Deutschmann-
Serum und Schwitzen. Im Mai wieder Alttuberkulinreaktion bei
310o mg bis 39,4%. Die Empfindlichkeit gegen Alttuberkulin war also
ganz konstant geblieben. Im Juni 1910 wurde mit Bacillenemulsion be-
gonnen. Nach acht Wochen begann Abnahme der Empfindlichkeit gegen
Alttuberkulin (ohne daß eine vorübergehende Steigerung eingetreten
wäre), so daß im Januar 1911 bereits 10 mg Alttuberkulin und höchste
Dosen Bacillenemulsion vertragen wurden. Gleichzeitig damit heilten
die Knötchen mit Hinterlassung geringer Atrophien aus, die Beschläge
verschwanden, das Körpergewicht hob sich von 51 auf 55 kg. Der Visus
stieg von !/so auf dem rechten Auge auf !ıs, links auf !. Sehr
bemerkenswert erscheint mir dieser Krankenbericht dadurch, daß die
Ueberlegenheit der Bacillenemulsionsbehandlung gegenüber
Bo LLUDSERDEINWILELNG für den vorliegenden Fall nachgewiesen
erscheint.
15. Heinrich Hasenbank, 80 Jabre. Rechts Visus ®/so. Links ŝis
Beiderseits symmetrische Irisatrophie (siehe Bild) wohl sicher iritischen
Ursprungs. Pupillen reagieren prompt, Miose rechts gleich links. Die
Pupillen erweitern sich auf Cocain, auf Homatropin und Atropin nur mäßig
nach unten, nach oben gar nicht, auf Eserin werden sie nicht enger als
vorher. Opticus normal, ebenso Macula. (Tafel-Fig. 12.)
Catarakta incipiens beiderseits.
16. Joh. Libba, 62 Jahre, wünscht Brille, früher nie augenkrank ge-
wesen. Beiderseits symmetrische Irisatrophie der peripupillären Bezirke:
der Sphincter pupillae erscheint wie freipräpariert. Visus rechts ĉ/ıs, links
6. Rechts ein Präcipitat, Uraninversuch schwach positiv. Links
wie rechts. Aetiologie bleibt unaufgeklärt. (Tafel-Fig. 11.)
17. Detleff Voß, 46 Jahre, persönliche und Familienanamnese negativ,
ebenso Allgemeinbefund negativ. Mitte März 1911 Amotio retinae
links. Visus: Handbewegungen oben. Hintere Synechien. Opacitates
lentis. Wassermann negativ. Auch rechts zweifellose Reste hinterer
Synechien, obwohl Patient nichts von einer überstandenen Iritis weiß.
Alttuberkulin von !/100 bis 3/10 negativ. Wegen einer interkarrenten
Angina wurde nach Entfieberung mit Alttuberkulin %/ıo begonnen, worauf
der Patient vier Tage lang bis 39 fieberte (ohne Rezidiv der Angino).
Dabei trat keine örtliche Reaktion ein. Drei Wochen später begann 1
wieder mit Alttuberkulin !/ıooo, stieg durch ständige Verdoppelung der
Dosen innerhalb von 16 Wochen bis auf Alttuberkulin 10 ohne jede Re-
aktion. Auch hohe Dosen Bacillenemulsion erzielten keine Reaktion.
Eine interkurrente Angina hatte hier also eine hohe Empfindlichkeit
gegen !ıo mg Alttuberkulin hervorgerufen, bei baldiger Unempfindlichkeit
gegen 10 mg Alttuberkulin und Bacillenemulsion.
18. M. Struve, Landmann, 45 Jahre, vorerst immer gesund, fühlt sich
seit einiger Zeit nicht mehr so wohl wie früher. Aligemeinbefund np
September 1909 heftige akute einseitige Iritis mit knötchenartigen Yer-
dickungen, Blutungen und Synechien. Einzige Aetiologie: Tuberkulose.
Reaktion auf 6 mg Alttuberkulin bis 39,5 mit zweifelhafter Dokar
Unter Behandlung mit Bacillenemulsion zunächst ‘Sensibilisierung bis | 3
Alttuberkulin (Reaktion 39,2), dann Abstumpfung bis 3 mg. Das KO
gewicht des Patienten hatte früher nie 70 kg erreicht, sich meist zu .
69 gehalten. In der letzten Zeit sei es etwas gesunken. Im Verlau y
regulären Bacillenemulsionskur hob es sich in einem halben Jabr um Fr 5
ohne jede Aenderung der Lebensweise! Hand in Hand damit ETE atio
Besserung des Wohlbefindens und eine Abheilung der Iritis mit res rei
ad integrum. Patient war drei Wochen aufgenommen, ah T do
Zeit seine Nahrungsaufnahme geringer war als zu Hause, teils wel a A
bessere Verpflegung hatte, teils weil er der heftigen Schmerzen w Je
ziemlich appetitlos war: Die Hebung des Körpergewichts begann
auch erst einige Wochen nach seiner Entlassung:
ne Ausseheu
Benutzte Literatur: v. Michel, Ueber das makrosk che <'577 (m.
der geheilten Iristuberkulose beim Menschen. (Zt. f. Aug. 1908, "Basel 1910,
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10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1827
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Ueber Netzhautablösung. (Zt. f. Aug. Bd, 20, S.118 u. 208. — Tobias, Ueber
eins besondere Form der Lokalreaktion am Auge nach probatorischer Tuber-
kulininjektion. (Klin. Mon. f. Aug. August 1911.) -
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Chirurgischen Abteilung des St. Vincenzkrankenhauses zu
Köln (leitender Arzt Prof. Dr. Dreesmann).
Ueber Pankreascysten
von
Dr. C. Decker.
Die Cystenbildung der Bauchspeicheldrüse ist die am längsten
und wohl am besten gekannteste Erkrankung dieses Organs, ob-
wohl ihr Vorkommen immerhin selten ist.
Le Denter hat im Jahre 1862 zuerst eine Pankreascyste
auf Grund einer irrigen Diagnose chirurgisch behandelt. Zwanzig
Jahre später, im Jahre 1882, hat Gussenbauer zum ersten Male
vor der Operation die richtige Diagnose gestellt.
Pankreascysten kommen meist bei Personen im Alter von
30 bis 50 Jahren vor, und zwar fast eben so oft beim männlichen
wie beim weiblichen Geschlechte. Ganz vereinzelte Fälle sind bei
Kindern beobachtet worden. Das höchste Alter, in dem eine
Bauchspeicheldrüseneyste festgestellt wurde, war 70 Jahre. Auch
eine von unsern Patientinnen befand sich im 70. Lebensjahre,
| Es gibt echte und falsche Pankreascysten. Die echten oder
wahren Oysten sind die, welche im Pankreasgewebe selbst liegen.
Falsche oder Pseudocysten nennt man jene Ergüsse in die Bursa
omentalis, die aus Blut und Pankreassaft bestehen.
Pathologisch-anatomisch werden die Pankreaseysten folgender-
maßen unterschieden: 1. Proliferationscysten oder auch Adeno-
cystome genannt. 2. Retentionseysten. 3. Degenerationscysten.
4. Pseudocysten. Ä
Bei den Cysten der ersten Art, also den sogenannten Proli-
ferationseysten handelt es sich um echte Neubildungen. Sie be-
stehen oft aus einer Hauptceyste und mehr oder weniger zahl-
reichen Nebencysten. Die Cysten werden gebildet von einer derben
bindegewebigen Wand, die im Innern mit Cylinderepithel aus-
‘ gekleidet ist. Man hat die Beobachtung gemacht, daß das Epithel
mitunter in den Haupteysten fehlt, während es in den Neben-
cysten vorhanden ist oder umgekehrt. Nach Waldeyer nimmt
man an, daß das Epithel durch den Druck des Cysteninhalts ver-
. schwinden kann. Lazarus dagegen ist der Anschauung, daß das
verdauende Ferment des in dem Cysteninhalte vorhandenen Pan-
kreassaftes das Epithel zugrunde richtet. Die Wand ist oft durch-
zogen von mehr oder minder großen Blutgefäßen. Auf der Innen-
fläche finden sich mitunter Balken und Leisten; in einzelnen Fällen
fand man Kalkeinlagerungen. Nach Lazarus gehen die meisten
Proliferationscysten vom Pankreasschwanz aus.
Was die Retentionseysten angeht, das heißt solche Cysten,
die bedingt sind durch Verlegung. des Ausführungsgangs des Pan-
kreas, des Ductus pancreaticus, beziehungsweise seiner Aeste, und
nachfolgender Stauung des Sekrets, so sind diese selten.
Zu den Degenerationseysten rechnet man diejenigen, die
durch Erweichung und cystische Umwandlung des zerfallenden Pan-
kreasgewebes entstehen. Sie treten mitunter bei Typhus, Sepsis
oder malignen Neoplasmen der Bauchspeicheldrüse auf.
Die am häufigsten vorkommende Form der Pankreascysten
ist die sogenannte Pseudocyste. Es handelt sich hier um Ergüsse
von Blut und Pankreassaft in die Bursa omentalis, Im Gegen-
satze zu den bisher beschriebenen echten Oysten haben diese keine
eigne Wand und besitzen auch kein Epithel auf der Innenfläche,
Sondern sie werden begrenzt von dem peritonealen Ueberzug der
Bursa omentalis. |
~ __ Was die Ursache der Pankreascysten angeht, so sind etwa
ein, Drittel aller Cysten traumatisch entstanden, während die
übrigen teils Neoplasmen teils entzündliche Vorgänge in der Bauch-
speicheldrüse darstellen.
Experimentell hat Lazarus bei einem Hunde eine Pankreas-
cyste erzeugt, indem er durch ein Trauma einen Bluterguß im
Pankreas hervorrief und durch Jodtinktur in der Umgebung des-
selben eine Entzündung erregte. Ä
Die Entwicklungsdauer der Cysten ist äußerst verschieden.
Während die einen, besonders die Adenocystome, langsam wachsen,
vergrößern sich die Pseudocysten häufig sehr schuell. Man beob-
achtete posttraumatische Cysten, die in 13 Tagen entstanden
und solche, die sich in Monaten und noch längerer Zeit ent-
wickelten. In letzteren Fällen nimmt man an, daß durch das
Trauma vielleicht eine chronische Entzündung im Pankreas ent-
standen ist, die später die Entstehung der Cyste bedingte.
Der Inhalt der Cysten ist in der Regel von klebriger schlei-
miger Beschaffenheit; er hat meist eine dunkelbraune, blutige Farbe,
oft ist die Flüssigkeit jedoch auch klar und wasserhell. Sie, ent-
hält fast immer Albumen, Zelldetritus und Fettkörnchen. Außer-
dem findet man meist in den echten Pankreascysten Pankreas-
fermente, und zwar nur das eine oder andere, nie alle drei zu-
sammen. Am häufigsten läßt sich Trypsin nachweisen. Guleke
und Rostenko haben allerdings angeblich je einen Fall von
Pseudoeysten beobachtet, in dem alle drei Fermente nachweisbar
waren. Der Nachweis von Fermenten in der Flüssigkeit einer
vermutlichen Pankreascyste ist insofern diagnostisch von Be-
deutung, als das Vorhandensein derselben für eine Pankreascyste,
ihr. Fehlen aber nicht gegen Pankreascyste spricht. Denn es
wurden in anatomisch sicher nachgewiesenen Pankreascysten keine
Fermente gefunden.
Eine Eigentümlichkeit, die man bei allen Arten von Pankreas-
cysten beobachtet hat, ist das plötzliche Verschwinden des Tumors.
Dies ist bedingt durch Platzen der Cyste und Entleerung der
Flüssigkeit in die freie Bauchhöhle oder den Darm.
Die ersten Symptome einer Pankreaseyste sind.oft Appetit-
losigkeit, Uebelkeit und Erbrechen. Infolge der charakteristischen
Lage der Pankreasceysten zwischen Magen und Colon transversum
kann einerseits durch das Wachsen der Cysten ein Druck auf den
Magen ausgeübt werden, der diesen an der Ausdehnung bei der
Nahrungsaufnahme behindert und dadurch die eben genannten Be-
schwerden verursacht. Eine notwendige Folge dieser Magen-
beschwerden ist eine erhebliche Abmagerung des Patienten. Je-
doch verursacht eine Pankreascyste nicht lediglich derartige mecha-
nische Störungen. Es dürfte dies wohl nur bei sehr großen Cysten
der Fall sein. Wir finden mitunter auch ähnliche Magenbeschwerden
bei Pankreaserkrankungen anderer Art, die nicht mit einer Volumen-
zunahme des Organs einhergehen. Bedingt sind dieselben dann
etwa durch Störungen in der Pankreasfunktion, vielleicht auch
durch nervöse Beeinflussung. Durch Druck der Cyste auf die
Nerven, den Plexus coeliacus, können Schmerzanfälle. verursacht
werden, die sich zu starken Koliken steigern können. Ferner
klagen die Patienten über Druck, Spannung und Schwere in der
linken Oberbauchgegend. Allmählich wird dann ein Tumor pal-
pabel von rundlicher Gestalt, prall elastischer Konsistenz mit mehr
oder minder nachweisbarer Fluktuation. Wird der Tumor sehr:
groß, so können Atembeschwerden, wie starke Dyspnöe, auftreten.
Mitunter wird Ikterus bemerkt, wenn die Cyste im Pankreaskopf
sitzt, auf den Ductus choledochus drückt nnd infolgedessen eine
Gallenstauung verursacht. Zucker wird im Urin nur dann. nach-
weisbar sein, wenn das ganze Pankreas zerstört ist oder degene-
rative Prozesse irgendwelcher Art die innere Sekretion des Pan-
| kreas, besonders die Langerhansschen Inseln vernichtet haben.
Desgleichen sind Fettstühle sowie andere Symptome, bedingt durch
Sekretausfall der Bauchspeicheldrüsen selten, da ja meist nur ein
Teil der Drüse funktionsunfähig ist und ein Rest normal sekre-
tierenden Drüsenparenchyms übrigbleibt. Die Cammidgereaktion
D E EN
1828
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November,
ist ebenso wie bei andern Pankreaserkrankungen ohne erhebliche
Bedeutung. Durch die. Pankreascyste kann auch die Pulsation
der Aorta fortgeleitet werden. | |
Am wichtigsten für die Diagnosenstellung ist die Lage der
Geschwulst zu den Nachbarorganen. Unbedingt erforderlich ist
eine Aufblähung des Magens und Darmes. Die Cysten liegen in
den meisten Fällen links von der Mittellinie oberhalb des Nabels
zwischen Magen und Colon transversum. Eine Probepunktion zur
Sicherung der Diagnose wird heute nicht mehr gemacht, weil da-
durch leicht eine Infektion der Bauchhöhle eintreten kann.
In letzter Zeit wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß zur
Stellung der Diagnose Pankreascyste die Röntgenaufnahme von
großem Vorteile sei. Eine Pankreascyste dürfte wohl in den
seltensten Fällen einen nachweisbaren Schatten auf dem Röntgen-
bilde zeigen, da ihr Inhalt doch meist aus einer mehr minder
klaren Flüssigkeit besteht. — Wie schwer ist es doch, eine Leber,
die aus kompaktem Gewebe besteht, auf der Röntgenplatte deut-
lich sichtbar zu machen. — Eher nachweisbar ist die Cyste, wenn
ihre Wand Verkalkungen aufweist, was ja mitunter vorkommt.
Meines £irachtens ist die Röntgenuntersuchung insofern von Inter-
esse, als man nach gleichzeitiger Bariummahlzeit und Barium-
klysma, verbunden mit abdominaler Palpation, die Lage des Magens
und Darmes zur Geschwulst feststellen, also eventuell die typische
Lage der Pankreascyste zwischen Magen und Querkolon kon-
statieren kann. -
Differentialdiagnostisch kommen verschiedene andere Tumoren
des Abdomens in Frage. Die Unterscheidung von ÖOvarialcysten
ist bei kleinen Cysten leicht, bei größeren schwierig. Hier ist
anamnestisch zu explorieren, ob der Tumor aus dem Becken heraus
oder aus der Oberbauchgegend nach unten gewachsen ist. Ferner
muß eine genaue bimanuelle gynäkologische Untersuchung, viel-
leicht in Narkose, eventuellen Aufschluß geben.
Sodann kommen Lebercysten, zum Beispiel Echinococcus in
Betracht. Jedoch wird hier die Aufblähung des Magens und
Darms zur richtigen Diagnose führen, da Lebereysten vor dem
Magen liegen müssen.
Möglich wäre 'es ferner, daß eine Geschwulst der Gallen-
blase mit einer nach rechts verlagerten Pankreascyste verwechselt
würde. Die Gallenblasentumoren haben aber meist eine birnen-
förmige Gestalt und liegen gleich unter den Bauchdecken, während
einer Pankreascyste, die rechts liegt, der Darm vorgelagert ist.
Bei Milzeysten wird ebenfalls die Aufbläbung die Diagnose sichern.
Weiterhin bat man dann an ein Aneurysma der Aorta ge-
dacht, weil, wie oben erwähnt, die Pulsation fortgeleitet werden
kann. Jedoch hört man hier auskultatorisch keine arteriellen
Geräusche.
Eine Hydronephrose füllt die Lumbalgegend ganz aus,
während dies eine Pankreascyste in der Regel nicht tut. Die
genaue Untersuchung des Urins und eine Cystoskopie mit Ureteren-
sondierung werden hier die richtige Diagnose stellen lassen.
Wenn auch, wie gesagt, eine Pankreascyste spontan ver-
schwinden kann, so ist doch ein operativer Eingriff zur Besei-
tigung der Geschwulst der sicherste und einzig richtige Weg.
Verschiedene ÖOperationsmethoden sind hier angewandt worden.
Was zunächst die Totalexstirpation der Cyste angeht, so ist dies
in den meisten Fällen, wo es sich doch um Pseudocysten handelt,
vollkommen unmöglich. Die Cysten sind mit der Umgebung, dem
Darme, Netz und andern Nachbarorganen so fest verwachsen,
daß die Ausschälung derselben kaum gelingen dürfte. Infolge-
dessen ist auch die Mortalität bei dieser Operationsmethode ziem-
lich hoch. Beträgt dieselbe doch nach Guleke bei Goebel 10,7 %o.
Eine bei weitem ungefährlichere und in den meisten Fällen aus-
geführte Methode ist die Einnähung der Cyste und Drainage derselben.
Auf diese Weise wurde von Gussenbauer im Jahre 1882 die
‘erste Pankreascyste operiert. Diese Operation wird in der Regel
einzeitig, seltener zweizeitig ausgeführt. Zweizeitig wird sie dann
gemacht, wenn die Wand der Cyste sehr viele Blutgefäße enthält
oder die Einnähung der Cyste mit großen Schwierigkeiten ver-
bunden ist. Die Mortalität bei dieser Operationsmethode beträgt
nach Gulekes Bericht bei Bessel-Hagen, Wölfler und Körte
4 bis 5%.
| DR der Einnähung der Oystenwand verringert sich all-
mählich die Sekretion und die Cyste schrumpft. Es bildet sich
dann langsam eine Fistel. War die Cyste an der Innenfläche mit
Epithel ausgekleidet, so schrumpft dieselbe schneller, wie jene,
deren Wand nieht mit Epithel überzogen ist, da die Wand der
ersteren mehr zu Granulationsbildungen disponiert ist. Die Fistel
schließt sich bald früher, bald später spontan. Der Schluß der
linken Seite, stärker wurde.
Fistel kann beschleunigt werden durch Verabreichung der Wohl-
gemutschen Diät, oder überhaupt durch eine Diät, welche die
Pankreassekretion herabsetzt. Die Patienten erhalten: also zweck-
mäßig Fett- und Eiweißkost, ferner alkalische Wässer und als
Medikament Natronbicarbonicum in großen Dosen. |
Im St. Vincenzkrankenhause wurden im letzten Jahre drei
Fälle von Pankreascysten beobachtet, deren Verlauf und Eigen-
tümlichkeiten mitzuteilen gewiß von Interesse ist.
1. A. H., 19 Jahre alt, wurde am 16. Januar 191] aufgenommen.
Patientin gab an, bis vor zwölf Wochen nie krank gewesen zu sein. Da-
mals begann die Erkrankung mit „Magenschmerzen“, wenig Aufstoßen,
kein Erbrechen. Die Schmerzen traten mitunter plötzlich auf, nachts an-
geblich stärker wie am Tage. Die Schmerzen strahlten auch in den
Rücken aus. Patientin will bemerkt haben, daß der Leib, besonders in der
Die Seite wurde „so schwer“ und fühlte
sich hart an. Der Appetit war gut. Ikterus hat nie bestanden. In
sieben Wochen will Patientin zehn Pfund an Gewicht abgenommen haben.
Da der.Leib immer stärker wurde, wird Patientin dem Hospital über-
wiesen.
Es handelt sich um eine kleine, gut geonährte Patientin von
kräftigem Knochenbau. Die Gesichtsfarbe ist blaß, die sichtbaren Schleim-
häute sind gut gerötet. An Herz und Lunge sind keine pathologischen
Veränderungen nachweisbar. Der Leib ist ziemlich stark aufgetrieben.
In der linken Oberbauchgegend ist ein etwa kindskopfgroßer Tumor zu
fühlen, der ungefähr bis zwei querfingerbreit unterhalb des Nabels reicht
und fast ebenso weit nach rechts über die Mittellinie binaus. Der Tumor
ist von prall elastischer Konsistenz. Oberhalb des Tumors tympanitischer
Magenschall. In der Leistengegend finden sich geringe Drüsenschwel-
lungen. Die Untersuchung der übrigen Organe ergab nichts Besonderes.
Im Urin kein Eiweiß, kein Zucker. Die Cammidgereaktion fiel positiv
aus. Mikroskopisch fanden sich im Urin nur Phosphate und Urate.
Da man die Diagnose Punkreascyste stellte, wurde Patientin am
20. Januar operiert Nach Eröffnung der Bauchhöhle fand man den
Magen fast senkrecht, das heißt parallel der Medianlinie, über die Mitte
des Tumors verlaufend. Der Tumor wurde gebildet von einer prall ge-
füllten Cyste. Durch Punktion derselben entleerten sich 2125 cem dun-
kelbrauner blutiger Flüssigkeit. Die Cystenwand wurde au das Peritoneum
angenäht. Ein Stück der Cystenwand wurde zur mikroskopischen Unter-
suchung herausgeschnitten. In die Cyste wurde ein Glasdrain eingeführt.
Die mikroskopische Untersuchung der Cystenwand ergab, daß die-
selbe nur aus Bindegewebe bestand.
Die Untersuchung des Oysteninhalts hatte folgendes Ergebnis:
1. In der Flüssigkeit fand sich ein diastatisches Ferment; 2. fand sich
ein lipolytisches und ein proteolytisches, dessen Wirkung sich durch
Aktivierung mit Enterokinase sehr beschleunigen ließ.
- Es handelte sich demnach um einen schwach wirksamen Pankreassaft,
Der weitere Verlauf der Erkrankung zeigte keine Besonderheiten.
Die Sekretion der Wunde respektive der Cyste nahm schnell ab, sodab
Patientin am-26. Februar mit einer etwa 8 cm tiefen Fistel, die wenig
seröse Flüssigkeit absonderte, entlassen werden Konnte.
Am 13. Dezember 1911 stellte sich die Patientin zur Nachunter-
suchung vor. Ueber den weiteren Verlauf der Erkrankung gab sie
folgendes an. Nach ihrer Entlassung aus dem Kraukenhause war sio
noch vier Wochen in ärztlicher Behandlung. Die Fistel war eine kurze
Zeit vollkommen geschlossen, brach dann spontan wieder auf, um sich
alsbald abermals zu schließen. Da jedoch Schmerzen an der Wunde aui-
traten, soll vom Arzt eine Incision gemacht worden sein, worauf sich.
ziemlich viel Flüssigkeit entleert haben soll. Seit dieser Zeit aber ist
Patientin vollkommen gesund. Zeitweise soll etwas saures Aufstoßen
bestehen. Patientin hat sich sehr gut erholt, an Gewicht angeblich zu
genommen und hat zurzeit gar keine Beschwerden. Sie arbeitet seit
einigen Wochen wieder als Fabrikarbeiterin. Die Narbe ist vollkommen
reaktionslos, eine Fistel besteht nicht. Dar Leib ist weich, es besteht
keine Druckempfindlichkeit, ein Tumor ist nicht zu fühlen.
2. H. St., 70 Jahre alt, wurde am 8. Juni 1911 in das Kranken-
haus aufgenommen. Bezüglich der Anamnese gibt Patientin au, ‚daß sio
seit zwei Jahren ein Stärkerwerden des Leibes bemerkt; keine Be-
schwerden irgendwelcher Art sollen bestanden haben. Das ganze Abdomen
vom Processus xiphoideus bis herab zur Symphyse ist ausgefüllt von emer
anscheinend cystischen Geschwulst, von der angenommen wird, daß es
sich um eine Ovarialcyste handelt. Von der Vagina aus ist die Oyste
nicht zu fühlen. Fluktuation läßt sich nicht deutlich nachweisen. In
Urin kein Eiweiß, kein Zucker. Auch von anderer Seite wurde der
Tumor für .eine Ovarialeyste gehalten. |
Nach Eröffnung der Bauchhöhle in der Mittellinie unterhalb des
Nabels liegt die Geschwulst. frei. Die Milz ist durch dieselbe aus ihrer
Lage nach vorn und unten gedrängt. Sie liegt auf der Oystenwand au
in der Höhe des Promontoriums. Die Wand der Cyste ist bläulich 88
färbt, derber und dicker wie die einer Ovarialeyste. Da die Cyste nicht
von den Adnexen ausgeht, sondern ihren Ausgangspunkt in der oberen
Bauchgegend hat, wird ein zweiter Schnitt in der linken Seite gemacht.
Die Oystenwand wird in die Peritonealwunde eingenäht. Durch Punktion
der Cyste werden sieben Liter dünnflüssige braunrote Flüssigkeit a
gelassen. Einführung einer Glasdrainage. Durch Ausspülung der Cyste
wurden große Mengen alter Blutkoagula entfernt.
10. November.
Der weitere Verlauf der Erkrankung war sehr wechselnd. ÖOefter
stellten sich hohe Temperatursteigerungen ein, die nach erneuter Aus-
spülung der Cyste zurückgingen. Da jedoch das Fieber nicht ganz
schwand, wurde in der linken Axillarlinie unterhalb des Rippenbogens
eine erneute Incision der Cyste gemacht. Von dieser Wunde aus wurden
abermals reichlich alte Koagula entfernt. Es wurden ietzt regelmäßige
Ausspülungen der Cyste mit Perhydrol gemacht.
Bei der Entlassung der Patientin am 26. Juli bestand eine Fistel,
aus der mäßig viel schmutziggraues Sekret entleert wird. Der Kräfte-
zustand der Patientin hat sich etwas gehoben. Der Tumor ist wesentlich
geschrumpft.
Nach Aussage des Hausarztes erholte sich Patientin zu Hause
nicht, sondern wurde langsam elender. Aus der Fistel entleerte sich
jauchiges Sekret. Der Tod trat sechs Wochen nach der Entlassung aus
dem Krankenhaus ein.
Bemerkenswert ist in diesem Falle die erhebliche Größe der Ge-
schwulst und ferner die eigenartige Lage der Milz vorn auf der Cysten-
wand. Diese Lage der Milz läßt sich nur dadurch erklären, daß sich die
Cyste retroperitoneal entwickelt haben muß.
3. Chr. P., 51 Jahre alt, wurde am 24. November 1911 in das
Krankenhaus aufgenommen. Patientin ist angeblich früher nie krank
gewesen. Hat elf Partus durchgemacht. Zehn Kinder leben und sollen
gesund sein. Ein Kind im Alter von drei Tagen an Krämpfen gestorben.
Der Ehemann soll an Magenkrebs gestorben sein. Vor zwei bis drei
Jahren sollen bei der Patientin häufig Koliken aufgetreten sein. Es
stellten sich Kopfschmerzen ein, heftige Schmerzen in der linken Seite,
Erbrechen von galliger Flüssigkeit. Nach einem bis zwei Tagen besserte
sich dann der Zustand. Seit einem Jahre verspürt Patientin dauernd ein
Druckgefühl in der linken Seite. Der Leib wurde langsam dicker, be-
sonders soll die linke Seite „angeschwollen“ sein. Vor etwa acht Tagen
stellte sich abermals Erbrechen ein. Im April 1911 wurde Patientin
wegen Appendicitis perforativa operiert. In der letzten Zeit will Patientin
an Gewicht abgenommen haben. Ikterus bestand nicht, wohl soll die
Gesichtsfarbe blaß-fahl geworden sein. Status: Kleine Patientin; etwas
kachektisch aussehend; schlecht entwickeltes Fettpolster. Herz und
Lunge ohne pathologischen Befund. Die Bauchdecken sind schlaff, der
Leib ist weich. In der rechten Unterbauchgegend eine große, reaktions-
lose Narbe, von der Blinddarmoperation herrührend. An derselben Stelle
eine Bauchhernie. In der linken Seite, unterhalb des Rippenbogens be-
‘ ginnend, fühlt man eine deutliche Resistenz. Dieselbe erscheint rundlich,
von prall-elastischer Konsistenz und scheint nach vorn unten einen Vor-
sprung zu haben. Oberhalb des Tumors tympanitischer Schall. Im Urin
kein Zucker, kein Eiweiß; Cammidgereaktion war negativ. Dauernde
Temperatursteigerung. Da die Diagnose Pankreascyste gestellt wurde,
erfolgte am 27. November die Operation. Nach Eröffnung der Bauchhöhle
fand man in der linken Hälfte des Abdomens einen großen, harten Tumor,
der mit dem Netz fest verwachsen war. Es wurde versucht, das Netz
von dem Tumor abzulösen, um denselben eventuell ganz auszuschälen.
Wegen sehr starker Blutung mußte jedoch davon Abstand genommen
werden. Die Oyste wird dann angenäht, punktiert, incidiert und drainiert.
Es entleerten sich 500 cem dunkle blutige Flüssigkeit und sehr reichlich
alte Koagula.
-Die Gallenblase ist stark vergrößert und in derselben ist ein Stein
zu fühlen. Daher Querschnitt unter dem rechten Rippenbogen. Es wird
eine Cholecystostomie gemacht. Aus der Gallenblase entleert sich reich-
lich dunkelgrüne blutige Flüssigkeit, fast ähnlich dem Inhalte der Cyste.
Ein großer und zwei kleinere Steine sowie zerfallene Krümel werden aus
der Gallenblase entfernt. Im Ductus cysticus ein weiterer Stein zu
fühlen. Schlauchdrainage der Gallenblase.
Die Untersuchung des Cysteninhalts hatte folgendes Ergebnis. So-
wohl in Serumplatten wie auch im Üaseinversuche waren erheblichere
Mengen proteolytischen Ferments auch auf Zusatz von Darmschleimhaut
(Aktivierung) nicht nachweisbar. Geringfügige Verdauungserscheinungen
auf der Serumplatte sind anwesenden Bakterien zuzuschreiben. Da der
Cysteninbalt auch nicht alkalisch reagiert, ist an sich ein wesentlicher
Gehalt an Pankreassaft nicht wahrscheinlich.
Patientin erholt sich nach der Operation nur sehr langsam. Es
stellen sich zunächst Temperatursteigerungen ein bis 390. Die Sekretion
aus der Cyste ist stark eitrig, auch stoßen sich viele nekrotische Fetzen
ab. Die Cyste wird täglich mit Perhydrol ausgespült. |
Patientin wird auf ihren Wunsch am 24. Dezember 1911 aus dem
Krankenhaus entlassen. Es bestehen abendliche Temperaturen bis 38,20.
mäßig starke Sekretion aus der Fistel. Nach dem Berichte des behandeln-
den Arztes war der weitere Verlauf der Erkrankung folgender. Die noch
bestehende Pankreasfistel entleerte gelbliche, zeitweise eitrige Flüssigkeit;
die Temperatur war normal, das Allgemeinbefinden gut. Am 11. Januar
1912 plötzlich Temperatursteigerung bis 39,5%. In der linken Seite war
wieder ein großer Tumor zu fühlen. Die bestehende Fistel wurde er-
weitert und viel Eiter entleert. Seit dem 23. Januar soll sich aus der
Fistel verdauendes Sekret absondern (Einwirkung auf die Umgebung der
Fistel). Die Fistel schließt sich langsam. Mitte März wurde Patientin
geheilt aus der Behandlung entlassen. Zurzeit besorgt Patientin wieder
ihren Haushalt.
In unsern eben angeführten Krankengeschichten handelt es
sich jedesmal um eine Pseudocyste des Pankreas. Die Diagnose
konnte in jedem Falle gestellt werden, wenn sie auch im zweiten
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45 1829
—
Falle recht zweifelhaft war, bedingt durch die enorme Größe
der Cyste.
In dem ersten Falle wurde schwach wirkender Pankreassaft
in dem Cysteninhalte nachgewiesen. In den beiden andern Fällen
war kein Pankreasferment nachweisbar.
Was die Aetiologie unserer Cysten anlangt, so ist dieselbe
unklar. In keinem Falle ließ sich auch trotz genauer Anamnese
ein Trauma als Ursache finden. Ob in dem ersten Falle die Cyste
im Anschluß an eine akute Pankreatitis aufgetreten ist, die zwölf
Wochen vor der Einlieferung ins Krankenhaus besthnden haben
kann, ist zweifelhaft. Ueber die genauen anamnestjschen Daten
des zweiten Falles ist nichts bekannt.
Im dritten Falle konnte es sich um eine Pankreascyste han-
deln, die im Anschluß an eine chronische Pankreatitis entstanden
ist. Hier liegt es nahe, eine chronische Pankreatitis anzunehmen,
da Patientin seit Jahren Beschwerden hatte, die als Erscheinungen
einer Pankreaserkrankung, bedingt durch ein altes Gallenstein-
leiden (cf. Operation), gedeutet werden können.
Der therapeutische Eingriff war in allen drei Fällen der
gleiche und von gutem Erfolge begleitet. Eine Patientin wurde
gebessert entlassen, starb jedoch bald zu Hause. Die beiden an-
dern Patientinnen sind vollkommen geheilt und arbeitsfähig.
Literatur: 1. W. Körte, Die chirurgischen Krankheiten und Ver-
letzungen des Pankreas. (Deutsche Chirurgie, Lfg. 45d, 1898.) — 2. N. Guleke,
Die neueren Ergebnisse in der Lehre der akuten und chronischen Erkrankungen
des Pankreas, mit besonderer Berücksichtigung der entzündlichen Veränderungen.
(Erg. d. Chir. u. Orthop. 1912, Bd. 4.) — 3. Bessel-Hagen. Zur operativen
Behandlung der Pankreascysten. (A. f. kl. Chir. 1900, Nr. 62.) — 4. Köstenko,
Traumatische Pseudocyste des Pankreas. (Ref. Zbl. f. Chir. 1911, S. 264) —
5. Wölfler, Zur operativen Behandlung der Pankreascysten. (Prag. med. Woch.
1907, Nr.2.) — 6. Lazarus, Zur Pathogenese der Pankreascysten. (Zt. f. Heilk.
1902, Bd. 22, H. 6 u. 10.)
Ueber eine neue Behandlungsweise der akuten
und chronischen Gonorrhöe, der akuten und
chronischen Prostatitis und der akuten und
chronischen Urethritis mit Thermopenetration
und Heißwasserspülungen
von
Dr. Kyaw, Dresden,
Spezialarzt für Haut- und Harnleiden.,
Es dürfte unter den Fachleuten eine bekannte Tatsache sein,
daß die Resultate der Therapie der chronischen Gonorrhöe in der
bisher geübten Weise den Erwartungen in vielen Fällen nicht ent-
sprochen haben. Jedem Urologen und Dermatologen werden in
seiner Praxis reichlich Fälle von Gonorrhöe vorgekommen sein,
bei denen sich alle Aetzungen, Spülungen, Dehnungen als erfolg-
los im Sinn einer endgültigen Heilung erwiesen haben. Der
Grund des Versagens der bisherigen Therapie ist aus der patho-
logischen Anatomie erklärlich. Bei der Erkrankung [Scholz1)]
all dieser Schleimhäute findet die Wucherung der Gonokokken
wesentlich auf der Schleimhaut und zwischen den Epithellagern
statt, doch kommt es den Untersuchungen von Bumm und Finger
zufolge im Verlaufe der Erkrankung fast regelmäßig auch zu
einem Eindringen der Gonokokken in die obersten Schichten des
submukösen Bindegewebes. Nach Weichselbaum?) „vermag der
Gonokokkus in die tieferen Schichten der Schleimhäute einzu-
dringen und analog den Eiterkokken echte Bindegewebseiterung
und metastatische Entzündungen zu erzeugen“. In Berücksichti-
gung dieser Tatsache entspricht es den Gesetzen der Logik, daß
die bisher geübte adstringierende und antiseptische Therapie der
chronischen Gonorrhöe zu einer sicheren Abtötung dieser im sub-
mukösen Bindegewebe eingekapselten Gonokokken nicht kommen
kann. Auch die instrumentelle Therapie der Dehnung, deren
leitender Gedanke das Herauspressen der Gonokokken aus den
tieferen Schleimhautschichten, den oberflächlicheren des Binde-
gewebes und den Drüsen ist, hat in vielen Fällen trotzdem und
mit Recht im Stich gelassen. Kauterisation und Incision konnten
nur eine lokale Wirksamkeit entfalten. Bei ausgedehnten, gonor-
rhoischen Infiltraten führt außerdem die Kauterisation dieser
Stellen zu erheblicher Narbenbildung. Infolgedessen ist der Wert
dieser Therapie in Anbetracht der eventuell gesetzten Schädigung
(teilweise ausgedehnte Narbenbildung) ein sehr problematischer.
1) Scholz, Vorlesungen über die Pathologie und Therapie der
Gonorrhde des Mannes. | ;
2) Weichselbaum, Parasitologie usw. 130.
re u u EN 2 m
re Re
= en e a Ponne ri $
4 i RE PAREA CEER u
ng
. Das Temperaturoptimum!) liegt bei 36°.
zeigt. Berücksichtigt man die Tatsache, daß der Temperatur-
a
1830
Ebensowenig können kurzdauernde heiße Spülungen nach Janet,
wie sie von verschiedenster Seite angewandt und empfohlen sind,
unter den gegebenen Verhältnissen zum Ziele führen. In Berück-
sichtigung der biologischen Eigenschaften des Gonokokkus, seiner
außerordentlichen Empfindlichkeit gegen hohe Temperaturen, lag der
Gedanke der Awendung intensiver Hitze in der Urethra sehr nahe.
Bakteriologe Versuche
haben gezeigt, daß der Gonokokkus bei 39% C in zwölf Stunden,
bei 40° C in sechs Stunden zum Absterben gebracht wird?). Be-
weisend sind auch die klinischen von Finger, Ghon, Schlagen-
haufer gemachten Erfahrungen, daß an hochgradig fiebernden
Menschen mit Temperaturen ' zwischen 390 und 40° gemachte
Impfungen mit Gonokokkenreinkulturen stets negative Resultate
hatten. Auch das Ueberimpfen von Gonokokken auf Warmblüter
mit höherer als Menschentemperatur zeigt ein Mißlingen desselben.
Für die abtötende Wirkung der erhöhten Körpertemperatur auf
die Gonokokken spricht ferner die klinische Erfahrungstatsache,
daß bei Eintritt einer gonorrhoischen Nebenhodenentzündung mit
hohem, länger dauernden Fieber manchmal ein spontanes Aus-
heilen der gonorrhoischen Urethritis eintritt, oder doch stets eine
deutliche Wachstumshemmung der Gonokokken beobachtet wird,
die sich in einem zeitweisen Versiechen des eitrigen Ausflusses
unterschied von nur 10 C (39% auf 40°), die Zeitdauer der Ab-
tötung der Gonokokken auf die Hälfte herabsetzt, so drängt sich
sofort der Gedanke auf, daß es gelingen müßte, bei Erzeugung
höherer, doch für die Harnröhre noch erträglicher Temperaturen,
alle in ihr befindlichen Gonokokken in kurzer Zeit abzutöten.
Auf diese Weise wäre es möglich, in praktisch anwendbarer
Weise, das heißt in wenigen Sitzungen alle Gonokokken, auch die
in den tieferen Schichten der Urethra sitzenden Gonokokken, ab-
zutöten und, somit entgegen den teilweise wohl nur symptomati-
schen-Resultaten der adstringierenden und antiseptischen Therapie,
eine definitive Abtötung sämtlicher Gonokokken und somit eine
völlige Heilung der Gonorrhöe zu erzielen. Die bisherigen Ver-
suche der intensiveren Einwirkung der Wärme auf Gonokokken,
wie sie die hydrotberapeutischen Maßnahmen (Sitzbäder, Fango-
packungen, Moor- und Sandsitzbäder) darstellen, scheitern an der
physikalischen Unmöglichkeit, höhere Wärmrgrade wegen der
Empfindlichkeit der äußeren Haut gegen dieselbe zur Anwendung
zu bringen. Deshalb sind die Resultate der physikalischen The-
rapie der chronischen Gonorrhöe auch nur mangelhafte gewesen.
Nach den von Schmincke?) mitgeteilten Erfahrungen gelingt es
mittels der Thermopenetration, in den von derselben betroffenen
Körperteilen ohno Schädigung der Gewebe eine Temperatur von
450 bis 480 zu erzeugen. Schmincke sieht das Hauptgebiet
dieser Art der Wärmeerzeugung in den subakuten gonorrhoischen
Arthrititen. Außerdem hat er bei zwei Fällen von chronischer
Prostatitis, sowie bei gonorrhoischen Erkrankungen der Urethra
und der Epididymis gute Erfolge gesehen. Nach seinen Mittei-
lungen scheint er die bisher übliche Form der Anwendung der
Thermopenetration benutzt zu haben. das heißt er benutzt die von
der Firma gelieferten flächenhaften Elektroden, zwischen die das
erkrankte Organ gelagert wird. Um eine intensivere Einwirkung
der Wärme auf die Gonokokken in der Urethra und Prostata zu
erzielen, führe ich eine Metallsonde, deren Umfang der Größe des
Meatus urethrae entspricht, als den einen Pol in die Urethra ein,
als anderer Pol wird eine Elektrode an die Außenfläche des Penis
gelegt. Bei Gonorrhoea posterior benutze ich gleichfalls eine
Metallsonde, bei Prostatitis ohne Urethritis beziehungsweise auch
bei Gonorrhoea posterior benutze ich die von der Firma?) mir mit-
gelieferte, der Arzberger Mastdarmbirne nachgebildete Mastdarm-
elektrode. Mit dieser Methode ist es möglich, ohne Mitbenutzung
jedes andern antiseptischen oder adstringierenden Faktors eine
chronische Gonorrhöe jeder Dauer und Schwere in wenigen
Sitzungen völlig schmerzlos und sicher zur definitiven Ausheilung
zu bringen. Die Nachteile desselben liegen einerseits in dem hohen
Anschaffungspreise des Apparats $) selbst und seiner Installation,
1) Wossidlo, 1. Die Gonorrhöe des Mannes. — 2. Abel, Bak-
teriologisches Taschenbuch. — 3. v. Notthoft, Taschenbuch für Derma-
tologen und Urologen. no oo. l
3) Langdauernde Spülungen der Cervix mit 40° heißem Wasser
töten Gonokokken. Wagner, Behandlung der Cervixgonorrhöe. (Berl.
kl. Woch. 1911, Nr. 52.) = .
3) Schmincke, Die Thermopenetrationsbehandlung. Vortrag, ge-
halten auf der 31. Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in
Berlin. (Med. Kl. [Wien] 1910, Jahrg. 6, Nr. 35.)
4) Gebbert, Reiniger & Schall, Thermopenetrationsapparat.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.
anderseits darin, daß wegen der Nähe der Elektroden und der
verschiedenen Intensität des Anpressens der einen Elektrode an
den Körper die Gefahr der Verbrennung naheliegt, anderseits des-
halb eine dauernde Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes er-
forderlich ist. Zur Vermeidung dieser zweifellos sich ergebenden
Uebelstände. der Thermopenetrationsbehandlung der chronischen
Gonorrhöe habe ich auch eine andere Behandlungsweise angewandt,
und zwar habe ich durch am Ende geschlossene Katheter, sowohl
dureh die vordere wie durch die hintere Harnröhre heißes Wasser
von etwa 50° bis 520 stundenlang fließen lassen. Diese Tempe-
raturen werden von der Harnröhre anstandslos vertragen. Dieses
Verfahren dauert in bezug auf seine Wirksamkeit gegenüber den
Gonokokken länger als die Thermopenetration. Eine Stunde Heiß-
wasserkatheterspülung entspricht in ihrer Wirkung ungefähr einer
viertelstündigen Thermopenetration.e Vor der Thermopenetration
hat sie aber den außerordentlichen Vorzug der absoluten Gefahr-
losigkeit und vor allem der Möglichkeit der Selbstbehandlung des
Patienten in der Wohnung des Arztes, Jedoch ohne dessen stän-
dige Beaufsichtigung. Auch mit dieser zweiten Modifikation der
Wärmebehandlung ist es mir gelungen, verzweifelte Fälle von
jahrelang bestehenden Gonorrhöen, die mit den bisherigen Methoden
von den verschiedensten autoritativen Seiten vergeblich behandelt
wurden, in kürzester Zeit zu völliger Heilung zu bringen. Unter
Ausschluß jeder der bisher geübten antiseptischen und adstringie-
renden Behandlungsweisen wurden die chronischen Gonorrhöen mit:
den damit verbundenen Urethrititen in zwei bis drei. Wochen
völlig geheilt. Harte Infiltrate der Harnröhre wurden erweicht;
weiche Infiltrate schwanden rasch und völlig (Kontrolle: Urethro-
skopische Beobachtungen nach Wossidlo). Der anfangs Gono-
kokken und Bakterien enthaltende Eiter wurde nach ein bis zwei
Tagen gewöhnlich frei von Gonokokken, innerhalb der nächsten
acht Tage verschwanden Stäbchen- und Kugelkokken, während der
Ausfluß minimal wäßrig geworden war. Das charakteristische
Merkmal und der Beweis für das Absterben der Gonokokken er-
gab sich sehr schön und deutlich aus den mikroskopischen Präpa-
raten. Waren am ersten Tage noch deutlich schöne, große Gono-
kokken vorhanden, so zeigten sich in den nächsten zwei Tagen
nur noch minimale feine, ` genau wie Gonokokken gelagerte Diplo-
kokken, die ich als Jugendform von Gonokokken angesprochen
habe. Diese Jugendformen traten stets nur ganz vereinzelt und
in wenigen Exemplaren auf. Länger bestehen im Sekret und Prä-
parat die Kugel- und Stäbchenkokken. Indes auch sie mußten
nach fünf bis sechs Tagen der Heißkatheterspülung oder der
Thermopenetration weichen. f
Waren Abscesse in Urethra und Prostata vorhanden, die
ziemlich oft erschienen und von verschiedenster Größe waren
(urethroskopische Beleuchtung stellte sie in der Urethra, Digital-
untersuchung in der Prostata fest), so passierte es, daß der Patient
eine Zeitlang minimalsten Ausfluß zeigte und womöglich aus der
Behandlung wegblieb, weil er sich gesund wähnte und dann plötz-
lich mit abundantem Ausfluß sich dann wieder bei mir vorstellte.
Solche komplizierte Fälle haben dann meiner Therapie weitere acht
bis zehn Tage widerstanden.
Da mir nur Privatpatienten zur Verfügung standen und akute
Gonorrhöen selten zum Spezialarzte kommen, so kann ich nicht
dementsprechende Krankengeschichten und Versuche mitteilen. So-
viel weiß ich aber aus meinen Erfahrungen mit den Patienten
chronischer Gonorrhöen, daß es ein leichtes ist, akute, unkompli-
zierte Gonorrhöen in einigen Tagen mit Thermopenetration oder
Heißwasserkatheterspülung zur Heilung zu bringen. Ich schließe
nun meine Krankengeschichten an:
Nr. 1. 8. III. 1912. Dr. H. Gonorrhöe seit sechs Jahren, seitdem
seröser Ausfluß, Druckgefühl im Mastdarme. Neurasthenische Beschwerden
(Schmerzen in der vorderen Harnrüöhre, Mattigkeit, Energielosigkeit,
Selbstmordgedanken). Mikroskop: Ge— Ep + Ek +-+, Stäbehen, Kokken.
Prostata an beiden unteren Polen verdickt und dıuckempfindlich.
1912 bis 12. III. 1912. Prostatamassage. Guyon. Geringe Besserung der
Beschwerden. 13. IIl. 1912. Thermopenetration der Prostata und hinteren
Harnröhre. 14. III. 1912. Große Besserung im Allgemeinbefinden. Aus
fluß verschwunden. Prostata weniger druckempfindlich. 15. IN. bis
17. III. 1912. Massage. Prostataverdiekung wird weich. 18. Il. 1912.
Thermopenetration der Prostata und hinteren Harnröhre. 29. Il. Ir
Keine Empfindungen mehr bei Prostatamassage. Ausfluß fehlt seit 14. II.
1912. Allgemeinbefinden gut. Entlassen. Bis hente, 19. VIII. 1912, kein
Rezidiv. Um Wiederholungen zu vermeiden, sind nicht alle mikroskop!”
schen Präparate angeführt.
Nr. 2. Dr. K. 10. IT. 1912. Seit sechs Jahren Gonorrhöt.
Neurasthenie. Heute mäßiger Ausfluß Gc 17 Ep+ Ek se Protar-
m aan
geheilt. Heute Ge+ Ep -+ Ek t
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45 1831
gol 1/4°/o. Prostata geschwollen, druckempfindlich. Massage. Bis 18. III.
912 dieselbe Therapie. Terminale Blutung. Guyon !/4%o. Argent. nitr.
Massage der Prostata abwechselnd. 27. III. 1912. Weggeblieben. Ge-
ringe Besserung erzielt. 15.1V. 1912. Ge— Ep+ Ek-. Prostata-
massage. Thermopenetration der Prostata und hinteren Harnröhre. 16.1V.
1912. Kein Ausfluß. Druckempfindlichkeit der Prostata besteht weiter.
Guyon, Massage. Dieselbe Therapie bis 28. IV. 1912. An diesem Tage
Thermopenetration der Prostata und hinteren Harnröhre. 29. IV. 1912.
Prostata nicht mehr druckempfindlich. Neurasthenie gehoben. Geheilt
entlassen. Rezidivfrei geblieben.
Nr. 3. 13. III. 1912. v. dem Br. Erste Gonorrhöe vor vier Jahren.
Ge er Ep iR Ek ne 1% Argonin. — 16.111. Briefliche Mitteilung einer
terminalen Blutung. Weggeblieben bis 1. V. 1912. Prostata geschwollen,
druckempfindlich. Prostatamassage. Hat Wasser gelassen, kein Präparat.
Heißwasserspülung. 2. V. 1912. Ge t Ep + Ek T Argonin 1%.
Diplosal dreimal 0,5. 3. V.1912. Guyon !/4°/o. Arg. nitr. Thermopenetration
der Prostata und hinteren Harnröhre. 4. V. 1912. Thermopenetration
der hinteren Harnröhre und Prostata. 5. V. 1912. Ge — Ep 4- Ek +.
1/4%/o Arg. nitr. Guyon. Wenig Ausflug. 6. V. 1912. Massage der
Prostata. 7. V. 1912. Ge — Ep+ Ek+. Viel Schleim. 14. V. 1912.
Alle Präparate von vorderer, hinterer Harnröhre, Harnfilamente und Prostata
zeigen Gc— Ep-+ Ek +. Abreise 25. V.1912. Zwei Präparate briefiich
esandt. Ge— Ep+ Ek-+. Urethritis non gonorrhoica besteht noch,
onorrhöe geheilt.
Nr. 4. 28. III. 1912. H. Vor 1!/a Jahren coitiert, Infektion ge-
lengnet; Prostatitis, schwere Neurastheniee Ge— Ep-+ Ek T Massage
und Guyon. Geringe Besserung bis 16. IV. 1912, an diesem Tage erste
Thermopenetration der Prostata und hinteren Harnröhre, aber nur bis
05 Wärmeeffekt. 2i. IV. 1912. Besserung des Allgemeinbefindens,
Ge— Ep— Ek-+, viele Stäbchen. Massage, Guyon. 26. IV. 1912.
Ge — Ep— Ek +, viele punktförmige Bakterien. 28. IV. 1912. Der-
selbe Befund, zweite Thermopenetration der Prostata und hinteren Harn-
röhre. 29. IV. 1912. Kein Ausfluß. Bis 7. V. 1912 besteht noch Druck-
empfindlichkeit der Prostata. Dritte Thermopenetration und Massage.
12. V. 1912. Prostatitis und Neurasthenie geheilt. Bis heute, 19. VII.
1912, kein Rezidiv. |
Nr.5. W. 28.V. 1912. Gonorrhöe vor zwei Jahren; angeblich
+, Epididymitis, Prostatitis. 24. VL
1912 nach der üblichen Behandlung Ge — Ep T Ek p Epididymitis ab-
geheilt, Verdickung des Nebenhoden noch fühlbar, Prostata druckempfind-
lich. 25. Vl. 1912. Ge — Ep + Ek a Guyon, ?/49/o Argent. nitr. Eine
_ Stunde Heißwasserkatheterspülung der hinteren Harnröhre. 26. VI. 1912.
Ge— Ep + Ek +, Behandlung mit Heißwasserkatheter. 27. VI. 1912.
Geringe Filamente, kein Ausfluß. 28. VI. 1912, 29. VI. 1912. Keine
Filamente, keine Schmerzen bei Prostatamassage. Geheilt entlassen.
Kein Rezidiv.
Nr. 6. Dr. W.M. Gonorrhöe vor einem halben Jahr akquiriert.
11. VI. 1912, Ge H T Ep + Ek Th 1/2 Jhige Protargollösung. 13. V
1912, Ge— Ep -+ Ek sin 14: VI. 1912. Thermopenetration mit zwei
Elektroden (Flächenelektroden). 15. VI. 1912. Urethroscop. ant. zwei
weiche Infiltrate und ein hartes Infiltrat. 16. VI. 1912. Abreise. 15. VII.
1912. Starker Ausfluß Ge+ Ep+ Ek+. 1/4% Protargol. 16. VII.
1912. .Prostatalappen rechts vergrößert, druckempfindlich. Eine Stunde
Prostataheißwasserkatheter früh. Nachmittags je eine Stunde vordere
und ganze Harnröhre mit Heißwasserkatheterspülung behandelt. 17. VIL
1912. Kein Ausfluß. Behandlung wie am 16. VII. 1912. 19. VII, 1912. .
Sämtliche vier Präparate Ge— Ep ur Ek a Kugelkokken. Ure-
throskopie: Nur weiche Infiltrate. 22. VII. 1912. Geringe Schwellung
der Prostata. Vordere Harnröhrendilatation, wenig Ausfluß Ge + Ep +
Ek +. Urethroskopisch: Hinteres, weiches Infiltrat buchtet sich stark vor.
Harnfilamente Ge— Ep — Ek—. Schleim. Behandlung: Heißwasser-
katheter zwei Stunden. 24. VII. 191%. Profuser Eiterausfluß. Heiß-
wasserkatheter zwei Stunden. Massage der Prostata. 25. VII. 1912.
Ge a“ Ep — Ek Eu Heißwasserkatheterspülung zwei Stunden. 26 VII.
1912. Wenig Ausu. Ge— Ep-+ Ek +, Heißwasserkatheterspilung,
Je zwei Stunden, der Harnröhre, Proststaerhitzung. Fingerbeerengroße,
weiche, fluktuierende Stelle in der Prostata. Massage der Prostata.
30. VII. 1912. Bis heute tägliche Heißwasserkatheterspülungen früh und
nachmittags bis zu drei Stunden. Viel eitriger Ausfluß. Prostata zu-
sammengesunken. Ge— Ep er Ek a Hitzebehandlung. 1. VII.
1912. Kein Ausfluß. Behandlung wie oben. 2. VII. i912. Harnfilament:
Gc — Ep $ Ek + elastische Fasern. Prostata nicht druckempfind-
lich. Kein Ausfluß. Keine Klagen. Abreise. 9. VIII. 1912. Wohle
befinden gemeldet. i4. IX. 12. Rezidivfrei.
Farm
Nr. 7. Sch. 19. VI. 1912. Vor sechs Jahren Gonorrhöe, angeb-
lich ausgeheilt. Seit einem Tag Ausfluß Ge— Ep+ Ek-+-+. Prosta-
titis. 1/4%/o Protargol usw. Befund unverändert bis 3 VII. 1912. Heute
Prostatitis etwas gebessert. Ge— Ep+ Ek-+. Hoeißwasserkatheter-
spülung der Harnröhre;: _ Weggeblieben bis 7. VII. 1912. Ausfluß Ge —
Ep — Ek +. Drei Stunden Heißwasserkatheterspülung. Prostata drack-
empfindlich. Ge — Ep+ Ek+. 8. VII. 1912. Dieselbe Therapie.
9, VII. 1912, Kein Ausfluß, Schmerzen und Sensationen in der vorderen
Harnröhre und Prostata. Heißwasserkatheterspülungen drei Stunden lang
bis zum 26, VII. 1912 jeden dritten Tag. Die Sensationen in der vorderen
Harnröhre sind geschwunden, die Druckempfindlichkeit der Prostata ist
nicht mehr vorhanden. Geheilt entlassen. Bis heute rezidivfrei.
Nr. 8. Hpt. 5. VII. 1912. Vor sechs Jahren Gonorrhöe. Seit fünf
Tagen erneuter Ausfluß. Ge— Ep-+ Ek-+-+. Bis zum 21. VI. 1912
die übliche Bebandlung. Haute heftige Schmerzen beim Kotlassen.
Akute Prostatitis. 27. VII. 1912. Große Prostatabeschwerden. Ausfluß.
Ge — Ep ER Ek +-+. Heißwasserkatheterspülung der hinteren Harn-
röhre. Mastdarmkatheter je eine Stunde. Bis 1. VIII. 1912 täglich eine
Stunde Heißwasserbehandlung. Seitdem. kein Ausfluß mehr, wohl aber
noch Neurasthenie und Druckempfindlichkeit der Prostata. Jeden Tag
bis heute, 19. VIII. 1912, Thermopenetration der Prostata und der hinteren
Harnröhre. Neurasthenie bessert sich deutlich. Druckempfindlichkeit
der Prostata hat abgenommen. Ist noch in Behandlung.
Nr.9. N. Vor vier Wochen Infektion. 10. VII. 1912. Viel grün-
gelber Ausluß. Gc+ Ep + Ek RR Kugeln und Stäbchen. WE. 0,2,
15 Minuten. Thermopenetration. 11. VII. 1912 Am Morgen ein gelber
Tropfen Ge— Ep-+ Ek 7. WE. 0,5, 25 Minuten. 12. VII. 1912.
Ge — Ep ae Ek-+. Kugeln. WE. 0,2, 30 Minuten. 18. VIII. 1912.
Kein Ausfluß. WE. 0,2, zehn Minuten. Geheilt. Ist noch wegen Lues
weiterhin in meiner Behandlung.
Nr. 10. W. Gonorrhöe seit zwei Monaten. 20. VIII. 1912. Ge —
Ep — Ek par Thermopenetration. WE. 0,3, 20 Minuten. Viel Ausflubĝ.
21. VII. Gc— Ep— Ek SR Thermopenetration, WE. 0,3, 20 Minuten.
22, VII Gc— Ept Ek t. Vereinzelte Kugelkokken. Thermopene-
tration. WE. 0,3, 20 Minuten. 28. VIO. Ganz geringer Ausfluß., Ge —
Ep— Ek ia Sehr kleine Diplokokken. 24. VIII. Nur Filamente. Kein
Ausfluß. 26. VIII. Kein Ausfluß. Zwei Nester Diplokokkeu. Ge — Ep +
Ek-+-+. Filament. 28. VIII. Kein Ausfluß. 29. VIII. Enormer Ausfluß.
Abszeß? Ge T Ep + Ek a Eine halbe Stunde. Heißwasserspül-
katheter bis 60°. 30. VIII. bis inc). 2. IX. Dieselbe Behandlung Ge}
Ep— Ek-++. 3. 1X. bis 9. IX. 1912. Ge— Ep— Ek+-+. 12. IX. Geheilt.
Auf Grund dieser Krankengeschichten glaube ich den Beweis
erbracht zu baben, daß mit starker Hitze eine lokalisierte, akute
und chronische Gonorrhöe und Prostatitis in kurzer Zeit endgültig
geheilt werden kann, daß eine Urethritis rasch heilt, harte In-
filtrate in weiche übergeführt werden!) (Bestätigung der von Ko-
belt veröffentlichten Versuche) und Abscesse der Urethra und
Prostata in die Harnröhre zum Durchbruch kommen. Da nun die
Gonokokken die Eigenschaft haben, wie die Eiterkokken in das
tiefere Bindegewebe einzudringen, so ist es klar, daß eine sofortige
Heilung nicht eintreten kann,. wenn die Gonokokken in tiefem
Bindegewebe liegen und erst nach Proliferation der oberen Binde-
gewebsschichten mit abgestoßen werden. Besagte tiefsitzende
Gonokokken können ja abgestorben sein und sind wahrscheinlich
auch abgestorben, da mir aber ein Wärmeschrank nicht zur Ver-
fügung stand, konnte ich nicht feststellen, ob die Gonokokken noch
lebend waren. Ferner konnte ich auf Grund mikroskopischer Prä-
parate nachweisen, daß eine enorme Einwirkung auf die Epithelien
der Harnröhre bei angewandter, lokaler Erhitzung stattfindet.
Zeigten doch diese Präparate alle Stadien von Mitosen, und obwohl
ich in der Klinik meines hochverehrten Lehrers, Geheimrat Prof.
Dr. Neißer, Hunderte von Gonorrhöepräparaten durchgemustert
hatte, zeigte sich nie eine solche Fülle schönster Mitosen.
Warum nun die Thermopenetration bei verschiedenen Pa-
tienten verschieden gewirkt hat, erkläre ich mir so, daß erstens
die Gonokokken verschieden tief und womöglich in vernarbtem Ge-
webe gesessen haben und zweitens, daß nervöse Patienten bei der
Thermopenetration zuerst so ängstlich sind (da sie hauptsächlich
durch ihr jahrelanges Leiden Neurastheniker geworden waren),
daß sie falsche oder übertriebene Angaben von Brennen an den
I) Kobelt, Die Behandlung der Harnröhrenstrikturen mit Hyperämie
hervorrufenden Bougies. (M. med. Woch, 1912, Nr. 30.)
1832
behandelten Stellen machten. Auffallend war es auch, daß die
Haut und Schleimhaut erst eine gewisse Zeit brauchten, um
größere Mengen von elektrischen Strömen ohne Beschwerden für
den Patienten hindurchzulassen. Diese den Beobachtungen am
Patienten entlehnten Bemerkungen sind meiner Ansicht nach voll-
wertig, da die meisten meiner Patienten medizinisch gebildet
waren. Je mehr ich mich von der heilenden Wirkung der an-
gewandten Hitze überzeugen konnte, um so mehr habe ich alle
andern Hilfsmittel, außer Massage, weggelassen.
Die Hitzeanwendung stellt also das Ideal einer Behandlungs-
weise dar, denn ohne zu schaden (bei richtiger Anwendung), ist
sie ein gewaltiger Heilfaktor. Wenn es auch nicht gleich ist, ob
ich eine aktive Hitze im Gewebe selbst (Thermopenetration) oder
indem ich die Hitze (Heißwasserkatheter) passiv erzeuge, so bleibt
doch der große Nutzen der Behandlung bestehen.
Aus dem Hlektrotherapeutischen Institut für nervöse und innere
Kranke zu Frankfurt a. M.
Thermopenetration bei Prostatitis gonorrhoica
chronica
(Kasuistischer Beitrag)
von
Dr. Otto Simmonds.
Die Thermopenetration ist physiologisch aufzufassen als eine
durch tiefgehende Erwärmung hervorgerufene lange dauernde
Hyperämie, die einhergeht mit einer uns noch unbekannten, aber
mit Bestimmtheit anzunehmenden energischen Beeinflussung der
vitalen Erscheinungen der Zellen und Gewebe. Mit der Hyperämie
findet fraglos auch eine erhöhte Oxydation in den Geweben statt,
auch hat man der Thermopenetration baktericide Eigenschaften
nachgesagt. Ganz erwiesen ist die letzte Behauptung nicht, wenn
auch in hohem Maße wahrscheinlich. Insbesondere wurde ja auch
schon von anderer Seite auf die erstaunlich günstige Beein-
flussung gonorrboischer Beekenerkrankungen beim Weibe hinge-
wiesen. Ich glaube, daß der von mir beobachtete Fall wegen
einiger noch zu erörternder Momente verdient, in möglichster Aus-
führlichkeit wiedergegeben zu werden.
Es handelt sich um einen 35 jährigen Patienten, der im Alter von
20 Jahren sich zum erstenmal gonorrhoisch infizierte. Er war bis dahin
im tibrigen gesund gewesen und stammt aus einer Familie, in der eine
„nervöse Belastung“ nicht nachweisbar ist. Die Gonorrhöe heilte un-
kompliziert nach ungefähr sechswöchiger ärztlicher Behandlung ab.
22 Jahre alt ‚infizierte sich Patient zum zweitenmal. Nach mehrmonati-
ger Behandlung waren angeblich Gonokokken nicht mehr nachweisbar,
əs blieb aber noch eine abnorme Empfindung, die Patient als .‚Reizgefühl
in der hinteren Harnröhre“ bezeichnet, zurück. Die Prostata war damals
gesund, sonstige Beschwerden bestanden nicht. Diese wenn auch unbe-
deutende abnorme Empfindung blieb in den folgenden Jahren bestehen
und war hauptsächlich bei gefüllter Blase oder bei einer besonders starken
Defäkation etwas auffälliger. Im 27. Lebensjahre infizierte sich Patient
zum dritten Male. Nach 14 Tagen waren die akuten Erscheinungen ver-
schwunden, aber der Reiz blieb bestehen. Ein Jahr später trat nach an-
strengendem sportlichen Leben stark eitriger Ausflaß auf, in dem angeb-
lich Gonokokken nicht gefunden wurden. Da die Beschwerden des
Patienten sich steigerten (es trat Druckgefühl, Spannungsgefühl und zeit-
weise Schmerzhaftigkeit auf) konsultierte er eine ganze Reihe von Aerzten,
die sowohl eine Fülle verschiedener Diagnosen (Urethritis post.,
Prostatitis chron., Pyelitis (!), Cystitis und andere) stellten. wie auch
dementsprechende therapeutische Maßnahmen empfahlen (Bougierung,
Prostatamassage, Blasenspülungen und Medikamente). 1910 konsultierte
Patient neuerdings einen Spezialisten, der anfangs keine Ursache für die
Beschwerden finden konnte und deshalb Neurasthenie diagnostizierte, der
sich aber bei fortdauernder Beobachtung von dem Bestehen einer Prostatitis
überzeugte. Er empfahl heiße Spülungen mit per Mastdarmbirne und
nun trat allmähliche Besserung ein. Patient erzielte eine Erleichterung
von, wie er sagt, 50°. Patient las zufällig in einer Tageszeitung, daß
ein Verfahren es nunmehr ermögliche, Wärme im Innern des Körpers
hervorzurufen und innere Organe zu durchwärmen. Patient suchte mich
daher Ende Dezember 1911 auf mit dem Ersuchen, ihn wegen seiner
noch immer bestehenden Beschwerden mit Thermopenetration zu be-
handeln. In anfangs täglich durchgeführten Sitzungen legte ich in
mannigfaltiger Weise Elektrodenkissen!) von der Größe 9 X 12 cm so
an, daß eine Elektrode auf das Porineum die andere verschieblich bald
auf das Os sacrum, bald auf verschiedene Partien der Glutaei lokalisiert
wurde. Das Hitzdrahtampdremeter des Apparates zeigte Stromstärken
von 1 bis 1,4 Ampère, die im allgemeinen bequem ertragen wurden. Die
1) Elektrodenkissen aus Metallgeflecht und Moos mit Rohseideb
(Reiniger, Gebbert & Schall). | 19n oan
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.,
Dauer der Sitzungen wurde von 5 auf 10 bis 12 Minuten gesteigert.
Erwähnen will ich noch, daß vor Beginn der Behandlung die Dreigläser-
probe positiv war. Die hauptsächlichen Klagen des Patienten waren ein
ständiges Gefühl des Druckes und der Spannung, damit verknüpfte heftige
Unlustempfindungen, zeitweise abnorm gesteigerte oder auch abnorm
herabgesetzte Potenz. Bereits nach kaum 20 Sitzungen erklärte mir der
Patient, daß er nur noch einen kleinen Rest seiner früheren Mißemp- -
findungen verspüre und daß er durch dieses Verfahren eine so wesent-
liche Besserung erlebt habe, wie er sie nicht für möglich gehalten. Die
Zahl der Sitzungen wurde vermindert, erst auf drei wöchentlich und
schließlich auf ein bis zwei. Aber ein letzter Rest wollte nicht weichen:
es blieb immer noch bei stark gefüllter Blase eine leichte Druckemp-
findung, die Patient natürlich nicht genau lokalisieren konnte. Ich nahm
_ nunmehr kleinere Elektroden (6X8 cm) und verlängerte die Sitzungen
em m a m nn.
auf 15 bis 18 Minuten, meistens wurde dabei ein Ampère nicht über-
schritten. Der Erfolg war überraschend: Nach einer geringen Zahl von
Sitzungen (zirka sechs bis acht) trat gelegentlich ein einmaliger gelblich
grüner Ausfluß auf, nach dem Patient den letzten Rest von Unbehagen
in der Mastdarmgegend nahezu völlig schwinden fühlte. Und als acht
Tage später sich abermals ein bis zwei Tropfen entleerten, fühlte er sich
beschwerdefrei und ist es seitdem geblieben.
Dieser vollständige Heilerfolg berechtigt wohl zu dem Satze,
daß hier mit der Thermopenetration eine Erkrankung beseitigt
worden ist, die einer jahrelangen sehr intensiven (und ich darf
vielleicht auch in Parenthese hinzufügen, sehr kostspieligen) Be-
handlung getrotzt hatte. Ich glaube, daß es von größtem Interesse
ist, die Frage zu erörtern, wie die Thermopenetration hier einge-
wirkt haben mag, und ob dieser Erfolg nicht zu ausgedehnteren
weiteren Versuchen anregen sollte. i
Die therapeutische Wirksamkeit der Thermopenetration setzt
sich, wie ich schon eingangs dieser Zeilen ausführte, zusammen
aus zwei Faktoren:
Erstens bewirkt die Wärme eine langdauernde Hyperämie
des durchwärmten Gewebes. Die Hauttemperatur steigt während
der Behandlung nicht unerheblich, jedoch läßt sich mit wachsender
Erfahrung diese manchmal unangenehm bemerkte Begleiterschei-
nung bedeutend mildern. Beginnt man nämlich mit geringen
Stromstärken (0,5 Amp.) mit sehr gut mit Salzwasser durchfeuch-
teten Elektroden, so tritt die starke Erwärmung der Haut nicht
so plötzlich auf und man kann bequem allmählich die Stromstärke
steigern. Daß die Wärme in die Tiefe dringt, ist durch eine Reihe
von Autoren längst experimentell festgestellt und geht auch daraus
hervor, daß man bei der Thermopenetration von Gelenken z. B.
folgendes beobachten kann: Die Haut zwischen den Stellen, an
denen die Elektroden fest aufliegen, bleibt genau so kühl wie vor
der Behandlung, aber legt man dieser Partie die Hand auf, s0
spürt man deutlich eine aus der Tiefe aufsteigende Wärme.
Zweitens hat, wie anzunehmen ist, die Thermopenetration
überall da bakterieide Wirkungen, wo durch Erwärmung auf die
mit dem Verfahren erreichbaren Grade Bakterien abgetötet werden.
Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß selbstverständlich die Lebens-
verhältnisse von Bakterien im Organismus und in der Kultur ver-
schieden sind. |
Es ist nunmehr ganz klar, daß die Thermopenetration jeder
andern thermotherapeutischen Methode überlegen sein muß, denn
gleichviel auf welche Weise auch immer man bis jetzt versucht
hat, unsern Organismus mit Wärme zu durchdringen, das Durch-
dringen ist eben vorher noch nie gelungen!
Welche Wirkungen nun diese hochfrequenten Ströme, deren
elektrische Energie im Organismus in Wärme umgesetzt wird,
physiologisch ausüben, vermögen wir heute noch nicht exakt zu
sagen. Es scheint mir jedoch unbedingt sicher zu sein, daß neben
der Hyperämie eine kaum belanglose Beeinflussung des gesamten
Zellebens, des Zellstoffwechsels und der ganzen Dynamik der proto-
plasmatischen Lebenserscheinungen stattfindet. Aber beschränken
wir uns auf das Tatsächliche, ohne uns spekulativer Erwägungen
hinzugeben, so verlockend das auch sein mag. Ä '
In dem vorliegenden Falle bestand jahrelang eine von meh-
reren Seiten konstatierte Prostatitis gonorrhoica. Wenn auch bei
der rectalen Untersuchung die Prostata nicht sicher als vergrößert
nachweisbar war, so war sie doch druckempfindlich. Fluktuation
bestand nicht. Die subjektiven Beschwerden, die anfangs längere
Zeit und wiederholt als nervöse oder neurasthenische Symptome
gedeutet wurden, schwanden unter der Wärmebehandlung. Schon
die heißen ‚Reetumspülungen mit der Mastdarmbirne hatten bier
Gutes geleistet, ohne ganz zum Ziel zu führen. Es könnte be-
hauptet werden, daß die Symptome unter dem suggestiven Einfluß
ammer neuen Heilmethode sich verloren hätten, jedoch erscheint mir
der Einwand schon deshalb nicht berechtigt, weil dem Patienten
Ja jedes der angewandten Mittel neu war, weil aber auch später
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45
der eitrige Ausfluß mir bewies, daß ein objektiver Krankheitsherd
doch noch vorgelegen hatte. Selbstverständlich ist von einer neuen
Infektion keine Rede. Leider war es mir nicht möglich, den Aus-
fluß bakteriologisch zu untersuchen. Wie ist der Ausfluß über-
haupt zu erklären? Ich glaube, es gibt nur folgende 'Möglich-.
keiten: Entweder der Ausfluß ist aufzufassen als eine Erscheinung,
wie sie bekanntlich häufig genug im Verlauf chronischer Prosta-
titiden vorkommt. Dagegen spricht aber eigentlich (wenn auch
nicht unbedingt) das Fehlen des Ausflusses während vieler Jahre
bei genauer Selbstbeobachtung des Patienten. Oder aber es war
zu einer kleinen, vielleicht eingeschlossenen Abscedierung ge-
kommen, der durch die dauernde Hyperämisierung ein Abfluß ge-
schaffen wurde, indem seither verstopfte Drüsengänge nun wieder
wegbar wurden. Das erscheint mir deswegen wahrscheinlicher,
weil nach der Entleerung des eitrigen Sekrets auch der letzte
kleine Rest von Mißempfindung geschwunden war.
Ich möchte noch bemerken, daß es vielleicht möglich ge-
wesen wäre, schneller zum Ziel zu gelangen, wenn ich anstatt der
rein äußeren Behandlungen eine Elektrode, wie Sellheim in die
Vagina, so hier ins Rectum eingeführt hätte. Aus äußeren Gründen
war das in diesem Fall unterblieben. Was die Gefährlichkeit des
Verfahrens anbetrifft, so ist zu sagen, daß bei einiger Uebung
unter Berücksichtigung gewisser unerläßlicher Forderungen eine
ernstere Schädigung so gut wie ausgeschlossen erscheint. We-
nigstens ist mir in diesem und einer großen Zahl anderer mit
Thermopenetration behandelter Fälle keine irgendwie nennens-
werte Verletzung vorgekommen, außer zwei bis drei durch schlecht
aufsitzende Elektroden verursachten linsengroßen Verbrennungen.
Nach diesen Ausführungen dürfte es wohl berechtigt er-
scheinen, die Thermopenetration in allen Fällen chronischer Pro-
statitis gonorrhoica zu empfeblen, da sie sich meines Erachtens
einen souveränen Platz in der Therapie dieses Leidens er-
werben wird.
Literatur: 1. Sellheim, Die elektrische Durchwärmung des Beckens
als Heilmittel. (Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. 31). — 2, Eitner, Ueber Verwendung
von Thermopenetration in der Gonorrhöetherapie. (Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 34)
— 3. Ueber Thermopenetration und die bisher mit Thermopenetration an der
med. Klinik Prof Ortners gemachten Erfahrungen. v. Zeyneck, v. Bernd,
v. Preyß. (Wr. kl. Woch. 1908, Nr. 15.) — 4. Ueber Thermopenetration, v. Bernd.
(Zt. f. diät. phys. Th. 1909, Nr. 3).— 5. Beiträge zur Wirkung der Thermopene-
tration. A. Laquour. (Zt. f. diät. phys. Th. 1909, Nr. 5.)
Die Pathogenese des akuten Gichtanfalls
Dr. Arthur Adler, Berlin.
Eine ziemlich reichliche Erfahrung in der Beobachtung akuter
Gichtanfälle hat mich zu der Ansicht geführt, daß der klassi-
sche Gichtanfall im Mittelfuß - Zehengelenk der linken oder
rechten großen Zehe in der Hauptsache durch eine Neuralgie
beziehungsweise Neuritis im Gebiete der Zehennerven:
des N. cutan. ped. dors. intern. (Zweig des N. peroneus) und des
N. plantar. intern. (Zweig des N. tibialis) verursacht wird!).
Die Gründe hierfür sind folgende:
1. Sind bei Gichtikern überhaupt Schmerzen im
Ischiadieusgebiet häufig. |
2. Treten nicht selten unmittelbar nach dem Genuß
schädigender Substanzen mehr weniger heftiges Brennen
und Stechen in der Zehenkuppe, auch ziehende Schmer-
zen in der Fußsohle im Verlauf des Plantar. intern. oder auch
am Unterschenkel im N. peroneus auf, welche ebenso rasch
wieder verschwinden, ohne von Schwellung der Gelenkgegend ge-
folgt zu sein oder prämonitorisch einem typischen Gichtanfall
vorausgehen.
3. Im Gegensatz zur rheumatischen Gelenkentzündung be-
steht beim akuten Gichtanfall eine außerordentliche Hyperalgesie
der äußeren Haut, welche sich schon bei ganz leichter Be-
rührung derselben, auch wenn jede Zerrung der tieferen Teile
sorgfältig vermieden wird, geltend macht (Magnus-Levy).
4. Die Gelenkgegend ist, wie nach Beseitigung der Hyper-
algesia cutis durch feuchte Umschläge festgestellt werden kann,
nicht in ihrem ganzen Umfange, sondern nur an einzelnen Stellen |
druckschmerzhaft?); diese Schmerzpunkte scheinen mit den |
1) D. Duckworth. The pathogeny of goat (Lancot 1900) glaubt,
daß beim Zustandekommen der gichtischen Paroxysmen ein in der Med.
oblong. gelegenes trophisches Centrum die Hauptrolla spielt.
°) cf. auch Minkowski: Die Gicht (Nothnagels specielle Pa-
thologie u.--Therapie, S. 46). - - -= E PES Pe Be
Stellen übereinzustimmen, an welchen die Nerven der großen Zehe
die Gelenkgegend überschreiten. Besonders konstant scheint ein
solcher Schmerzpunkt an der Seitenfläche des Fußes über dem
Köpfchen des ersten Mittelfußknochens zu sein, wo ein
Seitenast des Plantar. intern. über dasselbe hinwegzicht.
5. Dehnung des N. ischiadieus oder peroneus, er-
zeugt durch Druck von harten Gegenständen, beispielsweise beim
Sitzen oder Lebnen auf einer Stuhlkante, verstärkt erheblich
die Schmerzen in der großen Zehe oder bringt solche zum
Vorschein.
6. Die Gichtschmerzen exacerbieren wie bei Ischias in
der Nacht. |
Was nun die Erscheinungen des klassischen Gichtanfalls
anbetrifft. so würden, der vorstehend gemachten Annahme von der:
nervösen Natur desselben entsprechend, die Schwellung und Rötung
der Haut in der Gelenkgegend und großen Zehe, welche sich über
einen mehr weniger großen Teil des Fußes ausbreiten können, als
trophoneurotisch aufzufassen sein, ebenso wie die Entzündung
und Exsudatbildung im Gelenk selbst; dieHauptsache und das
Primäre wäre eine Affektion der Zehennerven. Dr
Die seröse Ausschwitzung in Weichteile und Gelenk könnte
dazu dienen, überschüssige Harnsäure aus dem Blute zu entfernen,
welche später entweder resorbiert oder im Gelenkknorpel, Bändern,
Periost, Sehnenscheiden abgelagert wird, da diese Bindesub-
stanzen ihrer Natur nach eine Anziehungstendenz für
Salze!) haben.
Aus der Inneren Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Berlin.
(Dirigierender Arzt Dr. Dorendorf.) -
Ueber Melubrin
von |
Dr. H. Treber, Assistenzarzt.
Zu Versuchszwecken zur Verfügung gestelltes Melubrin wurde
während mehrerer Monate auf der Inneren Abteilung des Kranken-
hauses Bethanien verwendet. Vorwiegend kam es bei akutem
Gelenkrheumatismus zur Anwendung. Wir gaben bei Polyarthritis
acuta, je nach der Schwere der Erkrankung, unter Berücksichtigung
der Konstitution und des Alters des Patienten 3 bis 8 g Melu-
brin am Tag in Einzeldosen von 1 g. Dabei übten wir die Praxis,
dem Kranken möglichst rasch große Dosen einzuverleiben. Mit
dem Sinken des Fiebers, dem Nachlassen der Gelenkschwellung
und der Schmerzen gingen wir mit der Tagesdosis des Medika-
ments zurück, gaben es aber nach dem Schwinden aller Krank-
heitssymptome in kleinen Tagesdosen von 1 bis 2 g wenigstens
noch eine Woche lang.
Der antipyretische Effekt des Mittels trat fast in allen be-
handelten Fällen prompt zutage. Sinken der Temperatur um 2 bis
3 Grad am ersten Behandlungstage haben wir oft beobachtet. Der
Temperaturabfall erfolgte unter mehr oder weniger starkem Schweiße,
der übrigens nur selten so stark war, daß die Kranken durch ih
. erheblich belästigt wurden. |
Auch bei sehr starkem Temperatursturz beobachteten wir
niemals bedenkliche Erscheinungen von seiten des Circulations-
apparats.
Die schmerzstillende Wirkung des Medikaments war meist
gut. Dagegen gewannen wir den Eindruck, daß die Gelenk-
schwellungen beim Gebrauche von Melubrin nicht so rasch zurück-
gingen, wie wir es bei Benutzung von Acidum salicylicum, Natrium
salicylicum und Acidum acetylosalicylicum zu sehen gewohnt waren.
In einer kleinen Reihe akuter Polyarthritiden wurde in zwei
bis drei Tagen ein Schwinden aller Krankheitssymptome erreicht.
Diesen günstigsten Erfolgen steht eine größere Reihe von
Fällen gegenüber, bei denen während der Behandlung mit Melubrin
das Auftreten neuer Schübe beobachtet wurde. Die zuerst be-
fallenen Gelenke wurden ganz oder nahezu frei, andere, bisher freie,
wurden befallen, sodaß eine länger dauernde Behandlung mit
mittleren und größeren Gaben von Melubrin notwendig war, um
schließlich nach 14 und mehr Tagen eine vollständige Beseitigung
der Krankheitserscheinungen zu erreichen.
Bei einer dritten Gruppe von Fällen versagte das Mittel.
Am seltensten (nur zweimal) blieb die antipyretische Wirkung
aus, häufiger die schmerzlindernde, verhältnismäßig am häufigsten
blieben die Gelenkschwellungen durch das Mittel ganz oder un-
‚) ef. Arth, Adler. Zum Verständnis einiger gichtischer Er-
scheinungen. D. med. Woch. 1901, Nr. 6; a mes y
1833
ta -cY
p ERREESOE NE RT
z p
1834
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK
Nr. 45.
0; November,
genügend beeinflußt. Einige dieser letzterwähnten Fälle wurden
dann in kurzer Zeit durch Salicylpräparate geheilt, die Mehrzahl
erst nach längere Zeit hindurch fortgesetztem Gebrauch dieses
Mittels, unter gleichzeitiger Anwendung von Schwitzprozeduren.
Rückfälle des Gelenkrheumatismus sahen wir bei genügend
lange. fortgesetztem Gebrauche des Melubrins etwa ebenso häufig,
wie beim Gebrauche von Salicyl. BHerzaffektionen waren bei den
mit Melubrin behandelten Rheumatikern ebenso häufig, wie
bei den mit Salicyl behandelten. Ungünstige Wirkungen auf das
Herz sahen wir bei bestehenden Karditiden von der Anwendung
des Melubrins nicht. Nierenentzündungen traten während des Ge-
brauchs von Melubrin niemals auf. Zweimal sahen wir bei Poly-
arthritiskranken, die mit Albuminurie und Cylindrurie eintraten,
-die Nephritissymptome während des Gebrauchs des Melubrins ver-
schwinden.
Bei chronischem Gelenkrheumatismus war die Besserung der
Funktion der Gelenke wohl mehr auf Rechnung der gleichzeitig
verwandten hydrotherapeutischen und mechanischen Prozeduren zu
setzen als auf die Wirkung des Melubrins. Doch hatten wir den
Eindruck, daß auch bei diesen Kranken das Melubrin eine schmerz-
stillende Wirkung ausübte; mit dem Aussetzen des Mittels wurden
angeblich auch die Schmerzen wieder stärker.
Von der schmerzstillenden Wirkung des Melubrins haben wir
auch bei Ischias mehrfach mit gutem Erfolge Gebrauch gemacht.
Auch bei den lanzinierenden Schmerzen der Tabiker war die
schmerzstillende Wirkung des Melubrins in einigen Fällen ganz
eklatant. Eine Einzeldosis von 1 bis 2 g genügte, um einen guten
Erfolg zu erzielen. i
Bei Arthritis urica versuchten wir das Mittel während des
akuten Anfalls zweimal, einmal mit recht befriedigendem Erfolge.
Der Kranke wurde nach dreitägigem Gebrauche von mittleren
Dosen Melubrins bei purinfreier Kost fieber- und schmerzfrei, und
die recht erheblichen akuten Entzündungserscheinungen waren bei
Weitergebrauch von täglich 2 g Melubrin nach acht Tagen voll-
kommen verschwunden. Bei einem andern Kranken, dem wir
Melubrin im akuten Gichtanfalle gaben, leistete es nichts.
Von der antipyretischen Wirkung des Melubrins haben wir
bei Lungenschwindsucht mit hektischem Fieber wiederholt von
4 bis 6 Einzeldosen von 0,25 g am Tage mit befriedigendem Er-
folge Gebrauch gemacht. Die überwiegende Mehrzahl der Kranken
nahm das Melubrin ohne jede Belästigung. Kranke, die vor der
Einlieferung in das Krankenhaus mit Salicylpräparaten behandelt
worden waren und unter deren. Nebenwirkungen erheblich gelitten
hatten, rühmten die gute Bekömmlichkeit des Melubrins. Ganz
frei von ungünstigen Nebenwirkungen ist das Melubrin indessen
nicht. Wir haben in letzter Zeit vier Kranke gleichzeitig auf der
Abteilung gehabt, die, nachdem sie das Mittel einen beziehungs-
weise zwei Tage ohne Belästigung in größeren Dosen genommen
hatten, am zweiten beziehungsweise dritten Tag erklärten, daß
es ihnen unmöglich sei, das Medikament weiter zu nehmen. Sie
empfanden die heftigste Uebelkeit und Magenbeschwerden nach dem
Einnehmen des Mittels; ein Kranker bekam Erbrechen und Durch-
fälle, die sofort nach dem Aussetzen des Mittels aufhörten.
„Aspirin löslich“ wurde von diesen Patienten ohne Beschwerden
vertragen. Als nach drei Tagen zwei von diesen Kranken wieder
1 g Melubrin in Oblate gegeben wurde, traten sofort wieder
Uebelkeit und Magenschmerzen auf. Immerhin sind derartige
Nebenwirkungen des Melubrins recht selten. Wir hatten über
2 kg des Medikaments verbraucht, ohne eine ungünstige Neben-
wirkung zu sehen, bis dann nahezu gleichzeitig bei 40 Kranken
— auf verschiedenen Krankensälen — die erwähnten Neben-
wirkungen des Mittels zutage. traten. “7 A
Zusammenfassend können wir sagen, daß das Melubrin: ein
gutes Antipyreticum ist, das als Antirheumaticum in seiner Wirkung
die der Salicylpräparate zwar nicht erreicht, aber ihr doch nahe
kommt. Bei seiner meist guten Bekömmlichkeit ist -əs als eine
Bereicherung des Arzneischatzes anzusehen, und kann besonders in
Fällen, in denen das Salieyl nicht vertragen wird, zur Anwendung
bei akutem Gelenkrheumatismus empfoblen werden.
Literatur: 1. M. med. Woch. 1912, Nr. 9, 10, 11. —'2: Med. RL 191
Nr. 16. — 3. Th. d. G., H. 5. — 4. Berl. kl. Woch, 1912, Nr. 2,
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik in Halle a. S.
(Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Veit.)
Noviform in der Gynäkologie
von
Dr. A. 1. M. Lamers, I. Assistenzarzt.
Wir haben das von der Firma von Heyden, Radebeul, uns
zu Versuchen zugeschickte Noviform, das ein äußerst feines, bell-
gelbes, geruchloses Pulver ist, seit. fast sechs Monaten auf- der
gynäkologischen Station im Gebrauch. Beim Verbandwechsel nach
Laparotomien (wir gebrauchen nur einen leichten Verband aus
steriler Gaze, seitlich mit Collodium angeklebt) und nach Entter-
nung der Fäden werden die Wunden mit Noviform bestreut. Sie
bleiben trocken und reaktionslos, das Noviform bleibt pulverisiert
und bildet keinen Schorf, der eventuell Sekretion aus einem Stich-
kanale verhindern würde. Im Gegenteil; Wundsekret wird sofort
resorbiert. Die Verbände kleben nicht fest, wodurch den Patienten
bei der Entfernung derselben unnötiger Schmerz erspart wird. Bei
einzelnen, schwer aseptisch zu haltenden primären Wunden, wie
z. B. bei einer Exstirpation eines Vulvacareinoms mit Ausräumung
der Leistendrüsen, haben wir das Noviform ebenfalls verwendet
und waren recht zufrieden. Die Wunden heilten bis auf. die
Stellen, an denen die Drains gelegen hatten, primär, secernierten
gar nicht, der größte Teil der Fäden konnte am zehnten Tag ent-
fernt werden, und es haben sich glatte, lineäre Narben gebildet.
Der Erfolg war bedeutend besser wie bisher mit 50°%/,igen Alkohol-
verbänden. Gerade in ähnlichen Fällen scheint uns das Noviform
besser anwendbar zu sein wie z. B. das Dermatol. Man kann an den
der Infektion so leicht zugänglichen Stellen unter Umständen unter
dem Noviform die Fäden länger liegen lassen, ohne die Ge-
fahr einer Infektion der Stichkanäle so sehr befürchten zu müssen.
Nach Dammplastiken in der Geburtshilfe und Gynäkologie scheint
mir der Versuch der Noviformbehandlung empfehlenswert. Ueber
Nabelbehandiung der Neugeborenen mit Noviform habe ich keine
eigne Erfahrung. Auch bei Intertrigo leistete uns das Noviforn
gute Dienste. Durch die austrocknende und desinfizierende Wirkung
sahen wir ihn oft auffallend rasch verschwinden. Sowohl bei
großer Fettleibigkeit, starkem Ausfluß, Prolaps usw. wie bei Blasen-
scheidenfisteln und dergleichen wurde die bald einsetzende Linde-
rung der subjektiven Beschwerden von den Patienten dankbar
empfunden. |
Das Noviform kann wegen seiner besondern Vorzüge, 18
mentlich der austrocknenden Wirkung, Geruch- und Reizlosigkelt,
ein das Jodoform überragendes Mittel genannt werden, ohne dessen
Nachteile zu besitzen.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus der U. inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Friedrich-
stadt zu Dresden (dirig. Arzt: Prof. Rostoski, Prof. Arnsperger).
Zur Verwendung der Wassermannschen Reaktion
in der inneren Medizin
von
Dr. Ernst Steinitz, Berlin,
früher Oberarzt der Abteilung.
Bei der Fülle der Wassermann-Literatur teilen wir mit
möglichst wenig Begleitworten die folgenden Untersuchungsresultate
mit!), Sie liefern statistisches Material für die Reaktion und
t) Die Untersuchungen sind im Frühjahr 1911 abgeschlossen, konnten
aber aus äußeren Gründen erst jetzt mitgeteilt werden.
einen Vergleich zwischen drei beziehungsweise vier Methoden ihrer
Ausführung. Besonders möchten wir auf Grund unserer A
gebnisse aufs neue darauf hinweisen, daß gerade auf dem Gebiete
der inneren Krankheiten die Reaktion unter Beobachtung subtil-
ster Technik und ausgedehnterer Verwendung mancher methodi-
schen Verfeinerungen auszuführen ist, weil gerade hier einerseits
häufig schwache Reaktionen der Lüuesfälle, anderseits unspeeifischs
Hemmungen in Frage kommen. |
Unsere Fälle verteilen sich auf fast alle inneren Erkral-
kungen außer Masern und Scharlach, ferner wurden Seren YO
Patienten der dermatologischen Abteilung zum Vergleich mit-
untersucht, Die Diagnose konnte zum größten Teil auf Gron
von Anamnese, früherer Beobachtung, vun klinischem oder Sektions-
befund sicher festgestellt werden. Besonderen Wert haben wi
darauf gelegt, auch auf Lues nicht verdächtige Sera und eben
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. | 1835
ehem F808
die Spinalflüssigkeiten Syphilitischer
möglichst großer Zahl zu prüfen.
454 Sera wurden zugleich nach der Originalmethode, mög-
sowie nach den Methoden von Stern
und von Hecht, also im aktiven Zustande, mit oder ohne Hinzu-
fügung eines künstlichen hämolytischen Amboceptors, untersucht:
etwas über 100 Sera außerdem nach der Methode von v. Dungern
lichst mit drei Extrakten,
und Hirschfeld, worüber an anderer Stelle näher berichtet ist 1).
— Die Zahl der untersuchten Spinalflüssigkeiten betrug 57. Die
Prüfung erfolgte nur nach der Originalmethode — die modifizierte
Sternsche oder Hechtsche Methode unter Komplettierung durch
sich uns als unzuverlässig —
menschliches Normalserum erwies
und zwar mit Mengen von 0,1 bis 0,4 oder 0,2 und 0,4 (auf 1/2 cem
berechnet). i
Die Resultate waren:
Ge- Zwei-
samt- + — fel-
zahl haft
Sera. |
I. Nicht verdächtig auf Lues . . . 203 1 (0,5%) |198 (97,5%)| 4
IL Fragliche Fälle... . .... 62 10 (16 ,„) | 40 2
Ill. Luetische und postluetische Er-
rankungen . 2 2 2 2 2%. 189 | 137 (725 „) | 27 25
avon:
dermatologische Fälle . . . . 125 | 100 (80 „ 10 15
internistische Fälle . . . . . 64 37 (68 „ 17 10
‘ (Im I»tzten Jahre nicht behandelt 126 | 104 (82 „ 13 9)
Im einzelnen:
Sichere Tabes . . . 22... 14 6 (43 „) 4 4
Sichere Paralyse . . . ... 3 3 (100 "|
Sichere Lues cerebri. . . . . 7 5 (70 „ zZ
Fragl:che „ re ne S 5 l 2 3
Aortenerkrankungen:
Sicher luetisch . . . . . . 8 4 (60 „) 8 1
Fraglich . . . 2 2 2 2... 1
Wahrscheinlich nicht Juetisch . 3 3
Spinalflüssigkeiten.
a) Nicht verdächtig auf Lues . . . 27 26 1
b) Lues ohne Erscheinungen vom
Centralnervensystem . . . . . 5 5 (100 %,)
c) Fragliche Fälle. . , . 2... 7 2 4 1
d) Luetische und postluetische Er-
rankungen des ('entralinerven-
Systems . rn 18 12 (66,9%)! 2 4
avon:
Sichere Tabes . ...... 12 T 2 © B
Sichere Paralyse . ..... 2 1 : 1
Sichere Lues cerebri. . . . . 4 4 |
Nur ein nicht auf Lues verdächtiger Fall (siehe Tabelle
unter I) ergab positive Reaktion, und zwar komplette Hemmung
nach Wassermann, Stern und Hecht. Es handelte sich um
eine letal verlaufene Anthrakose der Lunge mit Bronchialstenose
und schwersten Circulationsstörungen, zirka zehn Tage ante exitum.
Anamnese und Sektionsbefund und boten keinerlei Anhaltspunkte
für Lues. Ich möchte hier nicht zu der Annahme greifen, daß
doch eine konstitutionelle Lues vorlag, sondern an eine unspecifische
Hemmung glauben, besonders weil wir in ähnlichen Fällen mit
schweren Cireulationsstörungen zwar nie glatt positiven Ausfall
wie hier, aber doch vereinzelt partielle Hemmungen, oder voll-
ständige Hemmung im aktiven Versuch, beobachtet haben (z. B.
G., Lebereirrhose mit starken Stauungen, Sektion ohne Befund für
Lues: Wassermann geringe Hemmung, Stern und Hecht +. Pr.,
Theumatische Mitral- und Aorteninsuffizienz, Kyphoskoliose: Wasser-
mann —, Stern und Hecht zweifelhaft). Zweifelhaft war der Aus-
fall sonst noch in zwei Fällen vorgeschrittener, nicht fieberhafter
Tuberkulose, ganz leichte Hemmungen fanden sich in einem er-
heblichen Prozentsatze (11 von 35) bei Arteriosklerose, etwas weniger
häufig bei Lungentuberkulose, in ganz geringem Grade bei Pneu-
monie, Diabetes,
Bei mehreren Fällen von Ikterus konnten wir unspeecifische
Hemmung nicht beobachten, die in der Literatur erwähnt wird,
und es gelang ung ebensowenig, solche durch Zusatz von Rinder-
oder Menschengalle in den verschiedensten Konzentrationen zum
Serum zu erzielen. In einem Falle von Ikterus mit seit 30 Jahren
latenter Lues erhielten wir lange nach Verschwinden des Ikterus
ebenso stark positive Reaktion wie während seines Bestehens. —
as stark ikterische Serum einer akuten gelben Leberatrophie
is unspecifische Hämolyse (auch ohne Zufügung von Amboceptor)
ervor.
Von den negativen und zweifelhaften Ausfällen bei sicherer
Lues (siehe Tabelle unter II) waren die dermatologischen fast
obne Ausnahme nachweislich in der letzten Zeit behandelt oder
seit Jahrzehnten latent. Von den internistischen Fällen gilt das
1) M. med. Woch. 1910, Nr. 47.
und Nichtsyphilitischer in gleiche nur von einem Drittel. — In den drei Fällen von Aorten-
lues mit negativer Reaktion handelt es sich um kachektische Per-
sonen mit schwerer Myodegeneratio cordis. Eine davon hatte in
besseren Zeiten positiv reagiert.
Bemerkenswert ist, daß mehrere Fälle seit J ahrzehnten
latenter Lues stark positiv reagierten. Das mahnt zur Vorsicht
bei der Verwertung des Reaktionsausfalls für Prognose und Therapie,
Unter den Spinalflüssigkriten ergab ein Fall von tuber-
kulöser Meningitis zweifelhafte Reaktion (siehe a).
Von einiger Bedeutung und meines Wissens von anderer
Seite noch nicht hervorgehoben!) ist folgendes Ergebnis: bei Lues
ohne Beteiligung des Centralnervensystems fällt der Wassermann,
wenn auch im Blute positiv, in der S pinalllüssigkeit absolut negativ
aus, während er bei luetischen und postluetischen Erkrankungen
des Centralnervensystems in Spinalflüssigkeit und Blutserum fast
in allen Fällen übereinstimmt. Die serologische Prüfung hat
also hier eine Bedeutung für die Diagnose der Organ-
erkrankung, nicht nur der Lues überhaupt.
Durch die von der Nonneschen Abteilung zuerst empfohlene
Verwendung größerer Mengen Spinalflüssigkeit wurden die posi-
tiven Ausfälle bei Tabes um fünf, bei Lues cerebri um zwei ver-
mehrt. Es handelt sich also um eine wesentliche Verbesserung.
Die Originalmethode und die Methoden von Stern und
Hecht ergaben vollkommen übereinstimmende Resultate in 383
von 454 Fällen, also in 84.0), Entgegengesetzte Resultate, nämlich
Wassermann —, Stern und Hecht + fanden sich nur viermal;
davon waren drei unmittelbar vorher behandelte Fälle von Lues,
bei denen es also auf eine Diagnose nicht ankam, der vierte war
ein schon vorher erwähnter Fall mit schweren Cireulationsstörun-
gen ohne Anhaltspunkte für Lues. Die Öriginalmethode ist danach
am zuverlässigsten und könnte sogar als für sich allein ausreichend
erscheinen. Aber in einer größeren Zahl von Fällen ergab sich
zwar kein entgegengesetztes Resultat, aber doch wesentliche Unter-
schiede, indem die Reaktion nach der einen Methode zweifelhaft,
nach der andern positiv oder negativ ausfiel. Unter diesen erweist
sich nun in einer ganzen Anzahl die Prüfung des aktiven Serums als
die schärfere. Außerdem gibt einem zweifelhaften Ausfall schon
die Bestätigung durch eine zweite Methode größeren diagnostischen
Wert. So wird durch die gleichzeitige Verwendung beider
Methoden häufig ein Verdacht auf Lues bestärkt, in manchen
Fällen fast sicher bestätigt. Auf eine falsche Fährte wird man
dabei nur in etwa ebenso seltenen Ausnahmefällen geführt wie
durch unspeecifische Hemmungen bei der Originalmethode.
Die folgende Tabelle gibt eine vergleichende Uebersicht über
die Ergebnisse der drei Methoden für sich und der Gesamtresultate.
Gesamtresultat + wurde notiert, wenn mindestens Wassermann
glatt + oder die beiden andern Methoden glatt + und Wasser-
mann zweifelhaft positiv ausfiel oder alle drei Methoden überein-
stimmend fast glatt positiv. Als negativ wurde das Gesamt-
resultat auch bezeichnet, wenn eine der aktiven Methoden +, die
andern negativ ausfielen. Allen andern, nicht eindeutigen Ergeb-
nissen entspricht das Gesamtresultat zweifelhaft.
Wasser-
mann
Gesamt-
| Stern | ‚ Hecht resultat
I. Nicht verdächtig auf | |
Lues 203,
Davon: positiv
1 (0,5°
negativ YA
1 2 2
188 (97,5%) i- (94%) | 184 (90,59)
6
198 (97,5
zweifelhaft i 4
i ohne Resultat 5 11
II. Fragliche Fälle 62,
Davon: positiv 8 12 11 10
Degativ 40 85 33 40
zweifelhaft 14 12 12 12
ohne Resultat 3 6
111, Luetische u postlueti-
a Erkrankungen
Davon : positiv
118 (62% 122 (65%, 121 (64%, 137 (72,50%)
negativ 34 3 32 (659%) 33 Be 27 er
zweifelhaft 37 81° 29 25
ohne Resultat 4 6
Im letzten Jahre nicht
behandelt 126,
Davon: positiv 90 (71%)
negativ 17
zweifelhaft 19 17 17
ohne Resultat | 3 8
Ein Teil der differierenden Resultate betraf, wie die Tabelle
91 (729 91 (72% 104 (82 /,)
5 (72 %/,) 15 (72%) is (82 %/,
zeigt, in der letzten Zeit behandelte Luetiker, bei denen es auf
1) Inzwischen hat Stertz auf dieses Verhalten aufmerksam ge-
macht. (Siehe Med. Kl. 1912, H. 4, S. 136 unter IV.) — Ferner vgl.
Bergl, Jahresvers. d. dtsch. Vereine f. Psychiatrie 1912.
zus
er u en
u Hi
«
E a
r, _
aa
1836
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November,
eine Diagnose selten ankommt. Aber auch unter den übrigen
Fällen finden sich noch 16 anderweitig sicher als Lues erwiesene,
bei denen durch die gleichzeitige Verwendung der aktiven Me-
thoden neben der Originalmethode die Diagnose “gefördert wurde,
das ist in 6,4%, aller Untersuchungen, bei denen Lues überhaupt
in Frage kam. Und zwar waren es zum Teil gerade die Fälle
internistischer Lues oder Metalues, in denen die klinische Diagnose
schwierig war. Die Prüfung des aktiven Serums zeigte sich also
in einem erheblichen Prozentsatz als diagnostisch wertvoll.
Ein fälschlicherweise positives, vom Wassermann abweichen-
des Resultat ergaben Stern und Hecht nur in dem einen mehr-
fach erwähnten Falle, also in 0,20%), aller Untersuchungen. Die
Abteilung verfügt noch über einige hundert weitere Reaktionen
nach Stern und Hecht, bei denen wir nie Anlaß hatten, ein
falsches positives Resultat zu vermuten; allerdings fehlte die Kon-
trolle durch die Originalmethode, weshalb ich auch von der Auf-
nahme dieser Fälle in meine Zusammenstellung abgesehen habe.
Die Reaktion nach Hecht fiel nur in ganz vereinzelten
Fällen schärfer aus als nach Stern. Von ihrer Verwendung kann
man daher ohne Schaden absehen, zumal sie häufiger (in 5%) —
infolge Komplement- oder Amboceptormangels — ohne Resultat
blieb als die nach Stern (in 3%) — infolge Komplementmangels
Der schärfere Ausfall der Reaktion mit aktivem Serum ist nicht,
wie manche meinten, durch geringere Menge des wirksamen Komplements
zu erklären, da nach Feststellungen von Margarete Stern das im
frischen menschlichen Serum vorhandene Komplement in der Regel der bei
der Originalmethode verwandten Dosis mindestens gleichkommt. Daß es
sich vielmehr um eine mehr weniger starke Schädigung des syphilitischen
Reaktionskörpers durch die Inaktivierung handelt, ist uns sehr wahr-
scheinlich nach Versuchen mit einer Reihe von Spinalflüssigkeiten, die ja
auch frisch kein Komplement enthalten; wir prüften diese mit und ohne
vorhergehendes Erhitzen auf 550 und bekamen dabei teilweise eine Ab-
schwächung der Reaktion durch die Erwärmung, z. B.:
0,1 0,2 0,3 0,4
R, Lues cerebri, frisch Kuppe Hemmung Hemmung Hemmung
lj Std. auf 55° erhitzt Lösung gr. Kuppe E u
Ein großer Vorteil der Verwendung mehrerer Methoden ist
noch die Verschiedenheit der Fehlerquellen für dieselben,
wodurch ein Versagen des einen oder andern Faktors der Reaktion
leichter erkannt wird und die Resultate allgemein an Sicher-
heit gewinnen.
Die Dungern - Hirschfeldsche Reaktion habe ich nach
meiner früheren Mitteilung noch weiter mit gleich gutem Erfolge
angewandt, habe aber gesehen, daß das von der Fabrik gelieferte
Komplement und der Amboceptor nicht immer wochenlang unver-
ändert bleiben und ferner, daß serologisch nicht geschulte Prak-
tiker mit der Methode nicht sicher genug arbeiten. Ich bezweifle
daher mehr als früher, daß die Reaktion für den praktischen Arzt
geeignet ist, obwohl sie in der Hand des serologisch Geschulten
Zuverlässiges leistet.
Für diejenigen, welche die Wassermannsche Reaktion selbst aus-
führen, füge ich folgendes über die Technik bei:
1. Antigen. Die besten Erfahrungen machten wir mit alkoholischem
Extrakt aus luetischer Fötalleber, verwandten aber gewöhnlich daneben
einen wäßrigen Fötalleber- und einen alkoholischen Extrakt aus Meer-
schweinchen-Herzmuskel. Einer der drei Extrakte wurde immer in zwei
oder drei Konzentrationen angesetzt; wenn Wechsel nötig war, wurde
nur einer auf einmal gewechselt. — Für die Modifikation von
Stern und Hecht muß der Extrakt ebenso wie für die Original-
methode gesondert ausprobiert und ständig kontrolliert
werden. Man darf also, wenn man die Untersuchung durch Verwendung
einer aktiren Methode verfeinern will, die letztere nicht, wie dies vielfach
geschieht, nur in zweifelhaften Fällen anwenden, sondern muß sie
regelmäßig mit ansetzen. Wie nötig eine solche Kontrolle ist,
zeigte ein Extrakt, der für Wassermann und Stern gut brauchbar war,
aber beim Versuch nach Hecht mit einem Teil der nichtluetischen Sera
komplett hemmte. Gewöhnlich war für den aktiven Versuch !/4 der für
Wassermann angewandten Dosis am brauchbarsten. Beim Ausprobieren
der Extrakte sahen wir bei Verwendung stark positiver Sera zuweilen
Hemmung nach Stern und Hecht noch bei fast homdopathischen Ver-
dünnungen, wenn dieselben allmählich (immer auf die Hälfte) hergestellt
wurden, bis t/s oder bis zur Extraktdosis 0,0008 (auf 1/3 ccm) `
9. Sera. Die Inaktivierung geschah 30 Minuten bei genau 55 bis
56° im selbstregulierenden Wasserbade. Stärkere oder längerdäuernde
Erhitzung kann das Resultat beeinträchtigen.. — Bei Versuchen mit ver-
schiedenen Serammengen erzielten wir bei der Originalmethode zuweilen
noch Hemmungen bis zu !/ıso Verdünnung oder 0,0032 Serum. Bei der
Wirksamkeit solch geringer Dosen ist man sehr versucht, an katalytische
oder fermentative Wirkungen zu denken. Br
3. Komplement. /ıo Verdünnung. Da wir selten mehr als zehn
Sera auf einmal zu untersuchen hatten, wäre für uns jedesmalige Tötung
eines Meerschweinchens zu kostspielig gewesen. Ich machte -daher in
' Aethernarkose (Narkosenäther!) au der Innenseite des Unterkiefers einen
Einschuitt. Man findet dort rasch eine größere Arterie, aus der man
5—10 ccm Blut entnehmen kann. Klemme, Abbindung, Hautnaht. Ein
Meerschweinchen von zirka 250 g lieferte uns auf diese Weise zwei- bis
dreimal in Abständen von etwa zehn Tagen Komplement. Ich glaube,
daß wir jedes Tier noch häufiger hätten verwenden können, wenn uns
nicht infolge ungünstiger Stallverhältnisse immer ein Teil der benutzten
wie der noch nicht benutzten Tiere eingegangen wäre. Eine Beeinträch-
tigung des Komplements durch die Aethernarkose oder durch die mehr-
fache Blutentziehung haben wir nie bemerkt. — Wir haben mehrfach
nach dem Vorschlag von Jacobsthal versucht, die erste Phase der
Reaktion, also die Komplementbindung ganz oder teilweise im Eisschrank
oder auch bei Zimmertemperatur vor sich gehen zu lassen. Darunter leidet
jedoch die Zuverlässigkeit; zuweilen erzielt man schärferen Ausfall, ein
andermal Fehlresultate. — Mit geringeren Komplementmengen hatten wir
weniger gute Ergebnisse. |
4 Amboceptor. Den hämolylischen Vorversuch empfehlen wir
dringend vor jedem Hauptversuch anzustellen. Man ist ohne ihn über
die Stärke des jeweiligen Komplements und die Resistenz der jeweiligen
Hammelblatkörperchen — Faktoren, die erheblich schwanken können —
unorientiert und außerstande, das hämolytische System genau einzustellen.
Wir verbinden mit diesem Vorversuche die Kontrolle auf selbstlösende
Eigenschaften der verwandten physiologischen Kochsalzlösung, des Ambo-
ceptors und des Komplements. Wir haben dann folgende Röhrchen
(Amboceptortiter in diesem Beispiel zirka 1: 1600):
I aa | ar
| '
Amboceptor . ...,.. Yo 0,5 | Yeot 05 | Hiao 0,511 oBia o) —
Physiologische Kochsalz- 100 But 110 Vs hioo ’ faxo N
lösung . . x» 2» 2... 2,0 1,5 1,0 1,0 10 1,0 1,
Komplement . .... a E SS = =
} aa 0,5] aa0,b | 2aa05| aa0d! aa0ö
50,,ige Hammelblut- . =
körperchen . . .. . 05 | 05,
Wir stellten jede Amboceptorverdünnung aus der vorhergehenden
her, nicht zwei Reihen. Die Rechnung wird dadurch freilich komplizierter,
aber wir erhielten stets ein regelmäßiges Schwächerwerden der Hämolyse
in der Reihe — Unregelmäßigkeiten, die als Neißer-Wexbergsches
Phänomen erklärt werden, sahen wir nie. Die Genauigkeit der Ambo-
ceptordosierung kann man noch dadurch erhöhen, daß man ihn von vorn-
herein statt auf 0,5 auf 1,5 ccm verdünnt, also z B. im Röhrchen 2
statt 0,5 !/soo, 1,5 Yıaoo usw., sodaß die Auffüllung mit 1,0 Kochsalz-
lösung auf die Gesamtmenge von 2,5 schon vorweggenommen ist. Ferner
erhöht man die Genauigkeit dadurch, daß man Komplement und Blut-
körperchenaufschwemmung in der Gesamtmenge für die Röhrchen 3 bis
7 mischt und dann verteilt. — Solche genaue Ausprobierung trägt
wesentlich zu guten Resultaten im Hauptversuche bei. Aber trotz allem
gelingt es nie, das hämolytische System das eine Mal ganz gleich wie
das andere Mal einzustellen, und daran scheitert auch jede genauere
quantitative Ausführung der Reaktion. Wir haben vergebens
in dieser Richtung ausgedehnte Versuche mit wechselnden
Extrakt- oder Serummengen angestellt.
Zur Verwendung im Hauptversuche kam die 2'/afache komplett
lösende Dosis. — Auch für „Stern“ wählten wir etwa die gleiche Dosis.
In Parallelreiien mit verschiedener Amboceptormenge hatte sich diese
niedrige Dosis am besten bewährt. |
5. Hammelblutkörperchen. Die Hammelblutkörperchen sind ein
durchaus schwankender Faktor. Wir haben vergeblich versucht, einen
sicheren Indikator für die Herstellung der richtigen Verdünnung, IM
Hämoglobingehalt oder dergleichen zu finden. Die Resistenz der Blut-
körperchen ist wechselnd und darüber kann man sich nur durch genaue
Anstellung des hämolytischen Vorversuchs orientieren. Die Korrektur
erfolgt dann durch die Wahl der Amboceptordosis. Wenn die Resistenz
der Blutkörperchen sich dabei als abnorm hoch oder niedrig erwies,
haben wir manchmal auch die Konzentration der Aufschwemmung go-
ändert und einen zweiten hämolytischen Vorversuch damit angeste t.
In seltenen Fällen ist das zur Erzielung eines guten 5o-
sultats nötig, aber natürlich ist es etwas umständlich und zeitraubend.
— Amboceptor und Blutkörperchen wurden meist vor dem Zusatze 8%
mischt und eine Weile im Brutschranke gehalten.
Die Ablesung im Hauptversuch erfolgte zum ersten Male nach
zirka ®/sstündigem Stehen im Brutschranke, wenn alle Kontrollen on
Extrakt und das normale Vergleichsserum bereits einige Zeit gelös
waren; dann kamen die Röhrchen in den Eisschrank, und es wurde na
Aufbewahrung darin über Nacht zum zweitenmal abgelesen. Als kom-
plett gehemmt wurden nur die Röhrchen angesehen, in denen bei der
As Ablesung die überstehende Flüssigkeit von jeder Rotfärbung
rei war.
= Kontrollen auf selbstlösende oder selbsthemmende Eigenschaften
der Extrakte wurden regelmäßig mit angesetzt, und zwar mit der ei
fachen und der doppelten Dosis. — Die Kontrolle auf lösende Eigen
schaften halten wir freilich für ziemlich überflüssig, wenn man, lm
es stets taten, regelmäßig ein sicher luetisches und ein sicher normale
Serum zur Kontrolle mit ansetzt. Extrakte, die für sich etwas JöseD,
sind trotzdem oft gut brauchbar — Bei der Prüfung auf Selbsthemmme
ist die mit der einfachen Dosis am wichtigsten, weil bei der dopp®
häufiger lösende Eigenschaften ins Spiel kommen.
10. N ovember. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1837
Schlußfolgerungen.
1. Zur vollen Ausnutzung der Wassermannschen
Reaktion für die innere Medizin ist die Prüfung der
Sera im inaktiven und aktiven Zustande nötig. Neben der
Originalmethode empfehlen wir daher die Anwendung der Modi-
fikation von Margarete Stern. — Der Extrakt ist für die
letztere besonders auszuprobieren und die Methode nicht nur bei
zweifelhaften Fällen, sondern regelmäßig mit zu verwenden, um
auf diese Weise den Extrakt beständig zu kontrollieren.
2. Teilweise Hemmungen sind stets mit Vorsicht: zu ver-
werten. Desgleichen vollständige Hemmungen bei schweren
Krankheitszuständen mit starken Stauungserscheinungen; mit
einiger Reserve auch bei Arteriosklerose, schwerer Tuberkulose,
Pneumonie, Diabetes, Ikterus (?), bei denen unspeeifische partielle
Hemmungen öfter vorkommen. — Die diagnostische Bedeutung
der Reaktion wird dadurch nicht beeinträchtigt; nur muß man
sich daran gewöhnen, sie ebenso wie andere diagnostische Me-
thoden (Widal!) nicht als für sich allein maßgebend, sondern im
Zusammenhange mit dem klinischen Befunde zu verwerten.
3. Bei schwer Kachektischen hat die Wassermannsche
Reaktion keine Bedeutung, da sie in diesem Falle sowohl bei
Nichtluetischen positiv, wie auch bei Luetikern negativ aus-
fallen kann. E
4. Positive Wassermannsche Reaktion in der Spinalflüssig-
keit zeigt luetische oder postluetische Erkrankung des Central-
nervensystems an.
Herrn Professor Rostoski, der die Wassermannsche Re-
aktion im Laboratorium der Abteilung einführte, und Herrn Pro-
fessor Arnsperger danke ich auch an dieser Stelle sehr für
freundliche Unterstützung und Anregung bei diesen Untersuchungen,
Herrn Professor Werther bin ich für gütige Ueberlassung von
Material zu Dank verpflichtet.
Nachwort. Eine neuerdings erschienene Mitteilung von Mei-
rowsky!) zeigt, daß die viel diskutierte Frage der Technik noch durch-
aus im Flusse ist. Wir selbst sind nach anfänglichen vielfachen Ver-
suchen zu einer Technik gekommen, die uns befriedigende Resultate er-
gab, sowohl was Zuverlässigkeit als auch Zahl der positiven Ausfälle an-
langt. Ich setze unsere Technik neben die von Meirowsky be-
sprochenen Arten (auf ganze Kubikcentimeter berechnet):
| Frankfurt | Breslau (Meirowsky) | Eigne Technik
Serum . . . . 0,1 0,2 0,2
Extrakt 6fach verdünnt 4 bis Bfach verdünnt 10 ae Ar ver-
i n
Komplement. . 0,1 0,05 0,1
Amboceptor . . 4 bis fach lösende 2 respektive 3 fach 2!/,tach lösende
Dosis lösende Dosis Dosis
Wie Meirowsky sehr richtig ausführt, lassen sich möglichst viel
positive Resultate erzielen durch Verminderung der lösenden und Ver-
mehrung der hemmenden Faktoren. Nur birgt sich darin die Gefahr
fälschlich positiver Ausfälle. Im Kontrollröhrchen sind mit Ausnahme
des Extrakts alle Faktoren ebenfalls vorhanden. Für diese besteht also
eine gewisse Kontrolle, und es wird eine im Bestreben die Reaktion zu
verschärfen, falsch gewählte Dosierung derselben sich meist auch durch
Hemmung im Kontrollröhrchen erkennbar machen; fälschlich positive Re-
sultate sind daher von dieser Seite wenig zu befürchten Anders ver-
hält es sich bei zu hoher Dosierung des Extrakts. Wir haben daher,
wie aus obiger Nebeneinanderstellung ersichtlich. die lösenden Faktoren
ebenso wie Meirowsky niedrig gehalten — die größere Komplement-
menge wird durch den Amboceptor ausgeglichen — und auch die höhere
Serumdosis gewählt. Dagegen haben wir mit kleineren Extraktmengen
gearbeitet. — Schwach positive Sera gaben uns bei wiederholter Prüfung,
die wir allerdings nicht sehr oft ausführten, nie weit divergente Resultate.
Fälschlich positive Resultate waren sehr selten, die Zahl der positiven
Ausfälle bei Lues annähernd so groß wie bei Meirowsky.
Aus dem Bakteriologischen Institut der Universität in Budapest
(Direktor: Prof. Dr. Hugo Preisz).
Die Wirkung der Farbstoffe in Verbindung mit
| Giften und Arzneimitteln |
von
Dr. Josef Sellei.
In einer grundlegenden Arbeit über Chemotherapie?) sagt
Ehrlich, daß wir in der Organotherapie erst solche Stoffe auf-
finden müssen, welche zu gewissen Organen besonders verwandt
1) D. med. Woch. 1912, Nr. 27. | P
2) Ueber die Beziehung von chemischer Konstitution, Verteilung
und pharmakologischer Wirkung. 1898, ni e pipke S i
sind. Diese Stoffe können dann als Lastwagen benutzt werden,
um darauf die wirkenden Mittel dem betreffenden Organ zuführen
zu können. In den bekannten Versuchen Wassermanns und
seiner Mitarbeiter bei Mäusecareinom wurde ein Farbstoff, das
Eosin, gewählt, um das auf die Carcinomzelle wirkende Selen in
den Tumor zu bringen. Der Farbstoff diente also als Geleitmitte),
um das Selen in das Carcinom zu bringen. |
Bei meinen Versuchen ging ich nun von der Annahme aus,
daß die Chemotherapie verschiedener infektiöser Krankheiten auf
eine sichere Basis gebracht werden könnte, wenn man gewisse
Medikamente mit einem solchen Stoffe verbindet, wel-
cher eine Affinität zu dem betreffenden Krankheits-
erreger besitzt. Demzufolge müßte der gegen den Krankheits-
erreger „affine Stoff“ eigentlich die Rolle eines Vermittlers
zwischen Krankheitserreger und Medikament spielen und direkt
oder indirekt das wirkende chemische Mittel zum Locus morbi,
also dem Erreger, bringen. Die direkte Wirkung dachte ich so
zu erreichen, daß ich den „affinen Stoff“ mit dem chemischen
Mittel verbinde. Die indirekte Wirkung glaubte ich auf die Weise zu
erreichen, daß ich erst den „affinen Stoff“ einbringe, wodurch der
Locus morbi für den auf den Krankheitserreger deletär wirkenden
chemischen Stoff empfänglich wird. Während der Ausführung
dieser Versuche konnte ich nun folgende Beobachtungen machen.
Wenn man Kalium cuprum tartaricum (Merck) (die Kupfer-
salze wurden von Finkler und seinen Schülern [Gräfin v. Linden und
Andern] gegen Tuberkulose empfohlen und bei meinen Versuchen bei
Tuberkulose wurde Cu als chemisches Mittel [Medikament] und Tuberkulin
als der „affine Stoff“ [Transporteur] verwendet) in physiologischer Koch-
salzlösung auflöst und davon 1 bis 2 cg einem Meerschweinchen sub-
cutan einspritzt, so treten gewöhnlich nach der Injektion bei dem Tier, ent-
sprechend der angewendeten Cu-Lösung, kurze Zeit andauernde Zuckungen
auf. Während nun das mit 1 cg (auf 250 g Körpergewicht gerechnet) behandelte
Tier am Leben bleibt, geht das mit 1,5 cg behandelte gewöhnlich nach zwei
bis drei Tagen ein, das mit 2 cg behandelte verendet jedoch gewöhnlich
schon nach 24 Stunden. Wenn wir nun diese Cuprumlösung mit
Methylenblau (medicinale oder Methylenblau B. B.) mengen,!) und zwar
von einer 1%/oigen oder 1%/opigen Methylenblaulösung 0,20 bis 0,30 com
zu 1,5 cg Kupferlösung, also eine subletale Cu-Dosis geben und dieses
Gemisch subcutan injizieren, so können wir interessante Wahrnehmungen
machen. Der Konzentration der Methylenblaulösung entsprechend — je nach-
dem wir nämlich eine 1%/oige oder 1%/oige Farbstofflösung anwendeten —
treten schwächere oder stärkere klinische Symptome in Erscheinung.
Das Tier wird sofort nach der Injektion außerordentlich unruhig, läuft im
Käfig auf und ab, kratzt sich dfter an Körperhaut und Schnauze und
wird dann von heftigen Krämpfen befallen. Die klonischen Krämpfe über-
gehen nach kurzer Zeit in tonische, die Hinterbeine werden steif, das
Tier legt sich auf eine Seite, stellt man es aufrecht, so behält es nur
ein bis zwei Minuten diese Position, fällt dann wieder um oder streckt
die hinteren Beine krampfhaft nach rückwärts und verendet, je nach der
angewendeten Giftmenge, binnen ein bis sechs Stunden. Nimmt man 1,5 cg
Cuprumlösung — auf 250g Körpergewicht berechnet — als konstante Gift-
dosis und dazu von einer 1°/wigen Methylenblaulösung 0,380 ccm,
so geht das Tier meistens nach zwei bis vier Stunden ein; werden je-
doch von einer 1%/yigen Methylenblaulösung 0,30 ccm zu der Cuprum-
lösung gemengt, so geht das Tier gewöhnlich nach ein bis anderthalb
Stunden ein. Die Kontrolltiere, welche nur Cuprum- und nur Methylen-
blaulösungen erhielten, bleiben dagegen am Leben. Wie erwähnt, sind die
klinischen Symptome intensiver ausgeprägt, wenn die stärker konzentrierte
Methylenblaulösung zur Anwendung gelangte, doch bleibt der Sektions-
befund, gleichgültig, ob wir nun eine 1/yige oder 1°/oige Farbstoff-
lösung gebrauchten, fast immer der gleiche. Um die Injektionsstelle ist
eine starke Farbstoffimbibition zu sehen, weiter erscheint blau verfärbt
das Peritoneum, die Eingeweide und die Lymphgefäße. Je nach der an-
gewendeten Farbstofmenge und der Länge des Zeitraums zwischen In-
jektion und Eintritt des Todes ist die Blauverfärbung der Bauchorgane
weniger oder stärker ausgeprägt, doch ist trotzdem die arterielle Injek-
tion des Peritoneums und der Gedärme fast immer die gleiche und, was
besonders hervorgehoben werden muß, ist der Sektionsbefund in diesen
Fällen ähnlich, wie bei Tieren, die ausschließlich mit dieser sub-
letalen Cuprumlösung behandelt wurden. Die hier beschriebenen klini-
schen Symptome und Sektionsbefunde können auch erreicht werden, wenn
wir die Cuprumlösung nicht mit dem Farbstoffe mengen, sondern die Kupfer-
und Methylenblaulösung gesondert injizieren.. Ja wir können das
gleiche Resultat erzielen, wenn wir erst Farbstoff und später (Y,,
1/2 bis 1 Stunde später) die weinsaure Kaliumcuprumlösung (1,5 cg)
injizieren. |
Zu analogen Resultaten gelangt man, wenn man statt Methylenblau
Eosin (Eosin b.a.) anwendet. Ich habe mit diesem Farbstoffe dieselben Ver-
suche, wie mit Methylenblau angestellt, und zwar wendete ich Kalium-
cuprumtartaricum- und Hosinlösung miteinander gemischt in derselben
Dosis wie beim Versuche mit Methylenblau + Cuprum an, oder ich in-
—— ne a Me
1) Cu- und Farbstofflösungen müssen vor dem Injizieren aufgekocht
werden. ae
ven
£ +
+`
ve . - , `
? Ba = j a
Cag i Fi a
en nen. Sumatra 2.
1838
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.
jizierte erst die Bosinlösung und später, z.B. nach einer Stunde, die
Kupferlösung. Die klinischen Symptome sind beim Versuche mit Eosin +
Cuprum dieselben wie in früheren Versuchen. Manchmal sind sie viel-
leicht noch etwas intensiver ausgeprägt und auch der Tod tritt etwas
früher ein als beim Versuche mit Metbylenblau -+ Cuprum. Der Sektions-
befund ist in beiden Farbstoffexperimenten beinahe derselbe. So wie im
Methylienblauversuche sind auch hier je nach ‘der Farbstoffkonzentration
und nach der Länge des Zeitraums, welcher zwischen Injektion und Eintritt
des Todes verläuft, die Bauchorgane und das Peritoneum mehr oder
minder rosarot verfärbt. Peritoneum und Eingeweide sind stark injiziert.
Außer mit Cuprumkaliumtartaricum habe ich Versuche mit
einigen andern schweren Metallen, respektive Metallverbindungen an-
gestellt. Die Versuche gelingen mit den hier angeführten oder mit
andern Farbstoffen. Sublimat- und Methylenblau- oder Eosinlösung (in
NaCl gelöst und in der beim Cuprumversuch angegebenen Dosis) können zu-
sammen nicht gegeben werden, da sich ein Niederschlag bildet. Es ge-
lingt mit Farbstoflösungen, wenn man sie mit der subletalen Dosis der
Metallverbindungen mengt, der Cuprumlösung ähnliche klinische Symptome
und den gleichen Sektionsbefund auszulösen.
Die Wirkung war also klinisch und anatomisch bezeichnend.
Die klinischen Symptome waren im großen und ganzen ähnlich
dem bei der Anaphylaxie auftretenden Symptomenkomplex.
Auf einige in letzter Zeit von Andern in dieser Richtung schon
angestellte Untersuchungen möchte ich kurz eingehen. So teilt Traube!)
mit, daß gewisse Farbstofflösungen, welche relativ nicht toxisch wirken,
wie z. B. das Methylenblau, Toluidinblau, Methylengrün, durch Zugabe
von Natriumcarbonat sehr toxisch werden. Andere toxische Farbstoffe,
wie Nilblau, Nachtblau, Malachitgrün, Fuchsin, werden durch Natrium-
carbonat nicht toxischer.
| Nach Traube sind die basischen Farbstoffe, welche die
Oberflächenspannung des Wassers vermindern, toxischer wie jene,
welche keine Verringerung der Oberflächenspannung hervorrufen.
Bei meinen Versuchen fiel es nun auf, daß eine kleinere Menge
Farbstofflösung eine verhältnismäßig schwächere, hingegen eine
größere Menge Farbstofflösung eine relativ stärkere Wirkung her-
vorrufen konnte. Ich sage relativ, weil, wie wir gesehen haben,
noch eine sehr geringe Menge des Farbstoffs einer 1°/oigen
Lösung, im ganzen 0,30 cem, schon sehr heftige Wirkungen her-
vorzurufen imstande ist. Nach den Gesetzen der Kolloidchemie
sind die Kolloide desto wirksamer, aus je kleineren, feineren
Teilchen sie zusammengesetzt sind. Nach Traube?) können wir
Kolloidsysteme, wie Fermentlösungen, Farbstofflösungen, mittels
HgCl und Alkaloiden vergiften (Hata, Traube) und wieder.
durch Jod -oder Schwefelkali respektive Tannin in ganz durch-
sichtiger Lösung und ultramikroskopischer Fällung entgiften. Es
bleibt die Frage offen ob in meinen Versuchen die nichttoxisch
|
wirkenden Farbstofflösungen, wie das Methylenblau und Eosin
durch das Cuprumkaliumtartaricum toxische Eigenschaften an-
genommen oder umgekehrt, ob die Toxicität der Cuprumlösung
durch die Hinzugabe der Farbstofflösung erhöht wurde?
Aehnliche Wirkungen, wie mit den Farbstoffen, kann man jedoch
auch mit Metallkolloiden erreichen, so z. B. mit Zinkkolloid. Von dem
durch die Firma Comar et fils (Clin’s laboratoires), Paris, mir zu andern
Zwecken hergestellten Elektrozinkkolloid (beiläufig 0.20 g Zink auf 11
Wasser) mengte ich 0,30 cem zu 1,5 cg (0,015 g) einer Coprumkalium-
tartaricumlösung und injizierte dieses Gemisch unter die Haut eines
Meerschweinchens. Sofort nach der Injektion bekamen die Versuchstiere
überaus heftige klonische und tonische Krämpfe und gingen nach 12 bis
16 Stunden zugrunde (also etwas später wie bei den Farbstoffversuchen).
Schwächere klinische Symptome beobachtete ich, wenn ich vorher das
Zinkkolloid einspritzte und später (%/s Stunden) die Caprumlösung. Doch
auch so ging das Versuchstier nach einigen Stunden ein, während die
Kontrolltiere erst nach zwei bis drei Tagen (bei derselben Cuprumdosis) zu-
grunde gingen. Die nur mit Zinkkolloid behandelten Tiere blieben am
eben.
Bredig!) und seine Schüler wiesen nach, daß die katalytische
Fähigkeit des Hydrogenhyperoxyds. durch kolloidales Platin oder
Gold, ebenso durch Blutgifte erhöht oder verringert werden kann,
Die Kolloidmetalle stehen demzufolge in Analogie mit gewissen
basischen, ebenfalls kolloidalen Farbstoffen, so z. B. mit dem von
Traube angewendeten Nachtblau. In den schon erwähnten Ver-
suchen von Wassermann bei Mäusekrebs wurde das Eosin mit
Selen verbunden; der Farbstoff dient nach Wassermann als die
Schiene, auf welcher das Selen zum Tumor transportiert wird. Es
ist möglich, daß in den nun von mir mitgeteilten Untersuchungen
der Farbstoff als Transporteur dient und daß die Farbstofllösungen
(und Kolloide, in meinen Versuchen das Zinkkolloid) das Cuprum in
jene Organe bringt, welche gegen dieses Gift am empfindlichsten
sind. (Die andere Möglichkeit, daß nämlich die Toxieität des Cuprum
mittels der Farbstoffiösungen erhöht wurde, habe ich oben er-
wähnt.) l =
Ich muß eine Arbeit von Riquoir’) anführen, der ver-
schiedene Stoffe, wie Sublimat, Arrhenal, Trypsin, mit Methylenblan ver-
mengte und dadurch die Wirkung dieser Stoffe erhöhte; er konnte aul
diese Weise verschiedene infektiöse Krankheiten und auch angeblich Car-
cinom heilen.
Ich habe in meinen Versuchen absichtlich mit subletalen
Dosen gearbeitet, um die Intensität der Wirkung der Farbstoffe,
bezw. Kolloide besser veranschaulichen zu können. Ich bin der
Meinung, daß die beschriebenen Wirkungen der Farbstofllösungen
und Kolloide für die Therapie nutzbar gemacht werden können.
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten
von
Dr. Max Kahane, Wien.
(Fortsetzung aus Nr. 44.)
Getränke. Von größter Wichtigkeit ist die Quantität und
Qualität der dem Körper zugeführten Flüssigkeiten. Jede Ueber-
lastung des Körpers mit Flüssigkeit, auch Wasser ist
strikte kontraindiziert, weil dadurch dem Herzen eine
erhöhte Arbeitslast auferlegt wird.
Die Flüssigkeitszufuhr soll in keinem Falle 1500 cem in
94 Stunden überschreiten; Aufstellung der Flüssigkeitsbilanz:
Kontrolle der 24stündigen Harnmenge und der 24stündigen Flüssig-
keitszufuhr. Bei mangelhafter Permeabilität der Niere stärkere
Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr unbedingt indiziert, ebenso
bei fettleibigen Patienten. Im allgemeinen darf die Flüssigkeits-
zufuhr die Diurese um 200—300 cem überschreiten.
Die tägliche Flüssigkeitszufuhr darf nur in kleinen Portionen
erfolgen und es soll die einzelne Ration 200—250 cem nicht über-
schreiten. Die Getränke dürfen weder zu heiß, noch zu kalt sein
und müssen langsam, schluckweise zugeführt werden. Die besten
Getränke sind einwandfreies Quellwasser und Milch; kohlensäure-
haltige Getränke sind wegen Auftreibung des Magens im all-
gemeinen nicht empfehlenswert.
Alkoholische Getränke: Der Alkohol darf keinen Platz in
der Diätotherapie beanspruchen. Der habituelle Genuß von Al-
kohol in Form von Branntwein, Bier oder Wein ist zu verbieten.
Abstinenten darf kein Alkohol verordnet, Säufern muß der Alkohol
entzogen werden. Bei Personen, welche — ohne Säufer zu sein —
ı) Biochem. Zt. 1912, Bd. 42, H. 6.
3) D. med. Woch. 1912, Nr. 31.
an Alkohol gewöhnt sind, kann man mäßigen Alkoholgenuß, !s |
Bier oder 1/41 Wein pro Tag, zulassen. Alkohol ist kein Nähr-
mittel, sondern nur ein Reizmittel für das Herz, in großen Dosen
ein ausgesprochenes Herzgift. (Als Medikament kann Alkohol
in Form von Champagner oder Glühwein bei akuter Herzinsuffizienz
gute Dienste leisten, dagegen ist er prinzipiell aus der Diät der
Herzkranken zu streichen). |
Kaffee, Tee, Schokolade: Ein absolutes Verbot ist 1. bei
habituellem Mißbrauch und 2. bei besonderer Uebererregbarkeli
des Nervenapparats des Herzens indiziert. Sonst kann sehr lichter
Kaffee, dünner Tee, eine bis zwei Tassen täglich, ohne Bedenken
gestattet werden; Schokolade ist wegen ihrer mehr obstipierenden
Wirkung nicht empfehlenswert. Kaffee und Tee enthalten Cofein
beziehungsweise Thein, die innerhalb bestimmter Grenze eine nütz-
liche kardiotonische und diuretische Wirkung entfalten.
Tabak. Bei habituellem Tabakmißbraueh ist das Rauchen
unbedingt zu verbieten, damit der Patient die volle Verantwortung
tragen muß. Zigarettenrauchen und Rauchen in geschlossenen
Räumen, auch Aufenthalt in raucherfüllten, geschlossenen Räumen
sind zu verbieten. Gewohnheitsrauchern, welche keine Neigung
zum Tabakmißbrauch zeigen, können täglich zwei bis drei leichte
kleine Zigarren gestattet werden.
Spezielle Diätkuren. WMilchkur. Dauernde, absolute
Milchdiät ist kontraindiziert, weil bei der Notwendigkeit, täglich
3 bis 4 1 Milch zuzuführen, das Herz überlastet, auch der Ver-
dauungstrakt geschädigt und Unterernährung bewirkt wird.
Besser läßt sich Rahm verwenden, weil hier die gleiche Mengo
Nährstoff ohne den großen Wasserballast zugeführt werden kann.
!) Zitiertänach Traube, Berl kl. Woch. 1911.
2) Le monde méd., April 1912.
10. November.
Eine besondere Stellung nimmt die sogenannte Karellsche Milch-
kur bei vorgeschrittener Herzinsuffizienz mit Oedemen und herab-
gesetzter Diurese ein. Man gibt zunächst täglich nur 1 1 Milch
in vier bis sechs Portionen und beobachtet danach oft rasche
Steigerung der Diurese. Die strenge Karellsche Kur ist nur für
kurze Dauer geeignet. _
Molkenkuren wirken bei plethorischen Fettleibigen durch
Anregung der Darmfunktion günstig und stehen in dieser Hin-
sicht den Traubenkuren und sonstigen Obstkuren gleich.
Yoghurt, welches Gärungs- und Fäulnisprozesse im Darme
bekämpft, darf in der Diätotherapie der Herzkrankheiten einen
Platz neben Milch und Rahm beanspruchen, ebenso dürfen feine
Rahmkäse in die Diät aufgenommen werden.
Zucker. Die außerordentliche Bedeutung des Zuckers für
die Herzarbeit wird noch lange nicht in genügender Weise thera-
peutisch gewürdigt. Bei Herzinsuffizienz ist die Darreichung von
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. 1839
Milchzucker 50 g in 200 cem Wasser, drei- bis viermal täglich
mit Recht empfohlen worden. Auch Rohrzucker kann in Mengen
bis 200 g pro die, teils rein in wäßriger Lösung, teils in Speisen
zugeführt werden. Die Erfolge sind namentlich bei Herzinsuffizienz
mit degenerativer Erkrankung des Myokards hervorragend:
Lakto-vegetabilische Diät: Milch, Butter, Rahm, Rahmkäse,
Bier, Cerealien, Mehlspeisen, Gemüse, Obst, Kompott usw. ist bei
schweren Herzneurosen, speziell solchen, die mit Hyperthyreosis
zusammenhängen, von großem Nutzen, während die rein vegeta-
rische Diät, welche stärkere Anforderungen an den Verdauungs-
trakt stellt, bei Herzaffektionen im allgemeinen nicht indiciert ist.
Entziehungskuren: wesentliche Einschränkung der Flüssig-
keitszufuhr, starke Reduktion der Fette und Kohlehydrate kann
bei sehr plethorischen und fettleibigen Patienten von Nutzen sein,
doch dürfen derartige Kuren weder zu lange, noch zu energisch
durchgeführt werden. (Fortsetzung folgt.)
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
| Ueber experimentellen Diabetes
und seine Beziehungen zu den Drüsen mit innerer Sekretion
von Dr. S. Rosenberg, Berlin.
(Schluß aus Nr. 13.)
Es entsteht nun die Frage: Wie sollen wir uns die Ein-
wirkung des endokrinen pankreatischen Produkts auf die Zucker-
verbrennung vorstellen, und da ist man dann zu einer sehr merk-
würdigen Auffassung gelangt, nach welcher der pankreatische Dia-
vetes gar kein Pankreasdiabetes, sondern ein Nebennierendiabetes
sein solle. Es war nämlich von Blum vor einer Reihe von Jahren
sezeigt worden, daß subcutane oder intravenöse Injektion von
Nebennierenextrakten Glykosurie und Hyperglykämie zur Folge
at, Zuelzer hatte diese Tatsache bestätigt und Ehrmann gezeigt,
laß die Nebennieren dauernd Adrenalin in den Organismus hinein
secernieren, Nur stellte Zuelzer an durchbluteten Hundelebern
est, daß sowohl durch Adrenalininjektion, wie durch Pankreas-
xstirpation die Leber zur Zuckerausscheidung angeregt wird; und
usgehend von der Annahme, daß bei beiden Diabetesformen eine
leichsinnige Störung im Verhalten der Leber vorhanden sei, die
ber in beiden Fällen durch entgegengesetzte Einwirkung auf dieses
rgan hervorgerufen werde, und daß das Adrenalin eine Zucker-
usschüttung der Leber bedinge, das „Pankreasferment“ aber diese
Nebennierenfermentwirkung“* neutralisiere, spritzte er Kaninchen
leichzeitig Nebennierensaft und Pankreasextrakt ein. Da trat
enn keine Zuckerausscheidung ein, während dieselben Versuchs-
iere nach alleiniger Injektion von Nebennierensaft glykosurisch
zurden. Auch blieb die Zuckerausscheidung im Harne von Hunden
us, wenn ihnen das Pankreas nach vorhergehender Unterbindung
er Nebennierenvenen exstirpiert wurde. Aus. diesen Versuchen
og Zuelzer den Schluß, daß dem Pankreas die Aufgabe zufalle,
3hädliche Substanzen auszuscheiden oder zu zerstörep, die sich
ach Pankreasexstirpation im Körper anhäufen. Gegen diese Auf-
‚ssung einer gewissermaßen entgiftenden Wirkung der Bauch-
jeicheldrüse läßt sich folgende Ausführung Pflügers geltend
achen: „Wird der giftige Stoff irgendwie im Organismus. erzeugt,
> muß er mit Lymphe und Venenblut nach dem rechten Herzen
ad von der linken Kammer alle Capillaren des großen Kreislaufs
ırchlließen. Immer würde also nur ein kleiner Bruchteil des
iftes durch die Capillaren des Pankreas gehen, sodaß eine Ent-
ftung durch einen einzigen Kreislauf nicht erzielt werden könnte,
ıd zwar überhaupt um so weniger, als das Gift sich doch fort-
ährend neu bildet und wieder alle Bahnen des Kreislaufs betritt.
cingt man in Rechnung, daß nach ausgedehnter Partialexstir-
tion des Pankreas fast mikroskopische Reste genügen, um die
ıtstehung des Diabetes zu hindern, so folgt, daß die Annahme
r entgiftenden Wirkung des Pankreas ganz und gar unzu-
sig ist.“ |
Andere Autoren haben nun vielfach den Zuelzerschen Be-
ad bestätigt, die Beobachtung aber in ganz anderer Weise zu
uten gesucht. So fanden Biedl und Offer, daß die Lymphe
s Ductus thoracicus, welche — wie wir oben: gesehen haben —
s endokrine pankreatische Produkt der Blutbahn zuführt, eine
ımmungswirkung gegenüber dem Adrenalin besitzt derart, daß
‘ die durch dieses am ausgeschnittenen Froschbulbus hervor-
tufene Pupillenerweiterung verhindert und die nach Injektion
von Adrenalin auftretende Glykosurie nicht zustande kommen läßt.
Da nun das Adrenalin erregend auf die Endigungen des sym-
patbischen Nervensystems einwirkt, so schließen die Autoren aus
ihren Versuchen auf eine hemmende Wirkung des inneren pan-
kreatischen Sekrets und sind der Meinung, daß letzteres die Auf-
gabe habe, die durch Adrenalin bedingte Zuckerausscheidung der
Leber auf dem Wege sympathischer Hemmung in Schranken zu
balten, also eine Vorstellung, welche ganz der alten Lehre von
Chauveau und Kaufmann entspricht.
Nun aber ist es doch sehr auffällig, daß — wenn die Auf-
fassung von Biedl und Offer richtig wäre — das normal
funktionierende Pankreas die Adrenalinglykosurie nicht jedesmal
hemmt; und da könnte man sich allenfalls vorstellen, daß zwischen
der Reizwirkung des Adrenalins und der Hemmungswirkung des
inneren pankreatischen Sekrets unter normalen Bedingungen ein
Gleichgewichtszustand besteht, dessen Störung durch Adrenalin-
zufuhr zur Zuckerausscheidung führt. Dann aber müßte doch auch
eine Verminderung der Menge des endokrinen pankreatischen Pro-
dukts, wie sie nach einer weitgehenden partiellen Pankreasexstir-
pation unbedingt eintreten muß, gleichfalls eine Zuckerausscheidung
im Harne zur Folge haben, und da das ganz sicher nicht der Fall
ist, so ergibt sich daraus die Unhaltbarkeit eines derartigen Er-
klärungsversuchs und die Unzulänglichkeit der von Biedl und
Offer gemachten Annahme, |
Die hier geäußerten Bedenken müssen nun wohl andern
Autoren nicht gekommen sein; denn Falta entwickelt eine An-
schauung, die der von Biedl und Offer vertretenen Meinung nicht
unäbnlich ist. Nach ihm erfolgt die Regulation des Blutzucker-
gehalts von einem in der Medulla oblongata gelegenen Centrum.
Von diesem gehen Erregungen auf den Splanchnicusbahnen nach
dem chromaffinen System und bewirken durch Entladung von
Adrenalin Mobilisierung der Kohlehydrate respektive abundante
Bildung von Zucker in der Leber, während dem Pankreas die Auf-
gabe zufällt, mittels seines endokrinen Produkts die zuckerbildende
Erregung in der Leber zu dämpfen. |
Die Lehre von der Mobilisierung der Kohlehydrate durch
Adrenalin ist auf Schur und Wiesel zurückzuführen und hat
besonders in Frankreich eine lebhafte experimentelle Forschung
angeregt. Allein die ersten Beobachter Löper und Cruzon fan-
den nach Adrenalinzufuhr nicht eine Entleerung, sondern eine.
Füllung des Glykogendepots in der Leber. Dagegen sahen Doyen
und Kareff Verminderung respektive Schwund des Glykogens bei
folgender Versuchsanordnung. Es wurde nach erfolgter Laparotomie
zunächst ein Leberstück reseziert, dann sofort eine Adrenalin-
lösung in die Vena portarum eingespritzt und nach 30 Minuten
abermals ein Leberstück entfernt. Die Glykogenbestimmung in
den beiden Leberstücken ergab, daß nach der Adrenalininjektion
der Glykogengehalt verringert war. — Dieser Versuch beweist gar
' nichts; denn die Autoren haben es unterlassen, Kontrollen anzu-
stellen und nachzusehen, ob die schwere Operation an sich nicht
schon den Glykogenbestand der Leber beeinflußt. Und Zweifel in
dieser Hinsicht scheinen mir um so mehr berechtigt, als dieselben
Autoren bei der gleichen Versuchsanordnung auch nach Pilokarpin-
einspritzungen das Leberglykogen abnehmen sahen. — Besser zu‘
verwerten sind schon die Versuche von Bierry und Gatin-
Gruzewska, die einen sicheren Schwund des Leber- und Muskel-
glykogens nachweisen konnten, allerdings auch nur, wenn ganz.
mt M EN a sh Fi Do
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1840
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bestimmte Versuchsbedingungen innegehalten wurden. Dazu war
erforderlich, hungernden Kaninchen 1 mg Adrenalin pro Körperkilo
zu injizieren in einer Lösung, die 0,0005 g im Kubikzentimeter ent-
hielt, und dann 36 bis 40 Stunden zu warten. Wurden dagegen
andere Zeiten oder andere Lösungsverhältnisse gewählt, so wurden
mehr oder weniger große Glykogenmengen sowohl in der Leber
wie in den Muskeln gefunden. Auch Drummond und Noel-
Paton saben nur nach akuten Vergiftungen mit Adrenalin eine
Glykogenabnahme in der Leber, wobingegen nach chronischen
Vergiftungen der Glykogenbestand unbeeinflußt erschien. — Unter
allen Umständen hat sich also eine Einwirkung des Adrenalins auf
den Glykogengebalt der Organe nur unter ganz bestimmten Ver-
suchsanordnungen erkennen lassen, und von einem einwandfreien
Nachweis einer Mobilisierung der Kohlehydrate in der Leber durch
Adrenalin ist gar keine Rede. Aber selbst wenn ein solcher Nach-
weis erbracht wäre, auch dann wäre noch lange nicht sicherge-
stellt, daß es sich dabei um eine Primärwirkung des Adrenalins
handelte. Denn wir dürfen doch nicht vergessen, daß das Adrenalin
eine diabetogene Komponente enthält, die die Zellen unfähig
machen könnte, Zucker zu assimilieren. Dann werden diese kohle-
hydrathungrig und signalisieren diesen Zustand der Leber, die
darauf mit Glykogenausschüttung und Zuckerneubildung antwortet.
Und daß die Leber dies unabhängig von den Nebennieren leisten
kann, das geht hervor aus den Versuchen von Nishi,
welcher nach doppelseitiger Nebennierenexstirpation bei Kaninchen
wiederholte Aderlässe von einer Steigerung des Blutzuckergehalts
gefolgt sah, und aus den Befunden von Frank und Isaak, welche
gleichfalls nach totaler Nebennierenentfernung bei Kaninchen einen
normalen Blutzuckerspiegel konstatierten. In beiden Fällen aber muß
unabhängig von den Nebennieren eine Kohlehydratmobilisierung in
den Organen stattgefunden haben. — Nun kennen wir aber Ver-
suche, welche ganz direkt gegen eine Entladung der Glykogen-
bestände in der Leber unter Adrenalinwirkung sprechen. Es war
oben schon erwähnt worden, dab Loeper und Cruzon nach In-
jektion von Nebennierenextrakten ein Anwachsen des Glykogen-
gehalts in der Leber feststellten, und der gleiche Befund wurde
auch von Pollak gemeldet. Dieser Autor fand nämlich, daß,
wenn man Kaninchen durch Hungernlassen oder Strychnininjek-
tionen glykogenarm macht und dann wiederholt Adrenalin injiziert,
der Glykogengehalt der Leber ein so hochgradiger ist, als wenn
die Versuchstiere reichlich mit Kohlehydraten gefüttert worden
wären. Falta, der diesen Befund bestätigte, nahm zu seiner Er-
klärung an, daß das Adrenalin nicht bloß Kohlehydrate mobilisiere,
sondern auch eine Zuckerneubildung in der Leber anrege. Es ist
aber keineswegs jedermanns Sache, sich vorzustellen, daß ein und
dieselbe Substanz in ein und demselben Körper zu ein und derselben
Zeit, zwei diametral entgegengesetzte Effekte, in unserm Fall also
Entleerung und Füllung der Glykogendepots in der Leber, sollte
bewirken können. Bei vorsichtiger Bewertung des Beobachtungs-
materials wird man aus den mitgeteilten Versuchen eben nur auf
eine Zuckerneubildung und Füllung der Glykogenlager durch
Adrenalin schließen dürfen. Und mit diesem Befund in guter
Uebereinstimmung stehen die Resultate von Versuchen, die ge-
wissermaßen das Negativ der soeben berichteten darstellen, ich
meine die Experimente von O. Schwarz an weißen Ratten, denen
die Nebennieren entfernt waren. Diese Tiere vertragen im Gegen-
satz zu Hunden und auch Kaninchen die totale Nebennierenexstir-
pation, weil sie am Kopfe des Nebenhodens, beziehentlich im Liga-
mentum latum eine akzidentelle Nebenniere besitzen, die nur aus
Rindensubstanz besteht. Da nun aber die Rindensubstanz der-
jenige Anteil der Nebennieren ist, welcher Bedeutung hat für die
Erhaltung des Lebens, während das Adrenalin lediglich von der
Marksubstanz produziert wird, so können diese Tiere nach Neben-
nierenexstirpation am Leben bleiben, werden aber arm an Adrenalin,
weil in ihrem Organismus dieser Stoff nur noch von den Para-
ganglien des sympathischen Grenzstranges geliefert werden kann.
Und diesen Anteil können wir nicht hoch einschätzen, weil er nicht
einmal imstande ist, nach N ebennierenentfernung den Blutdruck
auf normaler Höhe zu erhalten. Bei solchen adrenalinarmen,
nebennierenlosen Ratten hat Schwarz nun einen Schwund des
Leber- und Muskelglykogens gefunden, und Porges hat diesen
Befund an Hunden bestätigen können. Wir haben also nach
Zufuhr von Adrenalin eine
Verminderung desselben eine Verringerung der Glykogenbestände,
das heißt genau das Gegenteil von dem, was bei einer Mobili-
sierung der Kohlehydrate durch Adrenalin zu erwarten gewesen
wäre. Dazu kommt nun noch ein Umstand, welcher ganz direkt
gegen die Mobilisierung der Kohlehydrate spricht. Wenn eine
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
na 1
Füllung der Glykogenlager, nach
B 10.. November,
solche tatsächlich durch das Adrenalin bewirkt werden würde,
dann könnte es nach Exstirpation des Pankreas, welches ja nor-
maliter die Adrenalinfunktion angeblich hemmen sollte, niemals zu
einer Glykogenablagerung in der Leber kommen. Nun wissen wir
aber schon seit den alten klassischen Untersuchungen von Min-
kowski, daß wenn wir ein pankreasloses Tier mit Lävulose füttern,
aus dieser Glykogen gebildet und in der Leber gespeichert wird.
Und in dieser Tatsache haben wir, wie ich glaube, einen absolut
sicheren Beweis dafür, daß das Adrenalin die Glykogendepots in
der Leber nicht entleert.
| Nun soll das Adrenalin nicht bloß Kohlehydrate mobilisieren,
sondern auch eine Zuekerneubildung bewirken, und zwar nach
Falta in einer so abundanten Weise, daß die Zellen des Organis-
mus des sie überschwemmenden Zuckers nicht mehr Herr wer-
den können. Auf diese Weise soll es zum Diabetes kommen. Ich
habe zur Prüfung dieser Frage folgenden Versuch angestellt. Am
31. März a. c. erhielt eine 14,5 kg schwere Hündin nach 24stündi-
gem Fasten 195 g chemisch reinen Traubenzucker (Kablbaum)
in 900 g Wasser gelöst, derart, daß in sechs Einzeldosen alle zwei
Stunden je 150 g der Lösung gereicht wurden. In zwölf Stunden
also war das gesamte Quantum von dem Versuchstier aufge
nommen worden, und da im Harne kein Zucker erschien, so müssen
diese 195 g restlos verbrannt beziehentlich gespeichert worden sein;
sie können also keine Ueberschwemmung des Organismus bewirkt
haben. Nun ließ ich den Hund weiter hungern und exstirpierte
ihm am 2. April das Pankreas. Während der Operation trat
Asphyxie ein, und es mußten minutenlang Tractionen an der Zunge
und Kompressionen des Thorax vorgenommen werden, ehe es gè-
lang, das Herz wieder zum Schlagen und die Atmung wieder in
Gang zu bringen. Das hatte mich etwas ungeduldig gemacht und
in dem Wunsche, die Operation schnell zu beenden, ging ich etwas
hastig vor und richtete nun ein neues Unheil an; ich verletzte die
Arteria pancreatico-duodenalis, sodaß ich sie und die dazugehörige
Vene unterbinden mußte, wodurch ein etwa fingerlanges Duodenal-
stück der Ernährung beraubt wurde und gangränös zu werden
drohte. Ich resezierte nun dieses Stück kurzer Hand, stellte die
Kontinuität des Darmes durch End-zu-End-Anastomose wieder her,
sicherte die Nahtstelle noch durch ein darübergepflanztes Netzstück
und hatte nunmehr den Schaden nicht bloß wieder gut gemacht,
sondern auch eine Garantie dafür gewonnen, daß die Pankreas-
exstirpation eine absolut totale war. Der Hund, dem die Operation
sehr gut bekommen war, erhielt weiterhin keine Nahrung, sondern
nur Wasser; er schied in den folgenden vier Beobachtungstagen
3525 g, 20,4 g, 27,9 g und 18,8 g Dextrose mit dem Harn aus.
Nun wissen wir aber aus den Untersuchungen Lüthjes und
Anderer, daß selbst der pankreasdiabetische Organismus noch
Zucker verbrennen kann. Wie groß dieser Betrag ist, ist uns UN
bekannt; ich will also die ganz unwahrscheinliche Annahme machen,
daß der vierfache Betrag der ausgeschiedenen Menge zersetzt
worden sei. Dann hätte der Hund an den vier Beobachtungstagel
141 g, 81,6 g, 111,6 g und 75,2 g in seinem Körper verwertet und
im ganzen seinen Zellen die ausgeschiedenen plus der verwerteten
Menge angeboten, an den vier Tagen also entsprechend 176,25 £,
102 g, 139,5 g und 94 g. Wenn nun aber, wie wir gesehen haben,
195 g in zwölf Stunden den Körper nieht überschwemmten, 5
werden die nach der Operation in Betracht kommenden kleineren
Werte um so weniger den Organismus überschwemmt haben
können, als sie seinen Zellen in 24 Stunden angeboten wurden. —
Also auch die Auffassung, daß unter Adrenalinwirkung eine Ueber
schwemmung des Körpers mit Zucker stattfindet, und der Diabetes
aus einer solchen Ueberschwemmung herzuleiten sei, muß als UN
richtig zurückgewiesen werden.
Nun lehrt schon eine kritische Betrachtung der Verhältnis?
bei Kohlehydratfütterung, daß man die Bedeutung der Nebennisrel
für die Aetiologie des pankreatischen Diabetes ganz falsch g%
wertet hat. Denn wenn wir Kohlehydrate genießen, 50 wor a
dieselben unter der Wirkung des Ptyalins des Speichels, der Auf
lase des pankreatischen Sekrets und des
des Darmsafts, sowie unter dem Einfluß ffun-
in Traubenzucker umgewandelt, der sofort in die Blutgefäße di =
diertt und auf dem Blutwege den Körperzellen zugeführt n
Dieser Zucker ist vollkommen unabhängig von den NebennieftP;
er kann von ihnen nicht mobilisiert werden, d
gespeichert war; sie haben auch auf seine Bildung keinen
fluß, da diese, wie wir soeben gesehen haben, unter der
saccharifizierender und invertierender Fermente vor sich geil.
gegen steht dieser Zucker unter der Botmäßigkeit des Pankrot
bei dessen normalem Funktionieren er verbrannt oder thesaurie
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1841
bei dessem Fehlen er restlos ausgeschieden wird. Wir haben hier
also einen Fall, wo der Diabetes aus etwaigen Einwirkungen der
Nebennieren schlechterdings nicht erklärt werden kann.
Wie steht es nun aber mit dem vielfach bestätigten
Zuelzerschen Versuch, durch den doch eine Gegensätzlichkeit in
der Wirkung von Pankreas und Nebennieren bewiesen erschien,
sodaß gerade mit Rücksicht auf diese Verhältnisse die Bedeutung
der Nebennieren für den pankreatischen Diabetes proklamiert
wurde? Da haben denn die Untersuchungen von v. Fürth und
Schwarz eine ganz eigentümliche und unerwartete Erklärungs-
möglichkeit geschaffen. Die genannten Autoren fanden nämlich,
daß wenn man Adrenalin und Pankreasextrakt intraperitoneal
appliziert, dann zwar eine Hyperglyk&ämie, aber keine Gly-
kosurie eintritt. Das hat seine Ursache darin, daß peritoneale
Reize verschiedener Art die Nieren derart verändern, daß sie zwar
durchgängig bleiben für Harnwasser, aber gedichtet werden für
gelöste Stoffe, wie Stickstoff, Kochsalz und Zucker. Nun wird die
Adrenalinglykosurie durch Schädlichkeiten verschiedener Art ge-
hemmt, so durch Fieber, Nierenschädigungen, Diuresehemmung,
Injektion von Witte-Pepton, Hirudin und anderen Lymphagogis, und
da Pankreasextrakte, Pankreasgewebe und Trypsin bei subcutaner
Einverleibung sehr enorme Schädigungen darstellen, die zu einem
schnellen Tode der Versuchstiere führen, so vermuten die Autoren,
daß Pankreasextrakt auch bei subcutaner Anwendung hemmend
auf die Zuckerausscheidung im Urin wirken könute. Und diese
Annahme scheint allerdings gerechtfertigt, wenn wir uns der von
de Meyer an überlebenden Nieren festgestellten Tatsache erinnern,
daß selbst Zuckerlösungen von nur 0,005 °/, das Nierenfilter pas-
sieren, daß aber Beimengungen von Pankreasextrakten zur Durch-
strömungsflüssigkeit die Permeabilität der Nierenzellen für Zucker
sofort herabsetzen. — In jedem Fall ist durch die Untersuchungen
von v. Fürth und Schwarz die Bedeutung des Zuelzerschen
Versuchs wesentlich erschüttert und wahrscheinlich gemacht worden,
daß bei gleichzeitiger subeutaner Anwendung von Adrenalin und Pan-
kreasextrakt nur die Glykosurie gehemmt, nicht aber die diabeto-
gene Wirkung des Nebennierenextrakts aufgehoben wird. Damit aber
verliert dieser Versuch seine Bedeutung; und aus alledem ergibt
sich in Summa, daß der pankreatische Diabetes nicht als Neben-
nierendiabetes, sondern eben nur als reiner Pankreasdiabetes auf-
zufassen ist.
Aus den Eröterungen über die Wirkung des Nebennieren-
extrakts müssen wir den Schluß machen, daß eine Hyperfunktion
der Nebennieren im Organismus zu einer Glykosurie führen wird,
und damit gewinnen wir Analogien zu zwei andern Blutgefäßdrüsen,
die gleichfalls im Zustand gesteigerter Tätigkeit öfter von Zucker-
ausscheidungen begleitet sind, der Thymus und der Hypophyse.
| Es war den Aerzten schon lange aufgefallen, daß die
Basedowsche Krankheit, welche als eine Hyperthyreose aufgefaßt
wird, sich ziemlich häufig mit Diabetes mellitus vergesellschaftet.
Nun ist die Basodowsche Krankheit keine Rarität und der
Diabetes auch keine Seltenheit, und so lag denn der Gedanke an
ein zufälliges Zusammentreffen beider Krankheiten recht nahe.
Aber die ärztliche Beobachtung lehrte etwas anderes; es fiel auf,
daß Patienten, denen man aus irgendeinem Grunde Thyreoideal-
substanz verordnete, bei etwas brüsker Anwendung derselben leicht
glykosurisch oder selbst diabetisch wurden. Und der Zusammen-
hang zwischen Hyperthyreose und Glykosurie wird ganz besonders
deutlich durch die Experimente von Klose und von Baruch,
welche Hunden, um sie basedowkrank zu machen, Preßsäfte
-~ respektive Aufschwemmungen von Strumen einverleibten und
danach Zuckerausscheidungen im Harn beobachteten.
Die gleiche Erscheinung tritt ein bei Hyperfunktion der
Hypophyse, die das Symptomenbild der Akromegalie zur Folge
hat, und hier konnte Borchardt in 40,30/, der Fälle Glykosurien
von wechselnder Intensität auf statistischem Wege ermitteln. Wenn
dieser Autor nun Hypophysenextrakt Hunden injizierte, so sah er
danach gelegentlich Glykosurien auftreten, während der gleiche Ein-
griff bei Kaninchen fast ausnahmslos zur Ausscheidung von Trauben-
zucker führte. Es muß also auch hier eine Beziehung zwischen
Hyperfunktion und Störung der Zuckerverbrennung vorhanden sein.
Wenn man diese Tatsache erklären will, so könnte man sich
zunächst vorstellen, daß die im Uebermaß in die Circulation ge-
langenden inneren Sekrete der Nebennieren, Thyreoidea und Hypo-
physe nach Art von Giften wirken, etwa so wie das Curare oder
die Inhalationsanästhetika. Wir können uns aber auch vorstellen,
daß durch die gegenseitigen Beeinflussungen der Drüsen mit innerer
Sekretion eine Hemmungswirkung auf das Pankreas ausgeübt und
dadurch die Zuckerausscheidung in die Wege geleitet wird.
In dieser Beziehung war zuerst von Lorand darauf hinge-
wiesen worden, daß nach Pankreasexstirpation die Thyreoidea
hypertrophiert, und diese Beobachtung wurde später von Licini
durch makroskopische und mikroskopische Untersuchungen be-
stätigt. Es muß danach also das Pankreas eine Hemmungswirkung
gegenüber der Thyreoidea entfalten. Und diese Ansicht finden
wir auch vertreten in den. Anschauungen, welche Eppinger,
Falta und Rudinger entwickeln, die durch klinische Beob-
achtungen und experimentelle Forschungen es sehr wahrscheinlich
gemacht haben, daß Thyreoidea und chromaffines System sich im
Zustand gegenseitiger Förderung, Pankreas und Thyreoidea, und
Pankreas und chromaffines System sich im Zustand gegenseitiger
Hemmung befinden, |
.“—>
Hemmung
Aus dem von den Autoren entworfenen und hier beigefügten
Diagramm läßt sich nun ohne weiteres erkennen, welche Ver-
änderungen in dem ‚ganzen System eintreten müssen, wenn eine
Komponente desselben sich verändert. Denken wir uns zum Beispiel,
daß das chromaffine System in einen Zustand gesteigerter Tätig-
keit gerät, so werden die Förderungsimpulse nach der Thyreoidea
hin intensiver wirken und diese Drüse in den Zustand der Hyper-
funktion versetzen. Anderseits wird auch die Intensität der nach
dem Pankreas hinwirkenden Hemmungsimpulse gesteigert sein,
und zwar nicht bloß vom chromaffinen System her, sondern auch
von der nunmehr in den Zustand der Hyperfunktion versetzten
Thyreoidea aus. Und so können wir uns vorstellen, daß infolge
derartiger pankreatischer Hommungen eine Glykosurie zustande
kommen kann. Und daß derartige Vorstellungen nicht ganz so
phantastisch sind, wie sie vielleicht erscheinen mögen, das hat
mir ein Versuch gezeigt, bei dem ich von dem Löwischen
Symptom (s. 0.) ausging. Ich instillierte einem Kaninchen Adrenalin
ins Auge und überzeugte mich, daß eine Reaktion nicht eintrat.
24 Stunden später injizierte ich 2 ccm Epirenanlösung 1: 1000,
also 2 mg Epirenan, und als nach drei Stunden ein stark redu-
zierender Urin entleert wurde, träufelte ich wieder einige Tropfen
Adrenalinlösung ins Auge. Nunmehr trat eine starke Pupillen-
erweiterung ein, die außer von mir noch von neun ganz unbe-
fangenen Mitbeobachtern konstatiert wurde, von denen niemand
wußte, worauf es bei dem Versuch ankam. Als nach 48 Stunden
die Epirenanwirkung abgeklungen war, konnte durch eine erneute
Adrenalininstallation im Auge keine Wirkung mehr ausgelöst
werden. Wenn nun die Löwische Reaktion ein Symptom für
eine Hemmung endokriner pankreatischer Funktion ist, so gibt
dieser Versuch einen Anhalt für die Annahme, daß im Sinne der
obigen Ausführung die Adrenalinglykosusie auf dem Umweg über
das Pankreas zustande kommt. Nun haben in dem Schema der Wiener
Autoren keine Berücksichtigung gefunden die Glandula, pinealis,
pituitaria, die Epithelkörperchen, die Thymus, Milz, Leber, Nieren
und Sexualdrüsen, die alle in innigstem Konnex stehen und sich
durch ihre inneren Sekrete gegenseitig beeinflussen. Und wenn wir
all diese Einflüsse berücksichtigen, dann erhalten wir ein so buntes
und geradezu verwirrendes Mosaik altruistischer Beziehungen, daß
es ungemein schwierig ist, sich in diesen Dingen zurechtzufinden,
und daß ich es mir versagen muß, im Rahmen des heutigen Vor-.
trags bei der vorgeschrittenen Zeit eine detaillierte Differenzierung
dieser Verhältnisse auch nur zu versuchen. Ich muß mich darauf
beschränken, die hier vorhandenen Möglichkeiten lediglich in ihren
gröbsten Umrissen anzudeuten und darauf hinzuweisen, daß wenndiese
Dinge erst einmal sorgfältiger studiert und genauer gekannt sein
werden, wir vielleicht einmal in die Lage kommen könnten, jeden
Diabetes als eine Folge von Hemmungen endokriner pankreatischer
Funktion eventuell von solchen Formwirkungen her betrachten zu
dürfen. Denn das müssen wir unter allen Umständen festhalten,
daß das Pankreas bisher als das einzige Organ erkannt worden
ist, welches unter physiologischen Bedingungen, absolut konstant
und bei allen höheren Tierarten in gleicher Weise den Kohle-
hydratstoffwechsel reguliert, während dagegen der Einfluß der
andern hier in Betracht kommenden Drüsen nur unter patho-
logischen Bedingungen im Zustand der Hyperfunktion, auch da
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1842
1912 —- MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November.
nicht konstant und vielleicht nur — wie wir gesehen haben —
auf dom Umweg über den Pankreas zustande kommt.
Aber auch vom Pankreas wissen wir weiter nichts, als daß
es durch ein inneres Sekret wirkt, dessen Existenz, wenn auch
auf Umwegen, so doch mit Sicherheit erwiesen ist, dessen Art
und Beschaffenheit wir jedoch nicht kennen und dessen Wirkungs-
weise uns bis zur Stunde rätselhaft geblieben ist.
Und wenn wir uns zum Schluß noch die Frage vorlegen,
welche Aussichten sich in bezug auf die Lösung dieses Problems
in der Zukunft ergeben, so glaube ich, daß die Hoffnung, auf den
bisher beschrittenen Wegen zum Ziele zu gelangen, um so geringer
erscheinen muß, je größer die Anzahl vergeblicher Erklärungs-
versuche bisher schon gewesen ist, und so fürchte ich denn, daß
wenn nicht jemand kommt, der für die Diskussion dieser Frage
ganz neue Gesichtspunkte eröffnet oder ganz neue Tatsachen auf-
deckt, welche geeignet erscheinen, Licht in das hier herrschende
Dunkel zu tragen, dann auf diesem engen Gebiet immer noch
jenes Wort Geltung behalten wird, mit welchem du Bois-Rey-
mond einst die Schranken des menschlichen Erkenntnisvermögens
ganz im allgemeinen charakterisierte, ich meine sein ominöses und
resignierendes Ignorabimus. Ä
Sammelreferat.
Neuere Ergebnisse der Tuberkuloseforschung III!)
von Priv.-Doz. Dr. Hans Pringsheim, Berlin.
Die seit Abfassung der zweiten Mitteilung im Jahre 1911
im Zbl. f. Bakt. erschienenen Beiträge zur Tuberkuloseforschung
beziehen sich 1. auf die verschiedenen Färbungsverfahren für
Tuberkelbacillen, 2. auf das Tuberkulin und die Deutung seiner
Wirkungsweise und 3. auf die Beziehung der menschlichen zur
tierischen Tuberkulose, Besonders interessant sind die Ergebnisse
der Forschung aus dem letztgenannten Gebiete. Im Anschluß an
diese Hauptgruppen wird noch über den Prozeß der Autolyse in
Gegenwart von Tuberkulin und über die Möglichkeit der Tuber-
kuloseinfektion auf dem Wege des weiblichen Genitaltraktus be-
richtet. Auch die Frage der Infektion durch die Haut wird in
einer Arbeit behandelt. —
Böhm (1) hat in seiner eingehenden Arbeit 24 Tuberkel-
bacillenfärbungsmethoden nachgeprüft. Er kommt zu dem Resul-
tat, daß zur Differentialdiagnose nur die Ziehl-Färbung brauch-
bar ist, da sie ein ganz sicheres Resultat bietet und die einfachste
ist; deshalb hält er für Sputumuntersuchungen auch heute noch
die Ziehlsche Methode für die beste. Vor der Ziehlschen
Methode besitzt nur die Much-modifizierte Gramscko Methode
den Vorteil, daß durch sie mehr Tuberkelbaeili.n gefärbt
werden und auch die Granula nachweisbar sind. Dagegen ist
diese Methode viel verwickelter und schwerfälliger als die
Ziehlsche. Auf derselben Stufe wie die Ziehlsche Methode
stehen die Ehrlich-Kochsche, die Sprenglersche Pikrinsäure-
methode und die Hermansche Methode, nur sind sie langwieriger.
Berka hat in einer früheren Publikation (Bd. 51, S. 456) be-
hauptet, daß für die Zahl der mit den gebräuchlichen Sputum-
färbungsmethoden dargestellten Tuberkelbacillen hauptsächlich die
Entfärbungsprozedur maßgebend ist. Dem ist Herman (Bd. 60,
S. 601) entgegengetreten. Darauf weist Berka (2) nun noch-
mals auf seine Versuche, besonders die mit Umfärbungen bei
steigendem Säuregrade hin. Auch bei dem Hermanschen Ver-
fahren hat selbst kurzes Verweilen in der Entfärbungsflüssigkeit
ein Verblassen der Bacillenleiber' zur Folge, dem man durch
wiederholtes Eintauchen mit nur momentanem Verweilen Abhilfe
schaffen kann. — Veranlaßt durch eine Mitteilung von Goldmann
(Bruns Beiträge 1912, Bd. 78) über denselben Gegenstand berichten
Bowman, Winternitz und Evans (3) in einer vorläufigen Mit-
teilung über die vitale Färbung des Tuberkels. Sie injizierten
Kaninchen mit Rindertuberkulose und brachten gleichzeitig Trypan-
blaulösung in den Kreislauf. Bei Verfolgung der Veränderungen
an der Leber fanden sie, daß bei frischer Tuberkulose die Riesen-
zellen endothelialen Ursprungs sind und daß dieselben eine aus-
gesprochene Elektivität für den vitalen Farbstoff besitzen. Die
Endothelzellen spielen bei hämatogenen Infektionsprozessen im all-
gemeinen, bei der Tuberkulose im besonderen eine wichtige Rolle.
Daraus folgt nach dem Urteile der Autoren weiter, daß die Unter-
suchungen mit vitalen Färbungen eine Bedeutung für chemothera-
peutische Bestrebungen besitzen. — Ferner beschreibt Friese (4)
1) Zweite Mitteilung Med. Kl. 1911, Nr. 28,
gehend besprochen wurden.
ein Färbegestell, welches sich zur Tuberkelbacillenfärbung beson-
ders gut eignen soll. Es ist bei F. & M. Lautenschläger, Berlin
N 39, erhältlich. ie
Der Einfluß des Tuberkulins auf die Autolyse frischer Or-
gane (Lunge, Leber) wurde von Pesci (5) untersucht, der dazu
das Kochsche Tuberkulin und das wäßrige Tuberkulin aus dem
Institut von Maraglino verwandte. Er beobachtete, daß in
Gegenwart von Tuberkulin eine bedeutende Beschleunigung des
Autolyseprozesses stattfindet und daß diese Beschleunigung pro-
portional zur Konzentration des Tuberkulins ist, welches mit dem
Autolysat in Kontakt gebracht wird. Jedoch hemmt das Tuber-
kulin im Anfang die Autolyse und auch die Hemmung ist pro-
portional zu seiner Konzentration.
Durch Injizieren hochmolekularer Eiweißspaltungsprodukte
werden Tiere schwer affiziert; es stellt sich Temperaturerniedrigung,
Atemverlangsamung und Sopor ein, und die Tiere können bei
enorm niedriger Temperatur längere Zeit am Leben bleiben. Die
Erscheinungen, welche so veranlaßt werden, können durch ein
acetonlösliches, dialysables Eiweißderivat, das durch Behandeln
von Eiweiß mit Alkalien in der Siedehitze gewonnen wird, auf-
gehoben werden. Diesen Hemmungskörper hat Weichhardt als
„Retardin* bezeichnet. Schon früher hat derselbe Verfasser ge-
zeigt, daß auch aus Tuberkelbacillen Spaltprodukte gewonnen wer-
den können, die durch das Retardin entgiftet werden. In neueren
Versuchen bestätigt Weichhardt (6) diese Erfahrungen. Er be-
diente sich der nach den neueren Erfahrungen festgelegten Me-
thodik der Darstellung von Tuberkelbacillenendotoxinen in vitro
und erhielt so gut durch Retardin beeinflußbare Präparate. Bei
Mäusen als Versuchstieren beobachtete er den beträchtlichen Tem-
peraturunterschied von 61/0 und es zeigte sich, daß sehr geringe
Mengen des Hemmungskörpers genügen, um die Tiere zu schützen.
Zur Deutung der Tuberkulinreaktion sind verschiedene Er-
klärungsversuche unternommen worden, die von Capelle (7) ein-
Wolff-Eisner war der erste, der
die Tuberkulinreaktion mit der Anapbylaxie verglich; er nimmt
an, daß das Tuberkelprotein den wesentlichen Bestandteil des
Tuberkulins ausmache. Diesen Anschauungen schließt sich Ca-
pelle an. Er wies nach, daß mit Tubverkulin aktive Anaphylaxie
hervorgerufen werden kann und er sieht in der ihm gelungenen
passiven Uebertragung der Tuberkulinanaphylaxie einen Beweis
für die Wolf£f-Eisnersche Theorie. |
Bezüglich des Durehtritts der Tuberkelbacillen durch die un-
verletzte Haut ist man noch zu keiner definitiven Entscheidung
gekommen. Königsfeld (8) hat dieser Frage eine sehr em-
gehende kritische und experimentelle Studie gewidmet, in der er
zum Resultat kommt, daß ein solcher Infektionsmodus sehr wohl
möglich ist. Er hält die Haut von Kindern für viel gefährdeter
als die Erwachsener. Durch diese Erscheinung will er die Drüsen-
tuberkulose der Kinder erklären, die in Gestalt der Skrofulose m
Erscheinung tritt. Um der Lösung der Frage experimentell näher
. zu treten, wurde Meerschweinchen auf die von Haaren befreite
Haut ein etwa bohnengroßes Stück Vaselin, enthaltend ein zirka
hirsegroßes Stück einer Glycerinagarkultur vom Typus humanus
oder bovinus, eingerieben. Den Fehlerquellen, wie der Verletzung
der Haut, der Inhalation der Bacillen durch die Tiere und der m-
fektion durch den Verdauungstraktus (durch Ablecken der be-
riebenen Stellen) wurde nach Möglichkeit vorgebeugt. Das Vor-
dringen der Bacillen auf dem Wege der Haarfollikel und der
Lymphspalten ließ sich genau verfolgen. Nach 7!/g Stunden
dringen sie schon ins Unterhautzellgewebe, wo sie auch 24 Stun-
den nach der Impfung anzutreffen sind. Nach vier Tagen befinden
sie sich in den regionären, den inquinalen Lymphdrüsen. Von
hier scheinen sie zunächst die Iliacaldrüsen zu befallen, von WO
sie auf dem Blutweg in die inneren Organe eindringen. So ließen
sich Bacillen in der Milz nachweisen. In mehreren Fällen zeigte
auch die Leber tuberkulöse Veränderungen. ;
Als ein weiterer Infektionsmodus wird von mancher Seite
die primäre Genitaltuberkulose angesehen. Doch ist dieser Auf-
fassung oft widersprochen worden und Bennecke (9) faßt die
Meinung verschiedener Forscher hierüber zusammen. Er selbst
hält diesen Weg der Infektion für möglich und er hält seime
früheren experimentellen Studien den Angriffen v. Baumgartners
gegenüber aufrecht. Zusammen mit Jung war es nämlich Ben-
necke gelungen, in 14,6V/, der Fälle beim Kaninchen eine ascen-
dierende Tuberkuloseinfektion zu erreichen, während in der größeren
Zahl der Fälle, wie auch Baumgartner beobachtete, eine des-
cendierende Infektion, teils mit teils ohne ascendierende, gefunden
worden war. m i *
10. November.
Vor sieben Jahren hat Weber im ersten Ergänzungsbande
des Handbuchs der pathogenen Mikroorganismen von Kolle-
Wassermann den damaligen Stand der Frage nach den Be-
ziehungen zwischen der Tuberkulose des Menschen und der Tiere
. dargestellt.. In der Loeffler-Festschrift (10) faßt er nun die neuen
Forschungsergebnisse der seitdem verstrichenen Zeit zusammen
und zwar unter folgenden drei Hauptgruppen:
| I. Die Berechtigung der Typentrennung.
U. Die Differentialdiagnose zwischen den Baecillen des Typus
humanus und den Bacillen des Typus bovinus.
| HI. Die Infektion des Menschen mit den Baeillen des Typus
bovinus.
Im Jahre 1905 hat sich Weber für die Typentrennung aus-
gesprochen. Er sagte damals:
1. Die Säugetiertuberkelbacillen lassen sich durch die Unter-
suchung mittels der Kulturverfahren in zwei Gruppen trennen, in
die Bacillen des Typus humanus und in die Bacillen des Typus
bovinus.
2. Die Bacillen des Typus bovinus rufen in allen Fällen eine
fortschreitende Tuberkulose beim Rinde hervor, bei den Baeillen
des Typus humanus ist dies weder bei Infektion durch Impfung,
noch durch Inhalation und Fütterung der Fall.
Diese Anschauung ist inzwischen fast allgemein geworden.
Gegen sie sind ins Feld geführt worden die atypischen Kulturen
und die Umwandlungshypothese. Bei genügend ausgedehnten Ver-
suchen kann man eine Anzahl der atypischen Zwischenkulturen in
dem einen oder dem andern Typus unterbringen. Besonders zu
beachten ist, daß frisch gezüchtete Kulturen seltener als alte das
atypische Verhalten zeigen. Jedoch gibt es trotz Vermeidung aller
Versuchsfehler eine Anzahl Kulturstämme, die man weder beim
Humanus noch beim Bovinus unterbringen kann. Demgegenüber
muß man stark beachten, daß es Mischkulturen beider Formen auch
im menschlichen Körper gibt, wie die deutsche Tuberkulosekommis-
sion schon vor der Aera der atypischen Kulturen nachwies.
Gerade diese spielen jetzt in den Berichten der englischen Kom-
mission eine große Rolle. Zu beachten ist auch, daß bei einer
und derselben Person an der einen Stelle des Körpers eine In-
fektion mit Bacillen des Typus humanus und an anderer eine solche
mit Bacillen des Typus bovinus sich finden kann. Ferner wurde
beobachtet, daß die Bacillen des Typus bovinus trotz 101/sjährigen
Aufenthalts im menschlichen Körper eines Knaben ihren Typus
festhielten, wenn auch mit bemerkenswerten Schwankungen in der
Virulenz.
Als die einzige Stütze der Umwandlungstherorie bleiben die
Versuche von Eber (11), die auf einer besonderen Versuchs-
anstellung beruhen. Nach ihm werden zuerst Meerschweinchen mit
tuberkulöser Menschenlunge subcutan infiziert. Dann wird das
tuberkulöse Material der Meerschweinchen durch gleichzeitiges
subeutanes und intraperitoneales Uebertragen auf Rinder gebracht,
bei denen eine tuberkulöse Bauchfellentzündung die Folge ist.
Aus diesen Herden werden Tuberkelbacillen gezüchtet, die nach
abermaliger subcutaner und intraperitonealer Verimpfung auf Rinder
sich sowohl auf künstlichen Nährböden als auch im Kaninchen-
und Rinderversuche wie Tuberkelbacillen des Typus bovinus ver-
hielten, obwohl aus dem vom Meerschweinchen stammenden Aus-
gangsmaterial in jedem Falle Tuberkelbacillen isoliert wurden, die
alle Eigenschaften des Typus humanus zeigten. Eber vertritt
daher den Standpunkt der Umzüchtungsmöglichkeit und demnach
der Arteinheit der beim Menschen und beim Rinde vorkommenden
Tuberkelbacillen.
Demgegenüber berichtet Weber, daß die Versuche Ebers
im Kaiserlichen Gesundheitsamte genau nach dessen Vorschrift und
In engster Fühlung mit ihm nachgeprüft worden sind und daß
nicht in einem einzigen Fall eine Umwandlung eingetreten sei.
Doch wird auf Nachsuchen von Prof. Eber nochmals in eine
Wiederholung der Versuche eingetreten werden, da das Resultat
von außerordentlicher Wichtigkeit ist. l
Nach den neueren Erfahrungen empfiehlt Weber, für die
Differentialdiagnose der beiden Typen des Tuberkelbacillus folgende
Verfahren zu kombinieren:
1. Züchtung der Tuberkelbacillen aus dem Ausgangsmaterial
gleichzeitig auf je drei bis vier Röhrchen Serum, 2%/yigem Gly-
cerinserum und Lubenauschem Eiernährboden.
2. Züchtung der Kultur in zwei Generationen auf Serum
und Glycerinserum. |
3. Uebertragung auf Glycerinbouillon von amphoterer bis
schwach saurer Reaktion. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1843
4. Impfung von Kaninchen, und zwar erhält ein’ Tier 10 mg
subcutan unter die Bauchhaut, ein zweites Tier 0,01 mg intravenös
in die Ohrvene.
Das Kaninchen ist wegen seiner nur geringen Empfänglichkeit
für den Typus humanus und seiner hohen Empfänglichkeit für den
Typus bovinus das geeignetste Versuchstier.
Doch kann auch die Maus zur Differentialdiagnose heran-
gezogen werden, denn auch dieses Tier ist gegen den Bovinustyp,
wie z. B. Peters (12) angibt, weit empfänglicher als gegen den
Humanustyp.
Die Details der Kulturversuche können hier nicht wieder-
holt werden. Soviel sei noch bemerkt, daß mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit diejenigen Serumkulturen, die eine Lebens-
fähigkeit von über einem Jahr zeigen, als bovine anzusehen sind.
Die Infektion des Menschen mit dem Bovinustypus ist sehr
wohl möglich. Auch die weitverbreitetste und gefährlichste Form
der Tuberkulose, die Lungenschwindsucht, kann auf die Infektion
durch den Typus bovinus zurückgeführt werden. Dieser Typus
ist imstande sämtliche Formen der Tuberkulose beim Menschen
hervorzurufen. Meist ist aber hier der Verdauungskanal die Ein-
gangspforte. Jedoch spielt, prozentisch gerechnet, der bovine Typ
nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum humanen, sodaß
sich die Bekämpfung der Tuberkulose in erster Linie gegen die
Ansteckung von Mensch zu Mensch richten muß.
Die Ausscheidungswege des Tuberkelbacillus aus dem Körper
der Milchkühe und die Wege, auf denen die Bacillen in die Milch
gelangen, sind von Cosco (13) studiert worden. Nach seinen
Untersuchungen kann man annehmen, daB die Uebertragung von
Rind auf Rind hauptsächlich durch den Kot erfolgt, der die leben-
den und specifischen Bacillen enthält. Der Tuberkelbacillus kann
in der Milch tuberkulöser Kühe, aber mit Eutern von durchaus
gesundem Aussehen, vorkommen, auch wenn die Milch aus dem
Innern der Euterdrüse ausgezogen wird, selbst bei Anwendung
aller Vorsichtsmaßregeln, um jede von außen kommende Verun-
reinigung zu vermeiden. Das häufige Vorkommen des Kochschen
Bacillus in der auf gewöhnliche Weise gemolkenen Milch von
tuberkulösen Kühen ohne Euterlokalisation (Milch, die sich bei
aseptischer Entnabme als frei von Bacillen erwies) ist den fäkalen
Verunreinigungen zuzuschreiben, die während des Melkens statt-
finden. Im Vergleich zur Ausscheidung der Bacillen durch den Kot
ist die durch den Mund nur sehr gering zu veranschlagen; nie ließ
sich vom Autor Ausscheidung mit dem Urin nachweisen; jedoch kann
sie natürlich bei Erkrankungen der Harn- und Genitalapparate er-
folgen. Ein von geschlossener Tuberkulose affiziertes Rind scheidet
auf keinem Wege specifische Bacillen aus. Es kann daher obne
Gefahr mit andern Rindern im selben Lokal stehen, bis mit dem
Fortschreiten der Krankheit die Bacillen einen Ausweg nach
außen finden.
Zum Schluß sei erwähnt, daß nach den Beobachtungen von
Stoerver (14) tuberkulöse Netzhauterkrankungen keineswegs eine
Seltenheit sind. Der Verfasser empfiehlt für ihre Diagnose und
Therapie die Verwendung von Tuberkulin.
Literatur: Nach Zentralbl. f. Bakt. u. Parasitenkunde I. Abt. 1. Johann
Böhm, Ueber die verschiedenen Färbemethoden der Tuberkelbacillen und deren
kritische Rezension. (1912, Bd. 62, S. 497.) — 2. F. Berka, Zur Tuberkelbacillen-
färbung. (1912, Bd. 61, S. 604.) — 3. Bowman, Winternitz und Evans,
Ueber die vitale Färbung des Tuberkels. (1912, Bd. 65, S. 408.) — 4. Her-
mann Friese, Eine Färbegestell zur Tuberkelbacillenfärbung. (1911, Bd. 60,
S. 333.) — 5. à. Pesci, Einfluß des Tuberkulins auf den Prozeß der Auto-
lyse. Verhalten des unkoagulablen Stickstoffs. (1911, Bd. 59, S. 71.) —
6. W. Weichhardt, Ueber die Beeinflussung von Spaltungsprodukten aus
Tuberkelbacilleneiweiß. (1912, Bd. 62, S. 589.) — 7. Th. J. v. Capelle, Ueber
Tuberkulinanaphylaxie und ihr Zusammenhang mit dem Wesen der Tuberkulin-
reaktion. (1911, Bd. 60, S. 531.) — 8. Harry Koenigsfeld, Ueber den
Durchtritt von Tuberkelbacillen durch die unverletzte Haut. (1911, Bd. 60,
S.28.) — 9. A. Bennecke, Ueber die Ascension der Tuberkulose im weiblichen
Genitaltraktus. (1912, Bd. 64 [Loefiler-Festschrift}, S. 189.) — 10. A. Weber,
Zur Tuberkulose der Menschen und der Tiere. (1912, Bd. 64 [Loeffler-Fest-
schrift], S. 243.) — 11. A. Ebor, Experimentelle Uebertragung der Tuber-
kulose vom Menschen auf das Rind. (19i1, Bd. 59, S. 198.) — 12. Ernst
Peters, Zur Pathogenität der Tuberkelbacillentypen bei Mäusen. (1912, Bd. 62,
S. 1) — 13. Guiseppe Cosco, Untersuchungen über die Tuberkulose der
Milchkühe. (1912, Bd. 61, S. 59.) — 14. P. Stoerver, Ueber tuberkulöse
Netzhauterkrankungen. (1912, Bd. 64, S. 18.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate,.
Ueber die traumatische Amnesie führt L. Picqué folgendes aus:
Man kann drei Arten von Amnesie unterscheiden: die einfache, die
retrograde und die anterograde. Den Typus der einfachen Amnesie
repräsentiert die sich auf den Anfall selbst beschränkende epileptische
Gedächtnislücke, sie kann aber auch nach Traumen konstatiert werden;
run hp
1
1844
die retrograde Amnesie löscht auch: die Erinnerungen im Bereich einer
kürzeren oder längeren, dem Trauma vorausgsehenden Zeitspanne aus,
während umgekehrt bei der anterograden Amnesie der Ausfall die seit
dem Ereignisse verflossene Periode betrifft. Die einfache und die antero-
grade Amnesie kommen auch nach rein psychischen Traumen (z. B.
heftigen Gemütsbewogungen) zur Beobachtung und müssen hier wohl als
hysterisch gedeutet werden, was auch für die meisten Fälle nach körper-
lichen Verletzungen Geltung baben mag. Für die retrograde Amnesie
dagegen, deren Vorkommen so ziemlich an Schädeltraumen mit Gehirn-
erschütterung gebunden ist, ist die Annahme eines organischen Substrats
mit Zellveränderungen nicht von der Hand zu weisen. (Presse méd. 1912,
Nr. 62.) Rob. Bing (Basel).
Klemperer und Hirschfeld berichten über den jetzigen Stand
der Thorium-X-Therapie und teilen zugleich eigene Beobachtungen an
Fällen von Leukämie und perniziöser Anämie mit. Von Leukämie
sind bisher 9 Fälle mit gutem, teilweise außerordentlichem Erfolge be-
handelt worden, diesen stehen drei Mißerfolge gegenüber. Die Verfasser
halten die Thorium-X-Therapie der Röntgenbehandlung für ebenbürtig bei
dieser Krankheit. Die neue Therapie hat den Vorzug der überall mög-
lichen Anwendung und der Unabhängigkeit von einem besonderen In-
strumentarium. Sie scheint bei vorsichtiger Anwendung weniger ge-
fährlich und kann auch mit Nutzen angewandt werden, wenn die Röntgen-
strahlen versagen oder Schaden zugefügt haben.
Bei der perniziösen Anämie sind bisher mit dem Thorium-X 3 Er-
folge, davon 2 in sehr schweren Fällen, und 4 Mißerfolge erzielt worden.
Einen Vorzug vor dem Arsen hat es nicht, doch kann es dies vielleicht
ergänzen, indem es beim Versagen desselben noch wirksam ist. In
einigen Fällen, in denen Arsen unwirksam blieb, wurde von der An-
wendung des Antimon gute Heilwirkung beobachtet. Deshalb wird emp-
foblen, bei perniziöser Anämie zuerst 3 bis 4 Wochen lang subcutane
Injektionen von 2 bis 10 mgr Natrium arsenicosum oder 0,1 Arsacetin zu .
versuchen und beim ausbleibenden Erfolg zur subcutanen Injektion von
Í bis 5 mgr Tartarusstibiatus (Lösung von 0,1 zu 20 mgr) überzugehen.
Wenn auch diese Methode versagt, bleibt- als letzter, nicht aussichts-
loser Versuch die intravenöse Injektion von 20 bis 40 000 M.-E. Thorium-X
übrig. (Th. d. Q. August 1912.) Buß.
Deutsch hat die fanktionelle Nierenprüfung mittels Phenol-
sulfophthalein, welche von Rowntree und Geraghty empfohlen
war, nachgeprüft. Es zeigte sich, daß dieses Nierenpräparat imstande ist,
Nierenschädigungen verschiedenster Art zu erkennen. Die anatomischen
und funktionellen Schädigungen entsprechen anscheinend den Störungen
in der Phthaleinausscheidung. Der Farbstoff vermag anzugeben, wie groß
die Gesamtfunktion, respektive Einzelfunktion der Nieren ist, was sie in
maximo leisten kann, und ist dadurch diagnostisch sowie prognostisch
verwertbar. Das Phenolsulfophthalein, welches in Ampullen zu je {i ecm
enthaltend 6 mg der Substanz, abgegeben wird, wird in die Rücken-
muskulatur injiziert. Die Blase wird vorher entleert und zirka eine halbe
Stunde vor der Injektion 300 bis 400 cem Wasser gereicht. Soweit
nicht zur Prüfung einer Niere Ureterencystoskopie in Frage kommt, :
werden die Kranken aufgefordert, in den ersten vier halben Stunden, so-
i ' dri d vierten Stunde, in getrennte Gefäße d i |
ee en Sen a stellen. Man kann sie sich unschwer beschaffen und ohne besondere
entleeren. In jede der sechs Harnportionen wird vor der colorimetrischen
Messung des secernierten Farbstoffs (am einfachsten mittels des Authen-
riethschen Kolorimeters) je 10 cem mit einer 5 °/,igen Natronlauge be-
gossen; dadurch wird stets, ob der Urin sauer oder alkalisch war, die
höchste Intensität des Farbstofles hervorgerufen. Schmerzen oder Schä-
digungen werden durch die Einspritzung nie verursacht. (Wr. kl. Woch.
Nr. 82, S. 1217.) Zuelzer.
Moriz und Alfred Weiß haben über die Verwertung des Uro-
chromogennachweises bei der Indikationsstelluug der Tuberkulin- :
behandlung in dem Palschen Institut Untersuchungen angestellt. Das
Auftreten der Ehrlichschen Diazoreaktion, beziehungsweise . ihres Prin-
zips, des Urochromogens, weist auf das Darniederliegen der Widerstands-
kraft der Lungenkranken hin. Von anderer Seite wurde das Bedenken
ausgesprochen, bei vorhandener Diszoreaktion die Taberkulinbehandlung
einzuleiten. Verfasser haben diese Frage weiter verfolgt und gefunden,
daß die genannte Ausscheidung, welche durch die Permanganatprobe
nachgewiesen werden konnte, in der Tat eine Kotraindikation für die Vor-
nahme der Tuberkulinbehandlung darstellt. Wiederholte Prüfungen des
Harnes in dieser Richtung ist daher nicht nur im Beginne, sondern auch
im Verlauf einer Tuberkulinkur angezeigt. (Wr. kl. Woch. Nr. m . 1183.)
uelzer.
Konservierte Ammenmilch zur Ernährung der Säuglinge emp-
fieblt J. Peiser. Die Brustmilch wird unmittelbar vor der Konser-
vierang abgestrichen. Dann wird nach dem Vorgange von Mayer-
hofer und Pribram in folgender Weise verfahren: Auf 200 cem Ammon-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November. .
milch kommen 4 gtt Perhydrol und 0,2 g Calciumsuperoxyd (die
Chemische Fabrik Coswig in Anhalt bringt das Calciumsnperoxyd unter
dem Namen Kalkodat in den Handel). Die so vorbereitete Ammenmilch
wird in Flaschen mit Soxhlet-Gummikappenverschluß in ein Wasserbad
von 500 C gebracht und !% Stunde lang darin gehalten. Durch die
Katalase der Frauenmilch kommt es bald zur Spaltung des Wasserstoff-
superoxyds und des Kalkodats, der Sauerstoff wird frei und entweicht
durch den Spalt" der Gummikappe. Es ist vorteilhaft, die Milch mehr-
fach umzuschütteln, sobald die Sauerstoffentwicklung im Gang ist. Her-
nach kommt die Milch in den Eisschrank. _ n
Diese Milch reagiert frisch ausnahmslos alkalisch gegen Lackmus,
Alle zwei Tage setzt man, selbst wenn die Reaktion alkalisch geblieben
ist, wieder 2 gtt Perhydrol zu und läßt bei 50° C den naszierenden
Sauerstoff einwirken. Ist die Reaktion amphoter geworden, 80 setzt man
noch einmal 0,2 g Kalkodat zu und erreicht dadurch in der Regel eine
alkalische Reaktion. | | | |
Vor der Verfütterung konservierter Brustmilch wird deren Reaktion
stets nochmals geprüft. In der Regel hat der Verfasser alkalisch
reagierende Brustmilch verwendet, ausnahmsweise auch amphoter ge-
wordene. Und auch in solchen Fällen hat er trotz sorgfältigster Beob-
achtung nicht ein einziges Mal einen Nachteil davon gesehen. (D. med:
Woch. 1912, Nr. 37.) F. Bruck.
Zur Nomenklatur medizinisch wichtiger Salze bemerkt
R. Sodemann: Man muß unterscheiden zwischen Barpumsulfid,
Baryumsulfit und Baryumsulfat. |
. “ Baryumsulfid = BaS = Schwefelbaryum = Baryum sulfuratum (giftig),
Baryumsulfit = BaS0O; = schwefligsaures Baryam = Baryum sulfurosum
(giftig), a 4 oo.
Baryumsulfat = BaSO4 = schwefelsaures Baryum = Baryum sulfuricum
(für Röntgenzwecke).
Durch eine Verwechslung von schwefelsaurem Baryum und Schwefel-
baryum wurde der Tod eines Menschen herbeigeführt.
Ferner ist zu unterscheiden zwischen Chlorcaleium, Chlorkalk und
chlorsaurem Calcium. I
Chlorcalcium = CaCls = Caleiumchlorid = Calcium chloratum,
Chlorkalk (Formel nicht einheitlich) = Calcaria chlorata,
Chlorsaures Calcium = Ca(ClO3)s = Caleiumchlorat = Calcium chloricum.
Chlorcalcium wird neuerdings innerlich gegen Juckreiz und
Blutungen gegeben. | |
Sehr häufig wird Chlorkalium mit chlorsaurem Kalium verwechselt:
Chlorkalium = KOl = Kaliumchlorid = Kalium chloratum,
Chlorsaures Kalium = KClO; = Kaliumchlorat = Kalium chloricum.
Nicht identisch sind also: l
a) Calciumchlorat und Calcium chloratum,
b) Kaliumchlorat und Kalium chloratum. |
(Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 43.) F. Bruck.
Die Prophylaxe des Typhus abdominalis durch Yaceination mit
lebenden sensibilisierten Typhusbacillen (Methode von Metschni-
koff und Besredka) empfiehlt Broughton-Alcock. Er ist der An-
sicht, daß sensibilisierte lebende Typhusbacillen ein Analogon zu dem
durch die immunisierte Kalbslymphe abgeschwächten Pockenvirus dar-
Kautelen bis über vier Monate lebensfähig erhalten. Die erste Dosis
für einen Mann von kräftiger Konstitution soll 750 Millionen Bacillen im
1 cem physiologischer Kochsalzlösung betragen, für eine Frau von mitt-
lerer Größe nur 500 Millionen. Die zweite Dosis, die sieben bis new
Tage später verabreicht werden soll, beträgt das doppelte der ersten.
Die Dosis „500 Millionen“ entspricht 1 cem einer 24stündigen Agar-
| kultur (ohne Pepton!) in 100 cem physiologischer Kochsalzlösung.
Verdünnung 1:40 und in der Quantität von 0,1 cem fiziert sie 0.1 ccm
titrierten Meerschweinchenkomplements, Die Injektion erzeugt keie all-
gemeine und nur eine unbedeutende örtliche Reaktion; der Patient braucht
seine Lebensweise nicht zu modifizieren. Das Blutserum der mit sent!
bilisierten Typhusbacillen vaceinierten Personen gibt keine Komplement-
ablenkung und agglutiniert nur ausnahmsweise eine Emulsion u
Kulturen. Dagegen steigert es deutlich die Phagocytose und eonth
| wahrscheinlich auch Antiendotoxine. (Lane. 1912, 24. August.)
Rob. Bing (Basel)
Ueber Luminal, ein neues Hypnotikum, urteilt Rosenfeld su
| der Nervenklinik der Universität Straßburg im allgemeinen günstig, ©
kann es als ein gutwirkendes, zuverlässiges und gefahrloses un gi
pfohlen, wenn man bei der erstmaligen Anwendung etwas vorsichtig 18
| und die individuelle Reaktion festgestellt hat. Man soll mit einer Dosis
von 0,2 bis 0,3 g beginnen und kann diese bis 0,5 und 0,68 ne
Anwendung bei leichten und schweren Agrynien der hysterischen, a
asthenisch-erschöpften und circulär-depressiven Kranken, die Wir re
entspricht etwa derjenigen von 0,5 Veronal. Ein N ourastheniker hat
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1845
Mittel während dreier Monate in einer Dosis von 0,4 bis 0,5g fast
täglich bekommen, ohne daß unangenehme Nebenwirkungen eintraten.
Solche kamen nur bei Kranken vor, die eine besondere Empfindlichkeit
‘gegen das Mittel zeigten, und zeigten sich als taumelnder Gang, be-
trafen aber nie die Herztätigkeit, Urinsekretion, Magendarmfunktion.
Bei längerem. Gebrauch soll man das Mittel nach etwa sechstägigem
Gebrauch einige Tage aussetzen, zweckmäßig ist auch die subcutane An-
wendung als Natriumsalz, ebenfalls mit 0,2 bis 0,3 g beginnend. Ar d.
G. August 1912.) Buß.
Auch Kino (Hohe Mark i. T.) hat Versuche mit Luminal an-
gestellt, die ebenfalls recht zufriedenstellende waren. Die höchste Einzel-
dosis betrug 0,4, die größte Tagesgabe 0,6. Das Anwendungsgebiet war
dasselbe, wie oben geschildert, aber in zwei Fällen von genuiner Epi-
lepsie war die Wirkung des Mittels besonders auffallend. Es handelte
sich um Damen, die seit Kindheit an schweren Anfällen litten, und bei
beiden konnte durch allmähliche Substitution des Broms durch Luminal
eine fast anfallfreie längere Periode beziehungsweise eine deutliche Re-
duktion der Zahl und Intensität der Anfälle erzeugt werden. (Th. d. G.
September 1912.) Buß:
Dubar empfiehlt Zusatz von Methylenblau zu den für Lokal-
anästhesie gebräuchlichen Lösungen. Dieser Zusatz soll den Vorteil
bieten, daß die Grenze des anästhetischen Gebiets überall (mit Ausnahme
der Muskulatur) unzweideutig hervortritt, trotz aller Verschiebungen des
Gewebes und selbst durch einen Jodanstrich hindurch. Das Methylen-
blau fließt nicht aus der Wunde, sodaß die Tampons kaum gefärbt
werden. Eine Formel lautet z. B.: Novocain 1,0, Metbyl. coerul. 0,005,
Aq. destill. 10,0. (Presse méd. 1912, Nr. 47.) Rob. Bing (Basel).
Bücherbesprechungen.
W. von Oettingen, Leitfaden der praktischen Kriegschirurgie.
Dresden uud Leipzig 1912, Theod. Steinkopf. 377 S. M 9,50.
Der Verfasser hat seine reichen Erfahrungen auf dem Gebiete der
Kriegschirurgie, welche er während des russisch-japanischen Kriegs ge-
sammelt hat, zu einem recht handlichen, von der Verlagsbuchhandlung Ä
sorgfältig ausgestalteten Lehrbuche zusammengefaßt. Es soll den für die
gefahr- und überaus mühevolle, schwierige und sehr verantwortungsreiche.
chirurgische Tätigkeit auf dem Kriegsschauplatze nicht besonders für
diese Aufgaben vorbereiteten Aerzten als Nachschlagebuch, den Studie-
renden und jungen Chirurgen als Vorbereitungsbuch dienen. Diesen
Forderungen wird es in jeder Hinsicht gerecht. Die vom Verfasser ver-
tretenen Lehren sind durchweg zu billigen. Sie werden kurz und bündig
vorgetragen mit Voraussetzung minimaler chirurgischer Vorkenntnisse
des Lesers. Den hohen Verdiensten der Autoren, die sich vor v. Berg-
mann mit der Kriegschirurgie befaßt haben, wird der Autor gerecht —
ein nicht gering zu schätzendes Verdienst bei dem kurzen historischen
Gedächtnis unserer Tage! Ueberall findet man eine sorgfältige Bezug-
nahme auf die Kriegsformationen und das Sanitätsmaterial des deutschen
Heeres. 109 gute Abbildungen erleichtern das Verständnis, ein genaues
Register das Zurechtfinden im wohlgeordneten Texte. So können wir
das gute Buch warm empfehlen. H. Fischer (Breslau-Berlin).
A. Hamm, Die puerperale Wundinfektion. Berlin 1912. Julius
Springer. 167 S. M 6,—.
Ein auf vielfach eignen Untersuchungen aufgebautes Buch, das
alten Werten und gedankenlos weitergeschleppten, aber heute inhaltlos
gewordenen Begriffen mit kritischer Schärfe zu Leibe geht. Der Ver-
fasser leugnet insbesondere die reine Wundintoxikation als Ursache des
Puerperalfiebers, das ihm vielmehr immer und überall, selbst bei leich-
testen Temperatursteigerungen, echte Infektion ist. Besonders übersicht-
lich und erschöpfend ist der Abschnitt über dio bei Puerperalfieber nach-
gewiesenen Infektionserreger. Mit Entschiedenheit schließt sich der Ver-
fasser der Ansicht der Fachbakteriologen von der Arteinheit der Strepto-
kokken an, bei denen er nur verschiedene Wachstumstypen auf der Blut-
platte anerkennt.
Die klare, präzise, trotz weitgehendster Berücksichtigung der Lite-
ratur knappe und übersichtliche Darstellung des Stoffes ist ein besonderer
Vorzug dieses guten Buches. Baisch.
Johannes Werner, Venedig und Lido als Klimakurort und See- |
bad vom Standpunkte des Arztes. Mit einer dreifarbigen Ueber-
sichtskarte. Berlin 1912, Julius Springer. M 1,60.
Das vorliegende kleine Buch bietet eine Menge wissenswerter An-
gaben über Natur und Klima der Lagunenstadt, und der Versuch des
Verfassers, Venedig als Klimakurort und Seebad vom Standpunkte des
Arztes aus zu betrachten, ist mit Freuden zu begrüßen. — Verfasser
bespricht zunächst die geographischen und geologischen Verhältnisse
Venedigs, er erinnert an die ungeheure Reinigungsarbeit, welche die Flut
leistet, die zweimal täglich Venedig bis in den innersten Kern durch-
spült und dadurch den Bakteriengehalt des Wassers in den Kanälen be-
deutend reduziert. Interessant sind die Vergleiche mit dem Keimgehalt
im Hafen von Neapel, Genua, Palermo, Kiel und in den Spreewasser-
kanälen in Berlin. Verfasser erwähnt die mitunter bei tiefem Wasser-
stande sich bemerkbar machenden übelriechenden Ausdünstungen aus den
Kanälen, die aber nicht gesundheitsschädlich seien, wenigstens habe man
nie eine Häufung von Infektionskrankheiten entlang dem Kanal zu Zeiten
und an Stellen, wo der Geruch am schlimmsten ist, beobachtet. Die
Furcht vor dem Trinkwasser ist nach des Verfassers Angaben für die
ganze Stadt und alle zu ihr gehörigen Teile nicht mehr berechtigt, und
er hält das Trinkwasser Venedigs dem besten Trinkwasser deutscher
Städte nicht nachstehend.. Was Verfasser weiter von Klima, Laft-
beschaffenheit, von Untergrund und Wohnungsverhältnissen schreibt, ist
für den Arzt, der Kranke zu beraten hat, sowie für den Ruhebedürftigen,
der nach eigner Wahl seinen Erholungsort bestimmt, interessant und
lehrreich.
Mit einer Beschreibung des Lido und dem dortigen eigenartigen
Badeleben, sowie einem Kapitel über Venedig-Lido als Aufenthalt für
Kranke und Kinderkurort schließt die Broschüre, die, fußend auf lang-
jährigem Studium erfahrener Beobachter und gründlichen wissenschaft-
lichen Untersuchungen aus den letzten Jahrzehnten, eine schätzenswerte
Ergänzung der vielen Beschreibungen der Lagunenstadt ist.
Peusquens (Köln).
H. Dold, Das Bakterien-Anaphylatoxin und seine Bedeutung
für die Infektion. Mit 44 Tabellen, 6 Kurven und 4 Abbildungen
im Texte. Jena 1912, G. Fischer. 78 Seiten. M. 2,80.
Dold gibt in seiner Broschüre eine objektive Besprechung des
momentanen Standes der Bakterien-Anaphylatoxinfrage, die geeignet
scheint, neues Licht auf die Infektion und ihre Folgen zu werfen. Das
erst kürzlich erschlossene Gebiet wird wie folgt abgehandelt: Nach der
Einleitung wird zuerst die Technik des Bakterienanaphylatoxinversuchs
beschrieben. Dann folgt die Besprechung der Bildung des Anaphylatoxins
aus verschiedenen Bakterienarten, niederen pflanzlichen Zellen (Pilzen)
und Protozoen, wie die Frage nach der Bildung von Anapbylatoxin aus
echten Toxinen. Das vierte Kapitel enthält: Die Bedingungen für die
Bildung des Anaphylatoxins und die Bedeutung der einzelnen Kom-
ponenten (Antigen, Antikörper und Komplement). Bakterienanaphylatoxin
in vivo. Virulenz der Bakterien und Anaphylatoxinbildung. Die Be-
ziehungen der Bakteriolyse zur Anaphylatoxinbildung. Die folgenden
Kapitel enthalten nacheinander: 5. Die Natur des Bakterienanaphylatoxins.
6. Die Wirkungen des Toxins. 7. Die Entstehungsweise des Toxins.
Die Natur des Giftes. 8. Bakterienextrakte (gelöste Bakterieneiweißstoffe)
und ihre Beziehungen zum Bakterienanaphylatoxin. 9. Der Einfluß der
Immunkörper auf die Bildung des Toxins. 10. Die Bedeutung des
Toxins für die Infektion. |
Zuerst werden die Analogien zwischen der gewöhnlichen Anaphy-
laxie und der durch den bakteriellen Körper veranlaßten erörtert und
die Anschauungen besprochen, auf die die verschiedenen Forscher, be-
sonders Friedberger, die Wirkung. des Bakterienanaphylatoxins
zurückführen. Das Toxin läßt sich ebenso aus pathogenen wie aus
saprophytischen Mikroorganismen abspalten; die Ausnahmen von dieser
Regel werden erörtert. Viele der im dritten Kapitel erörterten Fragen
sind noch so diskutabel, daß sie hier nicht angedeutet werden können.
Was die Bakteriolyse angeht, so ist sie nicht die Vorstufe der Anaphyla-
toxinbildung, im Gegenteil verhindert eine rasche Bakteriolyse die Bil-
dung des Giftes. Die Peptonnatur des Toxins ist fürs erste natürlich
nicht nachzuweisen. Das Toxin ist thermolabil, da es durch kurz-
dauernde Erwärmung auf 650 zerstört wird. Der Verfasser glaubt, daß
ein großer Teil der bei den verschiedensten Infektionen zu beobachtenden
Allgemeinerscheinungen sich auf die anaphylaktischen Giftstoffe zurück-
führen lassen. Er nimmt an, daß die Anaphylatoxinbildung vorwiegend
durch die in der Form erhaltenen Bakterien ausgelöst wird und daß die
Bakteriolyse, wenn sie rasch genug geht, hindernd auf die Entstehung
des Giftes einwirkt. Dadurch fällt der Bakteriolyse eine ganz neue Be-
deutung als Schutzeinrichtung zu. Ebenso muß auch die Phagocytose
die Absonderung des Giftes hemmen.
Die Broschüre wird für den mitten in der Forschung dieses
Spezialgebiets Stehenden von Wert sein. Vielleicht wäre es besser ge-
| wesen, eine Zusammenfassung des Gebiets zu verschieben, bis die ver-
schiedenen es betreffenden Fragen weniger diskutabel sind. Die Studie
eignet sich nicht, um dem Nichtspezialisten einen Einblick in das Gebiet
zu gewähren, da zuviel vorausgesetzt wird und der an sich anerkennens-
werte objektive Standpunkt eine Einheitlichkeit der Auffassung hindert.
H. Pringsheim (Berlin).
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1846
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. November,
Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
1. Kongreß für biologische Hygiene in Hamburg
vom 12. bis 14. Oktober 1912.
Der Kongreß, für den der — persönlich nicht erschienene —
frühere Leiter des preußischen Medizinalwesens Wirkl. Geh. Rat Förster
den Ehrenvorsitz übernommen hatte, war einberufen worden unter der
Devise, einen „Ausgleich zu schaffen zwischen den verschie-
denen Richtungen der Heilkunde und jenen Volksbewegungen,
welche auf gesundheitliche Lebensreform gerichtet sind“. So
hatten sich zusammengefunden die Aerzte der sogenannten biologischen
Methode, ärztliche Vertreter der physikalisch - diätetischen Therapie,
Homöopathie, Laienpraktiker der Naturheilkunde, Impfgegner, Antialko-
holiker, Vegetarier, Pädagogen mit erziehungsreformerischeren Ideen
(Gurlitt, Förster, Holle), Schriftsteller (Driesmanns, Erdmann,
Schmidt [Giebichenfels]), Künstler (Fidus) und Führerinnen verschie-
dener Richtungen der Frauenbewegung (Clara Ebert, Adele
Schreiber, Elsbeth Krukenberg-Conze); auch einige wenige Aerzte
der „Schulmedizin“ waren erschienen. Eröffnet wurde dieser bunt zu-
sammengesetzte Kongreß, der täglich sich zu einer Vormittags- und
Abendsitzung versammelte, und dessen Teilnehmerzahl je nach der Zug-
kraft der Vorträge zwischen 300 bis 800 schwankte, mit einer Be-
grüßungsansprache des Reichstagsabgeordneten Faßbender, der
dazu ermahnte, das Trennende bei den Verhandlungen zurückzustellen
und das Einigende zu betonen. Er wies auf die Zusammenhänge der
Hygiene mit der Politik (Fleischteuerung), mit der Ethik und dem ganzen
Geistesleben hin. Wenn er gelegentlich die Behauptung aufstellte:
„Quarantäne, Isolierung und Desinfektion sind die drei Begriffe, welche
lediglich die heutige auf der Bakteriologie fußende Hygiene kennzeichnen;
wo sie andere Wege geht, ist der Einfluß der Naturheilmethode unver-
kennbar“, so könnte allein der Hinweis auf den Vater der modernen
Hygiene, Pettenkofer, der sie mit Vorliebe als „Wirtschaftslehre von
der Gesundheit“ definierte und behandelte längst vor dem Modernwerden
ener Methode, diese Ansicht widerlegen.
Den ersten Vortrag hielt Kost (Alsbach) über „neues Denken
in der Medizin“. Nötig sei neben der bisherigen anatomisch-kausalen
eine teleologisch-konditionale Lehre, neben dem lokalistischen das kon-
stitutionelle Denken in der Medizin, ergänzt durch psychobiologische
Forschungen. Eine knappe, klare Definition, wie sich die geforderte
biologische Hygiene von dem bisher als Hygiene bezeichneten Zweige
der Medizin hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Fundaments wie ihrer
praktischen Betätigung nach Ansicht ihrer Anhänger unterscheidet, gab
weder dieser noch irgendein auderer Redner des ganzen Kongresses.
Als nächster Referent sprach Bachmann (Harburg) „über
den humoralen Konstitutionsbegriff*. An Stelle des alten
Konstitutionsbegriffs will er einen modernisierten setzen, an Stelle der
anatomischen Pathologie eine „Lymphopathologie“, die im Einklange stehe
mit den neuesten Forschungen von Martius. Hansemann und Ehrlich.
Die Abendsitzung brachte zunächst einen Vortrag von Klein-
schrod (München) über „das biologische Prinzip der Ernährung“,
Er behauptete, daß die Physiologen bisher ein rein „mechanistisches“
Ernäbrungsprinzip verträten, dem gegenüber ein biologisches zu fordern
sei. Die Güte der Ernährung hänge durchaus nicht von der Anzahl der
zugeführten Calorien ab, sondern von der Beschaffenheit der „Ernährungs-
kraft“. Ebenso seien viele Krankheiten, wie z. B. Rhachitis und andere
konstitutionelle Leiden, lediglich auf den Mangel an dieser „Ernährungs-
kraft“ zurückzufübren. Die idealste Ernährung im Sinne seines biologischen
Prinzips sei die vegetarische. Anstatt des Calorienwerts will er den
„Bauwert“ beziehungsweise „Bildungswert“ der N ahrungssubstrate berück-
sichtigt wissen und die Ernährung selbst definiert er als „die materielle
Zustandsänderung der lebendigen Substanz auf einen Reiz von außen her“.
Nach Gisevius (Berlin), der den „Wert der Homöopathie für
die biologische Hygiene“ darlegte, sprach als letzter des Abends Lehrer
Mordhorst (Hamburg) über „Alkohol und Entartung“. Er unter-
suchte an der Hand eines sehr wirkungsvoll zusammengestellten, reich-
haltigen statistischen Materials und drastischer Einzelbeobachtungen die
degenerativen Einflüsse des Alkoholismus auf den einzelnen wie auf Ge-
sellschaft und Rasse. Es gelang ihm, eine einstimmige Resolution des in
seiner Gesamtheit ganz sicher nicht abstinenten Kongresses im Sinn
einer alkoholfreien Jugenderziehung zu erzielen.
Dank der in noch frischer Erinnerung stehenden Ermahnungen zur
Mäßigung bewegten sich die Diskussionen am ersten Tag in sehr ruhigen
Bahnen. Weit temperamentvoller wurden sie bereits in der zweiten Vor-
mittagssitzung, die mit einem Referate von Frau Clara Ebert (Koburg)
über „Die Mission der Frau bei Rassenverbesserung“ begann. Von
einem rein darwinistischen Standpunkt ausgehend, und unter starker An-
lehnung an Nietzs-he, erhob sie ihre im Endziele durchweg zu
—
billigenden Forderungen für Rassenhygiene Nicht fort sollst du
dich pflanzen, sondern hinauf! Aber gerade ihre lebhafte Betonung
der Notwendigkeit einer Rassenhygiene und das freimütige Bekenntnis
zu Darwin und Nietzsche entfesselten eine jener Weltanschauung:-
debatten, die ebenso schlagwortreich wie fruchtlos zu sein pflegen, und
die in diesem Falle kaum noch mit der Hygiene in Zusammenhang stand.
Eine gleich lebhafte Aussprache hatte der nächste Vortrag von Robert
Hessen (Berlin): „Ueber den Rückgang der Geburten“ in Deutschland
im Gefolge. In fesselnder Prägnanz und mit der Würze eines durch
Humor gemilderten Sarkasmus ging Referent den Gründen der gewollten
und ungewollten Kinderabnahme nach. Nicht so sehr die Fähigkeit als
der Wille, Kinder zu bekommen, ist geschwunden. Nicht ganz frei von
Lokalpatriotismus wird ihn der objektive Kritiker sprechen können, wenn
er die Großstadtverhältnisse nicht erheblich für die Erscheinung des Ge-
burtenrückgangs verantwortlich machen will. Wenn auch Berlin z. B.
vor vier Jahrzehnten mit 47 Kindern jährlich auf 1000 Bewohner die
fruchtbarste Stadt Deutschlands war, so kann dieses lang entschwundene
Ideal die Tatsache nicht entkräften, daß heute für dieselbe Stadt diese
Verhältniszahlen 20 : 1000 sind, womit sie den in Frankreich herrschenden
Zustand erreicht hat. Als Abhilfe empfiehlt Hessen den Ausbau des
Mutterschutzes, hygienische Reform der Mädchenschulen auf biologischer
Grundlage und eine aufbauende Hygiene im Sinne der „Ertüchtigung“
Hueppes. Energisch verwirft er die Auswüchse der F'rauenemanzipation
und erhebt die Parole: „Zurück zur Familie!“ gegenüber der einst von
Clara Zetkin ausgegebenen verhängnisvollen Losung: Los vom Manns,
los vom Kinde, hinein ins Berufsleben. Der letztere Angriff rief unter
anderm Adele Schreiber auf den Plan, die eine Lanze für die Frauen-
bewegung brach.
Den Abend des zweiten Kongreßtages füllte ein Vortrag des
Malers Fidus (Hoeppener- Woltersdorf), des bekannten Schülers Dieffer-
bachs, aus, in dem er eine große Anzahl seiner undi seines Meisters
Werke im Lichtbilde vorführte, die teilweise eine zweckmäßige Körper-
kultur predigten, teils in mystischer Symbolik oder Allegorie die tiefsten
Seelenregungen des Menschen widerspiegelten.
Den dritten Kongreßtag leitete Holle (Bremerhaven) mit
einem Vortrage über „Ziele und Wege des biologischen Unter-
richts“ ein, die er dahin definiert, daß der Schüler sich mit Bewußtsein
als Einzelwelle des einheitlichen Lebensstroms empfinden lernt, um daranf
seine Weltanschauung aufzubauen, daß er von der Tatsache durchdrungen
ist, daß es der Natur aufs Einzelwesen nur insoweit ankommt, als os für
das Leben der Gattung (das ist für den Menschen sein Volkstum) von
Wert ist, daß er sich danach seiner Verantwortung auch für die kommen-
den Generationen bewußt ist. Die Wege zu diesem Ziele sind je nach
der Eigenart des Schülers verschiedene. | |
Der letzte Abend war als Volksabend gedacht und brachte zu-
nächst Ansprachen von v. Hartungen (Oesterreich) im Namen der
Homöopathie. Kennel für die süddeutsche Gruppe des Vereins für
physikalisch - diätetische Therapie, von Jaerschky im Namen der
Berliner Gruppe desselben Vereins und von Paul Schirrmeister, Vor-
sitzenden des Naturheilvereins Berlin. Alle erklärten ihre Zustimmung
zur Tendenz des Kongresses. Ihnen folgte als eigentlicher Vortragsredner
Gustav Simons (Verfertiger des Simons-Brotes) mit dem Thema
„Volkswirtschaft und Volksgesundheit“.
Im Schlußvortrage verbreitete sich Winsch (Berlin) über
„Die Verständigung der Schulmedizin mit der Naturheilbewegung «
Den Stachel des Gegensatzes will Winsch dadurch beseitigen, ‚dab
sagt: Die Schulmedizin ist nicht verantwortlich für ihre abweichend
falsche Stellungnahme, sondern sie mußte zu ihr kommen auf dem „sozialen
Kulturniveau“, das wir haben. Deshalb liegt die Versöhnung auf dem
Gebiete sozialer Zukunftsarbeit. Eine Annäherung theoretischer Fi
schauungen der „liberalen“ medizinischen Richtungen (id est Naturheil
methode -+ Homöopathie!) an die orthodoxen ist unmöglich, aber denk-
bar ist, daß man den Streit an die „neutralen Instanzen“ der Presh
Regierung, Parlament und öffentlichen Meinung gibt, damit sie die #'
scheidung treffen. Für völlig unmöglich aber erklärt Winsch eine a
ständigung, sobald noch einmal irgendein Kurpfaschereigesetz kommt,
dann „Krieg bis aufs Messer... .“ Külz.
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 2. September 1912. i
G. L. Dreyfus: Ueber Entstehung, Verhütung und Dekan
lang von Neurorezidiven nach Salvarsan. Die Neurorezidive =
Salvarsanbehandlung wurden von den ersten Beobachtern für toziseh
Wirkungen erklärt. Ehrlich hat aber von Anfang an betont, d
beobachteten Hirnnervenerscheinungen lediglich syphilitischer Natur seiedı
10. November.
freilich sehr früh aufträten. Diese Ansicht ist jetzt von den meisten
Autoren angenommen, aber trotzdem besteht ein Zusammenhang mit der
Salvarsanbehandlung. Ihre Zahl hat zwar mit der jetzigen intensiveren
und mit Hg kombinierten Behandlung wesentlich abgenommen, ganz ver-
schwunden sind sie jedoch nicht. Die Neurorezidive sind besonders in
der ersten Zeit bei unzulänglichen Dosen gehäuft aufgetreten, weil die
Spirillen infolge anatomischer Verhältnisse in den Scheiden der Hirn-
nerven am ehesten der Wirkung des Mittels, wenn es in zu kleinen
Dosen verabreicht wird, entgehen können. Im Gegensatz zur Lues cerebro-
spinalis, die sich schleichend entwickelt und langsam fortschreitet, treten
die Neurorezidive plötzlich auf und haben die Neigung zu raschem Fort-
schreiten. Von großer prognostischer und diagnostischer Bedeutung ist
die fortlaufende genaue Untersuchung der Lumbalflüssigkeit neben der
Prüfung des Bluts auf die Wassermannsche Reaktion. Im Primär-
stadium bestehen fast nie Veränderungen der Lumbalflüssigkeit, im sekun-
dären sind sie wohl vorhanden, im tertiären nur dann, wenn Verände-
rungen des Üentralnervensystems bestehen. — Gegen die Giftwirkung
des Salvarsans spricht, daß nur bei kleinen Dosen die Nervenerscheinungen
auftreten, nicht aber bei großen, und daß sie bei intensiver Weiterbehand-
lung mit Salvarsan verschwinden. Bei Vergiftung von Mäusen mit Sal-
varsan kommt es zu typischer Neuritis, die Gehirnnerven sind in den
Versuchen aber dauernd frei geblieben. Die auf der Medizinischen Klinik
des Städtischen Krankenhauses beobachteten 13 Fälle von Neurorezidiven
sind größerenteils dauernd auch auf die Beschaffenheit der Lumbalflässig-
keit kontrolliert worden. Dabei hat sich gezeigt, daß diese ein genauer
Indikator für den Erfolg der Behandlung ist. Gelingt es durch die Be-
handlung, die abnormen Erscheinungen im Liquor zum Rückgang zu
bringen, so kann man die Prognose günstig stellen, um so günstiger, je
rascher der Erfolg eintritt. Gehen die Erscheinungen nicht völlig zurück,
so ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Rezidiv zu erwarten. In einem
Falle von Acusticusstörung, in dem der Liquor normal war, trat Besse-
rung erst auf Salicylbehandlung ein; es handelte sich auch der Anamnese
nach um eine rheumatische Affektion. Die Lues ist um so schwerer, je
stärker die Lymphocytose in der Lumbalflüssigkeit ist, ein steigender
pathologischer Wert des Gesamtbildes in dieser entspricht immer auch
einem ansteigenden entzündlichen Prozeß, und eine Besserung des Ge-
samtbildes einem abnehmenden. Bei allen Neurorezidiven bestehen mehr
oder minder schwere Acusticusaffektionen, die auch ohne subjektive
Störungen einhergehen können. — Zur Verhütung der Neurorezidive ist
vor allen Dingen eine genügende Behandlung des einzelnen Falles er-
forderlich, wobei die Untersuchung des Bluts auf Wassermannsche
Reaktion und der Lumbalilüssigkeit außerordentlich wichtige prognostische
Hilfsmittel sind. Ferner muß das Nervensystem, insbesondere Opticus
und Acusticus, aufs genaueste beobachtet und die Behandlung dem ein-
zelnen Fall angepaßt werden. Die Behandlung der Neurorezidive ge-
schieht am besten mit Salvarsan, und zwar so früh wie möglich. Man
muß vorsichtig beginnen und nach Möglichkeit eine Hoerxheimersche
Reaktion vermeiden, dann aber intensiv behandeln. Vorbehandlung mit
Quecksilber ist sehr zu empfehlen. Die Behandlung soll solange fort-
gesetzt werden, bis der Liquor normal ist. Dabei ist nicht nur die
Wassermannsche Reaktion desselben maßgebend, da schwere Verände-
rungen auch bei negativer Reaktion bestehen können. Fieber soll vermieden
werden und jedenfalls vor Fortsetzung der Behandlung abgeklungen sein.
Die Dosen müssen gentigend groß gewählt werden. Manche Patienten
vertragen allerdings die energische Behandlung nicht.
Diskussion: Herxheimer hält es ebenfalls für erwiesen, daß
die Neurorezidive syphilitischer Natur sind und keine Vergiftungen. Früher
sind sie häufig aufgetreten als man noch mit zu kleinen Salvarsan-
dosen behandelte, jetzt bei Anwendung großer Dosen und Kombination
mit Hg sind sie viel seltener geworden. Bei den letzten 1000 Patienten
der Klinik für Haut- und Geoschlechtskranke sind nur drei Fälle beob-
achtet worden. Ehrlich: Das Salvarsan dringt nur sehr schwer in die
Lumbalflüssigkeit ein, daher ist auch die Behandlung der Nervenerschei-
nungen sehr schwierig. Da ist es als günstig zu bezeichnen, daß Ent-
zündungen eintreten, die die Endothelien ja für Eiweiß durchgängig
machen, weil dort, wo Eiweiß durchtreten kann, auch das Salvarsan dazu
imstande ist. Zur Vermeidung jeder Reaktion muß darauf geachtet
werden, daß das verwandte destillierte Wasser frei von jeder bakteriellen
und chemischen Verunreinigung ist. Selbst bleibaltiges Glas, in dem das
frisch destillierte Wasser aufgefangen wird, kann durch die geringen
Bleimengen, die in Lösung gehen, Reaktion hervorrufen. Altmann:
Das sicherste Mittel gegen Neurorezidive ist energische Behandlung. Auf
der Klinik wird der Salvarsanbehandlung stets eine Kalomelbehandlung
mit Injektionen verausgeschickt und dann die Salvarsanbehandlung mit
mindestens 0,4 g begonnen. Die Einspritzungen werden nach vier bis
fünf Tagen unter Steigerung der Dosen fortgesetzt, bis die Wasser-
mannsche Reaktion negativ wird. Je schneller dies eintritt, um so
günstiger ist die Prognose, Hainebach.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1847
Kiel.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 18. Juli 1912.
1. Hoehne: Ueber Lagebestimmung der Ovarien an der Leben-
den mit Rücksicht auf die Röntgenbestrahlung. H. teilt die Resultate
seiner gemeinsam mit Linzenmeier angestellten Untersuchungen über
die Lokalisierungsmöglichkeit der Ovarien an der Lebenden mit und er-
läutert die Resultate an der Hand von zwei Tafeln. Die erste Tafel zeigt
das Lageverhältnis der bei liegender Frau nach der Bauchhaut projizierten
ÖOvarien zueinander und zu fixen Punkten der Körperoberfläche (Spinae
iliacae anteriores superiores und oberer Rand der Symphyse) in 59 Fällen;
die zweite Tafel demonstriert die mit besonderer Methode gemessene
Tiefenentfernung der Ovarien von der Außenfläche der Bauchhaut in
19 Fällen. Die Distanzgröße der Projektionspunkte beider Ovarien
schwankt nur in geringen Grenzen und beträgt in der Regel 9 bis 10 cm,
woran sich auch in den ersten Wochen der Gravidität nichts ändert. Sie
nimmt zu bei.besonders starker Anteversion des Uterus und wird ge-
ringer bei Retroversio uteri. Je stärker der Uterus antevertiert ist, um
so mehr rücken die Projektionspunkte der Ovarien symphysenwärts; je
stärker er retrovertiert ist, um so mehr nähern sie sich der Verbindungs-
linie der beiden Spinae iliacae anteriores superiores. Die Entfernung der
Ovarien von der plangemachten Hautoberfläche (auf die Spinae iliacae
anteriores superiores und auf die Symphyse aufgelegter Metallbogen) be-
trägt 4!/a bis 71/2 cm, im Mittel rechts knapp 6!/a em, links zirka 6 cm.
Sie verkleinert sich mit zunehmender Anteversion des Uterus und wird
größer bei Retroversio uteri. Die Aufrichtung des retrovertierten Uterus
ist verbunden mit zahlenmäßig nachzuweisendem Symphysenwärtswandern,
Auseinanderrücken und Annäherung der Ovarien an die Bauchdecken und
umgekehrt, |
Die exakte Lagebestimmung der Ovarien kann man bei ent-
sprechender Bestrahlungstechnik (Meyer) mit großem Vorteil
für die Röntgenbehandlung in dər Gynäkologie verwerten. Handelt es
sich nicht um Uterusmyome, so wird die genaue Lokalisierung der
Ovarien in einem großen Prozentsatze der Fälle möglich sein. Gelingt
aber der palpatorische Nachweis der Eierstöcke aus irgendeinem Grunde
nicht, so hält man sich an die von uns angegebenen Mittelzahlen, unter
Berücksichtigung der jeweiligen Uteruslage. Man wird so mit
einer großen Wahrscheinlichkeit die Ovarien richtig treffen, weil nach
unsern Untersuchungen ihre Lage nur wenig schwankt, sowohl bezüglich
der gegenseitigen Entfernung als auch bezüglich der Distanz von der
Außenfläche der Bauchdecken. Einen retrovertierten Uterus richtet man
zweckmäßig vor der Bestrahlung auf, um die Ovarien der Körperober-
fläche zu nähern und damit der Strahlenenergie zugänglicher zu machen.
Daß die Bestrahlung bei leerer Harnblase und bei möglichst entleertem
Darme zu geschehen hat, ist selbstverständlich. Bei einer etwaigen Be-
strahlung der Ovarien von hinten beziehungsweise von der Seite hat man
mit viel ungünstigeren Chancen der ovarialen Strahlenabsorption zu
rechnen, weil die Ovarien unter diesen Bedingungen wesentlich weiter
von der Strahlenquelle entfernt und durch Knochen von ihr getrennt
sind. Eine Bestrahlung der Ovarien von der Vagina aus fügt man viel-
leicht zweckmäßig der Bestrahlung von.den Bauchdecken her hinzu.
Bei dem Uterusmyom ist die Sachlage insofern anders, als nach
neueren Untersuchungen festzustehen scheint, daß es nicht allein auf dem
Umwege über die Ovarien, sondern auch direkt durch Röntgenstrahlen
beeinflußt wird (Kelen, Robert Meyer, Gräfenberg). In Myomfällen
gilt es danach, sowohl die Ovarien als auch das Myom selbst
mit wirksamen Strahlen zu treffen. Nach unsern allerdings bisher nur
wenigen Beobachtungen tritt durch das wachsende Myom eine wesent-
liche Verschiebung der Ovarien nicht ein, trotzdem die Gestaltung des
myomatösen Uterus eine so außerordentlich verschiedene sein kann.
Wir fanden die Ovarien hinter dem myomatösen Uterus im kleinen
Becken wenig unterhalb der Beckeneingangsebene oder dicht über der
Beckeneingangsebene auf dem Musculus psoas.
2. Bering: Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung
des Lichtes. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Lichttherapie sind
heute noch sehr lückenhaft. Nach zwei Richtungen hin können wir
durch Versuche in die Natur der durch die Lichtstrahlen gesetzten
Störungen im Chemismus des Zellebens Einblick gewinnen, durch den
Nachweis specifischer Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung
bestrahlten Gewebes und durch Erforschung des Einflusses der Strahlen
auf fermentative Prozesse. Neuberg hat nachgewiesen, daß die an und
für sich nicht photosensiblen Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette licht-
empfindlich werden, wenn sie mit Mineralstoffen zusammentreffen,
Quincke wies nach, daß die oxydierenden und reduzierenden Funktionen
der Zelle durch Licht gesteigert werden, wie auch von Hertel und Vor-
tragendem bestätigt wurde. Der Körper benutzt das Licht als Reduktions-
mittel zur Sauerstoffspeisung des Gewebes, indem es die Sauerstoff-
abspaltung aus seiner Hämoglobinverbindung erleichtert. Auf die Oxy-
Zend
Š ae ae
1848
dationsfermente — die Untersuchungen wurden mit der Meerrettich-
peroxydase angestellt — hat das Licht Einfluß: bei kleinen Dosen zeigt
sich auch starke Förderung der Fermentwirkung, die von einer bestimmten
Dosis ab ins Gegenteil umschlägt und, wenn die Dosis groß genug ist,
stets zu einer vollkommenen Zerstörung führt. Die äußeren ultra-
violetten wirken stets im Sinn einer Schädigung, die inneren ultra-
violetten und blauen zeigen bei geringer Dosis eine Förderung, bei
höherer eine Schädigung des Ferments. Dieser Strahlen bedient sich der
Körper in erster Linie bei der Lichtwirkung. Gegen die schädigenden
ultravioletten Strahlen schützt sich der Körper durch die Epidermis,
gegen einen übermäßigen Lichtgenuß durch das Pigment, welches die
blauen und violetten Strahlen zur Hälfte auffängt. Die grünen und
gelben Strahlen zeigen stets eine Förderung der fermentativen Kraft der
Peroxydase, allerdings erst bei größeren Lichtyuanten; die roten bleiben
ohne Wirkung. Die Beeinflussung der Peroxydase geht parallel mit der
chemischen Wirkung des Lichtes, ist aber umgekehrt proportional ihrer
Penetrationskraft. Bei allen Strahlen gelingt es durch geeignete Sensi-
bilisatoren — die Versuche wurden mit Farbstoffen, Galle, Eisensalzen
und Hämatoporphyrin augestellt — eine Steigerung bis zu einer
Schädigung der Fermentwirkung zu erzielen, vor allem bei den grünen,
gelben und den ohne Zusatz unwirksamen roten. Auch in überlebendem
Gewebe kann man dieselbe fördernde, schädigende und zerstörende
Wirkung des Lichtes beobachten, wenn man sich der von Unna aus-
gearbeiteten Reaktionen zum Nachweise der Sauerstoff- und Peroxydase-
orte in den Zellen bedient. |
G. Rost, Ueber Salvarsanbehandlung der Frambösle. R. hatte
Gelegenheit, 1910/11 in Westindien (Trinidad) mit als erster Salvarsan
hei Frambösie anzuwenden und die zauberhaft schnelle Wirkung dieses
Mittels hierbei festzustellen. Behandelt wurden über 1000 Fälle; bei den
ersten 500 von diesen konnte bezüglich der Dauer des Erfolgs nach einer
durchschnittlichen Beobachtungszeit von drei bis elf Monaten festgestellt
werden, daß sämtlich rückfallfrei geblieben waren, also 100% Heilung
erzielt war. Und zwar waren geheilt nach einer Injektion 81,8°/o,
nach zwei Injektionen 15°), nach drei Injektionen '3,2°%. Anwendungsart
des Salvarsans war die Methode der intramuskulär applizierten Oel-
emulsion, die bei richtiger Technik gute Resultate ergibt. — Als Folge
der hervorragenden Wirkung des Salvarsans ist bereits jetzt festzustellen,
daß die Frambösie, die sehr häufig vorkommt, sehon fast völlig aus-
gerottet ist; sie wird voraussichtlich von insularen Gebieten wenigstens
bald ganz verschwinden. Die Isolierhospitäler sind bereits sämtlich ge-
schlossen. — Die bei dieser Krankheit erzielten Erfolge sind um so be-
merkenswerter, als die Frambösie der Syphilis sehr nahesteht. Der Er-
reger, Spirochaete pertennis, von dem Vortragender Präparate zeigt, so-
wohl wie das klinische Bild weisen viele gemeinsame Züge auf. Beide
Erkrankungen stammen wahrscheinlich aus gemeinsamer Wurzel, sind
Schwestererkrankungen, von denen Frambösie die weniger bösartige ist.
Da bei dieser Krankheit die Therapia sterilisans magna im Sinne Ehr-
Jichs praktisch fast verwirklicht ist, darf der Hoffnung Ausdruck ge-
geben werden, daß dies bei Lues auch noch gelingen wird.
Michaud (Kiel).
Marburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 31. Juli 1912.
Berblinger: 1. Herzveränderungen bei Diphtherie. Anatomisch
untersucht wurden die Herzen von acht Kindern, welche an schwerer
Diphtherie erkrankt, in der ersten oder zweiten Krankheitswoche unter
den Zeichen der Herzläbmung gestorben waren. Vortragender bespricht
an Hand von Präparaten den Verlauf der specifischen Muskelsysteme des
Säugetierherzens und die Lagebeziehung der Herzganglien zu jenen
Systemen.
An den Ganglien konnten schwerere anatomische Veränderungen
nicht nachgewiesen werden, dagegen an den Fasern des Atrioventrikular-
bündels, besonders an seinem linken Schenkel, scholliger Zerfall der
Muskelfasern, Verfettung, zellige Wucherung um atrophische Fasern
(Exitus fünf Wochen nach der Infektion), isolierte Verfettung des Bündels
fand sich nur in einem Falle. Siebenmal fanden sich mehr oder minder
starke subendocardiale Blutungen zum Teil im Kammerknoten, zum Teil
im Gebiete des linken Schenkels. Klinisch bestanden Verlangsamung der
Herzschlegfolge, Störungen im Herzrhythmus,. l
Diese zum Teil allein auf die Ventrikel beschränkte Verlangsamung der
Schlagfolge kann durch ‚eine Ueberleitsstörung Il. Ordnung infolge der
degenerativen Prozesse an den Systemfasern bedingt sein, aber auch
Vagusreizung kann jene ventrieuläre Bradykardie hervorbringen (Rihl,
Hering). Die subendocardialen Blutungen geben in gewissen
Fallen schon bei der Obduktion einen Hinweis darauf, daß eine
Reizung des Vagus bestanden hat. Die Erregung dieser Nerven ist
vielleicht eine reflektorische durch COa-Anhäufung im Blute (drohende
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
10. ‘November.
Erstickung). An den Halsvagi und den Aesten wurden sichere degenera-
_ tive Vorgänge nicht beobachtet, was nach dem klinischen Verhalten auch
nicht zu erwarten war. Ä
Berblinger: 2. Ueber röhrenförmige Blutungen und Er.
weichungen im Rückenmark. B. demonstriert das Rückenmark eines
mehrere Monate nach Wirbelsäulenfraktur an Sepsis gestorbenen Ar-
beiters. Es ist das Rückenmark unterhalb der Liendenanschwellung ge-
quetscht und taillenartig eingeschnürt. Querschnitte über der Kom-
pressionsstelle zeigen eine weiche, weiße Masse im Bereiche der grauen
Centrelsubstanz. Durch den Nachweis von Körnchenkugeln und ge-
schrumpften Ganglienzellen ist das intravitale Zustandekommen der ganzen
Veränderung sichergestellt. Das Besondere dieser Kompressions-
myelitis ist ein stiftförmiges Hinaufschieben erweichter Massen im
ventralen Hinterstrangsfeld und Einbruch derselben in den Centralkanal.
_ Eine zweite, gezeigte Rückenmarkveränderung kann als Hämatomyelio
aufgefaßt werden. Im Sakralmark ist hämorrhagisch erweichtes Rücken-
mark durch Piarisse ausgetreten, bis ins Halsmark reichen hämorrhagisch
erweichte Bezirke, fortlaufende Strangdegenerationen fehlen, Teile grauer
- Substanz sind durch Blutungen sequestriert. Die Aetiologie ist im vor-
liegenden Falle nicht ganz geklärt.
Hübner: Ueber eine bisher nicht bekannte Wirkung de
Yohimbins. Vortragender berichtet, daß er vier Kaninchen mit Yohimbin
behandelt habe, und zwar wurden den Tieren in 1°/oiger Lösung 0,05
bis 0,2 g des Präparates mittels der Schlundsonde einverleibt. Bei zwei
von diesen Tieren fand sich nach der Gabe von 0,015 g eine leichte -
Trübung des Urins bei der Kochprobe; bei allen vieren ergab sich bei
der Sektion trübe Schwellung der Nierenepithelien mit Uebergang in
fettige Degeneration.
Der Befand legt doch den Gedanken nahe, ob ein derartiger Reiz-
zustand nicht zu entzündlichen Veränderungen des Nierenparenchyms
führen kann. | Georg Magnus.
Straßburg i. Els.
Unterelsässischer Aerzteverein. Sitzung vom 27. Juli 1912.
Keiner: Demonstration eines Urethralsteines bei einem Kinde,
Es handelt sich um einen Knaben, der wegen länger andauernder Blasen
beschwerden in die Klinik gebracht wird. Seit drei Jahren besteht eitrige
Cystitis. Vor sieben Jahren hat das Kind ein Malum Potti durch-
gemacht. Die Affektion ist jetzt geheilt.
Ueber der Symphyse besteht eine Dämpfung bis zum Nabel. Ober-
halb der Peniswurzel ist durch den Daumen ein harter Tumor zu fühlen.
Beim Katheterisieren stößt man am Bulbus auf einen Widerstand. Auf
der Röntgenplatte ist ein deutliches Konkrement zu sehen. Darch Ure-
trotomia posterior wurde der Stein entfernt. Chemisch besteht der Stein
aus reinem Calciumcarbonat. Das Kind wurde geheilt entlassen. Harn-
konkremente beim Kinde sind im Elsaß selten. |
Chiari: Demonstrationen zur senilen Schädelatrophle. Dis
Untersuchungen erstrecken sich auf die symmetrische senile Atrophie des
Schädels. Rechts und links von der Mittellinie befinden sich am Schädel-
dache grubige Vertiefungen, die gegen das Licht zu durchsichtig sind.
Diese Gruben sind manchmal porðs. Die Lamina compacta sehwin eb
zuerst, bis die Lamina interna erweicht ist, der Schwund geht von auben
nach innen vor sich. Die Lamina interna bleibt intakt. Diese Erschel-
nung kommt auch bei jüngeren Individuen vor. Mit Fagus oder Tophi
hat sie nichts zu tun. Nach Desperes können die Atrophien durch
Zug von der Galea aponeurotica erzeugt werden. Diese Atrophie 9
sich nach Virchow auch auf das Oceiput, selbst auf das Stirnbein fort-
pflanzen. Bei einem 87jährigen Arzte, der seinen Leichnam dem patho-
logischen Institute zur Verfügung stellte, fand Chiari eine symmetrisen?
parietale Atrophie, die sich vom linken Scheitelbein auf das linke Stim:
bein fortsetzte, die ferner das rechte Stirnbein und die Synoma 088
oceipitis einnahm. Es handelte sich hier also um eine symmetrigeh®
grubige Atrophie, die den größten Teil der Calvarea eingenommen hatte.
Dieser Befund kann nur mit der museulären Funktion in Einklang ®'
bringen sein. Es müssen nicht nur die Frontales und Oceipitales, sondem
auch die Temporales eingewirkt haben. In den Plana temporalia m “0
man eigentlich häufiger solche grubige Vertiefungen finden. Die se b
Schädelatrophie ist auf eine starke Funktion der Muskeln und eine ge
ringe Widerstandsfähigkeit der Knochen zurückzuführen. Es ist vol
praktischem Interesse, weil durch relativ geringfügige Traumen oino
Schädelfraktur entstehen kann.
E. Meyer: Ein Fall von Hypophysiserkrankung mit Dinheie
insipidus. 92jähriger Mann aus gesunder Familie. War mit j
eines Typhus abdominalis, den er in der Jugend durchmachte, immer gesu"
Im Jahre 1897 traten die jetzigen Erscheinungen auf. Großer Durst, i
bemerkte, daß er fetter wurde und sich Impotenz einstelle. Zeitweit
Entleerung von 14 bis 16 I Urin. Eine Kur in Karlsbad verschlimm®
10. November.
natürlich den Zustand. Im Jahre 1904 partielle Gesichtsfeldeinschränkung
und temporale Abblassung der beiden Papillenhälften festgestellt. Damals
konnte Patient nicht zum Schwitzen gebracht werden. Er fühlte sich
matt und schwach, klagte über Sehstörungen. Gegenwärtig ist Patient
sehr fett, die Anordnung des Fettes ist wie bei Frauen im Klimakterium,
die Bohaarung fehlt vollständig. Impotenz, Libido vollständig erloschen.
Pupillen reagieren normal. Es bestehen Abblassung der temporalen
Papillenhälften und unvollständige bitemporale Hemianopsie. Es handelt
sich um einen Fall von Dystrophia adiposo-genitalis.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß solche Fälle mit der Hypo-
physe im Zusammenhange stehen. Von Knoblauch sind ähnliche Fälle
beschrieben. Am Röntgenbilde konnten in der Gegend der Bypophyse
konkrementartige Gebilde nachgewiesen werden. Wie es sich mit der
Schilddrüse verhält, ist nicht zu sagen, sie kann nicht abgetastet werden
und ist am Röntgenbilde nicht zu sehen. Interessant ist der Blutbefund
bei dem Kranken. 54°, der Leukocyten sind Lymphocyten. Diese
Lymphocytose bei Hypophysiserkrankung wurde in letzter Zeit von Meyer
noch in zwei Fällen gesehen. Dies ist von Bedeutung, weil die Lympho-
cytose auch bei Erkrankung von andern Drüsen mit innerer Sekretion
vorkommt. (Morbus Basedowii.) In Fällen von Athyreoidosis mit Myxödem
kommt die Lymphocytose auch vor. Wassermannreaktion war bei dem
Patienten immer negativ.
Der Diabetes insipidus besteht schon seit 1897. Bei Diabetes in-
sipidus hat Meyer keine Veränderung am Herzen und am Circulations-
system nachweisen können. Das scheint Meyer wichtig in bezug auf
die allgemein geltende Auffassung, daß die große Flüssigkeitsmenge, die
durch den Organismus durchgepumpt wird, von schädlichem Einfluß auf
Herz und Gefäße sein soll.
Ist die Polyurie überhaupt etwas Krankhaftes oder nehmen die In-
dividuen nur viel Flüssigkeit auf und scheiden deshalb viel aus? Gibt
es Fälle, in denen wir keinen Anhaltspunkt für diese geistige Anomalie
haben? Es existieren sicher solche Fälle. Die Urinmenge ist nicht ab-
hängig von der zugeführten NaCl-Menge und .H30-Menge, sondern von
der ausgeführten NaCl-Menge. Die Leute entziehen das Wasser dem
Organismus, wenn man ihnen NaCl zuführt und kein Wasser. Patient
zeigt große Schwankungen im Körpergewicht innerhalb weniger Tage.
im Bett sind sie größer, bei Bettruhe ist die Ausscheidung in der Nacht
und am Tage gleich. Der Wasser- und Salzstoffwechsel des Kranken in |
der Zeit wo er im Bette liegt und außerhalb desselben sich befindet, ist |
verschieden. Ist er außer Bett, so nimmt das Körpergewicht zu, die
Wasserausscheidung bleibt zurück gegenüber der Aufnahme, die NaCl-
Ausscheidung beim Herumgehen ist gering, er retiniert NaCl. Beim
größer. Der Typus ist ähnlich dem der orthostatischen Albuminurie.
Diese Erscheinung scheint Meyer in Beziehung zu stehen mit der
myxödematösen Veränderung der Haut des Kranken.
Wenn Patient auf ist, vermag er das Wasser nicht aus dem Orga- |
nismus h i d retiniert NaCl, liegt er, vermag er das |. à Peia . a
erauszubringen und retiniert NaCl, liegt er, so g troffen durch ein von W. modifiziertes Vaccin, das außer mit abgetöteten
Wasser und NaCl auszuscheiden. Er kann keinen konzentrierten Harn
produzieren, er braucht viel Wasser, wenn er das Salz aus dem Orga-
nismus bringen will. Es handelt sich also um eine primäre Polyurie,
- Durch Reiz nervöser Centren in der Rachengrube, des Splanchnicus
kann. die NaCl-Ausscheidung des Harns variieren; zum Beispiel kann
durch Stich in die Rautengrube eine Erhöhung der NaCi-Ausscheidung
erzielt werden.
Eine vollständige Erklärung des Falles kann nicht gegeben werden.
Es handelt sich um einen Diabetes insipidus bei sicherer Hypophysis-
erkrankung, eine orthostatische Veränderung der NaCl-Ausscheidung mit
inyzödematösen Veränderungen der Haut. :
| Steiner: Demonstration von zwei Fällen hereditärer Ataxie
(Friedreich). Demonstration einer Krauken mit breitspurigem, stamp-
fonden Gang und leichter Ataxie. P. S. R. und A. S. R. fehlen.
Patientin kann die Hand nicht rasch öffnen (Nonnesches Symptom).
Genese ist nicht ganz klar. Licht- und Konvergenzreaktion sind normal,
Sensibilität intakt, Wassermannreaktion negativ.
Der zweite Fall betrifft die Schwester. Die Beschwerden und
objektiven Erscheinungen sind viel schwerer. Die Sprache ist undeutlich,
verwaschen; luetische Infektion liegt nicht vor. Das Erheben aus liegender
in die sitzende Stellung fällt Patientin sehr schwer, Gehen ist nur mit
Unterstützung möglich. Sehnen- und Bauchdeckenreflexe fehlen voll-
ständig. Sensibilität ist erhalten, Blasen-Mastdarmstörungen fehlen. Der
Vater und eine Stieftochter sind unter ähnlichen Symptomen gestorben.
Bei der Patientin finden sich noch leichte Muskelatrophien an der Hand
und den Schulterblättern. | E. Hirsch.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45.
1849
Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 30. Oktober 1912.
Vorder Tagesordnung: 1.PaulLazarus: Aktinium-X-Behand-
lung der perniciösen Anämie. Aktinium-X produziert die kurzlebigste
Emanation, die während ihrer Passage durch den Organismus in wenigen
Sekunden zu einem aktiven Niederschlag abgebaut wird. Auch dieser
zerfällt unter heftigen atomistischen Explosionen und Entsendung von
a-ß-y-Strahlen größtenteils innerhalb einer Stunde. Bericht über eine
Reihe von Aktiniumversuchen an Tier und Mensch bei verschiedenen
Krankheitszuständen. Darstellung eines Falles von schwerster perniziöser
Anämie, der sich trotz Arsenkur verschlimmerte und auf Aktinium-X
(Injektion von 50 elektrostatischen Einheiten intramuskulär, mit an-
schließender Aktinium-X-Trinkkur, 20 bis 30 elektrostatischen Einheiten
durch neun Tage) eine deutliche Besserung des Allgemeinbefindens, des
_ Appetits, Gewichts und des Blutbildes zeigte. Die Zahl der Erythro-
cyten stieg nach der ersten Aktinium-X-Kur von 1,3 auf 2,6 Millionen
und nach der zweiten Kur auf 6!/2 Millionen. Tierversuche zeigten eine
deutliche Organotropie des Knochenmarks für Aktinium-X. Skelett und
Leber von mit Aktinium-X intravenös gespritzten Versuchstieren waren
deutlich photoaktiv. Die Therapie der perniciösen Anämie mit strahlen-
der Materie verdient weiteres Studium. Wenn sie auch als Reiztherapie
nur bei radiosensiblem Knochenmarke symptomatischen Erfolg haben dürfte,
so hat sich dieser gerade bei Fällen eingestellt, bei denen die bisherige
Therapie (einschließlich Arsen) ergebnislos war. (Autoreferat.)
2. Plesch stellte zwei bereits in einer früheren Sitzung vorge-
stellte Patienten vor, von denen der eine Fall wegen perniziöser Anämie,
der andere wegen myeloischer Leukämie mit Mesothorium behandelt
| worden war. In beiden Fällen waren Rezidive eingetreten, wodurch die
Voraussetzung, daß die Strahlentherapie nicht die Krankheitsdisposition
heile, ihre Bestätigung findet. Die Anwendung des Mesoöthoriums ist heut
nicht mehr so gefährlich wie anfangs, weil man gelernt hat, das Mittel
genau zu dosieren und gleichsam beliebig die Zahl der Leukocyten ver-
mindern kann. P. berichtet weiter über einen Patienten, der bei einem
Blutdrucke von 220 mm an Anfällen von Angina pectoris gelitten hat.
Eine einmalige Injektion von Thorium X hat die Anfälle dauernd be-
Beim Aufstehen am Tage sind die Harnmengen geringer, in der Nacht | seitigt und der Blutdruck ist auf 150 mm gesunken und dauernd auf
dieser Höhe geblieben, Schließlich demonstrierte P. eine Patientin, bei
der ein Mediastinaltumor durch Mesothoriumbehandlung zu einer sehr
bedeutenden subjektiven und objektiven Besserung gebracht wurde.
Tagesordnung: G. Wolfsohn: Die Erfolge und Mißerfolge
der Vaceinationstherapie. Die Vaccinationstherapie hat sich in letzter
Zeit von der Bestimmung des opsonischen Index so gut wie freigemacht.
Liegen wird das Gewicht geringer, die Wasser- und NaCl- Ausscheidung ' Gegenstand der Behandlung sind besonders chronische, abgekapselte In-
fektionsherde. Gute Erfolge, meist mit Autovaceine, werden erzielt bei
Acne und Furunkulose, selbst in sehr hartnäckigen Fällen, fernerhin bei
chronischen Ekzemen, Schweißdrüsenabscessen und chronischen Neben-
höhlenentzündungen der Nase.
Die bisherigen Erfolge bei Staphylomykosen werden noch über-
Kokken auch mit Toxzinmengen in steigender Dosis immunisiert.
Streptokokkeninfektionen sind der Vaccintherapie im allgemeinen
weniger zugänglich. — Eine günstige Beeinflussung zeigen. zum Teil die
chirurgischen Tuberkulosen, besonders die Arthritiden, die tuberkulösen
Lymphome und Fälle von Lupus. Durch specifische Behandlung von
Mischinfektionen wird die Tuberkulintherapie oft sehr unterstützt. Bei
Gonorrhöe wurde das Scheringsche Vaccin „Arthigon“ angewandt, mit
ausgezeichnetem Erfolge bei gonorrhoischer Arthritis, mit gutem Resultat
auch bei chronisch verlaufender Epididymitis. Die Urethritis ließ sich
nicht beeinflussen.
Coliinfektionen der Harnwege, die jeder andern Therapie trotzten,
besserten sich mitunter bei Behandlung mit autogenen Vaccinen.
Die Vaccinationstherapie ist unschädlich und verdient, unter kri-
tischer Auswahl der geeigneten Fälle, eine weitere Ausbreitung. (Auto-
referat.) |
J. W. Samson: Entfieberungen bei Lungentuberkulose mittels
Tuberkulin, insbesondere mit kleinsten Dosen. Vortragender emp-
fiehlt, die Behandlung Fiebernder zu beginnen mit Dosen von 0,0001 bis
0,00001 mg Alttuberkualin oder Baeillenemulsion oder 0,0000005 mg der
Meyerschen S.B.E. (sensibilisierten Bacillenemulsion). Die Injektionen
könne man getrost jeden dritten bis fünften Tage wiederholen unter Ver-
meidung jeder Reaktion, das heißt jeder Steigerung über das gewohnte
Fieber hinaus. Die Steigerung der Dosen müsse unter strengster Be-
rücksichtigung der Tuberkulinempfindlichkeit des Patienten in außer-
ordentlich vorsichtiger Weise erfolgen. Es kommt lediglich darauf an,
eine Entfieberung zu erreichen, nicht eine hohe -Enddosis. In einer Reihe
von Fällen, die nicht zu vorgeschritten sind, ‚läßt sich ‚gleichzeitig mit
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1850 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr; 45.
der Entfieberung eine Ausheilung des Lungen- oder Kehlkopfherds er-
reichen, häufig gelingt es aber nur, die Krankheit auf ihren Herd zu be-
schränken, durch die Entfieberung aber eine.-wesentliche Besserung des
Allgemeinzustandes. herbeizuführen. In andern Fällen dagegen geht trotz
der Entfieberung der Kranke an dem progredienten Prozeß zugrunde.
Ganz allgemein gilt der Satz: Je vorgeschrittener der Fall, desto geringer
trotz. der Entfieberung der Tuberkulin-Dauererfolg, je länger die Dauer
und je größer die Schwankungen des Fiebers, je mehr es sich der soge-
nannten hektischen Form nähert, desto geringer die Aussicht auf 'Ent-.
fieberung mittels Tuberkulin.. Am. ehesten lassen sich die subfebrilen .
Kurven zur Norm bringen, Indiziert sind alle Fälle von Lungen- und
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Koloniale Medizin.
' Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun
von 2. 7
Regierungsarzt Dr. Külz, Kribi (Südkamerun).
3 - (Fortsetzung aus Nr. 44.)
Wie schon erwähnt, hat die Entwicklung des Gesundheitsdienstes
in Kamerun an der Küste einen bedeutenden Vorsprung gegenüber dem
Inlande. Die drei Hauptplätze der ersteren: Duala, Viktoria und
Kribi sind am längsten mit Aerzten besetzt und haben bisher auch allein
eine Hospitalanlage für Weiße und Farbige; alle drei zu verwalten war
mir längere Zeit vergönnt. Auf den Inlandsstationen ist. die Zahl der
Europäer meist noch zu gering, als daß der Bau eines Europäerhospitals
nötig erschienen wäre, wohl aber sind auch dort an sämtlichen Plätzen,
die überhaupt mit Aerzten besetzt sind, Lazarette und Polikliniken für
Eingeborene ins Leben gerufen.
Alle Fragen des Baues und des Betriebes kolonialer Krankenhäuser
unterscheiden sich in vielen wesentlichen Punkten von den heimatlichen.
Ohne auf alle diese Unterschiede im einzelnen hier eingehen zu können,
Europäerhospital in Duala.
sei nur darauf hingewiesen, daß sie nicht allein durch Rücksichten aufs
Tropenklima bedingt sind, sondern ebenso durch den kolonialen Cha-
rakter der Verhältnisse. In vorher unberechenbarer Weise vollzieht sich
die Entwicklung der einzelnen Orte; der eine eilt’ weit voraus, der andere
zögert, wieder andere sind zum Stillstande verurteilt. Die Zukunft des
einen ist für alle Zeiten gesichert, die des andern liegt völlig im Un-
gewissen. Ja oft genug sind schon Plätze, die zunächst als Stützpunkte
der Verwaltung erwählt waren, völlig wieder aufgegeben und durch ge-
eignetere ersetzt worden. So hat Duala, der Haupthafen Kameruns, mit
reichlich 400 Weißen seine Einwohnerzahl in zehn Jahren verdreifacht,
Kribi hat sie in fünf Jahren verdoppelt, während Viktoria am Fuße des
Kamerungebirges, das ihm den freien Zugang zum Hinterlande sperrt,
seit Jahren einen völligen Stillstand zeigt. Es ist einleuchtend, wie
schwer beim Projektieren eines kolonialen Hospitalbaues schon die Bedürfnis-
frage zu beantworten ist, denn ein Gebäude, das den Anforderungen deslaufen-
den Jahres vollkommen genügt, kann in kurzer Zeit durchaus unzuläng-
lich sein, falls nicht von vornherein auf die Möglichkeit seiner Erweite-
rung Rücksicht genommen wurde, Anderseits ist es nicht angängig,
eine Hospitalanlage zu errichten, die weit über die Größe des gerade
vorliegenden Bedarfs hinausgeht. Nicht zu vergessen ist ferner, daß bis
zum Einsetzen der Dernburgschen Aera das Mutterland nur wenig für
seine Kolonien übrig hatte, sodaß sie nicht wagen konnten, mit größeren
Forderungen vor das Parlament zu treten. Dadurch ist wie alle übrige
koloniale Entwicklung so auch die des Sanitätswesens schwer beeinträch-
tigt. worden. Auch heute noch erfordert der (mit Ausnahme der aus
Reichszuschuß bestrittenen Militärverwaltung) auf Selbsterhaltung der
Kolonie gestellte Etat in allen Ressorts die größte Sparsamkeit. So
kommt es, daß unsere drei Europäerkrankenhäuser keine stolzen
Bauten. sind, sondern sich auf der Grundlage des unbedingt Nötigen er-
heben. Das älteste, größte und komfortabelste von ihnen ist das Dualas
mit rund 30 Betten (s. Abb.). Es wurde im Jahre 1897 mit 16 Betten
è
7
'8.-B.-E. dartun.) (Autoreferat.) ..
10.: November; <
Kehlkopftuberkulose, wo durch die üblichen bygienisch-diätetischen Mittel.
das Fieber nicht heruntergeht und wo die Anlage des künstlichen Pneumo-
. thorax kontraindiziert ist. Theoretisch ist die entfiebernde Wirkung des
_Tuberkulins zu erklären durch die Anreicherung von Receptoren, welche
die „Herdtuberkuline* verankern. Eine Gefahr, die natürliche Ueber-
empfindlichkeit des Tuberkulösen gegen Tuberkulin durch kleinste Dosen
zu steigern, ist ausgeschlossen, dies geschieht nur durch zu große Dosen
und durch zu schnelles Ansteigen der Dosis.. (Folgt die Demonstration
von Kurven, welche die’ entfiebernde Wirkung ‘des A.-T., B.-E. und
Die Diskussion über beide Vorträge wurde vertagt. |
| Fritz Fleischer.
erbaut und 1909 durch einen stattlichen Erweiterungsbau zu seiner
jetzigen Größe umgestaltet. Es steht unter Leitung- eines Regierungs-
arztes, dessen Stelle indessen seit einer Reihe von Jahren in Personal-
union mit der des Chefarztes der Truppe und des Medizinalreferenten
gebracht worden ist. Neu aus Deutschland kommende Aerzte pflegeu
sich hier eine Zeitlang in die Pathologie und Therapie der Tropenkrank-
heiten einzuarbeiten. An. weißen Hilfskräften sind ein Lazarett-
inspektor, ein Hospitalverwalter und vier bis fünf Schwestern des
„Deutschen Frauenvereins vom roten Kreuz für die Kolonien“ vorhanden.
Zwei der letzteren sind geprüfte Hebammen und werden im Bedarfsfälle
nicht nur in den Ort Duala, sondern auch ins Inland zur Ausübung ihres
Berufs entsandt. Eine ansehnliche Schar farbiger Angestellter: Koch,
Waschmann, Heilgehilfen, Krankenwärter, Hausjungen usw. vervollstän-
digen das Personal. Der größte Teil von ihm findet gleichzeitig Ver-
wendung im Farbigenhospital, auf das wir noch zurückkommen. Von großen
Hospital für Europäer (rechts) und für Farbige (links)
in Victoria am Fuße des Kamerunberges. |
Krankensälen sieht man zweckmäßigerweise in den. Tropen ab, und £0
sind die einzelnen . Zimmer mit zwei bis höchstens vier Betten aus
gestattet. Alle sind mit Moskitosicherung versehen. Die bei einem
Tropenhause unerläßliche breite, gedeckte, ringsum laufende Veranda er-
möglicht eine ausgiebige Ventilation und- erspart überdies jedes Korridor-
system. Außer den Krankenräumen und den.Wohnungen der europi-
schen Angestellten birgt das Erdgeschoß des Baues in je einem Raum
ein ärztliches Konsultationszimmer, das Bureau, die Apotheke, ein. 8%
räumiges Laboratorium mit vier Arbeitsplätzen, die umfangreiche patho-
logisch-anatomische Sammlung, die Bibliothek und in centraler Lage den
Operationssaal. Auf der Rückseite sind durch je einen- verdeckten Gang
zwei Anbauten mit dem Hauptbau verbunden, deren einer die Küche,
Vorrats- und Wirtschaftsräume, der andere die Bade- und Klosetteinrich-
tungen enthält. Im inneren Betriebe sind zwei Verpflegungsklassen 0m-
gerichtet, deren Satz für den Tag 10 beziehungsweise 6 M beträgt, W0-
bei zu bedenken ist, daß der Lebensunterhalt in Kamerun etwa den
doppelten Aufwand erfordert wie in der Heimat: Alle Qoi-
vernementsangehörige haben völlig freie Verpflegung und ärztliche Be
handlung; für Mitglieder von staatlichen Expeditionen, Postbeamte, At
gehörige der Marine, Missionare und alle Familienmitglieder. der hier
aufgezählten Kolonisten bestehen ermäßigte Taxen.
Entsprechend ihrem centralen Charakter ist der Dienststelle Duslas
das Sanitätsdepot für die ganze Kolonie angegliedert, aus dessen 6
ständen alle Aerzte ihren Arznei-, Verbandmittel- und Instrumentenbedar
zu decken haben. Neben ihm besteht seit einigen Jahren am Urte an
Privatapotheke. Weiterhin gehört zu den Obliegenhieiten des Regierung
arztes von Duala die Aufsicht über das Seesanatorium Suellabs, P
im Jahre 1900 auf einer in dreistündiger bequemer Dampfhootlahn z
erreichenden schmalen Landzunge errichtet wurde. Der aus porta
Wellblech aufgeführte, auf 2!/2m hohen Eisenpfeilern ruhende Bau Er |
außer einem gemeinsamen Eßraum in vier Zimmern Platz für a0
Ki:
10. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. | 1851
Pensionäre und wird von einem europäischen Verwalter bewirtschaftet.
Viele Kranke,‘ die in der Pflege des Hospitals nur eine zögernde Ge-
nesung erreichen, erholen sich weit rascher im Sanatorium, das in seiner
Ruhe und namentlich durch seine Lage im direkten Bereich einer starken,
erfrischenden Seebrise große Vorzüge gegenüber der schwülen Atmo-
sphäre des im Müindungsbecken des Kamerunflusses gelegenen Duala bietet.
Weit kleiner, primitiver in Bauart und Ausstattung und gewisser-
maßen noch im Werden begriffen sind die beiden andern Kranken-
häuser Kameruns in Viktoria und Kribi (s. Abb.), von denen ersteres
im Jahre 1907, letzteres 1908 erbaut wurde; beide haben seither jährlich
irgendeinen Ergänzungs- beziehungsweise Erweiterungsbau erlebt. Früher
diente eine zweizimmerige Döckersche Baracke in Viktoria zur Aufnahme
Schwerkranker, während in Kribi eine Hospitalbebandlung überhaupt aus-
geschlossen war, und im günstigsten Falle der Patient bei zufälliger
Dampfergelögenheit dem sieben Seefahrtstunden entfernten Duala über-
wiesen werden konnte. Infolge des rapiden Aufblühens Kribis durch den
lukrativen Gummihandel und die dadurch herbeigeführte starke Zunahme
der nach Südkamerun kommenden Europäer ist das Hospital dieses Orts
besonders rasch erweiterungsbedürftig geworden. Da es aber keineswegs
sicher ist, daß dieser Aufschwung anhält, da möglicherweise durch den
an Südkamerun stoßenden Gebietszuwachs eine Verschiebung beziehungs-
weise teilweise Ablenkung des Verkehrs nach einem der neu gewonnenen
Küstenplätze stattfinden wird, bestehen berechtigte Bedenken gegen einen
den jeweiligen Bedarf überschreitenden Ausbau. Der Betrieb der Kranken-
häuser Viktorias und Kribis entspricht im allgemeinen dem Dualas, nur
ist die Sorge für die Verpflegung der Patienten einer Krankenschwester
zum Tagessatze von 6 M übertragen; verschiedene Klassen bestehen nicht.
Unter den Zugängen unserer Kameruner Hospitäler sind erklär-
licherweise die wegen rein tropischer Krankheiten vorherrschend. In der
Führung behauptet sich immer noch mit großer Ueberlegenheit die Ma-
laria, obwohl ihr prozentualer Anteil an der Gesamtmorbidität von Jahr
zu Jahr zurückgeht. Unter 316 Hospitalaufnahmen Dualas im Jahre
1909 bis 1910 waren beispielsweise 112 (= 35 %/o) Malariakranke, sowie
28 (= 9%) Schwarzwasserpatienten; erstere ohne, letztere mit 5 Todes-
fällen. In gleicher Höhe wie das Schwarzwasserfieber hielt sich der Zu-
gang an Dysenterie, sodaß diese drei tropischen Seuchen über die
Hälfte aller Behandelten. ausmachten. Keine einzige Erkrankung reicht
an Frequenz auch nur annähernd an sie heran; am nächsten steht ihnen
noch die Gruppe der venerischen Infektionen. (Fortsetzung folgt.)
Medizinalgesetzzebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Schadensersatzansprüche bei fehlerhaften Operationen.
Das Reichsgericht hat über die Frage der Aufklärungs-
pflicht eines Arztes vor einer Operation und die Beweislast bei
einem Kunstfehler eines Arztes eine interessante Entscheidung gefällt,
die wir nach der „Juristischen Wochenschrift“ nachstehend wiedergeben.
Der Beklagte litt infolge von Knochenwucherungen — Exostosen — im
rechten Gehörgang an Störungen der Hörfähigkeit dieses Ohres. Der
Kläger (ein Arzt) versuchte zunächst die Wucherungen auf elektrolyti-
schem Wege zu beseitigen und schritt, als dies nicht gelang, zu ihrer
Beseitigung mit dem Meißel. Da hierbei ein abgemeißelter Knochen-
splitter vor das Trommelfell fiel und nicht entfernt werden konnte, emp-
fahl der Arzt seinem Patienten, sich einer größeren Operation zwecks
Entfernung des Knochensplitters zu unterwerfen und nahm die Operation
mit Einwilligung des Beklagten vor. Infolge dieser Operation stellte sich
aber eine Lähmung des Gesichts- und des Gehörnerven der rechten
Kopfseite ein, von denen die erstere allmählich zurckging, während die
letztere die dauernde Taubheit des Beklagten auf dem rechten Ohre
zur Folge gehabt hat. Diese Erscheinungen sind durch eine innere Ver-
letzung des Ohres bei der Operation verursacht worden.
Als nun der Arzt auf Bezahlung der Vergütung für seine ärzt-
lichen Dienstleistungen klagte, bestritt der Patient die Berechtigung
dieser Forderung wegen des ungünstigen Endergebnisses und forderte in
einer Widerklage den Ersatz des ihm entstandenen Schadens, und
zwar Zehluag einer bestimmten Summe sowie die Feststellung, daß der
Kläger verpflichtet sei, ihm allen durch seine ärztlichen Eingriffe ent-
standenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Während das Kammergericht zugunsten des Patienten erkannt
hatte, gab das Reichsgericht der gegen dieses Urteil eingelegten Re-
vision statt. Das Kammergericht hatte angenommen, daß der Arzt den
Schaden, der dem Beklagten durch die Lähmung des Gesichts-
und Gehörnerren entstanden sei, schuldhaft verursacht habe, und
sah dieses Verschulden erstens darin, daß er den Beklagten nicht vorher
auf die Gefahren, die mit der Vornahme der Operation möglicherweise
verbunden sein könnten, insbesondere auf die Gefahr, das: Gehör auf dem
rechten Ohre zu verlieren, aufmerksam gemacht habe, und zweitens in
einem Kunstfehler, der dem Kläger bei der ersten und dritten Operation
zur Last falle. Zu dem ersten Punkte stellt das Reichsgericht folgende
allgemein’ wichtigen Grundsätze auf: „Eine Verpflichtung des Arztes, den
Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die mög-
licherweise bei einer dem Kranken angeratenen Operation entstehen
können, kann nicht anerkannt werden. Die Annahme einer derartigen
Verpflichtung läßt sich weder aus der Uebung der pflichtgetreuen und
sorgfältigen Vertreter des ärztlichen Berufs noch aus inneren Gründen
herleiten. Eine umfassende Belehrung des Kranken über alle möglichen
nachteiligen Folgen der Operation würde nicht selten sogar falsch sein,
sei es, daß der Kranke dadurch abgeschreckt wird, sich der Operation zu
unterwerfen, obwohl diese trotz der damit verbundenen Gefahren geboten
oder doch zweckmäßig ist, sei es, daß der Kranke durch die Vorstellung
der mit der Operation verbundenen Gefahren in Angst und Erregung
versetzt und so der günstige Verlauf der Operation und der Heilung ge-
fährdet wird. Auch die besondere Lage des vorliegenden Falles recht-
fertigt nicht die Annahme einer solchen Verpflichtung des Klägers.“
Gegen die Ausführungen des Kammergerichts bezüglich der An-
nahme eines Kunstfehlers des Klägers wendet sich das Reichsgericht
unter anderm mit folgenden Erwägungen: „Wie man auch grundsätz-
lich die Beweislast regeln mag, keinesfalls kann die Unmöglichkeit, die
Ursache einer bei der Operation sich ereignenden Verletzung des Kranken
sicher festzustellen, zu Lasten des Arztes gehen. Auch der operierende
Arzt wird unter Umständen nicht bestimmt angeben können, wodurch die
Verletzung herbeigeführt ist, und wenn er auch selbst eine bestimmte
Meinung hierüber hat, so wird er vielfach außerstande sein, die Richtig-
keit dieser Meinung im Streitfalle zu beweisen. Denn auch die von ihm
zur Hilfeleistung oder sonst herbeigezogenen Aerzte und sonstigen Per-
sonen vermögen vielfach nicht jede Bewegung des Arztes so genau zu
verfolgen, daß sie ein Urteil hierüber abgeben können. Mit Recht führt
die Revision aus, daß auch der geschickteste Arzt nicht mit der Sicher-
heit einer Maschine arbeitet, daß trotz aller Fähigkeit und Sorgfalt des
Operateurs ein Griff, ein Schnitt oder Stich mißlingen kann, der regel-
mäßig auch dem betreffenden Arzte selbst gelingt. Alle nachteiligen
Folgen, die im allgemeinen nicht eintreten, im einzelnen Fall aber
ohne jedes Verschulden des Arztes an die Operation sich knüpften,
würden, wenn man der Auffassung des Kammergerichts beiträte, von
dem Ärzte zu verantworten sein, wenn ihm nicht der positive Beweis
seines Nichtverschuldens gelingt, ein Beweis, der vielfach schlechterdings
nicht zu führen ist. Daß aber eine solche Verantwortung dem Arzte
nicht aufgebürdet werden kann, ist selbstverständlich!* |
Aerztliche Tagesfragen.
Das Rote Kreuz im Balkankriege.
Dem Zentralkomitee der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz ge-
lang es diesmal mit überraschender Schnelligkeit, die notwendigen Vor-
bereitungen und Maßnahmen zur Entsendung von Hilfsexpeditionen auf
den Kriegsschauplatz zu treffen. Es will dies um so mehr sagen, als die
Fonds des deutschen Roten Kreuzes ausschließlich für die Mobilmachungs-
aufgaben der eignen Kriegsmacht sowie für die großen Friedensobliegen-
heiten bestimmt sind und die notwendigen Mittel zur Lösung inter-
nationaler Aufgaben daher immer erst durch Sammlungen der deutschen
Landesvereine vom Roten Kreuz aufgebracht werden müssen. In Deutsch-
land wurden derart für die Tripolisexpedition des deutschen Roten
Kreuzes im Frühjahre dieses Jahres binnen kürzester Zeit 500000 Mark
gesammelt!).
Nachdem Ihre Majestät die Deutsche Kaiserin mit einer Gabe
von 40000 Mark jetzt den Anfang gemacht hatte, gelang es leicht, ver-
schiedene Großindustrielle und sonstige vermögende Persönlichkeiten für
das Vorhaben zu interessieren, sodaß von einem öffentlichen Aufruf und
damit verbundenen Sammlungen vorerst noch abgesehen werden konnte.
So wurden in der vergangenen Woche insgesamt fünf Hilfs-
expeditionen vom Zentralkomitee der Deutschen Vereine vom
Roten Kreuz ausgerüstet und auf den Kriegsschauplatz entsandt. Die-
selben setzen sich wie folgt zusammen:
f 1. Abordnung nach Bulgarien: Privatdozent für Chirurgie
Dr. Kirschner (Königsberg i. Pr.), Assistenzarzt Dr. Schubert, vier
Schwestern aus dem Clementinenhaus in Hannover, vier freiwillige
Krankenpfleger. Diese in Sofia stationierte Abordnung, deren Lazarett
250 Verwundeten und Kranken Auınahme gewährt, erwies sich ärztlich
als zu schwach besetzt, sodaß noch zwei Aerzte und vier Schwestern
telegraphisch nacherbeten wurden und am 8. November nach dem Kriegs-
schauplatz abreisten. Ein Röntgenapparat und weiteres Verbandmaterial
wurden mitgegeben.
1) Vergl. Med. Kl. 1912, Nr. 6.
1852 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 45. 10. November.
2. Abordnung nach der Türkei I: Spezialarzt für Chirurgie
Dr. Liebert (Ulm), Assistenzarzt Dr. Hitzler, zwei Schwestern aus
dem Karl-Olga-Krankenhaus in Stuttgart, vier freiwillige Krankenpfleger.
3. Abordnung nach Griechenland: Professor für Chirurgie Dr. Coenen
(Breslau), Dr. Thom, acht Schwestern vom Anschar-Krankenhaus in
Kiel, zwei freiwillige Krankenpfleger. |
4. Abordnung nach der Türkei II: Dr. Luxembourg (Köln),
Assistenzarzt Dr. Jurasz, vier freiwillige Krankenpfleger. Aus eignen
Mitteln schloß sich dieser Abordnung Dr. Feist-Wollbeim an.
5. Abordnung nach Serbien: Dr. Richard Mühsam, Chirurg
(Berlin-Moabit), Dr. Schliep und Dr. Willem, sechs Schwestern von
der Krankenptlegeanstalt Rotes Kreuz in Kassel, vier freiwillige Kranken-
pfleger.
Es reiste schließlich Prof. Richard Bier, der frühere Assistent
von Bergmanns und Leibarzt Abdul Hamids, in Begleitung einer An-
zahl von Pflegern nach dem Kriegsschauplatz ab, um sich dem türki-
schen Halbmond zur Verfügung zu stellen.
Auch das österreichische Rote Kreuz begann seine Tätigkeit
mit der Aussendung von sechs Expeditionen, deren drei ihre Tätigkeit
bereits angefangen haben.
Nach Montenegro, das den Krieg begann, ohne in sanitärer Be-
ziehung irgendeine Vorsorge getroffen zu haben, ging unter Führung des
Oberstabsarztes Dr. Steiner und Dr. H. v. Schrötter eine Ambulanz
mit Aerzten, Pflegern, Pflegerinnen, Gebirgskrankenkarren, sowie einem
Spital von 50 Betten, welches in Skutari aufgestellt werden soll.
Nach Bulgarien übernahm die Führung Prof. Dr. Clairmont mit
vier Aerzten, zehn Rudolfinerinnen und zwei Waggons, beladen mit Sani-
tätsmaterial aller Art.
Die für die westliche Türkei mit Saloniki als Hauptstandort aus-
gerüstete Sanitätskolonne des österreichischen Roten Kreuzes leitet
Dr. Richard Pucher, Assistent des Hofrats v. Eiselsberg. Weitere
österreichische Expeditionen nach Serbien, Griechenland und der öst-
lichen Türkei sind vorgesehen und stehen zur Abreise gerüstet da.
Es bedarf wohl keines Hinweises, daß selbst im Fall eines früh-
zeitigen Friedensschlusses die Tätigkeit dieser Hilfsexpeditionen noch
lange nicht abgeschlossen ist, sondern .es wochenlanger Arbeit bedürfen
wird, um die Nachbehandlung der Verletzten oder epidemisch Erkrankten
soweit zu fördern, daß sie ohne Gefahr abgebrochen werden kann.
Werden in die vorstehende Aufzählung noch diejenigen Hilfs-
expeditionen einbezogen, welche die andern europäischen Kulturstaaten,
wie Frankreich, Rußland und die Schweiz, auf den Kriegsschau-
platz entsandten, so ergibt sich ohne weiteres, daß gerade in diesem
schwierigen Falle die Gesamtorganisation des Roten Kreuzes sich glän-
zend bewährt hat und mit der „sanitären Schlagfertigkeit“ als einem
für das Kriegswesen der Gegenwart ebenso unentbehrlichen wie wichtigen
Faktor auch in Zukunft nunmehr mit Sicherheit gerechnet werden kann.
E. Fr.
jüngere unverheiratete Aerzte im staatlichen Kolonialdienst noch
gebraucht; Meldung: Reichskolonialamt Berlin W., Wilhelmstrasse 62,
Berlin. Nach einer Bekanntmachung des Ministeriums des Innera
wurden im Prüfungsjahr 1911/12 insgesamt 197 Kandidaten die Appro-
bation als Arzt beziehungsweise Zahnarzt für das Deutsche Reich er-
teilt. Unter den Bestandenen befinden sich 12 Damen und zwar
8 Aerztinnen und 4 Zahnärztinnen,
— Dom deutschen Zentralkomitee für Zahnpflege in
den Schulen ist vom Reichskanzler eine einmalige Beihilfe von
5000 M zu den Kosten der ersten Einrichtung der Wanderausstellung
für Schulzahnpflege bewilligt worden.
— Der neue Flottenarzt der Hochseeflotte, Marine-Generaloberarzt
Dr. Uthemann, ist zum Marine-Generalarzt und der Marine-Oberstabs-
arzt Bütow zum Marine-Generaloberarzt befördert worden.
Dresden. Das neu eingerichtete Königlich Sächsische
Landesgesundheitsamt hat vor kurzem seine erste feierliche Gesant-
sitzung abgehalten unter Teilnahme von Vertretern aller Ministerien, des
Dekans der medizinischen Fakultät in Leipzig und der Rektoren der
Technischen und Tierärztlichen Hochschule in Dresden. Auch der Minister
des Innern Graf Vitztum v. Eckstädt war erschienen und begräßte
das Landesgesundheitsamt im Namen der Staatsregierung mit dem Wunsche,
daß seine Arbeit dem Lande zum Segen gereichen möge. Der Präsident
des Landesgesundheitsamts dankte dem Minister und seinen Räten für
das bei der Umgestaltung bewiesene Wohlwollen. Er glaubt getrost das
Versprechen abgeben zu können, daß das neue Landesgesundheitsamt die
Erwartungen, die zu seiner Begründung geführt haben, vollauf erfüllen
und das ihm entgegengebrachte Vertrauen in aller Zukunft zum Besten
des Allgemeinwohls rechtfertigen werde. Die erste erweiterte Sitzung
der I. medizinischen Abteilung des Landesgesundheitsamts
unter Zuziehung der außerordentlichen ärztlichen Mitglieder ist auf Mon-
tag, den 25. November dieses Jahres, anberaumt.
— Die Stadtverordneten von Dresden haben der Anstellung von
Zahnärzten bei den städtischen Krankenanstalten grundsätzlich zugestimmt.
Wien. Das Verzeichnis der ärztlichen Fortbildungskurse der
freien Organisation für die medizinischen Kurse an der Universität für
das neue Semester ist erschienen. Es bringt unter der deutschen Anzeige
der einzelnen Kurse und Vorlesungen die englische und französische
Uebersetzung. ` —
Königsbergi.Pr. Der Physiologe der hiesigen Universität, Geh.
Med.-Rat Professor Dr. Ludimar Hermann, tritt mit Ende des
Winterhalbjahrs von seinem Lehramte zurück. Im Jahre 1838 zu
Berlin geboren, studierte Hermann hierselbst und habilitierte sich 1865
als Privatdozent für Physiologie in Berlin. 1868 folgte er einem Rufe
nach Zürich, um von 1884 ab dem Physiologischen Institut in Königs-
berg vorzustehen. In Gemeinschaft mit Kühne, von Recklinghausen
und Andern begründete er 1862 das „Zentralblatt für die medizinischen
Wissenschaften“, seit 1886 gibt Hermann auch den physiologischen Teil
ar „Jahresberichte über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie‘
eraus. en
Hochschulnachrichten. Berlin. Als Nachfolger des in den
Ruhestand tretenden Direktors der Universitäts-Kinderklinik Geheimen
Med.-Rats Prof. Dr. Heubner sind vorgeschlagen worden: 1. Czerny
(Straßburg), 2. Finkelstein (Berlin), 8. Salge (Freiburg). — Breslau:
Priv.-Doz. Dr. Georg Stertz (Bonn) zum Oberarzt der Psychiatrische
Klinik als Nachfolger von Prof. Alzheimer. — Gießen: Dr. August
Brüning (Chirurgie) zum Professor a. o. — Tübingen: Dr. Heinrich
Schlössmann habilitiert für Chirurgie. — Lausanne: Prof. a. o. Beitzke
(Pathologie) zum Prof. ord. ernannt.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Ueber das Bevölkerungs- und Rassenproblem in
den Kolonien und seine hygienisch-wirtschaftlichen Folgerungen sprach
am 31. Oktober in der Deutschen Kolonialen Gesellschaft Prof. H. Zie-
mann (Charlottenburg), der frühere leitende Arzt Kameruns. Der Vor-
trag bot in seiner Art ein großzügig durchdachtes koloniales Programm
und gab in hygienischer Hinsicht eine Reihe wichtiger neuer Anregungen.
Vermehrung der Europäer, Hebung des kulturellen Durchschnitts der
Eingeborenen sind als Hauptforderung zu stellen. Der Europäer kann
sich in den Tropen nur dauernd aklimatisieren in Gebirgsgegenden von
1000 m über dem Meer, im Niederungsklima zunächst nur relativ und
temporär. Durch entsprechende technisch leicht ausführbare Wohnungs-
kühlung in den Tropen muß daher ein künstliches gemäßigtes Klima
geschaffen werden, wie wir hier im Winter die fehlende Wärme auch
künstlich ersetzen. Die Malaria-, Pocken- und Tuberkulosebekämpfung
sind noch mehr als bisher zu verfolgen, auch der Kampf gegen den Al-
koholismus ist mit allen Mitteln weiterzulühren. Zu fordern ist weiter-
hin eine Verbesserung der Kinderernährung und allgemeinere Verbreitung
der Körner- statt der Knollenfrüchte zur Beschaffung von Dauernähr-
mitteln. Neben der Vermehrung der Aerzte und Tierärzte tut vor allem
ein tropisches Seuchengesetz not, auch die Errichtung einer tropen-
medizinischen hygienischen Sammlung hier in Berlin würde auf die Vor-
bildung der Beamten, Lehrer und Missionare nur von Vorteil sein. Zie-
mann empfiehlt ebenso die Einführung von Kinos in die Kolonien
zwecks hygienischer Belehrung von Europäern und Farbigen. Erst das
Zusammenwirken aller dieser Faktoren würde ein „deutsches Indien“
möglich machen. — Fr.
— Der Berliner Verein für ärztliche Mission, der vor zwei
Jahren seinen ersten Arzt, Dr. Oehme, nach Kidugala in das Njassa-
land (Deuts etatik) oniani, J n an geeigneten:
Arzte, der als zweiter Missionsarzt entweder ebenfalls in das Njassaland : E ogaben
oder nach’ Usaramo entsandt werden könnte. Meldungen werden erbeten ADi O Ris 216, : a en St A u A ln es ;
an Herrn Baron v. a eheenkesing 37, von welchem | _—__ __ $ ~ ` a 20...
ebenfalls alle weiteren Mitteilungen über die Bedingungen des Eintritts Terminologie. E š ils findet si
in den Dienst des genannten Vereins gegeben werden. Ebenso werden |! Erklärung einiger fir a Nut e M h ansdracke.
a OOO en S L E OSR E OUy Nunha var Kongmbnder Faodar =
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
Von Aerzten und Patienten.
„... Man liest jetzt gewöhnlich: Behandlung der Krankheiten
nach den neuesten Erfahrungen und Methoden. Wäre es nicht besser,
wenn man läse: Nach den ältesten, das heißt den durch die Zeit be
währtesten?* * *
„ +. . Die beste Benutzung des Stethoskops ist die, zur =
deckung einer vorhandenen Schwangerschaft, bei Ungewißhelt oder atc
absichtlicher Verheimlichung, in den ersten Monaten, durch das Aw-
finden und die Verschiedenheit des Pulsschlages im Foetus.“
& oo
k 4 è
nr: . Alle Menschen, die einen guten Magen haben, sind Opt
misten,“ * i *
nn... Auf die künstlichen Mineralwässer sollte man die Jahreszahl
schreiben, so gut wie auf die Weine. Karlsbader, Emser usw. vom vai
1824, 30, 40 usw. Denn wie verschieden sind die von Bergmann ™
die jetzigen, und wie werden sie es in zehn Jahren seyn.“
x $
RE Die goographische Lage der Teile des menschlichen
Körpers und ihre Bedeutung verdienten mehr Beachtung.
* 4
17. November 1912. VII. Jahrgang.
Nr. 46 (415).
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin - Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: A. Hoffmann, Die Frühdiagnose der aktiven Lungentuberkulose mit besonderer Berücksichtigung der Heilstätten-
auswahl. (Mit 2 Kurven.) J. Peretti, Gynäkologie und Psychiatrie. Nohl, Zur Aetiologie und Therapie der Mastitis puerperalis. (Mit 1 Kurve.)
L. Feilchenfeld, Feststellung der Unfalltatsache durch die Obduktion bei Erkrankungen der Gefäße. V. Forli, Ueber die klinische Bedeutung
der „Fernreaktion auf Entartung“ von Ghilarducci. P. von Szily, Zur Chemotherapie der Lues oculi. Herzberg, Ueber die Behandlung des
Pruritus vulvae mit Pittylen.. Stephan, Ueber Plattfußbehandlung. (Mit 1 Abbildung). H. Fraenkel und K, Hauptmann, Chineonal als Mittel
gegen Keuchhusten. M. Nassauer, Die Pulverbehandlung beim Ausfluß aus der Scheide. (Mit 1 Abbildung). A. Jacobsohn, Die neueren
Forschungen auf dem Gebiete der Descendenztheorie. — Aus der Praxis für die Praxis: Niewerth, Praktische Winke! — Referate: H. Königsfeld,
Ueber die Fortschritte in der serologischen Geschwulstdiagnose. A. Laquer, Physikalische Therapie. — Diagnostische und therapeutische
Einzelreferate: Das fettspaltende Ferment des Blutserums. Warmwasserheizung. Prostatahypertrophie. Jodostarin. Adalin. Autohämotherapie
bei Krebskranken. Stillung des Nasenblutens. Todesfall nach Neosalvarsaninfusion. -- Neuerschienene pharmazeutische Präparate: Hediosit.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Hochkant gekrümmte Raspel zum Oeffnen und Bearbeiten von Gipsverbänden nach Dr. Heß. — Bücher-
besprechungen: H. Bischoff, W. Hoffmann, H. Schwiening, Lehrbuch der Militärhygiene. P. Manasse, Die Ostitis chronica metaplastica
der menschlichen Labyrinthkapsel. C. Oppenheimer, Grundriß der Biochemie für Studierende und Aerzte. Legrand, Pratique mödico-chirurgicale
à la campagne. H. Schieß, Kurzer Leitfaden der Refraktions- und Akkomodationsanomalien. F. Koelsch, Bernardino Ramazzini, der Vater der
Gewerbehygiene. A. Kornfeld, Ueber die psychologischen Theorien Freuds und verwandte Anschauungen. — Aerztliche Gutachten aus dem
Gebiete des Versicherungswesens: H. Engel, Perniziöse Anämie nicht Unfallfolge. — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte: Der
3. Deutsche Kongreß für Säuglingsfürsorge, Darmstadt, September 1912. Braunschweig. Frankfurt a. M. Kiel. Berlin. — Reisebriefe: Haenlein,
Soziale Hygiene in Nordamerika. (Schluß.) — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Zur Auslegung des Impfgesetzes.
— Aerztliche Tagesfragen: Aerztliche Urteile über die Bewertung des Gefrierfleisches. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet.
Klinische Vorträge.
Aus der Inneren Abteilung der Akademie für praktische Medizin
Düsseldorf.
Die Frühdiagnose der aktiven Lungen-
tuberkulose mit besonderer Berücksichtigung
der Heilstättenauswahl‘')
von
Prof. Dr. Aug. Hoffmann.
M. H.! Die Fürsorgetätigkeit, welche auf dem Gebiete
der Tuberkulose so großzügig eingesetzt hat, stellt an den
Arzt ganz besondere Anforderungen. Es ist vielleicht den
wenigsten Mitgliedern derjenigen Behörden, bei denen der
größte Teil dieser Fürsorge liegt, bekannt, welche Schwierig-
keiten zu überwinden sind, wenn, wie es die Absicht ist,
diese Tätigkeit denen zugute kommen soll, für die sie be-
stimmt ist, und den auf diesem Gebiete klinisch Erfahrenen
muß der leise Zweifel beschleichen, ob nicht das große Ge-
bäude der Statistik, welches uns über die Erfolge dieser
Fürsorge belehrt, im Fundament einige schwache Stellen hat.
Ich .meine hier die Fürsorge für die beginnende Lungen-
tuberkulose, deren wichtigster Zweig die Heilstättenbehandlung
ist. Es werden alljährlich erfreulicherweise viele Millionen
aufgewandt, um solchen Kranken zu helfen. Was die Ver-
hältnisse der Versicherungsanstalt Rheinprovinz anbetrifft,
so wurden im Jahre 1910 9296 Anträge auf Behandlung in
einer Lungenheilstätte gestellt und 4936 Patienten den Heil-
stätten zugeführt, was einen Kostenaufwand von nahezu
zwei Millionen erforderte (Schellmann). Außer von der
Versicherungsanstalt Rheinprovinz werden hier noch von
andern Wohlfahrtskomitees zahlreich Patienten zur Heilstätte
1) Nach einem im Kursus der sozialen Medizin für Kreisärzte an
der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf gehaltenen Vortrage.
geschickt, sodaß die Gesamtzahl weit größer ist. Die ärzt-
liche Tätigkeit bei der Fürsorge für diese Kranken kommt
gegenüber der großen Verwaltungstätigkeit natürlich weniger
in Betracht. Und doch sollte man sich ärztlicherseits mit
diesen Problemen mehr beschäftigen als es im allgemeinen
geschieht. |
Der Weg, auf welchem die Kranken in die Heilstätten
kommen, ist in der Regel der, daß ein Attest des behandeln-
den Arztes vorgelegt wird, dieses wird von dem ärztlichen
Berater der Versicherungsanstalt geprüft und falls es positiv
lautet, wird der Kranke der Heilstätte überwiesen. Im an-
dern Falle, namentlich wenn der Begutachter es empfiehlt,
wird der Kranke einer sogenannten Vorstation überwiesen, die
sich in einem der dazu bestimmten Krankenhäuser des Be-
zirks befindet und dort wird er beobachtet und noch einmal
begutachtet. Von dieser nochmaligen Begutachtung wird
aber nur ein relativ kleiner Teil getroffen, die übrigen wer-
den, da das erste Gutachten keine Zweifel äußert, sofort
dem Heilverfahren zugeführt.
Da nun die Anzahl der heilungsuchenden Kranken
größer ist als die Zahl der verfügbaren Betten der Heil-
stätten, so hat die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz,
um nicht kostbare Zeit vor der Einführung des Heilver-
fahrens zu verlieren, solche „Leichtkranke“, wenn sie nicht
sofort in den Heilstätten Platz finden, einzelnen Kranken-
anstalten, die sich dazu bereit erklärten, zunächst zur Vor-
behandlung überwiesen. Sie warten dort und werden be-
handelt, bis Platz in der Heilstätte frei wird. Dies ist in
der Regel in einer oder zwei Wochen der Fall. Eine solche
Durchgangsstation von 18 Betten ist auch in der Medi-
zinischen Klinik der allgemeinen Krankenanstalten der Stadt
Düsseldorf eingerichtet und besteht nunmehr zwei Jahre.
Im Jahre 1911 hat Schellmann über die Frage der
Durchgangsstation auf der Tuberkulosekonferenz vom Stand-
ta
a ME ae eo Fe TE FI EE a E a O O
a Non. 1 P i Pa
1854
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punkte des Verwaltungsbeamten berichtet. Ich möchte hier
die in der mir unterstellten Durchgangsstation gemachten
ärztlichen Erfahrungen besprechen, da dieselben mir nicht
unwesentlich erscheinen und auch in klinischer Beziehung
einiges Interesse erwecken dürften.
Es hat sich nämlich aus der Durchgangsstation eine Art
Filter entwickelt, eine Art Verteilungsstation, in der allerdings
nur ein kleiner Bruchteil, der im Jahre 1911 500 Fälle betrug,
also etwa der zehnte Teil aller in die Heilstätte Ueberwiesenen,
nochmals durchgesiebtwurde. Ich bemerke dabei, daß alle diese
Fälle seitens der Landesversicherungsanstalt zunächst für
beilstättenbedürftig gehalten werden mußten, entsprechend
dem Gutachten des vorbehandelnden Arztes. Die Tabellen I
und II zeigen in der oberen Kurve die Gesamtzahl der von
Monat zu Monat seit Bestehen der Durchgangsstation in
dieser beobachteten und behandelten Fälle. Die mittlere
Kurve zeigt die Zahl der zur Heilstättenbehandlung geeignet
Befundenen und die kleine untere Kurve zeigt die Anzahl
der wegen zu schwerer progresser Erkrankung Zurück-
gewiesenen. Es ist daraus ersichtlich, daß anfangs ein ge-
ringer, dann aber ein immer steigender Prozentsatz der in
die Durchgangsstation Eingeführten nicht zur Heilstätte kam,
ein Prozentsatz, der in den letzten Monaten zwar immer
noch etwas nach abwärts neigt, aber doch nahezu stationär
geblieben ist.
Tabelle 1.
I)
HN
All]
Ill)
= monat. Gamlonfnakm. æ æ a un Jaeilklähle guignet +++ mM Mown.
Das uns zugeführte Krankenmaterial ist ein außer-
ordentlich wechselndes, mitunter haben wir von den zirka
40 bis 50 Fällen, die im Monat eintreten, relativ viele schwer
progresse, die nach dem Grundsatze der Landesversicherungs-
anstalt für ein Heilverfahren nicht in Betracht kommen. In
andern Monaten häufen sich wieder außerordentlich nicht
als tuberkulös von uns angesehene Erkrankungen. Ein be-
stimmter Einfluß der Jahreszeit ist dabei aus den Tabellen
nicht ersichtlich. Der Verlauf der Kurven zeigt an, daß wir,
als wir vor die neue Aufgabe gestellt wurden, im Anfang
etwas zögernd vorgegangen sind und das ist voll verständ-
lich für den, der die ungeheure Schwierigkeit kennt und da-
bei die Verantwortung bedenkt, die es mit sich bringt, wenn
man sagen soll, ein Mensch leidet sicherlich nicht an
beginnender aktiver Lungentuberkulose. Aus zahl-
reichen Arbeiten der letzten Zeit, wie von Röpke, ferner
von Friedr. Müller, Köhler und Andern, um nur wenige
zu nennen, die in den letzten Jahren sich zu dieser Frage
geäußert haben, ist es allgemein bekannt, daß die Diagnose
der inzipienten Lungentuberkulose außerordentlich schwierig
sein kann, aber noch schwieriger ist es, zu beurteilen, ob
jemand nicht tuberkulös ist.
Alle Einzelheiten der Diagnostik müssen dabei heran-
gezogen werden und es ergibt sich mit der Zeit, wenn man
viele derartige, meist recht zweifelhafte Fälle untersucht hat,
3
allmählich ein von der üblichen Wertschätzung recht ab-
weichendes Urteil über die Zuverlässigkeit der gebräuch-
liehen Untersuchungsmethoden. So halte ich die Perkussion
der Lungenspitzen für sehr wenig zuverlässig zur Feststellung
der beginnenden Tuberkulose. Die Ausmessung der Spitzen-
felder haben wir längst aufgegeben, da der äußere Rand
auch bei ganz normalen Menschen nicht scharf festzustellen
ist. So wird eine äußere Randverwischung, die in vielen
Gutachten als klinische Feststellung eine große Rolle spielt,
von uns überhaupt nicht bewertet. Die vielen subjektiven
Momente, welche der Perkussion innewohnen, vom aufge-
legten Plessimeterfinger an bis zum Gehör des Untersuchers,
müssen uns an den Resultaten der Luungenspitzenperkussion
lebhaft zweifeln lassen. Sagt doch auch Fr. Müller): „Ge-
ringfügige Verschiedenheiten im Schalle der beiden Lungen-
spitzen sind ohne große Bedeutung, es sind mir nicht wenige
Fälle bekannt, wo Patienten wegen Lungenspitzendämpfung
jahrelang als tuberkulös behandelt und selbst in Davos ge-
wesen waren und wo dann schließlich die Obduktion völlig
normale Verhältnisse beider Lungenspitzen ergeben hat usw.“
Die Frage der Auskultation bringt besonders da
Schwierigkeiten, wo Muskelgeräusche im Spiele sind. Es
gehört schon mehr als Durchschnittserfahrung dazu, um
diese Muskelgeräusche sicher von Veränderungen des eigent-
lichen Atemgeräusches zu differenzieren.
Tabelle 2.
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Das verschärfte Exspirium der rechten Seite ist so
häufig physiologisch, daß es als diagnostisches Moment kaum
in Betracht kommt, überhaupt scheint mir, daß vielfach auf
allerfeinste Nuancen im Atemgeräusch ein zu hoher Wert
gelegt wird. Namentlich wird dies unsicher, wenn „abge-
schwächtes Atmen“ konstatiert wird. Die Lungenspitzen der
einzelnen Individuen ventilieren außerordentlich verschieden
und „abgeschwächtes Atmen auf beiden Lungenspitzen“ ist
etwas, was im allgemeinen wenig besagt. Erst die patho-
logischen Nebengeräusche, Knacken, Rasseln, der fixe Rhon-
chus sind es, die das Auskultationsergebnis einigermaßen
sichern. Zur auskultatorischen Diagnostik ziehen wir stets
nach Krönigs Vorgang die Vorbehandlung mit Codein und
Jod heran, wir verabreichen dem Kranken abends 1g Jod-
natrium in Wasser gelöst und dazu 0,02 g Codein, oft lassen
wir die Codeingabe in den frühen Morgenstunden noch em-
mal wiederholen. Bei dieser Vorbehandlung sahen wir nicht
selten vorher zweifelhafte Geräusche sich verstärken un
neue auftreten. Das leise Knistern, welches oft im Beginn
forcierter Atmung bei solchen auftritt, die gewöhnlich ober-
flächlich atmen und auf Entfaltung der Alveolen ber
(„Randgeräusch“, v. d. Velden), ist zu beachten.
Ueber den Nachweis der Tuberkelbacillen im Sputum,
der leider beim Material der Durchgangsstation nur aus-
1) Zt. f. Fortb. 1912, Nr. 14.
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SAREA EAA A A A E AAAA
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nahmsweise zum Ziele führt, ist kein Wort zu verlieren.
Ist dieser gesichert, so ist damit jede weitere diagnostische
Erwägung erledigt. Die specifische Diagnostik vermittels
Tuberkulin ist leider bei diesen inzipienten Fällen ebenfalls
ein recht unzuverlässiges Hilfsmittel. Wir fanden zahlreiche
Fälle, bei denen wir mit den übrigen klinischen Methoden eine
aktive Tuberkulose feststellen konnten, sogar Bacillen im
Sputum fanden, bei denen die Tuberkulinprobe in den ge-
bräuchlichen Dosen äußerst unsichere Resultate gab, und
umgekehrt fanden wir, namentlich wenn wir größere Dosen
Tuberkulin gaben, bei Fällen, die wir klinisch nicht mehr
als aktiv. ansehen konnten, positiven Ausfall, namentlich
verschleppte Reaktionen. Wir injizieren zunächst 0,0005,
dann 0,001 und dann 0,003 Alttuberkulin. Bei höheren
Dosen wird die Reaktion sehr unsicher. Die Pirquetsche,
die Morrowsche und Calmettesche Reaktion, von denen
wir letztere gar nicht mehr anwenden, sind bei Erwachsenen
wertlos.
Die serologischen Untersuchungsmethoden wenden wir
wegen ihrer Unsicherheit nicht an. Von ganz besonderm
Werte scheint mir bei den Kranken der Durchgangsstation
nach unsern Erfahrungen das Röntgenverfahren, nament-
lich seit von jedem Fall eine Uebersichtsphotographie
des Thorax gemacht wird. Man ist in der Regel erstaunt,
wie viel mehr auf der Röntgenplatte zu sehen ist als
man vorher klinisch feststellen konnte. Bei den mehr wie
700 Röntgenplatten, die wir inzwischen angefertigt haben,
sind viele Fälle, bei denen die klinische Untersuchung vorher
in ihren Ergebnissen durchaus zweifelhaft war, bei denen
die Röntgenplatte deutliche Abschattungen der Spitze oder
die charakteristischen nebelfleckenartigen Trübungen zeigte.
Von Interesse mußte sein, festzustellen, in wie vielen Fällen
von den im Röntgenbilde gesicherten, die Tuberkulose auf
einer und in wie vielen auf beiden Seiten der Lungen zu
sehen war, da daraus wohl ein Rückschluß auf die Häufig-
keit einseitigen oder doppelseitigen Beginns erlaubt ist. Von
200 daraufhin untersuchten Platten zeigten 114 doppelseitige
Veränderungen, 86 einseitige, und zwar war in 36 Fällen
die linke, in 50 die rechte Seite anscheinend allein erkrankt.
Es fällt dabei auf, daß in allen diesen auf der Röntgen-
platte gesicherten Tuberkuloseherden sich eine Fortsetzung
oder Beziehung zum Hylus nachweisen läßt. Die Herde
liegen durchaus nicht immer in der Spitze, sondern in nicht
wenigen Fällen auch seitlich vom Hylus und strahlen dann
in Form eines Dreiecks, dessen Spitze im Hylus liegt, in
das Lungengewebe aus. Die Feststellung des Zusammen-
hangs der Schattengebilde mit dem Hylusschatten halte ich
in zweifelhaften Fällen für diagnostisch wichtig. Umgekehrt
fanden wir in sehr vereinzelten Fällen auf dem Röntgenbilde
nichts oder doch nichts Sicheres, während die klinische
Untersuchung eine Lungentuberkulose ergab. Unter unserm
Material sind es fast ausschließlich die Fälle mit initialer
Hämoptöe, welche auf dem Röntgenbilde nichts Sicheres er-
geben, und gerade für diese Fälle möchte ich das Röntgen-
verfahren als nicht maßgebend hinstellen. Für die meisten
andern Fälle gilt der Satz, daß, wenn man klinisch etwas
Sicheres findet, man auch röntgenologisch die Restäti-
gung selten vermißt und umgekehrt. Ich weiß, daß diese
Anschauung nicht unwidersprochen ist, ich glaube aber, wenn
das Röntgenverfahren mit guten Momentaufnahmen, denn
nur die Photographie beweist etwas, als Untersuchungs-
methode regelmäßig angewandt würde, ein großer Fortschritt
für die Diagnostik zu erwarten wäre.
Der Umstand, daß die initiale Blutung häufig kein
Schattenbild gibt, ist durchaus verständlich, wenn man die
Pathogenese derselben sich vor Augen hält.
‚Die genaue Beobachtung der Temperatur und des
Pulses ist ein wichtiges Rüstzeug der Diagnostik, und zwar
muß sie durch mehrere Tage respektive Wochen hindurch
erfolgen. Ebenso wichtig ist die Kontrolle des Körper-
gewichts. Allerdings machen wir da die Beobachtung, daß
die Kranken, nachdem sie in die Durchgangsstation ein-
getreten sind, in wenigen Tagen oft eine rapide Zunahme
des Gewichts zeigen.. Gewichtszunahmen. von drei bis fünf
Pfund in der Woche sind nicht selten. Es ist die körper-
liche Ruhe, die neue und calorienreichere Kost, die diese
Zunahme bewirkt. Eine solche Gewichtszunahme beweist
natürlich nichts gegen eine bestehende Tuberkulose, bleibt
sie aber aus, so ist dies eher zu veranschlagen.
Die anamnestischen Angaben sind natürlich von großem
Wert, aber auch da darf man nicht gewissen Momenten
übertriebene Bedeutung beilegen. Tuberkulose bei Familien-
mitgliedern findet sich nur in 18°/, unserer Krankheitsfälle,
umgekehrt finden wir unter den nichttuberkulösen Kranken
auch häufig Fälle, bei denen in der Familie Tuberkulose an-
gegeben wird. Abmagerung, Mattigkeit und ähnliches fordern
nur dazu auf, noch nach weiteren ursächlichen Möglichkeiten
zu forschen, wenn wir mit der klinischen Untersuchung
nichts auf den Lungen finden können.
Ein wichtiges Moment sind Schmerzen. Es kommen
jedenfalls in der Durchgangsstation mehr Patienten mit
Schmerzen als solche mit Husten vor, und geradezu auf-
fallend ist es oft, daß bei einer ganzen Serie von Kranken
kaum einer über Husten klagt, und wenn man ihn auffordert,
zu husten, er es gar nicht einmal kann, dagegen über
Schmerzen klagen die meisten. Essind das Rückenschmerzen,
Brustschmerzen, Seitenschmerzen und ähnliches. Ich halte
streng darauf, daß jeder genau mit dem Finger die Stelle
bezeichnet, wo er Schmerzen haben will und habe dabei die
merkwürdige Erfahrung gemacht, daß die Schmerzen bald
im Unterleib und sehr häufig im Kreuze, ja sogar in den
Armen angegeben wurden, wenngleich sie in der Vorbegut-
achtung als Brustschmerzen Erwähnung fanden. Die Be-
deutung der Brustschmerzen bei inzipienter Lungentuber-
kulose ist eine relativ geringe. Ich habe zum Vergleich die
schweren Fälle von echter progresser Lungentuberkulose
herangezogen und fand nur in 4°/, bei genauester Nach-
frage, daß jemals Schmerzen bestanden haben sollen. In
der diagnostischen Bewertung der Brust- und Rücken-
schmerzen ist also wohl größere Vorsicht am Platze.
Nach unsern Erfahrungen birgt also auch dasjenige
Krankenmaterial, welches unmittelbar der Heilstätte zugeführt
wird, einen großen Prozentsatz von Fällen, die wir nicht als
aktiv tuberkulös diagnostizieren können, und zwar scheint es
nach den Befunden der letzten Monate etwa eine Zahl von
nahezu 50°], zu sein. Daß diese Resultate um einige
Prozente an andern Stellen verschieden sein werden, ist
unbedingt zuzugeben, ebenso wie sie nach den Jahreszeiten
und sonstigen Verhältnissen schwanken mögen.
Woran leiden nun die klinisch nicht als tuberkulös
Angesehenen? Wenn ich von vereinzelten Fällen, von
Diabetes mellitus, Nephritis chronica, Bandwurm, Bestehen
einer Halsrippe, absehe, so sind ein großer Prozentsatz
(15 %/,) solche, die an akuten Bronchitiden leiden, daneben
kommen besonders Fälle von Nervosität und Neurasthenie
in Betracht. Ferner findet sich Emphysem mit chronischer
Bronchitis, und bei einer ganzen Anzahl von Leuten sind
die Verdauungsorgane affiziert, durch unzweckmäßige Lebens-
weise, Alkoholismus und dadurch sind jene in einen Zustand
schlechter Ernährung und schlechten Allgemeinbefindens ge-
raten. Ein ziemlich großer Prozentsatz von denen, die wir
zurückweisen mußten, fällt auf solche, welche bereits vor-
her in einer Lungenheilstätte waren. Gerade bei solchen
Individuen, die vor einem, zwei oder fünf Jahren in einer
Heilstätte waren, wurde sehr häufig auf dem Röntgenbilde
nichts gefunden, in andern dagegen auch die Zeichen der
geheilten Tuberkulose, scharfe punkt- und strichförmige
intensive Schattenbilder. Gerade die Feststellung einer ge-
heilten, früher aktiven Lungentuberkulose macht große
Schwierigkeiten und meines Erachtens haben wir im Röntgen-
A e A
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17. November,
verfahren eines der besten Mittel, dies einigermaßen festzu-
stellen. Aber trotz aller angewandten Sorgfalt muß ich es
immer und immer wieder betonen, daß die Diagnose der
beginnenden Lungenschwindsucht eine der schwierigsten,
häufig unmöglichen Aufgaben für den Arzt darstellt. Ich
halte es in vielen Fällen für direkt unmöglich, sogar durch
die Beobachtung in der Durchgangsstation sicherzustellen,
daß der Betrefiende nicht tuberkulös ist. Wenngleich bei
einem großen Prozentsatz unserer Fälle mit einiger Sicher-
heit Lungentuberkulose ausgeschlossen werden konnte, so
möchte ich doch für keinen eine absolute Sicherheit in An-
spruch nehmen und das muß uns auf neue Wege sinnen
lassen, wie wir mit möglichster Schonung für die Kranken
einerseits, anderseits aber auch mit möglichster Sicherheit
unsere diagnostischen Hilfsmittel ergänzen und verschärfen.
An dieser Stelle aber ist eine prinzipielle Auseinander-
setzung nötig.
Die Heilstättenbehandlung soll solchen an Tuberkulose
erkrankten Versicherten zuteil werden, welche Aussicht zur
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bieten. Es sind also
zwei Momente, die zu beobachten sind:
1. Leidet der Betreffende an Lungentuberkulose?
2. Ist Aussicht auf Wiederherstellung der Arbeitsfähig-
keit vorhanden?
Das letztere festzustellen ist, wenn die Diagnose der
Lungenerkrankung sicher gestellt ist, relativ einfach, das
erstere ist die größere Schwierigkeit. Diese Schwierigkeit
wird noch dadurch vermehrt, daß über den Begriff der tuber-
kulösen Erkrankung die Anschauungen weit differieren. Daß
die Tuberkulose in der Regel in der Kindheit erworben wird
und in Form einer Bronchial- oder sonstigen Drüsentuberkulose
durchgemacht wird, ist die Anschauung weiter ärztlicher Kreise.
Wenn schon 70°/ der elfjährigen Kinder tuberkulöse Herde,
die in den meisten Fällen inaktiv sind, tragen, so müssen
wir auch annehmen, daß mindestens 70°/, der Erwachsenen
inaktive tuberkulöse Herde im Körper haben. Pirquet
unterscheidet nun drei Stadien der Tuberkulose, ein primäres,
ein sekundäres und ein tertiäres, von denen das primäre in
der Kindheit durchgemacht wird, das sekundäre entweder
bis zum Lebensende besteht oder durch eine schwere tuber-
kulöse Erkrankung, in der Regel der Lunge, in das tertiäre
Stadium übergeht. Diese Anschauung hat besondere Be-
deutung gewonnen durch die Arbeiten von Schnitter und
von Kurashige, die nicht nur bei allen an Tuberkulose
Erkrankten, sondern auch an nicht der aktiven Tuberkulose
Verdächtigen nachweisen konnten, daß im Blute säurefeste
Bacillen sich fanden, die sie als Tuberkelbacillen ansprachen.
Eine Bestätigung haben diese Angaben durch die Unter-
suchungen von Liebermeister gefunden, der ebenfalls nicht
nur im Blute von Tuberkulösen, sondern auch in solchem
von Rheumatischen und andern Erkrankungen diese Bacillen
fand und auch in einer kleinen Anzahl von Fällen im Tier-
versuche sie als virulente Tuberkelbacillen identifizieren
konnte. Weiter möchte ich hinweisen auf die interessanten
Arbeiten von Poncet und L6riche: Le Rheumatisme tuber-
culeux und La Tuberculose inflammatoire!), von denen gewisse
Formen des deformierenden Gelenkrheumatismus als tuber-
kulös bedingt angesehen werden. Durch diese Untersuchungen
kommt ein neues, geradezu verwirrendes Moment in die
Frage der Frühbehandlung der Tuberkulose hinein. Meines
Erachtens können aber, wenn wir auch den Begriff der
sogenannten sekundären Tuberkulose annehmen wollen, diese
Fälle nicht Gegenstand der Behandlung in Heil-
stätten sein. Würden sie es sein, so hat überhaupt die
Diagnose der beginnenden tertiären Tuberkulose, um vom
Standpunkte dieser Lehrmeinung zu sprechen, gar keinen
Sinn, denn dann sind wir gezwungen, einfach jeden Men-
schen, der irgend etwas klagt oder schlecht ernährt ist, der
1) Paris 1909 u. 1912, Octave Doin et fls.
Lungenheilstätte zuzuführen. Ich glaube, auch heute noch
müssen wir verlangen, daß eine lokale Erkrankung speci-
fischer Natur auf den Lungen nachweisbar sein muß, um
die Kranken als lungenheilstättenbedürftig zu erklären, und
wenn uns auch die Untersuchung aller übrigen Organe keinen
sicheren Aufschluß gibt, warum der betreffende Patient etwa
sich schlecht fühlt,.so dürfen wir, wenn wir keine weiteren
Anhaltspunkte für bestehende Lungentuberkulose finden, -sein
Leiden doch als solches nicht diagnostizieren.
Es würden nun die Resultate unserer Beobachtung sehr
unsicher erscheinen können, wenn wir nicht nach Mitteln
getrachtet hätten, unsere Befunde weiter zu kontrollieren.
Durch Entgegenkommen der Landesversicherungsanstalt Rhein-
provinz wurde es uns ermöglicht, diejenigen Kranken, bei
denen wir nach einer gewissen Beobachtungszeit in der
Durchgangsstation zu der Ueberzeugung kamen, daß eine
aktive. Lungentuberkulose nicht vorliege, aber anderseits
auch nicht mit Sicherheit das Nichtbestehen derselben be-
haupten konnten, insofern wir nicht eine bestimmte andere
Ursache für die angeblichen Beschwerden nachweisen konnten,
vor allen Dingen auch alle als Neurastheniker oder mit
ähnlicher Diagnose Entlassenen nochmals in Zwischenräumen
von zwei zu zwei Monaten zu untersuchen. Diese regel-
mäßigen Nachuntersuchungen, die inzwischen bei etwa 100
Fällen stattgefunden haben, ergaben nun, daß von dieser
Gesamtzahl nur sechs nachträglich noch von uns in die
Heilanstalt überwiesen wurden, und zwar konnte in keinem
dieser sechs Fälle bei der Nachuntersuchung und wieder-
holten Beobachtung die Diagnose einer bestehenden Lungen-
tuberkulose gesichert werden, sondern der Grund, weshalb
sie nachträglich einer Heilanstalt überwiesen wurden, war
der, daß sie weiter abgemagert waren oder doch etwas ver-
dächtiger auf Tuberkulose erschienen, wie zuvor. In allen
übrigen Fällen konnten wir andauernde Erwerbsfähigkeit
feststellen bei weiterem Fehlen jeden objektiven Lungen-
befundes.
Da die Heilstättenkur in der Regel zwei bis vier Monate
dauert, so würde, wenn: die Kranken die Zeit in der Heil-
stätte verbracht hätten, dieser normale Befund ebenfalls zu
konstatieren gewesen sein. Dabei muß ich auf eins aut-
merksam machen. Das in der Durchgangsstation gewonnene
Mehrgewicht verlieren die Kranken, wenn sie wieder zur
Arbeit gehen und in ihre häuslichen Verhältnisse zurück-
kehren, in der Regel bald wieder. Dann pflegt sich das
Gewicht aber konstant zu halten. Es scheint mir nach
unsern Resultaten demnach diese Durchgangsstation als eine
sowohl vom Standpunkte der Verwaltung, wie auch vom
ärztlich klinischen Standpunkt aus wünschenswerte Einrieh-
tung zu sein, und zwar sollte diese Durchgangsstation ver-
sorgt werden von in der gesamten inneren Medizin gut aus-
gebildeten Aerzten. Mir scheint nach den gemachten Er-
fahrungen die Tatsache nicht von der Hand zu weisen zu sein,
daß manche Aerzte sich einseitig mit der Tuberkulose, besonders
mit der beginnenden Tuberkulose allzu weitherzig befassen.
Ich habe unter meinen Mitarbeitern Herren gehabt, die m
Heilstätten früher jahrelang tätig waren, und solche, die in
Privatheilanstalten sich ausgebildet hatten. Beide betonten
mir, daß das Krankenmaterial der Heilstätten ein durchaus
anderes sei als der Privatheilanstalten. Während in letzteren
sich fast durchweg Leute mit objektivem Lungenbefunde be-
fanden, gehörte in ersteren bei vielen Fällen eine starke
Dosis Autosuggestion dazu, etwas auf den Lungen zu finden.
Es ist besser, daß die erste Auswahl der Kranken mög-
lichst vom behandelnden Arzte gemacht wird, daß aber
hier, ‚wenn nicht ein sicherer objektiver Befund vorliegt, und
das ist in vielen Fällen nicht der Fall, möglichst der An-
trag auf eine Beobachtung gestellt wird. Ich trau
mir am allerwenigsten zu, durch eine einmalige Unter-
suchung in der Sprechstunde die Diagnose der beginnenden
Lungentuberkulose mit Sicherheit stellen zu können, went
H
17. November.
sie in ihren allerersten Anfängen ist, am wenigsten aber das
negative Urteil aussprechen zu können, und damit werden
mit mir alle erfahrenen Internisten einig sein, und so kann
man es von keinem Arzte verlangen, daß er in den vielen
zweifelhaften Fällen sofort eine bestimmte Entscheidung gebe.
Wir müssen vom wissenschaftlichen und praktischen Stand-
punkt aus zugleich wünschen, daß die Lehre von der be-
ginnenden Tuberkulose weiter geklärt wird, und der ge-
gebene Weg der Durchgangsstation mit nachfolgender regel-
mäßiger Nachuntersuchung scheint mir hier ein gangbarer
zu sein.
Von großem Interesse mußte es sein, solche Patienten,
die bereits vorher in einer Heilanstalt waren und solche,
die als schwere Phthisiker ins Krankenhaus kamen, zu Ver-
gleichen heranzuziehen. Die dabei gemachten Feststellungen
sind folgende:
Innerhalb des letzten Jahres wurden in der Klinik ins-
gesamt 32 schwer erkrankte progresse männliche Phthisiker
behandelt. Die Zahl ist deswegen so gering, weil die Tu-
berkulosenabteilung, da sie von den übrigen Abteilungen
isoliert werden mußte, für die Bedürfnisse viel zu klein ist
und deshalb die Schwerkranken, wenn eben möglich, in
kleine ländliche Krankenhäuser der Umgegend verschickt
werden, ein nicht gerade erfreulicher Zustand. Von diesen
Schwerkranken waren insgesamt zehn früher in einer. Heil-
stätte gewesen, von denen wiederum zwei nur wenige Tage
in der Heilstätte behalten wurden und schon damals als zu
progreß entlassen wurden. Sie gehören also eigentlich auf
die andere Seite, auf die Seite derjenigen, die niemals vor-
her in einer Heilanstalt waren. Diese Zahlen beweisen uns
allerdings nur an einem kleinen Material, daß 75°), der
schweren Phthisiker überhaupt nicht zur Heilstättenbehand-
lung gekommen sind. Zähle ich die Frauen hinzu, so er-
gibt sich ein noch viel größerer Prozentsatz, da von den in
der Klinik behandelten schwer pbthisischen Frauen nur
10°/, früher eine Heilstättenkur durchgemacht hatten. Es
besteht also noch ein sehr erhebliches Bedürfnis, daß die
Tuberkulose in ihren frühen Stadien besser erkannt und zur
Heilstätte geführt werde, in denen aber vielleicht mancher
Platz durch Nichtheilstättenbedürftige ausgefüllt wird.
Eine weitere Zusammenstellung betrifft die Fälle,
welche früher in Heilstätten schon Kuren durchgemacht
hatten und nun wieder in der Durchgangsstation erschienen.
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ana e a e aE
1857
Es sind dies insgesamt 76 Fälle von 500 der Vorstation,
von denen manche sogar schon mehrere Kuren in den Heil-
stätten durchgemacht hatten und bei denen nochmals eine
Wiederholung beantragt war. Von diesen wurden von uns 45
wieder der Heilstätte zugeführt, darunter allerdings fünf mit
unsicherem Befund, also als „Prophylaktiker“ und drei in
einem Stadium II nach Gerhardt und Turban, die übrigen
im Stadium I, 28 mußten als nicht aktiv tuberkulös aus-
scheiden. Von diesen wurden nur fünf zur Nachunter-
suchung nach zwei Monaten wiederbestellt und dann auch
als aktiv nicht tuberkulös befunden. Als zu progreß mußten
drei abgewiesen werden. Es ist also mehr als ein Drittel
der schon in Heilstätten Gewesenen und wieder für solche
Vorgeschlagenen von uns als nicht heilstättenbedürftig an-
gesehen worden. |
Aus den bei uns gemachten Beobachtungen sind fol-
gende Schlüsse zu ziehen:
1. Zur Ueberweisung in eine Heilstätte genügt nur in
einem geringen Prozentsatze der Fälle eine ambulante Unter-
suchung, es ist zu erstreben, daß alle für die Heilstättenkur
in Betracht kommenden Kranken einer Vorbeobachtung in
einer klinischen Station überwiesen werden.
2. Bei allen diesen Fällen ist auch eine photographi-
sche Uebersichtsaufnahme der Lungen zu machen, dadurch
erübrigt es sich, daß in den Lungenheilstätten, denen Platten
respektive Abzüge zur Vertügung gestellt werden müssen,
weitere Röntgenaufnahmen gemacht werden.
3. Die nicht zur Heilstätte gesandten Insassen der `
Vorstation sollen möglichst nach zwei und vier Monaten
nachuntersucht beziehungsweise nachbeobachtet werden.
4. In die Heilstätte gehören nur solche Kranke, bei
denen der Verdacht einer aktiven Lungentuberkulose wirk-
lich begründet ist, Propbylaktiker und andere, bei denen
sich keine Anhaltspuukte einer aktiven Tuberkulose ergeben,
können in Walderholungsstätten oder sonstigen Aufenthalts-
orten behandelt werden.
5. Es wird die Lungentuberkulose bei unverhältnis-
mäßig zahlreichen Menschen progreß, ohne daß ein recht-
zeitiger Versuch zur Heilung gemacht wird, zum Teil mag
dies daran liegen, daß, wie sich aus den Krankengeschichten
ergibt, den ersten Zeichen einer Erkrankung ein rasches Fort- -
Schreiten folgt, zum Teil aber auch daran, daß die Kranken
nicht frühzeitig genug sich der ärztlichen Hilfe versichern.
Abhandlungen.
Gynäkologie und Psychiatrie‘)
Geh, San.-Rat Prof. Dr. J. Peretti, Düsseldorf-Grafenberg.
Die Vorstellung von dem Zusammenhange psychischer und |!
nervöser Störungen mit dem weiblichen Genitalapparat ist so alt
wie die Psychiatrie, sie mußte sich bei dem häufigen Auftreten
von Psychosen in Verbindung mit den Generationsvorgängen natur-
gemäß jedem Beobachter aufdrängen und die Hoffnung auf eine
erfolgreiche Therapie durch lokale Eingriffe an dem Genitale nahe-
legen. Der radikalste Eingriff, die Kastration, die übrigens schon
in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Weikard) und 1802
von Cabanis aus dem Grunde, weil Wahnsinn nie vor der Puber-
tät entstehe, empfohlen worden war, trat in den Vordergrund des
Interesses, als die „Kastration beim Weibe“ im Jahre 1872 gleich-
zeitig von Battey in Amerika, Hegar in Freiburg und Tait in
Birmingham inauguriert wurde. Damals wurde über Kastration,
besonders bei Hysterie, überaus viel geschrieben, es ist wohl die
Zeit, die Rieger im Auge hat, wenn er in seinem Buche über die
Kastration schreibt: Die Frauen zeigen dabei häufig einen wahren
Furor operativus passivus, die Aerzte einen Furor operativus
activus. Es war um dieselbe Zeit, als Friedreich seine jetzt
ganz vergessene Klitoriskauterisation gegen die Hysterie empfahl
1) Vortrag, gehalten auf der Versammlung Deutscher Naturforscher
und Aerzte zu Münster i. W. am 17. September 1912. i
und Goodell die Meinung aussprach, die Sanitätspolizei solle
durch Kastration geisteskranker Frauen und Männer die Geistes-
krankheit fernerhin unmöglich machen. Bald machte sich die
Opposition gegen die „normale“ Kastration geltend, ich nenne
Landau und Remak, Fritsch und vor allem Spencer Wells,
der schon 1882 seine warnende Stimme erhoben hatte und 1891
sagte: „Die Kastration ist in beinahe allen Fällen von nervöser
Reizbarkeit und von Irrsinn durchaus verwerflich, im Falle von
Nymphomanie und Geisteskrankheit kann sie — um mich auf das
mildeste auszudrücken — nie gerechtfertigt werden.“
Aber das Augenmerk war einmal viel mehr als früher auf
den Genitalapparat gelenkt und einer gynäkologischen Behandlung
nervöser und psychischer Erkrankungen wurde mehr oder weniger
Wert beigemessen. Besonders in England und Amerika tauchte
mehrmals die Behauptung auf, daß viele Frauen in den Irren-
häusern zurückgehalten würden, welche nur an Reflexirritation
infolge vernachlässigter Erkrankungen des Sexualsystems litten
und heilbar seien. Madden, der übrigens eine gynäkologische
Untersuchung und Behandlung nicht ohne absolute und klare Not-
wendigkeit vorgenommen wissen will, verlangt deshalb, daß gesetz-
lich ein tüchtiger Gynäkologe den Anstalten zugeteilt werde. Schon
drei Jahre vor Madden hatte B. S. Schultze in Jena 1880 den
Vorschlag gemacht, den er, wenn er im Staat etwas zu sagen
hätte, zum Gesetz machen. würde, daß in jeder Irrenanstalt, öffent-
lichen sowohl wie privaten, auch in jeder Heilanstalt für nervöse und
gemütskranke Frauen einer der Assistenten ein fertiger Gynäkolog sei.
1858 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
Im Jahre 1892 untersuchte Rohé 35 geisteskranke Frauen
und fand bei 26 Erkrankungen der Ovarien und der Tuben. Von
den 22, die er operierte, sind zwei an Septikämie gestorben, vier
sind genesen, davon eine an Hysteroepilepsie mit Manie leidend,
die ein Jahr später in einem Krampfanfalle starb, elf sind ge-
bessert, von denen eine vier Wochen später wahrscheinlich durch
Selbstmord endete, vier zeigten keine psychische Aenderung, bei
einer war die Operation zur Zeit der Veröffentlichung noch zu
kurz vorüber, als daß man ein Resultat hätte erwarten können.
Die Psychosen, an denen die Operierten litten, bezeichnet Rohé
als Melancholien, verschiedene Formen der Manie, einen Fall als
Paranoia und einen als epileptische Geistesstörung.
Ich würde diese weit zurückliegende Veröffentlichung nicht
erwähnen, wenn nicht neuerdings Schultze wiederholt auf sie
als beweiskräftig hingewiesen hätte, zugleich mit zwei Fällen
Hanleys von schneller Heilung schwerer Psychosen unmittelbar
nach gynäkologischer Operation und mit drei Fällen Schockaerts
von Heilung schwerer Melancholie nach Reposition des retro-
flektierten Uterus.
Etwa zehn Jahre später als Rohé wollte Hobbs — ich
zitiere nach Schultze — die Gynäkologie als regelmäßig anzu-
wendende Heilmethode in denjenigen Häusern einführen, in welchen,
wie er sich ausdrückt, so manche Frau, der auf operativem Wege
hätte geholfen werden können, nun eingesperrt bleibt bis an ihr
Lebensende, um unsägliches Elend zu erdulden. Hobbs hat im
Laufe von fünf Jahren bei 1000 untersuchten Frauen in seiner
Anstalt zu London, Ontario, 253 mal einen pathologischen Befund
an den Beckenorganen gefunden; er operierte diese Fälle, an der
Operation starben 5, genesen sind von ihrer Psychose 100, ge-
bessert wurden 59. Nach seiner Bezeichnung handelte es sich um
Fälle von Manie, Melancholie und circulärem Irresein; richtig war
es, daß er alle -organische Psychosen, angeborene Zustände und
senile Erkrankungen ausschloß. Er hatte also unter den an sich
prognostisch nicht alle ungünstigen Fällen 159 = 62,8% Ge-
nesungen und Besserungen. Bei Rohé waren es sogar 70%.
Das muß fürs erste überraschen, denn im allgemeinen rechnen
wir bei Psychosen nicht mit einer so hohen Ziffer günstigen Aus-
gangs. Indessen wissen wir auch, daß die manischen und de-
pressiven Formen, nicht zum wenigsten auch die auf dem Boden
von Neurosen erwachsenen, eine verhältnismäßig bessere Zustands-
prognose bieten.
In den rheinischen Provinzialanstalten sind in den Jahren
1897 bis 1911 zu einem Bestande von 1374 geisteskranken Frauen
überhaupt 16188 neu aufgenommen worden, von diesen 17562
kamen 7014 genesen und gebessert zur Entlassung, das sind 400/0,
und diese Zahl erhöht sich auf rund 450/,, wenn man 1000 von
dem gebliebenen, sich auf 2757 belaufenden Bestand als voraus-
sichtlich später genesen oder gebessert zu entlassen hinzurechnet,
eine Zahl, die gewiß nicht zu hoch ist.
Aus äußeren Gründen lassen sich die an manischen und
depressiven Formen Erkrankten nicht allein herausziehen. Doch
kann ich wenigstens bezüglich der einfachen akuten und chroni-
schen Psychosen in der Grafenberger Anstalt anführen, daß in den
ersten 25 Jahren, 1876 bis 1901, von den an diesen Formen be-
handelten 4693 Frauen als genesen und gebessert 2406 oder
51,20/ entlassen, eine Zahl, die sich mit Zurechnung der mut-
maßlich von dem Bestande später noch ebenso Eintlassenen auf
etwa 54°/, erhöhen würde.
Wenn man bedenkt, daß unter den „einfachen“ Psychosen
der Statistik alle senilen, paranoischen und Verblödungsformen,
also solche mit von vornherein ungünstiger Prognose ihren Platz
haben, so wird der Unterschied zwischen den Hobbschen Prozent-
zahlen und den unsrigen nicht mehr als eminent anzusehen sien.
Von den in den letzten fünf Jahren, 1907 bis 1911, aus
der hiesigen Anstalt entlassenen 525 Frauen, die an manischen
oder depressiven Zuständen gelitten hatten, waren 374 genesen oder
gebessert, das macht sogar 72,20/o. Man wird entgegenhalten, daß
die Zahl der Entlassenen allein nicht maßgebend ist, da die Un-
geheilten meistens eben in der Anstalt zurückbleiben. Aber der |
große Wechsel unserer Anstaltsbevölkerung, bei der auf der Frauen-
abteilung die Aufnahmen bis zu 900/9 des Bestandes ausmachen,
und die dadurch bedingte Notwendigkeit der Ueberführung Un-
heilbarer in Pflegeanstalten lassen eine Ansammlung Unheilbarer
nicht aufkommen. Die angegebene Zahl wird also wohl etwas,
aber nicht beträchtlich zu reduzieren sein.
Mag man auch an meinen Zusammenstellungen und dem Ver-
gleiche das eine oder andere aussetzen, jedenfalls verlieren aber
danach die Hobbsschen Zahlen an dem Werte, mit dem sie bisher
den Gynäkologen imponiert haben mögen. Man kann einwenden,
die Heilungen wären bei uns häufiger oder schneller erfolgt, wenn
eine gynäkologische Behandlung stattgefunden hätte. Dieser Ein-
wand läßt sich nicht direkt widerlegen, anderseits läßt sich aber
auch nicht beweisen, daß ohne eine Operation in den Hobbsschen
Fällen eine Heilung oder Besserung nicht eingetreten wäre. Hobbs
zwar glaubt den Erfolg seiner operativen Behandlung aus der Zu-
nahme der als geheilt und gebessert entlassenen Frauen um 35%,
gegenüber der Zeit vor der Einführung der Operationen annehmen
zu dürfen. Die Zahlen lassen sich nicht nachprüfen. Sollten sie
richtig sein, so hätte man wohl erwarten dürfen, daß Hobbs’
Beispiel wenigstens in Amerika Nachfolger gefunden haben und
der Krankenbestand an Frauen in den Anstalten beträchtlich zu-
rückgegangen sein würde, aber davon ist in den zehn seitdem ver-
flossenen Jahren nichts verlautet. Im Gegenteil, trotz Hobbs und
Rohé, trotz Henry, der bei 16 gynäkologisch operierten geistes-
kranken Frauen zehnmal vollen Heilungserfolg sah und das Ausbleiben
des Erfolgs bei den andern darauf schob, daß sie nicht frühzeitig
genug in Behandlung kamen, trotz Carpenter, der nicht selten,
wenn auch nicht mit Sicherheit, glänzendste Erfolge von gynäko-
logischer Behandlung in Aussicht stellte, scheinen doch die Stimmen
anderer Autoren, wie Stucky und Tomlinson, die gegen diesen
Enthusiasmus auftraten, in Amerika mehr Anklang gefunden zu
haben. Denn nur so erklärt es sich, daß der Sekretär der Americ.
assoc. of Obstetrics and Gynaecologists, Zinke, auf eine Anfrage
Schultzes am 15. Dezember 1911 schreibt: „Das Interesse für
die Sache (systematische Untersuchung der Genitalien bei geistig
erkrankten Frauen) ist, hierzulande wenigstens, schlafen gegangen.
Ich kenne nicht ein einziges Irrenhaus in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika und Kanada, in dem zurzeit systematisch Unter-
suchungen dieser Art betrieben werden.“
Von den Engländern haben sich auch nur einige für gyn&
kologische Untersuchung und Operation Geisteskranker erwärmen
können, andere, so Yellowless und Halliday Croom sogar er-
klären die Versuche als völlig gescheitert und selbst der von
Schultze als lebhafter Anhänger der Einführung gynäkologischer
Diagnose in den Irrenanstalten bezeichnete Jones Macnaughton
erklärt eine Untersuchung beim Fehlen von sexualen Symptomen
für nicht gerechtfertigt. |
In den 30 Jahren, die seit der Forderung Schultzes, es
dürfte in den Irrenanstalten keine organische Störung des weib-
lichen Genitalapparats unerkannt und unbehandelt bleiben, ver-
flossen sind, haben sich in Deutschland Gynäkologen und Psychiater
in ihren Anschauungen mehr und mehr genähert, und ich stelle
mich ganz auf die Seite Siemerlings, der behauptet, daß gerade
die Gynäkologie es ist, die sich die Lehren der Psychiatrie zu
eigen macht und daß der ablehnende Standpunkt der Psychiater
gegen die alten Vorstellungen von der reflektorischen oder aus-
strahlenden Entstehung der Neurosen aus gynäkologischen Leiden
und gegen die Anschauungen von der Besserung beziehungsweise
Heilung dieser Störungen nach Beseitigung der gynäkologischen
Affektionen sich nicht geändert, sondern eher unter der Mitwirkung
der Gynäkologen sich verstärkt hat. Von letzteren sind zu nennen:
Krönig, Veit, Freund, Wille, Uherek, Martin. Ich ver-
weise auch auf die Verhandlungen der Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte in Kassel 1903, wo nach der Diskussion
über die Referate Krönigs und Eulenburgs: Die Beziehungen
der funktionellen Nervenkrankheiten zu den Erkrankungen der
Genitalorgane, der erste Referent in seinem Schlußworte die Bei-
fallependung aus der Mitte der Gynäkologen bedauerte, als Bins-
wanger gesagt hatte, die Gynäkologen behandelten oft eine Pa-
tientin monatelang vergeblich, die dann erst in der Behandlung
des Neurologen gesunde. Also Gynäkologen für den Neurologen!
Bei derselben Gelegenheit berichtete Baisch, daß bei den
in Invaliditäts- und Unfallsangelegenheiten untersuchten, an funk-
tionellen Neurosen leidenden Patientinnen mit lokalen Verände
rungen am Genitale trotz Beseitigung und Heilung der gynäko-
logischen Erkrankungen keine besseren Heilresultate gefunden wu“
den, als bei denen ohne pathologische Befunde an den Genital-
organen, bei beiden Gruppen ein Drittel der Fälle, ein sicherer
Beweis, daß nicht die Genitalerkrankung die Ursache der nour-
asthenischen, hysterischen und hypochondrischen Beschwerden war;
Dämpfend auf die „Operationswut in der Gynäkologie
(Pristley) mußte das Ergebnis einer Zusammenstellung wirken,
die Angelucci und Pieraceini 1897 nach einer Rundfrag® E
zahlreichen Psychiatern Italiens und anderer Länder ve
lichten. Unter 117 Fällen von gynäkologischen Operationen 3%
Hysterischen und Geisteskranken wurde sechsmal nur eine Sohem
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17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. | 1859
operation gemacht, aber der Erfolg war befriedigend. Von den andern
111 Fällen hatte nur in 17 Fällen die Operation einen günstigen
Erfolg, 12 davon litten an „nervösen Störungen“, also wahrschein-
lich nicht an schwerer Hysterie, jedenfalls nicht an Psychose. Bei
23 blieb der Zustand derselbe wie vorher, bei 20 vor der Ope-
ration Hysterischen und 24 Nichthysterischen war der Erfolg der,
daß sie geisteskrank wurden, bei weiteren 25, die vorher geistes-
krank und hysterisch waren, der, daß sich der Zustand verschlim-
merte und bei 2 Nichthysterischen, daß sie neuropathisch wurden.
Die Erfolge erklären sich vermutlich hauptsächlich durch sugge-
stive Wirkung.
Noch ungünstiger sind die Resultate, die Raimann 1904
speziell über Psychosen veröffentlichte. Unter dem reichen Wiener
Material konnte er nur zwölf Fälle von funktionellen Psychosen
zusammenstellen, in denen eine Beziehung zu Geschlechtsvorgängen
vorzuliegen schien und deshalb die Kastration vorgenommen wor-
den war. Die Ergebnisse waren vorwiegend negativ. Raimann
stellt zwar als theoretische Forderung hin, in jedem Falle von
Psychose bei Frauen den Status somaticus durch einen Genital-
befund zu ergänzen, aber er hält es doch für erwiesen, daß wir
nur selten hoffen dürfen, durch eine eingreifende Operation eine
Geisteskrankheit eher zur Heilung zu bringen.
In einer mir nur durch Referat bekannt gewordenen Arbeit
berichtet Palotai über eine gynäkologische Behandlung von 54
mit Genitalleiden bebafteten geisteskranken Frauen, unter denen
290/, Paralytische und 19°/, Paranoische waren. In drei Fällen
operierte er, zwei Curettagen hatten günstigen Einfluß, eine Tu nor-
exstirpation an der Klitoris blieb ohne Einfluß auf naymphomanische
Symptome. In weiteren zwei Fällen hatte die gynäkologische Be-
handlung günstigen Einfluß auf den Verlauf der bestehenden
Amentia. Vier Besserungen bedeuten kein glänzendes Resultat.
Alles in allem genommen waren die Erfolge gynäkologischer
Behandlung nicht derartig durchschlagende, daß man sie als das
Hauptheilmittel der Psychosen bei Frauen hinzustellen berechtigt
wäre. Nicht unbeachtet bei der Bewertung der Operation als Heil-
mittel darf man die Todesfälle lassen, die bei dem kleinen Mate-
rialRoh6s sogar in 9 0/ọ, bei dem größeren von Hobbs aber auch
noch in 2°, der Fälle als direkte Folge der Operation eingetreten
sind. Derartige Todesfälle können, worauf auch Siemens hin-
weist, für eine Anstalt unter Umständen recht unangenehm werden,
Wenn der Gynäkologe Martin in Uebereinstimmung mit
dem Neurologen v. Voß der Auffassung ist, daß Hysterie nicht
häufiger auf dem Boden weiblicher Genitalerkrankungen als auf
dem Boden anderer Organerkıankungen überhaupt entsteht, und
wenn Martin bei Hysterie und Hermkes auch bei Psychosen nur
bei schweren örtlichen Veränderungen und bei solchen, die auch
ohne das Bestehen der Psychose ein chirurgisches Eingreifen er-
fordern würden, eine chirurgische Behandlung angebracht halten,
so dürfte damit der richtige Standpunkt eingenommen werden.
Nun ist vor einigen’ Monaten ein Buch: „Die gynäkologische
Prophylaxe bei Wahnsinn“, von dem Vorsteher der Universitäts-
Frauenklinik in Genua, Professor Bossi, erschienen, der, wie er
glaubt, Tatsachen anführt, die in der Geschichte der Gynäkologie
neu sind. Diese Tatsachen, die seiner Ansicht nach eine wohl-
tätige Umwälzung auf dem Felde der weiblichen Irrenheilkunde
darstellen und von großer sozialer Tragweite sind, bestehen darin,
daß er durch ein „selbständiges Vorgehen, das kühn erscheinen
könnte“, Patientinnen unmittelbar aus dem Irrenhaus in die
gynäkologische Klinik überführte und heilte und daß er in der
Klinik „eine Abteilung zur Unterbringung und Behandlung Hyste-
rischer, Geisteskranker und Irrsinniger einrichtete, zum Zwecke,
die irrtümliche Einschließung derselben in eine Irrenanstalt zu
vermeiden“.
Als Provinzialverwalter und Gynäkologe fordert er Unter-
suchung des Genitalapparats und, wenn krankhafter Befund vor-
handen, Behandlung vor Einschließung einer Patientin in eine
Irrenanstalt und Einrichtung von einigen Räumen für gleichzeitig
an Bierstock-Uteruserkrankungen und Erscheinungen von an Irrsinn
leidenden Patientinnen an allen gynäkologischen Instituten.
Man mag dem Italiener Bossi manches zugute halten
müssen, wenn er in seinem nicht in der Sprache seines Heimat-
landes geschriebenen Buche Sprachausdrücke und Redewendungen
gebraucht, die uns befremdeu, aber dagegen müssen wir Psy-
chiater doch angehen, daß er „aus Mitleid“ von einer Unter-
bringung in die Anstalt abrät, daß er von dem „traurigen Mal“,
von „Schande und Schaden der Einschließung in ein Irrenhaus“
spricht, daB er wörtlich sagt: „nach Verurteilung wegen Ver-
brechens ist es die größte dem Menschen aufzuerlegende Krän-
kung, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären und in ein Irren-
haus einzuschließen“, und daß er sich zu der Frage versteigt:
„ist es billig, ist es anständig, daß so viel und so lange dauerndes
Unglück ungestraft bestehen und noch immer geschaffen werden
darf, jetzt, nachdem die Aufmerksamkeit des Publikums, der
Aerzte, Gynäkologen, Neuropathologen, Psychiater nicht nur auf
die Möglichkeit solch verhängnisvoller Irrtümer, sondern auch auf
die Weise sie zu vermeiden, gelenkt ist?“
Ich glaube nun nicht, daß in absehbarer Zeit das Unter-
lassen gynäkologischer Untersuchung jeder geisteskranken Frau
und die Ueberführung jeder in ihrem Genitale nicht völlig nor-
malen Geisteskrauken in eine Irrenanstalt statt in eine Frauen-
klinik vor dem Forum der Aerzte und der Juristen als Kunst-
fehler und strafbare Handlung angesehen werden wird. Aber ich
halte solche Anklagen gegen die Psychiater, die nach Bossi von
den gynäkologischen Lehrstühlen aus unter Aerzten und Studenten
und durch Schritten und Vorträge im großen Publikum verbreitet
werden müßten, für überaus geeignet, das Vorurteil gegen die
Irrenanstalten, das erfreulicherweise nachgelassen hat, wieder zu
stärken und damit den Geisteskranken und auch der Allgemeinheit
zu schaden.
Die Anschauungen Bossis sind um so mehr zurückzuweisen,
als seine Behauptungen doch durchaus nicht über jeden Zweifel
erhaben sind. Soviel ich die Literatur zu übersehen vermag,
findet Bossi selbst in den Kreisen der Gynäkologen kaum un-
bedingte Anhänger. Auf dem Gynäkologenkongreß in Paris im
Oktober 1911 allerdings wurde einstimmig das Votum ange-
nommen: Die französische gynäkologische Gesellschaft hält es für
nötig, daß jedes Mädchen oder jede Frau vor der Aufnahme in
eine Irrenanstait untersucht würde, um den organischen und
funktionellen Zustand des Genitalapparats festzustellen. Anders
war es auf dem italienischen Gynäkologenkongreß in Rom im
Dezember 1911. Der Gynäkologe Mangiagalli, der sich auch
schon seit 20 Jahren mit der Frage beschäftigt, erklärte die
übrigens nicht neuen Vorschläge Bossis als wissenschaftlich un-
begründet; die anwesenden Psychiater Bianchi, Mingazzini
und Tamburini widersprachen ebenfalls energisch, befürworteten
aber doch die Bildung einer aus Gynäkologen und Psychiatern
zusammengesetzten Kommission mit der Aufgabe, die Frage weiter
zu studieren und neue Tatsachen beizubringen.
Von deutschen Gynäkologen wiesen Walthard und Stoeckel
die Anschauungen und Vorschläge Bossis entschieden zurück.
Ersterer, der vorwiegend die hysterischen und nervösen Erschei-
nungen in Betracht zieht, erblickt in der psychoneurotischen An-
lage das hauptsächliche ätiologische Moment für das Auftreten
nervöser Symptome bei materiellen Erkrankungen des Genitale
und betont, daß das Auftreten von Psychoneurosen und ihre ge-
legentliche Steigerung im Anschluß an Menstruation, Schwanger-
schaft und Wochenbett, aber auch außerhalb dieser Zeiten in ganz
gleicher Weise wie bei krankem auch bei gesundem Genitale be-
obachtet wird. In der Klinik der Neurologen Dubois und
Schnyder sah er alle Varianten psychoneurotischer Erscheinungen,
trotzdem 90 jy aller Untersuchten einen normalen Genitalstatus
aufwiesen. Die ätiologische Therapie ist für Walthard nur Psycho-
therapie und er verspricht sich von der Beschäftigung der Gynä-
kologen mit Psychotherapie den Erfolg, daß die Zahl der gynäko-
logischen Operationen und Lokalbehandlungen abnehmen, aber die
Zahl der Heilerfolge in der Gynäkologie zunehmen wird,
L. Landau stimmt in einem eben erschienenen Aufsatze
Walthard darin vollkommen zu, daß es den Gynäkologen zu-
nächst weniger darauf ankommen darf, alle ins gesunde oder auch
in das veränderte Genitale verlegten psychoneurotischen Erschei-
nungen zu heilen, als vielmehr darauf, sie als funktionelle Sym-
ptome zu erkennen und deshalb von jeder gynäkologischen ört-
lichen Behandlung auszuschließen, das heißt derlei Kranke psycho-
therapeutisch zu behandeln.
Stoeckel macht auf die Kluft aufmerksam, die zwischen
der Anschauung Bossis und derjenigen der deutschen Gynäko-
logen besteht, die das Bossische Intrauterin-Pessar als schäd-
lichen, eine Endometritis veranlassenden Fremdkörper perhorres-
zieren und von denen die meisten immer noch nicht den „schnecken-
förmigen“ Uterus palpieren können. Mit Recht nennt Stöckel es
einen Widerspruch, daß in manchen Fällen Bossis alles daran-
gesetzt wird, eine Amenorrhöe zu beseitigen, während in einem
andern Falle bei einer jungen Frau der Uterus exstirpiert wird,
und mit Recht sagt er: „Merkwürdig bleiben die Bemühungen,
bei amenorrhoischen Frauen, deren geistiges Verhalten nicht ganz
normal ist, mit lokalen Maßnahmen Menstruation zu provozieren.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. N ovember,
Hoffentlich werden die unbeabsichtigten und beabsichtigten krimi-
- nellen Aborte dabei nicht gefördert.“
Auf die gynäkologischen Fragen einzugehen, halte ich mich
nicht für kompetent; ich erlaube mir kein Urteil darüber, wie-
viele nicht nervöse 'und nicht geisteskranke Frauen an lokalen
Genitalerkrankungen leiden, speziell an der von Bossi besonders
für „Selbstmordmanie“ verantwortlich gemachten Retroflexio und
Retroversio uteri mit nachfolgender infektiöser Endometritis.
Doch will ich nur kurz bemerken, daß nach Martin „ein
großer Teil der früher in diesem Zusammenhange (Hysterie ` und
Genitalerkrankungen) ganz besonders betonten Leidenszustände, in
erster Reihe die Retroflexio uteri mobilis und die Endometritis
sicherlich nur unerhebliche Befunde sind, selbst wenn sie mit
Dysmenorrböe und Sterilität einhergehen.“
Tierversuche mit normalem und mit von Amenorrhoischen
herrührendem Scheidensekret sollen nun nach Bossi ergeben
haben, daß die Ausscheidung der Amenorrhoischen unbedingt
toxisch ist, jedoch nicht immer in gleichem Grade. „Von elf mit
normalem Sekret injizierten Tieren erkrankten drei für kurze Zeit
und zwei verendeten, während von den 17 mit pathologischem
Sekret behandelten weißen Mäusen 13 verendeten, die andern
etwas leidend waren, sich dann aber erholten. Bei der Verwertung
dieser Versuche dürfte nicht außer acht zu lassen sein, daß es
nur sieben und nicht 17 verschiedene Frauen sind, von denen das
pathologische Sekret entnommen und daß mindestens sechs von
den verendeten Tieren mit Sekret ein und derselben Amenor-
rhoischen behandelt wurden und daß diese zudem epileptisch war.
Die 13 Verendungen verteilen sich auf das Sekret von fünf, die
andern vier Versuche auf das von zwei Frauen. Wieviele Frauen
zu den Versuchen mit normalem Sekret herangezogen wurden, ist
nicht angegeben, und so läßt sich kein genauer Vergleich ziehen.
Da aber auch bei diesen Versuchen fast die Hälfte der Tiere er-
krankte oder starb, so kann man die Injektion von normalem
Sekret doch nicht als gefahrlos ansehen. Jedenfalls sind die
Resultate nicht einwandfrei und nicht zahlreich genug, um zu so
weitgehenden Schlüssen zu berechtigen, wie sie von Bossi ge-
zogen werden.
| Weiter wird, um auf das Psychiatrische zu kommen, Bossis
„gynäkologische Klassifikation der durch die Genitalerkrankungen
verursachten oder damit zusammenhängenden Psychosen“ in ihren
Einzelheiten wohl keinen Anklang finden. Besonderes Gewicht
legt er bei der ersten Gruppe, der toxisch-infektiösen Psychose
auf die lokalisierte schleichende Infektion, ausgehend von ein oder
zwei Ulcerationen am Uterushalse, wo es leicht gelingen soll, den
„Faktor zu entfernen, der allerdings nur in einem dazu veranlagten
Gehirne, mit beginnender geistiger Entartung, schwere geistige
Störungen bis zu Delırium, zum Irrsinn auszulösen vermag. Es
sind dies Erkrankungen, welche als Herde chronischer infektiöser
Prozesse manchmal das klinische Bild einer Dementia praecox
eben.“
j Die Frage der inneren Sekretion ist jetzt gəwiß eine aktuelle
(ich erinnere unter anderm an die hypothetischen Betrachtungen
Münzers bezüglich der Puerperalpsychosen) und wir werden von
dem Studium dieser Frage zweifellos Fortschritte in der Psycho-
pathologie erwarten können. Bossi macht es aber doch etwas
einfach, wenn er in der zweiten Gruppe seiner Klassifikation die
Psychosen infolge von Autointoxikation durch Eierstockerkran-
kungen in zwei Gruppen einteilt: 1. Fälle mit ungenügender oder
fehlender Sekretion (angeborene Insuffizienz, Pubertätsstörungen,
vorzeitige Menopause, Kastration), die im allgemeinen die Form
von- Melancholie und bei Individuen in der Vollkraft des Ge-
schlechtslebens auch der Dementia praecox annahmen, und 2. Fälle,
bei denen Hypersekretion des Eierstocks infolge plötzlicher Unter-
brechung der Menstruation besteht, mithin plötzliche Hyperabsorp-
tion der generischen Stoffwechselsubstanzen und bei denen die
Psychose im allgemeinen durch einen aufgeregten, manchmal
maniakalischeen Zustand charakterisiert ist, manchmal von
menstruellen Deliriumanfällen begleitet, manchmal mit einer
so hochgradigen Steigerung der Aufregung, daß sie Epilepsie
vortäuscht.
Von den Psychiatern sind in Deutschland Siemerling, in
Italien Bianchi, Mingazzini und Tamburini mehr oder weniger
scharf Bossi entgegengetreten. Man erklärt seine Verallgemeine-
rung des Zusammenhangs zwischen Psychosen beziehungsweise
Neurosen und Genitalerkrankungen für unrichtig und seine Fälle
als nicht beweisend für seine Schlußfolgerungen, man hebt die
Häufigkeit der Genitalerkrankungen bei Frauen überhaupt, die voll-
ständige Genesung vieler geisteskranken und hysterischen Pa-
tientinnen ohne gynäkologische Eingriffe, das Vorkommen von
Hysterie bei Männern und auch bei Kindern hervor.
Es ist nicht leicht, zu den psychiatrischen Diagnosen Bossis
Stellung zu nebmen, seine Nomenklatur deckt sich nicht mit der
bei uns gebräuchlichen, eine Selbstmordmanie, einen depressiv-
maniakalischen Wahnsinn kennen wir nicht, wir bezeichnen auch
nicht vorübergehende Verstimmungen zur Zeit der Menses als
schwere Melancholie, nicht stuporöse Zustände als vollständige
und schwere Verblödung.
Wenn Bossi der Ueberzeugung ist, daß die menstruellen
Störungen und ganz besonders die Amenorrhöe die vornehmste
Ursache der Dementia praecox bei der Frau ist und daß bei der
Mehrzahl der Fälle die Wiederherstellung der menstruellen Funk-
tion genügt, um den Wahnsinn zu verhüten und, wenn aus-
gebrochen, ihn zu heilen, so wird er auf wenig Zustimmung
rechnen können. Verstehe ich ihn recht, so glaubt er, mit der
Diagnose Dementia praecox werde Mißbrauch getrieben, und er
will demnächst beweisen, daß viele als Dementia praecox diagnosti-
zierte und als solche für immer in das Irrenhaus eingeschlossene
unglückliche Gebärmutterleidende sich dagegen in den gynäkolo-
gischen Instituten befinden sollten. Ueber den Begriff und die
Bezeichnung Dementia praecox zu diskutieren, dürfte Bossi besser
den Psychiatern überlassen. Das bestätigt mir unter anderm
einer seiner Fälle (XI), bei dem er mit Sicherheit behauptet, die
Psychiater würden die Diagnose Dementia praecox gestellt haben,
der aber, soweit sich aus der Krankengeschichte ersehen läßt, ge-
wiß von Psychiatern anders beurteilt worden wäre.
Bei einem andern als Dementia praecox diagnostizierten Falle
läßt sich der Einwand erheben, daß eine nach der Operation auf-
getretene Furunkulose zu der Besserung beigetragen hat. Zu-
treffend betont Bonhoeffer, daß die Unkenntnis des Verlaufs
gewisser Geisteskrankheiten leicht zu falscher Beurteilung der
Heilerfolge führt und daß die überraschende Sozialisierung, die
man gelegentlich bei alten Katatonikern anschließend an irgend-
welche mehr oder weniger eingreifende Veränderungen ihrer äußeren
Lebensumstände oder im Gefolge akuter körperlicher Erkrankungen
sieht, gewiß gelegentlich auch eintreten kann, wenn durch einen
Eingriff ein gynäkologisches Uebel beseitigt wird.
Die Unwahrscheinlichkeit des Zusammenhangs der Dementia
praecox mit menstruellen Störungen wird auch dadurch verstärkt,
daß diese Psychose bei Männern nicht seltener ist als beim weib-
lichen Geschlechte. Nach Kraepelin sind beide Geschlechter In
gleichem Maße beteiligt und nach dem letzten Bericht aus der
Münchener Klinik überwogen sogar die Männer. l
Um zu prüfen, ob wirklich die Dementia praecox häufig mit
Störungen der Menses einhergeht, habe ich die zurzeit in der
Grafenberger Anstalt befindlichen, sicher an Dementia praecox
leidenden Frauen unter 45 Jahren daraufhin angesehen und fand,
daß unter 113 Fällen nur sieben sind, bei denen die Menses fehlen,
und daß diese bei 24 nicht immer ganz regelmäßig alle vier Wochen
auftreten; Beschwerden waren dabei in keinem Falle vorhanden.
Das spricht sicherlich nicht für eine Abhängigkeit der Dementia
praecox von Amenorrhöe.
Gegen die Ueberschätzung der Menstruationsstörungen als
ätiologisches Moment bei den Psychosen lassen sich auch Boob-
achtungen von Martin anführen. Er hat sieben junge Damen
behandelt, die überhaupt noch nicht menstruiert oder die Regel
wieder verloren hatten und die seitdem an zunehmender Erregung
erkrankt waren, wobei diese sich in zyklischer Weise etwa IM
Typus der Menstruation wiederholte. Anämie, Chlorose oder
Lokalerkrankungen bestanden nicht. Zweimal hat Martin ver
sucht, durch vierwöchentlich wiederholte Scarificationen am Uterus
vikariierende Blutungen herbeizuführen; wenigemale schien de
durch Erleichterung einzutreten, dann aber nahm die Psychose
ihren raschen Verlauf. Er übergab deswegen die späteren Falle
regelmäßig unmittelbar einer psychiatrischen Pflege.
Die weitaus meisten der 32 Bossischen Fälle betrafen hyste
rische Zustände und daß seine Behandlung in solchen Fällen Er-
folg gehabt hat, soll durchaus nicht in Abrede gestellt werden;
aber „ob diese Erfolge alle nur seinen oft sehr geringfügigen ohy
rativen Maßnahmen zu verdanken sind, ob nicht der psychise i0
Einfluß der Persönlichkeit Bossis eine ebenso große Rolle spe,
läßt sich nicht entscheiden“. Diese Bemerkung eines gynäkolog"
schen Referenten (Aschheim) möchte ich ebenso unterschreiben,
wie dies auch die Psychiater Siemerling und Morselli tm
Denn daß es Bossi verstehen muß, auf hysterische Patientinne
zu wirken, möchte man schon aus der Darstellungsart in peine
Buche schließen, die stellenweise den Eindruck macht, als ob el
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
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mehr für das große Publikum als für Aerzte berechnet wäre, so,
wenn er unter anderm schildert, wie es ihm gelingt, eine Frau,
durch die Bemühungen einer edlen Freundin unterstützt, aus der
Anstalt zu befreien und so einem heiligen Wunsche der Familie
zu entsprechen, wenn er nicht zögert, auszusprecben, daß die ihm
telephonierte freudige Botschaft von dem Eintritt einer ergiebigen
Menstruation zu einem Feste für die ganze Klinik wurde, an dem
sogar die Oberschwester teilnahm, und wenn er ausmalt, wie an
dem Tage, wo eine Genesende mit dem Kind in den Armen in der
Schlußvorstellung erscheint, die Tränen in den Augen der Männer
und Frauen, Aerzte und Studenten die beredtste und überzeugendste
Zustimmung zu seinen Grundsätzen darstellten.
Schade ist, daß Bossi nur über die günstig verlaufenen
Fälle berichtet, denn man kann doch nicht annehmen, wie Mangia-
galli treffend hervorhebt, daß bei allen Fällen, die Bossi beob-
achten und behandeln konnte, die gynäkologische Therapie aus-
nahmslos eine Heilung der geistigen Erkrankung mit sich ge-
bracht habe.
Ist es doch trotz widersprechender Aeußerungen von Mac-
naughton, Krönig und Andern bekannt, daß bei psychopathisch
veranlagten Frauen gerade nach gynäkologischen Operationen ver-
hältnismäßig häufiger als nach Operationen an andern Organen
Psychosen auftreten. Allerdings wird eine gynäkologische Operation
allein eine nervengesunde Frau weder hysterisch noch geisteskrank
machen, aber es ist doch beachtenswert, wenn Kaiserling in der
Poliklinik der hydrotherapeutischen Anstalt in Berlin in einem
Jahre 29 Fälle, in denen nach gynäkologischen Operationen ent-
weder eine Nervosität überhaupt erst auftrat oder eine schon be-
stehende sich verschlimmerte, gesehen hat, und Martin aus kurzer
Zeit über drei postoperative Psychosen berichtet.
Gewiß müssen wir Psychiater uns hüten, in die Lage des
Pathologen zu kommen, der chirurgische Leistungen nur nach
letalen Fällen beurteilt (Sick), den Tatsachen können wir uns
aber nicht entziehen, und wir Anstaltsärzte sehen nicht selten
Psychosen nach gynäkologischen Operationen.
In einer 1883 erschienenen Arbeit konnte ich über mehrere Fälle
schädlichber Wirkung gynäkologischer Maßnahmen bei psychopathischen
Frauen berichten und kann aus der letzten Zeit weitere anführen.
Vor einigen Jahren sah ich eine Frau, die nach einer Operation
wegen Gebärmutterknickung an einer vier Monate dauernden Melancholie
erkrankte, nachher eine Frau, die wegen Krampfanfällen durch Erweite-
rung der Portio behandelt wurde und im Anschluß daran eine drei-
monatige Melancholie durchmachte, und eine epileptische Frau, die nach
einem im Wochenbette vorgenommenen Curettement an einem Zustande
von halluzinatorischer Verwirrtheit erkrankte und nach sechs Monaten
genas. Bei einer 70jährigen Frau, die im Alter von 52 Jahren wegen
Unterleibsleiden behandelt worden war, fand sich zwei Monate vor der
Aufnahme in die Anstalt starker Fluor und Ulcerationen an der Portio,
hervorgerufen durch ein Pessar, von dem die Patientin angeblich keine
Ahnung hatte, das also wahrscheinlich von der Behandlung vor 18 Jahren
herrührte. Unter spezialistischer Behandlung heilten die Ulcerationen in
vier bis fünf Wochen, aber dann entwickelte sich eine senile Depression
mit vorwiegend hypochondrischen Wahnideen. Die erfolgreiche gynäko-
logische Behandlung hat den Ausbruch der Psychose, wie ich zugeben
will, nicht verschuldet, anderseits auch nicht verhütet.
