Skip to main content

Full text of "Meine Erlebnisse"

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 



MEINE ERLEBNISSE. 



VON 



FERDINAND ARLT. 



• • • 



• • 



• • • 



• •• 

• • 

• •• 



• • • 



• • 



• ■ 






• ••• 


• 


_•• 


• •• t 


1 • 


• I • 


• • 


• _ 


• • « 


• 


•• •,. 


• • 


••• 


••• 1 


• 


• . • 


• • • 


• • 


•..:: 


• 


• • 1 


» • • 


• • 


» • • • 



• • • 



• • • 



\ i 



Rl.) 



1 

1 t 



\ 



-\ 



MEINE 



ERLEBNISSE 



VON 



FERDINAND ARLT. 



Primum mtdici *st kumanitas. 



MIT ZWEI PORTRÄTS, 

IN HELIOGRAVÜRE UND LICHTDRUCK, UND DER FACSIMILE- 

REPRODUCTION EINES BRIEFES. 



WIESBADEN. 

VERLAG VON J. F. BERGMANN. 

1887. 



• • 

• •• 
• • • 



••• 









• • • 



Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten. 






• • * 



• • * 



• • 






t. 41 






.i« > 



H 



TESTAMENTS- CODICILL 



vom /. October 1886, 



..Ich erkläre^ dass das Manuscript meiner Biographie, 
welches sich in meinem Schreibtisch in Verwahrung meines 
Sohnes , des Dr, Ferdinand von Arit, befindet, das zur Ver- 
öffentiichung giltige ist, da ich seit der Uebergabe meiner Bio- 
graphie an Herrn Professor Becker in Heidelberg noch einige 
Aenderungen vorgenommen habe'' 



Dr. Ferdinand Ritter von Ar lt. 



INHALT. 



Seite 

Einleitung i 

I. Das Elternhaus 3 

n. Die Dorfschule 8 

ni. Am Gymnasium 12 

IV. Am Lyceum 20 

V. An der Universität 25 

VI. Die ersten zehn Jahre ärztlicher Thätigkeit . . 34 

VIT. Meine Thätigkeit als Lehrer an der Universität 44 
VIII. Verhältniss zu meiner Familie, meinen Schülern, 

Freunden und Collegen 85 

IX. Mein Gesundheitszustand 95 

X. Letzte Lebensjahre, Krankheit und Tod. Von 

Otto Becker 97 



Literarische Thätigkeit und Auszeichnungen . . . .117 

Nachwort. Von Otto Becker 135 

Arlt's Handschrift: Facsimile-Reproduction eines Briefes 145 




MILINI I;RLI:B NISSE. 




rt^HHM^i^^*^^ 



Motto: »Alle Menschen, von welchem Stande sie auch 
seien , die etwas Tugendsames oder Tugend- 
ähnliches vollbracht haben, sollten, wenn sie 
sich wahrhaft guter Absichten bewusst sind, 
eigenhändig ihr Leben aufsetzen, jedoch nicht 
eher, als bis sie das Alter von vierzig Jahren 
erreicht haben.« 

Goethe, Benvenuto Cellini. 



Als Professor Becker, der mir ein wahrer Freund 
geworden, zu Ostern 1885 mich besuchte, forderte 
er mich auf, meine Biographie zu publiciren; ich würde 
damit nicht nur zahlreichen Schülern ein willkommenes 
Andenken bieten, sondern auch manche jüngere Kraft 
zu unverdrossener Arbeit und zu muthigem Ankämpfen 
gegen äussere Hindemisse anspornen. 

Ich habe in der That ein sehr bewegtes Leben hinter 
mir; ich habe durch wiederholtes Zusammentreffen gün- 
stiger Umstände mehr erreicht, als ich je zu hoffen wagen 
konnte. Nicht Ehrgeiz war es, der mich zu redlicher 
Arbeit anspornte, auch nicht Streben nach Erwerb über 
das zur Existenz Nothwendige: es war ein angeborener 
oder schon in den ersten Lebensjahren entstandener 
Drang zu steter Thätigkeit, später geregelt durch die 
Personen, welche auf meine moralische Erziehung Einfluss 
übten , und durch die kümmerlichen Lebensverhältnisse 
meiner Jugend, welche mir den einzuschlagenden Weg 
unerbittlich vorzeichneten. 

Arlt, Meine Erlebnisse. I 



Zu diesen, mehr von aussen gegebenen, Impulsen 
trat allmälig mit dem Bewusstsein der Menschenwürde 
das Pflichtgefühl, die Ueberzeugung, es sei meine Pflicht, 
der Menschheit in toto zu vergelten, was sie mir erwiesen, 
was ich ihr verdankte. Und als ich dann einen be- 
stimmten Beruf gewählt und eine selbständige Stellung 
in der Gresellschaft erlangt hatte, als es galt, mein weiteres 
Fortkommen zu suchen, leitete mich der Grundsatz: 
handle bei strenger Pflichterfüllung in deiner jeweiligen 
Lage so, dass, wenn sich die äusseren Lebensverhältnisse 
günstig zeigen, du auch befähigt und würdig befunden 
werdest, in diese oder jene günstige Stellung einzutreten. 
Nur in diesem Sinne kann der alte Spruch: »Suae quis- 
que fortunae faber erit« vernünftig gedeutet werden. 

Talent und Arbeit allein genügen nicht, jemandem 
eine angesehene Stellung zu verschaffen ; es müssen auch 
äussere günstige Verhältnisse dazu treten. Die günstigen 
Conjuncturen sind das, was man Glück zu nennen pflegt; 
die erlangte Stellung zum eigenen Frommen wie zum 
Wohle Anderer zu verwerthen, dazu gehört Lust und 
Kraft zur Arbeit und — Genügsamkeit. Unersättliches 
Verlangen nach Auszeichnung und Besitz führt nur zu 
leicht zur Unzufriedenheit mit dem Erlangten und zu, 
Missgunst gegen Andere. Wer bei jedem Misserfolge, 
bei jedem Tadel, der ihn trifft, eine Entschuldigung für 
sich zur Hand hat, der leidet an Selbstüberschätzung oder 
an Trägheit (Mangel an Energie und Ausdauer). 



I. 



DAS ELTERNHAUS. 



Ich wurde geboren am i8. April 1812 zu Obergraupen, 
einem Dorfe im Erzgebirge, an der südlichen Abdachung 
des sogenannten Mückenberges. Derselbe liegt i ^12 Stunden 
nördlich von dem bekannten Badeorte Te plitz und 
^2 Stunde von der alten Bergstadt Graupen (am Fusse 
des Gebirges), in welcher sich die Pfarrei und die Schule 
befinden. Obergraupen, welches damals aus 60 — 70 Häu- 
sern bestand, war fast nur von Bergleuten bewohnt, welche 
den in Gängen und Klüften vorkommenden Zinnstein 
abbauten, nebstdem aber, da der tägliche Lohn nicht 
hinreichte, für eine Familie auch nur das Nothwendigste 
beizuschaffen , etwas Feldbau (Korn, Hafer, Kraut, be- 
sonders Erdäpfel) betrieben. Als Lohn für 1 1 Stunden 
Arbeit im Bergwerke erhielt ein Mann des Tages 33 Kreuzer 
Wiener Währung (15 Kr. W. W. = 6 Kr. Conventions- 
münze = 10 Kr. östr. Whg.). 

Mein Vater, der Sohn eines Revierjägers im Dienste 
des Fürsten Clary, war durch seinen Stiefvater bestimmt 



i* 



worden, das Handwerk eines Bergschmiedes (Verfertigung 
und Instandhaltung der zum Bergbaue nöthigen Eisen- 
und Stahlwerkzeuge) zu ergreifen. Nachdem 1813 (vor 
der Schlacht bei Kulm) sein Stiefbruder, Schmied am 
Mückenberge , von französischen Plänklem erschossen 
worden war, hatte er die Schmiedearbeiten des Berg- 
baues allein zu besorgen. Obwohl er nebst der Schmiede- 
werkstätte noch ein Wohn- und Wirthschaftshaus mit 
circa 10 Joch Ackerland besass, konnte er doch für seine 
Familie (ich war unter 6 Kindern das viertgeborene) nur 
mit äusserster Anstrengung das zum Leben Nothwendige 
erwerben. Er war ein rechtschaffener, stiller, nur seiner 
Familie lebender Mann und genoss im Dorfe grosses 
Vertrauen, so dass er bald zum Gemeindevorstande ge- 
wählt wurde. Er war von zarter Constitution und erlag, 
wie wir sehen werden, relativ zeitig (im 59. Jahre) über- 
mässiger körperlicher Anstrengung, 

Meine Mutter, Tochter des Bergmannes Kohlschüt- 
ten, hatte einige Jahre vor ihrer Verehelichung bei Bür- 
gersleuten in Graupen gedient. Sie war von kräftiger 
Constitution und Jahr aus Jahr ein von 4, längstens 5 Uhr 
morgens bis abends 9 Uhr und darüber, theils im Hause, 
theils auf dem Felde unverdrossen thätig. Sie war von 
echter Religiosität und ertrug die herben Schicksals- 
schläge, welche sie später betrafen, mit wahrer Ergebung 
in die Fügung Gottes. Wenn sie in recht bedrängter 
Lage war, sagte sie : »Der Herr wird mir nicht mehr auf- 
erlegen, als ich ertragen kann« und war wieder guten 



5 



Muthes. Sie war es, welche nicht nur durch ihr Beispiel, 
sondern auch durch ihre strenge Zucht auf uns Kinder 
den mächtigsten Einfluss übte. Sie hielt uns zu Arbeit, 
Genügsamkeit, Wahrhaftigkeit und Gottesfurcht an; ihre 
Mildthätigkeit gegen Arme, oft ihre Mittel überschreitend, 
weckte in uns frühzeitig Mitgefühl für fremdes Elend. 

Unser Elternhaus, mitten im Dorfe gelegen, war 
eines der grössten daselbst, i Stock hoch, ausser den 
Wohnräumen noch mit einem Kuhstalle und einer Scheuer 
versehen. Aus der nach Süden gerichteten Wohn-, be- 
sonders aber aus der Oberstube, übersieht man einen 
grossen Theil des böhmischen Mittelgebirges (von der 
Stelle, wo die Elbe dasselbe durchbricht, bis zu den 
Bergen von Brüx und deren Abflachung gegen Komotau) 
und die breite, von Westen nach Osten ziehende Thal- 
mulde, in welcher Teplitz-Schönau liegt, während von 
dem schmalen , tief einschneidenden Thale der Biela nur 
Bilin sichtbar ist. Die Oberstube (damals unheizbar) 
diente uns Kindern auch im Winter als Schlafstelle. Vor 
dem Hause lag ein kleiner Gemüse- und Blumengarten, 
weiter bergab etwas Wiesen- und Ackerland, letzteres 
auch mit Kirschen- und einigen Apfelbäumen bepflanzt 
(Pflaumen werden nicht mehr reif); die übrigen Felder 
lagen ^/4 bis V2 Stunde entfernt. 

Bei Benützung aller Arbeitskräfte — auch 4- bis 
5 jährige Kinder fanden entsprechende Verwendung — 
und strenger Sparsamkeit (unsere Nahrung bestand grössten- 
theils in Brod, Erdäpfeln, Milch und Butter, an Sonn- 



tagen mit etwas Fleisch) hatte die Familie eben ihr Aus- 
kommen. Sobald ein Kind das 6. Lebensjahr vollendet 
hatte, würde es bis Ende des 12. Jahres in die ^/a Stunde 
entfernte Schule unten in Graupen geschickt, dabei aber 
so viel als' möglich zu verschiedenen Arbeiten im Hause 
und auf dem Felde (z. B. Ausgraben von Kartoffeln, 
Holzverkleinern, Viehhüten u. dgl.) verwendet; Müssig- 
gehen, Herumflaniren , Gesellschaft mit Cameraden auf- 
suchen u. dgl. war uns gewissermassen unmöglich. An 
Sonntagen wurde sehr oft der Nachmittag zum Vorlesen 
einzelner Abschnitte aus einer Bibel (lutherischer Ueber- 
setzung) verwendet, welche der Vater wie ein Reliquium 
im Geheimen verwahrte. 

Einmal, ich mochte 7 Jahre alt sein, beauftragte 
mich die Mutter, auf dem Heimwege von der Schule 
ein Krügel Blut mitzubringen. Das beim Schlachten 
von Kälbern aufgefangene Blut wird, bevor es gerinnen 
kann, mit einem Stäbchen rasch umgerührt und bildet 
dann eine gleichförmige Flüssigkeit, welche nach Bei- 
mengung von Semmelschnitten in einer Pfanne zu einer 
Art Wurst (in der Ofenröhre) gebacken wird. Als 
ich — es war an einem kalten Wintertage — gegen 
Abend mit dem Kruge eines der obersten Häuser von 
Graupen passirt hatte, glitt ich auf dem Glatteise aus, 
und — hin war das Blut und — begossen meine neuen 
kalbledernen Hosen. Da erbarmte sich des weinenden 
Knaben eine Bürgersfrau, nahm mich in's Haus und 
liess durch andere Schulknaben nach Hause sagen, dass 



sie mich über Nacht bei sich behalten werde. Diese 
Frau habe ich circa 40 Jahre später am grauen Staare 
operirt und dadurch, dass sie wieder in ihrem Gebet- 
buche lesen konnte (sie starb im 92. Jahre), glücklich 
gemacht. 



II. 



DIE DORFSCHULE 



Als ich eben das 8. Jahr zurückgelegt hatte, kam 
eines Tages ein Stiefbruder meines Vaters, Domi- 
nik Schöttner, Schullehrer zu Weisskirchlitz (bei 
TepHtz) zu uns und machte den Eltern den Vorschlag, 
meinen Bruder Dominik oder mich zu ihm zu geben; er 
brauche einen Knaben, der ihm bei Versehung des 
Messnerdienstes und als Chorsänger behülflich sein und 
dabei sich selbst zugleich zum Schullehrer heranbilden 
könne. Die Eltern gingen auf den Vorschlag ein, indem 
sie hauptsächlich auf den zarter gebauten, zu gröberer 
Arbeit minder geeigneten Bruder Dominik reflektirten. 
Als aber der Vetter dann betonte, er möchte doch lieber 
mich nehmen, da Dominik schon beinahe ii Jahre alt 
sei, mithin sich nicht mehr so leicht abrichten lassen 
werde, willigten sie endlich ein, und somit wurde ich 
gegen eine massige Entschädigung für die Kost nach 
Weisskirchlitz gegeben. 

Wenige Monate darauf starb die seit langer Zeit 



schwer kranke Tante, eine Tochter in meinem Alter 
hinterlassend. Als dann der Vetter sich wieder ver- 
ehelicht hatte, kamen über uns beide schwere Zeiten. 
Die zweite Frau war hochfahrend, hartherzig, der Tochter 
wie mir eine Stiefmutter im gewöhnlichen Sinne des 
Wortes und voll Affenliebe für ihre eigenen Kinder. Ich 
wurde ausser den Schulstunden zu allerhand häuslichen 
Verrichtungen verwendet, namentlich zum Kinderwarten 
und häufig zu Botengängen nach T e p 1 i t z. — Einmal im 
Spätherbste, wo der Boden morgens bereits gefroren war, 
musste ich, der noch keine Stiefel für den .Winter erhalten 
hatte, barfuss — wie im Sommer durchaus — bei An- 
bruch des Tages nach T e p 1 i t z laufen , Seife zu holen, 
auf deren Besorgung zum W^aschtage man vergessen hatte. 
Der Vetter selbst behandelte mich zwar strenge, aber 
nie hart, nie ungerecht. Selbst wenn er mich strafte — 
wir wurden mit einer Birkenruthe auf die vorgestreckte 
Hohlhand geschlagen — vermied er es, das Ehrgefühl 
abzustumpfen; nach der Strafe war er wieder aus- 
gesöhnt. — Das war auch bei meinen Eltern der Fall. 

Als ich an einem heissen Julinachmittage einmal von 
Weisskirchlitz nach Obergraupen gekommen war, 
um des anderen Tages mit Butter dorthin zurückzukehren, 
gebot mir die Mutter, das Vieh (einige Kühe und Kälber) 
auf die etwa ^/2 Stunde entfernte Gutweide zu treiben. 
Meine Weigerung wurde mit Ruthenstreichen beantwortet. 
Flennend zog ich auf den Weideplatz. Dort schlief ich 
ein, und als ich bei Sonnenuntergang erwachte, hatte sich 



lO 



das Vieh in den angrenzenden Wald verlaufen. Erst 
gegen lo Uhr nachts gelang es den herbeigerufenen 
älteren Geschwistern, das Vieh wieder zustande zu bringen. 
Die Eltern fanden mich durch die ausgestandene Angst 
wohl hinreichend bestraft. 

Als ich einige Monate über 13 Jahre alt war, sagte 
der Vetter ganz unerwartet zu meinem Vater, ich eigne 
mich nicht gut zu einem Schullehrer, weil ich in der 
Musik keine rechten Fortschritte mache; er möge mich 
lieber studiren lassen. Ob dies aus seiner Ueberzeugung 
oder auf Antrieb der Tante geschehen, ist mir nicht klar 
geworden. Diese Erklärung des Vetters traf meine Eltern 
wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Namentlich war es 
die Mutter, welche sich nicht fassen konnte. Woher 
sollten die Mittel kommen, mich an dem Gymnasium zu 
Leitmeritz (6 Stunden von Graupen entfernt) mit dem 
Nothwendigsten zu versehen? Und doch sagte sich ihr 
praktischer Sinn, ich sei der schweren körperlichen Arbeit 
bereits entwöhnt, ich werde zur Erlernung eines Hand- 
werkes mich nicht mehr eignen. Diese Erwägung und 
der Umstand, dass der 17 Jahre alte Sohn Joseph 
den Vater bereits in der Schmiede und in der Wirth- 
schaft unterstützen konnte, mögen sie bewogen haben, 
ihre Einwilligung zu geben. Vielleicht tauchte auch der 
Wunsch auf, dass ich mich nach beendeten Studien dem 
geistlichen Stande widmen möchte, denn einen anderen 
Zweck des Studirens kannten die guten Eltern nicht. 
Aber bald wäre das Vorhaben mit mir gescheitert. 



II 

Die Eltern hatten nämlich meinen um 2V2 Jahre 
älteren Bruder Dominik, weil er bei seinem Austritte aus 
der Graupner Schule für schwere Arbeit noch zu schwach 
erschien, durch 2 Jahre in die Hauptschule zu Maria- 
schein geschickt, damit er sich, bis er kräftiger wurde, 
weiter ausbilde, und dieser hatte indess den Wunsch ge- 
fasst, sich gleich zwei Schulcameraden den Studien zu 
widmen. Während der Plan, den man mit mir vorhatte, 
besprochen wurde, rückte Dominik mit seinem Wunsche 
heraus und bat, gleichfalls mit nach Leitmeritz geschickt 
zu werden. Als der Tag meiner Abreise kam, wollte der 
Bruder wenigstens die Stadt Leitmeritz mit ansehen, 
und als wir dort angekommen waren, brachte es der 
Vater nicht über's Herz, ihn wieder mit nach Hause zu 
nehmen. So blieben wir denn beide dort, bei einem 
Buchbinder mit den zwei Cameraden meines Bruders in 
einer Stube einquartirt. 



III. 



AM GYMNASIUM. 



Leitmeritz, längs des erhöhten rechten Ufers der 
Elbe (unterhalb der Einmündung der Eger in die- 
selbe) an der südlichen Abdachung des Mittelgebirges 
gelegen, war der Sitz eines Bischofs mit einem Alumnate, 
eines Kreisamtes mit den dazu gehörenden Nebenämtern 
und eines Gymnasiums mit 6 Klassen (i geistlichen, 
6 weltlichen Professoren). Zwischen der schön angelegten 
und reinlich gehaltenen Stadt mit grösstentheils wohl- 
habenden Bewohnern und den zum Theil dicht bewal- 
deten Höhen des Mittelgebirges liegen fruchtbare Felder 
mit Obst- und Weingärten, mit anmuthigen kleinen Thal- 
einschnitten , während einzelne Hügel einen reizenden 
Fernblick auf die grosse fruchtbare Ebene jenseits der 
Elbe und längs der Eger darbieten. Ueberall und immer 
waren es die Reize der Natur, welche das jugendliche 
Gemüth anzogen und fesselten. Leitmeritz wurde mir 
das Paradies meiner Jugend. Dort , unter dem Beispiele 
und erziehenden Einflüsse wahrhaft edler Menschen, 



13 



erwachte in mir die jugendliche Begeisterung für das 
Gute, Wahre, Rechte, für das Pflichtgefühl, durch Thaten 
würdig zu werden der Wohlthaten, welche mir dort 
erwiesen wurden; ich nahm mir vor, mich dem geist- 
lichen Stande zu widmen. 

Anfangs ging es uns recht schlecht Mir mangelte 
zunächst die für das Gymnasium nöthige Vorbildung, 
namentlich in der Sprachlehre. Ich war nach der ersten 
schriftlichen Prüfung (Uebersetzung aus dem Deutschen 
in 's Lateinische) einer der schlechtesten unter 40 Schülern. 
Aber der Gedanke an meine guten Eltern, und die Furcht, 
zurücktreten zu müssen, spornten mich an, tüchtig zu 
arbeiten; bereits zu Ostern war ich bei der Klassi- 
fikation gleich meinem Bruder einer der besten. Dann 
ging es ununterbrochen vorwärts; im 4. Jahre nahm ich 
bereits den i. Platz ein, den ich auch bis zum Abgange 
an die Universität behauptete. 

Unsere materielle Lage war und blieb durch die 
ersten zwei Jahre eine sehr dürftige. Wir waren zumeist 
auf Suppe, Brod und Erdäpfel mit etwas Milch oder 
Butter angewiesen. Da verschaffte mir ein Mitschüler, 
der Sohn eines Magistratsrathes, einen Kosttag (Freitisch) 
am Sonntage und dessen Mutter einen zweiten (Dienstag) 
bei dem Stadtvogte Dr. Dittrich; einen drkten erhielt 
ich bei einer Fleischhauerswitwe. 

Gegen Ende des 2. Jahres nahm ich mich eines 
Mitschülers an, eines herzensguten Jungen, dem es trotz 
allen Fleisses nicht gelingen wollte ^ seine Lektionen 



gehörig zu memoriren. Hatten wir z. B. 2 — 3 Seiten 
Geographie zu lernen, so las er das Ganze wohl 10 mal 
durch, wusste aber dann doch nicht das Gelesene her- 
zusagen. Ich wies ihn nun an, zunächst nur 2 — 3 Sätze 
des Aufgegebenen zu lesen und dann herzusagen, hierauf 
dasselbe mit den nächstfolgenden 2 — 3 Sätzen zu thun, 
und sodann beide Absätze zusammen nachzusagen u. s. w. 
Auf diese Weise gelang es ihm bald, einige Seiten Wort 
für Wort zu behalten. Dies und vielleicht auch meinen 
anderweitigen Einfluss auf den Knaben erfuhr sein Onkel, 
Joseph Günter, Professor der Kirchengeschichte und 
des Kirchenrechtes am bischöflichen Alumnate. Dieser 
war früher in Schlukenau Kaplan gewesen; reiche Kauf- 
leute aus jener Gegend hatten ihn ersucht, ihre Söhne, 
welche inLeitmeritz studiren sollten, zu sich in Quartier 
und Kost zu nehmen. Unter diesen Kostknaben befand 
sich, nebenbei gesagt, auch Franz Dittrich aus Nix- 
dorf, später Professor der medizinischen Klinik in Er- 
langen. 

Professor Günter wählte nun mich (in meinem 
16. Jahre) zum Mentor und Correpetitor für 3 solche 
Knaben, nahm mich in seine Wohnung und Hess mir 
auch Frühstück und Abendbrod verabreichen. In dieser 
Stellung verblieb ich bis zu meinem Abgange nach Prag. 
In den letzten beiden Jahren erhielt ich durch den Katecheten 
Gau noch eine tägliche Unterrichtsstunde (bei einem 
Neffen des Staatsrathes Jus tel) und im letzten Jahre noch 
täglich zwei Stunden beijur. Dr. Stradal, von dem ich 



15 



fünf Kinder (zwischen 6 und 1 5 Jahren) zu unterrichten 
hatte. 

Von letzterem erhielt ich zu Ende des Jahres i2ofl. 
Wiener Währung, eine fiir mich unter den damaligen 
Verhältnissen grosse Summe. Diese überbrachte ich 
meinem Vater mit der freudigen Aeusserung, dass wir 
(der Bruder und ich) damit fiir den Anfang in Prag ge- 
deckt sein werden. Er aber meinte, so lange er lebe 
und arbeiten könne, wolle er an diesem Ersparnisse 
nicht rühren. Als hätte er geahnt, dass die Zeit der 
äussersten Noth bald kommen werde! 

Auch mein Bruder hatte bald Wohlthäter gefunden 
und einige Lektionen erhalten; er wurde im 4. Jahre 
unserer Studien von dem nach Leitmeritz als Gym- 
nasialpräfekten versetzten Pater Franz Effenberger, 
dem Sohn eines Leinwebers aus Graupen, in's Quartier 
genommen. Bevor dies geschah, war er an Typhus 
schwer erkrankt und von dem Dr. Dittrich mit grosser 
Sorgfalt behandelt worden. 

Den wichtigsten Einfluss auf meine geistige Richtung 
und auf meinen Charakter nahm der Gymnasialkatechet 
Johann Gau, besonders durch seine sonntägigen 
Exhorten (Predigten fiir uns Gymnasialschüler). Die 
Quintessenz seiner Lehre war: wir sollen das Gute thun 
wegen des Guten selbst , ohne Reflexion auf Lohn oder 
Strafe. Er kannte, wie mir erst später klar wurde, jeden 
Schüler der sechs Jahrgänge nicht nur aus der Schule, 
sondern auch nach seinem häuslichen Thun und Trachten ; 



i6 



wir waren väterlich überwacht, ohne es zu ahnen ; er griff 
in das Verhalten der Ueberwachten kaum je direkt ein, 
wohl aber oft mittelbar ; z. B. wenn er wusste, diese oder 
jene haben Hang zum Kartenspielen, Trinken u. dgl., 
so wählte er die Schilderung der Folgen solcher Verirrung 
zum Gegenstande einer Exhorte und nahm bald offen, 
bald unvermerkt Einfluss auf den Ort der Zusammenkunft 
u. s. w. So war er allgemein mehr geachtet als gefürch- 
tet, von den meisten geliebt, und keiner konnte ihn einer 
Ungerechtigkeit oder Lieblosigkeit zeihen. 

In der 5. und 6. Klasse (Humaniora genannt) war es 
der im Lehramte ergraute I g n a z Hajek, dessen reiches 
Wissen, dessen klassische Bildung und echte Humanität 
einen bewältigenden Eindruck auf uns übte, welcher allen, 
die geistig und moralisch befähigt waren, eine tüchtige 
Vorbildung für die Universität beizubringen verstand. 

Damals bestanden in Böhmen 19 Gymnasien mit 
je 6 Klassen (Jahrgängen) und 4 Lyceen mit je 2 Klassen, 
welche den Uebergang vom Gymnasium zu den Fach- 
studien (Theologie, Jus, Medizin) vermittelten. In diesen 
beiden Jahrgängen wurden Mathematik, Physik, die natur- 
historischen Fächer, Philologie, Philosophie, Weltgeschichte 
und Religionswissenschaft von eigenen Professoren vor- 
getragen und semestraliter zum Gegenstande eines Examens 
gemacht. Am Gymnasium bestanden für jeden Jahrgang 
nebst dem Katecheten nur zwei Lehrer, einer für die 
ersten vier Jahre (die Grammatikalklassen) , einer für die 
Humaniora. Gegenwärtig sind alle Gymnasien, welche 



17 



zur Vorbereitung für die Universitätsstudien bestimmt 
sind, in 8 Klassen eingetheilt, und ist die Erlaubniss, in 
die Universität einzutreten, von einer strengen Prüfung 
zu Ende des 8. Jahres (Maturitätsprüfung) abhängig. Jetzt 
existiren schon vom ersten Jahre an für je einen oder 
zwei Lehrgegenstände Fachlehrer ; die früheren Semestral- 
prüfungen sollen durch zeitweilige Prüfungen während 
des Semesters ersetzt werden. 

Wenn ich meine Wahrnehmungen aus der früheren 
Zeit mit denen seit der neueren Einrichtung vergleiche, 
kann ich nicht umhin, mich für das System der Klassen- 
lehrer, wenigstens in den ersten vier Jahren (Unter- 
gymnasium) zu erklären. Bei dem Kinde vom lo. bis 
zum 15. Jahre — leider besteht jetzt eine Sucht, die 
Knaben je eher je lieber in das Gymnasium zu bringen — 
sollten doch die pädagogischen Rücksichten weit mehr 
ins Gewicht fallen, als die scientifischen. Das Kind soll 
sich vor allem an geordnete Thätigkeit, an Lust und 
Liebe zur Arbeit gewöhnen. Es soll ihm auch bei 
mittlerer (Durchschnitts-)Begabung möglich sein, einige 
Stunden des Tages nach eigener Wahl (Bewegung im 
Freien, Spielen, Musik u. dgl.) fiir sich zu verwenden; 
das Kind soll nicht gezwungen sein, zur Bewältigung 
der Schulaufgaben bis tief in die Nacht hinein zu ar- 
beiten. Hat ein Kind nur einen Lehrer für verschiedene 
Gegenstände , so kann dieser die Fähigkeiten desselben 
im Allgemeinen und nach verschiedenen Richtungen hin 
leichter richtig beurtheilen und dessen Behandlung darnach 

Arlt, Meine Erlebnisse. 2 



i8 



einrichten. Lob in dem einen, Tadel in dem anderen 
Fache, von einem und demselben Lehrer ausgesprochen, 
kann das Kind kaum beirren oder verletzen, eher zu An- 
strengung aller seiner Kräfte aufmuntern. Anders, wenn 
von dem einen Lob, von dem andern Tadel kommt; 
das Kind sucht die Ursache eher ausser als in sich, und 
nichts wirkt verderblicher auf die empfanglichen Gemüther, 
als wirkliche oder vermeintliche Härte oder Ungerechtig- 
keit. Fast jeder Fachlehrer betrachtet seinen Gegenstand 
als den wichtigsten. Kinder ziehen auch leicht Vergleiche 
zwischen ihren Lehrern, nicht immer zum Vortheile der 
tüchtigsten, der gewissenhaftesten. Auch scheint es mir 
leichter, dass ein Lehrer, wenn er dasselbe Kind durch 
eine Reihe von Jahren unterrichtet, in den einzelnen 
Gegenständen stufenweise fortschreite, als dass ein und 
derselbe Lehrer Kindern aus verschiedenen Jahrgängen 
Unterricht in seinem speziellen Fache ertheile. Die 
Summe und der Umfang der Gegenstände, welche einem 
Kinde in den ersten 4 Jahren des Gymnasiums bei- 
zubringen sind, ist sicherlich nicht so gross, als dass sie 
nicht ein einzelner Mann genügend beherrschen könnte. 
Den Beweis dafür haben die Männer geliefert, welche 
(kurz vor Einführung des neuen Systemes) zu Klassen- 
lehrern ausgebildet worden waren. Nicht auf das, wie 
viel man in diesem Alter lernt, kommt es an, sondern 
auf die Methode zu lernen und auf die Erweckung von 
Lust und Freude an geregelter Thätigkeit, an nützlicher 
Beschäftigung. Von Kindern, welche zu früh (vor dem 



19 



12. Jahre) zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen 
werden, verkümmern bekanntlich viele physisch; gewiss 
bleibt auch vorzeitige und übermässige Anstrengung der 
geistigen Kräfte sehr oft nicht ohne nachtheiligen Einfluss 
auf deren Leistungsfähigkeit in späteren Jahren. Ich 
meine, das an so manchem meiner Studiengenossen be- 
obachtet zu haben. 



2* 



f 
I 

'l 

v 






i-i , 
Ü! i! 

ji-: 



■:f. 

:-ir 
■I 1 



IV. 



AM LYCEUM 



V 



oll Zuversicht zogen wir Brüder im Herbste 1831 

nach Prag. Mit den besten Empfehlungen vom 

Gymnasium aus versehen, hofften wir Lektionen, vielleicht 

auch eines der zahlreichen Stipendien für unbemittelte 

Studenten zu erlangen. Vergebens. Einen kleinen Erwerb 

' i verschaffte ich mir dadurch , dass ich die Vorträge des 

ij * Professor Exner, dessen Zutrauen ich durch Beant- 

wortung einiger Fragen gewonnen hatte, nieder- und für 
einen wohlhabenden Collegen abschrieb. Zu Ostern 
(1832) erhielt ich endlich eine Lektion. Ich bekam einen 
Knaben von 7 Jahren zu unterrichten,' welcher wenig 
Deutsch verstand, während ich der czechischen Sprache 
noch weniger mächtig war. Voll Freude schrieb ich 
meinen Eltern, dass ich nun gegen das Acrgste ge- 
borgen sei. 

Dieser Brief war im Elternhause zwei Tage vor dem 
Tode meines Vaters angelangt und hatte ihm noch eine 



21 



Freude bereitet. Eine heftige Lungenentzündung (nach 
harter Feldarbeit an einem rauhen Frühlingstage) hat ihn 
uns entrissen (am 28. Mai 1832). Das war ein harter 
Schlag. — Und doch sollten wir noch mehr Trübsal 
erleben. Unser Bruder Joseph, 25 Jahre alt, der Gehilfe 
des Vaters und nun die einzige Stütze der Mutter, war 
an Typhus erkrankt (zu Pfingsten) und konnte sich nicht 
mehr erholen. Als ich zu Anfang der Ferien nach Hause 
eilte, fand ich ihn unabwendbarem Siechthume verfallen. — 
Ich hatte meine Lektion schon nach 6 Wochen verloren, 
weil mein Vorgänger, wegen eines leichtsinnigen Streiches 
entlassen, wieder zu Gnaden aufgenommen worden war. — 
Nun hätte ich wohl die glücklich begonnene Bahn ver- 
lassen müssen, wäre mir nicht das Ersparniss von Leit- 
meritz zur Verfügung gestanden, und hätte nicht die gute 
Mutter eine ganz ausserordentliche Energie entwickelt. 
Mit Hilfe eines benachbarten Schmiedes, welcher es über- 
nahm, unseren jüngsten Bruder Wenzel (damals erst 
14 Jahre alt) im Handwerke zu unterweisen, führte sie 
dieses und die Wirthschaft fort, und Gottes Segen, auf 
den sie unerschütterlich baute, war mit ihr. 

So zogen wir, der Zukunft vertrauend, wieder nach 
Prag. Unsere Lage war die gleiche kümmerliche. Eines 
Tages sah ich den Medicinae Studiosus Anton Jaksch, 
den ich vom Gymnasium her — er war 4 Jahre vor mir — 
als einen der Ausgezeichneten kannte, auf der Prager 
Brücke. Ich sprach ihn an, ob er mir nicht eine 



22 



Lektion verschaffen könne, und nannte ihm meine 
Adresse. Er konnte mir nicht helfen, aber er ersuchte 
mich später, als er sich zu den Rigorosen vorbereitete, 
ihm die obligaten Krankengeschichten sauber abzu- 
schreiben. Das war der Anfang meiner Bekanntschaft 
mit dem nachherigen Professor Jak seh, der auf meine 
weitere Entwicklung einen so bedeutenden Einfluss ge- 
nommen hat. 

Während des Studiums der Philosophie (des Lyceums) 
trat in mir eine mächtige Umwandlung (in meiner 
Lebensanschauung) ein. Ich wurde inne, dass ich nicht 
mehr, wie ich bisher gemeint, mit voller Ueberzeugung 
mich dem Priesterstande widmen könne. Ich war in 
meinem Inneren ein anderer Mensch geworden. Ich 
konnte mich für gewisse Dogmen, z. B. das von der 
:>allein selig machenden Kirche«, nicht mehr erwärmen; 
mir widerstrebte jeder Kastengeist; warum sollte, so 
erwiderte ich einem Collegen, dem Geistlichen, der aller- 
dings grosse Opfer bringt, der aber dafür auch mehr 
Gelegenheit zu seiner Ausbildung gehabt hat, ein grösseres 
Verdienst zugeschrieben werden, als z. B. einem Schuh- 
macher, der seine Pflichten in jeder Richtung nach bestem 
Wissen und Gewissen erfüllt? 

Da, zu Ostern 1833, trat zum ersten Male das Glück 
an mich heran. Ueber Empfehlung unseres Religions- 
professors, des Kreuzherrn Jacob Beer, wurde mir von 
dem wohlhabenden Kaufmanne Franz Kose die Stelle 



23 



als Erzieher seines jüngsten Kindes, des lo jährigen 
Alexander, angetragen. Der frühere Hauslehrer, der 
nachher in Wien als Pädagoge rühmlichst bekannte 
Hermann, hatte diese Stelle wegen Kränklichkeit ver- 
lassen müssen. Mein Entschluss war bald gefasst; ich 
erklärte, dass ich Mediziner werden wolle, und wurde 
aufgenommen. Der ärztliche Stand war es ja, den ich 
schon zu Leitmeritz in der Person des Dr. Dittrich 
nächst dem geistlichen Stande am meisten achten ge- 
lernt hatte. Nun aller Nahrungssorgen ledig, widmete 
ich mich mit Feuereifer meinem doppelten Berufe, als 
Erzieher und als Mediziner. Ich blieb beinahe 7 Jahre 
in dem Hause, und mein Zögling ist, nachdem er die 
Beamtencarri^re ergriffen hatte, jetzt in Prag ein wegen 
seines Charakters allgemein geachteter Mann. Er hatte 
seine Mutter schon in seinem 12. Jahre verloren und 
war dann grösstentheils meiner Obhut und Leitung über- 
lassen. Er ist mir bis in sein Greisenalter herzlich zu- 
gethan geblieben. 

Als ich zu den Herbstferien nach Hause kam und 
der Mutter meinen Entschluss, Arzt zu werden, kund 
gab, traten ihr Thränen der Wehmut in die Augen; 
ihre Hoffnung, mich als Priester am Altare zu sehen, 
war dahin. Doch gelang es mir, sie zu trösten; hatte 
sie doch, als mein Bruder in Leitmeritz an Typhus 
erkrankt war, in Dr. Dittrich den ärztlichen Stand von 
einer nie geahnten edlen Seite kennen gelernt. Dass 



24 



auch mein Bruder dem geistlichen Stande den Rücken 
kehrte und, um Jus zu studiren, nach Wien zu gehen 
entschlossen war, traf sie wohl noch härter; dennoch 
setzte sie ihm kein Hinderniss entgegen, gewährte ihm 
vielmehr Unterstützung, so viel sie es vermochte. 



V. 

AN DER UNIVERSITÄT. 



Das Studium der Medizin war auf fünf Jahre vertheilt, 
und ohngefahr ein Jahr war zur Ablegung der 
strengen Prüfungen aus der Medizin und Chirurgie nöthig. 
Vorgetragen wurden: im i. Jahre Anatomie mit Secir- 
übungen, Mineralogie, Zoologie und Botanik, im 2. Jahre 
Chemie und Physiologie, im 3. Pharmakologie, allgemeine 
Pathologie und Therapie, Veterinärkunde, im 4. und 
5. Jahre medizinische und chirurgische Klinik sammt 
spezieller Pathologie und Therapie, Augenheilkunde, ge- 
richtliche Medizin und Staatsarzneikunde. Für Geburts- 
hilfe bestanden sechswöchentliche Kurse, welche meistens 
während des Rigorosenjahres genommen wurden. — Für 
Physiologie, allgemeine und spezielle Pathologie, für 
Pharmakologie und Rezeptirkunde war die lateinische 
Sprache vorgeschrieben. Das für spezielle Pathologie 
und Therapie vorgeschriebene Lehrbuch war das von 
Raima nn. Für die meisten Fächer bestanden Semestral-, 



26 



fiir die klinischen Jahresprüfungen. Für das Doktorat 
der Medizin waren 2 Rigorosa vorgeschrieben ; wer über- 
dies das Doktorat der Chirurgie erlangen wollte, hatte 
die chirurgische Klinik nicht durch 2, sondern durch 
4 Semester zu besuchen und dann 2 besondere Rigorosa 
zu bestehen; für Augenheilkunde und für Geburtshilfe 
konnte man durch je eine strenge Prüfung das Diplom 
eines Magisters erlangen. — Die Professoren standen 
unter der Aufsicht eines Studiendirektors, welcher damals 
in Prag zugleich Protomedicus des Landes war. Als 
Studiendirektor unterstand dieser der Studienhofkommis- 
sion in Wien, von welcher auch die Anträge zur Er- 
nennung von Professoren auf Grundlage schriftlicher und 
mündlicher Konkursprüfungen als 2. Instanz abhingen. 

Zu der Zeit, als ich meine Studien der Medizin 
durchmachte, stand diese als Wissenschaft überhaupt 
noch grossentheils auf einer sehr niederen Stufe, nicht 
nur an den österreichischen, sondern auch an den anderen 
Universitäten. Man hielt mit einer gewissen Befangen- 
heit an althergebrachten Theoremen, sammelte allenfalls 
Beobachtungen, doch zumeist mit mangelhafter Kritik, 
und gefiel sich in mehr weniger bestechenden Hypo- 
thesen. Man getraute sich nicht, die Gesetze der Physik 
auf den menschlichen Organismus anzuwenden , und die 
Untersuchung an Leichen war mehr auf das Sammeln 
seltener Befunde als auf die Veränderungen vor und 
nach dem Tode, auf deren Zusammenhang gerichtet. 
Die Wege zum Besseren, die ein Morgagni, Laennec, 



27 



Auenbrugger angetreten, wurden im Allgemeinen 
nicht weiter verfolgt. 

Da trat im Wiener Allgemeinen Krankenhause, einer 
Schöpfung des unsterblichen Kaiser Joseph, ausser- 
halb des Verbandes mit der an die hergebrachten Normen 
gebundenen Universität, ein Mann auf, der es wagte, 
seine wohlerworbenen Kenntnisse in der Mathematik und 
Physik am menschlichen Körper zu verwerthen, die 
Diagnostik auf die anatomischen Veränderungen zu 
stützen und auch für die Therapie so viel als möglich 
eine rationelle Basis zu gewinnen. Das war Joseph 
V. Skoda, ein Schlosserssohn aus Pilsen, der anfangs 
unbeachtete, dann vielfach angefeindete und verfolgte 
Secundarius des Allgemeinen Krankenhauses. Zunächst 
war es sein Freund Dr. Kolletschka*), Assistent des 
Dr. Rokitansky, damaligen Prosektors im Kranken- 
hause, dann auch Rokitansky selbst, welche es ermög- 
lichten, das im Leben von Skoda Diagnostizirte nach 
dem Tode zu controlliren und für die Diagnostik eine 
verlässliche Grundlage zu schaffen. Durch den Scharf- 
sinn und eisernen Fleiss Rokitansky' s erhielt in wenig 
Jahren die pathologische Anatomie eine kaum geahnte 
Bedeutung für die praktische Medizin überhaupt. An der 
Hand dieser Wissenschaft dehnte v. Skoda seine zu- 
nächst auf die Brustorgane gerichteten Studien auf den 



•) Kolletschka. später zum Professor der gerichllichen Medizin 
und Staatsarzneikunde ernannt, starb in Fglge einer Verletzung bei 
einer Sektion 1847; sein Nachfolger wurde Dlauhy. 



28 



ganzen Körper aus, und seine nüchterne Forschung ge- 
wann auch für die Therapie eine rationelle Basis. Er 
verpönte trotz heftigen Widerspruches alles unnöthige, 
nur auf Herkommen gestützte, Eingreifen in das Walten 
der Natur. Der Vorwurf des Nihilismus vermochte nicht, 
ihn in seinem ruhigen Beobachten und Forschen zu be- 
irren*). 

Bald drang der Ruf der neuen Richtung der Medizin 
auch nach Prag. In den Ferien 1837 ging Hamernjk, 
dann Jaksch, Assistent der medizinischen Klinik (für 
Chirurgen) nach Wien, das Jahr darauf Oppolzer, 
Assistent an der Klinik für Mediziner ; ihnen folgte, durch 
die Berichte von Jaksch begeistert, auch der greise Pro- 
fessor der Augenheilkunde, J o h a n n N. F i s c h e r. In den 
letzten zwei Jahren vor meiner Promotion wurde ich durch 
Jaksch ein eifriger Anhänger der neueren Richtung. 

In den ersten zwei Jahren hatte ich vorzüglich Ana- 
tomie (unter Bochdalek), namentlich Secirübungen mit 
grossem Eifer betrieben, nebstdem Botanik und Minera- 
logie (letztere auch unter Zippe im Polytechnikum); in 
den übrigen Fächern war der Unterricht ein mangel- 



•) V. Skoda war ein Arzt in grossem Style; er war nicht, wie 
Viele meinten und noch meinen, ein Arzt bloss für Brustkranke. Seit 
der Versorgung Wiens mit gesundem Trinkwasser (Hochquellen), welche 
auf Anregung und unter energischer, umsichtiger und opferwilliger 
Mitwirkung v. Skoda' s endlich zu Stande kam, ist der Abdominal- 
typhus, hier seit langer Zeit endemisch, eine Seltenheit geworden. Er 
war es auch, von dem Hebra die erste Anleitung zu einem rationellen 
Studium der Hautkrankheiten erhielt. 



*• 



29 



hafter, daher auch keine Begeisterung dafür; in den 
Kliniken fesselten nur die Abendvisiten, von den Assi- 
stenten Pitha und Oppolzer gehalten, und des Mor- 
gens der Unterricht des Professor Fischer. Dieser, 
unter meinen Professoren unstreitig der gewissenhafteste 
und in seinem Fache tüchtigste, war in seinem ganzen 
Wesen schlicht, bezüglich der Pflichterfüllung streng 
gegen seine Schüler wie gegen sich selbst; er lehrte uns 
genau untersuchen, sorgfaltig beobachten und über das 
Gesehene Rechenschaft geben. Unter den Gründen, 
welche ihn bestimmten, mich zu seinem Assistenten zu 
designiren, war auch der, dass er mir eine gewisse An- 
lage zu mechanischen Arbeiten (zum Operiren) zutraute, 
weil ich die Krystallmodelle (nach Mohs) aus Gyps an- 
gefertigt und saubere anatomische Präparate (von den 
Kopfnerven) geliefert hatte. Nach meiner Promotion 
(30. November 1839) verlangte er, dass ich vor Antritt 
der Assistentenstelle erst auf einige Monate nach Wien 
gehe, um mich bei v. Skoda und Rokitansky noch 
weiter mit dem Geiste der neueren Richtung vertraut zu 
machen; nebenbei könne ich die Klinik von Professor 
Rosas (an der Universität) und von Professor Jäger 
(am Josephinum) besuchen. 

Zum Glücke hatte ich mir im Hause Kose so viel 
erspart, dass ich nach Wien reisen und dort 3 Monate 
aushalten konnte. Die Quartierfrau meines Bruders, 
welcher Jus absolvirt hatte und bei der Lottobuchhaltung 
praktizirte, gestattete mir, unentgeltlich bei ihm zu 



30 



wohnen, und in einer Garküche (in der Blutgasse) konnte 
ich für 15 Kreuzer W. W. mittags essen. Die Kurse bei 
Skoda, Rokitansky und Jäger kosteten je 30 Frank. 
Aber Rokitansky, in dessen Wohnung ich über An- 
empfehlung von Professor Fischer freundlich empfangen 
und dann auch öfters eingeladen worden war, schenkte 
mir das Honorar, und die Rückreise nach Prag kostete 
mich nichts, weil zufällig Kaufmann Kose seinen Freund 
K o 1 b nach Wien begleitet hatte und mich dann mit nach 
Hause nahm. — Dem Professor Jäger muss ich nach- 
rühmen, dass man bei seinen Operationskursen (und 
Uebungen) mit Verständniss der Technik operiren lernen 
konnte. Durch seinen Assistenten Dr. Riegler wurde 
ich mit der Anwendung des Cuprum sulfuricum , das bei 
Fischer nie gebraucht worden war, bekannt und zuerst 
auf M ü 11 e r ' s Physiologie des Gesichtssinnes aufmerksam 
gemacht. 

Ich muss nun Einiges aus der fröhlichsten (?) Zeit 
meiner Jugend nachholen. Als ich Mediziner im 2. Jahre 
war, lernte ich die Schwester eines Mitschülers, ein bild- 
schönes Mädchen von 15 Jahren, kennen. Sie war die 
Tochter eines Landschullehrers und die Nichte eines 
Prager Domherrn, der sie mit ihrem Bruder zur weiteren 
Ausbildung in sein Haus genommen hatte. Ich nahm 
mich um sie ernstlich an, verfasste für sie passende 
Auszüge aus Geographie, Geschichte, Aesthetik und 
arrangirte gesellige Ausflüge in die Umgebung der Stadt, 
auch ein Studentenkränzchen. Aber indem sie dabei 



31 



auch mit Freunden und Mitschülern von mir in Berührung 
trat, musste ich wahrnehmen, dass sie einem Anderen, 
der das Courmachen besser verstand, vor mir den Vorzug 
gab. Ich war zu stolz, eifersüchtig zu sein, und zog 
mich zurück. Der schöne Bursch war flatterhaft, und 
nach einigen Jahren wurde sie die Frau eines Mannes, 
der sie roh behandelte. Unvergesslich bleibt mir der 
Moment, als ich das schöne zarte Geschöpf, nachdem 
ich bereits Assistent war und einem fremden Arzte die 
Heilanstalten Prags zeigte, in einem Zimmer der 
Irrenanstalt (unter den Kranken) wiedersah. Entsetzt 
durch den unvermutheten Anblick eilte ich rasch davon 
und — sah sie nie wieder. 

Als ich in den Ferien nach dem 2. Jahre in meine 
Heimat gehen wollte, hielt ich mich früher inLeitmeritz 
auf, meine ehemaligen Wohlthäter zu besuchen, darunter 
auch die Familie Dittrich. Diese war in tiefer Trauer. 
Der einzige Sohn, ein hoffnungsvoller Jüngling von 
26 Jahren, war vor Kurzem an Tuberculosis gestorben, 
und die einzige Tochter hatte sich von einem schweren 
Leiden kaum erholt. Inniges Mitleid fesselte mich an 
das Haus, und ich blieb einige Tage dort, Mutter und 
Tochter zu trösten, aufzuheitern. Erst jetzt lernte ich 
die Tochter, welche früher lange nicht im Hause gewesen 
war, näher kennen; erst jetzt lernte ich in ihr ein weib- 
liches Wesen kennen, welches meinem Ideale einer Frau 
in vielen Beziehungen entsprach, und bald tauchte in 
mir der Wunsch auf, auch ihr Gelegenheit zu geben, 



32 



mich näher kennen zu lernen. Ich erhielt die Erlaub- 
niss, mit ihr von Prag aus in Correspondenz zu treten. 
Schon zu Pfingsten des nächsten Jahres, als Marie mit 
einer Freundin nach Prag kam, Einkäufe zu machen, 
kam es zu gegenseitiger Erklärung, dass wir einander 
angehören wollen, bis^ ich einmal eine selbständige 
Stellung erlangt haben würde. Der tiefbesorgte Vater, 
dem die Tochter ihre Neigung zu mir nicht verhehlt 
hatte, schrieb mir einen sehr ernsten Brief, gab dann 
aber doch seine Einwilligung zu unserem Verhältnisse. 
Und so blieb ich denn durch mehr als 5 Jahre erklärter 
Bräutigam. Doch noch vor unserer Verehelichung traf 
den guten Doktor noch ein harter Schlag; er erblindete 
am grauen Staare. Eben als ich Augenheilkunde hörte, 
wurde er von Professor Fischer operirt, mit gutem Er- 
folge, doch in seinem Berufe merklich behindert. Da ich 
mich während seiner Behandlung im Spitale zu Prag 
seiner Pflege aufs wärmste annahm, lernte Fischer mich 
näher kennen, und gelangte er überdies zur Kenntniss 
meines Verhältnisses und meines Planes, mich einstens 
als praktischer Arzt in Leitmeritz niederzulassen. 

In dieser mir zur zweiten Heimat gewordenen Stadt 
gedachte ich dem Ideale, das ich mir von dem ärztlichen 
Berufe entworfen hatte, nachzustreben. An unseren ver- 
schiedenen Lehrern hatten wir Studenten herausgefunden, 
dass wohl gründliche Kenntnisse, noch mehr aber Huma- 
nität und Pflichtgefühl, erforderlich seien, diesem Berufe 
gerecht zu werden. Eine Zahl Gleichgesinnter wählte 



33 



den Wahlspruch: »Primum humanitas, alterum scientia«. 
Die echten Jünger der Kunst gehen nicht auf den Erwerb 
aus, der kommt nebenbei von selbst; ihr Ziel ist Helfen 
durch Wissen und Talent und, wo diese nicht ausreichen, 
durch aufrichtige Theilnahme an dem Loose der Hilfs- 
bedürftigen. »Miserrima res est- medici, cui semper bene 
est, quando aliis male« hatten wir in Friedrich Hof- 
mann 's medicus politicus gelesen. — Zunächst musste ich 
also auf weitere Ausbildung, als sie der Schulbesuch geben 
konnte, bedacht sein, daher eine Anstellung im Spitale 
anstreben. ÜJicse Ueberzeugung setzte ich dem Wunsche 
von mir und meiner Braut entgegen, bevor ich noch die 
Assistentenstelle erlangte. — Als Mediziner war ich sehr 
heiter und gesellig, besonders für Musik (Gesang) ein- 
genommen. Das Leben der Studenten war damals in 
Prag überhaupt in sozialer Beziehung ein sehr angenehmes; 
nur eine verschwindend kleine Anzahl von extrem national- 
czechischer Tendenz hielt sich von unseren zumeist durch 
Gesang und Scherz gewürzten Unterhaltungen (besonders 
Ausflügen in die Umgebung) entfernt ; ob czechischer oder 
deutscher Abkunft, darnach fragten wir nicht. So blieb 
es auch bis zum Jahre 1848, das eine tiefe Kluft zwischen 
den Nationen eröffnete. 



Arlt, Meine Erlebnisse. 



VI. 



DIE ERSTEN ZEHN JAHRE ARZT- 
LICHER THATIGKEIT. 



^J^Lch dem Antritte der Assistentenstelle bei Professor 
1 Fischer*) (am 5. April 1840J war ich zunächst 
bestrebt, den Anforderungen meines Lehrers zu ent- 
sprechen. Ich gewann sehr bald sein volles Vertrauen, 
und schon Mitte Mai rief er mich zu einer Staaroperation 
vor. Es war das eine Discissio capsulae per keratonj-xin 
nach Fr. Jäger bei einem 17jährigen Mädchen. — In 
Prag bestand seit Fischer 's Thätigkeit eine Stiftung, ver- 
möge welcher jährlich 2 mal, am 16. Mai (dem Johannes- 
feste) und anfangs Juli, je 16 arme Blinde, meistens Staar- 
kranke, aufgenommen, operirt und durch circa 5 Wochen 
verpflegt werden konnten. Die Nachbehandlung y^in dem 



•; J.jhann Nep. Fischer, 1777 zu Runiburg j^eboren, haUe 
Mcdi/in in Wien studirt und dann durch zwei Jahre unter lieer sich 
besonders mit Augenheilkunde befasst. Er war i8lo nach Prag ge- 
gangen, 1814 ständischer Augenarzt, 1S20 Professor der Augenheilkunde 
geworden. 



35 



• 

am Hradschin gelegenen Blindenerziehungsinstitute *), mehr 
als */2 Stunde vom Krankenhause entfernt) und später 
auch öfters einzelne Operationen wurden mir übertragen. 
Die Gelegenheit, viel zu lernen, und das Pflichtgefühl zu 
meinem Lehrer Hessen mich die Mühe nicht empfinden. 

Da trat im Juli abermals ein glücklicher Zufall an 
mich heran. Ein Arzt aus Berlin brachte die Instrumente 
mit nach Prag, mit welchen Dieffenbach im Herbste 
vorher die Schieloperation inaugurirt hatte. Alsbald 
ging ich daran, diese neue Operation zu cultiviren, und 
die glücklichen Erfolge, welche ich damit erreicht hatte, 
verschafften mir bald einen guten Klang in der Stadt. 
Ein günstiges Resultat bei der Tochter eines in der 
ganzen Stadt sehr bekannten Magistratsrathes führte 
mich bald in besser situirte Familien ein. 

Zunächst wurde ich zu einem alten adeligen Fräu- 
lein gerufen, welches seit einigen Jahren am grauen Staare 
erblindet war. Die Blinde sass an einem grossen Tische 
in einem Lehnsessel, als ich ihre Augen untersuchte. 
Ich erklärte den Staar für geeignet zur Operation und 
bezeichnete die Extraktion als die Methode, welche ich 
vornehmen würde. Letzteres entschied für mich, denn 
die Verwandten hatten, wie wir später sehen werden, 
Furcht vor der Reklination. Es wurde beschlossen, die 
Kranke solle in einem Separatzimmer des Krankenhauses 

*) Die Lehrer und Haushälter in diesem Institute waren die 
Eltern des jetzt zu Wien in angesehener Stellung lebenden Freiherrn 
von Bezecny. 

j 



3^ 



aufgenommen und dort von mir operirt werden. Aber 
wie erstaunt war ich, als ich zur Operation in das Zimmer 
trat und die Kranke mit verkrüppelten Unterextremitäten 
vor mir auf einem Stuhle sitzen sah. Ich hatte die 
Extraktion noch nie anders als in sitzender Stellung des 
Patienten vornehmen gesehen und wusste auch nicht, 
dass sie jemals in anderer Lage vorgenommen worden 
wäre. Wie sollte ich nun diese corpulente Person nach 
vollendeter Operation zu Bette bringen? Da kam mir 
der glückliche Einfall : ich bringe die Kranke erst in's 
Bett und operire sie in der Lage, in der sie nachher 
bleiben kann. Und das Schicksal war mir günstig; sie 
wurde auf beiden Augen sehend*). 