Eine erblich stark belastete Dame, die stets an profusen Menses
gelitten hatte, wurde im Alter von 44 Jahren durch Schreck deprimiert,
die Abtragung einer kleinen Geschwulst an der Portio, die man als Ur-
sache der profusen Menses und der psychischen Veränderung ansah,
brachte keine Besserung, sondern hatte eine ängstliche Erregung zur
Folge, die acht Monate anhielt und dann langsam in Genesung überging.
Auch während der Rekonvaleszenz waren die Menses profus. Ich will
durchaus nicht in. Abrede stellen, daß nicht auch ohne die Operation die
Psychose sich bis zu derselben Höhe_ entwickelt haben würde, genutzt hat
der Eingriff jedenfalls aber nicht.
Aus den letzten Monaten kann ich noch drei Fälle anführen, wo
eine gynäkologische Operation, gemacht in. dem Gedanken einer günstigen
Beeinflussung der Psychose (zweimal Dementia praecox, einmal perio-
dische Manie), keinerlei Aenderung des psychischen Zustandes herbeiführte,
Als ich meine Arbeit fast abgeschlossen hatte, wurde der Anstalt
ein Mädchen zugeführt, bei dem eine mehrmalige gynäkologische Ope-
ration (Entfernung der Ovarien ;und Behandlung einer Retroflexio) nicht
vermocht hatte, hysterische Erregungszustände zu bessern.
Bei Gelegenheit einer Besprechung des Bossischen Buches
durch’Ennen in der Juniversammlung des Psychiatrischen Vereins
der Rheinprovinz wurde von einer Seite bemerkt, man solle nicht
zuviel Aufhebens von den Veröffentlichungen Bossis machen. Ich
bin indessen der Ansicht, man darf sie nicht ignorieren, denn
falsche Hoffnungen machen, ist gefährlich, und Bossi sucht solche.
bei Aerzten, beim Publikum und bei den Behörden zu: erwecken.
Deshalb operiert er eine Kranke in Anwesenheit der Schriftstellerin
: Flavia Steno, die solche Fälle zum Gegenstand ihrer Studien
macht, er freut sich, daß die Propaganda seiner „Ideen sich auch
Fall beweist, wo die Angehörigen eine Kranke aus Furcht, der
Psychiater möchte sie in eine Irrenanstalt schicken, zu ihm (Bossi)
begleiteten und dies später als eine Eingebung Gottes betrachtete.
Diese Propaganda ist irreführend, bedenklich und geeignet, den
Furor operativus passivus, den v. Voß ein künstlich gezüchtetes
Symptom der Hysterie nennt, zu steigern. Für bedenklich halte
ich es auch, daß er einer 39jährigen, erblich belasteten, seit der
Pubertätszeit an hysterischen Zuständen leidenden Diakonissin, die
wegen schweren Aufregungszuständen mehrere Jahre in einer An-
stalt behandelt und gebessert wurde, die dann acht Jahre in der
Krankenpflege tätig war und die er, als sie wegen nervöser Abspan-
nung an der See weilte, operierte und heilte, darauf mit „gutem
Gewissen“ riet, sich bei darbietender Gelegenheit zu verheiraten.
Aus welchen positiven Ta’sachen übrigens Bossi schließen will,
daß diese Patientin ohne gynäkologische Behandlung unabänderlich
im Irrenhause geendet hätte, ist nicht klar, sie war doch früher
in einem solchen von ihren psychischen Störungen erheblich ge-
bessert worden, ohne daß sich die Symptome allmählich systemati-
siert hatten, Erregungszustände waren in den späteren Jahren
trotz der Mißbildung des Uterus und der von Bossi angenommenen
Intoxikation des Nervensystems nicht wieder aufgetreten und ob
bei Annäherung des kritischen Alters sich die lokalen und all-
gemeinen Zustände verschlimmert hätten, wie er annimmt, erscheint
immerhin fraglich, da denn doch die Gefahr der Aufsaugung von
im Uterus und den Eileitern gestauten Flüssigkeiten im Klimakte-
rium eher abnehmen muß.
Bedenklich ist es schließlich auch, wenn Bossi mit seinen
Veröffentlichungen den Glauben erwecken will, als ob durch seine
Behandlungsmethode die Anzahl der weiblichen Pfleglinge in den
Irrenanstalten wesentlich vermindert und so den Kommunen Kosten
erspart würden. Auch Schultze hatte sich bereits 1902 im
Hinweis auf die Hobbssche Arbeit in einem Rundschreiben an
die Psychiater und die Verwaltungsbehörden gewandt, in erster
Linie des großen Gewinns in humaner und sozialer Richtung,
dann aber auch des ökonomischen Vorteils wegen, der daraus er-
wachsen würde, wenn 5, 10 oder noch mehr Prozent weiblicher
Irren, anstatt jahrelang, vielleicht zeitlebens verpflegt zu werden,
durch gynäkologische Behandlung bald zur Heilung und Entlassung
kommen könnten. Ich halte die Hoffnung, die Anzahl der geistes-
kranken Frauen durch prophylaktisch-gynäkologische Behandlung
wesentlich herabzumindern, für eine Utopie. Keineswegs will ich
leugnen, daß in einzelnen Fällen bei Geisteskranken eine gynäko-
logische Operation indiziert ist, wie ich auch die Oophorektomie
für berechtigt halte, die Davidson in zwei Fällen von Epilepsie,
bei denen die Anfälle mit der ersten Menstruation einsetzten und
sich anfänglich nur zur Zeit der Menses wiederholten, ausgeführt
hat und wie ich auch an die Heilung einer Nymphomanischen in
der Anstalt Valduna glaube, der auf eignen Wunsch die Klitoris
und der Uterus mit Adnexen entfernt wurden.
Die ausnahmslos vorgenommene innere Untersuchung jeder
weiblichen Geisteskranken vor oder sofort nach der Aufnahme in
eine Anstalt halte ich für unnötig und im Hinblick auf etwaige
psychische Folgen für gefährlich, und ich glaube, daß mir darin
kaum ein Psychiater widersprechen wird. Der Gedanke an eine
gynäkologische Polypragmasie war auch der Grund, daß ich seiner-
zeit den Schultzeschen Vorschlag von dem gynäkologischen
Assistenten an jeder Irrenanstalt als nicht unbedenklich bezeich-
nete. Wünschenswert ist gewiß, worauf auch Siemens in seiner
Antwort auf das Schultzesche Rundschreiben hinweist, wenn
einer der Anstaltsärzte spezialistische Kenntnisse in der Gynäkor
logie besitzt und unter Anweisung des Direktors bei Gelegenheit
verwendet, und die Verwaltungen sind geneigt, ihren Anstalts-
ärzten eine Ausbildung in Spezialfächern zu gewähren; aber bei
dem Assistentenmangel ist dies nicht so leicht durchzuführen.
Wir werden uns damit begnügen müssen und können, in den -
wenigen in Betracht kommenden Fällen die Hilfe eines Gynäko-
logen heranzuziehen; eines so häufigen Gynäkologenbesuchs, wie
ihn Schultze im Auge hat, alle 8 oder 14 Tage, bedarf es
jedoch nicht.
Bemerkenswert ist bei den Vorschlägen Schultzes, daß er
im Gegensatz zu Bossi die Behandlung in der Irrenanstalt als
das Richtige fordert und schon die Ueberführung in eine Frauen-
klinik als nicht frei von Nachteilen für die Kranken bezeichnet.
Damit fällt eigentlich das einzig Neue an den Ideen Bossis, die
| in den minder intellektuellen Klassen Bahn bricht“, was ihm ein
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1862
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
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Befreiung aus der Anstalt und die Errichtung einer psychiatrischen
Abteilung an den Frauenkliniken.
In Weiterführung seiner Anschauungen kommt Schultze
jetzt zu dem Vorschlag, einmal bei Neubesetzung einer Direktor-
stelle einen als Diagnostiker und Operateur bewährten Gynäko-
logen zum Direktor einer großen Weiberirrenanstalt einzusetzen,
der, psychiatrisch gebildete Assistenten zur Seite, allen Indikationen
gerecht werden würde. Es ist mir sehr fraglich, ob eine Pro-
vinzial- oder Stadtverwaltung den Versuch — nur um einen solchen
scheint es sich, worauf das Wörtehen „einmal“ hindeutet, handeln
zu sollen — machen würde, und noch viel fraglicher ist es mir,
ob ein bewährter gynäkologischer Operateur sich bereit finden
ließe, eine jedenfalls pekuniär einträglichere Praxis mit einer
Stellung zu vertauschen, in der ihm, selbst wenn es sich um eine
Riesenanstalt mit 1000 weiblichen Aufnahmen handelte, eine be-
friedigende operative Tätigkeit nicht erwachsen würde und in der
er als Direktor in irrenärztlichen Fragen von Assistenten ab-
hängig wäre.
Ich bin mir wohl bewußt, daß ich neue Gesichtspunkte
zum Thema Gynäkologie und Psychiatrie nicht habe beibringen
können. Angesichts neuer gynäkologischer Aufstellungen erschien
mir jedoch eine nochmalige Erörterung nicht unangebracht. Eine
Anschauung, die von der Frauenklinik in Genua als „große Wahr-
heit verkündet“ und „in etwas übertriebener Weise in den Worten
ausgedrückt ist: propter solum uterum mulier id est quod est“
und die sich in dem von Bossi als glücklich bezeichneten Aus-
spruche Peters wiederspiegelt: „La femme est un utérus avec des
organes tout autour“, kann als alleiniger und maßgebender Faktor
in der Therapie der Psychosen nicht anerkannt werden, und An-
sichten, wie die einer gynäkologisch bebandelten Hysterika, durch
die Operation sei die Verbindung zwischen Kopf und Unterleib
durchschnitten und dadurch Genesung von nervösen Leiden herbei-
geführt worden, dürfen wir Aerzte nicht züchten. Es wäre sehr
schön, wenn der meisten geisteskranken Frauen „ewig Weh und
Ach aus einem Punkte zu kurieren“ wäre, aber so leicht ist der
Geist der Psychiatrie doch nicht zu fassen. Gynäkologen und
Psychiater müssen sich jetzt noch und voraussichtlich für unab-
sehbare Zeit ohne ein Allheilmittel gegen die Psychosen der Frau
begnügen und deshalb ernstlich, vor allem aber auch kritisch
weiterforschen,
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Zur Aetiologie und Therapie der Mastitis
puerperalis
von
Dr. Nohl, prakt. Arzt,
Müllheim in Baden.
Nur allzuoft muß man noch heutzutage von dem Vorkommen
eitriger Mastitis im Wochenbette hören, dieser die Frauen nach
den Anstrengungen der Geburt häufg noch an den Rand ihrer
Kräfte bringenden Erkrankung, die zudem durch Abstillen meist
auch das Kind stark beeinträchtigt. Ja, durch Angst vor Neu-
erkrankung in weiteren Wochenbetten wird, wenn nicht direkt
neue Conception verhütet wird, mindestens das Stillen leicht nie
mehr versucht werden, auch wenn die Brustfunktion, nicht wie
leider so oft, durch die Mastitis gelitten hat.
Gerade aus einem speziellen Interesse für die Pädiatrie
heraus war mir deshalb die neue Auffassung über die Patho-
genese der Mastitis und die daraus entspringende Aenderung und
Verbesserung der Therapie, wie sie Schiller!) brachte, von
größtem Interesse.
Die bis jetzt geltende Lehre über die Entstehung der Mastitis und
die danach getroffene Unterscheidung in sogenannte einfache Stauungs-
mastitis und in die phlegmondöse eitrige Form, letztere von infizierten
Schrunden der Brustwarze ausgehend, ist nach Schillers Darlegungen,
die er durch ausgezeichnete praktische Erfolge stützt, ungültig. Die
neue Auffassung ist aber so durchaus plausibel und eröffnet so erfreu-
liche Perspektiven für die konservative Behandlung der Mastitis, daß ich
kaum glauben wollte, daß sie nicht schon längst in den Lehrbüchern
verbreitet wird. Ä
Als ich jedoch selbst die verschiedenen Kompendien darauthin
durchsab, mußte ich Schiller recht geben, daß seine gleich näher zu
erörternde Behauptung, jede Mastitis beginne als Stauungsmastitis und sei
deshalb in diesem Sinne zu behandeln, noch nirgends scharf als Richtschnur
der Therapie gezogen wurde. Da aber dadurch bisher die Erfolge wenig
erfreulich waren, und Schillers Aufsatz, an weniger zugänglicher Stelle
erschienen, der Aufmerksamkeit aller Praktiker wert ist. so möchte ich
einen Beleg aus der Praxis für die Richtigkeit von Schillers neuen
Richtlinien anführen.
Noch in der neusten Auflage von Penzoldt-Stintzing?) lesen
wir von E. Kreuter, daß kleine infizierte Wunden die Ausgangspunkte
für die Mastitis puerperalis sind, die von der Stauungsmastitis ausdrück-
lich getrennt wird. Dies Urteil des Chirurgen fällt auch Tillmanns?),
der ausdrücklich erwähnt, früher sei auch fälschlich Milchstauung als Ur-
sache angenommen worden.
Nur aus der vorgeschlagenen Therapie kann man erkennen, daß
auch Lejar‘) und Albert) damit übereinstimmen. Naturgemäß stammt
1) Dr. A. Schiller (Karlsruhe): Zur Pathologie und Therapie der
]aktierenden Mamma. Aerzil. Mitteilungen aus und für Baden. 1911,
.8. u. 9.
Nr 2) Penzoldt-Stintzing, Handb. der gesamten Therapie. 4. Aufl.,
11, Bd. 6. S 284. FERN |
2 3) Tillmanns, Lehrb. der Chirurgie. 7. Aufl., Bd. 2, 1. Teil,
. 657.
=. 4) Lejar, Dringliche Operationen. 4. deutsche Aufl. Dr. H. Strehl.
1909, Gust. Fischer, Jena, S. 2778,
5) Albert, Eulenburgs Realencyklopädie. 3. Aufl., Bd. 4, Artikel
Brustdrüse, S. 87.
die Auffassung von gynäkologischer Seite, weshalb auch K, Franz!) sie
noch in diesem Jahr aufrecht erhält. Die Rhagaden sind nach ihm
Quelle und Weg der Mastitis, die Infektion erfolgt selten durch die
Milchkanälchen. Aber Ahlfeld?) betont schon, daß es neben den Schrunden
einer besonderen Disposition bedürfe, damit Mastitis entstehe. Demselben
Autor entgeht auch nicht die Tatsache, daß, wenn es auch in der Klinik
öfter gelang, eine beginnende Mastitis zu coupieren, die Frauen doch
ab und zu draußen noch eine eitrige Brustentzündung durchmachen mußten.
Bringt Ahlfeld nun für diese zweite Tatsache keine Erklärung, so ergänzt
hier der Praktiker den Kliniker und Spezialisten, und Schiller findet m
der Stauung der Rätsel Lösung.
Das Wichtigere ist nun, daß die oben skizzierte alte Anschauung
auch noch heute die Therapie lahm legt. Man trennt in „leichte“ Stauungs-
mastitis und „schwere“ eitrige Entzündung. Erstere geht auf Eisapplikation
oder fleißiges Saugenlassen der Kinder oder Abmelken oder Absaugen
der Milch und Suspension der Brust schnell zurück, letztere von vornherein
bösartig, bedarf meist der Incision. Der Infektion liegen gewöhnlich Sta-
phylokokken zugrunde, seltener Streptokokken oder andere Bakterien. So
Kreuter (L c.), Tillmanns, Franz, Ahlfeld. Die beiden letzten
Autoren trennen nun die Formen nicht so scharf, aber dadurch, dab sie
bei fortschreitender Entzündung das Kind natürlich vor allem von der
kranken Brust abzusetzen raten, und Ahlfeld gar beobachtet haben will
daß Eiterung und Schmerz an der kranken Brust bei Fortstillen an der
gesunden Mamma eher heftiger werden, fallen sie deutlich dem alten
Irrtume zum Opfer. Dieser Fehler des Abstillens wird auch dadurch
nicht aufgewogen, daß sich die neueren Autoren, wie Franz un
Kreuter, die Biersche Saugtherapie mit ihren vortrefflichen Wirkungen
zunutze machen wollen, weil sie sie meist zu spät anwenden. "68
halb rechnen sie auch gleich mit der Abscedierung als etwas rasch Her-
beizuführendem und raten zur Stichincision. Die älteren Autoren ver
suchen, wenn das Eis nicht mehr vertragen wird (Albert rät sogar
durchaus vom Eis ab), wenn Oedem sich zeigt, feuchtwarme Umschläge,
Laxantien, Unguentum cinereum. Albert beschreibt sehr dramatisch
die drei- bis fünftägigen Qualen, die die armen Frauen bis zur ="
scedierung augzuhalten haben. „Man kann die großen Leiden der
Patienten nicht wesentlich mildern und muß auf Abscedierung warten.
Lejar und Ahlfeld raten jedoch, die Incision möglichst früh zu
machen; Lejar incidiert auch, wenn noch keine deutliche Fluktuation
da ist, ebenso Tillmanns, der dadurch sogar Eiterung verhüten WM,
und Ahlfeld betont die besseren funktionellen Resultate auch für spätere
Wochenbetten bei dieser Methode. M
Biedert?) erwähnt das „altberühmte Milchfieber“ vom dritser
oder vierten Tage des Puerperiums durch Milchüberschuß, das er e
seits hier und da in Mastitis übergehen sieht, wäbrend er anderseits 27
Rbhagaden und infektiðse Keime vom Munde des Kindes als Haupturs® “
neben Stauung beschuldigt. Durch Forttrinkenlassen des Kindes an di
kranken Brust (zweimal in 24 Stunden) hat jedoch Biedert „häußg kan
Mutter vor schmerzhafter Eiterung und dem Kinde zum Weitertrin j
dio Mutterbrust gerettet“. So hat der Kinderarzt dio richtige Therap
mehr unbewußt schon gefunden. der
Alle diese Behandlungsmethoden lassen das Moment z
Milchstauung als Ursache für Beginn, Fortbestehen und
schlimmerung der Entzündung mehr oder weniger außer y
Darauf weist Schiller, um dessen Erfahrungen nun etwas £
nauer zu besprechen, mit Recht hin.
1) Penzoldt-Stintzing, Handb. 4. Aufl., 1912, Bd. 7, S. 221,
3) Ahlfeld, Lehrb. der Geburtshilfe. Grunow, Leipzig wg
3) Ph. Biedert, Die Kinderernährung im Säuglingsalter. I
Ferd. Enke, Stuttgart, 1905, S. 118 u, 212.)
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17 l November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
1863
Er betont, daß die Infektionswege von der Rhagade aus doch
cutan, subcutan und interstitiell sich fortsetzen müßten, während
die Mastitis gleich parenchymatös beginnt und der prämam-
märe subcutane Absceß selten ist. Die Mastitis bleibt lange
streng lokal und beschränkt sich zunächst auf einen Drüsenlappen,
sie entsteht auch, wo keine Schrunden der Mammilla vorhanden
sind, sie führt selten zu Pyämie. Viel wahrscheinlicher scheint
es dem Autor da, eine Analogie mit den Stauungsentzündungen
in der Gallenblase, Nierenbecken, Blase, Talgdrüsen der Haut an-
zunehmen. Die in den Milchkanälchen saprophytisch lebenden
Mikroorganismen werden auf dem guten Nährboden der gestauten
Milch pathogen. Das häufige Zusammentreffen von Rhagaden und
Mastitis erklärt sich nun sehr einfach so, daß bei Schrunden die
Schmerzhaftigkeit des Saugakts eine ungenügende Entleerung der
Brust verschuldet. Aber es gibt noch mehr Gelegenheiten,
die auf dem Umwege der Stauung zur Mastitis führen; außerdem
durch irgendeine Notwendigkeit verursachten Absetzen des Kindes
sind hier zu schwaches Saugen, zu häufiges oder jeweils
doppelseitiges Anlegen des Kindes und Hohlwarzen zu nennen.
Rascher Wechsel in der Milchabsonderung, wie er durch Vermin-
derung jeweils vor dem Termin der Menses auch ohne Eintreten
der Menstruation und dann durch Vermehrung sich zeigt, oder die
verminderte Inanspruchnahme der Brust bei reichlicher Milch-
absonderung bei Frauen, die in der Klinik eventuell zwei Kinder
gestillt haben und nach der Entlassung nur noch ihr eignes Kind
zu stillen brauchen, erzeugen ebenso Inkongruenz zwischen Sekre-
tion und Abfluß. Jede „einfache Stauungsmastitis* kann der An-
fang einer Phlegmone sein, wobei die andern Acini nach Nichtge-
brauch der erkrankten Brust sich mit Milch auch anfüllen und
vereitern können und bei völligem Abstillen -des Kindes auch die
noch gesunde Brust erkranken kann. So kommt dann in Praxis
wie Klinik oft die doppelseitige Mastitis zustande. Nach der Art
und Höhe des Fiebers ist keine Unterscheidung zu treffen, indem
auch der Beginn, obgleich manchmal mit Febris alta bis 40°, doch
bei entsprechender Behandlung von einem harmlosen Verlaufe ge-
folgt sein kann. Der Autor läßt die Frage offen, ob das Fieber
zunächst aseptisches Resorptions- oder toxiinfektiöses Fieber ist.
Sicher sind es, was der Autor nicht erwähnt, neben der
Stauung auch gelegentlich andere Ursachen, die zur Mastitis
führen. Es wäre z.B. zu denken, daß besonders pathogene Bak-
terien auch ohne Stauung eine parenchymatöse Eutzündung durch
Einwanderung in die Milchkanälchen von der Mammilla aus er-
zeugen, wohin sie etwa aus dem Munde des Kindes bei Soor
oder von den Fingern der Wöchnerin gelangen können. Auch hört
man doch nicht selten, daß Erkältung eine Rolle spielt, weshalb
ja auch von altersher der Rat gegeben wird, die stillende Brust
warm zu halten. Was nun hauptsächlich für Schillers Auffassung
‚spricht, sind seine therapeutischen Erfolge.
Prophylaktisch richtet er seine Therapie zunächst auf die
Heilung der Rhagaden. Es werden zu ihrer Vermeidung re-
spektive Ausheilung vierstündige Nahrungspausen gemacht, sodaß
jede Brust in 48 Stunden fünfmal entleert wird, bei Schrunden
wird eine Naphthalansalbe appliziert (Ac. bor. 5,0, Zinc. oxyd.
10,0, Naphthalan, Adip. lan. aa 25,0), von der die Mammilla vor dem
Trinken des Kindes jeweils mit Oel und Watte gereinigt wird.
In zwei bis drei Tagen sind die Fissuren meist geheilt. Selten
bedarf man der Hilfe von 10®/oiger Anästhesinsalbe oder von
Orthoform, die zwar die Schmerzen lindern, aber ebensowenig zur
Heilung beitragen wie Tanninglycerin oder Argentum nitrieum-
Touchierung. Im Notfalle muß man sich eines Saughütchens be-
dienen, die aber, auch wenn sie die Milch leidlich entleeren lassen,
doch die Ergiebigkeit der Brust entschieden mindern’). Schiller
ließ sich durch Rhagaden nie zum Rate des Abstillens zwingen. Das
acute Ekzem der Mammilla behandelt er auch wie üblich mit
Puder und Salben (Naphthalansalbe), eventuell beiNässen mit feuchten
Umschlägen. Ist nun trotzdem aus diesen oder andern Ursachen,
wie zu häufiges oder zu seltenes Anlegen oder zu schwaches Saugen
des Kindes oder sonstwie, eine Mastitis im Anzuge, so empfiehlt
Schiller mit Andern vor allem die Biersche Saugglocke, aber
diese nicht allein, sondern er legt großen Wert auf regelmäßige
Entfernung der gestauten Milch auf irgendeine Weise. Die Milch
wird nach der Applikation der Saugglocke, die ein- bis zweimal
täglich 3/4 Stunden lang streng nach Bierscher Vorschrift geschieht,
1) Daß das Saughütchen außerdem auch dem Kinde schaden kann,
sah ich neulich bei einem dreiwöchigen Brustkind, das durch ein von
der Klinik aus verordnetes Gummisaughütchen (Infantibus) ein zirka
zöhnpfennigstückgroßes Geschwür am Gaumen bekam. en:
mit der Milchpumpe oder durch Ausstreichen der Brust entfernt.
Dies soll auch jedesmal dann geschehen, wenn das Kind an der
gesunden Brust, an der es unter allen Umständen weiter-
trinken soll, angelegt wurde. Zwei- bis dreimal täglich soll auch die
kranke Brust benutzt werden, nachdem vorher „ein genügen-
des Quantum“ Milch durch Abpumpen oder Ausdrücken ənt-
leert worden ist, sodaß mit der Entleerung bei der Bierschen
Glocke die Brust mindestens dreimal im Tage gründlich ausge-
saugt wird. Die Mastitismilch schadet dem Kinde nicht oder nicht
ernstlich. In den Pausen werden nach Einfettung der Mammilla
50"/,ige Alkohol- oder 20fpige Liquor-Al.-ac.-Umschläge gemacht
und die Brust unter mäßiger Kompression hochgebunden, sodaß
die Brustwarze in der Mitte der Brust steht. Dabei wird Bett-
ruhe eingehalten.
Tritt nun trotzdem Vereiterung ein, was viel seltener als
früher geschieht, so kann man, falls der Absceß klein ist und die
Incision genügend weit von der Brustwarze entfernt liegt, durch
entsprechenden Verband das Stillen auch an der kranken Brust
noch weiter ermöglichen oder nach möglichst kurzer Pause fort-
setzen, während das Saugen an der gesunden Brust auf jeden
Fall weiter geschehen soll. Ja, Schiller hält das Saugen eben
gerade selbst für heilsam im Bierschen Sinne durch Er-
zeugen aktiver Hyperämie, die auch beim Stillen nur an einer
Seite in beiden Brüsten erzielt wird. So kam er dazu, sogar bei
gar nicht versuchtem Stillen die Milchsekretion bei Mastitis zu-
nächst auf der gesunden Seite in Gang zu bringen und nach
Besserung der kranken Brust auch an dieser, was in einem Falle
nicht nur eine rasche gute Heilung der Mastitis, sondern auch für
drei Monate die Brusternährung als Gewinn für das Kind brachte!
Das ist gewiß ein erfreulicher Erfolg. In seltenen Fällen geht
nun der Absceß sogar ohne Incision unter Bierscher Therapie zu-
rück. Sonst aber, wenn der Eiterherd deutlich ist und sich eher
vergrößert, ist Schiller mit Recht eher für größere, radiäre In-
eisionen und Drainage anstatt nur für bloße Einstiche und Bier-
sche Saugbehandlung. Er zieht hierbei die Verhältnisse der allge-
meinen Praxis in Betracht, wobei jedoch auch Kliniker wie Ahl-
feld, Biedert, Lejar, Tillmanns der gleichen Meinung sind.
Die Saugglockenbehandlung wird aber damit so lange kombiniert,
auch die Milch soll täglich abgepumpt oder exprimiert werden,
bis das Kind wieder an der operierten Brust angelegt werden kann.
Betreffs der Einzelheiten sei auf das Original verwiesen.
Falls nun auch die Stauung nicht die einzige Ursache der
Mastitis von der einfachen bis schwersten Form ist, so ist sie
doch eine Hauptursache oder Hauptkomplikation. Ihrer Bekämp-
fung gilt auch die wirksame Therapie, die oft konservative Be-
handlung erlaubt oder, falls chirurgische Eingriffe doch nötig
werden, deren schlimme Folgen für die Funktion der Brustdrüse
auf das Mindestmaß herabsetzt und, was dem Kinderarzte vor allem
wichtig ist, dem Kinde die Brust rettet.
Ich habe in einem recht schwierigen Falle nach diesen Grund-
sätzen mit Erfolg gehandelt. Ich möchte als neuen Beleg den
Verlauf dieser Mastitis hier kurz beschreiben. |
Frau E. N., 24 Jahre, sonst gesund, bekam nach der ersten Ge-
burt am 26. März 19i1 (sie stillte das Kind) am 27. Mai Stiche auf der
linken Seite in Brust und Rücken, seit 29. Mai auch Schmerz in der
unteren Hälfte der rechten Mamma mit Temperatur von 37,7°, Fleißiges
Aufwärmen mit Kleiesäckchen und Bettruhe beseitigen die leichte Mastitis
schon am nächsten Tage. Das Kind trank weiter. Die Ursache der
Mastitis blieb unklar. Patientin vermutete Erkältung. Schlechtes
ne des Kindes oder Aenderung der Sekretion durch die Menses lag
nicht vor. |
Bei dem zweiten Partus vom 6. Juni 1912 trat nun am elften Tage
(nach Erkältung?) wieder eine schmerzhafte Knotenbildung in der Brust
mit subfebriler Temperatur (siehe Kurve) auf, erneut wieder am 17.,
ebenso links am 21., und nach Besserung links wieder zweimal rechts
am 27. und 28. Tage (p. p.), diesmal mit höherer Temperatur. Der niedrige
Puls zeigte die noch immer relative Gutartigkeit der Mastitis an (z. B.
bei 39,9% nur 80 in der Minute).
Aber diese mehrfache Knotenbildung erzeugte heftiges Stechen in
der Brust, die Knoten persistierten, das Stillen wurde jeweils, auch als
das Fieber gewichen war, zur Qual, sodaß die Frau dringend abzustillen
wünschte. Die Ursache der Mastitis lag offenbar in dem zu schwachen
Saugen des zarten Kindes (das erste Kind trank zirka 800 g Tages-
menge, dieses nur zirka 600 g), sodaß vor allem der Milchüberschuß be-.
seitigt werden mußte. Dies gelang jedoch mit der Milchpumpe nur un-
vollkommen. Ein Saughütchen mit Gummischlauch und Mundstück zum:
Selbstabsaugen funktionierte besser; aber das Absaugen war doch sehr.
ermüdend und unvollkommen. Das Abdrücken der Milch war zunächst
zu schmerzhaft. So wurde das Kind häufiger angelegt. Vier Tage später,
nachdem in der Zwischenzeit eine Gastroenteritis mit starkem Leibweh
durchgemacht worden war, zeigt sich wieder links ein neuer Knoten.
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1864
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
Wieder bessern Fomente, auch beim dritten Mal; das Kind trinkt 60 bis
110g bei einer Mahlzeit, Abpumpen vor oder nach dem Trinken ergibt
nie mehr viel Milch, trotzdem das erste Kind 160 bis 200 g an der Brust
bekam. Die Brust wurde zunächst nur durch ein gut sitzendes Leibchen
suspendiert, da keine eigentliche Hängebrust vorhanden und die Mamma
relativ klein war und stärkere Suspension das Versiegen der Milchsekre-
tion befürchten ließ. Die Brustnahrung sollte jedoch dem: Kinde mitten
im Sommer möglichst erhalten werden. Es gedieh trotz der Mastitis. Es
Fieberkurve:
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AIA U A 12 A13A 1i1tA1 AI AMT AWALH AU AU ART AB AUABS AU
Um den Einfluß der Mastitis auf die Milchsekretion zu sehen, lieg
ich durch die Wage einige Wochen lang jeweils die getrunkene Menge
(meist auch jede Brust gesondert bei doppelseitigem Anlegen) bestimmen.
Das Ergebnis der zirka 170 Wägungen, die sehr verläßlich gemacht war-
den (ıhre an sich interessante tabellarische Zusammenstellung unterblieb
hier der Kürze halber), zeigt trotz wechselnder Brustfunktion doch je-
weils eine genügende und ziemlich gleichmäßige Tagesmenge, wobei die
geringen Mengen abgesaugter oder exprimierter Milch nicht berücksichtigt
N werden konnten. Ich brauchte also trotz der
Mastitis nur selten Beinabrung zu geben.
Daß das Absaugen auch reizen kann,
lehrt die Erfahrung mit dem Mitstillen eines
In ST NEE ESEEEE] wurde die Milchmerke auf 840 Fospeklin
Jar mise re | SE ar a E T70 von 560 g gesteigert, aber zugleich die
e e] S S == == Bess Aat: = Ehee L Fee Mastitis hochgradig vermehrt. Aus der
q $ i A Sees Sssssss- „einfachen Stauungsmastitis* hätte im Hand-
ah E == 252 === res umdrehen eine ernstere Entzündung werden
F Se == = SESSS5 SEEES können, wie ja der Gynäkologe eine phlegmo-
Rah ES=S=SSSs5=5 Sssssssssssso ss JEE nöse Mastitis annahm. Ich ließ mich jedoch
95 1190| 60 HS ses u — 4) | j
nms Ee J= === unter dem Einfluß der Schillerschen Er-
jo EEE ee Eee sehen Verführen und batte endlich die grokk
a7 |tonl as T a en a £ É = SESSE o Hai ani Har au ‚große
s (a040 SS PAEAS = SEE enugtuung, obne da zur codierung
x 80 |35 ES E a z kam, ohne daß die Funktion eingestellt
efe ES ES wurde, ‚noch boi konservativer Behandlung
sees EB Fee vollen Erfolg zu erzielen.
Jos [solzo e > Sessesessessess essessee > e A T Jetzt sind die restierenden Verhärtungen
n fols CEEE = Biulstiadhrring neo EAE RA GESE der Brüste unter Kompression völlig geschwunden
MAN=====E====
Gewicht A A
des | |
Kindes: 8180 g (— 40) 8410 g (+ 230) 3580 œ (+ 170)
wird beim vierten Anfalle nun das Mitstillen eines zweiten Kindes ver-
sucht, wodurch aber die Brust zu sehr gereizt wird und mit einer noch
heftigeren Entzündung antwortet. Man kann also auch hierin zu viel des
Guten tun. Meine Anfrage bei einer gymäkologischen Autorität ergab
den prompten Rat, abzustillen, da bei der hohen Temperatur wohl doch
schon Eiterung da sei. Mein vorheriger Versuch, durch Heftpflaster-
suspension die Brust zu heben — andere Bandagen wurden zunächst bei
der großen Hitze und wegen sehr empfindlicher Haut strikte abgelehnt —,
war auch umsonst. Trotz des klinischen Rats versuchte ich noch einmal
feste Einwicklung mit Trikotbinden und jeweiliges Anlegen des Kindes
an beiden Brüsten alle drei Stunden. Eine Brust wurde immer leerge-
trunken, an der andern ließ ich nur jeweils fünf Minuten saugen. Beider-
geits. rechts mehr, waren schmerzhafte Knoten. Die Fomente leisteten
jeweils ähnliche ausgezeichnete Dienste and waren einfacher als die
Biersche Therapie. Wie die Kurve zeigt, gelang es nun endlich doch,
trotz erheblicher Kompression und Surpension, durch diese Saugtherapie
und aktive Hyperämisierung nach einer Woche wieder normale Stillweise
und reine Brusternährung noch für einige Wochen durchzuführen, sodaß
trotz mehrfacher Attacken das Kind doch elf Wochen gestillt wurde
und erst dann wegen Mangels an Milch allmählich abgewöhnt wurde, aber
nicht früher als das erste Kind!
Epikritisch wäre zu bemerken, daß sich auch bei einer
kräftigen Suspension und Kompression der laktierenden Mamma bei
fleißigem Anlegen des Kindes die Milch nicht zu verlieren braucht.
Wahrscheinlich hätte ich durch frühere Verwendung der Kom-
pression die mehrfachen Rezidive vermieden. Gegen die Knoten-
bildung und Schmerzen empfiehlt sich als altes Volksmittel sehr
das Aufwärmen. Es gibt dafür besondere Apparate. Ich fand
einen einfachen Ersatz in folgender Weise praktisch: Eine
größere Pfanne mit Stiel wird zu zirka einem Drittel mit Wasser
gefüllt, in sie hinein umgekehrt ein Deckel geklemmt, der gerade
bis zum Wasserspiegel reicht. Stützsteine oder Gläschen in der
Pfanne (ich nahm zwei eckige 20-g-Fläschehen für Campheröl) hin-
dern das Einkippen des Deckels in das Wasser und damit das Naß-
werden der Wärmesäckchen. Ein passender Deckel kommt auf die
Pfanne, in den Hohlraum zwischen die Deckel die Kleie-
säckchen und unter die Pfanne eine kleine Spiritusflamme, sodaß
die Patientin die Säckchen vom Bett aus wechseln kann. So hat
man einen einfachen Apparat in jedem Haushalte, da weder die Bier-
sche Glocke noch besondere Wärmapparate so ubiquitär sind.
Jedenfalls würde ich vor Applikation von Eis oder kühlen
Umschlägen diese Fomente probieren, die so heiß als möglich bis
zur Scehmerzlinderung ständig zu applizieren sind. Den Fehler des
zu häufigen Anlegens, eine unvollständige Entleerung der Brust,
habe ich dadurch vermieden, daß ich jeweils wenigstens eine
Brust völlig leertrinken und dann noch etwaige Reste exprimieren
ließ, als die Schmerzen es erlaubten.
=S)
SE BEEBESEEPEFFEFFESBEFFEEEEFEEEEFRERBEEE
A
(Ende August),
Hier sehen wir gut den fließenden Ueber-
gang zwischen sogenannter einfacher und
phblegmonöser Mastitis. Die bisherige Tren-
nung war künstlich und wirkte verwirrend
auf die Therapie. Der chirurgische Rat der Frühineision wird bei
der Saugtherapie wohl überflüssig, ohne sie bleibt er jedoch noch
immer zu beachten. Was die künstliche Entleerung der Milch aus
der kranken Brust betrifft, so gehört dazu bei der Schmerzhaftig-
keit der Affektion und bei langsam trinkendem Kinde sowie schlecht
gehender Brust oft unendliche Geduld von seiten des Arztes und
der Patientin oder der Pflegerin respektive des Ehemanns, die hier
helfen. Es gilt hier ganze Arbeit tun und dabei doch wieder die
Brust nicht zu sehr zu reizen, sodaß man meist lieber etwas
weniger Milch abpumpt oder absaugen läßt, als daß man die
Steigerung der Mastitis incipiens provoziert.
Die Anregung der Laktation noch Wochen nach der Geburt bei
Mastitis als therapeutischer Versuch ist ein sehr beachtenswerter Vor-
schlag Schillers. Ober öfter gelingen wird, ist allerdings zweifelhaft,
da an Arzt und Mutter hierbei doch hohe Ansprüche gestellt werden
und viele Hinderungen auch von seiten des Kindes in den Weg treten
können. Doch wäre der Versuch jeweils unbedingt der Mühe wert.
Es würde sich also die neue Behandlung jeder Mastitis auf
Anwendung der Fomente im ersten Beginn und Suspension und
Kompression der Brust erstrecken bei Bettruhe, Dabei Behand
lung etwaiger Schrunden oder Ekzeme, Weitertrinkenlassen des
Kindes oder Absaugen oder Melken der Milch, bei Verschlimme-
rung oder auch sofort Biersche Therapie. Ist die Abseedierung
nicht zu umgehen, in Fällen, wo man zu spät gerufen wurde,
breite Eröffnung und Drainage, Weiterstillen des Kindes an der
gesunden, baldigstes Zurückführen an die kranke Brust.
So werden die leichten Mastitiden ohne Operation geheilt, die
schweren zu leichten, die einseitigen werden nicht doppelseitig und
vor allem wird die Funktion der Brust meist zur Norm zurückgeführt
werden können, anstatt daß langwierige Eiterung die Drüse zerstört,
die Patientin schwer herunterbringt und die Kinder der Brust be-
raubt. Die Behaudlung der Mastitis ist vor allem ein Gebiet des
praktischen Arztes. Durch genaue Individualisierung und Geduld
wird er hier der Klinik in den Erfolgen den Rang ablaufen können.
Feststellung der Unfalltatsache durch die 0b-
duktion bei Erkrankungen der Gefäße )
von
Dr. Leopold Feilchenfeld, Berlin.
Seit längeren Jahren beschäftige ich mich mit der t
Inwiefern kann die Obduktion dazu beitragen, objekti
1) Vortrag, gehalten auf dem III. Internationalen Unfallkongred
zu Düsseldorf, 6. bis 10. August 1912. |
8840 g (+ 260)
17. November.
festzustellen, ob ein Unfall vorgelegen hat oder nicht?
Aus dem von mir gesammelten Material einer großen Berufs-
genossenschaft und mehrerer privater Versicherungsgesellschaften
wählte ich 18 Fälle von Gefäßerkrankungen aus, um sie meiner
Erörterung zugrunde zu legen. Ich habe sie in drei Gruppen
eingeteilt, die Erkrankungen der Hirngefäße, der Herzgefäße
und der großen Schlagader des Herzens.
In den Fällen von Herztod, die mit einem Unfall in Zu-
sammenhang gebracht werden, ist der Obduktionsbefund gewöhnlich
ein negativer. Die Verkalkung der Arteria coronaria ist sehr vor-
geschritten, das Lumen durch harte Einlagerungen verengt, der
Eintritt des Gefäßes in die Herzmuskulatur verlagert. Zumeist
ist auch eine hochgradige Entartung des Herzmuskels für das
bloße Auge oder durch das Mikroskop deutlich zu erkennen. Von
einer Verletzung ist nichts nachzuweisen. Wir würden als Zeichen
einer traumatischen Verursachung des Todes Blutungen in der
Herzgegend, in der Haut und den darunter liegenden Schichten
erwarten. Wir finden in diesen Fällen eine perikarditische Ent-
zündung, gewöhnlich hämorrhagischer Art oder auch, wie ich in
einem Falle gesehen habe, eine Zerreißung eines Klappensegels.
Nichts von alledem fand sich in den von mir angeführten Fällen
von Herztod.. Und trotzdem wurde der Unfall einigemal als
Ursache des Todes anerkannt, weil das Ereignis des Unfalls ein
erhebliches war und weil es von einem längeren Krankenlager ge-
folgt war, oder auch weil neue, schwere, bisher nicht aufgetretene
Symptome nach dem Unfalle beobachtet wurden. Es ist durchaus
erklärlich, daß bei erheblichen Veränderungen am Herzen und an
den Gefäßen die mit einem Unfalle verbundene Blutzufuhr zum
Herzen zusammen mit der seelischen Erregung eine plötzliche In-
suffizienz des Herzens und dadurch z. B. einen asthmatischen
Anfall herbeiführen kann. Freilich werden wir das dem Herzen
nicht ansehen können, sondern wir sind hier vollkommen auf die
Kenntnis von dem Unfallereignis und dem Krankheitsverlauf an-
gewiesen.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei der Zerreißung der
Aorta. In meinem Falle war die Anstrengung während des Be-
triebes eine außerordentliche und daher wurde der Unfall anerkannt.
Schwieriger liegt die Entscheidung bei den Zerreißungen
der Hirngefäße. In einer Reihe von Fällen ist für den Unfall
recht charakteristisch die Tatsache, daß die Blutung eine atypische
war. Sie fand sich zwischen den Hirnhäuten, in den Schädelhöhlen
oder in der Hirnsubstanz selbst. Sehr häufig konnte ein Unfall
darum ausgeschlossen werden, weil die Blutung an den für Apo-
plexie typischen Stellen gefunden wurde, also in der Fossa Sylvii
und in den Hirnhöhlen, während keine Anzeichen einer äußeren
Gewalteinwirkung weder in der Haut des Schädels noch in den
Hirnhäuten beobachtet werden konnten. Diese Fälle wurden als
Unfälle zurückgewiesen, da auch die Art des Unfallereignisses
gegen eine Beschleunigung des bei der Beschaffenheit der Gefäße
wohl zu erwartenden Schlaganfalls sprach. Die Schwierigkeit ent-
steht nun, wenn sich bei der Sektion Blutungen an den typischen
und an atypischen Stellen im Gehirne finden. Es kann vorkommen,
daß jemand wegen einer beginnenden spontanen Blutung einen
Schwindelanfall bekommt und infolgedessen einen schweren Fall
erleidet. Dann kann nur eine genaue Nachforschung nach dem
Verhalten des Verstorbenen vor seinem Unfalle Klarheit schaffen.
Nicht selten werden auch, namentlich innerhalb der öffentlichen
Versicherung, wirkliche Schlaganfälle als Unfälle entschädigt, weil
eine außerordentliche Anstrengung vorangegangen war. Ich möchte
zwei besonders charakteristische Fälle kurz erwähnen. Ein Werk-
meister in einer großen Fabrik wurde schleunigst herbeigeholt,
weil ein Wasserrohr geplatzt und der Hof unter Wasser gesetzt
war. Als er die Treppe herunterstürzte und über einige Pfützen
gesprungen war, zeigte sich plötzlich bei ihm eine halbseitige
Lähmung. Der zweite Fall: Bei Glatteis wurde ein schwerer Sarg
einen Abhang hinuntergetragen, einer der Vordermänner glitt aus
und der andere Vordermann mußte die ganze Wucht des Sarges
allein aushalten. Er brachte den Sarg glücklich zum Boden, aber
dann schwankte er und erlitt einen Schlaganfall, der ebenso wie
der vorige als Unfall anerkannt wurde.
Recht bemerkenswert erscheinen mir die beiden Fälle von
Aneurysma, von denen in einem die Ablehnung erfolgte, weil
der Gefäßsack, der im rechten Scheitellappen lag, bereits so ver-
dünnt war, daß nur ein geringfügiger Anlaß ausreichte, um das
Platzen zu bewirken. In dem andern Falle handelte es sich um
ein Aneurysma der Arteria vertebralis, das nach einem Fall auf das
Hinterhaupt eine drei Wochen währende Krankheit auslöste und
die Erscheinungen einer schweren Reizung der Hirn- und Rücken-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. | 1865
markshäute erzeugte. Diese Entscheidung des Reichsversicherungs-
amts entspricht den Gepflogenheiten dieser Behörde bei der Per-
foration von Darmgeschwüren. Hier gibt die Obduktion allerdings
ein sehr klares und einwandfreies Bild. Die spontanen Geschwüre,
die sich übrigens auch stets im Magen oder im Duodenum befinden,
führen zu einer wie mit dem Locheisen geschlagenen Oeffnung.
Innen ist der Rand von einem starken Wall umgeben, der ein Be-
weis ist für die lange Zeit bestehende Reizung. Außen sind keine
Zeichen einer Verletzung an der Serosa zu bemerken. Bei den
traumatischen Darmgeschwüren aber, die an einer beliebigen Stelle
des Darmes vorkommen können, sind die flottierenden Teile des
zerrissenen Stückes erhalten. Sie sehen schmutzig aus, sind
gelblich oder rötlich verfärbt, sind von Hämorrhagien umgeben
oder mit den benachbarten Därmen oder dem Peritoneum verklebt.
Gewöhnlich befinden sie sich in der Mitte eines durch die Quetschung
verursachten gangränösen Bezirks.
Ich habe meinen Erörterungen einige Thesen beigefügt und
glaube, daß ich nicht nötig habe, etwas zu ihrer näheren Be-
gründung zu sagen. Ich möchte nur noch betonen, daß der Ob-
duzent unbedingt sowohl von den näheren Umständen bei dem
Unfallereignis als auch von dem Krankheitsverlaufe Kenntnis haben
muß. Wie solite er z. B. Auskunft geben über eine etwa vor-
handene Suggilation in der seitlichen Rippengegend, wenn nicht
direkt hiernach gefragt wird? Was die zweite These betrifit, so
entspricht sie einer Ausführung des Herrn Professors Orth. Ich
glaube, daß in der Tat bei der großen Zahl von Krankenhäusern,
die einen ständigen pathologischen Anatomen beschäftigen, die Ob-
duktion von Unfallverletzten mit größerem Erfolge von diesen be-
rufeneren Aerzten ausgeführt werden müßte. Nach meinem Stu-
dium der Unfallakten kann ich nur sagen, daß das allerdings schon
zumeist geschieht, und, wo es nicht der Fall ist, die Obduktions-
berichte sehr oft durchaus unzureichend sind.
Es ergaben sich aus meinen Darlegungen somit die nach-
folgenden Leitsätze: | N
1. Die Obduktion ist bei jedem gegen Unfall Versicherten
erforderlich, sobald ein Zusammenhang des Todes mit einem Unfall
in Frage kommt. |
2. Die Obduktion muß stets von einem pathologischen Ana-
tomen oder pathologisch-anatomisch geschulten Obduzenten aus-
geführt werden.
3. Der Obduzent muß vor der Vornahme der Obduktion ge-
naue Kenntnis von dem stattgefundenen Unfallereignis und von den
beobachteten oder behaupteten Verletzungen haben.
Aus der Elektrotherapeutischen und Radiologischen Anstalt
der Universität Rom.
= Ueber die klinische Bedeutung der „Fern-
reaktion auf Entartung“ von Ghilarducci
| von =
Priv.-Doz. Dr. Vasco Forli,
Assistent der Psychiatrischen Klinik.
Verschiedene klinische Charaktere erlauben os, die Muskel-
atrophien im Gefolge von Verletzungen oder Erkrankungen des
peripherischen, motorischen Neurons (myeolopathische oder neuri-
tische Atrophie) zu unterscheiden von jenen, welche einen andern
Ursprung haben (primäre Muskelatrophie, Atrophien ‘nach cere-
bralen Affektionen, Inaktivitätsatrophien, Atrophien nach Ueber-
anstrengung usw.) Aber unter allen Unterscheidungsmerkmalen
ist das wichtigste ohne Zweifel gegeben in den qualitativen
Aenderungen der galvanischen Erregbarkeit der betroffenen Muskeln,
also in dem Nachweise der Erbschen Entartungsreaktion in ihrer
vollständigen und unvollständigen Form. Man darf aber nicht
vergessen, daß die Feststellung der Erbschen Reaktion nur
während einer verhältnismäßig kurzen Periode der Krankheit mög-
lich ist, denn bei vorgeschrittener Atrophie antwortet der Muskel
nicht mehr auf elektrische Reize. Daher kommt es nicht selten
vor, daß in Fällen, die erst spät zur Beobachtung des Nerven-
arztes kommen, dieses diagnostische Kriterium nicht mehr ange-
wendet werden kann.
Die Erbsche Reaktion ist jedoch ‘nicht das einzige Krite-
rium, das man der elektrischen Prüfung verdankt; es gibt noch
eine andere charakteristische Reaktion mit dem galvanischen Strom,
eine Reaktion, die sich nur findet an Muskeln mit degenerativer
Atrophie und die sich viel länger nachweisen läßt als die Erbsche
1866
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 46,
17. November,
Reaktion. Es ist die sogenannte Fernreaktion, die 1895 von
Ghilarducei beschrieben wurde. Die Technik der Probe ist
ziemlich einfach. Damit die Reaktion eintritt, müssen die Elek-
troden entfernt vom degenerierten Muskel aufgesetzt werden und
dieser muß sich zwischen den Polen befinden. Im allgemeinen
setzt man die indifferente Elektrode im Nacken, am Brustbein, in
der Lendengegend auf. Die differente Elektrode setzt man auf
die Sehne (falls der zu untersuchende Muskel eine lange und
dünne Sehne hat) oder in ihre Nähe (falls der Muskel eine kurze
und dicke Sehne hat). Unter diesen Umständen tritt im Momente
des Stromschlusses eine deutliche Muskelkontraktion auf.
Trotz ihrer Wichtigkeit ist die Reaktion von Ghilarduceci
wenig bekannt und geübt. Die Schuld daran ist wenigstens zum
Teil in dem Umstande zu suchen, daß in vielen Handbüchern der
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie eine Verwirrung herrscht
in betreff der Bezeichnungen und der Namengebung, sodaß man oft
die longitudinale Reaktion von der Fernreaktion, und die Reaktion
von Doumer von der Reaktion von Ghilarducei nicht zu unter-
scheiden vermag.
Tatsächlich hat Doumer!) 1891 ein besonderes Verhalten
gegenüber dem elektrischen Strom bei Muskeln beobachtet, deren
Nerven seit längerer Zeit zerstört waren. Während der elek-
trische Reiz am Muskel selbst ohne Erfolg blieb, genügte es, die
Elektroden so zu verteilen, daß der Strom in der Längsrichtung
den Muskel durchlief, um eine Reaktion bei Stromschluß und
Stromöffnung zu sehen, aber stärker am positiven Pol als am ne-
gativen. Der genannte Autor?) wiederholte 1897 die Wichtigkeit
der genannten Merkmale, indem er die von Ghilarducei vorge-
schlagene Bezeichnung „Fernreaktion“ ablehnte, und die andere
„longitudinale Reaktion“ verteidigte, weil sie besser den physika-
lisechen Bedingungen entspräche, unter denen die Reaktion ein-
trete. Er fügte hinzu, daß er noch wenig wisse über die wirk-
liche pathologische Bedeutung dieser Reaktion und daher aus ihr
keinerlei besondere Anzeichen ziehen könne,
Eine verschiedene und klarere Darstellung von dem Phä-
nomen hatte dagegen Ghilarduceci, als er, ohne die kurze vor-
hergegangene Notiz von Doumer zu kennen, noch die sich darauf
beziehende Bemerkung von Huet?), seine Reaktion beobachtete und
beschrieb, wobei er ihre Semiologie erläuterte, ihre genetische
Theorie erfaßte und ihre diagnostische und prognostische Bedeutung
fostlegte. Die Ghilardueeische Reaktion beruht nicht darauf, daß
der Strom parallel durch die Muskelbündel durchfließt, sondern hat
seine theoretische Ursache in einer Verlangsamung der elektrischen
Welle infolge des weiter Auseinanderrückens der Elektroden
(Thompsonsche Formel); also keine „longitudinale Reaktion“,
sondern Fernreaktion. Sie bezeichnet nicht bloß, daß der jedem
nervösen Einfluß entzogene Muskel sich besser zusammenzieht,
wenn er in der Längsrichtung erregt wird als in der Schräg-
richtung“), sondern daß die galvanische muskuläre Uebererregbar-
keit, die so charakteristisch ist für die ersten Phasen des Ent-
artungsprozesses, nur scheinbar verschwindet, in Wirklichkeit
aber bleibt). Sie ist nicht stärker am positiven Pol als am ne-
gativen (Doumer), sondern im Gegenteil, die Energie der Zuckung
und ihr Ueberwiegen an der K.S. stellt den deutlichsten Charakter
der Entertungsfernreaktion dar (Ghilarducei). Von ihr kann
man schließlich nicht sagen, daß man ihre pathognomische Be-
deutung nicht kennt, denn Ghilarducei stellt auf Grund von
zahlreichen und Jahre hindurch beobachteten Fällen klar fest die
diagnostische und prognostische Wichtigkeit®), eine Wichtigkeit,
welche meine eignen Beobachtungen vollständig bestätigen: Die
Fernreaktion begleitet die klassische Entartungsreaktion in den
verschiedenen Stadien der Entartung, aber sie allein dauert durch
Monate und Jahre, nachdem jede Spur von Erregbarkeit, direkter
und indirekter, geprüft mit der klassischen Methode, in den ent-
arteten Muskeln verschwunden ist; und solange sie besteht, ist
eine Rückkehr der Motilität in den betroffenen Muskeln möglich.
Wenn es richtig ist, daß der Beobachtung Doumers die
Bezeichnung „longitudinale Reaktion“ bleibt, so ist es dagegen
1) Cpt. r. de la Soc. Biol. 1891. 0, u
9) Primo Congr. intern. di neurologia, psichiatria, elettricità medica
ə ipnologia di Bruxelle. Relazions riportata in A. d’Electr. médicale
1897, S. 410. ne
3) In Debove, Traite de méd.
4) Doumer, A. d’el. med. 1897.
6) Ghilarducei, Il Policlinico, Sez. med. 1895. SaS l
6) Bericht, erstattet auf dem 1. Congr. internaz. di fisioterapia,
Roma 1907.
nicht richtig, daß man mit dieser die Fernreaktion von Ghilar-
ducei verwechselt !). |
Wir wollen hier kurz über einige Fälle berichten, weiche
den praktischen Wert zeigen, den gegebenenfalls die Fernreaktion
haben kann.
Seit Jahren ist die Analogie bekannt‘ zwischen der Polio-
myelitis anterior acuta der Kinder und der infantilen cerebralen
Paralyse, sodaß Strümpell die eine als homolog zur andern auf-
faßte. Verschiedene klinische Beobachtungen und anatomische
Prüfungen haben die Möglichkeit gezeigt, daß beim selben Indivi-
duum Schädigungen der Rinde und der Vorderhörner vereint auf-
treten, sodaß gleichzeitig die Symptome der Polioencephalitis und
der Poliomyelitis vorhanden sind. Den Umstand würde man viel-
leicht nicht besonders selten bemerken, wenn man sich die Mög-
lichkeit gegenwärtig hielte und in jedem Falle die Diagnose zu
klären suchte mit allen gegebenen Forschungsmitteln.
Die Diagnose der Poliomyelitis anterior acuta ist gewöhn-
lich ziemlich leicht. Sie gründet sich hauptsächlich auf der Fest-
stellung einer schlaffen Lähmung mit degenerativer Muskel-
atrophie. Bei der Polioencephalitis dagegen, abgesehen von der
Verteilung der Lähmung, sind die befallenen Glieder in einer mehr
oder weniger ausgesprochenen Contractur, und in den betroffenen
Muskeln findet man keine qualitativen Aenderungen der galrani-
schen Erregbarkeit.
Aber wenn es schwer ist, um nicht zu sagen unmöglich,
die eine Krankheitsform mit der andern zu verwechseln, so ist es
nicht leicht, das Vorhandensein einer Poliomyelitis zu erkennen,
wenn die befallenen Glieder gleichzeitig die Spuren der Polio-
encephalitis darbieten. In diesem Falle verdeckt der von der
Gehirnschädigung abhängige spastische Zustand die Schlaffheit
und die Herabsetzung der Tiefenreflexe, die durch die Rückenmark-
affektion bedingt werden. Die durch die Poliomyelitis hervor-
gerufene Amyotrophie kann ihrerseits leicht durch die trophischen
errungen cerebralen Ursprungs verdeckt werden?). Die Möglich-
keit, daß die Rückstände der spinalen Erkrankung dem Beobachter
entgehen, begreift sich um so leichter, wenn man bedenkt, dal
die Atrophien der akuten infantilen Poliomyelitis anterior gewöhn-
lich begrenzt sind auf einzelne Muskelgruppen, bisweilen geradezu
nur auf einzelne Muskeln.
Es ist natürlich, daß in Fällen dieser Art die elektrische
Prüfung entscheidenden diagnostischen Wert haben kann, denn. es
genügt, in einem oder mehreren Muskeln die Entartungsreaktion
zu erheben, um die Anteilnahme des Rückenmarks am Krankheiis-
prozesse festzustellen. Wir haben aber oben bemerkt, daß die
Erbsche Reaktion, welche die einzige im allgemeinen benutzte
Methode darstellt, um mittels der Elektrizität den Entartungs
charakter der Atrophie festzustellen, nur dann feststellbar ist,
wenn die Krankheit von frischem Datum ist, denn in ziemlich
kurzer Zeit verschwindet in den entarteten Muskeln jede Spur der ver-
mittelsderüblichenMethodeuntersuchten faradischen und galvanischen
Erregbarkeit. In Fällen doppelter Schädigung (in Gehirn und
Rückenmark), die spät zur Beobachtung des Neurologen kommen,
gibt daher die elektrische Prüfung nicht mehr die Entartungs
reaktion, die von der Poliomyelitis abhängt, sondern nur eine
quantitative Aenderung der galvanischen und faradischen Erreg-
barkeit, abhängig von der Polioencephalitis. Wenn der Arz
alle Muskeln des gelähmten Glieds untersuchen würde, würde er
in einigen den vollkommenen Ausfall der Erregbarkeit feststellen
können. Aber diese nicht leichte und jedenfalls zeitraubende
Untersuchung kann nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden;
1) Die Benennung „Reaktion von Ghilarducei* wird schon 10!
Sgobbo, Morselli, Larat, Zimmern und Andern angewendet.
2) Es ist kekannt, daß trotz der einzelnen Beobachtungen ie
Hall, Romberg, Todd, Cornil, Bouchard, Hallopeau man g
vor wenigen Jahren daran festhielt, daß die Lähmungen infolge i
Gehirnaffektionen nicht von Muskelatrophie begleitet werden. Ohare
zeigte die Häufigkeit der Muskelatrophie bei Hemiplegikern. Man.
behauptete, daß ein gewisser Grad von Muskelatrophie nicht eine z
plikation darstellt, sondern vielmehr die Regel ist bei organischer i7
plegie, eine Meinung, der sich Lorenz anschließt. Die Atropb® 1
nicht verursacht von dem Nichtgebrauch, sondern sie steht IN Bezie ei
mit dem Einfluß, den die Hemisphären auf das Rückenmark ausüben UN m
erscheint nicht nur nach Monaten und Jahren nach dem Auftreten a
Lähmung, sondern kann sich auch innerhalb einer kurzen Periode i;
wenigen Wochen offenbaren und sogar von wenigen Tagen (Qun ro
Eisenlohr, Borgherini, Darkschewitch usw.). Bel der Hemip 2
nach cerebraler Kinderlähmung hat man aber nicht nur MuskelatroP
sondern eine Hypoplasie, einen Stillstand der Entwicklung m allen
bieten der von der Lähmung betroffenen Körperhälfte.
17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1867
gewöhnlich beschränkt sich der Neurologe auf die grobe Fest-
stellung, daß in den Muskeln der befallenen Glieder die Erregbar-
keit erhalten ist und daß die Entartungsreaktion von Erb fehlt.
Die klinische Untersuchung und .die elektrische Prüfung vereinigen
sich also, um die bezeichnenden Veränderungen bei Polioencephalitis
zu zeigen, und an das Vorhandensein der Reliquaten einer Polio-
myelitis wird nicht gedacht.
Zu viel vollkommeneren Ergebnissen gelangt man, wenn man
systematisch nach der Fernreaktion von Ghilarducei sucht.
Diese Untersuchung ist einfach und kurz, und ihr Ergebnis ist
auch dann noch positiv, wenn, wie schon oben bemerkt, die
Erbsche Reaktion nicht mehr sichtbar ist. Die Feststellung einer
Ferncontraction des Muskels zeigt dem Untersucher das Vor-
handensein eines Leidens, das das periphere Neuron angeht. Die
Annahme der Polioencephalitis erscheint danach ungenügend. Der
Arzt ergänzt sie, indem er die Diagnose der Poliomyelitis anterior
dazufügt. Dieses war der Verlauf der Untersuchung in den beiden
folgenden Fällen:
1. S. S., 14 Jahre alt. Eltern gesund, leugnen Lues und Potato-
rium. Der Vater nervös, drei Brüder gesund. Das Kind wurde recht-
zeitig und normal geboren. Im Alter von elf Jahren wurde es plötz-
lich von starkem Fieber und Krämpfen befallen. Nach Abklingen der
akuten Erscheinungen bemerkte die Mutter, daß der Kranke die Glied-
maßen der rechten Seite nicht mehr bewegen konnte. Jetzt klagt der
Kranke über Schwäche und Bewegungsbehinderung der rechten Seite.
In Zwischenräumen von wenigen Tagen bis einigen Wochen wird er von
Krämpfen befallen, denen ein Gefühl von salzigem Geschmack im Mund
und eines Knotens, der die Kehle würgt, vorangeht. Die Krämpfe be-
fallen nur die rechte Körperhälfte und verbinden sich mit vollkommenem
Bewußtseinsverluste. Nach dem Anfalle verfällt der Kranke in einen
zwei- bis dreistündigen Schlaf.
Befund: Die körperliche Entwicklung entspricht dem Alter. Der
Allgemeinzustand ist gut, die inneren Organe bieten nichts Bemerkens-
wertes. Das Gesicht ist unsymmetrisch, die rechte Hälfte ist weniger
entwickelt als die linke. Die Glieder der rechten Hälfte sind weniger
entwickelt als die der linken, dem Umfang und der Länge nach.
Die Messung ergibt: Entfernung vom Acromion zum Olecranon rechts
28 cm, links 29 cm. Entfernung vom Olecranon bis zur Extremität des
Mittelfingers rechts 38 cm, links 39 cm. Entfernung von der Apophyse
stiloides des Radius bis zur Extremität des Mittelfingers rechts 17 cm,
links 18 cm. Entfernung von der Spina iliaca bis zum Maleolus externus
rechts 79 cm, links 81 cm. Entfernung vom Trochanter zum Peronaeus-
kopf rechts 39 cm, links 40 cm. In Ruhestellung ist die Augenbraue
rechts ein wenig niedriger als auf der andern Seite. Der Sulcus nasi
labialis ist rechts schärfer ausgeprägt als links, und der Mundwinkel
leicht in die Höhe gezogen. Beim Stirnrunzeln sieht man, daß links die
Augenbraue besser erhoben wird und die Stirnrunzeln sich leichter bilden
und tiefer sind als auf der andern Seite. Auch die vom Facialis inferior |
innervierten Muskeln sind rechts weniger gut beweglich als links. Die
herausgestreckte Zunge weicht nach rechts ab. Störungen beim Kauen,
beim Schlucken und beim Sprechen bestehen nicht; die Augenbewegungen
sind normal. Die aktiven und passiven Bewegungen des Halses sind
- nach allen Richtungen frei. Die Beweglichkeit am linken oberen Glied
ist vollständig frei. Rechts bemerkt man leichten Widerstand bei
passiven Bewegungen; die aktiven Bewegungen sind in allen Teilen lang-
samer und schwächer als links. Deutlich unvollständig sind rechts die
Fingerbewegungen. Mit großer Anstrengung vermag der Patient den
Daumen mit der Spitze des Zeige- und Mittelfingers in Berührung zu
bringen; er erreicht mit der Daumenspitze kaum den äußeren Rand des
Ringfingers und ist nicht imstande, ihn bis zum kleinen Finger zu
bringen. Fordert man den Kranken auf, die Finger auszustrecken, so be-
merkt man rechts, daß die Streckung der zwei letzten Phalangen des
Zeigefingers unvollständig ist; die zwei letzten Phalangen des Mittelfingers
werden sehr stark ausgestreckt; bei dem Ringfinger und dem kleinen
Finger wird die erste Phalange wieder sehr stark ausgestreckt, während
die Streckung der letzten zwei Phalangen nicht vollständig ist. In auf-
rechter Stellung neigt der Kranke den Rumpf nach rechts, das Bein
bleibt in halber Beugestellung mit der Spitze des Fußes am Boden. Bei
Rückenlage nimmt der rechte Fuß eine Varo-equina-Stellung ein. Die aktive
und passive Beweglichkeit linkerseits ist normal. Bei passiven Bewe-
gungen findet man einen Widerstand im rechten Fuß, in den übrigen
Gelenken dagegen ist keine Rigidität festzustellen. Alle aktive Bewe-
gungen des Beins sind rechts langsamer und schwächer als links. Der
Gang ist ein wenig hinkend, weil der Patient mit dem rechten Fuß
schleift. Der Kranke kann auf dem linken Fuß allein besser stehen als
auf dem rechten allein. Die Tiefenreflexe der oberen und unteren Glieder
sind sehr lebhaft, rechts mehr als links; nirgends Klonus. Die Phäno-
menen von Babinsky und Oppenheim fehlen. Die oberflächlichen Re-
flexe sind normal. Die Pupillen gleich rund, reagieren gut auf Licht und
Akkommodation. Die Oberflächen- und Tiefensensibilität ist intakt, die
Sinnesorgane sind frei. Psychische Störungen bestehen nicht, bis auf eine
deutliche Nervosität. Die elektrische Prüfung ergibt folgendes: Die in-
direkte faradische Erregbarkeit ist deutlich vermindert für alle Nerven
des Armes. Die direkte faradische Erregbarkeit ist rechts aufgehoben
am langen Daumenstrecker, am langen Zeigefingerstrecker, am Abduktor
des kleinen Fingers, ersten, dritten und vierten Interosseus, und ist stark
vermindert an allen andern Muskeln des Vorderarms und der Hand, be-
sonders am Tenar und Hypotenar. Die galvanische Erregbarkeit des
Nervus radialis ist auf beiden Seiten gleich, während auf der rechten
Seite die des Nervus ulnaris und medianus stark vermindert ist. Bei
der Prüfung der direkten galvanischen Erregbarkeit ergibt sich rechts
die „F'ernreaktion“ am langen Daumenstrecker und am langen Zeige-
fingerstrecker. In diesen Muskeln gibt das Aufsetzen der Elektrode, so-
wohl der positiven wie der negativen, auf den Muskelbauch keine Re-
aktion. In allen andern Muskeln der Hand und des Vorderarms ist die
direkte galvanische Erregbarkeit vermindert; die Erbsche Reaktion und
die Fernreaktion von Ghilarducci fehlen. Am rechten Bein findet man
deutliche Verminderung der faradischen und galvanischen direkten und
indirekten Erregbarkeit an allen Nerven und Muskeln. Der Muskel
Perenaeus longus ist vollkommen unerregbar und trotzdem gibt er eine
deutliche Reaktion auf KSZ, wenn man die Elektrode unter dem äußeren
Knöchel ansetzt (Fernreaktion)'!), |
| Fall2. F. U, 18 Monate alt, Vater und Mutter am Leben und
gesund, ein Bruder und eine Schwester desgleichen. Die Familien-
anamnese ergibt keine neuropathische Belastung, weder in der auf-
steigenden, noch in der Seitenlinie. Das Kind war ausgetragen, die Ge-
burt ziemlich schwer, aber ohne Kunsthilfe. Die Mutter versichert, daß
bei der Geburt und in den ersten Tagen das Kind alle Glieder lebhaft
bewegte. Am fünften Tage bemerkte man die Unmöglichkeit, den
linken Arm zu heben; Erscheinungen einer akuten Erkrankung sind da-
mals nicht aufgefallen.
Befund: Kräftiges Kind, Haut- und Schleimhäute nicht anämisch,
keine Drüsenschwellungen, innere Organe frei. Die Bewegungen des Ge-
sichts, der Zunge und der Augen normal; aktive und passive Bewe-
gungen des Halses, des Rumpfes, des rechten Armes und der Beine voll-
ständig. Der linke Arm ist in Pronationsstellung, der Daumen einge-
zogen, die andern Finger leicht gekrümmt. Bei passiven Bewegungen
Widerstand von zeitweilig wechselnder Stärke. Der linke Arm macht
keine aktiven Bewegungen. Die Untersuchung der Tiefenreflexe am
linken Arme läßt auch eine wechselnde Lebhaftigkeit derselben konsta-
tieren. Patellarreflexe beiderseits normal. Die Pupillen sind gleich,
reagieren gut auf Licht und Akkommodation. Zeichen einer Gefühls-
störung und einer Störung der Sinnesorgane bestehen nicht. Der linke
Arm ist weniger entwickelt als der rechte, nicht nur was den Umfang,
sondern auch was die Länge anbetrifft. Die Messung ergibt:
Umfang der Armmitte rechts 14 cm, links 13 -cm
Umfang des Vorderarms, drei
Querfinger unter der Spitze |
des Olecranons . . . . . „ 12, a iy
Entfernung des Olecranon bis
zur Extremität des Mittel-
> Appers- s orae a a ee AB a a y
Die elektrische Prüfung ergibt, daß am linken Deltoides, keine
Contraktion erhalten werden kann, weder faradisch, noch galvanisch,
ebensowenig am negativen Pol, wie am positiven (selbst mit einem
Strom von 10 bis 12 MA). Dagegen ist die Fernreaktion am Deltoides
deutlich vorhanden, die Contraction sinnfällig, sobald die Anode am
Nacken angesetzt ist und die Kathode am Handrücken, und verliert an Stärke
je mehr man die Kathode der Wurzel des Armes nähert; jegliche Contrak-
on vers chwindet, wenn die Elektrode drei oder vier Querfinger unter
dem Ansatzpunkte der Sehne angelegt wird (Abwesenheit der Longitu-
dinalreaktion von Doumer). An den übrigen Muskeln des linken Armes
findet sich eine einfache Herabsetzung der faradischen und galvanischen
Erregbarkeit. i
In diesen beiden Fällen ermöglicht es allein die Fernreaktion,
festzustellen, daß außer den leicht feststellenden Erscheinungen
einer alten Polioencephalitis auch eine Schädigung des peripheren
Neurons bestand, mit aller Wahrscheinlichkeit nicht eine Neuritis,
sondern eine die Polioencephalitis komplizierende Poliomyelitis.
Auch in Fällen von Muskelatrophie mit langsam progressivem
Verlaufe kann die Reaktion von Ghilarduceci ähnliche diagnostische
Dienste leisten. Ohne auf die Differentialdiagnose zwischen den
verschiedenen Formen der myopathischen, neurotischen und spinalen
Muskelatrophien einzugehen, heben wir nur die Bedeutung der
elektrischen Prüfung hervor, die qualitative Aenderungen der Er-
regbarkeit nachweist, wenn das periphere Neuron beteiligt ist und
im Gegenteil nur quantitative Veränderungen zeigt, wenn der Pro-
zeß ausschließlich muskulär ist. Auch in solchen Fällen wird der
Neuropathologe nicht allzu selten spät konsultiert, wenn die Atro-
phie schon so vorgeschritten ist, daß der Muskel überhaupt nicht
mehr auf den elektrischen Strom reagiert, der in der üblichen
Weise angewendet wird. Aber auch dann kann man wenigstens
in einigen der entarteten Muskeln die charakteristische Ghilar-
1) Bei einer zweiten Untersuchung, die einige Monate darauf vor-
genommen wurde, bemerkte man die Wiederkehr der faradischen Erreg-
barkeit des besagten Muskels; und man erhielt die Fernreaktion, indem
man die Elektrode nicht mehr unter den Malleolus setzte, sondern
höher hinauf. |
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1868
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
duccische Reaktion feststellen, die die Beteiligung des peripheri-
schen motorischen Neurons am Krankheitsprozeß anzeigt. Das ge-
schah eben in dem folgenden Falle. Ze
Fall 3. N., Albert, 30 Jahre alt, unverheiratet, in einem kleinen
Dorfe Südösterreichs geboren. Trotz aller Anstrengung konnte man von
ihm eine vollstäudıge Anamnese nicht erhalten, da er in seinen Angaben
unsicher war und in Widersprüche verfiel. Die Eltern starben schon in
seiner frühen Kindheit. Zwei Schwestern starben jung, ein Bruder hat ein
Leiden am linken Auge, ein anderer Bruder starb an Lungenentzündung.
Dieser litt an einer Krankheit, die der Patient genau der seinigen ähnlich
bezeichnet, nämlich an Schwäche der Beine; die Krankheit fing in der
Kindbeit an, hat sich bis zum 20. Lebensjahre verschlimmert, daraufhin
wurde ihm das Gehen unmöglich. Unser Patient hat angegeben, keine
besonders bemerkenswerten Krankheiten durchgemacht zu haben. Als
einjähriges Kind hatte er eine chirurgische Operation am linken Ellen-
bogen und am rechten Knie durchgemacht. Mit zwei Jahren hat er von
selbst angefangen zu gehen. Von seinem siebenten Jahre bis zum 24. war
er Erdarbeiter. Seit der Kindheit aber besteht eine Schwäche der Beine,
sodaß er schon mit 12 bis 14 Jahren nicht mehr springen und laufen
konnte Mit 24 Jahren unfähig zu schwerer Feldarbeit, begab er sieh
nach Wien, wo er in einer Webereifabrik beschäftigt war. Er wurde
weniger bezahlt als die andern Arbeiter, weil er nur mindere Arbeit
leisten konnte. In letzter Zeit verschlimmerte sich seine Krankheit erheb-
lich, die er selbst als nervöse Schwäche in den Armen und Beinen be-
zeichnet.. Trotz dieser Schwäche und in der Hoffnung, durch ein Wunder
gesund zu werden, ging er zu Fuß von Wien nach Lourdes und dann
von Lourdes nach Rom. Während der Reise lebte er kümmerlich von
Almosen. Anfang -des Jahres 1910 wurde er in das Krankenhaus von
Orbetello aufgenommen wegen Darmstörungen, die, wie er behauptete, da-
durch entstanden sind, daß er sich einen Monat lang nur von Brot ge-
näbrt hát. Während der langen Reise ist er häufig am Tag auf die Knie
gefallen; er konn'e dann nicht mehr von selbst aufstehen, wenn man ihm
nicht zur Hilfe kam oder wenn er wenigstens nicht etwa einen Gegenstand
fand. an dem er sich mit den Händen anklammern konnte. Am 20. April
1910 wurde er, gänzlich erschöpft von der Wanderung, in das römische
Krankenhaus aufgenommen.
Befund: Blutbildende Organe und Iymphatisches System ohne
Besonderheiten; innere Organe frei. Die Untersuchung des Nervensystems
enthüllt zahlreiche krankhafte Veränderungen. Im Gesicht besteht eine
Hypotonie in den vom rechten unteren und oberen Facialis innervierten
Muskeln. Der Unterschied zwischen den beiden Gesichtsbälften wird noch
deutlicher bei der Bewegung und Mimik (Parese des ganzen rechten Fa-
cialis). Auf der rechten Wange eine kleine unregelmäßige Narbe, über
dem Knochen verschieblich, anscheinend ohne Beziehung zur Nerven-
lähmung. Augenbeweguvgen frei, außer einem leichten Nystagmus bei
seitlicher Blickrichtung. Die Zunge wird gerade herausgestreckt, ist gut
beweglich; leichter Tremor, keine Zeichen von Atrophie. Bewegungen des
Halses frei, seine Muskulatur von normalem Tonus. Am linken Arm eine
Ankylose am Ellenbogen mit zahlreichen an den Knochen anhaftenden
Hautnarben. Beide Arme deutlich hypotrophisch, in den Muskeln des
Schultergürtels, Ober- und Unterarm, weniger in denen der Hand, aber
auch hier Tenar und Hypotenar deutlich abgeplattet; die Spatii inter-
ossei ausgehöhlt. Die Muskelatrophie ist links deutlicher als rechts. Aktive
und passive Bewegungen ohne Beschränkung, nur an den Fingern, beson-
ders links, etwas langsam und behindert. Sehr deutlich ist dagegen die
Herabsetzung der Kraft in allen Muskeln der Arme; die Nadel des
Dynamometers bewegt sich kaum vom Nullpunkt. Bei gestreckten Händen
leichtes Zittern, das bei willkürlichen Bewegungen nicht zunimmt. Ataxie
besteht nicht. Am Thorax springt die untere Brustbeingegend vor,
während die seitlichen uud oberen Partien eingedrückt sind. Die Wirbel-
säule zeigt keine Abweichungen im Liegen und Sitzen, bei aufrechter
Stellung starke Einbiegung im Lendenteil. Die seitlichen Bewegungen
des Rumpfes sind gut, beschränkt dagegen Beugung und Streckung. Nur
mühsam und mit Hilfe der Hände kann der Kranke von der Rückenlage
in die sitzende Stellung übergehen. Bei der Aufforderung, sich auf den
Boden zu legen, beugt er zuerst das recht Knie, wirft sich dann mit vor-
gestreckten Armen nach vorn, stützt die Hände auf den Boden, wirft sich
auf die rechte Seite und streckt sich dann auf den Fußboden. Beim Auf-
stehen dreht er sich zuerst auf die Seite, geht dann mit Hilfe der Hände
in knieende Stellung über, kann sich aber dann nicht aufrichten, wenn er
nicht gestützt wird oder sich nicht mit den Händen anklammern kann.
Der Beckenknochen und die unteren Gliedmaßen haben eine atrophi-
sche Muskulatur, besonders der Quadriceps, rechts mehr als links. Auf-
fallend ist der Gegensatz zwischen dem stark atrophischen Schenkel und
der Wade, die einen nahezu normalen Umfang bewahrt hat. Die Füße
stehen in Equinusstellung mit krallenartig gebogenen Zehen. Tremor
und fibrilläre Zuckungen fehlen. Die aktiven Bewegungen des Ober-
schenkels sind beiderseits beinahe unmöglich. Erhalten ist die Beugung
des Beins auf den Schenkel, aber der Uebergang von der Beugung in
die Streckung fällt fast aus. Ziemlich gut erhalten sind die Fuß-
bewegungen. Bei der Aufforderung. die Zehen zu strecken uud zu beugen,
bewegen sich nur die ersten Phalangen ziemlich gut, die andern sind
links fast unbeweglich, rechts vollständig unbeweglich. Die erhaltenen
Bewegungen an beiden Beinen werden mit mäßiger Kraft ausgeführt,
namentlich die des Beins und Fußes. Die Tiefreflexe an den Armen
sind eher lebhaft; Achillessehnenreflex erhalten, Kniereflex fehlt beider-
seits, kein Oppenheim, kein Babinski. Pupillen gleich weit, rund,
reagieren gut auf Licht und Akkomodation. Keine Veränderungen des
Berührungs- und Wärmegefühls; keine groben Störungen des Schmerz-
gefühls, nur am Fußgelenke beiderseits sollen Nadelstiche etwas weniger
gut empfunden werden; Lagegefühl erhalten, keine Störungen des stereo-
gnostischen Sinnes. Bei der elektrischen Prüfung auffallende Verninde-
rung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit an sämtlichen bypo-
trophischen Muskeln und deren Nerven. Am Quadriceps ist die Erreg-
barkeit beiderseits aufgehoben. Doch wenn man die aktive Elektrode
zwischen das obere und mittlere Drittel des Beins legt, bemerkt man
eine deutliche Contraction des Quadriceps bei KS (Fernreaktion von
Ghilarducci), während AnS” keine Zuckung hervorruft. Keine Con-
traction, weder bei An noch bei K, wenn die Elektrode höher hinauf-
geschoben wird, wenn ihre Lage der distalen Extremität des Muskels
entspricht, oder wenn sie auf den Muskel so appliziert wird, daß sie auf
den Motorpunkt zu liegen kommt (Fehlen der longitudinalen Reaktion
von Doumer und der klassischen Erbschen Entartungsreaktion).
Der familiäre Charakter, der langsame Verlauf, der Befund
bei der Untersuchung weisen auf eine reine progressive Muskel-
atrophie hin. Einige Zweifel konnte die einseitige Facialis-
lähmung ohne Atrophie erwecken. Die elektrische Untersuchung ließ
vermittels der Ghilarduceischen Fernreaktion den degenerativen
Charakter der Atrophie erkennen!), wenigstens in einigen der be-
troffenen Muskeln (Quadriceps). Diesen degenerativen Charakter
hätte man in dem Krankheitsstadium, in dem die Untersuchung
vorgenommen wurde, mit keiner andern klinischen Methode fest-
stellen können; in der Tat konnte man die klassische E.-R. von
Erb nicht hervorrufen, denn die Quadriceps erwiesen sich als
vollständig unerregbar, als die Elektrode auf den Muskel ge-
setzt wurde.
Die Reaktion von Ghilarducei hat nicht nur diagnostische
Bedeutung, sondern in einigen Fällen auch prognostischen Wert.
Wenn in den entarteten Muskeln (Neuritis, Poliomyelitis anterior)
die faradische und galvanische Erregbarkeit mit der gewöhnlichen
Methode nicht zu erhalten ist, so pflegt man die Hoffnung auf
Besserung aufzugeben und die Therapie einzustellen. Dagegen
behauptet Ghilarducei, daß, solange nach seiner Methode eine
Bewegung in den betreffenden Muskeln festzustellen ist, eine,
wenn auch nur teilweise Rückkehr der Funktion möglich ist. In
solchen Fällen darf man also die Behandlung nicht aufgeben, son-
dern weiter fortsetzen, wenn auch jahrelang, immer im Vertrauen
auf eine mögliche Besserung. Wir haben einen Fall von Polio-
myelitis anterior acuta beobachtet, bei dem dieses prognostische
Kriterium sich bewährt hat und eine Besserung nach sehr langer
Zeit eingetreten ist. Auch in dem ersten von uns mitgeteilten
Falle zeigte die spätere elektrische Prüfung am Peronaeus den Be-
ginn einer Regeneration der Muskelfasern an. Man darf schließen,
daß dieser Besserung der elektrischen Erregbarkeit eine, wenn
auch teilweise Rückkehr der Funktion gefolgt ist, die wir freilich
nicht festgestellt haben, weil der Kranke sich unserer Beobachtung
entzogen hat. |
Zum Schluß wollen wir kurz auf eine andere praktische Be-
deutung des Nachweises der Fernreaktion hinweisen. Im Vorlauf
einer elektrischen Prüfung kann man zuweilen an normalen Mus-
keln feststellen, daß die AnSZ größer ist als KSZ. Dain solchen
Fällen die träge Zuckung fehlt, so schließt der erfahrene Neuro-
loge eine Entartungsreaktion aus; aber der unerfahrene kann leicht
Zweifel über die Bedeutung der beobachteten Tatsache hegen. De-
her können sich leicht Widersprüche bei der ärztlichen Unter
suchung herausstellen, besonders wenn es sich um die Begut-
achtung Unfallverletzter handelt. In solchen Fällen wird das
Fehlen der Ghilarduceischen Reaktion aufklären, dab es Si
um eine Anomalie und nicht um einen krankhaften Zustand handel
Aus der Serologischen Abteilung des Pester Israelitischen Kranker
hauses. (Direktor: Hofrat Prof. Berthold Stiller.)
Zur Chemotherapie der Lues oculi
von
Dr. Paul von Szily,
Leiter der serologischen Station.
Ich berichte in folgendem über meine Erfahrungen al -_
von Augensyphilis, die behufs chemotherapeutischer Behan Ei
der obigen Abteilung überwiesen wurden. Die ständige klinis?
1) Die Beteiligung des motorischen peripheren Neurons bei pro’
gressiver Muskelatrophie ist selten. Zimm erlin, , Schenk,
Oppenheim und Cassierer, K. Mondel und Andere haben In 80
Fällen die typische Entartungsreaktion von Erb festgestellt.
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TE. EEE FI Ua n ë T E
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17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1869
Kontrolle hat Herr Dr. Geza Fisch, Sekundärarzt der Augen-
abteilung, ausgeübt. In erster Reihe muß ich auf die wichtige
Tatsache hinweisen, daß wie bei anderweitigen syphilitischen Er-
krankungen, so auch bei der Augenlues, eine viel intensivere Be-
einflussung durch das Mittel notwendig ist, als wie es, nach den
betreffenden mir vorliegenden Mitteilungen zu urteilen, bisher als
Prinzip der speziellen Behandlung gegolten hat. Ferner darf man
von der einzig exakten Einverleibung des Mittels, der intra-
venösen Infusion, nicht zurückschrecken. Nur durch eine inten-
sive, oftmalige Applikation wird es möglich, die Spirochäten in
ihren. verborgensten Schlupfwinkein zu vernichten, die Krankheit,
welche proteusartig im Organismus Jahrzehntelang herumschleicht
und sich in mehrere Generationen hereditär einnistend aufrechtzu-
erhalten imstande ist, gänzlich auszurotten.
Ich will hier auf die interessanten Arbeiten Gennerichs
hinweisen, welcher ein großes Material von Primärsklerosen abortiv
behandelte, und zwar mit einer solchen Gründlichkeit, daß er die
gehäufte intensive Behandlung so lange fortsetzte, bis sich auch
nach oftmalig wiederholter Untersuchung keine positive Wasser-
mannsche Reaktion mehr einstelltee Wenn ich diesem Postulat
auch nicht ganz beistimmen kann, erstens schon weil eine oft-
malige, tagtägliche Blutentnahme in der Praxis kaum ausführbar,
und zweitens, weil die Bedeutung der negativen Wassermann-
schen Reaktion in prognostischer Hinsicht noch unerforscht ist, so
ist die schon im Anfangsstadium inaugurierte intensive Beein-
flussung jedenfalls ein genügender Hinweis darauf, daß man mit
einer ein- oder zweimaligen, insbesondere intramuskulären Injektion
von 0,3 bis 0,5 Salvarsan doch gewiß nicht viel zur Beseitigung
einer Keratitis luetica oder einer metaluetischen Muskellähmung
geleistet hat. Und die bisherigen Mitteilungen begnügen sich oft-
mals mit der Registrierung der Mißerfolge nach ungenügender Be-
handlung (Igersheimer, Löhlein, Uhlhoff usw.).
Bei der Behandlung der luetischen Erscheinungen darf man
nie vergessen, daß man es nicht mit einzelnen Organerkrankungen,
sondern mit einem konstitutionellen Leiden zu tun hat, und muß
infolgedessen immer das Ganze ins Auge fassen. So sind auch
die wertvollen Erfahrungen, welche Wechselmann, Ehrlich,
Benario und Andere sammelten und mitteilten, stets zu berück-
sichtigen. In erster Reihe darf man durch Luesrezidive oder
rezente Erscheinung nicht davon abgeschreckt werden, die chemo-
therapeutische Behandlung fortzusetzen. Ich muß hier an die
vielfachen Neurorezidiven erinnern, welche nach der Einverleibung
im Sekundärstadium beobachtet wurden, und welche bei fort-
laufender Salvarsanbehandlung schwanden. Ebensowenig darf man
sich beeinflussen lassen von der oftmals gemachten Erfahrung, daß
nach Ausheilung der luetischen Keratitis an einem Auge das
andere erkrankte. Es ist diese beschleunigte Erkrankung des
andern Auges als eine wahrscheinlich im Sinne Ehrlichs, durch
ungenügende Abtötung hervorgerufene experimentelle Erscheinung
zu betrachten, welche durch Eindringen der Spirochäten entstanden
ist. Davids bezeichnet eine rezidivierende Iritis nach Salvarsan
als Horxheimersche Reaktion im Auge. Ich will nur auf die
hochinteressanten Experimente Igersheimers hinweisen, welcher
durch Hineinbringen von Spirochätenkulturen in die Kaninchen-
karotis Augenlues hervorrief. Und gerade die günstigen Vər-
hältnisse beim Auge, daß die Erscheinungen durch direkte Be-
sichtigung wahrnehmbar sind, erleichtern uns das exakte Vorgehen.
Daß ich die intravenöse Applikation einer jeden andern vorziehe,
hat seinen Grund darin, daß ich dieselbe für die exakteste, wirk-
samste und bei Einhalten der Kautelen auch für. die rationellste
halte. Auch wer auf diese Methode genau eingeübt ist, kann die
Erfahrung machen, daß selbst die geringfügig alkalische Salvarsan-
lösung, sobald sie nur in geringer Menge in die Gewebe fließt,
dort Nekrose verursacht. In den Geweben zersetzt sich das Sal-
varsan und kann infolgedessen nicht als promptes Agens bewertet
werden. Bei intravenöser Applikation ist das Salvarsan aber auch
noch nach Wochen in den Organen gefunden worden, und es ist
die einzige Methode, welche eine exakte Dosierung des Mittels in
die Organe ermöglicht. Ä
Die Ueberlegenheit des Präparats hat bekanntlich seinen
Grund gerade darin, daß es die höchste Affinität zu dem specifi-
schen Erreger der Syphilis, und dabei eine ganz geringe Affinität
zu den Zellelementen des Organismus besitzt, sodaß die wirksame
Heildosis noch sehr weit von der toxischen Dosis des Mittels ent-
fernt ist. Das Salvarsan verdient aber auch den Vorzug vor der
Quecksilber-Jodbehandlung, da es viel schneller wirkt. den Orga-
nismus sterilisiert und infolgedessen die Gefahr der Entwicklung
destruktiver Veränderungen im Nervensystem durch erhebliche Ab-
kürzung. der Behandlungsdauer außerordentlich vermindert. Die
große Frage ist diejenige, ob durch die chemotherapeutische Be-
einllussung eine komplette Sterilisation möglich ist und das Fort-
schreiten des Prozesses gehemmt werden kann? Ich glaube ganz
entschieden, daß dies der Fall sei, aber nur mittels einer inten-
siven intravenösen Behandlung. Die Quecksilberbehandlung hat
zu dieser Sterilisation nicht führen können, denn erstens zwang
die auftretende Intoxıkation fast immer zum Sistieren mit der Bin-
verleibung,. zweitens war selbst durch die energischeste Kur das
Auftreten metaluetischer Erscheinungen nicht zu vereiteln. Ferner
bin ich geneigt, nach den Beobachtungen Fingers anzunehmen,
daß auch nach intramuskulären und subeutanen Salvarsanapplika-
tionen durch Berührung mit abgestorbenen Geweben giftige che-
mische Verbindungen entstehen, welche bei ihrer ständigen Re-
sorption toxisch wirken können. Bei der intravenösen Applikation
sind solche Intoxikationserscheinungen nicht beobachtet worden.
Daß Salvarsan keine neurotrope Wirkung besitzt, wird ja
von vielen Therapeuten betont, entscheidend halte ich hierfür die
Tierversuche Becks, welcher bei Mäusen keinerlei Veränderung
der Hirnnerven nach Salvarsanapplikation fand. Daß dasselbe für
das Auge unschädlich sei, dafür ist als erster v. Groß entschieden
eingetreten. |
Luetische Rezidive am Auge im Sekundärstadium wurden
durch Finger, Wechselmann, Kowalewski, Blaschko,
Flemming, Fejér, Reissert und Anderen beschrieben. Einige-
mal wurde mitgeteilt, daß diese Rezidive auf weitere Behandlung
schwanden, in den meisten beschriebenen Fällen jedoch fand ich
die Behandlung viel zu wenig intensiv. Desto energischer treten
die Neurologen für langdauernde intensive Applikation ein. Donath,
Leredde, Klieneberger, Aßmann, Dreyfus, Spiethoff,
Nikitin, Zackarzenko und eine ganze Reihe Beobachter eines
großen Materials preisen das Salvarsan als ein vorzügliches Mittel
bei metaluetischen Prozessen. Dieselben heben ein Stillstehen der
Tabes und Paralyse, eine Besserung der Symptome, bei frischen
Lähmungen direkt eine plötzliche Wirkung hervor. Ä
Von Ophthalmologen haben Dolganoff, Igersheimer,
Wigodski, Schanz, Bettmann, Schaudigel, Flemming ver-
schiedene Augenkrankheiten mit Salvarsan behandelt. Sie be-
richten zumeist von recht günstigen Wirkungen bei lIritiden,
Augenmuskellähmungen, Entzündungen des Sehnerven usw. All-
gemein ungünstig fällt ihr Urteil aus bezüglich der ja besonders
häufigen interstitiellen Hornhautentzündung. Uthhoff, Schanz,
Gilbert, Seligsohn, Wigodski, Löhlein usw. berichten von
keinerlei Einfluß des Mittels bei der Keratitis profunda, trotzdem .
daß Löhlein fand, daß das Salvarsan viele Stunden in der
Hornhaut nachweisbar ist. Ich glaube jedoch, daß diese gänz-
lichen Mißerfolge in der ungenügenden und unzweckmäßigen Appli-
kation ihren Grund haben. Bei der Sehnervenatrophie ist selbst-
verständlich nichts anderes zu erwarten, als daß der fortlaufenden
Verschlechterung des Zustandes Einhalt geboten wird, denn die
Neurologen haben ja genügend hervorgehoben, daß ein zerstörtes
Gewebe doch auch durch Salvarsan nicht mehr restituiert
werden kann.
Bei den mir überwiesenen Fällen habe ich als Einzelgabe
0,6 g Arsenobenzol in 250 g schwach alkalischer Flüssigkeit ange-
wendet. Die auf Forschungen Wechselmanns und Marschalkos
beruhenden Kautelen wurden streng eingehalten. Die zur Lösung
verwendete 0,6 %/, Kochsalzlösung (Merck) wurde mit frisch destil-
lierttem Wasser hergestellt und nochmals sterilisiert, die zur In-
fusion angewendete einfache Glasbürette und Gummischlauch stets
ausgekocht. Bei genauer Einhaltung dieser Asepsis hatte ich
außer geringer Temparaturerhöhung, kurzdauerndem Frösteln und
leichtem Erbrechen keinerlei unerwünschte Nebenerscheinungen.
Die Infusionen wurden in einwöchentlichen Abständen vier- bis
sechsmal wiederholt. Das Salvarsan wurde stets vorzüglich ver-
tragen, auch von den jüngeren Individuen von 14 bis 18 Jahren.
Als Indikation zur Behandlung wurde die positive Wassermann-
reaktion angenommen. Dagegen wurde das Negativwerden der
Wassermannreaktion nicht als ein therapeutischer Effekt des Sal-
varsans bewertet. Was die prognostische Bedeutung der Serum-
reaktion betrifit, stehe ich auf dem Standpunkte Plehns, welcher
behauptet, daß dieselbe in dieser Hinsicht in ihrer heutigen Technik
noch keine kategorischen Aufschlüsse zu geben vermag. Ich habe
auf meiner Station zirka 1000 Wassermannsche Gutachten
‘während des Jahres 1911 bei allen möglichen Stadien abgegeben
und kann es nur bekräftigen, daß jahrelang behandelte und latent
gebliebene Fälle hartnäckig positive Serumreaktion aufweisen können.
Umgekehrt kann. auch eine durch therapeutische Beeinflussung
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1870
1912-— MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. -Novéinber.
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bald hervorgerufene temporäre negative Reaktion nicht als end-
gültiger Maßstab für das weitere Handeln gelten. Schließlich darf
auch nicht vergessen werden, daß die Reaktion schon aus dem
Grunde labil ist, weil die positiven Sera nicht mit allen Antigenen
gleichmäßig reagieren, eine Erfahrung, die jeder mit mehreren
Extrakten zu gleicher Zeit arbeitende Serologe macht. Dagegen
steht die hohe diagnostische Bedeutung der Serumreaktion außer
jedem Zweifel, denn sie beweist zumindest, daß der betreffende
jemals mit dem Luesvirus in Kontakt gestanden ist.
Meine bisherigen Behandlungsergebnisse beziehen sich auf
15 Keratitiden, 5 Fälle von Sehnervenatrophien, 4 Iritiden. Bei
den letzteren Krankheiten stimmen meine Beobachtungen mit denen
der betreffenden Ophthalmologen überein. Eine oft auffallend rasche
Wirkung bei Iritis, sowie eine fast über Nacht schwindende frische
Augenmuskellähmung wird ja von mehreren Beobachtern be-
schrieben. Bei der Opticusatrophie hat die ständige Kontrolle des
Visus durch Dr. Fisch ein langsameres | Tempo der Weiter-
entwicklung, zuweilen auch ein Stillstehen des Prozesses ergeben.
Ein von den bisherigen Angaben abweichendes Resultat er-
zielte ich aber mit systematisch durchgeführter Beeinflussung der
Keratitis profunda, welche ich bei den 15 Fällen auf Grundlage
der positiven Serumreaktion einleitete. Ich kann behaupten, daß
es keinen einzigen Fall gab, welcher auf die energische intravenöse
Salvarsanapplikation unbeeinflußt blieb. Darunter waren sechs
Fälle beiderseitiger Keratitis, welche fast blind die Abteilung auf-
suchten und deren Sehvermögen in einigen Tagen nach den ersten
Infusionen unter rapider Aufbellung der Trübungen eine über-
raschende Besserung aufwies. Natürlich waren wir auch nicht von
Rezidiven verschont geblieben, welche nach Ausheilen des einen
Auges sich am andern manifestierten. Auch konnte ich in einigen
Fällen nach der ersten Salvarsanapplikation eine plötzliche Ver-
schlimmerung im Sinn einer Herxheimerschen Reaktion beob-
achten, welche aber nach weiterer Beeinflussung bald ins Gegen-
teil umschlug. Die Intervallen der Ausheilung und des Wiederauf-
flammens sind selbstverständlich verschieden, ein Rezidiv kann
bald oder auch nach Monaten nach Ausheilen des Ausgangs-
prozesses entstehen, sind doch diese Verhältnisse bei der Chemo-
therapie der allgemeinen Syphilis ganz analog. Die Ausheilung
folgte jedoch stets bis zur mit der Lupe kaum wahrnehmbaren
leichten Trübung und subjektivem totalen Heilungsresultat.
Löhlein sucht die Erklärung für die nun kaum mehr. aufrecht-
zuerhaltende Unbeeinflußbarkeit der Keratitis profunda in der
hypothetischen Auffassung, daß die Wirkung des Arsenobenzol
nicht sowohl auf einer spirochätenabtötenden Eigenschaft, als in
der Anregung der Antikörperproduktion bestehe, und die Hornhaut
geringe Fähigkeit zu derselben besitze. Diese Auffassung halte
ich nun für hinfällig, da ja gar kein Grund vorhanden ist, die
direkt spirochätocide Eigenschaft des Arsenobenzol zu bezweifeln,
zumal ja die Tierexperimente diese Wirkung des Präparats zur
Genüge bewiesen haben. Bei der Chemotherapie der Augenlues
sind nur dieselben Gesichtspunkte vor Augen zu halten, welche
bei der Behandlung der andern Stadien und Erscheinungen der
allgemeinen Lues sich vorzüglich bewähren.
Berücksichtigte Literatur: Aßmann, D. med. Woch. 1911, Nr. 35
- Bock, M. med. Woch. 1912, Nr. 1. — Best, Ebenda 1910, Nr. 48. — Bo-
nario, Zt. t. Chemotherapie 1912. — Davids, D. med. Woch. 1911, Nr. 13. —
Dolganoff, Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 45. — Donáth, Bpestr. ©. Ujság 1911,
Nr. 51. — Fejör, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 15. -- Finger, Ebenda 1911,
Nr. 13. — Flemming, A. f. Aug. 1911, Bd. 68, H. 3. — v. Groß, D. med.
Woch. 1910, Nr. 50. — Gennerich, Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 40; Zt. 1. Chemo-
therapie 1912. — Gilbert, M. med. Woch., Nr. 7. — Igersheimer, M. mod.
Woch. 1910, Nr. 51; 1912, Nr. 39. — Klineberger, Berl. kl. Woch. 1912,
Nr. 10. — Leredde, M. med. Woch. 1912, Nr. 39. -- Löhlein, Ebenda 1911,
Nr. 16. — Marschalkó, D. med. Woch. 1911, Nr. 5 u. 12 — Nikitin,
Wrabetschnaja Gazeta 1912, Nr. 5. — Plehn, Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 34. —
Seeligsohn, D. med. Woch. 1910, Nr. 47. — Schanz, M. med. Woch. 1910,
Nr. 45, — Spiethoff, Ebenda 1912, Nr. 20. — Treupel,
Nr. 39. — Uhthoff, Berl. kl. Woch. 1910, Nr. 35. — Wechselmann, D. med.
Woch. 1911, Nr. 17. — Wigodski, Wrabetschnaja Gazeta 1912, Nr. 7.
Zacharzenko, Mediziuskoje Obosrenije 1911, Nr. 20.
—
Ueber die Behandlung des Pruritus vulvae
mit Pittylen
von
Dr. Herzberg, Frauenarzt, Berlin.
Einige der wenigen Hautkrankheiten, die der Frauenarzt in
seine Behandlung bekommt und derentwegen er nicht selten kon-
sultiert wird, ist der „Pruritus vulvae“, und jeder Praktiker weiß,
was für unangenehme Erscheinungen dieses Leiden für den Patienten
D. med. Woch. 1910,
mit sich’ bringt, und wie schwer und langwierig es oft ist, das-
selbe zu beseitigen.
Den meist gebräuchlichen Methoden, um vor allen Dingen
den Juckreiz zu lindern und das Nässen zu beseitigen, wie spiri-
tuöse Waschungen, Einpudern, Salbenapplikation usw., haften fast
allen mehr oder minder große Nachteile an, einerseits wird die
bereits entzündete und meist von Kratzeffekten ihres Epithels
zum Teil entblößte Hautpartie noch mehr gereizt, anderseits be-
kämpfen die diversen Puder nicht intensiv genug den Juckreiz,
wie auch die Salben — sonst in der Behandlung der juckenden
Hautkrankheiten ein unentbehrliches Heilmittel — sich bei der
Lokalisation des „Pruritus vulvae“ nur im beschränkten Maße
empfehlen lassen. Hinsichtlich dieser, den bisher gebräuchlichen
Maßnahmen anhaftenden Nachteile möchte ich daher auf eine anders
Behandlungsmethode hinweisen, die sich äußerst bequem für Arzt
und Patient durchführen läßt und bereits von verschiedenen Kollegen
mit Erfolg angewandt worden ist).
Selbstverständlich wird man in erster Linie immer die Aetio-
logie des Pruritus vulvae in Erwägung ziehen müssen und dem
entsprechend die Grundkrankheit behandeln, aber man wird sich
kaum damit allein zufrieden geben können, heißt es doch zugleich
dem Patienten möglichst schnell die lästigen Beschwerden bei
dieser Erkrankung zu beseitigen. Ä
Ausgehend von der Tatsache, daß der Teer ein kaum über-
troffenes, mit starken keratoplastischen Eigenschaften ausgestattetes,
juckstillendes Mittel ist, verwendete ich das „Pittylen“,) das be-
kanntlich bedeutende Vorzüge vor dem reinen Pix liquida und den
meisten Teerpräparaten hat. Ist doch Pittylen ein Kondensations-
produkt aus dem Nadelholzteer, dem durch Verbindung mit dem
Formaldehyd der unangenehme Geruch genommen ist, und das vor
allen Dingen keine lokalen Reizungen hervorruft, abgesehen von
seiner Ungiftigkeit.
Bei der Behandlung beschränkte ich mich hauptsächlich auf
die Anwenduig der „Pittylenseifen“* und ging dabei folgender-
maßen vor: | 2.
Ich verordnete den Patienten, abends vor dem Schlafengehen
ein warmes Sitzbad zu nehmen, dem ich zwei Eßlöffel flüssiger,
10°%/yiger Pittylenseife zusetzen ließ, sich danach mit Hömiger
Pittylenmentholseife einzuseifen, den Schaum an den affizierten
Hautpartien eintrocknen zu lassen, Zinkpuder darauf zu stäuben
und am folgenden Morgen erst eine Reinigung mit lauwarmen
Wasser vorzunehmen. Falls sich auch in die Scheide höher hinauf-
gehende, gerötete und juckende Partien zeigten, so applizierte ich
dort eine Pittylensalbe (5 bis 10%/yig) nach entsprechenden Scheiden:
spülungen und konnte bereits nach wenigen Tagen in allen be:
handelten Fällen ein fast vollkommenes Verschwinden der lästigen
und unangenehmen Symptome konstatieren, zumal sich die Patienten
schnell an das eigentümliche Gefühl, welches eintrocknende Seife
hervorruft, gewöhnt hatten.
Anstatt auf sämtliche Krankengeschichten hier im einzelnen
näher einzugehen, möchte ich doch zwei Fälle genauer besprechen,
die den in der Regel beobachteten Heilungsverlauf zeigen.
Fell i. Frau P., 40 Jahre alt, schon früher wegen einer unbe-
deutenden Uterusaffektion in Behandlung, suchte mich unmittelbar nach
der Rückkehr von ihrer Reise wegen unerträglichen Juckens im Scheiden-
eingang auf, das sie nicht schlafen ließ. Die Affektion war ganz ot
aufgetreten und trotz diverser, ihr auf der Reise ärztlicherseits 218
ratener Umschläge, Salben und Spülungen nicht besser geworden. Patientin
machte einen recht nervösen und übernächtigen Eindruck, und ich kon-
statierte einen erheblichen Pruritus vulvae mit starker San: un
Schwellung der großen Labien, Kratzeffekten und Rhagaden sowie sson
in den größeren Hautfalten. Der Introitus vaginae war stark gerötkt.
Eine Aetiologie ließ sich in diesem Falle nicht eruieren, Vermes waren
‚nicht nachweisbar, Fluor war kaum vorhanden, Saccharum bestand nicht,
noch kamen sonstige Momente in Frage. So wurde denn allein geg%
den Juckreiz, sowie gegen die örtlichen Erscheinungen in der, oben näher
angegebenen Weise vorgegangen. Der Introitus wurde nach einer warn!)
Reinigungsspülung mit 10°/oiger Pittylenzinkpaste eingefetiet, Patientin
nahm allabendlich ihr Pittylenseifensitzbad, seifte mit 5°/ iger Pittylen-
mentholsalbe die Vulva nach und ließ den Schaum eintrocknen. Borei
in der ersten Nacht danach konnte Patientin wieder schlafen, da das er
bedeutend nachgelassen hatte. Am Morgen nach einem Reinigungebkl!
wurden vor allem die Hautfalten mit Pittylenzinkpuder eingepudert und =
tagsüber war der Juckreiz sehr gering. Bereits nach a Bohan:
lung hatte er vollkommen aufgehört. Die Schwellung der Labien s807
i I) Vgl. Haedicke, Die Therapie: und ihre Neugestaltung Kr
Einführung des Pittylens (D. med. Woch. 1909, Nr. 28), und Ganz»
die therapeutischen Erfolge des Pittylens (Derm. Zbl. 11. Jahrg., : i
2) Vgl. Joseph, Ueber Pitty] in neues Teorpräparat.
Zbl. 9. Jahrg, Nr. 3) Penn i
wenn
‚(siehe Abbildung). Der Fuß wird in der Weise auf
17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1871
die Rötung der Vulva war im Schwinden; die alten Kratzefiekte zeigten
schnelle Heilung. Nach einer Woche war der Pruritus vulvae mit all
seinen Erscheinungen restlos geschwunden und Patientin ist bisher, das
heißt ein Vierteljahr, rezidivfrei. l
Fall 2. Frau K., 42 Jahre alt, sehr korpulente Dame, klagte seit
einigen Tagen über heftigeren Ausfluß und unerträgliches Brennen im
Scheideneingange sowie starkes Brennen in den der Vulva benachbarten
Oberschenkelpartien, sodaß trotz Puder, Salbe und Kamillensitzbädern
Patientin nachts keine Minute Ruhe finden konnte.
Die Untersuchung ergab eine Descensus uteri et vaginae Endo-
metritis cervicalis mit starkem Fluor, Pruritus vulvae und intertriginöses
Ekzem an beiden ÖOberschenkeln. Letztere beiden Affektionen ‚führten
Patientin überhaupt erst zum Arzte, da sie sich bereits an den seit vielen
Jahren bestehenden und in seiner Intensität wechselnden Ausflu geo-
wöhnt und sonst keine Beschwerden hatte. In diesem Falle war der
Pruritus eine Folge von starkem Schwitzen in Verbindung mit dem Fluor,
welches gleichzeitig den Intertrigo bedingt hatte. Patientin wurde in
gleicher Weise wie in Fall 1 behandelt, nur wurde außerdem energisch
gegen die Endometritis cervicalis vorgegangen. Auch hier ließ das Jucken
bereits nach wenigen Tagen bedeutend nach und war nach etwa zehn Tagen
ebenso wie das Ekzem an den Oberschenkeln vollkommen verschwunden.
Auf Grund meiner Erfahrungen glaube ich also das Pittylen,
und zwar vor allem in der Form von Seifen, als ein schnell und
gut wirkendes Mittel bei der Behandlung des Pruritus vulvae und
des oft mit ihm vergesellschafteten intertriginösen Ekzems emp-
fehlen zu können.
Ueber Plattfußbehandlung
von
San.-Rat Dr. Stephan, Ilsenburg a. Harz.
Bei der Behandlung des Plattfußes spielt die sogenannte
Plattfußeinlage eine große Rolle. Es gibt eine ganze Anzahl von
Formen dieser Einlagen; die eine soll besser und anders sein als
die andere; im Grunde genommen und in ihrer Wirkung sind sie
kaum verschieden.
Die Einlagen wirken bei vielen, welche sie tragen, recht gut;
es gibt aber eine ganze Anzahl von Fällen, in welchen die Ein-
lage nicht genügt. In diesen Fällen hat sich mir ein altes Mittel
bewährt, nämlich der bereits bekannte schiefe Schuh- oder
Stiefelabsatz; nur genügt derselbe nicht allein, es gehören
noch weitere Veränderungen des Schuhes dazu, um eine gute
Wirkung zu entfalten. Diese bestehen darin, daß der
Absatz nicht nur auf der Innenseite erhöht ist, sondern
daß er auch nach innen gestellt ist, das heißt, daß der
Absatz nicht senkrecht steht, sondern schräg einwärts
verläuft, ferner, daß er auf der Innenseite noch verlängert ist.
Außer dem Absatze muß gleichfalls die Sohle auf der
Innenseite erhöht sein; ihre Form darf nicht gestreckt,
sondern muß vorn nach einwärts gebogen sein.
Ein derartiger Schuh bildet inwendig eine schiefe
Ebene, auf welcher der Fuß in der Weise ruht, daß die
Körperlast auf seinen lateralen Rand fällt; das Fußgewölbe
wird dadurch entlastet, und die gerade gestreckte Form
des Plattfußes nimmt mehr die gebogene Form des Klump-
fußes an.
Ich möchte ferner auf ein einfaches Hilfsmittel
hinweisen, wie man leicht die beim Plattfuße verschobenen
Fußwurzelknochen in ihre normale Lage zurückbringen
kann, das heißt vor allem die Hebung des Schiffbeins
bewirken kann. Dieses Mittel ist eine Stelze. Stelzen
sind wohl jedem von der Kinderzeit her bekannt, sie be-
stehen aus einem Schaft oder Handgriff und einem Fußbrett,
auf welchem der Fuß ruht. Zur Behandlung von Platt-
füßen gebraucht man nur eine Stelze, welche sich von
den gewöhnlichen Stelzen in folgender Weise unterscheidet:
Einmal ist das Fußbrett ganz unten am Schaft ange-
bracht, sodaß das Gehen keine Geschicklichkeit im Stelzen-
gehen erfordert, ferner ist die obere Kante des
Fußbretts, auf welcher der Fuß ruht, so geschnitten,
daß sie vom Schaft aus schräg nach oben verläuft
das Fußbrett gesetzt, daß seine Außenseite sich an
den Schaft anlegt, während seine Innenseite, also
das Schiffbein, auf der schräg erhöhten Kante des Fußbretts ruht.
Beim Gehen wird durch die Körperlast das Schiffbein nach oben
geschoben und das beim Plattfuß eingesunkene Fußgewölbe wieder-
hergestellt. Die Stelze ersetzt also den Arzt, der die verschobenen
Fußwurzelknochen wieder zurechtlegt oder einrenkt, während die
D.R.G.M.
Schuheinlage respektive der oben beschriebene Schuh die Schiene
für den eingerenkten Fußwurzelknochen bildet (siehe Abbildung).
Um diese Einrenkung herbeizuführen, genügt es, ein- oder
zweimal mit der Stelze durch das Zimmer zu gehen. Die Platt-
fußbeschwerden sind damit selbst nach starker Anstrengung eine
Zeitlang sofort verschwunden. Da das Fußgewölbe beim Gehen
sich immer wieder senkt, so ist es natürlich nötig, den Stelzen-
gang ein- oder zweimal am Tage im Zimmer zu wiederholen, bis
die Fußwurzelknochen in ihrer normalen Lage verharren.
Für Knaben, welche an Plattfüßen leiden, eignet sich das
Gehen auf derartigen Stelzen als Sport.
Derartige Stelzen sind zu beziehen zum Preise von M 1,50
pro Stück von Karl Stephan in Ilsenburg a. Harz. Auch ist der-
selbe bereit, die Herstellung der oben beschriebenen Schuhe zu
besorgen; es ist dazu nötig, ein Paar länger getragene Schuhe an
denselben einzusenden. Diese Schuhe werden zum Preise von
M 4 bis 5 in zweckentsprechender Weise umgeändert. |
Aus der Universitäts-Kinderpoliklinik in Halle.
(Dir.: Prof. Stoeltzner.)
Chineonal als Mittel gegen Keuchhusten
Dr. H. Fraenkel und K. Hauptmann.
H. Winternitz!) berichtet über seine Erfolge mit Chineonal
bei fieberhaften Infektionskrankheiten, als Antineuralgikum und
als allgemeines Sedativum und verspricht sich von dem Mittel
auch eine Wirkung bei Keuchhusten und bei der Seekrankheit.
Das Präparat wurde von ihm angegeben und von der chemischen
Fabrik E. Merck-Darmstadt hergestellt. Es ist eine Verbindung von
Chinin und Veronal im Verhältnis von ungefähr 2:1.
Wir haben die Wirkung des Mittels bei Keuchhusten ge-
prüft. Bei dem so ungleichmäßigen Verlauf dieser Krankheit ist
es ja nicht leicht, sich ein sicheres Urteil über den Einfluß eines’
Medikaments zu bilden, wir glauben aber doch sagen zu können,
daß es die daran geknüpften Erwartungen erfüllt hat.
Wir häben 30 Kinder damit behandelt. 26mal war das
Resultat positiv, 4mal negativ. Die Mütter der Kinder gaben
gewöhnlich an, daß die Hustenanfälle bald nach Anwendung des
Mittels seltener und milder geworden wären. Einige wpllten
„gleich in der ersten Nacht“ eine deutliche Wirkung beobachtet
haben. Andere wieder meinten, die Anfälle träten merklich seltener
auf, wären aber noch ebenso stark. In allen Fällen, wo Erbrechen
bestanden hatte, hörte dieses sehr bald auf. Regelmäßig besserte
sich auch der Appetit. Mehreren Kindern gaben wir zuerst Chinin.
tann., dann Chineonal, oder umgekehrt, wonach die Mütter be-
haupteten, das Chineonal hätte besser gewirkt und würde von den
Kindern auch besser genommen als Chinin. In einem Falle dauerte
das Erbrechen nach Chinin. tann. fort und blieb erst nach Chi-
neonal aus. Zwei zwölfjährige Kinder, die einen zuverlässigen
Eindruck machten, konnten uns selbst sagen, daß das Mittel ihnen
Erleichterung gebracht hatte.
Eine Heilung des Keuchhustens konnte allerdings durch das
Chineonal nicht erzielt werden. Das hatten wir auch nicht er-
wartet. Es wirkte nur symptomatisch so lange, als es gegeben
wurde. Sobald es weggelassen wurde, nahmen die Anfälle wieder
an Zahl und Stärke zu. Gerade hierin sahen wir aber einen
sicheren Beweis für die Wirkung des Mittels.
Den 26 positiven Fällen stehen vier Fälle gegenüber, bei
denen nach Angabe der Mütter gar keine Besserung eintrat. Zwei
davon waren besonders schwere Fälle, die mit häufigen Blutungen
aus Mund und Nase einhergingen. Bei einem Kinde hörte wenigstens
das Erbrechen auf. Alle vier befanden sich im Beginn des Stadium
convulsivum, zu welcher Zeit ja der Keuchhusten am schwersten
zu beeinflussen ist. Demgegenüber ist aber zu erwähnen, daß sich
auch unter den positiven Fällen einige im gleichen Stadium befanden.
Wir haben die dragierten Tabletten verwendet, und zwar
gaben wir Kindern im ersten Jahre dreimal täglich 0,1, Kindern
vom zweiten Jahre ab dreimal täglich 0,2,
Irgendwelche Nebenerscheinungen wurden bei dieser Dosie-
rung nicht beobachtet.
| Die vier negativen Fälle können unser Gesamturteil nicht
ändern. Wir haben bei der Prüfung der Wirkung des Präparats
den Eindruck gewonnen, daß wir das Chineonal mit gutem Ge-
wissen als Keuchhustenmittel empfehlen können.
1) Nr, 15 des laufenden Jahrgangs dieser Wochenschrift,
—
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1872
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
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Die Pulverbehandlung beim Ausfluß aus der
Scheide |
von
Dr. Max Nassauer, Frauenarzt, München.
Die Pulverbehandiung des Fluor, die ich als erster vor etwa
vier Jahren in der Münchener Gynäkologischen Gesellschaft (1) zur
Nachprüfung empfohlen und immer weiter ausgebaut habe (2), ist
Allgemeingut der Gynäkologie geworden. Die Verdrängung des
Irrigators und der „desinfizierenden* Spülungen durch die aus-
trocknende Pulvermedikation macht weitere Fortschritte.
Wille!) hat seine günstigen Erfolge mit meiner Methode
mitgeteilt.
Wille bringt der hastenden Zeit seinen Tribut, indem er
dem von mir erprobten Instrumente, das eine rationelle Pulver-
behandlung gestattet (dem von mir angegebenen Siccator), etwas
Neues entgegenstellt.
Was muß ein vaginaler Pulverbläser leisten? Vor allem
darf er keinerlei Schaden anzurichten imstande sein. 2. Muß er
die Scheide vollkommen ausdehnen, die Scheidenwände zum völligen
Verstreichen bringen. 3. Muß er zu gleicher Zeit das aus-
trocknende, adsorbierende respektive zu resorbierende Pulver
in alle Buchten und Winkel der verstrichenen Scheidenwände
stäuben. Zu diesem Zwecke muß er 4. den Scheideneingang voll-
kommen abdichten.
All diesen Zwecken dient der Siccator, dessen jetzt so einfache
Form sich allmählich aus komplizierteren Mustern herausgeschält hat.
Die nebenstehende Abbildung macht das ohne weiteres klar. Die gläserne
| Birne ist kurz und an der Spitze stumpf. Sie kann
keine Verletzungen machen. Sie verjüngt sich in der
Weise, daß sie für jede Scheide passend, je nach der
Tiefe und Weite der Scheide eingeführt werden kann.
(Für Kinder ist ein kleineres Modell konstruiert und über-
all (3) zu haben.) Die birnenförmige Anschwellung ge-
stattet eine vollständige Abdichtung der Scheide nach
außen, sodaß sie dieselbe anfs äußerste auszudehnen
imstande ist.
Dieser Siccator kann nach Unterweisung durch
den Arzt von jeder Patientin selbst leicht angewendet
werden; die ängstlichsten Mütter können ihre Kinder
damit behandeln, wobei jede Verletzung ausgeschlossen
ist, wie insbesondere Klotz (4) aus der Universitäts-Kinder-
fahrungen nunmehr an Kindern beweisen,
die mir jetzt durch Zuweisung der Kinder-
. ärzte. zahlreich zugehen, nachdem diese
bis dato der Vulvovaginitis infantium
machtlos gegenübergestauden sind (5).
An Stelle dieses Siecators
nun gibt Wille ein neues Instrument
an, das er im Anklang an meinen
$ Siccator „Siecotubus“ nennt. Dieser
<7 Siccotubus besteht aus einer langen
dünnen Glasröhre, die mir bei der
ersten Anwendung in der Scheide abbrach., Das mag ein
zufälliges Mißgeschick gewesen sein. Weitere Versuche aber
bestätigten meine theoretischen Bedenken. Die Länge der
Röhre ist 15 em! Mit dieser Glasröhre soll man nun zuerst
in eine hohe, das einzuführende Pulver enthaltende Schachtel
hineinstoßen, um die Pulvermenge aufzuholen. Es muß zu diesem
Zwecke natürlich die Schachtel immer eine hohe Pulversäule ent-
halten. Dann wird ein Glasstab in das obere Ende dieser dünnen
Glasröhre eingeführt, die gefüllte Röhre in die Scheide eingeführt
und mit dem inneren Glasstabe wird die Pulversäule von 1 cm
Dicke in die Scheide vorgeschoben. Selbstredend ist nunmehr die
Glasröhre von außen mit all dem gefährlichen Scheidensekret ver-
schmiert und bedarf sofortiger strengster Sterilisierung, nicht etwa
nur, weil sie von neuem in die Scheide eingeführt werden muß,
sondern vor allem, weil sie ja wieder in die Pulverschachtel
zum neuerlichen Gebrauch eingestoßen werden muß. Für
starken Fluor ist die mit dem Röhrchen zu applizierende Pulver-
menge zu klein. Da genügen nicht 3 g, wie Wille für seinen
Siccotubus möglich hält; das Fünf- bis Zehnfache kann für eine
einmalige Anwendung notwendig sein. Der Siccator wird zu
diesem Zwecke mit einem Löffelchen gefüllt, kann nach Anwendung
sofort wieder gefüllt werden, falls das große Reservoir einmal nicht
ausreichen sollte; die Pulverkammer des Siccators kommt mit der
1) Diese Z-itschrift 1912, Nr. 5.
klinik in Straßburg hervorhebt und meine eignen Er-.
Scheide überhaupt nicht in Berührung, sondern nur die äußerste,
gerade in die Scheide ragende Spitze des Instruments, während
natürlich die Glasröhre Willes so weit in die Scheide eingeführt
werden muß, bis sie die Portio erreicht; denn gerade eine De-
ponierung des Pulvers direkt auf die Portierosionen ist von
äußerster Wichtigkeit. Um dies mit Willes Glasröhre zu er-
reichen, muß sie je nach der Tiefe der Scheide eingeführt werden;
Verletzungen aller Art ist der weiteste Spielraum gegeben. Ferner
ist nach dieser Anwendung gerade eine dünne Säule von Pulver
in der Scheide, und zwar in der zusammengefalteten Scheide,
Die Wirkung der Pulverbehandlung besteht aber darin, daß das Pulver .
in die sonst meist zusammengelegten und dadurch verschlossenen
Buchten mit all ihrer Sekretverhaltung gerade durch den auf-
blasenden Siccator hineingelangt. Der Luftstrom, den der Siecator
erzeugt, spürt den verborgensten Kokken nach, während schon
Scheidenspülungen selbst unter starkem Druck, wie Lauterbach (6)
mit Eosinlösungen nachgewiesen hat, nur die Kämme der gefalteten
Schleimhaut berühren und die tieferen Schichten ungefärbt lassen!
Auf diesen Umstand ist auch die Wertlosigkeit der Pulverbehand-
lung zurückzuführen, wie sie sicherlich jeder Gynäkologe von
alters her schon bisweilen durch Einlegen von Puiversäckchen mit
Jodoform usw. oder Einstäubung im Spekulum ausgeübt hat. Hat
doch auch schon vor über 400 Jahren Ortloff von Bayerland (7)
Pulversäckchen gegen die „Sucht der Gebärmutter“ empfohlen,
das die Frau in „ir heymliche statt“ tue! Das ändert aber nichts
daran, daß ich methodisch die Pulverbehandlung eingeführt habe,
und zwar mit der Hauptforderung der völligen Aufblähung der
Scheide. In diesem Punkte versagt das Willesche Glasröhrchen.
Nun gibt Wille an, daß eine einzige Einführung seines Stäbchens
für mehr als einen Tag ausreiche. Dagegen lasse ich bei akuten
Erkrankungen mit starkem Fiuor dreimal an einem Tag ein-
pudern! Zudem, wie ich schon oft erwähnt habe, bei Beginn der
Behandlung die absorbierende und drainierende Wirkung des Pulvers
den Ausfluß direkt vermehrt, was übrigens eine günstige Er-
scheinung ist.
Direkt gefährlich aber wird Willes Instrument, wenn er
1: für Kinder empfiehlt, und zwar in einem noch kleineren
odell!
Neuerdings glaubt Henngge durch Anbringung einer offenen
Kanüle an meinem Siccator, nach welcher Veränderung er den
ganzen Apparat „Antileukon“ nennen zu müssen glaubt, eine Ver-
besserung zu erzielen. Henngge akzeptiert vollkommen meine
Anschauungen, auch meine Gebrauchsanwendung des Siecators.
Er meint, daß die überschüssige Luft, die eingeblasen wird, einen
Abzug haben könne. Er vergißt dabei vollkommen das Haupt-
prinzip, das eben darin besteht, daß die Scheide luftdicht ab-
geschlossen wird. Nur so kann die Scheide in toto aufgeblasen
werden. Die von ihm angebrachte Oeffnung aber mindert den
Luftdruck in einer Weise, daß eine Aufblasung nicht mehr mög-
lich ist. Des ferneren aber nimmt der aus der Oeffnung strömende
Luftzyg selbstredend auch einen Teil des feinen verstäubten
Pulvers mit heraus, zum Teil auch mit Sekret beladenes Pulver,
verstopft die kleine, schwer zu reinigende Röhre und infiziert
dieselbe. Wenn bei Anwendung meines Siccators die in der
Scheide angesammelte Luft bisweilen nach Abnahme des Iu-
struments mit etwas hörbarem Geräusch aus der Scheide ent-
weicht, so ist dies, wie ich schon angeführt habe, leicht zu ver-
meiden: Man lockere die Birne nach etwa zwei- bis dreimaligem
Druck auf den Gummiballon etwas, sodaß die Luft neben dem In-
strument entweichen kann. Die nun von allen Seiten mit der
Luft herauskommende mäßige Pulvermenge bestäubt nun noch die
äußeren Genitalien, insbesondere die Krypten um die Harnröhre
herum, und kommt auch hier zur Wirkung. ee
Die Trennung von Birne und Pulverreservoir, wie slo
Henngge angibt, war bei meinem Siccator schon lange an einem
alten Modell durchgeführt, hat sich als unpraktisch erwiesen un
wird auch bei dem Hennggeschen teuren und komplizierten -
Apparat keine Auferstehung feiern.
Noch mag mir zur Beantwortung vieler an mich gelangender
Fragen von seiten der Kollegen einiges zur Anwendungsweis®
des Siecators und der Pulverbehandlung zu sagen gestattet Sein:
Ich habe den Ausfluß der Frau mit dem Kopfweh der innerlich
Erkrankten in Analogie gestellt. Für den Internisten gilt es, den
tausendfach möglichen Quellen des Kopfschmerzes nachzugehen
und die Grundursache zu beseitigen. Den Kopfschmerz wird ef
nebenbei immer symptomatisch zu behandeln haben, wenn er me
als Grundursache an sich anzugeben ist. So ist es mit dem Fluor
vaginalis. Er kann ebenso das Symptom einer Obstipation,
17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
1873
einer Tuberkulose, einer Chlorose, eines Diabetes, eines
Vitium cordis sein wie eine Folge eines Myoms, Carcinoms,
einer Entzündung im Becken usw. Er kann aber auch — und
das in der Mehrzahl der Fälle — durch lokale Affektionen bedingt
sein: Gonorrhöe, Tuberkulose, Vaginitis durch Masturba-
tion, Pessare usw, Es ist selbstredend, daß man vor allem der
Grundursache nachgeht und sie zu beseitigen sucht. Aber es ist
ebenso selbstverständlich, daß man den Ausfluß selbst in jedem
Falle bekämpft.
Diese Ausflußbekämpfung geschehe in allen Fällen durch
Pulver. Weg mit den ätzenden, das Epithel schädigenden
Spülungen und den das Epithel aufquellenden flüssigen Lösungen!
Vor allem sei die von mir zuerst angewendete Bolus alba immer
im Auge behalten! Sie kann in unbegrenzten Mengen eingeblasen
werden. Die feinere Differenzierung der Bolusmischungen ist der
feineren Differenzierungskunst der Aerzte überlassen. 20°/oiger
Lenicetbolus (adstringierend und gut desodorierend), Vasenolbolus
(mild und desodorierend, ja ein bischen parfümierend), Pergenol-
bolus (für die Anhänger des Wasserstoffsuperoxyds), 10%/,iger
Jodbolus in Form von Novojodinmischung dort, wo eine Jod-
wirkung erwünscht wird, insbesondere bei entzündlichen Affek-
tionen, die mit Fluor vergesellschaftet sind, zum Ersatze der über-
schätzten Tamponbehandlung, sind von mir verschiedentlich an-
gewendet und beschrieben worden. Jeder Apotheker stellt diese
Mischungen her.
Man lasse je nach der Stärke des Ausflusses anfangs drei-
mal täglich pudern, vermindere dann die Anzahl der Einstäubungen,
lasse nur nach Bedarf die angesammelten Pulvermengen samt
Sekret herausspülen (möglichst selten, höchstens zwei- bis dreimal
in der Woche) und verordne hierzu nur Kamillentee oder Soda-
lösungen. Man kontrolliere ein- bis zweimal wöchentlich im
Spekulum die Fortschritte in der Behandlung; denn selbstredend
ist mit dem meist sofort erfolgenden Aufhören der Ausfluß-
erscheinung der Fluor selbst nicht sofort beseitigt. Erosionen
sieht man verblüffend rasch verschwinden; subjektiv hört der Aus-
fluß sofort auf, abgesehen von der schon erwähnten anfänglichen
Vermehrung des Flusses, die zu begrüßen ist. Nach der Kontrolle
lege man sofort in die nun einmal sichtbar gemachte Scheide
große Mengen von Pulver, insbesondere vor die Cervix, und lasse
noch an demselben Tage mit dem Pudern wieder beginnen.
Bei carcinomatösen Geschwüren und Geschwäülsten, die nicht
mehr operierbar sind, oder bei Rezidiven versuche man, das von
Zeller (8) vor kurzem angegebene Pulver mittels des Siccators
einzustäuben, analog dem Vorgehen Prof. Gellhorns (9) in
St. Louis, der dies mit Erfolg mit dem Siccator und einem Salze
des Acetons getan und beschrieben hat.
Literatur: 1. Münch. Gyn. Gesellschaft, Januar 1909. — 2. M. med.
Woch. 1909, Nr. 15; Mon. f. phys.-diät. Heilmethoden 1909, Nr. 6; Pest. med.
Pr. 1909, Nr. 28; Th. Mon. Juni 1910; M. med. Woch. 1910, Nr. 2; Zt. f. Fortb.
1912. Nr. 18; M. med. Woch, 1912, Nr. 10 u. 11. — 3. Hermann Katsch, Hofinstr.-
Fabrik, München, Hauptvertrieb. — 4. Berl. kl. Woch. 1910, Nr. 48. — 5. Münch.
Gesellschaft für Kinderheilkunde, Juli 1912, — 6. Mon. f. Tierheilkunde 1910,
Bd. 21. — 7. Alte Meister der Medizin von G. Klein. — 8. M. med. Woch.
1912, Nr. 85. — 9. Zbl. f. Gyn. 1911, Nr. 35.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
ga
Die neueren Forschungen auf dem Gebiete der
Descendenztheorie
von
Dr. A. Jacobsohn, Berlin.
Reichlich 50 Jahre sind bereits vergangen, seitdem Darwin
mit seinen großen Theorien hervorgetreten ist, die nicht nur auf
die gesamte Naturwissenschaft, sondern auch auf andere Wissen-
schaften befruchtend gewirkt und einer großen Anzahl neuer Ge-
danken den Weg geebnet haben. In diesem halben Jahrhundert
hat der Darwinismus manche Wandlungen erfahren; es ist für und
wider ihn gestritten worden, neue Theorien sind auf seinem Boden
gewachsen und obwohl heute niemand mehr der Descendenztheorie,
die die eigentliche Frucht des Darwinismus bildet, seine Aner-
kennung versagen wird, herrschen doch bezüglich des Darwinismus
im weiteren Sinne die verschiedensten Ansichten. Einerseits haben
die Darlegungen Darwins eine weitere Ausbildung erfahren; von
anderer Seite hingegen sind ihnen vollkommen neue Theorien ent-
gegengestellt worden.
Der Darwinismus ist aus dem Kampf über die Konstanz
oder die Veränderlichkeit der Arten hervorgegangen. Linné, der
Begründer der systematischen Zoologie, hatte ja die Konstanz der
Arten noch als selbstverständlich angenommen. Nach seiner
Meinung sind in der Natur soviel Tierarten vorhanden, wie zu An-
fang geschaffen wurden, und diese Tierarten erzeugen nur neue
derselben Art. Diese Annahme war aber nicht mehr haltbar, als
infolge der großen Fortschritte der Geologie am Ende des 18. Jahr-
hunderts festgestellt worden war, daß in früheren Erdperioden
ganz andere Wesen als in der Gegenwart gelebt hatten. Der
große französische Naturforscher Cuvier suchte die Tatsache, daß
vor der unsrigen eine ganz andere Tier- und Pflanzenwelt be-
standen hatte, mit dem Dogma von der Unveränderlichkeit der
Arten dadurch in Uebereinstimmüng zu bringen, daß er mehrere
Schöpfungen annahm. Jede Schöpfungsperiode sollte ihre be-
stimmten Tier- und Pflanzenarten besitzen, die nach gewissen Pe-
. rioden der Vernichtung anheimfallen sollten. Durch derartige
künstlerische Erklärungsversuche, wie diese sogenannte Kata-
strophentheorie, ließ sich aber der Widerspruch zwischen Tatsache
und Theorie nicht beseitigen, zumal, da einerseits die Unmöglich-
keit einer festen Definierung des Artbegrifis, anderseits die Re-
sultate von Züchtungsversuchen auf den Gedanken der Veränder-
lichkeit der Art hinwiesen. So trat denn im Jahre 1802 Lamarck
zuerst mit dem Gedanken hervor, daß die Art veränderlich sei
und daß aus einer Art durch Variationen andere Arten entstehen
können, und wurde so zum Begründer der Descendenztheorie, die
ihre Herrschaft bis auf den heutigen Tag behauptet hat. Nach
Lamarck sind alle jetzt lebenden Wesen aus den einfachsten Or-
ganismen, die durch Urzeugung entstanden sind, hervorgegangen.
Die Ursache der Veränderung sah Lamarck in äußeren Um-
ständen gegeben, die bei den Organismen neue Bedürfnisse und
Gewohnheiten und infolge vorzugsweisen Gebrauchs eines Organs
eine Veränderung im Bau derselben bewirken sollten. So sollten
z. B. die Schwimmhäute der Wasservögel und -frösche infolge des
immer wiederholten Versuchs der Tiere, sich an der Wasserober-
fläche zu halten, entstanden sein. Außerdem nahm aber Lamarck
noch eine besondere Ursache an, die auf die von dem erhabenen
Urheber aller Dinge eingesetzte Ordnung zurückzuführen sei und
der zufolge die Organismen einer wachsenden Vervollkommnung
entgegengehen sollten. Merkwürdigerweise aber trugen die An-
schauungen Lamarcks zunächst in wissenschaftlichen Kreisen
nicht den Sieg davon und gerieten bald wieder in Vergessenheit,
bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Descendenztheorie ihre
Auferstehung in der Darwinschen Selektionstheorie feierte.
Die Darwinsche Theorie basiert auf dem Priuzip der Ver-
erbung. Durch Vererbung werden die Eigenschaften der Eltern
auf die Kinder übertragen, ja, die elterlichen Eigenschaften treten
bei den Kindern im verstärkten Maße auf. Nun kommen aber
unter den Organismen derselben Art oft Abweichungen vor, und
in diesen zunächst rein zufälligen Variationen liegt der Keim zur
Entstehung neuer Arten. Ein Taubenzüchter kann dadurch, daß
er immer wieder Tauben mit möglichst vielen weißen Flecken zur
Kreuzung bringt, schließlich rein weiße Tauben züchten. In der
Natur ist nun an die Stelle des Taubenzüchters die „natürliche
Zuchtwahl“ getreten, welche durch den „Kampf“ der Organismen
„ums Dasein“ hervorgerufen wird und eine Auslese derart ver-
anlaßt, daß immer die passendsten Individuen die Ueberlebenden
bleiben. Jeder Organismus erzeugt weit mehr Abkömmlinge als
überhaupt bestehen können. So würden von einem Elefantenpaare
nach einer Berechnung Darwins nach 740 bis 750 Jahren nahezu
19 Millionen Nachkommen am Leben sein, bei der Annahme, daß
während der Zeit einer 60 jährigen Fortpflanzungsfähigkeit nur
sechs Junge von einem Paar erzeugt würden und ein Alter von
100 Jahren erreicht würde. Unter den Abkönmlingen würden die
mannigfachsten Variationen bestehen. Die mit den zweckmäßigsten
Abänderungen würden naturgemäß beim Kampf ums Dasein am
Leben bleiben; sie würden sich vermehren und wiederum viele
Nachkommen erzeugen, von denen sich nur die am besten Ange-
paßten fortpflanzen würden. So wird infolge der natürlichen Zucht-
wabl durch wiederholte Vererbung eine zweckmäßige Variation zu
einer konstanten Erscheinung, und damit wird die Entstehung
neuer Arten angebahnt. Da der Kampf ums Dasein am schroffsten
zwischen den Individuen auftritt, die unter denselben Bedingungen
leben, wird die natürliche Zuchtwahl auch eine gewisse Divergenz
der Varietäten begünstigen. Es werden also als Endergebnis
differierende, festbegrenzte, angepaßte Arten entstehen.
nn... gen EEE TTNE -ng
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"hängt von den äußeren Umständen ab. Besonders aber kommt
‘ander verschmelzen. Es entsteht somit auch eine Vermischung
1874 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 17. November.
Die Darwinsche Theorie hat in neuerer Zeit häufig An-
griffe erfahren, und die Frage, wieweit dieselbe ihre alte Be-
deutung behaupten wird, ist heute noch nicht völlig entschieden.
Die größte Schwierigkeit bei der Beurteilung aller dieser Fragen
bietet die Tatsache, daß man über die Vererbung selbst in vielen -
Punkten noch im Unklaren schwebt. Die Tatsache der Vererbung
ist unbestreitbar; wir können sie jeden Tag beobachten. Ander-
seits aber wissen wir, daß nicht alle erworbenen Eigenschaften
vererbt werden, denn ein Krüppel kann einen vollkommen ge-
sunden Menschen erzeugen. Dieser Gedankengang hat den
Zoologen August Weismann zu der Aufstellung des Satzes ge-
führt, daß jede Veränderung, die vererbbar sein soll, die Keim-
zellen betreffen müsse.
Die Fortpflanzungszellen stehen allerdings mit der Außenwelt
kaum in Berührung und können daher auch keine Einwirkung
durch sie erfahren. Nach Weismann kommen nun bei der Ver-
erbung besonders zwei Umstände in Betracht, die geeignet sind,
die Entstehung von Variationen zu erklären. Zunächst liegt in
den Keimzellen die Fähigkeit, sich nach verschiedenen Richtungen
zu entwickeln; die Variationsfähigkeit liegt also in den Keimzellen
selbst. Nach weicher Richtung sie zur Entwicklung kommt,
seltener auftreten, je mehr sie sich vom Mittelwert entfernen,
Aehnliche Regelmäßigkeiten hat man bei der Zusammenstellung
der Nachkommenschaft bestimmter Tiere und Pflanzen gefunden
und daraus mit Recht geschlossen, daß dieses gesetzmäßige Auf-
treten der Variationen in der ganzen Natur herrscht. Um diese
Gesetzmäßigkeit zu erklären, hat Galton ein sehr anschauliches
Bild benutzt. Er hat ein Tivoli konstruiert, also ein schräg ge-
stelltes Brett, das in einer mittleren Zone mit regelmäßigen Reihen
von Nägeln versehen war, durch welehe die Kugeln, die alle aus
einer gemeinsamen oberen, mittleren Oeffnung entsandt wurden,
hindurchliefen. Unten war dann das Brett durch Längswände in
verschiedene Fächer eingeteilt, die die verschiedenen Kugeln aul-
nahmen. Dabei zeigte sich nach Beendigung des Versuchs, der
mit einer größeren Anzahl von Kugeln angestellt worden war, dab
das mittlere Fach die meisten Kugeln enthielt, während die Av-
zahl der Kugeln sich verminderte, je weiter die Fächer von dem
mittleren Fach entfernt lagen. Man kann sich nun die Ent-
stehung von Variationen gemäß dieses Bildes so vorstellen: Alle
Glieder einer Generation haben von vornherein die gleiche Ent-
wiceklungsfähigkeit, wie in unserm Bilde alle Kugeln denselben
Anfangspunkt ihrer Bewegung hatten. Im Lauf ihrer Entwick-
lung stoßen aber die einzelnen Individuen vielfach an die „Nägel“
der Natur und werden so in bezug auf irgendeine Eigenschaft,
teils nach einer bestimmten Richtung, teils nach der entgegen-
gesetzten, beeinflußt. In den meisten Fällen werden die vielfachen
Anstöße im entgegengesetzten Sinne sich aufheben. In selteneren
Fällen werden aber auch Abweichungen von dem mittleren Typus
(Variationen) entstehen. Daraus ergibt sich, daß sich die
nr wahrscheinlich unter dem Einfluß äußerer Faktoren
en.
Es entsteht nun die Frage, ob derartige Variationen erblich
sind. Versuche nach dieser Richtung haben ergeben, daß diese
Abänderungen tatsächlich in vielen Fällen nicht erblich sind.
Durch mühevolle Versuche hat man nämlich erkannt, daß jede
Variation einer bestimmten Variationsreihe angehört, die man
sich zahlenmäßig folgendermaßen vorstellen kann:
dann noch in Betracht, daß vor der Entstehung eines neuen Indivi-
duums zwei Keimzellen, die männliche und die weibliche, mitein-
verschiedener Variationstendenzen. Da diese Vermischung eine
Fülle von Kombinationen zuläßt, so können auch infolge dieses Prin-
zips viele verschiedene Individuen entstehen, unter denen durch
den Kampf ums Dasein eine Auslese stattfindet.
Weismann hatte also die erworbenen Eigenschaften für
die Vererbung und damit für die Selektionstheorie vollständig aus-
geschaltet und damit der Theorie Lamarcks von der aktiven
Anpassung den Boden entzogen. Ebenso hatte er dadurch, ob-
wohl er die umfassende Wirkung der Zuchtwahl ungeschmälert
anfrechterhielt, dem Darwinismus vieles von seiner bestechenden
Klarheit genommen, da ja auch Darwin die Vererbbarkeit er-
worbener Eigenschaften angenommen hatte. Man hat daher in den
letzten Jahren vielfach experimentell zu erforschen versucht, in-
wieweit die Anschauung Weismanns Berechtigung besitzt. Da- II are A G G T B8 E
bei hat man nun in vielen Fällen feststellen können, daß auch er- III Tan
worbene Eigenschaften vererbbar sind. So wurde von Schröder iy ne a aa ea a ee
ein Versuch an gewissen Raupen gemacht, die die Eigentümlich- _ 2 Eu 7 8 9 0 i1 £
keit besitzen, die Spitze der ihnen zur Nahrung und Wohnung
dienenden Weidenblätter einzurollen. Die Tiere wurden durch Ab-
schneiden der Spitze des betreffenden Blattes dazu gebracht, ein
oder beide Blattränder umzuwickeln; die Nachkommen dritter
Generation taten dies zum Teil freiwillig mit nicht verstümmelten
Blättern. Ebenso vermochte der erwähnte Forscher die Fort-
pflanzung eines Weidenblattkäfers insofern erblich abzuändern, als
die Nachkommen eine fremde Weidenart mit filzigen Blättern zur
Eiablage bevorzugten, nachdem er mehrere Generationen ihrer Vor-
fahren gezwungen hatte, die Eier an dieser, statt an den glatt-
blättrigen Weiden abzulegen. Aehnliche Versuche wurden von
andern Forschern angestellt. Durch alle diese Versuche ist ge-
zeigt worden, daß erworbene Eigenschaften tatsächlich vererbbar
“sein können. Unter welchen Bedingungen diese Vererbung vor
sich geht und wann sie zustande kommt, das siud allerdings
Fragen, die noch ihrer Lösung harren.
Die zweite fundamentale Frage der Abstammungslehre, der
man in den letzten Jahren vielfach seine Aufmerksamkeit ge-
widmet hat, ist die, unter welchen Umständen eine Variation zu-
stande kommt. Man hat auch in bezug auf diese Frage den Weg
des Experiments beschritten und ist dabei zu der Erkenntnis einer
merkwürdigen Gesetzmäßigkeit gelangt. Zur näheren Darstellung
dieser Gesetzmäßigkeit will ich von einem Versuch ausgehen, der
von dem amerikanischen Forscher Quetelet angestellt wurde. Es
wurden die Körpergrößen von einer großen Anzahl amerikanischer
Soldaten gemessen und dann alle Soldaten derselben Größe zu
einer Klasse vereinigt. Dabei ergab sich folgende Tabelle, in der
die obere Reihe die Größenklasse, die untere Reihe die zugehörigen
Individuen bezeichnet:
Größe 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
60 61 04 03 DE DO or an RT OR IE 5 3
Anzahl 2 2 20 48 75 117 134 157 140 121 80 57 26 13 5 3.
Bei Betrachtung dieser Doppelreibe fällt sofort ihre bemerkens-
werte Symmetrie auf. Die mittlere Größe ist am häufigsten ver-
treten, während sowohl die größeren als auch die kleineren desto
Ein Individuum aus jeder Reihe ist nur einer Variation innerhalb
dieser Reihe fähig. Wenn man also aus Reihe I zwei beliebige
Individuen, etwa 5 und 6, zur Fortpflanzung bringen würde, 50
würden ihre Nachkommen stets nur Variationen zwischen 1 un
zeigen. Ebenso würden Nachkommen von Individuen der Reihe IV
nur Variationen zwischen 7 und 12 aufweisen können. Man hat
diese Variabilität innerhalb einer Reihe oder einer „reinen Linie‘,
wie man eine derartige Reihe nennt, als Auktuierende Variabilität
bezeichnet. Nun hat man es aber bei Züchtungsversuchen meistens
nicht mit einer reinen Linie, sondern mit einem Gemenge reiner
Linien, einer sogenannten Population, zu tun. Wenn nun bel
einem Züchtungsversuche, bei dem die Linien 1, IL, II, IV ver
mischt vorhanden sind, die beiden größten Individuen, also 11
und 12, gepaart würden, so würden nur noch verhältnismäßig
große Individuen als Nachkommen entstehen, deren Größe zwischen
7 und 12 schwanken würde. Man hätte aber damit nichts Neuss
geschaffen, sondern nur eine reine Linie isoliert. Es ist also die
Entstehung einer neuen Art durch derartige Variationen nicht ZU
erklären.
Damit wäre dem Darwinismus das Todesurteil gesprochen
wenn nicht außer der fluktuierenden Variabilität eine Variabilität
anderer Art vorbanden wäre, die man ebenfalls experimentel fest-
gestellt hat. Diese Variabilität, die zuerst von de Vries beoh-
achtet wurde, unterscheidet sich von der fluktuierenden Variabili-
tät, dadurch, daß sie sprungweise auftritt, das heißt, daß os sici
hier meistens um größere Abänderungen handelt, die nieht inner
halb der Variationsreihe liegen. Man hat sie daher mit einen
besonderen Namen als Mutationen bezeichnet. Besonders. aber
zeichnen sich diese Mutationen im Gegensatz zu der Auktulsn.
den Variabilität dadurch aus, daß sie eine konstante Vorerbbarkelt
zeigen. Mit Hilfe dieser Mutationen unter Mitwirkung der Nee”
tion ließe sich also die Entstehung neuer Arten erklären. AU
experimentellem Wege hat man nun zeigen können, dab auch Cr
Mutationen auf äußere Einwirkungen zurückzuführen sind, Ebens?
17. Novömber.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1875
hat man festgestellt, daß auch eine Variation innerhalb der Unter welchen Umständen wird eine Eigenschaft, die durch
Variationsreihe zu einer Mutation, also erblich werden kann. äußere Einwirkung hervorgerufen wurde, erblich?
Die Untersuchungen über die Variationsfähigkeit haben also Von der Lösung dieser Frage, die gegenwärtig die Forscher
ebenfalls zu dem gegenwärtigen Hauptproblem der Abstammungs- | im besonderen Maße beschäftigt, werden die weiteren Fortschritte
lehre geführt: auf dem Gebiete der Abstammungslehre abhängen.
Aus der Praxis für die Praxis.
Praktische Winke! tiker für die Praxis selbst. Wie passe ich mich am besten den
Von Wohnverhältnissen, den pekuniären Mitteln meiner
Dr. Niewerth, Teterow Patienten an? Wie kämpfe ich mit Erfolg gegen Schmutz und
; ;
Aberglauben? Wie sorge ich für Körperpflege, Licht, Luft? In
Wer Assistent in Kliniken war und dann als ärztlicher Ver- | folgendem will ich einige Einrichtungen beschreiben, die mir sehr
treter oder selbständiger „praktischer“ Arzt auf dem Lande, in | einfach und nützlich erscheinen und die ich ‚anderswo noch
kleinen Städten oder in der großstädtischen „kleinen“ Praxis zu | nicht sah. |
arbeiten bat, der wird anfangs den klinischen Komfort entbehren. 1. Armhochlagerungsschiene für bettlägerige Pana-
Das Publikum, mit dem er zu tun hat, wohnt in engen licht- und | ritien und Armphlegmonen. Ein Brett, 20 cm breit, etwas
luftarmen Räumen. Von den Leibern seiner Patienten starrt ihm | länger als der Arm. Das eine Ende wird unter der Achsel auf
meistens ein Schmutz entgegen, der die Hoffnung auf Asepsis oder | das Bett gestützt, um das andere wird eine Bindfadenschlinge ge-
Hautpflege von vornherein im Keime erstickt. führt, die an einem Wand- oder Deckennagel befestigt wird, sodaß
Ueber defekter Emailleschale mit Lysoformlösung wäscht sich | das Brett 450 gegen die Horizontale geneigt ist. Das Brett kann
der Jünger Aeskulaps die klinisch vorgeschriebene Zeit mit dem | mit einem schnell genähten Häckselkissen oder dergleichen ge-
Gefühl, daß er bereits vom Scheideneingange der Gebärenden Milli- | polstert werden.
arden infektiöser Keime ins Innere mitnimmt. Statt des Ope- 2. Improvisierter Inhalationsapparat. In eine Kaffee-
rationstisches dient das allerdings auch vorgewärmte strohgefüllte | kanne wird eine Tasse kochend heißen Kochsalzwassers gefüllt.
Querbett, unter dem Gesäß durch ein mit Säcken gepolstertes | Der Patient atmet durch die Tülle aus und ein, die er mit dem
'Fischbrett verstärkt. Der Narkosenassistent ist die Hsbamme, die | Mund umschließt. Für Terpentindampfinhalation werden auf das
auf dem Bette neben der Gebärenden hockt. Die Beine werden | heiße Wasser im Grunde der Kaffeekanne 20 bis 30 Tropfen altes
gehalten durch zwei handfeste Frauen, die auf der vorderen Bett- | Terpentinöl getropft. Nicht die Kanne kippen!
kante sitzen und abwechselnd weinen, stöhnen und Kranken- 3. Thermophor für die Praxis parva. Zwei Pfund Hafer
geschichten aus dem reichen Schatz ihrer Erfahrungen zum besten | oder Kleie (Kirschkerne) in einen derben leinenen Beutel. Dieser
geben. Die Operation geht gut. Aber „das dicke Ende kommt | im Ofenrohr oder Bratofen angewärmt. Leicht, anschmiegend,
nach“, denkt der junge Praktiker auf der Heimfahrt. Doch nichts | wärmehaltend, billig. |
davon: drei Tage später sitzt die Wöchnerin glückselig, dankbar 4. Dammnaht.. Sehr mühsam: ist es, unter mangelnder
am Ofen, das Kleine im Arm; acht Tage später sieht er sie am | Assistenz, die meistens durch Lochienfluß verdeckten Damm-
Wege Kartoffel hacken. Ein Jahr später wiederholt sich alles in | und Scheidennähte zu entfernen. Besonders, wenn in der Hitze
derselben Weise. des Gefechts die äußeren Nähte nicht gezählt wurden, vergißt man
Das ist ja nichts Neues, wenigstens nicht für die Leser | beim Herausnehmen eine oder die andere Naht. Da habe ich es
aus kleinen Städten und vom Lande; aber es sagt, daß wir Prak- | praktisch gefunden, mit langen, dicken, seidenen Fäden zu nähen.
tiker erst nach der Universität und den Praktikanten- und Assi- | Die Fäden werden dann nach dem Knoten nicht abgeschnitten,
stentenjahren noch manches lernen müssen, nämlich die Anpassung | sondern am Schluß der Naht zirka 5 cm entfernt vom Damm in
unseres Hochschulwissens und -könnens an die kleinen Verhält- | eins zusammengeknotet und distal vom Knoten abgeschnitten. Es
nisse in unserm Wirkungskreise. Ich möchte mit diesen Zeilen | ist dann beim Entfernen der Nähte nichts weiter nötig als den
eine Anregung geben, die den Patienten des „praktischen“ Arztes | großen Knoten leicht anzuziehen und am Damm entlang die nun
direkt zugute kommen soll. Es fehlt nach meiner Ueherzeu- | leicht aufgefundenen Hautnähte zu durchtrennen. Ein quälendes
gung noch an kurzen Ratschlägen und Winken erfahrener Prak- ' Aufsuchen, ein Vergessen einzelner Nähte gibt es dann nicht mehr.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr, Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat. | Wohl der erste, der Untersuchungen über das Auftreten
FE 5 specifischer Stoffe im Serum Krebskranker veröffentlicht hat, ist
Ueber die Fortschritte in der serologischen Geschwulstdiagnose | © g, Engel (14). Er behandelte Kaninchen mit dem Blute Car-
von Dr. Harry Koenigstfelll, cinomkranker vor und untersuchte dann das Serum der Tiere auf
Assistent am Kgl. Hygienischen Institut zu Breslau. Präcipitine, kam aber nicht zu eindeutigen Resultaten, ebenso wie
Wenn auch in den neuesten Zeiten die nicht operative Be- eine Anzahl Nachuntersucher . Neuerdings scheint nun diese Me-
handlung der malignen Geschwülste in ein Erfolge versprechendes | thode der Präcipitierung als wenig aussichtsreich nicht mehr weiter
Stadium getreten zu sein scheint, so bietet zunächst doch immer | erforscht zu werden.
noch die chirurgische Behandlung die sicherste Gewähr für den Vielleicht gehört hierher auch die von Freund und Ka-
günstigen Ausgang einer Geschwulsterkrankung. Freilich sind | miner (17, 20) angegebene „Trübungsreaktion“, deren theoretische
auch die Erfolge des Operateurs abhängig von einer möglichst | Grundlage noch nicht feststeht, die aber wohl auch auf eine Prä-
frühzeitigen Stellung der Diagnose. So ist es denn begreiflich, | Cipitinreaktion zurückzuführen ist. Freund und Kaminer sahen,
wenn neben dem unablässigen Suchen nach einem Heilmittel für | daß Careinomserum, in Tumorextrakt gebracht, eine Trübung hervor-
Tumoren auch von jeher das Streben darauf gerichtet war, Me- | ruft, während bei Zusatz von Normalserum der Tumorextrakt klar
thoden zu entdecken, die gestatten, möglichst frühzeitig eine ein- | bleibt. Nachuntersuchungen dieser Methode von Kraus in Ge-
wandfreie Diagnose zu stellen. meinschaft mit v. Graff und Ranzi (38) lauten nicht günstig.
. _ Tn der jetzigen Zeit, in der auf den verschiedensten Gebieten Eine ähnliche Reaktion ist die „Fällungsreaktion“ von
die Serumforschung große Erfolge aufzuweisen hat, lag es nahe, | Stammler (65): opaleseierende, methylalkoholische Krebsextrakt-
ihre Methoden auch in den Dienst der Geschwulstdiagnose zu | verdünnungen werden durch Zusatz von Serum Krebskranker unter
stellen, und schier unübersehbar ist heute schon die Zahl der | Bildung eines flockigen Niederschlags geklärt, bei Zusatz von
Forscher und die von ihnen angegebenen Reaktionen, die sich mit | Normalserum bleiben sie trübe. Diese Reaktion beobachtete
diesen Fragen beschäftigen. Stammler bei malignen Tumoren in 82 °/,, bei andern Krank-
In der letzten Zeit scheint nun eine gewisse Klärung ein- | heiten in 140/9.
getreten zu sein durch Eliminierung einer großen Zahl von Me- Sowohl bei dieser Reaktion wiebei der Freund-Kaminerschen
thoden, die die Feuerprobe der Praxis nicht bestanden haben. Trübungsreaktion sind Nachuntersuchungen sehr wünschenswert.
Die einschlägige Literatur bis Anfang 1911 ist sehr sorg- Wenig brauchbare Ergebnisse haben die Methoden gezeitigt,
fältig von Hirschfeld (22) zusammengestellt. ı die auf dem Prinzip einer VUeberempfindlichkeit aufgebaut sind.
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1876
So injizierten H. Pfeiffer und Finsterer (55 bis 57) Serum
von krebskranken Meerschweinchen und sahen auf eine 24 Stunden
später erfolgende Einspritzung von Carcinompreßsaft anaphylaktische
Erscheinungen bei den Versuchstieren, speziell Temperaturabfall
von mehreren Graden. Sie halten die Reaktion für eine für Careinom
specifische. Aber in Versuchen von Ranzi (60), Kelling und
Ändern hat es sich herausgestellt, daß auch nach Vorbehandlung
mit Serum von Luetischen und manchmal auch von Tuberkulösen
die Reaktion beobachtet werden kann und anderseits auch die
Injektion eines Extrakts von normalen Organen Anaphylaxie aus-
lösend wirkt. Es handelt sich also nicht um eine zellspecifische
Reaktion, sondern um eine Artreaktion gegen die Species Mensch.
Hier zu erwähnen sind auch Untersuchungen, die zuerst
v.Dungern (11) vornahm. In Analogiemit diagnostischen Tuberkulin-
impfungen spritzte er Carcinomatösen ihr eigenes, auf 56° erhitztes
Tumorgewebe ein und sah als Reaktion Oedem und entzündliche Er-
scheinungen auftreten. Er deutet dies als den Ausdruck einer
Deberemp ndlichkeit.
Diese Methode hat jedoch keine praktische Bedeutung er-
langt, ebenso wie der Versuch Ravennes (61), eine Cutan- oder
Ophthalmoreaktion ` mit Krebsextrakten analog der Pirquetschen
respektive Calmette-Wolff-Eisnerschen bei Tuberkulose zu er-
zielen. Auch Pinkuß (59) kann nur über negative Resultate mit
einer Cutanreaktion berichten.
Nachdem schon vorher durch die Arbeiten von Eduard
Müller und Jochmann (51 bis 53) die Aufmerksamkeit wieder
auf die formenthemmende Wirkung des Bluts gelenkt war, waren
die Untersuchungen von Brieger und Trebing (8) von großem
Interesse, die die fermentativen Eigenschaften earcinomatösen
Serums näher untersuchten. Bringt man Bilutserum mit einer
Trypsinlösung zusammen z. B. auf eine Löfflersche Serumplatte,
so wird die sonst vor sich gehende 'Irypsineiweißverdauung durch
im Serum enthaltenes Antitrypsin gehemmt. Durch Variierung
der Mengenverhältnisse von Trypsinlösung und Serum läßt sich
diese Hemmung quantitativ feststellen. Brieger und Trebing
fanden nun im Serum von Carcinomkranken eine Steigerung des
antitryptischen Titers im Vergleich zu Normalserum. Spätere
Untersuchungen zeigten jedoch, daß es sich nieht um eine für
Krebs specifische Reaktion, sondern um eine „Kachexiereaktion“
handele, die auch bei vielen andern, mit schwerem Eiweißzerfall
einhergehenden Erkrankungen vorkommt. Bei allen diesen wird
nämlich tryptisches Ferment frei und ruft eine Erhöhung des anti-
tryptischen Titers hervor, die beim Carcinom durch das proteo-
]ytische Krebsferment bedingtist. Nach neueren Untersuchungen von
Katzenbogen (27) und Zitronblatt (74) soll aber doch ein ge-
ringer, fast normaler antitryptischer Wert eine Carcinomdiagnose sehr
unwahrscheinlich machen. Auch Pinkuß (58, 59) spricht der
Methode einen gewissen praktischen Wert zu in den Fällen, in
denen die Möglichkeit eines erhöhten Leukocytenzerfalls durch
Eiterprozesse und dergleichen auszuschließen ist.
Eine große Reihe verschiedenartiger Untersuchungen er-
strecken sich auf den Nachweis von specifischen Cytolysinen im
Serum Krebskranker.
So hat nach verschiedenen Vorarbeiten systematisch zuerst
Crile (9, 10) nach Isohämolysinen im Careinomserum geforscht.
Er fand in 82°/, aller Fälle eine Auflösung von menschlichen roten
Blutkörperchen durch Serum von Careinomkranken. Allerdings
stellte er dies Verhalten auch bei Tuberkulose fest. Vorgeschrittene
Carcinome ließen meist Hämolyge vermissen.
Die Resultate von Criles Nachuntersuchern — in neuerer.
Zeit Bertone (7) und Krokiewiez (43, 44) — sind sehr in-
konstant, sodaß der Methode ein praktischer Wert in der Diagnostik
nicht beigemessen werden kann. |
Von etwas andern Gesichtspunkten geht Goldberger (21)
bei seinen Untersuchungen über Hämolyse des Krebsserums aus.
Er fand, daß die Blutkörperchen von Krebskranken eine ver-
minderte Resistenz gegenüber organischen Säuren zeigen (34 mal
unter 39 Fällen von Careinom, freilich auch oft bei. Tuberkulose).
Zusatz von normalem Serum hemmt die Hämolyse durch Säuren. Das
Serum von Careinomatösen hat nun eine erhöhte Hemmungskraft
(unter 39 Fällen war die Hemmungswirkung 32mal bedeutend,
4 mal etwas erhöht).
untersuchungen Vor.
Hier zu erwähnen sind auch die Versuche, die von Calmette
ursprünglich als Tuberkulosereaktion angegebene Aktivierung
Carcinomkranken anzuwenden [Kraus,
v. Graff und Ranzi (88)]. Die Untersuchungen führten zu keinem
des Cobragifts bei
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
Diese Reaktion scheint Goldberger für
Carcinom charakteristisch zu sein. Bisher liegen noch keine Nach-
17. November.
praktisch brauchbaren Resultat, da die Reaktion bei Tumorkranken
in zirka 8000, bei Nichtearcinomatösen in zirka 40°/, positiv ausfiel.
Heterolyse, größere lösende Kraft von Careinomserum gegen-
über Blutkörperchenaufschwemmungen frem der Tierarten, z.B.
Hühnern, Rindern, Schafen und Schweinen, stellte Kelling (28 bis 30)
fest. Seine Nachuntersucher kommen im allgemeinen zu denselben Re-
sultaten. Doch haben diese Versuche den Fehler, wie v. Dungern
hervorhebt, daß sie die individuellen Schwankungen im Gehalt an
normalen Hämolysinen beim Gesunden nicht genügend berück-
sichtigen. Diese sind aber nach v. Dungern schon an sich so
groß, wie sie von Kelling als charakteristisch für die Ca-Diagnose
verwertet werden, ein Einwand, den auch die neueren Erwiderungen
Kellings (81, 32) nicht völlig entkräften können.
Ebenfalls auf die Feststellung von Cytolysinen sind die
Arbeiten von Freund und Kaminer (18, 19) und ziemlich gleieh-
zeitig, von andern Gesichtspunkten ausgehend, von Neuberg (54
gerichtet. Freund und Kaminer konnten feststellen, daß das
Blutserum carcinomfreier Individuen Careinomzellen zerstört, daß
dem Serum Careinomkranker dagegen diese Fähigkeit abgeht. Die
Technik ihrer Methode ist im großen und ganzen folgende: Nach vor-
hergegangener Zerkleinerung des Tumors mit Schere und Messer
wird er durch ein Preßtuch gepreßt, durch dessen Poren die Tumor-
zellen größtenteils unbeschädigt durchtreten, während das Binde-
gewebe und die Blutgefäße zurückbleiben. Es wird dann eine
gleichmäßige Zellaufschwemmung hergestellt. Ein Tropfen dieser
Aufschwemmung wird mit zehn Tropfen Serum gut gemischt und
der Zellengehalt dieser Mischung in der Thoma-Zeißschen Zähl-
kammer bestimmt; darauf kommt die Mischung auf 24 Stunden in
einen Brutschrank bei 40° und wird dann abermals gezählt, soda$
man direkte quantitative Zahlen erhält. Freund und Kaminer
haben ihre Methode dann technisch noch weiter ausgebaut und
erfolgreich verbessert. So berichten sie einmal (20) über die Unter-
suchung von 113 Fällen, bei denen nur 11 Fehldiagnosen gestellt
wurden. Auch in den allerersten Stadien des Careinoms ist nach
ihren Erfahrungen die odiagnostische Reaktion positiv. Interessant
ist, daß nach Totalexstirpation des Krebses das Lösungsvermögen
des Serums sich wieder wie bei Normalserum verhält,
Nachuntersucher, z. B. Stammler (67) und Kostrzewski
(35) haben im großen und ganzen Freund und Kaminers Be-
funde bestätigt. Monakow (50) gibt allerdings der weiter unten
zu besprechenden Meiostagminreaktion den Vorzug, da nach seinen
Untersuchungen ein Fünftel der Ca-Sera die Krebszellen löst und
ein Viertel der normalen Sera kein Lösungsvermögen besitzt.
Die Entdeckung Freunds und Kaminers hat zu manchen
interessanten Untersuchungen Veranlassung gegeben, die an die
heute fast ganz verlassene Embryonaltheorie der Geschwäülste er-
innern. So stellten Kraus und v. Graff (87) fest, daß sich Nabel
blutserum gleich verhält wie Serum Careinomkranker, das heißt
im Gegensatz zum Serum Gesunder Careinomzellen nieht zu lösen
vermag. In Verfolg dieses merkwürdigen Befundes suchten sie die
Ursache des veränderten Verhaltens des Nabelschnurbluts in der
Placenta oder im Embryo. Tatsächlich konnte nun Kraus In Ve
meinschaft mit Ishiwara und Winternitz (42) feststellen, d
embryonale Zellen — sie benutzten die Leber drei bis fünf Monate
alter Früchte — ein ähnliches biologisches Verhalten aufweist
wie Carcinomzellen, das heißt sie werden vom Nabelschnurserum
nicht, dagegen vom Normalserum gelöst. Vom Ca-Serum wer on
aber nach Kraus und Ishiwara (40) embryonale Zellen ebenso
wie vom Serum Gesunder gelöst.
Im Gegensatz zu letzteren Feststellungen fand Roset-
thal (63, 64) den biologischen Parallelismus zwischen Embryonal
und Careinomzellen noch weitergehend, indem beide in zahlreichen
Fällen vom Serum krebskranker Menschen nicht gelöst wur en.
Wichtig ist, daß die Zellen der Mäusecareinome sich gogar
über dem Serum Careinomkranker ebenso verhalten wie Zole
menschlicher Carcinome [Kraus, v. Graff, v. Ranzi (38)).
Einen ähnlichen Befund wie die Freund-Kaminerseh® Cs-
Reaktion konnten Kraus und Ishiwara (41) bei SarkomratteD
erheben: im Gegensatz zu dem Lösungsvermögen normaler Ratten
sera den Rattensarkomzellen gegenüber fehlt dem Serum der Dar
Serum sarkomkranker Menschen verhält sich nach Fr nr
und Kaminer gegenüber Carcinomzellen so wie Normalserum, i
heißt es wirkt zellösend. Wie es sich gegenüber menschliche
Sarkomzellen verhält, ist bisher noch nicht untersucht ie
i — er = =.
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17. November.
gingen schlechter an, da dem Normalserum eine schädigende Wir-
kung auf die Vitalität von Tumorzellen zukommt.
Soweit heute schon ein abschließendes Urteil über die
Freund-Kaminersche Reaktion erlaubt ist, muß man sich der
Ansicht von Kraus (36) anschließen, daß eine brauchbare Reaktion
derart exakt sein muß, „daß ein positiver Ausfall einen Tumor
anzeigt und als Indikation für die Operation angenommen werden
kann. Eine Reaktion aber, welche auch bei andersartigen Er-
krankungen positive Befunde geben kann — und das gilt in ihrer
heutigen Form noch für die Freund-Kaminersche Reaktion —,
verliert ihre praktische Bedeutung“.
Es lag nabe, auch die Komplementbindung, die in der
Wassermann-Neißer-Bruckschen Reaktion bei Lues so Vor-
zügliches leistet, für eine Geschwulstdiagnose zugänglich zu machen.
Die anfänglich erzielten Resultate waren sehr widersprechend
und wenig ermutigend.
Noch vor kurzem erklärt Foerster (16) eine Serodiagnostik
des Krebses mit Hilfe der Komplementablenkung für unmöglich,
und auch Engel (15), der als Antigen Lebermetastasen benutzte,
und Barratt (6), der allerdings nur sechs Fälle untersuchte,
kommen nicht zu brauchbaren Resultaten.
Bessere Erfolge will Loschke (46) erzielt haben. Er ver-
wandte als Antigen eine Antiforminauflösung von Tumoren und
hat damit 42 Krebssera untersucht, von denen 38 (= 92 /,) positiv
reagierten. Von 116 Seris anderer Krankheiten reagierten zirka
10 Y/ọ positiv, besonders Sera von Patienten mit tertiärer Lues.
Seiner Meinung nach gibt die Reaktion einen gewissen Anhalt bei
der Diagnose, aber nur im Zusammenhalte mit klinischen Unter-
suchungsmethoden.
Durch die Arbeiten von v. Dungern (12, 13), der sich im
Prinzip ganz an die Wassermannsche Reaktion anlehnt, wurde
die Technik der Methode weiter ausgebaut. Anfangs verwendet
‘er als Antigen äthylalkoholische Extrakte von Tumoren und er-
hält regelmäßig bei einer Geschwulsterkrankung eine positive Kom-
plementablenkung. Zu verwerten ist nach v. Dungern die Re-
aktion nur dann nicht, wenn der Patient gleichzeitig eine Lues
hat, die eine positive Wassermannsche Reaktion bewirkt. Zur
Sicherung der Diagnose war es zunächst noch notwendig, mehrere
Tumorextrakte gleichzeitig zu verwenden. Um diesem Uebelstand
abzuhelfen und ein nicht veränderliches Antigen zu gewinnen,
stellt v. Dungern weitere Untersuchungen an (13), die zu dem
Resultate führten, daß ein Azetonextrakt aus normalen Menschen-
blutkörperchen die gewünschten Bedingungen als Antigen erfüllen
soll. Einen weiteren Fortschritt sieht v. Dungern in dem Zu-
satze bestimmter Mengen Natronlauge zu den zu prüfenden Seren,
durch den Fehldiagnosen mit der Komplementbindung noch sicherer
sollen ausgeschaltet werden können. v. Dungern untersuchte im
ganzen mehr als 100 sichere Carcinome. Unter diesen gaben sieben
. ein negatives Resultat. Sarkomsera reagierten nicht immer typisch.
Bei allen benignen Geschwülsten (Fibrome, Cysten, Myome) war
die Reaktion negativ, mit Ausnahme von zwei ausgedehnten Lipo-
matosen der Haut. Sera gesunder Menschen reagierten immer
negativ. Auch bei andern Krankheiten als malignen Tumoren
war eine typische Reaktion nicht zu konstatieren (über 200 Fälle).
. Einige Fälle von Tuberkulose waren positiv, gaben aber nicht die
Natronlaugenreaktion.
In einer Nachprüfung der Dungernschen Reaktion kommt
Rosenberg (62) zu dem Ergebnis, daß die Methode klinisch nicht
verwertbar ist, da „die positive Reaktion bei Krebskranken nicht
die Regel ist und bei andern Erkrankungen nicht viel seltener
vorkommt“.
Inwieweit Verschiedenheit der Technik die Verschiedenheit
der Ergebnisse bedingt, läßt sich heute noch nicht entscheiden.
Man wird wohl gut tun, weitere Untersuchungen abzuwarten, ehe
man ein abschließendes Urteil fällt. Jedenfalls schließt der Um-
stand, daß es sich hier nicht um eine specifische Reaktion handelt,
praktische Verwendbarkeit nicht aus.
Eine andere Carcinomreaktion, die jetzt im Mittelpunkte des
Interesses steht, ist die Ascolische Meiostagminreaktion (2).
Ascoli ging, auf Untersuchungen Traubes weiter bauend, von dem
Gedanken aus, daß bei der Immunität sehr wahrscheinlich physi-
kalisch-chemische Vorgänge eine Rolle spielen. Beim Zusammen-
bringen von Typhusserum mit Typhusbacillenextrakten fand er
eine Erniedrigung der Oberflächenspannung, die sich in der Er-
höhung der Tropfenzahl einer bestimmten Maßeinheit, gemessen
in Traubes Stalagmometer, äußert (zeiwv kleiner, raw tropfe!).
In Gemeinschaft mit Izar (3, 4, 5) wandte Ascoli dann
diese Reaktion zur Diagnose bösartiger Geschwülste an und fand
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
1877
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beim Zusammenbringen von Tumorserum mit Tumorextrakten eben-
falls eine Verminderung der Öberflächenspannung und dement-
sprechend Erhöhung der Tropfenzahl. In 93 von 100 Fällen bös-
artiger Geschwülste fiel die Reaktion positiv aus, in 103 Fällen
anderer Erkrankungen bis auf einen Fall negativ.
Der als Antigen benutzte Carcinomextrakt muß in sehr
starker Verdünnung, bis 1:10000 angewandt werden. Bringt
man den Extrakt mit Normalserum zusammen und läßt die Mischung
zirka zwei Stunden bei Brutschranktemperatur stehen, so darf die
Oberflächenspannung höchstens soweit geändert sein, daß sie eine
Zunahme von nicht über einen, ausnahmsweise anderthalb Tropfen
für ein Traubesches Stalagmometer zu zirka 56 Tropfen bewirkt.
Mit Careinomserum dagegen erhielten die Forscher Ausschläge von
vier bis acht Tropfen.
Die Methode hat, besonders im Auslande, zahlreiche Nach-
prüfungen erfahren, die Ascolis Angaben im allgemeinen be-
stätigten [Literatur bei Micheli und Catoretti (47, 48)].
In jüngster Zeit hat sich in Deutschland besonders
Stammler (65—67) mit der Reaktion beschäftigt. Er konnte die
Resultate Ascolis unter genauer Befolgung der Methodik eben-
falls bestätigen, wenn auch bei ihm der Prozentsatz der richtigen
Diagnosen etwas geringer ist. Die Probe war in 73°/, der
Carcinom- und Sarkomkranken positiv.
Bei nicht Geschwulstkranken war sie in etwa 20°), positiv,
darunter besonders bei hoch fiebernden Infektionskrankheiten, wie
Diphtherie und Scarlatina, schweren Verbrennungen, diabetischer
Gangrän und merkwürdigerweise bei fast allen an Prostataver-
größerung Leidenden. Bei gutartigen Neubildungen, Syphilis, Tuber-
kulose und nichteareinomatösen Kachexien war die Reaktion meist
negativ. Eine große Anzahl Sera, die eine positive Wasser-
mannsche Reaktion gaben, reagierten nach Ascoli negativ. Bei
manchen operierten Fällen verschwand die Reaktion nach zwei bis
drei Monaten, bei andern, die Metastasen aufwiesen, blieb sie
erhalten.
Es sei hier auch erwähnt, daß Stammler zu einer andern
theoretischen Anschauung über das Wesen der Meiostagminreak-
tion kommt. Seiner Meinung nach handelt es sich nicht, wie
anfangs Ascoli noch annahm, um eine echte Antikörperreaktion,
sondern nur um den Nachweis von Stoffen, die vielleicht fermen-
tativen Prozessen ihre Entstehung verdanken.
Auch Leidi (45) kommt bei einer Nachprüfung der Ascoli-
schen Reaktion zu günstigen Resultaten, indem 80°/, der Ty-
moren positiv, über 900/, der Nichttumoren negativ reagieren.
Kelling (31) fand bei seinen Untersuchungen von 45 Ge-
schwülsten 21mal=47°/,, von 85 andern Fällen nur dreimal =
3,5 %/o positive Reaktion. Er hält die Methode auch für die Früh-
diagnose mit verwertbar. |
Noch nicht abgeschlossen sind Versuche von Luger und
Köhler, über die Kraus (36) kurz die Mitteilung macht, daß
bei Gesunden die Reaktion in keinem Falle positiv ausfiel.
Izar (24, 25) sucht eine Art Meiostagminreaktion in vivo
zu erzielen: wäßrige Emulsionen ätherischer oder methylalkoholi-
scher Extrakte aus bösartigen Geschwülsten nehmen durch Er-
hitzen stark giftige Eigenschaften für Tiere an. Bringt man Serum
dazu und zentrifugiert kräftig, so bleibt das Gift in der Flüssig-
keit, wenn es sich um Nichttumoren handelt; dagegen geht es in
den, Niederschlag über, wenn das Serum von Trägern bösartiger
Geschwülste stammt.
So groß auch das Interesse ist, das wir der Ascolischen
Reaktion entgegenbringen müssen, darin sind sich alle Autoren
einig, daß die Ausführung der Probe so große Aufmerksamkeit,
Uebung und Geschicklichkeit erfordert, daß sie zunächst sich kaum
in der Praxis einbürgern dürfte, ja von manchen, z. B. Pinkuß (59),
ganz abgelehnt wird. Schon die Herstellung des Antigens ist mit
Schwierigkeiten verbunden, da die Extrakte sehr labil sind und
sich nicht alle Tumoren zur Herstellung eines wirksamen Extrakts
eignen. Letzterer Umstand führte dazu, nach einem Ersatz für
die Tumorenextrakte zu suchen. Micheli und Catoretti (49)
berichten, daß sie mit gutem Erfolg Extrakte aus normalem Rinder-
und Hundepankreas verwandt haben. Zu demselben Resultate
kommt Kelling (33), der verschiedene Organextrakte auf ihre
Brauchbarkeit prüfte und neben Pankreasextrakt auch Hühnerleber-
extrakt geeignet fand.
Die letzterwähnten Untersuchungen scheinen darauf binzu-
deuten, daß es sich auch bei der Meiostagminreaktion, wenigstens
soweit sie für das Garcinom in Betracht kommt, nicht um eine vom
theoretischen Standpunkt aus specifische Reaktion handelt, selbst
wenn sie praktisch sich als specifisch herausstellen sollte.
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DE > ei PF
Ra
1878
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46
17 . November,
Auf ähnlichen Prinzipien wie die Ascolische Methode —
ohne mich hier auf die Prioritätsstreitigkeiten zwischen Weichardt
und Izar (26, 71, 72) einzulassen — beruht die von Weichardt (69)
angegebeneEpiphaninreaktion. Erwill bei seinen Untersuchungen
über Kenotoxin und Antikenotoxin eine sichtbare Diffusions-
beschleunigung gegenüber Kontrollen gefunden haben, wenn ver-
schieden gefärbte Antigene und Antikörper aufeinander einwirkten,
und führt das auf eine Aenderung der Oberflächenspannung
(Emipavera = Oberfläche) zurück. Weichardt konnte die Reaktion
auch dadurch sichtbar machen, daß er die Diffusion in Gefäßen
mit einer Schleicher-Schüllschen Filtriermembran vor sich gehen
ließ und die Gefäße abwog. Die Methode wurde später von
Weichardt und seinen Mitarbeitern weiter ausgebaut (1, 64,
68, 71, 73) und auch die Krebsdiagnose in den Kreis ihrer Be-
trachtungen gezogen und gipfelte schließlich darin, daß der Neu-
tralitätspunkt einer Mischung von Baryt und Schwefelsäure durch
die in bestimmter optimaler Konzentration vor sich gehende Re-
aktion zwischen Serum und Antigen verschoben wird.
Vor kurzem wurde die Methode in exakten Untersuchungen
aus dem Flüggeschen Institut durch Korff-Petersen und
Brinkmann (34) einer Nachprüfung unterzogen. Sie gelangen zu
einem völlig verwerfenden Urteil und sprechen die Ansicht aus,
daß die Ausschläge bei der Epiphaninreaktion in ihrer jetzigen
Gestalt zum geringeren Teil durch Meßfehler, zum weitaus größeren
Teil durch den Einfluß der Luftkohlensäure auf das Bariumhydrat
bewirkt werden und eine specifische Beeinflussung der System-
bildung nicht beobachtet werden kann. |
Die Verteidigungsschrift, die v. Angerer und Stötter (1)
zugunsten Weichardts und seiner Epiphaninreaktion sceben ver-
öffentlicht haben und in der sie den Untersuchungen Korff-
Petersen und Brinkmanns keine Beweiskraft zuerkennen, scheint
meines Erachtens doch die erhobenen Einwände nicht zu ent-
kräften. |
Wenn auch die Diskussion über die Weichardtsche Reak-
tion noch nicht abgeschlossen ist,. so steht doch sicherlich fest,
daß sie in ihrer jetzigen.Form nicht für die allgemeine Praxis
verwertbar ist, da die Methode, wie Weichardt selbst wiederholt
hervorhebt, sehr subtil ist und größte Aufmerksamkeit und sehr
genaues Ärbeiten erfordert.
Ueberblicken wir nochmals die verschiedenen Versuche, auf
serologischem Wege eine Geschwulstdiagnose zu stellen, so kommen
wir, wollen wir objektiv sein, zu dem Resultate, daß wohl einige
der Methoden, so z. B. die v. Dungernsche Komplementbindung
und die Ascolische Meiostagminreaktion auf guter Grundlage auf-
gebaut sind und Erfolge versprechen, daß aber bis jetzt noch keine
Methode alle Anforderungen erfüllt, die notwendigerweise die Praxis
stellen muß. |
Immerhin darf man wohl der Hoffnung Ausdruck geben, daß
es der Arbeit der Zukunft gelingen wird, auf den Resultaten der
bisherigen Forscher weiter bauend, zum Ziele zu kommen und mit
Sicherung der Frühdiagnose einer Geschwulst den Kampf gegen
die Geschwulsterkrankungen erfolgreicher als bisher aufzunehmen.
Literatur: 1. v. Angerer und Stötter, Ueber Versuche, Antigen-Anti-
körperwirkungen sichtbar zu machen. (M. med. Woch. 1912, Nr. 88, S. 2035.)
— 2. Ascoli, Die specifische Meiostagminreaktion. (Ibid. 1910, Nr. 2, S. 62.)
— 8, Derselbe und Izar, Die Melostagminreaktion bei bösartigen Ge-
schwülsten. (Ibid. 1910, Nr. 8, S. 408.) — 4. Dieselben, Die Serodiagnose
bösartiger Geschwülste. (Ibid. 1910, Nr. 22, S. 1170.) — 5. Dieselben, Zur
Technik der Meiostagminreaktion bei bösartigen Geschwülsten. (Ibid. 1910,
Nr. 41, S. 2129.) — 6. Barratt, Ueber Komplementablenkung bei Menschen-
carcinom. (Zt. f. Krebsf, 1912, Bd. 11, S. 245.) — T7. Bertone, Potere emoli-
tico dei siero di sangue dei carcinomatosi e suo valore diagnostico. (Clin.
chir. 1911, S. 2 — 8. Brieger und Trebing, Ueber die antitryptische
Kraft des menschlichen Biutserums, speziell bei Krebskranken. (Berl. kl. Woch.
1908, Nr. 22.) — 9. Crile (The amer. journ. of obstetr. and dis. of wom. and
child. 1908, Bd. 58, Nr. 6). — 10. Derselbe (J. of. Am. med. ass. 1908,. Bd. 51.) —
11. v. Dungern (Zt. f. Krebst. Bd. 5.) — 12. Derselbe, Die Serodiagnostik
der Geschwüiste mittels Komplementbindungsreaktion. (M. med. Woch. 1912,
Nr. 2, S. 65.) — 18. Derselbe, Ueber Serodiagnostik der Geschwülste mittels
Komplementablenkungsreaktion, Il. (Ibid. 1912, Nr. 20, S. 1098.) — 14. ©. S.
Engel, Ueber einen Versuch, mit Hilfe des Blutserums Carcinomatöser einen
Antikörper herzustellen. (D. med. Woch. 1903, Nr. 48, S. 817.) — 15. Der-
selbe, Ueber Komplementbindangsversuche mit dem Blute Krebskranker.
(Zt. 1. Krebsf. 1911, Bd. 10, S. 248.) — 16. A. Foerster, Die Beziehungen der
Wassermannschen Reaktion zum Krebs. (Lanc., 24. Juni 1911.) — 17. Freund,
Ueber die Aufgaben der medizinischen Chemie in der Geschwulstforschung.
(Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 27, S. 1035.) — 18. Freund und Kaminer, Ueber
die Beziehungen zwischen Tumorzellen und Blutserum. (Biochem. Zt. 1910,
Bd. 26, S. 312.) — 19. Dieselben, Ueber die Beziehungen zwischen Tumor-
zelien und Blutserum. (Wr. kl. Woch. 1910, Nr. 34, S. 1221.) — 20. Die-
selben, Zur Diagnose des Carciuoms. (Ibid. 1911, Nr. 51, S. 1759) —
91. Goldberger, Hämolyse bei Carcinom und audern Krankheiten. (F. ser.
1911, Bd. 7, S. 941.) — 22. Hirschfeld, Ueber einige neuere Methoden zur
Diagnose der bösartigen Geschwülste. (D. med. Woch. 1911, S. 1307.) —
28. Derselbe, Zur Frage der Binwirkung des Blutserums normaler und tumor-
kranker Tiere auf Tumorzellen. (Zt. f Krebsf. 1912, Bd. 11.) — 24 Izar,
Zur Kenntnis der Meiostagminreaktion bei bösartigen Geschwälsten. (M, med.
Woch. 1911, S. 1347.) — 25. Derselbe, Ueber Meiostagminreaktion in vivo
bei bösartigen Geschwülsten. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 39, S. 1748) -
26, Derselbe, Zur Abwehr. (M. med. Woch. 1911, Nr. 40, S. 2118) —
27. Katzenbogen, Ueber die prognostische und diagnostische Bedeutung der
Autitrypsinbestimmung im Blutserum. (Inaug. Diss. Straßburg 1911.) — 28. Kel-
ling, Ueber eine neue hämolytische Reaktion des Blutserums bei malignen
Geschwülsten (und bei malignen Blutkrankheiten) usw. (A. f. kL?Chir. 1906,
Bd. 80, S. 77.) — 29. Derselbe, Ueber die Ergebnisse serologischer Unter-
suchungen bei Carcinom. (Berl. kl. Woch. 1907, Nr. 42, S. 1355.) — 30. Der-
selbe, Weitere Untersuchungen über hämolytische Reaktionen und über Kom-
plementbindung im Biute von Krebskranken. (Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 88,
S. 1292) — 831. Derselbe, Untersuehungen über die praktische Bedeutung
der Melostagminreaktion von Ascoii bei malignen Geschwülsten usw. (Ibid.
1911, Nr. 8, S. 90.) — 32. Derselbe, Ueber eine hämolytische Ausfallsreaktion.
(Ibid. 1911, Nr. 38, S. 1332.) — 33. Derselbe, Vergleichende Untersuchungen
über die Brauchbarkeit verschiedener Organextrakte für die Ascolische Meio-
stagminreaktion bei Krebskranken. (Ibid. 1911, Nr. 44, S. 1522.) — 34. Korfi-
Petersen undBrinkmann, Versuche und kritische Bemerkung zur Weichardt-
schen Epiphaninreaktion. (Zt. f. Hyg. 1912, Bd. 72, S. 343.) — 35. Ko-
strzewski, Die Freund-Kaminersche Reaktion. (Przegl. lekarski 1911, Nr. 48,
Ref. D. med. Woch. 1912, Nr. 18.) — 36. Kraus, Carcinomzelle und Carciaom-
reaktionen. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 28, S. 867.) — 87. Kraus und v. Grafi,
Ueber die Wirkungen des Placentarserums und des Serums Gravider anf
menschliche Carcinomzellen. (Ibid. 1911, Nr. 6, S. 191.) — 88. Dieselben und
Ranzi, Ueber neuere serologische Methoden zur Diagnostik maliguer Tumoren.
(Ibid. 1911, Nr. 28, S. 1008.) — 39. Dieselben, Ueber das Verhalten des
Serums und der Blutkörperchen Carcinomkrauker bei der Hämolyse durch
Kobragift. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 31, S. 1449.) — 40. Kraus und Ishi-
wara, Ueber das Verhalten embryonaler Zellen gegenüber Serum gesunder
Menschen und Carcinomkranker. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 16, S. 58) —
41. Dieselben, Verhalten tierischer Sarkomzellen gegenüber tlerischem und
menschlichem Serum. (Ibid. 1912, Nr. 17, S. 615) — 42. Dieselben und
Winternitz, Ueber das Verhalten embryonaler Zellen gegenüber Nabelblut
und Retroplacentarserum. (D. med. Woch. 1912, S. 303.) — 48, Krokiewiez,
Zur Krebsforschung. (Przegl. lekarski, Nr. 1 u. 2, Ref. D. med. Woch. 1912,
Nr. 18) — 44. Derselbe, Aus dem Gebiete der Krebsforschung. (Wr. kl.
Woch. 1912, Nr. 7, S. 264.) — 45. Leidi, Die Meiostagminreaktion bei ma-
lignen Geschwülsten. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 88, S. 1716.) — 46. Leschke,
Die Serodiagnostik des Carcinoms mit besonderer Berücksichtigung der Kom-
plementbindungsmethode. (Ibid. 1911, Nr. 85, S. 1616.) — 47. Micheli und
Catoretti, Ueber die Meiostagminreaktion. (Wr. kl. Woch, 1910, Nr. 44,
S. 1555.) — 48. Dieselben, Die Meiostagminreaktion bei bösartigen Oe-
schwülsten. (M. med. Woch, 1910, Nr. 21, S. 1122.) — 49. Dieselben (Patho
logica 1910, Bd. 2, Nr. 43 [cit. nach 47).) — 50. v. Monakow, Beitrag zur
Serodiagnostik der malignen Tumoren. (M. med. Woch, 1911, Nr. 42, S. 2207.)
— 51. E. Müller und Jochmann, Ueber eine einfache Methode zum Nach-
weis proteolytischer Fermentwirkungen. (Ibid. 1906, S. 1393.) — 52. Die-
selben, Ueber proteolytische Fermentwirkungen der Leukocyten. (Ibid. 1906,
Nr. 31, S. 1507.) — 53. Dieselben, Weitere Ergebnisse unserer Methode usw.
(Ibid. 1906, Nr. 41, S.2002) — 54. Neuberg, Weitere Beiträge zur Chemie
der Geschwülste. (Biochem. Zt. 1910, Bd. 26, S. 344) — 55. H. Pfeiffer,
Zur Frage des Nachwelses eines specifischen anaphylaktischen Reaktlons-
körpers im Blute von Tumorkranken. (Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 40, S. 1875)
— 56. Derselbe, Zur Frage des Nachweises eines anaphylaktischen Reaktions-
körpers im Blute von Tumorkrauken. (Zt. f. Im. 1910, Bd, 4, S. 458) —
57. Derselbe und Finsterer, Ueber den Nachweis eines gegen das eignene
Carcinom gerichteten anaphylaktischen Antikörpers im Serum von ‚Krebs-
kranken. (Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 28 u. 29, S. 989 u. 1042.) — 58. Pinkuß,
Weitere Erfahrungen über serologische Diagnose, Verlauf und Behandlung des
Carcinoms, (M. med. Woch. 1911, Nr. 49, S. 2636.) — 59. Derselbe, Weitere
Erfahrungen über serologische Diagnostik, Verlauf und Behandlung des Card-
noms. (D. med. Woch. 1912, Nr. 2 u. 3, S. 55 u. 119.) — 60. Ranzi, Ueber
Anaphylaxie durch Organ- und Tumorextrakte. (Zt. f. Im. Bd. 2, H. 1) —
61. Ravenna (Pathologica Bd. 2 [cit. nach 22]). — 62. Rosenberg, Zur Frago
der serologischen Carcinomdiagnostik. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26, S. 1225.)
— 63. E. Rosenthal, Untersuchungen über das biologische Verhalten der
fötalen Zellen. (Gyn. Rundsch. 1912, Bd. 6, H. 7.) — 64. Dersolbe, Ueber den bloe
logischen Parallelismus der fötalen Krebszellen nebst Beziehungen Ihrer Ei-
weiße. (Zt. f. Im. 1912, Bd. 14, S. 174.) — 65. Stammler, Ueber neuo sero-
logische Methoden der Carclnomdiagnose. (M. med. Woch. 1911, Nr. 19.) a
66. Derselbe, Die serologische Meiostagminreaktion bei Carcinom. (Berl. 1
Woch. 1911, Nr. 85. S. 1616.) — 67. Derselbe, Ueber Tumorreaktlionen a
besonderer Berücksichtigung der Meiostagminreaktion. (M. med. Woch, 191},
Nr. 87, S. 1957.) — 68. Stötter, Ueber den gegenwärtigen Stand der ir
mit der Epiphaninreaktion. (Zt. f. Im. 1911, Bd. 11, S. 749.) — 69. Weioharc"
Ueber neue Methoden der Immunitätsforschung. (Berl. kl. Woch. 1908,
S. 954.) — 70. Derselbo, Ueber Kenotoxin, Antikenotoxin und eine neue è
thode ihres Nachweises. (Zb. f. Bakt. Abt. I, 1909, Bd. 42, Beih. 8. 148.) —
71. Derselbe, Sichtbarer Nachweis von Antigen-Antikörperbindungen in nn
Die Epiphaninreaktion. (M. med. Woch. 1911, Nr. 31, S. 1662) — 72. u -
selbe, Schlußwort. (Ibid. 1911, Nr. 40, S. 2119.) — 73. Derselbe, Ueba
weitere Versuche, Antigen-Antikörperwirkungen sichtbar zu machen. Be
kl. Woch, 1911, Nr. 43, S. 1985) — 74. Zitronblatt, Diagnostische i
deutung des Antitrypsins des Blutserums bei Carcinom und andern Brkran
kungen. (Ibid. 1911, Nr. 43, S. 1957.)
Sammelreferat.
Physikalische Therapie
von Dr. A. Laqueur, Berlin.
Die praktische Anwendung hydrotherapeutischer Ma
nahmen erfährt bei dem wachsenden Interesse, das gerade x :
von seiten der inneren Kliniker den physikalischen Heilmethode
17. November.
entgegengebracht wird, eine immer schärfere Indikationsstellung
und Abgrenzung. So empfiehlt Grober (1), bei Chorea die pro-
trahierten indifferent-warmen (34 bis 370 C) Vollbäder als aus-
gezeichnetes Beruhigungsmittel eventuell mehrmals am Tage anzu-
wenden. Um den ermüdenden Einfluß zu verstärken, kann auch
Sole oder Salz den Bädern zugesetzt werden. Jede elektrische
Behandlung hält Grober dagegen für schädlich oder doch nutzlos,
ebenso lehnt er die Anwendung dar Gymnastik und Massage
bei der Chorea ab. Nicht beistimmen kann jedoch der Referent
der generellen Verwerfung der feuchten Einpackungen, von
denen man in Fällen, wo keine Komplikation von seiten des
Herzens vorhanden ist, doch recht gute beruhigende Wirkungen
sehen kann.
Die hydrotherapeutische Behandlung der Nephritis hat in-
sofern eine Wandlung erfahren, als man von der Anwendung von
Schwitzbädern mehr und mehr abkommt. Bereits in früheren
Referaten wurde vom Ersatz der Schwitzprozeduren durch protra-
hierte Jauwarme Vollbäder und der experimentellen Begründung
dieser letzteren Bäderform durch Strassers Arbeiten berichtet.
In einer neuerdings erschienenen Abhandlung über die Behandlung
der chronischen Nephritis spricht sich v. Romberg (2) entschieden
gegen die Anwendung von Schwitzbädern sowohl im Stadium aus-
reichender Nierentätigkeit wie auch bei Vorhandensein von Oedemen
oder im urämischen Anfalle selbst aus. Von 35°C warmen Nau-
heimer CO3-Bädern hat Newton (3) in Fällen von Nephritis mit
hohem Blutdrucke günstige Wirkungen gesehen, die sich in Herab-
setzung des Blutdrucks und Verringerung oder Beseitigung der
Albuminurie äußerten.
Sehr dankenswert ist die Darlegung Arnold Cahns (4)
über die Grundsätze seines Lehrers Kußmaul bei der Kaltwasser-
behandlung fieberhafter Krankheiten. Bei Pneumonie
wandte Kußmaul kalte Teilwaschungen an, bei höherem Fieber
leisteten vor allem zwei- bis vierstündlich wiederholte protra-
hierte Vollwaschungen gute Dienste, bei großer Unruhe des
Kranken auch Ganzpackungen, während Kußmaul sonst hier
auf Umschläge weniger Wert legte. Nur in seltenen Fällen und nur
bei jugendlich-kräftigen Individuen wurden kühle Halbbäder von
enicht über drei Minuten Dauer angewandt. Beim Typhus kamen
meist Vollbäder von 30 bis 250 C und zehn Minuten Dauer alle
zwei bis vier Stunden zur Anwendung; in der Nacht ließ Kußmaul
keine Bäder geben. Außerdem wurden zur Bekämpfung soporöser
Zustände kalte Berieselungen des Nackens und des Kopfes
angewandt.
Zur Behandlung des Emphysems hat v. Benezur (5) die
von Strasburger zuerst empfohlenen und von Warschawsky
bereits praktisch erprobten protrahierten lauwarmen Voll-
bäder mit vorübergehendem Erfolg angewandt (vgl. auch das
Referat im Jahrgang 1911, Nr. 41 dieser Zeitschrift). Im übrigen
sah v. Benczur gute Resultate von dem Tragen von Leinwand-
gürteln, die den unteren Teil des Thorax stärker, den oberen
schwächer komprimierten, also ähnlich wie die Schreibersche
Weste wirkten.
Von neueren theoretischen Arbeiten über hydro- und
balneotherapeutische Einwirkungen sei eine Dissertation v. Sul-
schinskys (6) über den Einfluß abkühlender Maßnahmen auf den
Lymphstrom erwähnt, aus der hervorgeht, daß die Abkühlung
zunächst eine Verlangsamung des Lymphstroms hervorruft, daß
aber dann nach Aussetzen der Kälteeinwirkung eine reaktive
Beschleunigung des Lymphstroms einsetzt. Der Effekt der Ab-
kühlung ist also in dieser Beziehung dem der Stauungshyperämie
ähnlich. Der Einfluß der Kohlensäurebäder auf die Blutver-
teilung ist von Arthur Hirschfeld (7) von neuem nachgeprüft
worden; Hirschfeld kam dabei im Gegensatz zu Otfried Müller
und seiner Schule zu dem Resultat, daß die specifische Wirkung
des kohlensäurehaltigen Bads im Vergleich zum Wasserbad in
einer Erweiterung der peripheren Gefäßgebiete besteht.
Hugo Bach, der im vorigen Jahre bereits-die Anwendung
von Bestrahlungen mit ultraviolettem Lichte der Quecksilber-
quarzlampe (sogenannte künstliche Höhensonne) zur Herab-
setzung des erhöhten Blutdrucks sowie zur Behandlung von Stoff-
wechselkrankheiten empfohlen hatte (8), begründet jetzt speziell
die Behandlung der Gicht mit ultraviolettem Lichte mit der Er-
wägung, daß häufig bei Gichtkranken die Haut spröde und trocken
ist, und daß gerade die durch die ultravioletten Strahlen erzeugte
langanhaltende Hauthyperämie besonders geeignet ist, die Funktion
der Haut zu bessern und damit das Gichtleiden zu beeinflussen (9).
In der physikalischen Behandlung der atypischen Gicht, deren
Wesen er ausführlich schildert, mißt Goldscheider (10) der
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1879
Bewegungstherapie und Massage neben der entsprechenden
Diät besondere Bedeutung bei.
Unter den neueren -Arbeiten über Diathermie (Thermo-
penetration) erscheint besonders bemerkenswert die Veröffentlichung
Kalkers (11) über die Diathermiebehandlung bei Herz-,
Lungen- und Nierenkranken. Bereits Rautenberg hatte den
günstigen Einfluß der Diathermie bei Herzkranken mit Blutdruck-
erhöhung und stenokardischen Anfällen hervorgehoben. Kalker
teilt nun vier weitere Fälle aus der Rautenbergschen Abteilung
des Lichterfelder Krankenhauses mit, in denen bei Herzkranken
mit stenokardischen Anfällen ganz auffallende Besserungen
der Beschwerden durch Diathermie erzielt wurden. Weiterhin
wurde bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen der Lungen
respektive der Pleura (chronische Bronchitis, Exsudate) nicht nur
schnelle Abnahme der dyspnöischen Beschwerden und Erleichterung:
der Expektoration durch Diathermie des Thorax erzielt, sondern
auch der Rückgang der objektiven Erscheinungen entsprach
der subjektiven Besserung. Nach Diathermie der Nierengegend
wurde in einem Falle von akuter Nephritis eine jedesmalige ver-
stärkte Ausschwemmung von Cylindern und roten und weißen
Blutkörperchen nach der Behandlung beobachtet, also ein Zeichen
der Hyperämisierung der Niere durch das Verfahren.
Messungen der Temperatur des Mageninnern mittels
des Siemens-Halskeschen Fieberregistrierapparats, die vonFürsten-
berg und Schemel (12) bei Diathermie der Magengegend
am Menschen ausgeführt wurden, ergaben den interessanten Be-
fund, daß dabei die Erhöhung der inneren Magentemperatur nicht,
wie man bisher geglaubt, mit der Stromintensität parallel
geht, sondern daß die Temperaturerhöhung (in maximo 0,5) bei
einer Stromintensität von 0,3 Ampère größer ist als bei einer
Stromintensität von 2 Ampère. Der Grund dieser Erscheinung
liegt darin, daß bei einer geringen Stromstärke die Wärmeregu-
lierungsvorgänge des Körpers noch nicht in Tätigkeit treten
und somit eine größere Erwärmung in der Tiefe ermöglichen,
während bei größeren Stromintensitäten, die eine starke Erwär-
mung der Haut unter den Elektroden hervorrufen, reflektorisch so-
fort die Wärmeregulation einsetzt. Als Beweis für diese Erklärung
diente ein Tierversuch; während bei einem lebenden Hunde sich
die Magentemperatur in der oben geschilderten Weise wie beim
Menschen verhielt, stieg nach Tötung des Tiers bei der gleichen
Versuchsanordnung nunmehr die Magentemperatur parallel mit
der Stromintensität an, da nunmehr die Regulierungsvorgänge
nicht mehr statthaben konnten.
Mit lokaler Hochfrequenzbehandlung (d’Arsonvali-
sation) hat Engelen (13) außer in hartnäckigen Fällen von
Pruritus auch bei Tabes beachtenswerte Besserungen der lan-
zinierenden Schmerzen erzielt. Ueber die Anwendung der’
d’Arsonvalisation in ihren verschiedenen Formen (Solenoid, lo-
kale Behandlung mit der Kondensatorelektrode, Effluvien) be-
richtet Lothar Wolf (14) in seiner Dissertation an der Hand der
im Rudolf Virchow-Krankenhbause gemachten Erfahrungen. Auch
hier wurden in einem erheblichen Bruchteile der Fälle Erfolge bei
den lancinierenden Schmerzen und Parästhesien der Tabes-
kranken erzielt; seltener, aber doch in einigen beachtenswerten
Fällen, half das Verfahren (lokale d’Arsonvalisation der Wirbel-
säule) bei gastrischen Krisen. Einer Empfehlung von v. Jacksch
folgend, wurde die Autokonduktion im Solenoid bei multipler
Sklerose angewandt, in etwa der Hälfte der Fälle mit Erfolg be-
züglich Besserung der Gehfähigkeit. Daß der pathologisch erhöhte
Blutdruck durch die d’Arsonvalisation (Autokonduktion im So-
lenoid) eine vorübergehende, in manchen Fällen auch dauernde Er-
niedrigung erfahren kann, zeigen zahlreiche hier mitgeteilte Blut-
druckmessungen, aus denen auch die fast regelmäßige Verkleine-
rung der Pulsamplitude nach der d’Arsonvalisation hervorgeht.
Bei den starken Druckerhöhungen infolge von Schrumpfniere blieb
der Blutdruck und das subjektive Befinden unbeeinflußt, "ebenso
versagte das Verfahren meist bei Herzneurosen. Unter den
sonstigen mit d’Arsonvalisation behandelten Krankheitszuständen
seien noch die gonorrhoischen Tarsalgien und Achill-
odynien genannt, bei denen oft die lokale Hochfrequenzbehand-
lung Besserung respektive Heilung brachte.
Bühler (15) konnte in über 50 Fällen von beginnender oder
leichter Arteriosklerose durch Hochfrequenzbehandlung (Auto-
konduktion) nicht nur Blutdruckerniedrigung, sondern auch erheb-
liche und anhaltende Besserung der subjektiven Beschwerden der
Kranken erreichen. Er erklärt diese Wirkung der d’Arsonvalisation
mit der Beeinflussung der Vasokonstriktoren, in deren System
unter der Hochfrequenzbehandlung ein Nachlaß der Spannung eintritt.
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1880
Die Anionenbehandlung, das heißt die Zuführung nega-
tiver Elektrizität vermittels eines von der Kathode eines Induk-
toriums ausgehenden elektrischen Windes, die zuerst von Steffens
angegeben wurde, hat Kaestner (16) erfolgreich bei rheumatischen
Erkrankungen, Neuralgien und auch bei gewissen Neurosen,
namentlich Herzneurosen, angewandt. Auf die für das Ver-
fahren sehr wesentlichen technischen Bemerkungen dieser Ar-
beit, zu denen sich auch wieder Steffens (17) äußerte, kann hier
nicht näher eingegangen werden. |
Die Frage der theoretischen und praktischen Wirkungen der
Radiumemanation wird weiter eifrig diskutiert. Die Ansicht
von Spartz (18), daß durch Trinken mehr Emanation in das Blut
aufgenommen wird als durch Inhalation, ist nicht ohne Wider-
spruch geblieben, und wohl mit Recht heben Falta und Freund (19)
dem gegenüber die klinische Erfahrung von der Ueberlegenheit
der Inhalationskur vor der Trinkkur hervor. Jedenfalls aber
zeigt auch eine Arbeit Engelmanns (20), daß es durch zweck-
mäßig verteiltes Trinken von Emanation gelingt, das Blut auf
längere Zeit mit Emanation zu beladen.
Die vielumstrittene Frage der Beeinflussung des Mono-
natriumuräts durch die Radiumemanation beantwortet Meser-
nitzky (21) in bejahendem Sinne, nur führt er die auch von ihm
gefundene Zersetzung des Mononatriumurats nicht, wie Gudzent,
auf das Radium D, sondern auf die Wirkung der «-Strahlen der
Emanation zurück. Mandel (22) fand, daß von sieben Gicht-
kranken, die auf der Münchener I. medizinischen Klinik mit Ra-
diuminbalation behandelt wurden, nur zwei eine Vermehrung der
Harnsäureausscheidung zeigten, während bei den übrigen die
Harnsäuremenge im Urin teils gleichblieb, teils sogar abnahm,
Trotzdem wiesen vier behandelte Gichtkranke eine deutliche kli-
nische Besserung auf.
Durch Injektion löslicher Radiumsalze konnten Brill
und Zehner (23) im Tierversuch eine. starke Vermehrung so-
wohl der Erythrocyten wie auch. der Leukocyten erzielen.
Während die Vermehrung der roten Blutkörperchen unabhängig
von der Dosis des injizierten Präparats eine viele Tage lang an-
haltende war, war die Hyperleukocytose bei Verwendung sehr
hober Dosen von einer Leukopenie gefolgt. Daß die Phago-
cytose außerhalb des Organismus durch Radiumemanation beein-
flußt wird, wies Klecki (24) nach; er fand eine Vermehrung der
Phagocytose gegenüber Staphylokokkus und Bacterium coli, eine
Abschwächung gegenüber Tuberkelbacillen. In Versuchen an mit
Radiuminhalation behandelten Patienten fand Referent (25), daß
auch in vivo die phagocytäre Kraft der Leukocyten gegenüber
Staphylokokken durch diese Behandlung erhöht wird.
Orszay (26) macht darauf aufmerksam, daß bei Lungen-
tuberkulose die Disposition zu Lungenblutungen durch
Radiumemanation erhöht wird und das Verfahren daher in
derartigen Fällen gefährlich und kontraindiziert sei. Auf die
Kontraindikation der Emanation bei Neigung zu Blutungen
weisen auch Falta und Freund in der vorhin schon erwähnten
Arbeit hin, In dieser Arbeit wird im übrigen über die Behand-
lung innerer Krankheiten mit Radiumemanation an der
Hand des großen Krankenmaterials der v. Noordenschen Klinik
berichtet. Es werden dort sowohl für die Inhalation, die die Ver-
fasser für die wirksamste Methode halten, wie auch für die Trink-
kuren sehr hohe Dosen verwandt; bei der Inhalation 22 bis
220 Mache-Einheiten pro Liter Luft (vergleiche auch v. Noorden
und Falta im Jahrg. 1911, Nr. 39 dieser Zeitschrift), für Trink-
kuren 7500 bis 30 000 Mache-Einheiten pro die, in einzelnen Fällen
noch mehr. Außer bei chronischem Gelenkrheumatismus
wurden auch bei akutem Gelenkrheumatismus, und zwar im An-
falle selbst, oft Besserungen nach der Emanationsbehandlung beob-
achtet. Bei Arthritis deformans und den monartikulären
Formen des chronischen Gelenkrheumatismus waren meist keine
Erfolge vorhanden, hingegen öfter bei Polyneuritis sowie (in
6 von 16 Fällen) bei tabischen Schmerzen und Krisen. Groß
war der Prozentsatz der Heilungen bei Ischias und sonstigen
Neuralgien. Zu erwähnen ist ferner die von den Verfassern
beobachtete und auch schon von andern Autoren erwähnte Besserung
der Potenz bei manchen mit Emanation behandelten Patienten.
In zwei Fällen von Coronarsklerose wurde ein Nachlassen der An-
fälle gefunden; auch glauben die Verfasser in drei Fällen von
croupöser Pneumonie, in denen sie die Radiuminhalation ver-
mittels eines sogenannten Bettemanatoriums anwandten, die danach
eingetretene verfrühte Iytische Entfieberung und auffallend rasche
Lösung des Exsudats auf jene Therapie beziehen zu können. Wie
die meisten andern Beobachter sind auch Falta und Freund der
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
Ansicht, daß sich der Eintritt der specifischen Reaktion bei
einer Emanationsbehandlung nicht mit Sicherheit prognostisch
als Zeichen der Wirksamkeit der Kur deuten läßt. |
Zum Schlusse sei erwähnt, daß Buxbaum (27) durch Bo-
strahlung mit Radium (ÄAuflegen von Leinwandstreifen, aut
die ein Gemenge von Barium-Radiumsulfat aufgetragen ist) bei
hartnäckigen Neuralgien sehr beachtenswerte Resultate er-
' zielt hat.
Literatur: i. Grober, Die Behandlung der Chorea minor. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 18.) — 2. v. Romberg, Die Therapie der chronischen Ne-
. phritis. (Ebenda 1912, Nr. 28.) — 3. Newton, Ueber Nauheimer Bäder bei
Nephritis mit hohem Blutdruck. (The American Journal of Medical Sciences,
April 1912.) — 4. Arnold Cahn, Kußmauls Kaltwasserbehandiung fieber-
hafter Krankheiten. (Th. d. G. 1912, Nr. 5.) — 5. Benczur, Physikalische
Therapie des Emphysems. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 39.) — 6. v. Sulschinsky,
Einfluß abkühlender Maßnahmen auf den normalen und entzündlichen Lymph-
strom. (Dissertation, Berlin 1911.) — 7. A. Hirschfeld, Die Wirkung kohlen-
säurehaltiger Bäder auf die Bilutverteilung. (Zt. f. Balneologie, 5. Jahrg.,
Nr. 13.) — 8. H. Bach, Die Einwirkung des ultravioletten Quarzlampenlichts
auf den Biutdruck. (D. med. Woch. 1911, Nr. 9.) — 9. Derselbe, Ueber
Disposition und Behandlung der Gicht mit ultraviolettem Licht. (Zt. f. diät,
phys. Th. Bd. 16, H. 9.) — 10. Goldscheider, Ueber atypische Gicht und
ihre Behandlung. (Ebenda Bd. 16, H. 6 u 7.) — 11. E. Kalker, Diathermie-
behandlung bei Herz-, Lungen- und Nierenerkrankungen. (Berl. kl. Woch.
1912, Nr. 36.) — 12. Fürstenberg und Schemel, Verhalten der Körper-
und Gewebstemperatur des Menschen bei der Thermopenetration. (D. med.
Woch. 1912, Nr. 38.) — 13. Engelen, Ueber lokale Hochfrequenzbehandlung.
(Ebenda, Nr. 26.) — 14. Lothar Wolf, Zur therapeutischen Wirkung der.
Hochfrequenzströme. (Dissertation, Berlin 1912.) — 15. Bühler, Die Behand-
lung der Arteriosklerose mit hochfrequentem Strom. (Korr. f. Schw. As,
1912, Nr. 13.) — 16. Kaestner, Ueber Anionentherapie. (D. med. Wooh. 1912,
Nr. 27.) — 17. P. Steffens, Zur Techuik der Anionenbehandlung. (Ebenda
1912, Nr. 39.) — 18, Spartz, Vergleichende Untersuchungen über Aufnahme
von Radiumemanation in das Blut durch Trinken und Inhalieren. (Zt. t. Röntg.
u. Radiumforschung 1911.) — 19. Falta und Freund, Behandlung innerer
Krankheiten mit Radiumemanation. (M. med. Woch. 1912, Nr. 14) —
20. Engelmann, Emanationsgehalt des Blutes nach Trinken von Emanations-
wasser. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 22.) — 21. Mesernitzky, Neuere Unter-
suchungen mit der Radiumemanation. (D. med. Woch. 1912, Nr. 26) —
22. — H. Mandel, Arthritis urica und Radiumemanation. (Radium in Biologie
und Heilkunde Bd. 1, H. 6.) — 28. Brill und Zehner, Wirkungen von In-
jektionen löslicher Radiumsalze auf das Blutbild. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 27.)
— 24. Klecki, Einfluß der Radiumemanation auf die Phagocytose. (Przegl
lekarski 1912, Nr. 16; Referat D. med. Woch. 1912, Nr. 29, S. 1386.) —
25. A. Laqueur, Ueber den Einfluß physikalischer Maßnahmen auf die natür-
lichen Abwehrkräfte des Biutes. (Vortrag auf dem VII. Oesterreich. Balneologen-
Kongreß; wird in der Zt. f. Balneologie erscheinen.) — 26. Orszay, Die Ge-
fahren des Radiums bei Tuberkulose der Lungen. (Zt. f. Tub. Bd. 18, H. 6)
— 27. Buxbaum, Zur Therapie der Neuralgien mit Radium. (Zt. £ diät. phys.
Th. Bd. 16, H. 5.) |
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
~ Julius Bauer untersuchte auf der Innsbrucker Universitätsklinik
das fettspaltende Ferment des Blutserunis bei verschiedenartigen krank-
haften Zuständen. Bekanntlich hat Abderhalden in jüngster Zeit gə-
zeigt, daß die parenterale Zufuhr „blutfremder“ Substanzen die Produk-
tion specifischer, diese Substanzen spaltender Fermente anregt, sowie daß
parenterale Zufuhr von Eiweiß oder hochmolekulären Peptonen zur Bil-
dung vcn specifischen proteo- beziehungsweise peptolytischen Fermenten,
Zufuhr von Rohrzucker oder Stärke, zur Bildung von Invertin führt. Das
geschieht nicht nur dann, wenn die genannten Stoffe parenteral eingeführt
werden, sondern auch dann, wenn sie vom Darmkanal aus durch Ueber-
fütterung in den Kreislauf gelangen. So wird nach Ueberfütterung mit
Rüböl eine auffallende Zunahme des lipolytischen Vermögens des Bluts
und Serums nachgewiesen, Analog fand auch Abderhalden bei hungerm-
den Tieren ein erhöhtes Fettspaltungsvermögen des Bluts, das auf einen
vermehrten Fetttransport hindeutet. Es war nun naheliegend, in dem
Fermentgehalte des Bluts bei krankhaften Zuständen, die eine erhöhte
Fetteinschmelzung erwarten lassen, den Ausdruck der Reaktionsfähigkeli
des Organismus, also Anhaltspunkt für den Zustand des Blutdrüsen
systems zu suchen. B. fand nun bei 79 verschiedenartigen Fällen fol-
gendes: Jedes menschliche Serum enthält fettspaltendes Ferment. Bel
Careinomkranken und schweren Phthisikern ist der Gehalt des Serum
an fettspaltendem Ferment in der Regel auffallend herabgesetzt. Bol
leichten, benignen tuberkulösen Spitzenaffektionen ist der Lipasenwert
oft auffallend hoch. Bei den bisher untersuchten Fällen von Lues und
Morbus Basedowii fand sich ein verhältnismäßig geringer Gehalt an fott-
spaltendem Ferment. Das geringe lipolytische Vermögen gewisser Dora
beruht nicht auf einer Vermehrung thermostabiler „Antifermente“ (Ant
trypsin), sondern auf einer Herabsetzung des Gehalts an lipolytischen
Ferment. Zuelzer:
‚Von den beiden Systemen der Centralbeizung ist, wie Wolff-
Eisner ausführt, die Dampfheizung zu verwerfen, dagegen die Warn
wasserheizung allein zu empfeblen. Im Gegensatz zum Wasser:
einem schlechten Wärmeleiter, gewährt der Dampf mit dem motallene!
Heizkörper eine zu starke Heizquelle. Eine Kombination der Dampf-
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17. November, 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46. 1881
Zustandes zeigten die Gewichtszunahme binnen 16 bis 55 Tagen von
800 g bis 4800 g. In den Fällen, in denen wegen eines Krebses ein
operativer radikaler Eingriff vollzogen wird, kann die Autohämotherapie
in hohem Grade die Rekonvaleszenz befördern und sollte dann als
weiteres Heilverfahren ihre Anwendung finden. f (Wr. kl. Woch. Nr. 35,
S. 1320.) Zuelzer.
Zur Stillung des Nasenblutens empfiehlt Ritschl einen der so-
genannten Nägelischen Handgriffe. Dabei geht man so vor, daß man
vor oder hinter dem sitzenden Patienten stehend die Hände unterhalb
der Kieferwinkel und an den seitlichen Teilen des Hinterhauptes anlegt
und nun am Kopf einen gleichmäßigen Zug nach oben ausübt. Um
die Wirkung zu verstärken, bringt man den Kopf zugleich in eine mög-
lichst nach rückwärts gestreckte Lage, auch damit das Blut durch den
Nasenrachen abfließen kann. Nach ein bis zwei Minuten soll prompte
Blutstillung eintreten.
Die Wirkung des Handgriffs dürfte nach Ansicht des Verfassers
hauptsächlich auf eine durch Dehnung des Halssympathicus erzeugte
Reizung der Vasokonstriktoren im gesamten Kopfbereiche
zurückzuführen sein. Dadurch kommt es unter anderm zu einer Ver-
engerung der Gefäße der Nasenschleimhaut. (M. med. Woch. 1912,
Nr. 43.) F. Bruck.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Zürich (Prof. Eich-
horst) und aus dem Pathologisch-anatomischen Institut daselbst (Prof.
Busse) berichten Otto Busse und Louis Merian über einen Todes-
fall nach Neosalvarsaninfusion. Ein 18jähbriges Mädchen erhielt 0,6
Neosalvarsan intravenös und vertrug diese Infusion ausgezeichnet. Da
aber kein nennenswerter Erfolg eintrat, wurde acht Tage später eine
zweite Neosalvarsaninfusion von 0,6 vorgenommen. Zwei Tage darauf
stellten sich bei der Kranken allmählich unter anderm folgende Symptome
ein: Kopfschmerzen, ikterische Verfärbung der Skleren, Tremor der Hände,
Steigerung der Patellarsehnenreflexe, tonisch-klonische Zuckungen am
ganzen Körper, Bewußtlosigkeit, hochgradige Atemnot und starke Oyanose,
unregelmäßiger und sehr frequenter Puls (allmählich bis 160 Schläge in
der Minute), Incontinentia urinae, deutlich ausgesprochener Strabismus
convergens, Opisthotonus, Erbrechen. Nach weiteren zwei Tagen trat
der Exitus letalis ein. Bei der Sektion und der mikroskopischen Unter-
suchung zeigten sich:
1. zahlreiche Blutungen, Thrombosen, Erweichungen und Entzün-
dungsherde im Gehirne, |
2. Blutungen in verschiedenen Teilen des Rückenmarks,
3. am Herzen eine ausgedehnte Degeneration der Herzmuskulatur,
4. in den Nieren eine weitgehende Degeneration des Parenchyms,
mit Wucherung und Desquamation des Epithels der Glomeruli,
5. in der Milz Wucherungen der Pulpa, Blutungen und beginnende
Nekrosen.
Es decken sich also diese Befunde im wesentlichen mit denjenigen,
die auch sonst bei Todesfällen nach Salvarsan- und Neosalvarsanbehand-
lung erhoben worden sind. Der Einwand, daß hierbei eine unzweckmäßige
Anwendung des Salvarsans, Verunreinigungen des Lösungsmittels, also
septische und pyämische Komplikationen schuld seien, muß zurück-
gewiesen werden. “
Dagegen sind die Organveränderungen im vorliegenden Falle die
gleichen wie die bei Arsenvergiftungen (auch wo das Gift per os dem
Körper einverleibt wurde), wie das aus dem Studium der etwas weiter
zurückliegenden und schon halb in Vergessenheit geratenen Literatur
darüber hervorgeht. Daraus folgt, daß die zum Tode führenden Neben-
erscheinungen nach Verabreichung des Salvarsans und Neosalvarsans als
toxische Wirkungen des eingebrachten Mittels, und zwar wahrscheinlich
im wesentlichen seines Arsenbestandteils, aufzufassen sind.
„Nicht ein Verschulden, auch nicht eine unzweckmäßige Hantierung
des das Mittel gebrauchenden Arztes führt die traurigen Komplikationen
‚herbei, sondern diese sind in der tückischen, vorher nicht vorauszusehenden
und deshalb unberechenbaren Giftwirkung des Arsens begründet. Diese
Gefahren haften den neuen komplizierten Arsenverbindungen ebenso an, wie
den alten klassischen Präparaten.“ (M. med. Woch. 1912, Nr. 43.)
F. Bruck.
heizung mit einem Heizkörper aus schlecht wärmeleitendem Material
würde einen idealen Heizungsmodus abgeben (Ausgestaltung der so-
genannten keramischen Heizkörper). (D. med. Woch. 1912, Nr. 37.)
F. Bruck.
In einem sehr lesenswerten Aufsatz über die Behandlung der
Prostatahypertrophie bespricht Casper (Berlin) alle therapeutischen
Maßnahmen, die dem Praktiker bei dieser Krankheit zur Verfügung
stehen, nachdem jetzt ein gewisser Ruhepunkt in den Anschauungen der
Therapeuten eingetreten ist. Er schildert eingehend die Methoden und
Mittel, die zweckmäßig sind, um den mit diesem qualvollen Leiden be-
hafteten Patienten Erleichterung und Verhütung der schlimmen Folge-
erscheinungen zu verschaffen und bekennt sich als Anhänger der Radikal-
operation nur in den Fällen, in denen eine strenge Indikation vorliegt.
Als solche sieht er die Fälle an, in denen trotz Katheterisierens der
Harndrang nicht aufhört und dieser so stark ist, daß er dem Kranken
den Lebensgenuß raubt, ferner wenn der Katheterismus unmöglich oder
sehr schwierig ist, oder wenn oft wiederkehrende Prostatablutungen den
Kranken sehr schwächen. Als weitere Indikation gilt ihm wiederholte
Blasensteinbildung, bei denen die Lithotripsio nicht ausführbar ist, und
soziale Verhältnisse, die einen aseptischen Katheterismus unmöglich
machen. Kontraindikationen sind schwere allgemeine Ernährungs-
störungen, Diabetes starken Grades, weitgehende Veränderungen des
Herzens und der Nieren, vorgeschrittene Arteriosklerose und allgemeine
chronische Urosepsis, weil in diesen Fällen die Prognose sehr schlecht
ist. (Th. d. G. September 1912.) Buß.
Als Ersatzpräparat des Jodkaliums bei Syphilis empfiehlt
Edmund Saalfeid das organische Jodpräparat Jodostarin mit einem
Jodgehalte von 47,5%,. Darnach treten unangenehme Nebenwirkungen
seltener auf als nach dem Jodkalium. Ein großer Vorzug des Jodo-
starins besteht ferner darin, daß es vom Speichel und Magensafte nicht
verändert wird, sondern daß es erst im alkalisch reagierenden Darmsafte
zur Abspaltung und Resorption von Jod kommt. Hierdurch findet die
Tatsache ihre Erklärung, daß das Jodostarin nach dem Essen gegeben
werden kann. Beim Jodkalium dagegen wird das Jod bereits im Magen
abgespalten, bildet hier mit den bei jeder Mahlzeit mehr oder weniger
reichlich aufgenommenen stärkehaltigen Speisen unlöslichen Jodstärke-
kleister und kommt dann naturgemäß nur unvollständig zur Ausnutzung.
Auch hat das Jodostarin dem Jodkalium gegenüber den Vorzug, daß es
bei relativ schneller Resorption langsam ausgeschieden wird. Seine Wir-
kung ist daher protrahierter und man kommt mit kleinen Dosen aus.
Schließlich ist es im Gegensatz zum Jodkalium geschmacklos.
Das Jodostarin ist in Tabletten à 0,25 g vorrätig. Eine solche
Tablette entspricht, nach dem Jodgehalte berechnet, 0,15 g Jodkalium. Im
allgemeinen werden zu Beginn drei Tabletten pro die gegeben und je
nachdem es der Fall erfordert, wird damit gestiegen, im Höchstfalle bis
auf 20 Tabletten pro die. (D. med. Woch. 1912, Nr. 42.) F. Bruck.
Die Wirkung des Adalins wurde von Walter im Lazaruslandes-
spital in Krakau geprüft. Es wurden 0,75 bis 1 g in Tablettenform zu-
gleich mit heißem Tee gegeben, wonach sich meist 3/4 bis 1 Stunde später
ein acht- bis zehnstündiger Schlaf anzuschließen pflegte. Auch bei längerer
Anwendung treten keine schädigenden Nebenwirkungen auf und häufig
wirkt es auch dann und selbst bei sukzessive herabgeminderter Gabe
genau wie ursprünglich. Besonders günstig wirkt das Adalin als Schlaf-
und Beruhigungsmittel bei Schlaflosigkeit auf nervöser Grundlage, ferner
bei Herzneurose und organischen Herzerkrankungen, indem es die Krank-
heitserscheinungen und ihre Stärke herabmindert. (Wr. kl. Woch. Nr. 26,
S. 1006.) Zuelzer.
Anton Krokiewicz berichtet aus dem Gebiete der Krebsforschung
über Autohämotherapie bei Krebskranken. Er hat diese Therapie,
welche in der subeutanen Injektion von je 6ccm eigenen Blutes der
Krebskranken bestand — der Eingriff wurde mehrmals in acht- bis zehn-
tägigen Intervallen wiederholt — in 13 Fällen von Krebs angewandt:
bei 10 Magencarcinomen, bei 2 Gebärmuttercarcinomen und bei einer
Kranken mit Brustdrüsenkrebs. Im allgemeinen wurde dieser thera-
peutische Eingriff 51 mal vorgenommen und die Kränken vertrugen ihn
sebr gut und nur bei 2 Magenkrebskranken stellten sich transitorische
Nebenerscheinungen ein. Als Resultat der Versuche — auf die sehr aus-
führlichen Krankengeschichten kann hier nicht näher eingegangen werden
— läßt sich feststellen, daß sich durch die genannte Injektion eine Ab-
nahme der Schmerzen und des Erbrechens nicht selten einstellten. Ver-
schiedene Kranke gewannen in kurzer Zeit wieder Appetit, Schlaf, Kräfte
und Lebensenergie, was früher durch keine andere Medikation zu er-
reichen war, zuweilen schwahden die Schmerzen und das Erbrechen sogar
vollständig, ohne daß irgendeine andere Therapie angewandt wurde und
der Ernährungszustand der Kranken hob sich bedeutend. So betrug
z. B. bei 3 Kranken, welche eine deutliche allgemeine Besserung des
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
Hedlosit
C:H1207 ist ein neues Nahrungsmittel und Zuckerersatz für Zuckerkranke.
Es wird selbst vom schwersten Zuckerkranken leicht oxydiert und ver-
wertet. Außerdem hat Hediosit die für ein chemisch definiertes Kohle-
hydrat bisher einzig dastehende Eigenschaft, die aus sonstigen Quellen
entstammende Zuckerausscheidung des diabetischen Menschen wesentlich
herabzusetzen. Sein süßer angenehmer Geschmack befähigt ihn als
nährender Süßstoff, der gegenüber andern Zuckerersatzmitteln ohne Nähr-:
Be
1882 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
wertcharakter einen Brennwert gleich dem Traubenzucker besitzt, zu
funktionierön. | |
Die Glykosurie erfährt selbst bei den schwersten Fällen nicht nu
keine Erhöhung, sondern sie wird im Gegenteil in den meisten Fällen
erheblich vermindert. Hediosit stellt somit ein wesentliches Hilfsmittel
in der Diätkur des Diabetes dar.
Hinsichtlich der Resorptionsverhältnisse und des Einflusses auf das
Allgemeinbefinden spielt das Alter der Patienten keine Rolle. Abgesehen
von leichten Diarrhöen nach Dosen über 20 g pro die sind Neben-
erscheinungen nicht beobachtet worden, dagegen war meist während der
Dauer der Hediositdarreichung äußerstes Wohlbefinden zu konstatieren.
Am besten sind Mengen von 10 bis 380 g pro die in Tee, oder den
Speisen zugesetzt, zu nehmen. Eine praktische Form der Darreichung
sind die Melubrinwürfei à 2,5 g in Schachteln zu 20 Stück, die der
Ration für eine Woche entsprechen.
Darsteller: Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst
am Main.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Hochkant gekrümmte Raspel zum Oeffnen und Bearbeiten von
Gipsverbänden nach Dr. Heß (Hagen i. W.)
Musterschutznummer: 435 613,
Kurze Beschreibung: Hochkant gebogene Raspel mit messer-
förmigem Durchschnitt.
Anzeigen für die Verwendung: Oeffnen von
Gipsverbänden, Gipskorsetts; besonders gut verwendbar
en den Gelenken und für die Toilette dieser Verbände.
Anwendungsweise: Nach Art einer Säge.
Reinigungsweise: Mit Drahtbürste oder unter Wasserleitung.
Firma: A. F. Schmalenbach, Hagen i. W.
Bücherbesprechungen.
H. Bischoff, W. Hoffmann, H. Schwiening, Lehrbuch der Militär
hygiene. Berlin 1912, August Hirschwald. 4. Band. |
Der vierte Band dieses großen Werkes liegt nun auch vor. Er
umfaßt sechs Abschnitte, von denen der erste die allgemeine Aetiologie
der Infektionskrankheiten, bearbeitet von Oberstahsarzt Bischoff, ent-
hält. Derselbe Autor behandelt‘ im zweiten Abschnitte die allgemeine
Prophylaxe der Infektionskrankheiten unter besonderer Berücksichtigung
militärischer Verhältnisse. Im Abschnitte 3 bespricht Oberstabsarzt
Hoffmann in umfassender Weise die Desinfektion, indem er zunächst
Wesen und Zweck der Desinfektion, weiter die einzelnen Desinfektions-
mittel, ferner Anlagen von Desinfektionsanstalten und zum Schluß die
spezielle Desinfektion erörtert. Abschnitt 4 behandelt Immunität und
Immunisierung und ist von Oberstabsarzt Hetsch bearbeitet. Schon der
Name des Autors bürgt dafür, daß dieser Abschnitt nach jeder Richtung
hin mustergültig ist. Der weitaus umfangreichste fünfte Abschnitt ent-
hält die spezielle Epidemiologie und die Infektionskrankheiten; in seine
Bearbeitung teilen sich die Oberstabsärzte Bischoff und Hetsch und
die Stabsärzte Kutscher, Findel und Möllers. Der letzte Abschnitt
handelt von den nicht infektiösen Armeekrankheiten (Hitzschlag, Alko-
holismus, äußere Armeekrankheiten, wie Schweißfuß, Fußgeschwulst,
Muskelknochen usw.). Das vierte Kapitel dieses Abschnitts ist der Hygiene
der Augen, der Ohren und des Mundes gewidmet.
Das Sachregister erleichtert die Orientierung.
Der vierte Band ist nach jeder Richtung hin den vorhergehenden .
gleichwertig; es ist mit Freude zu begrüßen, daß seine Fertigstellung so
bald erfolgt ist. Hoffentlich wird nun das gesamte Werk bald in Voll-
ständigkeit vorliegen. Hornemann (Berlin).
Paul Manasse, Die Ostitis chronica metaplastica der mensch-
lichen Labyrinthkapsel (Otosklerose, Stapesankylose, Spongio-
sierung der Labyrinthkapsel. Mit 20 Figuren auf Tafel I—XIII.
Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 76 Seiten. M 8,—.
Ein wertvolles Buch. Gerade über eine der häufigsten und
wichtigsten Ohrenerkrankungen, die chronische progressive Schwer-
hörigkeit, die Otosklerose, bestehen mancherlei Unklarheiten, so die Ver-
mengung von Sklerose und Stapesankylose. Als anatomische Grundlage
der sogenannten Otosklerose hat man eine kmöcherne Ankylose des
Stapediovestibulargelenks angenommen und die Fixation des Stapes auf einen
Entzündungsprozeß der Paukenschleimhaut in der Gegend der Labyrinth-
fenster zurückgeführt. Politzer hat es zuerst präzise ausgesprochen,
daß es sich bei der sogenannten Otosklerose um eine primäre Erkrankung
der knöchernen Laabyrinthkapsel handle, und betont, dab die Ernährungs-
störung im Knochen nicht von der Schleimhaut oder vom Periost aus-
geht, sondern eine Primäraffektion des Knochens darstellt. In allen
seinen Fällen handelte es sich um Stapesankylose, dabei aber auch um
Spongiosierung kleinerer oder größerer Teile der übrigen Labyrinthkapsel.
Besonders eingehend hat Manasse den Knochenprozeß - untersucht,
welchen er als einen entzündlichen auffaßt: Ostitis chronica metaplastica.
Bezüglich der histologischen Vorgänge muß auf das Original verwiesen
werden. Auf Grund von 17 untersuchten Felsenbeinen findet er, daß die
Stapesankylose jedoch nichts Wesentliches, Charakteristisches, unbedingt
Notwendiges bei der Otosklerose darstellt. Er sah sie nur bei 5 von
17 Felsenbeinen. Allerdings besteht dicht am Stapes eine Prädilektions.
stelle der Knochenerkrankung, sodaß das Stapediovestibulargelenk in den
Prozeß leicht hineingezogen werden kann, jedoch immer nur gewisser-
maßen akzidentell.
Sehr häufig findet man bei der chronischen Ostitis metaplastica
atrophisch-degenerative Veränderungen im häufigen Labyrinth: atrophische
Zustände am Cortischen Organ, Atrophie und Bindegewebsneubildung
an den feinen Nervenverzweigungen in der Schnecke, am Ganglion spi-
rale, auch am Stamme des Nervus acusticus. Manasse ist jedoch nicht
zu der Ueberzeugung ‚gekommen, „daß in allen Fällen ein Abhängigkeits-
verhältnis beider Alterationen voneinander besteht“, er muß die Frage
often lassen, ob die beiden anatomischen Veränderungen in einem ursäch-
lichen Verhältnisse zueinander stehen. Zu betonen ist die Tatsache, daß
Stapesankylose auch durch andere anatomische Veränderungen vorkommen
kann als durch die Ostitis chronica der Labyrinthkapsel, so durch chro-
nisch-entzündliche Prozesse der Paukenschleimhaut.
Bezüglich der Aetiologie hält Manasse jede lokale Ursache für
undenkbar; die häufig beobachtete Erblichkeit der Affektion weist auf
konstitutionelle Momente hin, vielleicht auf eine Erkrankung der Felsen-
beingefäße, Ernst Barth.
C. Oppenheimer, Grundriß der Biochemie für Studierende und
Aerzte. Leipzig 1912, Thieme. 8998. M 9,—.
Wie die früheren Bücher des Verfassers — organische, anorg»
nische Chemie usw. —, so zeichnet sich auch das vorliegende Werk
— zirka 400 Seiten — durch folgende drei Eigenschaften aus, die auch
ihm eine gute Zukunft garantieren: Absolute Beherrschung der Materie,
knappe, klare Diktion und vor allem dem Leserkreise, für den es be
stimmt ist, genau angepaßte Auswahl des Stoffes. Jedes Mehr und jedes
Weniger wäre vom Uebel gewesen.
Das Werk zerfällt in einen systematischen und in einen analytisch
physiologischen Teil. In ersterem werden die chemischen Stofe des
tierischen Körpers — die Stoffe mit offenen Kohlenstoffketten, die cycli:
schen Substanzen, Proteine, Fermente und Antigene abgehandelt. Die Ab-
teilungen des zweiten Teils sind: Zusammensetzung der lebenden Substanz,
die Nährstoffe, der Stoffwechsel — nach meinem Empfinden der bestgelungen®
Abschnitt, Aufnahme und Transport der Nährstoffe Se- und Exkretion,
Regulierung der Funktionen, Chemie der Stützgewebe und Muskeln.
Bei aufmerksamer Lektüre des Buches ist mir nur ein Versehen
aufgefallen: Seite 379 ist der vordere — statt des hinteren — Lappen
der Hypophyse als Ursprungsstätte des Pituitrin angegeben.
Ich halte das Oppenheimersche Buch für das zurzeit beste
unter den nicht für den speziellen Fachmann bestimmten Lehrbücher
der physio- und pathologischen Chemie. Pickardi
Legrand, Pratique m6ödico-chirurgicale à la campagne. Notes
et observations. Librairie O. Berthier, Emile Bougault, Successow:
Paris 1912. S. 152. l
Ein erfahrener Landarzt bespricht hier als guter Beobachter Bein
guten und schlechten Resultate in der Behandiüng der verschiedensten
chirurgischen und geburtshilflichen Fälle. Wer das Französische w
herrscht, wird mit Interesse und Nutzen diese Erfahrungen aus der
lichen Praxis lesen. Gisler.
H. Schieß, Kurzer Leidfaden der Refraktions- und A
dationsanomalien. Eine leicht faßliche Anleitung zur ie
bestimmung. Zweite vermehrte Auflage. Mit 80 Abbildungen. Wies
1912, F. Bergmann. 71 Seiten. M 2,80. oraktiker
Ein handliches kleines Büchlein, das sicher manchem Pr al
wertvoll und nutzbringend ist. Es bietet nichts Neues, sondern ©
nur eine Zusammenstellung von bekannten Dingen, allerdings ™ anen
ansprechender Form. Der Verfasser ist Anhänger der unvol r)
Correction der Myopen, die er auch bei geringeren Graden (z. B. 5 Pori
nicht das voll korrigierende Glas tragen läßt. Es gilt für ihn als olchen
für Kinder unter zwölf Jabren das Brillentragen zu verbieten. Mit htbal
Anschauungen wird der Verfasser sich unter den jüngere? ijp,
mologen nicht viele Freunde erwerben. C. Adam (Ber
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17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
1883
F. Koelsch, Bernardino Ramazzini, der Vater der Gewerbe-
hygiene (1633—1714). Sein Leben und seine Werke. Mit einem
Bildnis. Stuttgart 1912, Ferd. Enke. 35 S. M1,40.
Die sorgfältige Arbeit zeigt in ausführlicher Form, daß die „mo-
derne“ Hygiene, wie alles gute, nicht neu ist. Wie die Literaturangaben
auf der letzten Seite zeigen, haben die Historiker die Bedeutung Ra-
mazzinis lange gekannt und der verstorbene Pagel hat in einer seiner
ersten Arbeiten darauf hingewiesen; es wäre deshalb vielleicht richtiger
gewesen, den Titel dieser Arbeit ausführlich zu bringen und nicht nur
zu bringen „über B. Ramazzini und seine Bedeutung usw.“, denn dieses
„usw.“ heißt „in der Geschichte der Gewerbehygiene“, und der kurze auf
drei Nummern der D. med. Woch. verteilte Aufsatz Pagels enthält in
nuce den Inhalt dieser größeren Schrift. Paul Richter (Berlin).
Arthur Kornfeld, Ueber die psychologischen Theorien Freuds
und verwandte Anschauungen. Leipzig 1912, Wilhelm Engel-
mann. 120 Seiten. M 2,40.
Ein Zeichen dafür, daß die Lehre Freuds noch im Kernpunkte
des ärztlichen Interesses steht, ist die Ueberfülle von Arbeiten über
dieselbe. Die rein klinische, im eigentlichen Sinne ärztliche Ablehnung
erfuhr die Freudsche Psychoanalyse weniger in umfangreichen Studien,
als vielmehr in kurzen Abhandlungen (Hoche) und mannigfachen Kongreß-
und Diskussionsreden. Aber auch da wurde die Unhaltbarkeit der Lehre
in ihrer ganzen praktischen Ausdehnung aus psychologischen Gründen
immer wieder betont. Besonders gründlich hat das Isserlin getan,
Kornfeld versucht ebenfalls eine logische und psychologische Kritik an
der Lehre Freuds, Bleulers und Jungs zu üben, während (mit vollem
Rechte!) die Arbeiten seiner Schüler Sadger, Stekel, Abraham aus
der Diskussion ausgeschaltet bleiben. Sympathisch berührt die gerechte
Beurteilung, die Kornfeld der Psychoanalyse überall dort zuteil werden
läßt, wo er in Freud einen bahnbrechenden Neuerer, einen ideenreichen
Kopf, einen Mehrer psychologischer Ueberlegungen sieht. Meist aber
kann der Verfasser an all die Schlagworte der Freudianer mit scharfer
Kritik herangehen und die Lehre von Grund aus erschüttern. Er lobt
an Freuds Lehre „die lebendige Tendenz zur psychologischen Durch-
dringung selbst ganz individueller psychischer und psychotischer Phäno-
mene, welche in der Aera descriptiver Klinik ein wenig zurückgetreten
zu sein schien“. Aber bei aller Anerkennung der Ideen Freuds: „Mit.
der Wissenschaft und ihren Maßstäben sachlicher Strenge hat die Lehre
nichts zu tun“. Kurt Singer (Berlin).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Priyat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 80.
Perniziöse Anämie nicht Unfallfolge
von
Dr. Hermann Engel,
Gerichtsarzt des Kgl. Oberversicherungsamts Groß-Berlin.
Vorgeschichte: Der damals 55jährige Gartenarbeiter K.S.
zu P. erlitt am 11. Mai 1909 durch Betriebsunfall (Stoß gegen
eine Einfriedung) einige Wunden am linken Schienbein. Seine
Frau verband die Wunden. Am nächsten Tage ging S. wieder
zur Arbeit. Zwei Tage später mußte er den Kassenarzt auf-
suchen, der ihn am 27. Juli 1909 dem Krankenhaus überwies.
Hier verstarb S. am 2. August 1909.
Dr. M., Assistenzarzt des Krankenhauses, teilt mit, daß S.
an perniziöser Anämie gelitten habe Er lehnt den ursächlichen
Zusammenhang zwischen Tod und Unfall ab.
Dr. N., der den Kranken nach seiner Verletzung wiederholt
gesehen hat, erklärt — ohne Kenntnis der klinischen mikroskopi-
schen Untersuchungsergebnisse —, für ihn sei es feststehend, daß
S. an einer von den Wunden ausgegangenen Blutvergiftung (Sepsis)
gestorben sei. Die Berufsgenossenschaft lehnt die Hinterbliebenen-
rentenansprüche auf Grund des Dr. M.schen Gutachtens ab.
Begutachtung: Dr. M. begründet seine Diagnose: „perni-
ziöse Anämie“ mit den kennzeichnenden Symptomen, sehr bedeu-
tende Verminderung des Blutfarbstoffs, ebenso beträchtliche Ver-
minderung der roten Blutkörperchen, deren Gestalt auch krank-
haft verändert war.
Damit und aus dem klinischen Befund ist — zumal sich bei
der Sektion nichts Besonderes fand — die Diagnose „perniziöse
Anämie“ sichergestellt. Die Annahme einer Sepsis (Blutvergiftung)
muĝ damit fallen gelassen werden.
Diese Erkrankung ist eine ohne nachweisbare Ursache sich
entwickelnde, meist tödlich verlaufende, seltene, selbständige
Krankheitsform, bei der die roten Blutkörperchen zugrunde gehen.
Daß eine Verletzung imstande sei, diese Erkrankung hervorzurufen,
ist noch von keiner Seite behauptet worden. Sehr häufig ent-
wickelt sich die Krankheit gerade bei Leuten, die in günstigen
äußeren Verhältnissen leben, also Betriebsunfällen im allgemeinen
nicht ausgesetzt sind. Demnach ist der zeitliche Zusammenhang
zwischen dem Unfalle des S. und seiner Erkrankung an perniziöser
Anämie ein rein zufälliger.
Ich gelange daher zu dem Schluß:
Es ist nicht mit Sicherheit, aber auch noch nicht mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auzunehmen, daß der
Tod des S. in ursächlichem Zusammenhange mit dem Unfalle yom
11. Mai 1909 steht.
Hierauf lehnte das Schiedsgerieht den Anspruch der Witwe
ab. Derselben gelang es aber, sich ein den Zusammenhang aner-
kennendes Gutachten des Prof. M. in Berlin zu verschaffen, auf
Grund dessen sie Rekurs beim Reichsversicherungsamt einlegte.
In diesem Verfahren wurde noch ein mir im wesentlichen bei-
stimmendes Obergutachten des Geh. Med.-Rat Prof. Dr. O. einge-
holt, welches unter anderm noch folgendes ausführt:
„Ich habe bereits in früheren Gutachten die Möglichkeit eines
Zusammenhangs zwischen Unfallverletzung und bösartiger Blut-
armut nicht völlig zurückgewiesen, sondern im Gegenteil ge-
schrieben, daß auch Verletzungen unter den Ursachen der bös-
artigen Blutarmut eine Rolle spielen, wenn sie mit größeren
Blutungen verbunden waren. Diese Vorbedingung ist aber hier
durchaus nicht erfüllt, denn eine nennenswerte Blutung hat bei S.
überhaupt nicht stattgefunden. Nun könnte man sagen, wenn
auch bisher eine Verletzung ohne Blutung nicht in ursächliche
Beziehung zu einer bösartigen Blutarmut gebracht worden ist, so
liegt hier der erste Fall einer solchen Beziehung vor, es muß ja
doch schließlich immer ein Fall der erste gewesen sein, bei dem
gewisse ursächliche Beziehungen beobachtet wurden. Ich weise
deshalb auf die Angabe des zuerst behandelnden Arztes, Dr. K.,
hin, daß ihm schon in der ersten Zeit der Behandlung die blaßgraue
Gesichtsfarbe des Patienten aufgefallen sei. Wäre die angebliche
Angabe der Ehefrau, ihr Mann habe schon im Februar 1909 grau
im Gesicht ausgesehen, zu Recht bestehen geblieben, so wäre wohl
mit Sicherheit anzunehmen gewesen, daß die Blutarmut schon
lange vor dem Unfalle bestand, aber auch so muß aus der Be-
kundung des Arztes mit großer Wahrscheinlichkeit der Schluß
gezogen werden, daß die zum Tode führende Krankheit schon vor
dem Unfalle bestand, und es liegt gewiß der Gedanke nicht allzu
fern, daß vielleicht ein schon vorhandener Kräfteverfall bei der
Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat. Auf jeden Fall kann mit
einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden, daß
der Unfall die Todeskrankheit bewirkt habe.
Nun bleibt aber immer noch die Möglichkeit, daß der Unfall
etwa den Verlauf der Krankheit ungünstig beeinflußt hat.
Der Unfall an sich war ein unbedeutender. Verletzungen
über dem Schienbein sind bekanntlich immer sehr schmerzhaft,
aber daß hier eine größere Gewebsschädigung nicht’ vorlag, dafür
spricht, daß im Krankenhaus eine bewegliche Narbe und ein glattes
Schienbein festgestellt wurde.
Freilich ist eine zeitliche Beziehung zwischen deutlich zu-
tage tretenden Erscheinungen der Blutarmut und dem Unfalle nicht
zu verkennen, aber daraus allein kann man noch nicht eine ur-
sächliche Beziehung ableiten, um so weniger, wenn man die sicher-
lich zulässige Annahme macht, daß S. beim Ueberschreiten der
Raseneinfriedigung mit dem Stiefelabsatze hängengeblieben ist,
weil er durch eine schon bestehende Blutarmut bereits einen Kräfte-
verlust erfahren hatte.
Aber selbst, wenn man von der letzten Möglichkeit
ganz absieht, so ist es so bekannt, daß ein Teil der Fälle
von bösartiger Blutarmut an und für sich so schnell verläuft,
daß man nicht nötig hat, auf den an sich wenig bedeuten-
den Unfall zurückzugreifen, um den Verlauf der Krankheit bei
S. zu erklären.
Auf keinen Fall kann von einer irgendwie höheren Wahr-
scheinlichkeit einer solchen Bedeutung des Unfalls die Rede sein.“
Das Reichsversicherungsamt wies hierauf den Rekurs zurück.
1884
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
Der 3. Deutsche Kongreß für Säuglingsfürsorge,
Darmstadt, September 1912.
Bericht von Oberarzt Dr. Rott, Charlottenburg.
Zur Verhandlung gelangten folgende Referate:
1. Einheitliche Organisation der Ausbildung von Säuglings-
pflegerinnen.
Langstein (Berlin) spricht als erster Referent über die Ausbil-
dung von Säuglingspflegerinnen. Sie ist bisher nicht einheitlich orga-
nisiert. Um der Zersplitterung auf diesem immer wichtiger werdenden
Gebiete zu steuern, ist ein einheitliches Vorgehen dringend erwünscht.
Im weiteren schildert der Referent die Tätigkeit und die Beschlüsse der
zur Bearbeitung der Frage eingesetzten Kommission. Es ist notwendig,
die Ausbildung von solchen Persönlichkeiten, die sich der Säuglings-
krankenpflege inklusive der offenen Fürsorge widmen, nach Art und Dauer
zu unterscheiden von der Ausbildung von Familienpfiegerinnen. Es be-
steht in erster Linie die Notwendigkeit, einfach vorgebildete Mädchen zu
Säuglingspflegerinnen auszubilden. Dafür spricht die Bedürfnisfrage und
die Tatsache, daß eine einheitliche Organisation der Ausbildung um so
leichter durchführbar sein dürfte, je einfacher sie gestaltet wird, je ge-
ringer die Anzahl der verschiedenen Arten von Pflegerinnen ist. Trotz-
dem dürfte es darüber hinaus notwendig sein, daß wenigstens einige
deutsche Anstalten auch gehobene Säuglingspflegerinnen für die Familie
ausbilden, um fremdländischen, durch die Sache an und für sich nicht be-
rechtigten Einfluß auszuschalten. Bezüglich der Ausbildung der ein-
fachen Säuglingspflegerinnen für die Familie wird die Altersgrenze
zwischen 18 und 30 Jahren, mit einer gewissen Liberalität nach oben hin,
vorgeschlagen. Ausschlaggebend für die Zulassung zu diesem Berufe soll
nicht die Schulbildung, sordern der Grad der Intelligenz sein. Vor-
bedingung ist absolute Gesundheit. Die Ausbildungsdauer soll auf !/a Jahr
festgesetzt werden. Außer der Pflege des gesunden Kindes soll die
Kinderpflegerin womöglich noch Wochenpflege, die Grundzüge der Hygiene
des älteren Kindes und der Krankenpflege erlernen. Der Unterricht soll
ein praktischer und theoretischer sein. Wegen der Kürze der Ausbil-
dungszeit, die aus materiellen Gründen notwendig ist, muß die Ausbil-
‘dung um so mehr in die Tiefe gehen; die Kontinuität der Beobachtung
muß das ersetzen, was durch die Kürze der Ausbildungsdauer mangel-
haft ist. Deswegen eignen sich als Ausbildungsstätten nur mit allen
Einrichtungen versehene Anstalten, Säuglingsheime, Säuglingskranken-
häuser, Tag- und Nachtkrippen, nicht hingegen die Tagkrippen. Mit
Rücksicht auf einen gewissen Mangel an solchen Anstalten in Deutsch-
land empfiehlt es sich, Säuglingskrankenhäusern und Säuglingsheimen
Pflegeschulen anzugliedern. Für die Pflegerin soll durch ein Diplom
Schutz geschaffen werden, das Diplom soll auf Grund der Ablegung eines
Examens ausgestellt werden. Der Staat kann geschlossene Anstalten,
welche unter Leitung eines Kinderarztes stehen und bestimmten Bedin-
gungen entsprechen, die Befugnis erteilen, ein Zeugnis auszustellen. Das
Zeugnis soll widerruflich sein; die Pflegerinnen sollen sich von drei zu
drei Jahren einer Nachprüfung unterziehen.
Ibrahim (München) spricht als Korreferent über die Ausbildung
der Säuglingskrankenpflegerinnen. Säuglingskrankenpflegerinnen wer-
den außer in Säuglingsheimen und Kinderkrankenhäusern auch in Krippen,
in den Kinderabteilungen der allgemeinen Krankenhäuser und chirurgi-
schen Stationen usw. benötigt, besonders aber auch in der offenen Säug-
lingsfürsorge. Die Ausbildungsdauer soll sich auf zwei Jahre erstrecken,
von denen mindestens ein Jahr der speziellen Ausbildung in der Säug-
lings- und Kleinkinderpflege gewidmet sein muß. Die Ausbildung in der
allgemeinen Krankenpflege muß bis jetzt in einem allgemeinen Kranken-
haus erworben werden. Es wäre zu erstreben, daß auch moderne Kinder-
krankenhäuser, soweit sie über die geeigneten Ausbildungsmöglichkeiten
verfügen, hierzu autorisiert werden. Anstalten, in denen lediglich Säug-
linge und kleine Kinder verpflegt werden, sind hierfür nicht geeignet. —
Für die Ausbildung sind verschiedene Wege gangbar. Im allgemeinen
wird höhere Mädchenschulbildung als erforderlich bezeichnet, doch muß
es auch den allgemeinen Krankenpflegerinnen, für die nur Volksschulbil-
dung vorgeschrieben ist, möglich gemacht werden, ihr Examen als Säug-
lingskrankenpflegerinnen abzulegen. Den einzelnen Anstalten wird bei der
Festsetzung ihrer Aufnahmebedingungen hier freie Hand gelassen werden
müssen. — Unerläßlich ist die Einführung eines staatlichen Diploms für
die Säuglingskrankenpflegerin. Das Zeugnis müßte durch Ablegung einer
Prüfung an bestimmten Öffentlich zugelassenen Anstalten erworben wer-
den. Ueber die Anforderungen an die zur Ausbildung zuzulassenden
Anstalten ist noch zu beraten. — Die Uebergangsbestimmungen, die für
die allgemeinen Krankenpflegerinnen getroffen wurden, dürfen bei der
Einführung des Diploms nicht zur Anwendung kommen.
Eng
2. Säuglingspfiege als Lehrgegenstand in den Unterricht.
anstalten für die weibliche Jugend.
Rosenhaupt (Frankfurt a. M.) spricht über Volksschulen, höhere
Mädchenschulen und Frauenschulen. Die wesentlichen Ursachen für
die große Anzahl der Sterbe- und Krankheitsfälle im ersten Lebensjahre
liegen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete, und alle die zum Ans
gleich dieser Schäden bestimmten gesetzgeberischen Maßnahmen, wie
Mutterschaftversicherung usw., können nur Erfolg haben, wenn der Mutter
auch die zur Pflege und Aufzucht ihres Kindes notwendigen Kenntnisse
zu Gebote stehen. Die Fortbildungsschule allein kann diese wichtigen
Kenntnisse nicht übermitteln, da ihr nicht die Gesamtheit der weiblichen
Jugend zugeführt werden kann. Die Säuglingspflege muß vielmehr in
den Lehrplan des allgemeinen Schulunterrichts aufgenommen werden.
Theoretische Bedenken gegen diese Neueinführung sind hinfällig, wie die
praktischen Versuche auch im Auslande beweisen. Der theoretische Teil
ist in den Volksschulen dem naturwissenschaftlichen, der praktische Teil
dem hauswirtschaftlichen Unterricht anzugliedern. Die Gesundheitslehre
muß spätestens in der vorletzten Klasse gegeben werden, damit möglichst
alle Schülerinnen daran teilnehmen; außerdem könnte sie in den ersten
Schulklassen im Lesestoff Berücksichtigung finden. Der Unterricht könnte
in den Großstädten von Aerzten, sonst aber auch, speziell auf dem Lande
und in der Kleinstadt, von Lehrern und Lehrerinnen erteilt werden. Dies
setzt allerdings eine Erweiterung der Leehrbticher und der Ausbildung
des Lehrpersonals voraus; vorläufig könnte letztere durch entsprechende
Sonderkurse gefördert werden. Voraussetzung für den praktischen Unter-
richt in der Haushaltungsschule ist ebenfalls entsprechende Erweiterung
der Ausbildung des Lehrpersonals; es wäre zu erwägen, ob hier nicht
auch Schulpflegerinnen (Schulschwestern) heranzuziehen sind. In den
Schulen ohne Haushaltungsunterricht kommen Kurse durch Wanderlehre-
rinnen (Säuglingspflegerinnen, Kreisfürsorgerinnen) in Betracht. Bei der
höheren Mädchenschule und im Mädchengymnasium ist der theoretische
Unterricht dem Arzte zu übertragen; die praktische Unterweisung kann
in einem Sonderkurs erfolgen. An geeigneter Stelle sind die Schüle-
rinnen auf die soziale Fürsorge hinzuweisen. Für die Frauenschule gilt
das gleiche. Die Anregungen sind zu vertiefen und die praktische Unter-
weisung muß unter Leitung des Arztes in Gemeinschaft mit dem ärst-
lichen Hilfspersonal in Fürsorgeanstalten mit gesunden Säuglingen ər-
folgen. Bei Benutzung der Anstalten für geschlossene Säuglingsfürsorgd
ist der Unterschied zwischen Einzel- und Anstaltspflege besonders zu
betonen. In der Prüfungsordnung für die Ausbildung von Kindergärt-
nerinnen und Jugendleiterinnen in den Frauenschulen muß ebenfalls die
körperliche Erziehung des Kindes aufgenommen werden.
Gürtler (Berlin) spricht über Fortbildungs- und Haushaltungs-
schulen, sowie über die Durchführung der Organisation, Die Sänglings-
pflege muß in den Volks-, Mittel- und höheren Mädchenschulen oder
Lyzeen gelehrt werden, da ein Zwang zum Besuche von Fortbildung®,
Haushaltungsschulen oder andern Fachschulen nicht besteht, doch ist zur
Befestigung des Gelernten der Unterricht auch in die Lehrpläne letzterer
Schulen aufzunehmen. In Volks-, Mittel- und höheren Mädchenschulet
sind entsprechend dem Alter der Mädchen die Grundregeln zu geben,
während auf den übrigen Anstalten auch auf Zusammenhang, auf Ursache
und Wirkung der einzelnen Vorgänge einzugehen ist. Der Stoff mof
den bereits vorhandenen Fächern angegliedert werden, und zwar Y0
wiegend den hauswirtschaftlichen Fächern, z. B. Nadelarbeiten, hinsicht-
lich der Anfertigung der Bekleidungsgegenstände, Kochen und Nahrung®
mittellehre, hinsichtlich der Belehrungen über zweckmäßige Nahrung
und ihre verständige Zubereitung, und Gesundheitslehre, hinsichtlich der
Anweisungen über Wartung und Pflege der Säuglinge. Bei den Fort-
bildungsschulen für gelernte Arbeiterinnen muß der Unterricht mindestens
ein Vierteljahr, bei denen für ungelernte Arbeiterinnen den größten Teil dor
Unterrichtsstunden umfassen. Neben der Schulung der Aerzte für den
speziellen Unterricht in der Säuglingspflege sind. auch die Lehrerinnen
der entsprechenden Fächer theoretisch und praktisch vorzubilden. =
Neubauten von Mädchenschulen müssen Räume für Kindergärten un
Krippen vorgesehen werden.
3. Berufsvormundschaft, Pflegekinderaufsicht und Motter.
beratungsstelle. |
Taube (Leipzig): Der Schutz für das Kind muß, flls dx
natürliche Schutz durch die Eltern versagt, von Staat und Sen e
übernommen werden. Um dem mangelnden Schutz bei den unebeliche?
Kindern Abhilfe zu bringen, gibt es zwei Mittel, erstens Verbesserung
der Existenzbedingungen bei den unehelichen Müttern, zweitens A
bei ihrer Unkenntnis in der Säuglingspflege. Zur Durchführung 5
ersten Punktes ist es notwendig, den Vater mit Hilfe des Vormun
rd
17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.46. | 1885
schnell zur Alimentenzahlung heranzuziehen. Da der Einzelvormund in
in diesen Fällen versagt, ist eine gesetzliche Vormundschaft (General-
vormund, Berufsvormund) zu schaffen, die sofort nach der Geburt be-
ginnen und sich ausnahmslos auf alle unehelichen Kinder ausdehnen
muß. Die Generalvormundschaft zerfällt in einen juristischen und einen
hygienischen Teil, die beide in engster Verbindung stehen müssen. Der
juristische Teil sucht die Existenzverhältnisse zu verbessern. Der General-
vormund ist infolge des größeren Einflusses dem Einzelvormund nach-
weislich bei weitem überlegen. Die Mütter müssen die Möglichkeit haben,
durch den Generalvormund ihre Ansprüche auf $$ 1715 und 1716 des BGB.
auf Entbindungs- und Unterhaltungskosten für die ersten sechs Wochen
geltend zu machen. Der hygienische Teil der Generalvormundschaft hat die
Pflichten eines sorgsamen Einzelvormundes für die Säuglinge zu erfüllen, die
individuelle Beobachtung des Kindes auszuführen und vor allem die Un-
kenntnis der Mütter in der Säuglingspflege auszuschalten. Die Forde-
rung des $ 136 des Einführungsgesetzes ist erfüllt, wenn sämtliche unehe-
liche Kinder von der Geburt ab beaufsichtigt werden. Die Beaufsichtigung
sollte in der Gemeinde durch Ortsstatut eingeführt werden. Die be-
ratenden Organe der Generalvormundschait müssen Aerzte und Säug-
lingspflegerinnen sein und müssen spezielle Kenntnisse in den ent-
sprechenden Gebieten besitzen. Freie ärztliche Behandlung und Arznei
muß durch Gemeinden und Kassen in größerem Umfange bestehen; bei
Behandlungen akuter Erkrankungen soll freie oder beschränkt freie Arzt-
wahl stattfinden. Die Aufstcht soll sich auch auf die von der Gemeinde
untergebrachten Kost- oder Waisensäuglinge erstrecken. Die Einrichtung
der Mutterberatungsstelle richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen.
Die erste Aufgabe der Mutterberatungsstellen für die Allgemeinheit ist
die Propaganda für das Selbststillen.. Die Einführung von Stillprämien
ist wünschenswert, doch muß erstrebt werden, daß die Stellen nur der
Beratung wegen aufgesucht werden. Sämtliche mit der Säuglingspflege
und Fürsorge zusammenhängenden Einrichtungen sind möglichst einheit-
lich untereinander zu verbinden und mit einem Gemeindefürsorgeamt in
Zusammenhang zu bringen; die gewonnenen Resultate sind durch eine
Centrale zu sichten, landesgesetzliche Bestimmungen sind dazu erforder-
lich. Die Generalvormundschaft ist auch auf geeignete eheliche Fälle
auszudehnen.
Bürgermeister Müller (Darmstadt): Der Rechtsstaat hat durch
Einrichtung des Vormundschaftswesens dafür gesorgt, daß die Pflichten
der Eltern notfalls von andern verantwortlichen Personen unter staat-
licher Kontrolle verantwortlich übernommen werden. Da das System
der Ehrenvormundschaft namentlich in Städten vielfach versagt hat, sind
von einzelnen Bundesstaaten diese Pflichten an amtliche Stellen über-
tragen und besondere Vorschriften für die Pflege-, Zieh- oder Haltekinder
erlassen worden. Die damit gemachten günstigen Erfahrungen veran-
laßten die Reichsgesetzgebung, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen
und ihren weiteren Ausbau wenigstens in beschränktem Umfange sicher-
zustellen. Nach Artikel 186 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch darf die Berufsvormundschaft landesgesetzlich auf alle ehelichen,
öffentlich versorgten Kinder, sowie auf alle unehelichen Kinder schlechthin
ausgedehnt werden. Das Königreich Sachsen und später auch andere
Bundesstaaten haben die Einführung der Berufsvormundschaft hiernach
landesgesetzlich zugelassen. Die interessierten Kommunalverbände waren
aber dort vielfach nicht in der Lage, dem sächsischen Beispiel in vollem
Umfange zu folgen, weil die für die landesgesetzliche Zulassung reichs-
gesetzlich geforderte Voraussetzung — das behördliche Einflußrecht —
nicht für alle Fälle, namentlich nicht bei denjenigen unehelichen Kindern
gegeben war, die in der mütterlichen Familie ohne fremde Hilfe auf-
wachsen oder sich in fremder unentgeltlicher Pflege befinden. Den
Mangel hat man dadurch auszugleichen versucht, daß die berufliche Vor-
mundschaft im Wege der Vereinbarung mit dem Vormundschaftsgericht
durch richterliche Bestellung im Einzelfalle (sogenannte Sammelvormund-
schaft) erzielt wird. Es ist anzustreben, daß das behördliche Einfluß-
recht, soweit es noch nicht vorhanden ist, im Wege der Landesgesetz-
gebung eingeführt wird. Gleichzeitig ist aber noch auf Grund der
günstigen Erfahrungen zu fordern, daß die Regelung der ganzen Materie
im Bürgerlichen Gesetzbuche selbst Platz findet. Bis dahin müssen
jedoch die interessierten Kommunalverbände ungesäumt alle diejenigen
Schutzmaßnahmen treffen, die unter den geltenden Gesetzen durchführbar
sind. Dahin gehören: 1. Ausdehnung der Berufsvormundschaft eventuell
im Wege der Sammelvormundschaft, 2. im Interesse eines wirksameren
persönlichen Schutzes der Kinder Abschluß von Vereinbarungen be-
treffend Ueberwachung der Kinder zwischen den Gemeinden und den
örtlichen Säuglingsfürsorgestellen und Propaganda zur Neuerrichtung
solcher Stellen und als ergänzende Fürsorge weitgehendste Inanspruch-
nahme der freien Liebestätigkeit, 3. Nutzbarmachung der berufsvormund-
schaftlichen Organisationen als örtliche Centralen für die gesamte Jugend-
fürsorge. -
4. Gesetzliche Reglung des Krippenwesens.
Rott (Charlottenburg) sprieht über Aufgaben, Entwicklung und
derzeitigen Stand des Krippenwesens und die sich ergebenden
organisatorischen Forderungen. Die Krippe hat zwei Aufgaben zu
erfüllen: 1. eine soziale, indem sie der außerhäuslich erwerbstätigen Mutter
durch die Abnahme der Pflege ihres Kindes den Erwerb und damit die Auf-
besserung der materiellen Notlage der Familie ermöglichen, 2. eine hygie-
nische, indem sie den durch die außerhäusliche Erwerbstätigkeit der
Mutter verlassenen und gefährdeten Säugling oder das Kleinkind vor
Verderben schützen soll. Da die mütterliche Erwerbstätigkeit eine Er-
scheinung darstellt, die im Steigen begriften ist, und da eine andere Ab-
hilfe zurzeit; nicht möglich erscheint, so ist die Ausbreitung der Krippen
als specifische Anstalten zu fördern. Krippen bestehen in Deutschland
schon lange, ihre Zahl ist aber gering geblieben. Die geringe Verbrei-
tung der Krippen ist zum gut Teil auf ihre schlechten Erfolge und die
dadurch bedingte Mißkreditierung zurückzuführen. Die Mißstände sind
heute nicht mehr so gravierend wie früher, immerhin sind sie noch so
groß, daß eine Reform des Krippenwesens erforderlich erscheint. Sie
wird zu erreichen sein: 1. durch Belehrung der leitenden und maßgeben-
den Persönlichkeiten, durch Schaffung eines Zusammenschlusses aller
Krippenverbände, durch gesetzliche oder behördliche Vorschriften für die
Einrichtung und den Betrieb von Krippen, 2. durch eine ausreichende
Subventionierung der Krippenvereine, in erster Linie durch die Kommunen
und die Fabrikherren, in zweiter durch den Staat.
Zurzeit gibt es in Deutschland 234 Krippen in 175 Gemeinden;
sie vermögen zirka 10°. der Säuglinge außerhäuslich erwerbstätiger
Mütter zu beherbergen, 40°/o der Krippen werden mit durchschnittlich
10%, ihrer Gesamtausgaben von Kommunalverwaltungen unterstützt.
Meier (München) bespricht die ärztlich - hygienischen Forde-
rungen. Die Krippenpflege ist eine Anstaltspflege; sie muß die gleichen
Erfolge erzielen können, wenn sie nach den Grundsätzen geführt wird,
die für moderne Säuglingsanstalten Geltung haben. Die Verantwortung
für einen so schwierigen Betrieb, wie es der Krippenbetrieb ist, kann
nur allein der Arzt tragen. Seine Stellung soll dem Verein gegenüber
möglichst selbständig, seine Tätigkeit soll besoldet sein. Dem Arzte
muß ausreichendes und gut geschultes Pflegepersonal zur Seite stehen.
Der Einschleppungsgefahr von ansteckenden Krankheiten soll durch
zweckmäßige Reglung des Aufnahme- und Abgabebetriebs der Kinder,
durch Forderung von Anstaltskleidung, durch Ausschließung erkrankter
oder krankheitsverdächtiger Kinder, durch Einschränkung der Zahl der
Krippenkinder, Verbot des Betretens der Pflegeräume begegnet werden.
Ueber die Aufnahme von Kindern hat der Arzt zu entscheiden, ebenso
über die notwendige ganze oder teilweise Schließung der Krippe. Auf
die Körperpflege der Kinder ist durch Einrichtung von Bade- und Wasch-
gelegenheiten, durch Trennung aller Gebrauchsgegenstände, überhaupt
durch Aufrechterhaltung eines hygienisch einwandfreien Betriebs und
nicht zuletzt durch entsprechende bauliche Einrichtung der Krippe größtes
Gewicht zu legen. Die Krippen haben in jeder Weise darauf hinzu-
wirken, dem Säugling so lange wie möglich die Brust der Mutter zu
erhalten. Ganz junge Kinder sollen nicht aufgenommen werden; bei der
Aufnahme eines Kindes soll die Mutter nötigenfalls durch Stillunter-
stützung zum Weiterstillen veranlaßt werden. Um bei künstlicher Er-
nährung die häuslichen Schäden auszuschalten, soll den Müttern auch
die Nahrung für die Säuglinge mit nach Hause gegeben werden.
von Wilmowski (Berlin) bespricht die Durchführung einer be-
hördlichen Reglung. In den wenigen Ländern, in denen bis jetzt gesetz-
liche oder statutarische Vorschriften erlassen worden sind, haben sie bei
strikter Durchführung eine mehr oder weniger erhebliche sanitäre För-
derung des Säuglingskrippenwesens zur Folge gehabt. Auch für Deutsch-
land erscheint es angezeigt, ein legislatives Vorgehen in Erwägung zu
ziehen, wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, daß das Verantwortlich-
keitsgefühl der geborenen Träger des Säuglingskrippenwesens, der pri-
vaten und gemeinnützigen Vereine, nicht geschwächt wird. Eine Reg-
lung durch Reichs- oder Landesgesetz ist bei der Verschiedenheit der
örtlichen Verhältnisse vorläufig nicht am Platze. Dagegen ist eine all-
gemeine Anweisung der Zentralbehörden an die ilnen unterstellten zu-
ständigen Organe, verbunden mit einer Aufforderung zu periodischer Be-
richterstattung, erwünscht, um auf diese Weise das erforderliche Material
zum Erlaß von Polizeiverordnungen oder ortsstatutarische Vorschriften
für räumlich begrenzte Bezirke zu erlangen.
Braunschweig.
Aerztlicher Kreisverein. Sitzung vom 8. Juni 1912.
Franke berichtet über einen Fall von operierter Pankreas-
nekrose, der geheilt ist. Bisher hat er vier Fälle operiert, davon sind
drei gestorben. Der letzte operierte Fall ist zeitig zur Beobachtung ge-
kommen mit den Erscheinungen eines Magengeschwürs. Erst die
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Bars, Ps ~a
1886
Laparotomie deckte die Pankreasnekrose auf. Für differentialdiagnostisch
wichtig zwischen Ulcus ventriculi und Pankreasnekrose hält Vortragender
den plötzlichen Beginn mit starkem Erbrechen und das fahle Aussehen,
was bei Ulcus im Anfang nicht so der Fall ist.
' Voituret: Ueber Tuberkulin und Tuberkulinbehandlung.
V, ist der Ansicht, daß der praktische Arzt sich mehr als bisher der
‘Tuberkulinbehandlung zuwenden muß. Die Heilstättenärzte haben das
Verfahren jetzt genügend ausgebaut, sodaß auch der praktische Arzt
dasselbe zum Nutzen seiner Patienten, sei es behufs Diagnose, sei es
behufs der Therapie, in Anwendung ziehen soll. Als Präparate, die be-
sonders zu empfehlen sind, kämen in Betracht das Alttuberkulin, welches
in den letzten Jahren durch das albumosenfreie Albumin zurückgedrängt
wird, und die Bacillenemulsion, welch letzteres Präparat wohl das wirk-
samste ist, anderseits aber auch leicht heftige Reaktionen hervorruft.
Zur Diagnostik wird meist Alttuberkulin verwandt. Für Kinder
eignet sich am besten der Pirquet, für Erwachsene die Subeutanprobe,
bei welcher sprungweise vorgegangen wird. Die Conjunctivalprobe ist
besser in der Praxis zu meiden. Die verschiedenen Verdännungen kann
sich ein jeder leicht selbst mittels der Libergschen Spritze herstellen.
Bei der therapeutischen Anwendung sind unbedingt stärkere Reaktionen
zu vermeiden, Gewicht, Puls und Lokalbefund sind stets zu kontrollieren.
Bezüglich der diagnostischen und therapeutischen Verwendung bestehen
einige Kontraindikationen, die man kennen muß, um keinen Schaden an-
zurichten.
Die Tuberkulinbehandlung soll keineswegs in Wettbewerb mit
der Heilstätte treten, auch sind notwendig erscheinende Operationen aus-
zuführen, immerhin können solche durch eine zweckmäßige Tuberkulin-
behandlung wesentlich unterstützt werden.
Das Tuberkulin ist kein Allheilmittel, doch vermag es in vielen
Fällen einen oft überraschenden Erfolg herbeizuführen, wie auch Vor-
tragender solche erzielt zu haben glaubt.
Diskussion: Franke berichtet über günstige Erfolge mit Tuber-
kulin, er zieht Altiuberkulin dem Neutuberkulin vor; neuerdings benutzt
er das Rosenbachsche Tuberkulin bei Fieber. Bei der chirurgischen
Tuberkulose hat er nicht viel geimpft, auch oft Versager gehabt; bei
Drüsentuberkulose ist es unsicher, er fängt mit !/ıo mg an.
Bingel betont, daß man unterscheiden müsse zwischen diagnosti-
schem und therapeutischem Werte. Diagnostisch ist am wichtigsten die
Herdreaktion, nicht das Fieber; er geht nicht höher als 3 mg, höchstens
5 mg, 1 eg ist nicht verwendbar. Therapeutisch sind die Stimmen ge-
teilt, er sieht auch bei Krankenhausbehandlung und diätetischer Behand-
lung gute Erfolge.
Kleinknecht impft seit 20 Jahren und ist im allgemeinen mit
den Resultaten zufrieden; er wendet zuerst das hygienisch-diätetische
Verfahren an, die Tuberkulinbehandlung nicht in jedem Falle von Tuber-
kulose, sondern besonders in solchen Fällen, die, aus den Heilstätten zu-
rückgekehrt, noch nicht genügend gebessert sind, ferner bei solchen, die
nicht in die Heilstätten kommen. Widerstandsfähigkeit muß noch vor-
handen sein. Er hat Besserung des Pulses, der Temperatur und des
Appetits gesehen. Bei Bauchfelltuberkulose gute Erfolge, auch solcher
mit Ascites. s
Heinemann empfiehlt auch die chirurgische Tuberkulose, die
` Nierentuberkulose und die Tuberkulose, verbunden mit Gravidität der
Tuberkulinbehandlung.
Schultze spricht sich noch skeptisch gegenüber den Tuberkulin-
erfolgen aus, da keine Krankheit so gut ausheile als die Tuberkulose,
wie die Sektionen zeigen.
Sprengel hat in einem Falle von tuberöser Bauchfelltuberkulose
einen frappanten Erfolg gesehen, aber auch eine Reihe schlechterer Re-
sultate bei chirurgischer Tuberkulose.
Bauermeister: Wiedervorstellung eines Falles von Banti-
krankheit. Im Mai 1900 bot das derzeit 8jährige Mädchen gelegentlich
einer Konsultation folgenden Status: seinem Alter entsprechend ent-
wickeltes Kind in starkem Erschöpfungszustande.e Muskulatur schlaff,
Fettpolster gering, blaßgelbliche Haut, sehr anämische Schleimhäute;
geringe Oedeme der Knöchel. Mäßige Schwellung der Hals-, Nacken-,
- Ellenbogen- und Leistendrüsen. Lunge ohne besonderen Befund; Herz
ichen.
ne ziemlich stark aufgetrieben, in den abhängigen Partien
geringer Ascites nachweisbar; unter dem linken Rippenbogen die Milz-
kuppe deutlich fühlbar, die denselben nur zirka dreifingerbreit über-
schreitet, Leberdämpfung sehr schmal. Urin: Alb. 0. Saccho. Blut: hoch-
gradige Anämie; an den geformten Elementen nichts Besonderes. Die
Diagnose schwankte zuerst zwischen Peritonaltuberkulose und Anaemia
lienalis infantum. Die in den nächsten Monaten stark zunehmende Milz-
vergrößerung bei wechseindem Ascites entschied zugunsten der letzteren
Diagnose und nachdem das Kind ohne Wissen des Vortragenden in-
zwischen laparotomiert war, wurde es im Mai 1903 im ärztlichen Verein
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
als Banti vorgestellt, da es die von Banti aufgestellten Kardinal-
symptome aufwies; starke Kachexie, starke Anämie, Milzvergrößerung,
Ascites, Lebereirrhose. Letztere war in dem chirurgischen Operations-
bericht ausdrücklich neben der Milzvergrößerung, Ascites und markiger
Schwellung, blankem Peritoneum besonders hervorgehoben. Die Operation
hatte in einer einfachen Probelaparotomie bestanden. Die Erscheinungen
blieben auch nach der Operation dieselben; nur der Ascites wechselte in
seiner Stärke und die Milz nahm beständig zu, als Patientin nach 1!/3 Jahren
wieder in Behandlung trat, hatte sie die Mittellinie erreicht und lag auf
der Beckenschaufel. Am 10. November 1904 außerordentlich kopidses
Blutbrechen und Bilutstühle, die drei Tage den Exitus herbeizuführen
drohten. Körperbkefund der alte. Blut: Hämoglobingehalt 22%, role
Blutkörperchen 660 714, weiße Blutkörperchen 4320. Zwei Tage nach der
Blutungen mikroskopisch nichts als die Zeichen einer einfachen Anämie;
keine kernhaltigen roten Blutkörperchen; keine Leukocytose,.
Nachdem der Shock des akuten Blutverlustes überwunden, wurde
das nunmehr 12jährige Mädchen mehrere Monate einer sehr schonenden
Röntgenbehandlung der Milz und blauer Bogenlichtbestrahlungen während
des Winters 1904 und Sommers 1905 unterworfen. Bemerkenswert war,
daß ebenso wie der Ascites, so auch die Milzvergrößerung bei gleich-
bleibender Leberbehandlung deutlich vernehmbaren Schwankungen unterlag
z. B. am 14. März 1904 überschreitet die Milz die Mittellinie des Bauches
deutlich um drei Querfinger nach rechts, am 25. November 1904 ist sie
zirka drei fingerbreit von der Mittellinie zurückgetreten; am 13. Januar
1905 reicht sie wieder gerade bis zur Mittellinie; der Ascites war stellen-
weise bis handbreit über der Symphyse (beim Stehen) nachweisbar, nach
einigen Wochen war er ganz fort, um nach einiger Zeit wieder nach-
weisbar zu werden. Der Blutbefund hob sich insofern wieder regelmäßig,
als die Zahl der roten Blutkörperchen am 14. März 1905 wieder 4 170.000
betrug, der Hämoglobingehalt hinkte jedoch beständig und bedeutend
nach, z. B. am 14. März 1905 Hämoglobingehalt 30 bis 35 %o.
Da die Behandlung keinen für die Angehörigen bemerkenswerten
Erfolg zeigte (das Mädchen war immer noch außerordentlich lasch), blieb
die Patientin aus der Behandlung fort. Ihr Geschick schien mir ungewiß,
als sie plötzlich im Mai 1912 wegen dyspeptischer Beschwerden akuter
Art, die bald behoben wurden, wieder in der Sprechstunde erschien, zu
meiner Ueberraschung mit folgendem Status: 20jähriges, großes, wohl-
gebautes junges Mädchen von gutem Ernährungszustande und wohl
entwickelten weiblichen Körperformen,. an der äußerlich nur ein leicht
schwefelgelber Hautton auffällt. Körperuntersuchung in bezug auf Drüsen,
Lunge, Herz ohne Besonderes. Abdomen erscheint (bei mäßiger Sehnör-
furche) in der unteren Hälfte etwas prominent; starkes Fettpolster; keia
Ascites. Milz reicht nach rechts nicht ganz bis zur Parasternalline,
nach unten bis in die Mitte des linken Hypochondriums, ist also zirka
1'/a Handbreit nach allen Richtungen kleiner wie zur Zeit ihrer größten
Beobachtung und so klein, wie sie seit Winter 1901 nicht mehr gesehen
worden ist. Urin ohne Befund. Blut: Hämoglobingehalt 19/105 %o, p%
cifisches Gewicht 1061, rote Blutkörperchen 6380000, weiße Blut-
körperchen 5 580.
Mikroskopisch: An den geformten Elementen nichts Besonderes.
In dem vorgestellten Falle sehen wir also eine Patientin, dio al
Kind mit allen Zeichen der Bantikrankheit in Behandlung trat, die eier
für diese Krankheit ganz irrelevanten chirurgischen Behandlung unter-
zogen wurde; die zeitweise einen ganz hoffnungsiosen Zustand bot; dio
längere Zeit einer Röntgen-, Bogenlicht-, Arsen-Eisenbehandlung wter-
zogen, wegen Mangel an augenscheinlichem Erfolg aus der Behandlung
zurückgezogen wurde; die dann Jahrelang sich selbst überlassen, potih
als ausgewachsenes junges Mädchen in vollentwickelter Weiblichkeit
wieder erscheint und an der äußerlich nichts mehr an die schwere #7
krankung ihrer Kinderjahre erinnert. Tatsächlich übriggeblieben ist davon
nur die allerdings noch starke Milzvergrößerung, während alle objektiven
Krankheitszeichen geschwunden sind. Das Blut hat sich sogar n
Stadium der Hyperglobulie entwickelt. Die Krankheit ist also auf dem
besten Wege auszuheilen.
Anschließend hieran entwickelt Vortragender geinen Standpunkt
in der Auffassung der Bantikrankheit, die er nicht nur für ein 2
Anämie verbundene Lebereirrhose sondern für eine Krankeit su ge
hält. In Betracht kommt für unsern Fall dabei, daß z. B. die Milz $
äußerst selbständige Stellung in ihren Größenaufweisungen gezeigt a
bald ist sie weniger, bald mehr groß; ebenso wechselt der Ascites ®
ständig; beides ohne jeden scheinbaren Bezug auf die Leber. die nn
der 12jährigen Beobachtung eigentlich immer dieselben Befunde Pi
(Bei der Operation und später wurde der untere Rand m. i
unterhalb des Rippenbogens gefunden.) Ferner weist Vortragender ee
hin, daß der Blutbefund bei Zeichen einfacher Anämie immer mit ° ei
Leukopenie verbunden war, die im (Gegensatz zu Beobachtungen j
Verfassers bei Lebereirrhose nie zu einer Leukocytose, insbesondere 8
nie zu einer posthämorrhagischen Leukocytose führte.
17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
1887
Diskussion. Schultze: Die Pathologen nehmen an, daß Banti-
fälle im Verlauf eines Jahres zu Tode kommen, er zweifelt an der Diagnose
Banti, besonders da noch Lebereirrhose gefunden.
Kleinknecht hat mehrere Fälle von Banti beobachtet, sie sind
alle gestorben; einer erst nach drei Jahren. Charakteristisch ist der
Beginn mit Milzschwellung, dann erst Lebercirrhose, Ascites, Anämie;
ohne Operation ist noch keiner geheilt, sondern nur durch Operation.
Br SEINE | Pommerehne.
Frankfurt a.M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 7. Oktober 1912.
1. Rosenmeyer stellt ein Kind mit Keratitis parenchymatosa
vor, bei dem Neosalvarsan mit gutem Erfolge lokal angewandt
worden ist. Bei Quecksilberbehandlung trat keine Besserung ein, im
Gegenteil, die Trübung auf dem erkrankten Auge nahm zu, und auch
auf dem andern begann sich die Hornhaut zu trüben, sodaß die Seh-
schärfe sehr stark herabgesetzt war. Bei der aus der Gefäßlosigkeit der
Hornhaut erklärlichen, in diesem wie in so vielen andern Fällen erfolg-
losen Behandlung mit Hg versuchte R, das Neosalvarsan lokal anzu-
wenden. Er brachte zunächst feine Körnchen davon in den Bindehaut-
sack und überzeugte sich davon, daß es reizlos vertragen wurde. Später
verwandte er eine ölige Emulsion, die er in den Bindehautsack einbrachte,
und 2 °/sige Lösung. Nach zwei Tagen schon war eine starke Auf-
hellung festzustellen, der die Besserung des Sehvermögens entsprach.
Die Besserung hat in den 14 Tagen der bisherigen Behandlung weitere
erhebliche Fortschritte auf beiden Augen gemacht. Jedenfalls ist er-
wiesen, daß das menschliche Auge Neosalvarsan reizlos verträgt. Viel-
leicht ist auf dem eingeschlagenen Weg eine raschere und erfolgreichere
Beeinflussung der Keratitis parenchymatosa zu erreichen als mit der bis-
herigen Allgemeinbehandlung. Herxheimer hat das Neosalvarsan eben-
falls mit Erfolg lokal angewandt bei syphilitischen Drüsenschwellungen,
die keine Tendenz zur Rückbildung zeigten.
2. Herxheimer stellt einen Mann in mittleren Jahren vor, der
mit über 100 multiplen Hautsarkomen, die auch allenthalben auf der
Schleimhaut des Mundes und des weichen Gaumens saßen, erkrankt war,
und die sich in sehr kurzer Zeit in dieser Weise ausgebreitet hatten.
Der Mann wurde mit intravenösen Injektionen von Thorium X behandelt,
worauf sofort eine rasche Rückbildung aller Tumoren eintrat. Nach der
sechsten Injektion sind sie jetzt nahezu gänzlich verschwunden, sodaß
zunächst Heilung erreicht ist. Der Sarkomcharakter der Tumoren wurde
mikroskopisch nachgewiesen. Dieser Erfolg der Behandlung ist; bei dem
sonst so bösartigen Charakter der Krankheit sehr bemerkenswert.
8. Scholz: Das klinische Bild der traumatischen Herz-
klappenzerreißung. Ins Bürgerhospital wurde ein 26jähriger Mann auf-
genommen mit blasser Gesichtsfarbe, angestrengter Atmung, sehr fre-
quenter Herztätigkeit. Das Herz erwies sich bei der Untersuchung von
normaler Größe, der Puls war klein, regelmäßig, sehr frequent, der Urin-
befund normal, nigends Oedeme oder sonstige Stauungserscheinungen.
Ueber dem linken Herzen war ein lautes präsystolisch-systolisches Geräusch
zu hören. Anamnestisch ergab sich, daß der kräftige Junge Mann gedient,
dann stets schwer gearbeitet hatte und bei wiederholten ärztlichen Unter-
suchungen gesund befunden worden war. Zehn Tage vor der Aufnahme
hatte er, als er beim Aufladen auf einen Wagen half, mit dem Knochen-
ende eines Ochsenviertels einen heftigen Stoß gegen die Brust erhalten.
Er taumelte zurück, hatte zunächst Uebelkeitsgefühl, erholte sich aber
und arbeitete noch vier Tage, wenn auch unter etwas Schonung, weiter. :
Dann erst wurde er kurzatmig und bemerkte auch ein mit dem Puls-
schlage synchrones rauschendes Geräusch in der Brust. Gegen Herzfehler
sprach die Anamnese und das Fehlen von Stauungserscheinungen, es lag
also eine Herzklappenzerreißung infolge von schwerer Kontusion der
Brust vor, und zwar eine Zerreißung der Mitralis mit den Symptomen
einer Stenose und Insuffizienz. Diese treten nur ein, wenn die Klappe
an ihrem freien Ende eingerissen wird, sodaß ein Teil der Klappe flottiert,
Einriß nur an der Insertion hat nur die Erscheinungen einer Insuffizienz
zur Folge. Auch in Tierversuchen hat sich gezeigt, daß die Geräusche
erst einige Tage nach der Verletzung auftreten. Erst nach sechs Wochen
wurde im vorliegenden Fall eine Größenzunahme des Herzens beobachtet.
Das Herz hat also sofort die ganze durch die Verletzung erforderte Mehr-
arbeit aufnehmen können. Die unmittelbaren Symptome der Herzklappen-
zerreißung sind Blutdrucksenkung und Arhythmie. Nach einigen Tagen
erst treten Geräusche auf, die besonders laut und fast immer doppelt sind.
ee Hainebach,
Kiel. `
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 25. Juli 1912.
Íi. Stoeckel: Demonstration: Totalexstirpation des graviden
Uterus mens. V wegen Tuberkulose der Lungen und des Kehlkopfos.
Der Uterus wurde uneröffnet mit völlig erhaltenem Ei entfernt, was trotz
der Größe des Organs und trotz der kleinen Oeffaung, die bei der vagi-
nalen Totalexstirpation gemacht wird, infolge der Weichheit, selbst bei
solchen Uteri gelingt, die fast bis zum Nabel reichen. Die Frau hat acht
ausgetragene Kinder geboren und viermal abortiert.
An dem aufgeschnittenen Präparat sieht man sehr schön eine drei-
malige Nabelschnurumschlingung um den Hals des in Steißlage liegenden
Foetus. Es ist mir aufgefallen, daß bei fast allen graviden Uteri, die in
toto exstirpiert werden, die Frucht Nabelschnurumschlingungen aufweist.
Offenbar handelt es sich dabei um Umschlingungen, welche während der
Operation entstehen, weil der mehr und mehr asphyktisch werdende
Foetus lebhafte Bewegungen ausführt.
Bei der strengen Indikationsstellung, die ich bezüglich des künst-
lichen Aborts einhalte, scheint das radikale Vorgehen in diesem Fall
etwas auffällig. Ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß die Tuber-
kulose nicht, wie es vielfach geschieht, als wissenschaftlicher Deckmantel
für die Unterbrechung der Schwangerschaft angesehen werden darf, und
daß gerade bei der Lungentuberkulose, deren Beurteilung sehr schwer ist
und durchaus individualisierend erfolgen muß, eine längere Beobachtung
und die Hinzuziehung eines erfahrenen Spezialfachmannes notwendig ist.
Dabei kommt man sehr häufig zu einer Ablehnung des künstlichen
Abortes. Wenn aber, wie hier, ein aktiv fortschreitender Prozeß in der
Lunge und außerdem eine Larynxtuberkulose vorhanden ist und diese
Leiden nach Annahme der Fachmänner sich in einem Stadium befinden,
welches nicht nur das Fortbestehen dieser, sondern auch das Eintreten
einer jeden neuen Schwangerschaft als höchst gefährlich erscheinen läßt,
so ist es meiner Ansicht nach richtig, sich nicht mit dem künstlichen
Abort zu begnügen, sondern den Uterus total zu exstirpieren. Ich habe
diesen Standpunkt schon seit langem vertreten und über einen ähnlichen
Fall schon vor drei Jahren durch Rieländer (A. f. Gyn.) berichten lassen,
noch bevor die gleiche Stellungnahme Bumms durch E. Martin bekannt.
gegeben wurde. Ich sohe in der Totalexstirpation erstens die beste Form
der künstlichen Sterilisierung in solchen Fällen und zweitens eine erheb-
liche Unterstützung für die Ausheilung des tuberkulösen Prozesses in-
sofern, als die oft und auch in diesem Falle sehr starken Menstruations-
blutungen dadurch ausgeschaltet werden. Ich bin auch nach wie vor
überzeugt, daß man bei einer heruntergekommenen Frau mit hoch-
gradigem Fettschwunde richtig handelt, die Ovarien mitzunehmen und
durch den Fortfall der Ovarienfunktion den Fettansatz zu begünstigen,
wie ich das auch in meinem vorher erwähnten Falle getan habe. In diesem
Falle blieben die Ovarien erhalten. Die Rekonvaleszenz war völlig, glatt
und ungestört. (Autoreferat.) | |
2. Totalexstirpation eines instrumentell perforierten Uterus
nach kriminellem Abort. Bei einer Zweitgebärenden wird der Arzt wegen
heftiger Blutung gerufen und versucht, einen im Gange befindlichen Abort
auszuräumen. Dabei faßt er mit der Abortzange etwas, was sich nach
Herausziehen aus der Vagina sicherlich als nicht zum Ei respektive
Foetus gehörig erweist, vielmehr einer Darm- oder Cystenwand gleicht.
Das fragliche Gebilde wird in die Scheide zurückgestopft und die Frau
nach Tamponade der Scheide in die Klinik gebracht. Hier findet sich
der innere Muttermund noch geschlossen, an der hinteren Cervixwand
eine große, für zwei Finger durchgängige und in die Peritonealhöhle
führende Perforationsöffnung mit zerfetzten Wundrändern. Laparotomie,
abdominale Totalexstirpation des Uterus. Die Revision des Darmes er-
gibt mehrfache Suggillationen im Mesenterium ohne Verletzungen des
Darmes. Der Dünndarm ist auf eine Strecke von ungefähr 20 cm mit
dunkelblauen Massen, offenbar mit Blut angefüllt. Völliger Schluß des
Peritoneums nach der Scheide hin, völliger Schluß der Laparotomiewunde,
Tampon in die Vagina und in den subperitonealen Raum oberhalb der
Scheide. Während der Operation wird eine Tupferprobe aus dem Peri-
toneum entnommen, aus dem Bacterium coli in Reinkultur gezüchtet
wird. Während der Rekonvaleszenz leichte Peritonitis mit aufgetriebenem
Leib, aber baldigem Eintreten der Darmfunktion, die nach fünf Tagen ab-
geklungen ist, worauf eine normale Rekonvaleszens folgt. Primäre Hei-
lung der Laparotomiewunde bis auf den unteren Wundwinkel, wo ein
kleiner Coliabsceß von Erbsengröße eröffnet wird. Nach den Angaben
der Patientin schien der Fall so zu liegen, daß der betreffende Arzt den
Uterus perforiert hatte. Bei genauerem Zufragen ergab sich aber, daß
sie selbst einen kriminellen Abortversuch gemacht und beim Einführen
der bekannten Spritze plötzlich einen sehr heftigen Schmerz im Leibe
gefühlt hatte, sodaß sie weitere Bemühungen unterließ, zumal auch eine
starke Blutung eintrat. Es ist also so gut wie sicher, daß die Perfora-
tion nicht durch den Kollegen, sondern durch die Frau selbst zustande
gebracht wurde. Der Fall beweist, wie genau man die Anamnese erheben
muß, um schwerwiegende, unter Umständen auch forensisch bedeutsame
Irrtümer zu vermeiden. |
Selbstverständlich wird nicht jeder perforierte Uterus exstirpiert
zu werden brauchen. Handelt es sich um einen aseptischen Fall, z. B.
um Perforation bei der Cürettage wegen Endometritis oder wegen klimak-
ug: Bei a +
` 1888
-rem
ppa
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
terischer Blutungen, so soll man als praktischer Arzt die Operation ab-
brechen und sich auf die Verordnung absoluter Ruhelage beschränken,
dann geht die Sache fast immer gut. Da aber an der Perforationsstelle
manchmal Netzadhäsionen, die später störend wirkten, beobachtet sind,
habe ich in derartigen Fällen die Colpotomia anterior gemacht, den Uterus
in die Scheide herausgeleitet, die Perforationsstelle genäht und dann den
Uterus wieder reponiert. Der radikale Standpunkt der Uterusexstirpation
ist nur bei infizierten oder der Infektion sehr verdächtigen Uteri — und
dazu gehören alle graviden Uteri mit instrumenteller Perforation — an-
gezeigt.
Seit ich in einem Falle, wo auch bei Ausräumung eines infizierten
Abortes der Uterus durch Colpotomie anterior in die Scheide gezogen,
genäht und reponiert wurde, eine tötliche Peritonitis eintreten sah, habe
ich mir vorgenommen, jeden kriminell perforierten Uterus, falls es die
Zeit noch erlaubt, abdominal zu entfernen. Die Totalezstirpation er-
scheint mir als das einzig sichere Mittel, um einer Peritonitis wirksam
vorbeugen zu können, und der abdominale Weg garantiert allein eine
genaue Kontrolle darüber, ob noch andere Verletzungen, besonders am
Darme passiert sind. Was die Art der Abortausräumung mit Instrumenten
betrifft, so halte ich den Gebrauch der Kornzange für so gefährlich, daß |
ich glaube, darin einen Kunstfehler erblicken zu müssen, dagegen die
Wintersche Abortzange für ein geeignetes Instrument in der Hand des-
jenigen, der genügende Erfahrung und Technik für ihre Handhabung be-
sitzt. Dem Praktiker, dem diese Erfahrung und Technik nicht zu Ge-
bote steht, ist die digitale Entfernung zu empfehlen. (Autoreferat.)
3. Weiland berichtet über seine Versuche am decerebrierten
Kaninchen, aus denen sich ergab, daß auch bei diesen Tieren eine Ab-
hängigkeit der Stellung der Glieder und des Tonus der
Extremitätenmuskulatur von der Veränderung der Stellung
des Kopfes zum Raum oder zum Rumpf besteht. Die Versuchs-
anordnung war die gleiche wie sie Magnus und de Kleijn an Katzen
und Hunden angewandt haben. Auch beim Kaninchen wurden zwei
Gruppen von Reflexen gefunden, die gesetzmäßig den Gliedertonus und
die Stellung der Extremitäten beherrschen; es gibt Halsreflexe, die durch
Aenderung der Stellung des Kopfes zum Rumpf auf die Gliederstellung
wirken, und Labyrinthreflexe, die zustande kommen durch Aenderung der
Stellung des Kopfes zum Raume; letztere beeinflussen den Tonus der
Extremitäten beider Körperhälften gleichsinnig, erstere können gleich-
sinnig wirken oder gegensinnig, das heißt die Extremitäten der einen
Körperhälfte zeigen entgegengesetzte Reaktion wie die der andern. Daß
es sich um Reflexe vom Hals oder vom Labyrinth aus handelt, ließ sich
dadurch beweisen, daß bei Ausschaltung der Halsbewegungen die ersteren,
bei Ausschaltung der Labyrinthe die letzteren zum Verschwinden ge-
bracht werden konnten. Die Reflexe sind tonischer Art, sie dauern an,
solange die betreffende Kopfstellung beibehalten wird. — Im Anschluß
daran Bericht über einen Fall, bei dem ein bewußtloser Patient deutliche
Halsreflexe auf Kopfdrehen zeigte. Michaud (Kiel).
Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 6. November 1912.
Friedr. Franz Friedmann: Heil- und Schutzimpfung der
Tuberkulose. Die specifischen Heilkörper bei der Tuberkulose (Anti-
gene), welche äußerst zarter, leicht zerstörbarer Natur sind, sind in den
Krankheitserregern (Tuberkelbacillen) selbst enthalten. Die Tuberkel-
bacillen selbst sind aber zunächst von krankmachender (tuberkelerzeugen-
der) Wirkung und äußerster Giftigkeit. Alle bisherigen specifischen
Tuberkulosemittel waren so hergestellt, daß man aus diesen giftigen Ba-
eillenkulturen die wirksamen Substanzen durch chemische, thermische,
mechanische Verfahren zu extrahieren suchte. Hierbei wurde einerseits
keine vollständige Entgiftung erreicht, sodaß diese Präparate oft schwere,
lebenbedrohende Reaktionen auslösen, anderseits werden durch diese ein-
greifenden Verfahren die Antigene zerstört. Vortragendem gelang es nun,
einen von ihm gewonnenen Tuberkelstamm, der schon von Natur nur
minimale krankmachende Eigenschaften und minimale Giftigkeit besaß,
derart vollständig zu entgiften, daß nunmehr die lebenden Bacillen auch
die allerletzten Spuren krankmachender Wirkung und Giftigkeit total
verloren, aber ihnen ihre Heilkraft voll erhalten blieb. Nachdem in zahl-
reichen Tierversuchen die Wirksamkeit festgestellt und Vortregender so-
dann die Unschädlichkeit des Präparats beim Menschen dadurch erwiesen
hatte, daß er sich selbst wiederholt injizierte, behandelte er in den letzten
Jahren in zahlreichen Kliniken und Polikliniken mit diesem Mittel, unter
ständiger kritischer Mitbeobachtung zahlreicher namhafter Kollegen, tuber-
kulöse Patienten jeder Art. Bisher sind 682 Patienten behandelt worden;
darunter über 250 Lungentuberkulöse, ferner Tuberkulose der Drüsen,
Hauttuberkulose, Lupus, Knochen- und Gelenktuberkulose, Urogenital-
tuberkulose, Skrophulose. Der Erfolg war der, daß, wofern das Heil-
präparat vollständig im Körper resorbiert wurde (und wenn der Körper
zunächst nicht aufnahmefähig war, so gelang es, ihn aufnahmefähig zu
machen), abgesehen natürlich von den von vornherein hoffnungslosen
Fällen, fast ausnahmslos, alsbald Besserungs- beziehungsweise Heilungs-
vorgänge begannen und ständig fortschritten. So verloren Lungentuber-
kulöse regelmäßig und meist dauernd durch wenige Injektionen ihre zum
Teil schon seit langen Jahren bestehenden Brustschmerzen, Nachtschweiße,
Bluthusten, Auswurf, Appetitlosigkeit; lange Zeit eiternde Drüsen, sowie
Knocherfisteln heilten definitiv. Gelenktuberkulose bildete sich allmählich -
zurück. Blasen- und Nierentuberkulose besserte sich deutlich und heilte
zum Teil völlig. Selbst Jahrzehnte bestehende Lupusherde zeigten fort-
schreitende Heilung, und skrophulöse Hautausschläge, die viele Jahre be-
standen hatten, heilten ohne alle sonstige Behandlung definitiv ab. Nachdem
die Heilerfolge sich immer wieder bestätigt hatten und die völlige Un-
schädlichkeit erwiesen war, wurden mit dem Präparat Kinder aus tuber-
kulöser Umgebung, die dauernd der Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind,
zum Teil schon bald nach der Geburt zu Schutzimpfungszwecken be-
handelt. Sämtliche 330 bisher schutzgeimpften Kinder, deren dauernde
gute Fortentwicklung von autoritativer, spezialärztlicher Seite festgestellt
worden ist, vertrugen die zurzeit schon über ein Jahr zurückliegends
Impfung ohne die geringste, auch nur vorübergehende Schädigung, er-
freuen sich prächtigen Gedeihens und sind sämtlich frei von irgendwelchen
Zeichen etwaiger trotz der Schutzimpfung beginnender Skrophulose oder
Tuberkulose (Autoreferat.)
Diskussion. Erich Müller: Unter fünf Fällen von chirurgischer
Tuberkulose bei Kindern ist dreimal durch die von Friedmann ange-
wendete Behandlung ein günstiger und bis heute dauernder Erfolg erzielt
worden. Bei den beiden andern Kindern entstanden Abscesse, die nach etwa
einer Woche abheilten. In dem einen dieser beiden Fälle ist aber auch
eine gewisse Besserung, wennzwar keine Heilung, eingetreten. Die Kombi-
nation der intramuskulären und intravenösen Injektion scheint die lokale
Absceßdbildung zu vermeiden, sodaß auf noch bessere Resultate zu
rechnen ist. M. hat außerdem 53 Säuglinge prophylaktisch geimpft.
Eine Schädigung der Kinder ist hierdurch nicht erfolgt und, soweit eine
weitere Beobachtung der Kinder möglich war, sind die Kinder bis heute
gesund. Orth verliest eine Mitteilung Schleichs, der verhindert war,
seine angemeldete Diskussionsbemerkung persönlich zu erstatten. 8. ist
an die Methode von Friedmann mit großer Skepsis herangegangen, hat
sich aber durch eine größere Reihe von günstigen Erfolgen mit dieser
Methode von ihrer Brauchbarkeit für die Behandlung chirurgischer Taber
kulose überzeugen lassen. Karfunkel: In der von K. geleiteten Pol
klinik für Tuberkulöse hat Friedmann 415 Patienten mit den verschie-
denen Formen der Tuberkulose behandelt. Das Mittel ist für jegliches
Lebensalter unschädlich. Früher traten allerdings Entzündungen mi
Abscesse nach den Injektionen auf, doch hat sich in letzter Zeit die
Absceßbildung vermeiden lassen. Bei den Fällen von Lungenphthise ver-
schwanden zuerst die Nachtschweiße, dann gingen die andern Symptome
zurück. Insbesondere trat auch durch die Injektion niemals eine Hänopi%e
auf. Mit dem Verschwinden der subjektiven Krankheitserscheinu-
gen ging eine Besserung des physikalischen Befundes einher. Ashnlche
günstige Erfolge wurden auch bei den andern Formen der inneren Tuber-
kulose erzielt. Man kann selbst sagen, daß das Ausbleiben einer Heil-
wirkung der Injektion, z. B. bei Drüsenschwellungen, den Rūckschiu
gestattet, daß es sich nicht um Tuberkulose handelt. Sekundärersche-
nungen, wie man sie im Verlaufe der Tuberkulose, z. B. in Form de
Menstruationsstörungen, beobachtet, wurden ebenfalls durch die Injektion
' günstig beeinflußt. Die prophylaktische Injektion hat gute Resultate er-
geben. Küster: Seit zwei Jahren hat K. die Versuche von Friedman
verfolgt. Wenn sich nach der Einspritzung ein Absceß gebildet hatte;
so waren die Erfolge der Injektion nicht sehr großartig. Seitdem os
aber gelungen ist, die Absceßbildung zu vermeiden, sind die Rrfolge
überraschend. Paul Heimann: Auch H. ist von den Erfolgen sobr
überrascht. Unter zirka 60 Patienten, die er zu sehen Gelegenheit hatto,
war ausnahmslos eine so weitgehende Besserung der subjektiven wt%
jektiven Beschwerden festzustellen, daß man bei einem Teile mn
von Heilung sprechen konnte. Bei seinen eignen Fällen waren die #*
sultate indeß nicht so glänzend. Es handelte sich allerding® =
allerschwerste Fälle, bei denen zum größten Teile Mischinfektionen vol
lagen. Die Beurteilung dieser Fälle wird ferner dadurch erschwert, ©
ein Teil der Kranken sich der weiteren Beobachtung. entzog. Aber gr
bei den schweren Fällen wurde eine auffallende Besserung erzielt. i
einmal wurde eine Schädigung des Patienten durch die Injektion ber?
gerufen dadurch, daß sich ein Absceß bildete. Dieser Zufall wird =
aber künftig vermeiden lassen. Bei Kehlkopftuberkulose kann mai along
dings zuweilen beobachten, daß selbst schwere Fälle ohne Beban =
heilen. Es kann also aus den wenigen Fällen, die nach der Methodo 5
Friedmann behandelt wurden, noch kein weitgeheuder Schluß >
werden. Gleichwohl ist der Eindruck der, daß man von eine! a A
lichen Besserung durch die Behandlung sprechen darf. Blaschke:
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17. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46 1889
Resultate von B. sind nicht ganz so verblüffend. Das mag daran liegen,
daß die Haut eine andere Empfindlichkeit besitzt. Seine Beob-
achtungen fallen noch in eine Zeit, zu der man die simultane Injek-
tion noch nicht anwandte, B. beobachtete in seinen Fällen von Haut-
tuberkulose entweder gar keine Beeinflussung oder es trat nur ein Still-
stand ein. Daß aber weitergehende Beeinflussung möglich sei, beweise
der vorgestellie Fall von Lupus in der Achselhöhle, der geheilt sei.
Fernwirkungen sind durch die Injektion bei Hauttuberkulose nicht ohne
weiteres zu erzielen. Einen außerordentlichen Erfolg hat B. bei einer
Kombination von cutaner und subcutaner Tuberkulose gesehen, wo alle
andern Methoden höchstens einen vorübergehenden Stillstand erzielt
hatten. Inwieweit die Methode von Friedmann für die Behandlung des
Lupus benutzbar gemacht werden kann, ist schwer zu sagen. Citron:
Es hat sich gezeigt, daß der Weg, der zur Heilung der Tuberkulose sich
des abgetöteten Virus bediente, ein Irrweg war. Für Therapie und Pro-
phylaxe der Tuberkulose kommt für wirkliche Erfolge nur lebendes, un-
verändertes Virus in Betracht. Darum ist der von Friedmann ein-
geschlagene Weg im Prinzip richtig. Allein solange Einzelheiten nicht
bekannt sind, ist Reserve angezeigt. Solange das Wesen der Virulenz
nicht bekannt ist, solange wir noch nicht die Macht haben, zu ver-
hindern, daß avirulentes Material ohne unser Zutun virulent wird, solange
müssen wir uns scheuen, ein derartiges Mittel anzuwenden. Es ist not-
wendig, zu wissen, woher das neue Mittel stammt und worum es sich
handelt. Sollte menschliches Material hier zur Anwendung kommen, so
möchte er vor seiner Anwendung warnen. Orth: Lücken in den Aus-
führungen Friedmanns sind zum Teil dadurch zu erklären, daß F. von
ihm gebeten worden ist, sich kurz zu fassen. Was die mit dem Mittel
behandelten Kaninchen anbetrifit, so ist allerdings zu erwähnen, daß alle
Tiere krank geworden sind. F. Klemperer: Nachträgliche Immunisie-
rung vermag bei chronisch verlaufenden Fällen Krankheiten zu heilen.
Tuberkulin immunisiert niemals gegen Tuberkelbacillen. Daher kann man
auch tuberkulöse Tiere nicht mit Tuberkulin heilen. Man kann mit jedem
Tuberkelbacillenstamme, der für ein Tier unschädlich ist, gegen die eigne
Tuberkulose immunisieren. Man kann also ein Rind mit menschlichen
Tuberkelbacillen heilen. Beim Menschen läßt sich eine solche Behandlung
nicht durchführen, weil sie beim Menschen zur Eiterung führt. Wenn
man aber den Bacillus am Leben erhalten kann und ihm dabei seine
eitererregende Wirkung nimmt, so kann man sicher eine gute Wirkung
erzielen. Wenn das Friedmann gelungen ist, so ist er sicher auf dem
richtigen Weg. Es ist K. aber noch rätselhaft, wie es Friedmann ge-
lungen ist, seinen Bacillen die eitererregende Wirkung zu nehmen.
Goldscheider: Das, was über Heilung der Lungentuberkulose mit dem
Mittel gesagt wurde, ist sehr dürftig. Es muß doch ein Status vor der
Behandlung und nach derselben angegeben werden. Die Mitteilung, daß
der physikalische Befund sich gebessert hat, genügt nicht; die Befunde
müssen vorgelegt werden. Es ist auch nicht jede Affektion eine Tuber-
kulose, die auf Tuberkulin reagiert.
(Die weitere Diskussion wurde vertagt.) Fritz Fleischer.
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Reisebriefe.
Soziale Hygiene in Nordamerika
von
Dr. Haenlein, Berlin.
I. (Schluß.)
Wie die Jahresberichte der Gesundheitsbehörden zeigen, ist ihr
Wirkungskreis ein sehr ausgedehnter. Das öffentliche Laboratorium in
Chicago machte in vier Jahren 360000 chemische und bakteriologische
Untersuchungen. Das Trinkwasser in den Reservoirs der Städte wird
täglich bakteriologisch untersucht. Im Staate New York z. B. ist es
verboten, an Brunuen, in Schulen, Hotels, kurz an öffentlichen Orten,
Trinkgefäße zum allgemeinen Gebrauch aufzustellen. Es werden Papier-
becher, die mit einer undurchlässigen Masse imprägniert sind, verwendet.
Die aus Automaten stammenden oder kostenlos abgegebenen Becher
werden nach einmaligem Gebrauch vernichtet. Der Amerikaner trinkt
das Wasser meist als Eiswasser. Zu jeder Mahlzeit gibt es Eiswasser.
In den Klubs, Hotels sind im Foyer Eiswassertanks. Selbst wenn das
Eis — wie so oft als Empfehlung am Eiswagen steht — aus sterilem
Wasser fabriziert ist, die Versendung und Lieferung ist es nicht
immer, Ich sah, wie der Kutscher die Eisblöcke mit bloßen unsauberen
Händen aus dem Wagen auf das Straßenpflaster vor dem Hotel legte;
dann kam der Hotelbedienstete nach einigen Minuten und holte es hinein.
Man führt die häufigen Typhusfälle auf infiziertes Eis zurück. Im Hotel-
zimmer steht angeschlagen: „Drücke den Knopf einmal für den Boy,
zweimal für Eiswasser, dreimal für heißes Wasser.“ Eisenbahnen haben
keine Wascheinrichtungen, aber Eiswasserbehälter. An einem Geschäfts-
haus in Philadelphia war außen ein Hahn angebracht, aus dem, wer von
den Straßenpassanten wollte, Eiswasser trinken konnte. — Ob Winter:
oder Sommer, Eiscream, Eiscreamsoda wird in ungeheuren Mengen ver-
tilgt. Beim ersten Frübstücke beginnt man mit eisgekühlten Früchten,
dann folgt Brei und Kaffee. Kein Wunder, daß Magenkatarrh die Krank-
heit der Amerikaner ist.
Die polizeiliche Kontrolle der Nahrungsmittel ist jetzt viel schärfer
wie früher. Und doch wird sehr viel verfälscht. Gegen die Abhaltung
der reichlich vielen Fliegen von den Nahrungsmitteln in den Verkaufs-
läden wird recht wenig getan. Sonst machen Schlächter-, Bäckerläden
meist einen sauberen Eindruck. Beim Besuche der berühmten Schlacht-
häuser in Chicago, der großen Konservenfabriken Libby, Mc. Neill &
Libby in Chicago, konnte ich bei stundenlangem Verweilen in den Be-
trieben nichts gegen peinliche Sauberkeit Verstoßendes bemerken als dab
eine Packerin, die Fieischscheiben in Gläser packte, ihre Ringe an den
Fingern hatte. Kaffee wird bei allen Mahlzeiten im amerikanischen
Restaurant getrunken. Er tritt vielfach an die Stelle des Alkohols. In
manchen Staaten sind die Gesetze gegen den Alkoholgenuß von puri-
tanischem Fanatismus geboren. Der Alkohol ist die Ursache des Hasses
zwischen Deutschen und Temperenzler-Amerikanern. Die berüchtigten
Sunday laws verbieten den Alkoholverkauf am Sonntag. In den Kantinen
der Armee ist der Alkohol abgeschafft. Auf verschiedenen Eisenbahn-
linien gibt es keinen Alkohol. Die Temperenzler haben Kinotheater in
ihren Dienst gestellt. Das Publikum genießt da Films mit Scheußlich-
keiten als Folge des Trinkens. Am Sonnabend sieht man in den Bars
der Arbeiterviertel jedoch auch nicht mehr oder weniger Trunkene wie
in andern Ländern. Von 1600 auf öffentliche Wohltätigkeit angewiesenen
Familien New Yorks gaben nur 32 Hang zum Trunk seitens des Ernährers
als Grund der Notlage an. Das gegenseitige Einladen in den Bars ver-
leitet viele, gegen ihren Willen mehr zu trinken. Whisky wird pur ge-
trunken und ein Schluck Wasser hinterher. The liquor and vice trust
Chicago stellte bei einer Untersuchung in 146 Saloons schnapstrinkende
Kinder fest.
Die Pullmann-Risenbahnwagen sind bedeutend sauberer wie die
gewöhnlichen Wagen. Es gibt nur eine Wagenklasse in Amerika, der
Wagen ist nicht durch Zwischenwände in Abteilungen getrennt. Direkt
unappetitlich sind die dicken Stoffpolster der Wagen. Straßenbahnen,
Untergrundbahn haben meist Sitze aus abwaschbarem Strohgeflecht oder
Leder und sind daher hygienischer wie die Eisenbahnwagen. Ein Bild
der Städteausstellung zeigte einen vollbesetzten Straßenbahnwagen mit
geschlossenen Fenstern. Unter jedem der krank und elend aussehenden
Passagiere steht der Name einer schweren Krankheit — die Folge der
geschlossenen Fenster. „Conductor, please open the ventilators!
Seit 1892 besteht beim Gesundheitsamte der Stadt New York eine
Abteilung für ansteckende Krankheiten. Es gibt Unterabteilungen für
Ueberwachung í. der Tuberkulose, Typhus, Cerebrospinalmeningitis,
Pneumonie, Malaria, Puerperalfieber, F'ehlgeburten, Erysipel, Poliomyelitis;
2. Leitung der Tuberkulosekliniken; 3. Austeilung von Antitoxinen,
Intubation bei Diphtherie; 4. Leitung des Laboratoriums. Eine Nummer
der „Communicable News“ trägt das Motto: Jede Nation hat die Tuber-
kulose, die sie verdient. (Pannwitz.) Das Amt gibt Merkblätter für
die Angehörigen Tuberkulöser, Anweisung zur Unschädlichmachung des
Sputums heraus. 1904 hatte die Gesundheitsbehörde ihre erste Tuber-
kulosenklinik eröffnet. Am 2. September 1911 waren in Groß-New York
32081 Tuberkulosepatienten registriert. Alle Gesuche um Aufnahme in
die verschiedenen Tuberkulosehospitäler gehen zur Centrale, zum Tuber-
culosis hospital admission bureau. Diese Centrale besteht seit 1910. In
den ersten sechs Monaten 1911 wurden 28007 neue Tuberkulosefälle in
New Vork von Pflegerinnen besucht (Communicable news).
Innerhalb 24 Stunden, nachdem ein Scharlach- oder Diphtheriefall usw.
gemeldet wurde, besucht der Arzt des Gesundheitsamts das Haus. Läuft
aber die Meldung Sonnabend nachmittags ein, wird erst am Montag nach-
gesehen. (Sonntagsruhe!) An der Zimmertüre des isolierten Patienten
wird ein Plakat mit seinem Namen und dem der Krankheit geheftet.
Wer ohne dazu berechtigt zu sein, das Plakat entfernt, wird streng be-
straft. Seroreaktion auf Syphilis macht das Gesundheitsamt umsonst.
Die Soldaten der Bundesarmee unter 45 Jahren werden zwangsweise mit
Antityphusserum geimpft. Einwanderer müssen gegen die Pocken ge-
impft werden. |
Die Vorschriften für Hebammen New Yorks sind in englisch, deutsch,
italienisch, hebräisch erlassen. Eine Hebammenapplikantin muß unter
Anleitung eines lizensjerten und registrierten Arztes ‚bei wenigstens
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1890
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November,
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20 Geburten sich betätigt haben und wenigstens 20 Mütter und neu-
geborene Kinder gepflegt haben. Die Erlaubnis, als Hebamme zu funktio-
nieren, muß jährlich neu eingeholt werden. So wird dem kommenden
Geschlechte Sorgfalt zugewendet. Die Gesundheitsbehörde, das Er-
ziehungsdepartement, 50 Hospitäler stellten auf der Conference on the
care of babies ein Merkblatt zusammen: Wie man sein Baby gesund
erhält. Die Adressen von 50 Milchdepots stehen auch auf dem Merk-
blatte. {900 gab es 115 Kintergärten in New York, 1910: 812. „Jedes
Kind über fünf Jabre sollte seinen Kindergarten haben.“
Die Abteilung der New Yorker Gesundheitsbehörde: „Kinder-
hygiene“ unterhält für die Schulen Inspektoren und Pflegerinnen. Vor
10 Uhr morgens muß jeder Inspektor jede Schule seines Bezirks be-
suchen, um die von der Schulkrankenschwester ihm überwiesenen Kinder
zu untersuchen. In regelmäßigen Intervallen werden alle Schulkinder
untersucht (Gehör, Nasenatmung, Tonsillen, Zähne, Gaumendefekte,
Drüsenschwellungen, Chorea). Kinder, die wegen unbestimmter Krankheit
drei bis vier Tage aus der Schule fehlen, müssen in ihrer Wohnung vom
Schularzt aufgesucht werden. Merkblätter belehren die Eltern über Haar-,
Kopf-, Mund-, Zahnpflege, Trachom. In der Städteausstellung wird auf
zwölf großen Photographien der Gang der Untersuchung in New York
durch den Schularzt gezeigt. Die Eltern werden benachrichtigt, daß der
Schularzt mit ihnen Rücksprache wegen des Kindes nehmen will. New
York hat Sonderschulen für schwachsinnige, für zurückgebliebene Kinder,
für verkrüppelte, blinde, taube, blutarme, tuberkulöse, mit Sprachgebrechen
behaftete Kinder. Schwerhörige Kinder kommen in Amerika entweder
in die Normal- oder Taubstummenschule. 44 °/, der New Yorker Schul-
mädchen über zwölf Jahre lernen in Schulküshen kochen. Die Knaben
lernen in Schulwerkstätten Handwerke.
Turnen, Sport und Spiel werden in der Schule sehr gepflegt. The
playground and recreation association of America gibt die Zeitschrift
The playground heraus und wirkt für Verbreitung von Spiel und Sport.
„Sage mir, wo und was du spielst und ich werde dir sagen, was für ein
Mensch du wirst.“ Die Schulkinder erhalten Anleitung zu jeder Art von
Sport und Spiel und die Errichtung von Plätzen wird möglichst gefördert.
Reichlicher Sport bildet ein Gegengewicht gegen die Verweiblichung der
männlichen Kinder, wie sie durch die Coöducation und das kolossale
Ueberwiegen der (billigeren) weiblichen Lehrkräfte gegenüber den männ-
lichen gezeitigt wird. Angeblich gehorchen amerikanische Jungens aus
Galanterie Lehrerinnen besser wie Lehrern. Häufig genug sah ich, daß
Jungen wie -Mädchen sich sehr ungezogen ja frech gegen ihre Eltern
benahmen.
Unter 14 Jahren darf in New York kein Kind in der Fabrik
arbeiten. Für Kinder zwischen 14 bis 16 Jahren ist ein Erlaubnisschein
der Gesundheitsbehörde nötig. Kinder unter 16 Jahren dürfen höchstens
54 Stunden in der Woche in kaufmännischen Betrieben beschäftigt
werden. Weibliche Angestellte zwischen 16 bis 21 Jahren dürfen höchstens
60 Stunden wöchentlich im Geschäfte Dienst machen. Für je drei weib-
liche Angestellte muß eine Sitzgelegenheit vorhanden sein. Für Be-
schäftigung in Kellergeschossen müssen Frauen und Kinder Erlaubnis
haben. Die Geschäfte schließen um 5, Sonnabends um 2 Uhr.
Volle Sonntagsruhe herrscht überall. Wer es kann, flieht Sonntags
aufs Land.
Das Asyl für Obdachlose in NewYork hatte 1910 über 116000 Gäste,
1911 zirka 160000, Die Obdachlosen erhalten Kaffee mit Brot, defilieren
vor einem Beamten, der jedem Asylisten aus einem Tiegel mit grüner
Seife eine Portion mit einem Holzlöffel auf den Kopf streicht, ein
anderer Beamter gibt Carbolseife, und so geht's zum Brausebad. Nach
dem Bade zur Personalienfeststellung, ärztlichen Untersuchung, eventuell
Impfung; nochmalige genauere ärztliche Untersuchungim oberen Stocke durch
den Hausarzt folgt. Nachts werden die Effekten des Asylisten sterilisiert.
Drei Tage Aufenthalt sind gestattet. Trotzdem schlafen noch viele Ob-
dachlose bei nicht zu kaltem Wetter nachts im Madison square Park
und durchwühlen die Abfalleimer nach einer Brotrinde. Das Heer der
Arbeitslosen und Arbeitsscheuen ist groß in Amerika. Chicago teilte
1908 bis 1909 100287 Mahlzeiten an Obdachlose aus. Für sechs Stunden
Arbeit im städtischen Dienste bekommt der Betreffende aut drei
Tage Kost und Logis. Arbeitsscheue steckt man in Amerika ins
Korrektionshaus.
Die „erste Hilfe“ ist anscheinend sehr gut organisiert. Ich konnte
mich in einem Falle davon überzeugen. Als ich gegen 11 Uhr nachts in
der Nähe einer Bar New Yorks vorbeiging, krachte in dieser ein Schuß.
Im Streite hatte einer seinen Gegner erschossen. Waffentragen wird im
Staate New York mit hoher Gefängnisstrafe belegt. Polizei war sofort
zur Stelle, die sich ansammelnde Menge benahm sich tadellos — Polizei
und Publikum standen sich sehr gut. In 20 Minuten waren Arzt und
Polizeiwsgen zur Stelle und der Erschossene wie der Mörder wurden
weggebracht.
Nach dem Berichte der Staatsgefängniskommission über die Resul.
tate der in den letzten zwei Jahren vorgenommenen Inspektionen der
Gefängnisse von 500 Polizeistationen im Staate New York fehlt es viel.
fach an den notwendigen hygienischen Einrichtungen. Im Brooklyner
Kings County-Gefängnisse schliefen zwei bis drei Gefangene in einem
Bett und viele Arrestanten noch auf dem Boden.
Die amerikanischen Hospitäler und Kliniken sind bekannt wegen
ihrer praktischen, oft luxuriösen Einrichtung. The charities directory,
ein umfangreiches Jahrbuch, gibt Aufschluß über alle Hospitäler, Wohl.
tätigkeitsanstalten, ärztliche Angelegenheiten New Yorks.
Die amerikanischen Aerzte zeigen alle Abstufungen vom Schar.
latan bis zu dem sein Fach ausgezeichnet beherrschenden Doktor. Häufig
fehlt die nötige Universitätsvorbildung. Wer sein medizinisches Examen
in einem Staate gemacht hat, darf ohne neue Prüfung nicht in einem
andern Staate praktizieren. Eine Anzahl von Staaten erkennen aber die
in bestimmten Staaten abgelegten Prüfungen gegenseitig an. Ein Arzt
erzählte mir seinen Werdegang. Er war von der Schule weggegangen,
fuhr als Schiffsjunge, desertierte in Honolulu, lernte dort in einer Zucker-
siederei Chemie von dem Chemiker, half einem Zahnarzte, studierte Me-
dizin, ersparte sich als Arzt einer Bergwerksgesellschaft so viel, daß er
zwei Jahre in Deutschland „richtig“ Medizin studieren konnte und wollte
dann in einer größeren amerikanischen Stadt praktizieren. — Ein Be.
kannter machte mich auf ein anatomisches Museum in New York auf.
merksam. Er hatte es besucht und fand scheußlich aussehende Moulagen
von Lues. Beim Verlassen hielt ihm ein Angestellter des Museums
einen Vortrag, viele Menschen hätten solche Krankheiten, ohne es zu
wissen; es sei gut, sich von einem tüchtigen Arzt einmal darauf unter-
suchen zu lassen. Ein solcher Arzt wohne zufällig im Hause, Fahrstuhl
sei da, der Doktor zu Hause. Trotz aller Ueberredungskünste ließ sich
der Betreffende nicht einfangen von dem Schlepper.
Die amerikanischen Aerzte brauchen nicht, wie Aerzte andarer
Länder, auf ihre Kosten Sozialpolitik treiben lassen. Es lassen sich aber
dort, ebenso wie bei uns, Bemittelte in den Polikliniken gratis behandeln,
indem sie sich als Unbemittelte gerieren. Im großen und ganzen wissen
es die amerikanischen Aerzte zu verhüten, daß sie derart ausgenutzt
werden, wie man es in andern Ländern zu tun versucht.
Reklamen für Arzneimittel, Lockberichte über wunderbare Heilungs-
erfolge nehmen in den Annoncen der Presse einen breiten Raum ein.
Der Präsident der Vereinigung für Prüfung staatlicher und nationaler
Nahrungsmittel erklärte in einer Fachversammlung, über 60°, der auf
den Markt gebrachten Drogen und Medizinen sei unwirksam oder
schädlich.
Der Kampf ums Dasein ist in Amerika scharf. Millionäre werden
Bettler, Beamte müssen gehen, wenn eine andere politische Partei siegt.
Ein stetes unruhiges Hasten. Wenige haben eine gesicherte Zukunft.
Immer: „Zeit ist Geld“. Und so ist Neurasthenie mehr zu finden wie
in andern Ländern. Die Leute haben ihre Nerven wenig in der Gewalt
— eine geschickte Verteidigerrede bringt oft genug Richter zum rähr-
seligen Weinen, Affekthandlungen sind häufig, die Nervenheilanstalien
sind gefüllt mit Patienten. Aber beim Geschäfte sind sie klar und kalt,
Und doch, sieht man bei Schulschluß die Kinder herauskommen, sieht
man die jungen Leute beim Sport, sieht man abends an der Brooklynet
Brücke die Arbeiterheere New York verlassen, so freut man sich über
die gesund aussehenden Menschen. Blutarme, elende Mädchen sind sel-
tener wie bei uns zu sehen.
Die städtischen Gesundheitsbehörden haben Vieleg erreicht. Sie
haben das eifrige Bestreben, im hygienischen Sinne zu wirken, das olk
aufzuklären, zur Hygiene zu erziehen. Manches ist Bluff, Reklame für
die Stadt — es herrscht große Eifersucht unter den Städten, jede will
die andere übertrumpfen. Sein Vaterland, seine Vaterstadt liebt der
Amerikaner über alles. Der Durchschnittsamerikaner hält Amerika für
das in jeder Beziehung vollendetste Land, das Kind bekommt es m der
Schule schon so gelehrt. Für europäische Staaten besteht wenig Interesse.
Ein achtjähriger Junge italienischer Provenienz fragte die Lehrern, als
sie den Kindern erklärte, ich sei ein Deutscher, ob die Deutschen mit
den Fingern äßen oder ob es da Messer und Gabel gäbe. Und esis
zu begreifen, daß angesichts des Völkerbreies, der das amerikanische
Volk bildete und weiter bildet, nicht alle Bestrebungen der Gesundheits-
behörden Erfolg haben und noch Vieles zu tun bleibt. In andern Ländern
geht es ja ebenso. Zweifellos sind in Amerika der energische WI
und die finanziellen Mittel vorhanden. In den Departements of he th
sind es aber auch Aerzte, die das entscheidende Wort sprechen wi
denen man Macht gegeben hat, ihre Absichten darchzusetzen. Denm !}
Amerika ist man nicht der Ansicht, daß der Verwaltungsjurist der A
weise, alles Verstehende und Beherrschende ist, sondern dab Leute vom
Bau für jedes Ressort zu bestellen sind.
_
17. November.
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Zur Auslegung des Impfgesetzes.
Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg
vom 13. Mai 1912.
Zwei Kaufleute, ein Naturheilkundiger und ein Lehrer in Hamburg
waren angeklagt und bestraft worden, weil sie sich geweigert hätten, ihre
Kinder impfen zu lassen. Sie hatten von dem Sanitätsrat Dr, B., welcher
ein Gegner der Schutzpockenimpfung ist, Zeugnisse ausstellen lassen,
die den Anforderungen des $ 2 Abs. 1 des Impfgesetzes entsprachen,
und batten diese Zeugnisse der Polizeibehörde eingereicht. Sie wurden
daraut von der Polizeibehörde aufgefordert, ihre Kinder binnen vier
Wochen impfen zu lassen, oder gemäß $ 2 Abs. 2 des Impfgesetzes zur
Entscheidung darüber, ob eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der
Kinder bestehe, dem Öberimpfarzt vorzustellen. Ueber die Atteste des
Sanitätsrats Dr. B. wurde ibnen zugleich mitgeteilt, daß diese zurück-
gewiesen würden, da nach Sachlage Zweifel darüber beständen, ob und
inwieweit eine Gefahr für die Kinder vorliege. Die Angeklagten kamen
dieser Aufforderung nicht nach. Die Revision der Angeklagten wurde
verworfen. Gründe:
Wie bereits das preußische Oberverwaltungsgericht zutreffend ent-
schieden hat, ergibt sich aus dem Wortlaut des $ 2 des Gesetzes, daß
die Ausnahme von der Regel der Impfungszeit, der „gesetzliche Grund“,
die Impfung ein Jahr lang zu unterlassen, nur dann eintritt, wenn
wegen einer Gesundheitsgefahr, die ärztlich bezeugt sein muß,
nicht geimpft werden kann, wenn somit eine solche Gefahr besteht
oder bestanden hat, nicht aber auch schon dann, wenn zwar ein
die Gefahr bescheinigendes ärztliches Zeugnis vorliegt, jedoch die be-
scheinigte Gefahr überhaupt niemals bestanden hat, jenes Zeugnis
somit objektiv unrichtig war. Der zweite, vom Reichstag zugefügte
Absatz des § 2 des Gesetzes, wonach der Impfarzt endgültig entscheidet,
„ob die Gefahr noch besteht“, schließt dessen Entscheidung dahin, daß
eine solche niemals bestanden hat, um so weniger aus, als jener Zusatz
der Polizei nur die wirksame Kontrolle der Impfung erleichtern sollte.
In den vorliegenden Fällen, in denen die Polizeibehörde die Atteste des
Dr. B. zurückgewiesen hat, soll erst geprüft werden, ob die bescheinigte
Gefahr überhaupt bestanden hat; die Jahresfrist des $ 2 des Gesetzes
kommt erst dann in Frage, wenn feststände, daß eine solche Gefahr vor-
gelegen hat. Im Gesetz ist darüber nichts gesagt, in welcher Weise
festzustellen ist, daß ein zweifelhafter Fall des $ 2 Abs. 2 des Gesetzes
vorliegt, und es ist das Verfahren, das eintreten soll, wenn Zweifel sich
in der Richtung ergeben, ob die Gefahr noch fortbesteht, oder in der
Richtung, ob sie überhaupt bestanden hat, nicht besonders geregelt; nach
dem Gesagten ist in allen Fällen, sogar in zweifelhaften — so muß das
Gesetz verstanden werden —, dem Impfarzt die endgültige Ent-
scheidung zugewiesen; er muß danach als befugt gelten, die ihm vor-
gelegten ärztlichen Atteste, in denen eine Gefahr bescheinigt wird, einer
Nachprüfung zu unterziehen. Die Ansicht des Landgerichts, dab
als ärztliche Zeugnisse im Sinne des $ 2 Zeugnisse von Aerzten, die
Impfgegner seien, überhaupt nicht in Betracht kämen, findet im Gesetz
keine Stütze, da dort ein solcher Unterschied nicht gemacht ist. Richtig
ist aber, was das Landgericht sagt, daß der Impfarzt die Zweifel an der
objektiven Richtigkeit des ärztlichen Zeugnisses auch aus der Persönlich-
keit des bescheinigenden Arztes schöpfen kann, insbesondere sus dem
Umstande, daß dieser ausgesprochenermaßen ein Gegner und Be-
kämpfer der Schutzpockenimpfung ist. Auch das ist in dem Ge-
setz zu entnehmen, daß in allen zweifelhaften Fällen die impfpflichtigen
Kinder dem Impfarzt vorzustellen sind, damit dieser den Fall entscheide;
nicht aber, daß der Impfarzt die Kinder aufsuchen muß; es sei denn, dab
die Vorstellung mit Gefahr für die Kinder verbunden wäre. Denn nach
$ 12 des Gesetzes haben die Eltern usw. den Nachweis zu führen, daß
die Impfung aus einem gesetzlichen Grunde unterblieben ist; wenn also
Zweifel in dieser Richtung vorliegen, so haben sie diese zu beseitigen. Fr.
Aerztliche Tagesfragen.
Aerztliche Urteile über die Bewertung des Gefrierileisches.
Die zunehmende Bedeutung, die das Gefrierfleisch für die Er-
nährung breiter Schichten der Bevölkerung gewonnen hat, legte den Ge-
danken nahe, im Verfolg der an dieser Stelle bereits veröffentlichten
mehr allgemeinen Ausführungen!) eine Reihe maßgebender Physiologen
und Hygieniker über den Nährwert des Gefrierfleisches zu befragen,
Obwohl die eingetroffenen Antworten sich im wesentlichen dahin aus-
sprechen, daß ein bestimmtes Urteil mangels genügender praktischer Er-
fahrung zurzeit noch nicht abgegeben werden kann, enthalten sie doch zum
!) Med. Kl. 1912, Nr. 39.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
ereer A es TE ET TE ET TE TEE
1891
Teil recht schätzenswerte Hinweise auf diese oder jene Erfahrungstatsache,
die ihre Veröffentlichung an dieser Stelle gerechtfertigt erscheinen läßt.
So erinnert Prof. Max Schottelius in Freiburg i. B. daran, daß
in Deutschland schon lange Gefrierfleisch unbeanstandet in recht großen
Mengen genossen wird: nämlich Wild.(Rehe, Hirsche, Hasen, Geflügel),
welches in den Gefrierräumen der Händler viele Monate lang in hart
gefrorenem Zustande konserviert und je nach Bedarf in den Verkehr
gebracht wird. Es handelt sich in diesen Fällen nicht etwa um Kübl-
räume mit einer Temperatur von +2 bis 5 Grad, sondern um Ge-
frierräume mit Temperaturen von 10 bis 15 Grad unter Null. Für die
Benutzung von Gefrierfleisch ist es aber von größter Bedeutung, daß der
Uebergang in höhere Temperaturen und das schließliche Auftauen ganz
allmählich geschieht, damit die Struktur der Gewebe, namentlich des
Muskelgewebes, nicht leidet. Es scheint, daß die Blastizität der Zellen
wohl die physikalischen Veränderungen erträgt. welche durch das Gefrieren
eintreten, daß aber die Zellen den Veränderungen der raschen
Erwärmung nicht gewachsen sind. Daher kommt es, daß bei zu
raschem Auftauen ein gewisser Zerfall der Gewebe eintritt, wodurch das
Gefrierfleisch namentlich an der Oberfläche unansebnlich und schmierig
wird und dann auch einer rascheren Zersetzung zugänglich ist. Eine
Entwertung des Fleisches in bezug auf seine Bekömmlichkeit, Aus-
nutzbarkeit und Geschmack tritt durch das Gefrieren nicht ein, der
Einführung von Gefrierfleisch stehen daher gesundheitliche Bedenken
nicht entgegen. Dieselbe Ansicht vertritt J. Rosenthal (Erlangen) mit
dem Hinzufügen, daß bei sachgemäßem und sorgfältigem Verfahren beim
Gefrierenlassen und Wiederauftauen des Fleisches keine Herabsetzung
des Nährwertes statt hat und somit eine gesundheitswidrige Beschaffen-
heit desselben nicht zu vermuten ist. Dieser Auffassung sind auch
E. Abderhalden (Halle) und Kruse (Bonn).
Ausführlicher äußert sich Bleibtreu (Greifswald), der die be-
kannte Tatsache, daß beim Gefrieren und Wiederauftauen des Bluts eine
Auflösung des Blutfarbstoffs der roten Blutkörperchen in dem eignen
Blutserum eintritt, zum Vergleiche heranzieht. Wird doch auch die
feinere Struktur des Fleisches durch das Gefrieren zersprengt, sodaß beim
Auftauen mit dem Ausfließen des Fleischsafts in ihm gelöste wertvolle
Substanzen mit verloren gehen müssen. Hiergegen kann nur eine aufs
Höchste ausgebildete Technik des Auftauens und der anschließenden Zu-
bereitung schützen, das heißt aber eine Erfahrung, über die wir Deutschen,
im Gegensatze zu den Engländern, noch nicht verfügen.
N. Zuntz von der Königlichen landwirtschaftlichen Hochschule,
Berlin, berührt schließlich die wichtige Frage des Geschmacks.
Daß dieser ein von dem nichtgefrorenen Fleisch abweichender, ist, wird
von allen Seiten bestätigt, wobei sich auch wieder die Tatsache ergeben
hat, daß bei recht vorsichtigem Auftauenlassen der Geschmack sich nur
in geringem Maße ändert, während plötzliches Auftauen, zumal bei hohen
Außentemperaturen, dem Fleische rasch jenen faden, um nicht zu sagen
unpersönlichen Geschmack verleiht, den jeder kennt, der längere See-
reisen ausführte und sich in den Tropen aufhielt. Auch hiergegen gibt es
nach Zuntz eben nur ein Mittel: kulinarische Erfahrung und kulinarisch
erprobte Zubereitung. Im übrigen ist es Zuntz aus allgemeinen Gründen
äußerst unwahrscheinlich, daß durch das Gefrieren und Wiederauftauen
die Bekömmlichkeit und Ausnutzbarkeit des Fleisches nicht leiden sollte.
Während der Drucklegung dieser Zeilen kommt die Nachricht an
die Oeffentlichkeit, daß der Bundesrat dem Hamburger Senat auf dessen
Ersuchen nach eingehender Prüfung eine mildere Handhabung der
im Jahre 1908 erlassenen Vorschrift über das Auftauen ge-
frorener Tierkörper zum Zwecke der Untersuchung zugestanden hat. Die
angezogene Bestimmung schrieb ganz allgemein vor: „Tierkörper, die in
gefrorenem Zustand eingehen, müssen vor der Untersuchung aufgetaut
werden. Nur für Renntiere kann die Auftauung anf die Eingeweide be-
schränkt werden, wenn nicht das Ergebnis der Besichtigung des Muskel-
fleisches eine weitergehende Untersuchung erforderlich macht.“ Diese
Vorschrift badeutete nun für die Einfuhr gefrorener Hammel eine wesent-
liche Erschwernis, weil das Gefrierfleisch bekanntlich nach dem Auftauen
sofort verwertet werden muß. Auf diese Weise wäre es mit großen
Schwierigkeiten verbunden, überseeische, in den Hafenstädten zum Zwecke
der Untersuchung bereits aufgetaute Hammel in das Inland weiter zu
befördern. Es ist deswegen jetzt zugelassen, daß auch bei gefrorenen
Hammeln die Auftauung nur soweit gefordert wird, als sie zur Unter-
suchung der Tiere unbedingt erforderlich ist.
Da Hammel den Hauptexport aus Argentinien und Australien
bilden, bedeutet diese Erleichterung aber einen wesentlichen Fortschritt
gegenüber dem früheren Zustand. Es ist hiernach aber nicht unwahr-
scheinlich, daß die genannte Aenderung der Bestimmungen auch auf das
weitere Inland ihre Einwirkung äußert und für Preußen vielleicht doch
noch die von so vielen Seiten herbeigewünschte Aenderung des Fleisch-
beschaugesetzes vom 3. September 1900 zur Folge hat. Fr.
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1892
Kleine Mitteilungen. j
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
| Berlin. Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg
und den Stadtkreis Berlin trat am 9. November zu einer ordentlichen
Sitzung zusammen, die zugleich das 25. Jahr des Bestehens der
Aerztekammer einleitete. Für die Sitzung lag, wie immer, eine reiche
Tagesordnung vor, ein von der Regierung erbetenes Gutachten über den
Rückgang der Geburtenziffer, eine Verfügung des Polizeipräsidenten, be-
trefiend deutlichere Abfassung der Rezepte und die Frage der ärztlichen
‚Mitwirkung im Reichsversicherungsamt, in Anlehnung an einen dahin
zielenden, von der Aerztekammer Ostpreußen dem Bundesrate zu unter-
breitenden Antrag. Wir werden auf diese Punkte, welche eine aus-
führliche Erörte,ung erfordern, in der nächsten „sozialen Umschau“
noch eingehender zurückkommen. An die Sitzung schloß sich ein
Festmahl im Hôtel Bellevue, das gegen 150 Aerzte aus dem
Kammerbezirke vereinigte und einen äußerst angeregten Verlauf nahm.
Von den Mitgliedern der ersten Kammer des Jahres 1887 waren noch
anwesend die Herren A. Martin, C. Küster und Sellberg, der auch
jetzt noch dem Vorstand angehört, der 95 jährige Friedrich Körte,
einstiger Vorsitzender der ersten Kammer, sandte herzliche Grüße. Ge-
‚heimrat Stöter hielt die mit vielem Humor gewürzte Festrede, an die
zahlreiche andere sich reihten. Da wurde nicht mit Unrecht die Ver-
bindung von Stadtkreis Berlin und der Provinz ‘Brandenburg mit einer
Ehe verglichen, in der die Provinz als der weibliche Teil durch Ab-
trennung des sogenannten Zweckverbands aufs neue hat bluten müssen.
selbst die „vorbildliche Beredsamkeit*“ der Kammerverhandlungen fand
in dem anwesenden Vertreter der Königlichen Staatsregierung, Geheimen
Regierungsrat von Gneist, gelegentlich dieses Silberfestes ihren Lob-
redner.. Eine umfangreiche, mit großem Fleiße zusammengestellte Denk-
schrift über die Tätigkeit der Aerztekammer in den 25 Jahren ihres Be-
- stehens war von San.-Rat Dr. Heinrich Joachim verfaßt. Der nicht
mit Unrecht bekannte ärztliche Witz und Sarkasmus kam in den sehr
feinsinnigen Tafelliedern der Herren Paasch und A. Peyser zu er-
wünschter Geltung. Da Küche und Keller das Beste boten, trennte man
sich erst in später Stunde nicht ohne dem Gedanken Ausdruck zu geben,
daß die öftere Wiederholung solcher Zusammenkünfte wohl dazu dienen
würde, dem Berliner kollegialen Zusammenhalt den leider immer noch
fehlenden geselligen Mittelpunkt zu geben. Fr.
| — Die als Fortsetzung der früheren Freien Vereinigung der
Chirurgen Berlins neu begründete Berliner Gesellschaft für Chir-
urgie hielt am 1i. November im Langenbeckhaus ihre erste Sitzung
ab. Sonnenburg als Vorsitzender begann mit einer Ansprache, in welcher
er Zweck und Ziele der Gesellschaft erörterte. Das mehr centrifugale
Fortschreiten der Chirurgie in den einzelnen Spezialfächern läßt einen
solchen Mittel- und Sammelpunkt notwendig erscheinen. „Nicht in De-
tails und Kasuistik sich zu verlieren, sondern große allgemeine Gesichts-
punkte festzuhalten ist ihre Aufgabe ..... “ Den ersten Vortrag des
Abends hielt dann August Bier über Knochenregeneratiön im An-
schluß an 18 zum Teil über lange Jahre beobachtete Fälle. Die nach-
folgende Diskussion zeitigte manches interessante Detail. Des weiteren
sprachen Nordmann und Unger über die Insufflation und In-
sufflationsnarkose. Mit Sonnenburg teilten sich in den Vorsitz
Israeli und Krause, der große Saal des Langenbeckhauses war nahezu
besetzt als ein Beweis für das Interesse, das der neuen Vereinigung aus
allen Kreisen der Berliner Aerzteschaft entgegengebracht wird. Fr.
— Der Entwurf eines Gesetzes über Kindersaugflaschen,
dessen Inhalt bekannt ist, ist nunmehr auch dem Reichstage zuge-
gangen. Nach dem Entwurfe dürfen Kindersaugflaschen mit Rohr oder
Schlauch sowie Teile zu solchen Flaschen weder gewerbsmäßig hergestellt
noch zum Verkaufe gehalten werden. Durch den Entwurf soll der Sterb-
lichkeit der Kinder im ersten Lebensjahr entgegengearbeitet werden,
weil festgestellt worden ist, daß die Todesursache dieser Kinder meistens
in Erkrankungen der Verdauungsorgane besteht, die angeblich durch Kinder-
saugflaschen mit Rohr oder Schlauch verursacht werden.
— Der Leipziger Verband hat seit dem Jahre 1905 ins-
gesamt 136000 M für Unterstützungen ausgegeben, wozu ein gestiftetes
Stammvermögen von 45000 M kommt, um invaliden Kollegen und Witwen
und Waisen von Aerzten eine regelmäßige Beihilfe zu gewähren. So
wendet sich der Leipziger Verband auch in diesem Jahre wieder zum
Zwecke einer Weihnachts-Witwengabe an die kollegiale werktätige
Nächstenliebe. Einsendungen sind nach Leipzig-Co., Südstraße 82, z. H.
des Dr. Hartmann zu richten.
— Dem Berliner Frauenarzte Dr. Alfred Pinkuss wurde
der Titel Professor verliehen. P. ist Mitglied des Ausschusses des
Deutschen Zentralkomitees für Erforschung und Bekämpfung der Krebs-
krankheit, Mitglied der gleichnamigen Internationalen Vereinigung und
Verfasser des vom Komitee herausgegebenen weitverbreiteten „Krebs-
merkblatts“. Praktische Erfahrungen, insbesondere mit der Mesothor-
bestrahlung, machte P. seit mehreren Jahren im hiesigen Elisabeth-
Krankenhaus unter Prof. Rinne, woselbst er die inoperablen Krebs-
kranken mitbehandelt. P. ist auch Leiter der Auskunft- und Fürsorge-
stelle für Krebsverdächtige und -kranke der Charite.
— Prof. H. Strauß wurde zum Ehrenmitgliede der Northern
Medical Association in Philadelphia gewählt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 46.
17. November.
Bonn. Am 7. November beging Prof. emer. Carl Binz. der be-
kannte Pharmakologe unserer Hochschule, die seltene Feier T
goldenen Dozentenjubiläums. ———
Breslau. Frequenz der Universität 2759, darunter 631 d
Medizin und Zahnheilkunde, unter diesen 22 Frauen, gegen das
Wintersemester Gesamtsteigerung 78, die der Mediziner 50, dagegen
Juristen um 58 Abnahme. — Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten hält ihren Kongreß 1913 in Breslau ab.
Dresden. Hierselbst wurde im Oktobervon einigen Aerzten und Volks-
freunden eine „Volksborngesellschaft für medizinisch-hygieni-
sche Aufklärung“ gegründet. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe,
unter Aufbietung aller Methoden und Mittel, insbesondere Wander-Ans-
stellungen, medizinisch - hygienische Belehrungen in möglichst weite
Kreise des Volkes zu tragen, gegen Kurpfuscherei und Geheimmittel-
schwindel: anzukämpfen und anderes mehr. Die Volksborngesellschaft
fordert von ihren Mitgliedern nur einen einmaligen Beitrag von 25 M und
rechnet auf rege Teilnahme von seiten der gesamten deutschen Aerzte-
schaft. Geschäftsstelle: Dresden-A, Waisenhausstr. 29.
Paris. Als vor Jahresfrist Prof. Paul Segond den Kongreß für
Chirurgie leitete, wer hätte da geglaubt, daß dieser lebensvolle Mann voll
glühender Begeisterung und froher Laune so bald vom Tode ereilt werden
würde. So trauerten bei seinem vor wenigen Tagen in Paris erfolgten
Tode die zahlreichen Freunde Segonds in der wissenschaftlichen Welt
und in der Bevölkerung. Seine sprichwörtliche Güte, seine natürliche
Beredsamkeit, seine zuweilen ein wenig rücksichtslose Offenheit hatten
ihm die Zuneigung seiner Kollegen, Schüler und Patienten in hohem
Grade gewonnen. In Paris 1851 als Sohn des Prof. Segond geboren,
wirkte er seit 1883 in Paris als Universitätslehrer und klinischer Ope-
rateur. Seit einigen Jahren war er der Leiter der chirurgischen Ab-
teilung an der Salpeteriöre. Er widmete sich vorwiegend der Gynäko-
logie und war für Frankreich bahnbrechend auf dem Gebiete der vagi-
nalen Hysterektomie. mn
Vom. Kriegsschauplatz. Im Kriegslazarett von Mustapha-
Pascha wurde ein bulgarischer Arzt, der einen türkischen Soldaten
behandelt hatte, von diesem meuchlings durch einen Messerstich getötet.
Der Türke hatte das Messer im Bette verborgen gehalten. — Die Serben
boykottieren die österreichische Abteilung des roten Kreuzes, die nach
Belgrad zur Hilfeleistung gekommen ist. Das Lazarett ist ohne einen
Verwundeten.
Hochschulnachrichten. Berlin: Prof. K. Kaiserling (patho-
logische Anatomie) und Priv.-Doz. Dr. Georg Arndt (Dermatologie) er-
hielten Lehraufträge. — Priv.-Doz. Dr. R. Cassirer der Professortitel.
— Dr. Grotjahn habilitiert für soziale Hygiene. — Breslau: Priv.-Doz.
Dr. Stertz zum Oberarzt der Psychiatrischen Klinik und Nachfolger
des nach Berlin übergesiedelten Prof. Schröder — Halle: Dr. Johann
Sowade (Dermatologie) .habilitiert. — Heidelberg: Dr. Richard
Siebeck (innere Medizin) habilitiert. — Leipzig: Die Privatdozenten
Dr. Max Löhlein (Pathologie) und Dr. Paul Schmidt (Hygiene) zu
Professoren a. o, — Wien: Priv.-Doz. Dr. Karl Keller (Gynäkologie)
und Dr. v. Schumacher-Marienfrid (Histologie) zu Professoren a. 0.
Von Aerzten und Patienten.
. <. . Abends, sobald das Licht brennt, sieht der Verstand, we
das Auge, nicht so klar, wie bei Tage: daher diese Zeit nicht zur
Meditation ernster, zumal unangenehmer Angelegenheiten geeignet 1
Hierzu ist der Morgen die rechte Zeit; wie er es denn, überhaupt ZU
allen Leistungen, ohne Ausnahme, sowohl den geistigen wie den Bu
lichen, ist. Denn der Morgen ist die Jugend des Tages: Als
ist heiter, frisch und leicht: Wir fühlen uns kräftig und haben alle u
Fähigkeiten zu völliger Disposition. Man soll ihn nicht durch spätes
Aufstehen verkürzen, noch auch an unwürdige Beschäftigungen oder .
spräche verschwenden, sondern ihn als die Quintessenz des Lebot
trachten und gewissermaßen heilig halten. Hingegen ist der Al ond da
Alter des Tages: wir sind abends matt, geschwätzig und leichtsinnig:
Ueberhaupt aber hat Gesundheitszustand, Schlaf, Nahrung, un
ratur, Wetter, Umgebung und noch viel anderes Aeußerliches auf unse
Stimmung und diese auf unsere Gedanken einen mächtigen Ein =
Daher ist, wie unsere Ansicht einer Angelegenheit, so auch uns'Te a
keit zu einer Leistung so sehr der Zeit und selbst dem Orte un
worfen.... F
Nicht etwa bloß objektive Konzeptionen und Originalgedanken T
man abwarten, ob und wann es ihnen zu kommen beliebt; sondern 38
die gründliche Ueberlegung einer persönlichen Angelegenheit go =
nicht immer zu der Zeit, die man zum voraus für sie bestimmt uu ei
man sich dazu zurechtgesetzt hat; sondern auch sie wählt sich der
selbst; wo alsdann der ihr angemessene Gedankengang unaufgelo
rege wird und wir mit vollem Anteil ihn verfolgen.
Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena.,
Paränesen und Maximen, Abschn. 13. Berlin 1851. 1
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich di
Gedruckt voo Julius Sittenfeld, Hofbuchärucker., Berlin W 8,
D SEE RE N
Nr. 47 (416). 24. November 1912. VIN. Jahrgang.
Medizinisehe Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von ` | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin i
vasomotorisch-trophischen Neurosen. O. Schellong, Einiges über Albuminurie, Pulsfrequens, Kniereflex, vasomotorisches N achröten, Augen-, Zungen-,
Händezittern, Məc Burneyschen und Erbschen Druckpunkt, Mastodynie, Ovarie; nach Untersuchungen an Gesunden. F. Gaisböck, Beitrag zur
Hämatologie der Kalichloricumvergiftung. A. Galisch, Eine einfache Methode der Bekämpfung der Fettleibigkeit, J. Voß, Ein Fall von Schweine-
rotlauf beim Menschen behandelt mit Rotlaufserum. von Stokar, Erfahrungen über Salvarsan in der Praxis. Gutowitz, Aleudrin, ein neues
Hypnoticum und Sedativum. E.Cammert, Erfahrungen mit Noviform. K. Zahn. Versuche mit Phobrol (Chlormetakresol). — Aus der Praxis für
die Praxis: M. Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten. (Fortsetzung) — Referate: M. Serog, Diagnose und Behandlung der
multiplen Sklerose. M. Seige, Neuere Arbeiten über narkotische Mittel, besonders Schlafmittel. — Diagnostische und therapeutische Einzel-
referate; Aetiologie und Therapie der Epilepsie. Neurasthenische Ohrgeräusche. Behandlung des akuten Gelenkrheumatismus mittels rektaler
Applikation einer 5°/oigen Kollargollösung. Ueber Magenerweiterung und ihre Behandlung. Argentum proteinicum Heyden. Eitrige Erkrankungen
der Harnwege im Säuglingsalter. Keuchhusten. Follikulitiden. — Bücherbesprechungen: Balfour, Fourth Report of the Wellcome Tropical
Research Laboratories at the Gordon Memorial College Kharthoum. Vol. A-Medical. Balfour, Fourth Raport of the Welcome Tropical Research
Laboratories at the Gordon Memorial College Khartoum. Vol. B-General-Science. Balfour and Archibald, Second Review of some of the Recent
Advances in Tropical Medicine. O. Körner, Lehrbuch der Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten. A. Sperling. Hygienische Morgentoilette.
A. Pollatschek und A. Charmatz, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1911. — Vereins- und Auswärtige Berichtes Bromberg.
Hamburg. Stettin. Berlin. — Rundschau: Koloniale Medizin: Külz, Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun. (Mit 2 Abbildungen.) (Schluß.)
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizins Die Verrufserklärung eines Vereins von Standesgenossen gegen einen
Inhalt: Originalarbeiten: H. a. 0. ohi Ueber den Abdominaltyphus. R. Cassirer, Die Rolle des vegetativen Systems in der Pathologie der
Arzt verstößt gegen die guten Sitten. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestatiet.
Klinische“ Vorträge.
Aus der I. Medizinischen Klinik der Akademie für praktische Medizin. | Boden aufsteigende giftige Gase die Hauptursache der Er-
r krankung bilden und die Bacillen eine mehr nebensächliche
Ueber den Abdominaltyphus Rolle spielen?) | |
Auch die Wege, auf denen der Krankheitserreger in
den Darmkanal hineingelangt, sind uns zum größten Teile
gut bekannt; am häufigsten gelangen sie mit dem Wasser
oder Milch in den Darmkanal; das ist durch die Geschichte
von zahlreichen Epidemien bewiesen). Seltener verbreiten
andere Nahrungsmittel, wie Obst, Gemüse, Fische und Austern,
die Erkrankung. Daß auch Insekten oder Ratten die An-
steckung vermitteln können, ist für einzelne Fälle sicherge-
stellt. Von besonderer Wichtigkeit ist diese Infektionsquelle
jedenfalls nicht. |
Auf den eben genannten Wegen kommt es meistens
zum Ausbruch von mehr oder minder großen Epidemien;
daneben darf die Wichtigkeit der Kontaktinfektion am
meisten bei Leuten, die direkt mit den Kranken in Verbin-
dung kommen, nicht gering angeschlagen werden. |
Als eine besonders gefährliche Infektionsquelle, deren
genaue Kenntnis uns erst die Neuzeit vermittelt hat, sind
die sogenannten Bacillenträger und Dauerausscheider anzu-
sehen. Erstere sind, wie schon eben erwähnt, Personen meist
in der Umgebung von Typhuskranken, welche den Bacillus
beherbergen und ausscheiden, ohne krank zu sein; letztere
haben den Typhus überstanden und sind vollkommen 'ge-
nesen, scheiden aber noch fortwährend im Stuhl oder Urin
den Bacillus aus.
von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Hochhaus, Köln.
M. H.! Der Typhus gehört zu den Erkrankungen, die
dank den großen Fortschritten der Hygiene in so erheb-
lichem Maße zurückgegangen sind, daß an manchen Orten
sein Vorkommen sogar zu den Seltenheiten gehört. Aber
trotzdem ist die Zahl sowohl der Einzelerkrankungen wie
auch der Epidemien noch immer so groß, daß eine genaue
Kenntnis dieser Krankheit für jeden Arzt sich als not-
wendig erweist; besonders der zahlreichen wichtigen Ergeb-
nisse, welche in erster Linie die Bakteriologie zutage ge-
fördert hat. Die daraus resultierende bessere Erkenntnis
berechtigt zu der Hoffnung, daß noch eine ganz erhebliche
' Reduktion der Krankheitsfälle zu erreichen ist.
Auf diese neueren Fortschritte soll in der folgenden
Darstellung am meisten Rücksicht genommen werden. Das
längst Feststehende und Bekannte werde ich nur kurz be-
rühren,
Ueber die Aetiologie des Typhus herrscht jetzt wohl
kaum ein Zweifel; daß der Ebert-Gaffkysche Bacillus der
Erreger ist, wird allgemein angenommen mit der Be-
Schränkung, daß immer noch eine gewisse Disposition ‚des
Individuums hinzukommen muß, um den Ausbruch der Krank-
heit zu ermöglichen. Einen eklatanten Beweis dafür geben
die sogenannten Bacillenträger, gesunde Menschen, meist in
der Umgebung von Typhuskranken, welche den Bacillus be-
herbergen und ausscheiden, ohne irgendwelche Krankheits-
Symptome zu zeigen. nn
Nur ganz vereinzelte Forscher huldigen noch der alten
Pettenkoferschen Anschauung, wonach aus dem verseuchten
< 1) F. Wolter, Hamburg 1910—1911. Verlag bei S. Lehmann in
München. | | T
”) Von einer genauen Literaturangabe habe ich abgesehen; am
besten findet man alles den Typhus Betrefiende zusammengestellt in dem
„Handbuche der pathogenen Organismen“ von Kolle und Wassermann
1903; in dem Ergänzungsband 1907 und der Experiment. Bakteriologie
von Kolle und Hetsch 1908. u |
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1894 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November,
Die Zahl derjenigen, die nach Ueberstehung des Typhus
den Bacillus noch beherbergen und längere Zeit ausscheiden,
ist nicht gering, man hat sie auf 4 bis 5 %/, der an Typhus
Erkrankten berechnet!); die Ausscheidung kann viele Jahre
und Jahrzehnte andauern; diese Dauerausscheider sind des-
halb so gefährlich, weil noch immer an diese Möglichkeit
viel zu wenig gedacht wird. Heutzutage gelingt es indes
häufiger, infolge der Verordnung, daß mehrmals nach Ueber-
stehung des Typhus der Stuhl untersucht werden muß, die-
selben herauszufinden und sie wenigstens bis zu einem
gewissen Grade für die Umgebung unschädlich zu machen.
Mit welchen Schwierigkeiten dies verknüpft ist, darauf wird
später eingegangen werden.
Das Verständnis für das Vorkommen von solchen
Dauerausscheidern wird uns gegeben durch unsere jetzigen
Kenntnisse über die Verbreitung des Typhusbacillus im
Körper. Während man früher annahm, daß der Krankheits-
erreger sich wesentlich in den lymphatischen Apparaten
des Darmes ansiedle und vermehre, wissen wir jetzt durch
zahlreiche Forschungen, daß er von diesen Iymphatischen
Apparaten aus auf der Blutbahn. den ganzen Körper über-
schwemmt und sich fast in allen Organen festsetzen kann;
mit Vorliebe geschieht es in der Milz, im Knochenmark und
in den Mesenterialdrüsen, wo er sich auch weiter entwickelt;
von dort gelangt er auf dem Wege. der Blutbahn in andere.
Organe, besonders häufig in die Gallenwege und Gallen-
blase; von letzterer ist erwiesen, daß sie nicht selten jahre-
lang in reichlicher Menge den Bacillus beherbergt und ihn
dann schubweise in den Darm hineinbefördert. Diese Er-
gebnisse der neueren Forschung, die beim Typhus eine rich-
tige Bakteriämie erwiesen hat, gibt uns das Verständnis nicht
nur für diese Dauerausscheider, sondern auch für die zahl-
reichen lokalen Komplikationen des Typhus, welche sich.
noch manchmal jahrelang nach seiner Ueberstehung ein-
stellen.
Daß es noch genug Fälle gibt, bei denen eine. Auf-
klärung des Infektionsmodus nicht möglich ist, kann bei der
Schwierigkeit der Nachforschungen nicht wundernehmen;
jedenfalls ist ihre Zahl in den letzten Jahren stetig geringer
geworden.
Verlauf und Symptome des Typhus dürfen wohl als
bekannt vorausgesetzt werden; die Neuzeit hat nur wenig dem
hinzuzufügen, was wir in den früheren Beschreibungen der
Erkrankung, namentlich in dem klassischen Werke von
Curschmann finden; ich beschränke mich darauf, wesent-
lich das von dem früheren Abweichende hervorzuheben.
Zuerst einige Worte über das Vorkommen in den ein-
zelnen Altersperioden Es galt bis dahin als feststehend, daß
die größte Zahl der Erkrankungen in das zweite und dritte
Dezennium fällt, daß die frühesten wie die spätesten Lebens-
jahre nur selten befallen werden; das scheint nun nach
neueren Erfahrungen doch nicht ganz richtig, besonders
Brückner?) weist in einer Arbeit an der Hand einiger Epi-
demien darauf hin, daß gerade das erste Jahrzehnt eine
außerordentliche Zahl von Typhuserkrankungen aufweist, und
andere Autoren stimmen mit ihm darin überein.
| Diese Tatsache, deren Aufdeckung wir im wesentlichen
den modernen bakteriologischen Untersuchungen verdanken,
war wohl bis dahin deshalb verborgen geblieben, weil der
Typhus bei Kindern häufig unter so milden Symptomen ver-
läuft, daß an diese Diagnose gar nicht gedacht wird; erst
als man auch die einfachen Darmkatarrhe bei kleinen
Kindern daraufhin untersuchte, ergab sich das eben er-
wähnte unerwartete Resultat. Welchen Wert diese Er-
kenntnis -besonders zur Verhütung von Kontaktinfektionen
hat, braucht wohl kaum weiter ausgeführt werden.
Den Verlauf pflegt man auch heute noch der Ueber-
1) Browning, Glasgow, med. J. 1910.
23) M. med. Woch. 1911. i
sichtlichkeit wegen in das Inkubations-, Steigerungs-, Höhen-
und Abheilungsstadium einzuteilen; . die Dauer des ersteren
schwankt zwischen acht Tagen und drei Wochen; den Be-
ginn des- eigentlichen Krankheitsprozesses rechnet man vom
Eintritte der Fieberperiode an. Daß dies in vielen Fällen
sehr unsicher, ja unmöglich ist, ist bekannt, aber ein
besseres Merkmal hat man bis heute noch nicht gefunden;
für die Dauer des ganzen übrigen Krankheitsprozesses
nimmt man in der Regel vier bis sechs Wochen an. Aus-
nahmen davon gibt es indes häufig, bedingt durch die
Stärke der Infektion und die Widerstandsfähigkeit des In-
dividuums. Foudroyante Fälle, die fast plötzlich beginnen,
kurz dauern und kritisch enden, andere, in denen bald das
eine, bald das andere Stadium oder alle drei von sehr
langer Dauer sind, sind früher und auch jetzt noch häufiger
beschrieben; am meisten häufen sich die Berichte über die
kurzdauernden, leichtverlaufenden Fälle. Der sogenannte
Typhus levis, levissimus, ambulatorius, afebrilis werden an-
scheinend jetzt häufiger beobachtet wie früher, wohl aus
demselben Grunde, der uns auch den Kindertyphus so zahl-
reich erscheinen läßt, weil nämlich unsere Diagnose so sehr
viel sicherer geworden ist!). |
Daß der Typhus im allgemeinen milder verläuft wie
früher, wird von einigen Autoren behauptet?). Nach dem,
was ich aus manchen Krankenhausstatistiken ersehen und
auch nach meiner eignen Erfahrung ist die Mortalität auch
heute noch bei vielen Epidemien eine sehr große; es richtet
sich das eben ganz nach ihrem speziellen Charakter. So
fand Lohmer?), daß für die Stadt Köln in den letzten
13 Jabren die Mortalität zwischen 9,35%, und 26,1%, der
Erkrankungen schwankte. Die Zahlen des städtischen
Augustahospitals stimmen damit ziemlich gut überein: Es
schwankten die Mortalitätsziffern zwischen 6%), und 24%,
Zahl der Er- ` Zahl der Er-
Jahr krankungen Mortalität Jahr krankungen Mortalität
1900 82 8,6%, 1906 59 8,1%,
1901 50 6,0 „ 1907 87 6,7,
1902 30 23,0 „ 1908 65 240,
1908 45 110, 1909 20 20,0 ,
1904 62 9,6 „ 1910 43 98,
1905 67 180, 1911 40 100,
Diese Zahlen zeigen evident, wie reichlich auch heute noch
die Opfer sind, welche der Typhus fordert.