Nicht lange darauf wurde ich angegangen, den ob- 
genannten Magistratsrath an Cataracta zu operiren. Der- 
selbe war 2 Jahre vorher von dem ständischen Augen- 
arzte Dr. Ryba auf dem linken .Auge durch Reklination 
mit Erfolg operirt worden, aber bald wieder erblindet, 
ich meinte damals, in Folge ungünstiger häuslicher Ver- 
hältnisse. Er hatte 1 1 Kinder , und sein Loos erregte 
allgemeine Theilnahme. In Erwägung der Wichtigkeit 



•) Erst viele Jahre später erfuhr ich , dass man in England die 
Kranken im Bette zu operiren pflegte, um auch das rechte Auge mit 
der rechten Hand operiren zu können. Im Herbste 1844, wo ich den 
Professor F i s c h e r während der Ferien im Krankenhause supplirte, operirte 
ich einige Kranke , bei denen Glaskörperverlust in Aussicht stand , im 
I^ette, und als ich dann die Professur versah, wählte ich diesen Vorgang 
nach und nach für alle Fälle, und zwar nicht bloss behufs der Extraktion, 
sondern auch für die Iridektomie. 



37 



der vorliegenden Aufgabe (der Entscheidung für meine 
Zukunft) machte ich mir zur Bedingung, dass Patient in 
einem Zimmer ausserhalb seiner Wohnung operirt und 
durch 8 Tage mir und einer gut geschulten Wärterin 
allein überlassen werde; nebstdem ersuchte ich Professor 
Fischer, der Operation als Zeuge beizuwohnen. Ich 
reussirte vollkommen; das Resultat war ein ganz be- 
sonders günstiges und blieb es (viele Jahre) bis zu seinem 
Tode. — So bekam ich bald eine hübsche Praxis und 
fasste den Entschluss, mich in Prag zu etabliren. Am 
6. April 1842 eilte ich nach Leitmeritz, wo indess — im 
Herbste vorher — Dr. Dittrich gestorben war, und ver- 
ehelichte mich (am 7. April) mit meiner Braut, die mir 
erst einige Wochen später nach Prag folgen konnte. — 
Nach einigen Jahren glücklicher Ehe und hinreichender 
Praxis brachte ich meine Mutter dazu , uns zu besuchen. 
Nun war sie mit der^Aenderung meiner Standeswahl aus- 
gesöhnt, kehrte aber doch bald wieder in die Heimat 
zurück, wo mittlerweile der jüngste Sohn geheiratet und 
die Schmiede sammt der Wirthschaft übernommen hatte. 
Sie endete ihr sorgen- und mühevolles Leben im 72. Jahre 
(Mai 1845). 

Ich sah aber bald ein, dass mich die augenärztliche 
Praxis kaum ernähren würde, da ja nebst Prof. Fischer 
auch der von den böhmischen Landständen (mit 800 fl.) 
angestellte, sehr tüchtige und vielbeschäftigte Augenarzt 
Dr. Ryba existirte. Ich schloss mich zunächst an meinen 
Freund Jaksch, welcher als Privatarzt bereits eine grosse 



38 



Clientel hatte, als Privatassistent und Substitut an ; durch 
ihn, später auch durch Oppolz er, erlangte ich allmälig 
eine recht anständige interne Praxis, welche ich auch, 
wenigstens theilweise, bis zu meinem Abgange nach Wien 
behielt. Um mich zugleich für eine Anstellung im öffent- 
lichen Sanitätsdienste zu qualifiziren, trat ich Ende 1842 
beim Kaurimer Kreisphysikate als Praktikant ein, doch 
nur für einige Jahre, da mir dieser mehr bureaukratische 
Dienst durchaus nicht zusagte. 

Mein Verhältniss zu Professor Fischer blieb ein 
ungetrübt freundliches. Als im Frühjahre 1844 sein Assi- 
stent (mein Nachfolger) binnen wenigen Tagen einer 
Perityphlitis erlegen war, und der als dessen Nachfolger 
designirte Dr. Hasner von Art ha ihm noch nicht genug 
vorgebildet zu sein schien, übertrug mir Fischer während 
der Ferien die Besorgung der mit der Klinik verbundenen 
Abtheilung unter der Weisung, dem angehenden Assi- 
stenten mit Rath und That beizustehen. Im Jahre 1846 
war Fischer wiederholt leidend (an Nierensteinen) und 
erfuhr durch Freunde in Wien, dass von Prag aus die 
Idee seiner Pensionirung angeregt worden war. Darauf- 
hin fasste er den Entschluss, von einem damaligen Pro- 
fessorenrechte Gebrauch zu machen, sich zu seiner Er- 
holung ein Jahr Urlaub zu erbitten und fiir diese Zeit 
sich einen Stellvertreter zu wählen. Die Wahl fiel auf 
mich. Demnach wurde ich für das Schuljahr 1846/7 mit 
der Supplirung der Lehrkanzel und der damit verbun- 
denen Abtheilung betraut. Hiemit fiel mir auch die 



39 



Besorgung der Stiftung im Hradschiner Blindeninstitute 
zu, die ich dann bis zu meiner Uebersetzung nach Wien 
behielt. Zu Anfang des Studienjahres 1847/8 trat Fischer 
sein Lehramt wieder an, doch nur für einige Wochen; 
er erlag schon am 17. Oktober 1847 seinen schweren 
Leiden (starb an Urämie). Während der Krankheit und 
nach dem Tode Fischers wurde ich wieder mit der 
Supplirung betraut, welche ich nun bis zur Besetzung der 
Lehrkanzel (September 1849) behielt. 

Vom Jahre 1842 an hatte ich wohl interne, zum 
Theil auch chirurgische Praxis betrieben, war aber doch 
mit Vorliebe der Augenheilkunde zugethan. Erst in der 
Privatpraxis erkannte ich die zahlreichen Lücken meines 
Wissens und suchte sie durch sorgfältige Beobachtung, 
Nachlesen und, so oft es möglich war, durch anatomische 
Untersuchungen auszufüllen. Meine Lieblingsautoren für 
Augenheilkunde waren: Fischer*s klinischer Unterricht 
(Prag 1832), Beer's Leitfaden (Wien 1813— 1817) und 
Mackenzie's praktische Abhandlung (übersetzt in W e i m a r 
1832). 

Mikroskopie kannten wir damals in Prag fast nur 
dem Namen nach, und über Fragen der Physiologie 
konnte man höchstens in Büchern einigen Aufschluss 
finden. Meine Kenntnisse aus der Optik beschränkten 
sich fast nur auf das, was ich aus den Vorträgen über 
Physik am Lyceum gelernt hatte. Die Bestimmung der 
Augengläser wurde damals von den Augenärzten all- 
gemein den Optikern oder Brillenhändlern überlassen; 



40 



weder an der Prager noch an den Wiener Kliniken ^1840^ 
hatte ich eine Sammlung von Probegläsem gesehen; ich 
musste im Jahre 1843 eigens nach Wien reisen, um mir 
eine solche Sammlung von einem verlässlichen Optiker 
^FlössT zu verschaffen. Um ein brauchbares Mittel 
zur Beurtheilung der Sehkraft Sehschärfe^, deren Zu- 
oder Abnahme während der Behandlung zu gewinnen, 
stellte ich mir eine Sammlung von Drucksorten ver- 
schiedener Grösse zusammen, welche ich nach der Höhe 
der Buchstaben, in Linien gemessen, stufenweise ordnete, 
wobei ich indess der Entfernung der Objekte vom Auge 
nicht die nöthige Rechnung trug, indem ich meistens nur 
bei der gewöhnlichen Sehweite zum Lesen (10 Zoir ur- 
theilte. Dieser Vorgang von mir wird ersichtlich aus 
meinem Aufsatze >über Amblyopie t in der Prager Viertel- 
jahrschrift 1844, IV. B. p. 58. Eduard Jäger hat das 
Verdienst, durch correcte Schriftskalen aus der Staats- 
druckerei in Wien allen Aerzten ein gleiches Maass zur 
Beurtheilung der Sehschärfe geliefert zu haben in seiner 
Schrift über -Staar und Staaroperationen< 1S54. bis 
endlich S n e 1 1 e n unter D o n d e r s Anleitung das Problem 
der Sehschärfebestimmung von streng wissenschaftlichem 
Standpunkte aus löste. 

Nachdem ich noch als Assistent meine Erfahrungen 
über die Schieloperation in den österr. mediz. Jahr- 
büchern (Jänner — März 1842)*) veröffentlicht hatte, über- 



*; Ich kam zu dem Schlüsse, dass man bei st&rkerer Ablenkung 
die Muskeldurchschneidung auf beiden Augen machen solle. 



41 



nahm ich 1844 die Bearbeitung der Analekten (Bericht 
über die Leistungen in der Augenheilkunde) in der 
Prager medizinischen Vierteljahrschrift und Hess dann 
unter der Aufschrift: »casuistische Bemerkungen über 
einige Augenkrankheiten« eine Reihe eigener Arbeiten 
folgen, welche zunächst die Aufmerksamkeit von Fach- 
genossen auf mich lenkten*). 

Im Jahre 1846 publizirte ich »die Pflege der Augen 
im gesunden und kranken Zustande« (bei Borrosch et 
Andr6), welche inCunier's Annales d^oculistique (T.XVII. 
p. 92) als ein Muster populärer Schriften bezeichnet 
wurde. Das Hauptverdienst dieser Arbeit liegt meines 
Erachtens in dem Anhange: »über Augengläser«, in 
welchem ich sagte: »Die Aerzte, besonders jene, welche 
sich die Augenheilkunde zum besonderen Fache erwählt 
haben, werden sich in Zukunft gewiss mehr Kenntnisse 
über die Augengläser und deren Gebrauch aneignen und 
nicht jeden, der einer Brille bedarf, kurzweg an den 
ersten besten Optikus weisen. Sie werden sich mit den 
nöthigen Mustergläsern von verlässlichen Optikern ver- 



•) Ueber Hordeolum, über Entzündung der Drüsen an der Basis 
der Wimpern, über Entzündung der Maibomschen Drüsen und über 
Homhautstaphylom im II. Bande, über Amblyopie im V., Trichiasis 
und Entropium im VII., Flügelfell im VIII. Bande. Später folgten: 
Physiologische und pathologisch-anatomische Bemerkungen über die 
Bindehaut (XII. B.), zur pathologischen Anatomie des Auges (XIV. B.), 
über Trachom (XVIII. B.). Ein Artikel über *die Entstehung des 
Centralkapselstaares« erschien 1845 *™ ^^' "^^ "• ^^^^^^ <ier österr. 
medizin. Wochenschrift. 



42 



sehen, nicht nur die Frage, ob ein Glas nöthig sei, 
selbst erörtern , sondern auch mit Hülfe der Mustergläser 
die Brennweite des zu wählenden Glases bestimmen und 
den Brillenbedürftigen mit der gehörigen Anweisung an 
den Optiker wie mit einem Rezepte an den Apotheker 
adressiren.« — Eine umgearbeitete Auflage erschien 
1865 bei Credner in Prag. Diese bringt auch eine 
Abbildung von der relativen Lage der Augen in der 
Orbita, welche ich nach zahlreichen Durchschnitten hart 
gefrorener Köpfe, womit ich mich in Wien durch 
mehrere Jahre beschäftigt hatte , von E 1 f i n g e r anfer- 
tigen Hess. 

Der letzte Aufsatz in der Prager Vierteljahrschrift 
(XXII. B.) lüber die Eintheilung und Benennung der 
Augenentzündungen« markirte bereits den Standpunkt, 
welchen ich in meiner Lehrthätigkeit eingeschlagen und 
festgehalten habe ; er wurde bekanntlich von den meisten 
späteren Auktoren nicht acceptirt. Ich komme noch 
darauf zu sprechen. 

In die Zeit meiner privatärztlichen Thätigkeit fallt 
auch die Bemühung, Ohrenheilkunde zu studiren und 
mich als Dozent dieses Faches zu habilitiren. Anfang 
Jänner 1844 wurde mir gestattet, Ohrenkranke auf die 
Abtheilungszimmer des Prof Fischer aufzunehmen und 
auch das Taubstummeninstitut zu meinen Vorträgen zu 
benutzen. Obwohl ich mich sehr viel mit Anfertigung 
anatomischer Präparate (physiologischer und patholo- 
gischer) befasst hatte, vermochte ich doch nicht, in diesem 



43 



Fache etwas Erwähnenswerthes zu leisten. Dennoch freue 
ich mich, hier bemerken zu können, dass einer der ersten 
Ohrenärzte unserer Zeit, Professor v. Tröltsch, seinen 
ersten Unterricht in diesem Fache bei mir erhalten hat, 
als er mich zunächst bei meinen Vorträgen über Augen- 
heilkunde kennen gelernt hatte. Prag war die erste 
Universität in Oesterreich, an welcher ein besonderes 
Collegium über Ohrenheilkunde abgehalten wurde. 

Meine Habilitation fiir pathologische Anatomie des 
Auges erfolgte erst am 9. April 1847, nachdem ich eine 
ansehnliche Sammlung pathologischer Präparate im All- 
gemeinen Krankenhause aufgestapelt hatte. Die Fertig- 
keit im Mikroskopiren mir anzueignen, dazu fehlte mir 
anfangs die nöthige Anleitung, später die erforderliche 
Zeit; ich habe es in diesem Fache wenigstens nie zu 
selbständiger Forschung bringen können, wie hoch ich 
auch deren Werth anschlug. Es gab indess zu jener 
Zeit noch sehr viel fiir die makroskopische Anatomie des 
Auges zu thun, z. B. über die Lage der Linse zu den 
Ciliarfortsätzen , über die Existenz einer hinteren Augen- 
kammer, über die relative Lage der Cornea zur Iris u. s. w. 
Manches darauf Bezügliche habe ich dann, theils in 
meinem Lehrbuche, theils in Graefe's Archiv, veröffentlicht. 



VII. 

MEINE THÄTIGKEIT ALS LEHRER 
AN DER UNIVERSITÄT. 



a. IN PRAG. 

Rechne ich die 3 Jahre der Supplentur (Herbst 1846 
bis Herbst 1849) dazu, so umfasst dieselbe einen 
Zeitraum von 37 Jahren (bis Herbst 1883). 

Bald nach der Einführung der naturhistorischen 
Methode in dem Studium der medizinischen Wissenschaft 
entwickelte sich in Prag ein überraschender Aufschwung 
in allen Fächern. Die Anatomie, nach 1 1 g eine Zeitlang 
von dem verdienstvollen Bochdalek supplirt, hatte in 
Hyrtl einen glänzenden Vertreter gefunden, und die 
Physiologie war dem talentvollen Patruban anvertraut; 
die Chemie erhielt unter Redte nbac her, einem Schüler 
Liebigs, eine ganz andere Richtung. In den klinischen 
Fächern zogen Oppolzer, Jaksch, Pitha und 
Kiwi seh bald die Aufmerksamkeit der Fachgenossen 
des In- und Auslandes auf sich, während die pathologische 
Anatomie, einige Zeit durch Bochdalek supplirt, dann 



45 



durch Rokitansky's früheren Assistenten Dlauhy 
vertreten, besonders durch Dittrich, welcher dann als 
Kliniker nach Erlangen berufen wurde, viele Fremde 
nach Prag zog. Erst unter Dittrich und seinem aus 
Zürich berufenen Nachfolger Engel (ehemaligen Assi- 
stenten Rokitansky's) wurde die Mikroskopie mehr 
und mehr cultivirt. 

Als ich supplirte, strömten bereits zahlreiche junge 
Aerzte aus aller Herren Ländern an die verjüngte gast- 
freundliche Universität, sich mit den Fortschritten unserer 
Wissenschaft bekannt und vertraut zu machen. Somit 
fehlte es denn auch bei meinen Vorträgen, Demonstra- 
tionen und Operationen nicht an wissbegierigen und streb- 
samen Zuhörern aus dem Auslande. Viele jetzt rühmlichst 
bekannte Aerzte, besonders Ophthalmologen, kennen mich 
aus der Zeit von 1847 bis 1856 in Prag, z.B. Coccius, 
Jakobson, Rothmund, Manz, Hiss, Strube, 
Wecker, Moos, Bänziger. Im Herbste 1848 kam 
auch der eben zum Doktor promovirte, 20 Jahre alte 
Albrecht von Graefe nach Prag, besuchte unter 
anderen auch meine Klinik und nahm einen Privatkurs 
bei meinem Assistenten Dr. Pilz. Dass er sich in Prag 
entschied, nicht das Hauptfach seines berühmten Vaters, 
sondern Augenheilkunde zu seinem speziellen Studium 
zu wählen, ist aus seiner Biographie (von Dr. Michaelis) 
und aus Göschen's Nekrolog (deutsche Klinik Nr. 32, 
August 1870) bekannt. Ich hatte ihm indess kaum mehr 
Aufmerksamkeit geschenkt, als den übrigen Hospitanten. 



46 



Näher mit ihm bekannt wurde ich erst im Herbste 1850. 
Er war von Prag nach Wien gegangen und hatte dort 
nächst V. Skoda und Rokitansky besonders Fried- 
rich Jäger besucht, und dann lange Zeit in Paris, 
besonders bei Bernard, Sichel und Desmarres, 
schliesslich in London, besonders bei Bowman, wo 
er Donders kennen lernte, zugebracht. Als ich nun 
meine ersten Ferien als wirklicher Professor zu einer 
Reise in das Salzkammergut benutzte, traf ich ihn mit 
seinem steten Begleiter Schuft (nachmals Dr. Wald au) 
auf dem Schafberge , auf der Rückreise nach Wien be- 
griffen. Da ich gleichfalls über Wien nach Prag zu- 
rückkehren wollte, gaben wir uns ein Rendez-vous dahin, 
wo er mir mehr über Paris und London mitzutheilen 
versprach. Erst in Wien wurden wir näher mit einander 
bekannt, und ich übergab ihm ein Manuskript :&über die 
Krankheiten der Bindehaut«, welches ich mit mir 
genommen hatte, um es meinem Studiengenossen und 
Freunde, Dr. Gulz, emeritirtem Assistenten von Professor 
Rosas, zur Beurtheilung vorzulegen. 

Ich hatte nämlich in P r a g den Plan gefasst, einzelne 
Kapitel der Augenheilkunde monographisch zu bearbeiten 
und drucken zu lassen. Aber der in Aussicht genommene 
Verleger (Crcdner) meinte, es sei besser, da ich doch 
einige Kapitel bereits bearbeitet habe, nicht Mono- 
graphien, sondern ein Lehrbuch in Lieferungen heraus- 
zugeben, und ich, nicht ahnend die Schwierigkeiten, mit 
welchen ein so weit ausgreifendes Unternehmen ver- 



47 



bunden sein werde, bin darauf eingegangen. Diejenigen, 
welche mein Buch kennen, das in der Zeit von 185 1 bis 
1856 erschienen ist, werden nun den Grund der ungleich- 
artigen Abfassung der einzelnen Abschnitte begreifen, 
und sie können die Schwierigkeiten, welche sich allmälig 
aufthürmten , wohl ermessen, wenn sie erwägen, welch' 
colossalen Umschwung zu dieser Zeit die Augenheilkunde, 
besonders durch die Erfindung des Augenspiegels durch 
Helmholtz (Herbst 1851), erfahren hat. 

Graefe kam nach kurzem Aufenthalte in Wien 1 
(Herbst 1850) zu mir nach Prag und blieb daselbst bis 
Pfingsten 1851. Er cultivirte vorzugsweise Augenheil- 
kunde und experimentirte unter Assistenz von Schuft 
viel an Kaninchen. Nebst mir wurde er besonders mit 
Jaksch befreundet, welcher seit 1842 Dozent (für Brust- 
krankheiten), seit 1849 Professor der medizinischen Klinik 
(nach Oppolzer) war. 

Ich will nun nachtragen, wie es kam, dass ich die 
Professur in Prag erhielt. Als ich zur Supplirung der 
Lehrkanzel berufen wurde, dachte ich nicht an den 
bleibenden Rücktritt Fischer 's; als aber Anfang 1847 
Dr. Hasner sein Buch: »Entwurf einer anatomischen 
Begründung der Augenkrankheiten« hatte erscheinen 
lassen, wurde bald klar, dass allen Ernstes an eine 
Personenänderung für diese Lehrkanzel gedacht wurde, 
und dass Hasner in Aussicht genommen war. 

Vier Monate nach Fischer' s Tode wurde gemäss 
der damaligen Studienordnung der Concurs für die Be- 



48 



Setzung dieses Lehramtes ausgeschrieben. Da mir gesagt 
worden war, zur Bewerbung um die Professur sei das 
Magisterium ophthalmologiae wichtig, und da mich der 
Studiendirektor Nadherny zu dieser Prüfung in Prag 
nicht zuliess, »weil hier jetzt kein Professor der Augen- 
heilkunde vorhanden sei« — was nach den Gesetzen gar 
nicht nöthig war — , ging ich Mitte Jänner 1848 zur Ab- 
legung dieser Prüfung nach Wien, wo mich Professor 
Rosas näher kennen lernte. 

Am 3. März 1848 waren es Dr. Pilz, Dr. Hasner 
und ich, welche sich unter Clausur der schriftlichen Be- 
antwortung der aus Wien von der Studienhofkommission 
versiegelt eingelangten Fragen (Iritis, Myodesopsie) unter- 
zogen. Einige Tage darauf hatte jeder der Bewerber in 
Gegenwart des Professorencollegiums unter Vorsitz des 
Studiendirektors eine Operation (Extraktion am Cadaver) 
vorzunehmen und einen mündlichen Vortrag darüber zu 
halten. Die versiegelten schriftlichen Elaborate gingen 
nach Wien an die Unterrichtsbehörde, von welcher sie 
Fachmännern zur Begutachtung vorgelegt wurden ; über 
das Ergebniss des mündlichen Konkurses gab die Prü- 
fungskommission in loco ihr Votum ab. Von 16 Votanten 
hatten 14 mich I. loco gesetzt; nur der Studiendirektor 
Nadherny und der greise Geburtshelfer Jungmann 
hatten ein Separatvotum zu Gunsten Hasner 's ab- 
gegeben. Das Urtheil über die schriftlichen Arbeiten ist 
mir nicht bekannt geworden. — Dann kamen die poli- 
tischen Erschütterungen Mitte März in Wien, zu Pfingsten 



49 



in Prag; das soziale Leben war hier höchst unerquick- 
lich geworden. Professor Oppolzer gab seine Stellung 
in Prag auf und folgte dem Rufe nach Leipzig. 

In Wien kam das Unterrichtswesen mit fundamen- 
talen Abänderungen in die Hände des Grafen Leo 
Thun, eines der aufgeklärtesten Cavaliere Böhmens, 
welcher mich persönlich kannte. Ein Jahr banger Er- 
wartung war seit dem Konkurse verflossen, und die in 
Prag circulirenden Gerüchte bezüglich der Besetzung 
lauteten für mich wenig ermunternd. Da trat ganz 
unerwartet wieder ein fiir mich glücklicher Zufall ein; 
ich erhielt Mitte März einen vom 12. datirten Brief von 
Oppolzer aus Leipzig: »Heute haben wir in der 
Fakultätssitzung beschlossen, Dich als Professor nach 
Leipzig zu berufen. Die Sache geht dieser Tage an 
das Ministerium, von wo aus bald die Bedingungen mit 
Dir verhandelt werden dürften.« Das war Balsam für 
mein wundes Herz. Anerkennung vom Auslande! — 
Ritterich, an Glaukoma nahezu erblindet, hatte die 
herrliche Privataugenheilanstalt (mit 26 Betten), an welcher 
er dozirte, mit Einwilligung der Mitbegründer dem Staate 
zur Verfügung gestellt, mit dem Wunsche, dass fortan 
eine systemisirte Lehrkanzel für Augenheilkunde (die 
erste in Deutschland) errichtet werde. Sein Assistent war 
Coccius*). 



•) Näheres über die Anstalt Ritterichs findet sich in der von 
Coccius 1870 herausgegebenen Erinnerungsschrift: Die Heilanstalt für 
arme Augenkranke. 

Arlt, Meine Erlebnisse. 4 



• • • 

• •• •• 

• • • • • 

• « • • • a 

• • • • • • 



• • • • ••• • •- • «»^ • • 

• • • ••• ••• • • %%• •• 



50 



Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war Augen- 
heilkunde von eigentlichen Aerzten im Allgemeinen — 
einige Franzosen ausgenommen — sehr wenig kultivirt 
worden; die Augenkranken waren grosgentheils Kur- 
pfuschern oder den von Markt zu Markt herumziehenden 
Staarstechern überantwortet*). Auch später, nachdem 
bereits an den Universitäten Vorträge über Augenkrank- 
heiten gehalten wurden, geschah dies nur von Professoren, 
deren eigentliches Fach Anatomie oder Chirurgie war. 
Eine Wendung zum Besseren trat zunächst in Oester- 
reich ein. 

Als zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia eine 
ihrer Hofdamen (Gräfin Tarouca) allmälig erblindet 
war, und von den Wiener Aerzten einige die Krankheit 
für schwarzen, andere für grauen (operirbaren) Staar 
hielten, Hess die grosse, um das Wohl ihrer Unterthanen 
mütterlich besorgte. Regentin den damals mit Recht be- 
rühmten französischen Augenarzt Wenzel nach Wien 
kommen und gewann ihn dann dafür, dass er einigen 
talentirten jungen Aerzten in der Augenheilkunde, nament- 
lich im Operiren, Unterricht ertheilte. Diese waren: der 
geniale Barth, Professor der Anatomie und Physiologie, 
Prochazka, der dann die gleiche Stellung in Prag 
einnahm, und Hunczowsky, der später in Russland (an 
Leichenvergiftung) starb. 



*) Vergl. 1> a r t i s c h Ophthalmodouleia (Aiigendienst) , Dresden 
IS83. 



51 



Barth, welcher bereits sehr schöne Injektions- 
präparate anfertigte und für dieselben einen geeigneten 
Zeichner suchte, fand diesen in dem Studiosus Joseph 
Georg Beer (geb. 1763, gest. 1820), dem Sohne eines 
subalternen Beamten, welcher sich von da an dem Stu- 
dium der Medizin, dann der Augenheilkunde widmete 
und bei Barth, welcher alle Frühjahre eine Anzahl 
behördlich einberufener armer Staarblinder zu operiren 
verpflichtet war, Assistenzdienste leistete, schliesslich aber 
sich auf eigene Füsse stellte. Schon im Jahre 1792 
erschienen von Beer zwei Bände »Lehre von den 
Augenkrankheiten € , welche nicht nur von Kenntniss der 
damaligen Literatur, sondern auch durch naturgetreue 
colorirte Abbildungen von scharfer Beobachtung Zeug- 
niss geben. In seinem bald darauf erschienenen »Reper- 
torium« waren fast alle bis Ende 1797 erschienenen 
Schriften über die Augenkrankheiten angeführt. Beer, 
ein Zeitgenosse des grossen Chirurgen Richter in 
Göttingen (1742 — 1812), von dem er offenbar viel 
angenommen, und des am Josephinum angestellten 
Adam Schmidt, verbesserte die von Daviel 1748 
in Marseille erfundene Ausziehung des grauen Staares 
bald in einer Weise, dass diese Methode bis auf unsere 
Tage die Beer'sche, wohl auch die klassische genannt 
wurde. Beer war früher Anatom, bevor er Okulist 
wurde. Sein im Hörsaale der Wiener Augenklinik auf- 
bewahrtes Portrait (Oelgemälde) stellt ihn auch — be- 
zeichnend — mit einem Schädel in der Hand dar. Zu 

4^ 



52 



ihm, der privat dozirte, strömten bald Lernbegierige aus 
ganz Europa, und die meisten der als Ophthalmologen 
berühmt gewordenen Aerzte unseres Jahrhunderts ge- 
hörten der Beer'schen Schule an (Benedict in Bres- 
lau, Chelius in Heidelberg, Fabini in Pest, 
Fischer in Prag, Flarer in Pavia, Fr. Jäger in 
Wien (Schwiegersohn Beer's, später Professor amjose- 
phinum), Jüngken in Berlin, Lerche in Peters- 
burg, Mackenzie in Glasgow, Piringer in Graz, 
Ritterich in Leipzig, Rosas in Wien (Beer's 
Nachfolger), Philipp von Walther in Landshut, 
Well er in Dresden). Erst im Jahre 1812 wurde Beer 
zum ausserordentlichen Professor für Augenheilkunde 
ernannt, und im Jahre 1818 wurde an allen Universitäten 
Oesterreichs eine ordentliche Professur für Augenheilkunde 
errichtet, somit der Unterricht in diesem Zweige für alle 
Doktoren der Medizin obligatorisch. In analoger Weise 
ist man circa 20 Jahre später mit der pathologischen 
Anatomie unter Rokitansky vorgegangen*). 



•) Ich habe in dem genannten, schon von Beer und Rosas be- 
nutzten , Hörsaale die Portraite von diesen beiden und von Professor 
Flarer vorgefunden und das des Professors Fischer dazugeftigt; es 
ist mir auch gelungen, ein Bild von Adam Schmidt für diese Galerie 
zu acquiriren. Lithographien von Barth, einmal den jungen Mann, 
einmal den Greis darstellend, so wie von anderen berühmten Zeitgenossen 
(Himly, CarlGraefe, Mackenzie etc.) verdankt die Anstalt sammt 
dem Grundstocke zu einer Bibliothek, von mir dann fortgeführt, gleich- 
falls dem gelehrten Professor R o s a s. Im Inventar dieser Klinik, welche 
nach mir an Professor Stell wag von Carion überging, finden sich 
auch kostbare Handzeichnungen von Beer, anatomische und patho- 



53 



Als mir Ende Juli die mich vollkommen befriedigen- 
den Bedingungen des sächsischen Ministeriums bekannt 
gegeben waren, und ich dieselben meinen Freunden 
(Professor Jak seh, Apotheker von Helly, Irrenhaus- 
direktor Riedl) kundgab, riethen mir dieselben, vor 
dem definitiven Entschlüsse erst noch nach Wien zum 
Grafen Thun zu gehen, um zu erfahren, welche Hoffnung 
ich für Prag habe. Trotz der freundlichen Aufnahme 
sagte mir der Minister doch, die Berichte von Prag 
seien so beschaffen, dass er noch keinen entscheidenden 
Ausspruch thun könne; ich möchte wenigstens noch 
8 Tage warten, ehe ich meine Zusage an das sächsische 
Ministerium abgehen lasse. (Nachträglich erfuhr ich, dass 
er indess das Gutachten einiger Fachmänner über Hasner 
und mich abwartete.) Als ich, nach Prag zurück- 
gekehrt, mehr als 8 Tage vergebens gewartet hatte, 
schrieb ich am ii. meine Zusage nach Dresden und 
setzte zugleich den Grafen Thun hievon in Kenntniss. 
Schon nach 3 Tagep erhielt ich von diesem den Bescheid, 
er habe meine Ernennung bereits Seiner Majestät zur 
Genehmigung vorgelegt, ich möchte die Verbindung mit 
Dresden womöglich lös^n. Da ich mittlerweile erfahren 
hatte, dass Oppolzer die Berufung nach Wien an- 
genommen, entschloss ich mich, nach Dresden zu reisen, 



logische Präparate, plastische Darstellungen verschiedener Krankheits- 
bilder in Wachs, seltener gewordene Instrumente u. s. w. Ich habe 
für die Bibliothek jährlich mehr als die Hälfte der Jahresdotation der 
Klinik (231 fl. ö. W.) verwendet. 



54 



wo mich der Minister Beust, etwas piquirt, der ein- 
gegangenen Verpflichtung enthob. Somit blieb ich in 
Prag. Dekret vom ii. September 1849. Am 12. Sep- 
tember hatte mir Rosas geschrieben: »Meine herzHchen 
Glückwünsche zur wohlverdienten Errungenschaft mitten 
im Gewühle feindlicher Umtriebe«. 

Prag war damals für einen Professor der Augen- 
heilkunde ein ganz besonders günstiger Boden, sich in 
seiner Kunst und Wissenschaft auszubilden. In der 
Metropole dieses grossen und dicht bevölkerten Landes, 
welches mit Aerzten überhaupt spärlich, mit Augenärzten 
ausser dem von den Landständen angestellten gar nicht 
versehen war, suchten die Augenkranken der ganzen 
Bevölkerung Hilfe. Der Belegraum der mit der Klinik 
(von 20 Betten) verbundenen Abtheilung des Spitales 
konnte, wenigstens im Sommer, bis auf 60 Betten erhöht 
werden, und das Operationsinstitut am Hradschin unter- 
hielt eine fortwährende Anziehungskraft für operative 
Fälle. Bei der geringen räumlichen Ausdehnung der von 
Festungswerken umgürteten Stadt war es leicht möglich, 
auch Arme in ihren Wohnungen aufzusuchen, interessante 
Fälle Jahre lang im Auge zu behalten und die Gelegen- 
heit zur Autopsie wahrzunehmen. Die anatomischen 
Befunde bei Myopie, bei Glaukom, bei angeborenen 
Anomalien u. s. w. , so wie die Schilderung der succes- 
sivcn Veränderungen bei Trachom, bei Kataracta (erst 
Aufquellen, dann Abschwellen oder Verflüssigung, respek- 
tive Schrumpfung der Linse), welche ich im 2. Bande 



55 



meiner »Krankheiten des Auges« 1853/4 publicirt habe, 
bezeugen, dass ich diese Gelegenheit möglichst benützte. 
Bevor es mir gelang, durch Sektionen nachzuweisen, 
dass der Grad der Myopie von dem Grade der Zurück- 
drängung der hinteren Wandung des Bulbus abhänge 
(III. B. pag. 238), hatte ich mich durch Vergleichung der 
Hornhautspiegelbilder bei myopischen und nicht myopi- 
schen Augen überzeugt, dass die Myopie nicht, wie bis- 
lang allgemein angenommen - worden war, von stärkerer 
Wölbung der Hornhaut abhängen könne. Aus Versuchen 
mit Convexspiegeln (aus Metall) von 3^/4, 3^/2 und 3^/4'" 
Krümmungsradius wusste ich seit dem Jahre 1850, dass 
es möglich sei, Unterschiede von ^U"^ Krümmungsradius 
nach der Grösse des Spiegelbildes zu erkennen. Dass 
ich zur Erklärung der Verlängerung des Bulbus, der 
Ausbuchtung in der Gegend des hinteren Poles, eine 
Hypothese über die damals noch unerklärte Accommo- 
dation heranzog, welche später durch Helmholtz als 
unhaltbar erwiesen wurde, hinderte indess nicht den Ein- 
fluss, welchen der von mir gelieferte anatomische Nach- 
weis der nächsten Ursache der Myopie fiir die Klärung 
der Lehre von den Refraktionsanomalien durch Don- 
ders (1860) erlangt hat. Ich hatte 1853 während 
meines ersten Besuches bei Graefe in Berlin oft Ge- 
legenheit, diesem und seinen Assistenten zu zeigen, dass 
man hochgradige Verlängerung des Bulbus in der Rich- 
tung der Sehachse schon an Lebenden nachweisen kann, 
wenn man bei nasenwärts gerolltem Bulbus die Wölbung 



56 



der Sklerotika an der Schläfenseite betrachtet und mit 
der normalen vergleicht*). 

Die Möglichkeit, gut conservirte Bulbi (möglichst 
frisch) zur anatomischen Untersuchung zu erhalten, be- 
nützte ich zunächst zu der im i. Bande angedeuteten 
Methode, die Form und relative Lage der einzelnen 
Gebilde des Bulbus aus eigener Anschauung und richtiger 
kennen zu lernen, als sie die bislang bekannten Beschrei- 
bungen und Abbildungen (von Sömmering, Arnold 
und Brücke) dargestellt hatten. Die »Lectures of the 
Parts concerned in the Operation of the eye and on the 
structure of the retina« byBowman, London 1849, 
waren mir damals noch unbekannt. Die dem i. Bande 
beigegebenen Abbildungen von Bulbusdurchschnitten, 
welche zunächst die relative Lage der Iris zu der Linse 
und zu der Cornea richtiger zur Anschauung bringen 
sollten, Hessen indess rücksichtlich der künstlerischen 



•) Im 3. Bande meines Lehrbuches steht auf pag. 201 , wo von 
der Accommodation gesprochen wird, der Satz: »Jedes Auge hat ver- 
möge seines Baues einen bestimmten Refraktionszustand, gegeben durch 
die Krümmungs- und Brechungsverhältnisse seiner durchsichtigen Medien 
und durch die Distanz der Netzhaut von dem Objektive (Hornhaut, 
Kammerwasser und Linse)«. Wenn ich dabei die Accommodations- 
theorie von Gramer und auch die von Helmholtz (A. f. O. I. b.) 
nicht acceptirte , so that ich das unter dem Eindrucke des aus meinen 
Bulbusdurchschnitten gefolgerten Schlusses, dass weder die Iris noch der 
Ciliarkörper einen die Form der Linse verändernden Druck auf die- 
selbe ausüben könne ; in der That ist erst später von Helmholtz 
auf die Elastizität der Linse hingewiesen und erst hiemit die Accommo- 
dation in befriedigender Weise erklärt worden. 



57 



Ausfuhrung zu wünschen übrig; erst in Wien gelang 
es mir, in Dr. El finge r einen Künstler zu finden, 
welcher eine befriedigende Zeichnung des Bulbusdurch- 
schnittes zu Stande brachte (Vide A. f. O. III. b. 87). 
Später erschien ein solcher Durchschnitt (in 10 maliger 
Vergrösserung) separat bei Braumüller. 

Der bei der Abfassung meines Lehrbuches ein- 
gehaltene Vorgang, dass ich, zunächst der anatomischen 
Eintheilung folgend, jedem Abschnitte die wichtigsten 
anatomischen und physiologischen Bemerkungen voraus- 
schickte, war damals durch meine Wahrnehmungen beim 
klinischen Unterrichte geboten; er ist dann lange Zeit in 
den meisten Lehrbüchern adoptirt worden. Auch die 
Artikel, welche ich in jener und in späterer Zeit publi- 
zirte, können als Beweise dafür gelten, dass ich vor 
allem bestrebt war, mir korrekte anatomische Kenntnisse 
von dem Auge und von seinen Nebenorganen zu erwerben. 
Indem ich aber in zweiter Linie das Hauptgewicht auf 
die Eruirung der ätiologischen Momente legte und die 
Nomenclatur darnach einrichtete, entfernte ich mich be- 
züglich der Terminologie und der leitenden Grundsätze 
unserer Wissenschaft in mehrfacher Beziehung von der 
Anschauung anderer Fachgenossen, namentlich auch von 
Graefe, welcher mehr dem Vorgange von Velpeau 
und Desmarres gefolgt ist. Meine Auffassung und 
Darstellung der Lehre von den sogenannten spezifischen 
Augenentzündungen unterschied sich indess wesentlich 
von jener, welche aus der Beer'schen Schule hervor- 



58 



gegangen und besonders durch Jüngken und durch 
Sichel, einen Schüler Fr. Jäger* s, ins Extreme aus- 
gesponnen worden war. 

Während meiner Lehrthätigkeit in Prag, wo die 
Zahl der inscribirten Hörer in einem Semester — es war 
nur I Semester obligat — zwischen 20 und 50 schwankte, 
adoptirte ich grösstentheils den Vorgang meines Lehrers, 
der mir als Schüler besonders zugesagt hatte. Nachdem 
ich den eben aufgenommenen oder ambulatorisch vor- 
gestellten Kranken besichtigt und, falls das nicht genügte, 
den Grund seines Kommens (seine Beschwerden) durch 
einige Fragen beiläufig ermittelt hatte, Hess ich einen oder 
zwei Studenten vortreten, den Kranken besichtigen, nöthigen- 
falls examiniren und das Urtheil zunächst über den Be- 
fund (die Diagnosis) abgeben und begründen. Dann sorgte 
ich dafür, dass jeder der Studenten das kranke Auge 
selbst untersuche, bevor wir uns über das zu Erwartende 
und über die Behandlung aussprachen. Ich vermied es 
in der Regel, den Kranken vorher für mich zu unter- 
suchen und die in meinem Geiste bereits fertige Diagnosis 
vor den Schülern zu erörtern, damit die Studenten mit 
mir lernen, wie sie vorzugehen haben. Erst nach diesem 
Vorgange wurden Vorträge über einzelne Krankheiten 
gehalten, besonders wenn ich mich bereits auf mehrere 
einschlägige Fälle berufen konnte. Im weiteren Verlaufe 
des Semesters wurden dann, so viel es die Zeit erlaubte, 
systematische Vorträge gehalten, doch noch Vieles dem 
Nachlesen überlassen. Die Stellung der Augenheilkunde 



59 



als eines Nebenfaches für die zur allgemein medizinischen 
Praxis sich vorbereitenden Studenten machte es mir zur 
Aufgabe, die kurze Lehrzeit für Augenheilkunde zunächst 
dazu zu verwenden, dass die Studenten lernen konnten, 
die gewöhnlichen und die eine unversäumte Hilfe erfor- 
dernden Augenleiden zu erkennen und zu behandeln. Ich 
musste mich also in meiner Lehrthätigkeit gewisser- 
maassen auf die Anfangsgründe beschränken und zunächst 
einen guten Grund zur weiteren Ausbildung zu legen 
trachten. Später in Wien, wo die Zahl der Inscribirten 
meistens über loo in einem Semester betrug, war dieser 
Vorgang äusserst mühsam, oft nur unvollständig durch- 
fuhrbar, aber doch (meines Erachtens) mehr nutzbringend, 
als mehr oder weniger weit und tief angelegte Vorträge 
über einen Fall, den der Student kaum von weitem sieht, 
oder über ein Kapitel, wenn einschlägige Fälle fehlen. 

Gegenüber meinen, auch im Operiren auszubildenden 
Assistenten, welche ich mit der Literatur bekannt zu 
machen suchte, befolgte ich die Vorsicht, dass ich ihnen 
zunächst nur günstige Fälle zum Operiren überliess, und 
dass ich sie, wenn sie während einer Operation etwa 
einen Fehler begingen, nicht unterbrach, sondern erst 
nachträglich belehrte, wie das hätte vermieden werden 
können. Bei der Anleitung zum Operiren am Cadaver 
suchte ich ihnen das Vorurtheil gegen die Verwendung 
der linken Hand zu benehmen, was mir durchschnittlich 
auch gelang. Während der Ferien hatten die Assistenten 
bei Besorgung der Reservezimmer die schönste Gelegen- 



6o 



heit, selbständig zu handeln ; auch während der Schulzeit 
war ich, besonders in den Reservezimmem , mehr der 
Consiliarius als der ordinirende Arzt. 

Einen guten Theil meiner Zeit (wöchentlich 7 — 12 
Stunden) widmete ich neben dem klinischen Unter- 
richte (wöchentlich 12 — 14 Stunden) der Anleitung in- 
und ausländischer Aerzte zum Operiren an Cadavern (in 
Swöchentlichen Privatkursen); dadurch war ich ver- 
anlasst, über den technischen Theil der Operationslehre 
erst mit mir selbst klar zu werden. Die Zahl der ordent- 
lich Inscribirten in Prag belief sich auf 450, die der 
Kursisten, welche meistens auch an der Klinik hospitirten, 
auf 465. 

Mit dem H e 1 m h o 1 1 z 'sehen Augenspiegel , den ich 
mir noch im Herbste 1851 von Rekoss hatte kommen 
lassen , wusste ich längere Zeit nicht viel anzufangen ; 
erst als ich im nächstfolgenden Jahre Professor R u e t e , 
den nach mir ernannten Professor in Leipzig, und dessen 
Assistenten Coccius besucht und deren Modifikationen 
des Ophthalmoskops kennen gelernt hatte, lernte ich 
dessen Vcrwcrthung mehr kennen und schätzen ; im Jahre 
!855 benützte ich mitunter auch das Tageslicht, welches 
ich durch eine kleine runde Oeffnung im Fensterladen 
dos Hörsaales einfallen Hess. — Bis Anfang 1856 nahm 
die Zusammen- und Darstellung des für den 2. und 
3. Hand aufgespeicherten Materiales meine freie Zeit so 
in Anspruch, dass ich der rasch anschwellenden Tages- 
literatur nur mit Mühe folgen konnte und mehr auf das 



6i 



Verarbeiten des von Anderen gebotenen, mannigfaltigen 
Materiales bedacht sein musste. 

Von dem gewaltigen Umschwünge, welchen die Ein- 
führung der naturhistorischen Forschungsmethode statt 
der naturphilosophischen zunächst in der internen Medizin 
herbeigeführt hatte, konnte die Augenheilkunde nicht 
lange unberührt bleiben. Dieser Umschwung machte sich 
bereits in den vierziger Jahren, wenn auch mehr spora- 
disch, bemerkbar und trat im nächsten Dezennium, nach 
Erfindung des Augenspiegels , allbewältigend hervor. 
Während in Oesterreich, namentlich in Prag (Arlt, 
Hasner) und in Wien (St eil wag) die pathologisch- 
anatomische Richtung in bemerkenswerther Weise hervor- 
trat, eröffnete in Deutschland nach Himly in Göttin- 
gen — vorbereitet durch die mathematischen Arbeiten 
von Gauss und Listing — Theodor Ruete (1845) 
mit der Einfuhrung der physiologischen Optik eine neue 
Bahn und gaben die Arbeiten von Huek, Volkmann 
u. A. (Wagner 's Handwörterbuch) Zeugniss von dem 
kostbaren Materiale, welches die Physiologen fiir die 
Augenheilkunde geliefert hatten. Brücke's Arbeit über 
das Auge (1847) g^b auf Grundlage verlässlicher mikro- 
skopischer Befunde ungeahnte Aufschlüsse über den Bau 
und die Funktion der Netzhaut und des Ciliarmuskels. 
In kurzer Zeit war die Mikroskopie so weit vorgeschritten, 
dass sie nicht nur über die physiologischen, sondern auch 
über die pathologischen Gewebselemente verlässlichen 
Aufschluss geben konnte, wie die Arbeiten von Heinrich 



62 



Müller, Kölliker, Donders, Bowman u. A. be- 
zeugen. In Frankreich hatte Desmarres (Traitö des 
mal. des yeux, 1847) den mehr naturphilosophischen 
Standpunkt seines Lehrers, des gelehrten und um mehrere 
Zweige vielverdienten Sichel, verlassen und mehr den 
anatomischen (nach Velpeau) eingenommen; er hat 
namentlich in operativer Beziehung (Iridektomie) neue 
Wege angebahnt. 

Als es dann Helmholtz gelungen war, das viel- 
umworbene Problem, den Hintergrund des Auges sichtbar 
zu machen, zu lösen, begann für die Erforschung nicht 
nur der früher unsichtbaren Gebilde, sondern auch für 
die der Hornhaut, der Iris und der Linse, so wie für die 
Lehre von der Refraktion und der Accommodation eine 
neue Aera. Die Untersuchungsmethode wurde eine ganz 
andere. Um die Verwendbarkeit des Augenspiegels 
erwarben sich besonders Ruete, Coccius und Lieb- 
reich (erst bei Helmholtz, dann bei Graefe Assi- 
stent), van Tright u. A. hervorragende Verdienste. 
Ed. Jäger hat nicht nur durch die erste getreue Ab- 
bildung des Spiegelbefundes bei Glaukom und durch 
die Wahrnehmung des Arterienpulses, so wie die Er- 
klärung des Schichtstaares (1854), sondern auch (etwas 
später) durch die sorgfältige Cultivirung und Verwerthung 
der Untersuchung im aufrechten Bilde — objektive Be- 
stimmung des Refraktionszustandes — , so wie endlich 
durch meisterhafte Abbildungen zahlreicher Spiegel- 
befunde (Beiträge zur Pathologie des Auges und Hand- 



63 



atlas), sich ein unsterbliches Verdienst erworben. Graefe 
war es vorbehalten, bestimmte ophthalmoskopische 
Diagnosen (Cysticercus, secessio retinae, Embolie der 
Centralarterie u. s. w.) festzustellen. — Ein bleibendes 
Denkmal hat sich zu Ende der fünfziger Jahre Donders 
gesetzt (Wahl der Brillen A. f. O. 1858, Refraktions- 
anomalien, ibidem 1860). Indem er sich fragte, wie das 
Auge — ohne Intervention der Accommodation — sich 
gegen parallele Strahlen verhalte, ob dieselben vor, in 
oder hinter der Netzhaut (je nach der Länge der Glas- 
körperachse) zur Vereinigung gelangen, löste er das 
Räthsel der Refraktionsanomalien wie ein mathematisches 
Problem. — In die fünfziger Jahre fallen auch die 
werthvollen pathologisch-mikroskopischen Untersuchungen 
vonHeinrich Müller, Donders, Schweigger U.A., 
welche erst verlässlichen Aufschluss über die patho- 
logischen Vorgänge im Inneren des Auges zu geben ver- 
mochten. 

b. IN WIEN. 

Als nach dem unerwartet frühen Tode des Professor 
von Rosas die Wiener Fakultät aufgefordert worden 
war, behufs der Besetzung der Lehrkanzel einen Tema- 
vorschlag zu erstatten, erhielt ich am 8. August 1855 
vom Dekane D 1 a u h y die Anfrage, ob und unter welchen 
Bedingungen ich geneigt wäre, die Stelle in Wien an- 
zunehmen. Er bezeichnete neben Blöd ig, welcher 
supplirte, noch Gulz, Hasner und Stellwag als die 



«* 



Männer, weldie in der Sitzm^ des Odkgimiis zur 
SpfcUJie gebracdxt worden waren. 

Wie kh mir nun überlegte, ob icii meine StcOui^ 
in Prag ^mit 1200 fi. C. )L Jahresgehalt, ohne Ausadit 
auf Erhöhung mit der in Wien, wo mir 2500 (L in 
Aussicht standen, vertauschen solle, sprachen sowohl die 
Rücksicht auf meine Familie von S Kindern waren 4 am 
Leben]* als ein gewisser Ehrgeiz fiir Wien, das idi nur 
>x>n seinen Lichtseiten kennen gelernt hatte. Xur ein 
Bedenken ^rach dagegen: ich hatte erfahren, dass man 
\'on Seiten der Krankenhausdirektion mit dem Plane 
Unding, fiir die Augenkrankenabtheilung , welche von 
Rosas neben der Klinik unentgeltlich gefiihrt und nur 
ad personam anstatt eines Primarchinu^en übernommen 
worden war, ein eigenes, besoldetes Primariat zu errichten, 
denmach dem klinischen Professor bloss die 2 klinischen 
Krankensäle \^mit je 10 Betten' zu belassen. Daraufhin 
schrieb ich dem Grafen Thun, welcher mittlerweile mit 
mir in Unterhandlung getreten war. ich könne nur daim 
antreten, wenn mir nebst den klinischen Zimmern noch 
eine Abtheilung von drca 50 Betten und 500 fl. als 
Primararzt zugewiesen würden. Ich erhielt nun zur 
Antwort, dass die Zuweisung einer Abtheilung von dem 
iDnisterium des Inneren abhänge, dass er die Zahl der 
klinischen Betten auf 30 erhöhen, dass er mir 2500 fl. 
Gehalt und 500 fl. Ouartiergeld zuweisen wolle, und dass 
er gar nicht zweifle, es werde mir, bis ich einmal in 



65 



Wien sei, bald gelingen, die für den Unterricht erforder- 
liche Anzahl von Krankenbetten zu erlangen. 

Darin nun, dass ich auf diese Aussicht einging, habe 
ich einen grossen Fehler begangen, einen Fehler, welcher 
mir die ersten Jahre meiner Existenz in Wien zu den 
schwersten meines Lebens machte und mich oft wünschen 
Hess, in Prag geblieben zu sein. — Im Collegium, wo 
ich alte Freunde traf (v. Skoda, Rokitansky, 
Oppolzer, Hyrtl, Dlauhy), war ich gut auf- 
genommen. Für die Collegen S t e 1 1 w a g und E d. J ä g e r 
(Dozenten) beantragte ich bald nach meinem Eintritte 
die Ernennung zu ausserordentlichen Professoren; aber 
für meinen Herzenswunsch, Vermehrung des Beleg- 
raumes , vermochte das Collegium nichts zu thun. Im 
Jahre 1851 erhielt Professor Jäger das Primariat der 
Augenkrankenabtheilung. 

Im Allgemeinen Krankenhause, welches unter der 
Leitung eines von dem Ministerium des Inneren an- 
gestellten Direktors mit einer entsprechenden Zahl von 
Primarärzten steht, sind die Kliniken gewissermaassen 
nur eingemiethet ; Veränderungen in den räumlichen und 
ökonomischen Verhältnissen können über Antrag der 
Fakultät und unter Genehmigung des Unterrichtsministe- 
riums nur von dem Ministerium des Inneren (respektive 
der Krankenhausdirektion) bewilligt werden. Der Pro- 
fessor kann Kranke auf seine Klinik aufnehmen, wenn 
diese selbst zu ihm verlangen, oder wenn die in die Auf- 
nahmskanzlei kommenden Kranken durch seinen eben 

Arlt, Meine Erlebnisse. 5 



66 



anwesenden oder von dem joumalfiihrenden Arzte herbei- 
gerufenen Assistenten dorthin dirigirt werden; von dem 
alten Vorrechte der Kliniker, Kranke, die für den Unter- 
richt geeignet erscheinen, bald nach ihrem Eintritte ins 
Spital von irgend welcher Abtheilung auf die Klinik 
transferiren zu lassen (mit deren Einwilligung), wird seit 
langer Zeit aus mehrfachen Gründen, besonders aber, 
weil viele der Primarärzte selbst Dozenten sind, nicht 
mehr Gebrauch gemacht. 

Um das zum Unterrichte nöthige Material zu ge- 
winnen, verwendete ich grosse Sorgfalt auf die ambulanten 
Kranken , deren Zahl von Monat zu Monat zunahm und 
bald auch die disponibeln Betten füllte. Ich bemühte 
mich hier wie in Prag, dafür zu sorgen, dass jeder ein- 
zelne der zahlreichen Schüler jeden vorgestellten und 
erörterten Fall selbst sehen und beurtheilen könne, was 
natürlich sehr viel Zeit erforderte, daher ich mich 
meistens nur auf rhapsodische Vorträge einlassen und 
nur mitunter zusammenhängende Erörterungen einzelner 
Kapitel bieten konnte. Auch hier wie in Prag war es 
meine Hauptaufgabe, von Semester zu Semester angehen- 
den praktischen Aerzten das Nothwendigste aus der 
Augenheilkunde beizubringen. Dabei setzte ich meine 
Operationskurse fiir in- und ausländische Aerzte fort, so 
dass ich durchschnittlich 3^/2 Stunden in continuo auf 
der Klinik und im Hörsaale beschäftigt war. 

Da ich aber auch die Aufgabe hatte, Operateure 
heranzubilden, und die geringe Zahl von Betten nicht mit 



6j 



relativ vielen Operationsfällen belegen durfte, indem 
diese für den gewöhnlichen Studenten wenig Nutzen 
bieten, so unternahm ich neuerdings Schritte zur Erwer- 
bung eines grösseren Belcgraumes, längere Zeit fruchtlos 
(immer trat mir der Spitalsdirektor hindernd entgegen), 
bis mir Ende Februar 1858 Professor Hebra einen 
seiner grösseren Krankensäle, neben meiner Klinik ge- 
legen, zur Benutzung als Reservezimmer für die Klinik 
abtrat*). Durch eine Bretterwand wurde dieser Saal in 
2 Zimmer getheilt und hiemit ein Belegraum für 30 Betten 
gewonnen. Die Uebelstände, welche mit der Zusammen- 
drängung von 60 Kranken in 4 relativ kleine Räume — 
die Betten waren meistens alle belegt — verbunden 
waren, hat Dr. Otto Becker in dem 1867 erschienenen 
Berichte über die Augenklinik von 1863 bis 1865 (bei 
Braumüller) eingehend geschildert. Erst nachdem 
Professor Stell wag aus dem aufgelassenen Josephinum 
an die Universität als Ordinarius übernommen worden 



*) In ähnlicher Weise waren schon früher die chirurgischen, 
später auch die medizinischen Kliniken durch Reservezimmer erweitert 
worden. Dazu hatte ich auch einen Sekundararzt erhalten. 

Nach dem von meinem ersten Assistenten Dr. Businelli (jetzt 
Professor in Rom) verfassten , in der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft 
der Aerzte erschienenen Berichte über meine Klinik vom Jahre 1858 
betrug die Zahl der klinisch Behandelten 385. Aus diesem Berichte 
dürfte das über Iridektomie bei Homhautfisteln , den Schutzverband 
und die sympathische Entzündung Gesagte besonders beachtenswerth sein. 

Ein Vortrag über Enucleatio bulbi (gehalten am 7. März 1859) 
erschien in der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte, 15. Jahr- 
gang Nr. 10 ; auch als Separatabdruck. 

5* 



6S 



war (1872), konnten die zu Unterrichtszwecken nöthigen 
Räumlichkeiten in der Art gewonnen und adaptirt werden, 
dass ich sagen konnte, meine nun auch mit 2 klinischen 
Assistenten versehene Anstalt reiche hin, nicht nur den- 
jenigen, welche die Ausbildung in der Augenheilkunde 
für Aerzte überhaupt erlangen sollten, sondern auch für 
jene, welche sich zu Augenärzten speziell ausbilden 
wollten, hinreichende Gelegenheit zu bieten. Tüchtig 
geschulte Assistenten übernahmen die Unterweisung in 
jenen Zweigen, zu deren spezieller Cultivirung mir nicht 
die nöthige Zeit übrig blieb, namentlich in der Oph- 
thalmoskopie, Ophthalmo- und Perimetrie, in der Be- 
stimmung der Refraktions- und Accommodationsanomalien, 
in der pathologischen Anatomie und Mikroskopie und in 
den Operationsübungen am Cadaver. 