In bezug auf den klinischen Verlauf sei nur eines
hervorgehoben, was in den letzten Jahren wohl mehr betont
wird wie früher, wenn es auch schon länger bekannt ist;
das ist der außerordentliche Wechsel in den Initialsyn-
ptomen, der proteusartige Beginn mancher Erkrankung, W0-
durch die Diagnose so sehr erschwert wird. Plötzlicher
Beginn unter dem Bild einer Pneumonie oder Nephritis, oder
auch einer Meningitis sind nicht so selten; in andern Fällen
leiten eine starke Angina oder heftige Gelenkerscheinungen,
die zu der Diagnose Gelenkrheumatismus führen, die Br-
krankung ein. Auf meine Abteilung wurde ein Typhus
kranker gebracht, bei dem man vorher wegen der heftigen
Schmerzen in der lleocoecalgegend eine Appendicitis die
gnostizierte; es wurde der Wurmfortsatz exstirpiert, der sich
als gesund erwies, und erst danach stellten sich die Sym
ptome des Typhus eklatant heraus. Zwei Kranke kamet
unter dem Bilde der Pyelocystitis herein; ein anderer wurd
als Ikterus ins Krankenhaus geschickt; auch mit einer
exsudativen Pleuritis sah ich einen Fall beginnen. l
So kann das Krankheitsbild zu Anfang ein sehr Irr®
führendes sein und nur der rechtzeitige und häufige Ge:
brauch der modernen diagnostischen Hilfsmittel kann bier
vor folgenschweren Irrtümern bewahren.
Die Zahl der Komplikationen, über welche de
Kasuistik in den letzten Jahren berichtet, ist eine außer
1) Veiel, Württ. Corr.-Bl. 1910,
°) Rosin, Berl. kl. Woch. 1909.
3) M. med. Woch. 1909.
24. November.
ordentlich große; es gibt kaum ein Organ, das nicht im
Verlauf oder auch nach dem Abklingen der Erkrankung
durch den Typhus in Mitleidenschaft gezogen wird; die Tat-
sache ist schon allbekannt, aber das richtige Verständnis
dafür hat uns erst das Ergebnis der bakteriologischen und
klinischen Forschungen gebracht, wonach der Bacillus durch
das Blut zu sämtlichen Organen fortgetragen wird und sich
hier Jahre und Jahrzehnte lang so lebensfähig erhält, um
unter geeigneten Bedingungen besonders auch als Entzün-
dungserreger aufzutreten. Um nur einige der häufigsten
zu nennen, führe ich an: die akute Pneumonie und Ne-
phritis, die akuten Entzündungen des Larynx, des
Ohres, der Pleura, die Darmblutung, die Perforation des
Darmes, Myokarditis, Tachykardie, Cystitis, Cholangitis,
Blutungen in den verschiedensten Organen,- Eiterungen der
Knochen usw.
Ob der Typhusbacillus allein für diese Komplikationen
verantwortlich zu machen ist, steht noch, wenigstens für die
Pneumonie und Nephritis, nicht sicher fest. Für erstere
wird allgemein angenommen, daß doch der Fränkelsche
Diplokokkus der Erreger ist; für die Eiterungen, welche be-
sonders zahlreich noch nach Ablauf der Erkrankung sich
einstellen, kommt der Typhusbacillus wohl sicher allein ätio-
logisch in Frage; obschon manche Autoren auch hier eine
Mischinfektion anzunehmen geneigt sind (Baumgarten).
Eine große Anzahl seltener Komplikationen, besonders
Eiterungen an den verschiedensten Knochen, Blutungen aus
den verschiedensten Organen, bat in letzter Zeit Klewitz!]
aus der Matthesschen Klinik veröffentlicht.
Als Seltenheit seien noch erwähnt die Fälle von soge-
nannter Typhussepsis, die in ihrer äußeren Erscheinung gar
nichts von dem uns bekannten Symptomenbilde des Typhus
zeigen, sondern ganz einer foudroyanten Sepsis gleichen;
beim Tier ist bekanntlich dieser Verlauf der Typhusinfektion
häufig. Jores?) hat jüngst ein lehrreiches Beispiel der Art
beschrieben:
Es handelte sich um einen Mann in den mittleren Jahren, der mit
Angina, mäßigem Fieber und Entzündung an mehreren Gelenken er-
krankte; die Krankheit zog sich unter wechselndem Verlaufe mehrere
Wochen hin, ohne daß eine Diagnose gestellt werden konnte. Die
Sektion ergab außer einer sulzigen Infiltration um die erkrankten Ge-
lenke herum eigentlich gar keine anatomischen Zeichen einer typhösen
Veränderung; dagegen ergab die Züchtung aus dem Herzblut eine Rein-
kultur von Typhusbacillen. Ä
| Jores nimmt nun mit gutem Grund an, daß es sich
hier um einen Fall von Typhussepsis handelt. Der Fall
wird dadurch noch interessanter, daß die nachträgliche
Anamnese ergab, daß der Betreffende vor 15 Jahren einen
Typhus überstanden hat und daher die Annahme sehr wahr-
scheinlich erscheint, daß es sich hier um einen Baeillen-
träger gehandelt, der jetzt selbst seinen Organismus infiziert
hat. Die Zahl solcher Fälle ist nicht sehr groß; Jores gibt
in seiner Arbeit einen genauen Bericht über die bisherige
Literatur der Typhussepsis und teilt auf Grund der vor-
liegenden Beobachtungen dieselben ein: erstens in solche,
wo der Bacillus vom Darm eindringt ohne daselbst Spuren
zu hinterlassen, zweitens in kongenitale, wo die Bacillen
vom mütterlichen Blut aus in den Foetus eindringen, und
drittens in Fälle, wo ein Bacillenträger sich selbst neu in-
fiziert. Wenn ein derartiges Vorkommen auch noch nicht
häufig beobachtet ist, so scheint es doch angebracht, in
Fällen mit sepsisartigem Verlauf unbekannten Ursprungs
auch an diese Genese zu denken.
Die größten Fortschritte hat unstreitig die Diagnostik
zu verzeichnen. Der Nachweis der Bacillen im Blute durch
die Kultur ist jetzt das sicherste Mittel zur Stellung der
Diagnose; es gelingt das in der ersten Woche fast in 100°,
in der zweiten und dritten Woche ist der Prozentsatz zwar
geringer, aber immer noch erheblich, während in der vierten
t) Med. Kl. 1911.
2) M. med. Woch. 1911.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
1895
Woche das Ergebnis häufig negativ ist. Die Technik ist
nicht schwierig; aus der Vena mediana werden 10 bis 20 cem
Blut entnommen und in Bouillon oder Agar-Agar verteilt und
nachher auf besonderen Nährböden weiter gezüchtet; wenn
weniger Blut zur Verfügung steht, nur einige Kubikzenti-
meter, werden sie in sterile Galle gegeben, worin eine An-
reicherung der Bacillen stattfindet; nachher findet die Weiter-
züchtung und Identifikation auf den bekannten Nährböden
statt. Diese Methode ist so sicher, daß sie uns häufig die
Typhuserkrankung anzeigt, wenn alle andern Hilfsmittel
versagen. Auch im Stuhle findet sich der Typhusbaeillus
fast regelmäßig, häufig recht früh, wie von einigen angegeben
wird, schon im Inkubationsstadium, aber der Nachweis ist
außerordentlich viel schwieriger und langdauernder, und zwar
einmal weil die Ausscheidung nicht kontinuierlich, sondern
schubweise erfolgt und sich daher in manchen Portionen
überhaupt keine Bacillen finden, dann weil die Züchtung
und der Nachweis durch die große Zahl der im Darme leben-
den Bakterien erschwert wird; zur Frühdiagnose eignet sich
diese Methode also nicht. Von größter Wichtigkeit aber
ist das Verfahren für den Nachweis der Dauerausscheider
und Bacillenträger, weil sie nur auf diesem Wege nach-
gewiesen werden können.
Auch durch den Urin wird der Bacillus in manchen
Fällen massenhaft ausgeschieden und kann darin durch die
Kultur leicht nachgewiesen werden; an Sicherheit steht dies
Verfahren natürlich auch ganz erheblich hinter der Blut-
kultur zurück, da eben nur ein bestimmter Prozentsatz der
Fälle mit Bacillenausfuhr durch den Harn einhergeht. Wie
wichtig aber bei typhusverdächtigen Fällen auch diese Unter-
suchung werden kann, zeigte mir ein Fall, den ich jüngst
auf meiner Abteilung beobachtete. |
Es handelte sich um ein Mädchen von 24 Jahren, das zwar als
Typhusverdacht hereingeschickt wurde, aber sonst keine charakteristischen
Symptome für Typhus zeigte, weder die charakteristische Fieberkurve,
noch Roseolen oder Milztumor, noch den typischen Stuhl. Aus dem
Blute wurden keine Bacillen gezüchtet, der Widal war anfangs auch nicht
ganz entscheidend. Die klinischen Symptome deuteten mehr auf Er-
krankung der Nieren; sie hatte Schmerzen in den Nierengegenden und
mußte häufiger Wasser lassen. Die Untersuchung des Urins ergab Eiweiß
und mikroskopisch zahlreiche Leukocyten; die mit dem Urin angelegten
Kulturen ergaben nun auch massenhaft Typhusbacillen, sodaß dadurch die
Diagnose gesichert werden konnte; später traten dann Milztumor und
Roseolen auf.
Es handelte sich um einen Fall von Pyelocystitis mit
massenhafter Ausscheidung von Typhusbacillen, bei dem
die übrigen Symptome, wenigstens zu Anfang, nicht deutlich
waren.
Es tut dieser Methode keinen Eintrag, daß sich Typhus-
bacillen, wie jüngst Busse nachwies, nicht so selten im Blut
anderer Kranken, besonders bei schwerer Lungentuberkulose,
nachweisen lassen. Die übrigen Symptome sind dann meist
für die Diagnose entscheidend.
Der Wichtigkeit nach kommt an zweiter Stelle die
Gruber-Widalsche Reaktion, die-im Prinzip darauf be-
ruht, daß lebende Typhusbacillen durch Serum eines Typhus-
kranken zu Häufchen zusammengeballt werden. Die Probe
ist im Laboratorium relativ leicht anzustellen, pflegt sich
aber frühestens erst in der zweiten Woche, manchmal aber
auch erheblich später einzustellen; zur Frühdiagnose ist sie
deshalb nicht zu gebrauchen, dagegen ist sie wichtig bei
der Diagnose in den späteren Stadien, und sie leistet be-
sonders große Dienste bei der Feststellung, ob ein Indivi-
duum den Typhus überstanden hat oder nicht, da sie sich
manchmal noch Jahre nach Ueberstehung der Krankheit
nachweisen läßt. Zum Gebrauche, besonders für den prak-
tischen Arzt, hat Ficker eine Modifikation dieser Methode
angegeben, wobei er statt der lebenden Typhusbacillen ab-
getötete anwendet, die man natürlich stets Im Vorrate halten
kann; außerdem, ist die Versuchsordnung so eingerichtet,
daß auch schon makroskopisch der Ausfall zu beurteilen ist.
Die Methode ist auch nach meinen Erfahrungen recht zu-
IT ee Te
: ERS £ 4
1896 1912% — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 47.
24. November.
verlässig und handlich und daher für den praktischen Arzt
zu empfehlen, wenn sie auch nicht ganz die Sicherbeit der
Gruber-Widalschen Reaktion erreicht. In neuester Zeit hat
Mandelbaum!) eine leicht anzustellende Probe angegeben,
die basiert auf der Tatsache, daß, wenn man hochwertiges
Typhusserum zu einer Bouillonkultur von Typhusbacillen zu-
setzt, diese in Fäden auswachsen; diese Fadenreaktion ist
verschiedentlich nachgeprüft worden, über ihren Wert sind
die Akten aber noch nicht geschlossen. Die übrigen bak-
teriologischen Nachweismethoden, die Komplementbindungs-
methode, der Pfeiffersche Versuch, kommen für die Praxis
wenigstens nicht in Betracht.
Erst nach diesen Laboratoriumsmethoden kommen die
allbekannten klinischen: der Milztumor, die Roseolen, die
Leukopenie, die Verlangsamung des Pulses, die Diazoreaktion,
Beschaffenheit der Zunge usw. Hinweisen möchte ich be-
sonders auf die Wichtigkeit der Leukocytenzählung, die mich
eigentlich selten im Stiche gelassen hat. An Sicherheit
stehen die ersten Methoden natürlich voran; aber vor wie
nach wird besonders der praktische Arzt der klinischen Me-
thoden sich bedienen, da sie die bequemsten und hand-
lichsten sind und es doch immerhin einzelne Fälle gibt, bei
denen die bakteriologische Untersuchung anfangs zu einem
zweifelhaften oder gar negativen Resultat und erst später
zu einem positiven Resultat kommt. Ich habe sogar Fälle
beobachtet, wo erst nach viermaliger Untersuchung der Blut-
befund positiv war, während die klinische Beobachtung die
Entscheidung schon längst gegeben hatte. Man wird sich
also, wie so häufig, in gegebenen Fällen sämtlicher Hilfs-
mittel bedienen müssen, aber der Schwerpunkt unserer
Diagnose liegt, das ist nicht zu leugnen, jetzt im Labora-
torium. |
Bei dieser Bereicherung unserer diagnostischen Kennt-
nisse macht die Differentialdiagnose viel geringere Schwierig-
keiten als früher; die Unterscheidung von der Miliartuber-
kulose, von vielen septischen Erkrankungen, von centraler
Pneumonie, von Meningitis, von Influenza, die früher manch-
mal außerordentlich schwierig, ja unmöglich war, läßt sich
durch die Blutkultur oder den Widal heute mit großer
Leichtigkeit stellen.
Auch die Leukopenie, die Verlangsamung des Pulses
und die Diazoreaktion sind dabei recht wertvoll. Schwierig-
keiten entstehen jetzt meist nur dann, wenn diese bakterio-
logischen Methoden aus irgendwelchen Gründen bei der
ersten Anstellung einmal versagen; die Diagnose wird dann
wohl verzögert, aber definitiv doch gestellt. Etwas größere
Mühe macht die Abgrenzung gegen eine nahe verwandte
Erkrankung, den Paratyphus; das klinische Bild ähnelt in
vielen Fällen vollkommen dem eines leichten Typhus. Den
Unterschied gibt die Blutkultur und der Widal; sie wird
aber manchmal dadurch erschwert, daß beide Bacillen häufig
zusammen im Blute vorkommen und erst eine häufige
Wiederholung der Untersuchung erkennen läßt, welcher
Bacillus der eigentliche Urheber ist.
Gerade die Leichtigkeit, mit der heute diese differential-
diagnostischen Schwierigkeiten überwunden werden, zeigt
uns so recht die Größe unserer diagnostischen Fortschritte.
Die Prophylaxe spielt bei dieserrkrankung eine
äußerst wichtige Rolle. Ihre erste Aufgabe ist,-die Bacillen,
wenn sie den erkrankten Körper verlassen, zu vernichten.
Es müssen deshalb alle Exkremente eines Typhuskranken,
in erster Linie der Stuhl, dann auch der Urin, womöglich
auch das Sputum, besonders wenn eine Erkrankung der
Lungen vorliegt, aufs sorgfältigste desinfiziert werden; des-
gleichen alle Gegenstände, welche mit dem Kranken in nahe
Berührung kommen, namentlich das Badewasser, die gesamte
Wäsche und die sämtlichen Eßgeräte, die letzteren beson-
ders, weil durch neuere Untersuchungen von Purjesz und
1) M. med. Woch. 1909. $
O. Perl!) nachgewiesen wurde, daß noch bis in die Rekon-
valeszenz hinein sich Bacillen relativ häufig im Zahnbelag
und an den Tonsillen nachweisen lassen. Wenn diese vor
geschriebenen Desinfektionen stets sorgfältig gehandhabt
würden, wäre an eine Verbreitung des Typhus kaum mehr
zu denken. Bu
Ueber die Fieberperiode hinaus müssen diese Maß-
regeln natürlich noch befolgt werden bei den sogenannten
Dauerausscheidern und bei den Bacillenträgern. Diese Auf-
gabe ist naturgemäß eine außerordentlich viel schwerere;
der Versuch bei diesen sonst gesunden Personen, die Bacillen
im Körper durch Desinfizientien zu zerstören, hat sich fast
stets als vollkommen fruchtlos erwiesen, wohl deshalb, weil,
wie wir früher auseinandergesetzt, der Bacillus sich in den
verschiedensten Körperorganen einnistet, wo er durch unsere
Mittel nicht getroffen werden kann; von der Erfahrung aus-
gehend, daß die Gallenblase am häufigsten der Ansamm-
lungsort der Bacillen ist, hat man vorgeschlagen, dieselbe
herauszunehmen. Diese Operation ist auch von mehreren
Chirurgen gemacht worden, aber nicht mit durchscklagendem
Erfolg, indem sich nachher aus der Leber selber mit der
Galle noch reichlich Typhusbaecillen entleerten; nur Dehler’)
beschreibt neuerdings mehrere Fälle, die er mit Exstirpation
der Gallenblase und länger dauernder Drainage der Leber-
wege behandelt hat, bei denen nachher die Bacillen voll-
kommen verschwunden seien.
Da sich jedoch nur ein geringerer Teil dieser Operation
unterziehen wird, hat man versucht, auf andere Weise sie
unschädlich zu machen; Petruschki®) schlägt neuerdings
vor, durch aktive Immunisierung die Bacillen allmählich aus
dem Körper zu eliminieren; ob das gelingen wird, muß die
Erfahrung lehren; beweisende Versuche liegen darüber, so-
viel ich weiß, noch nicht vor.
Da die vorgeschriebenen aktiven Behandlungsmethoden
also nicht zum Ziele führen und bei der oft jahrelang
dauernden Ausscheidung eine Internierung in einem Kranken-
haus oder Genesungsheim nicht durchführbar ist, bleibt also
bei diesen Dauerausscheidern häufig nichts anderes übrig,
als sie selber auf die große Gefahr aufmerksam zu machen,
welche sie für ihre Umgebung bilden, und dieselben aufs
strengste anzuhalten, ihre Exkremente stets sorgfältigst zu
desinfizieren. Daß das unter Umständen sehr schwierig,
zuweilen sogar unmöglich ist, unterliegt keinem Zweifel.
Trotz aller Vorsichtsmaßregeln wird es einstweilen noch
nicht zu vermeiden sein, daß noch. immer lebensfähige
Iyphuskeime in die Außenwelt gelangen und dort zu Neu-
erkrankungen Veranlassung geben. Um dem entgegenzu-
treten, muß es unsere Sorge sein, daß denselben die uns
bekannten Infektionswege möglichst abgeschnitten werden;
am erfolgreichsten geschieht das durch Wasserleitungen, die
vor jeder Verunreinigung gesichert sind, und mit Recht
sorgt die Regierung jetzt dafür, daß in typhusverseuchten
Gegenden überall derartige Leitungen angelegt werden. Der
Erfolg ist in vielen Fällen ein außerordentlich prompter, ín-
sofern solche Gegenden nachher fast vollkommen typhusfre!
werden.
Mit besonderer Strenge sind ferner alle jene Häuser
zu überwachen, in denen Nahrungsmittel feilgeboten werden,
die erfahrungsgemäß leicht den Typhuskeim propagieren; in
erster Linie sind das die Molkereien, dann aber auch alle
Geschäfte, in denen Obst, Gemüse, Fleisch, Fische usw. Ver-
kauft werden. Kayser?) macht noch in einer neueren
Arbeit darauf aufmerksam, wie außerordentlich häufig gerade
die Inhaber solcher Nahrungsmittelgeschäfte an Typhus er-
kranken und wie leicht diese Häuser dann auch zum Aus
gangspunkte weiterer Erkrankungen werden können.
=) Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 40.
“i M. med. Woch. 1912, Nr. 16.
3) D. med. Woch. 1912,
+) M. med. Woch. 1909.
24. November.
Den besten Schutz für jeden einzelnen gewährt die
peinlichste Sauberkeit des Körpers und aller Gegenstände, die
zum Munde geführt werden; besondere Pflicht ist das natür-
lich für die Personen, welche häufig mit Typhuskranken in
Berührung kommen, also für Aerzte, Wärter und Wärterinnen.
Zu prophylaktischen Zwecken sind in den letzten
Jahren auch vielfach Schutzimpfungen angewandt worden;
Pfeiffer und Kolle haben zuerst Immunisierungsversuche
durch Einspritzung von abgetöteten Typhuskulturen gemacht,
und die damit erzielten Resultate waren sehr befriedigend;
auch in England und Frankreich sind diese Versuche mit
bestem Erfolge wiederholt worden, besonders bei Soldaten,
die sich in stark typhusverseuchten Gegenden aufhielten.
Es kann diese Schutzimpfung um so mehr empfohlen werden,
als nachteilige Folgen nicht beobachtet wurden.
Die Behandlung des Typhus ist heutzutage noch eine
fast rein symptomatische.
Die Hauptrolle spielt noch immer die Bekämpfung des
Fiebers, wenn auch unsere Anschauungen über die Ge-
fährlichkeit desselben sich mächtig gewandelt haben. Wir
sehen weniger in der Höhe der Temperatur einen Grund
zur Beunrubigung als in der begleitenden toxischen Ein-
wirkung auf das Herz, das Nervensystem und. die übrigen
Organe. Daher ist esauch unser Hauptbestreben, die letzteren
in erster Linie zu paralysieren, weniger die Temperatur um
jeden Preis herunter zu drücken. Die besten Dienste leistet
uns dabei die moderne Hydrotherapie; am meisten in der
Form der milden Bäderbehandlung, wie sie wohl Ziemssen
zuerst in die Praxis eingeführt hat. Wenn die Temperatur
39,5 in der Achsel erreicht hat, gibt man cin Bad von 34° C,
das in den ersten fünf Minuten auf 30 bis 27° C abgekühlt
wird; darin wird der Kranke noch fünf Minuten gelassen
und dann wohl abgetrocknet in ein vorgewärmtes Bett ge-
bracht. Temperatur und Dauer des Bads werden indessen
nicht schematisch festgehalten, sondern je nach der Fieber-
höhe, je nach der Kraft und Widerstandsfähigkeit des
Patienten entsprechend variiert. Bei kräftigen jugendlichen
Personen mit reichlichem Fettpolster nimmt man die Tempe-
ratur kühler, beginnt schon, wenn es gut vertragen wird,
bei 30°C und kann heruntergehen bis 20 und 18° C; da-
gegen wird man bei Anämischen, Nervösen, Fettarmen die
Anfangstemperatur in der Nähe der Körperwärme nehmen
und nur wenig abkühlen.
Ueber drei bis vier Bäder in 24 Stunden wird man
heutzutage selten geben; die Nachtstunden läßt man meistens
vollkommen frei.
Diese Regeln unterscheiden sich wesentlich von denen,
die Brandt, der zuerst systematisch die Bäderbehandlung
in die Therapie eingeführt hat, seinerzeit gab, indem er
vorschrieb, ein Bad von etwa 20 bis 22°C so oft zu geben,
als die Temperatur 39,5 in der Achsel erreichte, sowohl bei
Tage wie auch bei Nacht. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß
diese rigorose Kur von vielen Kranken nicht vertragen wird,
und deshalb hat sie heute nur wenige Anhänger (Vogel).
Mehr wie früher bedient man sich heute noch milderer
Wasserapplikationen; bei manchen Anämischen und mageren
Patienten, besonders weiblichen Geschlechts, kommt man sehr
gut mit Packungen aus, die man noch je nach dem vor-
liegenden Fall abstufen kann in Ganz-, Rumpf- und
Brustpackungen. Meist gibt man von diesen bei höherer
Temperatur drei bis vier hintereinander und läßt jede einzelne
so lange liegen, bis die Tücher sich kräftig erwärmt haben.
Bei hohem Fieber müssen die ersten in der Regel nach
sechs bis zehn Minuten gewechselt werden, die späteren
können länger liegen bleiben (15 bis 30 Minuten). l
Bei milden Erkrankungen genügen häufig schon wieder-
holte Abwaschungen mit Wasser oder Spiritus. Soll ein
Kranker nicht bewegt werden, wie das beim Baden oder
der Packung unerläßlich ist, so leistet manchmal vorzüg-
liebe Dienste das kühle Wasserbett (nach Quincke), indem
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 1897
'man ein untergelegtes W-asserkissen mit kühlem Wasser
(12 bis 150 C) füllt, was durch Heberwirkung aus einem
Wassergefäße leicht zu bewerkstelligen ist, ohne den Kranken
anzurühren. Die Methode hat den Vorteil, daß nur die
Partien des Körpers gekühlt werden, die mit stärkerem
Fettpolster versehen und weniger empfindlich sind. Etwas
umständlicher ist die Abkühlung mit mehreren Eisblasen,
die auf Brust und Bauch gelegt werden. Vielen Fieber-
kranken ist es sehr angenehm, wenn sie in einem gut ge-
lüfteten Zimmer nur von einem Laken bedeckt sind; auch
hierbei findet eine gewisse Abkühlung statt.
So kann die Wasserbehandlung in der mannigfachsten
Weise je nach der Art der Erkrankung, je nach der Indi-
vidualität des Patienten und auch je nach den lokalen Ver-
hältnissen varliert werden.
Die Anwendung der Antipyretica kommt erst in
zweiter Linie.
In der Klinik, die mit ihren Mitteln die Wasser-
anwendung leicht gestattet, war sie eine Zeitlang fast ganz
zurückgetreten; so erwähnt beispielsweise F. v. Müller in
einer Besprechung der Therapie des Abdominaltyphus die
Antipyretica überhaupt nicht (Th. d. G. 1904), während
sie in der Privatpraxis immer noch eine gewisse Rolle ge-
spielt hat; meines Erachtens auch mit Recht, denn es ist
auch nach meinen Erfahrungen nicht zu leugnen, daß man
bei vorsichtiger Anwendung der Antipyretica nicht nur das
Fieber, sondern auch den Allgemeinzustand in günstigster
Weise beeinflussen kann; besonders heute wo wir im Pyra-
midon, Aspirin, Phenacetin Fiebermittel besitzen, die auch
schon in geringer Dosis einen deutlichen Einfluß ohne jede
störende Nebenwirkung erkennen lassen.
Besonders Jakob!) hebt in einer neueren Publikation
aus der Moritzschen Klinik die Vorzüge des Pyramidon
vor allem hervor, das er zweistündlich in einer Dosis von
0,1 gibt; meist in 24 Stunden zehn mal 0,1; er erwähnt
dabei ausdrücklich die günstige Beeinflussung des Allgemein-
befindens und findet bei einem Vergleich mit der Wasser-
behandlung der früheren Jahre, daß diese Methode fast das-
selbe leistet. Ueble Nebenwirkungen wurden nie beobachtet.
Ein besonderer Vorzug ist, daß die Pyramidonbehandlung auch
während einer Blutung angewendet werden kann. [Andere
Autoren (John) haben diese günstigen Wirkungen bestätigt.]
Auch Chinin erfreut sich mit Recht gelegentlicher An-
wendung; ich pflege es besonders dann zu geben, wenn die
leichten Fiebertemperaturen sich zu lange hinziehen;
eine einmalige Dosis von 1 bis 2,0 Chinin bringt die Tempe-
ratur häufig zur Norm zurück.
Die übrigen Symptome der Erkrankung werden nach
den allgemein gültigen Regeln der Therapie behandelt; also
Herzkomplikationen mit Digitalis, Campher oder Coffein
natr. benz. oder mit Adrenalin, .Lungenerkrankungen mit
Expektorantien usw.
Die im Verlaufe des Typhus nicht selten auftretenden
Diarrhöen pflegt man meist jetzt rein diätetisch zu behandeln
(Schleim- und Hafersuppen), nur wenn sie heftig werden mit
Stypticis, Tannigen, Tannalbin oder mit dem sehr empfehlens-
werten Uzara (dreimal 20 Tropfen), erst .in letzter Linie
mit Opium.
Bei.den häufig vorkommenden Darmblutungen spielt
absolute Ruhe des Körpers und Ruhigstellung des Darmes
durch Darreichung nur weniger Nahrungsmittel, eventuell
auch spärlicher Opiumdosen eine Hauptrolle; innere Mittel
helfen zur Blutstillung nur wenig; am meisten sah ich noch
von Gelatineeinspritzungen (40 ccm Gelatine Merck pro Dosi)
oder von intravenöser Kochsalzeinspritzung nach van den
Velden (3 bis 5 ccm einer 10 %/,igen Lösung). Neuerdings
wird auch zur Blutstillung sehr die Einspritzung von Blut-
serum empfohlen (40 ccm in der Glutäalmuskulatur).
1) M, med. Woch. 1911.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November.
Bei eingetretener Perforation ist am ehesten von schleu-
nigem chirurgischen Eingreifen Hilfe zu erwarten.
In der Frage der Ernährung war man bis vor kurzem,
wenigstens in Deutschland, allgemein der Ansicht, daß für
die Fieberperiorde und noch etwas darüber hinaus zur
Schonung des Darmes nur eine flüssige Diät in Betracht
komme, die im wesentlichen aus Milch, Suppen mit ein-
geschlagenen Eiern, Gelees, ‚Tee, Kaffee, Wein oder Limonade
und Wasser bestand; die dadurch zweifellos bedingte periodische
Unterernährung nahm man als unvermeidlich mit in den
Kauf; erst sechs Tage nach der Entfieberung begann eine
kräftigere Ernährung, die sukzessive mit zartem Fleisch,
Kalbsbries, fein gehacktem Schinken oder Rauchfleisch und
‚Cakes einsetzte. | |
In England und Amerika haben einflußreiche Aerzte
schon länger die Typhuskranken auch während der Fieber-
zeit mit einer wesentlich calorienreicheren Nahrung behandelt
und sich nicht gescheut, weiches Fleisch, zarte Gemüse,
Kartoffelbrei und auch Cakes während der Fieberzeit zu
geben, und zwar mit bestem Erfolg. |
| In Deutschland war es besonders F. v. Müller, der,
um den großen Eiweißverlusten zu steuern, seinen Kranken
ebenfalls neben Milch, Fleisch in passender Form, Kartoffel-
brei, Reis- und Griesbrei, Apfelkompott und Zwieback gab;
in den ersten Wochen des hohen Fiebers nehmen die Kranken
allerdings diese Nahrung weniger gut, aber als das Fieber
zu sinken begann, ließ sich das Regime meist leicht durch-
führen; der Erfolg war sehr zufriedenstellend, der Kräfte-
zustand wurde dadurch zusehends gehoben, Komplikationen,
die sonst häufig auftreten, wurden seltener, und von seiten
des Darmkanals traten gar keine Störungen auf, sodaß er
nicht ansteht, diese Diät lebhaft zu empfehlen. Neuerdings
machen Falta!) und Colemann?) besonders aufmerksam
auf den Nutzen einer reichlichen Fett- und Kohlehydratzufuhr
in der Fieberperiode, während sie von reichlicher Eiweiß-
nahrung weniger gute Erfolge sahen.
Ich habe diese reichlichere Ernährung auch vereinzelt
versucht und in Uebereinstimmung mit dem Vorstehenden
gesehen, daß sie während des hohen Fiebers nicht gerne
‘genommen wurde, dagegen in der Rekonvaleszenz recht gut
vertragen wurde. Man wird also nach meiner Ueberzeugung
am besten tun, während der eigentlichen Fieberperiode, also
bis Ende der dritten Woche, bei der alten Ernährungsweise
zu bleiben. Dagegen kann man von da ab die Kranken
wohl etwas reichlicher ernähren, also mehr Milch, Rahm,
‘Eier, Reisbrei, Griesbrei, Kartoffelpüree, Spinat, Apfel-
kompott und Zwieback geben. Mit Fleisch wird man, glaube
ich, doch am besten bis zur vollkommenen Fieberfreiheit
warten. | |
Eine wirksame kausale Behandlungsmethode haben wir
bis jetzt noch nicht, früher glaubte man durch Darreichung
von Darmdesinfizientien den Prozeß günstig beeinflussen zu
können, und manchmal scheint es ja auch, als wenn das
Kalomel, von dem man im Anfang: auch jetzt in der Regel
zwei- bis dreimal 0,5 gibt, eine günstige Einwirkung hat, bei
den meisten Fällen habe ich aber nichts Besonderes davon
gesehen, und nach dem, was wir jetzt über die Verbreitung
des Typhusbaeillus wissen, ist das auch kaum zu erwarten.
Nach den günstigen Erfahrungen, die man durch die
Serumbehandlung bei einzelnen Infektionskrankheiten erzielt
hat, hat man auch versucht, in den letzten Jahren Sera zur
Typhusbehandlung. darzustellen. |
Chantemesse war wohl der erste, der aus abgetöteten
Typhusbacillen. ein Extrakt herstellte und dasselbe Tieren
in steigender Dosis injizierte, um so ein hochwertiges Imun-
serum zu gewinnen; ihm sind nachher eine Anzahl Autoren
nachgefolgt, die gleichfalls Typhusgift, das in der ver-
schiedensten Weise gewonnen war, zur Injektion bei Tieren
benutzten, um ein heilkräftiges Serum darzustellen. In neuerer
Zeit ist es besonders Lüdke!), der mit einem solchen Typhus-
serum auch Typhuskranke vielfach behandelt hat, wie. er an-
gibt, auch mit zufriedenstellenden Erfolgen. Die Zahl der
von ihm behandelten Kranken ist noch nicht groß, und
Nachprüfungen in größerem Maßstabe sind bis jetzt noch
nicht gemacht, sodaß sich ein Urteil über. diese Behandlung
bis heute noch nicht fällen läßt. |
Indes sei erwähnt, daß in neuester Zeit Pfeiffer?),
dem wir gerade über die Wirkungen des Typhusbacillus sehr
wertvolle Untersuchungen verdanken, sieh sehr skeptisch
über den Wert dieser Typhussera äußert. Er hebt hervor,
daß der Typhuskranke in erheblichem Maße selber Immur-
stoffe produziert, die aber nicht imstande seien, der Baeillen
Herr zu werden, um so weniger könne man das von den
künstlich in den Körper eingeführten Immunstofien er-
warten.
Auch bemängelt er die Art der Darstellung der neuen
Sera und glaubt nicht, daß es mit den vorhandenen wenigstens
möglich sei, eine nennenswerte Heilwirkung auszuüben.
Jedenfalls müssen wir unsere Hoffnung auf ein solches
neues Heilmittel einstweilen noch zurückstellen und uns vor-
läufig mit der bis jetzt anerkannten symptomatischen Be-
handlung begnügen. ~
Abhandlungen.
Die Rolle des vegetativen Systems in der Patho
logie der vasomotorisch-trophischen Neurosen‘)
von
Prof. Dr. R. Cassirer, Berlin.
Wenn ich in meinen folgenden Ausführungen vom vegeta-
tiven System spreche, so will ich damit die Gesamtheit aller der-
jenigen nervösen Teile bezeichnen, die die unwillkürlich tätigen
Organe versorgen. Bei der herrschenden Unsicherheit der Nomen-
klatur ist es zurzeit ja leider nötig, jedesmal erst eine genaue
Definition dessen zu geben, was die verwendete Bezeichnung zu
bedeuten hat. In meinem Sinne ist die Bezeichnung vegetatives
System also die umfassendste, begreift das sympathische System
im engeren Sinne in sich, ebenso wie die parasympathischen
Systeme, um (diese neue von Langley eingeführte Nomenklatur,
die mir zweekentsprechend zu sein scheint, zu verwenden. Dieses
parasympathische System deckt sich im wesentlichen mit dem,
wasg von anderer Seite sonst als autonomes System bezeichnet wird.
1) Wr. med. Woch. 1909.
2) Am. j. of 2. we 1912.
inem Vortrag
der deele nalt Deutscher Nervenärzte in Hamburg am 27. bis 29. Sep-
—
m
gehalten auf der 6. Jahresversammlung
Daß ein großer Teil der bei den vasomotorisch-trophisch®l
Neurosen vorkommenden Symptome auf einer Störung des ee
tiven Systems oder einzelner seiner Abschnitte beruhen mub, mr
nicht bezweifelt werden. Mehr als irgendwo sonst in der Ban
logie spielen hier vasomotorische Symptome eine Rolle, und zw
lokale vasomotorische und allgemeine vasomotorische Sympiont
Zu den ersteren zählen die lokale Syncope, Asphyxie UN
Hyperämie. seine
Am einfachsten ist die lokale Syncope zu deuten. $ Er
ruht auf einem Contractionszustande der kleinen Arterien ”
Venen; etwas mehr Schwierigkeit macht die Erklärung der lo pn
Asphyzie, für die im allgemeinen die von Weiß gegeben® a
nahme gelten kann, daß sie auf einer Steigerung des ns der
Venentonus beruht; dadurch kommt es zu einem Verschl ie
kleinen Venen und damit zur Stauung in dem davor ee f
Capillargebiete. Die Hyperämie, die im ganzen keine 80 E itt
Rolle spielt und nur in der Erythromelalgie mehr on a
könnte entweder als Effekt der Reizung der gorbata a
Fasern angesehen werden oder als ein rein sekundärer Make
bedingt durch Lähmung der vorher gereizt gewegenel f je
toren. Im letzteren Falle muß sie der lokalen Syncope 1
phyxie nachfolgen. “=
1) M. med. Woch. 1911. — 3) M. med. Woch, 1912.
iae tember 1912.
we EEE EEE En TE en N ET R
94... November.
-Bei Anschauungen, wie sie z. B. Lewandowsky vertritt,
würde es zunächst nun allerdings möglich sein, diese Kaliber-
schwankungen der kleinen Gefäße auf ein Eigenspiel ihrer glatten
Muskulatur zurückzuführen. Dem widerspricht neben den Begleit-
symptomen, unter denen diese Phänomene sich abspielen, die mit
aller Deutlichkeit auf eine Beteiligung des Nervensystems hin-
weisen, auch die Tatsache der weiten Verbreitung dieser vaso-
motorischen Vorgänge. =
Auch die größeren Arterien werden gelegentlich von Con-
tractionszuständen ergriffen. Sichtbar wird das im ophthalmo-
skopischen Bild an der Arteria centralis retinae. Einen solchen
Fall hat schon Raynaud selbst mitgeteilt. Auch spätere Beob-
achter haben das, wenn auch vereinzelt; gesehen (Nash, Friede-
mann, Garrigues, neuestens Weiß). Contractionen der Arteria
radialis bis zum Verschwinden des Pulses wurden ebenfalls beob-
achtet. Natürlich darf es sich in diesen Fällen nicht um ein
dauerndes Verschwinden handeln — das stände ja auf einem ganz
andern Blatt —, sondern um eine vorübergehende Erscheinung.
Ganz besonders interessant ist in dieser Beziehung eine Beob-
achtung Westphals, der das Verschwinden der Fußpulse während
schwerer, psychogen ausgelöster, pseudotetanischer Anfälle beob-
achtete, zusammen mit Syncope oder Asphyxie der Zehen. Hier
wie in sehr vielen Fällen dieses Beobachtungskreises wird die Ab-
hängigkeit körperlicher Vorgänge von seelischen Zuständen ganz
besonders deutlich und evident, die ja in der tausendfältigen Er-
fahrung der physiologischen Vorgänge ihre feste Grundlage hat.
Aber es ist doch immer wieder gut, solche Beobachtungen sich
von neuem vor Augen zu führen, um das ausgedehnte Geltungs-
bereich dieser Beziehungen ermessen zu können. Zahlreiche Bei-
spiele liefern hier besonders die Urticaria und das flüchtige Oedem
— die Mutter, die beim Anblick ihres Kindes, das eine Urticaria
hat, selbst Urticaria bekommt, der Neurastheniker, der mit Platz-
furcht behaftet, von flüchtigen Schwellungen befallen wird, sobald
er allein über einen freien Platz geht, der Student, der bei der
Vorlesung über Urticaria alsbald ein Urticariaexanthem bekommt
— das sind alles Tatsachen, an denen nicht zu zweifeln ist; sie
sind imstande, uns die Fälle verständlich zu machen, in denen auf
dem Wege der Suggestion vasomotorische und ähnliche Vorgänge
ausgelöst werden. =
Es läßt sich nun weiter auch nachweisen, daß in den Teilen,
in denen die Circulation des Bluts in der kurz skizzierten Art
gestört ist, gewisse Reflexvorgänge pathologisch verändert sind.
Ich will nur einige wenige Beispiele - anführen. Als einen sehr
wichtigen, in der Norm regelmäßig vorhandenen, unter spinalem
Einflusse stehenden Gefäßwandreflex bezeichnet Bayliß die Tat-
sache, daß durch einfachen Druck des Gefäßinhalts auf die Wan-
dungen eine Contraction ausgelöst wird, die mit zunehmendem
Drucke zunimmt, sodaß also beim Herabhängenlassen des Gliedes
eine allzu große Ausdehnung der Gefäße vermieden wird. Dieser
Reflex fehlt bei unsern Kranken häufig (Phleps), daher oft die
übermäßige und dauernde Oyanose und Kälte der Hände und Füße
bei derartigen Individuen. 2 |
Eine andere Erscheinung, die ich erwähnen möchte, ist
folgende: Bei der Messung des Blutdrucks mit dem Gärtnerschen
Tonometer ist es mir oft aufgefallen, daß die durch das Ueber-
streifen des Gummirings erzeugte Contraction der kleinen Gefäße
den Reiz lange überdauert, nach Abnehmen des Ringes noch an-
hält und der Blutdruck deswegen dauernd null oder annähernd
null bleibt.
Die plethysmographischen Untersuchungen, die von
Verdelli, Castellino und Cardi, Curschmann, Stursberg,
Phleps und in besonders ausgedehntem Maße an unserm Material
von Simons angestellt wurden, ergaben im Bereiche der erkrankten
Partien, aber auch darüber hinaus im Bereiche noch nicht oder
nicht mehr befallener Abschnitte ein zeitweiliges, aber übrigens
niemals dauerndes Fehlen der Gefäßreflexe auf Eis oder Essigreiz,
oder ein wechselvolles oder widerspruchsvolles Verhalten: Disso-
ziationen zwischen beiden Seiten, ein Nachhinken der einen Seite,
eine abnorme Verarbeitung der Reize, eine raschere Ermüdung.
Simons meint, daß der stärkste Ausdruck der Funktionsstörungen
die Asynergie der niederen Centren auf periphere Reize ist.
Es kann nach allem keinem Zweifel unterliegen, daß diese
vasomotorischen lokalen Störungen auf einem pathologischen Ver-
halten von nervösen Centren beruhen, die die Vasomotoren be-
herrschen; ob das periphere oder centrale Centren sind, bleibt zu-
nächst unerörtert und unentschieden. As
Viel weniger durchsichtig ist die Pathogenese der trophi-
schen Störungen im engeren Sinne, die auf unserm Gebiet eine
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 1899
so große Rolle spielen und als lokaler Gewebstod, als um-
schriebene, meist trockne Gangrän in der auffallendsten
Weise in Erscheinung treten. Daneben kommen zahlreiche andere
teils mehr dem atrophischen, teils dem bypertrophischen Typus
sich nähernde dystrophische Prozesse vor; als besonders charak-
terisierten Einzelfall möchte ich die sklerodermatischen Ver-
änderungen mit ihren mannigfachen Variationen auffassen. Diese
trophischen Störungen erstrecken sich auf die Haut wie auf die
tieferen Teile; doch zeigen die Bedingungen für die Trophik der
Muskeln und auch der Gefäße wesentliche Abweichungen. Es ist
durch die klinische Beobachtung leicht festzustellen, daß die tro-
phischen Störungen auf unserm Gebiete wie auch auf dem der
organischen Erkrankungen des Nervensystems (also bei den
peripheren Neuritiden und Nervenverletzungen, beim Herpes zoster,
der Syringomyelie, der Tabes dorsalis, der Hemiplegie) meist ver-
eint mit vasomotorischen und sensiblen Störungen vorkommen.
Das gab so häufig Veranlassung, ihnen jegliche Selbständigkeit
abzusprechen und ihnen stets eine sekundäre Entstehung zu vindi-
zieren. Meines Erachtens mit Unrecht.
Es muß zwar unbedingt zugegeben werden, daß der experi-
mentelle Nachweis der Abhängigkeit trophischer Störungen von
Läsionen des Nervensystems nicht geglückt ist; aber die Erwägung
aller pathologischer Erfahrungen läßt es mir doch in höchstem
Maße wahrscheinlich erscheinen, daß für die Ernährung der Haut,
ebenso wie der Knochen und Gelenke, wohl auch der Gefäße eine
direkte nervöse Regulation vorhanden ist. Diese ist nicht für alle
Gewebsarten gleich. Sie steht in engem Zusammenhange mit der
Funktion der betreffenden Gewebe.
Für die Muskeln und Drüsen ist der Zusammenhang
zwischen Funktion und nutritiver Erhaltung ein ganz intimer.
Die trophischen Impulse werden wohl auch hier reflektorisch an-
geregt; sie benutzen dann aber weiterhin die für die spezielle
Funktion zur Verfügung stehenden Bahnen (motorische und sekre-
torische Nerven) obwohl auch hier nicht ohne weiteres ein Zu-
sammenfallen der trophischen mit den speziellen funktionellen Im-
pulsen anzunehmen ist. ar"
- Anders liegt es mit der Erhaltung des nutritiven Gleich-
gewichts in der Haut und ihren Annexen, ferner in den binde-
gewebigen Gebilden, den Gelenken und den Knochen. Auch
hier besteht gewiß zwischen Funktion und Ernährung ein enger
Zusammenhang, aber es bedarf doch eines besonders fein ab-
gestuften Reflexmechanismus, um die specifischen Funktionen und
die Ernährung der funktionierenden Teile stets im Einklang zu
halten. Hier verlaufen, wie das im sensiblen Endneuron be-
sonders deutlich ist, nutritive und funktionelle Impulse zum Teil
in entgegengesetzter Richtung. Die Bahnen, die für diese tro-
phischen Funktionen zur Verfügung stehen, sind meines Erachtens
sensible und vasomotorische Nervenbahnen. Ich kann den Grund
für diese Annahme hier im einzelnen nicht erörtern 1), möchte nur
das Resultat meiner Ueberlegungen dahin aussprechen: die häu-
figste Ursache solcher trophischer Störungen sind Reize, die an
den sensiblen Leitungsbahnen angreifen, in ihnen centripetalwärts
verlaufen und von da aus auf das vegetative System übertragen
werden, um in diesem centrifugalwärts zur Peripherie fortgeleitet
zu werden. Ich will weder ausschließen, daß gelegentlich durch
direkte centrifugale Leitung in sensiblen Abschnitten, also in
antidromer Richtung, derartige Alterationen ausgelöst werden,
noch daß eine nutritive Schädigung durch gewisse in der Vaso-
motorenbahn in der gewöhnlichen Richtung sich fortpflanzende
Reize hervorgerufen werden kann; aber der gewöhnliche Weg ihrer
Entstehung ist gewiß die Alteration des sensibel- vegetativen
Reflexmechanismus; damit im Einklang steht die Häufigkeit des
Zusammenvorkommens von sensiblen, vasomotorischen und tro-
phischen Erscheinungen.
Ist diese Auffassung richtig, so ist damit die Wichtigkeit
des vegetativen Apparats auch für eine große Reihe der tro-
phischen Störungen demonstriert. Irgendeine speziellere Lokali-
sierung im Bereich dieses ganzen Systems scheint mir dagegen
vorläufig ganz unmöglich. Aus vielen Gründen ist die Annahme
zulässig, daß es sich bei der Entstehung der trophischen Stö-
rungen im wesentlichen um Reiz-, nicht um Ausfallserscheinungen
handelt. l
Damit stimmt gut überein, daß auch die sensiblen Sym-
ptome sich durchaus als Reizerscheinungen darstellen. Ausfälle
1) Ich verweise in dieser Hinsicht wie in bezug auf alle Einzel-
heiten auf meine Monographie „Die vasomotorisch -trophischen
Neurosen“. 2. Auflage, Berlin 1912, wo auch. alle Literaturangaben
zu finden sind. |
a Rpa
1900
. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November,
CT CC GGG bt Ten ve hi; mern
der Sensibilität sind geradezu selten. Vieles deutet darauf hin,
daß auch diese Symptome in einer gewissen Beziehung zum vege-
tativen System stehen. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Be-
ziehung von den gewöhnlichen sensiblen Reizerscheinungen; sie
sind erstens anders lokalisiert als diese. Daran möchte ich trotz
des Widerspruchs einzelner Autoren, die namentlich bei den
Akroparästhesien eine radikuläre Verteilung annehmen (Dejerine,
Egger, Pick) durchaus festhalten. Ich finde so gut wie immer
eine Verteilung, die weder einem peripheren noch einem radi-
kulären, noch einem spinalen oder cerebralen Territorium ent-
spricht und damit schon per exelusionem auf das vegetative
System hinweist. Und auch die Art des Schmerzes bietet Eigen-
tümlichkeiten. Er hat die größte Verwandtschaft mit den durch
hohe Kälte oder Hitzegrade ausgelösten unangenehmen Emp-
findungen, ist also gleichsam ein Temperaturschmerz. Daß er
nur durch die mangelhafte oder paradoxe Blutversorgung her-
vorgerufen sein könnte, läßt sich durch direkte Beobachtung ein-
wandfrei ablehnen, aber Verteilung, Art, Auftreten weisen gleich-
mäßig darauf hin, daß die vasosensiblen Abschnitte und diesen
homologen Faser- und Zellgruppen der Sitz der Störungen sind.
Damit ist auch hier eine Korrelation zum vegetativen System ge-
schaffen. Daß die inneren Organe mit eignen sensiblen Fasern
ausgestattet sind, wird allmählich immer mehr zur Gewißheit.
Bei dieser Sachlage ist die Frage, ob diese sensiblen Anteile dem
vegetativen System zuzurechnen sind oder eine besondere Stellung
einnehmen, für unsere Zwecke jedenfalls irrelevant.
Die im ganzen nicht sehr wichtigen Dyshidrosen dokumen-
tieren ihre Abhängigkeit von Teilen dieses Systems ohne weiteres.
Primäre motorische Ausfallserscheinungen spielen eine
ganz untergeordnete Rolle. Aber wo sie vorkommen, haben auch
sie wieder ein ganz besonderes Cachet, das sie von den sonst be-
kannten Atrophien der Muskeln abtrennt. Sie sind direkt als
vasomotorische Atrophien (Oppenheim) bezeichnet worden.
Es ist aber nach unserer Auffassung, der sich auch Phleps und
Benders anschließen, nicht die Deutung erlaubt, daß sie direkt
durch mangelhafte Blutzufuhr, die ihrerseits auf einer Gefäß-
contraction beruht, hervorgerufen werden können. Auch diese Atro-
phien sind auf Störungen im Reflexapparat, und zwar im vaso-
sensiblen-motorischen Abschnitte zurückzuführen: auch sie weisen
also auf das vegetative System.
So vereinigt sich in der Symptomatologie der vasomotorisch-
trophischen Neurosen alles, um diesem System die führende Rolle
zu sichern: so weit wenigstens, als die lokalen an den Acra sich
etablierenden Symptome in Frage kommen. Auch die starke Be-
vorzugung der Acra kann aus Eigentümlichkeiten dieses Systems
respektive seiner Erfolgsorgane erklärt werden.
Zu den an den Acra lokalisierten Erscheinungen kommen
aber nun noch eine ganze Reihe. anderer Symptome, die eine Deu-
tung verlangen. Man hat diese Symptome schon lange unter dem
allgemeinen Gesichtspunkt einer generellen Insuffizienz des
vasomotorischen Systems zusammengefaßt, hat auch von vaso-
motorischer Ataxie (Herz, Solis Cohen) gesprochen. Doch ist
der Ausdruck Ataxie zweifellos unzweckmäßig und durch den einer
Labilität oder Instabilität des genannten Systems zu ersetzen.
Hierher rechnen Störungen der Blutversorgung der allge-
meinen Decke, namentlich Erytheme, die verschiedenen Formen der
Dermatographie, und die damit in engem Zusammenhange stehen-
den flüchtigen, teils blassen, teils roten Oedeme, deren Bezirk weit
über das der äußeren Decke ausgedehnt ist und in den mannig-
fachsten und klinisch zum Teil außerordentlich wichtigen Lokali-
sationen kein einziges Körpergebiet ganz verschont. Hierher sind
weiter zu zählen Störungen der Schlagfolge des Herzens, der
Atmung, des Blutdrucks, Alterationen der Sekretionen der echten
Drüsen, insbesondere der Speicheldrüsen, der Magensaftabsonderung,
der Absonderung des Urins, der motorischen Darmfunktion. Auch
neurogene Temperaturschwankungen sind hier anzuführen, ja selbst
auch psychische Störungen. Auch aus diesem großen Gebiete will
ich nur einige Punkte etwas genauer besprechen. Leichte Stö-
rungen der Schlagfolge des Herzens sind etwas ganz Gewöhnliches,
die Tachykardie überwiegt, bemerkenswerterweise spielt die paroxys-
male Tachykardie keine große Rolle. Auf Schwankungen des
Blutdrueks wird besonders In einer Beobachtung von Klinger
hingewiesen, der im Beginn und während der Ausbreitung einer
akuten diffusen Sklerodermie einen Blutdruck von 165 bis 185 mm
Quecksilber maß und diesen im Verlauf von wenigen Monaten auf
190 mm Quecksilber heruntergeben sah. Im Zusammenhange damit
traten andere sympathicotonische Erscheinungen auf, Blutandrang
zum Kopf, Pupillendifferenz, Ohnmachtsanwandlungen.
Von passageren Veränderungen der Urinsekretion ist nament-
lich in Fällen Raynaudscher Krankheit und flüchtiger Oedeme
oft die Rede. Ich weise auf die Melliturie hin, auf quantitative
Störungen, wie die auch sonst so häufig vorkommende vorüber-
gehende Polyurie, auf die Oligurie, dann besonders auf die paroxys-
male Hämoglobinurie, die in ausgesprochenen Beziehungen zur
Raynaudschen Krankheit steht. |
Ich habe einige Male sehr merkwürdige Störungen der
Speichelsekretion beobachtet. In einem komplizierten Falle
von flüchtigem Oedem und Raynaudscher Krankheit war dauernd,
über Jahre hinaus, zur größten Qual der Kranken die Speichel-
sekretion fast völlig versiegt; es wurde nur eine ganz geringe
Menge eines ganz zähen Speichels ausgeschieden, und auch Pito-
carpininjektion war nicht imstande, eine Aenderung hervorzubringen.
Einen gewissen Gegensatz hierzu stellte ein Fall Raynaudscher
Krankheit dar, bei dem sich ganz allmählich unter Schwankungen
das Bild der sogenannten Mikuliczschen Krankheit, der sym-
metrischen Schwellung der Speicheldrüsen, einhergehend mit einem
intermittierenden Hyperptyalismus, entwickelte.
Störungen der sekretorischen Tätigkeit der Magendarmdrüsen
sind bei der Quinckeschen Krankheit häufige Erscheinungen;
wenn ihre Pathogenese auch im einzelnen noch nicht geklärt ist,
so unterliegt es keinem Zweifel, daß sie nicht allein auf einem
Oedem der Magendarmschleimhaut beruhen, sondern sich mit
Störungen der specifischen Sekretion der betreffenden Drüsen
kombinieren. Auch die begleitenden, oft enorm intensiven
Schmerzen verlangen Berücksichtigung. Emnterosensible Reiz-
'erscheinungen kommen in Form von abdominalen Krisen auch
ohne sekretorische Paroxysmen beim flüchtigen Oedem, aber auch
beim Raynaud vor.
Friedemann sah einmal in einem Falle von Raynaud-
scher Krankheit eine intermittierende, an den asphyktischen Tagen
auftretende Achylia gastrica. |
In einem Falle von Sklerodermie von Klinger, von dem
schon einmal oben die Rede war, reagierte der Kranke auf die
Injektion von 1 mg Adrenalin mit einer Glykosurie; auf die In-
jektion von 1 eg Pilocarpin trat dagegen keine wesentliche Reak-
tion ein. Dasselbe beobachtete Reiners in zwei Fällen, die neben
Zuckerausscheidung eine mydriatische Substanz im Serum erkennen
ließen. Die Exaktheit des Nachweises ist allerdings in letzter
Zeit bezweifelt worden.
Heß und Königstein sahen folgendes. Bei einer diffusen
Sklerodermie kamen in Attacken gegensätzliche. Zustände vaso-
motorischer Störungen vor. Auf der einen Seite Cyanose der
distalen Partien der Extremitäten mit Kälte, Hyperästhesie und
übermäßiger Trockenheit, wobei auch Pilocarpininjektionen ver-
sagten, auf der andern Seite hellrote Verfärbung und Schweißaus-
bruch. Im Zustande des Gefäßspasmus waltete ein depressiver
Gemütsaffekt vor; nach Lösung des Krampfes griff eine mehr
euphorische Stimmung Piatz. Im ersten Stadium bestand neben der
Unempfindlichkeit gegen Pilocarpin eine erhöhte Empfindlichkeit
gegen Adrenalin, und es war eine mydriatische Substanz im Serum
nachweisbar. Die Herzaktion war erregt. Im zweiten Stadium
wirkte Pilocarpin prompt und die mydriatische Substanz ließ sich
nicht nachweisen. Ich habe an meinem eignen Material bisher nur
ganz vereinzelte pharmakologisch-experimentelle. Untersuchungen
anstellen können, habe unter diesen aber doch schon Fälle gesehel,
bei denen die Empfindlichkeit sowohl gegen Adrenalin als auch
gegen Pilocarpin erhöht war. So namentlich einen Fall von chron-
schem, neurotischem Oedem. i
Diese Erfahrung von dem Vorkommen sympathicotroper un
parasympathicotroper Erscheinungen bei demselben Individuum T
derselben Krankheit entspricht ja auch den Versuchen und 7
fahrungen der Mehrzahl der neueren Autoren. Während Heß e
Eppinger bekanntlich eine ausgesprochene Gegensätzlichken
zwischen den Erscheinungen der Sympathicotonie und Vago
tonie konstruieren und ihre Koinzidenz bei demselben =
dividuen nicht anerkennen wollten, haben die ‚späteren ne
suchungen [Petren und Thorling, Falta, Newburgh ur
Nobel und neuerdings besonders Bauer !)] bei einer Reihe a
Individuen die gleichzeitige Ueberempfindlichkeit gegenüber,
Substanzen der Adrenalin- und der Pilocarpingrupp® estges auf
Das Resultat dieser Untersuchungen, das freilich gerade ajk
unserm Gebiete noch sehr der Vervollständigung bedürfte, 1 si
dahin zusammenzufassen: Es besteht eine übermäßige
| (D. A. £ kl. Med. Bd. 107, S. 39.)
T a ms.
!) Bauer, Zur Funktionsprüfung des vegetativen Nervensyste
24. November.
sprechbarkeit — nicht ein übermäßiger Tonus — des
vegetativen Systems in toto. Und wenn auch bei manchen
Iypen, wie z. B. bei der Raynaudschen Krankheit, das Sym-
ptomenbild besonders auf eine gesteigerte Erregbarkeit des Sym-
pathicus im engeren Sinne hinweist, so ist das offenbar weder für
alle Stadien dieser Krankheit noch viel weniger für alle Glieder
der ganzen Krankheitsgruppe, die miteinander so nahe verwandt
sind, en
ie Erkenntnis, daß die anfänglich als prinzipiell aufgefaßte
Gegensätzlichkeit zwischen Sympeihicolropie und Vagotropie
keineswegs durchgreift, wird auch durch die Erfahrungen beim
Basedow nur gestützt, bei dem man ja jetzt vagotrope, sym-
pathicotrope und gemischte Fälle (Korolik-Kreinin) unter-
scheidet 1).
, Alle diese Forschungen führen uns im wesentlichen also zu
keinem andern Resultat als zu einer schärferen, exakteren und
besser umschriebenen Erkenntnis des Zustandes, den wir früher
als vasomotorische Labilität oder Insuffizienz oder auch als Vaso-
motor ataxia kannten und benannten. Daß die Bereicherung der
Symptomatologie dieses Zustandes und die schärfere Umgrenzung
seiner Symptome einen erheblichen Fortschritt bedeutet, liegt auf
der Hand. |
l Unsere Kranken sind also Vasomotoriker, sie leben mit einem
labilen vasomotorischen oder, besser gesagt, vegetativen System.
Damit sind wir aber erst im Beginne des Problems.
Die weitere Frage lautet: Ist dieser Symptomenkomplex
wirklich ein Teil der Symptomatologie des Leidens oder ist er
eine konstitutionelle oder früh erworbene Eigenschaft der be-
treffenden Individuen. Stellt er also nur eine Diathese, eine
Krankheitsbereitschaft dar, auf deren Boden durch andere Ur-
sachen die Krankheit sich entwickelt, oder macht er das Wesen
der Krankheit aus. Und weiterhin haben wir zu fragen: Können
wir uns eine Vorstellung über die Entstehungsbedingungen dieses
Symptomenkomplexes machen? Auf keine dieser Fragen kann zur-
zeit eine entscheidende Antwort gegeben werden.
8 Zur Beantwortung der ersten bedürfte es ausgedehnter und
über lange Zeit hin fortgesetzter Untersuchungen, die vor Beginn
der betreffenden speziellen Affektion einzusetzen hätten und über
deren Heilung fortzusetzen wären. Vieles spricht aber dafür, daß
diese Symptome Ausdruck der konstitutionellen oder früh erwor-
benen Eigenheit des betreffenden Individuums sind. Die Unter-
wertigkeit gewisser ‚Abschnitte des Nervensystems, insbesondere
gerade derjenigen des vegetativen Systems gibt sich in den here-
ditären Verhältnissen (homologe oder heterologe Heredität) und
den vorausgehenden oder begleitenden allgemeinen oder speziellen
nervösen Krankheitssymptomen zu erkennen. Sehr viele unserer
Kranken leiden oder litten an Migräne, Epilepsie, an neurasthe-
nischen Symptomen. In vielen Fällen stellen die vasomotorisch-
trophischen Symptome nur einen Ausschnitt aus dem gesamten
Krankheitsbilde dar, das dauernd oder zeitweilig neben ihnen noch
alle Erscheinungen der allgemeinen Neurosen auf sensiblem, moto-
rischem oder psyehischem Gebiet aufweist. In diesen Fällen muß
naturgemäß die Nomenklatur eine mehr oder weniger willkürliche
sein. Aber es muß durchaus auch mit der Möglichkeit gerechnet
werden, daß ebenso wie die lokalen so auch die allgemeinen Sym-
ptome gelegentlich eine rein symptomatologische Bedeutung haben,
daß sie vor Ausbruch und nach Ablauf der speziellen Affektion
nicht nachweisbar sind. Die neuropathische Diathese und
die spezielle Erkrankungsform gehen hier wie so oft auf
diesem Gebiet unmerklich ineinander über, eine scharfe Grenze ist
unmöglich.
Wichtiger noch ist die Frage nach der Genese dieser
vegetativen Störungen. Bei den engen Beziehungen, die das
vegetative System zur inneren Sekretion hat, darf es nicht
überraschen, daß vielfach eine große Neigung besteht, die genannten
Krankheiten auf Veränderungen der inneren Sekretion zurück-
zuführen, Diese Meinung hat auf unserm Gebiete um so leichter
Anhänger gewinnen können, als wir in der ganzen Krankheits-
gruppe Assoziationen mit Erkrankungen sehen, die ihrerseits ganz
allgemein als Affektionen der Drüsen mit innerer Sekretion auf-
gefaßt werden. Ich verweise da in erster Linie auf die Kombi-
nation von Raynaudscher Krankheit und Morbus Basedowü, die
allerdings äußerst selten ist, von Morbus Basedowii und Asphyxia
ehronica, ferner besonders auf die Kombination von Sklerodermie
und Basedow, Sklerodermie und Addisonscher Krankheit, von
1) Korolik-Kreinin, Ueber vagotrope und sympathicotrope Fälle
von Basedow, {1.-D. Bern 1910.) |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
Krankheiten
1901
Sklerodermie und Paralysis agitans; auch zum Myxödem bestehen
gewisse Beziehungen, und ich verweise ferner auf gewisse gegen-
sätzliche Erscheinungen, die zwischen Sklerodermie und Akrome-
galie zu bestehen scheinen, und auf die schon Strümpell hin-
gewiesen hat. Lafond und Roux haben daraufhin die Hypo-
physe bei der Sklerodermie einer genauen Untersuchung unter-
zogen. In vielen Fällen handelt es sich nicht sowohl um Asso-
ziationen ganzer Krankheitsbilder, sondern nur um das Vorkommen
einzelner vasomotorisch-trophischer Symptome bei den genannten
auf Störung der inneren Sekretion zurückgeführten Krankheiten
oder umgekehrt, um das Vorkommen von Symptomen der Krank-
heiten der Basedowgruppe bei den vasomotorisch-trophischen
Neurosen. Ich nenne da z. B. den Exophthalmus bei der Sklero-
dermie.
Ich will auch hier auf einige Beispiele eingehen, um zu
zeigen, wie kompliziert diese scheinbar einfachen Verhältnisse
liegen, und wie wenig definitive und sichere Schlüsse wir zu
ziehen imstande sind. Die Kombination von Sklerodermie und
Basedow kommt vor. Klinisch ist das Verhältnis der beiden
Krankheiten zueinander meist so, daß zu einem bestehenden
Basedow sich die Erscheinungen der Sklerodermie hinzugesellten.
Unter vielen Hunderten .von Fällen von Sklerodermie, die in
der Literatur bekannt sind, gibt es aber nicht mehr als ein
Viertelhundert der Kombination. Auf diese Coincidenz und auf
die gelegentliche, aber durchaus unregelmäßige und auch auf
anderm Wege zu erklärende Wirksamkeit des Thyreoidin bei
Sklerodermie gestützt, nimmt eine Reihe von Autoren an, daß ein
Dysthyreoidismus die Ursache der Sklerodermie ist.
Noch spärlicher ist das tatsächliche Material für die Kom-
bination von Sklerodermie und Morbus Addisonii. Es ist zwar eine
ganze Reihe von derartigen Fällen beschrieben worden, aber in
den wenigsten hält die Diagnose Morbus Addisonii einer Kritik
stand. Viele der Erscheinungen des Addison kommen der Sklero-
dermie als solcher zu, die Pigmentverschiebung insbesondere, aber
auch die Kachexie. In keinem der bisher beschriebenen und
sezierten Fälle fanden sich sichere und ausreichende anatomische
Veränderungen an Nebennieren, Sympathicus oder Plexus solaris,
sodaß auch Neußer zu der Ueberzeugung kam, daß Fälle, die
sicher als Kombinationen von Sklerodermie und Morbus. Addison
anzusprechen sind, anatomisch nicht beobachtet wurden.
Die andern genannten Beziehungen treten an Zahl noch viel
weiter zurück, und da zudem noch die verschiedenen Blutdrüsen
in Frage kommen (Schilddrüse, Nebennieren, aber auch
Hypophyse und Nebenschilddrüsen), so bedarf es alsbald
des so außerordentlich vieldeutigen, unsicheren und für die Klinik
gefährlichen Begriffs der Insuffisance pluriglandulaire, um
da rettend in Aktion zu treten.
Es ist zuzugeben, daß viel häufiger als die Kombination der
gesamten Symptomenbilder die schon erwähnte Erscheinung zur
Beobachtung kommt, daß Einzelsymptome aus dem Gebiete der
vasomotorisch-trophischen Neurosen bei den Blutdrüsenerkrankungen
im engeren Sinne vorkommen und umgekehrt. Wir haben somit
gewiß keinen Grund, die Möglichkeit gewisser Beziehungen der
dieser beiden Gruppen zueinander auszuschließen.
Aber es liegen da ganz andere Erklärungsmöglichkeiten vor, als
die Annahme einer Entstehung der vasomotorisch -trophischen
Neurosen durch Veränderungen der inneren Sekretion.
Die eine Möglichkeit ist die, daß gewisse Symptome von
Basedowscher Erkrankung oder von Addisonscher Krankheit
durch Uebergreifen etwa des sklerodermatischen Prozesses auf die
Thyreoidea oder auf die Nebennieren zustande kommen. Ich will
nicht behaupten, daß dies gerade sehr häufig ist, aber für einzelne
Fälle, namentlich von Addisonschen Symptomen bei der Sklero-
dermie, ist unbedingt damit zu rechnen.
Ein anderer Modus verdient meines Erachtens besondere Berück-
sichtigung. In steigendem Maße haben die letzten Jahre den Nachweis
erbracht, daß auch die Sekretion der Blutdrüsen vom Nerven-
system und naturgemäß vom vegetativen Nervensystem abhängig
ist. Ascher und Flack haben eine Reihe von Versuchen aus-
geführt, die den Beweis dafür zu liefern imstande sind, daß es
nicht nur eine wirkliche Sekretion der Schilddrüse gibt, sondern
daß diese Sekretion auch unter dem Einfluß bestimmter Nerven
steht. Die Schilddrüse liefert nach ihnen ein inneres Sekret, das
die Erregbarkeit des Nervus depressor steigert und die Wirksam-
keit des Adrenalins auf den Blutdruck erhöht. Die sekretorischen
Nerven sind der Nervus laryngeus superior und inferior. Ascher
weist auch auf die nahen, sich daraus ergebenden Beziehungen
DER 1902 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 1. 24. November.
inneren Sekretion nicht pathologisch verändert wären, sondern
nur die speziellen vasomotorischen und sekretorischen Centren,
und zwar sympathische wie parasympathische. Erst das Hinaus-
greifen der Störungen auf die Centren der inneren Sekretion er-
zwischen Schilddrüse und Nebennieren hin. Derselbe Autor hat
auch den Nachweis geliefert, daß eine echte innere Sekretion von
seiten des Nebennierenmarks besteht und daß das Adrenalin unter
dem Einfluß des Splanchnieus als sekreterischem Nerven gebildet
le wird, was auch durch Untersuchungen von Tscheboksaroff, | gäbe das Auftreten einzelner Symptome, die der Basedowgruppe
| Ellioti), O’Connor?) wahrscheinlich gemacht wird. Versuche angehören. | |
T von Cannon und De la Paz?) scheinen auch die Entstehung von Die leitende. Rolle spielt nach dieser Auffassung also nicht
AN ı Adrenalinämie durch Affekte wie Furcht zu erweisen. Diese die innere Sekretion, sondern das diese wie die Inner-
u H psychischen Reize wirken, wie auf das übrige vegetative System, | vation der Gefäße beherrschende vegetative System. Die
a . so auch auf die Sekretion von Adrenalin. Verwandtschaft der Basedowgruppe mit den vasomotorisch-tro-
a gern Der exakte Nachweis der Abhängigkeit der inneren Sekretion | phischen Neurosen, die nicht geleugnet werden soll, findet so ihre
= vom Nervensystem ist für die gesamte Pathologie der vasomo- Erklärung. |
Neurosen wie des Morbus Basedowii und Auch hier bleiben sehr viele Einzelheiten noch unklar. Wir
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torisch-trophischen
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Addisonii von fundamentaler Bedeutung, und gerade er ist ge-
eignet, die Coincidenz von Symptomen dieser beiden Krankheits-
wissen nicht, welcher Art die Veränderungen des vegetativen
Systems sind, wir wissen nicht, welche Abschnitte betroffen
reihen dem Verständnisse näherzubringen. Wenn wir z.B. an- | werden, ob centrale oder periphere — ersteres ist mir bei
nehmen dürfen, daß die Schilddrüsenerkrankung beim Basedow weitem wahrscheinlicher — ob mehr sympathische oder para-
keine primäre Erscheinung ist, sondern nur ein in die Kette des
pathologischen Geschehens eingeschobenes Glied darstellt, ihrer-
seits entstanden auf dem Boden einer Erkrankung des vegetativen
Systems, so scheinen mir zunächst eine ganze Reihe von Tat-
sachen aus dem Gebiete des Morbus Basedowii selbst, die sonst
sehr schwer zu erklären sind, einem Verständnisse näher gerückt.
Daß nun anderseits der Dysthyreoidismus im ausgesprochenen
Maße nervöse Störungen hervorzurufen imstande ist, hat als er-
wiesen zu gelten. Diese hier entwickelte Anschauung von der
Pathogenese des Basedow, die ich schon seit vielen ‚Jahren ver-
trete, ist ja auch von anderer Seite vielfach angenommen worden;
insbesondere hat sich auch Kraus dafür ausgesprochen und
Wiener“) hat sie weiter noch experimentell zu stützen versucht.
Der Basedow stellt im Lichte dieser Auffassung gleichsam
nur eine besondere Lokalisation einer allgemeinen Alteration des
vegetativen Systems dar; er ist durch die Abänderung der Inner-
vationsbedingungen des Thyreoideasekrets von den verwandten
Affektionen unterschieden. In ähnlicher Weise wäre die Addison-
sche Krankheit nur ein besonders charakterisierter Einzelfall dieser
großen Kravkheitsgruppe. Auch hier liegt es wieder klar auf der.
Hand, wie sehr anderseits durch die pathologische Abänderung
sympathische Abschnitte befallen werden, eine strenge Scheidung
ist sicher für viele dieser Gruppen nicht möglich, wie oben schon
erwähnt ist. Wir sehen aus vielem, daß es sich.um eine abnorme
Anlage handeln muß, um eine Instabilität der Funktion, die über-
liefert ist, die oft nicht allein das vegetative, sondern das gesamte
Nervensystem betrifft, woraus sich die intimen Beziehungen zu den
allgemeinen Neurosen, der Hysterie und Neurasthenie ergeben. Wir
erhielten in neuerer Zeit auch Hinweise darauf, daß auch für die
in Frage stehenden Erfolgsorgane mit einer krankhaften Anlage
zu rechnen ist. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Oppen-
heimsche Anschauung vom intermittierenden Hinken, das den hier
besprochenen Symptomenbildern recht nahe steht, auf die Unter-
entwicklung des Gefäßsystems, die in diesen Fällen nachweisbar
ist, und erwähne nur, daß ich selbst 'eine gleiche Unterentwicklung
des Gefäßsystems in einzelnen meiner Fälle von vasomotorisch-
trophischen Neurosen gefunden habe,
Ich komme zu dem Schluß: Die Symptome der vaso-
motorisch-trophischen Neurosen, die ich der Gruppe der
Organneurose (Organe der Vasomotilität und verwandte
Organe) einreihe, stellen Reizerscheinungen vorschie-
dener Abschnitte des vegetativen Systems dar. Ihre
i | der Adrenalinsekretion alle möglichen nervösen Störungen sekundär | erkennbare letzte Ursache beruht in einer weit ver-
m hervorgerufen werden würden. Bei den vasomotorisch-trophischen | breiteten ererbten oder erworbenen Störung dieses
ar Neurosen wäre anzunehmen, daß für gewöhnlich die Centren der | Systems. Ä
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Einiges über Albuminurie, Pulsfrequenz, Knie- | fahrer en ES a ne gewesen sind
IR ° es ZWI en 10ror l 3
= reflex, vasomotorisches Nachröten, Augen-, 4. Tele eraphegerbeiter, na ber 25 Jahre alt und bin
ly = p it aC m Militär gedient, in einer regelmäßigen, körperlich anstrengenden, aber
| Zungen 9 Händezi tern, M Bu eyschen und nicht nervenaufregenden Außentätigkeit beschäftigt; |
e Erbschen D ze... nie, ee 9 nach E > K Hra 28 sen 30 Jahre alt, militärgedient, ähnlich we
ungen an Gesun ie Telegraphenarbeiter gestellt; oo
2 Untersuc 5 i on i 6. Militäranwärter, nach zwölfjähriger Militärdienstzeit; das
| | Su Schellong Königsh sind Feldwebel und Sergeanten im Alter von 29 bis 35 Jahren;
DT. UV. s Königsberg. 7. Militärinvaliden, 28 bis 35 Jahre. alt, gewöhnlich einig?
` . ar ° . an . dlich
Wir Aerzte sind gewohnt, unsere Beobachtungen an Personen Ye rOn m... re g bein
A anzustellen, mit welchen uns die Krankheit zusammenführt, und Es: stellen sich: im all : a t "zur Untersuchung,
a nur unter besonderen Verhältnissen wird uns Gelegenheit geboten, g sich im allgemeinen nur Leute zur "NE zahl
u Ä x welche sich selbst für gesund halten. Der übergroßen Mehrza
” 1 gesunde Menschen in größerer Anzahl zu untersuchen. Hier war | kann ohne Bedenken das Gesundheitszeugnis ausgestellt werden;
r | eine nn a, a ei der Dewäiher tie den E 1I ein kleiner Prozentsatz — schätzungsweise 3 bie 40 — gr
und Tolegraphonoionsi. welche ich als Postvertrauensarzt untersuchte. an nn se ee Be
Es sind das folgende Gruppen: | itärinv l l
| 1. Beverb erinnen für den Dienst als Telegraphengehilfin, im die Hälfte wegen ihres noch fortbestehenden Invalidenleidens als
| Alter von 19 bis 23 J Ei an an er nn angchtris; mn erscheint. Ich habe die Militärinvaliden in ar
2 2. jugendliche Bewerber, 16- bis 20jährig, welche die Schule | Beobachtungen deshalb auch nur insoweit hineinbezogen, a’!
soeben verlassen haben (Einjährige und A). nn welche bereits | die Ueberzeugung ihrer völligen Gesundheit erlangt hatte;
kurze Zeit in Zwischenberufen paan A Daole nE er Volksschule) als | waren vorzugsweise diejenigen unter ihnen, bei welchen äußere
en Eer Po s Meie (Postensköll ər und Tele- Verletzungen vorgelegen hatten, Im großen und ganzer 8
i | RR er) 20- bis 2djährig, welche mindestens ein halbes Jahr, mir ein auserlesenes Material gesunder Menschen zur ee
et längstens sechs Jabre im Postdienst, und zwar zum großen Teil als Rad- i s ea u meines Materials von hr
Mint g ing, da ich ferner meine Fragestellung in den 2zwÖö 2
-. Se 1 iot, troll by the splanchnic nerves of adrenalin 5 i i tari
5 Sue atio Ene of. Phys. Soc. of London. 16. Dezember 1911.) A en. mo > dieses Material sammelte, A er
we a et 2) O’Connor, Ueber die Abhängigkeit der Adrenalisekretion vom | ; Pi Sp 19y GIB Anzahl der von m untersuchte fallen.
ee A Splanchnicus. (A. f. exp. Path. u. Tier. Bd. 68, S. 383.) in den verschiedenen Gruppen verschieden groB Aoidhsvorto
Br a; i 3 Cannon and De la Paz, Emotional stimulation of adrenal Aber weil es mir bei diesen Untersuchungen auf Vergleichs
) 3 : Ä I
= | secretion. (Am. j. of phys. 1911, Bd. 28, S. 64.) weniger ankam, als auf die Gewinnung einfacher Zahlenverl f
: "e | 4) Wiener, Der T'hyreoglobulingehalt der Schilddrüse nach experi- | nisse, so erblicke ich in dieser Ungleichheit des Materials Kome
a - xl mentellen Eingriffen. (A. f. exp. Path. 1909, Bd. 61, S. 297.) wesentlichen Nachteil. |
ne u |
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FTP UHR: Ca GE,
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53
- aB e
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24. November. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
0 ON IDDCHE
1903
Albuminurie.,
buminurie von zahlreichen Untersuchern bestätigt worden.
Von den ursprünglich 4%, Albuminurischer, welche Leube unter
119 Soldaten fand, ist der Prozentsatz allmählich zu immer höheren
: J. Schreiber!) hatte bei seinen ersten 2100
„Kranken“ in 4,3%. Eiweiß, bei einer späteren Untersuchungsreihe der
Poliklinik (100 Personen) in 20,8%, Klieneberger!) bei 270%, der
Männer Eiweißspuren. Diese hohen Zahlen kamen bei mehr weniger
komplizierten Untersuchungsmethoden zustande und wurden auch wohl
großenteils an Personen der Kranken- beziehungsweise Spitalpraxis go-
Zahlen angestiegen.
wonnen.
Ich selbst untersuchte den Urin bei 1400 gesunden männ-
lichen Postbewerbern und bediente mich dabei mit Absicht der
einfachen Kochprobe, da diese wohl am häufigsten von Aerzten
geübt wird.
‚ „Der frisch gelassene klare oder durch Filtrieren (eventuell über
Kieselguhr) geklärte Urin wurde in seinem oberen Teile gekocht und
nach ein paar Tropfen Essigsäurezusatz gegen einen dunklen Hintergrund
betrachtet.
Das Ergebnis war das folgende: 63 Personen (= 4,5%)).
Von diesen letzteren
konnte im Laufe der Jahre das Resultat bei 241 nachgeprüft
werden; sie waren frei von Eiweiß geblieben (also bei 241 Per-
sonen = 00/0). Von den 63 Eiweißabscheidern zeigten bei späteren
Untersuchungen 33 ebenfalls kein Eiweiß; bei den übrigen 30
blieb der weitere Verlauf ungewiß. Demnach ermittelte ich bei
meinen Untersuchungspersonen nur 2 bzw. 4%, Eiweiß und komme
damit den ersten Leubeschen und Schreiberschen Zahlen
hatten Albumen, 1337 waren eiweißfrei.
ziemlich nahe.
Die Mehrzahl der Albuminurien, nämlich 39 von 63, fiel
überdies in das jugendliche Alter (16 bis 20 Jahre); man wird
also wohl nicht fehlgehen, diese Albuminurien der orthotischen,
beziehungsweise juvenilen Form zuzurechnen. Bei einem großen
einige
waren sportsmäßige Turner oder Schwimmer, einige hatten vor
Teil der Albuminuriker bestand lebhafte Herzerregung;
der Untersuchung weite Wege zu Fuß oder zu Rad zurückgelegt;
bei einigen waren alkoholische Exzesse vorangegangen, bei andern
Erkältungserscheinungen oder Angina; einige waren anämisch, so-
daß also auch hier die verschiedenen bekannten Ursachen des ge-
legentlichen Auftretens von Eiweiß bei Gesunden in Betracht
kamen.
Immerhin erfährt durch meine Untersuchungen die ältere Tat-
sache ihre Bestätigung, daß Albuminurien, soweit dieselben
durch die meistens geübte Kochprobe nachgewiesen werden, bei
gesunden Personen doch zu den Ausnahmen gehören. Für die
weitere Beurteilung bedürfen sie selbstverständlich einer jedes-
maligen Aufklärung.
Pulsfrequenz. Es könnte müßig erscheinen, Aufzeichnungen
über die Frequenz des Pulses bei Gesunden vorzunehmen, da mit
dieser Eigenschaft des Pulses bekanntlich nicht allzuviel anzu-
fangen ist. Wir wissen, daß eine ganze Anzahl von körperlichen
und seelischen Momenten die Pulsfreguenz eines an und für sich
herzgesunden Menschen zu steigern vermögen. So notierte ich
bei meinen Untersuchungspersonen als pulsbeschleunigende
Momente Blutarmut, Ohlorose, beginnende Lungentuberkulose,
Basedowverdacht, juvenile Wachstumsstörungen, Alkohol, Tabak,
körperliche Anstrengung (auch Sport!), ungenügenden Schlaf oder
eine Kombination mehrerer dieser ungünstigen Einflüsse.
Aber man rechnet doch nun einmal mit einem Pulsstandard
von 60 bis 80 Schlägen in der Minute für den Erwachsenen, an
welchem von mancher Seite, so von den Lebensversicherungs-
gesellschaften, als einem Kriterium einer normalen Herztätig-
keit festgehalten wird; auch die Vorschriften über die sogenannte
Tropendiensttauglichkeit verlangen diese normale Pulszahl
und weisen Bewerber mit selbst nur geringer Pulsvermehrung
unter allen Umständen zurück. Ferner wird eine gesteigerte |
Pulsfrequenz bekanntlich für die Diagnose der Neurasthenie
mitverwertet. Es ist auch nicht so selten, daß ein frequenter
Puls, besonders wenn er zuerst im Anschluß an eine körperliche
Ueberanstrengung beobachtet wurde, selbst bei ganz normalen
Herzgrenzen, als ein Zeichen von Herzmuskelschwäche ge-
deutet wird. Dieser Annahme begegnet man sehr häufig in ärzt-
lichen Attesten. Ohne auf diese Dinge hier näher einzugehen, so
bin ich ebenfalls geneigt, mich unter besonderen Umständen, z. B.
wenn ich die körperliche Tauglichkeit für den Radfahrdienst z
') Siehe D. med. Woch. 1905.
í Das Auftreten von Albuminurie bei Ge-
sunden ist seit Leubes Mitteilungen über die physiologische Al-
beurteilen habe, der Ansicht derjenigen Begutachter anzuschließen,
welche einen Menschen mit dauernd hohen Pulsen von einer mit
besonderen körperlichen Anstrengungen verbundenen Berufstätig-
keit auszuschließen wünschen. Denn das weiß ein jeder, der sich
einmal im Radfahren oder im Bergsteigen überanstrengt hat, daß
er so lange leistungsunfähig, schlaf und appetitlos (Stau-
magen?) bleibt, so lange der hohe Puls anhält. Nur müßte
man seiner Sache auch darin sicher sein können, daß die
gerade angetroffene Pulsfrequenz auch eine dauernde ist und
nicht etwa bloß eine vorübergehende, durch die ärztliche
Untersuchung herbeigeführte Beschleunigung. Denn darin liegt
die größte Schwierigkeit der Pulszäblung, daß manche Per-
sonen sofort in Erregung geraten, sobald sie sich dem Arzte zur
Untersuchung stellen. Um die Pulsfrequenz dann richtig einzu-
schätzen, bedarf es außer der genauen Untersuchung, einer An-
zahl von Ueberlegungen, deren hauptsächlichste die ist, was
der Mensch mit seinem frequenten Pulse bisher tatsächlich ge-
leistet hat,
Aber es bleibt aus diesem Grunde doch überhaupt schwierig,
bei der ambulanten Untersuchung zuverlässige Zahlen für die
normale Pulsfrequenz eines Menschen zu ermitteln. Um Fehler
nach Möglichkeit auszuschließen, habe ich die Pulszählung stets
an das Ende der jedesmaligen zirka 15 Minuten dauernden Unter-
suchung gelegt, nachdem die Personen sich angekleidet und im
Sitzen eine Weile ausgeruht hatten. i
Vergleiche ergaben mir, daß Pulse von 96 zu Beginn der Unter-
suchung mitunter bis 68, von 100 bis 84, von 120 bis 85 am Ende der
Untersuchung abfielen.
Es macht ferner bekanntlich einen großen Unterschied, ob
die Untersuchungspersonen während der Pulszählung liegen, sitzen
oder stehen. Pulsverlangs amungen treten ziemlich regelmäßig
ein, wenn stehende oder sitzende Menschen in die Rückenlage
übergehen; und zwar geschieht das bereits nach wenigen Sekunden.
Die Unterschiede können sehr erhebliche sein, besonders bei den
stark frequenten Pulsen. Umgekehrt werden die Pulse sogleich
schneller, sobald die Untersuchungspersonen sich von der Rücken-
lage wieder aufrecht stellen (Ausnahmen kommen nach beiden _
Richtungen vor). So betrug die Pulsfrequenz bei einzelnen Personen:
Im Stehen . . . 2 22 oc. 52 | 56 | 60 | 64 | eA E 80 | 84| ss| 92| 98]100
Nach dem Niederlegen x 52 | 56 | 58 | 64 | 60 | 60| 68 | 72| 76| 76| 76| 76
Während des Liegens . . . = | As 2. 76 a Ba a A 96 | 100
Nach dem Aufstehen. . . . !- I|— !g99 68 | 88 |104| 88 |108 | 104 | 112 | 116 | 1%0
Im Stehen . . 2 2 2 2. | 10e tatis |146 | 120| 124 eis 136 | 140 | 148
Nach dem Niederlegen zer 761 80| 88| 86| 64| 961104 |112!136 | 96 104
Während des Liegens . . . |104 Se 116 |120 | 14| u | a | = | = | = |
Nach dem Aufstehen. . . . !120!120 |132 120 | 120 | 128| — - !— | — —
Unter Ausschaltung aller beunruhigenden Momente habe
ich die Pulse bei 1000 Personen im Sitzen oder Stehen gezählt
und für jede der untersuchten Gruppen eine Tabelle erhalten,
deren Wiedergabe mir hier zu ausführlich erscheint. Ich begnüge
mich mit der Darstellung der daraus berechneten Zahlen. (Siehe
Tabelle C.)
G, <
= RUN | C. Pulse bis |
N üs hatten von } : :
in in in in
d ” | o | 54 | On | 38 fo | 36 %n
100 Weiblichen Bewerbern . . 82 |32 48 |48 66 |56 | 74| 74
100 Jugendlichen. Bewerbern. . 63 |583 72 |72 83 |88
300 Aushelf. u. Telegr.-Bestell. 166 |55 204 |68 227 |76
100 Telegraphenarbeitern . . . 57 |57 10 170 79 |79
100 Postillionen. . ..... 64 |64 79 1% 83
200 Militäranwärtern 68 |34 104 [652 124 |62 |152| 76
100 Mllitärinvaliden . . . . . 61 [ši 66 |66 Ti |
1000 | Insgesamt . ...... | 1 |491] 648 | 645] 723 | |.
PEE E E SEEN
e
= | C. Pulse yvon
E Es hatten von 8 |in] 96 |ia] 100 | in [08] in
u.mehr | % |u.mehr | %, |u.mehr | %, 120 | °%h
100 Weiblichen Bewerbern . 52 |2 4 |4 26 |26 |1010
100 Jugendlichen Bewerbern. . 28 |28 12 |12 7 3| 3
800 Aushelf. u. Telegr.-Bestell. 96 |32 58 | 20 38 |18 |17! 6
100 Telegraphenarbeitern . . . 30 |30 14 |14 6 6 ij í
100 Postillionen. . ..... 21 J21 14 14 10 |10 4| 4
200 Militäranwärtern 96 |48 63 31 47 |23 |25 [13
100 Militörinvaliden . . . .. 84 19 19 11 jii 7
1000 | Insgesamt... .. .. | 857 | 35,7] 221 | 2 | 145 145] 67 | 67
Daraus geht hervor, daß Normalfrequenzen bis 80 pro Minute
bei etwa nur der Hälfte (49,10/,) aller Untersuchungspersonen an-
Ft. gt m mr
190€
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November.
getroffen wurden, Pulsfrequenzen bis 84 ebenfalls nur bei 64,3 %/0 |
der Untersuchten,
während a Ho der Untersuchten Pulse von 88 und mehr (also frequente),
0 x
O yp .” » n 96 „ ”
14,5 oj 0 7» ” ” » i „ „
6700 > - > 2108 bis 120 hatten.
Noch frequentere Pulse wurden in diese Zusammenstellung
nicht aufgenommen, weil dann doch die Bedenken überwogen, die
Träger derselben den noch gesunden Personen zuzuzählen.
Die weiblichen Bewerber hatten die frequentesten Pulse,
nächstdem die durchweg äußerst kräftigen Militäranwärter (Feld-
webel und Sergeanten); die Postillione und jugendlichen Bewerber
vertraten die ruhigsten Pulse.
Wenn ich die Pulse bis 84 noch als normalfrequente rechne,
so stehen solche zur Verfügung den
Postillionen zu 79%,
Jugendlichen Bewerbern zu 72 °/o,
Telegraphenarbeitern zu 70°,
Aushelfern und Telegrammbestellern zu 68 °/,,
Militärinvaliden zu 66°/,; dagegen den
Milit&ranwärtern nur zu 52/0, den
Weiblichen Bewerbern nur zu 48 °/o.
Wenn ich ferner die für zirka 70 bis 80°/, einer Gruppe
ermittelte Pulszahl als eine Normalfrequenz für diese Gruppe
von Personen ansehen darf, mit welcher praktisch zu rechnen
ist, so kommt den Postillionen, jugendlichen Bewerbern und
Telegraphenarbeitern eine Normalpulsfrequenz von 84, Aus-
helfern, Telegrammbestellern und Militärinvaliden eine solche von
88, Militäranwärtern und weiblichen Personen eine solche von
96 Pulsen zu.
Kniereflexe. Es ist bekannt, daß Kniereflexe bei nahezu
allen gesunden Personen ausgelöst werden können. Bedeutung
wird nur dem Fehlen oder der besonderen Steigerung des Reflexes
beigelegt. In letzterem Sinne spricht man von lebhaftem oder
gesteigertem Kniereflex. Manche Nervenärzte erblicken in ge-
steigerten Kniereflexen den Ausdruck einer krankhaft gesteiger-
ten Erregbarkeit des Nervensystems und verwerten dieses Sym-
ptom mit für die Neurastheniediagnose.
Unter gesteigertem Kniereflex wird aber offenbar etwas ganz
Verschiedenes verstanden. Wenn man dem Vorschlage von
Steinert!) folgen und als gesteigerte Kniereflexe nur diejenigen
anerkennen will, wo bereits der Anschlag an die Patella oder die
Tibia starke Reflexe auslöst, so werden solche ziemlich spärlich
angetroffen werden; in der täglichen Praxis wird damit aber
meistens die schnelle und starke Contraction bezeichnet, welche
der Quadricepsmuskel beim Beklopfen seiner Sehne unterhalb
der Patella auslöst. Das macht aber, wie man sich leicht über-
zeugen kann, einen ganz gewaltigen Unterschied. Personen, welche
beim Beklopfen der Sehne sehr starke Reflexe auslösen, erweisen
sich beim Beklopfen der Tibia oder Patella häufig als gänzlich
refraktär. Ist also dem Subjektivismus hier ein breites Feld ein-
geräumt, sowohl hinsichtlich der Art der Untersuchung als auch
in der Feststellung des Untersuchungsergebnisses, so steigert sich
die Unsicherheit der Reflexprüfung noch dadurch, daß die meisten
Personen schon durch die ärztliche Untersuchung in lebhaftere
Nervenreflexerregbarkeit geraten; wenn sie dann gesteigerte Knie-
reflexe an den Tag legen, so wird damit nur der augenblickliche
Zustand ihrer Nervenerregbarkeit ausgedrückt werden; diese würde
also nur gleichbedeutend sein der einfachen, physiologischen Stei-
gerung einer an und für sich normalen Nervenfunktion infolge
des Einwirkens eines besonderen Reizes. Denn in der Annahme,
daß auch das Nervensystem eines völlig gesunden Menschen
täglich verschieden eingestellt sein, das heißt auf die gleichen
Reize täglich verschieden reagieren kann, begegnet man wohl kaum
einem Zweifel. Man denke doch nur an die Schwankungen der
eignen Empfindlichkeit gegen Licht- oder Schalleinwirkungen unter
verschiedenen Umständen, z.B.nach guter oder nach schlechter Nacht,
nach alkoholischer Einwirkung, nach geistiger Anstrengung, nach
den verschiedenen Affekten usw. Wir nennen solche gelegentlich
gesteigerte Empfindlichkeit deshalb noch nicht krankhaft.
Trotzdem ich nun von der Betrachtung des gesteigerten
Knierellexes von vornherein nicht allzuviel erwartete, so habe ich
doch geglaubt, diese Frage an einer größeren Untersuchungsreihe
einmal prüfen zu sollen.
1) Siehe Lehrbuch der Nervenkrankheiten, herausgegeben von
Curschmann. (J. Springer, 1910.)
Meine Untersuchungspersonen waren mit herabhängenden Unter-
schenkeln über die vordere Kante des Sofas gelagert; in dieser Lage
beklopfte ich die Quadricepssehne mit dem Perkussionshammer wenig
energisch. Je nachdem der Unterschenkel dann aufwärts pendelte oder
in die Höhe schnellte oder krampfartig in die Höhe schoß, habe ich die
Bezeichnungen 0—1 (normal), 1 (lebhaft), 2 (sehr gesteigert) angewendet.
Von 500 Personen hatten lebhafte und sehr gesteigerte
Reflexe zusammen 429 —=85°/,, sehr gesteigerte allein 25,40%;
eine kleine Anzahl (13) ließ die Reflexe vermissen; nur 57 = 11%,
boten ruhige Ausschläge dar. Für das Fehlen der Reflexe machte
ich bei zwei Personen Tabes verantwortlich, einmal bestand Lues-
anamnese, einmal waren alkoholische Exzesse vorangegangen, ein-
mal bestand Albuminurie, achtmal war nichts Besonderes festzu-
stellen; es ist nicht ausgeschlossen, daB der „Jendrassik“ hier
doch noch zum Ziele geführt hätte. (Siehe Tabelle A.)
Andere Schlußfolgerungen als die, daß der untersuchende
Arzt auch bei gesunden Personen überwiegend lebhafte Knie-
reflexe antreffen wird, ziehe ich nicht.
A. Kniereflexe B. Vasomotor. Nachröten
e | normal | leb-
z 4 steigert langsam| haft
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1. Weibliche . . .| 70| 1) 8]387|24j 61 34 | 70| 6| 321% 8f 8382|46
2, Jugendl. Bewerb. | 87| 2| 22 | 52 | 11 | 63] 72| — 4 | 37|32| 14 | 46] 68
3. Aushelf u. Tel.-B. | 77| Of 4| 53 |20| 73| 94] — | 77| 4| 19|34 20| 540
4. Telegr.-Arbeiter.} 11] 0 2) 6| 3 9} 81| —-} 11| 0) 7| 83| 1) 4/8
5. Postillione . . ala 4|18| sl 16|76|— |21| 2| 8| 9| 2| 14|52
6. Militäranwärter ]121| 5| 7 | 71 | 37 1108| 90 | 30 |121) 6} 4841) 26 | 67) 56
7. Militärinvaliden . {113| 4| 10 | 70 | 29 | 99| 87 | — |113| 16 | 31 |42| 22 | 661 88
Zusammen | 500 | 13] 87 | | 127 | 429 | 85 | 25,4 500 | 38 |182| | |280] 58
*) 2 = j bis 3 Sekunden, 1 = 4 bis 5 Sekunden, 0—1 = 6 Sekunden und mehr.
Vasomotorisches Nachröten. Obschon der Begrif des
vasomotorischen Nachrötens ein ganz geläufiger ist, so habe ich
mich in der Literatur vergebens nach einer ausführlichen Be-
sprechung dieses Phänomens umgesehen. (Gewöhnlich begegnet
man diesem Ausdruck in den nervenärztlichen Gutachten mit dem
Zusatze „starkes“ oder „lebhaftes“ vasomotorisches Nach-
röten, was gleichbedeutend ist mit Dermographie: die mit einem
beliebigen Gegenstand überstrichene Haut läßt einen roten Strich
erkennen, welcher mehr oder weniger schnell in Erscheinung
tritt und mehr oder weniger schnell abblaßt; man kann dabel
also ein Ansteigen, einen Höhepunkt und ein Abklingen des
Phänomens von verschiedener Länge unterscheiden. Aber man
sieht dabei doch noch einiges andere. Meistenteils tritt zunächst
nämlich an der überstrichenen Hautstelle ein blaßer Strich
(vasomotorisches Erblassen) auf und erst danach folgt die
Röte; ferner kann man, bei Kindern häufiger, aber auch bel Fr-
wachsenen, sehr schön beobachten, wie die Rötung des primären
blassen Streifens sich in der Weise vollzieht, daß sich zuerst die
Randpartien des Streifens röten und die Röte von hier nach der
Mitte des Streifens vorrückt; bei ganz jungen, zwei bis sieben
Tage alten Säuglingen konnte ich ferner beobachten, daß die eim-
tretende Hautröte sich keineswegs auf den gezogenen Strich be-
schränkte, sondern daß sie sich über den Strich hinaus zu beiden
Seiten um einige Millimeter diffus auf der Haut verbreiterte;
mitunter blieb der primäre blasse Strich bestehen, während sie
die Umgebung des Striches lebhaft rötete. Ich glaubte hierin
eine noch unentwickelte Reaktion vor mir zu haben, welche etwa
in Parallele zu stellen ist mit den wenig ausgebildeten Patellar-
reflexen der Neugeborenen.
Bei einem sechs Wochen alten Kinde vollzog sich der Vor
gang der Rötung (ebenso wie dessen Patellarreflexe) bereits in
charakteristischer Weise, schärfer und ausgeprägter. Das jüngste
Kind, bei welchem ich vasomotorisches Nachröten hervor
befand sich elf Stunden nach der Geburt, der älteste Menso
stand im 89. Lebensjahre. Untersuchungen, welche ich an Schul
kindern (30 sechs- bis siebenjährigen Schülern und 90 zehn- bis
dreizehnjährigen Schülern beiderlei Geschlechts) anstellte, beiehrten
mich, daß hinsichtlich der Zeit des Eintretens des Phänomens UT
bei Kindern schon die großen individuellen Unterschiede der A
wachsenen hervortreten, daß aber gegenüber den Erwachsenen i
ganze Reaktion doch viel langsamer verläuft; bei einigen ker i
setzte die Röte schon nach sieben Sekunden ein, bei der #4 i
zahl indessen erst nach zehn bis zwanzig Sekunden, selbst "i
später. Ein Ausbleiben des vasomotorisohen Nachrötens bie
niemals beobachtet. Brünette und Blonde verhielten sich gleich.
94. November.
Bei erwachsenen Menschen folgt Erblassen und Nachröten
schneller aufeinander oder das Erblassen fehlt überhaupt und es
wird nur das Nachröten bemerkt. Man kann das vasomotorische
Nachröten an allen Stellen des Körpers hervorrufen, am leichtesten
an Stellen mit durchschimmernder Haut, vorzugsweise an Brust
und Bauch. Es ist ferner nicht gleichgültig, in welcher Weise
man den Strich auf die Haut appliziert; der Strich mit der Finger-
kuppe ruft eine weniger energische Reaktion hervor als z.B. der Finger,
‚welcher in einem rauhen Waschhandschuh steckt; das glatte Stiel-
ende des Perkussionshammers ist weniger dazu geeignet, als das
spitze Ende des Hörrohrs. Sodann kommt es auch auf die an-
gewandte Kraft, den Druck, hierbei an; ein leises Ueberstreichen
ist nicht so wirksam als ein kräftiger Strich. Orthopäden machen
sich das Phänomen des vasomotorischen Nachrötens bekanntlich
seit langem zunutzen, indem sie sich durch kräftiges Reiben die
Dornfortsätze der Wirbelsäule auf der Haut zur Anschauung
bringen. Statt einen Strich zu ziehen, kann man auch die Spitze
des Hörrohrs senkrecht gegen die Haut drücken; dann erhält man
bei hautempfindlichen. Menschen eine Ringfigur.
Da das vasomotorische Nachröten bei allen Menschen hervor-
zurufen ist, so hat man es wohl als eine dem Menschen eigentüm-
liche, also physiologische Hautreaktion, möglicherweise als eine
Art Abwehrbewegung der Hautgefäße anzusehen.
Für die Notierung des Phänomens eignet sich nicht die In-
tensität der erzielten Hautröte; Röte bleibt Röte, Einen einiger-
maßen zuverlässigen Anhaltepunkt erlangt man wohl nur durch
Notierungen der Zeitunterschiede, welche zwischen dem Reiz und
dem Auftreten des Phänomens liegen. So wird man meines Er-
achtens auch nicht von starkem und schwachem, sondern vom
schnellen und langsamen Nachröten zu sprechen haben. Schon der
verlangsamte Ablauf der Reaktion bei Kindern weist darauf hin,
daß die gröber organisierten Naturen langsamer, die feiner orga-
nisierten schneller reagieren. Insofern kann also diese Reaktion
für den Grad der Nervenempfindlichkeit eines Individuums, ganz
in dem Sinne, wie es die Patellarreflexe tun, wohl mitverwertet
werden. Zu bezweifeln aber ist nach meinen Untersuchungen,
deren Resultat aus der Tabelle B ohne weiteres ersichtlich wird,
daß dem vasomotorischen Nachröten auch in seinen höheren
Graden eine pathognostische Bedeutung in dem Sinne einer funk-
'tionellen Erkrankung des Nervensystems beigelegt werden kann.
Bedauerlicherweise existiert keine einheitliche Prüfungs-
methode des vasomotorischen Nachrötens; eine solche setzte das
Vorhandensein eines aus einem bestimmten Material gefertigten
Instruments voraus, welches gestattete, einen in Schnelligkeit und
Druck genau dosierten Strich über die Haut zu ziehen. Ferner
müßte das Instrument mit einem automatischen Zähler in Ver-
bindung stehen; denn das Wichtigste der Beobachtung ist, die Zeit
zu bestimmen, welche von dem Moment des Hautreizes bis zum
Einsetzen der Rötung verstreicht.
Ich tat das bei meinen Versuchen durch Zählen, indem ich den
Strich bei der Zahl 90 zog und dann im Sekundentempo weiter zählte;
natürlich wird ein Sekundenpendel noch Genaueres leisten. Ich notierte
2=sehr schnell, wenn das Nachröten bereits nach 1 bis 3 Sekunden
einsetzte, 1 = schnell, wenn es nach 4 bis 5 Sekunden, 0—1 = lang-
Sam, wenn es erst nach 6 Sekunden oder noch später geschah. Maß-
gebend war mir der Augenblick, wo die rote Linie deutlich hervorzu-
treten beginnt, nicht das erreichte Maximum der Hautröte. Nach: den
geläufigen Anschauungen würde unter 1 und 2 lebhaftes vaso-
motorisches Nachröten zu verstehen sein. Ich habe auch eine Ru-
brik O geführt far Personen, bei welchen sich vasomotorisches Nach-
röten nicht hervorrufen ließ; das war jedoch noch vor der Zeit meiner
Versuche, welche mich belehrten, daß die Röte schließlich noch nach
20 Sekunden hervortreten kann; ich lasse die Rubrik 0 in der Tabelle
fortbestehen; es sollen darunter diejenigen Personen gekennzeichnet
werden, bei welchen das Phänomen tatsächlich äußerst schwer hervor-
zurufen ist.
Das Resultat meiner Untersuchungen an insgesamt 500 ge-
sunden Personen ergibt eine überraschend große Anzahl (56 9%)
von Personen, welche lebhaft vasomotorisch nachröten. Weibliche
Personen blieben merkwürdigerweise hinter dem Durchschnitt etwas
zurück, noch mehr die auch sonst wenig erregbaren Telegraphen-
arbeiter.
, Zittern der geschlossenen Augenlider. Wenn man
einen Menschen auffordert, die Augen zu schließen, so nehmen nur
wenige dabei den Augenschluß eines schlafenden Menschen an.
ie andern unterbrechen den Augenschluß durch häufigeren Lid-
schlag (Plinken); bei der Mehrzahl aber geraten die Lider in
leichtes oder ausgesprochenes Zittern. Da ich Lidzittern bei 70 0%,
von 240 gesunden Personen notierte, kann ich darin nicht die
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. i 1905
Aeußerung eines krankhaft erregten N ervensystems erblicken.
Ich fasse dasselbe als eine Art physiologischer Abwehrbewegung
auf; in seinen stärkeren Formen bedeutet es möglicherweise eine
physiologische Steigerung der augenblicklichen N ervenerregbarkeit
eines Individuums.
Die näheren Daten sind aus der Tabelle D ersichtlich: 1 soll
heißen: leichteres Zittern, 2 = lebhaftes Zittern: die Grenze zwischen
beiden ist natürlich mehr weniger willkürlich. Das sogenannte Plinken
wurde nicht mitgezählt (ist in der Rubrik O mit eingeschlossen.)
—
D. Augenlidzittern E. Zungenzittern
n n
J 2|&|8 r| 2|&2|8
& CER- : a 31|8|38
N I} = | lad £ z|
| |2|32 | |2|3|8
0/|1,1,2|8|% 0I|1|2|°)%
(ER ER Steinen
1. Weibliche. . . . 2.2... 44| 11 | 14 | 19 | 33| 75 | 44180 | 9 | 5 | 14 | 32
2. Jugendliche Bewerber. . . į 29| 8|ı5 | 6 | als 23118) 9| ılıolse
8. Aushelfer u. Telegrammbest. | 29| 7 |15| 7] 2|alslislolalela
4. Telegraphenarbeiter . . .| 8 ı2/ı0!| 7) ız/!col 28|18| 81 2lı0| se
5. Posthliane a ce 23| 10] 8| 5 | 13| 60{ 21|ı7 |) 4] 0| 4120
6. Militäranwärter . . ... 54| 14 | 19 | 21 | 40| 74 | 54| 38 | 14| 2 |16 |29
7. Militärinvaliden . . ... 168| 3| 2111| 181 8sı J 161 9| 5) 2| 7148
Zusammen |224) | | Jjwejrojas| | J1.|7s|
Zittern der ausgestreckten Zunge. Das Zittern der
ausgestreckten Zunge kommt nach meinen Notierungen an 219 ge-
sunden Personen in leichteren Formen verhältnismäßig häufig, aus-
gesprochen in 6 °%/,, überhaupt in 33 %, vor. Eine pathognostische
Bedeutung ist ihm wahrscheinlich nicht beizulegen.
Die Tabelle E enthält die näheren Angaben.
Zittern der gespreizten Finger der rechten Hand
bei ausgestrecktem Arm. Das Zittern der gespreizten Finger
findet man keineswegs nur bei Alkoholikern und stark nervös er-
regten Menschen. Nach meinen Notierungen an 217 gesunden
Personen tritt es bei 26%, derselben. in Erscheinung, am aus-
gesprochensten sogar bei jugendlichen Personen.
Leichtes Zittern notierte ich mit 1, starkes Zittern mit 2; das
Nähere ergibt sich aus der Tabelle F. Bei der Untersuchung ist der Arm
völlig zu strecken; wird der Arm im Elibogengelenke rechtwinklig ge-
halten, so ist das Händezittern leichter unterdrückbar.
. Mac Burneyscher Druckpunkt. Der Mac Burneysche
Druckpunkt, welcher bekanntlich für die Erkennung der Appen-
dieitis von Bedeutung ist, findet sich bei Reihenuntersuchungen an
500 Personen nur sechsmal = 1,2 fo; unter 60 weiblichen Per-
sonen fand er sich überhaupt nicht. Da auch Personen mit Ovarie
auf diesen Punkt zu reagieren pflegen, so kann damit gleichzeitig
ausgesprochen werden, daß auch Ovarie bei gesunden Personen
nicht vorkommt. (Siehe Tabelle G.)
. Erbscher Druckpunkt. Der auf den Plexus brachialis
ausgeübte Druck in der Supraclaviculargrube wird häufig schmerz-
haft empfunden, löst aber im ganzen selten eine Contraction des
Kopfnickermuskels aus; das fand bei 197 Personen nur sechsmal
statt; unter 45 weiblichen Personen allein viermal (= 9 0Jọ). Es
kommt hierbei auch auf die Stärke des ausgeübten Druckes an; bei
sehr starkem Drucke wird sich das Phänomen etwas häufiger aus-
lösen lassen. (Siehe Tabelle H.)
F. Fingerzittern G. H. Erbscher
| | | Mac Burney Punkt
u:
3 31% : z J
214 E es
à 23|3 N N
IR 4 q
O [/ 1| 2 0/0 + | + |%
EEE EEE EB LEE A | EEE S E BERG LA A
1. Weibliche. . . . 2. 2... 45| 39] 5| 1] 6]18| 6| 0o|—I al a! 9
2 Jugendliche Bewerber ; 1 | 10 | 388 {| 90) 8| — | 2|—| —
8. Aushelfer u. Telegrammbest. | 27| 14 | 13 | oJ || 78| o| — Į 29| — | —
4. Telerraphenarbeiter j 0! 4/4! 11| 0|—| 5 — | —
5. Postillione . . . 2. 2... 21115| 6| 0| 6/80 2| 0 | =] 7I—-| —-
6. Militäranwärter . . . . . 37 | i4 | 8/17 | 81 Jııs| 21 —- | 56| il —
7 Militärinvaliden . . Ai 1| 11 2|12[1183| 1| — | 23| 1l —
Zusammen |217| | | [58] 26 [soo] 6 |12 |197| 6| 3
Ovarie, Mastodynie. Ueber diese Erscheinungen wurden
bei 45 weiblichen Bewerberinnen Aufzeichnungen gemacht. Ovarie
hatte eine derselben, leicht angedeutet; Mastodynie hatten drei,
ebenfalls nicht ausgesprochen.
Ich fasse mein Resultat dahin zusammen, daß Ovarie und
Mastodynie bei gesunden Frauen im allgemeinen nicht an-
getroffen werden. é š |
k
Die vorstehenden Untersuchungen wurden zum Teil im
Hinblick auf die Neurastheniefrage angestellt. Als Ergebnis
az rg —
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1906 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK. — Nr.47.
24. November,
derseiben fasse ich zusammen: Erhöhte Kniereflexe, lebhaftes
vasomotorisches Nachröten, Puisbeschleunigung, Zittern der ge-
schlossenen Augenlider, Zungenzittern, Fingerzittern werden in
einem so auffallend häufigen Prozentsatz aller vollkommen ge-
sunden Personen angetroffen — und zwar bei Gelegenheit der
Gesundheitsbescheinigung!—,daß man in diesen Erscheinungen,
wenn sie bei nervösen Menschen konstatiert werden, keineswegs
den : objektiven Ausdruck einer funktionellen Nervenerkrankung
(Neurasthenie, Hysterie, traumatische Neurose), allerhöchstens
‘denjenigen einer momentan erhöhten, aber noch physiologischen
Reaktion des Nervensystems erblicken kann. (Siehe die Uebersichts-
tafel J.) Für das Vorliegen einer funktionellen Nervenerkrankung
können dieselben als eindeutige Beweise nicht angesehen werden. Es
erscheint im Gegenteil bedenklich, daß auf diese Symptome hin, oft-
J. Uebersichts-Tabelle.
Unter 100 gesunden.
ii Ki Personen hatten
85 Gesteig. Kniereflexe
Lebh. vas. Nachröt.
Pulsbeschleunigung
Lidzittern
Zungenzittern
Fingerzittern
mals eine so schwerwiegende Krankheitsdiagnose gegründet und die
Befriedigung der oftmals ins Maßlose gehenden Ansprüche der Neur-
astheniker hinsichtlich der Gewährung von Dienstbefreiung,
Kururlauben, Badereisen und anderer materiellen Zuwendungen
als begründet erachtet wird. Denn darüber kommt man nicht
hinweg: Was beweisen alle noch so ausführlichen Sachverständigen-
‚gutachten, wenn sich schließlich das ärztliche Urteil auf einige
zwar ziemlich objektiv feststellbare, aber einer Mehrzahl aller
Gesunden zukommenden Merkmale aufbaut. Lediglich die Sym-
ptome der Ovarie und Mastodynie schienen mir bei Gesunden zu
fehlen, obwohl Andeutungen dazu hier und da.wobl notiert werden
könnten. Besteht demnach hier, was die somatischen Merkmale
anbetrifft, noch eine erhebliche Lücke in der objektiven Dia-
gnosenstellung der funktionellen Nervenkrankheiten, so bedarf
es unter den Aerzten — wenn man an diesen Prüfungen über-
haupt festhalten will — zunächst einer besseren Verständigung
über die Prüfungsmetboden, welchen heutzutage noch allzuviel
Subjektives anhaftet. Die Bezeichnung des vasomotorischen Nach-
rötens nach Sekunden möchte ich als in diesem Sinne verwertbar
vorschlagen; ferner die Akzeptierung der Steinertschen De-
finition des gesteigerten Partellarsehnenreflexes. Ferner erscheint
mir die Nachprüfung meiner Zablen an möglichst vielen gesunden
Personen und unter den verschiedensten Verhältnissen erwünscht;
es wäre doch möglich,. daß sich eine gewisse Gesetzmäßigkeit im
Ablauf dieser verschiedenen Nervenreaktionen daraus ableiten ließe;
denn schon aus meinen Zahlen scheiut hervorzugehen, daß die gerin-
gere Nervenerregbarkeit bei denjenigen Personen (Telegraphenar-
beitern, Postillionen) zu finden und nachzuweisen ist, welche einer,
wenn auch körperlich anstrengenden, so doch im ganzen ruhig ablau-
` fenden Berufsbeschäftigung und noch dazu einer in der freien Luft
sich abspielenden, obliegen. In dem gleichen Sinne wird es sich
empfehlen, in allen Fällen, wo von Behörden oder Privaten auf vor-
geschriebenen Formularen Gesundheitsatteste verlangt werden,
solchen, ohne zunächst für die Anstellung der untersuchten Personen
‚daraus weitgehende Konsequenzen zu ziehen, ein rein informa-
torisches Zusatzschema anzufügen, in welchem die Merkmale
des jeweiligen Grades der Nervenerregbarkeit genau festgelegt
werden.
Ein solches Schema hätte sich zu beziehen auf:. .
a. Pulsfrequenz in der Minute: 1) im Sitzen, 2) im Liegen,
$) nach zehn Kniebeugen, 4) 2 Minuten später.
b. Kniereflexe: 0) fehlend, 1) wenig lebhaft = normal, 2) ge-
steigert 1). |
. œe Vasomotorisches Nachröten: 0-1) langsam?) (nach 6 Se-
kunden und mehr), 1) schnell?) (nach 4 bis 5 Sekunden), 2) sehr schnell?)
(nach 1 bis 8 Sekunden). > - Ä
1).Als gesteigert (nach Steinert) nur anzusehen, wenn beim Be-
‘klopfen der Patella und der Tibia selbst — nicht nur der Sehne —
bereits ein starker Reflex ausgelöst wird. - |
2) Am zweckmäßigsten direkt durch die Sekundenzahl auszudrücken,
bei welchen. das. Nachröten bemerkbar wird (z. B.=6. bedeutet Ein-
‚treten des Nachrötens nach 6 Sekunden). er
d. .Zittern der geschlossenen. Augenlider: 0) überhaupt
= nicht, 1) unerheblich, 2) stark.
e. Zittern der ausgestreckten Zunge: 0) überhaupt nicht
1) unerheblich, 2) stark. | . i
f. Zittern der gespreizten Finger, bei ausgestreckten
Arm: 0) überhaupt nicht, 1) unerheblich, 2) stark.
g. Ovarie: 0) überhaupt nicht, 1) unerheblich, 2) stark.
h. Mastodynie: 0) überhaupt nicht, 1) unerheblich, 2) stark.
Durch ein solches Schema könnte sowohl für das Individuum
selbst als auch für etwaige spätere Feststellungen an demselben
eine bessere und nützliche Verständnisunterlage geschaffen werden,
Aus der Medizinischen Klinik der Universität in Innsbruck
(Vorstand Prof. Dr. R. Schmidt)
Beitrag zur Hämatologie der Kalichloricum-
vergiftung
von
Dr. Felix Gaisböck, klin. Assistenten.
Die sogenannten echten Blutgifte, zu welchen das chlorsaurs
Kalium zählt, haben die Eigenschaft, mit ibrer deletären Wirkung in
peripheren Blut. einzusetzen und mehr minder charakteristische
Reaktionsbilder im Blute hervorzurufen. Diese specifischen Eigen-
schaften haben daher auch bei experimentellen Forschungen eine
ausgedehnte Anwendung gefunden. Nach den gewonnenen Er-
fahrungen kann aus den klinischen und hämatologischen Verände-
rungen mit einer gewissen Sicherheit auf das Gift oder die Gift-
gruppe geschlossen werden |
Im Nachfolgenden soll über einen Fall berichtet werden, in
dem bei unklarer Anamnese: durch das Blutbild die Diagnose in
die richtige Bahn gelenkt wurde.
Am 2. Mai 1912 wurde der 58jährige ledige Malergehilfe Josef S.
in schwer benommenem Zustande der Klinik eingeliefert mit der Angabe,
es handle sich um eine Bleivergiftung. Aus der mit den Angehörigen
erhobenen Anamnese ist folgendes bemerkenswert: wo. l
Patient arbeitete seit anfangs April d. J. als Malergehilfe; am 16. April
meldete er sich krank mit heftigen Kopfschmerzen; am 17. konstatiert
der Arzt Fieber, am selben Tage trat auch ein Blasenausschlag an den
Lippen auf. Der Kranke mußte nun mehr als acht Tage im Bette liegen,
die Temperatur blieb dauernd über 39. Gegen Ende des Monats konnte
er wieder aufstehen, war aber noch sehr matt und appetitlos.
Am 29. April machte er wegen schlechten Geschmacks im Mund
angeblich eine Ausspülung mit Essig; kurz darauf wurde er unruhig.
äußerte Gefühle von Todesangst und lief in diesem Angstzustand über
eine Treppe in ein anderes Stockwerk; seine Gesichtsfarbe hatte sich
stark verändert; er war angeblich um den Mund ganz blau geworden.
Der rasch herbeigeholte Arzt meinte, es müsse sich um eine Vergiftung
handeln. Von da ab ist der Kranke auffallend rasch verfällen und klagte
immer iber äußerst heftige Bauchschmerzen, die in regelmäßigen Zwischat-
räumen sich steigerten, wobei der Kranke laut aufschrie. Iu der Zwischen-
zeit verhielt er sich völlig teilnabmslos. Gegen die Schmerzen erhielt er
am 1. Mai Opiumtropfen, von denen er siebenmal 15 Tropfen in ara
stündlichen Pausen nahm, worauf Beruhigung eintrat.
2. Mai Status bei der Aufnahme: Mittelgroßer, kräftig gebaufet
Mann von blasser. leicht ikterischer Hautfarbe, Temperatur afebril, 5er
sorium getrübt. Der Kranke reagiert nur schwach auf lautes Anrufen
gibt nur selten eine kurze Antwort. Kopf freibeweglich, nirgends klop"
empfindlich. | | E ay
Deutlich ikterische Verfärbung der Skleren und etwas weniger 3
der Haut; keinerlei Blutungen. Ä |
= en der Nase und den Lippen dünne braune Krusten (Reste vot
erpes). ee
Hände und Füße cyanotisch und kühl. i
Respiration: Nase frei, Trachea nicht druckempfindlich; a.
leicht, ziemlich oberflächlich, nicht beschleunigt. Lunge: Rück” ia
beiderseits heller Schall;- verschärftes Atmen von oben bis unten; an a
Basis etwas trocknes Rasseln. Rechts vorne Lungenschall bis zur".
‚Rippe; links bis zur vierten Rippe. Ränder wenig beweglich, ds
Patient nicht zu -bewegen ist, tiefer zu atmen; kein Hustenrelz.
Circulation: Herz, Spitzenstoß im fünften LC. R. : y
Mammillarlinie, nach rechts die Medianlinie etwas überschreitendi eich,
‚scharfes, systolisches Geräusch, zweite Töne nicht accentuiert,_
Arteria radialis weich, Blutdruck nicht erhöht, 100 mm (Riva-Rocci) kin
Verdauungstrakt: Zunge belegt, Zähne gut, kein Bleissum, fere
gerötet, ziemlich trocken, Tonsillen etwas vergrößert, keine c
'Þoschwerden, sehr viel Durst. DRE EE ogl-
` Leber: Dämpfung: fünfte Rippe bis zwei Finger unter dom In h
bogen, nicht 'druckempfindlich. Trauberaum- deutlich, Milz nit
größert, nicht zu fühlen. ° Ba tliche
- Abdomen "eingesunken, .keine Spannung, nirgends "eine don
Druckempfindlichkeitt. _ . E EN a
H
=o
24. November.
schwandt). Rachenreflex schwach, Cremaster deutlich, P. S. R. und
Achillesreflex sehr lebhaft gesteigert, Babinski Q.
Die Haut überall überempfindlich, lebhafter Juckreiz, Patient
kratzt viel; beim Abdecken entsteht sofort starke Gänsehautbildung.
Von Zeit zu Zeit schreit der Kranke heftig auf, streckt dabei
Arme und Beine aus (ohne Muskelkrampf), gibt aber auf Befragen keine
Auskunft über eine bestimmte Schmerzempfindung.
Stuhl: Nach Klysma: fest, enthält kein Blut; Farbe grünlich
schwarz. Untersuchung per rectum: Prostata nicht vergrößert, nicht
druckempfindlich. |
Harn: Patient kann nicht urinieren, trotzdem er reichlich
trinkt, es besteht auch kein Harndrang.
Mai. Katheterismus: Es wird nur eine kleine Menge, zirka
50 ccm, einer dicken, eiterähnlichen, graubraunen Flüssigkeit ent-
eert, die mit schokoladebraunen Flocken vermischt ist.
Färbung eines Trockenpräparats nach May-Giemsa: überwiegend
polymorphkernige, neutrophile Zellen, nur wenig einkernige Elemente.
Färbung nach Gram: sehr spärlich gramnegative kurze Stäbchen
(Coli). Sonstiger Zustand völlig unverändert; Sensorium stark getrübt,
zeitweise lebhafte Schmerzäußerungen; Patellar-- und Achiliesreflexe
lebhaft; Hyperästhesie der Haut und Juckreiz.
4. Mai. Nacht unruhig, zeitweise heftiges Aufschreien.
Anurie; Katheterismus: Entleerung von einigen braunen Schollen
und Eitertropfen. Nieren stark druckempfindlich, viel Durst. Sonstiger
Zustand wie gestern.
Mai: Sensorium noch benommen; auf lautes Anrufen gibt der
Kranke kurze Antwort, klagt über Schmerzen, macht aber keine näheren
örtlichen Angaben. Temperatur immer afebril; Puls 78 bis 80, Blut-
druck 100, Zunge, Gaumen und Rachen ganz trocken, mit dünnen Borken
bedeckt; Tonsillen klein.
bdomen: nur die Nierengegend beiderseits deutlich druck-
empfindlich; keine Geschwulst zu fühlen wegen Spannung.
Am Herzen: Befund unverändert, Puls klein.
Lungenbefund wie am 2. Mai, ebenso die Reflexe und die Ueber-
empfiodlichkeit der Haut.
Kein Harn; durch den Katheter wird nichts entleert.
In der folgenden Nacht stirbt der Kranke ruhig, ohne Krämpfe
oder besondere Schmerzäußerungen.
Die nähere Betrachtung des am 8. Mai durch Katheter ent-
leerten Blaseninhalts ergab noch einige bemerkenswerte Ge-
sichtspunkte. |
Im Spitzglase bildeten sich zwei scharf getrennte Schichten:
Zu oberst eine schokolade-sepiabraune getrübte, wäßrige Schicht, die
spektroskopisch die Streifen des Oxyhämoglobins gab;
Methämoglobin war nicht zu erkennen. Eiweißgehalt dieser
Flüssigkeit: dicker Niederschlag. Einen ebenso großen Teil nahm
die Unterschicht ein, bräunlichgelb, mikroskopisch hauptsächlich
aus polymorphkernigen Zellen bestehend, mit braunen Schollen
vermengt. Urobilin- und Urobilinogenreaktion negativ.
Auffallend war die vollkommene Geruchlosigkeit des
Blaseninhalts; auch nach mehreren Tagen zeigte sich noch kein
Fäulnisgeruch, wie man das bei Pyurie hätte erwarten müssen.
Dazu kam die ungewöhnliche Bakterienarmut im gefärbten und
Nativpräparat.
Ein besonderes Gepräge bot der Fall noch durch den eigen-
artigen Blutbefund. Der Blutstropfen hatte einen ungewöhn-
lichen dunkelbraunen Farbenton; beim Aufsaugen des Bluts
in den Melangeur traten mehrmals sehr rasch Gerinnsel auf,
sodaß die Mischung zur Zählung unbrauchbar war und schließlich
nur eine sehr rasche Manipulation ohne Gerinnselbildung abging.
Es bestand also auch eine ganz erhebliche Beschleunigung der
Blutgerinnung.
Die weitere Untersuchung ergab eine hochgradige Ver-
minderung und Veränderung der Erythrocyten und Hä-
moglobinverarmung. sowie eine ungewöhnlich hohe Leukocytose.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
33 en 1n GW Ts m aaa a aaa ao aa a a aaao
Reflexe: Pupillen maximal eng, reagieren gar nicht auf Licht;
Augenbewegungen prompt; Augenhintergrund normal (Dr. v. Herren-
1907
davon einen kleinen Teil verbraucht hatte, worauf die geschil-
darten schweren Vergiftungserscheinungen gefolgt waren. Wie viel
er davon verschluckt haben mochte, konnte nicht genau fest-
gestellt werden.
Die eigentlichen Biutgifte, die im Blute selbst angreifen,
wirken gerade dadurch, daß sie das Hämoglobin aus den Ery-
throcyten austreten lassen und zerstörend auf den Farbstoff be-
ziehungsweise auch auf die Zellen einwirken. Die Veränderung
der Blutfarbe, die rostbraune Färbung des austretenden Blut-
tropfens, ist in unserm Falle bedingt durch die Umwandlung des
Oxyhämoglobins im Methämoglobin, wodurch das Blut die Ab-
sorptionsfähigkeit für Sauerstoff einbüßt. Dieses Zeichen der Gift-
wirkung tritt schon sehr bald nach Einverleibung des Salzes auf,
im Experiment schon nach 1 Stunde 40 Minuten (Winogradow)
und kann verschiedene Grade zeigen.
Die Methämoglobinbildung ist spektroskopisch meist in den
ersten drei bis vier Tagen nachzuweisen. Ist das Methämoglobin
nur in geringer Menge gebildet, so kann die - spektro-
skopische Methode versagen (Winogradow, O. Huber),
auch bei letalem Ausgange können in der Leiche trotz der charak-
teristischen braunen Verfärbung der Organe im Blute die Absorp-
‚tionsstreifen des Methämoglobin fehlen (L. Rieß und Andere),
ebenso ist der Befund in dem bluthaltigen Urin wechselnd
(Lange).
Die Methämoglobinbildung an sich ist übrigens nicht allein
bestimmend für die Prognose; es kann trotzdem auch Genesung
eintreten (Kayser). Neben der Einwirkung auf den Blutfarbstoff
wurde wiederholt auffallende Steigerung der Gerinnungs-
fähigkeit gesehen (Winogradow,.Day) wie auch bei unserm
Kranken.
Gleichzeitig mit der mehr oder weniger stark ausgeprägten
Veränderung des Blutfarbstoffs geht einher die Trennung des
Hämoglobins vom Stroma der roten Blutkörperchen, das dann
in Form von rundlichen Kugeln, Körnchen und Klumpen teils
innerhalb der Erythrocyten (hämoglobinämischer Innenkörper
Ehrlichs), teils außerhalb derselben angetroffen wird (Rieß,
Hirschfeld, Lange, O. Huber), während der Rest der Blut-
körperchen vielfach unscharfe Konturen zeigt, Schrumpfung er-
kennen läßt und auch Zelltrüämmer gefunden werden. Bei chlorat-
vergifteten Kaninchen wurden die gleichen Veränderungen ge-
sehen (Rieß).
Auch in unserm Falle sind derartige Veränderungen be-
sonders bei der ersten Untersuchung am vierten Krankheitstage
ziemlich reichlich in der Art, daß ein Teil der Erythrocyten fast
den ganzen Farbstoff verloren hatte und davon nur eine ganz schwach
gefärbte Scheibe noch zu erkennen war. Da und dort waren auch
wie Trümmer von Erythrocyten aussehende Gebilde auf-
gefallen, wie angenagt, mit zackigem Rande.
Außerdem bestand eine besonders bei der ersten Unter-
suchung konstatierte, stark ausgeprägte Anisocytose, und zwar
hauptsächlich im Sinne einer Mikrocytose. Neben sehr großen,
zumeist normal, gelegentlich auch polychromatophil gefärbten Ery-
throeyten fanden sich in deutlich überwiegender Anzahl sehr
kleine rote, die, ganz verschieden von Zelltrümmern, eine
scharfe Begrenzung zeigen und reichlichen Hämoglobingehalt
aufweisen, degenerative Formen im Gefolge der Blutdissolution
(Friedstein). Immerhin muß betont werden, daß diese abnormen
Formen gegenüber denen von normaler Größe an Zahl erheblich
zurückstehen.
Bei der zweiten Zählung am sechsten Tage der Erkrankung sind
die Dostruktionszeichen der Erythrocyten deutlich in geringerer Zahl vor-
handen, aber noch stark ausgeprägt. Frühere Beohachter sahen schon
Morphologischer Blutbefund.
Große
HO-Gehalt Polymorph- Eosinophile
nach Rote Weiße nn Mononucleäre Kleine rung | Mast-
Datum Fleischl- Blut- _ Blut- Neutronkile und Ueber- | Lymphocyten ar Myelocyten | Promyelocyten myelocyten | "Gezählt
Miescher | körperchen| körperchen gangsformen
O/a | °% | absolut | % | absolut | %, | absolut | %. | absolut | %, | absolut %/, | absolut | %, | absolut
ER. A a SEE. A BEE a
3. Mai 1912 45 2 440 000 44 000 | 80 34 200 8 8520 | 58 | 2552 0,2 88 1,4 616 2,2 968 0,8 264 600 weiße”)
6, Mai 1912 33 2 920 000 31 000 83,8 25 978 6,4 1894 8,0 | 930 0 — 4,0 1240 1,6 496 0,6 186 500 weiße **)
*) Gleichzeitig wurden 33 kernhaltige Rote notiert; Polychromasie, ziemlich reichlich und stark ausgeprägte Anisocytose, besonders Mikrocyten mehr als Makrocy ten,
ganz blasse fürmliche Schatten mit schwachen HO-Resten. Zelltrümmer.
+*+) Gleichzeitig wurden 17 kernhaltige Rote notiert. Polychromasie etwas weniger reichlich. Anisocytose noch mehr im Sinne der Mikrocyten. Zelltrümmer
weniger reichlich.
Die genaue Nachforschung ergab nun, daß der Kranke unter
verschiedenen Medikamenten zu Hause eine Kaliumehlorieum-
lösung (6,0 : 200 Spir. vin. rect.) als Gurgelwasser erhalten und
nach dem dritten Tag eine wesentliche Abnahme der Zelltrimmer
(Hirschfeld, Lange).
Auch die Anisocytose ist etwas geringer, aber noch mehr zu-
vr 2
oo o.
;
Moi
a Ta, a U Ten T pa
1908
gunsten der Mikrocyten ausgesprochen. Die Hämoglobinvermin-
derung zeigt einen progressiven Charakter, während die Zahl der
Roten bei der zweiten Zählung sich etwas gehoben hat.
Die rasche Zunahme der Anämie drückt sich am deutlichsten
in der Abnahme des Färbeindex von 0,9 auf 0,5 aus. Dies
ist erklärlich, da ja die Erythrocyten den Hauptangriffspunkt für
die Giftwirkung darstellen.
Neben den Zerstörungserscheinungen treten in unserm Falle
schon bei der ersten Untersuchung ganz besonders reichliche Re-
generationszeichen in den Vordergrund. Kernhaltige Ery-
throcyten, teils vom Normoblastentypus, teils wesentlich größer,
vereinzelt sehr große Formen mit einfachem runden Kerne, mit
Radspeichenform und seltener mit Kleeblatt- und Rosettenform.
Ferner stark ausgesprochene Polychromasie, sowohl in den
kernhaltigen als kernlosen Formen. Die erwähnten großen kern-
haltigen Roten zeigen diesen Charakter sehr stark. Bei manchen
Zellen ist der Rand nicht scharf, sondern etwas gefaltet, manch-
mal wie ausgefranst. Die basophile Punktierung ist sowohl
in kernhaltigen als kernlosen Roten zu sehen, wenn auch viel
spärlicher als die Polychromasie. Nicht zu selten wird Poly-
chromasie und basophile Punktierung kombiniert gefunden, eine
Erscheinung, die auch sonst, z. B. bei Bleivergiftung (Naegeli),,
beschrieben ist.
Aus den zahlreichen klinischen und experimentellen Beob-
achtungen (Naegeli, Pappenheim, Schilling [Torgau],
Priedstein) ist eine einheitliche Deutung gegeben, daß diese
Veränderungen klinische Zeichen einer pathologischen Regeneration
sind bei verfrühter Inanspruchnahme und Reizung des Knochen-
marks sind. 4
- Bei der zweiten Zählung, am sechsten Tage, also kurze Zeit
vor dem Exitus, werden die kernhaltigen Roten weniger reichlich
gefunden, dafür tritt noch mehr die basophile Punktierung hervor.
Indessen sah Lange vom dritten Tag ab eine vorher lebhaft in
die Augen springende basophile Körnelung nach zwei Tagen all-
mählich gegen das Ende hin wieder abnehmen, ein Vorgang, der
regelmäßig ante mortem und bei Erschöpfung des Knochenmarks
einzutreten pflegt (Naegeli, Minich und Andere). Demnach
mußte in unserm Falle noch kurz vor dem Tod eine lebhafte,
wenn auch pathologische Tätigkeit des erythroblastischen Apparats
bestehen.
Als ein weiteres Zeichen lebhafter Tätigkeit des Knochen-
marks hat die stark ausgesprochene Leukocytose zu gelten, die
auch bei Einwirkung anderer specifischer Blutgifte (Nitrobenzol,
Pyrodin usw.) gefunden wird.
Die bisher bei Kaliumehloricum-Vergiftung gefundenen Zahlen
sind noch viel höher als bei unserm Kranken, z. B. 80 400 im
Falle von Jacob, 55000 in dem von Lange beobachteten, bei
dem eine allmähliche Verminderung bis auf 20 000 am siebenten
Krankheitstage kurz vor dem Tode konstatiert wurde.
Die Loeukoeytose zeigt regelmäßig, wie in unserm Falle,
polynucleären Charakter. Mastzellen haben wir ebenso wie
Lange nicht gefunden. Eine allgemeine Bedeutung gebührt der
hochgradigen Verminderung der kleinen Lymphocyten (Lympho-
eytensturz) und dem Verschwinden der Eosinophilen kurz vor
dem Tode. Dieser Befund, als Zeichen schwerer Schädigung des
Organismus, hat ein Analogon bei Infektionskrankheiten und Er-
krankungen des Bluts, beispielsweise bei der paroxysmalen Hämo-
globinurie im Anfalle (Meyer und Emmerich). Kine besondere
Gestaltung erhält das Leukocytenbild durch das Auftreten von
reichlichen, im peripheren Blut abnormen Knochenmarkselementen,
und zwar von typischen neutrophilen Myelocyten, Promyelo-
eyten und Mastmyelocyten; letztere erscheinen in meist wesent-
lich größerer Zellform als die übrigen Markzellen, oft mit einer
bis fünf Vakuolenbildungen und gut gefärbten basophilen Granulis
in schwach blau tingiertem Protoplasma. Sichere Hämoglobinreste
von verdauten Erythrocyten konnten in Vakuolen, wie das Hirsch-
feld fand, nicht gesehen werden, auch Lange sah nur am vierten
Beobachtungstag in einzelnen Leukocyten Trümmer roter Blut-
körperchen. Die eosinophilen Zellen erscheinen stark vermin-
dert und fehlen das zweite Mal ganz. Dagegen waren solche im
Knochenmarke sehr reichlich zu finden. Als seltener Befund
seien noch neutrophile Zellen erwähnt, die vermutlich jenen
Kugelkernzellen von Hirschfeld entsprechen, die er in einem
Falle von Kaliumchlorieum-Vergiftung zuerst gesehen hat. Diese
Zellen sind etwas kleiner als die gewöhnlichen Leukocyten mit
sehr feiner neutrophiler Granulabildung. Central oder excentrisch
liegen ein oder mehrere scharf konturierte, dunkel homogen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
' feld festgestellt.
94. November,
gefärbte Kerne, deren Form an die der Normoblasten
erinnert, nur sind sie mindestens um ein Drittel kleiner. Bei
Vorhandensein von zwei bis drei solcher Kerne sind keinerlei Ver-
bindungsbrücken zwischen ihnen zu sehen.
Solche Zellformen, die im gonorrhoischen Eiter bekannt sind,
wurden im peripheren Blut anscheinend bisher nur von Hirsch-
Der Befund von Blutplättchen entspricht unge-
fähr dem im normalen Blute.
Im gesamten Blutbilde sehen wir stark ausgeprägt die
Zeichen der Zerstörung am Blutfarbstoff und seinen Trägern, den
Erythrocyten, und daneben die lebhaft gesteigerten Erscheinungen
der Blutregeneration in dem Auftreten von unreifen Elementen in
Gestalt der kernhaltigen Roten, der Polychromasie und basophilen
Körnelung des Stromas. Die Reizung des leukoblastischen Ap-
parats kommt zum Ausdruck einerseits durch vermehrte Aus-
schwemmung normaler Elemente und solcher, die für das periphere
Blut pathologisch sind.
Volle Bestätigung erfuhr die klinische Diagnose der Kalium-
chloricum-Vergiftung durch das Ergebnis der Sektion (Obduzent:
Dr. R. v. Werdt). Ä
Hiervon seien die wichtigsten Punkte mitgeteilt:
An der Haut und den Skleren leichte ikterische Verfärbung. In
der Stirnhöhle und rechten Tonsille etwas Eiter.
Im Duodenum einzelne kleine Hämorrhagien; im Dünn- und Diek-
darme dunkelbrauner, dünnflüssiger Inhalt bei blasser Schleimhaut. Leber
vergrößert, Zeichnung und Konsistenz normal.
Histologisch: Stellenweise in der Umgebung der Vena centr.
geringe Vermehrung des Interstitiums. In den peripheren Partien der
Acini sehr reichlich eisenhaltiges Pigment, ebenso in den Kupfer-
schen Sternzellen. In den letzteren sowie in den Leberzellbalken und
Endothelien ziemlich reichlich feintröpfiges Fett.
Die Milz ist groß, von fester Konsistenz, mit reichlicher Pulpa,
kleinen Follikeln; in denselben pigmentführende Zellen. Die Pulpa
ist herdweise sehr zellarm und zwischen den noch erhaltenen Kernen
liegt eine feinkörnige, braunrote Masse, in der noch rote Blut-
körperchen zu erkennen sind. In der Umgebung solcher Herde liegen
reichlich sehr große Zellen, deren Protoplasmabild reichlich mit
braunem Pigment erfüllt ist. ,
Beide Nieren sind sehr groß, Kapsel gespannt, rechts an einigen
Stellen adhärent. Oberfläche recht leicht granuliert. Rinde braunrot,
Markkegel schwärzlich verfärbt. In den Nierenkelchen stecken über-
all Blutgerinnsel. Im linken Nierenbecken geronnenes Blut. Mikro-
skopisch findet sich an den Endothelien der Glomeruli etwas
braunes Pigment. Das Lumen der Tubuli ist erweitert und teilweise
ausgefüllt mit zusammengebackenen roten Blutkörp erchen oder fein-
körnigen braunen Massen. Auch die Epithelien der Tubuli enthalten
vielfach braunes Pigment. ER LN:
In den Tubuli contorti sind stellenweise die Epithelien mit reich-
lich feintröpfigem Fett erfüllt. En
Verstreut in den Nieren finden sich zahlreiche Herde mit dichten
Einlagerungen von polynucleären Leukocyten in das Interstitun.
Auch die Tubuli sind an solchen Stellen von Leukocyten ausgefüllt, die
zum Teil reichlich Fetttröpfehen enthalten.
In der Marksubstanz sind fast alle Tubuli von braunen Cylin-
dern ausgefüllt, die teils aus gut erhaltenen roten Blutkörperchen,
teils aus zusammengebackenen hämoglobinhaltigen körnigen
Massen und Leukocytenhaufen sich zusammensetzen. Die Untersuchung
der Knochen ergibt in den Wirbelkörpern und Rippen dunkelbraun
rotes Mark, in der Femurdiaphyse nur Spuren dieser Umwandlung
Die charakteristisch bräunliche Färbung des Bluts und samti
Organe waren so typisch, daß Herr Prof. Pommer beim ersten Anblic
die Diagnose Kaliumchloricum-Vergiftung stellte. EIN:
Epikrise: Die akute Schwellung der Leber und Milz pr
besonders die mächtige Vergrößerung der Nieren erklären í ,
heftigen Schmerzen im Abdomen und sind wohl der i
Grund derselben, da im Darmtraktus außer kleinen Hämorrbapn
im Duodenum keino Veränderungen gefunden wurden. a ie
sache dieser Schwellung finden wir bedingt durch die masser i
Ansammlung von Blutpigment und den Stromaresten der ur
gegangenen Erythrocyten. In der Niere werden dure 3 =
lagerung der Zerfallsprodukte des Bluts, besonders durch e
gewordene Hämoglobin die vorgefundenen Schädigungen 7 77)
gerufen (Ponfick, Marchand. Lebedeff, Kobert, h
Durch die Ausscheidung des Hämoglobins kommt © an
chanischer Läsion der Nierenepithelien in den gewundenen i
chen, zu entzündlichen Veränderungen, Eiweißausscheidung,
von Hämoglobin- und Epithelcylindern (Levy). _ un gpfige
Zum pathologischen Bilde gehört auch die ‚feintt une
Fettansammlung in der Leber und Niere, die in as
besonders reichlich die gewundenen Kanälchen betritt, er ;
stellenweise ganz mit fettbeladenen Zellen ausgefüllt n mi
artige Fetteinlagerungen und Fettembolien in Niere, Lebe
En;
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Ae po- za ee Y 4
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3 f
24. November.
Lunge sind von mehreren Beobachtern (Th. Romanow, Wino-
gradow, Lange) in verschiedenen Graden gesehen und be-
Die Herkunft des Fettes wurde aus dem
Knocherfmark angenommen, da in den in Betracht kommenden
Knochen ausgedehnte Umwandlung des gelben in rotes Mark ge-
funden wurde und weil ferner Th. Romanow berichtet, daß er in
den Embolis neben den Fetttropfen Riesenzellen gesehen hat,
Winogradow
konnte allerdings im Experiment diese Zellbefunde nicht bestätigen.
Fettembolien in der Lunge wurden in unserm Falle nicht ge-
schrieben worden.
die er als Knochenmarkselemente anspricht.
funden.
Die klinischen Erscheinungen finden insgesamt ihre Er-
Das akute Einsetzen zur
Zeit der Giftwirkung mit Angstgefühl, großer Unruhe, mit cyano-
Die Temperatur blieb normal.
Vom zweiten Tag an hatte sich Ikterus eingestellt mit deut-
licher Verfärbung der Haut und Skleren, der bis zum Tod in
gleicher Intensität anbielt. Die Ursache des Ikterus ist zu suchen
in der durch die schwere Blutveränderung bedingten Pleio-
chromie der Galle, durch die auch die intensive dunkelgrüne
klärung im Blut- und Sektionsbefunde.
tischer Verfärbung des Gesichts.
Färbung der Faeces erzeugt ist.
Die übrigen klinischen Symptome gehören dem Bilde der
akuten Urämie an; Benommenheit, Trockenheit der Zunge und des
Rachens, starkes Durstgefühl, die engen reaktionslosen Pupillen.
An der Haut bestand dauernd Hyperästhesie und zwar schnelle
Gänsehautbildung bei bloßem Abdecken einer Körperstelle, lebhafte
Abwehrbewegungen bei mäßigem Kneifen der Haut. Trotz der
mehrere Tage dauernden Anurie fehlt die Entwicklung eines deut-
lichen Oedems, wie von den meisten Beobachtern hervorgehoben
wird. Die starke Steigerung der Patellar- und Achilles-
reflexe, die zahlreichen Kratzeffekte finden auch dadurch
ihre Erklärung. Es ist auffällig, daß wiederholt bei dieser Ver-
giftung vollkommenes Fehlen der Patellarreflexe konstatiert
wurde (Lange, Jacob), trotzdem daß auch dort akute Urämie
Nach
einer Zusammenstellung Affanassiew kamen unter 50 Fällen nur
bestanden hat.
Der größte Teil dieser Vergiftungen endet letal.
sechs zur Heilung. |
Der ungünstige Ausgang hängt nicht von der Höhe der
Dosis ab. Schon im Tierexperiment wurden auffallende Unter-
schiede gefunden; so beträgt nach Winogradow die letale Dosis
für Katzen 1,0 g pro Kilogramm, für Kaninchen dagegen 10 g.
Stokvis fand für Kaninchen die letale Dosis 2,0 bis 2,5 g pro
Kilogramm und Marchand für Fleischfresser 1,2 g pro Kilo-
gramm. Auch beim Menschen sind sehr große Unterschiede in
der Giftempfindlichkeit beobachtet. H. Albrecht berichtet über
einen dreijährigen Knaben, der im Verlauf einer Rubeolaerkrankung
nach Einnahme von 2 g im Verlaufe von zwei Tagen tödlich er-
krankt war, und Schopf erwähnt einen Mediziner, der wegen
Diphtherieerkrankung mit 20/yiger Kalium chloricum-Lösung ge-
gurgelt hatte, bald darauf unter schweren Symptomen erkrankte
und innerhalb 24 Stunden starb. Dagegen hatte Widerhofer
niemals üble Folgen gesehen, und von anderer Seite wird be-
richtet, daß 15 g (Grünfeld) und 23 g (Bernheim) ohne Schaden
genommen wurden.
Nach den Untersuchungen von v. Mering wirken Gaben,
die für Gesunde vollkommen indifferent sind, dann auf den Or-
ganismus besonders giftig, wenn Fieber, Dyspnöe und über- ;
haupt solche Krankheitsprozesse bestehen, die die Alkalescenz
des Bluts herabsetzen und bei denen die Kohlensäurespannung
erhöht ist.
Außerdem bestehen gewiß auch individuelle Verschieden-
heiten, sodaß im gegebenen Falle bei bestehender Disposition die
Einverleibung minimaler Dosen zu tödlicher Vergiftung führen
kann, während von einem andern, wie oben ausgeführt, enorme
Dosen keine Gesundheitsstörung bedingen.
In unserm Falle dürfte die vorausgegangene Tonsillitis suppu-
rativa und die Stirnhöhleneiterung als Moment der Schädigung
des Organismus anzuschuldigen sein. Da wir aber die.Bedingungen
der gesteigerten Giftwirkung meist nicht kennen, ist die An-
wendung um so mehr riskiert. Unser Fall ist wie so viele ähnliche
eine dringende Mahnung, das Kalium chloricum aus der Phar-
makopöe zu eliminieren.
‚ Literatur: K. Brandenburg (Berl. kl. Woch. 1895, Nr. 27). —
H. Hirschfeld (Demonstr. im Verein f. inn. Mediz. in Berlin, 17. Juni 1907).
— F. Lange, Ueber einige Blutbefunde bei Kalium chloricum-Vergiftung. (Med.
Kl. 1909, Nr. 51.) — Mathes N eal des Kongresses f. inn.' Mediz. 1910).
— Basil Winogradow, Zur Frage der Kalium-chloricum-Vergiftung, klinische
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
1909
und experimentelle Untersuchungen. (Virchows A. 1907, Bd. 190.) — Mar-
chand, Ueber Intoxikation mit chlorsauren Salzen. (Virchows A. 1879, Bd. 77.)
— Th. Romanow zit. nach Winogradow. — Affanassiow zit. nach Wino-
gredow. — H. Albrecht (Demonstration in d. Sitzung d. K. k. Gesellsch. d.
Aerzte; Wr. kl. Woch. 1905, S. 1284) — Schopf (Ibidem) — Grünfeld
(Ibidem). — N aopo (Blutkrankheiten, II. Aufl.). — Rieß, Ueber Vergiftung
mit chlorsaurem Kalium. (A. f. exp. Path. u. Pharm. 1908, Suppl.-Bd.) —
P. Jacob, Ueber einen tödlichen Fall von Kalium chloricum-Vergiftung. (Berl.
kl: Woch. 1897, Nr. 27.) — Lebedeff, Zur Kenntnis der feineren Veränderungen
der Nieren bei Hämoglobinausscheidung. (Virchows A. Bd. 91, S. 267.) —
Minich (Ref. F. Haem. 1904). — Lévy, Untersuchungen über die Nieren-
veränderungen bei experimenteller Hämoglobinurie. (D. A. f. kl. Med. Bd. 81.)
— Paul Kayser, Ueber Vergiftung durch chlorsaures Kalium vom gerichts-
ärztlichen Standpunkte. (Friedreichs Blätter für gerichtl. Medizin 1908.) —
Bernheim zit. nach Kayser. — 0. Huber, Ueber die Blutveränderungen
bei Vergiftung mit Kalium chloricum. (D. med. Wöch. 1912, Nr. 41.) —
E. Meyer und Emmerich, Die paroxysmale Hämoglobinurie. (D. A. f. kl.
Med. Bd. 96.) — Naegeli, Blutkrankheiten. — Pappenheim (F. Haem.). —
Be Torgau) (F. Haem. Bd. 11, S. íi) — Friedstein (Ibidem
. 12, S. 1).
Eine einfache Methode der Bekämpfung der
Fettleibigkeit
von
Dr. Adolf Galisch, Bad Rothenfelde.
Nachdem man den schädigenden Einfluß der auf Zuführung
von Medikamenten beruhenden Abmagerungskuren auf den Or-
ganismus erkannt hatte, ist man zur Bekämpfung der Fettleibig-
keit durch Diätvorschriften zurückgekehrt, wobei sich gegenwärtig
die sogenannten Milchkuren einer besonderen Beliebtheit erfreuen.
Da diese Milchkuren einfache Hungerkuren mit teilweiser Unter-
drückung des Hungergefühls durch geringe Milchzufuhr sind, so
ist es selbstverständlich, daß hierbei den Organismus die be-
kannten Schädigungen treffen, die wir bei der Unterernährung
auch sonst finden. Es stellt sich außer akuten Schwächezuständen
Nervosität ein, und vornehmlich wird auch das Herz betroffen.
Der Einfluß solcher Kuren auf das Nervensystem und das Herz
ist um so bedenklicher, als man diese Schädigungen noch lange
Zeit nach Beendigung der Kur bestehen sieht, ja es gibt Fälle,
wo dauernde Störungen der Gesundheit bedingt werden.
Der Wunsch, magerer zu werden, wird dem Arzt immer
wieder von Patienten und besonders von Patientinnen ausgesprochen,
und so ist die Beobachtung sicher von Interesse, daß es stets ge-
lingt, eine Abnahme des Körpergewichts durch eine bestimmte
zeitliche Anordnung der Mahlzeiten herbeizuführen.
Wenn man für notwendig hält, den zu Fettansatz neigenden
Personen nach Tisch einen Mittagsschlummer zu verbieten, darf
man auch annehmen, daß während der langen Nachtruhe die in
den letzten Stunden des Aufseins eingenommenen Speisen in ganz
besonderer Weise vom Körper zu Fettansatz ausgenutzt werden.
Aus diesem Grund, und weil ich so oft hörte, daß Fettleibige
gerade die Abendmahlzeit besonders bevorzugten, habe ich den
Versuch gemacht, die Fettleibigkeit durch strenge Einschränkung
der Abendmahlzeit zu bekämpfen und habe in allen Fällen einen
vollen Erfolg gehabt, ohne daß je auch nur die geringsten Be-
schwerden von seiten des Herzens oder des Nervensystems auf-
getreten sind.
Ich gebe folgende Vorschrift: Frühmorgens Tee mit Weiß-
brot und Butter, um 10 Uhr ein Ei mit kleinem Butterbrot, falls
Patient ohne solches zweites Frühstück starkes Hungergefühl hat.
Um 1 Uhr Fleisch mit Gemüse, mäßig Sauce und Kartoffeln,
Salat und Kompott. Nachmittags Kaffee mit wenig Zwieback
oder Weißbrot mit etwas Butter. Abends eine kleine Scheibe
Brot mit Butter und etwas Belag. Bier respektive Wein sind in
bescheidener Menge gestattet. Beim ersten Frühstück und Mittag-
essen darf die Quantität der Speisen so groß sein, daß der Patient
richtig gesättigt, nicht hungrig den Tisch verläßt. Während der
ersten zwei bis drei Tage stellt sich abends starkes Hungergefühl
ein, welches dann aber schwindet, da zum ersten Frühstück und
Mittagessen bald mehr genossen wird. Eine Gewichtszunahme
durch diese Mehrzufuhr wird durch Bewegung und Arbeit im
Lauf des Nachmittags verhindert. Die Gewichtsabnahme ist allein
darauf zurückzuführen, daß während der Nachtruhe der Körper
weniger Material zur Ausnutzung hat.
Bei Durchführung meiner Vorschriften nehmen alle Patienten
pro Woche ein bis zwei Pfund ab; ich habe auf diese Weise Ab-
nahmen bis zu 25 Pfund im Vierteljahr erzielt. Ist das Normal-
gewicht erreicht, dann darf die Abendmahlzeit vorsichtig unter
regelmäßiger Gewichtskontrolle etwas reichlicher bemessen werden;
während der Kurdauer hat sich Patient so an ein mäßiges Essen
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1910 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. #1. 24. November,
Zeit gelegentlich Vergiftungserscheinungen auftreten, die auf eine
Kumulativwirkung zurückzuführen sind.
Seit der Entdeckung des Syphiliserregers und der Ueber-
tragungsmöglichkeit der Syphilis auf Tiere betrachtet man diese
Krankheit viel zu sehr vom bakteriologischen Standpunkt aus:
Man überträgt die Ergebnisse des Tjierversuchs auf den Menschen
und berücksichtigt zu wenig die jahrhundertelangen klinischen
Erfahrungen, die ergeben, daß wir es bei der Syphilis mit einer
eminent chronischen Krankheit zu tun haben, bei der jeder Ver-
such, durch noch so große Dosen von Quecksilber auf einmal
eine Heilung zu erzielen, fehlgeschlagen hat.
Die Erkenntnis dieses Charakters der Syphilis hätte auch das
Entsprechende lehren müssen für ihre Behandlung mit Salvarsan.
Aber in dem Bestreben, die Spirochäten möglichst auf ein-
mal abzutöten, oder auch um die alleinige Wirkung des Salvar-
sans zu erproben, hat man die Menschen mit Salvarsan vergiftet,
Man hat sich lediglich auf die Beobachtung verlassen, daß in einer
Reihe von Fällen eine gewisse Anzahl von Menschen eine gewisse
Menge Salvarsan ohne Schädigung vertragen hat und hat die ver-
schiedene Konstitution verschiedener Individuen nicht immer ge-
bührend berücksichtigt.
Richtig angewandt ist Salvarsan meines Erachtens ein ganz
vorzügliches Antisyphiliticum und dabei nicht gefährlicher als
Quecksilber oder irgendein anderes stark wirkendes Medikament,
Bei mehr als 500 intravenösen Infusionen von Salvarsan
habe ich in keinem einzigen Fall eine ernstlichere andauernde
Schädigung erlebt, obgleich es sich bei meinem Material um ein
Großstadtpublikum handelt, das großenteils hochgradig nervös,
körperlich und geistig überanstrengt in aufregendem "Lebenskampfe
steht und ohne Berufsstörung ambulant behandelt wird.
Allerdings habe ich nie größere Dosen als 0,6 Salvarsan
(von Neosalvarsan 0,75) und diese nur bei sonst ganz gesunden,
kräftigen jungen Männern angewandt, sonst nur mittlere Dosen
von 0,3 bis 0,4 und bei schwächlichen, besonders nervösen oder
herzkranken noch geringere Dosen gegeben. Eine Wiederholung
wurde nie vor fünf Tagen gemacht und die Dosis nur gesteigert,
wenn die vorige Injektion reaktionslos verlaufen war. Die Infun
dierten, die nicht in einer Krankenanstalt untergebracht sind,
lasse ich mindestens vier bis fünf Stunden bei mir liegen; auf
jeden Fall müssen sie 24 Stunden zu Bette bleiben. Dieses Opfer
bringen die Patienten gern, wenn nur die weitere Behandlung Sie
nicht ihrem Beruf entzieht. l
Früher vor Ausschaltung des Wasserfehlers beobachtete ich
noch in einer großen Anzahl von Fällen hohe Temperaturstelg®
rungen mit Schüttelfrost, Magendarmstörungen und allen mog
lichen andern oft recht bedroblich aussehenden Störungen. ach
Verwendung von nur frisch destilliertem und von mir selbst steri-
lisiertem Wasser gehören solche Erscheinungen ZU den größten
Seltenheiten. Seitdem ich Neosalvarsan (in zirka 50 Fällen) vor
wende, habe ich nur in einem einzigen Fall eine Temperatur
steigerung von 38,1 beobachtet und von subjektiven Beschwerden
außer von leichter Uebelkeit nichts mehr gehört. Bei frischen
Sekundärfällen, bei denen in der Regel nach der Salvarsaneinver
leibung Fieber auftritt, behandle ich stets mit Quecksilber Th
wodurch dieses Resorptionsfeber verhindert wird. sa cait
Von den so gefürchteten Neurorezidiven beobachtete ich sel
Freigabe des Salvarsans fünf Fälle, und zwar war in allen ie
Acustieus betroffen, einmal kompliziert mit schwerer Neuriti
optica. Dieser Fall war wegen vollkommener Idiosynkrasie gegen
Quecksilber nur mit zwei Injektionen von Salvarsan d Us `”
handelt worden; auf weitere intensive Salvarsanbehandlung ginga
alle Erscheinungen ohne Schädigung zurück. Von den nn
vier Fällen waren drei Neurorezidive nach kombinierter N
silbersalvarsanbehandlung aufgetreten, gingen aber durch weie i
energische specifische Behandlung in Heilung über. Der vio
Fall, bei dem es sich nach otiatrischem Urteil um orbe
am Abend gewöhnt, daß es ein leichtes ist, etwaige Zunahme SO0-
fort durch Rückkehr zur strengen Abenddiät ohne Entbehrungs-
gefühl einzuschränken. Der einmal erzielte Erfolg läßt sich auf
diese Weise dauernd erhalten, während wir bei Brunnen- und
andern Abmagerungskuren nach Beendigung der Kur meist sehen,
daß das Gewicht gar zu bald zur alten Höhe ansteigt.
Ein Fall von Schweinerotlauf beim Menschen
behandelt mit Rotlaufserum
von
Dr. med. Julius Vob, Leopoldshöhe.
Am 5. August 1912 infizierte sich der Tierarzt H. R. in
Leopoldshöhe bei der Impfung von Schweinen mit Rotlaufkultur
selbst mit der Injektionsspritze am Mittelfinger der rechten Hand,
ohne zunächst die geringe Verletzung zu beachten. Am andern
und dem folgenden Tagen stellten sich an der Stelle und Umge-
bung kleine Bläschen mit starker Rötung und Schwellung der
Haut ein, die immer mehr um sich griff und am 10. August den
halben Handrücken und die I. Phalangen der Finger der rechten
Hand überzogen hatte Es bestand ein heftiger, brennender,
stechender Schmerz und Spannungsgefühl, äbnlich als wenn man
sich mit kochendem Wasser verbrannt hat.
Eine äußere Behandlung mit Burow, Sublimatumschlägen
und Salben war erfolglos’ geblieben.
Am 10. August entschloß ich mich auf Grund eines Berichts
des Prof. Dr. Gustav Günther!) in Wien zur Injektion von
Rotlaufserum, und zwar nach Angabe für je 10 kg Körpergewicht
9 ccm Serum, im vorliegenden Falle 14 cem, von welchen aller-
dings 2 ccm bei der Injektion verloren gingen. — 7 ccm rechter
Arm, 5 cem linker Arm. — Der Erfolg war gut; schon am andern
Tage waren die vorher erheblichen Schmerzen und Schwellung
der Haut verschwunden, eine weitere Ausbreitung hatte aufge-
hört; am 15. August war die Hand wieder normal, nur zeigte
sich an der Infektionsstelle geringe Epithelabschuppung. Das All-
gemeinbefinden des Patienten war nach der Impfung durchweg
vorzüglich, die Injektionsstellen vollkommen reizlos. Fieber hat
nicht bestanden. Vorliegender Fall zeigt, daß bei den durch
Günther empfohlenen Dosen ein Erfolg nicht ausbleibt.
Erfahrungen über Salvarsan in der Praxis
von
Dr. von Stokar, München.
Gegenüber zahlreichen Veröffentlichungen aus Kliniken und
Krankenhäusern über die Behandlung der Syphilis mit Salvarsan
liegen nur äußerst wenige Berichte von Praktikern über ihre
eignen Erfahrungen mit diesem neuen Mittel vor.
Der Grund hierfür dürfte wohl hauptsächlich darin liegen
daß Salvarsan in der allgemeinen Praxis sehr wenig gebraucht
wird, und zwar deshalb, weil die Anwendung gewisse Schwierig-
keiten macht, ferner weil die publizierten Urteile über den Wert
des Salvarsans noch ungeheuer auseinandergehen und fortdauernd
über schwere Schädigungen berichtet wird, ja selbst über Todes-
fälle, die sich nach Einverleibung des Salvarsans ereignet haben.
u Kein Wunder, daß der Praktiker ein solches Mittel mit sehr
kritischen Augen betrachtet und aus Furcht vor der schweren
Verantwortlichkeit lieber auf seine Anwendung verzichtet.
Wer nun aber auf Grund eigner und zahlreicher Beob-
achtungen diese Berichte vorurteilsfrei sichtet, muß zur Ueber-
zeugung kommen, daß diese Schädlichkeiten nicht dem Sal-
varsan als solchem zuzuschreiben sind, sondern wenn man vom
ee a re Technik absieht, der zu großen
inzeldosis, oder der kumulativen Wirkung in zu ge- | intrakranielle Erkrankung des Acusticus handelte, war
u re ee Mengen oder der Nicht- | überhaupt nicht behandelt worden. Auch bei diesem
an sung en ve raindikationen der Anwendung. | kombinierter Quecksilbersalvarsanbehandlung Heilung ein. pilis:
a A m sic erlegt, daß schon in einer kleinen Dosis Seitdem ich neben Quecksilber auch Salvarsan in der SYP en
arsan das Mehrfache der Maximaldosis von Arsen in den | therapie anwende, sehe ich im Vergleich zur früheren alemi
Körper eingeführt wird, so ist es nicht erstaunlich, daß die Ei i
: } f ; die Ein- | Quecksilberbehandlun n fallend bessere Erfolge.
N on 5 und 6 g des Mittels innerhalb einiger Tage die Abgesehen a daß jetzt auch diejenigen Fälle geheilt
schwersten Intoxikationserscheinungen hervorrufen kann. Wir | werden können, welche sich gegen Quecksilber vollkomme, di
a
wissen aus Erfahrung, daß schon bei minimalen Dosen von Ar j i i i
E f , 2 sen, | fraktär verhalten oder bei denen eine bestehende Idiosyl
wie wir sie bei der Fowlerschen Lösung anwenden, nach einiger | Behandlung mit Quecksilber verbietet, gehen auch nach g i
' Erfahrungen die syphilitischen Erscheinungen, gl
) Berl. Tierärztl. Woch., 1. Aug. 1912. ‚ "welchen: Stadium. 2 der Regel a schneller zurück alb
24. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47, 1911
nach Quecksilber, manchmal geradezu mit zauberhafter Schnellig-
Quecksilber und Jod ohne Erfolg behandelt wurden. Die nach
früherer alleiniger Quecksilberbehandlung so häufig rezidivierenden
Schleimhautaffektionen sehe ich jetzt nur mehr äußerst selten.
Treten sie auf, so werden sie fast immer durch eine einzige Sal-
varsaninjektion zum Schwinden gebracht. |
. =
Gerade in der überraschend schnellen Heilung der anstecken- |
den syphilitischen Erscheinungen durch Salvarsan liegt meines Er-
achtens der Hauptwert des neuen Mittels. Es sollte deshalb
gerade von den Praktikern, deren Patienten ja nicht interniert
sind, angewandt werden in allen Fällen, wo ansteckende Erschei-
nungen vorhanden sind. u
Da ich als Dermatologe hauptsächlich frische. Fälle oder
ältere mit äußeren Erscheinungen sehe, wobei ich gerade bei
maligner und destruktiver Lues die günstigsten Resultate erzielte,
habe ich über den Erfolg des Salvarsans bei.inneren und nervösen
sypbilitischen Erkrankungen keine genügenden persönlichen Er-
fahrungen. Ich habe zwar an einer großen Anzahl solcher Kranker,
die mir von praktischen Aerzten zu diesem Zweck geschickt
wurden, die intravenöse Salvarsaninfusion gemacht; aber in der
Folge sehe und höre ich in der Regel von den betreffenden Pa-
tienten leider nichts mehr. Jedenfalls aber ist mir auch in diesen
Fällen, unter denen sich schwere Herz- und Nervenerkrankungen
befanden, von einer wesentlichen Schädigung nichts bekannt ge-
worden.
Außer bei Syphilis habe ich in einzelnen Fällen von Psoriasis
und Malaria ganz ausgezeichneten Erfolg nach Salvarsanbehand-
lung gesehen. |
Durch die allerdings erstaunlichen Erfolge, die bei einer un-
endlich großen Anzahl der schwersten Syphilisfälle nach einer ein-
maligen Einspritzung von Salvarsan beobachtet und nicht nur in
Fachzeitschriften, sondern auch in Tagesblättern veröffentlicht
wurden, hat in den weitesten Kreisen die Meinung Platz gegrifien,
daß nunmehr die Syphilis auch durch eine einzige Salvarsan-
injektion dauernd und vollkommen geheilt werde. Leider wird
diese Ansicht auch von einer Anzahl von Aerzten geteilt. Diese
Meinung ist eine vollkommen irrige.
Durch eine einzige Salvarsaninjektion wird die Syphilis
ebensowenig geheilt wie durch eine einzige Quecksilberinjektion.
Es ist heute Pflicht der Aerzte, jeden Syphilitiker darüber zu
belehren, daß die Syphilis eine chronische Krankheit ist, die auch
chronisch behandelt werden muß. Auch die eminente symptoma-
tische Heilkraft des Salvarsans kann uns nicht veranlassen, von
der bewährten chronisch-intermittierenden Behandlungsmethode
abzugehen.
Es ist natürlich möglich, daß, wenn man mit Salvarsan allein
Chronisch behandelt, die Syphilis geheilt werden kann; aber das
muß erst bewiesen werden.
Es ist aber für den Endeffekt doch sicherlich besser, wenn
man die Syphilis mit zwei wirksamen Waffen bekämpft, indem
man Quecksilber mit Salvarsan kombiniert. Außerdem wird da-
durch, daß man neben jeder mehrwöchigen (Quecksilberappli-
kation noch einige Salvarsaninjektionen gibt, die Syphilis viel
energischer bekämpft als früher, und so werden wohl auch die
Dauererfolge bessere werden.
Der Beweis dafür wird allerdings erst nach Jahrzehnten ge-
liefert werden durch einwandfreie Konstatierung einer wesentlichen
Abnahme der syphilitischen Späterkrankungen.
Dem Praktiker, dem vor allem daran gelegen sein muß,
seine Kranken möglichst rasch von ihren Krankheitserscheinungen
zu befreien, ist in Salvarsan ein unschätzbares Mittel in die Hand
gegeben und es ist im höchsten Grade zu bedauern, daß es noch
immer nicht die verdiente allgemeine Würdigung gefunden hat.
Der gewissenhafte Arzt wird die Verpflichtung, alle Fort-
schritte der Wissenschaft seinen Kranken zugute kommen zu
lassen, ebensowenig von sich weisen können und wollen, wie der
Patient auf das Recht verzichten wird, dieses von seinem Arzte
zu verlangen.
Aleudrin, ein neues Hypnoticum und Sedativum
von
Dr. med. Gutowitz, Leipzig.
In unserm Arzneischatze besitzen wir eine ganze Anzahl
Schlaf- und Beruhigungsmittel. Dennoch ist das Neuerscheinen
von guten Präparaten erwünscht, sind doch die Formen nervöser '
i . Uebererregung und vor allem der Schlaflosigkeit so mannigfache,
keit, besonders bei alten Fällen, die jahrelang andauernd mit |;
die: Eigenart der Fälle, der Charakter der Schlaflosigkeit so ver-
schieden, daß sich auch, besonders dann, wenn lange Zeit hin-
durch Schlaflosigkeit medikamentös bekämpft werden muß, oft die
dringende Notwendigkeit des Wechsels der Mittel ergibt. Man
muß von einem brauchbaren Schlafmittel verlangen, daß es un-
schädlich und seine Wirkung schnell und sicher ist. Ferner darf
keine zu rasche Gewöhnung an das Mittel eintreten und dieses
auch bei längerer Anwendung weder eine Verminderung seiner
Wirkung noch kumulative Eigenschaften zeigen. Es ist selbst-
verständlich, daß nur eine über lange Zeit ausgedehnte und an
einem großen Material vorgenommene Prüfung ein abschließendes
Urteil über die Brauchbarkeit eines Mittels zuläßt. Nichtsdesto-
weniger halte ich mich doch für berechtigt, meine Erfahrung mit
einem Präparat mitzuteilen, das allen Anforderungen nach den von
mir gemachten Beobachtungen gerecht zu werden scheint.
Aleudrin ist der chemischen Konstitution nach der Carbaminsäure-
ester des a-a-Dichlorisopropylalkohols, nach den Angaben von Dr. Maaß
(Berlin) das erste Schlafmittel, das von einer zweifach gechlorten Ver-
bindung hergeleitet wird, in der außerdem die Chloratome an verschie-
denen Koblestoffatomen sitzen. Alendrin ist eine weiße, geruchlose, schön
krystallisierende Substanz. Schmelzpunkt bei 82%. Es ist in Wasser
schwer löslich, leicht löslich in Alkohol, Aether, Glycerin und fetten
Oelen. Aus den physiologischen Eigenschaften sei nur kurz hervor-
gehoben, daß bei allen Tierversuchen der Spielraum zwischen wirksamer
und tödlicher Dosis ein bedeutender ist. Bei Fröschen z. B. beträgt die
tödliche Dosis mehr als das Vierzehnfache der schlafmachenden und als
das Vierfache der anästhesierenden. Letztere Eigenschaft, die der An-
ästhesierung, tritt besonders eklatant bei Versuchen an Hunden hervor.
Es erhielten eine große Anzahl Hunde 0,3 bis 0,35 g Aleudrin als Vor-
bereitung zu Operationen (Laparotomien usw.), die dann in reiner
Aleudrinnarkose oder unter Zugabe von wenigen Tropfen Aether schmerz-
los ausgeführt werden konnten. Die Tiere verbrachten dann noch den
Operationstag in tiefem Schlafe, was den Heilverlauf infolge der dadurch
bedingten Ruhe äußerst günstig beeinflußte. Aus der Wirkung des
Aleudrins auf die Körperfunktionen ist zu erwähnen, daß das Aleudrin
im Gegensatz zu Chloralhydrat und Veronal eiae außerordentlich geringe
Wirkung auf die Temperaturregulierung zeigt. Auch die Circulations-
organe werden durch das Aleudrin in denkbar geringstem Grad affiziert.
Weitere pharmakologische Daten wären in der Arbeit von Dr. Th. A. Maa ĵ
nachzulesen !).
Aleudrin wird in Form von Tabletten zu 0,5 g in den
Handel gebracht. Es schmeckt leicht bitterlich und wurde von
allen Patienten gern genommen. Gewöhnlich genügen bei leichten
Erregungszuständen schon 0,5 g, um deutliche Beruhigung herbei-
zuführen. Bei Schlaflosigkeit leichten und mittleren Grades er-
zielen 1,0 g einen sechs- bis achtstündigen Schlaf, der nach 20
bis 30 Minuten einzutreten pflegt. Bei Fällen hochgradiger Schlaf-
losigkeit, auch solche, die durch körperliche Schmerzen be-
dingt ist, kann ohne jede Gefahr bis zu 2 g verabreicht werden.
Diese Dosis genügt in den meisten Fällen, um Schmerzlinderung
und Schlaf zu erzeugen. Maaß erwähnt, was ich bestätigt fand,
daß nach Anwendung der hohen Dosis von 3 g in einem Falle
von Schlaflosigkeit infolge nervöser Depression ein achtstündiger
ruhiger Schlaf eintrat. Es wurden danach keinerlei Neben- oder
Nachwirkungen beobachtet, womit die vollständige Unschädlichkeit
und Ungiftigkeit des Aleudrins wohl zur Genüge erwiesen ist.
Von den Fällen, in denen ich mit Aleudrin gute Erfolge er-
zielte, seien hier einige angeführt.
Frau K., 66 Jahre, gut genährte, blühend aussehende Frau, hat
‚ ein Vierteljahr vor Eintritt in meine Behandlung einen apoplektischen
Insult erlitten. Die Lähmungserscheinungen rechtsseitig haben sich fast
vollkommen zurückgebildet. Geblieben ist eine starke Sprachstörung, die
sich mit dem Symptomenkomplex der motorischen Aphasie annähernd
deckt. Nahrungsaufnahme ist genügend, Harn- und Stuhlentleerung ohne
Störung. Im Vordergrunde des ganzen Krankbeitsbildes steht eine leb-
hafte Unruhe, die sich in Bewegungsdrang, Grimassieren, großer Leabilität
der Stimmung, gänzlich unmotiviertem lauten Aufweinen usw., besonders
am Tage, äußert. Ferner besteht anhaltende Schlaflosigkeit, die den An-
gehörigen die ohnehin sehr schwere Pflege besonders schwierig macht.
In diesem Falle führte Aleudrin, 1 g abends gegeben, ruhigen Schlaf
herbei. Die am Tage bestehende oft recht heftige Unruhe ließ bedeutend
nach, wenn die Patientin am Vormittag noch eine Tablette à 0,5 g be-
kam. Trotz der relativ großen Mengen Aleudrin, die Patientin während
der mehrwöchigen Beobachtungszeit konsumiert hat, ist weder von einer
kumulativen noch abgeschwächten Wirkung des Mittels etwas zu be-
merken gewesen. Erwähnen möchte ich noch, daß ich, um möglichst
schnelle und intensive Wirkung zu erzielen, wie es bei andern Schlaf-
| mitteln auch geschieht, nach dem Einnehmen eine größere Menge warmer
Flüssigkeit trinken lasse.
1) D. med. Woch. 1912, Nr. 27; Biochem. Zt., Bd. 43, H. 1/2.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
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Charlotte P., 13 Jahre, lang aufgeschossenes, blutarmes Kind. .
Leidet seit Jahren an Chorea minor. Nach längerer Pause trat wieder
eine Verschlimmerung ein. Die Zuckungen sind fast dauernd vorhanden,
os trat kein Ermüdungsgefühl ein. Der Schlaf insbesondere fehlte ganz.
Wegen der zunehmenden Unruhe war die Nahrungsaufnahme erschwert
Schlaf. Dieser trat aber dann nach Gabe von 1 g ein. Diese Medikation
wird acht Tage fortgesetzt, wobei zu beobachten war, daß sich die be-
ruhigende Wirkung des Aleudrins auch auf den nächstfolgenden Tag mit
erstreckte, da auch tagsüber die Unruhe bedeutend nachließ. Nach acht
Tagen konnte mit dem Mittel ausgesetzt werden, da die Zuckungen keine
nennenswerten mehr waren. Es ist also in diesem Fall eine bemerkens-
werte Verkürzung der Krankheitsdauer durch das Aleudrin mit erzielt
worden.
Richard T., Schmied, 45 Jahre, sehr kräftiger, hünenhafter Mann,
leidet seit sieben Monaten an sehr schmerzhafter rechtsseitiger Ischias.
Mehrmonatlicher Aufenthalt in einem Moorbade konnte die Beschwerden
nur vorübergehend bessern. Die Schmerzen sind am schlimmsten nachts
und beim Liegen auf der kranken Seite, sodaß der Schlaf aufs Empfind-
lichste beeinträchtigt ist. Patient war sehr niedergeschlagen und direkt
lebensüberdrüssig, zumal da medikamentöse und physikalische Heilfaktoren
keinen nennenswerten Erfolg aufzuweisen hatten. Ich wandte Aleudrin
an, zunächst 1 g, diese Dosis brachte ‚keine merkliche Aenderung des
Zustandes. Es trat kein Schlaf auf, jedoch will Patient bemerkt haben,
daß die Schmerzen erträglicher waren. Ich ging nun mit Rücksicht auf
die Konstitution des Patienten gleich zur Gabe von 3 g über und erzielte
einen vollen Erfolg und zwar, was bei dieser hohen Dosis besonders zu
bemerken ist, ohne jede üble Nachwirkung am nächsten Tag. In der
Folge gab ich dann 2 g. Patient ist ganz glücklich mit dem Mittel, be-
sonders da frühere Behandlung mit Veronal bei ihm nur ganz kurze und
rasch vorübergehende Erleichterung gebracht hatte. Es scheint, als ob
in diesem Falle das Aleudrin auch seine starken analgetischen Eigen-
schaften erwiesen hätte,
Frau B., 55 Jahre, erst seit einigen Tagen in meiner Behandlung.
Wegen schweren Ikterus seit fünf Wochen bettlägerig. Patientin gibt
an, außer einer Rippenfellentzündung keine schweren Krankheiten durch-
gemacht zu haben. Vor fünf Wochen entwickelte sich ohne besondere
Ursache (Patientin nimmt Erkältung an) die Gelbsucht, die trotz Be-
handlung immer mehr zunahm und jetzt einen so hohen Grad erreicht
hat, daß ich auf Grund hier nicht näher zu erörternder, differential-
diagnostischer Momente zu der Annahme neige, daß es sich um ein pri-
märes Carcinom eines der großen Gallengänge handelt. Patientin be-
findet sich in kachektischem Zustande, Leber nicht vergrößert, Färbung
der Sklera intensiv gelb, der Haut- und Schleimhäute braungelb, Zunge
belegt, trocken und rissig, Stühle farblos, Harn braun. Es erscheinen
auf der Haut grünliche, ungleichmäßige Flecken, also offenbar ein Zustand
mit sehr schlechter Prognose. Patientin gibt an, schon als gesund an
schlechtem Schlafe gelitten za haben. Sie behauptet, besonders infolge
des unerträglichen Hautjuckens während der ganzen Krankheitsdauer,
nicht geschlafen zu haben. Infolge des desolaten Zustandes gab ich
gleich Aleudrin 1,5 g, jedoch ohne jeden Erfolg, auf 2 g schlief Patientin
eine Stunde, dann wurde sie durch das Hautjucken wieder geweckt. Um
der Patientin etwas Ruhe zu verschaffen gab ich Aleudrin 1,5 g in
Kombination mit 1cg Morphium subcutan, worauf befriedigender Schlaf
die ganze Nacht hindurch auftrat. Diese an sich geringe Morphiumdosis
würde bei dem Zustande der Patientin wohl kaum allein diese Wirkung
hervorgebracht haben Daher empfiehlt sich diese Kombination vielleicht
in ähnlichen Fällen, wo der Befund eine weitergehendere Anwendung des
Morphins allein nicht zuläßt. Für das Versagen des Aleudrins in diesem
Falle liegt wohl die Erklärung darin, daß der Reizzustand, der den Schlaf
behinderte, in diesem Fall ein besonders grober war.
Richard L., Beamter, 45 Jahre, schlecht genährt, leidet seit einem
Jahr an bestündigen Kopfschmerzen, gesteigerter psychischer Erreg-
barkeit, Schwere in den Beinen, Gliederzittern, Agoraphobie, Angst-
gefühl, Herzklopfen und hochgradiger Schlaflosigkeit. Er wirft sich
nachts ständig hin und her, die Gedanken wollen nicht zur Ruhe kommen.
Behandlung mit Aleudrindosen von 1 g führen guten erquickenden Schlaf
herbei, der allein schon den Nervenzustand des Patienten im allgemeinen
erheblich bessert. Bemerken muß ich hier noch, daß besonders in Fällen
nervöser Schlaflosigkeit das Mittel keineswegs jeden Abend gegeben
werden muß. Es ließ sich in fast allen diesen Fällen konstatieren, daß
der Schlaf der folgenden Nacht noch unter dem Einflusse des Tags zuvor
gegebenen Aleudrins ohne weitere Medikation ein guter war.
Ich glaube mit diesen wenigen Beispielen gezeigt zu haben
daß das Aleudrin ein wertvolles Schlaf- und Beruhigungsmittel ist.
Ich habe dasselbe noch in einigen andern Fällen mit vollem Erfolg
angewandt, möchte aber doch nicht verschweigen, daß auch, wie
bei allen Schlafmitteln überhaupt, Versager vorkommen, so 2. B
ließ sich in einem Falle von Epilepsie kein Erfolg mit Aleudrin
erzielen. Dennoch beeinträchtigt wohl diese Tatsache in keiner
Weise gegenüber der weitaus überwiegenden Zahl der Erfolge, die
derart sind, daß sie zur Nachprüfung an einem recht großen, be-
sonders auch psychiatrischen Material ermuntern, die Schluß-
folgerung, daß das Aleudrin als unschädliches und sehr wirksames
Hypnoticum und Sedativum sowie auch in vielen Fällen schmerz-
linderndes Mittel ohne jede bedenkliche Nebenwirkungen be-
rufen ist, eine wichtige Rolle in der Reihe der Hypnotica zu
spielen.
zeichnung „verbessertes Xeroform“ von der Chemischen Fabrik
von Heyden, A.-G., Radebeul, der Halleschen Chirurgischen Poliklinik
zu Versuchszwecken überwiesen und fand seitdem, wie an andern
Jodoform beim Patienten mitunter sich unangenehm bemerkbar
machenden Reizwirkungen, wie Ekzeme und dergleichen beim Xero-
form nicht beobachtet worden. Die Intoxikationserscheinungen, zu
mahnen aber immerhin zur Vorsicht.
bis 20 0/0 Jodoform enthalten, alle möglichen Keime zur Entwicklung
Wert als Desinfizienz abzusprechen. An ein Wundheilmittel aber, des
mit Aussicht auf Erfolg den Konkurrenzkampf mit alten bewährten
bakteriellen riefen unangenehme eventuell toxische Nebenwirkungen hervor.
höhung seines antiseptischen Wertes verdankt. Durch die glückliche
Kombination des antibakteriellen Tootrabrombrenzkatechin mit Wismut
rübrung mit den alkalischen Körpersäften erfolgt, eine kontinuierlich ge-
klinik in einer großen Anzahl von Fällen von Professor Stieds
nehmen, mit durchaus günstigem Erfolg. Wegen der Feinkörng‘
24. November.
Aus der Chirurgischen Universitäts-Poliklinik in Halle a. N
Erfahrungen mit Noviform
von
Elisabeth Cammert, cand. med.
Das Noviform wurde im vergangenen Jahr unter der Be
Orten (Mayersbach, Borowansky, Jung, Koder) auch hier
Verwendung. Der charakteristische J odoformgeruch ist im Xero-
form wesentlich gemildert; auch sind die bei Anwendung von
welchen der Gebrauch größerer Mengen dieser Mittel führen kann,
Nach experimentellen Untersuchungen 1) ist das Jodoform fast nie
völlig rein und frei von Mikroorganismen, die den Krankheitsverlauf ver-
schlimmern können. Lübbert wies in seinen Untersuchungen über die
Biologie des Staphylococcus aureus darauf hin, daß in Nährlösungen, die
kommen, und daß durch Zusatz von Jodoform zu Kulturen des Staphylo-
coccus aureus dieser keineswegs in seiner Entwicklung behindert wird,
folglich das Jodoform keine Abtötung aller pathogenen Keime bewirkt,
Die dänischen Forscher Heyn und Rovsing gehen sogar so weit, ‚dem
Medikament auf Grund ihrer zahlreichen Untersuchungen überhaupt jeden
Mitteln bestehen will, wird vor allen Dingen die Forderung der Un-
giftigkeit und einer durchgreifenden Desinfektionskraft gestellt. Unter
den bisher bekannten Antiseptieis hatten zumeist ungiftige Präparate
therapeutisch nur schwache antiseptische Wirkung, und die stark anti-
Das Noviform besteht im wesentlichen aus Brenzkatechin, einen
Orthodioxybenzol. das der Einführung von Brom in das Molekül die Er
oxyd, das auch als austrocknendes und sekretionshemmendes Mittel einen
für Bakterien unmöglichen Nährboden schafft, scheint schon die chemi-
sche Zusammensetzung dieses Mittels viel zu versprechen; außerdem übt
es auf die Wunde durch seine Abspaltung von Brom ~ die in Be
trennte Einwirkung der genannten chemischen Körper aus. Diese er
durch die Labilität des vom Wismutoxyd ausgehenden und eine fo
gesetzte Aktion bedingenden Sauerstoffs unterstützt.
Im letzten halben Jahre wurde in der Chirurgischen Poli-
das Noviform verwendet und zwar, um dies gleich vorweg 2
keit kommt das Noviform mit den betreffenden Gowebspartien m
innigste Berührung, ohne indes bedrohliche Intoxikationsersoher
nungen hervorzurufen, da seine Unlöslichkeit die Resorption aus.
schließt. Wir beschränkten uns bei unsern Versuchen. e*
therapeutische Benutzung des Noviforms als Pulver, 100/180 Sa i
und Gaze, mit Noviform imprägniert. Stäbchen, Globuli und Nori
formemulsion (10 %/yig in Oleum oliv.) wandten wir nicht at.
Unsere Erfahrungen können wir dahin präzisieren: =
nach einigen Verbandswechseln zeigten die mit Noviform be
delten infizierten Schnitt- und Quetschwunden mit ehedem er
Belag eine gereinigte Wundiläche und fortschreitende Epi
bildung. Die geschwürig veränderten Gewebspartien bel hende
cruris bildeten nach Anwendung von Noviform gut SuM je
rosarote Granulationen. Die desodorierende Eigenschaft des $.
schritt gewöhnlich unter Abnahme der Schmerzempfnd! 00589,
seiner endgültigen Heilung entgegen. Ineidierte Furunkel, A gen
Phlegmonen und Panaritien wurden, wenn nötig, mit ovifor rzielt,
tamponiert und ebenfalls hierbei ein guter Heilungsvorlauf °
1) Heile und Röhmann, Berl. kl. Woch, 1905, Nr. 9.
NE
ie ERS
~ Fs |): m 17'757, T93 71 »
Be Se SE a GE pi ia
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24, November.
Besonders zufriedenstellend erwies sich die Noviformtherapie in
der Behandlung von Brandwunden jeden Grades. Unter den mit
Noviform imprägnierten Gazebinden, ähnlich den Bardeleben-
schen Wismutbrandbinden, die zirka fünf Tage liegen blieben, kam
die Wunde schmerzlos zur Abheilung und zeigte auffallend gute,
glatte, wenig sichtbare Narben. Unsere Erfahrungen bestätigten
auch, daß das Noviform als Wundheilmittel besonders bei Kindern
gefahrlose Verwendung finden kann. Ganz selten treten unbe-
deutende Reizerscheinungen in Gestalt von Rötung der Haut auf,
die wohl auf eine ganz besondere Idiosynkrasie und die gesteigerte
Empfindlichkeit der zarten Haut dieser Kranken zurückzuführen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 1913
sind. In letzter Zeit prüften wir das Noviform auch hinsichtlich
seines Verhaltens bei Applikation auf die Mundschleimhaut. Bei
den zahlreichen in der Mundhöhle auftretenden eitrigen Prozessen,
die mit einem starken Foetor ex ore einhergehen, überzeugten wir
uns von dem desodorierenden Werte des Noviforms, das nach An-
gabe des Patienten weder einen schlechten Geschmack noch sonstige
unangenehme Erscheinungen verursacht hatte. Es ist deswegen
eventuell auch den Zahnärzten als Desodorans willkommen.
Uns jedenfalls hat es sich in zahlreichen Fällen sehr gut bewährt,
sodaß wir es als neues, sehr zweckmäßiges Antiseptikum, das
allen Anforderungen gerecht zu werden scheint, empfehlen können.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Breslau.
Versuche mit Phobrol (Chlormetakresol)
von
Dr. Kurt Zahn, Breslau.
Nach K. Laubenheimer!) ist das Chlormetakresol, durch
geeignete Lösungsmittel wasserlöslich gemacht, derzeit das beste
Desinfektionsmittel der Phenolgruppe. Die Staphylokokken gegen-
über erprobten glänzenden antiseptischen Kräfte, die nur noch von
Xylenol erreicht werden, lassen es wünschenswert erscheinen, aus
den bakteriologischen Erfahrungen die entsprechenden praktischen
Folgerungen zu ziehen und das Chlorkresol zu allgemeiner ärzt-
licher Anwendung gelangen zu lassen.
Zu diesem Zwecke liegen bereits eine Reihe von Präparaten
vor, von denen mir das Phobrol?), eine 50%ige Lösung von
Chlormetakresol in ricinolsaurem Kali, das zur Benutzung in der
allgemeinen Praxis gedacht ist, zur Verfügung gestanden hat.
Bevor obiger Schritt getan wird, ist es notwendig, das Prä-
parat einer eingehenden pharmakologischen Analyse zu unter-
werfen. i
Die Halogenierung von Stoffen der Fettsäurereihe hat viel-
fach zu Körpern von außerordentlicher therapeutischer Leistungs-
fähigkeit geführt. In der aromatischen Reihe sind die bezüglichen
Erfolge noch gering. Binet gibt 1896 von halogenierten Phenolen
an, daß ihre Giftigkeit geringer sei als die der Muttersubstanzen.
1906 teilen Ehrlich und Bechold°®) ganz kurz Versuche über
die Giftigkeit folgender Verbindungen mit. Es werden beim
Phenol, Kresol, Tetrabromkresol die nach subcutaner In-
jektion binnen 24 Stunden zum Tode führenden Dosen an weißen
Mäusen bestimmt.. Das Verhältnis für die genannten Substanzen
war 0,25:0,41:0,44 für 1000 æ Maus. Das o-Kresol erzeugt
Krämpfe, das Bromkresol keine. Danach wären Kresol und Brom-
kresol etwa halb so giftig als Phenol, untereinander verglichen
quantitativ gleich giftig. |
Zur Beurteilung der Folgen chemischer Aenderungen im
Kresolmolekül quoad toxischer Wirkung ist die Arbeit von
K. Tollens®) heranzuziehen. Tollens findet das o-Kresol an
der Maus, im Gegensatz zu Ehrlich und Bechold, ebenso giftig
als die Carbolsäure. Das gleiche gilt auch für größere Warm-
blüter, Kaninchen und Katzen, nur für den Frosch sind die Kre-
sole weniger giftig als die Carbolsäure. Auch eine Kresolseifen-
lösung erklärt Tollens für mindestens ebenso giftig als eine ein-
fache Oarbollösung gleicher Konzentration. Die durch orale Auf-
nahme gesetzten pathologischen Veränderungen sind sodann durch
Wandel?) 1907 gründlichst festgestellt worden.
Gelegentlich seiner antiseptischen Versuche stellte Lauben-
heimer auch Giftigkeitsversuche am Meerschweinchen an. Es
wurde die abgewogene Menge der 50°/yigen Chlormetakresollösung
unter die Bauchhaut gespritzt und diejenige Dosis als letale Menge
bezeichnet, welche das Tier in 48 Stunden tötete. Er fand als die
Dosis letalis 8 g der 50°/yigen Lösung —= 4 g Chlormetakresol,
während die des Lysols 3 g betrug. Auch wurde dem Lysol
gegenüber eine Herabsetzung der Krampfwirkung beobachtet.
‚)) Dr. Kurt Laubenheimer, Phenol und seine Derivate als Des-
Infektionsmittel, S. 145. Wien 1909. |
‚ °?) Hersteller des Phobrols ist die Firma F. Hoffmann-La Roche &
Co. in Grenzach. Das Präparat liefert mit Wasser fast klare, farblose
und nahezu geruchlose Lösungen.
3) Zt. f. phys. Chem. Bd. 47, S. 194.
t) A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 52.
5) A. f. exp. Path, u. Pharm. Bd. 56.
Dies das Wesentliche des bisher vorliegenden experimentellen
Materials. Die Darreichung so konzentrierter Lösungen, wie sie
Laubenheimer in Anwendung brachte, mußte schwere örtliche
Aetzungen setzen, die auf die Resorption und damit auf den zeit-
lichen Ablauf der Intoxikationen von entscheidendem, aber nicht
immer gleichmäßigem Einfluß sein konnten. Schon dieser Umstand
allein machte ergänzende Versuche wünschenswert. Dann aber gilt es,
die Wirkung eines Antiseptikums unter den verschiedensten Be-
dingungen, speziell unter solchen, die für die Praxis in Frage
kommen, festzustellen. Auch zur Aufhellung des aus den lite-
rarischen Angaben als bestehend hervorgehenden Widerspruchs
über das Verhältnis der Giftigkeit des Chlorkresols zum Kresol
mußten neue, variierte Versuche durchgeführt werden.
Il.
A. Versuche an Fröschen, am intakten Tier, am bloßgelegten
Herzen.
B. Subeutane Injektionen am Kaninchen.
'C. Versuche per os, an Kaninchen, Katze und Hund.
D. Intraperitoneale Injektionen.
E. Intravenöse Injektionen.
In allen Versuchen wird die Phobrollösung (50°/oiges Chlor-
m-Kresol) mit der gleichen Konzentration des offizinellen Liquor
cresoli saponat. verglichen. Dar benutzte Liquor war, nach eigener
Bestimmung, 50/,ig.
o
A. Versuche an Fröschen.
1. Versuch.
a) Esculenta 30 g. Kresolsaponat | b) Esculenta 28 g. Phobrel.
Injektion: !/s ccm einer 2/oigen
Lösung in den Rückenlymphsack.
Nach 38 Min. keine Erscheinungen.
Injektion: !/2 ccm einer 2/oigen
Lösung in den Rückenlymphsack.
Nach 6 Min. fibrilläre Zuckungen.
„ 9 „ maximale Krämpfe, „ 1 Std. keine Erscheinungen.
Streckstöße. „ 1 „ 7 Min. auf Berührung
„ 15 „ Bleibt in der Rücken- leichtes Zucken.
lage „ 1 Std. 8 Min. am ruhigen
Tiere nichts Abnormes, auf
» 35 , ganz gelähmt.
Berührung zitternde Abwehr-
„ 20 „ Muskelflimmern, Läh-
mung. bewegungen.
„ 1 Std. 10 Min. Lähmung. » 1 Std. 38 Min. Lähmung be-
„1 „ 4 „ AufBerührung ginnend.
Zucken, Zittern. „ 5 Std. Lähmung.
Resume: Kresolsaponat macht nach wenigen Minuten die
typischen Erscheinungen der Carbolwirkung.
Phobrol wirkt erst nach einer Stunde, zarte Zitter-
bewegungen, keine heftigen Krämpfe, dann vorwiegend Lähmung.
2. Versuch.
a) Esculenta 20 g. '/s ccm 2°/,iges Kresolsaponat in den Rücken-
lymphsack.
Nach 4 Min. Unruhe.
» 8 ,„ krümmt den Rücken krampfhaft.
» 9 „ Zuckungen.
„ 11 , bleibt gelähmt am Rücken liegen.
„ 26 ,„ 10 Streckstöße in 10 Minuten. Völlige Parese.
„ 49 ,„ keine Reflexe, dauernde Lähmung, nur vereinzelte
Zuckungen.
b) Esculenta 20 g. Y2 ccm der 2°/,igen Phobrollösung in den Rücken-
Iymphsack.
Nach 50 Min, das Tier macht ganz normalen Eindruck.
» 54 „ leichtes Zucken, dann wieder Ruhe,
= 69 „ kurze Zuckungen, teilweise Lähmung, vermag
nicht zu kriechen.
„ 26Std, 20 „ völlige Lähmung.
1914 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 24. November.
we ehe n Z—(—=— — — — —{ | | —_— —— —————_,———m—— m m —————
Resumé: Das Kresoltier zeigt nach wenigen Minuten
maximale Erscheinungen. Am Phobroltier erst nach 50 Minuten
Einsetzen der Vergiftung. Allmählich fortschreitende Lähmung.
8. Versuch. \
a) Esculenta. Herz bloßgelegt. Normalfrequenz 7, 8 Pulse in zehn
Sekunden. Injektion 1 ccm 2P/oiges Kreosolsaponat (mit 0,9 %/, NaCl-
Lösung verdünnt) inden Oberschenkellymphsack. - |
Nach 8 Min. 7 Pulse (hochgradige Zuckungen).
Nach 20 Min. schwankender Gang.
J 21 „ typisches Carbolzittern. |
„ 22 ,„ liegt auf der Seite, Laufbewegungen, typische
Stöße und Zuckungen.
R 38 ,„ momentane, kurzdauernde Zuckungen.
ji 40 ., Nachlassen und Schwinden der Erscheinungen.
„1Std. 8 „ normal.
b) Kaninchen 2000 g. Phobrol 6 ccm ad 25 subcutan.
- Nach 31 Min. minimales Zittern um das Maul.
n 24 „ 6 „ (typische Carbolzuckungen). 7 50 „ vereinzelte Zitterbewegungen. |
Er 4 „ 5 „ einzelne Diastolen länger. . „ 1 Std. 40 , vorübergehend leichte Schwäche der Hinter-
x 59 „ 5, 4, 5 Pulse. | beine; Tier erhebt sich. Fernerandauernd normal.
„1Std 4 „ 45 oz a Mes Resumé: Kresolsaponat 6 ad 25 = 24”, setzt typisch
„ií „ 25 „ 43,4 „ Diastole in zwei Phasen: Er- | p Io ypisehe
Carbolvergiftung. Tier erholt sich.
Phobrul in gleicher Konzentration macht ganz
zarte, eben angedeutete Vergiftung. Vorüber-
gehend Parese der hinteren Extremitäten.
7. Versuch.
a) Kaninchen 2200 g. Kresolsaponat 16 ccm ad 50, subcutan.
Nach 5 Min. stoßweise Zitterbewegungen, läßt den Kopf auf die
Unterlage sinken. u
„T „ typisches Carbolzittern,
„ 10 „ liegt zuckend auf der Seite, Nystagmus, hinterö Er-
tremitäten gelähmt. a
„ 14 ,„ kein Cornealreflex mehr, vollkommene Bewußtlosig-
keit, Paralyse mit kräftigen Zuckungen, Rectum-
temperatur 39,0.
„ 22 „ keine Reflexe. Vollkommene Narkose.
schlaftung des Ventrikels, dann
erst Füllung vom Vorhof her
(allgemeine Parese des Tiers).
„1 „ 830 „£38!/a schwache Systolen, völlige Parese. Ver-
such abgebrochen.
b) Esculenta, Herz bloßgelegt, Normalfrequenz je 7, 7 Pulse in zehn
Sekunden. i ccm Phobrol, 20/0, in Oberschenkellymphsack.
Nach 48 Min. 6, 7 Pulse von normaler Kraft.
SH a: y (vereinzelte Zuckungen).
„ 1 Std. 18 „ 6, 6 kräftige Pulse (Zuckungen zunehmend).
a 5, Bd Systolen.
Resumé: In einer Zeit, wo am Kresolherzen die lähmende
Wirkung deutlich ausgesprochen, ist das Phobrolherz fast unan-
gegriffen geblieben.
B. Versuche mit subcutaner Injektion.
4. Versuch.
a) Kaninchen 2000 g. Subcutan 1 cem Kresolsaponat ad 25 = 40/0
- [= 2° Kresol mit 0,5].
„52 „ T |
b) Kaninchen 2120 g. Puls = 39 in 10 Sekunden. Phobrol 16 com ad 50
subcuten.
Nach 1 Std. keinerlei Erscheinungen.
Nach 26 Min. Keinen Mison ingen, » „ 12 Min. , » Puls = 89 in 10 Sek.
Nochmals 1 ad 25 subcutan. o ” 1 T T
en : . Auf die Seite ge-
Nach 5 Min. vereinzelte Zuckurgen. 3 "i 3, ” ai
„ 7 „ bewegt sich schwerfällig. | legt, erholt es sich rasch.
» 15 „ erhebt sich schwer aus der Rückenlage, Hinter-
unteren Extremitäten.
~ 40 Min. Reflexe vorhanden. |
su: DO: 4, Tier liegt auf der Seite, bemüht sich erfolg-
los sich zu erheben.
„30 „ t durch Atematillstand. Sektion: Blut
| nicht lackig.
Resumé: 16 cem Kresolsaponat töten unter typischen Carbol-
erscheinungen nach 52 Minuten.
16 „ Phobrol machen nach 5 Stunden keine Sym-
ptome, dann ascendierende Lähmung und
Tod nach 7 Stunden 80 Minuten.
Es sind somit Chlorkresoldosen in Form von Phobrol sub-
cutan ungiftig, wo die homologen Kresolmengen bereits maximale
und typische Vergiftung auslösen. |
Die tötlichen Dosen stehen einander sehr nahe, nur daß Pho:
brol zeitlich äußerst spät, nach Stunden, Kresol rasch wirkt; die
beine etwas paretisch.
3 40 „ Lähmung läßt nach.
„ 1 Std. 40 „ Tier normal.
b) Kaninchen 2000 g. Subcutan 1 ccm Phobrol ad 25.
Nach 50 Min. keinerlei Erscheinung.
e Nochmals subcutan 1 cem Phobrol ad 25.
Während der nächsten zwei Stunden keine Erscheinungen.
Resumé: 4®%oiges Kresolsaponat macht nach 50 cem
schwache Symptome.
40/oiges Phobrol macht nach 50 ccm kein
Symptome. i
5. Versuch,
a) Kaninchen 2420 g. 2 ccm Kresolsaponat ad 25 subcutan.
Nach 22 Min. leichtes Zucken.
Š „ Tier normal. Idem den ganzen Tag über.
Am nächsten Vormittag 2340. 4 ccm Kresol saponat ad 25 subcutan.
1
2
5
E _ Beginn von Lähmungserscheinungen an den
6
6
7
ana . Erscheinungen sind ferner litativ different, im Chlorkresol
7 Min. Zittern in der Nasengegend. nunge qualita j
Sun 12 „ vereinzelte Zuckunzen se Körpermuskulatur. | überwiegt die lähmende Komponente über die krampferzeugende.
s 14 „ kräftige, allgemeine Zuckungen.
x 19 „ fällt auf die Seite, Nystagmus, Krampfstöße, C. Versuche per os.
fortan andauernd Zuckungen, liegt dauernd. 8. V h
2 50 „ status idem. Cornealreflexe schwach. s SYOLRUCH.
i 52 » Zuckungen lassen etwas nach, Nystagmus | ®) Kaninchen 1500 g. Kresolsaponat 1 ad 50 per os.
noch vorhanden.
„ 1 Std 2 „ Zuckungen schwächer.
„ 12 , 5 noch vorhanden, abgeschwächt.
Versuch, den Kopf zu heben.
„1 „ 17 „ R ficxo vorhanden, aber immer noch Zitter-
bewegungen.
„1 „ 34 „ Tier erhebt sich — allmählich normal.
b) Kaninchen 2400 g. 2 cem Phobrol ad 25. Keine Erscheinungen tags-
Nach 4 Min. universelle Zuckungen.
„ 6 „ komplette Lähmung, Nystagmus, liegt auf der Seite.
„ 16 ,„ andauernde Zuckungen.
„ 26 , erhebt sich wieder.
„ 84 . keine nennenswerten Zuckungen mehr. Fortab normal.
b) Kaninchen 1500 g. Phobrol 1 ad 50 per os.
Keine Erscheinungen!
| "9. Versuch.
era Zee a Sen 2 an a) Kaninchen 1800 g. Kresolsaponat 2 ad 50 per os.
„ 28 „ schwankt einen Moment, erhebt sich aber sofort zu en F = is Zucken
normaler Stellung, den ganzen Tag über wie auch > 12 ” fällt auf die Seite. .
am nächsten keine Erscheinungen. » n .
13 „ Nystagmus, andauernd kräftiges Zucken.
» 36 „. noch allgemeine Zuckungen, Schläge.
" 50 „ Status idem. ME
„1Std. 9 „ versucht den Kopf zu heben; fortschreiten
Erholung- |
b) Kaninchen 1600 g. Phobrol 2 ad 50 per os. ar
Nach 6 Min. schwache, vereinzelte Zitterbewegungen, fällt schwa
auf die Seite.
‚Resume: 4 cem Kresolsaponat setzen heftige Krämpfe.
4 „ Phobrol macht gar keine nennenswerten Er-
scheinungen.
6. Versuch.
i 2140 g. Kresolsaponat 6 ccm ad 25 subcutan.
2 L f Min. die tastende Hand fühlt deutliches Muskel-
schwirren. „ 16 „ etwas häufigere Zuckungen, die alsbald nachlassen.
8 „ sichtbares Zittern der Ohren. „ 24 „ Versuch, sich zu erheben, minimale Zuckunget.
16 , 5 4 „ Maulgegend.
„ 40 „ keine Erscheinungen mehr.
N
XX
24. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 1915
Resume: 2 ad 50 Kresolsaponat hochgradige Erscheinungen.
2 ad 50 Phobrol schwache,
| Erscheinungen.
10. Versuch.
a) Kaninchen 2000 g. Kresolsaponat 3 ad 50 per os.
Nach 2 Min. Zittern.
„ 8 „ kräftiges Zittern, Kopf fällt auf die Seite, Tier reflex-
los, Speichelsekretion.
„ 4% „ Protrusio Bulbi, keine Atmung t.
b) Kaninchen 2100 g. Phobrol 3. ad 50 per os.
Keine Erscheinungen.
Resume: 3 cem Kresolsaponat tödlich für 2000 g Kaninchen.
3 „ Phobrol erscheinungslos für 2100 g s
11. Versuch.
Kaninchen 1900 g. Phobrol 5 ad 50 per os.
Von 10 Uhr 35 bis 5 Uhr 30 keine Erscheinungen! Tier wird
verblutet. Der filtrierte Mageninhalt gibt deutliche, kräftigste Millon-
sche Phenolreaktion.
Duodenalinhalt : : ; :
Dünndarminhalt \ filtriert keine Millonsche Reaktion.
Hierzu als Vergleich:
12. Versuch.
Kaninchen 1600 g erhält Kresolsaponat 2 ad 50 per os. Alsbald typische,
schwere Erscheinungen. Geläbmt, getötet.
Magenfiltrat +-++ Millon,
Duodenum +++ „
Oberer Dünndarm (30 cm) -+-+ + Millon,
Mittlerer 2 (52 „)+ A
Unterer A (110 „) kein 5
Resumé: Phobrol 5 ad 50 per os machen keinerlei Erschei-
nungen. Das Phobrol hat in 7 Stunden den Magen nicht verlassen,
respektive in dem Maße, als es in den Darm gedrungen, ist es
resorbiert worden.
13. Versuch.
a) Kaninchen 2400 g. Phobrol 10 ad 50, also 20°/,ige Lösung per os.
Keine Erscheinungen in 24 Std. Die nach 2 Std. untersuchte
Harnprobe enthält keine Sulfatschwefelsäure, nur gepaarte
Schwefelsäure.
b) Kaninchen 2560 g. Phobrol 20 cem ad 50, also 40 °/oige Lösung.
Keinerlei Erscheinungen bis 7'/2 Std. nach der Injektion!
Nach 7!/, Std. wird das Tier getötet, Duodenum-, oberer
und mittlerer Dünndarminhalt geben schwache Millonsche Re-
aktion, im unteren Dünndarmdrittel ist sie negativ. Per os ist
also am Kaninchen die enorme Dosis von 20 cem Phobrol
unwirksam geblieben, wo bereits 3 ccm des Kresol-
saponats tödlich gewirkt haben.
Tod durch Phobrol per os ist überhaupt von mir nicht beob-
achtet worden. Wenn nun auch die Füllung des Herbivoren-
magens die relative Resistenz dieser Tiere den Kresolen gegen-
über verständlich macht, so ist doch die besondere Toleranz gegen
Phobrol bemerkenswert. Um über die Bedeutung dieses Falles
klar zu werden, habe ich noch Versuche am Hungerkaninchen
angestellt.
14. Versuch.
a) Kaninchen durch dreitägige Hungerkur von 1880 auf 1680 g ge-
sunken. Per os: Kresolsaponat 0,5 ad 50.
Nach 4 Min. unsicherer Gang. nach 5 Min. hintere Extremitäten
paretisch,h nach 15 Min. Zittern an Nase und Maul, nach
16 Min. vereinzelte, stoßweise Zuckungen, die hinteren Extre-
mitäten schlaff, bleiben in der willkürlichen Lage. Nach
30 Min. Erholung, nach 39 Min. setzt sich das Tier zur nor-
malen Lage auf. Nun von neuem per os 1 ad 50 Kresolsaponat.
Nach 2 Min. Muskelklopfen.
„ allgemeine Zitterbewegungen, Kopf sinkt
zur Unterlage.
„ Tier schwankt, fällt auf die Seite.
kein Kornealreflex.
„ Nystagmus.
„ hochgradige Erscheinungen des allgemeinen
Karbolismus.
He cO 00 e
2 Std. einige Male heftige Zuckungen.
„ 2 „ 49 „ Tier setzt sich auf.
I Zuckungen ganz geschwunden, Tier frißt
gierig etwas vorgelegte Nahrung.
Am nächsten Tag ist das Tier 1580 g.
Nach weiteren 2 ccm Kresolsaponat ad 50 binnen 2 Min. Ausgleiten des
Tieres, Senken des Kopfes, Zuckungen, Reflexe minimal, nach
di ‚Min. Reflexe ganz aufgehoben, nach 1 Std. 20 Min. Tod des
ieres.
b) Kaninchen durch dreitägiges Hungern von 1720 auf 1660 g gesunken.
Phobrol 0,5 ad 50 machen nach 80 Min. keinerlei Erscheinungen.
vorübergehende
Eine zweite Gabe Phobrol 1 ad 50 machen nach 5 Std. keinerlei
Erscheinungen. Ä
Am nächsten Tage wiegt das Tier 1560 g. Es erhält Phobrol
2 ad 50 per os.
Nach 2 Min. a es mit den hinteren Extremitäten auf die
eite.
T 3 ,„ Zartes Zucken.
14 Cornealreflex abgeschwächt. Nystagmus.
„1Std. 4 „ Versucht den gesunkenen Kopf zu erheben,
Reflexe vorhanden.
„1 „ 14 „ DieLähmungderhinteren Extremitätenläßt nach.
„1 „ 28 ,„ Tier erhebt sich vollständig. frißt die vorge-
legte Nahrung.
Somit tritt auch unter diesen abnormen Verhältnissen, unter
der vorausgesehenen Verschiebung der Dosen, die relative Re-
sistenz gegenüber Phobrol, die weit geringere Giftwirkung des
letzteren in Erscheinung: das Kresolsaponat tötet, wo das Phobrol
nur vorübergehende Erscheinungen macht.
Auch an Katzen, die ich in Uebereinstimmung mit Tollens
Kresolen gegenüber äußerst empfindlich fand, ergab sich das
gleiche Verhältnis: eine Dose Kresolsaponat, die ein Tier nach
typischen Erscheinungen in der folgenden Nacht tötete, blieb als
Phobrol für ein Paralleltier gleichgültig.
Für Analogisierung mit dem Menschen ist auch folgender
Hundeversuch von Wichtigkeit.
15. Versuch.
a) Hund 7340 g. Kresolsaponat 4 ad 100 per os: 0: |
Nach 5 Min. schwankt beim Versuch sich zu erheben.
0 Zittern an Vorder- und Hinterbeinen.
11 ,„ kann sich auf den Vorderbeinen nicht erhalten.
y 13 ., erhebt sich wieder, läuft weiter und schwankend.
5 22 ., vereinzelte schwache Zuckungen.
a 42 „ 2. Gabe per os4ad100. Sofort maximale Jactation,
Salivation, Laufbewegung.
. Nystagmus, liegt paretisch auf der Seite.
x 48 ,, Cornealreflex geschwunden. Nun andauernd maxi-
male Zuckungen, tracheales Rasseln.
„1Std.33 „ andauernde Lähmung, Tier liegt bewußtlos
zuckend auf der Seite.
„7.838 „ Statusidem, Rectumtemperatur A
KAJ 8 . 28 y. 39 19 k
. E: EE: ee a „ Tier geht in der Nacht zugrunde.
b) Hund 6860 g. 24 Std. seit der letzten Fütterung. Phobrol 4 ccm
ad 100 per os.
Nach 45 Min. keine Erscheinungen.
Dann nochmal 4 cem Phobrol ad 100 per os.
Nach 1 Std. 35 Min. etwas Schleimauswurf (etwa 10 ccm).
Steht dauernd aufrecht, läuft herum, noch am nächsten Tage
vollkommen normal. Der ausgeschiedene Harn (zirka 1 1) enthält keine
Sulfate, nur gepaarte Schwefelsäure.
. Es hatte somit die Dosis von 8 ccm beim Kresolsaponat eine
stürmisch einsetzende tödliche Vergiftung zur Folge, beim Phobrol
traten gar keine Erscheinungen ein. An dieser unterschiedlichen
Wirkung ist zweifellos das Lösungsmittel, das ricinolsaure Kalium,
wesentlich beteiligt. Als ich in Wasser suspendiertes Monochlor-
kresol im Verhältnis 1 ad 50 Wasser einem 1980 g Kaninchen
per os einflößte, ließ es nach 4 Min. den Kopf sinken, war nach
12 Min. vollständig gelähmt, zeigt hier und da vereinzelte Zuckun-
gen. Nach 1 Std. Erholung zur Norm. Gestattet nun die hohe
antiseptische Kraft des Chlorkresols geringe Konzentrationen zur
allgemeinen Benutzung (1/Yoiger Lösungen), so wird die Lang-
samkeit die Resorption des Phobrols bei oraler Applikation die
' Möglichkeit von Vergiftungen am Menschen auf ein Minimum
herunterdrücken. Die tödlichen Intoxikationen mit Lysol und
homologen Präparaten waren meist suicidia. Homologe Aufnahme
des Phobrols selbst in größten Quantitäten wird nach dem Re-
sultat der Tierversuche wohl immer nur langsam Erscheinungen
auslösen, zu rettendem ärztlichen Eingreifen wird reichlich
Zeit sein.
D, Intraperitoneale Injektionen.
Mit Rücksicht auf die in der chirurgischen Praxis zu er-
wartende Bespülung seröser Höhlen mit Phobrollösungen wurden
Versuche an Pleura und Peritoneum am Kaninchen durchgeführt.
Die pleuralen Versuche verliefen inkonstant, untereinander nicht
vergleichbar, und zwar wohl aus folgendem Grund: Es handelt
sich bei Kresolen um flüchtige, bei direkter Berührung
mit dem Herzen für das letztere nicht gleichgültige Sub-
stanzen. Da die Injektion in den Pleurasack von in unbestimm-
barer Weise gerade ein „zum Herzen“ gelangen bedingt, so hat
der Experimentator die Bedingung: „gleiche Verhältnisse“, zu einem
Vergleich nicht in der Hand. Anders bei peritonealer Injektion.
0.
= |
ti
, ara á 1^ Su a
E E EAT E a rd
1916
mae a aea
16. Versuch.
a) Kaninchen 2000 g. Kresolsaponat 1 ad 50. Intraperitoneal. |
10 Uhr 54 Min. Injektion. 56 Min. allgemeine Zitterbewegung,
- maximale Krampfstöße. Lähmung. Nystagmus.
58 Min. kein Cornealreflex.
3
11 „ 12 „ Reflexe beginnen wieder, 11 Uhr 24 Min. be-
ginnende Laufbewegungen, hält sich mit dem
Vorderkörper aufrecht.
12 „ 35 „ maximale dyspnoische Atembeschleunigung, unzähl-
bare, fliegende Respiration. Rectumtemperatur = 37.
12 42 „ Tier matt, hintere Extremitäten gelähmt.
12 „45
3 y
7
b) Kaninchen 2340 g.
AN Uhr 37 Min. Phobrol 1 ad 50. Intraperitoneal.
RT. = 36,9,
Tier matt, läßt den Kopf sinken.
» „ Am nächsten Morgen f vorgefunden.
„ 89 „ schwaches Zittern ums Maul.
Ii „ 40 „ fällt auf die Seite. Atmung 8 in 10 Sek.
11 „41 „ oberflächliches Zittern.
11 „ 42 „ Cornealreflex sehr schwach.
11 „46 „ vollkommene Lähmung.
11 „50 „ Zuckungen.
12 „ 13 „ tiefe Narkose, RT. = 38,3.
12 „ 28 „ Reflexe wieder deutlich, bemüht, sich zu erheben.
12 37 „ watt, hintere Extremitäten gelähmt.
1: og Tier bewegt sich schwer vorwärts. |
1 50 „ T Sektion zeigt minimale Trübung desparietalen
Peritonealüberzugs.
Von der Serosa aus sind die beiden Präparate somit im
großen und ganzen gleich giftig und weit giftiger als von der
Magenschleimhaut aus. Im Phobrolbild überwiegt wieder das
Narkoseelement.
Intraperitoneale Injektion von 0,25 Phobrol auf 50 ccm,
also jene Konzentration, die zur praktischen Desinfektion verwendet
werden soll, blieb erscheinungslos.
E. Intravenöse Injektionen.
Bei Durchführung der intravenösen Versuche mußte be-
dacht werden, daß im Kresolsaponat wie im Phobrol alkalisch
reagierende Seifenlaugen vorlagen, die als solche Giftwirkung ent-
falten konnten. Wenn es auch nach den Erfahrungen Starken-
steins!) sicher ist, daß erst größere Alkalimengen schädlich
wirken, so mußte doch speziell die Rolle der Seife im vorliegenden
Falle bestimmt werden.
Zu diesem Zwecke wurden die durch wiederholtes Ab-
dampfen am Wasserbade von den Kresolen befreiten Seifen-
lösungen isoliert auf ihre Toxieität geprüft. Intravenöse Injektion
des 1/0 öl- und ricinolsauren Kali sind indifferent.
17. Versuch.
a) Kaninchen 2000 g. Intravenös 1 0/, Kresolsaponat in 0,90), NaCl.-Lösung
11 Uhr 10—12 Min. i cem. keine Erscheinungen.
16-18 „5 feines Zittern.
18—20 „ 5 „ deutliches Zittern, Nystagmus.
Pause. Erscheinungen gehen zurück.
23—25 „ 5 cem.
27—29 „10 „ Zuckungen heftiger. |
32—35 „10 „ während der Injektion Zuckungen
allgemein.
48 „ Tier liegt abgespannt auf der Seite, Zuckungen
halten an. .
57 „ Tier erbebt sich mühsam. Schwache Lähmung.
12 „ 45 „normal. i
b) Kaninchen 2000 g. Intravenös 10/o Phobrol in 0,9%, Na-Cl-Lösung.
11 Ubr 50 Min. bis 12 Uhr 4 Min, 20 cem. keine Erscheinungen.
12 „ 6 „schwaches Zittern.
12 „8 „ 5 cm.
12—14 „ 5 „ Atempause.
16 Cornealreflexe sehr schwach.
16—18 5 ccm. Atmung aussetzend,
Cornealreflex keme. `
25
Resumé: Bei intravenöser Injektion 1 P/piger Lösung ist Pho-
brol giftiger als Kresolsaponat. l l
Zur Feststellung der näheren Vorgänge im Circulations-
apparat wurden nur Kymographionversuche ausgeführt.
18. Versuch.
i) Kaninchen 2300 g. l
s ee Infektion von 65 cem 1 °% Kresolsaponat innerhalb 30
Minuten ruft die typischen Erscheinungen des Carbolismus hervor, der
1) Starkenstein, Ionenwirkung der Phosphorsäuren. (Biochem.
Z. 1911, Bd. 32.)
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47,
24. November.
Blutdruck bleibt dauernd, auch während der Injektionen, ungeändert:
Am Anfange des Versuchs 90 mm, am Schluß 92.
b) Kaninchen 1700 g. Intravenöse Injektion, 1°/,ige Phobrol-NaCl-Lösung.
. Pals- -
Zeit en Druck in | frequenz
cem Phobrol | MM Hg > p
10 Uhr 29 Min. — 84 19
— — — 40 ccm phobrolfreies
| ricinols. Kali 1%
— 100 18
10 Uhr. 49 Min. 20 82 14
30 65 13
40 52 14
55 40 12
i Uhr 10 Min. 60 32 10
1 Uhr 17 Min. 65 22 10 3 Uhr Exitus,
Resume: Intravenöse Injektion 1 /oigen Phobrols macht nach
Art eines Narkoticums allmählich fortschreitende Drucksenkung,
Pulsverlangsamung. |
| 19. Versuch.
Kymographionversuch., Kaninchen 2600 g.
er Puls-
Injizierte Druck
Zeit Menge in in mm un Bemerkung
ns kunden
10 Uhr 25 Min. 106 17
26 bis 48 „ 30 80 com 4° ige Sapo-
- Seife natseife (kein Kre-
gol enthaltend)
| 100 17
51 „ 2 Kresol-
saponatlösung
52 „ 110 5 Unruhe des Tiers,
Zuckungen stark
58 y Zuckungen lassen
nach
55 , 100 16
57 „ 2 do.
| 68
11 Uhr 90 '17
2 do. Kräftige Zuckungen
18
8 Min. 88 18
4 do. Maximale Zuckungen
Q „ 0 0
Resumé: 40/5 Kresolsaponat ruft nach 10 cem Tod unter
Blutdrucksenkung hervor.
20. Versuch.
Intravenöse Injektion von 4°/, ricinolsaurem Kali. Kaninchen 2000 g.
De I Z l
m Puls-
Injizierte Druck
Zeit Menge in | in mm ee Bemerkung
en kunden
{1 Uhr 54 Min. | 84 90 11 Atmung. in 1080k.
2
110 18
55 „ 74 20
59 2
112 13
12 Uhr 2 Min. 68 17
4 ” 5
64 16
5, 56
6 „ 16 |
T_ | 0
Resumé: 40/ọ ricinolsaures Kali ruft intravenös allein se
tödliche Blutdrucksenkung hervor. — Das K-Ion ist er ben
entsprechenden Saponatversuch 19 mit 4°/, ölsaurem Kali indi sje
Um über die Wirkung des Chlor-m-Kresols in einem,a®n wi
Lösungsmittel aufgeklärt zu werden, wurde dasselbe aus a
Phobrol durch fraktionierte Destillation gewonnen und IM
schwachen Lösung von ölsaurem Natron 0,7 + 0,9 NaCl-
injiziert.
Prozent
H iz-
If Mr
AAN t
a ET Nr Te ER en
94.N ovember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
21. Versuch.
Kaninchen 2000 g. Intravenöse Injektion.
| Injizierte Druck en
Zeit Menge in in mm in a Se- Bemerkung
en kunden
10 Uhr 42 Min. 110 16
10 Na. oleinic.
| 0,7/0
50 , 112 16
1,0 Chlorkresol
50bis59 „ |20Na.oleinic.| 120 18 Ki ai a. Lö-
sung ad 100,0
11 Uhr 0,5 Chlor-
kresol
T- 80
1 Min. 30 Sek. 120 15
4 a Typisches Zittern
6 Min. 130 16
8 „ | 121 13
5 “er Wellenförmige
16 Druckschwankun-
gen, Zuckungen. —
Reflexe sehr ge-
mindert.
12 „ 126 14
13 „ 124 13
3 | | Leichtes Zucken, in
| der Pauseausfallend
14 „ 60
16, | | 104 15
5 110 13
60 11 Uhr 18 Min. keine
Reflexe, hintere Ex-
tremitäten gelähmt
23 „ 98 16
5 p Wellen
21. Versuch (Fortsetzung).
Kaninchen 2000 g. Intravenöse Injektion.
Injizierte | Druck Re A z |
Zeit Menge in | in mm |in 5 Se. Bemerkung
zen kunden
30 Min. | 74 9
38 „ ; 80 15
46 „ 20 |
46 Min. 30 Sek. 4,5 80
Nach Injektion von 30 cem des 1°/yigen Chlor-m-Kresols
wird das Tier um 12 Uhr mit einem Drucke von 70 mm abge-
spannt. Totale Parese. Keine Reflexe. 12 Uhr 22 Minuten ver-
einzelte Zuckungen. 12 Uhr 28 Minuten f.
Die Vergiftungserscheinungen in Versuch 17b sind somit
auf das Chlorkresol als solches zu beziehen: dort waren 35, hier
30 cem tödlich, die Erscheinungen im Prinzip die gleichen.
Ueberblickt man die vorstehenden Versuche, dann ergibt sich
nachfolgende Abstraktion: Ein für alle Darreichungsarten geltender
Ausspruch über die relative Giftigkeit des Phobrols im Vergleich
zum Kresolsaponat läßt sich nicht formulieren, da sich je nach
Applikationsart die Giftigkeit wesentlich ändert. Bei oraler und
subcutaner Darreichung ist das Phobrol eine glückliche
Mischung von auffällig geringer lokaler und allgemeiner
Giftigkeit, dem Kresolsaponat weit überlegen. Die ganz
allmählich einschleichende Wirkung ist für die Praxis
von besonderer Bedeutung, da bei eventuellen Vergiftungs-
versuchen reichlich Zeit zu Ausspülungen und antagonistischen
Maßnahmen gegeben sein wird. Bei Applikation in die Blutbahn
und auf seröse Höhlen sind — im Gegensatz zu obigem Verhalten
— beide schon in kleinen Dosen schwer giftig, das Phobrol sogar
giftiger.
Es sollte Gegenstand weiterer Versuche sein, festzustellen,
ob sich die durch das ricinolsaure Kali bedingte Resorptionsver-
langsamung nicht zu therapeutischen Zwecken, z. B. Desinfektion
des Darmes, ausnützen ließe.
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten
von
Dr. Max Kahane, Wien.
(Fortsetzung aus Nr, 45.)
Klimato- und Balneotherapie. Klimatotherapie: Herz-
kranke, insbesondere Patienten mit Herzinsuffizienz, haben ein beson-
ders starkes Bedürfnis nach frischer, reiner, das heißt von schädlichen
Beimengungen freier und sauerstoffreicher Luft. Kaltes, stürmisches,
regnerisches und nebliges Klima übt einen direkt ungünstigen
Einfluß auf bestehende Herzaffektionen aus. Für die wärmere
Jahreszeit sind wald- und gartenreiche, eventuell an größeren
Wasserspiegeln gelegene Orte mit staubfreier Atmosphäre, welche
Mittelgebirgslage nicht überschreiten, am besten geeignet unter
andern die verschiedenen Sommerkurorte im Salzkammergut, Steier-
mark, Kärnten, Taunus, Thüringen, Harz usw., z. B. Ischl,
Gmunden, Reichenhall, Aussee, Gleichenberg, Velden, Pörtschach,
Millstatt (sonniges Seeklima), Soden, Wiesbaden, Friedrichroda,
Harzburg usw. Für Spätherbst und Frühling: Arco, Gries, Meran,
Abbazzia; oberitalienische Seen: Bellaggio, Lugano; Genfersee:
Vevey, Territet, Montreux; französische und italienische Riviera: Kap
St. Martin, Bordighera, San Remo, Pegli, — Korsika. Für den Winter:
Palermo, Malta, Tunis, Algier, Aegypten, Madeira, Teneriffa.
Größere Seereisen sind für Personen mit Herzinsuffizienz im all-
gemeinen nicht zuträglich.. Das Hochgebirgsklima mit seiner
dünnen, sauerstoffarmen Luft ist für Fälle vorgeschrittener Herz-
insuffizienz ungeeignet, günstige Erfolge wurden bei Herzneurosen
im Gefolge von Hyperthyreosis beobachtet, ebenso bei leichten
Graden von Fettherz. Falls die Akkommodationssymptome — Kopf-
druck, Beklemmung, Atemnot, Schlaflosigkeit, nicht nach wenigen
Tagen gesteigertem Wohlbefinden Platz machen, muß der Patient
in niedrigere Lagen zurückkehren.
Balneotherapie (Bade- und Trinkkuren).
Für Badekuren. Einfache Säuerlinge (bloß COs): Elster,
Franzensbad, Marienbad, Robitsch. z
Kohlensäure-Stahlbäder (CO2, Fe-Salze): Cudova, Elster,
Franzensbad, Marienbad, Pyrmont, Schwalbach, Spaa, St. Moritz.
Kohlensäure-Soolthermen (CO2, NaCl): Kissingen, Nauheim,
Oeynhausen.
| Trinkkuren. Kalte Glaubersalzquellen (Na3SO,): Elster,
Marienbad, Rohitsch, Tarasp.
Stahlquellen: Franzensbad, Pyrmont, Schwalbach, Spaa.
Alkalisch-muriatische Säuerlinge (CO, NaCl, Na-Salze):
Homburg, Kissingen, Salzbrunn.
Bitterquellen (Mgə SO,): Ofen,
Saidschitz.
Indikationen: Als Herzbeilbäder stehen gegenwärtig die
kohlensäurehaltigen Stahl- und Soolbäder im Vordergrunde. Die
günstige Wirkung bei richtiger Indikationsstellung, richtiger
Durchführung und Heranziehung anderer bewährter Heilmethoden
ist fast allgemein anerkannt, dagegen können unrichtige Indikations-
stellung, übertriebene und einseitige Anwendung schweren Schaden
bringen. Die natürlichen Kohlensäurebäder in Form des Kur-
gebrauchs an Ort und Stelle sind beim ersten und zweiten Grade
der chronischen Herzinsuffizienz indiciert, das heißt in jenen Fällen,
wo das Herz schon bei geringer Steigerung der normalen An-
forderungen versagt (erste Stufe), und in jenen Fällen, wo das
Herz auch normalen Anforderungen nicht gewachsen ist, aber bei
größter Ruhe und Schonung die Circulationsarbeit bestreiten kann
(Fehlen von Oedemen und Albuminurie). In Fällen mit Herz-
insuffizienz zweiten Grades ist besondere Vorsicht erforderlich.
Wirkungen der natürlichen COa-Bäder (nach der vorherr-
schenden Anschauung): Hautreiz durch die feinen Gasbläschen,
thermischer Reiz, Hautrötung, Wärmegefühl, Herabsetzung der
peripheren Widerstände, reflektorisch auf dem Wege der Haut-
nerven: Verlangsamung und Kräftigung der Herztätigkeit, Ver-
tiefung der Respiration. Bezüglich des Blutdrucks schwankende
Angaben, |
Technik: Kohlensäurespannung 20 Volumprozent; Temperatur
zirka 320 C, Dauer 6 bis 20 Minuten (Anpassung der Dauer und
Temperatur an die individuelle Toleranz, besondere Vorsicht bei
Herzinsuffizienz zweiten Grades). Luftiger, gut ventilierter Bade-
Friedrichshall, Püllna,
ash
1918
raum, ruhiges Verhalten im Bade, nicht mehr als drei bis vier
Bäder wöchentlich bei vier- bis sechswöchiger Kurdauer, bei In-
toleranz Aussetzen.
Künstliche Kohlensäurebäder: Kein vollwertiger Ersatz, grobe
Gasblasen, rasches Entweichen der CO, Anhäufung über dem
Spiegel des Badewassers. Verschiedene Versuche technischer Ver-
besserungen — Anwendung für Winterkuren oder dort, wo die
Kurorte nicht aufgesucht werden können. Herstellung aus Soda
und Salzsäure. Sorge für gute Ventilation des Baderaums, Schutz
| ! mit Anämie verbundenen Herzbeschwerden.
Moorbäder: Marienbad, Franzensbad nur bei leichteren Graden
des Patienten vor CO,-Einatmung.
von Herzinsuffizienz.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November.
Chlorcalcium steigend
Chlorcalcium. |
Gewärmte Meerwasser-Wannenbäder: Vorzüglich bei ge-
steigerter Erregbarkeit des Herzens — Hyperthyreoidismus.
Trinkkuren. Indikationen der Trinkkuren: Kalte
Glaubersalzquellen: Marienbad usw. bei Fettleibigen mit Herz-
beschwerden (Fettumlagerung, beginnende fettige Degeneration
des Myokards), Mastfettherz.
Stahlquellen: Franzenshad, Pyrmont, Schwalbach, Spaa bei
bis auf 2 bis 3%, Chlornatrium und 30
Alkalisch-muriatische Säuerlinge: Kissingen usw. beiStauungs-
katarrh des Magendarmtraktes. Leberhyperämie, Leberschwellung.
Sauerstoffbäder: Bei Herzneurosen angenehm’ anregend. Bittersalzquellen: Ofner usw. bei hochgradiger abdominaler
. Künstliche Soolbäder: Von 1°), Chlornatrium + 1 bis 20/0 | Stauung. (Schluß folgt)
z - Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
E Uebersichtsreferat.
-Diagnose und Behandiung der multiplen Sklerose
| von Dr. Max Serog, Breslau.
Wenn man manche Fälle organischer Nervenkrankheiten, die
man heute beobachten kann, mit der ursprünglich von ihnen ge-
gebenen „klassischen“ Schilderung vergleicht, so gewinnt man
vielfach den Eindruck, als ob sie jetzt gegenüber früher einen
leichteren Verlauf nähmen. Der Grund für dieses scheinbar häufi-
gere Auftreten gutartigerer Fälle ist der, daß wir durch die fort-
geschrittene Diagnostik und die verfeinerten Untersuchungsmetho-
den immer mehr gelernt haben, auch leichtere Formen organischer
Nervenerkrankungen zu diagnostizieren, auch solche, die früher
entweder überhaupt übersehen oder als „funktionell-nervös“ ange-
sehen wurden, und daß wir ferner auch mehr wie früher imstande
sind, die organischen Nervenleiden bereits in ihren ersten An-
fängen zu erkennen. Ä
Das eben Gesagte gilt nun in ganz besonderem Maße für
die multiple Sklerose. Dadurch, daß sich mit der Frühdiagnose
der multiplen Sklerose gerade in den letzten Jahren eine Reihe von
Autoren befaßt haben, wissen wir jetzt, daß sehr viele Fälle dieser Er-
krankung als „Formes frustes“ auftreten und daß die klassische
Charcotsche Symptomentriass — Nystagmus, Intentionstremor,
skandierende Sprache — sich, wenn überhaupt, erst sehr spät aus-
bildet [Müller (1). Es spielt also gerade bei der multiplen
Sklerose die Kenntnis der Frühsymptome eine große und praktisch
äußerst wichtige Rolle.
In sehr häufigen Fällen ist es der Augenapparat, von seiten
dessen die ersten Symptome auftreten [Uhthoff (2)]. Es kommt
dann zu flüchtiger Lähmung der äußeren Augenmuskeln und vor-
übergehendem Doppeltsehen, Nystagmus, passageren Sehstörungen,
Farbenblindbeit (besonders Rot-Grün-Blindheit), centralem Skotom,
seltener Gesichtsfeldeinengung. Der ophthalmoskopische Befund
kann dabei auch bei starker Sehstörung normal sein, oder es be-
steht — umgekehrt — Abblassung der Pupille, besonders tempo-
ral, obne wesentliche Beeinflussung der Funktion. Gerade die
Divergenz zwischen dem Augenspiegelbefund und dem Ergebnis
der Funktionsprüfung ist meist charakteristisch [Windmüller (3)].
In selteneren Fällen findet sich statt Abblassung der Papille auch
Neuritis optica. Bu
Von seiten der im weiteren Verlaufe der Erkrankung ja stets
betroffenen Pyramidenbahnen ist häufig mit das erste Symptom
das Auftreten des Babinskischen, beziehungsweise Oppenheim-
schen Zeichens. Auch diese können sehr wechseln, der Babinski
kann heute vielleicht deutlich vorhanden, morgen nicht mehr nach-
weisbar sein. Dazu tritt dann gewöhnlich eine Steigerung, mit-
unter eine Differenz der Sehnenreflexe, oft auch Fußklonus. Es
kommt zu vorübergehenden Gehstörungen, später zu spastischem
Gange. Häufig läßt sich schon im Anfange, bevor es zur Aus-
bildung eigentlicher Spasmen kommt, eine gewisse Hypertonie eines
oder auch beider Beine nachweisen.
Recht oft ist eins der ersten Krankheitssymptome der mul-
tiplen Sklerose eine abnorm leichte, lokalisierte Ermüdbarkeit,
z. B. eines Beins [Müller (4)]; man kann diese Ermüdbarkeit
messen an der Zeit, in der das Bein in gestreckter Stellung er-
hoben gehalten werden kann. . s |
| Zu den wichtigen Frühsymptomen gehört ferner das Fehlen
der Bauchdeckenreflexe einer oder beider Seiten, oft auch eine
Schwäche der Bauchmuskulatur [Finkelnburg (5)] (Aufrichten
aus der Horizontalen!). Oft findet man auch nur eine rasche Er-
schöpfbarkeit der Bauchdeckenreflexe, ein Symptom, das besonders
dann diagnostisch verwertbar ist, wenn es nur einen einzelnen der
Bauchdeckenreflexe betrifft.
Häufig ist auch der Beginn der multiplen Sklerose mit sen-
siblen Erscheinungen [Curschmann (6)]. Es treten dann Par-
ästhesien und Hypästhesien auf, besonders an den distalen Enden
der Extremitäten. Oft soll frühzeitig die Tiefensensibilität gestört
sein [Finkelnburg (7)], in manchen Fällen wurde als erstes
Symptom eine Störung der Vibrationsempfindung beobachtet.
In selteneren Fällen können auch sensible Reizerscheinungen
vorhanden sein [Müller (8)]; öfter beginnt die multiple Sklerose
geradezu unter dem Bild einer Neuralgie, z. B. einer Trigeminus-
neuralgie.
| Schon früh kann auch der Intentionstremor auftreten;
übrigens findet sich ein ganz ähnlicher Tremor bei chronischer
Quecksilbervergiftung.
Zwangslachen und -weinen können ebenfalls schon im An-
fang vorhanden sein, ebenso auch leichte bulbäre Erscheinungen,
besonders dann oft in Form einer geringen Schwäche eines
Gaumensegels (Zurückbleiben bei der Phonation!). .
Auch Blaseustörungen finden sich öfter schon ganz im Be
ginn, entweder in Form vorübergehender, leichter Inkontinenz oder
auch einer Erschwerung .des Urinlassens, sodaß der Patient beim
Wasserlassen mehr drücken muß als früher.
Für alle Erscheinungen der multiplen Sklerose ist es
charakteristisch, daß sie immer rasch wieder verschwinden und
gewöhnlich nie sehr hochgradig sind. Dadurch macht die
Differentialdiagnose der multiplen Sklerose, besonders bei den
leichten und beginnenden Formen, gewöhnlich: nach zwei Seiten
hin Schwierigkeiten, nämlich einmal gegenüber der Hysterie und
daun gegenüber der Lues cerebrospinalis, da es sich ja bei diesen
Erkrankungen ebenfalls um flüchtige, plötzlich auftretende und
rasch wieder verschwindende Störungen handelt.
In der Differentialdiagnose zwischen multipler Sklerose und
Lues cerebrospinalis sprechen mehr für Lues: Ausgesproche®
Hirnnervenlähmungen, besonders Beteiligung des Trigeminus, Neu-
ritis optica, ferner das besondere Hervortreten von sensiblen Reiz
erscheinungen, überhaupt meningeale Symptome; Pupillenstarre
findet sich im allgemeinen nur bei Lues. Die Untersuchung des
Bluts nach Wassermann ist für die Differentialdiagnose nieht
wesentlich zu verwerten, da der. positive Ausfall nur die früber
einmal erfolgte lustische Infektion, aber nichts für den specifischen
Charakter. der Nervenaffektion beweist. Die Wassermannsche
Reaktion im Liquor cerebrospinalis ist bei der Lues cerobrospinali
ebenso wie bei der multiplen Sklerose in den meisten Fälle
negativ, doch soll bei Anwendung der mehrfachen Liquormeng!
(erweiterte Wassermannsche Reaktion nach Hauptmann W
Hößli) bei der Lues cerebrospinalis die Liquorreaktion im Gegen-
satz zur multiplen Sklerose positiv sein. [Hauptmann W
Hößli (9)]. Zelivermehrung findet sich mehr bei Lues, kommt aber
auch bei multipler Sklerose vor, auch Eiweißvermehrung kann a
beiden Fällen vorhanden sein.. [Siecsi (10;). Nach den nn
suchungen von Nonne soll übrigens die von Much und Ho ri
mann zuerst beschriebene sogenannte Kobrareaktion gerade
der multiplen Sklerose sehr oft nachweisbar sein [Nonne (I
Sehr häufig sind Verwechslungen der multiplen Sklerose a
der Hysterie, und zwar wird oft die beginnende multiple ze
für Hysterie gehalten, die umgekehrte Verwechslung ist W° z
H
24. November.
seltener. Man soll deshalb bei allen derartigen plötzlich auf-
tretenden und rasch wieder verschwindenden Störungen, vor allem
bei hysterisch aussehenden, vorübergehenden Seh- und Gehstörungen
immer nach den Zeichen einer Pyramidenbahnerkrankung fahnden,
vor allem auf das Vorhandensein des Babinskischen Zeichens —
‚und zwar mehrmals zu verschiedenen Zeiten — untersuchen. Für
multiple Sklerose und gegen Hysterie sprechen ferner: Der Ny-
stagmus, sofern er kein kongenitaler ist, nicht assoziierte, isolierte
Augenmuskelstörungen, vor allem die bei multipler Sklerose häufig
im Beginn auftretende einseitige Abducensparese, Abblassung der
Papille.. Die sensiblen Störungen bei der multiplen Sklerose sind
im Gegensatz zu denen bei der Hysterie meist unscharf und ge-
wöhnlich mit Paraesthesion verbunden. Die bei der Hysterie oft
vorhandene konzentrische Gesichtsfoldeinengung ist bei der mul-
tiplen Sklerose selten.
In der Differentialdiagnose wird man natürlich auch die
psychogene Entstehung einzelner Symptome zugunsten der An-
nahme einer Hysterie verwerten können; es ist aber durchaus
davor zu warnen, die psychogene Entstehung als sicheres Kriterium
der Hysterie zu "betrachten, vielmehr darf man nie vergessen, daß
auch organisch bedingte Symptome psychogen ausgelöst werden
können [E. Schultze (12)]. Sehr häufig ist übrigens die Kom-
bination von multipler Sklerose und Hysterie [Bendixsohn und
Serog (13)].
In nicht ganz seltenen Fällen kann die Differentialdiagnose |
der multiplen Sklerose auch gegenüber dem Hirntumor Schwierig-
keiten machen, dann nämlich, wenn, wie das bei multipler Skle-
rose vorkommen kann, eine Stauungspapille vorhanden ist. -Da
bei manchen Fällen von multipler. Sklerose Kleinhirnsymptome
(Schwindel, cerebellare Ataxie) im Vordergrunde stehen, so kann
"bei gleichzeitiger Stauungspapille in solchen Fällen das Bild des
- Kleinhirntumors vorgetäuscht werden [‚Wendenburg (14)].
Mitunter kann die multiple Sklerose auch unter dem Bilde
einer Myelitis verlaufen [Morawitz (15)] und eventuell die Diffe-
rentialdiagnose gegenüber einer Rückenmarkskompression schwierig
sein. Hauptsächlich die Fälle von multipler Sklerose, in denen
die Schmerzen besonders hervortreten und cerebrale Symptome
fehlen, können zu solchen differentialdiagnostischen Schwierigkeiten
Veranlassung geben [Nonne (16)].
Manchmal beginnt die multiple Sklerose mit einer Hemi-
plegie, die apoplectiform — meist unter Fiebererscheinungen —
auftritt, deren Erscheinungen ia kurzem aber wieder verschwinden.
Da sich’ ähnliche apoplectiforme Anfälle auch im Beginn und Ver-
lauf der progressiven Paralyse finden, so kann auch diese einmal
der Anlaß zu diagnostischen Zweifeln sein. Aber abgesehen davon,
daß bei der progressiven Paralyse nach jedem solchen Anfall eine
deutliche Verschlechterung zu beobachten ist, wird hier der psy-
chische Befund — Charakterveränderung, Abnahme der Urteils-
fähigkeit, ethische Defekte, Merkfähigkeitsstörungen, fehlende
Krankbeitseinsicht — schon die Diagnose ermöglichen. Dazu
kommt bei der progressiven Paralyse dann noch die reflektorische
Pupillenstarre und die typische Sprachstörung — verwaschene
Sprache und Silbenstolpern im Gegensatz zu der skandierenden
Sprache bei multipler Sklerose —, schließlich die Zell- und Eiweiß-
vermehrung und der positive Wassermann im Liquor .cerebro-
spinalis.
Die Fortschritte der letzten Jahre in der Diagnostik der
multiplen Sklerose liegen erstens; wie wir gesehen haben, in der
'Frühdiagnose und der Kenntnis der unausgebildeten Fälle, zweitens
‘aber weiter auch darin, daß wir einzelne vom gewöhnlichen klini-
schen Bild abweichende, durch die besondere Lokalisation des .
anatomischen Prozesses bedingte Formen der multiplen Sklerose
kennen gelernt haben.
Eine anscheinend nicht allzu seltene unter diesen atypischen |
Verlaufsformen ist die sakrale Form der multiplen Sklerose, die
zuerst von H. Oppenheim (17) beschrieben, inzwischen. aber auch
von andern öfters beobachtet‘worden ist [Mendel (18), Cursch-
mann (19)]. Bei dieser Form stehen entsprechend der vorwiegenden
Lokalisation der Herde im Conus terminalis Blasen-, Mastdarm-
und Potenzstörungen .im Vordergrund. Auf eine eigentümliche
'„dissoziierte“ Form der Potenzstörung, die gerade bei dieser
Conuslokalisation der multiplen Sklerose auftreten kann und sich
in Erhaltensein der Erektion, Verlangsamung der Ejakulation und
absolutem Fehlen des Orgasmus äußert, hat Curschmann an der
Hand eines derartigen Falles hingewiesen (19).
Cassierer (20) hat eine besondere Verlaufsform der mul-
tiplen. Sklerose geschildert, dje mit Erscheinungen einer akuten
Affektion des Halsmarks und der Medulla oblongata: einsetzt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. | 1919
Ä Eine ungewöhnliche Form: beschrieb ferner Oppenheim (21)
als „pseudotabische“. Daß bei der multiplen Sklerose auch die
Hinterstränge mit befallen sind und es infolgedessen zu Hinter-
seitenstrangsymptomen kommt, so zu spastisch-ataktischem Gang,
ist nichts Seltenes. In dem von Oppenheim beschriebenen Falle
zeigte das Krankheitsbild im Anfang aber — abgesehen vom
Fehlen der Bauchdeckenreflexe — ausschließlich tabische Sym-
ptome (fehlende Sehnenreflexe, 'Hypotonie, Ataxie, Gürtelgefühl,
Blasenstörungen), und erst im weiteren Verlaufe traten- typische
Symptome der multiplen Sklerose (Nystagmus, Intentionstremor,
Babinski) dazu. Dieser pseudotabische Typus ist, wie Oppen-
heim selbst hervorhebt, ein recht seltener.
Die multiple Sklerose ist eine Erkrankung des jugendlichen
Alters, die weitaus meisten Erkrankungsfälle beginnen: zwischen
dem 15. und 30. Jahre. Sehr selten ist ihr Auftreten im Kindes-
alter, doch ist kürzlich von Nobel (22) ein Fall von multipler
Sklerose, in dem die Diagnose durch die histopathologische Unter-
suchung. sichergestellt werden konnte, bei einem - 21/ojährigen
Kinde beschrieben. worden. Ä
Die Prognose der multiplen Sklerose ist insofern nicht
günstig, als es sich um ein Leiden handelt, dem trotz langer
Stillstände und zeitweiliger weitgehendster Besserungen im all-
gemeinen doch gewöhnlich eine deutliche Tendenz zum Fort-
schreiten eigen ist. Doch hat gerade die klinischo Beobachtung
‚der letzten Jahre und die Kenntnis der leichteren Fälle gezeigt,
daß die Prognose nicht unter allen Umständen so ungünstig ist,
wie man das früher gewöhnlich angenommen hat. So hat Maaß
einen Fall veröffentlicht, der, nachdem die anfänglichen Symptome
— Sehstörung, verlangsamte Sprache, Schwäche der Beine,
Blasenbeschwerden — verschwunden waren, dann bereits 13 Jahre
lang frei von allen nervösen Beschwerden geblieben war, und bei
dem als Zeichen der vorhandenen multiplen Sklerose nur das
Fehlen der Bauchdeckenreflexe, temporale Ablassung der Papille
und das Babinskische und Oppenheimsche Phänomen dauernd
bestanden [Maaß (23)]. |
- Zur Behandlung der multiplen Sklerose ist eine ganze Reihe
der verschiedensten Medikamente angegeben worden, aber auch
hier steht leider die Zahl der. angegebenen Mittel in umgekehrtem
‚Verhältnis zu ihrer Wirksamkeit. Arsen, Argentum nitricum,
Credesche Salbe, Jod, Quecksilber, in neuerer Zeit auch Salvarsan,
ferner Zink- und Eisenpräparate sind empfohlen worden. Auch
mit der Radiotherapie will man Besserungen erzielt haben
[Marinesco (24)]. In neuester Zeit ist die multiple - ‚Sklerose mit
Fibrolysiniujektionen — angeblich erlolgreieh — behandelt worden
[Fraenkel (25)].
Ein specifisches Mittel, durch das wir den Krankheitsprozeß
selbst beeinflussen könnten, ist uns jedenfalls nicht bekannt.
Die Aufgabe der Therapie der multiplen Sklerose kann es
daher nur sein, erstens für den Eintritt der im klinischen Ver-
laufe gewöhnlich von selbst sich einstellenden Re- beziehungsweise
Intermissionen möglichst günstige Bedingungen zu schaffen, und
zweitens einzelne Symptome zu bekämpfen.
Das erstere wird erreicht durch Fernhalten aller Schädlich-
keiten und durch möglichste Kräftigung des Allgemeinbefindens.
Man soll daher alle eingreifenden therapeutischen Prozeduren vèr-
| .meiden; gerade bei der multiplen Sklerose kann durch unvernünf-
tige Behandlung sehr viel geschadet werden. Man soll es sich
ferner zur Regel machen, jeden, bei dem man die Diagnose mul-
tiple Sklerose gestellt hat, zunächst wenigstens 14 Tage lang ab-
solute Bettruhe einhalten zu lassen, selbst dann, wenn seine Be-
schwerden nur geringfügige sind, und man soll ihn dann auch
weiterhin vor allen größeren Anstrengungen sich in acht nehmen
lassen. Für Kräftigung des. Allgemeinzustandes sorgt man durch
entsprechende Ernährung und gibt am besten gleichzeitig Arsen in
irgendeiner Form (Sol. Fowler., Kakodylinjektionen, Trinkkuren mit
Levico oder Dürkheimer Maxquelle). Denn das bei der multiplen
Sklerose vielfach besonders empfohlene Arsen [Willige (26)] hat,
wenn auch sicher ebensowenig wie die andern empfohlenen Mittel
irgendeinen speeifischen Einfluß, so doch vielleicht eine gewisse
Wirkung dadurch, daß es. zur Hebung des Gesaraternährungs-
zustandes beiträgt.
Von den einzelnen Symptomen der multiplen Sklerose wird
man wohl am häufigsten die Spasmen zu bekämpfen haben. Hier
empfehlen sich lauwarme, indifferente Bäder, von mänchen werden
Kohlensäurebäder bevorzugt, die Kranken können dann gegebenen-
falls nach Bädern wie Oynhausen, Nauheim, Kudowa, Altheide ge-
schickt werden. Kontraindiziert sind jedenfalls ausgesprochen
heiße oder kalte Bäder, wie auch jede Art energischer- Kalt-
.1902, Nr. 7.) — 24. Marinesco, Deux cas de sclérose en
1920
wasserkur, ebenso der faradische Strom, besonders in lokaler An-
wendung. l l
À In letzter Zeit ist zur Behandlung der Spasmen bei der
multiplen Sklerose auch die Förstersche Operation — die Durch-
schneidung der hinteren Rückenmarkswurzeln — herangezogen
und auch von gewissen Erfolgen mit dieser Methode berichtet
worden [Tschudi (27)]. Aber Förster selbst hat erst kürzlich
diesen Eingriff gerade für die multiple Sklerose als wenig ge-
eignet erklärt, da er nur bei solchen spastischen Lähmungen be-
rechtigt sei, bei denen der Krankheitsprozeß stationärer Natur ist
[Förster (28)]. Die andere Art, gegen die Spasmen chirurgisch
vorzugehen, nämlich mit Hilfe von Sehnenoperationen, stellt ein
viel weniger eingreifendes Verfahren dar, das aber, wie Vulpius (29)
betont, doch auch bisher schon, besonders bei geeigneter Nach-
behandlung, manches zu erreichen vermocht hat. Gerade die mul-
tiple Sklerose aber wird für eine chirurgische Behandlung über-
haupt im allgemeinen wenig geeignet sein.
| Gegen die bei der multiplen Sklerose ja nicht sehr häufig
vorhandenen Schmerzen wendet man, abgesehen von den üblichen
Nervinis, am besten die Anodengalvanisation an.
Literatur: 1. Müller, Frühdiagnose bei multipler Sklerose. (Med. Kl.
1905, Nr. 87, 38, 39.) — 2. Uhthoff, Untersuchungen über die bei der mul-
tiplen Hirosklerose vorkommenden Augenstörungen. (A. f. Psych. Bd. 21,
H.1u.2) — 3. Windmüller, Ueber die Augenstörungen bei beginnender
multipier Sklerose. (D. Z. ft. Nerv. Bd. 39, H. 1—2.) — 4. Müller, Ueber
einige weniger bekannte Verlaufsarten der multiplen Sklerose. (Neur. Zbl.
Bd. 24, H. 13.) — 5. Finkelnburg, Bauchmuskellähmung bel multipier Skle-
rose. (Med. KI. 1906, Nr. 5.) — 6. Curschmann, Bemerkungen zur Früh-
diagnose der multiplen Sklerose. (Ebenda 1906, S. 931.) — 7. Finkelnburg,
Zur Frühdiagnose der multiplen Sklerose. (M. med. Woch. 1910, Nr. 17.) —
8. Müller, Ueber sensible Reizerscheinungen bei beginnender multipler
Sklerose. (Neur. Zbl. 1910, Nr. i) — 9. Hauptmann und Hößli, Br-
weiterte Wassermannsche Methode zur Dilferentialdiagnose zwischen Lues
cerehrospinalis und multipler Sklerose. (M. med. Woch. 1910, Nr. 30.) —
10. Siecsi, Differentialdiagnose der Dementia paralytica, Sclerosis multiplex und
Lues spinalis auf Grund der cythologischen und chemischen Untersuchung der
Lumbalflüssigkeit. non f. Psych. u. Neur. Bd. 26, H. 4.) — 11. Nonne, Sero-
logisches zur multiplen Sklerose. (Neur. Zbl. 1910, S. 1261. [Sitzungsbericht].)
— 12, E. Schultze, Die Erkennung und Behandlung der multiplen Sklerose
in ihren früheren Stadien. (D. med. Woch. 1911, Nr. 8—10.) — 18. Bendix-
sohn u. Serog, Multiple Sklerose und Hysterie in ihren gegenseitigen Be-
ziehungen. (Med. Kl. 1911, H. 3.) — 14. Wendenburg, Seltene Zustands-
bilder bei multipler Sklerose. (Neur. Zbl. 1908, S. 606.) — 15. Morawitz,
Multiple Sklerose unter dem Bilde einer Myelltis transversa. (M. med. Woch.
1905, Nr. 45, S. 2170.) — 16. Nonne, Kasuistisches zur Differentialdiagnose
zwischen multiplier Sklerose und Rückenmarkskompression. (D. med. Woch.
1910, Nr. 37.) — 17. H. Oppenheim, Zur sakralen Form der multiplen Skle-
rose. (Neur. Zbl. 1907, Nr. 23.) — 18. Mendel, Zur sakralen Form der mul-
tiplen Sklerose. (Neur. Zbl. 1908, S. 112.) — 19. Curschmann, Beitrag zur
sakralen Form der multiplen Sklerose und zur Dissociation der Potenz-
störungen hierbei. (Neur. Zbl. 1908, S. 107.) — 20. Cassierer, Ueber eine
besondere Lokalisation und Verlaufsform der multiplen Sklerose. (Mon. f.
Psych. u. Neur. Bd. 17, H. 3.) — 21. Oppenheim, Ueber die pseudotabische
Form der multiplen Sklerose. (Neur. Zbl. 1910, Nr. 20.) — 22. Nobel, Mul-
tiple Sklerose bei einem zweieinhalbjährigen Kinde. (Med. Kl. 1912, H. 8) —
2. Maaß, Beitrag zur Prognose der multiplen Sklerose. (Berl. kl. Woch.
laques améliorés
par la radiothérapie. (refer. Neur. Zbl. 1910, S. 93.) — 25. Fraenkel, Ueber
Fibrolysininjektionen bei multipler Sklerose. (6. Jahresversammlung Deutscher
Nervenärzte 29. September 1912 [referiert Neur. Zbl.) — 26. Willige, Ueber
Arsenbehandlung organiseher Nervenkrankheiten. (M. med. Woch. 1910, H. 12.)
— 2%. Tschudi, Ueber einen Fall von Durchschneidung der sensiblen Rücken-
markswurzeln nach Förster bei multiplier Sklerose. (Korr. f. Schw. Ae. 1912,
H. 42) — 28. Förster, Die Indikation und Erfolge der Resektion hinterer
Rückenmarkswurzeln. (Wr. kl. Woch. 1912, S. 950.) — 29. Vulpius, Sehnen-
operation und Nervenoperationen bei spastischen Lähmungen. (Münch. med,
Woch. 1912, H. 59.)
Sammelreferat.
Neuere Arbeiten über narkotische Mittel, besonders Schlafmittel
von Dr. Max Seige, Partenkirchen.
1. Allgemeines,
‘Wenn sich das Gros der zu besprechenden Arbeiten im all-
gemeinen auf statistische Bemerkungen und Krankengeschichts-
auszüge beschränkt, so heben sich aus dieser Menge besonders
mehrere Arbeiten von Gregor (1, 2,3) hervor, der sich bemühte,
mit exakten Untersuchungsmethoden dem Wesen der Schlafmittel
nachzuspüren und dabei teilweise zu recht neuen und unerwar-
teten Ergebnissen kam. Betrachten wir zunächst die Wirkung auf
die rein intellektuellen Leistungen; Gregor untersuchte sie nach
der Bourdonschen Methode und dem Kraepelinschen Additions-
verfahren und verwandte nur gesunde Versuchspersonen, die sich
mit Interesse an den Versuchen beteiligten. Er gab die ge-
bräuchlichen Schlafmittel in den üblichen Dosen und konnte fest-
stellen, daß schon diese zu einer erheblichen Reduktion der geistigen
Arbeit und nach Gebrauch an wenigen Tagen nacheinander und
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November.
plötzlichem Aussetzen zu deutlichen Abstinenzerscheinungen führten,
Mit den klinischen Erfahrungen stimmt es überein, daß Paraldehyd
die geringsten Schädigungen der intellektuellen Leistungen be-
wirkte. Besonders interessant erscheint mir, daß die Bewertung
der eignen Leistungsfähigkeit der Versuchspersonen und die tat-
sächliche Leistung am Tage nach der Einnahme von Schlafmitteln
häufig im diametralen Gegensatze standen; so fühlten sich z, B,
einzelne Personen nach Veronalgaben sehr wohl, obgleich die
geistige Leistungsfähigkeit bedeutend gesunken war, andere hatten
nach schlechtem Schlaf und Gefühl von Erschöpfung (ohne oder
mit geringen Dosen Schlafmittel) erhöhte Leistungen. Diese Tat-
sachen sind doch wohl dazu angetan, uns gegen die Angaben der
Kranken in dieser Richtung recht skeptisch zu stimmen. Wenn
wir uns weiter zu der Einwirkung dieser Mittel auf das Cir-
culationssystem wenden, so fiel Gregor auf (2), daß bei
den angewendeten mittleren Dosen gebräuchlicher Schlafmittel
deutlich schädigende Einflüsse auf die Herztätigkeit zu beobachten
waren, im Gegensatze zu der allgemein herrschenden Ansicht von
der Unschädlichkeit dieser Hypnotica. Er bestimmte unter andern
möglichst exakt den systolischen und diastolischen Druck mittels
der Uskoffschen Versuchsanordnung; dabei fand er, daß gerade
das Veronal (beziehungsweise Medinal), von dem doch sicher mit
am wenigsten eine Schädigung des Circulationssystems erwartet
wird, am konstantesten bei fortgesetzter Medikation eine Her-
absetzung des Bilutdrucks bewirkt, während im Gegensatz
das häufig mit Mißtrauen betrachtete Trional nur in einem Viertel
der Fälle eine solche Wirkung hatte. Ueber die Schnelligkeit, mit
der die Druckverminderung eintritt, waren keine allgemein gül-
tigen Angaben zu erhalten, in fast ebenso viel Fällen trat die Er-
niedrigung des Niveaus bereits nach der ersten Dosis als im Laufe
der Medikation auf.
All diese Ergebnisse (die im Original nachgelesen werden
müssen) werden also sicherlich einerseits erneut zur Vorsicht
mahnen, anderseits auf die kombinierte Anwendung von ver-
schiedenen Narkoticis hinweisen, die ja leider in praxi fast nur
von Psychiatern gebraucht wird. Halbey (4) kommt auf Grund
theoretischer Voraussetzungen und klinischer Erfahrungen zum
selben Schlusse; so empfiehlt er z. B. die Vereinigung von
schwachen Hysoein-Morphininjektionen mit Gaben von Paraldehyd
oder anderseits die Kombination 2,0 Chloralbydrat + 0,5 Veronal.
Ferner behandelt er chronisch erregte Kranke, bei denen dio
Dauerbadbehandlung versagt, nicht wie üblich mit demselben
Mittel in refracta dosi mehrere Tage hindurch, sondern gibt am
ersten Tage 1,0 Sulfonal, am zweiten 1,0 Trional, am dritten
Veronal, weiter Paraldehyd usw. in drei Zeiteinheiten an einem
Tage (Referent, der diese Art der Behandlung‘ aus eigner Er-
fahrung nur empfehlen kann, möchte an Stelle des veralteten Sul
fonals eher Adalin und Neuronal vorschlagen). Nicht ganz beizu-
stimmen ist Halbey, wenn er sich darüber beklagt, das Er-
fahrungen über die kombinierte Anwendung von Sohlafmitteln zu
wenig in der Literatur niedergelegt seien; so sind ihm z. B. die
zahlreichen Bemerkungen Ziehens über dieses Thema [vgl. 2 B.
(5)] entgangen. '
Aeltere Schlafmittel. l
Ueber das vor etwa zwei Jahren eingeführte Adalin liegen
noch eine Anzahl Arbeiten vor, die im allgemeinen die früheren
Ergebnisse bestätigen. Gudden (6), der das Mittel längere Zeit
in großer Ausdehnung anwandte, empfehlt z. B. bei Angs-
zuständen und psychischer Depression oder irritativen Horzusı-
rosen refrakte Dosen bis zu viermal 0,5 über den Tag verteilt;
will man jedoch eine schlafmachende Wirkung erzielen, 80 rät or
sofort mit einer vollen Dosis von 1,0 bis 1,5 g, am besten eine Stunde
vor dem Schlafengehen in heißem Getränke genommen, vorzugehen.
Er bezeichnet das Adalin als „geradezu ideales Sedativum un
Hypnoticum für die allgemeine Nervenpraxis“. Nicht ganz 8
entzückt ist Glombitza (7), der es.allerdings bei Psychosen allet
Art gebrauchte. Während er es als Sedativum bei leichten I
mäßig schweren Fällen lobt, versagte es bei schweren Erregung
zuständen völlig, selbst wenn er bis zu recht hohen Dosen Ve
mal 1,0 g pro die!) ging. In drei Fällen sah er bei länger fo A
gesetzter Gabe von dreimal 1,0 Adalin am Tage ernster
kationserscheinungen, die jedoch nach Aussetzen des Mittels are
zurückgingen. (Er ist im übrigen der Meinung, daß der allgemenz”
Anwendung des Mittels wohl der unverhältnismäßig hohe Fre j
im Wege stehen werde.) Gleich Glombitza konnten auch Pori
wall (8) und Walter (9) eine Angewöhnung an das Mittel i
feststellen. Ersterer sieht sein besonderes Anwendungsgebiet
24. November.
Kindern, Greisen, Alkoholikern, Schwangeren, ferner bei Psychosen,
die mit organischen Erkrankungen sowie mit Schwangerschaft
vergesellschaftet sind. Ebenso wie Glombitza sah er es bei
starken Erregungszuständen ohne Wirkung bleiben, auch bei großen
körperlichen Schmerzen versagte es zeitweise. Walter sah be-
sonders bei nervöser Agrypnie, aber auch bei organischen Herz-
fehlern und bei Herzneurosen gute Erfolge; interessant ist es,
daß er bei einem bromintoleranten Kranken auch bei Adalin Er-
scheinungen von Bromismus sah (Adalin enthält ja eine ziemlich
beträchtliche Brom-Komponente).
Einen Fall von chronischem Veronalmißbrauche, wie er bis
jetzt wohl noch nicht klinisch beobachtet wurde, schildert Hans
Laehr (10): Eine sicher psychopathisch veranlagte Kranke hatte
61/2 Jahre hindurch täglich Veronal genommen, zuletzt etwa 1,5 g
pro die. Im Anschluß an eine psychische Erregung trat dann ein
ängstlicher Verwirrtheitszustand von 14 Tagen auf, der große
Aehnlichkeit mit einem Delirium potatorum darbot. Die Sehnen-
und Hautreflexe fehlten zeitweise, der Urin enthielt Eiweiß, auch
von Seiten des Circulationssystems bestanden vereinzelte Stö-
rungen. Wenn auch der klinische Befund nicht ganz zweifelsfrei
ist, so handelt es sich doch wohl mit größter Wahrscheinlichkeit
um eine Veronalpsychose (eine Alkoholätiologie kam nicht in Be-
tracht); ob die plötzliche Abstinenz als Mitursache in Betracht
kommt, kann dahingestellt bleiben. Als eine Folge der oben
skizzierten Bestrebungen auf Kombination verschiedener Narkotica
war wohl auch die den Lesern dieser Zeitschrift bekannte chemische
Verbindung des Chinins und Veronals das Chineonal zu setzen,
das nach Winternitz (11) dann angewandt werden soll, wenn es
zweckmäßig erscheint, der specifischen Wirkung des Chinins eine
sedative, z.B. bei Unruhe oder Schmerzen, hinzuzufügen. Aehnlich
hat ja seiner Zeit v. Noorden (12) das Veronal mit dem Phenacetin
zusammengefügt. Baer (13) kommt jetzt auf dieses Mittel zurück,
das der Formel
Natr. diaethylbarbitur. . . 0,3
Phenacetin RE u mea
Codein. phosphor. . . . 0,025
entspricht und unter dem Namen Veronacetin vertrieben wird. Er
empfiehlt es als wirksames Hyproticum und Sedativum ohne schäd-
liche und unangenehme Nebenwirkungen. Ob es allerdings zweck-
mäßig erscheint, für all diese Kombinationen neue Namen auf-
zustellen, kann sehr dahingestellt bleiben (Ref.).
Im Gegensatz zu den neu auftauchenden Mitteln habe ich (14)
kürzlich darauf hingewiesen, daß das Neuronal verdient, nicht ver-
gessen zu werden als Hypnoticum in einfacher, als Sedativum in
mehrtägiger refraktärer Dosis. Besonders fand ich es in Kom-
bination mit Amylenhydrat bei bedrohlichen epileptischen Zu-
ständen, ferner zusammen mit Antifebrin bei organischen Schmerzen
aller Art wirksam.
Es dürfte wohl nicht überflüssig sein, in diesem Zusammen-
hange näher auf einige, das Scopolamin betreffende Arbeiten ein-
zugehen. So hat Sachs (15) die enorm wichtige Frage der Halt-
barkeit der Scopolaminlösungen nachgeprüft und fand, daß auch
bei in Ampullen aufbewahrten Lösungen die eine Art der Wirkung
(Antagonismus gegenüber Muskarin am Froschherzen) nachläßt,
die andern jedoch erhalten bleiben; er ist der Meinung, daß diese
Fragen sich nur praktisch an einem großen Material lösen lassen.
Eine neue Art der Anwendung des Scopolamins empfiehlt
Fromme (16), nämlich eine protrahierte Scopolaminnarkose zum
Zweck der Morphiumentziehung; er will die Kranken dauernd in Nar-
kose halten, bis die Abstinenzerscheinungen bei plötzlichem Aussetzen
des Morphiums verschwunden sind, und hat dabei (selbstverständlich
streng klinische Behandlung vorausgesetzt) keinerlei üble Folgen
gesehen. Die Angaben Frommes, die er auch theoretisch zu
stützen versucht, bedürfen wohl noch sehr der Nachprüfung;
immerhin ist ja auffallend, daß, abgesehen von einzelnen Idiosyn-
krasien, Scopolamin wohl besser vertragen wird als man annehmen
sollte. So hat kürzlich Robert Zimmermann (17) einen Fall
veröffentlicht, bei dem ein Patient versehentlich außer zweimal 0,02
Pantopon 7 mg Scopolamin injiziert bekam und die Vergiftung gut
überstand; hervorstechend war in diesem Falle die Lähmung des
Atemcentrums, während alle andern Intoxikationserscheinungen in
den Hintergrund traten. Franck (18) beobachtete einen Fall von
chronischem Scopomorphinismus, bei dem sich ein Kranker zirka
ein Jahr lang zuletzt dreimal täglich (0,00012 Scopolamin + 0,03
Morphium) injiziert. Es kam zu schweren psychischen Verände-
Tungen, Abmagerung, profusen Schweißen und Reizsymptomen von
seiten des Nervensystems. Die Entziehung gelang glatt in einigen
Wochen. Von chirurgischer Seite liegen anderseits Arbeiten vor,
1912 — MEDIZINTSCHE KLINIK — Nr. 47. 1921
die auf die Gefährlichkeit der Morphium-Scopolaminnarkose in
manchen Fällen hinweisen. So warnt z. B. Brunner (19) in einem
„Vorsicht mit dem Scopolamin“ benannten Aufsatze davor und rät,
lieber zur alten Inhalationsnarkose zurückzukehren; jedoch er-
scheinen seine Daten nicht ganz einwandfrei; einesteils, da er doch
stets außer den Injektionen noch eine Inhalationsnarkose einleitete,
andernteils, da die behaupteten schädlichen Folgen sicher teilweise
auf Rechnung des Morphiums beziehungsweise Pantopons zu setzen
sind. Auffallend ist, daß von ihm (wie überhaupt in der chirurgi-
schen und gynäkologischen Literatur) die psychiatrischen Erfah-
rungen fast gar nicht berücksichtigt sind; dabei ist das Mittel seit
über einem Vierteljahrhundert (näheres vgl. Sohrt, Diss. Dorpat
1886) in den Irrenanstalten in Verwendung und es ist von den
Psychiatern über seine Wirkungen und Nebenwirkungen viel dis-
kutiert worden; trotzdem kommt Brunner zu Ansichten wie z. B.,
„daß wir über die pharmakodynamische Wirkung des Mittels
schlecht orientiert seien“.
Zum Schluß verlohnt es sich vielleicht noch, auf die Be-
mühungen einzugehen, dem Pantopon das Morphium zu entziehen.
Winternitz (20, 21) weist darauf hin, daß vor allem das Mor-
phium deletär auf die Atmung einwirke und hat deshalb Versuche
mit einem von Hoffmann, La Roche & Co. hergestellten morphin-
freien Pantopon („Opon“) gemacht und gefunden, daß es in Dosen
von 0,5 bis 1 g eine ausgesprochen hypnotische Wirkung hat.
Zwar soll es wegen des schlechten Geschmacks und des großen
Volumens der wirksamen Dosen nicht in den Handel kommen,
doch scheint hier immerhin ein Hinweis auf neue Wege gegeben
zu sein.
Neu eingeführte Mittel. |
Eine harte Nuß für den gewissenhaften Chronisten stellt das
Luminal dar;:ich konnte über dieses in kurzer Zeit über 20 Ver-
öffentlichungen (3, 22 bis 39) finden. In dieser Zeitschrift wurde
schon von Raecke (22) und Dockhorn (23) das Mittel ausführlich
besprochen. Zu ähnlichen Resultaten wie diese Untersucher kam
auch der größte Teil der übrigen Arbeiten. Das Luminal ist nach
Impens (24) Phenyläthylbarbitursäure, also ein naher Verwandter
des Veronäls. Nach den Tierversuchen übertrifft es dieses an
hypnotischer Wirkung, jedoch fehlt ihm die latente, aufregende,
konvulsivische Tendenz des Veronals. Da das Luminal nur sehr
schwer löslich ist, wird es zu Injektionszwecken als Luminal-
natrium empfohlen, das sich in kaltem Wasser leicht löst. Aller-
dings darf diese Lösung nicht allzu lange aufgehoben (25) oder ge-
kocht (28) werden, da sie sich zersetzt. Reiss, der nach der In-
jektion von Lösungen von Luminalnatrium derbe Infiltrate ent-
stehen sah (34), führt dies Mißgeschick direkt auf derartige zer-
setzte Lösungen zurück. Fürer (39) sah indessen Nekrosen auch
bei subcutaner Injektion von frichbereiteter Lösung entstehen,
allerdings litt seine Patientin an einer „sklerodermieartigen“
Hauterkrankung. Die Dosierung wird im allgemeinen als 0,2 bis
0,4, bei schweren Erregungszuständen bis zu 0,3 angegeben,
Eder (25) ging sogar bis zu 12 g pro Dosis. Häufig wird
angegeben, daß das Mittel ungefähr die doppelte Wirkung
wie Veronal habe; Emanuel (26) setzt die Wirkung von
0,4 Luminal = 4 dmg Scopolamin + 1 eg Morphium. Häufig
wurde es längere Zeit hintereinander ohne Beschwerden gegeben,
so von Gräffer (29) 18x 0,45 g, von Juliusburger (30) 23 x0,6 g,
von Sioli (37) 32x02 g. Außer der subcutanen und internen
Darreichung und auch häufig die per clysma oder als Suppositorium
empfohlen. Die Wirkung wird im allgemeinen als gut und sicher
angegeben, häufig fällt auf, daß das Mittel eine protrahierte Wir-
kung hat, Reiß hat sie noch bis zum dritten und vierten Tage
beobachtet; dabei tritt jedoch die Wirkung im allgemeinen auch
langsam ein, nach Geißler (27) dauert es bis zu anderthalb
Stunden, bis es seine volle Wirkung entfaltet, sodaß es in dieser
Beziehung dem Scopolamin wohl keine Konkurrenz machen wird.
Der gleichen Meinung ist Patschke (35), während Juliusburger
“doch glaubt, daß durch das Luminal das Hyocin „aus seiner Vor-
herrschaft verdrängt wird“. Von besonderen Indikationen scheint
es in der Tat bei Epilepsie eine besondere Wirkung zu haben, so
z. B. Meyer (33); Kio (31) konnte sogar in einzelnen Fällen das
Brom direkt durch Luminal ersetzen. Ferner wird es von Emanuel
und von Juliusburger bei Morphiumentziehungskuren empfohlen.
Nach Gräffer hat es eine specifische Wirkung auf die Zitter-
bewegungen bei Paralysis agitans, sodaß ein derartiger Kranker
nach 0,5 g seit einem Jahre zum ersten Male wieder Gegenstände
mit den Fingern festhalten und sogar schreiben konnte. Nach
Eder setzt es bei Chorea die Bewegungen herab. Löwe empfiehlt
es gegen lancinierende Schmerzen bei Tabes, Sioli bei Hunting-
wor
1922
tonscher Chorea. Mit Scopolamin kombiniert brachte es nach
letzterem auch bei stärksten psychischen Erregungszuständen eine
sehr gute Wirkung hervor (höchste Dosis 0,6 Luminal + Img
Seopolamin), Juliusburger empfiehlt statt Scopolamin-Morphium
zu geben Luminalnatron 0,3 + Morphium 1 cg bis 11/a eg, aller-
dings müssen beide getrennt gegeben werden, da sich beim Mischen
ein Niederschlag bildet. Wenden wir uns nun endlich den Neben-
wirkungen zu; auf die Hauterscheinungen nach Injektion wurde
schon hingewiesen. Zunächst berichtet der größte Teil der Beob-
achter über flüchtige Arzeneiexantheme, die schnell wieder ver-
gingen. Wir kennen diese ja schon vom Veronal her, sie sind
auch beim Luminal nicht verwunderlich. Mehrfach fällt nach
längerer Darreichung taumelnder Gang und Schwindel auf. Gräf fer
registriert sechs Fälle von Benommenheit, Schwindel und bis in
den Tag hineinreichende Schläfrigkeit, Patschke und Schäfer
(36) warnen vor der Anwendung bei Arteriosklerose beziehungs-
weise bei decrepiten Leuten, Schäfer schiebt doch einen Exitus
bei einem hochgradigen Arteriosklerotiker mit chronischem Luft-
röhrenkatarrh teilweise auf zwei Luminalgaben. Gesondert müssen
die Angaben Gregors (3) besprochen werden, da dieser sich viel
exakterer Untersuchungsmethoden als alle andern Untersucher
bediente. Er fand bei 0,4 g bei intelligenten Kranken schon häufig
subjektive Beschwerden; bei der Untersuchung mit den zu eingangs
erwähnten Methoden konnte er eine starke Herabsetzung der psy-
chischen Leistungsfähigkeit und eine Herabsetzung des Blutdrucks
konstatieren. Er rät deshalb dringend, mit kleinen Dosen (0,2 g)
zu beginnen und langsam fortzuschreiten.
Auf das Adamon wurde in dieser Zeitschrift bereits von
Bogner (40) hingewiesen. Neuerdings findet es einen warmen Für-
sprecher in v. Rad (41); es ist kein eigentliches Hypnoticum,
jedöch hat es eine derart beruhigende Wirkung bei unruhigen und
ängstlichen Kranken, daß manchmal die Anwendung von Schlaf-
mitteln überflüssig wird. Besonders bewährte es sich nach Y. Rad
gegen Zwangszustände verschiedener Art, z. B. Agora- und Claustro-
phobie. Es ist geruch- und geschmacklos (wohl das einzige Baldrian-
ersatzpräparat, das diese Eigenschaften aufzuweisen hat) und zeitigt
auch nicht das lästige Aufstoßen, das viele äbnliche Mittel so un-
angenehm in der Anwendung macht. Es wird in Dosen von 0,5 bis
2,0 angewandt. Ebenfalls ein Baldrianpräparat ist das Trivalin,
das nach Overlach (42) in 1 cem folgende Bestandteile enthält:
0,01935 Morph. valer.
0,00370 Coffein valer.
0,00506 Cocain valer,
Overlach rühmt dem Mittel nach, daß es vor dem Mor-
phium folgende Vorzüge habe: 1. daß der Patient frei von Uebel-
keit und Erbrechen bleibe, 2. daß keine Herzlähmungen und 3. daß
keine Lähmungserscheinungen von seiten des Atemcentrums zu
befürchten seien (die theoretische Begründung hierfür muß im Ori-
ginale nachgelesen werden). Das Trivalin soll dabei die schmerz-
stillende Wirkung des Morphiums in wesentlicher Steigerung auf-
weisen und das Sensorium völlig freilassen. Wenn sich diese
Eigenschaft wirklich auf die Dauer bewähren sollte, so würden wir
in ihm einen großen Fortschritt zu verzeichnen haben. Es wird
stets subcutan angewandt.
Die Frage, die die Wirksamkeit, Toxieität und Anwendung
der verschiedenen Alkaloide des Opiums betreffen und auf die wir
bereits oben hinwiesen, haben nun Straub (43) zu neuen Wegen
geführt. Er ging davon aus, daß das Opium doch viel. stärker
und anders wirke als das Morphin, obgleich letzteres ungefähr die
Hälfte des Opiums ausmacht und von den übrigen Nebenalkaloiden
der größte Teil unwirksam ist. Er fand nun, daß die Steigerung
der Morphinwirkung zur vollen Opiumwirkung in erster Wirkung
auf Rechnung des Narkotins zu setzen sei, obgleich das Narkotin
an sich so gut wie keine Wirkung zeigt, also wieder ein Fall
von Synergismus zweier gleichzeitig applizierter Arzneistoffe, wie
wir ihn oben erwähnten. Das Narkotin ist im Opium in wechseln-
der Menge (höchstens in 10°/)) enthalten, und es galt nun fest-
zustellen, welche Kombination von Morphin und Narkotin in jeder
Beziehung die günstigste sei. Far
Die Forschungen, die zu äußerst merkwürdigen Resultaten
führten, ergaben ein optimales Mischungsverhältnis von 1 Mor-
phin + 1 Narkotin, zweckmäßigerweise wurden diese beiden Al-
kaloide mit der (wahrscheinlich aus gleichem Grunde sich im
Opium findenden) Mekonsäure verbunden und das Präparat unter
der Bezeichnung „Narkophin“ in den Handel gebracht. Nach
dem Tierversuche hat es den Anschein, als ob das Narkotin die
Verteilung des Morphins im Nervensysteme so verschiebe, daß das
Großhirn mehr, das Atemeentrum weniger des Mittels abbekomme,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 1.
24. November.
also eine recht günstige Erscheinung. Interessant ist endlich noch,
daß die einzige Opiumzubereitung, die höheren Narkotingehalt
haben kann, das Rauchopium ist und dab wir hier vielleicht. ein-
mal wieder nachträglich die theoretischen Grundlagen einer empi-
rischen Gewohnheit finden. In der Praxis wurde das Narkophin
von Zehbe (44) und Schlimpert (45) gebraucht. Zehbe wandte
es bei einer ganzen Anzahl interner Erkrankungen hauptsächlich
in Tropfenform (bis zu 30 Tropfen einer 30/nigen Lösung), aber
auch subcutan (1 cem = 0,08) an. Es wirkte etwas schwächer
hustenreizstillend als Kodein, kann aber in größeren Dosen ge-
geben werden. Denselben Vorzug hat es gegenüber dem Mor-
phium, das etwas stärker wirkt.
sehen von einer Verlangsamung der Peristaltik) fast gar nicht
beobachtet, indessen wurde der bittere Geschmack als sehr lästig
empfunden. Besonders gute Wirkungen schien es bei psychischen
Erregungszuständen verschiedener Art zu haben, auch die rein
hypnotische Wirkung war recht stark. Schlimpert benutzte es.
Nebenwirkungen wurden (abge-
stets subeutan (in obiger Dosis) in der gynäkologischen Praxis.
Gegenüber Morphium fiel bei schweren Schmerzen seine verlang-
samte Wirkung auf; anderseits war aber die narkotische Kraft
erhöht und Nebenwirkungen traten so gut wie gar nicht auf, so-
daß die Kranken selbst zu diesem Zwecke das Narkophin dem
Morphium vorzogen. Anderseits sieht Schlimpert in der Tat-
sache, daß die Lustgefühle nach Anwendung des Morphiums beim
Narkophin fehlen, einen weiteren Vorzug des Mittels, da dadurch
die Gefahr der Gewöhnung herabgesetzt wird. Noch wichtiger
erscheint aber der Ersatz des Morphiums (beziehungsweise Panto-
pons) bei der Morphium-Scopolaminnarkose. Es wurde zweimal
(0,03 Narkophin + 0,0003 Seopolamin) in Abständen von einer
Stunde der Operation vorausgeschickt und es waren bei diesen
Dosierungsvorschriften niemals schwere Atemstörüngen, wie sie
bei der Morphium- und Pantopon-Scopolaminnarkose . vorkommen,
zu beobachten. Auch hier trat die später einsetzende, aber dafür
sehr protrahierte Wirkung des Narkophins in den Vordergrund.
Alles in allem waren die Erfahrungen mit Narkophin so gute, dab
jetzt in der Krönigschen Klinik zur Erzielung eines die Haupt-
narkose bei der Operation einleitenden Dämmerschlafs ausschließ-
lich Narkophin in Kombination mit Scopolamin angewandt wird.
Es konnte nach all diesem nicht fehlen, ‘daß man auch ver-
' suchte, Veronal beziehungsweise seine Verwandten mit den Ab-
kömmlingen des Opiums zu kuppeln. Man fand nun [Otto
Gaupp (46)], daß das Codein, das chemisch eine starke Base ist,
das einzige Opiumalkaloid ist, das mit der Diäthylbarbitursdäurs
eine neue chemische Verbindung eingeht. Da ferner diese Ver-
bindung (Codeinum diaeihylbarbituricum) zu viel Codein enthält,
um direkt als Schlafmittel verwendet zu werden, versetzte man
es mit einer gewissen Menge des Natriumsalzes der Saure, und Otto
Gaüupp fand, daß das beste Verhältnis 2 Teile des Codeinsalzes zu
15 Teilen des Natriumsalzes der Diäthylbarbitursäure ist. Dieses
Mittel wird nun als Codeonal in den Handel gebracht, und Gaupp,
Bachem (47) und Beyerhaus (48) kamen zu gleichmäßig guten
Resultaten. Gaupp wandte es bei einer großen Zahl interne
Erkrankungen an und erzielte mit zwei bis vier der Original-
tabletten eine recht gute Schlafwirkung. Die Wirkung trat im
allgemeinen nach einer halben Stunde ein; in vereinzelten Fällen
von schweren organischen Erkrankungen traten Versager auf,
Schädliche Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet, nur IN drel
Fällen von Magenaffektionen beobachtete Gaupp Erbrechen und
leichte Magenschmerzen. Auch Stursberg (49), der schon seit
langer Zeit Veronal und Codein. phosphor. gemeinsam veror }
hatte, konnte mit zwei bis drei Tabletten einen guten Schlaf er:
zielen; auch gegen Hustenreiz bewährte es sich ihm mehr as
Codein. phosphor.; nach seinen Tierversuchen hat das Mittel eine
ganz beträchtlich geringere krampferregende Wirkung gegenüber
dem Codein. phosphor.
Das Amylencarbamat oder (mit dem Fabriknamen) Apon
wurde in der „Med. K1.“ bereits von Huber (50) besprochen;
neuerdings kann auch Simonstein (51) seine schlafmachande
Wirkung in Dosen von 1,0 bis 2,0 g bestätigen und weist b
sonders auf seine schnelle Wirksamkeit und auf die völlig fehlen-
den. Nachwirkungen hin, Eigenschaften, die. es wohl seiner Yel-
wandtschaft mit dem zu wenig gewürdigten Amylen. hydrat. vor
dankt. Ein großer Teil seiner Kranken konnte während der
Versuchstage ruhig seinem Berufe nachgehen.
Zu guter Letzt hätte ich noch des Aleudrins zu gedenken,
das der Harnstoffgruppe nahesteht. Nach den Versuchen WM
Maas (52), sowohl an Tieren als am Menschen, hat es ohne N® z
wirkungen eine narkotisierende und schmerzstillende Wirkung
94. November.
Dosen von 0,5—1,0 g. DieletztereDosis erzeugt einen mehrstündigen,
dem normalen gleichen Schlaf. Auch 3,0 g wurden ohne Neben-
erscheinungen vertragen. Die weitere klinische Prüfung ist im Gange.
An neuen und neuesten narkotischen Mitteln ist also wirk-
lich kein Mangel; hoffentlich wird die exakte Forschung bald
Spreu und Weizen gesondert haben!
Literatur: 1. Gregor, F. d. Med. 1912, Nr. 9 u.10. — 2. Derselbe,
Mon. f. Psych. u. Neur. Bd. 32, H. 1. — 3. Derselbe, Th. Mon. Juni 1912. —
4. Halbey, Ps.-neur. Woch. 1912/13, Nr. 13. — 5. Ziehen, D. med. Woch.
1908. — 6. Gudden, M. med. Woch, 1912, Nr. 2. — 7. Glombitza, M. med.
Woch. 1912, Nr. 6. — 8. Ehrenwall, Th. Mon. Nr. 4. — 9. Walter, Wr. kl.
Woch. 1912, Nr. 26. — 10. Laehr, Allg. Zt. f. Psych. Bd. 69.) — 11. Winter-
nitz, Med. Kl. 1912, S. 614. — 12. v. Noorden, Th. d. G. 1911, H.6. —
13. Baer, M. med. Woch. 1912, Nr. 9. — 14. Seige, D. med. Woch. 1912,
H. 39. — 15. Sachs, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 30. — 16. Fromme, ebenda
1912, Nr. 29. — 17. Zimmermann, M. med. Woch. 1912, Nr. 8. — 18. Franck,
ebenda 1912, Nr. 14. — 19. Brenner, ebenda 1912, Nr. 3. — 20. Winternitz,
ebenda 1912, Nr.16. — 21. Derselbe, Th. Mon. 1912. — 22. Raecke, Med. KI. 1912,
Nr. 21. — 23. Dockhorn, Med. KI. 1912, Nr. 31. — 24. Impens, D. med. Woch.
1912, Nr. 20. — 25. Eder, Th. d. G. 1912, Junih. — 26. Emanuel. Neur. Zbl.
1912, H. 9.) — 27. Geißler, M. med. Woch. 1912, Nr. 17. — 28. Goldstein,
D. med. Woch. 1912, Nr. 21. — 29. Graeffner, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 20. —
80. Juliusburger, ebenda 1912, Nr. 20. — 31. Kino, Th. d. G. 1912, Ser-
temberh. — 32. Loewe, D. med. Woch. 1912, Nr. 20. — 38. Meyer, Ps.-neur.
Woch. 1912, Nr. 17. — 34. Reiß, ebenda 1912, Nr. 5. — 35. Patschke, Neur.
Zbl. 1912, Nr. 14. — 86. Schaefer, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 22. — 37. Sioli,
M. med. Woch. 1912, Nr. 25. — 38. Wetzel, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 20. —
39. Fürer, M. med. Woch. 1912, Nr. 30. — 40. Bogner, Med. KI. 1912, Nr. 2.
— 41. v. Rad, Th. d. G. 1912, H. 2. — 42. Overlach, Zbl. f. i. Med. 1912,
Nr. 18. — 43. Straub, M. med. Woch. 1912, Nr. 28. — 44. Zehbe, ebenda. —
45. Schlimpert, ebenda. — 46. Gaupp, Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 7. —
47. Bachem, ebenda 1912, Nr. 6. — 48. Beyerhaus, D. med. Woch. 1912,
Nr. 9. — 49. Stursberg, M. med. Woch. 1912, Nr. 18. — 50. Huber, Med. KI.
1911, Nr. 32, — 51. Simonstein, Allg. med Zentralztg. 1912, Nr. 11. —
52. Maas, D. med. Woch. 1912, Nr. 26.
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate,.
Tsiminakis und Zografides (Athen) geben einen Beitrag zur
Aetiologie und Therapie der Epilepsie. Davon ausgehend, daß Reflex-
epilepsien beobachtet werden, welche ihren Grund in einem Leiden der
Nasenhöhle hatten, dazu von dem Umstand, daß auch andere Neurosen
zuweilen durch Entfernung der adenoiden Vegetationen oder der eventuell
gleichzeitig vorhandenen Hyperthrophien der Mandeln gebessert werden,
bielten Verfasser für zweckmäßig in einer Reihe von Fällen von Epi-
lepsie, bei denen sie adenoide Vegetationen in dem hinteren Teil der
Nasenhöhle fanden und bei denen die Untersuchung jede andere epilep-
togene Reize ausschließen ließ, die adenoiden Vegetationen zu entfernen.
Sie konnten beobachten, daß dieser Eingriff verbunden, mit der Exstir-
pation des größten Teils der Mandeln, welche Hypertrophie zeigten, das
gleichzeitige Aufhören der epileptischen Anfälle zur Folge hatte. Während
sieben der beschriebenen Fälle Kinder von 10 bis 15 Jahren betrafen,
handelt es sich bei der achten Beobachtung um einen 32jährigen Mann.
Verfasser empfehlen, daß in allen Fällen, wo im kindlichen Alter Epi-
lepsie auftritt, speziell auf die adenoiden Vegetationen oder Hypertrophien
der Mandeln als epileptogene Reizquellen geachtet werde. (Wr. kl. Woch.
Nr. 40, S. 1486.) Zuelzer.
Bei den neurasthenischen Ohrgeräuschen, wobei das Gehör-
organ bekanntlich intakt ist, muß vor einer lokalen Behandlung direkt
gewarnt werden. Sie muß die Aufmerksamkeit des Kranken unwillkür-
lich nur noch mehr auf sein Ohr hinlenken und bringt daher in der Regel
mehr Schaden als Nutzen. Ihre Wirkung könnte ja ohnehin nur rein
suggestiv sein. Gelingt es aber, wie Wittmaack ausführt, den Patienten
dazu zu bewegen, von seinen Empfindungen zu abstrahieren, so ist
er geheilt. Dagegen werden gerade die Ruhestunden, in denen der
Kranke sich und seinen Gedanken ganz überlassen ist, für ihn die un-
erträglichsten, weil er natürlich gerade in dieser Zeit, in der die von
außen einwirkenden Schalleindrücke besonders stark reduziert sind,
die im inneren Ohr entstehenden Geräusche besonders lästig empfinden
muß. In dieser Situation hat der Verfasser zuweilen mit unzweifelhaftem
Erfolg angeraten, zur Ablenkung von der Beobachtung der Ohrgeräusche
ein beständiges, mäßig lautes, gleichmäßiges oder rhythmisch wieder-
kehrendes Geräusch von außen auf das Ohr einwirken zu lassen, Er
empfiehlt also solchen Patienten dringend, nicht in einem möglichst ge-
räuschlosen Raume zu schlafen und zu ruhen, sondern entweder einen
längeren Aufenthalt in einer Gegend zu nehmen, wo sie beständig das
gleichmäßige Rauschen eines Gebirgsbachs oder ein ähnliches Geräusch
vernehmen, oder eine nicht zu laut tickende Weckuhr im Schlafzimmer
aufzustellen. An ein gleichmäßig forttönendes Geräusch kann sich jeder
Mensch durch systematische Uebung in relativ kurzer Zeit gewöhnen,
und wenn die ersten Tage der Anpassung überwunden sind, leistet dieses
Mittel oft vorzügliche Dienste. (D. med. Woch. 1912, Nr. 89.) F. Bruck.
Aus der inveren Abteilung des’ Augusta-Hospitals in Berlin (Ge-
heimrat Ewald) berichtet Paul Junghans über die Behandlung des
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 4. . | 1923
akuten Gelenkrheumatismus mittels rektaler Applikation einer
5°%/,igen Kollargollösung. Davon läßt man morgens und abends je 50 ccm
langsam unter geringem Druck in den Mastdarm einlaufen. Dieser muĝ
aber vorher durch Wasserklysmen von den Faeces und dann durch Nach-
spülen mit 1°oiger Sodalösung von dem der Wandung anhaftenden
Schleim befreit werden. Auch müssen die Klysmen mehrere Stunden
gut zurückgehalten werden. Dann ist nach den Erfahrungen des Ver-
fassers ein meist rascher und endgültiger Hoilerfolg, der auch fast immer
vor schweren Rezidiven schützte, die Regel. Auch war überall da, wo
früher vergeblich Antipyrese, Wärmeprozeduren usw. angewendet wurden,
ein Erfolg zu verzeichnen. Gröbere Veränderungen am Herzen traten nie
auf, die aus früherer Zeit bestehenden Vitien wurden nicht verschlimmert.
Das Verfahren ist allerdings etwas kostspielig. (D. med. Woch. 1912,
Nr. 45.) F. Bruck.
Ueber Magenerweiterung und ihre Behandlung sagt Hofrat
Dr. Crämer in München einiges Beherzigenswertes. Von den zwei bis-
her angenommenen Formen, der atonischen und stenotischen, anerkennt
Crämer eigentlich nur letztere, die erstere ist so selten rein vorkommend,
daß sie geradezu eine Rarität ist. Die Ursache muß beim Pylorus, und
zwar einem Vitium pylori, gesucht werden; der Pylorus ist dem Ven-
trikel des Herzens zu vergleichen. Stenose des Pylorus, Stagnation des
Mageninhalts und seine Gärung ist die Trias der Erweiterung.
Die Ursachen der Stenose sind mannigfaltige, Ulcus, Carcinom,
Spasmus, Hypertrophie, Tuberkulose, Gumma usw. Sorgfältige Diagnose
ist von Wichtigkeit, da die Therapie eine sehr dankbare ist. Die Ana-
mnese fördert immer wichtige Anhaltspunkte zutage: Frage nach dem
Erbrechen, Qualität und Quantität desselben; Inspektion, Abtastung; am
wichtigsten ist die Sondenuntersuchung. Die Behandlung zuerst intern,
diätetisch, nach den Finanzen des Kranken zu richten; Magenspülung
beherrscht die Therapie. Oelkur oft von ausgezeichneter Wirkung. Bei
Verdacht auf Carcinom und in hartnäckigen Fällen Operation. (Zt. f.
ärztl. Fortb. 15. Sept. 1912, S. 545.) Gisler.
Statt des Protargols empfiehlt O. Junghanns das Argentum
proteinieum Heyden bei weiblicher Gonorrhödöe, und zwar:
a) für die Urethra in 5°/viger Lösung, die täglich zweimal, je
eine Tripperspritze voll, in die Harnröhre injiziert wird,
b) für die Cervix uteri, die täglich einmal mittels Playfairscher
Sonde mit 10%siger Lösung ausgewischt wird,
c) für das Rectum in Form von Suppositorien mit 0,5 des Prä- -
parats, und zwar täglich zweimal.
Auch in der Behandlung der Vulvovaginitis und Urethritis
gonorrhoica der kleinen Mädchen hat sich das Mittel in 5°/oiger
Lösung bewäbrte Die Vagina wird hier täglich zweimal behandelt.
Nachdem sie mittels dünner Katheter mit einer Lösung von Hydrargyrum
oxycyanatum 1:3000 gespült worden ist, legt man Mullstreifen, die mit
der 5°/oigen Lösung des Argentum proteinicum Heyden getränkt sind,
tief in die Vagina ein. In die Urethra und eventuell ins Rectum
wird eine halbe Spritze dieser 5°/oigen Lösung injiziert.
Das neue Präparat leistet dasselbe wie das Protargol. Es ent-
spricht auch nach seinem Silbergehalte diesem Mittel. (Nach den Be-
stimmungen des Deutschen Arzneibuchs soll der Silbergehalt des Ar-
gentum proteinicum mindestens 8°/o betragen.) (D. med. Woch. 1912,
Nr. 38.) F. Bruck.
Die für die eitrigen Erkrankungen der Harnwege im Säuglings-
alter von verschiedenen Seiten erprobte Alkalibehandlung läßt sich
nach Hugo Nothmann auf diätetischem Wege durch Verabfolgung
der Kellerschen Malzsuppe vornehmen. Diese wird entweder nach der
Originalvorschrift (1/3 1 Milch, ?/s 1 Wasser, 100 g Looefflunds Malz-
suppenextrakt, 50 g Weizenmehl) oder so hergestellt, daß zu 1 1 dieser
Suppe noch '/s1 Wasser zugefügt wird (verdünnte Malzsuppe). Die ver-
abfolgten Mengen der Malzsuppe überstiegen nie 1 l, betrugen meist
zwischen 750 und 1000 ccm.
Die Gruppe der Säuglinge, denen man Malzsuppe verordnen kann,
ist ziemlich groß, da die pyelitischen Erkrankungen hauptsächlich im
zweiten Lebenshalbjahr angetroffen werden, also in einem Alter, das
an sich keine Kontraindikation gegen die in den ersten drei Monaten
weniger gut verträgliche kohlenbydratreiche Mischung bildet.
Die Malzsuppenbehandlung hat auch noch den Vorteil, daß sie die
Ernährungsstörung bessert, die ja bei den in Frage kommenden Kindern
fast niemals fehlt. Häufig regt auch die Malzsuppe die Appetenz an,
niemals jedoch läßt sie Verstopfung aufkommen. (Berl. kl. Woch. 1912,
Nr. 39.) F. Bruck.
Den Keuchhusten behandelt Althoff unter anderm hauptsächlich
mit Senfbädern und ganz besonders mit regelmäßig durchgeführten
Einreibungen von Mentholbalsam.
Das Senfbad gebe man abends vor dem Schlafongehen, es habe
1924 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
24. November.
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eine Temperatur von 35 bis 36° C und werde mit einem kühlen Ueber-
gub abgeschlossen, Drei Tage lang bade man jeden Abend, daun jeden
zweiten Abend; bis im ganzen 8 bis 10 Senfbäder verabreicht sind. Der
Senfmehlzusatz zum Bade beträgt durchschnittlich !/4 Pfund, ist aber je
nach der Stärke des Senfmehls eventuell etwas zu erhöhen; das Bade-
wasser soll deutlich Senfgeruch haben, aber nicht so stark sein, daß einem
die Augen dabei tränen. Nachdem das Senfmehl ins Badewasser ge-
schüttet ist, wird das Wasser etwa eine Minute umgerührt, dann das
Kind hineingebracht, und während des Bades. das Wasser ständig mit der
Hand umgerührt.
Zur Einreibung mit Mentholbalsam benutzt man entweder
den Benguösbalsam oder Balsamum Mentholi compositum
(enthaltend: Menthol, Methylsalicylat aa 10,0, Lanolin 12,0). Der Bengu6s-
balsam scheint besser zu wirken, ist jedoch teurer als Balsamum
Mentholi compositum. Man reibe mit einem gut haselnußgroßen Stück
Balsam morgens, mittags und nachmittags den ganzen Rücken ein, so-
daß dieser ganz leicht rot wird. Nachts gebe man einen lauwarmen
Brustumschlag von Wasser mit etwas Alkoholzasatz. (M. med. Woch.
1912, Nr. 43.) : F. Bruck.
Drouw empfiehlt bei Follikulitiden:
Rp. Bolus rubr. . . . . . . 05
Bolus alba . 2 2 22.35
Magn. carb.
Zinci oxyd aa . . . . . 40
Fermentin . . . . . . . 100
M. f. subt. pulv.
(Derm. Zbl. 1912, Nr. 1.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Bücherbesprechungen.
Balfour, Fourth Report of the Wellcome Tropical Research
Laboratories at the Gordon Memorial College Khartoum.,
Vol. A-Medical. London 1911, Bailliöre, Tindall & Cox. 404 Seiten.
Preis £ 1,1.
Balfour, Fourth Report of the Wellcome Tropical Research
Laboratories at the Gordon Memorial College Khartoum,
Vol. B- General-Secienee. London 1911, Bailliere, Tindall & Cox.
333 Seiten. Preis Sh. 18,—.
Balfour and Archibald, Second Review of some of the Recent
Advances in Tropical Medicine, being a supplement to the
Fourth Report of the Wellcome Tropical Research Labora-
tories at the Gordon Memorial College Khartoum. London
1911, Bailliöre, Tindall & Cox. 448 Seiten. Preis Sh. 15.—.
Die Herausgabe dieser nach Ausstattung und Inhalt gleich vor-
züglichen Berichte des Wellcome Tropical Research Laboratories ist durch
Aenderungen in der Mitarbeiterschaft und durch die außerordentliche
Vergrößerung und Bereicherung des Stoffes etwas verzögert worden. Die
Vielseitigkeit des Instituts selbst, sowie die Mitarbeit zahlreicher aus-
wärtiger Mitglieder nötigte zur Teilung des Berichts in Band A Medica-
und Band B General Science, obgleich auch der zweite Teil wissenschaft-
lich und allgemein Interessantes genug für den Mediziner bietet. In
dem speziell-medizinischen Teil ragen die Arbeiten Balfours und Archi-
balds besonders hervor. Balfour berichtet unter anderm ausführlich
über die Fortsetzungen seiner Untersuchungen der Hühnerspirochätose;
über den eigenartigen Entwicklungszyklus der Spirochäten, Zerfall in
Granula, intracelluläre Stadien und über die Bedeutung dieser infektiösen
„Granula“ überhaupt werden neue Befunde und Experimente mitgeteilt
deren Bestätigung allerdings einen wesentlichen Fortschritt der Spiro-
chätenfrage bringen könnte. In einer besonderen Arbeit schließt sich
Balfour der Hypothese Dreyers an, daß die menschliche Spirochätose
Aegyptens anscheinend durch ein nach Tierversuchen als eigne Art
erscheinendes Protozoon verursacht werden könnte, das er mit der Spir.
berberi (Sergent und Folly) aus Algier zu identifizieren geneigt ist;
Nordafrika hätte damit seine eigne Spezies des Rückfallfiebers. Auch
die durch schöne Abbildungen gestützten Mitteilungen über eine nicht-
ulcerierende Form der Orientbeule, über verschiedene Fieber im Sudan
und über allerlei Tierinfektionen sind erwähnenswert. Von Archibalds
Beiträgen seien genannt: Untersuchung einer neuen menschlichen Botrio-
inykosis, eines besonderen Fiebers mit Reinzüchtung des specifischen
Bacillus aus dem Blute (vier Fälle) und ebenfalls einer neuen Art der
Haut-Leishmaniose. Ueber die Schlafkrankheit im Sudan berichtet der
Präsident der Schlafkrankheitskommission selbst (Matthias); Fry gibt
den Versuch einer Einteilung der Tiertrypanosomen nach einem Meß-
system von Bruce; Buchanan bildet intracelluläre Stadien des
Tryp. brucei ab. Aus den Arbeiten (Bousfield, Thomson, Marshall)
über kala-azar, deren Entdeckung im englisch-ägyptischen Sudan erst jünge-
ren Datums ist, ist unter anderm bemerkenswert, daß in 86,6°/o der Fälle die
Parasiten auch im peripheren Blutausstriche gefunden wurden und daß die
spontane Infektion der Hunde (Nicolle) vermißt wurde. Auch der Teil B
enthält neben zoologischen, chemischen, ethnologischen und andern Ar.
beiten hygienisch interessante Aufsätze über tropischen Städtebau,
Wasserverhältnisse usw. — Der von Balfour und Archibald verfaßt
Ergänzungsband bringt eine lexikonartige Uebersicht der neuesten Er-
gebnisse der Tropenmedizin als Fortsetzung des ersten Bandes bis Mitte
1911, die zwar nicht vollständig sein konnte, das Wichtigste der ge-
samten Fachliteratur aber in klarer und übersichtlicher Form enthält,
Alle den Werken beigegebenen Abbildungen und Farbentafeln sind vor-
züglich, sodaß alle drei Bände auch weiteren Kreisen durchaus zu emp
fehlen sind. Dr. V. Schilling (Torgau).
Otto Körner, Lehrbuch der Ohren-, Nasen- und Kehlkopf-
krankheiten. 3. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 219
Textabbildungen und 1 Tafel. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann,
426 Seiten. M 11,—. |
, Studierende und Aerzte, die ein Lehrbuch zu Rate ziehen wollen,
müssen eine gleichmäßige Bearbeitung des ganzen für sie wichtigen Stoffes
verlangen. Ein solches Lehrbuch liegt aber hier nicht vor. Neben hreit
angelegten Kapiteln findet man andere, ebenso wichtige, ja noch wichtigere,
nur mehr oder weniger flüchtig gestreift. Darin liegt ein prinzipieller
Fehler des Buches. So wird die Geschichte der Otologie, Rhinologie
und Laryngologie auf 22 Seiten abgehandelt, während den Nebenhöhlen-
empyemen der Nase nur 16 Seiten, und davon für die Behandlung
dieser Affektionen nur knapp 2!/2, zur Verfügung stehen. Im übrigen
wäre noch folgendes zu bemerken: Die mehrfache Angabe „verdünntes
H02“ ist nicht präzis genug; gemeint ist doch eine Verdünnung der
30%/,igen offizinellen Wasserstoffsuperoxydlösung. Die äußerst wertvolle
Grubersche Modifikation des Politzerschen Verfahrens hätte erwähnt
werden müssen, da sie oft genug für den Allgemeinpraktiker leichter als
die Politzersche Luftdouche auszuführen ist. Von der Wirkung der
Gottsteinschen Tamponade bei der genuinen Ozäna sagt der Verfasser
nur: „Der Tampon saugt glles flüssige Sekret auf, und auch die vor
| handenen Borken haften so fest daran, daß sie mit ibm herausgezogen
werden können.“ Aber der Tampon wirkt zunächst durch seinen Reiz
als Fremdkörper sekretionsanregend auf die atrophische Schleimhaut
und erzeugt dadurch ein weniger wasserarmes Sekret; die so entstandene
flüssigere Absonderung saugt er dann allerdings sofort begierig auf wi
verhindert dadurch ihre Eintrocknung. Abgesehen von diesen Mängel
aber ist das Buch sehr zu empfehlen, namentlich auch dem Spezialisten;
denn es enthält, wie es ganz richtig im Vorworte heißt, „manche nicht
anderweitig veröffentlichte Erfahrungen und Ansichten des Verfassers’,
die kennen zu lernen großes Interesse bietet. Neu eingefügt ist der vor-
liegenden Auflage, worauf wir noch besonders hinweisen möchten, die Be-
schreibung der Autoskopie, der Tracheo-Bronchoskopie und der endo-
laryngealen Operationsmethoden. Dadurch hat das Buch an Wert be
trächtlich gewonnen. F, Bruck.
Arthur Sperling, (Sanatorium Birkenwerder bei Berlin), Hygienisch®
Morgentoilette. Mit einer Uebungstafel in 20 Bildern. München 1912.
Verlag von Otto Gmelin. 20 S. M 1,—.
Der durch seine hygienisch-diätetischen Schriften bekannte Autor
stelit in der vorliegenden Schrift den etwas gewaltsamen, unwissenschalt-
lichen Bestrebungen Müllers, die zweifellos in ihrer vielfach geühtan
Uebertreibung oft Unheil anrichteten, eine gut dosierte, durch die Ein-
fachheit der Ausführung auf den ersten Blick bestechende Methode der
Morgengymnastik gegenüber. Dabei treten in erster Linie, ein Punkt,
der sonst meist außer acht gelassen wird, die Bauch- und Brustmuskeli
in Tätigkeit, woraus sich wiederum wertvolle Folgerungen für Verdauung
und Appetit ergeben. Die Einzelheiten, welche das mehr populär $°
haltene Büchlein enthält, zeigen auch in dieser wichtigen Frage den
auf vielseitiger Erfahrung beruhenden praktischen Blick des Verfassers.
Beigefügte photographische Aufnahmen erläutern die gegebenen Rat-
schläge. Fr.
A. Pollatschek u. A. Charmatz, Die therapeutischen Leistung
des Jahres 1911. 23. Jg. Wiesbaden 1912, J.F. Bergmann. 339
M 10,65.
Die therapeutischen Leistungen des Jahres 19 em
Dr. Pollatschek und Dr. Charmatz in Karlsbad stellen em rech
brauchbares Nachschlagebuch dar, das nicht nur dem praktischen Àrzto,
sondern auch dem Spezialisten empfohlen werden kann. Die nenesten
Ergebnisse der Therapie aus der gesamten Medizin sind in übersicht
Weise geordnet, wobei die Verfasser in recht gelungener Weist J? 6s
Schematisieren vermieden haben. Das Literaturverzeichnis am
jedes Abschnitts ermöglicht die einzelnen Artikel im Original m
zulesen. Dr. Caro (Berlin-Wilmersdorl)
—
zum Schwinden gebracht werden können.
24. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
1925
Vereins- und Auswärtige Berichte. |
Bromberg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 30. September 1912.
| 1. Dettmer: a) „Ueber eine typische Nebenverletzung bei
Luxation im Ellbogengelenk“. Vorstellung eines Kranken mit operativ
erzielter Heilung von Ellbogengelenk-Luxation mit Absprengung der
Epitrochlea interna; Demonstration der Röntgenaufnahme.
b) Zur operativen Behandlung des Darmcarcinoms: Der
Vortrag wird illustriert durch Demonstration eines operativ gewonnenen
Präparats von stenosierendem Darmkrebs bei 60jähriger Patientin ‚mit
Ocelasionserscheinungen. Probelaparotomie ist in carcinomverdächtigen
Fällen stets angezeigt. Bei der Erörterung der technischen Seite der
Operation spricht sich Vortragender für das Mikuliczsche Verfahren
aus: Nekrotisierung des „Sporns“ mittels der M.’schen „Spornklemme*.
Für diagnostisch wichtig sieht Vortragender die gerade bei Carcinom des
Magendarmkanals häufigen Teleangiektasieon und punktförmigen Häman-
giome der Haut an.
Diskussion: Scherer warnt vor diagnostischer Bewertung dieser
Hautveränderungen, die sich bei Lungenkranken nicht minder häufig
fänden.
2. Brunk jun.: a) Subperlostaler Absceß infolge Choleste-
atoms des Warzenfortsatzes bei einem Knaben. b) Kiefereyste,
deren Entwicklung auch durch die Extraktion sämtlicher Zähne des er-
krankten Kiefergebiets nicht aufgehalten werden konnte. Nach Ent-
feroung der oralen Wand kolossaler Defekt mit Aussuchung der Mund-
höhle, der dauernde Störungen hinterlassen dürfte. In beiden demon-
strierten Fällen gingen der Radikaloperation wiederholte oberflächliche
Incisionen der eitrigen Anschwellungen seitens der vorbehandelnden
Aerzte voraus; vor solchen halben Eingriffen ist um so mehr zu warnen,
als die frühzeitige Radikaloperation vor Defekten wie im zweiten Falle
bewahren kann.
3. Bähr: a) Ueber Augenstörungen im Anschluß an die
letzte Sonnenfinsternis (April 1912). Elf eigene Beobachtungen, die
das vielfach diskutierte Krankheitsbild treffend illustrieren. Die Prognose
ist immerbin vorsichtig zu stellen, da länger andauernde, ja durch Jahre
bestehende Störungen aus früheren Zeiten sicher nachgewiesen sind.
b) Zwei Fälle von „Migräne ophthalmoplegique“. Eigene
Beobachtungen dieses eigenartigen Bildes von rezidivierender Oculo-
motoriuslähmung, einhergehend mit typischen Migräneanfällen.
Diskussion: Melzer berichtet über Beobachtungen von Blendung
bei Soldaten der hiesigen Garnison nach der diesjährigen Sonnenfinsternis.
Angstein berichtet an der Hand seines klinischen und poliklinischen
Materials über zahlreiche gleiche Beobachtungen.
4. Callomon: a) ,„Syphilisübertragung im Spätstadium“. Bericht
über einen Fall von ehelicher Uebertragung der 14 Jahre zuvor vom
Ehemann akquirierten Lues. Infektion 1898; typische Sklerose, Exanthem,
Corona veneris; bis zur Verheiratung wiederholte und energische Be-
handlung mit etwa 12 Hydrargkuren; autoritative Leitung eines Teils
dieser Kuren. Eheschließung nach Einholung ärztlicher Erlaubnis 1907.
Gattin bleibt 4!/s Jahre frei von Syphilis; kein Abort, keine Früh-
geburt. Sommer 1912 erscheint beim Ehemann ein tiefgreifendes, klein-
apfelgroßes Gummi des linken Oberschenkels, zugleich derbe, lenticulare
Papeln am Penis. Etwa 1!/; Monate später Auftreten einer typischen
Sklerose am Labium majus der Gattin, mit Scleradenitis inguinalis,
Wassermann bei beiden Ehegatten positiv. Abheilung unter kombinierter
Hg-Salvarsanbehandlung.
Dem Falle kommt insofern aktuelle Bedeutung zu, als eine solche
Beobachtung von Rezidivieren einer chronisch-intermittierend behandelten
Lues nach mehr als zehnjähriger Latenz zu besonderer Vorsicht
bei der Bewertung zwei- bis dreijähriger Salvarsanerfahrungen mahnen
muß. Auch erfährt die von Neißer im Tierversuche nachgewiesene, von
andern bestätigte und durch Spirochätenbefund gesicherte Infektiosität
der Tentiärprodukte durch den Fall erneut ihre klinische Bestätigung.
b) Mitteilungen aus dem Gebiete der Röntgentherapie. Referat
über den Stand der Tiefentherapie. (Christens, Halbwertschichtmesser.)
en Callomon.
Hamburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 18. Juni 1912.
Vortrag Kümmell: Die chirurgische Behandlung der ver-
schiedenen Formen der Nephritis, Es gibt Nierenerkrankungen, die
einer innerlichen Behandlung trotzen, aber chirurgisch angreifbar sind,
sodaß subjektive und objektive Krankheitserscheinungen gebessert oder
Das Gebiet der Nephritiden,
das operativen Eingriffen zugänglich ist, teilt K. in zwei große Gruppen,
die akute beziehungsweise subakute und die chronische Form. Zu der
ersten Gruppe gehören die Scharlachnephritis, die toxischen Nephritiden,
die Eklampsienephritis und die Nephritis apostematosa. Nach der günstigen
Wirkung chirurgischen Eingreifens bei Anurie anderer Nephritisformen
hält er bei schweren Formen von Scharlachnephritis die Dekapsulation
und Nephrotomie für wohl berechtigt. Auch die Anurie bei toxischen
Nephritiden kann durch Dekapsulation mit einem Schlage beseitigt werden,
Guten Erfolg hat die Dekapsulierung ferner bei der Eklampsieniere. Als
wichtigste Form der einem chirurgischen Vorgehen sehr wohl zugäng-
ichen Gruppe der akuten Nephritis muß die auf hämatogenem Wege
entstandene akute infektiöse Nephritis (Nephritis apostematosa) angesehen
werden. Bei ihr rät K. zu einer vernünftigen konservativen Therapie mit
Bevorzugung der Nephrotomie. Nephrektomie kommt nur dann in Frage,
wenn der infektiöse Prozeß sehr ausgedehnt ist und durch Opferung der
kranken Niere nur sehr wenig funktionsfähiges Nierengewebe verloren
geht. Eine Spontanheilung der Eiterniere ist zwar möglich, doch ist eine
Operation. dringend geboten, wenn die Diagnose sicher ist, weil durch
abwartendes Verfahren der andern Niere Gefahr durch sekundäre Infek-
tion droht. Die chronischen Nephritiden teilt der Vortragende in die
Nephritis dolorosa, haemorrhagica und die medizinische Nephritis (Morbus
Brightii) ein. Mit Nephritis dolorosa bezeichnet K. die meist doppel-
seitig auftretende Form einer chronischen Nephritis, deren wichtigstes
Zeichen neuralgische Schmerzen sind. Die sichere Diagnose ist schwer,
der klinische Befund gering. K. hat bei 13 Fällen viermal dekapsuliert
und neunmal nephrotomiert. Alle Patienten, außer einem, der zwar be-
schwerdefrei wurde, aber zwei Jahre später seiner Nephritis erlag, sind
ohne Beschwerden und ohne ausgesprochene Zeichen einer Nephritis ge-
blieben. Die hämorrhagische Nephritis ist auch oft schwer zu er-
kennen. Schwierig ist ihre Unterscheidung von Nierentumoren. Es liegen
meist in beiden Nieren nephritische Veränderungen vor. Die Blutung ist
aber meist einseitig. Die einzige Möglichkeit, den Kranken schnell und
sicher zu helfen, besteht im rechtzeitigen operativen Eingriffe. K. hält
hierbei die Nephrotomie für die am sichersten zur Heilung führende Me-
thode. Die Dekapsulation ist nur bei reduziertem Kräftezustand indiziert.
Die Blutungen pflegen fast stets aufzuhören oder nur vereinzelt in
schwacher Form wiederzukehren. Die Patienten werden auf lange Zeit
beschwerdefrei und arbeitsfähig. Bei dem eigentlichen Morbus Brightii
bleibt in vielen Fällen die operative Behandlung erfolglos. Günstig be-
einflußt werden aber vielfach die bedrohlichen Erscheinungen der Anurie
und Urämie. In einer nicht geringen Zahl von Fällen bessern sich die
charakteristischen Symptome der chronischen Nephritis, Albumen und
Cylinder wesentlich, und der Allgemeinzustand und das subjektive Be-
finden der Patienten wird auf kürzere oder längere Zeit hinaus erheblich
gebessert. In einzelnen Fällen tritt sogar Heilung im klinischen Sinn ein.
Diskussion: Kropeit und Rothfuchs hatten mit der Nieren-
dekapsulation bei chronischer Nephritis guten Erfolg.
Wulff kann sich den optimistischen Anschauungen über den Wert
der Nephritisoperationen nicht anschließen. Die N ephritis apostematosa
gehört selbstverständlich dem Chirurgen. Beim Morbus Brightii aber
lehnt er die Operation ab: 1. aus praktischen Gründen, weil er keine
Besserung in seinen Fällen sah, 2. aus theoretischen Gründen, weil die
Edebohlsche Ansicht von der kollateralen Gefäßneubildung falsch und
ferner durchaus nicht bewiesen ist, daß es sich bei der Nephritis um
eine primäre Circulationsstörung handelt. Gegenüber den sogenannten
operativen Erfolgen muß man den ungemein wechselnden Verlauf der
Nephritis überhaupt bedenken. Etwas anders liegt die Sache bezüglich
einiger Symptome, der Anurie, der Schmerzen und Blutungen. Sie können
am ehesten operativ behandelt werden. Bei den Blutungen kommen nicht
die parenchymatösen Nephritiden in Betracht, sondern die N ephritis chro-
nica, die in den klutfreien Stadien kaum Symptome bietet und deren
Diagnose dem Tumor gegenüber sehr schwer ist. Als Operationsart emp-
fiehlt W. mehr die Dekapsulation als den Nierenschnitt.
Kümmell erklärt in seinem Schlußworte Wulff gegenüber, daß
die Theorie grau ist und die Experimente verschieden ausfallen. Bei der
hämorrhagischen Form ist die Operation entschieden von Vorteil und
zwar durch Schnitt. Nur durch den Schnitt erfahren wir, was in der
Niere vorgeht. Die Dekapsulation nützt wenig. Die Patienten wollen
von ihrer Blutung befreit sein, innere Mittel sind aber erfolglos.
_—__ Reißig.
Stettin.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte. Sitzung vom 3, September 1912.
1. Kalb: Ueber Hämophilie. Vortragender stellt einen Patienten
vor, der diagnostische Schwierigkeiten zeigte. Vor drei Jahren war der-
selbe im Krankenhause wegen eines großen rechtsseitigen retroperi-
tonealen Hämatoms (Psoashämatoms) mit Fieber und peritonealen Reiz-
erscheinungen, sodaß an appendicitischen Absceß gedacht wurde; jetzt
Ta irori Are a d a ee
‘ yi è
Ea
-aa ede Te I -
1926
zeigte er bei der Aufnahme ein großes Hämatom unter dem Mundboden,
das zuerst die Erscheinungen einer Angina Ludovici bot, dann aber nach
Punktion des Inhalts — ebenso wie das erstemal — sich als Hämatom
charakterisieren ließ. Erfolgreiche Behandlung mit Serum. Vortragender
bespricht nun ausführlich den Blutbefund bei Hämophilie an der Hand
dieses speziellen Falls, schildert die Gerinnungstheorie und die Therapie
mit besonderer Berücksichtigung der Serumbehandlung. Außerdem
werden die merkwürdigen Gelenkveränderungen bei dem Patienten an
Röntgenbildern demonstriert.
- 2. 0. Meyer: Ueber Hirngliome. Die modernen Anschauungen
über Bau und Funktion der normalen Neuroglia weichen von der früher
gültigen Weigertschen Lehre ab; die Neuroglia stellt ein protoplasma-
tisches syncytiales Netzwerk dar mit eingelagerten Kernen, die Neuroglia-
fasern sind besonders differenzierte Bestandteile dieses Protoplasmas und
nicht von den Zellen emanzipierte Intercellularsubstanz. Die funktionelle
Bedeutung der Neuroglia liegt darin, den Stoffwechsel zwischen peri-
vasculären Lymphscheiden und Nervenmaterie zu vermitteln. Dies tritt bei
den verschiedensten pathologischen Störungen des Gehirns hörvor, und
es ergibt sich dabei die wichtige Tatsache, daß außer dem syneytialen
Glianetzwerk auch noch selbständige Gliazellelemente vorkommen. Der
Bau der Neuroglia erklärt auch das eigenartige Wachstum der Gliome,
besonders der diffusen Hirngliome (Demonstration von Präparaten und
Bildern eines diffusen Glioms der Pons, eigene Beobachtung). Die Frage
der sogenannten Ganglioneurome wird an Präparaten von drei Gliomen
erörtert. Sie sind durch das Vorherrschen eigenartiger großer Zell-
elemente charakterisiert, die große Uebereinstimmung mit den bei der
tuberösen Sklerose beobachteten Zellelementen zeigen und mit den von
Alzheimer bei verschiedenen pathologischen Vorgängen beschriebenen
sogenannten amöboiden Zellen übereinstimmen. Viele angebliche Ganglioneu-
rome aus früherer Zeit fallen in das Gebiet der tuberösen Sklerose. Für
den klinischen Verlauf sind die eigenartigen regressiven Vorgänge von
Bedeutung und die ausgedehnten Hämorrhagien in den Gliomen (Demon-
stration). Besonders macht Vortragender auf die Veränderungen der
Hirnsubstanz in der Umgebung von Hirntumoren aufmerksam und zeigt
ein Präparat, bei dem ausgedehnte, punktförmige Hämorrhagien fast einer
halben Hirnhemisphäre sichtbar sind, wäbrend der am vorderen Hirnpol
gelegene Tumor nur Taubeneigröße hatte. Ob hierbei eine toxische Schädi-
gung der Hirnsubstanz, ausgehend vom Gliom, in Betracht kommt, ver-
mag Vortragender nicht zu sagen, Ä |
3. Schwarzwäller: Demonstration a) eines Präparats von
großem Nabelbruch, operiert nach Menge-Graser, ausgezeichnet durch
außerordentliche Fettleibigkeit der Patientin, Excision eines großen Teils
der etwa 8 cm starken Fettschicht. b) Tubargravidität von minimalem
Umfang. Die Tube ist an einer Stelle nur erbsengroß angeschwollen
und eingerissen, dabei fast tötliche Blutung. Vortragender erläutert
gleichzeitig die Schwierigkeit der Extrauteringravidität in den ersten
Monaten, bespricht Differentialdiagnose gegenüber andern Schwanger-
schaftsstörungen, vor allem Lateralflexion des Corpus gegen die Cervix
und empfiehlt die Punktion des Douglas, die nur wenig bekannt ist. B.
Berlin.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde. Sitzung v. 21.0kt. 1912.
(Zweite Leydenvorlesung.)
Bashford (a. G.): Ueber das Krebsproblem. Bei Beginn .seines
Vortrags hebt B. die Verdienste Leydens, dem diese Sitzung geweiht
ist, um die Krebsforschung hervor.
Thema über. An einer großen Anzahl von statistischen Kurven bespricht
er die Häufigkeit des Krebses. Von elf Männern beziehungsweise sieben
Frauen stirbt eins an Krebs. Unter 100 Familien mit je sechs Gliedern
hat sich herausgestellt bei 51 kein Krebs, bei 36 ein Krebsfall, zwei
Krebsfälle bei elf und mehr bei zwei Familien. Bei Familien mit acht
Gliedern war bei 41°/o kein Krebsfall, bei Familien mit zehn Gliedern
bei 33 kein Krebsfall, einer bei 89/0, zwei in 20°/o und mehr als zwei
in 8°%/,. Die Häufigkeit des Krebses ist in den einzelnen Lebensaltern
verschieden, so ist z. B. bei der Geburt Krebs zahlreicher als im zweiten
Dezenzium, nachher steigt die Kurve wieder. Das Befallensein der ver-
schiedenen Organe ergibt ganz verschiedene Kurven, Brustkrebs z. B.
steigt bis zum höchsten Alter, andere Krebskurven fallen von einem be-
stimmten Alter wieder. Bei der Ueberimpfung von Tumoren auf Tiere
zeigt sich, daß bei älteren Tieren das Wachstum ein ungleich schlechteres
ist als bei jungen Tieren.
Sehr wichtig ist die Frage der Zunahme des Krebses. Im Jahr
1860 kamen auf eine Million Menschen 500 Krebse, 1900 auf eine Million
dagegen 1000. Diese Zunahme ist bedingt hauptsächlich durch eine Zu-
nahme im höheren Alter. Bezüglich der Beteiligung der einzelnen Or-
gane ist ein Häufigerwerden der Magen-, Zungen- und Brustärüsenkrebse
zu beobachten, ebenso der der Haut und des Darmes, im Gegensatz zu
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47.
Er geht dann auf sein eigentliches
24. November.
Krebsen der Gallenblase und Leber. Bei Beurteilung der Krebszunahns
-muĝ die heute verbesserte Diagnosenstellung und die eingehende Arzt-
liche Leichenschau berücksichtigt werden, die auch bei der Verschieder-
heit der Krebshäufigkeit in einzelnen Ländern eine Rolle spielt.
Daß der Krebs vornehmlich nur in höher kultivierten Ländern vor-
kommt beziehungsweise mit dem Fleischgenuß zusammenhängt, hat sich
als nicht haltbar erwiesen. So ist iu Japan und Indien der Krebs oft
zu beobachten. Für das Entstehen des Krebses ist in den meisten Fällen
ein chronischer Reiz nachzuweisen. So tritt in Kaschmir, wo die Leute
ein Feuergefäß auf dem Leibe tragen, daselbst ein Hautkrebs auf, In
Indien findet sich der Mundkrebs ebenso häufig bei Frauen wie bei
Männern, weil dort die Frauen auch Betel kauen. In China bekommen
vorzugsweise die Männer einen Speiseröhrenkrebs, weil sie den Reis vor
den Frauen serviert bekommen und ihn sehr heiß essen. In Indien be-
kommen die als Zugtiere benutzten Kühe ein Epitheliom am rechten Ohrin-
folge des chronischen Reizes der Zugstange.
Die Geschlechter werden verschieden befallen, bei Männern kommen
mehr Krebse des oberen Verdauungstraktus vor infolge des Rauchens,
Trinkens usw. Bei Frauen wird der Magen mehr befallen. Reiche Leute
haben nicht mehr Krebs als arme. Dafür, daß der Krebs übertragbar
sei, hat sich kein Nachweis erbringen lassen, weder aus der Beobachtung
an Menschen, noch sind in B.s Versuchsstation, wo 20000 tumorkranke
Mäuse in einem Zimmer untergebracht sind, je Uebertragungen vorge-
kommen. Die Heredität hat sich im Tierversuche durch Inzucht be-
lasteter Familien als sicher erwiesen, jedoch glaubt B. diese Verhältnisse
nicht ohne weiteres auf den Menschen tbertragen zu dürfen.
Besonders geeignet zum Studium des Krebses ist der Tierversuch,
in dem Vortragender nachgewiesen hat, daß zwischen Krebs und Tier
individuelle Beziehungen bestehen, insofern Krebse auf manchen Tieren
nicht oder nicht dauernd progressiv wachsen. Gleichartige Tumoren
rufen Immunität gegen sich selbst hervor, wenn eine Impfung mit einer
geringen Masse des Tumors vorhergegangen ist. Bei Mäusen tritt nach
Vorimpfung mit normalem Gewebe, z. B. Haut, größere Immunität auf
als nach Vorimpfung mit Tumor. Jedoch ist es nicht möglich,
ein Tier mit eignem Gewebe gegen einen fremden Tumor oder
mit Normalgewebe gegen seinen eignen Tumor zu schützen, Mius
leiden viel an Brustkrebs, bei der Kuh ist vorherrschend ein Leberkrebs
mit Cirrhose.
B. glaubt, daß sich aus der jahrelangen Beobachtung von Tumor-
stämmen wichtige Aufschlüsse erhalten lassen. So zeigt sich, dab ver-
schiedene Stämme jahrelang bei häufgem Ueberimpfen ihre morphologt
sche Struktur behalten. Die Wachstumsgeschwindigkeit ist bei den höher
differenzierten Tumoren geringer als bei den undifferenzierten, aber auch
bei diesen langsamer als beim embryonalen Gewebe. Einige Stämme
haben nach Ueberimpfung keine progrediente Entwicklung, sondern bilden
sich nach gewisser Zeit zurück, können aber, frühzeitig überimpfh,
dauernd weiterverpflanzt werden. Die experimentelle Krebsforschung ist
wohl zu verwenden zur Erforschung der Natur der chronischen Rei,
Eine Spontanheilung von Krebsen kommt nur sehr selten, noch nicht I
1%, vor. Von den überimpften Tumoren heilen manche immer spontan
aus. Im immunisierten Tiere bildet sich für die Tumorimpfmetastit
kein Stützgewebe und keine Ernährungsgefäße. B. glaubt, daß die chemo
therapeutischen Versuche der neueren Zeit mit dem Bestreben, die Zellen
des Tumors zu erreichen, sich auf richtigem Wege befinden. E.
Sitzung vom 4. November 1912. |
F. Kraus: Körperwuchs und Lungentuberkulose. Unter den
klinisch Tuberkulösen oder in Beziehung zur Tuberkulose Stehenden
bilden die an Lymphatismus leidenden Patienten eine besondere Grup
Der Lymphatismus, der von andern Gesichtspunkten aus auch exsudahtt
Diathese, Status thymo-Iymphaticus oder Status hypoplastiens gonan
wird, ist nicht auf das erste Dezennium beschränkt, sondern bis ms "i
nachweisbar. Während der pathologische Anatom zur Diagnosenstellug
die Besichtigung der Lymphdrüsen des ganzen Körpers heranziehen kant,
ist der Kliniker im wesentlichen angewiesen auf die Drüsen des Hal
Kopfes, der Leisten- und Achselgegend und auf die röntgenologisch
beurteilenden Drüsen des Thoraxinnern. Dennoch kann vom en
Standpunkt in zwei Drittel der Fälle die Diagnose gestellt worden. =
erste Gruppe unter den auf dem Boden des Lymphatismus tuber
Erkrankten bilden solche Fälle, die, in der Kindheit infiziert, nicht 101
den Spitzen ausgehende, sondern vereinzelte subpleurale Herde ha .
mit Ergriffensein einer dazugehörigen Drüsengruppe. Diese
kommen in die ärztliche Beobachtung wegen ihrer Neigung ZU Katar
usw. Die Tuberkulose hat bei ihnen einen abortiven, gutartigen Va dien
Die Tuberkulinreaktionen verlaufen positiv. Es finden sich bei dies
Patienten neben Residuen von Herz- und Perikarderkrankungen >- ay
Morbus Addisonii, ein Teil derselben erkrankt später an Toberknlots
Auges, des Urogenitaltraktus usw. Röntgenologisch findet man P
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24. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. 1927
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umschriebene, multiple Adhäsionen im Mediastinum und an der Pleura
und zum Teil verkalkte Drüsen.
l In einer andern Gruppe, für die die Infektion in das erste bis
zweite Dezennium zu verlegen ist,. findet sich ein primärer Drüsenherd
und von diesem ausgehend eine fächerförmige Ausbreitung des Lungen-
prozesses zur Peripherie. Die Tuberkulinreaktionen sind positiv. Eine
dritte Gruppe bilden die generalisierten tuberkulösen Prozesse auf dem
Boden des Lymphatismus. Dazu gehört in erster Linie die geschwulst-
förmige Lymphdrüsentuberkulose. Die Tuberkulinreaktion ist positiv, im
Blute findet sich Lymphocyte oder Polynukleose. Die vierte Gruppe
stellt sich als Lymphogranulomatose dar (systematische Lymphomatose).
Auch hierbei finden sich in einigen Fällen tuberkulöse Herde. In den
Drüsen sind Muchsche Granula, auch säurefeste Bacillen, deren Natur
noch nicht sichersteht, nachgewiesen worden. Die Tuberkulinreaktion ist
in diesen Fällen fast nie positiv, meist ist jedoch die Wassermannsche
Reaktion schwach positiv. Die Zugehörigkeit zur Tuberkulose kann man
mittels der Komplementablenkung beweisen. | |
Eine andere Hauptgruppe unter den für die Tuberkulose Dis-
ponierten bilden die Menschen mit dem Habitus asthenicus. Derselbe
kombiniert sich häufig mit dem Lymphatismus. Die von Freund be-
schriebene Angustie der oberen Thoraxapertur kann sich auch im all-
gemeinen asthenischen Habitus vorfinden. An einer Reihe von vorzüglichen
Diapositiven demonstriert Vortragender die einzelnen Stigmata des
Habitus asthenicus, wie auch passende Beispiele für die oben angeführten
Gruppen des Lymphatismus. K. R.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 13. November 1912.
Vor der Tagesordnung: 1. Eugen Israel demonstrierte ein junges
Mädchen mit einem Primäraffekt im Munde.
2. Georg Glücksmann zeigte ein Kind, bei dem ein Fremd-
körper im Oesophagus durch Endoskopie festgestellt worden war.
3. W. Alexander und E. Unger: Zur Behandlung schwerer
Gesichtsneuralgien. Der erste vorgestellte Patient trat im Februar
1911 in Behandlung, nachdem er vorher elf Jahre lang an heftigen Ge-
sichtsschmerzen gelitten hatte, sodaß er nicht essen konnte. Es waren
allo Zähne entfernt und alle internen Mittel versucht worden. Eine Al-
koholinjektion ins Foramen supraorbitale brachte eine Beseitigung der
Schmerzen, die drei Jahre und acht Monate dauerte. Vor etwa sechs
Wochen wurde wegen des Rezidivs eine erneute Injektion gemacht. A.
verweist darauf, daß es Fälle gibt, bei denen die Injektion schließlich
unwirksam bleibt, sodaß man das Ganglion Gasseri entfernen muß. Dieser
sehr große Eingriff ist, obwohl F. Krause die Technik hierfür wesent-
lich vereinfacht hat, mit Unzuträglichkeiten verbunden, die A. dazu ver-
anlagt haben, auf einem andern Wege vorzugehen. A. stellte eine Pa-
tientin von 64 Jahren vor, die an einem Tic douloureux litt, bei dem die
innere Therapie wirkungslos geblieben war und auch Alkoholinjektionen
in die Nervenstämme keine dauernde Heilung herbeiführten. Es wurde
daher das Ganglion Gasseri von E. Unger freigelegt und unter Schonung
‘der Meningea media in das Ganglion Gasseri Alkoholinjektionen gemacht, .
Seitdem sind die Schmerzanfälle verschwunden.
- - Diskussion: Fedor Krause: Die Kranke wird wahrscheinlich
ein Rezidiv bekommen. 84 mal hat K. bisher die Exstirpation des Ganglion
gemacht und er hält diese Operation für eine der schwierigsten. Es gibt
aber Fälle, in denen eine Heilung der Neuralgie nur auf diesem Wege
zu erzielen ist. Die Alkoholinjektion ersetzt die primäre Resektion des
> Nerven nicht. Unter seinen Fällen hätte er bei der primären Resektion
140/0 Dauerheilungen, gegen 40 °%/o leichte Rezidive, und die andere Hälfte
rezidiviert schwer, sodaß es zur Ganglionexstirpation kommt. Die Al-
koholinjektion bedingt eine Narbenbildung, die vorübergehende Besserung,
aber keine Heilung bringt. In jedem Falle soll man vor der Ganglion-
entfernung mit Resektion oder mit Alkoholinjektion den Versuch machen.
Hertel: Man kann mit der Punktionsnadel das Ganglion erreichen. Bei
der Injektion des Ganglion bestehen gewisse Gefahren, sodaß man die
Kranken stationär behandeln soll. Alexander: Schlußwort.
Tagesordnung: Diskussion über die Vorträge von Wolf-
sohn, Samson und Friedmann. Friedmann: In der Eile ist ein
‚großer Teil dessen, was im Vortrage dargelegt wurde überhört worden,
sonst hätte weder die Vermutung aufkommen können, dab er mensch-
liche Tuberkelbacillen avirulent gemacht habe, und sie verwendet habe,
noch daß er habe verschweigen wollen, was er für Material verwendet
habe. Ausdrücklich habe er betont, daß er vollständig davon abgekommen sei,
avirulent gemachte menschliche Bacillen zu verwenden. Sein Material
ist von Schildkröten gewonnen und zwar war es erst der dritte Stamm,
über den er bisher nirgendwo etwas publiziert hat, der sich als voll-
ständig avirulent für Kaninchen erwiesen hat, und den er zur Anwendung
gebracht hat. Zur Illustration der prophylaktischen Wirkung der In-
jektion zeigt F. ein Kind, das in einem sehr bedenklichen tuberkulösen
Milieu lebt und das trotzdem bis heut infolge der Impfung gesund ge-
blieben ist. Erich Müller: Die Heilungen, die M. gesehen hat, sind
seit vielen Monaten definitive. Zum Teil sind sie bei so schwerer
Knochentuberkulose erfolgt, daß zweifellos mit einem andern Mittel ein
solcher Erfolg nicht erzielt worden wäre. Kausch möchte vor einem
allzugroßen Optimismus warnen. Interessieren würde es ihn, wie der
Einfluß des Mittels bei hoch Fiebernden war. Ferner möchte er wissen,
ob die chirurgischen Fälle ausgelesen, oder ob sie wahllos in Behandlung
genommen wurden. Kausch hat von dem Tuberkulin Rosenbach
Erfolge gesehen, welche sich den von Friedmann demonstrierten an
die Seite stellen lassen. Daß die Injektionen von Friedmann keine Ab-
scesse gemacht haben, mag daran liegen, daß das Mittel zum Teil intravenös
injiziert worden ist. Piorkowski: Als Friedmann im Jahre 1903 ihn
ersuchte, Tuberkelbacillen aus einer Schildkröte heraus zu züchten, ge-
lang das sehr leicht. Die Kulturen wurden auch weiter gezüchtet. All-
möhlich wuchsen die Kulturen langsamer und bald zeigten sie dasselbe
Verhalten wie.menschliche Tuberkelbacillen. P. vermutete schon damals,
daß es sich tatsächlich um menschliche Tuberkulose handelte, die durch
Tierpassage abgeschwächt war. Da das gesamte Material an Fried-
mann zurückgegeben wurde, so konnte eine weitere Prüfung dieser Ver-
mutung an diesem Material nicht vorgenommen werden. P. stellte aber
in andern Versuchen fest, daß die Uebertragung der menschlichen Tuber-
kulose auf Frösche und kleine Schildkröten gelingt. Deshalb hält P. es
für möglich, daß auch in dem jetzt von Friedmann verwendeten Material
es sich um den Typus humanus der Bacillen handelt. Aronsohn: Tuber-
kulin ist nicht imstande, Tuberkulose zu heilen. Die Antikörpertheorie
der Tuberkulinwirkung ist nicht richtig. Die Wirkung des Tuberkulins
beruht auf der angeregten Leukocytose. Mit dem Mittel von Fried-
mann ist es nicht möglich, Meerschweinchen zu immunisieren. Die
Leistungen des Friedmannschen Mittels sind auch mit abgetötetem
Virus erzielt worden: die Lebensdauer der Tiere wurde verlängert. Die
Absceßbildung beginnt von einer bestimmten Dosis ab, sodaß es möglich
erscheint, daß von Friedmann diese Dosis nicht erreicht worden ist. A.
bittet um Angabe der Menge des injizierten Materials. Der Ausdruck
simultane Injektion ist in der Immunisierungslehre .schon vergeben.
Wolff-Eisner: Ein Beweis für die Unschädlichkeit der prophylaktischen
Injektion ist nicht erbracht. Die Zeit der Beobachtung ist hierfür. viel
zu kurz. Der Verlauf der Tuberkulose ist an keine Zeit gebunden. Selbst
bei Meerschweinchen, bei denen die Tuberkulose so rapide verläuft, ist
es W.-E. gelungen, die Tiere sehr lange am Leben zu erhalten, und
doch sind die Tiere schließlich an Tuberkulose zugrunde gegangen. Man
muß ferner bedenken, daß die Ausführungen von Piorkowski es nahe ,
legen, daß es sich hier um menschliche Tuberkulose handelt. Das Aus-
bleiben einer Reaktion nach der Injektion ist etwas, was zunächst nicht
erklärlich ist. Was die andern beiden Vorträge, die mit zur Diskussion
stehen, anbetrifft, so ist die Vaccinationstherapie würdig, anerkannt zu
werden. Sie leistet sicher wertvolles. Der opsonische Index ist prak-
tisch zwar nicht durchführbar, aber er ist zur Durchführung der Kon.
trolle notwendig. Er hat uns gelehrt, daß selbst minimale Dosen im-
stande sind, Reaktionen zu geben. Fritz Meier: Nur der geringste Teil
der Fälle wird bakteriologisch geheilt. Man beweist das durch die Prüfung
auf Tuberkuloseempfindlichkeit. M. fragt, ob das Präparat von Fried-
mann bei Nierentuberkulose und den bestimmten Fällen von Lungen-
tuberkulose, bei denen man sich vor der Anwendung des Tuberkulins
scheut, Erfolg erzielt hat. M. glaubt, daß man sich mit der Meinung
täuscht, mit dem Tuberkulin befinde man sich auf ‘einem Irrwege. Das
Tuberkulin ist allerdings nicht das ausschließliche Mittel. Die Schutz-
impfung ist mit einer gewissen Vorsicht zu beurteilen. Bier hat einen
Teil der Fälle von Friedmann gesehen. Bier hat den Eindruck ge-
habt, daß eine Heilwirkung vorhanden ist, aber einen beweisenden Fall
hat er nicht gesehen. Man soll warten, bis andere das Mittel in der
Hand haben, Sollte es sich herausstellen, daß wenn auch nicht schwerste,
so doch mittelschwere Fälle davon günstig beeinflußt werden, so würde
man sich freuen können, ein Hilfsmittel gegen Tuberkulose in der Hand zu
haben. Goldberg: 28 seiner an Tuberkulose leidenden Patienten sind
von Friedmann mit gutem Erfolge behandelt worden. Der physika-
lische Befund habe sich wesentlich gebessert, weit herabreichende
Dämpfungen sind zurückgegangen. Orth: Die mit dem Friedmann-
schen Mittel behandelten Kaninchen, deren Kontrolle O. auf Bitten von
Friedmann mit übernommen hatte, haben erheblich länger gelebt als die
nicht damit behandelten Tiere. Beide Reihen waren tuberkulös gemacht
worden und alle sind schließlich an Tuberkulose zugrunde gegangen.
Schwenk hat eine Patientin, die an Nieren- und Blasentuberkulose litt,
mit dem Mittel von Friedmann kehandeln lassen. Das Ergebnis ist
negativ gewesen. Katzenstein hat mit dem von F. Meier angegebenen
Tuberkulin gute Erfolge gesehen. Wolfsohn: Schlußwort. Samson:
Schlußwort. Friedmann: Schlußwort. Fritz Fleischer.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47. .
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24. November.
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í i Rundschau.
Koloniale Medizin.
Ueber das Medizinalwesen der Kolonie Kamerun
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Regierungsarzt Dr. Külz, Kribi (Südkamerun).
p&i gi a (Schluß aus Nr. 44.)
Ein ganz anderes Bild als der kolonialärztliche Beruf unter den
Weißen bietet der unter unsern Farbigen. Wenn erstere auch bisher
ausschlaggebend gewesen sind für die ärztliche Besetzung eines Ortes,
bedürfen doch letztere in nicht geringerem Maße unserer Hilfe, und man
kann mit Recht behaupten, daß gerade die Tätigkeit unter den Ein-
‚geborenen unserm Berufe hier seine charakteristische Note gibt. Ist
erstere durch die verhältnismäßig geringe Zahl der Europäer beschränkt,
so stellt letztere ein Arbeitsfeld dar, auf dem die weiteste praktische
und wissenschaftliche Bewegungsfreiheit herrscht, und von dem nur zu
bedauern ist, daß seine meist übergroße Ausdehnung eine. allseitige und
erschöpfende Inangriffnahme vorläufig unmöglich macht. Obwohl es vom
Charakter der einzelnen Volksstämme abhängt, wie rasch und wie weit
sie die Hilfe des weißen Arztes aufsuchen, und obwohl ihr Vertrauen in
sehr hohem Maße an die Person gebunden ist, so hat es doch nirgends,
wo der Kolonialarzt hinkam, langer Zeit bedurft, bis er Fühlung mit den
‚Eingeborenen gewann. Ueberall sind stark besuchte Polikliniken für. sie
Buropäerhospital in Kribi (Südkamerun),
im Betrieb. Ein klein wenig psychologisches Studium ihrer Eigenarten
gehört freilich dazu, um ihnen näher zu kommen. Ich kenne einen Stamm,
bei dem anfänglich. nur selten ein Patient den ‚Arzt aufsuchte, bis eines
Tages ein!Kollege die Dienststelle übernahm, der im Fluge ihr Vertrauen
eroberte, sodaß er bald weder Medikamente, noch Verbandzeug, noch
Unterkunftsräume genug schaffen konnte, um den Andrang Hilfesuchender
zu bewältigen. Ich war mehrmals auf der durch ihren langjährigen Leiter
Dominik bekannten Kameruner Inlandstation Jaunde stationiert. Der
ganze Stafionsbetrieb einschließlich des ärztlichen spielte sich anfangs
innerhalb der Befestigungsmauern des Ortes ab. Während ich nun beim
Bereisen der Dörfer des Bezirks die Leute überaus empfänglich für ärzt-
liche Hilfe gefunden hatte, war mir auffällig, daß nur wenige Kranke zur
Konsultation auf die Station kamen. Diese Zurückhaltung war mit einem
Schlage verschwunden, als es mir gelang, Major Dominik von der
Zweckmäßigkeit zu überzeugen, sich den ärztlichen Dienst in einer außer-
halb der Bastion zu errichtenden Poliklinik abspielen zu lassen. Heute
gehört die dortige Ambulanz zu den bebstbesuchten der Kolonie.
Ueberall, .wo Aerzte stationiert sind, wird neben der Hospital-
behandlung täglich eine poliklinische Sprechstunde für ambulante Fälle
abgehalten. Alle in irgend einem Dienstverbältnis zum Gouvernement
stehenden Farbigen haben Anspruch auf kostenlose ärztliche Behandlung
und Arznei. Ihre Zahl ist nicht gering, denn zu ihnen gehören nicht
nur alle Stationsarbeiter, sondern auch alle Strafgefangenen, Soldaten,
Wegebaukolonnen, Polizisten, Kanzlisten und Regierungsschüler. Nur
sehr selten wird diese Vergünstigung zu Simulationen mißbraucht; am
ehesten noch von Gefangenen, die sich der verhaßten Zwangsarbeit ent-
ziehen wollen. Einer gewissen Beliebtheit erfreut sich von Zeit zu Zeit
die Simulation der Dysenterie, die natürlich — falls sie wirklich
besteht — eine Entfernung aus dem Gefängnis und Hospitalisierung be-
dingt. Dabei verstehen es die betrefienden Gauner in raffiniertester Weise
ihren Defäkationen Blut beizumengen aus kleinen, Wunden, die sie sich an
irgendeiner versteckten Körperstelle, wie am Zahnfleische, der Fußsohle
oder selbst in den Analfalten beibringen. Das gut und sicher wirkende
Therapeutikum und gleichzeitige Prophylaktikum gegen Verbreitung der-
artiger Pseudodysenterien ist die Prügelstrafe für die Entlarvten. Nur
einmal habe ich bisher unter vielen tausenden von Negerpatienten einen
Fall von Selbstverstümmlung bei einem Gefangenen erlebt. Der
Betreffende geriet über die Notwendigkeit, Erdarbeiten ausführen zu
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
müssen, so in Raserei, daß er sich mit dem Spaten einen Fußrücken mit
großer Gewalt solange bearbeitete, bis beinahe alle Sehnen durchschnitten
waren und so seine Aufnahme ins Hospital nötig wurde.
Durchschnittlich kommen die Neger nicht leicht mit Kleinigkeiten
zum Ärzte, namentlich nicht die freien Eingeborenen. Daß sie zuyor
beinahe ausnahmslos erst ihre Hausmittel erproben oder den Rat des
Fetischpriesters einholen, darf uns nicht wundern, wenn wir an die —
mutatis mutandis — gleiche Gepflogenheit unter unsern Kulturvölkern
denken. Nicht im Gouvernementsdienste stehende Eingeborene haben bei
ambulanter Behandlung ihre Arzneien und Verbände nach einer fir
Kamerun eingeführten Taxe zu bezahlen; bei der Aufnahme ins Hospital
haben sie täglich 1 M zu entrichten. Im Falle des Unvermögens wird.
ihnen in weitgehender Weise Ermäßigung oder voller Erlaß gewährt. Es
ist ihnen auch gestattet, sich ihre Verpflegung von Angehörigen be-
schaffen zu lassen; dann ermäßigt sich der Tagessatz auf 0,50 M. Dis
Verpflegungsordnung der Hospitäler sieht als Tagesration
für den einzelnen Kranken vor: 1. 1!/2 kg frische Vegetabilien wie
Planten, Makabo, Süßkartoffeln, Jams; oder an ihrer Stelle 500 g Reis,
Letzterer, aus Deutschland importiert, bildet an den Küstenplätzen, wo
der Neger dem Ackerbau bereits in hohem Maße entfremdet ist, die ge-
wöhnliche Verpflegung. 2. „Nach Möglichkeit 170 g frisches Fleisch“,
Diese Möglichkeit besteht leider kaum jemals; ist doch einstweilen selbst
für Europäer die Beschaffung von frischem Fleische vielfach mit den
größten Schwierigkeiten verknüpft. Anstatt dessen erhalten die Kranken
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Poliklinik für Eingeborene in Kribi (Sidkamerun).
160 g Büchsenfleisch oder 100 g getrockneten Stockfisch. 3. Stehen
ihnen zu 25 g Palmöl oder irgendein gleichwertiges Fett, 4. 30 g Salz
und 5. 125 g Brot. Ein farbiger Koch bereitet ihnen diese Nahrungs
mittel zu und teilt sie zweimal am Tage aus. Weit mehr noch als dio
Europäerkrankenhäuser tragen die für Farbige einen provisorischen ud
primitiven Charakter. Die Knappheit der Mittel zwingt zu einfachste
Bauart, zu Baracken aus Wellblech oder im Inlande aus Palmblätter-
matten. Nur hier und da an der Küste hat man sich zu einem massiven
Gebäude entschließen können. Die Inneneinrichtung der Krankenriune
besteht, falls man nicht Lagerstätten nach Art der Eingeborenen bevor-
zugt, aus Holzbetten, die mit zwei Decken ausgestattet werden. Fis-
faches Eß- und Trinkgeschirr steht jedem Kranken zur Verfügung.
Farbige Gehilfen versehen die Wärterdienste. Jede ärztliche Dienststelle,
auch die jüngste Neugründung oder der entlegenste Inlandsposten, Te
fügt über ein kleines Laboratorium, vor allem ‚ausgerüstet mit den
zur Mikroskopie des Bluts nötigen Hilfsmitteln. ih
Die Zahl der jährlichen Hospitalaufnahmen Farbiger ist an den
einzelnen Orten abhängig vom verfügbaren Raume, den verfügbar
Mitteln und vom Vertrauen zum Arzte. In Duala hat sie tausend schon
vor einigen Jahren überschritten. Die Anzahl der ambulanten Konni
tionen, Verbände und sonstigen Hilfeleistungen beläuft sich auf ae
ärztlich besetzten Station auf viele Tausende im Jahr aus dem par
der gesamten Medizin, der inneren wie der äußeren Leiden, der En i
wie der kleinen Chirurgie, der Kinder- wie der Frauenkrankheiten. Date
verläuft die Praxis oft gewissermaßen „saisonartig“, und zwar 1 o
nur derart, daß bestimmte Krankheiten wie Pneumonien und Drm
sich zu ganz bestimmten Jahreszeiten häufen, sondern auch s0, de} A
Ruf von einem erfolgreich behandelten Falle sofort weitere ang
nach sich zieht. So hatte ich in Duala in knapp einem!
148 Herniotomien auszuführen, wobei allerdings zu ber
ist, daß der Bruch bei den hiesigen Negern als ein schimpfliches kir ker
leiden gilt, von dem sie um jeden Preis befreit sein wollen, w
weil die Potentia coeundi bis zu einem gewissen Grade dadurch %e B
dert ist. Ein Bruchleiden wird so diskret bei ihnen behandelt, er
weibliche und männliche Angehörige der bekannten, einflußreichen 20
vr
‚lingsfamilie Bell nur dann der Operation 'zustimmten, wenn der Arzt sio
dazu verstand, ihnen zur Täuschung der Umgebung einen Scheinverbaß
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um den Kopf oder irgendeinen andern sichtbaren Körperteil anzuleg®
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DER
24. November.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 47,
1929
Wie bei den Hernien stellt sich auch bei der Elephantiasis alsbald
nach glücklich verlaufener Operation eines Falles der nächste ein. Ebenso
finden die Eingeborenen sehr rasch die Wirksamkeit specifischer Arzneien
heraus, und ich erwähnte erst unlängst, wie eine kurze Bekanntschaft
mit dem Salvarsan genügte, um es zu einem vielbegehrten Medikamente
gegen Frambösie zu machen. Rasch hatten die Neger Viktorias die
Wirkung des Chinins bei der Malaria ihrer Kinder erfaßt; Farrnkraut-
extrakt und Thymol, bedurften nur kurzer Zeit, um als erwünschtes Thera-
peutikum gegen Ankylostomiasis erkannt zu werden, und die beiden
Medikamente Jodoform und Jodkali erfreuen sich seit ‚Jahren im ganzen
Lande der größten Beliebtheit.
Aber mit der Fürsorge für den einzelnen Kranken im Hospital und
Poliklinik und mit der wissenschaftlichen Verarbeitung seines Beob-
achtungsmaterials ist das Tätigkeitsfeld des Kolonialarztes nicht erledigt;
es hat sich über seinen Stationsort hinaus auf den ganzen Bezirk zu er-
strecken, dessen Hygiene ihm anvertraut ist. Soweit ihm Zeit dazu ver-
bleibt, ist es eine nicht unerwünschte und überaus interessante Aufgabe,
ihn zu bereisen, um sich ein Bild von den Lebensbedingungen seiner
Bewohner machen zu können, um Feststellungen über die Volkskrank-
heiten als Grundlage einer erfolgreichen Seuchenbekämpfung zu treffen,
um Impftage unter ihnen abzuhalten, kurz um als Apostel der Hygiene
unter diesen Naturvölkern zu wirken, die zwar der Natur noch näher
stehen als wir, aber dadurch auch der Unkultur mit ihrer fatalistischen -
Gleichgültigkeit in gesundheitlichen Dingen. Gerade bei allen Neugrün-
dungen im Innern kommt der Reiz ursprünglicher, unberührter Verhält-
nisse hinzu, die es ihm ermöglichen, an den ersten Fundamenten mitzu-
arbeiten und ihn zwingen, nicht wie daheim in ausgetretenen Bahnen zu
wandeln, sondern sich selbst Bresche zu schlagen, um vorwärts zu
kommen. So wird jeder Arzt, dem es Freude macht, sich auf dem
ganzen Gebiete medizinischen Könnens und Strebens zu betätigen, gerade
in der nicht zu überbietenden Vielseitigkeit der kolonialen Eingeborenen-
praxis seine größte Befriedigung finden.
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Die Verrufserklärung eines Vereins von Standesgenossen gegen
einen Arzt verstößt gegen die guten Sitten.
Reichsgerichts-Entscheidung vom 8. Februar 1912}).
„Der Kläger ist im Jahre 1906 von dem praktischen Arzte Dr. K,
in L., der vor Jahren von dem beklagten Verein vom beruflichen Ver-
kehr ausgeschlossen worden ist, als Assistent aufgenommen worden und
hat sich später mit Zustimmung des Dr. K. als praktischer Arzt in L.
selbständig niedergelassen. Nach $ 18 der Satzungen des beklagten
Vereins ist mit einem aus dem Verein ausgeschlossenen Arzte jeder
kollegiale Verkehr, das ist insbesondere der Verkehr zu Konsultations-
und Operationszwecken zu meiden, dringende Fälle ausgenommen. In
gleicher Weise soll gegen außerhalb des Vereins Stehende verfahren
werden, sofern ihr Verhalten dies notwendig erscheinen läßt. Im Januar
1908 teilte der Vorsitzende des beklagten Vereins dem Kläger, der kein
Vereinsmitglied war, mit, daß er sich durch den Verkehr mit Dr. K.
denselben Folgen aussetze wie Dr. K. Der Briefwechsel zwischen den
Parteien, der sich darauf entspann und bis ins Frühjahr 1909 hinzog,
führte im Mai 1909 zu der Klage des Klägers gegen den Beklagten auf
Unterlassung der ihm angedrohten Ausschließung vom kollegialen Ver-
kehr. Durch Beschluß der Mitgliederversammlung des beklagten Vereins
vom 6. Juni 1909 wurde den Mitgliedern der kollegiale Verkehr mit dem
Kläger verboten, solange er den Verkehr mit Dr. K. nicht aufgebe.
Ferner hat der Verein Ende 1909 den Fakultäten Heidelberg
und Straßburg, den Krankenhäusern Mannheim und Worms,
den staatlichen Bahn-, Post- und Forstkrankenkassen die
Liste der durch ihn vom kollegialen Verkehr ausgeschlosse-
nen Aerzte mitgeteilt. Der Kläger hat unter Aenderung seines
Klagebegehrens beantragt, den Beklagten zu verurteilen, das Verbot des
kollegialen Verkehrs mit dem Kläger aufzuheben. Die Instanz-
EOE wiesen die Klage ab. Das Reichsgericht hob aut.
Aus den Gründen:
Wie das Berutungsgericht zutreffend ausführt, mußte durch das
von dem beklagten Verein an seine Mitglieder in bindender Weise er-
lassene Verbot, mit dem Kläger, von dringenden Fällen abgesehen, beruf-
lich zu verkehren, sowie durch die Bekanntgabe des Verbots an die oben
bezeichneten Krankenkassen, Krankenhäuser und Fakultäten dem Kläger
die förderliche Ausübung seines Berufs erschwert und sein Erwerb fühl-
bar beeinträchtigt werden. Der Ausschluß vom beruflichen Verkehr ent-
!) Jurist. Woch. 1912, S. 538.
hält weiter die Erklärung, daß der Ausgeschlossene nicht mehr würdig
sei, als gleichgeachteter Standesgenosse angesehen zu werden. Das Ver-
kehrsverbot mußte daher über den Kreis der Aerzte hinaus das persön-
liche Ansehen des Klägers und damit zugleich seinen Erwerb gefährden.
Einwandfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Kläger auch
Schaden in seinem Erwerb erlitten hat, und daß der beklagte Verein
vorsätzlich, um ihn zum Abbruch der Beziehungen zu Dr. K. zu be-
stimmen, ihm den Schaden zugefügt, mindestens das Bewußtsein des
Schädlichen Erfolges seiner Maßnahme gehabt hat. Es soll nun keines-
wegs verkannt werden, daß ein ärztlicher Verein, der, wie der Beklagte
nach seinen Satzungen und der ihm durch die staatliche Anerkennung
zugewiesenen Stellung, Hüter der ärztlichen Standesehre sein und die
Interessen dieses Standes innerhalb seines Bezirks wahren soll, auch þe-
rechtigt sein muß, zur Erfüllung seiner Aufgabe gegen einen Arzt, mag
er bereits Vereinsmitglied sein oder nicht, strenge, seine ärztliche Be-
tätigung schädigende Maßregeln zu ergreifen und, wenn nötig, in der
Veffentlichkeit deutlich von ihm abzurücken. Aber gerade diese dem
Beklagten eigne Aufgabe und Stellung und die Macht, die
ihm vermöge der Zahl seiner Mitglieder, der Stärke seiner Organisation
und des Rückhalts an den (sogenannten Leipziger) Verband deutscher
Aerzte gegenüber dem einzelnen Arzte zu Gebote steht, legt ihm die
Pflicht auf, bei dem Vorgehen gegen einen solchen besonnen
und maßvoll zu verfahren und unter billiger Berücksichtigung der
berechtigten Interessen des Betroffenen jede Maßnahme zu vermeiden, die
der Ausübung seines der gemeinen Wohlfahrt dienenen Berufs in durch die
gebotene Sachlage nicht unbedingt gebotener Weise Schranken auferlegt
oder Hindernisse bereitet. Von diesem Standpunkt aus kann nach
dem, was bisher festgestellt ist, das Vorgehen des Beklagten
gegen den Kläger nicht als gerechtfertigt oder nur als sitt-
lich erlaubt oder erträglich erachtet werden. Schon die An-
schauung des Beklagten, die sich durch die seinem Beschlusse voraus-
gegangenen schriftlichen Verhandlungen mit dem Kläger zieht, daß der
Kläger, der kein Mitglied war, sich bezüglich des Verkehrs mit Dr. K.
den Vereinssatzungen und dem Vereinswillen zu unterwerfen und dem
eignen Befinden darüber zu entsagen babe, war unberechtigt. (Wird aus-
geführt.) Wie das Berufungsgericht feststellt, hat der Kläger selbst keine
ehrenrührige oder standesunwürdige Handlung begangen. Es nimmt sogar
an, daß ihm unter den obwaltenden Umständen der Verkehr mit Dr. K.
kaum als Verletzung der Standesehre angerechnet werden könne. Aus
der Einschränkung des Verkehrsverbots auf die Dauer des Verkehrs des
Klägers mit Dr. K. ergibt sich ohne weiteres, daß auch der Beklagte ihm
außer der Aufrechterhaltung dieser Beziehungen nichts vorzuwerfen weiß.
Nun sind gewiß Fälle denkbar, wo schon der gesellschaftliche oder berufliche
Verkehr eines Arztes mit einem Berufsgenossen von bemakelter Vergangen-
heit oder anrüchiger Lebensführung oder Berufsbetätigung die Standes würde
verletzt und ein Einschreiten der Standesvertretung erfordert. Dem Dr. K.
wird zur Last gelegt, daß er unter Bruch seines Ehrenworts nach L. zurück-
gekehrt sei und dort seine Praxis wieder aufgenommen habe. Der Kläger
hat bestritten, daß Dr. K. sich gegen die Standesehre vergangen habe.
Nach dem vorerörterten stellt sich die Ausstoßung und Schädigung des
Klägers zunächst als rechtswidrig und unerlaubt dar. Der Beklagte hat
den Gegenbeweis zu führen, daß die Maßnahme von guten Gründen ge-
tragen und sittlich zulässig gewesen sei. Hiernach wird das Berufungs-
gericht festzustellen haben, wann, aus welchem Anlab und wem gegen-
über Dr. K. sein Ehrenwort gegeben, wenn und unter welchen Verhält-
nissen er nach L. zurückgekehrt ist. Für die Würdigung des Verhaltens
des Dr. K. könnte in Frage kommen, ob, worauf das Vorbringen des
Beklagten die Vermutung lenkt, die damalige Abnahme des Ehren-
worts rechtlich oder sittlich unanfechtbar war. Sodann sollen
die Vorgänge, die den Ausschluß des Dr. K. im Gefolge gehabt haben,
ein halbes Menschenalter zurückliegen. Es wird festzustellen sein, ob
Dr. K. auch später zur Bemängelung seines beruflichen oder gesellschaft-
lichen Auftretens Anlaß gegeben oder sein Vergehen durch untadelhafte
Führung gutzumachen gesucht hat; auch welches persönliche Ansehen
er zu L. in der seinem Stand entsprechenden Gesellschaftsklasse genoß,
deren Urteil dem Kläger als ein gewisser Maßstab hat dienen können.
Würde die erneute Verhandlung ergeben, daß der Verkehr des Klägers
mit Dr. K. keine Verletzung der Standesehre oder der Standeswürde
bildet, so müßte die Verrufserklärung gegen den Kläger als sittlich un-
erlaubt befunden werden. Sie würde der inneren Berechtigung entbehren
und nur als unstatthafter Ausfluß eines Machtgefühls gelten
können, das den Beklagten zu beherrschen scheint, und das er
auch Vereinsfremden gegenüber, denen er seinen Willen aufzwingen will,
zum Ausdruck zu bringen sucht. Daß der Beklagte, wenn er nicht zu Mitteln
wie die Verrufserklärung greift, den strengen Ausschluß des Dr. K. nicht
durchführen kann, gibt ihm für sich allein noch nicht die Befugnis,
fremde Existenzen durch gesellschaftliche Aechtung und wirtschaftliche
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Schädigung aufs Spiel zu setzen. Das Berufungsgericht hält die Mit-
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teilung des Verkehrsverbots an die auswärtigen Krankenhäuser und
Fakultäten für sittenwidrig, gesteht aber dem Beklagten zu, daß er
des guten Glaubens gewesen sei, in Wahrung berechtigter Interessen zu
handeln, und vertritt die Ansicht, daß dieser gute Glaube die
Sittenwidrigkeit einer Handlung ausschließe; daß der Vorwurf
der sittlichen Verwerflichkeit einer Handlung unverträglich sei mit der
ehrlichen Ueberzeugung des Täters, rechtmäßig in Verfolgung eines er-
laubten Interesses zu handeln. Diese Ansicht, die geeignet ist, die
künftige Entscheidung des Berufungsgerichts über das ganze Vorgehen
des Beklagten gegen den Kläger zu beeinflussen, ist rechtsirrig. Zur
Erfüllung des Tatbestandes des § 826 BGB. ist nur ein objektiver
Verstoß gegen die guten Sitten erforderlich. (Wird eingehend be-
gründet.) Sollte das Berufungsgericht auf Grund der neuen Verhand-
lungen zu einem dem Kläger günstigen Ergebnisse gelangen, so würde
es keinem rechtlichen Bedenken begegnen, daß der Beklagte zur Auf-
hebung des Verkehrsverbots und zu einer der Bekanntmachung des Ver-
bots entsprechenden Veröffentlichung der Aufhebung verurteilt würde.“
Oe Fr.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Im Reichsgesundheitsamte findet zurzeit eine Beratung
von Sachverständigen über die Verhältnisse in den Bade-
orten statt. Den Vorsitz bei den Beratungen führt der Geh. Med.-Rat Dr.
Röchling aus Misdroy. Das ständige Mitglied des Reichsgesundheits-
amts, Reg.-Rat Dr. Breger (Nikolassee) empfahl für typhusverdächtige
Fälle die Anzeigepflicht in Kur- und Badeorten. Ferner beschäftigte man
sich mit dem Unglück in Binz,
— Auf Grund des $ 43 des Gesetzes, betreffend die Be-
kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 sind vom
Bundesrat in der Sitzung vom 24. Oktober 1912 als Mitglieder des
Reichsgesundheitsamts gewählt worden die Herren Geh. Hofrat
Prof. Friedrich von Müller (München), Geh. Hofrat Prof. Dr. Kirchner
(Leipzig), Großherzoglich hessischer Ob.-Med.-Rat Dr. Balser (Darmstadt).
— Der Verband deutscher Elektrotechniker hat iD
einer Eingabe an den preußischen Minister für Handel und Gewerbe
darauf hingewiesen, daß die Wiederbelebungsversuche an Per-
sonen, die durch starke elektrische Ströme getroffen worden sind,
häufig insofern nicht richtig gemacht werden, als sie nicht selten bereits
nicht sofort begonnen werden und besonders nicht lange genug fortge-
setzt werden, Letzteres gelte nach den Erfahrungen des Verbandes nicht
selten auch von den herbeigerufenen Aerzten. Diese meinen dann oft,
nur noch den Tod feststellen zu können und ordnen die Abbrechung der
Wiederbelebungsversuche an, während es sich in mehreren Fällen gezeigt
hat, daß erst stundenlange Durchführung derselben den Verunglückten in
das Leben zurückruft. In der Eingabe des Verbandes wird ganz beson-
ders auf einen Fall in Hannover hingewiesen, in dem drei Soldaten vom
Blitze getroffen wurden und erst nach zwei und vier Stunden lang fort-
gesetzten Wiederbelebungsversuchen ins Leben zurückgerufen werden
konnten. Es dürfte sich daher wohl empfehlen, daß die Aerzte, die
Unterricht in erster Hilfeleistung zu geben haben, in demselben beson-
ders darauf hinweisen, daß Wiederbelebungsversuche stets sofort einzu-
leiten und mebrere Stunden hindurch fortzusetzen sind, da sie selbst nach
mehrstündigem anscheinend erfolglosem Bemühen doch noch lebensrettend
wirken können.
— In Buffalo ist mit Hilfe hochherziger Gönner ein neues
Krebsinstitut zur Erforschung bösartiger Krankheiten errichtet
worden. Dieses Institut untersteht Prof. Dr. Gaylord, der bisher
das Laboratorium für Krebsforschung im Verein mit Prof. Boswell
Park geleitet hat. Auch in Wien, wo die k. k. Oesterreichische Gesell-
schaft für Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit unter dem
Protektrorat des Kaisers und unter Vorsitz des Hofrats Prof. Dr. Frei-
herm v. Eiselsberg steht, wird jetzt ein großes Institut für Krebs-
forschung errichtet werden. Leider sind für ein gleichartiges Institut in
Berlin die Mittel bisher noch nicht in dem Maße eingegangen, um an die
Errichtung einer derartigen Centrale denken zu können.
— Am Dienstag, den 3. Dezember 1912, abends 8 Uhr,
findet in der Aula des Königlichen Wilhelms-Gymnasiums zu Berlin
(Bellevuestraße 15) die neunte Jahresversammlung der Vereinigung der
Freunde des humanistischen Gymnasiums statt, die sich vorzugs-
weise mit dem Werte der Gymnasialbildung für das medizinische
Studium und den ärztlichen Beruf beschäftigen wird. Ansprachen und
Vorträge haben Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Waldeyer und Obergeneralarzt
Prof. Dr. Berthold Kern übernommen. Gäste willkommen.
— Am 17. November verstarb hierselbst im 48. Lebens-
jahre nach kurzem schweren Leiden der Königl. Oberstabsarzt a. D.
Prof. Dr. Richard Müller. Ein Schüler Trautmanns, gelang es
M. schon in jungen Jahren zu emer umfangreichen ohren -spezial-
ärztlichen Praxis zu kommen. Eine Reihe von Monographien, die ins-
besondere das Gebiet der Trommelfellerkrankungen und der Hörapparate
behandeln, zeigen die auf das Praktische gerichtete Begabung M.'s.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 41.
bensjahre Med.-Rat, a. D. Prof. emer. Dr. Carl S
storbene ließ sich 1868 als Privatdozent der Geburtshülfe und Stadt-
wundarzt in Königsberg nieder, erhielt 1886 die venia legendi für ge-
richtliche Medizin und wurde 1891 Prof. e. o. Neben seinem „Leitfaden
für gerichtliche Medizin“ (1895) haben eine Reihe zum Teil umfangreicher
Abhandlungen S. zum Verfasser, die verschiedensten Gebiets der gericht-
lichen Medizin behandelnd. S. war eine in den weitesten Kreisen Ost-
preußens bekannte und hochgeschätzte Persönlichkeit.
24. November.
Auch das Gebiet der ärztlichen Sachverständigentätigkeit berührte ein
Teil seiner Arbeiten. Die Berliner Aerzteschaft verliert in M. einen hoch-
geschätzten, stets hilfsbereiten Kollegen. Fr.
Königsbergi.Pr. Am 15.November verstarb hierselbst im 74. Le-
eydel. Der Ver-
— Geh. Rat. Prof. eomer. Ludwig Stieda, der bekannte Anatom,
begeht am 20. November die seltene Feier des 50jährigen Doktor-
jubil&ums,.
vom Lehramte zu Beginn des Sommerhalbjahrs 1912 eingehend auf seine
wissenschaftlichen Verdienste eingegangen.
Wir sind gelegentlich des Rücktritts von Prof. Stieda
Wien. Dem österreichischen Abgeordnetenhause wurde in letzter
Woche eine Regierungsvorlage, betreffend das Zahntechniker-Gesstz,
vorgelegt. Nachdem alle bisherigen Versuche, auf sanitätsgesetzlichem
Wege den bereits Jahrzehnte dauernden Konflikt zwischen den Zahn-
technikern und Zahnärzten einer Lösung zuzuführen, erfolglos geblieben
sind, soll mit dieser neuen Regierungsvorlage nunmehr die Reglung dieser
Frage auf gewerberechtlicher Basis versucht werden. Der neue Geseiz-
entwurf überantwortet die Zahntechnik nach Ablauf eines Uebergangs-
stadiums ohne jede Einschränkung, losgelöst von den Vorschriften der
Gewerbeordnung, ausschließlich den Aerzten. Den bestehenden Zahn-
technikern, deren gewerbliche Befugnisse für die Dauer des Bestands
ihrer Gewerbeberechtigung aufrechterhalten werden, wird gleichzeitig die
Möglichkeit gewährt, ihr Gewerbe in einem erweiterten Umfange zu be-
treiben, welcher der gegenwärtigen Praxis entspricht. Hierdurch sollen
die Zahntechniker in den Stand gesetzt werden, ihr Gewerbe ungehindert
und ohne mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen, ausüben zu können,
Das Preisgericht der Internationalen Ausstellung für Sozial-
hygiene in Rom hat, wie man uns berichtet, dem Dresdner Arzt
Dr. med. Nahmmacker für wissenschaftliche Leistungen auf dem Ge-
biete der Radiumlehre, die er durch Ausstellungsobjekte zur Anschauung
Irene hat, die große goldene Medaille, die höchste Auszeichnung
verliehen.
Hochschulnachrichten. Berlin: Prof. Dr. rer. nat. et mel.
Franz Müller erhielt einen Lehrauftrag für Pharmakologie und Arnet
verordnungslehre. — Erlangen: Dr. Wilh. Brock (Öhrenheilkunde)
habilitierte — Leipzig: Die Privatdozenten Dr. Max Löhlein (Petho-
logie) und Dr. Paul Schmidt (Hygiene) zu Professoren a. o. — Straß-
burg i. Els.: Dr. Alb. Hamm habilitiert für Gynäkologie.
Von Aerzten und Patienten.
Es ist wenig bekannt, daß die gesundheitliche Seite es war, dt
den ersten Anstoß zur Abschaffung des Hutabnehmens als Grob
bei den Uniformträgern gab. Nämlich die älteste Quelle, das Gri
Wallissche Reglement von 1705, schreibt vor, wenn es regnet, bein
Beten nicht niederzuknien und den Hut abzunehmen, sondern uur den
Leib zu biegen „handanlegenderweise“! | ,
Ebenso waren es hygienische Gründe, die keinen geringeren al
Goethe veranlaßten, nachweislich als der erste „Zivilist” gegen das Hot-
abnehmen Front zu machen. Im Jahre 1807 erschien von ihm in aner
Beilage zur Karlsbader Kurliste das bekannte Gedicht, das er auf An
regung seines Freundes, des Dr. med. Kapp aus Leipzig, und des er
arztes Dr. Mitterbacher gemacht haben soll, um der Badegesells
das Hutabziehen beim Grüßen am Brunnen abzugewöhnen:
„Ehret die Frauen, begrüßt sie mit Neigen,
Begrüßt sie mit freundlichem, sittigem Beugen
Des bedeckten männlichen Haupts,
Glaubt dem Erfahrnen: jede erlaubt’s.
Wollt ihr, trotz hippokratischem Schelten,
Denn mit Gewalt das Genick euch erkälten?
Lasset die Hüte, die stattlichen Mützen
Fest auf der Locke, auf Glatzen fest sitzen;
Grüßet mit Worten, grüßt mit der Hand,
| Ehret die Sitte, schont den Verstand.“ eiaa
Das Grüßen „mit der Hand“ war damals im österreichischen wo
(Karlsbad) längst bekannt (in andern Ländern nicht, daher I Mi
„deutscher Gruß“). Es ist also sehr wahrscheinlich, dab Got
seinem Gedichte hieran gedacht hat. nn
Berichtigung. In der Arbeit von Treber über Mop
in Nr.45 der Wochenschrift ist auf Seite 1834 Spalte 2, Zei 2 phen
Satzfehler übersehen worden. Es soll heißen ... „ . . - bis dem on des
gleichzeitig bei vier Kranken ..... . die erwähnten Nebenwirkung
Mittels zu Tage traten.“ Statt 4 ist gedruckt 40.
> ich die
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils Andes sich
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrück®.
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8
I
Nr. 48 (417). $
1. Dezember 192. :
edizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte —
VIII. Jahrgang.
redigiert von | f Verlag von |
Professor Dr. Kurt Brandenburg | Urban & Schwarzenberg
u Berlin.
Berlin
-i
Inhalt: Originalarbeiten: R. v. Jaksch, Ueber Adipositas cerebralis und Adipositas cerebrogenitalis. (Mit 5 Abbildungen). E. Schultze, Ueber
syphilogene Erkrankungen des Centralnervensystems. G. Singer, Torpor recti — Dyschezie. A. Jungmann, Wie soll man den Lupus nicht
behandeln? K. Siebert,. Ueber einige neuere Anästhesierungsverfahren, mit besonderer Berücksichtigung der Plexusanästhesie. F. Demmor;
Klinische Studien über Kropfoperationen nach 600 Fällen. (Mit 1 Abbildung). Fehde, . Erfahrungen über das Kollargol auf Grund 1djähriger An-
wendung. Umfrage über das Frrühaufstehen nach Operationen und Geburten. Antworten von A. v. Eiselsberg-Wien, R. Frank-Wien, Henkel-
Jena, Wilms-Heidelberg, J. Fabricius- Wien. (Fortsetzung.) L. v. Frankl-Hochwart, Ueber den Einfluß der inneren Sekretion auf die Psyche.
— Aus der Praxis für die Praxis: Auerbach, Paraffinum liquidum in der Wundbehandlung. — Referate: L. Langstein und A. Benfey, Aus
dem Gebiete der Pädiatrie. E. Sehrt, Neuere Arbeiten aus dem Gebiete der Chirurgie. A. Eulenburg, Ueber Psychotherapie und medizinische
Psychologie. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferate: Technik der Diazoreaktion. Vorkommen der Typhusbacillen in der Mundhöhle
bei Typhuskranken. Brusternährung. Kellersche Malzsuppe beim sogenannten Milchnährschaden. Chirurgische Behandlung der Basedowschen
Krankheit. Asthma bei Kindern. „Tampol Roche“. Natriumrhodenid. Fermenttherapie bei Diabetes. Yohimbin. Melubrin. Arsenikwirkung und
-angewöhnung. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: „Neo-Rheostat“, kleiner transportabler, elektrischer Anschlußapparat. — Bücher-
besprechungen: F. Krause und E. Heymann, Lehrbuch der chirurgischen Operationen an der Hand klinischer Beobachtungen für Aerzte und
Studierende. I. Abteilung. H. Vierordt, Kurzer Abriß der Perkussion und Auskultation. L. Laquer, Die Heilbarkeit nervöser Unfallfolgen.
Dauernde Rente oder einmalige Kapitalabfindung? K. Sudhoff, Mal Franzoso in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ein Blatt aus der Ge-
schichte der Syphilis. O. Hinrichsen, Sexualität und Dichtung. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens;
G. Wagner, Epilepsie und Unfall — Ein Fall von Täuschung. — Vereins- und Auswärtige Berichte: Frankfurt a.M. Königsberg i. Pr. München.
Berlin. — Rundschau: Soziale Hygiene: G. Liebe, Aerztliches Berufsgeheimnis und Tuberkulosefürsorge. — Aerztliche Tagesfragen: Medizinisches
vom Kriegsschauplatze. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet.
Klinische Vorträge.
Aus der II. Medizinischen Klinik der Deutschen Universität Prag.
Ueber Adipositas cerebralis und Adipositas
cerehrogenitalis')
von
Hofrat Prof. Dr. R. v. Jaksch.
M. H.! Das interessanteste und wohl auch derzeit am,
meisten bearbeitete Kapitel der internen Medizin ist die
Lehre von der inneren Sekretion, und ich möchte mit Freu-
den konstatieren, daß ein großer Teil der Arbeiten und Er-
fahrungen, auf welchen diese Lehre beruht, von österreichi-
schen Forschern ausgeführt wurde. Als solche nenne ich von
Theoretikern: Biedl, Erdheim, Exner, Fürth, Janosik,
Kahn, A.Kohn, Srdinko, Weichselbaum; von Klinikern:
Chwostek, Eiselsberg, Eppinger, Falta, Fränkel,
Frankl, Franz, Fröhlich, Hohenegg, Pahl, Pineles,
Schloffer, Schur, Schwarz, Wagner, Wiesel.
Anatomen, Histologen, Physiologen, Chirurgen und
Internisten haben sich in den letzten Jahren eingehend mit
dieser Frage beschäftigt, sodaß das Gebäude schon weit ge-
diehen ist, wenngleich zahlreiche Einzelheiten noch zu
sichten und zu gruppieren sind. Aber ich will in dem
Rahmen meines heutigen Vortrags nicht die ganze Lehre
von der inneren Sekretion bringen, sondern nur einen
Bruchteil aus derselben. Unsere Kenntnisse von der Funk-
tion der Hypophyse stammen erst aus der neueren Zeit.
Die erste Erkrankung, welche mit anatomischen Veränderungen
der Hypophyse in Zusammenhang gebracht wurde, war die
Akromegalie und können wir es als feststehend betrachten, wie
als erste Pierre Marie und Marinesco zeigten, daß
1) Vortrag, gehalten anläßlich der Eröffnung des Wintersemest
1912/1913 in der Klinik am 16. Oktober. 1912. j | 2
Tumoren, welche die Hypophyse treffen, zu diesem inter-
essanten Krankheitsbilde führen. Allerdings möchte ich
gleich bemerken, ohne auf dieses Thema weiter einzugehen,
daß durchaus nicht alle Tumoren der Hypophyse zu den
Symptomen der Akromegalie führen. Solche Fälle wurden
von Lubarsch, K. Martius und Andern veröffentlicht, und
hat es sich herausgestellt, daß nur jene Hypophysentumoren,
bei welchen eine Wucherung der eosinophilen Zellen auf-
trat, zu dem Symptom der Akromegalie Veranlassung gaben.
Einen einschlägigen, klinisch und radiologisch sehr genau unter-
suchten Fall veröffentlichte Rotky aus meiner Klinik, in welchem
der Tumor gleichfalls wesentlich aus eosinophilen Zellen bestand.
Aber auch die Frage der Akromegalie will ich hier
nicht weiter berühren, sondern auf Grund von vier eigenen
Beobachtungen mich mit derFrage der Adipositascerebralis und
Adipositas cerebrogenitalis beschäftigen. Daß ich berechtigt
bin von Adipositas cerebralis und nicht wie die vorher-
gehenden Autoren von Adipositas cerebrogenitalis zu
sprechen, werden meine Beobachtungen zeigen. Ich bemerke,
daß das Syndrom der Adipositas. cerebrogenitalis der hypo-
physären Fettsucht oder der Dystrophia adiposogenitalis
(Bartels), während B. Fischer von Adipositas hypogeni-
talis spricht — auch wird der Symptomenkomplex als Dis-
genitalismus, eunuchoide Adipositas (Neurath), Eunuchoidis-
mus usw. bezeichnet —, zum erstenmal im Jahre 1901 von
Fröhlich beschrieben wurde.
Er fand bei einem i4jährigen Knaben, bei dem noch im
Jahre 1899 der Befund normal war, Gewichtszunahme, Amblyopie
links, Sehschwäche rechts. Der Spiegelbefund zeigte eine genuine
Atrophie des linken Nervus opticus. Außerdem bestand rechts-
seitige Hemianopsie, starker Fettreichtum, Haarausfall; die Haut
war trocken und es bestand rasches Nagelwachstum.
Ich möchte hier einfügen, daß Nothnagel bereits im
Jahre 1888 bei einem Falle, bei welchem die Sektion eine
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1932 sa 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. | i Desamber.
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Geschwulst der Vierhügel ergab und bei dem ein Hydro-
cephalus mit Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit durch die
Nase konstatiert wurde, gleichfalls über starken Fettansatz
berichtet. In der Publikation ist das Sektionsprotokoll nur
im Auszuge wiedergegeben. Der Freundlichkeit des Hofrats
Weichselbaum verdanke ich das ausführliche Sektions-
protokoll, aus dem sich ergibt, daß der Panniculus adiposus
bei dem jungen Manne bis 4 cm dick war. Natürlich war .
in dieser Zeit von einem Zusammenhange dieser Symptome
mit Erkrankungen der Hypophyse nichts bekannt; immerhin
ist es interessant, daß bei einem Falle, bei welchem durch
den Bestand des Hydrocephalus die Funktion der Hypophyse
in Mitleidenschaft gezogen wurde, schon damals dieses Sym-
ptom als mindestens auffallend von seiten des Klinikers
konstatiert wurde.
Seit dieser F
ständig gesunder Sohn. Die Krankheit zeigte ihre ersten Sym-
ptome vor zehn Jahren. Er bemerkte zuerst, daß er viel häufiger
und reichlicher Urin entleere. Gleichzeitig. trat heftiger Durst
auf, das Sehvermögen nahm ab und er fühlte sich sehr matt und
hinfällig. Nach zweijährigem Bestande der Krankheit fielen ihm
die Scham- und Achselhaare aus, der Schnurrbart wurde auffallend
schütter, die Libido sexualis schwand gänzlich und Patient ist
seither dauernd impotent. Er will auch in den letzten Jahren be-
_ deutend an Gewicht verloren haben. So gibt er an, daß er noch
vor zwei Jahren ein Körpergewicht von 90 kg zeigte.
Der Fall bot die typischen Erscheinungen eines Hypophysis-
-tumors ohne Symptome der Akromegalie. Der Tumor hat eine
traubenförmige Gestalt und sein Sitz ist, wie. die stereoskopischen
Röntgenbilder zeigen, die Sella tureica. Ich habe Bilder dieses
Falles seinerzeit in Dresden auf der Hygienischen Ausstellung
ausgestellt. Aus dem Status will ich nur hervorheben, daß’bei
‘seinem Eintritt in. die Klinik am 23. Fèbruar 1911 das vollständige
Fehlen der :Achselhaare auffallend war, desgleichen waren .die
Schamhaare fast vollständig geschwunden,. die’ obere Grenze der-
selben nach femininem Typus horizontal. Höden atrophisch, Glied
auffällig klein, Fettpolster reichlich mit femininem Typus, ebenso
die Konfiguration der Mammae. Unter ünsörer Beobachtung, "welche
mit kurzen Unterbrechungen vom: 22. Februar des Jahres 1911’bis
26. Februar des Jahres 1912 währte,. nahm, :wie die Ihnen hier
vorliegende Gewichtskurve zeigt (Abb. 1), das Gewicht- konstänt.zt,
bis auf 84,8 kg. Zu dieser Gewichtskurve bemerke’ ich, daß nach
Landois ein Fünfziger 673/4 kg Körpergewicht haben: söll,. während
in diesem Falle bis 84,3 kg ‘beobachtet wurde. Es .bestand bei.
ihm eine Polyurie, jedoch wurde im’ Urin niemals. Zucker nachge-
wiesen und bestand auch keine alimentäre Glykosurie. .
- röhlichschen Beobachtung, mit welcher.
die Lehre von der hypophysären Fettsucht begründet wurde,
ist die Kasuistik über derartige Erkrankungen ganz enorm
angewachsen. | ms
Es würde den Rahmen dieses Vortrags weit überschreiten,
wollte ich auch nur die wichtigsten Forschungen auf diesem Ge-
biete hier anführen. Ein erschöpfendes Sammelreferat über diese
Frage hat im Jahre 1909 L. Borchard in den „Erg. d. inn.
Med.“ veröffentlicht. Sehr wichtig aber sind für uns die Mit-
teilungen von Ludwig Pick, welcher sich mit der Dystrophia
adiposogenitalis respektive dem Disgenitalismus vom praktisch-
chirurgischen Standpunkt aus beschäftigte, ferner Bernhard
Fischers Studien und vor allem Erdheims aus. dem Jahre 1904
stammende, groß angelegte Arbeit „über Hypophysenganggeschwülste
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Es liegt in der Natur der Sache, daß alle Forscher HH HH E Wr
von Anfang an sich bemühten, über das Wesen dieser BI SBBENERBSSERESSRERSENBENELENBLIUFGENE TE En
essen mE HHRHH e E e
Fröhlich hat angenommen, daß eine Störung der inneren | HHHH H k EHHE Ee
Sekretion der Hypophyse zu den Erscheinungen der Adipositas | F HHHH PHH H
cerobrogenitalis fäbro. Erdheim gloat, das "Shdiguns | Feet E Er EEE E EEEH EEEE
oder Reizung, irgendeiner an der Hirnbasis gelegenen Hirnpartie SEHEEHFESFFREEFFEEFFERFFEFFFSEEREFEFFEEEEREREHE
durch den Tumor zu suchen sei, und daß die bei Hypopbysen- | - KEEHESFEEFEFREESEEFEREREEFFFESEEFERFFEREREE
tumoren ohne und mit Akromegalie vorkommende Adipositas nicht HHE EEE
auf eine fehlerhafte Blutdrüsenfunktion der Hypophyse, sondern (SIR SRESHFTREFERERFRFRERF HEHE HH
darauf zurückzuführen ist, daß durch den Tumor „eine uns. un-
bekannte Stelle der Hirnbasis direkt beeinflußt (gereizt oder
jädiert) wird“. Fischer glaubt, daß der in Rede stehende Sym-
ptomenkomplex durch eine Schädigung des nervösen Teils der
Hypopbyse, des Hinterlappens und Infundibulums entsteht, und
Stumpf endlich ist der Anschauung, daß der wesentliche Punkt
für die Entstehung dieses Symptomenkomplexes bei dem chronischen
Hydrocephalus in der Beeinträchtigung der Beziehungen zu suchen
ist, welche zwischen Hypophyse und Gehirn bestehen. Mit dieser
Anschauung stehen im Einklang eine Reihe von klinischen Beob-
achtungen, von welchen ich nur hervorheben will die ‘von Gold-
stein. welcher in vier Fällen von chronischem Hydrocephalus
auch diesen Symptomenkomplex beobachtete.
. Natürlich kann der Hydrocephalus allein — wie ich
gleich vorwegnehmen will — nicht die Ursache dieses Sym-
ptomenkomplexes bilden, weil durchaus nicht in allen Fällen
von Hydrocephalus — oder von Meningitis serosa — ein
golcher Symptomenkomplex gefunden wird, sondern in einer
Reihe. soicher Fälle die hypophysäre Fettsucht durch die
Kombination mit einer Störung in der Gegend. der Hypo-
physe herbeigeführt wird, eine Anschauung, die, wie Sie
sehen werden, durch meine Beobachtungen bekräftigt wird.
Ich lasse nun meine Beobachtungen folgen. Sie be-
giehen sich auf vier Fälle, von denen jedoch bloß zwei zur
ion kament).
en erste 2 betrifft einen im Jahre 1911 51 Jahre alten
verwitweten Graveur, aus gesunder Familie, der 15 Jahre ver-
heiratet war. Aus der Ehe stammt ein derzeit 22jähriger voll-
Monate hindurch wurde den Kranken Pituitrin verabreicht
und zwar vom 27. März des Jahres. 1911 bis zum 26. Jwi des
gleichen Jahres und haben wir mit fünf Tropfen begonnen und ihm
‚bis 25 Tropfen im Tage gegeben. Es ist bemerkenswert, daß unter
dieser Behandlung zwar die Achselhaare nicht wieder auftraten,
daß aber wiederum eine allerdings nur leichte Behaarung am Gen:
tale sich einstellte. :
Ich lasse es dahingestellt sein, ob und inwieweit dies der
Einfluß der Organotherapie war und bemerke noch, dab leider dat
Kranke jede operative Behandlung verweigerte, die hier mit Rid:
sicht auf die lange Dauer des Leidens, zehn Jahre, insofern anot
vollen Erfolg hätte erhoffen lassen, als man ja annehmen mu,
daß der Tumor, seiner Natur nach, gutartig war und die Erfab-
rungenSchloffers, desBegründers dieser Operation, Wiselsbergt,
Hoheneggs und Anderer lehren, daß auch durch eine teilweis?
Entfernung eines solchen Tumors, Heilung gebracht werden kam.
Der zweite Fall betrifft einen 14jährigen Knaben, De
der Klarischen Blindenanstalt, welcher am 20. November Bir
die Klinik aufgenommen wurde. Aus der Anamnese ergab a
daß der Großvater mütterlicherseits in seinen letzten ae
geisteskrank war. Ehen zwischen Verwandten sollen nach Ange
der Eitern nicht vorgekommen sein. Die Eltern sind End
ebenso drei Geschwister. Kongenital hatte er an der linken
sechs Finger, von denen der zwischen dem vierten und Kin.
gelegene im Alter von zwei Jahren operativ entfernt wurde. i
vierte und fünfte Finger der rechten Hand, ebenso der Mitte i i
sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben. Im Alter von oiche
Jahren erkrankte Patient an einer Hirnhautentzündung, id i
längere Zeit gedauert hat, und nach welcher Patient’ al "i der
Augen erblindete. Im fünften Lebensjahre trat nach Angad
Eltern das Fettwachstum ein. l | =
1) Ich bemerke, daß ich diese Fälle im Laufe der Jahre 1910 und
i Klinik vorgestellt und drei am 31. Mai des Jahres 1911 in’
= a nen Gesellschaft Deutscher Aerzte in Böhmen be-
sprochen babe.
1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1933
Die Untersuchung in der Klinik ergab, daß der Patient ex-
quisit femininen Typus zeigte und besser als jede Beschreibung
‚zeigt Ihnen dies Abb.2 und 3. Sie sehen an derselben die starke Ent-
wicklung der Mammae, den ungemein fettreichen Mons veneris, die
Behaarung am Genitale fehlt fast vollständig. Die Testes klein, |
im Scrotum gelegen, rechts bohnen-, links erbsengroß. Die Füße
sind normal entwickelt, zeigen jedoch beiderseits (siehe Abb. 2)
Genua valga. An den Händen finden wir, und zwar an der linken
Hand, den vierten und fünften Finger rudimentär (Abb. 3). Zwischen
dem vierten und fünften Finger sind Knochenreste des entfernten
überzähligen Fingers zu tasten. Der vierte und fünfte Finger ist
ulnarwärts abgebogen. An der rechten Hand ist der Mittelfinger
rudimentär,: die Endphalangen im Interphalangealgelenk etwas ulnar
Traubenzuckers wieder ausgeschieden. ` :
gewebsscheiben eingesäumt, Papille selbst. blaß, Gefäße hochgradig
verengt. Die Wassermannsche Probe war negativ. Zahl der
Erythrocyten 4390000, der Leukocyten 11 000, ‘des Hämoglobin-
gehalts 12,8 g. Aus zwei Versuchen ergab sich dann, daß die
Assimilationsgrenze für Traubenzucker herabgesetzt war, und wur-
den in einem Versuche 0,44), im zweiten 1,44 %/, des eingeführten
| Psychisch war der Kranke in der Entwicklung etwas zurück-
geblieben, zeigte aber absolut keine geistigen Störungen, war un-
gemein ruhig, immer heiterer Laune, wie wir das bei Blinden so
häufig finden. Das Körpergewicht betrug. am 20. November des
Jahres 1911 63,8 kg, wenige Tage später, am 26. November, 66 kg
und wie mir aus der Anstalt berichtet wird, betrug es am 13. Okto-
gedreht, bei der Faustbildung wird er vom Zeigefinger verdeckt. | ber 1912 70 kg, also.es bestand eine beträchtliche Erhöhung,
m
Abe: 2.
"Abb. 3.
‚Die Röntgographie zeigt an- beiden Händen Verschmelzungen des
‘dritten Metacarpus mit dem vierten: -Der durch die Vereinigung
‚ontstandene breite Metacarpalknochen trägt distal zwei Gelenk-
flächen, die mit der dritten und vierten Gelenkphalange artiku-
lieren; proximal ebenfalls zwei, von denen eine mit dem Os hama-
tum, eine mit dem Os capitatum artikuliert. Links sieht man
zwischen dem vierten und fünften Finger Phalangenreste des ope-
rativ entfernten Fingers. |
Die physikalische Untersuchung ergab sonst bei dem jungen
Mann absolut normale Verhältnisse, Die Röntgenaufnahme des
‚Schädels zeigt keine pathologische Veränderung der Hypo-
‚physengegend. | |
Auch die Aufnahme des Nervenstatus ergab keinen patho-
logischen. Befund, insbesondere hebe ich hervor, daß keine Ataxie, |
kein Rombergsches Phänomen und keine Tremores bestanden,
doch war der Gang etwas schwerfällig. Die Sensibilität in allen
ihren Qualitäten . geprüft,- als Tastempfndung, Wärmeempfindung,
Ortsinn usw., zeigte gleichfalls keine Störung, desgleichen waren
Keine ‚pathologischen Reflexe zu konstatieren, insbesondere bestand
kein Fußklonus. Ei T
Die Untersuchung des Sehapparats ergab folgenden Befund:
Gesichtsfeld hochgradig eingeschränkt, wegen geringer Intelligenz
des Patienten nur grob zu prüfen, Linse, Glaskörper klar. Bei der
ophthalmoskopischen Untersuchung (Prof. Elschnig)-zeigt sich
ein etwas atypisches Bild von Retinitis pigmentosa in der Weise,
daß sich neben der typischen Veränderung in der Umgebung. der
Papille choroidale atrophische Herde fanden. Die Aderhautgefäße
vielfach frei zutage tretend, stark geschlängelt, von weißen Binde-
‚Beobachtung war. `
nachdem nach Landois das Körpergewicht eines
1l4jährigen Knaben 40,5 kg betragen soll. Nach
Mitteilungen aus der Anstalt soll.sonst im Befunde
. des Kranken sich nichts geändert haben. ` |
M. H.! Hier handelt es sich offenbar um
ein Individuum, welches, wie die Untersuchung
ergab, kongenital bereits eine Reihe von Stö-
rungen zeigte, welche wir als Entwicklungs-
hemmungen bezeichnen und bei dem nach einer‘
im dritten Lebensjahre überstandenen Menin-
gitis die Erscheinungen der Adipositas cerebralis
eintraten, während gleichzeitig das Genitale in
der Entwicklung zurückblieb und die Merkmale
des männlichen Geschlechtscharakters im weite-
ren Verlaufe seiner Entwicklung immermehr
dem femininen Typus sich näherten, sodaß
schließlich der typische Symptomenkomplex, wie
ich es Ihnen hier vorzeigte (Abb. 2 und 3), der
Adipositas cerebrogenitalis resultiere. = —
Ich bemerke noch, daß der Schädel bei dem
14jährigen Knaben normal konfiguriert erscheint,
jedoch ziemlich groß war. l
Nach meiner Meinung handelt es sich
hier um einen durch die vorausgegangene
Meningitis bedingten Hydrocephalus, welcher
durch den Druck auf die Hypophysengegend
wohl zu einer Störung der Hypophysenfunktion
führte, wodurch dieses Symptom hervorgerufen
wurde. Hervorheben will ich noch das Symptom
= der alimentären Glykosurie, das hier beobachtet
wurde. E | a
Was die Therapie betrifft, so haben
j wir den Versuch gemacht, Pituitrin zu geben.
Die Kürze. der Beobachtung, er trat bereits am 2. Dezember
aus der Klinik aus, ließ ein bestimmtes Resultat nich
erwarten. Ä Ä u |
Der Fall zeigt große Aehnlichkeit mit ‘den Fällen von
Goldstein. | = |
Der dritte Fall betrifft einen 26jährigen: Weber, welcher
am 3. Mai des Jahres 1910 das erstemal in meine Beobachtung
kam. Aus der Anamnese hebe ich nur hervor, daß sein Vater au
Magenkrebs gestorben ist, die Mutter lebt und gesund ist, ebenso
vier Geschwister. Ein Bruder starb im Alter von drei Monaten
an unbekannter Krankheit. Er hat keine Kinderkrankheiten durch-
gemacht. Vor einem Jahre, also im Mai 1909, trat Zittern und
Gefühllosigkeit in den Beinen auf. Seit Weihnachten 1909 Ver-
schlechterung des Zustandes in den unteren Extremitäten und Auf-
treten desselben Zustandes in den oberen Extremitäten. Schon
seit zwei Jahren kommt es vor, daß Patient bisweilen nicht
sprechen kann. Seit Weihnachten des Jahres 1909 besteht äuch
vollständige Heiserkeit. Seit einem halben Jahre will er eine zu-
nehmende Fettleibigkeit beobachtet haben und betrug das Körper-
gewicht am 18. Oktober des Jahres 1910 82 kg, nachdem er mit
einem Körpergewichte von 78,2 kg in die Klinik im. Mai des Jahres
1910 aufgenommen wurde, wobei ich bemerke, daß er im Jahre
1910 vom 3. Mai bis 25. Juni und vom 5. Oktober. bis 13. No-
vember und im Jahre 1911 vom 14. März bis 30, Juni in unserer
Im weiteren Verlaufe der Beobachtung sank dann das
Körpergewicht sehr rasch, und zwar ‚bis zum 20. März auf 75,3 ke
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herabgesetzte Erregbarkeit und der vorhandene Spontan-Nystagmus
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‘geschält (Artefact).
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und- stieg abermals bis zum -30. Mai. auf 78,1.kg. (Siehe Abb. 4).
Bei Schluß der. Beobachtung- vom 80. Mai bis 27.:Juni schwankte
das Gewicht zwischen 79 und -80 kg. ‚Ich bemrrke noch, daß ein
O5jähriger Mann: nach Landois 68,3 kg wiegen soll, während.
<. _ dieser Kranke. auch in der. Zeit der Gewichts-
"abnahme. diesen Mittelwert stets überschritt.
In -dieser Beobachtungszeit: zeigte. nun
:der Kranke folgende Symptome: Pannieulus
- adiposus ist stark entwickelt, Kopfumfang über
.der Protuberantia os. occipitalis und den beiden
Tubera frontalia 59 cm. Augen in steter Be-
~ wegung.. Es besteht Nystagmus. Genitale. in-
fantil. Die sekundären Geschlechtsmerkmale
: 7 - treten sehr stark hervor. Der starkePanniculus
des: Abdomens, die Formation der Oberschenkel verleihen dem
Patienteneinfeminines Gepräge. Die ophthalmoskopischeUntersuchun g
ergibt beiderseits Stauungspapille, rechts viel stärker als links. Ge-
sichtsfeld für Farben. stark eingeengt, Sehvermögen rechts auf die
Hälfte herabgesetzt, links normal, grobschlägiger Nystagmus (Prof.
Elschnig). Es läßt sich keine alimentäre Glykosurie hervorrufen.
Die Bestimmung des Stickstoffs im Harn und der Harnsäure bewegt
sich innerhalb der normalen Werte. Von weiteren Symptomen fielen
bei dem Kranken auf: die starken Tremores bei ausgestreckten Händen,
die geringe motorische Kraft der Beuger und Strecker der oberen
und unteren Extremitäten, i
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Fa
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G
der unsichere und breitspurige Gang,
ferner das starke Schwanken bei Stehen auf schmaler Basis. Sein
Gedächtnis ist sehr schlecht und seine Intelligenz sehr gering.
Blutbild: Zahl der roten Blutzellen normal. Der laryngoskopische
Befund ergibt eine Lähmung des rechten Stimmbandes, vollständige
Reflexlosigkeit der Nasenschleimhäute und Herabsetzung der Emp-
findsamkeit der Kehlkopfschleimhäute Die Wassermannsche
Probe schwach positiv. Im weiteren Verlaufe der Beobachtung
leidet er fortgesetzt an ihn ungemein peinigendem Drehschwindel
nach rechts, der nur von Zeit zu Zeit sistiert. Die oculistische
Untersuchung (Prof. Elschnig) in dieser Zeit ergab: Sehschärfe
und Gesichtsfeld unverändert, Schwellung der Papille zurück-
gegangen, aber noch immer ausgesprochene Stauungspapille links
geringer als rechts, rechte Pupille etwas weiter, Pupillenreaktion
in allen Qualitäten vermindert, besonders die Lichtreaktion. Links
Pupille normal. Mit Rücksicht auf den wenn auch schwach posi-
tiven Befund der Wassermannschen Probe wird eine Schmierkur
eingeleitet, welche aber keine Besserung der Beschwerden bringt.
In der zweiten Beobachtungszeit vom 5. Oktober bis 13. No- .
vember sind die Symptome genau die gleichen wie die bis. jetzt
geschilderten. Bei der calorischen Prüfung (Prof. Piffl) des Vesti-
bularapparats ergibt sich eine deutliche Einwirkung auf den vor-
handenen Nystagmus im typischen Sinn auf beiden Seiten. Es
besitzt also der Vestibularapparat beiderseits normale, etwas
dürfte seine Ursache nicht im Bogengangssystem haben.
Als der Patient am 14. März des Jahres 1911 wieder in
unsere Beobachtung kommt, bat sich der Befund insofern geändert,
als ein neues, sehr wichtiges Symptom eingetreten ist. Aus.der
rechten Nasenöffnung fließt fast ununterbrochen eine wasserklare
Flüssigkeit, welche sich nach der weiteren Untersuchung, die ich
hier nicht im einzelnen aufführen will, als Cerebrospinalflüssigkeit
erweist. Der Befund der Augenklinik (Prof. Elschnig) zeigt
atrophierende Stauungspapille mit links normalem, rechts etwas
herabgesetztem Sehvermögen, konzentrische Einengung des Ge-
sichtsfeldes für Farben, grobschlägiger Nystagmus in allen Ein-
stellungen, Pupillen reagieren normal. Alle andern früher ge-
schilderten Symptome, insbesondere der Schwindel hält bei dem
Patienten an. Die Wassermannsche Reaktion ist negativ. Die
auch diesmal durchgeführte Prüfung auf Herabsetzung der Assi-
milationsgrenze für Traubenzucker fällt desgleichen negativ aus.
Meine Diagnose in diesem Falle lautete: Hydrocephalus
chronicus, Adipositas cerebrogenitalis.
Ich habe dann den Fall aus den Augen verloren. In diesem
Jahre wurde Herrn Kollegen Ghon das Gehirn dieses Falles,
welcher in einem Landspitale zugrunde ging, eingesendet. Es fand
sich Hydrocephalus, ferner in der Hypophyse ein kleines Adenom.
Prof. Ghon teilte mir darüber folgendes mit: Ä
Makroskopischer Befund (nach Fixierung in Formol):
Leptomeninx zart, an den Stirn- und Schläfenpolen zum Teil ab-
Seitenventrikel und der dritte Ventrikel
stark dilatiert. Die untere Wand des dritten Ventrikels ausge-
baucht. Ependym anscheinend ohne Veränderung, :ebenso der
Plexus.. Der vierte Ventrikel nur wenig vergrößert. An. den
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
- negatives Resultat.
' Symptome an der linken
1. Dezember.
Großhirnhemisphären und den Stammganglien, sowie am Kleinhirne
keine besonderen Veränderungen. Hypopbyse: 15:15:7 mm, der
Hinterlappen im sag. Durchmesser 5 mm. In der vorderen Hälfte
nahe der Peripherie und genau median ein rundlicher, grauweiß-
licher und. scharfbegrenzter Herd von 3,5 mm im Durchmesser.
Histologischer Befund. — Hypophyse: Der makro-
skopisch erkennbare Herd der Hypophyse erwies sich als ein
Adenom mit undifferenzierten Zellen, die in ihren Protoplasma-
verhältnissen am ehesten noch an die Hauptzellen erinnerten. Die
specifischen Färbungen für die Granula in den Hypophysenzellen
(Hämalauneosin, Heidenhain, Mallory und Kraus) ergaben’ ein
Im übrigen zeigte weder der Vorderlappen
noch der Hinterlappen der Hypophyse histologisch irgendwelche
Besonderheiten. . | 4
Die Epipbyse war am übersandten Präparat nicht auffindbar
(gerade diese Partie des Gehirns, das-im unfixierten ‚Zustand ein-
gelangt war, war: stark lädiert). Wu ie a
Dieser Fall ist in mancher Beziehung ähnlich jenen
Falle von Nothnagel, den ich eingangs-erwähnte. ‚Auch hier
war es offenbar ein Hydrocephalus oder eine Meningitis-s-
rosa, welche die Ursache abgab zu ‘den in diesem Fál
schwankenden Symptomen der Adipositas und den stets vör-
handenen Symptomen der Aenderung des männlichen -Gè
schlechtscharakters in den des femininen. Auch bier haben
wir wohl anzunehmen, daß Störungen der Hypophysenfunktioh
die Ursache dieses eigenartigen Symptomenkomplexes wärtl,
Der weitaus interessanteste Fall ist jedoch jener; ‚den
ich jetzt vorbringe. |
Es handelt sich um einen 31 Jahre alten Agenten, welcher
am 17. Februar des Jahres 1911 in meine Klinik eintrat und am
9. März daselbst verstarb. Die. Eltern des Patienten leben, set
Geschwister starben an Kinderkrankheiten, zwei Brüder leben, sind
gesund, nicht fettleibig. Als Kind überstand er-Diphtherie, war
sonst immer gesund. Vor 12 Jahren bemerkte er, daß der linke
Arm, besonders: aber die Fingergelenke, schwächer wurden. Der
Zustand verschlechterte sich bald so sehr, dab. er schließlich mit
der. linken Hand gar keine Bewegung ausführen konnte, Es br
standen weder Schmerzen noch Gelenkschwellungen. , Der starke
Fettansatz, der sich jetzt bei dem Patienten zeigte, ist innerhalb
dreier Jahre zur Entwicklung gekommen. Abb. 5 zeigt Ihnen des
"Bild des Kranken am 31. Oktober 1908, also zu diner Zeit, al
bereits die- später zu be-
schreibenden ' nervösen
oberen Estremität schon
vorbanden waren, und
Abb.6vom10.Oktoberi911
zeigt Ihnen das Bild des
Kranken am Sterbebette.
Aus dem Vergleiche dieser
Figuren, insbesondere der {E
Hände, sehen Sie die ge- . =
waltigen Veränderungen. |
Aus der nachfolgenden Ge-
wichtskurve (Abb. 7) er-
sehen Sie dann die enorme
Gewichtszunahme, da nach
Landois ein 3Vjähriger
Mann 68,9 kg wiegen soll,
während hier das Gewicht,
wie Abb. 7 zeigt, im Laufe
von einem Jahre von 67 kg Be - -; 4
auf 73 kg (1910) und in gl
wenigen Tagen in der klini- We Ss A
schen Beobachtung von
88 kg bis 90,4 kg anstieg. | es
Ich habe noch hinzuzufügen, daß das Libido sozu
die Potenz bei ihm erhalten geblieben sind. or slon
Seit. drei Monaten klagt er ūber Kreuzschmorzon, en ni
in. der Steißbeingegend, über Kopfschmerzen Un’ plich M der
schìeimigem Auswurf. Der Kopfschmerz ist hauptsät ab; Panni
Stirngegend lokalisiert. Die klinische Untersuchung e a My
culus adiposus übermäßig entwickelt, Haut blaß, godur in di
ödem erinnernd, die Phalangen der Finger au allen er runde
-Am Handrücken links lateral einige oberflächlich® = as große
handbreit unter dem Angulus scapulae, rechts eine ©”
Abb. Š.
alis ud
rn
en
=
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ARTN a uad
1. Dezember.
Brandwunde. Außer einer leichten Vergrößerung der Schilddrüsen
sönst physikalisch keine Verärd:.rungen nachweisbar. Die Auf-
nahme des Augenstatus ergit‘. von seiten der Augenklinik (Prof.
Elschnig) Neuritis optici in.:; ions; Gesichtsfeld normal, Sehschärfe
ebenso. Pupillen eng, rechto etwas weiter, beide auf Licht träger
und weniger ausgiebig reagierend als auf Konvergenz; von seiten
der Obrenklinik (Prof. Pittl) Ulypotrophia mucosae nasi, ferner
leichte Verminderung der Perzeptionsdauer an der linken Seite für
Stimmgabeln. Die Reaktion des Vestibularapparats auf calorische `
Reize herabgesetzt. Es besteht Parese der Muskulatur im Bereiche
des linken Schulter- und Ellbogengelenks, vorwiegend die Strecker
betreffend leichten Grades; im Bereiche der Fingergelenke links
fast vollständige Paralyse. Dynamometer zeigt links: 0, rechts: 19.
Er klagt über spontane Schmerzen in der Stirngegend, besonders
links, Schmerzen in der Steißbeingegend. Wir fanden außer den
oben beschriebenen Störungen an der Haut streng halbseitig links
Sensibilitätsstörungen, und zwar ist die Temperaturempfindung links
diffus herabgesetzt, am stärksten im Bereiche des linken Unter-
armes, wo auch eine Eprouvette mit Wasser von 60° C Tempe-
ratur nicht von Eiswasser unterschieden wird. Ferner fanden sich
links trophische Störungen, indem der Umfang der oberen Extre-
mität 31°5,10 cm über dem Olecranon links, rechts aber 34 be-
trug; e der unteren Extremität 10 cm oberhalb der Patella beider-
seits Ol.
, Nach diesem Befunde war es klar, daß wir es wohl
mit einer Erweiterung des Centralkanals des Rückenmarks,
also. mit einer Syringomyelie zu tun haben. Außerdem
aber, wie das beigefügte Bild (Abb. 6) zeigt, wurden
die typischen Symptome der hypophysären Fettsucht an
‚Ihm beobachtet, ohne daß jedoch das Genitale irgend-
welche Veränderungen zeigte, und nach seiner Angabe auch
die Funktion bis in die letzte Zeit erhalten war. Es mußte
demnach außer der Syringomyelie noch eine Veränderung
in der Gegend der Hypopbyse da sein, welche diese Sym-
ptome zeitigte, und mußten wir mit Rücksicht auf die be-
standene Neuritis optica das Vorhandensein einer raum-
beschränkenden Erkrankung im Gehirn, also wahrscheinlich
einen Hydrocephalus annehmen.
Die Röntgenographie ergab keine Erweiterung der
oi Sella turcica, auch
sonst waren keine
Symptome vorhanden,
welche für einen Tu-
mor in der Hypophy-
sangegend sprechen.
Aus dem weiteren
Verlaufe der Beobach-
tung will ich noch er-
E
LL Testen!
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Abb, 7.
! "Abb. 6.
wähnen, daß eine Lumbalpunktion gemacht wurde, welche nichts
Wesentliches ergab. Nach derselben klagte der Patient über
Kopfschmerzen. Am 29. früh trat ein Schüttelfrost auf, die Tem-
peratur stieg bis 2 Uhr auf 38,4 Grad Celsius und um 2 Uhr
50 Minuten starb der Patient.
Die. am 10. März vorgenommene Sektion (Professor
Ghon) bestätigte die von mir gestellte Diagnose Hydro-
cephalus, Adipositas cerebralis und Erweiterung des Rücken-
marks, indem sie lautete: „Syringomyelie, geringer innerer
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
ee m [m m —
—— ——
1935
Hydrocephalus, allgemeine Adipositas“. Zugrunde gegangen
"ist der Patient offenbar an der mit Schüttelfrost einsetzenden
katarrhalischen Bronchitis. |
Ich lasse nunmehr die wichtigsten Momente aus dem
Sektionsprotokolle folgen (Professor Ghon) und erwähne aber zu-
nächst, daß Herr Kollege Ghon. die Freundlichkeit hätte, Hypo-
physe, Epithelkörperchen, Nebennieren, Schilddrüsen, Pankreas und
Hoden histologisch zu untersuchen und mit Ausnahme eines etwas
starken Fettgehalts an den Epithelkörperchen ließen sich in den
angeführten Organen bei den gewöhnlichen Färbungsmethoden be-
sondere Veränderungen nicht nachweisen. Die Hoden zeigten stark
entwickelte Spermogenese. Auch Schnitte aus der Medulla, Brücke
und den basalen Anteilen des Schläfenlappens waren frei von Ver-
änderungen. Aus dem Sektionsprotokolle hebe ich noch wörtlich
folgenden Befund hervor: zz
„Die weichen Schädeldecken blut- und fettreich, ihr Panni-
culus ist 1 cm dick. Im oberen Sichelblutleiter reichlich dunkles,
. dickflüssiges Blut. Dura mater ziemlich blutreich und durch-
scheinend; die inneren Hirnhäute an der- Konvexität mäßig feucht
und mäßig blutreich. Die inneren Hirnhäute an der, Basis zart,
die Gefäße zartwandig. Das Chiasma und Intundibulum ohne Ver-
änderungen. Brücke ohne besondere Veränderungen. Die Medulla
oblongata weich, an der Schnittfläche gefleckt. Die Hirnrinde
gleichmäßig breit, im allgemeinen schmal, rötlichgrau, von mäßig
vielen Blutpunkten durchsetzt, die Ventrikel. etwas; weit, von
klarer Flüssigkeit in mäßiger Menge erfüllt, ihr Ependym zart.
Die Hypophyse 16 mm breit, 13,1 mm und 7 mm dick. Der
Vorderlappen rot und weißlich gefleckt, der Hinterlappen: ent-
sprechend groß, entsprechend lang und grauweiß.; Glandula
pinealis 7 mm lang und 5 mm breit. In dem Sinus der Hirn-
basis rotes, Jüssiges Blut. Sella tureica nicht erweitert. Das
Rückenmark erscheint nach der Herausnahme, namentlich in seiner
oberen Hälfte glatt, durch das ganze Rückenmark . mit Ausnahme
des Halsmarks zieht sich ein breiter Kanal, der sich nach unten
stiftförmig verjüngt, bis an das Lendenmark reicht, dort in eine
rötlich graue Masse übergeht und so die centralen Teile des
Rückenmarks substituiert. Nach oben zu reicht diesef. Spalt, der -
im oberen Brust- und Cervicalmark am breitesten ist, bis zùr
Medulla. Die Rückenmarkhäute sind frei von Veränderungen.“
Wenn wir kurz diesen Fall resümieren, so ergibt sich,
daß bei einem Manne, bei welchem im Laufe von zwölf
Jahren sich die Erscheinungen einer Syringomyelie ein-
stellten, im neunten Jahre des Bestandes dieser Symptome
die Erscheinungen der hypophysären Fettsucht eintraten,
ohne daß bei dem 31ljährigen Manne Störungen der Genital-
funktion sich einstellten oder Aenderungen des männlichen
Geschlechtscharakters durch die klinische Untersuchung er-
wiesen werden konnten. Auch die Sektion ergab keine der-
artigen Zeichen, und möchte ich aus dem Sektionsprotokoll
in dieser Beziehung hervorheben: „Am äußeren Genitale keine
besonderen Veränderungen“, ferner, daß „die Prostata
ebenso wie Hoden und Nebenhoden keine Veränderungen
zeigen“. Das bemerkenswerteste Moment dieses Falles geht
demnach dahin, daß wir es hier mit einem typischen Falle
von Adipositas cerebralis zu tun haben und daß ferner
zu den Erscheinungen einer Syringomyelie im weiteren
Verlaufe die Symptome der Adipositas cerebralis hinzu-
traten, ohne jedoch zu Störungen von seiten des Genitalorgans
zu führen. _ | Se
Im Sinne von Stumpf und im Sinne von Fischer
könnte man annehmen, daß die Syringomyelie in ihrem
weiteren Verlaufe zu einem Hydrocephalus mäßigen Grads
und dadurch zur Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen
Gehirn und Hypophyse geführt haben. Bevor ich aber dar-
auf eingehe, möchte ich noch kurz der übrigen Fälle ge-
denken. Was den zweiten Fall, den . 14jährigen Knaben,
betrifft, so läßt er sich sehr wohl durch die Theorie von
Fischer-Stumpf erklären. Das gleiche gilt auch für den
ersten Fall, den Tumor an der Hypophysengegend.. Auch
für den dritten Fall würde die Theorie von Fischer-
Stumpf hinreichen, wobei ich auf dem Standpunkte stehe,
daß vielleicht die Störungen, welche durch den Hydro-
cephalus respektive durch den Hypophysistumor bedingt
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
136 _ 2
werden, funktioneller Natur sind, das heißt durch die Ver-
änderung im Gehirne wird bei intakter ‚Hypophyse ‚ein
verändertes Sekret secerniert, welches diese Adipositas
hervorruft. |
M. H.! Ich nähere mich mit dieser Anschauung
wiederum Fröhlich, dem Entdecker dieses Symptoms, der
ja auch eine Störung der inneren Sekretion als Ursache
dieser Erscheinungen annahm, aber ich komme sehr wohl
mit dieser Anschauung aus |
derten Fälle. Beim vierten Falle, bei welchem die Erschei-
nungen von seiten des Genitalapparats, die zu diesem Syn-
drom gehören, fehlen, muß man annehmen, daß die Funk-
tionsstörung anders geartet war oder daß vikariierend eine
Drüse mit innerer Sekretion für die Hypophyse in jenem
Anteile, der sich auf die genitale Sphäre bezieht, eingetreten
ist, oder wir eg weiter annehmen, daß, wenn Erdheim
recht hätte, durch eine Schädigung oder Reizung einer
an der Hirnbasis gelegenen Partie diese Symptome hervor-
gerufen werden, in unserm Falle der Sitz an der Hirnbasis
entweder circumscripter als in den andern Fällen oder an
einem andern Punkte gelegen ist. Jedenfalls wird man in
Zukunft vom klinischen Standpunkt auf die Fälle von hypo-
physärer Fettsucht ohne Disgenitalismus genau achten
müssen und durch eine sorgfältige klinische und anatomische
Untersuchung soleher Fälle nach Differenzen zwischen jenen
Fällen, in welchen der ganze Symptomenkomplex und jenen
Fällen, in welchen nur ein Teil, nämlich die Adipositas cere-
bralis, sich findet, suchen müssen. Jedenfalls zeigen diese
Beobachtungen, daß das letzte Wort über die so inter-
essante Frage der Adipositas cerebralis und der Adipositas
cerebrogenitalis noch nicht gesprochen ist. Es wird noch
intensiver klinischer, vor allem aber experimenteller
Forschungen bedürfen, bis diese Fragen endgültig gelöst sind.
Ä Und nun zum Schluß noch ein Wort über die Therapie!
Ich glaube, daß in allen Fällen, in welchen wir dieses Sym-
ptom finden, die Darreichung von Hypophysenextrakten,
also die Organotherapie, gerechtfertigt erscheint, und das
zeigen auch meine Beobachtungen. In jenen Fällen, in wel-
chen wir einen Tumor in der Gegend der Sella tureica kon-
statieren, ist darauf zu dringen, daß der Kranke sich der
Operation unterzieht, welche, wie die Beobachtungen der
Chirurgen aus den letzten Jahren zeigen, zu den schönsten
Hoffnungen berechtigt.
Aus der Kgl. Psyebiatrischen und Nervenklinik zu Greifswald.
Ueber syphilogene Erkrankungen des Central-
nervensystems')
von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ernst Schultze.
M. H! Die Entdeckung des Erregers der Lues in der
Spirochaeta pallida durch Schaudinn und Hoffmann ist
für die Stellung der Diagnose nur von mittelbarer Bedeutung
geworden insofern, als die Untersuchung der Leber syphili-
tischer Foeten einen ungeheuren Reichtum an Spirochäten
ergab und somit die Möglichkeit schuf, eine antigenreiche
Organflüssigkeit für die Wassermannsche Reaktion zu ge-
winnen. Wenn auch weitere Untersuchungen ergaben, daß
es nicht dieses specifischen Materials für die Anstellung der
Probe bedurfte, so hat die Wassermannsche Methode doch
nieht an Bedeutung eingebüßt. Ursprünglich wurde nur das
Blut untersucht. Fiel diese Untersuchung positiv aus, so
war damit nur bewiesen, daß das Individuum einmal mit
einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheivlichkeit eine
speeifische Infektion durchgemacht hat; die Möglichkeit ei
Lokaldiagnose war aber damit noch nicht Auch
bei positivem Ausfalle brauchte die Erkrankung, deren Ur-
i) Nach einem Demonstrationsvortrag im Fortbildungskursus zu
Greifswald, August 1912.
sprung ZU
zu sein.
lichen Lage, als er
intra vitam durch
wird, die das Centralnervensystem umspülende und mit ihm
im engsten Zusammenhange stehende Flüssigkeit zu ge-
winnen.
‚Reaktion,
nervensystem luisch affiziert ist; zu der Allgemeindiagnose
ist jetzt eine Lokaldiagnose hinzugekommen. Freilich er-
leidet dieser Schluß insofern eine gewisse Einschränkung,
als die Untersuchung
sekundären Syphilis
tion gegeben hat, ohne daß auch die weitere Beobachtung
immer eine ausgesprochene Erkrankung an einem speci-
fischen Nervenleiden
Affektion heilt mitbin oft
das nicht der Fall ist, sind vielleicht die Kandidaten der
schweren Nervenleiden luischen oder metaluischen Ur-
Sprungs.
für die ersten drei der geschil-
nicht berichten kann, vermag aber, so wertvoll sie auch für
die Prophylaxe sein oder noch werden mag, die Bedeutung
der Untersuchung der Spinalflüssigkeit nach Wassermann
nicht erheblich einzuschränken;
deren Erkennung für den Psychiater und Neurologen in Be:
tracht kommt, treten in der überwiegenden Zahl der Fälle
orst in einem späteren Stadium der Lues in die Erscheinung.
Eine dann positive Reaktion der Spinalflüssigkeit berechtigt
nach unsern bisherigen
fahrungen zu der Annahme, ein
Rolle in der Aetiologie des vorliegenden Nervenleidens spielt,
verwickelt, daß sie dem Praktiker nicht überlassen werden
kann.
Vorschläge, die Technik zu vereinfachen, immer wieder nur
gelehrt, daß die ursprünglich von Wassermann angegebene
Methode unbedingt den Vorzug
Beachtung verdient daher die von Nonn e- A pelt angegebene‘
Methode zum
1. Dezember.
ermitteln war, nicht unbedingt luischer Natur
Der Neurologe ist nun insofern in einer glück-
dank dem Vorgehen Quinckes schon
die Spinalpunktion in die Lage versetzt
Gibt die Spinalflüssigkeit die Wassermannsche
so ist der Schluß berechtigt, daß das Central-
der Spinalflüssigkeit im Stadium der
vielfach eine Wassermannsche Reak-
hätte nachweisen können. Jene
aus; die Personen, bei denen
Diese Beobachtung, über die ich aus eigner Erfahrung
denn gerade die Leiden,
klinischen und anatomischen Er-
daß die Lues eine wesentliche
Die Untersuchung nach Wassermann ist noch s0
Jedenfalls haben alle Nachprüfungen der vielfachen
verdient. Um so größere
Globulinnachweis, die ohne besondere Vor-
kenntnisse und Vorarbeit überall angewandt werden kann.
Der positive Ausfall weist auf eine organische Erkrankung
des Centralnervensystems hin. Zu diesem Schlusse be
rechtigt auch der Nachweis eines erhöhten Zellgehalts in
der Spinalflüssigkeit; freilich stellt dieser Nachweis schon
größere technische Anforderungen. Immerhin darf au
nicht übersehen werden, daß die Spinalpunktion selbst dann,
wenn kein Gehirntumor vorliegt, keineswegs em so harn:
loser Eingriff ist, daß er mit der ambulanten Behandlusg
vereinbar wäre; es ist vielmehr unbedingt geboten, S10 unter
Einhaltung aller Vorsichtsmaßregeln vorzunehmen und 6
nach den Kranken mindestens 24, besser noch 48 Stunden
Die neuen Untersuchungsmethoden haben gelehrt, welche
Bedeutung der Lues in der Aetiologie organischer en
krankheiten zukommt; sie ermöglichen, 1n vielen F ek
schon früher zu erkennen.
Greifswalder Klinik ausgiebig verwertet.
bei gemachte Erfahrungen möchte ich berichten.
Zahlen kann ich naturgemäß nicht dienen, 19 are
vielmehr mit mehr oder weniger bemerkenswerten MT
beobachtungen begnügen und benutze die Gelegenheit, hs
solche aus früherer Zeit anzuschließen, die eines a
und praktischen Interesses nicht entbehren. Dabel WE.
ich vor allen Dingen erörtern, daß oder warun nt
eigentliche Natur des Leidens nicht erkannt oder ver
wurde. . co Part
Es ist gewiß kein Zufall, daß die progressiv? oj der
lyse die Krankheit des Centralnervensystems 15%
nt
1. Dezember. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1937
am frühesten und ausgiebigsten der Luesnachweis nach
Wassermann zuerst von Plaut, später von vielen Andern
geprüft wurde. Hatten doch unsere klinischen Erfahrungen
schon gelehrt, daß bei ihrer Aetiologie die Syphilis von er-
heblicher oder vielmehr von entscheidender Bedeutung ist;
an Material, das diese Prüfung in größerem Umfang er-
möglichte, fehlte es ja leider auch nicht. Manche Forscher
haben in jedem Falle von progressiver Paralyse sowohl im
Blute wie im Liquor einen positiven Wassermann gefunden,
eine Tatsache, die mit aller Deutlichkeit für die Richtigkeit
der Ansicht spricht, ohne Lues gebe es keine Paralyse. Der
Wassermannschen Methode ist es auch wohl zum Teil zu
verdanken, daß der juvenilen Paralyse erneute Auf-
merksamkeit geschenkt wurde, also der Form von Paralyse,
die schon bei jugendlichen Individuen auftritt und auf er-
erbte Lues zurückgeführt wird. Freilich hat man im Laufe
der Zeit gelernt, daß eine auf ererbte Lues zurückzuführende
Paralyse nicht immer, wie gewöhnlich, im zweiten Jahr-
zehnte — zwischen der Infektion mit Lues und dem Aus-
bruche der Paralyse liegt auch bei Erwachsenen für ge-
wöhnlich ein Zeitraum von 12 bis 15 Jahren —, sondern
auch noch später, selbst im fünften Jahrzehnt auftreten kann.
Schon lange hatte man bei jugendlichen Individuen chro-
nische Krankheiten beobachtet, die wegen ihrer Kombination
von Reiz- und Ausfallerscheinungen auf körperlichem und
psychischem Gebiet und ihres Ausgangs in Demenz der Para-
lyse der Erwachsenen glichen. Der mikroskopische Hirn-
befund sprach für dieselbe Auffassung. Die Häufigkeit, mit
der in der Ascendenz Lues, Tabes oder progressive Paralyse
nachgewiesen werden konnte, ließ an hereditäre Lues denken,
zumal die Erkrankten deren Zeichen oft genug in der Form
der Hutchinsonschen Trias boten. Die Wassermannsche
Untersuchung des Liquors und Bluts hat in allen diesen
Fällen ein positives Resultat gezeitigt. Somit eine wichtige
weitere Stütze für die ausschlaggebende Bedeutung der Sy-
philis unter den Vorbedingungen der progressiven Paralyse.
Ueber einen derartigen Fall möchte ich berichten.
Im Februar 1911 wurde der Klinik das 14 Jahre alte Mädchen A.
zugeführt. Vater luisch, Mutter an Tuberkulose gestorben. Immer sehr
schlecht gelernt, kam nicht aus der untersten Klasse. Seit zwei Jahren
Neigung zu Diebstählen; „das schadet nichts, das sieht ja keiner“. In
Lues (Vater luisch, Kind Hutchinsonsche Zähne). . Es
fragte sich nur, ob Lues cerebrospinalis oder progressive
Paralyse vorlag. Zugunsten der ersteren Annahme konnte
der schlechte Fortschritt auf der Schule verwertet werden.
PPAT
Maiin 7, HA BIP, ax
Aber anderseits hat man sehr häufig beobachtet, daß die
juvenile Paralyse gerade geistig zurückgebliebene Kinder
befallen kann, wobei es dahingestellt sein mag, ob die Im-
becillität auf eine luische Gehirnerkrankung oder eine bloße
den letzten Wochen Sprache schlechter, Gang unbeholfen, uriniert und
defäziert auch in die Stube; schmiert sich Wichse beim Stiefelputzen
auf den Leib; sehr ängstlich: lief vor kleinen Kindern weg.
Bei der Aufnahme rechte Pupille größer, verzogen; beiderseits nur
geringe Reaktion auf Licht und Konvergenz. Tremor der Hände. Leb-
hafte Patellarreflexe. Deutliche Ataxie der oberen und unteren Ex-
tremitäten. Romberg -+. Unbeholfene Sprache. Oertlich und zeitlich
orientiert. Leidliche Merkfähigkeit. Intellektuell auf der Stufe eines
sechsjährigen Kindes.
In der ersten Zeit noch bei der Hausarbeit tätig. Dann zu-
nehmende Ungeschicklichkeit der Hände, sodaß sie nicht mehr stricken,
sich nicht einmal aus- und anziehen konnte. Handschrift zunehmend
schlechter; vergleiche die drei Schriftproben. (Probe I stammt aus dem März
1911, Il aus dem November 1911, III aus dem Januar 1912.) Sehr selten
Anfälle von Bewußtlosigkeit. Albernes, läppisches Benehmen. Wiederholt
stets dieselben Reden. Eirhebliche Abnahme der Merkfähigkeit; Verlust der
Orientierung; erkennt ihre nächsten Verwandten nicht und vergißt deren
Besuch schon nach zehn Minuten. Sprache nur ein unverständliches
Lallen. Auch andere körperliche Störuugen nehmen zu. Gang spastisch-
paretisch, sehr erschwert; Stehen auf einem Bein unmöglich. Arme und
Kopf in eigentümlich schüttelnder Bewegung, zwischendurch choreiforme
Zuckungen; Patellarreflex deutlich erhöbt. Babinski links positiv. Ende
1911 konnte sie eines Tages plötzlich nicht mehr auftreten: Fraktur des
linken Femurkopfes. Dauernd zu Bett oder im Bad. Völlig verblödet,
dauernd unrein. In der körperlichen Entwicklung zurückgeblieben, bisher
keine Menses,
Daß es sich um progressive Paralyse bei dem Kinde
handelt, kann nach den körperlichen und psychischen Stö-
rungen, von denen einzelne schon allein für diese Erkrankung
charakteristisch sind, dem typischen Verlauf und dem Ver-
fall in Demenz nicht zweifelhaft sein. Bereits der erste Be-
fund und die Anamnese sprachen für eine organische Er-
krankung des Centralnervensystems, und zwar mit Wahr-
scheinlichkeit für eine solche auf dem Boden lereditärer
Fraktur des linken Oberschenkels, die sicher ohne einen er-
Keimschädigung durch die Lues der Eltern zurückzuführen
ist. Die Sprachstörung, die Ataxie der oberen und unteren
Extremitäten, die schnelle Entwicklung der geistigen Störung
sprachen eher für progressive Paralyse. Die Entscheidung
= AN, sm. = . vr
i pdy Ceta Qash ;
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w” PA dgw PY
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wurde durch die Untersuchung des Liquors ermöglicht, der
schon in der Menge von 0,2 cem komplett hemmte; sehr
starke Globulinreaktion; Zellgehalt 132/3; auch im Blute
starko Wassermannsche Reaktion. Die weitere Beob-
achtung hat die Richtigkeit dieser Diagnose bestätigt. Die
Tmi rg
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TON,
1938
nn
heblichen äußeren Anlaß aufgetreten, also als sogenannte
Spontanfraktur anzusprechen ist, mag noch hervorgehoben
werden. Bei Tabes und progressiver Paralyse der Erwach-
senen ist eine solche häufiger beobachtet worden, bei der
juvenilen Paralyse seltener — jedenfalls fand ich sie in der
mir zugänglichen Literatur nur in einem Falle von Regis
erwähnt.
Fälle von juveniler Paralyse sind in der Sprechstunde
des Neurologen oder in der Anstalt des Psychiaters keine
Seltenheit mehr, seitdem durch viele Arbeiten, vor allem die
erste größere Zusammenstellung von Alzheimer, darauf
aufmerksam gemacht worden ist.
Aber in der alltäglichen Praxis wird sie oft übersehen.
Im Beginn der Erkrankung wird Unart, wie auch bei
unserer Kranken, im vorgerückteren Stadium Idiotie dia-
enostiziert. Tatsächlich ist die juvenile Paralyse aber leicht
zu erkennen. Hinsichtlich der Diagnose genügt es, auf den
mitgeteilten Schulfall zu verweisen, der vielleicht insofern
abweicht, als die sonst so häufigen paralytischen Anfälle bei
ihm nur ganz vereinzelt auftreten. |
Die überwiegende Häufigkeit, um nicht zu sagen,
Regelmäßigkeit, mit der der Liquor und das Blut bei der
progressiven Paralyse der Erwachsenen nach Wassermann
reagieren, beansprucht in positiver und negativer Be-
ziehung eine diagnostische Bedeutung.
Eine positive Reaktion des Bluts nach Wassermann
rückt die Möglichkeit, die des Liquors die hohe Wahrschein-
lichkeit nahe, daß die vorliegende Psychose Juischen Ur-
sprungs sein kann. Bei einer Geistesstörung unklarer Her-
kunft oder unbestimmten Charakters wird der positive Aus-
fall der Blutuntersuchung Veranlassung geben, an ihre
syphilogene Natur zu denken. Das kann praktisch von Be-
hältnissen stammt und von jeher geistig sehr beschränkt war;
aber wieder zurückgebracht. In
letzter Zeit mehrfach als obdachlos aufgegriffen. Der Klinik zugeführt,
stolpern. Jetzt auch Spinalpunktion möglich. Liquor reagiert nach
Wassermann von 0,2 ccm an.
mehrung.
Danach liegt eine progressive Paralyse vor. Die erst sehr viel später
ermittelte Anamnese war charakteristisch. Danach war die Kranke etwa
ein Jahr vor der Einlieferung erregt, suchte auf der Straße ihren
Bräutigam, lud, wen sie traf, zur Hochzeit ein, wollte hoch zu Roß zur
Trauung in die Kirche reiten, vorher aber die Straße mit weißen Steinen
pflastern lassen, bestellte Kleider mit langen Schleppen. Später ängst-
lich, still, verweigerte Nahrung.
Der Fall lehrt, wie wichtig und richtig es ist, von der
Wassermannschen Untersuchung besonders in allen Fällen
geistiger Erkrankung unklarer Herkunft Gebrauch zu machen.
Gewiß wird es auch ohne sie fast immer möglich sein, die
Paralyse zu erkennen, und in dem mitgeteilten Falle be-
stand diese Möglichkeit schon kurz nachher, als sich die
Kranke etwas beruhigt hatte und damit eine genauere Unter-
suchung ermöglicht wurde. Aber es kann nicht nur von
wissenschaftlichem Werte, sondern auch von praktischer Be-
deutung sein, schon In einem frühen Stadium der Erkrankung
auf die Möglichkeit der Paralyse hingewiesen zu werden.
Gerade deshalb aber ist die Wassermannsche Methode be-
sonders wertvoll, weil es oft nicht die körperliche
Untersuchung des Kranken od der Anam-
nese, selbst den redlichsten Wil oder seiner
Umgebung vorausgesetzt, die he Infektion
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
aktion im Blute Paralyse diagnostiziert wurde, habe ich den
1. Dezember.
nachzuweisen und weil die Deutung des serologischen Be
fundes in den meisten Fällen nicht mit Schwierigkeiten ver-
knüpft ist. Daß die positive Blutreaktion, mag sie auch
noch so ausgesprochen sein, allein noch nicht die paraly-
tische Natur der Psychose beweist, braucht wohl nicht noch-
mals betont zu werden. | |
Daher ist der negative Ausfall der Wassermann-
schen Reaktion bei der Entscheidung der Frage, ob ein
Paralyse vorliegt oder nicht, von größter diagnostischer Be-
deutung. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dab. nach
vieler Ansicht Blut und Liquor in jedem Falle von pre
gressiver Paralyse positiv reagieren. Auch Bendixsohn
kam auf Grund der Untersuchungen des hiesigen Materials
zu demselben Resultat. | Du
Ungezwungen ergibt sich daraus die Forderung, Para
lyse nicht zu diagnostizieren ‘oder hinsichtlich ihrer Ar
nahme größte Vorsicht walten zu lassen, wenn die Reaktion
versagt. Als daher bei einem in meiner Klinik beobachteten
Unfallverletzten trotz Feblens der Wassermannschen Re-
Kranken, den ich aus äußeren Gründen nicht sofort hatte unter-
suchen können, von neuem in meine Klinik aufgenommen. Die
nochmalige eingehende Untersuchung ergab mit Sicherheit, dal
nicht progressive Paralyse, sondern eine -arteriosklerotische
Demenz vorlag. Damit wurde die Richtigkeit des obigen
Satzes, bei negativem Wassermann seiParalyse auszuschlieden,
wiederum bestätigt. | o l
Durch neuere Beobachtungen hat aber dieser Satz seme
uneingeschränkte Gültigkeit auch bei denen, die das Vor-
liegen einer progressiven Paralyse mit negativem Ausfall der
Blutreaktion für unvereinbar hielten, verloren. Freilich
handelt es sich dabei immer nur um vereinzelte Fälle, mehr
oder weniger um Kuriosa. Natürlich kann eine derartige
Beobachtung nur dann Beachtung verlangen, wenn einmal
die Untersuchung auf Wassermann in der vorschriftsmäßiget
Weise vorgenommen worden ist, und dann die Diaguo%
der progressiven Paralyse nicht nur durch die Klinische
Beobachtung, sondern vor allem auch durch die mikte
skopische Untersuchung des Gehirns über allen Zweifel fest
gestellt ist. Be
Nach dem Gesetze der Duplizität seltener Fälle konnte
ich hier in letzter Zeit zwei derartige Beobachtungen ma% cl,
über die Vorkastner und Neue andernorts ausführlich De
richten werden.
Der eine Fall betraf einen Feldwebel, der einen ausgesprochen =
schen Erregungszustand bot. Die geradezu unsinnigen Größenideen nn
men mit einer ganz leichten Sprachstörung und lebhaften Patellar-
Achillessehnenreflezen ließen an progressive Paralyse denken, WON. wy
Blut bei zahlreichen Untersuchungen, auch nach der verfeiuerten Techn jy
Kromayer und Trinchese, stets negativ reagierte. Freilich hatte &
Blut bei einer einige Monate vorher andernorts vorgenommenen UN w
suchung positiv reagiert; eine specifische Behandlung batte ni v
Zwischenzeit nicht stattgefunden. Vor allem zeigte der Liquor = t
Pleocytose und starken Globulingehalt. Also mußte eine organisch
krankung des Centralnervensystems vorliegen, und zwar end #7
syphilogenen Charakters, denn der Liquor reagierte auf Wasserm nr
nächst von 0,6 coem an, später schon von 0,4 ccm an. Der weitere ii
lauf dor Erkrankung und die später vorgenommene. Untersuchung
Hirnrinde ergab mit Sicherheit das Vorliegen einer Paralyse. das Bin
Das letztere galt auch von dem zweiten Fall. Indes gab 0.
dieses Kranken bei der ersten Aufnahme und unmittelbar nach huge
Aufnahme eine völlige Hemmung; alle späteren ‚Blutuntersut agal
hatten bis auf eine einzige stets ein negatives Ergebnis — Sa? tn
Falle war eine antisyphilitische Kur in der Zwischenzeit los ad
genommen worden. Der Liquor ergab stets starke Globulinrea ich did
deutliche Pleocytose; aber während eine Hemmung gelogen! spät
ersten Aufenthalts schon mit 0,2 cem erzielt wurde, trat dies pipart
erst bei 0,6 ccm ein, darnach auch wieder bei Anwendung pirado
Mengen. Der Kranke, der in den letzten Tagen seines Lebens ar pool:
paralytische Anfälle hatte, wurde karz vor seinem Tode nochm lten ge
tiert; der Liquor enthielt die erstaunliche, bisher wohl nur 8
fundene Menge von 2400 Zellen im Kubikmillimeter. |
aß eine Para
‚ Auch diese beiden Fälle lehren also, daB + ood
vorliegen kann, wenngleich das Blut negativ reage nn
ebenso der Liquor, sofern man sich mit dessen Untersüt
to: $ ` t
A s BE 25 z Ag
DE an e
oo
PARS
1. Dezember.
in der üblichen Menge von 0,2 ccm begnügt. Damit wird
die Bedeutung der Wassermannschen Untersuchung des
Liquors und des Bluts für die Erkennung der Paralyse
natürlich nicht aufgehoben, sondern nur eingeschränkt. Ich
weise darauf hin, daß auch diese beiden Fälle eine deut-
liche Globulinreaktion des Liquors zeigten; ein Beweis, ein
wie sicheres Reagenz auf organische Erkrankung des Central-
nervensystems diese auch in der alltäglichen Praxis leicht
anzustellende Probe ist. _
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob
seit Einführung der serologischen Untersuchung eine genaue
körperliche und psychische Untersuchung der Paralyse-
verdächtigen hier und da vernachlässigt wird. Es besteht
zweifellos die Gefahr, daß allein der ersteren, wie mich ein-
zelne Beobachtungen gelehrt haben, die Entscheidung zu-
gewiesen wird. Ein so wertvolles Hilfsmittel aber auch die
serologische Methode ist — kein Neurologe oder Psychiater
möchte sie wieder vermissen, nachdem er sie einmal kennen
gelernt hat —, sie kann doch niemals die rein klinische
Untersuchung am Krankenbett ersetzen. Freilich hat auch
diese wieder mit manchen Fehlerquellen zu rechnen.
Bleibe ich vorläufig noch bei der Besprechung der
Paralyse, so ist die Ansicht weit verbreitet, zu ihrem Krank-
heitsbilde gehöre reflektorische Pupillenstarre oder Aufbebung
der Patellarreflexe oder beide Symptome; ließen sich auch
noch psychische Störungen nachweisen, so sei an.der Dia-
gnose der Paralyse kein Zweifel. Wenn ich auch nicht vor-
aussetze, daß die körperlichen Symptome infolge fehlerhafter
Untersuchungstechnik zu Unrecht diagnostiziert sind, So
fübrt diese falsche Ansicht über die Symptome einer Para-
lyse, die geradezu mit der Zähigkeit einer Wahnidee fest-
gehalten wird, leicht zu unrichtigen Schlüssen. Einmal wird
die Diagnose der Paralyse nicht gestellt — denn in zahl.
reichen Fällen von Paralyse fehlt entweder das eine oder
das andere oder gar beide körperlichen Symptome, und zwar
nicht nur im ersten Stadium der Erkrankung —, oder sie
wird zu Unrecht angenommen; beides Fehler, die nicht nur
vom rein ärztlichen, sondern oft noch mehr vom sozialen
Standpunkt aus zu bedauern sind. Gerade der letzteren
Gruppe angehörigen Felldiagnosen bin ich hier des öfteren
begegnet, worüber ich berichten möchte.
Fehlen der Patellarreflexe sprieht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit für eine organische Erkrankung des
Centralnervensystems, reflektorische Pupillenstarre für eine
solche syphilogener Natur, beide zusammen für Tabes. So
wahrscheinlich es auch in den meisten Fällen ist, daß eine
psychische Störung, die weiterhin nachweisbar ist, das Vor-
liegen einer Paralyse beweist, so erleidet diese Regel doch
auch Ausnabmen. Es ist daher immer geboten, die psychische
Störung hinsichtlich ihrer Entwicklung, ihrer Art und ihres
Verlaufs zu prüfen, ehe das psychiatrische Todesurteil mit
der Annahme der Paralyse gefällt wird. Das Gesagte gilt
natürlich auch für solche Fälle, in denen zweifellos orga-
nische Störungen körperlicher Art vorliegen, die anderweitig,
etwa durch Lues cerebrospinalis, bedingt sind.
Ich beginne mit einem Schulfalle, der in einer Doktor-
arbeit meiner Klinik ausführlich dargestellt worden ist.
75 Jahre alte Frau, die schon vor 33 Jahren wegen „Lahmbeit der
Beine“ das Bett hütete und seitdem ununterbrochen bettlägerig krank ist.
Sehr abgemagert. Schlaffe, dünne, fsltenreiche Haut. von mattem Glanz.
Pupillen stecknadelkopfgroß. verzogen, lichtstarr. Beide Sehnerven atro-
phisch, beiderseits völlig blind. Rechts taub infolge alter Mittelohr-
eiterung; links Konversationssprache nur auf 10 bis 15 cm, bedingt durch
nervöse Schwerhörigkeit. Tripces-, Patellar- und Achillessehnenreflexe
fehlen. Bauchdeckenreflexe nicht auslösbar (sehr dünne Bauchdecken).
Romberg -+-++. Stehen auf einem Bein unmöglich. Starke Ataxie
der oberen und unteren Extremitäten. Spontanbewegungen in den unteren
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1939
Gliedmaßen. Muskeln sehr schlaf. Musculus masseter und temporalis
beiderseits kaum fühlbar. Vorderarm sehr abgeflacht. Spatia interossea
tief eingesunken. Daum-u- und Kleinfingerballen beiderseits atrophisch.
Krallen- und Affenhand beiderseits, Keine neuritischen Erscheinungen,
keine fibrillären Zuckungen. Nur quantitative Herabsetzung der elek-
trischen Erregbarkeit Passive Bewegungen der Gliedmaßen werden nicht
wahrgenommen. Kalt und warm, spitz und stumpf an den unteren Ex-
schlecht unterschieden, ebenda Hypalgesie und verlangsamte
Daß es sich um Tabes handelt, unterliegt keinem
Zweifel; auf das Ergebnis der Liquoruntersuchung (Globulin +,
mäßige Pleocytose, von 0,8 an nach Wassermann positiv)
braucht kaum noch Bezug genommen zu werden. Abgesehen
von dem ungemeinen Reichtum an Symptomen verdient die
ausgesprochene Atrophie der Haut und Muskeln erwähnt zu
werden. Dejerine, Erb, Lapinski, F. Schultze, vor
kurzem noch Berger, Bickel sowie viele Andere haben auf
das Vorkommen von Muskelatrophien bei Tabes hingewiesen,
vor allem bei einer solchen von langer Dauer, wie auch im
vorliegenden Falle. Schläft die Kranke, so sinkt der Unter-
kiefer herab, und da ihr Kopf nur einem mit einer dünnen
Haut überzogenen Schädel gleicht, da die Augen infolge des
Schwundes des Fettgewebes der Augenhöhlen tief eingesunken
sind, ist es mehr als einmal einem Unbefangenen passiert,
daß er glaubte, eine Tote vor sich zu haben..
In psychischer Hinsicht ist die Kranke zeitlich und
örtlich orientiert. Gute Merkfähigkeit. Keine Inteltigenz-
einbuße nachweisbar — wenigstens zeigt ihr Wissen während
ihres achtjährigen Aufenthalts in der Klinik keine Abnahme
Sie wird aber nach ihrer Angabe seit Jahren von der
„Schultzen-Bande“ verfolgt. Diese besteht aus Kindern und
erwachsenen Männern und Frauen, die zu Fuß, zu Pferde,
per Droschke, auch in Schleichpatrouillen herankommen,
sich an ihr Bett stellen und sie mit Messern bedrohen. Sie
wollen ihr die Haut abschneiden, um ihre eignen Geschwüre
zu bedecken, oder das Fleisch vom Leibe reißen, um ihre
kranken Kinder zu füttern und so gesund zu machen. Sie
selbst soll andern Säuen als Nahrung dienen. Weil sie aber
stets Wache hält, wagt die Bande nicht, ihr etwas anzutun,
obwohl sie sich zu ihr aufs Bett oder gar ins Bett legt.
Dann klopft sie anhaltend und sehr energisch auf das Bett,
um ihre Verfolger, die sie in die Füße stechen, los zu werden.
Sie muß dann die „Rasselbande einmal reiten“. Stimmung,
wenn die Sinnestäuschungen fehlen, sehr gut, fast euplo-
risch, lacht, schäkert, singt zotige und humoristische Lieder.
Daß diese Psychose, die seit 16 Jahren bei ihr be-
steht, keine Paralyse ist, läßt sich leicht erweisen. Ihre
sehr lange Dauer und ein trotzdem kaum nachweisbarer
Fortschritt, das Fehlen von Sprachstörungen, die stete-
Orientiertheit, der Mangel einer Störung der Merkfähigkeit
und einer Einbuße ihres Wissensschatzes, schließlich auch
das Fehlen von Anfällen irgendwelcher Art sprechen mit
Sicherheit dagegen. Es handelt sich vielmehr um eine para-
noide Psychose mit zahlreichen Sinnestäuschungen und wenig
systematisierten Wahnideen, die zur Tabes hinzugetreten
sind. Von einem gewissen Interesse ist der Umstand, daß
der Kranken ihre Blindheit nicht zum Bewußtsein kommt.
Diese Erscheinung findet ibre Erklärung in den plastischen
Halluzinationen. Sie kann geradezu eine photograpbisch
genaue Schilderung ihrer Verfolger, ihres Aussehens und
ihrer Kleidung geben; und wenn sie ihre Umgebung in der
Klinik, die Aerzte, die. Pflegerinnen nicht erkennt, so sind
daran nach ihrer Ansicht ihre Verfolger schuld, die ihr
dies alles unsichtbar machen und die sich auch selber den
Aerzten unsichtbar zu machen vermögen; so kommt es,
daß weder der Arzt ihre Verfolger, noch sie selber den
Arzt siebt. | (Schluß folgt.)
mw
1940
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember,
Abhandlungen.
Aus der I. medizinischen Abteilung dor k. k. Krankenanstalt
„Rudolfstiftung“ in Wien.
Torpor recti — Dyschezie
(Ein Beitrag zur Pathogenese der habituellen
Obstipation)
von
Prof. Dr. Gustav Singer.
Die Behandlung der Stuhlverstopfung ist seit jeher ein
Lieblingsfeld der Betätigung berufener und unberufener Heil-
künstler gewesen. In der „Ableitung auf den Darm“ zeigt
sich die von den alten Aerzten — oft übermäßig — be-
wertete Bedeutung, welche der regelmäßigen Darmentleerung
für den kranken ebenso. wie für den gesunden Organismus
zugeschrieben wurde. Während die Therapie der habituellen
chronischen Obstipation längst schon in den Laboratorien
der experimentellen Pharmakologen bearbeitet wurde, ist es
auffallend, daß die wissenschaftliche Medizin erst in den
letzten Jahren sich bemüht hat, die Pathogenese dieser so
wichtigen Störung aus der Unklarheit der Empirie auf den
Boden der exakten Untersuchung zu erheben.
In diesen für den Praktiker bestimmten Ausführungen
möchte ich die Erörterung noch im Flusse der Diskussion
stehender kontroverser Anschauungen vermeiden und heute
bloß über einen Punkt aus dem Komplex dieser Frage
sprechen, welcher, als ein gesichertes Ergebnis, für unsere
Auffassung des Krankheitsbildes und unser therapeutisches
Handeln bestimmend sein soll.
Wer gewohnt ist, viele Kranke rectal zu untersuchen,
gleichviel, ob sie über Obstipation klagen oder nicht, der
wird teils mit der digitalen Palpation, teils mit den endo-
skopischen Methoden auffallende Verschiedenheiten in den
Befunden erheben können. .
Bei einer großen Zahl von Menschen — auch solchen,
die an hartnäckiger Obstipation leiden — findet man das
Rectum, den ampullären Teil mitgerechnet, leer oder nur
mit geringfügigen Kotbestandteilen gefüllt. Das Extrem auf
der andern Seite ist charakterisiert durch den Nachweis
einer. mächtigen, die Ampulle überdehnenden, aus kom-
pakten oder losen Fäkalbestandteilen zusammengesetzten
Masse, die oft bis an den äußeren Sphincter, also bis an
den Analteil des Rectums, heranreicht. Diesem Befunde be-
gegnet man auffallend häufig namentlich bei Frauen mit
oder ohne Genitalaffektion, und schon längst ist die Frage
aufgetaucht, in welchem Zusammenhange die Kotfüllung
des Rectums mit der physiologischen oder der von der Norm
abweichenden Stuhlentleerung stehe. |
Schon Samuel G. Gant!) hat unter dem Titel „Fecal
Impection“ mitgeteilt, daß in zirka 60°), der Fälle von Ob-
stipation Kotanhäufungen im Rectum zu finden seien, und
Ebstein?), der sich dieser Annahme anschließt, hat sogar
eine eigne Palpationsmethode beschrieben, mittels deren man
lateralwärts zwischen der Gesäßspalte und der Spitze des
Steißbeins, ohne in den Anus einzudringen, diese Fäkal-
residuen tasten kann.
Schon zur Zeit der Anatomen Henle, Hyrtl und
O’Beirne?) wurde ein Streit darüber geführt, welcher Zu-
stand des Rectums der Norm entspreche, wie das Rectum
in der Norm beschaffen sei, leer oder gefüllt. Ich will
gleich, ohne auf die Details dieser Diskussion einzugehen,
auch hier wieder konstatieren, wie die scharfsinnigen Be-
obachtungen unseres berühmten Altmeisters Hyrtl noch
heute zu Recht bestehen. Bei einigermaßen erheblicher
Anfüllung des Rectums mit Fäkalmassen findet man fast nie
l The Post-Graduate 1901.
a) Die chronische Stuhlverstopfung. F. Enke, 1901.
3) New Views of the process of Defecation. London 1833.
normale Darmfunktionen und ich glaube auf Grund sehr
zahlreicher Untersuchungen aussprechen zu dürfen: im
Normalzustand ist das Rectum leer.
Die Untersuchungen über die Physiologie des De-
fäkationsaktes, welche teils im Tierexperimente (Langley und
Anderson’), teils unter radiologischer Kontrolle (Hertz?)
Rieder?) u. A.) vorgenommen wurden, haben konform mit den
bereits im Jahre 1833 von ÖO’Beirne beschriebenen Ver-
hältnissen ergeben, daß bei der physiologischen Defäkation der
Inhalt distalwärts von der Flexura lienalis abreißt und entleert
wird. Beim prompten Defäkationsakte des darmgesunden
Menschen reißt tatsächlich diese ganze Kotsäule ab und wirdin
einem Zuge abgesetzt. Bei der radiologischen Untersuchung
über die abführende Wirkung der Gallensäuren konnte ich
diesen Entleerungsmodus wieder feststellen. Von dieser
physiologischen Norm gibt es natürlich noch in der Breite
des Gesunden Abweichungen, aber ich habe mich zu wieder-
holten Malen teils unter rectoskopischer, teils unter radio-
logischer Kontrolle davon überzeugen können, daß dieser
Modus den physiologischen Verhältnissen entspricht.
Schon die anatomische Konfiguration der Abknickung
an dem Uebergange vom unteren Flexurschenkel in das
Rectum, die Anlage eines sehr verstärkten Muskelzuges an
dieser Grenze — Sphincter recto romanus (Schreiber) und
Sphincter tertius (Hyrtl) — ist, wie ich das schon an anderer
Stelle ausgeführt habe, prädestiniert, hier als Verschlub-
vorrichtung zwischen dem Stuhlreservoir der unteren Flexur
und dem das Defäkationsgeschäft besorgenden Rectum zu
dienen. Mit dem Eintritt der großen Kolonbewegungen
(Holzknecht?), welche den Darminhalt in großen Distanzen
gegen die untere Flexur fortschieben, wird die Defäkation
eingeleitet, und hier ist es der Sphincter recto-romanus,
dessen Eröffnung, wenn sie unter dem Drucke der proximal-
wärts heranrückenden Kotsäule erfolgt ist, die Einleitung für
den Ablauf des Defäkationsreflexes bildet.
Dieser aus einer kombinierten Muskelaktion sich zu-
sammensetzende Vorgang stellt sich in dem Momente ein, wenn
ein genügend großer Fäkalbolus in die Ampulle vorrückt
Von hier aus wird — und dies halte ich für eine specifsche
Energie des Ampullarteils des Rectums — jene komplizierte
Aktion von Bauchmuskeln, Zwerchfell, Muskulatur des
Beckenbodens (Levator ani) und nicht zuletzt auch der
Rectummuskulatur, die Eröffnung der Sphincteren eingeleitet,
und aus der koordinierten Synergie aller dieser Bewegungs-
impulse resultiert der geordnete Defäkationsakt. BSS
Tatsächlich genügt bei zahlreichen Individuen die Ein-
führung eines Instruments oder selbst des untersuchenden
Fingers, um sofort diesen Reflex anzuregen, der sich in
einem Verlangen, zu Stuhl zu gehen, äußert, eine Er-
fahrungstatsache, die nicht bloß von Müttern und Kinder-
wärterinnen, sondern auch methodisch bei der Behandlung
gewisser Obstipationsformen benutzt wird (siehe die von mir
geübte Bougierungsbehandlung). | hl
Wenn wir diese theoretischen Ueberlegungen und zat-
reichen praktischen Erfahrungen erwägen, muĝ es auffallen,
daß so viele Menschen angetroffen werden, die mit einem
oft zum Bersten vollen Rectum umherlaufen, ohne da
sie dabei den Drang empfinden, ihren Stuhl abzusetzen.
Hierin charakterisiert sich eine schon lange von mir als r
sondere Obstipationsform betrachtete Anomalie, welche, e
durch verschiedenartige Ursachen bedingt, in letzter A
auf einer mangelhaften Innervation, einer Unterompåni ;
keit der den Defäkationsreflex einleitenden Schleimhat
partien des Rectums beruht.
1) Journal of Physiology 1895, XVID. 1909
2) Constipation and allied intestinal disorders. London IT 4
3) Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrablen XVIU,
1) M. med. Woch. 1909.
1. Dezember.
OO —
Diese häufig vorkommende Form habe ich „Torpor
recti“ genannt und zuletzt im Jahre 19091) auf dieselbe hin-
gewiesen. Seit vielen Jahren habe ich Behandlungsmethoden
für diese Obstipationsform in Anwendung gebracht, welche
für diese Störung ausschließlich berechtigt erscheinen.
Am häufigsten wird die Torpidität der Rectalschleim-
haut erworben durch künstliche Hemmungen, welche unter
dem Einflusse der Willkür dem normalen Ablaufe des Detä-
kationsaktes entgegengesetzt werden: Unordnung, mangel-
hafte Beachtung bei der Erziehung, falsche Scham, Furcht
vor Unannehmlichkeiten in der Schule und dergleichen mehr
führen schon in früher Jugend dazu, die Erfolgsorgane für
die nicht immer starken Reize so abzustümpfen, daß sie für
dieselben nicht mehr ansprechbar sinad. Es kann dann
schließlich dazu kommen, daß die in der Ampulle sich an-
häufenden Kotmassen so anwachsen, daß sie manuell heraus-
befördert werden müssen. Doch scheint es mir, daß nicht
immer nervöse Hemmungsvorgänge hier am Werke sind,
um den Endakt der Defäkation zu erschweren oder zu ver-
hindern. Vielmehr glaube ich, daß die Qualität des in die
Ampulle hineingelangenden Stuhles manches zu dem prompten
Ablaufe der Ekkoprose beiträgt, und hier muß man auf die
durch Adolf Schmidt gefundenen Tatsachen zurückgreifen,
der die Wasserarmut und die allzu gute Ausnutzung des
Darminhalts für das Fehlen oder die Unzulänglichkeit der
die Peristaltik auslösenden Reize verantwortlich macht.
In dieses Register gehören auch jene Verschieden-
heiten der Stuhlbeschaffenheit, welche von der qualitativ
verschiedenen Nahrung abhängen: Fleischnahrung mit ihren
geringen Rückständen auf der einen, cellulosereiche,
schlackenbildende Kost auf der andern Seite. Dabei möchte
ich aber nicht übersehen, daß hier auch Ursache und Wir-
kung verwechselt werden könnte: daß selbst ein Darminhalt,
der seiner Zusammensetzung nach sehr geeignet wäre, Peri-
staltik auszulösen, aus andern Gründen — und es gibt ja
für die Obstipation mehr als einen Grund — längere Zeit
gerade in den unteren Abschnitten retiniert wird, durch
Wasserresorption eindickt und dann noch um so schwerer
ausgeschieden wird. Daß eine derartige Anomalie in der
Darmschleimhaut oftmals zu bestehen scheint, das müssen
wir aus zahlreichen Erfahrungen schließen, nach denen lege
artis mit den verschiedensten sonst sehr wirksamen diäteti-
schen Hilfen behandelte Kranke nach wie vor einen
trocknen, kleinballigen, ovillären Stuhl beibehalten. Hertz
hat dies mit dem guten Ausdrucke „greedy colon“, das
gierige Kolon, bezeichnet. An eine derartige Resorptions-
anomalie und, wie ich glaube, an ererbte, vielleicht schon
in der Descendenzfolge festgelegte Innervationsstörungen
muß man denken, wenn man sieht, daß bereits Säuglinge
mit den hartnäckigsten Obstipationen von rectalem Typus
zu kämpfen haben. Zu den erworbenen Formen sei noch
erwähnt, daß ampulläre Obstipation auch durch Schwäche
der Beckenbodenmuskulatur entsteht, sodaß der letzte Akt,
die Ausstoßung des Fäkalbolus, erschwert oder unmöglich
gemacht wird, ein Zustand, wie wir ihn namentlich bei
Frauen mit schwerer Ptose und Vaginalprolaps, Dammrissen
(Fehlen des Widerlagers für das Rectum) antreffen. Diese
besondere Form von rectaler Obstipation hat Hertz nach
mir aus dem Komplex der habituellen Stuhlverstopfung iso-
liert und ihr einen eignen Namen gegeben, der trotz seiner
Fremdartigkeit bereits vielfach in der Literatur akzeptiert
wurde: Dyschezie. Hertz versteht darunter den Zustand,
bei welchem es unmöglich ist, das Rectum vollständig zu
entleeren. Es bleiben immer Rückstände da, die dann ge-
legentlich durch Anwachsen zu großen ampullären Füllun-
gen sich ausbilden. Ihr Charakteristikum erblickt Hertz
darin, daß selbst unmittelbar nach der Defäkation immer
!) Die atonisch : eaha TET
Marhold. nische und die spastische Obstipation. Halle a. S. 1909,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48, 1941
mehr oder weniger reichliche Fäkalreste im Rectum ange-
troffen werden. Es wäre das eigentlich, in Parenthese be-
merkt, das Substrat für jene Anschauung, welche wir in
Analogie mit den Verhältnissen an der Blase der zuerst von
Federn gebrauchten Bezeichnung: „Residualkot“ zugrunde
legen. Von einer so gefüllten Ampulle heraus kann die
Reizwirkung auf den den Defäkationsakt besorgenden musku-
lären Apparat, statt in einmaliger erfolgreicher Form, ge-
häuft und unvollständig ausgehen, ein Typus, welcher der
„fragmentären Stuhlentleerung“ von Boas entsprechen
würde, wenngleich ich hier anfügen muß, daß diese und
viele andere Erscheinungen mehr als sekundäre und Reiz-
wirkungen von seiten des stagnierenden Darminhalts,
wenigstens nach meiner Meinung, aufzufassen sind.
Bei der Dyschezie beschreibt Hertz zwei Klassen:
1. Die ungenügende Defäkation und 2. die Hindernisse für
eine genügende Defäkation. Ich möchte glauben, daß die
unter diesem zweiten Abschnitt abgehandelten Erscheinungen
eigentlich nicht mehr streng in die Gruppe der ampullären
Obstipationen gehören, welche der von mir als Torpor recti
bezeichneten Form analog sind. Bei der ersten Gruppe seien
als Ursachen aufgezählt: Gewohnheitsmäßige Vernach-
lässigung des Stuhldrangs, Schwäche der willkürlichen
Muskulatur für die Defäkation, Schwäche des Defäkations-
reflexes usw., kurz Komplexe, welche vollständig mit den
früher von mir als den Torpor recti bedingenden Anomalien
übereinstimmen. Charakteristisch ist in den mit Radio-
grammen illustrierten, vielfach wiederkehrenden Kranken-
geschichten die radiologisch festgestellte Tatsache, daß das
Schattenband mit einer starken Ausweitung der Ampulle bis
direkt an den Analausgang grenzt und daß dort in den
untersten Teilen eine längere Verweildauer des Stuhles kon-
statiert wurde, ohne daß eine zwingende Nötigung für den
Dofäkationsakt bestand.
Ich wiederhole, daß ich in der Aufstellung dieser Form
nicht soweit gehe wie Hertz, der meiner Meinung nach
Obstipationsformen, welche unter einem andern Kapitel ab-
zuhandeln wären, auch mit zur Dyschezie rechnet. Die von
mir eingeführte Bezeichnung Torpor recti sollte eigentlich
bloß für die reetalen Defäkationsstörungen reserviert bleiben,
die, wie ich dies schon ausführte, von einer mangelhaften,
für den erfolgreichen Ablauf der Defäkation unzureichenden
Auslösung von Reizen abhängig sind.
Die Diagnose dieser besonderen Formen rectaler oder,
wie Strauß) sie benannt hat, proktogener Obstipa-
tionen, ist verhältnismäßig einfach. Eine kurze Anamnese,
Beschreibung oder Beobachtung des Stuhles, digitale oder
endoskopische Untersuchungen, meist aber die erstere allein,
genügen zur Feststellung. Wichtig erscheint mir gerade
hier die Angabe, daß Diät und Abführmittel in der Regel
versagen.
Für die Therapie kommen zunächst symptomatisch
Klysmen in Betracht. Der Lavementbehandlung der Dys-
chezie spricht Hertz eindringlichst das Wort. So einfach
und selbstverständlich diese Dinge eigentlich sind, wenn man
sie nur einmal konstatiert und überdacht hat, so wichtig ist
es doch, immer wieder darauf hinzuweisen; man würde
sonst nicht erleben, was wir alltäglich sehen, daß nämlich
so viele Kranke von Ort zu Ort gehen und von einem Mittel
zum andern greifen, und daß sie auch von sachverständiger
Seite mit diätetischen Maßnahmen und mechanischen Pro-
zeduren geplagt werden, welche den Sitz der Störung nicht
erreichen. Ein harmloser intrarectaler Eingriff hilft über
die Schwierigkeiten der nächsten Zeit hinaus, während für
die Folge eine trainierende Behandlung besonders in Be-
tracht kommt.
Bei dem Stichworte Klistier möchte ich nur ganz flüch-
!) Berl. kl. Woch. 1908.
t: 1 FE, -
= wa
FE
1942
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember,
tig bemerken, daß der Unfug mit Klistieren bekanntlich
mehr Schaden als Nutzen stiftet. Wie oft haben mir Kranke
erzählt, daß sie jahrelang gewohnt waren, sich stehend
Lavements zu applizieren! Diese übermäßige und unzweck-
mäßige Anwendung kann selbst wieder eine kaum mehr
zu beseitigende Dehnung und Erschlaffung des wichtigen
Eindapparates des Darmes herbeiführen, und gerade in der
Kinderstube erlebt man da oft arge Mißgriffe. o
Ich habe schon vor vielen Jabren Mikroklysmen an-
gewandt, allerdings nicht die mit Glycerin, welche, gewohn-
heitsgemäß verabreicht, durch ihre intensive Reizwirkung
schädlich sind. Wasser, Kamilleninfusion, warmes Oel,
Oleum hyosciami, Oel mit Bromipin, besonders das von mir
schon seit- Jahren häufig gebrauchte Paraffinum liquidum,
. morgens und abends als Mikroklysma appliziert, sind da
sehr zu empfehlen. Das Paraffin bedeckt die Oberfläche
der Darmschleimhaut, löst trockne Stuhlreste von derselben
ab und verhindert die exzessive Austrocknung des Inhalts.
Oft genügt übrigens, namentlich bei Kindern, ein Kakao-
butterzäpfchen. een
Für die Dauerwirkung möchte ich neben den von mir
bei spastischen Obstipationsformen, von welchen ja heute
nicht die Rede sein soll, verwandten Bougies und Dilatation;-
schläuchen hauptsächlich ein Verfahren in Betracht ziehen,
welches, wie ich glaube, zuerst von Ewald empfohlen und
später von den Franzosen als „Lavement electrique“ in die
Therapie eingeführt wurde. Man führt eine im Centrum mit
einem Metallmandrin versehene Schlauchelektrode in das
Rectum ein, spritzt 200 g Wasser durch dieselbe ein, und
armiert diese Sonde je nach der Wirkung, die man erzielen
will, mit der Anode oder Kathode des konstanten Stroms.
Eine breite Plattenelektrode wird auf die Flexuren des Dick-
darms und auf das Coecum abwechselnd aufgesetzt. Die
Sitzung dauert zehn Minuten, und ich kann nach einer
großen Erfahrung sagen, daß diese Methode auch in hart-
näckigen Fällen sehr gute Dauerresultate erzielt.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Wiener Heilstätte für Lupuskranke
(Vorstand: Hofrat Prof. Dr. Ed. Lang).
Wie soll man den Lupus nicht behandeln?
Von Ä
Primarius Dr. Alfred Jungmann.
So wie die ersten Beweise für die Heilungsmöglichkeit des
Lupus anfangs der neunziger Jahre von Ed. Lang beigebracht
wurden, so war es auch Lang, der auf die Fehlerhaftigkeit
mancher alter Methoden zuerst aufmerksam machte. Wir haben
in unsern Publikationen ja oft darauf hingewiesen, aber der
Gegenstand erscheint wichtig genug, ihm ein eignes Kapitel zu
widmen.
In den letzten zwei Jahrzehnten sind sehr wertvolle Me-
thoden zur Heilung des Lupus hinzugewachsen. Während früher
die Heilung eines Falles von Hauttuberkulose selten war, ist es
heute möglich, zwar nicht alle, aber viele, selbst schwere Lupus-
fälle zu heilen. Die Methodik, um dies zu erreichen, ist aber
noch nicht in dem Maß in die Allgemeinheit gedrungen, daß die
Heilerfolge allseits erringbar wären. Nur an einigen Punkten, wo
die speziellen Kenntnisse der Lupusbehandlung gepflegt werden
und die vielartigen Apparate eingerichtet sind, sieht man Heil-
erfolge häufig. Hieran ist aber nicht der bisherige Entwicklungs-
gang der Fortschritte in den neu hinzugetretenen Methoden schuld.
Wiewohl weit davon entfernt, zu glauben, daß diese Methoden
nicht noch großer Verbesserung fähig wären, sowie daß nicht noch
viel Neues hinzutreten wird, so scheint es uns doch nicht an
dieser Unvollkommenheit, sondern an einigen andern Umständen
zu liegen, daß die möglichen großen Erfolge, für welche die Be-
weise von einzelnen Seiten gebracht werden, von den meisten
Aerzten selbst nicht erreicht werden. Es gibt eine ganze Anzahl
von Verfahrungsweisen, die in der Lupusbehandlung unseres Er-
achtens nicht angewendet werden sollten, weil sie meist nichts
nützen, häufig sogar schaden. Würde die Erkenntnis hiervon in
die weiten ärztlichen Kreise dringen, dann würde die Bekämpfung
des Lupus in jeder Hinsicht erleichtert sein; dann würden die Er-
folge, welche bisher nur in einzelnen Instituten zu finden sind,
häufig werden.
Die von uns perhorreszierten Methoden entstammen einer
Periode, in welcher man gegen den Lupus noch machtlos war und
daher vor noch so grausamen Applikationen nicht zurückschrak,
um wenigstens vorübergehende Erfolge zu erringen. Auch tragen
die Methoden, von denen wir sprechen wollen, fast durchweg den
Stempel der vorantiseptischen Zeit, in welcher man Eingriffe mit
dem Skalpell durch andere Surrogate zu ersetzen suchte Die
Dermatologie, die verhältnismäßig spät moderne chirurgische
Grundsätze kennen lernte, verläßt manche dieser Methoden, für die
ein Daseinsrecht uns aber nicht mehr zu bestehen scheint, schwer.
Um so weniger, als ja hiermit nicht selten, wenn auch nur schein-
bar, Augenblickserfolge erzielbar sind.
Wenn wir die gemeinsame F'ehlerquelle der Methoden, vor
deren Anwendung wir warnen, zusammenfassen wollen, so scheint
sie darin zu liegen, daß diese von früher überkommenen Verfahren
dadurch ihre Wirkung zu erzielen suchen, daß sie möglichst tief-
reichende Zerstörungen des erkrankten Gewebes auf gewaltsame
und doch nicht radikale Weise hervorrufen. Sie werden hierbei ent-
weder in der Weise gehandhabt, daß der ganze Krankheitsherd in toto
zerstört wird, oder indem man mit dem Zerstörungsmittel die ein-
zelnen erkrankten Teile des ganzen Herdes der Reihe nach aus
der anscheinend gesunden Umgebung heraussucht und allmählich
zu zerstören trachtet. Die letztere, am häufigsten geübte Methodik
bietet natürlich vor allem die Gefahr, erkrankte Partien übrig
zu lassen, aber auch die erstere Methode der totalen Zerstörung
des Areals ist im höchsten Grad unsicher. Diese zweifelhafte
Wirkungsweise tritt ein bei all diesen Zerstörungsmethoden,
handle es sich nun um Anwendung des Feuers (Paquelin),
starker Aetzmethoden in festem, flüssigem oder pastösem Zustande
(z. B. Lapisstift, Kupferstift, Salpetersäure, hochkonzentrierte
Salzsäure, Wiener Paste, Landolfpaste usw. usw.) oder um opera-
tive Verfahren, wie Excochleation, Stichelung und dergleichen,
eventuell die einzelnen Verfahren in Kombination miteinander.
Die Unvollkommenheit liegt hauptsächlich an der Struktur der
Hauttuberkulose, die an der Oberfläche ein ganz anderes Bild
haben kann als in der Tiefe; da verteilen sich ja die tuberkulösen
Infiltrate und Stränge ganz unregelmäßig und unabhängig von der
äußeren Form und reichen oft bis tief ins Subeutangewebe. Was
an der Oberfläche z. B. sich als sogenanntes Knötchen darstellt,
hat eben in der Tiefe einen ganz andern Verlauf, sodaß die Zer-
störung dieses Knötchens der Oberfläche gemäß — auch samt
einem gesund aussehenden Rande — keineswegs die totale Zer-
störung dieses Herdes zu bedeuten braucht. Ganz ebenso verhält
es sich natürlich mit allen oberflächlich wie immer aussehenden
Lupusformen. Auch bei totaler Zerstörung des ganzen die Br-
krankung enthaltenden Areals muß es als eher zufällig bezeichnet
werden, daß nicht irgendein auch nur kleines Residium zurück-
bleibe, von welchem aus dann Rezidive entstehen. Man darf ja
bei der Beurteilung einer Behandlung etwas nicht außer acht
lassen, was man noch nicht gewußt hat, als solche Methoden ent-
standen, nämlich, daß es sich beim Lupus um eine Affektion han-
delt, die durch Tuberkelbacillen entsteht. Ganz abgesehen hiervon
sind, insoweit die Krankheitsherde nicht eircumseript, sondern mit
Schleimhautaffektionen vergesellschaftet sind, welche man ni
ausgeheilt hat, die letzteren immer wieder neue Nachschubquellet
für den Lupus.
Es liegt im Begriffe der bisherigen Schilderung, dab mat
Heilung mittels dieser Verfahren nach einmaliger oder mehrmallg®t
planvoller Anwendung erzielen kann, doch lehrt die dr
daß meist schon nach kurzer Zeit, nach wenigen Wochen ei
Monaten Rezidiv eintritt. Man hat.es vielfach unternommen, en
obenerwähnten Methoden ganz systematisch und regelmäßig jeba
zuführen, aber der Enderfolg ist so selten befriedigend Be
daß es keine Uebertreibung ist, zu behaupten, nach solehen
thoden trete die Heilung nur zufallsweise auf. führte
Wir haben in der Lupusheilstätte etwa 2000/genau 8® &
Krankengeschichten von Lupösen; fast bei jedem etwas ns
dauernden Lupus enthält die Anamnese die bekannten Metho iio
wie Excochleation, Lapisierung, Paquelin usw. usw., Methoden,
1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. | 1943
ja früher ausschließlich und jetzt noch häufig von sehr vielen
Aeorzten ausgeführt werden. Fast jeder ältere Fall enthält da eine
wahre Leidensgeschichte. Erfolge zwar sieht man wenige davon,
aber den schlimmen Folgen begegnet man alle Tage. Diese Me-
thoden sind nämlich nicht bloß nicht von radikaler Wirkungs-
weise, sie schädigen außerdem den Kranken nicht selten. Zu-
nächst in der Weise, daß sie zur Ausdehnung des Krankheits-
herdes beitragen entweder in der Art, daß durch jahrelange An-
wendung solcher Verfahren der Lupus: immer größer und hier-
durch der Zeitpunkt zur richtigen Behandlung versäumt wird oder
insofern, als sie direkt zur raschen Ausbreitung beitragen.
Für den letzten Fall ein Beispiel. Ein Kind mit 20 Heller
großem circumscripten Lupusherd an der Wange, den man leicht in
Lokalanästhesie exstirpieren könnte, wird z. B. excochleiert. Davon
ist nicht selten die Folge und es ist für Excochleation geradezu
charakteristisch, daß in den centralen Partien eine scheinbare Hei-
. Jung stattfindet, an den Rändern zunächst sich aber schon einige
Wochen nach dem Eingriffe, fast ringförmig angeordnet, ein Band
von Lupusinfiltration ausdehnt. Kein Zweifel, daß durch die Be-
handlung ein Weitertragen der Keime an die Peripherie erfolgt,
während der Lupus selbst ja gewöhnlich langsam wächst. Nun
ist der Herd schon doppelt so groß. Eine neue Excochleation ver-
schlechtert das Verhältnis. Hierauf versucht es ein anderer Arzt
etwa mit dem Lapisstift, indem er die einzelnen Punkte an der
Peripherie und wieder neuerscheinende im Centrum zu zerstören
trachtet. Mit dem Lapisstift ist es aber noch ein weit größerer
Zufall, wenn alles zerstört würde. Denn wie schon oben erwähnt,
können die Verhältnisse des Lupus in der Tiefe ganz andere sein,
als wie sie an der Oberfläche erscheinen. Man trifft mit dem
Lapisstifte daher meist nur das Centrum des behandelten Punktes,
dort entsteht zwar eine dicke, wulstige, häßliche, tiefreichende
Narbe nach dem sehr schmerzhaften und grausamen Eingriffe,
ringsum aber wachsen die lupösen Infiltrate fort, wachsen auch in
die dicke Narbe hinein, sind aber jetzt infolge dieser dicken Narbe
für jede weitere Behandlung schwieriger zugänglich. Das Kind
aber, das ursprünglich einen Lupus hatte, den man fast als un-
bedeutende Erkrankung auffassen konnte und der heute nach an-
dern Methoden leicht und rasch heilbar wäre, hat langsam einen
Riesenlupus erhalten. Und wie viele solcher Krankheitsfälle sind
auf solche Weise unheilbar geworden?
Außer der Gefahr der Weiterverbreitung kommen noch die
schweren Verwüstungen, die mit Hilfe der zerstörenden Methoden
erzielt werden, in Betracht. Handelt es sich um eine Körper-
region, die für den ästhetischen Eindruck besonders wichtig ist,
wie z. B. die Nase, der Mund, die Augenspalten, die Ohren —
alles Prädilektionslokalisationen der Hauttuberkulose —, dann kann
der ohnedies durch sein Leiden entstellte Kranke rasch und in
einem Zuge durch eine solche Behandlung Destruktionen erfahren,
die schwerer sind, als es der Lupus normalerweise in Jahrzehnten
hervorruft. Schon durch Zerstörungen in der Umgebung solcher
Regionen kann manches Unheil angerichtet werden. Der Paquelin
in breiter, flächenhafter Anwendung erzielt an Stelle des zerstörten
Gewebes eine dicke Narbenplatte, die die Tendenz hat, sich zu
verkleinern. Sitzt diese Narbenplatte nahe dem Auge, so entsteht
Eetropium; nahe dem Munde und der Nase entstehen ebenfalls
häßliche Verziehungen. Zerstörungsmethoden an Ohr und Mund
direkt beeinträchtigen das Ebenmaß des Antlitzes in hohem Grade,
Wir hatten einen Kranken behandelt, der Lupus des Ohres hatte,
wobei das ganze Ohr noch erhalten war. Er entzog sich für kurze
Zeit unserer Beobachtung, um sich anderwärts einer Aetzmethode
zu unterziehen. Als wir ihn wiedersahen, waren zwei Drittel des
Ohres verschwunden. Die schweren Veränderungen an der Mund-
Spalte, hochgradige Verziehung, Verengerungen bis zu Bleistift-
dicke, sodaß manchmal eine Stomatoplastik erforderlich wird,
damit die notwendige Nahrungszufuhr ermöglicht werde, Verkür-
zung der Lippen mit allen Folgen, wie man sie bei Kranken hier
und da findet, sie sind nicht allein die Konsequenz der Eigen-
schaften des Lupus; Applikationen zerstörender Art haben fast
immer und der Hauptsache nach mitgeholfen.
Noch ein Beispiel: Bei einem Menschen mit ausgedehntem
Gesichtslupus ist auch die Nase in toto erkrankt. Sie ist in eine
weiche, schwammige Masse verwandelt; sie erscheint etwas größer
als normal. Die Nasenschleimhaut ist weithin erkrankt. Makro-
skopisch erscheint diese Nase durchaus lupös, aber in Wahrheit
ist ein feines, noch gesundes Gerüst vorhanden. Daß dieses Gerüst
vorhanden sein muß, folgt schon daraus, daß in solchen Fällen bei
richtig und konsequent durchgeführter Finsenbehandlung, etwa in
Kombination mit einigen Röntgenbestrahlungen in Normaldose als
Vorbehandlung, die Nase allmählich ausheilt und eine nahezu
normale Form sich erhält. Nun denke man sich diese äußere und
innere Nase anstatt dessen eine Zeitlang konsequent mit dem
Lapisstift oder Spitzbrenner in punktierender Methode oder etwa mit
Stichlungen, die mit Aetzflüssigkeiten kombiniert werden, behandelt.
Allmählich fallen hierdurch die Stützen der normalen Form außen
und innen vollkommener Zerstörung anheim. Das Septum carti-
lagineum z. B. wird dort, wo es früher etwa an einer bestimmten,
genau umschriebenen Stelle in seiner ganzen Dicke lupös und
matschig weich war und an der hinzugehörigen Schleimhaut-
bekleidung eine Granulationsmasse zeigte, durch die zerstörende
Methode perforiert. Das häutige Septum nasi wird unter dem zer-
störenden Einfluß immer dünner und fällt, da knapp dahinter sich
jetzt eine Perforation befindet, schließlich ganz; die Nase sinkt
ein, wird immer weniger und erhält allmählich die bekannte
charakteristische Lupusform. Noch rascher geht dies alles durch
Auwendung des scharfen Löffels, oder etwa flächenhafte Anwen-
dung des FPaquelin oder mit der von manchen benutzten Wiener
Pasta. Die weiche Lupusmasse kann dem, soweit sie erreicht
wird, nicht widerstehen. Da wird die Nase, die wir als Beispiel
angenommen haben, welche, obwohl in toto lupös, wenigstens doch
in ihrer Form erhalten war, plötzlich ihrer unteren Hälfte be-
raubt; sie erscheint wie abgehackt. Aehnliche Bilder wie dieses
ließen sich vielfach auch in anderer Art und an andern wichtigen
Abschnitten des Gesichts demonstrieren.
Es könnte eingeworfen werden, daß nicht die Behandlung,
sondern der Lupus selbst solche Formveränderungen hervorruft.
In gewissem Grad ist das ja natürlich der Fall. Aber die Zer-
störungen, die im Charakter der Lupuserkrankung liegen, sind fast
stets langsam und sehr chronisch. Durch die hier kritisierten
Behandlungsarten erfolgen die Zerstörungen aber rascher und in
höherem Grad, als sie — von sehr seltenen Ausnahmen ab-
gesehen — der Lupus selbst macht. Es ist wohl früher oft be-
hauptet worden, daß einige dieser Methoden, z. B. der scharfe
Löffel, einen elektiven Charakter trügen, und indem sie sich das kranke
Gewebe aussuchen, förmlich in die weiche Masse hineinfallen. Diese
Elektivität ist aber wohl nur eine sehr rohe und unbrauchbare;
denn von Verschonung des zarten, gesunden Gerüstes ist keine
Rede, ebensowenig wie sie imstande sind, kleine zurückbleibende
Tuberkulosekeime aufzufinden. Wirklich elektiv in brauchbarem
Sinn ist z. B. die Finsenbehandlung, wie man an der Eigenart ihrer
Wirkungsweise erkennen kann.
“Bei entsprechender Anwendung der Lichtmethoden lassen sich
diese beschriebenen Zerstörungen bis auf verhältnismäßig un-
bedeutende Veränderungen vermeiden und verhüten. Wir selbst
wenigstens haben bei den Kranken, die wir in Behandlung und
konsequenter Beobachtung halten konnten, niemals den Eintritt
solcher Zerstörungen gesehen. Wir verwenden aber nur Behand-
lungsarten, welche von den oben beschriebenen Fehlern frei sind.
Wir bedienen uns allerdings nicht selten zur Vorbehandlung in
Fällen, welche zur Finsenbehandlung geeignet sind, gewisser milder
Aetzverfahren, und zwar des Pyrogallols, Resorzins, des Kalium
hypermanganicum und Sublimats in schwacher Lösung, diese in
sehr mäßigem Gebrauche. Nach starken Aetzmethoden besteht
auch zur Vorbehandlung unseres Erachtens niemals ein Bedürfnis.
Soweit wir unter unsern Behandelten oder Geheilten Kranke mit
schweren Zerstörungen haben, sind diese schon beim Eintritt in
die Heilstätte vorhanden gewesen. Schon dieser Umstand müßte,
abgesehen von allen vorhergegangenen Ausführungen, beweisen,
daß sich diese „charakteristischen Lupusformen“ überhaupt — von
unerhörten Ausnahmen abgesehen — vollkommen vermeiden lassen,
wenn die Kranken rechtzeitig den richtigen Behandlungsmethoden
in richtiger Anwendung unterzogen werden.
Was die von manchen Seiten empfohlene Anwendung dieser
zerstörenden Verfahrungsweisen als Vorbehandlung etwa einer
späteren Finsenbehandlung anlangt, so perhorreszieren wir sie, wie
schon hervorgehoben, aus den angegebenen Gründen. Außerdem
haben wir aber oft und oft beobachtet, daß die dieken wulstigen
Narben, die hierdurch entstehen, der Penetration der Lichtstrahlen
ein großes, oft unüberwindliches Hindernis entgegenstellen. Ver-
hältnismäßig ganz wenig ausgedehnte Lupusherde sind manchmal
nicht vollständig mit der Finsenmethode zu heilen, nur wegen
solcher durch unrichtige Vorbehandlung entstandenen Narben-
verhältnisse,
Nun wurde ja schon anfangs angeführt, daß hier und da
auch Heilungen durch die zerstörenden Methoden erzielt werden,
und es ist sicher nicht zu bestreiten, daß manchmal ein an sich
schlechtes Verfahren in der Hand eines besonders geschickten und
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w p ew .
Ora m 2
1944 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
geübten Arztes bessere Erfolge abgeben kann als sonst in der
Regel. Aber würde dies genügen? Und vor allem sind jemals
von irgendwelcher Seite vor Sachverständigen große Reihen von
Dauergeheilten nach solehen Methoden vorgeführt worden? Ins-
besondere im Verhältnisse zu den großen Beobachtungsreihen, die
man mit Exstirpationsfällen, Finsenbehandelten darbieten kann, so-
daß man langsam aufhört sich zu wundern und zu staunen, wenn
solche Kranke demonstriert werden.
In der Tat, jene Methoden, gegen die wir zu Felde ziehen,
sie haben ausgedient in vieljährigem Dienste. Seit einmal Ver-
fahren existieren, mit welchen so Hervorragendes geleistet werden
kann, mit welchen auch all die Schäden der früheren vermieden
werden, bedarf man ihrer nicht mehr. Sie sollten vermieden
werden, um den Kranken nicht den Weg zu versperren zu den
radikalen Verfahren, welche sich seit zwei Jahrzehnten bewähren.
Um also nochmals zu resumieren, wir warnen vor der An-
wendung des Paquelins, des Lapisstifts und ähnlicher Aetz-
stifte, stark ätzender Flüssigkeiten, der Aetzpasten, des scharfen
Löffels, der Stichelung, einzeln und in kombinierter Anwendung.
Nicht einmal die Anwendung des Spitzbrenners zur Zerstörung
eines singulären Knötchens bietet irgendwie Sicherheit oder Vorteil.
Wir sind überzeugt, daß früher oder später diese Verfahren ganz
allgemein verlassen werden dürften, zunächst weil sie nur zufalls-
weise eine radikale Wirkung haben, dann, weil sie durch schwere
Destruktionen das Los der Lupösen noch verschlechtern, und
schließlich, weil sie infolge dicker, wulstiger Narbenbildungen die
Ursache hierzu abgeben, daß eine spätere richtige Methode
schwieriger, langwieriger oder überhaupt nicht mehr radikal aus-
führbar werde.
Die Vermeidung mancher Fehler ist aber auch bei den vor-
züglichsten Methoden, deren gute Resultate unbestreitbar sind, er-
forderlich. -So wird beispielsweise die Exstirpationsmethode viel-
fach so vorgenommen, daß Rezidive fast unausbleiblich sind. Es
wird z. B. die Schnittlinie ganz nahe an den Rand des Hautlupus
gesetzt, hierdurch die Operation für den Augenblick wohl erleich-
tert, durch Verringerung der Schnittlinie auch eventuell ein
schöneres kosmetisches Resultat erzielt. Aber es tritt Rezidiv
ein, weil am Rande Lupus in der Tiefe liegt. Wir gehen mit der
Sehnittlinie 1 cm in das Gesunde und beurteilen außerdem das
exstirpierte Lupusstück und die Wundfläche sehr sorgfältig, bevor
wir uns mit der Excision zufrieden geben und zu einem Naht-
schluß oder einer Plastik schreiten. Daber kommt es, daß wir
mit der Exstirpation, die wir in Fällen, welche die Indikation zu
diesem Verfahren bieten, stets anwenden, die allerbesten Erfolge
haben, während von mancher Seite auf häufige Rezidive aufmerk-
sam gemacht wurde. Auch muß bei der Exstirpation eine be-
stimmte Technik in dem Sinn angewendet werden, um den Lupus
nieht während der Operation und gerade durch dieselbe zu ver-
schleppen. Diese Technik verfolgt insbesondere den Zweck,
während des Eingriffs sowohl mit den Händen als auch mit den
chirurgischen Instrumenten auf das peinlichste jede Berührung mit
dem lupösen Gewebe zu vermeiden. Wer dies nicht befolgt, er-
zielt Mißerfolge.
Auch gegen das Verfahren, bei größeren Lupusherden den
Lupus stückweise oder in einzelnen Intervallen zu exstirpieren
muß man sich wenden, weil auch hierdurch Verschleppungen statt-
finden und: infolgedessen Rezidiv eintreten muß. Ganz im all-
gemeinen muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß man
nur dann mit einer Exstirpation nützen kann, wenn tatsächlich
die Indikation hierfür gegeben ist, das heißt wenn man ganz sicher
im gesunden Gewebe exeidieren kann.
Sehr häufig sind leider auch die Versuche, schweren Lupus
der Nase zu exstirpieren. Der ausgedehnte, tiefreichende Nasen-
lupus ist jedoch fast stets mit lupöser Schleimhautaffektion ver-
gesellschaftet, meist ist hierin auch die Ursache der Hautaffektion
zu suchen. Nun ist eine vollkommene Exstirpation der ganzen
erkrankten? Nasenschleimhaut und der darunter liegenden Knorpel
ein unsicherer Eingriff, weil die ganze Umgrenzung des gesunden
und kranken fast unmöglich ist. Ist aber der Kranke vom Lupus
nicht absolut vollkommen befreit und setzt man eine künstliche
Plastik (etwa aus der Stirn oder dem Oberarm) an die Exstir-
pationsfläche, eine Methodik, bei welcher man übrigens auch kaum
regelrechte Nasengänge}herzustellen in der Lage ist, so ist ein
Rezidiv wahrscheinlich. Wie soll man aber dann einen Lupus,
der die Dieke dieser neuen Hautlappen durchsetzt und unter den-
selben in ganz unkontrollierbarer Weise sich ausdehnt, rationell
und erfolgreich behandeln? Solche Kranke werden unheilbar,
während sehr schwerer Nasenlupus durch Finsenstrahlen oft heilbar
1; Dezember,
ee nun ee Sue nn — — nn EEE
ist. Es empfiehlt sich, selbst bei einem Kranken, der von einem
Nasenlupus geheilt erscheint, anstatt einer Plastik eine künst-
liche Prothese zu setzen, wie sie die Technik heute schon so voll.
endet erzeugt, daß mitunter eine sehr genaue Betrachtung not.
wendig ist, um sie zu bemerken. Denn zunächst stellt eine aus-
gedehnte Rhinoplastik meist keinen kosmetischen Vorteil dar, Ander-
seits muß auch deshalb für Anwendung von Prothesen plädiert
werden, weil durch sie die Behandlung kleiner möglicherweise yon
der Schleimhaut aus entstandener Nachschübe nicht behindert wird
und dieselben nicht zur Ausbreitung zu gelangen brauchen.
Von Jahr zu Jahr erscheinen Kranke bei uns, bei welchen
Rhinoplastik nach unvollkommener Exstirpation vorgenommen
wurde. Sogar Patienten sahen wir, wo — sorglos genug —
Plastik nach Excochleation erfolgte. Solche Fälle von Rezidiven
in Rhinoplastiken sind fast stets hoffnungslos.
Was die neuen physikalischen Methoden — vor allem Finsen-
verfahren, Radium, Röntgenstrahlen, Quecksilberlichtmethoden —
anlangt, so müßte man sich in die rein technischen Details vertiefen,
wollte man alles, wie man nicht behandeln soll, erschöpfen. Richtigo
Indikationsstellung, akkurate Technik sind natürlich hier am aller-
wichtigsten. Eine gesunde Kombination der verschiedenen Me-
thoden ist sehr häufig am Platze. Verfehlt ist aber die Anwendung
irgendeiner Methode als Universalheilmittel, verfehlt ist auch ein
vielfaches Durcheinander der Verfahren, wie es insbesondere bei
Patienten, die ihre Aerzte wechseln, gerne geschieht. Ein Kranker
hat für einen größeren Herd an der Wange 12 Finsensitzungen
erhalten; weil er noch nicht geheilt ist, versucht er es bei einem
andern Arzte, der röntgenisiert; später erhält er einige Quarz-
lampenbestrahlungen oder eine kurze Behandlung mit einem
schwachen Radiumapparat. Es gibt jetzt schon so viele neue und
wirksame Methoden. Aber sie sind nur wirksam, wenn sie in
entsprechendem Maß und in universellem Geist angewendet
werden. Wir haben eine ganze Reihe von Kranken, die nach ihrer
Anamnese mit allen guten Methoden, die es gibt, durcheinander
behandelt wurden — ohne Erfolg. Sie glauben tatsächlich alles
versucht zu haben. Alle Verfahren sind bei ihnen in Mißkredit
gekommen.
Zu den Fehlern der Lupusbehandlung gehört es auch, den
Kranken nicht als Ganzen zu behandeln, einen Lupusherd im Ge
sichte zu behandeln und die Nasen- und Mundsechleimhaut außer
acht zu lassen, zu deren Behandlung wir ausgezeichnete radikale
Verfahren besitzen. Lymphome müssen mitbehandelt werden, guch
cariöse und skrofulöse Prozesse, an denen der Kranke leidet.
Auch müssen die Kranken, welche wegen @esichtslupus in Be
handlung treten, am übrigen Körper untersucht werden, woselbst
oft ein oder eine Anzahl von andern Lupusherden sich befinden,
welche vom Kranken aber ignoriert werden. Die Vernachlässigung
dieser Krankheitsherde geht schon deshalb nicht an, weil sie eine
Tuberkulosenquelle bieten. Auch muß man stets daran denke,
daß diese den Kranken vorläufig nicht belästigenden Herde mit der
Zeit durch Wachstum zu schweren Erscheinungen führen könnt.
Es sei eines jungen Mädchens Erwähnung getan, welche
wegen eines Gesichtsherdes eine Zeitlang vor dem Eintritt iD
unsere Station in Finsenbehandlung gestanden hatte und eimo
Tages unsere Anstalt aufsuchte. Bei der Untersuchung ihres
Körpers wurde ein die ganze Glutealregion erfüllender Lupusberd
entdeckt. Das Mädchen teilte mit, daß es von diesem Lupusherde
zwar erzählt habe, doch sei dem Herde keine weitere Beachtung
geschenkt worden. Nun reichte der Lupus, als wir ibn sahen,
schon bis hart ad anum, sodaß eine sofortige Exstirpation yor
genommen werden mußte, damit der. Lupus nicht auf die Mast-
darmschleimhaut übergreife und hierdurch vielleicht unheilbar
werde. Insbesondere muß man auch eine Lupusbehandlung al
unzulänglich bezeichnen, welche nur die lokale Erkrankung N
Auge hat. Wie selten ist der Lupus rein lokaler Natur. Ver
besserung und Verschlimmerung im lokalen Befinden sind 50
häufig ein Merkzeichen des internen Zustandes. Nur wenn (
Kranken eine entsprechende Allgemeinbehandlung zuteil werden
kann, sind erhebliche Erfolge in der Lupusbehandlung zu erzielen.
Die Ausführungen dieses Artikels wollen, ohne erschöp ei
zu sein, darauf hinweisen, wie sehr trotz aller vorzüglicher oa
methoden, die neu hinzugetreten sind und deren Ausübung !
universellem Geiste so segensreich sein kann, die Lupushekämpung
noch im argen liegt und wie es notwendig ist, eine Reihe T
eingerosteten Traditionen zu verlassen, damit eine so verheere
Volkskrankheit wie die Hauttuberkulose in völlig zweokmābig
Weise bekämpft werden könne. Seit langer Zeit weiß man :
und in den letzten Jahren wird es immer wieder von allen Lop
er
iT
ù 1. Dezember. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. | 1945
a. heilstätten hervorgehoben, daß die Hauttuberkulose weitaus in den gespritzt werden bei uns 25 ccm einer jedesmal frischbereiteten 1!/2°/oigen
nis meisten Fällen in der Kindheit beginne. Der Beginn ist meist | Novocainbicarbonatlösung:
tl ein leichter. Nun handelt es sich darum, bei frischen Lupusfällen Natr. bicarbonic. pro analysi Merck . . 0,2
ir unsichere Methoden keinesfalls zu versuchen, sondern rechtzeitig Natr. chlorat. . . 2. 2 . a... 02
hie: die richtigen und radikalen Methoden anzuwenden und Schäden Novocain ee... N
en zu vermeiden, werden in 50 ccm destillierten Wassers gelöst, die Flüssigkeit wird ein-
nn mal De ur re a Yale und en am aroben
He i ; ; | einer Adrenalinlösung 1:1000 hinzugesetzt. Nach der Injektion wir
T Aus der Chirurgischen Abteilung der Krankenanstalt Altstadt- | ger Patient in Dar sitzender Stellung belassen oder, Be die Ein-
45 Magdeburg (Direktor Prof. Dr. Habs). spritzung aus besonderer Indikation im Liegen gemacht werden muß
[Be De oa AR i l — dabei muß berücksichtigt werden, daß der Eingang zum Sakralkanal
la z Ueber einige neuere Anästhesierungsverfahren, a i dor ae a und liegt, aan diese von der men
m: e ; so e ER Ä es te nach unten gedrückt wird —, das Becken tiefergestellt als
mit besonderer Berücksichtigung der Plexus- der Kopf. Die Flüssigkeit muß an der Stelle gehalten worden wo sie
ie anästhesie 1) wirken soll, andernfalls fließt sie zum Teil in den höhergelegenen Extra-
w duralraum ab — zwischen Wirbelperiost und Dura —, und der Effekt ist
pg von . ein unvollständiger oder negativer. Bis zum Eintritte der Anästhesie
a Dr. Kurt Siebert, vergehen im Durchschnitt 15 Minuten.
Oberarzt im Inf.-Regt. Nr. 27, komm. zur Abteilung.
Zu den schönsten und größten Erfolgen der Chirurgie
ne in den letzten Dezennien gehört die Vervollkommnung
en der Lokal- beziehungsweise Leitungsanästhesie: ich
: brauche nur daran zu erinnern, daß heute Operationen im
E Bauche sowie am Gehirn und Rückenmark ohne All-
gemeinnarkose möglich sind. Auch wir sind an unserer
Die hohe Extraduralanästhesie, wie sie von Schlim-
pert!) auf der Krönigschen Klinik ausgearbeitet ist, haben wir
bisher nicht angewandt, da ja, wie auch Läwen?) kürzlich wieder
mitteilte, hohe extradurale Injektionen nicht ungefährlich sind,
somit ein wesentlicher Vorteil der hohen Lumbalanästhesie
gegenüber nicht vorhanden zu sein scheint.
Bei chirurgischen Eingriffen am Stamme wird ja heute
. Abteilung allen diesen Bestrebungen mit warmem Inter- | überall von der Lokalanästhesie, wie sie von Braun) ausgebildet
ë: nik n N : ist, ausgedehnter Gebrauch gemacht. Leisten- und Schenkel-
= esse gefolgt und haben uns Technik und Methodik zu eigen zu , gode. ; gomacnt, f
a machen gesucht. Auf diese Weise ist es uns gelungen, die All- | brüche operieren wir grundsätzlich in Lokalanästhesie, nur bei
EN gemeinnarkose immer mehr einzuschränken, ohne sie | Sehr großen Leistenbrüchen bevorzugen wir die Lumbal- Ä
ia freilich ganz entbehren zu können. Für manche Fälle ist als | anästhesie, die auch für Prostatektomien nach Freyer sich |
E Ersatz der Inhalationsnarkose die intravenöse Aether- | uns am besten bewährt hat. Daß sich ferner eine Anzahl von |
IE « narkose getreten. Wir wenden sie seit etwa 11/2 Jahren an, | Nabel- und Bauchbrüchen gut in Lokalanästhesie beseitigen lassen, j
t- und sind mit ihr zufrieden, ohne sie zur Normalmethode haben wir vielfach erprobt. Freilich, in einzelnen, schwierig |
i= erhoben zu haben. liegenden Fällen mußten bei den Manipulationen im Bauch j
= Für die Operationen an den unteren Gliedmaßen hat sich | einige Gramm Aether oder Chloroform gegeben werden, |
L- uns die Lumbalanästhesie nach Bier in den Fällen, wo Lokal- | was aber immerhin doch eine erhebliche Narkosenersparnis
beziehungsweise Leitungsanästhesie nicht möglich sind, bestens bedeutete. Außerdem sind andern Ortes wie auch bei uns eine f
bewährt und die Venenanästhesie nach Bier in den Hinter- | Reihe von Laparotomien in Lokalanästhesie gemacht worden, so
Enterostomien, Entero-Enteroanastomosen, Cholecyst-
ektomien, Appendektomien. Wenn wir auch in den er-
wähnten Fällen fast durchweg mit dem Effekt zufrieden waren,
so waren es ja anderseits ausgesuchte, für Lokalanästhesie
geeignete Fälle, oder es lag eine dringliche Indikation vor, ii
die Allgemeinnarkose zu vermeiden, selbst auf die Gefahr hin, daß 3
nicht alle Manipulationen schmerzlos verliefen, ja sogar
einige Gramm Aether oder Chloroform für kurze Zeit ver- j
a grund gedrängt. Wir sind warme Anhänger der Lumbal-
- anästhesie, die wir mit 10%/%igem Tropacocain ausführen. Ab-
2 gesehen von ganz selten sich einstellenden Kreuz- oder Kopf-
schmerzen, zuweilen verbunden mit Störung des Allgemeinbefindens,
haben wir keine erheblichen, jedenfalls keine bedrohlichen
g ke a a gesehen, insbesondere keine üblen Zufälle
E erlebt.
j- Das Verfahren Läwens?) für die Anästhesierung der unteren 2
5 Gliedmaßen mit hohen Dosen ist bis auf weiteres zu umständlich, | abfolgt werden mußten. en a | N N
f um, wie er selbst sagt, praktisch viel verwertbar zu sein. Da- Ueber Appendektomien in Lokalanästhesio hat nun in $
j gegen hat die Leitungsanästhesie für einzelne Abschnitte des | neuester Zeit Colmers4) berichtet und betont, daß er nach i
f Beins sehr gute Erfolge gezeitigt. seiner Methode auch bei nicht unerheblichen Verwachsungen und N
in Für die Operationen am Damm und an den äußeren Geni- | technischen ‚ Komplikationen die Operation durchführen konnte, B
g talion ist die Lumbal- von der Sakralanästhesie überholt | doch muß hier wohl das Gelingen zu einem guten Teil auf die I
É worden. Wir machen von der von Läwen?) ausgearbeiteten | vorher verabfolgten hohen Pantopon- Skopolamindosen bezogen h
2 Methode den ausgedehntesten Gebrauch und haben in den nun- | werden. „Und in sechs von 26 Fällen mußte er bei der Lösung T
E mehr über 150 Fällen keinerlei ernstere Schädigungen ge- | Yon Adhäsionen Inhalationsnekrose dazu geben; bei einer Hysterika iy
gl sehen. Vor Jahresfrist durfte ich hier!)4) über die Einzelheiten ereignete sich ein glatter Versager. In anderm Sinne hat sich H
t der Mothode ausführlich berichten und habe meinen damaligen | einige Zeit vorher Hesse?) ausgesprochen und empfiehlt auf ,
ii Ausführungen nichts Wesentliches hinzuzufügen, Grund von Erfahrungen an 34 Fällen die Lokalanästhesie nur W
E Die Technik sei kurz wiederholt: Der Patient wird mit leicht ge- | da, wo ein Manipulieren in der Bauchhöhle nicht not-
A krümmtem Rücken so auf den Tisch gesetzt, dab das Gesäß die Tisch- | wen dig ist. Ungefähr auf dem gleichen Standpunkte steht auch
i kante etwas überragt. Dann tastet man am Kreuzbeine von oben nach | Finsterer 6). Letzterer hat nun bei vier Laparotomien die para-
unten und sucht sich die beiden Sakralhöcker und die zwischen ihnen
vertebrale Leitungsanästhesie mit gutem Erfolg angewandt,
a Bespannfe Membran, die einen eigenartig federnden Widerstand gibt
un
sodaß diese neueste Methode wieder einen Schritt vor-
h
. euch bei ko ist, Die N: ünstige R üher
f nd g rpulenteren Leuten gut durchzufühlen ist. Die Nadel wärts bedeutet. Ueber srünstire ltat
j wird im Winkel von 20° zur Kreuzbeinachse an der soeben bezeichneten Läwen?) bei Nirenopar iona. > a a
N Stelle eingestochen und die Membran perforiertt. Nunmehr wird die Kappis®) bei Laparotomien, Nierenoperationen und Thorako-
ji Nadel dem Gesäße genähert — damit die Spitze derselben sich nicht am 1 er bericht > Auch ? hab p. Fan DE ; .
í Periost der vorderen Sakralwand verfängt — und langsam 3 bis 4 cm | Plastiken berichtet. ` Auc wir haben in dieser Anästhesie bei
P hinaufgeschoben. Vor Anwendung jeglicher Gewalt muĝ gewarnt werden, | emmer Brustverletzung mehr er oRippen und ein Stück Scapula reseziert.
f dann liegt die Nadel nicht recht. Die richtige Lage erkennt man daran, ‚ Der 18jährige, recht intelligente junge Mann stand den Ein-
} daß die Injektion ohne Widerstand erfolgt, über dem Kreuzbeine kein | spritzungen zunächst ziemlich skeptisch gegenüber, äußerte sich aber
i Oedem entsteht und der Patient alsbald Paranästhesien nach den Knien | ———— . . l ,
$ und Füßen hin meldet. Die Injektion muß ganz langsam erfolgen; ein- 1) Döderlein-Krönig, Operative Gynäkologie 1912,
å ee 2) Läwen, B. z. Chir. Bd. 80, H. 1.
ý 1) Nach einem Vortrage, gehalten in der Medizinischen Gesellschaft 3) Braun, Die Technik der Lokalanästhesie bei chirurgischen
; zu Magdeburg am 10, Oktober 1912. Operationen. (Erg. d. Chir. u. Orth. 1912, Bd. 4.)
y `) Läwen, D. Z. f. Chir. 1911, Bd. 111. .) Colmers, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 8.
* Hesse, D. Z. f. Chir. 1911, Bd. 109.
6) Finsterer, Zbl. f. Chir, 1912, Nr. 18.
1) Läwen, M. med. Woch. 1911, Nr. 26.
3) Kappis, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 8; M med. Woch. 1912, Nr. 15.
r Ba w Derselbe, Zbl. f. Chir. 1910, Nr. 20, und D. Z. f. Chir. 1910,
o 4) Siebert, D. Z. f. Chir. 1911, Bd. 112, und M. med. Woch.
; 1911, Nr. 49
ER) ia Rehm
und Krause®) Laminektomien.
1946
sehr zufrieden und meinte, er wäre fest eingeschlafen. — Patient hatte
nur Pantopon (0,02 g) 3/4 Stunden vorher bekommen.
Die Technik ist nach Kappis!) kurz folgende:
Man sticht mit oder ohne Hautquaddel etwa 3,5 cm von der Mittel-
linie entfernt in Höhe des unteren Rippenrandes ein. An dieser Stelle
ist die Rippe oft nicht zu fühlen, aber selbst bei dicken Individuen ist
irgendwo auf dem Rücken eine der unteren Rippen fast stets tastbar.
Deren unteren Rand projiziert man sich in der Richtung der Rippe me-
dianwärts. Am Schnittpunkte der Projektionslinie und mit der erwähnten
3.5 cm von den Dornfortsützen entfernten Linie ist die Einstichstelle. In
etwa 4—5 cm Tiefe kommt man auf dieRippe, etwa am Winkel zwischen
Querfortsatz und Rippe. Möglichst in dieser Ecke geht man am untern
Rande der Rippe, den man sich mit der Nadelspitze aufsucht, in die Tiefe
nach vorn und etwas medianwärts und verteilt die Flüssigkeit zuerst in
Höhe der Rippe und dann bis zu 1,5 cm von ihr nach vorn und ganz
wenig medianwärts. Die übrigen Einspritzungsstellen findet man leicht,
indem man in der 3,5 em-Linie, je 8—3,5 cm auf- und abwärts geht —
soviel ist die durchschnittliche Entfernung der unteren Rippenränder. An
‘den Lendenwirbeln entspricht der: Querfortsatz der Rippe, nur ist die
Höhendifferenz ein wenig größer. Eingespritzt werden nach Kappis')
je 10 cem 1!/a%/oige, bei Finsterer?) 5 ccm 1 °/oige Novocainadrenalin-
lösung. Da für die Hautsensibilität Anastomosen von höheren Inter-
costalnerven in Frage kommen, so muß die Ausdehnung des Haut-
schnitts eigens durch subcutane Einspritzung anästhesiert werden.
Wenn auch die paravertebrale Anästhesie neue Aus-
blicke eröffnet und vor der hohen Lumbalanästhesie den Vorteil
längerer Dauer und vielleicht größerer Gefahrlosigkeit hat, so
haften ihr doch auch etliche Nachteile an. Da die Spinal-
ganglien nach Finsterers?) eigner Ansicht schwer zu treffen
sind, besonders am Lendenteil, so ist die Methode auch bei
einiger Uebung unsicher und wegen Aufstechens auf die Rippe
beziehungsweise den Querfortsatz zuweilen schmerzhaft, In
den bisher veröffentlichten Fällen ist eine Anästhesierung des
Bauchfells auch nicht regelmäßig gelungen, wovon auch wir
uns bei bei einer Laparotomie überzeugen konnten. Finsterer?)
selbst möchte diese Methode auch nicht als Normalverfahren für
Appendicitis ansehen, wiewohl er sie für manche Fälle der Nar-
kose zur Unterstützung der Lokalanästhesie vorzieht. So günstig
wie Kappis!) beurteilt auch Läwen®) diese neueste Methode
nicht. Im übrigen aber sind ja die Erfahrungen noch zu gering,
um ein begründetes Urteil zu gestatten. |
Auf die von Schumachert) aus der Züricher Klinik und
von Hirschel°) aus der Heidelberger Klinik mitgeteilte Methode
der Lokalanästhesie bei Thorakoplastiken möchte ich hier
nicht näher eingehen, auch nicht auf die von Braun‘) und
Offerhaus?) ausgebildete Anästhesierung der Trigeminus-
äste. Daß letztere ausgezeichnete Erfolge hat, ist mehr-
fach berichtet worden, wir baben bisher nur wenig Gelegenheit
gehabt, sie anzuwenden, waren aber in den Fällen sehr zufrieden.
Ferner sind sogar von Krause?) und Bier°)!%) Ausräumungen
des Ganglion Gasseri in Lokal- beziehungsweise Leitungs-
anästhesien vorgenommen worden, außerdem von Heidenhain!!)
Erwähnen möchte ich noch
kurz, daß bei Operationen im Schädel sowie am Halse die Lokal-
‚anästhesie gute Dienste leistet; wir führen sie viel und gern aus,
grundsätzlich z. B. bei Strumen.
Es bleibt noch die Anästhesierung ‘des Armes. Ohne auf
die allbekannten Methoden der: partiellen Anästhesierung einzu-
gehen, möchte ich nur ein noch ziemlich neues Verfahren aus-
führlicher schildern, das von Kulenkampff12)18)14) eingeführt und
ausgearbeitet ist. Soweit ich aus der Literatur ersehen konnte,
sind die ersten erfolgreichen Versuche der perkutanen Anästhe-
sierung des ganzen Armes von Hirschel!5)!6) in der Heidel-
1) Kappis, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 8.
3) Finsterer, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 18.
3) Läwen, B. z. Chir. Bd. 80, H. 1.
4) Schumacher, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 8.
5) Hirschel, M. med. Woch. 1911, S. 497.
6) Braun, Ueber Lokalanästhesie bei Operationen im Trigeminus-
gebiet. (D. Zt. f. Chir. Bd. 111 u. Deutscher Chirurgenkongreß 1911;
D. med. Woch. 1911, Nr. 30.)
9 Offerhaus, A. f. El. Chir. 1910, Bd. 92. -
8) Krause, M. med. Woch. 1912, Nr. 12. . |
9) Härtel, Deutscher Chirurgenkongreß 1911, Nr. 1, S. 248.
10) Derselbe, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 21.
11) Heidenhain, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 9.
12) Kulenkampf, Zbl. f. Chir. 1911, Nr. 40.
13) Derselbe, B. z. Chir. 1912, Bd. 79.
14, Derselbe, D. med. Woch. 1912, Nr. 40.
15) Hirschel, M. med. Woch. 1911, S. 1218 u. 1255.
16) Derselbe, Deutscher Chirurgenkongreß 1912.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
1. Dezember.
berger Klinik gemacht. Der genannte Autor spritzt 2 "ige No-
vocain-Adrenalinlösung in einer Menge von 30 bis 40 cem
ein, und zwar folgendermaßen: - |
Der Einstich wird am leicht fühlbaren Rande des Latissimus dorsi
gemacht, und die Injektionsflüssigkeit ziemlich gleichmäßig um die Ar-
teria axillaris verteilt. Dann wird die Nadel nach oben unter den Pekto-
ralis geschoben, um den oben abgehenden Nervus musculocutaneus und
den Nervus axillaris zu treffen. Die Einspritzung wird am besten in
eu Abduktion des Armes gemacht. Sie soll absolut schmerz-
08 sein. |
Ueber diese Methode steben uns eigne Erfahrungen nicht
zu Gebote, wir haben uns vielmehr bisher ausschließlich der
Plexusanästhesie nach Kulenkampff zugewandt und sind mit
letzterer recht zufrieden. Ueber günstige Erfolge bei diesem Ver-
fahren hat ferner Borchers!) berichtet (35 Fälle). Gleich an
dieser Stelle sei erwähnt, daß wir hier wie auch bei der Sakral-
anästhesie in der Regel keine Morphiumgaben vorher ver-
abfolgen, vielmehr dieselben lieber einige Stunden hinterher
geben, wenn sich infolge Nachlassen der Anästhesierung der Wund-
schmerz einzustellen beginnt. Ausnahmen machen stark ver-
stümmelnde Operationen und große Aengstlichkeit des
Patienten. | |
Die Injektion haben wir fast ausnahmslos in sitzender Stellung
ausgeführt, da dann die Subelavia leichter zu palpieren ist (Abwärts-
sinken des Schultergürtels). Auch ist die Orientierung bezüglich der
Richtung der Nadel leichter. Zur Entspannung der Halsmuskeln läßt
man den Kopf leicht anlehnen bei etwas angezogenem Kinn.
l Zur Desinfektion der Einstichstelle benutzten wir aus-
sehließlich Jodtinktur und haben nie etwas Unangenehmes
erlebt. | l | >
Als Lösung verwandten wir zunächst 2°/yige Novocain-
Suprareninlösung, frisch hergestellt mit den Pohlschen
Tabletten (Novocain 0,125, Suprarenin 0,000125). Davon inji
zierten wir 10 bis 20 ccm, später gingen wir in dem Glauben,
Zeit sparen zu können, zu 30fpiger Lösung über, fanden aber,
daß dis stärkere Konzentration keinen gleichmäßig besseren
Effekt hatte. Zuweilen trat die Anästhesie wohl etwas schneller
ein, aber dies geschah nicht regelmäßig. Einige Versuche haben
wir gleich im Anfang auch mit 20% Novocainbicarbonai-
lösung angestellt, die von Läwen?) und Gros?) für Leitungs
anästhesien empfohlen worden ist, und die von uns regelmäßig
bei der Sakralanästhesie angewandt wird. Wir haben nicht
den Eindruck gewonnen, daß die Resultate bezüglich schnellerem
Eintritte der Anästhesie und längerer Dauer derselben besser
waren. Doch ist die Beurteilung dieser Frage recht selwieng,
da ja die Wirkung sehr vom guten Treffen der Nervenstänn®
abhängt, und wir beabsichtigen, weitere Versuche damit anzustellen.
Zurzeit verwenden wir wieder 2°0/ọige No vocain-Adrenalin-
lösung (Tabletten Pohl) und injizieren 20 cem, genau ant-
sprechend den Angaben des Erfinders der Methode in seiner letzten
diesbezüglichen Veröffentlichung‘). Dieser selbst hat öbenfalls bei
Verwendung der Novocainbicarbonatlösung das gleiche UT-
teil wie wir gewonnen. Auch über die neuerdings von Gros
empfohlenen Novocain-Natriumphosphatlösungen, die er
heblich stärker wirken und weniger giftig als die Noyoeall
chloride sind, ist Kulenkampff#)5) wieder zur gewöhnlich
Novocain-Chloridlösung zurückgekehrt, da bei ersteren It
filtrate entstehen sollen.
Zur Injektion benutzen wir 6 cm lange, 0,5 bis 0,7 mm dicke,
kurz abgeschliffene Nadeln und in destilliertem Wasser ausgekochie
Rekordspritzen von 10 com Inhalt. Vor der Injektion wird «t
Patient aufmerksam gemacht, er möge ung angeben, sobald er in
Arm, Ellbogen oder in den Fingern etwas verspürt, und zwi
Kriebeln, Wärmegefühl, Zucken, Ziehen, Stechen, das Gefühl -de
Elektrisiertwerdens oder Schmerz. Es ist wichtig, da der
Patient erfährt, es brauche kein Schmerz zu sein, es ganle?
Kriebeln, Wärmegefühl usw. Daß wir auf die Angaben des
Kranken angewiesen sind, ist ein mißlicher Punkt, und Kuler
kampff#)5) hat versucht, diesem Uebelstande dadurch abzuhalten,
daß er an einer bestimmten Stelle, nämlich auf der ersten 1ppê,
ein Depot einer stärker konzentrierten. Lösung anlegte. In
haben diese Versuche bisher zu keinem befriedigenden Resulta
geführt.
1) Borchers, Zbl. f. Chir. 1912, Nr. 26.
2) Läwen, M. med. Woch. 1910, Nr. 39.
3) Gros, M. med. Woch. 1910, Nr. 89.
t) Kulenkampff, B. z. Chir. 1912, Bd. 79.
5) Derselbe, D. med. Woch. 1912, Nr. 40.
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1. Dezember.
Nach diesen Vorbereitungen folgt nun das Aufsuchen der
Einstichstelle Wir wollen den Plexus da treffen, wo er dicht
neben der Arteria subclavia zwischen Schlüsselbein und ersten
Rippe hinzieht, das ist in der Regel dicht oberhalb der Mitte
des Schlüsselbeins. Wir suchen uns deshalb zunächst die
Arteria subelavia auf, deren Pulsation oft zu sehen, in unsern
Fällen ausnahmslos leicht zu palpieren war. Unmittelbar lateral
von der Arteria wird eine kleine Hautquaddel angelegt, oder
aber unter Fixation der Arteria die Nadel direkt eingestochen.
Die Richtung der Nadel zeigt nach dem zweiten bis vierten
Brustwirbeldorn. Nun geht man langsam in dieser Richtung
tiefer, und erhält oft die erwähnten Parästhesien. Ist dies nicht
der Fall, so geht man ruhig weiter bis auf die erste Rippe,
die nach Kulenkampf£1)2)3) 1/2 bis 3 cm von der Einstichstelle ent-
fernt liegt. Auch nach unsern Erfahrungen ist dies die gewöhn-
liche Entfernung, nur selten liegt die erste Rippe noch
tiefer. Sind wir so einerseits über die Tiefe, in der die erste
Rippe liegt, orientiert, so wissen wir anderseits, daß wir zu tief
sind. Wir gehen also mit der Nadel zurück und führen sie,
sanft zwischen zwei Fingern haltend, mehr medial oder lateral
nach vorn oder hinten, bis die gewünschten Parästhesien von dem
Patienten gemeldet werden. Oft gehört dazu Geduld von.
seiten des Kranken wie des Arztes, und zuweilen gibt der :
erstere Kriebeln usw. an derselben Stelle an, an der eben
nichts gespürt hat. Wir sind jetzt mit-der Spitze in eine
Nervenscheide eingedrungen, während wir vorher zwischen
den Fasern waren. Es ist daher wichtig, die Nadelspitze
selbst zu bewegen und nicht bloß das zwischen den Fingern ge-
haltene Nadelende, denn oft ist die Spitze durch Weichteile,
z. B. durch Fascien oder auch den Musculus omohyoideus fixiert,
und wir bekommen dann nicht die gewünschten Parästhesien.
Letztere machen sich zumeist im Bereich des Medianus (Hand
und Fingerspitze) oder Radialis (Daumen) bemerkbar; Parästhesien
im Ulnaris, der weiter abwärts und schon fast hinter der Arteria
subclavia liegt, haben wir gleich Kulenkampff?)®?) nie be-
kommen. Sind die Parästhesien vom Patienten gemeldet, so
wird die Spritze aufgesetzt. Wenn nach diesen Manipulationen
die Parästhesien nicht mehr vorhanden oder nur vorüber-
gehend gewesen sind, dann darf noch nicht injiziert werden.
Es muß unter allen Umständen das Kriebeln usw. wieder
hervorgerufen werden und anhaltend sein, erst dann liegt die
Nadel richtig und erst dann darf injiziert werden. Dieser
Punkt verdient nach unsern Erfahrungen ganz be-
sonders hervorgehoben zu werden, da sonst leicht unvoll-
ständige Anästhesien oder Mißerfolge sich ereignen können. Es
‘folgt dann die Injektion, wobei die letzten 10 ccm in die nächste
Nachbarschaft verteilt werden. Zum Schluß wird die Injektions-
stelle leicht massiert. . | |
An dieser Stelle sei erwähnt, daß im Anfang leicht die
Nadel zu tief geführt wird und aus Furcht vor der Arteria
subclavia zu weit lateral von dieser eingestochen wird An-
stechen der Arteria schadet nach vielen Erfahrungen andern
Orts nichts, und auch wir haben zweimal Blut aus der Kanüle
austreten sehen. Ob es aus der verletzten Subelavia oder Trans-
versa colli kam, die ja bekanntlich durch den Plexus zieht, ver-
mochten wir nicht zu entscheiden. Irgendwelchen Nachteil
haben wir jedenfalls davon nicht gesehen, auch kein- größeres
Hämatom. Um nicht in die Arteria: zu injizieren,. wartet
Kulenkampff?) bis kein Blut mehr aus der Kanüle kommt,
uns scheint es sicherer, mit aufgesetzter Spritze leicht
zu aspirieren.
Ist die Injektion richtig, das heißt in den Plexus, erfolgt:
— oft erkennt man es daran, daß die Spritze schwerer geht —.,
so nehmen nach den Angaben der Patienten die Parästhesien.
zunächst zu. Eigentliche Schmerzen wurden fast nie ange-
geben. Es folgt dann eine gewisse Schwere im Arme,
Schwäche beziehungsweise Lähmung der Schulter-
muskulatur, die Lähmung wie auch die Aufhebung des:
Gefühlssinns schreitet nach der Peripherie zu fort.‘ In:
vielen, aber durchaus nicht allen Fällen ist der ganze Arm:
völlig gelähmt, wobei die Beuger die Ueberhand über die
Strecker gewinnen. In diesen Fällen ist stets eine völlige.
Anästhesie vorhanden. Zuweilen ist eine absolute Analgesie:
da, auch ängstliche Patienten äußern nicht den geringsten Schmerz,
1) Kulenkampf, Zbl. f. Chir. 1911, Nr. 40.
2) Derselbe, B. z. Chir. 1912, Bd. 79.
#) Derselbe, D. med. Woch. 1912, Nr. 40.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. | 1947
merken aber, daß an ihrem Arm etwas gemacht wird, können die
Berührung zuweilen sogar genau lokalisieren; dann ist eine
völlige motorische Lähmung auch nie nachweisbar gewesen. Der
Ausbreitungsbezirk entspricht nach unsern Erfahrungen genau dem
von Kulenkampff!) angegebenen, wir. haben uns durch häufige
Nachuntersuchungen davon überzeugt (er reicht von den Finger-
spitzen bis etwa handbreit oberhalb des Ellbogengelenks).
= Der Eintritt der Anästhesie erfolgt zuweilen unmittelbar
nach der Injektion, der Arm ist wie mit einem Schlage
motorisch und sensibel gelähmt. Meist vergehen etwa zehn bis
zwölf Minuten und auch mehr, eine Zeit, die gerade für die Vor-
bereitung zur Operation selbst ausreicht. Ist nach zehn bis
fünfzehn Minuten noch. kein nennenswerter Erfolg zu
sehen, dann machen wir jetzt eine Nachinjektion, um nicht
nutzlos Zeit zu verlieren; und: zwar spritzen wir nach Kulen-
kampffs!), ?2) Vorschlag 5 bis 10 ccm einer 4°jhigen Novo-
cain-Adrenalinlösung ein. Wir gehen in der schon angegebenen
Richtung bis auf die erste Rippe und ziehen dann die Nadel 1/2 bis
1t/2 cm wieder zurück, je nach der tieferen oder oberflächlicheren
Lage der ersten Rippe. Wir haben zweimal die Nachinjek-
tion mit promptem Erfolge gemacht, Parästhesien haben
wir beide Male nicht mehr bekommen. Die Anästhesie hält
nach unsern Untersuchungen durchschnittlich 11/5 Stunden’ an,
oft auch länger. Der Wundschmerz selbst ist nach Angabe einiger
Patienten sehr bald nach Rückkehr der Empfindung aufgetreten,
nach andern verging 1 Stunde und mehr. Unsere Kranken standen
im Alter von 9 bis 80- Jahren. : ; ES
z Bemerken möchte ieh hier noch, daß wir zur Prüfung der
Sensibilität schon seit Jahren die Hakenklemme verwenden,
die uns sicherere Resultate gibt als die Nadel und schonen-
der ist. Auch sind wir von zu häufiger Prüfung abgekommen,
wenn wir nicht gerade ganz genaue Zeitangaben,.z. B. bei neuen
‚Methoden, zunächst erheben wollen. . |
In ‘der näher geschilderten Plexusanästhesie haben wir 50 Ope-
rationen ausgeführt, und zwar: ‚Spaltungen von schweren Phleg-
monen an Hand und Arm, Exartikulationen von Fingern, Versor-
gung frischer Handverletzungen, Sehnennähte, Fremdkörperextrak-
tionen, blutige Einrenkung des Daumens, Reposition von Ell-
bogen- und ‘Schulterluxatiönen, Amputation des Oberarms dicht
‘oberhalb des Ellbogengelenks, Mobilisierung des Handgelenks.
Ferner haben wir die Einspritzung einmal zu therapeutischen
‘Zwecken bei einer Neuralgie mit gutem Erfolge gemacht.
+ Wir haben dabei drei Versager erlebt, und zwar gleich
im Anfange der Versuche, wobei einmal eine Hypästhesie eintrat,
‘die jedoch uns nicht genügte.
Anfangs haben wir den schon erwähnten Fehler begangen,
. daß. wir einmal den Plexus zu tief suchten und zweitens inji-
zierten, sobald nur Parästhesien angegeben wurden, während wir
jetzt erst einspritzen, wenn die Parästhesien bestehen
.bleiben. Die zwei Nachinjektionen habe ich erwähnt. Mit fort-
schraitender Uebung werden letztere wohl entbehrlich werden.
‚Irgendwelche Komplikationen bei der Injektion, abgesehen von dem
.erwähnten, völlig belanglosen Anstechen einer Arterie, haben sich
‚nicht ereignet. Eine Alteration des Pulses, abgesehen von
-einar oft psychisch bedingten Beschleunigung oder gar Kollaps, ist
‚nie ‘nachweisbar gewesen. Die von Kulenkampff!) erwähnte
Reizung des ..Sympathicus haben. wir. bisher nicht gesehen. In
Jüngster Zeit ‚haben wir kurz hintereinander zwei Beobachtungen
machen können, die. wohl. wert sind, mitgeteilt zu werden. Bei
zwei Jungen, mageren Leuten im. Alter von 12 bis 15 Jahren
stellte sich mit Beginn der Anästhesie ein Druckgefühl in der
linken Brustseite sowie das Gefühl der erschwerten Atmung links
ein — die Einspritzungen waren links. gemacht —. Der Puls
blieb gut, perkutorisch und Auskultätorisch war nichts festzustellen,
.eine-Druekschmerzheftigkeit der linken Brustseite nicht vorhanden,
die Atmung nicht sichtlich erschwert. Wir glauben, daß in diesen
Fällen eine Parese des linken Phrenicus und so der linken Zwerch-
fellhälfte vorhanden war. Rine- Beobachtung vor dem Röntgen-
schirme konnte leider nicht‘ vorgenommen werden, dürfte aber bei
gleichliegenden Fällen über diesen Punkt wahrscheinlich Aufklä-
: rung geben: Der- anatomischen Lage nach wäre eine Bäeinflus-
sung des. Phrenicus denkbar. Die Beschwerden hielten etwa eine
: Stunde ‚an, nachteilige Folgen blieben. nicht zurück. Auch
' später sich einstellende Störung, wie Nachschmerzen an der In-
- Jektionsstelle,: Infektionen derselben, .Paresen des . Armes : oder
+ %:Kulonkampff; B:.z. Chir. 1912, Bà, 79...
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1948 ' 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1. Dezember,
on
go einheitlich und sicher gelöst war, als sie es heute ist, teils
Rechenschaft über die uns überwiesenen Fälle geben, teils den
großen Wandel dieser Operation seit damals vor Augen führen.
Wenn Billroth in den 80 er Jahren in seinen Vorlesungen über
die Kropfexstirpation von dieser als der größten Operation seiner
Zeit sprach und in Unkenntnis der Ursachen der schweren Kom-
plikationen, welche bei einer totalen Exstirpation durch Ausfall
der gesamten Schilddrüse oder der Epithelkörperchenfunktion ein-
treten mußten, vor dieser Operation warnte und diese nur für die
dringendsten Fälle vorbehalten wissen wollte, und wenn wir hin-
gegen heute die Berichte über Tausende und Tausende von glück-
lichen Kropfoperationen lesen, so wird uns damit nicht nur
zahlenmäßig der Fortschritt der Operationsmethode, sondern in
gleicher Weise die relative Gefahrlosigkeit dieser Operation klar,
Daß unser Kropfmaterial weit an Zahl dem jener bekannten
Kliniken (Kocher in Bern bis heute mit über 4000 Kropfopera-
tionen) zurücksteht, ist wohl auch jetzt noch auf jene warnenden
Worte Billroths zurückzuführen, die nun in der jetzt tätigen
Aerztegeneration nachwirken, sodaß wir den eigenen geheilten Pa-
tienten oft mehr neue Kropffälle verdanken als einem praktischen
Arzte. Das Material sammelt sich ferner nicht aus so konzen-
trierten Kropfgegenden, wie z.B. in der Schweiz, und verteilt sich
zudem auf eine Reihe chirurgischer Stationen der Hauptstadt.
Wenn wir aus den eben gesagten Gründen die Menge vermissen,
so mußten wir leider meist mit vorgeschritteneren Erkrankungen
bei unsern Patienten rechnen; sie kamen gewöhnlich erst, wenn
langdauernde innerliche Vorbehandlung nichts genützt hatte oder
unerträgliche Beschwerden das Leiden komplizierten. So sind uns
die nervösen, basedowähnlichen Erscheinungen des Thyreoidismus
durch unzweckmäßige Verabreichung von Thyreoidintabletten be-
kannt, ebenso wie die Reizerscheinungen des Jodismus. Es sel
schließlich Störung des Allgemeinbefndens, haben wir nicht er-
lebt, sodaß uns die Methode gefahrlos zu sein scheint. Als
schmerzlos und daher angenehm wurde sie von fast allen Pa-
tienten bezeichnet, denn der kleine Schmerz beim Einstechen der
Nadel war bald vergessen, da der oft schon large Zeit vorher ge-
fürchtete Operationsschmerz selbst ausgeblieben war. Die Technik
ist durchaus leicht und der Erfolg sicher, sobald man sich `
an die näher geschilderten Vorschriften hält.
Fasse ich meine Ausführungen kurz zusammen, SO erhellt
ohne weiteres, daß überall fleißig daran gearbeitet wird, die All-
gemeinnarkose einzuschränken. Jedoch soll damit nicht gesagt |
sein, daß die Narkose völlig verdrängt werden sol. Das Ziel |
ist vielmehr das, für gewisse größere Operationen ty-
pische, allen Anforderungen gerecht werdende Anästhe-
sierungsverfahren auszubilden, sodaß man im Einzeifalle
je nach gegebener Indikation Narkose oder Lokalanästhesie
wählen kann, beziehungsweise beide Verfahren kombiniert. Auf
letzteres Moment haben wir unter gewissen Umständen, 2. B.
bei Laparotomien, immer mehr Gewicht gelegt und versprechen
une davon eine weitere Abnahme der postnarkotischen Stö-
rungen. Wenn auch manche der erwähnten Methoden wohl
kaum Bedeutung für die Allgemeinpraxis gewinnen werden,
vielmehr nur an großen Kliniken oder Krankenhäusern durch- |
führbar sind, so steht es doch anders mit der Plexus-
anästhesie. Die Technik ist nicht schwierig, natürlich muß jeder
gewisse Erfahrungen sammeln, wie aber bei jeder Anästhesie und
ganz gewiß auch bei der Narkose. Ein besonderes Instrumen-
tarium ist nicht notwendig, die Herstellung der Injek-
tionsflüssigkeit selbst leicht und bequem. Das Verfahren
ist nach andern Ortes und bei uns gemachten Erfahrungen ge-
fahrlos. Die Methode ist fast schmerzlos, schonend und
sicher. Für manche Operationen, wie Fremdkörperextrak- | nochmals festgehalten, daß diese Präparate — welche auch von
tionen, Versorgung größerer frischer Verletzungen, schwerer Phleg- | uns in den entsprechenden Fällen unter genauer Kontrolle ambu-
latorisch verwendet werden — nur bei jenen Strumen in An-
wendung kommen dürfen, wo diffus-hyperplastische oder paren-
chymatös-degenerative Vorgänge ohne schon eingetretene Colloid:
oder Cystenbildung die Struma charakterisieren, Weitere Sehädi-
gungen fanden wir bei Röntgenvorbehandlung, welche nicht die
degenerierten Schilddrüsenpartien selektiv zu beeinflussen, sondern
gerade das noch übrige gesunde Gewebe zu schädigen scheint,
außerdem, wie unten erwähnt, für die Operation ungünstigere Be-
dingungen schafft (1, 2).
Zur Indikation für die Operation waren wir also meist durch
schwerere Veränderungen lokaler oder allgemeiner Art gedrängt,
und konnten wir von 600 Fällen bei °/s aller Fälle (499 mal)
Trachealveränderungen nachweisen. Dazu kamen subjektive Atem
beschwerden bei 76 Patienten, 19 mal allgemein nervöse Symptome
und nur sechsmal wurden beschwerdelose Oysten auf Verlanget
der Patienten aus kosmetischen Rücksichten entfernt. Von diesen
Operationen wurden 23 wegen bedrohlichen Luftmangels dringlich
ausgeführt, Diese enge Indikationsstellung, zu der wir bei diesem
Material kamen, da sich die Patienten früher nieht einfanden, 8
seitens der behandelnden Aerzte sicherlich eine Erweiterung &
fahren, da wir erheben konnten, daß von 137 Versuchen konser
vativer Behandlung alle Patienten wegen schwerer Komplikationdt
später doch zur Operation kommen mußten. Tatsächlich ist 1
andern Ländern und an andern Kliniken diese Operation 80 I
pulär, daß ein Kropf öfter als Nebenbefund bei einer andern A
urgischen Erkrankung operiert wird, so wie wir uns hente N
entsprechenden Fällen bei intraabdominellen Eingriffen bei im
lichen Individuen gleichzeitig zur Appendektomie berechtigt fü ig
Bevor ich die Resultate bespreche, scheint es mir zweckm
die an der Klinik geübten Verfahren kurz zu schildern. Bezig
lich der Anästhesie verwendete die Klinik bis vor einem Fr
meist die Narkose mit Billroth-Mischung. Das Ve
Narkosen zu Operationen in Lokalanästhesie hat sich aber in OL
Zeit zugunsten letzterer verändert. Vor allem ist 08 | i 2
schaltung der Gefahr, welche jede Narkose in sich bire
welche bei lokaler Anästhesie vermieden wird, forner he
sondere Schwierigkeit der Narkose eines Kropfpatienten, lc
ohne Zwischenfall verlaufen muß, wenn nicht die Asepel It, sr
gerade an diese Operation die höchsten Anforderungen a
fort darunter leiden soll; außerdem ist zu berücksichüg", des
die Blutstilung bei einem so blutreichen Organ wā Tr wachen
herabgesetzten Blutdrucks in der Narkose nach dem nnd ng
sich als ungenügend erweisen kann. Die lokale Ands p Die
erreichen wir durch die Leitungsanästhesie nach Br ee verdon
hauptsächlichen Fehler, die bei der Operation gemät
monen, stellt sie direkt ein ideales Verfahren dar. Folgender
Fall beleuchtet so recht den Wert der Methode. Ein Ööjähriger
Gastwirt hatte bei einer Schlägerei eine Verletzung des Unterarms
an der Beugefläche erlitten. Es waren sämtliche Sehnen, Nerven
und Gefäße durchschnitten. Der Mann war sehr fettleibig und
bot deutlich die Zeichen der Herzmuskelentartung, war außerdem
durch den starken Blutverlust sehr geschwächt. Eine Narkose
wäre bei dem Zustande des Kranken wenig angenehm, wenn nicht
gar bedenklich gewesen, denn die bekannt mühsame Operation
setzt eine längere Narkosendauer voraus. In der Piexusanästhesie
war die exakte Versorgung der Wunde gut möglich, der Patient
hat über die halbe Zeitdauer fest geschlafen. Der praktische
Arzt in kleinen Städten oder besonders auf dem flachen Lande
ist oft genug gezwungen, frische Verletzungen oder Phleg-
monen im Hause zu versorgen. Es gilt wohl heute allgemein als
inhuman, ein tiefergehendes Panaritium oder eine ausgedehnte
Phlegmone ohne allgemeine oder örtliche Betäubung zu spalten.
Und wie viele Mißerfolge und N achoperationen sind auf diese
Unterlassung zurückzuführen. Die Narkose im Hause ist an und
für sich mißlich und unbequem, und oft steht dem praktischen
Arzte nur mangelhaft geschultes oder völlig ungeübtes Narkose-
personal zur Seite. Da scheint mir dieses neue Anästhe-
sierungsverfahren mit Freuden zu begrüßen und ein
willkommener Ersatz der Narkose zu sein und hat neben
den schon erwähnten und noch manchen andern Vorzügen
vor allen Dingen auch noch den, das Rüstzeug des prak-
tischen Arztes zu vermehren.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Wien,
(Vorstand: Hofrat Prof. Hochenegg.)
Klinische Studien über Kropfoperationen nach
| 600 Füllen
von
Dr. Fritz Demmer, Assistent der Klinik.
Diese Mitteilungen über Kropfoperationen beziehen sich auf
die Resultate einer mehr als sechsjährigen klinischen Arbeit und
sollen weniger einen Vergleich mit andern chirurgischen Kliniken
über dieses spezielle Arbeitsgebiet anstellen — e8 wird die Frage
über die moderne operative Behandlung des Kropfes wohl wenig
Neues mehr zutage fördern können —, als vielmehr jenen Aerzten,
welche schon fern klinischer Tätigkeit auch diese nur mehr von
einer Zeit her in Erinnerung haben, wo die Kropffrage noch nicht
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1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
1949
können, sind die Belassung zu kleiner Schilddrüsenreste, die Ent-
fornung der Nebenschilddrüsen und die Verletzung des ‚Nervus
recurrens. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Enucleation als
ungefährlichster Eingriff zu betrachten, während die Resektion
und Exstirpation technisch schwerer sind. Wir bevorzugen zur
Freilegung den Kocherschen Kragenschnitt teils wegen der später
fast unsichtbaren Hautnarben, teils wegen der Zugänglichkeit. beider
Seitenlappen. Ist nun also die Ausdehnung der pathologischen.
Veränderung, welche nach Art und Lokalisation bekanntlich sehr
mannigfach sein kann, in der gesamten Schilddrüse zu übersehen,
so wird dem Befund entsprechend vorgegangen.
Cysten oder Kolloidknoten werden ausgeschält, nachdem die. Kapsel
an ihrer größten Circumferenz - mit Klemmen gefaßt und um-
schnitten wurde. Schwieriger und blutiger als diese Enuclea-
tion (147 Fälle) sind jene Eingriffe, welche diffuserkrankte Par-
tien entfernen, und da wieder jene am schwierigsten, welche den
erkrankten -Teil nicht im gesunden Parenchym entfernen können,
sondern wegen Belassung des nötigen funktionstüchtigen Paren-
chyms im entarteten Gewebe operieren. Bei diesen Operationen.
ist nun die Orientierung durch vollkommene Luxation beider:
Strumalappen unbedingt nötig, um einerseits den die Trachea vor-
züglich komprimierenden Lappen zu erkennen, anderseits um einen
genügenden Teil des hinteren Parenchymmantels zu schonen, an
welchem sich die Nebenschilddrüsen und der Nervus. recurrens be-
findet, welche beide für den Chirurgen ein Noli me: tangere. sind.
Exstirpieren wir also einen Knoten, der sich an einer Stelle: diffus
ins Parenchym fortsetzt, so sprechen wir von Enucleations-
resektion (112 Fälle), haben wir diffus entartete. Teile eines’
Lappens oder des Isthmus zu entfernen, so führen wir die Re-
sektion aus (219-Fälle), ist aber ein Lappen in toto erkrankt, so-
entfernen wir ihn unter Belassung eines dünnen hinteren Paren-
chymmantels — Halbseitenexstirpation (122 Fälle). -
Diese Operationen mußten wegen multiloculärer Entartung
kombiniert werden, sodaß wir 515 mal einseitig und 85 mal beider-
seitig operierten. Während die gewöhnliche Form der Resektion
die Durchtrennung des Gewebes über angelegten Klemmen war,
wurde in vier Fällen bei- diffusen vascularisierten Kröpfen mit
Basedow-Erscheinungen die Keilexceision nach Mikulicz ge-
macht. Wegen persistierender Kompression des erweichten Tracheal-
rohres nach der Exstirpation eines Lappens wurde in neun Fällen
die Dislokation des andern Lappens nach Wölfler (T'hyreo-
pexie) gemacht, gewöhnlich so, daß eine Kallote des Lappens
in einen Schlitz. des Sternocleidomastoideus vorgenäht wurde.
Dreimal wurde dabei zur weiteren Schrumpfung des Lappens die
Arteria thyreoidea inferior ligiert (8).
Von den 600 Kröpfen waren 562 gutartig, 26 bösartig und
12 Fälle von Strumitis; den klinischen Erscheinungen nach. waren
43 Patienten an Morbus Basedowii erkrankt. Von den 600 Pa-
tienten zählten. wir 144 Männer und 456 Frauen, welche Bevor-
zugung des weiblichen Geschlechts. ganz besonders beim Morbus
Basedowii zum Ausdruck kommt (7 Männer und 36 Frauen). Es
wurden 570 Patienten geheilt und 19 gebessert entlassen. Ferner.
hatte die Klinik 11 Todesfälle zu beklagen; von diesen waren
3 bösartige Kröpfe, 4 Patienten mußten dringlich operiert werden.
Somit ist die Mortalitätsziffer bei unsern Kropfoperationen für
gutartige Kröpfe, dringliche Eingriffe ausgenommen, 0,7%), letztere
mitgerechnet 1,50/ọ; bei Morbus Basedowii hatten wir’ keinen
Todesfall (0%), Kocher (4) berichtet über sein drittes Tausend
Kropfexeisionen: 904 Strumen mit 3 Todesfällen = 0,3 %/,,. 52 Ba-
sedowfälle mit 1 Todesfall = 2 °/ọ | |
Unter den Todesfällen’war von den. drei bösartigen Kröpfen- ein.
Patient an Pnoumonie gestorben,. welcher mit. einer Emphysembronchitis
und starker Arhythmie wegen heftiger Dyspnöe dringlich zur Operation
kam, bei welcher ein retropharyngealer Knoten exstirpiert. und ein Teil
der. Trachea reseziert wurde. Ein Patient ging an Herzschwäche zu-
grunde und fanden sich bei der Obduktion Metastasen im Herzen und
der Pleura. Ä
Der dritte Fall, ein 64jähriger Patient, wurde am zweiten Tage
seines Aufenthalts, während welcher Zeit man sein dekompensiertes Herz
und seine Bronchitis zu bessern suchte,- wegen höchster Atemnot und
Unvermögens zu schlucken, an einer harten, teilweise scheinbar fluktuieren-.
den Struma operiert, welche walnußgroß über das Jugulum herausragte,
sonst substernal gelegen war und eine handtellergroße. Dämpfung: über.
dem Sternum und rechts davon im vorderen Mediastinum. verursachte.
Der Kochersche Schnitt ermöglichte nur die Resektion des suprasternal
gelegenen Knotens im linken Unterhorn. Abwärts tastete man einen so-
lidon Tumor, hauptsächlich dem rechten Lappen und Isthmus an-
gehörig, an der Vorderseite frei gegen den rechten Pleuraraum vor-
drängend, an der Hinterseite verwachsen. Der Versuch, durch Erweite-
Cireumscripte |
rung des Querschnitts zu einem T-Schnitt und durch mediansagittale
Spaltung des Manubrium. sterni volle Zugänglichkeit zu schaffen, ließ
aber nur so viel erkennen, daß die Exstirpation wegen fester Verwachsung
an der Rückseite mit den Gefäßen, der Pleura und dem Perikard unmög-
lich war. Die Atmung wurde etwas freier durch Evidment eines cysti-
schen Teils in der Thoraxapertur,. Patient fühlte sich bis zum dritten
' Tage wohl, geriet aber dann infolge plötzlicher Acerbation seiner Bron-
' chitis abermals in schwer dyspnoischen Zustand und starb an Herzinsuf-
: fizienz. Das Bild des pathologischen Präparats zeigt besonders gut das
Verhältnis des bis. I
, zur Bifurkation rei-
chenden Tumors zur
Trachea, die Ver-
' drängung derselben
' und die Stelle der
: Wandarrosion der
Trachea durch den
. Tumor.
Dringlich wurde-
weiter bei vier Fällen
operiert, welche mit.
schwerer Stenose der
' Trachea kamen, ein-
mal durch Blutung
-in eine Cyste, zwei-
mal durch totale
_ Usurierung der Knor-
pelringe der Trachea,
häutige- Veränderung
derWandundKollaps.
- derselben(Tracheoto--
. mie)undeinmaldurch
winklige Knickung
‘ der Trachea entstan-
den. Die Todesur-
. sachen waren in die-
sen: Fällen: Mediasti-
nitis, akute Dilatation
des.rechten Herzens,
die Komplikation:
durch einen ausge-
prägten Status. lym-
phaticus mit Persi-
stenz der Thymus,
und einmal. Bronchopneumonie.
Von den übrigen vier: Todesfällen ver-
zeichnen wir ein W.underysipel. mit: komplizierender Pneumonie, eine
Pneumonie: nach Emphysembronchitis, ein Vitium und akutes Glottisödem
nach Exstirpation eines retropharyngealen Knotens und eine Pneumonie
bei universeller Tuberkulose. In. letzterem. Falle war. eine Tracheal-
kompression bemerkenswert, durch eine Struma. und den Gegendruck eines
prallelastischen, fluktuierenden kalten. Abscesses hervorgerufen, welcher,
wie die Obduktion später zeigte, vom dritten ‘Wirbelkörper bis zum
neunten Brustwirbel reichte. Die Strumektomie und Absceßeröffnung
mußte wegen: großer Unruhe und plötzlicher starker Dyspnöe. des Patien-
ten, welcher. nicht narkotisiert werden konnte, aufgegeben werden und
es. wurde die vital indizierte Tracheotomie gemacht. Am vierten Tage
trat der. Tod infolge einer Pneumonie ein.
Bezüglich: der. oben. erwähnten. operativen Fehlerquellen ver-
zeichnen wir 'bei'unsern. 600 Operationen von Ausfallserscheinungen:
akute-Tetanie:4 Fälle (2 leichte, 2 schwere, kein Todesfall), latente
chronische Tetanie, Myxödem. 0, Rekurrensschädigung 12 Fälle
Diesen Fällen. reihen sich 53 aus. der eigenen Praxis des Chefs
der Klinik. an, von welchen 52 geheilt, ein Fall mit Sepsis gestorben
ist; es. waren 19: Cysten, 18 Kolloidknoten und 16 diffuse Kröpfe,
welche größtenteils wegen erheblicher Atem- oder Druckbeschwerden
operiert wurden und gleich dem. klinischen Material: sich erst relativ
spät zur. Operation entschlossen: hatten. Ein Fall ist bemerkens-
wert, da er eine chronische latente Tetanie nach der Operation zeigt.
Nach dieser gedrängten Uebersicht will ich nun etwas'näher
au die Klinischen Beobachtungen an unserm Kropfmaterial ein-
gehen.. | Zus
Unser Kropfmaterial ist, wie eingangs erwähnt, nach
seiner Herkuuft nicht so einheitlich. charakterisiert, wie z. B. jenes
der Kliniken in Gebirgsländern (Bern, Innsbruck), vielmehr kamen
aus den verschiedensten Teilen des Reiches Patienten an die cen-
trale chirurgische Station; im ganzen waren es mehr Flachland-
als Gebirgsbewohner. Aus den Angaben der. Patienten entnahmen
wir aber eine Reihe von Orten, in welchen der Kropf eine häufige
Erkrankung ist und in welchen das Trinkwasser als schädlich an-
geschuldigt wird. Somit erhält die alte Theorie der Kropfendemie
stets. neue Belege und’ den. Untersuchungen Birchers (5) folgend
wäre es interessant, einerseits. die: Toxinwirkung der: gefundenen
Kropfwässer experimentell zu vergleichen, anderseits die geologi-
1950
1912 — -MENTZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
schen Formatidnen dieser ` Gegenden zu -erforschen!).“ Bei den:
sporadisch aufgetretenen Kröpfen fand sich häufig als subjektive
Angabe für das Entstehen des Kropfes das Moment der Ueber-
anstrengung. So führten einige Patienten ihren Kropf auf das
Schleppen schwerer Ballen zurück, welche sie mit Kreuzgurten
um Hals und Brust weit tragen mußten; andere wieder auf das.
Heben schwerer Körbe und Tragen über Stiegen. Diese mecha-
nischen Momente, bei welchen auch die Stauungshyperämie- eine-
nicht unwesentliche Rolle spielen mag, können aber wohl nur als
begünstigend für eine Kropfbildung angenommen. werden, : während
in diesen Fällen eine Disposition für diese Erkrankung -schon
‚ bestand. on A:
Eine Disposition zu kropfiger Entartung der Schilddrüse
scheinen aber ganz besonders Heredität und eine Aenderung in:
der Wechselbeziehung der Organe mit innerer. Sekretion (6) zu
schaffen, wie letztere besonders in der Pubertät und später während
der Gravidität aus den verschiedensten Erscheinungen zu bemerken
ist. Bezüglich der Heredität bei Kropfkranken, welche Kocher
als einen Ausdruck der Degeneration auffaßt, fanden wir bei den:
Eltern der Patienten 116mal (19,3%,) Kropf angegeben. Von
diesen hatten in 37 Familien mehr als ein Kind wieder einen
Kropf, wodurch besonders in jenen Fällen aus kropffreier Gegend’
der hereditäre Einfluß klar hervorgeht und man mit Recht von.
Kropffamilien sprechen kann. Dabei kommt es. vor, wie wir in
68 Fällen sahen, daß die Eltern zwar keinen Kropf. hatten, dagegen
mehrere Kinder und die Geschwister der Eltern, sodaß auch hier
eine gemeinsame hereditäre Belastung wahrscheinlich erscheint..
Der hereditäre Einfluß fiel besonders dadurch’ auf, daß nur wenige
der obengenannten Kropffamilien aus Kropfgegenden kamen, während
die meisten aus kropffreier Gegend stammen. Den Einfluß ver-
änderter innerer Sekretion sehen wir in jenen Fällen, wo in der
Pubertätsentwicklung besonders bei Mädchen (—=.124, Knaben 56)
eine Struma auftritt, die entweder bestehen bleibt oder kleiner
wird und oft bei der Gravidität wieder excessiv wächst. Primär
im Anschluß an eine Gravidität beobachteten wir Yömal das Auf-
treten einer Struma. Weiter-sahen wir mit eintretender Meno-
pause 7mal eine Struma sich bilden. | er |
.. Die Vorbehandlung außerhalb der Klinik bestand meistens
in einer Jodmedikation (100 Fälle), welche in 19 Fällen kurz-
dauernden Erfolg "hatte, in 11 Fällen wegen allgemeinschädigender
Wirkung (Jodismus, Gewichtsabnahme) verboten werden mußte.
32mal wurden Thyreoideintabletten versucht und 7mal damit zeit-
weise Besserung erzielt, Z2ınal Rodagen vergeblich angewendet. Die
Röntgenbehandlung wurde in drei Fällen vorgenommen, doch ohne
Resultat. Die kurze Zeit darauffolgende Operation fand in zwei
Fällen Kapseladhäsionen und Hämorrhagien im Kolloidparencbym
und war erschwert. Du
Von den klinischen Erscheinungen, welche die Patienten
veranlaßten, die Klinik aufzusuchen, waren es meist die Arbeits-
dyspnöe, wenn die mechanischen Veränderungen seitens des
Kropfes im Vordergrunde standen, oder Herzerscheinungen und
allgemeine .nervöse Störungen, wenn die thyreotoxische Kom-
ponente vorhanden war. Mehr als die Größe des Kropfes ist hier
die Art desselben von Bedeutung, da die Konsistenz wie die
Funktionstüchtigkeit der Drüse von ihr abhängen. N
Eine Reihe von Störungen, über welche unsere Patienten zu.
klagen hatten, lassen sich auf die anatomischen Beziehungen einer
Struma zu ihren Nachbarorganen zurückführen. Die Art der Ein-
wirkung eines Kropfes auf seine Umgebung kann eine verschiedene
sein, indem manche Symptome durch direkten Druck, manche
durch Verziehung infolge bestehender Verwachsungen und Zerren
an einzelnen Halsorganen zu erklären sind. Die expansive Druck-
wirkung eines Kropfes kann, wiewohl starre Hüllen fehlen, je
nach der Widerstandskraft der Nachbarorgane eine bedeutende
werden, und gibt uns der ÖOperätionsbefund dafür häufig den
besten Beweis. Das Bett der Schilddrüse wird von -einem Muskel-
trichter gebildet, der seine Basis in der oberen Thoraxöffnung hat
und seine Spitze dem Zungenbeine zuwendet. Die Muskelhüllen
sind seitlich besonders stark ausgebildet,, indem hier die celavicu-
lären Anteile des Trapezius, die Sternocleidomastoidei, dann die
Omohyoidei und Scaleni einen festen Widerstand zu setzen ver-
mögen. Rückwärts ziehen vor- den Wirbelbogen die langen Kopf-
1) Als solche Kropfgegänden wurden uns. angegeben: Niederöster-
reich (Altenwörth. Mautern, Gmünd- Weitra, Sieghardtskirchen, Manners-
dorf a. d. L, Klamm, Trumau); Oberösterreich (Gmunden, Hallstadt):
Steiermark (St. Josef); Kärnten (Villach); Mähren -(Teltsch); Böhmen
(Schüttenhofen, Klattau, Strakonitz); Galizien (Kremíca), . .
muskeln herab. Vorn ist die Hülle schwächer, wo. die unteren
Zungenbeinmuskeln bandartig den Eingeweideraum des Halses ab-
schließen. Dem Vordringen eines wachsenden Kropfes, der sich
durch Verdrängen der Umgebung Platz zu machen sucht, steht
somit rückwärts der Widerstand der Halswirbelsäule entgegen,
seitlich bilden die obengenannten Muskeln eine widerstandsfähige
. Grenze, nach oben hindern ein weiteres Vordringen die beiden
Blätter der Halsfascie und die unteren Zungenbeinmuskeln, die
sich hier in spitzem Winkel dicht dem Zungenbein anschließen:
nach unten ‚bildet der knöcherne Ring der oberen Thoraxapertur
die Grenze, welcher oft verhängnisvoll wird, indem ein Kropf, der
. hier keinen muskulösen Widerstand findet, nur so lange gegen
den. Brustraum vorzudringen gehindert ist, als die von oben wir-
kende Muskelpresse den seitlichen Widerstand der durch: die
Thoraxapertur herabziehenden Gebilde (Trachea-Oesophagus) nicht
zu überwinden vermag. Ist dies aber auf Kosten der Form und
des Raums, den diese Gebilde normalerweise benötigen, „geschehen,
so steht dem weiteren Wachstum in den vorderen Brustraum
hinein kein Hindernis mehr entgegen. Die vordere Wand des
Muskeltrichters, wie erwähnt, die schwächste, wird am leichtesten
überwunden und ist durch ihre größere oder geringere Resistenz
maßgebend für die Form und Verbreiterung des Kropfes. Ver-
gleichen wir nun die Massen der entarteten Schilddrüse, ‚welche
wir oft bis zur Größe mehrerer Fäuste bei der Operation entfernen
können, mit diesem engbegrenzten Raume, der für die normalen
. Halseingeweide ausgespart ist, und berücksichtigen wir weiter die
äußere Formveränderung des Halses, welche so häufig nur in einer
diffusen Verbreiterung der vorderen Halspartie besteht, so scheint
es uns klar, daß die Bergung solcher Massen nur durch Bin-
zwängen in den beschränkten Halseingeweideraum möglich ist,
wobei wesentliche Druckwirkungen auf die Organe der: Umgebung
entstehen müssen. Diese scheinen wieder nach der Konsistenz der
Kröpfe verschieden zu sein. So bemerken wir, daß jene Strumen,
welche substernal herabreichen — es sind in der Mehrzahl dieser
Fälle die Unterhörner, welche besonders stark entartet und tief in
die Thoraxapertur eingekeilt sind oder sich in dem vorderen Brust-
raume mit einem stark verdickten Knoten verbreitern — meist
. parenchymatös-kolloid entartet sind, hingegen jene, welche eircum-
script aus den normalen Halsformen vorspringen, gewöhnlich
cystische Kröpfe sind. Das Bild eines eingekeilten Kolloidkropfes
ist auch ganz charakteristischh um uns die Art seiner Druck-
wirkung vorzustellen. Wir finden nämlich die Sternoeleido-
mastoidei in die Masse des Kropfgewebes eingeschnitten, wobei
üns die Tiefe der Schnürfurchen ein Maß des ausgeübten Druckes
sein kann, ferner die Erweiterung normal ganz enger Muskel-
spalten, durch welche sich der beengte Kropf durchzudrängen
sucht. Ganz besonders aber zeigt sich der Druck bei der Luxation
des Kropfes aus seinem Bette vor die Sternocleidomastoidei, in
. welchem Augenblicke der Patient durch die befreite Luftröhre
sichtbar erleichtert inspiriert. Aus diesem Verhalten geht hervor,
daß die Kolloidkröpfe bis zu einem gewissen Grade formbar sind
und sich der beengenden Umgebung tunlichst anzupassen suchen.
In diesen Fällen finden sich auch die unteren Zungenbeinmuskel
öfter bypertrophisch, entsprechend der gleichbleibenden Aufgabe
der Fixation des Zungenbeins als Gerüstknochens des Schlund
apparats über das hinzutretende Hindernis des Kropfes hinweg.
Anders verhalten sich die Cysten der Schilddrüse. Hier wirkt
der elastische Druck der prall gefüllten runden Cyste rücksichte-
los auf seine beengende Umgebung, macht rasch wesentliche Be-
schwerden, solange sich die- vordere Muskelhülle resistent erweist,
und der Kropf tritt dann stark vor, ‘wobei die unteren Zungen-
beinmuskeln häufig atrophisch gefunden werden, sei es dureh
Druckatrophie, sei es durch Drucksehädigung der innervierenden
Aeste, welche vom Ramus descendens hypoglossi her zwischen
Cyste und Zungenbeinmuskel aufsteigen. In diesem Falle werdet
dann gewöhnlich die Kompressionsbeschwerden. geringer.
‚.. Was die Störungen durch Verziehung von Organen be
trifft, so kommt diese durch die Wandextension einer rasch wach
senden Oyste zustande, wie es am besten bei frischer Blutung ™
die Cyste zu beobachten ist. Die Verziehung kommt hier durch
direkte oder indirekte Einwirkung zustande, indem die betreffenden
Organe selbst mit der Cystenwand verlötet sind oder durch eit
vermittelndes Organ diese Verlagerung erfahren. So wurde bi
akutem Wachstum .einer Cyste rasch eintretende Heiserkeit be
merkt, und bei der Enucleation zeigte sich der Nervus recurrens der
Cystenwand seitlich verlötet und im nach vorn konvexen Bogen
stark verzogen. Die Heiserkeit war sofort in diesem Falle m
der Operation behoben. Auf indirekter Zerrung beruhen auch die
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1. Dezember.
öfter angegebenen Schmerzen im Hinterhaupt und im Ohr, indem
sich die wachsende Geschwulst dem Sternocleidomastoideus unter-
schiebt, diesen abdrängt und so die über ihn hinwegziehenden
Nerven dieses Gebiets, Auricularis magnus und Oceipitalis minor,
in ihren Wurzeln zerrt. Besonders finden wir diese Schmerzen
bei malignen Strumen, bei welchen die Einscheidung der Nerven
noch mitwirken mag, wodurch dann die von Billroth zuerst
beobachteten charakteristischen „reißenden und hinter das Ohr
und in den Hinterkopf ausstrahlenden oder in den Arm ein-
schießenden Schmerzen“ entstehen. (Fortsetzung folgt.)
Erfahrungen über das Kollargol auf Grund
| 1djähriger Anwendung
von
Dr. Fehde, Berlin.
Wenn ich es in folgendem unternehme, mit einigen Worten
die Anwendung des Kollargols in der ärztlichen Praxis zu be-
sprechen, so tue ich es aus der Erfahrung heraus, daß viele Prak-
tiker von seinem Gebrauche dadurch bisher abgeschreckt wurden,
weil es bei seiner wirksamsten Anwendungsform, der intravenösen
Einverleibung, in erster Linie durch die von ihm ausgelöste „Re-
aktion“ das häufig schon trübe Krankheitsbild scheinbar noch ver-
schlimmert und von der meistens durchaus notwendigen mehr-
fachen Wiederholung der Einspritzung Abstand nehmen läßt. Da
erhebt sich denn die Frage: „Was bedeutet solche Reaktion und
ist die Furcht vor ihr berechtigt?“
Durch das Kochsche Tuberkulin war zum erstenmal ein
Mittel bekannt geworden, welches eine specifische Reaktion auf
Krankheitsherde sowohl wie auf den Gesamtkörper auszulösen ver-
mochte. Rötung, Schwellung und Schmerzempfindung bei äußerer
Tuberkulose mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Darmstörungen
waren die allbekannten Symptome hierfür. Bekanntlich folgte dem
ersten Taumel über die Freude, solch wirksames Mittel zu haben,
ein ebenso heftiger Rückschlag, als sich. dann erwies, daß die
Neigung der gefäßlosen Tuberkel zum Zerfalle häufig durch die
Reizung mit dem Tuberkulin befördert wurde und eine Ueber-
schwemmung des Gesamtkörpers mit Krankheitskeimen die Folge
sein konnte. Die Furcht vor diesen „Reaktionen“ beim Tuberkulin
hat sich leider seitdem so gefestigt, daß man sie außerdem auch
auf alle übrigen Medikamente übertragen hat, welche eine der
Tuberkulinwirkung ähnliche Reaktion zeitigen; und unter dieser
vollständig unberechtigten Furcht haben leider zwei ganz beson-
ders wirksame Medikamente zu leiden: das sind erstens das Kol-
largol und zweitens neuerdings das Salvarsan, welche beide —
besonders bei der intravenösen Anwendung — fast identische Re-
aktionen bei dem Kranken zeigen.
Grundsätzlich besteht bereits ein Unterschied zwischen dem
organischen Mittel Tuberkulin, welches schon in geringen Spuren
Erscheinungen hervorruft, welche wir vielleicht als Anaphylaxie
aufzufassen haben, und den Metallen Silber und Arsen, die even-
tuell katalytisch oder auch parasitotrop wirken, keinesfalls aber
bei in kurzen Intervallen wiederholter Anwendung eine Ueber-
empfindlichkeit des betreffenden Individuums hervorrufen. Leider
hat ja der Umstand, daß die Reaktionen nach Kollargol in weiteren
Kreisen fast völlig unbekannt geblieben waren, dazu geführt, daß
die nach dem. Salvarsan auftretenden häufig als Giftwirkung durch
Arsen aufgefaßt wurden, während doch die Erscheinungen der
Vergiftung durch Metalle durchaus andere sind: Temperatur-
herabsetzung, heftiger Leibschmerz und wäßrige, eventuell
blutige Stuhlgänge. Demgegenüber bestehen die Reaktionen so-
wohl beim völlig ungiftigen Kollargoel wie beim Salvarsan in
Temperatursteigerung, Uebelkeit ohne besondere Schmerzhaftig-
keit und vermehrtem Stuhlgange, der nur höchstens dünnbreiig
wird, aber niemals sich zu Diarrhöen steigert. oo.
Inzwischen haben wir es nun gelernt, heftige Reaktionen bei
der Tuberkulinanwendung unter allen Umständen dadurch zu ver-
meiden, daß wir unter allmählicher Steigerung der Dosen immer
eine Temperaturerhöhung zu umgehen suchen. Viel einfacher
haben wir es aber beim Kollargol und Salvarsan, da wir bei diesen
Mitteln nur das erste Mal mit einer kleinen Dosis „tastend“ vor-
zugehen brauchen; selbst sehr große Mengen bei der zweiten und
den weiteren Einspritzungen haben dann in der Regel keine Re-
aktion mehr zur Folge. In einer seiner letzten Arbeiten empfiehlt
auch Ehrlich beim Salvarsan, besonders bei nervösen Erkran-
kungen, Beginn mit kleinen Dosen und allmähliche Steigerung
derselben. E |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. © IBL
Von unsern sämtlichen Infektionskrankheiten wissen wir es,
daß ihr Ausbruch mit „Reaktionserscheinungen“: Fieber, Kopf-
schmerz, Erbrechen usw. verbunden ist; ich erinnere nur an
Masern, Scharlach, Lungenentzündung, Typhus, Diphtherie, Malaria.
Ob wir diese Reaktionen als Giftwirkung durch Ueberschwemmung
des Körpers mit Parasiten oder deren Stoffwechselprodukten auf-
zufassen haben oder als Abwehrbewegung desselben, also als Heil-
bestrebung, sei dahingestellt; jedenfalls gehören sie derart zum
Krankheitsbilde, daß sie uns nicht zu ängstigen vermögen. Scheuen
wir uns doch nicht, z. B. durch die Pockenimpfung, künstlich
eine, wenn auch nur milde, Reaktion des Körpers hervorzurufen.
Da ich nun in ständiger 15jähriger Anwendung die Eigen-
schaften und die Wirksamkeit des Kollargols wohl in fast allen in
Betracht kommenden Krankheiten kennen gelernt habe, halte ich
es für meine Pflicht, zum besten unserer Kranken die Grundzüge
meiner Erfahrungen hier kurz zu schildern. | E
Natürlich habe ich auch im Anfange manchen Mißgriff un
Fehler bei seiner Anwendung gemacht und deshalb auch das Aus-
bleiben von Heilerfolgen erlebt, habe mich aber bemüht, aus jedem
Fehler die Lehren zu ziehen und denselben das nächstemal zu
vermeiden. Als ich das erstemal die tiefschwarzbraune, trübe
Lösung frisch aus der Apotheke bezogen hatte, um sie einer
Patientin intravenös einzuverleiben, schrak ich doch im ersten
Augenblicke vor diesem: Gedanken zurück und spritzte sie unter
die Haut; die Folgen waren ein intensiver Schmerz und eine
schwere Entzündung der ganzen Umgebung. Deshalb versuchte
ich die erste intravenöse Injektion zunächst mal an mir selbst.
Da dieselbe ganz reaktionslos verlief, faßte ich Mut und spritzte
seitdem, wo immer eine Kollargolbehandlung in Frage kam- intra-
venös; und tatsächlich ist dies auch eigentlich die -Kollargol-
behandlung. | en
In erster Linie wandte ich diese intravenöse Kollargolinjek-
tion in den von Cred6 als besonders geeignet bezeichneten Fällen
von puerperaler Sepsis an. Wenn auch gerade bei diesen schon
an und für sich durch hohes Fieber gepeinigten kranken Frauen
weitere Temperatursteigerungen mit Kopfschmerzen, Erbrechen und
Darmstörungen zunächst sehr unerwünscht waren und sind, -so hatte
ich doch immer die Freude, nach Ablauf der Reaktion ein Schwin-
den fast sämtlicher Beschwerden unter einem tüchtigen Schweiß-
ausbruche zu sehen, dem meistens ein wohltätiger Schlaf folgte.
Da ich auf den Eintritt der Reaktion stets vorbereitet war und ihn:
fast als selbstverständlich auffaßte, bin ich sogar häufig. so weit ge-
gangen, daß ich bei Fiebern unbekannter Herkunft einfach durch eine
intravenöse Kollargolinjektion diese Reaktion hervorgerufen habe, um zu-
nächst einmal den Krankheitsherd etwas „locker“ zu machen. So er-
innere ich mich ganz besonders eines Falles im Wochenbette, der von
zwei Autoritäten als Milzgeschwulst angesprochen und behandelt wurde,
bei dem ich aber wegen der fortgesetzten Temperaturerhöhung den .Ver-
dacht auf einen Eiterherd hatte. Ich spritzte der Patientin gegen 12 Uhr'
mittags 0,2 Kollargol ein, während ihre Körpertemperatur 380 betrug;
um 4 Uhr wurde ich dringend zu ihr gerufen, sie hatte eine Temperatur
von 41,5° und kämpfte, im Bette sitzend, um Luft, sodaß ich selbst über-
die so unerwünschte Steigerung der Wirkung erschrocken war. Inner-
halb einer Stunde brachte ich durch kalte Waschungen und Umschläge
die Temperatur auf 38° herab; es folgte ein intensiver Schweißausbruch
und — nach vier Wochen — zum ersten Male leidlicher Schlaf. Am
andern Tage wurden durch den Darm zirka 21 Eiter entleert; die später
dann eingeleitete Operation ergab einen sehr ausgedehnten Nierenabsceß.
| Ich selbst hatte bei Gelegenheit einer schweren, hartnäckigen
Mandelentzündung, die nicht weichen wollte, Gelegenheit, die Reaktion
nach intravenöser, selbst von mir ausgeführter Einspritzung gründlichst
kennen zu lernen. Mittags gegen !/,12 Uhr spritzte ich mir 5 ccm einer
5°/uigen Lösung ein. Gegen !;23 Uhr hatte ich bereits unter schwersten
Schüttelfrösten eine Temperatur weit über 39°, sodaß ich überhaupt nicht
mehr messen konnte; ich kann aber immerhin nahe an 40° gehabt haben.
Als unangenehmste Folge bekam ich unstillbares Erbrechen von fast reiner
Salzsäure, sodaß ich mich natürlich an dem Tag in der weiteren Praxis
vertreten lassen mußte. Am nächsten Tage war ich wieder gesund.
Gerade die Kenntnis aller dieser Reaktionserscheinungen am
eignen Körper hatte es mir erleichtert, meine Patienten in den
betreffenden Fällen auf das, was sie zu erwarten hatten, aufmerk-
sam zu machen, und ich habe es niemals erlebt, daß mir jemand
die anfängliche Steigerung der Beschwerden übel genommen hätte,
zumal fast regelmäßig der Erfolg einsetzte, sobald ich sachgemäß
und vor allem mit der nötigen Ausdauer behandelte Will man
aber unter allen Umständen diese heftige Reaktion vermeiden, so
tut man eben am besten, die erste Injektion mit möglichst kleiner
Dosis, etwa 0,05 Kollargol, vorzunehmen und allmählich bis auf
0,2 bis 0,25 zu steigern. Denn es ist so gut wie ausgeschlossen,
daß eine einmalige Einspritzung bei einer schweren Sepsis die
Rettung herbeiführen kann. - Ich habe bei den ganz aussichtslosen.
`
1952
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
Fällen immer noch Erfolge erlebt, wenn ich täglich dreimal ein-
gespritzt habe, und gerade der Umstand, daß eine einmalige Ein-
spritzung zunächst nur die unangenehmen Folgen der Reaktion
zeitigt, ohne daß man stets einen sofort sichtbaren .Nutzeffekt be-
kommt, hat es ja verhindert, daß sich das Kollargol den ihm ge-
bührenden Platz im Arzneischatze, besonders der Gynäkologen, bis-
her erworben hat.
Des weiteren habe ich es nach den Vorschriften Credes
stets bei allen von mir ausgeführten künstlichen Entbindungen
prophylaktisch angewandt. Es ist ganz unmöglich, daß eine Ent-
bindung in der Privatwohnung so aseptisch verlaufen kann, wie
in einer Klinik mit der reichlichen Assistenz und allen Vor-
bereitungsmöglichkeiten. Bei schweren Quetschungen vermittels der
Zange, bei Dammrissen und seitlichen Incisionen, besonders aber
bei den künstlichen Placentarlösungen war ich immer glücklich,
ein Mittel anwenden zu können, mit dem ich, ich kann wohl
sagen absolut sicher, den Eintritt von Fieber vermeiden konnte.
So habe ich in den heißesten fünf Wochen des Jahres 1911 neun
recht schwere Entbindungen mit größeren Verletzungen der Weich-
teile, darunter zweimal manuelle Placentarlösung unter profuser
Blutung erlebt, ohne daß auch nur an einem Tage des Wochen-
betts bei einer der Entbundenen eine Temperaturerhöhung über
379 zu konstatieren gewesen wäre, während ich jeden zweiten Tag
0,1 bis 0,15 Kollargol injizierte. Ich glaube, daß die intravenöse
Kollargolanwendung als Prophylaktikum gegen das Wochenbett-
fieber allein schon verdiente, von allen denen angewandt zu werden,
die sich mit der Geburtshilfe beschäftigen.
Die Nutzanwendung, die ich aus meinen Erfahrungen in
dieser Beziehung gezogen habe, ist also die: in erster Linie pro-
phylaktisch und in zweiter Linie, wenn Fieber eintritt, sofort in
genügenden Dosen recht oft wiederholt und nicht zu spät; dann
werden die Mißerfolge sich sicher bis auf einen ganz kleinen Rest
vermeiden lassen.
Nun einige Worte über die Technik: In den ersten Jahren,
als wir die heute vorhandenen feinen Nadeln noch nicht kannten,
und mit verhältnismäßig groben von Stopfnadeldicke die Injek-
tionen ausführen mußten, ist es mir selbstverständlich auch passiert,
daß ich entweder in die Vene nicht hineinkam, oder sie auch
völlig durchstieß. Da aber die kleinsten Mengen Kollargols, die
außerhalb der Vene deponiert werden, schwere Entzündungen in
der Umgebung zur Folge haben, lernte ich recht bald, das Lumen
der Vene zu treffen. Zweimal erlebte ich auch, als ich das Kollargol
mit kräftigem Druck, etwa wie bei der Morphiumspritze, entleerte,
Embolieerscheinungen, das heißt intensive Rötung des Gesichts,
Luftmangel und Herzklopfen. Bei beiden Patienten schwanden
diese Erscheinungen nach einigen tiefen Atemzügen und hinter-
ließen keine bösen Folgen. Jetzt verwende ich nur die feinsten
existierenden Injektionsnadeln und spritze tropfenweise mit kürzeren
Pausen, um eine gründlicheMischung des Kollargols mit dem Blute zu
erreichen. Während die konzentriertere 5°/, ige Lösung den Gebrauch
einer kleineren Spritze etwa zu 2 cem gestattet, verringert eine ver-
dünntere etwa 2 O/yige Lösung, mit einer 5-ccm-Spritze eingespritzt,
die Gefahr einer mechanischen Gefäßverstopfung. Die Injektion
wird so vorgenommen, daß man einen Gummischlauch um den
Oberarm derart herumlegt, daß der Patient die beiden Enden
leicht angezogen hält. Nach Reinigung der Ellbogenpartie mit
Aether — Jodtinktur verdeckt die Venen — umfasse ich mit der
linken Hand den Unterarm so, daß der Daumen in der Richtung
der Vene liegend einen Gegenzug ausübt, entgegengesetzt der
Stichrichtung. Auf diese Art wird die leichte Verschiebung der
Haut über der Vene und ein Vorbeidringen an derselben vermieden.
Besonders warne ich vor dem Versuche, durch etwa zwei Finger,
die seitlich der Vene liegen, diese fixieren zu wollen, da man mit
der größten Wahrscheinlichkeit infolge der leichten Verschiebung
der Haut die Vene verfehlen wird. Selbstverständlich gehört
auch zu diesem kleinen Eingriff eine gewisse persönliche Geschick-
lichkeit, die sich aber nach meiner Ueberzeugung jeder Arzt bei
einigem guten Willen erwerben kann; er muß es nur entweder an
sich selbst probieren oder wenigstens die ruhige, stetige Druck-
wirkung des Daumens auf den Spritzenstempel in der freien Zeit
sich einüben, wie man ja auch beim Schießen das Abziehen des
Hahnes üben muß, ohne dabei den ganzen Körper zu Hilfe zu
nehmen. Nach einiger Uebung hat man es sofort im Gefühl, wenn
man in das Innere der Vene eingedrungen ist; man merkt aber
sofort an dem Schmerzausdrucke des Patienten, wenn auch nur
ein Bruchteil eines Tropfens neben der Vene in das Unterhautzell-
gewebe gekommen ist. Sowie eine solche Schmerzensäußerung statt-
gefunden hat, zieht man natürlich sofort die Nadel zurück und |
sticht an einer andern Stelle ein. Ist ein etwas größeres Quantum
aus der Spritze entleert, macht man den Versuch, sogleich mög-
lichst viel zurückzusaugen.
Als empfehlenswerte Spritze kenne ich eigentlich nur die
Regentspritze, da sie vollständig zerlegbar, durch Kochen asep-
tisch gehalten werden kann. Ich koche sie, vor und nach dem
Gebrauch in ihre Teile zerlegt in destilliertem Wasser aus, da bei
Sodazusatz kleine Mengen desselben an der gerauhten Innenseite
des Cylinders haften bleiben und, abgesehen von der Verunreinigung
des Kollargols, ein leichtes Verschieben des Spritzenkolbens ver-
hindern können. Bei hartem Wasser macht der Zusatz von Kali-
oder Natronlauge die Sache nicht anders, da sich Kalkniederschläge
bilden. Bei Mangel an destilliertem Wasser müssen nach Auf-
kochen des Wassers mit Soda oder Lauge die Niederschläge ab-
filtriert werden.
Erkrankungen, bei denen die Kollargolinjektionen besonders
indiziert sind, außer den gynäkologischen Fällen, sind Typhus, An-
gina, sämtliche rheumatischen Erkrankungen. (Peliosis, Erythema
nodosum) und ganz besonders die Endokarditis, die ja leider be-
sonders bei Kindern als Nebenerkrankung bei den Rheumatismen
oder im Anschluß an Angina so überaus häufig ist. Sehr günstige
Beeinflussung des Fiebers habe ich auch bei Mischinfektionen der
Tuberkulose wiederholt beobachtet, wenn ich in täglichem Wechsel
Kollargol und Hetol intravenös verabreichte. |
Die meistgeübte Anwendung des Kollargols, die aber lange
nicht in ihrer Wirkung der intravenösen vergleichbar ist, ist die
Applikation durch das Klystier. Wenn der Nutzeffekt von Andern
und auch von mir hierbei beobachtet wurde, so ist doch die Aut-
nahme des Medikaments durch den Darm schwer zu kontrollieren,
Bei Unsichtbarkeit der Venen ist dies Verfahren aber noch am
meisten zu empfehlen.
Drittens kann man nun das Kollargol auch innerlich als
Medikament eß- oder teelöffelweise nehmen. Eine sehr bequeme
Lösung haben wir ja in der letzten Zeit durch das Jalon von
Dietrich-Helfenberg erhalten. Das Anwendungsgebiet für den
inneren Gebrauch ist ja auch noch groß. genug. Ich gebe es
immer bei den Infektionskrankheiten Masern, Scharlach, Mandel-
entzündung, Diphtherie (hier selbstverständlich neben der Serum-
injektion) und habe immer das Gefühl gehabt, daß die Neben-
krankheiten bei Masern und Scharlach, Mittelohrentzündung und
Nierenerkrankung, ausblieben oder wenigstens milder verliefen. Teb
kann mich, seit ich das Kollargol ständig hierbei anwende, nur an
zwei Todesfälle bei Scharlach erinnern. Ob es desinfizierend wirkt,
weiß man nicht, jedenfalls haftet es an der Schleimhaut der
Zunge, der Mandeln und des Gaumens und färbt diese gelbbraun.
Außer bei nur sehr wenigen Versuchen habe ich das Kol-
largol in Salbenform als Ung. Crede. nicht angewandt, da mir die
andern Applikationsmethoden geläufiger waren. |
Ob nicht viel Mißerfolge oder, genauer gesagt, das Ausbleiben
von Erfolgen bei der Anwendung des Silbers auf minderwertige
Präparate zurückzuführen sind, wie Arg. coll., weiß ich zwar nicht,
muß es aber nach meinen Erfahrungen fast vermuten, denn ieh
habe grundsätzlich nur das Originalpräparat Kollargol stets ver-
wandt!).
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitige
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Belt verlassen? Jh
3. Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Fri
aufstehens? jan
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufsie ien
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des a
vom Frühaufstehen? K. Bg
Hofrat, Prof. Dr. A. v. Eiselsberg, I. Chirurgische Klinik ee
1. Wir lassen die Patienten, unter Beobachtung der Individu
des Falles, gewöhnlich am zweiten oder dritten Tage nach der Operation
dung der
aufstehen. i
2. Vermeidung von postoperativen Pneumonien; Vermel
1) Harnack, D. med. Woch. 1912, Nr. 88.
TOJA al > pI ja r- OM or
1. Dezember. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48, 1953
a n
Thrombosen. Die Patienten erholen sich schneller, als nach langdauern-
dem Krankenbette.
3. Ein Frühaufstehen unterbleibt bei akut entzündlichen Prozessen,
ferner bei jenen Laparotomiefällen, bei denen wegen Schwäche der Mus-
kulatur oder wegen des nötig gewesenen großen Schnittes im Frühanf-
stehen eine Gefahr für das Halten der Nähte liegen könnte.
K.k.Primararzt Prof. Dr. Rudolf Frank,II. chir. Abt.d. Allg. Krankenh., Wien:
1. Ich perhorresziere das sogenannte Frühaufstehen von Operierten.
Ich übe im allgemeinen folgenden Vorgang:
Ich lasse die Operierten am achten Tage zuerst im Bette sitzen,
sodaß sie, quer am Bettrande sitzend, die Füße herabhängen lassen, zum
erstenmal höchstens fünf Minuten, dann zunehmend länger, sodaß sich
die Herztätigkeit ganz allmählich akkommodiert. Erst nach zwei weiteren
Tagen lasse ich die Patienten das Bett verlassen und anf dem Fauteuil
sitzen, zuerst kurz, dann länger, am elften oder zwölften Tag im Zimmer
herumgehen. Das Beitliegen in der ersten Woche soll ein möglichst
aktives im Sinne Nothnagels sein, das heißt, die Patienten sollen die
Beine öfter bewegen, sich am Bettheber öfter hinaufziehen, wechselnde
Halbseitenlage einnehmen.
3. Ich finde, daß die Operierten in der ersten Woche nach der
Operation ein solches Ruhebedürfnis haben, daß ihnen das Aus-dem-Bett-
Bringen schlecht bekommt, daß es sie sehr anstrengt, ja daß es oft eine
Quälerei mit folgender Ohnmacht bedeutet.
Prof. Dr. Henkel, Direktor der Universitäts-Frauenklinik Jena:
1. Ich bin von dem Frühaufstehen nach schlechten Erfahrungen
wieder abgekommen. Wöchnerinnen lasse ich sechs bis neun Tage durch-
schnittlich liegen — bei normalem Wochenbettsverlauf!
Frauen, bei denen ich größere gynäkologische Operationen aus-
geführt habe, bleiben acht bis elf Tage liegen.
Aktive Bewegungen des Körpers sowie der Extremitäten erlaube
ich schon früher.
2. Besondere Vorzüge vermag ich in dem Frühaufstehen nicht zu
erblicken; nur bei älteren Frauen mit Atmungsbehinderung bringt das
Sitzen in einem bequemen Lehnstuhle neben dem Bett gewiß Erleichte-
rung. Ich habe durch vielhundertfache Erfahrung mit dem Frühaufstehen
nicht die Ueberzeugung gewonnen, daß dadurch im Ernst etwas für die
Kranken gewonnen wird, speziell lassen sich dadurch die Thrombosen
und Embolien nicht aus der Welt schaffen. Alles zusammengenommen
hat sich mir die feste Ueberzeugung herausgebildet, daß namentlich bei
Frauen der arbeitenden Klassen das Frühaufstehen direkt Schaden
bringen kann.
3. Störungen in der Wundheilung, Aufflackern entzündlicher Pro-
zesse, Exsudatbildung. Psychisch werden die Kranken durch das Früh-
aufstehen angeregt, doch verzögert sich die Wiedererlangung der Körper-
kräfte und der Arbeitsfähigkeit.
Prof. Dr. Wilms, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg:
1. Nach Abdominaloperationen zwischen sechs und zehn Tagen, nach
Kropfoperation oft schon am dritten oder vierten Tage, alte Leute zu-
weilen schon am zweiten Tage.
2. Die durch längeres Liegen bedingte Schwächung des Körpers
(Muskelatrophie) wird vermieden. Die Stuhlregulierung erfolgt besser.
Neigung zu Thrombose und Embolie wird verringert.
3. Fiebernde Kranke bleiben zu Bett. Großen Wert lege ich auf
die sogenannte aktive Bettruhe, schon vom ersten Tage an zeitweilige
Bewegung der Arme, Beine, Atemübungen und Aufrichten.
Universitätsdozent f. Gynäkologie Dr. J. Fabricius, Primararzt, Wien.
1. Nach einfachen Laparotomien lasse ich die Patienten oft schon
am achten Tage aufstehen; nach schweren Eingriffen am zehnten bis
zwölften Tage. Ich bin überzeugt, daß in einzelnen Fällen die Patienten
auch noch früher das Bett verlassen könnten ohne Schaden zu erleiden.
Nach Geburten in Privathäusern lasse ich die Patientin schon am
achten bis neunten Tag auf ein Sofa herauslegen und am zehnten Tag
aufstehen. Nachteile habe ich bisher keine gesehen, im Gegenteil nur
Vorteile. Das klinische Material, das mir seit ungefähr 20 Jahren zur
Verfügung steht, ist ein relativ großes.
2. Ich hatte schon früher darauf Wert gelegt, daß die Patienten
nur in den ersten Tagen nach einer Laparotomie sich ruhig halten,
daß sie aber schon nach ungefähr vier bis fünf Tagen im Bette sich
bewegen, namentlich Bewegungen mit den Füßen machen, um
das Auftreten einer Thrombose zu verhindern. Ich sah Embolien
auftreten, auch in Fällen, wo die Patienten sich nicht rührten. Aus
diesem Grunde lasse ich selbst jene Patienten, welche eine
Thrombose der Venen haben, um die Cireulation zu heben und das
Ausbreiten der Thrombose zu hindern, fleißig Bewegungen machen, ja ich
lasse die Patienten sogar aus dem Bette herausheben. Ich sah solche
Patienten, die Monate lang an Thrombose lagen, nach dieser
scheinbar riskanten Behandlung nach einigen Wochen gesund werden.
3. Solche Patienten, die sehr schwach und anämisch sind und
schon beim Aufsitzen ohnmächtig werden, oder nach einer Laparotomie
fiebern, lasse ich länger liegen. Daß die Bauchdeckennaht nicht
so gut halten sollte bei einer Frühaufstehenden wie bei einer, die länger
liegt, glaube ich nicht. Daß selbst bei Primaheilungen Hernien auf-
treten können, hängt damit zusammen, daß, wie ich dies oft beobachten
konnte, beim Aufwachen der Patienten aus der Narkose beim Brechen
Nähte aufgehen oder durchschneiden. Dies dürfte in vielen Fällen
auch die Ursache später sich entwickelnder Hernien abgeben. |
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Ueber den Einfluß der inneren Sekretion
auf die Psyche
von
Prof. Dr. L. v. Frankl-Hochwart, Wien.
Die Lehre!) von der inneren Sekretion hat in den letzten
Jahrzehnten das Interesse der Aerzte in größtem Maßstabe erregt;
unzählige Arbeiten haben in mühseligster Detailforschung das
Werk gefördert. In vorderster Reihe standen natürlich immer die
Beziehungen der Drüsensekretion zum N ervensystem. Allent-
halben finden wir natürlich auch Bemerkungen über die Ein-
wirkung der Sekrete auf die Psyche; hierher sind auch die Ver-
Suche zu rechnen, gewisse psychische Zustände durch Organ-
extrakte kurativ zu beeinflussen (Opotherapie); ferner sei auch
der wissenschaftlichen Richtung gedacht, die dahin geht, Verände-
rungen der Drüsen als Folgeerscheinungen psychischer Anomalien
zu deuten.
Es fehlte auch nicht an Versuchen, die besprochenen Dinge
übersichtlich darzustellen; ich verweise da namentlich auf das
Referat von Laignel-Lavastine auf dem Kongreß von Dijon,
auf die Mitteilungen von Allen Starr, auf die Zusammenfassungen
von Bauer, Marburg, Münzer und Andern.
Von großer Wichtigkeit sind die Beobachtungen an
operierten Tieren: ein interessantes Beispiel dafür geben die
1) Dieser Vortrag enthält die Zusammenfassung von Vorträgen,
die der Autor im September — Oktober 1912 an der californischen
Universität in San Francisco, im J efferson-Collegium in Philadelphia
und in der Medizinischen Akademie in New York gehalten hat,
diesbezüglichen Untersuchungen Cushings an der Hypophyse;
ich verweise da auch auf die Forschungen Aschners und Anderer.
Da ich nun daran gehe, selbst auf Grund der großen, von
den verschiedenen Forschern geleisteten Arbeit und ein wenig auf
Grund meiner eigenen Studien Ihnen ein Bild unseres heutigen
Wissens zu geben, bin ich mir voll bewußt, daß ich nur Lücken-
haftes berichten kann, daß die Hypothesen eine übergroße Rolle
spielen müssen. Aber doch hat die bisherige Forschung genug
geleistet, um ein Uebersichtsbild zu gestalten, das nicht uninter-
essant ist. Man muß ja solche Uebersichtsbilder — so verfrüht
sie auch erscheinen mögen — konstruieren, schon deshalb, um auf
Wege hinzuweisen, welche künftige Forschung zu gehen hat.
Das älteste Problem der inneren Sekretion ist das Verhalten
der Genitaldrüsen: War ja doch die von Brown-Sequard
beobachtete eigenartige Wirkung der Hodenextrakte das erste
Beweisstück für das Vorhandensein einer inneren Sekretion. Die
ältere Literatur ließ schon nicht nur den ganzen Habitus, sondern
auch den Charakter des Weibes vom Genitale abhängen. Von
Helmont rührt der Spruch her: „Propter solum uterum mulier
est quod est“, ähnlich Chereau: „Propter ovarium solum mulier
est quod est.“ Bekannt ist der Ausspruch Virchows: „Das Weib
ist eben Weib durch seine Generationsdrüse. Alle Eigentümlich-
keiten seines Körpers und Geistes, kurz alles, was wir an dem
wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist eine De-
pendence des Eierstocks.“ (Vergl. darüber das zusammenfassende
Werk von Biedl, dem ich an dieser Stelle sowie auch später im
Laufe des Vortrags vielfache Anregungen entnehme.) Diese Auf-
fassung ist nieht unwichtig, wenn wir bedenken, daß es der in
ihren sonstigen Resultaten so überreichen modernen Gehirn-
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1954
forschung nicht gelungen ist, zwischen den männlichen und
weiblichen Individuen sichere Unterschiede zu finden, welche im-
stande sind, die psychischen Differenzen der beiden Geschlechter
zu erklären. i |
‚Solange die Genitaldrüsen nieht in energische Funktion
treten — im Kindesalter —, sind die sekundären Geschlechts-
charaktere noch weniger ausgesprochen; die psychischen Differenzen
sind gewiß oft schon im zweiten und dritten Jahre ‘der Kinder
merkbar, werden in den späteren Jahren mehr. ausgeprägt —
durchgreifend wird die Differenzierung erst nach dem Pubertäts-
sturme. Das Studium dieser merkwürdigen Entwicklungsperiode
wird um so interessanter, wenn wir die mächtige Ascendente mit
der späteren Decrescente des Klimakteriums bei Frau und Mann
vergleichen. a
Fangen wir beim Manne an: Der Pubertät geht eine ge-
wisse Unruhe, eine merkbare Unstetheit, bisweilen eine Art
Aengstlichkeit voraus — dann erst beginnen die Erektionen und
die Pollutionen. Die Stimme verändert sicb, mutiert, wird rauh
und tiefer, die Schilddrüse wird größer, die Genital- und Achsel-
haare sprießen; auch sonst beginnt die Behaarung sich am Körper
geltend zu machen, der Bartwuchs wird deutlich. Die Epiphysen-
knorpel beginnen. zu verknöchern.
Veränderungen in den Vordergrund, die kindlichen Spiele werden
beiseite gelassen, die Lektüre geht in andere Richtungen. Ein
unbestimmter Tatendrang bemächtigt sich der jungen Leute — ein
Ehrgeiz, große Dinge zu verrichten, großen Zwecken zu dienen —
und dazu nicht seiten Neigung, die Weltgeheimnisse zu enträtseln.
Bange Zweifel an den bis dahin mit kindlicher Naivität aufgenom-
menen Religionsgrundsätzen wechseln mit Emanationen einer - un-
gesunden übertriebenen religiösen Schwärmerei. Tiefe-Unzufrieden-
heit wechselt mit übertriebenem Selbstgefühl und Selbstvertrauen,
große, weltreformierende Pläne werden geschmiedet. Seltsam ist
das Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlechte: Das
gemeinsame Spiel mit den Mädchen wird verachtet, das Urteil
über die „Weiber“ im allgemeinen ist wegwerfend. („Vom
Mädchen reißt sich stolz der Knabe“ — Schiller.) In sonderbarem.
Gegensatz zu diesen oft mit großer Energie vorgebrachten all-
gemeinen Sentenzen ist eine große Schüchternheit im Verkehr mit
erwachsenen Frauen, ein troubadourartiges Anschwärmen eines
weiblichen Wesens, mit dem der Jüngling nie gesprochen hat oder
‚nie zu sprechen wagen würde.
Hier sehen wir schon in outrierter Weise angedeutet, wovon
fast jedem Mann etwas bleibt, wovon ‚jedes weibliche Wesen
wenigstens etwas hat — eine gewisse unbewußte Antipathie in
mancher Hinsicht gegen das andere Geschlecht. Immer liegt da
irgendwo etwas Rätselhaftes, Unüberbrückbares dazwischen.
In diesen jungen Leuten macht sich auch ‘bisweilen eine
Neigung zum Mysteriösen geltend; Erotik und Mysterium sind ja
Dinge, die so oft Hand in Hand gehen. Das ist das Alter der
Sentimentalität, in dem der deutsche Jüngling mit mehr oder weniger
Glück im Rhythmus unseres Heinrich Heine zu singen versucht. Sie
lächeln, meine verehrte Hörerschaft, in Ihrem kräftigeren Rasse-
bewußtsein über den deutschen Jüngling. Er ist ja manchmal ein
wenig komisch — aber es ist doch oft so viel Schönes und Rührendes
in ihm. Die Sentimentalität vertieft sich aber namentlich bei den
neuropathisch Veranlagten manchmal zu sehr. Auf dem Boden des
tränenreichen, etwas komisch anmutenden Gejammers erhebt sich
der Selbstauflösungstrieb. Das ist die Zeit der sich immer
mehrenden Jugendselbstmorde; das ist aber. auch die Zeit des
Hereinbrechens der Jugendpsychosen, die in ihrem Beginne so oft
das Zerrbild des erwachenden Sexuallebens darstellen.
An das Zeitalter des Sexualsturms im Knabenalter schließt
sich das Jünglingsalter, wieder beherrscht von starker Sexual-
bewegung, die nun in ruhigere, zielbewußtere Bahnen geht. Aber
noch immer überwiegt das Stürmische — das ist das Alter, das,
wenn es auch manchmal Tadel verdient, im Laufe der Welt notwendig
ist, um Veraltetes niederzureißen, um das Neue aufzubauen.
Da beginnt die Zeit der echten Liebe — diese natur-
wissenschaftlich nicht zu fassende Neigung zu einem bestimmten
und einzigen weiblichen Wesen.
kretionsperiode steigt die corticale Erregbarkeit, steigt aber oft
auch die intellektuelle Begabung. Die Singvögel singen zur Zeit
der Brunst in ungeahnter Schönheit, die Paradiesvögelmännchen
tanzen ihre berühmten Tänze. Der Mann wird in diesem Zustande
fürs praktische Leben oft beschränkt, seine Phantasie erweitert’ sich
aber; die Dichter singen ihre schönsten Lieder, die Musiker kom-
ponieren ihre ergreifendste Musik — ja merkwürdig: wenn man die
Biographien großer Entdecker und Erfinder (z. B. bei Ostwald)
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
Da treten die psychischen
In dieser sonderbaren Se-
1. Dezember.
liest, so findet man nicht selten, daß sie ihre größte geistige Ar-
beit zur Zeit ihres Brautstandes geleistet haben.
Bei der Beobachtung der Vorgänge vor und nach dem
Coitus zeigt sich die Einwirkung der Sekretion der Sexualdrüse
am stärksten: vorher die starke, stürmische psychische Erregung,
bisweilen mit einer gewissen geistigen Ueberleistung verbunden,
nach dem Coitus die Ermüdung, die Verstimmung, die geistige Un-
fähigkeit — nicht selten mit einer Art von transitorischer Anti-
pathie gegen das kurz früher heiß erstrebte Weib einhergehend.
Daß ein in normalen Zeitabschnitten ausgeführter Coitus für die
Psyche günstig wirkt, daß Exzesse dieselbe schädigen, ist ja all-
bekannt. Einen weiteren Beweis für die große Einwirkung der Ge-
nitalsekretion ergibt das Beobachten der Onanisten: Ich glaube,
daß jetzt alle Aerzte darin übereinstimmen, daß einzelne Onanie-
akte das Individuum nicht wesentlich schädigen. Wenn aber die
Sekretion zu oft angeregt wird, werden die jungen Leute, welche
dieser Gewohnheit fröbnen, matt, abulisch, menschenscheu, weisen.
Rückgang der Intelligenz und des Gedächtnisses auf.
Auch die vieldiskutierte Frage der totalen sexuellen Ab-
stinenz bei geschlechtsstarken Männern muß hier gestreift werden.
Allerdings scheint eine Reihe von Männern diese Abstinenz leicht
“zu tolerieren.. Man kann aber bei manchen von ihnen im Stadium-
der Zurückhaltung entschiedene psychische Symptome beobachten:
Unruhe, Verstimmung, allgemeine Unzufriedenheit-Symptome, die
unter Umständen nach erfolgter sexueller Befriedigung zurück-
gehen. Allerdings scheint der besprochene ‘Symptomenkomplex
eher bei neuropathisch veranlagten Menschen vorzukommen
Ein eignes Bild bieten auch die Männer zur Zeit des Auf-
hörens der inneren Sekretion der Genitaldrüsen, went
gleich nicht in so prononcierter Weise, wie die Frauen im „kri-
tischen“ Alter. Erst neulich hat K. Mendel das Bild ausführlich
geschildert: Es handelt sich meist um Männer von 47 bis 57 Jahren,
die herabgesetzte oder fehlende Libido und Potenz aufweisen, die
früher oft sehr gesund und kräftig waren; nun zeigen sie sich
nervös, gereizt, rührselig, brechen oft in Tränen aus, haben
Scehweißausbrüche, Herzklopfen, Mattigkeit, sind schlaflos; bis-
weilen interkurrirt, Schwindel,. Kopfschmerz, nicht selten sind
diffuse-Körperschmerzen, Parästhesien. Das Gedächtnis wird etwas
stumpf, die geistigen Interessen nehmen ab; die Patienten Außern
hypochondrische Ideen. Eine gewisse Suggestibilität ist unver
kennbar. Wenn man dieses Krankheitsbild, das ich auch bei manchen
meiner Patienten: zu beobachten Gelegenheit hatte, kennt, 80 wird
die Aebnlichkeit mit den seit langem bekannten klimakterischen
nervösen Beschwerden der Frau bald in die Augen fallen.
Man vergesse aber auch nicht anderer für die Mensch-
|.heit- auch förderlicher psychischer Veränderungen des
alternden Mannes: Es entwickelt sich beim Niedergang? der
Sexualität so oft ein Bild der psychischen Ruhe, der friedlichen
Ausgeglichenheit — ein klarer Ausblick und Rückblick auf das
Leben, eine Neigung zur Milde. Das sind die Leute, die nieht
mehr die neuen himmelstürmenden Ideen produzieren, die aber als
Lehrer und Erzieher ihre Stellung ausgezeichnet ausfüllen. Ihre
besten Platz haben sie als Richter: Die Männer mit stark secer
nierenden Genitaldrüsen haben für dieses Amt zuviel Temperamel
und zuviel Leidenschaft. „Es gibt nur zwei Dinge“ — 5 oil
berühmter deutscher Staatsmann gesagt haben — „die ım Alter
besser werden: der Wein und die Richter“. PETET
= Besonders lehrreich sind die Erfahrungen an den a
straten. Wir haben ja da beim Tierreiche. große Erfahrung
durch das so oft geübte Verschneiden der Haustiere, der Hongs ;
Stiere, Widder, der Hähne und anderer Vögel. Man weiß, yi
diese Tiere, wenn sie früh verschuitten werden, sich „nieht = :
körperlich anders entwickeln, wir wissen auch, daß sie ibr A
chisches Verhalten ändern, ihre Lebhaftigkeit und Aggressiv
verlieren. Bekannt ist nicht nur der äußere Habitus der wi
kastrierten; vielfach wurden auch die Besonderheiten des een
Charakters geschildert: sie gelten als schlau, heimtückisch, geldg! Ber
sie Heben oft Putz und Schmuckgegenstände übermäßig; 7
organisierender Tätigkeit sind sie ungeeignet. Möbius a
darauf hin, daß diese Leute in Italien so häufig als Musikvit : X.
namentlich als Sänger große Erfolge feierten, daß sie aber 1,
produktiven Kunst (Komposition) keinerlei Erfolge au
hatten. Hier liegt wieder ein Vergleich mit den Frauen z diosan
ja seit Jahrtausenden ausübende Musikerinnen sind, oft au durch
Gebiete hervorragendes leisten, ohne je als Komponistinnel
dringen zu können. = i fub der
” Vielfach wird auch in der Literatur der große Bin on
meist aus chirurgischen Gründen oder durch Verletzung
weist
1. Dezember. -
folgten Spätkastration besprochen (Spät-Eunuchoidismus im Sinne
von Falta). Die körperlichen Veränderungen sind da wenig auf-
fallend, hingegen sind Depressionszustände und Psychosen relativ
häufig zu konstatieren. Es sei hier noch bemerkt, daß man bei gewissen
Veranlagungszuständen mit unterwertigem Genitale (beim Infanti-
lismus und bei den Eunuchoiden im Sinne von Tandler-Groß)
nicht selten leichtere oder schwerere Grade von Imbecillität findet;
Falta sieht bei seinen Späteunuchoiden ausgesprochene Apathie.
Nicht ohne Interesse mag es auch sein, darauf hinzuweisen, daß
Männer bei oft nicht allzu schweren Genitalerkrankungen be-
kanntermaßen nicht selten an schweren Depressionen leiden.
Wir sehen aus dem Mitgeteilten, welchen großen Einfluß
die Genitalorgane mit ihrer Sekretion auf den Mann haben; es.
ist nun unsere Aufgabe, uns mit ähnlichen Fragen beim Weibe
zu beschäftigen.
Wieder finden wir die Zeit der Pubertät nicht nur charak-
terisiert durch die somatischen Zeichen des: Auftretens der Periode
und der sekundären Geschlechtscharaktere, sondern auch durch
altbekannte psychische Veränderungen. Die Mädchen werden un-
ruhig, nervös, ängstlich, ungemein zerstreut, oft unverläßlich in
der- Arbeit. Es vergehen oft Monate, bis sich da wieder das
Gleichgewicht herstellt. Wir erinnern auch an das nicht seltene
Einsetzen der Psychosen in dieser Altersstufe.
Ein gewisser Unterschied scheint mir da gegenüber den
Knaben vorzuliegen: ich glaube, daß sich die Fortschritte der In-
telligenz bei letzteren bereits im Pubertätssturme geltend machen.
Ich glaube, daß die Mädchen eher im Alter von 18 bis 22 Jahren,
wenn die Genitalverhältnisse ruhiger geworden sind, nicht selten
einen merkwürdigen geistigen Höhepunkt erreichen, auf den Moebius
besonders die Aufmerksamkeit gelenkt hat; die starke Arbeit der
Phantasie, das rasche Erfassen und Begreifen ist in diesem Alter
oft ganz merkwürdig. |
~ Im weiteren Leben der Frau zeigt sich namentlich die je-
weilige Menstruation somatisch nicht nur als Blutung, sondern
auch als Veränderung des ganzen Habitus. Und wieder zeigen
sich da psychische Faktoren: Dem Unwohlsein geht eine gewisse
Reizbarkeit und eine geringe psychische Hemmung voraus; bei
Eintritt der Blutung werden die Frauen matt, abulisch, sinken
vielleicht auch etwas in intellektueller Beziehung. Icard (bei
Havelock Ellis, dessen Studien wir manches wertvolles Material
entlehnen) bemerkt, daß man beim Durchblättern des Tagebuchs
eines jüngeren weiblichen Wesens wenig Scharfsinn braucht, um
die Seiten herauszufinden, die während der Menstruation nieder-
geschrieben worden sind. .Lombroso hat unter 80 Weibern, die
wegen Widerstand gegen die Polizei verhaftet waren, nur neun
gefunden, die nicht gleichzeitig menstruiert waren. Legrand du
Saulle fand unter 56 Pariser Ladendiebinnen 35 zur Zeit der Tat
menstruiert. Bekannt sind die Selbstmorde zur Zeit der Menstru-
ation: Pilez fand in mehr als einem Drittel der weiblichen Selbst-
mörderinnen intramenstruale Veränderungen der Geschlechtsorgane.
Viel diskutiert ist ja auch die Frage von dem nicht zu seltenen
menstruellen Irresein.
Neue Forschungen haben gezeigt, daß beim Weibe die Men-
struation nicht ein einzelnes, plötzlich auftretendes, dann wieder
abschneidendes Ereignis ‘ist. Im Gegenteil: Der Organismus scheint
in einer permanenten Wellenbewegung — einer Wellenbewegung,
die vor Beginn und nach Abschluß der Menstruationszeit im
. Kindes- und Greisenalter nicht nachweisbar ist. Vielleicht erklärt
sich durch diese Tatsache der eigenartige Stimmungswechsel,
die oft unerklärlichen Gemütsschwankungen bei der geschlechts-
reifen Frau.
Sicher ist, daß sich das Weib schon kurze Zeit nach dem
Beginne des geschlechtlichen Verkehrs stark in physischer und
psychischer Hinsicht verändert. Die nicht immer sympathische
Eigenart der Frau, die niemals geschlechtlich verkehrt hat — die
Sonderbarkeit der alten Jungfer wird ja viel besprochen.
Eine besondere Rolle im Leben der Frau spielt die
Schwangerschaft und das Puerperium; von letzterem kommt
natürlich für uns nur das fieberlos verlaufende in Betracht. Selbst
die sonst nicht psychopathisch veranlagte Frau wird zur Zeit der
Schwangerschaft meist nervös erregbar, leicht verstimmbar. Neuro-
pathische Naturen neigen dann oft zu schweren Depressionen,.
Selbstmorde sind nicht zu selten — die Häufigkeit der Psychosen
in dem besprochenen Stadium ist ja allgemein bekannt. Merk-
würdig ist ein in einzelnen Fällen zu beobachtendes Gegen-
stück: Man hört nicht allzu selten von Frauen, die fast habituell
an schweren Verstimmungszuständen leiden, daß ihre Psyche zur
Zeit der Schwangerschaft am ruhigsten und ausgeglichensten sei.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1955
Viel besprochen sind auch die psychischen Störungen des-
Klimakteriums, des „gefährlichen“, des „kritischen“ Alters der
Frau: Zur Zeit, wenn die Periode aufängt unregelmäßig zu werden,
manchmal auch Monate bis ein Jahr vorher, kommen die Frauen
in eine seltsame, bisweilen von sexueller Uebererregbarkeit be-
gleitete Unruhe; tiefe Depressionen, Neigung zu Weinausbrüchen,
unmotivierte Reizbarkeit, psychische Unstätheit, ein mehr oder
minder angedeuteter Rückgang der Intelligenz bilden das Milieu des
Krankheitsbildes, das bei den meisten Frauen in dieser Zeit
wenigstens in geringem Maße vorhanden ist. In ziemlich häufigen
Fällen erreicht es bedeutende Höhen: Uebergänge in Psychosen
mit vorwiegend depressivem Charakter sind oft zu konstatieren.
Viel besprochen ist auch der geschwätzige, streitsüchtige Charakter
des alten (oft mit Bart behafteten) Weibes; das unglückbringende
Element des Märchens ist fast immer eine „uralte“ Hexe -
Wenn bei Frauen aus Gründen lokaler Krankheiten die Ka-
stration ausgeführt wird, zeigen sich ähnliche Erscheinungen wie
die oben geschilderten —, nur nicht in so ausgesprochenem Maße.
Die Wirkung der Spätkastration auf diePsyche der Frau ist lange
nicht so bedeutend wie die, welche dieser Eingriff auf den Mann
ausübt, doch werden auch in der Literatur nicht ganz selten Psy-
chosen nach dieser Operation erwähnt.
Ueber den psychischen Zustand frühkastrierter Weiber
ist nichts Näheres bekannt. Viel besprochen und viel diskutiert
ist der zweifellose Einfluß von genitalen Erkrankungen der
verschiedensten Art auf die Psyche der Frauen. Wie tief einge-
wurzelt diese Ueberzeugung seit Jahrtausenden ist, zeigt die immer
wieder auftauchende — allerdings oft weit übertriebene — Meinung
von dem Zusammenhange zwischen Hysterie und Genitale; das
zeigen die immer wieder auftretenden Versuche der Gynäkologen,
schwere Hysterien durch: Kastration zu heilen. Ä
Das interessanteste Organ für das Studium der. inneren Se-
kretion ist und bleibt immer noch die Schilddrüse: Ist es ja
doch das einzige Organ, für das wir klinisch und experimentell
Hyper- und Hypofunktion mit großer Wahrscheinlichkeit unter-
scheiden können. Die Hyperfunktion zeigt sich am besten beim
echten Basedow. Ich hebe das Wort „echter Basedow“ nicht ohne
Grund hervor. R. Stern hat im Jahre 1909 an dem von mir ge-
leiteten Nervenambulatorium. der Klinik Noorden mein Basedow-
Material der letzten 25 Jahre nach Möglichkeit revidiert und gefunden,
daß man gewisse. Hauptgruppen unterscheiden müsse: Der echte
Basedow zeichnet sich durch rasches Einsetzen, rasches Wachsen
der Struma, durch prononeiertes Zittern, außerordentliche Tachy- -
kardie, durch schnell wachsenden, sehr ausgesprochenen Exophthal-
mus aus. Diese typischen Erkrankungen befallen meist hereditär
unbelastete Individuen. Bei einer Anzahl von Fällen zeigt sich
aber, daß man es mit Hereditariern zu tun hat, meist mit Leuten,
die schon durch Jahre an nervösen Symptomen gelitten hatten.
(„Degenerativer Basedow“.) | pi
Besonders wichtig ist aber die aus den genannten Unter-.
suchungen folgende Erkenntnis, daß die sogenannten frusten Formen
eigentlich von den Hauptformen weit abstehen und keine Neigung
haben, in die echten überzugehen. Man muß sie — wenngleich
auch Uebergangsformen vorkommen — doch als eine separate
Krankheitsgruppe auffassen: es bandelt sich um Individuen, die
meist schon in der Jugend eine allerdings mäßige Struma haben,
die meist später gar nicht oder nur wenig wächst; der andere
Symptomenkomplex. entwickelt sich nur sporadisch, nicht bis zur
unvollen Höhe, der Exophthalmus fehlt oft ganz oder ist nur an-
gedeutet. Bei dieser Gruppe findet sich die Psyche auch alteriert:
Es sind oft klaghafte, hypochondrische, verstimmte, egoistische Men-
schen. Ich glaube aber nicht, daß wir für unser Thema mit Ge-
winn an dieser Gruppe studieren können.
Viel wichtiger ist das Studium der echten Fälle, bei denen
psychische Anomalien in verschiedener Art auftreten können.
Eine Richtung macht sich aber vielfach geltend, das ist das Vor-
wiegen manischer Züge: Die Leute sind, obne daß man gerade
von einer Psychose sprechen kann, oft entschieden erregt, un-
gemein geschwätzig, sprunghaft in ihren Ideen und Handlungen,
neigen zu einer manchmal recht geschmacklosen Witzelsucht, be-
vorzugen in der Konversation oft erotische Themata, sind auch
hier und da zu sexuellen Exzessen disponiert. Auch in den akuten
Psychosen dieser Art Patienten finden wir ein starkes Prädomi-
nieren der manischen Züge. í |
Ich erinnere mich des ersten Falles aus meiner Praxis: es
handelte sich um ein 21jähriges Mädchen, das stark -nervös
wurde; gleichzeitig entwickelte sich ungemein rasch das typische
Bild des „echten“ Basedow, namentlich war ungewöhnlich starker.
A o oM
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BE Wr
1956
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
1. Dezember,
Exophthalmus aufgetreten. Die Patientin schien bis auf eine ge-
wisse Erregbarkeit normal. Man schickte sie in ein Seebad. Plötz-
, lich erhielt ich Nachricht, daß sich der psychische Zustand förm-
lich mit einem Tage verschlechtert habe. Ich reiste sofort zu ihr.
Als ich den Garten des Hauses betrat, kam sie mir schon heiter
singend und lachend entgegen, die Haare waren aufgelöst mit
Blumen wahllos durchsteckt. — Das Bild der Ophelia. Wochen-
lang dauerte die psychische Krankheit an. Die Erregung, die
überreich an erotischen Zügen war, wuchs in außerordentlicher
Weise. Kein Intelligenzdefekt, keine ausgesprochene Verwortrenheit,
keine Halluzinationen. Nach einigen Monaten kam es zur Besserung,
allmählich trat völlige und dauernde Heilung der Psychose ein;
zugleich verschwanden die Basedowsymptome.
Am besten sieht man die Beeinflussung der Psyche durch
die Schilddrüsenhypertrophie bei gelungenen Basedowoperationen:
Resektion der Struma setzt die Erregbarkeit oft auffallend bald
herab. Der echten Basedowkrankheit — der echten Hypertrophie
des Schilddrüsengewebes — steht das Bild der Atrophie und.
Degeneration gegenüber. Die somatischen und psychischen
Symptomenbilder verhalten sich, wie Weigandt richtig bemerkt,
wie photographisches Positiv. und Negativ. Am auffälligsten ist
der Zustand der erwachsenen Myxödemkranken mit dem typischen
Fehlen der Schilddrüse. Der Hauptfaktor ist die völlige Affekt-
losigkeit.
Der Schilddrüse wird überhaupt eine gewisse Rolle im Affekt-
‘ leben zugeschrieben — sie ist nach Lévi und Rothschild die
„glande de l’&motion“. Man denke nur an die Aehnlichkeit
des Bildes des Schreckaffekts mit dem der Basedowkrankheit;
man denke an die Weite der Lidspalten, an das Vortreten der
Bulbi, an die Tachykardie, das Zittern, an die Kongestionen,
welche mit Blässe abwechseln, an die Schweißausbrüche, an die.
Diarrhöen, an das Schlottern der Beine.
So affektreich die Basedowkranken sind, so affektarm sind,
wie bereits erwähnt, die Myxödematösen, sie sind nach Charcot
den Tieren im Winterschlafe zu vergleichen. Gehemmt in jeder
Hinsicht, stumpf, gleichgültig, arbeitsunfähig, jeder sexuellen Be-
tätigung abgeneigt; das Gedächtnis nimmt immer mehr ab, die
Urteilskraft wird minimal, die Kranken liegen oft tagelang teil-
namslos zu Bett, fast ohne nach Essen und Trinken zu verlangen.
Schwere Psychosen sind bei diesen Kranken durchaus nicht selten.
Hier kann man den Zusammenhang zwischen Psyche und Schild-
drüsenmangel am besten studieren, wenn man zu therapeuti-
schen Zwecken Thyreoidin gibt; es ist dann oft erstaunlich, zu
sehen, wie diese stumpfen, gleichgültigen Menschen allmählich
lebhaft, mitteilsam werden und manchmal wieder Intelligenz-
leistungen aufbringen, die man vor kurzem nicht für möglich ge-
halten hätte.
Die große Bedeutung der Schilddrüse erhellt auch, wenn
man die Kinder mit angeborenem oder früh erworbenem
Myxödem untersucht. Bekannt ist ja auch der psychische Tief-
stand der Kretins mit Defekt oder Entartung der Schilddrüse;
auch hier kann man das psychische Bild durch Schilddrüsen-
fütterung oft wesentlich heben. Ich verweise da auf die guten
Resultate von v. Wagner-Jauregg.
Manche Autoren — wie Münzer — weisen auch auf die
bekannte Schwellung der Schilddrüse bei Vorgängen in den
Genitalien hin, so z. B. bei der Pubertät, bei der Schwanger-
schaft, ebenso wissen wir aber, daß sich z. B. in der Gravidität
die Hypophyse stark verändert usw. Es ist eben zwischen den
Drüsen eine permanente Wechselwirkung, es ist eigentlich wahr-
scheinlich, daß in letzter Linie jede Affektion einen polyglandu-
lären Zug hat.
Wir können den Abschnitt nicht schließen, ohne der Epi-
thelkörperchen zu gedenken, jener KEinschlußdrüsen der
Glandula thyreoidea, die sich nicht nur im histologischen Bau,
sondern auch in der Funktion weit von der eigentlichen Schild-
drüse abheben. Neuere klinische Forschungen (Jaendelize,
Pineles und Andere), die sich den experimentellen Studien
Vassales, Generalis, Erdheims, Biedls, Mac Callums
und Anderer anschlossen, haben mit großer Wahrscheinlichkeit
gezeigt, daß die Tetanie eine Folge der Erkrankung der be-
sprochenen Organe sei. Für die uns beschäftigende Frage hat diese
Sache insofern ein Interesse, als ich im Jabre 1889 Psychosen be-
schrieb, die Individuen betrafen, die an typischer Arbeitertetanie
erkrankt waren. Auf der Höhe der Affektion, die in Wien immer
zwischen März und April auftritt, kam es zu typischen Tetanie-
anfällen, die mit den Zeichen der somatischen Erkrankung eben-
falls abklangen.
Aehnliche Fälle wurden auch von andern Autoren (Kraepelin,
Hirschl und Anderen) bei der genannten Form, aber auch bei an-
dern Formen, so namentlich bei der strumipriven, richtiger para-
thyreopriven Form beschrieben. Die Stimmung der Tetanie-
kranken ist — wenn man auch von den eigentlichen Psychosen
absieht — oft als nicht normal zu bezeichnen: Die Leute sind
erregbar, ängstlich, unruhig, unverträglich, zu Zornausbrüchen ge-
neigt; Depression kommt auch hier und da vor, doch gehört sie
nieht zu den dominierenden Symptomen.
Auch in der Psychose treten die Zorn- und Erregungs-
zustände in den Vordergrund. Als ich mich mit der Revision
meiner Fälle befaßte, fand ich unter den Leuten, die Jahre vorher
an Tetanie erkrankt waren, auch manche, die sehr erregbar und
zornig geworden waren. Bei denjenigen dieser Kranken, die myx-
ödematöse Erscheinungen darboten, traten allerdings die bei den
andern Formen nicht so erkennbaren Symptome einer gewissen
geistigen Mattigkeit auf.
Hier mag auch noch daran erinnert werden, daß auch bei
strumektomierten Tieren eigentümliche psychische Veränderungen
beschrieben wurden: So erwähnt Blum bei derartigen Hunden
Halluzinationen, auffallende Charakterveränderungen, allmählich
auftretende Verblödung, krankhafte Bewegungsphänomene. Aehn-
liches sahen Horsley und Pineles bei Affen; Erdheim beob-
achtete bei Ratten Aufregungszustände, und wenn wir uns des
oben Auseinandergesetzten erinnern, wird uns eine Bemerkung des
letztgenannten Autors interessieren: „Daß diese Aufregungs-
zustände tatsächlich irgendwie mit der Tetanie in Verbindung
stehen, erkennt man daran, daß gerade an den Tagen, wo die
Tiere aufgeregt sind, nicht selten die schon seit langem verschwur-
dene Tetanie wieder auftritt.“
Wenn wir der Topographik folgen würden, käme nun die
Thymus an die Reihe: die Kenntnisse von dieser Drüse sind aber
noch geringe; doch sei erwähnt, daß Basch und Klose-Voigt
auf die Intelligenzschwäche der Tiere hinwiesen, denen die
Thymus exstirpiert worden war. Die letztgenannten Autoren
sprechen auch von einer Idiotia thymopriva.
Mehr wissen wir über die Funktion der sogenannten „Gehirn-
drüsen“, der Hypophyse (Hirnanhang) und der Epiphyse
(Zirbeldrüse — Glandula pinealis), und man hat auch im
letzten Jahrzehnt manche wichtige Gesichtspunkte über die Be-
einflussung der Psyche durch dieselben gewonnen. Schon der alte,
fast vergessene pathologische Anatom der Wiener Schule, Engel,
hat in seiner 1839 erschienenen Dissertation „Ueber den Hirn-
anhang“ seinen Ideen über dieses Kapitel Ausdruck gegeben.
Sie wissen, daß wir zwei große Gruppen der Hypophysir-
krankheiten zu scheiden haben: die der Akromegalie und dio
der Dystrophia adiposo-genitalis (Typus Fröhlich). Psy:
chosen verschiedener Art sind bei diesen Zuständen beschrieben
worden. Vor Jahren hat sich schon Schuster mit diesen Dingen
ausführlich beschäftigt: Er fand, daß die Balkentumoren mit
1000, Wahrscheinlichkeit psychische Störungen aufweisen, die
Frontallappentumoren mit 80%), die Temporallappentumoren mit
66,60/0, dann aber rangieren gleich die Hypophysistumoren mit
65,30%, dann kommen erst die andern. Boyce und Boadles
fanden unter 3000 Nekropsien der Irrenanstalt 20mal Gehirntumoren,
davon sechs der Hypophyse.
Die Anzahl der eigentlichen Hypophysärpsychosen wiri
einigermaßen überschätzt; wir haben es oft mit großen
tumoren zu tun, die ja schon durch Vermehrung des Hirndrucks w
durch die Zerstörung der Hirnteile eo ipso geistige Störungen hervor-
rufen können. Aber der Umstand, daß die Psychosen bei Erkran-
kungen des Hirnanhangs so häufig sind, obwohl ja bei Allen
Lokalisationen Zerstörungen der verschiedenen Gehirnteile oft auc
sehr prononziert sein können, gibt zum Nachdenken Anlad.
habe eine große Reihe von Hirnanhangtumoren gesehen und imme
wieder fiel mir eine psychische Veränderung auf, die a
Hypophysärstimmung zu bezeichnen pflege: eine eigentümliche
Gleichgültigkeit, eine gewisse Zufriedenheit, eine sonderbar?
Euphorie, die oft nicht im Einklange mit den schweren er
ptomen, wie heftiger Kopfschmerz und Erblindung, stebt. =}
Leute sind immer ruhig, dem Arzte gegenüber von einem kin j
lichen, fast übertriebenen Vertrauen. Bekannt ist auch die 1
gewöhnliche Schlafsucht der Patienten. Aebnliche Beobacln
gen machte Allen Starr bei seinen Fällen; er vergleicht
Psyche dieser Fälle mit jener der Leute, die Opiummißbrat
treiben. Wenn man die Kranken aber etwas energischer and
sie zwingt, sich ein bißchen aufzuraffen, so bemerkt mal, fir
Intelligenz lange nicht so gelitten hat, als man nach dem äußere®
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1. Dezember.
drucke vermuten sollte. Am besten kann man den psychischen
Faktor studieren, wenn man glücklich operierte Fälle sieht. Ich
habe eine Reihe derartiger Fälle gesehen, entweder nach der
Schlofferschen Methode operiert (Fälle von v. Eiselsberg und
Hochenegg) oder nach der nasalen von Hirsch. Es ist manch-
mal ganz auffallend, wie die Leute lebhafter, agiler und mitteil-
samer werden.
Das ganze psychische Verhalten der Patienten, die ja oft
sehr fettleibig sind, erinnert an das der Personen mit konstitutio-
neller Fettleibigkeit. Wer kennt nicht die eigentümliche geistige
Schwerfälligkeit, Entschlußlosigkeit, die Bonhomie und Schlafsucht
dieser Leute? Haarausfall ist nicht selten bei ihnen. Wer denkt
nicht an die Worte, die Shakespeare den mißtrauisch gewordenen
Julius Cäsar sagen läßt:
„Let me have men about me that are fat,
Sloek-headed men, and such as sleep o nights.“
Nicht uninteressant ist es, die Akromegalen mit den „physio-
logischen Riesen“ zu vergleichen. Diese Leute haben oft eine
eigentümlich schwerfällige Art ohne viel Initiative. Im Märchen
ist ja so oft der geistig unbegabte Riese das Opfer des Kleinen, dem
die Tradition besondere Schlauheit und Agilität zuschreibt.
Die Sache von der psychischen Eigenart der Hypophysenkranken,
die ich namentlich in meinem Referat auf dem internationalen
Kongreß in Budapest 1909 schilderte, hat ein besonderes Interesse
dadurch gewonnen, daß die Tierversuche von Cushing (Balti-
more-Boston) sowie die von Aschner (Wien) auch bei Tieren
(Hunden), die hypophysektomiert worden waren, psychische Ver-
änderungen aufwiesen, die den Erfahrungen am Menschen merk-
würdig entsprachen. Nach Cushing werden die Tiere mit Hypo-
pituarismus oft psychisch anomal, sind träge und schläfrig; manch-
mal sind sie allerdings auch von einer rastlosen Spielsucht, oft
auch ungewöhnlich erregbar. An dieser Stelle will ich auch der |
Meinung von R. Stern gedenken, welcher der Hypophyse ein aus-
lösendes Moment auf das Entstehen der Paralyse zuschreibt.
Hier reiben sich die Fälle von Tumoren der Glandula
pinealis an: Wenn sich in der frühen Kindheit Tumoren (Tera-
tome) an diesem Organ ausbilden, so entsteht ein merkwürdiges
Bild, das durch die Beobachtungen von Gutzeit, Ogle, durch die
grundlegenden Untersuchungen von Oestreich- Slawik, Neu-
mann und Marburg, Bailey-Jelliffe unserm Verständnis
näher gerückt wurde.
Es ist dies ein Bild, das neben den allgemeinen Tumor-
erscheinungen die Züge der prämaturen Geschlechtsentwick-
lung aufweist, die sich manchmal mit einer ungewöhnlichen Fett-
entwicklung verbindet. In einem Falle hatte ich Gelegenheit, die
Diagnose intra vitam bei einem 4l/sjährigen Knaben zu stellen:
Bei diesem Kinde, das immer sehr groß und etwas fettleibig war,
entwickelten sich im fünften Jahre die Genitalien auffallend stark,
Erektionen traten auf, die Stimme wurde tief und rauh, der Körper
wies eine Behaarung auf, die in ihrem Typus etwa dem 18. bis
20. Jahre entsprach. Das Kind zeigte auch die Erscheinungen
eines Hirntumors (Kopfschmerz, Erbrechen, epileptodie Anfälle,
Augenmuskellähmungen, Stauungspapille). Es starb an Scarla- | wiss
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48,
1957
tina; der nekroskopische Befund ergab ein Teratom der
Zirbeldrüse.
Für die uns heute beschäftigende Sache ist eine Seite der
Beobachtung von Wichtigkeit; das ist die eigentümliche Früh-
entwicklung der Psyche. Der Knabe war entschieden über-
intelligent — am meisten fiel aber die Neigung zur Erörterung
über ethische, philosophische Fragen auf, z. B. über die Fortdauer
nach dem Tode. Er zeigte in seinem fünften Jahre dieselben psy-
chischen Eigentümlichkeiten, wie sie Knaben in der Pubertäts-
entwicklung oft aufweisen — dieses Ringen um das Lösen der
Weltgeheimnisse. — Zeichen von psychischer Frühentwicklung fand
ich noch in den Fällen von Oestreich-Slawyk und Raymond-
Claude verzeichnet.
Marburg stellte die Hypothose auf, daß die Zirbel-
drüse zu den Blutdrüsen zu rechnen sei und eine Hemmung der
Genitalentwicklung erzeuge. Ihr Ausfall provoziert prämature
Genitalentwicklung und zeitigt unter Umständen die oben erwähnte
psychische Richtung, wie sie der Pubertät entspricht. Sie wissen,
daß Descartes in die Zirbeldrüse den Sitz der Seele verlegt hat,
In dieser Form hat sich die Sache nicht aufrechthalten lassen.
Sie sehen aber, wenn ein Genie einmal eine Behauptung aufge-
stellt hat, bleibt immer davon noch etwas übrig.
Unter den Abdominaldrüsen spielt das Pankreas mit seiner
inneren Sekretion bezüglich des Diabetes eine große Rolle. Diabe-
tiker zeigen nun häufig alle möglichen Arten von Stimmungs-
anomalien, man spricht sogar direkt von Diabetespsychosen. Doch
haben wir keinerlei Beweisverfahren, inwieweit die psychischen
Eigenheiten von Sekretionsstörungen des Pankreas abhängen.
Mehr Anhaltspunkte gibt uns das Studium der Nebennieren-
erkrankungen: Die innere Sekretion dieser Organe mit ihrer
mächtigen Wirkung auf das Nervensystem ist ja allgemein be-
kannt. Nicht unwichtig für das uns beschäftigende Kapitel ist
| der durch viele Beobachtungen erhärtete Zusammenhang zwischen
Störungen der Hirnentwicklung und Hypoplasien der Nebennieren;
hier will ich auch darauf hinweisen, daß Leri in drei Fällen von
melancholischen Zuständen Destruktion der Nebennieren vorfand.
Wir haben ja hier und da an der Klinik Gelegenheit, Fälle
von Addisonscher Krankheit zu sehen, bei denen wir eine —
meist tuberkulöse — Zerstörung der besprochenen Organe voraus-
setzen. Die Leute sind ungemein schwach, matt, hoffnungslos —
ganz im Gegensatz zu den oft euphorischen Patienten mit reiner
Lungentuberkulose; Reizbarkeit und tiefe Verstimmung sieht man
fast regelmäßig. Auch Psychosen verschiedener Art wurden be-
obachtet: es scheinen dann die depressiven Stimmungen vorzu-
wiegen. Ich verweise außer auf die bereits erwähnte Erfahrung
von Leri noch auf die Krankengeschichten von Bonhöffer,
Vollbrecht, Rodionow, Boinet und Klippel.
So sehen Sie denn aus dieser Uebersicht, daß wir doch
schon eine Reihe von Einwirkungen der inneren Sekretion auf
die Psyche kennen. Vergessen wir nicht, wie wenig uns die Gehirn-
anatomie leistet, um uns zu erklären, wie höhere geistige Begabung
anatomisch zu deuten ist. Vielleicht werden einmal Zeiten kommen,
in denen wir einsehen lernen, daß manches vom individuellen Bau ge-
wisser Drüsen und von deren individueller innerer Sekretion abhängt.
Aus der Praxis fü axis für die Praxis.
Paraffinum liquidum in der Wundbehandlung
von
Dr. Auerbach, Detmold.
Jeder Praktiker weiß, wie schwer es häufig ist, die Haut in
der Umgebung von länger bestehenden Wunden gesund zu er-
halten. Bekannt ist auch, wie sehr die Heilungsdauer infolge der
entzündlichen Reizung der Haut verzögert wird; es kommt zu
Juckendem und nässendem Ekzem, üppiger Granulationsbildung
und andern lästigen und störenden Vorgängen. Als Ohrenarzt
habe ich bei Aufmeißelungen des Warzenfortsatzes oft mit Wunden
zu tun, bei denen sich diese Erscheinungen wegen der Nähe des
Kopfhaars und wegen des häufig jauchigen Sekrets ganz besonders
leicht zeigen.
Seit einer Reihe von Jahren wende ich nun in der Wund-
behandlung Paraffinum liquidum an, mit Hilfe dessen man
alle die genannten Störungen sehr leicht und bequem vermeiden
kann. Das Mittel ist so einfach, billig und von so unfehlbarer
Wirkung, daß ich es der Allgemeinheit mitteilen möchte. Bei
seiner Anwendung verfahre ich folgendermaßen:
Nach Tamponierung der Wunde und Reinigung und Trock-
nung der Haut pinsele ich mittels eines um einen Tamponträger
oder eine Pinzette frisch gewickelten sterilen Wattepinsels die
Umgebung der Wunde in weiter Ausdehnung, besonders auch die
Haargrenzen, tüchtig mit Paraffin. liq. ein. Dieses wird kurz vor
dem Gebrauch in ein sauberes, wenn nötig, sterilisiertes Näpfchen
gegossen; die Flüssigkeit selbst braucht nicht sterilisiert zu
werden, da sie bekanntlich selbst antiseptische Eigenschaften hat
und im wesentlichen bei eitrigen Wunden angewandt werden
wird. Darauf wird mit sterilen Verbandstoffen der Verband in
gewöhnlicher Weise angelegt. Bei den weiteren Verbänden wird
genau in der gleichen Weise verfahren.
Eine für den Kranken besonders angenehme Begleiterschei-
nung dieses Verfahrens ist die, daß die Verbandstoffe auch bei
starker Durchblutung nicht ankleben, sondern beim Ver-
bandwechsel fást von selbst abfallen. Losweichen und
schmerzhaftes Abreißen des Verbandes ist gänzlich überflüssig:
auch hat man nicht nötig, im weiteren Verlaufe der Behandlung
gegen Wundekzem Salben, Pasten oder krustenbildende Puder an-
zuwenden. — Gegen specifische Hauterkrankungen, wie z. B. das
Jodoformekzem, schützt das Paraffin natürlich nicht.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember,
. | Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Aus dem Gebiete der Pädiatrie.
| -~ Tetanie | Ä
| (Spasmophilie, Spasmophile Diathese).
von Prof. Dr. L. Langstein und Dr. A. Benfey, Berlin.
Die Aetiologie der Tetanie ist in den letzten Jahren Grund
vielseitiger ernster wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Das
ist um so erfreulicher, als die Form, mit der dies Kapitel in den
älteren Lehrbüchern abgehandelt wurde, wie Escherich (1) sich
‚sehr richtig in seiner hervorragenden Monographie ausdrückt, jeder
Logik und jedem: naturwissenschaftlichen Denken Hohn spricht.
Was ist nicht alles als Ursache der „Krämpfe“ angeführt: Er-
kältung, Diarrhöen, Wurmreiz, Gemütsbewegung, Dentition, Onanie
und anderes mehr. Damit hat die wissenschaftliche Forschung
der vergangenen Jahre glücklicherweise aufgeräumt, allerdings ohne
bis heute zu einem sicheren, allgemein anerkannten Ergebnis ge-
langt zu sein. | pa
Vier Theorien stehen sich vornehmlich gegenüber: die
Theorie der Kalkstauung in den Geweben als Ursache der
Tetanie, die von Stölzner aufgestellt ist. Nach ihm kommt es
bei der übermäßigen Zufuhr des Kalkes mit der Kuhmilch, die
eine fünfmal so große Menge Kalk enthält als Frauenmilch, zu
einer Stoffwechselstörung. Während schon bei normalen Kindern
.die Verarbeitung der Kuhmilch sehr hohe Anforderungen an die
`” kalkausscheidende Funktion des Säuglingsdarms stellt, erhöhen
sich diese Anforderungen, wenn es sich um rachitische Kinder
handelt, oder um Kinder, die an Darmstörungen oder fieberhaften
Erkrankungen leiden. Es kommt zu einer Kalkstauung in den
Geweben, zu einer Calciumintoxikation, die sich eben in einer
Steigerung der Nerven- und Muskelerregbarkeit äußert.
Dieser Theorie diametral gegenüber steht die vor allem von
Quest vertretene, nach der es sich bei der Tetanie um einen
Kalkmangel des Organismus handelt. Quest geht von
Untersuchungen Sabbatinis aus, der auf experimentellem Wege
festgestellt hatte, daß eine Verminderung des Kalkgehalts der Hirn-
rinde (bei Hunden) die Erregbarkeit der Centren bis zum Aus-
bruch von epileptiformen Konvulsionen steigert. Dagegen setzt
die Vermehrung des Kalkgehalts über die Norm die Erreg-
barkeit herab. - | :
Die Theorie, daß es sich bei der Tetanie um nichts weiter
als um eine nervöse Teilerscheinung der Rachitis handele,
hat Kassowitz vertreten. Er stützt sich dabei vor allem auf
das fast ausschließliche Vorkommen des Laryngospasmus bei ra-
chitischen Kindern und auf die günstige Einwirkung des Phos-
phors auf die nervösen Erscheinungen. Diese Theorie ist heute
nicht mehr haltbar, wo man allgemein sämtliche Tetaniefälle, den
Stimmritzenkrampf des Säuglings so gut wie die Tetanie der Er-
. wachsenen auf eine einheitliche Ursache zurückführt.
‚Die vierte Theorie endlich bewegt sich in ganz neuen Bahnen.
Sie schiebt die Schuld an dem Zustandekommen kindlicher Tetanie
einer Insuffizienz der Epithelkörperchen zu. Bekanntlich
kann man bei Tieren experimentell durch Exstirpation der Epithel-
körperchen Krämpfe erzeugen. Genaue Beöbachtungen hierüber
verdanken wir vor allem Pineles und Erdheim. Ganz analog
zu diesen Verhältnissen tritt beim Menschen nach operativer Ent-
fernung der Epithelkörperchen (bei Strumektomie) ein Krankheits-
bild auf, das dem der kindlichen Tetanie vollkommen entspricht.
Es lag deshalb nah, auch beim Kind an eine Epithelkörperchen-
schädigung zu denken. Genaue Untersuchungen hierüber sind an
der Escherichschen Klinik von Erdheim und Janase vorge-
nommen. Dieser konnte nun nachweisen, daß sich in allen Fällen,
in welchen die elektrische Untersuchung eine Uebererregbarkeit
erkennen ließ, Blutungen oder Reste von solchen (Pigment) in den
Epithelkörperchen finden ließen, während da, wo die elektrische
Untersuchung Normalwerte ergab, niemals derartige Veränderungen
nachweisbar waren. Die Wiener Schule nimmt deshalb an, daß es
sich bei der Tetanie um ein im Ablauf des Stofiwechsels ent-
stehendes Gift handelt, das unter normalen Verhältnissen durch
die Tätigkeit der Epithelkörperchen unschädlich gemacht wird.
Escherich führt diese Insuffizienz der Epithelkörperchen
auf Geburtstrauma oder Entwicklungsstörung zurück, glaubt aber,
daß es erst dann zur manifesten Erkrankung kommt, wenn noch
weitere, den Stoffwechsel schädigende Momente, interkurrente Er-
krankungen, respiratorische Noxen, Ueberfütterung, vor allem aber
Rachitis hinzukommt.
Die Arbeiten der letzten zwei Jahre beschäftigen sich haupt-
sächlich mit diesen verschiedenen Theorien.
Ausgedehnte Untersuchungen Rosensterns (2) über die Ein-
wirkung des Calciums auf den spasmophilen Zustand sprechen weit
mehr für die Questsche Theorie von der Kalkverarmung des
Organismus als für die Stölznersche. Unter zwanzig Säuglingen,
denen 3 g CaCl einmal zugeführt wurde, zeigten 15 einen Aus-
schlag im Sinne einer Herabsetzung der Erregbarkeit, in den übrigen
fünf Fällen war keine Veränderung zu konstatieren, in keinem
Fall erfolgte eine Steigerung der Erregbarkeit. Mit der Herab-
setzung der Kathodenöfinungszuckung schwanden auch in vielen
Fällen die ändern Zeichen der Spasmophilie: Facialisphänomen, Un-
ruhe, Laryngospasmus. Nach Zufuhr von Kochsalzlösung konnte
dagegen bisweilen eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit und
ein Wiederauftreten laryngospastischer Anfälle beobachtet werden.
. Schabad (3) tritt auf Grund eingehender Stoffwechselver-
suche der Stölznerschen Ansicht von der Kalkstauung als Ur-
sache der Tetanie entgegen und bringt anderseits neue Gesichts-
punkte, die für einen tieferen Zusammenhang zwischen Tetanie
und Rachitis sprechen. Er faßt die Resultate seiner Untersuchungen
in folgenden Sätzen zusammen: |
1. Der Kalk- und Phosphorstoffwechsel bei Komplikation der
Rachitis durch Tetanie unterscheidet sich nicht vom Stoffwechsel
bei unkomplizierter Rachitis. |
2. Besserung der Tetanie, das heißt das Herabgehen der
elektrischen Erregbarkeit unter dem Einfluß des Phosphorlebertrans
geht Hand in Hand mit Besserung der Kalkretention, id est einer
Genesung von der Rachitis.
3. Die Zufuhr von Kalksalzen verschlimmert nicht, trotz
ihrer Resorption, den Zustand der Tetanie in merklicher Weise.
4. Die Hypothese Stölzners über die Bedeutung der Kalk-
anhäufung im Organismus in der Aetiologie der Tetanie wird durch
die Tatsachen nicht gerechtfertigt.
Zu gleicher Zeit veröffentlicht Quest (4) Stoffwechselver-
suche, die seine Theorie vom Kalkmangel des Organismus al
Ursache der Tetanie stützen sollen Durch subcutane Einspritzung
von Kalksalzen konnte Quest die elektrische Erregbarkeit des
Nervensystems nicht erhöhen, sondern im Gegenteil — besonders
für den faradischen Strom — herabsetzen. Es besteht also kein
.kausaler Zusammenhang zwischen Kalkstauung in den Körper
säften und Spasmophilie, vielmehr ist in einem Kalkmangel des
Organismus die Ursache der Erkrankung zu suchen.
Auch die Theorie von der Insuffizienz der Epithelkörperchen
deutet der Autor in seinem Sinn, indem er annimmt, daß es sich
.auch dabei um eine vermehrte Kalkausfuhr des Organismus handelt.
Diese kann aber auch bei Funktionsstörungen anderer Drüsen mit
innerer Sekretion, wie bei der Thymus, Thyreoidea und besonders
bei den Nebennieren auftreten.
Bei Kindern liegt die Ursache der Spasmophilie wohl fast
ausschließlich in einer unzweckmäßigen Ernährung, welche die g%
hörige Retention von Kalk im Organismus verhindert. In dieser
Beziehung muß vor allem das Milchfett verantwortlich gemacht
werden. (Bildung von Kalkseifen im Darmtraktus.) Die Therapie
muß in einer Reglung der Diät bestehen, in der Weise, dad ein
genügende Kalkretention begünstigt wird. Die Wirkung kam
durch Darreichung von Phosphorlebertran unterstützt werden. Bel
sehr schweren Fällen von Spasmophilie wären auf Grund der Vor
suchsresultate Injektionen von Kalksalzen in Erwägung zU u
Auch Reiß (5) beschäftigt sich mit der Theorie von Quast.
Das Caleium ist das einzige der bisher untersuchten und für den
"menschlichen Organismus wesentlichen Kationen, dessen Konzet-
trationsveränderungen, im Sinn einer Herabsetzung, die ele i
trische Reaktion bei spasmophilen Zuständen zu einem ee
lichen Teil zu erklären vermag, und zwar die Vebererregbarkel
und das Vortreten der Kathodenöffnungszuckung. Die ae
Uebererregbarkeit wird dagegen durch einen Caleiummangel 110"
erklärt. Vielleicht spielt hier die in ihrer Beziehung zur w
erregbarkeit noch nicht systematisch untersuchte Phosphored
eine Rolle Die Wirkung des Caleiums ist abhängig vol vi
quantitativen Beziehung zu allen übrigen Salzen. Es braucht
der Spasmophilie also nicht immer eine absolute Verminderu
des Calciumgehalts vorhanden zu sein, sondern es kann sich at
um eine relative Verschiebung zu den übrigen Salzen handeln.
FE 2.4
ya:
1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1959
Auch die Untersuchungen Aschenheims (6) sprechen für
die Wichtigkeit des Verhältnisses der einzelnen Salze zueinander.
Nach ihm ist das Typische für die Spasmophilie das Verhältnis
von Alkalien zu Erdalkalien respektive ihren Salzen. Eine Ver-
änderung des Gehalts des Centralnervensystems an jenen Salzen,
die zu einer Vergrößerung des Quotienten Alkalien /Erdalkalien
führen, löst den Symptomenkomplex der Spasmophilie aus. -
Einen experimentellen Beitrag zur Tetanieforschung liefert
Pexa (7). Er kommt zu folgenden Schlußsätzen:
I. Bei einem jungen, mit kalkfreier Kost gefütterten Hunde
wurden folgende Befunde erhoben:
1. Im klinischen Bild als äußerst auffallendes Symptom. eine
Passivität des Tieres gegen äußere Eindrücke. 2. Absoluter
Mangel einer gesteigerten elektrischen Erregbarkeit im peripheren
Nervensystem. 3. Deutliche Abnahme des Kalkgehalts des Central-
nervensystems. 4. Reichlicher Glykogengehalt in den sonst unver-
änderten Epithelkörperchen. |
II, Der Ursprung der Tetanie und der Spasmophilie über-
haupt kann nicht allein in einem ungenügenden Kalkgehalte der
Organe beruhen, denn beim Versuchshunde trat keine Steigerung
der elektrischen Erregbarkeit im peripheren Nervensystem auf, ob-
wohl der Kalkgehalt seines Gehirns infolge des kalklosen Futters
bedeutend vermindert war. E |
II. Sollte bei der Tetanie dennoch der Kalkmangel der Organe
eine Rolle spielen, dann könnte die Entstehung der Tetanie durch
die entgiftende Tätigkeit "der Epithelkörperchen verhütet werden.
Mit der Epithelkörperchentheorie beschäftigt sich bei
weitem der größte Teil der Arbeiten der letzten zwei Jahre.
Haberfeld (8) sucht den Widerspruch aufzuklären, der darin
liegt, daß trotz der Annahme intra partum erworbener Epithel-
körperchenblutungen die tetanischen Symptome erst nach Monaten
auftreten. Das liegt daran, daß es nicht auf die Zerstörung des
Gewebes an sich, sondern auf die dadurch bedingte Wachstums-
hemmung ankommt. Gegen die Annahme, daß auch andere Krank-
heiten auf Epithelkörperchenschädigungen beruhen, macht Verfasser
entschieden Front. |
Die Experimente von Jovane und Vaglio (9) zeigen auch
deutlich den Zusammenhang zwischen der Entfernung der Neben-
schilddrüsen und elektrischer und mechanischer Uebererregbarkeit.
Dabei braucht die Parathyreodektomie nicht vollständig zu sein,
um diese Erscheinungen hervorzurufen. | |
In einer späteren Arbeit beschäftigt sich Jovane (10) mit
der kindlichen Tetanie. Wenn er auch der Epithelkörperchen-
insufßzienz eine große Bedeutung für. die Entwicklung der kind-
lichen Tetanie einräumt, so negiert er doch eine konstante Be-
ziehung zwischen Hämorrhagie der Nebenschilddrüsen und Tetanie.
Nach seiner Meinung können Hämorrhagien den auf unbekannter
Ursache beruhenden Zustand funktioneller Insuffizienz höchstens
vermehren.
Triboulet und Harvier (11) konnten bei einem Falle von
Laryngospasmus, der das einzige Symptom der Tetanie war, re-
gressive Veränderungen in den Nebenschilddrüsen feststellen.
Auch die Untersuchungen Pollinis (12) sprechen für einen
Zusammenhang zwischen Tetanie und Nebenschilddrüsenerkrankung.
Bei einigen Tetaniefällen und bei Rachitis fanden sich histo-
logische Veränderungen in den Epithelkörperchen (Sklerose und
bläschenföormige Umwandlung). Organotherapeutische Versuche
mit Parathyroiden Vassale hatten negativen Erfolg, doch erschüttert
das die Theorie nicht, ebensowenig wie der negative Erfolg einer
Nebennierenextrakttherapie des Morbus Addison gegen einen Zu-
sammenhang dieser Erkrankung mit einer Veränderung der Neben-
nieren spricht. men |
Auch Koplik (13) hält den Zusammenhang mit Erkrankungen
der Epithelkörperchen für die wahrscheinlichste Theorie, obwohl
er zugibt, daß der Einfluß dieser auf den Kalkstoffwechsel, der
sicherlich eine Hauptrolle spielt, noch nicht klargestellt ist. |
Wilcox (14) hat die experimentellen Versuche nachgeprüft,
indem er Hunden die Epithelkörperchen exstirpierte. Erscheinungen
wie an 'tetanischen Kindern traten etwa 30 Stunden nach der Ope-
ration ein. Die elektrischen Erscheinungen gehen den gewöhn-
lichen tetanischen Phänomenen bedeutend voran. Daneben ver-
breitet sich der Verfasser über die Diagnose der Tetanie. Er
‚konnte bei 2 %/, aller Kinder im ersten Lebensjahre Tetanie nach-
weisen. Zur Untersuchung der elektrischen Erregbarkeit empfiehlt
er die Peroneusgruppe. Er fängt mit starken Strömen an, die er
allmählich abschwächt. Nach seinen Untersuchungen kann die
K. Oe. Z. bei echten tetanoiden Zuständen fehlen.
Die folgenden Arbeiten läugnen sämtlich einen Zusammenhang
zwischen Tetanie und Epithelkörpercheninsuffizienz.
Auerbach (15) konnte im Gegensatz zu Janase (siehe
oben) in 76°/, seiner Fälle Epithelkörperchenblutungen feststellen.
Außerdem konnte er diesen Befund in fast 2/3 der Fälle mit nor-
maler elektrischer Erregbarkeit erheben. Er schließt daraus mit
Recht, daß die Blutungen allein nicht zur Uebererregbarkeit des
peripheren Nervensystems führen müssen. Die Geburtsasphyxie
erkennt er nur für einen Teil der Blutungen als Ursache an. Der
Verfasser kommt auf Grund dieser Befunde zu dem Schluß, daß
eine sichere Grundlage für die pathogenetische Gleichstellung der
genuinen Tetanie der Kinder mit der postoperativen der Erwachsenen
respektive der experimentellen Tetanie nicht gegeben ist. Ein
ätiologischer Zusammenhang zwischen Epithelkörperchenblutungen
und der Kindertetanie kann deshalb nach seiner Meinung nicht als
bewiesen gelten. |
Auch Großer und Betke (16) bestreiten eine Zusammen-
gehörigkeit der Kindertetanie mit der experimentellen durch
Epithelkörperexstirpation hervorgerufenen. Die Verfasser fanden
auch in zahlreichen Fällen Blutungen in den Epithelkörperchen,
doch handelte es sich durchaus nicht in allen diesen Fällen um
Kinder, die an Tetanie gelitten hatten, umgekehrt fehlten die Blu-
tungen gelegentlich da, wo schwere Krämpfe bestanden hatten.
Ein kausaler Zusammenhang läßt sich also nach Ansicht der
Autoren nicht gut mehr aufrechterhalten.
Zu dem gleichen: Ergebnis kommt Bliß (17). Unter 35
Fällen im Alter bis zu neun Jahren waren zwei Fälle von kind-
licher Tetanie, bei denen die Epithelkörperchen frei von irgend-
welchen Blutungen gefunden wurden. Dagegen fanden sich Blu-
tungen bei einzelnen Kindern, die an Bronchopneumonie, Pertussis,
Rachitis und Lues erkrankt gewesen waren.
= — Oppenheimer (18), der bei einem typischen Falle von Säug-
lingstetanie die vier Epithelkörperchen in Serienschnitten unter-
suchte, konnte weder Blutungen, noch Reste von solchen oder
Cysten finden. Als einzigen pathologischen Befund konnte er Ver-
änderungen nachweisen, die er als Folgen von Lymphstauung an-
sah und nur in einem Epithelkörperchen vorfand. Nach Ansicht
des Autors haben diese Befunde keine ursächliche Bedeutung,
sondern sind höchstens als Folgen von Konvulsionen anzusehen.
Auch Jörgensen (19) konnte in einem Falle von kindlicher
Tetanie trotz genauester Untersuchung aller vier Epithelkörperchen
in zirka 1000 Serienschnitten irgendwelche Veränderungen nicht
nachweisen. =
Ebensowerig Schiffer (20), der die Epithelkörperchen eines
an Tetanie gestorbenen, 2!/, Jahre alten Kindes in Serienschnitten
untersucht hat. Er konnte weder Blutungen noch Residuen von
solchen nachweisen. Es fand sich dagegen eine Gruppe von soge-
nannten oxyphilen Zellen, wie sie in einem so jugendlichen Alter
sonst nicht vorkommen. Ob aber diesem Befunde irgendwelche
Bedeutung zukommt, bleibt dahingestellt. Die Familiarität der
Erkrankung war im vorliegenden Falle sehr deutlich, vier Ge-
schwister haben ebenfalls an Tetanie gelitten. _
Zu der Frage über die Zusammengehörigkeit von Rachitis
und Spasmophilie äußert sich Olliari (21) in dem Sinne, daß ein
konstanter Kausalnexus zwischen diesen beiden Erkrankungen aus-
zuschließen ist. Eher läßt sich die häufige Vereinigung der beiden
Krankheiten bei einem Kinde dahin deuten, daß entweder beide
Erkrankungen durch dieselben- schädlichen Ursachen bedingt sind
oder durch ähnliche Ursachen, die zuerst die Rachitis, dann die
krampfhaften Formen oder beide Krankheitszustände zugleich her-
vorrufen. — Ea | |
Für eine genetische Zusammengehörigkeit der Spasmophilie
mit jugendlicher Nervosität auf Grund hereditär-neuropathischer
Veranlagung. tritt Hochsinger (22) ein. Er hält das isolierte
‚Facialisphänomen bei älteren Kindern und Jugendlichen für das
'sinnfällige Symptom einer angeborenen neuropathischen Konstitution,
die sich bei den Eltern, insbesondere den Müttern, durch das
häufig vorhandene gleiche Phänomen in Verbindung mit funktionellen
Neurosen zu erkennen gibt.
Im Gegensatz zu Burnett, der einen Zusammenhang der
kindlichen Tetanie mit Magenerweiterung annimmt, konnte Thor-
specken (23) in keinem der untersuchten Fälle röntgenologisch eine
Magendilatation feststellen. Das spricht gegen das häufigere Vor-
kommen derartiger Magenatonien überhaupt und gegen einen Zu-
sammenhang derselben mit der Tetanie. Der Autor glaubt, daß
es sich bei den Burnettschen Fällen um eine Verwechslung mit
dem geblähten Kolon gehandelt hat. |
WELLE
1960
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
Rückenmarksuntersuchungen bei Tetanie hat Zappert (24)
vorgenommen mit dem Ergebnis, daß die Kindertetanie sowohl im
Rückenmark als in den Spinalganglien keine Veränderungen setzt,
die als pathologisch aufgefaßt werden können.
‚ Lust (25) empfiehlt das Peroneusphänomen als wertvolles
diagnostisches Hilfsmittel bei Spasmophilie. Auf Beklopfen der
Stelle etwas unterhalb des Capitulum fibuläe erfolgt bei vor-
handener Uebererregbarkeit Abduktion und Dorsalflexion des Fußes.
Lust fand diese Reaktion in 97,4%), der Fälle mit Spasmophilie
positiv, während das Facialisphänomen bei den gleichen Fällen
nur in 43,4 0/, auszulösen war.
Stölzner (26) konnte bei einem 1!/2 Jahre alten Kinde, das
unmittelbar nach Auslösung eines starken Facialisphänomens einen
schweren eklamptischen Anfall bekam, feststellen, daß wenige
Minuten nach dem Anfalle nur noch eine kaum bumerkbare Spur
des Phänomens zu erzeugen war. Der Verfasser enthält sich einer
Erklärung dieser Erscheinung.
_ Einen interessanten historischen Beitrag zur Frage der Ueber-
fütterung als Ursache der Krämpfe liefert Erich Ebstein (27),
der damit in die Fußtapfen seines um die Geschichte der Medizin
so hochverdienten kürzlich verstorbenen Vaters tritt. In Aristoteles
Tierkunde heißt es schon: „Die meisten Kinder pflegen von Krämpfen
befallen zu werden, besonders die sehr wohlgenährten und welche
viele und dicke Milch bekommen oder wohlbeleibte Ammen haben.“
Ueberblicken wir die referierten Arbeiten, so kommen wir zu
dem Schluß, daß mit Sicherheit heute noch keine Theorie für die
Astiologie der Tetanie aufgestellt werden kann. Die Stölzner-
sche Theorie von der Kalkstauung im Organismus ist fast ein-
stimmig abgelehnt worden. Gegen die Allgemeingültigkeit der
Epithelkörperchentheorie sprechen zahlreiche exakte Untersuchungen
verschiedener Autoren. Einzig die Theorie von der Kalkver-
armung des Organismus als Ursache der Tetanie hat
wenig Widerspruch und viel bemerkenswerte experimen-
telle Unterstützung gefunden. Ihr scheint also nach den
Ergebnissen der letzten zwei Jahre die größte Wahr-
scheinlichkeit zuzukommen.
Literatur. 1. Escherich, Die Tetanie der Kinder. (Wien und Leipzig
1909, Alfrod Hölder.) — 2. J. Rosenstern, Calcium und Spasmophilie. (Jahrb.
f. Kind. Bd.72, S. 154.) — 3. J. A. Schabad, Der Kalkstoffwechsel bei Tetanie.
(Mon. f. Kind. Bd. 9, S. 25.) — 4. R. Quest, Zur Frage der Aetiologie der spas-
mophilen Diathese. (Mon. f. Kind. Bd. 9, S.7.) — 5. E.Reiß, Zur Erklärung
der elektrischen Reaktion bei Spasmophilie. (Zt. f. Kind. Bd. 3, S.1.) —
6. Aschenheim, Ueber den Aschegehalt in den Gehirnen Spasmophiler. (Mon.
f. Kind. Bd. 9, S. 866.) — 7. Pexa, Experimenteller Beitrag zur Forschung über
die Tetanie des Kindesalters. (A.f. Kind. Bd. 54, S.1) — 8. W. Haberfeld,
Die Epitbelkörperchen bei Tetanie und bei einigen andern Erkrankungen.
(Wr..med. Woch. 1910, Nr. 45.) — 9. Jovane-Vaglio, Tetanie und Parathyreoid
Insuffizienz. (La Pediatria 1910, S. 816.) — 10. A. Jovane, Hämorrhagie der
Nebenschilddrüsen und kindliche Tetanie. (La Pediatria 1911, Nr. 8) —
il. Triboulet und Harvier, Spasme de la glotte, manifestation unique de
tétanie. (Bull. de la soc. de Pédiatrie de Paris 1911, S, 275.) — 12. L. Pollini,
Untersuchungen über die Beziehungen zwischen kindlicher Tetanie und Neben-
schilddrüsen. (Riv. di clin. Pediatria 1911, Nr. 6.) — 13. Koplik, Tetany and
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1911.) — 14. Wilcox, The diagnosis of infantile tetany, with a report on ex-
erimental tetany in dogs. (Am. j. dis. childr., Juni 1911.) — 15. Paul Auer-
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Kinder. (Jahrb. f. Kind. Bd. 73, Hrgänzungsh. S. 193) — 16. Großer und
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Tetanla infantum. (Zt. f. Kind. Bd. i, H. 5, S. 458.) — 17. R. W. Bliß, Bine
Untersuchung über die Bpithelkörperchen mit besonderer Berlicksichtigung ihrer
Beziehungen zur Sänglingstetanie. (Zt. f. Kind. Bd. 2, S. 528.) — 18. B. S.
Oppenheimer, Die pathologischen Befunde der Epithelkörper In einem Falle
von Säuglingstetanie. = j. of. med. sc. 1911, Bd. 141, S. 558.) — 19. Gustav
Jörgensen, Ueber die Bedeutung der pathologisch-anatomischen Verände-
rungen der Glandulae parathyreoldeae für die Pathogenese der infantilen
Tetanie. (Mon. f. Kind. Bd. 10, S. 154.) — 20. Fritz Schiffer, Ueber familiäre
chronische Tetanie. (Jahrb. f. Kind. Bd. 73, S. 601.) — 21. A. Olliari (Parma),
Rachitis und Spasmophilie. (La Pediatria Bd. 18, S. 58i.) — 22. Hochsinger,
Facialisphänomen und jugendliche Neuropathie. (Wr. kl. Woch. 1911, S. 1487.)
— 23, Thorspecken, Magenuntersuchungen bei kindlicher Tetanie. (Mon. f.
Kind. Bd. 10, S. 429.) — 24. J. Zappert, Rückenmarksuntersuchungen bei
Tetanie. (Mon. f. Kind. Bd.10, S.261.) — 25. Lust, Das Peroneusphänomen.
Ein Beitrag zur Diagnose der Spasmophilie (Tetanie) im Kindesalter. (M. med.
Woch. 1911, Nr. 32.) — 26. Stölzner, Facialisphänomen und eklamptischer
Anfall. (Jahrb. f. Kind. Bd. 73, S. 727.) — 27. E. Ebstein, Ueberfütterung
und Krämpfe. (Zt. f. Kind. Bd. 3, S. 209.)
Sammelreferate.
Neuere Arbeiten aus dem Gebiete der Chirurgie
von Dr. E. Sehrt, Freiburg.
DieSerodiagnose derStaphylokokkenerkrankungen(l)
behandelt ©. Homuth in einer Arbeit aus der Chirurgischen
Klinik und dem Städtischen bygienischen Institut zu Frankfurt a.M.
Es ist von großer Wichtigkeit, bei versteckten, durch Staphylo-
1. Dezember.
kokken hervorgerufenen Erkrankungen (perinephritischen und sub-
phrenischen Abscessen, Osteomyelitis) zu wissen, ob Antistaphylo-
toxin im Blute vorhanden ist, da dies oft der einzige Hinweig auf
eine derartige Erkrankung sein kann. Homuth fand an der Hand
sorgfältiger Untersuchungsreihen, daß alle eingreifenderen Staphylo-
mykosen in dem vermehrten Antistaphylolysingehalt des Bluts zum
Ausdruck kommen. Da aber das normale menschliche Blutserum
einen beträchtlichen Antistaphylolysingehalt zeigt, war es not
wendig, eine Titration des Serums auf Antistaphylolysin auszu-
arbeiten, bei der der normale Antistaphylolysingehalt des normalen
Serums nicht mehr in Erscheinung tritt. Dies wurde dadurch er-
reicht, daß als Ausgangspunkt nicht die wechselnde einfachlösende
Dosis der verschiedenen Lysine, sondern die Absättigung eines
Standardantilysins gewählt und die Zeit der Bindung von Lysin
und Antilysin sehr verkürzt wurde. Von 74 normalen Blutsers
gaben nur vier eine positive Reaktion, von 40 sicher an Sta-
phylokokkeneiterung erkrankten Patienten gaben 37 zum
Teil sehr starke Reaktion, zwei Furunkel gaben keine, eine
‚alte Osteomyelitis nur eine schwache Reaktion. — Das sind auber-
ordentlich gute Resultate, die die Methode von erheblicher klini-
scher Bedeutung erscheinen lassen. |
In einer außerordentlich eingehenden Arbeit über „die
unter dem Einflusse der synthetischen Farbenindustrie
beobachtete Geschwulstentwicklung (2) (Chirurgische Klinik
Basel) behandelt S. G. Leuenberger diesen interessanten Stof.
Leuenberger teilt neben eingehender Würdigung der schon vor-
handenen Literatur 18 neue Fälle von Tumorbildung des uro-
poetischen Systems mit. Auf Grund seines Krankengeschichten-
materials kann zum ersten Male festgestellt werden, daß nicht nur
die mit der Anilinfarbenfabrikation beschäftigten Arbeiter, sondern
auch alle Arbeiter, welche diese Farben anwenden, relativ häufig
an Tumorbildung des uropoetischen Systems erkranken. — Aus
statistischen Angaben geht hervor, daß zu Basel-Stadt die mit
der Herstellung von Anilinfarbstoffen und aromatischen Sub-
stanzen beschäftigten Arbeiter von 1901 bis 1910 33 mal häu-
figer an Blasentumoren ad exitum kamen als eine gleiche Zahl
Individuen der übrigen männlichen Bevölkerung, daß ferner mehr
als die Hälfte der in der chirurgischen Klinik zu Basel
im Verlaufe von 50 Jahren bei den männlichen Patienten beob-
achteten Harnblasentumoren Anilinfarbenarbeitern und
Tuchfärbern angehörten. — Unter den chemischen Agentien, dis
als Reiz für Tumorenentwicklung angesprochen werden müssen,
sind vor allem zu nennen: Arsenik, Ruß, Paraffin, Petro-
leum, Teer, Alkohol und zahlreiche Produkte der mo-
dernen aromatischen Chemie. Während nun beim Krebs der
Schornsteinfeger, der Teer- und Paraffinarbeiter, der Petroleun-
destillateure usw. in Unkenntnis der wirksamen chemischen
Körper nur vermutungsweise von einem ätiologischen Sinul
der aromatischen Verbindungen gesprochen werden kann, komm
der bei den Anilinfarbenarbeitern beobachteten Tumorbildung
die Bedeutung eines Experiments zu, da man hier die verwen-
deten Substanzen genau kennt. Die Tatsache, daß bei den
Anilinfarbenarbeitern die Tumorentwicklung fast ausschließlich das
uropoetische System betrifft, erklärt Leuenberger dahin, dab
die bei der Anilinfabrikation in den Organismus gelangten Stofle
von diesem in irgendeiner Weise verändert und durch das um
poetische System in starker Konzentration ausgeschieden werde.
Er kommt dann zum Schluß: daß die Tumorbildung in den Ham-
wegen der Anilinarbeiter durch ein- und mehrkernige bJ-
droxylierte Amidoverbindungen hervorgerufen wird. Unter
ihrem Einfluß kommt es im Durchschnitt zuerst zu einer Schleim-
hautreizung respektive -entzündung und dann zu Tumor-
bildung, und zwar betrifft diese präcanceröse Mucosareizung 8
wohl Epithel- wie Bindegewebe Die durch die hydrozylierten
Amidoverbindungen bewirkte Veränderung der Epithelzellen bedingt
wahrscheinlich ein dauerd gesteigertes Assimilationster
mögen (Hauser) oder eine Vermehrung der Avidität Ehr-
lich). Vielleicht wirkt die hydroxylierte Amidoverbindung sch
digend auf die Lipoidsubstanz der Zelle ein — deren In i
sein die Mitosenbildung für gewöhnlich zurückhält —, wodurt
eine Wucherung der Zellen erklärt werden könnte. Das 6%
nannte Verbindung eine große Affinität zu fettartigen Substans
haben müsse, kann schon aus dem Verhalten des Sudan-Il- a
stofis zu Fett geschlossen werden. — Die Prognose der Am i
carcinome des uropoetischen Systems ist infaust. Da als a
intoxikationspforten die Haut und die Lungen in a
kommen, hat die Prophylaxe sich hauptsächlich in peinlichs i
Sorge für Reinlichkeit und gute Luft (der Arbeitsräume) zu betätigen:
s fys Fart e eE A E eT
-
.3 u SEE a Be 2 Ze 77
1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1961
| Aus der Schlofferschen Klinik (Prag) veröffentlicht
Schwarzkopf eine eingehende Arbeit über die „Statistik des
Brustkrebses“ (3). Behandelt wird das Prager Material (unter
Wölfler) von 1895 bis 1910 und das der Innsbrucker Klinik in
dem Zeitraum von 1904 bis 1911. Die Statistik richtet sich nach
den bekannten Punkten und ist im einzelnen natürlich zur kür-
zeren Besprechung nicht geeignet. — Hervorgehoben möge werden,
daß auch Schwarzkopf zu: ähnlichen Resultaten in bezug auf
mehr oder minder gehäuftes Vorkommen des Krebses an bestimmten
Orten kommt wie R. Werner in seiner Krebsstatistik für das
Großherzogtum Baden, „daß die Bedingungen, welche zur Häufung
des Krebses an manchen Orten führen, nicht an besondere Rigen-
schaften der Personen, sondern an solche ihrer Wohnstätten
geknüpft sind“.
Aus der Leipziger Chirurgischen Klinik bespricht H. Meyer
einen Fall von Luxation im Lisfraneschen Gelenk (4). Ein
Mann war aus 4 m Höhe auf einen gepflasterten Hof gesprungen.
Die Röntgendurchleuchtung des stark geschwollenen und im Lis-
franeschen Gelenk in Abduktionsstellung stehenden Fußes ergab
eine dorso-laterale Luxation. Man unterscheidet eine dor-
sale, eine plantare und zwei seitliche Luxationen (nach innen
und außen). — Nach den bisherigen Erfahrungen ist bei Verrenkungen
im Lisfrancschen Gelenk nur bei Luxationen eines einzelnen
Mittelfußknochens ein operatives Vorgehen gerechtfertigt;
hier muß man die blutige Einrenkung vornehmen. Ge-
lingt bei Verrenkungen des ganzen Matatarsus, nachdem
man besonders in frischen Fällen das erste Tarso-Metastarsal-
gelenk freigelegt hat, die Einrenkung nicht, soll man die
Luxation bestehen lassen und von eingreifenderen Ope-
rationen absehen. Die Gebrauchsfähigkeit des Fußes kann
doch eine relativ gute werden. Ä
Das Genu valgum adolescentium im Röntgenbild (5)
behandelt K. Bräunig in einer Arbeit aus der Rostocker Chirur-
gischen Klinik. Abgesehen von den durch rachitische Erkran-
kungen im frühesten Kindesalter und von den durch schwerere
Traumen bedingten Verbiegungen sowie von denjenigen Deformie-
rungen, die im Gefolge von Knochen- und Gelenkerkrankungen
auftreten, ist die Deutung des zwischen dem 12. und 20. Jahre
allmählich entstehenden sogenannten Genu valgum stati-
cum und der Coxa vara statica noch ein sehr strittiges Ge-
biet. Die einen nehmen eine abnorme Belastung, die andern
eine abnorme Weichheit des Knochens als Ursache der Defor-
mierung an.
Die röntgenologische Untersuchung ergab nun, daß es sich
in allen ausgesprochenen Fällen von Genu valgum um Unregel-
mäßigkeiten des Verlaufs und Ungleichmäßigkeiten der
Breite der Epiphysenfuge handelt, und zwar um eine für
das Alter zu großen Breite und eine Verzögerung der
Verknöcherung. Auf Grund seiner eindeutigen Befunde tritt
Bräunig für die Theorie des rachitischen Ursprungs des
statischen Genu valgum ein.
Einen sehr interessanten Fall von embolischer Ver-
schleppung eines P’rojektils (6) teilt R. Rubesch aus der
Schlofferschen Klinik zu Prag mit. Ein 28jähriger Mann hatte
sich einen Horzschuß beigebracht. Eine Stunde nach dem Suicid-
versuch klagte er über Schmerzen im rechten Bein. Das rechte
Bein fühlte sich kühler an wie das linke. Der Puls in der rechten
Arteria paplitea war schwach, in der Arteria dorsalis pedis nur
undeutlich zu fühlen. Bei der Röntgenuntersuchung fand sich
das Projektil, entsprechend dem Verlaufe der Arteria
femoralis 5 bis 6 cm unter dem Ponpartschen Band!
Zuerst wurde die Arteria iliaca externa extraperitoneal oberhalb
des Poupartschen Bandes freigelegt (zur eventuellen besseren
Kompression bei Blutung), dann die Arteria femoralis incidiert
und das Projektil entfernt. Vor und hinter dem Projektil saßen
Thrombusmassen, die ebenfalls extrahiert wurden; darauf wurde
die Arterie genäht. Trotz dieser, 24 Stunden nach der Verletzung
vorgenommenen Operation kam es zu Gangrän des Unterschenkels,
die eine Amputation notwendig machte. Es fand sich eine aus-
gedehnte Thrombose der Arteria tibialis postica (die wohl während
oder durch die 24 stündige Cirgulationsstörung entstanden ist.
Referent). — Rubesch bringt eine eingehende Literaturbesprechung.
Es konnten 17 Fälle von embolischer Projektilverschleppung (teils
postmortal) zusammengestellt werden. |
Zur Frage der Pylorusausschaltung (7) liefert H.
v. Tappeiner aus der Greifswalder Klinik interessante, durch
zahlreiche Hundeexperimente gestützte Beiträge. Bekanntlich heilen
manche Duodenal- und Pylorusgeschwüre nach einfacher
Gastroenterostomie deswegen nicht ab, weil ein Teil der Ingesta
trotzdem den alten Weg geht oder weil die Anastomosenöfinung
sich wieder schließt. Tappeiner hat die verschiedenen Ver-
fahren der Pylorusausschaltung geprüft und gefunden, daß die
von Eiselsbergsche Methode (Durchtrennung des Pylorus und
blinder Verschluß beider Lumina) die besten Resultate liefert.
Leider ist diese Methode aber zu eingreifend.. v. Tappeiner
empfiehit daher die Umschnürung des Pylorus mit einem
aus der vorderen Reetusscheide freitransplantierten
Fascienstreifen nach Wilms. Der 10 cm lange Fascienstreifen
wird unter kräftigem Zug einmal um den Pylorus herumgelegt und
wie ein Band geknotet; der Knopf wird mit einigen Nähten ge-
sichert. — 69, 50 und 37 Tage nach der Operation Sießt aus dem
Hundemagen Wasser nur tropfenweise ins Duodenum ab.
An der Hand von Tierexperimenten teilt A. Hoffmann
(Greifswalder Klinik) seine Erfahrungen über „die Schnelldes-
infektion der Schleimhaut bei Operationen mit Eröffnung
des Magendarmtraktus“ (8) mit. Er kommt zu dem Schluß,
daß nach trocknem Auswischen des Inhalts aus einem durch
eine Doyensche Klemme abgeschlossenen Magendarmabschnitt,
kurzes Abwischen der Schleimhaut mit einem mit 5'/nigem
Thymolspiritus befeuchteten Tupfer zur ausreichenden
Schnelldesinfektion genügt. Die Mucosa ist dann praktisch
nahezu steril. Serosaflächen sollen nicht berührt werden. — Der
5 0/,ige Thymolspiritus eignet sich auch zur Desinfektion der
Scheide.
In vieler Beziehung sehr wichtig sind die „experimen-
tellen Untersuchungen über das Entstehen trauma-
tischer Blutungen in der Appendix“ (9), die R. Rubesch
und K. Sugi (Greifswalder Chirurgische Klinik und Pathologisches
Institut) austellten. Es wurden auch bei gynäkologischen Ope-
rationen gewonnene, sogenannte „gestohlene“ Appendices nach ge-
nannter Richtung hin untersucht. Es wurde absichtlich vermieden,
Wurmfortsätze von Hernienoperationen oder dergleichen zur Unter-
suchung heranzuziehen, da es gerade da leicht zu unkontrollier-
baren Quetschungen kommen kann. — Bekanntlich besteht darüber,
ob die capillären, submucösen, in der Schleimhaut oder in den
Follikeln sitzenden Blutungen der akut erkrankten Appendices als
Zeichen der akuten Entzündung oder als Kunstprodukte aufzu-
fassen sind, keine Einigung. An der Hand zahlreicher Tier-
experimente stellten Rubesch und Sugi fest, daß durch die
Appendektomie allein Blutungen erzeugt werden können.
Von neun gynäkologischen „gestoblenen“ Appendices,
bei denen Abtragungsart (ob Druck oder nicht) genau registriert
war, wiesen acht Blutungen auf (nur einer nicht, weil er völlig
obliteriert war). Die Untersuchungen bieten somit eine neue Stütze
der Aschoffschen Ansicht über diesen Gegenstand.
In einer Arbeit aus dem Allerheiligenhospital zu Breslau
über „Epidermoide seltener Lokalisation“ (10) teilt H. Simon
eine eigne Beobachtung eines großen Epidermoids der Gesäßgegend
mit. Simon unterscheidet nach dem mikroskopischen Verhalten:
Atherom (Cystenwand aus Epidermiszellen ohne Basalzellenschicht),
Epidermoid (normale Epidermis, dabei Fehlen der Haare, Haar-
balg- und Schweißdrüsen), Dermoid (mit Haaren usw.). Teratome
nennt er alle Bildungen, die höher differenzierte Gewebe ent-
halten. — Unter die Epidermoide rechnet er auch die sogenannten
„traumatischen Epitheleysten“. Die traumatische Genese vieler
dieser Bildungen wie auch an andern Körperstellen gelegene Epi-
dermoide hält Simon für erwiesen. Er führt unter seinen 25 aus
der Literatur gesammelten Epidermoiden seltener Lokalisation
eine ganze Reihe von solchen an, wo eine Operation vorausgegangen
war (eingewachsene Nageloperation, Circumeision und andere mehr).
— Auch ein Fall von Dermoid der Achselhöhle, nach Ausräumung
derselben entstanden, teilt Simon mit.
Ueber denselben Gegenstand verbreitet sich F. A. Hesse
aus der Greifswalder Klinik in der Arbeit „Die Entstehung
der traumatischen Epithelceysten, zugleich eine kri-
tische Studie über die Atheromliteratur“ (11). Er teilt
die Hautbildunger ein in 1. Athorome, 2. Dermoide oder
Epidermoide, 3. die traumatischen Epithelcysten. Im
wesentlichen bezweckt die Arbeit, der zahlreiche Tierexperimente
zugrunde liegen, die Pels-Leusdensche Ansicht gegenüber der
Reverdin-Garr6öschen mehr in den Vordergrund zu rücken.
Pels-Leusden nimmt an, daß in vielen Fällen feinste, in die
Haut eingedrungene Fremdkörperchen Ursache der Epithel-
cysten sind. In den Versuchen gelang es, durch eingeführte
Metallteilchen unter die Haut des Kaninchenohrs, derartige Bil-
dungen zu erzielen, wobei mikroskopische Bilder sich ergaben, die
1962
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember,
beweisen, daß Epithelcysten sich allein von den Anhangs-
gebilden der Haut aus entwickeln können. (Garré behauptet
bekanntlich, daß die Epitheleysten sich von eingestanzten
Epidermisstückehen aus bilden.)
Aus der Chirurgischen Klinik zu Lund stammt die Arbeit
Nils Hellströms „Zur Spontanheilung der akuten eitri-
gen Hepatitis nach Appendicitis“ (12). Im Anschluß an
einen Fall von eitriger Hepatitis nach Epityphlitis, wo eine In-
cision in die stark geschwollene Leber nur wenig Eiter entleerte,
teilt Hellström eine Reihe von Fällen von multi- und uni-
lokularen Abscessen der Leber (bei meistens vorhandener allge-
meiner Hepatitis) mit, die teilweise durch Probelaparotomie, hier
und da auch durch Probepunktion sichergestellt sind und die
ohne Ineision der Leber heilten. Nicht nur die tropischen
Leberabscesse scheinen also spontan auszuheilen, auch die eitrigen
Entzündungen der Leber unserer Länder scheinen eine überaus
große Neigung zur Spontanheilung zu besitzen. Jedenfalls kommt
eine Selbstheilung durch Resorption der Entzündungsprodukte nach
Absterben des Virus häufiger vor, als man bis jetzt anzunehmen
geneigt war.
„Ueber die primären epithelialen Neubildungen des
Niserenbeckens“ (13) ist der Titel einer von F. Stüsser ver-
faßten Arbeit aus dem Friedrich-Wilhelm-Stift zu Bonn.
Stüsser hat alle Fälle von Tumoren des Nierenbeckens aus der
Literatur zusammengestellt: 25 gutartige Papillome, 23 bösartige
Papillome, 11 Fälle von solidem Carcinom, bei denen eine Relation
von £pithel und Bindegewebe nicht mehr festzustellen war. Er
teilt dann eine eigne Beobachtung, die in die letzte Gruppe gehört,
mit. Von den 60 Fällen wiesen dreizehn Steine auf, von diesen
entfielen sieben auf die Fälle von solidem Careinom (65 29/0).
Aehnlich wie beim Gallenblasenkrebs (90 %/,) scheint der durch die
Steine gesetzte Reizzustand eine große ätiologische Rolle für die
Carcinomgenese zu spielen. Als Symptome der Nierenbecken-
geschwülste kommen in Betracht: Hämaturie, Hydronephrose,
Schmerzen in der Nierengegend; eventuell mikroskopischer Zotten-
nachweis im Urin. Selbst bei scheinbar gutartigen Papillomen ist
Nephrektomie die beste Methode.
Eine recht interessante Arbeit von R. Eden „Zur Technik
. der Gefäßnaht“ (14) stammt aus der Lexerschen Klinik. Bei
der Vornahme von Gefäßnähten ist peinlichste Asepsis, Fehlen
aller reizenden Chemikalien an Nahtmaterial und Instrumenten,
wodurch eine Thrombose bewirkt werden könnte, Vorbedingung.
Eden verwandte mit brillantem Erfolg als Nahtmaterial Pferde-
haar, das zehn Minuten gekocht und dann in sterilem Glycerin
aufbewahrt war. Eden empfiehlt durchgreifende Knopf- oder
` Matratzennähte, wodurch Intima an Intima zu liegen kommt. Nach
Monaten war die Intima, durch die man die Haare durchschim-
mern sah, glatt und glänzend. Die Reaktion des Körpergewebes
auf die Haare fehlt fast vollständig, keine Fremdkörperriesen-
zellen, nur mäßige Anhäufung von Wanderzellen um die Haare.
Zahlreiche Tierexperimente.
In „Mitteilungen zur Technik der Magenresektion
beim Careinom“ (15) teilt Kelling (Dresden) seine seit Jahren
geübte Methode mit. Er sieht die Hauptgefahr für einen ungün-
stigen Ausgang in der Infektion des Operationsfeldes durch den
Inhalt des carcinomatösen Magens; er vermeidet die „unsauberen“
Schleimhautnähte. Bei der Resektion des Tumors legt er in die
Quetschfurche des Duodenums eine sero-muskuläre (vier Ein-
stiche) Tabaksbeutelnaht, die dann zugezogen wird. Nach Ab-
klemmung des Magens wird durchschnitten. Die vorstehende
Schleimhaut wird abgetragen und der Bürzel mit Carbolsäure
und dann mit Alcohol absolut. betupft. Da auch die Lymph-
drüsen Infektionsmaterial enthalten, dürfen sie nicht gequetscht
oder zerschnitten werden, sondern vorsichtig in toto entfernt
werden. — Bei der Methode Billroth II empfiehlt er, zur Gastro-
enterostomie eine Enteroanastomose zuzuführen. — Bei entkräfte-
ten Patienten ist die Gastro-duodenostomie der Billroth-II-
Methode vorzuziehen. — Ist Gastro-duodenostomie undurchführbar,
Resektion Billroth II wegen schlechten Ernährungszustandes be-
denklich,“muß zweizeitig operiert werden.
W. N. Kosanow berichtet aus dem Moskauer Krankenhause
Soldatjenkow über Lymphangioplastik bei Elephantiasis (16).
Er benutzte das etwas modifizierte Lanz-Oppelsche Verfahren.
Er schnitt aus der Haut des Ober- und Unterschenkels große
rhombenförmige Stücke aus. Unterhautzellgewebe wurde nicht
mit entfernt. Dann wurde aus dem freigelegten Gebiete Fascien-
Unterhautzellgewebslappen in die Tiefe der Muskulatur ge-
leitet und dort fixiert. Die Haut wurde darüber vernäht. Auf
diese Weise wurde ein Abfluß der Hautlymphflüssig-
keit durch die Lymphgefäße der Muskeln erzielt, Hervor.
ragende Besserung. |
S. Königs Arbeit: „Ueber Absprengungsfrakturen an
vorderen und hinteren Abschnitt des distalen Endes der
Tibia, mit Berücksichtigung der Rißfrakturen* (17) be-
handelt in eingehender Weise die diesbezügliche Literatur und
bringt zwei eigne Fälle, bei denen durch eine heftige Stauchung es zu
Absprengungen von Knochenteilchen gekommen war. Die Ab-
sprengung kam dadurch zustande, daß durch den andrängenden
Talus eine Knochenlamelle der vorderen Tibiaseite abgestoßen
wurde. Es findet sich bei diesen Verletzungen zuerst Anschwel-
lung der vorderen Gelenkgegend, Bewegungs- und Druckschmerz;
allmählich bildet sich dann eine Versteifung aus. Im zweiten
Falle war es zu einer brückenförmigen Ankylose zwischen .Talus
und Tibia gekommen. Praktisch wichtig ist daher, solche ab-
gesprengte Stückchen frühzeitig operativ zu entfernen.
In einer außerordentlich eingehenden Arbeit legt Geheimrat
Payr (Leipzig) seinen Standpunkt „Ueber die operative Be-
handlung von Kniegelenksankylosen“ (18) dar. Aus der
sehr umfangreichen Studie kann nur das Markanteste hervorgehoben
werden. Nachdem man versucht hatte, durch Interposition von
Perichondium, Knorpel, Periost, von mit Chromsäure präparierter
Schweinsblase, formalinisiertem Amnion, von frischer und vor-
behandelter Hydrocelenwand oder Bruchsackgewebe eine Gelenk-
bildung zu erzielen (teilweise mit befriedigendem Erfolge), ver-
wendet jetzt Payr nach Entfernung der Lig. cruciata, der ge
samten Gelenkkapsel, der vorhandenen Schwielen usw. einen ge-
stielten Fascienlappen aus der Fascia lata des Ober-
schenkels zur Interposition zwischen die Gelenkenden. Es werden
aufs genaueste Indikation, Kontraindikation, Operation und Nach-
behandlung besprorhen. Von 12 (13) Fällen wurde in acht Fällen
ein günstiges Resultat erzielt. In vier Fällen wurde sogar eine
Beweglichkeit von 80 bis 90° erreicht! Die Mißerfolge trafen die
ersten Fälle.
Gleichsam die anatomischen Beläge für die klinischen Er-
fahrungen am Menschen liefert die ebenfalls aus der Payrschen
Klinik hervorgegangene, tierexperimentelle Arbeit M. Sumitas _
über „Experimentelle Beiträge zur operativen Mobili-
sierung ankylosierter Gelenke [gestielte Weichteil-
lappeneinlagerung in experimentell verödete Ge-
lenke (19). An einer großen Reihe von Tierversuchen ist
Sumita zu folgenden Resultaten gekommen: Die Kniegelonke
erhalten eine befriedigende Beweglichkeit, die eingelagerten, gè
stielten Lappen sind nie in größerem Umfang nekrotisiert. Durch
Straffung und Zerrung (bei Gelenkbewegung) des interponierien
Gewebes kommt es. zur Hyperämie, Gefäßneubildung und
Hyperplasie desselben. Frühzeitig tritt dann eine fibröse
Umwandlung und Schleimbeutelbildung ein, wodurch eine
Wiederverwachsung der knöchernen Gelenkenden verhindert wird.
Gewebsblutungen, partielle Nekrose, Verflüssigung des
nekrotischen Gewebes führen zur Bildung eines schleimige
Flüssigkeit enthaltenden Hohlraums. Im allgemeinen besteht bald
eine große histologische Aehnlichkeit der neuen Innenwand mit
der normalen Gelenkinnenhaut. An Stelle der vorher abgetragend
Gelenkkapsel kommt es ebenfalls zu einer kapselähnlichen
Differenzierung des umgebenden Bindegewebes. Knorpel wird
nicht gebildet. Die makroskopisch knorpelig aussehenden Ge-
lenkflächen zeigen mikroskopisch einen fest mit dem Knochen
verwachsenen bindegewebigen Ueberzug. — Gestielte Fasclen
und Fettlappen eignen sich am besten zur Interposition. _
Eugen Polya (Budapest) bespricht in einer an anatomischen
Untersuchungen reichen, sehr interessanten Arbeit die „Ursachen
der Rezidive nach Radikaloperationen des Leisten:
bruchs“ (20). Er wendet die nach Girard, Berger und Halske.
modifizierte Bassinische Operation an. Prinzipiell steht er a0
dem Standpunkte, daß nur indirekte kleine Brüche nach Kocher,
alle direkten, komplizierten Hernien nach Bassini zu operieren
sind. — Die Rezidive nach Bassinischer Operation kommen MT
medialsten Viertel des Leistenkanals, in dem An
zwischen Rectus und Poupartschem Bande, zustande. y
kommt daher, weil in den meisten Fällen die unterste Partie 0%
zur Bildung der Hinterwand verwandten Obliguus internus a
entwickelt und atrophisch ist und Lücken aufweist, während 0
reelle Rand des vollkräftigen Muskels weiter nach oben liegt:
Daher muß zur Bildung des medialsten Teils der In
wand des Leistenkanals der unterste Teil des Rec i
(nach Spaltung der Scheide) an das Poupartsche Band 8
1. Dezember.
genäht werden. Der exakte Verschluß wird durch Verdoppelung
. der Aponeurose des Obliquus externus und laterale Verlagerung
des Samenstrangs noch mehr verstärkt. Verwendung nicht-
resorbierbarer Nähte und Asepsis ist Vorbedingung für einen
dauernden Erfolg.
Literatur: 1—7. B. z. Chir. Bd. 80, H. 2. — 8—14. Ebenda Bd. 80,
H. 3. — 15—20. A. f. kl. Chir. Bd. 99, H. 3.
Ueber Psychotherapie und medizinische Psyohologie
(aus 1911, 1912)
= von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Eulenburg, Berlin.
Renterghem (1) — der bekannte Amsterdamer Psycho-
therapeut — stellt sich in einem vor der Psychomedical Society
in London gehaltenen Vortrage die Frage: „Wie soll man dem Ärzte,
speziell dem allgemeinen Praktiker, wiederum die Achtung und
das Vertrauen des Publikums, das er früher genoß, verschaffen?“
Er glaubt, daß eine von ihm empfohlene Reform des ärztlichen
Unterrichts zu dem gewünschten Resultat führen würde. Diese
Reform scheint für ihn lediglich in einem Ausbau und einer
stärkeren Heranziehung der psychotherapeutischen Methoden zu
bestehen, unter denen er die moralische, die erzieherische Behand-
lung, die Suggestionsbehandlung und die psychoanalytische oder
kathartische Methode von Breuer und Freud begreift und einzeln
erörtert. Dem Zeitalter der Naturwissenschaften muß das der
modernen Psychologie folgen, deren langsame aber beständige Ent-
wicklung wir vor uns sehen — die uns bereits eine bessere Auf-
fassung über das Kind, über den Verbrecher und über den Geistes-
kranken gegeben, der Pädagogik, der Kriminalistik und der Psy-
chiatrie Nutzen gestiftet hat. Die Ausdehnung unserer Kenntnis
der psychischen Gesetze muß uns zu einer Lehre vom „psychischen
Monismus“ führen, das heißt die zeigt, daß der Geist allein wirk-
lich und der Stoff nur eine Manifestierung der darunter liegenden
Realität ist, daß wir in der Menschheit und im Universum selbst
die Entwicklung eines großen psychischen Organismus erblicken,
als dessen Organe wir uns fühlen. Die Psychotherapie sollte in
Zukunft an allen Universitäten im Zusammenhange mit der Neu-
rologie und Psychiatrie gelehrt werden. Ein praktischer Kurs der
Suggestionstherapie, dem ein theoretischer der Psychophysiologie
folge, sei auch dringendes Bedürfnis. Der junge Arzt werde, wenn
er die Universität mit der medizinischen Psychologie wohlvertraut
verlasse, dadurch gegen die Schwierigkeiten seines Berufs besser
gerüstet. Nur dann könne er mit Bias sagen: omnia mea
mecum porto.
Erwin Wexberg (2) äußert sich über eine in der psycho-
analytischen Bewegung eingetretene Spaltung, insofern die von
Alfred Adler in zahlreichen Arbeiten neuerdings vertretenen Ge-
sichtspunkte sich schwer mit den Voraussetzungen der Freud-
schen Lehre vereinigen ließen. Nach Wexberg läßt sich aber der
scheinbar unlösliche Widerspruch auf dem Wege logisch-theore-
tischer Erwägungen doch überwinden. Die physiologische Grund-
lage der Freudschen Theorie ist die Annahme der erogenen
Zonen. Die Prädilektion in der Auswahl dieser Zonen kommt in
der späteren Entwicklung zur Bedeutung. Adler geht dagegen
von einer funktionellen Minderwertigkeit gewisser Organe aus, die
infolge hereditärer Schädlichkeiten oder durch nutritive, trauma-
tische und sonstige Entwicklungshemmungen während des intra-
uterinen Lebens ihrer Funktion nicht vollkommen gerecht werden
können. Die nahe Beziehung zwischen der funktionellen Minder-
wertigkeit und dem erogenen Charakter eines Organs kann als der
gemeinschaftliche physiologische Ausgangspunkt der Freudschen
und der Adlerschen Theorie gelten. Die funktionell minder-
wertigen Organe sind nun zugleich „affektiv überwertige“
im Sinne Freuds. Mit dem Gefühl der affektiven Ueberwertigkeit
verbindet sich der Wunsch nach affektiver Lustbefriedigung.
Damit gelangen wir zum Freudschen Begriffe des „Autoero-
tismus“ als psychischer Reaktion erster Ordnung. Bei Adler
dagegen antwortet das Individuum auf das Gefühl der funktionellen
Minderwertigkeit in der Form einer psychischen Kompensation, die
er als „Sicherungstendenz“ bezeichnet — und zwar einerseits
zu Schutzmaßregeln im Sinne der Verteidigung (Sicherungen im
engeren Sinne) — anderseits aber auch im Gegenangriffe („männ-
licher Protest“ Adlers). Dabei. kommt es entweder zu einer
Verfeinerung des psychischen Apparats („Ueberbau, Intellek-
tualisierung des psychischen Lebens) — oder zu „Notkompen-
sationen“, die uns als neurotische Symptome, als Träume, als
Fehlbandlungen bekannt sind — die also den empirischen Begriff
des Krankhaften an sich tragen. Bei Freud entspricht dieser
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48, 1963
„Reaktion zweiter Ordnung“ der Mechanismus der Triebver-
drängung. Die Verdrängung bedient sich der Sublimierung, die
Sicherungstendenz der intellektuellen Ueberleistung; mißglückte
Verdrängung führt ebenso wie die mißglückte Sicherungstendenz
zum „neurotischen Symptom“. Der Parallelismus zwischen
Freud und Adler ist also glücklich hergestellt; ihre Theorien
verhalten sich als notwendige Korrelate zueinander — quod erat
demonstrandum.
L. Guttmann (3) hat experimentell-psychologische
Untersuchungen über die Aufmerksamkeit und geistige
Leistungsfähigkeit bei Manisch-Depressiven angestellt.
Letztere ist herabgesetzt; in quantitativer Beziehung arbeiten die
Manischen besser als die Depressiven, in qualitativer schlechter.
Die Uebungsfähigkeit ist geringer als bei Normalen. Die Aus-
führung einer Arbeit wird in anderer Weise als von diesen voll-
zogen; die neuropsychische Energie entwickelt sich nämlich nur
allmählich, die Kranken müssen sich „hineinarbeiten“ — die zweite
Hälfte einer Arbeit erweist sich daher im allgemeinen produktiver
als die erste (bei Normalen umgekehrt). Die günstige Wirkung
von Pausen (fünf Minuten nach Arbeit von gleicher Dauer), die bei
Normalen unmittelbar hervortritt, kommt bei den Manisch-Depres-
siven nicht zur Geltung; im Gegenteil wird bei diesen nach der
Pause die Arbeit qualitativ schlechter, auch die Beständigkeit der
Aufmerksamkeit sinkt nach der Pause, Die Erdmüdbarkeit der
Depressiven ist größer als die der Manischen (in einzelnen Fällen
ist sie aber auch bei letzteren ziemlich bedeutend).
Schneickert (4) gibt interessante Beiträge zur Psy-
chologie der Erpresserbriefe, unter Wiedergabe einiger aus
der kriminalistischen Praxis stammenden Beispiele (unter andern
die vielbesprochenen Lichtenrader Drohbriefe vom Juli 1910 —
Bombenattentäter!), ferner aus der Gruppe der päderastischen
Erpresser und der „Erpresserschriftsteller* (Hennig, Koppius).
In einen Anhang zur Bekämpfung des Erpressertums macht
Schneickert auf eine dem Gerichtsschutze der Zeugen wider-
strebende Entscheidung des Reichsgerichts vom 17. Januar 1884
aufmerksam, die auf die heutigen, einen stärkeren Schutz der
Zeugen erfordernden Verhältnisse nicht mehr ohne Einschränkung
angewandt werden dürfte.
Förster (5) bespricht die Beziehungen von Beruf und
Mode zu den Geisteskrankheiten. Schon Berufswahl und
Berufslosigkeit sind häufig als Zeichen einer Disposition zu Geistes-
krankheiten aufzufassen. Neben der Berufswahl kommt auch die
Dauer der Berufsstellung in Betracht (häufiger Stellungswechsel).
Als indirekte Ursache von Geisteskrankheiten kann der Beruf durch
mechanische, chemische und psychische Schädigungen in Betracht
kommen (Unfälle, berufliche Vergiftungen, Alkoholismus, Mor-
phinismus und Cocainismus; seltener Ansteckung von Kranken-
wärtern in Irrenanstalten). Direkter wirkt der Beruf in der
Färbung, dem gedanklichen Inhalt der Wahnideen, wie das z. B.
sehr plastisch bei den Alkoholikern, Paralytikern, aber auch bei
der katatonischen Form des Jugendirreseins usw. hervortritt.
Schädigend wirkt im allgemeinen weniger die (Qualität als die
"Quantität der beruflichen Leistung, wenn auch beides nicht immer
ganz zu trennen ist. Meist kommt es dabei nur zu erhöhter Reiz-
barkeit mit den übrigen Symptomen der Neurasthenie; wo Geistes-
krankheiten entstehen, handelt es sich wohl ausnahmslos um erb-
lich prädestinierte Konstitutionen. In zahlreichen Fällen ist übrigens
der Beruf zweifellos (ein Druckfehler sagt „unzweifellos“) ein Schutz
gegen Erkrankungen durch die Regelmäßigkeit der Lebensführung,
die garantierte Sicherheit des Einkommens, die Notwendigkeit
einer ‚gewissen täglichen Leistung. — Kaum weniger tief als die
beruflichen Einflüsse wirken die Einflüsse der Zeitströmungen, der
Mode. Aber auch hier verhält es sich wie mit den Einwirkungen
des Berufs; die Zeitereignisse sind in der Regel nicht Ursache der
Erkrankung, sondern sie wirken auf diese nur „fördernd“ (besonders
auffällig bei der Begehung von Selbstmorden, deren Art auch
eine „Modesache“* ist: Vergiftungen durch Phosphor, durch Lysol,
durch Veronal); literarische Einflüsse, Einwirkungen der Umwelt,
Massensuggestionen sind zu berücksichtigen. Relativ harmloser
Art sind die Beziehungen zwischen Geisteskrankheiten und „Mode“
im engeren Sinne (Kleidung). Förster meint, daß, wenn die Be-
tätigungen der Geschlechter einander noch ähnlicher werden, wenn
die Frau noch mehr ins Berufsleben tritt als bisher, dann auch
ihre Vorstellungen bei der geistigen Erkrankung mehr denen der
Männer gleichkommen werden. Auch die Geisteskrankheiten sind
der Veränderung unterworfen (gegenwärtig allgemeine Abnahme
‚der motorischen Erregung!) — wie sie in ihren kleinen Zügen
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1964
von der Mode beeinflußt werden,
Zügen dem Zeitcharakter.
Geijerstam (6) beschließt seine reichhaltige Kasuistik über
den Hypnotismus als therapeutisches Mittel bei Neur-
so folgen sie in ihren großen
asthenie, Hysterie und Zwangserscheinungen mit einigen’
allgemeinen Bemerkungen, worin er auf die tieferen Ueberein-
stimmungen zwischen Freuds Methode der Psychoanalyse und der
Hypnotherapie aufmerksam macht und seine Ansicht ausspricht,
daß die Freudsche Schule noch keinen stichhaltigen Beweis gegen
den Wert der Hypnotherapie geliefert habe.
Höpfner (7) erblickt in dem ausgebildeten Stottern eine
völlig einheitliche Sprachstörung. Seine Ursache ist eine Vor-
stellung, deren Wesen zu suchen ist sowohl in der durch sie her-
vorgerufenen Störung des sprachlichen Denkens wie auch in der
Störung der Sprachbewegungen. Die Einheitlichkeit erhellt be-
sonders aus dem assoziativen Ausbau der Vorstellung zu stottern;
dieser Ausbau zeigt typische Züge, die unbedingt den Begriff der
Psychosebildung, das heißt eines krankhaften Verhaltens der
Psyche, rechtfertigen. Die Störung des „psychotischen Stotterns“
imponiert als eine assoziative Varietät der Aphasie. Das
Gebiet des Stotterns, das bei den Aerzten lediglich der Physiologie
und Pathologie, den specifisch-symptomatischen Betrachtungsweisen,
anheimgefallen war, muß der psychologischen Denkweise ganz
zurückgewonnen werden!
Literatur. 1. von Renterghem, Die Herstellung der Autorität des
Arztes durch eine Reform des medizinischen Unterrichts. (Zt. f. Psychother.
Bd. 4, H. 2, S.65.) — 2. Erwin Wexborg, Zwei psychoanalytische Theorien.
(ibid. S.96.) — 3. L. Guttmann, Experimentell-psychologische Untersuchungen
über die Aufmerksamkeit und geistige Leistungsfähigkeit der Manisch-Depres-
siven. (ibid. H.1, S.1.) — 4. Hans Schneickert, Zur Psychologie der Er-
presserbriefe. (ibid. S. 35.) — 5. Rud. Förster, Beziehungen von Beruf und
Mode zu Geisteskrankheiten. (ibid. Bd.3, H.6, S. 321.) — 6. Emanuel A.
Geijerstam, Einiges über den Hypnotismus als therapeutisches Mittel bei
Neurasthenie, Hysterie und Zwangserscheinungen. (ibid. H. 5, S.299, H.6,
. 3844.) — 7. Th. Höpfner, Psychologisches über Stottern und Sprechen.
(ibid. H. 5, S. 264.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Feri hat auf der Ghvostekschen Abteilung Untersuchungen zur
Technik der Diazoreaktion angestellt. (Wr. kl. Woch. Nr. 24). Die
bisher übliche Ehrlichsche Reaktion hat gewisse Uebelstände für den
Praktiker, da sie zwei verschiedene sonst gar nicht gebräuchliche Reagens-
lösungen voraussetzt, die in einem bestimmten quantitativen Verhältnis ge-
mischt werden müssen. Feri fand, daß der bisher immer erst ad hoc in vitro
darzustellende Diazokörper durch Yaranitrodiazobenzolsulfat, welches
unter dem Namen Azophorrot P. N. im Handel erhältlich ist, ersetzt
werden kann. Dieser Körper wird in der Färberei gebraucht. Er kommt
in lichtbraunen Körnchen, die sich im Wasser, auch im Leitungswasser
sehr Jeicht lösen. Es bleibt in braunen Flaschen auch im diffusen
Tageslicht monatelang unverändert verwendbar. Die Reaktion wird
folgendermaßen ausgeführt: Mehrere Körnchen Azophorrot P. N. werden
in einer Eprouvette mit Wasser ein- bis zweimal umgeschüttelt. Dabei
löst sich auch in der Kälte genug von dem Reagenskörper.. Den Harn
versetzt man vorsichtig mit verdünnter Natron- oder Kalilauge (nicht.
mit Ammoniak) bis eine leicht bleibende Trübung wahrnehmbar ist, und
setzt dann die Reagenslösung zu. Positiv ist die Reaktion nur dann,
wenn eine leuchtend rote Farbe auftritt und auch der Schüttelschaum
rot ist. Bei intensiver Reaktion wird die Farbe geradezu kirschrot. Bei
fehlender Färbung des Schüttelschaums ist die Flüssigkeit sehr selten
rot, meist gelb bis braun. Durch medikamentöse Ausscheidungen werden
keino Täuschungen hervorgerufen, weil der in diesen Fällen entstehende
Farbstoff nicht so ausgesprochen rot ist, sondern eher gelb und durch Essig-
säure verschwindet, während bei der positiven Diazoreaktion der Säure-
zusatz nur eine geringe Aenderung der Farbennnance macht. Ver-
gleichende Untersuchungen mit der Ehrlichschen Diazoreaktion zeigten,
wie beide Proben stets in gleicher Weise sei es positiv, sei es negativ
ausfielen. (Wr. kl. Woch. Nr. 24.) Zuelzer.
Purjesz und Perl berichten aus der Universitätskliniik zu Ko-
lozavar über das Vorkommen der Typhusbacillen in der Mundhöhle
bei Typhuskrauken. Sie fanden im febrilen Stadium bei mehr als der
Hälfte ihrer Fälle, sowohl auf den Tonsillen wie auch an den Zähnen,
während der Rekonyaleszenz an den Zähnen in 50 On und an den Ton-
sillen in 20°/, der Fälle Typhusbacillen, welche sie rein zu züchten in
der Lage waren. Sogar noch in der späten Rekonvaleszenz der vierten
bis achten Woche konnten Typbusbacillen gelegentlich nachgewiesen
werden, eine Tatsache, die nicht nur in prophylaktischer und epidemio-
logischer Hinsicht, sondern auch in diagnostischer von großer Bedeutung
ist. (Wr. kl. Woch. Nr. 40, S. 1494.) Zuelzer.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
——
Die Brusternährung kann und soll nach den Erfahrungen von
Wile (New York) wieder in Gang gebracht werden durch regelmäßiges
Anlegen des Säuglings, auch wenn aus irgendwelchen Gründen die Brüste
während mehrerer Monate nicht mehr gebraucht worden waren. Ueber-
haupt sollte eine Mastitis, solange kein Eiter in der Milch erscheint
keine Kontraindikation gegen das Stillen bilden, ebenso wenig wie leichte
Allgemeininfektionen Jedenfalls sollten nach Ablauf einer abszedierenden
Mastitis oder einer Iufektionskrankheit alle Anstrengungen gemacht
werden, um den Säugling wieder an die Brust zu gewöhnen. Im ersten
Monate, bis die Sekretion der Brustdrüsen richtig in Gang gekommen ist,
empfiehlt sich oft eine Zulage von Kuhmilch. Handelt es sich um sehr
schwache Säuglinge, so läßt sich oft eine genügend reichliche und regel-
mäßige Milchabsonderung dadurch erzielen, daß man gleichzeitig ein
anderes kräftiges Kind anlegt. Mit gutem Willen läßt sich viel er-
reichen, und es sollten Aerzte, Milchstationen und Spitäler gemeinsam
dahin wirken, daß jedem Kinde für möglichst lange Zeit die Brust go-
reicht werde. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 58, Nr. 11. S. 775.)
| Dietschy.
Die Anwendung der Kellerschen Malzsuppe beim sogenannten
Milchnährschaden (Keller-Czerny), bei welchem das Fett der Kub-
milch der Krankheitserreger ist, hat sich nach den Erfahrungen von
Brady (St. Louis) sehr bewährt, besonders bei Kindern nach dem dritten
Lebensmonate. Dazu ist freilich nötig eine hohe Kohlehydrattoleranz der
Säuglinge. Auch bei Diarrhöe ist die Verordnung der Malzsuppe häufig
recht zweckmäßig. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 58, Nr 11, S. 751.)
Dietschy.
Zur Frage der chirurgischen Behandlung der Basedowschen
Krankheit bekennt sich der Internist Pulawski (Warschau) als ein Åu
hänger der chirurgischen Methode, da in der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle die inneren Methoden auf die Dauer versagen. Er befürwortet
folgenden Standpunkt: während des ersten Anfalls der Krankheit, der in
der Regel günstig verläuft, sich abwartend zu verhalten; erst wenn der
Anfall trotz der Behandlung während einer zwölfwöchigen Beobachtung
nicht abklingt, oder wern nach dem orsten Anfall ein zweiter komut,
soll man unbedingt operieren, um dem Kranken den Kräfteverfall zu or-
sparen und der Kachexie vorzubeugen, welche die Operation unmöglich
machen kann, oder wenigstens ihren Erfolg vermindert. Freilich ist zu
berücksichtigen, daß die Operation zwar in kürzester Zeit die schlimmsten
Beschwerden beseitigt, aber doch meist; Spuren der Krankheit hinterläßt
(Exophthalmus und relative Tachykardie). Nicht selten sind diese Spuren
Vorboten eines Rezidivs, welches durch Regenerierung der stehengelassenen
Schilddrüsenteile zustande kommt. Nur in leichtesten Fällen verspricht
die Operation vollständige Heilung. (Wr. kl. Woch, Nr. 25, =
uolzer.
H. M. McClanahan (Am. j. of med. sc. Juni 1912) gibt be:
merkenswerte Winke für die Behandlung von Asthma bei Kindern.
Von Wichtigkeit sind: erwärmter Raum, Vermeidung von Zuglaft; ‚bei
Blähungen warmer Einlauf; kommt der Anfall bald nach einer reich
lichen Mahlzeit: Brechmittel. Epinephrin (í : 1000) subcutan half in zwe
Fällen prompt, in andern nicht. Die übrigen symptomatischen Mittel
sind die gleichen wie bei uns. Zwischen den Anfällen ist darauf zu
achten, daß Brust, Nacken und die unteren Extremitäten gegen Kalt
geschützt werden. Die Kost soll wenig Fleisch und viel Pflanzeneiwei
enthalten. Wenn das Asthma mit Darmstörungen zusammenhängt, sind
grüne Gemüse und Fruchtsäfte am Platze. Setzt der gewöhnlich dem
Anfalle vorausgehende Katarrh ein, ist der kleine Patient sofort ms Bott
zu legen, fleißig zu ernähren und mit heißem Tee zu versehen.
Systematische Atmungsübungen mit besonders starker Duan
einer kompletten Ausatmung, Tragen einer elastischen Binde um :
Brust mit nicht zu starker Anspannung. Besteht nach dem ag
Husten weiter, so tut Jodnatrium 0,1 bis 0,2, dreimal täglich nach dem
Essen, gute Dienste. (NY. med. j. 28. Sept. 1912, Nr. 3, 5. m
Den „Tampol Roche“ (von der Firma Hoffmann-La Roche m a
Handel gebracht) empfiehlt Oskar Nitze als eine zweckmäßige .
behandlung in der Gynäkologie. Der Tampol besteht aus einer oe
Gelatinehülse, dio einen komprimierten Wolletampon By
Medikament eingeschlossen enthält. Diese Gelatinehülse löst a“
der Vagina sehr schnell und läßt Medikament und Wollotampot y
werden. Die Wolle ist nicht entfettet, hat also das Medikament e
in sich aufgenommen. Dieses liegt vielmehr vor dem Tampon., ei
Form des Medikaments wird durch seine Vermischung mit Gelatin?
reicht, Dadurch, daß diese bei Körpertemperatur schmilzt W il
Medikament aus der Gelatinemischung frei und von der u A
schleimhaut resorbiert. Ein Zurückfließen des Medikaments & er
Scheide wird durch die Entfaltung des Tampons, der nun die nden
vollständig ausfüllt, verhindert. Da die Wolle aus nicht absorbiere
N mm N Mr
1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. | 1965
Material besteht, verschluckt sie nicht die Haupimasse des Medikaments,
sondern bringt dieses dauernd und direkt mit der Schleimhaut in Be-
rührung, Nach dem Herausziehen findet man daher den Wolletampon
stets trocken und nicht mit dem Medikament imbibiert. Die Gelatine übt
keinen Reiz auf die Vaginalschleimhaut aus und vermeidet den para-
doxen descendierenden Filüssigkeitsstrom, der dem Glycerin bei der Ver-
wendung in der Scheide eigentümlich ist.
Die cylindrische Form des Tampols und der glatte Gelatineüber-
zug, zumal wenn er vor dem Gebrauch etwa 15 bis 20 Sekunden in
warmes Wasser getaucht wird, erleichtern ungemein das Einführen in die
Vagina. Es bedarf dabei nicht der Lagerung auf einem Untersuchungs-
stuhl und keines. Speculums; die Längslage auf dem Sofa genügt voll-
kommen. Der Tampol wird so eingeführt, daß die medikamentöse Spitze
bis hinauf in das Scheidengewölbe geschoben wird, während das ent-
gegengesetzte Ende auf dem Beckenboden seinen Stützpunkt findet.
Dieses untere Ende ist mit einem Seidenfaden versehen, der zur späteren
bequemen Entfernung des Tampols aus der Vulva heraushängt. Damit
die Lösung des Tampols nicht verzögert werde, vermeide man, ihn vor
der Einführung einzufetten, da das Fett das Vaginalsekret von dem Tam-
pol fernhalten könnte, sodaß die Wirkung erst sehr langsam zur Ent-
faltung käme.
Die Tampols werden mit den verschiedensten Medikamenten in den
Handel gebracht, z. B. Tampols mit je 0,05 g Extractum Bella-
donnae fluidum (bei schmerzhaften Affektionen der Genitalorgane),
Tampols mit je 0,1 g Protargol (bei Infektionen, vor allem bei gonor-
rhoischen Katarrhen), Tampols mit 1 g Thigenol (bei allen chronisch
entzündlichen Prozessen des kleinen Beckens, kei Entzündungen der
Adnexe, des Beckenbindegewebes und des Beckenbauchfells, bei Ex-
sudaten). Der Tampol stellt also eine genau dosierte Applikation von
Medikamenten dar. (D. med. Woch. 1912, Nr. 45.) F. Bruck.
v. Dalmedy empfiehlt auf Grund sjebenjähriger Erfahrung Natrium-
rhodenid in Gaben von 0,15 bis 0,25 g, drei bis viermal täglich nach
dem Essen verabreicht, gegen lancinierende Schmerzen der Tabiker. Auch
bei angiospastischer Migräne, Dysbesia interm. angiosclerotica und Sym-
pathicus-Neurosen scheint es günstigen Einfluß zu haben. (Wr. kl.
Woch. 1912, Nr. 21, S. 794.) Zuelzer.
Die Ferimenttherapie erzielt bei Diabetes nach den Erfahrungen
von Schnée zuweilen recht günstige Resultate. Die rouere Forschung
scheint zu ergeben, daß bei dieser Krankheit in letzter Linie das Fehlen
irgendeiner oder mehrerer fermentativer Wirkungen eine hervorragende
Rolle spielt. Im allgemeinen könnten hydrolytische und katalytischo
Prozesse dabei in Frage kommen. Baumgartens Untersuchungen
machen es wahrscheinlich, daß das Zuckermolekül, um oxydiert zu werden,
erst eine fermentative Spaltung erleiden muß. Eine kausale Therapie des
Diabetes bestände also in der Zufuhr von solchen Fermenten, z. B. nach
dem Rat von Scherk von Pankreon und vegstabilischen Fermenten. Da
neuere Erfahrungen gelehrt haben, daß die Wirksamkeit eines in den
Körper eingeführten Ferments durch die gleichzeitige Darreichung eines
zweiten oft gehoben wird, so wäre auch das der bei Diabetes einzu-
schlagende Weg. Hier kombiniert man zweckmäßigerweise das Invertin
der Hefezelle mit den Stoffen des Pankreas. Das chemisch-pharma-
zeutische Laboratorium Vial und Uhlmann in Frankfurt a. M. bringt
Tabletten ‘von dieser Zusammensetzung unter dem Namen Fermocyl-
tabletten in den Handel. Von diesen hat Schnée während längerer
Zeit dreimal täglich eine Tablette. gereicht, natürlich unter Einhaltung
einer kohlehydratfreien respektive -armen Diät, und konnte während der
Fermentbehandiung die Kohlehydrattoleranz ganz beträchtlich heben in
Fällen, in denen es ohne die Tabletten nicht gelungen war. Der Autor
spricht den Wunsch aus, daß angesichts seiner, wenn auch nicht zahl-
reichen, doch sehr ermutigenden Erfolge, recht bald von anderer Seito
eine Nachprüfung erfolgen möchte. (Zbl. f. i. Med. 1912, Nr. 32.)
Dietschy.
Hübner hat durch Tierexperimente nachgewiesen, daß Yohimbin
die secernierenden Nierenepithelien schädigt, indem es sie infolge des ver-
mehrten Blutzuflusses mit Arbeit überlastet. Es tritt eine „Nierenreizung“
ein, welche sich durch Albuminurie kennzeichnet. Das Sektionsergebnis
eines Kaninchens, das in 49 Tagen 0,86 Yohimbin erhielt, zeigte eine
parenchymatöse Degeneration der epithelialen Nierenelemente und deut-
liche Erweiterung der Nierengefäße.
Hübner hält es daher für angezeigt, bei Menschen, die Yohimbin
gebrauchen. stets den Urin zu kontrollieren, um so mehr, als das Mittel
gewöhnlich bei Personen angewendet wird, die durch Alter und andere
Umstände geschwächt sind. (Derm. Zt. Bd. 19, H. 10.)
Eugen Brodfeld (Krakau).
Neue Beobachtungen über die therapeutische Wirkung des Melu-
brins von Johannes Müller (Halle) bestätigen die ausgezeichnete anti-
rheumatische und antineuralgische Wirkung des Mittels. Müller betont
wiederum das Fehlen von unangenehmen Nebenwirkungen. Die Dosierung,
die nicht zu gering zu wählen ist, beträgt bei Kindern unter 14 Jahren
höchstens dreimal täglich 1 g, bei Erwachsenen soll man die Maximal-
dosis von drei- bis viermal 2 g pro die wählen. (Wr. kl, Woch. Nr. 25,
S. 960.) Zuelzer.
M. Cloetta schreibt über Arsenikwirkung und -angewöhnung.
Die längstbekannte Tatsache der Angewöhnung des tierischen Organismus
an das Arsen ist bedeutend auffallender als die Gewöhnung an Morphin,
Cocain usw. Denn bei diesen komplizierten und hochmoleknlaren organi-
schen Verbindungen bestehen ja verschiedene Möglichkeiten der Ver-
änderung im Organismus (oxydativer Abbau, Spaltung, Substitution, Syn-
these), die wohl zur Erklärung der Abstumpfung der Wirkung herange-
zogen werden können. Alle diese Erklärungsmöglichkeiten fallen beim
Arsen fort, weil wir es hier mit einem anorganischen, in Ionenform auf-
tretenden Körper zu tun haben, der einer weiteren Veränderung im
Organismus unfähigist. Cloetta hat die Arsenimmunität an Hunden studiert.
Während anfänglich schon 1 bis 2 mg gelösten Arsens Durchfall hervor-
bringen können, gelang es im Verlaufe von Monaten regelmäßig, den
Tieren eine Toleranz in der Höhe von 20 bis 30 mg gelösten Arsens
herbeizuführen. Dabei wurden durchschnittsich 4,1 mg im Urin ausge-
schieden, somit eine Resorptionsgröße von zirka 17/0 festgestellt. Bei
einem Hunde gelang es im Verlauf von zwei Jahren eine tägliche Zufuhr
von 2600 mg Ass; zu erreichen. Die Kontrolle der Resorption und
Ausscheidung während dieser langen Versuchszeit ergab folgende inter-
essante Ziffern: Bei 25 mg 170/o, bei 100 mg 2,3 %/o, bei 500 mg 3,8 %/,,
nachdem 500 mg zwei Monate lang verabreicht waren, sank die Resorption
auf 1,9 %/,, bei 2600 mg pro Tag endlich betrug die Resorption 0,13 %,.
Diese Ergebnisse legten den Gedanken nahe, dab dieser Immunität ein-
fach eine Einschränkung, respektive Sistierung der Resorption zugrunde
liegen müsse. Cloetta erbrachte den Beweis für diese Anschauung, indem er
eine anderseitige Zufuhr des Arsen durch subcutane Injektion bewirkte,
und zwar injizierte er 43 mg des Arsens, was einer Resorption von 1,6%),
entsprechen würde. Wäre bei der Verabreichung per os auch nur diese
geringe prozentuale Menge resorbiert worden, so hätte das Tier gegen
diese Dosis giftfest seiu müssen, während Kontrollhunde mit Sicherheit
innerhalb zwölf Stunden nach einer subeutanen Injektion von 40 mg zu-
grunde gehen. Es zeigte sich nun, daß auch das Arsentier, welches
2600 mg pro Tag per os vertragen hatte, bei der subeutanen Injektion
von 1,6 mg zugrunde ging. Die gesamte hochgradige Arsenimmunität
ist also vorgetäuscht, und zwar offenbar durch den Vorgang einer hoch-
gradig verringerten Resorption. Cloetta stellt sich vor,daß dieser Mechanis-
mus oder richtiger Chemismus dieses Vorgangs durch Vermittlung einer
entsprechenden Veränderung an den Zeillmembranen des Darmss, die all-
mählich die Fähigkeit, dem Arsen den Durchtritt zu gestatten, verlieren
müssen, hervorgerufen wird. °
Die wichtige praktische Seite dieser Ergebnisse bezieht sich vor
allem auf die bactericide Wirkung des Arsens, die von Ehrlich und
seinen Schülern studiert worden ist. Bekanntlich besteht im Anfang eine
hochgradige Empfindlichkeit der Trypanosomen gegen das Arsen, die
aber rasch abnimmt und einer Immunität der Trypanosomen gegen das
Arsen Platz macht. Cloetta hält nach seinen Versuchen diese Vorgänge
ebenfalls für Veränderungen in den entsprechenden Zellmembranen. Er glaubt
deshalb, daß die Sterilisatio magna nur auf Anhieb möglich ist. Je öfter-
Injektionen bei demselben Patienten gemacht werden, um so größer ist
die Wahrscheinlichkeit, dab eine Immunität der Spirillen eintritt, eine
Immunität, die beim Menschen als Wirt der Spirochäten nicht so schnell
erreicht wird, sodaß die Situation für den Patienten sich stetig ungünstiger
gestalten muß.
Zweitens beschäftigt sich Cloetta mit dem Arsen als Roborans, indem
er festzustellen sucht, welcher Gewebsteil an der zweifellos festgestellten
Vermehrung des Körpergewichts unter Arsengebrauch in der Hauptsache
beteiligt ist. Er verwandte Kaninchen, welche pro Tag durchschnittlich
0,5 mg As203 aufnahmen. Der Versuch dauerte vier Monate. Schon in
der ersten Woche zeigte sich, daß die Arsentiere sich entschieden besser
entwickelten als die Konirollen: sie nahmen an Gewicht zu, ihr Aus-
sehen war ein besseres, ihr Geschlechtstrieb ein ausgesprochenerer. Nach
vier Monaten, bei Abschluß des Versuchs, wog die Kontrollgruppe
11.800 g, die Arsengruppe 15000 g. Die Gesamtanalyse des Tiers er-
gab, daß (die Arsentiere bedeutend N-reicher geworden waren als die
Kontrolltiere, daß also unter dem Einfluß der Arsentherapie die Gewichts-
zunahme nicht lediglich in einer Fettanhäufung besteht, sondern zurück-
zuführen ist auf eine eigentliche Zellmassenzunahme. Damit erscheint
die therapeutische Indikationsstellung des Arsens als eines Roborans voll-
ständig gerechtfertigt. (Corresp. f. Schweizer Aerzte Nr. 21,)
a Zuelzer.
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- unserer produktivsten und vielseitigsten Chirurgen; es muß interessieren,
1966 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1. Dezember,
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
„Neo-Rheostat“, kleiner transportabler, elektrischer Anschlußapparat.
Musterschutznummer: D.R.G.M. a.
Kurze Beschreibung: Mit Hilfe dieses kleinen Apparats können
Beleuchtungsinstrumente jeder Art direkt an die Starkstromleitung an-
geschlossen werden. Der Apparat hat gegenüber allen existierenden Anschluß-
apparaten den Vorteil, daß ein Apparat vollkommen ausreichend ist für sämt-
liche Spannungen und daß derselbe auch für alle Stromarten geeignet ist. Es
kann also ein und der-
selbe Apparat sowohl
an 110 Volt Gleich-
strom als auch au
220V olt Wechselstrom
angeschlossen werden.
Anzeigen für
Ne N >- a die Verwendung:
A] N d Der Apparat kann für
1118 p. 7 Endoskopie, Cysto-
\ \ -= skopie, Rectoskopie,
Stirnreflektoren, Oto-
logie, Rhinologie, La-
ryogoskopie verwendet
werden.
Anwendungsweise: Jedem Apparat ist eine sogenannte Leitungs-
schnur beigegeben, vermittels welcher der Apparat an jede Lichtleitung
angeschlossen werden kann. Am Apparat selbst befinden sich zwei Pol-
klemmen, woran die Leitungsschnüre der Instrumente befestigt werden.
Der Dreh-Rheostat läßt die feinsten Abstufungen zu, sodaß sowohl
ein Rectoskoplämpchen als auch die stärkste Stirnlampe am Apparat an-
geschlossen werden kann.
Preis: M 25,—.
Firma: P. A. Stoß Nachfolger, Wiesbaden, Taunusstraße 2.
auf denen zwar alles objektiv dargestellt, aber um so schwerer da
Wichtige zu sehen ist. Es sind eben Bilder! Es steckt in ihnen nicht
nur eine enorme Arbeit von seiten des Malers, sondern eine mindestens
ebenso große von seiten des. Chirurgen, der für die Wirkungen der Ab.
bildungen zu sorgen hat und durch dessen Temperament hindurch die
Sachen zur Anschauung gebracht sind. |
Das erste Drittel des Buches behandelt die allgemeine Operations-
lehre, Vorbereitung der Kranken und der Operationen. Dann folgt eine
ausführliche Besprechung der Anästhesierungsmethoden. Fedor Krause
gehört zu der Minderzahl der Chirurgen, welche dem Chloroform an-
hängen und dem Aether nicht die volle Ueberlegenheit zugestehen, Er
verwendet gern die kombinierten Narkosen nach Einleitung mit Morphium-
Scopolamin. Die Lumbalanästhesie (Tropacocain) wird nur bei besonderer
Indikation angewendet, während von der Lieitungsanästhesie nach Braun
ausgiebig auch bei den größten Eingriffen‘ Gebrauch gemacht wird
(Laminektomie, Trepanation, Ganglion . Gasseri usw.). Nach einem
Falle von Infektion durch Injektion von nicht besonders steri
. lisierter Lösung aus Höchster Novocaintabletten muß mit Krause nach-
drücklich das Auskochen der Injektionsflüssigkeiten gefordert werde.
Es wird vorzugsweise eine !/20/vige Lösung, Mengen bis 150 ccm und
mehr verwendet. Außer auf die Umspritzung der großen Nervenstänns
wird auch auf die der großen Gefäße Wert gelegt. Zur Händedesinfektion
wird Heißwasser-Oxycyanat, zu der des Operationsfeldes 10°/ige Jot
tinktur, einmaliger Anstrich, verwendet. Wenn gut abgewaschen wari,
traten weder Ekzeme noch auch erhebliche Hautreizungen auf. Gummi-
handschuhe werden nur bei infektiösen Operationen angezogen. Jodjod:
kali-Catgut, ausgekochte Seide ohne Sublimatzusatz. Das Frühaufstehen
wird mit Auswahl durchgeführt, der „Spaziergang im Bett“, den Henle
empfahl, tut meist dieselben Dienste.
- Es folgt die spezielle Operationslehre, zunächst die Chirurgie des
Kopfes.
Ausführlich werden die plastischen Operationen des Gesichts ge
schildert, die Methoden der Transplantation von freien Hautlappen nach
der Krauseschen Methode, Nasenplastik, Lippenplastiken, Hasenscharl,
Gaumenplastik usw. Außerdem werden eine Reihe atypisch ausgedehnte
Plastiken sozusagen voroperiert, indem der Text durch Abbildungen (fir
einen derartigen Fall von komplizierter Gesichtsplastik in 17 Bilden!)
aufs beste illustriert wird. l
Am Auge sind die Blepharoplastik, die Exenteratio und Resecto
orbitae und die Krönleinsche Operation berücksichtigt. Die Chirurgt
des Ohres ist eingehend besprochen und ausgiebig illustriert. - Sehr ein-
gehend ist von Fedor Krause begreiflicherweise die Trigeminuschirmgt
behandelt worden. Sie umfaßt beinahe ein Drittel des vorliegenie
Bandes.
Hier wird mit peinlicher Genauigkeit das Verfahren bei den perl
pberen Operationen an den größeren und kleineren Aosten demonstriert,
Einige vorzüglich orientierende anatomische Skizzen sind beigegebtt
Schließlich werden die Operationen an der Schädelbasis und die Baal
pation des Ganglion Gasseri besprochen. Da ist alles bis ins kleinste
geschildert und aller möglichen Komplikationen gedacht, Auch suf t
Vorbereitung zur Operation und auf die Nachbehandlung wird er
gegangen. |
Der vorliegende erste Teil der Operationslehre enthält nur ‚am
kleine Partie der speziellen Chirurgie. Wenn die Autoren 19 gleicher
Ausführlichkeit und Genauigkeit uod mit gleich reicher Illustrierudg
weiter arbeiten wollen, werden wir ein Werk von stattlichem Ansehen
zu erwarten haben. Nach dem vorliegenden Buch ein vorzügliches, 8
regendes Werk, welches der doutschen Chirurgie Ehre macht,
Anschütz (Kio).
H. Vierorăt, Kurzer Abriß der Perkussion und Auskulteiitt
Zweite verbesserte Auflage. Tübingen 1912, H. Lauppsch® Buchbant:
lung. 90 S. M 2,50. |
Noch vor Ablauf zweier Jahre ist die 11. der 10. Auflage gell
Auf neuere Beobachtungen gegründete Zusätze und verschiedene e
besserungen des Textes sind vorgenommen worden. Zweifellos y
dieser altbewährte Leitfaden auch weiterhin dem Studierenden: ein he i
Begleiter bei seinen physikalisch-diagnostischen Kursen sein, aber 81
dem Praktiker ein rasches Wiederinsgedächtnisrufen früher orworbenef
Kenntnisse ermöglichen. F. Trembur (Kb)
|
l ®.
PA.STOSS, NACHE } fo
WIESBADEN. (49,
i
REUEN
Bücherbesprechungen.
Fedor Krause und Emil Heymann, Lehrbuch der chirurgischen
Operationen an der Hand klinischer Beobachtungen für
Aerzte und Studierende. I. Abteilung. Mit 233 zwei- und mehr-
farbigen Abbildungen auf 55 Tafeln, sowie 57 Figuren im Text. Berlin
und Wien 1912, Urban & Schwarzenberg. 252 S. M 1250.
Die letzten Jahre haben eine ganze Reihe neuer Operationslehren
gebracht. Diese teilen sich in zwei Gruppen. Die einen wollen unter
Berücksichtigung aller bekannten Methoden und der Erfahrungen auch
anderer Chirurgen einen möglichst objektiven Standpunkt einnehmen oder
es arbeitet sogar eine Anzahl auf einzelnen Gebieten besonders erfahrener
Chirurgen an einem solchen Werke zusammen. Andere Operationslehren
dagegen sind durchaus subjektiv gehalten und bringen nur die Erfahrungen
eines einzelnen. Der Typus dieser Operationslehren ist die Kochersche.
Jetzt bat Fedor Krause zusammen mit seinem langjährigen Oberarzte
Dr. Heymann den ersten Teil eines Lehrbuchs der chirurgischen
Operationen herausgebracht, welches zweifellos der zweiten Gruppe
angehört: es ist durchaus subjektiv gehalten. Und gerade das ist das Inter-
essante und Wertvolle an diesem Werke! Fedor Krause ist einer
wenn er uns jetzt seine persönlichen Ansichten und seine reichen persön-
lichen Operationserfahrungen auf dem ganzen Gebiete der praktischen
Chirurgie vorführen will. Krause ist ein Gegner jeder tbertriebenen
Spezialisierung in der Chirurgie. In dem Augasta-Hospital zu Berlin,
seiner Arbeitsstätte, werden alle Zweige der operativen Chirurgie von
ihm gepflegt. Er hat deshalb auch die operative Otologie und Gynäko-
logie in seinem Buche berücksichtigt. Man merkt es dem Werk an, daß
es seit langer Zeit vorbereitet ist; es steckt eine Unmenge Arbeit darin
und die Erfahrung vieler Jahre Dadurch, daß die Operationen in enger
Beziehung zum klinischen Verlaufe sehr oft mit prägnanten Kranken-
geschichten und Sektionsprotokollen gebracht werden, gewinnt die Dar-
stellung ungemein. Das Werk verliert das Ermüdende anderer Operations-
lehren, welche sich auf die Beschreibung der operativen Technik be-
schränken. Wir halten diese Darstellungsform für einen glücklichen Griff
Fedor Krauses; sie wird dem Buche virle Freunde erwerben. Es kann
um dieser Vorzüge willen besonders auch den Studierenden empfohlen
werden. Ein kurzes Nachschlagewerk ist es nicht, will es nach seiner
ganzen Anlage offenbar auch gar nicht sein. |
Die Ausstattung ist die allen Werken Krauses eigne vortrefi- Nach einem präzisen Referat über den Inhalt neuerer Arbien
liche. Die zahlreichen ee on = a Ope- | auf dem Gebiete der traumatischen Neurose und ihrer Heihu 6
‘onsphasen orientieren uns schneller und gründlicher als viele Worte. ' Laquer i i ; : ngese
a liche wird in diesen Bildern richtig hervorgehoben. Es sind quer aus seinem reichen Materiale 25 sehr lehrreiche Krankeng
EF , : von Unfallneurosen, deren Schicksal er nach Erledigung det
keine leeren Schemata und glücklicherweise auch keine Photographien, schädigungsansprüche — durch Rentengewährung oder einmalige 4b
L. Laquer, Die Heilbarkeit nervöser Unfallfolgen: Danerndt
Rente oder einmalige Kapitalabfindung? Halle 1912, C. Yar
hold. 127 Seiten. M 3,50.