Vor der Einfuhrung der Lehr- und Lernfreiheit (1849) 
war das Institut der Assistenten als die eigentliche Pflanz- 
schule für Professoren anzusehen. Der Assistent einer 
Lehrkanzel wurde über Vorschlag des Professors vom 
Studiendirektor (später vom Professorencollegium) für 
2 Lehrkurse ernannt, konnte durch 2 weitere Kurse 
belassen werden und erhielt eine Art Stipendium (ganz 
in Geld oder zum Theil in Naturalverpflegung) aus dem 
Studienfonde. Seit der Einführung des Institutes der 
Dozenten ist es den Assistenten wohl wie früher gestattet, 
Kurse zu geben, ziehen es jedoch die meisten vor, sich 
bald als Dozenten zu habilitiren, um ihre Kurse auch im 
Lektionskataloge ankündigen zu dürfen und bei Erledigung 



69 



einer Lehrkanzel mit mehr Nachdruck als Competenten 
auftreten zu können. Seit 1870 sind für einzelne Kanzeln 
zwei Assistenten bewilligt, und kann auch deren Dienstzeit 
auf 4 Lehrkurse (ausnahmsweise auch darüber) ausgedehnt 
werden. Nebst den Assistenten können noch einige der 
jüngeren Aerzte, welche sich durch Spitalpraxis (auf 
eigene Kosten) weiter ausbilden wollen, eine Zeitlang als 
Aspiranten (Praktikanten) an irgend einer Klinik zur 
Aushilfe verwendet werden. Auf diese Weise ist es den 
Professoren möglich, junge Kräfte nicht bloss aus der 
eigentlichen Studienzeit, sondern auch nach derselben 
näher kennen zu lernen, sich tüchtige Assistenten aus- 
zuwählen und heranzuziehen. 

Einen der tüchtigsten Assistenten erhielt ich 1862 an 
Dr. MaxTetzer. Begabt mit einem eminenten Gedächt- 
nisse und klarer Auffassung der erhaltenen Eindrücke, 
hielt er zunächst als Assistent, dann als Dozent, syste 
matische Vorträge über Augenheilkunde, welche, zumeist 
auf meine Vorträge und Bemerkungen sich stützend , die 
ge.sammte Literatur berücksichtigten und bald allgemeines 
Interesse erregten. Er erlag leider Ende 1866 nach über- 
mässiger Anstrengung bei Besorgung eines Verwundeten- 
spitales einer Pneumonie*). Seine stenographisch nach- 
geschriebenen Vorträge, von Dr. Grünfeld als »Com- 
pendium der Augenheilkunde c in Druck gelegt und 



*) Später habe ich noch 2 meiner Assistenten durch Tod (Tuber- 
cnlosis) verloren: Friedrich Biermann aus Pressburg und Hein- 
rich Czell aus Siebenbfirgen. 



70 



zuletzt 1874 von Dr. Bergmeister emendirt, sind nicht 
nur in Wien, sondern auch anderwärts zum ersten Unter- 
richte in der Augenheilkunde benutzt worden. 

Auf Tetzer folgte durch die nächsten 2 Jahre 
Dr. LucianRydel, welcher sich mit seinem Vorgänger 
an dem von seinem Nachfolger Dr. Otto Becker ent- 
worfenen und redigirten klinischen Berichte (1867 bei 
Braumüller) betheiligte und bald nachher zum Professor 
der Augenheilkunde in Krakau ernannt wurde. 

Ganz besondere Verdienste um den klinischen Unter- 
richt erwarb sich Becker, welcher im Jahre 1858 bei 
mir Augenheilkunde gehört und nach seiner Promotion 
während seiner Spitalspraxis eine Zeitlang an Professor 
Ed. Jäger's Abtheilung (und Klinik) gedient hatte. 
Nachdem er sich dann seit 1862 bei mir als Privat- 
assistent verwendet hatte, cultivirte er als Assistent an 
der Klinik mit seltenem Eifer die Ophthalmoskopie, die 
Refraktionsanomalien und die pathologische Anatomie 
mit Mikroskopie. Unter seiner Anleitung wurden durch 
Dr. Heitzmann vorzügliche Abbildungen von Augen- 
spiegelbefunden angefertigt, welche heute noch eine 
Zierde des klinischen Hörsaales bilden; er übersetzte das 
grosse Werk von Donders (On the anomalies of accom- 
modation and refraction, London 1864) ins Deutsche; er 
legte den Grund zu einer werthvollen Sammlung patho- 
logischer, besonders mikroskopischer Präparate, welche 
später von Sattler und Fuchs ansehnlich erweitert 
wurde, und er regte eine Reihe jüngerer Kräfte zu 



71 



ähnlichen Arbeiten an, wie namentlich die Artikel von 
Dr. Czerny in dem citirten klinischen Berichte (pag. 178 
bis 19s) zeigen. Ausser Czerny, welcher von mir weg 
erst von Oppolzer, dann von Billroth zum Assi- 
stenten genommen wurde, waren von mir noch Rem- 
bold und Meier hofer für die Assistenz vorbereitet 
worden; erstcren nahm dann v. Skoda, letzteren Carl 
Braun zum Assistenten. 

Später, nachdem noch Dr. August Ritter von 
Reuss, welcher nach Ed. Jäger's Tode (1884) mit 
der Supplirung der Lehrkanzel betraut wurde, und 
Dr. Wilhelm Schulek, welcher die Professur in Pest 
erhielt, durch je 2 Jahre bei mir Assistenten gewesen 
waren, machte ich jedem Competenten um die Assistenten- 
stelle die Bedingung, dass er erst ein Jahr als Operations- 
zögling an einer chirurgischen Klinik gedient und sich 
auch im Mikroskopiren gut eingeübt habe. 

Dr. Hubert Sattler, jetzt Professor in Erlangen, 
war durch 4 Jahre, Dr. Ernest Fuchs, erst in Lüttich, 
jetzt in Wien (an der Jäger 'sehen Klinik) Professor, 
war durch 5 Jahre bei mir Assistent. Mein Sohn war 
1V2, Dr. Bergmeister, Dr. Kerschbaumer und 
Dr. Denk waren je 2 Jahre, Dr. Dimmer durch 3, 
Dr. Herz durch i Jahr vor meinem Rücktritt vom 
Lehramte bei mir Assistenten. 

Im Februar 1857 schrieb mir Graefe über seine 
vorläufigen Erfolge der Iridektomie bei Glaukom. Gleich 
zu Ostern reiste ich nach Berlin, mich durch den 



72 



Augenschein davon zu überzeugen. Das war die grösste 
Ueberraschung , die ich in meiner ärztlichen Laufbahn 
erlebt habe. Ich wurde sofort ein eifriger Anhänger und 
Vertheidiger der neuen Lehre. Zehn Jahre später, nach- 
dem ich die Wohlthat dieser Erfindung an vielen Kranken 
erprobt hatte, kam ich in die Lage, dieselbe bei meiner 
eigenen Frau (am linken Auge) anzuwenden und bis zu 
ihrem Tode (21. Jänner 1876) bewährt zu finden. 

In B e r 1 i n hatte ich damals auch die Freude, meinen 
alten Freund Di tt rieh (von Erlangen) wiederzusehen 
und den liebenswürdigen Heinrich Müller (von W ü r z - 
bürg) persönlich kennen zu lernen. 

Auf dem Ophthalmologencongresse zu Brüssel 
(Herbst 1857), zu welchem ich von der Regierung ge- 
schickt worden war, kamen wichtige Themata zur Be- 
sprechung (die Ophthalmia militaris, die Accommodation, 
das Glaukom) und ergab sich, leider nur zu flüchtig, 
Gelegenheit , mit her\'orragenden Fachgenossen näher 
bekannt zu werden, auch mit Donders, welcher mich 
1856 bei seiner Durchreise zur Wiener Naturforscher- 
versammlung auf einige Stunden in Prag aufgesucht hatte. 

Auf dem 2. Ophthalmologencongresse (1862 zu 
Paris), zu welchem Gulz mit mir delegirt war, wurde 
für die nächste Versammlung Wien designirt. Wir 
hatten dann, als das Frühjahr 1866 heran kam, alles 
vorbereitet, obwohl Professor St eil wag und Ed. Jäger 
den Eintritt in das Comit6 abgelehnt hatten; Professor 
Fr. Jäger erklärte sich bereit, den Vorsitz zu über- 



73 



nehmen; aber der Krieg mit Preussen machte unseren 
schönen Plan zu nichte ; erst i Jahr darauf gab die grosse 
Ausstellung in Paris Anlass zur Zusammenkunft zahl- 
reicher Collegen daselbst. Hier bildete bereits die 
Graefe*sche modifizirte Linearextraktion das Haupt- 
thema der Besprechung; auch über die Exstirpation der 
Thränendrüse wurde viel discutirt. — Von den Versamm- 
lungen deutscher Naturforscher habe ich mich nur an 
den zu Karlsbad, zu Innsbruck und zu Salzburg 
abgehaltenen betheiligt. 

Meine schriftstellerische Thätigkeit war in Wien, 
wie nach dem Gesagten wohl erklärlich ist, längere Zeit 
eine relativ geringe, zumal in den ersten Jahren. Ich 
war durch die Beschäftigung im Spitale, durch zahlreiche 
Rigorosen und durch privatärztliche Thätigkeit so in 
Anspruch genommen, dass ich die freien Stunden zur 
Erholung bedurfte. Es gehörte von Jugend auf zu 
meinen Eigenthümlichkeiten , dass ich, wenn ich nicht 
7 — 8 Stunden geschlafen hatte, zu keiner ordentlichen 
Arbeit fähig war. Bedauern muss ich, dass ich bei dem 
reichlichen und mannigfaltigen Beobachtungsmateriale, 
das mir später zu Gebote stand, meine Wahrnehmungen 
an Kranken und Operirten nicht regelmässig zu Papier 
brachte ; so ist mir vieles zur Publication Interessante nur 
der Hauptsache nach, aber nicht mit den nöthigen Einzel- 
heiten im Gedächtnisse geblieben. Mein Gedächtniss, welches 
bereits während der übermässigen Anstrengung in den 
letzten Jahren des Gymnasiums merklich gelitten hatte, 



74 



war nicht mehr so getreu, als ich mir um diese Zeit 
noch zugemuthet hatte. Hiezu kam noch, dass bei dem 
Aufschwünge, welchen die Augenheilkunde in dieser Zeit 
erfuhr, besonders durch Graefe*s Anregung, eine Menge 
neuer Gesichtspunkte auftauchte, welche durchgeprüft 
werden mussten (die Lehre von den Muskellähmungen, 
die verschiedenen Modifikationen der Staaroperation, 
die ausgebreitete Verwendung der Iridektomie u. s. w.). 
Dazu war begreiflicher Weise meist eine jahrelange 
Prüfung nöthig, bevor man selbständig darüber ein Urtheil 
gewinnen und abgeben konnte. 

Bald nachdem Graefe sich in Berlin etablirt 
(1852) und in ähnlicher Weise wie Sichel und Des- 
marres eine Privatheilanstalt errichtet hatte, fasste er den 
Entschluss, eine eigene Zeitschrift unter dem Titel: 
:? Archiv für Ophthalmologie! herauszugeben und lud 
dann Donders und mich ein, in die Redaktion ein- 
zutreten. Ich schrieb für diese Zeitschrift zunächst »ana- 
tomische, physiologische und pathologische Bemerkungen 
über den Thränenschlauch« (I. b. 135) noch in Prag, 
welchen ich in Wien meine Ansichten ȟber die Be- 
handlung der Krankheiten« dieses Organes (XIV. c. 267) 
folgen Hess. Der oben citirte Artikel über die Iris und 
den Ciliarkörper fiel in das Jahr 1857, der über den 
Ringmuskel der Augenlider (IX. a. 64) in das Jahr 1862. 
Ein Aufsatz »zur Lehre vom Hornhautabszesse« (XVI. i) 
erschien erst nach Graefe 's Tode (20. Juli 1870), 
worauf wir, Donders und ich, zu Ostern 1871 uns in 



75 



Berlin einigten, Professor Leber zum Eintritte in die 
Redaktion einzuladen. 

Eine intensivere literarische Thätigkeit nahm ich erst 
bei der Herausgabe des Handbuches der Augenheilkunde 
von Graefe-Saemisch wieder auf, für welches ich die 
Operationslehre (1874 erschienen) abfasste. Im Jahre 

1875 erschien von mir eine kurze Abhandlung über die 
Verletzungen des Auges (mit besonderer Rücksicht auf 
deren gerichtsärztliche Würdigung), welche ich früher in 
der Wiener medizinischen Wochenschrift publizirt hatte, 

1876 eine ähnliche über die Ursachen und die Entstehung 
der Kurzsichtigkeit, beide bei Brau mü Her. In einem 
Vortrage: »zur Aetiologie und Therapie der Bindehaut- 
blennorrhoe« am 7. April 1875 (im Vereine der Aerzte 
Niederösterreichs — Separatabdruck bei Praetorius) — 
setzte ich auseinander, wie und warum ich meine schon 
in der Prager Vierteljahrschrift ausgesprochenen Ansichten 
über Blennorrhoe und Trachom allmälig in Wien ge- 
ändert habe. Denselben Standpunkt zu den Krankheiten 
der Bindehaut habe ich dann in der 1881 erschienenen 
»klinischen Darstellung der Krankheiten des Auges« (bei 
Braumüller) eingenommen. Da letztere dieselben 
Kapitel (Krankheiten der Binde- und Hornhaut, der Iris 
und des Ciliarkörpers) behandelt, welche 30 Jahre früher 
in meinem Lehrbuche besprochen worden waren, gestattet 
wenigstens dieser Theil einen Vergleich und ein Urtheil, 
wiefern ich stehen geblieben, wiefern ich fortgeschritten 
bin, wieweit ich meine Ansichten beibehalten oder ge- 



76 



ändert habe. Nicht nur die Auffassung der verschiedenen 
Krankheitsprozesse, auch die Vereinfachung der Therapie 
gibt dem Leser zahlreiche Anhaltspunkte zu Vergleichen 
zwischen einst und jetzt. Von besonderem Interesse 
dürfte ein Vergleich dessen sein, was ich 1853 und 1884 
über Glaukom (»Zur Lehre vom Glaukome, Brau- 
müller) publizirt habe. Meine jüngsten Arbeiten sind: 
»Winke zur Staaroperation« (Graefe's Archiv XXXI. 3.) 
und »Verwendung der Reisinger'schen Hakenpincettec 
ibid. 4. 

Mitte der fünfziger Jahre zog die Reformation der 
Augenheilkunde auch die Therapie, insbesondere die 
Operationslehre, in ihr Gebiet, zunächst und zumeist 
durch Graefe. Nachdem dieser bereits 1854 in seinem 
berühmten Artikel über Diphtheritis und Blennorrhoe 

der Conjunctiva dargethan, dass bei der Anwendung des 
längst in die Praxis eingeführten Argentum nitricum vor- 
zugsweise die jeweiligen anatomischen Veränderungen 
der Bindehaut und die durch seine Applikation hervor- 
gerufenen Erscheinungen (die Reaktion) zu berücksichtigen 
sind, eröffnete er auch für die Behandlung der Iritis eine 
neue Bahn durch den Nachweis, dass es zumeist die 
Folgen einer vorhergegangenen Entzündung sind (zahl- 
reiche, durch Mydriatica nicht lösbare, daher besonders 
breite, hintere Synechien), welche Rezidive der Iritis 
(Iridokyklitis) verursachen , dass es der Pupillarabschluss 
ist, welcher zahlreiche Augen nach Iritis ruinirt, und dass 
die Iridektomie im Stande ist, diese Folgen der Iritis zu 



71 



beheben, respektive unschädlich zu machen (A. f. O. 
IL 2. 1856). 

Die grösste therapeutische Leistung unseres Jahr- 
hunderts bildet (in der Augenheilkunde) unstreitig die 
Heilung des Glaukoms durch die Iridektomie von 
Graefe, 1857. Hatte auch Ed. Jäger bereits 1854 
die erste getreue Abbildung eines glaukomatösen Auges 
nach dem Spiegelbefunde gebracht, so waren dadurch 
wohl die älteren Ansichten über die Veränderungen in 
glaukomatösen Augen widerlegt, aber es fehlte noch 
immer das Verständniss des Vorganges, durch welchen 
die Erblindung zu Stande kommt. G r a e f e ' s unermüdetem 
Forschen und seiner scharfsinnigen Deduktion aus vor- 
liegenden Thatsachen der Beobachtung, unterstützt durch 
Adolf Weber und Heinrich Müller, gelang es, 
erst den Nachweis zu liefern, dass die Erblindung bei 
Glaukom durch Steigerung des intraoculären Druckes auf 
den Sehnerven, respektive auf die Sehnervenpapille , er- 
folge, und dann aus den Erfolgen, welche die wieder- 
holte Punktion der Hornhaut und die Iridektomie nach 
Iritis geboten hatten, in dieser letzteren das Mittel zu 
finden, den bisher unheilbaren Prozess zu beseitigen oder 
doch zu sistiren. Ist auch das Wesen des Glaukoms 
nach seiner Entstehungsweise noch nicht genügend er- 
kannt, und lässt sich auch die von G r a e f e als allgemein 
supponirte Drucksteigerung in einzelnen Fällen nicht 
unzweifelhaft nachweisen: so viel steht fest, dass die 
Iridektomie, rechtzeitig (nicht zu spät) und richtig aus- 



78 



geführt, die Erhaltung des Sehvermögens dauernd sichert. 
Die Thatsache, dass die Iridektomie auch bei einer 
grossen Reihe von Erkrankungen nützt, welche zuver- 
lässig nicht von Erkrankung des Sehnerven ausgehen 
und nur unter deutlich nachweisbarer Drucksteigerung zu 
Erblindung führen, wie manche Keratektasien*), Pupillar- 
abschluss, Linsenquellung, und dass die Erblindung hier 
in analoger Weise wie bei Glaukom, namentlich mit 
Einschränkung des Gesichtsfeldes (meistens von der 
Nasenseite her) vor sich geht, spricht deutlich zu Gunsten 
der Graefe' sehen Auffassung des glaukomatösen Pro- 
zesses. 

Als Vorstand eines grossen Institutes und als Lehrer, 
welcher seine Schüler mit dem jeweiligen Stande der 
Wissenschaft und Kunst bekannt machen soll, musste 
ich auch die zahlreichen, zu dieser Zeit auftauchenden 



*) Im 3. Bande meines Lehrbuches (1856) hatte ich auf pag. 18 
geschrieben : »Ich verfolge seit Jahren die Thatsache der Beobachtung, 
dass Augen mit etwas ektatischen Hornhautnarben bei reiner und etwas 
weiterer Pupille und ohne besondere Zufölle allmälig erblinden und 
sich dann abnorm gespannt anfühlen. War ich schon vor Anwendung 
des Augenspiegels zu dem Wahrscheinlichkeitsschi usse gekommen, dass 
hier die Erblindung nicht von Entzündung der Netz- oder Aderhaut 
ausgehe, so hat mich eine möglichst sorgfaltige Untersuchung mit 
diesem Instrumente in einigen mir jüngst vorgekommenen Fällen um 
so mehr in der Annahme bestärkt , dass hier die Netzhautfunktion nur 
durch Druck von seröser Ausschwitzung im Glaskörper vernichtet 
werde <r. Dass es auch in solchen Fällen zu Einschränkung des Ge- 
sichtsfeldes und zu Exkavation der Papille wie bei Glaucoma komme, 
wurde später von Graefe, der meine Beobachtung kannte, nach- 
gewiesen. 



79 



Modifikationen der Staaroperation an meiner Klinik vor- 
nehmen, so weit es die Rücksicht auf die mir anvertrauten 
Kranken gestattete ; ich war jedoch da , wo es sich um 
die Vornahme eines neuen Operationsverfahrens handelte, 
durchschnittlich sehr zaghaft, wenigstens wenn nicht 
triftige Gründe dazu einluden. Erst nach längerem 
Zögern entschloss ich mich (zu Ostern 1866), die 
Graefe'sche modifizirte Linearextraktion und ein Jahr 
später die Extraktion nach A. Weber vorzunehmen. 
Bei dem Umstände, dass mir nach der Beer 'sehen 
Extraktion noch immer mindestens 5*^/0 durch Vereiterung 
der Hornhaut verloren gingen, bestimmte mich der von 
Graefe ausgesprochene Satz: »eine Homhaut^vunde, 
welche zum Austreten des Staares leicht aufklappt, ist 
hiezu auch nach der Operation sehr disponirt«, die lineare 
Form des Schnittes zu adoptiren und somit auch die 
Iridektomie mit in Kauf zu nehmen. Von den beiden 
Methoden, welche diesem Prinzipe entsprachen, und 
welche ich zunächst nur zum Durchprüfen fiir eine Zeit 
angenommen hatte, behielt ich dann die Graefe 'sehe 
mit einigen allmälig vorgenommenen, für zweckmässig 
erkannten, Abänderungen bei. Die zahlreichen, von 
Anderen (Lebrun, Critchett, Waldau, Lieb- 
reich, Jacobson, Wecker u. A.) vorgeschlagenen 
Modifikationen habe ich nicht geprüft. Ob die in jüngster 
Zeit eingeführte antiseptische Behandlung vor und nach 
der Operation im Stande sein werde, bei Wiederauf- 
nahme des Bogenschnittes (ohne Iridektomie) für die 



So 



Extraktion, auch in jenen Fällen, in welchen der Operirte 
die nöthige Ruhe nicht einhält ^nicht einhalten kann), die 
Vereiterung der Hornhaut zu verhüten, darüber Auf- 
schluss zu erhalten, habe ich noch nicht hinreichende 
Gelegenheit gehabt. — Seit der Entdeckung der anästhe- 
sirenden Wirkung des Cocains auf die Binde- und 
Hornhaut durch Carl Koller, Secundararzt des All- 
gemeinen Krankenhauses in Wien (im Sommer 1884), 
ist die Ausfuhrung der Extraktion an Lebenden nahezu 
so sicher geworden, wie an Cadavem; im Verein mit 
einer dem Auge angepassten Antiseptik ist also die 
Prognosis für die Staarextraktion in Zukunft ungleich 
günstiger als bisher zu stellen. 

Wesentliche Fortschritte in der Therapie, insbeson- 
dere in dem dankbarsten Theile derselben, in der Pro- 
phylaxis oder, wenn man will, in der Aetiologie, wurden 
der Augenheilkunde durch die Vervollkommnung der 
Mikroskopie und durch die Experimente an Thieren zu- 
geführt. 

Wohl hatte die Beobachtung von Semmel weiss 
im Wiener Gebärhause zu Anfang der fünfziger Jahre 
die Aufmerksamkeit auf die Gefährlichkeit des Eindringens 
septischer Stoffe in den Körper gelenkt, aber erst durch 
L i s t e r gelangte die Antiseptik zu allgemeiner Würdigung, 
und erst in den siebziger Jahren erhielt die Lehre von 
den Infektionskrankheiten durch den mikroskopischen 
Nachweis der Mikrobien Klärung und sichere Begründung. 
Als ich über die Krankheiten der Bindehaut schrieb 



8i 



(185 1), galt es bezüglich der Blennorrhoe der Neu- 
geborenen und der Erwachsenen vorerst, zu zeigen, dass 
Infektion durch Uebertragung krankhaften Sekretes von 
den Genitalien oder von einem Auge die einzig sicher 
gestellte Ursache der Blennorrhoe sei, dass alle anderen 
angeblichen Ursachen negirt oder doch als zweifelhaft 
angesehen werden müssen. Damals war ich noch der 
Meinung, dass das im Civile vorkommende Trachom von 
der besonders bei dem Militär vorkommenden Augen- 
entzündung verschieden sei. Seit ich mich aber in W i e n 
von der Identität beider überzeugt und für beide zur 
Bezeichnung jder Uebertragbarkeit den Namen »chronische 
Blennorrhoe! gewählt habe, dauerte es nicht lange, bis 
nicht nur der Gonococcus (Neisser) fiir die Blen- 
norrhoe, sondern auch das Vorhandensein von Mikro- 
kokken bei Trachom (Sattler), sowie das Hervorgehen 
von Trachom aus Blenn. neonatorum (in einigen Fällen), 
nachgewiesen wurde. Die Resultate, welche durch das 
Verfahren von Cred6 (1879) behufs Verhütung des Auf- 
tretens der Blenn. neonatorum erzielt worden, sind ein 
Triumph der ätiologischen Studien. 

Dass auch der eigentlichen Diphtheritis Pilzbildung 
zu Grunde liegt, ist unzweifelhaft. Bezüglich der Horn- 
haut hat Hörn er schon 1871 auf die infektiöse Natur 
des aus dem erkrankten Thränenschlauche stammenden 
Sekretes bei Verwundung der Hornhaut aufmerksam ge- 
macht, und hat sich bei Ulcus serpens und Ulcus rodens 
nur die antiseptische Behandlung, vorzugsweise das 

Arlt, Meine Erlebnitse. 6 



82 



Ferrum candens (M a r t i n a c h e , Sattler), als verlässlich 
bewährt. 

Ob das antiseptische Verfahren, den besonderen Ver- 
hältnissen am Auge angepasst, auch bei den Operationen 
am Bulbus, speziell bei der Extraktion, einen wesent- 
lichen Nutzen bringen werde, kann nur durch weitere 
Prüfung (in grossen Zahlen) entschieden werden. Meines 
Erachtens genügt in Fällen, in welchen keine Erkrankung 
am Auge oder anderswo am Körper vorliegt, welche 
Verdacht auf nachfolgende Wundinfektion erregt, strenge 
Reinlichkeit bezüglich der Hände, der Instrumente, der 
Verbandstücke und der Zimmerluft, die Anwendung anti- 
septischer Mittel entbehrlich zu machen. 

Ich habe unter meinen Augen eine grosse Menge von 
verschiedenen Arzneimitteln, Behandlungsmethoden, Ope- 
rationsverfahren u. s. w. vorüberziehen sehen, welche — 
gleich Irrlichtern — bald wieder vom Schauplatze ver- 
schwunden sind. 

Diese kurzen Andeutungen mögen genügen, zu zeigen, 
dass ich in einer sehr bewegten Zeit der medizinischen 
Wissenschaft gelebt habe. Es war mir vergönnt, mit 
einer grossen Zahl der Begründer der besseren Richtung 
in der Medizin, namentlich in der Augenheilkunde, in 
persönlichen Verkehr zu treten. 



VIII. 



VERHÄLTNISS ZU MEINER FAMILIE, 
MEINEN SCHÜLERN, FREUNDEN 

UND COLLEGEN. 



ZU Ende des Jahres 1858 starb mir ein hoffnungs- 
voller Knabe von 11 Jahren an Scharlach, durch 
welche Krankheit ich schon in Prag (1854) zwei Kinder 
verloren hatte. Mein ältester Sohn (geb. 28. Dez. 1842) 
wandte sich dem Studium der Medizin zu und entschied sich, 
nachdem er durch 1^/2 Jahre an meiner Klinik gedient 
hatte, für Augenheilkunde, doch ohne Neigung zum 
Lehrfache. In glücklicher Ehe lebt er hier als Augen- 
arzt. Der jüngste (geb. 27. Nov. 1853) widmete sich 
dem Studium der Oekonomie, und meine Tochter ist seit 
1873 die Frau des jetzt beim Landesvertheidigungs- 
ministerium hier angestellten Hauptmannes Sind 1. Nach- 
dem ich am 21. Jänner 1876 meine gute Frau durch 
eine Lungenentzündung (die 4. während unserer Ehe) 
verloren habe, ist es ein Glück für mich, dass meine 



84 



Tochter mit ihrer Familie bei mir wohnen und mich der 
häuslichen Sorgen entheben kann. 

Mein älterer Bruder (geb. 4. Aug. 1809), in mancher 
Beziehung von jeher ein Sonderling, wohnte, da er als 
subalterner Beamter ledig geblieben war, seit meinem 
Domizil zu Wien bei mir; arge Täuschungen, welche 
er in Folge übermässiger Gutmüthigkeit und mangelnder 
Klugheit in den letzten Jahren durch vermeintliche 
Freunde erfahren, hatten ihn in letzter Zeit um seinen 
Verstand gebracht. Er starb am 29. August 1885. 

Erfreulich dagegen, ja für mich erhebend, war das 
Verhältniss zu meinem jüngeren Bruder. Er lebte im 
Elternhause durch mehr als 20 Jahre in glücklicher, doch 
kinderloser Ehe, hatte sein gutes Auskommen und wurde 
schon in jungen Jahren zum Gemeindevorstande gewählt. 
Ich besuchte ihn seit 1858 alljährlich in den Herbstferien 
auf 14 Tage, einmal auch mit Rokitansky und seiner 
Frau von Teplitz aus in Begleitung von Dr. Höring, 
Hofrath Löschner und Professor Zippe. 

Wir beriethen uns durch einige Jahre, wie dem mit der 
Abnahme des Zinnbergbaues hereinbrechenden Verfalle 
der Gemeinde in moralischer wie in materieller Beziehung 
entgegen gearbeitet werden könne. Da kam uns ein 
günstiger Umstand zu Hilfe. Die Gemeinde besass neben 
35 Joch Wald noch 20 Joch Weidegrund, welcher keinen 
anderen Nutzen brachte, als dass die Leute ihr Vieh 
dorthin auf die Weide treiben, eigentlich nur der frischen 
Luft aussetzen konnten, denn Futter war dort wenig zu 



85 



finden. Mein Bruder, welcher den kurz vorher dort be- 
schäftigten Katastralbeamten beim Feldmessen zugesehen 
hatte, nahm nun, nachdem wir die Gemeinde für unseren 
Plan gewonnen hatten, die Vermessung und Eintheilung 
der Hutweide in Parzellen vor, und diese wurden dann, 
anfangs gegen niedrige, später gegen höhere Pachtzinse 
an einzelne Hausbesitzer zur Urbarmachung und Be- 
nützung für Feldbau überlassen. Hiemit war nicht nur 
den Insassen eine neue Erwerbsquelle eröflfnet, sondern 
auch die erste Bedingung zu dem uns noch mehr am 
Herzen gelegenen Vorhaben erfüllt, nämlich zur Errich- 
tung und Unterhaltung einer eigenen Schule in Ober- 
graupen. Sobald wir einen jährlichen Pachtzins von 
300 — 400 fl. erwarten durften, um einen eigenen Lehrer 
besolden zu können, mittelte mein Bruder eine geeignete 
Baustelle mitten im Dorfe (durch Umtausch gegen Ge- 
meindegrund) aus, und entwarf ich den Plan für das Schul- 
haus, welches sodann auf meine Kosten erbaut wurde. 
Als aber bald darauf — nach Einführung der achtjährigen 
Schulpflicht — das Haus durch Zubau erweitert werden 
musste, was die Kosten auf mehr als 6000 fl. erhöhte, 
entfiel nach dem neuen Schulgesetze die Verpflichtung, 
die Schule auf Kosten der Ortsgemeinde allein zu erhalten, 
und diese kann fortan den jährlichen Pachtzins zur Be- 
streitung der Gemeindeauslagen (auch zur Unterhaltung 
eines Pfründnerhauses) verwenden. Die durchaus zweck- 
mässig gebaute und eingerichtete Schule (für 120 — 140 
Kinder) ist dem armen Dorfe eine wahre Wohlthat 



S6 



geworden, und ich freue mich jedesmal, wenn ich sie 
wiedersehe. Aber auch meinem Bruder hat sie für sein 
gemeinnütziges , aufopferndes Wirken Segen gebracht. 
Nach dem Tode seiner Frau heiratete er — nicht ohne 
meine Zustimmung — ein junges braves Mädchen und 
wurde in wenig Jahren Vater von 5 Kindern. Leider 
starb auch diese Frau schon nach 9 Jahren. Nun ist es 
für ihn eine Wohlthat, seine Kinder im Orte selbst in 
die Schule schicken zu können. 

So oft ich meine Heimat besuchte, kamen natürlich 
auch Kranke, besonders Augenleidende, mich um Rath 
und Hilfe zu bitten. Das war für mich, fiir meine dort 
gesuchte Erholung, störend, unbequem. Ich half mir 
dann damit, dass ich einige Tage und Stunden festsetzte, 
an welchen ich entweder in Graupen (im Bezirksspitale) 
oder in Teplitz, wo ich bei meinem Freunde Höring 
abstieg, ordinirte. Bald kam es dahin, dass ich mich 
auch zur Vornahme von Operationen in Graupen oder 
in Teplitz entschloss. Ich habe seit 1859 alljährlich 
15— 2oStaaroperationen dort vorgenommen, durchschnitt- 
lich mit besserem Erfolge, als in dem meist überfüllten 
Krankenhause zu Wien. Die Leute brachten mir unbe- 
dingtes Vertrauen und Folgsamkeit entgegen, und die 
Aerzte (Baumeister, Müller, Reichl, Zonasch) 
unterstützten mich redlich in der Nachbehandlung. 

Mit meinem Freunde Gulz, einer durchaus edel 
angelegten Natur, bin ich bis zu seinem Tode in innigem 
Verkehre geblieben. Mit ihm machte ich auch eine der 



87 



angenehmsten Reisen : über Heidelberg und Heiden, 
wo Graefe weilte, nach Chur, St. Moriz, durch 
das Engadin nach Finsterminz, und durch das Vintsch- 
gauthal nach Meran und Botzen, schliesslich über 
den Brenner, wo eben die Eisenbahn gebaut wurde, 
nach Innsbruck und Salzburg. 

Der gute Oppolzer starb leider gleichfalls im 
vollen Mannesalter ; mir wurde die schmerzliche Aufgabe, 
am Grabe ihm Worte des Dankes und der Anerkennung 
seiner Verdienste nachzurufen. 

Mit V. Skoda trat ich erst in den letzten 1 5 Jahren 
vor seinem Tode in mehr freundschaftlichen Umgang. 
Ihm verdanke ich viele frohe Stunden in Gesellschaft 
mit einem ausgewählten Kreise von Freunden. Ernst in 
der Wissenschaft, meist trocken und kurz gefasst im ge- 
wöhnlichen Verkehre, barg er ein warm fühlendes Herz 
in seinem Busen, und im traulichen Kreise der Freunde 
entschlüpften seinem Munde nicht selten die treffend« 
sten Bemerkungen und Scherze. Er, der als armer 
Student in Wien manchmal den Hunger mit gequellten 
Erbsen gestillt hatte, war unter Beibehaltung einer 
relativ einfachen Lebensweise zu einem ansehnlichen Ver- 
mögen gelangt, übte aber, jetzt darf man es schon sagen, 
mehr Wohlthaten im Stillen, als die Mitwelt ahnte. 

Es sei mir gestattet, was nur Wenigen bekannt ist 
und vielleicht auch anderweitig nicht bekannt gegeben 
werden dürfte, hier kurz anzugeben, in welcher Weise 
V. Skoda zum Studium der Medizin gelangte. Sein 



88 



um 4 Jahre älterer Bruder Franz (jetzt 84 Jahre) war, 
ich weiss nicht genau wie, nach Wien gekommen, 
wo er Medizin studirte. Er war öfters in das Haus des 
Fabrikanten Bischof eingeladen worden. Als nun die 
Frau Bischof, welche auf Anrathen der Aerzte die 
Cur in Karlsbad gebrauchen sollte, ihn um die beste 
Route dorthin frug und erfuhr, dass sie auch über 
Pilsen reisen könne, entschloss sie sich, Franzens 
Eltern daselbst aufzusuchen. Dort ruhte sie einen Tag 
aus und sah unter andern auch Franzens Bruder 
Joseph, welcher eben das Gymnasium und Lyceum 
absolvirt hatte. Er muss auf sie einen sehr günstigen 
Eindruck gemacht haben; sie frug, was er werden wolle. 
Die Eltern sagten, er wolle ebenfalls nach Wien gehen, 
um Medizin zu studiren, aber es fehlen die Mittel dazu. 
»Nun, wenn's weiter nichts ist, kommen Sie nur nach 
Wien; wir werden schon Mittel und Wege finden, Sie 
durchzubringen, c Und so geschah es. Die verständige 
Frau hielt ihr Wort, wohl kaum ahnend, welch* grossen 
Dienst sie durch ihre humane Handlung der Wissenschaft 
und leidenden Menschheit erweisen werde. — Die edle 
Frau und ihr Mann waren todt, das von dem Sohne 
fortgeführte Geschäft war ins Stocken gerathen, als 
V. Skoda bereits berühmt und wohlhabend geworden 
war. Da nahm sich v. Skoda des durch einen Wechsel 
bedrängten Sohnes mit einer hohen Summe in einer so 
zarten Weise an, dass ich das mit Worten würdig zu 
schildern gar nicht unternehme. — Als ich dann an 



89 



seinem Grabe sprechen sollte, übermannte mich die 
Rührung so, dass ich abbrechen musste. Das war ein 
grosser Geist, ein edles HerzI 

Von meinen intimen Freunden aus früheren Jahren 
ist mir nur der wackere Jaksch noch am Leben ge- 
blieben; meine Uebersetzung nach Wien hat uns räum- 
lich getrennt; nur in den Herbstferien besuche ich ihn 
auf seiner Besitzung (früher Lasko bei Pfibram, jetzt 
Lohowa bei Pilsen). Mit ihm und Dittrich, der 
in Erlangen tödtlich erkrankte, habe ich, bevor ich 
Professor wurde, manche trübe Stunde, dann aber auch 
viele frohe Tage verlebt. Auch Dittrich hat, bevor 
er nach Erlangen berufen wurde, in Prag schwere 
Kämpfe durchzumachen gehabt. 

Was meine näheren Collegen (Fachgenossen) in 
Wien betrifft, so habe ich mit Stell wag wohl in 
gutem Einvernehmen gelebt, doch kam es zwischen uns 
nie zu einem wärmeren Verhältnisse. Eduard Jäger 
war gegen mich wie gegen Graefe und Donders und 
manch' andern Collegen verbittert. Er hatte nach seiner 
verdienstvollen Arbeit ȟber Staar und Staaroperationenc 
offenbar darauf gerechnet, dass er die durch Rosas' 
Tod erledigte Lehrkanzel erhalten werde, um so mehr, 
als er mit seinem Vater an dem Grafen Thun eine 
glückliche Operation ausgeführt hatte (Ausziehung eines 
Zündhütchenfragmentes aus der vorderen Kammer mit 
Excision eines Stückchens Iris). Ich schliesse dies aus 
dem Umstände, dass mir Graf Thun nach meiner 



90 



Ernennung für Wien bedeuten Hess, ich möge trachten, 
mit Jäger in gutem Einvernehmen zu bleiben. Ich habe 
demgemäss nicht nur auf seine Ernennung zum ausser- 
ordentlichen Professor, sondern auch, einige Jahre später, 
auf Gewährung eines Gehaltes von 1500 fl. (als ausser- 
ordentlicher Professor) angetragen. Da er als Primarius 
1800 fl. Gehalt und freie Wohnung hatte, waren seine 
fixen Bezüge kaum geringer als die meinen. Aber das 
genügte nicht, ihn mit seiner Stellung als Vorstand einer 
grossen Abtheilung (mit 80 Betten) und der damit ver- 
bundenen Klinik zufrieden zu machen. Dass er seit 
seiner Promotion (1844) durch eine Reihe von Jahren 
wenig für seine Ausbildung in der Medizin überhaupt 
gethan hatte, und dass ich bereits eine Professur inne 
hatte, bevor er an die Bewerbung um eine solche denken 
konnte, das scheint er sich nie zu Gemüthe gefuhrt zu 
haben; er dachte nur an seine späteren, nach mancher 
Richtung ausgezeichneten und auch allgemein anerkannten 
Leistungen. — So blieb ich denn, was collegialen wissen- 
schaftlichen Ideenaustausch betrifft, ausser Gulz, fast nur 
auf meine Assistenten beschränkt. 

Um so mehr freute ich mich auf die jährliche Zu- 
sammenkunft mit Fachgenossen in Heidelberg, von 
Graefe zuerst nur fiir einen kleinen Kreis von Freunden 
veranstaltet, später zu einer grösseren Gesellschaft um- 
gewandelt. In diesem reizenden Winkel am Neckar 
lernte ich auch Donders näher kennen, später Bow- 
man, Critchett, Agnew, Homer, Pagenstecher 



91 



u. A. Von dort aus unternahm ich 1859 mit Graefe 
und Donders eine entzückend schöne Reise in die 
Schweiz, erst durch das Berner Oberland, dann über die 
Gemmi und Bad Leu k nach Chamo u nix, endlich über 
Genf und Neuchatel nach Ölten, wo wir uns trenn- 
ten. Graefe kannte keine Strapazen. Wer hätte damals 
geahnt, dass der wackere Bergsteiger einem Lungenleiden 
und so bald erliegen werde! 

Nach dem Tode Hebra's wurde ich (1880) von der 
k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, in welcher ich 
wiederholt Vorträge gehalten hatte, zu ihrem Präsidenten 
gewählt. 

Die grösste Auszeichnung, das freudigste, erhebendste 
Fest für mich, war die Feier meines 70. Geburtstags- 
festes durch meine ehemaligen Assistenten und Schüler. 
Viele waren aus weiter Ferne gekommen, mich zu be- 
glückwünschen. Ein Album, von Stork mit einer 
kunstvollen Enveloppe versehen, enthielt an 200 Photo- 
graphien von meinen ehemaligen Schülern, mir und 
meinen Kindern ein theueres Andenken. Schon vor 
Jahren hatte ich einem Freunde geschrieben: »Nicht die 
momentane Begeisterung — die mit den Jahren steigende 
Anerkennung ist dem Lehrer der Maassstab fiir sein 
Wirken c. 

Wenige Wochen nach dieser Feier eilte ich nach 
Berlin zur feierlichen Enthüllung des am Eck der 
Louisen- und Schumannstrasse errichteten Standbildes 
von Graefe, zu welcher nebst Donders zahlreiche 



92 



Schüler und Verehrer des uns leider zu früh Entrissenen 
herbeigeströmt waren. In der Rede, welche ich als 
Senior vor der Statue zu halten die Ehre hatte, hob ich 
unter anderem auch hervor, dass Graefe für die Errich- 
tung eigener ophthalmologischer Lehrkanzeln von staats- 
wegen in dem nun geeinigten Deutschland eigentlich die 
Bahn gebrochen hat. 



IX. 



MEIN GESUNDHEITSZUSTAND. 



Eine schwere körperliche Krankheit hat mich nie 
befallen. Selbst die gewöhnlichen Kinderkrank- 
heiten haben mich, nachdem ich geimpft war, nicht 
heimgesucht. Nur im lO. oder ii. Jahre war ich einmal 
an einer fieberhaften Krankheit in Weisskirchlitz 
bettlägerig, so dass ein Arzt aus Teplitz zu Rathe ge- 
zogen wurde; ich erinnere mich nur, dass ich grossen 
Durst, heftiges Seitenstechen und Husten hatte. — Erst 
gegen Ostern 1849, als durch gedrückte Gemüths- 
stimmung meine Widerstandskraft sehr geschwächt sein 
mochte, erkrankte ich wieder, und zwar an einer heftigen 
Hals- und Mittelohrentzündung, in Folge deren es zum 
Durchbruche des linken Trommelfelles kam. 

Später, als ich im August vor meiner Uebersiedlung 
nach Wien meine Abschiedsvisiten (zum Theil in ent- 
fernten Landhäusern) machte, gerieth mir bei einer 
ungeschickten Bewegung im offenen Wagen glühende 
Cigarrenasche in das linke Auge. Ich muss hier bemerken, 



94 



dass ich mir das Rauchen erst zu der Zeit, in der ich 
der Hausordination des Dr. Jaksch beiwohnte, während 
der gemeinschaftlichen Rast nach der Ordinationsstunde 
angewöhnt hatte. Um die wunde Stelle an der Horn- 
haut rasch zur Heilung zu bringen, verklebte ich die 
Lidspalte mit Streifen englischen Pflasters, wie das damals 
nach der Extraktion üblich war, und legte darüber eine 
Binde an. Da ich aber bemerkt hatte, dass die sich 
vom Rande her einrollenden Pflasterstreifen mich drück- 
ten und beunruhigten, entfernte ich dieselben schon nach 
einigen Stunden und beschränkte mich auf einen Ver- 
band, welcher den Lidschlag hemmte. Diese Wahr- 
nehmung bestimmte mich dann in Wien, den alt- 
hergebrachten Verband nach der Extraktion aufzugeben, 
die Augengrube mit Charpie auszupolstern, und diese 
mittelst zollbreiter Leinwandstreifen, welche an beiden 
Enden mit Heftpflaster bestrichen waren, an die Augen 
angeschmiegt zu erhalten; zwei Jahre später führte ich 
über diesen Verband noch einen Monoculus aus weichem 
Flanell, und in den letzten Jahren Hess ich auch meistens 
die manchmal Ekzem erregenden Heftpflasterstreifen 
weg. Auf diese Art ist mein Schutzverband entstanden j 
den Graefe 'sehen Druck- und Schnürverband habe ich 
nur dann verwendet, wenn ich nicht sowohl die Lider 
immobil machen, als vielmehr einen Druck auf das Auge 
(wie bei Orchitis auf den Testikel) ausüben wollte. 

Im Jahre 1859 erkrankte ich, sei es in Folge 
physischer Anstrengung, sei es wegen deprimirender 



95 



Gemüthsaffekte an Magenkatarrh und Schlaflosigkeit. In 
desperater Stimmung eilte ich gleich nach Schluss des 
Sommersemesters zu meinem lieben Graefe nach 
Berlin, mich zu zerstreuen. Dieser bemerkte mein 
Leiden sehr bald und rieth mir, zunächst das Rauchen 
und das Biertrinken, obwohl ich darin nie unmässig 
gewesen war, aufzugeben und, da er vorläufig noch an 
Berlin gebunden war, vor unserer beabsichtigten 
Schweizerreise indess erst nach Misdroy an der Ostsee 
zu gehen. 

Dort fand ich bald angenehme Gesellschaft (Dr. 
Oswald aus Berlin, Spediteur Arlt aus Stettin) 
und erholte mich rasch; dann ging's fort nach Heidel- 
berg und in die Schweiz. Ich bin dann noch einmal 
(1867) mit meiner Frau und den jüngeren zwei Kindern 
auf einige Wochen nach diesem stillen Seebade gegangen. 

Anfang März 1862 durch meinen Freund Bret- 
tauer, der 1857 mein Schüler gewesen, zu einer Con- 
sultation nach Tri est gerufen, erkrankte ich daselbst 
an einem heftigen Gesichtserysipel. Ich war kurz nach 
der Abfahrt von Wien, in einen Pelz gehüllt, eingeschlafen 
und hatte, als ich erwachte und sehen wollte, wo wir 
seien — wir hatten eben den Semmering passirt — den 
Kopf durch das geöffnete Fenster hinausgesteckt; ein 
kalter Luftstrom traf meinen Kopf (von der rechten 
Seite) ; bald darauf bekam ich Frost, dann Abgeschlagen- 
heit und Unruhe. Als ich des Morgens in Triest an- 
langte, erschrak Brettauer über mein Aussehen. Bald 



96 



war es klar, dass sich an der rechten Hälfte des Kopfes 
ein Rothlauf entwickle. In dem Eltemhause von B ret- 
tau er fand ich die liebevollste Pflege; nach 4 Tagen 
konnte ich zu meiner geängsteten Familie zurückkehren. 

Seitdem habe ich keine ernstliche Gesundheitsstörung 
erfahren und auch die Inklination zu Bronchialkatarrhen 
verloren; ich meine, dass hiezu auch kalte Waschungen 
des ganzen Körpers (2 — 3 mal in der Woche) viel bei- 
getragen haben. 

Meine Sehkraft entspricht im Ganzen so ziemlich 
meinem Alter; mit Convex 4 Dioptrien bewaffnet ge- 
statten mir auch die Augen noch, delikate Operationen 
vorzunehmen; nur bei feineren ophthalmoskopischen Unter- 
suchungen muss ich oft an die Controle durch meinen 
Sohn appelliren, um sicher zu sein, ob ich recht gesehen 
habe. 

Wien Ende Dezember 1885. 

D. ARLT. 



X. 

ARLT'S LETZTE LEBENSJAHRE, 
KRANKHEIT UND TOD. 

VON 

OTTO BECKER. 



Gegen Ende des Sommersemesters 1881 machte Arlt 
dem Unterrichtsministerium die Anzeige, dass er 
am 18. April des nächsten Jahres sein 70. Lebensjahr 
vollenden werde, mithin seine Professur niederzulegen 
habe. 

Das Ministerium antwortete mit der ihm gesetzlich 
zustehenden Aufforderung, er möge bei seiner geistigen 
Frische und ungeschwächten körperlichen Rüstigkeit sein 
Lehramt noch ein Jahr weiterführen. Nach Berathung 
mit Freunden erklärte Arlt sich dazu bereit. Somit war 
es entschieden, dass er erst mit dem Schluss des Sommer- 
semesters 1883 seine öffentliche Thätigkeit beenden sollte. 

Im April 1882 überraschten ihn zahlreiche Schüler 
und Freunde, indem sie zur Feier seines 70. Geburtstages, 

Arlt, Meine Erlebnisse. 7 



^ • 



98 



zum Theil aus weiter Ferne, herbeieilten. Sie wollten 
noch einmal für einige Tage sich zu seinen Füssen auf 
die Schulbank setzen, ihm und der Oeffentlichkeit zum 
Zeichen, wie hoch sie das Glück schätzten, sich als seine 
Schüler betrachten zu dürfen. 

Wie er diese Huldigung aufTasste, sagen seine schönen 
Worte: 

»Nicht die momentane Begeisterung — , die mit den 
Jahren steigende Anerkennung ist dem Lehrer der Maass- 
stab seines Wirkens c. 

Am 6. Juli 1883 nahm Arlt Abschied von seiner 
Klinik. In dem festlich geschmückten Hörsaal wurde ihm 
von seinen Schülern in Gegenwart eines grossen Theiles 
des medizinischen Professorencollegiums eine künstlerisch 
ausgestattete Adresse überreicht. 

Aus den Worten, mit denen er dankte, klang wieder 
die hohe Genugthuung hervor, sich als anerkannten 
Meister einer angesehenen und ausgebreiteten Schule be- 
trachten zu dürfen. Und mit Recht! Selbst persönliche 
Gegner haben es öffentlich ausgesprochen, dass in ge- 
wissem Sinne sich alle jetzt lebenden Augenärzte als seine 
Schüler zu betrachten haben. 

So empfänglich auch Arlt für alle diese Beweise von 
Anerkennung, Verehrung und Liebe war, so konnten sie 
doch den Ausbruch einer tiefen geistigen Verstimmung 
nicht verhindern, der er bis zu seinem Ende nur vorüber- 
gehend Herr wurde. 

Dieser Verstimmung lagen offenbar ganz verschiedene 



99 



Ursachen zu Grunde, deren er selbst sich zum Theil wohl 
nicht bewusst geworden ist. 

Aus der eigenen Schilderung seines Lebens geht her- 
vor, dass er die hohe Stellung in der Wissenschaft, in 
der Lehre und in der Praxis nur durch rücksichtslose 
Ausbildung derjenigen Eigenschaften erreicht hat, welche 
in directer Weise sein ärztliches Wissen und Können zu 
fördern im Stande gewesen sind. Eine gewisse Einseitig- 
keit und enge Begrenzung seiner geistigen Interessen ist 
die Folge davon gewesen. 

Ausser den Pflichten seiner amtlichen Stellung waren 
es die Interessen des ärztlichen Standes, fiir die einzu- 
treten er jeden Augenblick bereit war, waren es die Be- 
drängnisse armer Studenten, denen er seine Zeit, seine 
Mühe, seine Mittel, als wäre das ganz selbstverständlich, 
bis an die Grenze des Möglichen widmete. 

Beobachten und sich über das Beobachtete aus- 
sprechen, es Andern, Schülern und Collegen, mittheilen, 
durch die Lehre sich selber zur Klarheit zwingen: damit 
ist erschöpft, was ihm neben seiner Familie, dem sehr 
entwickelten Gefühl für Freundschaft und dem Wohl- 
thätigkeitssinn, den er in so grossartiger Weise bewährte 
und von dem er in so bescheidener Weise spricht, das 
Leben werth machte. 

Beobachten und Lehren : eines war für ihn ohne das 
andere nicht vorhanden. 

Nun die Gelegenheit zu mündlicher Lehre weggefallen 
war, war er allein auf schriftliche Mittheilung angewiesen, 

7* 



lOO 



In erhöhter literarischer Thätigkeit suchte er Ersatz. Man 
will aber an ihren Erzeugnissen eine gegen früher ver- 
minderte Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit des Aus- 
druckes wahrgenommen haben und führt dies, wohl nicht 
mit Unrecht, auf das Fehlen des gewohnten täglichen 
Vortrags zurück. 

A r 1 1 ' s klarer Selbstkritik blieb dies nicht verborgen. 

Die Schilderung seiner Erlebnisse giebt aber auch 
Aufschluss, wie neben der engen Begrenzung seiner geisti- 
gen Interessen sein wahrhaft edler und in seiner Einfach- 
heit grosser Charakter sich entwickelt hat. 

Ein berühmter College schrieb nach seinem Tode : 

»Für A r 1 1 hatte ich, so diametral sich unsere Naturen 
in Vielem gegenüberstanden, immer eine grosse Ver- 
ehrung und Sympathie. Das einfach Wahre im Denken 
und Handeln ist immer etwas Schönes, Grosses, etwas 
Imponirendes in dem künstlichen Bau unserer modernen 
Gesellschaft. € 

So lange Arlt in seiner hervorragenden Stellung an 
der Würde seines Amtes einen Halt hatte, ging er an 
diesen künstlichen Verhältnissen achtlos vorüber. Den 
Pensionär beängstigten und bedrückten sie, und verwirrten 
und trübten wohl auch nicht selten die Klarheit seines 
Blickes und Urtheils. 

Allerdings machten sich die veränderten äusseren 
Verhältnisse schon fühlbar, ehe sie noch thatsächlich ein- 
getreten waren. 

Gerade weil in Arlt das Bewusstsein, an der Spitze 



lOI 



einer grossen Schule zu stehen, sein ganzes Sein be- 
herrschte, war der ohnehin verständliche und berechtigte 
Wunsch, einen Fachgenossen seiner Schule zum unmittel- 
baren Nachfolger oder wenigstens für später als Nachfolger 
in sicherer Aussicht zu haben, bei ihm zu einem heissen 
Verlangen geworden. Er betrachtete es geradezu als 
Ehrensache, dass die noch zu Zeiten seiner Amtsführung, 
und zwar gerade auf seine Veranlassung hin, in Fluss 
gerathene Besetzungsfrage in seinem Sinne erledigt werde. 

Als sich da nun auch andere Wünsche und Be- 
strebungen, von den seinigen abweichende Auffassungen 
und Einflüsse geltend machten, wurde es Arlt schwer, 
Personen und Sachen ruhig und objectiv zu beurtheilen. 
Ueberall sah er persönliche Gegnerschaften, Anfeindungen, 
Nichtworthalten, Unzuverlässigkeit, Zurücksetzung u. s. w. 
Dazwischen blieb es auch nicht aus, dass er sich selbst 
anklagte, er habe dies oder das ungeschickt angefasst, er 
sei kein Diplomat ; aber, heisst es dann wieder, er könne 
keine Schritte thun, die er an anderen tadele. 

Vertrauliche Briefe aus den letzten Jahren geben ein 
herzergreifendes Bild von der unklaren, verbitterten und 
traurigen Seelenstimmung, in der er lebte. 

»Wenn Sie heute hier wärenc, schreibt er am 15. April 
1883, »träfen Sie mich in einer andern Stimmung als vor 
einem Jahre, wo von meinen Freunden und Schülern einer 
nach dem andern kam, mein Geburtsfest zu feiern, und 
ich mit stolzer Befriedigung auf meinen Lebenslauf zu- 
rückblicken könnte. Heute bin ich kleinlaut . . .« 



I02 



Und drei Wochen später (4. Mai) : »Ich danke Ihnen 
für Ihre innige Theilnahme an meinem Leiden. Leider 
kann ich Ihnen nichts besseres melden, nur schlimmeresc 
A r 1 1 berichtet dann über den Tod von zwei langjährigen 
Freunden und fährt fort: »Sie sehen lauter deprimirende 
Eindrücke. Aber diese sowie manches andere würde mir 
doch meine Fassung nicht rauben. Denn die Behandlung, 
welche ich durch meine Collegen erfahre, macht mich 
befangen, benimmt mir die Gewissheit, dass ich die Sach- 
lage richtig beurtheile, dass ich das Richtige spreche und 
thue.« 

So geht es den ganzen Sommer, bis er, als die Be- 
setzungsfrage, wenn auch nicht in seinem Sinne, ent- 
schieden war, schreiben konnte (15. Okt. 1883): »Endlich 
habe ich die nöthige Ruhe wieder erlangt, Ihnen über 
meine Erlebnisse seit meinem letzten Briefe zu schreiben.« 

Ihm weniger nahe stehende Personen, denen er nicht 
so rückhaltslos offen schreiben konnte, rühmen dagegen 
den edlen, würdevollen Ton seiner Briefe aus dieser Zeit. 

Nach Niederlegung seines Amtes kam dann der Mangel 
an Beschäftigung hinzu. Mag sein, dass der Zudrang zu 
seiner Sprechstunde abgenommen hatte. Jedenfalls über- 
schätzte er die Abnahme und empfand sie schwerer, als 
sie war. Die Zeit, welche durch die Praxis ausgefüllt 
werden sollte, war eben durch den Wegfall der klinischen 
Thätigkeit eine längere geworden. 

»In Wien selbst habe ich fast gar nichts zu thun, 
nur von ferne sucht man mich auf. Man sagt, ich 



103 



habe mich von der Praxis ganz zurückgezogen.« (25. Juni 

1885.) 

Dagegen kommt gelegentlich auch wieder ein Brief, 

in dem es (17. November 1885) heisst: »Wir sind alle 

wohlauf, und ich habe noch immer hübsch zu thun. 

Meine freie Zeit fülle ich mit Nachlesen der Tageslitera- 
tur aus.« 

Diese trübe Stimmung sollte nur zu bald auch durch 
körperliche Leiden gesteigert und befestigt werden. Oder 
war sie etwa durch unbemerkt gebliebene oder nicht ge- 
nug beachtete Vorgänge in dem alternden Organismus 
schon zum Theil bedingt? 