1. Dezember. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48. 1967
m — ——— — — — , —_ — — — _ + — _ _ GE —_ — — —_ —__ _ __ —— m —— — — — — — + + + — — + + +++ y
findungssumme — hat verfolgen können. Sie erbringen den Beweis für
die Heilbarkeit bestimmter Formen der Unfallneurosen, allerdings nicht
‘durch rein ärztliche Maßnahmen. Dabei wird untersucht, welche psychi-
schen Momente auf die Erkrankung heilsam wirkten. Laquer empfiehlt
vor allem die obligaten langjährigen Heilversuche in Anstalten und Bade-
= orten möglichst abzukürzen. Er gelangt zu dem Schlusse: |
Allzu rasche Gewährung einer Dauerrente und ihr langjähriger
Bezug sind der Heilung einer Unfallneurose hinderlich, ebenso wieder-
holte Heilversuche und lange Beobachtungen in Anstalten, die die Be-
schwerden viel eher noch steigern.
Eine genaue Nachprüfung nervös gewordener Unfallverletzter, die
eine größere oder geringe Abfindung erhalten hatten, ergibt ihre völlige
Gesundung in wirtschaftlicher Beziehung. Eine Kapitalzahlung hilft den
Kranken in rascher und ausgiebiger Weise über die nervösen Unfall-
folgen hinweg. Die Entschädigungssummen dürfen nicht zu hoch be-
messen werden, um ihren Anreiz zu mildern.
Um die Folgen diagnostischer Irrtümer einzuschränken, sollte erst
etwa fünf Jahre laug eine nicht zu kleine Teilrente zum Zwecke der
Schonung gezahlt werden. Dann aber ist der Anspruch durch einmalige
Kapitalabfindung schnell und endgültig zu erledigen.
Wird diese Kapitalabfindung in zwei Raten gewährt, so empfiehlt
es sich, die letzte Untersuchung und Entscheidung durch ein mehr-
gliedriges ärztliches Schiedsgericht vornehmen zu lassen, dem mindestens
einer der behandelnden Aerzte des Verletzten angehören muß.
Hermann Engel (Berlin).
Karl Sudhoff, Mal Franzoso in der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts. Ein Blatt aus der Geschichte der Syphilis. Mit
3 Tafeln in Lichtdruck und 3 Abbildungen im Text. Heft 5 von „Zur
historischen Biologie der Krankheitserreger‘‘. Gießen 1912. Preis M 2,50.
Sudhoff bringt hier den Beweis, daß an zwei Stellen des un-
zweifelhaft aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammenden
Manuskripts Thottske 250 in 8° der Königlichen Bibliothek in Kopen-
hagen der Ausdruck mal franzoso vorkommt. Ich wage es zu bezweifeln,
daß dies „mal franzoso“ unsere Syphilis ist, kann mich aber heute an
dieser Stelle nicht darüber weiter aussprechen, sondern werde Gelegen-
heit nehmen, auf der Naturforscherversammlung in Münster im Septem-
ber darauf ausführlich einzugehen, wenn inzwischen die von Sudhoff
angekündigten „Syphiliserstlinge‘‘ erschienen sein werden. Der Vortrag
soll in dieser Zeitschrift abgedruckt werden. Paul Richter (Berlin).
0. Hinrichsen, Sexualität und Dichtung. Ein weiterer Beitrag zur
Physiologie des Dichters. Wiesbaden 1912, J.F. Bergmann. 81 S. M. 2,60.
Hinrichsen, der schon früher die von L. Loewenfeld heraus-
gegebenen Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens mit einer Abhand-
lung „Zur Psychologie und Psychopathologie des Dichters“ bereicherte,
gibt in der vorliegenden Arbeit weitere Beiträge zu dem gleichen Thema.
Er erörtert hier die Bedeutung der aus dem geschlechtlichen Triebleben
des Dichters für seine Produktion stammenden Impulse; und zwar ge-
schieht dies an einer Reihe sehr ungleichartiger und ungleichwertiger
dichterischer Individualitäten: Goethe, Grillparzer, Stendhal, Holtei,
E. T. A. Hoffmann, Kleist, Hebbel, Nissel usw., wobei Hinrichsen aui
die Phantasieliebe des Dichters im allgemeinen, auf die generelle Be-
deutung des sexuellen Erlebnisses für dichterisches Schaffen, sowie auf
die sexuelle Eigenart der genannten Dichterpersönlichkeiten näher eingeht
und auch mehrfach Gelegenheit nimmt, sich mit den Anschauungen
Freuds und seiner Schüler (Stekel, Sadger) sowie mit Fließ und
Nietzsche kritisch auseinanderzusetzen. Sein „wesentliches Resultat“
erblickt Hinrichsen selbst darin, daß „ohne starke Intellektualität
kein bedeutsames dichterisches, wie natürlich auch jedes weitere geistige
Neuschaffen möglich ist, diese intellektuel! produktive Veranlagung aus
einem noch so mächtigen Triebleben im ganzen nicht gesteigert werden
kann“. Eine leicht ansprechbare, aber auch wieder nicht zu hoch oder
nur in gewisser Weise hoch ansteigende Affektivität sei neben dem ent-
sprechenden Intellektuellen „das für den Dichter Goforderte“. In bezug
auf seine Sexualität komme es nicht so sehr darauf an, wie stark sie sel,
als auf ihre der dichterischen Produktion günstigere oder weniger gün-
stige psychische Eigenart mit allen ihren Nuancen. — Sehr schön; aber
sollte dieses Eindergebnis nicht vielleicht dazu führen, diese nachgerade
etwas zum pathographischen Modesport gewordenen „Forschungen“ im
Sexualleben unserer Schaffensgroßen — und vollends so Schaffenskleiner,
wie Holtei und Nissel — nun einmal längere Zeit auf sich beruhen zu
lassen? Wirklich Wertvolles ist dabei bisher nicht zutage gefördert,
wohl aber viel literarischer Staub unnütz aufgewirbelt worden.
A. Eulenburg (Berlin).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 30,
Epilepsie und Unfall — Ein Fall von Täuschung
von
Sanitätsrat Dr. G. Wagner,
Vertrauensarzt der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung zu Berlin.
Vorgeschichte. Der Arbeiter Z. will am 24. November 1910
beim Herabsteigen in den Arbeitsschacht (Bau der Untergrundbahnen)
von einer Holzsteife ausgerutscht und in die Baugrube hineingefallen
sein und sich hierbei eine Verletzung des Rückgrats und des
Kopfes zugezogen haben. Er behauptet, seit diesem Unfall an
nervösen Beschwerden und Krampfanfällen zu leiden und völlig
erwerbsunfähig zu sein. Z. stellte Entschädigungsansprüche an
die Berufsgenossenschaft, letztere lehnte die Gewährung einer Unfall-
rente ab.
Dr. F. führt in seinem Gutachten vom 22. März 1911 folgendes
aus: „Der unfallverletzte Arbeiter Z. ist vom 18. März bis heute in der
Klinik beobachtet worden. Er hatte daselbst bei Tage wie bei Nacht
ständig Krampfanfälle, innerhalb 24 Stunden fünf bis sechs Anfälle, wo-
bei er sich in die Zunge und die Lippen biß, sich blaue Flecke schlug
usw. Der Schlaf war sehr unruhig, sodaß der zweite im Zimmer mit
schlafende Kranke keine Ruhe finden konnte. Z. warf sich hin und her,
er stöhnte, bekam Anfälle, fiel dabei aus dem Bette, die hinzukommende
Schwester fand ibn dann vor der Tür liegend. Gebrochen hat Z. während
des Klinikaufenthalts nur einmal, der Appetit lag völlig darnieder. Ab-
gesehen von den Krämpfen klagte Z. über linksseitige Kopfschmerzen,
er betonte ausdrücklich, daß er an der rechten Kopfseite nichts verspüre.
Z. trug in der Klinik ein bescheidenes und williges Wesen zur
Schau, er konnte in der anfallfreien Zeit immer vernünftig und sach-
gemäß Auskunft geben. Er wiederholte, daß er vom Tage des Unfalls
bis Ende Dezember 1910 lediglich Kopfschmerzen gehabt hätte, erst gegen
Weihnachten seien die ersten Krampfanfälle aufgetreten, um seitdem nicht
mehr zu verschwinden. Mittel erwiesen sich erfolglos, große Mengen
von Brom und Morphium in der Klinik waren ohne jede Wirkung; es
war nicht möglich, die Anfälle zu coupieren oder abzuschwächen. Die
Anfälle kamen ganz plötzlich; Z. bekam, wie er sagte, Stiche im Kopf
und fiel um. Dann knirschte er mit den Zähnen, gab ein pfeifendes,
weit hörbares Geräusch von sich, die Daumen waren eingeschlagen, die
Extremitäten zuckten, es war aber übereinstimmend berichtet, daß die
linke Seite erheblich stärker zuckte und daß er sich stets nach links
zusammenkrümmte, während er die Beine an den Leib herangezogen hielt.
Die Augen hielt er fest zugekniffen, nach dem Erwachen bestand keinerlei
Erinnerung an das Vorgefallene. Die Temperatur während der Beob-
achtung war leicht subnormal, zwischen 36 und 36,40. |
Vom sonstigen Befunde sei hervorgehoben eine Pulsfrequenz von
100 Schlägen in der Minute, eine deutliche Druck- und Klopfempfindlich-
keit auf dem linken Scheitel (rechts nicht!), keine Gefühlsstörungen, ganz
leichte Unsicherheit der rechten Hand, ein gegen rechts verstärkter
Tricepsreflex am linken Arme, leichtes Schwanken beim Bücken und beim
Augenschluß, stark erhöhte Sehnenreflexe, kein Babinskischer Reflex;
Tast- und Lagegefühl waren in Ordnung.
Ich habe danach den Eindruck gewonnen, daß seinerzeit ein Schädel-
bruch vorlag in der Gegend des linken Scheitelbeins. Die Art der
Krampfanfälle deutet darauf, daß eine durch den Unfall hervorgerufene
Herderkrankung des Gehirns oder der Großhirnrinde jetzt vorliegt. Hier-
für spricht das Erbrechen, der einseitig gesteigerte Tricepsreflex, die ein-
seitig verstärkten Zuckungen, die Unbeeinflußbarkeit der Krämpfe. Ich
habe darum den Verletzten Dr. L., dem Chirurgen der Klinik, gezeigt
und er ist mit mir der Ansicht, daB die Behandlung den Herd der Er-
krankung in Angriff nehmen muß, das heißt, wir können uns in diesem
Falle von einer Operation einen Erfolg versprechen; Dr. L. ist bereit,
dieselbe auszuführen. Zuvor wäre es wohl zweckmäßig, eine Röntgen-
durchleuchtung des Kopfes vorzunehmen, der Erfolg ist zwar ein sehr
unsicherer, es wäre aber doch denkbar, daß ein derartiges Bild genaueren
Aufschluß über den Sitz des Leidens geben könnte.“
In einem Schreiben vom 21. April 1911 gibt Dr. F. weiter an:
„Die von dem Unfallverletzten Z. durch Prof. L.-D. ausgeführten
Röntgenbilder bestätigen meine Diagnose: an den mit einem Pfeile be-
zeichneten Stellen sind Absplitterungen des Schädelknochens an der
inneren Wölbung!) desselben zu sehen. Diese Knochenteile drücken auf
die Substanz des Gehirns und bewirken die häufigen Krampfanfälle.
Diese sollen allerdings in der letzten Zeit etwas seltener geworden sein,
eine Heilung dürfte aber nur von einer Operation zu erwarten sein.“
Dr. L. begutachtet unter dem 26. Oktober 1911 folgendes:
„In der Unfallsache des ArbeitersZ. berichte ich, daß ich die von Dr. Fr.
vorgeschlagene Resektion am Schädeldach am 14. September dieses Jahres
ausgeführt babe. Der Verlauf war kompliziert durch eine recht schwere
Nierenentzündung, deren Erscheinungen sich jetzt zurückbilden und einen
günstigen Verlauf erwarten lassen. Krampfanfälle sind seit dem 14. Sep-
tember dieses Jahres bis heute noch nicht wieder beobachtet worden.
1) Es handelte sich in Wirklichkeit um Schatten, welche den Un-
ebenheiten der inneren Tafel der Schädeldecke entsprechen. Der Verfasser.
+
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1968 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
Am 22, September wiederholte mir der Kranke in Gegenwart der
Oberin ... . . welcher er schon am Abend des vorhergehenden Tages die
gleichlautende Mitteilung gemacht hatte, daß er bei der Sorgfalt, die ich
auf seine Behandlung verwende, es nicht über sich gewinnen könne, mich
weiter zu täuschen. Er sei in seinem neunten Lebensjahre von seinem
dem Trunke ergebenen Vater mit einer gefüllten Bierfiasche auf den
Kopf geschlagen worden und seit diesem Tage — nicht erst seit dem am
24. November 1910 erlittenen Unfalle — leide er an Krampfanfällen,
Da aus Aeußerungen, die der p. Z. später zu seiner Umgebung gemacht
hat, anzunehmen ist, daß er jetzt vielleicht diese Erklärung widerrufen
wird, betone ich noch besonders, daß er die Erklärung vom 22. September
dieses Jahres mir bei vollkommen klarem Bewußtsein gemacht hat.
Dr. L. begutachtet weiter unter dem 3. November 1911 folgendes:
„Der Arbeiter Z. ist am 31. August 1911 in die Privatklinik auf-
genommen und heute als in der Heilung begriffen entlassen worden.
Die von Dr. F. vorgeschlagene osteoplastische Resektion des
Schädels habe ich am 14. September dieses Jahres ausgeführt. An der
linken Schädelseite wurde — entsprechend der Centralfurche — ein un-
gefähr handtellergroßer Knochenlappen zurückgeschlagen; die nach der
Röntgenaufnahme erwarteten Knochensplitter an der Innenseite des
Schädels wurden nicht gefunden. Auch die harte Hirnhaut zeigte keine
Veränderungen; die Hirnpulsationen waren im Bereiche der Operations-
wunde unverändert. |
Der Knochenlappen wurde an seine normale Stelle zurückgelagert.
‚Die Heilung wurde durch eine schwere Nierenentzündung verzögert, in
deren Verlauf hochgradige Schwellung der Haut (Oedem) auftrat.
Jetzt ist der Zustand folgender: Die Nierenentzündung ist fast
vollkommen zurückgebildet, das Hautödem ist geschwunden, der Urin
enthält nur noch Spuren von Eiweiß. u
Die Wunde am Schädel ist in der Heilung begriffen. Patient geht
seit zehn Tagen herum, seine Kräfte sind in deutlicher Zunahme be-
griffen. Krampfanfälle wurden seit der Operation nicht beobachtet.
Patient ist zunächst noch solange arbeitsunfähig, bis die Heilung
seiner Kopfwunde weiter fortgeschritten ist und seine Kräfte sich weiter
gehoben haben. Er muß zunächst noch wöchentlich dreimal in seiner
Wohnung verbunden werden; später kann der Verband länger liegen
bleiben und der Kranke sich dem Arzte zum Verbandwechsel vorstellen.“
Nach einer Auskunft der Ersatzkommission in A. ist der Verletzte im
Jahre 1904 wegen Epilepsie als „dauernd untauglich“ für den Militär-
dienst befunden worden.
Der Verletzte führt in seiner Berufungsschrift an das Schieds-
gericht vom 17. Januar 1912 aus: „Ich hatte am 24. November 1910 einen
Betriebsunfull erlitten im Betriebe der Untergrundbahn, indem ich an dem
betreffenden Tag abstürzte und mir Verletzungen am Kopfe zuzog und
Knochensplitter des Schädels in das Gehirn eindrangen., Durch diesen
Betriebsunfall bin ich vollständig erwerbsunfähig.
In dem Bescheide der Berufsgenossenschaft wird angeführt, daß ich
bei vollkommen klarem Bewußtsein dem Herrn Dr. L. in Gegenwart der
Oberin .. .. ein Geständnis dahingehend gemacht haben soll, daß mein
dem Trunk ergebener Vater mich im neunten Lebensjahre mit einer ge-
füllten Bierflasche auf den Kopf geschlagen habe.
Ich bestreite es aber ganz entschieden, daß ich an dem betreffen-
den Tage bei klarem Bewußtsein gewesen bin, an dem Tage war ich
nicht Herr über meinen Willen, ich kann mich überhaupt nicht erinnern,
was ich gesagt haben soll, ich hatte doch hohes Fieber gehabt. Beweis:
Zeugnis der Oberin v. R. und des Privatwärters, der mich gepflegt hat.
Ich gebe hiermit folgende Erklärung ab: Mein Vater ist ein ehrsamer
Handwerker, er ist Schneidermeister, hat das Ehrenzeichen erhalten für
treue Dienste vom Herzog von A... Ich habe nur im Fieber phantasiert.
Ich habe früher Anfälle gehabt, dieselben haben sich aber ge-
bessert, sodaß ich meinen Arbeiten lange nachgehen konnte. Ich war
als Mitfahrer beschäftigt und habe auf den Wagen auf- und absteigen
müssen, sogar schwere Ballen habe ich getragen, warum bin ich nicht
zu Boden gestürzt, wenn ich mich gebückt habe, und habe keine An-
fälle bekommen.
Ich übertreibe nicht mit meinen Schmerzen und Beschwerden, die
ich durch den erlittenen Unfall habe, es sind wahre Tatsachen, die ich
bier schildere. Es ist nicht mein Bestreben, mir Unfallrente zu erjagen.“
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgerichte
vom 830. April 1912 gab der Gerichtsarzt Dr. W. folgende Erklärung ab:
„Der vom Kläger überreichte Knochensplitter von 3!/ cm Länge
und 0,5 bis 1 cm Breite ist mit schwammiger Masse versehen zwischen
den beiden harten Tafeln des Knochens. Auf der glatten Seite sieht man
deutlich die Spuren der Meißelschläge. Hier ist die schwammige Mittel-
substanz erhalten geblieben, während auf der unregelmäßig gehaltenen
Seite zwischen den harten Tafeln, die frei einander gegenüberstehen, die
schwammige Masse ausgehöhlt ist. Der Knochensplitter ist durch Operation
(nicht beim Unfalle) vom Schädelknochen abgesprengt.
Gutachtliche Aeußerung vom 6. Juni 1912: „Nach der
Untersuchung des Arbeiters Fritz Z. im mündlichen Termin vor dem
Schiedsgericht am 30. April 1912 und nach dem Aktenstudium muß
ich mich gutachtlich dahin äußern: Z. gibt in seiner Berufungsschrift
vom 17. Januar 1912 an, daß bei dem Unfall am 24. November 1910
„Knochensplitter des Schädels in das Gehirn eindrangen“, daß er
seitdem über nervöse Beschwerden klage, wie Schwindel, Schwarz-
werden vor den Augen, Schlaflosigkeit, Platzangst, Schwerhörig-
keit, Krampfanfällen (diese nach mündlicher Angabe). Er hatte
sich ein Stück der Schädeldecke herausnehmen lassen, trägt eine
Platte und wies einen später herausgekommenen Knochensplitter
vor als Beweis, daß wirklich ein Schädelbruch vorgelegen habe,
Im Termine konnte ich nachweisen, daß der Knochensplitter erst
nach der Operation sich losgelöst haben mußte und infolge der
Operation abgestorben war... Er gibt zu, früher schon „Anfälle*
gehabt zu haben, doch seien sie so gebessert, daß er vor dem
Unfalle monatelang habe arbeiten können.
Der Angabe des Vertreters der Berufsgenossenschaft im
Termine, daß Z. bei der Untersuchung aus Anlaß seines am 2. Juli
1910 erlittenen Unfalles angegeben habe, daß dieser Unfall Krampf:
anfälle mit Bewußtlosigkeit verursacht hätte, widersprach Z. auf
das energischste. — Aus den Akten der Berufsgenossenschaft
(Aktenzeichen IV. 10. 421 4/161, Blatt 19) geht mit Sicherheit
hervor, daß Z. dem Sanitätsrate Dr. L. gegenüber schon am
27. September 1910 behauptet hat: „daß er mit dem linken Beine
nicht auftreten und dasWasser nicht halten könne. Seit dem Un-
falle (vom 2. Juli 1910) leide er an Krämpfen mit Bewußtlosigkeit.“
Dr. L. schrieb: „Schon bei der ersten Untersuchung des
Verletzten am 1. September dieses Jahres hat mir das Verhalten
desselben den Eindruck der starken Uebertreibung, wenn nicht
gar der Täuschung gemacht. Dieser Eindruck wird bekräftigt
durch den ergänzenden Bericht des Krankenhauses über den Be-
fund bei der Entlassung. Zum Ueberfluß erschien vor etwa vier-
zehn Tagen in meiner Abwesenheit ein Hausmitbewohner des Z,
und hinterließ, daß Z. sich diesen Gang einstudiert habe.“ Es
handelte sich um eine Gehstörung infolge eines angeblichen Huf-
schlags gegen die Hüfte. Z. war bewußtlos im Stall aufgefunden
und hatte, da keine Zeugen zugegen waren, diese Angaben ge-
macht. Er wurde damals mit leichter Benommenheit ins Kranken
haus aufgenommen. Nach epileptischen Anfällen bleibt ja gewöhr-
lich Benommenheit zurück.
Z. gab als Zeugen, daß er vor dem jetzt in Rede stehenden
Unfalle keine Anfälle trotz der Arbeit gehabt habe, unter andern
den Gutsbesitzer S. in S. an, der aber gerade das Gegenteil be
kundet (Blatt 31 der Schiedsgerichtsakten). Danach war Z. auch
in der Zeit seines dortigen mehrmonatlichen Dienstes mehrere
Male infolge von Krämpfen krank. — Auch nach dem Unfall am
24. November 1910 war Z. angeblich bewußtlos. Zeuge des Un-
falls war auch in diesem Falle niemand. Danach erscheint es
unzweifelhaft, daß Z. schon lange an Krämpfen leidet. ‚Es ist
mehr als wahrscheinlich, daß er auch den Vorgang bei den ar
geblichen Unfällen wahrheitswidrig geschildert hat und bemüht
gewesen ist, Verletzungen, die er sich bei Krampfanfällen während
der Arbeit zuzog, auf Betriebsunfälle zurückzuführen.
Wie sich aus den Akten ergibt, ist es ihm auch gelungen,
mehrere Aerzte zu täuschen. Die Verletzung, welche sich Z. bal
dem angeblichen Unfalle vom 24. November 1910 zugezogen hatte,
war so geringfügig, ging nicht in die Tiefe und machte nicht em
mal eine Naht notwendig, daß nicht anzunehmen ist, dab dadurch
die Epilepsie von neuem hervorgerufen oder verschlimmert worden
ist. Vierzehn Tage danach konnte sich Z. schon wieder arbeits:
fähig melden. Aus dem Geständnisse, das Z. zwar später wieder
zurückgenommen hat, geht unzweideutig hervor, daß er sich wohl
bewußt war, schon aus der Kindheit an Krämpfen zu leiden. Die
Operation, der Z. sich unterzogen hat und die nur an der Vor-
letzungsstelle gemacht wurde, weil Z. diese als Ursache der
Krämpfe angab, ist deshalb auch nicht als Folge eines Unfalls
anzıısehen, sondern eine Heilmaßnahme gewesen, um ihn Yo
seinem alten Leiden der Epilepsie, das übrigens schon im Jahre
1904 laut Auskunft der Ersatzbehörde festgestellt war, zu heilen.
Gelingt es doch in manchen Fällen durch eine Operation die Epl-
lepsie zur Heilung zu bringen. saai
Auf die subjektiven Klagen des Z. einzugehen, erübrigt Sit
bei der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben.
Ich muß mein Gutachten daher dahin abgeben: a) ‚Die s
schwerden des Z., soweit sie glaubwürdig und berechtigt ae
sind nicht Folgen eines Unfalls am 24. November 1910, b) info g?
eines solchen Unfalls ist Z. seit dem 24. Februar 1911 nicht I
seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt.“ Dr. W. i
Wir ersehen aus dem Falle, wie leicht Röntgenbilder, weno
sie nicht richtig gedeutet werden, die Versuche angeblich ni8
verletzter, zu täuschen, unterstützen können. f Eine
Eine Epikrise erübrigt sich nach dem Mitgeteilten. fyi-
strafrechtliche Verfolgung ist bei der tatsächlich bestehenden =
lepsie wohl ausgeschlossen. Ob mit Recht — lasse ich da
gestellt.
1. Dezember.
er
1912 — MEDIZINISCHE KTINIK — Nr. 48.
1969
Vereins- und Auswärtige Berichte.
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 21. Oktober 1912,
Bechhold (als Gast): Ueber Kolloidforschung. Das Gebiet der
Kolloide umfaßt die Massenteilchen von "/ıoooooo bis Y/sow mm, sie sind
noch am wenigsten von allen Formen der Materie erforscht. Sie stellen
die großen komplizierten Atome der Eiweißstoffe, Peptone usw. dar, und
somit ist die Kolloidforschung gewissermaßen die Forschung über die
einfachsten Lebensgebilde. Was sie prinzipiell von den Stoffen der
Krystalloide unterscheidet, ist die ganz enorme Oberflächenspannung, und
es sind dabei so erhebliche Kräfte tätig, daß dadurch andere Kräfte, wie
Wärme, Elektrizität, vorgetäuscht werden können. Die Färbung mit ge-
wissen Farbstoffen ist eine Folge der Oberflächenspannung, ebenso wie
z. B. die Enteiweißung des Zuckers beim Raffinieren mit Kieselguhr oder
Kohle. Das im Zucker enthaltene Eiweiß legt sich dabei an diese Körper in-
folge der Oberflächenspannung fest an. Das Pepsin wird durch die
Wirkung der Oberflächenspannung von den Speiseteilchen angezogen, so-
daß gewissermaßen an ihrer Oberfläche eine konzentrierte Hülle entsteht.
Dadurch tritt die Lösung der Speiseteilchen ein, und das Pepsin wird
dann frei für weitere Wirkung. Auf diese Weise wirken auch andere
Fermente, die alle zu den Kolloiden gehören, ebenso wie die Toxine.
Die Kolloide unterscheiden sich von den Krystalloiden auch dadurch, daß
diese aus einer Lösung, bei Wasserentziehung bei Erreichung der Lös-
lichkeitsgrenze sich plötzlich als feste Körper ausscheiden, während jene
beim Eindunsten sich ganz nach und nach in eine Gallerte umwandeln,
die fester und fester wird, bis schließlich ein hornartiges Gebilde entsteht.
Der ganze Organismus besteht aus gequollenen Kolloiden, die sehr vie]
Wasser aufnehmen können. Es ist eine charakteristische Eigenschaft der
so gequollenen Kolloide, daß sie ohne wesentliche Veränderungen Wasser
aufnehmen und abgeben können. Das Blut hat ziemlich konstanten
Wassergebalt, den zugeführten Ueberschuß nehmen die Muskeln auf und
geben ihn bei Bedarf wieder ab. Die Erklärung des Oedems hat immer
große Schwierigkeiten gemacht. Bis vor kurzem galt meist die Cohn-
heimsche Theorie von der Stauung und der Durchgängigkeit der Gefäß-
wände. Neuere Untersuchungen von Jaques Löb und von Martin
H. Fischer machen es wahrscheinlich, daß es durch Kolloidquellung
hervorgerufen wird. F. zeigte, daß Oedem sowohl bei Unterbindung der
Venen wie der Arterien entsteht, daß also die Stauung keine wesentliche
Rolle spielt. Die Quellung von Fibrin in Wasser kann enorm dadurch
gesteigert werden, daß dem Wasser eine Spur einer Säure oder einer
Lauge zugesetzt wird. Dagegen tritt keine Quellung, ein oder sie nimmt
wieder ab, wenn die Konzentration zunimmt,goder wenn der Säure ge-
wisse Salze (Citrate, Tartrate) zugesetzt werden. F. zeigte nun, daß die
Muskeln denselben Gesetzen gehorchen wie das Fibrin, und er zeigte
ferner, daß die Oedemflüssigkeit sauer ist (durch Milchsäure und ähn-
liches. Wo Säurebildung infolge von Sauerstoffmangel, z. B. infolge von
Stauung, eintritt, ist auch die Möglichkeit zur Oedembildung gegeben.
Das trifft zu bei Stauung, Nephritis, Anämie, Metallvergiftungen, Insekten-
stichen. Diese Ansicht von F. erscheint zunächst sehr bestechend, es
sind aber doch von verschiedenen Seiten Einwände erhoben worden.
Marchand betonte, man müsse schärfer zwischen Schwellung und
Quellung -des Gewebes unterscheiden. Beim Oedem bestehe nicht nur
eine Quellung, sondern auch Schwellung; namentlich im Bindegewebe sei
die Flüssigkeit nicht im Protoplasma, sondern in den Gewebsspalten ent-
halten. Mosse behauptete, daß Milchsäure zwar in starker Verdünnung
Qaellung hervorrufe, aber nicht bei den in Betracht kommenden Kon-
zentrationen; da trete schon wieder Schrumpfung ein. Die Frage be-
findet sich noch in voller Diskussion, jedenfalls ist man sich durch die
Forschungen darüber klar geworden, daß an der Entstehung des Oedems
nicht Druckdifferenzen, sondern Gewebsschädigungen schuld sind. — Die
Kolloide können die Wasserlöslichkeit von Substanzen durch ihre An-
wesenheit sehr erheblich erhöhen oder vermindern. Magnus Levy
zeigte, daß das Blut des Gichtikers 30 bis 40 mg Mononatriumurat im
Liter enthält, also eine Menge, die sich weit unterhalb der Grenze der
Löslichkeit befindet. Das Blut ist aber eine mit Kolloiden übersättigte
Lösung, und die Kolloide setzen die Löslichkeit des Mononatriumurats
in sehr erheblicher Weise herab, sodaß schon eine geringe Vermehrung
desselben genügt, um eine Abscheidung hervorzurufen. So ist die
Kolloidforschung auch für eine große Zahl anderer Gebiete von großer
Bedeutung. | £ Hainebach.
Königsberg i. Pr.
Verein für wissonschaftliche Heilkunde. Sitzung v. 28. Oktober 1912.
1. Goldstein: Demonstration zu den Erkrankungen der Drüsen
mit innerer Sekretion. Die demonstrierten Fälle sollen erläutern, daß
bei einer Reihe von Erkrankungen (Akromegalie, abnorme Fett-
sucht, Myxödem) neben der Hypophyse und Schilddrüse auch
die Genitaldrüsen eine große Rolle spielen. Die vorgestellten Kinder
wiesen durchweg folgende Symptomentrias auf. Imbecillität, sehr stark
entwickeltes Fettpolster und Aplasie beziehungsweise erhebliche Hypo-
plasie der Genitaldriisen. Die Imbeeillität war übrigens bei allen „fami-
liär“. Die Thyreoidea war bei allen kaum zu fühlen, an der Hypophyse
auf der Röntgenplatte keine wesentliche Veränderung nachzuweisen. Viel-
leicht war sie etwas kleiner als der Norm entspricht.
Bei einer 48jährigen Frau, die als Kind schon etwas ‚grobknochig“
war und bei der vor neun Jahren wegen multipler Myome eine Total-
exstirpation des Uterus vorgenommen war, hatte sich in den danach-
folgenden Jahren eine allmähliche Vergrößerung der Finger, Füße, der
Nase und des Kinnes eingestellt. Die Thyreoidea war unverändert, die
Hypophyse auf der Röntgenplatte nicht vergrößert, auch andere cerebrale
Symptome fehlten. G. sieht daher in der Ausschaltung der Genitaldrüsen,
die mit den andern Drüsen in innerem Zusammenhange stehen, das aus-
lösende Moment für die spätere Akromegalie bei einem Individuum, das
von Haus aus hierfür schon etwas disponiert war. Die Disposition sieht
` Vortragender in der erwähnten „Grobknochigkeit“.
2. Lissauer: Experimentelle Lebereirrhose nach chronischer
Alkoholvergiftung. L. hat während eines halben Jahres Kaninchen in
steigender Dosis von 0,5 bis 5 ccm Aethylalkohol und gewöhnlichen
Branntwein appliziert. L. wählte hierbei die intravenöse Applikation,
weil in neuerer Zeit angenommen wird, daß sich durch Schädigung des
Magendarmkanals toxische Stoffe bildeten, die schädigend auf das Leber-
parenchym wirken könnten. Die Lebern der Versuchstiere waren ver-
größert, fühlten sich hart an und ihre Oberfläche war höckerig. Mikro-
skopisch boten sie das ganz charakteristische Bild der Cirrhose dar. Eine
primäre Degeneration der Leberzellen konnte L. nicht finden, dagegen
zeigte sich ein sehr zahlreiches Bindegewebe, das sowohl inter- wie intra-
acinös angeordnet war. Nach Meinung des Vortragenden schädigt dieses
das Parenchym.
In der Diskussion vertrat Friedrich die Ansicht, daß die
Schädigung des Parenchyms das primäre ist. Schittenhelm bemängelte
die Technik der intravenösen Injektion, da durch den Alkohol und die
durch ihn bedingten Zerfallsprodukte des Bluts leicht unerwünschte
Doppelwirkungen sich geltend machen konnten. G.
München.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 9. und 23. Oktober 1912.
Pürkhauer: Ueber die Behandlung des Hackenfaßes. P. be-
spricht zuerst den angeborenen, dann den erworbenen Hackenfuß und de-
monstriert seine Erörterungen durch Zeichnungen und Röntgenbilder.
Liegt der Calcaneus normal, so ist seine Richtungslinie parallel der Unter-
schenkelepiphysenlinie, wobei die des Talus schief von hinten oben nach
vorn unten zur Mitte der naviculären Gelenkverbindung verläuft. In
pathologischen Fällen beim Hackenhohlfuße steht die Calcaneusrichtungs-
linie winklig zur Unterschenkelepiphysenlinie und zwar um so mehr, je
größer der Hackenfuß ist id est je steiler Calcaneus steht. Beträgt dieser
Winkel weniger als 45°, so wirkt ein operativer Ersatz des paralytischen
Musculus gastroenemius durch einen gesunden Muskel therapeutisch
günstig; ist der Winkel größer, so wird eine ohne osteoplastische Ope-
ration die Sehnenverpflanzung unterstützen. Als brauchbarste dieser
Öperationsmetboden wird die Abmeißlung eines Segments des Tuberculum
calcaneum empfohlen, dessen Verschiebung nach Tenotomie der Plantar-
fascie nach hinten und Fixierung daselbst durch einen die Haut durch-
bohrenden Stift am Calcaneus. Wie die Röntgenbilder zeigen, ist schon
nach einem Jahre der operierte Calcaneus gleich dem gesunden.
G. B. Gruber: Ueber das Ulcus duodenale., Nach amerikanischen
und englischen Öperationsstatistiken ist die Häufigkeit des peptischen
Duodenalgeschwürs sehr groß. Eine daraufhin gerichtete Untersuchung
von 10000 Leichen ergab eine Häufigkeit der peptischen Duodenalaffek-
tion von 1,5% gegenüber 6,7, der gleichen Affektion im Magen. Das
Duodenalgeschwür überwiegt beim männlichen Geschlecht und bevorzugt
ebenso wie das Magenulcus die späteren Jahrzehnte. Das Duodenalulcus
vernarbt 53mal weniger als das Magenulcus, ist aber ein ernster zu be-
urteilendes Leiden, wenn auch die carcinomatöse Entartung des letzteren
häufger als die des ersteren ist, entsprechend dem Verhältnis quoad
maligne Erkrankungen des Duodenums: Magen = 1:11. Vortragender fand
als Prädilektionssitz des Duodenalulcus die Rückwand des oberen Hori-
zontalastes. Pathogenetisch müssen nach Ansicht G.s stets zwei Ursachen
vorhanden sein, deren eine stets die peptische Wirkung des Magensafts
ist, deren andere eine schleimhautschädigende sein muß, wie Kreislauf-
störungen infolge von Unregelmäßigkeiten im Vagus- oder Sympathicus-
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1970 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
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gebiete. Die Diagnostierbarkeit des Duodenalgeschwürs ist im Verhältnis
zur Häufigkeit, mit der es bei Leichen gefunden wurde, gering; nur in
10 bis 16° war es richtig erkannt oder vermutet worden. Die Ursache
scheint darin zu liegen, daß bei älteren Leuten eine Unmenge anderer
viel intensiverer Beschwerden (Arteriosklerose!) das Krankheitsbild be-
herrschen und daß das Duodenalulcus anscheinend ohne schwerere Sym-
ptome verlaufen kann. Dies schadet auch nicht viel, da diejenigen Fälle,
die ein Eingreifen nötig gemacht hatten, in vivo meist diagnostiziert
worden waren, wenn auch nicht immer noch zur rechten Zeit.
In der Diskussion feagt Geheimrat v. Müller nach dem gleich-
zeitigen Bestehen von Duodenalulcus und Appendieitis und erinnert daran,
daß man früher, als noch viel Salicylsäure verordnet wurde, viel
Ulcera ventriculi auf toxischer Basis fand. Herr Struppler meint,
daß durch die gesteigerte Anwendung des Aspirins bis zu 5 g pro die
durch die Laien der Genese des Magenulcus Vorschub geleistet werde.
Herr Krecke betont die Leichtigkeit der Diagnose des Duodenal-
geschwürs, die auf einer genauen Anamnese, sorgfältigen Benutzung
aller Hilfsmittel beruhe, wobei besonders wichtig die von Bier ange-
gebene Röntgenuntersuchung ist. Er wie Schmidt beleuchten sodann
die verschiedenen Operationsmethoden des Duodenalulcus. Im
Schlußworte hebt Vortragender noch hervor, daß er die Kombination
von Appendicitis plus Duodenalaffektion höchst selten am Leichenmaterial
gefunden habe, sowie daß die Erklärung dieser Duodenalaffektion mit
rückläufiger Venenembolie (Payr) heutzutage recht zweifelhaft sei.
Baum: Die neueren Errungenschaften auf dem Gebiete der
Lokalanästheste. Die Entdeckung des Novocains im Jahre 1905, das
weniger giftig als das Cocain und völlig reizlos ist, sowie in Verbindung
mit dem Suprarenin ein geradezu ideales Anaestheticum darstellt, hat die
Anwendungsmöglichkeit der Lokalanästhesie auf fast alle Körperteile ge-
bracht und damit die Inhalationsnarkose und auch die Lumbalanästhesie
fast völlig verdrängt. Statt der früheren Infiltrationsmethode, welche nur
die letzten sensiblen Nierenfasern anästhesierte, wurde die Nervenunter-
brechung eingeführt, indem man zwischen dem Krankheitsherd und dem
entsprechenden sensiblen Centralapparat die perineurale Injektion des
Anaestheticums einschaltet; am besten wirkt dabei eine Kombination des
Novocains mit Natriumbicarbonat plus Suprarenin, wie sie die Höchster
Farbwerke in Tabletten darstellen, die nach Brauns Vorschrift gelöst
und obne hemmende Wirkung auf das Novocain auch aufgekocht
werden kann.
Für die Leitungsanästhesio kommen vor allem diejenigen Nerven
in Betracht, die durch topographische Beziehungen zu bestimmten Skelett-
teilen, Arterienabschnitten usw. fixiert sind. So trifft man den Nervus
ophthalmicus in seinen Eudverzweigungen mittels nasaler und temporaler
Orbitalinjektion, den Nervus maxillaris in der Fossa sphenopalatina, den
Nervus mandibularis am Foramen ovale oder oberhalb der Lingula des
Unterkiefers. Auch das Ganglion Gasseri kann mittels eines von Haertel
angegebenen Weges direkt mit der Nadel getroffen werden. Am Thorax
ermöglicht die Novocainisierung der Spinalnerven unmittelbar peripher
vom Gangliom die weitgehendsten Operationen, wie Rippenresektion,
Nierenoperationen, selbst Magenresektionen wurden schmerzlos ausgeführt.
Die untere Extremität wird ganz und unempfindlich bei Injektion in den
Nervus cutaneus femoris lateralis, den Nervus cruralis unter dem Pou-
partschen Bande, den Nervus cutaneus femoris posterior und ischiadicus
zwischen Tuber ischii und Trochanter major, den Nervus obturatorius an
der medialen Seite der Oberschenkelmitte. Auch die obere Extremität
wurde durch Infiltration in den Plexus brachialis entweder von der
Achselhöhle (Hirschel) oder oberhalb der Clavicula (Kulenkampff)
anästhesiert. D
So kann die Lokalanästhesie in Form der Leitungsunterbrechung
die Narkose ersetzen, wo letztere kontraindiziert ist. Lissmann.
Berlin.
Urologische Gesellschaft. 3. Sitzung. 1. Oktober 1912.
H. Lohnstein spricht über eine neue Lampenmodifikation an
seinem Operationseystoskop, die durch Kürzung des Lampenträgers in
vielen Fällen eine raschere und radikalere Ausrottung der Geschwülste
auf intravesikalem Wege gestattet; die Lampe ist zwischen Prisma und
Ocular eingeschaltet — im Gegensatz zu dem früheren Modell, wo die
Lampe an der Spitze sitzt —, unabhängig von Optik und Operationsvor-
richtung, sie ist eine Stiellampe und geht auf einer Schienenvorrichtung.
R. Kutner erinnert an die Versuche Baers (Wiesbaden) und an seine
eignen Mitteilungen über den beweglichen Schlingenschnürer und die
Transportebilität des ganzen Schlingenapparats; Kutner kann den
Schlingenschnürer erforderlichenfalls so weit vorschieben, daß er sogar
über Lampe und Prisma hinaus in die Blase vorgeschoben werden kann.
O. Ringleb macht einige sprachliche Bemerkungen.
Zu dem Vortrage C. Bendas: Zar pathologischen Anatomie
der männlichen 6enitaltaberkulose in der vorigen Sitzung (cf. Med, KI.
8. September 1912, Nr. 36.) spricht in der Diskussion C. Posner un
hebt hervor, daß die Arbeiten C. Bendas uns auf den Guyon
Lancereauxschen Standpunkt von 1891 zurückführen; Prostata und
Samenblasen sind der Ausgangspunkt der Erkrankung an Tuberkulose,
Für die Praxis ergibt sich das Resultat, daß man von der einseitigen
präventiven Kastration absieht. Der testipetale Weg ist wohl der vor-
wiegende Weg der Erkrankung, es gibt aber wohl auch primäre Hoden-
und Nebenhodentuberkulose, besonders im Anschluß au Gonorrhöe und
Trauma, also einen urethropetalen Weg. Neben den Lymphwegen ist
wohl auch die Sekretstauung von einiger Wirkung bei der Hoden- und
Nebenhodentuberkulose C. Benda glaubt nicht an den urethropetalen
Weg, er hat nur das positive Resultat der Anatomie feststellen wollen,
aus dem negativen Resultat der Untersuchung kann man keine Schlüsse
ziehen; er mißtraut auch der klinischen Beobachtung in anatomischer Be-
ziehung.
H. L. Posner (Heidelberg) spricht zur Frage der perinealen
Prostatektomie. Er betont, daß wir keine Ektomie des Organs vor-
nehmen, sondern Geschwülste entfernen. Gefahr der Nachblutung,
schlechte Drainageverhältnisse beim suprapubischen Verfahren und bessere
Mortalitätsverhältnisse bei der Dammoperation veranlassen die Heidel-
berger Klinik, bei der perinealen Methode zu bleiben. Der Einfluß
der Beckenhochlagerung, der Narkose, der Rückenmarks- und epiduralen
Anästhesie, der lokalen Anästhesie werden erörtert. Die kompliziertere
Anatomie und technisch schwierigere Operation, die Verletzung der Cor-
pora cavernosa, die häufigere Fistelbildung und die Störung des Potenz-
vermögens sind die Vorwürfe gegen die perineale Methode, Wilms hat
eine perineale Methode mit lateralem Schnitt ausgebildet; M. bubi
cavernosi und Ampulla recti werden geschont und der Operateur kommt
der Prostata am nächsten; außer dem Hautschnitte stumpfes Vorgehen
bis durch die Kapsel der Drüse, die durch den Retractor heruntorgezogen
wird; Ausschälung der Drüse durch die Kapselöfiaung mit dem Finger,
Abreißen der Geschwülste von der Blase, Entfernen des Tumors mit einer
Art Gallensteinlöffel, sofortige Einführung eines starken Drains in die
Blase, das fünf bis sechs Tage liegt; danach nur Dauerkatheter und
lockere Tamponade, nach 14 bis 18 Tagen hört der Abfluß vom Damm
auf, nach zirka 28 Tagen völlige Heilung mit zweistündiger Kontinens,
Von 23 Patienten war nach drei Monaten nur einer inkontinent, der sich
noch besserte; nur bei einem Patienten kam es zur Verschlechterung. Ein
Patient ging an Urämie zugrunde. 4,4°/o Mortalität. Ein Patient ist zehn Tago
nach dem zu frühen Austritt aus dem Krankenhaus an unbekannter Ur-
sache gestorben. Fast alle Operationen werden unter Lokalanästhesis
vorgenommen. Der N. pudendus wird an der Spina ischiadica und der
Plexus sacralis von einem Injektionspunkt aus unempfindlich durch
Novocain-Adrenalin gemacht.
S. Jacoby zeigt eine Modifikation des H. Goldschmidsschen
Urethroskops, die die vesicale Seite des Colliculus seminalis und die
Fossula prostatica durch Einfügung eines Spiegels in den Apparst zur
Ansicht zu bringen gestattet.
Edwin Beer (New York) spricht über die Behandlung der
gutartigen Blasentamoren mit Hochfrequenzstrom, der durch ei
"Cystoskop eingeführt wird; die Apparate sind schon mehrfach beschrieb
(cf. Zbl. f. Chir). Der Strom wird nur 15 bis 30 Sekunden angewandt,
die Blase darf nicht verletzt werden, je näher der Blasenwand der Strom
kommt, desto kürzer die Anwendung. Die Stückə der Geschwulst fallen
rasch nekrotisch als Schorf ab. Die Blase ist nach Auswaschung nit
destilliertem Wasser gefüllt. Die Elektrode wird in den Tumor hinam
gestochen. Der Strom ist ein vortreffliches Hämostaticum, sodab er dio
Blutung stillt. So schnell kann man durch keine andere Methode dt
Tumoren entfernen. Große Verbrennungen und Blasenverletzungen M
bisher vermieden worden. 187 Fülle sind bisher behandelt worden. 3
200 Patienten in Amerika, 28 in Europa; alle Chirurgen, die sie 308°
wandt haben, sind zufrieden. Die Methode ist schmerzlos. Es sollen
nur die gutartigen Tumoren so behandelt werden. sicher bösartige File
nicht damit angerührt werden. Mikroskopische Untersuchung entfern
Stücke soll die Entscheidung geben. T
L. Casper hat mehr wie 200 Blasengeschwülste behandelt Be
die Schwierigkeit der Unterscheidung gutartiger und bösartige
Geschwülste klinisch und anatomisch — selbst bei milronkopischt
Untersuchung entfernter Stückchen — hervor, da die bösartige Stabo
meist an der Basis sitzt, an die man nicht herankommt. C. eT
allerdings theoretisch ohne eigne Erfahrung — auf die Gefahren der
Hochfrequenzmethode aufmerksam, die ja nur eine Modifikation a
Fulguration sei; man wisse nie, wo man bei den weichen flexiblen
schwülsten sich mit der Elektrodenspitze befinde. Jet-
R. Kutner hat die Methode verwandt, erkennt die Gefahren
1. Dezember.
selben an, glaubt sie aber durch Vorsicht umgehen zu können, beson-
ders wenn man sich vor jeder Operation unter Kontrolle eines von ihm
angegebenen Zeitmessers jedesmal an frischem Fleische von der Intensität
des Stroms überzeagt und sich bei der Operation nach dem Resultat
dieser Prüfung richtet. Der Vorzug des Verfahrens besteht in der Mög-
lichkeit, in der Tiefe zu koagulieren und dadurch zu nekrotisieren, wäh-
rend man bisher mit dem Kauter nur an der Oberfläche koagulieren
konnte. Für große, besonders gestielte Tumoren sei die caustische
Schlingenschrürung geeigneter, während breit aufsitzende Geschwälste,
besonders kleine Tumoren, in Vertiefungen (Narben nach früheren Ein-
griffen) von der Elektrodennadel rasch und völlig zerstört würden. Die
Abstoßung der Schorfe erfolge in manchen Fällen sehr langsam; bevor
dieselben nicht abgestoßen, solle man nicht neu eingreifen.
Mankiewicz.
Physiologische Gesellschaft. Sitzung vom i. November 1912.
Walther Löb: Chemische Wirkung der stillen elektrischen
Entladung und die Bildung von Aminosäuren. Durch frühere Ver-
suche ist nachgewiesen werdon, daß es mittels der stillen elektrischen
Entladung gelingt, die natürliche Assimilation der Kohlensäure in ge-
wisser Weise nachzuahmen!), indem der Aufbau von Zuckerarten über
Formaldehyd und Glykolaldehyd aus feuchter Kohlensäure lediglich durch
Zufährung dieser strahlenden Energieform durchführbar ist. Nach den
älteren Beobachtungen von Berthelot, über die Fixierung des Stick-
stoffs durch viele organische Substanzen unter der Einwirkung der stillen
Entladung erschien es möglich, auch dem Problem der natürlichen Stick- `
stoffassimilation unter Verwendung der gleichen Energieform näher- `
zukommen. Zunächst ergab sich, daß die Berthelotschen Ergebnisse
darauf zurückzuführen sind, daß die organischen Substanzen unter Bildung
von Wasserstoff zerfallen, daß der Stickstoff mit diesem abgespaltenen
Wasserstoff Ammoniak liefert und erst das Ammoniak mit den organischen
Substanzen oder ihren Zersetzungsprodukten in Reaktion tritt. Der
Stickstoff wird also nicht als solcher von den organischen Substanzen
aufgenommen, sondern tritt erst sekundär als Ammoniak mit Säuren,
Aldehyden usw., die zum Teil erst durch die unter der Wirkung der
Entladung eintretenden Zersetzungen erzeugt werden, in Reaktion. Es
ist daher auch nicht möglich, wie Berthelot es getan hat, aus der
Menge des aufgenommenen Stickstoffs irgend einen Schluß auf die Natur
der gebildeten Verbindungen zu ziehen.
Die Untersuchung des feuchten Stickstoffs unter dem Einfluß der
Entladung zeigte, daß aus diesem bereits Ammoniak erzeugt wird, sodaß
es sich, auch in Anlehnung an die natürlichen Verhältnisse, empfahl, den
Stickstoff bei dem Versuche, den Weg der natürlichen Stickstoffassimi-
ation nachzuabmen, stets in der Form des Ammoniaks in Anwendung
zu bringen. Auf Grund der Auffassung daß der Stickstoff in die ersten
Phasen der Kohlensäureassimilation selbst eingreift, wurden zunächst
solche Kombinationen der Entladung ausgesetzt, die die Entstehung der
ersten organischen Produkte überhaupt ermöglichten, wie feuchte Koblen-
säure oder feuchtes Kohlenoxyd in Gegenwart von Stickstoff, beziehungs-
weise Ammoniak. Dabei trat auch eine Reaktion des letzteren mit der
ersten Phase der Kohlensäureassimilation, dem Formaldehyd, ein, und
es entstand Hexamethylentetramin. Derselbe Körper entsteht auch in
Gegenwart von Stickstoff oder Ammoniak aus andern Substanzen, die
durch die stille Entladung Formaldehyd liefern, wie Alkohol, Aldehyd,
Methylalkohol und anderes. Die genaue chemische und biologische Unter-
suchung des Hexametbylentetramins zeigte aber, daß diese Substanz für
die natürliche Stickstoffassimilation nicht in Frage kommen kann. Denn
es ist keine Frage, daß eins der ersten Produkte der natürlichen Stick-
stoffassimilation entweder eine einfache Aminosäure sein muß oder eine
Substanz, welche durch chemische beziehungsweise biologisch3 Reaktionen
leicht in eine Aminosäure überführbar ist. Da aber das Hexamethylen-
tetramin diese Eigenschaften nicht besitzt, so scheidet es als ein Zwischen-
glied der Stickstoffassimilation aus. Hingegen wurde gefunden, daß das
aus Kohlenoxyd und Ammoniak unter der Einwirkung der stillen Ent-
ladung leicht entstehende Formamid als das erste organische, stickstoff-
haltige Produkt der natürlichen Stickstoffassimilation mit Wahrschein-
lichkeit anzusprechen ist. Das Formamid geht nämlich lediglich durch
die Energiezufuhr der stillen Entladung unter Wasserstofiverlust in
Oxamid und Oxaminsäure tiber. Die letztgenannte Substanz aber, in die
Oxamid äußerst leicht zu verwandeln ist, steht in der einfachen Be-
1) Ztschr. f. Elektrochemie 1906, Nr. 12, S. 282; Landwirtschafil.
Jahrbücher 1906, S. 541.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1971
ziehung zu der ersten Aminosäure, daß sie durch Reduktion Glykokoll
zu liefern vermag. Die Bedingungen. zu einer Reduktion unter der Ein-
wirkung der Entladung sind nun bereits durch die Gegenwart von Wasser,
das stets Wasserstoff liefert, gegeben, und in der Tat ließ sich bei der
Einwirkung der Entladung auf wasserhaltiges Formamid in geringer
Menge die Gegenwart einer Aminosäure sowohl durch die Formoltitration,
wie durch die Naphtalinsulfoverbindung nachweisen, freilich war die Aus-
beute bis jetzt eine zu schlechte, um die Natur der Aminosäure sicher-
zustellen.
Der Vortragende behandelt dann weiter die chemische Reaktions-
folge bei der Oxydation von Eiweiß und seinen Abbauprodukten und
zeigt, daß bei diesem der Synthese entgegengesetzten Vorgang in der
Tat die gleichen Produkte auftreten. So liefert Glykokoll bei der Oxy-
dation Oxaminsäure und Formamid, und diese beiden Substanzen ent-
stehen auch aus einer großen Anzahl von Aminosäuren, Polypeptiden
und Eiweißkörpern. Es besteht mithin große Weahrscheinlichkeit, daß
der Aufbau der Aminosäuren in einem Reduktionsvorgange die gleichen
Zwischenphasen berührt, wie der Abbau der Aminosäuren in einem Oxy-
dationsvorgange, daß diese beiden Reaktionsformen chemisch und biologisch
Umkehrungen sind. Es läßt sich also der vorläufige Schluß ziehen, daß
die natürliche Stickstoffassimilation ein Parallelprozeß zu der Kohlen-
säureassimilation ist, sich dieser zeitlich nicht in irgend einer Phase an-
schließt, sondern neben ihr und, wie sie, aus den einfachsten anorganischen
Substanzen, aus der reduzierten Kohlensäure und dem Ammoniak über
Formamid und Oxaminsäure durch Reduktion zu der ersten Aminosäure
führt und damit die natürliche Synthese der Eiweißkörper einleitet.
T5 T neee a mn m LI I ____.
Ophthalmologische Gesellschaft. Sitzung vom 17. Oktober 1912.
Fehr stellt einen wegen hochgradigen Ektropions des Oberlides
; operierten Patienten vor. Derselbe hatte an einer Mucocele und eitrigen
Erkrankung der Stirnhöhle mit folgender Fistelbildung gelitten. Entlang
dem Fistelgange hatten sich Narben entwickelt, die zu dem Ektropion
geführt hatten. Nach radikaler Operation der Stirnhöhle gelang es nach
Durchschneidung der Narbenstränge, einen Lappen aus der Schläfenhaut
in das Oberlid einzupflanzen und so das Oberlid mit befriedigender Funk-
tion wieder herzustellen.
Hamburger stellt eine Trachompatientin vor, bei der er durch
Yequeritol eine derartige Aufhellung des trachomatösen Pannus erzielte,
daß das Sehvermögen von Fingerzählen in 2 m bis auf 5/ıs stieg. `
Peters spricht über angeborene Staphylome der Hornhaut.
Während v. Hippel die angeborenen Hornhauttrübungen als Resultat
einer fötalen Keratitis betrachtet, ist P. der Anschauung, daß es sich um
typische Mißbildungen auf Grund einer angeborenen Defektbildung der
Descemetischen Membran handelt. Diese angeborenen Hornhauttrübungen
kommen gleichzeitig mit Staphylombildung auf dem andern Auge zur
Beobachtung, sodaß der Verdacht gerechtfertigt ist, daß es sich bei diesem
ebenfalls um kongenitale Störungen handelt. An der Hand eines neuen
Falles ist Vortragender imstande, seine Theorie auch anatomisch zu stützen.
Die Untersuchung ergab nämlich in der Substanz der das Staphylom
bildenden Hornhautverdickung einen mit mehrschichtigem Oberflächen-
epithel ausgekleideten Hohlraum, dessen Inhalt an Linsengewebe er-
innert. Zu beiden Seiten dieses „Lentoids“ finden sich Muskelbündel,
die mit der Muskulatur des Ciliarkörpers zusammenhängen. Gleichzeitig
bestehen vordere Synechien. In der Mitte ist die Hornhaut nach hinten
vorgebuckelt und frei von Descemetischer Membran, die peripher er-
halten ist, während die Bowmansche Membran durchweg fehlt. Die
Linse selbst befindet sich an normaler Stelle. Die Hornhautveränderungen
sind völlig frei von Entzündungserscheinungen. Wir müssen also eine
deutliche abnorme Differenzierung im Bereiche des Mesoderms und des
Ektoderms als vorliegend annehmen und müssen somit das Staphylom
als reine Entwicklungsstörung ansehen. Das Primäre ist hierbei das ab-
norme Verhalten des Ektoderms in dem Sinne, daß entweder keine Linse
abgeschnürt wird oder die abgeschnürte Linse im Bereiche der Hornhaut
liegen bleibt oder die Linse in normaler Weise abgeschnürt wird und
nach hinten tritt, wobei eine zweite Pseudolinse die Ursache der Sta-
pbylombildung abgibt. Die Störungen des Mesoderms sind hiernach als
sekundär anzusehen.
Wolf demonstriert eine binoculare Augenspiegelvorrichtung,
bei der das umgekehrte Bild durch einen entsprechend centrierten Opern-
gucker betrachtet wird. Man erreicht hierdurch einen gewissen stereo-
skopischen Effekt. C. Adam (Berlin).
1972
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember.
- Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Soziale Hygiene.
Aerztliches Berufsgeheimnis und Tuberkulosefürsorge
von
Dr. Georg Liebe, Heilanstalt Waldhof Elgershausen.
Unter diesem Titel bebandelt Dr. Seifert (Stollberg) in der Sozial-
ärztlichen Beilage des Aerztlichen Vereinsblattes für Deutschland Nr. 888
die beabsichtigte Einführung der Anzeigepflicht, diese öfters
ventilierte Frage, ohne indessen auf die Schwierigkeiten recht einzugehen,
die aus der Meldepflicht für die Kranken und dadurch mittelbar für den
Arzt entstehen. Der Verfasser macht allerdings auf „die auf dem letzten
Tuberkulosekongreß gegebene Anregung, tuberkulöse Lehrer zwangsweise
zu pensionieren“, aufmerksam. Und das ist ja ein typisches Beispiel für
den unendlichen Schaden, den’ eine allgemeine Meldepflicht verursachen
würde. Ein Lehrer, der mit seinem nicht gerade fürstlichen Gehalte sich
der Gefahr aussetzt, durch den Arzt nolens volens der Behörde — ich
. hätte bald gesagt denunziert zu werden, der Behörde, die ihn dann
‚zwangsweise pensionieren und mit seiner Familie ins Elend bringen kann,
ein solcher würde ja ganz unzurechnungsfähig handeln, wenn er sich
noch in ärztliche Behandlung begäbe. Weicker (Görbersdorf) hat schon
auf der Hamburger Versammlung der Tuberkuloseärzte auf diese Dinge
hingewiesen und mit vollem Rechte prophezeit, daß sich die Lehrer dann |
nicht mehr in Lungenheilanstalten, sondern irgendwo in Winkelinstitute,
Sommerfrischen usw. begeben würden. Und gerade bei Lehrern ist doch
die bygienische Erziehung der Heilanstalt eine ganz unschätzbare Bei-
gabe zu der zu erzielenden Heilung oder Besserung. Weicker teilte
auch früher aus seiner Erfahrung mit, daß ein Kaufmann trotz der aller-
besten Zeugnisse sich immer wieder vergeblich um eine Stellung bewarb,
solange er seine Briefe aus Görbersdorf abschickte, aber sofort eine gute
Stellung bekam, als er, klug geworden, sein Gesuch in Breslau zur Post
geben ließ. Ich selbst konnte auf der genannten Versammlung von einem
Falle erzählen, in dem sich ein Herr Schau nicht nur in der Korrespondenz
mit mir Herr Blau nannte, sondern auch seine sämtlichen Briefe,
Zeitungen usw. unter diesem Namen kommen ließ. Lehrer aus der Nähe
hielten sich Sonntags am liebsten verborgen, um nicht von Wanderern
aus ihrer Gegend in der Lungenheilanstalt gesehen zu werden. Und wie
oft werden wir gebeten, unsere Prospekte und Briefe in Kuverts ohne
Aufdruck zu schicken.
Der Abfassung meines Aufsatzes „Die Spuckflasche eine Illu-
sion“!) ging eine ziemlich umfassende briefliche Umfrage an ver-
schiedenen Heilstätten voraus, die, wie auch an andern Orten dargelegt
wurde, zeigte, daß viele Patienten zwar den besten Willen haben, mit
ihrem Auswurfe vorsichtig umzugehen und die Spuckflasche weiter zu
benutzen, daß sie das aber auf das eigne Heim beschränken müssen, da
sie im Verkehre, in der Gesellschaft, der Arbeitsstätte nicht als Lungen-
kranke erkannt werden dürfen. Sie setzen sich den größten Unannehm-
lichkeiten aus, werden verfehmt und oft in der unbarmberzigsten Weise
von ihren Kameraden aus der Stellung gedrängt. Mehrfach haben hier
Patienten die Teilnahme an der vielfach üblichen gemeinsamen Photo-
graphie verweigert, da sie nicht überall als Lungenkranke in den Zimmern
mit aufgehängt sein möchten. Auf den seelischen, körperlichen und wirt-
schaftlichen Nachteil, den die einer Anzeige folgende Zwangsdesinfektion
der Wohnung mit sich bringt, wies ich ebenfalls schon früher bin. Der
Frau, die mit ihren Kindern wahrbaftig schon genug unter der Krankheit
ihres Mannes zu leiden batte, wurde sofort von dem erbosten Hauswirte
die Wohnung gekündigt, und da sollte der Mann mit solchen Sorgen
dann in der Heilstätte eine Kur machen. Manchmal hat man Gelegenheit,
auf Anfrage eines Dienstherrn, eines Bureauleiters oder dergleichen auf-
klärend zu wirken und durch ein beruhigendes Urteil einem Patienten
seine Stellung zu erhalten. Aber wie viele der Arbeitgeber fragen an?
Der Prozentsatz derer, die ihre Stellung unter irgendeinem Vorwande
verlieren, wobei aber meist der Arbeitgeber froh ist, den immerhin etwas
anrüchigen Lungenkranken los zu sein, ist sicher sehr groß. Das sind
Einzelheiten, die sich aber aus der Erfahrung jedes Heilanstaltsarztes
noch erheblich vermehren ließen und die bei einer gesetzlichen Einführung
der Anzeigepflicht unbedingt mit in Betracht gezogen werden müssen,
Ich glaube auch, daß die Frage nicht unberechtigt ist, ob dann die An-
zeigepflicht auch wirklich bei allen Ständen ohne Ansehen der Person
durchgeführt wird. Wenn man beispielsweise daran denkt, daß selten
ein wohlhabender Mensch anders als in „augenblicklicher geistiger Um-
nachtung“ Selbstmord begeht, während man arme, des Lebens und seiner
Qualen überdrüssige Menschen ohne Sang und Klang in die Ecke ver-
scharrt, kann man sich solchyn Bedenken nicht ganz verschließen.
1) Med. Kl. 1911, Nr. 44.
In dem genannnten Artikel macht Seifert sehr richtig auf die
doch immer mehr anerkannten Tatsachen aufmerksam, daß jeder Mensch
schon in der Kindheit mit Tuberkulose infiziert wird und daß er, wenn
er diese Infektion übersteht, für sein ganzes weiteres Leben so viel In-
munität mitnimmt, um den gewöhnlichen weiteren Infektionen Widerstand
leisten zu können, vorausgesetzt, daß sein Körper nicht durch Vererbung
oder Erwerbung zur Erkrankung disponiert ist. „Nur massige oder
sehr stark gehäufte Reinfektionen scheinen den Ausbruch der
Krankheit zu beschleunigen.“ Es ist also jedenfalls, soweit nicht
Kinder in Betracht kommen, die Gefahr der Ansteckung viel geringer,
als gemeinhein angenommen wird. Es sei hier eingefügt, daß ich
Seifert darin nicht beistimmen kann, daß jeder Lehrer mit Tuberkulose
für seine Kinder schwer gefährlich ist. Wenn der Betreffende gut
diszipliniert ist, mit seinem Auswurfe sorgfältig umgeht und nicht ins
Blaue hinein hustet, so gefährdet er seine Kinder sicher nicht mehr und
sogar weniger, als der Lungenkranke, der, auf dem Heimwegs-neben den
Kindern in der Elektrischen sitzend, auf den Fußboden spuckt und ohne
Schutz hustet. |
Aus der Einschränkung, die ich trotzdem oben machte, daß. die
Ansteckungsgefahr dann gering sei, wenn nicht Kinder in Betracht
kommen, geht aber doch deutlich hervor, wie gut es in hundert und aber
hundert von Fällen wäre, wenn durch eine Anzeige, nicht an den Schotz-
mann und alles was Polizei heißt, sondern an eine Tuberkulosefürsorge-
zentrale für die nötige Vorsicht und Reinlichkeit im Hause eines Langen
kranken gesorgt würde. Nur sollen diese Bemerkungen, aus dem ange-
gebenen Anlasse geschrieben, darauf hinweisen, daß wir es hier nicht
mit einer einfachen im Handumdrehen zu lösenden Frage zu tun haben,
sondern mit einem Problem, das im Interesse unseres Volkes
und namentlich der so schon genug gestraften Kranken sehr
ernstlich überlegt sein will.. Aber auch im Interesse der Aerzte
selbst. Denn wie die Lehrer, mit Entlassung bedroht, voraussichtlich die
Heilstätten meiden werden, so wird eine Anzeigepflicht mehr als einen
Kranken, der all diesen Unannehmlichkeiten — „Schikanen“ wird or sagen
— entgehen will, in die Arme der nicht zur Anzeige verpflichteten Kw-
pfuscher treiben, | 2
Aerztliche Tagesfragen.
Medizinisches vom Kriegsschauplatze.
Als ein erfreuliches Zeichen für die streng wissenschaftliche Grond-
lage, die den Mediziner der Gegenwart auszeichnet, muß es angesehen
werden, daß selbst in den Unruhen des Krieges gleichgesinnte Aerzte
sich zusammentun, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sofort, das
heißt an Ort und Stelle, wissenschaftlichen Gewinn daraus zu ziehen.
So wurden auf die Initiative des Chefs des serbischen Miltir-
Sanitätswesens, Sanitätsobersten Dr. Sondermeyer, hin in Belgrad
wissenschaftliche Aerztekonferenzen eingeführt, deren erste m
diesen Tagen stattfand. Der Chirurg der Prager Universität, Prof. Dr
Jedlicka, sprach hierbei über die von ihm gemachten Erfahrungen, dis
sich auf nunmehr 760 selbstbeobachtete klinische Fälle erstrecken. Von
25 Schädelschüssen starben zwölf nach kurzer Zeit, an zehn Patienten
wurden vorher noch Schädeloperationen vorgenommen, So kam es wieder
holt vor, daß- Kugeln quer oder von oben nach unten den Schädel durch-
bohrten, ohne irgendwelche cerebralen Erscheinungen oder Lähmung®
zu hinterlassen.
Von den eingelieferten 18 Bauchschüssen verliefen sieben tüd:
lich, die schon sterbend ins Lazarett gebracht wurden, anderseits lagen
dort eine große Anzahl von Bauchschüssen, die in wenigen Tagen or
irgendwelchen Eingriff abheilten. Eine Sonderstellung nimmt hierbei A
scheinend die circumscripte Peritonitis ein, hervorgerufen durch
Schüsse in die Gegend des Dick- und Blinddarms. Vier dieser Patienten
wurden am fünften Tage operiert und befinden sich gegenwärtig achot
im Zustande der Rekonvalescenz. Ein Patient mit Magenschuß blieb dre!
Tage lang auf dem Schlachtfeld ohne jede Nahrung liegen und kam dan
erst ins Lazarett. Schon nach einer Stunde wurde hier an ihm der Bauch
schnitt vorgenommen nd die Ein- und Ausschußöffnung des Magens
vernäht. Da seitdem über acht Tage verflossen sind, und es dem Patienten
gut geht, kann an seinem Aufkommen nicht mehr gezweifelt werde.
| Obwohl an der Verpflichtung zur Gefäßnaht prinzipiell ai
gehalten wurde, mußte doch in zwei Fällen die Oberschenkelarterie untet:
bunden werden, da die Naht sich nicht als durchführbar erwies. Wal
kamen Fälle zur Beobachtung, in denen die Kugel durch die Brust:
höhle durchdrang, ohne weitere Erscheinungen als einen rasch vordbet
gehenden Pneumgthorax zu verursachen. Es sind auch Kehlkoplschls®
vorgekommen, die ohne Tracheotomie zur Abheilung gelangten. un
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1. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1913
an den Extremitäten heilten verhältnismäßig səhr schnell, sobald sie nur
aseptisch behandelt und durch Gips- oder Streckverband gut geschient
werden.
An der dem Vortrage folgenden Diskussion beteiligten sich vor-
zugsweise der Vorstand der deutschen Hilfsexpedition des roten Kreuzes
für Serbien, Dr. Richard Mühsam (Berlin-Moabit) und Professor Dr.
von Oettingen (Berlin). |
Eine zweite große Sorge im gegenwärtigen Kriege bildet die Be-
kämpfung der Cholera. Auch hiergegen wurde mit besonderem Eifer
von Wien aus mobil gemacht und zwar war es das serotherapeutische
Institut des Hofrats Professor Paltauf, das eine Reihe von Aerzten am
19. November nach Sofia entsandte, um von bier aus dann die eigentlichen
Choleraherde aufzusuchen. Diese Expedition arbeitet unter Leitung des
Prof. Dr. Rudolf Kraus, des bekannten Fachmanns auf dem Gebiete
der Bakteriologie und Serologie, dem vier weitere Aerzte zur Seite
stehen. Auch der pathologische Anatom Dr. Kaunitz von dem Institute
des Prof. Dr. Weichselbaum beteiligte sich daran. In Stambul wurden
am 24. November bereits 25000 Cholerafälle festgestellt, die Hagia Sofia
war mit 5000 Kranken angefüllt. i
Im Prinzip handelt es sich bei der Bekämpfung der Cholera auch
diesmal wieder um die Anwendung der von Haffkine erdachten Schutz-
impfung mittels abgetöteter und abgeschwächter Cholerakulturen. Die
Erfahrung lehrte, daß Menschen, die mit dieser Choleravaccine behandelt
wurden, von der Cholera ungleich seltener und viel milder befallen wurden
als Nichtgeimpfte. Durch die Schutzimpfung der Umgebung, welche un-
gefährlich und leicht ist, werden anderseits viele Personen vor der Krank-
heit bewahrt und es läßt sich dadurch auch einer weiteren Verbreitung
vorbeugen. Außer dieser Choleravaceine nahmen die genannten Aerzte
auch Pestvaccine und Pestserum in großen Mengen mit, sodaß neben den
Chirurgen die Bakteriologen und Serologen gegenwärtig eine zweite und
nicht weniger wichtige ärztliche Gruppe auf dem Kriegsschauplatze bilden,
Soweit es sich um die Prophylaxe bei der Cholera-
bekämpfung handelt, ist dieselbe nach den gemachten Erfahrungen im
wegentlichen eine Frage des Trinkwassers. So werden für die Lagerung
der Truppen huchgelegene Oertlichkeiten mit trocknem festen Boden aus-
zusuchen, Niederungen und feuchtes Terrain zu vermeiden sein. Zweck-
mäßig erscheinen vorher eingeholte Erkundigungen, ob in den an der
voraussichtlichen Marschlinie gelegenen Ortschaften Trinkwasser von
guter Qualität und entsprechender Menge zu gewärtigen sei: ebenso sind
Verzeichnisse der Brunnen mit gutem, verdächtigem oder schlechtem
Wasser anzulegen, nötigenfalls ist durch Aufschriften an denselben vor
dem Genusse des Wassers zu warnen. In Choleragegenden soll auch
Wasser aus offenstehenden Ansammlungen grundsätzlich vermieden
werden; wo dies nicht durchführbar erscheint, ist dasselbe jedenfalls ab-
zukochen oder an seiner Stelle Tee, Kaffee oder Suppe zu verwenden»
auch Zulagen in Form von Wein sind als desinfizierend und stärkend
vorzubereiten,
Neben der Choleraverbreitung durch das Trinkwasser spielt auch
die Kontaktinfektion durch Berührung der Kranken, der Wäsche, der
Dejektionen usw. eine gewisse Rolle. Ihr sind Aerzte sowie das Kranken-
pflegepersonal nebst den Wäscherinnen besonders ausgesetzt. So hat
sich bereits die Industrie die Ausbildung der bakteriologischen Technik
zunutze gemacht, und es beschäftigen sich jetzt große Fabriken mit der
Erzeugung von trag- oder fahrbaren Wasserreinigungs- und Desinfektions-
apparaten. Als ein Beispiel, was auf diesem (Gebiete selbst unter
schwierigen Verhältnissen geleistet werden kann, dient immer noch der
Japanische Krieg, wie überhaupt die Japaner auf dem Gebiete der indi-
viduellen Kriegshygiene ihrer Zeit Erstaunliches geleistet haben.
Ein ärztlicher Anonymus der Wiener „Neuen Freien Presse“
schlägt daher direkt vor, in dem gegenwärtigen Kriege die Tschataldscha-
linie als eine Art von internationaler Versuchsstation zur Erprobung
dieser vielfachen neuen Einrichtungen, Untersuchungs- und Vorbeuge-
methoden zu proklamieren, um damit dem Techniker sowohl wie den
Chirurgen und Bakteriologen Gelegenheit zu geben, ihre Kenntnisse und
Erfahrungen in gegenseitiger Arbeit zu ergänzen. In der Tat ein Vor-
schlag ungewöhnlicher Art und in gleicher Weise bezeichnend für die
ärztliche Unerschrockenheit, wie nicht zuletzt für die passionierte Aus-
übung ihres Berufs, die selbst in solchen Kriegsnöten immer nur wieder
neue Wege erblickt, um zu weiteren praktischen Forschungsresultaten zu
gelangen.
Inzwischen begab sich unter Leitung des Privatdozenten für
Chirurgie, Prof. August Hildebrand (Berlin), die sechste Abord-
nung des Deutschen Roten Kreuzas nach Sofia, um von dort aus
auf dem Landwoge Adrianopel aufzusuchen. Sie führt große Mengen
Verbandmaterial und Arzneimittel mit sich, deren Beschaffung von seiten
des türkischen Roten Halbmondes als dringend notwendig bezeichnet
wurde Als siebente Abordnung sind am 25. November die beiden
Aerzte Dr. Dreyer von der Universitätsklinik Breslau und Dr. Geisler
Fr
aaa e a oo M am
(Stettin) mit jə fünf Schwestern von dem Krankenhause vom Roten
- Kreuz in Wiesbaden und dem Krankenhause des Vaterländischen -Frauen-
. vereins in Eberswalde nach Skutari, gegenüber Konstantinopel auf der
asiatischen Seite des Bosporus, abgereist, um dortselbst in das vom
ägyptischen Roten Halbmond eingerichtete Lazarett unter der Leitung
des deutschen Marineoberstabsarztes a. D. Prof. Dr. Reich einzutreten.
Auch diese Abordnung nimmt außer der Ausstattung für einen Operations-
saal ein vollständiges bakteriologisches Laboratorium mit allem Zubehör
mit sich. Wie wir erfahren, ist von deutscher Seite bei weiterer Fort-
dauer des Kriegs die Entsendung noch weiterer Expeditionen, vor allem
auch innerer Mediziner, in Aussicht genommen, sodaß nach Beendigung
der Feindseligkeiten eine Fülle von praktisch-wissenschaftlicher Ausbeute
als Ergebnis der gemachten Kriegserfahrungen zu erwarten steht. Fr.
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Berlin. Der 24. November war insofern ein bedeutungs-
voller Tag für Berlin, als an diesem Datum das erste Krema-
torium in der Reichshauptstadt — nächst Hagen das zweite in
Preußen — seitens des bisherigen Besitzers, des Vereins für Feuer-
bestattung, an den Magistrat der Stadt Berlin feierlich übergeben wurde.
Geh. San.-Rat Dr. Herzberg, der Vorsitzende des Vereins, gedachte
der langjährigen Kämpfe, die es gekostet hat, soweit zu gelangen
und das Gesetz vom Jahre 1911, welches die fakultative Einäscherung für
Preußen zuläßt, zustande zu bringen. Nächst Geh. San.-Rat Dr. Herzberg
ist es auch der Frauenarzt Dr. Wegscheider bhierselbst, der sich
große Verdienste um die gute Sache erworben hat. Bedenkt man, daß
die Bevölkerung einer Millionenstadt sich im Lanfe von 30 Jahren er-
neuert, so heißt dies, im Zeitraume von 30 Jahren für die Bestattung
von einer Million Leichen zu sorgen. Da ein Erdgrab hier 2 qm und
mit Hinzunahme der notwendigen Wege, Zwischenräume und An-
pflanzungen insgesamt 4qm einnimmt, so handelt es sich demnach darum,
vier Millionen Quadratmeter Platz für diesen Zweck aufzubringen. Daß
die Feuerbestattung diesen Schwierigkeiten leicht abzuhelfen vermag und
nebenher wichtige hygienische Forderungen erfüllen hilft, bedarf somit
keiner Erörterung. In jedem Falle bedeutet die Eröffnung des Krema-
toriums in der Gerichtsstraße einen wichtigen Schritt auf dem einzu-
schlagenden Weg und neben der unermüdlichen Tätigkeit des Vereins
für Feuerbestattung sind es der Minister des Innern von Dallwitz
und der Oberbürgermeister von Berlin, Exzellenz Werm uth, denen
read Dank für ihre Mitwirkung und ihr REG nl onmen. ge-
ührt. r.
— Der 17. Internationale Medizinische Kongreß wird
im nächsten Jahre vom 6. bis 12. August in London tagen. König Georg
hat das Protektorat übernommen und Präsident ist Sir Thomas Barlow.
Das bereits in seinen allgemeinen Grundztigen festgesetzte Programm
läßt eine zahlreiche Beteiligung der Aerzte aller Nationen, insbesondere
der deutschen, erwarten. Ein deutsches Reichskomitee hat sich gebildet,
das Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Waldeyer als Vorsitzender leitet
und dessen Generalsekretär Med.-Rat Prof. Dr. Posner ist. Dem Komitee
gehören Vertreter der Reichsregierung, der Regierungen der Einzelstaaten,
der ‚medizinischen Fakultäten und Akademien sowie der gelehrten Gesell-
schaften Deutschlands an.
— Am 25. November wurde in Charlottenburg-Westend das
in der Eschen-Allee neuerrichtete Mutterhaus vom Schwesternverein
Paulinenhaus vom Roten Kreuz eingeweiht. Zweck des Mutter-
bauses, das ein Sanatorium ersten Ranges darstellt, ist, wie auch früher,
Schwestern in der Krankenpflege und in der Chirurgie für den Kriegs-
fall auszubilden. Das Paulinenhaus hat gegenwärtig einen Bestand von
70 Schwestern. Stadtrat Gottstein sowie Geheimrat Kaehler (Char-
lottenburg) wohnten der Feier bei.
— Wie bereits au anderer Stelle mitgeteilt wurde, habi-
litierte sich am 16. November der praktische Arzt Dr. Alfred Grot-
Jahn mit einer Antrittsvorlesung über „Die Aufgaben der sozialen
Hygiene“. Dr. Grotjahn, der das Archiv und die Jahresberichte nber
soziale Hygiene herausgibt, ist auf den Grenzgebieten der Medizin und
Volkswirtschaft seit Jahren literarisch tätig. Wie wir hören, beabsichtigt
der Leiter des Hygienischen Instituts, Geheimrat Flügge, unter Mit-
wirkung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften den bisherigen Abteilungen des von ihm geleiteten
Universitätsinstituts eine Abteilung für soziale Hygiene anzugliedern,
der Dr. Grotjahn vorstehen soll.
— Die Deutsche Gesellschaft für Meeresheilkunde hielt
am’ 17. November im Ministerium des Innern unter Vorsitz des Geh.
Ober-Med.-Rats Dr. Abel eine Sitzung ab. Zur Verhandlung stand in
erster Linie die Frage der Schiffssanatorien. Die wissenschaftliche
Begründung gab Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Zuntz, die praktische Seite be-
leuchtete Dr. Simons (Berlin). Nach lebhafter Diskussion wurde eine
Kommission, bestehend aus den beiden Referenten, den Direktoren Adler
von der Hapag, Dr. Br&äunlich von der Stettiner Dampfschiffahrtsgesell-
schaft, Mann vom Verband Deutscher Ostseebäder und Dr. med. Panne-
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 48.
1. Dezember,
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borg. vom Norddeutschen Lloyd, gewählt, die das weitere zur Inbetrieb-
setzung -des ersten Sanatoriumschiffes alsbald in die Wege leiten soll. Zur
Bearbeitung der andern Aufgaben der Gesellschaft: Klimatologie, Physio-
logie, Therapie, Indikationen, Seehospize, Hygiene und Rettungswesen,
Bibliographie der Meeresheilkunde wurde Schriftführer Dr. Margulies
(Kolberg) mit der Bildung von Untergruppen betraut. |
‚Berlin. Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat
in ihrer Sitzung vom 28. Oktober dieses Jahres den Antrag .des Ma-
gistrats, die Stelle eines Stadt-Medizinalrats in Berlin mit der
Amtseigenschaft eines Magistratsmitgliedsg und mit einem (Gehalte von
jährlich 15000 M, nach drei Jahren auf 18000 M steigend, einstimmig |
angenommen. Die ministerielle Bestätigung erfolgte inzwischen. |
— In der vorletzten Berichtswoche durfte Berlin den Ruhm
die geringste Mortalität zu haben, nämlich 11,4 auf 1000 Einwohner
und aufs Jahr berechnet. An zweiter Stelle folgte New York mit 18,2
und erst an dritter die Österreichische Hauptstadt mit 13,8; weiterhin
schlossen sich an Paris mit 16, London mit 16,7, Petersburg mit 20,2.
ren starben in Berlin nur 60 gegen 110 in Wien und 214
in ` Paris. — Ä |
— In der letzten Sitzung des Geschäftsausschusses des
Deutschen Aerztevereinsbundes wurde an Stelle. des ver-
storbenen Geh. Rats Löbker Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Karl
Partsch, der Direktor der Breslauer Zahnärztlichen Klinik und Vor-
standsmitglied der Schlesischen Aerztekammer, zum Vorsitzenden ge-
wählt. Gleichzeitig treten an Stelle von Sanitätsrat Heinze, der in
Pension geht, Dr. Horzau (Halle) als Generalsekretär und als neuer
Leiter des Vereinsblatts Dr. Magen (Breslau) ein. Wie wir weiterhin er-
fahren, erklärte Prof. Partsch, wegen dringender beruflicher Arbeiten die
Wahl nicht annehmen zu können. An seine Stelle wurde San.-Rat Dr.
Dippe in Leipzig zum Vorsitzenden gewählt und hat die Wahl ange-
nommen. Stellvertretender Vorsitzender bleibt, wie bisher, Geh. Hofrat
Prof. Dr. L. Pfeiffer (Weimar).
Leipzig. Am 25. November trat hierselbst der Verband der
Aerzte Deutschlands (L. V.) unter Vorsitz von Dr. Hartmann
(Leipzig) und einer überaus zahlreichen Beteiligung zu seiner 12. ordent-
lichen Hauptversammlung zusammen. Nach Erledigung der ge-
schäftlichen Mitteilungen und einem von Dr. Hartmann gehaltenen
Nachruf auf Prof. Löbker (Bochum), den vor kurzem verstorbenen
Führer des Deutschen Aerztevereins-Bundes, folgte ein längerer Vortrag
von San.-Rat Dr. Mugdan (Berlin): „Ueber die Stellung des Arztes in
der Angestelltenversicherung“. Es wird von uns noch an anderer Stelle
über den Verlauf der Tagung berichtet werden.
Berlin. Auf Einladung des Reichsamts des Innern soll Mitte
Dezember eine Konferenz zur Anbahnung einer Verständigung
zwischen den ärztlichen Organisationen und den Kassen-
verbänden in den Fragen der ärztlichen Behandlung der Krankenkassen-
mitglieder in Berlin stattfinden. Der deutsche Aerztevereinsbund wird
durch Sanitätsrat Dr. Dippe (Leipzig), Sanitätsrat Dr. Herzau (Halle)
und Sanitätsrat Dr. Mugdan (Berlin) vertreten sein.
München. Der vor einigen Monaten hierselbst, verstorbene Arzt
Hofrat Dr. Valentin Rigauer hat, wie man uns von dort telegraphiert,
der Pensionskasse für Witwen und Waisen der bayrischen Aerzte sein
Vermögen in Höhe von 267000 M vermacht. Dem Verein zur Unter-
stützung hilfsbedürftiger Aerzte in Bayern hat der Verstorbene 50 000 M
hinterlassen. 1 '
| — Dr. Karl Kopp, etatsmäßiger Professor für Haut- und
Geschlechtskrankbeiten und Direktor der Dermatologischen Poliklinik,
verstarb hierselbst im 58. Lebensjahre. Kopp war ein geborener
Münchener, machte seine Studien durch längere alte bei Neißer in
Breslau, habilitierte sich 1886 in München und wurde 1899 zum ao. Pro-
fessor ernannt. Sein Hauptwerk ist das „Handbuch der venerischen Er-
` krankungen“,
' Basel. Prof. Elie von Cyon, der bis: Ende September in Basel
weilte, ist vor kurzem gestorben und in Paris begraben worden. Prof.
von Cyon war ein Schüler Ludwigs und gehörte zu den hervor-
ragenden Physiologen unserer Zeit. Im September erschien der zweite
Band seines Werkes „Gott und Wissenschaft“. von Cyon war russi-
scher Untertan und hat seinerzeit eine Rolle als Politiker gespielt. C.
Paris. Der französische Senat hat sich in der Sitzung vom
8. November d. J. einverstanden erklärt, daß der berühmte Paragraph aus
dem Code Napoléon „La recherche de la paternité est interdite“
auf Grundlage des neuen Alimentationsgesetzes aufgehoben wird. Von
jetzt aber werden also auch die Mütter unehelicher Kinder in Frankreich
ebenfallg die Väter im Zivilverfahren bei den Gerichten belangen und
verfolgen können. — Die Stadtvertretung von Paris hat beschlossen, für
jede seit zwei Jahren in Paris ansässige Schwangere, deren jährliches
Einkommen nicht mehr als 1800 Fres. beträgt, 20 Fres. an die Mutualité
maternelle zu zahlen, welche dafür die Sorge für die Entbindung und die
ersten Tage des Wochenbetts übernimmt.
Schweden. Die staatlicherseits eingesetzte Kommission zur
Vorbereitung der Invaliden- und Altersversicherung hat in
einer vierbändigen Denkschrift die Vorschläge zur Einführung der ge-
nannten Versicherung in Schweden der Regierung unterbreitet. Die Ver-
sicherung soll die gesamte Bevölkerung, Männer und Frauen, vom
16. Lebensjahr ab umfassen. Ausgenommen hiervon sind Staatsbeamte
Gedruckt von Julius Sittenfald, Hofbuchdrücker., Berlin W 8
' vorlagen (Zeichnungen, Aquarelle) verwandt.
= Rm hs Fsrr,rmn))ı-
und. deren Ehefrauen, sowie Personen mit einem Mindestvermögen’von,
6000 Kronen. Die Versicherten ‚sind nach ihrem Jahreseinkommen in,
drei Klassen eingeteilt. Da die Kranken- und Unfallversicherung in
' Schweden freiwillige Versicherungen ‚sind, so fehlt fürs erste noch der
- Unterbau für die geplante Invaliditäts- und Altersversicherung. Hier.
durch erklärt es sich auch, daß dieselbe irgendwelche weitergesteckten
Ziele betreffend die Wiederherstellung der Arbeitskraft oder ein Heil-
verfahren in geeigneten Heilstätten noch nicht vorsieht. _ Zu u
China. In Chungking, einer am J angtsekiang: gelegenen chine.’
sischen Stadt, ist der deutsche Marinestabsarzt Dr. Kyritz, erst
31 Jahre alt, an den Folgen einer Infektion gestorben. Er war an der
-dortigen Poliklinik tätig und hatte sich 'an einem Diphtheriekranken an“
gesteckt. Dem Marinesanitätakorps gehörte er seit 1900 an. . °-
für sich in Anspruch nehmen, unter den bekannteren Millionenstädten |
Vor nunmehr zwölf Jahren hat Prof. Jacobi mit den Vorarbeiten
zur I. Auflage seines „Atlas der Hautkrankheiten“ zum ersten Male
die technischen Errungenschaften des damals ganz neuen Vierfarben-
drucks (Citochromie) in den Dienst der Wissenschaft. zu stellen
- versucht. Der Versuch gelang und wurde für die neue Darstellungsweise
- bahnbrechend, sodaß seither kaum ein dermatologisches "Werk ohns
_ Tafeln, die nach diesem Verfahren hergestellt wurden, 'erschieneü ist.
Aber nicht nur das Reproduktionsverfahren war ein neues. . Zum: ersten
Male wurden bei einem photomechanischen Verfahren plastische Voi-
lagen (Moulagen) im Gegensatze zu den bisher allein möglichen Flach-
Solche Vorlagen haben,
trotz der großen Schwierigkeiten bei der Reproduktion, den Vorzug, dab
alle Feinheiten und Schärfen sowie die Plastik des Modells mit über-
raschender Deutlichkeit herausgebracht werden können. |
Nach Verlauf von noch nicht zehn Jahren nach Vollendung der
ersten Auflage erscheint der Atlas in erneutem Gewande in V. Auflage,
Die Technik der Tafelwiedergabe ist entsprechend den Fortschritten der
letzten zehn Jahre verbessert und verfeinert worden. Auch diesmal
haben alle beteiligten Faktoren unter Ueberwindung nicht geringer
Schwierigkeiten sich bemüht, das Werk einer hohen Vollendung zuzi-
führen. Der Text ist entsprechend den Fortschritten der Wissenschaft
erweitert und ergänzt worden.
Hochschulnachrichten. Berlin: Dr. Plesch (fl. með-
zinische Universitätsklinik), Dr. Ehrmann (poliklinisches Universitäts-
institut), Dr. James Fränkel (Chirurgie), Dr. Ringleb (Urologie)
habilitierten sich. — Prof. Dr. À. Czerny, Ordinarius in Straßburg,
nahm den Ruf als Nachfolger Heubners an. — Prof, Westenhöffer zn
Mitglied der Prüfungskommission für pathologische Anatomie ernannt. —
Erlangen: Priv.-Doz. Dr. Hermann Königer (Klinische Propädenlik
und Geschichte der Medizin) zum Nachfolger von Prof. A. Schittenhelm
und Prof. a. o. hierselbst ernannt. — Freiburg i. Br.: Priv.-Doz. Dr. Karl
Gauß (Gynäkologie) der Titel Prof. a.o. verliehen. — Jena: Geheimrat
Gumprecht (Weimar) liest über soziale Medizin. — Kiel: Dr. Max
Brandes (Chirurgie) habilitiert. — München: Prof. a. o. Dr. Gustar
Klein die neuerrichtete außerordentliche Professur für Gynäkologe
übertragen. — Prof. Karl Kopp (Dermatologie) ist verstorben, —
Prag: Prof. a.o. Weigner zum Professor o. ð. ernannt. |
Von _Aerzten und Patienten.
Berliner ärztliche Praxis vor 100 Jahren.
Nach den Tagebuchaufzeichnungen von Dr. Ludwig Heim, genannt „der
alte Heim“ (1747 —1834). u
Unter dem 7. Juni 1790 sind 76 Kranke notiert, welche außer dem
Hause besucht wurden, 20 aber, denen Heim auf seinem Zimmer Rat er
teilt hat. Am folgenden Tage heißt es: „Heute wieder 80 Besuche gè
macht, ich muß fast unter der Last der Arbeit erliegen“.
Unter dem 13. Februar 1787 lesen wir: „Heute um 6 Uhr ao
gestanden, vor 7 Uhr ausgefahren, um Kranke zu besuchen. Gleich nach
9 Uhr saß ich zu Pferde, ritt nach Spandau, daselbst fand ich emer
Wagen, um mit noch zwei Relais nach Königshorst (sieben Meilen von
Berlin) zu fahren. Nach zwei Stunden fuhr ich wieder zurück und gr
langte gegen 7 Uhr nach Spandau. Bis gegen 8 Uhr ritt ich m stock:
finsterer Nacht nach Berlin zurück: Das Wetter war außerordentlich
schön, die Wege aber waren wegen des Kotes, des Wassers und Biss
desto schlimmer. Ich danke Gott von Herzen, daß ich diese Reise sohne
und glücklich zurückgelegt habe. Von 8 bis 10 Uhr abends noch Krant?
besucht, wobei mich meine Frau begleitete“. |
, Desgleichen unterm 3. Juli 1792: „Morgens !/8 aufgestanden, mich
frisieren lassen und mit dem Schlag 3 hier weggeritten nach Oranie
burg. Am hiesigen Oranienburger Tor mußte ich bis !/s% warten, ehe 5
geöffnet ward. In Sandkrug und in Birkenwerder fand ich jedesmal ei
frisches Reitpferd und kam so um 1/26 in Oranienburg an. Gleich n?
1/37 ritt ich wieder ab und gelangte ungeachtet mancher Not mit pr
fremden Pferden gegen !/s8. nach dem Sandkrag und trabte von dort 8
meinem eigenen Pferde wieder in einem Zuge nach Berlin, wo 1 z
j9 Uhr ankam. Ich fuhr dann, wie gewöhnlich, bis 2 Uhr bei meinet
Kranken umher, war auch den ganzen Tag nicht müde, sondern guten y’
Nach solcher Mühe des Tages war noch am späten Abend
Tagebuch zu ordnen. Es wurden darin nicht allein die Kranken mit die
besonderen Leiden genau verzeichnet, sondern auch Angaben 9 fe
Witterung täglich vermerkt. So blieben denn für den Schlaf kaum
Stunden übrig. |
G. W. Keßler, Der alte Heim. „ 3. Auflage. Leipzig 1879,
F. A--Brockhaus. ‚2. Teil. Re
Nr. 49 (418).
8. Dezember 1912. VIN. Jahrgang.
Medizinische Klini
Wochenschrift für praktische Ärzte F
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: A. Mercklin, Aerztliche Bescheinigungen über geistige Krankheit oder Gesundheit. E. Schultze, Ueber syphilogene
Erkrankungen des Centralnervensystems. (Schluß). H. Ribbert, Zar Chemotherapie des Krebses. Baum, Die Pyelotomie als Methode der Wahl
bei der Steinniere. Schüler und Rosenberg, Röntgentiefenbestrahlung der Schilddrüse bei Basedowscher Krankheit. F. Dommer, Klinische
Studien über Kropfoperationen nach 600 Fällen. (Fortsetzung). — C. Decker, Die Scharlachrotsalbe und ihre Modifikation. Eisengräber, Verletzung des
Rückenmarks mit Kugel (Laminektomie). von Oy, Klinische Erfahrungen mit Codeonal. Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
0. Küstner-Breslau, Engelmann-Dortmund, Kroemer-Greifswald, O. Hildebrand-Berlin, O. Madelung-Straßburg. (Fortsetzung). — E. Unger,
Ueber Blutgerinnung. M. Kahane, Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten. — Referate: H. v. Bardeleben, Chirurgische Eingriffe in der
Gynäkologie bei Tuberkulose. H. Gerhartz und E. Reinike, Neuere Arbeiten zur Kenntnis der Lungentuberkulose. — Diagnostische
und therapeutische Einzelreferate: Arsenhaltige Tapeten. Färbung der Spirochaete pallida. Benigne und maligne Pylorusstenose. Qualitativer
Nachweis der Harnsäure im Blutserum und in Exsudaten. Gleichzeitige Temperaturmessung in beiden Achselhöhlen. Das Wesen rheumatischer
Erkrankungen. Pneumonie bei Kindern. — Neuerschienene pharmazeutische Präparate: Ninhydrin. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik:
Penetrotherm, ein neuer Apparat zur Diathermie. — Bücherbesprechungen: F. A. Hoffmann, Die Krankheiten der Bronchien. I. Bloch, Die
Prostitution. H. Vogt und R. Bing Ergebnisse der Neurologie und Psychiatrie. — Aerziliche Gatachten aus dem Gebiete des Versicherungs-
wesens: Olivet, Lungenblutung und Unfall (ursächlicher Zusammenhang anerkannt, — Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte:
A. Keller, Erster Kongreß der Association Internationale de P6diatrie in Paris vom 7. bis 10. Oktober 1912. Bonn. Breslau. Erlangen.
Frankfurt a. M. Stettin.. Berlin. — Rundschau: Payr, Zur Erinnerung an C. Nicoladoni. — Aerztlich-soziale Umschau: 25 Jahre Aerztekammer.
— Aerztliche Tagesfragen: Die Organisation des Militärsanitätswesens in Oesterreich-Ungarn. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Äerzten zu den am wenigsten beliebten Pflichten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet,
Klinische Vorträge. |
Aus der Provinzialheilanstalt in Treptow a. Rega
(Direktor: San.-Rat Dr. A. Mercklin),
Aerztliche Bescheinigungen über geistige
Krankheit oder Gesundheit’)
von
A. Mercklin,
M. H.! Die Ausstellung von Attesten über Geisteskrank-
heit oder -geistige Gesundheit gehört bei vielen praktischen
Es ist
dies auch verständlich, da die Psychiatrie trotz des vervoll-
kommneten Universitätsunterrichts und der neuen Prüfungs-
ordnung für die meisten Aerzte in der nachherigen Praxis
ein fernliegendes Gebiet bleibt. Sie wird auch nicht mit
Unrecht als ein besonders schwieriger Teil der medizinischen
Wissenschaft angesehen, weil die Entwicklung der psychi-
schen Krankheiten aus dem gesunden Geistesleben und die
Symptomatologie der voll entwickelten Psychosen ohne einen
gewissen Besitz von psychologischen Kenntnissen nicht voll
erfaßt werden kann. Auch die Therapie bleibt schwierig,
weil sie hier ohne Kenntnis der sogenannten psychischen
Behandlungsmethode (Psychotherapie) nicht geleistet werden
kann und diese Behandlungsmethode — bisher wenigstens —
von den Praktikern in ihrer großen Bedeutung meist nicht
gewürdigt und deshalb auch -nicht planmäßig erlernt wird.
Sollen Bescheinigungen auf psychiatrischem Gebiet
ausgestellt werden, so sieht sich der praktische Arzt zudem
viel mehr als bei seinen sonstigen Attesten der Kritik und
dem Widerspruch ausgesetzt. Denn während sonst das
Untersuchungsergebnis des Arztes wie ein feststehender
TE o. Nach einem im Vereine der Aerzte des Regierungs ~zirks Stettin
am 29. Oktober 1911 gehaltenen Vortrage.; á
Atteste mehr negativen Inhalts gegenüber,
Schiedsspruch geachtet wird, redet auf dem Gebiete der
Seelenstörungen bekanntlich jedermann mit und glaubt auf
Grundlage des Augenscheins und des sogenannten „gesunden
Menschenverstandes“ seine eigne Meinung haben und ver-
treten zu dürfen. Bo i u
Sind ` só die Verhältnisse schon schwieriger als bei
andern Attesten, so kommt noch hinzu, daß die Herren
Kollegen sich infolge Unkenntnis der einschlägigen Bestim-
mungen die Arbeit bei derartigen Bescheinigungen vielfach
selbst erschweren. Hier können einige Hinweise wohl dazu
beitragen, daß bei präziser Fragestellung die ee ie
Atteste sich einfacher erledigen lassen und ich will daher
heute diejenigen psychiatrischen Atteste besprechen, um
welche der praktische Arzt am häufigsten angegangen wird.
Das sind zunächst die zur Aufnahme in Irrenanstalten er-
forderlichen Bescheinigungen. Bei diesen Aufnahmeattesten
handelt es sich um Bescheinigungen positiven Inhalts.
Ihnen stehen die bei besonderen Gelegenheiten erforderten
in welchen
behauptet wird, daß Zeichen von Geistesstörung nicht vor-
liegen. Sie verdienen ebenfalls gerade im Kreise der Prak-
tiker besprochen zu werden. |
L .
Das erste formale Erfordernis bei der Aufnahme von
Kranken in die Irrenanstalten ist die Einreichung eines
ärztlichen Attestes!). In allen dringlichen Fällen kann dieses
Zeugnis kurz gefaßt sein. Auch bei derartigen kurzen Auf-
nahmeattesten sollte indessen nie vergessen werden, daß es
sich. im Grunde genommen um ein kurzes Gutachten han-
delt und daß daher, mag man es nun auf feierlichen Bogen
EA 1) ne an HE in den einzelnen deutschen Bundes-
staaten orientiert vorzüglich Joachim und Korn, Deutsches Aerzte-
recht Bd. 2, S. 619. | | | vs ° a
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1976
in Aktenformat odor auf kleinsten Korrespondenzzettel setzen,
vorsichtige Erwägung am Platz ist. Der Aussteller kann
jeden Augenblick in die Lage kommen, den Inhalt dieses
Attestes Öffentlich vertreten zu müssen. |
Ueber zweierlei muß sich ein derartiges Attest vor
allem aussprechen, 1. über das Vorhandensein von Geistes-
krankheit und 2. über die Notwendigkeit der Anstaltsbehand-
lung. Es scheint mir durchaus nicht erforderlich, daß sich
dieses Attest zu einer psychiatrischen Diagnose der Krank-
heitsform zuspitzt. Viel wichtiger und unumgänglich ist es,
daß die Beobachtungen wenigstens kurz angegeben werden,
aus welchen der Schluß auf das Vorhandensein von Geistes-
krankheit gezogen wird. Ein Hinweis darauf, welcher
Umstand besonders - die Anstaltsbehandlung wünschenswert
macht, ist geboten. |
In den öffentlichen Anstalten wird in weniger dring-
lichen Fällen vor, in dringlichen Fällen nach der Aufnahme
des Kranken die Ausfüllung des bekannten, allerorts üblichen
ärztlichen Fragebogens verlangt. Dieser Fragebogen, welcher
die Ausstellung: eines ausführlichen Attestes erleichtern soll,
ist, wie ich mich oft überzeugen konnte, bei den praktischen
Aerzten außerordentlich unbeliebt. Hatıptsächlich wohl des-
halb, weil die Beantwortung der zahlfeichen Fragen — in
dem Fragebogen für die pommerschei Provinzialanstalten
sind es 31 — viel Zeit beansprucht und der Zeitaufwand
oft nur ungenügend oder gar nicht honoriert werden kann.
Der Unbeliebtheit entsprechend gestaltet sich meist die Aus-
füllung des Bogens; viele Fragen werden übergangen, andere
flüchtig ausgefüllt, die Kollegen meinen, daß die Anstalts-
ärzte ja selbst den Kranken sehen und die Angehörigen aus-
fragen können. Das letztere ist indessen in vielen Fällen
ganz unmöglich. Wie flüchtig der Bogen bearbeitet wird,
dafür kann ich als Beispiel anführen, daß die Frage nach
dem Verhalten der Menstruation mehrmals für männliche
Kranke (!) mit einem „nicht zu ermitteln“ beantwortet
wurde (!). Vielfach ist von Praktikern Kürzung des Frage-
bogens gefordert worden. Eine Vereinfachung des Formu-
lars wäre auch durchaus zu empfehlen. In unserer Provinz
bildet der in Rede stehende Fragebogen einen Bestandteil
des vom Ministerium genehmigten Verwaltungsreglements
der Provinzialheilanstalten. Eine Abänderung wäre daher
nur durch Neugestaltung und Neubestätigung des Reglements
möglich, und dieser Weg ist vorläufig noch nicht beschritten
worden.
Trotz aller bestehenden Schwierigkeiten ist es wünschens-
wert, daß die Herren Kollegen der Ausfüllung der vor-
gedruckten Formulare auch in ihrer noch bestehenden um-
fangreichen Gestalt volles Interesse zuwenden!). Die so
niedergelegten Auskünfte der zuerst beobachtenden Aerzte
sind oft durch nichts anderes zu ersetzen. Sie bilden mit
die Grundlage für die wissenschaftliche Beurteilung der
Krankheit und für die praktischen Maßnahmen. Auf Grund-
lage der Auskünfte des Fragebogens werden von den An-
staltsdirektionen alsbald Berichte über die Heilbarkeit (even-
tuell auch über die sogenannte Gemeingetährlichkeit) des
betreffenden Kranken an die Landesbehörde abgegeben, hier-
nach kommen wichtige Zahlungsfragen zur Entscheidung.
Besonders erregt der Abschnitt II des Formulars
(Fragebogen für die pommerschen Provinzanstalten): „Moti-
viertes Gutachten über Heilbarkeit beziehungsweise Unheil-
barkeit des Kranken“ Anstoß. Die Vorhersage kann bei
vielen Fällen von Geisteskrankheit außerordentlich schwierig
sein und der Praktiker empfindet es als eine unberechtigte
Zumutung, daß er seine Meinung über den weiteren Verlauf
des Krankheitsfalls hier schriftlich festlegen, begründen soll.
Vielfach wird daher die Ausfüllung dieses Teils des Formu-
lars abgelehnt, was an sich nicht überraschen kann. Be-
1) Ueber die Gesichtspunkte, welche bei der Ausfüllung der Frage-
bogen maßgebend sein sollen, vgl. Hoche, Die Aufgaben des Arztes bei
der Einweisung Geisteskranker in die Irrenanstalt. Halle 1900, Marhold.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
a a m m
8. Dezember.
sonders gewissenhafte Kollegen suchen anderseits durch ge-
quälte Beweisführungen die Schwierigkeiten der Prognose
zu beheben. Die Zusammenstellung einer größeren Anzahl
derartiger Prognosen aus den Formularen zeigt, daß häufig
die Neigung besteht, den individuellen Faktoren — deren
Beachtung ja an sich durchaus erforderlich ist — eine zu
große Bewertung bei der Vorhersage beizulegen. Aus der
Tatsache einer nicht deutlich nachweisbaren erblichen Be-
lastung, der kurzen Dauer des Leidens, aus der Möglichkeit
der Anstaltsbehandlung wird oft auch bei ungünstigen Krank.
heitsformen ein guter Verlauf der Psychose vorhergesagt.
Anderseits sind selbst bei richtiger Diagnosenstellung die
einzelnen Möglichkeiten des Krankheitsverlaufs noch zu
wenig Allgemeingut des Wissens geworden und es ergeben
sich hieraus zu ungünstige Prognosen. So sind z. B. die
bei Katatonie nicht seltenen tiefen und andauernden Re-
missionen noch zu wenig bekannt, ebenso der Verlauf der
leichteren Formen der arteriosklerotischen Seelenstörung,
wobei die Prognose bei geeigneter Therapie nicht ungünstig
ist. Die sogenannte „soziale Heilung“, die „Heilung im
weiteren Sinne“, das heißt die Wiederkehr in die Familie,
in die Gesellschaft und in eine begrenzte Tätigkeit ist bei
vielen Psychosen möglich. Hier im Fragebogen braucht
ebenfalls die Möglichkeit völliger Heilung nicht erörtert
| zu werden. Es genügt -- wenn man überhaupt auf die
Prognose eingehen will — der kurze Hinweis, daß bei der
angeratenen Anstaltsbehandlung Besserung, Remission der
Krankheitserscheinungen möglich ist oder nach Lage der
Beobachtungen nicht mehr erwartet wird. |
Mit der Annahme der „Gemeingefährlichkeit* bei
Geisteskranken wird vielfach auch in den Attesten zu weit
gegangen. A. Cramer!) nennt die Gemeingeföhrliehkeit
mit Recht einen „Verwaltungsbegriff“ und dazu noch einen
„sehr dehnbaren, der medizinisch kaum fixiert werden kann“.
Das Reglement für die Verwaltung der Irrenanstalten des Pro-
vinzialverbandes von Pommern erkennt Gemeingefährlichkeit
als vorhanden an, wenn durch bestimmte Tatsachen nachge-
wiesen ist, a) daß der Kranke durch tobsüchtige Anfälle die
Sicherheit seiner Umgebung gefährdet, b) daß er so selbstmord-
süchtig ist, daß er beständig überwacht werden muß, c) dab
er die Öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in einem
solchen ‚Grade stört, daß er aus dringenden polizeilichen
Rücksichten in besonderem Verwahrsam und unter fort-
währender Aufsicht gehalten werden muß. Die Gefährlich
keit zu b äußert sich nur anscheinend in einer Richtung,
da Selbstmörder häufig auch ihre Angehörigen mit in den
Tod reißen. Im Laufe von zwei Jahren wurden in Deutsch
land allein 111 Kinder von geisteskranken Selbstmördern
getötet?). Bei c hingegen ist leicht ersichtlich, daß der
Rahmen des Begriffs Gemeingefährlichkeit sehr dehnbar ist
Jedenfalls sollte davon Abstand genommen werden, in et
Attest nur kurz hineinzuschreiben, daß ein Kranker „gemei
gefährlich“ ist. Es empfiehlt sich, zwischen „tatsächlich be-
kundeter“ und „möglicher“ Gemeingefährlichkeit zu unter-
scheiden und stets die Tatsachen anzuführen, aus welchen
auf bestehende oder möglicherweise zu erwartende Gefähr-
lichkeit geschlossen wird. So wird viel Aergernis, das aus
solchen Attesten entstanden ist, vermieden werden®). Sicher
gibt es bei den Kranken Grade der Gefährlichkeit, die Mög:
lichkeit gefährlicher Handlungen liegt einmal näher, dann
wieder ferner. Die mögliche Gefährlichkeit, wie sie in dl
Attesten Ausdruck findet, liegt oft recht fern. So wird bel
Kranken in unsern ländlichen Ortschaften in viel zu auf
1) A, Cramer, Ueber Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen u
punkt aus. Halle 1905, Marhold und Gerichtl. Psychiatrie 4. Aul, Mel.
èi Pea, Ygl. s Hoche, Ueber die Geiährlichkeit Geisteskranker- |
‚Nr. 2. - -
3) E. Schultze hat neuerdings vorgeschlagen, den odiösen ei
druck gemeingefährlich ganz auszumerzen und durch gefährlich j gem
setzen. (Irrenrecht in Aschaflenburgs Handbuch, S. 228.) Ich kann (9
Vorschlage nur beistimmen. . |
mn
vr
ee
n ar
T =
8. Dezember.
gedehnter Weise damit gerechnet, daß sie Feuer anlegen
könnten. Es ist ferner durchaus wünschenswert, daß im
Attest deutlich auseinander gehalten wird, welche Angaben
über das Verhalten des Kranken nur durch Befragen der
Angehörigen gewonnen und welches die eignen Wahr-
nehmungen des Arztes sind. Auch muß — was eigentlich
selbstverständlich ist — erwähnt werden, wann diese Beob-
achtungen gemacht sind. |
Es besteht bei den Aerzten vielfach die Neigung, zwar
die Angehörigen ausführlich zu befragen, die Untersuchung
des Geisteskranken selbst aber möglichst kurz zu fassen.
In einzelnen Fällen wird sie ganz umgangen, weil das Vor-
urteil besteht, daß durch eine ärztliche Unterredung gefähr-
liche Ausbrüche hervorgerufen werden könnten. Das ist
meist durchaus nicht der Fall, und ein Attest, das nicht auf
persönlicher Untersuchung beruht, auszustellen, sollte ganz
vermieden werden. In manchen Fällen wird eine ausführ-
liche Untersuchung nicht möglich sein, aber selbst bei
kurzer persönlicher Begegnung kann das Verhalten des
Kranken so charakteristisch sein, daß die Ausstellung des
Attestes möglich wird. Gerade die ohne persönliche Unter-
suchung ausgestellten Aufnahmeatteste haben wiederholt
zu peinlichen Weiterungen geführt. Sie sind mit Recht zu
beanstanden.
II,
Die Ausstellung von Bescheinigungen über geistige
Gesundheit beziehungsweise die Feststellung des Wieder-
eingetretenseins der geistigen Gesundheit gehört zu den
schwierigsten und verantwortlichsten Aufgaben des prak-
tischen Arztes. Die Untersuchung sollte hier mit der aller-
größten Umsicht angestellt, das Attest mit vorsichtigster
Ueberlegung abgefaßt werden. Bei den betreffenden Antrag-
stellern handelt es sich meist um Personen, welche eine be-
stehende Entmündigung wieder aufgehoben haben wollen,
oder um nur gebesserte Kranke, welche mit Klagen gegen
Angehörige, Aerzte, Behörden vorgehen wollen. Auch zu
andern Zwecken, namentlich um eine bestimmte Anstellung
zu erlangen, werden derartige Atteste verlangt. Die Fehler,
welche hier am häufigsten begangen werden, sind: daß der
ärztliche Begutachter sich mit einer einmaligen Untersuchung
begnügt und daß er die Vorgeschichte einseitig nur der Er-
zählung des Antragstellers entnimmt. Man mache sich vor
allem zur Regel, sich nie mit einer einzigen kurzen Unter-
suchung zu begnügen und nehme sich vor allem Zeit. Der-
artige Untersuchungen erfordern Stunden, sie gehören nicht
in die besetzte Sprechstunde, es empfiehlt sich, einen be-
sondern Termin für sie anzuberaumen. Wo es möglich
ist, untersuche man den Exploranden auch unter verschie-
denen äußeren Umständen, nicht nur in der Wohnung des
Arztes, sondern auch in seiner Behausung, wo sich
mancherlei Wissenswertes feststellen läßt. Eine derartige
Wiederholung der Untersuchung ist erforderlich, weil das
psychische Verhalten schnellem Wechsel unterworfen sein
kann, weil ferner bei gewissen Kranken die Fähigkeit vor-
handen ist, krankhafte Erscheinungen zu bestimmtem Zwecke
zeitweilig zu unterdrücken. Daß namentlich bestehende
Wahnvorstellungen absichtlich verborgen (dissimuliert) werden
können, ist ja bekannt.
Möglichste Genauigkeit verwende man auf die Fest-
stellung der Anamnese, bei der Prüfung der Intelligenz be-
schränke man sich nicht auf einzelne wenige Fragen und
auf die landiäufige Konversation’). Manche Fehlergebnisse,
zu günstige Beurteilungen entstehen dadurch, daß die Unter-
Suchung zu einseitig auf das Gebiet der Intelligenz be-
schränkt wird. Wer alle Fragen richtig beantworten kann,
ist deshalb noch nicht geistig gesund. Es ist sehr zu be-
achten, daß bei dem Exploranden nicht immer eine Intelli-
FRE 1) Gute Anleitung zur Untersuchung gibt Raecke, Grundriß der
sychiatr. Diagnostik. 3. Aufl. Berlin 1912, Hirschwald.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49,
nn
1977
genzveränderung, sondern bei gut erhaltener Intelligenz eine
in ihren sozialen Wirkungen sehr bedeutsame Störung des
Affektlebens oder eine krankhafte Veränderung des Trieb-
lebens vorliegen kann. a | |
Von der Möglichkeit, glaubwürdig erscheinende Ange-
hörige zu vernehmen, wird man natürlich Gebrauch machen.
Bei allen Kranken, die in einer Anstalt gewesen sind, mache
man es sich durchaus zur Regel, sich die Anstaltsakten zu
erbitten und Einsicht in dieselben zu nehmen. In Entmün-
digungsfällen muß auch gefordert werden, daß der Gutachter
die Gerichtsakten und das Entmündigungsgutachten kennen
lernt, ehe er dem Entmündigten ein Gesundheitsattest aus-
stellt. Bei richtiger Begründung wird gerichtsseitig dem
Wunsche nach Akteneinsicht stets Folge gegeben werden.
Ist nach Anwendung aller Untersuchungsmittel und
Vorsichtsmaßregeln der Abschluß erreicht und der Unter-
sucher zu einem günstigen Ergebnisse gelangt, so pflegt der
Explorand die Bitte zu wiederholen, ihm.nun zu bescheinigen,
daß er „völlig geistig gesund sei“. Es muß davor gewarnt
werden, dem Attest eine solche Fassung zu geben. Nur zu
leicht wird der ärztliche Untersucher hierdurch mehr be-
scheinigen, als er nach Wissen und Gewissen zu’ bescheini-
gen vermag. ‘Dem objektiven Abschluß der Untersuchung
entspricht es, wenn wir schreiben, „daß wir zurzeit bei
dem Exploranden keine Zeichen von Geistesstörung gefunden
haben“. Vielfach ist auch der Nachweis völliger geistiger
Gesundheit für den Zweck des Klienten gar nicht verlangt.
So ist namentlich für die Wiederaufbebung der Entmündi-
gung dieser weitgehende Nachweis nicht erforderlich. Das
Gericht verlangt hier nur den Nachweis, daß jene Zeichen
geistiger Störung, welche die Entmündigung (die Unfähig-
keit, die persönlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen)
bedingten, nicht mehr bestehen. Das Attest wird daher
dahin zu lauten haben, „daß bei N.N. zurzeit eine geistige
Störung, welche den Grund zur Entmündigung bietet, nicht
nachzuweisen ist“, beziehungsweise „daß eine geistige
Störung, welche N. N. an der selbständigen Besorgung
seiner Angelegenheiten hindert, zurzeit nicht mehr nach-
weisbar ist“. Ä
Die Erfahrung lehrt, daß ärztliche Bescheinigungen
über geistige Gesundheit zurzeit noch unbedenklich auf Grund
sehr flüchtiger Untersuchungen ausgestellt werden.
Ein drastisches Beispiel aus der hiesigen Anstalt hat Horstmann
1907 in der Aerztlichen Sachverständigenzeitung veröffentlicht. Ein seit
Jahren an Dementia paranoides leidender entmündigter Arzt entfloh aus
unserer Anstalt. Der Kranke hatte die abenteuerlichsien Wahnvorstel-
lungen über seinen Körper, glaubte an „Gehirnverhornung, krebsartigen
Ausscheidungen aus dem Harne, Zuckerpsychose, Kollapsen“ zu leiden,
er werde durch von den andern Kranken ausgeschiedene Toxine, durch
„verseuchtes* Fleisch krank gemacht. Er äußerte zu jener Zeit auch
noch sehr phantastische therapeutische Ansichten. Kleine Kinder würden
meist falsch behandelt. Sie müßten mehr Wein zu trinken bekommen,
dann würden sie mehr Verstand haben. Opium als Schlafmittel würde
bei Kindern zu wenig angewendet usw. In seinem Zimmer hatte er ver-
schiedene Schutzmittel angebracht. Diesem Arzte gelang es, in den
ersten Tagen nach der Entlassung von zwei Aerzten Zeugnisse ausge-
stellt zu erhalten, welche dahin lauteten, daß an dem Dr. X. nichts
Krankhaftes zu erkennen sei, seine Dispositions- und Erwerbsfähigkeit
sei nicht zu bezweifeln. Der Kranke wollte mit diesen Zeugnissen die
Wiederaufhebung seiner Entmündigung betreiben. Das eine der beiden
Atteste war in der Sprechstunde ausgestellt und schloß mit den Worten,
daß der „Uebernahme (des Dr. X.) in die Praxis nichts entgegenstehe“.
‚Es scheint nun -nicht überflüssig, bei dieser Gelegen-
heit auf die anscheinend wenig bekannte Tatsache hinzu-
weisen, daß eine Entziehung der Approbation im Falle der
Entmündigung oder der (unheilbaren) geistigen Erkrankung
des Arztes gesetzlich nicht vorgesehen ist. Auch im Wege
des ehrengerichtlichen Verfahrens kann — zum Unterschiede
der für Rechtsanwälte gültigen Bestimmungen — auf Ent-
ziehung der Approbation nicht erkannt werden. Nur wenn
die Approbation auf Grund unrichtiger Nachweise (falscher
Atteste, erschlichener Prüfungsarbeiten) erlangt ist oder-ein
rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, wonach auf -Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte erkannt ist, kann die Approbation
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Beer: Sa ~ae - Ir me
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1978
zurückgenommen werden. Durch keinerlei psychiatrisches
Attest können wir daher die Approbationsentziehung in die
Wege leiten. Hier liegt unverkennbar eine Lücke in der
Gesetzgebung vor!),
Wir leben in einer Zeit, in welcher trotz der glänzen-
den und weithin sichtbaren Entwicklung einer humanen
Fürsorge für die Geisteskranken und trotz eifrigster For-
schungstätigkeit auf dem Gebiete der Psychiatrie ein tiefes
Mißtrauen gegen die Psychiater und ihre Tätigkeit die Ge-
sellschaft und die Presse durchzieht. Als ein neues Zeichen
dieser „antipsychiatrischen Bewegung“ lege ich Ihnen eine
mir soeben zugegangene Nummer einer neuen Zeitschrift,
der „Irrenrechtsreform“ (Schutzbund gegen Entmündigung!),
vor. Es liegt außerhalb des Rahmens meiner heutigen
Aufgabe, der Entstehung dieser Bewegung nachzugehen und
sie kritisch zu beleuchten. Das Vorhandensein einer der-
artigen Bewegung sollte aber das Verantwortungsgefühl
nicht nur der Psychiater, sondern aller Aerzte auch bei der
Abfassung psychiatrischer Atteste schärfen, damit auf Grund
u... Vorgehens der Inhalt aller Atteste unangreif-
ar bleibt. |
Aus der Kgl. Psychiatrischen und Nervenklinik zu Greifswald.
Ueber syphilogene Erkrankungen des Central-
nervensystems
von
Ernst Schultze.
(Schluß aus NT. 48.)
Schon in einer früheren Arbeit, in der ich mich mit
psychischen Störungen bei Tabes beschäftigte, konnte ich
in Uebereinstimmung mit den Beobachtungen anderer Autoren
die Häufigkeit von paranoiden Psychosen mit zahlreichen,
oft lebhaften Sinnestäuschungen hervorheben. Ob es sich
hierbei um eine für Tabes specifische Psychose handelt oder
ob nicht vielmehr ein zufälliges Zusammentreffen der körper-
lichen und psychischen Erkrankung anzunehmen ist — für
diese Möglichkeit läßt sich auch der Umstand anführen, daß
die so erkrankten Tabiker meist. in höherem Lebensalter
stehen, ganz ähnliche psychische Krankheitsbilder sich aber
auch bei nicht tabischen älteren Personen finden —, muß
vorläufig noch unentschieden bleiben. Vielleicht gelingt es,
durch die Untersuchung der Hirnrinde, die bisher in nur
wenigen Fällen — mir ist nur die Arbeit von Sioli be-
kannt — vorgenommen werden konnte, diese Frage zu
lösen.
Aehnliche Krankheitsbilder konnte ich in zwei andern
Fällen von Tabes beobachten.
Der eine Fall war bemerkenswert wegen der von Pel zuerst be-
schriebenen Augenkrisen (anfallsweise auftretende, sehr lebhafte Bulbus-
schmerzen mit Chemosis, starker Tränensekretion und Lichtschen); er ist
seinerzeit von Knauer ausführlich veröffentlicht worden. Diese Kranke
hatte in den letzten Monaten ihres Lebens zahlreiche plastische Sinnes-
täuschungen des Gesichts und Gehörs: um sie herum sitzen Bekannte,
die sich über sie unterhalten. Die Pflegerin spricht mit den Patientinnen
darüber, daß sie einmal im Zuchthause gewesen sei; durch unterirdische
Telephone — sie hört die elektrische Maschine im Keller deutlich
lanfen — wird ihr alles mögliche zugerufen. Sie wird elektrisiert, so-
bald die Pflegerin nicht an ihrem Bette steht; das merkt sie am Zucken
in ihren Armen, infolgedessen sie aus dem Schlaf aufwacht.
Das psychische Krankheitsbild, das diese Kranke bot,
glich symptomatologisch durchaus der Halluzinose der
Trinker (Wernicke), worauf übrigens auch Kraepelin bei
Besprechung der Tabespsychosen hinweist. Die mikro-
skopische Untersuchung der Hirnrinde ließ nicht die für
Paralyse charakteristischen Veränderungen erkennen.
Der andere Fall befindet sich noch in der Klinik. Der 40jährige
Kranke ist seit einigen Jahren impotent und muß beim Urinieren
‚drücken; in den letzten Monaten klagt er über Kribbeln und rheuma-
1) Vgl. Joachim und Korn, Deutsches ÄAerzterecht, Bd. 1, S. 33,
und E. Schultze in Hoches Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie,
2. Aufl., S. 298.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember,
tisches Reißen in den Füßen, Empfindlichkeit der Beine gegen kalt und
warm sowie eine Gehstörung. Bei der Aufnahme (Februar 1912) zeigt
er nur geringen Romberg, Differenz der Patellarreflexe und kaum auslös-
bare Achillesreflexe. Psychisch war er ungemein gehemmt, sprach nur
sehr wenig und das wenige außerordentlich langsam mit sehr müden
Tonfall. Er versagte selbst bei den einfachsten Aufgaben, vermochte
nieht einmal sein Alter anzugeben. Eine organische Erkrankung mußte
vorliegen, und zwar eins syphilogene; denn das Blut gab komplotte Hem-
mung, während der Liquor erst von 0.6 ccm ab .hemmte; Globulin
reaktion +, Zellgehalt 115/3. Im Laufe der Beobachtung schwanden dio
Achilles- und ebenso auch die Patellarreflexe; also konnte jetzt mit
Sicherheit ein tabischer Prozeß angenommen werden. Es war nur zu
entscheiden, ob die Tabes durch eine Psychose kompliziert war oder ob
beide Reihen von Erscheinungen, die körperlichen wie die psychischen,
gemeinsam auf progressive Paralyse zurückzuführen waren. Der Um-
stand, daß der Liquor nicht bereits in der Menge von 0,2 cem eiñe deut-
liche Hemmung gab, konnte für die erstere Möglichkeit verwertet
werden, aber, wie auch die beiden eingangs erwähnten Fälle von Paralyse
lehren, nicht unbedingt. Dem Ergebnis der weiteren Beobachtung mußte
die Entscheidung vorbehalten bleiben. Die psychische Hemmung wich
allmählich, sodaß nunmehr eine eingehende Untersuchung möglich war,
und diese ergab gute Merk- und Urteilsfähigkeit und befriedigendes
Schulwissen,. Aber die andern Kranken sprachen nach seiner Angabe
andauernd über ihn und ängstigten ihn sehr. Daher hat er hier zuerst
auch nicht gewagt, etwas zu sagen. Sie bedrohen ihn immerzu. Tag-
täglich hört er sie deutlich sagen: „Du olle Sau, du stinkst!“ Wenn sio
unter sich schimpfen, so bezieht er das auf sich. Das Essen riecht wie
Stuhlgang. Er muß es aber essen, denn von den .andern wird er dam
gezwungen, und die rufen ihm dabei noch zu, es sei Dreck; diese nehmen
zwar auch die Speisen zu sich, aber nur scheinbar.
Auch hier wieder die Psychose paranoiden Charakters
mit mannigfachen Sinnestäuschungen auf verschiedenen Ge-
bieten. Wiewohl die Paralyse eine Psychose jeder be-
liebigen Form liefern kann, rechne ich auch bier nicht mit
der Paralyse, und zwar mit Rücksicht auf das Ergebnis der
psychischen Untersuchung sowie das Fehlen jeder Sprach-
und Schreibstörung.
Die Unmöglichkeit, eine Störung auf intellektuellen
Gebiete auch nach längerem Bestehen der Erkrankung nach
zuweisen, hat bei den bisherigen diagnostischen Erörterungen
ein wichtiges Wort mitgesprochen; sie schloß Paralyse aus.
Darum ist aber der Nachweis einer intellektuellen Schwäche
bei einem Tabiker doch nicht ohne weiteres im Sinne der
progressiven Paralyse zu verwerten, wenn auch viele früher
als „tabische Demenz“ geführten Fälle hierher gehören, wie
Alzheimer nachgewiesen hat.
So hatte ich unlängst einen Kranken mit ausgesprochener Tabes
der sehr schlecht rechnen konnte, überhaupt fast gar keine Schulkenat-
nisse hatte und wohl deshalb als Paralytiker eingewiesen war. Aber d
er vier-, fünf- und auch sechsstellige Zahlen noch nach mehreren Minuten
richtig wiederholen konnte und da er Urteilsfragen zutreffend beant-
wortete, trag ich Bedenken, mich dieser Diagnose anzuschließen, zami
er frei von den für Paralyse charakteristischen Fehlern schrieb und
sprach. Seine Schriftzuge wiesen nur einen ausgesprochen kindlichen
Charakter auf; es konnte dann auch in der Tat festgestellt warden, dı
er von jeher schlecht gelernt hatte und immer der letzte in der Klasse
gewesen war. Nimmt man noch hinzu, daß er schon über Jahrestrikt
körperlich erkrankt ist, so ist es gewiß berechtigt, von einer Tabes bel
einem Imbecillen zu reden, zumal auch das Blut eino nur sehr ge
ringe Hemmung zeigte.
-Hier handelt es sich um einen angeborenen Schwacl-
sinn. Ihm gegenüber steht ein Fall meiner Beobachtung,
der wenige Tage vor seinem Tode eingeliefert wurde.
Schon seit Jahren tabisch und diabetisch, erkrankte er, p
60 Jahre alt, mit zahlreichen Sinnestäuschungen und Wabnideen; =
bald stellte sich eine ungemeine Vergeßlichkeit mit Fehlen jeder se
tierung ein, sowie eine deutliche Suggestibilität und zunehmende Vorblödung
Da nach langem Bestehen der Tabes erst in a
recht hohen Lebensalter eine Psychose einsetzte, die a
den einwandfreien Schilderungen durchaus den sen
Psychosen glich, nahm ich eine Kombination von Tabes W
seniler Demenz an, soweit ein Urteil an der Han z
nur mehrtägigen Beobachtung möglich war. Die sohr alè
gesprochene Arteriosklerose läßt sich, wenn auch DW 2
Vorsicht, in demselben Sinne verwerten. Die mikroskop
Untersuchung gab unserer Diagnose recht. ah
Mehrfach suchte mich, um einen analogen Fall 1a
anzuschließen, ein 70 Jahre alter Beamter mit allen typ?
Zeichen der Tabes auf.
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8. Dezember.
Seine Frau wußte von ihm nicht viel Erfreuliches zu berichten.
Er behandelte sie schlecht, warf ihr ebeliche Untreue vor, beschuldigte
sie, ihre eignen Eltern umgebracht zu haben, schmähte sie auch in
Gegenwart anderer. Er gab ihr kein Haushaltungsgeld, weil er nichts
habe, und für sich gab er unverhältnismäßig große Summen aus. Be-
lehrungen und Zurechtweisungen gegenüber erwies er sich ganz unzu-
gänglich; im Gegenteil, er wurde heftig, gereizt, behandelte seine Frau
noch schlechter, stieß „in seiner wahnsinnigen Wut stundenlang die un-
anständigsten Schimpfwörter“ aus, ging sogar zu Tätlichkeiten über.
Zeitweilig war er leicht gedrückt. Die Frau wünschte von ihren peku-
niären Sorgen, die durch das auffallende Benehmen des Gatten bedingt
waren, durch dessen Entmündigung befreit zu werden und glaubte,
dies leicht erreichen zu können, da er nach ärztlicher Ansicht an Para-
lyse leide.
Ich beurteilte die Sachlage anders. Seit etwa sechs bis acht Jahren
hatte er sein Benehmen gegen die Seinigen geändert, während er nach
wie vor bei Fremden und Freunden ein beliebter und angenehmer Gesell-
schafter war. |
Bei der psychischen Untersuchung wurde nichts Besonderes außer
einer nicht einmal erheblichen Redseligkeit gefunden. Er war schlag-
fertig und von gutem Urteil. Von allem, was ihm die Frau, durchaus
in Uebereinstimmung mit den Tatsachen, zur Last legte, wollte er nichts
wissen; er bestritt es oder gab den Vorkommnissen eine andere Deutung
und wußte alles in einem milderen, ihm günstigeren Lichte darzustellen.
Auch fiel bei der diagnostischen Stellungnahme ins Gewicht, daß die
Tabes schon Jahrzehnte lang bestand, ehe die psychische Störung auftrat,
und auch das war erst nach dem 60. Lebensjahre. Sie machte sich
weniger in Stimmungsanomalien als auf ethischem Gebiet und vor-
wiegend im engsten Kreise der Familie geltend.
‘Somit mußte die Diagnose auf eine senile Invo-
lution eines Tabikers lauten. Der spätere klinische Verlauf
gab dieser Auffassung recht.
Treten bei einem Tabiker affektive Störungen auf,
so wird eine Paralyse dann besonders leicht vorgetäuscht,
wenn es sich um manische Erregungszustände handelt.
Ein solcher wurde meiner Klinik vor etwa vier Jahren mit
dieser Diagnose zugeführt.
Ein 74jähriger Beamter a. D. mit Tabes war seit einigen Monaten
zunehmend erregter geworden. Er hatte überall Zank und Streit an-
gefangen, lebte weit über seine Verhältnisse, pumpte in leichtfertigster
Weise alle Welt an und mißhandelte die Seinigen. Während seines Auf-
enthalts in der Klinik bot er fast dauernd eine gehobene, oft leicht ge-
reizte Stimmung. Als unangenehm scharfer Kritiker seiner Umgebung
war er sehr anspruchsvoll hinsichtlich Verpflegung und ärztlicher Be-
handlung und benahm sich, insbesondere den Jüngeren Aerzten gegen-
über, sehr überlegen und anmaßend.
Es mußte von vornherein auffallen, daß in einem so
hohen Lebensalter noch eine Paralyse ausbrechen konnte;
die luische Infektion konnte nicht spät erfolgt sein — das
hätte ja sonst den Ausbruch der Paralyse in so späten
Jahren erklären können —, da er schon seit Jahrzehnten
an Tabes litt und sich 1866 nach eigner glaubhafter An-
gabe mit Lues infiziert hatte. Von einem psychischen
Zerfall, von einer Progression konnte man hinsichtlich der
Psychose nicht reden. Es war vielmehr das Bild einer rein
manischen Erregung, in die sich schnell vorübergehende
Stadien tiefster Depression einschoben. Es bestand immer
eine starke adäquate Gefühlsbetonung. Die Erregung klang
restlos ab, und der Kranke konnte sein Leben in seiner
. Familie beschließen. Um die Beweiskette zu schließen, teile
ich noch mit, daß der Kranke vor etwa 20 Jahren pensioniert
worden war. Man hätte ihn für „verrückt“ erklärt und mit
seinem baldigen Ableben gerechnet. Offenbar hatte er, was
uns auch von anderer Seite bestätigt wurde, schon damals
eine manische Erregung durchgemacht und so Anlaß zu
der Fehldiagnose gegeben, über die er sich selber weidlich
lustig machte.
Es ist bekannt, daß der chronische Alkoholmißbrauch
Krankheitszustände schaffen kann, die wegen ihrer körper-
lichen (Störungen der Reflexe, Lähmungen, Ataxie, Schmerzen,
Sensibilitätsstörungen, verwaschene Sprache) und psychischen
(Sinnestäuschungen, Demenz, Verlust der Merkfähigkeit,
Korsakowscher Symptomenkomplex) Symptome der Para-
lyse ungemein gleichen können. Schuf man doch für diese
Krankheitsbilder die erst recht zu Mißverständnissen füh-
rende Bezeichnung der alkoholischen Pseudoparalyse, die
erfreulicherweise inzwischen wieder beseitigt worden ist. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
1979
Zwar geben uns die neueren Untersuchungsmethoden die
Möglichkeit, schon intra vitam, in einem frühen Krankheits-
stadium in vielen Fällen eine sichere Entscheidung zu
treffen. Auf der andern Seite ist aber in rein klinischer
Beziehung insofern eine neue Schwierigkeit dadurch ent-
standen, als man nach Nonnes Mitteilung damit rechnen
kann, daß auch allein durch den chronischen Alkoholmiß-
brauch, wenngleich nur in ganz vereinzelten Fällen, eine
reflektorische Pupillenstarre erzeugt werden kann, die man
bisher immer als sicheres Zeichen einer stattgehabten
Iuischen Infektion anzusprechen gewohnt war.
Diese Umstände lassen es erklärlich erscheinen, daß
der Alkoholmißbrauch eines Tabikers zu diagnostischen
Schwierigkeiten Anlaß geben kann.
So suchte mich vor einiger Zeit ein Kaufmann in der Mitte der
fünfziger Jahre auf, der nach der Ansicht seines Hausarztes an pro-
gressiver Paralyse leiden sollte. Auch in einem inneren Krankenhause
hatte man diese Diagnose gestellt. Lichtstarre, enge Pupillen, schlaffe
linke Gesichtshälfte. Tremor der Zunge und Finger. Rechter Achilles-
reflex schwächer; Romberg +; bei Vorwärtsbeugen starkes Schwanken;
Stehen auf einem Beine, besonders dem rechten, sehr unsicher. Er klagte
über Kopfschmerzen, Schlafstörungen und vor allem über Gedächtnis-
schwäche. Wegen all dieser Beschwerden hatte er daher vor Jahres-
frist seine Stellung aufgeben müssen. In der Tat vergaß er augen-
blicklich, was man ihm vorsagte.e Es machte mich aber sein deutlich
ausgesprochenes und affektiv lebhaft betontes Krankheitsbewußtsein
stutzig. Die Abnahme des Gedächtnisses, auch eine Schreibstörung wollte
er schon vor drei bis vier Jahren bei sich beobachtet haben. Die
Schrift zeigte aber nur einen deutlichen Tremor, keine Auslassun-
gen, Wiederholungen oder Versetzungen. Auch die Sprache zeigte
nicht ein ausgesprochenes Silbenstolpern. Bei der körperlichen Unter-
suchung war mir die starke Druckempfindlichkeit von Muskeln und
Nerven, besonders der unteren Extremitäten, aufgefallen. Da er, ein
langjähriger Reisender, ständigen Alkoholmißbrauch zugab, führte ich
die letztgenannten Störungen, den Tremor der Zunge und Finger, sowie
auch die psychische Abweichung von der Norm auf Alkoholismus zurück.
Für diese Annahme ließ sich auch die Tatsache verwerten, daß der
Liquor erst von 0,8 ab stark hemmte und der Zellgehalt kaum (29:3)
vermehrt war. Der Erfolg der Abstinenz erwies die Richtigkeit meiner
Auffassung. Nach einigen Monaten, in denen er sich des Alkohols ent-
halten hatte, suchte er mich wieder auf. Es bestand nur mehr eine
Spur von Druckempfindlichkeit. Er fühlte sich wieder wohl und leistungs-
fähig und konnte der Unterhaltung auch längere Zeit hindurch folgen.
Vor kurzem hörte ich (inzwischen ist über 1!/ Jahr vergangen), daß er
als Kaufmann wieder erfolgreich tätig ist.
Ein so umschriebenes und charakteristisches Krank-
heitsbild das Delirium tremens der Alkoholisten auch darstellt,
es ist bekannt, daß ganz ähnliche Zustandsbilder auch bei
der senilen Demenz, bei der arteriosklerotischen Demenz,
nicht zuletzt bei progressiver Paralyse — und zwar unab-
hängig von Alkoholmißbrauch! — auftreten können. Gerade
in dem letzteren Falle kann eine zutreffende Bewertung des
Krankheitszustandes große Schwierigkeit bereiten, da ja auch
der chronische Alkoholismus ein der progressiven Paralyse ähn-
liches Zustandsbild schaffen kann; dadurch ist die Möglich-
keit gegeben, daß sowohl hinsichtlich der Basis wie der
darauf aufgebauten vorübergehenden Störung eine Ueberein-
stimmung besteht. Verfällt ein Tabiker dem Alkoholmißbrauch,
so ist nicht einzusehen, warum nicht auch einmal bei ihm ein
Delirium tremens auftreten kann, sofern die für sein Zustande-
kommen notwendigen weiteren Vorbedingungen erfüllt sind.
Worin diese bestehen, ist noch nicht aufgeklärt. Eine ge-
wisse persönliche Veranlagung, nach chronischer Alkohol-
zufuhr auf bestimmte weitere Schädlichkeiten gerade in der
Form des Delirium tremens zu reagieren, ist anscheinend
von einer gewissen Bedeutung, ohne daß sich zurzeit etwas
Näheres über die Natur dieser Veranlagung sagen läßt.
Immerhin ist die Kombination von Tabes und Delirium tre-
mens nicht gerade häufig. Trotz einer relativ großen Zahl
von Deliranten und Tabikern, die ich bisher beobachtet
habe, bin ich ihr nur einmal begegnet.
Es war ein Bahnbeamter, der mich in meiner Sprechstunde auf-
suchte. Seit zwei Jahren klagte er über strahlende Schmerzen und das
Gefühl von Lahmheit in beiden Beinen sowie Urinträufeln. Beide
Pupillen verzogen, lichtsterr; Achilles- und Patellarreflexe fehlen
Hypalgesio an den unteren Gliedmaßen und der unteren Rumpfhälfte
m wuryer em
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1980
deutlicher Romberg. Stehen auf einem Bein unmöglich. Da er stark
nach Schnaps roch (er gab einen täglichen Genuß von 1/4 1 Schnaps an),
sehr redselıg war und sich ungemein hastig benahm, auch stark zitterte,
befürchtete ich den Ausbruch eines Delirium tremens. Ich nahm ihn in
die Klinik auf. Nach wenigen Tagen bot er das ausgesprochene Bild des
Deliranten. Halluzinationen des Gesichts, Schlaflosigkeit, humoristische
Stimmung, zeitlich und örtlich desorientiert mit Erhaltensein der Orien-
tierung über die eigne Person. Auch bei ihm konnte ich die Neigung
zum Verlesen willkürlich erzeugen, sobald der Text, den er lesen sollte,
‘mit Absicht unscharf auf eine Wandfläche projiziert wurde. Innerhalb
acht Tagen klang das Delirium ab.
So sehr das Bestreben berechtigt ist, die verschieden-
artigen Störungen eines Individuums auf eine und dieselbe
Krankbeitsursache zurückzuführen, so muß doch hier eine
luische und eine alkoholisch bedingte Störung angenommen
werden. Es geht nicht an, auch die körperlichen Störungen
dem Alkohol zur Last zu legen. Mit der Annahme einer
alkoholischen Polyneuritis ist der Nachweis der reflektori-
schen Pupillenstarre und der Blasenstörung nicht recht ver-
einbar; zudem fehlte auch die Druckempfindlichkeit der
Nerven und Muskeln, die für eine Neuritis hätte sprechen
können; im Gegenteil, der Nervus ulnaris war auf Druck,
wie so oft bei Tabes, völlig unempfindlich.
Ein Gegenstück zu diesem Falle bot ein Kommilitone,
der uns mit der Diagnose Tabes und Delirium zugeführt
wurde. In der Tat vermochte er kaum zu gehen. Selbst
unter Zuhilfenahme zweier Stöcke schleppte er sich nur
mühsanı vorwärts, und die Ataxie der unteren Extremitäten
war schon ohne weiteres auf die Entfernung zu erkennen.
Die Untersuchung ergab aber eine deutliche Polyneuritis,
und somit war es geboten, für beide Reihen von Störungen
den Alkohol verantwortlich zu machen. Schwerer wiegt der
Irrtum, daß die psychischen und körperlichen Störungen,
die in Wirklichkeit nur durch Alkohol bedingt sind, zur
Diagnose der progressiven Paralyse verleiten. Einen der-
artigen typischen Fall habe ich gelegentlich einer Konsul-
tation kennen gelernt. Schon bei Erhebung der Anamnese
durch den Hausarzt erschien mir die bisherige Diagnose der
progressiven Paralyse zweifelhaft, weil die luische Infektion
erst vor wenigen Jahren erfolgt war. Eine Lues cerebro-
spinalis wäre dann wahrscheinlicher gewesen und hätte
ebenfalls den Korsakowschen Symptomenkomplex, der
im wesentlichen die psychischen Störungen ausmachte,
durchaus erklären können. Aber mit dieser Annahme war
nicht recht vereinbar die ausgesprochene Polyneuritis, da
syphilitische Polyneuritiden sehr selten sind. J. Hoffmann
hat vor kurzem den 14. sicheren Fall beschrieben. Zudem
bestand langjähriger Alkoholmißbrauch (drei bis vier Flaschen
Bordeaux und noch mehr täglich). Alle Erscheinungen ließen
sich restlos unter den Begriff der Alkoholintoxikation brin-
gen. Der gute Ausgang bestätigte die Richtigkeit dieses
Standpunkts.
Ich habe nicht ohne Absicht über eine Zahl von tabi-
schen Kranken mit einer nicht zur Paralyse zu rechnenden
Psychose berichtet. Wer dabei die naturgemäß geringe Zahl
der Kranken meiner Klinik berücksichtigt, könnte leicht zu
der Ansicht kommen, daß psychische Störungen trotz tabischer
Symptome sehr oft nicht der Paralyse zuzurechnen sind. Das
wäre aber ein Fehlschluß, vor dem nicht genug zu warnen
ist. Vorsicht erscheint um so mehr angebracht, seitdem wir
durch die Untersuchungen von Alzheimer wissen, daß viele
Psychosen von Tabikern, die durchaus keine deutlichen
paralytischen Zeichen aufweisen, doch bei der mikroskopi-
schen Untersuchung der Hirnrinde sich als Paralyse er-
wiesen. Selbst Verwirrtheitszustände, die erst in den End-
stadien der Tabes auftraten und nicht an Paralyse denken
ließen, zeigten Veränderungen paralytischen Charakters, die
nicht mehr akuter Natur waren. Damit wird die klinische
Erfahrung bestätigt, daß im allgemeinen die Psychose eines
Tabikers der Paralyse entspricht.
Aber diese Regel erleidet eben doch manche Ausnahmen,
deren rechtzeitige Erkennung nicht nur wissenschaftlich inter-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49,
` 8. Dezember.
essant, sondern vor allem auch sozial bedeutungsvoll sein
kann. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten. |
Einmal kann die Psychose, ebenso wie die Tabes, anf
Lues. zurückzuführen sein, und wir hätten dann neben einer
metasyphilitischen Erkrankung, die die- körperlichen Störun-
gen erklärt, eine tertiär-syphilitische Affektion, die für die
psychischen Störungen verantwortlich zu machen ist, Bs
besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß die für Tabes
sprechenden Störungen ebenfalls tertiär-syphilitischen Ur-
sprungs sind, sodaß sowohl die psychischen wie die körper-
lichen Störungen auf einen gleichartigen Prozeß zurückzu-
führen sind. Die diagnostischen Schwierigkeiten, die sich hieraus
ergeben und die begreiflicherweise die neuen Untersuchungs-
methoden, die „vier Reaktionen“ Nonnes, nicht zu beseiti-
gen vermögen, können ungemein groß sein. Ich bin auf sie
nicht eingegangen, weil ich über ein entsprechendes Material
nicht verfüge, es mir aber hier im wesentlichen auf die De-
monstration einschlägiger Fälle ankommt.
Sodann kann der Tabiker psychisch erkranken, unab-
hängig von seiner Lues, sei es, daß es sich um eine an-
geborene, endogene oder exogene Geistestörung handelt. An
derartigen Fällen besteht kein Mangel. Sahen wir doch ein-
mal die Tabes bei einem Imbeeillen, sodann bei Manisch.
Depressiven und schließlich bei Alkoholisten. Bei Kenntnis
der Vorgeschichte ist die zutreffende Beurteilung der Sach
lage oft leicht. Schwierigkeiten können aber entstehen,
wenn die frühere Persönlichkeit unbekannt ist. Vielfach
führt aber auch dann die klinische Analyse zu einer richti-
gen Beurteilung. Ze
Daß es Psychosen von einer eigenartigen paranoiden
Färbung gibt, die von vielen Autoren als eine für Tabes
charakteristische Psychose, geradezu als „ Tabespsychose“
angesprochen werden, habe ich schon oben hervorgehoben.
In den bisher erörterten Fällen handelt es sich immer
um psychische Störungen, bei denen Lues von ursächlicher
Bedeutung war oder doch wenigstens sein konnte. Ich habe
gezeigt, wie die klinische Beobachtung eine diagnostische
Entscheidung über die Natur des vorliegenden Leidens er
möglicht, auch ohne daß stets die neuen Untersuchungs
methoden des Bluts und des Liquors herangezogen werde.
Für die Sprechstunde eines Praktikers, für eine ambulante
Behandlung kommen diese ohnebin vielfach nicht in Betracht.
Aber auch abgesehen davon, ist es viel verlockender und
reizvoller, zu versuchen, lediglich durch klinische Beobach-
tung, durch eingehende Analyse der körperlichen und ps3}
chischen Störungen zur Diagnose zu gelangen. -Daß dabi
die neuen Untersuchungen von großer Bedeutung set
können, daß sie dem Untersucher im Einzelfalle — ich ver-
weise vor allen Dingen auf die Diagnose der Paralyse —
das Gefühl einer größeren subjektiven Sicherheit zu gebe
vermögen, wird keiner bestreiten. Aber es wäre mißlich,
sollte die Diagnose lediglich auf den Ausfall der Blut- ui
Liquoruntersuchung gestützt werden. Es bestände dann di
Gefahr, daß die Medizin aufhörte, eine Kunst zu sein W
zu einem Handwerk herabzusinken drohte. = > .,
Schließlich möchte ich Ihnen noch kurz über al
interessante Fälle berichten, die darin tibereinstimmen,
körperliche Störungen überwiegen und ihre luische Natur —
mochte deren Annahme auch auf Grund unserer klinisch!
Erfahrungen nahe liegen — mit Sicherheit erst durch den Auf
fall der Wassermannschen Untersuchung bewiesen WU
‚Eine Frau, nicht ganz 30 Jahre alt, wurde uns zugeschickt 2
der Diagnose einer beiderseitigen Keratitis parenchymatosa, SOMb — hy,
modationsparese und Pupillenläihmung des linken Auges. Außerdem i
stand eine linksseitige Trigeminusneuralgie, sowie eine beiderseitig? sa
vöse Taubheit. Da die Störungen sich vor kurzem und alimählie gr
gestellt hatten und eine deutliche Progression bekundoten, war ein BR”
Prozeß anzunehmen, da sonstige Symptome nicht nachweisbar waren. i
dem Fehlen von Drucksymptomen war eine Meningitis wahrsche T
als Tumor. Der Hausarzt war geneigt, eine solche tuberkulösen ©”
sprungs anzunehmen, da die Anamnese hinsichtlich der Lues vOllg TR
tiv ausgefallen war. Auch uns war es nicht gelungen, den Mann "!
8. Dezember.
sicht zu bekommen; seine Untersuchung hätte — wie oft in ähnlichen
Fällen — vielleicht eine Aufklärung geben können. Da aber Tuberkulose,
auch nur Belastung mit Tuberkulose, bei der Frau &benfalls nicht
nachzuweisen war, erschien ung auf Grund unserer klinischen Erfahrungen
doch die luische Natur des Krankheitsprozesses wahrscheinlicher. In der
Tat fiel die Blutprobe positiv aus. Also hatte einmal eine luische Infektion
stattgefunden. Daß aber auch das Nervenleiden darauf zurückzuführen
war, lehrte der prompte Erfolg der antisyphilitischen Therapie.
Ein 50 Jahre alter Angestellter suchte mich wegen seiner Kopf-
schmerzen auf; sie bestanden seit etwa fünf bis sechs Jahren und hatten
sich allmählich so verschlimmert, daß er kaum die Hälfte der Zeit arbeits-
fähig war. Nach seiner Beschreibung hatten sie einen deutlichen Mi-
gränecharakter. Früher hatte er aber nie an Migräne gelitten, und ebenso-
wenig bestand in seiner Familie eine derartige Neigung. Das späte Auf-
treten von Migräneanfällen, zudem bei einem erblich nicht belasteten
Manne, mußte an die Möglichkeit denken lassen, daß die Migräne das
Symptom einer organischen Erkrankung des Centralnervensystems war.
Nichts sprach für einen Tumor. Eine luische Infektion stellte der Kranke
bestimmt und glaubhaft in Abrede. Aber die Pupillen waren etwas ver-
zogen, und die linke Pupille zeigte eine schlechte Lichtreaktion. Obwohl
die weitere körperliche Untersuchung negativ ausfiel, so lag doch Grund
genug vor, an Lues zu denken. In der Tat reagierte bei negativem Blute
der Liquor von 0,8 cem ab; Globulinreaktion positiv; deutliche Pleocytose.
Der Kranke wurde einer energischen Schmierkur (drei Kuren von sechs
Tagen zu je 4 g) unterzogen und erhielt drei Salvarsaninjektionen.
Während des fünfwöchigen Aufenthalts in der Klinik waren nur einmal
unerhebliche Kopfschmerzen, und auch nur für kurze Zeit, aufgetreten,
während er sonst durch dieses Leiden gezwungen war, jede Woche
mehrere Tage die Arbeit völlig auszusetzen oder sogar das Bett zu
hüten. Auch die Abnahme der Zellenzahl im Liquor, vor allem das Ver-
schwinden der Wassermannschen Reaktion sprachen in objektiver Weise
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
1981
Klinik nicht viel ermitteln; er war andauernd zurückhaltend, verschlossen,
mißtrauisch, leicht reizbar. Körperlich bot er nicht das geringste. Wie
sollte man das Leiden auffassen? Da Trunksucht nicht in Betracht kam,
fehlte es an einer ätiologischen Handhabe. Er wurde serologisch unter-
sucht. Blut negativ, Liquor positiv, wenn auch erst in der Menge von
1,0 ccm; Globulin +, leichte Pleocytose.
Dieser Befund war für die Begutachtung ungemein
wichtig. Ohne ihn hätten wir nur ein Leiden unklarer Herkunft
annehmen müssen, während jetzt zweifellos eine Berechtigung
bestand, mit einem syphilogenen Leiden des Centralnerven-
systems zu rechnen. Freilich war es zurzeit noch nicht
möglich, die Entscheidung zwischen Lues cerebrospinalis und
progressiver Paralyse mit Sicherheit zu fällen.
Daß endlich die Wassermannsche Reaktion, besonders
mit der Auswertung, für Begutachtungszwecke, auch in
negativer Hinsicht, Bedeutung gewinnen kann, lehrte uns
unlängst eine Beobachtung.
Ein Arbeiter hatte eine leichte Verletzung (Umschlagen des Fußes)
erlitten und schob darauf die zunehmende Lähmung seiner unteren Glied-
maßen, die übrigens ursprünglich als Simulation von den Gutachtern ge-
deutet wurde. Es bestand eine deutliche progressive Muskelatrophie mit
Entartungsreaktion ohne jegliche Sensibilitätsstörung. Auf einem Auge
hatte er eine sehr enge, absolut starre Pupille. Wollte man die beiden
Störungen unter einem Krankheitsbilde vereinigen. so mußte vor allem
eine Lues in Betracht gezogen werden. Die geschilderte Augenstörung
ist bei Lues häufig, die Muskelerkrankung war freilich nicht typisch für
Lues, konnte aber immerhin auch einmal bei ihr vorkommen. Aber das
Blut und der Liquor, dieser auch in größerer Menge, reagierten völlig
negativ. Diese Erscheinung hätte man darauf zurückführen können, dab
der luische Prozeß zum Stillstande gekommen war. Aber gegen diese
Annahme sprach wieder der Umstand, daß die Muskelatrophie ständig
deutliche Fortschritte machte. Mithin war deren luische Genese nicht
wahrscheinlich. Man mußte eine Poliomyelitis chronica anterior unbe-
kannter Aetiologie annehmen. Aber wie sollte dann die Pupillenanomalie
erklärt werden? Sie konnte gewiß das Symptom eines luischen abge-
für den Erfolg der antisyphilitischen Kur.
> Eine nahezu 50jährige Dame wurde uns aus einem Sanatorium zu-
= geführt, in dem sie einige Monate nach einem genauen Kurplane mit allen
nur möglichen medikomechanischen, elektro- und hydrotherapeutischen
pi Maßnahmen bedacht war. Die Diagnose lautete auf Hysterie; insbeson-
dere hatte man bei ihr hysterische „Schreianfälle“ gefunden. Nach der
Schilderung glichen diese aber sehr den Anfällen von petit mal. Zudem
zeigte die Zunge einige Narben, und links war ein unerschöpflicher Fuß-
klonus nachweisbar — kurz vorher sollte ein Anfall aufgetreten sein.
Füge ich noch hinzu, daß die Dame sehr stumpf war und Tag für Tag
dieselben Worte und in derselben monotonen Weise vorbrachte, so mußte
die Diagnose der Hysterie doch recht zweifelhaft erscheinen. Das ein-
zige, was zur Anamnese von Wichtigkeit erhoben werden konnte, war,
daß die von jeher eigenartige, aber sonst bisher durchaus gesunde Kranke
vor drei Jahren plötzlich eine linksseitige Lähmung bekommen hatte.
Eine organische Affektion mußte nach alledem angenommen werden;
aber ihre Natur konnte, da die körperliche Untersuchung nicht die ge-
ringsten Anhaltspunkte ergab, nur durch den positiven Ausfall des Liquor
nach Wassermann (von 1,0 ccm ab) ermittelt werden.
Der nächste Fall zeigt den Wert der Wassermann-
schen Reaktion für die Begutachtung.
Ein nicht ganz 40 Jahre alter Eisenbahnarbeiter, ein tüchtiger und
fleißiger Schlosser, setzte die Arbeit seit 1!/s Jahren aus. Sein Weg-
bleiben suchte er mit nichtigen Gründen zu rechtfertigen. Die wieder-
holt vorgenommene ärztliche Untersuchung ergab nicht das geringste.
y ———— a am m ŘS
klungenen Prozesses sein. Inzwischen war aber ermittelt worden, daß
der Arbeiter früher an demselben Auge eine Verletzung erlitten hatte,
und unmittelbar danach hatte sich die Pupillenstörung eingestellt; ihr
traumatischer Ursprung war somit wahrscheinlich,
Ueber therapeutische Erfahrungen mit Salvarsan kann
ich aus eigner Erfahrung noch nicht viel berichten. Bei
Lues cerebrospinalis haben auch wir hier recht günstige Er-
folge erzielt, wie ja auch aus meinen obigen Ausführungen
hervorgeht. Die Zeit ist aber noch zu kurz, um ein ab-
schließendes Urteil zu fällen. Vor allem scheint Vorsicht
geboten bei der Beurteilung des Einflusses der Salvarsan-
behandlung bei Paralyse und Tabes. Die Häufigkeit von
Remissionen bei diesen beiden Krankheiten erschwert, zumal
uns deren Ursache unbekannt ist, natürlich die zutreffende
Beurteilung des Wertes der Therapie. Die Anschauungen
über die Menge des einzuverleibenden Salvarsans, ihrer
Einzeldosen und die Zwischenräume, in denen sie verabfolgt
werden müssen, sind durchaus noch nicht geklärt. Noch
xz Durch keine Maßnahmen war er zu bewegen, die Arbeit wieder aufzu-
nehmen. Nur eine psychische Störung konnte das eigentümliche Ver- |
‘,. halten des Arbeiters, der sich dadurch selber in seinem Fortkommen sehr
$ schädigte. erklären. Daher wurde seine Beobachtung in der mir unter-
£- stellten Klinik angeordnet. Hier hatte er einige Schwindelanfälle, die so
schnell vorübergingen, daß sie ärztlich nicht beobachtet werden konnten.
- Seine Frau hat ihn aber zu Hause mebrfach bewußtlos und röchelnd
- auf dem Boden liegend. gefunden. Sie erzählte auch, daß er sie schlecht
i behandelt und ihr Untreue vorwirft; er macht ihr geradezu Vorwürfe,
pi weil sie mit Absicht die letzte Geburt durch eine abnorme Kindeslage
sehr erschwert habe. Nach der psychischen Seite hin ließ sich in der
viel weniger ist es aber heute angängig, schon zu sagen,
ob wir bei zweckentsprechender Behandlung der Lues in
ihrem ersten Anfange mit Salvarsan, kombiniert mit Queck-
silbertherapie, eine Abnahme der Erkrankungsfälle an pro-
gressiver Paralyse und Tabes erwarten können. So unge-
mein wertvoll ein derartiger Erfolg der Arbeiten Ehrlichs
wäre, der Zukunft muß es vorbehalten bleiben, darüber das
letzte Wort zu sprechen.
i | Abhandlungen.
Zur Chemotherapie des Krebses Histologen, weil sie in dem Krebse nur die charakteristischen
Ä Zellen und nichts Anderes finden, längst beiseite gelegt
j von
< dan wurden. Wenn nunmehr auch die Chemotherapie nur diese
j Prof. Dr. Hugo Bibbert, Bonn. Zellen in Betracht zieht, so bedeutet das einen Fortschritt.
E Die neueren Bestrebungen zur Heilung, besser gesagt zur | Sie wirkt dadurch sehr wesentlich mit zur Schaffung klarer
wo
Beseitigung des Krebses, unter denen die chemotherapeu- | Verhältnisse, zu der Erkenntnis, daß das Carcinom nichts
> tischen zurzeit besonders lebhaft erörtert werden, sind auf | anderes ist als eine Wucherung von Zellen, die von nor-
A die Vernichtung der das Carcinom bildenden Zellen ge- | malen Elementen unseres Körpers abstammen.
y Tichtet. ‚Man denkt dabei also nicht mehr an parasitäre Er- Diese Ursprungselemente aber sind Epithelien. Der
„ Teger, die so lange eine große Rolle gespielt haben und hier | Krebs ist ein Produkt der andauernden, schrankenlosen Ver-
s und da auch heute noch spielen, die aber von den meisten | mehrung solcher Zellen. Das haben die histogenetischen
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1982
Untersuchungen über das Carcinom, über seine allein ent-
scheidenden ersten Anfänge so sicher ergeben, daß, wenn
irgend etwas in der Lehre vom Krebs feststeht, es die Tat- |
sache ist, daß die wuchernden Zellen Abkömmlinge dieser
oder jener Epithelien, der Haut, der Schleimhäute, der
Drüsen sind. Hier oder dort wachsen unter Bedingungen,
die zu besprechen hier nicht notwendig ist, die ich aber zu-
letzt in meinem Buche: „Das Carcinom des Menschen“ ein-
gehend dargestellt habe, Epithelien aus dem normalen Ver-
bande heraus in die übrigen Gewebe unseres Körpers unauf-
haltsam hinein und erzeugen so das vollentwickelte Car-
cinom, mit dem wir es hier zu tun haben. Aus seinem Bau
aber müssen wir uns zum Verständnis der weiter folgenden
Ausführungen einige Punkte ins Gedächtnis zurückrufen.
Die wuchernden Epithelien liegen in einem bind-
gewebigen Gerüste, dessen Gefäße ihnen die Nahrung liefern.
Es gehört aber nur räumlich, nicht seiner Bedeutung nach
zum Tumor. Denn dieser wird ausschließlich von den Epi-
thelien gebildet. Wenn es uns gelingen könnte, diese Zellen
sämtlich aus den Geschwulstknoten herauszunehmen, dann
bliebe nur das Bindegewebe übrig, freilich nicht so, wie es
vor Beginn der Krebsentwicklung war. Denn unter dem
Einfluß der wuchernden Epithelien, die ja an abnormer Stelle
liegen und insofern fremde Elemente darstellen, ist es in
einen entzündlichen Zustand geraten, es hat sich etwas ver-
mehrt. Mit dem Fortfall der Zellen würde es sich aber
wieder zurückbilden, ein geringeres Volumen und mehr oder
weniger narbigen Charakter gewinnen.
Wo freilich der Krebs nicht nur in Bindesubstanz,
sondern in Geweben mit bestimmten funktionellen Bestand-
teilen (Drüsenepithelien, Muskelfasern usw.) wächst, da liegen
diese Elemente ebenfalls zwischen seinen Zellsträngen,
werden aber durch deren Druck zugrunde gerichtet. Hier
können sich dann nach einer als möglich angenommenen
Entfernung der Krebsepithelien die normalen Verhältnisse
nicht wiederherstellen, denn die funktionellen Elemente sind
hier ja nicht mehr vorhanden. Aber da ein bindegewebiges
Gerüst auch hier nicht fehlt, so könnte der Fortfall der
Tumorzellen ebenfalls mit Narbenbildung enden.
Wir dürfen aber bei diesen Ueberlegungen den Krebs
nicht nur als Ganzes betrachten, wir müssen vielmehr zwischen
seinen centralen und seinen peripheren Abschnitten unter-
scheiden. |
In den ersteren Teilen haben sich die Zellen, während
der Tumor im ganzen größer wurde, lebhaft vermehrt. Sie
bilden große, vielgestaltige Massen, Alveolen, Stränge, Netze,
zwischen denen, sei es von vornherein, sei es nach Ver-
nichtung funktioneller Bestandteile, nur ein schon manch-
mal im Tumor sich narbig umwandelndes Bindegewebe vor-
handen ist. An der Peripherie dagegen sind die Krebszellen
in kleineren, weniger dicht liegenden Komplexen angeordnet.
Sie dringen einzeln, in einreihigen oder doch schmalen
Zügen, die oft in weiten Abständen voneinander liegen, in
das benachbarte Gewebe vor und sind hier nicht selten nur
mit Mühe aufzufinden. Man sieht sie in den Gewebespalten
und zwischen den noch unveränderten oder doch nur wenig
verdrängten Drüsenepithelien, Muskelfasern usw., die erst
bei weiterer Vermehrung der Tumorzellen leiden und zu-
grunde gerichtet würden. Wenn wir mit der Hauptmasse
des Careinoms auch diese am weitesten vorgeschobenen
Zellstränge, die wir mit den feinsten in das Erdreich vor-
dringenden Pflanzenwürzelchen vergleichen können, aus dem
Gewebe herauszuziehen vermöchten, dann würde in dem Be-
reiche dieser äußersten Abschnitte des Tumors normales Ge-
webe zurückbleiben, oder es würde sich, wenn es schon
etwas verändert war, wieder erholen.
Das Wesentliche dieser Betrachtungen ist also darin
gegeben, daß der Krebs etwas von dem Gewebe, in dem er
wächst, völlig Gesondertes ist. Seine Epithelien zeigen nicht
etwa allmähliche Uebergänge in angrenzende Zellen, ins-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49,
8. Dezember.
ZZ ——m ZZ —————
besondere in gleichartige Epithelien oder diese gehen nicht
etwa nach ‘und nach in Krebszellen über, es besteht vid.
mehr eine scharfe Grenze. Das hat man nicht immer an-
genommen, vielmehr war man vielfach der Meinung, dab
die anstoßenden Zellen durch den Einfluß der Krebs.
epithelien umgewandelt würden oder daß diese in weiter
Umgebung sich vollziehende Metamorphose auf andere Weise
zustande käme. Jetzt ist diese Anschauung wohl endgültig
überwunden, wir wissen, daß der Krebs nur aus sich heraus
wächst. Und nur unter dieser. Voraussetzung könnte man
sich theoretisch vorstellen, daß man alle Krebszellen m
entfernen und damit den ganzen Tumor zu beseitigen ver-
möchte. l
Diese Bemerkungen über den Bau des Carcinoms sin
ausreichend. Und nun werfen wir die Frage auf: Iste
möglich, die Krebszellen, die wir ja mechanisch nieht ent
fernen können, durch chemische (oder andere) Einflüsse zu
vernichten, während alle andern Gewebe unseres Körper
und auch die, in denen die Tumorzellen wuchern, am Leben
bleiben? Müßten wir nicht erwarten, daß die Einwirkungen,
die den Krebszellen schaden, auch den übrigen Epithelien
schädlich wären? Die Frage ließe sich nur dann verneine,
wenn die Zellen des Carcinoms sich eigenartig, also anders
verhielten als die andern Elemente unseres Körpers oder
wenn die Bedingungen, unter denen die Tumorzellen leben,
sich von denen der normalen Gewebe derartig abweichen
verhielten, daß eine verschiedene Einwirkung möglich wäre.
Nun wissen wir zunächst einmal, daß es gelingt, durch
lokale Behandlung, sei es durch Einspritzung chemische
Substanzen in den Tumor, sei es durch äußerliches Aut
tragen von Arsenpasten, deren wirksame Substanz allmählich
eindringt, sei es durch Bestrahlung große Teile des Tumon
zum Zerfall und zur Resorption zu bringen. Wir wise
ferner, daß ähnliches auch durch interne Verabreichung
chemischer Stoffe (z. B. des Arsens) in einem allerdings Di
jetzt nur geringen Umfang erreicht werden kann, da) #
aber ferner nach v. Wasser manns Beobachtungen mögid
ist, die Mäusetumoren durch Einführung von Selen zur ir
weichung und zur völligen Aufsaugung zu bringen.
Aber es handelt sich hier in den meisten Fällen 1
um die älteren, der Masse nach allerdings weit überwiegende
Teile des Krebses. In diesen Abschnitten zerfallen die Ep
thelien bis nahe an den Rand der Neubildung, während s
in den äußersten an die Nachbargewebe angrenzenden
Tumorbezirken erhalten bleiben. Bei den Mäusetumar
gehen freilich alle Epithelien zugrunde und hier sterben nieht
nür sie, sondern auch das Bindegewebe ab. Aber ob es ar
halten bleibt oder nicht, ist von geringerer Bedeutung, U
die oben aufgeworfene Frage, ob die chemischen Substansi
ihre Wirkung allein auf das Carcinomepithel konzentriert
können, die andern Elemente aber intakt lassen, hat 1w
in den Randpartien, in denen zwischen den Krebszellt
noch funktionelle Gebilde vorhanden sind, und natürlich auch
im übrigen Organismus große Wichtigkeit, insofern alle sam
sonstigen Zellen nicht durch die wirksamen Stoffe m
leidenschaft gezogen werden dürfen.
Nun sehen wir aber, daß es in den bisherigen ja
suchen am Menschen noch nicht mit Sicherheit möglich g
wesen ist, auch die jungen Krebszellen am Rande 08
Tumors zu vernichten. Sie bleiben ebenso am Leban W
die normalen Elemente, zwischen denen sie liegen. "E
Wie erklärt sich dieses Verhalten? Es wird verständitl
wenn wir die Verschiedenheit der Ernährungsbedingung®
in den älteren und den jüngeren Tumorabsehnitten 11 ä
tracht ziehen. Je lebhafter die Zellen in den centr i
Teilen gewuchert sind, um so weniger genügt auf die i aub
ihrer außerordentlich angewachsenen Zahl das inzwisebel
nur wenig oder gar nicht mitgewachsene Blutgefäßspsiet.
Dazu kommt weiter, daß die vorhandenen Gefäße darc
an Umfang zunehmenden Epithelmassen gezertt, verdräng"
m -mn a m ng
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49,
1983
komprimiert werden, sodaß in ihnen die Circulation sehr
herabgesetzt ist. Es ist ferner nicht zu vergessen, daß an
den Arterien vielfach endarteriitische Obliterationsvorgänge
beobachtet werden. So erklärt es sich sehr leicht, daß die
Zellen mehr und mehr degenerativen Veränderungen unter-
liegen, wie wir sie im Innern der Carcinome regelmäßig
antreffen.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen führen freilich diese
Degenerationen nur zu einer geringen Einschmelzung und
Resorption, so etwa im Scirrhus, der central vernarbt.
Wenn aber chemotherapeutische Einflüsse die durch un-
genügende Ernährung geschädigten Krebszellen treffen, dann
unterliegen sie viel leichter als die lebenskräftigen normalen
Gewebebestandteile, die auch noch aus einem andern sogleich
zu erwähnenden Grund unbeteiligt bleiben können. Dabei
ist es nun keineswegs nötig, daß die Carcinomepithelien
schon vorher in stärkerem Maße geschädigt waren. Ihre
Widerstandskraft ist auch dann bereits herabgesetzt, wenn
die regressiven Veränderungen sich erst in den Anfangs-
stadien befinden, und das ist bei der weit überwiegenden
Menge der Krebszellen der Fall.
Nun kommt aber bei diesen degenerativen Vorgängen
noch ein Umstand in Betracht, der neuerdings besondere
Beachtung gefunden hat: die Einlagerung von Lipoiden, ins-
besondere von Lecithin in die Zellen. Sie ist ein Ausdruck
der verminderten Lebensenergie der Zellen. Die unter ver-
ringerte Ernährung gesetzten Epithelien sind nicht mehr
fähig, das, wenn auch in vermindertem Maße, mit dem
Blute zugeführte Material zu verarbeiten. Es bleibt teil-
weise in den Zellen liegen, und zwar entweder unverändert
oder unvollkommen abgebaut. Zu diesem mangelhaften Zell-
stoffwechsel kann aber auch noch etwas anderes mitwirken,
zumal in den jüngeren Abschnitten, in denen die Ernährung
noch nicht so stark herabgesetzt ist. Das ist der Mangel
an funktioneller Betätigung von seiten der Epithelien. Da
sie nicht mehr typisch in ein Organ eingefügt sind, fehlt
ihnen jede Funktion oder sie ist wenigstens sehr herabge-
setzt. Denn auch die Schleimbildung in den Gallertkrebsen
und die Galleproduktion in den Leberzellencareinomen be-
deutet nicht etwa eine Steigerung der Sekretion. Sie ist
vielmehr lediglich der Ausdruck einer durch lange Zeit er-
folgenden Anhäufung der in verminderter Menge gelieferten
Sekrete. Die herabgesetzte Funktion aber beeinträchtigt
natürlich den Stoffwechsel, und so können auch deshalb die
nicht verarbeiteten Nährsubstanzen liegen bleiben. Nun er-
gaben neuere Untersuchungen, daß das Lecithin bei Be-
strahlung zersetzt wird und das den Zellen schädliche Cholin
liefert, dessen Wirkung dahin führen kann, daß die Epi-
thelien, in denen es entsteht, zugrunde gehen.
Daraufhin hat man das Cholin auch vermittels di-
rekter Einspritzung in den Tumor und in seine Umgebung
auf seine zelltötende Eigenschaft geprüft. Aber diese Be-
handlung wird immer unvollkommen bleiben. Denn ganz
abgesehen davon, daß es nicht gelingen kann, alle Krebs-
zellen zu erreichen, ist es auch, wie die weiteren Erörterun-
gen zeigen werden, fraglich, ob es auf diese Weise gelingt,
auch die jüngsten, noch nicht degenerierten Zellen zu töten.
Mehr Aussicht, soweit eine Einwirkung auf alle Krebs-
zellen erreicht werden soll, hätte die innerliche Darreichung
jener Substanz. Denn vom Blutstrom aus müssen ja sämt-
liche Zellen beteiligt werden. Aber auch bei dieser Anwen-
dungsweise werden wieder vor allem die weniger gut er-
nährten oder die schon degenerierenden Krebszellen beein-
flußt. In sie können alle mit dem Blute herbeigeführten
Stoffe leicht eindringen, weil sie nicht mehr imstande sind,
vermöge der unter normalen Verhältnissen in ihren Rand-
schichten gegebenen, jetzt aber veränderten osmotischen Be-
dingungen eine Auswahl unter ihnen zu treffen. So ge-
langen auch alle schädlichen Substanzen in sie hinein, die,
Solange sie nicht in zu hoher Konzentration vorhanden sind,
in normale Elemente nicht einzudringen vermögen. Daher
darf man daran denken, das Cholin auch vom Blut aus auf
die älteren Abschnitte des Carcinoms wirken zu lassen.
Aehnliche Ueberlegungen gelten auch für die Schwer-
metalle. Wenn diese mit dem Blut in den Krebs gelangen,
werden sie von den Zellen aufgenommen, in denen sie, wie
v. Hansemann feststellte, in erster Linie die Kerne zer-
stören. Die übrigen Zellen des tierischen Körpers nehmen
diese Stoffe nicht auf. Offenbar läßt ihre Außenschicht
‘wegen der in ihr maßgebenden besonderen osmotischen Ver-
hältnisse das Eindringen nicht zu. Und so ist es berechtigt,
anzunehmen, daß eben diese Bedingungen innerhalb des
Tumors wegen der hier ungenügenden Blutversorgung nicht
mehr ausschlaggebend sind und deshalb den Durchtritt in
das Innere des Zelleibs gestatten.
Die nicht ausreichende Blutversorgung der älteren Epi-
thelien (oder in jenen Tierversuchen auch aller Zellen) des
Krebses ist es also, die, wie wir annehmen dürfen, die
chemotherapeutischen Substanzen zur Wirkung gelangen läßt.
Daraus ist aber gleichzeitig mit Wahrscheinlichkeit zu
entnehmen, daß sich die Zeilen in den peripheren Teilen
des Krebses anders verhalten werden. Hier sind sie aus-
reichend ernährt, ja vielleicht besser als etwa neben ihnen
befindliche normale Epithelien. Denn sie werden zu einem
größeren Teil ihres Umfangs von den Nahrungssäften um-
spült als jene, die mit der einen Seite an die Drüsenhohl-
räume, mit den Seitenflächen an ihre Nachbarn anstoßen
und nur mit ihrer Basis dem Saftstrome zugekehrt, aber von
ihm noch durch die Membrana propria getrennt sind. Daraus
erklärt sich jedenfalls zum Teil die Wachstumsüberlegenheit,
die den Krebszellen vor dên dem Organismus in normaler
Weise eingefügten Zellen eigentümlich ist.
Die ausreichend oder sogar besonders gut ernährten
Tumorzellen aber werden sich den therapeutisch ange-
wendeten Stoffen gegenüber ebenso verhalten wie die Ele-
mente des von ihnen durchwucherten Gewebes, also wie sie
am Leben\bleiben und dauernd weiter wachsen.
Wenn es bei den Mäusetumoren in jenen Versuchen
anders ist, so findet das seine Erklärung darin, daß diese
Geschwülste keine infiltrierend wachsenden Carcinome,
sondern scharf umgrenzte, abgekapselte epitheliale Neu-
bildungen sind, in deren Bereich überall die gleichen Existenz-
bedingungen herrschen. Bei dem menschlichen Careinom
dagegen befinden sich die in die Umgebung wurzelförmig
vordringenden Zellen unter ganz andern Verhältnissen als:
die in der Mitte des Krebses gelegenen.
= So wird es verständlich, weshalb weitaus die größte
Masse des Carcinoms zugrunde geht, die peripheren Zellen
aber ebenso am Leben bleiben wie die normalen Elemente,
zwischen denen sie liegen. Ja, wir dürfen sagen, es ist gar
nicht zu erwarten, daB wir diese Zellen durch dieselben
Einwirkungen vernichten können, die sich bei den centralen
wirksam erweisen,
Dabei ist dann allerdings vorausgesetzt, daß sich diese
jungen Elemente des Krebses biologisch nicht wesentlich
von gewöhnlichen Körperzellen unterscheiden. Aber die Be-
rechtigung dieser Voraussetzung wird vielfach bestritten
werden. Man wird die Meinung aussprechen, daß die Krebs-
epithelien nicht nur in lebhafte Wucherung geratene Zellen
darstellen, sondern daß sie zwar Epithelien, aber doch erst
durch eine besondere Umwandlung zu Krebszellen und da-
mit erst fähig geworden seien, in die andern Gewebe hinein-
zudringen. Diese Metamorphose erklärte ihre lebhafte Pro-
liferationsfähigkeit, ihre Wachstumssteigerung, durch die sie
allen andern Elementen überlegen würden. Wenn das richtig
wäre, dann müßten wir natürlich erwarten, daß die Tumor-
zellen allen chemotherapeutischen Einflüssen besser wider-
stehen könnten als normale Elemente, und daß es deshalb
aussichtslos sei, mit jenen Methoden gegen sie vorzugehen.
Die Krebsepithelien würden dann noch weniger angreifbar
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1984
sein als die gewöhnlichen Zellen. Aber man kann gegen
diese Auffassung doch wohl geltend machen, daß die an-
genommene gesteigerte Widerstandskraft sich doch nicht
nur in den jüngsten Zellen geltend machen und sich nach
innen in die älteren Teile des Tumors nicht so rasch wieder
verlieren würde, daß nur die in der äußersten Randzone
gelegenen Krebsepithelien, nicht aber alle andern den schäd-
lichen Einflüssen zu widerstehen vermöchten.
Diesem Bedenken entspricht es denn auch, daß die an-
genommene Metamorphose nach einer weit verbreiteten
Vorstellung nicht eigentlich eine progressive sein, sondern
degenerativen Charakter haben soll. Aber doch nun wiederum
nicht in dem Sinne, daß deshalb die Zellen weniger wider-
standsfähig seien. Denn man will hier von dem degenera-
tiven Charakter nicht in dem Sinne reden, wie man sonst
von Degeneration spricht. Es handle sich vielmehr um eine
eigenartige Metamorphose. Aber damit fällt sie doch auch
nicht unter den Begriff der Entartung, man darf also den
Ausdruck der „malignen Degeneration“ auf die Gesch wülste
und insbesondere das Carcinom nicht anwenden. Ich habe
mich darüber oft (l. c.) ausgesprochen. Ein Vorgang, der
mit Proliferationssteigerung verbunden ist, kann nicht dege-
nerativer Natur sein. Wäre er es, dann müßten auch die
jungen Krebszellen bei der Chemotherapie leichter als die
normalen zugrunde gehen. Das tun sie aber nicht, sie bleiben
wie diese am Leben und liefern die Rezidive. So zeigt sich,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
sich nicht prinzipiell anders verhalten, als die normalen
Zellen. Sie unterscheiden sich denn auch von ihnen nur
durch eine Verminderung ihrer funktionellen Tätigkeit und
eine parallelgehende Zunahme ihrer Wachstumsfähigkeit und
nur die Bedingungen, unter denen die Epithelien vom ersten
Beginne des Krebses an wachsen und jene Aenderung er-
fahren, erklären ihr allmähliches Selbständigwerden und
ihre dauernde Wucherung. Auf Grund dieser Ueberlegungen
versteht sich sehr leicht die Schwierigkeit, durch eine
chemotherapeutische Behandlung das Careinom in allen
seinen Teilen zu vernichten. Wirken die mit dem Blute zu-
geführten Substanzen zu intensiv, so töten sie auch die nor-
malen Zellen am Rande des Tumors und im übrigen Körper,
machen sie sich aber zu schwach geltend, dann bleiben mit
allen andern Elementen auch die jungen Krebszellen am Leben.
Trotzdem darf man auf einen schließlichen Erfolg
rechnen. Er wird aber wohl nur mit einer kombinierenden
Methode zu erreichen sein. Die jungen Krebszellen befinden
sich doch immerhin unter andern Ernährungsbedingungen als
die normalen Zellen, auch sind sie in dem angegebenen
Sinne biologisch etwas anders beschaffen. So sollte es ge-
lingen können, sie durch geeignete Stoffe (z. B. Arsen) zwar
nicht zu töten, ober so in degenerativer Richtung zu beein-
flussen und ihre Widerstandskraft zu vermindern, daß sie
einer andern Einwirkung (z. B. der Bestrahlung) zugänglich
werden. Aber darüber läßt sich theoretisch nicht weiter
daß die Epithelien des Carcinoms in biologischer Hinsicht | reden, das muß durch Versuche entschieden werden.
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Kiel.
Die Pyelotomie als Methode der Wahl bei der
Steinniere
von
Prof. Dr. Baum, Oberarzt der Klinik.
Dank der verfeinerten Diägnostik, speziell einer tech-
nisch vollkommenen Röntgenphotographie, hat die Chirurgie
der Steinniere im Laufe der letzten Jahre einen immer
größeren Aufschwung genommen; auf die Wahl der Ope-
rationsmethode ist dies jedoch bis vor kurzem ohne Einfluß
geblieben. Die Nephrotumie beherrscht nach wie vor das
operative Feld; sie gilt in Hinsicht auf die vollkommene Er-
reichung des Operationszwecks als die beste und als am
meisten geeignet, mit möglichster Sicherheit die erweiterten
Nierenkelche und das Nierenbecken von eingelagerten Steinen
zu befreien. Erst in allerletzter Zeit haben sich Stimmen
zugunsten der Pyelotomie erhoben, jener Methode, bei der
das Konkrement ohne Verletzung des Nierenparenchyms
durch eine Nierenbeckenineision direkt entfernt wird. Die
Eröffnung des Nierenbeckens zwecks Steinextraktion, 1880
zuerst von Czerny ausgeführt, war sehr bald nach ihrer
Empfeblung wieder in Vergessenheit geraten. Die Gründe,
die diesen Eingriff so schnell von dem Repertoire des Chir-
urgen verschwinden ließen, waren dieselben, die auch heute
noch gegen sie ins Feld geführt werden. Es wird der Me-
thode zum Vorwurf gemacht, daß sie nur in ganz be-
schränktem Maße verwendbar sei (Israel, Kümmell), weil
die Niere sich nicht immer berausluxieren lasse, was für die
Eröffnung des Beckens und spätere Wundversorgung un-
erläßlich, und ferner, weil große Steine durch die Becken-
ineision nicht gut entwickelt werden könnten. Für Steine
im Nierenparenchym soll die Pyelotomie ganz unzureichend
sein. Des weiteren wurden und werden ihr auch heute noch
langwierige Urinfisteln zur Last gelegt; und diese sind es,
die die Methode so völlig in Mißkredit gebracht haben.
Befassen wir uns einmal näher mit den angeblichen
Schattenseiten der Pyelotomie, zuerst mit der begrenzten
Brauchbarkeit des Eingriffs, so läßt sich ganz allgemein da-
gegen sagen, daß sie diese Eigenschaft mit vielen Operationen
an andern Organen teilt, die darum doch ihre dominierende
Rolle in der chirurgischen Technik beibehalten haben. Nur
bei gutbeweglicher Niere und kleinen Beckensteinen soll die
Methode brauchbar sein. Diesen Gründen kann eine stich:
haltige Bedeutung nicht beigemessen werden, denn einmal
scheuen wir uns doch auch an andern Körperteilen nicht, in
gleicher Tiefe exakt zu operieren, und weiter ist zur Erzielung
einer fistellosen Heilung, wie dies Israel, Zuckerkand
und Andere gezeigt haben, durchaus nicht eine exakte Naht
notwendig; das gar nicht oder nur teilweise genähte Nieren-
becken hat ebenfalls gute Heilungstendenz. Auch beträcht-
liche Größe und vielgestaltige Form des Steins bedeutet
meines Erachtens selten eine Kontraindikation gegen diesen
Eingriff; hat doch Garrd ein 135 g wiegendes Konkremen
durch Pyelotomie mit kleiner Nierenincision entfernt, und
auch ich konnte nach Extraktion eines 65 g schweren Bo-
rallensteins, ohne Verletzung von Nierengewebe, prima ii
tentio der Nierenbeckenwunde erzielen. Das Nierenbecken
ist in diesen Fällen stets so erweitert, daß eine lange I
cision ohne Gefährdung der Kontinuität des Beckens gelegt
werden kann. Auch will es mir scheinen, daß bei den mit
ihren Fortsätzen centripetal 'vom Becken in die Kelche aus:
strahlenden Steinen die Extraktion unter Umständen nach
unten leichter und mit weniger Gewebsquetschung ausführ-
bar ist als in entgegengesetzter Richtung, wo die Fortsätze
leicht als Widerhaken wirken. Für die Entfernung em%
sehr großen Steins ist allerdings, das muß zugegeben Wer
den, eine freie Beweglichkeit der Niere erforderlich.
Die Pyelotomie soll dann im Gegensatz zur Nephrotomi®
eine schlechte, für die Entfernung multipler Steine ganz vi
genügende Uebersicht über Becken und Kelche geben, W
damit der Zweck der Operation vereitelt werden.
Es ist klar, daß wir durch eine Oeffnung des Nieren:
beckens nicht in gleichem Maß alle Ecken und Winkel des
weitverzweigten Gebildes übersehen können, wie bei breit!
Spaltung der Niere und auch der tastende Finger ame
vollwertigen Ersatz hierfür darstellt, sodaß die Möglichkel
gegeben ist, Steine zurückzulassen. Doch sind das Bedenken,
deren Bedeutung mehr in die Zeit unvollkommener Rönige"
8. Dezember . |
| f
8. Dezember.
technik fällt. Heute, wo wir dank eines guten Radiogramms
in der Lage sind, Zahl und Größe der Steine zu erkennen
und selbst darüber uns Aufschluß zu verschaffen, ob die
Konkremente in einem begrenzten Raum {Ureter, Nieren-
kelch) wachsen oder frei in einem Hohlraume liegen
(Zuckerkandl), treten wir an die Operation so vorbereitet
heran, daß auch ohne klare Uebersicht, bei genauer Ab-
tastung des Beckeninnera und bimanueller Palpation des
Organs sich alle Konkremente entfernen lassen und die Ge-
- fahr eines Uebersehens von Steinen nicht sehr hoch zu ver-
anschlagen ist. Es sei denn, daß es sich um sehr viel kleine,
über die ganze Niere verbreitete und daher der Zahl nach
nicht bestimmbare Steine handelt. Aber ist denn hier die
Nephrotomie unfehlbar? Wir haben erst kürzlich eine Pa-
tientin beobachtet, bei der nach kunstgerechter Nephrotomie
einige hirsekorngroße, ins Nierenparenchym eingelagerte
Steine zurückgeblieben waren, wie wir post operationem
röntgenologisch feststellen konnten. Gleiche Beobachtungen
finden sich in der Literatur niedergelegt. Greifenhagen
fand in zwei, wenige Monate nach der Nephrotomie unter-
suchten Nieren einen erbsengroßen Oxalat beziehungsweise
linsengroßen Uratstein, und Israel, der eine Niere, aus der
ein großer Korallenstein durch Nephrotomie entfernt war,
14 Tage später exstirpieren mußte, wurde durch ein 1!/ cm
langes, in einem Kelche gelegenes Steinfragment überrascht,
das er bei der Operation zurückgelassen hatte. Makkas
betont mit Recht, daß, wenn unter den wenigen, einer ana-
tomischen Untersuchung unterzogenen nephrotomierten Nieren
auch nur einige übersehene Steine gefunden wurden, dies
kaum als ein außerordentlich seltenes Vorkommen wohl auch
in den geheilten Fällen gelten könne. Unsere Patientin hat
von den radiographisch festgestellten Steinen keinerlei Be-
schwerden gehabt, muß also ohne Röntgenbild als geheilt
gelten. Mit Ausnahme eines von Makkas angeführten
Garröschen Falles, wo einige kleine Steinbröckel abgingen,
bevor definitive Heilung eintrat, finden wir ähnliche Beob-
achtungen bei der Pyelotomie in der neueren Literatur nicht
verzeichnet.
Die Pyelotomie soll ferner zu langwierigen, der Be-
handlung schwer zugänglichen Fisteln führen. So beob-
achtete Schmieden unter 54 Pyelotomien der Schede-
schen Klinik zwölfmal Fistelbildung, das heißt in 22°, der
Fälle, und neuerdings hat Kümmell dasselbe Argument
gegen die Brauchbarkeit des Nierenbeckenschnitts vorge-
bracht. Er sah nach seiner einzigen Pyelotomie, trotz zwei-
facher Naht, eine hartnäckige Urinfistel entstehen, die nach
zeitraubender Behandlung erst durch eine plastische Opera-
‚tion zum Verschluß gebracht werden konnte.
Sind nun überhaupt die Heilungsaussichten einer
Nierenbeckenwunde schlechter als die an andern Geweben?
Unsers Erachtens kann hier ein Mißerfolg nur Folge einer
fehlerhaften Technik sein. Entweder wurde in diesen Fällen
ein Steinverschluß, beziehungsweise Narbenstenose des
Ureters übersehen, oder aber die Schnittrichtung im Becken
war eine falsche und der Schnitt zu nahe dem Ureterostium
gelegen, sodaß die Naht oder spätere Narbenbildung zu
einer Verziehung und Verengerung der Uretermündung ge-
führt hat. Bei unsern zwölf in den letzten anderthalb Jahren
ausgeführten Pyelotomien haben wir nur einmal eine drei
Tage andauernde Urindurchtränkung der Wunde, aber auch
hier keine dauernde Fistel gesehen. Die Heilung fand stets
per primam statt. So haben auch Blum und Ultzmann
bei einer Durchsicht der neueren Literatur unter 118 Fällen
‚Dur fünf finden können, die mit permanenter Fistel aus-
heilten. Nehme ich die in der allerletzten Zeit aus den
Kliniken.von Israel, Garrd, v. Frisch, Zuckerkandl
und Küttner veröffentlichten Pyelotomien und zähle ihnen
die unserigen zwölf hinzu, so verfüge ich über 88 Pyeloto-
mien, ohne eine Fistelbildung. Auch Kasper betont, ohne
die Zahl seiner Operationen anzugeben, daß er nie zurück-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
1985
bleibende Fisteln erlebt habe. Die gleiche Angabe findet
sich in der neuesten Veröffentlichung von Payr. Danach
scheint mir die Furcht vor Fistelbildung nicht mehr be-
gründet zu sein und damit das Hauptargument gegen die
allgemeinere Verwendung der Pyelotomie in Fortfall zu
kommen. Ueberhaupt gewinnt man den Eindruck, daß die
Abneigung gegen die Pyelotomie mehr auf einem Vorurteil
als auf eigenen schlechten Erfahrungen beruht. (Blum und
Ultzmann.) |
Wird der Schnitt unter Vermeidung jeder Gewebs-
quetschung an der Hinterseite des Nierenbeckens so gelegt,
daß er mindestens 1 cm vom Ureterostium entfernt bleibt,
und in einer Richtung, daß auch durch die Naht keine Ver-
ziehung stattfinden kann, und wird vor dem Verschluß durch
Sondierung des Ureters dessen Durchgängigkeit sichergestellt,
so haben wir allen ätiologischen Momenten der Fi.telbildung
vorgebeugt. Eine zweietagige Naht und Sicherung derselben
durch einen Fettlappen der Masse adiposa retrorenalis tut
dann das weitere zu einem voilen Erfolg. Die von Payr
neuerdings empfohlene Lappenbildung aus der Capsula
fibrosa der Niere mag in schweren Fällen sehr günstig
wirken, bedeutet aber für gewöhnlich: eine Komplikation der
Methode. Wir haben stets primär genäht und nie drainiert,
allerdings auch nur an aseptischen oder wenig infizierten
Nieren die Methode in Anwendung gebracht. -
So ist nun auch in den letzten Jahren ein gewisser
Umschwung in der Beurteilung der Pyelotomie eingetreten,
und selbst Israel, der sich in seinem Handbuch der Nieren-
krankheiten noch als Gegner dieser Methode bekannte, läßt
ihr anscheinend mehr Gerechtigkeit widerfahren; hat er
doch unter 229 Steinoperationen 25 Pyelotomien ausge-
führt. In erster Linie aber ist es Garr& gewesen, der
für die breitere Verwendung der Pyelotomie zuerst in seinem
Lehrbuche der Nierenkrankheiten eingetreten ist und dann
durch Makkas die Erfahrungen seiner Klinik und die
Gründe für die Wahl der Methode hat niederlegen lassen.
Ihm schlossen sich v. Frisch, Borelius und Zucker-
kandl an, die der Pyelotomie bei geeigneter Auswahl der
Fälle, entsprechender Technik und Wundversorgung aus-
gezeichnete Erfolge nachrühmen. Desgleichen begünstigte
Kaspar in den letzten Jahren die Pyelotomie wegen ihrer
Gefahrlosigkeit und Küttner sowie Payr stellen der Indi-
kation dieses einzigen, die Niere nur wenig schädigenden
Eingriffs weiteste Grenzen. |
Was hat nun so viele Kliniker und Auch uns dazu
geführt, die Verwendung der jahrzehntelang die Nieren-
chirurgie beherrschenden Nephrotomie einzuschränken und
die alte, lange vergessene Pyelotomie wieder zu ihrem Rechte
kommen zu lassen? Einmal wohl die Einfachheit der
Technik, vor allem aber die Gefahren der Nephrotomie sind
es, die hier bestimmend gewirkt haben. Ich will hier ab-
sehen von den Parenchymschädigungen durch den Nieren-
schnitt, mag er nach Zondek oder Marwedel angelegt
sein. Barth, Kapsamer und Zuckerkandl haben aus-
gedehnte nekrotisierende Infarktbildung und Gangrän beob-
achtet und v. Frisch sah durch keilförmige Nekrose ein
Drittel des gesamten Parenchyms nach der Nephrotomie
zerstört. An zwei von uns 17 beziehungsweise 20 Tage
post nephrotomiam exstirpierten Nieren waren zwar auch
nekrotische Infarkte vorhanden, doch nur in sehr geringem
und im Vergleich zur Größe des erhaltenen ‚Parenchyns
nicht ins Gewicht fallenden Umfange. Auch habe ich, wie
ich seinerzeit an anderer Stelle mitgeteilt, eine nennenswerte
Funktionsstörung an zwei, einem halben und einem Jahre
vorher nephrotomierten Nieren nicht feststellen können.
Dieser Nachteil der Nephrotomie dürfte daher im all-
gemeinen zurücktreten gegenüber der sehr großen Blutungs-
gefahr, die bei keiner Technik anscheinend zu vermeiden ist.
- Hat doch selbst Israel: zwölf beträchtliche Nachblutungen
mit einigen Todesfällen erlebt, das heißt in 9%, aller -seiner
Sp
r e-
> Y
: ging noch am selben Abend zugrunde.
Hier wird die Nephrotomie von großem Nutzen sein, um so
1986 1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49. 8, Dezember,
über viele Jahre, kann bald das eine, bald das andere Initial.
symptom oder gleichzeitig mehrere haben und kann jahrelang den
Patienten in keiner oder nur sehr geringer Weise tangieren. Und
da es sich zuweilen an eine Infektionskrankheit: (Typhus, Poly-
arthritis, Lues, Influenza, Scharlach, Malaria) anschließt, so wird
der Arzt begreiflicherweise geneigt sein, das eine oder andere
thyreotoxische Symptom als Schädigung des vorangegangenen
Leidens anzusprechen.
Es ist nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, wie leicht
durch nicht genügend kritische Würdigung der Symptome eine
Fehldiagnose zustande kommt. So kann eine Forme fruste mit
Tuberkulose verwechselt werden wegen der Temperatursteige-
rungen, Abmagerung, Schweiße, Muskelschwäche, Appetitlosigkeit,
allgemeiner Unruhe, schlechten Einschlafens. Eine Chlorose kann
bei blassen, leicht erregbaren jungen Mädchen mit weicher Struma,
vasomotorischer Reizbarkeit der Haut, rascher Ermüdbarkeit,
Neigung zu Herzklopfen, Kopfdruck vorgetäuscht werden. Ziem-
lich schwierig wird manchmal die Unterscheidung von Neur-
asthenie, Hysterie, sowie von psychopathischen Zuständen, dem
es ist geradezu charakteristisch für die Basedowoide, daß dio
meisten Fälle auf dem Boden einer hereditär-degenerativen Ver
anlagung entstehen. Man wird bei der differentialdiagnostischen
Erwägung genau auf die Anamnese achten, um über frühzeitige
Basedowsymptome etwas zu erfahren und wird eine andauernde
Tachykardie, Tremor, Augensymptome, Abnormität des Gesehlechts-
lebens, verspätetes oder verfrühtes Auftreten der Pubertät, Durch-
fälle, Schweiße, Haarausfall, Pigmentierungen im Zusammenhang
mit einer Struma, die vielleicht erst mit dem Einsetzen dieser
Symptome zutage getreten ist, zugunsten einer Thyreotoxie verwerten.
In zweifelhaften Fällen wird man eine Blutuntersuchung vor
nehmen müssen, um die für Basedow charakteristische Veränderung des
Blutbildes feststellen zu können, wie sie in jüngster Zeit Kocher kennen
gelehrt. Er fand bei seinen Basedowfällen eine ausgesprochene Lympho-
cytose, die als konstanter Befund auch von Audern in über 650, aller
Fälle angegeben worden ist. Diese Lymphocytose hat an sich natürlich
nichts Pathognomisches, wohl aber in Verbindung mit andern thyreo-
toxischen Symptomen.
Die Erfolge der inneren Therapie sind bisher wenig ZI
friedenstellend, sodaß die meisten Internen nach monate- und jahre
langen vergeblicben Bemühungen viele ihrer Patienten wegen be-
drohlicher Symptome dem Operateur überweisen.
Durch die operative Entfernung des größeren Teils der ver
größerten Schilddrüse werden eine große Anzahl Kranker gr
rettet. Bei längere Zeit Erkrankten, die eine erhebliche Alteration
des Herzens erlitten haben oder bei denen Komplikationen MI
Tuberkulose und andere Zustände vorliegen, ist der chirurgisch
Eingriff nicht ohne Bedenken anzuraten. Hier tritt eine konser-
vative Behandlung in ihr Recht, die wir als erfolgreich bezeichan
können, die modifizierte Röntgenbehandiung. Sie ist I
ähnlicher Weise auch von anderer Seite geübt, hat jedoch bisher
unseres Erachtens nicht genügend praktisch-klinische Bedeutung
erlangt. |
So berichtet Schwarz, daß er durch Röntgenstrahlen die Ueber-
funktion der Schilddrüse bekämpft und in 40 Fällen von Basedow Best-
rungen gesehen hat bei einer durchschnittlichen Behandlung von dr
onaten.
Beck hat ebenfalls die X-Strahlen angewandt, Er bestrahlt?
viele Wochen hindurch jeden zweiten Tag fünf Minuten in der erstet
Woche, in der folgenden Woche jeden dritten Tag, und gibt an,
von 15 Kranken nur bei einem einzigen gar keinen Erfolg hatte.
Andere Autoren, wie Stegemann, Kirchl, Widemann, N
usw., haben ebenfalls teilweise recht günstige Resultate verößentli
Ob es sich in allen diesen Fällen nur um vorübergehende Besserung
öder um wirkliche Dauerresultate handelt, geht aus den bisherigen s
öffentlichungen nicht hervor. -i ad
Recht interessant und von ganz besonderer Bedeutung ist ae
unsern Erfahrungen, was Simon über den Wert der Röntgenthers?"
im Anschluß an einen von ihm mit Erfolg behandelten Fall von: re
thyreoidismus berichtet hat: Eine Dame mit Forme fruste war on! 7
bar nach einmaliger Joddarreichung unter sehr schweren Erscheinung
von akutem Jodbasedow erkrankt. Simon leitete, da alle andern =
nahmen versagten, die Röntgenbehandlung ein und erzielte sofort j
so eklatanten Erfolg und nach einigen weiteren Sitzungen ein a Hi
schreitende Besserung, daß an dem durch die Bestrahlung erzielten
effekt kein Zweifel sein kann. en da8 DD
‚. _ Dieses Resultat stimmt mit unseren Erfahrungen überein, And di
mit der Jodtherapie bei Basedow sehr vorsichtig sein Soll UN, + be
X-Strahlen sowohl bei der Therapie des Jodbasedow, We üborhaup
Basedow eine hervorragende Rolie zu spielen berufen sind. and
Ein Fortschritt für die Behandlung von tief liegenden Ohr
Nephrotomien. Pleschner hat aus der Kasperschen Klinik
über drei Fälle mit einem Todesfalle berichtet und Zucker-
kandl über zwei schwere Blutungen, von denen eine am
Tage der Operation den Tod der Patientin herbeiführte.
v. Haberer mußte nach probatorischer Durchschneidung
einer Niere wegen lebenbedrohender Blutung nephrektomieren,
und ähnliches haben die meisten Chirurgen erlebt (Küm-
mell, Makkas, Payr). Auch unter unserm Material finden
sich vier schwere Blutungen, von denen eine unmittelbar im
Anschluß an die Operation, die drei andern als ausgesprochene
Spätblutungen sich einstellten; die letzte von diesen aller-
dings nach einer atypischen Nierenspaltung.
1. D., 21jähriger Mann, Extraktion eines Steins durch Nephro-
tomie. Drainage des Nierenbeckens. Abends Nachblutung, die auf Tam-
ponade steht. Am 20. Tage post operationem abundante Blutung aus der
Nierenwunde, die durch Tamponade nicht beeinflußt wird. Daher Nephr-
ektomie. Heilung.
2. S., 36jähriger Mann. Extraktion eines Uretersteins durch
Nephrotomie. Drainage des Nierenbeckens. Am sechsten Tage schwere
Blutung aus der Wunde. Tamponade, Blutung steht. Am zwölften Tage
wiederum abundante Blutung, die auf Tamponade steht. Fünf Tage
später, also am 17. Tage post operationem schwere Blutung, die zur
Nephrektomie bei dem pulslosen Patienten zwingt. Heilung.
3. G., 82jähriger Mann. Zuerst rechtsseitiger paranephritischer
Absceß, dann wegen linksseitigen Abscesses Eröffnung und Incision eines
etwa walnußgroßen, von kleinen Abscessen durchsetzten Nierenbezirks.
27 Tage nach der Operation, nachdem die Wunde bereits bis auf einen
schmalen Granulationsstreifen verheilt, schwere Blutung in die Blase.
Freilegung der Niere, Umstechung eines klutenden Gefäßes. Eine Seiden-
ligatur wird als lose Schlinge um den Nierenstiel gelegt. Da die
Bene nach einigen Tagen von neuem einsetzt, wird die Niere ligiert.
eilung.
2. Frau M.. 28 Jahre. Wegen linksseitiger Hämaturie wird
nephrotomiert; da der erwartete Stein nicht gefunden wird, foste Ver-
näbung der beiden Nierenbälften mit tiefen Catgutnähten. Drei Stunden
später heftige Blutung in die Blase, die trotz interner Mittel nicht steht.
Da die Patientin verfällt, Nepbrektomie. Die sehr anämische Patientin
Diese Erfahrungen haben uns mit erschreckender Deut-
lichkeit gelehrt, daß die Nephrotomie keineswegs als un-
fährlicher Eingriff zu gelten hat, vielmehr, wie Zucker-
kandl mit Recht betont, den schwersten, der an der Niere
möglich ist, darstellt. Wir haben es uns zur Pflicht ge-
macht, überall, wo irgend angängig, die gefahrlose und viel
konservativere Pyelotomie zur Entfernung von Nierensteinen
zu verwenden. Die Nephrotomie dagegen ist für die wenigen
Fälle zu reservieren, in denen das Nierenparenchym selbst
multiple Steine enthält oder so verändert und von Abscessen
durchsetzt ist, daß, falls die Ektomie überhaupt noch zu um-
gehen, die breite Aufklappung der Niere allein Heilung der
noch reparablen Veränderungen bringen kann und ander-
seits die Entfernung der verbreiteten Steine ermöglicht.
mehr, als mit zunehmender Indurierung des Nierengewebes
auch die Gefahr der Blutung abnehmen dürfte. Mit diesen
Einschränkungen aber soll die Pyelotomie die vorherrschende
Methode in der chirurgischen Behandlung der Steinkrankheit
werden.
Röntgentiefenbestrahlung der Schilddrüse bei
Basedowscher Krankheit
von
San.-Rat Dr. Schüler und Dr. Rosenberg, Berlin-Friedenau.
Unter dem großen Heere der als Basedowkrankheit bezeich-
neten Leiden wird man praktisch den typischen und den atypischen
Basedow auseinanderhalten, ohne natürlich zu vergessen, daß zahl-
reiche Uebergänge aus der einen in die andere Form vorkommen.
Während der echte Basedow selten diagnostische Schwierigkeiten
bietet, kann der symptomenarme, unvollkommene unter Umständen
lange Zeit verkannt werden, obgleich eine darauf gerichtete sorg-
fältige Untersuchung meist schon Klarheit bringen kann.
Das Basedowoid findet sich oft schon bei jugendlichen
Individuen, beziehungsweise wird der Beginn anamnestisch be-
sonders in die Zeit des Schulbeginns beziehungsweise der Pubertät
verlegt; es nimmt einen schleichenden, fast unmerklichen Verlauf
auch für die Basedowtherapie trat ein, als Dessauer vor Alf 8
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49. 1987
das Problem der Röntgentiefenbestrahlung (sogenannte Homogenbestrahlung)
seiner Lösung ziemlich nahe brachte.
Die Methodik der Bestrahlung in die Tiefe hat zu zahl-
reichen Versuchen angeregt, die aber wenig erfolgreiche Ergeb-
nisse zeitigten. So kam eine Zeit scheinbaren Stillstandes, bis in
letzter Zeit die Sache wieder besonders durch die Gynäkologen
einen Antrieb erhielt.
Es sind im letzten Jahre besonders von Krönig, Veit, Fränkel,
Wetterer und Anderen erfreuliche Resultate der Röntgentiefenbestrahlung
besonders bei gynäkologischen Leiden und tuberkulösen Prozessen be-
richtet worden, sodaß schon heute manche Operation durch diese Therapie
abgelöst werden kann. Allerdings muß dabei an die Ausführungen von
Albert-Schönberg, H.Schmidt (Berlin), ebenso an die von Immel-
mann erinnert werden.
Was die in der Schülerschen Anstalt geübte Technik betrifft,
so ist sie mühsam und zeitraubend für den Arzt, denn er muß bei den
meist ziemlich langen Sitzungen, die bei großen derben Strumen bis auf
1!/2 Stunden!) ausgedehnt werden, dauernd die Apparate und Patienten
kontrollieren und häufig psychisch auf die durch das lange Verweilen im
Dunklen erregten Kranken einwirken. Die nicht zu bestrahlenden Körper-
stellen werden mit Bleigummi sorgfältig bedeckt, ebenso muß sich der
Arzt ganz besonders gegen die von hinten kommenden Sekundärstrahlen
durch doppelte Schutzwände schützen. Die Bestrahlung der Schilddrüse
findet abwechselnd von vorn und von beiden Seiten statt. Die Dauer
der Sitzung wie auch die Anzahl der Sitzungen hängt von der Schwere
des Falles ab und von der Größe und Härte der Geschwulst.
Bei täglicher Behandlung erzielten wir im Durchschnitte nach drei
Wochen den gewünschten Effekt; in vereinzelten Fällen waren aber auch
30 bis 35 Behandlungstage notwendig. Bei etwa 830°, der Fälle mußte
nach einigen Monaten eine zweite, in zwei Fällen sogar eine dritte Kur
wiederholt werden, die aber dann die Hälfte der oben angegebenen Be-
handlungsdauer in Anspruch nahm.
Eine Einwirkung der Lichtenergien zeigte sich mit der
Tiefenbestrahlung bei fast allen Kranken schon nach sechs bis
acht Sitzungen.
Die meisten Patienten wurden sehr bald ruhiger und zu-
friedener, fanden leichter Schlaf, der Appetit hob sich. Gewiß
spielen hier auch suggestive Einflüsse mit, aber dem subjektiven
Wohlbefinden folgt der objektive Nachweis, daß die schwere Er-
krankung nachläßt und allmählich mehr und mehr schwindet. So
konnte man ein langsames Weichwerden der Struma, dann eine
Verkleinerung, ferner eine ruhigere Herzaktion, Schwinden des
Tremors, von bestehenden Durchfällen, Schweißen, Gewichtszunahme
feststellen. Auch die Augensymptome traten in den meisten
Fällen teilweise zurück, allerdings oft erst nach längerer Zeit, wie
ja der vollständige Heileffekt meist erst sechs bis zehn Wochen
nach Beendigung der Kur eingetreten ist.
Die Genesung verlief in einigen Fällen nicht so ganz ungestört,
sondern es traten nach Erweichung und Zerfall der kranken Drüsenzellen
infolge vielleicht zu schneller Resorption der wahrscheinlich toxisch
wirkenden Substanzen Temperatursteigerungen und Unbehagen für einige
Tage auf, aber der Körper wurde stets mit diesen Stoffen ohne irgend-
wie nachweisbare Schädigung der Nieren oder anderer Organe fertig,
wenigstens haben wir keinerlei Beeinträchtigungen dadurch selbst nach
der jahrelang zurückliegenden Kur beobachtet. Die Behandlung brauchte
übrigens in diesen Tagen nicht unterbrochen zu werden, auch niemals,
wie nebenbei bemerkt sei, zur Zeit der Menstruation.
Von den 120 Kranken, die wir mittels Homogenbestrahlung
behandelt haben, sind zirka 50°), zu vollständiger Heilung gelangt,
wobei wir unter Heilung nicht nur das Schwinden der Symptome,
insbesondere auch ein fast vollständiges Zurückgehen der Struma
verstehen, sondern auch das Ausbleiben eines Rezidivs nach nun-
mehr drei bis vier Jahren.
Eine ganz bedeutende Besserung — subjektiv wie objektiv
— bei Persistenz eines Teils der harten Geschwulst erreichten
wir etwa in 25°), der Fälle und bei dem Rest unserer Kranken
sind wir nicht zum Ziele gekommen, jedoch aus Gründen, die
keinesfalls immer der Methode zur Last gelegt werden können.
Bald sind es besonders schwierige Patienten gewesen, die infolge
ihrer Psychopathie unberechenbar in ihren Launen und wider-
spenstig waren, bald verlor mal einer die Geduld, bald waren auch
äußere Einflüsse im Spiel, und schließlich kamen auch Komplika-
tionen vor, die eine Unterbrechung der Behandlung bewirkten.
Unzweifelhaft waren darunter aber auch Fälle, bei denen das
Messer sicherer oder vielleicht einzig und allein zum Erfolge ge-
führt hätte. Anderseits darf man nicht außer acht lassen, daß
gerade unter diesen letzten 25°/, unserer Kranken, unsern „Un-
geheilten“, sich zum größten Teil Fälle befanden, welche die
!) In letzter Zeit haben wir es durch technische Verbesserungen
des Instrumentariums erreicht, daß wir bei nicht zu weit vorgeschrittenen
ällen mit einer Bestrahlungsdauer von einer Stunde auskommen.
schlechtesten Chancen für eine Heilung bieten. Wir müssen daher
die gleiche Forderung, wie sie jüngst Riedel (Jena) zur Er-
reichung günstiger Resultate für die Chirurgie der Basedowfälle
aufstellt, auch für die Radiotherapie erheben, nämlich die früh-
zeitige Behandlung. Dann wird eine spätere Statistik noch deut-
licher für die Methode sprechen.
Wenn wir auch den Hauptwert auf die Homogenbestrahlung
legten und durch diese vor allem die Verkleinerung der Drüse er-
reichten, so ist es selbstverständlich, daß wir auch sonst die Pa-
tienten behandelt haben. Wir haben psychisch auf die Kranken
eingewirkt, haben die Lebensweise geregelt und uns durch Ein-
gehen auf die Familienverhältnisse bemüht, ihnen erregende Ein-
flüsse im Hause und außer demselben fernzuhalten; wir haben
eiweißarme Diät verordnet und unterstützten durch physikalische
Hilfsmittel die Behandlung. Außer mit milder Hydrotherapie, Eis-
kompressen auf die Struma, haben wir alle Basedowfälle durch vor-
sichtige d’Arsonvalisation des Herzens vielfach beruhigen können.
Auf die Drüse selbst haben wir mit hochfrequenten Strömen
(„große Funken“) eingewirkt, dadurch die Tiefenbestrahlung unter-
stützt und vielleicht die Erweichung der Struma gefördert, ein
Resultat, das auch von anderer Seite bei der Tumorenbehandlung
mit hochfrequenten Strömen erzielt worden ist!).
Von Arzneien haben wir besonders Arsen und Antithyreoidin
angewendet; letzterem möchten wir eine ganz besondere Rolle ein-
räumen. Wir haben den Eindruck, daß es, während einiger Wochen
in kleineren Dosen während der Kur verabreicht, die Radiotherapie
unterstützt.
Als Nachkur rieten wir prophylaktisch zu einem mehr-
wöchigen Aufenthalt im Mittelgebirge und zu körperlicher und
psychischer Schonung für mehrere Monate. Diese Vorsicht ist ge-
boten aus der einfachen Ueberlegung, daß alle solche Geheilten,
deren Nerven jahrelang auf eine erhöhte Erregbarkeit eingestellt
waren, noch längere Zeit gewissermaßen in einem labilen seelischen
Gleichgewicht sich befinden und deshalb eine längere ruhige Ueber-
gangsperiode zum Beruf unbedingt haben müssen. i
Auf einen Punkt möchten wir mit Nachdruck hinweisen.
Bei der Wirksamkeit der Tiefenbestrahlung sollte man grundsätz-
lich bei den Rezidiven nach Strumektomien die Indikation einer
Nachoperation abhängig machen von einer erfolglosen Homogen-
bestrahlung.
Zum Schlusse noch einige Krankengeschichten. Wir erwähnen
zunächst vier Fälle, die schwere Krankheitserscheinungen darboten und
wo vor allem das Herz stark in Mitleidenschaft gezogen war; der Krank-
heitsbeginn lag ausnahmslos mehrere Jahre zurück.
Fall 1: 88jährige Hausdame, zeigte das Bild kolossaler Er-
schöpfung, war gezwungen gewesen, ihren schweren Beruf aufzugeben.
Vor acht Jahren wurde ärztlich Basedow mit Herzerweiterung festgestellt.
Als sie 1908 in Behandlung kam, bestand so erregte Herzaktion,
daß sie nicht schlafen konnte.
Erhebliche Anschwellung aller drei Schilddrüsenlappen, Konsistenz
mittelhart, größter Umfang 39 cm. Es bestand auffallender Exophthalmos,
Zittern der Hände und Füße, letztere geschwollen. Es bestand Kurz-
atmigkeit, das Sprechen wurde schwer, erhebliche Abmagerung.
Bekam 35 Tiefenbestrahlungen hintereinander mit 1!/sstündiger
Dauer. Zuerst beruhigte sich das Herz. Dann besserten sich auch bald
die andern Beschwerden, es ging schließlich auch der Exophthalmos
zurück, und jetzt nach vier Jahren berichtet sie auf unsere Anfrage: Die
Schilddrüse sei ganz normal. Sie habe bedeutend an Gewicht zugenommen,
ihr Herz sei ruhig, ein früher oberhalb des Knöchels bestandenes Bein-
geschwür sei nach Eintritt der Heilung ebenfalls geschwunden; sie fühle
sich vollkommen gesund und habe ihren Beruf aufgenommen.
Fall 2: 30 Jahre altes Fräulein. Ziemlich bedeutendes Struma,
größter Umfang 89 cm, mäßiger Exophthalmos, starke Herzdilatation.
Machte zwei Kuren durch. Zuerst 30, dann drei Monate später
12 Bestrahlungen. Nach der zweiten Kur wird sie als vollkommen ge-
heilt entlassen. Jetzt, drei Jahre nach unserer letzten Behandlung
schreibt sie auf unsere Aufforderung: sie fühle sich wieder vollkommen
gesund und stehe in anstrengender geistiger und körperlicher Arbeit.
Fall 3: 42 Jahre alt, Direktrice eines großen Geschäftshauses. Die-
selben Symptome wie Fall 2. Erhielt ebenfalls in zwei Abteilungen
42 Homogenbestrahlungen. Erfolg vollkommen.
Fall 4: 38jährige Wirtschafterin. Seit zehn Jahren schilddrüsen-
krank, starke Herzerweiterung, Exophthalmos. In diesem Falle waren
drei Kuren nötig; die erste bestand in 35, die zweite in 20 und die
dritte in 12 Bestrahlungen.
Nach der letzten Behandlung Schwinden aller Krankheitserschei-
nungen, vollkommenes Wohlbefinden.
Fall 5: Betrifft eine nicht vollkommene Heilung in unserm Sinne,
Es handelt sich um eine 25 Jahre alte Dame, bei der die Menses seit
!) Müller-Immenstadt, M. med. Woch. 1912, Nr. 28,
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember,
etwa 11/a Jahren zessiert hatten und bei der alle vier Wochen Capillar-
blutungen an der Oberfläche auftraten; sonst die üblichen Symptome. Ein
Jahr vor der Kur wurden von anderer Seite 500 Antithyreoidintabletten
T 0,5 gegeben (starke Vergiftungserscheinungen).
Nach 30 Homogenbestrahlungen innerhalb fünf Wochen trat sub-
jektiv und objektiv Besserung ein. Ein halbes Jahr später teilte Pa-
tientin mit, sie habe 25 Pfund an Gewicht zugenommen, die Menses
seien zurückgekehrt, das Herz sei ruhiger und kräftiger, aber die Drüse
sei noch immer geschwollen. Eine zweite Kur von 12 Bestrahlungen be-
wirkte eine weitere Verkleinerung der Struma. Der spätere Rat, durch
eine dritte Behandlung den Rest der Struma zu beseitigen, wurde von
ihr abgelehnt mit dem Hinweise, es ginge ihr sehr gut, sie habe 15
weitere Pfund zugenommen, sodaß also für sie keine Veranlassung zur
dritten Behandlung vorliege. (Schluß folgt.)
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Wien.
(Vorstand: Hofrat Prof. Hochenegg.)
Klinische Studien über Kropfoperationen nach
600 Fällen
von
Dr. Fritz Demmer, Assistent der Klinik.
(Fortsetzung aus NT. 48.)
Unter den Veränderungen, welche durch Druck an den ein-
zelnen Organen des Halses erzeugt werden, sind die wichtigsten
die der Luftröhre, Nicht alle nachweisbaren Veränderungen der
Luftröhre aber machen den Patienten Beschwerden. So konnten
wir in 67 Fällen deutliche Veränderungen im Sinn einer Deviation
oder Kompression mittleren Grades an der Luftröhre feststellen,
während die Patienten über keinerlei Atembeschwerden klagten.
In der überwiegenden Mehrzahl (508) fanden sich die typischen
Angaben der Atmungsbebinderung, am häufigsten von der Art der
Arbeitsdyspnöe. Hierbei ließen sich aber oft bloß geringere Ver-
änderungen als oben erwähnte feststellen, ja manchml (in 76 Fällen)
konnten alle uns zu Gebote stehenden Mittel für die Untersuchung
der Luftröhre keine Veränderungen im Sinn einer Verengerung
oder Verlagerung als Grund für die Atembeschwerden finden, wie-
wohl solche von den Patienten auf ihren Kropf bezogen wurden.
Erstickungsanfälle wurden siebenmal angegeben, vier Patienten da-
von kamen im Anfalle zur dringlich indizierten Operation. Ferner
ist noch die Angabe von sieben Patienten bemerkenswert, daß sie
gerade im Liegen oder aus dem Schlafe heraus plötzlich an Atem-
not zu leiden hatten und ersticken zu müssen glaubten.
In der Erklärung der Differenz zwischen objektivem Befund
und subjektiven Beschwerden müssen wir bei jenen Fällen von
beschwerdelosen, nachweisbaren Stenosen annehmen, daß eine Kom-
pensation gegenüber dem jedenfalls behinderten Lufteintritte durch
Aenderung des Atmungstypus eingetreten ist, insofern sich die
Patienten gewöhnt hatten, merklich tiefer und weniger häufig zu
atmen. Gegenüber diesem ungewöhnlichen Verhältnis ist es noch
auffallender, daß wir unter den oben angeführten Fällen Atem-
beschwerden ohne jegliche nachweisbare Stenose finden. Hier er-
gab die weitere Untersuchung nervöse Zustände, oder — wie in
den meisten Fällen — Veränderungen des Herzens, wodurch prä-
kordiale Angstgefühle mit kardialer Dyspnöe auftraten. Die Be-
dingungen, durch welche die akuten Erstickungsanfälle, wie die
während der Ruhe plötzlich aufgetretenen Beschwerden zu erklären
sind, seien hier besonders erwähnt. Vor allem konnten wir hier
dauernde schwere Veränderungen der Luftröhre feststellen, welche
durch ihre Funktionsstörungen die Grenze der Kompensation
zwischen Atmungs- und Herztätigkeit bedingten, sodaß eine ge-
ringe weitere Veränderung die bedrohlichsten Erscheinungen her-
vorrufen mußte. Die Luftröhre war in ihrer Gestalt verändert,
enge, spaltförmig, säbelscheidenförmig in ihrem Lumen zusammen-
gedrückt oder sie war in den schlimmsten Fällen in ihrer Wand
atrophisch weich oder durch konstanten Druck bindegewebig-häutig,
sodaß die geringste Lageänderung der Wände eine Suffokation
“leicht erklären ließ.
Die Erweichung der Trachealwand kann nach der Strum-
ektomie einerseits Grund zur Tracheotomie werden, da die aus
dem starren Kropfkanale gelöste Trachea kollabiert, anderseits das
Decanülement nach einer Tracheotomie unmöglich machen. Zwei
derartige Fälle konnten wir beobachten. In dem einen wurde
wegen hochgradiger Kompression in einer Länge von zirka 6 cm
die Trachea einseitig freigelegt. Die Patientin mußte wegen
Suffokationserscheinungen (nach Erbrechen und tiefen Inspirationen)
am selben Tage tracheotomiert werden, und war das Decanüle-
ment nach vier Wochen möglich, nachdem sich günstige Narben-
verhältnisse gebildet hatten, welche die weiche Luftröhre aus-
gespannt hielten. Die zweite Patientin, bei welcher wegen beider-
seitiger Kompression beiderseits die Trachea freigelegt wurd,
mußte noch während der Operation tracheotomiert werden (Tracheo-
tomia inf.) und blieben die Versuche des Decanülements auch nach
erfolgter Heilung vergeblich; Patientin lebte 21/, Jahre mit der
Kanüle und starb außerhalb des Spitals an einer Pneumonie. Die
plötzlichen Beschwerden aus der Ruhe heraus wie bei Rückenla
finden aber auch noch eine besondere Erklärung aus den ver
änderten Circulationsverhältnissen.
. C. Ewald (7) wies auf die. oft hochgradigen Beschwerden hin,
welche schon durch ganz kleine Knoten verursacht werden können, Rr
fand bei seinen Untersuchungen eine Umschnürung der Trachea durch
besonders kräftiges, viele elastische Fasern führendes Bindegewebe, welches,
von dem peritrachealen Gewebe ausgehend, einerseits Schleifen in der
Kropfkapsel bildete, anderseits einen festen Ring um die Trachea zog,
sodaß ein wachsender Kroptknoten durch diese Bindegewebsschleifen. die
Duftröhre drosseln konnte oder sich selbst in die Wand derselben
hineinpreßte.
Während diese mechanische Erklärung der Stenosenbildung
jener durch direkten Druck in den Fällen von Atembeschworden
bei erst beginnender Knotenbildung zu Hilfe kommt, ist die Beob-
achtung der besonderen Verhältnisse der Circulation im peri-
trachealen Gewebe und der Trachealschleimhaut hier von wesent-
licher Bedeutung. Die Blutgefäße der Trachea in ihrem Hals-
stücke stammen von Aesten der Arteria thyreoidea inf., welche
zarte Gefäßkränze um jedes Ligamentum annulare zwischen je
zwei Knorpelringen bildet, die außerdem untereinander Anast-
mosen bilden. Die Ausbreitungsgebiete der kleinen die Tracheal-
wand durchbohrenden Endarterien sind unregelmäßig begrenzte
Maschen, welche ihr venöses Blut wieder zu den Venae thyre-
ideae schicken, die sich in einem starken Venengeflechte sammeln
und an der Vorderfläche der Trachea herabsteigen, um sich mit den
tiefen Halsvenen in der Höhe der Thoraxapertur zu vereinigen. Eins
rasch zunehmende Verengerung eines Trachealquerschnitts ist nun
leichter verständlich, wenn wir beobachten, wie einerseits der ge-
samte venöse Abfluß durch die Unterbringung größerer Kropi-
massen im Halsraum erschwert ist, anderseits aber durch die
Kompression und die straffe Umschnürung der durch das peri-
tracheale Gewebe abfließenden Schleimhautgefäße besonders die
Trachealschleimhaut Stauungen erfahren kann. Diese bedrohliche
Zustände können nun besonders dann rasch eintreten, wenn die
Cireulation bei einer geringeren vis atergo — einem geringeren
Blutdruck im Schlafe — oder wenn der Abfluß durch eine ur
günstigere Lage — horizontale Rückenlage — vermindert viri.
Im Anschluß an diese Fälle sei noch das Emphysem dr
Lunge erwähnt, welches wir bei schwereren Trachealstenosen durch
forcierte Atmung als indirekte Druckwirkung eines Kropfes 19 nal
beobachteten; viermal von diesen bei obigen Erstickungsanfälle
im Schlafe. Es ist dies ein weiteres Moment, welches die Kom-
pensation der Atmung bedeutend labiler macht, indem hierbei die
exspiratorische Kraft des Lungenparenchyms gegenüber dm
Hindernis in der Trachea wesentlich herabgesetzt ist.
Ueber das Verhältnis der angegebenen Beschwerden zu den vr
gefundenen Trachealveränderungen und der Art der Kröpfe gibt m
besten folgende Tabelle eine Uebersicht:
Past
Atem- z ; ash
Trachealhefund beschwerden a F un Oysten vast
mit | ohne —
S | gi?
Normal. 2 aaa 101| 76 25 87 10 93
säbelscheidenfürmig . . |148 a | m | 6.:
einseitig seitlich . . . . {192 38 94 a
einseitig frontal . . . . | 38 5 H m
„| retrotracheal . . . . . 3 1 2 |
o) EE o) konvex 3192 9 4 gi
F BABRI vinklig .... 3 Ä
un ;
AS ; |
> atrophisch . . . | 3 3 |
EKE häufig... . . . 13 Bo 5
g
Deviation ohne Stenose . . | 32| 82 | 2 | 2
Summe . . [600| 508. | E | |
v obiek
Wir sehen hier unter 600 Fällen 499 (400 +32 + en
tiven Veränderungen der Luftröhre, welchen nur 434m hwerdelos
von Beschwerden entspricht, während 67 Fälle davon A mal über
waren; dagegen 101 objektiv normale Spiegelbefunde, wo " jedes
Atembeschwerden geklagt wurde. Deviationen allein finden Worin derung
mit Atembeschwerden verbunden in 82 Fällen. Die Form ee g $i
steht in einem gewissen Verhältnis zu der Art des Krop io) und der
die exzessiven Formen der säbelscheidenförmigen (148 F
mu — ea ne i
\
s. =
a, Ze m
re A u
_—
ve,
8. Dezember.
einseitigen (192 Fälle) Verengerung, hauptsächlich auf kolloide (106 be-
ziehungsweise 94) und cystische Kröpfe (16 beziehungsweise 64) zu be-
ziehen, ebenso die Deviationen des Trachealrohres, während die weicheren
Kropfentartungen, Adenome und parenchymatös-vaskuldse Kröpfe, seltener
schwerere Kompressionen verursachen.
Von den Untersuchungsmethoden für die Veränderungen der
Trachea erwies sich in schwierigen Fällen das Röntgenbild als
souveränes Verfahren gegenüber den laryngoskopischen Spiegel-
befunden. Letztere konnten bei Fällen von Verlagerung oder
Wandveränderungen verschiedener Querschnitte nur die Verände-
rungen der obersten Querschnitte angeben, die tiefsitzenden Ste-
nosen hingegen mangels genügenden Gesichtsfeldes nicht mehr
sicher feststellen. Die Tracheoskopie sec. Brumings aber war
gewöhnlich in diesen Fällen wegen der Reizung der Tracheal-
schleimhaut vor der Operation kontraindiziert. Als Regel galt,
einen jeden Patienten einer genauen laryngotrachealen Unter-
suchung zuzuführen, mit Ausnahme jener Fälle, wo die Angaben
des Patienten oder der klinische Befund eine Veränderung voll-
kommen ausschließen ließen oder die Dringlichkeit der Operation
dieses Hilsmittel nicht mehr erlaubte?).
Ein weiteres Organ, welches unter der Beengung des Hals-
eingeweideraums durch einen Kropf zu leiden hat, ist der Oeso-
phagus. Es sind aber hier die Störungen nicht so hochgradig
und es entstehen auch keine bleibenden Veränderungen, da sich
das Schlundrohr als muskulöser Schlauch den verschiedenen
Raumverhältnissen leichter als das halbstarre Rohr der Trachea
anzupassen oder auszuweichen vermag und die Beengung nur beim
Schlucken bemerkt wird, wo eine breitere Contractionswelle mit
dem Bissen passieren muß. Ueber derartige Schluckbeschwerden
klagten 73 unserer Patienten, und zwar nicht nur solche mit be-
sonders großen, eingekeilten Kröpfen, in welchen Fällen wohl die
größere Widerstandskraft der einzelnen fixierenden Gewebe die
Beschwerden erklärt. Gewiß ist auch hier die lokale Stauung in
vielen Fällen von Bedeutung, welchen Einfluß veränderter Circula-
tion wir an sekundären Schluckbeschwerden besonders häufig die
ersten Tage nach der Operation bemerken konnten, wo eine
stärkere lokale Hyperämie diesen Zustand bedingte. Zwei Fälle,
bei welchen Lagerung und Motilität des Kropfes eine besondere
Bedeutung für Trachea und Oesophagus erlangten, seien hier kurz
beschrieben:
Barbara Sch., 57 Jahre alt, hat seit sechs Jahren einen Blähhals
ohne Beschwerden. Seit einem halben Jahre rascheres Wachstum, beson-
ders im untersten Teile des Kropfes, und Beginn von Atemnot und
Schluckbeschwerden. Es zeigt sich der Hals diffus verbreitert, die ster-
nalen und supraclaviculären Venen stark erweitert. Dyspnöe, Unvermögen,
feste Nahrung zu schlucken. Die Trachea vom zweiten bis sechsten Ring
frontal spaltförmig verengt. Bei der Operation findet sich eine gefäß-
reiche, stark gestaute Kropfkapsel. Die Hypertrophie besonders im
rechten Lappen und Isthmus. Nach der rechtsseitigen Halbseitenexstir-
pation und der Resektion des Isthmus findet sich noch ein ganz selb-
ständiger, von dem rechten Lappen durch eine eigne Bindegewebskapsel
getrennter, il/afaustgroßer Knoten, welcher ins Mediastinum reichend
zwischen Trachea, diese an der Hinterwand stark vordrängend, und Oeso-
phagus liegt, wobei letzterer ziemlich fest an die Kapsel fixiert ist und
dem Drucke gegen die Wirbelsäule schwer entweichen kann (Enucleation
des Knotens). Da der Knoten eine eigne Kapsel und eine Arteria thy-
reoidea propria besitzt, ist er als Struma aberrans zu bezeichnen.
Franz G., 19 Jahre alt, hat seit seinem zwölften Jahre einen Bläh-
hals. In den letzten Jahren traten plötzliche Beschwerden von äußerster
Atemnot und starkem Angstgefühle bei völligem Unvermögen zu
schlucken auf, wobei Patient als Grund stets eine Art von Verschlucken
angibt, welches den Zustand auslöst. Die Operation besteht in der Enu-
cleation eines hühnereigroßen Adenomknotens, welcher vom Unterhorn
ausgeht und an einem Stiele nach oben bis zur Cartilago thyreoidea, nach
unten bis unter das Schlüsselbein in die Thoraxappertur gut beweglich
ist, wo er sich infolge seiner Form fest einkeilen und dadurch jene be-
drohlichen Symptome hervorrufen konnte. Temporäre Incarceration
einer Struma mobilis.
Oben wurden schon die mechanischen Einflüsse eines Kropfes
auf die Nerven des cutanen Cervicalgeflechts und den Nervus
recurrens durch Verziehung erwähnt. Diesen ist noch die Druck-
wirkung gegen die feste Unterlage der Halswirbelsäule zuzufügen
und der Einfluß auf die hier dazwischenliegenden Nerven wie die
Aeste des Plexus brachialis, den Sympathicus, den Recurrens und
Vagus. Störungen im Plexusgebiete konnten wir als ziehende und
reißende Schmerzen im ganzen Arme viermal verzeichnen, wobei
sich auch in einem Falle Parästhesien fanden. Ein sehr deutliches
') Es wurden von der I. laryngologischen Klinik des Hofrats Prof.
Dr. Chiari ‚544 Spiegelbefunde erhoben, für welche Bemühungen seitens
unserer Klinik an dieser Stelle der verbindlichste Dank ausgesprochen wird.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
T nn nn a a nn nn nn nn nn nn nn na ne
1989
Merkmal für Druck auf den Sympathicus sahen wir in sieben
Fällen in der Veränderung der dem Kropfknoten gleichseitigen
Pupille, wodurch oft große Pupillendifferenzen entstanden waren.
Die Einwirkung war nach Dauer und Kompression eine verschie-
dene, indem in fünf Fällen die Erweiterung der gleichseitigen
Pupille auf eine Sympathicusreizung (Dilatatorwirkung) schließen
ließ, während in zwei Fällen lange bestehender Struma mit
schweren Kompressionserscheinungen eine Myosis auf Lähmung
der betreffenden Sympathicusfasern hindeutete. Eine andere Art
gestörter Sympathicuswirkung war bei zwei Fällen zu beobachten,
indem eine auffallende Differenz der Vasomotorenfunktion der
beiden Gesichtshälften vorlag, sodaß einseitige Blässe gleichseitig
mit dem Kropf eine Reizung der Vasoconstrictoren anzeigte. Ein
Patient klagte ferner über Brennen im linken Auge bei stetem
Tränen desselben; vom Ophthalmologen wurde mangels anderer
Erscheinungen eine Reizung der sekretorischen Sympathicusfasern
der Tränendrüse durch den gleichseitigen Kropfknoten angenommen.
Von 544 laryngologischen Befunden vor der Operation er-
gaben 14 eine sichtbare Störung in der Funktion des Nervus
recurrens, während diese Patienten über keine Beschwerden dieser
Art klagten. Davon waren zwölf einseitige und zwei beiderseitige
Läsionen verschiedenen Grades vorgekommen. Siebenmal zeigte
sich eine Parese des einen Stimmbandes, fünfmal eine einseitige
Paralyse, zweimal kamen doppelseitige Paresen vor. In den Fällen
von Parese zeigte sich eine Abductionshemmung, während die
Adduction vollkommen erhalten war; dies ungleiche Verhältnis der
ausfallenden Funktion der Antagonisten, welche von einem Nerven,
dem Laryngeus inferior, mit seinem Ramus anterior und posterior
innerviert werden, zeigte sich auch bei der Schädigung höheren
Grades, der Paralyse, wo die Intention der Adduction als letzter
Rest der motorischen Tätigkeit des Nerven in einigen Fällen ge-
blieben war. Dies Verhalten erklärt uns das anatomische Verhält-
nis der Kehlkopfmuskulatur und ihrer Innervation. Die anatomische
Mittellage der Stimmbandknorpel ist die Parallelstellung ihrer
Stimmbandfortsätze. Durch den innervationslosen Zug sämtlicher
Glottismuskeln resultiert aber leichte Divergenz, ein flaches sagittal-
gestelltes Längsoval der Glottis (Kadaverstellung der Stimmbänder).
Hieraus ist die größere Muskelkraft der Glottisöffner gegenüber
den Schließern ersichtlich, welche noch mehr bei der Ruhelage der
Glottis bei normalem Muskeltonus beim Lebenden erhellt, wo ein
Queroval der Luft freien Durehtritt läßt, sodaß die Stimmband-
falten in der Wand des Ventriculus laryngis verschwinden, Eine
Reizung der Innervation kann nun im laryngologischen Bilde nicht
zum Ausdrucke kommen, da eine stärkere Abduction nicht mehr
sichtlich werden kann. Diese wäre funktionell nur durch eine
schwerere Intonation merklich, wofür vielleicht die Angabe man-
cher Patienten verwendbar ist, daß sie zeitweise schwerer sprechen
konnten. Hingegen ist bei der beginnenden Parese der Ausfall der
früher überwiegenden Muskelkraft der Glottiserweiterer sofort als
Abductionshemmung merklich, während die Glottisschließer noch
vollkommen funktionieren. Der Ausfall der durch den Ramus
posticus n. laryngei versorgten Muskelgruppe — und zwar der
Musculus cricoarytaenoideus post., Arytaenoideus transversus
und obliguus — wird uns also eher kenntlich, während die Ad-
duction am längsten erhalten bleibt (Semonsches Gesetz); diese
ist auch durch die doppelte Innervation von beiden Seiten her
länger gesichert, sodaß bei der kompensatorischen Üeberkreuzung
des gesunden Stimmbandes auch das paralytische Stimmband im
Sinne der Adduction noch mitzuwirken versucht. Die am längsten
restierende Funktion eines paretischen, dann paralytischen Stimm-
bandes erklärt auch, warum die Schädigung eines Recurrens von
dem Patienten nicht bemerkt wird, das heißt, daß die Kompen-
sation vom normalen Stimmbande zusammen mit der noch übrigen
Funktion des geschädigten, durch welche diesem der zur Intonation
nötige Tonus noch verliehen wird, ausreichend ist, sodaß keine
Störungen in der Sprache resultieren. Auch die beiderseitigen
Paresen sind in ihrer Intonation normal; die Glottisspalte ist aber
dauernd schmäler durch Annäherung der Stimmbänder zu ihrer
Mittellage,
Die Operation vermochte in zwei Fällen rasch gewachsener Cysten
mit Verziehung und leichter einseitiger Parese des Racurrens Heilung,
bei drei weiteren Paresen nur eine geringe Besserung des Spirgelbefun-
des zu erzielen. Drei Fälle zeigten nach der Operation stärkere Paresen
wie vor derselben, einer blieb unverändert. Durch die Strumektomie
traten ferner bei vorher normalen Befunden neunmal dauernde Funktions-
störungen des Recurrens auf. Von diesen war viermal zeitweise Heiser-
keit angegeben worden, welche nicht auf katarrhalische Zustände zu be-
ziehen war, wonach man in diesen Fällen an eine intermittierende Schädi-
gung des Recurrens schon vor der Operation denken könnte. Die drei
1990 1918 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49. 8. Dezember,
100°; es ist unlöslich in Wasser, leicht löslich dagegen in Alkohol, Das
Präparat befindet sich im Handel hauptsächlich als Amidoazotoluol medi-
cinale „Agfa“ und „Kalle“.
Fast ausschließlich benutzte man jetzt zur Herstellung der
Scharlachsalbe das Amidoazotoluol.
Sie kommt in derselben Weise zur Anwendung wie die ursprüng-
liche Salbe, und zwar in einer 8°/oigen Konzentration. Zur Anfertigung
der Salbe benutzte man anfangs vielfach Chloroformöl. Bekanntlich ruit
das Chloroform aber auf der Haut starke Reizerscheinungen hervor,
Daher muß das Chloroform vor der Benutzung der Salbe wieder aus der-
selben entfernt werden. Dies ist jedoch unter Umständen recht schwierig,
und man benutzt deshalb zur Herstellung der Salbe zweckmäßiger
Olivenöl. i |
Seitdem die Amidoazotoluolsalbe in den Arzneischatz ei Ü
geführt ist, habe ich dieselbe zum Verbinden von granulierenden
Wunden stets benutzt. Leider mußte ich dabei konstatieren, das
| Paresen, welche sich durch die Operation verschlechtert: hatten, mitge-
a zählt, wurde also’ zwölfmal der Nervus recurrens operativ geschädigt.
EA Die Operation bestand in diesen Fällen viermal in Enucleationsresektion,
Ä dreimal in Resektion und Enucleation der andern Seite, fünfmal in Halb-
T a seitenexstirpation. Von diesen zwölf Fällen besserte sich die Heiserkeit
Ar infolge kompensätorischer Funktion des gesunden Stimmbandes in fünf
; Doa i i Fällen. Vier behielten dauernde Störungen, wie die längere Beobachtung
BF zeigte, und drei wurden zwar mit Heiserkeit entlassen, doch ließ hier
ai der laryngologische Befund (einseitige Posticusparese ohne eingetretene
a Ze = Kompensationserscheinungen) ein Rückgehen der Heiserkeit hoffen. Die
an Störung in der Recurrensfunktion entwickelte sich in der Mehrzahl der
ge Ä Fälle langsam nach der Operation in einem Zeitraume von drei bis sechs
SE S D Wochen, sodaß in diesen Fällen wahrscheinlich ungünstige Narbenverhält-
nisse die Störung verursachten, indem Narbenstränge den Nerven ver-
zogen oder einscheideten und komprimierten (8).
-~ — —
Kompen- | Unkompen-
ee BT | siert ihr Preis ein recht erheblicher ist. Aber die Wirkung dieser
| Salbe schien besser zu sein als die der gewöhnlichen Scharlach-
eo nee í 2 a rotsalbe. Außerdem war das Arbeiten mit derselben bedeutend
Heilung... .. 9 9 sauberer, da der Verband nur leicht gelb gefärbt wurde, die
N een i z ? | Wäsche jedoch nie, falls nicht die Salbe direkt mit ihr in Be
a verschlechtert . _ 3 3 rührung kam. Die Wunden waren mit festem Epithel überzogen
| | und zeigten keine Narbenbildung. Ein Vorteil, der besonders, wie
aa | Karyag. Bot rain weiteren dies von Strauß hervorgehoben wird, bei Wunden in der Nähe
| _Verläufe von Gelenken nicht zu unterschätzen ist.
Einseitige operative Para- unverändert Die chemischen Fabriken von Kalle & Co. stellten in der
Kebnrrennetlronrendaren en] i (Roi orket letzten Zeit eine dem Amidoazotoluol ähnliche Substanz her, die
bossert Bit | ohne absolut keine unangenehmen Färbeeigenschaften haben sollte.
| kompensatorischen Diesen Stoff nennen sie Pellidol.
Bear LER D Pellidol ist das Diacetylderivat des Amidonzotoluols
Knldossoröinel +2 Aostslzrünpen) 7 Diese Verbindung bildet hell
Resektion F Bunaleation. =. 3 ı || $ j | : ziegelrote Nadeln, welche bei 650 schmelzen, oder dicke rote, dem
PN TEDRE on oae A 1 oj Bichromat ähnliche Kristalle vom Schmelzpunkte 75°. Im Handel be
ar ” ; |
findet sich das Präparat als rotgelbes Pulver. Pellidol ist in Aether,
Alkohol, Eisessig, Aceton, Chloroform, Ligroin, Benzol leicht löslich, be-
sonders auch in Vaselinen, Fetten und Oelen. In Wasser dagegen ist
es unlöslich. Die Pellidolsalbe ist, falls sie nicht zu hochprozentig her-
gestellt wird, eine vollständige Lösung des Pellidols in der Salbengrund-
lage. Demgegenüber befindet sich bei einer 8%,igen Scharlachrot- oder
Amidoazotoluolsalbe der wirksame Bestandteil in Suspension. Daraus
ergibt sich, daß die Pellidolsalbe mit einem geringeren Prozentgehalis
die gleiche Wirkung besitzen kann. l
Ausgehend von dem Gedanken, daß, wenn der Salbe ei
Desinfiziens zugesetzt würde, noch ein besserer Heilerfolg erzielt
werden könne, stellte die gleiche Firma die Azodolensalbe her.
Azodolen ist ein Gemisch von gleichen Teilen Pellidol mi
Jodolen.
Jodolen, ein Desinfiziens, welches eine Verbindung von Jodol mit
Eiweiß darstellt und 80 0/0 Jod enthält. Das Azodolen stellt ein blab
gelbes Pulver dar, welches ebenfalls keine Färbeeigenschaften be-
sitzen soll. | A:
Vor etwa einem halben Jahre stellte mir obengenannte Firma eit
Quantum dieser Pellidol- und Azodolensalbe zu Veorsuchszwecken zur
| i
| Bezüglich. der Prognose bei Recurrensschädigungen durch
Be a -Struma und durch die Operation ist aus obigem zu ersehen, daß die-
| ee selbe für schwerere, langdauernde Veränderungen ante operationem
rn sehr ungünstig ist, für solche akut post operationem aufgetretene
FR aber von der Art der Schädigung des Nerven abhängig ist.
Nia | Leichtere Paresen hingegen können durch die Operation günstig
in . beeinflußt werden, besonders dann, wenn dieselben durch Verziehung
zustande gekommen sind. Diese Prognose bezieht sich aber nur
auf den laryngologischen Befund, und ist dieser, wie schon
Leischner (9) betonte, nicht parallelgehend mit den subjektiven
Beschwerden, welche nur im Fall ungenügender kompensatorischer
Tätigkeit des gesunden Rekurrens angegeben werden. (Schluß folgt.)
Ä | Aus der Chirurgischen Abteilung des St.-Vincenz- Krankenhauses
de i zu Köln (leitender Arzt Prof. Dr. Dreesmann).
Die Scharlachrotsalbe und ihre Modifikationen
z Verfügung: | |
Es a Ich hatte Gelegenheit, diese Salben bei einer großen Reihe
O a Dr. ©. Decker. von granulierenden Wunden anzuwenden. Außer > ne
S f , | f . BER nden,
Ä Aut Grund der nterosanten Forschungen von B. Fischor | Kioineren Wunden 7 einfache Verletzungen, Brandrain Yur
E im Jahre 1906 über die makro- und, mikroskopischen Verände- flächen nach Mammaamputationen. Infolge starker Spannung der
Eo 4 BR | rungen des tierischen Gewebes nach Injektion von Scharlachöl hat Haut war eine Vereinigung der Wundränder nieht möglich W
vu Er Schmieden ua die Behandlung mit Scharlachrotsalbe in die die dadurch bedingte Heilung per primam intentionem konnte nie
; "e Chirurgie eingeführt. N ; erfolgen. In einem Falle war ich geradezu überrascht, wie schnell
D Fischer fand nach Injektionen von Scharlachöl eine sehr starke sich die etwa handtellereroße Fläche. die allerdings mit einige
i na Lpitkolwuchorung, -die Author.. ee o ao dieses kleinen transplantierten Hautlä chen besetzt war epithelialisiert
Feen ‘ Farbstoffs aussetzte. Diese Epithelneubildung soll bedingt sein durch poant ppene llkommen geheilt
ET ag å => eins chronische Entzündung, die im Gewebe durch das Scharlachrot her- hatte. . Nach wenigen Tagen war die Wunde vo ko za
3 RR vorgerufen wird. Eine ähnlich schnelle Epithelbildung konnte auch | In einem andern ähnlich liegenden Fall erfolgte die ur nn a
r. Schmieden bei seinen klinischen Versuchen mit Scharlachrotsalbe fest- | so außergewöhnlich schnell. Jedoch konnte. ich von 188 i
ozi stellen. l i o beobachten, wie sich die Fläche unter dieser Salbenbehandlung "
Z | Diese Salbe wird auf Verbandgaze aufgestrichen wie jede andere | Wundrande her nach der Mitte zu überhäutete.
Salbe. Ihre Anwendung ist jedoch nur bei solchen Wunden indiziert,
die eine frische, nicht secernierende Granulationsfläche zeigen. In den
andern Fällen wird durch die Salbe ein heftiger Reiz ausgeübt, der eine
starke Wundsekretion zur Folge hat und dadurch die Epithelisierung be-
= Obin dem ersten Falle das carcinomatöse Gewebe, ne
dasselbe auch durch die Operation, soweit es mars ng
krankt war, entfernt wurde, zu dieser schnellen Epithe
|
Pe. Ya
zu C. ia i z
x,"
| a DD
ne hindert. disponierte, möchte ich nicht als wahrscheinlich ae Ye
ne Aee Bei der Anwendung dieser Scharlachrotsalbe mußte man nun bald | auch die Beobachtungen Werners dies vielleicht vermu " sie
en 3 $ eino unangenehme Nobeno ohon me rege Durea no. Werner wies nämlich nach, daß Scharlachöl In g Ala :
et Farbstoff wird nämlich der ganze Verband sowie die Bettwäsche sehr | Mäusecarci r j lbst injiziert, eID® `
Sue u stark rot gefärbt. an bonan sich PA n Färbekraft der Salbe ee En a ran Tumors selbst zur Folge age
! ee, i iti enigstens zu vermin ; : o, > e8
A zu beseitigen oi stellte Versuche an, um die wirksame Substanz in dor | Bei diesen letzteren Gewebswucherungen handelte 5 g
a Scharlachrotsalbe zu eruieren. Er fand diese in dem Amidoazotoluol. | vielleicht um die specifische Wirkung des Soa t D jab dio
| | | | Dies stellt ein rötlich-braunes Pulver dar, mit einem Schmelzpunkte von ` bereits Fischer und nach. ihm. andere Forscher zeg jia
E a
t ”,
ee
a. as il 1
I ee
NEA We a O To
8. Dezember.
Epithelneubildung nach Injektion von Scharlachöl dem Cancroid
äußerst ähnlich sei. Dagegen kann die Wucherung des Tumors
selbst durch den mechanischen Reiz der Injektion hervorgerufen
en sein.
m In den von mir behandelten Fällen kam die Pellidol- und
Azodolensalbe in einer 2 P/,igen Konzentration zur Anwendung.
Der Verband blieb stets zwei Tage liegen. Einen wesentlichen
Unterschied in der Wirksamkeit beider Salben babe ich nicht fest-
stellen können. Ob es zweckmäßig ist, der Salbe ein Desinfiziens
zuzusetzen, möchte ich nicht entscheiden. Von anderer Seite wird
behauptet, daß granulierende Wunden nie infektiös seien und dem-
nach die Zusetzung eines desinfizierenden Mittels zu Salben un-
nötig sei. Meines Erachtens ist jede Wunde, mag sie nun gra-
nulieren oder nicht, infektiös. _
Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, daß die Amidoazo-
toluolsalbe, sowie die Pellidol- und Azodolensalbe gegenüber der
Scharlachrotsalbe den großen Vorteil der Sauberkeit besitzen. Die
Pellidol- und Azodolensalbe haben im Gegensatz zur Amidoazo-
toluolsalbe den Vorzug, daß sie in einer 2 ’/sigen Konzentration
die gleiche oder vielleicht eine bessere und schnellere Wirkung
bezüglich der Epithelisierung hervorrufen. Außerdem ist der Preis
der beiden letzten Salben ein geringerer, da zur Erzielung des-
selben Erfolges hier nur eine 2 0/„ige Salbe erforderlich ist, während
die andern Salben 8 P/oig zur Verwendung kommen.
Literatur: B. Fischer, M. med. Woch. 1906, Nr. 42. — Strauß,
D. med. Woch. 1910, Nr. 19. — Werner, M. med. Woch. 1909, Nr. 44. —
Katz, D. med. Woch. 1910, Nr. 36. — Hayward, M. med. Woch. 1909, Nr. 86.
Verletzung des Rückenmarks mit Kugel
(Eaminektomie)
von
Dr. Eisengräber, Eisleben.
Der Bergjunge Rust wurde am 4. Februar 1912 von einem Kame-
raden abends in den Rücken geschossen. | |
Bei der Untersuchung am andern Morgen sah man in der Höhe
des 1. Lendenwirbels etwas nach rechts hin einen Schußkanal. Da das
linke Bein paretisch und gefühllos war und im rechten Krampf und
Schmerz bestand, schritt ich am gleichen Tage, in der Absicht, die Kugel zu
entfernen, die ich für den Krampf verantwortlich machte, zur Laminektomie.
Nach Entfernung von drei Wirbelbögen und den dazu gehörigen
Dornfortsätzen sah man in der Dura ein Loch, dessen Lumen durch die
Mitte des Rückenmarks von hinten nach vorn in einem Durchmesser von
6 mm hindurchging. Beim Suchen nach der Kugel in diesem Kanale
stieß ich auf ein stecknadelknopfgroßes, dunkles Stofiteilchen, das ich
entfernte. Trotzdem ich mit der Sonde den ganzen Schußkanal im
Rückenmarke durchforschte und bierbei auf die hintere Fläche der Wirbel-
körper stieß, das Rückenmark im Bereiche der Aufmeißlung nach beiden
Seiten hin abhob, nach oben und unten hin extradural mit geeigneten
Instrumenten sondierte — ein Geschoß fand ich nicht —, mußte ich mich zu-
friedengeben, wenigstens ein sicher nicht steriles Stoffteilchen entfernt zu
haben. Nach Längsnaht der Dura wurde die Hautmuskelwunde ge-
schlossen. Heilung dieser Teile ohne Entzündung. Bei der Abwesenheit
der Kugel im Rückenmark und seinem Kanale konnte der rechtsseitige
Beinkrampf nur durch einen Bluterguß, der sich beim Sondieren mit
reichlichem Lymphabfluß entleerte, bedingt sein.
Am Tage nach der Narkose waren zunächst — wohl durch den
starken Reiz infolge Auseinanderziehens des Rückenmarks — beide Beine
gelähmt. Dieser beklagenswerte Zustand dauerte nicht lange; denn schon
nach sechs Wochen konnte der 16jährige Junge an Stöcken und nach
Ablauf eines Vierteljahrs zur Arbeit gehen. Heute, zehn Monate nach
der Schießerei, verrichtet R. seine frühere Arbeit. Die Narbe weist
nichts Besonderes auf; die Rumpfbeugungen vollführt er besser und aus-
giebiger wie jeder Unverletate. Störungen in den Beinbewegungen sind
nicht vorhanden, nur sei das Gefühl an der Außenseite der rechten Wade
und an der großen Zehe herabgesetzt. Dieser Bezirk entspricht etwa
der Ausdehnung des 5. Lumbal- und I. Sakralnerven.
Die rechte Wade ist etwas dünner (Differenz 1 cm) und an dem
rechten Knie läßt sich der Reflex nicht auslösen.
| Der Geschossene wie der Schütze können mit dem Endresultate
zufrieden sein. |
| Nach einer späteren Röntgenaufnahme fand man die Kugel im
Í. Lendenwirbel, wo sie jetzt schmerzlos eingeheilt ist.
Bei dem Fall ist es einmal interessant, zu sehen, wie schnell sich
Rückenmarkfasern vollständig reparieren können, zum andern, daß trotz
der Verunreinigung von Stofiteilchen, die eine ganze Nacht im Rücken-
marke verweilten, keine Infektion stattfand. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
1991
—n
Wenn es der Zustand des Patienten gestattet hätte, hätte ich vor
der Operation eine Röntgenaufnahme zur Bestimmung des Sitzes des Ge-
schosses gemacht. Bei der Feststellung des Sitzes im Wirbel hätte ich
vielleicht die Operation unterlassen, zum Schaden des Verletzten, der
wohl schnell an Sepsis zugrunde gegangen wäre.
Aus der Inneren Abteilung der Städtischen Krankenanstalten,
Elberfeld. (Chefarzt: San.-Rat Dr. Kleinschmidt.)
Klinische Erfahrungen mit CGodeonal
von
Sekundärarzt Dr. von Oy.
Bürgi und danach Homburger haben gezeigt, daß die
Kombination zweier gleichzeitig oder kurz nacheinander gegebener
narkotischer Mittel einen höheren Effekt auslöst, als die Addition
der Wirkungen der beiden Mittel vermuten läßt. Die Wirkung
ihrer Bestandteile addiert sich nicht nur, sondern potenziert sich.
In diesem Sinne wies auch Hauckgold nach, daß kleine, an und
für sich nicht ausreichende Dosen von Urethan durch minimale
Dosen von Scopolamin zu narkotischen werden. Ehrlich glaubt,
daß die in ihrer Aktivität durch das eine Narkoticum herab-
gesetzte Zelle der Einwirkung des zweiten weniger Widerstand
entgegensetzt, Bürgi, daß die Zelle von zwei verschiedenen
Narkotica, für die sie zwei Rezeptoren hat, in der Zeiteinheit
mehr an pharmakologischer Substanz aufnehmen kann, als aus
der doppelten Menge jedes einzelnen, und endlich Fühner glaubt,
daß die erhöhte Wirkung durch die erhöhte Lipoidlöslichkeit des
Alkaloids bedingt sei.
Und so hat man denn Kombinationen von chemisch nicht
verwandten Schlafmitteln mit gutem Erfolg angewandt. Man
kombinierte Veronal mit Morphium, Scopolamin mit Morphium usw.
Wir selbst haben schon seit langem Bromural mit Codein zu-
sammen gegeben und damit, namentlich bei Herzkranken, eine
gute beruhigende Wirkung zu verzeichnen gehabt.
So scheint auch die Mischung von Codein und Diäthyl-
barbitursäure besonders wirksam zu sein, wie sie in den Tabletten
von der Firma Knoll & Co. in Ludwigshafen — die 0,17 Codeonal,
d. i. 0,02 Codein. diäthylbarbit. und 0,15 Natrium diäthylbarbit.,
enthalten — in den Handel kam. Die Firma stellte uns in dan-
kenswerter Weise größere Mengen von Tabletten zur Verfügung.
Wir verabreichten ca. 1500 Tabletten an ungefähr 90 Kranke
und hatten Gelegenheit, die hypnotische und sedative Wirkung
des Codeonals hinreichend zu beobachten.
Die Tabletten wurden ungekaut mit Wasser geschluckt.
Ueber die Gabe von vier Tabletten gingen wir nicht hinaus.
Bei Schlaflosigkeit richtete sich die Dosierung nach dem Grade
derselben (eine bis drei Tabletten).
Das Mittel wirkte nach einer halben bis einer Stunde und
brachte bei ausreichender Wirkung einen Schlaf von fünf bis sechs
Stunden. Bei Schlaflosigkeit der alten Leute, bei neurasthenischen
Personen, bei Agrypnie infolge von Ueberarbeitung oder Alkohol-
abusus sahen wir bei Verabreichung von ein bis drei Tabletten
kaum einen Mißerfolg. |
Wegen seiner Codeinkomponente und seiner gleichzeitigen
sedativen Wirkung läßt das Präparat einen besonders guten Effekt
da erkennen, wo Atembeschwerden das vorherrschende Symptom
sind, so bei Bronchitis, Pleuritis und Tuberkulose mit nicht zu
starkem Hustenreiz. Die Tuberkulösen gaben zwar häufiger an,
einige Male durch den quälenden Husten aufgeweckt, jedoch als-
bald wieder eingeschlafen zu sein. |
Auch bei Herzkranken mit Angstgefühlen, nächtlicher Atem-
not usw. taten eine bis zwei Tabletten gute Dienste. Ein Herz-
kranker (Myodegeneratio), der wochenlang abends gegen seine
nächtlichen Beklemmungsgefühle eine Tablette bekommen hatte,
erwachte darauf mit Herzklopfen, Brustschmerzen und Angst-
gefühlen, als man ihm dieselben entzog, und erst als man ihm seine
Tablette wieder verabreichte, schlief er wieder bis in der Frühe.
Zugegeben muß allerdings werden, daß man bei Schätzung dieses thera-
peutischen Effekts die Suggestion nicht ganz ausschließen kann.
Selbst Schmerzen geringeren Grades wurden durch das Co-
deonal beseitigt. Bei etlichen Fällen von Phthisen (III. Stadium)
mit sehr starkem Hustenreiz, ebenso bei zwei Fällen von Poly-
arthritis acuta mit stärkeren Schmerzen ließ das Mittel im Stich:
aber da hatten auch nur größere Morphindosen Erfolg.
Sämtliche Kranken zeigten am Morgen keine Spur von
narkotischer Nachwirkung, keine Müdigkeit, keine Eingenommen-
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1992 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember.
heit des Kopfes, sondern fühlten sich frisch und erquickt und
zeigten sich sehr zufrieden mit dem ruhigen traumlosen Schlaf,
den sie getan.
Als Sedativum hatte das Codeonal nur in leichteren Fällen
Wirkung, z. B. bei leichter körperlicher und geistiger Unruhe.
Bei Neurasthenikern und Hysterikern hatten bis zu drei Tabletten
meistens den gewünschten Erfolg. Als subjektive Wirkung trat
Linderung der charakteristischen Symptome: Unruhe, Herzklopfen,
Angstgefühl auf, wie nach Verordnung von Baldrianmitteln.
Bei größerer Unruhe und Aufregungszuständen war keine
oder nicht hinreichend befriedigende Wirkung vorhanden.
Bei mehreren sehr unruhigen Altersdementen, bei zwei
Fällen von Melancholie, bei einem phantastischen Paranoiker, bei
mehreren Alkoholdeliranten hatten wir absolute Versager. Wir
sind allerdings, wie gesagt, auch bei Aufregungszuständen nicht
über die Gabe von vier Tabletten hinausgegangen.
Unerwünschte Nebenwirkungen traten nach Verordnung des
Präparats so gut wie nicht ein. Es trat keine Magenverstimmung
oder Verschlechterung des Appetits auf, selbst bei länger währender
Gabe, auch keine auffällig obstipierende Wirkung, wie sie von Paff-
rath z.B. beim Veronal beobachtet wurde. Auch Klagen über trockene
Zunge oder Leibschmerzen, über die bei anderen Schlafmitteln
berichtet wurde, hörte man nicht. Nur eine alte Frau mit chro-
nischer Bronchitis und plagendem nächtlichen Husten erbrach das
Mittel (zwei Tabletten) kurz nach der Einnahme ohne ersichtlichen
Grund und behauptete später, es nicht mehr nehmen zu können.
Respirations- und Circulationsapparat blieben unbeeinflußt.
Es zeigte sich keine wesentliche Verlangsamung der Atmung, es
wurden keine größeren Pulsschwankungen konstatiert (im Höchst-
falle bei einem jungen achtzehnjährigen Menschen mit Lumbago
eine Verlangsamung von sechs Schlägen).
Blutdrucksteigerung oder -senkung findet nach unseren Be-
obachtungen nicht statt, welche Eigenschaft das Präparat haupt-
sächlich als harmloses Einschläferungsmittel für alte Leute ge-
eignet macht.
Die Temperatur zeigte nach Darreichung von Codeonal keine
wesentlichen Unterschiede. Nur 0,2 bis 0,3% nach der positiven
und negativen Seite konnten durch zahlreiche Messungen fest-
gestellt werden. |
Daß das Resultat bei den Tuberkulösen, bei durch den pa-
thologischen Prozeß geschwächten Individuen mit so labilem
Verhalten der Wärmeregulation im großen Ganzen ebenso war,
zeigt, daß das Mittel ohne Einfluß auf die Temperatur ist.
Das Blutbild bleibt auch nach längeren Gaben unverändert.
Erythrocyten, Leukocyten, Hämoglobingehalt wurden mehrfach
kontrolliert. Keine Hämolyse!
Auch zeigte sich bei ausgesprochenen Nierenerkrankungen
keine Veränderung des Harns. |
Eine Angewöhnung an das Mittel, daß dasselbe etwa bei
längerer Verabreichung hätte gesteigert werden müssen, haben
wir nicht beobachtet.
Wir halten mithin das Codeonal für ein angenehmes, un-
gefährliches Hypnoticum, welches namentlich bei alten Leuten
und heruntergekommenen Kranken, vorzüglich auch bei solchen
mit nicht zu starkem Hustenreiz, sowie bei mäßiger Unruhe
durchaus Gutes leisten wird. Bei größerer Unruhe, Aufregungs-
zuständen, Delirien war die sedative Wirkung nicht hinreichend
befriedigend. ee
Umfrage
über das
Frilhaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Bett verlassen?
9, Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens?
3, Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufsthen? K. Bg.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Küstner, Kgl. Univ.-Frauenklinik Breslau:
i. Da von mir der begründete Vorschlag des Frühaufstehens zu-
erst gemacht wurde, so habe ich als erster meinen Wöchnerinnen er-
laubt, früh das Bett zu verlassen. Ich halte es im allgemeinen für
das vorteilhafteste, wenn eine Wöchnerin etwa drei bis vier Tage
nach der Geburt das Bett hütet, dann aber, also vom vierten bis fünften
Tage an, zunächst nur zeitweise, später den ganzen Tag außer Bett
verbringt. Zum Urinlassen darf die Wöchnerin schon vom ersten Tag
an aufsitzen, wenn sie im Liegen nicht urinieren kann, damit der
Katheter vermieden wird. Nach dem Aufstehen ist Katheterismus ohne-
hin überflüssig. |
Gynäkologisch Operierte hüten bei mir zum mindesten eine bis
anderthalb Wochen das Bett, besonders Laparotomierte, und zwar, damit
die Bauchnarbe erst so erstarkt, daß durch den Eingeweidedruck bei der
Stehenden keine Dehiscenzen entstehen. Die Operierten müssen jedoch
zur Vermeidung von Kreislaufstörungen vom ersten Tag an häufig die
Beine bewegen.
2. Die Vorzüge des Frühaufstehens bestehen in Beschleunigung
der Rückbildungsvorgänge an den gesamten Genitalien, Unterstützung
des Kreislaufs, sodaß Thrombosen und Embolien nicht vorkommen, Ar-
regung der Darmtätigkeit, Steigerung des Appetits und des allgemeinen
Wohlbefindens. Die Beschleunigung der Rückbildungsvorgänge ist m
der schnelleren Größenabnahme des Uterus direkt nachzuweisen. Aber
auch die Rückkehr der fascialen und muskulären Organe der Bauchdeckan
und des Beckenbodens zur ursprünglichen Straffheit erfolgt an der Früh-
aufstehenden in vorteilhafterer Weise als an der, die lange liegen mul.
Ganz besonders aber beobachte ich bei den Frühaufstehenden viel
seltener das Zustandekommen von Gleichgewichtsstörungen der Backen
organe — ich meine damit Retroversionen und Retroflexionen — als bei
denen, die lange liegen, bei welchen mitunter lediglich um der anhalten-
den Rückenlage willen Retroversio-flexio entsteht.
3. Von den Wöchnerinnen werden vom Frühaufstehen ausgenonna
Verwundete, das heißt solche mit umfänglichen Verletzungen des Becken-
bodens, und gonorrhoisch Infizierte. Erstere liegen, bis die Wunde
geheilt sind, letztere bis in die dritte Woche nach der Geburt. Letztere
deshalb, damit die Ascendenz in die Tuben vermieden wird. Endlich
werden selbstverständlich Infizierte vom Frühaufstehen ausgenommen.
Schon um die Inkubationszeit einer eventuellen Infektion abzuwarten, ist
es vorteilbaft, die Wöchnerin überhaupt nicht vor dem dritten Tag auf
stehen zu lassen.
Dr. Engelmann, dirig. Oberarzt der städt. Frauenklinik Dortmund:
1. a) Operierte. Nur Patienten, die sich sehr wohl fühlen, le
ich vor Schluß der ersten Woche aufstehen; die übrigen, je nach Lage
des Falles, zwischen dem achten und zwölften Tage etwa. Dagegen sehe
ich sehr darauf, daß ältere Patienten, solche mit Lungenkomplikatione
und ähnlichem, in die eigens für Operierte konstruierten Betten kommen,
in denen sie sofort am ersten Tage mit herunterhängenden Beinen be
quem aufrecht sitzen können.
b) Wöchnerinnen. Im Gegensatz zu den Universitätsklinike
besteht unser Material, bei zirka 900 Geburten jährlich, vorwiegend 3u
Frauen. Bei diesen weiß man häufig nicht, ob sie nicht an einer zu W
zidiven neigenden Erkrankung der Genitalien leiden. Deshalb und m
erzieherischen Gründen — für die Frauen ist „Aufstehen“ und „Arbeiten
dasselbe — haben wir die achttägige Bettruhe beibehalten. Wir sehen
aber darauf, daB die Frauen nicht fest auf dem Rücken liegen, sonder
verschiedene Lagen einnehmen, die Beine bewegen und dergleichen mehr
-a
Prof. Dr. Kroemer, Direktor der Kgl. Univer.-Frauenklinik (Greifswald)
1. Ohne prinzipieller Anhänger des Frühaufstehens zu sein, bin id
doch für geeignete Fälle dazu übergegangen. Im wesentlichen Jasse ich
Patientinnen mit drohenden oder schon bestehenden Lungenkomplike
tionen vom zweiten Tag an in den Lehnstuhl bringen, gesunde öchne-
rinnen und Patienten ohne Komplikationen nicht vor dem fünften Tags,
da ich eine gewisse Sicherung der primären Wundverklebung .als wt
wendig erachte. Der Fascienguerschnitt verträgt das Frübaufstehen besser
als der Längsschnitt.
2. Die Vorzüge des Frühaufstehens sind: Raschere Hebung des
Allgemeinbefindens, bessere Lungenlüftung und Expektoration. Spontan?
Regulierung der Darm- und Blasenfunktion. Mit der Vermeidung
Thrombose und Embolie hat das Frühaufstehen nichts za tun. Jodenf
ist es keine absolute Garantie gegen diese.
‚8. Bei jeder Temperatur- oder Pulssteigerung, ebenso bei Bredt
neigung der Operierten sehe ich vom Frühaufstehen sb. Nachdem!
eine Patientin am dritten Tage post operationem wenige Minuten 7
dem ersten Aufstehen an Embolie verloren habe, muß ich die pogi
keit des Kausalzusammenhangs zwischen beiden Vorgängen zugeben.
< en bringt das Frühaufstehen die Gefahr der Scheidensenkt
mit sich.
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‘freien Rand der Blutgefäßwand herstellt.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hildebrand, Dir. d.Chir. Kl. d. Kgl. Char. (Berlin):
1. Da ich trotz einer sehr großen Zahl von Bauchoperationen nur
ganz vereinzelt Thrombosen und embolische Vorgänge beobachtet habe,
habe ich keinen Grund gehabt, prinzipiell zum frühzeitigen Aufstehen
überzugehen. Ich lasse die Bauchoperierten im allgemeinen 14 Tage
liegen, haben sie den Wunsch, früher aufzustehen, so dürfen sie es nach
acht Tagen. Kranke mit Operationen im Mund oder an den Kiefern
lasse ich am zweiten oder dritten Tage nach der Operation aufstehen.
9. Bei den Kieferoperierten usw. wird die Pneumonie eher ver-
mieden. Bei den Bauchoperierten sehe ich für meine Verhältnisse
keine Vorzüge. des Frühaufstehens.
1993
3. Bis jetzt sind alle Patienten mit Bauchoperationen gern min-
destens acht Tage im Bette geblieben. Ich glaube, duß beim Frühauf-
stehen eher Hernien entstehen können.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Madelung, Dir. d. chir. Univ.-Klinik (Straßburg):
1. Ich lasse seit sehr langer Zeit Menschen, bei denen an Hals
und Brust, im besonderen im Munde, Pharynx, Kehlkopf, Operationen vor-
genommen worden sind, frühzeitig, das beißt schon am Tage der Opera-
tion aufstehen, um der Entstehung von hypostatischen Pneumonien usw.
vorzubeugen.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus der Experimentell-biologischen Abteilung des Königlich
Pathologischen Instituts der Universität Berlin.
Ueber Blutgerinnung')
von
Dr. Ernst Unger, Berlin.
Bei zahlreichen Versuchen, die ich in den letzten Jahren
mit der Gefäß- und Organtransplantation gemacht habe, konnte ich
nebenbei einige Beobachtungen über Blutgerinnung machen, über
die ich in folgendem kurz berichten will?):
I. Früher machte man die Vereinigung durchschnittener Blut-
gefäße nicht wie jetzt mittels der Naht von Carrel, sondern mittels
Magnesiumröhrchen, die Payr angegeben hat. Bei dieser Me-
thode wird ein Magnesiumrohr über das durchschnittene Gefäßende
geschoben, die Intima manschettenartig nach außen ‘auf den Ring
geklappt, durch einen circulären Faden hier festgehalten, dann wird
das audere Gefäßende hinübergezogen. Für die Frage der Blut-
gerinnung interessiert hier nur folgendes: Läßt man aus dem Lumen
des Blutgefäßes, das mit der Prothese versehen und dessen Intima
ganz weit nach außen umgeschlagen ist, Blut herausfließen, so
tritt bei diesem im Glas aufgefangenen Blute wesentlich später als
gewöhnlich die Gerinnung auf. Dieser Beobachtung, die ich vor
Jahren machte, habe ich keine genügende Beachtung geschenkt
und bin auf ihre Bedeutung erst durch eine ausführliche Arbeit
von Danis-Brüssel aufmerksam geworden’).
Danis legt ein kleines elastisches Metallband um das Blut-
gefäß, durchschneidet letzteres und klappt die Intima so weit nach
außen um, daß das austretende Blut nur mit der Intima in Be-
rührung kommt, nirgends mit der Media oder Adventitia der Ge-
fäßwand, auch nicht mit sonstigem Körpergewebe. Das Blut fängt
er in Porzellanschälchen auf, die unpräpariert, auch nicht mit
Paraffin oder Vaselin bestrichen sind, und konstatiert nun: nach
einer halben Stunde ist das Blut noch völlig flüssig, in der dritten
Viertelstunde erreicht es eine schwache, gel&eartige Konsistenz;
dagegen Kontrollblut, aus der einfach durchschnittenen Arterie
herausgespritzt, gerinnt schon nach drei bis vier Minuten. Auf
Grund dieser bedeutsamen Mitteilung wiederholte ich frühere Ver-
suche am Hunde; zum Auffangen des Bluts wurden nichtparaffi-
nierte Glasröhren benutzt. Blut aus der Arteria femoralis, die
einfach durchschnitten ist, gerinnt nach vier Minuten. Blut
aus der Prothesenarterie bildet nach 16 bis 18 Minuten etwa ein
feines Häutchen auf der Oberfläche, das beim Neigen des Glases
an der Wand haften bleibt, darunter bleibt das Blut noch fünf
bis sechs Minuten flüssig. Weniger deutlich ist der Unterschied
beim Auffangen von Venenblut; hier ist der Versuch schwieriger,
weil das Blut langsam aus der Vene hervortritt, es bildet sich ein
hängender Tropfen, der die Verbindung zwischen Intima und dem
Dies genügt, den Ver-
such nicht als ganz einwandfrei erscheinen zu lassen. Läßt man
nun das Blut nicht frei herausspritzen, sondern preßt das Glas an
das umgebende Körpergewebe, sodaß eine Spur Gewebssaft die
Glaswand benetzt, so tritt die Gerinnung aus dem Prothesengefäße
fast genau so schnell auf, wie an dem einfach durchschnittenen;
dasselbe geschieht, wenn man das herausspritzende Blut über ein
freischwebendes, frisch herausgeschnittenes Blutgefäß herüberfließen
läßt, ehe man es auffängt. Das stimmt gut überein mit den Unter-
1) Mitteilung in der Berliner Physiologischen Gesellschaft am
15. November 1912.
2) Ein Teil der Kosten dieser Arbeit wurde mir durch das Ent-
gegenkommen des Kuratoriums aus der Gräfin-Bose-Stiftung ersetzt.
3) Presse médicale 1912, Nr. 71.
suchungen von Sahli, Loeb!) und Bernheim?) die in den
| äußeren Wandschichten der Gefäße einen Stoff nachweisen konnten,
der von größtem Einfluß auf den schnellen Ablauf der Blutge-
i rinnung war. Carrel trägt diesem Umstande bei seinen Gefäß-
| operationen stets Rechnung und vermeidet es ängstlich, irgend-
welchen Gewebssaft an die Intima zu bringen). Die Gerinnung
' wird durch Berührung mit Metallteilen nach meinen Versuchen
nicht beschleunigt. Dagegen ist die Gerinnung beschleunigter,
wenn das Blut, ehe es aus dem Prothesenteil heraustritt, Gefäß-
wand passiert, die durch Stich (Punktion) oder Einschnitt
lädiert ist.
Es steht also fest, Blut, das beim Heraustreten nur
normale Intima berührt, gerinnt etwa sechs- bis sieben-
mal später als das Blut aus einfach durchschnittenen
Gefäßen. Danis schreibt nun: „Nous voyons donc que le sang,
prélevé tel qu'il circule dans le systöme vasculaire, diffère con-
sidérablement de celui que nous avons l'habitude d'examiner dans
les éprouvettes de nos laboratoires.“
Diese Beobachtungen lehren, daß man in Zukunft bei experi-
mentellen Studien über Blutgerinnung die Komponente, die von
der Gefäßwand geliefert wird, ausschließen kann. Danis hat
zweifellos das Verdienst, dies klar erkannt zu haben.
Welche praktische Bedeutung hat nun diese Feststellung?
Wir wissen lange, daß alle Methoden der Bestimmung der Blut-
gerinnung beim Menschen bisher erhebliche Fehlerquellen auf-
wiesen, daß auf Differenzen Wert gelegt wurde, die häufig genug
durch Fehler der Technik bedingt sein konnten, aber nicht durch
Veränderung des Bluts®). Nach diesen fehlerhaften Methoden wird
aber in der Praxis noch heute vielfach gearbeitet. Engelmann
und Ebeler°) z. B., die mit der Methode von Bürker arbeiteten
(Blut mittels Stich aus der Fingerbeere), geben Tabellen, die auf
30 bis 40 Sekunden Differenz bei der Blutgerinnung basieren, und
kommen zu dem Schluß, daß die Gerinnungszeit des Bluts bei
Eklampsie herabgesetzt sei. Meines Erachtens liegen bei dieser
Methode wie vielen andern soviel Fehlerquellen vor, daß man |
bindende Schlüsse nicht daraus ziehen kann. Morawitz hat dem
am meisten Rechnung getragen und entnimmt das Blut mittels
Punktion der Venen. Auch hier kommt noch eine Spur Gewebs-
saft, an der Spitze der Kanüle haftend, in das zu untersuchende
Blut. Nun wird sich am Menschen selbst unsere Methode kaum
anwenden lassen. Sie kann aber in anderer Beziehung praktisch
von Bedeutung werden: Weiß man heute doch noch nicht, ob die
Mittel, die wir zur Beschleunigung oder Verlangsamung der Blut-
gerinnung dem Menschen oder dem Tierkörper einverleiben, in der
Tat wirksam sind. Einer Reihe von Autoren z. B., die für Gela-
tine oder für den Kalk schwärmen, um die Blutgerinnung zu be-
schleunigen, stehen ebensoviel Autoren gegenüber, die jede Wir-
kung leugnen®). Es gilt jetzt, im Tierversuche noch einmal diese
Mittel zu prüfen, denn die Differenzen, die mit den bisherigen Me-
thoden oft nur mit einer oder zwei Minuten oder weniger rechnen,
werden sich wesentlich vergrößern lassen. Ein zweites Gebiet, auf
dem wir so sorgfältig aufgefangenes Blut verwenden können, sind
die Nährböden, sowohl für bakteriologische Zwecke wie für die
Gewebekulturen.
1) Virchows A. 1904, Bd. 176.
2) J. of Am. ass., 28. Juni 1910.
3) Risley, Zbl. f. Chir. 1912, S. 681, ref.
4) Morawitz im Handbuche der biochemischen Arbeitsmethoden
von Abderhalden 1911.
5) Mon. f. Geb. u. Gym. 1912, Bd. 36, H. 2.
6, Vergl. v. Lier, Bruns B.1912, Bd.79, H. i; Voorhoeve, Berl.
kl. Woch. 1912, Nr. 36.
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1994
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember,
I. Ein zweites Phänomen, das ich bei Organtransplanta-
tionen beobachtete, war folgendes: Ich resezierte einem Hund ein
Stück Vena cava und ersetzte es durch die frisch entnommene
Vena cava eines Ferkels. Was geschieht? Sobald nach Lösung
der Gefäßklammern das Hundeblut in die Vena cava des Ferkels
einströmt, bildet sich ein dickes Blutgerinnsel, und zwar augen-
blicklich. Das Gerinnsel reicht zunächst nach oben und unten nicht
über das eingesetzte Stück hinaus, sondern ist auf das eingenähte
Stück beschränkt. Nach etwa 10 bis 15 Minuten bilden sich erst
anschließend Gerinnsel in dem übrigen Teil der Vena cava des
Hundes. Mache ich einen Einschnitt in das eingesetzte Stück,
ziehe das Gerinnsel heraus, vernähe den Schnitt, so bildet sich
sofort das Gerinnsel von neuem. Der gleiche Vorgang spielte sich
ab, wenn ich die Vena cava eines Hundes auf eine Ziege übertrug,
oder von großen Katzen auf kleine Hunde transplantierte. (Zwischen
Hund und Katze aber spielt sich der Vorgang nicht immer im
Moment ab, sondern oft erst nach einer halben Stunde.) Dagegen
konnte ich die Vena cava eines Schweinsaffen (Macacus nemestrinus)
auf den Menschen übertragen und in die Vena femoralis einpflanzen:
Nach 32 Stunden kein Gerinnsel, kein Thrombus, das große Gefäß
frei durchgängig. Ich übertrug ferner die Vena cava eines mensch-
lichen Neugeborenen auf die Vena cava eines Bärenpavian. Nach
18 Stunden noch war das Blut flüssig!. An den Arterien lassen
sich die geschilderten Erscheinungen nicht in gleicher Weise
beobachten, weil der starke Blutdruck die Gerinnselbildung hindert.
Aus diesen Beobachtungen geht hervor: Es genügt
die Berührung des strömenden Bluts mit der Gefäß.
intima eines fremden Tiers, auch wenn sie intakt ist,
um sofort eine Gerinnung hervorzurufen. Dieser Vor-
gang tritt nicht ein, wenn man die Gefäße zwischen
Menschen und Affen austauscht, auch wenn es keine
Anthropoiden sind.
III. Macht man eine größere Incision in eine Vene oder
einen Sinus, so strömt das Blut heraus, ohne daß sich ein
schützendes Gerinnsel bildet; setze ich jetzt eine kleine Glasdiss
an, die mit einer Vacuumpumpe in Verbindung steht, und drücke
gleichzeitig ein Stück freie Gefäßwand oder ein Faseienstüäck auf
den Defekt, sodaß dieser reichlich überdeckt ist, so bildet sich in
wenigen Minuten eine feste Fibrinschicht, die das aufgelegte Stück
mit dem lädierten Gefäße verklebt, und nach einigen Minuten steht
die Blutung vollkommen und sicher. Also unter dem Einfluß der
Luftverdünnung bildet sich rasch eine Fibrinmasse, deren Klebe
kraft sich auch für praktische Zwecke verwerten läßt, Dis
Methode!) ist brauchbar sowohl bei Experimenten, um das
Blut schnell abzusaugen, das Operationsfeld blutleer zu halten
und um solche Blutungen zu stillen, die sonst Schwierig-
keiten machen, wie auch für die operative Technik bein
Menschen. In Amerika finden sich zu diesem Zweck in vielen
Öperationssälen Wasserstrahlpumpen, wie ich einem Reiseberichte
von Liek?) entnehme.
Aus der Praxis für die Praxis.
Die physikalische Therapie der Herzkrankheiten
| von
Dr. Max Kahane, Wien.
(Schluß aus Nr. 45.)
Hydro- und Thermotherapie. Allgemeine Regeln:
1. Zu hohe, zu niedrige Temperaturen strikte vermeiden —
Grenzwerte nach unten zirka 14° R, nach oben zirka 26° R. Zu-
nächst vorsichtig die Toleranz erproben: Partialeinwirkung.
2. Bei weiter vorgeschrittener Herzinsuffizienz Partialappli-
kation, Beschränkung auf bestimmte Körperregionen; Allgemein-
applikationen nur bei leichteren Graden von Herzinsuffizienz mit
gutem Kräftezustand und bei reinen Herzneurosen — z. B. Tachy-
kardie. Bei bestehender Bradykardie und hochgradiger
Arhythmie größte Vorsicht! |
Allgemeine Abreibungen 22 bis 16° R. Partielle Ab-
reibungen: Thorax, Extremitäten 24 bis 18V R, Tauchbäder 26 bis
220 R, Vollbäder eventuell mit Salzzusatz 28 bis 24° R, 10 bis
15 Minuten Dauer — gründliche Abtrocknung; nach kühleren
Prozeduren: ein Glas warme Milch, Wollkleidung bei Herzinsuffi-
zienz ersten Grades. Bei Herzneurosen mit beschleunigter Herz-
aktion kühlere- Prozeduren allmählich bis 140 R, zunächst mit
lauen Prozeduren beginnend. Laue partielle Abreibungen, Ab-
= waschungen, Duschen. Uebergießungen von 22 bis 16° R bei
Herzinsuffzienz zweiten Grads (vgl. auch Hautpflege).
Protrahierte laue Bäder bis 30° R 1/, Stunde, abends Halb-
bäder 22 bis 16%, mit kälterer Uebergießung, Ganzpackungen,
kühle Abreibungen des ganzen Körpers bei leichten Graden von
Herzinsutfizienz und Herzneurosen mit kräftiger Konstitution und
neurasthenischen Beschwerden. Nach jeder kühlen Prozedur ein
Glas warme Milch, Abreibung bis zu deutlicher Hautreaktion.
Thermotherapie. Lokale Kälteapplikation: Eisbeutel,
Kühlschlauch: Beruhigung und Verlangsamung, Regulierung der
Herzaktion. Eisbeutel: nicht zu schwer, halb gefüllt, Luft aus-
gedrückt, Einlage zwischen Haut und Eisbeutel, noch besser Kühl-
schläuche — Temperatur gut regulierbar — zirka 6 bis 80 genügen.
Indikationen: akute Perikarditis, Endokarditis, Myokarditis
mit beschleunigter, irregulärer Herztätigkeit, Herzneurosen, speziell
Tachykardie — bei Brachykardie Vorsicht, nur Kühlschlauch, nicht
zu tiefe Temperaturen, falls sich die Pulsfrequenz nicht bald hebt,
aussetzen. s
Wärmeapplikation: Dampfbäder, Dampfkastenbäder, Heiß-
luftbäder, Lichtbäder in allgemeiner und partieller Applikation. —
Der Umstand, daß die heißen Prozeduren vorwiegend bei weit vor-
geschrittener Insuffizienz zur Anwendung kommen — Beseitigung
von Oedemen —, läßt besondere Vorsicht am Platz erscheinen.
Allgemeine heiße Prozeduren — Lichtbäder, Dampfbäder — auch
bei Kopf und Herzkühlung, tunlichst vermeiden. Partielle
1) Vgl. meine Mitteilungen in der Berl. kl. Woch. 1909, Nr. 23,
1910, Nr. 18.
Dampfkasten- und Lichtbäder mit Herzkühlung, Beginn mit zirka
40° R, allmähliches Ansteigen bis 500 R. Einwirkung auf die untere
Körperhälfte bis zum Nabelniveau. Sorgfältigste Kontrolle der -
Herztätigkeit, bei starker Schweißproduktion Abtrocknung und
Sistierung der Wärmeprozedur.
Mechanotherapie (Bewegung, Sport, Heilgymnastik, ma-
nuelle und instrumentelle Massage). Körperbewegung ist ein wich-
tiger Heilfaktor bei gegebener Indikation. (Absolute Ruhe bei
akuten Herzaffektionen, akuten Anfällen von Herzinsuffizienz, weit
vorgeschrittener chronischer Herzinsuffizienz.) Der Wert der Körper-
bewegung liegt in der Förderung des Kreislaufs, speziell in den Venen
der unteren Körperhälfte, Anregung der Atmung, erhöhte Zwerchlell
aktion. Die systematische Körperbewegung ist die wichtigste Form
der Uebungstherapie für alle Fälle, wo die Herzkraft nicht wesentlich
gelitten hat. Leichtere Grade der Herzinsuffizienz, Herzneurosen,
Störungen der Herzfunktion bei Fettleibigen. Dosierung binsicht
lich der Zeit, der Geschwindigkeit und der zurückgelegten Weg-
strecke und hinsichtlich der Steigung des Terrains. Zunächst
kurze ebene Wegstrecken, langsam, allmählich größere eben
Strecken mit größerer Geschwindigkeit — am besten lange Allen
mit Sitzgelegenheiten für derartige Uebungen. Bei stärkerer Steige-
rung der Pulsfrequenz (um 10 bis 15 Schläge pro Minute), sub-
jektivem Gefühle von Beklemmung, Herzklopfen, Mattigkeit — Aus
ruhen; Laufen bei Herzinsuffizienz verboten. Methodische Uebung®!
mit ansteigenden Wegen — Terrainkuren — nur für solche Pr
tienten, welche größere, ebene Wegstrecken ohne stärkere Steige
rung der Pulsfrequenz und Ermattung absolvieren. Bei Terrat-
kuren Vorsicht, Kontrolle des Pulses, methodisches Vorgehen hin-
sichtlich der Stärke der Steigung und der Dauer des Steigess.
Die hauptsächliche Indikation für Terrainkuren gibt das sogenannte
Mastfettherz, beziehungsweise Herzbeschwerden plethorischer Fett-
leibiger. Bei weiter vorgeschrittener Herzinsuffizienz —. Y%
Oertel aufgestellte Indikation — größte Vorsicht. Für Terra
kuren eingerichtete Kurorte: Sommer: St. Blasien, Berchtesgaden,
Ischl; Winter: Abbazia, Arco, Meran.
Sport. Verboten: Radfahren, Wettrudern, Wettlaufen, Fub:
ball, Athletik, Geräteturnen, Bergsport. Vorsicht, das heißt I
dividuelle Feststellung der Zuträglichkeit: Turnen, Freißbunet
Gelenkübungen, Schwimmen, Reiten, Fechten, Lawn-Tennis, Criquei.
Diese Regeln sind festzuhalten, weil das Herz ganz unborecheil
ist, einmal gewaltige Kraftanstrengungen schadlos verträgt, (1
andere Mal ohne äußere Ursache. versagt. Bei jedem von!
erlaubten Sport trägt der Arzt die Mitverantwortuns
Massage: Manuelle Massage der unteren Extremitäinn
Streichung, Knetung, Walkung der Muskeln — fördert den vet ja
Blut- und Lymphstrom, steigert den herabgesetzten artorie z
Blutdruck und die Elastizität der Herzwand, erhöht den u
1) Unger und Bettmann (Berl. kl, Woch. 1910, Nr. 16).
3) Med. K1. 1912, S. il. 0000000.
De a 3
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art
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
1995
effekt der Herzarbeit — besonders bei beginnenden Stauungs-
erscheinungen indiziert, |
Massage der Herzgegend — Tapotement (Beklopfung), Vibra-
tion (eventuell instrumentell), die „Digitalis der Gymnastik“ wirkt
verlangsamend und kräftigend auf die Herzaktion (akute Herz-
insuffizienz, wichtige Indikation) eventuell Hackungen und Be-
klopfungen des Rückens. Manuelle und instrumentelle Massage
der erkrankten Muskeln ist in jenen Fällen indiziert, wo bei Bil-
dung fibröser Knötchen in den Muskeln der Herzgegend Anfälle
auftreten, welche an das Bild der Angina pectoris erinnern.
Heilgymnastik: Aktive und passive Bewegungen, Tief-
atmung, Widerstands-, Selbsthemmungs-, Förderungsbewegungen,
instrumentelle Gymnastik nach Zander beziehungsweise Herz.
Wirkung: Anregung des Stoffwechsels, Förderung der Herzaktion.
Förderungsbewegungen setzen die Erregbarkeit der vasomotorischen
Centren hernb, Widerstandsbewegungen steigern Blutdruck und
Pulsfrequenz. Tiefatmung (Inspiration), negativer Druck, Ansaugung
des venösen -Blutstroms.
Indikationen: 1. Herzinsuffizienz ersten und zweiten Grades,
2. Fettherz: Förderungs-, Selbsthemmungsbewegungen, Steig- und
ee 3. Paroxysmale Tachykardie: Tiefatmung, Rücken-
lopfen.
| Kontraindikationen der Mechanotherapie (sowie jeder aktiven
Therapie): Akute Endo-, Myo- und Perikarditis, Herzinsuffizienz
dritten Grades, Thrombose, Embolie, Aneurysma.
Die Durchführung der Mechanotherapie, speziell der instru-
mentellen Heilgymnastik, muß dem geschulten Fachmann über-
lassen werden.
Elektrotherapie: Galvanisation des Halssympathicus —
Anode, 1 bis 11/, Milliampöre, drei bis fünf Minuten Dauer, drei-
mal wöchentlich, bei habitueller und paroxysmaler Tachykardie;
Galvanisation des Vagus-Accessorius, Kathode, 1 bis 11/2 Milli-
ampère, drei bis fünf Minuten, dreimal wöchentlich, bei paroxys-
maler Tachykardie. Galvanisation des Sympathicus, Vagus, Acces-
sorius und der Schilddrüse, Anode, sehr schwache Ströme bis
1!/, Milliampdre, drei bis fünf Minuten, dreimal wöchentlich bei
Herzsymptomen im Gefolge von Struma. |
Allgemeine D’Arsonvalisation (Hochfrequenzströme) bei sehr
hoher Blutdrucksteigerung. Lokale D’Arsonvalisation, Metallelek-
trode, Funkenentladungen auf die Herzgegend bei Angina pectoris
und symptomatisch ähnlichen Anfällen.
Elektrische Bäder (galvanische, faradische, sinusoidale Vier-
zellenbäder) bei Herzinsuffizienz ersten und zweiten Grads.
Kombinierte Behandlungsmethoden. Oertelkur: eiweiß-
reiche Nahrung, Flüssigkeitsentziehung, methodisches Steigen.
Nauheimer Kur: kohlensaure Thermalsolbäder, Widerstands-
gymnastik. |
Anstaltsbehandlung in solchen Fällen ratsam, wo eine Kom-
bination verschiedener Heilmethoden und eine sorgfältige Ueber-
wachung des Patienten erforderlich ist.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Vebersichtsreforat.
Chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie bei Tuberkulose
von Prof. H. v. Bardeleben, Berlin.
Acht Jahre sind es her, da in Rom auf dem internationalen
Gynäkologenkongresse die tuberkulösen Erkrankungen der weiblichen
Geschlechtsorgane einen Hauptgegenstand der Beratungen bildeten.
Die Frage nach der Aetiologie stand damals noch im Vordergrunde
des Interesses, und die Erörterung praktischer Gesichtspunkte
deckte die gewaltigen Lücken auf in der wissenschaftlichen Unter-
lage unseres ärztlichen Handelns. Es bleibt das Bedürfnis zurück,
gerade hierfür eine breitere Stütze zu schaffen durch Förderung
auf dem Gebiete, das Faure als unfruchtbar für diese Zwecke
verschmähte, weitere umfangreichere pathologisch-anatomische Er-
hebungen und klinische Zusammenstellungen, am besten mit ein-
ander verbunden, in größeren zusammenhängenden Zahlen.
Wir sind heute durch so üppigen, literarischen Zuwachs
bereichert, daß Jung sich veranlaßt sieht, der kasuistischen Ueber-
produktion halt zu gebieten. Die Ergebnisse wurden dieses Früh-
jahr in München auf dem deutschen Gynäkologenkongresse zu-
sammengetragen. Die Ausbeute war eine sehr reichhaltige, sodaß
uns dieser Kongreß ein deutliches Uebersichtsbild liefert von dem
augenblicklichen Stand unseres Wissens und Könnens in der Be-
urteilung und Behandlung der weiblichen Genitaltuberkulose.
Der Wandel und Fortschritt in den sieben Jahren tritt klar
in die Erscheinung. Aber die brennendsten Fragen der chirur-
gischen Therapie fanden teilweise ebenso entgegengesetzte Beant-
wortungen, wie seinerzeit auf dem Kongreß in Rom. Trotzdem
also die Unstimmigkeit der Meinungen in diesem Punkte noch
keineswegs beseitigt wurde, sind unsere Anschauungen soweit dar-
über geklärt, daß wir nunmehr die Richtlinien gefunden haben,
welche zur Entscheidung innezuhalten sind.
Der wesentlichste Unterschied aber dokumentiert sich in
dem Umstande, daß der Chirurgie in der Gynäkologie ein zweites
großes Feld in der Bekämpfung der Tuberkulose erschlossen wor-
den ist, welches sieben Jahre vorher kaum berührt, von vielen
mit Absicht gemieden und ausgeschaltet wurde: Es sind das die
Vorschläge chirurgischer Eingriffe an den Geschlechtsorganen der
F rau wegen tuberkulöser Erkrankungen der Lunge vornehmlich
bei Komplikationen mit Schwangerschaft. Es ergibt sieh hieraus,
- daß ein Bericht über die chirurgischen Eingriffe in der Gynäko-
logie bei Tuberkulose zwei gesonderte Gebiete zu betrachten hat,
von denen das eine bereits viel durchforscht ist, das andere einen
neuerlichen Zuwachs bedeutet, welcher soeben erst weiterer Bear-
beitung zugängig gemacht ist.
l Bei der Genitaltuberkulose empfahlen seinerzeit Faure und
insbesondere Pozzi prinzipiell radikales Vorgehen. Sie waren
noch überzeugt von der unbedingten Gefährlichkeit der Genital-
: führen könnten.
tuberkulose. Demgegenüber betonte Veit die erwiesene Möglich-
keit spontaner Ausheilung, A. Martin und Veit erbrachten ferner
Belege dafür, daß partielle Operationen sehr wohl zum Ziele
Beide befürworteten vor allem die allgemeine
und die Anstaltsbehandlung, welcher Anschauung Amann mit
besonderem Nachdrucke beipflichtete.
Es war also hier die Frage nach der Prognose das aus-
schlaggebende Moment und der Mangel an Beweisen zur Entschei-
dung in der einen oder andern Richtung die Ursache der abwei-
chenden Grundsätze im praktischen Handeln.
Außerdem spielte noch eine mitbestimmende Rolle die An-
sicht über die Häufigkeit primärer oder isolierter Genitaltuberku-
lose. Denn nur für solche Fälle wollte Veit die Radikaloperation
beibehalten wissen. Freilich hatten ja gerade zur selben Zeit die
Untersuchungen Amanns als ersten bleibenden Gewinn in der
gesamten Forschung die Erkenntnis gefördert, daß die Häufigkeit
solcher Fälle nicht annähernd so groß sei, wie sie bis dahin von
den meisten Autoren angenommen und angegeben worden war,
nämlich auf durchschnittlich 18°) (Orthmann 18°, Merletti
18,609, Späth 24,5%, Mosler 19,5%, Frerichs 6°/,, Stolper
3,5 0/0), sondern daß diese Vorkommnisse eine besondere Seltenheit
darstellten. Das ist durch die neueren pathologisch-anatomischen
Erhebungen in vollem Umfange bestätigt worden, indem bei den
Sektionen die Vorschriften Nägelis streng beobachtet wurden.
Schlimpert konnte danach unter 73 Fällen nicht einen einzigen
nachweisen, welcher nicht durch hämatogene Infektion seine Ent-
stehung von einem älteren primären Herde genommen haben konnte,
und Simmonds fand unter 80 Sektionen nur vier Fälle primären
Ursprungs.
In diesem Zusammenhang ist noch zweier Entstehungsmög-
lichkeiten zu gedenken, der ovulogen-hereditären, welche Gott-
schalk unter Berufung auf die entwicklungsgeschichtlichen Er-
hebungen Boveris klinisch an einem Falle erläutert, und der In-
fektionsweg durch die Vagina, welcher auch beschritten werden
könnte unabhängig von einem andern primären Herde im Körper.
Für die Vorstellung von Gottschalk ist die unerläßliche Vor-
bedingung durch den gelegentlichen, wenn auch recht seltenen
Nachweis von Tuberkelbacillen im Eierstockfollikel als möglich
bewiesen (Sitzenfrey). Die Möglichkeit aber, daß Tuberkelbacillen
ascendierend durch antiperistaltische Uterusbewegungen oder aber
auf dem -Lymphbahnenwege aus der Vagina in höhere Abschnitte
des weiblichen Geschlechtsapparats: gelangen können, haben Jung
und Beneke am Experiment gezeigt. Es sei noch des Transports
durch Spermatozoen gedacht, welchen Modus Friedmann und
Menge experimentell illustriert haben. Im übrigen ist es aber
hier nicht der Ort, auf diese theoretische Frage näher einzugehen.
Es kommen vielmehr nur die beiden Tatsachen für unser
ärztliches Handeln in Betracht, daß wir lediglich auf Grund einer
Sektion, nach strenger anatomischer Durchforschung aller Organe,
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8. Dezember.
von einer isolierten oder primären Genitaltuberkulose sprechen
dürfen, und daß dieses bei genau daraufhin ausgeführten Sektionen
äußerst selten vorkommt.
Alle Erörterungen, die Veit an eine solche Unterscheidung
knüpfte, sind somit heute nicht mehr von praktischer Bedeutung.
Wir müssen im allgemeinen die Genitaltuberkulose klinisch als
eine sekundäre auffassen und behandeln, und die Unterscheidung
und Abstufung der einzelnen Fälle hängt wesentlich ab von der
Dignität oder dem Nachweis der primären Krankheitsherde.
Im Gegensatz zu diesem ersten, für ärztliche Maßnahmen
gewonnenen Gesichtspunkt darf die Entscheidung über das zweite
grundlegende Moment, die Prognose der Genitaltuberkulose nicht
ausschließlich in die Hand des pathologischen Anatomen gelegt
werden. Der Ausgangspunkt des totbringenden Prozesses ist am
Sektionstische häufig eine Kontroverse zwischen Kliniker und Ob-
duzenten, nicht selten aber ist es für den Sekanten allein schwer,
das Urteil über Ursprung und Ursache des Todes zu fällen. An-
gaben klinischer Daten sind eben in solchen Fällen geradezu er-
wünscht, mitunter notwendig, um den Gang und Zusammenhang
des Prozesses in seiner Entstehung sicher richtig zu deuten.
Nicht anders ließe sich der auffallende Unterschied unserer
beiden größten modernen Statistiken erklären über Genitaltuber-
kulose Simmonds legt unter 80 Fällen 20 mal den Tod der Ge-
nitaltuberkulose zur Last, wenn auch auf dem Umwege durch die
davon hergeleitete Peritonealtuberkulose. Schlimpert läßt nur
in zwei Fällen unter 73 die Genitaltuberkulose als indirekte Todes-
ursache gelten, hält aber selbst für diese beiden noch die Mög-
lichkeit offen, daß die Genitaltuberkulose die sekundäre Erkran-
kung war. Letztere Erwägung, sowie die „einfache Ueberlegung,
daß es eine direkte tödliche Genitaltuberkulose kaum geben kann,
weil die weiblichen Genitalien keine lebenswichtigen Organe sind“,
beherrscht offenbar die Auswahl der Spitzendiagnosen als Todes-
ursachen in den Sektionsprotokollen der Schlimpertschen Fälle.
Und den Vorwurf dieser Prädilektion könnte Simmonds dem
Einwande Schlimperts entgegenhalten, daß „Simmonds geneigt
sei, wenn überhaupt eine Bauchfelltuberkulose sich findet, diese
für den Exitus verantwortlich zu machen.“
Im ganzen findet sich also in beiden Fällen illustriert, was
wir soeben als mißlich fürchten und meiden zu müssen glaubten.
Vor allem aber hören bei beiden Forschern in der Mehrzahl der
Fälle die genauen Angaben anatomischer Einzelheiten da auf, wo
sie zur Begründung und Lösung der strittigsten Fragen einsetzen
müßten. Diese Lücke sehen wir durch die Untersuchungen von
Albrecht ausgefüllt. Es ist bemerkenswert, daß seine Re-
sultate bezüglich der Prognose der Genitaltuberkulose sich
nahezu decken mit den Zahlen von Simmonds, welcher aus-
drücklich hervorhebt, daß sein Material nicht nur makroskopisch,
sondern durchweg mikroskopisch durchforscht sei, während
Schlimpert angibt, daß die Diagnosen seines Sektionsmaterials
vorwiegend makroskopisch gestellt wurden.
Der Umstand, daß die Genitaltuberkulosse im Sek-
tionsmaterial bei Frauen nach der Aufstellung Krönigs etwa
fünfmal so oft, nach der Tabelle von Albrecht etwa achtmal so
häufig mit Peritonealtuberkulose kombiniert auftritt wie bei
Männern, obschon die prozentuale Häufigkeit der Genitaltuberku-
lose sowohl als der Peritonealtuberkulose überhaupt ungefähr für
beide Geschlechter gleichbleibt, mußte bereits stutzig machen,
Und es kann daher nicht überraschen, daß es Albrecht gelang,
in mehr als ein Drittel seiner Fälle einwandfrei zu zeigen, wie
eine alte Genitaltuberkulose, und zwar in acht Fällen, durch akute
Aussaat auf-das Bauchfell zur Todesursache wurde.
Dürfen wir also bereits auf Grund dieser pathologisch-
anatomischen Erhebungen die Genitaltuberkulose keineswegs als
Krankheit zweiter Dignität bezeichnen, so werden wir durch die
klinischen Beobachtungen in dieser Erkenntnis noch mehr be-
stärkt.
Spontane Durchbrüche in benachbarte Organe beschreibt
bereits Voigt, die Entstehung einer Miliartuberkulose von der
Genitaltuberkulose aus beobachtete Maas an einem Kinde, Fellner,
Hühnermann, Hunziker bei Graviden, Westenhöfer nach
Abort, von Tuberkeln in einer Uterusvene aus, Davidsohn bei
einer Wöchnerin von alten Tuberkuloseprozessen der Vagina und
Portio her. Aus neuester Zeit sei noch an die nicht seltenen
Fälle von Miliartuberkulose auf Grund ganz geringfügiger Ein-
griffe bei latenter Genitaltuberkulose erinnert, von denen wir nur
Pfannenstiel, Grasfenberg, die diesen traurigen Ausgang
zweimal nach Dilatation und Sondierung wegen Dysmenorrhoe zu
beklagen hatten, und Henkel nennen, welcher bei einer Patientin
sogar nach einfacher Sondierung plötzliche Ausbreitung und Tod
an tuberkulöser Meningitis erlebte.
Hierzu kommen Beobachtungen, wie sie Albrecht berichtet
und ich selbst zweimal im Laufe des letzten Jahres machte, In
dem einen meiner Fälle erfolgte ganz ähnlich wie in dem ersten
von Albrecht im Anschluß an die Curettage in wenigen Wochen
eine käsige, adhäsive Peritonitis, welche ohne Beteiligung der
Lungen durch schnell fortschreitende Konsumption zum Todo
führte.
Labhard berichtet gleichfalls von dem Auftreten von Miliar-
tuberkulose, außerdem von Amyloid der Niere und von einem
Todesfall an Careinom bei völlig konservativ behandelten Fällen.
v. Franqu6 vermag die Genitaltuberkulose keineswegs für so
harmlos zu halten, wie sie von Krönig geschildert wird, er hält
sie vielmehr für einen nur ausnahmsweise zu spontanem Stillstand
kommenden lokalen Zerstörungsprozeß, genau wie Simmonds,
und dies auf Grund von drei Fällen von Durchbruch eines tuber-
kulösen Abscesses im Bereiche der Genitalien in das Rektum,
wobei eine rechtzeitige Operation vielleicht noch Rettung gebracht
hätte, ebenso wie bei einer Patientin, bei der von einer überfaust-
großen tuberkulösen Pyosalpinx aus ein retroperitonealer Abseeß
in der Fossa iliaca entstanden war, dessen Kommunikation mit
der Bauchhöhle bei der zu spät ausgeführten Operation nicht ver-
hindert werden konnte. v. Franqu6s macht noch auf die Gefähr-
dung, auch der Patientin selbst, durch die bestehende: offene Tuber-
kulose aufmerksam und erinnert an den ätiologischen Zusammen-
hang der Schleimhauttuberkulose mit dem ÜCarcinom, ein Befund,
der außer von ihm noch von andern Autoren erhoben wurde
(Stein, Kaufmann, Wallart, Kundrat, Schütze und Andere).
Es ergibt sich hieraus, daß schon die Genitaltuberkulose
als solche gar nicht selten für die davon Betroffene recht gefähr-
lich werden kann.
Es versteht sich von. selbst, daß chronische tuberkulöse
Prozesse in Form von profusen Eiterungen, zumal wenn sie zu
größeren Ansammlungen in den Tubensäcken oder in peritonsalen
Verklebungen führen, an und für sich zur Schädigung des Alge-
meinbefindens in einer Weise beitragen können, daß zur Behebung
zum mindesten dieselben Eingriffe geboten sind, wie bei ähnlichen
Zuständen aus andern Gründen. Cohn berichtet aus der Krömer-
schen Klinik von zahlreichen Erfahrungen, zum Teil noch aus der
Zeit Pfannenstiels über den ungünstigen Einfluß langwierigen,
Jahre und Jahrzehnte sich hinziehender Prozesse, die endlich zu
starker Konsumption führten, ausschließlich infolge der Genital-
tuberkulose, und Simmonds zeigt uns die entsprechenden Pri-
parate bei drei seiner Sektionsfälle. Sie gehörten alle dem jugend
lichen oder mittleren Lebensalter an.
Aber die Bedeutung der Genitaltuberkulose erscheint noch
in besonderem Lichte, wenn man den Umstand in Betracht zieht,
daß sie in 80 bis 900/ der Fälle mit Lungentuberkulose kompli-
ziert ist, schon allein deshalb, weil sie zumeist ihren Ursprung
auf hämatogenem Wege von dort herleitet (nach Albrecht m
73,4 %/0), wie es Amann zuerst in klarer und überzeugender Weis
dargetan hat.
Schlimpert fand unter seinen 2173 Frauensektionen a
tuberkulösen Veränderungen irgendwelcher Art 1019 = 16,9 h
letale Fälle, unter 108 Bauchfelltuberkulosen aber 93 mal = 86,19
Tuberkulose als Todesursache. „Es finden sich demnach Bauch
felltuberkulosen ganz besonders häufig mit schweren Tuberkulose
formen kombiniert. Diese, wie viele andere ätiologische Beziehungen
hat die Bauchfelltuberkulose mit der nun zu betrachtenden Genital
tuberkulose gemeinsam.“ Die Genitaltuberkulose aber war M
seinem Material in 90,4 0/ọ der Sektionen mit Lungentuberkulos
kombiniert. . d
Krönig schließt nun aus dem Umstande, daß der Befun
an Genitaltuberkulose im Sektionsmaterial überwiegend bei t0
lichen Lungentuberkulosen erhoben wird, auf eine accessoris i
sekundäre Bedeutung der Genitaltuberkulose. Diese Schlußfike
rung trägt nicht den beiderseitigen Möglichkeiten in gleich £r
rechter Weise Rechnung. Angenommen selbst, daß die Geni m
tuberkulose immer sekundär entsteht und zwar in drei Viertel
Fälle von einer vorangegangenen ausgeheilten, noch bestehendet
oder wieder aufflackernden Lungentuberkulose, so kann er
gekehrt der schädigende Einfluß mehr oder weniger ausgode a
tuberkulöser Prozesse am Geschlechtsapparat auf das u
befinden nicht für alle Fälle in Abrede gestellt werden. ER
zweifellos, daß ein geschwächter, speziell bereits durch an
löse Prozesse an andern Orten geschädigter Organismus 1 50 A
Widerstandsfähigkeit tuberkulösen Prozessen in der Lungo 2%
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8. Dezember.
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über beeinträchtigt und herabgesetzt wird. So beobachten wir
denn in der Tat nicht selten mit dem Fortschreiten einer Genital-
oder Peritonealtuberkulose eine erneute Anfachung bereits latent
gewordener Herde in der Lunge, ein beschleunigtes Umsichgreifen
solcher Lungenprozesse, die noch nicht zum Stillstande gekommen
waren, sodaß uns der erwähnte Befund am Sektionstisch etwas
anderes zu lehren scheint: Me
Die Prognose einer bestehenden Lungentuberkulose
wird durch die Genitaltuberkulose wesentlich ver-
schlechtert. -
Sehr wichtig sind die Schlußfolgerungen, die sich daraus
für die Therapie ergeben. Solange der gleichzeitige aktiv fort-
schreitende Prozeß an der Lunge die Möglichkeit einer Ausheilung
offen läßt, sind wir verpflichtet, eine vorhandene Genitaltuberku-
lose durch Entfernung alles Kranken unschädlich zu machen, 80-
weit dies in unserm Vermögen steht.
Anderseits erscheint es zwecklos, ja sogar vielleicht schäd-
lich, operative Maßnahmen gegen die Genitaltuberkulose zu unter-
nehmen, wenn der Lungenprozeß sich bereits in vorgerücktem
Stadium zeigt.
Es findet also zweifellos auch eine Rückwirkung seitens des
sekundären, genitalen Herdes auf die primäre Lungenaffektion
statt. Das plötzliche lebhafte Umsichgreifen der tuberkulösen
Prozesse im Anschluß an Operationen und noch geringere Ein-
griffe, wie Curettage und Sondieren spricht nicht gegen, sondern
mit Jauter Stimme für die allgemeine Gefährlichkeit der Genital-
tuberkulose. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß ein so
virulenter Vorgang, selbst wenn er sich gegen die unmittelbare
Nachbarschaft gut abgekapselt hat und in diesem Zustande der
scheinbaren Ruhe unter Vermeidung operativer Eingriffe belassen
bleibt, auf demselben Wege, auf dem er entstanden ist, nämlich
auf dem Blutwege, jederzeit zu erneuter Infektion, zu erneuter
Anfachung der alten latenten Herde in den Lungen führen kann,
zumal dieselben einen Locus minoris resistentiae abgeben. Das
Kursieren der Tuberkelbacillen ist ja aber bei solchen tuber-
kulösen Prozessen recht häufig (Acs Nagy, Lüdke, Lieber-
meister, Jessen und Rahinowitsch, Forster und Ändere).
Die klinischen Erfahrungen geben diesen auf anatomischer
Basis aufgebauten Anschauungen Recht. Von den drei viel zitierten,
ungünstig verlaufenen Lungenfällen Polanos hatten bereits vor der
Operation alle Infiltrate, zwei außerdem noch Fieber. Die Frage
Polanos, ob wir bei solchen aktiv progredienten Fällen von
Lungentuberkulose die Genitaltuberkulose überhaupt noch operativ
angreifen sollen, ist sehr naheliegend und zweifellos ablehnend zu
beantworten. (Fortsetzung folgt.)
Sammelreferate.
Neuere Arbeiten zur Kenntnis der Lungentuberkulose
von Dr. Heinrich Gerhariz und Dr. Elisabeth Reinike, Berlin.
A. Arbeiten zur Aetiologie und Klinik der Lungen-
tuberkulose.
In den letzten Jahren hat sich immer mehr die Ueber--
zeugung Bahn gebrochen, daß die ersten Anfänge der Lungen-
tuberkulose recht weit zurückliegen. Den ersten Anstoß gaben
wohl die schnell populär gewordenen Anschauungen v. Behrings
über die Häufigkeit der intestinalen Infektion im frühesten Kindes-
alter. Dann wurde von pathologisch-anatomischer Seite für die
intrauterine Infektion wichtiges Material durch Bekanntgabe zahl-
reicher Fälle von Placentartuberkulose beigebracht, auch von der-
selben Seite die frühere Ansicht von der großen Seltenheit der
primären Darmtuberkulose korrigiert. Die größte Förderung er-
fuhr die moderne Auffassung durch das Bekanntwerden der
großen Häufigkeit positiver Tuberkulinreaktionen bei Kindern.
Solche Erfahrungen mußten notgedrungen das Interesse für den
eigenartigen, fast an der Schwelle der klinischen Wahrnehmung
stehenden Mechanismus der tuberkulösen Infektion wecken.
Bereits früher wurden in diesen Berichten die Untersuchungen
Römers und Hamburgers bekanntgegeben, die dahin zielten,
auf experimentellem Wege die Beziehung zwischen Erst- und
Zweitinfektion, zwischen Intensität der Infektion und Krankheits-
verlauf klarzulegen, die verschiedenen Typen des klinischen Ver-
laufs aus dem Modus der Infektion und der sekundär erfolgenden
Immunitätserscheinungen abzuleiten. In einer neueren Publikation
kommt Roemer (1) auf das frühere Thema zurück und legt von
neuem an der Hand klinischen, epidemiologischen und statistischen
Materials dar, daß die Erstinfektion fast immer im Kindesalter
erfolgt. Diese Erfahrungen sowie tierexperimentelle Untersuchungen
ergaben, daß die tuberkulöse Infektion Schutz gegen erneute
exogene Ansteckung verleiht. Die Immunität beruht nicht auf
einer Vernichtung, sondern auf einer Entwicklungshemmung der
neu eindringenden Tuberkelbacillen. Wenn nun unter besonderen
Umständen, z. B. durch sekundäre Erkrankung, der Immünitäts-
mechanismus versagt, sodaß eine Vermehrung der im Körper vor-
handenen Tuberkelbacillen möglich wird, kann es zur Entwicklung
neuer Tuberkuloseherde und erneuter Krankheitserscheinungen, zur
Phthise, kommen. Diese 'metastatische Autoinfektion kommt er-
fahrungsgemäß bei solchen Erwachsenen vor, die in der Kindheit
besonders schweren Infektionen ausgesetzt waren. Der Thorax
paralyticus, der meist die Folge einer schweren Erstinfektion in
der Jugend ist, wirkt vielleicht lokal disponierend auf die Ent-
stehung metastatischer Lungenherde,
Im Kampfe gegen die Phthise ist also die Verhütung der
Kindheitsinfektion die Hauptsache.
Es wurde dann weiterhin von Roemer (2) untersucht, ob die
Immunität auch bei „natürlicher“ anstatt künstlicher Nachinfektion
besteht. Zu diesem Zwecke wurde die Widerstandsfähigkeit tuber-
kulöser Meerschweinchen gegen Verfütterung und Inhalation von
Tuberkelbacillen und gegen Spontanansteckung (durch direkten Kon-
takt mit Meerschweinchen mit offenen tuberkulösen Geschwüren) ge-
prüft. Die Tiere erwiesen sich auch unter diesen Versuchsanord-
nungen, die die Verhältnisse der natürlichen Infektionsbedingungen
möglichst nachzuahmen suchten, als immun gegen eine Reinfektion.
Neue Versuchsreihen über Reinfektion beim Schafe be-
stätigten die früheren Ergebnisse, daß tuberkulöse Tiere auch
gegen wiederholte schwere künstliche Reinfektion sich völlig immun
zeigen. |
Diese Versuche ergeben, in Uebereinstimmung mit tier-
experimentellen Studien anderer Autoren, also auch wieder, „dab
eine bestehende, künstlich hervorgerufene oder natürlich ent-
standene Tuberkuloseinfektion Schutz gegen weitere Infektionen
verleiht“.
Ranke (3) versuchte es in einer interessanten Arbeit, von
dem Gesichtspunkte der neuen Ideen aus den klinischen Ver-
lauf der Tuberkulose zu analysieren. Er findet einen geradezu
cyelischen Ablauf typisch für die Tuberkulose und erinnert an die
vielbemerkte Tatsache, daß Tuberkulose und Lues in ihrem Ver-
lauf eine gewisse Analogie zeigen. Die Eigenheiten der ver-
schiedenen Tuberkuloseformen sind, sagt er, nicht aus dem Lebens-
alter, sondern aus den Infektions- und Immunitätsbedingungen zu
erklären. Zeitlich lassen sich verschiedene Perioden der menschlichen
Tuberkulose unterscheiden: 1. Das Stadium derGeneralisation (Drüsen-
tuberkulose) in direktem Anschluß an die Erstinfektion. 2. Das Sta-
dium der hämatogenen Dissemination bei schon ausgebildeter
Allergie (Skrofulose, Knochen- und Gelenktuberkulose). 3. Zuletzt
die Periode der lokalen Spätformen mit deutlich nachweisbarer,
a hochgradiger Immunität (Phthise, wahrscheinlich auch
upus).
Diese Auffassung der verschiedenen klinischen Bilder findet
eben ihre Stütze in den neueren, experimentell gewonnenen An-
schauungen über Erstinfektion, Superinfektion und Immunitäts-
erscheinungen. Entsprechend andern Infektionskrankheiten zeigt auch
die bei der Tuberkulose auftretende Immunität zeitliche Schwan-
kungen. Das Verhalten der Tuberkulose im Alter scheint im
Sinne einer Herabsetzung der Immunität zu sprechen.
Ob die Phthise — analog der tertiären Lues — als Folge-
erscheinung der Erstinfektion oder als Superinfektion aufzufassen
ist, läßt sich noch nicht entscheiden.
Ohne Zweifel ist die Schutzwirkung, die der Organismus
gegen die tuberkulöse Infektion ausübt, an die Tätigkeit besonderer
drüs ger Organe gebunden. Experimentell wurde bisher am
eingehendsten das Verhalten der Milz: der tuberkulösen Infektion
gegenüber studiert. Um festzustellen, ob die Entfernung der Milz
Tiere widerstandslos gegen den Tuberkelbacillus macht, wurden
von Schroeder, Kaufmann und Kögel (4) Kaninchen splen-
ektomiert und einige Wochen später mit virulenten Tuberkel-
bacillenkulturen vom Typus humanus intravenös infiziert. Die
Sektion ergab im wesentlichen dieselben Befunde wie bei den
nicht splenektomierten Kontrolltieren. Es wird also die natürliche
Resistenz der Kaninchen gegen den Typus humanus des Tuberkel-
bacillus durch die Entfernung der Milz nicht vermindert. Es ist
demnach anzunehmen, daß andere Organe (Knochenmark, Lymph-
drüsen, Thyreoidea) kompensatorisch für die Milz als Schutzorgan
. gegen tuberkulöse Erkrankung eintreten.
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1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —. Nr. 49.
8. Dezember.
~ Weiter wurde untersucht, ob von Kälbern gewonnene Milz-
breie durch Zusatz von Tuberkelbaeillen in ihrer immunisatorischen
Wirkung gesteigert werden können. Es ließ sich aber an Meer-
schweinchen zeigen, daß der Zusatz von Tuberkelbacillen keinen
Einfluß auf die immunisatorischen Eigenschaften des Milzbreies
hat. Auch nach Autolyse des Milzbreies blieben die Resultate
dieselben. Dagegen ließ sich mit autolysierten Milzbreien von
Hunden, die vorher mit Tuberkelbacillen infiziert worden waren,
zeigen, daß diese von stärkerer immunisatorischer Kraft waren als
die Milzbreie nicht infizierter Tiere. -~ er
Im Thermostaten wurden Tuberkelbacillen durch autolysiorte
Milzbreie in ihrer Virulenz stark beeinträchtigt, zum Teil wurden
sie gänzlich avirulent. Morphologische Veränderungen der Tuberkel-
bacillen konnten nicht festgestellt werden.
Der Arbeit beigefügte Abbildungen histologischer Präparate
der Organe mit Milzbrei behandelter tuberkulöser Meerschweinchen
zeigen eine starke Bindegewebsentwicklung in der Umgebung der
Krankheitsherde als Ausdruck von Heilungsvorgängen.
Durch Impfungen mit Milzbreien und Milzbreiextrakten, zu-
sammen mit Tuberkulin, sowie durch Prüfung auf dem Wege der
Komplementbindung konnte keine Verminderung des Antigengehalts
des Tuberkulins durch den Milzbrei festgestellt werden. Im Serum
der mit Milzbrei behandelten Tiere waren keine Antituberkuline
nachweisbar.
Die Wirkung der Breie aus Iymphocytären Organen ist mit
Wahrscheinlichkeit auf ihren Gehalt an Lipase, ölsauren Seifen
und Lipoiden zurückzuführen. |
Man kann nach diesen und ähnlichen früheren Erfahrungen
über die Bedeutung der Drüsen für die Heilung der Tuberkulose
Abramowski (5) nur zustimmen, wenn er die Wichtigkeit eines
gesunden Lymphgefäßsystems als Schutz gegen die Ansiedlung des
Tuberkelbacillus nachdrücklich betont. In der Arbeit dieses Autors
wird auch auf den Zusammenhang zwischen ererbter Lymphdrüsen-
erkrankung und ererbter Tuberkulosedisposition hingewiesen. Ueber
den Umfang, in dem gewisse Drüsenerkrankungen zur Tuberkulose
in Beziehung stehen, herrscht auch heute durchaus noch keine volle
Klarheit. Die einen sind z.B. geneigt, diePseudoleukämie, ein klinisch
und anatomisch scharf begrenztes Krankheitsbild, der Tuberkulose an-
zugrenzen; die andern hingegen schreiben dem Tuberkelbacillus für
die Astiologie der Hodgkinschen Krankheit eine nur sekundäre
Rolle zu. Kaufmann (6) beschrieb unlängst einen Fall, der ohne
Zweifel gegen die Annahme einer tuberkülösen Aetiologie spricht.
Die histologische und bakterielle Untersuchung einer exstirpierten
Drüse ergab hier keinerlei Anhaltspunkte für Tuberkulose.
Differentialdiagnostisch wird von dem Autor in der in Rede
stehenden Publikation noch ein Fall von Drüsentuberkulose mit
tuberkulöser Lungen- und Rippenfellentzündung besprochen; bei
einem dritten Fall handelte es sich um eine beginnende Hodgkinsche
Erkrankung mit komplizierender Lungentuberkulose.
Auch die Beziehung der Anämie zur Tuberkulose hat in
jüngster Zeit mehr Aufmerksamkeit gefunden. Gluzinski (7)
teilte in Brauers Beiträgen ausführlich Krankengeschichte und
Sektionsprotokoll eines Falles von schwerer Anämie mit, bei dem
der klinische Befund auffallend stark wechselte. Anfänglich das
klinische Bild der perniziösen Anämie zeigend, verschob sich der
Blutbefund mit der Besserung des Lungenbefundes nach der Rich-
tung des chlorotischen Typus, wobei die auf der Höhe der Er-
krankung vorhandene Leukopenie, Lymphämie und Eosinophilie
verschwanden. Kompliziert war der Fall mit einem ätiologisch un-
klaren Darmprozeß. Bei der Obduktion fand sich eine primäre
Darmtuberkulose. Auffallend war die große Heilungstendenz der
Darmgeschwüre. Die mikroskopische Untersuchung des Geschwürs-
grundes ergab Tuberkelbacillen vom Typus bovinus. Da nun der
menschliche Tuberkelbacillus im allgemeinen keine so schwere
Anämie hervorruft, ein Verhältnis zwischen dem Grade der Er-
krankung und dem Blutbefunde nicht besteht, fand vielleicht das
ungewöhnliche klinische Bild in diesem Falle durch den Befund
des Typus bovinus seine Erklärung. Experimente, die im Anschluß
an den beobachteten Fall im Laboratorium des Verfassers von
Franke angestellt wurden, ergaben nun Verschiedenheiten zwischen
der Einwirkung des menschlichen und tierischen Tuberkulins auf
das Blut und die blutbildenden Organe, die den klinisch beob-
achteten Unterschieden durchaus entsprachen. Wahrscheinlich findet
sich die schwere Blutalteration durch den Tuberkelbaeillus tierischen
Ursprungs am häufigsten bei Kindern. Ein typisches Beispiel eines |
solchen Falles (zwölfjähriges Mädchen) wird von dem Verfasser
noch angeführt.
| Auch für die endothorakale Lymphdrüsentuberkulose sind
jetzt charakteristische Blutveränderungen nachgewiesen worden,
Wie zu erwarten stand, ist hierbei [Schulz (8)] die Verhältnis-
zahl zwischen. polynukleären und mononukleären Formen zugunsten
der letzteren verschoben. Bei allen Erkrankungen, bei denen die
Lymphdrüsen beteiligt sind, tritt ja eine Lymphoeytose ein,
Nach der Meinung des Verfassers ist nun bei jeder Tuber-
kulose das Drüsensystem beteiligt und es tritt eine nach Grad und
Art der Erkrankung verschieden starke Lymphocytose auf. Bei
schweren Fällen kann durch Ausschaltung erkrankter Partien — in-
folge Verkalkung oder fibrinöser Umwandlung der Drüsen — die
Lympbocytenzahl vermindert werden. — Die Lymphocytose erweist
sich als speeifisch, wenn durch Tuberkulin eine weitere Steigerung
der Lymphoeytenzahl hervorgerufen werden kann. Bei aktiven
Drüsenprozessen genügen geringe Dosen Tuberkulin, bei inaktiven
sind größere Dosen nötig. Bei zu hohen Dosen kann das Bild
durch die chemotaktisch ausgelöste polynukleäre Leukocytose ver-
wischt werden. l l
Als zweites Ergebnis seiner Blutuntersuchungen fand der
Verfasser ein fast vollständiges Fehlen von Fibrinfäden. Ob dies
auf. eine verminderte Fähigkeit der Thrombokinasebildung oder
Thrombokinaseabgabe von seiten der veränderten Lymphocyten
zurückzuführen ist, bleibt noch zweifelhaft.
In diesem Zusammenhange sei eine kritische Darstellung
unserer heutigen Kenntnis von der Symptomatologie der Bronchial-
tuberkulose von Philippi (9) kurz erwähnt. In der Arbeit wird
die Möglichkeit einer frühzeitigen Erkennung der Erkrankung be-
sonders ‚betont. |
Die subjektiven Symptome sind auch bei Erwachsenen im all-
gemeinen die einer beginnenden aktiven Tuberkulose. Von den objek-
tiven Symptomen sind nach dem Verfasser die wichtigsten die Per-
kussionsbefunde. Vordere Dämpfungen im zweiten und in den dem
dritten Interkostalraum angehörigen parasternalen Partien deuten
‚ auf Mediastinaldrüsen; hintere paravertebrale Dämpfungen in Höhe
des dritten bis fünften Brustwirbels sind für Hilusdrüsen charak-
teristisch. Durch entzündliche Infiltration in der Umgebung der
affizierten Drüsen wird der Dämpfungsbezirk vergrößert. Der Ver-
fasser ist also anderer Ansicht als Krämer, der die vergrößert
Dämpfung durch Stauung im Lymphgefäßsystem erklärt. Auskul-
tatorisch fand der Verfasser ein nach dem bronchialen Charakter zu
verändertes Atmen. Diagnostisch wichtig sind labile und sub-
febrile Temperaturen. Sehr wertvoll sind die ergänzenden Unter-
suchungsmethoden: Tuberkulinreaktion, Röntgenaufnahme und Blut-
untersuchung. * ”
+
In der letzthin viel diskutierten Frage nach dem Einfub
der Gravidität auf den Verlauf der Lwungentuberkulose ist
: Cohn (10) durch das Studium des Posener Fürsorgematerials zu
Anschauungen geführt worden, die von den sonst verbreiteten
etwas abweichen.
An 58 Fällen von Lungentuberkulose wird unter Beifügung
der gekürzten Krankengeschichten gezeigt, daß in der groben Mehr-
zahl der Fälle (91 %/,) die Schwangerschaft ohne Einfluß auf den
Krankheitsverlauf blieh; auch schwerer Erkrankte überstanden die
Schwangerschaft auffallend gut. In 9 0/, der Fälle trat im Au
schluß an die Entbindung eine Verschlimmerung ein. Ein ur
günstiger Einfluß längeren Stillens auf den Lungenbefund war
nicht direkt nachweisbar, wohl aber wurden in hohem Maße der
Ernährungszustand und das Allgemeinbefinden der tuberkulösel
Mütter beeinträchtigt. Auch Nahm (11) tritt auf Grund seiner
ungünstigen Erfahrungen der fast allgemein anerkannten Ansicht
bei, daß das Stillen tuberkulösen Müttern zu verbieten sei.
Für die bei Tuberkulösen vorkommende croupöse Pneu
monie wird von v. Czylarz (12) ein ätiologischer Zusammenhang
zur Tuberkulose angenommen.
Kögel(13) stellte zum Studium der Mischinfektion e
logische Untersuchungen am Sputum an. Er findet, daß die W
molytischen Eigenschaften der gefundenen Bakterien im Verglel
mit den klinischen Erscheinungen einen Maßstab zur Entscheidung
der Frage abgeben können, ob eine Mischinfektion vorliegt 00
nicht. Die Lehre von der. Streptokokkenkurve bei der A
tuberkulose ist seiner Ansicht nach falsch. Es besteht kein 71
sammenhang zwischen der Anwesenheit pathogener Kokken W
einem bestimmten Fiebertypus. N
Die Staphylokokken, die in erster Linie bei den Un ai
suchungen gefunden wurden, sind sicher in einzelnen Fällen la
thogene Mischinfektionserreger gewesen. Meist erschienen 810
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8. Dezember.
vorübergehend, z. B. nach Lungenblutungen. Sie finden sich im
Endstadium der Phthise, aber nur bei den chronisch-käsig-destruk-
tiven Fällen mit Fieber. Dauernd wurden sie nur in einem Falle
von tuberkulöser Septicämie nachgewiesen. Die Streptokokken, die
seltener als die Staphylokokken vorhanden waren, waren allermeist
harmlose Saprophyten bei der Lungentuberkulose. Der Strepto-
coccus longus haemolyticus wurde nie beobachtet. Bei chronisch
kavernösen und akut destruktiven Fällen wurden anaerobe Strepto-
kokken und Staphylokokken gefunden. Die chronische Misch-
infektion beilLungentuberkuloseistim großen und ganzen
sehr selten. |
Prognostisch ist die Bestimmung der Hämolyse der im Spu-
tum vorhandenen Kokken wertvoll. Für die Therapie ergibt
sich die Wichtigkeit der Prophylaxe der Mischinfektion. Eine
speeifische Eigenvaceinetherapie ist mit Vorsicht zu versuchen.
Was den Einfluß der Thoraxstarre auf den Ablauf der
Lungentuberkulose betrifft, so liegen zu dieser durch die Freund-
schen Untersuchungen aktuell gewordenen Frage neue Studien
von Grau (14) vor. Er unterscheidet zwei Formen von
Thoraxstarre: den einfach starren in Exspirations- oder
mittlerer Inspirationsstellung und den starr dilatierten in In-
spirationsstellung. Beide sind ätiologisch verschieden.
fach starre Thorax findet sich im Senium und nach Erkrankung
des Thoraxinhalts. Bei der Untersuchung tuberkulös Lungen-
kranker auf die Elastizität ihres Brustkorbs hin zeigte sich eine
Herabsetzung der Elastizität nur bei den sehr chronisch verlaufen-
den Fällen. Die Röntgenuntersuchung bestätigte den Freund-
schen Befund: das sehr häufige Vorkommen einer Verknöcherung
des ersten Rippenknorpelpaars bei Tuberkulose.
Der starr dilatierte Thorax wird durch seine erkrankten
Knorpel fixiert. Neben der Knorpelerkrankung, die auch klinisch
nachweisbar ist, ist die Faßform und der Tiefstand des Zwerch-
fells für diese Form der Thoraxstarre charakteristisch. Schwere
körperliche Arbeit und Heredität sind disponierende Momente. Der
starr dilatierte Thorax wirkt günstig auf eine bestehende Tuber-
kulose durch Ruhigstellung der Lungen, insbesondere der Lungen-
spitzen.
Montenegro (15) findet, daß der Lungenbefund bei Mitral-
stenose oft eine Tuberkulose vortäuschen kann. Anamnestisch
geben die Kranken an, sehr abgemagert zu sein, an häufigen und
hartnäckigen Katarrhen zu leiden und auch zeitweise Blut auszu-
werfen. Die Perkussion ergibt über der rechten Lunge normalen
Schall, links ist der Schall tympanitisch. Das Atmen ist dort rauh,
verschärft und sakkadiert. Verfasser führt das auf den Blastizitäts-
verlust der linken Lunge infolge der Kompression durch den ver-
größerten linken Vorhof und auf die im Anschluß daran ent-
stehende Atelektase der linken Lunge zurück. Wenn der Prozeß
fortschreitet, können infolge der Atelektasen Bronchiektasien ent-
stehen und so Kavernensymptome auftreten, die das Bild der
Tuberkulose noch wahrscheinlicher machen. Erfahrungsgemäß und
autoptisch bestätigt tritt bei Mitralstenose Lungentuberkulose sehr
selten auf. Man soll deshalb bei Kranken mit Mitralstenose die
Diagnose auf Tuberkulose nur bei positivem Bacillenbefunde stellen.
Kraus (16) hebt die Wichtigkeit der Differentialdiagnose
zwischen Sero-Pneumothorax bei Tuberkulose und pleuriti-
schem Exsudat — besonders mit Rücksicht auf die Therapie —
hervor. Die Gasblase, die für den Sero-Pneumothorax charak-
teristisch ist, ist im Röntgenbilde bei aufrechter Haltung nicht
immer zu sehen. Daher ist es nötig, den Patienten während der
Durchleuchtung sich um etwa 45° nach der gesunden Seite neigen
zu lassen. Dann springt sehr oft die Gasblase hervor, aller-
dings nur, wenn keine Adhäsionen zwischen beiden Pleurablättern
bestehen. Diese Methode ist für die Diagnostik sehr wertvoll.
Man kann bei jedem Exsudat nach Anlage eines künstlichen Sero-
pneumothorax eventuell vorhandene Verwachsungen diagnostizieren.
Diese werden die Exkursionen der Luftblase beschränken und die
Form des Gasmeniscus verändern.
Es sei zum Schluß noch auf einen interessanten Aufsatz von
Koehler (17) aufmerksam gemacht, der die psychischen Einwir-
kungen der tuberkulösen Infektion zum Gegenstande hat. Es ist
hiernach nicht möglich, das Bild einer umschriebenen generellen
Tuberkulosepsychose aufzustellen.
B. Arbeiten zur Behandlung der Lungentuberkulose.
‚... Von Bauer (18) wurden auf der 6. Versammlung der Ver-
einigung der Lungenheilanstaltsärzte die Tatsachen, die über den
Inneren Zusammenhang zwischen Tuberkulinantikörperproduktion
und Tuberkulinheilwirkung vorliegen, kurz diskutiert. Es wurde von
. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49,
Der ein-
1999
—
m nn
ihm{die Einheitlichkeit des tuberkulösen Antigens (Alttuberkulin,
Bacillenemulsion, Tuberkulol) mittels der Komplementbindung
untersucht. Dabei stellte sich heraus, daß neben eignen Teilantigenen
auch ein einheitliches Partialantigen in diesen Präparaten vorhan-
den ist, Dann wurden interessante Versuche angestellt, Jod mit
Tuberkulin zu kombinieren. Gelingt das, so ist ja die Möglich-
keit gegeben, das Jod direkt an die tuberkulösen Krankheits-
herde zu bringen. In der Tat verliert das Tuberkulin, wenn es
mit Jod verkettet ist, seine Eigenschaft als Antigen nicht, sondern
löst auch dann noch Reaktionen aus.
Eine Reihe von Autoren ist in der Frage der Bewertung des
Tuberkulins als Heilmittel noch sehr skeptisch. So z. B. erwies
sich Meißen (19), Ulrici (21) und Anderen das Tuberkulin klinisch
nicht sicher als specifisches Heilmittel. Ulriei und Schröder (20)
scheint die Heilwirkung des Tuberkulins auch theoretisch noch
nicht sicher begründet. Weder Tierexperimente noch Statistiken
geben bisher eindeutige Aufschlüsse. |
Als Beitrag zur pathologisch-anatomischen Forschung der
Tuberkulinwirkung berichtet Schroeder über einen Fall seiner
Beobachtung. Es handelt sich um einen Kranken mit vorge-
schrittener Lungentuberkulose, der längere Zeit mit Tuberkulin
behandelt worden war und plötzlich an einer interkurrenten akuten
Krankheit starb. Die Obduktion ergab eine auffallend starke
Bindegewebsentwicklung in der Umgebung der Lungenherde. Die
bindegewebige Umwandlung der tuberkulösen Herde führt der Ver-
fasser hier mit auf das Tuberkulin zurück. Sie scheint ihm am
| besten gefördert durch nicht zu häufige, kleinste Tuberkulingaben,
die die immunisatorisch wichtige Ueberempfindlichkeit erhalten.
Diese kleinsten Gaben sollen eine lokale Hyperämie und eine Ent-
zündung in der Umgebung der tuberkulösen Herde bewirken und
so eine. wünschenswerte Reizwirkung auf die Iymphatischen Organe
ausüben.
. Große Dosen können den Zerfall tuberkulöser Herde in un-
erwünscht hohem Maße beschleunigen. Eine Schnell- oder Hoch-
tuberkulinisierung ist also gefährlich. Klinische Beobachtungen
ergaben eine Neigung Hochtuberkulinisierter zu schweren Rezidiven.
Die künstlich erreichte Giftfestigkeit erhöht ferner nicht die
Widerstandsfähigkeit gegen die Tuberkulose. Vor der ambulanten
Tuberkulinbehandlung warnt der Verfasser auch.
Hinsichtlich der Technik der Tuberkulinbehandlung sei
auf eine Veröffentlichung von Litzner (22) hingewiesen. Dieser
Autor betont nochmals die schon früher von ihm vertretene Ansicht,
daß sich für die Dosierung bei der Tuberkulinbehandlung bestimmte,
allgemein gültige Zahlen durchaus nicht aufstellen lassen, sondern
daß strengste Individualisierung gefordert werden müsse. Es muß
für jeden Kranken die Dosis neu aufgesucht werden, die die Re-
aktionsgrenze bei ihm eben erreicht. Die Zeitabstände sind nach
dem klinischen Verhalten des Patienten zu bestimmen. Der Ver-
fasser steigt nach und nach, sobald er sieht, daß die vorhergehende
Dosis keine Wirkung mehr entfaltet, bis zur hohen Dosis von
10 mg Bacillenemulsion. Zu diagnostischen Zwecken sollten nur
kleine Dosen angewendet werden. Erfolgt nach 1, 3, 5 mg Alt-
tuberkulin weder eine Lokal- noch eine Allgemeinreaktion, so ist
eine tuberkulöse Erkrankung nicht anzunehmen. Auf hohe Dosen
reagieren auch Menschen, die als „klinisch nicht tuberkulös“ an-
zusehen sind. |
Mit Endotin hat Kurdjumoff (23) bei latenter und beginnen-
der Tuberkulose gute Erfahrungen gemacht. Rein hygienisch-
diätetisch behandelte Fälle wurden nicht in dem Maße gebessert,
Weniger Zweifel als die therapeutische Wirksamkeit be-
gegnet der diagnostische Wert des Tuberkulins. So decken sich
z. B. die Erfahrungen Baers (23) durchaus mit den sonstigen, daß
die Wolff-Eisner- und Pirquet-Reaktion specifische Proben auf
Tuberkulose und beide bei richtigem Verfahren ungefährlich sind.
Der Verfasser steht auf dem Standpunkte, daß, wenn die Wolff-
Eisnersche Probe positiv ist, auf jeden Fall ein aktiver tuber-
kulöser Herd vorhanden ist. Pirquet kann auch beim gesunden
Menschen positiv ausfallen; diese Reaktion ist allein für die Dia-
gnose eines aktiven oder inaktiven Processes ohne Bedeutung; sie
zeigt nur an, daß der Körper zu irgendeiner Zeit: mit Tuberkel-
bacillen in Berührung gekommen ist, die er jedoch ohne NachteiP
ausgeschaltet haben kann. Der Verfasser hat ein großes Material
tabellarisch zusammengestellt. Aus diesen Tabellen ergibt sich
die große Bedeutung, die beide Reaktionen in prognostischer
Hinsicht besitzen. In allen Fällen, in denen Wolff-Eisner und
Pirquet positiv ausfallen, ist die Prognose als günstig zu be-
zeichnen, da dann der Körper über wirksame Antitoxine verfügt.
Bei positivem Wolff-Eisner und negativem oder schwachem
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2000 Ä 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
Pirquet, oder bei Schnell- oder Spätreaktion der Pirquet-Probe
ist die Prognose ungünstig, da damit angezeigt wird, daß der
Körper auf die Tuberkeltoxine nicht mehr zu reagieren vermag.
Ausnahmen hiervon können vorkommen, sind aber sehr vereinzelt.
Wie die Pirquetsche Reaktion durch die Anwendung ab-
gestufter Tuberkulindosen an diagnostischer Bedeutung gewonnen
hat, scheint [Kögel (25)] der abgestuften Tuberkulinreaktion,
besonders der in längerem Intervall wiederholten Pirquetschen
Probe auch eine Bedeutung für die Prognose der Lungen-
tuberkulose zuzukommen. Die Impfungen wurden mit dem
Pirgquetbohrer vorgenommen, die Lösungen von Alttuberkulin
verschiedener Konzentration mit einer .bakteriologischen 2 mg-
Normalöse auf die Hautstellen gebracht. Die Papeln wurden mit
dem Zirkel gemessen, Infiltrationsstärke und Farbe genau bestimmt,
Der Arbeit angefügte Tabellen zeigen eine Einteilung der
Fälle in solche mit steigendem und gleichbleibendem oder fallendem
Pirquet bei klinisch wesentlicher Besserung, geringfügiger oder
keiner Besserung und bei Verschlechterung. Untergruppen sondern
die Fälle in käsige und fibröse und in solche, die mit Tuberkulin
behandelt wurden. Fälle mit schwankender Reaktion sind ge-
sondert aufgeführt. Ergebnisse: Bei guter klinischer Besserung
findet sich bei den käsigen Fällen ein starker, bei wiederholter
Reaktion ein steigender Pirquet, bei geringer Besserung und bei
Verschlechterung ein Sinken des starken oder ein Gleichbleiben
des schwachen Pirquet. Bei den leichten fibrösen Fällen findet
sich ein später und niedriger Pirquet, in den ganz leichten ab-
gelaufenen Fällen (auch bei Tuberkulinbebandlung) kein stärker-
werdender Pirquet. Bei den schweren fibrösen Fällen zeigt sich
bei erheblicher klinischer Besserung ein Stärkerwerden und ein
schnelleres Auftreten des Pirquet.
Bei frischen infiltrativen Fällen ist eine starke Hautreaktion
günstig, eine schwache prognostisch ungünstig.
Periodische Schwankungen der Reaktionsfähigkeit sind pro-
gnostisch ungünstig.
In einer Arbeit von Piel (26) wird ein historischer Ueber-
blick und ausführlicher kritischer Bericht über die Serumtherapie
der Tuberkulose gegeben. Da die Grundlage der passiven Immuni-
sierung: die Kenntnis der Antituberkuline und sonstigen tuber-
kulösen Antikörper, speziell in ihren Heilungsbeziehungen zu den
verschiedenen Formen der menschlichen Tuberkulose noch durchaus
unzureichend ist, scheint ihm ein abschließendes Urteil über den
Wert der Serumbehandlung vorläufig unmöglich. Es muß weiteren
Untersuchungen, vor allem tierexperimentellen Studien vorbehalten
bleiben, den serotherapeutischen Bestrebungen ein besseres wissen-
schaftliches Fundament zu geben.
Sobotta (27) berichtete über Erfabrungen mit dem Höchster
Serum. Dieses ist im Gegensatz zu dem Marmorekserum, das
durch Immunisierung gesunder Tiere gewonnen wird, durch Immuni-
sierung von Tieren erhalten, die vorher durch intravenöse Ein-
spritzung von Tuberkelbacillen tuberkulinempfindlich gemacht
worden waren. Diese Vorbehandlung ist Bedingung für die Ge-
winnung eines wirksamen Serums, da ja nur der tuberkulös erkrankte
Organismus auf das Tuberkulin reagiert. Der Verfasser hat mit
dem Höchster Serum bei schwer tuberkulösen Lungenkranken in
500%, der Fälle therapeutischen Erfolg gehabt. Er gibt mehrere
subcutane Einspritzungen in Dosen von 5 bis 10 g. Hervorgehoben
werden als Zeichen der Besserung: Hebung des Allgemeinbefindens,
starke Anregung des Appetits, Erleichterung der Expektoration. .
Unbeeinflußt blieben Lungenblutungen und Nachtschweiße. Der
Verfasser empfiehlt die Behandlung mit dem Höchster Serum bei
schweren Fällen von Lungentuberkulose, bei denen keine Kompli-
kation seitens des Darmes vorliegt.
Von Berlin (28) wurden 52 Fälle von Lungentuberkulose
aller drei Stadien während mehrerer Monate mit der Kuhnschen
Maske behandelt. Der Verfasser kommt zu dem Gesamtergebnis,
„daß die Nachteile der Maskentherapie ihre Vorteile bedeutend
überwiegen“. Dieser Satz gilt für alle drei Stadien. Bei ver-
schiedenen Fällen, sowohl bei Leicht- als auch bei Schwerkranken,
zeigte sich eine deutliche Verschlimmerung des objektiven Lungen-
befundes, die auf die Maskenbehandlung zurückgeführt werden
foußte,. Als günstiges Resultat schien sich ein schnellerer Rück-
gang von Husten und Auswurf geltend zu machen; dieser Erfolg
war jedoch, wie Nachprüfungen ergaben, kein dauernder. Die
Hebung des Aligemeinbefindens führt der Verfasser auf die stets
mit der Maskenbehandlung verbundengewesene Freiluftliegekur
zurück.
| Ueber die Lungenkollapstherapie ist von Brauer und
Spengler (29) in ausführlichster Form (102 Fälle) berichtet
8. Dezember.
worden. Kaufmann (30) studierte im Experiment den Effekt des
künstlichen Pneumothorax. Hunden wurde ein einseitiger Pneumo-
thorax angelegt und 5t/2 Monate lang durch Stickstoffeinblasungen
unterhalten. Nach weiteren fünf Monaten wurden die Tiere getötet,
Mikroskopische Schnitte der kollabierten Lunge ergaben eine deut-
liche Wucherung des perivasceulären und peribronchialen Binde-
gewebes und eine bindegewebige Verdickung der Septen und der
Pleura. Dadurch wurde die. Lunge an ihrer Wiederentfaltung ge-
hindert. Sekundär entstand ein Katarrh in den Alveolen.
Daraus ergibt sich für den therapeutischen Pneumothorax
wieder eine Einschränkung auf die Brauersche Indikationsstellung,
wonach der Pneumothorax nur bei Versagen der hygienisch-
diätetischen und specifischen Behandlung angezeigt ist.
Eine ähnliche Wirkung wie der Pneumothorax üben einseitige
pleuritische Ergüsse aus. Indessen handelt es sich hier, wie
Königer (31) des näheren ausführt, nicht lediglich um die
mechanische Wirkung — Ruhigstellung des erkrankten Organs —.
Es zeigte sich nämlich, daß der Erfolg bei kleinen Ergüssen ein
ebenso günstiger ist al» bei großen, und daß bei der tuberkulösen
Pleuritis die klinisch nachweisbaren Veränderungen der Lunge der
entgegengesetzten Seite ebenso rasch und vollständig zur Aus-
heilung kamen wie auf der pleuritischen Seite. Der Verfasser
glaubt, daß durch die Reaktion der Pleura eine Abschwächung
der Tuberkelbacillen zustande kommt und so die Heilung der Tuber-
kulose möglich wird. Bei fortgeschrittener Tuberkulose ist die
chemische Pleuritiswirkung nicht mehr so stark, und daher komnt
bei Begleitpleuritiden der mechanischen Wirkung hier größere Be-
deutung zu. Je nach Lage des Falles kann nun diese Wirkung
einen günstigen oder ungünstigen Einfluß auf den Verlauf der
Krankheit haben.
Bei beinahe allen Kranken seiner Beobachtung, besonders
bei Fällen von Initialpleuritiden, konnte der Verfasser einen über-
raschend guten Krankheitsverlauf feststellen und neben den lokalen
Erfolgen (Verschwinden der Lungenerscheinungen: Rasselgeräusche,
Husten, Auswurf) wurde auch eine glänzende Allgemeinerholung
erzielt. Der günstige Verlauf der Krankheit hielt in der groben
Mehrzahl der Fälle an, bei 67 °/, war sogar eine relative Heilung
der Tuberkulose anzunehmen.
Die Prognose der tuberkulösen Pleuritis wird übrigens
nicht durch die Größe des Exsudats bestimmt (32), sondern Pro-
gnose und Therapie müssen sich nach der tuberkulösen Grund:
erkrankung richten. Der wichtigste Anhaltspunkt ist der Verlauf
des Fiebers. Prognostisch günstig sind die Fälle, bei denen regel-
mäßiges kontinuierliches Fieber besteht, das innerhalb kurzer Zeit
zur Norm fällt. Prognostisch ungünstig sind dagegen die-Fälk
mit unregelmäßigem, stark remittierendem, langsam abfallenden
Fieber. Diese Fiebererscheinungen müssen in vielen Fällen auf
anderweitige Erkrankungen zurückgeführt werden, wie denn auch
in solchen Fällen meist schwere andere Lungenveränderungen vor-
liegen. Als zweckmäßige therapeutische Maßnahmen sind also dis
anzusehen, die bei Bekämpfung der pleuritischen Symptome jodo
schädigende Einwirkung auf die Grundkrankheit zu vermeiden
suchen.
Auf Grund von zytologischen Untersuchungen tuberkulössr
Pleuraexsudate kommt Koeniger zu der Ansicht, daß die g
wöhnlichen therapeutischen Maßnahmen (Probepunktion, Punktion,
innere und äußere Mittel) die spontan erfolgende Selbst-
reinigung des Exsudats von allen nicht Jymphocytären Elementen
nicht zu beeinflussen vermögen. Nur die direkte Injektion Y0
Jodoformglycerin hatte fast stets eine starke Vermehrung der
Leukocyten und eine Verminderung der Lymphocyten zur Folge.
Größere Punktionen steigerten den Iymphocytären Zellgehalt des
Exsudats, während wiederholte Probepunktionen und Autsel
therapie entgegengesetzte Wirkung hatten. Die Frag®, ob di
Iymphocytäre Reaktion die wirksamste Abwehrvorrichtung und also
therapeutisch erstrebenswert ist, bleibt noch offen. i
Ueber die Spenglersche J.-K.-Behandlung ist von Star l
loff (83) eine Mitteilung erschienen, die entschieden 20 aj)
gunsten dieser Art der Behandlung spricht. Von Gottschalk( l
liegt ein ebenso ungünstiger Bericht über die Wirkung der Hei
stättenbehandlung auf tuberkulöse Steinhauer vor. Be
heim (85) tritt sehr warm für das Dioradin (radio-aktive h i
Menthol) ein, mit dem er im ersten und zweiten Stadium der +0 n
kulose sehr häufig vollständige Heilerfolge und stets N
fallende dauernde Besserungen erzielt haben will. Ein Erfolg sol A
dann zu erwarten sein, wenn der Allgemeinzustand ein UAT ia
Bei Larynxtuberkulose erzielte Schröder (86) durch Kombina
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49. 2001
der lokalen Therapie mit der Heilstättenbehandlung in 31 0/ọ der
Fälle Dauererfolge.
Literatur. 1. Paul H. Römer (Inst. f. Hygiene u. exper. Therapie»
Marburg), Kritisches und Antikritisches zur Lehre von der Phthiseogenese. (B. z.
Kl. d. Tub. 1912, Bd. 22, S. 301— 339.) — 2. Derselbe, Ueber Immunität gegen
„natürliche“ Infektion mit Tuberkelbacilien. (B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 22,
S. 265—300.) — 3. Karl Ernst Ranke (München), Ueber den zyklischen Verlauf
der menschlichen Tuberkulose, (B. z. Kl. d. Tub. 1911, Bd. 21, S.1—-i6. —
4. G. Schröder, K. Kaufmann u. H. Kögel, Ueber die Rolle der Milz als
Schutzorgan gegen tuberkulöse Infektion. (Tuberkulosearbeiten aus der neuen
Heilanstalt für Lungenkranke zu Schömberg, O.-A. Neuenburg.) B. z. Kl. d.
Tub. 1912, Bd. 23, S. 1—199.) — 5. Hans Abramowski (Willenberg), Tuber-
kulose und Lymphgefäßsystem. (Z. f. Tub. 1912, Bd. 18, S. 467—468.) —
6. K. Kaufmann, Ueber Hodgkinsche Krankheit in ihren Beziehungen zur
Tuberkulose. Kasuistischer Beitrag. (B.z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 23, S. 63—73.)
— 7. Anton Gluzinski (Med. Klinik Lemberg), Die schweren Formen der
Anämie im Zusammenhang mit der Tuberkulose samt einigen Bemerkungen
über die Tuberkulose tierischen Ursprungs (Typus bovinus) bei den Menschen.
(B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 21, S. 881—357.) — 8. Eduard Schmelz (Davos),
ll. Das Blutbild und die Biutreaktion nach Tuberkulininjektionen bei endo-
thorakaler Lymphdrüsentuberkulose. (B. z. Kl. d. Tub. 1911, Bd. 21, S.79 bis
88.) — 9. H. Philippi (Davos), I. Das klinische Gesamtbild der endothora-
kalen Drüsen- und Lungenhilustuberkulose der Erwachsenen. (B. z. Kl. d.
Tub. 1911, Bd. 21, S. 67—78.) — Derselbe, II. Zusammenfassung. Uebersicht
über die Symptome der endothorakalen Drüsenerkrankung. Beifügung sechs
typischer Krankengeschichten mit Röntgenogrammen. (B. z. Kl. d. Tub. 1911,
Bd. 21, S. 99—108.) — 10. Leo Cohn (Aus der Städtischen Auskunfts- und
Fürsorgestelle für Lungenkranke zu Posen), Tuberkulose und Schwangerschaft.
(B. z. Kl. d. Tab. 1911, Bd. 21, S. 17—31.) — 11. Nahm (Frankfurt a. M.), Ueber
das Stillen tuberkulöser Mütter. (Verhandl. d. Vereinigung d. Lungenheil-
anstaltsärzte. 6. Versamm!l. Septbr. 1911. S. 72—78.) — 12. Ernst v. Czylarz
(Aus der III. med. Abteilg. des k. k. Kaiser Franz-Joseph Spitals in Wien),
Kruppöse Pneumonie bei chronischer Spitzentuberkulose. (B. z. Kl. d. Tub. 1911,
Bd. 21, S. 33—51.) — 13. H. Kögel, Ueber die Frage der chronischen Misch-
infektion bei Lungentuberkulose. Eine klinisch-bakteriologische Studie. (B. z.
Kl. d. Tub. 1912. Bd. 21, S. 75—155.) — 14. H. Grau (Ronsdorf), Tuberkulose
und Thoraxstarre. (Verhandl. d. Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte. 6. Ver-
sammlung. Septbr. 1911, S. 43—49.) — 16. José Verdes Montenegro (Madrid),
Sur un syndrome du r&tr&cissement mitral qui simule la tuberculose. (Zt. f.
Tub. 1911, Bd. 17, S. 541—548.) — 16. Hugo Kraus (Sanatorium Wienerwald
bei Pernitz), Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen.
(B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 21, S. 297—302.) — 17. F. Köhler (Holsterhausen),
Ueber die psychischen Einwirkungen der Tuberkuloseinfektion. (Verhandl. d.
Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte. 6. Versamml. Septbr. 1911, S. 2—8.) —
18. J. Bauer (Düsseldorf), Ueber das Problem der Tuberkulinreaktion. (Ver-
handl. d. Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte.e 6. Versamml. Septbr. 1911,
S. 8—15.) — 19. Meißen (Hohenhonnef), Erfahrungen mit Tuberkalin. (Ver-
handl. d. Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte.e 6. Versamml. Septbr. 1911,
S. 15—17.) — 20. G. Schröder, Ueber Tuberkulinbehandlung. (B. z. d. Tub.
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Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte. 6. Versamml. Septbr. 1911, S. 18—43.) —
22. M. Litzner (Aus der Kgl. Klosterheilanstalt f. Lungenkranke, Bad Rehburg),
Die Dosierung des Tuberkulins. (Zt. f. Tub. 1911, Bd. 17, S. 549-552.) —
23. D. Kurdjumoff (Sanator. „Halila“, Finnland‘, Das Endotin (Tuberkulin
purum) bei latenter Tuberkulose und Phthisis incipiens im Alter von 10 Jahren
an. (B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 22, S. 73—95.) — 24. Otto Baer (früher
Hohenhonnef a. Rh.), Gibt uns die Wolft-Eisnersche Probe im Verein mit der
v. Pirquetschen Probe Aufschlüsse in bezug auf Aktivität und Prognosestellung
tuberkulöser Lungenerkrankungen. (Zt. f. Tub. 1912, Bd. 18, S. 249—277.) —
25, H. Kögel, Ueber die Pirquetsche Hautreaktion in abgestuften Dosen in
bezug auf diePrognose und die Tuberkulintherapie bei der Lungentuberkulose.
(B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 23, S. 43—55.) — 26. Paul Piel (Hygien.-bakteriol.
Institut Straßburg), Die bisherigen sero-therapeutischen Bestrebungen bel Tuber-
kulose. (B.z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 21, S. 3083—3380.) — 27. E. Sobotta (Görbers-
dorf), Zur Serumbehandlung der Lungentuberkulose. (Zt. f. Tub. 1911, Bd. 17,
S. 686—540.) — 28. Berlin (Aus der Tuberkulose-Klinik der Kölner Akademie),
Klinische Erfahrungen mit der Lungensaugmaske bei 52 Fällen von Lungen-
tuberkulose. (B. z. Kl. d. Tub. 1912, Bd. 23, S. 317—453.) — 29. L. Brauer
u. Lucius Spengler (Med. Klin. Marburg u. Sanat. Schutzalp-Davos), Erfah-
Fungen und Ueberlegungen zur Lungenkollapstherapie. Drei klinische Be-
obachtungen bei künstlichem Pneumothorax. (B. z. Kl. d. Tub. 1911, Bd. 19,
S. 1—335.) — 30. K. Kaufmann, Ueber die Veränderungen der Pleura und
Lunge gesunder Hunde durch künstlichen Pneumothorax. (B. z. Kl. d. Tub.
1912, Bd. 23, S. 57—61.) — 31. H. Königer (Aus der med. Klinik zu Erlangen),
Beiträge zur Kilinik und Therapie der tuberkulösen Pleuritis. I. Ueber die
Wirkung der Pleuritis auf die Grundkrankheit. (Zt. f. Tub. 1911, Bd. 17,
S. 521— 588.) — 82. H. Königer (Med. Klinik Erlangen), Beiträge zur Klinik und
Therapie der tuberkulösen Pleuritis. II. Ueber die Prognose der tuberkulösen
Pleuritis und die Aufgaben der Pleuritistherapie. III. Zur Kenntnis der
Reaktion der erkrankten Pleura auf therapeutische Eingriffe. (Zt. f. Tub. 1912,
Bd. 18, S. 417—429.) — 33. F.Starkloff (Aus der Lungenheilstätte Belzig),
Erfahrungen über J. K. (Spengler). Zt. f. Tub. 1911, Bd. 17, S. 559—561.) —
34. S. Gottschalk, Heilstättenresultate bei Iungentuberkulösen Steinhauern
mit Bezug auf die gesetzliche Invalidenrentee (B. z. Kl. d. Tub. 1911,
Bd. 21, S. 59—65.) — 85. Samuel Bernheim. Nouvelles recherches sur la
radiumtherapie dans la Tuberculose. (Zt. f. Tub. 1912, Bd. 18, S. 278—304.)
— 86. Schröder (Schömberg), Ueber Dauererfolge bei Larynxtuberkulose.
her d. Vereinig. d. Lungenheilanstaltsärzte. 6. Versamml. Septbr. 1911.
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Man muß, wie L. Kuttner ausführt, bei ätiologisch unklaren
Fällen von Darmkatarrhen und bei schweren Anämien immer auch an
eine Chronische Arsenvergiftung denken. Diese kann durch grüne,
arsenhaltige Tapeten erzeugt werden, und zwar wahrscheinlich durch
deren gifthaltigen Staub. Für die Diagnose wichtig ist der exakte Nachweis
von Arsen nicht nur in der Tapete, sondern auch im Harne des
Kranken. Natürlich darf der Patient vorher kein Arsenpräparat ge-
nommen haben. Die Menge von Arsen, die in den Tapeten nachgewiesen
worden ist, war zwar im allgemeinen keine sehr große, genügte aber
vollständig, eine Vergiftung hervorzubringen, wenn man berücksichtigt,
daß die Kranken während der Nacht dauernd der Einwirkung des Giftes
ausgesetzt sind; denn die Tapeten des Schlafzimmers waren es, die
Arsen enthielten. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 45.) F. Bruck.
Ruth Tunnicliff (Chicago) erinnert an eine sehr einfache
Färbung der Spirochaete pallida, die allerdings schon vorher von
Oppenheimer und Sachs und von Ploeger benutzt wurde, aber noch
sehr wenig bekannt zu sein scheint. Als Farbstoff verwendet sie eine
Mischung von gesättigter alkoholischer Gentiansviolettlösung mit 5°/oigem
Karbolwasser im Verhältnis 1:10. Fixation über der Flamme; sie ist
aber nicht nötig und wird bei Phagocytoseuntersuchungen besser unter-
lassen. In letzterem Falle färbt man etwa drei Minuten — bei gewöhn-
lichen Untersuchungen bloß einige Sekunden — und verwendet nach
Auswaschen und Trocknen als Gegenfärbung für die Leukocyten die
Leishmansche oder eine andere passende Farbe. (J. of Am. ass. 1912,
Bd. 58, Nr. 22, S. 1682.) Dietschy.
Gluzinski hat 1901 eine Methode zur Differentialdiagnose zwischen
benigner und maligner Pylorusstenose angegeben, die auf Verminderung
der Hypersekretion bei Uebergang eines Ulcus in Carcinom beruht. Er
hebert an einem Tage nüchtern, nach Probefrühstück und nach Probe-
mablzeit den Magen aus und nimmt bei konstanter Hypersekretion Ulcus
an; findet er aber, daß bei einer Probe die freie HCl geringer ist oder
fehlt, oder konstatiert er bei einer zweiten Untersuchung 14 Tage später
ein Sinken der HCI, so diagnostiziert er Carcinom. Er polemisiert gegen
Angriffe auf seine Methode und bringt ein Material von 17 Fällen, in
denen er seine Diagnose einer malignen Stenose durch Operation oder
klinischen Verlauf bestätigt fand. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 15, S. 552.)
Zuelzer.
Zum qualitativen Nachweis der Harnsäure im Blutserum
und in Exsudaten eignet sich nach den Erfahrungen von Herzfeld sehr
gut folgende Methode: 2 bis 5 cem Blutserum werden mit ebensoviel
0,9%, oigem NaCl verdünnt, mit etwas Tierkohle geschüttelt und filtriert;
das Filtrat kann durch Zentrifugieren noch klarer erhalten werden. Zur
abgegossenen farblosen oder nur schwach gelblichen, klaren Lösung setzt
man das gleiche Volumen einer Phosphorwolframsäurelösung (90 ccm
10%gige Phosphorwolframsäure und 10 ccm konzentrierte HCI), mischt
gut durch, fügt ebensoviel einer 20%oigen KOH hinzu. Bei Anwesenheit
von Harnsäure tritt eine deutliche Blaufärbung auf (schwache grünliche
Färbung ist nicht beachtenswert). Alle andern im Blutserum vorkom-
menden Stoffe geben diese Reaktion nicht, auch die Eiweißstoffe nicht;
einzig Pepton gibt eine ganz schwache Reaktion, die sich aber bei größerer
Konzentration nicht verstärkt. In der gleichen Arbeit gibt der Autor
auch eine Methode zur chemischen quantitativen Bestimmung (Harnsäure
als harnsaures Silber-Magnesiasalz gefällt mit nachfolgender Bestimmung
des Silbergehalts), die im Original nachgelesen werden möge. (Zbl. f. i.
Med. 1912, Nr. 26, S. 645.) Dietschy.
Die gleichzeitige Temperaturmessung in beiden Achselhöhlen
ist, wie Zalewski ausführt, namentlich bei einseitigen Krankheits-
prozessen von Bedeutung. Zweifellos nachgewiesene Differenzen von
t/o bis 5/10 Grad klären darüber auf, daß auf der höher temperierten
Seite ein Krankheitsprozeß noch besteht oder im Fortschreiten begriffen
ist. Sie geben also einen wichtigen Anhalt für etwa notwendig werdende
operative Eingriffe oder für baldigen Verbandwechsel. In jedem Falle
einseitiger Erkrankung sind daher doppelseitige Temperaturmessungen
vorzunehmen. Werden die Messungen aber nur einseitig gemacht, so
müssen sie stets nur auf derselben Seite ausgeführt werden, und zwar
dann immer auf der kranken Seite.
Verfasser weist hierbei auf die Beobachtung hin, daß bei allen
Abdominalprozessen die Rectaltemperaturen durch die Größe der
Differenz im Verhältnis zu den Axillartemperaturen einen wichtigen
Fingerzeig für die Schwere der Erkrankung geben. Rectalmessungen
dürfen daher bei Abdominalprozessen und nach Laparotomien nicht ver-
gessen werden.
Der Verfasser hat auch bei völlig Gesunden doppelseitige Axillar-
messungen vorgenommen und fand dabei, daß sich nicht selten sehr ge-
ringe Differenzen von ein bis zwei Strich, meist linkerseits höher,
zeigten. Dies erklärt sich wohl einfach durch den kürzeren Weg, den
das linke Achselgefäß vom Herzen her gegenüber dem rechten zurück-
zulegen hat. (D. med. Woch. 1902, Nr. 41.) F. Bruck.
Das Wesen rheumatischer Erkrankungen sieht Röder in einer
Störung der Lympheirculation. Die Gaumentonsillen sind nach seiner
mn
2002
Ansicht Räume zur Aufnahme von Lymphe, deren Inhalt mit dem
nächsten Bissen durch die Gaumentonsillen hindurch ausgeschieden und
verschluckt wird, um im Magen abgebaut und entgiftet zu werden. Die
so häufig anzutreffenden Inhaltmassen dieser Mandeln, beziehungsweise
ihrer Gruben, welche.von dünnem eiterähnlichen Schleim bis zu harten,
alten, übelriechenden Brocken wechseln, entfernt er durch Anwendung
des von Prym 1905 zur Behandlung der Tonsillen ’angegebenen, aber
geradröhrig hergestellten Saugers (zu kaufen bei C. W.: Herbeck, Elber-
feld, Morianstraße 2); den Löffel füllt er mit Watte und Wasserstoff-
superoxyd, eventuell mit Jodglycerin. Sind Anzeichen für eine gleich-
zeitige Erkrankung der Rachentonsille vorhanden, so wischt er mit ab-
gebogenem Neusilberdraht, der mit in Wasserstoffsuperoxyd. getränkter
Watte armiert ist, über das Gebiet der Rachenmandel hoch in den Fornix
hinauf. Der Schmerz schwindet; meist sofort. Doch muß die Prozedur |
gewöhnlich mehrere Male wiederholt werden. (Zbl. f. i. Med. 1912, Nr. 38,
S. 941.) Dietschy.
In einem Artikel über „Pneumonie bei Kindern“ bemerkt: im
Abschnitte „Therapie“ Prof. H. Lovenburg (Philadelphia) folgendes,
das einigermaßen als amerikanische Ergänzung zur europäischen Behand-
lung der Lungenentzündung dienen kann:
„Die Behandlung der Pneumonie ist vielleicht eine Sache persön-
licher Erfahrung und persönlicher Liebhaberei. Manche Fälle gehen in
Heilung über mit Behandlung, andere ohne solche und noch andere trotz
Ueberbehandlung. Es scheint mir das beste zu sein, die Krankheit sich selber
zu überlassen, für so gute hygienische Verhältnisse zu sorgen als möglich
ist, gewissen Komplikationen vorzubeugen, und wenn sie doch auftreten, sie
intelligent anzupacken. Wohl weiß ich, daß auch Fälle durchgekommen
sind trotz der miserabelsten Umgebung. Das führt uns zur Frage der
Ventilation und der Behandlung mit frischer, kalter Luft. Das Publikum
hat sich noch nicht zu der Behauptung von Dr. Northrup aufschwingen
können, daß die frische kalte Luft eine Panazee für alle Fälle von Pneu-
monie sei, auch noch nicht alle Aerzte. Einige der tüchtigsten Vertreter
der Pädiatrie plädieren für unbegrenzte Zufuhr kalter frischer Luft,
andere ebenso tüchtige mit etwas konservativem Einschlage sehen sie
nicht so unschuldig, ja sogar gefährlich an. Der goldene Mittelweg, un- .
begrenzte Zufuhr von frischer Luft, kontant temporiert auf 16 bis 24°C,
wird die richtige Linie für die Zukunft geben. Die eigne Erfahrung mit `
frischer Luft gab sehr befriedigende Resultate, diese Methode bedeutet
aber eine starke Anforderung an das Pflegepersonal, sie hält aber über-
flüssige Besucher ab. Die Patienten fühlen sich aber auch sehr wohl in
temperierter und gut ventilierter Luft. Desperate Fälle mit Herzschwäche,
Dyspnöe und Cyano se sollten auf alle Fälle der Wohltat der kalten Luft
mit guter Bedeckung und Wärmflasche teilhaftig werden.“ Konstante
Anwendung von Stimulantien wird verworfen und dafür viel Gewicht auf
Ernährung gelegt, für Darmöffnung gesorgt und Salzwasserklystiere zur
Verhütung der Toxämie häufig angewandt. Sind Stimulantien nötig, so
werden sie nicht per os, sondern subcutan verabreicht, mit Vorliebe
Strychnin, '/s bis !/coo grain (1 grain = 0,06 g). Alkohol kann in den
meisten Fällen weggelassen werden; er kann gefährlich werden und durch
nervöse Erschöpfung den schlimmen Ausgang befördern. Arhythmie und
Galopprhythmus wird mit Ammoniumcarbonat in Form von aromatischem
Spiritus mit Strophantus oder Morphium zusammen bekämpft. Bei starker
Cyanose, Dyspnde und zahlreichem Rasseln wirkt ein Senfaufschlag
(1 Pfund Senf auf 4 l heißen Wassers) gut. Hohe Temperaturen bis
40°C werden nicht direkt behandelt; bei höheren Temperaturen werden
Abwaschungen mit Alkohol und Wasser gemacht, kalte Bäder und
Wickel werden perhorresziert, dagegen warme Bäder mit allmählicher
Abkühlung mit Vorteil angewandt, 10 bis 15 Minuten lang; nachher ins
Bett ohne Abtrocknung, gut zugedeckt und Eisblase auf den Kopf.
Medikamente werden selten angewandt, Chinin, Salicyl, Natrium
benzoicum, „sie mögen etwas Gutes tun“, das Vertrauen dazu ist
schwach. (NY. med. j. 7. Sept. 1912, S. 468.) Gisler.
Neuerschienene pharmazeutische Präparate.
„Ninhydrin*“ (= Triketohydrindenhydrat).
co.
. GH NCOH
Formel Ce Ko (OH)
Eigenschaften. Farblose Prismen, die bei 125° rot werden, bei
1390 sich aufblähen und bei 289 bis 240° schmelzen. Es löst sich leicht
in Wasser, die wäßrige Lösung färbt die Haut violett und reduziert
Fehlingsche Lösung. Mit Ammoniak und organischen Basen bildet es
charakteristische Kondensationsprodukte Mit aliphatischen und aro-
matischen Aminosäuren, welche die Aminogruppe in der Seitenkette ent-
halten, gibt es Farbenreaktionen.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember.
nenn
Indikationen. Reagenz auf Eiweiß, Peptone, Polypeptide, Amino-
säuren. Disgnostikum auf Schutzfermente (Abderhalden). Schwanger-
schaftsdiagnostikum nach Abderhalden.
Beispiel: Diagnose der Schwangerschaft. Zwecks bio-
logischen Nachweises von Schwangerschaft (nach Prof. E. Abderhalden)
wird zirka 1 g koaguliertes Placentagewebe, das beim Kochen mit der
10fachen Menge : Wasser an dieses keine mit Ninhydrin reagierenden
Verbindungen abgibt, in einer Diffusionshülse mit 1,5 cem absolut hämo-
globinfreiem Blutserum übergossen und das Gemisch gegen destilliertes
Wasser (20 ccm) dialysiert. Hülseninhalt und Außenflüssigkeit werden
mit Toluol überschichtet. Die Dialyse wird 12 bis 16 Stunden bei 37)
(im Brutschranke) vorgenommen. Zur Kontrolle werden stets 1,5 cem
Blutserum ohne Zugabe von Placentagewebe in analoger Weise dialysiert,
Zu 10 com des Dialysats fügt man 0,2 cem einer 1 °/oigen wil.
rigen Lösung ‘des Ninhydrins.. Nun erhitzt man nach Zugabe eines
| Siedestäbchens und hält die Lösung genau eine Minute im Sieden. Bleibt
die Kontrollprobe (Dialysat des Serums allein) farblos, während das
Dialysat des Versuchs mit Serum + Placenta Blaufärbung zeigt, dann ist
die Diagnose Schwangerschaft gesichert. Das gleiche ist der Fall, wenn
die Kontrollprobe eine geringe Blaufärbung zeigt, während das Dialysıt
des eigentlichen Versuchs eine viel stärkere Färbung annimmt. Sind
dagegen beide Proben negativ oder beide gleich stark gefärbt, dann ist
Schwangerschaft nicht vorhanden.
= Das Reagenz ist bei gleicher Versuchsanordnung ganz allgemein
zum Nachweise von proteolytischen und peptolytischen Fermenten ver
'wendbar. Die Ausführung -dór Probe ist immer dieselbe. Bei Prüfung
auf Carcinom wäre. koaguliertes Carcinomgewebe, bei Feststellung von
Tuberkulose Eiweiß aus Tuberkelbacillen zu verwenden usw.
Das Reagenz eignet sich auch zum Nachweise von abiureten Abbau-
stufen aus Eiweiß, weil es mit allen Verbindungen, die in «-Stellung zum
Carboxyl eine Aminogruppe tragen, eine Blaufärbung gibt.
Endlich ist das Reagenz zum mikrochemischen Nachweis von Sub-
stanzen der genannten Art und zur Erkennung solcher in mikroskopischen
Präparaten verwendbar.
Packung und Preis: 0,1 g = iM. |
_ Literatur: Ruhemann, J. of the Chemical Society 1910, Nr. #
S. 1488 bis 1449 und 2025 bis 2081; 1911, Nr. 99, S. 792 bis 800. — Emil
Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus. Ein Beitrag zu
Kenntnis der Abwehrmaßregeln des tierischen Organismus gegen körper, blut
und zellfremde Stoffe. J. Springer, Berlin 1912. (Hier findet sich die Grund
lage der ganzen ae — Derselbe, Weiterer Beitrag zur Diagnose der
Schwangerschaft mittels der optischen Methode und des Dialysierverfahrens.
(M. med. Woch. 1912, Nr. 36.) — Derselbe und Arthur Weil, Ueber die
| Diagnose der Schwangerschaft bei Tieren mittels der optischen Methode und ds
Dialysierverfahrens. (Berl. tierärztl. Woch. 1912, Nr. 86.) — Frank und Hoi-
mann, Die biologische Schwangerschaftsdiagnose nach Abderh alden und ihre
klinische Bedeutung. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 86.) — Emil Abdorhalden,
Weiterer Beitrag zur biologischen Feststellung der Schwangerschaft. (Al
phys. Chem. 1912, Bd. 81, H. i bis 2, S. 90.)
Firma: Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst + M
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
„Penetrotherm“, ein neuer Apparat zur Diathermie,
Die zur Anwendung der Diathermie notwendigen Apparate ware
bisher mit Mängeln behaftet, welche eine allgemeine Einführung diest
erfolgreichen, auf starker, dosierbarer Wärmeproduktion im Körpenaner
beruhenden Therapie verhinderten. Durch die eigenartige Konstruktion
des „Penetrotherm“ (Abb. 1) wird einmal das die Behandlung #0
schwerende und inhibierende Durchschlagen der Isolationen der Fi en-
strecke vollkommen vermieden, da die so notwendigen Isolierzwischen-
schichten außerhalb des Bereichs der Funkenstrecke gerückt an
Ebenso ist bei diesem Apparat zur Erreichung hoher Energie keie
Kühlung der Funkenstrecke durch Alkohol notwendig, wodurch ebenf
die Handhabung des lästigen Nachfüllens wegen erschwert wurde. .
lich fällt bei der Behandlung mit dem „Penetrotherm“ jedes Faradisations‘
gefühl fort, welches die Patienten beunruhigte und die Behandlung starte.
Dabei ist die Regulierung des „Penetrotherm‘‘ in den ara
Grenzen unter Vermeidung jedes sprungweisen Vorwärtsgehens für jede
einzelnen Bedarfsfall möglich, von einer kaum wahrnehmbaren Wr
empfindung anfangend bis auf jedes Maximum, wie es bei der Koagulstion
notwendig ist. So ist dor Ponetrotherm nicht allein auf allon Gebiete!
der Diathermie, sondern auch zur Kaltkaustik gleich vorteilhaft verwendet
Die Funkenstrecke steht fest. Die Regulierung geschieht d .
Unterteilung der Transformatorspulen in einfachster Weise. #09 #
letzung durch den Hochspannungsstrom ist absolut ausgeschlossen, ds a
zur Behandlung zu benutzende hochfrequente Strom mit den den Prim
strom führenden Teilen in keiner direkten Verbindung steht. wil =
den „Penetrotherm“ in Betrieb setzen, so stellt man (Abb. 2) den auf de
Schalttische zur rechten Hand befindlichen Hauptschalter I auf schwa
ee We ta
t -
TE ves -
Ba
u zu
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En a
e T r oe
nap
T AT O ALa EE MA a a AT E ooo
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En En SEE A e M ĀM aaa
8. Dezember:
Dann passiert der von der Anschlußklemme a kommende Strom zunächst
den im Stromkreise liegenden, am Schutzgehäuse der Funkenstrecke isoliert
befestigten Stöpselkontakt „‚s‘‘, durchläuft dann die Primärwicklung „P‘‘ des
Transformators und kehrt zur Anschlußklemme b zurück. Der Stöpselkontakt
s des
schließt den genannten
mn
—
Schutzgehluse und ebön-
j so eine ‚Berührung der
SG — unter Spannung stehenden
Funkenstrecke unmöglich
ist. Der Eisenkern der
Primärspule P bildet den
einen Pol eines durch
den Anker A geschlosse-
BREF ||
SH |
E] Arii
EEF |
H
1.53
Bra
€ Zus =
gneten M, auf dessen
andern Pol sich die sekun-
däre Wicklung „S“ des
Transformators befindet.
Ba, : Um den Wirkungsgrad des-
W hi ARD | 7/ selben zu: erhöhen und
m Sl N i 7 das Auftreten von Wirbel-
ai strömen. im Magneten M
zu vermeiden, ist der letz-
... tere aus lauter einzelnen
voneinander isolierten
Blechscheiben zusammen-
: gösetzt. Die Enden -der
SekundärwicklungSstehon
= je mit einem Belag der
: beiden Kondensatoren K in
== Verbindung, wodurch in
der bekannten Weise in
Ä = . der parallel geschalteten
Boikaniesike, F die Hoshfieuin erzeugt wird.
Umschalter II unterteilbare Hochfrequenz-Primärstrom HP steht mit
den andern Belägen der beiden Kondensatoren K. in Verbindung und
. bildet für sich einen Schwingungskreis, dessen Intensität von der Stellung
=E
=
-e
ams
ARARE
= Ed, SE ps
[] LLLE MARTI]
Z
183g- SYLINYS
INi
a. 8°
:- MT]:
J
„Klo, 2 I£ 5 '
TAn A
E m gE
gmi- =>
sa SE
{2t =>S=
I 1 —e
‘Abb, 2,
des Uihschalters II abhängig ist. Durch den unten. ae Fuß-
hebel läßt sich nun die Hochfrequenzsekundärspule HS mehr oder weniger |
über die Spule HP hinüberschieben, wodurch in der ersteren je nach
ihrer Stellung ein neuer, mehr oder weniger starker Hochfrequenzstrom
induziert wird, in dessen Schwingungskreis der Körper des Patienten
unter Vorschaltung der Leydener Flaschenbatterie L mittels der Klemmen
Kı bis Ki eingeschaltet wird.
-~ Fabrik: Blektrizitäte- Ges. Sanitas, Berlin N.
Bücherbesprechungen. |
Friedr. Albin Hoffmann, Die Krankheiten der Bronchien. Zweite
- neubearbeitete Auflage. Mit 11 Holzschnitten. ‚Wien und Leipzig 1912,
` Alfred Hölder.. 224 S. M. 8,60.
F. A. Hoffmanns Monographie über die Krankheiten der Bronchlen
ist auch in der zweiten Auflage als ein das Stoffgebiet voll erschöpfendes
Werk zu‘ bezeichnen, in dem höchstens die .Bronchoskopie etwas aus-
führlicher abgehandelt sein könnte. Es ist eine wahre Freude, ‚wie der ,
1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49:
` Schützgehäuses |
- Stromkreis, sodaß eine Iu- -
betriebsetzung ohne das
nen ‚hufeisenförmigen Ma- `
Der durch den
2003
Verfasser manch kräftig Wörtlein gegen vom Vorurteil `diktierte An-
‚schauungen, beispielsweise auch gegen die. „Medikamentenschmiererei“,
hinausdonnert.. Dabei ist er durchaus nicht einseitig, führt vielmehr auch
oft genug anderslautende Stimmen an. Hoffmanns kritisches. Verständ-
nis offenbart sich in seiner Darstellungsweise als ein so glänzendes, daß
denkende Leser ihr eignes daran bilden und schärfen könnnen, noch über
das eigentliche Thema hinaus, | Emil Neißer (Breslau)
-Iwan Bloch, Die Prostitution. Erster Band. Mit einem Namen-,
Länder-, Ort- und Sachregister. Erstes bis zehntes Tausend. Berlin
1912. Louis Marcus Verlagsbuchhandlung. 870 Seiten.
- Das .neueste-Werk aus Iwan Blochs ‘vielgewandter und frucht-
barer Feder soll, wie uns Titel und Vorrede belehren, zugleich als erster
Band und als Einleitung eines „Handbuchs der gesamten Sexual-
wissenschaft in Einzeldarstellungen“ dienen. Wir dürfen einem
solchen Handbuche gerade von dem geistigen Schöpfer und. Namengeber
der „Sexualwissenschaft“, dem Verfasser des „Sexuallebens- unserer Zeit“,
des „Ursprungs der Syphilis“ und anderer nicht ininder bedeutender. und
grundlegender. sexologischer Werke mit berechtigter Spannung entgegen-
sehen und nicht. bloß „Vieles“, sondern auch viel Gutes und. ‚Bestes da-
von erwarten. - Einstweilen werden die daran zu knüpfenden, Erwartungen
durch diesen. vorliegenden: ersten Band schon in reichem Maße befriedigt.
Er umfaßt in-weit eausholender ‚Darstellung das, was Bloch selbst bei
früherer: Gelegenheit als „den Kern und das Centralproblem der
sexuellen. Frage“ bezeichnete —, das „gewaltige Problem der Prosti-
tution“, und zwar in ‘dem Sinne, daß wir es hier zunächst mit den
antiken und mittelalterlichen Vorläufern und: Ursprüngen der modernen
Prostitution zu tun haben; der zweite, die Verhältnisse der Neuzeit und
Gegenwart behandelnde Band, soll sich. daran (noch im Laufe dieses
Jahres) unmittelbar. anschließen. Der reiche Inhalt des vorliegenden
Bandes gliedert sich demgemäß in sieben Hauptabschnitte: 1. Der Begriff
der Prostitution. 2. Die primitiven Wurzeln der Prostitution. . 8. Die
Organisation der. Prostitution im klassischen Altertum. 4. Die sexuelle
Frage im Altertum und ihre Bedeutung für die Auffassung und Be-
kämpfung der Prostitution. 5. bis 7. Die Prostitution in der christlich-
islamischen Kulturwelt bis zum Auftreten der Syphilis (Prostitution des
Mittelalters) — und zwar I. das politisch-religiöse, II. das soziale Milieu,
III. die Formen der Prostitution . (Frauenhäuser und freie Prostitution).
Als die wichtigsten neuen Ergebnisse dieses ersten Bandes be-
zeichnet der Verfasser selbst .die erstmalige kritische N eubearbeitung ı und
neue Umgrenzung des Begriffs. „Prostitution“; den Nachweis, daß die
Prostitution als soziales Phänomen ein Ueberlebse- („survival®). im
Sinne Tylors als biologisches Phänomen . eine‘: Form der
dionysischen Selbstentäußerung des Menschen darstelle, ‘daher
mit den übrigen Mitteln der Selbstentiußerung organisch verknüpft
sei (erster Versuch einer einheitlichen biologischen Erklärung) —, wo-
gegen die schon früh nachweisbaren ökonomischen Beziehungen der
Prostitution sekundärer Natur seien und mit ihrem ursprünglichen Wesen
nichts zu tun haben; die :Widerlegung der Anschauung, ‚daß. die
E Prostitution ein unausrottbares, notwendiges Uebel sei; den Nachweis,
daß fast die gesamte moderne Organisation und Differenzierung der
Prostitution aus dem klassischen Altertume stamme und auf eine typische,
schon in frühchristlicher Zeit vollzogene Hellenisierung der christ-
lichen Sexualethik zurückzuführen sei — und daß diese noch heute
geltende antike Sexualethik mit ihrem System der doppelten Moral das
notwendige, Produkt der öffentlichen Moral typischer Sklavenstaaten
sei, in denen neben der Sklaverei noch die Mißachtung der-Frau,
die Mißachtung der individuellen Liebe und die Mißschtung
der Arbeit als begünstigende Momente für die Ausbildung eines weit-.
‘| verzweigten, Prostitutionswegens. in Betracht kommen, —- Man sieht,
Bloch hat sein Thema von einem sehr hohen,. nicht: bloß wissenschaft-
lichen, sondern auch sittlichen Standpunkt aus ergriffen und durchgeführt;
und’ der zum Mitgehen ‚geneigte und befähigte Leser wird fast. in, jedem
der großen .Einzelabschnitte.. überreichen Stoff zu nachdenklichem. Er-
| wägen, zum Lernen und =~- ~ vielleicht ‚hier und da auch zur Anzweiflung
finden.. Ze A. Eulenburg (Berlin). -
H. Vogt und’ R. Bing, . RE der Neurologie und: Psy-
chiatrie. Bd.1, H.1uw2. Mit 38 Abbildungen. Jena 1911, Gustay
Fischer. 452 S. M 20, —. |
- Sollte wirklich eine weitere neurologisch-psychistrische Zeitschrift
nötig gewesen sein? Man wird: diese Frage kaum 'bejahen können, wenn
auch die „Ergebnisse“ nicht periodisch, sondern je nach den Bedürfnissen
von -Praxis und :Wissenschaft erscheinen ` sollen. -Allerdings steht :der
vorliegende erste Band auf einer ganz besonderen Höhe. Jedes einzelne
Kapitel bildet .in seiner Abgeschlossenheit und Klarheit fast ein.kleines
Lehrbuch für: sich; dieser günstige Erfolg: liegt wohl hauptsächlich daran,
daß die einzelnen Autoren ihre Spezialgebi6te behandelt: haben. :Hervor-
heben möchte Referent: die Arbeit :von Isserlin über Bewegungen und
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2004
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember,
Fortschritte in der Psychotherapie; besonders die Auseinandersetzung , selbst so wesentlich gefördert hat, gibt eine vorzügliche vergleichende
mit Freud ist von einer derartigen Knappheit und Klarheit, wie sie sich
in der gesamten übrigen Literatur über das Thema nicht findet. In ähn-
licher Weise hat Mingazzini die Kleinhirnerkrankungen und Kleist
die Apraxieforschung behandelt. Spielmeyer, der dieses Gebiet ja
Darstellung der Paralyse-, Tabes-, Schlafkrankheitsfrage. Wenn also auch
eine Kritik der einzelnen Arbeiten nicht angebracht erscheint, so glaubt
Referent doch nicht, daß den „Ergebnissen“ eine größere Zukunft be-
schieden sein wird. Seige (Partenkirchen),
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung).
| Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 30.
Lungenblutung und Unfall
(ursächlicher Zusammenhang anerkannt)
von `
Dr. med. Olivet, Northeim i. H.
Der Brauereiarbeiter H. ist am 23. Oktober 1906 dadurch
verunglückt, daß er unter Belastung eines 160 Pfund schweren
Sackes auf der Treppe ausglitt und bewußtlos zu Boden stürzte,
an den Unfall schloß sich unmittelbar eine Lungenblutung an,
welche eine langdauernde Erwerbsunfähigkeit hervorrief. Das Gut-
achten des behandelnden Arztes ging dahin, daß H. seit mehreren
Jahren an Lungentuberkulose leide und daß dieses Leiden durch
den Unfall verschlimmert worden sei. Da die Berufsgenossen-
schaft die Lungenblutuug als Unfallfolge nicht anerkennen wollte,
wandte H. sich an das Schiedsgericht zu Hildesheim. Inzwischen
war er aber von der Landesversicherungs-Anstalt ‚Hannover einer
Lungenbheilanstalt überwiesen. Hier wurde doppelseitige Lungentuber-
kulose festgestellt. Entlassungsbefund: rechts geheilt, linksgebessert.
Das Schiedsgericht forderte ein Gutachten von der medizi-
nischen Klinik zu G. ein, welches folgendermaßen lautet:
Es ist zunächst die Frage zu beantworten: „Läßt sich zurzeit
bei H. ein Lungenleiden nachweisen?“ Diese Frage muß ich mit
„Nein“ beantworten. Patient klagt zwar über Schmerzen in der
betroffenen rechten Brusthälfte, auch bleibt diese Brusthälfte beim
tiefen Atmen etwas zurück gegenüber der linken, aber die wei-
tere eingehende . Untersuchung ergibt ein durchaus negatives Re-
sultat. H. hat weder Husten noch Auswurf, das Beklopfen der
Brust ergibt nirgends Schalldifierenzen oder Abweichungen vom
Normalen, man kann neben dem normalen Atemgeräusche nirgends
Zeichen eines Katarrhs feststellen. Die Lungen sind gut ver-
schieblich, ihre untere Grenze liegt an normaler Stelle, die linke
Lungenspitze ist etwas niedrig, aber ohne sonstige Veränderungen.
Die Temperatur war normal, zeigte keine stärkeren Tagesschwan-
kungen. H. hat auf 1, 3 und 5 mg Tuberkulin in keiner Weise
reagiert. Beim Durchleuchten seines Brustkorbs mit Röntgen-
strahlen ließen sich Helligkeitsdifferenzen nicht feststellen.
. In den Akten findet sich mehrfach erwähnt, daß H. über
Kurzatmigkeit klagte, hier hat er von dieser Beschwerde nichts
erwähnt, dagegen angegeben, vor vier Jahren sei er erkältet ge-
wesen und damals, als er einen Berg hinaufstieg, habe er Kurz-
atmigkeit gespürt. Diese Angabe ist wenig vertrauenerweckend,
ebenso wie die von H. hier gemachte, er sei nach dem Fall am
20. Oktober 1906 bewußtlos gewesen. Hinzukommt, daß H. auch
in Königsberg der Uebertreibung geziehen ist.
Daß das von dem Patienten aus dem Mund entleerte Blut
trotzdem der Lunge entstammt, daB es höchstwahrscheinlich einem
ganz im Beginne stehenden tuberkulösen Prozeß seinen Ursprung
verdankt, dafür sprechen die ärztlichen Beobachtungen nach dem
Unfall und die Belastungen von seiten des Vaters. Dieser Pro-
zeß ist jetzt als ausgeheilt anzusehen, da die Untersuchung der
übrigen Organe, des Bluts, des Harnes usw. Abnormitäten nicht
erkennen läßt; so wäre H. ein völlig arbeitsfähiger Mensch, wenn
nicht sein Körpergewicht ziemlich stark reduziert wäre. Ich suche
den Grund hierfür einmal in seiner durchgemachten Krankheit,
zweitens in den ungünstigen Erwerbsverbältnissen, unter denen
die zahlreiche Familie leben mußte. H. muß daher seinen früheren
Lohn wieder verdienen und darf in der ersten Zeit seiner Arbeit,
die er wieder aufnehmen muß, nicht überanstrengt werden.
Daß H. durch das Tragen der schweren Last und den Fall
krank geworden ist, darüber scheint mir kein Zweifel zu bestehen,
Er ist daher jetzt nicht als an Lungentuberkulose leidend anzusehen,
wahrscheinlich ist er es aber gewesen. Die Lungenblutung ist
häufig die erste Erscheinung dieser Krankheit; die bei dem Un-
fall obwaltenden Verhältnisse begünstigen das Entstehen einer
Lungenblutung. Fe ,
Die Frage nach der Erwerbsfähigkeit beantworte ich dahin,
daß, während H. nach dem 23. Januar 1907 völlig erwerbsunfähig
war, er jetzt in seiner Erwerbsfähigkeit mit der vorher angege-
benen Beschränkung nicht mehr beeinträchtigt ist.
Das Schiedsgericht lehnte die Ansprüche des H. ab, worauf
dieser Rekurs einlegte. Das Reichs - Versicherungsamt ließ sich
folgendes Obergutachten erstatten:
H. war vom 15. Juli bis 21. Juli 1908 zur Beobachtung in
der Klinik.
Die Untersuchung ergab: Mäßiger Ernährungszustand. Schlafe
Muskulatur. , Körpergewicht 55,5 kg. Blaß. Keine Drüsen. Rechtes
Auge Hornhaut stark getrübt.
Brustkorb gleichmäßig flach.
Untere Lungengrenzen normal; verschieblich.. Ueber den Lungen-
spitzen hinten (rechts mehr als links) leichte Verkürzung des Klopf-
schalls. Ueber den beiden Lungenspitzen etwas verschärftes Atem-
geräusch. Ausatmungsgeräusch verlängert. Feinblasige Geräusche. Auch
in der Gegend der sogenannten Lingula leichter Katarrh nachweisbar.
Auswurf 0. Temperatur normal,
Es besteht also ein Lungenspitzenkatarrh leichten Grades. Da
früher Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden (Heilstätte). so besteht kein
Zweifel, daß auch der heute noch bestehende leichte Katarrh mit der
jetzt wesentlich gebesserten, fast ausgeheilten Tuberkulose in ursäch-
lichem Zusammenhange stehen mub.
Die übrigen Organe sind gesund. Urin normal. Dasrechte Schulter-
gelenk ist gut beweglich ohne Schmerzen. Umfang: Oberarm rechts
23,5 cm, links 24.2 cm; Vorderarm rechts 24,0 cm, links 24,0 em.
Auch die Rönıgenuntersuchung ergibt am rechten Schultergelenk
außer einer geringen Kapselverdickung nichts Abnormes.
Die an mich gerichtete Frage: a) welche Leiden sind bei
H. vorhanden, habe ich bereits beantwortet: Leichter Spitzen
katarrh. Die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit hierdurch
schätze ich auf 20 bis 250/, der. völligen Erwerbsunfähigkeit, da
Patient in Zukunft keine schwere Arbeit mehr verrichten kan.
Da anerkannt ist, daß H. bei dem Tragen eines 11/s Zentner
schweren Sackes eine leichte Lungenblutung bekam, so besteht
kein Zweifel, daß hier ein Unfall vorlag. |
Nach früheren Entscheidungen des Reichs-Versicherungsamts
ist auch wiederholt das Auftreten einer Lungen- oder Gehirn-
blutung bei schwerer Arbeit (Sacktragen ist eine schwere Arbeit)
als Unfall anerkannt worden. Es ist rein unmöglich zu sagel,
Patient hätte auch ohne Sacktragen in der gleichen Minute Blut
gespuckt. Erfahrungsgemäß reicht ja oft eine geringe Blutdruck
steigerung aus, um bei beginnender Lungentuberkulose eine Lunger
blutung oder bei Verkalkung der Hirnblutgefäße eine Hirnblutung
auszulösen.
Die innere Ursache war natürlich vor dem Unfalle schm
gegeben, aber der Unfall (schwere Arbeit) ist das auslösend
Moment. Die Annahme, daß H. schon vor dem Unfalle tuber-
kulös war, ändert also meines Erachtens niehts an der Beurteilung
des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfall und Lunger
blutung. Wenn H. damals nicht tuberkulös gewesen wäre, hätt
er keine Lungenblutung bekommen. Die Lungenblutung führt
nicht zum Beginn eines tuberkulösen Leidens, sie ist vielme
Folge eines solchen, sie führt aber oft zu einer vorübergehenden
oder dauernden Verscblimmerung. '
In unserm Falle hat sie zu einer vorübergehenden mäßigen
Verschlinmerung geführt. Die Heilstättenbehandlung hat a
wesentliche Besserung (fast Heilung) erzielt. OR”
Ich halte es für wünschenswert, daß H. nach zirka eimen
Jahre wieder untersucht wird, da eine völlige Ausheilung bel
a atng von Ueberanstrengung durchaus nicht unwahrscheil-
ch ist.
Auf Grund dieses Gutachtens vom September 1908 nn
die Erkrankung als Unfallfolge anerkannt und demnach Yo
23. Januar 1907 bis 31. Mai 1907 die Vollrente, vom 10. Au
bis 4. Oktober 1907 200/ Rente, eine weitere Entschädigung #"
nicht gewährt, ajs-
Ich habe H. im Herbst 1911 im Auftrage des Sohe i
gerichts untersucht, an welches er sich gewandt hatte, UM pa
validenrente zu erlangen. Der Befund war im wesentlichen n
selbe, wie bei den Untersuchungen in @. Weder der un
befund noch auch der Kräftezustand hatten sich nenneneWel N
nori Eine Invalidenrente konnte ihm noch nicht 700r
werden.
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8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49. 2005
Kongreß-, Vereins- und Auswärtige Berichte.
Erster Kongreß der Association Internationale de
Pédiatrie in Paris vom 7. bis 10. Oktober 1912.
Berichterstatter: Prof. A. Keller (Berlin).
1. Hauptreferat: „Die Anämien im Kindesalter“.
1. Referent Léon Tixier (Paris): „Die Anämien im Säuglings-
alter“. Die den Säuglingen eigentümlichen häm olytischen Besonder-
heiten sind folgende: Häufigkeit und Intensität der myeloiden Reaktion
unabhängig von dem Grade der Anämie: rasche und beträchtliche Ver-
Tingerung der Blutkörperchen und des Hämoglobingehalts; Häufigkeit
des pseudoleukämischen Typus. Es lassen sich die Zeichen abnormer Funk-
ttonssteigerung, von denen funktioneller Erschöpfung des Knochenmarks
unterscheiden, In einer gewissen Zahl von Fällen besteht Uebereinstim-
mung zwischen dem Zustand des Bluts und des Knochenmarks, in an-
dern (hereditäre Syphilis) fehlt dieser Parallelismus.
Was die Leukocyten anbetrifft, so hat Arneth den Zusammen-
hang zwischen funktionellem Wert und Kernteilung nachgewiesen; die
letztere ist bei schwerer Anämie sehr weitgehend. Bei alimentären
Anämien sind die polynucleären Zellen oft in gesteigerter Zahl vorhanden:
bei Anämie infolge von Infektion ist auf pseudoleukämische Verände-
rungen des Bluts zu achten, welche meist von kurzer Dauer sind.
Französische Pädiater haben einen besondern Typus der Säug-
lingsanämie beschrieben, welcher durch beträchtliche Verminderung des
Hämoglobingehalts bei normaler Blutkörperchenzahl charakterisiert ist:
„Pseudochlorose, Oligosiderämie. Es handelt sich dabei fast immer um
eine erworbene Anämie alimentären Ursprungs, doch wird auch den In-
fektionen und der Frübgeburt eine Bedeutung zugeschrieben.
Besondere Beachtung verdienen die hämolytischen Prozesse. Sie
spielen eine große Rolle in der Aetiologie des idiopathischen Icterus
neonatorum und auch bei andern Formen der Säuglingsanämie. Die
schweren Formen von perniziösem Typus sind beim Säugling häufiger als
man denkt. In einzelnen Fällen läßt sich eine bestimmte Ursache (be-
sonders hereditäre Syphilis) feststellen, in andern nicht. Die perniziöse
Anämie des Säuglings wird durch die Schnelligkeit ihrer Entwicklung
charakterisiert. Jede der bisher angegebenen Behandlungsmethoden
(Eisen, Arsen, Opotherapie, Röntgenstrahlen, hämatopoetisches Serum)
schreibt sich Erfolge zu; es fehlt jedoch au präzisen Indikationen. Noch
weniger sicher sind die Erfolge in der Bekämpfung der Hämolyse. Einer
der ersten Versuche in dieser Richtung war der von Reicher und
Klemperer, die antihämolytischen Eigenschaften des Cholesterins aus-
zunutzen.
2. Referat Jemma (Palermo): „Leishmansche Anämie“. Die
Leishmansche Anämie ist eine vorwiegend an den Küsten des Mittel-
ländischen Meeres vorkommende, meist zum Tode führende Infektions-
krankheit, die hauptsächlich Kinder in den ersten Lebensjahren befällt
Sie charakterisiert sich durch Fieber, Anämie, progressive Milzschwellung
und Abmagerung; sie wird durch einen Parasiten hervorgerufen, der mit
dem von Leishman und Donowan bei Kala-azar nachgewiesenen iden-
tisch ist. Die Infektion kann auf Tiere, insbesondere auf Hunde und
Affen, durch intravenöse, intraperitoneale oder intrahepatische Einverlei-
bung von Milzsaft eines kranken Kindes übertragen werden. Vor kurzem
gelang es, durch Injizieren von Kulturen Laboratoriumstiere zu infizieren.
Die Beobachtung, daß die größte Zahl der Erkrankungen an Leishmania
in Familien vorkommt, die in schlechten hygienischen Verhältnissen und
gleichzeitig in engem Verkehr mit Hunden leben, veranlaßte Nicoll zu
der Annahme, daß zuerst der Hund spontan erkrankt und die Krankheit
dann durch einen Zwischenwirt auf den Menschen übertragen werde. Diese
Annahme wurde durch weitere Beobachtungen bestätigt.
- Anatomisch zeigen sich Veränderungen, die denen schwerer Anämien
ähnlich sind. Gleichzeitig mit speeifischem parasitären Befund in ver-
schiedenen Organen und hauptsächlich im Iymphatischen, blutbildenden
Apparat und in der Leber. Die Inkubationsdauer ist unbekannt. Im
Verlauf der Erkrankung lassen sich drei Stadien konstatieren. Im Initial-
stadium besteht Fieber, gastrointestinale Störungen und manchmal Epi.
staxis; das zweite oder anämische Stadium charakterisiert sich durch das
gleichzeitige Auftreten anämischer Symptome: Fieber, Anämie, Milztumor,
flächtige Oedeme, starke Abmagerung; im dritten oder kachektischen
Stadium treten die früheren Erscheinungen noch deutlicher hervor. Oft
beobachtet man unstillbare Diarrhöe. Das Fieber ist sehr unregelmäßig,
Eine wichtige Besonderheit ist das Auftreten von Fieber in cyclischen
Perioden. Die Blutuntersuchun g zeigt konstante Oligochromämie, oft
hochgradige Oligocytämie, selten Anisocytämie und Poikilocytose, häufig
Polychromatophilie, Farbindex fast immer unter 1. Vorwiegend besteht
Leukopenie. Man findet nie hochgradige Leukööytose und’ ebeiisowenig
grobe Veränderungen der roten Blutkörperchen, wie bei andern Formen
der Anaemia splenica infantalis. Die Milz nimmt im Verlauf der Er-
krankung allmählich in allen ihren Durchmessern eine kolossale Größe
an; im Terminalstadium läßt sich zuweilen ein Zurückgehen der Schwel-
lung nachweisen.
Die Diagnose ist kaum auf Grund der klinischen Symptome allein
zu stellen. Der Nachweis der Parasiten im Milzsaft ist der Funktion des
Knochenmarks oder der Leber vorzuziehen. Die biologischen Unter-
suchungen haben bisher keine positiven Resultate ergeben. Bei der Pro-
phylaxe ist der Vernichtung infizierter Hunde besondere Beachtung zu
schenken.
8. Referent Adalbert Czerny (Straßburg): Anämie aus alimen-
tären Ursachen“. Wir müssen streng unterscheiden zwischen Blässe
vasomotorischen Ursprungs und einer tatsächlichen Anämie,
welche durch eine Blutuntersuchung objektiv festgestellt wird. Die erstere
ist eine Begleiterscheinung fast aller gastrointestinalen Störungen des
Kindesalters. Während wir der Blässe der Kinder in allen Altersstufen
begegnen, finden wir die Anämie alimentären Ursprungs fast nur bei
Kindern der ersten Lebensjahre. Schon nach dem zweiten Lebensjahre
wird sie selten beobachtet. Unterernährung bedingt auch bei langer
Dauer keine Anämie. Letztere entwickelt sich vielmehr bei Ueberernäh-
rang, wenn dieselbe fast ausschließlich mit Milch durchgeführt wird.
Langdauernde einseitige Ernährung mit Milch hat bei bestimmten dispo-
nierten Kindern eine Anämie zur Folge.
Die experimentellen Untersuchungen von Bunge und
Schmidt lehren, daß Milch sehr eisenarm ist und daß bei Milchernäh-
rung eine Anämie entstehen kann, wenn die kongenitalen Eisendepots
aufgebraucht sind. Bei normalen Kindern genügt eine rechtzeitige Ver-
abfolgung von Beikost zur Milchnahrung, um die Entstehung einer
Anämie zu verhüten. Bei konstitutionell abnorm veranlagten Kindern
kann eine Anämie schon nach relativ kurzdauernder Milchernährung in
Erscheinung treten und ist auch später durch das Hinzufügen einer Bei-
kost nicht zu verhüten. Die zur Anämie disponierten Kinder gehören
teils zu den Schwachgeborenen, teils zu den Abkömmlingen kranker
Eltern. Ob in manchen Fällen ein besonders niedriger Eisengehalt der
Frauenmilch als ätiologisches Moment Bedeutung hat, ist noch nicht
sicher erwiesen. Bei Kindern mit Anämie alimentären Ursprungs findet
sich häufig gleichzeitig ein Milztumor. Letzterer ist kein obligates
Symptom. Auch das gleichzeitige Vorkommen von exsudativer Diathese
oder Rachitis gestattet noch nicht, die Anämie mit diesen Krankheits-
zuständen in unmittelbare Verbindung zu bringen.
Die Anämie alimentären Ursprungs ist gekennzeichnet durch eine
Abnahme des Hämoglobingehalts und der Zahl der roten Blut-
körperchen. Bemerkenswert ist stets an den Patienten eine erhebliche
Adipositas und Muskelschwäche. Bei Kombination mit exsudativer Dia-
these findet sich überdies eine Hyperplasie der Milz und der Tonsillen.
Da die Anämie durch einseitige Ernährung mit Milch zustande-
kommt, so ergibt sich als Therapie in den leichten Fällen die Notwendig-
keit einer Beikost, in schweren Fällen eine Ausschaltung der Milch-
nahrung. Eisenpräparate und eisenreiche Beikost sind in den letzteren
Fällen unwirksam. Aus diesem Grunde bezweifelt Czerny die Richtig-
keit der Eisenhypothese. Die Milch wirkt nicht nur schädigend durch
ihren geringen Eisengehalt, sondern hat bei den dazu disponierten Kin-
dern eine aktiv schädigende Wirkung auf die Blutbildung. Diese sucht
Czerny in dem ungünstigen Einflusse des Milchfetts auf den Alkali-
bestand des Körpers. Doch sind das Erklärungsversuche, die noch nicht als
abgeschlossen betrachtet werden können. So viel steht aber fest, daß
sich eine Anämie aus alimentären Ursachen ausschließlich durch Er-
- nährungstherapie in gesetzmäßiger Weise verhindern und zur Heilung
bringen läßt. —
‚ Diskussion: Barbier (Paris) stimmt Cz. bezüglich der schäd-
lichen Wirkung, welche aus übermäßig langer Fortsetzung reiner
Milchernährung sich ergibt, zu, und ebenso ist er der Meinung, daß
mit Einführung einer zweckmäßigen Ernährung rasch die Besserung eintritt.
Hall6 (Paris) und ebenso Rist (Paris) wollen von den Anämien
alimentären Ursprungs beim Säugling als einen besonderen Typus die
Oligosiderämie vollkommen abtrennen. In diesem Falle spiele die
Ernährung ätiologisch keine besondere Rolle Auch sei die Erkrankung
durch Ernährungstherapie allein nicht zu beseitigen, sondern erfordere
eine Eisentherapie. |
Feer (Zürich) hat den chlorotischen Typus im Verlaufe der
Milchüberernährung beobachtet. Jedoch siud die einfachen Anämien
und die Uebergangsformen bedeutend häufiger. So wirksam auch die
Eisentherapie erscheint, so beobachtet man doch zuweilen vollkommenen
Mißerfolg, anderseits gibt es Anämien, bei denen die Ernährungstherapie
ohne Einfluß ist. |
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2006 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember.
D’Espine (Genf) weist auf den offenbaren Zusammenhang zwischen
‘ Anämie und Rachitis hin, für welche beide eine Läsion des Knochen-
marks die gemeinsame Ursache darstellt.
Tixier (Schlußwort): Es kommen beim Kind alle Formen
von Anämie vor, und die Blutuntersuchung ist unbedingt notwendig,
um diese verschiedenen Typen zu unterscheiden.
Demgegenüber betont Czerny in seinem Schlußworte noch einmal
präzis seinen Standpunkt. Es gibt Anämien, die lediglich durch
eine Ueberernährung mit Milch verursacht werden und die ohne
jede andere Therapie als eine zweckmäßige Aenderung der Ernährung
zu heilen sind. Was die Blutuntersuchungen anbetrifft, auf welche
von anderer Seite so viel Wert gelegt wird, so bedeuten diese häufig
nichts anderes als eine Spielerei, und das ist der Grund, warum Cz.
in seinem Referat jede Unterscheidung verschiedener Formen von Anämie
unterlassen hat.
Nob6court (Paris): „Hämatologie und Knochenveränderungen
bei Barlowscher Krankheit“. N., Léon Tixier und Maillet (Paris)
haben in Fällen Barlowscher Krankheit, bei denen gleichzeitig mehr
oder weniger intensive Anämie vorlag, Blutuntersuchungen an-
gestellt. Diese haben ergeben, daß die Krankheit verschiedene Typen
von Anämie mit sich bringt: Leichte oder schwere Formen, Anämie von
chlorotischem Typus. Die Intensität der Zerstörung der Blutkörperchen
ist im allgemeinen der Schwere der Erkrankung proportional. Die mye-
loide Reaktion des Bluts, das heißt der Uebergang von Myelocyten und
kernhaltigen Blutkörperchen in die peripheren Gefäße, ist häufig. In der
Mehrzahl der Fälle verschwindet diese Anämie schnell und zu gleicher
Zeit mit den andern klinischen Symptomen unter dem Einflusse der Be-
handlung, jedoch kann eine Empfindlichkeit der blutbildenden Organe be-
stehen bleiben,
P. F. Armand-Delille (Paris): 1, „Anaemia splenomegalica
durch Fragilität der Blutkörperchen beim Kinde“. Die Krankheit
charakterisiert sich in folgender Weise: Beträchtliche Anämie, mehr oder
weniger intensive Splenomegalie, Verminderung des Hämoglobingehalts
und der Zahl der roten Blutkörperchen, Poikilocytose, Anisocytose und
Auftreten von granulierten Zellen. Die Behandlung mit Eisenpräpa-
raten ergibt immer Besserung, muß jedoch in mehr oder weniger großen
Intervallen wiederholt werden. |
2. „Eisenhehandlung der Anaemia posthaemorrhagiea neo-
natorum“. Im Verlaufe gastrointestinaler Haemorrhagie beim
Neugeborenen beobachtet man häufig, wenn dieselbe nicht zum Tode
führt, außer der Anämie einen Wachstumsstillstand, trotz günstiger
Ernährungsverhältnisse. Wenn man eine Bisentherapie (in Dosen von
0,1 cg Protoxalat) anwendet, steigt die Gewichtskurve schnell. Man
braucht sich vor dieser Behandlung auch beim Neugeborenen nicht zu
scheuen.
Besichtigung des Hôpital Hérold und Demonstration durch
die beiden Chetärzte Lesage und Barbier. Von besonderem Interesse
war die Demonstration der individuellen Isolierung durch Boxen;
ein System, das unter dem Namen Lesage allgemeiu bekannt ist. Mag
man den theoretischen Anordnungen glauben oder nicht, so ist doch nicht
zu bestreiten, daß die von L, in der Verhütung von Infektionsüber-
tragungen erzielten Erfolge außerordentlich beachtenswert sind. Im
Laufe von mehr als zehn Jahren kommen auf 100 Fälle von Masern,
Scharlach oder Keuchhusten nicht mehr als ein bis zwei Uebertragungen.
Allerdings beträgt die Zahl der Uebertragungen bei Varizellen nicht
weniger als 10°/o.
An die praktische Demonstration schloß sich ein Vortrag von
A. Lesage (Paris): „Ueber die Wichtigkeit der Ventilation
für die individuelle Isolierung“. Für sein Isolierungssystem in Boxen
mit geschlossenen Türen schreibt Lesage der Ventilation größte Be-
deutung zu und zwar bezüglich der Fernübertragung der konta-
gidsen Erkrankungen. Bei Varizellen genüge eine leichte Venti-
lation, um das Virus von einem Kranken auf den andern in die’ Ferne
zu übertragen, während für die Uebertragung anderer Erkrankungen, wie
Masern, Scharlach, starke Luftzüge notwendig seien. Für die
Isolierung ist es nach Ansicht von Lesage vollkommen ausreichend, so-
bald jeder Krauke in einer Boxe isoliert wird, falls die Fenster ge-
schlossen gehalten werden und falls die Ventilation (durch perfo-
rierte Fenster) so reguliert ist, daß die Lufterneuerung im Raume
gerade ausreichend, der Luftzug aber nicht zu stark ist. Unter diesen
Verhältnissen können Masern- und Scharlachkranke ruhig zwischen andere
Patienten gelegt werden. Für Varizellen und Variola allerdings sind
besondere Pavillons notwendig. Dasselbe Boxensystem führt Le-
sage jetzt auch in der Poliklinik durch und behauptet, daß zwei Mi-
nuten, nachdem ein Masernfall die poliklinische Boxe verlassen hat, ein
anderes Kind iu die Boxe hereingebracht werden kann, ohne daß eine
Gefahr der Uebertragung besteht.
2. Hauptreferat: „Polfomyelitis“.
1. Referent: Eduard Müller (Marburg): „Die Epidemiologie
der sogenannten spinalen Kinderlähmung“. Die epidemiologische Ge-
schichte beweist, daß die Kinderlähmung von dem Zeitpunkt an, wo sie
als besondere Erkrankung überhaupt erkannt worden ist, nicht nur spo-
radischen, sondern ausnahmsweise auch epidemischen Charakter ge-
tragen hat. Die üblichen Eingangspforten des Virus sind die oberen
Luftwege und der Darmtraktus; sie sind gleichzeitig auch Aus-
scheidungsstellen des Erregers. Sputum und Stuhl dürften die wesent-
lichsten Infektionsquellen sein. Die Möglichkeit einer indirekten
Uebertragung durch Staub, Schmutz und dann auch durch tote Gegen-
stände, wie Kleidungsstücke und Schuhe, ist durchaus gegeben. Auch
eine Virusübertragung durch die Tiere kommt in Frage, insbesondere
kommen als Ueberträger die Flöhe, Wanzen und Läuse in Betracht.
Gegen die „Fliegentheorie“ sprechen die gelegentlichen Winter-
epidemien, sowie die sicheren Fälle von Krankbeitsübertragung durch
meilenweit zugereiste Zwischenträger. Sorgfältiges Detailstudium spricht
für die von Wickman vertretene Ansicht, daß die Kinderlähmung eine
kontagiöse Erkrankung ist, die von Person zu Person übertragen
wird. An der Häufigkeit ihrer Einschleppung und Weiterverbreitung
durch scheinbar gesunde Zwischenpersonen ist kaum zu zweifeln. Die
geographische Anordnung der Poliomyelitisfälle bei den Epidemien ist
ein weiterer Beweis für die direkte oder indirekte Uebertragung des
Leidens von Person zu Person. Ein schwerwiegendes Bedenken gegen
die vorherrschende Bedeutung der Kontagiosität liegt in der auffälligen
Bevorzugung dünnbevölkerter, wenig verkehrsreicher und ländlicher Br
zirke durch Epidemien. Die spinale Kinderlähmung hinterläßt Immu-
nität. Die Prädisposition eines Landes schwächt sich durch Massen-
erkrankungen ab, wie z.B. bei der schwedischen Epidemie des Jahres
1911 sich gezeigt hat.
Zur wirksamen Seuchenbekämpfung ist die Vorbedingung eine
ständige und allgemeine gesetzliche Anzeigepflicht der Kinder
lähmung in allen, auch durch sporadische Fälle bedrohten Staaten, sowie
eine bessere Schulung der Aerzte in der Erkennung der vielgestaltigen
klinischen Bilder.
2. Referent: Eduard Müller (Marburg): „Die Symptomatologle
des Frühstadiums der epidemischen Kinderlähmung“. Die spine
Kinderlähmung ist das praktisch wichtigste Endprodukt einer akuten
specifischen Infektionskrankheit. Die Inkubationsdauer beträgt durch-
schnittlich etwa eine Woche, im Minimum einen bis zwei, im Maximum
zehn Tage. Das akut einsetzende Frühstadium läßt sich in zwei
Phasen einteilen, in die präparalytischen fieberhaften Vorläufererschei-
nungen und in die Periode der Lähmungsentwicklung. Fieber ist fest
regelmäßige Begleiterscheinung der ersten Krankheitstage. Fieberhöht
und Fiebertypus wechseln jedoch; die begleitende Puls-Beschlennigung‘
ist oft viel stärker als der Fieberhöhe entspricht, ebenso die Atmung!
freguenz. Die präparalytische Beteiligung der Respirationsorgst®
äußert sich bald in Schnupfen, bald in Angina, manchmal in Bronchitis,
zuweilen in Pneumonie. Hin und wieder stehen die Erscheinungen "0
seiten des Digestionsapparats im Vordergrunde, bald ruhrartige Er
scheinungen, bald Verstopfung; dazu Stomatitis mit Speichelfluß, häuig
Appetitlosigkeit. Wenn die beginnende Poliomyelitis unter dom Syn:
ptomenbilde der Meningitis auftritt, so ist differential-diegnostisch der
Ausfall der Lumbalpunktion, das Fehlen von Augenbintergrundsver
änderungen, die Seltenheit tieferer Bewußtseinstrübungen und hartnäckig?
Kopfschmerzen wichtig. Recht häufig im präparalytischen Stadiam sind
Ausschläge verschiedener Art.
Im präparalytischen Stadium fallen gewisse Kardinalerscht
nungen auf: Hyperästhesie, Neigung zum Schwitzen, das Ergebnis der
Lumbalpunktion und das Verhalten des Blutbildes. Besonders tgpise)
ist die umschriebene Hyperästhesie, die sich gern in den später 5%
lähmten Körperteilen lokalisiert. Die Lumbalpunktion ergibt Druck
steigerung und Mengenzunahme, Klarheit und Sterilität der Finssigka
mäßige Lymphocytose und Zunahme des Eiweißgehalts. Die Blot-
untersuchung ergibt zumeist deutliche Leukopenie, mitunter jedot
auch Leukocytose. Die Serodiagnose ist für die Frühdiagnose bisher
kaum brauchbar. Zwei wenig beachtete, aber häufige Begleiterscheinüif?
des paralytischen Frühstadiums, dessen Erscheinungen im übrigen A
kannt sind, sind Störungen dər Sensibilität und der Blasenmas”
darmfunktion. Bei der Poliomyelitis kommen recht häufig Abortivforme
vor. Außerdem trägt nicht selten die Lähmung bulbären, ausnahmswes,
encephalitischen Charakter; sehr selten ist der cerebrale Typus. '
. das Frühstadium glücklich überstanden, so können selbst verzweifelte Falk
restlos abheilen; zumeist betrifft dies Fälle ans dem frühen Kindes l
3. Referent: Julius Zappert (Wien): „Pathologische Anatoni
und experimentelle Pathologie der Poliomyelitis“. a
* Die Poliomyelitis ist eine durch ein geformtes Virus bedingte
8. Dezember.
foktionskrankheit. Die Existenz dieses Virus ist wohl nicht durch mikro-
skopische Darstellung, hingegen aber durch positive Tierversuche un-
zweifelhaft sichergestellt. Es handelt sich, ebenso wie bei der Hunds-
wut, um ein sogenanntes invisibles, filtrierbares Virus. Als Eintritts-
pforten dürften vorwiegend die Atmungswege in Betracht kommen.
Die Verbreitung im Körper geschieht auf dem Wege der Lymphbahnen.
Das Virus ist ausgesprochen neurotrop, indem es auf raschestem Wege
das Centralnervensystem, insbesondere das Rückenmark aufsucht. Die
Ausscheidung des Virus geschieht durch die Nasenrachenschleim-
haut, wenn auch in nur beschränktem Maß. Außerdem findet sich das-
selbe in den Lymphdrüsen, den Tonsillen, den Speicheldrüsen. Außerhalb
des Körpers ist das Virus nur in einer einzigen Versuchsreihe vorge-
fanden worden (im Staube des Krankenzimmers). Kontaktinfektionen sind
bei Experimentaltieren noch nie beobachtet worden. Die Infizierung von
Versuchstieren, als welche derzeit nur Affen in Betracht kommen,
geschieht durch intracerebrale oder intraneurale, weniger verläßlich durch
intraperitoneale, subcutane, intralumbale Injektion. Es gelingen vielfache
Tierpassagen, wobei das Virus an Infektiosität nicht abnimmt, vielleicht
sogar sich verstärkt. Beim Experimentaltiere treten dieselben Formen der
Krankheit auf wie beim Menschen (auch abortive Formen); Encephalitis
ist hingegen nicht beobachtet worden. Der Verlauf der Affenpoliomyelitis
ist ein sehr schwerer. Das Ueberstehen einer natürlichen oder experi-
mentellen Poliomyelitis bewirkt eine längerdauernde Immunisierung
gegen neuerliche Infektion. Das Vorhandensein eines Antitoxins im
Blute von infiziert gewesenen Individuen läßt sich serodiagnostisch zur
Erkennung zweifelhafter Fälle verwerten. Prophylaktische Immuni-
sierungsversuche sind bisher nicht in„dem Ausmaße geglückt, daß
eine serotherapeutische Behandlung des Leidens in Aussicht genommen
werden könnte. Die anatomische Grundlage des Leidens ist eine
akute Entzündung des Centralnervensystems, insbesondere des Rücken-
marks, der Medulla oblongata,, der Brücke, weniger des Gehirns. Die
Entzündung hat in ausgesprochenen Fällen infiltrativen Charakter und ist
namentlich um die Gefäße angeordnet. Die Beteiligung der Meningen
ist bei der Entzündung eine minderwertige. In der Rundzelleninfiltration
spielen einkernige Lymphocyten (Polyblasten Maximows) eine hervor-
ragende Rolle. In allen Fällen findet sich eine ausgesprochene Degene-
ration und Zerstörung der nervösen Elemente. Auf Grund ganz frischer,
gerade im Beginn und den ersten Stadien der Lähmung getöteten Tier-
befunde muß angenommen werden, daß der erste Angriffspunkt des
Gifies — wenigstens in besonders schweren Fällen — die Nerven-
zellen sind, welche sich noch vor Auftreten der Infiltrationen um die
Gefäße als verändert und der Neuronophagie unterworfen zeigen. Die
anatomische Beteiligung des Gehirns am Krankheitsprozeß ist iu der
Regel eine geringe. Die Spinalganglien sind in frischen Fällen fast
immer betroffen. Das periphere Nervensystem ist frei. Die andern Or-
gane zeigen bei Verstorbenen lediglich nur die Zeichen einer allgemeinen
Infektionskrankheit, beziehungsweise des Erstickungstodes, manchmal des
Status lymphaticus. Die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der Pa-
thologie der Poliomyelitis sind mit den Namen Wickman und Land-
steiner unzertrennlich verknüpft.
4. Referent: Ombrödanne (Paris): „Traitement chirurgical des
suites des poliomyelitis“. Die chirurgische Erkrankung muß sich der
Natur der Erkrankung entsprechend auf alle Komponenten des loko-
motorischen Apparats erstrecken. Sie sollte nie vor Ablauf eines
Jahres nach Eiutritt der Lähmung beginnen, weil solange noch spontane
Besserungen beobachtet worden sind. Im ersten Teil des ausführlichen
Referats werden die Genese der Difformitäten, ihre ursächlichen Bezieh ungen
zu einander besprochen, für jede einzelne Difformität unter kritischer
Besprechung der einzelnen Methoden die geeignetste ausfindig gemacht;
in einem zweiten Hauptabschnitte strengere Indikationen für die spezielle
Behandlung einiger häufigerer Lähmungstypen aufgestellt und im dritten
die Bebandlung der rein trophischen Wachstumsstörungen der Knochen
besprochen.
Netter (Paris) spricht über die in Frankreich gemachten
Beobachtungen. Seit dem Sommer 1909 zeigt die Krankheit eine
unvergleichlich höhere Frequenz und zwar in allen Teilen von Frankreich.
Erst 1911 und 1912 werden die Fälle seltener. Neben Kranken und
Rekonvaleszenten kommen unbedingt gesunde Personen als Mittler der
Uebertragung in Betracht. Proph ylaktisch ist die Anmeldungspflicht
und die Isolierung während eines Monats (ausgedehnt auch auf Brüder
und Schwestern der Kranken) von Wichtigkeit; Therapeutisch wurde mit
a Erfolg Urotropin, angewendet: in sechs bis acht Dosen 2 g
glich.
Georges Schreiber (Paris): „Die Reflexe bei Poliomyelitis“.
In der Regel findet man die Angabe, daß bei der intestinalen Paralyse
die Sehnenreflexe vollkommen fehlen und die Hantreflexe herab-
gesetzt sind oder fehlen. Diese Lehre, die für gewöhnlich richtig ist,
wenn man die Spinalform der Heine-Medinschen Krankheit in Betracht
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
2007
zieht, bedarı der Einschränkung, da eine ziemliche Anzahl von Aus-
nahmen vorkommen. Vortragender berichtet über die verschiedenen
Formen von Reflexsteigerungen, wie sie bei Heine- Medinscher
Krankheit betrachtet worden sind. Man kann konstatieren:
1. Steigerung beider Patellarreflexe; 2. Verschwinden des Patellar-
reflexes, gleichzeitig mit Steigerung des Achillessehnen -Reflexes der-
selben Seite; 3. Fehlen des Patellarreflexes einer Seite mit deutlicher
Steigerung desselben Reflexes auf der andern; 4. Verlöschen der Re-
flexe der oberen Extremitäten mit Steigerung der unteren Extremitäten;
5. Vorübergehende Steigerung der Reflexe unmittelbar vor deren Ver-
schwinden; 6. Steigerung der Reflexe im Stadium der Rückbildung. Das
Babinskische Phänomen wird oft beobachtet. Der diagnostische Wert
des Phänomens ist aber in dem Prädilektionsalter der Positiven (zwei.
bis drei Jahre) nicht derselbe wie beim Erwachsenen.
Thiemich (Magdeburg): „Technik der Ernährung“ Vor-
tragender wendet sich gegen die schematische Durchführung des Stillens
nur an einer Brust und gegen die Forderung, die Kinder zum Zwecke
der Nahrungsaufnahme aus dem Schlaf aufzunehmen. Zur Entscheidung
der Frage, ob häufigere (sieben bis acht) Mahlzeiten in 24 Stunden not-
wendig sind, sind Anstaltserfahrungen nur in sehr bedingtem Maße ver-
wendbar.
Hans Vogt (Straßburg): „Ueber künstlichen Pneumothorax
beim Kinde“. Die Technik des Verfahrens stößt beim Kind auf größere
Schwierigkeiten als beim Erwachsenen; doch kann es schon am Ende
des ersten Liebensjahrs erfolgreich durchgeführt werden. Bei Lungen-
tuberkulose wurden sehr gute Resultate erzielt.
Léon d'Astros und Teissonnier (Marseille): „Die Wasser-
mannsche Reaktion beim Neugeborenen und Säugling“. Unter-
suchungen an 500 Kindern, die durchaus für die praktische Bedeutung
der Wassermannschen Reaktion sprechen. In Fällen, in denen die Re-
aktion undeutlich ist, wird man gewarnt, in Fällen positiver Reaktion
wird auch beim Fehlen klinischer Erscheinungen die Diagnose
Syphilis sehr wahrscheinlich gemacht.
Albert Delcourt (Brüssel): „Die Behandlung der Pneumonien
durch Sauerstoffinhalationen“. Beobachtungen aus der Privatpraxis.
Sehr günstige Erfolge bei Pneumonie und Bronchopneumonie. Not-
wendig ist die wiederholte Anwendung größerer Dosen, sodaß der kleine
Patient gewissermaßen in einer Sauerstoffatmosphäre lebt.
Bonn.
Niederrhein. Ges. f. Natur- u. Heilkunde. Sitzung v. 21. Oktober 1912.
Habermann stellt aus der Hautklinik einen Fall von schwerem
Neurorezidiv nach Salvarsaninjektion vor. Einige Wochen nach der
außerhalb gemachten Injektion hatten sich Taubheit und eine Facialis-
Jähmung eingestellt. Das Neurorezidiv wurde nicht weiterbebandelt.
Jetzt besteht komplette Entartungsreaktion. Die Prognose ist also sehr
zweifelhaft, doch soll energisch mit Hg und Salvarsan behandelt werden.
Stursberg stellt einen 59jährigen Mann vor, bei dem vor zwei
Jahren zuerst Schmerzen in den Händen, später auch im rechten Arm auf-
getreten sind. Später stellte sich Schwäche in den Händen und Schleppen
der Fußspitzen eir. Es findet sich jetzt eine Atrophie der kleinen Hand-
muskeln und der rechten Unterarmmuskulatur. Die Achillessehnenreflexe
fehlen. Die Oberarmreflexe sind etwas schwerer. auslösbar. In den atro-
phischen und paretischen Muskeln ist die galvanische und faradische Er-
regbarkeit herabgesetzt. Es handelt sich wohl um die sogenannte Akro-
neuritis oder neuritische Form- der progressiven Muskelatrophie.
Sodann zeigt Stursberg das Elektrokardiogramm eines Falles
von Situs. inversus, aufgenommen bei Ableitung von beiden Armen, Es
zeigt sich, daß sämtliche Zacken in umgekehrter Richtung verlaufen, so-
daß ein Spiegelbild des normalen Elektrokardiogramms zustande kommt.
Fründ demonstriert pathologische Röntgenbilder des Intestinal-
traktus. Besonders interessierten das Bild mit zwei Carcinomen des
Oesophagus (durch die Autopsie als zwei primäre Carcinome be-
stätigt) und eines Falles von Hirschsprungscher Krankheit mit im
Bilde deutlich sichtbarem Ventilverschluß, der zustande kam durch Ueber-
stülpen des erweiterten Teils über den engen peripheren.
Bonnet hielt einen längeren Vortrag: „Zur Kenntnis der Milch-
organe“. Die interessanten Ausführungen bauten sich auf ontogene-
tischen und phylogenetischen Studien des Vortragenden und anderer
Autoren auf. Ls.
Breslau.
Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur. (Medizin. Sektion).
Sitzung vom 1. November 1912.
Minkowski: Krankendemonstration (Hirschsprungsche Krank-
heit). Es handelt sich um einen Knaben, der infolge der congenitalen
Anomalie eines außerordentlich großen, breiten Kolons zuletzt sechs
Ve
z fh :.
2008
—
Tg n
Wochen keinen Stuhl hatte, dann durch Spülungen derartige Entleerungen
produzierte, daß er 5 kg abnahm. Wahrscheinlich können in den ver-
schiedenen Fällen verschiedene mechanische Momente eine Rolle spielen,
Einzugreifen empfiehlt sich, sobald sich Beschwerden einstellen; durch
einige Zeit fortgesetzte regelmäßige Spülungen, die den Darm möglichst
reinhalten sollen, schafft man günstigere Bedingungen für eine spätere
Operation. |
Diskussion. Göbel demonstriert das Präparat eines Falles, in
dem die Anomalie eines Makrokolons wohl congenital bestand, lediglich
mit 68 Jahren einen Anfall von Stenose bewirkte; im 72. Lebensjahre
ging dann der Patient im akuten Ileus zugrunde. Straßburger: Die
Hirschsprungsche Krankheit ist auch bei älteren Personen gar nicht
so selten; die Grenzen zwischen ihr und den Formen von Obstipation,
die auf Bildungsanomalien beruhen, sind gar nicht scharf zu ziehen.
Küttner: Angeborene Neubildungen. Es werden Fälle von
Neurofibromatosis (Recklinghausensche Krankheit), congenitalem
Sarkom, auf einem großen Naevus sitzend, Elephantiasis neuromatosa und
Haemangiom vorgestellt.
G. Rosenfeld: Ueber fleischlose Ernährung. Bereits frühere
Versuche des Vortragenden suchten das Verhältnis der Harnsäurebildung,
die in der Kost liegt, zur Arbeitsleistung zu ergründen, betrafen aber
einen Vergleich zwischen Fischfleisch- und Rindfleischernährung; trotz um
die Hälfte verminderter Harnsäureausscheidung bei der ersteren ergab sich
gleiche Arbeitsleistung am Ergographen. Dieser kam auch bei zwei
Versuchspersonen (candd. med. Langer und Rosenfeld) in Anwendung,
die Fleischperioden und Perioden absoluter vegetarischer Ernährung durch-
machten, bei denen das Prinzip gleicher Calorienzahl, gleicher Menge
von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten durchgeführt wurde, nur daß in der
ersten Periode Fleischeiweiß, in der andern Pflanzen- oder Käseeiweiß
verabreicht wurde. Natürlich ging in der fleischlosen Zeit die Harnsäure-
ausscheidung entsprechend der geringeren Zahl von Purinkörpern herunter.
Bezüglich der Arbeitsleistung ergab die eine Versuchsperson ein nach
der Auffassung des Vortragenden als Ausnahme zu bezeichnendes Re-
sultat insofern, als ein rapides Absinken bei fleischloser, eine rapide
Steigerung bei Fleischnahrung sich einstellte. Bei der andern Versuchs-
person erhielt man am Ergographen während der Fleischperiode 44,5, für
die vegetarische 48,8 Einheiten; es ist da wohl nur von einem Uebungs-
zuwachs zu sprechen, wie denn auch in Versuchen von anderer Seite
(Stähelin) für beide Zeiten fast gleiche Werte, im allgemeinen in der
vegetarischen vielleicht etwas höhere, erzielt wurden. Jedenfalls trifft
der Gedanke, die erhöhte Leistungsfähigkeit hänge mit der Harnsäure-
menge zusammen, nach den erwähnten neuesten Versuchen nicht zu. Es
erhebt sich natürlich in Anbetracht der erhöhten Kalkzufuhr, die der
Organismus bei der vegetarischen Nahrung erhält, die Frage, ob eine ent-
sprechend größere Retention erfolgt. Bei jüngeren Individuen ergaben
entsprechende Bilanzfeststellungen keinen wesentlichen Unterschied in der
Retention gegenüber einem Fleischregime; wohl aber änderte sie sich bei
einem Kollegen in mittlerem Lebensalter. Die Diurese ist bald einmal
in der Fleischperiode, bald einmal in der vegetarischen Zeit höher be-
ziehungsweise niedriger. Sowohl in der allerstrengsten Rohkostiorm als
‘auch in der andern gut gemischten und gebackenen lacto-vegetabilischen
Form reicht die vegetarische Kost aus, einen Menschen zu erhalten und
ihn zu kolossaler Leistung zu befähigen. Auf kleine Fleischzulagen, wie
in den Chittendenschen Versuchen, welch letztere nur den Zweck des
möglichsten Eiweißsparens hatten, kommt es dabei nicht an. Ob die
vegetarische Kost vor einer andern mäßigen Kost beziehungsweise für
solche Menschen Vorteil hat, die mit einer mäßigen Fleischkost zu leben
gewohnt sind, steht dahin.
Diskussion. Minkowski: Es erscheint besonders interessant
daß die vegetarische Kost, wie die von Rosenfeld bekanntgegebenen Ver-
suche zeigen, keine nachweisbaren Vorteile für sich hat; es wird in ihrer
Bevorzugung schon übertrieben. Viele Tatsachen aus dem Stoffwechsel,
z. B. die Hippursäureverhältnisse, sprechen für die Fleischernährung.
Wenn Ch. nachgewiesen hat, daß man mit so wenig Eiweiß auskommen
kann, so heißt das noch nicht, daß ein solches Minimum gut ist.
F. Röhmann hält geradezu vom ernährungsphysiologischen Stand-
punkte die Empfehlung des vegstarischen Regimes für verdienstlich. Der `
Fieischkonsum ist mehr gestiegen als er zu steigen brauchte, wenn man
sich die Zwecke der Ernährung vor Augen führt; es wird zu viel Eiweiß
zugeführt.
Rosenfeld (Schlußwort am 22. November): Es ist kein Zweifel,
daß die knappste Kost, darunter wieder ein knappes Maß an Eiweiß
(höchstens 80 g, am besten zwischen 50 und 60 g) in bezug auf die
Arbeitsfähigkeit von größtem Vorteil ist. Es ist sehr wohl möglich, daß
-sich eine Arteriosklerose bei erhöhter 'Kalkzufuhr verschlimmert; daher
müssen sich der Empfehlung der vegetarischen Kost für Arteriosklerotiker,
da in ihr auch die kalkreiche Milch und Milchpräparate nicht zu ver-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
‚selbst oder zwischen Eltern und Kindern, Stiefmütter und
'Stiefgeschwister spielen in der Vorgeschichte eine bedeutende Rolle.
8. Dezember
meiden sind, Bedenken entgegenstellen. Eine jüngst genau untersuchte
Patientin gab bei fleischhaltiger Kost fast genau das aus, was sie ein-
nahm, bei kalkreicher zeigte sie ein erhebliches Maß von Retention.
Für wachsende Individuen kann das natürlich von Vorteil sein,
Emil Neißer (Breslau),
.
Erlangen.
Aerztlicher Bezirksverein. Sitzung vom 28. Oktober 1912.
I. Jamin berichtete über einen Fall von Cerebrospinalmenin-
gitis bei einem ein Jahr alten Kinde, das mit einem rubeolaähnlichen
Exanthem in die Klinik eingeliefert wurde. Nach Ablauf des Exanthems
plötzlich neue Fieberperiode, Auftreten meningitischer Symptome, Lum-
balpunktion ergibt eitriges Exsudat mit Diplokokken; nach Injektion von
Pneumokokkenserum in den Rückenmarkskanal Besserung; später neues
Fieberstadium, Lumbalpunktion ergibt nur wenig zellreiches seröses Er-
sudat mit Lymphocyten. Im Verlauf von Wochen trat nach ausge
sprochen hydrocephalischem Stadium Exitus ein. -
Merkel demonstriert Gehirn und Rückenmark des Kindes:
Starke Abplattung des Gehirns, sehr erweiterte Ventrikel. Gehirnkon-
vexität zeigt weißliche Streifung, die sich durch Verfettung des Exsudats
erklärt und mit Eiter nicht zu verwechseln ist. Am Rückenmarke
chronische Leptomeningitis.
WM. Hauck bespricht einen Fall von Hämophilie. Ein 19 Jahre
alter Student wurde nachts in leicht komatösem Zustand in die Klinik
eingeliefert. Der Hausarzt, dem der Patient als Bluter von seiner Kind-
heit an bekannt war, dachte gleich an die Möglichkeit einer Gehirn-
blutung. Nach vorübergehenden Extremitätenkrämpfen noch während
der Nacht Exitus.
Sektion bestätigte die Diagnose. H. gibt eine ausführliche Dar-
stellung der Aestiologie der Hämophilie, soweit sie eben bis jetzt bekant
ist. In dem vorliegenden Fall ist besonders "bemerkenswert, daß ein
Trauma nicht vorhergegangen ist. Merkel zeigt das Gehirn. Es fr
den sich an der Konvexität unter der Dura kugelig geronnene Blut
massen, offenbar schon von älteren Blutungen herrührend. Im linken
Oceipitallappen ein großer frischer Blutungsherd, der in die Ventrikel
durchgebrochen ist. Sämtliche Ventrikel mit Blut gefällt.
In der Diskussion berichtet Penzoldt von einem ähnlichen
Falle, der kriminelles Interesse bietet. Ein Junge wurde vn
Seinem Kameraden mit dem Hosenträger über den Kopf geschlagen und
starb unmittelbar im Anschluß an dieses kleine Trauma, P. war der
Junge als Bluter bekannt, auf seinen Bericht hin wurde die gerichtliche
Verfolgung eingestellt. Wahrscheinlich lag auch in dem Falle Hauck
ein Trauma vor, dasselbe war vielleicht so unbedeutend, dab es Patient
‚selbst nicht wußte.
III. Merkel zeigt die Leber eines Paratyphuskranken, in der
sich zahlreiche Abscesse finden. |
Weichardt demonstriert die für den Paratyphusnachweis Ib
lichen bakteriologischen Züchtungsmethoden.
T | Ströbel (Brlange)
Frankfurt a. M.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 4. November 1912.
Sichel: Ueber den Geisteszustand der Prostituierten, Bont
höfer hat 190 Prostituierte untersucht und gefunden, daß bei den meisten
ein psychischer Defekt festzustellen war, nur in 82 Fällen nicht
Gleiche Resultate sind auch von andern Autoren berichtet worden. Unter
den Prostituierten findet sich etwa das Achtfache an Geistoskrankheiten
wie unter der übrigen Bevölkerung. S. hat 152 Prostituierte, dio 8
der Abteilung für Geschlechtskranke des Städtischen Krankenhauses 67
geliefert worden waren, auf ihren Geisteszustand geprüft und ihre Vor
geschichte durch die Einforderung von Berichten von der Heimatsbehörde
den Schulen, Fürsorgeerziehungsanstalten usw. zu ergänzen gest‘ t,
waren unter den 152 Mädchen in der Hauptsache drei Gropper: e
boren Schwachsinnige, phychopathische Konstitutionen und solche MI
Störung des Gemütslebens und geistig Minderwertige. Nahe Here:
stimmend mit den Resultaten Bonnhöfers fanden sich 49 Imbecile
36 Psychopathen, 16 Hysterische, dagegen nur drei AlkoholistinaeN u
nur 44 Vollsinnige. Die Lebensschicksale gestalten sich vorschieden, J?
nachdem der geistigen Beschaffenheit Rechnung getragen wird oder £
Das Milieu, aus dem die Mehrzahl der Prostituierten stammt, ist abet
gewöhnlich nicht so beschaffen, daß es die Mädchen vor dem en chet
Untergange bewahren könnte. Sehr häufig waren die häuslichen Ver
hältnisse trostlos; es kam zu ständigen Differenzen zwischen p m
„väter
Nur
17 waren ohne belastende Vorgeschichte, 19 waren uneheliche Binde
Fe
x `
wann
wm
u
“R
-m
r~
8. Dezember.
bei einer großen Zahl waren Alkoholismus, Geisteskrankheiten und
Verbrechertum bei den Eltern oder in der Verwandtschaft Gerade-
zu prädestiniert zur Prostitution sind die Mädchen, deren Mütter
oder Geschwister der Unzucht ergeben sind, und die hierher Gehörigen
waren sämtlich pathologisch. Ein Mädchen mit alkoholistischem Vater
und geisteskranker Mutter hatte einen Bruder, der wegen Mordes hin-
gerichtet worden war. Schon in der Schule hat sich gewöhnlich die
pathologische Beschaffenheit beim Kinde angekündigt, wie die betreffenden
Erhebungen ergaben. Geistige Beschränktheit, sonderbares Wesen.
Eigensinn und Rechthaberei, ferner Ueberempfindlichkeit, Bosheit, hoch-
trabendes Gebaren wurde von vielen berichtet, dagegen von andern ein
träumerisches Wesen und Geistesabwesenheit, der Drang, sich von den
Kameradinnen abzusondern. 21 hatten schon in jungen Jahren auf der
Schule sexuelle Erfahrungen gemacht von 131, über die Auskünfte zu
erhalten waren; bei vielen bestanden unhaltbare häusliche Verhältnisse.
Nur eine einzige von allen wurde gut charakterisiert, sie war aber schwer
belastet. Die Hälfte war in Bars oder Restaurants tätig gewesen, sehr
viele waren Dienstmädchen, die ja der Verführung am ehesten ausgesetzt
sind. Kellnerin ist gewöbnlich das letzte vor dem endgültigen Versinken.
Einige hatten seit ihrem Weggange aus dem Elternhause überhaupt keine
feste Stellung gehabt und waren gleich der Prostitution anheimgefallen.
Im ganzen sind die angeboren Schwachsinnigen die Kerntruppen der Pro-
stitution. Die Verführung ist bei ihnen besonders leicht, dazu kommt
die Entfremdung mit dem Elternhause. Die Imbecillen suchen nicht
gerade die Prostitution, es hängt vielmehr vom Zufall ab, ob sie ihr an-
heimfallen oder nicht. Bei den Psychopathen dagegen liegt der Trieb
zum Laster in der Persönlichkeit selbst. Mangel an Seßhaftigkeit, die
Unmöglichkeit, sich in geordnete Verhältnisse einzuleben, bringen sie
immer wieder auf den Abweg. Lügenhaftigkeit und unzählige Stellungs-
wechsel sind bei ihnen sehr gewöhnlich. Eine Gruppe anderer mit guten
Geistesgaben hat zuerst einen ordentlichen Lebenswandel geführt, bis sie
einmal strauchelten und dann untergingen. Andere sind Psychomanen
mit unbändigem Geschlechtstrieb, es sind dieselben, die schon auf der
Schule Unzucht getrieben haben. Bei den Imbecillen spielt oft die patho-
logische Reaktion auf Alkohol eine bedeutsame Rolle. Die Ursachen, die
am häufigsten die Mädchen in den Abgrund führten, waren die trostlosen
häuslichen Verhältnisse, Verführung, die Sucht nach müßigem Wohl-
leben und Putz, wobei auch oft die Sucht besteht, über ihr Alter zu
täuschen und älter zu erscheinen. Am häufigsten wurde als Veran-
lassung Verführung durch eine Freundin angegeben, nur zwölfmal wurde
Not angeschuldigt als Ursache, die sie auf die Straße getrieben habe.
Hainebach.
Stettin.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte. Sitzung vom 8. Oktober 1912.
Krankenvorstellung. 1. Behrend: Patient, bei dem wegen
Verletzung des äußeren Meniscus des Kniegelenks dieses ausgiebig
geöffnet werden mußte. Bemerkenswert war, daß es sich nicht um eine
Abreißung eines Stückes des Meniscus mit Umkremplung nach innen
oder außen handelte, sondern es war von dem hinteren Teil des Menis-
cus ein etwa 3 cm langes Stück von der Unterlage abgehoben, stand aber
beiderseits noch in breiter Verbindung mit dem Meniscus. Dieses Stück
wurde exstirpiert, darauf schwand das bei ausgiebigen Beugebewegungen
stets hervorgerufene laute Knacken im Gelenk vollkommen. Funktion
des Gelenks bis auf geringe Unsicherheit beim laschen Aufrecht-
stehen gut.
Diskussion. Plagemann teilt seine Leichenversuche mit, die
er zur Klarstellung der Meniscusfractur des Kniegelenks angestellt hat;
es ist ihm gelungen, auch an der Leiche trotz des schwierigen Mecha-
nismus der Verletzung dieselbe darzustellen: Rotation und Abduktion be-
gleichzeitiger Belastung des Gelenks. Als Therapie beim Lebenden emp-
fiehlt.er Entfernung des Meniscus oder — nach Auffrischung der Frag-
mente — Naht, für die oft schwierige Diagnose Röntgenaufnahmen nach
vorheriger Sauerstoffinsufflation.
2. Schwarz: Patient, bei dem er wegen allgemeiner Peritonitis
infolge Durchbruchs eines Duodenalgeschwürs die Laparotomie ge-
macht hat. Nach mannigfachen Komplikationen (Darmfistel, metastatische
Parotitis mit Absceßbildung, metastatischem Lungenabsceß) ist schließlich
Heilung erfolgt.
8. Schwarz spricht über Lungenechinokokken. Nach kurzer
Besprechung der Biologie des Echinococeus, der Häufigkeit seines Vor-
kommens beim Menschen, der Symptomatologie berichtet er über zwei
mit Lungenechinococcus behaftete Kranke, von denen bei einem dio- Dia-
gnoso durch Punktion, bei dem andern durch Röntgen gestellt wurde.
Letztgenannter wurde operiert, die Präparate werden demonstriert.
Diskussion. Neißer macht auf die Häufigkeit der Spon-
tanheilung aufmerksam und zeigt Röntgenplatten von drei Fällen
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49 2009
von Lungenechinococcus, bei denen trotz weitgehenden Prozesses Spon-
tanheilung eingetreten ist. Einer von ihnen hat schon vor sechs Jahren
seine Echinokokken ausgehustet, ohne daß dies jemals zur Kenntnis ge-
kommen war, und auch beim zweiten Falle weist die Anamnese darauf
hin, daß bereits Aushusten von Echinokokkenmassen stattgefunden hat.
Auf dem Röntgenbilde sieht man im ersten Fall einen verkalkten Leber-
echinococcus und alte Verwachsungen und Verdichtungen im Unterlappen,
im zweiten Fall einen geschrumpften Lungensack. Beide Patienten sind
klinisch stationär, sodaß ein Eingriff nicht erforderlich erscheint. Der
dritte Patient, bei dem wegen Unsicherheit der Diagnose die sonst kontra-
indizierte Probepunktion gemacht wurde, hustete im unmittelbaren An-
schluß hieran in einem heftigen Paroxysmus den größten Teil seines
Echinococcus aus, seitdem ist auch er stationär. Wie weit die bei diesen
Fällen vorhandene negative Echinokokkenreaktion des Serums klinisch zu
verwerten ist, ist zweifelhaft. Im letzten Falle wurde sie nach der Punk
tion positiv, um später wieder negativ zu werden. Alle drei Fälle
sprechen dafür, daß jedenfalls zur Zeit der Untersuchungen sich die
Echinokokken inaktiv verhalten haben.
Plagemann und Lichtenauer erwähnen die Häufigkeit des
Vorkommens von Echinococcus in Mecklenburg und Vorpom-
mern und ersterer macht auf die große Bedeutung der Röntgenunter-
suchung speziell beim Luungenechinococcus aufmerksam. Für die Opera-
tion empfiehlt er die Formolage, das heißt eine Desinfektion des
Echinococeussacks entweder durch 1 bis 4°/oige Formollösung oder durch
Austupfen mit Formalin-Glycerin-Tupfer.
= Haeckel weist darauf hin, daß der Lungenechinococcus durch ein
Ereignis sehr bedenklich werden könne, für das er in der Literatur kein
Analogon gefunden habe. In einem seiner Fälle trat nach glatter Ope-
ration eines zweifaustgroßen Echinococcussacks aus der Lunge mit
leichter Tamponade und Drainage der Höhle plötzlich am Abend des
Operationstags Exitus .ein. Die Autopsie ergab Verblutung in die
Echinococeushöhle hinein. Der Bindegewebssack, den reaktiv die
Lunge in dem Echinococcus bildet, ist lange nicht so fest und dick als
in der Leber, sodaß nach Aufhebung der Spannung in der Lunge durch
Entfernen des Sackes die dünnen Venen leicht platzen und eine tödliche
Blutung in die Höhle hervorrufen können.
3. O. Meyer: Demonstration zahlreicher pathologisch-ana“
tomische Präparate, unter anderm eines Falles von Ochronose, die
als Zufallsbefund bei der Sektion der Leiche einer alten Frau gewonnen
wurden. Alkaptonurle wurde noch in der Leiche nachgewiesen. Die
Verfärbung ist sehr intensiv und betrifft sämtliche Knorpel, die Zwischen-
wirbelscheiben, Teile der Aortenintima und der Papillarmuskelu des
Herzens.
Berlin.
Hufelandische Gesellschaft. Sitzung vom 10. Oktober 1912.
Ewald: Alenkämische Leukämie bietet kein hämatologisch oder
pathologisch-anatomisch charakteristisches Bild, erinnert während des Ver-
laufs oft an echte Leukämie. 27jähriger Mann. Seit November 1911
Schmerzen in der rechten Seite beim Atmen und Heben; zunehmende
Schwäche. Keine Lues, harter und indolenter Milztumor. Lebervergrößerung.
Nur leichte Vermehrung der großkernigen Lymphocyten. Nach fünf
Röntgenbestrahlungen Zurückgehen der Milzschwellung und Wohlbefinden.
April 1912: Desolater Status, Atemnot, Petechien, Blutungen in die Con-
junctiva, Netzhaut, Nasen- und Mundschleimhaut, Anasarka, starke Hämo-
globinreduktion und Veränderung des Blutbildes. Bestätigung der Dia-
gnose Anaemia splenica oder aleukämische Leukämie durch die Sektion.
Die zur Differenzierung von Banti und aleukämischer Leukämie vor-
geschlagene Milzpunktion (Klemperer) ist nicht gefahrlos und die bei
der letzteren Affektion dadurch erkennbare und pathognomonisch an-
gesehene Vermehrung der Lymphocytose nicht beweiskräftig, da sie auch
im normalen Milzblut vorkommt. Mosse: Klinisch ist aleukämische
Leukämie nichts Neues gegenüber der Iymphatischen Pseudoleukämie. Bei
Bantischer Krankheit, wofür der Fall zunächst gehalten wurde, nützen
Röntgenbestrahlungen nichts. Unter Anaemia splenica wird eine Zahl
von Affektionen wie Banti, Milztumor, tuberkulöse Milzschwellung usw.
eingereiht. Ewald: Aus der Gruppe der Pseudoleukämien heben sich
Bilder wie die aleukämische Leukämie heraus. Röntgenbestrahlung ist
bei Banti wiederholt empfohlen. l
Federmann: Entfernung eines 160 cm langen gangränösen
Dünndarmstückes 60 Stunden nach Beginn der Ileuserscheinungen mit
gutem Erfolge bei 40jähriger Patientin. Sofortiger Bauchhöhlenschluß
nach Resektion. Wie in diesem Falle spricht Abgang von Winden und
Stuhl nicht immer gegen die Diagnose „Ileus“. Patientin verträgt alles
bis auf Kohlehydrate. Vorstellung eines gutaussehenden Mannes, bei dem
'Vortragender vor 4!/; Jahren ein Darmcarcinom mit Coecum und Kolon
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2010
entfernte, das schon 11/2 Jahre neben Spitzentuberkulose bestanden und
Blutungen sowie Kachexie bedingt hatte. Die Mesenterialdrüsen waren
tuberkulös und carcinös durchsetzt. Ileum wurde in das absteigende Kolon
implantiert. Bauchhöhle geschlossen. Adenocarcinom. Keine Rezidive-
Zunahme von 18 Pfund.
R. Freund hat zwölf Fälle von Schwangerschaftsdermatosen,
darunter einen Herpes, einen Pemphigus, ein multiples toxisches Exanthem
und neun Fälle von Prurigo beziehungsweise Erythema gestationis mit
Serum behandelt, und zwar drei mit Serum Hochschwangerer, vier mit
normalem Pferdeserum. Injektion stets intravends in Mengen von 25 bis
40 ccm. Unterschied in der Wirkung dieser beiden Serumarten bestand
nicht. Sechs Fälle heilten, davon drei nach Rezidiven; ein Fall (Herpes)
wurde nur gebessert. Doch verliefen die Rezidive objektiv und subjektiv
in bedeutend milderer Form. Nach Rißmanns Vorschlag wurde bei den
andern fünf Fällen angewandt statt Serum die Ringersche Lösung (subeutan
inMengen von 120 bis 200 cem), und zwar in vier Fällen mit Erfolg; in
einem Falle versagte die Methode. Vorteil der Behandlung mit Ringer-
oder Menschenserum liegt in der Gefahrlosigkeit und Möglichkeit öfterer
Anwendung. Die Anapbylaxiegefahr bei wiederholter Injektion von Tier-
seris läßt sich freilich durch die prophylaktischen Maßnahmen Besredkas
umgehen, indes muß man durch vorherige Prüfung mit Wassermann
eventuell zweite Blutentnahme ein Verzögerung mit in Kauf nehmen.
Fr. empfiehlt zunächst einen Versuch mit Ringerscher Lösung, bei Er-
folglosigkeit Injektion von Serum (von Gravideu oder Nichtgraviden oder
Pferden) vorzunshmen. Die Begründung der Therapie liegt in der Tat-
sache, daß man tierexperimentell die Toxicität der Placentargifte durch
gleichzeitige Einführung normalen Tierserums aufheben kann.
Otto Ringleb: Zwei Fälle von Operation an Solitärnieren.
1. Nephro-Lithotomis bei infizierter rechtsseitiger Steinniere acht Monate
nach Entfernung der linken Niere. 2. Congenitale Hufeisenniere. Nephro-
Lithotomie bei infizierter Steinniere des linken Teils, spätere Resektion
desselben.
Max Stickel demonstrierte eine einelige Zwillingsplacenta, die
von einer 38jährigen Frau stammte. Die eine Nabelarterie der velamentöds
inserierten Nabelschnur der einen Frucht zerriß bei Blasensprung; da
eine direkte Anastomose mit der einen Nabelarterie der andern Nabel-
schnur bestand, verbluteten beide Früchte inter partum. Wäre ärztliche
Hilfe rechtzeitig zur Stelle gewesen, so hätte unter günstigen Umstände
das kindliche Leben erhalten werden können.
Aschheim: 1. Orarlalgravidität mit Haematocele retrouterina.
Laparotomie. Heilung. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es sich
um Follikelschwangerschaft gehandelt hat. 2. Fall von schädelgroßem,
verkapseltem und strichweise verkalktem Lithokeliphopädion, - das aus
einer vor 15 Jahren bestehenden Gravidität herrührt und mit supravagi-
naler Amputationdes Uterus per Laparotomiam entfernt wurde, nachdem jetzt
Schmerzen aufgetreten waren. 3. Placenta praevia in situ. Die ana-
tomisch-mikroskopischen Verhältnisse am untern Uterinsegment, respek-
tive Isthmus geben eine Stütze für die von Krönig bei Placenta praevia
inaugurierte Kaiserschnitttherapie, was Gottschalk bestreitet.
J. Ruhemann (Berlin-Wilmersdorf).
Orthopädische Gesellschaft. Sitzung vom 4. November 1912.
Vorsitzender: Joachimsthal.
Preiser (Hamburg): Ueber statische Gelenkerkrankungen. P.
führt die primäre Arthritis deformans auf eine Störung der statischen
Einheit zurück. Unter einer statischen Einheit versteht er z. B. an der
unteren Extremität das Fuß-, Knie-, Hüftgelenk, sowie die Beckenartiku-
lationen. Jede Stellungsänderung eines dieser die statische Einheit bil-
dendeu Gelenke führt zu einer Störung der statischen Einheit selbst. Bei
allen Stellungsänderungen in den Gelenken entsteht eine pathologische
Gelenkflächeninkongruenz. Besonders disponiert zur Arthritis deformans
der Hüfte sind die Träger eines rachitischen Beckens und des vom Vor-
tragenden sogenannten „Stehbeckens“, welches er bei sporttreibenden
Menschen, insbesondere Amerikanern und Engländern, gefunden hat. Bei
allen durch Stellungsanomalien an der unteren Extremität entstandenen
Affektionen muß die gesamte statische Einheit genau untersucht werden.
P, erinnert an den Lumbago in der Schwangerschaft, an die Meralgia
paraesthetica und ähnliche schmerzhafte Affektionen, die durch statische
Störungen bedingt sind und sich durch einfache, auf Verbesserung der
Statik abzielende Maßnahmen beheben lassen. Das Endstadium der
statischen Erkrankungen stellt die Arthritis deformans dar. Vortragender
demonstriert typische Fälle von Arthritis deformans. Die Östeophyten-
bildungen, die dieser Erkrankung in schwereren Fällen meist nicht fehlen,
stellen Heilungsbestrebungen dar, um die Gelenkflächenkongruenz wieder
herzustellen. Nach Ansicht von P. ist z. B. die plötzliche Entstehung
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember.
einer Entzündung eines Hallux valgus oft mit einer Zotteneinklommung
des arthritisch veränderten Metatarso-Phalangealgelenks zu erklären, und
nicht, wie oft fälschlich geschieht, auf Gicht zu beziehen. Auch die obere
Extremität stellt eine statische Einheit im Sinne Alberts dar; nur tritt
hier an Stelle der Belastung der Muskelzug. Das Aufıreten der Corpora
libera ist am Ellbogengelenke besonders häufig; sehr selten hat sie P. im
Kniegelenke gefunden. Die Arthritis deformans des Schultergelenks ist
röntgenologisch selten nachweisbar, da an diesem Gelenk Knorpelusuren
und Lipombildungen vorherrschen. Die Behandlung der primären Arthritis
deformans soll in Bewegungs- und Wärmetherapie bestehen. P, warıt
vor der operativen Entfernung von Lipomen. Mit ihr geht meist ein
Entfernung von Teilen der Gelenkkapsel einher, wodurch dann erst recht
stärkere Bewegungsstörungen resultieren. In hochgradigen Fällen erst
kommen entlastende Schienenhülsenapparate in Frage.
Dazu Wollenberg: Die statischen Mißverhältnisse spielen in der
Frage nach der Ursache der Arthritis deformans eine große Rolle. Trotz-
dem kann die Astiologie des Leidens durch die P.schen Deduktionen
nicht vollauf erklärt werden. So sieht man nach schweren Traumen selbst
nach vielen Jabren oft keinerlei Arthritis deformans, während hingegen
nicht selten nach leichten Verletzungen arthritische Veränderungen ein-
treten. Auch nach viele Jahre bestehender Störung der Statik des Knis-
gelenks (Patientin mit hochgradigem Genu valgum) hat W. keinerlei
Arthritis deformans auftreten sehen. Die Arthritis deformans kann auch
bei ungestörter Statik eintreten.
Axhausen erkennt die Wichtigkeit der statischen Verhältnisse
für die Frage nach der Aetiologie der Arthritis deformans völlig an.
Ihnen übergeordnet ist die aseptische Knorpelnekrose, die er experimental
darstellen konnte. Die dadurch erzeugten histologischen Bilder ent
sprechen genau denen der Arthritis deformans. Durch die P.schen De
duktionen läßt sich die Arthritis deformans nicht so vollkommen er
klären.
Walkhofff: Die histologischen Befunde von Axhausen sind keine
echte Arthritis deformans. Nach W.’s Meinung ist die Mechanik dw-
jenige, was die Arthritis zu dem macht, was der Kliniker sieht.
Preiser (Schlußwort) erblickt den Beweis für die Richtigkeit
seiner Anschauungen darin, daß die Beschwerden eines Kranken ve
schwinden, sobald man die Statik korrigiert hat. Auch Lipome köne
durch Besserung der Statik zum Schwinden gebracht werden. Ob das ame
mit den Osteophyten der Fall ist, kann P. bis jetzt noch nicht sicht
sagen. Die Crepitation verschwindet sicher nicht.
Bibergeil (Berlin).
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 27. November 1912
Vor der Tagesordnung: 1. Silberstein demonstrierte einen
Patienten, bei welchem wegen Riesenzellensarkom des Oberarmkopfs
der Schultergürtel entfernt worden war.
2. Nagelschmidt: Demonstration der elektrischen Behand
lung der Fettleibigkeit. Die Behandlung der Fettleivigkeit durch
diätetische Maßnahmen ist schon längst Gemeingut aller Aerzte. Ebens
bekannt ist der häufige Mißerfolg einer derartigen Kur, bedingt dord
die schwierige Durchführung derselben. Man hat daher von jeher dio
Kur durch Muskelübungen zu unterstützen versucht. Das gemems
Prinzip aller derartigen Kuren ist Reduktion der Ernährung bei gleich-
bleibendem und, wenn möglich, erhöhtem Verbrauch. Erhöhter Verinin
heißt erhöhte Verbrennungen, und diese werden erzielt durch Moske
bewegungen. Hier liegt eine Hauptschwierigkeit. Bei fettleibigi
Menschen, die schon lange entwöhnt sind, körperliche Betätigung 2
üben, sind die Muskeln schwach und mehr oder weniger fettig deget
riert. Hieraus resultiert ein ungeheurer Verbrauch an Willensenergtb
um die geschwächte Muskulatur zur Arbeit zu zwingen. Die Folge davon
ist sofortige Ermüdung. Eine Anzahl anderer fettleibiger Individ
sind berzleidend und bei der geringsten Anstrengung treten von bë
der Circulation Störungen auf, welche die Körperbewegung vorbind,
Andere sind asthmatisch und geraten schnell in Dyspnöe. Bin forore
erheblicher Prozentsatz der Fettleibigen ist asthenisch, das Be
fähig, willkürlich nennenswerte Muskelanstrengungen zu machen. Éi H
sind bei Manchen Gelenk- und Muskelaffektionen vorhanden oder a
sklerotische, phlebitische, lokale Behinderungen, welche das Gehen 7
möglich machen. In allen derartigen Fällen versagt oft die me
mechanische Behandlung, denn die passive Bewegung und Uebunk ,
« E ; ya
keineswegs imstande, aktive Muskelcontractionen zu ersetzen und dns
Bewegungen an medico-mechanischen Apparaten scheitern eben IM
Fällen an der schnellen Ermüdbarkeit der Patienten. M
Prof. Bergoni6 in Bordeaux hat im Jahre 1909 seino Metho
der generalisierten Muskelübungen, die auf elektrischem Weg® m
werden, veröffentlicht. Diese Versuche datieren seit zirka 1
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
2011
und haben nach seiner Angabe wesentliche Resultate erzielen lassen.
Nicht nur daß innerhalb von einer Reihe von Wochen unter Zuhilfenahme
allerdings einer stiengen Diät erhebliche Gewichtsabnahmen erzielt
wurden, hat sich vielmehr herausgestellt, daß vermöge dieser Muskel-
übungen die Diätkur wesentlich leichter durchgeführt und ertragen wird
und daß die erzielten Resultate auf Jahre hinaus konstant blieben. N.
hat seit Juni vorigen Jahres einen Apparat ähnlicher Konstruktion, der
von der Firma Sanitas in Berlin hergestellt wurde, in Betrieb und
kann im wesentlichen die Resultate B.s bestätigen. Die Haupt-
schwierigkeit lag darin, einen geeigneten Strom zu finden, welcher
möglichst ausgiebige Muskelcontractionen bei möglichst geringer
sensibler Reizung auszulösen gestattete B. hat nach langen Ver-
suchen einen JInduktionsapparat konstruiert, der vermöge bə-
sonderer Wicklung und mit einer sehr exakt rogulierbaren Unter-
brechungsvorrichtung versehen, diese Erfordernisse nach Möglich-
keit erfüllt (Demonstration). N. hat an Stelle dieses Induktionsstroms
den von ihm vor einigen Wochen in der Berl. kl. Woch. publizierten
Wechselstrom angewandt, der in bezug auf Herabsetzung sensibler Neben-
erscheinungen gegenüber dem Gaiffeschen Apparate noch einen wesent-
lichen Fortschritt zu bedeuten scheint. Wenigstens geben die Patienten,
die mit beiden Stromarten behandelt wurden, übereinstimmend an, daß
der neue Wechselstrom wesentlich angenehmer ist. Demonstration der
Anwendung des Apparats, der aus einem eigenartig konstruierten Stuhle
besteht und mittels sehr großer Elektrodenflächen, die mit angefeuchteten
Filzbelägen versehen sind, die Applikation des Stroms in jeder ge-
wünschten Richtung und Intensität gestattet. Das Schaltbrett ist so
eingerichtet, daß man jedem Körperteile das Optimum an Strommenge
zukommen lassen kann, sodaß sowohl schwache wie kräftige Muskel-
grappen entsprechend stark zur Contraction gereizt werden. Die erziel-
baren Muskelcontractionen sind außerordentlich ausgiebige. Die de-
monstrierte Patientin würde, da sie seit Jahren herzkrank ist, auch nicht
eine Minute lang, bloß mit ihrem Willen annähernd diese Muskelarbeit
verrichten können, welche sie so eine volle Stunde lang ohne Ermüdung
ausführt. Es ist eben das Interessante hierbei, daß die Ausschaltung der
eignen Willensenergie das Auftreten von Ermüdung außerordentlich weit
hinausschiebt. Natürlich kann man nicht gleich von vornherein den Pa-
tienten stundenlange Sitzungen mit maximaler Arbeitscontraction zu-
muten, indessen tritt die Gewöhnung außerordentlich schnell ein, und es
ließen sich wiederholt Gewichtsabnahmen von 200 bis 800 g pro Sitzung
feststellen. In andern Fällen wiederum ist die Abnahme eine wesentlich
geringere, immer aber müssen wir dafür sorgen, wenn der Hauptzweck
der Applikation Gewichtsabnahme sein soll, daß die Nahrungszufuhr durch
Diät erheblich unterhalb des Bedarfs herabgedrückt wird. Es ist aber
wesentlich, daß die Methode eben noch eine ganze andere Reihe In-
dikationen erfüllt. So kann durch lokale Contractionen nur der Bauch-
muskulatur die Obstipation wirksam bekämpft werden. Muskelatrophien,
auch bei Gelenkaffektionen, geben schnelle und gute Resultate. Ganz
besonders wichtig ist die Methode zur Behandlung von Herzkranken und
Asthmatikern, die die Sitzungen ausgezeichnet vertragen und sehr bald
soweit gebessert werden, daß sie auch zu aktiven Uebungen, Spazier-
gängen usw. übergehen können. Die Technik muß natürlich eine sehr
exakte sein. Die Stromkontrolle für die einzelnen Muskelgruppen mub
dauernd sein und es muß auch die Stromverteilung je nach den indivi-
duellen Besonderheiten des Falles eingerichtet werden. Bei genügender
Sachkenntnis und Vorsicht ist jede Schädigung des Patienten ver-
meidbar. Die Methode, welche schon lange in Frankreich, England und
Amerika bekannt ist, verdient in der Tat weiteste Verbreitung.
(Autoreferat.)
Tagesordnung: Karewski: Ueber chirurgische Behandlung
schwerer Formen chronischer Obstipation. Nach einem kurzen
Ueberblick über das Wesen und die Bedeutung des Begriffs der
schweren chronischen Stuhlverstopfung, über die Quellen diagnostischer
Irrtümer bei der sogenannten habituellen Obstipation definiert Vor-
tragender den für seine Auseinandersetzungen in Frage kommen-
den Symptomenkomplex im Sinne Nothnagels als: dauerndes Gefühl
von Vollsein, Spannung, Unbehagen im Abdomen, Bildung großer im
Dickdarme retinierter Kotmassen, die durch Reizung der Schleimhaut
Hypersekretion und interkurrente Diarrhöen hervorrufen,
Schmerzen mit Kollaps und Erbrechen als Vorläufer wirklicher Darm-
paralyse. Dieses Krankheitsbild gleicht in seinen Erscheinungen vielfach
stenosierenden Prozessen der Mucosa und chronisch entzündlichen Zu-
ständen der Ileocoecalgegend. So ist denn auch die Kontroverse über
kolikartige
Coecum mobile Wilms und Appendicitis chronica in Deutschland der
Ausgangspunkt der Bestrebungen geworden, die Störungen des Kottrans-
ports operativ zu behandeln. Denn die von Wilms begründete und von
seinen Schülern sowie von Andern weiter ausgebaute Lehre von den
Lage- und Formanomalien des Kolons hat klinisch nichts anderes zur
Grundlage als hartnäckige Stuhlverstopfung, deren Bekämpfung zwar zu-
nächst die Autoren wenig interessierte, aber konsequenterweise immer
mehr in den Kreis ihrer Betrachtungen gezogen wurde. So haben sich
denn die von ihnen gewählten operativen Methoden mehr und mehr durch-
aus denjenigen angepaßt, die schon vor langer Zeit von Laue und
Franke anempfohlen waren. Alle Ueberlegungen und Erfahrungen, alle
Publikationen auf diesem Gebiete zeigen, daß die chronische Obstipation
einen Circulus vitiosus darstellt. Die verzögerte Circulation der Fäkalien
erzeugt anatomische Veränderungen, die ihrerseits weitere Hindernisse
schaffen. Coecum mobile, Typhlitis, Torsion, Kolonverlagerung, Adhäsion,
Knickung sind im Wechselspiele bald Ursache, bald Folge von Störungen
der Beförderung der Ingesta.
Daraus erklären sich auch die Beziehungen zwischen Obstipation
und Appendicitis. Man kann heute als feststehend annehmen, daß letztere
meist fortgeleitet ist von einem primären Dickdarmkatarrh und deswegen
auch von Stuhlverstopfung abhängig ist. Aber während die chronische
Appendicitis die Gefahr der akuten Exacerbation und ihrer lebensgefähr-
lichen Konsequenzen in sich trägt, bedrohen Lage- und Gestaltverände-
rungen des Kolons niemals das Leben. Die Appendektomie kann wegen
der Bedenklichkeit des Grundleidens indiziert sein, sie heilt sehr oft
gleichzeitig die Darmträgheit, sie ist aber nicht als therapeutisches Mittel
gegen diese zu bewerten. Auf der andern Steite haben die zur Beseiti-
gung der genannten Dickdarmanomalien erfundenen Eingriffe niemals eine
Berechtigung als präventive Maßnahme und ihre frühzeitige Anwendung
schießt über das Ziel hinaus, Die ausgedehnten Darmresektionen und
Darmausschaltungen, die man bei den schwersten Formen der Obstipation
angewendet hat, sind aber weder unbedenklich, noch sichern sie einen
Dauererfolg.
Hierzu kommt, daß das für die Indikationsstellung als exaktestes
und objektivstes Mittel benutzte Röntgenverfahren nur bedingte Zuver-
lässigkeit besitzt. Allerdings für die Aufdeckung okkulter maligner
Stenosen ist es souverän, aber bei Funktionsstörungen unterliegt die
Deutung subjektiven Annahmen und direkten Irrtümern. Dennoch ist
sein Wert für Aufklärung der Verhältnisse nicht zu unterschätzen, man
soll es in keinem Fall unbenutzt lassen, aber es nicht als durchaus maß-
gebend für die Wahl der Therapie ansehen.
So zurückhaltend und vorsichtig man also mit chirurgischen Ein-
griffen zur Heilung chronischer Obstipation sein muß, und so schwer die
Indikationsstellung ist, so gibt es doch Fälle, bei denen sie nicht um-
gangen werden können. Der Appendicitis ähnliche Anfälle geben keine An-
zeige, findet man aber bei der Operation echter chronischer Blinddarm-
entzündung stark gedehntes und erweitertes Coecum, so mag man gleich-
zeitig eine Raffung desselben vornehmen, Ileusähnliche Anfälle, die auf
reiner Koprostase beruhen, sind selbstverständlich nur innerlich respektive
physikalisch zu behandeln; sobald sie aber durch Volvulus- oder Strang-
abknickung hervorgerufen werden, bedürfen sie auch dann einer blutigen
Intervention, wenn sie bei mehrfachen Rezidiven immer wieder konservativ
beseitigt werden konnten, damit nicht, was sehr leicht vorkommen kann,
eines Tages ein irreparabler Darmverschluß auftritt. Noch ernster sind
die Zustände chronischer Stenose zu beurteilen, weil sie nicht nur den
Lebensgenuß und den Allgemeinzustand stark beeinträchtigen, sondern
eine komplette Okklusion herbeiführen können. Wenn auch innere Be-
handlung stets versucht werden muß und oft guten Erfolg hat, so bleiben
doch Fälle übrig, die so unerträgliche Zustände veranlassen, daß die
Operation am Platz ist.
K. illustriert seine Auseinandersetzungen durch Mitteilung eigner
Erfahrungen mit der Röntgenmethode und durch Anführung persönlicher
Beobachtungen. In bezug auf die Details der technischen Fragen ver-
weist er auf seine ausführliche Publikation in der Berl. kl. Woch.
Er resumiert sich dahin, daß die chirurgische Behandlung schwerer
Formen chronischer Obstipation im wesentlichen nur dann berechtigt ist,
wenn der gesamte Heilschatz der internen Medizin vergeblich erschöpft
ist und wenn die örtlichen Störungen, welche -beseitigt werden sollen,
ihrem anatomischen Charakter nach oder durch ihre Konsequenzen eine
Lebensgefahr für den Träger bedeuten. (Autoreferat.)
Diskussion: Max Cohn zeigt Röntgenbilder, welche dartun,
daß die Operation kaum eine Heilung zu bewirken vermag.
Fritz Fleischer.
2012 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember.
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Rundschau.
Zur Erinnerung an C. Nicoladoni
von
Geh. Med.-Rat Prof. Payr, Leipzig.
Am 4. Dezember sind zehn Jahre voll geworden, seit in Graz
Carl Nicoladoni, einer der genialsten Chirurgen seiner Zeit,
einer der edelsten, hochherzigsten Menschen, für immer seine Augen
geschlossen hat.
__ ‚Es ist eine Ehrenpflicht der Dankbarkeit seiner Schüler, der
sich in mächtigen Gefühlsempfindungen kundgebenden Erinnerung
an die so überaus sympathische Persönlichkeit des allzufrüh Dahin-
gegangenen Ausdruck zu geben, die Früchte der von ihm so frei-
gebig gestreuten erziehlichen und wissenschaftlichen Saat mit Be-
wunderung noch einmal zu schauen und sich zu fragen, wie jene
das von ihm übernommene Erbe verwaltet und weitergeführt
` haben.
Zehn Jahre sind in unserer schnelllebigen, rastlosen und
hastenden Zeit eine lange Spanne.
Sie ist lang genug, um das schmerzvolle Gefühl des für den
Augenblick unersetzlichen Verlustes zurücktreten zu lassen und
um so reiner und klarer wird unsere Einschätzung der geleisteten
Lebensarbeit und die daraus entspringende Kundgebung dankbarer
Verehrung und in diesem Sinne wollen wir heute seiner ge-
denken. |
Nicoladoni war eine ausgesprochene Persönlichkeit, die un-
bewußt imponierte, seines Wertes kraftvoll bewußt, und doch von
jener seltenen Schlichtheit und Bescheidenheit, die uns an mit
herrlichen Gaben des Geistes und Charakters reich ausgestatteten
Naturen so sympathisch berührt.
Treu sich selbst und seinen Freunden, väterlich wohlwollend,
mit fester Hand erziehend, veredelnd und begeisternd für seine
Schüler, ein Sonnenstrahl am Krankenbette, Vertrauen und Zu-
versicht spendend und deshalb von abgöttischer Verehrung be-
dankt, — so war er; darum ist sein Wesen heute noch von allen,
die ihn kannten, unvergessen. Er war einer der wenigen Großen
unseres Faches, in denen die Trias der Lehrbegabung, hoher ärzt-
licher Kunst und pfadfindenden Forschens in gleicher Vollkommen-
heit vereint waren.
Die Lehrtätigkeit stand unter dem doppelten Zeichen der
Kunst des Sehens und des logischen Denkens; er hatte die Gabe,
sie nicht nur zu zeigen, sondern auch seinen Schülern zu eigen
zu machen. Das Selbsterlebte stand im Vordergrunde, denn er
liebte nur Klarheit und Wahrheit.
Nicoladoni besaß eine selten kunstfertige und sichere
Hand, die ihn im Verein mit hoher plastischer Begabung zu
den hervorragendsten Operateuren der Zeit machte; dazu kam eine
Originalität der Bewältigung der gestellten Aufgaben, die immer
wieder Neues, Ueberraschendes brachte. Es war, als ob man
einen Meister plastischer Kunst bei der Arbeit sähe; sie war ver-
edelt und verschönt durch ungewöhnlich tiefe anatomische Schu-
lung. Die Wertschätzung dieses treuen Wanderstabs haben alle
seine Schüler übernommen und hochgehalten.
Als naturwissenschaftlich sich vertiefender Forscher war
Nicoladoni von bewunderungswürdiger Gründlichkeit, von sel-
tenem Scharfsinn, als kühner Eroberer neuer Wege und hoher Ziele
ideenreich und wahrhaft genial.
Der Gedanke der Gastroenterostomie, die heute von Erfolg
zu Erfolg eilende Sehnentransplantation (Sehnenverpflanzung), die
Lehre vom Pes calcaneus, vom Plattfuße, die Scoliosis ischiadica,
die Orchidopexie, die Daumenplastik und die sich wie ein rotes
Band durch sein Lebenswerk ziehende Bearbeitung der Skoliosen-
lehre sind nur die allbekannten großen Geschenke, die er unserm
Fache gab.
Angesichts der ganz hervorragenden Eigenschaften Nicoladonis
als Lehrer, nicht nur für die Studierenden der Medizin, für die später
zu beziehende harte Schule des Lebens, sondern auch für seine engeren
Schüler ist die Frage wohl gerechtfertigt, was aus ihnen geworden, wie
sie sich weiter entwickelt haben.
Wenn jemand die Fähigkeit zugesprochen werden muß, im heute
gebräuchlichen akademischen Sinne Schule zu macher, so war es sicher
Nicoladoni.
Sein Gedankenreichtum brachte es mit sich, daß er nicht nur
immer sich selbst neue und schwierige Aufgaben stellte, sondern im unge-
zwungenen Verkehr an der Klinik seinen Assistenten Ideen, Arbeitspläne
entwickelte und ihnen die Lösung wissenschaftlicher Aufgaben als dankens-
wert hinstellte. Es war ein reicher, kaum je versiegender Quell geistiger
P
Rediglert von Dr. Erwin Franck, Berlin,
Anregung, an dem man sich mit den neuen Wegen und Gesichtspunkten
auch Arbeitsliebe und Lust holen konnte,
Es liegt im fachlichen Eintwicklungsgang und Lebensschicksel
Nicoladonis, wenn die reiche Saat, die er seinen Schülern freigebig
auf den Lebensweg mitgab, nicht noch reichere Früchte getragen hat,
wenn es ihm nicht vergönnt war, den schönsten und stolzesten Erfolg
durch die Besetzung eines Lehrstuhls mit einem seiner Schüler zu
erleben.
Te Jahre wirkte er in dem nach den damaligen Begriffen „ent-
legenen“ Innsbruck. Sie fielen in eine Zeit der Centralisierung, in der
die Jüngeren Lehrkräfte für die wenigen Provinzhochschulen Ossterreichs
zumeist aus Wien kamen, in denen Wien das einzige große, durch glanz-
volle Vertreter der einzelnen Disziplinen die Schwesteruniversitäten macht-
voll überragende, Ja erdrückende Centrum darstellte.
Die Vorbedingungen für wissenschaftliche Forschung und Arbeit
an Material und Mitteln waren nur dort und an letzteren auch nicht
überreich vorhanden.
‚ Ño ist es begreifiich, daß auch die jüngeren talentierten Kräfte der
Provinzhochschulen, wenn sie nicht ein glücklicher Stern ihrer Laufbahn
nach dem strahlenden Sammelpunkte führte, nach jahrelanger emsiger
Arbeit und heißem Bemühen den Kampf aufgaben und oftmals, der Not
gehorchend, ihren idealen Zielen untreu werden und den praktischen For-
derungen des täglichen Lebens ihren Tribut leisten mußten.
‚Wie oft hat Nicoladoni darüber geklagt, daß trotz der hohen
fachlichen Begabung für die Chirurgie, die er bei den tirolischen Medi-
zinern, speziell was manuelle Fertigkeit, unerschütterliche Ruhe und
klares logisches Denken anlangt. keineswegs selten finden konnte, sich
nur ganz ausnahmsweise die äußeren Bedingungen für die akademische
Laufbahn schaffen ließen — eine schwere Sorge, die seine Innsbrucker
Tätigkeit umdüsterte.
_ , Eine Reihe ganz ausgezeichneter Chirurgen seiner Schule wurden
Primarärzte an Österreichischen Landeskrankenhäusern, oder ließen sich
als Fachärzte im Lande Tirol nieder.
‚. Und selbst, wenn die soziale Notwendigkeit nicht immer das ent-
scheidende Wort gesprochen hätte, so schien eg damals doch fast aus-
sichtslos für einen Dozenten, an der noch kleinen und jungen Fakultit
die Professur in absehbarer Zeit zu erreichen, oder gar sich dem In-
begriff und Ziele aller akademischen Ideale, der Vorstandschaft einer
Klinik zu nähern.
‚ Den einzigen in Innsbruck habilitierten Dozenten, den hochbogabten
Finotti, dessen inhaltreiche und gründliche Arbeiten ihm voraussicht-
lich den Weg zur Lehrkanzel seines Faches eröffnet hätten, verlor
Nicoladoni kurz nach seiner Uebersiedlung nach Graz zu seinem großen
Schmerze durch den Tod.
‚ Während der sieben Jahre der Grazer Tätigkeit war ich abermals
der einzige Assistent, der sich habilitierte; noch während meiner Dienst:
zeit an der Klinik verschaffte mir Nicoladonis großzügiges Wohlwollen
die außerordentliche Professur.
Graz bot nun ein allerdings ungleich größeres Material und gas
wesentlich bessere Hilfsmittel für die Entwicklung einer Schule, und &
ist nur den wiederholten schweren Erkrankungen unseres Meisters, dem
Abgange mehrerer ausgezeichneter und auch literarisch erfolgreich tätiger
Assistenten, Neugebauer und Luksch, als Chefärzte großer chirur-
gischer Krankenanstalten, sowie der Kürze seines Wirkens an der
Hochschule Steiermarks zuzuschreiben, daß zu seinen Lebzeiten die
Zahl seiner den akademischen Grad erreichenden Schüler nicht
größer wurde. ; ;
Daß es an einem strebsamen, begabten und im besten Sinn iger
frohen Nachwuchse nicht fehlte, ergibt sich deutlich daraus, dab sit
seine engeren, von seinem Nachfolger von Hacker übernommen
Apres in den nachfolgenden Jahren an der Grazer Hochschule hab
itierten. ;
Die vorzüglichen Arbeiten Hertles, M. Hofmanns, win
und Streisslers, die sämtlich die Dozentur sich holten und in selbständ 6°
leitende Stellungen traten, tragen vielfach noch das Gepräge von Nico
ladonis Anschauungen und Arbeitsrichtung. kan
Meine herzlichsten Wünsche begleiten diese eben goum
Kollegen aus unserer gemeinsamen Assistentenzeit an Nicolado
Seite für eine schöne, zu weiteren Erfolgen führende Zukunft! P
. Es liegt: weder an Nicoladonis Führerschaft noch an nn
Schülern, wenn heute, zehn Jahre nach seinem Heimgange, nur einer
ihnen einen Lehrstuhl für Chirurgie inne hat. mi
Eine Berufung eines Oesterreichers aus einer Dozenten reich
Assistentenstellung, sei əs auch der eines Extraordinarius, al a deren
ausgestatteten Lehrstühle. Deutschlands ist eine Chance ganz beso M
und seltenen Glückes, mit der der Nachwuchs nicht rechnen nn ie
darf auch nicht vergessen, daß die so zahlreichen deutschen rn In
mit ihrem durchweg trefflichen Material, mit ihren reichen EM enden
wicklung und Emporkommen begabter Individualititen ganz , den
begünstigen und deshalb kaum je die Notwendigkeit besteht, 1
Jungen Kräften des Nachbarstaats zu greifen. Jen bedingt
‚Die so ungleich größere Zahl der deutschen Hochschule
an sich einen viel rascheren Wechsel der Lehrkräfte.
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49, 2013
Oesterreich hat nur vier deutsche vollständige Universitäten, mit
dem auch heute noch an Bedeutung alle andern überragenden, die Mehr-
zahl der Lehrkanzeln besetzenden Wien an der Spitze.
Dazu kommt, daß sich auch heute noch unter den Hochschulen
eine stillschweigende, öffentlich kaum diskutierte, aber durch die Art der
Berufungen sich immer wieder kundgebende Klassifikation nach der Größe
der die Universität beherbergenden Städte zeigt.
Diese bringt es mit sich, daß sich des vielversprechendsten und
begabtesten Nachwuchses an jenen der Provinz leicht eine Empfindung
der Entmutigung bemächtigt, indem es als ein besonderer Glücksfall er-
scheinen muß, von diesen aus das ersehnte Ziel zu erreichen.
Allerdings fordert es die Pflicht der Gerechtigkeit, zu sagen, daß
gerade in den letzten Jahren gar mancher Durchbruch dieser „Regeln“
zu verzeichnen ist.
Die -Ausgestaltung der Kliniken und Institute in’ den Provinz-
universitäten Oesterreichs nimmt einen hocherfreulichen Aufschwung.
So hat Graz, dem ich, besonders in Erinnerung dessen, was ich
von meinem unvergeßlichen, großen Lehrer Nicoladoni empfangen
habe, ein treues Gedenken bewahre, im vergangenen Sommer ein herr-
liches, allen modernen Anforderungen entsprechendes Krankenhaus er-
halten und kann sich die chirurgische Klinik, deren Bau und fein darch-
dachte innere Ausgestaltung ein leider unerfüllt gebliebener Lebenswunsch
Nicoladonis geblieben ist, stolz zu den schönsten ihrer Art, soweit die
deutsche Zunge reicht, zäblen. |
Auch die von Nicoladoni erbaute schöne Innsbrucker chirurgische
Klinik ist unter ihren späteren Vorständen in mannigfacher Weise ver-
bessert und ausgebaut worden; das einst so bescheidene Material der
„fernen Alpenstadt* strömt jetzt, im Zeitalter des rasch pulsierenden
Verkehrs und der leichteren Beweglichkeit des ehedem etwas schwer-
fälligen Bergvolks, in reichem Maße zu. So wird hoffentlich auch in
meiner Vaterstadt in Zukunft der akademische Nachwuchs, trotz der
kleinen Verhältnisse, auf ertragreicherem Boden mit mehr Freude und
Zuversicht an die Erfüllung seiner Zukunftshoffnungen glauben können.
Es ist in den letzten 30 Jahren doch vieles anders geworden!
Als Nicoladoni 1881 als Nachfolger E. Alberts nach Innsbruck
ging, gehörte ein gewisser Mut, ein Idealismus!) dazu, aus großen und
glänzenden Verhältnissen in kleine und bescheidene zu treten.
Es war einzig und allein sein heißer Wunsch, zu helfen und zu
heilen,. zu forschen und zu lehren, der ihn freudig nach Tirol gehen ließ.
Wie oft hat er erzählt, mit welch gemischten Gefühlen er sich im An-
beginne seiner Tätigkeit in Innsbruck vor einem Auditorium von 18 Hörern
statt 250 im letzten in Wien supplierten Semester gegenüber fand.
Heute sind die Lehrstühle der Provinzuniversitäten ein heiß um-
worbenes Ziel geworden; der soziale Kampf, der um dieselben geführt
wird, zeigt, wie hoch dieselben eingeschätzt werden. Während es noch
bis vor wenigen Jahren vorkam, daß gelegentlich ein Wiener Dozent mit
ertragreicher Praxis sich nicht entschließen konnte, die ihm angebotene
Professur in der Provinz anzunehmen und sich nicht von der aus Herz
gewachsenen schönen Kaiserstadt mit all ihren großen und kleinen Reizen
trennen . konnte, sind jetzt überreichlich Anwärter für jeden Lehrstuhl
vorhanden.
Aber nicht nur die Kliniken, sondern auch die Stellungen der
Professoren an den Provinzhochschulen Oesterreichs sind andere geworden.
Der Entwicklungsgang der medizinischen Wissenschaften und die prak-
tische Ausübung der einzelnen Fächer bedingt einen großen und hoch-
befriedigenden Wirkungskreis. Heute wird es wohl kaum mehr vor-
kommen, daß einer der glanzvollsten Lehrer der Wiener Hochschule,
der große Denker und Kritiker E. Albert, einem nach Graz berufenen
hochbedeutenden internen Kliniker, um seine Meinung befragt, die drei
Inhaltschweren Worte zurief: „Sie werden hungern!“ |
Nicoladoni hat auch in seiner eignen akademischen Schicksals-
fügung manche Enttäuschung zu verwinden gehabt. Seinen Herzens-
wunsch, als Nachfolger Alberts an jene Stätte sich berufen zu sehen,
wo er seine glänzende fachliche Laufbahn so vielverheißend begonnen
und so Bedeutendes in jungen Jahren geleistet hatte, sah er nicht in
Erfüllung gehen. Aber er erkannte, daß sein Körper den Anforderungen
der Anpassung an so anders, und dadurch beinahe neu gewordene
Verhältnisse, an eine. so erhöhte Arbeitslast nicht mehr gewachsen sei
und selten kam ein Wort der Klage, gelegentlich eine Bemerkung schmerz-
licher Resignation über seine Lippen.
Neidlos gönnte er seinem geschätzten Freund und Kollegen den
Erfolg. Auch in dieser seiner hohen und edlen Auffassung der Stellung-
nahme zu dem Weben und Walten der Lebensschicksale wird er uns
Schülern immer ein leuchtendes Vorbild sein. |
So ehren und bewundern wir in ihm in stets sich erneuern-
ve menkberkont den genialen Forscher und Lehrer, den herrlichen
enschen, | ei
= 1) Wenn man bedenkt, daß Nicoladoni erst nach zehnjähriger
Anwesenheit in Innsbruck gleichsam stillschweigend das Recht zuge-
billigt wurde, von Privatpatienten im Krankenhause Honorar zu bean-
spruchen, daß dieses erst seinem Nachfolger durch eine Statthalterei-
verordnung offiziell zugestanden worden ist, erscheint dieser Ausdruck
wohl gerechtfertigt. |
Á Me
- Aerztlich-soziale Umschau.
25 Jahre Aerztekammerl Für die jüngeren unter den Kollagan
etwas Selbstrerständliches, für die älteren ein erhebendes Bewußtsein und
zugleich ein Beweis dafür, wieviel sich -auch für den ärztlichen Stand
durch eine zweckmäßige Centralisation der besten Kräfte erreichen läßt.
So werden die Namen der ersten verdienstvollen Vorsitzenden unsers
Kammerbezirks allen ärztlichen Zeitgenossen unvergessen bleiben. Es
sind dies der jetzt 95jährige Friedrich Körte, Becher f 1907 und
Stöter, derzeitiger Vorsitzender.
Am 25. Mai 1887 wurde durch Königliche Verordnung auch in
Preußen eine staatliche Vertretung der Aerzte geschaffen, nachdem in
den größeren Bundesstaaten bereits früher staatliche ärztliche Standes-
vertretungen mit günstigem Erfolge gewirkt hatten. Die umfangreiche
Tätigkeit der hiermit ins Debon gerufenen zwölf preußischen Aerzte-
kammern und des 1890/91 gegründeten Aerztekammer-Ausschusses in
den zurückliegenden 25 Jahren kann hier im einzelnen nicht erörtert
werden. Nach Joachim, dessen Fest- und Denkschrift!) sich eingehend
darüber verbreitet, sind es neben Fragen der öffentlichen Gesundheits-
pflege besonders drei Gebiete, auf denen die Aerztekammern sich bis-
her mit Erfolg schöpferisch. tätig zeigten: die Gründung der Vertrags-
kommission als ein Mittel zur Reglung der Stellung des Arztes in der
Versicherungsgesetzgebung, die Erweiterung der Disziplinarbefugnisse
durch Einsetzung der ärztlichen Ehrengerichte, die Einrichtungen zur
Unterstützung hilfsbedürftiger Aerzte und deren Hinterbliebenen.
Aus der Jubelfestsitzung, welche die Aerztekammer für den Stadt-
kreis Berlin und die Provinz Brandenburg am 9. November abhielt,
interessiert weitere ärztliche Kreise vor allem der Antrag der Aerzte-
kammer Ostpreußen: „den Aerztekammer-Ausschuß zu bitten, nach
Anhörung sämtlicher Aerztekammern bei dem Herrn Reichskanzler dahin vor-
stellig zu werden, daß bei dem Reichsversicherungsamt Aerzte
fost angestellt werden“. Die Aerztekammer Berlin-Brandenburg trat
diesem Antrage bei mit der von Dr. Munter befürworteten Abänderung, daß
neben den Richtern, Verwaltungsbeamten und Technikern auch Aerzte zu
ständigen Mitgliedern des Reichsversicherungsamts ernannt werden.
Zu dieser Frage ist vorerst zu bemerken, daß praktische Aerzte
ständige Mitglieder des Reichsversicherungsamts im Nebenamte nicht
sein können. Die ständigen Mitglieder, welche nach $ 86 RVO. der
Kaiser gemäß dem Vorschlage des Bundesrats auf Lebenszeit ernennt,
werden damit Reichsbeamte und sind als solche nicht befugt, neben ihrem
Amt einen freien Beruf auszuüben. Nicht ausgeschlossen bleibt indessen,
worauf Justizrat Korn hinweist?), daß ein Kreisarzt oder Medizinalrat,
also ein Beamter, ständiges Mitglied des Reichsversicherungsamts werden
kann. Nicht ständiges Mitglied des Reichsversicherungsamts kann
ein Arzt allerdings werden, entweder dadurch, daß der Bundesrat ihn
dazu ernennt oder er als Arbeitgeber von Arbeitgebermitgliedern gemäß
RVO. $ 89, 90 gewählt wird, zwei seltene Fälle, die praktisch wohl
kaum in Betracht kommen dürften. Eine dritte Möglichkeit besteht nun
noch darin, daß einer oder mehrere Aerzte als Medizinalreferenten sc.,
Hilfsarbeiter in das Reichsversicherungsamt berufen werden.
Liegt nun wirklich den Aerzten soviel daran, ihren praktischen
Beruf gänzlich oder teilweise aufzugeben, um nunmehr mit richterlicher
Funktion als ständige oder nichtständige Mitglieder in das Reichs-
versicherungsamt einzutreten? Ich glaube, diese Frage jetzt schon im
: Sinne der meisten Kollegen mit Nein beantworten zu können und bin
‚ vielmehr der Ansicht, daß der Aerztekammer Ostpreußen doch etwas
anderes vorschwebte als sie ihren Antrag einbrachte, wie dies ja auch
die Wendung — „daß bei dem Beichsversicherungsamt Aerzte fest an-
gestellt werden“ — erkennen läßt. Bei dieser Form der festen Anstellung
. könnte meines Erachtens immer nur eine Tätigkeit. als Hilfsarbeiter,
wie wir sie vorstehend als eine dritte Möglichkeit bezeichneten, in Be-
tracht kommen, etwa entsprechend den gleichnamigen etatsmäßigen
Stellen im Ministerium des Innern und der öffentlichen Arbeiten, die
zurzeit von Herren besetzt sind, die aus dem Stande der praktischen
' Aerzte hervorgingen und jetzt den Titel Geheimer Medizinalrat führen.
Bei Würdigung dieser Frage sei nun vorerst daran erinnert, daß
_ der Präsident des Reichsversicherungsamts, Dr. Kaufmann, gelegentlich
der Eröffnung des III. internationalen medizinischen Unfallkongresses in
Düsseldorf der Oeffentlichkeit bereits bekannt gab, er stelle zurzeit Er-
wägungen an dahingehend, für das Reichsversicherungsamt einen ständi-
: gon Beirat von hervorragenden Aerzten zu bestellen, um damit einen
lange gehegten Wunsch der deutschen Aerzteschaft zu erfüllen. Die
Absichten Dr. Kaufmanns bezwecken nun, ein Kollegium aus
namhaften Aerzten und Hygienikern als ständige Einrichtung dem
Reichsversicherungsamt an die Seite zu stellen mit der Aufgabe, das Amt
1) Berlin 1912. Druck von Ed. Haussmann.
3) Aerztliches Correspondenzblatt 1912, Nr. 47. 5
9014. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
selbst und damit vor allem die Versicherungsträger in wichtigen allge-
meinen oder medizinisch-hygienischen Fragen, die mit der Arbeiterver-
sicherung und ihren Zielen in Verbindung stehen, zu beraten und An-
regungen zu geben, ohne selbst in die eigentliche Verwaltung einzu-
greifen. So harren bereits seit längerer Zeit zahlreiche wichtige Fragen
ihrer Erledigung. Sie betreffen das Heilverfahren in seinen verschie-
denen ‚Ausdrucksformen, die Unfallprophylaxe sowie insbesondere die Not-
wendigkeit einer rascheren, allgemeineren Verbreitung und Verwertung
gewonnener Erfahrungen und wissenschaftlicher Fortschritte auf allen
Gebieten der Arbeiterversicherung. Weiterhin die Einrichtung von In-
validenheimen, die Ausgestaltung der Arbeitshygiene und die Bekämpfung
gefährlicher und verbreiteter Krankheiten, dieses im Vereine mit den
Versicherungsträgern. Die Beantwortung aller dieser Fragen dürfte in
großen Umrissen das Arbeitsgebiet darstellen, welches späterhin dem
ärztlichen Beirate des Reichsversicherungsamts zufällt, der
damit berufen sein wird, die gewünschte engere Verbindung zwischen
der Aerzteschaft und dem Reichsversicherangsamte herzustellen, wie die
Art seiner Zusammensetzung auch eine derartige sein wird, um auf volles
Vertrauen bei den Aerzten rechnen zu können.
Wie noch hinzugefügt sei, steht die Bildung des ärztlichen Bei-
rats unmittelbar bevor.
Um indessen noch ständig und gleichsam hausärztlich beraten zu
sein, wurde im Sommer 1912 der praktische Arzt Dr. med, et phil.
Frantz als Hilfsarbeiter in das Reichsversicherungsamt berufen.
- Seine Kenntnisse in der Versicherungsmathematik neben einer eingehenden
und vielseitigen ärztlichen Ausbildung ließen die Wahl dieses Sachverstän-
digen bisher als eine besonders zweckentsprechende erscheinen.
Zu den Aufgaben der Aerztekammer Berlin-Brandenburg gehörte
auch vor kurzem die Mahnung an die Aerzte zu leserlicher Ab-
fassung ihrer Rezepte. Direkte Veranlassung bot hierzu das Rezept
eines Nauheimer Kollegen für seine in Berlin weilende Gattin. Dasselbe
enthielt „Morf. mur. aq. steril. 0,15“ so unleserlich geschrieben, daß der
Apotheker daraus „Atropin“ entzifferte und demgemäß dispensierte. Ein
leichter Ohnmachtsanfall blieb die Folge dieses Versehens. Der Apo-
theker, wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt, wurde frei-
gesprochen, da die Unleserlichkeit des Rezepts gerichtsseitlich als Mil-
derungsgrund anerkannt werden mußte. Der Polizeipräsident von Berlin
nahm jedoch in dankenswerter Weise Veranlassung, eine Reihe gebräuch-
ficher Rezepturen, die zu Verwechslungen erfahrungsgemäß öfter Anlaß
geben, als warnendes Beispiel zu veröffentlichen. Bemerkenswert er-
scheint nach dieser Richtung der äußerst praktische Vorschlag des
Hallenser Pharmakologen Dr. Erich Harnack'), „bei stark wirkenden
Arzneimitteln von den Dezimalbrüchen ganz abzusehen und die Gewichte
durch ganze Zahlen oder echte Brüche anzugeben“. Es wäre demnach
zu verschreiben „statt 0,0001 =M !ıo, statt 0,0005 = M !/a, statt 1,0 =
G 1“, Es bliebe sehr zu wünschen, daß dieser Vorschlag bei den maß-
gebenden Instanzen Anklang fände oder es zum mindesten gestattet
würde nach beiden Lesarten zu verschreiben. ;
Ein dritter Punkt, der bei der Aerztekammer Berlin-Brandenburg
zur Sprache kam, war die von einer Kommission der Aerztekammer be-
antwortete Anfrage des Ministers, betreffend den Geburtenrückgang.
Bemerkenswert hieraus ist, daß die Frage nach einer verminderten Ge-
bärfähigkoit der Frauen aus zwei Gründen bejaht wird. Einmal ist es
die Zunahme der Gonorrhöe bei Frauen, zu zweit sind es die leider häufig
‚ verbrecherischen Aborte und conceptionshindernden Maßnahmen, welche
Unterleibskrankheiten und damit Sterilität bedingen. In derHauptsache wird
jedoch der Geburtenrückgang auf willkürliche Einschränkung zurückgeführt,
die alle Bevölkerungsschichten betrifft und sich aus den durch gesteigerte
Kultur erhöhten und verteuerten Lebensbedürfnissen ergibt.
Zweifellos können auch wir Aerzte viel dazu tun, psychisch de-
primierte Schwangere aufzurichten und durch energischen Zuspruch sie
dazu zu iübren, die notwendige Schonung und hygienische Vorsicht an-
zuwenden, um selbst bei schwacher und gebrechlicher Konstitution die
Frucht auszatragen. Auch gegen die Anwendung conceptionsbehindernder
Mittel kann von ärztlicher Seite durch entsprechende Warnung und Be-
lehrang mehr geschehen, als augenblicklich wohl geschieht. Alles in
allem bleibt der Geburtenrückgang aber immer mehr ein soziales
Problem, aufgebaut auf der Ueberspannung der wirtschaftlichen Lage
und den hierdurch in jede Familie hineingetragenen Sorgen, die weiter-
hin zu der sogenannten fakultativen Sterilität fübren. Ob sich hierin ohne
einen gewaltigen elementaren Umschwung auf allen Gebieten, wie, er jetzt `
z.B. im südöstlichen Europa vor sich geht, viel ändern wird, ob Enqueten,
Statistiken, belehrende Vorträge mit und ohne Lichtbilder den Säugling zu
zahlreicherem Erscheinen verleiten werden? Parturiunt montes .....
Und nun zum Schlusse noch eine recht freudige Nachricht, die
weiteste ärztliche Kreise berührt. Es gibt fortan keinen „Aerzte.
1) D. med. Woch. 1912, Nr. 39.
8. Dezember.
streik“ mehr in Deutschland! Dr. H. in Braunschweig hat diese wert-
volle Entdeckung gemacht, indem er in den „Aerztlichen Mitteilungen‘
auf die Notwendigkeit hinweist, das Fremdwort „Streik“ ein- für allemal
aus der sozialmedizinischen Literatur zu entfernen. Dafür soll es dan
anstatt Aerztestreik „vertragloser Zustand“ und für Generalstreik „al.
gemeiner vertragloser Zustand“ heißen. Wie aber, wenn die Redaktionen
streiken, pardon, „von dem vertraglosen Zustande profitierend“, den ihnen
vertrauten Streik weiter fortleben lassen? In jedem Falle hoffen wir,
daß die „Aerztlichen Mitteilungen“ uns hierbei mit gutem Beispiele vor-
angehen werden. Erwin Franck,
Aerztliche Tagesfragen.
Die Organisation des Militärsanitätswesens in Oesterreich-Ungarn,
Da gegenwärtig von der militärischen Bereitschaft der durch den
Balkanbrand zu allernächst bedrohten Großmacht soviel gesprochen und
geschrieben wird, erscheint es zeitgemäß, die Frage aufzuwerfen, ob mit
der militärischen auch die militärsanitäre Bereitschaft besagter Großmacht
Hand in Hand gehe. Die Antwort auf diese Frage wird sich aus der
nachfolgenden Skizze der Organisation des Militärsanitätswosens
Oesterreich-Ungarns — denn nur diese Großmacht hatten wir eben
gemeint — unschwer ergeben.
Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen zerfällt im Friede
in das Sanitätswesen des gemeinsamen (k. u. k,) Heeres, in jenes der
österreichischen (k. k.) und in das der ungarischen (k. u.) Landwehr. In
k. u. k. Heere kommt die Leitung und Ausübung des Sanitätsdienst#
dem „Militärärztlichen Offizierskorps“ zu, welches hierbei von dem Sanitäls-
hilfspersonal und der Medikamentenbranche, in Militärspitälern überdies
von Verwaltungsoffizieren, Truppenrechnungsführern und Rechnungshilis-
arbeitern unterstützt wird,
Das Militärärztliche Offizierskorps zählt im aktiven Soll.
stande 1228 mit dem -Offizierscharakter bekleidete, jedoch hinter dm
Soldatenstandsoffizieren, Geistlichen und Auditoren eingereihte, Doktoren
der gesamten Heilkunde, und zwar: 229 Oberärzte (im Range von Ober-
leutnants), 711 Regimentsärzte (= Hauptmann), 154 Stabsärzte (= Maja)
125 Oberstabsärzte 2. und 1. Klasse (= Oberstleutnant, Oberst), 8 Genen
stabsärzte (Generalmajor) und 1 General-Oberstabsarzt (Feldmarschal-
leutnant, jedoch ohne den diesem zukommenden Exzellenztitel). Die
Chargen vom Stabsarzt aufwärts entsprechen 23,40/ des Sollstandes (bi
den Auditoren 38,5 %/,, bei den Intendanten 58,8°/,). Der wirklich vor
handene Stand bleibt jedoch schon seit Jahren um rund 200 Aarzto
gegen den Sollstand zurück, sodaß schon die lückenlose Bestreitung ds
Sanitätsdienstes im Frieden vielfach mit Schwierigkeiten verbunden ih
im Kriege aber dieser Abgang sich um so empfindlicher fühlbar mache
wird. — Der General-Oberstabsarzt ist Chef des Militärärztlichen Offer
korps und zugleich Vorstand der Sanitätsabteilung im k. u, K. Krieg
ministerium. Ein Generalstabsarzt ist Präses des Militärsanitätskomilat
und Kommandant der militärärztlichen Applikationsschule in Wie, de
übrigen General- und die älteren Oberstabsärzte 1. Klasse sind Samitit-
chefs bei Korpskommandos, die rangjüngeren Kommandanten von i
nisonsspitälern und Chefärzte von Invalidenhäusern. Die Oberstebsirık
2. Klasse und Stabsärzte stehen als Garnisonschefärzte, Divisionssanäls-
chefs, als Abteilungschefärzte in Garnisonsspitälern, bei Korpskommendet
und Militärbildungsanstalten, rangjiingere Stabsärzte auch bei Tropper:
körpern als Chefärzte in Verwendung. Die Regiments- und Oberärste
sind bei Truppenkörpern und Anstalten eingeteilt.
Im Reservestande befanden sich Ende Dezember 1911: 1 Sib
arzt, 78 Regimentsärzte, 107 Oberärzte, 379 Assistenzärzte (Loutaanl)
und 267 Assistenzerzt-Stellvertreter (Fähnrich), zusammen 932 Aerık
Der Reservestand geht zumeist aus einjlhrigfreiwilligen Medizuen
hervor, welche ein halbes Jahr mit der Waffe bei der Infanterie wi
Jägeriruppe, nach erlangtem Doktorgrade aber ein halbes Jahr ab
Assistenzarztstellvertreter in Garnisonsspitälern dienten, dort eine sporia
Ausbildung erhielten und hernach in die Reserve versetzt wardon.
Künftighin werden die einjährigfreiwilligen Mediziner nur 3 Monat ai
der Waffe, als Doktoren aber 6 Monate in Militärspitälern und 3 Monk
bei der Truppe zu dienen haben.
Der Aktivstand des Militärztlichen Offizierskorps ergänzt sich
aus absolvierten Medizinern, welche während ihrer Univorsitätsstudien 1
der Regel ein Staatsstipondium bezogen haben und nach Ableistung d6
Waffendienstes und Erlangung des Doktorgrads auf ein Jahr zur militär-
ärztlichen Applikationsschule in Wien einberufen werden, um dort dis
erforderliche militärärztliche Ausbildung zu erhalten. Die Knappheit der
von der Sanitätsleitung in Anspruch genommenen Geldmittel für Sipat-
dien ist mit ein Grund, daß die Zahl der Stipendisten hinter dem $r
gänzungsbedarfe zurückbleibt und der Abgang im Korps zu einer ständ
gen Kalamität geworden ist.
8. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
2015
Zum Sanitätshilfspersonal gehören: a) die einjährigfreiwilligen
Mediziner; b) die Sanitätstruppe mit einem Friedensstande von 85 Off-
zieren und 3062 Maun, eingeteilt in ein Sanitätstruppenkommando (mit
einem Generalmajor oder Oberst an der Spitze) und 27 Sanitätsabteilun-
gen verschiedener Stärke, jo nach der Größe der zuständigen Garnisons-
spitäler, in welchen sie die Krankenpflege besorgen; c) die Sanitätsunter-
offiziere, das sind im Sanitätshilfsdienste gründlich ausgebildete Unter-
offiziere, im Frieden per Bataillon 1, per Kavallerie- und Artillerieregi-
ment 2; d) die Blessierten- und Bandagenträger, das sind in den Ele-
menten der ersten Hilfeleistung und Krankenpflege unterrichtete Soldaten,
4 per Kompagnie und Batterie, 2 per Eskadron, welche im Frieden auch
die Krankenpflege in den Truppenspitälern und Marodenhäusern zu leisten
haben; e) Ordensschwestern als Pflegerinnen in einigen Garnisonsspitälern.
Die Medikamentenbranche besteht aus 105 aktiven Beamten
mit Chargenstufen, die jenen vom Leutnant bis zum Oberst gleichkommen,
und 36 technischen Gehilfen. Dieses Personal ist bei der Militärmedi-
kamentendirektion in Wien — mit dem Medikamentendirektor an der
Spitze —, dann in 27 Garnisonsspitals- uud 12 Garnisonsapotheken, ein-
zeln auch bei größeren Truppenspitälern eingeteilt. Im Reservestande
befanden sich Ende 191i insgesamt 558 Medikamentenbeamte, eine den
Bedarf im Kriege weitaus überschreitende Zahl. Sie gehen zumeist aus
einjährigfreiwilligen Pharmazeuten hervor, die bei Militärapotheken ihren
Präsenzdienst abgeleistet haben.
Unter Leitung der bei Militärbehörden und höheren Kommanden
als Hilfsorgane und Referenten eingeteilten höheren Militärärzte umfaßt
der Militärsanitätsdienst im Frieden: 1. die Mitwirkung der
Militärärzte bei der Heeresergänzung als beratende Mitglieder der Stel-
lungs- und Ueberprüfungskommissionen; 2. die Handhabung der Hygiene
bei den Truppen durch Stellung einschlägiger Anträge an die vorgesetzten
Kommanden und sachverständige Ueberwachung ihrer Durchführung;
3. die Behandlung und Pflege der Kranken in Kasernen, eignen Woh-
nungen, Marodenzimmern und Sanitätsanstalten; 4. die Aus- und Fort-
bildung des Sanitätspersonals durch Verwendung von Militärärzten als
Lehrer in der militärärztlichen Applikationsschule, dann als Lehrer der
einjährig-freiwilligen Mediziner und Aerzte, der Sanitätsunteroffiziere,
Biessierten- und Bandagenträger und der Sanitätstruppe; 5. Mitwirkung
bei Ausscheidung Dienstuntauglicher durch Verwendung von Militär-
ärzten als Mitglieder von Superarbitrierungskommissionen; 6. gerichts-
ärztliche Funktionen der Militärärzte als Sachverständige und Begut-
achter; 7. Militärsanitätsstatistik der ärztlichen Stellungsergebnisse, dann
der Morbidität und Mortalität; endlich 8. Vorbereitung für den Kriegsfall
durch Evidenz des Personals, Bereithaltung des Materials und Schulung
des ersteren ‘mittels Sanitätsfeldübungen und Kriegsspiele,.
Zu den Militärsanitätsanstalten im Frieden gehören: 27 Gar-
nisonsspitäler mit eigenem Personalstand an Aerzten usw., einer Sanitäts-
abteilung und Apotheke; 91 Truppenspitäler mit zugeteilten Aerzten,
Sanitätsunterolfizieren und ‚Blessiertenträgern; 67 Marodenhäuser in klei-
neren Garnisonen; 11 Militär-Badeheil- und -Trinkkuranstalten; 3 Inva-
lidenhausspitäler; 24 Zöglingsspitäler in Militärerziehungs- und -bildungs-
anstalten, woselbst die Militärärzte auch als Lehrer für Naturgeschichte
und Chemie fungieren; 1 Lager- und 1 Strafanstaltsspital. Die Militär-
sanitätsanstalten unterstehen dem Kommando von Militärärzten, welchen
über das Personal des Dienst- und des Krankenstandes das Disziplinar-
strafrecht zukommt.
Das k. k. Landwehrärztliche Oftizierkorps, mit einem
Generaloberstabsarzt als Chef an der Spitze, zählt im Aktivstande
234 Aerzte. Dieselbe ı sind bei Landwehrkommanden, Landwehrtruppen
und Anstalten, endlich bei Landwehrsanitätsanstalten eingeteilt. Der Chef
ist zugleich Vorstand des zuständigen Departements VI im k.k. Mini-
sterium für Landesverteidigung. lm nichtaktiven Stande waren Ende
Dezember 1911: 505 Landwehrärzte An Sanitätsanstalten bestanden zur
selben Zeit: 16 Landwehrspitäler, 53 Landwehrmarodenhäuser und 1 Zög-
lingsspital. Für diese Anstalten ist ein eignes Sanitätshilfspersonal, bestehend
aus 107 Sanitätsunteroffizieren und 320 Mann ohne Chargengrad, systemisiert.
Das k. u. Landwehrärztliche Offizierkorps untersteht eben-
falls einem Generaloberstabsarzt als Chef und Vorstand der 5. Abteilung
im k. k. Landesverteidigungsministerium und zählt 176 aktive Aerzte.
Dieselben sind bei Landwehrdistrikskommanden, als Stationschefärzte in
Landwehrgarnisonen, beim Landwehrgarnisonspital in Budapest, dann bei
Truppen und sonstigen Landwehranstalten eingeteilt. Im nichtaktiven
Stande befinden sich 283 Landwehrärzte. Außer dem ebengenannten
Garnisonsspital besitzt die k. u. Landwehr noch sieben Truppenspitäler,
Die Ergänzung der aktiven Landwehrärzte erfolgt teils durch
Uebersetzung aus dem Heere, teils durch — mit einem Studienkosten-
ərsatz beziehungsweise mit Stipendien beteilte — Aspiranten, welche für
lie k.k. Landwehr an der militärärztlichen Applikationsschule in Wien,
für die k. u. k. Landwehr an der landwehrärztlichen Applikationsschule in
Budapest ausgebildet werden.
viert die Malteserzüge.
Das Militärsanitätswesen im Kriege steht unter der Ober-
leitung von General- und Oberstabsärzten als Sanitätschefs bei den ope-
rierenden Armeekommanden und Armee-Etappenkommanden, dann bei
Korps-, Truppendivisions- und selbständigen Brigadekommanden. Bei den
Truppen sind Aerzte des Aktiv- und Reservestandes, Sanitätsunteroffi-
ziere, Blessierten- und Bandagenträger — letzterei mit einer besonderen
Sanitätsausrüstung — eingeteilt, und zwar befinden sich bei einem selb-
ständigen Bataillon mit rund 1000 Mann: 2 Aerzte, 4 Sanitätsunter-
offiziere, 2 Bandagen- und 16 Blessiertenträger. An Sanitätsanstalten
besitzt jede Infanterietruppendivision eine Divisionssanitätsanstelt mit
6 Aerzten, jedes Korps 9 Feldspitäler à 200 Kranke, 3 mobile Reserve-
spitäler & 200 und ein Feldmarodenhaus für 500 Kranke, jedes Armee-
Etappenkommando überdies für jedes zugehörige Korps: 3 mobile Reserve-
spitäler à 200, 2 Feldmarodenhäuser à 500 Kranke, 2 mobile Kranken-
haltstationen à 200 Kranke, endlich die Ausrüstung für 2 Krankenzüge
à 400 Kranke. Jedem Korps à 3 Divisionen stehen demnach Lager-
stätten für 4900 Kranke und Verwundete zur Verfügung, entsprechend
etwa 8°, der Kopfstärke des Korps. Zu Transportzwecken stehen über-
dies die Blessiertenwagen der Divisionssanitätsanstalten und Feldspitäler
(15: beziehungsweise 5 Wagen à 4 Liegende), dann Spitalzüge à 144,
Malteserzüge à 100 und Spitalschiffe à 132 Liegende zur Verfügung. Im
Hinterlande werden die Garnisons- und '[ruppenspitäler erweitert und
neue stabile Reservespitäler aufgestellt. |
Im Gefechte treten bei den Gefechtsgruppen Hilfsplätze in Tätig-
keit, auf welchen das Sanitätspersonal der Truppen wirkt und nebst dem
Sanitätsmaterial der Truppen (einschließlich Verbandpäckchen) auch solches
der von den Divisionssanitätsanstalten zugewiesenen Hilfsplatzwagen ver-
wendet wird. Im Rücken der Trappendivision übernimmt dann die Divisions-
sanitätsanstalt die weitere temporäre Besorgung der Verwundeten (am
Verbandplatz und in der Leichtverwundetenstation), welche baldmög-
lichst durch Feldspitäler, diese wieder durch mobile Reservespitäler ab-
gelöst werden. Zugleich wird die Evakuierung der transportablen Ver-
wundeten in eine entsprechend eingerichtete Abschubsstation !eingeleitet,
von wo aus dieselben nach durchgeführter Sortierung auf der Abschubs-
linie mittels Spital- und Krankenzügen (Spitalschiffen, Krankenschiffen),
im Notfall auf Fuhrwerken bis zur Krankenzerstreuungsstation befördert
werden. Von letzterer aus findet die Verteilung auf die stabilen Sanitäts-
anstalten des Hinterlandes statt.
Eine Spezialität der österreichisch-ungarischen Armee ist die Aus-
rüstung einiger in Grenzgebirgsländern dislozierten Truppendivisionen für
den Gebirgskrieg. Der Sanitätsdienst dieser Divisionen charakterisiert
sich durch folgendes: Die Zahl der Blessiertenträger wird verdoppelt (32
statt 16 pro Bataillon); jedem Bataillon wird ein mit Sanitätsmaterial be-
ladenes Hilfsplatztragtier zugewiesen; die Ausrüstung der Divisions-
sanitätsanstalten und Feldspitäler wird zum Teil auf Tragtieren fort-
gebracht; die Divisionssanitätsanstalten formieren vier Verbandsplatz-
detachements, die Feldspitäler sind in Sektionen à 100 Kranken teilbar;
selbständige Gebirgsbrigaden erhalten Gebirgs-Brigadesanitätsanstalten,
die Truppendivisionen Divisions-Blessiertenwagenstaffeln.
An der Durchführung des Feldsanitätsdienstes beteiligt sich in
hervorragender Weise die organisierte freiwillige Sanitätspflege.
Der Deutsche Ritterorden stellt zu Jeder Infanteriedivisionssanitätsanstalt
vier Blessiertenwagen und einen Fourgon mit Sanitätsmaterial bei und or-
richtet Verwundetenspitäler & 200 Betten. Der Malteser-Ritterorden akti-
Die Oesterreichische Gesellschaft und der Un-
garische Verein vom Roten Kreuze halten für jeden Korpssanitätschef
einen Fourgon und für jedes Feldspital fünf Blessiertenwagen in Bereit-
schaft. Beide Korporationen errichten außerdem Feldspitäler à 200 Betten,
mobile Vereinsdepots für Sanitätsmaterial, dann im Hinterlande Kranken-
haltstationen, Vereinsreservespitäler, Rekonvaleszentenhäuser und Privat-
pflegestätten und besorgen schließlich im Zentralnachweisebureau und in
den Auskunftsbureaus in Wien und Budapest die Vermittlung von Nach-
richten über die Kranken und Verwundeten der mobilen Armee. ;
Aus dem Vorstehenden läßt sich schließen, daß die Landmacht
. Oesterreich-Ungarns in sanitärer Beziehung, was die materielle Aus-
rüstung und das Sanitätshilfspersonal anbelangt, den Anforderungen eines
großen Krieges, außerordentliche Katastrophen ausgenommen, so ziemlich
gewachsen sein dürfte. Nicht so sicher gilt dies von dem wichtigsten
Faktor: dem ärztlichen Personal. Von den 1488 aktiven und 1720 nicht-
aktiven, in Samma 3158 im Heeres- und Landwehrverbande stehenden
Aerzten dürtten im Kriegsfalle zirka 5 °/, undienstbar sein, sodaß sich die
Zahl der Verfügbaren auf rund 3000 reduziert, eine Zahl, die für den
Bedarf einer Million mobiler Truppen zur Not genügt. Was darüber hinaus- -
geht: Bedarfim Hinterlande, Besatzungstruppen usw. wird durch Landsturm-,
Ruhestands- und Zivilärzte, also durch militärisch zumeist minder leistungs-
fühige Personen gedeckt werden müssen, wobei es erst im Ernstfalle klar
werden dürfte, in welchem Maße diese Personen überhaupt für Kriegszwecke
erlangbar sein werden. Dr.P.Myrdacz, k. u. k. Generalstabsarzt a. D..
ww
2016 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 49.
8. Dezember
a ih acam
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
p mit genauer Quellenangabe gestattet.) a
-= Berlin. Am 2. Dezember feierte die Kaiser-Wilhelm-
Akademie den Jahrestag-ihrer Gründung in der überlieferten
feierlichen Weise. Die stattliche Aula in der neuen Anstalt war der
würdige Rahmen für die Feier, die durch einen kurzen Gesang des Dom-
chors eingeleitet und durch den Bericht des Subdirektors (eneralarzt
Dr. Keitel eröffnet würde. Der Generalarzt berichtete über die Tätig-
keit der Laboratorien, über die neuangelegten pathologisch-anatomischen
und militärhygienischen Sammlungen und über die Entsendung von Stabs-
ärzten zu Studienzwecken zu den Balkanheeren. Die Festrede hielt
der Physiker Prof. Rubens über die Entwicklung der modernen
Atomistik, in der er ausführte, daß das Atom nicht mehr als das
letzte Unteilbare gilt, sondern vielmehr als ein Komplex von Einzel-
heiten. Die berechnete Größe eines Kohlenstoffatoms verhält sich zu
einem Tennisball wie dieser zur Erdkugel. Aber auch diese Kleinheit
ist-durch die neue Elektronenlehre wieder in Einzelteilchen zerschlagen
worden, sodaß auf diesem Wege der Uebergang eines Elements in ein
anderes vorstellbar wird. Der Hörer gewann die Ueberzeugung, daß die
Physik im letzten Jahrzehnt allen anderen Wissenschaften in ihren ge-
waltigen und umwälzenden Entdeckungen vorangeeilt ist; aus ihnen wird
in künftigen Zeiten die Medizin ihren Nutzen ziehen. Generalstabsarzt
von Schjerning wies in seinem Dank an den Redner auf die ver-
jüngende Wirkung der Wissenschaft auf die medizinischen
Institutionen und auf den einzelnen hin. Auch dieser Stiftungstag gab
in seinem Verlaufe wieder ein geschlossenes Bild von der unermüdlichen
Tätigkeit der militärärztlichen Bildungsanstalten, die praktische und
wissenschaftliche Ausbildung der Sanitätsoffiziere zu fördern, und von
den Erfolgen, die diesem frischen und zielbewußten Streben be-
schieden sind, _— K. Bg.
| — Wie von uns schon kurz berichtet wurde, hat der Ge-
schäftsausschuß des Deutschen Aerztevereinsbundes am 23. No-
vomber einstimmig sein langjähriges Mitglied San.-Rat Dr. Hugo
‚Dippe (Leipzig) zum Vorsitzenden gewählt. D., der im 58. Lebensjahre
steht, entstammt einer angesehenen Juristenfamilie und wurde in Tilsit
(Ostpr,) geboren, woselbst er auch das Gymnasium besuchte. Seine gesamte
medizinische Ausbildung erhielt er in Leipzig, als Schüler und Assistent
der Kliniker Ernst Wagner und A. v. Strümpell. Wissenschaftlich
trat D. seit 1890 hervor als Mitherausgeber von „Schmidts Jahr-
bücher der Medizin“, im Verein mit P. J. Moebius, mit dem ihn
‘engo Freundschaft verband. Dort veröffentlichte D. auch eine Reihe zum
Teil umfangreicher Aufsätze, die innere Medizin und Kinderheilkunde
betreffend. 1900 in den Geschäftsausschuß des Aerztevereinsbundes ge-
wählt, nahm D. bald eine führende Rolle in der Aerztebewegung des
letzten Jahrzehnts ein, wobei ihm neben seiner wissenschaftlichen Be-
fähigung und Ueberzeugungstreue vor allem eine glänzende Rednergabe
zustatten kam. So wurde D. bereits ein Jahr nach der Gründung des
Leipziger Verbandes in den Vorstand gewählt, weiterhin ist er Vor-
sitzender der Leipziger Aerztekammer, Mitglied des sächsischen Ehren-
'gerichtshofs und Vorsitzender des Aerztevereins Lieipzig-Stadt. Durch
die Wahl als Vorsitzender des Deutschen Aerztevereinsbundes scheidet
D. aug dem Vorstande des Leipziger Verbandes aus; es wurde ihm jedoch
statt dessen die Stellung als Delegierter des Geschäftsausschusses beim
Verband übertragen, welche bisher San.-Rat Dr. Herzau, ab 1. Januar
‘1913 Generalsekretär des Aerztevereinsbundes, versehen hatte. Es sei
an dieser Stelle noch hinzugefügt, daß der am 24. November in der
Hauptversammlung gewählte Vorstand des Leipziger Verbandes
nach Zuwahl weiterer vier Beisitzer nunmehr aus folgenden Herren be-
‚steht: DDr. Hartmann, Streffer, Hirschfeld, Mejer, en
Fr.
Prof. Schwarz, Vollert, Dumas, Kloberg, Meischner.
~.” .— Die erste Einäscherung in dem neuen städtischen
Krematorium in der Gerichtstraße erfolgte am 28. November. Die
Kosten der Verbrennung betragen 50 M, das Aufstellen der Urne für die
Dauer von 20 Jahren wird mit 20 M berechnet. Es können indessen
auch kostbare Urnennischen bis zu 1000 M erworben werden. Die Ein-
äscherung kann nur erfolgen, wenn eine eigenhändige und gestempelte
letztwillige Bestimmung des Toten vorgelegt wird, andernfalls muß_sie
abgelehnt werden. Es liegen bereits zahlreiche Anträge auf Ein-
äscherung Vor.
Nürnberg. Am 13. November hat der Kgl. bayrische Ver-
waltungsgerichtshof als höchste Instanz entschieden, daß der Betrieb
eines Krematoriums in Bayern nach keiner gesetzlichen Be-
stimmung verboten werden kann. Die Folge dieser Bestimmung
‘war die sofortige Eröffnung der bereits lange betriebsfertigen Krematorien
in Nürnberg und München. In München haben bereits mehrere Ein-
äscherungen stattgefunden. _—
Frankfurt a. M. Geh. San.-Rat G. Altschul hat am 27. No-
'vember sein 50jähriges Doktorjubiläum begangen. |
alle. Die erste und bis jetzt einzige Universitätssäuglings-
H
klinik in Deutschland, welche auf Anregung der Professoren Stöltzner
d Veit in Halle gegründet wurde, wurde am 28. November in Anwesenheit
städtischer und staatlicher Behörden, des Universitätslehrkörpers und der
Studentenschaft eingeweiht. Der Direktor der Poliklinik für Kinder-
krankheiten, Prof. Stöltzner, wird Direktor dieser Klinik, welche mitten
im Garten der Universitätskliniken liegt und deren Kosten größtenfeil
von privater Seite getragen werden.
Hedemünden. Der bekannte Arzt und Besitzer des Sanatorium
Dr. med. Lauenstein in Hedemünden ist Sonnabend früh nach nur ein.
tägiger Krankheit gestorben. Dr. L. hatte sich eine Halsentzündung zı-
gezogen, aus der eine Blutvergiftung entstand, die den erst 44jährigm
Mann. dahinraffte. : —
Hoerrenalb (Schwarzwald). Die Stadtgemeinde hat das früher
Hofrat Mermagensche Sanatorium für Herz- und Nervenkranke er-
worben. Dasselbe wurde in den Jahren 1911 und 1912 einem gründlichen
Umbau unterzogen und soll nunmehr auf längere Jahre an einen Art
verpachtet werden. |
Marburg. Am 16. November trat aurt Anregung der Here
Rehn (Frankfurt) und König (Marburg) eine „Mittelrheinischs
Chirurgenvereinigung“ ins Leben, welche ihre erste Zusammenkunft
unter Vorsitz von Herrn Geheimrat Rehn unter Beteiligung von
84 Herren in Frankfurt a. M. abgehalten hat. Die Direktoren -det
chirurgischen Kliniken und Krankenhausabteilungen von Kassel, Gießen,
Frankfurt a. M., Heidelberg, Karlsruhe, Mainz, Mannheim, Marburg, Wie-
baden, Worms, Würzburg hatten vorher ihre Teilnahme zugesagt; Es
sollen im Jahre drei Veranstaltungen mit wechselndem Ort und Vorsitz
abgehalten werden. Die Verhandlungen werden im Zbl. f. Chir. ver
öffentlicht.. Etwaige Anfragen wolle man an den Schriftführer Prol
Fritz König (Marburg a. L.) richten. o 5
Münster i. W. Nachdem schon vor mehreren Monaten vom Rektor
und Senat der Universität sowie vom Magistrat neue Anträge wegm
des Ausbaues der medizinischen Fakultät an den Kultusminister
gerichtet worden waren, fanden in dem letzten Monat hier Beratungen
über diese Angelegenheit statt zwischen einer Kommission des Kultur
ministeriums unter der Leitung des Ministerialdirektors Dr. Naumanı
und Vertretern der Universität, der Stadt und der Provinzialverwaltung,
Die Verhandlungen haben gezeigt, daß der Kultusminister den Bestre-
bungen mit großem Wohlwolien gegenübersteht und daß auch die Finan
verwaltung die Frage ernstlich erwägt. Man erwartet hier, dab der
Kultusminister bei den nächsten Liandtagsverhandlungen bündige Erkik
rungen abgeben wird und daß spätestens im Staatshaushalte für 1914 die
entsprechenden Mittel angefordert werden. | |
Griechenland. Gesetze, in welchen die industrielle Nacht:
arbeit der Frauen in Werkstätten und Fabriken verboten wir,
sind im laufenden Jahr in Griechenland (Gesetz vom 24. Januar) udm
Spanien (Gesetz vom 11. Juli) erlassen worden, das erstere Gesetz vet-
bietet auch die industrielle Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren, Die
Pause zur Nachtruhe muß mindestens. elf Stunden betragen, in diest
Pause muß der Zeitraum von 9 Uhr abends bis 5 Uhr früh inbegriffen sei
' San-Remo. Am 15. Oktober 1912 wurde in San-Remo ein nouns
ärztliches Unternehmen größeren Stils für innere Kranke mit Ausschl
von Lungenkranken eröffnet: „das Kurhaus San-Remo* (im Anschl
an das schon bestehende Grand Hotel Bellevue). Die ärztliche Antal
ist mit allen diagnostischen und therapeutischen Mitteln zu klinischen
Betrieb ausgestattet. Die ärztliche Leitung liegt in den Händen von
Herrn Dr. Bröking und Herrn Dr. Allendorf, beide sind im Somme
als Oberärzte im Kurbause St. Blasien tätig. | |
Hochschulnachrichten. Erlangen: Prof. ao. Dr. A
Merkel zum etatsmäßigen Professor ao. mit dem Lehrauftrage MT
gerichtliche Medizin und pathologische Anatomie. — Freiburg ! i
Dr. Alfred Hauptmann (Psychiatrie) habilitiert. — Gießen: Dr. 2
ther, Professor ao. (Gynäkologie) der Titel Medizinalrat. — Groit
wald: Prof. Dr. Paul Schröder von der Berliner Universität zu
Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik als Nachfolger von Prol
Ernst Schultze. — Heidelberg: Dr. med. et phil. Otto Warburg
(Innere Medizin) habilitiert. — München: Prof. Dr. Karl Sohle
(Innere Medizin) habilitiert. — Würzburg: Dr. Ernst Sobm
(Chirurgie) habilitiert. | e r
Von Aerzten und Patienten.
n: » . Es ist zwar in letzter Zeit üblich geworden, aus jeder =
der unbedeutendsten Beobachtung über Bakterien die ‚weitgebend
Folgerungen über die Infektionskrankheiten im allgemeinen ZU ee
doch werde ich, obwohl das mir zu Gebote stehende Material reichlich
Stof zu Betrachtungen in dieser Richtung abgeben würde, dieser m
nicht folgen. Denn je länger ich mich mit dem Studium der Infektio
krankheiten befaßt habe, um so mehr habe ich die Ueberzeugwg i
wonnen, daß das Generalisieren neuer Tatsachen hier verfrüht ist und
jede einzelne Injektionskrankheit oder Gruppe nahe verwandter Infektion
krankheiten für sich erforscht werden muß. , .“
Robert Koch, Untersuchungen über die Astiologie der Wundinfekbon
krankheiten. 1878. ne 19)
(Gesammelte Werke. Verlag von Georg Thieme, Leipzig 1914
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich 68
Gedruckt von Jullus Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
|
|
Nr. 50 (419). 15. Dezember 1912. VII. Jahrgang.
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: C. A. Ewald, Die Speiseröhrenverengerung. (Mit 2 Abbildungen. J. Pal, Die Atmungsstörungen der Urämischen.
R. Bing, Myelitis migrans. (Mit 4 Abbildungen). H. Arnsperger, Ueber die Möglichkeit der Täuschung durch Jodipinreste bei der Röntgen-
untersuchung der Lungen. (Mit 3 Abbildungen). H. Oeller, Die Atophantherspie beim akuten Gelenkrheumatismus. (Mit 2 Abbildungen).
Dreesmann, Die Radikaloperation der Inguinalhernie. (Mit 4 Abbildungen). F. Demmer, Klinische Studien über Kropfoperationen nach 600 Fällen.
(Fortsetzung). Umfrage über das Frühaufstehen nach Operationen und Geburten: Antworten von E. Payr-Leipzig, E. Opitz-Gießen. (Fortsetzung).
— E. Bürgi, Ueber wirkungspotenzierende Momente in Arzueigemischen. — Aus der Praxis für die Praxis: E. Barth, Otologie. — Referate:
H. v. Bardeleben, Chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie bei Tuberkulose. (Fortsetzung). S. Peltesohn, Bericht über einige neue Arbeiten
aus dem Gebiete der orthopädischen Chirurgie. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferates „Diagnose durch Besichtigung‘. Acetonurie.
Typhusvaceination. Luftheizung. Technik der endovendösen Injektionen. Ichthynat-Heyden. Eisenwirkung. Dürkheimer Max-Quelle. — Neuheiten
aus der ärztlichen Technik: Spritze für subcutane Injektion und für Infiltrationsanästhesie. — Bücherbesprechungen: M. Fränkel, Die Röntgen-
strahlen in der Gynäkologie. M. Joseph, Handbuch der Kosmetik. C. Flügge, Grundriß der Hygiene. — Aerztliche Gutachten aus dem
Gebiete des Versicherungswesenss H. Engel, Tod an Empyem und Tuberkulose nicht Folge einer geringfügigen drei Monate zurückliegenden
Brustquetschung. — Vereins- und Auswärtige Berichte: Breslau. Halle a. S. Marburg. Berlin. — Rundschau: F. Haker, Zwölfte Haupt-
versammlung des Leipziger Verbandes. — Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und Versicherungsmedizin: Das ärztliche Berufsgeheimnis.
Die Haftpflicht des Arztes, — Aerztliche Tagesfragen: Zum ersten deutschen Kinokongreß in Berlin, 17. bis 22. Dezember 1912. — Kleine
Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet,
_ Klinische Vorträge.
Aus dem Augusta-Hospital in Berlin.
Die Speiseröhrenverengerung')
von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. A. Ewald.
I. Die krebsigen Strikturen.
M. H.! Die Krankheiten der Speiseröhre geben uns
heutzutage dank den Bemühungen zahlreicher und emsiger
Forscher auf diesem Gebiet ein allseitig ‘durchgearbeitetes,
gut abgerundetes Bild. Es darf gesagt werden, daß wir uns
über die Pathognostik, Diagnostik und Therapie der hier zu
beobachtenden Affektion, von einigen mehr nebensächlichen
Punkten abgesehen, in erfreulicher Uebereinstimmung be-
finden. Nichtsdestoweniger hat jeder, dem ein größeres
Beobachtungsmaterial zu Gebote steht, sich im Laufe der
Zeit über manche Vorkommnisse und Behandlungsmethoden
seine eigne Ansicht gebildet. Von diesem Standpunkt aus
möchte ich an die folgenden Darlegungen herangehen.
Meine Erfahrungen über Oesophaguskrankheiten gründen
sich seit den letzten zwölf Jahren auf 382 Fälle, darunter
308 maligne und 74 benigne Erkrankungen. Die übergroße
Mehrzahl betreffen Verengerungen der Speiseröhre, von
denen auch hier ausschließlich die Rede sein soll. So
kommt es, daß nahezu alle Oesophagusaffektionen mit einer
Dysphagie verbunden sind. Man spricht dann gemeiniglich
von Schling- oder Schluckbeschwerden, obgleich dies, genau
genommen, nicht richtig ist. Denn der eigentliche Schluck-
oder Schlingakt, das heißt, eine willkürlich auszuführende
Muskelaktion, ist wenigstens bei den uns hier interessieren-
den Zuständen nicht gestört, sondern geht glatt vonstatten,
weil der dazu nötige Apparat der Gaumen- und Schlund-
1) Nach einem klinischen Vortrag, gehalten zu Beginn des Aorzte- }
kursus 1912,
latationen;
muskeln intakt ist und prompt arbeitet. Die erkrankte
Stelle befindet sich vielmehr tiefer abwärts. Im Sprach-
gebrauche hat man aber die beiden Phasen, aus denen sich
der Uebertritt der Speisen von der Mundhöhle bis in den
Magen zusammensetzt, nämlich die willkürliche Beförderung
des Inhalts der Mundhöhle in die Speiseröhre, den eigent-
lichen Schluckakt, und das dem Willen entzogene Hindurch-
gleiten der Schluckmasse durch die Speiseröhre bis an den
Magenmund in eins zusammengefaßt. Störungen, die durch
Hindernisse auf diesem letzteren Teile des Weges veranlaßt
werden, sollte man besser als „Gleitbeschwerden“ bezeichnen,
um sie von den Störungen, die sich im Rachen und am
Eingange der Speiseröhre vorfinden, den Schluckbeschwerden,
abzugrenzen. Die letzteren stehen jetzt nicht zur Er-
örterung.
Gleitbeschwerden entstehen
1. durch Neubildungen oder Narben innerhalb der
‚Speiseröhre;
2. durch verschluckte Fremdkörper, die an irgendeiner
Stelle der. Speiseröhre stecken bleiben;
3. durch krampfartige Muskelcontraciionen, die durch
nervöse oder entzündliche Prozesse bedingt sind, Spasmen;
4. durch sackartige Ausbuchtungen der Wand der
Speiseröhre, die nur einen Teil ihres Umfangs oder die
ganze Circumferenz betreffen können, Divertikel und Di-
`
5. durch Druck auf die Speiseröhre von außen
(Aneurysmen, perikarditische Ergüsse, periösophageale Ab-
:geesse, Tumoren des Mediastinums, des Pharynx, der Wirbel-
säule, der tracheobronchialen oder mediastinalen, ja selbst
der retroperitonealen, unter dem Zwerchfelle gelegenen
. Drüsen. |
Von allen diesen Möglichkeiten sind die erstgenannten
die weitaus häufigsten, und unter diesen überwiegen wieder
Ito
e
: - i r z j = Se asure e Rg , - G = i +f) e., x roe m:
R ; £ PAEA P -Code a VOLONNE RONNE
die malign en Neubildung en; wie.sich das aus den,ein- ; ein kaum; markstückgroßes, flaches Carcinom oberhallf de
gangs 'genännten Zahlen auf das::schlagendste. ergibt.: Es... Kardia ‚nach, „welches. weder. Schmerzen noch Scrluck
handelt. sich im wesentlichen um: krebsartige‘N&oplasinen;‘ ‚\beschwerden, noch ein ‘Hindernis: beim Einführen: des Ma a
andere :Geschwulstformen;;: die. noch; ;in Betracht: kommen | :schlauchs verursacht :hatte... Man könnte sagen. Ge in
könnten). -tuberkulöser‘ oder .syphilitischer Natur; „sind&.s6:-solchen-Fällen die ösophagosköpische Untersuchung: denkt.
. große Ausnahmen, daß sie nicht ins Gewicht fallen. Der | bestand aufdecken würde. Das wäre in der Tat möglich
Krebs tritt weitaus am häufigsten als.Plattenepithelkrebs | und müßte also in Zukunft geschehen. Aber wer wird einen
(Kankroid), viel seltener alg“ weicher‘ Drüsenkrebs (Äde*;| Kranken, dessen Beschwerden: in keiner Weise auf eine Er.
nom) auf. | ET TE krankung der Speiseröhre hindeuten, vielmehr ungezwunge
Dieses Vorherrschen „deg, Speiseröhrenkrebses hat eş;| auf anderm Wege erklärt werden können, der für ihn so
aber zur Folge, daß die Melirzahl derjenigen Patienten, diei| lästigen und. „unangenehmen "Öesophagoskopie unterziehen
uns wegen Schlägbeschwerden "aufsuchen, einen ziemlich‘;| wollen, wenn kein triftiger Grund däfür vorzuliegen scheint,
gleichförmigen, um nicht 'zu”sagen eintönigen Befund ab” Ueber das diagnostische Armentarium will ich mit wenigen
]-Worten-fortgehen. --Ich-benutze-zur..Sondierung- in- letzter.-Zeit-fast-aus-
schließlich die Metallspiralen, die den Vorteil größerer Elastizität wie die
1. Sonden :und- Rohrö ans Därmsaiten' haben- und»deshalb'ein 'feineres Gefühl
-f in der Tiefe gestatten. Sie-sindi!auth haltbarer:wie:die geknöpften Sonden,
„gelegentlich .eine persönliche .. Note
e. ia ‘ X t . nm. t a pa -
-e ter ne Ca ers wer sleueet, [7 u re Zr ` i
A D r p a sun HEU % u, aS Pipa BER Per inig eu‘
rv.rie
\- "deshalb: vor. der. Einführung‘ mit einem `+- Han 75 a li DE
: Fett, Butter oder. Schmalz.und trockne :: N. 7%
ae En
mende Erschwerutig beini Schlucköf, die zunächst die festen | sie nach dem.Gebrauch in:einem-Heiß- "I uU
Speisen’ betrifft,. dann. sich bei’breiartiger Köst geltend’ macht |. luffsterilisator. Für die engsten. Ste... fyti da Eai
"und schließlich” selbst die Passage ‘von Flüssigkeiten auf-.| 20sen bedieneich mich langer strick- -<> YSN Er
nadeldicker Fischbeinstäbe, mit: denen 5 AA
‚es allerdings. manchmal schwer ist, über . 12: es‘ ni:
den Introitus. oesophagi .fortzukommen, ` `
. und bei denen man sich wegen ihrer
'|- geringen Biegsamkeit‘ besonders ‘hüton A
-A mußikseine : Verletzung‘. :des-. Gewebes =i Ñ
-|::hervorzurufen.'. :Feinere Unebenheiten. iz: \
auf der Wand der Speiseröhre fühlt man
| mit der von Callmann ängegöbenen,
| "àn ihrem unteren’ Ende einen pilzför-
häufig nicht dem subjektiven Empfinden des Kranken ent-
sprechend. Als Folge der erschwerten Nahrungsaufnahme
tritt ein starker Gewichtsverlust ein, die Wangen sind ein-
- gefallen, Arme und.Beine: abgemägert, Kragen: :und: Hosen-
-gurt , bei ‘:den‘.Männern: ist zw. weit geworden, -die Weste
isteht vom Leibe: ab; und man erkennt auf:-den ersten. Blick,
.daß :ein: hochgradiger ‘Fettschwund bestehen: muß. Ein sub-'
:jektives Schwächegefühl.macht sich geltend,. und ich habe;
-nur -ganz wenige. Fälle gesehen, . deren ‘Aussehen: ‚und. per-:
-sönliches Befinden trotz. hochgradiger: Stenose:: der‘ Speise-'
ıröbre ein: gutes geblieben, war. . <c ovde sie "on.
: i: Ähdere:Klägen fehlen, -und’ besonders werden ‘Schmerzen
beim Schlucken erst in den vorgerückten Städien, "manchmal:
überhaupt nicht angegeben: ‘Zu Anfang ist -üoch 'der-Appetit
'gut/und nimmt: erst mit. förtschreitender Krankheit ab: :@e-.
. förmig gestalteten Ansätze sind in ver-
“schiedener“ Größe, wie bei den alten
Fischbeinsonden, mit. einer Elfenbein- . .
olive, Yorhandan,* - + „= Teer YEAR
Brüning hat neuerdings . eine
Explorationssonde' ’angegeben,- die -am- ~
Ende eines metallenen Leitungsstabs
einen cylinderförmigen Metallansatz-
trägt von der 'Porm' ‘der bekannten
länglichen Arzneikapseln.: Er ist.senk-, .. _
recht auf die Längsachse‘ in 'der‘Mitte `”
durchhohrt, sodaß jederseits ein: scharf :*=".
„gerandetes., ovales: , Fenster entsteht:
Führt man diese Sonde in; eine verengte, :
"Stelle ein und dreht sie um 180° herum, _ SI anf
"was -an einem außen angebrachten‘ " ` er?)
:Myrtenblatt. leicht zu kontrollieren ist, 0 > : A.
‚so schneiden. die scharfen Ränder. der, Abb. i. Doppeloti, igm
b ‘
‚legentlich ` entwickelt "sich aber ` die- earcinomatöse':Intoxi- |‘ Augen kleine Gewebsstückchen .ab, die, . Me tiefer. sitsit
“im Ianern des ‘Cylinders haften bleiben — — Geschwulst,
und naeh dem -Herausziehen- der Sonde, | Ef
-mikroskopisch untersucht. werden: können. Dies- Vorgehen scheint 8
‚den ersten. Blick’recht:gefährlich,. ist .es- aber :nicht, weun man 03 Hin.
“nötigen Vorsicht ausführt: Ich habe das Instrument. in der letzten A
“wiederholt benützt, . freilich nicht immer ‚Gewebspartikel In die Höhs 8è
bracht. Früher-haben wir ähnliches mit den bekannten geflochtenen zi
: mit einem Endstück aus Hartgummi ‘versehenen gefensterten Sonden `
„reicht; - Die. Brüningsche Sonde wird aber. noch da wirksam en
‚die. alten Sonden, deren Fenster nicht so scharf sind, ‚gegenüber ol ir
"härterem Gewebe versagen. “Vorbedingung ist` hier wie dort, dab
-Engpaß nicht-völlig. undurchgängig ist. a
i 3. Mit dér Sonde bestimmt manden Sitz der verengten Stell. 2
liegt weitaus am häufigsten. zwischen. 30 ünd 36 cm, das heißt Im. N
‚und in’der.Mitte des unteren. Dritteils der Speiseröhre. Findet Se ze
.erst bei 40 und 42 cm, so ist der Sitz der Geschwulst unmittelbar Yo
“der Kardia. . Fälle, ‘wo’ sie.höher sitzt und das Hindernis bei 16, 25,
~“ oder 28 cm gefunden wird’ (immer: nach meinen Krankengeschichten
. gegeben), sind: in ‘der ‘großen-Minderzahl:- Ganz selten ist die Speise”
. in, ihrer. ganzen Länge: befallan. oder es. sind zwei Horde vorhanden. 7 r
denen: dann gewöhnlich der.oberg. der ältere, der untere der Jüngere 5
dem"Wege dör direkten’ Verschleppung im Lumen des Oesophagus, m
“ durch’ Implantatiön entstanden’ist.“ In gleicher Weise wird auch dat =
treten sekundärer Magencarcinome orklärt. Vor wenigen Tagen gi
zierten wir aber‘einen-Fall; bei-dem' offenbar das umgekehrte oral i
statthatte. Die untere, beinahe das ganze untere Dritteil der Speiserd
-kation viel: früher und viel- stärker‘; als’das Wächstuim -des
Neoplasmas beziehungsweise die damit verbundene Schluek-
behinderung, und dies tritt: besonders: dann ein; wenn das
;Careinom‘'ih. diè Fläche‘ wächst und wenig über das:Niveau
der Schleimhaut heraustritt. Es findet sich ein-immör żü-
:nelimender : Appetitverlust, eine“ steigende Schwäche und
Abmagerung, Schmerzen im ‘Magen, die näch" dem Essen
i stärker werden. Das Schlucken: geht‘. gut: und 'sehmerzlos.
: Dér Weg .in den :Magen ist scheinbar nicht verlegt; und -da
die Magensekretion. entweder. ganz fehlt‘oder': doch stark
'heräbgesetzt ist, so wirdiein Okkultes Magencareinom án-
- genommen, zumal: wenn: sich wie in einem meiner Fälle Blut
im Stuhl nachweisen läßt. Dieser Patient starb ganz plötz-
lich und: ünerwattet: ‚Es fand sich ein’ flaches Carcinom an
- der ‘Hinterwand dicht‘ über: der: Kardia, ` Cäreinom-:des Peri-
-'kards, 'Carciiömmetastasen-idi- Myokard;"sodaß dér Tod wohl
.än-Herzparalyse'erfolgt-war.: Ein: anderer mieiner Kranken,
.ein Hüne von: Gestalt, erlösch ‚wie eifie-äbgebrannte Kärze,
trotzdem er wiederholt mit dem Magenschlauch ernährt war,
cda er: frøæwillig nicht: #8sen--wöllte, ES‘ war“ ein’ Carcinom'
. der. kleinen :Kurvatur: vermutet worden; - die Obduktion wies.
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15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2019
einnehmende, vielfach zerklüftete und zerfressene Geschwulst, war augen-
scheinlich viel älteren Datums wie die obere, im Anfangsteil des Oeso-
phagus gelegen, die frisch aussah und verhältnismäßig glatte Wände
Bei Lebzeiten fand sich 24 em hinter den Schneidezähnen ein |
erstes Hindernis, an dem man mit einer dünnen Sonde vorbeikam, die
dann 36 cm hinter der Zabnreihe fest saß. Im Oesophagoskop sah man eine :
leistenförmige Hervorragung der Schleimhaut, die wie eine Zunge nach
hatte.
vorn überklappte. Dahinter ein schmaler Spalt, der sich nach den tieferen
Abschnitten Öffnet. In diesem Falle mußte die Verschleppung auf dem
Wege der Lymphbahnen von unten nach oben stattgefunden: haben.. -Das
doppelte Carcinom war schon bei der Aufnahme des Patienten in unsere
Poliklinik (Oberarzt Dr. W. Wolff) diagnostiziert worden. Die vor-
stehende, von mir nach dem frischen Präparat gezeichnete Figur gibt ein
Bild der betreffenden Verhältnisse. Man unterscheidet insuläre oder
gürtelförmige, tuberöse oder blumenkohlartige Geschulstformen,. die je
nach ihrer Beschaffenheit die Sondenspitze bald höher, -bald tiefer auf-
halten, sodaß der Punkt, wo die Sonde festsitzt, nicht immer dem oberen
Rande der Geschwulst entspricht. | | |
Bei allen Sondenuntersuchungen bedenke man, daß die Speiseröhre
teilweise unmittelbar am Herzbeutel. ünd der Aorta verläuft, und daß
man, wo irgendwie ein Verdacht auf ein Aneurysma der letzteren oder
auf chronisch entzündliche Prozesse des ersteren vorliegt, am besten von
jeder Sondierung Abstand nimmt, um nicht etwa eine ` Perforation zu
machen oder in den Verdacht zu kommen, dies Ereignis veranlaßt zu
haben. Ich sollte vor vielen Jahren einen Herrn wegen .unerträglicher
Schmerzen und Schlingbeschwerden in der oberen Sternalgegend sondieren
und unterließ es wegen eines suspekten Aortenaneurysmas. Der Zufall
wollte es, daß der Patient noch in der nächsten Nacht eine Perforation
des aneurysmatischen Sacks in die Speiseröhre hatte und sich daran
verblutete. Andernfalls kann ein Aneurysma zum Platzen kommen in
dem Augenblicke, wo ein Magenschlauch eingeführt wird,. der der Lage
des Aneurysmas nach dasselbe gar nicht berühren konnte. Ich habe
einen solchen Fall vor mehreren Jahren zum Nutzen und Frommen der
Kollegen mitgeteilt!); Einem alten Marne wurde wegen Vrerdachts auf
Magencarcinom ein weicher Magenschlauch eingeführt, während er im
Bette saß. Kaum war dies geschehen, als der Patient zuräcksank und
nach wenigen Augenblicken tot war. . Es konnte noch eine enorme Ver-
breitung der Herzdämpfung konstatiert werden, und wurde ein Hämo-
perikard angenommen. Die Sektion ergab, daß ein Aneurysma dissecans
im Anfangsteil der aufsteigenden: Aorta dicht oberhalb der Klappen: das
viscerale Blatt des Herzbeutels perforiert hatte. Der Oesophagus war
absolut intakt, verläuft ja auch räumlich weit entfernt von der in Frage
kommenden Stelle. Vielleicht bestand insofern ein gewisser Zusammen-
hang mit der Einführung des Magenschlauchs, daß der arterielle Druck
in diesem Augenblicke gesteigert wurde und die Zerreißung der papier-
dünnen Wand verursacht hatte. Das dürfte aber nicht dem Arzte zur
Last gelegt werden. Ich habe übrigens seinerzeit auf diesen Fall hin
eino Anzahl von Messungen des Blutdrucks während der Einführung
eines Magenschlauchs gemacht, aber kein positives Ergebnis erhalten.
Wie schon oben gesagt nehmen die Schluckbeschwerden
allmählich immer mehr zu. Schließlich ist - die- Passage
gänzlich verschlossen. Aber es kommt vor, daß “die Enge
für Flüssigkeit noch durchgängig, für irgendein Sonden-
instrument dagegen undurchgängig ist. Dann ist der Kanal
entweder schraubenförmig gestältet oder derartig mit Riefen,
Leisten oder Taschen ausgekleidet, daß sich die Sonden-
spitze darin verfängt. Eine bessere Schluckmöglichkeit kann
aber auch dann noch eintreten, wenn Teile der Geschwulst
zerfallen, abgestoßen werden und der Kanal sich infolge-
dessen wieder weitet. Das ist aber ein seltenes Ereignis,
obgleich es regelmäßig in allen Lehrbüchern angeführt wird.
Oberhalb der verengten Stelle bildet sich eine mehr
oder weniger starke’ Erweiterung, in der die Speisereste;
Schleim eventuell Eiter und abgestoßene Geschwuülstmassen `
stagnieren, neue Reizerscheinungen verursachen und durch
die.resorbierten Zersetzungsprodukte eine ‘Autoinfektion be-
dingen. Daher fühlen sich solche Patienten so wesentlich
gebessert, wenn man ihnen den Sack gründlich ausspült und
durch entsprechende Mittel weiteren ' Zersetzungsprozessen
Einhalt tut. Ganz selten sind die Fälle, wie ich deren einen
früher mitgeteilt habe?), in denen die Erweiterung unterhalb
der Geschwulst sitzt, und dann selbstverständlich entstanden
sein muß, ehe die Stenose undurehgängig wurde. Man geht
wohl nicht fehl anzunehmen, daß in solchen Fällen ein
Reflexspasmus der Kardiamuskulatur vorliegt, der einen ab-
norm langen Aufenthalt der Speisen in dem Vormagen und
1) Ewald, Demonstration eines Aneurysma dissecans. (Berl. kl.
Woch. 1890, Nr. 80.) | er u |
2) Berl. kl. Woch. 1889, Nr, 22.
eine Ausweitung desselben ‚bedingte, da sich. die Muskularis
an dieser Stelle -als völlig atrophiert erwies. — >
Die häufigste Komplikation ist das. Uebergreifen
der Geschwulst auf .die Nachbarschaft, und da der Krebs
verhältnismäßig oft- seinen Sitz am Anfang des unteren
Dritteils der. Speiseröhre hat, das heißt an der Stelle, -wo
sie unmittelbar. der Bifurkation der Trachea anliegt, so ist
| der Durchbruch ‘in: die Luftröhre beziehungsweise in die
Bronchien auch das häufigste Vorkommnis, aber immerhin.
nicht so häufig als man a priori anzunehmen geneigt ist,
weil solch eine Eventualität besonders im Gedächtnis haften
bleibt. Ich finde unter meinen 382 Fällen den Durchbruch
in die Trachea oder die Bronchien nur 61 mal verzeichnet,
wobei freilich zu beachten ist, daß. nicht alle Krauken
| dauernd und bis zum Exitus beobachtet wurden und 181
Fälle aus der Poliklinik stammen, von denen nur ein Teil
auf die Abteilung aufgenommen und längere Zeit behandelt
werden konnte. Die Perforation führt fast immer in kürzester
Frist zum. Tode. ‚Fälle, in. denen das Leben noch wochen-
lang nach dem Durchbruch erhalten bleibt, sind Ausnahmen.
Meist tritt die Perforation unmittelbar über der. Bifurkation
der Trachea ein, doch besitze ich die Abbildung eines Falles,
in welchem sie sowohl in den rechten wie in den linken
Bronchus erfolgt war. z Er
=. Das bekannte Phänomen, welches die stattgehabte Per-
foration anzeigt, ist das unmittelbar nach dem Schluckakt
erfolgende Aushusten der Schluckmässen, die man, wenn
nötig, vorher mit etwas Methylenblau, Fuchsinrot oder- der-
gleichen färben und sozusagen abstempeln. kann. , Aber nicht
immer kommt és zu einem so prompten Verhalten. Es ist
dann gelegentlich ein gewundener, . fistelartiger Gang vor-
| handen. Unter meinen Krankengeschichten finden sich zwei,
in denen sich der Durchbruch bei Lebzeiten überhaupt nicht
bemerkbar machte, trotzdem in dem einen Falle, 63 jähriger
' Mann, im Sektionsprotokoll „Durchbruch in den Bronchus
' und nach der linken Lunge, dort Gängrän und pneumöni-
sche Herde“ angegeben ist. Zu andern Malen geschieht das
‘ Uebergreifon auf die Lunge ohne Durchbruch in die Luft-
röhre, wobei oft nur die Wand derselben krebsig infiltriert
ist. Dann tritt in der. Regel Fieber, Husten und Auswürf
ein und die Zeichen “einer akuten Lungen- oder Pleuraent-
zündung sind nachweisbar. Dasselbe gilt von dem Durch-
' bruch in das Mediastinum, der sich übrigens sehr lang-
sam und unbemerkt anbahnen kann, bis dann eines Tags
hohes Fieber, eventuell mit Schüttelfrost, heftige Schmerzen
in der vorderen Brustgegend, starke Dyspnöe, auch wohl
eine Dämpfung oberhalb des Herzens auftreten. Vor Jahren
besuchte mich ein älterer Kreisphysikus aus ‘der Provinz:
er habe eine leichte Magenverstimmung, auch etwas Schluck-
beschwerden;, sei aber sonst sehr rüstig und: noch vor weni-
gen Tagen auf der Jagd gewesen. ‘Ich führte einen weichen
Magenschlauch ein und fand oberhalb: der Kardia ein
leichtes Engagement, das heißt einen geringen, ohne weiteres
überwindbaren Widerstand beim Ein- und Ausführen des
Schlauches. Sonst keine Veränderungen bei dem Patienten,
der seinen ‘Zustand leicht nahm und wieder nach Hause
reiste. In der Nacht: wurde ich‘ telegraphisch zu ihm .ge-
rufen. ‘Er war in einem desolaten Zustande mit Fieber und
starken Beklemmungen von der:'Bahn gekommen und die
behandelnden Kollegen brachten seinen plötzlichen Verfall
natürlich mit der Sondierung, das heißt mit einer Perfo-
ration; in Zusammenhang. Ich konnte leicht ad oculus de-
monstrieren, daß dem nicht so war und auch jetzt noch ein
weicher Magenschlauch oline Anstand die Speiseröhre
passierte. Dagegen ließ sich eine Entzündung des Mittel-
fells nachweisen, die allerdings wohl auf eine Neubildung
am Oesophagus zurückgeführt werden mußte. Der Kranke
verfiel schnell und die Obduktion ergab ein Carcinom in der
Wand des Oesöphagus, welches nicht nach ‘innen, sondern
nach außen in den Mittelfellraum hineingewachsen war. Die
2020
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember.
Schleimhaut zog in der Lichtung der Speiseröhre glatt über
die Geschwulst fort und bildete eine kaum merkliche Hervor-
wölbung an dieser Stelle.
Der Durchbruch ins Perikard ist viel seltener und |
meist unmittelbar von schweren Erscheinungen gefolgt, die
in kürzester Zeit zum Tode führen. Ueber einen derartigen
Fall berichtet die Krankengeschichte (unter Fortlassung der
belanglosen Vorstadien, wobei ein Hindernis 38 cm hinter
den Schneidezähnen konstatiert wurde): Patient, 64 Jahre
und seit 14 Tagen auf der Abteilung, fühlte sich seit zwei
Tagen so wohl, daß er nicht mehr sondiert wurde. Ging
im Garten spazieren und kommt plötzlich nach Atem ringend
in den Krankensaal, weil er sich sehr schlecht fühle. Pul-
sus minimus, sehr unregelmäßig, kaum zu fühlen. Herz-
dämpfung nach rechts um einen Querfinger verbrei-
tert, Töne soweit hörbar, rein. Herzmittel, Digalen,
Coffein, Campher, ganz wirkungslos. Temperatur 38,2 °.
Starker Kollaps. Diagnose auf Durchbruch des Oeso-
phaguscareinoms in das Perikard gestellt. Patient erholt
sich nicht mehr, blieb zwar klar und -unterhielt sich noch
mit seinen Angehörigen, wurde aber plötzlich stark cyano-
tisch, sank um und war tot. Die Sektionsdiagnose lautete:
Carcinoma ulcerosum gangraenusum oesophagi cum perfora-
tione pericardii. Perikarditis purulenta fibrinosa. — Greift in
Ausnahmefällen der Krebs auf den Herzmuskel selbst über,
so findet dies aus anatomischen Gründen an der hinteren
Wand des linken Vorhofs statt. Es erhellt aus den schon oben
geschilderten anatomischen Verhältnissen, daß ein Durchbruch
in die großen Gefäße oder eine Arrosion ihrer Wand statthaben
kann. Die Aorta, besonders am absteigenden Aste des
Bogens, die Arteria pulmonalis, ja selbst die Carotis können
betroffen sein. Ein schneller Tod an Verblutung ist die
Folge. In einem von mir mitgeteilten Falle!) war die Ad-
ventitia der Aorta descendens korrespondierend mit dem
Sitze der jauchig zerfallenen Carcinommasse etwa erbsen-
groß ulceriert. Der Prozeß ging dann sich etwas einengend
in die Muscularis und auf die Intima über, auf welcher die
Perforationsstelle einen rundlichen, linsengroßen Defekt bil-
dete. Dadurch war das Blut in den Oesophagus und nach
unten in den Magen geströmt, der bei der Sektion prall mit
Blut gefüllt war. Ä
Verhältnismäßig selten und nur bei hochsitzenden
Careinomen werden die Nervi recurrentes geschä-
digt und tritt Stimmbandlähmung respektive -parese ein.
Heiserkeit oder gänzliche Stimmlosigkeit, Stridor und starke
Dyspnöe mit Hustenanfällen sind die Folgen. Bei Posticus-
lähmung klaffen die Stimmbänder in der Ruhestellung und
erweitern sich nicht bei tiefer Inspiration. Gewöhnlich sind
die Nerven direkt in die Geschwulstmassen eingebettet und
atrophiert. Ebenso wie der Recurrens kann auch der Sym-
patlicus betroffen sein, sodaß oculopupilläre Erscheinungen,
Myosis, Verkleinerung der Lidspalte und Anidrosis oder
andere Störungen der Schweißsekretion auftreten. Von den
unter solchen Umständen sich findenden Veränderungen gibt
der folgende Sektionsbericht eine gute Vorstellung: „56jähri-
ger Mann. Direkt hinter dem Kehlkopf ein großes, strik-
turierendes Carcinom, das im unteren Teile zerfallen ist.
Hier eine erbsengroße Perforation in den obersten Abschnitt
der Trachea. Impfmetastasen an der Bifurkationsenge des
Oesophagus von Markstückgröße. Die Neubildung ist in die
Umgebung rechts und links erheblich fortgewuchert, in den
linken Schilddrüsenlappen eingewachsen und hat einzelne
kleine Metastasen nach unten ins Mediastinum entsandt. Der
rechte Nervus vagus und die beiden Recurrenten sind in die
Tumormassen eingeschmolzen und unterhalb derselben dünn
und atrophisch.. Ganz vereinzelte Pleurametastasen.“ Bei
Lebzeiten lag die Stenose 16 bis 18 cm hinter der Zahn-
reihe, war aber für dünne Sonden noch durchgängig, Im
1) D, med. Woch. 1895, Vor, Ber. S, 49,
Oesophagoskop sah man eine die ganze Weite der Speise-
röhre einnehmende straffgespannte, membranartige(?) Ge-
schwulstmasse, die eine Oeffnung erkennen ließ. Der Patient
war aber nicht zu bewegen, sich ein zweites Mal oeso-
phagoskopieren zu lassen, da er seine Heiserkeit darauf z-
rückführte. Derartige mehr weniger gut begründete Ableh-
nungen sind leider keine Seltenheit beim Oesophagoskopieren,
dessen unleugbarer Erfolg in soundso vielen Fällen der war,
daß uns die poliklinischen Patienten auf Nimmerwiedersehen
verließen. Wozu ausdrücklich bemerkt sei, daß das Ver-
fahren bei uns nur von wohlgeübten und seit Jahren damit
vertrauten Händen, weitaus am häufigsten von mir selbst,
ausgeübt wird und daß nicht etwa die Einführung des Tubus,
die sich fast immer ganz leicht bewerkstelligen läßt, son-
dern das Verweilen der Röhre, der Druck auf den Kehl-
kopf und die subjektive und objektive Atembehinderung das
quälende und oft unerträgliche Moment für den Kranken
abgeben, der dann oft noch stunden- und tagelang über
„Schmerzen im Halse“ klagt.
Die Diagnose des Oesophaguscarcinoms kann
in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle von
Speiseröhrenkrebs auf Grund einer sorgfältigen
Anamnese und der Anwendung der ebengenannten
einfachen Instrumente, wenn nicht ganz abnorme
Verhältnisse vorliegen, gestellt werden. Als weiteres
Moment kommt die Beschaffenheit der heraufgewürgten
oder mit dem Magenschlauche herausgeholten Massen und
die Schwellung der peripheren Lymphdrüsen besonders in
der Achselhöhle und in der linken Schlüsselbeingrube hinzu.
Indessen darf uns das Fehlen oder die geringfügige Be
teiligung derselben nicht irre machen. Es läßt sich oft de-
monstrieren, daß bei sicherem Speiseröhrenkrebs selbst die
Achseldrüsen nicht oder kaum merklich geschwollen sind,
Die Speiseröhrenkrebse haben ja überhaupt eine verhältnis
mäßig geringe Neigung zu Metastasen — etwa 50 bis 60°], —,
und so scheint auch die Rückwirkung auf oder die Pro-
pagation durch die Lymphwege nur mäßig zu sein. Die
heraufgewürgten Massen bestehen aus Schleim, eventuell
mit etwas Blut vermischt, und unverdauten mehr oder weniger
zersetzten Speiseresten, in denen keine Salzsäure nachzu-
weisen ist. Zuweilen finden sich abgestoßene Gewebsfetzen
darin, die unter dem Mikroskop eine krebsige Struktur er-
kennen lassen oder derartige Partikel bleiben, wie schon
oben gesagt, in dem Auge der ‚gewöhnlichen oder der
Brüningschen Sonde haften. Indessen ist es schon ein
besonders günstiger Zufall, wenn sie ein deutliches Bid,
welches zweifellos wie Krebsgewebe aussieht, ergebit.
Namentlich ist es von einzelnen oder auch mehreren locker
aneinanderliegenden Zellen nicht zu sagen, welcher Pre
venienz sie sind. Erst wenn konzentrisch geschichtete, als
Krebsperlen bezeichnete Gruppen von Zellen oder zapin
ähnliche oder kugelförmige Anhäufungen von Epithelzella
in einem bindegewebigen Gerüst aufgefunden werden, I
: ihre Diagnose gesichert. Ein schon makroskopisch und ohne
weiteres verwertbares Zeichen ist aber die Anwesenheit von
frischem Blute. Findet es sich im Ausgewürgten, in den
Sondenfenstern, im Schwämmchen, das an einer Fischbeit-
sonde befestigt ist, oder, um dies vorwegzunehmen, an dem
Wischer, mit dem man den Tubus des Oesophagoskops
reinigt, so kann man schon daraus die Diagnose auf Oes.
phaguskrebs stellen, wenn frische Verletzungen ausi-
schließen sind. Die andern hier in Frage kommende
Affektionen, Narbenstenosen, Divertikel, Dilatationen, selbst
Ulcerationen gutartiger Natur führen, die ersteren gar ne
letztere (schon an und für sich sehr selten) so gut wie gaf
nicht zu derartigen kontinuierlichen oder durch die Hit
führung eines Instruments so leicht hervorzurufenden Ble
tungen. Röntgenaufnahmen und Oesophagoskopie kann mai
in den meisten Fällen entbehren. Sie haben mich in et
zelnen Fällen überhaupt im Stiche gelassen, das heißt keine
15. Dezember.
für die Diagnose verwertbaren Resultate geliefert. Sie
treten erst dann in ihre Rechte, wenn es sich um differential-
diagnostische Fragen handelt, von denen später die Rede
sein wird.
Für die Differentialdiagnose kommen, wie schon
eingangs gesagt, die sehr seltenen tuberkulösen Neubildungen
und syphilitischen Tumoren oder Strikturen kaum in Be-
tracht. Für beide sind die anderweitigen Krankheitserschei-
nungen belangreich, wobei zu bemerken, daß Gummiknoten
nur im oberen Halsteile vorkommen und im ösophagoskopi-
schen Bilde nicht das zerklüftete oder warzige Aussehen
wie das Carcinom haben. Aber das sind überhaupt rarae
aves. Es: gibt nur einen im Oesophagoskop beobachteten
Fall eines Gummiknotens, welcher von Gottstein beob-
achtet wurde. Hier zog die leicht gerötete Schleimhaut
glatt über. eine halbkuglige Prominenz fort.
| Weitaus am häufigsten handelt es sich um den Ent-
scheid gegenüber narbigen Strikturen, Divertikeln und Di-
latationen. Für die ersteren spricht die Anamnese, und
wenn diese in seltenen Fällen fehlt, die mangelnde Krebs-
kachexie, die fehlende Blutung bei der Sondenuntersuchung,
das meist jugendliche Alter der Patienten und das öso-
phagoskopische Bild. Letzteres ergibt ein blasses, gefäß-
loses, glattes oder längsgefaltetes Gewebe, welches oft wie
eine Membran oder eine zungenförmige Leiste die Lichtung
verlegt. In seltenen Fällen von Oesophaguskrebs bestehen
zwar ausgeprägte Gleitbeschwerden, aber die Sonde geht
trotzdem glatt in den Magen "herunter. Dann zeigt das
Oesophagoskop entweder nur eine flache, wenig über das
Niveau der Schleimhaut erhobene Prominenz, über die die
Schleimhaut glatt hinwegzieht, auch wohl etwas blasser als
normal oder eyanotisch aussieht, oder es finden sich flache,
streifige, weißliche Epithelverdiekungen — oder man sieht
gar keine deutlichen Veränderungen. Unter solchen Um-
ständen kann auch ein Divertikel oder eine Dilatation vor-
liegen. Handelt es sich um vorspringende Prominenzen,
deren Natur nicht ohne weiteres festzustellen ist, so kann
ein kleines Stückchen mit einer passenden Zange abgetragen
und mikroskopisch untersucht werden. Ein Divertikel weist
man heutzutage am besten mit Hilfe der Radioskopie nach,
sodaß die früher dazu angewandten Methoden der Sonden-
untersuchung (die sogenannte Merciersche Sonde, der
Rumpelsche Sondenversuch und dergleichen) überflüssig
geworden sind. Das Röntgenbild, besonders im Schräg-
durchmesser, gibt ein überaus charakteristisches und ein-
deutiges Bild, welches mit dem einzig in Frage kommenden
Aortenaneurysma nicht zu verwechseln ist. Wo kein
Röntgenapparat zur Verfügung steht, muß man sich dann
folgendermaßen helfen. Es wird eine Hohlsonde in das ver-
meintliche Divertikel, eine andere in den Magen eingeführt.
In erstere wird Wasser eingegossen und nachher die in den
Magen führende Sonde herausgezogen. Handelt es sich um
ein sackartiges Divertikel, so bleibt die Flüssigkeit darin,
während es bei einer spindelförmigen Dilatation in dem
Augenblicke, wo die Sonde aus dem Magen gezogen wird,
in diesen hinabfließt; oder ein am Endstück, etwa die letzten
25 cm, durchlöcherter Magenschlauch wird in den Magen ein-
geführt, ein zweiter Schlauch neben dem ersten in die Ektasie
respektive das Divertikel. In diesen wird rote Farbstoff-
lösung gegossen. Aus einer Ektasie ist eine Minute nach
Anstellung des Versuchs keine Farbstofflösung mehr aus-
zuhebern, wohl aber aus dem Magen.
Wie man sieht, setzen diese Versuche voraus, daß man
noch mit einem Schlauch auf irgendeine Weise in den
Magen gelangen kann. Das ist aber- beim Oesophaguskrebs
fast regelmäßig nicht mehr der Fall. Das Fehlen des so-
genannten Schluckgeräusches hat keinen differentialdiagnosti-
schen, ja überhaupt keinen speziell diagnostischen Wert.
Es gibt nur an, daß die Passage verlegt oder verengt ist,
aber nicht aus welchem Grunde. Uebrigens fehlt es zu-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
Mandrins
2021.
weilen auch beim Gesunden, ist also überhaupt nicht von
zwingender Bedeutung. |
Therapeutisch können wir leider nicht viel aus-
richten. Auch der operative Eingriff in Gestalt einer Ga-
strostomie ist nur ein Hinhalten, aber keine Heilung. Frei-
lich hört, um dies vorweg zu nehmen, nach Anlegung einer
Magenfistel der Reiz der Ingesta auf die Geschwulst auf,
sie wächst langsamer und zerfällt weniger. Vor allem ist
die bessere Ernährungsmöglichkeit die unmittelbare und
wokiltätige Folge der Operation. Aber die allgemeine Toxi-
kose läßt sich doch auf die Dauer nicht aufhalten, zumal
wenn Metastasen im Magen und andern Organen bestehen.
Länger wie zwei oder drei Jahre nach der Operation bleibt
das Leben kaum je erhalten, und der von mir seinerzeit
mitgeteilte Fall, in dem erst ein Mammacareinom entfernt,
eine Gastrostomie angelegt, dann der rechte Arm wegen
einer Geschwulst im Humerus exarticuliert wurde, bis die
Patientin an einer neuen Metastase auf die rechte Pleura
schließlich zugrunde ging, dürfte immerhin ein seltenes Vor-
kommpis darstellen!) So lange die Stenose noch durch-
gängig ist, wird man versuchen, sie durch methodisches Bou-
gieren zu erweitern oder wenigstens auf dem Status quo
zu erhalten. Man verspreche sich nicht zuviel davon! Meist
wächst die Geschwulst unaufhaltsam weiter und wird die Sonde
zu oft eingeführt, so kommt es zu Blutungen und einem
Gewebsreize, der zu starker
Schwellung und zu völligem,
wenn auch zunächst nur vorüber-
gehendem Verschlusse führen
kann. Man muß dann einige
Tage zuwarten und durch Ver-
schluckenlassen von Eispillen und
Adrenalin oder vorsichtiges Aus-
spülen mit Eis- oder Chloroform-
wasser die gereizte Stelle wieder
zur Ruhe kommen lassen. Die
bereits 1843 von Switzer in
Kopenhagen angegebenen, später
in England von Mackenzie und
Symonds, in Deutschland be-
sonders durch v. Leyden und
Renvers empfohlenen Dauer-
kanülen haben sich nicht be-
währt. Es sind trichterförmig g- EN:
gestaltete, etwa 5 bis 6 cm lange . USE.
Röhrchen von Hartgummi, Darm- 8. 4
saitengeflecht oder Silber von dem KV 7 RS
unteren Durchmesser eines star- |
ken Bleistifts, die mit Hilfe eines l Su
in die Stenose ein- f | l a ie
gelegt werden. Sie sind an einem BER)
Faden befestigt, der nach Ent-
fernung des Führungsstabs zum
Munde heraushängt und auf.
irgendeine Weise, am besten |
hinter dem Ohre des Patienten, befestigt wird. Ich pflegte
die Kanüle an zwei Fäden zu befestigen und jeden
Faden mit Hilfe eines Bellocqueschen Röhrchens von
der Mundhöhle aus durch den rechten beziehungsweise linken
Nasengang zu ziehen und die Fäden vor der Nasenscheide-
wand zu knüpfen. Auf diese Weise hatte der Kranke keine
Belästigung von derselben. Aber das Einlegen einer solchen
Kanüle setzt zunächst voraus, daß die Stenose noch eine
gewisse Weite besitzt. Ist es aber gelungen, die Röhre ein-
zulegen, so hat das Tragen derselben meist mancherlei
Nachteile im Gefolge. Es entsteht gelegentlich Druckgangrän
und ein stärkerer, unter Umständen septischer Zerfall. In
der Tat sind mehrere akute Todesfälle danach beobachtet;
Abb. 2. a = die Dauerkanüle
durch die wachsende Geschwulst
nach oben aus der Stenose
herausgedrängt. b = die Krebs-
geschwulst.
1) Ewald, Krankheiten des Magens, 3. Aufl., S. 131.
2022: = | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember.
auch ich hatte einen solchen zu verzeichnen. Andernfalls
wird die Röhre durch das Wachstum der Geschwulst, welches
durch den Reiz des Fremdkörpers besonders angeregt werden
mag, nach oben verschoben, aus der Stenose herausgedrängt
und ihre Wirkung aufgehoben. Auch dafür habe ich Be-
weise in Händen!) (siehe Abb. 2). So erwies sich der Nutzen
als ein höchst problematischer und bestenfalls nur kurz
vorübergehender. Aehnliche Bedenken bestehen der Se-
natorschen Quellsonde und dem Schreiberschen Dilatator
gegenüber, geistreich ausgesonnene Instrumente, die leider
auch nicht den praktischen Erfolg haben, den man a priori
von ihnen erwarten sollte. Erstere besteht bekanntlich aus
einem walzenförmigen Laminariastifte, der, an einer Sonde
befestigt, in die Stenose eingeführt werden und dort auf-
quellen soll.. Ich habe regelmäßig in meinen Vorlesungen
demonstriert, daß diese Quellung, wenn man den Stift in
körperwarmes Wasser taucht, viel später eintritt, als ein
Mensch das Verweilen der Sonde in der Speiseröhre aus-
halten kann. Die Schreibersche Sonde benutzt das Prinzip
des aufblähbaren Gummikolpeurynters. Auch hier ist die
Schwierigkeit, den aufzublähenden Gummischlauch in die
Stenose und an die richtige Stelle derselben zu bringen,
zumal die dünne Führungsspitze desselben leicht umknickt.
Ich -habe deshalb auch diese Instrumente bei Seite gelegt
und ihren’Gebrauch darauf beschränkt, sie meinen Zuhörern
zur Kenntnisnahme vorzulegen. Die methodische und, wie
oben hervorgehoben, vorsichtige Bougierung mit den ge-
wöhnlichen Sonden führt, wenn überhaupt möglich, immer
noch am weitesten.
Leider geht uns aber die Mehrzahl der Patienten so
spät zu, daß die Stenose überhaupt nicht mehr durchgängig
ist. Man gewinnt den Eindruck, daß dieser Augenblick in
dem sonst ziemlich langwierigen Krankheitsverlauf in der
Mehrzahl der Fälle verhältnismäßig plötzlich eintreten muß,
das heißt daß die Kranken selbst bei einer schon weit vor-
geschrittenen raumbeschränkenden Neubildung wenig Schluck-
beschwerden haben und deshalb den Arzt nicht aufsuchen,
dann aber in kurzer Zeit die Schluckbehinderung stark zu-
nimmt und sie nun erst zur Untersuchung kommen. Dann
findet sich aber schon eine für die Sonde nicht mehr durch-
gängige Verengerung. Das habe ich. nicht nur in der
Hospitalpraxis, sondern auch sonst beobachtet.
Als man den zerstörenden Einfluß der Radiumstrahlen
auf die Gewebe kennen gelernt hatte und sie zur Zerstörung
von Neubildungen zu verwerten suchte, lag es nahe, auch
den Oesophaguskrebs damit anzugreifen. So viel mir be-
kannt, ist Einhorn (New York) der erste gewesen, der eim
Radiumkapsel in einer Sonde an die erkrankte Stelle brachte,
Er hat über günstige Erfolge berichtet. Mir ist es nicht so
gut gegangen. Ich habe etwas Radium, das eine gute
Photographie eines Zehnpfennigstücks lieferte, in eine Alu
miniumkapsel und diese in die Spitze einer Sonde einge-
bracht. Wiederholte Versuche mit diesem Instrument, wo-
zu natürlich geeignete, das heißt noch durchgängige Ste-
nosen ausgewählt wurden, sind ohne merkbare Wirkung
geblieben. Die Sonde blieb jedesmal möglichst lange, das
heißt mehrere Minuten liegen. |
Am Ende aller Enden werden wir immer, falls der er-
lösende Tod nicht vorher an den Kranken herantritt, vor
die Frage der Operation gestellt. Die Chirurgen gehen aus
begreiflichen Gründen nur ungern an die Gastrostomie heran,
die ihnen wenig Genugtuung bietet. Es ist nur ein Hin-
halten und meistens ein kurzes Hinhalten. Die Ernährung
durch die Magenfistel ist ein trauriges Surrogat, und viel-
fach nicht einmal von einem nennenswerten Einfluß auf den
Stoffwechsel, weil die Magensekretion und Motilität ganz
oder fast ganz aufgehoben ist. Die psychische Hebung des
Kranken ist eine geringe, die subjektiven Beschwerden
nehmen nach der Operation, wie ich das wiederholt erlebt
habe, eher zu wie ab, und so kann ich dem Rate, Kranke
mit Oesophaguscarcinom so früh wie möglich operieren zu
lassen, nicht zustimmen, und finde auch in F. Kraus einen
Partner dieser Ansicht. Ich rate erst dann zur Operation,
wenn die regelmäßige Gewichtskontrolle eine unaufhaltsane
Abnahme des Körpergewichts anzeigt. So entgeht man
wenigstens dem bedrückenden Gefühl, mit verschränkten
Armen dieser. Tragödie zuzusehen. Aber ob es nicht richtiger
und menschenfreundlicher ist, solche Kranke durch große
Morphiumdosen, durch Nährklysmata oder subcutane Zufuhr
von Nährlösungen über ihr Ende hinwegzutäuschen, ist
eine Frage, die ohne weiteres zu bejahen wäre, wenn nichl
doch in manchen und a priori nicht zu entscheidenden
Fällen das Leben durch die Operation noch längere Zeit
gefristet würde.
. Was die Exstirpation der Krebsgeschwülste betrifft, s0
sind die bis jetzt bekanntgegebenen Resultäte, sei es mit, sel 68
ohne die Anwendung der Sauerbruchschen Kammer. bi
hoch- und tiefsitzenden Carcinomen, so ungenügende. und
traurige, daß sie wenigstens vorläufig noch nicht in Be
tracht gezogen werden können.
Abhandlungen.
Aus der I. medizinischen Abteilung des k. k. Allgemeinen Kranken-
hauses in Wien. |
Die Atmungsstörungen der Urämischen
von
Prof. Dr. J. Pal.
Im Verlaufe der Nephritis begegnen wir ihrem Wesen
nach differenten Störungen der Respiration. Sehen wir von
der durch die Erkrankung des Herzmuskels bedingten Kurz-
atmigkeit ab, so gehören die wichtigsten von ibnen zur
Urämie. Merkwürdigerweise finden sie selbst in den Mono-
graphien der Nephritis keine entsprechende Würdigung. Es
fehlt namentlich eine übersichtliche Zusammenfassung .der
respiratorischen Phänomene, obgleich eine genaue Kenntnis
dieser Symptome wichtig und wertvoll ist. Nicht selten
bilden sie das erste Signal der einsetzenden Urämie oder
führt das Auftreten einer Atmungsveränderung ‚zur Auf-
deckung einer bis dahin nicht erkannten nephritischen Er-
krankung. Mit der Feststellung der nephritischen Grund-
1) Ewald, Ein Fall von Carcinoma Oesophagi mit Dauerkanüle
behandelt. (D. med Woch. 1900, Nr. 22.)
i Sep.-Abz. bei Wilhelm Braumüller, Wien u. Leipzig
lage der respiratorischen Störung ist aber nicht alles getat.
Es ist ebenso wichtig, auch die Art dieser Störung genat
festzustellen, weil dies in therapeutischer Beziehung ma-
gebend sein kann.
Rücksichtlich der näheren Bezeichnung und Daun
der dyspnoischen Zustände bei Urämischen gibt es not
vielfach widersprechende Ansichten. Während von den y
die Dyspnöe dər Urämischen summarisch als Asthma i
zeichnet wird, werden von andern unverkennbar divergen
Atmungsphänomene als „Asthma uraemicum“ beschri® jr
Im besondern gilt noch als Hauptmoment der Pi
die Frage, ob es ein echtes Asthma uraemicum St. bronci
oder :nervosum gibt. a
Im Laufe der Jahre habe ich ein umfangreiches * i
über Urämie gesammelt und manches davon In verschiede ;
Studien verwertet. In folgendem will ich speziell dg =
der urämischen Dyspnöe übersichtlich skizzieren. 1C Bu
weise dabei auf eine Arbeit, in der ich povit AA an
dieser Dyspnöe, allerdings von einem andern Gor Pite
ausgehend, bereits besprochen habe!). Hinsichtlich de
(Zt. f. Heilk. Bd. %8 und
1) Paroxysmale Hochspannungsdyspnde. 1907. Literstor‘)
15. Dezember.
ratur will ich mich nur auf die wichtigsten Hinweise be-
schränken und auf die Mitteilung von Krankengeschichten
verzichten.
Unter den in der Urämie auftauchenden Atmungs-
störungen lassen sich zwei Gruppen auseinanderhalten.
Die erste Gruppe bilden diejenigen Störungen, deren
Zustandekommen wir mangels einer andern Erklärung als
unmittelbare Folgen der Toxämie, das heißt deren Wirkung
auf das Gehirn ansehen.
Die zweite Gruppe umfaßt Störungen, die zwar gleich-
falls durch diese Einwirkung, doch auf dem Umwege des
Kreislaufs, also mittelbar herbeigeführt werden.
Die ersteren sind subakuter (oder auch subchronischer),
die letzteren akutester Natur.
Zur ersten Gruppe gehört vor allem die laute
Atmung. Es ist dies eine durch ihre Hörbarkeit auf-
fallende, beschleunigte, auch etwas vertiefte Atmung. Sie
tritt schon bei ganz geringen Graden der Somnolenz auf
und wird vom Kranken oft kaum bemerkt. Mit Freiwerden
des Sensoriums schwindet sie wieder. Sie hängt weder mit
dem Verhalten der Gefäßspannung noch mit Herzinsuffizienz
nachweislich zusammen. Man kann diese Atmung im Einzel-
fall in verschiedenen Abstufungen verfolgen. Sie wird viel-
fach auch als „Asthma“ bezeichnet. Es dürfte die Art der
Atmung sein, die M. Weiß!) „einfache urämische Dyspnöe“
nennt. In stethographischer Aufnahme der Kurven habe ich
keine besonderen Merkmale gefunden, doch sieht L. Hof-
bauer?) hier schon nachweisbare Zeichen aktiver Ex-
spiration.
Ich bin dieser Art der Atmung zwar überwiegend bei
Urämischen begegnet, und sie erscheint mir die charak-
teristischste der urämischen Dyspnöeformen. Allein ich
habe sie auch bei verschiedenen Intoxikationen beobachtet.
Ihre Entstehung dürfte einer Reizung des Atmungscentrums
zuzuschreiben sein.
In vorgeschrittenen Graden der Somnolenz und des
Koma geht sie in eine Atmungsform über, die der von Kuß-
maul im Coma diabeticum beschriebenen sogenannten
großen Atmung ganz ähnlich lautet. Ob dieser Eindruck
genügt, das Phänomen in beiden Fällen für ganz gleich zu
erklären, muß ich dahingestellt sein lassen, zumal Hof-
bauer in den stethographischen Aufnahmen der urämischen
großen Atmung auf gewisse Eigentümlichkeiten (aktive
Hyperexspiration) aufmerksam gemacht hat. Ich habe in
neun Fällen unter meinen zahlreichen Beobachtungen der
großen Atmung in der Urämie solche Kurven aufgenommen
und in einigen mehr oder weniger deutlich die von Hof-
bauer geschilderten Merkmale gefunden.
jan Bezüglich der großen Atmung ist, seitdem sie von Kußmaul als
specifische Erscheinung des diabetischen Komas beschrieben wurde, von
|einer Reihe von Beobachtern gezeigt worden, daß eine konforme Art der
Atmung auch bei komatösen Zuständen andern Ursprungs vorkommt.
So hat Rieß®) (1884) ihr Auftreten bei schweren cerebralen Anämien
beschrieben. Fünf seiner Fälle betrafen Nephritiker, aber auch in diesen
bezog Rieß die große Atmung auf die Anämie und nicht auf Urämie.
Gleichzeitig beschrieb Litten‘) die gleiche Atmungsform bei Coma dys-
pepticum, und ebenso wurde sie dann bei verschiedenen Intoxikationen
bemerkt. Pineles®) hat (1902) das Vorkommen der großen Atmung im
urämischen Koma festgestellt.
. Die große Atmung ist ebenfalls laut hörbar, jedoch
geräuschvoller als die vorhin erwähnte laute Atmung, sie
ist auch tiefer und zeigt einen beschleunigten Ablauf der
Atmungsphasen. Die Frequenz kann auch erhöht sein, doch
werden im fortschreitenden Koma die Pausen länger. Ich
habe sie bei den verschiedensten Formen der Nephritis,
häufiger bei der chronischen Urämie als im Verlaufe der
) Zt. f. Heilk. 188i.
N ) Semiologie und Differentialdiagnostik usw.
ustav Fischer, ferner Schmidts Jahrb. Bd. 284, S. 1.)
) Zt. f. kl Med. Bd. 7, Suppl.
+4) Ibidem.
* Wr. kl. Rdsch. 1902.
(Jena 1904 bei
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2023
akuten auftreten gesehen, auch in der Pyelonephritis und
unter andern bei einem 17jährigen hypoplastischen Manne,
der unter den Erscheinungen eines Diabetes insipidus er-
krankt war, dann das Bild einer Schrumpfniere bot und
schließlich unter urämischen Symptomen starb. Bei der
Obduktion (Prof. Dr. Bartel) fanden. sich hochgradige Er-
weiterung der Harnwege, konsekutive Atrophie der Nieren
(ohne Nephritis) und Hirnödem.
Auf Grund meiner Beobachtungen erscheint es mir am
wahrscheinlichsten, daß die große Atmung mit dem Hirn-
ödem zusammenhängt. Es dürfte sich die laute Atmung,
wie erwähnt, als Reizerscheinung, die große Atmung als
eine Folge der Ausschaltung gewisser Hirnteile durch das
Oedem erklären. Wir finden bei der großen Atmung, in der
Regel wenigstens, keine Reizungserscheinungen mehr. Die
große Atmung erinnert mich an das Atmen, das wir ge-
legentlich bei decerebrierten Tieren sehen.
Ich habe es versucht zu erheben, ob sich die große
Atmung durch Herabsetzung des Liquordrucks mittels Lum-
balpunktion in günstigem Sinne beeinflussen läßt, wie dies
bei einer später zu schildernden Atmungsform der Fall ist.
Das Ergebnis war bei der urämischen großen Atmung, wie
übrigens auch bei der diabetischen Form, ein negatives, in-
sofern man das in solchen Fällen behaupten kann, eher
ein ungünstiges. Das geräuschvolle große Atmen nahm nach
der Lumbalpunktion unter Steigerung der Frequenz zu und
hörte bis zu dem bald eingetretenen Exitus nicht auf.
Eine bestimmte Beziehung zwischen der großen Atmung
und den Druckverhältnissen im großen Kreislaufe habe ich
nicht feststellen können.
Weder die laute noch die große Atmung ist, wenn-
gleich sie bei der Urämie namentlich in der ersteren Form
sehr häufig in Erscheinung tritt, eine der Nephritis oder dem
urämischen Zustand allein zukommende Atmungsart. Pro-
gnostisch sind diese Atmungsarten zwar ungünstige Zeichen,
und doch können sie normaler Atmung noch Platz machen.
'Die weit bekanntere pathologische Atmungsform der
Urämischen ist das Cheyne-Stokessche Phänomen.
Seine Grundlagen sind uns noch immer unbekannt!), Wir
wissen zwar, daß man es auch bei normalen Menschen
hervorrufen kann [Haldane und Douglas?)] und daß es
im physiologischen Schlaf oft zu beobachten ist. Immer-
hin ist es unter pathologischen Bedingungen ein sehr un-
günstiges Symptom, wenngleich es wieder schwinden kann.
Es kann übrigens auch monatelang bestehen, ohne zum
Exitus zu führen [Terrier, Thomayer und Andere, zitiert
nach Libenski?)l. Eine gewisse unmittelbare Beziehung
des Phänomens zu Kreislaufverhältnissen ist in manchen
Fällen unverkennbar. So habe ich anläßlich von Aderlässen
in akut urämischen Attacken wiederholt unmittelbar nach
dem Aderlaß das Phänomen vorübergehend auftreten gesehen
(vgl. weiter unten). Ich bemerke übrigens, daß ich das
gleiche auch in Fällen von akuter Hochspannung bei reiner
Atherosklerose beobachten konnte.
Außer den bisher besprochenen Atmungsformen kommen
im urämischen Anfall auch Atmungsstörungen vor, deren
wesentliches Merkmal ungleichmäßige Pausen bilden. Es
kann der Exitus im Atmungsstillstand erfolgen.
Die zweite Gruppe der Atmungsstörungen gehört
ausschließlich zum Symptomenkomplex der akuten Urämie.
Sie hängen in dieser mit dem Hochspannungszustand im
arteriellen Kreislaufe zusammen, der die akute Urämie
charakterisiert.
Es gibt zwei Arten dieser ganz akut einsetzenden Re-
spirationsstörung. . Die eine ist eine kardiale, die andere
eine cerebrale Form. |
1) Literatur bis 1892 in G. A. Gibsons Monographie. (Edinburgh,
bei Oliver and Boyd.)
2) Internat. Physiol. Kongr. 1910.
3) Wr. kl. Rdsch. 1905 Nr. 44-50,
2024
Die kardiale Form der paroxysmalen Hoch-
spannungsdyspnöe der Urämischen unterscheidet sich
eigentlich nicht wesentlich von den gleichen Zuständen beim
Atherosklerotiker. Da wie dort ist es die akute Druck-
steigerung im linken Vorhofe, der wir den Anfall zuschreiben
müssen. Pathogenetisch ist diese darauf zurückzuführen,
daß der linke Ventrikel den im akut urämischen Anfall auf-
getauchten peripheren Widerständen nicht mehr gewachsen
ist, also infolge der arteriellen Stauung!) — wie ich den
Zustand bezeichnet habe — sekundär insuffizient wird. Da-
durch kommt es zu Drucksteigerung im linken Vorhof, in
weiterer Folge zur Lungenvenenstauung, die sich in einer
schweren Dyspnöe ausdrückt, schließlich auf diesem mechani-
schen Wege zum Lungenödem. Das Lungenödem, das wir
unter diesen Bedingungen beim Urämischen eintreten sehen,
ist zwar ein durch einen toxämischen Reiz erzeugter Zu-
stand, aber an und für sich kein toxisches Lungenödem.
In ähnlicher Weise kann man auch beim gesunden
Tiere durch Gifte die analogen Vorgänge im arteriellen
Kreislauf erzeugen, z. B. durch Adrenin, und gelegentlich
Lungenödem herbeiführen.
= Das klinische Bild ist gleich dem, was wir im allge-
meinen als Asthma cardiale bezeichnen: hochgradige, vor-
wiegend inspiratorische Dyspnöe bei cyanotischer Blässe,
Volumen pulmonum auctum, eventuell Lungenödem.
Der Puls ist hochgespannt, bei Eintritt der Herz-
insuffizienz kann er klein und weich werden.
Mit Bezug auf diesen letzteren Punkt muß ich noch
folgendes einschalten: Zu den dyspnoischen Anfällen der
akuten Urämie zähle ich nur die, in welchen die vaso-
motorischen Vorgänge, das ist die Hochspannung, die Ur-
sache des Anfalls bilden, denn nur diese gehören nach
meiner Ansicht zur akuten Urämie. Es kommt vor, daß ein
Nephritiker infolge einer primären Herzinsuffizienz akute
Dyspnöe und Lungenödem bekommt. In diesen Fällen fehlen
die Merkmale des akuten pressorischen Zustandes. Im
übrigen handelt es sich zwar auch um eine kardiale Dyspnöe,
die bezüglich des Verhaltens der Lunge und der Atmung
denselben Eindruck macht wie bei der Hochspannungs-
Trotzdem gehören solche kardialen Anfälle nicht.
dyspnöe.
zu den urämischen, weil sie tatsächlich nicht urämi-
schen Ursprungs sind. | |
Daß die immer natürlich nur relativ zu nehmende
hohe Spannung die unmittelbare Quelle dieser paroxysmalen
kardialen Dyspnöe in der Urämie ist, ist daraus zu er-
sehen, daß die Beseitigung der Hochspannung, sei es durch
einen Aderlaß oder eine entspannende Medikation, den kriti-
schen Anfall beendigt. Allerdings tritt dieser Erfolg nur
ein, wenn die Maßnahmen die erforderliche Entspannung
herbeigeführt haben.
Bezüglich der Atmungsart sei hier noch bemerkt, daß
die parosysmale kardiale Dyspnöe eine rein inspiratorische
ist, sie bleibt es aber nicht immer. Es kommt häufig vor,
daß auch Andeutungen von exspiratorischen oder auch aus-
gesprochene exspiratorische Atmungsbeschwerden hinzu-
treten. In diesen Fällen darf man aber nicht ein Asthma
bronchiale erblicken. Es mag sein, daß in solchen Fällen,
wie im Asthma cardiale überhaupt, worauf A. Fraenkel?)
hinweist, ein gewisser Grad von Bronchospasmus auftritt.
Bei den Urämischen im besonderen ist aber auch mit
Schwellungen, Oedem der Bronchialschleimhaut zu rechnen,
die ein exspiratorisches Atmungshindernis bedingen können.
Damit ist die Frage nach dem Vorkommen eines
echten urämischen Asthma bronchiale nicht beantwortet. Es
ist nicht zu übersehen, daß, wenn auch ganz vereinzelt,
doch in der Literatur Aeußerungen namhafter Beobachter
1) Wr. med. Woch. 1907. |
3) Th. Mon. 1912. — Vgl. auch H. Januschke und L. Pollak.
(A, f. exp. Path. u. Pharm. 1911.)
1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember,
vorliegen, die für das Vorkommen eines echten Asthma
nervosum im urämischen Symptomenkomplex eintreten,
Schon H. Bambergerjsowie Niemeyer und Andere
haben die im Verlaufe aus Morbus Brightii auftretenden
Anfälle von heftiger Dyspnöe, die man als Asthma uraeni-
cum (Bartels und Andere) bezeichnet, auf Lungendden
zurückgeführt. A. Fraenkel, Leyden, Senator und
Andere zählen das Asthma uraemicum zur kardialen Dyspnöe,
Tatsächlich ist die Zahl der Fälle, die als Beweis des
Vorkommens eines Asthma nervosum in der Urämie ange-
sehen werden können, meines Wissens doch nur ganz gering,
Ascoli!) verweist auf einen 1861 publizierten Fall von
Pihan-Dufeuillay — als klassisches Beispiel. Dieser Fall
erscheint mir gar nicht eindeutig. Wenn ich von dem mir
nicht näher bekannten Falle Rosensteins?) absehe, bleiben
nur die zwei von M. Weiß beschriebenen. Von diesen ist
der zweite ein ganz unverkennbarer Fall von Asthma bron-
chiale.
Wenn ich aber bedenke, daß ich diese Frage seit
Jahren verfolge und sich in meinem reichen Material auch
nicht ein Fall von Bronchialasthma in einer Urämie gefun-
den hat, so muß ich der Annahme hinneigen, daß es sich
in den gewiß sehr verläßlichen Beobachtungen, namentlich
von M. Weiß und auch Andern, doch nur um eine zufällige
Kombination von Asthma und Nephritis gehandelt hat und
nicht um ein urämisches Symptom. In diesem Sinne scheint
mir auch der Umstand zu sprechen, daß in den Füllen von
Weiß nicht deklarierte Urämie vorlag. Sie betrafen Ne-
phritiker, bei denen zwar Weiß, durch den Atmungsanfall
veranlaßt, eine Harnuntersuchung vornahm, die Albuminurie
fand und Nephritis diagnostizierte.e Die Kranken wurden
erst später urämisch oder gingen an Herzinsuffizienz zu
grunde. W. Siegel?) weist übrigens mit Recht darauf hin,
daß es in solchen zweifelhaften Fällen bei genauer Anamnese
doch gelingt, das Asthma und die Nephritis auseinander zu
halten. |
Auf Grund dieser Erwägungen komme ich zu dem
Schlusse, daß echtes Asthma nicht zu den Atmungsstörunget
der Urämie zu zählen ist.
Von großem Interesse sind die beiden andern Fälle
von M. Weiß, in welchem er in der ausgesprochenen akuten
Urämie „paroxystische Dyspnöe“ beobachtet hat. Sie stellen
einen besonderen Typus dar und bilden die zweite Form der
paroxysmalen Hochspannungsdyspnöe, die ich auf Grund
meiner Untersuchungen als cerebrale Form bezeichnet habe.
Weiß schildert diese paroxystische Dyspnöe als Anfälle
von heftiger Atemnot ohne jede spasmodische Beengung des
Atmens, stürmische Erhöhung der Frequenz auf 60 bis 10
in der Minute, ohne nachweisbare Veränderung der Lungen,
ohne Inanspruchnahme der Auxiliarmuskeln. Dabei Zeichen
von Angiospasmus, die zuweilen dem Anfalle vorausgebei.
Der Puls war sehr gespannt. Mit dem Nachlassen des Gel
krampfes sistierte auch der Anfall.
Ohne auf eine Diskussion der Deutungsversuch® vol
Weiß hier weiter einzugehen, füge ich noch hinzu, dab m
der Literatur auch von Anderen Fälle mit solchen Anfiler
beschrieben wurden. So hat namentlich Pawinski W 3
anderm einen Fall als „Asthma acetonicum“ geschildert, 6°
nach meiner Ansicht hierher gehört. ah] von
In einer Studie habe ich [1907]*) eine Anza ll
Krankengeschiehten veröffentlicht, in welchen solche An a
beschrieben sind. Unter diesen beziehe ich mich hal
einen Nephritiker, der während meiner Beobachtung WI® P =
schwere akute urämische Attacken hatte und 1m
solche Anfälle von paroxysmaler Dyspnöe.
I) Vorlesungen über Urämie.
2) Nierenkrankheiten. (3. Aufl.) ld 59 u. 64)
2 Das Asthma. (Jena 1912 bei Gustav Fischer, S. 9% 0
.c. í
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2025
Es bot sich mir die Gelegenheit, diese Atmungs-
erscheinungen mit Sorgfalt zu studieren und zu analysieren.
Daß hohe Gefäßspannung ein Merkmal dieser Anfälle ist,
hat, wie erwähnt, schon M. Weiß bemerkt. Aus meinen
Untersuchungen hat sich erst ergeben, daß diese Hoch-
spannung nicht eine Begleiterscheinung ist, sondern daß sie
es ist, die diese Anfälle bedingt. Die hohe Spannung ist
das Produkt des urämischen akuten Reizzustandes und
erzeugt ihrerseits durch die Art der Blutverteilung neue
Reizungszustände in dem erregten Centralorgan. |
.. Die Anfallserscheinungen in meinen Fällen entsprechen
durchaus den von M. Weiß geschilderten. Die Anfälle sind mit-
unter geradezu stürmisch. Die Respirationsfrequenz steigt
rasch und kann selbst bis 100 in der Minute erreichen, also
: eine paroxysmale Tachypnöe!), doch nicht vom Charakter
der vielfach beschriebenen ‘nervösen Tachypnöe Es ist
eine angstvolle subjektive Atemnot, in der der Kranke
zu ersticken glaubt, ohne daß auch nur das geringste
Atemhindernis vorhanden wäre. Der Kranke klagt dabei
meist über heftige Kopfschmerzen und bietet auch sonst
Zeichen cerebraler Kongestion. |
Gestützt auf experimentelle Erfahrungen habe ich an-
genommen, daß es unter der Hochspannung zu einer akuten
passiven arteriellen Hyperämie im Gehirne (Knoll) kommt
und diese einen hohen Liquordruck erzeugt. Die Richtigkeit
dieser Erwägungen konnte ich in diesen Fällen geradezu ein-
wandfrei erweisen.
Therapeutisch habe
geschlagen: den Aderlaß und die Lumbalpunktion.
Erfolg soll das hier angeführte Beispiel beleuchten:
9. Oktober:
abends 7 Uhr 22 Min. P. 126 T. 260°?) R. 80 Subjektive heftige Atem-
not: „ich ersticke“,
Strabismus convergens.
o T a 2B „ „160 „ — „ 95 Pupillenreaktion träge.
Während des Aderlasses von 500 ccm
ich nämlich zwei Wege ein-
Den
abends 7 Uhr 35 Min. P.148 T.245 R. 60
7 » 55 „ „ 155 „230 „ 100 Heftige Kopfschmerzen,
l Trachealrasseln
» 8 „n — u „144 „210 „ 60 Cheyne-Stokes, Kopf-
| schmerzen
» 8 „ 5 „ „120 „210 „ 70 idem ”
„ 10 „ 15 „ „100 „200 „ 14 Rhythm. Atmung.
27. Dezember:
von 5Uhr— Min. P.1i4 T.235 R. 60 Kopfschmerz.
Nach Aderlaß von 500 cem
von 6Uhr— Min. P.120 T.205 R. 18
27. März früh Anfall von paroxysmaler Dyspnöe, heftigem Kopfschmerz
früh 8 Uhr 55 Min. P.108 T.245 R. 72 NachLumbalpunktion und
Entleerung von 45ccm unter hohem Druck abfließenden Liquors
früh 9 Uhr 21 Min. P. 108 T. 245 R 24 Atemnot geschwunden.
Nachmittag wieder Anfall bei anhaltender hoher Spannung — Aderlaß
von 650 ccm, Druckabnahme. R. 24. |
Die überraschend prompte Wirkung der Lumbal-
punktion auf die Atmung lehrt, daß die Dyspnöe durch
den hohen Hirndruck bedingt war. Auf den hohen Blut-
druck wirkte der Liquorablaß wenig oder gar nicht. Da
die Ursache des hohen Hirndrucks die hohe arterielle Ge-
fäßspannung war, so hatte der Aderlaß nicht nur den
gleichen Effekt auf die Atmung wie die Lümbalpunktion,
sondern überdies einen nachhaltigeren. Der. Erfolg war
selbst bei geringer Verminderung des Blutdrucks ein aus-
gesprochener und begreiflicherweise ein weniger unmittel-
barer als nach der Lumbalpunktion. |
Klinisch bemerkenswert ist, daß solche Kranke wäh-
rend der cerebralen Attacken, solange sich diese abspielen,
nicht die Erscheinungen von Herzschwäche, kardialer Dys-
pnöe oder Lungenödem bekommen. Es liegt dies offenbar
daran, daß diese cerebralen Phänomene nur bei Erhaltung
der großen Spannung zustande kommen und daher ein arbeits-
fähiges Herz voraussetzen. |
Es steht mit den von mir seinerzeit schon’ vertretenen
Anschauungen über die Genese der transitorischen Ausfalls-
erscheinungen'!) im Einklange, daß in diesen Fällen, die ich
hier meine, auch solche Herderscheinungen, wie transitorische
Hemiplegie, Amaurose, usw., vorkommen.
Die von mir aufgedeckte Natur der geschilderten
.Atmungsanfälle hat mich veranlaßt, sie als „paroxysmale
cerebrale Hochspannungsdyspnöe* zu bezeichnen.
Auch dieser seltener vorkommende Anfallskomplex ist
kein specifisch urämischer. Ich habe, wie ich schon be-
richtet habe, ganz analoge Zustände bei Arteriosklerotikern
gesehen und in gleicher Weise kupiert.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Formen der
Atmungsstörungen, denen wir bei Urämischen begegnen, sind:
1. die mit dem urämischen Zustand in unmittelbarem
Zusammenhange stehenden — subakuten — Formen: die
laute und die große Atmung, ferner das Cheyne-Stokessche
Phänomen;
2. die mit der Toxämie in mittelbarer Beziehung
auf dem Wege der kardiovaskulären Vorgänge stehenden
— akuten — Formen: die paroxysmale kardiale Hoch-
spannungsdyspnöe und die paroxysmale cerebrale Hoch-
spannungsdyspnöe. Sie sind beide Produkte der akuten
Hochspannung. Die kardiale Form tritt ein, wenn durch
die hohe Spannung der linke Ventrikel relativ insuffi-
zient wird. Die andere ist die Folge excessiver hoher
Spannung bei arbeitsfähigem Herzen.
Alle bei den Urämischen auftretenden Atmungs-
phänomene sind nicht absolut urämische Phänomene. Sie
können daher auch als „urämisch* nur dann angesprochen
werden, wenn die anderweitigen Merkmale dafür sprechen.
Prognostisch sind namentlich die der ersten Gruppe
die infausteren. Sie lassen sich meist nur durch allgemeine,
gegen das Grundleiden gerichtete Maßnahmen bekämpfen,
und daher sind die Aussichten auf ihre Beseitigung geringer.
Die Erscheinungen der zweiten Gruppe sind zwar sehr
stürmisch, sie sind im wesentlichen aber mechanische Effekte
und sind daher auch durch entsprechende Gegenmaßnahmen
(Aderlaß, Lumbalpunktion, druckentlastende Medikation usw.)
zu beseitigen.
-a
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Myelitis migrans?)
von
Dozent Dr. Robert Bing, Basel.
(Mit 4 Abbildungen.)
Für die höchst eigenartige Krankengeschichte, die dieser
Mitteilung zugrunde liegt, habe ich in der mir zugänglichen
Literatur vergeblich nach einem Analogon gesucht. Ich darf
!) Vgl. Pal, Wr. med. Woch. 1906.
2) Die Zahlen beziehen sich auf Gärtners Tonometer mit Hg.-
Manometer. u
3) Nach einem Vortrag auf der 8. Versammlung der Schweizerischen
Neurologischen Gesellschaft am 9. und 19. November 1912 in Luzern.
|
|
|
deshalb wohl, in medias res eintretend, mit dem klinischen
Resumé des Falles beginnen.
Es handelt sich um einen 30jährigen Ingenieur, der sich
bisher vollständiger Gesundheit und großer körperlicher Rüstigkeit
erfreut hatte. Im Februar 1911 trat er sich einen rostigen
Nagel in die Endphalange der linken Großzehe, erhielt eine In-
jektion von Antitetanus-Serum und erholte sich rasch von
seiner Verletzung. Am 13. März setzte er sich einer schweren
Erkältungsschädlichkeit aus: mit der Leitung von Hafen-
bauten in einer Seestadt beschäftigt, mußte er bei heftigem Sturme
und eiskaltem Wind eine ganze Nacht hindurch zum Schutze
1) Vergl. Zbl. f. i. Med, 1903; ferner „Gefäßkrisen“, Leipzig 1905,
bei S. Hirzel.
x x sr
2026 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50,
15. Dezember,
= mMhRaRaRBÖBÖMBÖBL ma ann [mm [ma „mE {[_ — —_—_—————— am [Z Z—mma ZZ Z— —— — — — — _ — — — ——_
einer gefährdeten Anlage im Wasser arbeiten. Am 17. März stellte
sich denn auch eine leichte Angina ein, die aber nach drei Tagen
wieder verschwand.
~ Am 28. März bemerkte er nun beim Aufstehen eine deut-
liche Schwäche in beiden Beinen, welche im Verlaufe der
nächsten Tage rapid zunahm und der sich am 31. März eine voll-
ständige Retentio alvi et urinae beigesellte. Dabei hatte er
heftiges Kreuzweh, das aber bald wieder verschwand. Der bei-
gezogene Arzt konstatierte das Fehlen der Patellarreflexe
und bis zum Gürtel heraufreichende Sensibilitätsstö-
rungen. Die Temperatur war leicht febril, sie überstieg 38,5°
nicht. Vom 3. April an kehrte sie zur Norm zurück, während
‚der übrige Zustand sich während der nächsten Wochen stationär
verhielt. — Am 23. April wurde mir der Patient zur Weiter-
behandlung zugewiesen. Die 1östündige Eisenbahnfahrt legte er
‘im Schlafwagen ohne irgendwelche Beschwerden zurück.
li f | 1 3) ti T et dr
name
Ion = ji Hn S: A
= en
W
Abb. 1. Abb. 2.
Hypästhesie in Flächenschattierung, Hyperästhesie durch Schraffierung
hervorgehoben.
Der Status, den ich nun aufnehmen konnte, läßt sich
folgendermaßen resumieren: Das Bewußtsein war klar, es be-
standen keine Kopfschmerzen; Temperatur 37,4%; Puls 74; die
. perkutorische und auskultatorische Untersuchung der inneren Or-
gane zeigte normale Verhältnisse. Normale Resultate ergab auch
die Prüfung der Motilität, Sensibilität und der Reflexe im Be-
reiche sämtlicher Gehirnnerven, des Halses, der Schultern und der
Obergliedmaßen. |
An den unteren Extremitäten bestand dagegen eine hoch-
gradige Parese sämtlicher Muskeln, besonders aber der
Flexorengruppe am Oberschenkel mit beträchtlicher Herabsetzung
der direkten elektrischen Erregbarkeit, namentlich für den fara-
dischen Strom, doch ohne Umkehr der galvanischen Zuckungs-
formel und mit mäßiger Trägheit des Zuckungsablaufs; die Erreg-
barkeit von den Nervenpunkten aus war links fast erloschen, rechts
etwas besser erhalten. Also partielle Entartungsreaktion
geringen Grades. Die Sensibilitätsstörungen, die nach den
spärlichen Notizen des erstbehandelnden Arztes früher „bis zum
Gürtel heraufreichten“, waren, wie Sie aus Abb. 1 ersehen, nur
noch im Gebiete der drei obersten Lumbalwurzeln zu konsta-
tieren, und zwar vorwiegend in Form einer hochgradigen Hyp-
algesie und Thermohypästhesie. Auch in bezug auf die früher
erloschenen Patellarreflexe lag eine Besserung vor: mit Hilfe
des Jendrässikschen Handgriffs konnten sie rechts schwach,
links andeutungsweise provoziert werden. Erhalten waren die
Achillesreflexe, beiderseits deutlich das Babinskischeund das
Oppenheimsche Phänomen, erloschen die Cremaster- und
Abdominalreflexe. Kein Fußklonus. Noch immer hestand
vollständige Retentio alvi et urinae, sowie Impotenz, da
gegen keine perianogenitalen Sensibilitätsstörungen. Auch das
Empfindungsvermögen der Urethral- und Rectalschleimhaut erwies
sich als ungestört; trotz der Retention war das Gefühl von Harı-
drang und Stuhldrang erhalten. — Erwähnung verdient noch das
Vorhandensein einer ecirculären Zone brennender Parästhe-
sien nebst Gürtelgefühl im Bereiche der unteren Thoraxhälfts
(siehe Abb. 1), während objektive Sensibilitätsstörungen sich an
Rumpfe nicht nachweisen ließen.
Die Untersuchung des Urins ergab das Bestehen einer
schweren Cystitis: der frischgelassene Urin war trüb, von saurer
Reaktion, wies einen Eiweißgehalt von 2 9/90 auf und setzte ein dickes
rötliches Sediment ab aus massenhaften polynucleären Leukocyten
nebst roten Blutkörperchen, doch ohne Cylinder oder Nieren- und
Nierenbeckenepithelien. Es handelte sich natürlich um das Resultat
der seit Bestehen der Harnverhaltung dreimal täglich vom Patienten
selbst vorgenommenen Katheterisierung. Herr Prof, C. Hägler
hatte die Freundlichkeit, die Behandlung des Blasenkatarrhs zu
übernehmen; sie bestand in Borwasserspülungen und großen Dosen
Urotropin. |
Im übrigen stellte ich, in der Annahme, es handle sich un
das Ergebnis einer abgelaufenen Lumbosakralmyelitis, folgenden
Behandlungsplan auf: Tägliche elektrotherapeutische Sitzungen
mit abwechselnder Behandlung der Blase und der Beine Fir
erstere stabile Durchströmung mit einem Strome von 10 M-A,
für letztere Kathodenreizung der verschiedenen Muskel- und Nerven-
punkte. Außerdem dreimal pro die eine Einspritzung von !jy ng.
Physostigmin zur Bekämpfung der Blasen- und Darmparese,.
Leider behielt uns aber der weitere Krankheitsverlauf recht
unangenehme Ueberraschungen vor.
Schon in den nächsten Tagen ließ sich zwar eine deutliche
Abnahme der Paraparese konstatieren und im Bereiche der
hypästhetischen Zonen an den Oberschenkeln wurden das
Unterscheidungsvermögen für Kalt und Warm, Spitz und Stumpf,
besonders aber auch die faradocutane Sensibilität beinahe von Tag
zu Tag besser; auch konnten jetzt die Patellarreflexe ohne
„Jendrässik“ erzielt werden. Der Patient beklagte‘ sich aber
am 27. April über sehr heftige Parästhesien in den Achsel-
höhlen, an der Innenseite der Arme und über Constriotions-
gefühl in den oberen Thoraxpartien. Die objektive Sens:
bilitätsprüfung ergab nun im Bereiche dieser Hautpartien kein
nachweisbaren Anomalien, dagegen war jetzt in den unteren
Thoraxpartien eine beträchtliche Abstumpfung der Schmerz:
und Temperaturempfindung festzustellen. Abb. 2 hält diem
Status fest. Trotz der in den distalen Bezirken unverkennbaren
Besserung bekundete somit der pathologische Prozeß eine ganz
entschiedene Tendenz, sich nach oben auszudehnen. Erwähnt se
noch eine starke Druckempfindlichkeit des fünften Brustwirbel
dornes. |
Die nächsten Tage verhielten sich nun die Anomalien im
Reviere des höheren Rückenmarksniveaus stationär, während kaudal
wärts eine weitere, und zwar erstaunlich rapide Besserug
Platz griff.
Am 2. Mai erfolgte bereits die erste spontane Urin
entleerung und der erste Stuhlgang ohne Klysma. Di
Kraft der unteren Extremitäten zeigte sich bei Ausführung Y0
Widerstandsbewegungen wieder recht befriedigend, von Sensibilität
störungen an den ÖOberschenkeln war kaum mehr etwas zu kor
statieren. Schon am nächsten Tag aber berichtete uns der Kranke,
er fühle nun in den Armen, abgesehen von immer heftiger
werdendem Jucken, eine beträchtliche Schwäche und meinte
mit begreiflicher Aengstlichkeit, „so habe es in den Beinen A
angefangen“. Außerdem klagte er etwas über Kopfweh.
Am 4. Mai erfolgte nun unter schwerer Störung des Al
gemeinbefindens ein abrupter Anstieg der Körpertemperabu
auf 39,50, während der Puls nieht über 96 heraufging. Cleit
zeitig schwere Parese der Arme mit Herabsetzung der Refere
Im Verlaufe der beiden nächsten Tage kehrte die Temperatur 2"
Werten zwischen 36,00 und 379 zurück und auch das Allgemelt-
befinden hob sich etwas, aber der Patient klagte über heftig?
Schmerzen in den Schultern und im Nacken und os zeigte Si
eine Zone starker Hypalgesie und Thormohypästben
auf der Innenseite der Arme und in Brustwarzenböß
(siehe Abb. 3).
Am 8. Mai klagte der Patient über furchtbaren Nach
kopfschmerz (ohne Druck- oder Klopfempfindlichkeit der Wire
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50,
2027
15. Dezember.
m S __ m ——————————m— mm ma
säule) und über ein sehr peinliches Gefühl in der Magen-
grube, für das er den Ausdruck gebrauchte „wie gelähmt“ und
das ich um so mehr ins Diaphragma zu lokalisieren mich für be-
rechtigt hielt, als im Laufe des Tags ein heftiger Singultus ein-
setzte, der nun drei Tage lang. mit höchstens viertelstundenlangen,
gewöhnlich durch Pantoponinjektionen erzielten Pausen anhielt.
Die Atmung war mühsam, das Gesicht eyanotisch; die Temperatur
stieg aber diesmal nur auf 37,40, der Puls auf 90 an. Dazu trat
noch ein furchtbares Jucken in dem auf Abb. 4 ange-
gebenen Gebiete, das den Kranken fast zur Verzweiflung
brachte. Er gab spontan an, jetzt sei, mit Ausnahme des Ge-
sichts, das Jucken über den ganzen Körper gezogen. Dagegen
war von einer weiteren Ausbreitung der motorischen oder sensiblen
Ausfallerscheinungen nichts zu bemerken und die Urin- und
Faecesentleerung erfolgte von Tag zu Tag anstandsloser. An den
Beinen war, von einer leichten, noch vorhandenen Schwäche ab-
gesehen, nichts Abnormes mehr zu konstatieren; denn auch die
partielle Entartungsreaktion, der Babinskireflex und
das Oppenheimsche Zeichen waren jetzt verschwunden,
die Sehnenreflexe wieder normal lebhaft. Trotzdem be-
greifen Sie, daß ich die Invasion der Oblongata für drohend hielt
und die Familie von der Gefahr benachrichtigte. l
Nun riet mir Prof. Hägler, gestützt auf gute Erfahrungen,
bei Fällen chirurgischer Sepsis, einen Versuch mit hohen Kampfer-
dosen an, und der Patient erhielt täglich 10 cem Ol. camphoratum
intramuskulär (neben Strychnineinspritzungen und Aspirin). Ob
die günstige Wendung, die sich alsbald geltend machte, auf diese
Therapie zu beziehen ist, oder ob es sich um eine einfache Koinzi-
denz handelte, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls gingen
vom 10. Mai an Singultus, Parästhesien und Kopfschmerzen zurück.
Bis zum 13. traten sie noch gelegentlich in den Morgenstunden
auf, von diesem Tage an fühlte sich der Kranke bis auf eine (noch
einige Wochen lang bestehende) Hyperästhesie der Hände gegen
Eintauchen in kaltes Wasser und bis auf die Schwäche der
Arme wohl.
Die weitere Heilung ging nun rasch vor sich; unter Galva-
nisieren, Strychnininjektionen, Kohlensäurebädern kehrte die volle
Beweglichkeit nebst normaler Reflexstärke auch an den Oberglied-
maßen zurück, und als der Patient am 8. Juni austrat, waren
überdies die lange Zeit nicht auslösbaren Cremaster- und Abdo-
minalreflexe wieder da. Die Cystitis war gleichfalls ausgeheilt.
Ich sah dann den Patienten im November 1911 wieder. Er
hatte seine Arbeit wieder aufgenommen und fühlte sich vollkommen
wohl. Nur lasse seine Potenz noch zu wünschen übrig. Da er
meiner Aufforderung, sich wieder bei mir zu melden, falls letztere
Störung nicht spontan in den nächsten Monaten verschwinde, nicht
nachgekommen ist, muß ich annehmen, daß die Restitution schließ-
lich doch eine vollständige wurde. |
Bevor ich nunmehr zur Epikrise dieses Falles über-
gehe, seien noch die Resultate der Liquor- und Blut-
ıntersuchung mitgeteilt. Das Lumbalpunktat war bak-
terienfrei und zeigte ein Sediment aus ziemlich zahlreichen
Lymphocyten nebst einigen großen Mononucleären, doch
hne Polynucleäre. Der Gefrierpunkt stand bei —0,55°. Die
Vornahme der Nonne-Apeltschen Globulinreaktion wurde
eider versäumt. Die Wassermannreaktion fiel vollständig
1egativ aus.
-= Diese Lymphocytose paßt nun durchaus in den Rahmen
ler Myelitis, die sich ja auch aus den klinischen Daten
nit zwingender Notwendigkeit ergibt, denn wir wissen ja
‚us den Untersuchungen Müllers, Wollsteins und Anderer,
laß bei Poliomyelitis der Zellgehalt des Liquors fast nur
us einkernigen, wohl im wesentlichen als Lymphocyten zu
leutenden Gebilden besteht!). Die Lumbosakralmyelitis, mit
ler in unserm Falle die Erkrankung anhub, hatte Ja, wie
us. dem- Phänomen. von Babinski und Oppenheim her-
'orging, eine mehr oder weniger transverse, jedenfalls
!) Gegen die Annahme einer Meningomyelitis sprach, abgesehen
on der cytologischen Formel der meningealen Reaktion, das Fehlen
er klassischen Meningitisphänomene (Kernigsches, Leichtenstern-
ches Zeichen usw.). Die episodisch vorhandenen Nackenschmerzen trugen
icht den bekannten „Wurzelschmerz“-Charakter und das ‚Fehlen ‚von
törıngen der Tiefensensibilität und der Tastempfindung im Bereiche
on Rumpf, Armen und Hals paßte durchaus zur Annahme eines polio-
yelitischen Weiterschreitens des Entzündungsprozesses.
diffuse Lokalisation. Die höheren Rückenmarksetagen wurden
jedoch lediglich in Form einer Poliomyelitis anterior et
posterior affiziert. Zum Glücke büßte der Prozeß außerdem
auch an Intensität ein und zog schließlich beim Angriff auf
die höheren Cervicalmarkniveaus den kürzeren.
Sein eigenartiges Gepräge erhielt mein Fall durch die
Simultanität des Ausheilens der Läsionen in den
kaudalen Bezirken und ihres Vordringens nach oben.
Es handelte sich demnach nicht um eine „ascendierende
. Myelitis, die sich höchstens durch das. langsame Tempo
von den Landryschen Fällen unterschieden hätte, sondern
es drängte sich der Vergleich mit dem Vorrücken. eines
„wandernden“ Erysipels mit großer Lebhaftigkeit auf. Ich
wähle deshalb die Bezeichnung: „Myelitis migrans“.
CY
Abb. 4.
Abb. 3.
(Legende siehe Abb. 1 und 2.)
Zum Schluß noch eine praktisch wichtige Notiz. Soll
eine derartige Erkrankung, in deren unmittelbarer Vor-
geschichte eine Fußverletzung (auf der ursprünglich moto-
risch stärker betroffenen Seite!), sowie eine einmalige grobe
Erkältungsschädlichkeit verzeichnet sind, als „Unfall“ im
versicherungstechnischen Sinne gelten? Die in Frage
stehende Gesellschaft hat diese Auffassung abgelehnt und
angesichts des günstigen Ausgangs wurde von meinem Pa-
tienten auf Erhebung eines Widerstreites verzichtet. Ich
glaube aber, daß vor Gericht die Entschädigungspflicht be-
jaht worden wäre!
Aus dem Stadtkrankenh. Friedrichstadt in Dresden. (II. Innere Abt.)
Ueber die Möglichkeit der Täuschung durch
Jodipinreste bei der Röntgenuntersuchung der
Lungen‘)
Prof. Dr. H. Arnsperger.
Jede diagnostische Methode hat ihre Fehlerquellen, und wir
müssen uns bemühen, diese auszuschalten.
Es ist deshalb gerechtfertigt, auch auf Fehlerquellen auf-
1) Nach einem Vortrag auf der Tagung der freien Vereinigung der
Inneren Mediziner Sachsens in Chemnitz 12. Mai 1912. |
+
der anfänglich zusammenhängende Schatten in eine Un-
'ursachte Verkalkungen seien, welche diese Schatten machten.
gab.
2028
merksam zu machen, welche selten: vorkommen und doch manchmal
von großer Bedeutung sein können. |
Es ist in der Literatur von verschiedener Seite darauf hin-
gewiesen, daß die Halogene für Röntgenstrahlen relativ schwer
durchgängig sind und darin den Metallen ähneln. So machen die
viel. angewandten Jodverbindungen im Röntgenbilde Schatten.
Jodoform und Jodoformglycerin sind: deshalb vielfach verwendet
Abb 1.
worden zur Darstellung von Fisteln und Gelenkhöhlen, welche
sich ohne Kontrastfüllung nicht nachweisen lassen. _
Ein Jodpräparat, welches lange Zeit zur Resorption”braucht
und außerdem durch sein Vebikel noch im Gewebe als Fremd-
een wirkt und bindegewebige Infiltrationen hervorruft, ist das
odipin. l
Die Einspritzungen von hochkonzentriertem Jodipin geben
im Röntgenbilde Schatten, welche, wie später noch gezeigt
werden soll, zunächst ohne weiteres als körperfremd
erkannt werden können. Nach längerer Zeit aber verändern
sich die Schatten so, daß sie mit andern abnormen Schatten-
bildungen verwechselt werden können. Die Jodipinmasse
bleibt nicht kompakt, sondern verteilt sich, und so zerfällt
masse kleiner und kleinster Flecken, welche sich weit
zerstreuen. |
Mittler hat 1903 die Beobachtung derartiger Jodipin-
schatten in der Muskulatur beider Oberschenkel mitgeteilt.
Er hat sich vorgestellt, daß es durch das Jodipin ver-
Landow hat -solche Herde aus dem Unterhautfettgewebe
herausgeschnittenZundf#gefunden, daß das Fett Jodreaktion
Verkalkungen konnte er ausschließen.
Hürter hat eine Beobachtung mitgeteilt, wobei es
sich um die Vortäuschung von Lungenherden durch Nieder-
schläge nach Jodipininjektionen handelte. Grödel bildet
in seinem Buche über die Röntgendiagnostik der Herz- und
(Gefäßerkrankungen derartige „traubenförmige und strich-:
förmige Schatten, die von Jodipininjektionen berrühren“,
ab, welche auch die oberen Partien beider Lungen-
folder bedecken und leicht für Lungenherde gehalten
werden könnten. |
In dem von mir beobachteten Falle haben die Jodipin-
schatten längere Zeit zur falschen Diagnose und damit
zur Beunruhigung des Kranken, eines Kollegen, Anlaß gegeben.
Der 53jährige Patient brachte mir eine Platte mit der Bitte,
zu sagen, als was die auf der Platte in den beiden Lungenfeldern
sichtbaren fleckigen Schatten -zu deuten seien. $7
- Er gab an, .daß er seit seiner Jugend an tachykardischen
Anfällen leide, in letzter Zeit aber stärkere Herzbeschwerden,
asthma- und anginaartige Anfälle habe. Wegen dieser Herz-
orscheinungen war diè Aufnahme vom. behandelnden Arzt- gewünscht.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —-Nr. 50.
En has . x .
15. Dezember,
ı worden, um etwaige Veränderungen. speziell.:an der Aorta’ fest-
. zustellen. paa
Der Patient hatte vor 31 Jahren:Lues gehabt. Vor einem
Jabre war ein Hautrezidiv. aufgetreten, welches mit Quecksilber-
und Jodipineinspritzungen behandelt wurde.
. Die Röntgenaufnahme : war. in. dorsoventraler Richtung ge-
macht und es fanden sich beide Lungenfelder, namentlich im Be-
| . :- reiche :beider Unterlappen,: übersät: mit kleinfleckigen,
unscharf konturierten. Schatten, welche von ‚Lungen
herdschatten sich in nichts unterschieden. -(Abb;;1.)
Die . Diagnose eines Liungenprozesses lag ‚nahe
‚und wurde auch in Erwägung gezogen, besonders da
der Patient zeitweise ` leichten Husten mit etwas
schleimigem Auswurf hatte. A x
Die objektive Untersuchung ergab freilich nichts,
was dazu stimmte, da nur ganz vereinzelte trockene
Rasselgeräusche ohne :jede Veränderung des Atem
geräusches . oder des . Perkussionsschalles vorhanden
waren. RA. ASN | |
Ich erinnerte. mich der Arbeit von Hürter und
` wurde durch Vergleichen der dort mitgeteilten Bilder
mit dem mir vorgelegten in. der Ansicht‘ bestärkt, dab
es sich um Schatten handle, welche durch Niederschläge
von Jodipininjektionen erzeugt waren. Die Injektionen
waren auch in den Rücken beiderseits gemacht worden,
Die genaue Röntgenuntersuchung mit Beobach-
tung des Verhaltens der Schatten bei, der Atmung,
der Drehung, bei verschiedener : Röhrenstellung OA
und auch die ventrodorsale Aufnahme -ergab nun; dab
die Schatten nicht innerhalb des Thorax lokalisiert
waren, sondern im Bereich der Weichteile des Rückens.
Damit war die Diagnose gesichert und der Patient
einer schweren Sorge, welche ihn als Arzt natürlich
sehr bedrückt hat, enthoben. E.
Die Täuschung wäre vermieden worden, . wem
durchleuchtet worden wäre, oder wenn noch eine Auf
nahme in ventrodorsaler Richtung gemacht worden wäre. Bei
der Röntgenuntersuchung innerer Krankheiten -ist die Durch-
leuchtung fast von größerer Wichtigkeit als die Röntgenaufnehne
und sollte nie versäumt werden, wenn auch die Fixierung des
Befundes mit Hilfe der Aufnahme wünschenswert erscheint..
‚Hürter hat nun schon die Frage aufgeworfen, worauf di
Schatten zurückzuführen sind, ob sie durch das Jodipin direkt,
p: ; Abb. 2.
oder durch sekundäre Verdichtungen bindegewebiger Art in
dem
Unterhautfettgewebe oder in der Muskulatur veranlaßt sind, Gegel
die letztere Annahme führt er mit Recht die Schärfe der Schatten
in der ventrodorsalen Aufnahme an, welche an Metallschatten or
innert. Er [versuchte, die Schatten durch Injektionen 10 figen
Jodipins in Mengen von 4 bis 8 cem zu erhalten, aber ohne Er
folg. Auch einige Zeit nach den Injektionen waren Schatten. Del
zu sehen. Er. glaubt deshalb nicht, daß die Schatten das Jodipi
15. Dezember. 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 2029
einen Schatten. Freilich wird an der typischen Stelle der In-
jektion, in der Glutäalgegend, der ganz unbedeutende Schatten
kaum jemals Täuschungen hervorrufen können...
Wir haben bei einem mageren, 17jährigen Paralytiker, dessen
selbst darstellen, sondern meint, daß das Jodipin verändert
sein müsse. | |
Die negativen Ergebnisse Hürters waren mir auffallend, da
doch alles dafür spricht, daß das Jodipin selbst die Schatten macht
Be
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EAr. ”.
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Abb. 8,
und von anderer Seite schon darauf hingewiesen war, daß die
Sehatten schon bei frischen Injektionen sichtbar sind. Ich richtete
deshalb mein Augenmerk auf sölehe Befunde und suchte den bei
meinem Patienten erhobenen Befund nachzuahmen, indem ich bei
einem luetischen Patienten in die rechtsseitige Rückenhaut 10 ccm
einer 250/,igen Jodipinemulsion einspritzte.e Die eingespritzte
Masse stellt sich im Röntgenbild als derber Schatten dar, welcher
etwas strahlig zerfetzt ist. (Abb. 2.)
. Die anfangs kompakte Masss löst sich nach und nach zu
zerstreuten, kleineren Herden auf, welche demgemäß im Röntgen-
bild6 mehr weniger große, fleckig zerstreute, scharf konturierte
Schatten machen, welche wohl den Eindruck von Lungenherden
machen können, wenn sie gerade in das Lungenfeld fallen.
Wir haben den Patienten 157 Tage nach der ersten, 99 Tage
nach der zweiten in die linke Schultergegend gemachten Injektion
zuletzt phötögraphieren können und sehen auf diesem Bilde, daß
die Zerstreuung der Schatten schon erheblich vörgeschritten
ist. (Abb, 3.) l
— Es ist keine Frage, daß das Jod des Jodipins selbst die
Schätten macht, mäg auch später das Jod vielleicht in eine andere
Bindung übergeführt sein. Es ist interessant, zu sehen, wie lange
das Jod unausgenutzt liegen bleibt.“ Daß Hüter bei seinen Ver-
suchen keine Resultate hatte, mag wohl darauf zurückzuführen
sem, daß er nur 10'/siges Jodipin in kleinen Quantitäten einge-
spritzt hat. Das verdünnte Jodipin ist allerdings schlecht zu
sehen, wovon wir uns in neuerer Zeit gelegentlich der nach dem
Vorgange von Rumpf bei chronischem Gelenkrheumatismus aus-
geführten Injektionen von kleinen Mengen 5°,yigen Jodipins in die
Gelenke auch selbst überzeugen konnten. | |
Wegen der praktischen Wichtigkeit möchte ich noch eines
Versuchs gedenken, welchen ich anstellte. Bekanntlich .ist eine
Anwendungsform des Salvarsans, das Joha Schindlers, eine
Lösung von Salvarsan in Jödipin. Es interessierte uns, zu sehen,
ob eventuell dieses Präparat Schatten im. Röntgenbilde machen
könne. Die Jodipinmenge ist zwar sebr gering, die Konzentration
ebenso; aber da das Arsen ebenfalls für Röntgenstrahlen schwer
durchlässig ist, war nicht auszuschließen, daß die Injektionsmasse
im Röntgenbilde zu sehen sein werde. Tatsächlich gibt das Joha
Erkrankung auf hereditärer Lues beruht, Salvarsan einmäl in der
Form des Joha gegeben, und zwar in die Rückenmuskulatur zwischen
Schulterblatt und Wirbelsäule. Die Röntgenaufnahme läßt deutlich
einen streifenförmigen Schatten an der Stelle der Injektion .sehon,
welcher wochenlang in gleicher Stärke .böstehen blieb und noch
bei Entlassung. des Kranken. .genau so. nachzuweisen war wie direkt
nach. der Einspritzung. Theoretisch. müßte: dieser. Befund gegen
die Anwendung des Salvarsans in dieser: Form sprechen.. Wenn
auch das Joha kaum zu Täuschungen Anlaß geben wird, so ist
doch auch dieser Versuch ein Beweis, wie vorsichtig man mit: der
Beurteilung außergewöhnlicher Röntgenbefunde sein muß, >- . .
In der inneren Medizin spielt eben nicht ‚die Röntgentechnik
die Hauptrolle, sondern es bedarf größter Sorgfalt, Kritik- und Er-
fahrung in der Deutung der Befunde unter eingehendster Berück-
sichtigung des Krankheitsbildes und des klinischen Befundes.
.„ „Literatur. Hürter, Verdichtungen im Lungengewebs,. ‚yorgetäuscht
durch Niederschläge nach Jodipininjektionen. (Zt. f. Röntg. 1911, Bd. 13, H. 1.
— Landow, Röntgenbefund nach Jodipirinjektiohen. (M. med. Wach. 1903
S. 1634.) — Mittler, Vereinsbericht. (F. d. Röntg. Bd. 6, S. 208/09. — Albers-
Schönberg-Stegmann. (Hbenda, S.233) . a ee
| (Direktor: Göheimrät v. Strümpell) <- =:
Die Atophantherapie beim akuten Gelenk-
o . rheumatismüs - Be
| ön o EN o
Dr. H. Oeller, Assistenzarzt der Klimik. `
-~ -Die Ätöphantherapie hät-in den lötäten Jáhrėn auf die von
verschiedenen Seiten mitgeteilten günstigen Erfahrungen bin ine
große Ausdehnung genommen, wobei hauptsächlich Behändlungs-
versuche bei der Gicht unternommen wurden, die im ganzen dürchaus
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Löipzig: :
. \
Ð > .
Polyarthritis gefunden. u |
An der Leipziger medizinischen Klinik wird das Atophan in
ausgedehnterem Maße seit April 1911 gebraucht, doch beschränkte
sich seine Anwendung ursprünglich hauptsächlich auf die Böhand-
‘lung der Gicht. Die Fälle von echter Gicht sind im hiesigen
Krankenhaus im ganzen nicht besonders häufig, sodaß auch
unsere Erfahrungen hierüber gegenüber anderen Mitteilungen nur
gering sind. Bei den zur Beobachtung gelangten: Fällen ‚haben.
wir, naämentlich-bei Behandlung des aKuten Gichtanfälls mit Atophän
die gleich günstigen. Erfahrungen gemacht, wie’ sie von verschiedenen
andern Seiten bisher mitgeteilt. wurden. ae
‚Das Hauptanwendungsgebiet.des Atophans ‚waren -die Fälle
akuter Polyarthritis rheumatica, die uns in großer Zahl. zugegangen
.
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TORA
2030 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
waren. Systematische Untersuchungen mit Atophan bei Poly-
arthritis haben wir im Sommer 1911 begonnen und haben nament-
lich in der ersteren Zeit, um brauchbare Vergleiche zu bekommen,
wechselnd einen Teil.der Fälle ausschließlich mit den gebräuch-
lichen Salicylsäurepräparaten, einen andern Teil ausschließlich mit
Atophan behandelt. Wir sind bei der Verabreichung von Atophan
in der Weise vorgegangen, daß wir einen kleinen Teil der Fälle zwei
bis drei Tage lang nur indifferent behandelten, um einerseits Spontan-
besserungen ausschließen zu können und um anderseits vor der
Atophandarreichung Harnsäurebestimmungen bei purinfreier Diät
machen zu können, auf die später noch kurz zurückzukommen ist.
Wir gaben dann ursprünglich bei den typischen, meist hoch-
fiebernden Polyarthritiden das Atophan in der Weise, daß die
Patienten drei Dosen à 1 g über den ganzen Tag verteilt nahmen,
wobei meist schon am ersten oder zweiten Tag eine typische, oft
fast kritische Entfieberung mit raschem Zurückgehen der objek-
tiven Symptome und entsprechender Besserung der subjektiven Be-
schwerden eintrat. Meist wurden dann weiterhin am zweiten und
dritten Tage die gleichen Mengen Atophan gegeben, wobei im
ganzen zahlreiche Dauerheilungen gesehen wurden. Bei einer
Reihe von derartig behandelten Fällen haben wir beobachtet, daß
nach Temperaturabfall oder auch völliger Entfieberung des ersten
Tages am zweiten und auch am dritten Tage noch eine abend-
liche Temperatursteigerung, häufig noch über 38% unter mäßiger
Zunahme der subjektiven Beschwerden auftrat. Meist waren aber
längstens am vierten Tage die Gelenke abgeschwollen, die Be-
wegungen nicht mehr schmerzhaft und die Temperatur normal.
Die Dosierung und die Darreichungszeiten des Atophans
wurden fernerhin verschiedentlich geändert und es wurden fast bei
jeder Modifikation gute Erfolge gesehen. Die besten Resultate er-
zielten wir aber zweifellos dann, wenn wir eine Gesamtdosis von
zirka 3 g in der relativ kurzen Zeit von sechs Stunden in kleineren
Einzeldosen & 0,5 g verabreichten. : Meist besserten sich schon nach
drei bis vier Stunden die subjektiven Beschwerden ganz erheblich
und eine Reihe von Patienten war nach sechs Stunden zum
mindesten wesentlich gebessert, manche sogar oft völlig schmerz-
frei. Bemerkenswert bei der Atophantherapie des akuten Gelenk-
rheumatismus, namentlich bei der genannten Verordnungsweise,
ist das auffallend rasche Zurückgehen der entzündlichen Rötung
der befallenen Gelenke, zum Teil auch das Zurückgehen der
Schwellungen; wir haben mitunter innerhalb sechs Stunden ein
Zurückgehen der Umfangmasse z. B. an den Kniegelenken um
2 cm und mehr beobachtet! Es muß also jedenfalls die Atophan-
wirkung eine außerordentlich prompte sein, die auch be-
sonders deutlich aus der Temperaturkurve zu ersehen ist. Wenn man
je 1/2 Stunde nach Einnahme eines jeden t/2 g Atophan nachmessen
läßt, so sieht man, wie Abb. 1 zeigt, die eine von unsern
zahlreichen ähnlichen Temperaturkurven wiedergibt, wie von Dosis
zu Dosis die Temperatur abfällt, um oft schon nach fünf bis sechs
Stunden die Norm zu erreichen.
Atophan
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Abb. 1.
Wir können die erwähnte Dosierungsart durchaus empfehlen
und möchten noch erwähnen, daß wir bei nicht eingetretener ge-
nügender Entfieberung auf sechsmal 0,5 g Atophan hin keinen
Anstand genommen haben, weiterhin in ähnlicher Weise auf achtmal
0,5 g zu steigen. Wir haben dabei allerdings mitunter doch
stärkere Schweißausbrüche beobachtet, die fast völlig ausgeblieben
sind, wenn man die Gesamtdosis von Atophan auf größere Zeit-
abschnitte verteilt hat. Bei den großen Vorzügen dieser Behand-
ungsart spielen sie jedoch nur eine ganz untergeordnete Rolle.
Als Gesamttagesmenge haben wir 3 g Atophan nur in sel-
enen Fällen überschritten und haben anfangs wenigstens auch bei
15. Dezembir.
dem letztgenannten Verteilungsmodus noch am zweiten und dritten
Tage die gleiche, bisweilen kleinere Mengen von Atophan gegeben
und dabei gesehen, daß die früher beobachteten Temperatursteige-
rungen des zweiten und eventuell auch noch des dritten Tags
auffallend seltener wurden.
-An Hand einer weiteren Reihe‘ von Fällen“ zeigte sich aber
oft, daß eine Darreichung von sechsmal 0,5 g Atophan innerhalb
sechs Stunden allein schon genügt, um den akuten, oft schweren
Anfall von Polyarthritis rheumatica dauernd zu beseitigen, da sich
bei manchen Fällen, die schon nach sechs bis acht Stunden ent-
fiebert und fast schmerzfrei waren, die Heilung auch ohne weiter
Verabreichung von Atophan oder eines andern Antirheumatieuns
während der folgenden Zeit als dauernd erwies.
Wenngleich uns die Gesamttagesdosis von 3, höchstens 4 g
Atophan, die fast ausnahmslos ohne. jede Nebenwirkung ertragen
wird, als die ‚geeignetste erscheint, so kann man: doch umgekehrt,
namentlich bei Fällen leichterer Art, doch auch bei Fällen mittel-
schwerer Art, mit wesentlich kleineren Dosen ausgezeichnete Br-
folge ‚haben. Sichere Heilungen haben wir mit viermal.05g
Atophan, in vier Stunden gegeben, wiederholt auch bei schweren
und mittelschweren Fällen gesehen, ein’ Fall, der hochfiebernd mit
zahlreich befallenen Gelenken zugegangen war und nach dem Qe-
samtzustande zum mindesten zu den mittelschweren Fällen ge
rechnet werden mußte (wenn eine solche Gradeinteilung bei da
typischen, hochfiebernden Polyarthritisfällen dem Zustandsbilde
nach überhaupt zulässig ist), ist nach abendlicher Verabreichung
von zweimal 0,5 g Atophan in zwei Stunden mit kritischen Tem
peraturabfall am andern Morgen absolut entfiebert und schmerzfrei
gewesen. a A EIER
Es ist also auch bei der Atophantherapie -der akuten Poly-
arthritis ein Individualisieren am Platze, ‚was -namentlich für die
Fälle gilt, auf die später noch zurückzukommen ist, die nicht s
prompt innerhalb kurzer Zeit durch Atophan zur Heilung kommen
oder immer wieder zu Rezidiven neigen. Ein vorsichtiges Ab-
wägen bei der weiteren Verabreichung von Atophan ist auch ähn-
lich wie bei Verabreichung anderer: prompt wirkender Anti
rheumatieis dann angezeigt, wenn die Temperatur, wie wir e
manchmal namentlich bei jüngeren Patienten gesehen haben, am
ersten, häufiger erst am zweiten Tag unter normale Werts ab
fällt. Wir haben häufig einen prompten Temperaturabfall bis 3,
in seltenen Fällen auch bis 35,60, einmal sogar 35,4% beobachtet,
ohne daß wesentliche subjektive Störungen eingetreten wären. Bei
Aussetzen des Atophans stellt sich die Körpertemperatur innerhalb
kürzester Zeit auf normale Werte ein, und wir haben bei neue-
lichem Auftreten von Fieber jedesmal ohne Schaden abermals
Atophan in wechselnden Dosen gegeben.
Wir haben uns in letzterer Zeit bei der weiteren Dosierung
des Atophans am zweiten und dritten Tag im wesentlichen nach
dem bereits erzielten Erfolge des ersten Tags gerichtet und dis
weitere Vorgehen nach der Besserung des subjektiven Befindes,
dem Rückgange der Schwellungen, dem Abfalle der Temperatur,
namentlich aber nach dem Verhalten des Pulses bestimmt, inden
wir anscheinend mit Recht auch am zweiten und dritten Tage mi
der Atophantherapie fortfuhren. wenn zwar die Temperatur sog
bis zur Norm abgefallen war, die Pulsfrequenz sich aber. noch über
der Norm hielt. Bei solchen Fällen zeigte es sich mitunter, da
bei Aussetzen der Therapie ein neuerlicher Temperatoranstieg iM
Abend eintrat, den wir möglicherweise bei ähnlich gelagerten
andern Fällen durch Fortsetzen der Therapie vermieden kaben.
Im ganzen kommt man also bei der Behandlung des akute
Gelenkrheumatismus mit Atophan mit relativ kleinen Dosen 20
sehr guten Resultaten, und es scheint uns hierin eine real
Ueberlegenheit des-Atophans den Salieylsäurepräparaten gegnllt
gegeben zu sein, noch dazu, wenn man berücksichtigt, daß Neben
wirkungen beim Atophan, ähnlich wie bei den Salioylek n
präparaten, überhaupt nicht in Erscheinung treten, abgese ii
von mäßigen, mitunter auftretenden Schweißausbrüchen, i
zweifellos mit der raschen Entfieberung zusammenhängen IN ke
Verwendung von Salicylpräparaten manchmal wesentlich p
auftreten. Wir haben nur bei einigen wenigen Patienten =
gehabt, wegen Magenstörungen leichterer Art Alkalien zu 8° i
haben aber, was auch für sämtliche übrigen mit Atophan ei
Iion Patienten gilt, nie irgendwelche Nierenschädigungen
achtet. À
Neuerdings hat Neukirch über seine Erfahrungen Ir
Atophan bei der Behandlung speziell des akuten Gelenkrheun eg
mus berichtet und namentlich auf Fälle hingewiesen, bel
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 2031
Salicylsäurepräparate (z. B. Aspirin) anfangs erfolglos angewandt
wurden, bei denen dann aber das Atophan mit rascher Entfiebe-
rung, wie die der erwähnten Arbeit beigegebene Temperaturkurve
zeigt, schnell zur Heilung führte. "Auch wir haben seit Beginn
unserer Untersuchungen über Atophan gerade auf derartige Fälle
ganz besonders geachtet und eine Reihe von Patienten heraus-
gefunden, die auf Salicylsäurepräparate in keiner Weise oder nur
sehr wenig gebessert wurden, während dann relativ kleine Mengen
von Atophan in kurzer Zeit Heilung erzielten. Wir verfügen über
eine Reihs ähnlicher wie in der Neukirchschen Arbeit wieder-
gegebener Kurven. Eine besonders typische derartige Kurve gibt
Abb. 2 wieder.
Aspirin 3X 1,0 Atophan 3X 1,0
een engeren
Euer z š a e
HENSNERENRENNEUNENENSEENONNEENERANEN JEHRNEN ANANE NERNEENRENEENERNENERERUERNNEZNRENEE Gegenteil traten unter der Behandlung
FHER H EA E Horzbeschwerden, ödematöse Schwellungen
aus
BEEERERBESEERERREEEENERHNRBREN: (EDUN unN’EBSNOESBARGEUNNENEGENNNGEnESE LALAT LTT, e i
10 | 60 | 39 Hrann aaao: an den Beinen und Husten auf. Nachdem
BERNER TOTTA Le ONTI NAS LAE ER ER TE US RR DU TUE I DER T U DE EU DR DE U U EDER RG U ER KIT FR DE DR ER DE ER DR LE ER I U “ig Ś 3
HEA H sio eine weitere Woche unbehandelt zu
20 | so | ss HEHEHEH HA n a NE H H Hause gelegen hatte, wurde sie hochfiebernd
EA EE mit zahlreich befallenen Gelenken dem Kranken-
HEHH HHHH A HeH haus überwiesen, wo sie von uns nach einiger
100 | 40 | 37 irp, Beobachtung in obenerwähnter Weise 4X 0,5
BENENSEEEHENENSENERERANNEENESHUGENNNNNNERENENNUGENENNGRNNEN SERNNENERRHANENSHEEERNBEN| S f 98
tororo EEEE NEHRNENENEERHNAUE Atophan bekam. Schon am zweiten Tage war
80 | 30 HHHH HHHH HHHH teer eO. die Frau entfiebert, die Gelenke zum größten
HHHH HH HH HH HP HH HH HH HHHH AH -HHHH HH x 1 A D
E EE Sn een
Abb. 2. |
Umgekehrt haben wir aber auch manchen Fall beobachtet,
besonders typisch allerdings nur bei zwei Fällen, bei denen nach
Versagen des Atophans in kurzer Zeit durch Aspirin eine Heilung
1erbeigeführt wurde.
Ganz besonders sei endlich hervorgehoben, daß also die
ypischen, meist hochfiebernden Fälle von Polyarthritis rheumatica
‚ur Atophanbehandlung sich eignen, und zwar um so mehr, je
her sie zur Behandlung kommen, während das Atophan bei den
"ällen, die man schon mehr den subakuten Fällen zuzurechnen
iat, schon nicht mehr so prompt zu wirken scheint.
Aehnlich verhält es sich auch bei Behandlung der Rezidive,
lie auch bei reiner Atophantherapie fast in gleicher Weise, keines-
alls aber häufiger als bei reiner Salicylsäuretherapie zur Beob-
chtung kommen, die meist ebenfalls nur weniger deutlich wie der
kute Anfall durch Atophan beeinflußt werden.
Im ganzen hat sich also das Atophan als ein äußerst wirk-
ames Antirheumaticum bei Behandlung des akuten Gelenkrheuma-
ismus bewährt, und wir geben ihm entschieden bei seiner zweifel-
08 prompteren und für den Patienten gelinderen Wirkungsweise
or den Salicylsäurepräparaten den Vorzug, wenngleich auch mit
itzteren ebenfalls sehr gute Erfolge zu erzielen sind, jedoch in
leich schneller und prompter Weise meist nur mit relativ großen
)osen von Salicylsäurepräparaten, die aber doch häufig un-
ngenehme Nebenwirkungen verursachen, während solche bei Ge-
rauch der 2-Phenylchinolin-4-Carbonsäure fast durchweg fehlen.
Noch wesentlich größer wäre natürlich die Bedeutung des
‚tophans, wenn bei seiner Verwendung die Folgeerscheinungen
er Polyarthritis, die Erkrankungen des Myo- und Endokards aus-
leiben würden. Hierüber müssen weitere Erfahrungen Aufschluß
eben; vorläufig können wir nur feststellen, daß wir bei solchen
ällen, die längere Zeit zur Entfieberung brauchten und wieder-
olte Atophanbehandlung nötig hatten, also bei rezidivierenden
ällen, zweifellos frische Endokarditiden beobachtet haben, während
ir sie bei den in der überwiegenden Mehrzahl vertretenen, von
ornherein unkomplizierten Fällen, die in typischer Weise in ein
ls zwei (höchstens in drei) Tagen entfiebert und schmerzfrei
aren, bisher wenigstens nie mit Sicherheit auftreten sahen.
Bei der von vielen Seiten oft geübten großen Vorsicht, bei
'hon bestehenden Herzerkrankungen den Gebrauch der Salieyl-
iurepräparate selbst bei Behandlung der akuten Polyarthritis nach
öglichkeit einzuschränken, war es von ganz besonderem Interesse,
e Atophanwirkung auch bei solchen Fällen zu prüfen. Wir haben
iederholt Fälle gesehen, die mit einer frischen, schweren Poly-
thritis und einem schon längere oder kürzere Zeit bestehenden,
im Teil mehr oder weniger dekompensierten Vitium ins Haus
men, die durch Atophan prompt von dem neuerlichen Poly-
ithritisanfalle geheilt wurden und bei denen ohne jegliche speci-
che Herztherapie die Dekompensations- und sonstigen nicht ir-
parablen Erscheinungen rasch zurückgingen. Nach anfänglicher
rsichtiger Dosierung des Atophans bei solchen Fällen haben wir
in der letzten Zeit in der gewöhnlichen von uns geübten Weise
verabfolgt (4—6 X 0,5 g), und im ganzen, soweit das Atophan
bei manchen schwersten Fällen nicht überhaupt versagte, nur gute
Erfolge gesehen und namentlich nie eine Zunahme der Herz-
erscheinungen beobachtet.
Es liegt nicht im Rahmen dieser Mitteilungen, einschlägige
Krankengeschichten aufzuführen, ich möchte hier jedoch kurz auf -
einen besonders typischen Fall hinweisen, der uns nach vier-
wöchentlicher Krankheitsdauer mit einer schweren Polyarthritis
und einem deutlich dekompensierten Vitium (Mitralinsuffizienz und
Stenose) zuging. Die 35jährige Frau hatte innerhalb der ersten
drei Krankheitswochen 60 Tabletten Aspirin auf ärztliche Verord-
nung genommen, ohne daß eine wesentliche Besserung der Gelenk-
schmerzen zu verzeichnen gewesen wäre, im
ohne specifische weitere Herzbehandlung zu-
rück. Nach einigen unbedeutenden Handgelenkrezidiven konnte die
Patientin nach ungefähr drei Wochen beschwerdefrei entlassen werden.
Auf Grund dieser günstigen Erfahrungen wollen wir in Zu-
kunft auch bei specifisch rheumatischen Perikard- und Pleuraerkran-
‚kungen Versuche mit Atophan machen.
Bei der therapeutischen Verwendung des Atophans bei Fällen
subakuter Polyarthritis, namentlich aber bei Fällen chronischer
Gelenkrheumatismen haben wir im ganzen keine besonderen Er-
folge gesehen; es hat namentlich bei den Fällen von chronischem
Gelenkrheumatismus, bei denen bei den vorhandenen organischen,
mehr oder minder fortgeschrittenen Gelenkveränderungen eine
wesentliche therapeutische Wirkung schon von vornherein unwahr-
scheinlich schien, im ganzen meist versagt; die mitunter erzielten
subjektiven und objektiven Besserungen waren aber wohl haupt-
sächlich auf das Zurückgehen meist gleichzeitig vorhandener
frischerer, entzündlicher Erscheinungen zurückzuführen.
Weiterhin haben wir auch Erkrankungen mit Atophan be-
handelt, die man gewöhnlich den „Rheumatoiden“ zuzurechnen
pflegt. Ich möchte hier nur das Erythema nodosum erwähnen,
von denen in fünf Fällen zwei Fälle bei ausschließlicher Atophan-
darreichung in deutlicher Weise sehr günstig beeinflußt wurden,
indem sie schon nach drei beziehungsweise vier Tagen fieberfrei
waren, während die übrigen weder durch Atophan noch Salicyl, in
kürzerer Zeit wenigstens, nennenswert gebessert wurden.
Auch bei einer Reihe anderer Gelenkerkrankungen haben wir
selbst im akuten Stadium mit Atophan keine wesentlichen Erfolge
gesehen, und ich möchte besonders hier unsere Mißerfolge bei
einer großen Zahl von gonorrhoischen Monarthritiden hervorheben;
auch die von andern Seiten mitgeteilten günstigen Erfahrungen
bei Ischias können wir nicht bestätigen.
Die besten, oft überraschenden Erfolge haben wir also bei
der therapeutischen Verwendung des Atophans bei Fällen von
akuter Polyarthritis rheumatica gehabt, Seine günstige Wirkung
bei Behandlung der Gicht, einer Erkrankung des Harnsäurestoff-
wechsels, ist bei der harnsäuremobilisierenden Eigenschaft der
Phenylchinolincarbonsäurepräparate, besonders nach den vorliegenden
diesbezüglichen Untersuchungen der letzten Jabre im Sinne von
Nicolaier und Dohrn hinreichend verständlich geworden, nicht
aber seine prompte Wirkung beim akuten Gelenkrheumatismus,
der doch zweifellos eine Infektionskrankheit darstellt. Es wäre
dabei natürlich an die Möglichkeit zu denken, daß auch beim
akuten Gelenkrheumatismus Störungen im Harnsäurestoffwechsel
bedingt wären, doch liegen hierfür weder klinisch noch patho-
logisch-anatomisch sichere Anhaltspunkte vor. |
Um über diese Frage Einblick zu bekommen, haben wir bei
einer Reihe von Polyarthritisfällen die Harnsäureausscheidung unter
Atophangebrauch bei purinfreier Kost bestimmt und sind dabei,
wie oben erwähnt, in der Weise vorgegangen, daß wir während
zwei bis drei Tagen bei purinfreier Diät eine Anzahl von Fällen
vor Atophandarreichung nur indifferent, symptomatisch behandelten.
Die für die Vorversuchstage ermittelten Harnsäurewerte schwanken
i!
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nr -
2032 = 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember
im Durchschnitte zwischen 0,2 und 0,3 g, entsprechen also durchaus
Werten, die von den meisten Voruntersuchern bisher in ähnlicher
Weise beim normalen, purinfrei genährten Menschen ermittelt
wurden.
Mit Einsetzen der Atophantherapie trat nun eine meist deut-
lich stark vermehrte Harnsäureausscheidung ein, indem nun, zum
Teil je etwas abhängig von der Menge des verabreichten Atophans,
täglich 0,6 bis 0,8 g, einige Male sogar bis 1 g und darüber
Harnsäure ausgeschieden wurde. Wie aus der vorliegenden Lite-
ratur zu entnehmen, sind ähnliche Steigerungen von den Vor-
untersuchern auch beim normalen, purinfrei genährten Menschen
festgestellt worden, sodaß also die Vermehrung der Harnsäureaus-
scheidung bei Polyarthritiskranken unter Atophanwirkung als nicht
über die Norm gesteigert anzusehen ist. In so weiten Grenzen
(wie z. B. Ausscheidung von 0,2 g U während der Vorver-
suchstage und 1 g U am zweiten Atophantage) schwankte
die Harnsäureausscheidung nicht in jedem Falle, wir haben auch
Fälle beobachtet, bei denen nur eine Steigerung von 0,2 auf 0,4
bis 0,5 g U auftrat. Jedenfalls blieb bei keinem der Patienten
wenigstens eine angedeutete Harnsäurevermehrung unter Atophan-
wirkung aus, um dann nach Aussetzen des Mittels am nächsten
Tage gewöhnlich unter die Norm abzufallen und sich nach ein
bis zwei Tagen wieder auf normale Werte einzustellen. Zweifel-
los sind noch weitere Untersuchungen über den Harnsäure-
stofiwechsel beim akuten Gelenkrheumatismus nötig, namentlich
ähnliche Untersuchungen, wie sie bei Gicht zur Atophanfrage
oder wie sie von v. Hösslin und Kato beim chronischen Ge-
lenkrheumatismus gemacht wurden, ehe ein definitives Urteil in
dieser Frage gefällt werden kann, doch scheint uns aus unsern
bisherigen Untersuchungen und Beobachtungen hervorzugehen, daß
die prompte therapeutische Wirkung des Atophans beim akuten.
Gelenkrheumatismus unabhängig ist von der Höhe der unter Ato-
phanwirkung vermehrt ausgeschiedenen Harnsäuremengen. Denn
wir haben wiederholt Fälle beobachtet, die bei einer Steigerung
von 0,3 g (Durchsehnittswert der U-Mengen von zwei Vorver-
suchstagen) unter Atophanwirkung auf 0,5 bis 0,6 g genau so
kritisch entfiebert wurden als anderseits Fälle, die eine Steigerung
bis auf 1 g und darüber aufwiesen. Da sich also ein regelmäßiger
Zusammenhang zwischen (positivem und auch negativem) thera-
peutischem Erfolg und zwischen dem Ausfalle der Stärke (und
Dauer) der vermehrten Harnsäureausscheidung unter Atophan-
gebrauch bei Polyarthritis rheumatica acuta nicht nachweisen läßt,
so glauben wir aus diesen Beobachtungen entnehmen zu dürfen,
daß die prompte therapeutische Wirkung des Atophans beim
akuten Gelenkrheumatismus nicht auf seiner harnsäuremobilisieren-
den Eigenschaft beruht. Gerade hierzu ist unter Einschränkung
auch noch zu berücksichtigen, daß das Atophan z.B. bei den
gonorrhoischen, selbst frischen Arthritiden im ganzen versagt, bei
denen genau die gleichen Harnsäuresteigerungen unter Atophan-
behandlung festzustellen sind. Vielmehr muß man annehmen, daß
seine Wirkung beim akuten Gelenkrheumatismus eine specifische
sein muß, da wir einerseits bei andersartigen Gelenkerkrankungen,
namentlich bei den gonorrhoischen Arthritiden, fast keine Erfolge
gesehen haben und da wir anderseits bei den bisher mit Atophan
versuchsweise behandelten Infektionskrankheiten (Pneumonie, An-
gina usw.) außer einer leichten antipyretischen Wirkung keinerlei
Einfluß bemerken konnten.
Es ist also die 2-Phenylchinolin-4-carbonsäure in ihrer Wir-
kung beim akuten Gelenkrheumatismus auf gleiche Stufe mit den
specifisch wirkenden Salicylsäurepräparaten zu stellen.
Endlich möchte ich noch über zwei Beobachtungen berichten,
die man zwar nicht regelmäßig, aber doch bei dem größten Teile
derjenigen Patienten machen kann, die aus irgendeinem Grunde
Atophan bekommen. m ,
Abgesehen von dem wohl allgemein bekannten typischen,
meist sehr intensiven „Atophangeruch“ des Urins tritt
bei diesen Patienten häufig schon bei kleinen Dosen, noch mehr
aber bei größeren Dosen von Atophan oft. schon nach einer halben
bis einer Stunde ein eigentümlicher, auch nach Aussetzen des
Mittels noch zwei bis drei Tage anhaltender Geruch auf, der zweifel-
los an den Geruch des Atophans selbst erinnert und bisweilen
sehr specifisch und intensiv selbst auf größere- Entfernungen
wahrnehmbar ist. Hand in Hand mit dieser Beobachtung geht
eine zweite ähnliche, insofern nämlich, als_die Haut manches mit
Atophan behandelten Patienten, die Ja entsprechend dem Fieber
usw. meist etwas feuchter als normal ist, sich überdies noch eigen-
tümlich fettig anfühlt, ähnlich wie man es bisweilen bei Urämi-
schen, allerdings in wesentlich stärkerem Grade,:beobachten kann.
Daß diese Erscheinung an der Haut sowie der erwähnte auf.
fallende Geruch mit dem Harnsäurestoffwechsel, insbesondere mit
einer Ausscheidung von Härnsäure durch die Hautsekrete zp
sammenhängen könnte, schien’ von vornherein unwahrscheinlich,
wir haben auch den Schweiß von mit Atophan behandelten Poly-
arthritiskranken vergeblich auf Harnsäure untersucht. Da die
meist nur geringen abwischbaren Hautsekrete sich selbst so eigen-
tümlich fettig anfühlen und ebenfalls den an Atophan erinnernden
Geruch erkennen lassen, so liegt der Gedanke nahe, daß auc
durch die Haut, ähnlich wie durch den Urin, Abbauprodukte dar
2-Phenylehinolin-4-carbonsäure ausgeschieden werden könnten.
Bekanntlich geben nach den Mitteilungen von Skorezewski
und Sohn Atophanharne vier charakteristische Reaktionen, die
aber nach unsern Erfahrungen nicht regelmäßig positiv ausfallen
Am häufigsten ist die Probe mit konzentrierter HCl (Zeisiggelb-
färbung von konzentrierter HCI bei Zusatz von Atophanharı) un
weiterhin noch nach längerem Stehen die Diazoreaktion (auch
nach Entfieberung!) positiv, während die andern beiden Reaktionen
(Auftreten eines gelben statt normalerweise rosagrauen Nieder-
schlags bei Zusatz von Phosphorwolframsäure, und ferner Avt
treten einer dunkelgrünen Verfärbung bei Zusatz von Ammonium
sulfat und Ammoniak) nur in manchen Fällen einwandfreie positive
Resultate geben. Es entzieht sich unserer Beurteilung, inwieweit
diese Farbenreaktionen specifisch für die Phenylchinolincarbor-
säure oder deren Abbauprodukte im Harne sind, noch dazu, di
nicht einmal eine der vier Proben bei jedem Atophanharae regel
mäßig positiv ist und alle vier der charakteristischen Proben ur
in Ausnahmefällen bei dem gleichen Harne positiv ausfallen.
Wir haben es anfangs leider verabsäumt, den Schweiß vo
Atophanbehandelten zur Untersuchung zu sammeln; die in dır
letzten Zeit mit den vier Proben mit allerdings ungenügende
Mengen gemachten Reaktionen waren durchaus negativ.
Und doch glaube ich bei dem typischen Geruch und bei der
eigentümlichen Beschaffenheit der Haut, daß ein Teil der Abhar
produkte der Phenylchinolincarbonsäure auch durch die Haut sur
geschieden wird. |
Literatur: Nicolaier und Dohrn, Ueber die Wirkung der Chinoin
carbonsäuren und ihrer Derivate auf die Ausscheidung der Harnsäure, (D. A.
f. kl. Med. 1908, Bd. 93.) — Tschernikow und Magat, Zur Frage des Bin
flusses der Phenyleinchoninsäure (Atophan) auf die Harnsäureausscheidung bi
Gicht und Rheumatismus, (Charkower med. J. April 1910.) — Heller, Atopbau
bei Gicht und akutem Gelenkrheumatismus. (Berl. kl. Woch. 1911, Nr. 2) -
Georgiewsky, Phenylcinchoninsäure (Atopban) bei Gicht. (D. med. Woch
1911, Nr. 22.) — Weintraud, Die Behandlung der Gicht mit Phenylehinolir
carbonsäure (Atophan) nebst Bemerkungen über die diätetische Therapie der
Erkrankung. (Th. d. G. März 1911.) — Derselbe, Weitere klinische Erlat-
rungen mit Atophan nebst Bemerkungen über Gicht und harnsaurd Diathest.
(Th. Mon., 26. Jahrg., Januar 1912.) — Skorczewski und Sohn, Ueber un
im Atophanharn auftretende charakteristische Reaktionen. (Wr. kl. Woch. 1,
Nr. 49.) — Neukirch, Atophan bei Polyarthritis. (Th, Mon. 1812, Nr.3) x
v. Hösslin und Kato, Uebst Harnsäureausscheidung bei Gicht und Gelo
rheumatismus. (D. A. f. kl. Med. 1910, Bd. 99.)
Die Radikaloperation der Inguinalhernie)
von
Prof. Dr. Dreesmann, Köln.
Bezüglich der Radikaloperation der Inguinalhernie nn
sich heute zwei Auffassungen gegenüber. Die eine vertritt o
Standpunkt, daß es genüge, den Bruchsack völlig zu est pl
ohne daß eine Grubenbildung an der Innenseite des Peritoneum
zurückbleibt. — Diese Auffassung wurde noch kürzlich 2 i
méris verfochten. — Auf der andern Seite wird Be js
vielen Fällen das Peritoneum ohne sorgfältigen Versch A
Leistenkanals auf die Dauer dem Bauchdruck nachgebe und 5
ein Rezidiv die Folge sei. Eine vermittelnde Stellung a
Veron ein, der bei der kongenitalen Hernie nur den Parn
entfernt, bei der erworbenen Hernie dagegen den nur
wieder herzustellen sucht. Lam6ris legt außerdem noch Da a
Gewicht auf die Torsion des Bruchsacks. Nach seiner =
ist die Radikaloperation mit Torsion ausgeführt, von weng%
zidiven gefolgt als wie die Radikaloperation ohne De. he
Prozentsatz der Rezidive beträgt nach ihm bei der Bas? isg
Methode (403 Fälle) 2,48 und bei der ausschließlichen Bru Schlf
exstirpation (209 Fälle) 2,87. Hieraus glaubt er us t
ziehen zu dürfen, daß die Kanalnaht, da sie keine bess
sultate gebe, unnötig sei.
Ich stimme aber wohl mit der weitaus gröbten Amzah
r Versammlung Doutscher
| der
!) Nach einem Vortrage, gehalten auf de
Naturforscher in Münster i. W. |
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
Chirurgen überein, wenn ich einem sorgfältigen Verschluß des
Bruchkanals neben der Exstirpation des Bruchsacks den Vorzug
gebe. Wie dem aber auch sei, immerhin sehen wir, welche Me-
thode wir auch anwenden, daß bei der Radikaloperation noch eine
N
N,
Spina ant, sup. i N
Lig. ing. M
Aponeurose |
des Obliq. ext.
Annulus
ing. ext.
Bruchsack
Abb. 1.
Anzahl von Rezidiven eintritt. Der Prozentsatz der Rezidive
schwankt naturgemäß. Solche Schwankungen werden auch fürderhin
bestehen bleiben, schon deshalb, weil die Auffassung, wann ein
Rezidiv als vorhanden anzusehen ist, individuell eine verschiedene
ist. Bei der großen Anzahl von Hernien, die wir aber heute
operieren, bei der weitgehenden Indikation sind wir verpflichtet,
nach einer Methode zu suchen, die uns möglichst große Sicherheit
gegen Rezidive verleiht. Wenn wir die Rezidive vermeiden
wollen, so müssen wir zunächst untersuchen, wo diese Rezidive
in der Regel eintreten. Wir finden hierüber in der Literatur
statistische Angaben und zeigt es sich, was ja von vornherein
wahrscheinlich ist, daß die meisten Rezidive an der Austrittsstelle
des Samenstrangs aus dem äußeren Leistenring erfolgen. Von
den Rezidiven erfolgen 80 °/, an dieser Stelle, selbst bei Bassini-
scher Operation. Ohne weiteres ist dies auch einleuchtend, denn
lie bei der Bassinischen Operation angelegten Muskelnähte,
welche die hintere Wand des Leistenkanals herstellen, schneiden
eicht durch, worauf schon Graser aufmerksam gemacht hat.
Daher ist die hintere Naht unzuverlässig. Die vordere Naht ist
ber von vornherein schon durch den Durchtritt des Samenstrangs
yeschwächt, wozu noch die an dieser Stelle gewöhnlich besonders
‚usgeprägte Schwäche der Fascie kommt. Daß bei der weiblichen
nguinalhernie Rezidive weit seltener sind, ist daher ohne weiteres
rerständlich.
Die Gefahr der Rezidive wird in etwas vermindert durch die
ron Hackenbruch angegebene Modifikation, der auch die hintere
Wand des Leistenkanals aus Fascie bildet. Auch die Methode
ron Girard liefert bessere Resultate, weil er die vordere Wand
us einer Duplikatur der Fascie bildet.
Mir scheint es indessen vor allem von Wichtigkeit zu sein,
ei der Radikaloperation dem Leistenkanal eine Richtung zu geben,
laß er bei der Wirkung der Bauchpresse geschlossen wird. Dies
st naturgemäß nicht möglich, wenn der Kanal von innen oben
ach unten außen verläuft, oder wenn er von oben innen und
ateralwärts nach unten außen medialwärts zieht, wenn er also
eine alte Richtung, die er früher hatte, beibehält. In zweiter
Anie halte ich es für richtig, zu verhüten, daß der Samenstrang
m Bereiche des äußeren Leistenkanals austritt, daan und für sich
lese Stelle Schwierigkeiten bezüglich eines sorgfältigen Ver-
chiusses durch Faseie bietet, Wenn auch der Kanal gut ver-
schlossen ist und bleibt, so haben wir doch mit der Möglichkeit
zu rechnen, daß sich am: Austrittspunkte des Samenstrangs eine
direkte Hernie bildet.
Die zur Vermeidung dieser Uebelstände von mir vorge-
schlagene Operationsmethode verläuft zunächst ganz wie die Me-
thode von Hackenbruch: Hautschnitt im Verlaufe des Leisten-
kanals, sorgfältige Freilegung der Aponeurose des Obliquus ext.,
Durchtrennung derselben, aber nicht direkt über dem Leisten-
kanal, sondern mehr nach oben gerichtet, in einer Linie, die fast
parallel der Mittellinie verläuft und nur wenig nach außen ab-
weicht. (Abb. 1.) Der laterale Teil dieser. Aponeurose wird von
seiner Unterlage abgelöst, bis das Poupartsche Band an der
Innenseite klar zutage liegt. (Abb. 2.) Dann wird der Bruchsack
frei präpatiert, abgebunden, womöglich nach vorheriger Torsion,
eventuell versorgt nach der Kocherschen Methode. Hierauf folgt
die tiefe Naht, welche den medialen Rand der Fascie des Obliquus
ext. mit der hinteren Seite des Poupartschen Bandes vereinigt.
(Abb. 3.) Diese Naht kann man sich erleichtern durch Anlegung
| von zwei Matratzennähten. Die Nadel wird zunächst von außen
nach innen durch das Poupartsche Band durchgeführt, möglichst
tief unten. Dann wird die Fascie des Obliquus ext. unter Mit-
fassen der Muskulatur des Obliquus int. und transversus von außen
nach innen durchstoßen, daraufhin von innen nach außen. Zum
Schluß wird der Faden wieder durch das Poupartsche Band von
innen nach außen geführt und nunmehr geknotet. Zwei solcher
Nähte genügen, um die übrigen Knopfnähte, die die Obliquus-
fascie an das Poupartsche Band anheften sollen, leichter anlegen
zu können. Diese Knopfnaht wird nach oben außen bis zum
Samenstrange fortgesetzt, der währenddessen mit stumpfen Haken
nach oben gehalten wird. Darauf wird der untere Lappen, welcher
aus der Fascie des Obliquus ext. gebildet wurde, über diese Naht
herübergeklappt und auf der Fascie des Obliquus durch Knopf-
nähte fixiert. (Abb. 4) Der Samenstrang wird hierbei andauernd
nach oben gehalten. Es gelingt nun leicht, die frühere Austritts-
stelle des Samenstrangs, den äußeren Leistenring, eventuell unter
Zuhilfenahme der Rectusfascie, sorgfältigst und vollständig zu
verschließen. In besonders schwierigen Fällen kann man die Lücke
hierselbst noch bedecken durch einen Lappen aus der Fascie des
‘
Lappen der "Rx
Aponeurose in
des Musc.
obl ext,
Musc.
obl.
ext.
L
; L
L
L
|
S
L
Samen-
strang
Bruchsack
Abb. 2.
Pectineus, welcher nach oben umgeschlagen wird. Im Bereiche
des inneren Leistenrings wird der untere Fascienlappen vom
Obliquus ext. stark nach oben gezogen, wobei man dem Samen-
strang eine vollständig senkrechte, also von unten nach oben ver-
laufende Richtung verleiht. Der Lappen wird dann zu beiden
Seiten des Samenstrangs durch Knopfnähte fixiert, wobei auf der
lateralen Seite des Samenstrangs vor Anlegung der Naht die nicht
2033
m HG TC Th THE FT u v7 7 17V CC VjÜJPüVC CC CC CC CC CC CC CC CC CC CC CC CC CC Et ru:
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2034 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 15. Dezember
RR n nmRaRnDnmnm m nm mm mmamnm man an [anmamaRaRBaRÄRoe TVo
durchschnittene Fascie nach innen zu eingestülpt wird. Dann er-
folgt Hautnaht. Die Hautwunde wird für einige Tage drainiert,
da sonst leicht durch kleine Nachblutungen die Prima int. gestört
werden _könnte. Diese Nachblutungen sind bei der lokalen An-
TFadenknoten des
verlagerten Bruch-
sackstumpfs
Samenstrang
medial verzogen
Abb. 3.
ästhesie, die wir ausschließlich bei Bruchoperationen anwenden,
nicht sicher auszuschließen.
Der Kanal, den wir nunmehr für den Samenstrang geschaffen
haben, verläuft nicht mehr wie vordem schräg von innen oben
lateral nach außen unten medial, sondern senkrecht von innen
unten nach oben außen, und zwar zwischen zwei Fascienblättern.
Lig. ing. —
Samen-
strang `
|
Abb. 4.
Außerdem ist hier die Muskulatur des Obliquus int. und transv.,
die die hintere Wand des neuen Kanals mit der Fascie des Obliquus
ext. bildet, kräftiger entwickelt, wodurch der Kanalwand eine er-
höhte Widerstandskraft verliehen wird. Bei Wirkung der Bauch-
presse wird der Kanal komprimiert. Ein ‚Rezidiv ist daher an
dieser Stelle nicht zu fürchten. Im übrigen ist der frühere
Leistenkanal ebenso wie auch der äußere Leistenring vollständig
fest geschlossen wie bei einer weiblichen Hernie, nur noch in yer.
stärkterem Maße durch den doppelten Fascienlappen.
Wir haben diese Methode nunmehr weit über hundertmal
angewandt. Man könnte vielleicht einwenden, daß der Samenstran
durch die festere Kompression in dem neugeschaffenen Kanal oder
durch den subeutanen Verlauf komprimiert und die Ernährung des
Hodens gefährdet werde. Wir haben in keinem Fall eine der.
artige Schädigung gesehen und darf dieselbe daher als ausge-
schlossen betrachtet werden. Was die Rezidive anbelangt, so kam
ich darüber ein bestimmtes Urteil noch nicht abgeben. Die Nach.
untersuchung ist bei der außerordentlich fluktuierenden Bevölkerung
der Großstadt ungemein erschwert. Es dürfte aber von vornherein
einleuchtend sein, daß diese Methode uns die denkbar größte
Sicherheit gegen Rezidive verleiht bei Erhaltung des Testis. Ob
schon wir diese Methode nunmehr seit zwei Jahren grundsätzlich
bei allen männlichen Inguinalhernien anwenden, ist mir ein Rezidir
noch nicht zu Gesicht gekommen. Ich glaube daher, dieselbe zur
Nachprüfung empfehlen zu dürfen. | Ä
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Wien,
(Vorstand: Hofrat Prof. Hochenegg.)
Klinische Studien über Kropfoperationen nach
| 600 Fällen
Dr. Fritz Demmer, Assistent der Klinik.
(Fortsetzung aus Nr. 4)
Zu den mechanischen Wirkungen des Kropfes gehört ferner
die Stauung im venösen Kreislaufe. Diese kann direkt durch
Druck auf die Gefäße, welche die obere Thoraxapertur passieren
müssen, hervorgerufen sein und indirekt durch das sekundär
Emphysem entstehen. Erstere lokale Wirkung sahen wir als
venöse Hyperämie einer oberen Extremität (viermal), des Gesichts,
des Halses und der Hautvenen des oberen Brustanteils häufig in
verschiedener Stärke. Die besonders ungünstigen Abflußverkält
nisse für die Venen der Larynx- und Trachealschleimhaut wurden
schon oben erwähnt. Die chronischen Veränderungen, welche hier
die Schleimhaut durch venöse Turgescenz erfährt,. können in
Larynx durch Auflockerung der Taschenbandfalten der Grund für
die so häufig beobachtete Unreinheit der Stimme sein, indem
diese mit unregelmäßigen Schwingungen bei der Intonation ein
Geräusch verursachen, während der Spiegelbefund dieser Falk
eine Anomalie der Stimmbandfunktion oder eine rezentere Laryr
gitis ausschließt. Die chronische Stauung der Trachealschlin-
haut, oft mit Trachealstenose und ungenügender Ventilation der
Respirationsorgane verbunden, ist auch die Ursache für die häufgen
katarrhalischen Erkrankungen, welche sich, mit einer Laryogitis
beginnend, oft bis zur diffusen Bronchitis ausbreiten. Letztere
konnten wir in 96 Fällen feststellen, 20 mal eine chronisch
katarrhalische Erkrankung der oberen Luftwege. Diese Zahl
führen aber die latenten Formen katarrhalischer Affektionen nieht
an, auf welche wir aus den Angaben der Patienten, Jeieht zU
Katarrhen zu neigen, mit Sicherheit schließen dürfen, Das dur
Trachealstenosen bedingte Emphysem begünstigt seinerseits wieder
durch schlechtere Ventilation der Respirationswege die Stagnation
des Sekrets und die dadurch verursachten entzündlichen Sehlein-
hautveränderungen; anderseits bewirkt es durch die Destrukun
von Capillargebieten der Lunge die schädlichen Wirkungen al
das Herz, welches zur Kompensation dieser Zustände gezwung!!
wird, seine Reservekraft dauernd in Anspruch zu nehmen m
tuell im linken Herzen dadurch hypertrophiert) oder der Aufgeie
nicht mehr gewachsen dilatiert (rechtes Herz). Harn
Beschwerden und Veränderungen, welche sich auf das .
beziehen, beobachteten wir bei 204 Patienten. Von diesen Bi :
128 Patienten selbst Herzbeschwerden an, während in 76 rn
die Angabe der Arbeitsdyspnöe für eine Kardiopathie spricht. je
den 128 Fällen scheiden sich von der kausalen Beziehung a
Struma 6 Fälle wegen konkurrierender Vitien aus. Die t
122 Patienten klagten zum größeren Teil über Horzklop €
welches bisweilen auch in der Ruhe auftrat, in andern F pas
leichten psychischen Erregungen oder bei geringer Arboiteleis nn
vorkam, auch manchmal als periodisch wiederkehrend pioa,
wurde. Der objektive Befund zeigte bei diesen Patienten i
mehr oder weniger ausgesprochene Beschleunigung in der al
folge des Herzens, die Einzelaktionen groß, den Puls über
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 2035
groß, stark dikrot bei verminderter Spannung. Zum geringeren
Teil klagten die Patienten über Herzklopfen, verbunden mit Atem-
not, Druckgefühlen auf der Brust und prükordialen Angstgefühlen.
Diesen subjektiven Angaben steht gewöhnlich der Befund von
Stauungszuständen und chronischer Bronchitis gegenüber; die
Neigung zur Tachykardie war wie oben zu bemerken, doch die
Pulswelle hierbei niedriger als normal. In 20 Fällen nachweis-
bare Verbreiterung des Herzens, vorzüglich nach rechts. Ob bei
diesen beiden Formen der Herzerscheinungen nur mechanische
Einflüsse ‘durch den Kropf (Druck auf Sympathicus und Vagus
oder konsekutive Stauung im Lungenkreislaufe durch Emphysem)
in Frage kommen, wie dies in Minnichs „Mechanischem Kropf-
herzen“ und Kochers „Cor dyspnoicum“ angenommen wird, oder
dem Kropf eine speeifische Wirkung auf das Herz zukommt, ist
aus den klinischen Erscheinungen allein schwer zu entscheiden.
Jedenfalls bleibt eine Reihe von Fällen (mehr als ein Drittel), bei
welchen die Größe des Kropfes keineswegs Druckerscheinungen
verursachen konnte. Ich ziehe da die 76 Fälle von Arbeitsdyspnöe
heran, welche objektiv keine Tracheal- noch Herzveränderungen
zeigten, bei welchen aber bestimmt ein kardiopathischer Zustand
bestand. In diesen Fällen zeigt sich in der Erkrankung des
Herzens ein Aequivalent (F. Kraus) einer Allgemeinerkrankung,
das der Ausdruck einer thyreotoxischen Schädigung des Organis-
mus ist. |
Diese Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung bei Kropf,
welche die heutige Erkenntnis einer pathologischen Funktion der
Schilddrüse zulegt, finden wir ausgeprägt im Morbus Basedow,
welchen wir bei 43 Patienten (7 Männer, 36 Frauen) beobachteten.
Für die Beurteilung dieser Fälle ist weniger die statistische Auf-
zählung der vorgefundenen Symptome von Wert, als die Zusammen-
fassung der einzelnen Krankheitserscheinungen und der Kranken-
geschichte, welche bei dem einzelnen Patienten die Diagnose des
Morbus Basedowii rechtfertigen.
Denn von diesen 43 Patienten zeigten nur 13 das voll-
ständige, nicht zu verkennende Bild dieser Erkrankung, wo sich
den Hauptsymptomen der Merseburger Trias (Struma, Exophthal-
mus, Tachykardie) noch einzelne Nebensymptome, wie Tremor,
Abmagerung, Dysmenorrhöe, Lymphocytose und Leukopenie, die
specifschen Augensymptome (Graefe, Stellwag und Moebius),
Schweiße, Diarrhöen und alimentäre Glykosurie anreihten. 30 Pa-
tienten hingegen sind als symptomenärmere Formen des Morbus
Basedowii auf Grund genauer Beobachtung des Verlaufs der Er-
krankung und Berücksichtigung des autogenen Ursprungs, der
Dignität der vorhandenen Symptome und ihres Zusammenhangs
mit dem Allgemeinbefinden des Patienten als leichtere Fälle von
Morbus Basedowii dieser Erkrankung zugerechnet worden, und be-
wies der Erfolg der operativen Behandlung die Richtigkeit der
Diagnose. Maßgebend war für uns also in der Diagnose des
'Morbus Basedowii bei diesen unvollständigen Krankheitsbildern
(obiger 30 Fälle), abgesehen von den vorgefundenen specifischen
Symptomen, von welchen wenigstens die Struma in allen Fällen
vorhanden war, die Relation derselben zueinander, zur Genese der
Erkrankung und zum Verlaufe derselben, indem besonders der
gleichzeitige Beginn und der gleichsinnige Verlauf der Allgemein-
erkrankung mit den Einzelsymptomen oder deren Acerbation, ohne
daß akzidentelle Ursachen als Erklärung für dieselben in Betracht
kamen, charakteristisch für diese Erkrankung sind. Während nun
also die Autogenität der Symptome wie die Schwankungen im All-
gemeinbefinden für einen Morbus Basedowii sprachen, konnten wir
auch aus der Art der Struma Anhaltspunkte für diese Erkrankung
gewinnen. Genetisch waren hier drei Formen der Struma zu
unterscheiden. Eine gleichmäßig die ganze Schilddrüse betreffende
geringgradige Veränderung, besonders in einer stärkeren Vasculari-
sation bestehend. Sie war selten (3 Fälle), und zwar in Ver-
bindung mit dem Krankheitsbilde der Forme fruste, wenn wir als
Forme fruste- mit Chvostek (10) die abortiv und mitigiert ver-
laufende Form eines echten Morbus Basedowii ansehen. Zweitens
eine Kolloidstruma, welcher anamnestisch eine Basedowstruma
vorausging und welche die gleichmäßige Entartung und die Vas-
kularisation bei gesteigertem intrathorakalen Drucke (Pressen)
noch erkennen ließ (5 Fälle), und drittens die häufigste Form
(22 Fälle), eine primäre Kolloidstruma, zu welcher sekundär
Basedowsymptome hinzugekommen waren, wobei das Krankheits-
bild zwar ziemlich vollständig erkennbar, aber stets mitigiert war.
Die Operation, welche in diesen leichten Fällen von Morbus
Basedowii ebenso durch die Struma selbst wie durch die Er-
scheinungen der specifischen Basedowerkrankung indiziert war,
sehob in allen Fällen die mechanische Kropfwirkung und erzielte
in 26 Fällen Heilung, in 4 Fällen Besserung der Basedow-
beschwerden, ein Erfolg, welcher für die Frühoperation des Morbüs
Basedowii spricht, wenn wir die Progredienz der Erkrankung in
der Mehrzahl obiger Fälle berücksichtigen. |
Von den 13 schweren Fällen von Morbus Basedowii waren
4 in genuiner Form aufgetreten, bei welcher sich alle Symptome
vor oder gleichzeitig mit der Veränderung der Schilddrüse zeigten,
9 sekundär im Anschluß an eine vorherbestandene Struma ent-
standen. 6 Patienten waren hereditär belastet (Kropferkrankung
mit nervösen Erscheinungen bei den Eitern). Aus specifischer
Kropfgegend stammte kein Patient mit Morbus Basedowii, welcher
Umstand mit andern statistischen Bemerkungen übereinstimmt.
Im Anschluß an Gravidität trat sekundärer Morbus Basedowii
zweimal auf. Die Altersgrenzen waren 14 bis 40 Jahre. |
In allen Fällen war der Grad der Erkrankung ein solcher,
daß die Patienten selbst nicht nur ein schweres Krankheitsgefühl.
hatten, sondern auch schwer in ihrer Beschäftigung beeinträchtigt
waren. Die konservative Therapie war anderseits in allen Fällen
versucht worden, doch konnten weder Jod, Phosphate und Anti-
thyreoidinserum (Moebius) noch die Röntgenbehandlung (1 Fall)
nennenswerte Erfolge verzeichnen, sodaß die Patienten schließ-
lich sich der chirurgischen Behandlung stellten. Das klinische
Bild wurde ebenso durch mechanische Störungen seitens der Struma
beherrscht, wie durch die speecifisch-toxischen Wirkungen der
Basedowstsuma, auf welche die schweren Herzveränderungen
zurückzuführen sind, die sich besonders in der Labilität der Herz-
aktion und der anhaltenden Tachykardie, wie in den stark aus-
geprägten subjektiven Herzbeschwerden zeigten, welche wieder die
Folge einer Schädigung des gesamten Nervensystems und einer da-
durch bedingten krankhaften Sensibilität sind; eine weitere Folge
der Thyreotoxe war in den Stoffwechselstörungen und der Kachexie
einiger Patienten zu beobachten.
Die mechanischen Wirkungen der Struma waren objektiv
durch Trachealkompression (11 Fälle) und Pupillendifferenzen
(2 Fälle) festzustellen und wurden diese durch die Operation voll-
kommen behoben. In die Gruppe der toxischen Veränderungen gehört
hier zuerst die Tachykardie, welche in obigen Fällen durchschnitt-
lich eine Frequenz von 130 erreichte, wesentliche Beeinträchtigung
durch das Gefühl der Palpitationen verursachte, besonders aber
durch die Labilität der Pulsqualität wie der Pulsfrequenz bei der
geringsten psychischen Aufregung auffe. Eine wesentliche
Arhythmie war als Kontraindikation der Operation in keinem der
Fälle vorhanden. Der Operationserfolg war am deutlichsten durch
günstige Beeinflussung der Herzstörungen bei elf Patienten zu
beobachten, indem meist schon 24 Stunden nach dem Eingriffe die
Pulszahl um 30 bis 50 Schläge gesunken und ebenso auch das
peinliche Gefühl des Herzklopfens geschwunden war, sodaß diese
Patienten, bei welchen sich auch die übrigen Erscheinungen bald
zurückbildeten, mit dem Eingriff als geheilt und nur mehr als
Rekonvaleszenten zu betrachten waren. Da die objektiven Herz-
veränderungen und die subjektiven Hoerzbeschwerden, welche
wiederum als Ausdruck der mehr oder weniger vorgeschrittenen
Störung des Nervensystems auch die Störung des ganzen Organis-
mus kennzeichnen, gleichsam der Indikator der Erkrankung sind,
so war je nach der momentanen günstigen Beeinflussung derselben
durch die Operation der weitere Heilungsverlauf des Morbus
Basedowii charakterisiert; so war auch der Verlauf bei vier Patienten
ein protrahierter, bei welchen die Operation nur einen geringen
Einfluß auf die subjektiven und objektiven Beschwerden genommen
hatte. Der Grund war in einem der Fälle, vielleicht in der Heilung
per sec. intent. gelegen, in den andern durch die lange Dauer der
Erkrankung (fünf Jahre) zu erklären, sodaß diese Patienten die
Klinik nur in gebessertem Zustande verließen. Fast ebenso günstig
und rasch wie auf die Tachykardie und das subjektive Befinden
der Patienten wirkte die Ausschaltung der pathologisch funktio-
nierenden Drüse auf den gesammten Ernährungszustand, indem zehn-
mal eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme verzeichnet wurde.
Von den allgemein-nervösen Veränderungen war der Tremor in
sieben Fällen nach der Operation verschwunden, in den andern
weniger oder nur zeitweilig mehr bei psychischen Erregungen vor-
handen. Die mehr accidentellen Augensymptome (Graefe, Stell-
wag und Moebius) wie der Exophthalmus, welche nicht inte-
grierend für die Basedowsche Erkrankung sind, fehlten auch in
drei Fällen, anderseits war die Beeinflussung derselben durch dei
Operation keineswegs parallelgehend mit dem Rückgehen der übrigbn
Symptome, sodaß in allen Fällen, wo sie vor der Operation zu ne-
obachten waren, auch nachher sich wiederfanden und zwar eet-
weder unverändert (3 Fälle) oder in geringerem Grade (7 Fälle).
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2036
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember.
Einen besseren Erfolg hatte die Operation gegenüber der profusen
Schweißsekretion, welche jedesmal (4 Fälle) sistierte. Ebenso
wurde ein Rückgehen alimentärer Glykosurie zweier Fälle beob-
achtet.
Die Operation bestand achtmal in Halbseitenexstirpation (davon
zweimal mit Resektion der andern Hälfte), fünfmal in einer Resektion
(einmal beiderseits ausgeführt). Der pathologisch anatomische Befund der
Drüsen war in acht Fällen eine gefäßreiche parenchymatöse Struma, vier-
mal eine Struma colloides und eine Cyste, Durch die Operation wurden
von den 18 schweren Fällen von Morbus Basedowii neun Patienten ge-
heilt, vier gebessert.
Die Indikationsstellung zur Operation bei Morbus Basedowii
richtete sich, abgesehen von der Erfolglosigkeit interner Vorbehand-
lung, einerseits nach den subjektiven Beschwerden, der Arbeits-
fähigkeit und den Kompressionserscheinungen seitens der Struma,
anderseits berücksichtigte sie weniger die Einzelsymptome der Er-
krankung als den Gesamteindruck des Patienten, wobei besonders
auf den Grad der Kachexie und der degenerativen Veränderungen
des Herzens geachtet wurde.
Fassen wir somit die Resultate unserer chirurgischen Be-
handlung bei Morbus Basedowii zusammen, so verzeichnen wir
35 Heilungen und acht Besserungen, wobei kein Todesfall vor-
kam. Wenn wir auch die interne Behandlung dieser Erkrankung dann,
wenn es die sozialen Verhältnisse gestatten, gewiß zugeben, so-
lange selbe in absehbarer Zeit sichtliche Erfolge aufweisen kann,
so müssen wir doch vor allzu langem Zögern bei Erfolg-
losigkeit der konservativen Therapie warnen, da die Ope-
ration unvergleichlich rasch gefährlicher wird als sie im Früh-
stadium ist. (Schluß folgt.)
Umfrage
über das
Frühaufstehen nach Operationen und Geburten.
Wir setzen die Umfrage aus Nr. 37 hiermit fort und wieder-
holen die gestellten Fragen:
1. Sind Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen zu dem frühzeitigen
Aufstehen übergegangen, und innerhalb welcher Frist lassen
Sie die Patienten das Bett verlassen?
3, Nach welcher Richtung hin sehen Sie die Vorzüge des Früh-
aufstehens?
3. Unter welchen Voraussetzungen sehen Sie vom Frühaufstehen
ab, und worin erblicken Sie die Gefährdung des Patienten
vom Frühaufstehen? K. Bg.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Payr, Leipzig:
ad 1. In der Frage des Frübaufstehens habe ich mich seit Jahren
individualisierend verhalten. Ich lehne es ab, eine bestimmte Frist
als allgemeine Norm zu fixieren. Ich erinnere mich, daß ich schon vor
10 und 11 Jahren betagten Patienten nach Magenresektion, Gastroenter-
ostomie, hohem Blasenschnitte, Herniotomie am zweiten oder dritten, ja
am Tage nach der Operation das Bett zu verlassen gestattet habe und
sie in einen Lehnstuhl heben ließ, ohne jemals einen bleibenden Nachteil
gesehen zu haben. Bei den großen Eingriffen am Gesichtsskelett ist das
Verlassen des Bettes innerhalb der ersten 24 Stunden für uns die Regel.
Allerdings habe ich bei Laparotomien stets besondere Vorsichts-
maßregeln gebraucht, um unerwünschte Komplikationen von Seiten der
Bauchdeckenwunde zu vermeiden. (Feste Wickelung des Abdomens mit
elastischer Trikot- oder dünner Gummibinde.)
Unter normalen Verhältnissen lasse ich jede aseptische Laparoto-
mie mit völligem Verschluß der Bauchwunde am achten bis zehnten
Tage das Bett verlassen, Appendektomien im Intervall am fünften bis
sechsten Tage. |
Bei drainierten oder tamponierten Bauchoperationen stecke ich die
Frist weiter, etwa auf den doppelten Zeitraum. Strumen verlassen nach
48 Stunden das Bett, Basedowoperierte je nach dem Befund am Herzen.
Der Thrombosen- und Emboliegefahr suche ich durch frühzeitiges
aktives Bewegen der Beine, durch Hochlagerung (Höherstellen des Fuß-
ondes des Bettes), durch Wicklung mit elastischer Binde, besonders bei
Vorhandensein von Varicositäten entgegenzuarbeiten. Allerdings schützen
alle diese Maßnahmen nicht sicher. Ich habe Patienten mit Magenope-
rationen, denen ich am ersten Tage nach dem Eingriffe wegen Pneumonie-
gefahr das Bett zu verlassen gestattete, am achten Tage ohne jedes Pro-
dromalsymptom bei idealem Verlauf an I,ungenembolie zugrunde gehen
sehen. Eine sichere Prophylaxe gegen dieses Ereignis gibt es meiner
Erfahrung nach zur Stunde nicht.
Meine Grundsätze über den Zeitpunkt des Verlassens der Ruhe-
lage seitens Operierter haben durch die modernen Bestrebungen, ein
Verkürzung speziell bei Laparotomien herbeizuführen, nicht die geringste
Beeinflussung erfahren. Ich habe mich denselben nicht angeschlossen, da
ich dieselben für zu wenig individualisierend halte.
Ich bin der Ueberzeugung, daß man durch bestimmte Maßnahmen
der Vorbereitung der Kranken für Laparotomien, durch entsprechendes
Vorgehen in der Nachbehandlung mancherlei Erscheinungen, die Andere
zum frühen Aufstehenlassen gedrängt haben, vermeiden kann,
ad 2. Die Hauptvorteile frühzeitigen Aufstehens sehe ich in einer
günstigen Beeinflussung der Respirationsverhältnisse, im milderen Ver-
laufe postoperativer leichter Lungenkomplikationen; das Aushusten er-
folgt müheloser, die Respiration ist ausgiebiger und die Gefahr von St.
rungen vermindert. |
Die Bewegung der Beine, überhaupt starke Betätigung einer ganzen
Reihe von Muskelgruppen sehe ich als günstig an; auch auf das Eintreten
der durch den Eingriff geschädigten Darmperistaltik hat die Lageverände
rung oft einen mir zweifellos erscheinenden günstigen Einfluß. Dasselbe
gilt von der während des Liegens oft sehr erschwerten Harnentleerung.
Das Allgemeinbefinden und die Psyche des Kranken werden durch
frühzeitiges Verlassen des Bettes im guten Sinne beeinflußt, vor allem
Appetit und Schlaf.
ad 8. Ich nehme Abstand von frühzeitigem Verlassen des Bottes
bei allen schweren infektiösen Prozessen, ganz besonders aber jenen in
Bauchraume. Die toxische Schädigung des Herzmuskels bei fäst allen
Fällen schwerer Peritonitis veranlaßt uns, das Verlassen des Bettes hi
diesen länger als sonst bei uns üblich hinauszuschieben, ebenso nach Ein-
griffen mit gefäbrdeter Festigkeit der Bauchnarbe.
Bauchbrüche, Narbenhernien, direkte Leistenhernien bleiben länger
als gewöhnlich liegen, etwa 14 bis 20 Tage.
Ich halte frühes Verlassen des Bettes bedenklich bei schwere
Schädigungen des Herzmuskels (Myokarditis, Fettherz, oder z. B. auch
beim Morbus Basedow), bei schon bestehender ausgedehnter Pneumonk,
ebenso beim Auftreten kleiner, zu hämorrhagischen Infarkten der Lunge
führenden Embolien. |
Auch beim Nachweis einer, wenn auch noch go umschriebens
Thrombose — vor allem im Gebiete der unteren Gliedmaßen — erscheint
mir das Verlassen des Bettes gefährlich. |
Ich habe von jenen Fällen, in denen ich aus bestimmter Anzeige
sehr früh aufstehen ließ, den Eindruck gewonnen, daß Wundschmerz und
allgemeines Schwächegfühl doch recht oft eine Euphorie des Krank
nicht aufkommen lassen.
Es ist bei uns üblich, bei jedem Laparotomierten, sowie hei Bir
griffen an den unteren Gliedmaßen vor dem ersten Aufstehen die Gefibo
des Ober- und Unterschenkels durch Druck auf Empfindlichkeit m
prüfen; vor dem Verlassen des Bettes müssen die Kranken kurze Zeit am
Bettrande mit Unterstützung des Rückens sitzen.
Wenn die Hilfskräfte genügend über die Gesichtspunkte des Ze
punkts des Aufstehens der Kranken unterrichtet sind, so läßt sich auch
beim größten klinischen Material individualisieren; ich halte das für
wünschenswert.
Prof. Dr. E. Opitz, Direktor der Universitäts-Frauenklinik Gießen: |
Ad. 1. Sowohl nach Operationen wie nach Geburten lasse ich gab
‚ Jahren die Frauen früh aufstehen. Ich verstehe darunter, daß sonst gè
sunde und kräftige Operierte wie Wöchnerinnen am Tage nach der Ope-
"ration beziehungsweise Geburt auf einen Lehnstuhl verbracht werde,
Wöchnerinnen dürfen auch einige Schritte gehen.
Ad. 2. Ich sehe den Vorzug des Frühaufstehens. in der schnellere
Erholung und Kräftigung und der Verhütung von Thrombosen und, 30
bolion sowie Pneumonien. l ,
Bei dem jetzigen Verfahren habe ich unter rund 4000 Wöchnaninoet
keine Embolien gesehen und von Thrombosen fast nur die auf keins
Weise vermeidbaren harmlosen Thrombosen varicöser Venen. F
Unter rund 600 Laparotomien ereignete sich nur eine Embolie 28
Operation eines eitrigen Adnextumors mit Appendicitis, wenn 08 a
Carcinomoperationen abgesehen wird. Besonders bemerkenswert orscheib
es mir, daß unter jetzt etwa 130 Myomoperationen keine Embolie voxi
Ad 3. Alle Erkrankungen, die auch sonst Bettruhe erforder
z. B. Herzfehler, Nephritis usw., verbieten natürlich auch bei Operieriät
und Wöchnerinnen das Aufstehen, ferner nehme ich infizierte und, sol?
Frauen, die wahrscheinlich infiziert sind, ebenso Dammoperationen. gruß“
sätzlich aus. Offenbar sehr angegriffene Kranke und Wöchnerinne
bleiben ebenfalls zu Bett. Jedoch sache ich dann durch Atemgymns
und sogenannte „aktive Bettruhe“ die Vorteile des Frühaufstehem.
Möglichkeit zu erreichen.
Bei dieser Vorsicht habe ich niemals Schaden gesehen.
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2037
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Bern.
Ueber wirkungspotenzierende Momente in
Arzneigemischen
von
Prof. Dr. Emil Bürgi.
Die von mir beobachteten Gesetzmäßigkeiten der pharmako-
logischen Wirkung von Arzneigemischen sind ebenso wie meine
als Erklärung für die gefundenen Tatsachen aufgestellten Hypothesen
in der letzten Zeit von verschiedener Seite angegriffen worden.
Ich möchte an dieser Stelle Erörterungen rein theoretischer Natur
möglichst vermeiden; in meinem Artikel „Anschauungen über
die Wirkung der Arzneigemische“, der eben in der Zt. f.
allg. Phys.!) erscheint, habe ich das, was mir nach dieser Rich-
tung notwendig schien, eingehend auseinandergesetzt. Die vor-
liegende Besprechung soll in der Hauptsache nur das praktisch
Wichtige an meinen Kombinationsarbeiten und die dagegen erhobenen
Einwände berühren. Kurze theoretische Bemerkungen werden
allerdings gelegentlich nicht zu vermeiden sein.
Ich habe — und das vergessen meine Gegner denn doch zu
leicht — in erster Linie eine ganze Reihe von Einzeltatsachen ge-
funden, die ihren Wert behalten werden, auch wenn das von mir
aufgestellte Kombinationsgesetz nicht von so allgemeiner Gültig-
keit sein sollte, wie ich das glaubte und noch glaube.
Heubner?) bezeichnet es als eine Ironie des Schicksals, daß
das nach meiner Regel (aber freilich nicht von mir) aufgebaute
Codeonal im Gegensatze zu dem gegen meine Anschauungen er-
fundenen Narcophin keine Potenzierungswirkung zeige. Den
Beweis für die in diesem Satze enthaltenen Behauptungen bleibt
er, wie ich später zeigen werde, allerdings schuldig. Schlimmer
aber als die Scheingründe, die Heubner gegen mich ins Feld
führt, ist die Beurteilung meiner Arbeiten nach zwei Fabrik-
präparaten. Ich will den Wert dieser Medikamente später be-
leuchten, hier aber betone ich ausdrücklich, daß mir bei der Be-
arbeitung des Kombinationsgebietes die Erfindung neuer
Arzneimittel niemals die Hauptsache schien. Es ist mir
ungleich wichtiger, daß man seit meinen Publikationen
die Kombinationsnarkose zum Wohle der Patienten an
der großen Mehrzahl der chirurgischen Kliniken viel
häufiger und viel zielbewußter verwendet als früher,
und daß man, ganz meiner Regel entsprechend, ungleich-
artige und nicht gleichartige Narkotica kombiniert.
Zablreiche Publikationen, Zuschriften und mündliche Mitteilungen
bestätigen mir das beinahe täglich.
Warum haben sich die früher oft versuchten Gemische in-
differenter Narkotica, also gleichartiger Arzneien, wie z.B. von Chloro-
form und Aether, niemals in der Praxis halten können? Weil das
Prinzip falsch war. Dem von mir aufgestellten Gesetze nach haben
mehrere gleichzeitig in den Organismus eingeführte Arzneien der-
selben Hauptgruppe immer dann eine stärkere Wirkung als man
der einfachen Addition nach erwarten sollte, wenn sie ungleich-
artig sind; Glieder derselben engeren Gruppe addieren sich in ihrer
Wirkung bloß.
Ich verlege das Hauptgewicht auf die pharmakologische
Ungleichartigkeit. Die Narkotica der Fettreihe z. B. sind chemisch
unter sich recht verschieden; was sie einheitlich macht, ist ihre
gleichartige Wirkung. Man kann sie daher eine engere Gruppe
in der großen Klasse der narkotischen Arzneien nennen, oder auch
Medikamente beziehungsweise Gifte mit demselben pharmakologi-
schen Angriffspunkte.
Jeder praktizierende Arzt weiß, daß die durch Chloroform,
Aether und Bromäthyl bewirkten Narkosen, sowie die durch Chloral-
hydrat, Sulfonal, Veronal usw. erzeugten Schlafzustände unter sich
viel Aehnliches haben. Dagegen unterscheiden sie sich nach mancher
Richtung deutlich vom Morphinschlafe, noch mehr von den durch
Scopolamin bewirkten centralen Lähmungserscheinungen. Die ex-
perimentelle Pharmakologie hat die Verschiedenheit dieser Wirkungen
zum großen Teil analysiert, doch will ich diese in jedem genaueren
Lehrbuche nachzulesenden Feststellungen hier nicht erörtern.
Meinen oft publizierten Anschauungen nach führen aber auch
gleichartig wirkende Substanzen bei Kombination zu Potenzierung
des Gesamteffekts, wenn sie verschiedene pharmakologische An-
1) Bd. 14, S. 89,
?) Jahreskurse für ärztliche Fortbildung. August 1912.
griffspunkte haben. Diese verschiedenen Angriffspunkte können
sogar in der gleichen Zelle liegen. Der Fall dürfte allerdings
praktisch außer bei den Desinfektionsmitteln relativ selten sein.
Eine prägnante chemische Verschiedenheit der Substanzen wäre
dann immer noch die Voraussetzung. Gewöhnlich aber kann man
nur aus der Verschiedenheit der pharmakologischen Wirkung auf
eine Verschiedenheit des Angrifispunkts schließen.
Ich möchte an dieser Stelle noch bemerken, daß die auf dem
Gebiete der Arzneikombinationen gegenwärtig viel verwendeten
Ausdrücke „gleichsinnig“ und „gleichartig“ offenbar häufig Anlaß
zu Mißverständnissen geben. Wenn man Arzneigemische unter-
sucht, so handelt es sich fast immer, in meinen Versuchen sogar
ausschließlich, um Substanzen mit gleichsinnigen Wirkungen, das
heißt um Stoffe, die der gleichen pharmakologischen Hauptgruppe an-
gehören. Man stellt also die Wirkung zweier gleichzeitig gegebener
Herzmittel oder Narkotica fest, nicht aber die eines mit einem
Herzmittel kombinierten Narkoticums. Viele Hauptgruppen aber
— nicht alle — zerfallen in Untergruppen mit zum Teil recht ver-
schiedener Wirkungsart. Das wären dann also die verschieden-
artig wirkenden Substanzen der im ganzen gleichsinnig wirkenden
Gesamtklasse. Um klarer zu sein, spricht man besser von gleich-
sinnig wirkenden Arzneien mit verschiedenem Angriffspunkt. Ich
halte diese Ausdrucksweise immer noch für die beste und für die,
welche den Tatsachen am nächsten kommt, selbst wenn sie nicht
allen ebenso spitzfindigen als unfruchtbaren Theorien stand-
halten sollte.
Das angeführte Kombinationsgesetz stützte sich zunächst auf
meine mit Schlafmitteln gemachten Beobachtungen. Ich muß hier
nun doch einmal mit einigem Nachdruck hervorheben, was vor
meinen Arbeiten auf diesem Gebiete bekannt war, und was ich
und meine Mitarbeiter gefunden haben. Als ich meine Unter-
suchungen vorzunehmen begann, war die Scopolamin-
Morphiumkombination die einzige, über deren pharmako-
logische Bedeutung man einigermaßen im klaren war.
Ich zeigte zunächst, daß die Kombinationen von Scopolamin mit
den indifferenten Narkoticis (Chloral, Urethan usw.) ebenfalls zu
Wirkungspotenzierungen führen; uud ebenso die von Morphium
mit den gleichen Arzneien. Dann habe ich bewiesen, daß die
Paarung der indifferenten Narkotica unter sich nur Additions-
wirkungen ergibt. Alle diese Tatsachen sind von verschiedenen
Forschern (Fühner, Madelung) nachträglich bestätigt worden,
und können nicht mehr mit Recht bezweifelt werden. Breslauer
und Woker!) glauben allerdings, mit Kombinationen indifferenter
Narkotica bei einzelligen Wesen Wirkungsverstärkungen beobachtet
zu haben; ich habe aber die von ihnen verwendeten Gemische von
verschiedenen Alkoholen und Urethanen nach ihrer Wirkung auf
Tiere, die einen Kreislauf haben, geprüft und niemals etwas
anderes als glatte Additionsergebnisse erhalten. Die Arbeit von
Breslauer und Woker habe ich bereits an anderer Stelle?) ein-
gehend besprochen und gehe daher nicht mehr näher auf sie ein.
Wirkungspotenzierungen erzielte ich ferner noch, wenn ich Brom
mit andern narkotischen Mitteln vereinigte.
Von hoher praktischer und theoretischer Bedeutung schien
mir dann, daß die unter sich kombinierten Opiumalkaloide keine
Wirkungspotenzierungen ergaben, sondern sich durchaus additiv
verhielten. Diese von V. Zeelen) ausgeführte Arbeit bildete
damals den Schlußstein für das von mir aufgestellte Gesetz, das
ich denn auch schon in meiner ersten größeren Publikation?)
zum Ausdruck brachte. Da die Wirkung der Opiumalkaloide den
Untersuchungen v. Schroeders nach im allgemeinen als gleich-
artig angesehen wird, waren die von Zeelen erhaltenen Resultate
für meine Auffassungen von großer Wichtigkeit. Sie sind aus-
schließlich an Kaninchen gewonnen und sehr sorgfältig ausgeführt
worden. Ihre Richtigkeit für diese Tiergattung wird auch nicht
bezweifelt, wohl aber gelangten v. Issekutz°) und Straub®), ge-
stützt auf Versuche, die an Fröschen, Katzen und Mäusen ange-
stellt wurden, zu andern Ergebnissen über die Wirkung von Opium-
alkaloidkombinationen.
t) Zt. f. allg. Phys. Bd. 13, S. 282. Ueber die Bedeutung der ver-
schiedenen Versuchsanordnungen vite später!
2) Ebenda, Bd. 14, S. 65.
3) Zt. f. exp. Path. Bd. 8, S. 586.
+4) D. med. Woch. 1910, H. i u. 2.
5) Pfügers A. Bd. 125, S. 415.
) Biochem. Zt. Bd. 41, S. 491. M. med. Woch. 1912, S. 1542.
wre, oo
Na Te ET ea on
2038 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember.
v. Issekutz, der eine ganze Reihe dieser Substanzen paarte, kam
zu folgenden Schlußsätzen: 1. „Die Wirkung jener Opiumalkaloide, deren
chemische Zusammensetzung verschiedenartig ist (Morphin, Narkotin,
Papaverin) addiert sich nicht bloß, sondern potenziert sich entschieden
(20 bis 509/0).
2. Die Opiumalkaloide, deren chemische Zusammensetzung — Toxo-
phore — gleichartig ist (Morphin, Codein, Dionin, Heroin, Thebain),
potenzieren ihre Wirkung gegenseitig nicht.
8. Jene Lehre Bürgis, daß die in ein und dieselbe pharmako-
logische Gruppe gehörenden Arzneien ihre Wirkung gegenseitig nicht
pot nzierai; konnte hinsichtlich der Opiumalkaloide nicht nachgewiesen
werden.
Ich möchte hierzu vorläufig nur das bemerken: Satz 1 und 2
bilden eine fast wörtliche Wiederholung des von mir aufgestellten Ge-
setzes. Satz 3, der alles auf den Kopf stellt, zeigt nur, daß v. Issekutz
mich gründlich mißverstanden hat. Ich werde auf die- Arbeit von
v. Issekutz gleich noch etwas näher einzugehen haben.
Fast gleichzeitig mit ihr erschienen verschiedene Mitteilungen
von Straub!)2) und seinen Mitarbeitern3)*)5), die ebenfalls von
Kombinationen aus der Opiumreihe handeln.
Auch Straub konstatierte, wie v. Issekutz, daß sich die
Wirkung einiger Opiumalkaloide potenzieren kann. Wie Issekutz
stützte er sich dabei auf Bestimmungen der Toxicität respektive
der letalen Dosen. Gleichzeitig untersuchte er aber auch die
schlaferzeugende Kraft einiger Opiumalkaloidekombinationen und
ihre Wirkung auf das Atmungscentrum, und er glaubt nun die
Lösung des Opiumproblems in dem Narcophin, einem aus Nar-
kotin und Morphin zusammengesetzten Präparat, gefunden zu
haben. Das Narkotin, ein bei den Versuchstieren Straubs nahezu
(aber nicht vollständig) unwirksames Alkaloid verstärkt die Toxi-
cität des Morphins am besten in der Mischung von 1:1, es erhöht
(bei der Katze) seine schlafmachende Wirkung und vermindert den
lähmenden Einfluß auf das Atmungscentrum. Das letztere ist von
Löwy®) und von meinen Mitarbeitern Wertheimer?) und
Bergien®) vor längerer Zeit schon für das Pantopon nach-
gewiesen worden.
Die Verschiedenheit der Resultate von Zeelen einerseits,
von Issekutz und Straub anderseits ist nicht nur auf die Ver-
wendung anderer Versuchstiere zurückzuführen. Zeelen beurteilte
die Frage der Potenzierung lediglich nach der Steigerung der
narkotischen Symptome, Issekutz und Straub dagegen hielten
sich in erster Linie (Issekutz sogar ausschließlich) an die Zu-
nahme der Toxieität. Daß Opiumalkaloidekombinationen
eine potenzierte Giftigkeit besitzen, ist übrigens
wiederum zuerst in meinem Institut nachgewiesen
worden, und zwar von Wertheimer und Bergien am
Pantopon.,
Wertheimer schreibt darüber’): „Wir können aus diesen Ver-
suchen schließen, daß ungefähr 0,2 der Gesamtalkaloide des Opiums töd-
lich wirken. Für das Morphium wurde die Dosis 0,4 bis 0,5 pro Kilo-
gramm Körpergewicht als die tödliche Dosis für ein ausgewachsenes
Kaninchen erkannt. Ganz sicher waren die Dosen 0,3 und 0,2 nicht letal.“‘
Diese erhöhte Toxieität des Pantopons dem Mor-
phium gegenüber wird dann aber nicht als eine eigent-
liche Potenzierung in meinem Sinn angesehen, da sie
sich aus zu heterogenen Wirkungen zusammensetzt. In
dieser Auffassung gehe ich übrigens mit der Straubschen
Schule einig.
So schreibt Caesar!) an einer Stelle, die uns auch noch später
beschäftigen wird, unter anderm: „Die Frage nach der Wirkungssteigerung
einer Substanz durch eine andere muß nach der Prinzipienseite un-
diskutierdar werden, wenn die zweite Substanz einen andern Angriffs-
punkt hat; denn dann ist mit unkontrollierbaren Störungen des Organis-
mus zu rechnen. Wenn die eine Substanz z. B. das Atemcentrum und
die andere das Herz halbtödlich schädigt, so kann mittelbar der ganze
Organismus zugrunde gehen, ohne eine dazu ausreichende Primär-
schädigung.“ Weiter unten führt er dann aus, daß das Papaverin
sicher einen andern Angriffspunkt haben müsse als das Morphin.
Wer nun meine Arbeiten aufmerksam gelesen hat, weiß
doch, daß ich keine Kombinationsregel für Substanzen aufgestellt
habe, von denen die eine — ich gebe absichtlich ein krasses Bei-
112) A. a. O.
3) Zehbe, M. med. Woch. 1912, S. 1543.
4) Schlimpert, ebenda S. 1544.
8, Caesar, Biochem. Zt. 1912, Bd. 42,
6) M. med. Woch. 1910, Nr. 46.
1) D. med. Woch. 1910, S. 1710.
8) M, med. Woch. 1910, Nr. 46; Diss. Bern 1910.
9) A. a. O. S. 1712.
10) A. a. O. S. 320/21.
spiel — auf den Darm und die andere auf das Gehirn wirkt. Die
verschiedenen Angriffspunkte müssen im großen und ganzen gleich-
sinnige Wirkungen hervorrufen, wenn sie sich überhaupt poten-
zieren sollen. Wenn man Wortklauberei treiben will, kann men
natürlich sagen: Tödliche Wirkungen seien gleichsinnig. Phar-
makologisch sind sie aber bekanntlich unter Umständen recht ver-
schieden. Die erwähnten Schlüsse von Issekutz bilden, wie
schon gesagt, eher eine Bestätigung der von mir aufgestellten
Regel, sie sind aber überhaupt nicht von Bedeutung für die Be-
urteilung meiner Auffassungen, da sie sich ausschließlich auf die
Feststellung letaler Dosen gründen. Wichtiger sind die Mit-
teilungen Straubs, die eine Steigerung des narkotischen Mor
phiumeffekts durch Narkotin bei der Katze beweisen.
Frl. Zeelen hat eine Potenzierungswirkung dieser Kombination
am Kaninchen nicht finden können, sei es, weil zu hohe Narkotindosen
gewählt wurden, sei es wegen der geringeren Reaktionsfähigkeit des ver-
wendeten Versuchstiers. Dagegen schreibt sie mit Bezug auf die Kom-
bination Papaverin-Morphium!) folgendes: „Hier und da fanden wir aller-
dings auch eine geringgradige Verstärkung der narkotischen Wirkung,
das heißt einen durch die Kombination bedingten Gesamteffekt, der etwas
höher war, als dem einfachen Additionsergebnisse nach hätte erwartet
werden müssen, so namentlich bei den Kombinationen von Papaverin mit
Morphium und von Papaverin mit Codein und Morphium. Diese Ver-
stärkung war aber eine äußerst geringe, sodaß sie eigentlich auch in die
Fehlergrenzen der Versuche hineingerechnet werden könnte... .“ Die
geringfügige Potenzierung, heißt es dann, könnte eventuell aus einem
durch verschieden rasche Resorption bedingten Nacheinander der Einzel-
wirkungen erklärt werden, das ja nach meinen Untersuchungen ebenfalls
zu Verstärkungen führt (freilich nicht bei allen Substanzen!) und auf das
von experimenteller Seite aus niemals geachtet wird, während es ver-
schiedene mir bekannte Chirurgen und Gynäkologen schon lange mit Vor-
teil verwenden. (Sie injizieren z. B. vor der eigentlichen Narkose eins
bestimmte Menge Morphium nicht auf einmal, sondern in zwei bis drei
Teildosen kurz nacheinander.)
Die von Straub angeführten Experimente sind für die Ån-
nahme einer starken Potenzierung des schlafmachenden Effckts
von Morphium durch Narkotin nicht beweisend. Katzen werden
durch Morphium nur in ein Rauschstadium versetzt, behandelt
man sie vorher oder gleichzeitig (nicht nachher) mit Narkotin,
so erzielt man eine sehr schwache Narkose, So lauten die Re-
sultate. Der Effekt ist nicht sehr wesentlich, seine Erklärung,
auch wenn man von meinen Anschauungen ausgeht, vieldeutig.
Ich habe, wie schon angegeben, gar keinen Grund, die Feststellung
einer gegenseitigen Wirkungspotenzierung von Opiumalkaloiden
aus den zwei chemisch verschiedenen Gruppen meiner Auffassungen
wegen ungern zu sehen. Es würde sich nur fragen, ob der chemi-
schen Ungleichheit ein ungleicher Angrifispunkt der narkotischen
Wirkung entspricht, was vorläufig niemand entscheiden kann, Dab
die Toxicität der einzelnen Glieder der Phenanthrengruppe ein
andere ist als die der Isochinolinreihe, steht fest und wurde schon
oben ausgeführt. Meinen sehr zahlreichen Untersuchungen nach
hat dagegen das Pantopon beim Kaninchen dem Morphium gegat:
über keinen potenzierten narkotischen Effekt, eine verstärkte Wir-
kung auf die Darmbewegungen liegt auch nicht vor. Die Resultate
Schwenters?), die sich auf Röntgenogramme stützen, sind hierfür
beweisender als die Angaben von Issekutz3). Straub schreibt,
daß ein Schluß von den genannten Kaninchenversuchen auf den
Menschen nicht berechtigt sei. Ich will das Theoretische dieser
Ansicht vorläufig als richtig ansehen, natürlich gilt es dann auch für
seine an Katzen vorgenommenen Narcophinversuche, und die zunächst
zu beantwortende Frage lautet daher: Wie stark sind die narko-
tischen Wirkungen vonPantopon und von Narcophineiner
seitsund vonMorphium anderseits beim Menschen? Salli
empfahl bei der Einführung des Pantopons als durchschnittliche Dosis
0,02, die Firma Böhringer & S. als gewöhnliche Narcophinmeng® 0,
(mit einem Morphingehalt von 0,01 [1]). Ich glaube mit allen mh
einig zu gehen, wenn ich 0,01 als die gebräuchliche, schon T&
erheblich wirksame, narkotische Morphiumdose erkläre. Das
Potenzierungspräparat Narcophin soll also in eine
Menge gegeben werden, die eine an und für sich K
nügende Morphiumdosis enthält; ähnlich steht ®8 i
dem Pantopon, mit dem Unterschiede, daß es von “
Fabrik nicht als ein Potenzierungsmittel angekündig
wird. Diese Tatsachen sprechen jedenfalls nicht für eine in in
Vielheitssubstanzen enthaltene Wirkungssteigerung, aber aus I
1) A. a. O. S. 598, SA.
2) Korr. f. Schw. Ae. 1912. — Schweiz. ärztl. Rdsch. 1914.
Röntg. Bd. 19.
3) Orvosi Hetilap 1912, S. 598,
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 2039
den, die später erwähnt werden sollen, auch nicht mit Sicherheit da-
gegen. Was sagt nun die klinische Erfahrung? Sie ist reichhaltig
das Pantopon, noch recht geringfügig das Narcophin betreffend. Sie
spricht entschieden gegen eine wesentliche Potenzierung der nar-
kotischen Kraft in diesen Präparaten. Zehbe!), der die ersten
klinischen Mitteilungen über das Narcophin gemacht hat, schreibt
direkt von einem in seiner Wirkung etwas schwächeren Ersatz-
‚mittel des Morphiums, und die Publikation Schlimperts?) über-
zeugt in dieser Hinsicht niemand vom Gegenteile. Sie nennt als
einen Vorzug des Narcophins „seine starke narkotische Kraft, die
sich in lange anhaltender Wirkung und hohem Grade von An-
algesie bei relativ geringer Trübung des Bewußtseins ausdrückt“,
also ungefähr das, was Brüstlein?) und Andere auch dem Pan-
topon nachrühmen. Der Narcophin-Scopolamin-Dämmerschlaf soll
länger dauern als der Morphin-Scopolamin-Dämmerschlaf. Die
Angabe dieses recht zweifelhaften Vorzugs kann unmöglich ge-
nügen, um so mehr als die Zahl der Versuche und die verwendeten
Vergleichsdosen nicht angeführt sind. Von einer erheblichen
Potenzierung der narkotischen Wirkung von Opiumalkaloiden durch
Kombination scheint also beim Menschen nicht die Rede zu sein.
Ich habe schon früher an verschiedenen Stellen ausgeführt, daB
eine Wirkungspotenzierung an und für sich noch keinen Vorteil
bedeutet. Die Mischung ist nur dann als therapeutischer Fort-
schritt zu bezeichnen, wenn sie im Vergleich zu dem von ihr ge-
wünschten Effekt weniger giftig ist. Potenzierung der guten bei
Verminderung der schlechten Eigenschaften stellt natürlich den
erstrebenswertesten Fall dar. Aber ein Produkt, in dem sich die
guten, das heißt die therapeutisch gewünschten Wirkungen bloß
addiert, die nachteiligen aber entschieden abgeschwächt haben,
kann auch als eine wesentliche Verbesserung betrachtet werden.
Das Pantopon und das Narcophin lähmen im Verhältnis zu ihrer
narkotischen Kraft das Atmungscentrum offenbar weniger als das
Morphium. Ich habe zuerst auf diese Eigentümlichkeit hinge-
wiesen und dem sogenannten Opiumproblem damit einen festeren
Boden gegeben. Dieses Problem beruht in der Annahme, daß die
Opiumwirkung eine andere ist als die des Morphiums. Außer der
soeben erwähnten geringeren Beeinflussung des Atmungscentrums
durch das Opium kann hier noch die soeben durch Schwenter®)
auf meinem Laboratorium exakt bewiesene schwächere (aber gleich-
sinnige) Wirkung auf den Darm als experimentelle Grundlage
gelten. Im übrigen sind wir über Vermutungen, die sich auf
schwer kontrollierbare klinische Erfahrungen stützen, nicht wesent-
lich hinausgekommen. oa
Will man die Ueberlegenheit des Narcophins dem Pantopon
gegenüber behaupten, so hat man also zunächst festzustellen, daß
es im Verhältnis zu seiner narkotischen Kraft das Atmungscentrum
weniger beeinflußt als das letztere. Solche Untersuchungen stehen
noch aus. Damit hätten wir aber die Frage noch immer nicht er-
ledigt. Eine starke Strömung in der gegenwärtigen Therapie will
den Drogen wiederum mehr Geltung verschaffen. Sie quillt aus
der Erfahrung, daß den Drogen und zum Teil auch den galeni-
schen Präparaten häufig eine zweckmäßigere Wirkung zukommt
als den aus ihnen hergestellten chemischen Individyen. Es handelt
sich hier freilich nicht immer um eine klare wissenschaftliche Er-
kenntnis, oft nur um Vermutungen und Ahnungen, denen aber
zahlreiche Beobachtungen am Krankenbett und neuerdings auch
recht viele und bemerkenswerte experimentelle Tatsachen als
Grundlagen dienen. Es ist sebr wohl möglich, daß das Opium
dem Morphium gegenüber noch viele andere Vorteile hat als die
schon angeführten. Die Untersuchungen haben nach dieser Rich-
tung hin ja kaum begonnen. Das Pantopon stellt nun die von
Schlacken gereinigte Opiumdroge dar. Auch Cäsar°), der
Schüler Straubs, sagt, daß die Potenzierung der Morphinwirkung
durch das Narkotin nicht die letzte Lösung des Opiumeffekts dar-
stellt. Man kann das Narcophin als eine eventuelle Ver-
besserung des Morphiums, nicht aber als einen voll-
gültigen Ersatz für Opium oder Pantopon gelten lassen.
Von verschiedener Seite wird die konstante Zusammen-
setzung des Narcophins gegenüber der inkonstanten des Pantopons
als besonderer Vorzug hervorgehoben. Will man, ausgehend von
den oben erwähnten oder von andern Ueberlegungen, Kombinations-
präparate herstellen, die der Natur selbst entlehnt sind, so ver-
1) A. a. O. |
2) A. a. O. |
3) Korr. f. Schw. Ae. 1910, Nr. 26.
1) A. a. O.
5) A. a. O.
zichtet man natürlich bis zu einem gewissen Grad auf absolute
Konstanz. Beim Opium kann man ohne weiteres den größten Teil
der narkotischen Wirkung dem Morphium zuschreiben. Die Neben-
alkaloide, welche zusammen an Menge fast ebenso viel ausmachen
wie das Morphium, spielen in dieser Richtung eine geringe Rolle.