Im Mai 1885 konnte Arlt noch schreiben: »Ein 
schweres körperliches Leiden hat mich nie befallen«. Am 
19. April 1886 hatte er das Unglück, sich beim Heraus- 
springen aus der Pferdebahn einen Bruch des linken Ober- 
armes zuzuziehen. Er selbst erzählt den Vorgang in 
einem Brief vom 24. April : 

»Vielen Dank für Ihr Schreiben I — Aus diesen 
Zeilen erschliessen Sie wohl, dass es der linke Arm ist, 
dessen Gelenkkopf (innerhalb der Kapsel, ziemlich quer, 
ohne Splitter) gebrochen wurde. Im Gefühle voller Ge- 
sundheit und Kraft beging ich Montag nach 9 Uhr die 
Dummheit, von einem Tramwaywagen in der Aiserstrasse 
(während der Fahrt) abzuspringen, was ich wohl schon 
hundertmal gethan hatte. Es scheint, dass ich diesmal 
den Pflasterstein, auf den ich springen wollte, zu nahe 
genommen hatte, so dass mich die Flugkraft noch weiter 



104 



trieb. Ich fiel vorwärts, erst auf das rechte Knie, das 
mit einer Aufschürfung davon kam, dann aber links (ob 
auf die Hand oder den Ellbogen?), und bekam in der 
Schulter einen starken Schmerz. Ich ging nun durch die 
Pelikangasse in die Anstalt von Dr. Low, wo ich drei 
Kranke zu besuchen hatte. Nach der Visite bestimmte 
mich der Secundärarzt Dr. Sonnenfeld, dem meine Blässe 
auffiel, in sein Zimmer zu gehen. Der Versuch, den Arm 
zu heben, war schmerzhaft; beim Betasten des Schulter- 
gelenkes bemerkte der Doktor und der dann herbei- 
gerufene Dr. Low Crepitation. Es war 9*/« Uhr. Der 
nun aus dem Spitale geholte Professor Dittel richtete 
den Bruch (unter massigen Schmerzen) ein und fixirte den 
Arm mittelst Wasserglas- Verbandes an den Stumpf. In 
dieser Stellung muss ich nun den Arm ruhig lassen. Ich 
bekam weder Fieber, noch erhebliche Schmerzen; das 
lästigste ist die Verurtheilung zum Nichtsthun und vor- 
läufig zum Zimmerarrest. Schlimmer aber als das drückt 
mich der Umstand, dass ich, in dem Vorsatze, vom 21. bis 
27. in Graupen zuzubringen, mehrere Operationskandi- 
daten auf die ersten Tage nach Ostern hierher bestellt 
hatte .... Dass ich, wenn alles gut geht, vor sechs 
Wochen keine operative Thätigkeit werde aufnehmen 
können, ist, wie nach allen solchen Brüchen, sicher, c*) 



*) Dr. Low fügt einem im wesentlichen übereinstimmenden Be- 
richte hinzu: »Als Charakteristikum für Ar! t kann ich Ihnen mittheilen, 
dass ich in der Zwischenzeit bis von Dittel kam, nicht bei ihm bleiben 



105 



Ach I Nicht nur die gefiirchteten sechs Wochen sollte 
die operative Unthätigkeit dauern; die heilbringenden, 
kunstgeübten Hände Arlt's waren für immer zur Ruhe 
verdammt. 

Ich berichte wieder mit Arlt's eigenen Worten vom 
2. Juli 1886: 

»Als ich Ihnen meinen Unfall vom 19. April anzeigte, 
ahnte ich nicht, welche schweren Leiden mir bevor- 
standen. Ich bin nun so weit hergestellt, dass die Callus- 
bildung ohne Störung erfolgt und die Beweglichkeit des 
Armes hergestellt ist, obwohl die Muskelschwäche noch 
in hohem Grade andauert. Aber das ist nicht die Haupt- 
sache meines Leidens. Ich leide seit den ersten Tagen 
meines Unglückes an Schlaflosigkeit und seit Anfang Mai 
auch an einem äusserst lästigen Ohrensausen (nach Po- 
litzer 's Anschauung: Katarrh des Mittelohres). Wie das 
gekommen ist? Da muss ich weit ausholen, so ungern 
ich es auch thue. Ihnen bin ich es schuldig. Mein Ge- 
müth, durch vorausgegangene Schicksalsschläge erschüttert, 
ist durch meinen Fall vom 19. mehr als ich dachte, er- 
griffen worden.« 

Es folgen nun ausführliche Mittheilungen über ein 



durfte, sondern einen 4. Kranken verbinden musste, der auf die Visite 
sonst hätte warten müssen. Auch duldete Hofrath v o n A r 1 1 nicht, dass 
ich ihn nach Hause begleitete, sondern ich musste einen Patienten, dem 
Professor Arlt versprochen hatte, er werde am Vormittag hinkommen, 
im Hotel Erzherzog Carl statt seiner aufsuchen und den Grund des 
Nichterscheinens Arlt's angeben <. 



io6 



schweres Leiden, welches seinen jüngeren Sohn seit länger 
als einem Jahre wiederholt heimgesucht hatte. 

Dann spricht er von Reiseplänen mit dem Sohne 
und fährt fort: 

»Nach Heidelberg werde ich dieses Jahr wohl nicht 
kommen. f »Ob ich je wieder gesund werde? Ich kann 
keine ernste Lektüre vornehmen, selbst das Zeitunglesen 
halte ich nicht lange aus. Es ist mir immer, als ob 
es mir die Ohren auswärts drängte, als ob etwas 
Schweres auf meinem Gehirn lastete ; ich muss mich 
immer erst besinnen, ob das, was ich beginne, richtig 
sei. Seit Mitte Mai schlafe ich nur mit Nachhilfe von 
Chloralhydrat. Wäre mein Kopf frei und hätte ich einen 
erquickenden Schlaf, so wäre ich ganz gesund ; ich könnte 
wieder arbeiten. Zürnen Sie mir nicht, dass ich Ihnen so 
lange nicht geschrieben habe. Sie können es wohl an 
diesem Briefe merken, dass ich mich sehr verändert 
habe.« »Bis zum Ende meines 74. Jahres war ich ein 
glücklicher Mensch. Das Schicksal meines Sohnes hat 
mich geknickt; meine Dummheit am 19. April hat mich 
elend — weil arbeitsunfähig — , wenigstens für längere 
Zeit, gemacht.« 

Ich beantwortete diesen Brief sogleich mit der drin- 
genden Bitte, den gewohnten jährlichen Besuch in Heidel- 
berg, der ihm immer so wohlgethan, nicht nur nicht auf- 
zugeben, vielmehr diesmal früher zu kommen und auch 
das Heidelberger Jubiläum mitzumachen. 

Statt einer Antwort von seiner Hand brachten die 



107 



Zeitungen die Nachricht von der schweren Erkrankung 
Arlt's in Johannisbad, wohin er in Begleitung seines jün- 
geren Sohnes gereist war, um die Bäder zu gebrauchen. 
Er selbst hat später darüber in einem Dictat an seine 
Schwiegertochter berichtet : 

»Seit meinem Armbruch im April litt ich an Schlaf- 
losigkeit, vermuthlich weil ich gegen meine Gewohnheit 
nicht auf der linken Seite liegen durfte, weshalb ich mit 
meinem Sohne Wilhelm nach Johannisbad bei Trautenau 
reiste. Am Abend der Ankunft (29. Juli) machten wir 
noch einen Spaziergang. Es gefiel mir da sehr gut, und 
ich schlief zum ersten Mal seit langer Zeit ohne Schlaf- 
mittel, c 

»Als ich des Morgens aus dem etwas hohen Bette 
stieg, fühlte ich plötzlich einen so heftigen Schmerz im 
linken Bein, dass ich kaum aufzutreten vermochte. Trotz- 
dem nahm ich ein Bad. Der Schmerz verlor sich nicht ; 
doch denkt Euch meinen Schreck, als ich beim Ankleiden 
zwei Zehen kreideweiss und gefühllos finde I Trotzdem 
kleidete ich mich an. Der anwesende Dr. Franke fand den 
Zustand bedenklich und liess den Chirurgen Dr. Schrei- 
ber holen. € 

»Wenn der nun recht gehabt hätte, so wäre es aller- 
dings um mich geschehen gewesen. Er hatte es nämlich 
für Embolie erklärt. Da wäre nun das Los des armen 
Dr. J u r i e (der kurz vorher an Embolie gestorben war) 
auch das meinige gewesen. Später besuchte mich auch 
Dr. P a u e r. Letzterer erklärte es für eine Thrombose und 



io8 



schickte mich sofort nach Wien. Was ich auf dieser 
Fahrt ausgestanden, werde ich mein Lebtag nicht ver- 
gessen. Ich sass aufrecht und hielt das Bein mit beiden 
Händen unter dem Knie.« 

Nach qualvoller neunstündiger Bahnfahrt kam Arlt 
am 3 iten Mittags in Wien an. Dr. Allmayer, der ihn 
mit Dittel schon an dem Armbruch behandelt hatte, fand 
»den Fuss bis zur Grenze der Metacarpo-phalangeal- 
gelenke ganz blass, den anderen Theil des Beines bis 
zum Knie ganz blau und geschwollen. An der Grenze 
zwischen mittlerem und oberem Drittel des Unterschenkels 
die livide Färbung am stärksten und dort auch die heftig» 
sten Schmerzen, mit und ohne Berührung.« Dr. Allmayer 
zog erst Weinlechner, dann Bill rot h hinzu. Kalte Um- 
schläge minderten anfangs die Schmerzen, kurze Zeit 
wurden warme Kamillenumschläge versucht und dann, als 
sich, wie vorauszusehen, Gangrän des Fusses und Unter- 
schenkels eingestellt hatte, mit Gypstheer verbunden. 

Noch am 31. Juli Nachmittags wurde Arlt in sein 
Landhaus nach Pötzleindorf gebracht, wo er im Kreise 
seiner Familie die aufopferndste Pflege fand. 

Unausgesetzte, besonders des Nachts unerträgliche 
Schmerzen machten den Zustand um so qualvoller, als 
Arlt nur schwer und erst auf vieles Zureden sich ent- 
schloss, grössere Dosen Chloralhydrat zu nehmen und 
ausreichende Morphiuminjectionen machen zu lassen. 

Man wartete, dass sich die Gangrän begrenze, um 
die Amputation vorzunehmen. 



109 



Am 6. September übernahm Professor v. D i ttel , von 
seiner Reise zurückgekehrt, die Leitung der Behandlung. 
Durch die grosse psychische Aufgeregtheit, den intermit- 
tirenden Puls, die vollständige Schlaflosigkeit, vor allem 
aber durch den Geruch, welchen die Gangrän verbreitete, 
fand er sich bewogen, am lO. S. die Amputation des 
Unterschenkels in den nekrotischen Knochen vorzunehmen. 
So schwer sich Arlt an den Gedanken hatte gewöhnen 
können, dass Gangrän eingetreten sei, so stoisch benahm 
er sich jetzt. Als die Knochen durchsägt waren, rief er 
dem Freunde scherzweise zu: »Sehen Sie nur, dass Sie 
jetzt in drei Minuten fertig sind« I 

Die Operation war vollkommen schmerzlos und un- 
blutig. Der Wadenlappen granulirte. Doch mussten fast 
täglich kleine gangränöse Randpartien abgetragen werden. 

Die ersten Tage nach der Operation brachten dem 
Patienten eine wesentliche Erleichterung. Dann aber 
traten wieder Schmerzen ein, gegen welche sich alle Nar- 
kotika, selbst in grösseren Dosen, erfolglos erwiesen. 
Trotzdem nahmen die Kräfte zu. 

Am 21. September wurde Arlt mit Unterstützung 
von Dr. Allmayer nach Wien in seine Wohnung über- 
geführt. Am 23. September wurde die Fibuladu, eben- 
falls ohne Narkose und schmerzlos, ausgelöst. 

Der Allgemeinzustand verschlechterte sich von da an 
wieder. Ein Gefühl grosser Schwäche mit starkem Zittern 
trat zu den, besonders bei Bewegungen, die sich auch dem 
Kniegelenk mittheilten, heftigen Schmerzen hinzu. Dabei 



HO 



war A r 1 1 oft kleinmüthig, fast verzweifelt. Trotz mancher 
dagegen sprechender Bedenken entschloss sich Professor 
D i 1 1 e 1 nach zustimmender Consultation mit Professor A 1- 
bert zur Amputation des Oberschenkels im untern Drittel. 
Dieselbe wurde in einem vorher desinficirten Zimmer von 
Arlt*s Wohnung am i. October, Vormittags 9 Uhr, unter 
Assistenz von Dr. Allmayer und einiger anderer jungen 
Aerzte ausgeführt. Es wurde ein oberer etwas nach aussen 
gerichteter kürzerer Lappen und ein längerer Lappen nach 
unten innen angelegt. Die Art. und Ven. femoralis waren 
vollkommen verstopft, so dass sie nicht bluteten. Die 
kleineren Aeste der Aa. circumflexa, glutaea, ischiadica 
dagegen spritzten*). 



*) Arlt hatte sich willig in die Vornahme der Amputation gefügt. 
Am frühen Morgen des i. October traf er noch Bestimmungen wegen 
seiner Biographie und dictirte das als Vorwort abgedruckte Codicill. 

Auch hatte er selbst angeordnet, dass das amputirte Knie sogleich 
in das Pathologisch- Anatomische Institut gebracht würde. Herr Professor 
Kund rat hat die Freundlichkeit gehabt , mir das Präparat zu zeigen und 
mir über den Befund eine schriftliche Mittheilung zu machen. 

Danach hat Arlt an einem spindelförmigen Aneurysma der Art. 
Poplitea gelitten , welches bei allmähligem Wachsthum durch Compres- 
sion der Vena popIitea deren Thrombosirung und Verödung veranlasst 
hatte. Unter den so erschwerten Circulationsverhältnissen ist es dann 
durch die schwächenden Momente, welchen Arlt durch seinen Sturz und 
dessen physische und psychische Folgen , sowie durch den Kummer 
wegen der Krankheit seines Sohnes unterworfen war, zur schichtweisen 
Thrombosirung des Aneurysma und während der starken Streckung des 
Beines beim Heraussteigen aus dem hohen Bett in J o h a n n i s b ad zu einem 
plötzlichen Verschluss und damit zur vollständigen Unterbrechung der 
Circulation unterhalb des Knies, sowie zur Gangrän gekommen. 

Durch diesen unerwarteten Befund wurde die Aufmerksamkeit der 
Umgebung, der ärztlichen sowohl wie seiner Familie, auf Erlebnisse ge- 
lenkt, welche der Kranke vom Anfang seiner Erkrankung an als in Be- 



III 



Als Arlt aus der Narkose, wegen welcher er grosse 
Besorgniss gehegt hatte, erwachte, fühlte er sich »wie neu 
geborene, hatte keine Schmerzen und schlief dann 2^/a Stun- 
den. Dieses Wohlbefinden hielt auch den folgenden Tag 
noch an, »Er ist ohne Schmerz, munter und zufrieden, 
isst, nimmt Madeira, liest die Zeitung. Kein Fieber, 
Temp. 37®.« Vom 3. October an veränderte sich der 
Zustand. Obwohl die Temperatur nicht stieg, und an der 
Wunde kein beunruhigendes Symptom auftrat, verlor sich 
der Appetit, stellten sich heftiger Durst, dann Verdauungs- 
beschwerden ein. Auf einen mehrtägigen schlummer- 
süchtigen Zustand folgte ein Stadium grosser psychischer 
Erregtheit mit zeitweisen Delirien und Todesahnungen. 

In den Delirien riss er sich wiederholt den Verband, 



Ziehung zu ihr stehend bezeichnet hatte. Aufgefordert, darüber im Zu- 
sammenhang zu berichten, dictirte er jetzt: 

»Ich muss vorausschicken, dass ich ein Landhaus inPötzleinsdorf 
besitze. Den dazu gehörigen Weingarten bearbeite ich zum Theil selbst. 
Es ist mir dies eine Zerstreuung, wenn ich den ganzen Tag ordinirt habe. 
Es war nun vor etwa 5 bis 6 Jahren, dass ich, als ich mich dabei btlckte, 
einen heftigen Schmerz im linken Bein in der Wadengegeud verspürte. 
Ich blieb zwei Stunden im oberen Lusthause sitzen, weil ich nicht gehen 
konnte. Ich vermuthete eine Zerrung. Der Schmerz verlor sich wieder. 
Im Verlaufe der sechs Jahre mag sich das plötzliche Auftreten von 
Schmerz im linken Bein etwa vier bis sechs Mal wiederholt haben. Vor 
zwei Jahren kam derselbe besonders heftig wieder und quälte mich durch 
mehrere Wochen. Im März band ich im Weingarten Ribiselslöcke (Jo- 
hannisbeerstauden) an , wobei das Hauptkörpergewicht mehr auf dem 
linken Fusse ruhte. Plötzlich empfand ich einen Schmerz, der so heftig 
wurde, dass ich mich im Lusthause niedersetzen musste.« 

Bezüglich des der Bildung des Aneurysma zu Grunde liegenden 
Leidens gewinnt nun auch eine gewisse Bedeutung, was Arlt Seite 84 
über die Erkrankung seines älteren Bruders mittheilt. 



112 



jedoch ohne Nachtheil für den Stumpf, ab ; am 8. October 
nahm er Abschied von seinen Aerzten und seiner Familie 
und verlangte den Geistlichen. Für die Nacht erwartete 
man das Ende. 

Das Gefiirchtete trat jedoch nicht ein. Drei volle 
Tage blieb der Zustand unverändert. Da erwachte er 
(ii. October) unerwartet nach mehrstündigem Schlaf ge- 
stärkt und ruhig, mit dem Gefühl wirklich geschlafen zu 
haben. »Er spricht klar und zusammenhängend, erinnert 
sich der Begebenheiten der letzten Tage, setzt die Brille 
auf und dictirt wieder einige Veränderungen an seiner 
Biographie.« 

Doch war dies nur ein vorübergehendes Erwachen. 
Schon am folgenden Tage traten wieder stürmische, tob- 
suchtartige Delirien auf. »Es macht oder steigert zeit- 
weise vielmehr den Eindruck einer schweren * Gehirn- 
erkrankung, die vielleicht schon am 19. April mit dem Hu- 
merusbruch und der Agrypnie begonnen hat« (Schrötter, 
Leidesdorf). Da alle Narkotica versagten, stand man 
(Bamberger 16. October) von jeder Medication ab. Ohne 
wesentliche Aenderung in dem Zustande ging es so fort 
bis zum 25. October. »Auf ruhigen Schlaf folgt länger 
dauernde Klarheit des Bewusstseins, Theilnahme an der 
Umgebung. Er spielt mit seinen Enkeln, ordnet (26.) 
geschäftliche Angelegenheiten«. 

Noch einmal tritt am 5. November eine Verschlimme- 
rung des psychischen Zustandes auf, die bis zum 12. an- 
hält. Von da an beginnt eine Periode des Wohlbefindens, 



113 



die alle Freunde des Kranken mit der Hoffnung einer 
baldigen, vollständigen Genesung erfüllte. Das Bewusst- 
sein ist klar, er liest viel und empfangt gerne Besuche. 
Das Allgemeinbefinden ist vortrefflich. Am 15. werden 
die ersten Gehversuche gemacht, bei denen er sich kräftig 
mit beiden Händen und auf dem gesunden Fuss aufstützt. 
Der ersten Ausfahrt am 16. folgen solche von nun an 
täglich. Es wird alles Ernstes daran gedacht, einen künst- 
lichen Fuss anfertigen zu lassen. Das Gerücht greift den 
Thatsachen vor. Man schrieb mir, Arlt ordinire wieder 
und fahre zu Consultationen. 

Schon Ende November aber treten hin und wieder 
den Schlaf störende Schmerzen im Stumpf auf. Im 
December nehmen sie an Häufigkeit und Stärke zu. Nar- 
kotica, Fomentationen und die Anwendung Leiter 'scher 
Kühlapparate helfen nicht. So geht das Jahr 1886 zu 
Ende. Das neue Jahr bringt nur Verschlimmerung. Die 
Schmerzen werden unerträglich. Die stärksten Dosen 
Morphium massigen sie kaum auf wenige Stunden. 

Dabei bleibt bei gutem Appetit der Kräftezustand 
noch immer befriedigend. Die täglichen Ausfahrten werden 
nicht ausgesetzt. Das Interesse für alle Vorkommnisse 
nicht nur in der Familie, sondern auch in der Stadt und 
der Welt wird durch fleissiges Zeitungslesen wach erhalten. 
Die Antwort auf die zahlreichen Briefe und Anfragen formu- 
lirt er selbst. Vom 25. November liegt ein eigenhändiger 
Brief vor mir, dessen Schrift die schwere Erkrankung nicht 
ahnen lässt. Um Neujahr heisst es in einem Briefe seines 

Arlt, Meine Erlebnisse. 8 



114 

Sohnes: »Vater hofft in den nächsten Tagen Ihnen selbst 
schreiben zu dürfen«. Die aus den weitesten und höch- 
sten Kreisen unausgesetzt kommenden Beweise von Theil- 
nahme nimmt der Dulder mit dankbarer Freude entgegen. 
Sein lebhaftes Freundschaftsgefühl Hess ihn den Tod des 
20 Jahre jüngeren H o r n e r und des Freundessohnes, des 
Astronomen Oppolzer,auf das schmerzlichste empfinden. 

Ueber die Ursachen der Schmerzen in dem Ampu- 
tationsstumpf konnte man nicht zur Klarheit kommen. 
Man dachte an Osteophytenbildung, an Neurome und 
anderes. Die Lage der befreundeten Collegen war eine 
peinliche. »Dem alten Manne trotz allem Zergrübeln in 
meinem Gehirn nicht helfen zu können, hat mir oft trübe 
Stunden gemacht,! schrieb der eine. 

Ende Januar entschloss man sich, den Versuch zu 
machen, durch Resection des N. ischiadicus die Schmerzen 
zu beseitigen. B illroth führte die Operation am 27. Januar 
unter Assistenz von D i 1 1 e 1 aus. Sie brachte leider keine 
Linderung. Die Schmerzen steigerten sich vielmehr noch 
am Abend der Operation. Es trat Fieber mit zeitweiligen 
Delirien ein, die nach einigen Tagen häufiger und heftiger 
wurden; ein Zustand, wie nach der Amputation. Das 
Fieber war gering, aber der Appetit, wohl zum Theil durch 
die häufig nothwendigen Morphiuminjectionen, verloren, 
die Stimmung sehr gedrückt. Er sehnt den Tod herbei. 
Mit aufgehobenen Händen fleht er seine Aerzte an: 
»Lassen Sie mich sterben!« 

Obwohl mit der Heilung der Wunde Mitte Februar 



IIS 



die Schmerzen nachliessen und auch im Allgemeinbefinden 
eine Besserung eintrat, die Temperatur sogar subnormal 
wurde, blieb die Schwäche die gleiche. Und als Ende des 
Monats sich wieder Fieber einstellte, constatirte Dräsche 
eine hypostatische Pneumonie, die in kurzer Zeit den 
fürchterlichen Leiden ein Ende machte. Am 7. März um 
2 Uhr Nachmittags hat FerdinandArltdie Augen für 
immer geschlossen. 

Die Trauer um den Verstorbenen gab sich in Wien 
in weiten Kreisen und auch äusserlich durch Aushängen 
der Trauerfahne am Universitätsgebäude und am Allge- 
meinen Krankenhause kund. 

Das Begräbniss fand am 9. März unter grosser Be- 
theiligung von Leidtragenden statt. Seine irdische Hülle 
ruht auf dem Centralfriedhof in Wien. 



8* 



LITERARISCHE THÄTIGKEIT 

UND 

AUSZEICHNUNGEN. 



ARLT'S LITERARISCHE THÄTIGKEIT, 

(Die von ihm veranlassten Arbeiten seiner Schüler sind mit einem 

Stern bezeichnet.) 



1839. Dissertatio inaug. med. sistens Historias Amauroseos 
e vitiis organicis cerebri quatuor adnexis similibus, 
quotquot innotuere, autorum variorum observationi- 
bus etc. etc. in theses adnexas disputabitur in 
magna aula Carolina die 27. Nov. 1839 ^ora. 12 
matut. Carolus Ferdinandus Arlt Bohemus Supero- 
gru pnensis. P r a g a e. 

1842. Beiträge zur Lehre vom Schielen und dessen Heilung 
durch den Muskelschnitt von Dr. C. F. Arlt, 
Assistent an der Augenklinik der Prager Hoch- 
schule. — Mediz. Jahrbücher des österr. Staates 
XXXVIII. S. 83—98, 196—226, 324—337. 

1844. Aphoristische Bemerkungen über einige Augenkrank- 
heiten: I. Das Gerstenkorn. — 2. Entzündung der 
Drüsen an der Basis der Cilien. — 3. Die Ent- 
zündung der Meibom'schen Drüsen. — 4. Das 
Hornhautstaphylom. — 5. Amblyopie. — Prag, 
med. Viertelj. Jahrg. 1844. 2. S. 76 — 87; 4. S. 58 
bis 70. 



I20 



i845- 2^^ Nosogenie der Katarakta capsularis centralis 
und der Katarakta pyramidalis. — Oesterr. Wochen- 
schr. Nr. lo und ii. 

1845. Ueber Trichiasis und Entropium. — Prag. med. 
Viertelj. Jahrg. 1845. 3. S. 46 — 55. (Modif. der 
Jaesche' sehen Entropiura-Operation.) 

1845. ^"^ Nosographie und Nosogenie des Flügelfells. 
(Mit 8 Krankengeschichten.) — Prag. med. Viertelj. 
Jahrg. 1845. 4. S. 73—92- 

1846. Die Anstalten für Blinde und Augenkranke in Prag. 
Historische Skizze von C. F. Arlt, med. und chir. 
Dt., ehemaligem Assistenten der Augenklinik in 
Prag , und ausserordentlichem Dozenten der Ohren- 
heilkunde an der k. k. Ferdinands - Universität. 
(Mit einem Bilde von Joh. Nep. Fischer.) — 
Der Ertrag dieser aus dem Taschenbuch »Libussac 
für 1846 besonders abgedruckten Schrift ist zur 
Gründung eines Stiftungsplatzes in der Versorgungs- 
und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in 
Böhmen bestimmt. Prag 1846. Gedr. im Art.- 
typogr. Institute von C. W. Med an u. C. 

1846. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken 
Zustande, nebst einem Anhange über Augengläser, 
allgemein fasslich dargestellt von Dr. Arlt. — 
Der Reinertrag dieser Schrift ist für die Blinden- 
erziehungs- und die Blindenversorgungs - Anstalt in 
Prag bestimmt. Prag 1846. Gedruckt auf Kosten 
des Verfassers, und zu haben in allen Buchhand- 
lungen. 

1846. Physiologische und pathologisch - anatomische Be- 
merkungen über die Bindehaut. Prag. med. Viertelj. 
Jahrg. 1846. 4. S. 70 — 79. (Beschreibt die heute 



* 



121 



Dermoide genannten Geschwülste als Warzen der 
Conjunctiva, den sogenannten Frühlingskatarrh , die 
Folgen von im Conjunctivalsack vergessenen Krebs- 
augen.) 

1847. Zur pathologischen Anatomie des Auges. (Mit einer 
kolorirten Stein tafel.) Prag. med. Viertel]. Jahrg. 
1847. '• S. 44 — 61. — (Verknöcherung der Cho- 
rioidea sei nur Verkalkung. Befund eines glaukom. 
Auges. Scleralstaphylome. 4 Sectionsbefunde.) 

1848. Aufsatz über Trachom. (Aspritudo conjunctivae.) 
Von Dr. A r 1 1 , suppl. Professor der Augenheilkunde. 
Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1848. 2. S. 41 — 68. 

1849. Ueber die Eintheilung und Benennung der Augen- 
entzündungen. Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1849. 2. 
S. I — 25. 

1850. Die Krankheiten des Auges für praktische Aerzte 
I. Bd. 1850. II. Bd. 1853. III. Bd. 1856. Prag. 
F. A. Credner und Kleinbub. — (In 5 unver- 
änderten Abdrücken erschienen.) 

1853. Construction eines für ärztliche Zwecke brauchbaren 
Orthoskops (Czermak) von Professor Arlt. Prag, 
med. Viertelj. Jahrg. 1853. 2. S. 141. 

1854. Professor Arlt's Methode, das Symblepharon zu 
heilen. Beschreibung von Dr. Kittel, Assistent 
der Augenklinik. Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1854. i. 
S. 161 — 168. 

1854. Ueber die Accommodation. Nach einem Vortrage 
des k. k. Professors der Augenheilkunde des med. 
Dr. Arlt, in der Plenarversammlung der med. 
Fakultät am 29. Mai 1854. Prag. Monatsschr. für 
theor. und prakt. Homöopathie. 2. Jahrg. Nr. VI. 



122 



i8s4- Myopischer Bau des Bulbus. Vortrag von Professor 
Arlt im Prag. Doctorencollegium. Dr. Altschul's 
Monatsschr. Prag. 1854. Juniheft. 