Dies geht unter anderm sehr schön aus den Befunden von
Winternitz!) hervor, der gezeigt hat, daß die Gesamtheit der
Nebenalkaloide im Pantopon in hundertfach größerer Menge als
das Morphin gegeben werden können und in dieser Dosis eine im
ganzen als angenehm zu bezeichnende, schlafmachende Wirkung
äußern. Der bei Tierversuchen beobachtete krampferregende Effekt
der Alkaloide Papaverin und Thebain tritt dabei gar nicht zu-
tage. Das Pantopon hat einen konstanten Gehalt von 520/ọ Mor-
phium. Schwankungen in der Menge der Nebenalkaloide werden
durch Benutzung großer Mengen gleichmäßigen Ausgangsmaterials
möglichst vermieden. Sie stellen jedenfalls, wenn sie auftreten
sollten, notwendigerweise eine Größe zweiter oder dritter Ordnung
dar, welche in der Wirkung nicht in Erscheinung tritt. Bei
meinen sehr zahlreichen experimentellen und chemischen Unter-
suchungen mit Pantopon habe ich bis dahin niemals eine Ver-
schiedenheit der Zusammensetzung oder der Wirkung konstatieren
können?). Man spricht jetzt auf einmal so viel von den unange-
nehmen Nebenwirkungen des Opiums. Ich möchte wirklich fragen,
was man darunter versteht. Die gefährlichste ist die Beeinflussung
des Atmungscentrums. Nun, die ist beim Pantopon entschieden
geringer als beim Morphium. Die unangenehmste ist das Er-
brechen. Die Pantoponwirkung ist aber entschieden weniger mit
Erbrechen verbunden als die Morphiumwirkung. So liegen in Wahr-
heit die Verhältnisse.
Ich werde demnächst in einer speziellen Abhandlung über
die Pantopon-Scopolaminnarkose Gelegenheit nehmen, auf die Pan-
toponfrage noch etwas genauer einzugehen. Dem sehr inter-
essanten und wertvollen Präparat ist in der letzten Zeit etwas übel
mitgespielt worden, nicht zum mindesten durch die ungerecht-
fertigte Einreihung in die ohnehin sehr überflüssige zweifelhafte
Liste der Arzneimittelkommission. Das Pantopon ist immer noch
das einzige vollgültige Ersatzmittel für das Opium. Es ist
chemisch rein und praktisch als konstant zu bezeichnen und ver-
dient daher nach wie vor die besondere Beachtung der Aerzte und
der Experimentatoren. |
Heubner?) stellt in seiner schon erwähnten Besprechung
das Narcophin dem Codeonal gegenüber, und benutzt den Ver-
gleich zu einigen Ausfällen gegen meine Kombinationslehre.
Zunächst muß ich betonen, daß mir das Codeonal durchaus
nicht als eine glückliche Erfindung vorkommt. Da die Firma
Knoll die chemisch einheitliche Verbindung zwischen Kodein und
Veronal wegen der gar zu verschieden starken Wirkungen der
zwei Substanzen nicht als solche in den Handel bringen konnte
(Durchschnittsdosis für Kodein 0,025, für Veronal 0,5), war sie ge-
nötigt, ihr einen bedeutenden Veronalzusatz beizufügen. Wenn
aber doch einmal gemischt werden muß, kann man das Mischen
auch dem verordnenden Arzte überlassen. Das Codeonal leistet
doch sicher nicht mehr als eine entsprechende Mischung von Ko-
dein und Veronal, es bedeutet also nur eine Spekulation auf die
Bequemlichkeit der Aerzte. Außerdem ist das Kodein, wie die
ärztliche Erfahrung lehrt, an sich gar kein besonders gutes Hyp-
noticum. Es steht in dieser Hinsicht dem Morphium, selbst wenn
die entsprechend höheren Dosen gegeben werden, bedeutend nach.
Trotzdem kann ich mich über die Art der Kritik, die Heubner
hier geübt hat, nur wundern.
Er schreibt wörtlich: Ä
„Im Narcophin tritt Verstärkung der Wirkung ein, obwohl man
Morphin und Narkotin zu der gleichen pharmakologischen Gruppe zu
rechnen pflegt. Und unter dem Namen „Codeonal“ kommt in Ta-
blettenform ein Gemisch desNatrium- und Kodeinsalzes der Diäthylbarbitur-
säure in den Handel, das reine Addition zeigt, obwohl Veronal und Ko-
dein sicher verschiedenen pharmakologischen (Gruppen zugehören.
Codeonal entspricht pro Täblette etwa 0,14 g Veronal und 0,018 g Co-
deinum phosphoricum. Als Schlafdosis werden zwei bis drei Tabletten
empfohlen, also 0,28 bis 0,42 Veronal plus 0,036 bis 0,054 Codeinum
phosphoricum. Nimmt man jedes dieser Mittel für sich allein, dafür aber
jeweils die doppelte Dosis, so ergibt sich 0,6 bis 0,85 Veronal, be-
ziehungsweise 0,07 bis 0,11 Codeinum phosphoricum. Niemand dürfte
bezweifeln, daß diese Dosen bei jedem der beiden Mittel allein bereits
eine ganz hübsche Schlafwirkung ausüben. Die Maximaldosis für Veronal
1) D. med. Woch. 1912.
2) Siehe auch Annder, A. d. Pharm. Bd. 250, S. 186.
3 A. a. 0.
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2040 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.-50
beträgt 0,75, für das Kodeinsalz 0,1. Von einer „potenzierten“ Wirkung
ist also im Codeonal gewiß keine Rede, wie es in seinen Ankündi-
gungen heißt.
Damit fällt aber wohl überhaupt der ganze Sinn dieses Präparats
in sich zusammen. Daß ein Teil der Diäthylbarbitursäure mit der Ko-
deinbase salzartig verbunden ist, hat ja lediglich chemisches Interesse,
keine Spur therapeutisches; denn im Organismus trennen sich ja alle
Salze ohne weiteres in ihre Ionen, deren jedes isoliert wandert und zur
Wirkung kommt.“
Die Gegenüberstellung des Codeonals und des Narcophins,
die Heubner hier gibt, ist jedenfalls sehr eigenartig und kann
kaum als Beispiel tiefgründiger Sachlichkeit gelten.
Die Durehschnittsdosis für das Nareophin beträgt, wie wir
oben schon angegeben haben, 0,03 mit einem Morphiumgehalte von
0,01. Das Narcophin kann also als Präparat mit poten-
zierter Wirkung genau aus dem gleichen Grund ange-
fochten werden, den Heubner gegen das Codeonal, natür-
lich nur um meine Kombinationsregel anzugreifen, an-
führt. Denn auch hier kann man sagen: Infolge der Wirkungs-
potenzierung müssen 0,03 Narcophin nicht nur 0,01 Morphium, also
einer schon an und für sich für den narkotischen Effekt genügen-
den Menge, sondern etwa 0,02 Morphium entsprechen.
Heubner beurteilt also das Narcophin nach den Tier-
versuchen Straubs und das Codeonal nach den für die mensch-
liche Therapie empfohlenen Dosen. Mit dieser Methode der Polemik
kann man natürlich alles nach Gutdünken beweisen oder widerlegen.
Der Grund, den Heubner gegen das Codeonal ins Feld
führt und der nach den Gesetzen der Logik auch gegen das Nar-
cophin zu verwenden wäre, ist aber ein Scheingrund, der für beide
Substanzen keine zwingende Gültigkeit hat. Ein Pharmakologe,
der eine längere ärztliche Erfahrung hinter sich hat, begreift ganz
gut, warum die Fabriken gern so hohe Dosen angeben. Wie oft
versagen die üblichen Mengen der gebräuchlichen Schlafmittel am
Krankenbette! Meiner Ueberzeugung nach werden die abnorm
hohen Dosen nur empfohlen, um Mißerfolge, die einer Propaga-
tion des Mittels hinderlich sein würden, von vornherein möglichst
auszuschließen. Intoxikationsgefahren sind ja entschieden weniger
zu fürchten, da die Maximaldosen der Pharmakopöen ohnehin etwas
niedrig gewählt sind. Ich will dieses Vorgehen der Fabriken
damit durchaus nicht verteidigen, sondern nur erklären. Wenn
man also in diesem Falle zu einem gerechten Urteile gelangen
will, hat man sich nicht zu fragen, wie hohe Dosen empfohlen
werden, sondern was man mit den verwendeten Mengen erreicht,
und da muß ich denn doch sagen, daß die bisherigen klinischen
Publikationen für einen potenzierten Effekt des Codeonals sprechen.
In meiner Antwort an v. Issekutz!) habe ich geschrieben,
daß seine mit Opiumalkaloidkombinationen erhaltenen Resultate
keine Widerlegung, sondern im Gegenteil eine wertvolle Bestäti-
gung meiner Anschauungen bilden. Ich ging dabei von der Vor-
aussetzung aus, daß die Potenzierung der narkotischen Kräfte
von Opiumalkaloiden eine Tatsache sei, wenn man Glieder
der Isochinolin- (Papaverin, Narkotin usw.) und der Phenanthren-
reihe (Morphinkodein usw.) miteinander kombiniere. Die Straub-
schen Veröffentlichungen hatten mich in dieser Annahme bestärkt.
15. Dezember.
Eine genauere Durcharbeitung des Gebiets aber macht mir
diese Auffassung, die für mich die bequemste wäre, unsicher. Ich
habe die Gründe hier eingehend auseinandergesetzt und resü-
miere kurz:
1. Nachgewiesen ist die starke Potenzierung der allgemeinen
Toxieität von Opiumalkaloiden durch Kombination, wenn Glieder
der zwei chemisch verschiedenen Reihen gewählt werden (v. Isse-
kutz, Straub).
2. Diese Potenzierung ist schon von meinen Mitarbeitern
(Wertheimer, Bergien) beobachtet und beschrieben worden,
braucht aber mit der Potenzierungsart, von der meine Arbeiten
handeln, nicht identisch zu sein.
3. Die Potenzierung des narkotischen Effekts ist nur für
die Kombination Narkotin-Morphin bei der Katze nachgewiesen,
Sie scheint nicht bedeutend zu sein und beim Menschen zu fehlen.
Meinen Auffassungen nach könnte sie ebenso gut aus einem durch
verschieden rasche Resorption bedingten Nacheinander der Einzel-
wirkungen wie aus der chemischen Ungleichartigkeit der Kompo-
nenten, der verschiedene pharmakologische Angrifispuukte der
narkotischen Kraft entsprechen können, erklärt werden. Ein Be-
weis für diese Vermutungen ist aber nicht zu erbringen. Schlie-
lich kann diese geringfügige Potenzierung auch irgendeine andere
Ursache haben, da ich niemals behauptet habe, daß die
zwei von mir gefundenen potenzierenden Momente dis
einzig möglichen seien.
4. Für die menschliche Therapie sind weder das Opium noch
das Pantopon, noch das Narcophin als Arzneien mit potenzierter
Narkosekraft zu betrachten. Die klinischen Erfahrungen, die fast
durchweg mit den anempfohlenen recht hohen Dosen, die an sich
schon schlaferzeugende Morphinmengen enthalten, gemacht worden
sind, sprechen in Uebereinstimmung mit den früheren Mitteilungen
Bürgis für Vielheitsprodukte mit Additionswirkung ihrer Glieder.
5. Der eine Vorzug des Pantopons und des Narcophins dem
Morphin gegenüber besteht in einer im Verhältnis zu der narko-
tischen Kraft geringeren Beeinflussung des Atmungscentrums
(Bürgi, Löwy, Straub). Welches von den beiden Präparate,
das Pantopon oder das Narcophin, hierin die besseren Resultate
gibt, ist nicht bekannt.
Das "Opiumproblem ist aber mit der Feststellung dieser Ver-
hältnisse nicht erschöpft, und das Pantopon wird sich ebensowenig
wie das Opium jemals in die gleiche Stellung mit dem Narcophin
bringen lassen.
. Meine Kombinationsregel, die sagt, daß Arzneien
derselben Hauptgruppe bei gleichzeitiger Wirkung in
allgemeinen dann einen potenzierenden Gesamteffekt er-
geben, wenn sie verschiedene pharmakologische An
griffspunkte haben, ist für die Narkoticareihe als er-
wiesen zu betrachten. Ich werde die zahlreichen Beispiele, die
ich hierfür gegeben habe!), demnächst noch um viele wichtige ver-
mehren. Ich kenne in dieser Gruppe keine wirkliche Ausnahme
von der von mir erkannten Gesetzmäßigkeit, und doch habe ich
jetzt mit Hilfe meiner vielen Mitarbeiter schon so ziemlich alles
in dieser Reihe kombiniert, was praktische Bedeutung haben
könnte. (Schluß folgt)
Aus der Praxis für die Praxis.
Otologie
von l
Oberstabsarzt a. D. Dr. Ernst Barth, Berlin
(Fortsetzung.) ,
a) Otitis media acuta simplex.
Für die Differentialdiagnose von Mittelohrkatarrh und Mittel-
ohrentzündung gilt der Standpunkt, daß der Mittelohrkatarrh die
in der Paukenhöhle infolge von Tubenverschluß sich abspielenden
— bereits beschriebenen — Veränderungen umfaßt, während die
Mittelohrentzündung einer Infektion der Paukenschleimhaut ent-
springt. Entzündungserreger am häufigsten Streptococcus pyogenes
und Diplococcus pneumoniae, ferner der Influenza-, Typhus- und
Diphtheriebaeillus, sekundär der Staphylokokkus und Tuberkel-
bacillus, manchmal auch schon primär ein Gemisch von Keimen.
Den Infektionsweg bildet am häufigsten die Tube, indem die
Keime direkt durch die Tube in die Paukenhöhle geschleudert
werden (Schneuzen, Valsalvascher Versuch, Katheter), oder
1) Pfiügers A.
indem eine Entzündung der Rachen- beziehungsweise der Nasen-
schleimhaut auf die Tuben- und Paukenschleimhaut weiterkriecht.
Ferner kann die Infektion der Paukenschleimhaut auch dure
Verletzungen des Trommelfells hindurch erfolgen (Ausspülung®,
Perforation). Daß auch hämatogen Infektionen erfolgen, 3
wahrscheinlich.
Auf den klinischen Verlauf der Mittelohrentzündung habt
die verschiedenen Erreger — nur mit Ausnabme der tuberkulösen
Otitis — keinen speeifischen Einfluß, sie können alle die gleichen
klinischen Erscheinungen hervorrufen.
Die Otitis media acuta simplex zeigt folgendes Bild
Während eines Nasenrachenkatarrhs, welcher als Teilerscheinut
einer Allgemeinerkrankung oder als selbständige Krankheit auftritt
oder auch bei anscheinend voller Gesundheit stellen sich mehr 0 ef
weniger plötzlich Druckgefühbl und Schmerzen (Stiche) 1m =
ein. Die Schmerzen können bald sehr heftig werden. Das Tromme”
fell erscheint gerötet, zuerst gewöhnlich den Hammergrifl er
Die Rötung wird bald so intensiv, daß die Konturen des Tromme
1) Vide u. a, Zt. f. Phys. Bd. 14.
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50;
2041
folls nicht mehr erkennbar sind. Auch unter Schüttelfrost kann
die Erkrankung einsetzen. Die Hörweite ist bald herabgesetzt.
In leichten Fällen können hiermit die Symptome erschöpft sein
und wieder verschwinden, ohne zu weiteren Komplikationen zu
führen. Häufiger jedoch gesellt sich zu den genannten Symptomen
eine Exsudatbildung in der Paukenhöhle, das Trommelfell erscheint
stärker vorgewölbt, besonders im hinteren oberen Quadranten, die
Hörstörungen werden deutlicher. Auch noch in diesem Stadium
kann das ganze Krankheitsbild zurückgehen, ohne daß es zu einem
Durchbruch des Exsudats durch das Trommelfell kommt — Otitis
media acuta simplex seu non perforativa.. Das Trommelfeli kann
durchfeuchtet sein und es kann eine geringe Exsudation in den
Gehörgang stattfinden — ein Zustand, welcher von einer Perfo-
ration und Entleerung von Exsudat durch diese manchmal schwer
zu unterscheiden ist. |
Die Behandlung der Otitis media acuta simplex muß vor
allen Dingen darauf hinausgehen, eine weitere Entwicklung der
genannten Symptome aufzuhalten. Ist nicht schon durch ein
gleichzeitiges Allgemeinleiden (Scharlach, Masern, Influenza, Typhus
und dergleichen) die Bettruhe bereits innegehalten, so ist sie doch
auch in den Fällen zu fordern, in welchen sich die Symptome zu-
nächst nur auf Stiche und leichte Rötung des Trommelfells be-
schränken. Vorteilhaft ist die sofortige Durchführung einer stär-
keren Diaphorese (Aspirin 0,5, heiße Zitronenlimonade, zwei bis
drei Stunden reichlich schwitzen). Nicht nur die Schmerzen im
Ohr, der ganze entzündliche Vorgang im Ohr wird durch Wärme
günstiger beeinflußt als durch Kälte. Applikation eines Termophors
auf das äußere Ohr oder trockene warme Umschläge in Form von
warmen Tüchern, Kleiesäckeben und dergleichen. Die trockene
Wärme ist zweckmäßiger als feuchte. Der äußere Gehörgang
bleibt mit einem lockeren Wattetampon verschlossen.
Die Tatsache, daß die Ohraffektion von Erkrankungen der
Nase und des Rachens in der großen Mehrzahl der Fälle ausgeht,
weist darauf hin, daß auch hier die Behandlung eingreifen muß.
Jedoch besteht bei eingreifonderen örtlichen Prozeduren jetzt die
Gefahr, die örtliche Entzündung und damit die des Mittelohrs zu
verschlimmern. Jedenfalls ist es dringend zu widerraten, während
einer akuten Otitis Rachen- oder Gaumenmandeln zu entfernen
oder ähnliche Operationen in der Nase vorzunehmen. Zweckmäßig
hingegen ist es, jede Sekretstauung in Nase und Rachen nach
Möglichkeit zu vermeiden: Gurgelungen mit indifferenten Lösungen
(Kochsalz, Borsäure, Kali chloricum 1 bis 2%). Vorsichtiges und
regelmäßiges Schneuzen. Man lasse ein Nasenloch zudrücken und
durch das offene ‚blasen, nicht beide Nasenlöcher gleichzeitig
schließen, weil bei Verschluß beider Nasenlöcher die Gefahr be-
steht, entzündliches Material in die Tube zu treiben. Auch ört-
liche Pinselungen sind zu widerraten. Hingegen hat man die An-
wendung der Luftdusche mit dem Katheter häufig als ein sehr
end Hilfsmittel auch bei ganz frischen Entzündungen ge-
unden.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreforat.
Chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie bei Tuberkulose
von Prof. H. v. Bardeleben, Berlin.
(Fortsetzung aus Nr. 49.)
Die Erfahrungen bei der Operation der Peritonealtuberkulose
decken sich übrigens in dieser Beziehung mit denjenigen der Ge-
nitaltuberkulose und wir finden hier die Analogie der Korrelationen
klinisch wieder, welche sich bereits im Sektionsmaterial offenbarte.
Pape sah in drei Fällen, wo nur Verdichtungen im Lungengewebe
nachweisbar waren, der Prozeß aber latent und stationär erschien,
keinerlei Reaktion eintreten und alle gesunden. Ebenso beobach-
tete Weißwange bei drei Fällen sogar Ausheilung von Spitzen-
katarrhen im Anschluß an die Operation, Israel einmal das Auf-
hören der Symptome einer trockenen Lungentuberkulose, und
Merkel einmal nach einem Jahr, einmal nach zwei Jahren das
Verschwinden eines Spitzenkatarrhs. Damit im Einklang stehen
auch die zahlreichen Beobachtungen von Neu an der Heidelberger
Klinik, welcher zumeist eine deutliche Besserung der Lungen-
erkrankungen, vornehmlich bei den ausgiebig Operierten, sah. Die
Wechselwirkung zwischen Lunge und Generationstraktus bei beider-
seitiger tuberkulöser Affektion erinnert also in einer Beziehung,
nämlich in bezug auf die Lunge an den Einfluß der Schwanger-
schaft auf die Lungentuberkulose: Danach ist der Versuch eines
konservativen Heilverfahrens der Genitaltuberkulose nur zulässig,
solange die Gesundheit oder aber die Inaktivität und Latenz
eines gleichzeitigen Lungenherdes außer Frage steht. Sobald sich
auch nur der Beginn eines aktiven Fortschreitens in dem tuber-
kulösen Lungenprozesse bemerkbar macht, darf mit der Operation
der Genitaltuberkulose nicht gezögert werden, damit wir nicht bei
unnützem längeren Zuwarten nachher zu spät kommen. Ständige
Kontrolle etwaiger Lungenprozesse ist also der erste Grundsatz
der Behandlung bei dem Verdacht auf Genitaltuberkulose, da sie
ja die überwiegend häufigsten, fast regelmäßigen Komplikationen
im klinischen Sinne darstellen und von so einschneidender Be-
deutung werden können. Und daraus ergibt sich, daß in allen
Fällen, ob wir nun operieren oder nicht, als wesentlichste Unter-
stützung der lokalen Therapie eben dieselbe allgemeine Behand-
lungsweise Platz zu greifen hat, welche wir bei Lungentuberkulose
anzuwenden gewohnt sind, und daß wir bei jeder Lungentuber-
kulose grundsätzlich an die Möglichkeit einer Genitaltuberkulose
zu denken haben, um sie rechtzeitig zu erkennen und auszu-
schalten, sobald der Lungenprozeß es erfordert.
Die Ausheilung der Genitaltuberkulose erfolgt gewiß mit-
unter spontan, oder ohne daß wir es wissen, unter konservativer
Therapie. Den Beweis liefert Amanns Angabe, daß er vier Jahre
hindurch sein beträchtliches Material an Adnexentzündungen aus-
schließlich resorptiv behandelt hat.
Der Prozentsatz an Tuberkulose bei Adnextumoren beträgt aber
minimum 3 °/, (A. Martin), nach Bondy für Wien 13 °/,, für Tübingen
33,3 %/o nach von Rosthorn für Prag 5%), nach Menge für Leipzig
100) und nach Pankow für Freiburg 11,50%. Amann hat also
zweifellos eine ganze Reihe von Genitaltuberkulosen unbewußt konservativ
behandelt und scheinbar mit Erfolg.
Auffallend bleibt immerhin die Seltenheit, mit welcher auf dem
'Sektionstisch eine ausgeheilte Genitaltuberkulose diagnostiziert wird.
Die Untersuchungsreihen von Simmonds, Schlimpert, Albrecht
berichten von keinem derartigen Falle. Das vielzitierto Präparat von
Alterthum wurde durch Operation gewonnen.
Fassen wir diese Erfahrungen mit den andern bereits be-
richteten Beobachtungen zusammen, so kommen wir zu dem Er-
gebnis, daß die Genitaltuberkulose weder eine absolut harmlose,
noch eine absolut verhängnisvolle Erkrankung ist, sondern daß es
gutartige und bösartige Fälle zu trennen gibt.
So sehr nun auch die Diagnostik der Genitaltuberkulose vor
der Operation im argen liegt, lassen sich doch einige Formen
klinisch abgrenzen, bei denen sich mit großer Wahrscheinlichkeit
sagen läßt, daß sie zu den fortschreitenden oder zu den stationären
Prozessen gehören, mit demselben Maße von Möglichkeit oder
Sicherheit, wie sich etwa tuberkulöse Prozesse an der Lunge be-
urteilen lassen und welche durch den Umstand nicht geschmälert
werden, daß die Tuberkulose überhaupt zu den Krankheiten ge-
hört, für welche wir ebensowenig ein Allheilmittel besitzen, wie
unfehlbare Erkennungszeichen für ihren ferneren Verlauf, die uns
in keinem Fall im Stich ließen.
‚Durchaus typische palpatorische Merkmale gibt es freilich
nicht, nur solche, welche die Möglichkeit nahe legen: Knötchen-
tastung (Hegar, Loehlein), Pseudotumoren, ferner Symptome,
wie eigenartige unregelmäßige Blutungen oder Hypersekretionen,
ein andermal Amenorrhoe mit oder ohne Schmerzen, welche auch
aus. anderer Ursache vorkommen können, aber bei gleichzeitig vor-
handenem Ascites oder nachweislicher oder überstandener tuber-
kulöser Lungenerkrankung begründete Verdachtmomente bilden.
Primäre und sekundäre Sterilität spielen bei der Genital-
tuberkulose eine bedeutsame Rolle, wie Ahlefelder und Rosen-
stein überzeugend nachgewiesen haben. Hypoplasie (Sellheim,
Amann, Merletti, Truzzi und Andere) ist ein relativ häufiger,
aber keineswegs ständiger Nebenbefund.. Das von Birnbaum
empfohlene Tuberkulin versagt nicht selten (Pankow, v. Franqu&,
Zöppritz, Stöckel, Cohn, Lagothetopulos). Neu hält die
probatorische Impfung mit Alttuberkulin sogar gelegentlich für
nachteilig. Er sah danach Reaktionen, welche eine rapide Ver-
schlechterung des Allgemeinbefindens herbeiführten. Schlimpert
stellte seine und Pankows Fälle zusammen, im ganzen 72 Ad-
nextumoren, und fand, daß positive, lokale Reaktion unter 21 Fällen
zwölfmal trügerisch war, während sich unter 51 Fällen mit nega-
tiver Lokalreaktion zehn tuberkulöse Erkrankungen befanden, und
TEEN e = B men N EN are = we:
PE EE - = 53 FE —E aa Pte eg Sn = paie AR Ar ee ee A
En ee
2042 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember,
zwar wurden alle Fälle durch die Autopsie bei der Operation
nachgeprüft. Endlich empfiehlt Fehling zur Differentialdiagnose
von Adnextumoren die Prüfung. des antitryptischen Titers
(Katzenbogen). Seine Erhöhung, welche Trebing und Brieger
zuerst bei konsumierenden Erkrankungen gefunden hatten, zu-
gleich mit dem Fehlen von Hyperleukocytose und dem Mangel
von Gonokokken, bezeichnet Fehling als typisch für tuberkulöse
Adnexerkrankungen. |
Die Untersuchung des Vaginal oder Vulvasekrets ist be-
deutungslos. Schüttke fand unter 57 Fällen nur einmal Tu-
berkelbacillen bei einer gesunden Frau, bei allen mit manifesten
Tuberkulosen kein einziges Mal. Darüber, ob vorsichtig mit
dünnen Döderleinschen Röhrchen entnommenes Uterussekret
durch Verimpfung auf Nährböden oder in das Bauchfell von Meer-
schweinchen zuverlässigere Ergebnisse fördern würde, fehlen die
nötigen Erfahrungen.
Die einzige unfehlbare Diagnose läßt sich stellen durch das
Mikroskop, durch den Nachweis von Tuberkelbacillen im Gewebe,
im Schnitt, oder mit Antiforminverfahren, oder von einwandfreien
epitheloiden Tuberkeln und Riesenzellen, endlich durch Infektion
empfänglicher Tiere mit Gewebsstückehen. Dazu gehört aber ent-
weder eine Curettage oder Excision bei der Operation.
Das gilt wenigstens für die häufigeren und wichtigeren
Fälle von Tuberkulose der oberen Abschnitte des Genitaltraktus,
Ulcerationen der Vagina oder der Vulva sind meist Nebenbefunde.
und, wenn sie klinisch isoliert auftreten, durch breite Excision
leicht zu entfernen (Krömer). Tumorartige Bildungen an der
Vulva, wie sie Döderlein aus der von Winckelschen Klinik be-
schrieben und aus der Literatur zusammengestellt hat, können
zwar leicht mit Sarkomen verwechselt werden, haben aber nach
Feststellung ihrer Natur durch Probeexeision keine besondere
chirurgische Bedeutung. Nicht anders steht es mit den polypösen
Bildungen an der Cervix, deren Maly neun Fälle aus der Lite-
ratur berichtet und selbst einen beschreibt. Die. Differential-
diagnose mit Careinom ist von Interesse. Tatsächlich ist die Ver-
wechslung öfter passiert (P6an, Michaelis, Maly und Andere).
An Stelle der einfachen Excision, der Ausbrennung oder der hohen
Portioamputation ist in solchen polypösen oder ulcerösen tuberkulösen
Erkrankungsfällen der Cervix zweckdienlicher, die vaginale Uterus-
exstirpation auszuführen, wobei etwa veränderte Adnexe gleich
mit entfernt werden, obgleich ja an dem Sektionspräparat von
Kaufmann und bei den von Drießen, Glockner und Michaelis
durch Totalexstirpation gewonnenen Organen Corpus uteri und
Adnexe frei waren.
Der Peritonealtuberkulose sei in diesem Zusammenhange nur
mit einigen wenigen Worten gedacht. Seitdem die Möglichkeit
ihrer spontanen Heilung durch Autopsien bei Sektionen und bei
Relaparotomien, ferner durch Experimente festgestellt worden ist
(Bumm,Zweifel,Israel,Hildebrandt, d’Urso,Meimann u. A.),
wurde der Wert ihrer operativen Therapie zugunsten eines kon-
servativen Verhaltens in Frage gezogen. Als Argumente gelten
gegen die Operation die primäre Sterblichkeit, Entstehung von
Kotfisteln, Bauchbrüche, einfache tuberkulöse Bauchfisteln, deren
prozentuale Häufigkeit Döderlein durch Wunderlich und
Espenschied erheben ließ. Für die konservative Therapie werden
von allen ihren Anhängern die Resultate von Borchgrevink und
Rose ins Feld geführt, offenbar ohne nähere Nachprüfung. H. W.
Freund macht darauf mit Recht aufmerksam.
Baisch fand bei seinen umfangreichen Nachuntersuchungen,
daß Patientinnen mit Genitaltuberkulose oder Peritonealtuberkulose
nach vier bis fünf Jahren sozusagen gesund oder tot sind, also
analog dem Verlaufe der Lungentuberkulose Von Borchgre-
vinks 22 konservativ, das heißt zum Teil auch mit Punktion be-
handelten Fällen, für welche er 82 °%/, Heilungen angibt, sind nur
sechs Fälle länger als zwei Jahre beobachtet, und diese er-
geben nur 27,20, Dauerheilungen. Von 52 Fällen Roses waren
nur 13 länger als zwei Jahre in Beobachtung. Dennoch wurde
nur 310%/, „Heilung“ erzielt. |
Die aseitische Form der Genitaltuberkulose, welche Borch-
grevink fast ausschließlich behandelte, hat an und für sich die
beste Prognose. Bei geringerem Erguß und gutem Allgemein-
befinden ist hier zweifellos die nichtoperative Behandlung an-
gezeigt. Die schlechteste Prognose gibt die trockene käsige
Peritonealtuberkulose. Dazwischen steht die adhäsive Peritoneal-
tuberkulose ohne Vereiterung oder Verkäsung.
Also auch bei der Peritonealtuberkulose sind Formen von
ganz verschiedener Dignität zu unterscheiden. Auch hier gibt es
Fälle, bei denen die Operation hoffnungslos ist und daher besser
zu unterbleiben hat, andere, bei denen die Operation überflüssig
ist, weil die geringfügigen Erscheinungen bereits konservativen
Maßnahmen weichen. Dazwischen liegen die Fälle, welche sich
durch Allgemeinbehandlung nicht sichtlich bessern, sodaß sie des-
halb zur Operation kommen, welche alsdann recht gute Erfolge |
zeitigt.
Die neueren Angaben hierüber decken sich vollkommen mit
den zahlreichen früheren Erfahrungen, welche Fromme aus der
Gesamtliteratur niedergelegt hat, nämlich 60 bis 70%), Dauer-
erfolge (Labhard, Zweifel). Schickele fand von 15 über fünf
Jahre Beobachteten zehn Heilungen, von zehn über sieben Jahre
"sechs völlig Gesundete. Die primäre Mortalität ist bei allen
diesen, wie bei den folgenden Zahlen natürlich inbegriffen. Ebenso
wird der Tatsache Rechnung getragen, daß verschiedene Zufalls-
befunde gelehrt haben, daß Klinische und anatomische Heilung
nicht immer identisch sind. Aber auch Fälle schwerster Art von
eitriger adhäsiver Peritonealtuberkulose, deren spontane Heilungs-
tendenz so minimal ist, dab sie durch einwandfreie Beobachtung
noch nicht bestätigt werden konnte, wurden in relativ hohen
Prozentsätzen (zirka 50°/,) durch Operation geheilt (H. W,
Freund, Pape). Von den 22 Fällen von Baisch ist die Hälfte
gestorben, und zwar sind von elf exspektativ behandelten Kranken
acht gestorben, von elf Operierten acht gesund geworden, sodal
die soeben berichteten Ergebnisse, welche alle Formen umfassen,
einen recht erheblichen Erfolg der operativen gegenüber der kon
servativen Therapie bedeuten. Ä
Es muß nach lückenloser Würdigung aller in Betracht
kommenden Erfordernisse, welche Trugschlüsse oder Einseitigkeit
der Statistiken ausschließen, festgestellt werden, daß die These
Krönigs, nach vier bis fünf Jahren seien operative und nieht-
operative Erfolge nahezu gleich, nach den bisher vorliegenden ein
schlägigen Erhebungen tatsächlicher Grundlage entbehrt.
Aehnlich liegen nun die Verhältnisse bei der Genitaltuber-
kulose. Es besteht nur der erschwerende Unterschied, dad die
Diagnose der Peritonealtuberkulose und die Differentialdiagnose
ihrer verschiedenen Formen leichter und zuverlässiger zu stellen
ist. Am schwierigsten ist die Erkennung der Uterustuberkulos,
welche mitunter zufällig bei Curettagen aus andern Gründen ent-
deckt wurde, so von Henkel bei seinen anatomischen Unter-
suchungen über die Wandlungen des Endometriums, und von
Target siebenmal unter 1000 Curettagen.
Im Sektionsmaterial sehen wir die Erkrankung des Uterus
an Tuberkulose ohne Mitbeteiligung der Adnexe bei Simmonds
in neun von 80 Fällen, in 85°/, Mitbeteiligung der Tuben bi
Endometritistuberkulose. Peritonealtuberkulose scheint bei iso-
lierter Uterustuberkulose nur einmal unter neun Fällen gleichzeitig
vorhanden gewesen zu sein. Unter seinen 36 klinisch oporiertan
oder obduzierten (drei) Fällen beobachtete Blau dreimal isolierte
Uterustuberkulose. Das Peritoneum war in allen drei Fällen fre
von tuberkulösen Veränderungen.
Gerade diese selteneren Formen isolierter Uterustuberkulo®
aber scheinen häufig besonders bedrohliche Zustände darzustellen,
wie mich eine eigne Beobachtung und die einschlägigen Fälle aus
der Literatur lehren (Henkel, Gräfenberg, Höhne und Andero).
Der Uterus ist frei beweglich, seine Umgebung palpatorisch ohne
Besonderheiten. Eigentümliche, ständig zunehmende Schmerz
im Leibe, mit Gefühl von Hitze und Brennen und unangenehme
Fülle, gleichzeitig Auftreten von vorher noch nicht dagewesenem
Ausfluß oder schleimig blutigen Absonderungen, bei Menstruierten
mit Dysmenorrhöe verbunden, müssen den Verdacht solcher krank-
haften Zustände zur Wahrscheinlichkeit verdichten, wenn Gont
kokken fehlen, an der Lunge aber oder an andern Organen Cib
Reste überstandener oder gar vorhandene Tuberkulose nachwöls-
bar sind. l
Im Klimakterium sind die Symptome auffälliger und können
maligne Vorgänge vortäuschen. Im geschlechtsreifen Alter können
die Symptome zur Verwechslung mit einer frischen Korpus
gonorrhöe führen, zumal wenn die anderweitigen tuberkulösen
Herde nicht auffällig sind. i ten
Die Curettage zur Diagnose ist hier aber, wie die ppuan,
Beobachtungen beweisen, genau so unangebracht wie am
einer frischen Korpusgonorrhöe oder einer septischen Endomekrl
da sie zu leicht zur schnellen weiteren Ausbreitung führt, m 1
vor ihrer Anwendung bei völlig beweglichem Uterus und g'e
zeitig begründetem Verdacht auf Uterustuberkulose nicht genw
gewarnt werden kann. Gelingt eine Klärung der Diagnose a
Zuhilfenahme aller weiter oben bezeichneten Hilfsmittel, vor
aber durch Sekretentnahme aus dem Uterus M
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2043
Döderleinschen Röhrchen, so ist die sofortige Entfernung des
Uterus und der Tuben geboten. Sonst sind wir auf Abwarten an-
gewiesen und müssen es nur rechtzeitig zu verhindern suchen,
daß ein weiteres Umsichgreifen, dessen Beginn sich unzweideutig
ankündigt, verhängnisvolle Dimensionen annimmt (Höhne, Gräfen-
berg).
ö Die Probecurettage ist also gerade dort nicht ganz ungefähr-
lich, wo sie uns die größten Dienste leisten könnte. Aber selbst
bei scheinbar fest verlöteten Tuben und sicherem Abschlusse gegen
die Bauchhöhle können bedenkliche Zufälligkeiten danach auf-
treten (Stolper, Nebesky, Albrecht, Verfasser). Da aber
anderseits voa mehreren Autoren sogar therapeutische Erfolge
hierbei berichtet werden (Walther, Vaßmer, Halbertsma,
Pape), so mag in solchen Fällen die Curettage zu diagnostischen
Zwecken mit möglichster Einschränkung angewendet werden. Was
aber dadurch für die Heilung gewonnen werden soll, ist ebenso-
wenig verständlich, wie etwa bei einer septischen oder gonorrhoi-
schen Endometritis. Die völlige Entfernung der Infektionserreger
kann dabei nicht erreicht werden, das beweist am besten der Fall
von Vaßmer, welcher dieselben nach der dritten Curettage immer
noch vorfand. Die Infektionskeime könnten dadurch höchstens in
tiefere Gewebsabschnitte verimpft, in Gefäße oder Lymphspalten
verschleppt werden. Rationeller wäre es daher in solchen Fällen,
das Jodoformglycerin, welches bereits Hegar als Unterstützung
empfahl, allein und ohne Curettage anzuwenden.
Der Verdacht auf Tuberkulose ist bei nachweislichen Adnex-
tumoren viel naheliegender, schon allein wegen der relativen
Häufigkeit, da ja die Tube der Prädilektionssitz der Tuberkulose
ist. Es müssen nur Begleitumstände darauf hinweisen, vor allem
wiederum anderweitige tuberkulöse Vorgänge und dann insbeson-
dere der Ascites. Die Knötchentastung im Douglas ist nicht strin-
gent. Albrecht fand sie viermal unter fünf Fällen ohne Genital-
tuberkulose bei der Sektion.
Die Symptome und der Einfluß der Genitaltuberkulose auf
das Allgemeinbefinden sind für den Eingriff entscheidend. Es sei
dabei nochmals darauf hingewiesen, daß die tuberkulösen Adnex-
erkrankungen keineswegs häufig so symptomlos verlaufen, wie
Krönig auf Grund einiger besonders günstiger Fälle anzunehmen
geneigt ist. Das zeigen unwiderleglich die sorgfältig wieder-
gegebenen Vorgeschichten in den 36 Krankheitsberichten von Blau.
Bei allen solchen Adnextumoren, die wir, gestützt auf das Ergeb-
nis einer oder mehrerer der diesbezüglichen Untersuchungsmethoden
als tuberkulös anzusprechen berechtigt sind, kommt die Operation
in Betracht, sobald die vorhandenen lokalen Beschwerden bei all-
gemeiner und lokal resorbierender Therapie (Jod, Jodoformglycerin,
Fango, Röntgenstrahlen, Radium, Lichtbäder) nicht schwinden,
sondern beständig an Intensität und Umfang zunehmen.
Die Operation ist dringend geboten, falls der lokale Prozeß
plötzlich schnell fortschreitet, oder wenn bei längerer sorgfältiger
Ueberwachung eine zunehmende Beeinträchtigung des Allgemein-
befindens einwandfrei zutage tritt. Hierzu gehört in erster Linie
die Abnahme des Körpergewichts, zunehmende Anämie mit leb-
haften Ernährungsstörungen, welche in wenigen Monaten zum Zu-
stand ausgesprochener Unterernährung führen können (Blau).
Das Auftreten von Fieber ist im allgemeinen ein ungünstiges
Zeichen, obschon ja Rißmann unter acht fieberhaften Fällen sechs
glückliche operative Erfolge hatte. Die Mehrzahl der Autoren
machten hierbei ungünstige Erfahrungen. Und das ist begreiflich,
da ja das Fieber den sichersten Ausdruck florider, fortschreitender
Prozesse bei Tuberkulose bedeutet, wenn nicht etwa die Ursache
in einer Mischinfektion eitriger Tubensäcke zu suchen und zu
finden ist. Wir haben daher bereits viel aus der Hand gegeben,
wenn wir bis auf das Eintreten von Fieber warten, weil dadurch
in den meisten Fällen die Prognose an und für sich bereits eine
bedeutend ungünstigere geworden ist. Gleichviel, ob das Fieber
von den tuberkulösen Prozessen in der Lunge, im Darm oder im
Genitale herrührt. | |
Insofern und nach diesen Gesichtspunkten können wir die
operativen Fälle von denjenigen trennen, bei welchen zunächst oder
überhaupt die konservative Behandlung angebracht ist. Freilich
kann auch hier bei scheinbar torpidem Verhalten ein unvermittelter
Ausbruch mit rapidem Umsichgreifen verhängnisvolle Ueber-
Taschungen bringen, wie Albrecht bei einem 18jährigen ein
halbes Jahr konservativ behandelten Mädchen erleben mußte.
Manchmal kommen wir auch dann noch rechtzeitig, obschon
der Wert der exspektativen Behandlung durch solche Erlebnisse
sehr beeinträchtigt wird. Baisch erfuhr dies unter 17 konser-
vativen Fällen viermal, nach eineinhalb bis vier Jahren. Bei allen
ist nach der Operation vollkommene Dauerheilung eingetreten.
Gegen das Vertrauen auf die spontane Heilungstendenz der Tuben-
tuberkulose spricht noch mehr der Verlauf bei zwei Patientinnen
von Baisch, die an sich beide sehr wohl zur Operation geeignet
gewesen wären, dieselbe aber verweigerten, und nach eineinhalb
beziehungsweise zwei Jahren gestorben sind.
Das Gegenstück zu diesen langsam oder plötzlich fortschrei-
tenden Formen von Genitaltuberkulose bilden einige Fälle von
Ahlefelder, bei denen Curettage, Stomatoplastik, Myomenuklea-
tionen, Prolapsoperationen, Vaginifixur, Loslösung und Resektionen
verklebter Adnexe vorgenommen wurden, ohne die geringste Reak-
tion und ohne den Gedanken an einen tuberkulösen Prozeß, der
sich erst nachher bei Untersuchung des Präparats herausstellte.
Das sind Typen von Genitaltuberkulose, die als solche einer Ope-
ration nie bedürfen, häufig überhaupt keiner Behandlung. Ein-
griffe gegen zufällig nebenher vorhandene störende Zustände führen
beiläufig zu ihrer Aufdeckung. (Schluß folgt.)
Sammelreforate.
Bericht über einige neue Arbeiten aus dem Gebiete der
orthopädischen Chirurgie
von Dr. Siegfried Peltesohn, Berlin.
Wolff (1) untersucht die Frage, inwiefern man aus der Form
einer Skoliose oder Kyphose auf ein vorangegangenes Trauma und
dessen Einwirkung schließen könne. In den Entwicklungsjahren
sieht man vorwiegend zwei scharf umschriebene Formveränderungen
am Rumpf entstehen, die eine, die habituelle Skoliose, als eine
Folge einer Insuffizienz der Rückenmuskulatur, die zweite, die
Kyphoskoliose, als eine Folge einer Insuffizienz der Wirbel, meist
auf dem Grunde der Rachitis. Die Entwicklung dieser Formver-
änderungen geht langsam vorwärts; es entsteht zuerst die seit-
liche Abweichung, zu ihr gesellt sich die Rotation mit ihrem
Folgezustand, der Niveaudifierenz der Rippen, - schließlich die In-
flexion, das heißt die Keilbildung in querer Richtung und in
sagittaler Richtung. Hierdurch kommt es zu den so charakte-
ristischen langbogigen, seitlichen Krümmungen der Wirbelsäule.
Die Konfiguration der Wirbelsäule mit ihren mechanischen Hem-
mungen bewirkt, daß auch die traumatischen Einwirkungen ge-
wisse typische Formen des Rückgrats entstehen lassen. Einreißen
. der langen Rückenmuskulatur wird durch ein Ausweichen des
Rumpfes nach der gesunden Seite beantwortet; es entsteht eben-
falls eine Skoliose, aber von ganz anderer Form als die bei der
habituellen Skoliose. Die Verletzung betrifft meist die Lenden-
wirbelgegend; es zeigt sich ein kurzer Ausgangsbogen, es besteht
intensive Schmerzhaftigkeit und Starrheit der Bewegungen. Später
pflanzen sich entzündliche Erscheinungen auf die Muskelscheide,
die Wirbelgelenke und die Nerven fort und führen schließlich zu
dauernden Veränderungen. Verletzungen der Bandscheiben be-
wirken fettige Degeneration der letzteren und schließlich Ankylose
der zwei benachbarten Wirbel, meist ohne Gibbus. Von den Ver-
letzungen der knöchernen Wirbelsäule nehmen die Frakturen das
größte Interesse in Anspruch. Hier kommt es durch Einwirkung
der Schwere, sowohl wenn die Kranken Bettruhe halten als wenn
sie — was meist der Fall ist — umhergehen, zu einer Kyphose,
indem der noch mangelhafte, weiche Callus zur Aufrechterhaltung
der Form nicht genügt. Es handelt sich also hier um rein me-
chanische Einwirkungen, und es braucht daher keine specifische
rarefizierende Ostitis angenommen zu werden. Das der Spondy-
litis schließlich so ähnliche Bild gibt nicht die Berechtigung, von
einer traumatischen Spondylitis zu sprechen. Das Wichtigste ist,
daß sich an eine Wirbelverletzung stets eine typische, kurzbogige
Kyphose mit oft intensiv schmerzhaften Erscheinungen anschließt.
Gesellt sich gelegentlich eine leichte seitliche Verbiegung hinzu,
so beherrscht doch diese letztere niemals das Krankheitsbild. —
Was die Frage betrifft, ob die klassische Kyphoskoliose einem
Trauma ihre Entstehung verdanken könne, so ist dieselbe besonders
wichtig von dem Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung. In dieser
Beziehung kann nur betont werden, daß zur Umformung einer ge-
raden oder wenigstens annähernd geraden Wirbelsäule zu einer
klassisch kyphoskoliotischen Jahre gehören. Eine Kyphoskoliose,
die man bei einem Verletzten nach Ablauf der Karenzzeit beob-
achtet, als eine traumatische zu bezeichnen, ist in keinem Fall
angängig, ganz besonders nicht bei einem Individuum, das die Ent-
wicklungsjahre hinter sich hat.
Die Verletzungen der Wirbelsäule, die früher bezüglich ihrer
ätiologischen Wertigkeit für die Entstehung der Skoliose über-
2044 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
schätzt wurden, werden in bezug auf ihre Häufigkeit auch heute
noch vielfach unterschätzt. Speziell kommen die Verletzungen des
Halsteils viel häufiger vor, als im allgemeinen angenommen wird.
Erst die Röntgenstrahlen haben diesbezüglich bessere Erkenntnis
gebracht, da sie gezeigt haben, daß diese Verletzungen nicht not-
wendigerweise Läsionen der Medulla spinalis im Gefolge haben
müssen, worauf man gerade in der Vorröntgenära die Diagnose
der Halswirbelbrüche basierte Das ergibt sich unter anderm aus
einer Monographie von André und Jules Boeckel (2), welche
sich auf 95 Fälle der Literatur und 15 eigne Beobachtungen von
Frakturen im Bereiche der Halswirbelsäule ohne Rückenmarks-
läsion stützt. Es zeigte sich, daß die klinischen Erscheinungen,
die oft minimal sind, in einem ausgesprochenen Gegensatze zu den
mitunter recht ausgedehnten anatomischen Läsionen stehen, wie
sie das Röntgenbild entschleiert. In prognostischer Hinsicht ist
zu bemerken, daß die Voraussage heutzutage anders als früher
angesehen werden muß. Denn von den 31 seit der Entdeckung
der Röntgenstrahlen (wovon 14 den Atlas oder Epistropheus, 17
die übrigen Halswirbel betrafen) beobachteten Verletzten ist keiner
gestorben, während vordem von 36 Fällen (von denen 17 den Atlas
oder Epistropheus und 19 einen der übrigen Halswirbel betrafen)
22, das sind 63,8 0/ọ, gestorben waren. Die Frakturen der Hals-.
wirbelsäule ohne Rückenmarkssymptome sind eben in der Vor-
röntgenära meist als bloße Verstauchungen, Kontusionen, Rheu-
matismen, sogar als Simulationen gedeutet worden. Es ergibt sich
also von neuem die Notwendigkeit systematischer Anwendung der
Radiographie bei den Brüchen, da die Diagnose Fractura columnae
vertebralis auch für die Therapie bedeutungsvoll ist.
Daß die Berechnung der letztgenannten Autoren richtig ist,
kann man auch aus den Mitteilungen von Malkwitz (3) ent-
nehmen, der über neun Fälle von Totalluxationen und Total-
luxationsfrakturen der Halswirbelsäule aus der Höftmanschen
Klinik in Königsberg berichtet. Das auffälligste an all den be-
schriebenen Fällen war entschieden, daß Erscheinungen von seiten
des Rückenmarks fast gänzlich fehlten, obwohl die Dislokation des
luxierten Wirbels zum Teil wenigstens eine sehr hochgradige war.
An nervösen Symptomen fanden sich einmal vorübergehend Re-
tentio urinae, Schwäche des linken Armes, zweimal Steigerung der
Patellarreflexe; doch war von diesen zweien einmal eine beginnende
Spondylitis nachweisbar, sodaß die Reflexsteigerung möglicherweise
auf diese zurückzuführen war. Fast durchgängig wurde über
Steifigkeit und Schmerzen in der Halsgegend geklagt. Eine Be-
wegungsbeschränkung war auch in den meisten Fällen objektiv
nachweisbar. Der Hals war stets durch die Luxation der Wirbel
nach vorn gestreckt, während der Kopf kompensatorisch zur Auf-
rechterhaltung des Gleichgewichts nach hinten geschlagen war.
Die angegebenen ausstrahlenden Schmerzen in der Halsgegend sind
als Wurzelsymptome aufzufassen und also auf eine Schädigung
der hinteren Wurzeln respektive der Intervertebralganglien zu be-
ziehen. Diese Läsion entsteht dadurch, daß das Rückenmark bei
diesen Verletzungen über die obere hintere Kante des von dem
luxierten nach abwärts gelegenen Wirbel, wie die Violinsaite über
den Steg gespannt und damit stark gedehnt wird. Daß diese
Dehnung der Medulla gerade an den hinteren Wurzeln am meisten
zum Ausdruck kommt und nur hier wahrnehmbare Symptome her-
vorruft, ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, daß das Rücken-
mark völlig frei im Wirbelkanale bängt und nur die Wurzeln teils
mit der Dura verwachsen, teils später in den Foramina interverte-
bralia und den umgebenden Weichteilen fester fixiert sind. Da
die Luxation meist eine solche nach vorn ist, so ist es klar, daß
die Dehnung des Rückenmarks in seinen hinteren Partien natur-
gemäß eine stärkere sein muß als in den vorderen. Um genauen
Aufschluß über die Lage des Rückenmarks bei Totalluxationen
der Halswirbel zu erhalten, erzeugte Malkwitz an zwei Leichen
derartige Verletzungen und untersuchte an Mediangefrierschnitten
die Verhältnisse. Eine Quetschung an einer bestimmten Stelle
des Markes war nicht zu sehen. Dagegen war die Medulla in der
Richtung von vorn nach hinten in 5cm Ausdehnung abgeplattet,
während ihr frontaler Durchmesser vergrößert erschien. Sie machte
im Bereiche der Luxation eine S-förmige Krümmung. Daß sie an
sich nicht verletzt befunden wurde, liegt nach Malkwitz’ Auf-
fassung an dem starken Aufkippen der hinteren Partien des
luxierten Wirbels bei Verrenkungen nach vorn und der vorderen Ab-
schnitte bei solchen nach hinten. Dadurch greifen die beiden
Knochenmassen in einem verschiedenen Höhenniveau an und bringen
daher statt der Zermalmung nur die vorher beschriebene S-förmige
Krümmung des Markes hervor. — Während man, wie schon oben
erwähnt, früher die Totalluxationen der Halswirbelsäule als absolut
15. Dezember,
-a
tödliche und fast stets als zu einer Läsion des Rückenmarks führende
Verletzungen ansah, lehren die mitgeteilten Fälle und eine Reihe von
neueren Beobachtungen, daß es auch ohne solche schweren Folgen ab-
geht. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, daß erst die ver-
feinerte und konstante Röntgenuntersuchung auch in denjenigen
Fällen Halswirbelluxationen aufgedeckt hat, wo man vordem mangels
stärkerer Dislokation-und feinerer Untersuchungsmethoden einfache
Distorsionen der Wirbelsäule diagnostiziert hatte. Das ergibt.sich
auch daraus, daß in keinem der neun mitgeteilten Fälle vordem
die richtige Diagnose gestellt worden war.
Im Anschluß an diese Berichte über Wirbelsäulenanomalisn
sei eines neuen Verfahrens zur Behandlung der Rückgratsver-
krümmungen gedacht, welches ein neues Prinzip in diesen Zweig
der Orthopädie bringt. Es handelt sich um die Methode des
Amerikaners Abbott (4). Das Prinzip besteht darin, daß die
deformierte Wirbelsäule in Ueberkorrektur gebracht wird wd
durch Gipsverband so lange in derselben erhalten wird, bis sich
die Form derselben in ihr Spiegelbild verändert hat. Ohne an
dieser Stelle auf die interessanten theoretischen Grundlagen ein-
zugehen, die der Verfasser auseinandersetzt, sei hier die Technik
des Verfabrens geschildert, dessen Wirksamkeit auch Referent
in annähernd zwei Dutzend Fällen zum Teil schwerer Skoliosen
erprobt hat. In ein auf vier Füßen stehendes Rahmengestell aus
Gasrohr wird eine Art Hängematte hineingehängt, deren ein
Längsseite länger ist als die andere. Der Patient wird mit einem
doppelten Trikothemd bekleidet, zwischen dessen zwei Schichten
Filzplatten gebracht werden, welche die prominenten Knochenteile
des Rumpfes (die Cristae iliacae, die Stelle des Rippenbuckels, die
Achselhöhlen) vor Druck schützen sollen. Nun wird der Patient
in Rückenlage in die Hängematte gelegt, sodaß die Wirbelsäule
sich in denkbar starke Flexion einstellt. In dieser Lage wird
durch Erheben des der Concavität entsprechenden Armes, durch
Abwärtszielien des andern Armes, ferner unter seitlich und detor-
quierend wirkendem, über den Rippenbuckel geführtem Zug ein
Umkrümmung der Wirbelsäule herbeigeführt. Um die Flexion der
Wirbelsäule noch zu vermehren, erhebt man noch das Fußende
des Rahmengestells um etwa 80 em. Ist die Lagerung nach
Wunsch erfolgt, so wird der Patient in dieser Stellung, also in
einer der ursprünglichen Verbiegung entgegengesetzten Verkrün-
mung, von den Nates bis unter die Arme eingegipst. Nach Trocken-
werden des Verbandes werden zwei große Fenster in denselben ge
schnitten, eins hinten, eins vorn. Das hintere wird so groß wie
möglich gemacht; es entspricht in seiner Lage der bis dahin vor
handenen Rippendepression und soll bewirken, daß diese Partien
sich durch die Atmung ausdehnen. Das vordere Fenster legt
diagonal zu dem hinteren und gewährt den nach hinten gebuekelten
Rippen Platz, sich nach vorn zu schieben. Während der Behand
lung lassen sich Filzplatten einschieben, um die Druckwirkug
zu erhöhen. Die Zeit, welche zur Erreichung der Ueberkorrektut
erforderlich ist, beträgt durchschnittlich drei Wochen; das Gip
korsett wird im ganzen etwa zwei Monate getragen und dam
durch ein abnehmbares Korsett ersetzt, um die Ueberkorrekiuf
aufrechtzuerhalten. Nach Beendigung der Gipskorsettbehandlung
sind Massage und Gymnastik in ausgedehntem Maß anzuwenden
Die geradezu frappanten Heilerfolge, die durch 18 Krankhats
geschichten mit zahlreichen Abbildungen illustriert werden, be
rechtigen zu der Hoffnung, daß mit dieser Therapie ein grobar
Schritt vorwärts in der Besserung der bisher leider so intensi"
jeder Therapie trotzenden fixierten Skoliosen getan ist.
Die eitrigen Gelenkentzündungen des Säuglingsalters Ve
dienen wegen der Besonderheiten ihrer Aetiologie, ihrer Patho
genese, ihrer Prognose und ihrer Behandlung ein hohes Interesse.
Houzel (5) bringt zunächst drei eigne Beobachtungen, von zu
die erste eine Arthritis streptococeica cubiti betraf; später wurde
ein osteomyelitischer Herd am Humerus aufgedeckt. Bel dem
zweiten Fall, ebenfalls das Ellbogengelenk betreffend (Streptokokken
arthritis), fand sich auch bei der Autopsie kein Knochenherd. "#
dritte Fall betraf eine Eiterung des Hüftgelenks dureh Strepto-
kokken, die ebenfalls zum Tode führte. — Der Verfasser bespr!“
dann die Aetiologie und das Vorkommen der eitrigen i
entzündungen der Säuglinge unter Berücksichtigung der Litera 5
Am häufigsten fand er das Kniegelenk mit 17, dann das Höl
gelenk mit zehn Fällen, dann Hand- und Ellbogengelenk ur
sieben bis acht Fällen beteiligt. Selten ist die Affektion pi
Schulter-, nur dreimal am Fußgelenk aufgeführt. Prädisponieren
Momente sind, nach ihrer Häufigkeit geordnet, Infektionen A
Haut (Nabel), der Augen, des Digestionstraktus (chronische 5è
ritiden, Mundinfektionen), der Atmungswege. Von Allgemeininlet
15. Dezember.
tionen sind zu nennen Syphilis, akute Infektionskrankheiten.
Traumen schaffen Ansiedlungspunkte für Gelenkeiterungen. Alle
diese Grundkrankheiten werden durch Fälle der Literatur in ihrem
Verhältnis zu der in Frage stehenden Affektion illustriert. Was
die Pathogenese betrifft, so gibt es Fälle, in denen die primäre
Lokalisation im Knochenmarke (meist den Epiphysen und Meta-
physen) liegt, und solche, wo das Gelenk selbst primär auf dem
Blutwege infiziert wird. Die Therapie hat in frühzeitiger Er-
öffnung des infizierten Gelenks zu bestehen. Im Gegensatze zu den
Arthritiden der Erwachsenen tritt dann die Heilung meist sehr
schnell ein. Auffallend ist, daß unter diesen Umständen das Ge-
lenk fast regelmäßig beweglich ausheilt.
Zu dem gleichen Thema (akute Knochen- und Gelenkent-
zündungen im Säuglingsalter) bringt Gebhardt (6) acht neue
Fälle aus der Münchener orthopädischen Universitätspoliklinik
Langes bei. Sie kamen mit Ausnahme eines Falles nach dem,
zum großen Teil schon sehr lange abgelaufenen, akuten entzünd-
lichen Stadium in die orthopädische Behandlung. Ueber die Art
der Infektion konnte demzufolge nichts eruiert werden. Bei einem .
Teil der Kinder war das Leiden überhaupt erst beim Laufenlernen
bemerkt worden und war ohne Eiterung verlaufen. Bei den
andern Kranken war die durchgemachte Eiterung an Narben in
der Umgebung der befallenen Gelenke noch nachzuweisen. Am
häufigsten war das Hüftgelenk (sechsmal), danach das Kniegelenk
(zweimal) befallen. Was das Hüftgelenk anbetrifft, so führte die
Erkrankung in allen Fällen, gleichgültig, ob eine Eiterung voran-
gegangen war oder nicht, zu schweren, zum Teil sehr ausgedehnten
Zerstörungen an der Femurepiphyse und teilweise auch an der
Pfanne, sodaß es in fünf Fällen zur Destruktionsluxation kam.
Einmal kam es nur zu einer Beugecontractur von 165°. In diesem
Falle war keine Eiterung vorhergegangen. Gleichwohl war auch
hier der Schenkelkopf bis auf geringe Reste zerstört. Die Be-
handlung bestand in Reposition, die Kontrakturen wurden mit
Schraubenextension leicht beseitigt. — Die entzündlichen Ver-
änderungen am Kniegelenke bestanden in dem einen Fall in einer
rechtwinkligen Beugecontraetur, die durch .Infraktion dicht ober-
halb der Femurkondylen beseitigt wurde. In dem andern Falle
hatte sich ein X-Bein entwickelt. Röntgenologisch fanden sich
hier die Residuen eines abgelaufenen entzündlichen Prozesses in
Gestalt eines Defekts im äußeren Kondylus, der im ganzen viel
weniger entwickelt war als der innere, also ungleichmäßiges Epi- .
physenwachstum. Eine Osteotomia supracondylica erzielte ein
völlig gerades Bein. — Verwechslungen der Säuglingscoxitiden
mit angeborenen Hüftgelenksluxationen können leicht vorkommen;
für erstere ist aber die Schädigung des Epiphysenkerns, die im
Röntgenbilde nachweisbar ist, charakteristisch. Im Gegensatze zu
den tuberkulösen Gelenkentzündungen, deren Beginn ein mehr
chronischer ist, führen die Gelenkentzündungen des Säuglingsalters
niemals zur Ankylose; es bleibt im Gegenteil eine relativ große
Beweglichkeit zurück. Die deutsche Literatur weist einschließlich
der neuen acht Gebhardtschen Fälle 34 Beobachtungen dieser
Erkrankung auf.
Eine besondere Form der nach unblutiger Einrenkung der
angeborenen Hüftverrenkung vorkommenden Spätkomplikationen
lokaler Natur sah Böcker (7) in einem Falle. Es handelte sich
um ein im Alter von anderthalb Jahren, im Jahre 1906, linksseitig
reponiertes Kind, bei welchem nach dreimonatiger Fixation im Gips-
verband- eine günstige Einstellung erzielt worden war; die Pfanne
blieb aber sehr flach, der Oberschenkel wies eine starke Ante-
torsion auf. Nach fünf Jahren fühlte das Kind, wenn es im Bette
das Bein beugte, plötzlich ein Knacken in dem eingerenkten Hüft-
gelenke, wobei über Schmerzen geklagt wurde. Die Untersuchung
ergab eine tumorartige Prominenz in der Leistenbeuge und starkes
Hervorspringen des Trochanter major. Der Kopf konnte, solange
das Bein in Streckstellung stand, durch aktive oder passive Ein-
wärtsrotation nicht in die Pfanne, vor der er für gewöhnlich stand,
zurückgebracht werden. Wenn dagegen das Kind den Oberschenkel
bis zu 450 beugte, so verschwand jedesmal der Kopf unter knacken-
dem Geräusch aus der Leistenbeuge. Im Röntgenbilde fand sich
der Schenkelhals in Coxa-vara-Stellung, die Pfanne abgeflacht und
ausgezogen, der Kopf in Pufferform. Es handelte sich hier dem-
nach um eine Spätreluxation nach oben, die willkürlich erzeugt
werden konnte. Sechswöchige Fixation der linken Hüfte im Streck-
verband bei Einwärtsrotation beseitigte die Beschwerden und die
Auskugelung des Kopfes bis zur Stunde, das heißt dreiviertel Jahre
nach Beginn der Behandlung.
Literatur: 1. Wolff, Entwicklungserkrankungen und traumatische
Affektionen der Wirbelsäule. (A.?.Orthop., Mechanotherapie usw. Bd. 11, H. 4,
eine seltene Spätkomplikation nach unblutig
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. | 2045
S. 347.) — 2. André et Jules Boeckel, Des fractures du rachis cervical
sans symptômes m&dullaires. (R. de chir. Bd. 48, S. 649; Bd. 44, S. 48 u.
S. 285.) — 3. Malkwitz, Ueber Totalluxationen der Halswirbelsäule ohne Er-
scheinungen von seiten des Rückenmarks. (A. f. Orthop., Mechanotherapie usw.
Bd. 11, H. 4, S. 289.) — 4. Abbott (Portland), Correction of lateral curvature
of the spine. A simple and rapid method for obtaining complete correction.
(NY. med. j. 27. April 1912, S. 833.) — 5. Houzel, Les arthrites suppurdes du
nourrisson. (A. prov. de chir. 1912, Nr. 8, S. 457.) — 6. Gebhardt, Zur
Kenntnis der akuten Knochen- und Gelenkentzündungen im Säuglingsalter.
(A. f. Orthop., Mechanotherapie usw. Bd. 11, er S. 3857.) — 7. Böcker, Ueber
eingerenkter augeborener Hüft-
verrenkung. (Ibid. S. 339.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Dr. Monk J. Knapp (New York) wünscht durch seinen Vortrag:
„Diagnose durch Besichtigung“ die Aufmerksamkeit der Kollegen auf
die Tatsache zu lenken, daß manche Krankheit durch bloßes, aber gründ-
liches Anschauen des Patienten erkannt werden kann. Er sagt: „Viel-
leicht kann eine Diagnose durch Inspektion nicht in 100 °/o der Fälle
gemacht werden, aber sicherlich in 70 bis 80%; das ist einfach eine
Sache der Erlernung und Uebung. Wir müssen davon überzeugt sein,
daß kein pathologischer Zustand im Körper vorhanden sein kann, ohne
den Körper als Ganzes zu beeinflussen oder irgendeinen Eindruck auf
ihn zu hinterlassen. Alle unsere Organe und Gewebe haben ihre be-
stimmte Aufgabe und Funktion und bedingen insgesamt die äußere Er-
scheinung und Gestalt. Die Haut legt sich genau den Umrissen der Or-
gane und Gewebe an; deshalb sollte die Inspektion den ganzen Körper
einbeziehen. Zuerst muß der Arzt wissen, wie der normale Körper aus-
sieht bei großen und kleinen, mageren und fetten Personen. Bei ge-
sunden Personen sind die Formen abgerundet, anmutig und gefällig, nie
hart, schroff vorspringend oder stark zurücksinkend. Jede Härte, jede
Unsymmetrie, ob stark oder schwach ausgeprägt, ist nicht zufällig, son-
dern bedingt. Die geringste Vertiefung, die schwächste Erhebung, eine
kaum bemerkbare Furche, ein Zittern, ein Zucken, eine schwache Pulsation
der einen Seite, die auf der andern fehlt, ruft nach einer reinlichen Er-
klärung. Sind die Augen an die normale Erscheinung eines gesunden
Körpers gewöhnt, werden sie jede Abnormität erkennen. Die Be-
obachtung muß von der Seite her geschehen, von rechts und links;
diffuses Tageslicht paßt am besten dazu. Genau zu achten ist auf die
Bewegung der Haut bei der Respiration und ihre Beziehung zu den Ein-
geweiden, ebenso auf die Ränder der Organe und ihre Verschiebungen in
Thorax und Abdomen durch Respiration, Pulsation und Peristaltik. Zur
Beobachtung von Lunge, Herz, Milz und Nieren ist die aufrechte Haltung
des Patienten nötig, bei Leber, Magen, Pankreas, Darm, Blase und Uterus
die liegende. Die Lungenspitzen werden gesehen, wenn sie am Ende der
Inspiration die Haut berühren ‚und bei der Exspiration wieder zurück-
gehen. Der Beobachter hat sich dabei in einer gewissen Entfernung auf-
zustellen und von vorn und von der Seite her in einem schiefen Ge-
sichtswinkel die Fossa supraclavic. zu fixieren. Das Herz wird von der
rechten Seite und von der Front her beobachtet. Wir können dabei nicht
nur die linken Herzränder sehen, sondern auch, daß sich das Herz in
der Longitudinalachse von rechts nach links dreht. Die linke Herzgrenze
könne so mit größter Leichtigkeit erkannt werden. Eine Linie vom
oberen Rande des Thyreoidknorpels zur linken Brustwarze (wenn diese an
normaler Stelle liege) gebe immer die Grenze der absoluten Dämpfung
an. Eine Linie, parallel zu dieser gezogen in '/a bis °/ Zoll Entfernung
nach links gebe den Beginn der relativen Dämpfung an.
Wenn zum Beispiel der oberste Rand der Clavicula deutlich und
scharf abgehoben erscheint, so will das sagen, daß das Gewebe unmittelbar
dahinter concav liegt, es besteht eine Retraktion an der Lunge. So
können durch genaue Besichtigung normale und pathologische Zustände
mancher Organe erkannt werden durch die Schatten, die die Vertiefungen
oder Erhebungen werfen.
Pulsationen und Zittern haben ihre bestimmte Bedeutung. Am
häufigsten sieht man Pulsationen in der Magengegend, oder über dem
Coecum oder Colon ascend., sie deuten die Anwesenheit von Gas an.
Es braucht beständige, jahrelange, unermüdliche Uebung, bis eine
gewisse Fertigkeit erlangt wird, aber dann ist die Inspektion die ex-
akteste Methode der physikalischen Untersuchung. (NY. med. j., 19. Ok-
tober 1912, S. 791.) Gisler.
v. Noorden behandelt in einem Vortrage die Acetonurie und
ihren Einfluß auf die Behandlung des Diabetes mellitus. Die wich-
tigsten Quellen der Acetonkörper sind die niedrigen Fettsäuren. Wenn
demgemäß die Proteide sich an der Ketonkörperbildung beteiligen können
so ist ihr Anteil doch nur spärlich, und die echten Fettsäuren stehen
als Quellen an weitaus erster Stelle. Bei dem enorm großen täglichen
Umsatz un Fettsäuren sind höchstwahrscheinlich die Acetonkörper nor-
male Zwischenprodukte des Fettsäureabbaues. Trotzdem treten normaler-
| weise keine Acetonkörper oder nur Spuren in Blut und Harn über.
ua.
2046 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember,
Aendert sich beim Gesunden die Ernährung derart, daß alle Kohlehydrate
fortgelassen werden, so treten auch beim Gesunden Acetonkörper in den
Harn über. Man nimmt deshalb an, daß die Verbrennung der Kohle-
hydrate zur normalen Verbrennung der Fettsäuren notwendig sei; „die
Fette verbrennen gleichsam im Feuer der Kohlehydrate*. Wenn auch
die Tatsache, daß der normale Ablauf des Kohlehydratstoffwechsels die
Ketonurie verhindert, bestehen bleibt, so ist die Meinung, daß die Oxy-
dation der Kohlehydrate der maßgebende Faktor sei, fallen gelassen
worden. Es. ist der specifische Kohlehyäratstoffwechsel in der Leber,
der Aufbau und Abbau von Glykogen, der vor Ketonämie schützt. Im
einzelnen ist der Zusammenhang unbekannt. Beim Gesunden nimmt je-
doch die auf Kohlebydratmaugel beruhende Ketonurie nach kurzer Ge-
wöhnung wieder ab bis zum völligen Verschwinden, wahrscheinlich, weil
die gesunde Leber alsdann auch das Glykogen aus Körpern zu bilden
gelernt hat, die es normalerweise nicht dazu benutzt. Beim Diabetiker
liegen die Verhältnisse ungünstiger, weil gerade die Glykogenbildung
und -abbau, gerade die Zuckerwerkstatt in der Leber, gestört ist.
Man ist gewöhnt, die Ketonurie bei allen Diabetikern als ein
Symptom zu betrachten, welches sofort zur Zufahr von Kohlehydraten
mahnt. Dies trifft nicht für alle Fälle zu. Bei der leichten Glykosurie
verursacht der Ausschluß der Kohlehydrate naturgemäß zunächst dieselbe
physiologische Ketonurie, die beim gesunden Menschen vorkommt, wenn
er auf gleiche Kost gesetzt worden wäre. Auch bei ihm lernen jedoch
noch die Leberzellen auf andere Weise Glykogen bilden, und die fort-
gesetzte strenge antidiabetische Diät — bei deren Aufgabe man die
Chancen einer Besserung aus der Hand geben würde — führt zurück
zum Verschwinden der Ketonurie.
Bei Diabetikern, die schon an Kohlehydratentziehung gewöhnt sind
und nur infolge der noch relativ zu reichlichen Kohlehydrate der Nahrung
Zucker ausscheiden, tritt auch bei völliger Entziehung keine Ketonurie
auf. In diesen Fällen sind strenge Diätkuren unter sorgfältigster,
strenger Kontrolle indiziert. Hier gibt v. Noorden auch keine Alkalien
mehr während der strengen Periode. Findet man umgekehrt, besonders
bei jugendlichen Diabetikern, daß sie noch gewisse Mengen von Kohle-
bydraten, etwa 80 bis 100 g über den Tag verteilt, ohne Zucker-
ausscheidung vertragen, daß sie daneben aber Aceton ausscheiden, so ist
dies als Zeichen aufzufassen, daß die Glykogenaufstapelung in der Leber
schon schwere Einbuße erlitten hat. Meist findet man hier Hyper-
glykämie und baldigen Uebergang in die schwere Form. Hier empfiehlt
es sich, trotz der Acetonurie bei einer Diät zu bleiben, die die Glykos-
urie verhütet, als einziger Methode, die schlimme Wendung möglichst
hinauszuschieben.
Bei den mittelschweren Formen, bei denen 80 bis 100 g Kohle-
hydrate einige Prozent Zucker und 1 bis 2 dg Aceton in den Harn über-
treten lassen, ist die strenge Diät zugleich mit Alkalien indiziert. Da-
zwischen sind Perioden mit ausschließlicher Haferernährung und Hunger-
respektive Gemüse- und Eiertage einzuschalten. Letztere können die
Ketonurie und die Glykosurie vorübergehend verschwinden lassen und
selbst manchmal durch die zielbewußte Schonung der Glykogen-Leber-
funktionen die mittelschwere Form in die leichte zurückführen.
Nun findet man freilich, daß in solchen Fällen auch die Zufuhr
von Kohlehydraten ebenso wie die Kohlehydratentziehung die Ketonurie
beseitigen kann. Wenn auch nicht anzunehmen ist, daß bei Kohlehydrat-
zufuhr hier Glykogen abgelagert würde, so muß man wohl annehmen,
daß das in die Leber hineinströmende Kohlehydrat dieselbe nicht einfach
durchfließt, sondern, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, in Glykogen
umgewandelt wird und dadurch den Fettsäureabbau reguliert. Trotzdem
der Erfolg bezüglich der Ketonurie dem der Kohlebydratentziehung
gleichen kann und weniger Opfer erfordert, rät v. Noorden doch
dringend von dieser diätetischen Behandlung ab, da die erstgenannte
diätetische Entziehungskur für die Zukunft bessere Chancen schafft und
manchmal sogar eine Rückkehr der mittelschweren Form zur leichten
ermöglicht. — In den ganz schweren Fällen, in denen auch eine reich-
liche Kohlehydratzufuhr die Ketonurie nicht zum Schwinden bringt,
sollen die genannten Maßnahmen ebenfalls ` öfter versucht werden. Für
die schwere Form ist ferner die Alkalitherapie durchzuführen, bei län-
goror Dauer der Alkalitherapie sind pro Tag 15 bis 20 g zu geben. 40 bis
60 g Natrium bicarbonicum, längere Zeit verabreicht, verursachen häufig
schwere Magenstörungen, die den ganzen Ernährungszustand ungünstig
beeinflussen. Einen Teil des Alkalis kann man durch neutrales zitronen-
saures Natron ersetzen, das eine leicht abführende Wirkung hat, oder,
wo stärkere Obstipation besteht, zum Teil durch Magnesiapräparate, be-
sonders Magnesiaperhydrol (Merck). Wo Neigung zu Durchfall besteht,
ist Calcaria carbonica zu geben. — Große Alkalidosen sind erst zu
geben, wenn das Koma droht, das oft freilich unerwartet einsetzt. In
andern Fällen zieht sich der komatoide Zustand wochenlang hin, wobei
fast ausnahmslos ein wichtiges Symptom auftritt, eine schwere, auf
Darmlähmung beruhende Obstipation. Hier wirkt gewaltsame Entleerung
manchmal beträchtlich acetonvermindernd. Zur Dauerzufuhr des Alkali
empfehlen sich die Tropfendauerklistiere (3°/oige Lösung von Natrium
bicarbonicum). Im Notfall ist eine 83- bis 4°/oige Sodalösung intravena
zu injizieren.
Bei drohendem Koma, in welchem Augenblick erfahrungsgemäß
die Kohlehydratzufuhr auch in Form von Lävulose oder Hafer hänfe
nicht mehr hilft, hat sich bei v. Noorden die Entziehung jeglicher
Nahrung und Verabreichung großer Mengen von Alkohol (100 bis 160 g
pro Tag) in starker Verdünnung oft ausgezeichnet bewährt, Der Alkohol
zeitigt hier nicht die geringsten nachteiligen Folgen und bewirkt of
einen erstaunlichen Sturz der Ketonurie. (Wr. med. Woch. Nr. 28.)
Zuelzer.
Die Wirksamkeit der Typhusvaceination von gesunden Personen
ist nach den Erfahrungen von Russell (Washington) in den Manöver in
Texas im Sommer 1911 eine totale, wobei nie irgendwelche Schädigungen
und nur ganz selten stärkere Störungen des Allgemeinbefindens vor
kamen. Die Immunität hält mindestens 21/s Jahre an. Die Anwendug
der Methode im zivilen Leben, bei Gefährdung von gesunden Persom
durch Kranke oder Bacillenträger ist deshalb zu empfehlen. (J. of Am,
ass. 1912, Bd. 58, Nr. 18, S. 1331.) Dietschy,
Geiße berichtet über die Resultate seiner Untersuchungen bè
treffs einer neuen Luftheizung für das Einfamilienhaus. Die Heizung, br
züglich deren Anlage auf die Originalarbeit verwiesen sei, wird von de
Firma Schwarzhaupt, Spiecker & Co. Nachfl. in Frankfurt a M,
geliefert und erwies sich als leistungsfähig, billig und praktisch, sehr gut
regulierbar, sie bewirkt eine ausgiebige Lüftung der beheizten Räume,
die Heizluft ist von niederer Temperatur, von normalem, der Gesundheit
zuträglichem Feuchtigkeitsgehalte, frisch und staubfrei. (Hyg.R. 1912, Nr.1)
Zur Technik der endovenösen Injektionen äußert sich Galli
Man führt die Stasis im Venensystem des Armes dadurch herbei, dad
man um diesen in seinem oberen Drittel eine Leinenbinde so umlegt, dab
sie sich später leicht lockern läßt. Es genügt eine gewöhnliche Sprits
mit gerader, ziemlich dünner Nadel und scharfer Spitze. Die Nadel wir
fest auf der Spritze befestigt und diese bis zu *s mit dem Medikament
gefüllt. Sobald die Stase gut sichtbar ist, wird die Nadel in die Vem
eingeführt. Man hält dabei die Vene mit den Fingern der linken
Hand fest, während man mit der rechten die Spritze so tief in der
Richtung der Vene senkt, daß die Nadel beinahe parallel zum Laufe
des Bluts in das Innere der Vene eindringt. Es ist aber nötig, sich
nun direkt davon zu überzeugen, daß sich die Spitze der Nadel wirklich
im Innern der Vene befindet; zu diesem Zwecke zieht man den Kolben
der Spritze sanft ein wenig an, dabei den Körper der Spritze mit de
Linken gut festhaltend. Ist die Nadel in die Vene wirklich eingedrur-
gen, so wird sich etwas Blut in der Spritze zeigen. Sobald man dis
sieht, wird der Inhalt der Spritze langsam in die Vene injiziert. Um
aber zu verhindern, daß das Medikament dann in das Bindegewebe w
die Vene eindringe, ist es nötig, bevor man die Spritze zurilckzielt,
den Kolben noch einmal ein wenig anzuziehen und erst, wenn sl
wieder eine minimale Quantität Blut in der Spritze zeigt, die Leiner-
binde zu lockern und die Nadel aus der Vene zu ziehen.
Es gibt aber auch Individuen mit solch reichlichem Fettpolskt
und so wenig entwickeltem Venensystem, daß auch die angespannt
Vene nicht hervortritt; in solchen Fällen ist also die Von
nicht zu sehen. Streicht man aber mit dem Zeigefinger der Linken m
der Beugung des Ellenbogens entlang, so ist es ziemlich leicht, den ge
nauen Sitz der Vene festzustellen und darnach die Nadel einzuführe.
(M. med. Woch. 1912, Nr. 42.) F. Brack.
Ueber Ichthynat-Heyden, ein neues Resorbens in der Gynäko-
logie, berichtet Hans Oppenheim (aus der Poliklinik von Pal
Dührssen). Er verwendet ein 20%iges Ichthynatglycerit, aut
dem die Tampons getränkt werden. (Das Ichthynat, dessen oigenkän
licher, an faulende Fische erinnernder Geruch jedoch nicht 80 intensi
hervortritt wie beim Ichthyol, wird ebenso wie dieses durch Verarbeittng
eines bituminösen Kalkschiefors gewonnen, dessen Fundort sich — m
Gegensatz zum Seefelder Ichthyol — am Achensee in den Tiroler Kare
wendeln befindet. Es ist wie dieses ein Schwefel in mäßigen gor
enthaltendes Mineralöl.) Zur Behandlung kamen nichteitrige a
und subakute Entzündungen der Adnexe, seröse peri- und parametrisct®
Exsudate, verschiedene entzündliche Erkrankungen der uterinen Sehlin-
haut. Neben der resorbierenden ist vor allem die ge
stillende Eigenschaft des neuen Präparats auffallend. Außerdem iii
wirkt es entzündungswidrig. Dieser Einfluß dürfte aus er
anämisierenden und reduzierenden Kraft resultieren. Gleichzeibh
wirkt es austrocknend und leicht adstringierend. He
Der Tampon wird ein- bis zweimal täglich eingeführt pi a
jedesmal acht bis zehn Stunden lang liegen. Er ist etwa walnu f y
(bestehend aus einer von doppelter Lage Mullgaze eingehüllten UM
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
2047
langem Haltefaden versehenen Wattekugel). Gut durchtränkt, wird
er hoch im Scheidengewölbe möglichst genau an die Stelle an-
gelagert, deren Druckempfindlichkeit scheidenwärts besonders stark
ausgeprägt ist. Neben der Tamponbehandlung kommen zur Anwendung
feuchte Ueberschläge, Jodpinselung, Ruhe, Diätverordnungen usw. Un-
mittelbar nach der jedesmaligen Tamponentfernung wird eine warme
Scheidenspülung vorgenommen (auf 1 l1 heißen Wassers eine Handvoll
Kochsalz und einen Eßlöffel Glycerin). Zu beachten ist, daß nach guter
Binführung des Scheidenrohrs im Liegen gespült wird.
Zweckmäßig wird mit der Tamponbehandlung die gleichzeitige
nanerliche Darreichung des Präparats kombiniert. Man gibt Capsulae
relatinosae cum Ichthynat (jede Kapsel enthält davon 0,15), und zwar
Irei- bis viermal täglich zwei Kapseln, eine halbe Stunde nach den Mahl-
eiten; die innerliche Medikation wird aber unterlassen bei krankem und
chwachem Magen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 45.) F. Bruck.
Willy Gotthilf (Kassel) bringt die verschiedenen Ergebnisse der
Jntersuchung der Eisenwirkung in Erinnerung, nach denen die in der
axis altberühmte Blaudsche Pillenmasse ihre richtige Schätzung auch
m wissenschaftlichen Sinne erhalten hat. Ausgehend von den Beobach-
ungen von Hochhaus und Quincke, nach denen die Resorption des
isons merkwürdigerweise im oberen Teile des Dünndarms erfolgt,
‚ährend es im Dickdarm wieder ausgeschieden wird, erwähnt der Ver-
ssor die kürzlichen Untersuchungen von Heubner. Nach dessen Theorie
andelt es sich bekanntlich bei der Behandlung der Anämie nicht darum,
isen zu geben, sondern zweiwertiges Eisen, das allein vom anämischen
‘örper in den Blutzellen aufgenommen werden kann. Die Nebenwirkungen
er Blaudschen Pillenmasse lassen sich nach dem Verfasser vermeiden,
enn man die seit langem bekannten dünndarmlöslichen Gelodurat-
apseln verwendet. Rein therapeutisch sah der Verfasser eine aus-
ezeichnete Wirkung des Präparats, die sich direkt auch durch Ver-
ehrung der roten und weißen Blutkörperchen anzeigte. (Allg. Med.-
entralzeitung 1912, Nr. 32.)
Winternitz bespricht die physikalische Behandlung der Bleich-
ıcht (Chlorose) und kommt durch seine Untersuchungen zu denselben
esultaten, wie der von ihm zitierte von Noorden, daß nämlich der
ebrauch eines natürlichen Arsenwassers der subeutanen Anwendung der
akodylate vorzuziehen ist. Als bestes natürliches Arsenwasser empfiehlt
- die Dürkheimer Max-Quelle. (Zt. f. Baln., Jahrgang V, Nr. 14.) W.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Spritze für subcutane Injektion und für Infiltrationsanästhesie
nach Schleich
mit gekröpftem Spritzenansatze, vollständig aus Glas hergestellt.
Musterschutzauummer: 523628.
Kurze Beschreibung: Bei der neuen Spritze ist das
rdere Ende des Spritzencylinders nicht wie bisher achsial
richtet, sondern unter einem bestimmten Winkel seitlich ab-
bogen. Wie aus der Zeichnung ersichtlich, liegt das Mund-
ück beziehungsweise das vordere Ende a des Spritzencylinders b
ter einem Winkel von ungefähr 45 Grad zur Längsachse geneigt.
vecks Anwendung stärkeren Druckes auf den ein-
schliffenen Kolben ce ist das hintere Ende des
ritzencylinders b mit zwei sich diametral gegen-
erliegenden Griffzapfen d versehen. Die Spritze
; aus Hartglas geblasen, und der Handlichkeit
Iber ist der Spritzencylinder vierkantig geschliffen.
r gekröpfte Spritzenansatz ist von ziemlicher
ärke und gut gehärtet, sodaß ein Abbrechen
sselben so gut wie ausgeschlossen ist. Die Spritze
t sich in jeder Größe und jeglichen Inhalt fassend
s zu einem Kubikzentimeter herstellen. Die
ritze kann gleichzeitig sowohl zur subcutanen
ektion als auch für Infiltrationsanästhesie nach
hleich verwendet werden, besonders in den
llen von Anästhesierung von Haut- und Schleim- d
ıtfalten und -taschen, bei Ausführung von Infil-
tionsanästhesie in den tieferliegenden Geweben,
. Ausführung von Lokalanästhesie in den dem
legel zugänglichen Körperhöhlen, z. B. Nase,
nd, Rachen, Vagina, Rectum usw.
Anwendungsweise: Die Anwendungsweise
aus dem oben Gesagten ersichtlich.
_ Zusätze (Reinigungsweise, Ersatz-
le usw.): Zum Zwecke der Sterilisation wird
Spritze auseinandergenommen und jeder Teil
+
G
M-
7
+
(Cylinder wie Kolben) für sich in kaltes, destilliertes Wasser gelegt und
drei bis fünf Minuten gekocht. (Man vermeide, die Spritze in natürlichem
Wasser oder Salzlösungen, Kochsalz, Soda, Sublimat zu kochen, weil sich
sofort Niederschläge am Kolben ansetzen, die ein Funktionieren der
Spritze ausschließen) Dann wird der Spritzencylinder und Kolben in-
einandergefügt, und die Spritze ist zum aseptischen Gebrauche fertig.
Nach dem Gebrauche wird die Spritze mit destilliertem Wasser aus-
gespritzt, dann mit absolutem Alkohol und dann mit Aether durch-
gespritzt, auseinandergenommen und die einzelnen Teile (Kolben und
Cylinder) an der Luft zum Trocknen hingelegt. Wenn beide Teile gut
trocken sind, werden sie wieder ineinandergefügt.
Firma: Curt Blaurock, Erfurt-Nord, Lagerstraße.
Bücherbesprechungen.
M. Fränkel, Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie. Mit
14 Tafeln und 46 Abbildungen im Text. Berlin 1911, Richard Schoetz.
` Preis brosch. M 7,50, geb. M 8,50.
Fränkel bat in einer 250 Seiten umfassenden Broschüre seine
experimentellen und klinischen Erfahrungen mit der Röntgenbestrahlung
in der Gynäkologie niedergelegt. Er schildert, wie er gelegentlich der
Kropf-, Ischias-, Psoriasisbestrahlung die Beeinflussung der Sexualsphäre
beobachtet hat und wie er dadurch, wohl als einer der ersten, zur
prinzipiellen Einführung der Röntgentherapie in die Gynäkologie ge-
kommen sei.
Was zunächst die klinischen Fälle betrifft, so hat er unter
23 Myomen in °/ı der Fälle Erfolge teils mit, teils ohne deutliche Ge-
schwulstrückbildung, stets aber mit günstiger Wirkung auf Blutungen,
Allgemeinbefinden, Herz und Arbeitsfähigkeit zu verzeichnen gehabt. Er
tritt für die Therapie bei allen, auch den submukösen und ausgebluteten
Myomen ein. Die Mißerfolge in dem !/, der Fälle sind noch nicht zu
erklären. Weiterhin sah er günstige Beeinflussung von Menorrhagien bei
jüngeren und älteren Frauen sowie in 34 Fällen von nichtinfektiöser
Endometritis, das heißt also von „ovariellen Metrorrhagien“ und in einem
Falle von Osteomalacie. Daß er bei 28 primärdysmenorrhoischen Per-
sonen nur zwei Mißerfolge erlebte, erscheint recht auffallend. Des öfteren
betont Fränkel die Möglichkeit einer fakultativen Sterilisierung durch
die Strahlen, besonders geeignet in Fällen, in denen z. B. wegen Lues
der Gatten oder Phthise der Frau die Conception hinausgeschoben
werden soll.
Hinsichtlich der Technik empfiehlt er die Bestrahlung in allen
Fällen kurz nach oder doch wenigstens in der ersten Hälfte nach der
letzten Regel vorzunehmen, da sonst die durch die längst vorbereitete
Gefäßfüllung sicher erfolgende Blutung nicht mehr beein-
flußt wird. Die Gewebe durch Bestreichen mit einer 2%/,igen
Eosinlösung zwecks besserer Strablenwirkung zu sensibili-
sieren, ist für den Uterus anscheinend nicht geeignet; in
einem Falle von Pruritus vulvae indessen leistete Fränkel
diese Prozedur Gutes. Eingehend verbreitet sich Fränkel
über seine „Felderbestrahlung“. Mittels einer Blech-
platte, die acht bis zehn gleich große, central durchbohrte
Felder aufweist, will er bei größter Hautschonüng trotz kleiner Bin-
strahlöffnung vermöge der Strahlendivergenz besonders große Dosen
auf die Eierstöcke einwirken lassen. Außerdem beschwert Fränkel
zur Anämisierung der Haut die Blechplatte durch eine zirka 2!/2 Pfd.
schwere Bleiplatte mit Irisblende. Die Resultate seiner allerdings sinn-
reich ausgedachten Quantimeterstreifenversuche zur Beurteilung der in
den einzelnen Körperschichten aufgenommenen Strahlenmengen taugen
leider nichts, da sie mit den ganz unmaßgeblichen Kienböck-Streifen
vorgenommen wurden, außerdem Aluminiumplatten nicht gleichbedeutend
sind mit menschlichen Geweben.
Die auch von andern Forschern beschriebenen Gewebsschädigungen
durch die Strahlen werden an einigen, zum Teil recht unklaren makro-
und mikroskopischen Abbildungen erläutert.
Die Theorie des dem Uterus übergeordneten Eierstocks ist für
Fränkel nehen andern bekannten Gründen hauptsächlich durch die
ovariellen Alterationen bewiesen. Mit seinen Betrachtungen und Schlüssen
auf dem Gebiete der Vererbung erworbener Eigenschaften und der Ge-
schlechtsbestimmung begibt sich Fränkel in das Reich der Phantasie.
Auch seine Behauptungen hinsichtlich der durch Röntgenstrahlen sicher
durchführbaren Schwangerschaftsunterbrechung und zeitweiligen Sterili-
sierung, c':3nso sein diesbezügliches Verlangen nach gesetzlicher Ahndung
mißbräuchlicher Verwendung und schließlich der Vorschlag, einige
Störungen auf sexueller Grundlage, Sexualverbrecher und abnormen Ge-
Schlechtstrieb durch Bestrahlung zu beeinflussen, dürfte lebhaftem Wider-
spruch und Zweifel begegnen.
Im Anhang ist das Physikalisch-Technische über Röntgenstrahlen
im allgemeinen von Herrn Ingenieur Grisson behandelt.
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2048 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember.
Ő FT ZZ
Es ist noch nicht an der Zeit, ein Buch über „Die Röntgenstrahlen
in der Gynäkologie“ von nur einigermaßen bleibendem Werte zu schreiben.
Wie schwierig es ist, den Anforderungen an die Darstellung einer noch un-
fertigen, täglich neuen Erfahrungen ausgesetzten Methode in Wort und Bild
gerecht zu werden, zeigt die geringe Uebersichtlichkeit in der Bearbeitung
dos Stoffes, die unzulängliche Trennung von wichtigen und nebensächlichen
Resultaten und Fragen, der Mangel an hinreichender klinischer Beur-
teilung der Fälle in der vorliegenden, leider auch von Uebertreibungen
und phantastischen Schlußfolgerungen nicht freien Broschüre Fränkels.
Trotz aller Mängel wird diese Monographie, aus deren Lektüre die große
praktische Erfahrung des Autors unverkennbar hervorgeht, zur Anregung
in der jetzt allenthalben eifrigst aufgenommenen weiteren Ausgestal-
tung der gynäkologischen Röntgentherapie mitbeitragen.
R. Freund (Berlin).
Max Joseph, Handbuch der Kosmetik. Mit 164 Figuren und 203 Re-
zepten im Text, sowie einem Anhange von 101 Rezepten. Leipzig
1912, Veit & Co., 749 Seiten, M. 2,—.
Mit diesem Buche, das unter der geschickten Leitung Josephs
von einer großen Reihe von Autoren zusammengestellt worden ist, hat
die Medizin und namentlich die am nächsten beteiligte Spezialwissen-
schaft derselben, die Dermatologie, eine wirkliche Bereicherung erfahren,
Schon die Einleitung, von dem trotz seiner Jabre so jugendfrischen
Gustav Fritsch aus der Fülle seines authropologischen und ethnologi-
schen Wissens heraus geschrieben, bietet eine Fülle von Anregung und
interessantem Stoffe. Pagel folgt mit einem kurzen, aber im höchsten
Grade gehaltvollen Abrisse der Geschichte der Kosmetik. Die Kosmetik
des Kindes, des Alterns, der Frau, Kosmetik und Ernährung, die näch-
sten Kapitel, deuten die breite Basis an, auf welcher das Thema anf-
gebaut ist. Den größten Teil des Werkes umfaßt naturgemäß die Kos-
metik von Haut, Haaren, Nägeln, die ja die allgemein und ausgehließlig,
der eigentlichen Kosmetik zugehörenden Organe darstellen. Daß aber noch
vieles andere unter dem Gesichtspunkte der Schönheitspflege zu be
trachten sei, lehren uns die Abhandlungen über das Auge, das in gar
besonderer Ausführlichkeit dargestellt wird, die Pflege des Mundes, ds
leider etwas zu kurz geratene Zahnpflege und viele andere Kapitel Da
Beschluß bildet eine große Darstellung der kosmetischen Operationm,
der Plastiken und der plastischen Vergrößerungen und Verkleinerugn |
krankhafter und unschöner Körperbildungen. Ueberall findet der Law
das Erreichbare und den Weg zum Ziele klar in seinen Möglichkeit |
dargelegt, und, was von besonderer Wichtigkeit ist, auch die Kote
indikationen gegen viele, namentlich mit der neuen physikalischen Hart
therapie eingeführte, mit zu großem Enthusiasmus verkündete Behand
Jungsmoden eingehend gewürdigt. Die Ausstattung des Werkes ist
prachtvoll, vor allem sind natürlich die vielen klar herausgekommee
Bilder, die dem Leser ein eignes Urteil sich zu bilden erlauben, von
hohem Werte. Das Register ist musterhaft, der Preis leider ein wenig
hoch gestellt. Pinkus.
C. Flügge, Grundriß der Hygiene. 7. Auflage. Leipzig 1912, Veit &
Co. 847 Seiten. M 15,—. Fen
Zum siebentenmal erscheint der berühmte „Grundriß“, dieses Ma
in wesentlich erweiterter und vervollkommneter Gestalt, wozu die Ueber-
siedlung des Verfassers nach Berlin und die Ausbreitung der sozialen
Hygiene die unmittelbare Veranlassung boten. Auch die Senchenlehre
wurde den Fortschritten der Wissenschaft gemäß ausgestaltet, im achten
Kapitel wurden die Abschnitte Nahrung, Wohnung, Gewerbehygin
nahezu neu geschrieben. Es bleibt somit eigentlich nur- noch der Nam
„Grundriß*, der auf die Anfänge dieses Werkes hinweist, das im Lau
der Jahre zu einem umfassenden, vielbegehrten Lehrbuche sich answachs
Fr.
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versichermg)
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 30.
Tod an Empyem und Tuberkulose nicht Folge einer ge-
ringfügigen drei Monate zurückliegenden Brustquetschung
l von i
Dr. Hermann Engel,
Gerichtsarzt des Königl. Oberversicherungsamtes Groß-Berlin.
Vorgeschichte. Der damals 35jährige Arbeiter G. K.
soll am 18. Februar 1909, morgens gegen 8 Uhr, dadurch einen
Betriebsunfall erlitten haben, daß ihn ein Asphaltkessel gegen den
Holzstiel eines offenen Schuppens drückte. Der Durchmesser des
Kessels ist in den Akten nicht angegeben. K. soll dadurch in
Brusthöhe gequetscht worden sein. K. setzte seine Arbeit bis
Ende April mit dem Zeugen H. zusammen fort und stellte die
Arbeit erst am 12. Mai 1909 wegen Brustschmerzen ein, nachdem
er noch vom 12. bis 19. März 1909 außerhalb gearbeitet hatte.
Dem Zeugen H. gegenüber hat K. während der ganzen Zeit nie-
mals über Schmerzen geklagt, noch des Unfalls Erwähnung getan.
Nach dem Unfalle vom 18. Februar 1909 hat K. einen Arzt zunächst
nicht aufgesucht Die Ehefrau, welche angeblich ihrem Manne
nach dem Unfall abendlich Brustumschläge machte, hat weder
gleich nach dem Unfalle noch auch in den folgenden Tagen Ver-
letzungen an der Brust, blaue Flecke oder auch nur Haut-
abschürfungen wahrgenommen. Es soll nur eine Geschwulst be-
standen haben. Den Unfall hat die Ehefrau erst am 16. No-
vember 1909 gemeldet. nachdem ihr Mann bereits am 30. Mai
1909 verstorben war. Der Firma, bei der der Unfall passiert sein
soll, war von dem Unfalle bis zum November 1909 ebenfalls nichts
bekannt. Von einem späteren, angeblich außerhalb am 12. März 1909
erlittenen Unfalle hat K. seiner Ehefrau keine Mitteilung gemacht.
Begutachtung. Aus der Bekundung der Ehefrau, sie
habe an ihrem Manne zunächst keine äußeren Verletzungen wahr-
nehmen können, aus dem Umstande, daß unmittelbar nach dem
Unfall und später keine Lungenblutung erfolgte, aus der Tat-
sache, daß K. selbst von dem Unfalle keine Meldung machte
— guch seinem erstbehandeinden Arzte Dr. H. und dem Kranken-
hausarzte gegenüber nicht —, ferner aus der Feststellung, daß
K. bis zum 12. Mai 1909 seine Arbeit krankheitshalber nicht
unterbrochen hat, muß geschlossen werden, daß das Vorkommnis
vom 18. Februar 1909 überhaupt nur ein leichtes Ereig.is war.
In der Krankengeschichte findet sich dagegen der Vermerk:
„Angeblich vor vier Wochen Lungenentzündung.“ Bei der Auf-
nahme ins Krankenhaus am 25. Mai 1909 fand sich bei K. über
der linken Brustseite über dem Herzen eine handflächengrol,
fluktuierende Geschwulst unter unveränderter Haut sowie e
3 cm breiter Defekt der linken dritten Rippe infolge eitriger Zar
störung. Ueber beiden unteren Lungenlappen fand sich ah
geschwächtes Atemgeräusch und Reibegeräusche. Bei der Operation
entleerte sich reichlich stinkender brauner Eiter aus dem Ples-
raume. Bei der Sektion fanden sich alte tuberkulöse Herde M
beiden Lungenspitzen, rechtsseitige trockene Rippenfellentzündung,
links eine Eiteransammlung im Brustfellraume, die sich von selbst
einen Weg nach außen unter die Haut gebahnt hatte. Das Hen:
fleisch war entartet, die Herzkammern waren stark erweitert.
Hiernach unterliegt es keinem Zweifel, daß K. schon früher
an ‚Lungentuberkulose gelitten hat. :
Daß eine im Mai einsetzende Lungenentzündung nicht m
den am 18. Februar 1909 — also etwa ein Vierteljahr vorher —
erlittenen Unfall bezogen werden kann, steht auber Zweifel,
nach allgemein gültiger wissenschaftlicher Anschauung Lunger:
entzündungen nur dann als Folge einer Brustquetschung anerkannt
werden, wenn sie spätestens bis vier Tage nach dem Unfall m
die Erscheinung treten.
Es soll nun zugunsten der Hinterbliebenen unterstellt werdet,
es habe sich bei K. um einen tuberkulösen Prozeß gehandelt, pe
bei es gleichbedeutend ist, ob in der abgestorbenen Rippe gich def
Prozeß entwickelte und auf den Brustfellraum übergrif oder 00 ®
hier entstand und auf die Rippe übergrifl. jk
Wenn ein tuberkulöses Leiden auf einen Unfall an
geführt werden soll, so muß die Forderung aufgestellt wer n
daß die Gewalteinwirkung eine gewisse Intensität besaß, dab i
durch eine Lungenblutung oder andere äußere Zeichen ai
Gewalteinwirkung (Blutunterlaufensein usf.) hervorgerufen wur
und daß sie eine Arbeitseinstellung bedingte. or
Von alledem ist hier keine Rede. K. selbst hat a: y
kommnis vom 18. Februar 1909 anscheinend niemals emè =
tung beigelegt. Da sich drei Monate nach dem Unfalle eh
bringende Leiden überhaupt erst entwickelte, so kann Bo =
angenommen werden, daß der Tod des K. durch den Unfa
schleunigt worden sei. | 48. Pe
Ich gelange daher zu dem Schluß: Der Unfall vom u
bruar 1909 hat den Tod des K. weder herbeigeführt no
schleunigt. l | "con. hienat
Schiedsgericht und Reichsversieherungsamt wies "7
die Hinterbliebenenansprüche zurück.
5. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50 2049
Vereins- und Auswä uswärtige Berichte.
Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur. (Medizin. Sektion.)
linischer Abend am 8. November 1912. (Allerheiligenhospital.)
R. Levy: Weitere Ergebnisse der Chemotherapie der bakte-
iellen Infektion. In Tierversuchen ist es geglückt, zwei Stunden nach
er Infektion mit Streptococcus mucosus mit Aethylhydrocuprein diese
folgreich zu bekämpfen; aber auch damit behandelte Tiere, bei denen
chs Stunden nach der Infektion im Ausstrichpräparet die Bakterien
ıchgewiesen waren, blieben am Leben. Dieser Erfolg ist auch ein
eweis für die Aehnlichkeit des Streptococcus mucosus mit dem Pneumo-
ceus, für den ja schon früher entsprechende Versuche das gleich günstige
rgebnis hatten.
J. Pringsheim: Paroxysmale Hämoglobinurie. Bei dem be-
effonden Patienten, der seit Jahren im Winter, wenn er im Kalten und
puchten zu arbeiten hat, typische Anfälle bekommt, blieb die zunächst
‚ Anbetracht des positiven Wassermanns eingeleitete energische Schmier-
ır negativ. Hingegen hatten intramuskuläre Einspritzungen einer
mulsion von Cholestearin, das ja auch sonst bei verschiedenen für die
ten Blutkörperchen deletären Vergiftungen und Erkrankungen ange-
ndt wurde, den Erfolg, daß die experimentell durch Eintauchen der
iĝe in 7° R warmes Wasser sonst erzeugbaren charakteristischen An-
lle bereits nach der ersten Behandlungswoche schwächer wurden, dann
nerhalb von 14 Tagen ausblieben, während sie nach einer cholestearin-
vien Periode immer wieder auftraten.
O. Brieger: Schwebelaryngoskopie. Das Verfahren hat, wie
- Fälle ohne jede ungünstige Konsequenz dem Vortragenden erwiesen
ben, einen hohen therapeutisch-operativen Wert, ermöglicht, da beide
inde frei sind, ein energischeres Vorgehen, auch Bestrahlungen dabei.
an kommt mit der Cocainisierung ohne die Morphium-Scopolamin-
rkose völlig aus.
Diskussion: Kleefeld schließt sich auf Grund der Erfahrun-
n in der Universitätsklinik der günstigen Beurteilung des Verfahrens
‚ speziell auch im Hinblick auf die lokale Therapie der Larynxtuber-
lose, die dadurch vereinfacht und ausgiebiger gestaltet werden kann.
Silberberg: Stereoskopische Böntgenhilder. Durch einen
pparat mit Fußkontakt wird die Auslösung in ganz minimalen Zeiten
nz ebenso wie mit dem elektrischen Strome möglich.
Diskussion: Ossig hält dieses Verfahren für einwandfreie
agen-Darmaufnahme für nicht ausreichend.
Silberberg: Die elektrische Auslösung funktioniert vielleicht
18 Kleinigkeit schneller, das Verfahren genügt aber für Lungen- und
ıgen-Darmaufnahmen für die Praxis völlig. Ebenso ist das teuere und
handliche Spiegelstereoskop ersetzbar.
Asch: Zur operativen Behandlung puerperaler Sepsis. Zur
nenunterbindung wurde bei einer puerperal Infizierten geschritten,
> schon am vierten Tage post partam 40°, reichlich hämolytische
reptokokken im Blute und eine als Thrombose zu deutende Resistenz
bte. Bis zur Niere mußte bei der Verfolgung des Thrombus nach oben
gegangen werden, wobei die morsche Venenwand oberhalb des Throm-
3 riß und alsdann Venennaht erfolgen mußte. Nachdem nach unten
an die Üteruskante herangegangen war, wurde der gesamte Thrombus
rausgelöst. Die ganze Operation ging fast vollkommen extraperitoneal
" sich, verlief auch verhältnismäßig aseptisch. Dazu trägt möglichste
tmeidung von Messer und Scheere, ausgedehnteste Nutzbarmachung
: desinfizierenden Kraft des Paquelins hervorragend bei. Der Operier-
ı geht es durchaus gut.
Markus: Osteomalacie. Die Kastration führte hier zu einem
ten Resultat bei einer Frau, die schon sieben Jahre in der Menopause
r, also gar nicht mehr nach außen funktionierende Ovarien hatte,
Diskussion: Rosenfeld: Die Erfolge der Kastration sind außer
eifel, obwohl das Wechselverhältnis zwischen Knochenzustand und
arien sich experimentell bisher nicht klären ließ.
F. Heimann: Es gibt Fälle, in denen die Kastration sich erfolg-
zh erweist, nachdem andere Behandlungsmethoden (Milch einer kastrier-
. Eselin) versagt haben.
Tietze: Demonstration einer kongenitalen Cystenniere und
8. Hypernephroms, dem W. Hirt ein zweites hinzufügt.
Weichert: Mammaplastik. Die Deckung des bei Mammaopera-
ıen gesetzten Defekts durch die andere zuerst ovalär umschnittene,
m mobilisierte Mamma gibt gute Resultate. In einem Falle kam die
mma in die Mitte zu stehen; es kann aber auch vorkommen, daß der
jekt durch die andere Mamma nicht zu decken ist und zu einem
pen aus der Bauchhaut gegriffen werden muß. Immer ist Voraus-
ed = möglichst strenges aseptisches Vorgehen prima intentio
ielt wir
FE ne —
Brändle: Boecksches Sarkoid. Klinisch ausgesprochener Fall,
in dem alle Untersuchungen in bezug auf abgeschwächte Hauttuberkulose
(histologische, Meerschweinchenversuche, Tuberkulinreaktionen) gegen
diese Annahme ausfielen. Zu behandeln mit Röntgenstrahlen.
Leopold: Folliclis. Hauterkrankung, die auch in die Kategorie
der Hauttuberkulide fällt. Emil Neißer.
Halle a. S.
Verein der Aerzte. Sitzung vom 30. Oktober 1912.
Vor der Tagesordnung: Denker demonstriert ein von ihm
angegebenes Verfahren für schnelle Ausführung der Tracheotomie.
Ein gebogener dicker Troikart wird in das Ligamentum cricothyreoidum
eingestoßen. Nach Herausziehen des Mandrin dient das Rohr als Kanüle.
Tagesordnung: Penkert a) demonstriert bei Patientinnen vor-
gefundene antikonzeptionelle Mittel und bespricht im Anschluß an
einen Fall von schwerer Endometritis durch ein intrauterines Pessar die
Gefährlichkeit derselben;
b) demonstriert Präparate von Hydrocele mulieris. Die Ver-
wechslung mit Hernien geschieht oft;
c) demonstriert eine hydronephrotische Niere. Die Hydronephrose
war nach einer Ureterverletzung bei einer gynäkologischen Operation
entstanden;
d) demonstriert einen Fall von Nierentuberkulose, der dadurch
interessant ist, daß bei ihm die Tuberkel nur im Nierenbecken saßen.
Klinisch enthielt der durch Ureteren-Katheterismus gewonnene Urin reich-
lich Tuberkelbacillen;
e) bespricht die Erfolge der Edebohlschen N ierendekapsu-
lation, Io einem Fall von Perinephritis, der vorher wegen Myom und
Adnexitis schon zweimal operiert worden war, erzielte er volle Heilung.
Der andere Fall betraf eine Gravida im achten Monat mit schwerer
Schwangerschaftsnephritis. Der Urin enthielt 12°/0 Eiweiß. Patientin
entzog sich der diätetischen Behandlung. Als sie sich wieder vorstellte,
betrug der Eiweißgehalt des Harnes 30 %/o). Während des Partus trat
ein eklamptischer Anfall auf. Das tote Kind wurde durch Wendung
extrahiert. Auf diätetische Behandlung ging der Eiweißgehalt auf 20°/o0
herab. Dann traten hohe Temperaturen, Durchfälle und Oedeme anf;
die Urinmenge wurde sehr gering. Da alle internen Maßnahmen ver-
geblich blieben, wurde nach vier Wochen die Bealeg® Dekapsulation
vorgenommen.
Acht Tage post operationem war der Eiweißgehalt nur noch 1 °/o0.
Unter dem Einfluß einer Pyocyaneusinfektion stieg derselbe wieder
auf 10%... um dann allmählich vollständig zu verschwinden. Auch die
Oedeme der Ascites schwanden. Vortragender empfiehlt daher in ver-
zweifelten Fällen von Schwangerschaftsnephritis, die jeder inneren Therapie
trotzen, die Dekapsulation. Die günstige Wirkung möchte er in der
Ausbildung von Gefäßkollateralen sehen, ähnlich denen bei der Talma-
schen Operation;
e) bespricht einen Fall von Vulva diphtherie.
Derselbe betraf eine Frau, die häufig Angina hatte.
Nach der letzten Halsentzändung traten Fluor und Belege der
Vulva auf. Die Aerzte nahmen eine Gonorrhöe an; es kam infolgedessen
zur Ehescheidung. Vortragender fand bei der Untersuchung pfennig-
große Geschwüre in der Gegend der Bartholinischen Drüse. Die Ton-
sillen zeigten Belag. Die Abstriche von den Tonsillen und von der Vulva
ergaben typische Diphtheriebacillen. Nach Injektion von 1500 Einheiten
Diphtherieimmunserum und lokaler Anwendung von Pyocyanase trat volle
Heilung auf.
Diskussion: Fraenken empfiehlt statt der üblichen subeutanen
Injektion die intramuskuläre Injektion des Diphtherieserum.
v. Hippel erwähnt, daß die Serumbehandlung auch bei Conjuncti-
valdiphtherie gute Resultate ergebe.
Beneke: Ueber Thrombose. Vortragender gibt zunächst einen
kurzen historischen Ueberblick. Dann präzisiert er des Genaueren den
Unterschied zwischen Blutgerinnung und’ Thrombose, die auch heute
noch vielfach zusammengeworfen werden. Er bespricht danach ausführ-
lich die anatomischen Untersuchungen von Ebert-Schimmelbusch,
von Zahn, von Aschoff und seiner Schule, sowie die klinischen Unter-
suchungen von Morawitz. Die Unterscheidung zwischen Pulsations-
und Stagnationsthrombose wird betont. Die Bedeutung der Blutplättchen
als den Hauptbestandteilen des Thrombus wird ausführlich dargelegt.
Den Hauptfaktor für das Zustandekommen der Thrombose sieht Beneke in
denmechanischen Momenten der Blutstromverlangsamung. Derhistologische
Aufbau der Thromben beweist die Richtigkeit dieser Anschauung. Vor-
‚tragender führt zu diesem Zwecke die instruktiven Untersuchungen
‚Aschoffs an und demonstriert sie an der Hand eigener schematischer
|
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Zeichnungen. Vortragender geht sodann zu der Frage über, welche Rolle Berlin.
die Infektion für das Zustandekommen der Thromben spielt. Er weist Physiologische Gesellschaft. Sitzung vom 29. November 1918,
auf die Ansicht vieler Kliniker hin, die in der Infektion die alleinige 1. M. Cremer, Beiträge zur. Frage der Zuckersynthes in
Ursache der Thrombose sehen. Tierkörper. Vortragender bespricht zunächst einige mit Phlorin sm
Von den Pathologen ist nur Kretz ein warmer Vertreter dieser | gestellte Experimente. Das zuerst durch Spaltung des Phlorhizins mi
' Lehre. Zurzeit ist es nicht möglich, die Bedeutung der Infektion exakt | Alkali durch Cremer und Seuffert!), später synthetisch durch Fischer
festzustellen. Jedenfalls spielen auch dann die mechanischen Momente | und Strauß?) gewonnene Phlorin (= ß-Phloroglucinglucosid) bewirkt ein
eine große Rolle. Dasselbe gilt für die Bedeutung der Gefäßwand- | im Prinzip dem Phlorhizin- und Phloretindiabetes völlig analoge Glukosırk
schädigung. Vortragender wendet sich dabei gegen die Einseitigkeit | Es ist nur schwächer wirksam, das heißt es werden größere Dosen zur sbn
dieser letzten Anschauung in einem Artikel Ribberts. Z. Zuckerausscheidung erfordert. Nach Versuchen von Fromm verbalia '
sich die Mengen, welche subcutan bei einem kleinen Hunde von zita :
| 7 kg Gewicht gerade nicht mehr nachweisbare Züuckerausscheidung b-
Marburg. wirken, etwa wie folgt:
Aerzteverein. Sitzung vum 9. November 1912. Phlorhizin . . . . . Yamg
Müller: Ueber spinale Kinderlähmung. Das Auftreten der Er- Phloretin . . 2... 02g
krankung ist von Anfang an nur scheinbar sporadisch, tatsächlich aber Phlorin . .... 0,25 g
endemisch gewesen. Im Jahre 1905 wurde zuerst aus Schweden eine Die Phlorizin-Glukuronsäure steht zwischen dem Phlorhizin ui
Massenerkrankung von 1000 Fällen beschrieben. Die Zahlen stiegen dann | dem Phloretin. Bei einem durch Abbau gewonnenen Produkt war di
sehr schnell; im letzten Jahr erkrankten in den Vereinigten Staaten | Möglichkeit. gegeben, daß etwa anhaftende Reste von Phlorhizin oder
von Nordamerika 20000 Kinder. | Phioretin die Wirkung vortäuschen konnten. Griese arbeitetete ein
Das Virus ist morphologisch nicht bekannt. Man weiß, daß es | Methode aus, die in 1 g Phlorin noch weniger als !/ıo mg Phlorhisn
filtrierbar ist, und daß es das Zentralnervensystem auf dem ILymphwege | oder Phloretin nachzuweisen gestattet. Hierdurch und durch die Ver
erreicht, alles Momente, die Beziehungen zum Gifte der Lyssa erkennen | wendung des synthetischen Produkts konnte der Nachweis gafit
lassen. Die Eintrittspforten sind die oberen Luftwege und der Darm- | werden, daß die Wirkung am Phlorin selbst haftet. (Versuche mi
traktus; hier wird das Virus auch wieder ausgeschieden. Eine Kontakt- | Phlorin wurden zum Teil von Erbs ausgeführt.)
infektion von Mensch zu Mensch ist sicher nachgewiesen, ebenso ein ge- Vortragender berichtet dann weiter über eine große Reihe w
häuftes Tiersterben an verseuchten Orten. Anmeldepflicht muß für die Versuchen, die in seinem Laboratorium unter seiner Leitung ausgeführt
Erkrankung dringend gefordert werden, zumal man rechnet, daß die Zahl | wurden, die die Glykoneogenie betrafen. Die angewandte Methodik mr
der abortiven Fälle zwei- bis dreimal größer ist als die der manifesten. | Stets die Untersuchung im „konstanten“ Phlorhizindiabetes, die vom Vor
Wieviel Virusträger daneben in betracht kommen, entzieht sich jeder | tragenden mit Ritter?) bekanntlich zuerst inauguriert und von busk}
. Schätzung: j und seinen Schülern ausgebildet wurde. Nur wurde die strenge
Jahreszeit und Lebensalter haben einen starken Einfluß auf die | Methode teils mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Ausführung
Krankheit. Die Kurven zeigen den Höhepunkt im August, und für das | und teils mit Rücksicht auf die Versuchstiere selbst (meistens Hunt)
Lebensalter am Ende des zweiten Jahres. Nach dem fünften Jahre sind | was modifiziert, namentlich auch kleinere Dosen angewendet. In dr
Erkrankungen selten. Die Mortalität beträgt für die Epidemien in letzten Zeit wurde auch nach der von Ringer‘ u.) wieder empfohlen
Hessen-Nassau 15 9%. Coolenschen Methode gearbeitet und os wurde bestätigt, daß dieselhe
Matthes: Pathologie und Therapie der Gicht. Alle Theorien | !hre besonderen Vorzüge hat, namentlich wenn es gelingen sollte, eiw
über Entstehung der Gicht sind unbefriedigend. Man weiß, daß gewisse | Apsceßbildung an den Injektionsstellen sicher zu vermeiden.
Momente eine Rolle spielen: Erblichkeit, zellkernreiche Nahrung; ferner Durch das zuerst vom Vortragenden sichergestellte Verhalten du
Gelegenheiten zu reichlichem Zerfall von Zellkernen, wie Röntgenbe- Glycerins im Phlorhizindiabetes 6) war es unzweifelhaft geworden, dad w:
strahlung oder eine sich lösende Pneumonie. Auch Traumen spielen eine fütbertes Fett wenigstens mit seiner Glycerinkomponente als Zuuckerbildnr
gewisse Rolle, sowie kohlensaure Bäder. Wichtig sind eine Reihe kli- | 7? betrachten ist. ‚Ein sicherer, direkter Beweis dafür liegt aber bis jelt
nischer Erscheinungen, die häufig mit der Gicht einhergehen: Lumbago, | "" der Literatur nicht vor.
Tarsalgien, chronische Ekzeme, Augenerscheinungen wie Skleritis, Epi- Vortragender wandte sich daher dem Verhalten der niedersimn
skleritis, Iritis, ferner eitrige Ausflüsse aus Vagina und Urethra, Magen- Fette zu und in der Tat gelingt es, mit Mono- und Triacetin, som mit
Darmstörungen, Pachymeningitis,. schließlich die Neigung zu Nasenbluten Mono- und Tributyrin leicht zu „Extrazucker“ zu kommen. (Versucht
bei Kindern aus Gichtikerfamilien. von Katzfey und Leitner.) Bei dem Versuche mit Tributyrin mb
Für die Entstehung ist sicher, daß die Harnsäure eine wesentliche wenn man die Extraglucose als Neoglucose aus dem verfütterten Stofe
betrachtet, angenommen werden, daß das Glycerin ziemlich quantitatiy
Rolle spielt. Die verschiedenen Theorien nehmen in der Hauptsache | . a : :
folgendes an: Die Nieren sind nicht im stande, die Harane auat in Zucker übergeht. Natürlich läßt sich ohne besondere Versuche er
scheiden. Von der Fe weisen, daß auch die Buttersäure beteiligt sein m
D ® N ® . 1 i ` 3 | cari 8 ZU
Die Harnsäure kreist im Blute als nicht harnfähiger Stoff. Neun bestand die Absicht, ‚noch andere niedere Giy o
Es handelt sich um eine komplizierte Veränderne des gesamten Prem, ung ar dig Mitteilung a Ringer’) = schien, daß dio Br
Kernstoffwechsels, um eine verlangsamte Bildung und Zerset d ne seiner Meinung quantitativ (das heißt mit dem gaist. £s
erns , & 8 etzung der | halt) in Zucker übergehe?), versuchten wir sofort auch Tripropiei')
An Der Versuch, den Leit i fallen, daß hier m
Alle diese Theorien lassen jedoch Lücken. SER Glycerin EER a ae ist so ausgefallen, |
(Fortsetzung in nächster Sitzung.) Es handelt sich im Tripropionin um ein Oel, das nit
König demonstriert ein Teratom der Niere mit Carcinom, welches | einem sehr großen Teil seines Kohlenstoffs (quantitativ?) ia
or bei einem vierjährigen Mädchen exstirpiert hat. Die Diagnose, daß es | Traubenzucker im Organismus des Hundes übergehen er
sich um einen Nierentumor handele, war durch Oystoskopie und Ureteren- Im Zusammenhange mit obigen Versuchen wurde auch fostges
katheterismus gesichert worden. | daß das Propylenglykol Extrazucker liefert. FE”
Bei einem 29jährigen Mädchen mit einer Tuberculose der linken Gleichzeitig mit diesen Untersuchungen über Fett En a u
un
Niere hatte die Gefrierpunktsbestimmung des Serums eine Erniedrigung | Verhalten von Eiweiß und seinen Abbauprodukten studier
von 0,730 ergeben. Der Wert stieg nach der Nephrektomie auf 0,68%. | I. 44. Nr. 32 und Cremer
Hohmeier stellt zwei schwere Appendieitis-Peritonitiden vor, | Seu an ne on Et Bas S. 2565. M
die mit Spülung der Bauchhöhle und breiter Drainage behandelt worden 2) E. Fischer u. H. Strauß, Ber. "2. d. chem. Gesellsch. 1
67
waren. Bei beiden stellte sich ein Adhäsionsileus ein, der durch Entero- | Bd. 45, S. 2467. g
$) Cremer und Ritter, Zt. f. Biol. Bd. 29, S. 256 f, ber
stomie behoben wurde.
H. erwähnt bei der Gelegenheit, daß von 208 Appendicitisfällen | U- ®- ame preman a 29 S. 497.
des letzten Jahres 14 eine diffuse Peritonitis hatten, und daß von diesen s er Pe Luce de a 12. or Bi, 400. i
zwei gestorben sind. Das bedeutet eine Gesamtmortalität von 0,97 %/, 6) one Sitzungsbericht E Gesolischaft für Morphologi ni
für die Peritonitis von 14 %/o ~ | Physiologie München 1902, H. 2, sowie M. med. Woch. Ih"
Magnus demonstriert zwei Fälle von Madelungscher Deformität | ferner derselbe, Erg. d. Phys. 1902, 1. Jahrg. S. 889/890.
(erscheint in dieser Wochenschrift). | Georg Magnus. 1) J. of biol. Chem. 1912, Bd. 12, S. 511.
8) Qualitativ von Schulz bestätigt. .
°) Gemeinschaftlich mit Seuffert synthetisch dargestellt.
5. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. | 9051
m — — ——— — — — — — ——mmmmmmeee m
eihe der Aminosäuren die Arbeiten von Lusk und seinen Schülern in
m Sinne bestätigt, daß hier jedenfalls eine kräftige Synthese von
raubenzucker vorliegt. |
Neu dürfte sein, daß nicht nur d-I-Alanin (Schulz), sondern auch
Alanin (Kunzendorf) in größeren Mengen zur Verwendung kam. Von
n bekannten Aminosäuren wurde auch Cystin mit positivem Erfolg
lemming) geprüft. (Auch Tyrosin gab ein wahrscheinlich als positiv
, deutendes Ergebnis.)
Von den Eiweißkörpern selbst ergab Gliadin gleiche oder etwas
here Werte des Zuckerquotienten wie Fleisch. (Versuch Daniels.)
e hierdurch aufs neue wieder bestätigte Tatsache, daß die Zusammen-
tzung der Eiweißkörper nur von geringem Einfluß auf den Zucker-
otienten ist, läßt sich nur so deuten, daß der Stickstoff in denselben
Mittel mit ziemlich der gleichen Menge „Zucker-Kohlenstoff“ verbun-
n sein muß oder daß wenigstens keine großen Schwankungen in der
hl der im Verhältnis zum N verwandten C-Atome bei den einzelnen
usteinen möglich sein können. Man kann 3,2 als beiläufiges Mittel des
ckerguotienten im Phlorhizin- und Pankreasdiabetes betrachten. Das
spricht ungefähr dem Verhältnis von 1 N: 1! C.
Beim Glykokoll würde folgende Gleichung
4 CH:sNHsCO:sH = CeH120s + 2 CO(NB3);
einem solchen Zuckerquotienten führen.
Tatsächlich sind einige der von Berger und Pape erhaltenen
arte für den Extrazucker nach Glykokoll mit dieser Gleichung min-
tens ebenso gut in Einklang zu bringen wie mit der von Lusk ver-
tenen Anschauung, daß der Kohlenstoff des Glykokolls ganz zu Zucker
d. Drei Versuche sprechen allerdings auf den ersten Blick mehr für: die
sksche Meinung. Doch vergleiche man die weiter unten mitgeteilten
lenken betreffend Deutung der Extraglykose. Die mitgeteilte Gleichung
rde natürlich ihre Bedeutung verlieren, wenn es sicher wäre, daß das
kokoll zuerst einer Desamidierung unterliegt und daß von der Glykol--
r Glyoxylsäure ähnliche Zuckerwerte erhalten würden, wie vom Gly-
oll selbst. Die Gleichung würde aber vielleicht an Bedeutung ge-
nen, wenn etwa, wie Parnas und Baer!) (für Glykolsäure im Gegensatze
„usk) wollen, die genannten N-freien Säuren zur Zuckerbildung nichts bei-
zen. In diesem Falle müßte ja die Zuckerbildung komplexer sein als
ı sich bisher vorstellte, und könnte eventuell in ihrem Endresultat
ch obiges Schema aufgefaßt werden, das allerdings keinen direkten
blick in den inneren Verlauf gibt?). Weitere Versuche zur Orientie-
g sollen unverzüglich in die Wege geleitet werden.
Wenn man sich der Ansicht von Wiechowski?) erinnert, daß
Aminosäuren allgemein über das Glykokoll abgebaut werden, so
de man in obiger Gleichung eine wirklich einfache Erklärung für den
leren Eiweiß-Zuckerquotienten sehen können. Indessen ist diese
othese, die im Anfange der Untersuchungen gewissermaßen als
istisches Prinzip dienen sollte, aus verschiedenen Gründen nicht zu
en. Namentlich aus einem mit 40 g Glutaminsäure von Warkalla
stellten Versuche ergibt sich, daß hier der Zuckerquotient größer
4 sein muß. Nach Lusk ist er 6,4.
Aehnliche Verhältnisse ergeben sich für das Alanin, bei dem min-
ens zwei C-Atome zur Zuckerbildung verwandt werden. Lusk glaubt
seine Ansicht (drei C-Atome) den sicheren Beweis erbracht zu haben.
' die Frage, wieweit die Extraglykose als Neoglykose aus dem verfütterten
rial betrachtet werden darf, wie auch die umgekehrte, wieweit eine Neo-
ose als Extraglykose erscheinen muß, bedarf noch weiterer kritischer
ung durch Experimente. Es geht dies namentlich aus Versuchsreihen
Urethan hervor, die zuerst von Hering, später von ZB ger, Gaul
Rohloff angestellt wurden.
Im Anschluß an die bekannten Versuche von Grafe und
läpfer‘) schien die Frage nicht unwichtig, ob Zitronensäure, speziell
nensaures Ammonium, Traubenzucker liefern würden. Damals war
ditteilung von Lusk’), worin sich die Umrechnung der einschlägigen
uche von Baer und Blum befindet, noch nicht erschienen. Adam y
lte ein positives Ergebnis, aber nicht nur hiermit, sondern auch mit
Iminsaurem Ammonium beziehungsweise Salmiak und kohlensaurem
on. Da nun außerdem Propylenglykol und die Gilyceride der
ren fetten Säuren als schwache Narkotica gelten, so untersuchte
ing auf Veranlassung des Vortragend-n auch Urethan, zudem in der
latur auch Versuche vorlagen, die Urethan- und Glykogenanhäufungen
fen. Die Untersuchungen von Underhill®) über verstärkende
') Biochem. Zt. 1912, Bd. 41, S. 386.
2) Ich mache immerhin darauf aufmerksam, daß 2 Mol. Glykokoll
aloger Weise 1 Mol. Triose und 1 Mol. Harnstoff geben können.
3) B. z. Phys., Bd. 7, S. 204.
1$) H. S. Zt. f. phys. Chem. Bd. 77, S. 1.
5) Erg. d. Phys. Bd. 12, S. 880. f
€) J of biol. Chem. Bd. 9, S. 138; cf. Ernst Neubauer, Biochem.
td. 48, H. 842. |
‘
Wirkung des Urethans beim Adrenalindiabetes wurden dem Vortragenden
erst später bekannt. Das Resultat der Heringschen Versuche war er-
staunlich. Trotz des N-Gehalts des Urethans stieg der Zuckerquotient
bei zwei zirka 10 kg schweren Hunden nach 15 respektive 10 g Urethan
auf 6,2 respektive.7,2. Es erscheint aber nicht wahrscheinlich, daß das
durch Glukoneogenie aus dem Urethan erklärt werden muß, denn Aethyl-
alkohol und auch kohlensaures Aethyl (Versuch von Kühnlein)
liefern keine Extradextrose. Es wäre höchst merkwürdig, wenn der
Alkohol plötzlich in dieser Verbindung sich als Zuckerbildner erweisen
sollte. Es ist eher zu vermuten, daß das Urethan relativ festen Zucker
(Glykogen) zu mobilisieren und dann zur Ausscheidung zu bringen ver-
mag. Dafür spricht, daß andere Urethane und z. B. auch Sulfonal und.
Paraldehyd ähnlich wirken. Allerdings war Morphiumnarkose negativ.
Auch bei späteren Versuchen mit Urethan wurde qualitativ stets
Steigerung des Zuckerquotienten im gleichen Sinn erhalten. Doch miß-
lang der Versuch, einem Hunde wiederholt große Dosen Urethans beizu-
bringen. Das Tier war dann nicht mehr normal.
Indem die nähere Diskussion des Verhaltens des Urethans den
ausführlichen Mitteilungen vorbehalten bleiben muß, sei nur hiermit kon-
statiert, daß namentlich bei der Verwendung narkotisierender Mittel man
recht vorsichtig in der Deutung des Extrazuckers sein muß. Das gilt
zum Beispiel für die Verwendung böher molekularer Alkohole. Ob aber
nicht neben der narkotischen auch eine andersartige specifische Wirkung
auf die Vermehrung der Zuckerausschwemmung stattfindet, bleibt frag-
lich. Von diesem Standpunkt aus wurde namentlich das Verhalten des
Acetamids und des Harnstoffs geprüft. Schultzen und Nencki!) haben:
behauptet, daß das Acetamid vom Hunde quantitativ im Harn ausge-
schieden werde. Wäre diese Behauptung richtig, so würden wir in der
Wirkung des Mittels ohne weiteres einen Beweis dafür ersehen können,
daß man mit der Auffassung einer Extraglykose als Neoglykose recht
vorsichtig sein muß. Wie Holzky für den normalen Hund, Stein-
hausen für den phlorhizindiabetischen feststellte, ist aber diese Be-
hbauptung nicht richtig, wenn auch mehr als die Hälfte des Acetamids
bei den angewandten Dosen im Harn erscheint. Die Frage, wie weit der
erscheinende Extrazucker vom Acetamid stammt, konnte einstweilen nicht
definitiv geklärt werden. Die Versuche werden fortgesetzt. Auffallend
ist, daß nach Lusk Essigsäure selbst unwirksam ist und man als ersten
Schritt doch die Bildung von Essigsäure vermuten sollte. |
Es wurden bisher noch Suceinimid und Succinamid und Lac-
tamid geprüft. i
Die Versuche mit carbaminsaurem Ammonium führten dazu, noch- _
mals den Harnstoff, dessen Unwirksamkeit Knopf?) unter Leitung von
Loewi festgestellt hatte, selbst zu prüfen. Es wurden auch hierbei in
einer Versuchsreihe positive Wirkungen von Gaul erhalten, wenn auch
andere Versuche mit negativem Ergebnisse dem gegenüberstehen. Es
erschien aber möglich, daß bei gleichzeitiger Darreichung von Harnstoff
und zuckerbildendem Material eine erhöhte Ausführung von Zucker statt-
finden kann. (Versuche von Bünzel.) So wurde Traubenzucker quanti-
tativer ausgeschieden, wenn gleichzeitig soviel Harnstoff gegeben wurde,
daß das Verhältnis 3:1 war. Für die Frage, warum Eiweißzucker und
Zucker aus Aminosäuren vollständiger wie Nahrungszucker beim Phlor-
hizindiabetes zu erscheinen scheint, ist zur Erklärung vielleicht auch
diese Harnstoffwirkung heranzuziehen. Sollte sich diese Auffassung durch
Versuche, die noch im Laufe sind, noch weiter stützen lassen, so würde
daraus folgen, daß man statt oder in Ergänzung des einfachen Phlo-
rhizindiabetes eine Kombination mit gleichzeitiger Harnstoffdarreichung
als Methode der Untersuchung wählen würde. Es sind in dieser Rich-
tung schon Versuche begonnen.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 4. Dezember 1912.
Vor der Tagesordnung demonstrierte Nagelschmidt, daß es
gelingt, mit Hilfe eines Wechselstroms besonderer Art Tiere in
Schlafzustand zu bringen, ohne die Schädigungen zu setzen, welche
bei der Anwendung anderer Stromarten leicht eintreten können. Die Tiere
erwachen nach Ausschalten des Stroms. Verwendet wird ein Wechsel-
strom von 1200 Wechseln und einer Stärke, welche von der Größe und
Art der Tiere abhängt. Beim Menschen sind Versuche mit dieser
Methode noch nicht gemacht worden. In der Diskussion spricht sich
Max Cohn dahin aus, daß er einen Unterschied zwischen der Stromart
von Nagelschmidt und Leduc nicht zugeben kann. Versuche haben
ergeben, daß man Narkosen beim Menschen mit Lieducschen Strömen
nicht machen kann. Es ist auch noch nicht erklärbar, was eigentlich
bei der Narkose des Tiers passiert. Es hat die Annahme viel für sich,
daß bei den Tieren ein Krampfzustand sämtlicher Muskeln eintritt, sodaß
1) Zt. f£. Biol., Bd. 8, S. 124.
2) A. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 49, S. 184.
2052 | 19[2 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
15. Dezember
Ge Fe m am En en nn = nn nn nn nn nl a m a a a a a
die Tiere nicht einmal Abwehrbewegungen machen können. Man kann
aber auch Lokalanästhesien damit erzeugen, die aber nicht identisch sind
_ mit den für Operationen erforderlichen Anästhesien.
2. A. Leppmann stellte einen Mann vor, der bei einer im übri-
gen ausgesprochen männlichen Entwicklung völlig weibliche Brustdrüsen
hat. Der Geschlechtstrieb des Mannes ist in jeder Richtung männlich.
L. hält die Anomalie für ein Degenerationszeichen uud findet eine Be-
stätigung für diese Ansicht u. A in der Abstammung des Mannes von einem
Vater, der an Anfällen von Bewußtlosigkeit leidet. Der Fall ist als
Unikum anzusprechen.
Tagesordnung: Abel: Zur Trockenbehandlung des Vaginal-
und Uteruskatarrhs mittels Trien, Die bisher übliche Behand-
lung des Ausflusses aus den weiblichen Genitalien mit medikamentösen
Flüssigkeiten hat seit einigen Jahren der Trockenbehandlung Platz ge-
macht. Seit der ersten Veröffentlichung Nassauers (München) über
diese Behandlung vor drei Jahren hat sie sich immer mehr Anhänger
verschafft. Aber die von Nassauer besonders empfohlene Bolus alba
scheint namentlich in den Fällen von Zervix- und Uteruskatarrh keine
guten Dauerresultate zu geben, da hierdurch der eigentliche Ort der Er-
krankung nicht erreicht wird. Deshalb empfiehlt A. das Trien. Dies ist
ein Jodbenzolderivat, welches die Eigentümlichkeit besitzt, sich im
Körper nicht zu verankern, sondern als Trien schon nach kurzer Zeit
im Urin nachgewiesen werden kann. Daher fehlen auch jegliche Jodismus-
erscheinungen. Schon in 6°/oiger Lösung hat es ausgesprochene bac-
tericide Kraft, noch mehr natürlich in 10 bis 20 °%/oiger Konzentration,
wie es von A. angewendet wurde Zur Behandlung des Vaginalkatarrhs
wird 10°%/,ige Triengaze bis zum Scheidengrund eingeführt, sodaß ge-
wissermaßen die Portio vaginalis darin eingewickelt ist. Der übrige Teil
der Vagina wird mäßig fest mit der Gaze ausgestopft. Dieselbe wird
nach 24 Stunden von der Patientin herausgenommen und die Einführung
zwei- bis dreimal wöchentlich wiederholt. Ausspülungen werden
während der Behandlung überbaupt nicht gemacht. Schon nach vier-
bis fünfmaliger Einführung der Gaze verschwindet oft Ausfluß, der
trotz monatelanger Ausspülungen nicht zur Heilung zu bringen war.
Handelt es sich um einen Üervikalkatarrh, so muß die Gaze bis
zum inneren Muttermund in die Cervix eingelegt werden. Ist aber das
Endometrium erkrankt, so muß der Uterus tamponiert werden. Letzteres
soll nie ambulatorisch geschehen. Bei gonorrhoischer Erkrankung
soll von vornherein die 20°/,ige Gaze benutzt werden. Ebenso
wird hierbei die eventuell bestehende Urethritis gonorrhoica mit Trien-
‚stäbchen von gleicher Konzentration behandelt, um eine Reinfektion der
Vagina von hier aus zu verhindern. Vielleicht wird auch die gleich-
zeitige interne Darreichung des Mittels (dreimal täglich 0,5 g), welches
übrigens in den hier in betracht kommenden Dosen für den menschlichen
Organismus vollkommen unschädlich ist, dazu beitragen, die Heilung der
Gonorrhöe zu beschleunigen. Die Stäbchen hat Abel auch bei der
Gonorrböe der Kinder in die kindliche Vagina eingelegt und dadurch in
manchen Fällen schnellere Heilung erzielt, als mit den bisher gebräuch-
lichen Mitteln. Für die Einführung der Gaze in den Uterus sind Streifen
von 1 m Länge in Einzelpackung sterilisiert. Dieselben werden von
Abel jetzt als vollkommener Ersatz der Jodoformgaze als Erweiterungs-
mittel und zur Tamponade des Uterus bei Abortblutungen und auch bei
atonischen Blutungen post partum angewendet. Die ausgesprochene Tiefen-
wirkung des Mittels bat Abel dazu benutzt, daraus Tampons machen zu
lassen, welche statt der Ichthyol-, Thigenol- oder sonstigen Tampons in
den hinteren Scheidengrund bei entzündlichen Adnexerkrankungen ein-
gelegt werden. Die Wirkung ist mindestens ebenso gut, wenn nicht .
besser als die der andern Tampons; die Trientampons haben aber den
Vorteil, daß die unangenehme Schmiererei ganz vermieden wird. Außer-
dem ist das Mittel vollkommen geruchlos. Auch bei Wunden hat sich
das Mittel gut bewährt und schlecht aussehende mit schmierigen Be-
lägen bedeckte Wunden sind nach Bestreuen mit Trienpulver schnell zur
Heilung gekommen. Vielleicht ist das Mittel berufen, überhaupt bei der
Wundbehandlung noch eine Rolle zu spielen. Das Präparat wird von
dem Westlaboratorium, Berlin-Wilmersdorf, Bruchsalerstr. 6, hergestellt
und kann durch alle Apotheken bezogen werden. Der Preis ist so, daß
es auch für die Kassenpraxis angewendet werden kann. (Autoreferat.)
Rundschau.
Diskussion. Evler hat das Trien in seiner chemischen Wir
auf Eiter untersucht und festgestellt, daß Eiter durch das Präparat yar
flüssigt wird und daß der (fermentative) Einfluß des Triens auf den Eiter
sich durch das Ausbleiben verschiedener charakteristischer Eiterreaktiong
nach Einwirkung des Triens dokumentiert. Liebmann: Die von L. g
gewendete Methode der Trockenbehandlung unterscheidet sich wesentlich
von der Abels. Gerade die direkte Pulverbestreuung entzieht den Bak-
terien die Flüssigkeit, indem sie die kleinen Poren verschließt, Wen
das Trien eine bactericide Eigenschaft besitzen sollte und bei seiner An.
wendung eine Schädigung des Epithels ausbliebe, so würde das Mittel
große Vorzüge besitzen. Das ist aber bisher nicht bewiesen, soda
weitere Beobachtungen erforderlich sind. Lewy bestätigt die günstigen
Ergebnisse Abels auf Grund eigener Beobachtungen. Citron hat dw
Trien bei Uretritiden und Cystitiden mit günstigem Erfolg angewendet,
Er empfiehlt die Anwendung des Präparats bei diesen Krankheit,
weil es reizlos und unschädlich ist. Abel. Schlußwort.
Arthur Schlesinger: Chirurgische Behandlung der Basedor-
schen Kraukheit. S. berichtet über seine Erfahrungen bei 20 operiertan
Basedowfällen. Ungefähr die Hälfte schwere, sonst mittelschwore Fäll,
Alle schon intern behandelt. S. machte in der Regel Halbseitenezstir-
pation, zweimal Halbseitenexstirpation, Excision an der andern Hälfte, ein
mal Exstirpation eines Mittellappens. Ueber 17 Fälle Berichte, davon
3 Heilungen, 4 fast geheilt, 8 wesentlich gebessert, 2 Rezidive (1 dm `
nach Arsen wieder verschwunden). Die übrigen drei Patienten nach
einem halben Jahre nach der Operation bedeutend gebessert; kein Toda
fall. Drei interessante Fälle: 1. eine schwere, zwei Jahre lang bestehend
Psychose maniakalischen Charakters, durch Halbseitenexstirpation geheilt,
2. Fall von sekuudärem Basedow (Kind mit kongenitalem Schilddräse-
mittellappen; Vergrößerung des Mittellappens, zugleich damit Basedow
symptome). Dieselben gehen nach Exstirpation zurück. 3. Schwerslar
Basedow, durch Exstirpation der einen Hälfte plus kleines Stück der
andern gebessert. Nach zirka zweieinhalb Jahren schwerstes Myrödın
mit Tetanie, nachdem noch zwei Jahre post operationem nichts davon
nachzuweisen war. Durch Schilddrüsentabletten jetzt fast Heilung. $
bespricht dann die Frage der Thymuspersistenz. Bei seinen Fällen keim
solche nachgewiesen. Bei der Erklärung der postoperativen schwer
Erscheinungen nach Basedowoperationen spricht S. der Theorie von dir
akuten Schilddrüsensaftresorption eine gewisse Rolle zu (schwere Er-
scheinungen nach Schilddrüsenresektionen), wobei große Resorption-
flächen geschaffen werden. Bei der Besprechung der Operationsmethodn
meint S., daß der Satz von Parallelismus des erreichten Hoilresulls
und Menge des entfernten Schilddrüsengewebes nicht unbedingt Milk
keit hat. S. beobachtete nämlich, daß nach Operationen der einen Seis
die andere Seite (im Gegensatze zu bisherigen experimentellen und kr
nischen Anschauungen) in Atrophie verfiel. Daraus schließt er, dab m
in der Praxis, bevor man zu einer zweiten Operation rät, erst längere
Zeit abwarten soll und so vielleicht die mehrzeitigen Operationen mei
als bisher einschränken kann. R
Bezüglich der Indikationsstellung, wann man zur Operation raie
soll, warnt S. vor zu langem Warten, möchte sich aber auch nicht dem
ganz radikalen chirurgischen Vorgehen anschließen. (Autorefertt)
Diskussion: Hildebrand: Wegen Basedow hat H. g%
200 Kranke operiert. Die Erfolge sind sehr gut, wenn auch nieht dard
gehends. Bei einigen der operierten Kranken ist heute so gut wie nidhi
mehr von ihrer Krankheit zu merken. Die Gewichtszunahmen sind è
trächtlich und erreichen Höhen bis zu 60 Pfund. In den meisten Fil
bleibt aber eine gewisse Schwäche im Nervensystem. Die Operation "
Basedowstruma ist etwas anderes als die eines gewöhnlichen ar
Die beste Statistik für Basedow ergibt 3 bis 4°0/o Mortalität, Die
der Todesfälle läßt sich allerdings durch Uebung reduzieren. A
hat jetzt nur etwa 20/, gegenüber 4 bis 5°/o in früheren Zeiten. .
ist aber noch zu berücksichtigen, daß man jetzt die Kranken m
Behandlung bekommt. H. empfiehlt, nicht zu lange mit der Opora ja
zu warten, wenn er auch den Versuch einer inneren Behandlung '
der Operation für gerechtfertigt hält. Röder berichtet über 8
von ihm !operierte Fälle von Basedow, unter denen er einen }0
hatte. R. empfiehlt, zunächst innerliche Therapie anzuwenden.
l Fritz Fleischer
Rediglert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Zwölite Hauptversammlung des Leipziger Verbandes.
Kritischer Bericht von Dr. Friedrich Haker, Berlin.
Am 23. und 24. November hielt der Verband der Aerzte Deutsch-
lands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen (Leipziger Verband)
unter zahlreicher Beteiligung seiner Vertrauens- und Obmänner in Leipzig
seine zwölfte ordentliche Hauptversammlung ab. Sie war diesmal von
ganz besonderer Bedeutung, nicht nur wegen der wichtigen Tagen)
nung, deren bedeutungvollster Inhalt die Stellung der Aerztes
Fragen der Neugestaltung der sozialen Versicherung ausmacht,
auch, weil sie diesmal gewissermaßen auch den deutschen Aerztetig
aus mancherlei Gründen in diesem Jahr ausgefallen war, ZU erso
hatte. Es kam das schon darin zum Ausdrucke, daß der Versamm,
eine Sitzung des Geschäftsausschusses des Deutschen Aorztovoroi”
sonder
s
15. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50. 2053
bundes vorausging, in der an Stelle des kürzlich verstorbenen Geh. Med.-
Rats Prof. Dr. Löbker (Bochum) zum 1. Vorsitzenden der San.-Rat Dr.
Dippe und zum Generalsekretär des Aerztevereinsbundes an Stelle des
in den Ruhestand tretenden San.-Rats Dr. Heinze der San.-Rat Dr.
Herzau (Halle) gewählt wurde. Daß nunmehr auch der Vorsitzende des
Aerztevereinsbundes seinen Wohnsitz in Leipzig bat und daß dieser neue
Mann bisher dem Vorstande des. Leipziger Verbandes angehörte, wird von
übelwollenden Außenstehenden ganz sicher als ein Erfolg des „Terrorismus“
des Leipziger Verbandes gekennzeichnet werden. Diese Leute wissen
eben nicht — oder wollen nicht wissen —, daß die Not der Zeit den
inneren Gegensatz, der vor Jahren zweifellos zwischen Aerztevereinsbund
und Leipziger Verband bestanden hat, nun schon lange und endgültig
beseitigt hat, und daß die deutsche Aerzteschaft bei der Wahl ihrer
Führer durch keinerlei Rücksichten auf Außenstehende gebunden ist.
Mit einer schönen und kraftvollen Rede eröffnete Hartmann als
Vorsitzender die Beratungen, die den Nachmittag des 23. November von
3 bis 1,7 und am 24. die Zeit von 9!/s vormittags bis 6 Uhr nach-
mittags mit einer kurzen Pause von 20 Minuten in Anspruch nahmen,
An der Spitze der Tagesordnung stand, wie gewöhnlich, der Bericht des
Generalsekretärs, der ein klares und umfassendes Bild der Tätigkeit des
Leipziger Verbandes gab. Das mögen zunächst einige statistische Mit-
teilungen erhellen:
Die Gesamtzahl aller Ein- und Ausgänge der Geschäftsstelle in
Leipzig ist von 245975 im Vorjahre gestiegen auf 323321! Die Mit-
gliederzahl betrug am 1. Mai 1911 23789, am 1. Mai 1912 24521, am
1. Oktober 24845; da im laufenden Jahre der Verband besonders viele
Mitglieder durch Tod (314 gegen 163 im Vorjahre), Alter und Invalidität
(182 gegen 78) verloren hat und trotzdem einen reinen Zuwachs von
732 Mitgliedern gewann, so beweist das, daß die Erkenntnis von der
Notwendigkeit des Zusammenschlusses nunmehr, von wenigen Eigen-
brödlern oder Selbstsüchtigen abgesehen, fast alle in Betracht kommen-
den deutschen Aerzte im L. V. geeint hat. Dementsprechend ist auch
die Zahl der Unterabteilungen der Organisation noch gewachsen; der
L. V. zählte am 1. Mai 1912 12 Landes- und Provinzialverbände (gegen
10 im Vorjahre), 129 (129) Sektionen, 20 (20) Ortsgruppen, 17 (16)
Assistentengruppen, 12 (10) Universitätsobmannschaften und insgesamt
1279 (1250) Vertrauens- und Obmänner.
Entsprechend der zunehmenden Zahl der Mitglieder und ihrer
Organisationen ist auch der Geschäftsumfang in den einzelnen Zweigen
der Verbandstätigkeit gewachsen. Das zeigen deutlich die Zahlen der
wichtigen Stellenvermittlung, die jetzt unter der Leitung des Dr. Starke
steht. Es wurden im letzten Jahre vermittelt: Stellen für Assistenten
455 (gegen 438 im Vorjahre), für Vertreter 2246 (1925), der Praxis 266
(210), für Praktikanten 198 (174), für Schiffsärzte 417 (291), zusammen
3582 (3088)! Besonders erfreulich ist, daß nicht nur die Aerzte selbst
sich an den L. V. wenden, sondern auch in steigendem Maße fast alle
Reedereien, viele Gemeinden und Krankenkassen. Wenn trotzdem 293
Aerzten keine zusagende Praxis nachgewiesen werden konnte, so ist das
ein bedenkliches Zeichen für die zunehmende Ueberfüllung unsres Standes,
die ja leider auch zablenmäßig darin zum Ausdrucke kommt, daß die
Zahl der Medizinstudierenden von 6000 im Jahre 1905 auf 11900 in
1906 und auf 13400 in 1912 gestiegen ist! Und da gibt es noch Leute,
die, wie der Stellennachweis des Verbandes katholischer Verbindungen,
das Medizinstudium als „von allen weltlichen Universitätsfächern am
ehesten anzuraten“ anpreisen!
Die Buchhandlung des Verbandes leidet zurzeit noch unter
dem Boykott des Börsenvereins deutscher Buchhändler; der Prozeß gegen
ihn wurde in zweiter Instanz vom L. V. gewonnen und schwebt jetzt
vor dem Reichsgerichte. Trotz alledem ist das Ergebnis der Buchhandlung
nicht unbefriedigend.
Von den Tarifverträgen sind die Verträge mit dem Nord-
deutschen Lloyd und der Hamburg-Amerikalinie auf fünf Jahre
in noch günstigerer Form erneuert, die auch von der Hamburg-Süd-
amerikalinie und der Kosmoslinie angenommen wurde. Der Ver-
trag mit der kaufmännischen Hilfskasse (Ersatzkasse) läuft erst
Ende 1913 ab, doch haben die bevollmächtigten Vertreter der Kasse
kürzlich schon mit dem L.V. über einen neuen Vertrag verhandelt, und
ar stand auf der Tagesordnung der Hauptversammlung, die ihn am zweiten
Tag erörterte. Wir wollen diese Erörterung gleich an dieser Stelle be-
sprechen. Wiebel berichtete über die Vorschläge der Kassen: Im all-
jemeinen sollen die Bestimmungen des alten Vertrags in Kraft bleiben.
Nur wünschen die Kassen außer einigen Kleinigkeiten, wie erweiterte
Zulassung der Zahntechniker und die Erlaubnis, nicht vertraglich ge-
yundene Aerzte in Ausnahmefällen aus Kassenmitteln bezahlen zu dürfen,
ls wichtigste Neuerung, den Unterschied zwischen versicherungspflichtigen
bis zur Binkommensgrenze von 2000 M) und nicht versicherungspflichtigen
Mitgliedern zu beseitigen; dafür bieten sie eine nicht unbeträchtliche
örhöhung der Honorare: für die erste Sprechstunde 1,50 M, den ersten
Besuch 2,— M (für Spezialärzte 2 und 3 M) usw. Die Ansichten der
Versammlung waren geteilt: Während man auf der einen Seite die
strenge Beachtung der Beschlüsse des Stuttgarter Aerztetags forderte,
mithin die Scheidung in Versicherungspflichtige und Nichtverpflichtete,
und diese für durchaus möglich hielt, wurde von andrer Seite die Durch-
führbarkeit dieser Forderung bezweifelt und die Bosorgnis ausgesprochen,
daß men damit die Kaufleute zu unerwünschter Abwanderung in die Orts-
krankenkasse treibe. Zu einer Entscheidung kam es nicht; das Material
wurde dem Vorstande zu weiteren Verhandlungen mit den Kassen: über-
wiesen.
Die Angelegenheit wird also voraussichtlich die nächste Haupt-
versammlung nochmals beschäftigen. Die Entscheidung wird dadurch
kaum leichter werden. Denn so sehr auch eine reinliche Scheidung
zwischen den versicherungspflichtigen und nichtpflichtigen Mitgliedern zu
wünschen ist, so darf man doch nicht verkennen, daß diese Tarifkassen
für die Aerzteschaft von außerordentlicher Bedeutung sind. Die wesent-
lichsten Forderungen der Aerzte, vor allem die freie Arztwahl, finden
sich in diesem Tarifabkommen erfüllt, und trotz der nicht geringen
Schwierigkeiten eines Vertrags, dessen Gültigkeit sich über das ganze
Reich erstreckt, hat er sich, Je länger er besteht, um so besser bewährt.
Es ist doch von großem Werte, daß wir in Verhandlungen mit andern
großen Kassenorganisationen auf diesen gangbaren Weg hinweisen können,
um ähnliche Erfolge zu erzielen. So wäre es immerhin denkbar, daß das
Reichspostamt mit seiner geplanten Krankenkasse für Post- und
Telegraphieunterbeamte sich entschließen könnte, diesen Weg zu be-
treten. Verhandlungen zwischen Reichspost und L. V. schweben zur Zeit,
Wie ich gleich hier einschalten will, berichtete Streffer darüber am
zweiten Verhandlungstage. Da dieser Bericht streng vertraulich war, kann
ich hier auf die Einzelheiten nicht eingehen. Soviel darf aber gesagt
werden, daß die Verhandlungen keineswegs, wie ein verlogener Wasch-
zettel der Presse, augenscheinlich von ärztefeindlicher Seite lanziert, den
Zeitungslesern weiß machen wollte, als ergebnislos abgebrochen sind. Im
Gegenteil!. Wenn die Behörde sie weiter in dem vermittelnden Sinne
wie bisher, führt und den Aerzten und den Versicherten, die hier un-,
beeinflußt von politischer Verhetzung ihre Wünsche ausdrücken können,
entgegenkommt, so können wir einen befriedigenden Abschluß erhoffen.
Mehr läßt sich zurzeit nicht sagen. Ueberhaupt möchte ich an
dieser Stelle zu meiner Berichterstattung eins bemerken: Die Haupt-
versammlung des L. V. spielt sich nicht: in der gleichen Oeffentlichkeit
sb, wie ein Aerztetag. Zu ihr haben nur die legitimierten Mitglieder des
Verbandes Zutritt; aber sie sprechen sich gerade, weil die Versammlung
vertraulichen Charakter hat, um so rückhaltloser aus, und darum taugt
aus mancherlei Gründen, nicht zuletzt aus solchen der Taktık, manche
Mitteilung, manche Rede nicht für die öffentliche Berichterstattung.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zum Berichte des General-
sekretariats zurück: Ueber den Geldverkehr der Spende des L. V. für
Arztwitwen und notleidende Aerzte berichtete Hartmann selbst.
Die Spende, die im Berichtsjahr 1. Juni 1906 bis 31. Mai 1907 7464,98 M
und 1910/11 45 773,47 M betrug, ist 1911/12 auf 47 648,08 M gestiegen,
das Vermögen in der gleichen Zeit von 8100 M auf 45100 M, und dem-
entsprechend die Höhe der Unterstützungen von 4700 M auf 38270 M.
Das ist gewiß ein erfreuliches Bild, und wir dürfen hoffen, daß die ärzt-
liche Fürsorge für bedürftige Kollegen und ihre Hinterbliebenen in Zu-
kunft noch mehr leisten wird, besonders wenn orst die von Hartmann
geplante Zentralauskunft- und Vermittlungsstelle für ärzt-
liche Unterstützungsangelegenheiten diese Liebesarbeit wirk-
samer organisieren wird. Hartmanns großes Organisationstalent wird
sicherlich auch hier segensreich wirken, aber helfen sollte ihm bier jeder
Kollege, dessen wirtschaftliche Lage es irgend erlaubt, und ich möchte
auch an dieser Stelle die öffentliche Bitte an meine Leser aus
sprechen, beim nahenden Weihnachtsfeste die Gabe für die
Witwenspende nicht zu vergessen!)!
Ebenfalls auf das Gebiet sozialer Fürsorge gehört die Darlehns-
und Sterbekasse des L. V., deren Mitgliederzahl von 1268 auf 1350
mit Einlagen von rund 440000 M gestiegen ist, sodaß sie bis dahin rund
530 000 M ausleihen konnte, und die Abteilung für Versicherungen,
die durch Abschluß von 296 Verträgen für Haftpflicht, Unfall, Sach-
schaden und Leben im Jahre 1912 (bis 1. November) dem L. V. einen
Gewinn von 1158,07 M einbrachte.
Das unerguickliche Thema der Streitsachen nimmt einen großen
Raum im Berichte des Generalsekretärs ein. Erfreulich ist nur dabei,
daß die Aerzte fast überall siegreich sich behaupten konnten. So
wurden sämtliche Kämpfe, die im letzten Jahre zu Ende gingen, ge-
wonnen, unter andern der Streit mit dem Verbande der freien Hilfskassen
in Berlin, mit dem Magistrat in Wilmersdorf in Sachen der Armenärzte
usw. Im ganzen hat der L. V. bis jetzt von 1088 Kämpfen 995 zu-
1) Zu senden an Dr. Hartmann (Leipzig-Co., Südstraße 82).
y
ii. aUL M M mn Sue
2054 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
gunsten der Aerzte entscheiden helfen und nur 16 vorläufig verloren.
Die andern schweben noch, darunter vor allem Köln. Wohl kostet dieser
langwierige Kampf dem Verbands schwere pekuniäre Opfer, aber ein-
stimmig genehmigte die Versammlung nach Hetzers (Köln) Bericht auch
für das kommende Jahr die Wartegelder.
Der Posten Wartegelder bildet natürlich den größten Ausgabe-
posten im Kassenberichte, den der Kassenwart Dr. Hirschfeld nach
dem Berichte des Generalsekretärs erstattete. Sonst bietet die Kasse
des L. V. ein sehr erfreuliches Bild, und am erfreulichsten wirkt darin
der Posten der sogenannten 100 Mark-Anleihe, die im November vorigen
Jahres von den Vertrauensmännern beschlossen wurde. Schon im Kassen-
berichte hat er die geplante Million um 1629 M überschritten, inzwischen
um mehr als 20000 M, und die Sammlungen sind durchaus noch nicht
abgeschlossen. Die finanzielle Rüstung des Verbandes wird immer
achtunggebietender.
Nach den Berichten Hartmanns, der Generalsekretäre und des
Aufsichtsrats wandte sich die Versammlung der Erörterung der Stellung
des Arztes in der Angestelltenversicherung zu. — Der Land-
tagsabgeordnete Dr. Mugdan bespricht kurz die Grundzüge des Gesetzes
(Versicherungspflicht, Versicherungsfreiheit, Reichsversicherungsanstalt,
Leistungen, Beitragslast und Feststellung der Leistungen). Auch das
Versicherungsgesetz für Angestellte bedarf in seiner Durchführung einer
ausgedehnten ärztlichen Tätigkeit; dasselbe ist, wie bei den Arbeiter-
versicherungsgesetzen, zum Teil auf die Heilung, zum Teil auf die Be-
gutachtung der Versicherten gerichtet. Leider besteht auch hier die
Absicht, die praktizierenden Aerzte von der Tätigkeit auszuschließen;
eine im Sommer erfolgte Bokanntmachung des Direktoriums der Reichs-
versicherungsanstalt empfiehlt für die ärztlichen Geschäfte, die bei der
Durchführung des Versicherungsgesetzes für Angestellte notwendig
werden, nur die beamteten Aerzte heranzuziehen. Dabei ist es aber doch
nicht zweifelhaft, daß bei Gewährung eines Heilverfahrens — um eine
durch Erkrankung bestehende Erwerbsunfähigkeit abzuwenden — die
Reichsversicherungsanstalt in erster Stelle auf die Mitwirkung der die Ver-
sicherten behandelnden Aerzte angewiesen ist; denn diese sind allein im-
stande, die Patienten auf ein geeignetes Heilverfahren rechtzeitig hin-
zuweisen und ihnen auch unerfüllbare Wünsche auszureden. Es wäre
auch verfehlt, beim Nachweise der Berufsunfähigkeit ausnahmslos nur
beamtete Aerzte zuzuziehen und die praktischen Aerzte auszuschließen,
denn gerade der Arzt, der den Versicherten gewöhnlich ärztlich be-
handelt, hat die genauesten Kenntnisse der häuslichen Verhältnisse, der
Lebensweise, der Neigungen und Gewohnheiten, der Tätigkeit des Ver-
sicherten und kann infolgedessen am sichersten über seinen Gesundheits-
zustand ein Gutachten abgeben. Natürlich wird man in manchen Fällen
nieht von einem ärztlichen Gutachten absehen dürfen. Aerztliche Gut-
achten über Berufsunfähigkeit können infolge von Uebergangsbestimmungen
schon im nächsten Jahre, dem ersten des Inkrafttretens des Gesetzes,
notwendig sein. Mugdan schließt mit der Versicherung, daß der deutsche
Aerztestand auch die ihm durch das neue Gesetz zufallenden Aufgaben
zu erfüllen wissen werde; die Durchführung des Gesetzes werde sich
aber um so glatter vollziehen, je freudiger die Aerzte mitarbeiten, und je
verständnisvoller die Arbeit der Aerzte von der Reichsversicherungsanstalt
und den andern Organen der Angestelltenversicherung unterstützt wird,
Mugdan beantragt, an das Direktorium der Reichsversicherungs- |
anstalt bis Ende Januar eine Denkschrift einzureichen, die die Wünsche
der Aerzte zum Ausdrucke bringt und besonders hervorhebt, daß die ein-
seitige Bevorzugung der beamteten Aerzte für die Gesamtheit der Aerzte
eine Herabsetzung und daß für die Versicherten der Aerztezwaug eine
Entwürdigung bedeutet.
Nach kurzer Erörterung beschloß die Versammlung in diesem
Sinn und beendete damit die Arbeit des ersten Tags. (Schluß folgt.)
Medizinalgesetzgebung, Medizinalstatistik und
Versicherungsmedizin.
Das ärztliche Beruisgeheimnis.
Urteil des Reichsgerichts vom 14. November 1912.
Ein Arzt darf sein Berufsgeheimnis nur dann preisgeben, wenn er
gesetzlich hierzu gezwungen wird oder ein höheres sittliches Interesse
obwaltet, keineswegs aber um materiellen Gewinnes willen. Gegen diese
oberste Regel ärztlicher Gewissenhaftigkeit hatte der praktische Arzt
Walter L. in Halle a. S. verstoßen, der von der Strafkammer des Land-
gerichts Halle a. S. am 13. Juni 1912 wegen versuchter Nötigung und
Verletzung des Berufsgeheimnisses zu einer Geldstrafe von 300 M ver-
urteilt worden war.
L. hatte im Frühjahr 1911 die minderjährige Alice B. in Behand-
lung genommen, die infolge ihrer Defloration durch den Dentisten M,
‚einer Kranken eingehend offenbarte. Daher erfolgte die Verurteilung m
15. Dezember,
er een T ee ee ee
erkrankt war. M., der sich schuldig fühlte, hatte dabei selbst dem Ar
das Mädchen zugeführt. Als die B. kuriert war, verlangte L, Bezahlung
Nach langem Hin und Her bezahlte der Dentist M. 20 M. Wegen dr
Restsumme schickte L. dem Vater des Mädchens, dem Werkmeister B,
wiederholte Mahnungen und Liquidationen zu, jedoch ohne Erfolg, Mitt
Januar 1912 sandte er dem B. nochmals einen Brief, er werde sofot
klagen, wenn er nicht bis Sonnabend Zahlung erhielt. Es sei zwaife.
haft, ob der Prozeß der Ehre von B.’s Tochter zuträglic
sein werde.
Als B. sich nicht rührte, übergab L. die Sache seinem Recht. |
anwalt, und am 20. Januar 1912 wurde beim Amtsgericht Halle om
Privatklage gegen B. eingereicht, in der die Krankengsschichte des de
florierten Mädchens genau dargestellt wurde.
Dieses Vergehen des L. gab dem beklagten B. Anlab zum Stuf.
antrage, worauf L. später verurteilt wurde. Die versuchte Nötigmg
(§§ 40, 43 Strafgesetzbuch) wurde in dem Schreiben gesehen, in dem a
den B. zur Zahlung zwingen wollte. Ein Erpressungsversuch lag niht
vor, da L. im Rechte zu sein und einen Rechtsanspruch geltend zu macha
glaubte. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses erblickte das Gericht
in der Hinzuziehung des Rechtsanwalts und der Aufsetzung dır
Klageschrift, die durchaus unbefugterweise die intimsten Geheimnis
einer empfindlichen Geldstrafe,
Hiergegen legte L. Revision beim Reichsgericht ein, da er nici
widerrechtlich, sondern in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt
habe. Der höchste Gerichtshof verwarf jedoch, wie uns aus Leipzig i
richtet wird, das Rechtsmittel als unbegründet, weil L. gegen die sin-
fachsten ärztlichen Pflichten verstoßen habe.
Die Haitpilicht des Arztes.
In Paris wurde der Direktor der chirurgischen Abteilung da
Krankenhauses zu Bichat zu einem Schadenersatz in der Höhe w
15000 Fres. an den Kläger, den er vor einiger Zeit wegen einer Blin-
darmentzündung operiert hatte, verurteilt. Der Chirurg hatte dh
Operationsstelle vorschriftsmäßig durch eine kräftige Abreibung zum
mit Seife, dann mit Spiritus und zuletzt mit Aether desinfiziert und de
Haut darauf sorgfältig abgetrocknet. Er bemerkte jedoch nach ie
Reinigung an der Operationsstelle ein Acnepustelchen, das er, um em
Wundinfektion zu verhindern, rasch mit dem Thermokauter zu zerstören
beschloß. Als er sich jedoch mit der glühenden Platinspitze der Bar
näherte, gerieten Aetherspuren, die noch nicht vollständig beseitigt waren,
in Brand, und der Patient trug dadurch eine ausgebreitete Hantver-
brennung davon. Er erhob Anspruch auf Schadenersatz gegen den op
rierenden Arzt, und der Gerichtshof gab seiner Forderung auch mit der
Begründung Folge, daß Dr. L. nicht alle erforderliche Sorgfalt age
wendet habe, um einem möglichen Unfalle vorzubeugen.
Aerztliche Tagesfragen.
Zum ersten deutschen Kinokongreß in Berlin,
17. bis 22. Dezember 1912.
Es war vor ungefähr 18 Jahren, als sich gelegentlich der then
peutischen Bewertung des Radfahrsports das Wörtchen „Kino“ m e
stalt der „Kinotherapie“ zum ersten Male schüchtern an die Oefent-
lichkeit wagte. Ein knappes Jahrzehnt genügte, um der Brhndung
Lumières zu einer Macht und Bedeutung zu verhelfen, wie #1
so kurzer Zeit wohl kaum einer auf streng wissenschaftlicher Forschung
sich aufbauenden Technik zuteil geworden ist. Um nur einige wenig?
Zahlen anzugeben, besuchen nach sorgfältiger Berechnung in Dents ;
täglich mehrere Millionen Menschen das Kino, New York zählt en
500 Kinos, das kleine Florenz deren 80, Doch das Kino ist auch dankbar
und wie wissenschaftliche Arbeit ihm zum Leben verhalf, 80 bleibt &
seinerseits bestrebt, der Wissenschaft dies zu vergelten. Dieselbe y
dankt ihm daher schon jetzt manch wertvolle Bereicherung dureh i
Wiedergabe des Lebens in seinen mannigfaltigen, auf andere Waise m
solcher Präzision kaum wiederzugebenden Formen.
Was das große Gebiet der Medizin und Naturwissenschalt
anbelangt, so sei da in erster Linie an die MikrokinemathogttP.
erinnert, welche, gleich der Wiedergabe von Röntgenkinos os
Kreisen von Zuhörern ermöglichen, jetzt mühelos und mit viel ar
Erfolg dem Unterrichte zu folgen. Dasselbe gilt von der kinem Á
graphischen Darstellung bestimmter Behandlungsmethoden, Wè ib
sonders den Orthopäden eigen sind und sich auf andere Weise er
klarlegen ließen. Auch der Sport und die Leibesübungen ee
erfahren dadurch jetzt eine Förderung, daß alle Arten von Sport w
5. Dezember.
ichtigen, gesundheitsgemäßen Ausübung kinematographisch vorgeführt
verden können. Ebenso vermag das Kino die soziale Hygiene zu
ınterstützen. Es bringt die Gefahren des Berufslebens zur Darstellung,
„B. auch die Folgen übertriebenen Alkoholgenusses und geht so Hand in Hand
nit den Mäßigkeitsbestrebungen. Verbindet sich solch bildliche Belehrung
nit dem mündlichen Vortrage Sachverständiger, so ist damit das Ideal
ines plastisch wissenschaftlichen Unterichtrs nahezu, wenn nicht tiber-
aapt erreicht.
Wo indessen soviel Licht im wahren Sinne des Wortes strahlt,
flegt es auch an Schatten nicht zu fehlen, und so haben sich auf diesem
tebiete gerade im Laufe der letzten Jahre Ausw üchse gezeigt, deren
ınberechenbarer Schaden insbesondere von ärzlicher Seite betont werden
nußte. Wir sehen dabei von äußerer körperlicher Schädigung auf Auge
nd Ohr des Zuschauers, wie technische Unvollkommenheiten sie wohl
ewirken, hier ab, da die zunehmende Konkurrenz- dem mehr und mehr
bhelfen wird. Auch die allgemeine Ueberanstrengung, welche yiele
ugendliche durch zu intensive Aufnahmen schwieriger Stoffe erleiden,
ei hier nur nebenher erwähnt.
Folgenschwerer erscheinen bestimmte Schädigungen seelischer
[atur, wie sie sich aus der Wahl der sogenannten „aktuellen Stoffe“
hne weiteres ergeben. Wenn der Ausdruck „kultureller Krebsschaden‘“,
ie er selbst jn wissenschaftlichen Schriften dem Kino deshalb beigelegt
ird, auch viel zu weit geht, so haben doch gerade die Psychiater
ilen Grund, in solchen Vorführungen „mit ihrem auf derbste Sensations-
ıst und rohe Instinkte zugeschnittenen Inhalt und mit ihrer eminenten
uggestivkraft eine Gefahr für die Gesundheit der Volksseele zu er-
icken“!). Hier sind es in den Schundfilms die Spekulation auf die
rende des Menschen am Krassen und Schauerlichen, sexuell aufregende
toffe, oder jene Art Zerrbilder von Elend, Not, Armut und Krankheit,
ie nicht zuletzt Darstellungen aus dem Verbrecherleben, die ärztlich
nbedingt beanstandet werden müssen. Neben Mercklin haben ins-
sondere die Professoren Robert Gaupp und Konrad Lange?) darauf
. ausführlichen Schriften und Vorträgen so eindringlich wie nur möglich
pgewiesen. „Der verdunkelte Raum, das eintönige Geräusch, die Auf-
inglichkeit der Schlag auf Schlag einander folgenden aufregenden
zonen schläfern in der empfänglichen Seele jede Kritik ein, und so
ird gar nicht selten der Inhalt des Dramas zur verhängnisvollen
ıggestion für die willenlos hingegebene jugendliche Seele. Wir wissen
or, daß alle Suggestion tiefer haftet, wenn die Kritik
h läft. Starke Gefählserregung schläfert sie ein.“ Daß aber die
ramen der Kinematographen Gefühle und Leidenschaften der Kinder
d Ungebildeten in ihren Grundtiefen aufrütteln, dafür sorgt eine ge-
häftskandige Industrie mit schlauer Berechnung und großer Findigkeit.
viel über die unterhaltenden Filmg im Gegensatz zu den, wie
derseits anerkannt werden muß, meist recht nützlichen belehrenden-
Da die Erfahrungen seitens der Jugendgerichte diesen von psychi-
rischer Seite erhobenen Bedenken entsprachen, konnte hier nur eine
renge Zensur Abhilfe schaffen. Diese wird auch jetzt behördlich
rchgeführt, sodaß z. B. in den beiden schon vorhandenen Berliner
lizeikinos täglich durchschnittlich 6000 m Films der kritischen Prüfung
r Zensoren unterliegen. Ein weiterer Fortschritt war die Bildung des
chutzverbandes Deutscher Lichtspieltheater“, welcher dahin
beitet, nur wertvolle, pädagogisch einwandfreie Films zu erwerben, um
> gegen das Kino bisher erhobenen Vorwürfe damit zu entkräften.
ch nicht die Zensur allein konate hier helfen; wertvoller erscheint
© in diesen Tagen seitens des Berliner Polizeipräsidiums fir die ge-
nte Mark Brandenburg erlassene Verfügung. Danach wird Kindern
' zu sechs Jahren der Besuch der Kinos vollständig untersagt. Per-
ten von 6 bis 16 Jahren dürfen an Vorstellungen, die für Erwachsene
stimmt sind, nicht teilnehmen. Für sie sind besondere Vorstellungen
‘ Jugendliche einzurichten. Die Programme solcher Veranstaltungen
d der Polizeibehörde einzureichen und müssen von dieser genehmigt
n. Seitens des Polizeipräsidiums wird dahei die Mitarbeit von Lehrern
d Aerzten bei der Auswahl und Zusammenstellung der Jugendvor-
llungen als wünschenswert begehrt.
Wir können diese Ausführungen wohl schließen mit dem Gefühl
" Befriedigung darüber, daß es nunmehr rasch wieder dahin kommen
d, das Kino als ein unbeschränkt wertvolles Hilfsmittel auch auf
dizinischem und naturwissenschaftlichem Gebiet anzusehen. Der
jenwärtige Kinokongreß ist damit aber gerade im richtigen Augen-
sk einberufen, um auch seinerseits für weiteste Verbreitung dieser
ztenischen und medizinischen Forderungen Sorge zu tragen. E. Fr.
1) Dr. Mercklin (Treptow a. R.), Psychiatrische Fälschungen auf
htbildbühnen. (Ps.-neur. Woch. 1912, Nr. 18.)
”) Prof. Rob. Gaupp u. Prof. Konrad Lange, Der Kinemato-
ph vom medizinischen und psychologischen Standpunkte. Vorträge,
alten am 21. Mai 1912 in Tübingen. (Dürer-Bund, 100. Flugschrift.)
1912 — MEDIZINISCHER KLINIK — Nr. 50. | 2055
Kleine Mitteilungen.
AN 'achdruck "der redaktionell ‚gezelchnaten Mitteilungen nur
we mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Der Berliner Stadtmedizinalrat. Dem Stadtverordneten-
ausschuß zur Vorbereitung der Wahl des Stadtmedizinalrats gehören
an die Aerzte Dr. Rudolf Isaac, Dr. Weyl, Prof. Landau und Dr.
-Herzfeld. Das Gehalt wurde auf 15000 M festgesetzt mit Steigerung
bis zu 18000 M nach drei Jahren. Die Stelle des Stadtmedizinalrats
wird öffentlich ausgeschrieben, Meldungen sind an das Bureau der.
Berliner Stadtverordnetenversammlung zu richten und zwar bis
zum 4. Januar 1913. Die schriftlichen Gesuche werden dem Ausschuß
als Unterlage für die Bewerbungen dienen. Bisher erfolgte persönliche
Vorstellungen bei den Wählern gelten nicht als Bewerbung.
Berlin. Das Zentralkomitee für das Rettungswesen in
Preußen trat unter Vorsitz des Ministerialdirektors Geh.-Rat Kirchner
zu einer Vorstandssitzung zusammen. Zum zweiten stellvertretenden
Vorsitzenden wurde an Stelle von Geh.-Rat Jacob Branddirektor Reichel,
zum Kassenprüfer Geh. Med.-Rat Dr. Gustav Wagner gewählt. Ferner
wurde beschlossen, das „Archiv für Rettungswesen und erste ärztliche
Hilfe“, dessen erstes Heft soeben erschienen ist, als Zeitschrift des
Zentralkomitees zu wählen. Das „Archiv“ wird unter Mitwirkung des
Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamts Dr. Bumm und des
Ministerialdirektors Kirchner von Geh.-Rat S. Alexander, Geh. Ob.-
Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich und Prof. George Meyer herausgegeben.
— Bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte
treten mit dem 1. Januar 1913 als Vertrauens- und Revisionsärzte
ein die Herren San.-Rat Dr. Konrad Beerwald (Berlin) [Innere Medizin]
und Dr. Horm. Engel (Berlin) [Chirurgie].
— Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Gustav Mehlhausen, der ehe-
malige langjährige ärztliche Direktor der Berliner Charite, trat am
26. November in das 90. Lebensjahr; von 1849 bis 1873 in der Armee
a npe er das Amt eines Direktors der Charit6 nahezu 20 Jahre,
is ;
— Der 30. Deutsche Kongreß für Innere Medizin findet vom
15. bis 18. April 1913 in Wiesbaden unter der Leitung des Herrn Geh.
Hofrat Prof. Dr. Penzoldt (Erlangen) statt. Hauptthema: Wesen und
Behandlung des Fiebers. Referenten: v. Krehl (Heidelberg) und Hans
H. Meyer (Wien). Zu dem Thema auf Wunsch des Ausschusses Vor-
trag zugesagt: Schittenhelm (Königsberg): Ueber die Beziehungen
zwischen Anaphylaxie und Fieber. Vortragsanmeldungen nimmt der Vor-
sitzende des Kongresses, Herr Prof. Penzoldt (Erlangen) entgegen.
Vorträge, deren wesentlicher Inhalt bereits veröffentlicht ist, dürfen nicht
zugelassen werden. Mit dem Kongreß ist eine Ausstellung von Präpa-
raten, Apparaten und Instrumenten, soweit sie für die innere Medizin von
Interesse sind, verbunden. Anmeldungen zur Ausstellung sind an den
Sekretär zu richten. ee
— Die Vereinigung der Schulärzte Deutschlands hält ihre
nächste Jahresversammlung am 15. Mai 1913 in Berlin ab. Verhandlungs-
gegenstand ist: Aufgaben der Schulärzte bei der hygienischen
und sexuellen Belehrung in den Schulen.
— Auf ein Buch, das für viele Aerzte ein willkommenes
Geschenk für den Weihnachtstisch sein wird, sei hiermit hingewiesen.
Es sind dies die im Verlage von A. Marcus und E. Weber in Bonu
erschienenen „Erinnerungen und Betrachtungen aus dem Jahre
1870/71 von dem ehemaligen Professor der Gynäkologie in Bonn, dem
Geh. Ober-Medizinalrat Prof. Dr. Heinr. Fritsch. Das Selbsterlebte
wird in außerordentlich anziehender Weise und in lebendiger Frische,
die sich stellenweise zu hochdramatischer Wirkung steigert, vor dem
Leser entrollt. Die nüchterne Beobachtung wird begleitet von ergreifen-
den menschlichen Betrachtungen und sehr interessanten ärztlichen Aus-
blicken. Neben der Unzulänglichkeit der ärztlichen Hilfe und dem furcht-
baren Kriegselend zeigt die schlichte Schilderung von Fritsch, wieviel
Gutes ein zielbewußter, energisch durchgreifender klarer Kopf in solchen
Situationen leisten kann. Die „Erinnerungen“ seien allen Kollegen auf
das Wärmste empfohlen. K. Bg.
Halle a. S. Hierselbst verstarb im Alter von 61 Jahren der
Geh. Med.-Rat Alfred Genzmer, außerordentlicher Professor der
Chirurgie an der Universität Halle, Chefarzt des Diakonissenhauses und
Oberarzt der chirurgischen Station. G. war ein Schüler Volkmanns
und als bedeutender Operateur bekannt. Er war Mitglied der größten
wissenschaftlichen Gesellschaften Deutschlands und des Auslandes. G. ist
auch der Verfasser eines Liehrbuchs der speziellen Chirurgie.
Hannover. Der Hannoversche Provinzialverein zur Bekämpfung der
Tuberkulose hat ein illustriertes Merkblatt in Plakatform herausgegehen.
Dieses Merkblatt ist so abgefaßt, daß es auch durch einen entsprechenden
Aufdruck Propaganda für die Fürsorgestellen jedes Kreises machen kann.
Das Plakat, welches zum Aufhängen in öffentlichen Lokalen wie Schulen,
Gemeindehäusern, Wirtschaften usw. bestimmt ist, kostet pro Stück
0.30 M. Bestellungen sind an die Geschäftsstelle des Hannoverschen
Provinzialvereins, Hannover, Gellertstraße 22, zu richten.
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2056 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 50.
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15. Dezember
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Hildburghausen. Hierselbst verstarb im hohen Alter von
- 76 Jahren Hofrat von Lösecke, ein bekannter und literarisch besonders
fruchtbarer deutscher Pharmakologe. Seine Hauptwerke sind ein
„Kompendium sämtlicher Medikamente und technisch wichtigen Gifte,
Chemikalien, Drogen und Mineralien“ und ein Bach über die Pilze
Deutschlands, _—
Leipzig. Die vom Leipziger Verband im vorigen Jahre be-
schlossene Aufnahme einer unverzinslichen Hundertmarkanleihe hat
die in Aussicht genommene Höhe von 1 Million Mark schon weit über-
‚schritten, obwohl in einigen Bezirken die Anleihe noch nicht abge-
schlossen ist. Die Opferfreudigkeit der Aerzte kam auch in der letzten
‚ Woche in der Hauptversammlung des Leipziger Verbandes durch den
Beschluß zum Ausdruck, die den Kölner Kollegen bisher gewährte Unter-
stützung auch für das Jahr 1913 zu zahlen.
München. Der hierselbst verstorbene praktische Arzt Hofrat
Dr. Valentin Riggauer hat den Pensionsverein für Witwen und
nase der Aerzte zum Haupterben eingesetzt und 267000 M hinter-
assen. | —
~ Münster i. W. San.-Rat Dr. Friedrich Wilhelm Hansberg,
leitender Arzt der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen
im städtischen Luisen-Hospital zu Dortmund, ist zum I. Vorsitzenden
der Aerztekammer der Provinz Westfalen an Stelle des verstorbenen
Geh. Med.-Rats Loebker gewählt und in den Ausschuß der preußischen
Aerziekammer sowie in die Wissenschaftliche Deputation für das
Medizinalwesen entsandt worden.
Metz. Die Arzt-Automobile tragen hierselbst jetzt eine rote
Flagge mit weißem Querbalken. In der Mitte der Flagge befindet sich
ein Stempel der Polizeidirektion. Diese Flagge wurde den Automobile
benutzenden Aerzten zugestellt und bedeutet ungehindertes Durchfahrts-
recht für ihre Fahrzeuge. ee en i
Wien. Im Arkadenhof der Wiener Universität erhebt sich jetzt
ein Denkmal des vor sieben Jahren verstorbenen, den Wienern uaver-
geßlichen inneren Klinikers, Hermann Nothnagel, das auf Grund von
Sammlungen, die in kurzer Zeit aus aller Herren Länder zusammen-
strömten, zur Ausführung gelangte. Es wird nunmehr, ähnlich der Ber-
liner Leyden-Vorlesung, auch in Wien in bestimmten Zwischenräumen
eine Nothnagel-Festvorlesung veranstaltet werden. Als Erster
hielt am 7. Dezember ‘der berühmte Vertreter der Physiologischen Chemie,
Prof Dr. Franz Hofmeister, seinen Festvortrag „Ueber die Bedeutung
der Leber für den Zucker-Stoffwechsel“. H. hob in der Einleitung her-
vor, daß Hermann Nothnagel nicht blos innerer Kliniker, sondern vor
allem auch Physiologe gewesen sei, es wäre deshalb gerade dieses Thema
ausgesucht, da an ihm Praktiker und Theoretiker in gleicher Weise
interessiert sind. Die Vorlesung selbst, der die bedeutendsten Vertreter
der Wiener Universität beiwohnten, fand im großen Hörsaale der I. Medi-
zinischen Klinik statt, deren Vorstand Nothnagel durch so lange Jahre ge-
wesen war. So gewinnt der Gedanke, das Andenken großer Männer nicht
allein in Stein und Erz festzuhalten, sondern es späteren Generationen
durch das lebendige Wort zurückzurufen, mehr und mehr Raum. In
diesem Falle bedeutet es eine besondere Ehrung N.s als Hochschul-
lehrer. Empfand doch selten jemand die Freude am Lehrberuf in dem
Maße wie N. und bildete auch anderseits eine Vorlesung N.s wohl das
höchste, was Hörern von ihrem Lehrer geboten werden konnte. Fr.
Basel: Prof. Dr. Ludwig Wille, 1875 bis 1904 ordentlicher
Professor der Psychiatrie und Direktor der Irrenanstalt, ist hierselbst
am 6. Dezember verstorben. W. wurde 1834 in Kempten (Bayern)
gehoren. Seine psychiatrischen Studien begann er bei Prof. Solbrig in
Erlangen. ESES
Budapest. Am 1. Januar 1918 tritt ia Ungarn ein neues Steuer-
gesetz in Kraft. Nach demselben haben die Aerzte außer der Ein-
kommensteuer auch noch eine Erwerbssteuer zu zahlen.
Stockholm. Die einzelnen Nobelpreise betragen in diesem
Jahre je 140476 K. Der Preis für Physik wurde dem ÖOberingenieur
Dalem in Stockholm verliehen. Der Preis für Chemie wurde zwischen
dem Prof. W. Grignard in Nancy und dem Prof. P. Sabatier in
Toulouse geteilt. en
Aus den deutschen Kolonien. Der vor einigen Jahren ins
Leben gerufene Verein für ärztliche Mission mit dem Sitz in Berlin,
welcher in dem von ihm gebauten Krankenhaus in Kidugola in Deutsch-
Ostafrika seine Arbeit unter Dr. med. Oehme wirkungsvoll begonnen
und auch in Schlesien unter dem Vorsitz des Geheimen Medizinalrats
Prof. Dr. Ponfick einen Zweigverein gebildet hat, erfreut sich einer all-
gemeinen Wertschätzung seiner Arbeit in der Heimat und in der Kolonie.
In der Heimat haben sich ihm etwa 3000 Freunde als Mitglieder an-
geschlossen, welche für die sanitäre und sittliche Gesundung der Ein-
geborenonverhältnisse ein Verständnis haben. Besonders erfreulich ist es,
daß auch eine beträchtliche Zahl von Aerzten und Kolonialfreunden dem
Verein beigetreten ist. In der Kolonie ist das im vorigen Jahr fertig-
gestellte Europäer-Krankenhaus und das provisorische Eingeborenen-
Hospital bei dem stetigen Wachsen der Besuchsziffer viel zu klein ge-
worden. Es wurden im letzten Jahre von dem einen Arzt und ei
Schwester 2398 Kranke behandelt mit 10 170 Behandlungstagen; darunte
44 Europäer. Da bisher nur poliklinische Behandlung durchgefähn
werden konnte, so blieben die Kranken meist nur vier bis neun Tage i
der Behandlung. ` Unter den Eingeborenen wurden besonders viel Rr.
kältungskrankheiten sowohl der Lunge als des Darmes behandelt. {7
größere, auch geburtshilfliche Operationen wurden ausgeführt. Schme
ist es, die Eingeborenen daran zu gewöhnen, für die erhaltene Behand!
und Arznei zu bezahlen. Meist wird die ärztliche Hilfe so gering en.
geschätzt, daß die Kranken lieber auf Hilfe verzichten, als sich zu einer
Gegenleistung zu bequemen. Dennoch zwingt die Inanspruchnahme dr
Kranken, die Häuser bald zu erweitern. Dazu sind 2000 Mark nötig, it
heimische Begriffe keine allzu große Summe, aber ausreichend, fl
40 kranke Eingeborene ein Hospital zu erbauen. Auch bittet der Ant
um gelesene geeignete Bücher, um eine Krankenhausbücherei zu schafen,
| Japan. Nach den Berichten der japanischen Schulärzte,diemt
der kaiserlichen Verordnung vom 81.Meiji (3. Januar) 1898 jeder öffentliche
Schule beigegeben werden, wurden 1908 1622000 Kinder (960000 Kub
und 662000 Mädchen) untersucht. Wie festgestellt werden konnte, hi
die mittlere Körperlänge der Schüler von 1900 bis 1903 zugenoman,
das Gewicht ist gewachsen und der Brustumfang hat sich erweitert:
ebenso hat sich die allgemeine Körperbeschaffenheit gebessert: währe
z. B. 1905 von je 1000 Schülern nur 311 stark, 588 mittelkräfig ul
101 schwach waren, konnten 1908 schon 404 stark, 529 mittelkräftig md
nur 67 als schwach bezeichnet werden. Diese unzweifelhafte Rasse
verbesserung wird von Prof. Mishima in Tokio vor allem anf äh
körperliche und 'ästhetische Erziehung der Jugend zurückgeführt, Es win
auch in Deutschland interessieren, welcho Spiel- und Sportübungen in dn
japanischen Schulen getrieben werden: Die Knaben belustigen sich mit
Papierdrachen, Kreiseln, Fischfang, Ringen und Schwimmen, Reite,
Bogenschießen, Fußball (Kemari), Ballspiel zu Pferde (Dakyn), Krieg
spielen. Die Mädchen treiben Kleinbogenschießen (Jokyn), „Ko“ (Geruch
sinnübung durch Verbrennung aromatischer Kräuter), „Cha“ (Goschmahr
und Anstandsübang durch Teebedienung), „Skebana“ (Blumenkusl
„Tosenkyo*“ (Fächerspiel), „Temari“ (Ballspiel), „Jarihogo“ (Foderball
spiel). Für Mädchen und Knaben gemeinsam ist Sakuragari, die Kire
blütenjagd, ferner Tsumikusa (Gräserpflücken), Hotaragari (Jobaui-
käferchenhaschen) usw. Da außerdem im naturwissenschaftlichen Uste-
richt auf allen Stufen hygienische Kenntnisse vermittelt werden mi
Hygiene und Physiologie auch in der Mittelschule einen selbstäntı
gen Liehrgegenstand bilden, ist der Erfolg wohlverdient und könnte sd
deutschen Schulen Anregung geben,
Hochschulnachrichten. Berlin: Geh. Ob.-Med.-Rat Pul
Waldeyer warde von der K. Leopoldinisch-Karolinischen Deutsche
Akademie der Naturforscher in Halle zum Vorstandsmitgliede der Sekti
für wissenschaltliche Medizin gewählt. — Heidelberg: Dr. Bru
Oetteking vom Anatomisch®n Institut ist durch Vermittlung der Berliner
argentinischen Gesandtschaft zum Leiter des Anatomischen Museums m
der Universität Buenos Aires berufen worden. — München: Prof. Frist!
von Müller zum Mitgliede des Städtischen Gesundheitsrats ernannt, -
Dr. L. Kielleuthnor habilitiert für Urologie. — Prof. M. v. Pfaundier
(Kinderheilkunde) erhielt einen Ruf nach Straßburg als Nachfolger Ya
Prof. Czerny und nach Leipzig als Nachfolger Prof. Soltmanns ~
Rostock: Prosektor Dr. E. Muthmann, Privatdozent in Göttingen, ı
Privatdozent nach Rostock übernommen. — Born: Prof. Niehans.
Privatdozent für Chirurgie, ist verstorben. — Wien: Dr. Rich. Bsus
(innere Medizin) habilitiert.
Von Aerzten und Patienten.
. » . « Man hat uns Deutsche Träumer genannt, die hinter dem
Mikroskop und in dem Brüten über entwicklungsgeschichtliche Theo
ihre beste Kraft verzehren — aber gerade das, was unsre Pathologen U
allen voran Virchow, das, was unsre Embryologen, wie Weldept
über die Natur des Krebses ermittelten, hat unsere moderne Chirurgt
in den Stand gesetzt, diese furchtbare Krankheit schon in ihren ese
Anfängen zu erkennen, genau ebenso wie die pflanzenphysiologs :
Studien eines Koch, indem sie die Erkenntnis von den Störugen
Wundverlaufs aufdeckten, uns Chirurgen die Macht gaben, das i
erkannte gefahrlos zu beseitigen. Diese enge Verknüpfung der The
mit der Praxis ist die Devise unserer täglichen klinischen Arbeit, De
was die Kunst am Krankenbette zur Wissenschaft erhoben hat, 8
kein Schwanken hin und her, wie man versucht hat dem Unko sis
einzureden, kein blindes Tappen, nein, ganz im Gegenteil, 68 ist z
Fülle methodisch und kritisch erworbener Kenntnisse, mit der
unsere Chirurgie operiert und an deren Hand sie von Stufe su
emporsteigt. . . .“
Ernst v. Bergmanns Rede an die Studentenschaft bei Ausg
seines Rektorats den 2. November 1889. oW Vogl
Stule
-Arend Buchholz, Ernst v. Bergmann. Leipzig, F
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet sich db
. Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachausdrlckt
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Bofbuchdrucker., Berlin W 8,
|
E
Nr. 51 (420).
Medizinische Klinik
Wochenschrift für praktische Ärzte
22. Dezember 1912.
VII. Jahrgang.
redigiert von | Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: v. Starck, Die Diagnose der Poliomyelitis acuta. M. Rohde, Weber Phobien, besonders Platzangst, ihr Wesen und
ihre Beziehungen zu den Zwangsvorstellungen. ©. Schütte, Ueber Lumbalanästhesie. H. Dreesen, Ueber das Vorkommen und die Bedeutung
der Wassermannschen Reaktion bei internen Erkrankungen. G. Magnus, Ueber Madelungsche Deformitst, E. Brodfeld, Medikamentöse chronische
Arsenvergiftung bei einem Lueskranken. F. Demmer, Klinische Studien über Kropfoperationen nach 600 Fällen. (Schluß.) Steinhauer, Ueber einen
Fall von Bantischer Krankheit. E. Bürgi, Ueber wirkungspotenzierende Momente in Arzneigemischen. (Schluß.) R. Lauche und F. Kanngießer,
Ueber Lebensdauer von Zwergsträuchern aus der Muskauer Heide. — Aus der Praxis für die Praxis: E. Barth, Otologie. (Fortsetzung). —
Referate: H. v. Bardeleben, Chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie bei Tuberkulose. (Schluß) H. Pringsheim, Neue Ergebnisse der Phra-
typhusforschung. C. Adam, Aus der neusten ophthalmologischen Literatur. — Diagnostische und therapeutische Einzelreferates Emphysem.
„Stäupchen“. Schwangerschaft mit Appendizitis. Gynäkologische Erfahrungen bei Geisteskranken. Hermaphroditismus. Vaginalfluß bei Kindern.
Spasmus nutans. Zink-Perhydrol. Diät bei der Enuresis nocturna. Aleudrin. Adamon. Psorigsis. Ueberfunktion der Nebennieren. Jodbehandlung
bei Lungentuberkulose. Johainjektionen. — Neuheiten aus der ärztlichen Technik: Instrumentarium für intravenöse Salvarsaninjektion. — Bücher-
besprechungen: A. Lesage, Lehrbuch der Krankheiten des Säuglings. O. Bumke, Ueber nervöse Entartung. J. Wolfram, Der Kampf gegen
den Schmerz bei operativen Eingriffen vom Altertum bis zar Gegenwart mit besonderer Beziehung auf die Zahnheilkunde. L. Külz, Malaria und
Schwarzwasserfieber. E. Brezina, Internationale Uebersicht über Gewerbekrankheiten. Th. Veiel und F. Veiel, Die Therapie des Ekzems. —
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesenss A. Silberstein, Innere Hernie, Fremdkörperverletzung des Darms als
Unfallfolgen. — Vereins- und Auswärtige Berichte: Basel. Breslau. Marburg. Rostock. Straßburg i. Els. Berlin. — Rundschau: F. Haker, Zwölfte
Hauptversammlung des Leipziger Verbandes. II. — Aerztliche Tagesfragen: Blau, Die sanitätstaktische Ausbildung der russischen Militärärzte. —
Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet,
Klinische Vorträge.
Aus der Kinderklinik in Kiel.
Die Diagnose der Poliomyelitis acuta
von
Prof. Dr. v. Starck. |
M. H.! Die großen Epidemien von Poliomyelitis
acuta, welche 1887, 1895 und 1899, dann wieder 1903 |
und 1905 Schweden heimsuchten und während der fol-
genden Jahre in Nordamerika, in Oesterreich, Deutsch-
land, Frankreich auftraten, haben uns über das Wesen
dieser sonst meist nur in einzelnen Fällen auftretenden
‚Krankheit eine Fülle neuer Beobachtungen und Tatsachen
gebracht, haben das bisher als verhältnismäßig einfach an-
gesehene Krankheitsbild außerordentlich bereichert, sodaß
man vorgeschlagen hat, die mannigfaltigen Krankheits-
zustände, welche die Erreger der akuten Poliomyelitis
machen können, unter dem Sammelnamen Heine-Medinsche
Krankheit zusammenzufassen (Wickmann). Gewiß paßt
für manche Krankheitsfälle, welche zweifellos mit der Polio-
myelitis zusammenhängen, letztere Bezeichnung nicht, drückt
nur unvollkommen die zugrunde liegenden pathologischen
Veränderungen im Centralnervensystem aus, aber für die
Mehrzahl ist die Bezeichnung Poliomyelitis durchaus richtig.
Es empfiehlt sich, dieselbe festzuhalten, da jede Krankheits-
bezeichnung, welche der pathologisch-anatomischen Grund-
lage des Krankheitsprozesses einigermaßen gerecht wird,
schon aus didaktischen Gründen jeder andern vorzuziehen ist.
| Das wichtigste Ergebnis der neueren Beobachtungen
und der experimentellen Untersuchungen über die Polio-
myelitis ist gewesen, daß sich die von Strümpell und
P. Marie aufgestellte Lehre, nach welcher die Poliomyelitis
als selbständige Infektionskrankheit aufzufassen sei,
als richtig erwiesen hat. Wir wissen jetzt bestimmt, daß die
Poliomyelitis eine akute allgemeine Infektionskrankheit ist,
welche sich hauptsächlich im Centralnervensystem lokalisiert,
‚und zwar speziell gern in den grauen Vorderhörnern des
Rückenmarks und in den Nervenkernen des Hirnstamms,
welche aber in allen Abschnitten des Centralnervensystems,
vielleicht auch in peripheren Nerven, entzündliche Verände-
rungen hervorrufen kann.
Die Geschichte der Krankheit gibt uns ein treffendes
Beispiel für den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft,
speziell der Kinderheilkunde. Der erste Autor der Polio-
myelitis, Underwood, beschrieb die ihm bekannt gewordene
Lähmung als Dentitionskrankheit. Heine erfaßte das Sym-
ptomenbild der Poliomyelitis als das einer selbständigen
Spinalerkrankung, ohne den anatomischen Beweis dafür zu
‚bringen. Rilliet und Barthez fanden die anatomischen
Grundlagen ebenfalls nicht und nannten daher die Krank-
heit „essentielle Kinderlähmung“. Cornil (1863) konnte als
erster einen bestimmten pathologischen Befund, das Fehlen
der Ganglienzellen im Vorderhorn, sowie eine Atrophie der
Nervenstämme und der Muskeln an den gelähmten Beinen
nachweisen, gab diesem Befund aber nicht die richtige
Deutung. Erst Charcot und Joffroy würdigten die Ent-
deckung Cornils in vollem Maße und bestätigten dieselbe;
Charcot zog die wichtige Folgerung, daß die Ganglien-
zellen des Vorderhorns das trophische Centrum für die von
ihnen abhängigen Nerven und Muskeln sein müssen.
Bis 1887 schien das Bild der Poliomyelitis einfach,
wesentlich durch Symptome spinaler Art gegeben. Da ver-
öffentlichte Medin seine Beobachtungen bei der Epidemie in
Stockholm und zeigte, daß neben der gewöhnlichen spi-
nalen Form, eine bulbäre, eine polyneuritische, eine atak-
tische und encephalitische zu unterscheiden sei; die Epi-
demien der letzten Jahre haben die Arbeiten von Medin
erst in das richtige Licht gesetzt. Wickmann bestätigte
U — o
EEE nn,
2058 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
seine Angaben auf Grund zahlreicher weiterer Beobachtungen
in Schweden und fügte den Krankheitsbildern von Medin
das der meningitischen, der abortiven und der unter dem
Bilde der Landryschen Lähmung verlaufenden Form hinzu.
Die wichtigen Uebertragungsversuche der Krankheit
auf Tiere (Affen), die zuerst Landsteiner und Popper ge-
langen, haben der Annahme, daß es sich bei derselben um
eine Infektionskrankheit handle, eine besondere Stütze ge-
geben, aber doch noch nicht zur Entdeckung des Krank-
heitserregers geführt. Wohl baben dieselben gezeigt, daß
sich der Erreger im Centralnervensystem finden muß und
daß er nicht der Klasse der gewöhnlichen pathogenen Mikro-
organismen zugehören kann.
Hat sich das klinische Bild der Poliomyelitis erweitert,
so muß auch die Diagnosenstellung eine entsprechende
Veränderung erfahren haben. Bisher galten der akute Be-
ginn, die folgende schlaffe Lähmung mit eintretender Atrophie
und Entartungsreaktion bei erloschenen Reflexen, aber er-
haltener Sensibilität, als die wesentlichen Kriterien, bei
deren genauer Beachtung die Diagnose der Poliomyelitis
leicht und sicher zu stellen sei. Für die rein oder vor-
wiegend spinalen Formen trifft das auch jetzt noch zu, aber
bei vielen andern Formen kommen wir damit nicht aus,
sondern müssen weitergreifen. Die Abgrenzung gegenüber
sonstigen akuten Erkrankungen des Nervensystems wird
schwierig, wenn die Symptome einer spinalen Erkrankung
ganz vermißt werden, wenn die entzündlichen Vorgänge
sich auf den Hirnstamm oder die Meningen beschränken
oder ausgesprochene Symptome einer Affektion des Central-
nervensystems überhaupt fehlen, wie bei den abortiven
Fällen, die Masern oder Scharlachfällen ohne Exanthem
vergleichbar sind.
Die Tatsache, daß die Poliomyelitis eine akute In-
fektionskrankheit ist, welche in großen Epidemien auftreten
kann, und die weitere, daß der akut erkrankte Mensch
Träger eines gefährlichen Krankheitserregers ist, welchen
er auf andere Menschen übertragen kann, die entweder
selbst erkranken oder, und das scheint der häufigere Ver-
breitungsmodus, den Krankheitserreger wieder auf Personen
ihrer Umgebung, besonders Kinder, übertragen, ohne selbst
zu erkranken, macht es wünschenswert, daß die Diagnose
möglichst früh gestellt wird. Bei dem Ernst der Krankheit,
die zwar das Leben der Befallenen nur in der Minderzahl
der Fälle bedroht (3 bis 15°/, Mortalität), aber 30 bis 409),
derselben mehr oder weniger zu Krüppeln macht, müssen
wir alles tun, um die Verbreitung derselben zu hindern.
Dazu gehört die rechtzeitige Isolierung eines frisch Er-
krankten, der für die ersten Wochen eine Art Krankheits-
herd darstellt; nicht nur zu Zeiten eines gehäuften Vor-
kommens von Poliomyelitis, sondern auch bei sporadischen
Fällen. Denn die epidemische Poliomyelitis und die spora-
disch vorkommende sind eine Krankheit, und wir können
nicht voraussehen, ob der zunächst sporadische Fall nicht
die Quelle für weitere wird. Die Poliomyelitis verhält sich
in vieler Beziehung ähnlich der epidemischen Cerebrospinal-
meningitis, sowohl in bezug auf die. Vorliebe für die ersten
Lebensjahre wie in bezug auf sporadisches und epidemisches
Vorkommen. So sehen wir in Kiel seit Jahren nur spora-
dische Fälle von epidemischer Oerebrospinalmeningitis, meist
Kinder in den ersten Lebensjahren betreffend und gewöhn-
lich letal endend. Selbstverständlich werden die Fälle in
der Klinik isoliert, da wir nicht sicher sein können, daß die
Krankheit sporadisch bleibt. Die Erreger der epidemischen
Cerebrospinalmeningitis und die der akuten Poliomyelitis
sind wahrscheinlich viel verbreitet, finden aber im all-
gemeinen keine günstigen Ansiedlungsbedingungen im mensch-
lichen Körper. Zu Zeiten schnellt die Disposition aus uns
unbekannten Gründen in die Höhe, und wir sehen zahlreiche
Menschen erkranken. Die Diagnose der Cerebrospinal-
meningitis wird uns wesentlich erleichtert durch die Kennt-
22. Dezember,
nis des Krankheitserregers, den wir in der mittels Lumbal.
punktion gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit, deren mehr
oder weniger trübes Aussehen, schon unsern Verdacht er-
regen muß, leicht nachweisen können. Die Lumbalpunktion
ergibt uns bei der Poliomyelitis keine eindeutigen und
charakteristischen Befunde. Der Druck findet sich etwas
erhöht, die klare und sterile Flüssigkeit zeigt einen ge-
steigerten Biweißgehalt, die Lymphocyten sind an Zahl yer-
mehrt, ausnahmsweise daneben einzelne Leukocyten; aber
die Krankheitserreger fehlen, respektive können wir die
selben noch nicht nachweisen. Wir sind bei der Diagnosen
stellung auf das an Zügen so mannigfaltige Symptomenbild
angewiesen. Dazu können atypische Formen in großer Zahl
auftreten und einen erheblichen Prozentsatz der in einem
gewissen Zeitraum überhaupt beobachteten Fälle ausmachen.
Es dürfte zweckmäßig sein, die wesentlichen patho-
logisch-anatomischen Befunde bei der Poliomyelitis auf
Grund der neueren Untersuchungen ganz kurz zu rekapi-
tulieren, ehe wir uns mit unserm eigentlichen Thema, der
Diagnose der Poliomyelitis, beschäftigen.
Die Rückenmarkhäute und auch die Hirnhäute
zeigen bei der Poliomyelitis entzündliche Veränderungen
(Rundzelleninfiltration der Pia); besonders stark gewöhnlich
im Bereich der unteren Abschnitte des Rückenmarks, An
diesem selbst sind es die Veränderungen des interstitiellen
Gewebes, besonders ein außerordentlicher Kernreichtum, und
die der Gefäße (adventitielle und perivasculäre Infitrate),
verbunden mit kleinen Blutungen, die unsere Aufmerksan-
keit in Anspruch nehmen. Das Infiltrat der Pia steht
übrigens in direkter Verbindung mit den entzündlichen Ver-
änderungen an den Gefäßen im Grunde der vorderen Com-
missur. Die stärksten Veränderungen finden sich am Vorder-
horn; ‚ähnliche, nur in viel geringerem Grade, vielfach im
Hinterhorn. Die weiße Substanz bleibt nicht verschont; in
den Vorder- und Seitensträngen wie in den Hintersträngen
finden sich, besonders an den Gefäßscheiden, nicht selten
kleine Infiltrate. Zu diesen entzündlichen Veränderungen
kommt ein mehr oder weniger verbreitetes Oedem des Ge-
webes hinzu. Der wichtigste und verhängnisvollste Folgt
zustand der Entzündung ist die Schädigung und der Unter-
gang von Ganglienzellen der Vorderhörner, welcher da an
ehesten zustande kommt, wo die interstitiellen Prozesse al
stärksten sind. Gleiche Veränderungen wie das Rückenmark
zeigt die Medulla oblongata, wenigstens sind solche in allen
letalen. Poliomyelitisfällen nachgewiesen worden; doch be
steht insofern ein Unterschied, als die motorische Region
dabei nicht vorwiegend befallen ist, die Ganglienzellen un
die Nervenkerne vielfach verschont bleiben. Im Gel
selbst, Großhirn wie Kleinhirn, kommen ebenfalls entzünd-
liche Herde vor, die indessen selten eine größere Ausdehnung
erreichen. Am häufigsten hat man dieselben an der Hirt
basis und in den Centralganglien gefunden. i;
Von seiten der übrigen Organe sind zu erwähnen
katarrhalische Veränderungen an der Darmschleimhaut und
an den Bronchien, Trübung des Herzfleisches, der Leber
und des Nierenparenchyms; auch Zeichen parenchymatóser
Nephritis, wie bei andern akuten Infektionskrankheit,
Milztumor.
Die Untersuchung frischer Fälle, welche letal endeten,
hat auch bei den neueren Epidemien ergeben, daß die Lehre
Charcots von der primären Erkrankung der Ganglienzellet
nicht zu Recht besteht, sondern daß es sich bei der Polomy?
litis um eine interstitielle Myelitis vasculären o%
lymphogenen Ursprungs, respektive um eine Meningoen®
phalopoliomyelitis (Wikmann) handelt. Bei der experimen
tellen Affen-Poliomyelitis verbreitet sich das Virus von (#
Infektionsstelle hauptsächlich auf dem Wege der die Nerven
begleitenden Lymphbahnen. rt
Daß auch bei Erwachsenen die Poliomyelitis 20
. nicht allzuselten ist, haben die Epidemien, welche das neue
. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE. KLINIK — Nr. 1. ‚2059
hrhundert gebracht hat, zur Genüge ergeben. Auf
16 Fälle des .letzten Jahrzehnts kamen 509 Fälle, die
‚tienten über 15 Jahre. betrafen.
nige Fälle jenseits des dreißigsten Jahres: ‘Die meisten
onschen machen die Poliomyelitis wie andere acute In-.
ktionskrankheiten in der Jugend durch, wenn Gelegenheit
r Infektion gegeben war. Man. hat wohl die Poliomyelitis
uta der Kinder von der bei Erwachsenen unterscheiden
llen, indessen besteht kein wirklicher Unterschied, ebenso-
nig wie zwischen einem Scharlachanfall bei einem. er-
ıchsenen Menschen und einem solchen bei einem Kinde.
Die Diagnose der spinalen Form der Poliomyelitis acuta,
r häufigsten Form, ist im allgemeinen leicht und einfach.
r acute Krankheitsbeginn mit einem, meist mehrtägigen,
berhaften Stadium allgemeiner Störungen, an welches sich
mittelbar Lähmungserscheinungen anschließen, welche an-
glich verbreitet sind, sich.aber bald beschränken, der rein
torische Charakter der Lähmung, das Freibleiben oder
r vorübergehende Befallensein der Sphineteren, die bald
setzende Atrophie mit elektrischer Entartungsreaktion
d Verlust der Sehnenreflexe in einem Teil der gelähmten Mus-
In sind charakteristisch und eindeutig genug. Schwierig-
iten entstehen, wenn nicht die Beine und eventuell die
mpfmuskulatur, sondern die Arm- und Nackenmuskulatur
ər nur die Rumpfmuskulatur, nur die Halsmuskeln, nur
Bauchmuskeln doppelseitig oder einseitig gelähmt sind.
in Teil des Rückenmarks ist, wie wir gesehen haben, vor
ı poliomyelitischen Veränderungen. geschützt, die Aus-
mung der interstitiellen Entzündung kann aber ganz. be-
ıränkt sein, und demgemäß brauchen auch die Lähmungs-
nptome nur einzelne Muskelgebiete zu befallen; einzelne
schnitte des Rückenmarks werden mit einer gewissen Vor-
e heimgesucht und demgemäß bestimmte Muskelgebiete.
diejenigen Teile des Lumbalteils, welche den Quadriceps
oris, den Tibialis anticus und die Peronealmuskulatur
sorgen, die des Cervicalmarks, welche dem Deltoideus
] den ‘Oberarmmuskeln vorstehen. Oft ist die Rumpf-
skulatur befallen; die Kranken werden dadurch relativ
los und können im Bett ihre Lage kaum verändern.
iter entwickeln sich nicht selten Verbiegungen der Wirbel-
le (Kyphosen und .Skoliosen). Ist‘ die Bauchmuskulatur
ähmt, so können sich die Pätienten im Bette nicht auf-
aten. Bei Bewegungsversuchen treibt die Contraction des
erchfells den Bauch nach vorn. Ist nur eine Bauchseite
ähmt, so wird nur diese vorgewölbt.
ıchmuskeln gelähmt, so kommt es zu beschränkten V.or-
bungen der Bauchwand, ähnlich den Bauchbrüchen und
nbalhernien aus andern Ursachen. Die Entstehung solcher
nienartigen Vorwölbungen kann wesentlich gefördert werden
ch heftige Hustenanfälle, die in einem Fall unserer Be-
chtung bei einem zehnmonatlichem Kinde durch. Hinzu-
en des Keuchhustens zur Poliomyelitis veranlaßt wurden.
Eine Beteiligung der Atemmuskeln ist natürlich sehr
eutungsvoll. Das Zwerchfell sowohl wie die Intercostal-
keln können betroffen sein, und es kommt leicht zu Er-
kungsgefahr, besonders wenn eine Bronchitis oder Broncho-
umonie hinzutritt. Manche Kinder gehen im frühen
dium der Krankheit daran zugrunde. Die Lähmung kann
eitig wie doppelseitig sein. Sind die Intercostalmuskeln
‘offen, so bleibt der Thorax bei dem Versuch von Atem-
egungen starr, nur das Zwerchfell arbeitet; ist das
rchfell betroffen, so sehen wir, wie unter erheblicher
:»hwerung der Atmung, ‚das Epigastrium sich bei der In-
ation einzieht, während der Expiration vorwölbt; Lähmung
Halsmuskeln, welche die Beuge- wie die Streck-
kulatur ergreifen kann, kommt selten isoliert vor, sondern
meist von Extremitätenlähmungen begleitet.
Charakteristisch bei allen Lähmungen ist das Zeichen
Schlaffheit, der Herabsetzung der elektrischen AL
eit- und der Reflexe, der Atrophie.
Freilich sind: darunter
‚einzige nachweisbare Krankheitssymptom ist.
„ist eine deutliche Steigerung der Patellarreflexe. im Beginn
und atrophisch ‚gewordenen Beine vorkommen.
sieht bei Befallensein eines Armes oder bei Symptomen
eines‘ bulbären Herdes, an dem: einen. oder andern ‚Beine
‚Steigerung des Patellarreflexes, ohne sonstige Erscheinungen
Sind nur einzelne |
' Muskeln, an einem gelähmten Beine z. B.,
| übergehend an einer. Muskelgruppe eine Neigun g. zu Spas- |
Die Lähmungen treten im. allgemeinen. einen bis drei
Tage nach Beginn der Krankheit auf. Ausnahmsweise schon
am. ersten Tage : oder: erst am zehnten bis zwölften Tage
ihre ‘größte Ausdehnung erreichend. Mitunter fallen die
Kinder wegen der aufgetretenen Lähmung bereits im Beginn
der Erkrankung, und es können sich dann Zweifel erheben,
ob die Schwäche eines Beins z.B. die Folge eines Traumas
‚oder einer Lähmung ist. Ich beobachtete zwei derartige
Fälle; der eine betraf ein .zwölfmonatliches Kind. unter
günstigen äußeren Verhältnissen, welches bereits selbständig
laufen konnte und von Krankheiten verschont war, bis es
‚nach einer unruhig verlaufenen Nacht, am nächsten Morgen,
beim ersten Versuch zu stehen, umfiel und sich nicht wieder
zu erheben vermochte. Das rechte Bein ‘konnte nicht be-
‚wegt werden; der erste Gedanke. war eine Verletzung der
rechten Hüfte und veranlaßte eine Durchleuchtung mit dem
Röntgenapparat, die nichts Abnormes an dem Knochen ergab.
Die weitere Beobachtung ließ keinen Zweifel darüber, daß
es sich um eine spinale Kinderlähmung handelte Die
Lähmung ging nur teilweise zurück, das Bein blieb kürzer,
schwach und atrophisch. In einem zweiten ähnlichen Fall,
der ein zweijähriges Kind betraf, kam es zu einer chirur-
gischen Behandlung: des Hüftgelenks, die nicht den ge-
wünschten Erfolg hatte; erst dann wurde die Diagnose
| spinale Kinderlähmung gestellt:
Großer Wert wird mit Recht auf das Verhalten der
Reflexe gelegt. Bei kleinen Kindern macht die Prüfung
derselben und die Verwertung des Resultats leicht Schwierig-
keiten. Im allgemeinen wird eine Herabsetzung oder Ver-
‘schwinden der Reflexe erwartet werden können. Es gibt
in denen das Verschwinden der. Patellarreflexe das
In manchen
Fälle, -
der Krankheit festzustellen, der eine Herabsetzung . und
ein Verschwinden nachfolgte.. Auch eine dauernde Steigerung
der Patellarreflese kann ausnahmsweise an einem gelähmten
Oder man
von seiten der - Muskulatur. Ebenso wie an den Bein-
. muskeln kann auch an allen. andern befallenen Muskeln
zunächst eine Steigerung der Reflexe vorkommen, ehe die
Herabsetzung erscheint. .
Ein ungewöhnliches Verhalten der Reflexe ‚ist zurück-
‚zuführen auf vorübergehende oder :dauernde Störungen im
Rückenmark über das Gebiet der grauen Vorderhörner
hinaus. Auch das Babinskische Phänomen kann gelegent-
lich neben der Steigerung der. Sehnenreflexe vorkommen.
Entgegen der gewöhnlichen Schlaffheit der befallenen
‚sieht man vor-
men vorkommen.
Leichtere Blasen- und Mastdarmstörungen sind im
. Beginn der Poliomyelitis nichts Ungewöhnliches und dürfen
"uns in der Diagnose nicht irre machen. Bei ganz kleinen
‚ Kindern wird man mitunter zweifeln, ob dieselben über-
haupt auf Rechnung der. Poliomyelitis zu setzen sind; die-
. selben kommen. aber auch bei größeren Kindern zweifellos
vor und können selbst von längerer Dauer sein. Die Be-
teiligung anderer Teile des Rückenmarks, außer den Vorder-
hörnern, macht zuweilen im Beginn der Krankheit sen-
Sible Störungen verschiedener . Art‘ von flüchtiger Natur,
die im allgemeinen in das Gebiet der Poliomyelitis acuta
‚nicht hineingehören.
Beschränkt sich die. interstitielle Entzündung nicht auf
‚das Rückenmark, sondern- greift. auf den :Hirnstamm über,
sò wird das Krankheitsbild sehr mannigfaltig werden können.
"Besonders wichtig ist der Umstand, daß isolierte Gehirn-
.neryənlähmungen: vorkommen, ohne spinale. Symptome
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2060 | 1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22, Dezember.
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(pontine Form der Poliomyelitis). In erster Linie wird der
Nervus facjalis betroffen mit den Symptomen der peripheren
Lähmung. Daneben kommt mitunter eine Hypoglossuslähmung
vor. Auch Augennervenlähmungen, besonders des Abducens
und des Oculomotorius, werden isoliert oder kombiniert beob-
achtet. Selten wird der Nervus opticus befallen; noch seltener
der Nervus trigeminus wie die übrigen Gehirnnerven. Man hat
diese Formen der Poliomyelitis als Polioencephalitis be-
zeichnet und eine Polioencephalitis inferior und. superior unter- -
schieden. Gegenüber Polioencephalitisfällen aus anderer Ur-
sache (Intoxikationen, Alkohol) ist diagnostisch wichtig. der
Beginn der Krankheit unter den Symptomen einer allge-
meinen infektiösen Erkrankung, eventuell das Vorkommen
mit und neben Fällen typischer Poliomyelitis.
Kommt es zur Bildung größerer oder kleinerer Ent-
zündungsherde im Gehirne selbst, so entwickelt sich das Bild
der encephalitischen Form der Poliomyelitis, der
Polioencephalitis acuta Strümpells. l
Die Zugehörigkeit derselben, das heißt einer akuten,
mit Fieber, gastrointestinalen Symptomen und Konvulsionen
einsetzenden Erkrankung, die nach einem bis drei Tagen
zu einer spastischen Lähmung einer Körperhälfte oder nur
eines Teils derselben führt, Lähmungserscheinungen, die
meist nicht ganz zurückgehen, sondern mehr oder weniger
bestehen bleiben und gewöhnlich eine große Neigung zu
motorischen Reizerscheinungen zeigen, ist nicht zu be-
zweifeln. Man hat sowohl gelegentlich der großen Polio-
myelitisepidemien neben den typischen Fällen diese Form
der Krankheit häufig gesehen, als auch nicht wenige Fälle
beobachtet, in denen schlaffe und spastische Lähmungen bei
demselben Kranken gleichzeitig auftraten. So steht auch in
unserer Klinik noch ein 3l/,jähriges Mädchen in Behandlung,
bei welchem vor einem Jahre nach typischen Initialerschei-
nungen eine spastische Lähmung des rechten Beins und
Armes, eine schlaffe Lähmung mit Herabsetzung der Reflexe
an dem linken Bein und eine rechtsseitige Facialislähmung
mit Beteiligung des ganzen Nerven auftrat. Letztere ist
nach einjährigem Bestande größtenteils zurückgegangen, das
linke Bein wieder normal, ebenso der rechte Arm, während
am rechten Bein eine spastische Parese zurückgeblieben ist.
Sodann hat man in einzelnen tödlich verlaufenen Fällen.
neben den typischen poliomyelitischen Veränderungen gleiche
Herde im Gehirne nachweisen können. Üerebrale Erkran-
kungen mit gleicher Lokalisation können ähnliche Folge-
zustände machen; es ist auch hier bei der Diagnose beson-
ders Gewicht auf die Initialsymptome zu legen, auf die Er-
scheinungen einer akuten Allgemeinerkrankung, an die sich
die Lähmungserscheinungen anschließen. Letztere sind nicht
immer ganz ausgebildet, man beobachtet mitunter nur eine
vorübergehende Neigung zu motorischen Reizsymptomen in
bestimmten Muskelgruppen. Das gleichzeitige Vorkommen
von spinalen Symptomen bei demselben Kranken erleichtert
natürlich die Diagnose; ebenso das Auftreten der Erkrankung
neben ausgesprochenen Fällen von Poliomyelitis acuta. Spo-
radische Fälle können der Diagnose große Schwierigkeiten
bereiten, und es muß zuweilen unentschieden bleiben, ob
man dieselben der Poliomyelitis zurechnen soll oder nicht.
In ähnlicher Weise sind Fälle von Poliomyelitis schwer
zu deuten, bei denen ataktische Symptome im Vorder-
grunde stehen. Finden sich daneben spinale Erscheinungen
oder solehe von seiten der Kopfnerven, oder kommen die
Fälle neben solchen von typischer Poliomyelitis vor, so ist
die Diagnose nicht schwer. Die Ataxie hat oft einen cere-
bellaren Typus, sodaß es naheliegt, Herde im Kleinhirne, die
in Fällen, welche frisch anatomisch zu untersuchen waren,
gefunden wurden, dafür verantwortlich zu machen.
Die Beteiligung der Meningen ist mitunter sehr
hochgradig, entsprechend den erwähnten pathologischen Ver-
änderungen, und die Symptome von seiten derselben können
das Krankheitsbild so beherrschen, daß zunächst die Dia-
gnose auf Meningitis gestellt werden muß. Selten tritt der
letale Ausgang unter diesem Bilde ein, und die Diagnm
wird eventuell erst durch die mikroskopische Untersuchung
des Rückenmarks gesichert. Meist lassen die meningitischn
Erscheinungen bald nach, und nach wenigen Tagen werda
die Erscheinungen der spinalen Form der Poliomyelitis u.
verkennbar, um entweder auch bald ganz zurückzugehm
oder, wie so häufig, nur teilweise wieder zu verschwinde,
Gegenüber andern Formen von Meningitis werden sowohl
die Initialsymptome wie das Resultat der Lumbalpunktia
wertvoll und wichtig sein. Die kurze Dauer der Prodromal.
.symptome sowie der Rückgang der meningitischen ‚Erschei
nungen wird besonders gegenüber der tuberkulösen Ment |
gitis bedeutungsvoll sein. Schwierig kann sich die Dife Ẹ
rentialdiagnose gegenüber einer Meningitis serosa gestalten,
welche übrigens auch einmal durch die Erreger der Poio W
myelitis bedingt sein könnte. Gegenüber allen eitrigm É
Meningitiden ist die Lumbalpunktion sehr wertvoll und Ùr
Resultat entscheidend. Neben der allgemeinen Schmer:-
haftigkeit im Beginn der Poliomyelitis kommt in
manchen Fällen eine länger dauernde Druckempfindliet-
keit der Nervenstämme an den gelähmten Gliedern vor,
sodaß eine Unterscheidung von Polyneuritis schwierig
wird. Da die Schmerzhaftigkeit mitunter mehrere Wochen @
besteht, so ist die Vorstellung naheliegend, daß derselbe W
anatomische Veränderungen in den Nerven zugrunde liegen
müssen. Solche sind zwar in der nicht erheblichen Zal #
von Fällen, in welchen eine dahingehende Untersuchung
vorgenommen werden konnte, bisher nicht nachgewiesen
worden, darum aber nicht ausgeschlossen. Auch der db
jektive Nachweis von Sensibilitätsstörungen steht noch au,
ist aber bei kleinen Kindern, um welche es sich z, B. m
der Mehrzahl der von mir behandelten Fälle handelte, schwer
zu führen. Für eine Polyneuritis wird der Nachweis dr
vorausgegangenen Infektionskrankheit, das subakute Stadium
derselben, der meist günstige Verlauf, die Beteiligung dt
Gaumenmuskulatur und der Akkommodationsmuskeln Mi
Diphtherie) von Wichtigkeit sein. Die Prognose it ad
bei der polyneuritisähnlichen Form der Poliomyelitis nie
schlecht, aber doch weniger gut. als bei den gewöhnliche
Polyneuritiden infektiösen Ursprungs.
Wickmann hat gezeigt, daß viele tödlich verlaufende
Fälle von Poliomyelitis das Bild der sogenannten Landry:
schen Lähmung dargeboten haben. Gelegentlich der Ep
demie in Schweden im Jahre 1905 starben 159 Fälle, iè
von 45 unter den Erscheinungen der Landryschen Pare
lyse, und zwar 32 davon an der aufsteigenden und 13 at
der absteigenden Form; die aufsteigende (Initialsymptone:
Lähmung der Beine, der Rumpfmuskulatur, der Arme, #
Halsmuskeln, Bulbärsymptome, Tod am zweiten bis fünften
Krankheitstage) ist die häufigere .Form, die absteigenlb
(Initialsymptome, bulbäre Erscheinungen, Armlähmung, b
mung der Rumpfmuskulatur und der Beine oder Lähnu
der Arme, bulbäre Erscheinungen, Lähmung der Bein,
letaler Ausgang unter Respirationsstörungen) ist seten
Man wird also bei allen Fällen von Landryscher Lähmung
welche mit allgemeinen Symptomen einsetzen, an Poliomyelitis
zu denken haben. )
Macht die Diagnose Schwierigkeiten dadurch, dab &ı
Entzündungsprozeß sich über weite Gebiete des Centra
nervensystems ausdehnt, so kann dieselbe auch dadurch z
sicher werden, daß von seiten des Centralnervensystens í
gut wie keine Erscheinungen auftreten. Das ist u
in den abortiven Fällen, deren Kenntnis wir erst den i
demien des neuen Jahrhunderts verdanken und die ar
gemeinen nur im Zusammenhange mit ausgebildeten F
von Poliomyelitis diagnostiziert werden können. pel
charakteristischer Weise berichtet E. Müller hierzu, r
in einer Familie drei Kinder an Fieber und a
nalen Erscheinungen erkranken sah, daß bei einem ders
ep
29. Dezember.
diese Symptome ohne nervöse Erscheinungen vorübergingen,
bei dem zweiten Verlust der Patellarreflexe hinzukam, bei
dem dritten eine typische spinale Lähmung. Bei den rein
abortiven Fällen finden sich nur die Symptome einer all-
gemeinen Infektion. Dieselben können sehr intensiv sein
und doch folgen keine Lähmungserscheinungen. Die Sym-
ptome sind, abgesehen von Fieber, allgemeiner Mattig-.
keit, starke Ueberempfindlichkeit der Haut und Neigung zu
Schweißen, in den einzelnen Fällen etwas wechselnd. Bald
sind es heftige Kopfschmerzen mit leichten meningitischen
Reizsymptomen, bald außergewöhnlich starke Glieder-
schmerzen, bald gastrointestinale Erscheinungen (Uebelkeit,
Durchfälle), bald solche von Bronchitis, die das Bild be-
herrschen. Die Zahl der abortiven Fälle bei den einzelnen
Epidemien ist verschieden hoch geschätzt worden, bis zu
50%). Auch bei der experimentellen Affenpoliomyelitis
kommen abortive Formen vor.
Levaditti und Netter ist es gelungen, bei einem
abortiv verlaufenen menschlichen Fall im Blute dieselben
specifischen Schutzstoffe nachzuweisen, wie im Blute des an
typischer Poliomyelitis erkrankten Bruders.
Da es nicht zweifelhaft ist, daß abortive Fälle von
Poliomyelitis die Krankheit ebensogut verbreiten können,
wie ausgesprochene Fälle, so liegt die Wichtigkeit einer
rechtzeitigen Diagnose bei den abortiven Fällen auf der
Hand. Eine wirksame Bekämpfung der Poliomyelitis ist
nur möglich, wenn auch diese Fälle berücksichtigt werden.
Abortive Fälle, die nicht neben Lähmungsfällen beob-
achtet werden, können leicht als Muskelrheumatismus oder
Influenza diagnostiziert und behandelt werden. Die auf-
fallende Ueberempfindlichkeit der Haut und die
Neigung zu Schweißen sowie Leukopenie wird sowohl
bei Fällen mit vorwiegend gastro-intestinalen Symptomen
wie solehen mit bronchitischen Symptomen den Gedanken
an das Bestehen einer Poliomyelitis erwecken können.
Schließlich gibt uns die Serodiagnose der Poliomyelitis
die Möglichkeit, auch in atypischen oder abortiven Fällen
zu einer bestimmten Entscheidung zu kommen. Wir be-
dürfen zur Anstellung desselben eines Affen als des Tiers,
bei welchem der Nachweis von specifischen Antikörpern im
Blute nach Ueberstehen der Poliomyelitis gelungen ist;
P. Krause und E. Meinicke ist die Uebertragung der
Poliomyelitis auf junge Kaninchen gelungen, und sie kommen
auf Grund ihrer Versuche zu dem Resultat, daß das Virus
der Poliomyelitis beim Menschen und beim infizierten Tiere
nicht nur im Centralnervensystem, sondern auch in der
Lumbalflüssigkeit, im Blut und in den parenchymatösen
Organen enthalten sei. Zur Diagnosenstellung in zweifel-
haften Fällen empfehlen sie Blut oder Lumbalflüssigkeit von
lebenden Menschen auf Kaninchen zu übertragen und so
eine experimentelle Poliomyelitis zu erzeugen. Indessen wird
von anderer Seite die Sicherheit dieser Methode bestritten.
Die bei der Diagnosenstellung in Betracht kommenden Krank-
heiten sind mit den bisherigen Angaben noch nicht erschöpft,
sondern es ist nötig, noch einiger zu gedenken. Vor allem
kommen sonstige Rückenmarksaffektionen in Betracht.
Um so leichter wird eine Verwechslung mit solchen vorkommen,
wenn die Poliomyelitis sich nicht auf die Vorderhörner be-
schränkt. Dann können sich Bilder entwickeln, welche einer
Querschnittsmyelitis sehr ähnlich sind. Immerhin wird eine
ausgesprochene Beteiligung der Sensibilität, eine frühe und
zunehmende Störung der Blasenfunktionen, die Erhaltung
der elektrischen Erregbarkeit der Muskulatur, erhaltene
respektive gesteigerte Sehnenreflexe vor Verwechslung
schützen.
Blutungen in die Substanz des Rückenmarks (Hämato-
myelie) können mal Poliomyelitis ähnliche Symptome machen,
beschränken sich .aber kaum auf die Gegend der Vorder-
hörner und beeinträchtigen meist weitere Teile des Rücken-
marks, sodaß Sensibilitätsstörungen nicht ausbleiben. Schon
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2061
die Anamnese, das Fehlen des Initialstadiums, wird daneben
gegen Poliomyelitis sprechen.
Rückenmarkssyphilis kann so lokalisiert sein, da
poliomyelitisähnliche Symptome auftreten. Es fehlt aber das
Initialstadium, es fehlt das akute Einsetzen. der Lähmung,
es fehlt die Neigung zum Rückgang, solange nicht eine anti-
luetische Behandlung eingreift.
Daß eine Pseudoparalyse infolge von Osteochon-
dritis luetica zur Verwechslung mit Poliomyelitis führen
sollte, ist sehr unwahrscheinlich. Schon das Vorkommen in
den ersten Lebenswochen, die deutlich erkennbare Auf-
treibung der Epiphysengegend an den befallenen Gliedern,
die kaum je fehlenden sonstigen luetischen Symptome,
schützen davor. |
Entbindungslähmungen werden dann zu Ver-
wechslungen mit Poliomyelitis führen können, wenn uns ein
Fall mit chronischer, dauernder Lähmung eines oder mehrerer
Glieder ohne Anamnese zugeführt wird; z. B. eine isolierte
Deltoideuslähmung, bei der es zu Atrophie und Entartungs-
reaktion nebst Aufhebung der elektrischen Erregbarkeit ge-
kommen ist, wird dann der Differenzdiagnose rechte Schwie-
rigkeiten bereiten müssen, um so mehr als die Poliomyelitis
in den ersten Lebensmonaten auftreten kann.
Auch für die Unterscheidung gegenüber den ver-
schiedenen Formen der progressiven Muskelatrophie
im Kindesalter ist die Kenntnis der Anamnese sehr wichtig.
Der Hauptunterschied besteht im allgemeinen in dem lang-
samen, progressiven Verlauf, in dem Fehlen von Lähmungen,
in dem fortschreitenden Schwächezustande der Musku-
latur, entsprechend der sich entwickelnden Atrophie, in dem
meist symmetrischen Auftreten und Fehlen von Wachstums-
störungen. Rückenmarktumoren, sowohl extramedulläre
mit medulläre, kommen im Kindesalter vor und können vor-
übergehend zu Verwechslungen mit Poliomyelitis führen,
doch leiten die langsame Entstehung der Symptome und die
bald den Querschnitt des Rückenmarks betreffenden Er-
scheinungen ‘zur Diagnose. |
Die Myatonia congenita, eine im frühen Kindesalter
zuweilen vorkommende, mit Atonie der Muskulatur einher-
gehende Lähmungsform, welche meist die unteren, seltener
die oberen Extremitäten oder die Rumpfmuskulatur betrifft,
kann der Differentialdiagnose Schwierigkeiten bereiten. In
diesen Fällen ist die Muskulatur auffallend schlaff, die
Sehnenreflexe abgeschwächt oder aufgehoben, die elektrische
Erregbarkeit ebenfalls herabgesetzt oder verschwunden, die
Bewegungsfähigkeit auf ein sehr geringes Maß beschränkt.
Der Nachweis, daß dieser Zustand von Geburt an bestanden
hat und nicht im Anschluß an ein bestimmtes Initial-
stadium aufgetreten ist, wird für die Diagnose wichtig sein.
Die Myatonia ist wahrscheinlich Folge einer ver-
zögerten Entwicklung der Muskulatur, vielleicht auch ge-
wisser Abschnitte des Centralnervensystems, die einer all-
mählichen Besserung fähig ist.
Schließlich könnte man auch der eigentümlichen Zu-
stände von Muskelschwäche mit Atrophie gedenken, die
bei Rachitis vorkommen und die geradezu als rachi-
tische Myopathie bezeichnet worden ist. Dieselben dürften
aber bei sorgfältiger Beobachtung kaum je mit poliomyeliti-
schen Lähmungen verwechselt werden.
‚ Endlich hätte ich noch der Diagnose. der akuten
Poliomyelitis bei Erwachsenen zu gedenken. An sich
besteht Ja kein Unterschied, und wenn bei gehäuftem Vor-
kommen von Poliomyelitis Erwachsene neben Kindern er-
kranken, so werden meist keine diagnostischen Schwierig-
keiten entstehen. Anders bei sporadischen Fällen.
‚ _ Gegenüber den verschiedenen Formen von Myelitis
wird auch bei Erwachsenen das Fehlen ausgesprochener
Sensibilitätsstörungen und dauernd werdender Blasen- und
Mastdarmstörungen besonders wichtig sein.
m.
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2062
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr 51.
22. Dezember,
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Gegenüber der Polyneuritis wird zunächst, wie übrigens
auch gegenüber den eigentlichen Myelitiden, das Initial-
stadium ins Gewicht fallen. Ausgesprochene Sensibilitäts-
störungen sprechen für Polyneuritis. Mäßige können bei
beiden Krankheiten vorkommen. Die Ausdehnung oder die
Lokalisation der Atrophie zeigt bei der Poliomyelitis gewisse
bevorzugte Muskelgruppen, aber wir haben gesehen, dab
kein Muskel des Rumpfes oder der Extremitäten davor
sicher ist, betroffen zu werden, und wir sehen anderseits
bei einer Wurzelneuritis z. B. atropbische Lähmungen zu-
stande kommen, die von rein spinalen gar nicht zu unter-
scheiden sind. Immerhin wird es in der Mehrzahl der Fälle
doch gelingen, auf Grund der Anamnese und des weiteren
Verlaufs zu einer bestimmten Diagnose zu kommen.
Die Erkennung der subakuten und der chronischen
Poliomyelitis Erwachsener, welche im wesentlichen auf
dem Nachweis allmählich sich entwickelnder Lähmungen mit
anschließender Atrophie und Entartungsreaktion beruht, kann
gegenüber der progressiven Muskelatrophie Schwierigkeiten
machen. Von Wichtigkeit ist dann, daß die Lähmungen das
Primäre sind. Gegenüber der Polyneuritis ist das Initial-
stadium und die Heftigkeit und Dauer der Schmerzemp-
findlichkeit der Nervenstämme bedeutungsvoll.
So zeigt die Poliomyelitis differentialdiagnostisch mit-
unter nicht unerhebliche Schwierigkeiten, die in einzelnen
Fällen unüberwindlich sind, besonders wenn es sich um spo-
—
radische Fälle handelt und’ solange uns der Erreger der
Krankheit noch nicht bekannt ist.
Wir müssen uns daran gewöhnen, die Möglichkeit
einer Poliomyelitis häufiger ins Auge zu fassen, als
wir bisher zu tun gewohnt waren. Dann wird es auch ge-
lingen, schon im Initialstadium der Krankheit die Diagnose zu
stellen. Fälle akuter, fieberhafter Erkrankung, besonders bei
Kindern, die ausgezeichnet sind durch eine allgemeine Hyper-
ästhesie der Haut, durch Neigung zu profusen Schweiße,
Fehlen einer entzündlichen Leukocytose, Schwäche und Ab-
nahme des Muskeltonus in einzelnen Muskelgebieten mit
Nachlaß der Sehnenreflexe werden mit großer Wahrschein-
lichkeit als Poliomyelitis anzusehen sein.
Die ‚vielfach gelungenen Uebertragungen der Krank-
heit auf Tiere lassen uns hoffen, daß der Erreger derselben
über kurz oder lang gefunden wird, und gestatten die Er-
wartung, daß damit auch die Möglichkeit einer kurafiven
Serumtherapie und einer Immunisierung gegen denselben
bei Menschen möglich wird, zu der man bei den Tierexper-
menten bereits einen erfolgreichen Anlauf genommen hat,
Literatur. Eine Zusammenstellung der außerordentlich angewachgenen
Arbeiten über Poliomyelitis zu geben, erübrigt sich. Ich verweise auf die
Literaturverzeichnisse in der Monographie „Die akute Poliomyelitis® von
J. Wickmann $. 100 und in dem Abschnitte: Die epidemische Kinderlähmung
von FE. Müller in dem Handb. d. inn. Med. Bd. i, S.852, von Mohr-Stae-
helin, wo alle irgend wichtigen Veröffentlichungen aufs beste zusammen-
gestellt sind.
Abhandlungen.
Aus der Heilstätte für Nervenkranke, Haus Schönow,
Zehlendorf b. Berlin. |
(Direktor: Prof. Dr. Max Laehr.)
Ueber Phobien, besonders Platzangst,
ihr Wesen und ihre Beziehungen zu den
Zwangsvorstellungen')
von
Dr. med. Max Rohde,
Oberarzt im 7. Rheinischen Infanterieregiment Nr. 69, kommandiert zur Heilstätte.
"Unsere Wissenschaft braucht Sammelnamen für zahl-
reiche Krankheitsbilder, und zwar solche, die im Grunde nicht
allzuviel sagen, die aber auch nichts Falsches sagen. Einer der
größten dieser Sammeltöpfe ist die Nervosität. Wenn wir Aerzte
mit unserer Weisheit zu Ende sind, so greifen wir nolens volens
zu dieser sogenannten Diagnose und können damit in der Regel
der Zufriedenheit unserer Patienten sicher sein, denn nervös zu
sein gehört ja nun einmal — leider — heute zum guten Ton, und
stolz, diese vornehme Modekrankheit sein eigen zu nennen, verläßt
der Kranke die Sprechstunde, stolz, wenn ihm im Grunde nichts
fehlt, beglückt, daß er „bloß nervös“ ist, wenn er wirklich krank
ist. Nun, soweit wäre ja alles in schönster Ordnung, wenn die
Sache nicht zwei Seiten hätte. Den typischen Symptomenkomplex
der Neurasthenie kann man wohl bei der allgemeinen Unruhe und
den gesteigerten Anforderungen unserer Zeit mit ibren zahllosen
Schädlichkeiten unschwer bei den meisten herausfinden, denn an
Reizbarkeit, Empfindlichkeit, Ermüdbarkeit, Herzklopfen, schlechtem
Schlaf usw. leidet wohl jeder einmal, und so wird man, wenn man
sich damit zufrieden gibt, eben Brom, Veronal und wie die Mittel
alle heißen, in mehr oder weniger großen Dosen schlucken lassen;
und so kann man sich dabei beruhigen, denn das nil nocere bleibt
zunächst jedenfalls gewahrt. Man wird damit auch wohl vorüber-
gehend helfen können, wenn man aber glaubt, dauernde Hilfe
bringen zu können, 50 wird man für gewöhnlich schwere Ent-
täuschungen erleben; denn die Nervosität hat mannigfache Ur-
sachen, und wenn diese fortbestehen und nicht ‚erkannt werden, so
können alle Gegenmaßnahmen nichts nützen. Es ist ebenso wie wenn
man Darmblutungen symptomatisch behandeln und den noch ope-
rablen Krebs weiterwuchern läßt, weil man ihn nicht erkennt, bis
er nieht mehr operabel ist. Ich will es hier übergehen, daß ner-
vöse Zustände inneren, organischen Erkrankungen supraponiert
1) Vortrag, gebalten in der Sitzung der Berliner militärärztlichen
Gesellschaft vom 21. Mai 1912.
sind und eben auf dem Boden der durch diese gesetzten Er-
schöpfung entstehen — nur zu oft werden uns z. B. Leute mit
Lungenspitzenaffektionen als „nervös“ zugeschickt, weil eben der
Ursache dieser Nervosität nicht genügend nachgeforscht ist, die aber
eben mit dem Grundleiden auch fällt —, sondern ich will hier von
Zuständen sprechen, bei denen die Frage nach der Genese eine
ähnliche Bedeutung hat, und muß dabei zuerst zugestehen, dab
das zu besprechende Gebiet lange Jahre hindurch bis in die Jetst-
zeit ein bequemer Sammelbegriff, diesmal aber mehr für die
Neurologen war. Und doch ist gerade hier eine genaue psyoho
logische Analyse besonders nötig, nicht nur bezüglich der Die
gnose und Prognose, sondern auch bezüglich der Therapie, Ich wili
von den an Phobien und Zwangsvorstellungen leidenden, meist gè-
drückt dahinlebenden Kranken sprechen, und muß dazu zundehsl
etwas weiter ausholen.
Es gibt nicht zwei Menschen, die einander völlig gleiche,
der eine hat die, der andere jene Eigenschaften, und so gibt e
auch ängstliche und nichtängstliche Menschen. Und je nachden
er es ist, ist sein Auftreten ein anderes, und daraus resultiert oft
sein Ansehen, seine soziale Stellung und anderes. Der ängstlich
Mensch hält sich immer zurück, er ist scheu, fürchtet oft aus ener
Ueberpeinlichkeit sich linkisch zu benehmen, und gerade deshalb
fällt er oft auf, weil ihm das Gefühl der Sicherheit fehlt. So
bildet sich das Gefühl der Minderwertigkeit. Er sieht schon M
der Jugend, wie andere Kinder spielen, er selbst traut sich nicht
dazu, man neckt ihn, er wird früh resigniert, er ist ein Jung!
Greis, der innerlich allen Aerger und Enttäuschungen aufbewahr,
die er scheinbar äußerlich nicht aufnimmt. Solche Menschen leben
in steter Angst, etwas zu versehen, weil ihnen das Selbstvertrauel
fehlt, und dieser Mangel an Selbstvertrauen überträgt sich 8U
ihren Beruf, auf alles. Sie sind Sonderlinge, die sich zuri
ziehen, die an sich und allem ihrem Tun zweifeln und meist I
folge dieser Zweifel besonders vorsichtig und gründlich sind. Das
alles kann sich sehr wohl noch innerhalb physiologischer Grant)
bewegen; schließlich aber wird ein Mensch, der in dauernder AU"
regung lebt und als gründlicher Arbeiter meist auch des Guten
zuviel tut, um so eher erlahmen, er wird nervös, um 80 eher, &
ja Gemütsbewegungen mit ceirculatorischen Störungen Hand M
Hand gehen. Äehnlich ist es mit andern Menschen, wo 08%
mehr oder weniger ausgeprägte Zweifelsucht und Furcht, nz
versehen, modifiziert ist, und wo eine körperliche Komponente ON)
besondere Rolle spielt: das zu schnelle Wachstum. Hier bilgo
sich eine Disproportionalität zwischen den einzelnen Körporteilth
und Oppenheim spricht direkt davon, daß z. B. das Blutgefáðsys*
nicht in gleich schnellem Maße wachsen könne, also minderwe
22. Dezember.
1912 _ MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. bi. | 9063
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bleibe. Es leuchtet ein, daß daraus allerhand Störungen resul-
tieren, und daß diese besonders bei einem ängstlichen Menschen
einen geeigneten Boden finden, wenn ihm das rechte Selbstvertrauen
fehlt. Auf solcher Basis entstehen meines Erachtens besonders
leicht nervöse Erkrankungen, speziell Phobien, Befürchtungen,
gegen die der Kranke ankämpft, die aber schließlich festen Fuß
fassen, um so eher, als er zu schüchtern ist, sich vom Arzte Be-
lehrung zu holen. Dies mag ein Beispiel — im Auszug — illu-
strieren. |
Es handelt sich um einen 22jährigen Kaufmann, der sich zuerst
1910 sechs Wochen lang in der Heilstätte aufhielt. Die damalige
Krankengeschichte enthielt die Angaben, daß er am liebsten allein, stets
etwas schüchtern gewesen sei, daß er sich jetzt im Beruf durch Heben
schwerer Gegenstände überanstrengt, viel starken Tee und Kaffee ge-
trunken, auch in Venere nicht gerade mäßig gewesen sei. Im Anschluß
an Aerger leide er seit zwei Jahren an Stirnkopfschmerzen, Schwäche,
Herzklopfen, Kreuzschmerzen, Gleichgültigkeit, Entschlußunfähigkeit und
dergleichen. Durch die Kur wurde er gekräftigt, schien auch mehr Selbst-
vertrauen zu haben, aber — nach kaum ?/, Jahren bat er wieder um
Aufnahme. Ich hatte jetzt den Eindruck, als ob doch noch mehr hier
ätiologisch in Frage komme und uns nur unbekannt geblieben sei, und
konnte nunmehr folgendes feststellen; Typischer Astheniker. Vom 10.
bis 15. Jahr sehr stark gewachsen, in dieser Zeit viel Ohnmachten. Sehr
weichherzig, unfähig Blut zu sehen. Von Natur ängstlich, früher Furcht
im Dunkeln. Beim Aufsagen in der Schule aufgeregt, unruhig, über-
hastete sich, genierte sich vor den Mitschülern. Sagte sich im stillen
die Schularbeiten immer wieder auf, obwohl er wußte, daß er sie be-
herrsche. Konnte innerlich nie dran glauben. Nahm alles sehr ernst,
übertrieben gowissenhaft, von Jugend an mehrfach nachgesehen, ob ein
Streichholz wirklich aus sei, ja, er ist deswegen noch oft aus dem Bett
aufgestanden. Leichter Wechsel der Gesichtsfarbe. Wenn er von Krank-
heiten hörte, leicht auf sich bezogen. Er gab mir schließlich noch zu,
daß sich seit einer Gonorrhöe 1907 eine Syphilidophobie eingestellt habe,
dann die völlig unbegründete Furcht, sein Verhältnis angesteckt zu
haben. Diese quälende Furcht habe sich ihm immer wieder aufgedrängt.
trotz steten Ankämpfens und trotzdem er im Grunde von der Grund-
losigkeit der Befürchtungen überzeugt gewesen sei. Seit 1909 sei dann
auch die Furcht vor Geisteskrankheit dazu gesellt, „die ja doch meist
auf Lues beruhe*. Seitdem die Beschwerden, wie sie auch beim ersten
Aufenthalt hier bestanden und ebenso bei der zweiten Aufnahme.
Es ist klar, daß ein derartiger widerstandsunfähiger Mensch
zunächst der bestimmten Versicherung bedarf, daß nichts vorliege,
sowie eingehenden Zuspruchs des Arztes, daß immer wieder — da
er ja zweifelt — die Gegensuggestion eintreten muß, damit diese
schließlich überwiegt und damit auf dieser Basis, Hand in Hand
gehend mit einer antinervösen Therapie und Kräftigung — aber
nicht durch letztere allein —, die Beschwerden zurücktreten, weil
sie ein Ausfluß der Phobien sind. Er hat Phobien im eigentlichen
Sinne des Wortes, Befürchtungen, die ihn quälen, in Angst setzen,
ihn nervös machen, und gegen die das gewollte Ankämpfen so
schwer ist, weil sie zum Teil in seiner für solche Eindrücke über-
empfindlichen Natur begründet sind. Wenn keine Gegensuggestion
eintritt, so wird solch ein Mensch schließlich im Ankämpfen er-
lahmen. Während er sich anfangs immer wieder aus sich selbst
sagt: „Es ist ja nichts“, schließt er allmählich daraus, daß er
sich eben à conto des ewigen Kampfes immer schwächer fühlt, zu-
mal wenn er körperlich angegriffen ist, daß die Befürchtungen
doch wohl richtig sein müssen, und nun ist er dann völlig krank;
wenn erst die Ueberzeugung — nicht nur Befürchtung,
gegen die er bisher mehr oder weniger stark ankämpfte, da ist,
dann ist der Boden für weitere Störungen gegeben. Zu. diesen
letzteren gehören nun aber wiederum in erster Linie Phobien,
wenn auch anderer Art. Bei den bisherigen, den Nosophobien,
entstanden sie bei äußerem Anlaß aus dem weichen Charakter
heraus, sie bildeten die Vorläufer einer Erschütterung des Selbst-
vertrauens, sie stellten den Ausfluß einer verminderten Wider-
standsfähigkeit der Psyche dar, die ihr geringes Selbstvertrauen
durch körperliche Leiden zu erklären sucht und es damit weiter
erschüttert. Aus dem Zweifel an dem eignen Ich entsteht eine
ausgesprochene Furcht, und zu dieser gesellt sich bei neuem be-
sonderen Anlaß jetzt schließlich auch das, was für ängstliche
Leute die Krankheit besonders schwer macht, die Furcht vor dem
Tode oder, was im Auge des Volkes etwa gleichbedeutend damit
ist, vor der Geisteskrankheit. So entsteht auf der bisher doch im
wesentlichen hypochondrischen Grundlage, auf dem Boden der
Zweifel, die jeder noch eher mit sich abmachen kann, der Todes-
gedanke; dieser aber flößt dem Aengstlichen solch Grauen ein,
daß er zu einer Entladung drängt, die in der Regel dort erfolgt,
wo er allein ist, außerhalb seiner vier Wände, die ihm eine ge-
wisse Sicherheit geben, und diese Entladung ist entweder eine
stete Unruhe oder auch oft die Platzangst, beides aber mit dem
Gefühl der Anlehnungsbedürftigkeit. Ich fasse den Begriff der,
Platzangst im weitesten Sinn als einfache Angst, über einen Platz
oder auch über Straßen zu gehen.
Ich sprach soeben davon, daß der Todesgedanke oder der
Gedanke an Geisteskrankheit bei Erschöpften im Moment auf-
schießt — wenn auch lange vorbereitet — und dadurch solche
Zustände auslöst, es fragt sich nur, wann und in welcher Situation.
Nun, dieser Gedanke stellt einen Affektshock, einen starken Schreck
vor, und Schreck lähmt, wie es schon in der alten Sage von der
vor Schreck in kalten Marmor verwandelten Niobe zutage tritt,
die plötzlich, aller Kinder beraubt, sich allein sah. Gerade das
Gefühl des Alleinseins zugleich mit dem Todesgedanken aber stellt
meines Erachtens eine besonders ungünstige Kombination vor.
Und wenn erst einmal solch Angstanfall, oft vielleicht durch
weitere ungünstige Umstände, wie Hitze, körperliche Indispositionen,
speziell Magendarmstörungen, Herzklopfen und ähnliches, mit--
befördert, aufgetreten und den Todesgedanken nahegebracht hat,
dann ist sein Erinnerungsbild plötzlich so fest im Gehirn aus-
geschliffen, daß es fortan nur kleinster Reize bedarf, um solche
"Zustände auszulösen, weil dies tiefausgeschliffene Erinnerungsbild
fortar besonders fein reagiert, und das ist um so eher möglich,
wenn er Psychastheniker oder sonst erschöpft ist, wo die Hirn-
tätigkeit schon normalerweise viel leichter auf alle Reize reagiert.
So genügt der Anblick des Platzes oder eines platzähnlichen
Wegs, das alte Erinnerungsbild des Ortes, wo der erste Angst-
anfall stattfand, heraufzubeschwören und alle die andern Begleit-
reminiszenzen, speziell den Todesgedanken und das Gefühl der
Anlehnungsbedürftigkeit, die Furcht, aufzufallen, und ähnliches,
und das Resultat ist immer wieder die lähmende Angst. So er-
klärt es sich, wenn die Schreckneurosen unfähig sind, den Ort zu
betreten, wo sie den Schreck erlebten, wie z.B. von meinen Fällen
ein Zollbeamter, der bei einer Knallkorkenexplosion- leicht verletzt
war, fortan vor dem Zimmer, wo er sie erlebt hatte, stets Angst-
zustände bekam und umkehren mußte, so erklärt es sich, wenn
speziell Bahnbeamte nach starkem Schreck im Berufe, z. B. Eisen-
bahnzusammenstößen, beim Anblick oder bloßen Hören eines Zugs
sofort Angstzustände bekommen und umkehren müssen, so erklärt
es sich, wenn rein ideogen solch Todesgedanke bei erschüttertem
Selbstvertrauen durch eine Zeitungsnotiz gesetzt, wonach jemand
auf der Straße einem Herzschlag erlegen ist, den Betreffenden
hindert, fortan die Straße zu betreten. Oft genügt schon das
bloße Verlassen der Wohnung allein, das Alleinsein im Freien,
um den Todesgedanken wieder zu wecken, speziell in der Dunkel-
heit, die dem Aengstlichen besonders alles Schreckliche vorzu-
zaubern geeignet ist, es ist ein Zwang, ein Streben nach Leben,
wenn er den Angstanfall bekommt, aber aus dem Todesgedanken
heraus. Je nachdem nun der Drang nach Leben oder der läh-
mende Todesgedanke im Vordergrund steht, ist oft schon der erste
Anfall anders und analog die folgenden. Hier sei hervorgehoben,
was Ziehen allgemein sagt: „Die Furcht löst ganz allgemein
trotz ihres negativen Gefühlstons die rasche motorische Entladung
der Flucht beziehungsweise der Abwehr aus. Die auftauchende
Vorstellung der Rettung (im allgemeinen Sinne) mit ihrem posi-
tiven Gefühlstone verdrängt im Augenblick alle andern Vor-
stellungen und überträgt dank dieser günstigen Konstellation
ihren positiven Gefühlston auf die Vorstellung der Fluchtbewegung
und verhilft letzterer trotz der sonst vorwiegend negativen Ge-
fühlstöne zum Siege.“ |
Dies letztere finde ich z. B. bei einem 35jährigen Choristen L.,
der, schwerer Psychopath, durch Alkohol- und Nikotinmißbrauch er-
schöpft, sich neben andern Nosophobien aus dem funktionellen Herz-
klopfen den Gedanken des Herzfehlers gebildet hatte. Eines Tags.
auf der Straße plötzlich hochsteigende Hitze, Angst, zugleich Gefühl:
„Es ist alle mit dir“; Todesangst, Anlehnungsbedürftigkeit, Gefühl, als.
ob er eiskalt sei, stürzte vorwärts mit dem einzigen Gedanken: „Fort,
nur fort zu Menschen“. Seitdem stets auf der Straße allein Todes-.
furcht und Angstzustände, gleichgültig, ob belebte oder unbelebte
Gegend, ob Tag oder Nacht.
Hier löst eben der Todesgedanke die motorische Gegen-
reaktion aus; in den folgenden Fällen, die ich gleichfalls nur aus-
zugsweise anführe, tritt nur das Negative, das Lähmende hervor:
So sind diese wie festgemauert, jener stürzt vorwärts.
Hierher gehört z. B. der 23jährige Kaufmann Gustav P., der wieder
die eingangs geschilderte Depression und psychasthenische Anlage zeigt,
der ein Grübler, ein übervorsichtiger, weicher Mensch war, der beruflich
alles zu genau nahm und so seit zwei bis drei Jahren Zeichen der Er-
müdung bot. Nachdem er die Warnsignale mehrerer kurzdauernder
Schwächeanfälle von scheinbar anämischem Charakter nicht beachtet hatte,
trat eines Abends bei großer Hitze auf der Straße das Gefühl des Herz-
A
Bet
2064 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
A
aussotzens auf und damit zugleich zum ersten Male der Gedanke an Herzschlag
oder Hirnschlag. Damit kam er nicht weiter, es tiberlief ihn kalt und
warm, er blieb wie angewurzelt stehen, hatte das Gefühl, als müsse er
einen Halt suchen, als stehe er allein und’ sei im Sterben. Erst als es
ihm gelang, sich von dem Gedanken künstlich frei zu machen, konnte er
umkehren und nach Hause zurückgehen. Ein Arzt stellte — wofür sich
später und jetzt nie der leiseste Anhalt ergab — einen Herzfehler fest
und seitdem wurde die Befürchtung volle Gewißheit. Fortan aber konnte
er — trotzdem er sich sagte, daß ein Herzfehler doch noch nicht so
schlimm sei — beim Betreten der Straße das Gefühl der Unsicherheit
nicht loswerden. Sobald er allein auf die Straße kam und speziell auf
Plätze, kam sofort die Erinnerung an den ersten Anfall und die Angst.
Dagegen konnte er in Begleitung anderer und an Häusern gut vorwärts
kommen, sonst mußte er kehrtmachen. Er kämpfte stets gegen die
Angst an, wurde ihrer aber nicht Herr und ging schon mit Furcht vor
der Angst von Hause fort. Erwähnt sei, daß der Zustand nach Mahl-
zeiten schlimmer war, daß durch Aufstoßen Erleichterung eintrat und
daß ich mehrfach bei ihm eine Ausdehnung des Magenschalls bis zur
fünften Rippe nach oben feststellen konnte, wodurch sich mechanisch
manche Beängstigungen erklären ließen. |
Hier bietet die Erschöpfung bei einem Psychastheniker die
Grundlage; ein Angstanfall, teils durch Anämie, teils wohl durch
Aufblähung des Magens und Druck gegen das Herz ausgelöst,
setzt ein und fortan reicht die Widerstandskraft nicht aus, Hem-
mungen einsetzen zu lassen, zumal der Todesgedanke noch durch
die Diagnose des Arztes gefestigt wurde. So besteht Platzangst.
Aehnlich ist es bei einem andern Kranken, dem 29jährigen W.,
der als Artist und Ringkämpfer sehr ausschweifend und unregelmäßig ge-
lebt, dazu sich körperlich stark überanstrengt hatte. Nachdem er zuerst
mehrere Jahre allgemein nervöse Erscheinungen, auch kardialer Art, Be-
klemmung usw. bemerkt hatte, trat die Furcht hinzu, das Beklemmungs-
gefühl könne auch auf der Bühne auftreten. Er wurde unsicher, hatte
Herzklopfen vor dem Auftreten. Dann kamen stärkere Nosophobien, die
so fest schließlich saßen, daß er, als ein Moskauer Arzt bei ihm einmal
einen Magenkatarrh feststellte, diesem nicht glaubte, vielmehr annabm,
er verheimliche ihm das meiste. An den Tod dachte er noch nicht. Im
März 1910 trat aber plötzlich auf dem Bayrischen Platz in Berlin ein
heftiger Angstanfall auf, mit Gefühl, durch Herzschlag sterben zu müssen.
Er versuchte angeblich, dagegen anzukämpfen, setzte sich; als er von der
Bank aufstand, kam sofort wieder die Furcht des Umfallens, des Todes,
er stand wie angewurzelt, kam nicht von der Stelle, er rief eine Droschke,
kam aber nicht allein hinein, erst als ihn jemand anfaßte, ging es. Seit-
dem kamen, sobald er sich aus dem Hause wagte, Angstanfälle, er kam
nicht vorwärts, hatte das Gefühl, als schlüge sein Herz nicht mehr und
mußte dann umkehren.
Bei diesem Kranken bestand noch nicht ein so völliges Sich-
gehenlassen wie im folgenden Falle. Diese Kranken gingen
wenigstens auf die Gefahr hin, solche Angstzustände zu bekommen,
weil sie die Angstzustände als solche schließlich doch als krank-
haft empfanden. Anders ist es dagegen im folgenden Falle.
Hier handelt es sich um einen harmlosen Imbecillen, Rudolf M.,
27 Jahre alt. Imbeecillität ist ja wenigstens häufig mit Aengstlichkeit
gepaart. So war er stets ängstlich, hatte Gewitterfurcht, leuchtete abends
unter sein Bett, war für sein eignes Wohlergehen stets sehr besorgt.
Von Geschäftskollegen wurde ihm die Militärzeit in den schwärzesten
Farben gemalt, er war verängstigt. In dieser Zeit kam ein Schwäche-
anfall, vielleicht nicht unbeeinflußt durch Zigarettenmißbrauch und seine
hochgradige Fettleibigkeit. Damals wurde eine Herzaffektion festgestellt
und seither war er schon in steter Angst, die von der überbesorgten
Mutter noch gefördert wurde, die ibn aus Fürsorge auf seinen Wunsch
meist ins Geschäft brachte und abholte. 1908 wurde er dann Zeuge, wie
sein Onkel, in dessen Geschäft er tätig war, an einem schweren Herz-
leiden zugrunde ging, bald darauf starb auch sein Vater an einem Herz-
jeiden und Arteriosklerose und seitdem hatte er den Gedanken, er dürfe
nicht allein auf die Straße, weil er sonst plötzlich umfalle, einen Herz-
schlag bekomme und sich dann niemand um ihn kümmere. So wartete er
solchen Anfall nicht erst ab, sondern ging keinen Schritt ohne die An-
gehörigen aus dem Hause. In der Heilstätte sah er das Krankhafte
völlig ein und war auch, als wir ihn daran gewöhnten, allein auszugehen,
wobei er natürlich solche Angstanfälle nun auch bekam, sich während
derselben der Notwendigkeit des Ankämpfens dagegen bewußt.
Daß auch im allgemeinen der Ort des ersten Anfalls wichtig
ist, zeigt die Patientin Berta V., 55 Jahre alt.
Auch sie ist eine ängstliche Psychopathin; sie bekam beim
Schwimmen 1908 — bei bestehender Herzbypertrophie — einen Schwäche-
anfall, schluckte viel Wasser, sodaß Wiederbelebungsversuche angestellt
werden mußten. Als sie ein Jahr später wieder zu schwimmen versuchte,
begann sie zu zittern, mußte sich an einem Pfahle festhalten und war
unfähig, vorwärts zu schwimmen, infolge furchtbarer Todesangst. Seither
noch dreimal versucht, stets der gleiche Erfolg. Sie leidet nicht an Platz-
angst, wohl aber stellten sich später Angstzustände ein, als sie die
Tochter verheiraten und nun allein bleiben sollte.
Eine ganz besondere Form der Straßenangst zeigen. meines
Erachtens Schutzleute, die lange Straßendienst versahen. Fast
22. Dezember.
durchweg findet sich bei diesen an Erschöpfung erkrankten Schutz-
leuten — deren wir viele. in der Heilstätte behandeln — neben
den sonstigen Erschöpfungssymptomen Zustände, wie sie der fol.
gende Fall zeigen mag. |
August F., 43 Jahre alt, Schutzmann. Seit zirka sechs Jahren
allmählich Zeichen der Erschöpfung, Verlust des Selbstvertrauens. Wenn
er in Uniform auf der Straße war, Gefühl, als müsse er umkehren, Dies
Gefühl nur in Uniform und aus der Erwägung heraus, es könne irgend.
etwas sein Einschreiten verlangen, wozu er sich unfähig fühlte, und er
könne irgendwie in seiner Eigenschaft als Schutzmann unangenehm auf-
fallen. Oft Gefühl, als müsse er umkehren, so stark, daß er nicht vor-
wärts konnte, umkehren mußte oder in ein Haus trat. Auch wenn nicht
im .Dienst, aber sobald in Uniform, nie in Zivil, denn dann habe er das
beruhigende Gefühl: Es weiß ja niemand, daß du Schutzmann bist, also
brauchst du eventuell auch nicht einzuschreiten. Er kämpfe gegen diese
Angst an, könne sie aber nicht überwinden.
Hier ist es das Gefühl der Unfähigkeit, oft gepaart mit der
Furcht, unangenehm aufzufallen und Aufsehen zu erregen. Dies
letztere Moment zeigt auch besonders deutlich auf dem Boden der
Erschöpfung die 52jährige Frau W. ;
Stets sehr ausgeprägtes Verantwortlichkeitsgefühl, fast übertrieben
rücksichtsvoll, leicht Nosophobien; hat sehr viel Schweres durchgemacht,
auch unter anderem sieben Partus, davon der letzte sehr schwer. Ischias-
anfälle, ewige Affektstrapazen, früh verbraucht. Allgemeiner Schwäche-
zustand. Seit Sommer 1911, sobald sie auf der Straße allein ist, Un-
sicherheit, Furcht, vor Schwäche nicht weiterzukommen und dadurch
aufzufallen. Besonders Angst, ein Fahrzeug, sei es ein Auto, sei es die
Elektrische zu besteigen, weil sie dabei zusammenknicken und dabei anf-
fallen könne. Jetzt schon Angst, sobald sie ein solches Fahrzeug sieht,
sofort Herzklopfen, alles vibriert innerlich. Was dies alles auslöst, ist
der Gedanke, beim eventuellen Besteigen ungeschickt und zu schwach zu
sein und — wenn die Straße auch leer — Gefühl, es könnte doch einer
zusehen. Hat dabei stets das Gefühl des Krankhaften, aber die Angat
ist da und nicht zu überwinden, wie sie selbst sagt.
In einem andern Falle handelt es sich um einen 41 jährigen Arzt G.,
schweren Psychopathen und früher starken Zigarettenraucher, der zuerst
1888 auf sonnenbeschienenen Plätzen ein unangenehmes Gefühl der
wellenförmigen Bewegung des Bodens, Aengstlichkeit, Zittern, Schwindel
verspürte und 1889 einen ebensolchen, sehr schweren agoraphobigchen
Zustand hatte, den er selbst als solchen dabei erkannte und in dem er
Schwindel und das Gefühl des Hintenüberfallens hatte. Seitdem umging
er Plätze, bis er 1896 einen ganz schweren Anfall wieder auf sonen
beschienenem Platze hatte und nach dem sich eine schwere Iridoeyeliis
einstellte. Anfälle erst wieder sehr stark seit zwei Jahren, wo der a
Agoraphobie gleichfalls leidende Vater starb: Jetzt aber auch auf Straben,
Korridoren und jetzt mehr Furcht, daß ihm andere die Furcht ansehen
könnten, dann Angst, dann Anfälle. |
Hier hat scheinbar der schon immer bestehende schwer
Astigmatismus beim ersten Anfall und vorher Blendungserschl-
nungen hervorgerufen, und auch der große Anfall 1896 zeigt auf
deutlichste als Vorläufer der Augenerkrankung diese Komponente;
und an diese schweren Anfälle knüpft jetzt die Phobophobie %,
seit Gemütserregungen, auch beruflicher Art, ihn erschöpften.
Vielleicht am klarsten tritt es im folgenden Falle herren
wie ein körperlich bedingter Angstanfall zunächst gar keine Folgen
hat, wie dann aber in einer Zeit gesteigerter Inanspruchnahme und
vermehrter Verantwortlichkeit bei schwierigen dienstlichen Ver
hältnissen die Erinnerung an jenen ein Jahrzehnt zurückliegenden
Anfall auftaucht und platzangstartige Zustände auslöst. So ist 6
auch hier ähnlich wie im eben geschilderten Falle G.:
G. S., Hauptmann, 36 Jahre alt. Ernst veranlagt. Mit 24 Jahr
gegen Fettleibigkeit Thyreoidinkur. Drei Wochen lang täglich vier Te-
bletten, nahm dann auf eigne Faust immer mehr, zum Schluß zwölf Te
bletten auf einmal. Am nächsten Morgen auf der Straße Gefühl, niht
allein weiter zu können, ließ einen Soldaten hinter sich gehen.
zwei Tagen der Rahe gut. Zehn Jahre später, bald nach der Beltrd-
rung zum Hauptmann, mit sehr schwierigen dienstlichen VORN
plötzlich einmal Gedanke an den früheren Angstanfall, zugleich Je
starker neuer Anfall. Schloß sich einem bekannten Herrn, der zul
vorbeikam, an. Seitdem stets unangenehmes Gefühl, sobald er — W?
beim ersten Male — zur Kaserne ging. Nur bei Tage Angstge Pr
sicherer in der Nähe von Häusern. Vor der Kompagnie zu Pferde .
fühl, als müsse er weit fortreiten, damit niemand seine Todesange) d
merke. In überfüllten Räumen Gefühl, als müsse ihm etwas passer
Während in allen diesen Fällen solche Zustände nur ®
treten, wenn die Widerstandsfähigkeit des Körpers herabge
ist, gibt es manche Fälle, die ich hier, um nicht zu ausfü
zu werden, nicht anführen will, wo auf endogenem Boden 2
mehr, bald weniger deutlich die Platzangst während des ze
Lebens besteht, mit Schwankungen periodischer Art, sodas 2
Sie eventuell als Ausfluß rezidivierender Depressionszustä
wenn auch oft nicht sehr ausgesprochener Art, zu denken hat, i
der Regel ist es in diesen Fällen derart, z. B. bei dem 49 jabrig
22. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2065
Kaufmann Berthold L., einem ängstlichen Psychopathen und Vaso-
motoriker, daß sie jeden größeren äußeren Anlaß, sei es ein Schreck,
sei es der Tod eines Angehörigen, alles Ereignisse, die das Selbst-
vertrauen erschüttern und den eignen Todesgedanken nahelegen,
dann mit einer gesteigerten Reaktion beantworten, die sich
bald mehr als körperliche Erschöpfung, bald mehr als gemütliche
Verstimmung äußert, die aber sich dann oft, was ja nach dem Ge-
sagten nicht wundernehmen kann, in der Form der Platzangst zeigt.
Auch die Hysterie spielt in der Genese der Platzangst wohl
eine Rolle. Schon die genannten Fälle zeigten manche Züge, die
als hysterisch imponieren mußten; deutlicher tritt das schon im
folgenden Falle hervor, wo ein beruflicher Ekel zusammen mit
Intoxikationen, die — speziell von Nikotin — wohl überhaupt
nicht unerheblich mitwirken, solche Zustände auslöst.
Bei dem jetzt 86jährigen Versicherungsbeamten Eugen H., der
wiederum übertrieben gründlich, weich, ängstlich usw. von jeher war, der
sehr viel Alkohol früher zu sich genommen und täglich 10—12 Zigarren
geraucht hat, haben sich allmählich Unruhe und allgemeine Angstzu-
stände ausgebildet. Als er sehr viel Aufregungen im Beruf hatte, traten
diese Angstzustände in Verbindung mit Schwitzen, Herzklopfen und
Durchfällen auf, sobald er beruflich von Hause ausgehen sollte. Er
konnte sich noch überwinden; dann aber sah er seinen Angstanfall vor
sich und hatte nun schon immer Angst vor Angst. Er konnte nicht
mehr allein auf die Straße beruflich, nur am Arme der Frau. Schließ-
lich konnte er auch nicht mehr allein spazieren gehen, was bis dahin
noch ging, ja, er kann nicht mehr allein die Treppe herunter, weil stets
sofort die Angst einsetzte. Auf der Straße kam dann das Gefühl, man
könne ihn in der Angst sehen, das beunruhigte; bei Ablenkung gehe
alles, daß die Angst nicht aufkomme. In die Bahn hinein komme er
allein nicht, drin bleiben könne er, wenn sie nicht zu langsam fahre.
Wohler fühle er sich, wenn „die Elemente toben“ und im freien Felde;
Häuser seien besonders schlimm, weil dann sofort der Gedanke an den
beruflichen Aerger beim Kundenbesuchen — er ist Versicherungsacquisi-
teur — einsetze und einen Angstanfall auslöse. Stets sei die Angst das
Primäre, die er immer als krankhaft empfinde, aber er könne nicht da-
gegen ankämpfen.
Der folgende Fall, den ich als letzten hier ausführlicher an-
führen will, birgt manches in sich, was im Sinne Freuds zu deuten
wäre. Hier entsteht die Platzangst als Ausfluß einer gemütlichen
Erschöpfung durch innere Krämpfe bei degenerativer Grundlage.
Er bietet manche hysterische Züge in der Art, wie Thomsen in
seiner letzten Arbeit es ausführt.
Max v. d. W., 49 Jahre, Kaufmann. Schon jahrelang krank, mit
den allerverschiedensten Diagnosen von Basedow bis Paralyse geschmückt.
In der Jugend ehrgeizig, Phantast, früh reif. Stubenhocker, Grübler,
schon als Gymnasiast viel an Kopfschmerzen gelitten. Bis in die Lehr-
zeit Bettnässer, bei eiliger Arbeit in der Schule Gefühl „wie jetzt beim
Samenerguß“. Sehr ängstlich, alles Mystische zog an. Fühlte sich den
Menschen gegenüber nicht gewachsen, stets Gefühl der Minderwertigkeit,
„so als ob jeder ibn belachte“. Suchte daher Befriedigung in sich. Sehr
religiöse Natur. Beruf ohne Neigung ergriffen. In der Jugend mit zehn
Jahren sexuelles Trauma.
Eigentlicher Beginn der Angstzustände in der Lehre — sehr über-
anstrengt — 1879, áls ein Mitschüler geisteskrank wurde und der eine
Mitlehrling Zwangszustände bekam. Schon immer Furcht vor Geistes-
krankheit, da sein Vater an paralytischer Verschwendungssucht gelitten
hatte. Als er nun jetzt Nachricht von der Geisteskrankheit des Mit-
schülers erhielt, sofort Angst, sah Fratzen. Fortan dauernd Angst,
konnte kein Messer ansehen, weil sofort Trieb, sich die Kehle zu durch-
schneiden. Ihn verfolgte fortan der Gedanke, geisteskrank zu sein, er
mußte auf der Straße rennen, aus Furcht, einen Tobsuchtsanfall zu be-
kommen und aufzufallen. Ging schon damals deshalb nur mit Ueber-
windung auf die Straße. Er hatte auch schon damals das Gefühl des
Doppelmenschen: seine Stimme, sein Körper schien ihm fremd, sein
Spiegelbild befremdete ihn. „Ich vereinigte zwei Personen in mir, und
die zweite Person störte mich.“ Dieser Zustand seither eigentlich dauernd,
zwischendurch Momente, „wo ich mich selbst finde, wo das zweite Ich
mit dem ersten zusammenfällt und dann erschrecke ich vor mir selbst.
Es ist ein Vorhang vor mir, dieser geht für Momente in die Höhe, dann
sehe ich mich, wie ich früher war. Der Vorhang fällt wieder, verdeckt
das eigentliche Ich.“ Damals Furcht vor dem zweiten Ich. „Das seelische
Ich fürchtete allgemein das körperliche.“ Angstzustände durch Alkohol
gemindert. So sehr viel getrunken — seit zirka sieben Jahren nicht
mehr. Eingeschaltet traumhafte Bewußtseinsveränderungen im Sinne des
Automatisme ambulatoire, wo er aus der Dysphorie heraus mehrtägige
Reisen machte, auch große Verpflichtungen pekuniärer Art einging, von
an er alles weiß, aber nur wie im Traum, bis ihm schließlich ganz
ar ist.
Seit gut einem Jahre sehr starke Platzangst: steht wie festge-
mauert auf dem Platze, muß warten, bis ihn Passanten herüberbringen.
Auf der Straße geht er auf weichem Boden sicherer wie auf hartem, am
Zaun sicherer, ebenso gibt ein Rinnstein, ein Strohhalm auf dem Wege
Sicherheit, während die flache Bodenfläche hindert, Angst hervorruft. Er
erklärte sich das als Gegensuggestion. Ein Rinnstein, ein Strohhalm usw.
sei an sich nicht in der Natur, es sei erst nachträglich in die Natur
hineingebracht, gehöre nicht in sie hinein. Aber gerade dies, was nicht
in die Natur hineingehöre, sei ihm Halt und gebe ihm Sicherheit. „An
dem, was in der Natur an sich nicht sein soll, halte ich mich fest. Es
ist der Strohhalm im wahrsten Sinne des Wortes, an den ich mich an-
klammere.‘“ Seit einigen Jahren auch Zwangsrufen und Zwangsbeten.
Während der Beobachtung in der Heilstätte zeigte sich, dab er
ein streng kirchlich denkender Mensch war, der stets das kirchliche
Dogma über alles gestellt hatte, und er gab schließlich an, daß er Zeit
seines Lebens seinen an sich ziemlich starken Geschlechtstrieb als wider
das Dogma bestehend aufgefaßt und künstlich unterdrückt habe. Trotz-
dem er den Geschlechtstrieb als unmoralisch, als wider Gottes Gebot,
also gegen die für die Natur gegebenen Gesetze aufgefaßt habe, sei dieser
immer wieder vorgedrungen, habe innere Kämpfe in ihm ausgelöst und
für sein ganzes Denken und Tun den Leitgedanken gegeben, er handle
egen Gottes Gebot, es sei für ihn alles, was gegen die Natur sei, Halt.
So sind, wie er jetzt zugab, während der langen Jahre seines Krankseins
allerhand religiöse Bizarrerien hervorgetreten, so besonders heftige
Angstzustände seit Jahrzehnten am Charfreitag mit dem Gedanken, er
müsse um 3 Uhr — das sei die Todesstunde Christi — sterben usw.
Aus diesem eigentümlichen Leitgedanken, daß alles, was in der Natur an
sich nicht sei, nicht hineingehöre, ihm Halt bieten müsse, erklärt sich
die eigenartige Form der Platzangst bei ihm, die eben an allem, was
durch Menschen sekundär hineingebracht ist, also primär noch
nicht da sei, den Halt zum F'ortkommen finde. Und so suchte er zuerst
bei den mit ihm vorgenommenen systematischen Uebungen, allein zu
gehen, stets ausgefahrene Wege, Wege mit Zäunen, Straßen mit Rinn-
steinen, später konnte er diese sogenannten Hilfsmittel entbehren.
Wir haben hier eine primäre Störung des Seelenlebens infolge
erblich degenerativer Veranlagung und ein dieser nicht angepaßtes
moralisches und religiöses Empfinden. Und aus dieser Disharmonie
resultiert eine Folie du doute, es resultieren schwere Nosophobien,
speziell der Irrsinnsgedanke, es resultieren daraus allerlei Begleit-
symbole und zwangsartige Zustände, alle hervorgehend aus dem
einen Gedanken: „Du handelst gegen die Natur“, als ein Ausfluß
des innerlichen Zwiespalts: „Wem sollst du mehr glauben, dem
kirchlichen Dogma, dem anerzogenen oder der Natur?“ Es ist
ein Kampf des menschlichen Triebes mit dem, was man. Sitte
nennt. Eines der Austflüsse dieses Kampfes ist hier die Platzangst.
3 (Schluß folgt.)
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus dem ev. Krankenhause Gelsenkirchen.
Ueber Lumbalanästhesie')
von
Dr. Christoph Schütte, Chefarzt.
Wenn ich es wage, dieses Thema, welches von den meisten
Operateuren als zu seinen Ungunsten erledigt angesehen wird,
hier anzuschneiden, so tue ich es in der Ueberzeugung, daß die
Jetzt vielfach herrschende Auffassung über Lumbalanästhesie der
wehren Unterlage entbehrt, daß die pessimistischen Anschauungen
unbegründet sind und daß die Lumbalanästhesie eine Narkosen-
a. darstellt, durch welche viele Menschenleben gerettet wer-
nnen.
') Vortrag, gehalten auf der 84. Versammlung Deutscher Natur-
forscher und Aerzte in Münster 1912. a
Wenn wir die Inhalationsnarkose kurz an unsern Augen
vorbeipassieren lassen, so können wir es uns nicht verhehlen, daß
auch dieser Methode mehr oder weniger große Mängel anhaften.
Ich zweifle nicht, daß der größte Teil von uns mit der jeweilig
angewandten Inhalationsnarkose insofern zufrieden sein kann, als
direkte Todesfälle nicht oder doch nur ganz vereinzelt vorge-
kommen sind. Wie aber steht es mit den indirekten, mit den
mit durch die Narkose bedingten Todesfällen? — Dieses sta-
tistisch festzustellen, dürfte auf Grund der Verschiedenartigkeit
der subjektiven Auffassung des jeweiligen Operateurs nicht mög-
lich sein; sicher scheint mir nur zu sein, daß die Narkosen-
statistiken wesentlich ungünstiger lauten würden, wollte man diese
Punkte mitberücksichtigen. Denken Sie an die postoperativen
Pneumonien sowie an die Fälle, in denen die Kranken wegen der
Narkose als inoperabel abgewiesen oder aber auf Grund des
starken Schwächezustandes und des manchmal tagelang anhalten-
den Eirbrechens die Operation nicht mehr ertragen. ‚Würden diese
-später die Venenanästhesie,
2066 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
. 22, Dezember.
nn m ln m aaa
Kranken auch zugrunde gehen, wenn man die Operation ausführte,
ohne daß man den durch die Operation gesetzten Shock noch
durch das schädliche Agens des Narkoticums vermehrte, würden
sie zugrunde gehen, wenn man während und gleich nach der Ope-
ration Kräftigungsmittel zuführte und das durch ein Narkoticum
bedingte, manchmal tagelang anhaltende Erbrechen ausschaltete?
Würden so häufig Pneumonien auftreten, wenn man den direkten
Reiz des Chloroforms oder Aethers auf die Bronchialschleimhäute
und die Möglichkeit: der Aspiration von Mund- und Rachensekret
durch Erhaltung des Bewußtseins ausschaltete? — Würden die
Kollapse an Zahl nicht herabgesetzt, wenn man das direkte Herz-
gift vermiede? — Ich bin überzeugt, daß bei Berücksichtigung
all dieser Fragen eine allzu optimistische Beurteilung der
Inhalationsnarkosen nicht am Platze ist. Hierin ist der Grund
zu finden, weswegen so viele Autoren nach ungefährlicheren Me-
-thoden suchten, weswegen Bier die Lumbalanästhesie schuf und
weswegen Schleich, Oberst,
Braun und Andere die Lokalanästhesie ausarbeiteten. Ueber die
Lumbalanästhesie gibt es viele Publikationen mit außerordentlich
ungünstigen Resultaten — bis zu 2°, Mortalität nebst einer Reihe
‘anderer schwerer Begleiterscheinungen.
Erwähnt sei insbesondere die von König und Hohmeier auf
dem Chirurgenkongreß 1910 publizierte Sammelforschung, in welcher über
2400 in 41 verschiedenen Krankenanstalten ausgeführte Lumbalanästhesien
berichtet wird. Es ergab sich eine Mortalität von !/a°/., gleichzeitig
wurden viele schwere Komplikationen beobachtet.
Diesen Publikationen mit ungünstigen Resultaten gegenüber
finden wir aber auch eine ganze Reihe mit günstigen Resultaten,
in denen nur auf ein oder mehrere Tausend ein Todesfall kommt
und schwere Komplikationen viel seltener geworden sind.
Ich erinnere hier unter anderm an die Namen Zweifel, Müller
(Rostock), Krönig, Sellheim usw.
Wie erklären sich diese Gegensätze? — Hervorgehoben wer-
den muß, daß im großen und ganzen schlechte Resultate veröffent-
licht wurden von Aerzten, welche nur wenige Lumbalanästhesien
ausgeführt hatten, während die besseren Resultate von solchen
stammen, die viele ausgeführt hatten. Diese Tatsache ergibt sich
ja ganz von selbst; es ist selbstverständlich, daß jemand eine
Methode, die ihm schlechte Resultate bringt, bald verläßt. Hier-
aus ergibt sich indessen logischerweise von selbst, daß die Erfah-
rung der Anhänger, welche über eine große Zahl von Fällen ver-
fügen, eine größere und die Technik eine mehr ausgearbeitete, eine
einheitlichere und somit eine bessere wird wie auf der Gegenseite.
Will man eine Methode richtig beurteilen, so ist die erste Vor-
aussetzung, daß die Ausführung eine peinlichst genaue, eine den
Vorschriften bis ins einzelne angepaßte, eine einheitliche ist; und
hierin ist der wunde Punkt in der Sammelstatistik von König zu
finden — nicht weniger als 41 verschiedene Operateure, von denen
jeder im Durchschnitt nur über die verhältnismäßig winzig kleine
Anzahl von 59 Fällen verfügt! — wie verschiedenartig mag hier
die Ausführung gewesen sein sowohl bezüglich des Präparats, wie
bezüglich der Höhe der Injektion, wie insbesondere bezüglich der
Kleinarbeit der Technik!
Die Technik ist im Grunde genommen ja nicht schwierig;
indessen sind dabei eine Reihe kleinster Kleinigkeiten zu beob-
achten, will man dauernd gute Resultate erzielen und Nacken-
schlägen sich möglichst wenig aussetzen. Bleibt eine Kleinigkeit
unberücksichtigt, so hat man leicht Versager oder eine unge-
nügende Anästhesie. Dieses kann man immer wieder konstatieren
bei neuen Assistenten, die gute Lumbalanästhesien mit Sicher-
heit ausführen erst nach längerer Zeit lernen. Wir führen seit
1906 die Lumbalanästhesie mit Tropacocain genau nach den Vor-
schriften Biers aus, nachdem uns dieselbe an Ort und Stelle
mehrere Male bis ins kleinste vorgeführt war. Eine vorzügliche
Beschreibung, besonders der Kleinarbeit, findet sich in allerdings sonst
modifizierter Form von Sellheim in dieser Wochenschrift!), deren
Studium sehr warm zu empfehlen ist. Ich will auf alle Einzel-
heiten nicht näher eingehen; sondern nur einige wichtige Punkte
hervorheben. Sehr wichtig ist, daß der Lumbalsack genau in der
Medianlinie angestochen wird, um Blutungen und Nebenverletzungen
möglichst zu vermeiden und den Abfluß der Flüssigkeit möglichst
glatt zu gestalten — dieses mit Sicherheit in allen Fällen aus-
zuführen, ist außerordentlich schwierig. Die Quantität der zu in-
jizierenden Flüssigkeit ist sorgfältig zn prüfen. Wir injizieren
1 bis 1,1 g, bei Laparotomien 1,1 bis 1,2 g, während die uns ge-
lieferten Ampullen in zirka 10°), der Fälle weniger als 1 g ent-
1) Med. Kl. 1910.
'alsdann fast immer geringe Dosen, sodaß man bei kürz
halten, in manchen Fällen aber mehr als wir injizieren. Nach der
Injektion mäßige Beckenhochlagerung um zirka 300 mit stark naoh
vorn gebeugtem Kopfe. Vor und während der Operation muß das
Gesicht sorgfältig verdeckt worden, sodaß die Kranken nichts von allẹ-
dem, was vorgeht, sehen. Wir erreichen dieses in sehr schöner Weise
durch ein am Operationstisch angebrachtes, verstellbares, eiserneg@-
stell, über welches das Operationstuch ausgebreitet wird. DieKranken
müssen möglichst darüber hinweggetäuscht werden, daß die Ope
ration bereits begonnen hat, sie müssen je nach der individuelle
Veranlagung in Ruhe gelassen oder unterhalten werden, Angst-
lichen Personen muß in Güte oder energisch zugeredet werde.
Bei hochgradig nervösen und sehr ängstlichen Personen wird besser
eine Inhalationsnarkose vorgenommen. Zur Beruhigung wird vor-
her 0,01 Morphium verabfolgt mit Ausnahme von alten, deerepida
Leuten, bei denen ein Narkoticum nicht verabfolgt wird. Kranke,
die viel an Kopfschmerzen leiden, werden möglichst von der Lun-
balanästhesie ausgeschlossen. Während und gleich nach der Ope
ration werden stark heruntergekommenen Leuten Kräftigungsmittel
in Gestalt von Kognak und starkem Kaffee verabfolgt.
Ich möchte nun einige Mitteilungen aus meiner Statistik
geben. |
Von 1906 bis jetzt wurden ausgeführt 1394 Lumbalanästhesie
(bei Niederschrift dieser Arbeit über 1400), und zwar:
Laparotomien an den weiblichen Genitalien (darunter
12 Kaiserschnitte) . . © 2 2 2 202 0...
Appendektomien . » e 2 2 2 2 2 nn nn. A
Darmoperstionen . . 2 2 2 2 2 2 nr B
Magenoperationen . © . s. s s e s ess.. Íb
Gallenblasenexstirpationon und Choledochotomie . . 18
Rectumresektionen . . . . 2 2 200er... Ê
Operationen großer Bauchbrüche. . . . .... 2%
Vaginale Coeliotomien und Totalexstirpationen. . . 108
Radikaloperationen von einfachen und 'incarcerierten
Hernin . . . Ra u TAO
Summe aller Bauchhöhlenoperationen. . . 868
Operationen nach Alexander Adams, teils unter
gleichzeitigen Prolapsoperationen oder Discisionen 139
. Andere Operationen (zirka 25 Currettements, fast nur
zu Anfang), Kolporhapbien, Blasen- und Blasen-
Scheidenfisteloperationen, Kastrationen, Ober- und
Unterschenkelamputationen, Hüftgelenksexarticula-
tionen, Resektionen der großen Gelenke, Krampf-
aderexstirpationen, Osteotomien und Sequestro-
tomien und andere mehr Be a RN
Summe aller Lumbalanästhesien. . . 13%
Zu diesen Operationen zählen insbesondere zwei Oberschenkel
amputationen wegen diabetischer Gangrän, zwei Hüftgelenksexartikulatione
bei stark kachektischen, ganz alten Leuten, 24 Laparotomien wegen Per:
rationsperitonitis, mehrere Magenresektionen und Darmresektionen bel
heruntergekommenen, teils an Ileus erkrankten Personen, sowie Lapar
tomien wegen Darmrupturen auf Grund Einwirkung stumpfer ewalt 1m
mäßigem Chock, in welchem eine Narkose den Exitus bedeutet. htta
viele Laparotomien bei stark ausgeblateten (Myom, Carcinom) sowie hoch-
gradig anämischen Frauen, unter anderm zwei Wertheimoperationen be
einem Hämoglobingehalt von 25 und eine probatorische Laparotomie
einem solchen von unter 20, eine große Anzahl schwerster Operationen
bei ganz alten Leuten zwischen 70 und 80 und noch höheren Jahren,
z. B. vaginale und abdominelle Totalexstirpationen wegen maligner Ir
moren sowie Operationen großer incarcerierter Hernien und Bauchherai
bei diesen alten Leuten. l
Bei den großen und langdauernden Operationen multe I
vielen Fällen Chloroform verabfolgt werden, indessen iym
eren Ope
rationen von zirka einstündiger Dauer fast immer mit 2 Bu p
10 g, bei Operationen von mehrstündiger Dauer mit 10 bis 4%.
höchstens 25 bis 30 g auskam, also mit einer so winzig kleinen
Menge, die kaum mitzurechnen ist. Versager kommen kaum
noch vor. . | > i
Wir haben einen Exitus zu verzeichnen an Atemlähmung )
Es handelte sich um eine 64jährige Kranke, die wegen a
Cholelithiasis mehrere Jahre hindurch dauernd zu Bett gelegen IT.
letzten Jahre täglich die Maximaldose Morphium subcutan pestom
hatte, bei der die Operation wegen des schlechten Kräftezustandst er
anderen Chirurgen bereits zweimal abgelehnt war. Mit Rücksich sg
den hohen Sitz der Krankheit sowie die Schwere des Falles an
ich mich nach ausführlicher Rücksprache mit dem Hausarzte, na s
der Mann auf die Möglichkeit eines eventuell eintretenden Bit ie
bereitet war, eine größere Dose (1,4 g) zu injizieren; der Tod 0r?
zirka 5 Minuten nach der Injektion an Atemlähmung.
t) Mon, f. Geb. u. Gyn. 1912.
92. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2067
Dieser Fall spricht nicht gegen die Lumbalanästhesie, er
beweist nur, daß man nicht zu große Dosen geben darf. Außerdem
beobachteten wir in zwei Fällen einen Kollaps. In beiden Fällen
handelte es sich um alte decrepide, 65 respektive 70jährige Frauen
mit Gallensteincarcinom respektive incarcerierter Hernie. In beiden
Fällen hatten wir 0,01 Morphium subcutan gegeben und die
Kollapse traten ein unter den Erscheinungen einer Morphium-
intoxikation. Seit jener Zeit haben wir bei alten Leuten Morphium
nicht mehr verabfolgt und Kollapse nicht mehr beobachtet. Ein
Zusammenhang der Kollapse mit der Morphiuminjektion unter
gleichzeitiger Injektion der Tropacocainlösung in den Duralsack
erscheint uns nicht ausgeschlossen. Und so drängt sich uns bei
dem Studium anderweitig beschriebener Todesfälle (z. B. aus der
Tübinger Klinik) die Frage auf, würde der Exitus. auch eingetreten
sein, wenn nicht vorher ein Narkoticum — meist in Gestalt von
Scopolamin-Morphium — verabfolgt wäre? Ich will an dieser
Stelle nochmals!) hervorheben, daß ich auf Grund einer Scopo-
morphininjektion ganz sicher einen Exitus gehabt habe, während
ein zweiter wahrscheinlich dadurch bedingt war. Unter weiteren
Komplikationen sind insbesondere drei Fälle von Oculomotorius-
und zwei Fälle von Peroneuslähmungen zu erwähnen, die alle nach
zwei bis vier Wochen zurückgingen. Des weiteren beobachteten
wir einen Fall von schwerer Ischias, die zirka 14 Tage nach der
Operation auftrat, deren Zusammenhang mit. der Injektion möglich, |
P a A s Citron (3), Massini (4),
aber zweifelhaft erscheint. Pneumonien kommen zwar auch vor,
indessen doch viel weniger häufig als nach Inhalationsnarkosen.
Kopfschmerzen leichten Grades traten in 7 bis 8, schwereren
Grades in 1 bis 2 °?/ọ der Fälle auf.
Wir machen in allen Fällen von etwas stärkeren Kopf-
schmerzen prinzipiell eine Repunktion und lassen 10 bis 20 g
Flüssigkeit ab, und zwar mit meist gutem Erfolge. Die Kompli-
kationen haben von Jahr zu Jahr abgenommen. Beim Aufzählen
der Komplikationen verdient hervorgehoben zu werden, daß eine
ganze Reihe der Lumbalanästhesie in die Schuhe geschoben wird,
ohne daß dieselbe Schuld daran trägt, so erinnere ich insbesondere
an die Kopfschmerzen, die wir ab und zu doch auch nach andern
Narkosen sehen, sowie an manche Lähmungen hysterischer Natur.
Ein solcher Fall wird von Klein?) beschrieben, und einen ganz
ähnlichen habe ich erlebt:
An einem arbeitsreichen Morgen operierte ich eine bekannte junge
Dame an Appendicitis. Am Tage nach der Operation trat eine voll-
ständige Lähmung beider unteren Extremitäten auf, die natürlich eine
Folge der Lumbalanästhesie war. Nach mehreren sorgenschweren Tagen
machte mich mein Assistent darauf aufmerksam; daß die Operation nicht
unter Lumbalanästhesie, sondern unter Chloroformnarkose ausgeführt war.
Die großen Vorteile, die die Lumbalanästhesie gegenüber
den Inhalationsnarkosen besitzt, treten gleich und in den ersten
Tagen nach der Operation in den Vordergrund, sodaß sie einem
jeden auffallen müssen. Mein Personal — ich habe kürzlich neue,
mit der Lumbalanästhesie vorher nicht vertraute Schwestern be-
kommen — bestätigt mir immer wieder, daß die Pflege nicht halb
soviel Arbeit macht wie bei den unter Inhalationsnarkose Ope-
rierten. Während die letzteren sich nach der Operation schlecht
fühlen, längere Zeit nichts zu sich nehmen dürfen, vom Durst
gequält werden und manchmal tagelang brechen müssen, fühlen
sich die unter Lumbalanästhesie Operierten fast ausnahmslos gut,
sie können schon während und gleich nach der Operation kräftigende
Mittel zu sich nehmen und haben wesentlich geringere Schmerzen.
Auch setzt bei Laparotomierten die Peristaltik im allgemeinen
früher ein. Hieraus sowie aus den anfangs erwähnten Gründen
ergibt sich, daß die postoperative Mortalität wesentlich herabgesetzt
wird. Und wenn ich unter diesem Gesichtspunkte die vielen
schweren Fälle, die wir unter Lumbalanästhesie operieren konnten,
überfliege, so glaube ich nicht zu übertreiben, wenn ich sage,
daß eine Reihe früher Inoperabeler unter Lumbalanästhesie noch
mit bestem Erfolg operiert werden konnte, und daß die post-
operative Mortalität um mindestens 1 bis 2 fọ, wenn nicht noch
wesentlich mehr eingeschränkt ist. Wenn nun diese großen Vor-
teile der Lumbalanästhesie den Platz neben, wenn nicht über den
Inhalationsnarkosen sichern, so ist die Zahl der Komplikationen
immerhin noch eine so große, daß man eine Verbesserung dieser
Methode anstreben oder nach andern, besseren Methoden suchen
muß. Diese bieten sich in den verschiedenen Lokalanästhesierungs-
methoden. Und so sind wir denn in letzter Zeit trotz unserer
nach meinem Ermessen durchaus befriedigenden Resultate von der
1) Mon. f. Geb. u. Gyn. 1912.
3) Zbl. f. Gyn. 1911.
Lumbalanästhesie, die wir ja nur bei großen Operationen an-
gewendet haben, nach Möglichkeit zurückgegangen, aber nicht zu-
gunsten der Inhalationsnarkose, sondern zugunsten der Lokal-
anästhesie, die noch empfehlenswerter ist, deren Anwendungsgebiet
indessen insbesondere in der Gynäkologie ein sehr beschränktes
ist und voraussichtlich bleiben wird. |
Aus der I. Medizin. Klinik der Kölner Akademie für prakt. Medizin.
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Hochhaus.)
Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der
Wassermannschen Reaktion bei internen Er-
krankungen
von
Dr. H. Dreesen, Assistenzarzt.
Schon bald nach Einführung der Wassermannschen Re-
aktion in die Praxis ist von verschiedenen Seiten untersucht
worden, wie häufig dieselbe bei internen Erkrankungen, deren Zu-
sammenhang mit Lues bis dahin strittig oder zweifelhaft war, in
positivem Sinne ausfällt. |
Durch derartige Untersuchungen (Boas (1), Bauer (2),
Nonne (ö), Scheidemandel (6),
Jacobaeus (18), Sonntag (19) und Andere) ist festgestellt worden,
daß der Kreis derartiger, mit der Lues ätiologisch zusammen-
hängenden Affektionen doch erheblich größer ist, als man früher
angenommen hatte. Auch schien aus diesen Arbeiten hervor-
zugehen, daß die Resultate regionär etwas differieren, daß es
Gegenden gibt, in denen sich dieser Zusammenhang relativ häufig
findet, und andere, wo er seltener ist. (Boas [1], Massini [4],
Scheidemandel [6]). |
Es scheint deshalb nicht unangebracht, kurz über die Re-
sultate zu berichten, die wir bei zahlreichen Untersuchungen ge-
funden, sie mit andern zu vergleichen und so die Bedeutung der
Serumreaktion für die Diagnose und auch Therapie hervorzuheben.
Die Reaktion wurde ausgeführt streng nach der Original-
Wassermannschen Vorschrift, nachdem wir uns in die Technik
usw., im Laboratorium Wassermanns eingearbeitet hatten. Etwa
21/5 Tausend Seren wurden untersucht. Meinen nachfolgenden Aus-
führungen sind etwa 700 Krankheitsfälle zugrunde gelegt, die
wir längere Zeit zu beobachten und zum Teil autoptisch zu kon-
trollieren Gelegenheit hatten; die Reaktion wurde bei vielen Fällen
mehrere Male gemacht. Fragliche oder bei mehrmaliger Anstellung
verschieden ausgefallene Resultate sind in der folgenden Zusammen-
setzung unberücksichtigt geblieben, nur ganz eindeutig positive
oder negative sind herangezogen worden. Wo der Obduktions-
befund von Wichtigkeit zu sein schien, wurde er eingehend be-
rücksichtigt.
Zuerst seien nur kurz erwähnt 160 Fälle von Lues in ver-
schiedenen Stadien, die durch ihre charakteristischen Erscheinungen
diagnostisch weiter keine Schwierigkeiten boten. Die Fälle kamen
meist zu uns wegen Halsbeschwerden, Kopfschmerzen, Neuralgien
usw., oder es wurde bei inneren Erkrankungen die Diagnose Lues
außerdem, unabhängig davon, gestellt. Die Wassermannsche
Reaktion war positiv, nur bei der tertiären Form war sie in sechs
Fällen von 65 negativ.
Von den Erkrankungen des Nervensystems kamen zur Unter-
suchung:
Tabelle I.
| positiv | negativ zusammen
Progressive Paralyse . 15 2 17
Tabes dorsalis . TE eh 39 14 53
Lues cerebrospinalis . . - . 9 — 9
Multiple Sklerose . 3 10 13
Apoplexie Bea SE Ya 15 35 50
Epilepsie. . . 2. 2 2.02. 1 7 8
Hysterie . . . 2 22 a’ 1 12 13
Neurasthenie . . . . 3 80 33
Neuritis alcoholica . . . . 3 20 23
Bei der progressiven Paralyse war die Reaktion fast stets
positiv; daß sie einige Malo negativ ausfiel, stimmt überein mit
den Beobachtungen anderer (Nonne [5], Eiċhelberg [7]).
Die 14 negativ reagierenden Tabiker ergaben auch weder in
der Anamnese eine specifische Infektion, noch klinisch Symptome
2068 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22, Dezember,
für Lues. Es stimmt diese Zahl damit überein, daß man im all-
gemeinen bei etwa 70 0j} der klinisch sicheren Tabesfälle Lues als
Urheberin nachweisen kann. Die geringe Zahl positiver Reaktionen
bei multipler Sklerose findet ihren Grund wohl in der Tatsache,
daß sie selten auf Lues beruht. Ein Kranker mit multipler Skle-
rose reagierte negativ, obwohl Lues in der Anamnese sicher ge-
stellt war, drei reagierten positiv ohne sonstige Zeichen für Lues,
Eine gleiche Anzahl positiver Reaktionen ohne Lues bei der-
selben Krankheit erwähnt Nonne (5).
Bei sechs Apoplexien, die zur Autopsie kamen, wurde der
Ausfall der Reaktion jedesmal bestätigt (ein positiver, fünf nega-
tive); andere sechs reagierten positiv ohne klinisch oder anam-
nestisch Anhaltspunkte für Lues zu bieten; dreimal war die Serum-
reaktion negativ, obwohl klinisch Lues diagnostiziert war. Daß
bei relativ jugendlichen Hemiplegikern in weitaus den meisten
Fällen Lues zugrunde liegt, bestätigte die Serumkontrolle in
evidenter Weise; *, der positiv reagierenden waren nicht über
53 Jahre alt. Der positive Wassermann war in allen bisher ätio-
logisch unklaren Fällen natürlich für die einzuschlagende Therapie
maßgebend.
Epilepsie, Hysterie und Neurasthenie zeigten selten einen
positiven Wassermann. Daraus geht hervor, daß diese Erkran-
kungen mit Lues ätiologisch wohl kaum in Zusammenhang stehen,
wenigstens soweit unsere Erfahrungen reichen. Daß bei Neur-
asthenikern aus den gebildeten Kreisen sich häufiger eine positive
Reaktion findet als bei unserm Krankenmateriale, das zum aller-
größten Teil der arbeitenden Bevölkerung angehört, ist wohl an-
zunehmen; aber auch dort wird die Lues selbst weniger die Ur-
sache sein als die psychische Alteration, die sich an eine Infektion
häufig anschließt.
Die Resultate bei den Erkrankungen des Circulationsapparats
waren folgende:
Tabelle Il.
| positiv | negativ zusammen
Myocarditis chron. . . . . 10 45 55
Herzklappenfehler . . . . 14 25 39
Aortenaneurysma . . . . . 13 14 27
- Arteriensklerose . . . » .» 7 33 40
Seit den Arbeiten von Doehle (8), Malmsten (9), Heller (10)
und seinen Schülern wissen wir, daß die Lues für die Pathologie
des Circulationsapparats eine viel größere ursächliche Bedeutung
hat, als man früher annahm, An erster Stelle steht hier das
Aortenaneurysma; der Grundsatz Boas (1), jedes Aneurysma der
Aorta beruhe auf Lues, wird noch nicht von allen anerkannt.
Goldscheider (11) beschuldigt sie für die Mehrzahl, Leder-
mann (12) für etwas mehr als die Hälfte der Fälle (20 von 36),
desgleichen Massini (4). Auch an unserer Klinik fiel der Wasser-
mann 13 mal von 27 positiv aus, zwei davon boten sonst keine
Luessymptome. Man darf aber umgekehrt bei einem negativen
Wassermann Lues respektive ein Aneurysma auf luetischer Basis
nieht obne weiteres ausschließen. Bei einem 59jährigen Manne
schwankte die Diagnose zwischen Mediastinaltumor und tief-
sitzendem Aortenaneurysma. Der Wassermann war negativ und
doch ergab die Autopsie ein großes Aneurysma in der absteigenden
Aorta luetischen Ursprungs. Daraus geht hervor, daß die Zahl
der Aortenaneurysmen luetischen Ursprungs größer ist, als der
Ausfall der Serumreaktion anzeigt. Durch die Serumreaktion ist
man jetzt in der Lage, die luetische Aetiologie auch anderer Er-
krankungen des Circulationsapparates sicherzustellen, oder vor-
sichtiger ausgedrückt, man gewinnt mit dem positiven Ausfall der
Reaktion ein Moment mehr zur Sicherung der Aetiologie; nament-
lich die Aorteninsuffizienz kommt hier in Frage. Für den Kranken
selbst kann es von großer Wichtigkeit sein, wenn die Lues als
Ursache seines Herzleidens möglichst frühzeitig erkannt wird,
was, wie Goldscheider (11) sagt, heute noch viel zu selten und
häufig zu spät geschieht. Wenn in unserer Zusammenstellung
14 Fälle von Herzklappenfehler, meist Aorteninsuffzienz, und zehn
von chronischer Myokarditis positiv reagierten, und dazu noch je
neunmal, ohne daß sich klinisch sonst Zeichen einer früheren
]Juetischen Infektion zeigten, so kann man der Reaktion ihre Be-
deutung und ihren Wert nicht absprechen.
Bei der Arteriosklerose liegen die Verhältnisse ähnlich. Die
Differentialdiagnose zwischen Arteriitis syphilitica und der reinen
Arteriosklerose im höheren Alter ist meistens sehr schwer. In-
wieweit überstandene Lues das frühzeitige Auftreten der Arterio-
sklerose begünstigt, ist bei den zahlreichen hier inFrage kommenden
ursächlichen Faktoren schwer zu entscheiden. Wahrscheinlich is | |
wohl die Lues nur ein Glied in der langen Reihe der die De
generation des Gefäßsystems herbeiführenden Ursachen.
Es folgen von sonstigen Erkrankungen:
Tabelle II.
positiv | negativ | zusammen
: |
Nephritis chron, . . ... 16 38 | b
Cirrhosis hepatis . . . .. 8 20 28
Icterus catarrhalis . . . . 1 5 6
Bleiintoxikation . . . .. 2 5 1
Diabetes mellitus . ne — 1 11
Arthritis chronica. . . . . 10 46 d6
Die akuten luetischen Nephritiden sind von Karvonen (1$
und Wagner (17) zusammengestellt worden; die Zahl der air
wandfreien Fälle ist gering; wir haben solche nicht: beobachtet
Ueber die chronischen Formen weiß man noch weniger, sowohl
klinisch wie pathologisch-anatomisch. Auch wir möchten nidt
entscheiden, ob unsere positiven Reaktionen durch specifisch-syphi-
litische Veränderungen der Nieren bedingt waren oder als Zeichn
einer früher akquirierten Lues zu deuten sind und die Nephriis $
als Krankheit sui generis sich entwickelte. Aber auffallend it,
daß bei 11 von den 16 positiv reagierenden sich sonst Lues wedt
anamnestisch noch klinisch eruieren ließ. Daher ist der Verdacht
wohl gerechtfertigt, daß dieNephritis mit der Lues in ursächlichen Zt
sammenhange stand. Wo die Infektion noch nicht allzulange 3
rücklag, haben wir versucht, durch subcutane Sublimatinjektionn
(nach Buschke) die Iuetische Aetiologie der Nephritis sichert
stellen, aber ohne eindeutige Resultate. Von den 54 untersuchte
Nephritiden kamen vier zur Obduktion, zwei negative und mi
positive; der Ausfall der Reaktion wurde bestätigt. Die lotzterm
boten allerdings auch zu Lebzeiten sonstige Zeichen für Lus.
Von den Erkrankungen der Leber interessiert am meist
die Cirrhose. Von acht positiv reagierenden waren fünf wel
lichen Geschlechts; drei Männer und zwei Frauen reagierten post
ohne anamnestisch oder klinisch Luessymptome zu bieten; sie kama
alle zur Sektion und nur bei einem Manne fand sich Lues. Di
übrigen vier boten also weder in vivo Anhaltspunkte für Lus,
noch ergab die Autopsie luetische Veränderungen und doch w
die Wassermannsche Reaktion positiv. Bei zweien wurde di
Blut einige Tage vor dem Tode entnommen, jedoch bei reati
gutem Allgemeinzustand (der Tod erfolgte. beide Male sehr rsd
infolge profuser Darmblutungen). Eine sogenannte Kachexiereaktin
ist also auszuschließen. 20 Lebereirrhosen reagierten negativ ohie
Zeichen von Lues (drei davon durch die Autopsie bestätigt)
darunter 18 Männer. Daß der klinische und pathologische Befund
viermal dem Ausfall der Serumreaktion widersprach, läßt dar
denken, ob es sich dabei um die gleichen Veränderungen ù
Serums handelt, wie beim Icterus catarrhalis. Scheidemandall!
erhielt mehrfach mit den Seren Ikterischer positive Reaktion, üs
dem klinischen Befunde widersprach; er will sie deshalb we
ihrer Eigenhemmung als unbrauchbar zur Wass ormannschet
aktion ausgeschaltet wissen. Auch wir hatten von sechs Patienten
mit unkompliziertem Icterus catarrhalis ein positives Resultat obm
jeden Anhaltspunkt für Lues. Einen zweiten Fall müssen wir 80
schalten, weil anamnestisch der Ehemann „eine Geschleohtsirn
heit gehabt“ haben soll und die Frau mehrere Fehlgeburt
Massini (4) hat dieses auffallende Ergebnis nicht bestätigen
können, auch nicht mit stark ikterischen Seren. an
Von welchem Werte die Wassermannsche Reaktion fir.
oft schwierige Diagnose der Leberlues ist, zeigte sich bl er
anfangs als tuberkulös imponierenden Abdominalerkrankung (Lebar
und Milzvergrößerung, Ascites, Durchfälle, subfebrile Temporatoni
bei einem 27jährigen Manne. Durch den mehrmals positiven, assal
mann und den prompten Erfolg einer Salvarsaninjektlon jj
Krankheitserscheinungen gingen schnell zurück) wurde 0i
gnose Lues sichergestellt. ii
Die Bleiintoxikation gehört auch zu der Gruppe Vo Er ri
kungen, welche widersprechende Resultate geben insofern, ®t
Serumreaktion manchmal positiv ausfällt, obwohl sich Lues ge
eruieren läßt. Hilgermann (14) bestreitet dies neuerding 1.
Grund von 35 Untersuchungen akuter und chronischer Kranke”
fälle; er fand immer negativen Wassermann. An unserer . m
haben wir wie andere [Schnitter (15), Dreyer (16), Da kl
A a von sieben ein positives Resultat gehabt ohne Anhaltsp
r Lues,
99. Dezember.
mn
Bei elf Diabetikern stimmte der klinische Befund mit dem
negativen Ausfalle der Wassermannschen Reaktion überein.
Die schweren Erkrankungen, die mit allgemeiner 'Kachexie
enden (Phthisis pulmonum, bösartige Neubildungen), will ich nur
insofern erwähnen, als auch wir in extremis gelegentlich positiven
Wassermann erhielten, während die Autopsie keine Lues ergab.
Schließlich verdienen besondere Erwähnung die chronischen
Arthritiden; man findet sie in der Literatur wenig berücksichtigt
[Heckmann (20)], während sie doch im allgemeinen einen be-
trächtlichen Prozentsatz in der Statistik der Krankenhäuser bilden.
Das höhere Alter hat am meisten unter diesen Beschwerden zu
leiden und der Gedanke, die Lues trage die Schuld daran, liegt
etwas fern. Hier hat, wenn alle therapeutischen Mittel versagten,
die Wassermannsche Reaktion oft gute Dienste getan, ihr posi-
tiver Ausfall hat uns häufiger den richtigen Weg der einzuschla-
genden specifischen Therapie gezeigt, und der gute, manchmal so-
gar eklatante Erfolg gab ihr recht. 56 Fälle wurden untersucht,
zehnmal war die Reaktion positiv, zwei davon boten objektiv keine
lustischen Symptome; mehrere Male wurde eine Infektion vor Jahren
oder Jahrzehnten zugegeben.
Wenn ich das Resultat unserer vielen Beobachtungen noch
einmal kurz zusammenfasse, so wird durch die Wassermannsche
Reaktion eine luetische Aetiologie bei chronischen internen Er-
krankungen doch häufiger sichergestellt, als es früher der Fall
war. Länger ist es schon bekannt für Erkrankungen des Nerven-
systems, besonders Paralyse und Tabes. Nach unsern Erfahrungen,
die mit denen anderer Autoren übereinstimmen, gilt das aber auch
> viele Erkrankungen des Circulationsapparats und anderer
rgane.
Bei der Wertschätzung der Wassermannschen Reaktion in
dieser Beziehung muß man zweierlei bedenken: einmal, daß bei
positivem Ausfalle der Reaktion die gerade vorliegende Affektion
nicht immer syphilitischen Ursprungs zu sein braucht, und auf der
andern Seite, daß eine Erkrankung ätiologisch luetischer Natur
sein kann, auch wenn die Serumreaktion negativ ausfällt. Wie
vorsichtig man in der Wertschätzung derselben sein muß, zeigen
unter anderm die vier Fälle von Lebercirrhose, wo der Wasser-
mann positiv ausfiel, obwohl weder die Anamnese, der klinische
Befund, noch die Autopsie Lues ergab. Außerdem müssen durch
Syphilis hervorgerufene Erkrankungen ja nicht immer speecifischer
Natur sein (Tabes, Nephritis, Arthritis).
Jedenfalls geht auch aus dem Resultat unserer Beobachtungen
hervor, daß die Kenntnis über die luetische Aetiologie vieler innerer
Erkrankungen bei vorsichtiger Verwertung der Wassermannschen
Reaktion erheblich an Ausdehnung zugenommen hat und diese Be-
reicherung unserer klinischen Untersuchungsmethoden für die innere
Medizin von großem Wert ist.
Literatur: 1. Boas, Die Wassermannsche Reaktion usw. (Berlin 1911,
Karger.) — 2. Bauer, Lues und innere Medizin. (Leipzig 1910, Deutike.) —
3. Citron, Berl. kl. Woch. 1908. — 4. Massini, M. med. Woch. 1912, Nr. 24
u. 25. — 5. Nonne, D. Z. f. Nerv. 1910. — 6. Scheidemandel, D. A. f. kl.
Med. Bd. 101. — 7. Eichelberg, zit. bei Nonne. — 8. Doehle, D. A. f. kl.
Med. Bd. 55 u. I.-D. 1885 Kiel. — 9. Malmsten, Aetiologie des. Aortenaneurysma.
(Stockholm 1888.) — 10. Heller, M. med. Woch. 1889, Nr. 50. — 11. Gold-
scheider, Med. Kl. 1912, Nr. 12, — 12. Ledermann, D. med. Woch. 1912,
Nr. 22. — 18. Karvonen, Derm. Zt. Bd. 7. — 14. Hilgermann, D. med.
Woch. 1912, Nr. 3. — 15. Schnitter, D. med. Woch. 1911, Nr. 22, —
16. Dreyer, D. med. Woch. 1911, Nr. 17. — 17. Wagner, M. med. Woch.
1902, Nr. 50 u. 51. — 18. Jacobaeus, D. A. f. kl. Med. Bd. 102. — 19. Sonn-
tag, Med. KI. 1911, Beiheft 7. — 20. Heckmann, M, med. Woch. 1909, Nr. 31.
Aus der Chirurgischen Klinik Marburg (Dir. Prof. König).
Ueber Madelungsche Deformität‘)
von
Dr. Georg Magnus.
Es handelt sich um ein i5jähriges Mädchen, das zweitjüngste von
fünf im übrigen gesunden Geschwistern, ebenso ist der Vater vollkommen
gesund. Dagegen leidet die Mutter an demselben Uebel, und zwar an-
geblich noch stärker als die Tochter. Die Entwicklung des Mädchens
war eine durchaus normale bis zum 13. Lebensjabre, speziell ist von einer
überstandenen Rachitis nichts zu erfahren. Mit 13 Jahren jedoch — also
jetzt vor zwei Jahren — stellten sich am linken Handgelenke Be-
schwerden ein, ganz ohne äußere Ursache. Das Gelenk begann zu
schmerzen, besonders beim Heben, und ganz allmählich trat der eine
Knöchel hervor. Die Beschwerden erreichten etwa mit 14 Jahren ihren
öhepunkt, um dann ganz langsam wieder abzunehmen. Sie treten jetzt
1) Nach einem Vortrag im Aerzteverein am 9. November 1912,
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2069
nur bei besonders schwerer Arbeit auf. Gewisse Störungen in der Be-
weglichkeit belästigen das Mädchen nur unwesentlich.
Aus dem körperlichen Befunde möchte ich erwähnen, daß es sich
um eine kleine, aber durchaus proportionierte Person handelt. Die
Röhrenknochen sind schlank und gerade, die Epiphysenlinien nicht ver-
dickt, kein Rosenkranz. Dagegen besteht ein gewisser Grad von Tête
carrde sowie ein hoher Gaumen.
Auffallend ist die Konfiguration der Handgelenke, besonders des
linken. Von der Ulnarseite betrachtet, zeigt die Hand eine Bajonett-
stellung, wie sie auf der radialen Seite für den typischen Radiusbruch
charakteristisch ist. Durch Palpation läßt sich feststellen, daß das distale
Ende der Ulna seine Artikulation mit dem Carpus aufgegeben hat und
frei über die Handwurzel hinausragt. Die Hand steht dadurch in leichter
Supinationsstellung. Die Artikulation des Carpus mit dem Radius da-
gegen ist erhalten, der Radius selber ist dicht über dem Gelenke scharf
volarwärts abgeknickt.
Das Maßverhältnis von Ulna zum Radius ist insofern geändert, als
die Ulna rechts um 1,5 cm, links um 2,5 cm länger ist als der Radius,
während normal der Radius die Ulna um 1 cm an Länge übertrifft.
Die Stellung der Hand zum Vorderarm ist wesentlich verändert.
Dadurch, daß die Gelenkfläche des Radius nicht mehr senkrecht zur Dia-
physe steht, sondern nach vorn unten sieht, steht die Hand bereits in
extremer Dorsalflexion, wenn sie in Verlängerung des Vorderarms ge-
halten wird. Eine weitere Dorsalilexion aus dieser Stellung heraus ist `
deshalb unmöglich. Dagegen ist die Volarflesion über den Rechten hinaus
bequem ausführbar, wieder in bezug auf den Vorderarm. Eine Bewegungs-
behinderung im Sinne der Beugung und Streckung besteht also im Ge-
lenke, genau genommen, nicht. Die Radialadduction ist dagegen etwas
behindert, die Ulnaradduction normal.
Das Röntgenbild ergibt Veränderungen, wie sie für die Deformität
charakteristisch sind. Die seitliche Aufnahme zeigt deutlich die Ab-
knickung des Radius volarwärts. Auf der dorso-volaren sieht man die
verwaschenen Konturen der Radiusepiphyse sowie eine Neigung der Ge-
lenkfläche des Radius ulaarwärts. Die Epiphysenlinie sitzt im Vergleich
zur rechten Hand auffallend hoch und verläuft schräg; die Epiphyse hat
eine Keilform angenommen mit der Spitze nach der Ulna zu.
Betrachtet man den Carpus beiderseits, so sieht man rechts den
normalen Bogen der proximalen Handwurzelknochen. Links dagegen sind
Lunatum und Naviculare nach proximal verschoben, gleichsam in die
Epiphyse hineingerückt. Die Knochenreihe bildet dabei einen Winkel
mit dem Scheitel im Os Iunatum.
Die Mutter der Kranken zeigt genau dieselben Verände-
rungen, auch in der Hauptsache links. Auch hier war der Beginn
spontan, der Verlauf progressiv. Das Röntgenbild zeigt besonders schön
die Frontalstellung der Radiusgelenkfläche und die beiden tiefen Gruben,”
in denen Naviculare und Lunatum liegen, sowie die Winkelstellung der
proximalen Karpalknochen. Auch die Verkürzung des Radius ist sehr
deutlich zu sehen.
Das in Rede stehende Krankheitsbild führt den Namen
Madelungs, war aber bereits längst vor ihm bekannt. Dupuytren
glaubte, eine Luxation der Handwurzel nach der Vola vor sich zu
haben, und schob dieselbe auf Schlaffheit der Kapsel und den
überwiegenden Zug der Flexoren. Andere, wie Malgaigne,
Weber, Busch, hatten die Deformität ebenfalls gesehen, letzterer
sogar eine Tenotomie der Beuger versucht, jedoch ohne Erfolg.
Eine genaue Beschreibung der Erkrankung lieferte Made-
lung im Jahre 1879. Er betont, daß es sich nur um eine Luxa-
tion der Ulna handelt und daß der Radius weiter mit dem
Carpus artikuliert. Nur sei die Gelenkfläche des Radius verbogen,
und zwar dadurch, daß die Extensoren fast sämtlich über die
Radiusepiphyse liefen. Durch ihr dynamisches Uebergewicht zögen
die Beuger vermittels dieser Extensorensehnen die Epiphyse langsam
nach der Volarseite Natürlich müßte man zum Verständnis dieses
mechanischen Resultats auf einen gewissen primären Schwäche-
zustand der Knochen zurückgreifen.
Später wurde, besonders von französischer Seite, die Ver-
biegung der Radiusdiaphyse für die Deformität verantwortlich
gemacht, wobei der Rachitis die Hauptrolle zugesprochen wurde.
Neuerdings besteht die Neigung, als Ursache eine gewisse
Störung im Wachstum der Epiphysenlinie anzunehmen. Delbet
findet eine Erkrankung des Epipbysenknorpels ähnlich der beim
Genu valgum; Gangolphe behauptet, daß der Epiphysenknorpel
in diesen Fällen an der unteren Ulnaseite überhaupt fehle. Auch
Pels-Leusden hat diesen Defekt gesehen. Er betont ein un-
gleichmäßiges Wachstum der langen Röhrenknochen mit ungleich-
mäßiger Verknöcherung der Epiphysenlinien und resultierenden
Verbiegungen und Verschiebungen der Gelenke und kommt zu
dem Schluß, daß es sich um eıne Erscheinung handele, die Be-
ziehungen zur multiplen cartilaginären Exostosenbildung habe. Bei
beiden Krankheitsbildern handele es sich in gleicher Weise um
eine verkehrte Anlage des Intermediärknorpels.
Ob und wieweit beide Beziehungen zur Rachitis haben, soll
et a et Me AENT
2 2.2.2.....1912 —MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
hier nicht erörtert werden. Sicher ist eine gewisse Ver wandtschaft
` der beiden untereinander.
Siegrist, der bis zum Jahre 1908 aus -der Gesamtliteratur
55 Fälle zusammenstellt, findet — abgesehen von geringen Skoli-
osen, Plattfüßen und ähnlichen Störungen in neun Fällen — nur
dreimal wirklich deutliche Zeichen von Rachitis erwähnt. In einer
ganzen Anzahl von Fällen ist das Fehlen jedes rachitischen
Symptoms betont.
Dagegen stehen in der erwähnten Uebersicht zwei Fälle von
knöcherner Exostose, einen weiteren hat Franke beobachtet.
Letzterer hatte drei Exostosen am Unterschenkel. Schulze hat
einmal die Madelungsche Deformität im Verein mit doppel-
seitiger Kongenitaler Hüftgelenksluxation gesehen.
Heredität war in den 55 Fällen siebenmal nachweisbar. In
drei Fällen betraf es die Mutter, je einmal die Großmutter, mehrere
Geschwister, Mutter und Großmutter, Mutter, Großmutter und
zwei Geschwister.
Kürzlich hat Ewald einen Fall mitgeteilt, der äußerlich
genau dieselben Veränderungen bot wie das hier vorliegende’
‚ Leiden. Da es sich jedoch um das Heilungsresultat einer Fraktur
handelt, so kann von einer Madelungschen Deformität keine
Rede sein. Für diese muß spontaner Beginn und progressiver
Verlauf gefordert werden.
Ein Versuch Homuths, die Deformität als Folge einer
Störung der inneren Sekretion von seiten der Keimdrüsen und der
Tbymus im Sinne einer Osteomalacie zu erklären, darf wohl vor
der Hand als stark hypothetisch bezeichnet werden.
Das plausibelste scheint auch mir die Störung im Wachs-
tum des Intermediärknorpels, ein Vitium primae formationis,
ähnlich dem, welches die multiplen Exostosen verursacht. Der
ausgesprochen hereditäre Charakter der Erkrankung, die verhältnis-
mäßig häufige Begleiterscheinung der Exostosenbildung und die Ver-
kürzung des Radius mit exzentrischem Wachstum der Epiphysen-
linie sprechen dafür. Möglich, daß die Entwicklungsgeschichte
hier Aufschluß gibt über mangelhafte Anlagen.
Von therapeutischen Resultaten wird nichts berichtet; alle
Versuche von Tenotomien, Osteotomien, fixierenden Verbänden
waren vergebens. Tatsächlich sind die Störungen, welche das
Leiden verursacht, auch so gering, sobald sich erst einmal ein
stationärer Zustand ausgebildet hat, daß man auf jede Therapie.
verzichten kann.
Aus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des k. u. k.
Garnisonspitals Nr. 15 in Krakau.
(Kommandant: Oberstabsarzt 1. Kl. Dr. Nikolaus Thomäu.)
Medikamentöse chronische Arsenvergiftung bei
einem Lueskranken
von
k. u. k. Regimentsarzt Dr. Eugen Brodfeld,
Chefarzt der Abteilung.
Die gute Wirkung des Arsen bei Syphilis ist schon lange
bekannt; schon Sigmund betonte, daß Arsen als eins der wichtigsten
Heilmittel bei maligner Lues zu betrachten sei. Solutio arsenicalis
Fowleri, Pilulae asiaticae, Injektionen mit den Clinschen Kakodyl-
präparaten, Enesol, Atoxyl, Salvarsan und Neosalvarsan sind in
chronologischer Reihenfolge die Arsenpräparate, die bei Lues an-
gewendet wurden und teilweise noch angewendet werden.
Leider erfährt die Anwendung des Arsen infolge seiner
Giftigkeit oft eine Beschränkung. Das Arsen hat die Eigentümlich-
keit, daß es nicht von allen Menschen gleich vertragen wird.
Einzelne vertragen große Mengen, während bei andern schon kleine
Dosen die Erscheinungen der akuten Vergiftung oder gar des
chronischen Arsenicismus erzeugen. Es muß also eine gewisse
„Disposition“ des Individuums vorhanden sein, wie Finger
ausführt. |
Jadassohn!) macht darauf aufmerksam, daß Arsen in ge-
löster Form (Solutio arsenicalis Fowleri) viel stärker toxisch wirkt
als in Substanz und daß Vergiftungserscheinungen viel häufiger
bei der erstgenannten Medikation auftreten, als bei der letzteren.
Wenn auch die meisten Erscheinungen des chronischen Arsenicis-
mus therapeutisch beeinflußt werden können, so trotzt die Arsen-
1) J."Jadassohn, "Aphoristische Bemerkungen zur Arsentherapie
in der Dermatologie. (Th. Mon., Januar 1912.)
22. Dezember.
melanose, wie bekannt, jeder Behandlung und verschwindet erst
nach Jahren, wenn sie nicht überhaupt persistiert,
Nach den Untersuchungen von Brelet!) wird das Arsen wr
zum Teil wieder ausgeschieden, zum Teil aber in der Leber und
den Nervencentren fixiert.
Bosellini?) nimmt auf Grund seiner Beobachtungen an
daß diese Pigmentationen sekundäre sind, die durch vorausgegangene
leichte entzündliche Vorgänge in der Haut entstehen.
- Der nachstehend beschriebene Krankheitsfall erweist, daß
sogar nach einer lamellösen Abschuppung der Epidermis die Me-
lanodermie nicht verschwindet, sondern nach Beendigung der
Schuppung weiter persistiert. Ä i
Nachstehend der Krankheitsverlauf:
Ulan P. P. wurde am 23. Januar 1912 einer Heilanstalt in Be-
handlung übergeben und von dort am 13. September 1912 behufs spe-
zialistischer Behandlung auf obige Abteilung transferiert.
| Bei der Aufnahme am 23. Januar bot ər laut Krankengeschichte
folgenden Befund: Groß, mittelkräftig, innere Organe ohne krankhaften
Befund. Die Drüsen in beiden Inguinalfalten ungefähr nußgroß ge-
schwellt, nicht schmerzhaft. Die Eichel geschwellt, gerötet, mehr als
zur Hälfte mit weißlichen, eitrig belegten, „condylomartigen“ Wuche
rungen besetzt. Die Umschlagsstelle des Präputiums ist ringförmig brett-
hart induriert und zeigt ebenso wie die Lamina interna zahlreiche Ge-
schwüre und Erosionen; ferner sind nässende Papeln am Anus, Skrotun
und in der Regio suprapubica Aus dem Präputialsack entleert sich
reichliches krümliches Sekret.
Nachdem nach einiger Zeit das Präputium sich nicht zurückziehen
läßt, wurde am 4. Februar 19123 eine Incision desselben vorgenommen,
Am 12. Februar,1912 war die Wunde geheilt. Bis 27. März 1912 wurden
7 Hg.-salicyl.-Injektionen à 2 cem intraglutäal gegeben, worauf eine Ab-
heilung sämtlicher Geschwüre und Papeln erfolgte. Am 24. April traten
abermals Papeln am Skrotum auf, die mit Emplastr. hydrarg. behandelt
wurden. Am 24. Mai trat unter Appetitlosigkeit und Schwächagefähl
über den ganzen Körper ein lichenartiges Exanthem auf, zugleich schwollen
die Drüsen in den Cubitalbeugen an. Patient bekommt von jetzt an
Solut. arsenic. Fowleri. |
Am 28. Mai vermerkt die Krankengeschichte, daß an Stelle der
Knötchen unter Temperatursteigerung von 89,5% pralle Bläschen auftraten.
Bis zum 12. Juni vereiterten die Drüsenpakete in den Achselhöhlen. Die
Haut am ganzen Körper stößt kleinschuppig ab. 25. Juni am ganzen
Körper war die.Epidermis abgestoßen, das Corium bloßliegend, Temperatur
40°. Am nächsten Tage, bei 28 Tropfen Arsen, traten blutige Stühle,
ödematöse Schwellung der Arme und Beine auf; in den nächsten Tagen
trat noch stark sezernierende Conjunctivitis dazu, Temperaturen zwischen
38° bis 39°.
Die blutigen Stühle hörten in zwei Tagen auf, die andern Er
scheinungen hielten bis 10. Juli an; von nun an besserten sich sämtliche
Erscheinungen. Die Arsenkur wurde fortgesetzt; der Mann war
bereits melanotisch. Arsen wird noch bis 20. September 1912 gegeben,
und zwar mehrere Turnusse von 4 bis 30 Tropfen täglich und zurück.
Bei der Aufnahme auf obiger Abteilung am 23. September 1912
wurde folgender Befund erhoben:
Der Patient ist heiser und klagt über Kratzen im Halse. Starker
Haarausfall. Die Haut des ganzen Körpers ist braun verfärbt, in welchen
einzelne Stellen jedoch pigmentlos sind. Die Haut in den Achselhöhlen
ist dunkel grauschwarz, die Unterlippe zeigt an der Uebergangsstelle zur
Schleimhaut blauschwarze Streifen; eine ähnliche blauschwarze Ver-
färbung befindet sich am Zahnfleisch unterhalb des linken Schueidezahas
An beiden Fersen ist die Haut stark verdickt, hornartig, mit gelbbraundt,
warzenartigen Erhebungen besetzt; ähnliche, jedoch geringere ann
diekungen ziehen sich eine Strecke weit auf die Dorsallläche der Unter-
schenke. An der Vorderseite der Unterschenkel ist eine gorg
Schuppung und an zahlreichen Stellen weiße, verdickte, hornarlige a
floresconzen. Am Nacken, der Stirn und Kopfhaut mit gelben yo
verseheno, leicht eindrückbare, schwammige Wucherungen; in ihrer Die
Gruppen kleiner Bläschen, welche wie Herpes zoster gruppiert sind. MM
Augenlider leicht ödematös, die Fingernägel brüchig mit Querfurchen.
der Stirn ein eiterndes Geschwür von Kronenstückgröße. 4
Es lag also das Bild. einer Arsenmelanose und Arsenkeraiose i
Analysiere ich den Fall, so ist zu ersehen, daß am ah r
bereits das ausgesprochene Bild einer akuten Arsenintoxl 8 i
vorlag; die Arsenmelanose war nach zirka sechswöchentlichem A
brauche von Arsen aufgetreten; das Medikament wurde weiter n
nommen, die andern Erscheinungen des chronischen Arsenicis
traten allmählich zur Arsenmelanose dazu. ES,
Auf obiger Abteilung wurde der Mann mit ee i
50/oiger Salicylsalbe auf die keratotischen Stellen behande o
erhielt kräftige Kost. Unter dieser Therapie lösten sich al 7i i
die Keratosen an den Fußsohlen, die hornartigen Effloroscenta
den Unterschenkeln verringerten sich, die Bläschen am
1) Brelet, La médication arsénicale. (Gaz. des Hôp. 1911, m
2) Bosellini, Arsenicismus mit retikulärer Melanodermie.
Derm. Bd. 109, H. 1—2.)
29. Dezember.
=- =
wurden kleiner und trockneten ein; nur die Melanose blieb be-
stehen. Das Geschwür an der Stirne reinigte sich jedoch nicht
und zeigte Zerfallstendenz; graues Pflaster ohne Erfolg. Die Haare
begannen zu wachsen.
Nachdem die meisten Erscheinungen des chronischen Arseni-
zismus vergangen waren, mußte an eine avtiluetische Kur gedacht
werden. Bevor eine solche eingeleitet wurde, ist das Blut nach
Wassermann untersucht worden. Es war ja von Interesse, das
Verhalten der Wassermannschen Reaktion kennen zu lernen.
Mir ist nicht bekannt, ob eine interne Arsentherapie das Ver-
halten der Wassermannschen Reaktion zu beeinflussen imstande
ist, ähnlich wie die Salvarsantherapie. Das Resultat der Blut-
untersuchung war komplett positiv (+++++).
Eine Salvarsantherapie einzuleiten, scheute ich mich; trotz-
dem das Salvarsan ein anderes Arsenpräparat als die Solutio
arsenicalis Fowleri darstellt, mit anderer Heil- und Giftwirkung,
sind doch Fälle bekannt, daß auch nach Salvarsan Melanosen und
Keratosen auftreten. Bei einem Individuum, daß auf Arsen in der
angeführten Art reagiert, könnte ja auch Salvarsan unangenehme
Folgen haben.
Rät auch Brauer!), eine Reinjektion mit Salvarsan erst dann
vorzunehmen, wenn eventuelle von der ersten Injektion zurück-
gebliebene cutane Erscheinungen geschwunden sind, da eine An-
gewöhnung woll eintreten kann, in vielen Fällen aber ausbleibt.
Ich entschloß mich daher zur Hg-Inunctionskur.
Am 29. September erhielt der Patient eine Inunction mit
Ung. hydrarg. einer. zu 5 g. Nach der Einreibung der beiden
Unterschenkel trat nach einigen Stunden am ganzen Körper ein
Erythem auf, die Augenlider schwollen ödematös an, die Tem-
peratur stieg bis 39,5", der Mann delirierte, wollte aus dem Bette
springen. Mehrere hohe Darmirrigationen, ein heißes Bad, heißer
Tee mit Aspirin bewirkten einen Schweißausbruch; am nächsten
Tage war die Temperatur normal. Unter Puderbehandlung begann
das Erythem zu schwinden und nun löste sich die Haut abermals
in Fetzen ab. Dies dauerte bis 3. Oktober. Einer eventuellen
verdorbenen Salbengrundlage konnte dieser unerwünschte Effekt
nicht zugeschrieben werden, weil zu gleicher Zeit andere Leute
dieselbe Salbe erhielten und anstandslos vertrugen. Es lag also
bei dem Mann eine Ueberempfindlichkeit der Haut gegen Queck-
silber vor. Vielleicht spielt die durch Arsen veränderte Haut
(Melanose) auch hier mit. Trotz der Abschuppung war die
neugebildete Haut noch immer braun, wenn auch weniger
als vor derselben. Die Erscheinungen der Arsenmelanose ver-
gingen also nicht.
Ich entschloß mich nun zum Jod; vorsichtig vorgehend, ließ
ich den Mann täglich drei Eßlöffel von 10 g Jodkali auf 200 Aqua
destillata nehmen. Jod wurde vertragen; unter dieser Medikation
heilte das Geschwür an der Stirne. Bis 10. Oktober hat der Mann
17 g Jodkali eingenommen.
Von der Ueberlegung ausgehend, daß bei manchen Leuten
wohl eine Idiosynkrasie gegen gewisse Applikationsmethoden des
Quecksilbers besteht, nicht aber gegen das Quecksilber als solches,
gab ich dem Patienten Zittmannsches Dekokt (mit Quecksilber).
Er vertrug diese Medikation. Nach 2500 g Decoctum fortius und
2500 g Decoctum mitius auf zehn Tage verteilt bekam der Pa-
tient die erste Hg.-salieyl.-Injektion à 2 ccm. Seit dieser Zeit
hebt sich das Allgemeinbefinden; nach fünf Injektionen und weiter
fortgesetzter Jodkur war die Wassermannsche Reaktion negativ, |
sämtliche Lueserscheinungen vergangen.
Dieser Fall beweist, wie notwendig es ist, daß die Syphilis-
behandlung individualisierend sei; sie muß der Beschaffenheit des
Patienten angemessen werden. Die Behandlung darf nicht in das
Schablonenhäfte ausarten, soll sie nicht schaden, sondern nützen.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Wien.
(Vorstand: Hofrat Prof. Hochenegg.)
Klinische Studien über Kropfoperationen nach
N 600 Fällen
Dr. Fritz Demmer, Assistent der Klinik.
(Schluß aus Nr. 50.)
.., Wie eingangs erwähnt, hatten wir zwölf Fälle von Stru-
nitis, darunter zwei Fälle von Kropffisteln mitgezählt. Die
1) Brauer, Zur Kenntnis der Salvarsandermatosen. (Derm. Zt.
3d. 19, H, 9.)
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 2071
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letzteren waren als Ausgang einer chronischen Entzündung einer
Cyste entstanden, deren Aetiologie: nicht festzustellen war.: Sie
wurden in dem einen Falle durch Incision und Evidement mit nach-
folgender offener Wundbehandlung, in dem andern durch Enucleation
der Cyste geheilt. Von den Strumitiden waren fünf im Anschluß
an Pneumonien aufgetreten, einer nach septischem Abortus und
einer nach Strumektomie. Ein Fall hatte eine schwere Phthise,
und eine Patientin litt an akuter Parametritis. Bei einem jungen
Mädchen war kein Anhaltspunkt für die Entzündung des Kropfes
zu finden; es bestand Fieber und ziemliche Prostration mit starken
Kopfschmerzen .bei einer leichten Druckempfindlichkeit und Rötung
über der wenig hypertrophierten Schilddrüse. Antiphlogistisch be-
handelt, klang der Prozeß in drei Tagen vollkommen ab. Von den
übrigen acht Fällen wurden sieben incidiert, einer punktiert. Der
bakteriologische Befund ergab fünfmal Diplococcus pneumoniae,
zweimal Staphylococcus pyogenes aureus, zweimal Bakterien aus
der Typhuscoligruppe. Die Incision wurde einmal wegen rapid
eingetretener Kompression der Trachea dringlich ausgeführt.
Von 26 malignen Kröpfen war klinisch außer der Be-
vorzugung des höheren Alters besonders die häufige Angabe über
heftige Neuralgien und intensive Schluckbeschwerden auffällig,
Symptome, welche nicht so sehr durch den Befund einer über-
großen Struma zu erklären waren, als durch sehr feste binde-
gewebige Verwachsungen der Struma mit der Umgebung; daher
auch die geringe Beweglichkeit der Struma bei der Palpation und
dem Schluckakte. Die Malignität des Tumors war übrigens nur
in 17 Fällen klinisch kenntlich, während das histologische Bild in _
den übrigen Fällen die beginnende maligne Entartung feststellte,
23mal war der kompakte Tumor ein Adenocareinom, einmal ein
großzelliges Rundzellensarkom (von einem malignen Lymphom aus-
gehend), zweimal eine ceystische Geschwulst mit papillärem Bau
und maligner Entartung. Ueber die drei Todesfälle dieser 26 Ope-
rationen wurde oben berichtet.
Im ganzen verzeichnen wir 172 postoperative Temperatur-
steigerungen, davon 4 durch Wundinfektionen, 84 durch Bron-
chitiden, 10 durch Bronchopneumonien erklärt; bei 74 Fällen er-
klärte kein objektiver Befund das Fieber. Wir beobachteten be-
züglich der Operationen in Narkose oder in Lokalanästhesie und
der dadurch verursachten katarrhalischen Komplikationen speziell |
bei der Kropfoperation keinen wesentlichen Unterschied; allerdings
waren für die Operation in Lokalanästbesie zumeist jene Fälle
ausgesucht, welche eben vor der Operation schon katarrhalische
. Erscheinungen zeigten. Doch sahen wir Acerbationen latenter
Prozesse wie frische Affektionen des Respirationstraktes bei beiden
Formen der Anästhesie in gleicher Weise. Der Grund für die
postoperative Reaktion des Respirationstraktes liegt eben in der
obenerwähnten chronischen Schädigung der Trachealschleimhaut
durch die veränderten Circulationsverhältnisse und ist der lokale
Reiz der Operation genügend, um eine Acerbation latenter Pro-
zesse wie frische Affektionen zu bewirken.
Außer diesen objektiv erklärten febrilen Temperaturen, welche
in der Regel 38,5 erreichten oder überschritten, hatten noch weitere
14 Patienten Temperatursteigerungen, welchen aber kein positiver
. Lungenbefund gegenübersteht und diese erklären könnte. Die
Temperaturen waren meist subfebril, erreichten aber auch die Höhe
von 39,3, setzten gewöhnlich 24 bis 36 Stunden post operationem
ein und fielen Iytisch bis zum fünften Tage zur Norm ab. Ich
möchte bei diesen Fällen den speziellen Befund bemerken, daß
unter diesen Operationen gerade 55 mal solche waren, welche das
Kropfparenchym besonders schädigen und auch Kropfsaft in das
Wundbett fließen lassen (Resektionsmethoden), während in den
übrigen 19 Fällen Enucleationen von Cysten derartige intra- oder
extrakapsuläre Resorptionsmöglichkeiten von Kropfsaft nicht boten.
Gerade bei diesen letzteren 19 Fällen läßt aber der höhere Tem-
peraturanstieg noch auf andere Ursachen des Fiebers als auf die
Resorption von Kropfsaft schließen und bewirkten hier vielleicht
nicht nachweisbare Affektionen der Luftwege das Fieber. Dazu
halte ich für postoperative Affektionen der oberen Luftwege gerade
Fälle von Cysten disponiert, welche nach der plötzlichen Ent-
spannung der Gefäße durch eine temporäre Paralyse derselben einen
akuten Stauungskatarrh in der Trachea bekommen, welcher ab-
steigend sich in die feinsten Luftwege ausbreiten kann. Außer
der Art der subfebrilen Temperatursteigerungen und der Operations-
methoden fällt auch bei obigen 55 Fällen die Art der Kröpfe auf
welche 49 mal Colloid- und 6 mal parenchymatöse Kröpfe waren
Im Vergleiche zu einer statistischen Mitteilung von Oberst (11)
welcher bei 500/, der Fälle eine objektiv. nicht nachweisbar,
Temperaturerhöhung fand, konnten wir diese nur in 9%, bei
- r
= en -
2072 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22. Dezember,
= RMÖRILhmMmMRMÖhLhRnmnmnRnRBRBRBRBRRBRmaeaa am „am [ [ Z—m—mnmnmRmRmB [mm m a am m —— — m ma [Zm m ——-R[+[+„[„‚ m m——————
unsern Operationen beobachten. Mit der Ueberzeugung, daß bei
diesen 9°), unserer Fälle das Fieber autogenen Ursprungs war,
da auch die geringste pulmonale oder anders geartete Komplikation
nicht vorlag, schließen wir uns der bisher üblichen Annahme des
specifischen Kropffiebers an („Resorption pyrogenetischer
Stoffe“), welche Annahme durch die die Resorption besonders be-
günstigenden Operationsmethoden dieser Fälle unterstützt wird.
Es erübrigt noch, die Beobachtungen über die Ausfalls-
erscheinungen der Schilddrüsenfunktion zu berichten. Von den
Hypothyreosen sahen wir thyreoprive und parathyreoprive Er-
krankungen.
Das thyreoprive Krankheitsbild fanden wir bei einem 16 jährigen
Patienten, der im Wachstum zurückgeblieben war, mindere Intelligenz,
Status bypogenitalis und pastöse Hautveränderungen wie apathisches,
müdes Aeußeres zeigte. Außerdem war eine Kolloidstruma vorhanden,
deren Exstirpation durch ein schweres Vitium kontraindiziert war.
Auf innere Medikation mit Thyreoidtabletten erfolgte eine Besserung.
Bezüglich der parathyreopriven Ausfallerscheinungen kann
ich auf die umfassende Arbeit von Boese und Lorenz (12) ver-
weisen und gebe die dort niedergelegten Beobachtungen hier nur
kurz wieder.
Wir sahen sechs chronische und vier akute Fälle para-
thyreoider Störungen. Die ersteren sechs Fälle kamen wegen einer
Struma, welche Beschwerden machte, an die Klinik und wurden
operiert. Die schon vor der Operation vorhandenen Symptome
eines Tetanoides (leichter, positiver Chvostek, Uebererregbarkeit
des Nervensystems) wurden durch die Operation nicht beeinflußt.
Von den vier akuten postoperativ aufgetretenen Fällen zeigten
zwei ein leichteres abortives Bild der Tetanie. Es waren Opera-
tionen bei Kropfrezidive, hauptsächlich in den Unterhörnern mit
starken Kompressionserscheinungen. Beide Patienten hatten schon
nachweisbare Störungen ihrer Glandulae parathyreoideae a. op.
(positiver Chvostek). Nach der Operation (Resektion der kolloid-
entarteten Drüsenteile, wobei histologisch eine Entfernung eines
Epithelkörperchens nicht nachgewiesen werden konnte) zeigte sich
eine Acerbation der parathyreopriven Störungen (stark ausge-
bildetes Facialisphänomen, Parästhesien und auslösbarer Trousseau).
In beiden Fällen verliefen die Erscheinungen binnen drei Tagen,
ohne Residuen zurückzulassen,
Eine schwere Tetanie komplizierte den Heilungsverlauf in
folgenden beiden Fällen, welche ohne Erscheinungen parathyreo-
priver Störungen ante operationem wegen Kolloidstruma mit starken
Kompressionserscheinungen strumektomiert wurden.
Berta K., 27 Jahre alt, bekam einen Kropf nach einer Schwanger-
schaft, Arbeitsdyspnde, Erstickungsanfälle. Rechts retroclavicular
reichender Knollen im Unterhorne, links die Kuppe eines retrosternal-
reichenden Knotens tastbar. Sternale Dämpfung. Säbelscheidenförmige
Kompression der Trachea. Kein Chvostek, kein Morbus Basedowii.
Operation in Narkose: Mit dem luxierten linken Unterhorne kommt der
Nervus recurrens und ein Epithelkörperchen zur Ansicht. Schonung der
Gebilde, Ligatur der Arteria thyreoidea inferior in ihren Aesten. Das
Unterhorn und der Isthmus wird reseziert. Aus dem rechten Unterhorne
wird ein Kolloidknoten enucleiert. Pathologisch-histologische Unter-
suchung weist an dem resezierten Unterhorn ein Epithelkörperchen nach.
Dekursus: Am selben Tage Chvostek positiv, am nächsten Morgen
Trousseau, starrer Gesichtsausdruck und im Laufe des Tages schmerz-
hafte tonische Krämpfe in den oberen Extremitäten und den Waden.
(Zweimal 4,0 Chloralbydrat per Klysma.) Am dritten Tage zunehmende
Besserang, am vierten Tage fehlt Chvostek, Trousseau nicht mehr
auslösbar.
Marie K., 20 Jahre alt. Kropf seit zwei Jahren, Atembeschwerden
seit einem halben Jabre. Diffuse Kolloidstruma rechts, größer als links,
Kompression "der Trachea mittleren Grades, keine parathyreopriven Er-
scheinungen. Operation in Narkose: Nach Ligatur beider Arteriae
thyreoideae inferiores in ihrem Stamme werden der Isthmus und die beiden
Unterbörner mit Belassung eines hinteren Parenchymmantels reseziert,
Pathologisch-histologisch wird auch hier ein Epithelkörperchen nach-
gewiesen. 30 Stunden nach der Operation tonische Krämpfe in den
oberen Extremitäten (Geburtshelferstellung). Zweiter Tag Zunahme der
Krämpfe, Chvostek und Trousseau positiv. Dritter Tag Harnverhaltung,
starrer Gesichtsausdruck, Fußklonus, starke Schweiße, erhöhter Muskel-
tonus, deutliche galvanische Uebererregbarkeit. Transplantation
zweier lebenswarmer Epithelkörperchen in präperitoneale Taschen von
einer zweiten Kropfpatientin. die sonst vollkommen gesund ist. Nach-
mittags Status idem (Parathyreoidin Vassale 30 Tropfen, zweimal 1,5
Chloralhydrat per Klysma). Vierter Tag (post erster Operation) Besserung
aller Symptome (dreimal 30 Tropfen Parathyreoidin). Fünfter Tag keine
Krämpfe, kein Trousseau, Chvostek links. Siebenter Tag kein Zeichen
von Tetanie mehr.
Diese wie die vorige Patientin stellten sich nach mehreren
Monaten als vollkommen gesund vor. Wieweit trotz fehlender
Zeichen einer parathyreoiden Störung vor der Operation dennoch
eine Schädigung der Epithelkörper (Druck besonders durch die
überall vorgefundene Entartung der Unterhörner) vorhanden war
ist nicht zu bestimmen. Jedenfalls bestand eine herabgesetzte
Funktionstüchtigkeit dieser Drüsen, da der Ausfall ihres vierten
Teils die Tetanie auslöste, während experimentell an Tieren und
auch in obigem Falle der Transplantation die Exstirpation von
zwei Epithelkörperchen vertragen wurde. Anderseits ist eg nicht
bestimmt, ob die Schädigung durch die Transplantation behoben
wurde oder eine temporäre trophische Störung der verbliebenen
Epithelkörperchen durch eine neue Blutversorgung behoben wurde,
Jedenfalls ist die Operation der Epithelkörperchentransplantation
mit Rücksicht auf die Gefahr für den Spender der Epithelkörperehen
nur im äußersten Notfall erlaubt.
Literatur: 1. Hochenegg, Diskussionsbemerkungen zur Röntgen-
therapie bei Stramen. (Wr. kl. Woch. 1909, Nr. 47.) — 2. v. Eiselsberg, Zur
Behandlung des Kropfes mit Röntgenstrahlen. (Wr. kl. Woch. 1909, S, 1585)
— 8, Preindelsberger, Zur Modifikation der Strumadislokation nach Wöliler.
(Wr. kl. Woch. 1901, Nr. 45.) — 4. Kocher, Ueber ein drittes Tausend Kropf-
excisionen. (Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft £ Chir.
35. Kongreß 1906.) — 5. Eugen Bircher, Zur experimentellen Erzeugung der
Struma. (D. Z. f. Ohir. Bd. 103, S. 276.) Experimenteller Beitrag zum Kropt
herz. (Med. Kl. 1910, S. 391.) — 6. Artur Biedl, Innere Sekretion. 1910, —
7. Carl Ewald, Ueber Trachealkompression durch Struma und ihre Folgen,
(Viert. f. ger. Med. Bd. 3, Nr. 8.) — 8. R. Stierlin, Nervus recurrens und
Kropfoperation. (Zbl. f. Chir. 1907.) — 9. H. Leischner, Postoperative Stimm-
lippenschädigungen nach Kropfoperationen und deren Schicksal. (Mitt. a d
Gr. 1909, Bd. 19, S. 304.) — 10. Ohvostek, Diagnose und Therapie des Morbus
Basedow. (Wr. kl. Woch. 1910.) — 11. A. Oberst, 2000 Stramektomien. (B.
z. Chir. Bd. 71, Nr. 23.) — 12. Boese und Lorenz, Kropf, Kropfoperation und
Tetanie. (Wr. med. Woch. 1909, Nr. 38.)
Ueber einen Fall von Bantischer Krankheit
von
Dr. med. Steinhauer, Seligenstadt (Hessen).
Die Krankheit, deren Hauptsymptome Anämie, Leukopenie und
sehr starke Milzschwellung sind, wozu sich im Laufe der Jahre Leber-
cirrhose und Ascites gesellen, nennt man „Bantische Krankheit“ nach
dem Professor der pathologischen Anatomie in Florenz, der im Jahre
1894 diese Krankheit beschrieb.
Wendet man die Definition auf nachfolgenden Fall an, so passen
die Symptome genau zu dem Bilde der Bantischen Krankheit. Nur it
es hier nicht möglich, die ersten Stadien, die bekanntlich schon in dir
Jugend auftreten sollen, zu verfolgen.
Es handelt sich um einen 51jährigen verheirateten Kaufmann aus
der Zigarrenbranche. Als Kind hat Patient angeblich keine ernstliche
Krankheit überstanden, dagegen anfangs der dreißiger Jahre eine schwere
Syphilis akquiriert. In diesem Falle möchte ich die Syphilis Atiologisch
in Anspruch nehmen, sofern nicht etwa die Beschäftigung mit Tabak cine
Rolle dabei spielt. — Mit Jod und Quecksilberkuren ist diese Infektion
scheinbar mit Hinterlassung breiter, tiefer Narben, namentlich an beiden
Unterschenkeln, nach mehrmonatlicher Behandlung zum Stillstand ge
kommen. Patient wurde arbeits- und heiratsfähig entlassen. Die Ehe
blieb trotz einer kerngesunden Frau kinderlos. Bis zur jetzigen 4
krankung wurde der Kaufmann, bei dem ich schon sieben Jahre si
Hausarzt fungiere, abgesehen von einer leichten Influenza und etwas Ner-
vosität, von keiner ernsten Krankheit nachweislich heimgesucht,
Gelegentlich einer dreiwöchentlichen Spessarttour, die schon vier
zehn Tage gut überstanden war, wurde Patient bei einem Nachmibtägt
ausfluge von einer tiefen Ohnmacht befallen; nach einer alkoholischen
Stärkung brachte man den noch etwas erschöpften Kaufmann I s
Hotel. Kaum zu Bett gebracht, stellte sich starkes Blutbrechen et,
das anfangs von der Umgebung und vom Patienten selbst. für Rotweit,
den er mittags genossen, gehalten wurde. Am nächsten Tage wurde nm
der Kranke nach Hause gebracht und kam in meine Behandlung.
Ich traf im Bett einen stark anämischen Menschen an; die Hait
farbe war blaßgelb, besonders die sichtbaren Schleimhäute an der Cor-
junctiva und den Lippen. Von einer ausgesprochenen Gelbfärbing a
Haut, wie sie bei dem Bilirubinikterus unter schweren I aa
mit Nachweis von Gallenfarbstoff im Urin der Fall ist, war keme Rene,
Die Pupillen waren gleich weit, reagierten rechts weniger we Bu
Lichteinfall und Akkommodation. Der Pals war dünn aber regelmäßig, 4
Herzschlag leise mit einem leichten anämischen, systolischen ges
an der Mitrelis. An den Lungen zeigte sich nichts Abnormeß a
Leber war hart, glatt vergrößert, ebenso die Milz. Ich habe wè
meiner Praxis so instruktiv eine Milz gefühlt wie in diesem Fale, "
sio bis hinunter zur Nabelhöhle reichte. Das Abdomen war stark .
trieben und ergab bei der Perkussion in den abhängigen Part
Dämpfung. Auch war durch Fingerschlag Undulstion (Ascites) nachwe
29. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2073
lich. Die Reflexe an den Beinen waren links normal, rechts gar nicht |
vorhanden. Babinski war negativ. Der Stuhlgang war regelmäßig, aber
die entleerten Faeces schwarz gefärbt, von starken intestinalen Blutungen
herrührend, die nach einigen Tagen schwanden. Eine spätere Unter-
suchung des Urins ergab Spuren Zuckers, kein Eiweiß, normales specifi-
sches Gewicht, kein Aceton, keine Gallenfarbstoffe und normal in der
Menge von 24 Stunden. Die Temperatur betrug 86° ©. Die Haupt-
beschwerden waren geringer Durst und starkes Mattigkeits- und
Schwindelgefühl.
Die Untersuchung des Bluts zeigte eine Leukopenie (Abnahme der
Zahl der weißen Blutkörperchen), aber sonst keine schwere Veränderung
an den Blutkörperchen. Bemerkenswert war der negative Ausfall der
Wassermannschen Reaktion im Hygienischen Institut ia Gießen. Dies
überraschte um so mehr, als die von mir angewandte mehrwöchentliche
Arsen-Jodkur zu einer glänzenden Restitutio führte. `
Nach weiterer siebenwöchentlicher symptomatischer Behandlung
wurde Patient arbeitsfähig entlassen. Zurück blieb nur eine starke Lipo-
matose, die angeblich in dem letzten Jahre besonders zugenommen haben
soll, und die ich in das Krankheitsbild von Banti nicht unterbringen konnte.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor allem auf die vorzügliche
Wirkung der Projodintabletten hinweisen. Ich verabreichte dreimal täg-
lich zwei Tabletten in Wasser vor dem Essen, Diese hatten im Ver-
gleich zu andern Jodpräparaten 1. den Vorzug des angenehmen Ge-
schmacks, 2. keinerlei Erscheinungen von Jodismus, 3. durch den Gehalt
von Protein als ausgezeichnetes Nährmittel zu wirken. Patient nahm in
wenigen Wochen rapid zu und fühlte sich kräftiger.
Mit der Schilderung dieses Krankheitsbildes glaube ich genügend
berechtigt zu sein, diesen Fall mit seiner Anämie, stark vergrößerten und
harten Milz und Leber, Ascites — nachdem Leukämie sicher ausge-
schieden werden konnte — als Bantische Krankheit anzusprechen. Auch
neige ich zu der bestimmten Annahme, daß ätiologisch nur die Syphilis
hier in Frage kommt (positive Jodreaktion).
Vielleicht dürfte diese Arbeit die Kollegen anregen, etwas mehr
über die Bantische Krankheit, die in der geringen Literatur nach keiner
Richtung geklärt ist, sowohl ätiologisch, symptomatisch und therapeu-
tisch ihre Beobachtungen mitzuteilen.
Prognostisch, das steht wohl schon heute fest, dürfte am Ende nur
der Exitus zu erwarten sein, wenn auch durch antiluetische Kuren, Splen-
ektomien und Röntgenbestrahlung vorübergehende Erfolge zu ver-
zeichnen sind.
Forschungsergebnisse aus Medizin und Naturwissenschaft.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Bern.
Ueber wirkungspotenzierende Momente in
Arzneigemischen
von
Prof. Dr. Emil Bürgi.
. (Schluß aus Nr. 50.)
Es war vielleicht etwas zu kühn, das für die Narkotica er-
wiesene Kombinationsgesetz auf sämtliche Arzneimittelgruppen zu
übertragen. Da ich aber auf allen Gebieten, die Kombinations-
versuchen zugänglich schienen und von mir bis dahin bearbeitet
werden konnten, die gleichen Verhältnisse fand, wird man meinen
gewagten Schluß, wenn nicht ganz berechtigt, so doch begreiflich
finden. Pharmakologen von der Bedeutung Hans Meyers!)
haben ihm übrigens zugestimmt.
Ich habe schon in verschiedenen Publikationen Zusammen-
stellungen der von mir und meinen Mitarbeitern bis dahin unter-
suchten Arzneikombinationen gegeben. Ich will an dieser Stelle
daher nur die Erfahrungen mit drei weiteren Gruppen von Medi-
kamenten, die speziell praktisches Interesse haben, anführen, zu-
nächst die an den Diuretica gemachten. Ich verfüge hier über
sehr zahlreiche und vielfach variierte Versuche, über die ich aber
bis dahin nur teilweise referieren konnte und kann. Sie reihen
sich ohne Ausnahme in die von mir gefundene Regel ein. Daß
sich die Wirkungen der diuretischen Salze gegenseitig nicht ver-
stärken, nur summieren, wurde schon von Filehne und Rusch-
haupt?) festgestellt, daß die Glieder der Xanthinreihe kombiniert
kein erhöhtes diuretisches Vermögen äußern, hat Schlosser?)®)
auf meinem Laboratorium nachgewiesen, ebenso daß die gleich-
zeitige Beeinflussung der Nierentätigkeit durch Xanthinderivate
und Salze potenzierten Wert hat. Ich könnte diese Beispiele noch
vermehren, es widerstrebt mir aber, die Resultate meiner Mit-
arbeiter beständig vorzupublizieren.
Auch mit Desinfektionsmittelkombinationen habe ich
mich eine Zeitlang befaßt. Meine vorläufig auf diesem Gebiet
erhaltenen Resultate wurden von Blessing) veröffentlicht. Ihre
Publikation scheint Fühner6) entgangen zu sein. Ich habe diese
Untersuchungen nicht fortgesetzt, weil ich beim Durchlesen der
Desinfektionsmittelliteratur schon ein recht reichliches Material
vorfand, über das ich in kurzem berichten werde. Wichtiger aber
als die spärlichen, wenn auch mit meiner Lehre übereinstimmenden
Resultate Blessings, der nur kurze Zeit auf meinem Labora-
torium arbeitete, sind die Experimente Tsuzukis’?), wichtig nament-
lich auch wegen der von ihm verwendeten Methode. Er unter-
suchte auf Anregung von Prof. Kolle auf dem hygienischen In-
stitute Berns die Wirkung von Arzneigemischen auf Trypano-
) Meyer und Gottlieb, Die experimentelle Pha i
2. Auflage, sen, p rmakologie,
3) Pflügers A. Bd. 95, S. 409—488.
j Dissertation, Bern 1911.
> Bürgi, Verhandl. d. Kongresses f. innere Medizin 1911.
A, Ergebnisse der ges. Zahnheilkunde, Jahrg. 2, S. 242.
i A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 69, S. 348.
°) Zt. f£. Hyg. Bd. 68, S. 364.
getaucht wurden, als Versuchsobjekte.
somen. Die Experimente wurden am lebenden infizierten Tiere
vorgenommen, sind also methodisch grundsätzlich von den ge-
wöbnlichen Desinfektionsversuchen, bei denen die Parasiten eine
bestimmte Zeit mit dem Medikament in Berührung bleiben (hier-
über später mehr!) verschieden.
Die sehr interessanten Ergebnisse Tsuzukis lauten:
„1. Die Kombination mehrerer chemotherapeutisch wirksamer Sub-
stanzen bei Behandlung der experimentellen Nagana-Trypanosomeninfek-
tionen ergibt mit kleineren Mengen der einzelnen Heilmittel im Hinblick
auf die Therapia sterilisans magna eine bessere Wirkung und einen
sichereren Heileffekt als mit größeren Dosen der einzelnen Komponenten
der Arzneimittel. à
2. Die Kombination von Mitteln aus ein und derselben chemischen
Gruppe gibt ungünstigere Resultate bezüglich, des Heilefiekts als die
Kombination von Mitteln aus verschiedenen, chemisch weniger ver-
wandten Gruppen.
3. Die Kombination mehrerer Substanzen mit verschiedenen Aun-
griffspunkten im Sinne der Ehrlichschen Distributionsgesetze der
Arzneimittel und Gifte, sowie in Analogie der Wirkung von Narkotica
nach Bürgi ermöglicht es, sterilisierende Arzneigemische herzustellen,
die für den Gesamtorganismus relativ ungiftig sind, verglichen mit
der toxischen Wirkung der sterilisierenden Dosis der einzelnen Medi-
kamente.“
Die Uebereinstimmung dieser Resultate mit der von mir auf-
gestellten Regel leuchtet ein.
Schließlich komme ich noch auf die Kombination aus der
Gruppe der Lokalanaesthetica zu sprechen. Hierüber hat vor
Kochmann!) schon v. Issekutz?) und lange vor diesem Kraw-
kow3) mit seinen Schülern gearbeitet. Meine eigenen Unter-
suchungen, deren Hauptresultat ich schon in verschiedenen Publi-
kationen erwähnt habe, fallen jedenfalls vor den Beginn der Isse-
kutzschen Experimente. In extenso habe ich diese von meinem
Mitarbeiter Schmid) ausgeführten Versuche, die schon vor fast
einem Jahre der medizinischen Fakultät Berns als Dissertation
vorlagen, aus den oben angeführten Gründen noch nicht veröffent-
lichen können. Doch wird das demnächst geschehen. Schmid
wendete die Quaddelmethode an und experimentierte am Menschen,
Kochmann (und wohl auch Krawkow) benutzte den Ischiadicus,
Issekutz das Bein des Frosches, die in die Giftlösungen ein-
Auch hier waren mithin
die Methoden prinzipiell verschieden.
Bevor ich auf die Besprechung der vorliegenden Resultate
eintrete, möchte ich bemerken, daß ich eigentlich in dieser Reihe
keine nach meiner Regel eintretende Potenzierungen erwarten
konnte. Die pharmakologischen Angriffspunkte der insensibili-
sierenden Gifte sind vielleicht zum großen Teil identisch. Wir haben
wenigstens keine Anhaltspunkte für immerhin mögliche Verschieden-
heiten. Aus chemischen Ungleichheiten allein läßt sich, wie ich
wiederholt (auch schon an anderer Stelle) ausgeführt habe, nichts Be-
stimmtes schließen. Es ist bedauerlich, daß in der gegenwärtigen.
Zeit — aus Hast und Unruhe — nicht einmal mehr die Autoren
recht gelesen werden, die besprochen und kritisiert werden sollen.
1) A. a. QO.
2) Pflügers A. Bd.`145, S. 448.
3) Vide mein Referat Zt. f. Phys.
4) Dissertation, Bern 1911.
2074
—_
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22, Dezember.
ZT ll m m mm
_ Die Resultate, welche Schmid auf meinem Laboratorium mit
Kombinationen insensibilisierender Arzneien erhalten hat, schienen
mir eher für mein Gesetz zu sprechen, weil mit ihnen im großen
und ganzen rein additive Wirkungen erzielt wurden.
Die Kombinationen, die Schmid nach der Quaddelmethode
untersuchte, waren die folgenden: Cocain-Tropacocain, Cocain-P-
Eucain, Cocain-Stovain, Cocain-Novocain, Tropacocain-#-Eucain,
Tropacocain-Stovain, Tropacocain-Novocain, 8-Eucain-Stovain, 8-Eu-
cain-Novocain, Stovain-Novocain.
Schmid erhielt dabei niemals eine eigentliche Potenzierung
des Effekts, gewöhnlich erfolgte eine geringfügige Abnahme (also
eine nicht vollständige Addition), nur einmal war diese Verminde-
rung der Wirkung eine beträchtliche. Sie trat immer dann ein,
wenn die zwei kombinierten Glieder das gleiche Säureion besaßen.
Fühner!) hat vor kurzem dieser Wirkungsabnahme durch Mischung
Erwähnung getan und beigefügt, für sie finde sich in meinem
Kombinationsgesetze kein Platz. Ich habe sie schon früher ab
und zu bei Mischung gleichartiger Arzneien bemerkt und in ver-
schiedenen Arbeiten?) auf sie hinweisen lassen. Sie war aber nie-
mals so bedeutend, daß ich sie als praktisch wichtig hätte be-
zeichnen mögen, und ich hatte daher auch keine Veranlassung, sie
in der Formulierung meiner Kombinationsregel zum Ausdrucke zu
bringen. Im vorliegenden Falle (Lokalanaesthetica) hatte sie zudem
wahrscheinlich einen ganz besonderen Grund, auf den ich hier, um
weitschweifiges Theoretisieren zu vermeiden, nicht eingehen möchte;
ich habe ihn übrigens für chemisch Denkende schon klar genug
angedeutet, Schmids Untersuchungen ergaben also ein im großen
und ganzen additives Verhalten der insensibilisierenden Arzneien
bei Kombination. |
Im schärfsten Widerspruche zu diesen Resultaten stehen die
Angaben des Krawkowschen Schülers Schoff3), der dem unten
angegebenen, vielleicht nicht ganz vollständigen Referat nach nichts
als Potenzierungen fand, wenn er Körper der Cocaingruppe kom-
binierte. Was für Substanzen zur Verwendung kamen, ist nicht
ersichtlich. Die Ergebnisse von Issekutz®) habe ich schon an
anderer Stelle besprochen. Er untersuchte die Kombinationen
#-Eucain + Novocain, r-Eucain + Cocain und Cocain + Novocain,
außerdem die Gemische von Cocain, £-Eucain und Novocain mit
Antipyrin. Die Antipyrinkombinationen zeigten alle Potenzierungs-
wirkung, auch das Gemisch f-Eucain-Novocain, die andern zwei
verhielten sich additiv. Wegen des Resultats, das er mit 8-Eu-
cain-Novocain (gleichartige Arzneien) erhielt, hält v. Issekutz
meine Regel für widerlegt. Ich denke an die beinahe 3000 Ex-
perimente, die jetzt in meinem Laboratorium über diese Frage aus-
geführt worden sind, und kann den neidischen Ausspruch, die
Herren machen sich’s leicht, hier nicht unterdrücken. Auch
Schmid notierte bei der Kombination #-Eucain-Novocain: „geringe
Zunahme der Wirkung“. Geringen Zunahmen oder Abnahmen (im
Verbältnis zum Additionswerte) haben wir wegen der notwendig
vorhandenen Fehlerquellen niemals besondere Aufmerksamkeit ge-
schenkt (siehe auch unter anderm das oben über Papaverin-Mor-
phium Angegebene!). Kochmann) und sein Schüler Zorn®)
kamen zu ganz andern Resultaten wie v. Issekutz’), offenbar
weil sie eine andere Methode der Untersuchung anwendeten (Ein-
tauchen des Nervus ischiadieus des Frosches in die Giftlösung).
Cocain und Antipyrin addierten sich nur in ihrer Wirkung, Cocain
und Calium sulfuricum beziehungsweise chloratum potenzierten
sich, während sich Cocain und Calium nitricum wiederum ad-
dierten usw. Kochmann ist der Meinung, daß alle diese Kombi-
nationen meinem Gesetze nach Potenzierungen hätten ergeben sollen.
Dem Leser müssen hier zunächst die Widersprüche, die in
den Resultaten der verschiedenen Forscher enthalten sind, auf-
fallen. In der Tat hat ein jeder etwas anderes gefunden. Die
relativ arme Literatur über Arzneigemische ist schon recht reich
an solchen Widersprüchen. So erhielten z. B. Breslauer und
Woker8) mit Kombinationen von verschiedenen Alkoholen und
Urethanen bei Einzellnern Potenzierungen. Meinen Untersuchungen
nach verhielten sich die gleichen Substanzen beim Kaninchen nur
additiv, und Fühner?) fand den hämolytischen Effekt von Aethyl
1) A. a Q.
n S. u. A. Saradschian, Zt. f. exp. Path. Bd. 8.
3) Ref. f. Biochemie u. Biopbys. Bd. 12, S. 622.
4) A, a. Q.
s und ®) D. med. Woch. 1912, S. 1590.
1) A. a. O.
8) A. a. O.
) A. a. 0.
plus Prophylalkohol geringer als der algebraischen Summo de E
Einzelwirkung nach hätte angenommen werden müssen. Den Grmi $
für diese Widersprüche suche ich vorläufig in der prinzipiellen Ver.
schiedenheit der verwendeten Methoden. Ich habe fast immer a
Tieren und Menschen, die einen intakten Kreislauf hatten, experi-
mentiert. Streng genommen gilt also die von mir aufgestellte
Kombinationsregel auch nur für diese Verhältnisse, und ich hab
selber verschiedene Male betont!), daß bei Versuchen an Lebe
wesen oder Organen, die man in eine Giftlösung taucht, gan
andere Bedingungen vorliegen als bei den von mir gewählten
Wir können da nur mit einer Resorption, nicht aber mit eine
Abgabe des Giftes rechnen. |
Die Zellen haben viel mehr Zeit, sich mit den reaktion
fähigen Substanzen zu beladen, diese wiederum können sich und
die Zellmembranen viel intensiver in dem einen oder andern Sinn
beeinflussen. Mich wundert gar nicht, daß das Gesamtbild hier
‚ein viel mannigfaltigeres und widerstreitenderes wird. Offenbar
tritt, wenn bei intaktem Kreislauf Aufnahme und Abgabe der
Substanzen ungehindert verlaufen, die Verschiedenartigkeit der
pharmakologischen Wirkung als Potenzierungsprinzip vornehmlich,
vielleicht fast ausschließlich, in Aktion. Bleibt aber das Erfolgsorgan
respektive das ganze Versuchstier in der Giftlösung liegen, m
haben die andern Momente, die noch zu.Potenzierung, eventuell
auch Verminderung der Einzeleffekte führen können, viel mehr Zeit
und viel bessere Bedingungen, sich geltend zu machen.
Nur so kann ich mir die grundsätzlichen Widersprüche ar
klären, die in den an Schimmelpilzen, Einzellnern, roten Blot
körperchen und Muskelnervenpräparaten gewonnenen Resultaten
unter sich und gegenüber meinen im allgemeinen an Säugetieren
mit intaktem Kreislauf erhaltenen Ergebnissen existieren,
Bekanntlich stützte ich mich in der Erklärung der von mir
aufgestellten Kombinationsregel auf die Ehrlichsche Rezeptoren:
lehre, die ich allerdings von Anfang: an in einem sehr weiten Sinn
interpretierte. Als Rezeptoren verstand ich nicht bloß Substanzen
der Zelle, die mit Arzneien chemische Verbindungen eingehen,
sondern überhaupt alle die Stoffe, die aus physikalischen oder
chemischen Gründen pharmakologische Reaktionen vermitteln. Ic
hatte daher das Recht, auch Zellipoide Rezeptoren zu nennen.
Ich nahm an, daß Arzneien mit verschiedenem Angriffspunkte ver-
schiedene Rezeptoren entsprechen müßten, und daß ihre Wirkung
sich deshalb potenziere, weil bei ihrem Kontakt mit der Zelle zwi
Reaktionen gleichzeitig verlaufen. Kochmann hat nun Fische
dauernd von Narkoticagemischen umspülen lassen (vor ihm schon
Fühnsr) und konstatiert, daß sich Morphium und Scopolamin
auch bei dieser Versuchsanordnung in ihrer Wirkung potenziere,
Er schreibt, nach meiner Auffassung könne im Falle einer prak-
tisch unbeschränkt langen Aufnahmezeit der Gifte, also in dem
vorliegenden, unter allen Umständen nur ein Additionseffekt zu
stande kommen, und schließt daher aus seinen Resultaten kurzer:
hand, „daß die Bürgische Erklärungshypothese nicht zutrift", Die
Polemik Kochmanns ist mir sonst durch ruhige Sachlichkeit at-
genehm aufgefallen, dieser Schluß aber hält einer logischen Be
trachtung nicht stand. Die von mir gegebene Erklärung gilt zu
nächst wiederum nur für meine Versuchsbedingungen; intakter
Kreislauf, Möglichkeit der Giftabgabe. In Kochmanns Versuchs:
anordnung fehlt das zweite Moment. Er schließt nun, unter diesen
Umständen sei auch bei einem Rezeptor für beide Substanz
Zeit vorhanden, das mögliche Maximum aufzunehmen, das Gemisch
müsse daher gleich stark wirken, ob es von einem oder ob os Yon
zwei Rezeptoren zugleich aufgenommen würde. Ich begreife diesen
Schluß, ich habe ihn früher beinahe selbst gezogen, aber er ist
unberechtigt. | o PR
Man mag von der Annahme ausgehen, daß sich die Gift
einfach in der Zelle physikalisch lösen, oder an mehr oder weniger
feste chemische Bindungen denken, in beiden Fällen — der Eir
fachheit halber erwähne ich keine andern — hat Kochmann mir
dann recht, wenn man den aufnehmenden Substanzen ein pras
tisch unbegrenztes Lösungs- beziehungsweise Bindungsvermögēi
zuschreibt. Ist das nicht der Fall, und das dürfte das Gewöhl-
lichere sein, so wird eine Zelle aus einem Gemische, wenn Sie .
jede seiner Komponenten einen eignen Rezeptor hat, eine gró a
Giftmenge in sich eintreten lassen, als wenn sie für alle nur ane
5 5. u. a. Zt. f. allg. Phys. Daselbst ist auch auf die Arbeit ja
(gleiche Zeitschrift) hingewiesen, die mir durchaus nicht unbekatı p
wie Fühner glaubt, und die ich schon oft zitieren ließ. Sie 18
der Versuchsbedingungen wegen wieder nicht mit meinen Experimenten
vergleichbar.
22. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2075
at. Die Löslichkeit respektive die Bindungsfähigkeit wird sich
m zweiten Falle rascher und leichter erschöpfen. Ich weiß wohl,
laß ich mit diesen Worten nur eine Wahrscheinlichkeit aus-
;preche, aber eine Gewißheit wird sich hier wohl niemals erreichen
assen.
Physikalische und chemische Vorstellungen benutzt man
äufig für die Erklärung biologischer Probleme nur, um klarer
ınd einfacher denken zu können. Ich habe diese geistigen Bilder
iemals mit materiellen Realitäten verwechselt. Man kann, ja man
nuß in dem vorliegenden Falle unter andern auch an die Abwehr-
nittel der Zelle denken. Es scheint mir einleuchtend, : daß die
/erteidigung bei einem gleichzeitigen Angriffe von mehreren Seiten
her versagt. Das Resultat Kochmanns wundert mich also gar
icht und es steht in keinem Widerspruch zu meinen Auffassungen.
)ie Verschiedenheit des pharmakologischen Angriffspunkts wird
jei im großen und ganzen gleichsinnig wirkenden Arzneien also
mmer ein Potenzierungsmoment bilden, man mag die Versuchs-
edingungen wählen wie man will. Aber dieser Verstärkungs-
rund tritt bei ungehinderter Aufnahme und Abgabe der zu-
eführten Gifte mehr in den Vordergrund als bei andern Verhält-
issen. Die kürzere Dauer des Giftkontaktes gibt der Rezeptoren-
abl eine größere Geltung und läßt die andern wirkungspoten-
ierenden Faktoren, die etwa noch vorhanden sein können, mehr in
en Hintergrund treten. Das war mir doch von jeher klar, daß
ei der Mannigfaltigkeit der Arzneien und der Körperstoffe außer
en von mir gefundenen noch eine Reihe anderer Momente den
ynergismus von Medikamenten in diesem oder jenem Sinne be-
influssen können! Ich habe das auch an verschiedenen Stellen
etont. Man kann aber doch nicht verlangen, daß ich meine
igenen Resultate von vornherein gegen noch nicht vorhandene,
ventuell später zu erbringende zurücktreten lasse. Daß die andern
afür ausreichend sorgen würden, wußte ich ja so schon und
rauchte mich daher nicht zu beunruhigen.
Ich habe gar keinen Grund, weitere potenzierende Momente,
ie etwa noch gefunden werden, nicht gelten zu lassen. Wir
issen z. B. schon lange, daß durch einen an und für sich un-
irksamen Kochsalzzusatz die desinfizierende Kraft des Phenols
esteigert, die des Sublimats vermindert wird. Die Gründe für
iese Art von Potenzierung sind teils physikalischer, teils che-
ischer Natur und bekannt. Es ist denkbar, ja wahrscheinlich,
aB sich unter Umständen auch bei einer Vermengung von zwei
siderseits wirksamen Substanzen solche Beeinflussungen zeigen
erden, und außerdem sind noch viele andere Möglichkeiten vor-
anden, die hier nicht besprochen werden sollen und zum großen
eil auch gar nicht besprochen werden können.
Ich will nicht einmal bestreiten, daß selbst bei den von mir
3wählten Versuchsbedingungen sich gelegentlich auch andere
tenzierende Momente geltend machen können, als nur die Un-
eichartigkeit der pharmakologischen Angriffspunkte Bis dahin
eilich existiert eine Großzahl von Versuchen, die für die domi-
erende Kraft des von mir erkannten Prinzips sprechen, und kein
nziges Experiment, das sich nicht aus ihm erklären ließe. Eine
ı so vielen Fällen erhärtete Regel würde aber selbst durch
nige Ausnahmen noch nicht widerlegt.
Die Untersuchungen in der Gruppe der Lokalanaesthetica
ben, soweit sie meinen Versuchsbedingungen entsprachen, Re-
Itate zutage gefördert, die meine Auffassungen eher stützen als
iderlegen!). Die Verschiedenheiten der pharmakologischen An-
iffspunkte sind in der Gruppe dieser Arzneien allerdings un-
kannt; immerhin sind Potenzierungen nur bei Kombination
emisch stark abweichender Substanzen mit Sicherheit beob-
htet worden.
Wer die Arbeiten von mir und meinen Mitarbeitern durch-
eht, wird bemerken, daß ich mich im allgemeinen an die in der
ztlichen Praxis vorliegenden Verhältnisse gehalten habe.
adelung?), Tsuzuki®) und Zwetkoff®), die ähnliche Versuchs-
dingungen gewählt haben, kamen zu übereinstimmenden Resul-
ten. Die andern Autoren dagegen, die auf dem Gebiete der
'zneikombinationen tätig gewesen sind, suchten die Versuchs-
ordnungen aus theoretischen Gründen zu vereinfachen und kom-
1) Siehe unter anderm auch meine Antwort an Issekutz.
lügers A)
2) A. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 62, H. 5.
3 A.a. O
398) Kombination von Eisen und Arsen, (Zt. f. exp. Path. Ba. 9,
eD D a
plizierten damit ihre Resultate. Ihre Versuche sind wissenschaft-
lich ebenso berechtigt, ja notwendig wie die meinen, für die Praxis
aber sind sie vorderhand belanglos geblieben. Ich muß das mit
Nachdruck betonen. Die Gefahr, daß namhafte Fabriken, Aerzte
oder Pharmakologen den Vorschlag von Breslauer und Woker!)
aufgreifen, Narkoticagemische für die menschliche Therapie an
Colpidium colpoda auszuwerten, besteht allerdings nicht, aber der
Versuch, die praktische Wichtigkeit meiner Arbeiten aus den Er-
gebnissen von Untersuchungen, die ihrer ganzen Anordnung nach
rein theoretische Bedeutung haben müssen, zu bestreiten, ist
neuerdings mehrmals gemacht worden. Ich setze das Theoretische
nicht etwa in einen prinzipiellen Gegensatz zum Praktischen, sonst
hätte ich die Unterschiede in den von mir und von andern er-
haltenen Resultaten nicht aus den verschiedenen Untersuchungs-
bedingungen eingehend zu erklären gesucht. Meine Experimente
haben aber bei möglichst großer Annäherung der Ver-
suchsanordnung an die für die Therapie maßgebenden
Verhältnisse gezeigt, daß die pharmakologische Ver-
schiedenartigkeit der einzelnen Glieder eines Arznei-
gemisches eine Wirkungspotenzierung hervorrufen muß.
Für zahlreiche Kombinationen ist das sichergestellt, für
die gebräuchlichen Narkotica in ihrem ganzen Umfang ’
erwiesen und durch die Erfahrungen der Praktiker er-
härtet. Selbstverständlich muß die pharmakologische Kraft eines
jeden neu einzuführenden Gemisches trotzdem zuerst im Tierexperi-
ment geprüft werden. Ueber die Allgemeingültigkeit der von mir
aufgestellten Kombinationsregel mag man sich streiten, die ge-
fundenen Tatsachen aber lassen sich nicht wegleugnen.
Ueber Lebensdauer von Zwergsträuchern
aus der Muskauer Heide
von
R. Lauche (Muskau) und F. Kanngießer (Braunfels).
Aus der Umgegend von Muskau in ‘der Oberlausitz wurden
speziell aus der Heide von nachfolgenden Zwergstraucharten ein-
zelne auffallend starke Exemplare gesammelt und an Querschnitten
der Wurzelkrone mikroskopisch auf ihr Alter respektive die Zahl
ihrer Jahrringe untersucht.
Andromeda polifolia. Standort: Muskauer Heide, am
Hermannsluch. Feuchter Heideboden mit Sphagnum, Calluna und
Ledum. 140 m über Meereshöhe,
Dm.?) WR. MR. Alter
3 mm 1,4 mm 0,35 mm 4 Jahre
3 on 15 „ 0,30 „ 5 „
Arctostaphylos uva ursi. Bärentraube. Muskauer Heide.
Die sieben ersten Exemplare, kleinblättrig, stammen von sehr
schlechtem Boden. Kiefernheide. Revier Köbeln. Sandboden, 132 m
über Meereshöhe. Die beiden letzten Exemplare, Blätter mittelgroß,
stammen aus dem Revier Altteich. Sandboden. 130 m über
Meereshöhe. Das Holz der Bärentraube ist häufig auffallend
exzentrisch gebaut und sehr gefäßreich. '
Dm. WR. MR. Alter
6 mm 2,6 mm Y T Jahre
7,5, 52 „ T -y
I „ 6,9 „ T y
5,2 p 85 „ Y 8 ,
55, 36 „ 0,48 mm?) 8 „
6 „ 41 „ A 10 „
10 „ 5,2 3 13 ”
12 „ 79 „ 2 y
20,5 „ 16 „ À 45 „
Calluna vulgaris. Heidekraut. Die sieben ersten Exem-
plare stammen aus dem Muskauer Forst, Jagen 288. Etwa 1 m
hoher Moorboden über Sandboden. Standort, 140 m über Meeres-
höhe, war früher sehr naß, seit vergangenem Jahre trocken. Die
drei folgenden Exemplare stammen aus der Muskauer Heide, Re-
vier Lugknitz, Kiefernbestand, Sandboden, 150 m über Meereshöhe.
Die fünf letzten Exemplare stammen von den Grabenrändern bei
Hermsdorf, Sandboden, 136 m über Meereshöhe.
1) A. a. O. o |
» Dm. = der größte Durchmesser der Wurzelkrone (des Wurzel-
halses); WR. — Wachstumsradius: der größte Radius des Holzkörpers;
MR, = Mittlere Ringbreite, berechnet aus WR. |
3) Berechnet aus sämtlichen MR.
2076 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 22, Dezember,
Dm. WR. MR. Alter Boden: Untergrund Sand, darüber zirka 11/4 m hohes Moor; seit
8 mm 4,5 mm y 7 Jahre vergangenem Jahr irfolge von Austrocknung stellenweise passier-
15 „ 61, 15 „ bar; alte Sphagnumpolster mit Vaccinium oxycoceus überzogen:
Ar » a8 n. T ” Tausende von alten Porststöcken, die zum Teil bis 2 m Kronen-
0 ° p a 20 ” durchmesser haben; dazwischen locker verteilt Anflugkiefern, die
16,4 g ” %9 aber kümmern. Standort des letzten Exemplars: Weißkeißel,
92 „, 58, 1 , Dm.. WR. | MR. Alter
112 „ 67, 0,39 mm 15 „ 17 10 mm 0,56 mm 18 Jahre
112 , 6, 17 >? 175 „ 9 „ 0,45 „ à
121 „ 62 „ 20 , 22,5 „ 11,5 (5,2+ X) mm (0,40) „ 13 + X Jahre
82 „ b „ 10 „ 20» 11 mm 0,48 ,, 23 Jahre
a 2 p9 2 = 7 Salix repens. Kriechweide. Muskauer Heide, Anmooriger
92, 5, 14 . Boden. 125 m über Meereshöhe. 2
. 115 „ 64 „ 16 „ Dm. WR. MR. Alter
Cytisus nigricans. Waldrand bei Braunsdorf. Mergel- vi zum 8 ma T A Jahre
haltiger Sandboden. 148 m über Meereshöhe. Holz sehr hart.
Dm. WR. MR. Alter
26,2 mm ‘12,5 mm 1,8 mm 7 Jahre
Erica tetralix. Glockenheide. Aus dem Muskauer Forst.
Dm. WR. MR. Alter l
42 mm 22 mm y | 9 Jahre
6 , 83 „ 10 ,
3.9 2, 0,26 mm 11;
6,2 „ 4 z A 12 ,
52 „ 82 „ 14 „
Genista!) germanica. Das erste Exemplar stammt von
den Grabenrändern bei Hermsdorf, Sandboden, 136 m über Meeres-
höhe. Das zweite stammt aus der Muskauer Heide, sandiger
Boden, 140 m über Meereshöhe.
Dm. WR. MR. Alter
3,5 mm 2,1 mm 0,53 mm 4 Jahre
5 8 , 0,18 „ 10 ,
Genista pilosa. Muskauer Heide. Die drei ersten Exem-
plare aus dem Revier Altteich, die vier letzten aus dem Reviere
Köbeln.
Dm - WR. MR. Alter
3,7 mm 2 mm 7 Jahre
5 „ 82 „ 8 „
45 „ 2 , IL:
6 „ 21 „ 0,28 mm 6 „
62 „ 21 „ 10 ,
55 „ 26 „ i y
64 „ 83 „ u
Genista tinetoria. Muskauer Heide. Sandiger Heideboden.
130 m über Meereshöhe.
Dm. WR. MR. Alter
17 mm 9 mm 0.50 mm 16 Jahre
10 » 4 „ 0,20 „ 20 „
Ledum palustre. Porst. Wilder Rosmarin. Giftrosmarin.
Standort der drei ersten Exemplare: Muskauer Heide, Jagen 216.
Vaccinium myrtillus. Heidelbeere, Blaubeere, Bickbeera
Die zwei ersten Exemplare aus der Muskauer Heide, Revier Alt-
teich; die zwei weiteren Exemplare: Muskauer Heide, Revier Lug-
knitz, 140 m über Meereshöhe, feuchter Heideboden; die vier letzten
Exemplare aus dem Keulaer Tiergarten, trockner Kiefernboden,
130 m über Meereshöbe.
Dm. WR. "MR. Alter
83 mm 5.2 mm y 13 Jahre
14,5 „ 82 „ | Bi
12, 36 „ I 0%
93 „ DI ci 14 „
5,9 33 3,4 94 AS 8 ”
50 „ 28 p Dt ai
55 „ 8 yp A
5,4 2 3 „ 13 „
Vaccinium uliginosum. Moorbeere, Sumpfheidelbeers,
Revier Lugknitz.
Dm WR. MR Alter
6,7 mm 38 mm 0.33 mm 9 Jahre
’ y ’ 1 0,32 „ „
8,5 „ 4 s, 0,36 1 11 „
9 „ 43 „ 0,31 „ 14 ,
Vaccinium vitis idaea. Preiselbeere, Krunsbeere. Mus-
kauer Heide, Revier Lugknitz. Kiefernheide, Sandboden. 155 m
über Meereshöhe,
Dm. WR. MR. Alter
ö mm 1,2 mm 0,19 mm 7 Jahre
28 „ 13 , Oii , 12.
Als einschlägige Arbeiten zu vorliegendem Thema vergleiche un
anderem: Kanngießer, Ueber die Lebensdauer von Ericaceen der Pyre
näen (Naturw. Woch. 1911, S. 639); Graf zu Leiningen und Kam:
gießer, Ueber Alter und Dickenzuwachs von Kleinsträuchern (Bericht X5,
H. 2, der Bayer. bot. Ges.); ferner: Kanngießer, Mitteilung über
Lebensdauer von Polarsträuchern (Gartenflora 1912, S. 58).
Aus der Praxis für die Praxis.
Otologie
von
Oberstabsarzt a. D. Dr. Ernst Barth, Berlin.
(Fortsetzung.)
b) Otitis media acuta purulenta sen perforativa.
Die eben genannten Symptome der Otitis media simplex ge-
winnen an Intensität (starke Schmerzen, diffuse Injektion des
Trommelfells, stärkere Vorwölbung des Trommelfells infolge reich-
licber Exsudatbildung), oder aber setzen von Anfang an stür-
mischer ein, auch unter stärkerer Temperaturerhöhung bis zu
400C. Selbst cerebrale Erscheinungen, Erbrechen, Krämpfe, können
sich geltend machen. Auf dem Trommelfelle können sich Blasen
bilden, oder aber die oberen Epidermislagen erscheinen infolge
seröser Infiltration maceriert. Der Warzentortsatz wird auf Druck
empfindlich infolge Anfüllung seiner Zellen mit Exsudat. Das
Exsudat in der Paukenhöhle wird so reichlich, daß es das. Trom-
nelfell nicht nur vorwölbt, sondern perforiert und in den äußeren
Gehörgang durchbricht. Zu Anfang ist das Exsudat gewöhnlich
gelblich-serös oder blutig-serös, wird aber bald eitrig. Die vor der
ı) Die Jahrringgrenzen der Ginsterholzarten sind auch mikro-
skopisch nicht deutlich zu eruieren, sodaß die Altersangaben nur mit Re-
servat zu bewerten sind.
Perforation gewöhnlich sehr starken Schmerzen pflegen nach er
folgter Perforation erheblich na6hzulassen.
Die Perforation erkennt mar außer an der Anwesenheit dee
Sekrets im äußeren Gehörgange otoskopisch gewöhnlich an dem
pulsierenden Lichtreflex, indem die injizierten Gefäße der Pauken:
schleimhaut ibre Bewegung dem Exsudate mitteilen. Ein ‚Per
forationsgeräusch kann beim Valsalvaschen Versuch hörbar
werden, jedoch nicht immer, es bleibt aus, wenn der Luftstrom die
Exsudatmenge nicht zu durchbrechen vermag oder die Schwellung®®
der Schleimhaut den Luftstrom nicht passieren lassen. ‚Das fär-
vermögen ist ebenfalls stärker geschädigt als bei der Otitis simples.
Die Hörweite für Flüsterstimme sinkt bis auf wenige Zentimeter.
Die Knochenleitung ist verlängert, die Stimmgabel wird nach der
kranken Seite lateralisiert, die Luftleitung verkürzt ( Schwabat
scher und Weberscher Versuch positiv, Rinnescher Vers
negativ). A.
Die Behandlung der akuten eitrigen Otitis hat ihre Hp
aufgabe in der Verhütung einer Eiterverhaltung. Ubi pus, Zar
gilt hier besonders. Zeigen die entzündlichen Erscheinungen f,
die für die Behandlung der Otitis acuta simplex angegebenen m
nahmen keine Neigung nachzulassen, nehmen die Vorwölbun =
Trommelfells und die Ohrenschmerzen zu, so ist die Paracen z
des Trommelfells indiziert. Die Erleichterung in dem Abflusse a
Exsudats wirkt nicht nur entlastend für die Paukenhöhle, £0
29. Dezember.
auch schmerzstillend. Das in den Gehörgang gelangende Sekret
wird mehrmals am Tage mit kleinen Wattebäuschen ausgetupft,
das Ohr selbst mit einer Lage Watte bedeckt, schon um die Ver-
unreinigung des Bettes zu verhüten. Die Einführung eines lockeren
Gazestreifens in den Gehörgang zur Ansaugung des Sekrets ist
angängig, hat aber nur Zweck, solange man die Quantität des
Ausflusses kontrollieren will; bei profuser Otorhoe darf er vor
allen Dingen nicht die Sekretstauung begünstigen. Von manchen
Ohrenärzten wird es empfohlen, von manchen perhorresziert, an
die Paracentese die Luftdusche anzuschließen, um die Paukenhöhle
zu entleeren. Sicherlich hat der Katheterismus bedenkliche Ge-
fahren, sobald das Exsudat eitrig ist, Gefahren, welche darin be-
stehen, daß eitriges Exsudat in das Antrum mastoid. und die
Warzenfortsatzzellen geschleudert und der Ausgangspunkt einer
sonst vielleicht vermeidbaren Warzenfortsatzeiterung wird.. Ist der
Verdacht nur einigermaßen begründet, daß das Exsudat bereits
eitrig ist, so stehe man vom Katheterismus ab. Dasselbe gilt auch
für die Rekonvaleszenz, das heißt für die Zeit, in welcher der Aus-
fluß nachläßt, seine eitrige Beschaffenheit verliert und mehr
schleimig wird. Auch dann kann durch einen zu frühen Ka-
theterismus immer noch eine Warzenfortsatzeiterung ausgelöst
werden.
Noch gefährlicher und daher unbedingt zu verwerfen ist
jeder Versuch, durch den Katheter eine antiseptische Flüssigkeit
in die Paukenhöhle zu treiben und durch die Perforation hindurch
die Paukenhöhle auszuspülen. Ist dieses Verfahren schon bei rein
katarrhalischen Prozessen in seiner Wirkung unsicher und in seinen
Folgen nicht unbedenklich, bei Eiterungen darf seine Anwendung
überhaupt nicht in Frage kommen. |
Hingegen halten die Bedenken, welche auch gegen die An-
wendung der Paracentese erhoben worden sind, der Erfahrung nicht
Stand. Ein Nachteil kann aus einer regelrecht ausgeführten Para-
centese nicht erwachsen, vorausgesetzt, daß nicht jene abnorm
seltenen anatomischen Anomalien der Paukenhöhle (Bulbus jugu-
laris, Carotis) vorliegen. Die Möglichkeit einer Infektion der
Paukenhöhle vom äußeren Gehörgange aus muß allerdings zu-
gegeben werden, denn das ÖOperationsfeld läßt sich nicht absolut
keimfrei machen. Auch ist darauf hingewiesen worden, daß durch
das Schneuzen Keime durch die Tube leichter in die Paukenhöhle
geschleudert werden, wenn das Trommelfell perforiert ist. Man
wird also die Paracentese immer nur dann machen, wenn sie
durch Vorbuchtung des Trommelfells indiziert ist.
Die Ausspülung des äußeren Gehörgangs mit antiseptischen
Lösungen kann höchstens der Reinigung desselben dienen. Ist das
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2077
Trommelfell frisch perforiert, so wird der Spalt von der ge-
schwollenen Schleimhaut sofort verlegt, daß also nur die mit ganz
außergewöhnlichem Druck eingespritzte Flüssigkeit in die Pauken-
höhle gelangen könnte. Ein günstiger Einfluß der Flüssigkeit auf ,
den Prozeß in der Paukenhöhle ist nicht anzunehmen, wohl aber
besteht die Gefahr, daß neue Keime von der Gehörgangswand in
die Pauke hineingetrieben werden. Man vermeidet also das Aus-
spritzen während der akuten Entzündung und reinigt den Gehör-
gang nur durch Austupfen mit Watte. Auch die Insufflation von
antiseptischen Pulvern, zum Beispiel von Borsäure, hat bei der
akuten perforativen Otitis keinen Wert. Es kann jedoch durch
derartige Pulver eine Gefahr entstehen, wenn sie zu reichlich in-
suffliert, zusammentrocknen und eine Retention des Sekrets ver-
anlassen. Einer Zersetzung des Sekrets beugt man besser durch
häufiges Reinigen des Gehörgangs vermittels Austupfens vor. _
Indem bei der Behandlung der akuten eitrigen Otitis das
Hauptaugenmerk auf eine Verhütung von Eiterverhaltung in der
Paukenhöhle, üßerhaupt in sämtlichen Mittelohrräumen zu richten
ist, bedarf es auch einer täglichen Kontrolle des Abflusses. Die
Paracenteseöffnung verklebt sehr leicht, die Paracentese muß daher
gegebenenfalls sogar öfter wiederholt werden. Ist der Katheterismus
nicht zu empfehlen, so kann man jedoch eine Aspiration des Eiters
durch die Perforation vermittels eines Saugballes versuchen, indem
man das Schlauchende beziehungsweise das gläserne Ansatzstück
luftdicht in den Gehörgang einlegt, während man den Ball zu-
sammengedrückt hält. Läßt man darauf den Ball sich entfalten,
so übt er nur eine Saugewirkung aus.
Durch die Perforation drängt sich manchmal die geschwollene
Paukenschleimhaut nach außen und man sieht dann an Stelle der
Perforation eine zapfen- oder zitzenförmige Wucherung, welche die
Eiterentleerung erschweren oder hemmen kann. Es muß dann die
Paracentese an einer benachbarten Stelle wiederholt werden. Die
Wucherung kann sich mit der Abschwellung der Schleimhaut zu-
rückbilden oder aber sie muß anderweitig beseitigt werden. Mit
der Schlinge ist sie gewöhnlich nicht zu fassen. Man zerstört sie
besser durch Chromsäure, indem man sie vorsichtig mit der Sonde
berührt, an welche man Chromsäurekristalle angeschmolzen hat.
Die früher üblichen Blutentziehungen durch Blutegel, welche
man am Woarzenfortsatz oder auch am Tragus aufsetzte, sind,
weil unzweckmäßig, verlassen. Die dadurch hervorgerufenen Ver-
änderungen der Haut über dem Warzenfortsatz erschweren das
Urteil über die Beteiligung desselben an der Eiterung und es ist
gerade die wichtigste Aufgabe in der Behandlung, die Beteiligung
des Warzenfortsatzes an dem Prozesse zu überwachen.
Referatenteil.
Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie bei Tuberkulose
von Prof. Dr. H. v. Bardeleben, Berlin.
. (Schluß aus Nr. 50.)
Nach diesen Erörterungen der Indikationsstellung zur Ope-
ration im allgemeinen haben wir uns die Fragen vorzulegen, worauf
wir bei der Operation selbst im einzelnen unser Augenmerk zu
richten haben und welche Aussichten uns erfahrungsgemäß be-
vorstehen.
Es müßte da theoretisch reine Peritonealtuberkulose von
Genitaltuberkulose und einer Kombination beider streng geschieden
werden. Und die Berechtigung zeigen uns die gründlichen und
umfangreichen Aufstellungen Labhards insofern, als die Prognose
der Operation für die Komplikation von Genitaltuberkulose und
Peritonealtuberkulose etwas ungünstiger ist als für die Genital-
tuberkulose allein.
Für die Peritonealtuberkulose bleibt noch zu erörtern, ob
wir Grund haben, die Tuben in allen Fällen mit hinwegzunehmen.,
Die Neigung zur Ausheilung der Tube ist zweifellos geringer als
diejenige des Bauchfells.
So sahen sich N6ölaton und Jordan je einmal läugere Zeit nach
der Laparotomie wegen Peritonealtuberkulose gezwungen, nochmals wegen
-der fortschreitenden Erkrankung der Tuben einzugreifen. v. Franqu6
mußte drei Patientinnen wegen tuberkulöser Adnextumoren operieren,
siebzehn, acht und vier Jahre, nachdem sie wegen Bauchfelltuberkulose
behandelt, zwei davon operiert waren. Das Bauchfell war ausgeheilt,
aber die Adnexe schwer erkrankt, zum Teil auch der Uterus nachträglich
in Mitleidenschaft gezogen. Simmonds erwähnt einen offenbar gleich-
artigen Sektionsfall bei einem 17jährigen Mädchen mit doppelseitiger
Tubenverklebung, ausgedehnter Verwachsung der Darmschlingen unter-
einander und nur ganz vereinzelten schwieligen Knötchen in den Ad-
häsionen.
Von Baumgarten und Albrecht gelang os zwar nicht, am Ver-
suchstiere das Uebergreifen der Rauchfelltuberkulose auf die Tube zu de-
monstrieren, die anatomischen Sektionsbefunde zeigen uns aber einwand-
frei, daß dies gleichfalls neben dem häufigsten Modus paralleler Infektion
von einem gemeinsamen Ursprungsherde her in einer Minderzahl der
Fälle vorkommt. Das hat nicht nur Simmonds bewiesen, sondern auch
Schlimpert in sieben von 73 Fällen außer Frage gestellt.
Der Vorschlag von Winter, eben deshalb in allen Fällen von
Peritonealtuberkulose selbst makroskopisch gesund erscheinende Tuben
bei der Laparotomie mit zu entfernen, verdient um so mehr Beachtung, als
Simmonds eine Form der tuberkulösen Tubenerkrankung nachgewiesen
hat, welche sich makroskopisch nicht verrät und die or als tuberkulösen
Katarrh bezeichnete. Im übrigen wird die Entfernung der Tuben sich
von selbst verbieten in Fällen, wo die Lösung abdeckender Darmadhäsionen
die Gefahr einer bei Tuberkulose meist tödlichen Darmverletzung mit
sich bringen würde. Es bleibt uns in solchen Fällen keine andere Wahl,
‘als die des kleineren Uebels.
Die Resultate, welche Heymann nach einfacher Laparotomie ohne
Berücksichtigung der Tuben bei Peritonealtuberkulose bekannt gibt, sind
nicht bestechend: von 36 Fällen sind acht verschollen, 13 gestorben.
Demgegenüber fard v. Krencki in einer Zusammenstellung aus der
Literatur und aus eignen Fällen (Winter) 76,6 °/o Heilungen mit Tuben-
excisionen gegenüber 51,385 %0 nach einfacher Incision. Loehlein,
Czerny, Koerte sind gleicher Ansicht.
Die Entfernung beider Tuben bei Genitaltuberkulose ist zweifellos
geboten. Welches auch die Gründe sein mögen, die Tatsache steht fest,
daß sie nicht nur am häufigsten (Simmonds 74%, Targett 90%,
Blau 91,6°/0), sondern auch meist als erste erkranken. Es sollten daher
auch stets beide Tuben fallen. Baisch wurde für den Versuch, eine
nahezu gesunde Tube stehen zu lassen, bitter enttäuscht, und warnt bei
b
2078 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22. Dezember,
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der Gelegenheit vor der Ohnmacht der Tube, selbst anscheinend gering-
fügige tuberkulöse Affektionen zu überwinden.
Bezüglich des Uterus ist die Entscheidung schwieriger. Sim-
monds, dessen Material infolge der durchgehends mikroskopischen Unter-
suchung besonders beweiskräftig ist, gibt an, daß in 740/, von tuber-
kulösen Tubenerkrankungen der Uterus mitbeteiligt war. Der Gedanke,
den Uterus zurückzulassen, könnte nur in solchen Fällen allgemeine
Billigung finden, wo die Annahme sich überzeugend begründen läßt, daß
derselbe tuberkulosefrei ist. Aber auch dann ist keine Sicherheit dafür
vorhanden. Albrecht sah einen Fall, bei welchem wegen Adnextuber-
kulose die Adnexe entfernt worden waren und später bei geringem Lungen-
befund eine tödliche Bauchfelltuberkulose bei schwer tuberkulös er-
kranktem Uterus aus dem kleinen Becken heraus sich entwickelte.
Baisch hatte nach Zurücklassung des Uterus kein Rezidiv zu beklagen.
Aber er hebt ausdrücklich hervor, daß die radikaler Operierten sich auf
die Dauer besser befanden, und Neu und Fetzer stimmen dem auf
Grund gleicher Erfahrungen an der Heidelberger und Tübinger Klinik
durchaus zu. Die Herausnahme des Uterus schafft aber, ganz abgesehen
davon, viel günstigere chirurgische Verhältnisse, sodaß die Belassung des
Uterus, wie sie Kroenig und Sellheim empfehlen,‘ zweifellos nur in
Ausnahmefällen angebracht ist.
Besondere Gesichtspunkte sind bei den Ovarien zu berück-
sichtigen. Es ist das Verdienst von Simmonds, die Serosatuber-
kulose am Ovarium von der eigentlichen Eierstocktuberkulose ana- -
tomisch streng getrennt zu haben, wie wir es Kroemer verdanken,
die grundverschiedene klinische Bedeutung erkannt und erwiesen
zu haben. Der genauen Beschreibung nach sind die Fälle von
Wolff alle derartige tuberkulöse Perioophoritiden.
Die Prozentzahl 66 (drei von fünf Fällen) wird in der Literatur
vielfach erwähnt, obschon Wolff selbst sich dieser prozentualen Ab-
straktion, ähnlich wie Polano bei vier von sechs Fällen, begreiflicher-
weise enthalten hat. Simmonds fand an der Oberfläche des Organs recht
häufig Knötchen, tuberkulöse Herde im Innern desselben sind ihm nur
dreimal begegnet. Schlimpert sah die Tuberkeln im Innern sieben-
mal, auf der Serosa dreimal. Er deutet letztere gleichfalls lediglich als
Teilerscheinung der Peritonealtuberkulose, die sich hierbei nach dem ge-
meinsamen Urteil aller Autoren stets vorfindet. E. Kraus berichtet
einen auffälligen Befund, wo das gesunde Ovarium ringsherum eingebettet
lag in fortgeschrittene tuberkulöse Prozesse, die von der Appendix auf
die rechten Adnexe übergegriffen hatten. Aehnliche Vorkommnisse sind
seitdem zahlreich beschrieben worden und haben zu der Vorstellung ge-
führt, daß die eigentliche Ovarialtuberkulose auf dem Wege der Lymph-
oder Blutgefäße fortgeleitet entstehe. Die einzigen Fälle isolierter Ovarial-
tuberkulose fand Schlimpert, einmal als beiläufige Teilerscheinung von
Miliartuberkulose, einmal ohne dieselbe. Kroemer beobachtete, daß die-
selbe überhaupt selten und gewöhnlich spät eintritt.
Diese klinischen Ergebnisse stehen im Einklang mit den
experimentellen Erfahrungen von Schottländer und Acconci.
Nach Schottländer bedarf es sehr zahlreicher Bacillen, um tuber-
kulöse Ovarie zu erzeugen. Die Bilder frühzeitiger Ausheilung,
welche beide Forscher häufig beobachteten, finden sich auch im
menschlichen Eierstocke. Wolff hat entsprechende Erscheinungen
beschrieben: Umhüllung isolierter Knötchen, in denen Tuberkel-
bacillen fehlen, mit Bindegewebe, welches in das Innere desselben
mit Ausläufern vordringt.
Nach alledem muß dem Ovarium eine gewisse Widerstands-
kraft gegen den Tuberkelbacillus eingeräumt werden, und es
scheint nicht notwendig, Ovarialgewebe bei Genitaltuberkulose zu
entfernen, wenn es nicht deutliche Zeichen der Erkrankung trägt.
Dieser Erfahrungssatz dürfte um so bereitwilliger beherzigt werden,
als die gelegentlichen Ausfallserscheinungen nach Kastration keine
Stütze für den Körper im Kampfe gegen gleichzeitige primäre
tuberkulöse Herde bedeuten.
Der Gedanke aber, den A. Martin vor acht Jahren in Rom
aussprach, daß vielleicht durch Entfernung des Uterus, der Tuben
und Ovarien, der Chemismus des ganzen Körpers in dem Sinne
einer Erhöhung der Widerstandskraft des Individuums gegen die
Verheerungen des Tuberkelbacillus nachhaltig beeinflußt wird,
findet an den soeben beschriebenen Beobachtungen für das Ovarium
keine tatsächliche Grundlage: Besitzt ein Organ besondere Ab-
wehrkraft gegen einen Eindringling, so können seine inneren Ab-
sonderungen, sofern man dieselben hierfür in Betracht ziehen will,
nur günstig, aber nicht nachteilig im Kampfe gegen dieselben
wirken. Thaler wirft auf Grund seiner Experimente sogar die
Frage auf, ob nicht durch den Ausfall der Keimdrüsen die Dis-
position zur Progredienz tuberkulöser Prozesse im Gegenteil eine
Steigerung erfahren könne. In dieser Hinsicht sei beiläufig an
das Verhalten des Organs mit vielfach homologer innerer Sekretion
erinnert.‘ Die Schilddrüse, wie schon Virchow betonte, erkrankt
äußerst selten an Tuberkulose. Ich fand nur bei Wolff den Fall
eines dreijährigen Mädchens erwähnt mit einem bohnengroßen
tuberkulösen Käseherd im rechten Schilddrüsenlappen.
Für die Operation möchten wir aus diesen Betrachtungen
ein möglichst konservatives Verhalten dem Ovarium gegenüber
ableiten.
Als Operationsweg empfiehlt sich in erster Linie die Lap
rotomie, die „ein exaktes. Operieren, Schonung der Organe, vor-
sichtige Lösung der Adhäsionen, Vermeidung von Nebenver-
letzungen, reinliche Versorgung des Operationsfeldes und eventuell
ein konservatives Vorgehen gestattet“. Nur bei Fehlen festerer
Adhäsionen ist der vaginale Weg einfacher und ermöglicht eine
raschere Rekonvaleszenz. Diesen Worten von Baisch möchte ich
mich voll und ganz anschließen. Loehlein wollte die vaginale
Coeliotomie für Fälle mit freiem Ascites und erschöpftem Allgemein-
befinden vorbehalten wissen (Pape). Er erzielte damit fünfmal
unter sieben Fällen Heilung. Küstner verwirft den Scheiden-
schnitt zur Ablassung des Bauchwassers, da er Ungenüge-
des leiste. i
Gegen den Bauchschnitt werden vielfach die Gefahren geltend
gemacht, die wir bereits aufzählten, vor allem das Wiederauf-
brechen der Narbe, welches noch monatelang nach der Operation
in einzelnen Fällen eintrat (von Franque, Rabinowa). Tuber-
kulöser Zerfall mit Durchbruch nach dem Rectum ist aber auch
vereinzelt nach Scheidenschnitt beobachtet worden. Zum Schutze
der Bauchwunde wird neuerdings wieder vielfach die Einreibung
mit Jodoform angeraten, welche Koenig und von Olshause
vielfach gepriesen haben.
Sarwey erzielte mit dem Pfannonstielschen Wechsel-
schnitte 15 mal Heilung bei Tuberkulose ohne eine der gefürchteten
Störungen. Fetzer bestätigt diese Ueberlegenheit des Quer-
schnitts gegenüber dem Längsschnitt, und nur von Frangue
vermag dem nicht beizustimmen.
Einfache Fisteln und tuberkulöser Zerfall heilen gut unter
Röntgenbehandlung. Nach Wunderlich heilt beides stets spontan,
wenn auch protrahiert, während Kotfisteln nur in 25 °/ spontane
Heilungstendenz zeigen, dagegen in 50 °?/ọ zum Tode führen,
Zur Unterstützung der operativen Heilwirkung ist Aus
spülung des Peritoneums mit Desinfizientien, z. B. Formalin
(Truzzi, Veit), Einreiben mit Jodoform und anderes empfohlen
worden. Nach Jodoform sah Opitz zwei Todesfälle. Besondere
Beachtung verdient die Pfannenstielsche Oelbehandlung, welche
Höhne in Form der anteoperativen Campheröltherapie noch weiter
gebessert und in ihrer Bedeutung durch Experimente nachhaltig
gestützt hat. Im übrigen bleibt es nicht nur unbenommen, dis
gesamten Hilfsmittel lokaler (Jodoformglycerin, Röntgenstrahlen
usw.) und allgemeiner Behandlungsweise (Sanatorien) der Oper
tion folgen zu lassen, sondern es ist dies zweifellos stets geboten,
leider, was die allgemeine Behandlung anbetrifft, nicht immer aus
führbar.
Ueberblieken wir die neueren Operationsstatistiken, so finden wir
nur bei Schauts die Angabe ungünstiger Resultate, während sich Bumn
auf Grund eines ungünstig verlaufenen Falles sehr, zurückhaltend äußen,
Zweifel betont, daß er nur die absolut hoffnungslosen Fälle ausge
schlossen, sonst aber gerade die schwereren Prozesse mit Vorliebe
operativ angegriffen habe. Die Zahl der bei der. Nachuntersuchung g%
sund Befundenen betrug 70%/o bei den Operierten, 550/o bei den Nicht-
operierten. Schickele fand, daß von operierten Fällen mit Peritoneal
tuberkulose nach mindestens drei Jahren 18 von 21, nach mindestens
fünf Jahren 13 von i6 und nach mindestens sieben Jahren 10 von {3
am Leben waren, bei nicht rigoros, sondern nur bedingt radikalom
Vorgehen. ;
Am richtigsten wäre eine Gegenüberstellung prinzipiell nicht
Operierter mit fortlaufenden Serien, welche die konservativ Behandalten,
die von der Operation Ausgeschlossenen und die Operierten gleicher-
maßen einschließen. Größere Reihen ausschließlich konservativ be:
handelter Fälle fehlen uns zurzeit, Sie werden sich auch nicht leicht
einwandfrei aufstellen lassen, weil wir keine unfehlbaren diagnostischen
Hilfsmittel besitzen außer der Curettage und der probatorischen Laps
tomie, von welchen wir die letztere im Notfall entschieden als das unge
fährlichere und vollkommener aufklärende Verfahren bevorzugen Sol.
Des weiteren sind noch zwei Vorbedingungen für die Vollgültigkeit eme,
operativen Statistik zu erfüllen: Beobachtungsdauer von vier M8
Jahren, Einrechnung aller Todesfälle an Tuberkulose ohne besondere
Auswahl. Diesen Anforderungen genügen die Zusammenstellungen I
Neu, Labhard und Baisch. Bei Neu lebten nach länger als mi
Jahren von 19 operierten und sechs konservativ behandelten Gronia-
tuberkulosen 17 = 680/, von neun operierten und drei konservati Wr
handelten Peritonealtuberkulosen 7 == 58,5 °/%%. Die Statistiken Y
Baisch und Labhard sind die größten nach den angegebenen em im
lichen Gesichtspunkten zusammengestellten Zahlenreihen. \ H a
110 Fällen von Baisch sind 40 gestorben, Genitaltuberkulose und i
tonealtuberkulose zusammengerechnet = 27,5% Todesfälle oder 5
dauernd Ueberlebende. An den 98 Fällen von Labhard sehen WI.
29. Dezember.
die reine Adnextuberkulose die besten, die Peritonealtuberkulose nicht
ganz ebensogute, die Kombination beider etwa 10°/, schlechtere Dauer-
resultate geben. Von allen 57 Operierten und 41 konservativ behandelten
Fällen überleben 63,15 °/o. Die konservativ Behandelten umfassen genau
wie bei Baisch alle leichteren Fälle und diejenigen in hoffnungslosem
Zustande. Die konservativen stehen den operierten Fällen mit 54,8 %/0
gegen 71,5% mit 17° nach. Die endgültige Arbeitsfähigkeit wird bei
Baisch wie bei Labhard eingehend berücksichtigt und fällt bei beiden
wesentlich zugunsten der Öperierten aus, bei Labhard 5° für die
operativ und 14/0 für die konservativ Behandelten Arbeitsunfähigkeit.
Bei dem Parallelismus von Peritonealtuberkulose und Genital-
tuberkulose, welchem wir wiederholt begegneten, ist auch hier ein
Analogieschluß angängig, der Vergleich dieser Gesamtresultate
mit den Erfolgen ausschließlich konservativer Behandlungsweise
der Peritonealtuberkulose. Die Ueberlegenheit des Operationsver-
fahrens mit der Maßgabe, daß alle Fälle in die Berechnung mit
eingeschlossen werden, bei denen eine Operation nicht nötig, oder
aber nicht mehr zweckdienlich ist, tritt alsdann unzweideutig zu-
tage und muß daher als die nützlichste Disposition und Indikation
der Behandlungsweise festgehalten werden (Baisch-Labhard
67,80%, gegenüber Rose 31%).
Erheblich bessere Dauerresultate würden sich zweifellos noch
erzielen lassen gerade durch dieses selektive Operationsverfahren,
wenn wir die große Menge der Patientinnen aus den unteren
Volksschichten alsbald nach der Operation in eine geeignete Heil-
stättenbehandlung überführen könnten, sodaß als Schlußsatz
unserer Gesamtbetrachtungen aufgestellt werden soll: selektive,
operative Therapie mit nachfolgender Heilstättenbehandlung.
Die entwickelten Grundlinien lassen sich in folgende Sätze
zusammenfassen.
1. Die Genitaltuberkulose ist keine accessorische harmlose
Krankheit.
2. Die Genitaltuberkulose kann direkt und indirekt gefähr-
lich werden.
3. Es sind relativ harmlosere stationäre Fälle von langsam .
oder schneller fortschreitenden aus genauer klinischer Beobachtung
des Verlaufs und der Symptome zu differenzieren.
3a. In zweifelhaften Fällen ist die Probelaparotomie einer
Probecurettage vorzuziehen. |
4. Seitens der Genitaltuberkulose selbst ist die Indikation
zur Operation aus dem lokalen Verhalten und dem Einfluß auf
das Allgemeinbefinden (Ernährungszustand, Gewicht), insbesondere
aus der Rückwirkung auf den primären Herd in der Lunge zu
stellen.
5. Es würden vielleicht viele Fälle von Genitaltuberkulose
gerettet werden, wenn bei beginnender Lungentuberkulose diese
Komplikation rechtzeitig erkannt und beseitigt würde.
6. Es sollte daher jede Patientin mit Lungentuberkulose
auf Genitaltuberkulose untersucht und überwacht werden.
T. Nachweislicher Fortschritt einer bisher latenten Lungen-
tuberkulose ist eine strikte Indikation zur Operation gleichzeitiger
Genitaltuberkulose.
8. -Die Operation soll im allgemeinen per laparotomiam
möglichst mit Pfannenstielschem Querschnitt ausgeführt werden
unter tunlichster Schonung von ÖOvarialgewebe.
9. Als Unterstützung bei der Operation ist das Höhnesche
Campherölverfahren, zum Schutz der Bauchwunde Jodoform zu
verwerten.
10. Zur lokalen Behandlung und Nachbebandlung stehen
Röntgenbestrahlung und Jodoformglycerin an der Spitze.
11. Von einschneidender Bedeutung in allen Fällen ist Heil-
stättenbehandlung, sodaß gerade für Leidende mit Genitaltuber-
kulose die Oeffnung möglichst zahlreicher Heilstätten am Platz ist.
Literatur: Der Kürze halber verzeichne ich nur einige Arbeiten und
Berichte, welche die einschlägige Literatur enthalten. (Zeitschrift für Geburts-
hilfe und Gynäkologie = Z., Archiv = A., Monatsschrift = M., Zentralblatt = Z.,
Medizinische Wochenschrift = m. W.) Baisch (A. 1908, Bd. 84, 8.345), —
Blau, Ueber Entstehung und Verbreitung der Tuberkulose usw. (Berlin 1909,
S. Karger.) — Bandolier und Roepke, Klinik der Tuberkulose. (1911.) —
v. Bardeleben (Z. 1911, Nr. 80). — Fellner, Die Beziehungen innerer Krank-
heiten zu Schwangerschaft usw. (Wien 1909, F. Deuticke.) — Forster (Mili-
tary Surgeon 1910, Nr. 2). — A. Fraenkel, Spezielle Pathologie und Therapie
der Lungenkrankheiten. oe 1904) — Heimann (Med. Kl. 1907,
Nr.19 u. 29), — Henius (M. 1911, S. 345), — Hofbauer (Z. Bd. 67, S. 592
und Volkmanns Vorträge. Gynäkologie Nr. 210). — Jessen und Rabinowitsch
(Deutsche m. W. 1910, Nr. 24). — Kaminer (Deutsche m. W. 1901, S. 587). —
Lüdke (Wr. kl. Woch. 1906, Nr. 381). — E. Martin (Münchener m. W. 1909). —
v. Noorden, Die Fettsucht. (Wien 1910, Hoelder.) — Nowak und Ranzel
(Z. Bd. 67, 8. 719). — Pape (Heyars Beiträge 1903, 8. 422). — Pankow, Die
Schwangerschaftsunterbrechung. (Leipzig 1911, Thieme.) — Palano (Z. 1901,
Bd. 44, S. 85). — Pradella (Inauguraldissertation, Zürich 1906). — Rielander
und Mayer (A. 1909, Bd. 87, S. 131). — v. Rosthorn (M. Bd.23, S. 501). —
v. Rosthorn und A. Fraonkel (Deutsche m. W. 1906). — Reiche (Münchener
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2079
-
m. W. 1905, Nr. 28), — Schauta (M. 1911, Bd. 3). — Schlimpert (A. Bd, 90,
S. 121 und Bd. 94, 8.868). — Schmorl und Geipel (Münchener m. W. 1904,
Nr. 88). — Simmonds (A. 1909, Bd. 88, S.29). — ar Die Lehre von
der kongenitalen Tuberkulose usw. (Berlin 1909, S. Karger.) — Stern (Z. Bd. 66,
S. 588). — Ferner Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie XIV.
und Naturforscherversammlung Königsberg 1910.
Sammelreferate.
Neue Ergebnisse der Paratyphusforschung!)
von Priv.-Doz. Dr. Hans Pringsheim, Berlin.
In den Studien über die Fleischvergiftungsfrage tritt immer
wieder die Schwierigkeit zutage, die verschiedenen Arten der Er-
reger zu unterscheiden. Am ehesten kann man sie noch durch
die Agglutination in Gruppen einteilen. Auch ist noch keine Einig-
keit über die Frage erzielt, ob Fleisch schon auf Grund des bloßen
Nachweises von Vergiftungsbakterien vom Verkehr auszuschalten
ist oder ob dazu der Nachweis thermostabiler Gifte und die Patho-
genität der Erreger notwendig ist. Es werden zwei paratyphus-
ähnliche Bakterien beschrieben und Infektionsversuche an Geflügel
angestellt. Besonders eingehend wird dann der Nachweis von
Fleischvergiftungsbakterien im Fleisch und Organen von Schlacht-
tieren behandelt; auch neuerer Epidemien ist gedacht worden.
Bis zum Jahre 1907 waren Zweifel an der Pathogenität des
Paratyphusbacillus nicht aufgekommen. Von diesem Zeitpunkt an
ist jedoch die Meinung vertreten worden, daß der Bacillus auch
saprophytisch verbreitet ist, und einige haben die Ausscheidung
des Paratyphusbacillus sogar als einen harmlosen Zustand gedeutet,
den man nicht zu bekämpfen brauche. Demgegenüber nimmt
Hübner in seiner Zusammenfassung im Jahre 1910 einen ver-
mittelnden Standpunkt ein, in dem dem Paratyphusbacillus eine
sehr wechselnde Wirkung zugeschrieben wird.
Dieser Frage ist Aumann (1) wiederum experimentell näher-
getreten. Er kann eine „Ubiquität“, das heißt ein mit mensch-
lichen oder tierischen Erkrankungen nicht zusammenhängendes, ge-
häuftes saprophytisches Vorkommen von Bakterien der Paratyphus-
gruppe nicht zugeben; in seinen Fällen hatten außerdem die
' Paratyphusbakterien durchweg hohe Pathogenität bewahrt. Jedoch
kann der Paratyphus im Gegensatz zu den obligat pathogenen
Bakterien ein vorübergehendes saprophytisches Dasein vertragen.
Deshalb kann auch das Vorkommen dieser Bakterien bei „ge-
sunden“ Tieren nicht überraschen, da man auch in der Tierwelt
„Bacillenträger“ erwarten kann. Doch bilden auch diese beson-
ders unreinen Bacillenträger, wie z. B. die Schweine, eine große
Gefahr für den Menschen. Die Forderung, Nahrungsmittel jeglicher
Art, in denen sich der Paratyphusbacillus findet, vom Verkehr
auszuschalten, ist daher nicht zu weitgehend, da man die Patho-
genität nicht in jedem einzelnen Falle beurteilen kann. So war
auch die Fleischvergiftungsepidemie in Solingen nach den Unter-
suchungen von Quadflieg (2) wieder durch den Bacillus para-
typhosus B Schottmüller veranlaßt, dessen spezieller Stamm für
Meerschweinchen und Mäuse sehr stark pathogen war. Auf den
gebräuchlichen Nährböden konnte dieser Autor die Gruppen der
Gärtner- und Paratyphusbacillen nicht trennen, doch waren sie
durch Agglutination voneinander zu unterscheiden. Ob die Kom-
plementbindungsmethode hierzu imstande ist, ist noch zweifelhaft
und durch größere Versuchsreihen zu entscheiden. Für die Praxis
genügt das kulturelle und agglutinatorische Verhalten. Die Fleisch-
vergiftungsepidemie in Solingen bestätigt wieder die Erfahrung,
daß die wärmere Zeit am gefahrvollsten ist und daß die Gefahr
dann hauptsächlich auf verarbeitetes Fleisch zurückzuführen ist.
Auch Schern (3) ist der Meinung, daß mit Paratyphus-
bacillen behaftetes Fleisch unter allen Umständen vom Verkehr
auszuschalten ist, wenn auch vielleicht in vielen Fällen solches
Fleisch ohne Schädigung genossen worden ist. Für die Beurteilung
dieser Frage ist es gleichgültig, ob das Fleisch noch zu Lebzeiten
des Tiers, von dem es herrührt, infiziert war oder ob es post
mortem infiziert worden ist. Hauptsächlich hat allerdings das
intra vitam infizierte Fleisch zu den Epidemien Veranlassung
gegeben.
Gerade entgegengesetzter Meinung ist in bezug auf diesen
Punkt Müller (4). Es sei vielmehr postmortale Infektion des
Fleisches in erster Linie anzunehmen, weshalb auch ‚dem Hack-
fleische die Uebermittlung des Paratyphusbacillus an den Menschen
so häufig zufällt. Die Frage, ob die menschliche Fleischvergiftung
überhaupt auf Tierkrankheiten zurückgeführt werden kann, ist
1) Erste Mitteilung Med: Kl. 1910, Nr. 25.
2080
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22. Dezember,
= EIEGBGABSEASEEEEEE EEE
- daher dahin zu beantworten, daß Vergiftungen durch das Fleisch
kranker Tiere seltener. sind, als jene durch postmortal infiziertes
Fleisch. Bei Massenerkrankungen ist zunächst die Entscheidung
dieser Frage notwendig. Das Vorkommen intravitaler Infektionen
pathogenen Fleisches kann bewiesen werden:
1. Durch den Nachweis massenhafter gleichartiger Keime der
Fleischvergiftungsgruppe in der Tiefe des Fleisches.
2. Durch die capilläre Lagerung der gleichartigen Keime in
der Tiefe, im Gegensatz zu der den Bindegewebszügen folgenden
postmortalen Infektion.
3. Durch den Nachweis von Agglutininen in der Muskulatur.
Die Bildung speeifischer Agglutinine ist eine nur dem lebenden
Eiweiß zukommende Fähigkeit. |
Letzterem Faktor wurde eine besondere Aufmerksamkeit ge-
schenkt; Müller findet in der Prüfung des wäßrigen Eiweiß-
auszugs auf den Gehalt desselben an specifischen Agglutininen ein
Verfahren, das bei der Differentialdiagnose zwischen Fleischver-
giftung und Nahrungsmittelvergiftung und hiermit zur Unter-
scheidung zwischen intravitaler und postmortaler Infektion des
Fleisches von Schlachttieren für den ätiologisch forschenden Hygie-
niker eine große praktische Bedeutung besitzt. Auf die Einzel-
heiten seiner nur für wissenschaftliche Zwecke in Frage kommenden
Methode kann hier nicht eingegangen werden.
Die im Januar 1912 erfolgte Vergiftungserscheinung von
27 Soldaten einer Kompagnie wurde durch Mandel (5) auf die
Infektion von Schmorfischen mit Proteus vulgaris zurückgeführt.
Es wurden von ihr noch andere Mannschaften befallen, sodaß im
ganzen 46 Personen erkrankten. Durch die Proteusvergiftung
wurde die Darmflora mehrerer Kranken umgestimmt; dadurch
wurde Bakterien der Proteus- und Paratyphusgruppe die längere
Ansiedlung im Darmkanal ermöglicht. Die Untersuchungen ergaben
im Menschendarm erscheinende Bakterien der Paratyphusgruppe,
welche in ihrem Wachstume, besonders aber in der Agglutination
atypisch waren; in einem Fall erscheint die Pathogenität eines
atypischen Stammes und dessen Umwandlung in die typische Form
nahegerückt, und zwar als Folge der Menschenpassage. Wiederum
wurde die Tatsache hervorgehoben, daß die Fleischvergifter nicht
als solche, sondern vielmehr durch die auf den Nahrungsmitteln
von ihnen gebildeten giftigen Stoffwechselprodukte wirken; so
können ihre Träger nur im Nahrungs- und Genußmittelbetriebe
gefährlich werden. Mit einer vergleichenden Untersuchung des
Paratyphus B, des Gärtnerbaeillus und der Rattenbacillen hat sich
Hurler (6) beschäftigt. Morphologisch und kulturell konnte er
zwischen ihnen keine einschneidenden Unterschiede feststellen. Die
von einigen Autoren festgestellte Beweglichkeit und das Fehlen
von Koulenformen bei den Paratyphus-B-Bacillen nach dem Wachs-
tum auf Coffeinagar wurde bestätigt, doch waren diese Eigen-
schaften auch bei einem Rattenbacillus, Danysz, zu beobachten.
Auch andere im Original zu vergleichende, kulturelle Vergleiche
ergaben keine genügend scharfen Unterschiede. Der Verfasser
ordnet die zusammengehörigen Bakterien in fünf Gruppen ein, sodaß
sich die verschiedenen Bakterien zwischen die Gruppe 1 des Coli-
bacillus und die Gruppe 5 des Typhusbacillus verteilen. Bei der
Agglutination zeigt sich, daß die Rattenbacillensera nur die vier
Stämme der Rattengruppe agglutinierten. Ebenso wurde die
Agglutination der Rattengruppe mit Ausschluß aller andern Stämme
auch durch die untersuchten Enteritis-Gärtner-Sera beobachtet.
Hingegen agglutinierten Paratyphus-B-Sera niemals die Ratten-
bacillen. Es besteht also die Möglichkeit, mittels eines Ratten-
baeillenserums die Zugehörigkeit zur Rattengruppe festzustellen.
Doch ist eine sichere Unterscheidung der Rattenbacillen unter sich
bisher unmöglich.
Max Müller (7) behandelt in seiner Habilitationsschrift den
Nachweis von Fleischvergiftungsbakterien in Fleisch und Organen
von Schlachttieren auf Grund systematischer Untersuchungen über
den Verlauf und den Mechanismus der Infektion des Tierkörpers
mit Bakterien der Enteritis- und Paratyphusgruppe, sowie des
Typhus. Er kommt dabei zu folgender Auffassung: Eine sichere
Entscheidung über das Vorhandensein einer septikämischen In-
fektion oder das Freisein eines Tierkörpers von einer solchen kann
durch die bakteriologische Fleischuntersuchung nur auf Grund der
Kenntnis des etappenmäßigen Verlaufs und des Mechanismus septi-
kämischer Infektionen erbracht werden. Die alleinige Unter-
suchung der Muskulatur der Schlachttiere gestattet im negativen
Falle nicht den Rückschluß auf das Freisein der Organe. Jedoch
vermag die bakteriologische Fleischuntersuchung mit Sicherheit
die Infektion eines Schlachttiers zu ermitteln, wenn außer der
Muskulatur Mesenterial- und Fleischlymphdrüsen, sowie Milz und
Leber untersucht werden. Die Muskelinfektion erfolgt zuletzt
nach Infektion der Organe und des Bluts; der Uebertritt der
Erreger in die Blutbahn findet bei alimentärer Aufnahme nur bei
ihrem Virulenzmaximum statt. Mit der hämatogenen Infektion
läuft parallel eine Iymphogene, von der Mundrachenhöhle und vom
Magendarmkanale. Vom Lymphsystem kann die Infektion auf das
Blutsystem überspringen, nachdem auch Milz und Leber einen
starken Keimgehalt aufzuweisen haben. Es folgen dann noch
weitere Bemerkungen über das Wesen des Infektionsmodus, so
erfolgt z. B. bei der Wundinfektion die Ablagerung der Keim
zunächst in die regionären Lymphknoten und erst zuletzt in die
Lymphknoten des Digestionstraktus, wenn es zu einer Allgemein-
infektion kommt. Bei parenteralem Eintritt in den Tierkörper
bewirken noch alimentär apatogene Bakterien Blutinfektionen,
Saprophytär vorkommende Bakterien der Enteritis- und Paratyphus-
gruppe können auf Grund der kulturellen Eigenschaften noch
nicht als fähig erachtet werden, fleischvergiftungserzeugend zu
wirken. |
Man sieht, Müller steht auf einem ganz andern Standpunkt
wie Aumann, denn nach ihm genügt auch der kulturelle Nach-
weis der biologisch zur Gruppe der Fleischvergifter gehörigen
Bakterien nicht, um das Fleisch und die Organe eines Tiers für
„Beischvergiftungserzeugend“ zu betrachten. Der Beweis dafir
sei erst durch den Nachweis thermostabiler Gifte und die Virulenr-
fähigkeit, durch den Fütterungsversuch, zu erbringen. Lymph
knoten, Milz und Leber bilden die natürlichen Anreicherungsorgane
für den Nachweis verdächtiger Fleischvergifter, und ein künstliche
Anreicherungsverfahren ist demnach, außer zur Zeitersparnis,
unnötig.
Ein paratyphusähnlicher Bacillus wird vonMesserschmidt()
beschrieben; er wurde aus den Faeces eines 60 jährigen Manns
isoliert und stellt einen Uebergang. von der ersten zur zweiten
Hübnerschen Gruppe solcher Bakterien dar. Heimann (9) de
gegen benennt eine Art, welche die Epidemie in Hildesheim im
Frühjahr 1911 verursachte, „Paratyphus-C-Baeillus“. Dieser ge
hörte zur Gärtner-Gruppe, unterschied sich aber sowohl durch
sein agglutinbindendes, wie seine agglutinbildenden Eigenschaften
im Patientenserum und Kaninchenimmunserum wesentlich von -den
gewöhnlichen Enteritisbakterien. Das kulturelle Verhalten un
die Beziehung des Bakteriums zur Epidemie werden vom Autor
beschrieben. l
In anderer Weise versucht Reinholdt (10) einen Einblick
in die Fleischvergiftungsfrage zu gewinnen. Während künstliche
Infektionsversuche bei Laboratoriumstieren und größeren Haus.
tieren schon gemacht worden sind, sind Angaben über solche bein
Geflügel sehr spärlich; spontane Erkrankungen des Geflügels a
Enteritis- und Paratyphus-B-Infektionen sind bisher nicht bekant.
Der Verfasser konnte nun durch ihre Einverleibuog auf die wer
schiedensten Methoden (endovenös, intraperitoneal, subeutan, intre:
muskulär, stomachical) bei Hühnern, Tauben und Enten teils vor-
übergehende, teils tödliche Erkrankungen hervorrufen. Am ehesten
waren Tauben, dann Enten und Gänse, am schwierigsten Hühner
der Infektion zugänglich. Von geringstem Einfluß auf den Ge
sundheitszustand des Geflügels war die Applikation per 08 unter
normalen Fütterungsverhältnissen. Der Nachweis der Bakterien
gelang immer, wenn die Tiere an der Infektion verendeten, während
bei Tötung wieder gesund gewordener Tiere das Gelingen des
Nachweises zweifelhaft ist. Agglutine ließen sich im Blute sebs
Tage nach der Infektion nachweisen. In seinem Beitrage ZU
pathologischen Anatomie des Paratyphus zieht Buday (11) be
sonders die Frage in Erwägung, ob bei einer gewissen Stufe der
Virulenz die durch Paratyphus bedingten Erkrankungen a
pathologisch-anatomisch dem echten Typhus ähnlich sein können,
indem das Iymphoide Gewebe des Darmkanals und die mat"
terialen Lymphdrüsen an der Erkrankung beteiligt ‚sind, Fr
kommt auf Grund seiner Studien zu folgender Formulierung: "
den typhusähnlichen Fällen von Paratyphus können auch Ale
lymphoiden Apparate des Darmes erkranken; während ahii to
Erkrankung bei dem Typhus abdominalis mit großer Beständigkel
auftritt, ist sie auch bei solchen Paratyphusinfektionen, welehe
sich durch typhusähnlichen Verlauf auszeichnen, nur in einem 7
der Fälle zu finden. Die Erklärung dafür, warum in einem A
der Fälle die Iymphoiden Apparate miterkranken, kann man heu
noch nicht geben.
Literatur: O. £. B. = Centralbl f. Bakteriologie I. Abt. 1. Auni
Ueber Befunde von Bakterien der Paratyphusgruppe mit besonderer Les
sichtigung der Ubiquitätstrage. (C. f. B. 1911, Bd. 57, S. 310) — emie
Quadilieg, Paratyphusbacilienbefund bei einer Fleischvergiftungseh
(Žt. 1. Hyg. 1911, Bd. 72, S. 885.) — 8. Kurt Schern, Ueber Bakterien def
22. Dezember.
Reinholdt, Infektionsversuche mit den „Fieischvergiftern‘‘ (Bacillus enteri-
tidis Gärtner und Bacillus paratyphosus B) beim Geflügel. (C. f. B. 1912,
Bd. 62, S. 312.) — 11. R. Buday, Zur pathologischen Anatomie des Para-
typhus. (C. f. B. 1911, Bd. 60, S. 449.)
Aus der neusten ophthalmologischen Literatur
von Priv.-Doz. Dr. Adam, Berlin.
Komoto beschreibt ein neues operatives Verfahren zur Be-
seitigung des herabhängenden Lides (Ptosis). Das Verfahren be-
ruht auf einer Transplantation eines epithelfreien Hautstreifens,
also eines Outisstreifens, unter die Haut, um eine direkte Ver-
bindung des Lidrandes mit der Stirnhaut neu zu schaffen. Er
schneidet dazu vom Oberarm einen längeren über 11/3 cm breiten
Hautstreifen von etwa 4 em Länge aus, nachdem er vorher an
der betreffenden Stelle die oberflächliche Epithelschicht durch
flaches Schneiden mit einem scharfen Skalpell entfernt hat; das
dabei mitgenommene subcutane Fettgewebe trägt er mit der Schere
ab. Den so vorbereiteten dünnen Hautstreifen schneidet er an
dem einen Ende in zwei Schenkel ein und bringt an jedem Ende
einen doppelt armierten Faden an. Nach dieser Vorbereitung geht
man zur Lidoperation über. Man schneidet am Oberlid ein halb-
mondförmiges Hautstückchen dicht am Lidrand ab und bringt jedes
Schenkelende des Hautstreifens in die Wunde hinein und näht
dasselbe am Lidrand ein, indem man die beiden Nadeln jedes
Fadens durch den Lidrand bringt. Nun kann man das andere
Ende des Hautstreifens nach der Stirnhaut zu subcutan durch-
führen. Es gelingt dies am leichtesten, wenn man eine sehr breite,
leicht gekrümmte zweischneidige Nadel von etwa 4 mm Breite
benutzt. Diese Nadel hat an dem einen Ende ein breites Fenster,
durch welches man die beiden Enden eines Fadens, der am oberen
Endstücke des Hautstreifens befestigt ist, hindurchleitet. Man führt
dazu die Nadel mit dem Nadelhalter subcutan von der Lidwunde
nach den Augenbrauen oder etwas darüber hinaus bis zu einem
geeigneten Punkte, welcher vorher schon markiert ist. Nun zieht
man mittels des Fadens den Hautstreifen nach oben, bis das Ober-
lid soweit in die Höhe kommt, daß die Lidspalte die wünschens-
werte Größe erreicht; dann näht man den Hautstreifen an der
Hautwunde ein und schneidet das überflüssige Endstückchen ab.
Alsdann wird die Hautwunde sowohl an den Augenbrauen, als
auch am Lidrande mit Nähten geschlossen. Die Operation hat
gegenüber der Motaisschen den Vorzug, daß sie auch bei ge-
lähmtem Musculus rectus superior ausgeführt werden kann und
gegenüber der Heßschen Operation die Besonderheit, daß dadurch
eine tiefe Lidfurche vermieden wird.
Die Untersuchungen durch Birch-Hirschfeld bei Ge-
legenheit der letzten Sonnenfinsternis erstreckten sich auf 34 Pa-
tienten, von denen 16 beide Augen, 18 nur ein Auge geblendet
hatte. Die genaue Zeit der Blendung konnte 18 mal angegeben
werden. Die meisten und schwersten Blendungen erfolgten gegen
12 Uhr 30 Minuten, zu einer Zeit, wo die Sonne in ihrem rechten
unteren Drittel vom Monde bedeckt war. Man hätte danach ein
nach rechts oben geneigtes Skotom in einem entsprechend ge-
formten. Fovealherd erhalten können, was sich jedoch nicht be-
stätigte. Drei von den Patienten hatten ein Opernglas, einer ein
Prismenfernrohr mit fünffacher Vergrößerung benutzt. Die meisten
aber hatten durch einen Spalt zwischen den Fingern oder durch
die Hohlhand sich zu schützen gesucht. Die erste subjektive Er-
scheinung war ein dichter, unruhig flackernder Nebel in der Mitte
des Gesichtsfeldes, der sich bald zu einem dunklen Fleck ver-
diehtete und noch nach Monaten unregelmäßige Bewegungen im
Sinne der Rotation, des Hin- und Herwackelns oder unruhigen
Zitterns darbot, was den Patienten besonders bei der Naharbeit
und beim Lesen sehr lästig fiel. Volle Sehschärfe bestand bei
sechs Patienten, geringe Sehstörungen (ĉ/ə bis ĉjı5) bei 18, von
den übrigen 15 war die Sehschärfe einmal auf ĉjig, achtmal auf
6/24, einmal auf 6/0 und fünfmal auf ĉj gesunken. Objektiv
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2081
ließen sich centrale, seltener paracentrale positive Skotome nach-
weisen, meist schwankte es zwischen !/2 und 1 Grad. Die Form
des Skotoms ließ nur in ganz seltenen Fällen ein genaues Opto-
gramm der Sonne erkennen. Die Untersuchung zeigte, daß das
positive absolute centrale oder paracentrale Skotom gewöhnlich von
einem relativen Gelb-Skotom umgeben war, doch wurden in diesem
Bezirk auch die andern Farben weniger deutlich erkannt.
Daß Raupenhaare eventuell eine schwere Schädigung des
Auges hervorrufen können, ist eine nicht allgemein gekannte
Tatsache. |
Einem Straßenwärter war beim Putzen von Chausseebäumen
ein Baumzweig gegen das rechte Auge geschlagen. Nachdem die
Entzündung abgeklungen war, sah man beim Abziehen des Unter-
lids unterhalb der Cornea am Bulbus eine etwa erbsengroße Ge-
schwulst mit etwas unebener Oberfläche, die von Conjunctiva
völlig überzogen war. Die Probeexcision ergab die Anwesenheit
von Raupenhaaren. Die Geschwulst wurde exstirpiert, worauf der
Entzündungszustand zurückging. — In einem zweiten Falle waren
‚einem Knaben ebenfalls Raupenhaare in das Auge gelangt und es
zeigten sich in der Conjunctiva des Unterlids eine Reihe miliarer
Knötchen, die sämtlich Raupenhaare enthielten. Auch in der
Hornhaut sah man bei Lupenvergrößerung eine Reihe von schwarz-
braunen Härchen, die meist fast parallel zur Oberfläche in den
tieferen Schichten der Hornhaut saßen und von einer zarten
Trübung des Cornealgewebes umgeben waren.
Komoto macht auf die merkwürdige Tatsache aufmerksam,
daß bei sympathischer Entzündung auch Störungen im Bereiche des
Acusticus auftreten können. Eine Tatsache, die das höchste
Interesse der Augen- wie der Ohrenärzte erwecken muß und ge-
eignet ist, die bisherigen Theorien der sympathischen Entzündung
über den Haufen zu werfen.
Teillais beschreibt drei Fälle von Verstopfung der Central-
arterie der Netzhaut mit Erblindung bei schwangeren Frauen und
führt dieselbe zurück auf eine Vermehrung des Fibringehalts des
Bluts während der Schwangerschaft. Während der normale Fibrin-
gehalt 30/, beträgt, steigt er in den letzten drei Monaten der
Schwangerschaft auf 4,5 0/o. |
Bei einer 73jährigen, an Diabetes leidenden Frau entwickelte
sich im Nacken ein Furunkel, der durch einen Kreuzschnitt ge-
öffnet wurde. Im Anschluß hieran entwickelten sich die Symptome
einer rechtsseitigen Panophthalmie. Es wurde zunächst ein rein
symptomatisches Verfahren eingeschlagen, unter dem sich der
Prozeß mit Remissionen während dreier Monate hinzog. Da die `
Schmerzen im Auge wegen einer hinzutretenden Drucksteigerung
sehr erheblich wurden, so wurde eine Evisceratio bulbi vorge-
nommen und hierdurch der Eiter, der Staphylokokken enthielt,
entleert. Hiernach trat eine vollkommene Heilung ein.
Die Gefahren einer Enucleation bei Panophthalmie schildert
der folgende Fall:
Im Anschluß an eine Eisensplitterverletzung bekam ein
30jähriger Mann eine Panophthalmie. Da sich der Splitter mit
dem Magneten nicht entfernen ließ, so wurde am achten Tage
nach der Verletzung eine Enucleation gemacht. Am folgenden
Tage trat plötzliche Erblindung auf dem andern Auge auf, die be-
dingt war durch ein starkes Oedem des Sehnerven, gleichzeitig
stieg die Temperatur bis auf 40,1 und die deutlichen Zeichen einer
Meningitis machten sich bemerkbar. Am dritten Tage verstarb
Patient an seiner Erkrankung. — J. zieht daraus den Schluß, daß
man bei Panophthalmie niemals eine Enucleation machen darf, eine
Kenntnis, die in Deutschland schon lange bekannt ist.
Seit einiger Zeit macht sich in den Kreisen der Bahnärzte
eine Bewegung gegen die Nagelschen Tafeln zur Ermittlung der
Farbenblindheit geltend.
So kommen Stargard und Oloff zu dem Schlusse, daß
der alleinige Gebrauch der Nagelschen Tafeln bei der Farben-
sinnuntersuchung nicht zu empfehlen ist, weil zweifellose Farben-
schwäche übersehen und anderseits normale für farbenschwach ge-
halten werden können. Sie kommen zu der Forderung, daß neben
den Nagelschen Tafeln wenigstens die Stillingschen Tafeln zur
Anwendung gezogen werden müssen. In allen Fällen, in denen
mit Hilfe dieser beiden Proben eine exakte Diagnose nicht ge-
stellt werden kann, muß eine Untersuchung mit dem Anomaloskop
stattfinden.
Auch Augstein ist der Ansicht, daß die Nagelschen Tafeln
allein für die Farbensinnuntersuchung nicht ausreichen und daß
die Stillingschen Tafeln in Verbindung mit den Cohnschen,
die den Meierschen Florkontrast ausnutzen, vorzuziehen seien
PA. Bei
2082 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr.5i.
22. Dezember,
E am
und daß in zweifelhaften Fällen das Anomaloskop den Ausschlag
geben muß.
Literatur: Komoto, Ein neues Verfahren über Ptosisoperationen. (Zbl.
f. Aug. August 1912) — Birch-Hirschfeld, Zum Kapitel der Sonnen-
biendung des Auges. (Zt. f. Aug. Oktober 1912) — Max Dalmer, Beitrag
zur Ophthalmia nodosa. (Zt. f£. Aug. Oktober 1912.) — Komoto, Ein Beitrag
zur Taubheit bei symptomatischer Ophthalmie. (Kl. Mon. f. Aug. August 1912.)
— Teillais, Trois cas d’embolie de l’artöre central de la rétine au cours de
la grossesse, (Ann. d'oc. September 1912.) — van Porez, Abscès du corps
vitré chez une femme diabétique attente de furuncle à la nuque. Metastases
staphylococciques et évidement du globe guörison. (Rev. gén. d’ophth. Juli
1912) — Jacgusau, Meningite suraigue après enucl&ation de V’oell pour
phlegmone posttraumatique. (Ann. d'oc. September 1912.) — Stargard u.
Oloff, Ueber die Bedeutung der Methodik der Farbensinnuntersuchung. (Zt.
f. Aug. Juli 1912.) — Augstein, Bemerkungen zur Farbensinnuntersuchung.
(Zt. 1. Aug. Oktober 1912.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
In der Lungenspitze kann, worauf Oskar Ország von neuem
hinweist, ein umschriebenes Emphysem bestehen; die Möglichkeit seines
Vorhandenseins muß bei der Untersuchung Tuberkulöser beachtet werden,
da es die Erkennung pathologischer Verhältnisse erschweren kann. Die
Abnahme der Intensität des gedämpften Perkussionsschalls einer Lungen-
spitze ist daher nicht unbedingt ein Zeichen von Verminderung der In-
filtration, denn sie kann die Folge des entstandenen Lungenspitzen-
emphysems sein. Man soll sich daher nicht mit der vergleichenden
schwachen Perkussion begnügen, sondern auch die stärkere Per-
kussion von verschiedener Intensität vornehmen. Im Fall eines Spitzen-
emphysems kann man nämlich durch stärkere Perkussion die tiefer ge-
legene Infiltration erkennen.
An die Möglichkeit eines Spitzenempbysems muß auch bei der
Auskultation gedacht werden, da es die charakteristischen Symptome
des kranken Herdes auch zu verändern vermag. So z. B. findet man
Fälle, wo das Bronchialatmen nur unter der Clavicula zu hören ist und
oberhalb dieser und der Spinae scapulae Vesiculäratmen wahrnehmbar
bleibt. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 42.) F. Bruck.
Ueber „Stäupchen“, jene Reizzustände der motorischen Sphäre
bei Neugeborenen, und zwar vorwiegend im Gebiete der Augennerven
und des Facialis ohne sonstige pathologische Begleiterscheinungen be-
richtet Wilhelm Zipperling. Dieser Zustand ist trotz seiner Häufig-
keit in ärztlichen Kreisen wenig bekannt. Er zeigt sich in folgender
Weise: Die Augen des Kindes werden plötzlich verdreht, vollständig kon-
jugiert, in allen nur denkbaren Stellungen, zwischendurch kommt es zu
kurzdauerndem Blepharospasmus und blitzartiger Contraction des ganzen
M. orbicularis oculi und außerdem bei manchem Kinde zu einem Ver-
zieben beider Mundwinkel (wie zum Lachen) für wenige Sekunden. Dann
ist alles vorbei. Plötzlich setzt das Spiel von neuem ein. Die Stäupchen
finden sich bei einem Viertel bis einem Drittel aller Säuglinge innerhalb
der ersten Monate und sind eine physiologische Erscheinung. Sie können
aber auch, namentlich bei Frühgeburten, so heftig auftreten, daß sie be-
drohlich erscheinen und die Ernährung gefährden. Es handelt sich um
wahrscheinlich durch Circulationsänderungen hervorgerufene Reize im
Ursprungsgebiete der Kerne einzelner motorischer Hirnnerven bei dem
an und für sich noch unfertigen Säuglingsgehirn. (Zt. f. Kind. Bd. 5, H. 1.)
| F. Bruck.
Beim Studium von 15 Fällen von Schwangerschaft mit Appen-
dicitis kommt Palmer Findley (Omaha) zum Schluß, daß Schwanger-
schaft wahrscheinlich selten einen ersten Anfall von Appendicitis auslöst,
wohl aber Wiederholungen des vor der Gravidität aufgetretenen ersten:
Anfalls. Von Frauen, welche früher eine Appendicitis durchgemacht haben,
leiden 50 bis 60 °/o während der Schwangerschaft an mehr oder weniger
ausgesprochenen appendicitischen Beschwerden. Da Appendicitis während
Gravidität und Puerperium große Tendenz zur Destruktion zeigt, so sollte
auch eingegriffen werden. Je früher nach Beginn der Attacke und je
früher im Verlauf der Schwangerschaft operiert wird, um so besser sind
die Resultate. Der Autor hat in keinem seiner Fälle von Appendektomie
die Unterbrechung der Schwangerschaft erlebt. (J. of Am. ass. 1912.
Bd. 59, Nr. 8, S. 612.) Dietschy.
Taussig (St. Lonis) berichtet über seine gynäkologischen Er-
fahrangen bei Geisteskranken. Daraus geht hervor, daß bei manisch-
depressivem Irresein jede Patientin einer gynäkologischen Untersuchung
unterworfen und bei Vorhandensein einer Abnormität spezialitisch be-
handelt werden sollte. Dadurch erzielt man viele Heilungen. (J. of
Am. ass. 1912, Bd. 59, Nr. 9, S. 713.) Dietschy.
Ueber einen Fall von wahrem Hermaphroditismus berichtet
Prince (Birmingham, Ala). Es handelt sich um ein 18jähriges gut ent-
wickeltes Mädchen von äußerlich vollständig femininem Typus, das noch
nie menstruiert hatte und über heftige Kopfschmerzen klagte, die alle
28 Tage sich steigerten. Aeußerlich anscheinend normale weibliche Geni-
talien; bei der vaginalen Untersuchung konnte kein Uterus gefhnden
werden. In der oberen Hälfte der großen Labien fühlte man zwei be
wegliche Tumoren, die sich gegen den Leistenring hin verschieben ließen;
bei der histologischen Untersuchung erwiesen sie sich als aus Hoden-
gewebe bestehend; dagegen war die Epididymis nur rudimentär. Bei der
Laparotomie fand sich zwischen beiden Ligamenta lata”eine kleine um
definierbare Masse. Links davon ein deutlich fühlbares Ovarium und ein
"unvollständig ausgebildete Tube. Leider war dem Operateur die Erlaubnis
zur Exstirpation dieser Gebilde von den Angehörigen des Mädchens ver-
weigert worden, sodaß keine histologische” Untersuchung stattfinden
konnte. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 58, Nr. 17, S. 1278.) Dietschy,
Vaginalfiuß bei Kindern soll nach Bland (Philadelphia) immer
zu einer sofortigen genauen Untersuchung auffordern. Findet man keine
Gonokokken, so muß unbedingt ein Speculum, am besten in Chloroform
narkose, eingeführt werden. Zeigt sich ein Tumor, so ist eine Probe
excision vorzunehmen; denn in einem solchen Falle könnte es sich um
ein Sarcoma botrioides vaginae handeln. Dieses Sarkom verläuft meist
rasch tödlich, sodaß nur bei frühzeitiger Operation einige Hoffnung auf
Rettung vorhanden ist. (J. of Am. ass. 1912, Bd. 59, Nr. 7, S. 509.)
| Dietschy.
A. Gismondi (zitiert nach La Pediatria, Napoli 1912, Nr. 2%)
erwähnt einen Fall von Spasmus nutans bei einem 17 Monate alten Kind,
Das Kind war ein Jahr lang an der Brust genährt worden und lief mit
15 Monaten. Um diese Zeit traten zuckende Bewegungen, Nystagmus
und Strabismus auf, bei Aufregung in verstärktem Maße. Bei der Unter-
suchung zeigte sich die vordere Fontanelle geschlossen, keine Spur von
Rachitis, guter Ernährungszustand, nicht anämisch; 12 Zähne waren vor-
handen, alles normal bis an obengenannte Erscheinungen. Das rechte
Auge war nach innen rotiert und beide Augen zeigten geringen horizon
talen Nystagmus; der Kopf wurde nach links gedreht gehalten und
machte in einer Minute 80 bis 100 nickende Bewegungen schief von rechts
oben nach links unten, bei fixierendem Blick verstärkt. Die elektrische
Prüfung mit dem galvanischen Strom ergab A. S.Z. in einigen Arm
muskeln, aber Fehlen von K.S.Z.; mit andern Worten: die Degenera
tionserscheinung war teilweise simuliert, wie es häufig bei spasmophilen
Kindern vorkommt. Die meisten Autoren legen, was die Entstehung
dieses Krankheitsbildes anbetrifft, viel Gewicht auf den Aufenthalt in
schlecht erhellten Räumen. Auch der Fall von Gismondi hielt sich in
einer kleinen dunklen Küche auf, im ersten Stock einer schmalen Strale
in einem dichtbevölkerten Quartier. Nach sechswöchiger Behandlung an
offener Luft und Licht war es viel besser mit ihm geworden; aber auch
da bemerkte die Mutter, daß es an düstern Tagen schlimmer war als s
hellen. Trotz Fehlens des Trousseauschen und Chvostekschen
Phänomens glaubt Gismondi, daß es sich um ein spasmophiles Kind
handle. (Br. med. J., 2. Nov. 1912, S. 1216 A.) Gisler.
Ueber Heilung eines Malum perforans durch Zink-Perhydrol
berichtet Reinh. Müller. Es handelte sich um ein Geschwür an der
Ferse von 2,5 bis 3 cm Durchmesser, das sich in die Tiefe bis auf das
Periost des Calcaneus unter jauchendem Zerfalle des Gewebes ausgedehnt
hatte. Die etwas erhabenen Geschwürsränder waren steil, der Geschwirs
grund war wie die umgebende Fersenhaut anästhetisch und analgetisch. Dis
Geschwür wurde nun täglich mit Wasserstoffsuperoxydlösung (1:2) auf
gewaschen, dann wurde Zink-Perhydrol (E. Merck, Darmstadt) mit
einem Gebläse eingestreut. Der erste und schnell eintretende Erfolg
war eine desodorierende Wirkung unter AbstoBung der nekrotische
Fetzen, bei abnehmender Sekretion trat allmählich Verkleinerung der
Wunde ein. Auffallenderweise war die Granulationsbildung gering. Na
etwas über zwei Monaten seit Beginn der obigen Behandlung trat Heilung
mit eingezogener Narbe ein, während die Unempfiudlichkeit gegen Be
rührung und Schmerz unwesentlich zurückgegangen war. (D. med. Woc
1912, Nr. 49.) F, Bruck.
Die Diät bei der Enuresis noctarna soll, wie Max Klotz aus
führt, vegetarisch sein Es ist nämlich beobachtet worden, daß sich
die Polyurie der Diabetiker unter streng vegetarischem Regime schnell
verminderte und nach einigen Wochen normalen Harnmengen Pl
machte. Die Vegetabilien sind bekanntlich sehr wasserhaltlg, sio
tragen daher unmittelbar dem großen Wasserbedürfnis des Diabetiker
Rechnung und beseitigen seine Polydipsie. Beim vegetarischen Regime
werden ferner große Kotmengen gebildet. Dieser Kot ist en
wasserreich. Es wird also zur Stuhlbildung eine grobe ac
menge benötigt, die locker gebunden ist. Infolgedessen verschiebt 8
der Wasserstoffwechsel: es kommt zu einer Ablenkung von den Nieren
auf den Darm. E.
Kaffee und Alkoholika sind natürlich bei Enuresis kontraindizier
Auch die Bevorzugung der Milch hat durchaus keinen Nutzen. Dem
22.: Dezember.
—.
von 1000 Teilen Milch erscheinen etwa 600 wieder als Harnwasser.
Der Abfluß der Milch geschieht eben ausschließlich renal. Bekannt ist
ja der durch die wasserarmen Kalkseifen erzeugte weiße harte
Milchstuhl. Das Durstgefühl des im Flüssigkeitskonsum beschränkten
Bettnässers lasse man durch Obst und Früchte stillen. (D. med. Woch.
1912, Nr. 49.) F. Bruck.
Das neue Sedativum und Hypnoticum Aleudrin empfiehlt
Richard Flamm bei Psychosen. Man gibt es in einer Dosis von zwei
bis drei bis vier Tabletten à 0,5. Auch kann es ohne Schaden längere
Zeit hindurch gereicht werden. (D.med. Woch. 1912, Nr. 49). F. Bruck.
Gegen sexuelle Reizerscheinungen empfiehlt Ernst R. W.
Frank angelegentlichst das Adamon (hergestellt von den Farbenfabriken
Friedr. Bayer & Co... Das Adamon stellt eine Kombination zweier
bereits bekannter Anaphrodisiaca dar, nämlich des Broms und
Borneols. Es handelt sich dabei um eine Potenzierung der einzelnen
Komponenten im Sinne Bürgis, aber unter vollständiger Vermeidung
der unangenehmen Nebenwirkungen. Das Adamon unterscheidet sich
durch seine Geschmack- und Geruchlosigkeit und seine Indifferenz gegen-
über den Verdauungsorganen vorteilhaft von andern ähnlichen Präparaten.
Das Mittel wird in einer Durchschnittsdosis von 3 g iu Tabletten ge-
geben. Dieses Quantum verteilt man zweckmäßig auf die drei letzten
halben Stunden vor dem Einschlafen. (D. med. Woch. 1912, Nr. 49.)
F. Bruck.
An Stelle der sonst viel gebrauchten asiatischen Pillen bei
Psoriasis gibt Ed. Lang, wie Alfred Jungmann anführt, das Arsen
lieber in folgender Receptur:
Acid. arsenicos. . . . . . 01
Pip. nigr.
Sacch. lact. a . . . . . 3,0
Lanolin. . . 85
F. pilul. Nr. 100.
Davon drei Pillen pro Tag, jeden dritten Tag um eine Pille aufsteigend,
bis za 15 Pillen pro die, dann allmählich absteigend. Lang empfehlt
deshalb Saccharum lactis und Lanolin als zweckmäßige Pillenmasse,
weil Lanolin in der Körperwärme bald schmilzt und der Milchzucker sich
leicht löst, wodurch das Medikament schnell frei wird. (D. med. Woch.
1912, Nr. 48.) F. Bruck.
Zimmern nnd Cottenot berichten in einer vorläufigen Notiz,
daß sie durch Bestrahlung die Ueberfunktion der Nebennieren herab-
zumindern suchten, wie ja zuweilen durch Röntgenstrahlen die Hyper-
aktivität von Drüsen mit innerer Sekretion gehemmt wird. In der Tat
sahen sie ein auffälliges und nachhaltiges Absinken des gesteigerten
Blutdrucks und gleichzeitig ein Verschwinden der subjektiven Symptome.
(Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 18, S. 671.) Zuelzer.
Nieveling empfiehlt die Jodbehandlung bei Lungentuberkulose,
und zwar aus folgenden Gründen:
i. Jod wirkt kräftig expektorierend; der vordem zähe Schleim
wird leicht flüssig.
2. Die bei Tuberkulose meist vorhandene Kurzatmigkeit wird durch
Jod günstig beeinflußt. Die Atmungsfrequenz wird aber nur da herab-
gesetzt, wo es nicht durch zu große Zerstörung des Lungengewebes zu
einer hochgradigen Dyspnde gekommen ist.
3. Bei längerer Darreichung scheint Jod die Vernarbung und In-
duration tuberkulöser Lungenherde günstig zu beeinflussen, zum min-
desten aber den Zerfall tuberkulösen Gewebes zu verzögern.
4. Jod kräftigt die Herztätigkeit und beseitigt in vielen Fällen
das Herzklopfen Tuberkulöser. Dagegen hat es keine Einwirkung auf
das Fieber bei Lungentuberkulose. (Berl. kl. Woch. 1912, Nr. 42.)
F. Bruck.
Carl Schindler hat niemals nach Johainjektionen erhebliche
und anhaltende Schmerzen, Infiltrationen oder gar Nekrosen gesehen,
wenn man seine Spritze richtig gebraucht, das heißt die Injektionsnadel
in der richtigen Gegend gegen das Dorsum ossis ilei hin führt, bis an das
Periost, und sie dann um einige Millimeter (zwei bis drei) in den Muskel
zurückzieht. (M med. Woch. 1912, Nr. 41.) | F. Bruck.
Neuheiten aus der ärztlichen Technik.
Instrumentarium für Intravenöse Salvarsaninjektion
von Dr. G. Lennhoff, Berlin.
Es ist für den praktischen Arzt wichtig, sein Instrumentarium
möglichst einfach zu halten. Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte
manchen Arzt die in folgendem beschriebene Einrichtung für intravenöse
Salvarsaninjektion interessieren.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 2083
I. Der Apotheker liefert zur vereinbarten Stunde zwei Kolben von jo
100 cem Fassung mit frisch destillierter steriler Kochsalzlösung sowie
g Neosalvarsan in der gewünschten Dosierung.
II. Ich koche aus
1. einen Hahn wie den beschriebenen (siehe Abbildung); derselbe hat
zwei Zufuhrschlauchansätze, einen Ansatz für den Konus der
Rekordspritze, einen Ansatz für den Abflußkonus. In dem Abflub-
konusstücke befinden sich zwei Kegelventile;
eine Injektionsnadel;
einen Zwischenschlauch mit zwei Ansatzstücken, der zwischen
Hahn und Nadel eingeschaltet wird;
zwei Duritschläuche von je !/2 m Länge;
zwei doppelt durchbohrte Korken mit Spritzflaschenarmatur.
Das "Neosalvarsan wird in der Kochsalzlösung des einen Kolbens
gelöst; dann werden die beiden Kolben mit den Spritzflaschenkorken
versehen.
Ich kann jetzt die Apparatur in zweierlei Weise verwenden. Ent-
weder verbinde ich die Duritschläuche mit dem kurzen Glasrohr in dem
Gummistopfen. Wenn ich dann die Flasche hebe und umkehre, so fließt
die Lösung durch die in die Vene eingeführte Nadel vermittels des
Drockes ihrer Fallhöhe. Mit andern Worten, die Apparatur erspart die
bisher vielgebrauchten Büretten. Es ermöglicht die Vorrichtung aber
auch den Gebrauch einer Spritze, um die Flüssigkeiten durch die Nadel
in die Vene einzuspritzen; denn es kommt, wenn auch selten, vor, daß
das durch die Nadel abfließende Blut nach dem Lösen des Stauungs-
schlauchs am Oberarme sich schnell in der Nadel mehr oder weniger ein-
m RD
<e: Zur Salvarsan-
lösung
Zur Kanüle Pi A
Zur Spritze Zur Kochsalzlösung
dickt und dann durch Emporheben der Bürette nicht in die Vene zurück-
gedrängt werden kann. Dieser Unannehmlichkeit beugt man duröh An-
wendung der Spritze vor, die noch dazu den Vorzug hat, die Operations-
dauer erheblich abzukürzen. Bei Verwendung der Spritze befestige ich
die Duritschläuche an die langen bis auf den Boden der Gefäße reichenden
Glasrohre. Die Gefäße können dann aufrecht stehen bleiben, brauchen
nicht gehoben beziehungsweise an einem Stativ befestigt zu werden. — Die
Kegelventile im Hahne führen, wie die Kugelventile in der Wechsel-
mannschen Pumpe, automatisch den Verschluß des Zu- und Abfuhr-
rohrs aus, sodaß, nachdem die eingeführte Nadel mit dem Apparat ver-
bunden ist, nur durch einfaches Umlegen des Zufuhrhebels Salvarsan be-
ziehungsweise Kochsalzlösung nach Belieben ein- und ausgeschaltet
werden braucht, im übrigen ohne irgendwelches Umstellen von Hebeln
die Spritze gefüllt und entleert werden kann. Vor dem Wechsel-
mannschen Apparat hat der meinige den Vorzug, daß er aus Metall
gearbeitet ist. — Eine weitere Vereinfachung der Apparatur könnte man
in der Weise herbeiführen, daß man die Spritzflaschenkorken aus-
schaltete. Man könnte wie bei Douchen einfach das mit einem Glas-
röhrchən armierte Schlauchende in die Flasche hängen. Es würde sich
aber der Schlauch leicht aus der Flasche herausziehen oder er würde
abknicken, würde man nicht einen auf den Schlauch verschiebbaren Bügel
hinzufügen. Ich glaube deshalb, die von mir benutzte Spritzflaschen-
vorrichtung und den Hahn (dessen Doppelventil und Spritzenansatz auch
getrennt angefertigt werden, sodaß sie auf den gewöhnlichen Zweiwege-
hahn aufgesteckt werden können) als die jetzt bequemste und vollkom-
menste Apparatur für intravenöse Salvarsaneinspritzungen empfehlen zu
können. Hahn- und Spritzflaschenvorrichtung wurden mir angefertigt
von der Firma Louis & H. Loewenstein, Berlin N, Ziegelstr. 28/29.
Preis M 17,50. OERE
. Bücherbesprechungen.
A. Lesage, Lehrbuch der Krankheiten des Säuglings. Uebersetzt
von Prof. Dr. R. Fischl (Prag). Leipzig 1912, Georg Thieme.
696 Seiten. M 12,—.
Jeder Fachmann wird das Buch von Lesage mit großem Inter-
esse und Freude lesen. Ist doch die französische Pädiatrie (besonders
des Säuglingsalters) von größtem Einfluß auf die deutsche Wissenschaft
gewesen. Es liegt in der Natur der Sache, daß es stets nur wenigen
gegeben sein wird, in die Literatur einer fremden Nation so einzudringen,
wie es wissenschaftlich oft notwendig wäre, und deshalb sind Ueber-
setzungen bedeutender Werke aus einer fremden Sprache eine absolute
Notwendigkeit. Wir müssen Fischl aufrichtig dankbar sein, daß er
sich dieser schwierigen und undankbaren Aufgabe unterzogen hat, und
2084 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22. Dezember.
nachdem er früher schon das Marfansche Buch übersetzt hat, nun mit
dem Lesageschen gefolgt ist. Die Uebersetzung ist in jeder Beziehung
musterhaft. |
Was das Lesagesche Buch in erster Linie auszeichnet, ist die
Tatsache, daß er den deutschen Arbeiten vollkommen gerecht zu werden
versucht. Man wird nicht so leicht ein größeres französisches pädia-
trisches Werk finden, das so reichlich Bezug nimmt auf die deutsche
Literatur. Wenn dabei öfter auch Mißverständnisse unterlaufen (z. B.
Finkelsteins und auch Ozernys Auffassungen wird der Verfasser
nicht immer gerecht), so soll damit kein Tadel ausgesprochen werden,
sondern dies Faktum zeigt uns nur immer wieder, wie schwer es ist,
einen etwas komplizierten Zusammenhang in einer fremden Sprache voll-
kommen richtig zu verstehen, und solche Erfahrungen beweisen nur um
so mehr die Notwendigkeit guter Uebersetzungen. Das Lehrbuch selbst
enthält in wohl lückenloser Zusammenstellung eine eingehende Be-
sprechung der pathologischen und physiologischen Verhältnisse sowie eine
Schilderung aller Krankheiten im Säuglingsalter. Daß hierbei vom Ver-
fasser oft originelle Auffassungen mitgeteilt werden, erhöht den Wert
des Buches für den Fachmann beträchtlich. Es sei erinnert an die Me-
thode, die er für die künstliche Ernährung der ersten Monate gibt, an
die Auffassung, die sich Verfasser über die Sommersterblichkeit macht.
Lesage hält die eigentliche Sommerdiarrhöe für eine bakterielle, in-
fektiöse Erkrankung, ohne sie jedoch mit einer Infektion durch die Milch
in Beziehung zu bringen. Daneben leugnet er auch nicht einen direkten
Einfluß der Hitze auf das Kind. Jedenfalls nimmt er die verschiedensten
ätiologischon Momente für das Auslösen dieser Erkrankung an und
glaubt auch klinisch alle diese verschiedenen Typen unterscheiden zu
können. Ich erinnere weiter an das Kapitel „Gleichgewichtsstörungs-
fieber“, das ganz gewiß nicht sofort unsere Billigung findet, uns aber
doch auffordert, immer mehr darauf zu achten, ob nicht die geringsten Aende- .
rungen in der Pflege beim Kind auch sein Temperaturgleichgewicht be-
einflussen können; kurz es ließen sich eine Menge Kapitel anführen, die
eine durchaus originelle Auffassung des Verfassers bekunden und daher
zum Nachdenken beziebungsweise zur Kritik anregen. Bis zu einem
gewissen Grade hat dies der Uebersetzer durch seine dazwischen ge-
schalteten Bemerkungen getan.
Wenn wir das Buch in erster Linie dem Fachmann empfehlen, so
hat das seinen Grund darin, als das Lehrbuch wesentlich auf französische
Verhältnisse zugeschnitten ist und daher dem deutschen Arzte nicht das
bieten wird und kann, was er sucht. Der Pädiater aber wird gern in
dem Buche lesen und manche Bereicherung und Anregung daraus
schöpfen. Rietschel (Dresden).
Oswald Bumke, Ueber nervöse Entartung. Berlin 1912, Julius
Springer. 120 Seiten. M 5,60. |
Degeneration ist die von Generation zu Generation zunehmende
Verschlechterung der Art; im medizinischen Sinne die Verschlechterung
des nervösen Gesundheitszustandes von Geschlecht zu Geschlecht. Er-
worbene Eigenschaften können nicht vererbt werden, die Entartung geht
beim Menschen entweder hervor aus einer Vererbung krankhafter Anlage,
die auch die Erzeuger schon ererbt hatten, oder aus einer Keimschädi-
gung, bei der besonders Alkohol und Syphilis eine deletäre Rolle spielen.
Verwandtenehen in kranken Familien, Ehen zwischen gleichgerichtet
psychopathischen Individuen führen am leichtesten und sichersten zur
Degeneration der Nachkommenschaft. Die Regeneration, das heißt das
allmähliche Verschwinden pathologischer Momente bei Ehen zwischen Ge-
sunden und Entarteten, wiegt aber ein gut Teil der Degeneration wieder auf.
Die Degenerationszeichen lassen sich sämtlich auf äußere, soziale Ur-
sachen zurückführen, womit man eine Waffe hat, ihrer Herr zu werden.
Ebenso verhält es sich mit den funktionellen Nervenkrankheiten (denn eine
Vererbung erworbener Nervenkrankheiten gibt es nicht).
Ich habe hier einige Kernpunkte der großzügigen Arbeit Bumkes
herausgesetzt. Das wichtigste Schlußresultat, zugleich das den Mediziner
am meisten angehende, lautet: Die nervöse Degeneration ist eine soziale
Erscheinung, der wir entgegentreten können. -
Alle Fragen, Theorien und Gesetze der Vererbung, der Keimschädi-
gung, der Uebertragung von Psychosen, der Selektion und Domestikation,
des Zusammenhangs zwischen Kultur und Entartung, werden von Bumke
unter meisterlicher Verarbeitung der grundlegenden naturwissenschaft-
lichen Literatur selbständig besprochen, entwickelt und weitergeführt.
Immer wieder richtet sich der Blick von der biologischen Betrachtung
fort auf die Medizin, die Psychiatrie, von der aus ja so manche Fragen
der Degenerationslehre besonders gut beantwortet werden können, die ja
in andern strittigen Punkten neue Gesichtspunkte aufdeckt. Wenn
schließlich die Frage, ob unser Volk degeneriert ist, nicht beantwortet
wird, so liegt das nur an der verschiedenartigen Auffassung und Ein-
schätzung von den Fortschritten und dem Rückgange der Entwicklung,
Zu entscheiden, wo hier das Plus vorhanden ist, das steht dem Historiker
zu. Was Arzt und Naturforscher zu dem Problem der Entartung zn
sagen haben, welche Fragen gelöst sind, welche der Lösung harren, das
und mehr hat Bumke in seiner trefflichen Studie auseinandergesetzt,
Kurt Singer (Berlin),
J. Wolfram, Der Kampf gegen den Schmerz bei operativen Ein.
griffen vom Altertum bis zur Gegenwart mit besonderer
Beziehung auf die Zahnheilkunde. Mit 5 Abbildungen nach
Kupferstichen. Leipzig 1912, J. A. Barth. 66 Seiten. M 2,—.
Der Verfasser hat seine Schrift in drei Teile geteilt, betitelt:
1. Aus alten Zeiten, 2. Die Betäubung, 3. Die örtliche Schmerzverhütung,
Die Kritik teilt sie in zwei Abschnitte, von denen der zweite, S. %,
mit der Benutzung des Stickstoffoxyduls durch den amerikanischen Zahn-
arzt Horace Wells im Januar 1845 und der Benutzung des Aether
durch William Thomas Groen Morton am 30. September 1846 be
ginnt und die verschiedenen Phasen in der modernen Anwendung der
allgemeinen Narkose und der örtlichen Schmerzverhütung in anschar
licher Weise schildert. Der Verfasser, der nach dem Reichs-Medizin-
kalender 1885 Zahnarzt geworden: ist, hat ja auch den für die Medizin
und Zahnheilkunde wichtigsten Zeitabschnitt miterlebt, und dieser Tel
ist durchaus gut geraten und auch für den Arzt lesenswert. Anden
steht es mit dem ersten Teil, der ohne jedes Quellenstudium unz
reichende Skizzen aus der Geschichte der Medizin und Zahnheilkunde
bringt, in denen die moderne Spezialforschung überhaupt nicht berüc-
sichtigt wird, und auch sonst reichlich Fehler vorkommen. Bezeichnend
ist S. 24 der edle Römer mit Namen Marcellus Empiricus, der tatsächlich
in Bordeaux geboren, um das Jahr 400 nach Christus lebte und Minister
bei irgendwelchen römischen Kaisern gewesen ist. Der S. 26 erwähnte
berühmte Arzt Theodorich von Cervia war nicht nur Kaplan wd
Beichtvater, sondern Bischof von Cervia. Das Buch ist „der Kampf
gegen den Schmerz“ betitelt, davon ist aber in dem ersten Teil nicht die
Rede, ebensowenig auf den fünf Tafeln mit Abbildungen, obgleich dafür
doch interessantes Material vorliegt (siehe unter anderm diese Zeitschrift
1910, S. 1284) und die zwei Seiten über die Geschichte der Betäubung
S. 26—28 sind absolut unzureichend, darüber ist selbst in der kur
Abhandlung von Hugo Magnus „Ueber den Wert der Geschichte fir
die moderne induktive Naturbetrachtung und Medizin“ (Breslau 194,
S. 14—15) mehr zu finden. Das Werk ist deshalb, weil es den Titl
nicht genügend erschöpfend behandelt, anderseits, weil das Mehr, welche
es bringt, ganz unzureichend ist, zur Anschaffung nicht zu empfehlen.
Paul Richter (Berl).
L. Külz, Malaria und Schwarzwasserfieber. Mit 5 Tempersur
kurven, 2 Fiebertafeln, 1 Chininkalender und mehreren Abbildungen in
Texte. Hamburg, Fr. W. Thaden. 94 Seiten. M 2,—.
Der auch den Lesern der. „Med. Kl.“ als ständiger Mitarbeitet
wohlbekannte Verfasser gibt in der vorliegenden Schrift die Summe amer
zehnjährigen einschlägigen Erfahrung als kolonialer und Regierungsamk
Gerade die Tätigkeit von Külz in Togo und Kamerun erscheint dab
so recht geeignet, über die Malaria, ihre Prophylaxe und Behandlung
maßgebende Erfahrungen zu sammeln. Bleibt doch die Malariabekämpfug
für viele äquatoriale Plätze gleichbedeutend mit ihrer Sanierung . .+ +»
„nehmt ihnen die Malaria und ihr macht einen idealen Kurort fir
Europäer daraus“. Neben den Grundregeln der Verhütung kommt Ir
dessen auch die Heilung in dem Buche nieht zu kurz, bedurfte do
gerade diese Frage einer besonders gründlichen Erörterung, da zahlreiche
Europäer im Innern Afrikas und fern von ärztlicher Hilfe nur sul dw
Selbststudium solcher von erfahrener Hand vorbereiteten Schriften ange
wiesen sind. Die persönliche Art, in der das Büchlein in Gestalt vo
sieben gemeinverständlichen Vorträgen gehalten ist, die zahlreiche
Temperaturkurven und Abbildungen, wie nicht zuletzt der ständig ber
vortretende Unterton einer ausgereiften tropenärztlichen Erfahrung werde
auch diesem „kleinen Külz“ sicherlich viele Freunde und Abnehmer er
werben. Fr.
Ernst Brezina, Internationale Uebersicht über Gewerbekratk
heiten. (Wiener Arbeiten auf dem Gebiete der sozialen Medis
II. Heft.) Wien 1912, A. Holder. 122 Seiten. M 2,10.
Die mehr und mehr hervortretende Bedeutung des Studiums der
Gewerbekrankheiten ließ es geboten erscheinen, in der vorliegenden inter
nationalen Uebersicht die Berichte der Gewerbeinspektoren aus den gro
europäischen Kulturländern für das Jahr 1909 möglichst bald nach Ihren
Erscheinen zu veröffentlichen, dieses in Fortsetzung von J. N Ro
(71909) Internationaler Uebersicht über Gewerbehygiene. Es wird =
eine Fülle von Material geboten, die der auf dem Gebiete der 508 5
Hygiene Tätige notwendig braucht und deren Kenntnis entsprechend
Ausdehnung der sozialen Versicherung schlechthin als unerläßli
zeichnet werden muß. Neben dem Verfasser verdient dabei der Herst
gober der ganzen Sammlung, Priv.-Doz. Dr. L. Teleky, besonders s
92. Dezember.
Theodor Vetel und Fritz Veiel, Die Therapie des Ekzems. Halle a. S.
1912, Carl Marhold. 34 Seiten. M 1,20.
Trotzdem die Zahl der Publikationen über das vorliegende
Thema bereits eine sehr große ist, müssen wir doch Neuerscheinungen
auf diesem Gebiete stets begrüßen, weil die Behandlung des Eikzems
oft sehr schwierig ist; um so mehr, als wie in diesem Hefte viele
auf langjähriger Erfahrung basierende Winke für den praktischen Arzt
gegeben werden, z. B. daß bei Anwendung der Tanninsalbe sich leicht
eine Stomatitis einstellen kann. l
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
2085
Die Abhandlung bespricht vorerst in allgemeiner Form die bei
akutem und chronischem Ekzem zu verwendenden Heilmittel und deren
Wirkung, wobei auch auf nachteilige Folgen zu lange angewendeter
Mittel verwiesen wird. |
Es folgt eine Beschreibung der therapeutischen Maßnahmen bei
den einzelnen lokalisierten Ekzemen,‘ nach Körperregionen geordnet.
Ueberall finden wir erprobte Rezeptformeln angegeben, infolgedessen das
kleine Buch nicht nur für den Dermatologen, sondern auch für den all-
| gemein praktischen Arzt von lesenswertem Interesse ist.
Eugen Brodfeld (Krakau).
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherang).
Redigiert von Dr. Hormann Engel, Berlin W 80.
Innere Hermie, Fremdkörperverletzung des Darms als
Unfallfolgen
von
Dr. Adolf Silberstein,
Leitender Arzt des Unfallkrankenhauses Hasenheide zu Berlin.
Auf Veranlassung der Norddeutschen Metall-Berufsgenossen-
schaft erstatte ich über die unfallverletzte Arbeiterin E. G., ge-
boren am 28. Januar 1897, gestützt auf die Beobachtung während
der stationären Behandlung im Krankenhause Hasenheide vom
22. September 1911 bis 12. Juni 1912 nachstehendes Entlassungs-
gutachten:
Vorgeschichte: E. G., die, abgesehen von einer Diphtherie,
die sie als Kind durchgemacht hat, stets gesund gewesen sein
will, erkrankte drei Tage vor der am 22. September 1911 erfolgten
Aufnahme plötzlich an heftigen Schmerzen im Leibe. Sie war
als Laufmädchen beschäftigt und hatte die Aufgabe, Kästen von
einem Raum in den andern zu tragen; ein Kasten fiel herab und
traf die Magengegend. Eine Viertelstunde darauf traten äußerst
heftige Schmerzen auf, die während der folgenden Nacht und des
folgenden Tages anhielten. Sie klagte über häufiges Aufstoßen und
Stuhlverhaltung.
Bei der am 22. September 1911 erfolgten Aufnahme wurde
folgender Befund erhoben:
Leidlicher Ernährungszustand, Schleimhäute sehr blaß,
Pupillen reagieren, Zunge belegt, Würgreflex vorhanden, Rachen-
organe ohne Besonderheiten. Herz ohne Besonderheiten; Puls
regelmäßig, etwas beschleunigt.
Bauchorgane: Der obere Leibabschnitt ist stark vorge-
'wölbt. Leberdämpfung schneidet mit dem Rippenbogen ab. Magen-
gegend stark vorgewölbt. Patientin klagt dauernd über Schmerzen
im Leibe, besonders in der linken Seite. Stuhlgang erfolgt nie
spontan, sondern ist nur durch Einlauf oder Glycerinspritze zu er-
zielen. Der Appetit ist schlecht. Röntgenphotographie nach Ein-
lauf von 30 g Bismut. subnitr. (Dr. Arthur Fränkel.) Man sieht
zwischen Wirbelsäule und linker Niere eine Ausbuchtung, die
mit Wahrscheinlichkeit als doppelt liegender Darm zu deuten ist.
Bei Durehleuchtung nach Wismutmahlzeit ist der Brei nach zwölf
Stunden noch nicht in das Querkolon eingetreten. Es handelt
sich um einen inneren Bauchbruch.
Verlegung zur II. chirurgischen Station (Dr. Rosenstein).
OÖperationsbefund: Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird zu-
nächst am Netz der Magen hervorgezogen, an dem sich keine Ver-
änderungen finden. Dann wird vom Querkolon aus versucht, den
Dickdarm nach unten zu verfolgen. Es kommt die Stelle der
Flexura lienalis nicht zu Gesicht, sodaß die Orientierung von der
Flexura sigmoidea versucht wird. Die Flexura sigmoidea ist sehr
lang und stark von Gasen gebläht. Beim Versuch, die Flexura
lienalis zu Gesicht zu bringen, zeigt sich, daß dieser Winkel der
Bauchhöhle von einer großen Menge Dünndärmen erfüllt ist, die
durch eine Lücke im Mesenterium in der Gegend der Flexura
lienalis hindurchgetreten sind.
Dementsprechend erscheint es als das zweckmäßigste, die
von den Dünndärmen überlagerte Stelle des Bruches aus der Kon-
tinuität des Diekdarms auszuschalten und eine Anastomose zwischen
Colon transversum und Colon descendens herzustellen. Dies ge-
schieht durch quere Nahtanastomose. Primärer Schluß der Bauch-
höhle in drei Etagen. Gute Verheilung der Bauchwunde.
a Im weiteren Verlauf traten zuweilen noch Fieberungen auf,
le zunächst den Verdacht eines Spitzenkatarrhs erweckten. Am
. Januar 1912 trat plötzlich wieder hohe Temperatur auf.
Bei bimanueller Untersuchung findet sich in der linken
Unterbauchseite, nahe der Beckenschaufel ein gewisser Widerstand,
der dann auch perkutorisch von den Bauchdecken nachzuweisen
ist. Deshalb am 10. Januar 1912 nochmalige Laparotomie
in Chloroformäthernarkose. Schnitt parallel der Beckenschaufel
durch die ganze linke Unterbauchseite. Nach Eröffnung des Leibes
sieht man dort entzündliche Verwachsungen der Därme und des
Netzes, die von außen den Tumor haben fühlen lassen. Nach vor-
sichtiger Lösung der Verwachsungen und Trennung der Darm-
schlingen stößt man in der Tiefe auf einen spitzen Widerstand,
der aus einer Darmschlinge hervorragt. Bei näherer Unter-
suchung findet sich eine abgebrochene Haarnadel, die aus
dem Darm herauskommt und im Musculus psoas steckt. Da-
nach Uebernähung des verletzten Darmes und Schluß des Bauches
in Etagen. Der weitere Wundverlauf ist ein regelmäßiger. Tem-
peratursteigerungen treten nicht mehr auf. Die Patientin nimmt
erheblich an Gewicht zu. Am 12. Juni 1912 erfolgt die Ent-
lassung.
Entlassungsbefund: E. G. wiegt 52,50 kg; gesunde Ge-
sichtsfarbe, Muskulatur und Fettpolster sind ausreichend ent-
wickelt. Keine Zeichen von Blutarmut, keine Drüsenschwellung.
Die Pupillen reagieren prompt auf Lichteinfall und Zusammen-
ziehung. Die Kniesehnenreflexe, sowie die übrigen Reflexe sind
nicht gesteigert.
Lungenbefund: Ueber der linken Spitze feinblasiges Rasseln,
in der linken Oberschlüsselbeingrube Schallverkürzung. Der Lungen-
befund ist im übrigen ohne Besonderheiten. Die Herzgrenzen sind
regelrecht, Herztöne rein, Puls leicht beschleunigt, 86Schläge
in der Minute. Die linke Hälfte des Bauches weist zwei winklig
auseinander verlaufende Operationsnarben auf, die zum Teil Keloid-
bildung zeigen. Die dem Nabel nähergelegene ist 17 cm lang, die
entferntere 20 cm. Ein Bauchbruch ist nicht vorhanden, auch
beim Pressen erweisen sich die Narben als fest. Der Leib ist
überall weich und eindrückbar, nirgends druckempfindlich; die
inneren Organe sind ohne Besonderheiten.
Gutachten: Aus der Fülle der einzelnen Erscheinungen ist.
folgender Tatbestand zu erheben. Die E.G. hat in der Zeit
vor dem Unfall vom 19. September 1911 eine Haarnadel ver-
schluckt, angeblich, ohne daß dies ihr zum Bewußtsein gekommen
ist. Diese Haarnadel ist durch Speiseröhre, Magen, Dünndarm,
Dickdarm bis zum Colon descendens unbehindert hindurchgegangen,
ohne Erscheinungen zu machen. Nun erleidet die E. G. einen Un-
fall: eine schwere Kiste fällt ihr gegen den Leib. Dieses Trauma
muß eine Zerreißung des Mesenteriums in der Gegend der Flexura
lienalis hervorgerufen haben. Infolge dieses Risses war es einer
großen Menge von Dünndarmschlingen möglich, durch die Lücke
des Mesenteriums hindurchzutreten. Die Folge dieser Verlagerung
war die innere Hernie, die die erste Operation erforderlich machte.
Gleichzeitig hat das Trauma bewirkt, daß die im Dickdarm be-
findliche Haarnadel die Wandung durchdrang und in den Mus-
culus psoas sich festhakte. Die Entfernung der Haarnadel be-
zweckte die zweite Operation.
l Die Verletzte hat die Operationen gut überstanden; sie hat
sich außerordentlich gut erholt. Als Folge des erlittenen Unfalls
kommen zurzeit nur noch geringe Beschwerden in Betracht:
Kreuzschmerzen beim Stuhlgang und Schmerzen an beiden Seiten
des Leibes, die wohl auf Verwachsungen des Bauchfells zurück-
zuführen sein dürften. Die noch vorhandenen Beschwerden können
durch eine Leibbinde wesentlich vermindert werden.
Eine Rente von 8831/,%/, halte ich zurzeit für gerechtfertigt.
A a ı
2086 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
Basel.
Medizinische Gesellschaft, Sitzung vom 24. Oktober 1912.
Oppikofer. Wachsparafiinausgüsse von Larynx und Trachea.
O. hat bereits früher an den herausgenommenen Halsorganen und nun
neuerdings auch in situ mit Hilfe der bronchoskopischen Röhre Aus-
güsse von Kehlkopf und Luftröhre mit Wachsparaffin (10 Teile Wachs,
2 Teile Paraffin, 1 Teil Kolophonium) hergestellt. Die 160 Ausgüsse
werden demonstriert. Sie zeigen, daß bei den verschiedenen Individuen
schon normalerweise ausgedehnte Größen- und Formvariationen bestehen.
Diese Variationen betreffen sowohl Larynx, wie Trachea; aber auch in
den Durchmessern der Hauptbronchien und in der Größe des Bifurkations-
winkels sind große Schwankungen vorhanden. Daß dieselben unter patho-
logischen Verhältnissen noch bedeutend zunehmen können, liegt auf der
Hand. Die in situ hergestellten genaueren Ausgüsse geben auch ein
anschauliches Bild über die verschiedenartigen Axenabweichungen der
Luftröhre bei Struma, Geschwülsten und bei Kyphoskoliose.
1. Schönberg: Ein Fall von Colitis mercurialis: 41jährige
Frau mit Puerperalsepsis, die zu therapeutischen Zwecken intravenöse
Sublimatinjektionen erhalten hatte. Autoptischer Befund.
‚2. Tentoriumrisse bei Neugeborenen. Daß Tentoriumrisse bisher
zu den seltenen Sektionsbefunden gehörten, hängt, wie Beneke betont,
von der üblichen Sektionstechnik ab. Vortragender konnte in den letzten
Monaten bei genauerer Untersuchung mehrere Fälle von Tentorium-
rissen bei Sektionen beobachten. Systematische Untersuchungen müssen
noch zeigen, welcher Wert den Verletzungen des Tentoriums beizu-
legen ist.
3. Mehrere Fälle von Emphysem der Harnblase des Menschen
sowie Mesenterialemphysem beim Schweine, ferner ein Fall von
Pneumatosis cystoides mesenterii bei einem 36jährigen Manne,
der wegen Magenulcusnarbe zur Laparotomie kam, werden demonstriert.
4. Statistische Untersuchungen über die Häufigkeit der Magen-
ulcera in Basel (pathologisch-anatomisches Material) ergeben, daß die
Behauptung eines Abnehmens in der Zahl der Ulcera ventriculi von
Norden nach Süden unrichtig ist. Die Zahl der Magenulcera in Basel
beträgt in der Schönbergschen Statistik 4,2 %/ der Sektionen. Es gibt
für Ulcus ventriculi keine regionäre Disposition, sondern zeitliche
Schwankungen. |
5. Drei Fälle von Bronchlalrupturen jugendlicher Individuen
durch Thoraxkompression.
Sitzung vom 7. November 1912.
Professor L. Rütimeyer: Die diagnostische Bedeutung der
Fermentuntersuchungen des Magensaftes, speziell des Labferments,
zugleich ein Beitrag zur Frage der Wesenseinheit von Lab und
Pepsin beim Menschen. Seine Ausführungen, die auf über 500 Einzel-
untersuchungen basieren, gipfelten im wesentlichen in folgenden Reszul-
taten: 1. Methodisches: Die Magensäfte sind, wie eine größere Zahl
von dabin gerichteten Kontrolluntersuchungen ergeben hat, für die Lab-
bestimmung, aber auch für Pepsinbestimmungen möglichst frisch, jeden-
falls innerhalb acht Stunden nach Entnahme zu untersuchen. Bei län-
gerem Stehen nimmt nämlich ihre milchkoagulierende Kraft in zirka
60 %, der Fälle ab. Vergleichende Untersuchungen nach den Methoden
“von Boas und Fuld ergaben, daß für die Labbestimmung die Ver-
diinnungsmethode von Boas praktisch genügende Resultate ergibt. Das-
selbe gilt beim Pepsin für die Prüfung nach Mett gegenüber derjenigen
mit Ricin und Edestin. 2. Klinisch-diagnostisches: Bei anaciden
Magensäften sehen wir bei den der Gruppe der Achylie angehörigen
Fällen meist sehr geringe Labwerte (Gerinnung nur noch bis Verdünnung
1:10); bei Carcinom sind die Labwerte häufig höher G: 40 bis 1: 320).
Noch höhere Werte findet man bei der nervösen Anacidität; hier sind
' Werte von 1:80 und mehr entschieden häufiger. Differential-diagnostisch
werden also in unklaren Fällen, speziell bei wiederholten Untersuchungen,
quantitativ geringe Labwerte also nur bis 1:10 eher für Achylie als für
beginnendes Carcinom sprechen. Die Fermentuntersuchungen werden
selbstverständlich nur ausnahmsweise allein entscheidende diagnostische
Resultate geben, sie können aber im Rahmen der allgemeinen klinischen
Untersuchungsmethoden eine Diagnose fördern helfen. Zu beachten ist,
daß auch bei völligem Schwund der Fermente (beim Lab ein sehr seltenes -
Vorkommnis) und bei fehlender freier Salzsäure, dieselben in relativ
kurzer Zeit wieder und sogar in erheblicher Menge auftreten können, .
i nachweisbar freie HCI oder eine hohe Totalacidität
a — Bei malignen Prozessen scheint während deren
Entwicklungszeit ein Absinken des Fermentgehalts in der Regel vorzu-
kommen. Die Untersuchung der peptischen Kraft nach Mett gibt uns
für die Differentialdiagnose zwischen Achylie und Uarcinom weniger An-
22, Dezember,
ige
Vereins- und Auswärtige Berichte.
haltspunkte als diejenige der milchkoagulierenden. Die Labprobe ist
feiner nuanciert und verdient für den Praktiker, weil sie diagnostisch
mehr besagen kann als die Pepsinprobe, vor dieser den Vorzug. 3. Phy-
siologisch. Die Sekretion freier HCl und diejenige des Lab und Pepsin
sind voneinander unabhängig. Etwas geringer als die vielfachen Diver
genzen zwischen ‘Abscheidung von Salzsäuremenge und Fermenten sind
diejenigen zwischen Lab und Pepsin unter sich. Wenn aus diesen nit
roheren klinischen, nicht mit exakt physiologisch-methodologischen Hilf.
mitteln erlangten Befunden ein physiologischer Schluß auf das Verhältnis
des Lab (Parachymosin) zum Pepsin im menschlichen Magensafte respek:
tive in der Magenschleimhaut des Menschen gestattet ist, so ist derselbe
angesichts der so oft beobachteten großen Divergenzen im qualitative
und quantitativen Verhalten beider nicht im Sinne der Wegenseinheit von
Lab und Pepsin zu ziehen.
C. Stäubli: 1. Beobachtungen über Arsenüberempfindlichkelt,
Vortragender beobachtete bei zwei Patienten im Verlaufe von Injektion
‘mit sterilem Natrium cacodylicum das Auftreten von Ueberempfnd-
lichkeit, die sich in hohem Fieber, schwerem allgemeinen Krankheite
gefühle, Schmerzen in allen Gliedern, Kopfschmerzen, Appetitlosigkait,
bei einem Patienten auch mit Dyspnöe äußerte. Lokal fand sich eins
schmerzhafte, derbe, entzündliche Infiltration um die Injektionsstelle, Die
Allgemeinerscheinungen nahmen rasch ab, die lokalen blieben längere Zeit
bestehen. Die bei der einen Patientin mit Natrium cacodylieum vorge-
nommene Pirquetsche Cutanreaktion ergab ein positives Resultat,
2. Beitrag zur Therapie des Asthma. Beim Asthma spielt dio
Psyche eine große Rolle, aber nicht im Sinne der Froudschen Schule
oder so, daß, wie manche Autoren annehmen, der Asthmatiker im Anfal
infolge krankhafter Vorstellungen die Lungen stärker lüftet als notwendig
ist, Vielmehr können psychische Vorgänge erregend auf bestimmte, bein
Asthmatiker ohnehin übererregbare Nervencentren wirken; es kommt zur
Auslösung der dem Anfalle zugrunde liegenden bronchospastischen und
vasomotorisch-sekretorischen Verengerung der kleinsten Bronchialver-
zweigungen. Vortragender betonte die Wichtigkeit der psychischen Ar
lenkung der Kranken; von den den Anfall bekämpfenden Mitteln hebt er
die gute Wirkung, die mit vielen Rauchmitteln und mit Atropin
erzielt wird, hervor; er weist auf das vollständige Wohlbefinden hin,
. dessen sich die meisten Asthmatiker im eigentlichen Hochgebirge er
freuen, In neuester Zeit wurden mit Adrenalin auf dem Wege der
subeutanen Injektion oder der endobronchialen Einstäubung sehr schön
Erfolge erzielt. Die sich vielfach widersprechenden Angaben bezüglich
der Inhalation des Mittels beruhen darauf, daß die meisten Apparat
das Mittel zu wenig fein zerstäuben; es gelangt dadurch nicht bis in di
feinsten Bronchien, Es werden zwei kleine Apparate demonstriert, di
das Adrenalin in allerfeinster Art vernebeln. Vortragender hat damit
außerordentlich günstige Resultate erzielt. Dank der praktischen Form
dieser Apparate kann sie der Asthmatiker stets mit sich tragen.
Breslau.
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur.
Medizinische und staats- und rechtswissenschaftliche Sektion.
Gemeinschaftliche Sitzungen vom 15. und 22. November 91
Julius Wolf: Der @eburtenrückgang und seine Bekämpfung.
Der durch: seine jüngst erschienene Monographie „Der Geburtenrückgag.
Die Rationalisierung des Sexuallebens in unserer Zeit“ (Jena, G. Fischer]
als Fachmann bekannte Nationalökonom geht von der Tatsache aus,
in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraume von drei Jahrzehnten in Deutsch:
land ein Rückgang an Geburten von rund 100 auf 10000, das heißt im ER
ùm 25 0/o (ortsweise aber noch stärker, bis zu 75°/o) erfolgt ist, 2 }
rund 2000000 Neugeborene gezählt wurden, während es ohne den =
gang 2700000 hätten sein müssen. In den Großstädten ist der Rie
gang über dem Durchschnitt; Berlin wird in 15 Jahren vor Paris 7%
Vorsprung mehr haben, steht aber noch günstig da im Verai ai
Schöneberg, das mit 164 Geburten auf 10000 Einwohner im D A
(gegen 570 in den 70er Jahren) bereits hinter Paris (180: 10000) 7 s
bleibt. Das deutsche Volk wird immer mehr ein Stadtvolk, $
auf ein Anhalten des Geburtenrückgangs zu schließen. Das Sin f
Sterblichkeit geht nur bis zu einem gewissen Grade parle Kgg
der Verminderung der Todesfälle sehr viel geringer als der Suc 7
der Geburten, für dessen Deutung zwei Auffassungen N
organische, die in ihm eine. physiologische Dogenerationserst”
erblickt, einen Rückgang der Fruchtbarkeit der Geschlechter, "
zweite die Auffassung, die ein voluntaristisches Prinzip annimm Be
die erste Annahme sprechen unter anderm auch die Rekru N
statistiken, die ein Schwanken der Tauglichkeit nach unten ul
.99, Dezember.
oben zeigen. Gewisse Momente, wie die mit dem Zuge nach der Groß-
stadt einhergebende vermehrte geschlechtliche Durchseuchung der Be-
-völkerung, die zur Sterilität führen kann, spielen wohl mit; aber ohne
daß das vorliegende Material als absolut ausreichend für abschließende
Resultate anzusprechen ist, ist es doch in höherm Maße wahrscheinlich,
daß der Geburtenrückgang eine soziale Erscheinung ist. Was man als
Kultur zu bezeichnen pflegt, ist ein Förderungsmittel des Geburten-
rütckgangs, schon die Elementarbildung; dort, wo sie fehlt, wo die meisten
Analphabeten sind, ist umgekehrt die höchste Geburtenziffer zu finden,
in den Balkanländern, in Rußland, dessen Bevölkerung sich in 50 Jahren
verdreifacht haben wird. Ferner ist dort, wo die Religiosität am größten
ist, die Geburtlichkeit die größte, zum Beispiel in Deutschland dort, wo
auch die meisten Zentrumsstimmen gezählt werden; sie ist aber am
kleinsten in den Bezirken, die als überhandnehmend atheistisch anzu-
sprechen sind, in Hochburgen der sozialdemokratischen Arbeiterbevöl-
kerung, wie in Berlin, Hamburg, dem Königreich Sachsen. Unter den
katholischen Ländern macht Frankreich insofern auch eine Ausnahme, als
die katholische Kirche hier vor dem Geburtenrückgange die Waffen ge-
streckt hat und die einschlägigen Fragen nicht mehr zum Gegenstande
der Beichte macht. Was bisher von den deutschen Verhältnissen aus den
Jahren 1911 und 1912 bekannt geworden ist, spricht für eine beschleunigte
Entwicklung in der Richtung nach den Zuständen in Frankreich (Zweikinder-
system) zu, dessen Geburtenzahl von heute wir nach der Ansicht von
manchen Forschern in zehn Jahren, nach Wolfs optimistischerer Auf-
fassung erst 1930 erreicht haben werden. Da der Rückgang zum größten
Teile gewollt ist, wird man bezüglich der Erfolge der Bekämpfung
skeptisch sein müssen, nur mit einer Verlangsamung des Prozesses von
vornherein rechnen können. Dabei kann man manches von einem Um-
schwunge der öffentlichen Meinung erhoffen, ferner ist auf eine Erleich-
terung des wirtschaftlichen Drucks, den eine zahlreiche Familie schafft,
und auf eine Abnahme der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten hin-
zuarbeiten-. Durch die Erweckung des religiösen Sinnes ergibt sich eine
. Möglichkeit, wie die bedeutende Abnahme des Umsatzes von Präventiv-
mitteln nach sogenannten Missionswochen erweist, aber in praxi ist damit
wenig zu leisten. Eine viel allgemeinere und dauerhaftere Einwirkung
ist von den Gebildeten zu erhoffen, speziell auch den Aerzten, in deren
Mehrheit der Vortragende Auhänger des Neomalthusianismus erblickt.
Verwaltung und Gesetzgebung können gegen die Mittel ankämpfen, mit
denen das Ein- und Zweikindersystem verwirklicht wird, gegen Ver-
hinderung der Conception, gegen die Abtreibung, die dauernde Unfrucht-
barmachung der Frauen. Es sind mindestens 200000 Abtreibungen in
Deutschland pro Jahr herauszurechnen, deren größter Teil kriminell ist,
ohne allzu zahlreich zum Gegenstand der Verfolgung zu werden, dabei
bringt Deutschland in dieser Beziehung noch eine ziemlich hohe Ziffer auf.
Die Hebammen müssen strenge Anweisungen erhalten. Es ist ferner die Be-
schränkung des Feilhaltens von Präventivmitteln auf Apotheken zu erwägen,
die Propagandamöglichkeit durch Erschwerung der Erreichung von standes-
amtlichen Nachrichten zu verringern, die Literatur, das Annoncenwesen
zu überwachen. Bei der Reform des Strafgesetzbuchs sollte eine ent-
sprechende Ergänzung stattfinden. In materieller Beziehung sind zu
empfehlen Kinderzulagen, Erziehungsbeihilfen, Bevorzugung von Familien-
vätern im Staats- und Öffentlichen Dienst, Ausbau des Kinderprivilegs,
eventuell direkte Aufziehung von Kindern durch Staat und Gemeinde,
erhöhte Fürsorge für unehelich Geborene, von denen zu viele sterben.
Eine Junggesellensteuer ist ja schon verschiedentlich angeregt worden,
ohne bei unsern Regierungen (bis auf Reuß!) Gegenliebe zu finden; hin-
gegen besteht in Argentinien ein geradezu klassisches System. Als Zu-
schlag zur Einkommensteuer sollte sie gedacht sein, 10°%/0 bis höchstens
20% nicht übersteigen; durch zu hohe Festsetzung würden sonst un-
geeignete, zum Beispiel tuberkulöse und geschlechtskranke Individuen in
die Ehe gezwungen werden, was natürlich trotz des Rückgangs der Ehe-
schließungen vermieden werden muß. Schließlich ist der Kampf gegen
die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten ein Kampf für die Erhöhung
der Geburten, deren Ausfall durch diese Gruppe von Erkrankungen mit
der absoluten und Einkindersterilität auf 200000 berechnet wird. Eine
rationelle Geburtenpolitik muß so früh wie möglich beginnen, es ist schon
gerade genug versäumt worden. g
Diskussion. Küstner: Gegenüber der Meinung des Vortragenden,
daß in den Hörsälen der Kliniker, Hygieniker und auch gerichtlichen
Mediziner der Neomalthusianismus öfter ein stiller Gast ist, muß be-
merkt werden, daß die Gynäkologen von anticonceptionellen Mitteln nur
dann sprechen, wenn sie einen ohnedies schon schwer geschädigten
Frauenkörper vor der Schädigung einer weiteren Schwangerschaft schützen
wollen. Die Aerzte werden da durch ihre Vorträge und ihr Warnen
nicht allzuviel leisten können. Gegen die Mittel, die angeblich anti-
conceptionell wirken, die Spermatozoen aber doch passieren lassen, dann
zum Abort beziehungsweise dauernder Schädigung der Frauen führen,
sie ruinieren, muß als Volksgifte vorgegangen werden. Ä
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 2087
Partsch: Der Wille zur Vermeidung der Geburten ist in bezug
auf die einzelnen Stände noch nicht klar. In Halle trägt zum Beispiel
nach einer speziellen Statistik die Arbeiterklasse viel weniger zum Rück-
gange der Geburten bei als die Klassen der Bemittelten. Sehr bedauer-
lich ist es, daß im Parlamente das sogenannte Kurpfuschergesetz so wenig
Verständnis fand. Gerade von der Verhütung der Ankündigungen
von irgendwelchen Mitteln kann man sich Nutzen versprechen.
Chotzen: Eine Zunahme der Geschlechtskrankheiten ist jetzt
nicht vorhanden; dafür sprechen Statistiken aus Armee und Arbeiter-
krankenkassen. Die auffallende Abnahme der Geburten findet; hierin
keine Erklärung, in viel höherem Grade in wirtschaftlichen Gründen.
Aufklärungsvorträge zweifelhaften Inhalts von ungeeigneten Individuen
‚sollten die Behörden nicht mehr, wie es leider immer noch geschieht,
zulassen, hingegen alle vernünftigen Bildungs- und Aufklärungs-
bestrebungen werktätiger unterstützen. Erfolge sind auf solchem
Wege, wie es das zunehmende Stillen der Mütter lehrt, zu erzielen.
Wolffberg: Die Kurpfuscher haben ganz besonders zur Ver-
breitung des Präventivverkehrs beigetragen, obenan das Bilzsche
Buch mit seinen vielen Seiten über die Vermeidung reichen Kindersegens.
Es ist zwar ein gewisser autonomer Rückgang der Geburten anzunehmen,
der gewollte überwiegt jetzt aber, nicht am wenigsten bei den Gebildeten,
deren Gewissen geschärft werden muß.
Oettinger: Die Tatsache des Geburtenrückgangs ist nicht zu be-
zweifeln, aber es ist fraglich, wie groß er ist. Die Zusammensetzung
der Bevölkerung nach den verschiedenen Altersklassen ist heute in
Deutschland eine andere als vor langen Jahren, es können die Nicht-
fortpflanzungsfähigen in gewissen Gegenden und Städten einen größeren
Raum einnehmen. Es gibt bekanntlich auch Optimisten, die den Ge-
burtenrückgang für etwas Glückliches und Segensreiches halten. . Die
eine Komponente, die ihn herbeiführen hilft neben dem bedenklichen Ein-
und Zweikindersystem, das ist das Zurücktreten excessiv hoher Kinder-
zahlen, ist rationell, da die Sterblichkeit mit der Zahl der Kinder zu
wachsen pflegt. Gelingt es alle die Säuglinge zu retten, die in-
folge unzweckmäßiger Ernährung an Lebensschwäche zugrunde gehen;
dann würde man zweifünftel des Rückgangs der letzten Jahre ausgleichen.
R. Kayser: In erster Reihe wird die Bevölkerung zur willkür-
lichen Beschränkung der Geburten durch wirtschaftliche Motive
veranlaßt. Daran sind nicht die Allerärmsten beteiligt, sondern diejenigen,
die eine höhere Wirtschaftsstufe erreicht haben, deren Festhaltung durch
eine größere Kinderzahl nach rationeller Denkweise erschwert wird.
Hierdurch erklärt sich der Beginn des Geburtenrückgangs seit der Zeit,
wo die „Entpauperung“ des industriellen Proletariats eingesetzt hat,
ferner das progressive Fortschreiten der Differenz zwischen Stadt und
Land und anderes mehr. Dazu kommt die Art des bäuerlichen Land-
besitzes, die rapide Steigerung der weiblichen Ber .;'sarbeit und die ideo-
logische Veränderung der weiblichen Lebensauffassung. Der von Wolf
so stark betonte kausale Zusammenhang zwischen Geburtenrückgang und
bestimmter religiös-politischer Gesinnung ist nicht richtig und über-
trieben; außer Frankreich zeigt nach Wolfs eigenen Angaben auch das
frommkatholische Oesterreich den gleichen Geburtenrückgang wie Deutsch-
land, und Differenzen innerhalb des letzteren, wie zum Beispiel zwischen
Sachsen und Bayern, erklären sich vollkommen aus den industriellen Ver-
schiedenheiten der beiden Länder. Auch andere statistische Beweise sind
nicht stichhaltig. So sinkt zwar in den von Wolf angeführten Bei-
spielen — Berlin, Westpreußen, Provinz Posen — die Geburtenziffer
parallel mit einer bestimmten religiös-politischen Gesinnung, aber ebenso
sinkt in gleicher Weise die Sterbeziffer. Der Zusammenhang ist nur ein
äußerlicher, nicht direkt kausaler. Die Bedrohung allen Kulturfortschritts
darch die als Abwehrmittel vorgeschlagene Bekämpfung der rationellen
Denkweise liegt zu nahe. Es wird den Aerzten, über das in der Be-
kämpfung der Wöchnerinnensterblichkeit, der Geschlechtskrankheiten usw.
Geleistete hinaus, direkt auf eine größere Kinderzahl hinzuwirken, un-
möglich sein. Wie bei dem Kampfe gegen den Alkoholismus und gegen
die künstliche Ernährung der Säuglinge ist das Beispiel der intellektuellen
Klassen auf die Masse der Bevölkerung von wesentlichem Einfluß, in
bezug auf die Kinderzahl ist es aber gerade bei Aerzten, Professoren,
Beamten nicht anspornend.
Carl Alexander: Bedeutende Nationalökonomen, wie Elster,
sehen in einer relativen Beschränkung der Kinderzahl das Interesse der
Qualität beziehungsweise des Staatswohls gewahrt. Vor nicht allzulanger
Zeit ist das Schreckgespenst der Uebervölkerung an die Wand
gemalt worden.
Asch: So wenig der Arzt gegen den Willen zur Beschränkung
der Kinderzebl ausrichten kann, so liegt es doch an ihm, für die Un:
schädlichkeit der Maßnahmen zu sorgen. Wichtig ist es, durch Insti-
tutionen wie die unbedingte Mutterschaftsversicherung dafür zu
sorgen, daß alle lebenskräftig geborenen Kinder am Leben bleiben.
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ae N Zi m u
2088 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
‚. ‚Vierhaus: Von einem Einfluß durch die Gesetzgebung kann man
sich nicht sehr viel versprechen, auch die Verbindung von Privilegien mit
größerem Kindersegen hat, wie die Geschichte lehrt, wenig genutzt.
Das Scheitern des Kurpfuschergesetzes muß auch der Jurist (das ist hier
der Breslauer Oberlandesgerichtspräsident) bedauern, da jetzt das Straf-
recht noch nicht ausreicht, den Uebelständen beizukommen. Die Ein-
wirkung auf Volksströmungen und Volksüberzeugungen erscheint
aussichtsreicher als gesetzgeberisches Vorgehen.
Wolf: Selbst wenn in den Städten eine gewisse Abnahme der
Geschlechtskrankheiten zu konstatieren ist, so ist doch bei dem Zuge
vom Land in die Stadt ein Steigen des Reichsdurchschnitts anzunehmen.
Gegen autonome Vorgänge spricht, daß der Rückgang schon seit.35 Jahren
bestehen bleibt und. sich in ziemlicher Konstanz vollzieht, daß er niemals
früher so groß war, wie die Statistik seit Anfang des 19. Jahrhunderts
lehrt. Der Geburtenrückgang erscheint noch bedeutender, wenn man die
zweifellos größer gewordene Zahl des zur Fortpflanzung fähigen Teils der
Bevölkerung in Betracht zieht. Die Debatte hat den Beweis dafür er-
bracht, daß wir mitten in einer neumalthusionistischen Bewegung stehen,
deren Ende nicht abzusehen ist. Es stehen. sich in der Geburtenfrage
der nationale und der soziale Standpunkt gegenüber. Es muß
aber das Ein- und Zweikindersystem der Nation unheilbaren Schaden zu-
fügen; in dem mehrfach betonten Sinne darf diese bedrohliche Entwicklung
nicht aus dem Auge verloren werden. Emil Neißer.
Marburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 27. November 1912.
Göppert, Ueber die Variabilität des menschlichen Körpers.
Die Norm ist nur die häufigste Möglichkeit der Form. Sie ist umgeben
von einem mehr oder minder dieken Mantel von Varianten.
Am Humerus existiert dicht über dem Ellbogen hier und da ein
hakenartiger Fortsatz des Processus supracondyloideus. Um ihn herum
treten die stark nach hinten verlagerten Gebilde des Nervus medianus
und der Arteria brachialis auf die Vorderseite. Der Vorsprung ist nur
ein Rudiment eines Foramen supracondyloideum, das bei niederen Tieren
hier konstant ist. Die Variante ist also eine retrospektive oder ein Ata-
vismus. Aehnlich steht es mit dem muskulären Achselbogen, einem Ru-
diment der Panniculus carnosus, der noch beim niederen Affen vorhanden
ist. Beim Gorilla ist der Panniculus verschwunden, dagegen ist der
Achselbogen konstant. Am Oberschenkel wird beobachtet, daß eine
Arteria ischiadica auf der Rückseite die Versorgung des ganzen Beins
übernimmt. Dieser Zustand ist auf einer bestimmten Stufe des embryo-
nalen Lebens die Norm, ebenso bei niederen Tieren. Es handelt sich
also hier um eine Hemmungsbildung, die zugleich ein Atavismus ist.
Im Gegensatze dazu stehen die Varianten, die niemals als Norm
im Vorleben des Einzelwesens oder des Stammes vorkommen, und die
deshalb möglicherweise als Fortentwicklung aufzufassen sind. Man nennt
sie daher auch die prospektiven Varianten. Dahin gehört die Verdopplung
der Arteria brachialis, sowie die Synostosis atlantoossipitalis. Ganz ab-
seits stehen die sogenannten fluktuierenden Varianten, die nur die Ent-
wicklung des Einzelwesens betreffen und mit der Stammesgeschichte nichts
zu tun haben. f
Bruns, Ueber die Blutcireulation in atmenden und aus der
Atmungsfunktion ausgeschalteten Lungen. Die Versuche wurden an
Kaninchen angestellt, bei denen es möglich ist, die spontane Atmung bis
zum letzten Augenblicke zu erhalten und die Pleura unverletzt zu lassen.
Als Norm ergab sich, daß der Blutgehalt der rechten Lunge zur linken
sich wie 3:2 verhält. Wurde eine Lunge atelektatisch gemacht, so
sank ihr Blutgehalt erheblich; er konnte rechts sogar weniger betragen
als links. |
Um festzustellen, ob es sich wirklich um eine stärkere Circulation
in der atmenden Lunge handelt, wurden Durchströmungsversuche ge-
macht, sie ergaben einstimmig, daß weniger Blut durch die atelektatische
Lunge fließt.
Sektionsbefunde zeigten, daß bei längerer Ausschaltung eine Hyper-
trophie des rechten Ventrikels eintritt. Bei Härtung der lebenswarmen
Lungen in situ ließ sich feststellen, daß die Capillaren der lufthaltigen
Lunge voll roter Blutkörperchen waren, die der atelestatischen da-
gegen leer.
Das Resultat der Versuche ist, daß Blutmenge und Stromgeschwindig-
keit größer sind in atmender Lunge als in kollabierter; dasselbe Verhältnis
liegt vor bei inspiratorisch gedebuter Lunge im Gegensatze zum Zustand
während der Exspiration.
Rabe, Ueber die Eisenresorption vom Darm aus. Mittelgroßer
- Hunde wurden neben Kontrollserien mit Eisen gefüttert, und zwar in or-
ganischer und anorganischer Form. Beide Male ließ sich im Blut ein
Zuwachs von Hämoglobin gegenüber den Kontrolltieren nachweisen, und
zwar in ungefähr gleicher Menge.
22, Dezember,
Es wurden dann Darmfisteln angelegt in verschiedener Höhe mi
Eisen verfüttert: in 50 g Fleisch 5 g Eisenzucker = 181 mg Eisen, An.
lyse des Darminhalts ergab bis 87 °/ Resorption, die jedoch bei perms
nenter Fisenfütterung sehr schnell abnahm. Georg Magnus,
Rostock.
Aerzteverein. Sitzung vom 18. Oktober 1912. |
Müller bespricht im Anschluß an die Vorstellung von mi
Patienten die Operation des „Panaritiums“, welches zu Unrecht leider
‚noch oft genug allzusehr als Bagatelle behandelt werde. „Die Operation
der Sehnenscheidenphlegmone eignet: sich überhaupt nicht für die Art
liche Sprechstunde, sie erfordert Assistenz und genügende Vorbereitungen,
und die Frage, ob ein Arbeiter, ein Musiker usw. die Funktion eins
Fingers einbüßt, ist wichtig genug.“ M. schildert nun die Technik, dis
er seit 13 Jahren prinzipiell befolgt. Er operiert in Narkose, der überu
großen Schmerzhaftigkeit wegen, nach Helferichs Vorgang unter voll
kommener Blutleere. Es kommt darauf an, ruhig und langsam erst sul
die Sehnenscheide vorzudringen, um auch in Fällen, in welchen die
Phlegmone doch vielleicht nur subcutan sitzt, dieselbe nicht zur Sehnen-
scheidenphlegmone durch zu tiefen Einschnitt zu machen. Mit anti-
septischen oder Alkoholumschlägen soll man sich nicht aufhalten, da sio
oft nichts anderes als das Verpassen des günstigen Moments zur Rettung
der Beugesehnen bedeuten. Mit der Bierschen Stauung vor den in.
cisionen hat Vortragender ebenfalls ungünstige Erfahrungen gemacht,
Ineidiert muß werden, wenn die Finger an der Beugeseite entsprechend
dem Verlauf der Sehnenscheide und ihrer Ausdehnung druckempfadlch
sind, nicht erst wenn schon „Schwellung und Rötung“ daselbst ein
getreten sind. Ist letzteres der Fall, so schwimmt die Sehne auch meist
bereits in dickem Eiter und ist so gut wie immer verloren.
Die in neuerer Zeit von Klapp empfohlene Aenderung der Ope-
ration, nämlich die Sehnenscheide durch tangentiales Eingehen une
Vermeidung der Fingergefäße und Nerven durch einen seitlich an der
Vola der Finger angebrachten Schnitt zu eröffnen, hat auch M. akzeptiert,
Für die gewöhnliche Sehnenscheide der drei mittleren Finger werden
meist an beiden Kanten je vier Ineisionen von zirka 2 cm Länge st
gelegt, wodurch die Sehnenscheide genügend eröffnet wird. Auf dies
Weise werden die Vinkula geschont, da die Schnitte immer zwischen ds
queren Fingerfalten liegen. Auch behält die Sehnenscheide respekt
die Sehne auf diese Weise eine genügende Hautbrücke als Bedeckug
Tamponiert oder drainiert wird nach der Operation nicht. Handbäder
beim Verbandwechsel können gegeben werden. Anfangs ist ein leichtes
Ausstreichen des Sekrets zu empfehlen.
Burchhardt demonstriert Röntgenbilder von zwei Fällen m
Knochenerkrankung der unteren Extremitäten. An den Motaphysan
von Femur und Tibia finden sich eigentümliche fleckige Aufhellungt
unter teilweisem Schwund der Corticalis. Es handelt sich wahrscheinlich
um multiple Enchondrome. Sodann bespricht Vortragender die bei der
Röntgenographie des uropoetischen Systems auftretenden Fehlarquelle.
Kalkablagerungen in andern Organen können mit Harnleiterkonkrementa
verwechselt werden. Ferner die sogenannten „Beckenflecke“, in der Nabe
der Spina ischii und des horizontalen Schambeinastes, welche m Wirk-
lichkeit Venensteine sind. In der Gegend der unteren Thoraxapsral
verursachen besonders die an einem maulbeerartigen Aussehen kenntliched
Verkalkungen in den Mesenterialdrüsen Irrtümer. Im Zweifelsfalle emp:
fiehlt sich Füllung von Urether und Nierenbecken mit Kollargol ode
Einlegen eines mit Wismut imprägnierten Katheters vor der Röntgen
photographie. | B.
Straßburg i. Els.
Unterelsässischer Aerzteverein. Sitzung vom 26. Oktober 1912,
1. Ledderhose: Nachruf auf den verstorbenen a 0. Pros
Dr. Kohts. | i
| 2. Keller: Demonstration einer mannskopfgroben Cyste ai
Hydrosalpynx. Aus dem Fehlen von Parovarialgewebe, aus der Lage
des Uterus zum Ovarium und dem Befund, daß dieses plattgedräckt WE
stellt er die Diagnose auf Cyste, ausgehend vom Hilus des rn
Ein anderes Präparat, das einen Ovarialtumor mit einem Maschenwsl
von Bindegewebe und zahlreichen Kanälchen darstellt, wird domonsi
K. bringt den Tumor in Analogie zu Cysten, die vom Nebenhoden SF
gehen, und nennt ihn Adenoma ovarii testiculare.
Diskussion: Chiari, Tilp. =
3. Mulzer: Demonstration 1. einer Venenpuuktionsnadel, die D
einen Behälter, in den das Blut direkt einfließen kann, einmonier
2. Franksche Nadel. Auf die durch diese gesetzte Oefinung kon
ein Saugkopf, an den ein Reagenzglas anmontiert ist. In dioss
das; Blut durch Ansaugen entleert,
22, Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. | 2089
4. Fehling: Ueber die Sterilisation. F. vertritt die Anschau-
ung, daß dort, wo die Einleitung des Abortus gerechtfertigt, auch die
Sterilisation angezeigt sei. Er unterscheidet zwei Arten der Sterilisation.
1. Die Sterilisation ad hoc. 2. Die Sterilisation als Nebenoperation mit
einer andern. Er stellt als Leitsätze auf: Vor der Sterilisation noch
einen andern Arzt zu konsultieren und sich von Mann und Frau die Er-
laubnis und den Wunsch zur Sterilisation schriftlich geben zu lassen.
Indikationen zur Operation: i. Soziale Indikation wird nicht
anerkannt. 2. Desgleichen abgelehnt Indikation wegen engen Beckens,
dagegen erlaubt gelegentlich eines Kaiserschnitts oder vaginalen Kaiser-
schnitts, wenn ein lebendes Kind vorhanden ist. 3. Bei Eklampsie und
Placenta praevia abgelehnt. 4. Bei Extrauteringravidität sterilisiert F.
die andere Tube wegen Gefahr des Rezidivs. 5. Bei Prolapsoperation,
wenn der Uterus fixiert wird, gleichzeitig Sterilisation. 6. Bei Vagina-
fixur muß sterilisiert werden. 7. Bei Tuberkulose, nur wenn die Inter-
nisten es raten, und nur dann, wenn Aussicht besteht, daß die Frau
gesund wird oder bleibt, nicht dann, wenn sie die Gravidität nicht über-
stehen würde. Handelt es sich um Einleitung des Abortus mit Sterili-
sation, dann rät F. zur Totalexstirpation nach dem Vorgange von Bumm.
Die Fettzunahme, die Kalkablagerung und das Aufhören der Menstrua-
tion bieten erwünschte Folgeerscheinungen. 8. Bei Tuberkulose im ersten
und zweiten Stadium rät F. zur Sterilisation vom rassenhygienischen
Standpunkte. 9. Bei kompensierten Herzfehlern Sterilisation nicht indi-
ziert, bei nichtkompensierten ist sie indiziert. 10. Ebenso bei Nieren-
erkankungen. 11. Ebenso hei Psychosen, insbesondere Melancholie,
eirculärem Stupor und Erschöpfungsneurosen.
Methoden: 1. :Abdominelle, ist die sicherste; nur Nachteil der
Laparotomie. 2. Vaginale. 3. Die durch den Leistenkanal (Menge). Die
Unterbindung der Tuben ist ungenügend, ebenso die doppelte Unterbin-
dung und Durchschneidung. Richtig ist die keilförmige Excision eines
centralen Stückes. Die in jüngster Zeit von Krönig empfohlene Be-
strahlung der Ovarien genügt nur für einige Jahre.
5. Cahn zeigt einige Fälle von Situs inversus mit Röntgen-
bildern.
6. Müller (Metz) hat vier Fälle (sekundäre Lues) an demselben
Tage mit Neosalvarsan gespritzt. Bei allen traten, obgleich verschiedene
Dosen und Nummern des Präparats verwendet wurden, schwere Darm-
erscheinungen mit Gastroenteritis auf. Eine Patientin von diesen vier
hatte vorher Salvarsan gut ertragen; bei ihr stellten sich Gehirn-
symptome, Schwindel, Facialisparese, Somnolenz, Cheyne-Stokessches
Atmen ein. Patientin besserte sich am neunten Tage. M. schließt aus
der Labilität der Erscheinungen auf vasomotorische Störungen. Er sieht
die Ursache bei allen Fällen in der Kochsalzlösung, weil diese das Ge-
meinsame bei allen vier war. M. glaubt, es handle sich um einen
Wasserfehler. l
Diskussion: Wolf und Mulzer wenden sich gegen die An-
nahme eines Wasserfehlers, da die Erscheinungen ganz denen entsprechen,
wie sie bei anorganischen Arsenverbindungen längst bekannt sind.
Leva.
Berlin.
Medizinische Gesellschaft. Sitzung vom 11. Dezember 1912.
E. Holländer: Fundstücke aus einem antiken Arztgrabe.
Demonstration eines Gräberfundes mit ärztlichen Gerätschaften aus dem
ersten vorchristlichen Jahrhunderte. — Der Inhalt des Grabes eines
Arztes wurde H. aus Panderma am Bosporus zugeschickt. Es befanden
sich in demselben zunächst ein vorzüglich erhaltenes Instrumentenetui
mit chirurgischen Instrumenten. Sodann ein zerbrochenes Gefäß mit
Medikamenten in Tabletten- und Zäpfchenform. Unter den gleichfalls
übersandten Gläsern und Gerätschaften aus Terrakotta fanden sich zwei
bisher nicht beschriebene Gegenstände. Der eine ein Topf, der nach dem
Prinzip des Stehaufmännchens konstruiert ist und aus dem auch die in
ihm bewahrte Flüssigkeit oder der sonstige Inhalt kaum ausfließen kann.
Der interessanteste Gegenstand, ein Unikum des Fundes aber ist eine
Glasspritze, welche das ungefähre Aeußere einer modernen Heber-
pipette hat. H. spricht dieselbe als Ohrspritze an, da auch die im Grabe
gefundenen Instrumente nach dieser Richtung weisen. — An der Hand
einer Reihe von Lichtbildern gibt H. einen Ueberblick über die antiken
Instrumentenkollektivfunde. (Autoreferat.)
E. Holländer: Eine dritte Methode der totalen Rhinoplastik.
H. demonstriert ein von ihm erwogenes drittes Verfahren zur totalen
Rhinoplastik. Er bespricht zunächst die Vorzüge des indischen Ver.
fahrens vor dem italienischen. Das letztere eignet sich wegen der
schlechten Beschaffenheit der Haut und wegen der größeren Neigung des
Transplantats zum Schwunde viel weniger, als das Verfahren mit der
ungemein plastischen und dicken Stirnhaut. Um die Vorzüge beider
Methoden zu vereinigen, empfiehlt H. ein Verfahren, bei welchem er die
Sternalhaut überpflanzt. Diese, eine Knochenhaut wie die Stirnhaut,
ist in ihrer Plastizität dieser fast noch überlegen. H. demonstriert zu-
nächst sein Schnittverfahren. Die Basis des schräggestellten Lappens
liegt auf der linken oder auf der rechten Brust. Die hochgehobene
Sternalhaut wird sodann ohne jede Stieldrehung auf die Nase gelegt und
angenäht. Zu diesem Zwecke muß der Kopf in gebeugter Lage fixiert
werden. Eventuell bei gedrungenem Oberkörper kann man die Brust
selbst noch in die Höhe bandagieren. Diese Methode ist möglich und
ausführbar, wenn die Entfernung der Mamilla zum gegenüberliegenden
Sternoclaviculargelenke größer ist, als die Entfernung derselben zum
Nasenrücken bei gebeugtem Kopfe. H. demonstriert sodann einen nach
diesem Verfahren operierten Fall, bei dem die einzelnen Phasen der
Operation bildlich fixiert waren. (Autoreferat.)
Edmund Saalfeld. Ueber Radium- und Mesothoriumbehand-
lung bei Hautkrankheiten. S. stellt mehrere Patienten mit Hautkrank-
heiten vor, die durch Auflegen einer Radium- oder Mesothoriumkapsel
größtenteils geheilt wurden, beziehungsweise sich in erfolgreicher Be-
handlung befinden; so mehrere Cancroide des Gesichts, einen Lupus
vulgaris faciei et colli, einen ausgebreiteten Naevus flammeus des Gesichts.
Im Anschluß an die Demonstration präzisiert S. seinen Standpunkt be-
züglich der Indikationen und Kontraindikationen der in Frage stehenden
Behandlungsmethode. Für diese sind indiziert diejenigen Cancroide,
welche langsam wachsen und klinisch einen weniger bösartigen Eindruck
machen. Kontraindiziert ist dagegen Radium und Mesothorium bei den-
Jenigen Hautkrebsen, die von vornherein ein schnelles Wachstum und
dementsprechend einen ausgeprägt bösartigen Charakter zeigen. Hier soll
nicht erst ein Versuch mit Radium oder Mesothorium gemacht, sondern
sofort das Messer des Chirurgen in Anspruch genommen werden.
Weiter indiziert ist Radium und Mesothorium bei Keloiden, bei
hartnäckigem Lichen ruber planus- und verrucosus-Plaques, bei stark ver-
dickten resistenten Psoriasisplaques, bei isolierten Lupusknötchen und
kleineren Lupusplaques. Nur ganz ausnahmsweise gestattet ist die Radium-
und Mesothoriumbehandlung beim Xanthoma palpebrarum wegen der un-
bequemen Applikation der Kapsel, außerdem wegen des bisweilen un-
schönen Aussehens der resultierenden Narbe. Bei ausgedehnten An-
giomen, die jeder andern Therapie trotzen — aber nur bei solchen — ist
Radium und Mesothorium angezeigt. Dringend warnt S. wie vor der
kritiklosen Anwendung der Röntgenstrahlen so auch vor der nicht ganz
streng indizierten Anwendung von Radium und Mesothorium bei kosme-
tischem Hautleiden. Nur wo bei diesen Affektionen alle übrigen thera-
peutischen Maßnahmen im Stiche lassen, ist ein Versuch mit Radium
und Mesothorium gestattet. Zu dieser Anschauung wird S. veranlaßt
durch die Tatsache, daß es eine Idiossynkrasie ebenso wie gegen Röntgen-
strahlen so auch gegen das Radium und Mesothorium gibt.
Um die Wirkung des Radiums und Mesotboriums zu erhöhen, emp-
fehlt S. bei sehr hartnäckigen Fällen vor Auflegen der Kapsel die be-
treffende Stelle für fünf bis zehn Sekunden mit Kohlensäureschnee zu
vereisen. (Autoreferat.) Fritz Fleischer.
Gesellschaft für Chirargie. Erste Sitzung am 11. November 1912.
Vorsitzender: Sonnenburg.
1. Sonnenburg gibt einen kurzen geschichtlichen Rückblick
über die „Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins“, die sich nach
2bjährigem Bestehen nunmehr in die „Berliner Gesellschaft für Chirurgie“
umgewandelt hat. Er gedenkt der Fortschritte, die die Chirurgie während
dieser Zeit gemacht hat und zu denen viele verstorbene und lebende
Mitglieder der Vereinigung beigetragen haben. Zweck der neuen Ge-
sellschaft ist, die großen Fragen der Chirurgie durch Referate und Dis-
kussion zu klären.
2. A. Bier: Ueber Knochenregeneration. Demonstration von
Röntgenbildern von Patienten, bei denen autoplastische Transplantstionen
aus der Tibiavorderkante vorgenommen wurden, ‘Bei Kindern erfolgt die
Regeneration des Defekts schneller als bei Erwachsenen. Nach 14 Mo-
naten ist nichts mehr von einem solchen zu sehen. In einem vor 15
Jahren operierten Falle hat sich die ihrer Vorderkante in Ausdehnung
von 26 cm beraubte Tibia vollkommen regeneriert. Die in der ersten
Zeit verengerte Markhöhle nimmt schnell wieder normale Weite an. In
technischer Beziehung ist die Anwendung der elektrischen Kreissäge, die
Fortnahme des Knochens bis in die Markhöhle und das Vermeiden des
Einschlagens der Haut in den entstandenen Defekt wichtig. Die Höhle
füllt sich mit Blut; der Bluterguß ist für die Knochenregeneration uner-
läßlich. Das Transplantat soll Knochenmark enthalten; es stirbt nicht
ab, wie frühere Experimentatoren bewiesen zu haben glaubten. Die Re-
generation des Defekts vollzieht sich ausschließlich in der ursprünglichen
Knochenform, was durch eine gewisse phylogenetische Fähigkeit des
menschlichen Körpers zum Ersatz, nicht aber durch funktionelle Einwir-
kungen zu erklären ist.
PRAE EE AEEA EAE TER ee
2 nn nn -e a er =5
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2090 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22. Dezember.
Dazu: Neumann: Er sah in einem Falle von Transplantation in
einen Tibiadefekt trotz Eiterung und Ausstoßung des mitverpflanzten
Periosts Knochenbildung an der Einpflanzungsstelle.
Axhausen bemerkt, daß die Ausführungen Biers mit den
neueren Experimenten konform sind. Sequesterbildung am Transplantat
beweist allerdings nicht, daß dieses weiterlebt. Das Periost ist wichtig
für die Transplantation.
Bier (Schlußwort): Zu den Ausführungen Axhausens bemerkt
er, daß die Regeneration von .Continuitätsdefekten bei Wahrung der
Stumpfdistanz allein vonstatten geht. Er betont weiter, daß er nur von
der „Wahrscheinlichkeit“ gesprochen hat, daß das Mark bei der Regene-
ration des Knochens eine wichtige Rolle spielt. s
3. Nordmann: Thoraxwandresektion mit Melzerscher In-
sufflation. Demonstration einer Patientin, bei der N. wegen lokalen
Rippenwandrezidivs nach Amputation der careinomatösen Mamma drei
Rippen unter Eröffnung der freien Pleurahöhle reseziert hat. Die Ope-
ration wurde unter Melzerscher Insufflation vorgenommen. Hierzu hat
N. einen‘) höchst einfachen Apparat konstruiert, den er demonstriert. Er
besteht aus einem Blasebalg, der mit dem Fuß getreten wird. Die Luft
geht durch warmes Wasser, dann durch Aether und schließlich durch
einen 24—26 Cuarriöre dicken Katheter, der bis zur Bifurkation einge-
führt wird. Durch die Aetherdämpfe sah N. niemals Schaden eintreten.
Der Apparat bewirkt permanente Lungenentfaltung. Die Spontanatmuug
geht weiter. Asphyktische Neugeborene, Ertrunkene usw. können mit
dem Apparat wiederbelebt werden.
4. Unger: Behandlang der Atemlähmun
tlonen mittels Insufflation (nach experimentellen a
mit Herrn M. Bettmann): Bei Gehirnoperationen am Menschen a
eine Reihe von Kranken an Atemlähmung zugrunde, besonders kith
wenn in der Nähe des Vaguscentrums operiert wird. Beim Hunde k
man langdauernde Atemlähmung erzeugen, wenn man Teile des Wars
entfernt und auf den Boden des vierten Ventrikels drückt. Die Atmun
stockt; die Herzaktion, anfangs noch lebhaft, schwindet allmählich r
sufflation von Luft oder Sauerstoff nach der Methode von Melzer) na
hält die Hunde am Leben. Dies wird an Pals- und Atemkurven ein.
gehend demonstriert.
Diskussion zu 3 und 4: Kuhn (Kassel): Statt des Nord:
mannschen Tretballons kann man ein einfaches Aetherspraygebläse be-
nutzen. Zur Technik empfiehlt er statt des Katheters die Anwendung
seines festen, kurzen, peroralen Intubationsrohrs, das leicht einführbar
ist. Aether wird auch von den tiefen Luftwegen gut vertragen.
Helbing: Seit 1909 hat er bei 80 Gaumenspaltenoperationen die
pernasale Insufflationsnarkose mit bestem Erfolg angewandt.
Kilian rät in Fällen schwerer Intubation die Einführung des
Tubus unter Kontrolle des Laryngoskops oder mit dem Röhrenspatel
entweder in Narkose oder unter lokaler Anästhesie.
-= Nordmann (Schlußwort): Bei seinem Apparat kann man durch Um-
schalten eines Ventils die Aetherabgabe verhindern. Das Treten des Blase-
balgs braucht nur 16 bis 20 mal in der Minute vorgenommen zu werde.
Bibergeil (Berlin),
Rundschau.
Redigiert von Dr. Erwin Franck, Berlin.
Zwölite Hauptversammlung des Leipziger Verbandes.
Kritischer Bericht von Dr. Friedrich Haker, Berlin.
U.
Der zweite Tag brachte die Fortsetzung der Verhandlungen über
die Stellung der Aerzteschaft zu den neuen Versicherungsgesetzen, Ver-
handlungen, die eigentlich schon mit Mugdans Bericht über die Ange-
stelltenversicherung begonnen hatten. Am Beginne dieses zweiten Tages
berichtete der Generalsekretär Kuhns, wie weit — entsprechend den
Beschlüssen des Geschäftsausschusses des Aerztevereinsbundes vom
18. Februar 1912 — die Ausgestaltung der Organisation der Aerzteschaft
zur Abwehr der ihnen drohenden Schädigungen inzwischen gediehen sei.
Kuhns bediente sich dabei einer Karte des Deutschen Reiches, in die
die genügend organisierten Bezirke farbig eingetragen waren, während
die noch rückständigen weiß gelassen waren. Das Ueberwiegen der farbi-
gen Stellen war an dieser Karte erfreulich, aber am erfreulichsten wirkte
die sich während der Erörterungen ergebende Tatsache, daß die Karte
inzwischen weit überholt war. Die Organisation ist so weit vorgeschritten,
daß bei genügender Arbeit und gutem Willen sie bald lückenlos sein
wird. Wie im einzelnen die verschiedenen Aerztegruppen und -vereine
organisatorisch zusammengefaßt sind, ist nicht so wesentlich. Es mag
dahingestellt bleiben, ob z. B. die Eintragung der Vereine, bei der ihnen
von den Behörden an vielen Orten mehr oder minder große Schwierig-
keiten gemacht werden, so wünschenswert ist, wie sie Kuhns erscheint;
wir pflichten Pfeiffer (Weimar) und Scholl (München) bei, die keinen
Wert auf diese bureaukratisch-juristische Förmlichkeit legen. Sogar der
Streit für die freie Arztwahl kann unter Umständen, wie in Berlin, vor-
läufig zurückgestellt werden aus Gründen praktischer Politik. Die Haupt-
sache bleibt, daß überhaupt zunächst alle Aerzte (auch, wie Löwenfeld
(Elberfeld) meinte, frühere Streikbrecher, wenn sie als „reuige Sünder“
kommen) in die Organisation einbezogen werden, und daß diese Organi-
sation bald lückenlos vollendet ist, Denn darüber kann kein
Zweifel sein, daß unsere Gegner, wie besonders die verbündeten
Betriebs- und Ortskrankenkassen, gemeinsame Maßregeln treffen;
schon jetzt, vor der Einführung der RVO., bemühen sie sich nach
dem sattsam bekannten Schema, sich fest angestellte, durch lang-
fristige Verträge und durch die üblichen unannehmbaren Forderungen
hörig gemachte Kassenärzte zu sichern. Und von den Regierungen dürfen
die Aerzte nichts Gutes erwarten, auch wenn sie nicht alle geradezu
Angst vor einem Kassengewaltigen haben, wie nach Müller (Zittau) die
sächsische vor dem Herrn Präsidenten der zweiten Kammer Fräßdorf!
Wir fürchten, auch aus der Broschüre Wiebels?), die ihnen auf Kron-
heims Antrag zugeschickt werden soll, werden die Herren nicht
viel lernen.
Freilich werden sich auch unsere Gegner bald darüber klar sein,
1) Bei Georg Härtel für 130 Mk. erhältlich.
3) Dr. C. Wiebel, Dio Arztirage in der Krankenversicherung.
(Leipzig, Buchhandlung des Leipziger Verbandes.)
daß ein Zurlickstellen einzelner Forderungen aus taktischen Gründen
durchaus nicht einen endgültigen Verzicht bedeutet. Das gilt vor alem
von der freien Arztwahl. Auch wenn einmal eine große Aerztegrupp,
wie die unter den schwierigen Verhältnissen lebende Groß-Berlins, sich
auf Grund der Gleichberechtigung der kassenärztlichen Systeme organi-
siert, so bleibt das Endziel doch stets die freie Arztwahl. Auch di
Leipziger Tagung erbrachte wieder den Beweis, daß die Aorzteschaft nicht
gewillt ist, von ihren auf den Aerztetagen wiederholt aufgestellten Grund-
forderungen abzugehen. Das zeigte sich auch klar bei der Verhandlung
über den Wunsch der mittleren Post- und Telegraphenbeamten,
die durch ein Schreiben ihres 40000 Mitglieder starken Verbandes eine
Art Tarifabkommen mit ermäßigten Preisen für die ärztliche Behandlung
anzustreben versuchten. Nun waren zwar einzelne Herren, wie Lenn
hoff (Berlin) der Ansicht, daß es sich hier für die Beamten nur darum
handle, sich vor Uebervorteilung zu schützen, und auch Sternberg
(Berlin) meinte, daß man Mittelstandskassen, denen die Aerzte die Be-
dingungen diktieren, nicht ganz von der Hand weisen solle. Die Mehr.
heit der Versammlung aber stellte sich mit Recht auf den Standpunkt,
daß wir, wo immer es sich vermeiden läßt, keine neuen Kassen wd
„Rabattvereine“ zwischen Arzt und Patient schieben sollen, und lehnte
mit großer Mehrheit die Anerbietungen der mittleren Postbeamten a.
Wir billigen diesen Beschluß; von unsern Grundsätzen können wir
uns nichts abhandeln lassen, wenn wir nicht alles in Frage stellen wollen,
von Kassen und Vereinen hicht, und auch nicht von hohen und höchsten
Behörden. Auch die haben es an Versuchen dazu nicht fehlen lassen,
wie die überaus interessanten Berichte Hartmanns und Dippes über
Verhandlungen mit preußischen und Reichsbehörden erkennen lieben:
Da hatte zunächst im Frühjahr das preußische Ministerin
des Innern einige Vertreter des L. V. nach Berlin zu einer Besprechung
geladen. Die Regierung, vertreten durch den Ministerialdirektor Prof,
Kirchner, und drei andere Herren fragte die Herren des
L. V. (Hartmann, Dippe, Herzau und Hesselbarth) nach den
Absichten der Aerzte, und wurde prompt mit der Gogenfrage
nach ihren Plänen in der Krankenkassenangelegenheit bedient. Viel
herauskommen konnte bei dieser „informatorischen“ Besprechung M
Immerhin ließ die Regierung ihre Absicht verlautbaren, einen Tarifvertrag
zwischen dem L. V. und den großen Kassenorganisationen anzubahne,
und in einem Protokoll, das über diese Besprechung vom 15. Mai
aufgesetzt wurde, erklärte der L.V., daß er weder an einen Gonera-
streik noch an eine rücksichtloge, allseitige Durchführung der {seien
Arztwahl denke, sondern nur beabsichtige, notwendige neue Verträge
von Organisation zu Organisation zu schließen, gegebenenfalls, wen! "
dabei zu gütlicher Einigung nicht kommt, einem paritätisch zusammi
gesetzten Schiedsgerichte die Befugnis zum Vertragsschluß einzurlume)
-N ach diesem nicht gerade sehr aussichtreichen Auftakte vorstummb
die offizielle Musik zunächst. Endlich am 7. November erhielt der Lt.
vom Reichsamte des Innern eine Einladung zu einer Virständigung®
1) Zbl. f. Phys. 1912, Nr, 26. |
92. Dezember‘
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 2091
konferenz vor Aerzte- und Kassenvertretern auf den 14. und 15. No-
vember nach Berlin. Die ganze Art, wie der Staatssekretär bei dieser
großen Aktion vorgeht, ist außerordentlich bezeichnend. Zunächst dürfen
zu der Liste der Einzuladenden die Kassen ihre Wünsche äußern, die denn
auch die gebührende Berücksichtigung finden. Natürlich auch die Aerzte,
nicht wahr, wie es Recht und Billigkeit verlangt? O nein! Im Gegenteil,
wenn die Aerzte in dieser Beziehung Wünsche äußern, so wird sich das
der Herr Staatssekretär als einen Eingriff in seine Rechte verbitten. Die
Liste der Eingeladenen ist denn auch darnach. Auf Seiten der Kassen:
der Dresdener Ortskrankonkassenverband, der Betriebskrankenkassen-
verband, die Verbände der Innungs- und Knappschaftskassen, die Zentrale
für das Deutsche Krankenkassenwesen; aufSeiten der Aerzte: L.V., Deutscher
Aerztevereinsbund, die Knappschaftsärztevereine von Oberschlesien, Dort-
mund und Saarbrücken, der Verband deutscher Bahnärzte, der Berliner
Aerztekammerausschuß und — ausgerechnet! — der sogenannte Reichs-
verband deutscher Aerzte. Jede dieser Gruppen bekommt einen „Ent-
wurf von Grundzügen für eine Vereinbarung mit den Interessengruppen“
zur Kenntnis beigelegt, nur gerade beim L. V. wird er vergessen; der
muß erst besonders darum bitten, bevor er ihn erhält. Und was für ein
köstlicher Entwurf! Schade, daß es uns hier an Raum fehlt, ihn im
Ganzen wiederzugeben! Nur so viel sei gesagt, daß er ein „Schiedsamt“
konstruiert, in dem neben je vier Kassen- und Arztvertretern drei Be-
amte des Oberversicherungsamts sitzen, deren Anwesenheit ‘zur Be-
schlußfähigkeit genügen soll, daß er jedem Arzt und jeder Kasse auch
außerhalb ihrer Organisationen das Recht des Vertragsschlusses mit
diesem Schiedsamt einräumt usw., daß er aber die Hauptsache, die grund-
sätzliche Frage des Arztsystems und seine Einrichtung nicht berührt,
und sie sogar in einer Anmerkung für überflüssig erklärt. Also um die
Hauptsache geht der Entwurf herum, wie die Katze um den heißen Brei!
Ist das eine kaum verständliche Naivität des Reichsamts oder gar eine
Verhöhnung der Aerzte, oder hält das Amt diese für töricht genug, in
diese plump aufgestellte Falle hineinzutolpatschen? Keinenfalls steht in
diesem Entwurf etwas von den Vereinbarungen, die der L. V. mit dem
preußischen Ministerium des Innern ausgemacht hatte. Ebensowenig wie
vom Arztsystem ist von der Scheidung der Mitglieder in verpflichtete und
freiwillige in dem Entwurf die Rede. Der Verband stellt sich diesem
merkwürdigen Verständigungsversuche gegenüber auf den Standpunkt,
daß er zunächst die Zusammensetzung der Vertreter, besonders der ärzt-
lichen Vertreter für verkehrt erachtet: Der Bahnärzteverband darf
satzungsgemäß überhaupt keine „wirtschaftlichen“ Fragen behandeln, und
der famose Reichsverband, dessen gesamten Mitglieder nach Hartmanns
Worten vielleicht zablreich genug sind, um in einem Auto zur Kon-
ferenz zu fahren, kann nicht für eine Vertretung von Aerztegruppen
angesehen werden, so lange er sich scheut, überhaupt seine Mitgliederzahl
bekannt zu geben. Sachlich aber erscheint dem L. V. eine Konferenz,
die gerade den wichtigsten Hauptfragen, wie der Beseitigung des ein-
seitigen Kassenrechts, das Arztsystem zu bestimmen, die Antwort zu
finden feige vermeiden will, als völlig zwecklos. Die Hauptversammlung
gab ihrem Vorsitzenden einstimmig das Recht, in diesem Sinne weiter-
zuhandeln.
Die Aussichten für die zunächst verschobene „Verständigungs-
konferenz“ sind demnach recht trübe. Die Zeiten, wo sich die Aerzte
durch schöne Worte der Behörden fangen ließen, sind endgültig vorbei.
Können die regierenden Herren sich nicht zu der Erkenntnis aufschwin-
gen, daß nur eine unparteiliche Vermittlung, die Aerzten und Kassen
von vornherein gleiche Rechte, gleiche Kampfmöglichkeiten einräumt,
Erfolg verspricht, so werden alle schönen Schriftstücke der Reichs- und
Staatsbehörden für die Aerzte lediglich Makulatur sein. Den Gang der
Ereignisse diktiert die Macht und der unbeugsame Wille zur Macht
sllein. Um ihm Ausdruck zu geben, bedarf die deutsche Aerzteschaft
der Behörden nicht, die den Pelz waschen wollen, obne ihn naß zu
machen.
Ein erfreulicheres Bild als diese seltsamen Verständigungsversuche
der Reichsbebörde boten die Verhandlungen mit dem „Verband dffent-
licher Lebensversicherungsanstalten“, einer sogenannten „mittelbaren Staats-
behörde“, über die der neue dritte Generalsekretär des L. V., Dr. Starke,
bisweilen in sehr launiger Weise berichtete. Welche nationalödkonomische
Bedeutung dieses neue Gebilde des Wirtschaftslebens, das vorwiegend
dem ländlichen Grundbesitze dient, gewinnen wird, läßt sich heute noch
nicht sagen. Jedenfalls ist es freudig zu begrüßen, daß es dem L. V.
gelungen ist, für die notwendigen Vertrauensärzie des jungen
Verbandes im wesentlichen die Anstellungsbedingungen des Vertrags
durchzusetzen, den wir mit den Lebensversicherungen abgeschlossen
haben; nur daß dem.Charakter der Behörde insofern Rechnung getragen
wird, als die höchste Instanz für Entscheidung von Streitigkeiten nach
der paritätisch zusammengesetzten Schiedsinstanz beim Ministerium des
Innern liegt. Vielleicht ist der L. V. mit diesem Zugeständnis schon zu
weit gegangen. Wenn er beispielsweise vom preußischen Beamten-
verein und seinen Vertrauensärzten die strenge Beachtung der Vortrags-
bedingungen mit dem „Lebensverband“ verlangt, so ist nicht recht ein-
zusehen, warum dem Verbande öffentlicher Lehensversicherungsanstalten
; eine andere Ausgestaltung des Schiedsamts zugebilligt wird. Der L. V.
hat doch sonst keinen unnötigen Respekt vor Behörden, mittelbaren und
unmittelbaren! Wie dem auch sein mag, die Hauptversammlung erklärte
sich mit der Arbeit ihres Vertreters einverstanden.
Die letzten beiden Punkte der Tagesordnung brachten keine Ueber-
raschung mehr. Bei den Wahlen erkor die Versammlung an Stelle des
ausscheidenden Dippe den Dr. Schwarz, sonst wurden die Mitglieder
des Vorstandes und Aufsichtsrats einstimmig wiedergewählt. — Weitere
Anträge wurden der vorgerückten Zeit wegen vertagt.
Die Teilnehmer der Versammlung fanden sich nach Schluß der
Tagung zu einem angeregt-fröhlichen Mahle zusammen, dem auch ein
ernster Einschlag nicht fehlte; denn der Vorsitzende des L.V. und der
neue Vorsitzende des Aerztevereinsbundes hielten nach Art englischer
| Minister programmatische Tischreden, die über die rethorische Leistung
hinaus durch die neugewonnene Erkenntnis erfreuten, daß die beiden
großen geeinten Verbände, von denen das Wohl und Wehe der deutschen
Aerzte abhängt, auch künftig sich einer zielbewußten und tatkräftigen
Führung sicher sein können.
Aerztliche Tagesfragen.
Die sanitätstaktische Ausbildung der russischen Militärärzte.
Wie seit Jahren in allen Kulturstaaten daran gearbeitet wird, die
militärärztliche Ausbildung in den Armeen nicht nur auf den wissen-
schaftlichen Gebieten zu fördern, sondern auch in sanitätstaktischer Hin-
sicht reicher und gehaltvoller zu gestalten, so hat auch Rußland vor
kurzem einer Idee feste Form gegeben, die schon lange als Bedürfnis
empfunden war, nämlich der Aufstellung eines erschöpfenden Reglements
für die sanitätstaktische Ausbildung der Militärärzte.
Es muß vorausgeschickt werden, daß dieses Reglement von 1911
ein vorzüglich durchdachtes und detailliert ausgearbeitetes Gefüge dar-
stellt, welches hohe Beachtung verdient. Kleinere europäische Staaten,
welche diesem Gegenstande noch wenig Fürsorge geschenkt haben,
können es unbedenklich als Grundlage für die Ausbildung ihrer Militär-
ärzte verwenden — sie werden darin Vieles finden, was ihnen nur Nutzen
bringen kann.
Die Basis des ganzen Aufbaues ist die Erkenntnis, „daß für eine
reguläre Organisation des Militärsanitätsdienstes in Kriegszeiten und zum
Verständnis einer zweckentsprechenden Ausnutzung von Personal und
Material, wie es zur Deckung des sanitären Bedürfnisses einer Armee
vorgesehen ist, schon in Friedenszeiten eine > diesbezügliche Vorbildung
der Militärärzte unerläßlich ist“.
Außer der allgemeinen Kenntnis seines Fflichtenkreises soll der
russische Militärarzt durch eine Spezialausbildung folgende Ziele or-
reichen: Er soll fähig sein 1. zur Sicherstellung rechtzeitiger ärztlicher
Verwundetenhilfe auf dem Schlachtfelde; 2. zur zweckentsprechenden
Einrichtung der in seinem Verfügungsbereiche befindlichen Feldsanitäts-
formationen, indem er sie rechtzeitig auf dem gegebenen Punkte einsetzt,
je nach der Oertlichkeit und dem Gange des Gefechts; 3. zur Organi-
sierung einer unverzüglichen Evakuation von Kranken und Verwundeten
nach den rückwärtigen Formationen und 4. zur Versorgung der ver-
schiedenen Sanitätsformationen mit Verpflegung und Ausrüstung.
Die sanitätstaktische Ausbildung spielt sich auf verschiedenen
Bahnen ab, die schließlich alle einem gemeinsamen Endpunkte zulaufen.
Dahin gehören: Teilnahme an den Kriegsspielen, welche mit den älteren
Truppenführern veranstaltet werden, Teilnahme an den Feldreisen der
Frontoffiziere, also militärische Ausflüge belehrenden Charakters, wie sie
etwa dem Begriffe von Uebungsritten und Generalstabsreisen entsprochen.
Ferner kommen in Frage. die Teilnahme an Sanitätsübungen der Truppen
und, als Hauptzweige der ganzen Ausbildung, die eigentliche Sanitäts-
taktik und die militäradministrative Tätigkeit, beides im folgenden
einer näheren Erörterung zu unterziehen.
Die sanitätstaktische Ausbildung soll nach den jetzt maß-
gebenden Bestimmungen zunächst ein Vertrautwerden mit den Anfangs-
kenntnissen der Taktik überhaupt anstreben, mit der Ordre de bataille,
der Kampfweise der Truppengattungen, dem Felddienst und den all-
gemeinen Bildern und Phasen des Verlaufs einer Schlacht. Hierher ge-
hört ferner das Lesen von Karten und Plänen und drittens die Lösung
praktischer Aufgaben im Gelände.
Die militäradministrative Ausbildung hat zum Gegenstande
den sanitären Teil der Militäradministration, die notwendigste Kenntnis
der Militärgesetze und Reglements für Garnison-, inneren und diszipli-
naren Dienst und endlich Besprechungen und Debatten über militär-
sanitäre Fragen.
a Be Aa ne en as an ne a E
I_ Ne a 2 _ m Be
A—_ u. .
2092 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
em Dom [m DI TE
22. Dezember.
Die Organisation dieser Ausbildung ist so geregelt, daß die all-
gemeine Aufsicht darüber der Sanitätsinspekteur des Militärbezirks führt
(Bezirksmedizinalinspekteur); die unmittelbare Leitung der sanitäts-
taktischen Beschäftigungen liegt in den Händen der Korps-, Divisions-,
Brigade- und Chefärzte unter Beteiligung von Generalstabs- oder, in Er-
manglung solcher, von besonders designierten Frontoffizieren. Die
Leitung des militäradministrativen Teils haben die vorgenannten ärzt-
lichen‘ Vorgesetzten allein.
Zur Aufstellung des Geschäftsplans versammelt der Bəzirks-
medizinalinspekteur alljährlich vor Beginn der Winterdienstperiode die
unterstellten Korps- und Chefärzte. Der Plan muß enthalten eine Ueber-
sicht der Ausbildungsperioden, die Angabe, in wieviel Gruppen die Aerzte
der Korps, Divisionen, Brigaden und Hospitäler einzuteilen und wo diese
Gruppen zusammenzustellen sind, sowie den Vorschlag, in welchen Gar-
nisonen Generalstabs- oder Frontoffiziere zur Mitwirkung nötig werden.
Der Plan wird dem Kommandeur des Militärbezirks zur Genehmigung
vorgelegt und durch Truppenbefehl bekanntgegeben.
Die hiernach zusammentretenden Gruppen, welche in Ermanglung
eines Divisionsarztes am Standort auch vom rangältesten Arzte geleitet
werden können, dürfen nicht weniger als fünf Teilnehmer umfassen.
Stellt sich aus irgendeinem Grunde die lokale Unmöglichkeit einer ge-
schlossenen Organisierung heraus, so sind die Uebungen durch schrift-
liche Arbeiten zu ersetzen, die den betreffenden Aerzten mit nach Hause
gegeben werden,
Die grundlegenden Vorbildungsarbeiten sollen vor allem den Cha-
rakter des Praktischen tragen und stets mit den wirklichen Verhältnissen
auf Karte, Plan oder im Gelände korrespondieren. Truppenbewegungen
müssen gezeigt, Truppenverschiebungen auf Karten dargestellt, Situationen,
wie Uebergang zur Ruhe, Biwak, Quartierbiwak usw. zugrunde gelegt
werden, damit in Gemeinschaft hiermit die Aktionen der verschiedenen
Sanitätsformationen erörtert und entschieden werden. Auch ist ein be-
sonderes Augenmerk der Verwundetenevakuation zuzuwenden.
Die Lösung der Aufgaben ist so zu organisieren, daß Zeit zur
Ueberlegung, im administrativen Teil auch Zeit zum Nachschlagen von
Paragraphen gelassen wird. Der betreffende Arzt hat mündlich zu er-
örtern, was er im Ernstfalle ausführen und anordnen würde. Kommen
bei letzteren Maßnahmen schriftliche Befehle oder Meldungen in Frage,
so sind sie kriegsmäßig niederzuschreiben und im Feldbuch (entspricht
etwa dem Begriff eines Kriegstagebuchs) schriftlich zu erläutern. Die
praktischen Geländeaufgaben sind, ebenso wie die Demonstrationen an
Karten und Plänen, jedesmal mit feldmäßiger Meldekarte zu unterstützen.
— Alle Aufgaben werden teils einzeln, teils gruppenweise gelöst, wobei
der älteste Arzt als Gruppenführer den übrigen Teilnehmern ihre Sonder-
aufträge zuteilt; sie müssen diese nach erfolgter Lösung mit denjenigen
der Nachbarorgane in Relation bringen, worauf der Gruppenführer die
Maßnahmen dem Leitenden meldet, demonstriert und erläutert,
Die Prüfung der Aufgaben geschieht auf dem Weg einer
öffentlichen Begutachtung (Kritik), wobei der Leiter seine Ansicht über
. die Zweckmäßigkeit der getroffenen Anordnungen aussprechen kann, aber
auf die Selbständigkeit der Anschauungen keinen Druck ausüben soll, es
sei denn, daß sie geradezu. den bestehenden Reglements und Verfügungen
zuwiderlaufen. Er ist aber verpflichtet, auf die Unkenntnis des Be-
treffenden in den Dienstanweisungen aufmerksam zu machen.
Die Aufgaben sind meist so eingerichtet, dab die Diensstellung
des Betreffenden, welche er im Kriegsfall einnehmen würde, im Auge
behalten wird; es bekommen also die Hilfsärzte die Pflichten von Ober-
militärärzten, die Regimentsärzte diejenigen von Divisions- und Korps-
ärzten aufgetragen.
Beispiele für Aufgaben liefern besondere Beilagen, welche am
Schlusse dieser Arbeit zu finden sind.
Kriegsspiel und felddienstliche Beschäftigungen haben
manches Gemeinsame. Sie stehen sich anderseits zum Teil wie Theorie
und Praxis gegenüber. Es handelt sich hier um Auswahl von Verband-
plätzen, Etablierungspunkten für Divisionslazaerette und Feldhospitäler,
deren Verschiebung und Abhängigkeit vom Gange des Gefechts, um die
notwendigen Berechnungen für die Versorgung der Sanitätsformationen
mit Proviant und Nachschubmaterial, um Evakuationen, Beispiele aus
Manövern und Feldzugserfahrungen und um Spezialreferate, zu welchen
freiwillige Meldungen angenommen werden. In Ermanglung solcher er-
folgt Designierung nach den Bestimmungen der Divisions- oder Korps-
ärzte. — Die feldsanitätsdienstlichen Arbeiten sind so zu gestalten, daß
jeder Hilfs- oder Obermilitärarzt (russisch „jüngerer“ und „älterer Arzt“)
mindestens einmal im Jahr eine Aufgabe zu lösen hat, und daß die Er-
gebnisse dem Divisions- oder Brigadekommandeur gemeldet werden. Die
Lösungen sind jedesmal im Laufe eines Feldausflugs herbeizuführen.
Die Generalstabs- oder Frontofiziere werden durch die Bezirksstäbe
kommandiert. Ä
.
. Feldreisen und Sanitätsübungen, Erstere werden an die
Offzierausbildungsreisen angeschlossen und sind mit Gebührniszahluuge,
wie diese, verbunden. Maßgebend und als Anleitung dienend ist da
Reglement für Offizierdienstausbildung, dessen Erörterung hier zu weit
führen würde,
Die Sanitätsübungen sollen den Militärarzt kriegsfertig mache,
insofern, als er mit dem ihm feldmäßig zu Gebote stehenden Material,
seiner Konservierung, Aufbewahrung und Ergänzung, dem Aufbau und
der Abrüstung von Formationen, der Gefechtsbereitschaft und der Bot
lastung seiner Truppe von Verwundeten vertraut werden muß, sowie nit
derjenigen Technik von Berichterstattung, wie sie für ein ordnungsmäßigs
Funktionieren des Sanitätshilfs- und Sanitätsablösungsdienstes unenthehr-
lich ist. Besonders wird auch betont, daß die Uebungen den Zweck
haben sollen, das Unterpersonal, (d.i. Feldschere und Krankenträger)
auf die Kenntnis ihrer Pflichten zu prüfen, sowie zu kontrollieren und
sie darin zu befestigen. -
Der Modus der Beurteilung des einzelnen hinsichtlich seiner
Qualifikation in der sanitätstaktischen Ausbildung ist so geregelt, dal
der Leitende eine Notizenliste führt (sowohl der militärische, wie auch der
militärärztliche Vorgesetzte), in welcher er die gestellten Aufgaben und
die Lösungsresultate einträgt; eine obligatorische Form hierfür ist nieht
vorgeschrieben. Die Liste wird nicht dem Kommando vorgelegt, sondern
bei der Leitung aufbewahrt und bei Abkommandierung, Urlaub wd
Stellenwechsel dem dienstlichen Vertreter oder Nachfolger übergeben,
Die schriftlichen Arbeiten selbst werden bei den Truppenteilen an
Jahr lang aufgehoben für den Fall, daß sie die höheren Vorgesetzten zur
Durchsicht einfordern.
Noch ein Wort als Auszug aus den „Beilagen“.
In drei Beilagen findet der Militärarzt eine Reihe wertvoller Àn-
haltspunkte für den Gang der Ausbildung, die er, sei eg nun als Lehrer-
der oder als Lernender den administrativen und sanitätstaktischen Uebungen
zugrunde legen kann. Es führt zu weit, die interessanten Uebersichten
hier wiederzugeben. Eine Anzahl Schlagwörter daraus sind aber schon
allein charakteristisch genug.
I. Der administrative Lehrgang umfaßt a) Friedens
| b) Kriegszeit.
Für Friedenszeit wird an Kenntnissen gefordert: Ergänzungswese
der Armee. Militärmedizinische Statistik und Berichterstattung. Dient
bei Sanitätsformationen und -truppen. Gegenstände der Versorgung mt
Verbandmaterial, chirurgischen Instrumenten, Sanitätsgeräten und App
raten. Organisation der Aufbewahrung eiserner Bestände.
Für Kriegszeiten wird unterschieden: Mobilmachungsperiods,
Periode der strategischen Entwicklung der Armee (Schienenweg,
Landweg, Wasserweg), Periode der Operationstätigkeit (Raste
Etablierung, Ablösung, Verbandplätze, rückwärtige Verbindungen), Or-
ganisation im Hinterland (Etappe, Hilfsformationen, Knotenpunkta,
Schutz gegen Einschleppung in die Heimat, Bade- und Waschanstalten,
Desinfektionspunkte, Krankenzerstreuung), Kriegshygiene (liegend
Kolonnen für epidemiologische und prophylaktische Zwecke, Untersuchung
stellen für Wasser und Nahrungsmittel, Isolierungs- und Quarantäne:
wesen, Seuchenlazarette, Schlachtfelddesinfektion, Massenentgiftunget)
Abrüstungs- und Demobilmachungsmodus.
I. An Kenntnis der Gesetzsammlung und militärischen
Verfügungen, Reglements und Anweisungen soll etwa folgendes
für den Militärarzt als wissenswert gelten: Organisation der Armed w
ihrer Verwaltung, Kriegsvorbereitung, Kriegswirtschaftaver waltung
Kriegsgesetzgebung, Disziplinarreglement. Innerer, Garnison-, Feld- un
Landkriegsdienst — je nach der Dienststellung des Lernenden.
III. Beispiele für sanitätstaktische und administrative Aufgaben:
1. Aufsetzen eines Berichts vor dem Gefecht (als Korps oder
Divisionsarzt) über die Etablierung von Sanitätsformationen. "e j
Formationen sind zu errichten und wo? | l iu
2. Die Division befindet sich auf dem Marsch. Es ist u
Plane die Marschkolonne zu demonstrieren und die Plätze für Sanitd
formationen einzuzeichnen. i
3. Aufzählen aller Maßnahmen des Obermilitärarztes vor Errich a
des Truppenverbandplatzes. Genau zeigen, wo sich die Kranken
befinden müssen und wohin sie die Verwundeten zu schaffen habet.
ist der Sanitätswagen (russisch: Lazarettlinejka) aufzustellen? ind
4. Platz für den Truppenverbandplatz (russisch: vorderer vo
punkt) auf der Karte festlegen. Kroki über das Gelände an
5. Platz für den Hauptverbandplatz (russisch: Hauptverbindep
aussuchen. Alle Maßnahmen. — Meldekarte. „gnsbme
6. Aufgeben des Verbandplatzes beim Rückzug. Alle M w
Evakustion Wege für Nachführen von Verwundeten, Unterbringunß
Nichttransportfähigen samt dem nötigsten Pflegepersonal.
22. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51. 2093
7. Berechnung, in welcher Zeit alle Verwundeten auf den Ver-
bandplatz gebracht sein und bis wann sie mit den der Truppe zu Gebote
stehenden Mitteln von dort aus evakuiert sein können. s
8. Bei einem gegebenen Detachsment eine Berechnung der Mittel
aufstellen für Transport und Verwundetenversorgung vom Schlachtfelde
zu den Verbandplätzen, von da ins Feldlazarett (Hospital) und weiter
nach rückwärts. | En |
7 9. Der Chefarzt des Hospitals N. erhält den Befehl, sofort im Dorfe
A. zu etablieren. Alle Maßnahmen aufführen. ` . >
| 10. Der Chefarzt X. erhält den Befehl, sofort -das Hospital zu
schließen und zu evakuieren. Entschlüsse. Befehle. -E BEN
11. Errichtung und Abrüstung eines Hospitals, eines Divisions-
lazaretts, eines Transports. | Zr
12. Aehnliches.
Als ich das düune Büchlein, welches diese Organisation der russi-
schen sanitätstaktischen Ausbildung enthält, in der Hand wog, glaubte ich
nicht, daß es eine solche Fülle von gewichtigen Punkten und inter-
essanten Einzelheiten enthalten würde.
| Die Durchführung aller dieser Gedanken wäre eine glänzende Lösung
des wichtigen Problems der Sanitätstaktik, es gehört aber dazu nicht nur
eine sehr ernste und gewissenhafte Arbeit jedes Einzelnen, -Lehrers wie
Schülers, sondern auch ein großes Interesse der Truppenführer für den
russischen Militärarzt und ein ehrliches Bestreben, den Sanitätsdienst
nicht nebensächlich zu behandeln. í
Früher ließ dies Interesse der Truppenführer in Rußland noch
vieles zu wünschen übrig, aber jetzt ist auch dort das Zusammenwirken
von Offizier und Arzt auf dem aufsteigenden Ast und wird hoffentlich
zu demjenigen Resultat führen, welches wir Alle, gleichviel welcher Nation
wir angehören, als unser vornehmstes Ziel betrachten müssen: Die Hebung
der Verwundetenfürsorge, das Wohl unseres Soldaten.
| Oberstabsarzt Dr. Blau, (Potsdam).
Kleine Mitteilungen.
(Nachdruck der redaktionell gezeichneten Mitteilungen nur
mit genauer Quellenangabe gestattet.)
Halle. Der schon durch die Tageszeitungen genugsam bekannt
gewordene Streik der Studierenden der Medizin in klinischen
Semestern dauert noch weiter fort und scheint auch zunächst seinem
Ende noch nicht entgegenzugehen. Der Grund für den Mediziner-
ausstand scheint folgender zu sein: Die Studenten deutscher Natio-
nalität an der Halleschen Universität hatten bereits im vorigen Se-
mester eine Eingabe an die Fakultät gerichtet, in der sie darum baten,
die Ausländer nicht zum Praktizieren in den Kliniken resp. Kursen zu-
zulassen, ohne daß dieselben das Examen physicum abgelegt hätten, wie
dieses von jedem reichsdeutschen Medizinstudierenden verlangt würde —
nach einem Ministerialerlaß von 1896. Die medizinische Fakultät machte
deshalb im Mai d. J. eine Eingabe an das Kultusministerium, in der
sie um prinzipielle Regelung dieser Angelegenheit bat, da die Frage
mit der Zulassung der Ausländer an den preußischen Universitäten sehr
verschieden gehandhabt würde. Eine Antwort hierauf ist aber der
Halleschen Fakultät bis heute noch nicht zugegangen. Es sollten des-
halb in Halle einstweilen diejenigen Ausländer, die vorher hier studiert
hatten und bereits im 6. Semester standen — wie bisher — zum Prakti-
zieren zugelassen werden, den jüngeren, allmählich aufrückenden Semestern
sollte dieses aber nicht mehr erlaubt werden. Dieser Fakultätsbeschluß
wurde zum Beginne dieses Semesters den Zuhörern neuerlich bekannt-
egeben.
= Die Studenten glaubten sich damit nicht zufrieden geben zu können
und verfaßten ein erneutes Schreiben an die Fakultät, in dem sie — nun
in etwas nachdrücklicherer Form — ihren Wunsch wiederholten und
Gleichstellung der Ausländer und Inländer in betreff der Zulassungs-
bedingungen zum Praktizieren verlangten. Da diese Eingabe des Ver-
bandes klinischer Semester in der wenige Tage nach dem Absenden der-
selben angesetzten Fakultätssitzung, zu der die Einladungen mit Festlegung
der Tagesordnung bereits ergangen waren, nicht sofort zur Verhandlung
kam, glaubten die Klinizisten darin eine nicht genügende Berücksichtigung
ihrer Wünsche erblicken zu mfissen und traten deshalb in den Ausstand,
der sich nicht nur auf die für Praktizieren in Frage kommenden Kliniken,
sondern auf alle nach dem Physikum abzuhaltende Vorlesungen und Kurse
erstrecken sollte und noch heute erstreckt.
Inzwischen haben mehrfache Fakultätssitzungen und studentische
Klinikerversammlungen stattgefunden, die trotz wohlwollendster Behand-
lung der Angelegenheit durch den die Verhandlungen mit den Studenten
führenden Prodekan — der derzeitige Dekan hat wohl als Physiologe
und emeritierter Professor nicht mehr die nötige Fühlung mit den Kandi-
daten der Medizin — zu keiner Einigung geführt. Die Studierenden
sind mit ihren Forderungen immer schärfer geworden und haben damit
jetzt schon fast völlig den Boden verlassen. auf dem noch eine baldige
Einigung zu erzielen gewesen wäre. Sie verlangen jetzt von der Fakultät
eine vollständige Zurückweisung der Ausländer, wenn diese nicht die-
selben Vorbedingungen erfüllt hätten, wie sie von den Reichsdeutschen
beim Praktizieren verlangt würden. Hierauf konnte sich die Hallesche
Fakultät selbstverständlich nicht einlassen; dieselbe erwartet nun einen
baldigen Entscheid des Ministeriums. ` | S
| Es ist natürlich in hohem Grade bedauerlich, daß die Studenten
diesen Weg der Selbsthilfe beschritten haben, wenngleich ihnen auch
nicht verdacht werden kann, daß sie einem Ueberhandnehmen der Aus-
länder zu steuern sich bemühten. Von einer Benachteiligung der
deutschen Studenten kann in den Halleschen Kliniken bei dem so überaus
reichen Material übrigens gar nicht die Rede sein. Anderseits vergessen die
Herren Studierenden, daß es von jeher ein nobile officium deutscher
‘Hochschulen war und bleiben wird, Ausländern, ebenso wie Inländern,
den Born ihrer Wissenschaft gastfreundlich zu erschließen, was bisher
| nicht 'zum Nachteil des deutschen Ansebens gedient hat! Hoffen wir
deshalb, daß bald ruhige Einsicht in die erhitzten jugendlichen Gemüter
einziehen wird, denn ein noch länger dauernder Ausstand trifft ja die
Studierenden am meisten! hr i
Berlin. Es schweben gegenwärtig Beratungen zwischen den be-
teiligten Aemtern im Reich und in Preußen über eine Abänderung der
vom Bundesrat erlassenen ärztlichen Prüfungsordnung vom
Jahre 1901. Als wichtigste Abänderung kommt dabei eine stärkere
Berücksichtigung der sozialen Medizin in der ärztlichen Ausbildung in
Betracht, und zwar sowohl für das Studium wie für das praktische Jahr.
Die geltende Prüfungsordnung berücksichtigt die soziale Medizin über-
haupt nicht, was bei deren steigender Bedeutung nicht länger zu um-
gehen ist. Jedoch gehen die Ansichten darin auseinander, ob bereits die
Studienzeit der geeignete Zeitpunkt dafür ist, oder ob die Beschäftigung
mit der sozialen Medizin, die nach Ansicht vieler ein abgeschlossenes
medizinisches Studium voraussetzt. nicht besser in das praktische Jahr
zu verlegen ist. Die letztere Ansicht wird beispielsweise von der
preußischen Unterrichtsverwaltung vertreten. |
— Der Deutsche Verein für Versicherungswissen-
schaft hielt am 13. und 14. Dezember im Abgeordnetenhaus unter dem
Vorsitz von Professor Dr. med. Florschütz (Gotha) seine diesjährige
Jahresversammlung ab. Neben den versicherungstechnischen Vorträgen
erregte besonderes Interesse ein Vortrag des Stabsarztes Dr. Frik von der
Hisschen Klinik über „Albuminurie und Lebensversicherung“. F. ging von
der bekannten Tatsache aus, daß selbst der normale Urin immer Spuren
von Eiweiß enthält, welche durch die Spieglersche Probe nachgewiesen
werden können. So fand sich bei 83 °/o sonst gesunden Soldaten Eiweiß,
bei 800 Ablehnungen von Lebensversicherungskandidaten bildete Eiweiß-
ausscheidung in 18,70 die Ursache. Wenn auch die Lebensverkürzung
bei chronischer Nephritis außer Zweifel steht, so gestattet doch anderseits
die orthotische und lordotische Albuminurie in ihren reinen Formen die
Aufnahme. In der. anschließenden angeregten Diskussion äußerte sich
Karl Ruge (Berlin) dahin, daß er bei Spuren von Eiweiß unter sonst
günstigen körperlichen Verhältnissen (Blutdruck, Herzbefund) die Auf-
nahme befürwortet. BF ESF 2 Fr.
` — Der vierte Vortragsabend der Vereinigung zur wissen-
schaftlichen Erforschung des Sports und der Leibes-
übungen brachte einen Vortrag über „Sport und Reizmittel“ von
Hofrat Professor Hueppe (Dresden). Der Vortragende hob hervor,
daß neben der Ernährung auch die Genußmittel eine große Bedeutung
für den Organismus hätten, indem sie anregende Wirkungen aus-
übten, die allerdings in vielen |Fällen so stark werden könnten, daß
sie das Nervensystem und lebenswichtige Organe ungünstig beein-
flußten. Infolgedessen hat man unter dem Einflusse der Reizmittel
neben wertvollen günstigen Einwirkungen auch nachteilige Folgen-
beobachten können. Das hat dazu geführt, bei der Vorbereitung
zu sportlichen Leistungen die Genußmittel, sofern sie als Reize in
Frage kommen, von der Ernährung auszuschließen. Die wichtigsten
Genußmittel sind der Tabak, dessen ungünstiger Einfluß auf das
Herz, also auf das beim Sport besonders in Anspruch genommene Organ,
bekannt ist, und vor allem der Alkohol, der zwar mitunter die Funktionen
eines Nahrungsmittels übernehmen kann, aber in der Hauptsache doch
das Nervensystem so beeinflußt, daß eine schnellere Ermüdung eintritt,
nachdem allerdings eine mehr oder weniger intensive Anregung vorauf-
gegangen ist. Wenn gegen den Schluß einer Höchstleistung etwas Al-
kohol als Anstachelung gute Dienste leistet, so ist er doch besonders für
das Training gänzlich ausgeschlossen. Es wird allerdings verschiedene
Verhältnisse geben, die eine tüchtige Anforderung an die Arbeitskraft
des Menschen stellen, bei denen man den mäßigen Alkoholgenuß nicht
gut entbehren möchte, zum Beispiel Winterfeldzüge und Polarreisen. In
den Tropen dagegen ist unter allen Umständen eine Abstinenz durch-
zuführen, da hier die Wirkungen des Alkohols besonders ungünstig sind.
— Aut eine fünfzigjährige Tätigkeit als Universitäts-
professor, konnte am 15. Dezember der bekannte Gynäkologe Prof. Dr.
. Robert v. Olshausen in Berlin zurückblicken. Am 1. Mai 1897 über-
nahm er als Nachfolger Schröders die Direktion der Universitäts-
Frauenklinik in Berlin, um dieselbe dann wegen vorgerückten Alters 1910
niederzulegen. — Die gleiche seltene Feier beging am 16. Dezember der
frühere Otiater Prof. Dr. Berthold (Königsberg). Beide Jubilare stehen
im 77. Lebensjahr und erfreuen sich noch großer körperlicher und
geistiger Rüstigkeit. ` — l |
— Der Verein Deutscher Laryngologen richtet an die Verwal-
tungsstellen und Anstaltsleitungen die Bitte, dahin zu wirken, daß der Be-
handlung der oberen Luftwege bei Bekämpfung der Tuber-
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eine geeignete Nasenbehandlung einzutreten.
2094 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 51.
22, Dezember
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kulose eine besondere Fürsorge zuteil werden möge. Es werden fol-
gende Leitsätze aufgestellt: 1. Bei den auf Kosten der Alters- und
Inyalidenversicherungsanstalten, Krankenkassen und ähnlichen Anstalten
behandelten Lungenschwindsüchtigen möge eine nicht zu, schwere Kehl-
kopferkrankung nicht mehr als Grund betrachtet werden, die Kranken
von der Heilstättenfürsorge auszuschließen. In den amtlichen Berichten
Möge der Kehlkopftuberkulose eine gesonderte Darstellung zuteil werden, -
.2. In Heilstätten, Fürsorgeanstalten und sonstigen der Bekämpfung der
Tuberkulose gewidmeten Anstalten muß der Zustand der oberen Luft-
. wege eine besondere Beachtung finden. Insbesondere ist dies dadurch |,
‚zu erreichen, daß’ Kehlkopiärzte als beratende Aerzte angestellt werden,
damit die notwendige Erkennung und Behandlung tuberkulöser und nicht-
tuberkulöser Aftektionen. der ‚oberen Luitwege gesichert werde. 3. In.
den Kinderheilstäiten, besonders in solchen, die in Badeorten und See-
bädern gelegen sind, ist fortlaufend, namentlich aber schon beim Eintritt,
eine Untersuchung. und Behandlung der oberen Luftwege erforderlich,
damit die Wirkung ‘der kurgemäßen Heilfaktoren erfolgreich gestaltet
wird. 4. Bei der Behandlung und Bekämpfung des Lupus bat ia den
dazu bestimmten Anstalten durch Hinzuziehen von Fachärzten frühzeitig
+
Berlin. Aus dem soeben bei F. Leineweber in Leipzig er-
schieonenen Adreßbuch der deutschen Kranken-, Pflege- und
Wohlfahrtsanstalten gewinnt man einen Ueberblick über die un-
goheure Ausbreitung und über die segensreiche Tätigkeit des modernen
Sanitätswesens. Nicht weniger als 9054 Kranken-, Pflege- und Wohl-
fahrtsanstalten bestehen zurzeit im Deutschen Reiche, die über annähernd
3⁄4 Millionen Betten verfügen. Den Hauptposten nehmen 3258 all-
gemeine Krankenhäuser mit zirka 216000 Betten ein; ihnen folgen
351 Militär- und Marinelazarette mit nahezu 30000 Betten. Dann folgt .
das Heer der Irrenanstalten, der Lungen-, der Nervenheilstätten, der
Säuglingsbeime und Kinderheilstätten,. der Kliniken und Waisenhäuser.
Mit 70000 Betten wird der stattliche Reigen durch die Altersheime und
Versorgungsheime geschlossen. Das 672 Seiten umfassende Buch enthält
einen Führer zu allen staatlichen wie privaten Anstalten, wie auch zu
den Spezialhbeilanstalten, die nach Ländern, Provinzen und Regierungs-
bezirken geordnet sind. Die 9054 Anstalten repräsentieren mit ihren
` 7135 579 Betten, bei niedriger Berechnung der Baukosten und der 4000 M
Kosten pro Bett, einen Wert von nahezu drei Milliarden Mark. |
Frankfurt a. M. Die Eingabe des Aerztlichen Vereins an den
Magistrat um Subventionierung der auch in der dritten Verpflegungs-
. klasse freie Arztwahl gewährenden Krankenhäuser ist vom
Magistrat abschlägig beschieden worden. — Geheimrat Quincke wurde
zum Vorsitzenden des Aerztlichen Vereins für das Jahr 1914 gewählt.
München. Die bekannte, unweit München gelegene Kuranstalt |
‚Ebenhausen ist durch Kauf in andern Besitz übergegangen. Prof. Dr.
Paul Jacob, bisher in Berlin, ehemaliger Assistent Prof. von Leydens
und bekannt durch seine Tuberkuloseforschung, wird im Verein mit
Dr. Julian Markuse am 1. April 1913 den Betrieb neu eröffnen. Von
Januar bis April 1913 bleibt die Anstalt zur Vornahme einer vollständi-
gen Renovierung und Fertigstellung notwendiger Umbauten geschlossen.
Nürnberg. ' Seit Jahren besteht hier die Einrichtung der städti-
schen Schulärzte. Die Einrichtung wurde immer mehr ausgestaltet, so-
daß jetzt 15 Schulärzte im Nebenamt angestellt sind. Zu diesen 15 Schul-
ärzten wird nun ein Schularzt im Hauptamt angestellt. Außerdem wird
eine Schulschwester angestellt, die die häuslichen Verhältnisse der Kinder
kennen lernen und kranke Kinder zur Behandlung bringen soll.
— Eine Stiftung‘ von 50000 M im Interesse der Förderung der
wissenschaftlichen Erforsebung und Bekämpfung der Krebskrankheiten er-
richtete der Kunstanstaltsbesitzer Martin Brunner in Nürnberg mit
der Verfügung. daß alljährlich der Reinertrag der Stiftung einer in
Deutschland wohnenden Person als Preis für hervorragende wissenschaft-
‘“ liche Leistung auf diesem Gebiete zuerkannt wird, die im allgemeinen
nicht über ein Jahr von Zuerkennung des Preises zurückliegen soll. Die
erstmalige Preiszuerkennung soll bereits im Jahre 1913 erfolgen, Jedoch
können für dieses einemal nur 400 M ausgesetzt werden. Nach Ablauf
von 100 Jahren erlischt diese Stiftung beziehungsweise werden ihre Er-
- trägnisse andern humanitären Zwecken zugeführt. Näheres enthält die
auf Seite 7 des Anzeigenteils dieser. Nummer veröffentlichte Bekannt-
machung des Stadtmagistrats Nürnberg.
Stockholm. Am 5. Dezember verschied in Stockholm der
gewesene Professor der Nervenpathologie und Vorstand der Klinik für
Nervenkrankbeiten Dr. Per Johann Wising im 71. Lebensjahre. Prof.
` Wising war der erste Professor seines Fachs in Schweden, Verfasser
mehrerer in dasselbe fallenden Arbeiten und langjähriger Redakteur
' der Fachzeitschrift „Hygiea“. — Am 9. Dezember verschied auf seinem
Besitztum in Dala der emer. Professor der Pädiatrie in Upsala D. Oscar
Victor Pettersson im 68. Lebensjahre. K].
Italien. Besonders interessant sind die Erfolge, welche hierselbst
mit der Malariabekämpfung erzielt wurden. Noch in den achtziger
Jahren rechnete man in Italien mit einem jährlichen Verluste von 15000
- Menschenleben und zwei Millionen Kranken, sowie mit einem alljährlichen
wirtschaftlichen Verluste von einer Milliarde Lire als den Folgen der
Malaria. Dagegen starben 1911 nur noch 8613 Menschen in ganz Italien
an der Malaria. Prof. Celli führt diese Verbesserung ausschließlich auf
‘den verallgemeinerten Gebrauch von Chinin zurück. ‚Dieses Mit
wird schon seit einigen Jahren in den Tabakläden verkauft, sowie'in den
Malariagegenden in großen Mengen unentgeltlich verteilt. Während in
den Jahren 1900 bis 1903 der jährliche Chininverbrauch in Italien my
2242 kg betrug, stieg derselbe 1911 auf 22795 kg. Gegenden, die-ihry
-Fiebers wegen sonst gefürchtet waren, sind nunmehr wieder bewohnbar
und die Auswanderung aus den früher am meisten von der Malarig heim.
gesuchten Provinzen läßt entsprechend nach. In absehbarer Zeit ist mit
einem Verschwinden der Malaria in Italien wohl mit Sicherheit zu rechne,
| England. In dem Streite der englischen Regierung und den
Verbande der Aerzte Englands (British medical association) betreffs:Darh.
‚führung des nationalen Krankenversicherungsgesetzes:in Bng.
land werden neue Verhandlungen gepflogen. Während der Staat bisher
einschließlich der Medikamente als Kopfgeld den Aerzten M 6,50 kon
zedierte, forderte die „British medical association“ M 8,50 ohne Einschluß
.von Extraarbeiten und Medikamenten. Der Staat will nun für drei Jahn
probeweise den Aerzten M 7,— pro Jahr und Versicherten bezahle
. wofür sie auch die Behandlung Heimtuberkulöser zu übernehmen hätten,
M 1,50 werden für Medikamente gerechnet und M 0,50 werden, falls sie
nicht zur Bezahlung von Medikamenten verwendet werden müssen, dm’
Arzte zugesprochen. Die Aerzte sollen aber dafür auch unentgeltlich
' Krankenscheine ausstellen, Krankengeschichten für statistische Zwecke
führen und der Behandlung der Kranken eine besondere Sorgfalt an-
gedeihen lassen, bei welcher auch die moderne Diagnostik Beräcksichti-
gung finden sol. Auf der Repräsentantenversammlung der „British
medical association“ wurden die Propositionen der Regierung abgelehnt,
es werden aber mit letzterer weitere Verhandlungen gepflogen.
.— Der englische „Verein zur Förderung der Wissenschaft‘
hat auf. Grund seiner an zehn Millionen Kindern und jungen
Leuten der. verschiedenen europäischen Nationen angestellten .Onter-
suchungen einen Bericht veröffentlicht, der die das Wachstum der
Kinder bestimmenden Gesetze näher präzisieren will. Daraus. er-
heilt vor allem, daß zwischen den ärmsten und wohlhabendsten Be-
völkerungsklassen eine durchschnittliche Differenz von 10 cm besteht,
Die Schnelligkeit des Wachstums in Höhe, Gewicht und Brustumfang ist
beständig, wenn auch ungleichmäßig bis zum 18. Lebensjahr in Steigerung
begriffen; von diesem Jahr an vermindert sie rich rasch und kommt end-
gültig zwischen dem 20. und 21. Jahre zum Stillstand. Es hat den Au-
schein, als ob die zwischen September und Februar geborenen Kinder
nicht die Körpergröße von jenen erlangen, die in den Frühlings- und
Sommermonaten das Licht der Welt erblickt haben. Auch scheint 68,
daß das Wachstum in den Monaten März bis August rascher erfolgt.
Die Beine entwickeln sich in der Hauptsache zwischen dem 10. und
"17. Jahre, die Entwicklung setzt sich dann stetig, wenn auch langsam
fort und erreicht mit dem 30. Jahr ihr Ende.
- Hochschulnachrichten. Breslau: Dr. Peter Danckwortt,
Assistent am pharmazeutischen Institut, habilitiert für pharmazeutische und
"Nahrungsmittelchemie. — Heidelberg: Dr Walter Groß erhält einen
Lehrauftrag .für gerichtliche Medizin. — Karlsruhe i. B.: Gewerbe
inspektor Dr. Holtzmann habilitiert für Gewerbehygiene an der Tech-
nischen Hochschule. — Königsberg i. Pr.: Dr. Ernst Sachs, Privat
dozent. zum Oberarzt an der Universitäts - Frauenklinik an Stelle von
‘Prof. Dr. J. Hofbauer. —. Leipzig: Priv.-Doz. Dr. E. Stadler zum
‚Oberarzt der inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses ın Plauen.
Von Aerzten und Patienten.
Was ist nun aber die Stellung des Menschen in dieser neuen
Welt? Er ist der Bewohner eines der vielen Trabanten einer Sonne,
wie. es deren im Weltall eine unendliche Zahl gibt. Wer kann wisseN,
ob nicht jeder dieser Fixsterne seine Trabanten hat und ob nicht diese
auch bevölkert sind mit Wesen ähnlicher Art wie wir? Das mubts Jetzt
dem Menschen klar werden: er ist ein Nichts in dieser Unendlichkeit,
die sein Geist kaum zu fassen vermag. ;
Nicht vermögen wir uns eine Vorstellung zu machen von eingm
Wesen, das diese Welt geschaffen hat. Uns steht nur an, Bewunderung
zu fühlen für diese Schöpfung. Dank zu zollen denjenigen, die un$ n
deren Erkenntnis geführt haben und uns bescheiden in die Rolle #
finden, die uns in dieser Unendlichkeit zugedacht ist... . -
Albert Ladenburg, Ueber den Einfluß der Naturwissenschaften =
die Weltanschauung. Vortrag, gehalten auf der 75. Versammlung an A
Naturforscher und Aerzte zu Kassel am 21. September 1903. Leap b:
| ' Veit & Comp.
Nachtragsnotiz zu. dem Aufsatze: „Zur Aetiologie und u
der Mastitis puerperalis* in Nr. 46. In der Arbeit wird DOENE na .
merkt, daß die Abhandlung von Dr. Schiller an einer weniger md
lichen Stelle erschienen sei. Wie der Autor mir durch Zusendung ein
'Separatabdrucks nachträglich freundlichst zur Kenntnis bringt, ist A
Aufsatz: „Zur Pathologie und Therapie der lactierenden ee
in der Mon. f. Kind. 1910/11, Bd. 9, S. 613, publiziert sigli
Dies sei dem Wunsche des Verfassers gemäß um so lieber neoe
mitgeteilt, als es der Zweck ‚meiner Ausführungen war, aar Kohl
nahme und Nachprüfung jener Ergebnisse anzuregen. i
findet sich die
Terminologie. Auf Seite 19 des Anzeigenteils findet s
Erklärung einiger in dieser Nummer vorkommender Fachaus
Gedruckt von Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W 8,
Nr. 52 (421). 29. Dezember 1912. VIII. Jahrgang.
Medizinisehe Klin
Wochenschrift für praktische Ärzte
ik
redigiert von Verlag von
Professor Dr. Kurt Brandenburg Urban & Schwarzenberg
Berlin Berlin
Inhalt: Originalarbeiten: M. Weisz, Ueber Prognosestellung bei der Lungentuberkulose. M, Rohde, Ueber Phobien, besonders Platzangst, ihr
"Wesen und ihre Beziehungen zu den Zwangsvorstelluugen. (Schluß). Hellwig, Zur Kenntnis der akuten hämorrhagischen Pankrestitis. Schurig,
Zur Behandlung von Herzneurosen. C. Hirsch, Erfahrungen mit Riba-Malz bei Operierten. — Referate: R. Bing, Die Tastlähmung. — Dia-
gnostische und therapeutische Einzelreferate: Trichoschisis. Differentialdiagnose zwischen Ulcus ventriculi und Carcinom. Ulcus vulvae chronicum.
Diagnose und Behandlung der Methylalkoholintoxikation. Tuberkulin in Kombination mit Quecksilber. Hexamethylenamin gegen akute Erkrankungen
der oberen Luftwege. Schwere Extremitätenverletzungen. Diabetes insipidus. Yohimbin (Spiegel) bei der senilen Prostatahypertrophie. — Bücher-
besprechungen: Buttersack, Latente Entzündungen des Grundgewebes, insbesondere der serösen Häute, V. Schilling, Das Blutbild und seine
klinische Verwertung. — Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete dës Versicherungswesens: Th. Benda, Nervöse Störungen nicht auf Ein-
atmung von Formalindämpfen zurückzuführen, daher als Unfallfolge nicht anerkannt. — Vereins- und auswärtige Berichte: Braunschweig. Hamburg.
Berlin. — Aerztliche Tagesfragen: Kriegschirurgisches vom Balkan. — Kleine Mitteilungen. — Von Aerzten und Patienten.
Abdruck von Artikeln dieses Blattes verboten, Referate mit unverkürzter Quellenangabe gestattet,
Klinische Vorträge.
Ueber Prognosestellung bei der Lungen-
tuberkulose’)
von
Dr. M. Weisz, Wien.
M. H.! Wohl keine Krankheit stellt dem Bestreben, den
Verlauf einigermaßen mit Sicherheit vorauszusagen, solche
Schwierigkeiten entgegen wie die Lungentuberkulose. Dies
ist zunächst im chronischen Verlaufe der Krankheit be-
gründet. Bei akuten Erkrankungen tritt in der Regel bald
ein Wendepunkt ein, von dem aus wir gewöhnlich mit ziem-
licher Sicherheit eine Voraussage quoad sanationem und
quoad vitam machen können. Anders bei chronischen
Krankheiten. Die Lungentuberkulose ist aber eine eminent
chronisch verlaufende Krankheit. Dazu kommt, daß in jeder
Phase dieser Krankheit natürliche oder künstliche Heil-
faktoren das Bild wesentlich ändern können. Denn die
Lungentuberkulose ist, wie schon Skoda hervorgehoben hat,
in allen Stadien heilbar. War schon dieser Grundsatz zu
Skodas Zeiten berechtigt, so müssen wir heute, da uns
weit mehr therapeutische Maßnahmen bei dieser Krankheit
zu Gebote stehen, dies mit doppeltem Nachdrucke betonen.
Die Prognose der Tuberkulose wird daher im Einzelfalle nur
mit Berücksichtigung der anwendbaren therapeutischen Maß-
nahmen gestellt werden können, Sie wird z. B. selbst bei
gleichem objektiven Befund anders beim Armen sein, der
sich keinen entsprechenden Landaufenthalt leisten kann, als
beim Reichen, dem alle Hilfsmittel zu Gebote stehen. Infolge
der Fülle äußerer Momente, welche wir eigentlich bei der
Prognosestellung der Lungentuberkulose berücksichtigen
müßten und welche einer exakten Fassung schwer zugäng-
lich sind, weil sie von Fall zu Fall variieren, ist es not-
wendig, für die Prognosestellung der Lungentuberkulose einen
Standpunkt zu gewinnen, von dem aus sich das Thema ohne
Gefahr der Zersplitterung in Einzelheiten behandeln läßt.
Folgende Fragestellung dürfte am besten geeignet sein, diesem
Zwecke zu entsprechen: Welche Mittel stehen dem Arzte zu
Gebote, um den jeweiligen Zustand eines Lungentuberkulösen
1) Vortrag in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener
medizinischen Doktorenkollegiums vom 11. November 1912,
prognostisch zu beurteilen? Das soziale und therapeutische
Moment sowie alle andern sonst noch in Betracht kommen-
den Momente, wie z. B. der Einfluß des Alters, des Ge-
schlechts, komplizierende andere Leiden, auf die einzugehen
ich mir hier versagen muß, können dann von Fall zu Fall
als Korrektur nach der besseren oder schlechteren Seite be-
liebig eingefügt werden. Bei dieser Fragestellung ergibt sich
auch der Vorteil, daß wir den Einfluß unserer therapeutischen
Maßnahmen auf der Grundlage einer nach dem jeweiligen
Stande der Krankheit gestellten Prognose genauer beurteilen
lernen.
Im Vordergrund unseres Interesses steht naturgemäß
der lokale Krankheitsbefund. Je weiter die Tuberkulose in
den Lungen schon vorgeschritten ist, um so geringer ist die
Aussicht auf ihre Heilung. Die Prognose der Tuberkulose
ist daher um so schlechter, in je vorgeschrittenerem Stadium
sich der Kranke befindet. So richtig auch dieser Grundsatz
im allgemeinen ist, so verfehlt wäre es, ihn zu schemati-
sieren und jeden einzelnen Fall danach beurteilen zu wollen.
Denn einerseits sehen wir Kranke mit einem relativ wenig
ausgebreiteten Lungenprozeß stetig verfallen, anderseits lehrt
die Erfahrung, daß viele Tuberkulöse des dritten Stadiums
ihre Krankheit Jahre lang mit sich herumtragen und trotz
des anscheinend vorgeschrittenen Leidens ein relativ hohes
Alter erreichen. Dies hat zweierlei Ursachen: Zunächst ist
die physikalische Untersuchung des Kranken, auf der
unsere Stadieneinteilung beruht, nicht imstande, einen
sicheren Schluß auf den Grad der Aktivität des Lungen-
prozesses zu gestatten. Dämpfung und Rasselgeräusche über
einem ganzen Lappen z. B. bewirken, daß wir den Kranken
dem dritten Stadium zuteilen. Die Dämpfung kann aber
ebenso von frisch infiltrierten wie von vernarbten Lungen-
herden herrühren und die Rasselgeräusche ebenso von einem
akuten Zerfall, wie von einer alten, nur zum Teil vernarbten
Kaverne und bronchiektatischen Herden in der Umgebung
vernarbender Lungenpartien. Eine Dämpfung und Rassel-
geräusche über einem Unterlappen kann ebenso frischen
Ursprungs sein, wie von einer alten Pleuritis herrühren, bei der
wir nicht immer imstande sind, mit Sicherheit zu entscheiden,
‘ob die Rasselgeräusche nur pleuralen oder daneben auch
2096 | 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
m 2.0 7 SAU NISCHE K
pulmonalen Ursprungs sind. Diese der täglichen Beobachtung
entnommenen Beispiele ‚lehren, daß wir den ob jektiven
exakten Prognosestellung machen können. — Wir
müssen daher Hilfsmittel heranziehen, welche uns über die
Gut- oder Bösartigkeit eines bestehenden Lungenprozesses
aufklären.
Da kommen zunächst die Gewichtsverhältnisse des
Kranken in Betracht. Ein aktiver Prozeß in den Lungen
geht gewöhnlich mit Gewichtsverlust einher, bei einem
chronischen ist meist Gewichtskonstanz oder auch Zunahme
vorhanden. Wenn wir daher einen Kranken längere Zeit
seinem Berufe nachgeht. Anders schon liegen die Verhält-
nisse bei Spital- oder Sanatoriumbehandlung. Beitruhe
oder Liegekur sind imstande, auch bei aktiver Lungentuber-
kulose Gewichtsstillstand oder Zunahme zu bewirken. Durch
derartige Fälle eines Bessern belehrt, bin ich bei der Ver-
wertung der Gewichtszunahme für die Prognose vorsichtiger
geworden. Man darf den Erfolg der Mast- und Liegekuren
in den Anstalten und Spitälern nicht allein nach der Zahl
der Kilogramme beurteilen, um welche der Patient zuge-
nommen hat, um so weniger als diese Gewichtszunahme häufig
bei der Wiederaufnahme der Arbeit verschwindet. Die Ge-
wichtsverhältnisse dürfen nurim Zusammenhalte mit
den andern prognostischen Momenten verwertet
werden.
Ein sehr wichtiges Kriterium des Zustandes, in welchem
sich ein Kranker befindet, sind seine Temperaturverhältnisse.
Fieber ist ein Zeichen, daß der tuberkulöse Prozeß aktiv ist.
Für die Beurteilung der Fieberkurve eines Tuberkulösen
wäre es notwendig, seıne Temperaturverhältnisse aus der
gesunden Zeit zu kennen. Da die Krankheit bei vielen den
ersten Anlaß zu regelmäßigen Temperaturmessungen bietet,
so bleibt dieser Wunsch meist unerfüllbar. In einem solchen
Falle müssen wir uns an die allgemeine Erfahrung halten,
welche Temperaturen von etwa 370 des Morgens (vor dem
Waschen in der Achselhöhle gemessen) und Temperaturen
über 37,30 nachmittags schon als subfebrile anzeigt. — Es
gibt jedoch zweifellos Menschen, deren Temperaturkurve
etwas höher eingestellt ist. Meist läßt eine gleichzeitig be-
stehende Hysterie diese Temperatursteigerungen als neurogen
erkennen. In solchen Fällen kann man nachmittags Tem-
peratursteigerung über 37,5 0 beobachten, ohne darum auf
einen bösartigen Lungenprozeß schließen zu müssen. Meist
steht das gute Allgemeinbefinden der Kranken im Gegensatz
zur Annahme einer fieberhaften Temperatursteigerung. Das
größere Kontingent, welches die Frauen zur Hysterie stellen,
läßt es begreiflich erscheinen, daß wir derartige noch als
normal anzusehende Temperaturschwankungen hauptsäch-
lich bei diesen konstatieren. Aber auch bei Kindern dürfen
wir eine gewisse Labilität der Temperaturverhältnisse nicht
außer acht lassen, wenn wir subfebrile Temperaturen bei
ihnen richtig einschätzen sollen. Während der Menstruation,
mitunter auch prämenstruell, kann bei jeder tuberkulösen
Frau eine höhere Temperatur vorhanden sein, ohne daß
eine Verschlechterung des Lungenprozesses eingetreten sein
nübte. _
E Der Fieberverlauf bei der Lungentuberkulose zeigt eine
Eigentümlichkeit, deren Unkenntnis bei vorgeschrittener
Tuberkulose mit infauster Prognose uns zu täuschen im-
stande wäre. Es gibt Tuberkuloseformen, bei denen die
Konstatierung normaler oder fast normaler Temperaturen
im Gegensatz zu dem allgemeinen Verfall und zu dem aus-
gebreiteten Prozeß steht. Meist sind typische Fiebersteige-
rungen durch Monate. vorausgegangen. Aber bald beginnt
der Kranke niedrigere Temperaturen zu zeigen, die mitunter
29. Dezember
völlig normalen Aspekt darbieten. Wenn wir einen solchen
Kranken zum ersten Male zu Gesicht bekommen und der
Temperatur .einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Stellun
der Prognose beimessen, so würden wir leicht dag Opfer .
einer unangenehmen Ueberraschung werden, indem sich dẹ |
Zustand des Kranken trotz seiner fast normalen Tempen.
turen verschlimmert. In solchen Fällen bewährt sich al |
Unterstützungsmittel für die Beurteilung des Krankheitgı. |
standes die Harnuntersuchung, indem eine noch zu le-
sprechende Harnreaktion meist gefunden. wird.
Die Harnuntersuchung bietet bei der Lungentuberku.
lose ein wertvolles Mittel für die Beurteilung der Prognos.
Es war namentlich bei dem großen Heere der fiebernde
Tuberkulösen wünschenswert, ein Kriterium zu besitzen, au
welchem wir mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Schluß
auf die Besserungsfähigkeit des Fiebers, somit auf die Prognos
der Krankheit ziehen können. Denn wenn auch jedes Fieber
beim Tuberkulösen einen aktiven Lungenprozeß anzeigt, so
lehrt doch die Erfahrung, daß nicht alle fieberhaften Tuber.
kulosen ungünstig verlaufen, indem sich in vielen Fällen
früher oder später wieder normale Temperaturen einstellen.
Einen Hinweis auf den Charakter des Fiebers gewährt un
die Untersuchung des Harnes auf die Ehrlichsche Diazo-
reaktion oder jenen Körper, welchen ich Urochromoge
genannt habe und für dessen Nachweis ich in der Sogt-
nannten Permanganatreaktion!) eine einfache und zuverlässige
Methode beschrieben habe.
Bekanntlich hat Ehrlich, der Entdecker der nach ihm
benannten Diazoreaktion, schon die prognostische Bedeutung
derselben erkannt und betont, daß die Reaktion bei der Lungen-
tuberkulose, namentlich wenn sie konstant bleibt, ein Signum
mali ominis sei. Es sind jetzt etwa sieben Jahre, daß ich
mich eingehend mit der Frage der Bedeutung dieser Reak-
tion für die Prognose der Lungentuberkulose beschäftige
Ein sehr großes Krankenmaterial, welches ich in dieser
Richtung geprüft habe, hat mir gezeigt, daß wir in der
Urochromogenprobe respektive in der Diazoreaktion
ein sehr beachtenswertes Hilfsmittel besitzen, um eime
Lungentuberkulose prognostisch zu beurteilen. Die Reaktion
stellt sich zwar meist gleichzeitig mit zunehmendem Fieber
und der Ausbreitung des Lungenprozesses ein, aber ab-
gesehen davon, daß dies nicht regelmäßig ist, indem auch
anscheinend gutartige Fälle mit nicht sehr ausgebreitetem
Prozeß und mitunter auch nicht fiebernde Fälle diese Reak-
tion zeigen, ist es auf jeden Fall für uns eine mit der Aus-
führung einer einfachen Harnreaktion nicht zu teuer erkaufte
Orientierung, welche uns die Urochromogenprobe verschaf.
Auf Grund dieser Reaktion werden z. B. auf der I. medizi-
nischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses die Kranken
von vornherein in zwei Gruppen geteilt: in solche mit und
solche ohne Urochromogenreaktion. Unsere Beobachtungen
daselbst haben gelehrt, daß nur die letzteren durch eine
Tuberkulinbehandlung noch gebessert werden können, wäh-
rend bei den ersteren diese Behandlung unbedingt kontra-
indiziert ist.
Auf Grund meiner Erfahrungen über die prognostisebe
Bedeutung des Urochromogens habe ich dem ‚künstlichen
Pneumothorax eine hohe Bedeutung für die Phthiseotheraple
zugesprochen. In der Tat kaun uns nichts drastischer den
Effekt einer Therapie vor Augen führen, als wenn es gè
lingt, mit der allgemeinen Besserung auch jenes Symptom
verschwinden zu machen, dessen Konstanz unbedingt den
Tod anzeigt. Solche Erfolge wurden mittels des Kun
Pneumothorax erzielt, Und wenn auch diese Therapie Die
nur einen sehr eingeschränkten Wirkungsbereich bei @
') Eine Eprouvette wird bis zu 1/3 mit dem klaren, frischen H
gefüllt, hierauf wird dreimal verdünnt und in zwei Hälften en
einen Hälfte fügt man drei Tropfen einer 1promilligen Permangana f pung
mischt durch und vergleicht mit der anderen. Reine deutliche Gelbfär |
zeigt den positiven Ausfall der Reaktion an. |
29. Dezember.
Phthise hat, so müssen wir sie doch vorläufig wenigstens
als die einzige ansehen, welche — wenn technisch durch-
führbar — in den prognostisch infausten Fällen mit kon-
stanter Urochromogenausscheidung noch Erfolg versprechen
kann. Ä
Das dauernde Vorhandensein des Urochromogens im
Harn ist allgemein als Zeichen einer infausten Prognose
anerkannt. Nicht das gleiche läßt sich von dem gelegent-
lichen Vorkommen dieser Reaktion im Harne sagen. Wenn
man viele Tuberkulosen beobachtet, sieht man, daß bei
akuten Exazerbationen mit Fieber häufig auch das Urochro-
mogen im Harn erscheint, um dann mit der Besserung
wieder zu verschwinden. Ich habe mein besonderes Augen-
merk diesen Fällen zugewendet und bin im Laufe der Jahre
zur Ueberzeugung gelangt, daß auch das gelegentliche
Vorkommen von Urochromogen ein ungünstiges
Zeichen darstellt. Die meisten Kranken, bei denen ich
gelegentlich akuter Nachschübe diesen Körper nachgewiesen
habe, sind schließlich doch ihrem Leiden erlegen. Ich habe
daraus geschlossen, daB das Vorkommen dieses Körpers ein
Zeichen ungenügender Widerstandskraft des Organismus
gegen den Tuberkelbacillus darstellt, somit ein exquisites
Dispositionssymptom ist.
Ich will auch mit einigen Worten die theoretische Seite
der Urochromogenfrage streifen. Auf Grund meiner physio-
logisch - chemischen Untersuchungen bezeichnete ich diesen
Körper als Urochromogen oder Vorstufe des normalen
gelben Harnfarbstoffs. Er ist somit der Ausdruck einer
ungenügenden Oxydation eines schon physiologisch vorhan-
denen Körpers. In der ungenügenden Oxydation dieses
Körpers müssen wir das Zeichen der Erlahmung des Orga-
nismus im Kampfe gegen den Tuberkelbacillus erblieken,
welcher vor allem durch die jeder Zelle eigene Oxydations-
kraft oder, wie man es auch nennen kann, ihre vitalen
Kräfte vernichtet wird. Wenn nun ein Organismus schon
bei relativ geringer Schädigung mit der Ausscheidung dieses
Körpers reagiert, so erblicke ich darin ein Zeichen des Er-
lahmens seines Abwehrvermögens. Daher dürfen wir auch
die gelegentliche Ausscheidung des Urochromogens schon
als Zeichen einer herabgesetzten Widerstandskraft ansehen.
Es schließt jedoch Besserung nicht aus; doch pflegt diese
auf Grund meiner Erfahrungen nur selten von Dauer zu sein.
Daß sub finem vitae das Urochromogen verschwinden
kann, ist leicht begreiflich. Meist zeigt gleichzeitige Ei-
weißausscheidung im Harn eine Nierenschädigung an. Da
bei Nierenschädigungen die Sekretion aller Harnbestandteile
leidet, kommt dem Fehlen des Urochromogens in solchen
Fällen keine Bedeutung zu. Ä
Die anfangs nur diagnostisch verwertete Cutanreak-
tion nach Pirquet hat sich auch von prognostischem
Wert erwiesen. Mit der Progression der Tuberkulose par-
allel geht Abnahme der Reaktionsfähigkeit auf Tuberkulin.
Prognostisch ungünstige Fälle reagieren daher gewöhnlich
nicht mehr nach Pirquet. Umgekehrt beobachtet man bei
prognostisch günstigen Fällen kräftige Reaktionen auf cutan
einverleibtes Tuberkulin. Wenn auch das Fehlen der Cutan-
reaktion bei ausgebreiteter Tuberkulose für die schlechte
Prognose des Falles spricht, so dürfen wir doch nicht den
gleichen Schluß bei inzipienter Tuberkulose ziehen. Es gibt
inzipiente Tuberkulosen, bei welchen die Cutanreaktion fehlen
kann, ohne daß wir deswegen unbedingt eine schlechte Pro-
gnose stellen müssen. Ebenso kann die Reaktionsfähigkeit
bei günstigem Verlauf der Tuberkulose mit der Neigung zur
Heilung abnehmen oder verschwinden. Dies ist nicht bloß
dann der Fall, wenn wir mit Erfolg durch eine Tuberkulin-
behandlung die Reaktion künstlich herabgesetzt haben, son-
dern auch bei spontanem ‚günstigen Ausgange der Tuberku-
lose. Solche Fälle wurden von Cronquist beschrieben, und
ich kann auf Grund meiner Beobachtungen bestätigen, daß
bei Heilung der Tuberkulose die Pirquetsche Probe voll-
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 5%. 2097
ständig verschwinden kann. Das Gros der gutartigen oder
latenten Tuberkulosen zeigt mäßig starke Cutanreaktion.
Meist erhält man mit 100 °/ọ Tuberkulin deutliche, mit 10%,
Tuberkulin eine schwache Cutanreaktion. Deutlich positive
Cutanreaktion auf 10/, Tuberkulin ist gewöhnlich ein Zeichen,
daß sich der Organismus noch im Stadium akuter Abwehr
befindet und ist dementsprechend zu bewerten.
Wie begreiflich, hat man auch versucht, aus dem Spu-
tum, namentlich aus dem Ergebnis der mikroskopischen
Untersuchung prognostische Schlüsse zu ziehen. In dieser
Richtung glaubte man zunächst der Menge der Tuberkel-
bacillen eine Bedeutung beimessen zu dürfen. Diese Erwar-
tungen haben sich nicht erfüllt. Denn es gibt chronische
Formen der Lungentuberkulose, wo das Sputum von Tuberkel-
bacillen wimmelt, und doch ist der Verlauf der Krankheit
gutartig. In diesen Fällen muß man annehmen, daß der
Tuberkelbacillus in eine Art symbiotischen Verhältnisses mit
seinem Wirte getreten ist. Man hat ferner die Lagerung der
Tuberkelbacillen (ob in- oder außerhalb von Zellen) für die
Prognose zu verwerten getrachtet. So hat Löwenstein
das Eingeschlossensein der Tuberkelbacillen innerhalb von
Zellen (die sogenannte Phagocytose) als Zeichen eines mehr
chronischen Verlaufs der Tuberkulose angesehen und auf
Beziehungen der Phagocytose zu Immunitätsphänomenen hin-
gewiesen. Ich habe die Bedeutung der Phagocytose bei der
Lungentuberkulose durch eine Reihe von Jahren verfolgt,
aber in derselben keinerlei prognostisch verwertbares Mo-
ment gefunden. Sie kommt sowohl bei letal verlaufenden,
sowie bei gutartigen Formen vor. Ich habe mir über die
Phagocytose bei der Lungentuberkulose folgende Anschauung
gebildet: Der Tuberkelbacillus ist ein Gewebs- oder Zell-
parasit, wie ihn Bail nennt. Er ist auf Grund seiner biolo-
‘gischen Eigentümlichkeiten, wahrscheinlich seines Sauerstoff-
bedarfs auf die Zelle selbst angewiesen. Daher ist es
von vornherein eher zu erwarten, daß wir ihn in-
als außerhalb der Zelle antreffen und aus diesem
Grunde ist es viel wahrscheinlicher, daß die im Sputum
frei gefundenen Tuberkelbacillen durch den Zerfall von
Zellen frei wurden, als umgekehrt, daß die in den
Zellen gesehenen (phagocytierten) Tuberkelbacillen
aus ihrer Umgebung erst alle durch Phagocytose
aufgenommen wurden. Die vielleicht häufigere Möglich-
keit der Konstatierung der Phagocytose bei chronisch ver- -
laufenden, also mit geringerem Zellzerfall einhergehenden
Formen, würde dieser Auffassung nicht widersprechen. Zur
weiteren Stütze meiner Auffassung der Phagocytose im Spu-
tum führe ich an: 1. daß man in jenen Teilen des Sputums
progredienter Fälle, welche als Gewebsfetzen angesehen wer-
den müssen, nach dem Zerzupfen fast durchweg phagocy-
tierte Tuberkelbacillen sieht; 2. daß aus der Histogenese
des Tuberkels die innige Beziehung des Bacillus zu zelligen
Elementen hervorgeht, indem die für die Tuberkelbacillen-
ansiedlung typische Riesenzelle als Phagocyt bezeichnet wer-
den muß. Es kann unter diesen Umständen kaum anders
erwartet werden, als daß jedes Sputum, sofern es frisch ist,
mehr weniger Zellen mit Tuberkelbacillen, also Phagocy-
tose, zeigt. |
Viel Aufwand an Zeit und Mühe hat man dem Studium
des Blutes bei der Lungentuberkulose. zugewendet, in der
Hoffnung, hier vielleicht einen sicheren Wegweiser für die
Prognose zu finden. Was die Erythrocyten betrifft, so er-
wiesen sich sowohl Zahlen- wie Farbverhältnisse derselben
allzu inkonstant, als daß man damit etwas hätte anfangen
können. Daher wandte man das Augenmerk den Leuko-
cyten zu. In dieser Richtung ergab sich, daß die chronische,
fieberhafte Tuberkulose meist Leukocytose zeigt, wohl als
Ausdruck der die Tuberkulose fast stets komplizierenden
Mischinfektion. Prognostisch war auch damit wenig anzu-
fangen, weil es sich um eine fast stets bei fieberhafter
Tuberkulose feststellbare Erscheinung handelte. Wertvoller
2098 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
29. Dezember,
ITIIÖBRERBRBÖRBRBRnmRaRaRmmaRRzzzRFZFZ za ZZ —————————mnmnaRMÖMÖBF [nn nm nm m m mm m —
waren schon die geänderten numerischen Verhältnisse der
einzelnen Leukocytenarten, welche man konstatieren konnte.
Ich will zunächst die Lymphopenie erwähnen, welcher eine
prognostisch schlechte Bedeutung zukommt. Das Herab-
gehen der Lymphocyten von der normalen Zahl von 25 9/5
auf 15°0/ und darunter ist als Zeichen eines in seiner Wider-
standskraft schwer geschädigten Organismus anzusehen. Den
Lymphocyten kommt sicher eine große Bedeutung im Kampfe
gegen den Tuberkelbacillus zu und ihr Verschwinden ohne
Ersatz ist ein infaustes Symptom. Es gibt jedoch pro-
gnostisch infauste Formen von Lungentuberkulose mit
normaler Lymphocytenzahl. Aehnliches gilt für die eosino-
philen Blutzellen. Das Verschwinden derselben im Verlaufe
der Lungentuberkulose ist ein ungünstiges Symptom, doch:
gibt es Lungentuberkulosefälle mit infauster Prognose, bei
denen die Zahl der Eosinophilen normal sein kann. Wir
können daher auch hier wie bei den Lymphoeyten nur aus
dem Negativen Schlüsse zieben.
Seit Arneth seine Lehre vom neutrophilen Blutbilde
aufgestellt und seine Bedeutung für die Prognose der Lungen-
tuberkulose betont hat, hat man auch den Kernverhältnissen
der neutrophilen Zellen Aufmerksamkeit geschenkt. Das
Wesen der Arnethschen Lehre vom neutrophilen Blutbilde
besteht bekanntlich darin, daß er die neutrophilen Leuko-
cyten je nach der Anzahl der Kerne in sechs Klassen ein-
teilt. Er hat nun bei den Infektionskrankheiten im allge-
meinen und bei der Lungentuberkulose im besondern eine
Verschiebung der Kernverhältnisse in der Richtung konstatiert,
daß bei ungünstigem Verlaufe die weniger kernigen Neutro-
philen gegenüber den vielkernigen überhandnehmen und
dies damit ausgedrückt, daß er sagt, es trete eine Ver-
schiebung des Blutbildes nach links (d. h. gegen die niedrigeren
Klassen) ein. Sie wissen, daß die Arnethsche Lehre trotz
sorgiältiger und zum großen Teil bestätigender Nachprüfungen
sich nicht behaupten konnte, und zwar nicht etwa darum,
weil sie im Prinzip falsch ist, sondern wegen der technischen
Schwierigkeiten, die Kernfragmente mit Sicherheit zu be-
stimmen und wegen des dadurch unvermeidlichen Subjekti-
vismus. Als sicher wird heute nach Schilling-Torgau
und Nägeli anerkannt, daß in den Fällen, wo nach Arneth
eine starke Verschiebung des Blutbildes nach links vor-
kommt, die einkernigen und stabkernigen, das sind unreife.
oder degenerierte Zellen, häufig vorkommen, und daß Arneth
mit seiner Einteilung der neutrophilen Zellen in sechs Klassen
nur zu weit gegangen ist. |
Ich habe das Arnethsche Blutbild bei der Lungen-
tuberkulose einem genauen Studium unterzogen. Nachdem.
ich mannigfache Versuche gemacht hatte, die Kernfragmente
doch einer exakten Zählung unterwerfen zu können, mußte
ich dieses Bemühen aufgeben. Ich habe jedoch aus meinen
Kernstudien der Leukocyten bei der Lungentuberkulose den
wichtigen Schluß ziehen können, daß beim Fortschreiten der
Krankheit ein Schwund der Kernsubstanz in den neutro-
philen Zellen eintritt. Dies äußerte sich nicht nur in der
Abnahme der Kernfragmente im Sinne Arneths, sondern
auch im Auftreten von Kernen, die in ihren Massenyer-
hältnissen gegenüber der Norm als reduziert angesehen
werden mußten. Die schlechtere Qualität der Kerne zeigte
sich häufig auch tinktoriell durch geringeres Aufnahmever-
mögen für Farbstoffe an. Diese Konstatierung, die ich nicht
anders denn als Kernschwund oder Degenerierung der Kerm
substanz bezeichnen konnte, war für mich noch aus einen
andern Grunde von Bedeutung. Seit meinen ersten Unter-
suchungen über das Prinzip der Ehrlichschen Diazoreaktion
habe ich mich bemüht, irgendein histologisch faßbares
Moment dieser Reaktion an die Seite zu stellen. Da ich
dieses Prinzip anfangs von den roten Blutkörperchen ab-
leitete, habe ich diese daraufhin geprüft. Allein weder in
den Erythrocyten, noch in der dem Erythrocytenzerfall ent-
sprechenden quantitativen Ausscheidung des Urobilins, welches
ich im Harn und Stuhle bei Gesunden und schwer Tuberku-
lösen bestimmt habe, konnte ich einen Parallelismus zur
Ausscheidung, des Urochromogens entdecken. Ich habe diese
Bemühungen daher aufgegeben und bin erst durch die
Konstatierung des Kernschwundes bei der progressiven
Lungentuberkulose, also der typisch mit Ausscheidung von
Urochromogen einhergehenden Form, wieder für diese Frage
interessiert worden. Für den Kern als mögliche Quelle des
Prinzips der Diazoreaktion durfte ich auch andere Tatsachen
verwerten. Labb& und Vitry haben mit dem Fortschreiten der
Lungenphthise parallel Steigerung des Verhältnisses zwischen
Purin-, also des den Kernen zum Teil entstammenden Stick-
stoffs, und dem Gesamtstickstoff konstatiert. Weiterhin ist
aus den physiologisch chemischen Untersuchungen zu ent-
nehmen, daß die Ehrlichsche Diazoreaktion durch einen
Histidingehalt ihres Prinzips bewirkt wird. Nach
Kossels und seiner Schüler Untersuchungen ist aber das
Histidin in den Kerneiweißsubstanzen besonders reichlich
enthalten. Unter diesen Umständen ist der Schluß berechtigt,
daß die Ehrlichsche Diazoreaktion respektive die Uro-
chromogenausscheidung wenigstens zum großen Teil aul
Einschmelzung von Kernsubstanzen im Organismus zurückzu-
führen ist. Damit erhält aber der Zellkern für die Prognose
stellung bei der Lungentuberkulose eine Bedeutung un
damit dürften wir vielleicht in der Lage sein, eine Brücke
zu schlagen zu den hereditären und konstitutionellen Ver
hältnissen, in welchen auch heute noch vielfach der deletäre
Verlauf mancher Lungentuberkulose begründet ist.
Abhandlungen.
Aus der Heilstätte für Nervenkranke, Haus Schönow,
Zehlendorf b. Berlin. Ä
(Direktor: Prof. Dr. Max Laehr.)
Ueber Phobien, besonders Platzangst,
ihr Wesen und ihre Beziehungen zu den
Zwangsvorstellungen
von
Dr. med. Max Rohde,
Oberarzt im 7. Rheinischen Infanterieregiment Nr. 69, kommandiert zur Heilstätte.
(Schluß aus Nr. 51.)
M. H.! Ich könnte Ihnen noch viele derartige Fälle an-
führen, sie zeigen aber alle ebenso wie die geschilderten als
Grundlage der Platzangst und Hauptkomponente für ihre Ent-
stehung das erschöpfende Moment sowohl körperlicher als auch
psychischer Art, speziell ein vermindertes Selbstvertrauen, sei es
auf der Basis des konstitutionellen Moments mit innerlichen Auf-
regungen oder der Erschöpfung an sich, die weiterhin auch ideogen
entstanden sein kann, z. B. im Anschluß an einen starken Schreck
und dergleichen, oder auch bedingt durch körperliche Krankheit.
Alle Fälle zeigen weiter, wie auf dem Boden der Erschöpfung
ein erster Anfall auftritt, der meist wohl körperlich bedingt ist,
dem in der Folge dann auch obne diese körperliche p
ponente bei äbnlicher Situation weitere ähnliche Zustände sic
anschließen. Es scheint das bei allen derartigen Phobien mehr
oder weniger der Fall zu sein. So erklärt z. B. auch Donath m
neuester Zeit die Errötungsfurcht, indem er annimmt, dab ein al
geborenes leichtes Erröten besteht, das das Gespött der Umgebung
hervorrufe. Der tiefe Eindruck, welcher dadurch hervorgebfat
und später durch häufige Wiederholung solcher Szenen vorstär
werde, verknüpfe sich nun mit der Angst davor und allm =
mit der Zwangsvorstellung, erröten zu müssen. Diese Zwang‘
vorstellung — obgleich auf der Basis angeborener leichter Ir
motorischer Erregbarkeit entstanden und anfangs mit dem re
und der Angst davor assoziativ verknüpft — habe sich SP
verselbständigt und trete nun auch ohne Erröten auf. Has m
möglich sei, dazu sei eine angeborene psychische Minderwertigb
29. Dezember.
ganz besonders nötig, welche der Emotion gegenüber keine ge-
nügende Widerstandsfähigkeit aufbringen könne. Er findet also
auch zuerst einen begründeten Anlaß und sodann die Furcht vor
Wiederholung, ganz ähnlich wie in meinen Platzfurchtfällen. Ich
glaube aber mit ihm und andern, daß wohl stets eine gewisse
degenerative Anlage, eine Widerstandsverminderung des Nerven-
systems für das Zustandekommen aller Phobien notwendig ist.
‘Hier möchte ich noch kurz auf die Sängersche Asthmatheorie
hinweisen, die viele hierhergehörige Punkte aufweist. Er betont,
daß jedem asthmatischen Anfall Gefühle der Dyspnöe vorhergehen,
die die Erinnerung an frühere Anfälle und die Angst vor solchen
erweckten, wodurch eine Vertiefung der Atmung erzeugt werde
und der Anfall entstehe.e Durch allerlei Gelegenheitsursachen
werde ein Reiz auf die Luftwege ausgeübt, z. B. Gerüche, be-
ziehungsweise würden Erinnerungsbilder geweckt. So erinnere ein
bestimmter Geruch häufig an eine besondere Stimmung, in der
man sich befand, als man den Geruch früher einmal wahrnahm,
und weckte die Erinnerung an frühere Situationen. Es wäre also
nach dieser Theorie auch wieder die Erinnerung an frühere
körperlich bedingte Anfälle, die die späteren auslöst!
Ich persönlich möchte auch für die Entstehung eines andern
Leidens in vielen — wenn auch nicht in allen — Fällen ähnliche
Faktoren in Anspruch nehmen, für ein Leiden, das speziell nach
der Rekruteneinstellung uns Militärärzten viel zu tun gibt; ich
meine die Kategorie der Bettnässer. -Die meisten dieser Leute,
die ich gesehen habe, waren endogen Nervöse, und zwar meist
solche, welche den im Anfang geschilderten Kategorien nahe-
standen, manche auch debil. Das, was mir bei vielen auffiel, war,
daß — wenn ich von Epileptikern und diesen nahestehenden völlig
absehe — erst mit Beginn der Militärzeit das Einnässen hervor-
trat und in der Lazarettbeobachtung oft fortblieb. Ich erkläre
mir das so: In der ersten Zeit nach dem Eintritt beim Militär ist
der Rekrut stark ermüdet, ja, oft wohl übermüdet. So kann es
meines Erachtens sehr wohl vorkommen, daß er einmal vor Ueber-
müdung einschläft und die überfüllte Blase sich entleert. Er hat
also eingenäßt. Der solchen Leuten gegenüber oft barsche Ton
des Korporalschaftsführers, die Neckerei der Kameraden tut ein
übriges.. Wenn er nun ein verschüchterter Mensch ist, der ja
dazu körperlich stark angestrengt ist, so geht er schon mit der
Furcht, es könne ihm wieder passieren, zu Bett, diese Furcht be-
gleitet ihn oft unbewußt in den Schlaf, oft aber auch bewußt, wie
aus Träumen, die mir bei eingehendem Nachforschen berichtet
wurden, hervorging. Aus den Träumen heraus erfolgt ja über-
haupt relativ leicht die motorische Entladung; ich erinnere an die
Pollutionen bei wollüstigen Träumen. So ists hier bei diesen
Bettnässern das Umgekehrte wie bei den Wunschträumen Freuds,
es ist ein Furchtträumen. Aehnlich wie im Dämmerzustande, der
doch auch manche gemeinsame Punkte mit dem Traume hat, oft
das ausgeführt wird, was im Wachen gedacht, aber durch Hem-
mungen unterdrückt wird, so drängt die am Tage künstlich unter-
drückte Furcht vor Einnässen im Schlafe hervor, hier kann er
den Sphincter nicht willkürlich hemmen, so resultiert das Einnässen.
So nehme ich ein erstmaliges, durch Uebermüdung gesetztes Ein-
nässen an, das die Furcht vor Wiederholung setzt, wodurch die
Aengstlichkeit, die Erschütterung des Selbstvertrauens fortschreitet,
und so wäre der Vorgang ein ähnlicher wie bei der Platzangst,
wie bei der Errötungsfurcht und anderem. Es erklärt aber auch,
weshalb oft im Lazarett das Einnässen fortbleibt, bei der Truppe
aber oft wiederkehrt; bei letzterer besteht wieder Uebermüdung
und Furcht vor Neckerei und dergleichen, während im Lazarett,
wo er als krank gilt, beides mehr oder weniger fortfällt. Ich ver-
kenne durchaus nicht, daß es andere Formen des Bettnässens
gibt, daß es z. B. oft geschieht, weil der Betreffende zu faul ist,
aufzustehen; ich halte es auch!) für möglich, daß in manchen
Fällen eine Hypoplasie des Sakralmarks vorliegt, glaube aber
doch, -letztere mehr als Degenerationszeichen auffassen zu sollen:
ich glaube, daß es auch noch andere Möglichkeiten gibt, in
vielen Fällen aber glaube ich doch die geschilderte Genese des
Bettnässens annehmen zu sollen, das ich in den meisten Fällen
als ein Symptom, als Ausfluß einer nervösen Anlage auffasse.
M. H! Dafür, daß man das Bettnässen so deuten kann, dafür
spricht meines Erachtens der Umstand, daß es eine ganz ähnliche
Erkrankung gibt, die ich besonders oft bei Omnibusschaffnern go-
sehen habe, wo eine ganz zwangsmäßige Furcht vor Stuhl-
entleerung als Ausfluß des Erschöpfungsgefühls sich einstellt.
Einer der Fälle sei hier angeführt.
') Worauf Herr Oberstabsarzt Slawyk in der Diskussion hinwies.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
2099
Es handelt sich um den 34jährigen Omnibusschaffner Gustav R.,
der von Jugend an Gewitterfurcht gehabt hat, sehr empfindlich gegen
Tadel war, alles sehr ernst nahm; er war in Freundschaften reserviert,
stets still und bedacht, nicht aufzufallen, etwas überpeinlich, wollte um
keinen Preis irgendwo anstoßen, war leicht verlegen, schüchtern. In
seiner Tätigkeit als Schuhmacher ging es ihm gesundheitlich gut, seit
1903 aber ist er Omnibusschaffner, und dieser Dienst griff ihn sehr an,
speziell der Straßenlärm und der dauernde Verkehr mit dem Publikum, der
seiner schüchternen Natur widerstrebte. Dazu kam das hastige, unregel-
mäßige Essen auf der Haltestelle, wozu er sich noch weniger Zeit lioß,
als er an sich hatte, und endlich hatte er seit 1906 dauernd mit Mittel-
ohrentzündungen zu tün, sodaß er schlechter hörte und oft, was ihm be-
sonders peinlich war, das vom Fahrgast genannte Ziel nicht recht ver-
stand. So bildete sich bei ihm ein Erschöpfungszustand heraus, er fühlte,
wie der Beruf ibn angriff und wie er trotz allen Bemühens ihn nicht
ausfüllen konnte. Seit 1908 hat er nun, sobald er auf der Fahrt ist,
dauernden Stuhldrang; es ist eine Furcht, die nächste Haltestelle nicht
mehr zu erreichen. Dieser furchtbar quälende Drang gebe sich schon
beim bloßen Versuche zur Defäkation, ja, schon auf der Haltestelle.
Während der Fahrt sei ihm im ganzen zweimal etwas Kot abgegangen.
Dieser Stuhldrang trete nur im Dienst auf, zu Hause fehle er völlig, er
sei auch anfangs nicht dagewesen, wenn er an dienstfreien Tagen aus-
ging, jetzt trete er auch dabei auf, weil er doch nicht zu Hause sei.
Der Gedanke des Gebundenseins und die Aussicht, eventuell wieder Kot
unter sich lassen zu müssen, rufe immer wieder Stuhldrang hervor, so-
bald er auf der Fahrt sei. Nebenber einige erklärende, sicher sekundär
entstandene Nosophobien.
Hier finde ich also einen dauernden Stuhldrang als Symbol
einer schweren Erschöpfung. Daß gerade diese Furcht vor Stuhl-
gang besteht, liegt wohl daran, daß infolge des unregelmäßigen,
hastigen Essens tatsächlich im Anfang Beschwerden von seiten
des Magendarmkanals bestanden, die einen quälenden Zustand bei
der Fahrt darstellten. Daran anknüpfend, haftet dieser eine Ge-
danke immer weiter, weil er erschöpft und weniger widerstands-
fähig gegen solche Ideen ist, es resultiert also diese Phobie und
dieser Zustand.
Auch Oppenheim berichtet von ähnlichen Zuständen, der
bei ihnen ebenso wie bei der Agoraphobie „ursprünglich die Furcht
vor einem bestimmten Erlebnis, das Bewußtsein der Hilflosigkeit
als Grundlage“ annimmt. Er meint, daß in den Fällen, in denen
sich „jedesmal im Theater, Konzert, beim Besuch einer Gesell-
schaft, an der Table d’höte, also beim Zusammensein mit vielen
Menschen im geschlossenen Raum ein quälender Harn- oder
Stuhldrang einstellte (Urophobie, Klosettangst usw.), das Uebel
sich in der Weise gewöhnlich entwickle, daß der Drang einmal
unter Verhältnissen auftrat, unter welchen ihm nicht sofort Folge
gegeben werden konnte. Die Erinnerung an diese Situation sei
es, welch6 nun jedesmal unter denselben äußeren Bedingungen die
Vorstellung erwecke, und diese schaffe das Bedürfnis, den quälen-
den Drang, eventuell den Sphincterenkrampf beziehungsweise die
krampfhafte Contraction des Detrusor“. Nun, das deckt sich ja
mit dem geschilderten Falle durchaus.
Damit kehre ich zu meinem eigentlichen Ausgangspunkte,
der Agoraphobie zurück und will hierzu zuerst Westphals Arbeit
aus dem Jahre 1872 zitieren, in der er hervorhebt, daß das Angst-
gefühl für die Kranken keine Ursache habe und daß gleichzeitig,
nicht etwa es begründend, gleichsam als integrierender Bestand-
teil des Angstgefühls im Bereiche des Vorstellens die Vorstellung
einer ungeheuren Breite des Platzes und auch wohl sekundär der
Gedanke auftrete, es könne ihm, während er sich im Zustande der
Angst und Verwirrung befände, irgend etwas zustoßen. Ich glaube,
daß bei dem ersten Anfall, wie erwähnt, die Angst durch ein körper-
liches Moment ausgelöst wird, sei es von seiten des Herzens oder
des Magendarmkanals, welch letzterem ich allerdings nicht die Be-
deutung für das Zustandekommen psychischer Störungen ein-
räumen möchte, wie es Ploenies tut, sei es durch Blendungs-
erscheinungen, durch Hitze und anderes. Ich glaube, daß diesem
einen Anfall die weiteren bei gegebener Situation psychisch be-
dingt folgen. Durch jeden neuen Anfall aber wird der Erinnerungs-
komplex des ersten Anfalls stärker ausgeschliffen und so immer
leichter auslösbar, bis eine Gegensuggestion Halt gebietet. Ich
glaube, daß das Gefühl der Erschöpfung, des verminderten Selbst-
vertrauens, der Furcht, schwach zu werden, zur Entladung drängt,
bis schließlich bei gegebenem Anlaß eine ganz akute Exacer-
bation der Angst einsetzt, die à conto des durch sie gesetzten
Todesgedankens als äußerste Steigerung des Erschöpfungs-
gedankeus zu einem so stark gefühlsbetonten Ereignis wird, daß
in der Folgezeit stets schon bei kleinsten ähnlichen Anlässen ähn-
liche doch mehr psychisch bedingte Anfälle auftreten. So fasse
ich die Platzangst als ein Symptom auf, nicht als eigne Krank-
2100
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK —-Nr. 52.
29, Dezember.
heit, und zwar als Zeichen der Hirnmüdigkeit und einseitiger
Uebererregbarkeit, bei der an den ersten Anfall die weiteren gleich-
sam als Gewöhnungsreflexhandlung und Umsetzung der Phobo-
phobie ins körperliche Gebiet sich anschließen. Es deckt sich das
mit dem, was Cordes schon bald nach Westphal sagte, daß die
Platzangst etwas durch reine Zufälligkeiten Hervorgerufenes sei,
das in seinen Symptomen die größte Aehnlichkeit hat mit andern
Ideenassoziationen, also niemals eine Krankheit für sich sein kann,
sondern nur ein pathologisches Symptom. Die Angst in größeren
Menschenmengen, namentlich innerhalb geschlossener Räume, habe
zum Inhalt und zur Ursache den Gedanken: „Dich trifft der Schlag,
du kommst nicht heraus“, die Platzangst bewege sich in dem Ge-
dankengange: „Du kommst nicht herüber, du fällst um, du wirst
gelähmt“, bei beiden gemeinsam aber werde vorzugsweise der Ge-
danke verarbeitet: „Du machst dich auffällig, die Leute sehen auf
dich und merken dir deinen Zustand an“. Cordes findet bei
seinem reichen Material als Ursache stets die Erschöpfung, auf
dem Boden geistiger Ueberanstrengung, des ausschweifenden
Lebens und langwieriger gastrischer Störungen, er findet stets die
Erschöpfung und faßt die Platzangst als eine Art funktioneller
Lähmung, als einen bestimmten Intensitätsgrad des psychischen
Angstgefühls auf, als eine Erschöpfungslähmung funktioneller Art.
Ich glaube daneben noch ein Moment körperlicher Art heranziehen
zu sollen, indem meines Erachtens & conto der schon vorher be-
stehenden seelischen Labilität auch eine vasomotorische Labilität
besteht, die sekundär mit dem Beginn der Angst sich stärker
geltend macht und sie im Zirkel verstärkt. In dieser Hinsicht
möchte ich aus Westphals Darlegungen noch einen Punkt her-
vorheben, daß er nämlich scheinbar die Platzangst den epileptoiden
Zuständen zurechnet, wenn er hervorhebt: „Unzweifelhaft haben
diese für die äußere Erscheinung so differenten Anfälle von Mi-
gräne, Flimmern, Schwarzwerden vor den Augen, Schwindel, Be-
wußtlosigkeit usw. bis zum ausgebildeten epileptischen Anfalle
oder zu plötzlichen Angstzuständen und krankhaften Willens-
impulsen eine gewisse Verwandtschaft“. Es ist mir insofern inter-
essant, als ich bei den von ihm hier genannten Anfallsvarietäten
stets die gleiche depressive und psychasthenische eventuell intoxi-
katorische Grundlage gefunden habe und als körperliche Kompo-
nente die auch hier meist recht ausgesprochene vasomotorische
Diathese, wie sie entsprechend den engen Beziehungen zwischen
Gemütsbewegungen und eirculatorischen Verhältnissen verständlich
erscheint. Und wenn man, wie ich es kürzlich nachzuweisen ver-
suchte, jene Zustände als den Bratzschen und Oppenheimschen
Affekt- beziehungsweise psychasthenischen Krämpfen nahestehend
auffaßt, so könnte man vielleicht auch bei diesen Angstzuständen
manche gemeinsame Punkte finden, und insofern erscheint es mir
beachtenswert, daß schon Westphal sie zusammen erwähnt. Man
müßte dann aber für die. Angstzustände schon den fortlaufenden
Affekt des verminderten Zutrauens im Unterbewußtsein suchen,
und den auslösenden Affekt, speziell den Todesgedanken dem An-
fall vorausgehen lassen, wogegen doch manches spricht, sodaß ich,
statt eine so komplizierte und fragwürdige affektepileptische Ent-
ladung anzunehmen, die Angstzustände dieser Art abtrennen
möchte. Es ist doch entschieden näherliegend, die Platzfurcht als
Erschöpfungssymptom in dem geschilderten Sinne aufzufassen, wo-.
für ja auch das Vorkommen ähnlicher Zustände bei Erschöpfung
bei chronischen inneren Krankheiten spricht. Anderseits würde
nach den Ausführungen Skliars, die entschieden sehr viel Zu-
treffendes enthalten, doch eine Annäherung der Platzangstzustände
an die affektepileptischen Entladungen gegeben sein. Er rechnet
nämlich die Platzangstzustände und die durch Phobien ausgelösten
Angstanfälle zu den bei Psychopathen auftretenden Dämmer-
zuständen, bei denen ein starker Affekt eine Bewußtseinstrübung
hervorrufe; und dementsprechend findet er folgende Unterscheidungs-
merkmale gegenüber den Zwangszuständen: 1. Vorhandensein eines
ausgesprochenen affektiven Elements, 2. mehr oder weniger starke
Trübung des Bewußtseins während des Angstanfalls, 3. während
des Angstanfalls glaube der Kranke an das, was er infolge der
Angst sich einbilde, 4. Fehlen des Zwangsgefühls im Anfall. Ich
glaube, daß das in vielen Fällen zutreffend ist, glaube aber doch,
daneben an meine obigen Ausführungen festhalten zu sollen.
Im übrigen bin ich damit aber bereits bei der Abgrenzung
gegen Zwangszustände angelangt. Und wenn ich den Unterschied
zwischen Phobien, speziell Platzangstzuständen gegenüber den
Zwangsvorstellungen definieren soll, so sei zuerst hervorgehoben,
daß eine scharfe Unterscheidung sehr schwer ist, weil eben oft
fließende Uebergänge bestehen; und doch gibt es sicher Fälle —
wenn ich indessen stets im Auge behalte, daß es Fälle gibt, wo
Phobien und Zwangsvorstellungen Hand in Hand gehen, sodaß
eine scharfe Trennung unmöglich ist, — wo man einen Unterschied
finden kann. Mit Rücksicht auf die engen Beziehungen zwischen
beiden hat man beide oft zusammengeworfen, und speziell die fran-
zösische Schule hat bei der Bildung dieses neurologischen Sammel-
topfes nicht gerade sehr segensreich gewirkt, indem sie alles, was
irgend wie Zwang aussah, hier zusammenwarf. Einige Klarheit
ist im wesentlichen erst durch Bumkes und Rosenfelds licht-
volle Referate auf der Versammlung südwestdeutscher Irrenärzt
in Karlsruhe 1905 geschaffen, die eine völlige Literaturübersieht
zu diesen Fragen enthalten, sodaß ich hier darauf nicht näher ein-
zugehen brauche. Seitdem hat man doch wieder auf die alte
Westphalsche Definition der Zwangsvorgänge zurückgegriffen.
Diese lautet: „Unter Zwangsvorstellungen verstehe ich solche,
welche bei übrigens intakter Intelligenz und ohne durch einen Ge-
fühls- oder affektartigen Zustand bedingt zu sein, gegen und wider
den Willen des betreffenden Menschen in den Vordergrund des Be-
wußtseins treten, sich nicht verscheuchen lassen, den normalen
Ablauf der Vorstellungen hindern und durchkreuzen, welche der
Befallene stets als abnorm, ihm fremdartig anerkennt und denen
er mit seinem gesamten Bewußtsein gegenübersteht“. Nun, dieser
Definition entsprechen die Angstzustände, speziell die Platzangst
jedenfalls nicht, denn gerade bei ihnen treten die intellektuellen
Vorstellungen entschieden in den Hintergrund, und das, was sie
im Gegenteil charakterisiert, um Oppenheim zu folgen, das ist
die schnelle Umsetzung der Vorstellung oder gar des Sinne:
eindrucks in den Angstaffekt, sodaß er sich gar nicht einer be-
stimmten Idee bewußt werden kann. So hebt auch Bumke her-
vor, daß er nur jene Phobien von den Zwangszuständen trenne, in
denen das Primäre eine Empfindung oder ein Affekt, nicht aber
die Zwangsvorstellung des Nichtkönnens sei. Auch mir erscheint
das als wesentlich. Bei den Platzangstzuständen tritt der Angst-
affekt primär bei gegebenem Anlaß, also bei Alleinsein auf Straßen
usw. auf und löst Erinnerungen an die frühere Situation aus, bei
den Zwangsvorstellungen besteht das Sichaufdrängen der als krank-
haft empfundenen Gedanken zwar oft auch ausgelöst dureh eine
Situation, aber doch auch unabhängig von derselben, und die Angst
stellt sich erst sekundär ein. Beiden gemeinsam ist die Einengung
der geistigen Freiheit und des Handelns, und so will der Kranke
— wie Hecker sagt — sie los sein, die Wahnvorstellung nieht,
um auch diesen Unterschied hier zu streifen. Die Phobien und
Zwangsvorstellungen spielen sich — wenn ich von den Ueber-
gangsfällen absehe — auf verschiedenen Gebieten ab, letztere spe-
ziell im Gebiete der Vorstellungen und ihrer Intensität, die die an
sich zahlreich vorhandenen berechtigenden Urteilsassoziationen keinen
Einfluß auf das Handeln gewinnen lassen, erstere, die Phobien,
dagegen spielen sich rein oder vorwiegend auf affektivem Gebiet
ab, und da jeder Affekt das Denken erschwert, werden Urteils
assoziationen im Moment der Angst verdeckt. ie
= Bei der Platzangst ist das Primäre die Angst, oder sio fällt
mit der Vorstellung zusammen, die sich oft zeitlich nicht vonom-
ander trennen lassen, sie ist der Vorstellung aber zumindest ko-
ordiniert, sie findet Widerhall im erschütterten Selbstvertrauen
und ruft sekundär zwangsmäßig die Unfähigkeit, vorwärtszugehel,
hervor. Anders ist es bei den Zwangsvorstellungen, wo der pri
märe, schon primär als lästig und absurd empfundene Zwang die
Angst sekundär auslöst, weil das auf die Empfindungen der Auben-
welt aufbauende logische Denken, das im Gegensatz zum Platz-
angstanfall im Anfall selbst völlig vorhanden ist, vor den abnorm
intensiven Vorstellungen zurücktritt. So ist der Vorgang Wi
beiden ein anderer. So ist die Genese auch eine andere. Beide
Phobien ist es ein durch allmähliche Erschütterung des Selbstver-
trauens bedingter, lange vorbereiteter Zustand auf meist degene-
rativer Grundlage, bei den Zwangsvorstellungen ist es mehr eie
vis a tergo, sie sind mehr eine Geisteskrankheit bei erhaltenen
Krankheitsbewußtsein, und so mag es nicht Zufall sem,
echte Zwangvorstellungen oft gerade in der Art der eireulären
Form auftreten, sowie im Beginn einer Dementia praecox; OP
Phobien dagegen sind mehr funktionell nervöser Natur Im en
der neurasthenischen Erschöpfung. Und so hebt denn auch y
Thomsen 1895 hervor, wie die Phobien (Aporaphobien) usv. p
deuteropathischen Zwangsvorgängen zugehörten und meist ii
neurasthenischer Basis erwüchsen, während die andern, die ar
pathischen psychischen Zwangsvorgänge als selbständiges Br
heitsbild imponierten. ai
Für die Uebergangsfälle scheint mir die depressive Ko 5
tution die Modifikationsmöglichkeiten zu liefern. Aus hA i
wähnten Unterschieden aber ergibt sich ein Unterschied au
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2101
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
der Behandlung, indem wir die den neurasthenischen Zuständen
mehr zugehörigen Phobien weit eher psychotherapeutisch beein-
flussen können, wie die den psychotischen Zuständen näher-
stehenden Zwangszustände. Das gilt meines Erachtens speziell auch
für die Platzfurcht, und zwar liefern gerade die militärischen Verhält-
nisse hier manche beachtenswerte Gesichtspunkte. Auch im militäri-
schen Leben gibt es,so absonderlich es zuerst klingen mag, ein Beispiel
von Platzangst, wie es markanter kaum gedacht werden kann, denn
sie überfällt hier nicht den Einzelnen, sondern ein ganzes Heer,
dessen Zutrauen zu sich ebenso wie bei der Platzfurcht des Ein-
zelnen erschüttert, das durch körperliche Strapazen erschöpft ist,
ich meine den „panischen Schrecken“.
Ich will hier nicht von der Aengstlichkeit der Rekruten
sprechen, wie sie bei vielen durch das Eingewöhnen in die unge-
wohnte straffe Disziplin bedingt ist, obwohl auch hier schon
manche beachtenswerte Züge hervortreten: ich erinnere z. B. daran,
wie so mancher, wenn er über ein Hindernis springen soll, vor
demselben stutzt und trotz Androhung von Gewaltmaßregeln nicht
vorwärts zu bekommen ist, sondern ich will zunächst von der
Furcht im Kriege kurz sprechen. Der Krieg als solcher stellt
hohe Anforderungen an den einzelnen, an sein Verantwortlichkeits-
gefühl, seinen Willen. Dieser feste Wille aber ist bei Psycho-
pathen nicht vorhanden, er muß vielmehr gelenkt werden. So
aber ist es möglich, daß ein Soldat auf einsamem Posten nachts
allein zumal im Kriege seine Besonnenheit verliert, wo alle mög-
lichen Gedanken auf ihn einstürmen, sodaß er schließlich zwangs-
mäßig seinen Posten verläßt, wie es so deutlich z. B. „Das Grab
auf der Heide“ schildert. Der Wille ist eben oft eine Folge von
Umständen. So ist es hier eine motorische Angstentladung, zu-
gleich verstärkt durch positive Gefühlstöne, die das Leben, die
Rettung, das Zurückliegende besonders hoch erscheinen lassen.
Dasselbe, was hier die erregte Phantasie dem Einzelnen beim Allein-
sein vorspiegelt, kann ihm auch in der Menge, im Gefecht passieren,
und dann kann der Einzelne sehr viel schaden. Und je nachdem
bei ihm — analog den Platzangstfällen, die ich vorführte —
der Trieb nach Leben oder die lähmende Furcht überwiegt, bleibt
er stehen, und läßt sich von dem anstürmenden Feinde wehrlos
niedermetzeln, oder er flüchtet andernfalls und reißt eventuell die
Menge mit sich. Die Hauptmerkmale des in der Masse befind-
lichen Individuums sind, wenn ich Gustave Le Bon folge:
Schwund der bewußten Persönlichkeit, Vorherrschaft der unbe-
wußten Persönlichkeit, Orientierung der Gefühle und Gedanken in
derselben Richtung durch Suggestion und Ansteckung, Tendenz
zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen. Das
Individuum sei nicht mehr es selbst, es sei ein willenloser Auto-
mat geworden.
Nun, der, der den Automaten in Bewegung setzt, ist der
Vorgesetzte, auf den der Mann im Drange des Gefechts sehen soll
(siehe Exerzierreglement). Die Führung ist also das wesentliche;
wenn nun aber die Verluste so stark sind, daß kein Führer mehr
da ist, wenn auch nur für Momente, wenn die Schlacht tobt und
die Mannschaften erschöpft sind, so vermag, wenn einer die Flucht
ergreift, dies die andern mitzupacken; gerade Verzagtheit steckt
‘an, einer sucht am andern Halt, wie es ja auch bei den Angst-
zuständen Nervöser hervortritt. So kann sich das Beispiel fort-
pflanzen, der erste Flüchtige wird zum Führer und suggeriert der
Masse die Flucht, vielleicht ohne erheblichen Anlaß. Es ist der
aufschießende Todesgedanke, der Trieb nach Leben bei Erschöpften,
genau wie in den geschilderten Fällen von Platzangst: es entsteht
der „panische Schrecken“, den Henry „als eine plötzliche heftige
Abspannung, als einen Anfall oft ganz unerklärlicher toller Angst“
erklärt, „der eine ganze Truppe befalle, sich mit Blitzeseile ver-
. breite und sie in einen Schwarm von Fliehenden verwandle*.
Auch Henry führt als Grundursache Entbehrungen und Mangel
an genügendem Schlaf an, der die Truppe an die äußerste Grenze
der nervösen Ueberreizung gebracht habe.
„Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf,
Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun,
Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette
Und läßt sich würgen ohne Widerstand“,
so schildert Schiller den panischen Schrecken. Und damit hat er
bis zu gewissem Grade wohl recht, wenn die Furcht schon zu
weit vorgeschritten ist. Anderseits weist Campeano in seiner
Militärpsychologie darauf hin, wie Cäsar einst sein Heer, das sich
in voller Flucht befand, doch zum Siege führte, indem er einen
vorausfliehenden Fahnenträger mit Gewalt zum Feinde drehte und
mit erhobener Stimme anrief: „Du irrst dich, mein Freund, in
dieser Richtung mußt du laufen!“ Damit aber ist für viele Fälle
von Platzangst für uns Aerzte die Behandlung gegeben. Beim
Heilen des panischen Schreckens muß ein Mensch sein Ueber-
gewicht geltend machen, das ist ein Mensch, der dies im ge-
gebenen Moment tut; beim Kranken ist es der Arzt. Der Unter-
schied ist der, daß beim panischen Schrecken es der erste Angst-
anfall ist, so kann im ersten Anfall jeder weitere sofort erstickt
werden, unsere Platzangstkranken kommen dagegen erst zu uns,
wenn der Anfall oder gar schon mehrere vorbei sind. Dort ist
der Todesgedanke in partu erstickt, hier hat er sich nach der
Geburt als lebensfähig schon eingenistet. So wurzelt hier die
Phobie schon fest. So genügt aber hier auch nicht ein einmaliges
Eingreifen, sondern, wo schon Gewöhnung besteht, muß die Gegen-
gewöhnung eintreten, unter dauernder Geltendmachung des Ueber-
gewichts des Arztes. l
So gehen wir demnach auch mit unsern Platzangstkranken
vor, und der Erfolg lehrt uns, daß wir recht haben. Wir ge-
wöhnen unsere Platzangstkranken, wie eg übrigens andere auch tun,
daran, zuerst kleine Wege, dann größere Wege zu machen, zuerst
mit andern, dann allein, dann kommen Bahnfahrten an die Reihe,
kurz, wir steigern allmählich die Anforderungen. Es liegt dabei
auf der Hand — und darin liegt eine Einschränkung —, daß der
Erfolg zum Teil abhängig sein muß von der psychischen Beein-
flussungsmöglichkeit und damit von dem Grad der degenerativen
Grundlage beziehungsweise des Defekts (Imbeeillität, eventuell
auch wiederum beginnende Dementia praecox). Im übrigen wird
entsprechend der Aetiologie mit besonderer Erschöpfung stets eine
Beseitigung derselben mit der geschilderten systematischen Er-
ziehung des Selbstvertrauens, das seinerseits wieder den Todes-
gedanken zurückdrängt, Hand in Hand gehen müssen; in manchen
Fällen wird auch schon die Beseitigung der Erschöpfung allein
ausreichen, die Platzangstzustände zu beseitigen.
M. H.! Aus dem Beispiel des panischen Schreckens und
der Bedeutung, die eventuell ein Psychopath mit Angstzuständen
dabei haben kann, erleuchtet meines Erachtens die Bedeutung,
solche Elemente frühzeitig aus dem Heere auszumerzen, und
gerade Psychastheniker erscheinen mir besonders gefährlich wegen
der Neigung zu Phobien, die unter den gesteigerten Anforderungen
des Krieges an die an sich geringe körperliche und geistige
Leistungsfähigkeit nur zu leicht exacerbieren können. Aus diesem
Grunde halte ich es nicht für angängig, den Militärdienst als
Heilmittel für Nervöse zu empfehlen, wie es leider oft genug ge-
schieht. Unter günstigen Verhältnissen mag der Militärdienst im
Frieden vielleicht manchen Nervösen nützen; ich glaube aber
nicht, daß er den gesteigerten seelischen und körperlichen
Strapazen eines langen Krieges für die Dauer gewachsen ist.
Ich kenne, um bei diesem Beispiel zu bleiben, manche Platzfurcht-
kranke, die noch jetzt in der Reserve stehen; ich sehe darin eine
Gefahr für den Kriegsfall, sei es für den Eintritt nervöser
Störungen schwererer Art, sei es in dieser auf Erschöpfung sich
aufbauenden speziellen Form, die ja im Zusammensein mit der
Truppe, wenn er nicht selbständig ist, oft gar nicht aufzufallen
' braucht oder mit der milden und doch so falschen Bezeichnung
der reinen Aengstlichkeit abgetan wird.
Literatur: 1. Bericht über die 36. Versammlung der südwestdeutschen
Irrenärzte am 4. und 5. November 1905 in Karlsruhe. (Allg. Zt. f. Psych.
[Laehr] 1906, Bd. 63, S. 187—148.) — 2. Bumke, Was sind Zwangsvorgänge?
(Halle i906, Marhold.) — 3. Le Bon, Psychologie der Massen. (Deutsch von
Eisler. Leipzig 1912) — 4. Oampeano, Versuch einer Militärpsychologie.
(Bukarest 1904.) — 5. Cordes, Die Platzangst (agoraphonioh. Symptom einer
— 6. J. Do
Erschöpfungsparese. (A. f. Psych. 1872, Bd. 38.) nath, Ueber
Ereuthophobie (Errötungsfurcht). (Zt. f. ges. Neur. u. Psych. [Alzheimer-Lewan-
dowski] 1912, Orig.-Bd. 8.) — 7. H. Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrank-
heiten. 5. Aufl. 1908.) — 8. Ploenies, Das Vorkommen und die ursächlicheu
Beziehungen der psychischen Störungen, besonders der Zwangsvorstellungen und
Hallucinationen bei Magenkrankheiten usw. e f. Psych. [Siemerling] 1910,
Bd. 46.) — 9. M. Rohde, Zur Genese von „Anfällen“ und diesen nahestehenden
‚Zuständen bei sogenannten Nervösen. (Zt. t. ges. Neur. n. Psych. [Alzheimer-
Lewandowski] 1912, Orig.-Bd. 10.) — 10. Sänger, Ueber Asthma und seine
Behandlung. (Berlin 1910.) — ii. Skliar, Zur Psyohopathologie und klinischen
Stellung der Zwangszustände. (Allg. Zt. f. Psych. [Laehr] 1909, Bd. 66.) —
12. Staehelin, Entstehung und Behandlung des Asthma bronchiale. (Jahresk.
f. d. ärztl. Fortbild. 3. Jahrg. 1912.) — 13. Thomsen, Zur Klinik und Aetio-
logie der Zwangserscheinungen, über Zwangshallucinationen und über die Be-
ziehungen der Zwangsvorstellungen zur Hysterie. (A. f. Psych. emerling]
1908, Bd. 44.) — 14. Derselbe, Klinische Beiträge zur Lehre von den Zwangs-
vorstellungen und verwandten psychischen Zuständen. (Ebenda 1895, Bd. 27.)
— 15. C. Westphal, Die Agoraphobie, eine neuropathische Erscheinung.
(Ebenda 1872, Bd. 3.) — 16. Th. Ziehen, Physiolog. Psychologie. 8. Aufl. 1908.
2102 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
29, Dezember
Berichte über Krankheitsfälle und Behandlungsverfahren.
Aus dem Carolinenstift zu Neustrelitz.
Zur Kenntnis der akuten hämorrhagischen
Pankreatitis')
von
San.-Rat Dr. Hellwig,
dirigierender Arzt in Neustrelitz.
Im letzten Sommer hatte ich Gelegenheit, zwei Fälle von
akuter, hämorrhagischer Pankreatitis kurz nacheinander zu beob-
achten, die mir in Anbetracht der Seltenheit und Eigentümlichkeit
des Krankheitsbildes der Veröffentlichung wert erscheinen. Vor-
her sei es mir erlaubt, mit einigen Worten auf die Symptome, die
pathologisch-anatomischen Veränderungen und die Aetiologie dieser
seltsamen Krankheit hinzuweisen, die schon 1898 von Körte?) in
seiner ausgezeichneten Monographie über die Erkrankungen des
Pankreas scharf beschrieben worden ist. -
Die Krankheit tritt meist ganz plötzlich auf unter dem Bild
einer heftigen Kolik der Oberbauchgegend bei fettreichen
Personen, in deren Vorgeschichte man fast immer Gallenstein-
anfälle verzeichnet findet. Daher gilt der neue Anfall zunächst
für eine der gewohnten Gallensteinkoliken, doch folgt ihm rasch
ein äußerst schwerer Kollaps, und in den nächsten Tagen pflegen
sich Zeichen von allgemeiner Peritonitis einzustellen, Erbrechen,
Auftreibung und Druckempfindlichkeit des Leibes, Darmlähmung,
Herzschwäche. Unter diesen Erscheinungen gehen die Kranken
in der Mehrzahl der Fälle rasch zugrunde.
Der pathologisch-anatomische Befund ist höchst eigen-
tümlich: Es finden sich in der Bauchhöhle neben den Zeichen der
allgemeinen Peritonitis, neben einem serösen oder blutig-serösen
Exsudat, im intraperitonealen Fette, besonders im Netz, überall
verstreut zahlreiche gelbweiße, opake, linsen- bis bohnengroße
Herde, Fettgewebsnekrosen, ein Bild, das man nicht leicht
vergißt, wenn man es einmal gesehen hat. Das Pankreas ist
meist vergrößert, mit Hämorrhagien und Fettgewebsnekrosen
durchsetzt; häufig sind auch größere Teile der Drüse selbst
nekrotisch oder man findet eine von hämorrhagischer oder jauchiger
Flüssigkeit erfüllte Höhle an ihrer Stelle.
Ueber die Astiologie dieser seltsamen Erkrankung herrscht
noch keine vollkommene Einigung. Nach Ponfick?) entstehen
durch bakterielle Einwirkung zunächst die Fettgewebsnekrosen,
sekundär erst die Entzündung des Pankreas. Die neueren Autoren
neigen mehr der Ansicht zu, daß die Fettgewebsnekrosen durch
die aus dem Pankreas. austretenden Fermente zustande kommen‘),
Voraus geht die Entzündung des Organs, hervorgerufen wohl
meist durch Sekretstauung oder, mit andern Worten, durch Ver-
engung des D. Wirsungianus (Arnsperger)°). Infektionen, die
von seiten der entzündeten Gallenwege eindringen, spielen hierbei
wohl eine wichtige Rolle. Auffallend ist es doch, daß man die
akute Pankreatitis fast stets in Gemeinschaft mit Gallensteinen
findet. Daß außerdem die Lipomatosis ein prädisponierendes
Moment darstellt, wird allgemiein angenommen. Wir hätten uns
den Weg der Erkrankung also folgendermaßen vorzustellen: Ent-
zündung im Ausführungsgang, übergreifend auf das Organ selbst,
Hämorrhagien in der Drüse, Fettgewebsnekrosen infolge der aus-
tretenden Pankreasfermente, größere Einschmelzungen innerhalb des
Organs, Durchbruch in die Bursa omentalis und allgemeine Peritonitis.
Die Therapie ist leider in vielen Fällen machtlos. Kommt
der Kranke frühzeitig in chirurgische Behandlung, so ist es ge-
boten, die Bauchhöhle sogleich zu eröffnen und wenigstens für
Entfernung des Exsudats Sorge zu tragen. Wenn es der Zustand
des Kranken noch irgend erlaubt, soll man das Pankreas selbst
freilegen und die durch die Nekrosen geschaffenen Höhlen tam-
ponieren. Der beste Weg dazu führt durch das Ligamentum
gastrocolicum. Körte®) ist bei der Diskussion in Brüssel 1911
energisch für die Frühoperation eingetreten.
1) Nach einem Vortrage, gehalten im Südost-Mecklenburgischen
Aerztevereine zu Neustrelitz am 27. Oktober 1912.
2) Deutsche Chirurgie, Lief. 45, D. 1898.
3) Ponfick, Beitrag zur Lehre von der Fettgewebsnekrose. (Bibl.
med. 1903, Nr. 112. u
4) Guleke, Die neueren Ergebnisse in der Lehre der akuten und
chronischen Erkrankungen des Pankreas usw. (Erg. d. Chir. u. Orth, 1912.)
5) Arnsperger, Die Entstehung der Pankreatitis bei Gallensteinen.
(M. med. Woch. 1911, Nr. 14.)
6) Körte, 8. Kongreß d. Intern. Gesellschaft f. Chirurg., Brüssel 1911.
In den beiden von mir beobachteten Fällen kam leider die
chirurgische Hilfe zu spät. Beide betrafen Frauen, kräftige, fett,
reiche Personen.
I. Frau L., 35 Jahre, Aufnahme 30. Juni 1912. t 1. Juli 1919,
Patientin hat früher viel an kolikartigen Schmerzen in der rechten
Seite gelitten .(Gallensteinkoliken?). Vor etwa 14 Tagen wieder starke
Kolikschmerzen in der rechten Seite, nach einigen Tagen Besserung, Vor
drei Tagen plötzlich Kollaps und Schmerzen in der linken Seite das
Leibs mit Erbrechen. Die Schmerzen im Leibe bestehen seitdem. Das
Erbrechen wiederholte sich mehrmals.
Status: Kräftig gebaute, korpulente Frau, im ganzen sehr matt,
Puls klein, frequent (132). |
Abdomen aufgetrieben, gespannt, überall druckempfindlich, links
mehr als rechts. Keine Dämpfung, keine bestimmte Resistenz.
Kurz nach der Aufnahme Operation in Avthernarkose, Zunächst,
um den Wurmfortsatz zu revidieren, Schrägschnitt rechts unten. Gelbes,
klares, geruchloses Exsudat, Serosa überall entzündet, Coecum nicht er-
reichbar. Längsschnitt durch den M. rectus d. in der Gallenblasengegend.
Im Netz .und übrigen Bauchfette zahlreiche Fettgewebs-
nekrosen. Gallenblase frei, ohne Adhäsionen, glatt, Steine nicht zu
fühlen. Tamponade nach der Gegend des Pankreas zu,
1. Juli früh 5 Uhr Exitus.
Autopsie: Pancreatitis acuta haemorrhagica. Pankreas zum Tal
in Nekrose begriffen. Sehr ausgedehnte Fettgewebsnekrosen in der
Bauchhöhle. Gallengänge frei. In der Gallenblase sieben kleine Steine,
Peritonitis diffusa.
II. Frau B., 57 Jabre, Aufnahme 8. Juli 1912. 7 10. Juli 1912,
Vor sechs Jahren ein Anfall von kolikartigen Schmerzen in der
rechten Seite des Leibs mit Gelbfärbung der Haut. Ende Januar dieses
Jahres zweiter Kolikanfall, ohne Ikterus. Seit Anfang Juni Klagen über
Schmerzen in der rechten oberen Bauchgegend, die Ende Juni sehr heftig
wurden. Dabei wieder Gelbfärbung, die bald zurückging. Seit zwei
Tagen soll Patientin unklar sein und fiebern.
Status: Kräftig gebaute Frau in gutem Ernährungszustand,
Puls klein, beschleunigt, Temperatur 37,4°. Sensorium benonmen. Kein
Kterus, Abdomen aufgetrieben, gespannt.
Gallenblasengegend sehr schmerzhaft, Gallenblase nicht palpabel,
Urin frei von Eiweiß und Zucker.
Behandlung in der Annahme, daß es sich um eine abklingende
Cholecystitis handelte, zunächst abwartend. Da aber der Zustand sich
nicht bessert, vielmehr Temperatur und Puls ansteigen, 10. Juli Opors-
tion in Narkose. Längsschnitt in der Mittellinie. Seröses Exsudat. Im
Netz zahlreiche Fettgewebsnekrosen. Beim Auseinanderdrängen
der Därme entleert sich unter dem Colon transversum eine große Höhle,
gefüllt mit trüber, hämorrhagisch gefärbter, mit kleinen grauen Körnchen
durchsetzter Flüssigkeit. Tamponade dieser Höhle und der Bauchhöhle
Patientin sehr matt.
Exitus einige Stunden nach der Operation.
Autopsie: Pancreatitis acuta haemorrhagica. Pankreas gröbler-
teils zerstört. Sehr viele Nekrosenherde im Bauchfette. In dor Gallen-
blase einige Steine. Peritonitis diffusa. ,
In beiden Fällen waren der akuten Pankreatitis zahlreiche
Gallensteinkolikanfälle vorausgegangen und fanden sich bei der
Autopsie Konkremente in der Gallenblase. Der Beginn war beide
Male ganz akut, im ersten Falle mit tiefem Kollaps, im zweiten
unter den Erscheinungen einer schweren Allgemeinvergiftung mt
Benommenheit des Sensoriums. Rasch setzten bei beiden Kranken
die Symptome allgemeiner Peritonitis ein, daher war der ungünstige
Ausgang trotz ausgiebiger Tamponade nicht mehr abzuwenden,
Die intraperitoneale Fettgewebsnekrose war in beiden Fällen sehr
weit ausgebreitet.
Die Schlußfolgerung aus diesen beiden Beobachtungen fasse
ich dabin zusammen: Man soll bei Patienten (besonders bel Fett-
leibigen), die mehrfach an Gallensteinkoliken gelitten haben um
plötzlich an einem sehr heftigen Anfalle mit Kollaps und Schmerzen
in der Oberbauchgegend erkranken, an die akute hämorrhagiseht
Pankreatitis denken. Die beste Hilfe würde in sofortiger Lapatt
tomie, Freilegung und Tamponade des Pankreas bssteben.
Zur Behandlung von Herzneurosen
von
Oberstabsarzt a. D. Dr. Schurig, Berlin.
Die Behandlung von Herzneurosen gehört noch recht ob m
den undankbaren Aufgaben des Arztes. So mögen denn emg
Angaben über Behandlungsmethoden, die sich mir recht oft als
nutzbringend und erfolgreich bewährt haben, hier Platz finden.
i In erster Linie bevorzuge ich die Hochfrequenzbehandiang
Freilich liest und hört man, daß diese Ströme von derartigen Kran
HERE.
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29. Dezember.
nicht vertragen werden, ja sogar nicht unerhebliche Verschlimme-
rungen hervorbringen können. Für die Hochfrequenzbehandlung,
wie sie bisher im allgemeinen geübt wurde, kann ich dieses ab-
fällige Urteil durchaus bestätigen. Denn sie wird meist rein sche-
matisch und viel zu stark vorgenommen und wird oft genug dem
ärztlichen Hilfspersonal überlassen. Nach meiner Erfahrung ist
genaueste Dosierung und Individualisierung unbedingt erforderlich,
wenn man gute Erfolge haben will. Ich benutze den doppelpoligen
Hochfrequenztransformator von Reiniger, Gebbert und Schall
und habe. sowohl an der Funkenstrecke wie an den beiden Scheiben
Marken gezeichnet, nach denen die Stromstärke bei jedem ein-
zelnen Patienten genau vermerkt wird. Man muß nun, am besten
im Dunkeln, an seinem Apparat ausprobieren, bei welcher Stellung
der Funkenstrecke und bei welchem Scheibenstande es gerade noch
gelingt, Funken bei der Versuchsperson nachzuweisen. Zu Beginn
der Behandlung rate ich die schwächsten Ströme zu verwenden
und anfänglich nur wenige Minuten zu behandeln und erst dann,
wenn die Behandlung nicht aufregend wirkt, allmählich zu steigern.
Man wird dann bald das Optimum bezüglich der Stärke des Stromes
wie der Behandlungsdauer finden und kann als Leitstern für die
Behandlung die Einwirkung auf den Schlaf ansehen. Es ist in
einer großen Anzahl von Fällen geradezu erstaunlich, wie schnell
und sicher es gelingt, den schon lange unruhigen und ungenügenden
Schlaf zu bessern. Dieser Schlaf ist ein gesunder und fester und
läßt sich durebaus nicht mit dem durch ein Schlafmittel erzeugten
vergleichen. Er ist vielmehr als ein gutes Anzeichen dafür an-
‘zusehen, daß das gestörte und geschwächte Nervensystem sich zu
kräftigen beginnt. Sollten während der Behandlungsdauer irgend-
welche Störungen des Schlafes oder seitens des Herzens infolge zu
starker oder zu langer Anwendung der Hochfrequenzströme ein-
treten, dann setzt man am besten mit der Behandlung für einige
Tage aus. Ist dagegen der Schlaf fester und ruhiger geworden,
und hat sich das Allgemeinbefinden gebessert, dann kann man mit
einer vorsichtigen Herzbehandlung nach Rumpf beginnen, auch
hier streng individualisierend und Erregungen des Herzens ver-
meidend. Treten letztere ein, dann muß man auch hier sie erst
abklingen lassen, bevor man weiter behandelt. Ich habe den Ein-
druck, als ob solche Erregungen durchaus nicht schädlich sind,
im Gegenteil, als ob nach dem Ablauf der Erregungen das Herz
ruhiger und kräftiger arbeitet. Behandelt man auf diese Weise
vorsichtig und streng individualisierend, dann wird diejenige Zahl,
die von der Hochfrequenzbehandlung keine Vorteile haben, recht
erheblich zusammenschmelzen. Hinzugefügt sei noch, daß alle diese
Patienten nur einpolig mit der gewöhnlichen Glaskondensator-
elektrode behandelt wurden. Doppelpolige Behandlung oder starkes
Aufladen (z. B. mit beiden Füßen auf eine an die Scheiben ange-
schlossene Fußplatte) bringen nur starke Aufregung zustande, auch
habe ich von der Behandlung mit Vakuumelektroden, einpolig wie
doppelpolig, keinen Erfolg gesehen. Günstiger wirkt schon die
Solenoidbehandlung, doch steht sie der zuerst erwähnten Methode
erheblich nach.
Zweitens möchte ich auf eine systematische Atemgymnastik,
eventuell verbunden mit Freiübungen, hinweisen, da dieses Ver-
fahren nach meiner Meinung noch lange nicht genug gewürdigt
wird. Von der Art der Ausführung, die von Fall zu Fall be-
stimmt wird, sei nur folgende erwähnt: Rückenlage, Oberkörper
frei und unbehindert. Es folgen zuerst fünf tiefe und ruhige Ein-
und Ausatmungen, dann nach einer kleinen Pause von ein bis
zwei Minuten werden diese fünf Ein- und Ausatmungen wiederholt,
jedoch mit der Abänderung, daß auf der Höhe der Einatmung
wie am Ende der Ausatmung eine kleine Pause (der Betreffende
muß langsam in Gedanken bis fünf, später mehr zählen) einge-
schoben wird. Diese Atmung vermag die gesteigerte Pulszahl
auf vier bis sechs, ja bis zehn und mehr Schläge herabzusetzen.
Und läßt man etwa nach fünf bis zehn Minuten diese Atmung
wiederholen, . dann gelingt oft eine weitere Verminderung der er-
höhten Pulszahl. Bei sehr geschwächtem Herzen und bei starker
Arteriosklerose ist natürlich Vorsicht am Platze. Sehr empfehlens-
wert in geeigneten Fällen ist die von Rumpf angegebene Zwerch-
fellatmung, die darin besteht, daß bei der Einatmung der obere
Teil des Brustkorbs festgehalten wird, während das Zwerchtell
nach unten tritt und das Herz von den es bedrängenden Organen
befreit. Letztere Atmung ist sehr schwer zu lernen, ganz be-
sonders von Frauen. Wird diese Atmung gut ausgeführt, dann
wird ein nicht unerheblicher Druck auf die Baucheingeweide aus-
geübt, der als Nebenwirkung die nicht unerwünschte, oft sogar
erstrebte Beförderung des Stuhlgangs und der Blähungen zur
Folge hat. |
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52, 2103
Weiter möchte ich bei allen Herzneurosen eine genaue Unter-
suchung der Schilddrüse anraten. Ich verfüge jetzt über drei
Fälle von hochgradig nervösen und aufgeregten Frauen, bei denen
die sonst üblichen Mittel völlig versagten und bei denen die Schild-
drüse nur in ganz geringem Grade vergrößert war, ohne daß sonst
Zeichen von Morbus Basedowii bestanden. Bei allen dreien hat
die Röntgenbehandlung (eine Erythemdose auf zwei oder drei
Sitzungen verteilt) einen ausgezeichneten Erfolg erzielt. Die Frauen
wurden ruhiger, arbeitsfähiger und verloren fast alle ihre Be-
schwerden. Allerdings mußte die Erythemdose bei zweien mehr-
fach gegeben werden. Auch Florence Ada Stoney!), die 48
Fälle von Morbus Basedowii mit Röntgenstrahlen zum größeren
Teil erfolgreich behandelt hat, glaubt, daß in vielen Fällen von
Neurasthenie, die an einen leichten Basedow erinnern, die Be-
strahlung der Schilddrüse gute Dienste leisten wird.
Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß bei Herzneurose
Ruhe und Liegekur viel energischer und eindringlicher empfohlen
werden sollte, als es im allgemeinen geschieht. Denn in den
meisten Fällen, wenn nicht iu allen, liegt nach meiner Meinung
der Herzneurose bereits Herzschwäche, wenn auch nur ganz leichten
Grades, zugrunde. Dementsprechend verordne ich Ruhe, wenig
Bewegung, Liegekuren draußen im Garten, Loggia oder Balkon
auch im Winter mit gutem Erfolg.
Aus der Ohrenklinik des Städtischen Krankenhauses Frankfurt a.M.
(Direktor: Prof. Dr. O. Voß).
Erfahrungen mit Riba-Malz bei Operierten
von
Dr. Caesar Hirsch, I. Assistenzarzt der Klinik.
Hohe Anforderungen an das therapeutische Handeln des
Chirurgen werden oft gestellt, wenn es gilt, die von ihm gesetzten
Wunden zu heilen und er braucht hierzu nicht nur den gesamten
Apparat chirurgischer Technik, sondern muß auch die Hilfsquellen
der inneren Medizin heranziehen, um Patienten, die durch ein-
greifende Operationen entkräftet sind, wieder hochzubringen. Ganz
besonders wichtig ist dies in der Otochirurgie, wo während der
Operationen am Knochen eine exakte Blutstillung nur unvoll-
kommen möglich ist und die Öperierten deshalb in den ersten
Tagen nach der Operation durch den großen Blutverlust sehr ge-
schwächt sind.
Wir hatten nun schon längere Zeit bei unsern ÜOperierten
verschiedene Nährpräparate verabreicht, allerdings häufig mit wenig
sichtbarem Erfolge. Gerne machten wir daher von dem uns von
den Riba-Werken angebotenen Riba-Malz Gebrauch, um so mehr
als von verschiedener Seite (v. Noorden, Braitmeyer) beob-
achtet worden ist, daß nach Darreichung von Riba-Malz nicht nur
das Körpergewicht sehr zunahm, sondern auch bei Anämischen der
Hämoglobingehalt des Bluts bedeutend in die Höhe ging. |
Ueber den Charakter des Präparats sei kurz folgendes er-
wähnt. Riba ist ein aus frischen Seefischen hergestelltes, in
Wasser vollkommen lösliches Albumosenpräparat (aufgeschlossenes
Eiweiß). Das Riba-Malz ist eine Verbindung von sechs Teilen.
Riba mit vier Teilen trocknem Malzextrakt (aufgeschlossene Kohle-
hydrate).
Wir haben bei einer Reihe von Patienten, die zum Teil sehr
schwere Operationen durchgemacht hatten und in verschiedenem
Lebensalter standen, nach der Operation Riba-Malz gegeben und
bei ihnen vor der Operation, 24 Stunden darnach und dann alle
acht Tage Blutuntersuchungen vorgenommen, während das Körper-
gewicht alle drei Tage festgestellt wurde. Bei einer Anzahl an-
derer Patienten, die unter denselben Bedingungen (gleiches Alter,
gleiche Operation, gleiche Jahreszeit und gleiche Ernährung) stan-
den, wurden Kontrolluntersuchungen gemacht. In einigen Fällen
wurde mit Riba-Malz rascher der frühere Hämoglobingehalt des
Bluts erreicht als ohne Riba; die Zahl der hierhergehörigen Fälle
ist jedoch zu gering, um hieraus bindende Schlüsse ziehen zu
können. Dagegen war fast bei allen Riba-Patienten eine starke
Gewichtszunahme zu verzeichnen, bei einzelnen Kranken in so
hohem. Grade, wie wir es nie vorher beobachtet hatten.
So nahm z. B. ein 15jähriges Mädchen innerhalb sechs Wochen
nach der Operation um 14 Pfund, ein 12jähriger Junge, der doppelseitig
operiert war (Antrumaufmeißlung), um 8 Pfund, ein 37 Jahre alter Mann
in fünf Wochen um 12 Pfund zu.
!) Referat in der D. med, Woch. 1912, S. 1808.
ER W: —— — u ——_ m — - D
2104 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
29. Dezember,
Besonders deutlich trat die mästende Wirkung des Präparats bei
einem 24jährigen Kranken zutage, der wegen Sinusthrombose und Klein-
hirnabsceß am 17. Juli operiert war. Bei dem sehr elenden Patienten
war der Kräftezerfall ein so starker, daß das Körpergewicht am 26. August
46,2 kg betrug. Nach Verabreichung von drei Eßlöffel Riba-Malz täg-
lich stieg das Gewicht am 29. August auf 47,6 kg; am 1. September
auf 47,7 kg; 4. September 49,6 kg; 8. September 50,7 kg; 11. Sep-
tember 52,4 kg; 15. September 53,5 kg; 22. September 55,7 kg;
29. September 56,7 kg; 6. Oktober 58,7 kg; 18. Oktober 60,4 kg;
21. Oktober 61,7 kg.
Wir gaben das Riba-Malz meist in Milch, und es wurde so
von den Kranken mit Ausnahme eines einzigen sehr gern go-
nommen. Erwachsene bekamen täglich drei Eßlöffel, Kinder drei
Teelöffel. Die Verdauung war auch bei längerer Ribadarreichung
bei bettlägerigen Patienten nicht gestört, die Appetenz anscheinend
in den meisten Fällen angeregt.
Nach unserer Beobachtung ist mithin das Riba-Malz außer.
ordentlich geeignet zur Hebung des Kräftezustandes bei nach Ope-
rationen geschwächten Kranken.
Referatenteil.
‚Redigiert von Oberarzt Dr. Walter Wolff, Berlin.
Uebersichtsreferat.
Die Tastlähmung
von Dozent Dr. Rob. Bing, Basel.
Wenn wir von „Tastlähmung“ sprechen, so verstehen wir
darunter durchaus nicht etwa die einfache Ausschaltung der Tast-
empfindungen, die man bekanntlich als „taktile Anästhesie“
bezeichnet, sondern die Unmöglichkeit, trotz ausreichenden
Vorhandenseins der elementaren Perceptionen des Be-
rührungs-, Bewegungs-, Lagesinns usw., Gegenstände durch
Abtasten zu erkennen, also eine „taktile Agnosie“. Dieser
eigenartigen Störung [zum erstenmal 1895 von Wernicke (1) be-
schrieben, der sie bei einem Patienten mit einer Rindenläsion der
Centralwindungen festgestellt hatte] können noch andere „Agno-
sien“, das heißt mnestisch-assoziative Ausfälle des Erkennens an
die Seite gestellt werden. Ist sie doch ein Analogon zu den als
„Deelenblindheit* und Alexie bekannten Krankheitsbildern. Bei
ersterer vermag ja der Kranke die Formen und die Farben der
Gegenstände optisch wahrzunehmen, er ist aber außerstande,
sie zu erkennen, bei letzterer beschränkt sich die betreffende
Störung auf das Erkennen der Schriftzeichen (sie ist also, um
mit Liepmann zu sprechen, keine „Objektagnosie“, sondern eine
„Symbolagnosie“). Weitere Analoga sind die „Seelentaubheit“ und
die „Worttaubbeit“, beide mit völliger Intaktheit der Gehörs-
perceptionen vereinbar; jene stellt die akustische Objektagnosie,
diese die akustische Symbolagnosie dar.
Der Ausdruck „Tastlähmung“ ist aus dem Grunde dem
oft gebrauchten Terminus „Astereognosie“ (beziehungsweise
„Stereoagnosie“) vorzuziehen, weil letzterer leider vielfach auch
auf rein perceptive, zum Teil ganz periphere Störungen ausgedehnt
wird. Da nämlich das Erkennen eines Gegenstandes durch Ab-
tasten bei geschlossenen Augen ohne das Percipieren der „Ele-
mentarqualitäten“ (wie sie uns die Berührungs-, die Lage-, die
Bewegungsempfindung im Bereich unserer Hände und Finger liefern)
natürlich unmöglich und undenkbar ist, so kommt jenes Erkennen
bei Zerstörung der betreffenden sensiblen Neurone ebenso in Weg-
fall, wie das optische Erkennen der Gegenstände oder Buchstaben
bei Vernichtung des Optieus. Weil nun aber das Wort „Agnosie“
im allgemeinen für den Verlust einer Wahrnehmung infolge
psychischer Ausfälle gebraucht wird, sollte die Aufhebung der
Formerkenntnis auf Grund von Läsionen sensibler Bahnen oder
Centren korrekterweise nach dem Vorschlage von Claparède (2)
und Bing (3) als „Stereoanästhesie“ bezeichnet werden. Der
„Stereoanästhesie* sind jedenfalls alle Fälle zuzurechnen, bei denen
.die Störung auf einzelne Finger einer Hand beschränkt ist. Im
Falle Dejerine und Pelletier (4) z. B. trat sie bei einer 60jäh-
rigen Nephritikerin im Bereiche des rechten Daumens und Zeige-
fingers auf, zugleich mit einer beträchtlichen Erweiterung der
„Weberschen Tastkreise* und Störung des Vibrationsgefühls
(Knochensensibilität), mit einer Contractur jener Finger und mit
einer Facialisparese, war also jedenfalls cerebralen Ursprungs. Es
haben ferner Morton Prince (5) und Marb6 (6) gezeigt, daß der
normale Mensch imstande ist, auch mit der Fußsohle die Formen
einfacher Körper einigermaßen zu erkennen. Diese, normalerweise
beim Menschen nur rudimentär ausgebildete Fähigkeit scheint bei
solehen ohne Hände zur Welt gekommenen Individuen, die mit
den Füßen allmählich die verschiedensten „Hand“lungen zu ver-
richten lernen, eine namhafte Weiterbildung zu erfahren.
Daß die taktile „Agnosie“ eine Funktion darstellt, die erst
sekundär auf Grund der assoziativen Verwertung gesammelter Er-
fahrungen zur Ausbildung gelangt, geht nämlich aus dem Studium
gewisser Fälle frühzeitig erworbener infantiler Cerebrallähmungen
hervor. So hat Oppenheim (7) in mehreren Fällen von Hemi-
plegia spastica infantilis auf der affizierten Seite bei intakter
Sensibilität die Wernickesche Tastlähmung konstatiert, Er er-
klärt sich die Sache so, daß die gelähmte Hand infolge Nicht-
gebrauchs keine Tasterinnerungsbilder erwerben konnte, und ähr-
liche Auffassungen vertreten Dejerine (8,9) und Claparède (7)
Für zwei Oppenheimsche Fälle, in denen die früher gelähmts
Hand bei allen Verrichtungen gebraucht wurde, trifft freilich dies
Erklärung nicht zu, sodaß hier wohl, wie wir weiter unten sehen
werden, der Sitz der cerebralen Läsion für die Tastlähmung ver-
antwortlich zu machen sein dürfte.
Nun ist aber zu bemerken, daß die „Tastlähmung“ keine
ganz einheitlichen klinischen Begriff darstellt. Es gibt nämlich neben
denjenigen Patienten, die trotz intakter Sensibilität sich von der
Form, Konsistenz, Glätte oder Rauheit der Gegenstände durch At:
tasten keine Rechenschaft zu geben vermögen, auch solche Fälle,
bei denen dies alles möglich ist, dennoch aber die Gegenstände
nicht in ihrer Eigenart erkannt, also ihr Name, ihr Zweck, ihre
Anwendung nicht angegeben werden können. Ein von Rose und
Max Egger (10) veröffentlichter Fall dieser letzteren Kategorie
gab zum Beispiel folgende Antwort, als man ihn bei verbundenen
Augen einen Schlüssel in die Hand nehmen und abtasten ließ: „Es
ist kalt, es scheint Metall zu sein, es ist lang, auf der einen Seite
ist etwas daran“ — darauf, daß es ein Schlüssel sei, kam er jedoch
nicht. Ebensowenig erkannte er einen Bleistift oder ein Stück
Zucker, gab jedoch beim Betasten des ersteren an: „Es ist rund,
auf der einen Seite spitzig, es könnte ein Stengel sein“ — bei
letzterem: „Es ist rauh und viereckig“. Derartige Fälle sind frei-
lich überaus selten: es liegen, außer den eben erwähnten, nur ver-
einzelte Beobachtungen vor von Rhein (11), Lépine (1,
Burr (13), Kato (14), Kutner (15), Poggio (16), die sich aut
organische Gehirnveränderungen diffuser oder eircumseripter Natur
zurückführen ließen, z. B. progressive. Paralyse, Hirnverletzungen,
Tumoren. Daß die Hysterie ähnliches hervorzurufen vermag, kan
nicht wundernehmen: diese psychische Anomalie wird denn aueh
zur Erklärung der Beobachtungen von Fuchs (17), Gasne (18,
Verger-Abadie (19), bei denen bestimmte Anhaltspunkte für
cerebrale Lokalisation vermißt werden, von manchen Autoren
herangezogen. Verger und Abadies Fall z. B. kam bei einer
an toxischer Polyneuritis leidenden Frau zur Entwicklung.
Wir können mit Wernicke (20) die erste der beiden soeben
auseinandergehaltenen Varietäten taktiler Agnosie als Störung
der primären taktilen Identifikation, die zweite als Stb-
rung der sekundären taktilen Identifikation definieren.
An Stelle dieser etwas schwerfälligen Umschreibung sind aber eine
Anzahl kürzerer Benennungen vorgeschlagen worden. So möchte
Claparède (21) nur die primäre Störung als „Agnosie‘, dio
sekundäre als „Asymbolie“ bezeichnen; gegen diese Terminologie
ist freilich einzuwenden, daß sie Verwechslungen mit den oben-
erwähnten Liepmannschen (22) „Symbolagnosien‘ Vorschub
leistet. Nach Lissauer (23) würde man die primäre Störung
der Gnosis als „cortical“, die sekundäre als „transcortioal
bezeichnen, was aber über das differentielle anatomische Substra
der beiden Zustände mehr besagt, als wir mit gutem on
verantworten können. Auch Vergers (24) Vorschlag, die „stéréo
agnosie de réception“ und die „stéréoagnosie de conductibilité ou
d'association“ zu unterscheiden, hat wenig Anklang gefunden. l
empfehlenswertesten ist darum, einfach von primären und se
dären Formen der Tastlähmung zu sprechen. Sie gehören g
Liepmann (25, 26) beide zu den „dissolutorischen Agnosien, "3
sie eben darauf beruhen, daß die Glieder der zum Mrena
forderlichen Ideenreihe durch. die Verrichtung eines einzelsinn F i
Bestandteils, nämlich des taktilen, gespalten sind. Sie sit.
trennen von den ideatorischen oder disjunktiven Agnosien, .
denen die in ihren sensuellen Elementen ungeschädigten Ideen j
kehrt aneinandergereiht werden, sodaß die Zusammenfūgung
TES
i:
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I N
29. Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
2105
Teilvorstellungen zur Gesamtvorstellung, die richtige Zusammen-
fügung von Ursache oder Zweck oder Merkmalen an ein Ding
unterbleibt. Beispiel: ein Patient nimmt an einer Kindertrompete
die Röhrenform, die runde Oeffnung und die Klappen (die er für
einen Hahn hält) wahr und sieht das Instrument solange für eine
Pistole an, bis man ihn auffordert, hineinzublasen; es kommt dabei
trotz ungetrübter visueller und taktiler Teilvorstellungen durch
deren fehlerhafte psychische Synthese zu einer pathologischen „Ver-
wechslung“. i
Wir wollen nicht weiter in psychologische Details eingehen,
sondern nunmehr die symptomatologische und topisch-
diagnostische Seite der Frage betrachten.
Da ist nun zunächst zu bemerken, daß reine Tastlähmungen,
das heißt solche ohne irgendwelche Störungen der elementaren
"Empfindungen überaus selten sind! Hierher gehören z. B. die be-
reits erwähnten Beobachtungen Oppenheims (7) und Clapa-
rödes (27) bei cerebralen Kinderläbmungen, ferner ein Oppen-
heimscher Fall (28) und ein solcher von Hoppe (29), welche
beide eircumscripte Rindenläsionen betrafen. Man darf also nicht
so weit gehen, wie Schittenhelm (30), der seinerzeit das Vor-
kommen reiner Tastlähmungen in Abrede stellte. Kato (14) er-
-blickt wobl mit Recht den Grund für die überwiegend häufige Ver-
knüpfung der Tastunfähigkeit und leichter Anomalien der sensiblen
Perception in dem Umstande, daß das corticale Assoziationsfeld,
wo die einzelnen Wahrnehmungselemente zu einem Tasterinnerungs-
bilde vereinigt werden, sich mit dem Rindencentrum der Primär-
empfindungen entweder gänzlich oder zum Teil wenigstens deckt.
Eine Läsion in diesen Rindenterritorien ruft folglich einerseits die
Störung der Empfindung, anderseits den Fortfall des taktilen
Wiedererkennens (als einander koordinierte, nicht subordinierte
Anomalien!) hervor. Denn es sei nochmals hervorgehoben,
daß die neben der „Tastlähmung“ aufzudeckenden Sensi-
bilitätsanomalien so unbeträchtlich sind, daß sie allein
deren Zustandekommen nicht erklären könnten. In einem
Falle von Kopp (31) z.B., der eine traumatisch erworbene „Poren-
cephalo-Hydrocephalie*“ betraf und den ich mitzuuntersuchen die
Gelegenheit hatte, waren an der „tastgelähmten“ Hand Schmerz-,
Berührungs-, Wärme-, Kälte-, Druckempfindung normal, desgleichen
das Innervationsgefühl (sogenannter Kraftsinn) und die aktiven
Bewegungsvorstellungen, die Weberschen Kreise waren nur um
weniges größer als auf der Gegenseite, und deutlich gestört waren
eigentlich nur die Lokalisation von Schmerz- und Berührungs-
reizen der sogenannte Bewegungssinn (= passive Bewegungsvor-
stellungen) und besonders das Vibrationsgefühl. Ein Patient von
Williamson (32), der an in der linken Hand beginnenden Jack-
sonschen Anfällen litt, zeigte an dieser Hand absolute Tast-
lähmung ohne andere Sensibilitätsanomalien als eine leichte Hyp-
algesio und eine mäßige Erweiterung der Weberschen Kreise.
Eine von mir: beobachtete Patientin bot nach der Exstirpation
einer oberflächlichen Cyste der motorischen Rindenzone auf der
Gegenseite eine Zeitlang eine hochgradige taktile Agnosie dar; die
Sensibilitätsprüfung ergab aber nur eine geringe Herabsetzung des
Lagesinns für die Finger und. der Schmerzempfindung an ihren
volaren Flächen. Anderseits weiß man durch Bonhöffer (33)
und Bourdicaud-Durnay (34), daß viel ausgeprägtere Sensi-
bilitätsstörungen corticalen Ursprungs die taktile Form- und
Gegenstandserkennung unbeeinträchtigt lassen können.
Im allgemeinen berechtigt jede echte „Tastlähmung“ (die
sich also nicht durch eine adäquat intensive Ausbildung elemen-
tarer Sensibilitätsstörungen als eine bloße perceptive „Stereo-
anästhesie“* entpuppt!) zur Diagnose einer corticalen Läsion. Diese
kann diffus sein, und zwar besonders dann, wenn sie als Störung
der sekundären taktilen Identifikation imponiert; so beruhte z. B.
der Fall von Rose und Max Egger (10) auf progressiver Para-
lyse. Meistens aber ist sie ein Herdsymptom und spricht in diesem
Falle für Sitz der Läsionen im mittleren Drittel der hinteren
Centralwindung und im Scheitellappen (speziell Gyrus supra-
marginalis) der Gegenseite.
Literatur: 1. Wernicke, Zwei Fälle von Rindenläsion. (Arbeiten aus
der psychiatr. Klinik in Breslau 1895, H. 2, S. 35.) — 2. Claparède. Dis-
kussionsbemerkung an der Ill. Versammlung der Schweizer. Neurolog. Ges.
(Korr. f. Schw. Ae. 1910, Nr. 21, S. 687.) — 3. Rob. Bing, Kompendium der
topischen Gehirn- und Rückenmarksdiagnostik. (2. Aufl., Urban & Schwarzen-
berg, Wien-Berlin 1911, S. 17.) — 4. J. Dejerine et Mlle. Pelletier, Un cas
d’aster6ognosie limitée au pouce et à l’index droits. (R. neur. 1912, Nr. 10,
S. 728.) — 5. Morton Prince, Tactile localization and symbolia; have they
localization in the cerebral cortex? (J. of nerv. and ment. dis. Jan. 1908.) —
6. S. Marbé, La sensibilité stör&ognostique et la symbolie aux membres in-
ferieurs. (R, neur. 1908, 30. April.) — 7. H. Oppenheim, Lehrbuch der
Nervenkrankheiten. (3. Aufl. 1902, S. 738, — 8. J. Dejerine, De Phémi-
anesthésie d’origine cérébrale. (Scmaine méd. 1899, S. 249.) — 9. Derselbe,
Consid6rations sur la soi-disant „aphasie tactile“. (R. neur. 1906, S. 597.) —
10. Félix Rose et Max Egger, St6r6oagnosie et asymbolie tactile. (Semaine
méd, 1908, S. 517.) — 11. J. H. W. Rhein, A case of exhibiting agnosia con-
tined to the left hand. (Med. Rec. 1908, S. 923.) — 12. R. Lépine, Sur un
cas d’agnosie. (J. de psych. norm. et path. 1904, S. 163.) — 13. Ch. W. Burr,
Tactile amnesia and mird-blindness. (J. of nerv. and ment. dis. 1897, S. 259.)
— 14. T. Kato, Ueber die Bedeutung der Tastlähmung für die topische Hirn-
diagnostik. (D. Z. f. Nerv. 1911, Bd. 42, S. 128.) — 15. Kutner, Isolierte cere-
brale Sensibilitätsstörungen. (Mon. f. Psych. u. Neur. 1905, Bd. 17.) — 16. Poggio,
Die corticale Lokalisation der Asymbolle. (Neur. Zbl. 1908.) — 17. A. Fuchs,
Neurologische Kasnistik: Eigentümliche Sensibilitätsstörung (Tastlähmung) bei
Polyneuritis. (Wr. kl. Woch. 1908, S. 1182.) — 18. G. Gasne, Sens stéréo-
gnostique et centres d’assoclation. (Nouv. Iconogr. d. 1. Salpêtrière 1898, S. 46.)
— 19. Verger et Abadie, Sur un cas de stör&oagnosie au cours d'uno poly-
növrite. (Cpt. r. de Biol. 1903, S. 487.) — 20. C. Wernicke, Der aphasische
Symptomenkompiex: eine psychologische Studie auf anatomischer Basis. (Breslau
1874.) — 21. E. Claparède, Revue générale sur l’agnosie. (Ann. psych. 1899,
Bd. 6, S. 74) — 22. H. Liepmann, Internat. Kongreß für Psychiatrie u.
Neurologie. (Neur. Zbl. 1907, S. 935.) — 23. H. Lissauer, Ein Fall von
Seelenblindheit, nebst einem Beitrage zur Theorie derselben. (A. f. Psych.
1890, Bd. 21, S. 222.) — 24. H. Verger, Sur la valeur s&me&iologique de la
stör&oagnosie. (R. neur. 1902, S. 1201.) — 25. H. Liepmann, Ueber Störungen
des Handelns bei Gehirnkranken. (Berlin 1905, S. 64, 157.) — 26. Derselbe,
Ueber die agnostischen Störungen. (Neur. Zbl. 1908, Nr. 13 u. 14.) — 27. E. Cla-
paröde, La perception ster&ognostique dans deux cas d’hömipl&gie cérébrale
infantile. (J. de physiol. 1899, S. 1001.) — 28. H. Oppenheim, (Geschwülste
des Gehirns. (1897.) — 29. Hoppe, A critical study of the sensory functions
of the motor zone (pre-Rolandic area); more especially stereognosis. (J. of
nerv. and ment. dis. 1909, Sept‘) — 80. A. Schittenhelm, Untersuchungen
über das Lokalisationsvermögen und das stereognostische Erkennen. (D. A. f.
kl. Med. 1906, Bd. 85, S. 562.) — 81. J. Kopp, Ein Fall von Porencephalo-
Hydrocephalia (interna) traumatica unilateralis permagna, eine klinische Studie
über traumatische Porencephalile und Hydrocephalie. (D. Z. f. Chir. 1912,
Bd. 116, S. 226.) — 32. R. Williamson, On ‚touch paralysis“ or the inabi-
lity to recognise the nature of objects by tactile impressions. (Br. mad. j. 1897,
25. Sept.) — 83. H. Bonhöffer, Ueber das Verhalten der Sensibilität bei
Hirnrindenläsionen. (D. Z. f. Nerv. 1904, Bd. 26, S. 67.) — 34. H. P. Bourdi-
caud-Durnay, Recherches cliniques sur les troubles de la sensibilité générale,
du sens musculaire et du sens ster&ognostique etc. (Thèse de Paris 1897.)
Diagnostische und therapeutische Einzelreferate.
Karl Friedrich Hoffmann berichtet über eine von ihm zum
erstenmal gesehene Erkrankung des Haares, welche darin besteht, daß
dasselbe auf eine mehr oder weniger lange Strecke in zwei oder mehrere
Aeste geteilt erscheint, die zwischen sich einen Spalt freilassen. Bei
markhaltigen Haaren betrifft die Spaltung den Rindenteil, das Mark bleibt
unbeteiligt. Als Grund dieser Erkrankung nimmt Hoffmann eine
mechanische und chemische Mißhandlung der Haare an. Er schlägt für
diese Veränderung den Namen Trichoschisis vor (eyw = ich spalte).
(Derm. Zbl. 1912, Nr. 2.) Eugen Brodfeld (Krakau).
Haudek berichtet, daß sich radiologisch meist eine Differential-
diagnose zwischen Ulcus ventriculi und Carcinom stellen läßt, be-
sonders wenn man gleichzeitig die motorische Magenfunktion prüft. Die
maligne Degeneration des Ulcus lassen sich aber im großen und ganzen
radiologisch nicht erkennen. (Wr. kl. Woch. 1912, Nr. 2, S. 67.)
Zuelzer.
Einen Beitrag zur Pathologie und Therapie des im allgemeinen
selten zu beobachtenden Ulens vulvae chronicum liefert Tschlenoff.
Seine Erfahrungen lehren, daß es sich um eine eigenartige Erkrankung
der Vulva handelt, die zwar am häufigsten bei Luetikerinnen auftritt,
jedoch durchaus nicht specifischer Natur ist. Sie betrifft vorzugsweise die
Gegend der Fossa navicularis und die Umgebung der Urethra. Begünsti-
gend auf die Geschwürsbildung wirken sämtliche im Sinne einer Herab-
setzung der Widerstandsfähigkeit auf das Gefäßsystem und den regionären
lymphatischen Apparat einwirkenden Ursachen. In den vom Verfasser
registrierten Fällen waren es vorzugsweise der Alkohol und die wieder-
holten lokalen Affektionen der Vulva,
Therapie: Ruhigstellung, roborierende Mittel, Reinhaltung der
Wunde, schließlich Kauterisation und chirurgischer Eingriff. Die Pro-
gnose ist ungünstig. (Medizinskoje Obosrenije 1912, Bd. 15.)
l Schless (Marienbad).
Prof. Dr. E. Stadelmann (Berlin) schließt sich in seinem Vortrag
über die Diagnose und die Behandlung der Methylalkoholintoxikation
an an die Vergiftungsaffäre Weihnachten 1911 in Berlin. Die 93 Fälle
werden nach der Schwere der Symptome eingeteilt in:
1. Die allerschwersten Erkrankungen, die mit Tod endigten, 57
an der Zahl. Status: meist vollständig comatös, cyanotisch, dyspnoisch,
Atmung nach Cheyne-Stokesschem Typus, Extremitäten kalt, Pupillen
erweitert und starr, auf der Stirne kalter Schweiß, Muskeln in Con-
tractur, hier und da klonisch zuckend, Plötzliches Aufhören der Atmung
und Trachealrasseln gingen dem rasch folgenden Tod voraus. Der Tod
setzte oft nach scheinbarem günstigen Verlauf katastrophenartig ein.
2. Die mittelschweren Fälle, 15, kamen nach ebenfalls schweren
Krankheitserscheinungen durch, zum Teil mit bleibenden Defekten. Die
Nr.16 und 17. Aug. u. Sept. 1912.)
2106 1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
29, Dezember.
bedrohlichen Symptome hörten verhältnismäßig rasch auf, während der
Ausgeng in völlige Heilung, manchmal durch Rückfälle unterbrochen,
auf Wochen sich hinzog. Die Sehstörungen und neuritischen Beschwerden,
hauptsächlich in den Beinen, hielten am längsten an.
3. Die leichten Fälle, 21, hatten mit den andern die Pupillen-
veränderung gemein. Stadelmann erklärt dieses Symptom als pathogno-
monisch. Fast alle hatten Brechen oder Diarrhöe oder beides, und darauf
beruht wahrscheinlich der günstige Verlauf, auch bei solchen, die be-
drohlich einsetzten. (Jede dieser drei Gruppen ist kasuistisch belegt.)
Differentialdiagnostisch konnten nur Botulismus und Atropin-
vergiftung in Betracht: kommen. Gegen ersteres sprach das fast aus-
nahmslose Fehlen von Erbrechen und Durchfällen und von bulbären
Lähmungserscheinungen. Für Annahme der letzteren fehlte das ätiologe
Moment.
Die mannigfaltigen Sehstörungen wiesen auf Methylalkoholver-
giftung, besonders mit Hinzuziehung der Atmungsstörungen, Kollaps-
temperaturen und nervösen Erscheinungen.
Die Prognose ist sehr schlecht; 55 °/, Mortalität wurden in Berlin
beobachtet.
Die Behandlung hatte vor allem Eliminierung des Giftes zn be-
zwecken durch Magenausspülung und Darmentleerungen, wo es möglich
war; erstere wurden durch den Widerstand fast unmöglich gemacht; sie
wurden auch später ganz weggelassen. In den meisten Fällen kam über-
haupt nur noch eine symptomatologische Behandlung in Betracht,
namentlich Morphium gegen die starken Schmerzen. (Zt. f. Fortb.
Gisler.
Auf die Erfahrung, daß interkurrente fieberbafte und eitrige Prozesse
günstig auf den Verlauf der Paralyse einwirken, basierte Wagner
v. Jauregg eine Behandlung von Paralytikern mit Tuberkulin in Kom-
bination mit Quecksilber. Er erzielte bei Anfangsstadien häufig lang-
dauernde Remissionen ohne wesentliche Beeinflussung der Wasser-
mannschen Reaktion. Neuerdings versuchte er Injektionen von ab-
getöteten Staphylokokkenkulturen, und zwar ohne Erfolg, bei den de-
menten Formen der Paralyse. Dagegen erzielte er bei den sieben be-
handelten Patienten in manischen Stadien weitgehende Remissionen, die
im Gegensatz zur Tuberkulinkur erst zwei bis drei Monate nach der
Kur voll in Erscheinung traten. (Wr. kl, Woch. 1912, Nr. 1, S. 61.)
Zuelzer.
Eisenberg (Lower Brule, Dak.) empfiehlt die Anwendung von
Hexamethylenamin gegen akute Erkrankungen der oberen Luft-
wege. Er gibt bei Kindern 0,3 bis 0,4, bei Erwachsenen 0,7. Das
Mittel scheint auch vorbeugend zu wirken gegen Komplikationen der
akuten Rhinitis, wie z. B. Bronchitis oder Sinusitis, (J. of Am. ass.
1912, Bd. 58, Nr. 26, S. 2032.) Dietschy.
Bei schweren Extremitätenverletzungen mit erhaltener
schmaler Hautbrücke ist in erster Linie wegen der drohenden Gangrän
für Beseitigung der venösen Stase zu sorgen. Dieser Indikation ge-
nügen, wie Liek angibt, an Stelle der von Noesske empfohlenen tiefen
Ineision mit nachfolgender Saugbehandlung multiple kleine, ober-
flächliche Einschnitte und — zum ÖOffenhalten der Incisionen —
feuchtwarme Verbände. Dieses Verfahren hat den Vorteil großer
Einfachheit und hinterläßt keine sichtbaren Narben. (D. med. Woch.
1912, Nr. 42.) F. Bruck.
Beim Diabetes insipidus und ähnlichen Polyurien empfiehlt es
sich nach H. Strauß, ganz allgemein so vorzugehen, daß mau zu-
nächst eine kochsalzarme Ernährung mit geringem Eiweißgehalt
verabfolgt, und wenn ein solches Regime nicht im Verlaufe mehrerer
Tage oder höchstens einer Woche zu einer erkennbaren Verminderung
der Polyurie geführt hat, gleichzeitig auch die Flüssigkeitszufuhr
in langsam, aber stetig wachsendem Tempo einschränkt.
Die Eiweißzufuhr kann hierbei übrigens auf etwa 60 bis 70 g pro
die eingeschränkt werden. Haben doch Untersuchungen verschiedener
Autoren gezeigt, daß bei einer solchen Ration nicht bloß eine aus-
reichende Ernährung, sondern auch eine volle körperliche und
geistige Leistungsfähigkeit möglich ist. (D. med. Woch. 1912,
Nr. 42.) F. Bruck.
Das Yohimbin (Spiegel) empfiehlt G. Fritsch bei der senilen
Prostatahypertrophie. Diese braucht nicht mit Entzündungserschei-
nungen einherzugehen. Der gewöhnlichste pathologisch-anatomische Be-
fand einer solchen senil vergrößerten Prostata zeigt die Erscheinungen
des mangelhaft entleerten, küsig eingedickten Sekrets, während die
Epithelien eines großen Teils der Drüsenläppchen durch Druck atrophiert
sind. Bei solchem Zustande des Organs kann es sich nicht sowohl darum
handeln, die darniederliegende Sekretion der drüsigen Elemente anzu-
regen, als die regelmäßige Entleerung des vorhandenen Sekretg zu
befördern. Das dürfte durch die tonisierende Wirkung des Yohin-
bins gelingen. Denn da die Drüse mit richtigen Ausführungsgängen ver-
sehen ist, scheint die Annahme solcher Wirkung durchaus zulässig,
Wirkt das Yohimbin nun tonisierend auf die organische Muskulatur
des uropoetischen Apparats, so wird die kräftigere Contraction des
muskulösen Teils der Prostata auch die Sekretentloerung hefördern
und die schädliche Stauung vermindern können. Ebenso werden die
Sphincteren der Blase diese kräftiger schließen, das Organ wird
somit imstande sein, mehr Urin zu halten, und das häufige Urinieren
wird seltener werden. (D. med. Woch. 1912, Nr. 42.) F, Bruck,
Bücherbesprechungen.
Buttersack. Latente Entzündungen des Grundgewebes, ins
besondere der serdösen Häute. Stuttgart 1912, Ferdinand Enke,
189 S. M 5,—.
„Die Poesie der Naturwissenschaft muß uns über den Wust des
exakten Tatsachenmaterials hinausführen zu einer weiteren freieren Auf-
fassung vom Zusammenhange der Einzelheiten.'‘‘ Diese Worte Liebigs
könnten dem Buche als passendes Motto angefügt werden. Der grobe
Naturforscher versteht hier unter „Poesie“ offenbar das künstlerisch
synthetische Denken, die ordnenden Ideen, welche die einzelnen zer.
streuten Tatsachen zu einem organischen Ganzen verbinden, denselben
ihren natürlichen Platz in diesem Ganzen anweisen und ihnen dadarch
erst Wert und Bedeutung verleihen. Medizinische Schriften dieser Art
gehören heute zu den Seltenheiten. Der rühmlich bekannte Verfasser
hat in dieser Arbeit ein an sich trocknes Thema behandelt; aber die Art
der Behandlung macht das belehrende Werk auch zu einer genußreichen
Lektüre. Der Autor versteht es, die starre Materie zu vergeistigen, sich
über dieselbe zu allgemeinen Gesichtspunkten zu erheben. Er versteht
es, eine große Summe von Daten in künstlerischer Darstellung anfzr-
arbeiten, eine Fülle historischer Zitate aufs natürlichste in den Text ein
zufügen und uns durch die treffenden Einsichten unserer von den Modernen
mißachteten Vorfahren förmlich zu überraschen.
Der Grundgedanke des Buches ist die Hervorhebung der physio.
logischen und pathologischen Wichtigkeit des Bindegewebes, dessen
schleichend entzündliche Affektionen den Schlüssel zum Verständnis
einer großen Reihe von Einzelerkrankungen darbieten. Namentlich die
der serösen Häute: Pleuritis, Perikarditis, Peritonitis, Gelenkentzündungen,
Polyserositis, Meningitis cerebralis und spinalis, werden einheitlich aus
der Erkrankung des Bindegewebes abgeleitet. Ebenso werden die patho-
genetischen Beziehungen der Endokarditis, des Magengeschwärs, der
Schleimhautkatarrhe, der Perimetritis, Perimyositis, Perinephritis und
vieler Exantheme zum interstitiellen Bindegewebe dargelegt. Der Autor
schlägt vor, das den ganzen Körper durchsetzende Bindegewebe richtiger
als Grundgewebe zu bezeichnen. Denn es ist keineswegs ein be
deutungsloses Füllsel, sondern ein lebendiges Gewebe, welches nicht nur
alle Organe, sondern auch ihre feinsten Interstitien, ja als feinste Inter-
cellularsubstanz auch die einzelnen Zellen umgibt. In diese Substanz
münden alle Blut- und Nervenbahnen aus, da sie nicht in die Zellen
selbst dringen können; besonders aber ist die universelle Grundsubstnz
überali der eigentliche Sitz der feinsten Saftkanälchen, welche die Nähr-
flüssigkeit von den Capillaren’ zu den funktionierenden Organzellen und
die verbrauchten Stoffe von da zurück zu den Saftkanälchen und mittel
bar zu den Lympheapillaren bringen. Ihre Aufgabe ist also eme viel
höhere und umfassendere, als allgemein dem einfach ausfüllenden und
verbindenden Zeilgewebe zugeschrieben wird. Ob aber das Grundgemebt,
wie der Autor mit Virchow annimmt, die Matrix aller Gewebe, und ob
es in seinem Ganzen als ein speziell funktionierendes Organ aufgeladi
werden müsse, das dürfte vielleicht nicht die allgemeine Zustimmung
finden. Das Werk sei allen denkenden Aerzten bestens empfohlen.
Stiller (Budapes)
V. Schilling, Das Blutbild und seine klinische Verwertung:
(Mit Einschluß der Tropenkrankheiten) Mit drei Jithographischen
Tafeln und 11 Abbildungen im Text, Jena 1912, Gustav Fische
96 Seiten. M 4,50. ‚ohliche
Es steckt viel Mühe und Arbeit, vor allem aber auch reie z
Erfahrung und Durchdenkung des ganzen Gebiets in dem Na eR
Büchlein, das eine kurzgefaßte technische, theoretische und Be ;
Anleitung zur mikroskopischen Blutuntersuchung geben will, und ta z i
man auch in der Tat weitestgebende Auskunft, wenn auch nicht p
in der übersichtlichsten Form, findet. Daß die Tropenkrankheiten ie
ihnen gebührenden Raum einnehmen, dafür bürgt schon der Name
Verfassers, d h für i orgt hat.
rfassers, der auc gute Abbildungen gee e N aißer (Bresln)
|
29., Dezember.
1912 — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
2107
Aerztliche Gutachten aus dem Gebiete des Versicherungswesens (Staatliche und Privat-Versicherung).
Redigiert von Dr. Hermann Engel, Berlin W 30.
Nervöse Störungen nicht auf Einatmung von Formalin-
dämpfen zurückzuführen, daher als Unfallfolge nicht
anerkannt.
Von
San.-Rat Dr. Th. Benda.
Zur Illustrierung der bekannten Erfahrung, daß irgendwelche
Krankheitserscheinungen sich in der Vorstellung eines Entschädi-
gungsberechtigten — man braucht durchaus nicht immer eine
mala fides anzunehmen — als Folge irgendeines Unfallerlebnisses
darstellen, diene nachstehender Fall, den ich als Vertrauensarzt der
Papierverarbeitungs-Berufsgenossenschaft im Jahre 1911 zu begut-
achten hatte.
Die 5ijährige Arbeiterin E. B. hat am 19. Oktober 1910 in
einer Luxuspapierfabrik Formalindämpfe eingeatmet; sie soll sich
danach unwohl gefühlt haben und nach Verlassen des Raums, in
dem die Formalindampfentwicklung stattgefunden hatte, hingefallen
sein und längere Zeit bewußtlos gelegen haben. Erst drei Tage
später suchte sie die Hilfe der Unfallstation VI auf.
sie über Kopfschmerzen, Schwindel, Uebelkeit, Schwerbesinnlich-
keit, vermindertes Orientierungsvermögen. Der Puls hatte eine
Frequenz von 100 Schlägen, war regelmäßig. Weitere objektive
Symptome waren nicht vorhanden. Die p. B. wurde zur Behand-
lung einem Ambulatorium überwiesen. Nach Beendigung derselben
waren nach Angabe des behandelnden Arztes Unfallfolgen nicht
vorhanden. Die p. B. behauptete aber in der Folgezeit, sie habe
sehr unter den Folgen des Unfalls zu leiden; arbeiten könne sie
nicht. Sie erhebe aus diesen Gründen Ansprüche an die Berufs-
genossenschaft.
Bei der von mir vorgenommenen Untersuchung am 6. Mai
1911 klagte die p. B. nur über Schwindelgefühl, besonders beim
Stehen. — Ich erhob folgenden objektiven Befund: i
Gutgenährte Person; Gesicht etwas kongestioniert, die
Bindehaut der Augen leicht gerötet. Lauernder, ängstlicher Blick.
Stimmung gedrückt, Intelligenz scheinbar normal. Das Beklopfen
des Schädels verursacht etwas Schmerzgefühl. Lähmungen irgend-
welcher Art bestehen nicht, insbesondere sind keine Pupillen- und
Sprachstörungen vorhanden. Die Reflexe bieten keine Abweichung
von der Norm dar; vielleicht ist das Kniephänomen etwas ver-
stärkt. Beim Stehen schwankt die p. B. zeitweise leicht. Beim
Augenfußschluß wird das Schwanken aber nicht verstärkt, ebenso-
wenig nach Bücken. Auch der Gang bietet keine Abweichung von
der Norm dar. Gefühlsstörungen konnte ich nirgends nachweisen,
Leichtes Zittern zeigt die gerade herausgestreckte Zunge. Die
Herztätigkeit ist verstärkt, die Töne sind rein. Der Puls hat in
der Ruhe eine Frequenz von 120 Schlägen, er ist kräftig und
regelmäßig. Der Urin ist frei von Eiweiß und Zucker.
Die p. B. behauptet, arbeitsunfähig zu sein, und zwar infolge
von Beschwerden, deren Entstehung sie auf das Einatmen von
Formalindämpfen zurückführt, denen sie am 19. Oktober vorigen
Jahres während ihrer Tätigkeit ausgesetzt gewesen sein soll.
Aus den Akten geht hervor, daß die p. B. ihre Arbeit keines-
wegs in einem Raume verrichtet hat, in dem Formalindämpfe sich
entwickelten. In dem Berichte der Betriebsleitung wird bemerkt,
„daß die gelatinierten Bogen, welche auf Glasscheiben aufgespannt
werden, womit die B. beschäftigt wurde, vorher in ein Wasserbad
gelegt werden, welchem bei zirka 801 zirka 120—140 g Formalin
hinzugesetzt wird, wodurch eine Entwicklung von Dämpfen also
keinesfalls entsteht“.
Nach meinen Informationen bei verschiedenen Chemikern
kann unter diesen Verhältnissen tatsächlich keine Formalin-
dampfentwicklung stattfinden.
heißt es in dem Berichte weiter, „in welchem die Scheiben ge-
trocknet werden, worin aber nicht gearbeitet wird, wird die
Luft wohl etwas damit geschwängert.“ |
Es ist nun möglich, daß die p. B. an dem fraglichen Tage
— die Sache ist aber nicht aufgeklärt — aus dem Trockenraume
leere Scheiben geholt hat. Hierbei kann sie natürlich Formalin
eingeatmet haben. Dieselben Verhältnisse bestanden aber früher
auch, ohne daß die p. B. oder Kolleginnen von ihr Schaden an
ihrer Gesundheit genommen hätten. Nun kann man sich vielleicht
vorstellen, daß an dem 19. Oktober die Formalinentwicklung eine
stärkere gewesen ist und daß die p. B. bei dem Reize, den die
Formalindämpfe auf die Schleimhäute ausüben, sich Mund und
Hier klagte
„Nur in dem erwärmten Raume“,
a BEE mm EEE br SEES SP
. Nase vielleicht mehr als gewöhnlich zugehalten hat. Hierdurch
kann tatsächlich Schwindel entstehen. Und so wäre es denkbar,
daß die p. B. beim Hineintreten in den Arbeitsraum hingefallen
ist. Wie dem aber auch sein mag, von einer Formalinvergiftung
kann keine Rede sein. Dazu gehört das Verweilen für sehr lange
Zeit in einem. sehr stark mit Formalindämpfen angefüllten
Raume!), Beides war hier aber nicht der Fal. Und wenn in
solchen Ausnahmefällen wirklich einmal eine akute Shokwirkung
auf das Nervensystem beobachtet worden ist, so ist es doch ab-
solut ausgeschlossen — kein einziger solcher Fall ist, soweit meine
Kenntnis reicht, beobachtet worden —, daß chronische nervöse
Erkrankungen als Folge einer Einwirkung von Formalindämpfen
entstehen könnten.
Nun soll aber die p. B. hingefallen sein und sich eine Beule
am Hinterkopfe zugezogen haben. Auf der Unfallstation wurde
am 22. Oktober, also nach drei Tagen, nichts mehr davon bemerkt.
Für eine organische Gehirnerkrankung, die etwa auf den Fall zu-
rückgeführt werden könnte, spricht — gegenwärtig wenigstens —
kein Symptom. | |
Danach bin ich der Ansicht, daß der jetzige Zustand der
p:'B. weder durch die nur vorübergehende Einwirkung von Forma-
lindämpfen am 19. Oktober- vorigen Jahres — selbst wenn die
Einwirkung an diesem Tag eine intensivere als sonst gewesen sein
sollte — noch durch den Fall hervorgerufen worden ist, also
nicht als Unfallfolge anzusehen ist. Ich glaube vielmehr, daß
für die nervösen Beschwerden das Alter — die p. B. befindet sich
in den sogenannten Wechseljahren — sowie traurige häusliche Ver-
hältnisse — sie lebt seit Jahren von ihrem Manne getrennt —
verantwortlich zu machen sind.
Auf Grund dieses Gutachtens lehnte die Berufsgenossenschaft
eine Unfallentschädigung ab.
. Darauf legte die p. B. Berufung beim Schiedsgericht ein.
In der Sitzung erklärte der Gerichtsarzt, Geh. Medizinal-
rat Dr. B.:
„Das Verweilen in einem von Formalindämpfen erfüllten
Raume, wie es z. B. bei der Desinfektion von Zimmern geschieht,
kann wohl Tränen der Augen. hervorrufen, dauernde Gesundheits-
störungen hinterläßt das Einatmen von Formalin nicht. Der
Schwindelanfall am 19. Oktober 1910 erklärt sich auch durch das
Klimakterium, desgleichen die jetzt bestehenden nervösen Sym-
ptome und Schwindelerscheinungen. Ich schließe mich dem Gut-
achten des San.-Rats Dr. Benda vom 6. Mai 1911 an.“
Das Schiedsgericht wies darauf die Ansprüche der Klägerin
ab unter folgender Begründung:
Das Schiedsgericht hat auf Grund der bestimmten
Bekundungen der beiden genannten Aerzte sich nicht davon zu
überzeugen vermocht, daß unter den gegebenen Verhältnissen,
namentlich bei dem kürzeren Verweilen in dem von Formalin-
dämpfen erfüllten Raum eine Formalinvergiftung bei der Klägerin
stattgefunden hat, oder daß die chronische nervöse Erkrankung
eine Folge der an jenem Tag erfolgten Einatmung dieser Dämpfe
ist. Für die Annahme, daß das Hinfallen der Klägerin etwa durch
irgendeine Betriebseinrichtung herbeigeführt worden sei, besteht
kein Anhalt. Schließlich ist das Hinfallen, wie das Oberversiche-
rungsamt im Anschluß an die gutachtlichen Aeußerungen der
Aerzte annimmt, nicht geeignet gewesen, auf die Gesundheit der
Klägerin eine dauernde Schädigung auszuüben, denn es ist schon
drei Tage nach dem Unfall ärztlicherseits von der angeblich er-
littenen Beule am Kopfe nichts mehr bemerkt worden. Die Nerven-
störungen, über welche die Klägerin klagt, müssen vielmehr ihre
Erklärung in dem Alter der Klägerin finden, welche gerade in den
Wechseljahren steht, deren Folge erfahrungsgemäß solche Be-
schwerden zu sein pflegen. Dazu kommt noch, daß die häuslichen
Verhältnisse nicht günstig sind und nach dem Gutachten der Aerzte
den Zustand der Klägerin mit ungünstig beeinflussen mögen. Bei
dieser Sachlage hat das Oberversicherungsamt den Anspruch der
Klägerin auf Gewährung von Behandlung und Rente nicht anzu-
erkennen vermocht und den ablehnenden Bescheid bestätigen
müssen.
Rekurs wurde nicht eingelegt.
') Ein 1}/astündiger Aufenthalt in einem Zimmer, das mit Formalin-
dämpfen desinfiziert wurde, so berichtet Dr. Fairbank im Zbl. f. Bakt.
1898, blieb für ihn ohne irgendwelche schädliche Folgen.
En aa SA
rin = en a —
2108 1912. — MEDIZINISCHE KLINIK — Nr. 52.
29. Dezember
Vereins- und Ausw ärtige Berichte.
Braunschweig.
Aerztlicher Kreisverein. Sitzung vom 5. Oktober 1912.
Schlee: Die Knochenerkrankungen im Röntgenbilde. Vor-
tragender weist einleitend auf die Bedeutung der Röntgenuntersuchung
gerade für die Diagnostik und Beobachtung der Knochenerkrankungen
hin, insbesondere auf ihre Ueberlegenheit gegenüber der photographischen
oder zeichnerischen Darstellung; das Röntgenbild projiziert ja nicht nur
die Gestalt, sondern detailliert auch den Aufbau und differenziert die
Konsistenzverschiedenheit des Knocheninnern. Somit ermöglicht es
zweifellos in vollendetster Weise die Beobachtung der Knochenerkran-
kungen von den ersten Symptomen an und ist daher gerade auch für
den Praktiker von größtem Werte. Vortragender beabsichtigt daher, das
ganze Gebiet der Knochenerkrankungen im Röntgenbild in einer kleinen
Vortragsserie im Laufe dieses Winters vorzuführen. — Will man sich
über die Knochenerkrankuugen im Röntgenbild orientieren, so muß man
sich zunächst über das normale Röntgenphotogramm ganz klar sein.
Vortragender erörtert daher zunächst das Charakteristikum des Röntgen-
photogramms überhaupt gegenüber der gewöhnlichen Photographie unter
Hinweis auf die Wichtigkeit, aber auch die Schwierigkeit des richtigen
Lesens einer Röntgenplatte. Dieselbe stellt erstens ja: nicht nur die
Oberfläche wieder, ' sondern sie stellt gewissermaßen eine Zusammen-
pressung einer ‘großen Anzahl von Querschnittsebene des Körperteils in
einer planen Fläche dar, dergestalt, daß aus jeder dieser Ebenen bis zur
Rückfläche des Objekts hin Schatten auf der Platte erscheinen können,
wodurch ein sehr kompliziertes Durch- und Nebeneinander einzelner
Schattenumgrenzungen entsteht, das keineswegs leicht zu deuten ist —
Demonstration an einem Fußröntgenphbotogramm im Lichtbild. — Außer-
dem ist das Röntgenbild ein echtes Schattenbild, gibt also alle Konturen
etwas verzeichnet. Erläuterung an Weandtafeldarstellungen. Um ein
Röntgenbild richtig lesen zu können, muß man also wissen, wie es ein-
gestellt war, ferner in welcher Lage sich das Objekt befunden hat.
Letzteres läßt sich aus der Platte im allgemeinen bestimmen auf Grund
der Erfahrungstatsache, dab diejenigen Seiten des Objekts, die der Platte
bei der Aufnahme am nächsten gelegen haben, anf derselben auch am |
schärfsten hervorzutreten pflegen. — Vortragender demonstriert dann zu-
nächst das normale Knochenröntgenphotogramm im Lichtbild unter
näherem Eingehen auf die Begriffe „normal belichtet“, „weich“, „hart“
überlichtet usw. Auch starke Knocheppartien müssen scharfe Bilder und
gute Strukturzeichnung geben, für die verschiedenen Größen- und Dichtig-
keitsverhältnisse müssen aber die jeweilig richtigen verschiedenen Härte-
grade gewählt werden. — Vortragender streift dann noch als Uebergang
die mannigfachen Varietäten des Knochensystems, die zu Irrtümern mit
pathologischen Veränderungen Anlaß geben können, wie Sesambeine, ge-
teilte Hand- und Fußwurzelknochen, Verschmelzungen kleinerer Knochen,
gibt ferner noch einige praktische Winke über kleinere Zufälligkeiten,
die zu Irrtümern Anlaß geben können, und geht dann über zu der Erörte-
rung der eigentlichen Knochenerkrankungen. Als erste Gruppe wird
vorgeführt die Knochenatrophie in ihren verschiedenen Formen als
chronische, z. B. die senile Atrophie, charakterisiert durch die gleich-
mäßige Veränderung des Knochenschattens, und als akute, wie sie bei
Traumen und besonders bei entzündlichen Prozessen auftritt. Besonders
hingewiesen wird auf die Wichtigkeit der Atrophie als Diagnostikum bei
der Tuberkulose im Gegensatz zur Osteomyelitis, Lues usw., ferner auf
ihr Vorkommen speziell bei der gonorrhoischen Arthritis und bei Arterio-
sklerose; eine Anzahl Lichtbilder veranschaulichen die Ausführungen.
Sitzung vom 2. November 1912.
Vorder Tagesordnung: Bailund Löwenthal demonstrieren das
Gehirn eines 17 jährigen Mädchens mit bilateral-symmetrischen Tumoren
im Kleinhirn-Brückenwinkel und mehreren kleinen Metastasen, die mit
der Dura verwachsen waren. Patientin starb zwei Stunden nach der Ope-
ration (Eröffnung der hinteren Schädelgrube) unter Störung der Atmung und
der Herztätigkeit, offenbar hervorgerufen durch Zerrung der Medulla oblon-
gata infolge der festen Verwachsung der Dura mit dem Hinterhauptbein.
Tagesordnung: Bingel: Magendiagnostik im Röntgenbilde.
Der Vortragende demonstriert unter Mitteilung der Krankengeschichten
eine Anzahl Röntgenbilder.
1. Kardiospasmus mit sekundärer Dilatation des Oesophagus
bei einem 19jährigen jungen Menschen, seit drei Jahren bestehend, _
9. Drei Fälle von gutartiger beziehungsweise bösartiger Pylorus-
stenose vor und nach der Operation.
3. Vier Fälle von durch Ulcus bedingtem Sanduhrmagen.
Sprengel schildert die vorgenommenen Operationen.
4, „Einseitiger Zwerchfellhochstand* (Eventratio dia-
phragmatica) entstanden durch einen Unfall. P.
Hamburg.
Aerztlicher Verein. Sitzung vom 5. November 1912,
Hahn hat an 1200 Patienten etwa 1600 Untersuchungen der
Wassermannschen Reaktion angestellt und sie positiv gefunden ! his
1 Jahr nach der Behandlung in 85 °/o der Untersuch