1855. Ueber den Thränenschlauch. Anatom., physiolog. 
und pathol. Bemerkungen. Arch. f. Ophth. I. 2. 
S. 135 — 160. 

1856. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken 
Zustande. Zweite unveränderte (Titel-)Ausgabe. 
Prag. Credner, 

* 1856. Klinik für Augenkranke des Prof. Arlt. (Eigenthüm- 

liche Art von Blepharospasmus, Bindehautblennorrhoe, 
Glaucoma.) Cataracta nigra. Lineare Extraktion. 
Aphakie. Hemeralopie. Iritis. Blennorrhoe des 
Thränensackes. Trachoma. Flügelfell. Retinitis. 
Kopiopie. Vorderer Ccntralkapselstaar. Blephara- 
denitis ciliaris. Vollkommen flüssiger Staar. Kurz- 
sichtigkeit. Staphyloma. Lähmung der Muskeln, die 
vom Nervus oculomotorius versorgt werden. Pro- 
lapsus iridis, Hypopyum und Unguis. Amblyopie. 
Homhautvereiterung nach Variola. Ueber den vor- 
deren Kapselstaar. — Allg. Wien. med. Ztg. S. 30, 
34, 38, 42, 46, 53, 59, 62, 67, 70. 

1857. Vortrag über Staphylom von Professor Arlt. — 
Wochenbl. der k. k. Gesellschaft der Wien. Aerzte. 
Nr. 12. 

1857. Ueber die Heilung des Glaukom durch Iridektomie 
nach Dr. A. von Graefe. Vortrag in der Ges. 
der Aerzte in Wien 20. April. — Wochenbl. der 
k. k. Ges. der Wien. Aerzte, S. 22, 26, 173, 305. 

* 1857. Klinik für Augenkranke des Professors Arlt. — 

Hornhaulstaphylom des rechten, Schwund der 



123 



Cornea des linken Auges nach Blennorrhoe der 
Bindehaut. Blennorrhoea neonatorum. Symblepharon. 
Lähmung der vom N. oculomotorius versorgten 
Muskeln eines amblyopischen Auges. Buphthalmus. 
Cataracta nuclearis nach Convulsionen. Staphyloma 
posticum. — Allg. Wien. med. Zeitung, S. 8, 14, 
20, 40, 58, 94, 120. 

*i857. Professor Arlt*s Ambulatorium für Augenkranke. 
Von Dr. A. Voytits. — Allg. Wien. med. Zeitung, 
S. 195, 199, 207, 211, 215. 

1857. Ueber die Behandlung der Bindehautentzündung der 
Neugeborenen. Jahrb. für Kinderheilkunde. Wien. 
I. Heft. S. 21 — 44. 

1857. Zur Anatomie des Auges. Arch. für Ophth. III, 2. 
S. 87 — 120. (Behandelt Form und Lage des Corpus 
ciliare und der Iris.) 

1858. Ueber angeborenen Mangel der Augen bei einem 
9 Monate alten Kinde, mit Sectionsbericht vom 
Oberarzt Dr. Wallmann. — Zeitschr. d. Gesellsch. 
d. Aerzte. S. 445. Sitzungsbericht vom 11. Juni. 

1858. Freier Vortrag über die Anwendung des Druck- 
verbandes bei Augenentzündungen. Demonstration 
des Lieb reich 'sehen Augenspiegels. — Vor- 
stellung eines mit Erfolg nach einer neuen Methode 
an Ectropium mit Substanzverlust operirten Eisen- 
bahnarbeiteis. — Zeitschr. der Gesellsch. der Wien. 
Aerzte, S. 159, 223 und 804. 

*i859. Bericht über die .im Studienjahre 1858 auf der 
Wiener Augenklinik des Professors Arlt behandelten 
Kranken. Bearbeitet von Dr. Businelli, — 



124 



Zeitschr. der Gesellsch. der Wien. Aerzte, S. 6, 24 
und 475. 

* 1859. Ueber Entzündung des episcleralen Bindegewebes 

(der Tunica vaginalis). — Aus dem Ambulatorium 
von Professor A r 1 1 mitgetheilt von Dr. Rembold. — 
Allg. Wien. med. Zeitung, Nr. 15. 

1859. Ueber fehlerhafte Stellung der Thränenpunkte. — 
Allg. Wien. med. Zeitung, S. 106. 

*i859. Conjunctivitis scrofulosa, Hornhautfistel, Pupillen- 
sperre, Iridektomie bei Glaukom. — Bericht von 
der Ar It' sehen Klinik von Dr. Businelli. — 
Zeitschr. der k. k. Gesellsch. der Wien. Aerzte, 

Nr. 2. 

* 1859. Aus der Klinik für Augenkranke des Professor Arlt, 

mitgetheilt von Dr. Businelli. — Oesterr. Zeitschr. 
für prakt. Heilkunde. — Dacryoadenitis acuta S. 675. 
Kapsellinsenstaar und divergirendes Schielen. Ex- 
traktion der ganzen Kapsel sammt der Linse, Hei- 
lung des Schielens durch prismatische Gläser. 
S. 559. 

1860. Professor Arlt demonstrirt neue Augeninstrumente 
(Löffel von Schuft und Staarmesser von Weiss). — 
Wochenbl. der Zeitschr. der k. k. Gesellsch. der 
Wien. Aerzte. 1861. Nr. 6. 

* 1860. Aus der Augenklinik des Professor Arlt in Wien. 

Zwei Fälle von Amaurose mit temporärer Schwel- 
lung und Vorwölbung der Sehnervenscheibe. Beob- 
achtet vom emeritirten Assistenten Dr. Businelli. — 
Wiener med. Wochenschr. (Beilage Spitalzeitung.) 
Bd. X. S. 251, 267, 283. Anm.: Nach münd- 



* 



125 



lieber Mittheilung des Professor Arlt, welche mir 
erst nach Beendigung dieses Aufsatzes zukam, hat 
Professor von Graefe bei der Versammlung einiger 
Ophthalmologen zu Heidelberg am 4. Sept. 1859 
über die in Rede stehende hügelförmige Vorragung 
der Sehnervenscheibe und ihre Beziehung zu Gehim- 
krankheiten gesprochen. B u s i n e 1 1 i. 

(Businelli's Untersuchungen datiren vom 14. 
Oct 1858 und 28. März 1859.) 

1860. Ulcus corneae cum Hypopyo, Punction, Heilung. 
Aus der Augenklinik des Professor Arlt, mitgetheilt 
von Dr. Max Tetzer. — Wiener Medizinalhalle, 
S. 36. 

* 1861. Bericht über die auf der Wiener Augenklinik des 
Professor Arlt im Studienjahre 1859 behandelten 
Kranken. Bearbeitet von Dr. Businelli. — 
Oesterr. Zeitschr. für prakt. Heilkunde, Nr. i — 13. 

*i86i. Aus dem Ambulatorium der Klinik des Professor 

Arlt. Von Dr. Max Tetzer: i. Diplopia. 

2. Pan Ophthalmitis. — Allg. Wiener med. Zeitung, 
S. 429. 

1862. 3. Contusio palp. sup. sin; Hyphaema traumat; 
Commotio cerebri. — Ibid. S. 44, 55, 63. — 
4. Acutes Glaukom. — Ibid. S. 192, 210, 229, 
258, 282. 

*i862. Ueber Cataracta. Von Dr. Max Tetzer mit 
Ergänzungen von Professor Arlt. — A. Wien. men. 
Zeitung, S. 2, 16, 23, 24. 

.*i862. Professor Arlt 's öffentliche Vorträge. — Ueber 
Krankheiten der Thränenorgane. — Wien. med. 



126 



Wochenschr. XII. Spitalszeitung, S. 265, 298, 315, 
323, 337, 347, 363, 371, 385» 393- 

1862. Ueber Orbitalabscess mit Exophthalmus. Ueber den 
N. drbicularis palpebrarum. — Wochenbl. der 
Zeitschr. der Gesellsch. der Aerzte, S. 126 und 143. 

* 1862. Bericht über die auf der Augenklinik des Professor 
Arlt in den Studienjahren 1860 und 1861 behan- 
delten Kranken. Bearbeitet von Dr. R. Koller. — 
Wien. Medizinalhalle, S. 17, 57 und 323. 

1863. Ueber den Ringmuskel der Augenlider. Mit 2 Tafeln. 
Arch. für Ophth. IX, i, S. 64 — 98. 

1863. Ophthalmia catarrhalis epidemica, beobachtet im 
Oct. und Nov. 1861. — Wochenbl. der Zeitschr. 
der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. i. 

1863. Demonstration eines Kindes mit Anophthalmus 
congenitus duplex. Sitz.bericht vom 23. Oct. 1863. 
Ibidem. Nr. 43. 

1863. Augendurchschnitt von Arlt und Elfin ger. Zeit- 
schr. der Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. 160. — 
Auch unter dem Titel: Horizontaler Durchschnitt 
des menschlichen Auges. Gez. von Dr. C. Elfin- 
ger 1862. Wien. W. Braumüller. 1875. 

1863. Vortrag über Glaukom und Iridektomie. — Zeitschr. 
der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. 207. 

1864. Ueber Acne rosacea und Lupus. — Sitz.bericht der 
Ophth. Gesellschaft, S. 35. — Klin. Monatsbl. 11. 
S. 329. 

1864. Verkalkte Linse. Glaskörperblutung. — Sitz.bericht 
der Ophth. Gesellschaft, S. 70. — Klin. Monatsbl. 

II. 364. 



127 



1864. Vorführung eines Kranken mit scrophulöser Ver- 
schwärung der seitlichen Halsgegend, Zerstörung des 
Felsenbeins und dem Vorhandensein einer in der 
Gegend des Proc. mastoideus gelegenen, mit dem 
mittleren Ohre communicirenden Oeflfnung. — Zeit- 
schr. der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien, 
S. 466. 

1865. Zum Mechanismus der Thränenleitung. — Wien, 
med. Wochenschr. S. 81. 

1865. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken 
Zustande nebst einem Anhange über Augengläser. 
Mit I Tafel in Farbendruck. Dritte umgearbeitete 
Ausgabe. Prag. C. A. Credner. 

1865. lieber Anophthalmus. — Wochenbl. der Zeitschr. der 
k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien. Nr. 49. 
(Sitz.bericht vom 17. Nov. 1865.) 

1866. Entwurf einer Norm für die zur Erlangung des 
Doctorgrades an der med. Fakultät abzulegenden 
Rigorosen. — Oesterr. Zeitschr. für prakt. Med., 
S. 720, 853, 890, 907, 932. 

1866. Ueber von Graefe's rektificirte Linearextraktion. 
Sitz.bericht der k. k. Gesellsch. der Aerzte 27. April. 
Wochenblatt S. 273. — Wien. med. Wochenschr. 
S. 605. — Oesterr. Zeitschr. für prakt. Med. 
S. 386. — Wien. Medizinalhalle, S. 488. 

* 1866. Mittheilungen aus der Klinik des Professor Arlt 
von Dr. O. Becker und Dr. L. Rydel. — 
I, Inflammatio tunicae vaginalis bulbi. — 2. Em- 
pyem der Lider in Folge von Trauma; Heilung. — 
Wien. med. Wochenschr. S. 1036, 1050, 1227. 



128 

*i867. Bericht über die Augenklinik der Wien. Universität 
1 863 — 1 865 . Unter Mitwirkung des Professor F. A r 1 1 
herausgegeben von Dr. MaxTetzer, Dr. L. R y d e 1 
und Dr. O. Becker. — Med. Jahrb. Bd. XIII 
und XIV. — Separatabdruck bei W. Brau mül 1er 
1867. 

1867. Ueber Retinitis nyctalopica. Siehe vorst. Bericht. 

1867. Ein Fall von Cysticercus cellulosae im Innern des 
Bulbus, Entfernung desselben durch die Operation. 
Sitz.bericht vom 28. Juni 1867. — Anzeig, der k. k. 
Gesellsch. der Aerzte, S. 252; Allg. Wien. med. 
Zeitung, S. 223; Oesterr. Zeitschr, für prakt. Med., 

S. 593- 

*^i867. Otto Becker. — Exposd des rdsultats statistiques 
de Textraction lindaire modifide (procddd de M. de 
Graefe) obtenus dans la clinique de M. Ar lt. — 
Compte-Rendu du Congres periodique international 
d* Ophthalmologie k Paris 12, 13 et 14 Aoüt 1867. 
Paris. J. B. Bailli^re. 1868. 

1868. Professor Arlt legt eine neue Art von Schutzbrillen 
(C o h n ' s Glimmerbrillen) in der Sitzung der Ge- 
sellsch. der Aerzte (13. März 1868) vor. — Oesterr. 
Zeitschr. für prakt. Med., S. 258. 

1868. Zur Behandlung der Thränenschlauchkrankheiten. 
Hierzu Tafel IV. Archiv für Ophth. XIV, 3, 
S. 267 — 284. 

1869. Zur Militär- Sanitäts-Reform. — Wien. med. Wochen- 
schr., S. 447. 

1870. Zur Lehre vom Homhautabscesse. — Arch. für 
Ophth. XVI, I, S. 1—26. 



129 



1871. Vorstellung eines Kranken mit Herpes Zoster trigem. 
(Ramil). Discussion über Glaukom. — Anzeig, der 
k. k. Gesellsch, der Aerzte, S. 801. — Oesterr. 
Zeitschr. für prakt. Med., S. 801. 

1873. lieber sympathische Augenentzündung. — Wien, 
med. Wochenschr. , S. 97, 121, 145. — Separat 
erschienen und übersetzt von V. F. Alexander 
in The Medical Press and Circular. London. 
Juli 1873. 

1874. lieber Scleralruptur. — Klin. Monatsbl., S. 382. 

1874. Operationslehre. — Handbuch für Augenh. von 
A. Graefe und Sae misch. Bd. III, 2. Leipzig. 
VV. Engel mann. 

1875. lieber die Verletzungen des Auges in gerichtsärzt- 
licher Beziehung. — Wien. med. Wochenschr. 
Nr. 10—34. — (Uebersetzungen : i. Des blessures 
de l'oeil au point de vue pratique et mddico-ldgal 
par le Dr. F. de Arlt, trad. par le Dr. P. Halten- 
hoff de Gendve. Paris. Germer Bailli^re et C. 
1877. — 2. Injuries of the eye and their medico- 
legal aspect byFerd. vonArlt, transl. by C h a s. 
S. Turnbull, M. D. Philadelphia. — Claxton, 
Remsen and Ha ff eisin ger. 1878. — 3. De 
las Heridas del ojo bajo el punto de vista präctico 
y mÄiico-legal por el Dr. F. de Arlt, vertida al 
castellano por el Dr. Rodolfo del Castillo Guar- 
tiellerz. Barcelona. Jos^Arivet. 1879.) 

1875. Zur Lehre vom Glaukom. — Allg. Wien, med, 
Zeitung, S. 444, 451. 

1875. Discussion über Glaukom und Iridektomie von 
Dr. Schnabel und Professor A r 1 1. — Sitz.bericht 

Arlt, Meine Erlebnisse. 9 



I30 



der k. k. Gesellsch. der Aerzte vom 12. und 
19. Nov. — Wien. Medizinalh., S. 1134 und 1203. 

1875. Zur Aetiologie und Therapie der Bindehautblennor- 
rhoe. — Vortrag, gehalten am 7. April 1875 '° 
der Section Wien des Vereins der Aerzte in Nieder- 
Österreich. — Mittheihingen des Vereins der Aerzte 
in Niederösterreich, Nr. i — 5. — AUgem. Wien, 
med. Zeitung, S. 129, 134, 145, 161, 173, 180, 
198, 441, 451. 

1876. Ueber die Ursachen und die Entstehung der Kurz- 
sichtigkeit. Mit 2 Tafeln. Wien. W. Braumüller. 

1876. Blepharoraphia medialis. (Hebung des herab- 
gesunkenen unteren Lides.) Wien. med. Wochenschr., 

s. 975. 

1879. Zur Aetiologie der Keratitis. — Wien. med. Wochen- 
schr., Nr. 7 — II. Separat erschienen im Selbst- 
verlag des Verfassers. 

1881. I. Ankyloblepharon (peculiare). — 2. Spontane 
Berstung der vorderen Kapsel einer kataraktösen 
Linse. — Sitz.berichte derOphth. Gesellsch., S. 130. 

1881. Klinische Darstellung der Krankheiten des Auges, 
zunächst der Binde-, Hörn- und Lederhaut, dann 
der Iris und des Ciliarkörpers. Mit einer xylogr. 
Tafel. Wien. W. Braumüller. — (Uebersetzung : 
Clinical Studies on Diseases of the Eye including 
those of the Conjunctiva, Cornea, Sclerotica, Iris 
and Ciliary Body by Dr. F. Ritter von Arlt, 
transl. by Syman Ware, M. D. Philadelphia. 
Blakiston, Son & C. 1885.) 



131 



i882. Kurzer Bericht über eine als Nachtrag mitgetheilte 
Abhandlung von Tamamschef, Trichiasisoperation 
betr. — Sitz.berichte der Ophth. Gesellsch., S. 123. 

1884. Zur Lehre vom Glaukom. Mit 6 Tafeln und 
12 Abbildungen im Texte. Wien. W. Brau- 
müller. 

1885. lieber die Entwicklung des Mikrophthalmus und 
Anophthalmus congenitus. — Discussion. — An- 
zeiger der k. k. Gesellsch. der Aerzte, Nr. 17, 
12. Febr. 

1885. Winke zur Staaroperation. — Archiv für Ophth. 
XXXI, 3, S. 1-38. 

1885. Verwendung der Rei singe r 'sehen Hakenpinzette 
bei der Kataraktoperation. — Archiv für Ophth. 
XXXI, 4, S. 285 — 294. 



9* 



ERNENNUNGEN UND AUSZEICHNUNGEN. 



1839. 30. Nov. 

1840. 5. April. 

— 7. Mai. 

184T. 18. Juli. 

— 3. Dec. 

1842. 22. Nov. 
1843 — 1848. 



— 12. Octob. 
1844 — 1849. 

1845. 15. Sept. 

1846. 7. Octob. 

1847. 7. April. 

1848. 16. Jänner. 

1849. 22. Jänner. 

IG. Aug. 

— II. Sept. 

1850. 27. April. 



Promotion zum Dr. med. et chir. Prag. 
Assistent der Lehrkanzel für Augenheil- 
kunde. 

Secundarius der Abtheilung für Augen- 
kranke. 

Primarius der Abtheilung für Augenkranke. 
Supplirung der Abtheilung für Augen- 
kranke. 

Konceptspraktikant beim Kaurizimer 
Kreisarat, Prag, bis 7. Aug. 1845. 
Arzt der Erziehungsanstalt für jugendliche 
Gesetzübertreter und des Vereins zum 
Wohle entlassener Züchtlinge. 
Dozent für Ohrenheilkunde. 
Referent für Ophth. der Prag. Vierteljahrs- 
schrift. 

Bürger von Prag. 
Supplirung der ophth. Lehrkanzel. 
Docent für pathol. Anatomie des Auges. 
Magister der Augenheilkunde in Wien. 
Professor extraordinarius. 
Berufung nach Leiprig. 
Ernennung zum ordentl. Professor der 
Augenheilkunde in Prag. 
Stadtverordneter. 27. Sept. Stadtrath für 
die Neustadt, Prag. 



133 

i855- April. Mitherausgeber des Archivs für Ophthal- 

mologie. 

1856. IG. Juni. Ernennung zum ordentl. Prof. der Augen- 
heilkunde in Wien. 

1863. IG. Jänner. Ehrenbürger der Stadt Graupen. 

1867. 12. Jänner. Mitglied des Unterrichtsrathes, Wien. 

1868. 7. April. Ehrenbürger von Hall in Oberösterreich. 
— 29. Aug. Mitglied des Comitd für Militärsanitäts- 
reformen. 

i88g. 12. Nov. Präsident der Gesellschaft der Wiener 

Aerzte. 
1883. I. Oct. In Pension getreten. 

1886. 2. April. Ehrenpräsident der Gesellschaft der Wiener 

Aerzte. 



Arlt war Mitglied (M.), correspondirendes Mitglied 
(C. M.), Ehrenmitglied (E. M.) folgender Gesellschaften und 
V^ereine: 

1843. Teiner Hilfsverein, M., Prag; 1844. Verein zum 
Wohle hilfsbedürftiger Kinder, M., Prag; Erziehungs- und 
Heil-Institut für arme Blinde und Augenkranke, E. M., Prag ; 
1847. ^- ^' Gesellschaft der Wiener Aerzte, C. M., 1856. M. ; 
1849. Verein deutscher Aerzte in Paris, C. M., 1854. E. M. ; 
Mediz. Gesellschaft in Leipzig, M. ; 1851. Physikalisch-medizin. 
Gesellschaft in Erlangen, M. ; Aerztlicher Verein in München, 
C. M. ; 1852. Gesellschaft der Aerzte in Odessa, C. M. ; 
1856. k. k. priv. Scharfschützenkorps in Prag, Ehrenhaupt- 
mann; 1856. Wiener med. Facultät, M.; 1857. Medizinischer 
Unterstützungsverein in Wien, E. M. ; 1858. Zoolog.-botan. 
Verein in Wien, M. ; 1862. Verein der Aerzte in Kiew, E. M.; 
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden, E. M. ; 
1865. k. Russische Universität zu Moskau, E. M.; Wiener 
Wohlthätigkeits - Verein , M. ; 1867. Pathological Society of 
St Louis, U. S., E. M. ; 1868. Aerztlicher Verein in Pesth, 
M. ; Prager Dombauverein, M.; 1869. Verein zur Unter- 



'34 

stutzung armer erwachsener Blinden in Wien, M.; Akadero. 
Gesangverein in Wien, E. M.; 1870. Militär -Veteranen verein 
der Bergstadt Graupen , E. M. ; Verein der Aerzte in der 
Bukowina, E. M. ; Scharfschützenkorps der Bergstadt Graupen, 
E. M. ; 1872. Leopoldstädter Kinderspitalsverein in Wien, M.; 
1876. Mitglied der Stipendienkommission der Universität 
Wien, M.; 1877. Wiener akademische Lesehalle, E. M.; 1882. 
Gisela -Verein in Wien, E. M.; Gesellschaft der Krakauer 
Aerzte, E. M. ; Allgemeiner österr. Apotheker -Verein, E. M.; 
Socidt^ de Chirurgie de Paris, auswärtig. M. 



1865. 7. Aug. Caballero de la örden Imperiale de 

Guadelupe. 

1870. 18. Mai. Ritter der Eisernen Krone IIL Klasse. — 

24. Oct. Erhebung in den erblichen Ritter- 
stand des österreichischen Staates. 

1877. 14. Nov. Titel und Charakter eines Hofrathes. 

1881. 27. Jan. Comthur des Königl. Bayerischen Ver- 
dienstordens vom heiig. Michael. 

1883. 27. Febr. Comthur des Franz Josephs - Ordens mit 

dem Stern. 
— 1 8. März. Ehrenzeichen der Gesellschaft vom rothen 

Kreuze zu St. Petersburg. 

1884. 2. Aug. Persischer Sonnen- und Löwenorden 

UL Cl. 



NACHWORT. 



VON 



OTTO BECKER. 



NACHWORT. 



Als ich um Ostern 1885 zu einem Besuche bei Arlt 
nach Wien fuhr, hatte ich unterwegs die eben in 
deutscher Ausgabe erschienene Autobiographie von Ma- 
rion Sims gelesen. Der Genuss, den mir das Buch be- 
reitet hatte, ward Veranlassung, Arlt den Wunsch aus- 
zusprechen, welchem dieses Buch seine Entstehung ver- 
dankt. Nicht wenig erstaunt war ich, als ich schon nach 
wenigen Wochen (25. Mai) ein sauber geschriebenes Manu- 
script erhielt, in welchem Arlt seine Erlebnisse geschildert 
hatte. »Heute sende ich Ihnen das Manuscript meiner 
Biographiec, schrieb er dazu, »prüfen Sie, ob es sich zur 
Veröffentlichung durch den Druck eignet. Gehen Sie 
nur streng zu Werke, streichen Sie, was unpassend er- 
scheint, und machen Sie mich auf Mängel und Lücken 
aufmerksame. 

Dies ward Veranlassung zu einem regen Briefwechsel. 
Es war schwer, Arlt dahin zu bringen, manche Stellen 
zu unterdrücken, welche die Befürchtung erregen mussten, 
dass sie, wie sein Charakter ohnehin von Vielen nicht 



138 



verstanden worden ist, leicht dazu gefuhrt haben würden, 
falschen Urtheilen als Bestätigung zu dienen. 

Endlich gelang es, ihn zu folgender Erklärung zu 
bringen: »Ich werde Ihre Winke benutzen, soweit ich es 
vermag; ich will Ihnen folgen, wie ungern ich auch etwas 
streiche, was die Motive meiner Handlungsweise betrifft, c 
(25. Juni 1885). 

Weniger nachgiebig zeigte sich Arlt bezüglich einiger 
polemischer Stellen, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, 
ihm eine Menge Verdriesslichkeiten zugezogen haben 
würden. Da hielt ich es für meine Pflicht, ihn zu be- 
wegen, von der ursprünglich in Aussicht genommenen 
Veröffentlichung seiner Biographie während seines Lebens 
Abstand zu nehmen. Er gab auch dazu schliesslich seine 
Einwilligung mit dem Hinzufügen, dass er mich und seine 
Schwiegertochter, Marie von Arlt, geb. von Hönigsberg, 
mit der Herausgabe seiner Biographie beauftrage. 

Aus der mitgetheilten Geschichte seiner letzten 
Krankheit geht hervor, dass er sich immer und immer 
wieder, selbst im Angesicht des Todes, mit Aenderungen 
an der Biographie beschäfligte ; sie nahm zeitweise fast 
sein ganzes Interesse in Anspruch. 

Nach seinem Tode fanden sich von der Lebens- 
beschreibung drei Manuscripte vor. Der ursprüngliche 
Entwurf vom 25. Mai 1885 und die beiden Exemplare, 
deren Arlt in dem Testamentskodicill vom i. October 
erwähnt. Selbstverständlich haben wir das darin bezeich- 
nete Manuscript der Ausgabe zu Grunde gelegt. Natur- 



139 



gemäss hat mir Frau von Arlt im Wesentlichen die 
Bestimmungen über die Art der Herausgabe überlassen, 
und trage ich daher allein die volle Verantwortung dafür. 
Um manchen Ausstellungen, die dem Buche, wie es jetzt 
vorliegt, nicht erspart bleiben werden, im Voraus zu be- 
gegnen, sei es mir erlaubt, mich über die Grundsätze, die 
mich bei der Herausgabe geleitet haben, an dieser Stelle 
auszusprechen. 

Bei Uebersendung des ersten Manuscripts (Mai 1885) 
schrieb Arlt: »falls Sie es überhaupt für die Publikation 
geeignet finden, wäre ich gesonnen, es bei Bergmann in 
Wiesbaden erscheinen zu lassen, was meinen Sie dazu?« 
Bei einer persönlichen Zusammenkunft im September 1885, 
als noch beabsichtigt war, die Biographie in demselben 
Jahre zu veröffentlichen, einigten sich Herr Bergmann und 
Arlt über die Bedingungen der Herausgabe. Obgleich 
dieselbe dann verschoben wurde, so glaubte ich mich 
doch nicht berechtigt, nach A r 1 1 ' s Tode einen anderen 
Verleger zu wählen. Ich erwähne dies, da es auffallen 
könnte, dass Arlt seine Biographie nicht bei seinem Ver- 
leger in Wien hat erscheinen lassen. 

In welcher Weise Herr Bergmann das Andenken des 
Verstorbenen zu ehren gewusst hat, zeigt die glänzende 
Ausstattung des Werkes. 

Das dem Titel voranstehende Porträt ist, Arlt's 
eignem Wunsche zufolge, nach der zu seinem 70. Geburts- 
tage von Lö wy angefertigten Photographie von demselben 
in Lichtdruck ausgeführt. Wir haben dann, um den so 



rh a r a ktc! "wt wi hf ii Koof Arlt's im P)re£ Z3 
öl dem Ateiäa-Yv^cHänfstaeBgl b M "rprhcD asaagefohrte 

ia Heiac ^cA ' « j: 
cerB£(c3ia=kcr Bitterlich &r <äe Pesther At^cn- 
kümk asf VcnsIssKiag tgo Professor Schaleck mo- 
deülirt hat. 




Toa Professor Leber, an öen er g aichtet ist, fincmHl- 

hdist z:ir \ ex fug u^ gestellt. 

Bd der Wiedergabe des Sfaasscr^iCs habe ich es mir 
PÜklil gemacht, da kr oe Be!;irtlici£aiig eiocr hervor* 



* — 



gevrmen K<y3DCDL an oeasse.Den. m 
und stfistisrher Hinsscht. srjuA eicht die kleinste Acndenn^ 
Torzunehmen. Dagegen wfrd oaan. vie ich hoSc^ das Fehlen 
der polemischen Stellen, weiche micfa \^eraii2asst haben, 
die Herausgabe der Biographie während Arlt's Lebzeiten 
zu verhindem. nicht ^-enmssen. 

Den ebenen Aufr<*irhn;ingen Arlt*s habe ich ein 
Kantet über seine letzten Lebensjahre, seine Krankheit 
und seinen Tod hinzi^efugt. 

Die seit seinem Tode \'er6ossene Zeit ist zu kurz, 
als dass ich mich \'on dem übenrält^enden Eindnidc hatte 
freimachen können . den die Leiden der letzten Jahre im 
Gegensatz zu den Worten, mit denen er das Schliwskapitd 
seiner Biographie begonnen hat: >Eine schwere körper- 
liche Krankheit hat mich nie befallene, auf mich gemacht 
haben. Dies mag zum Tbeil wenigstens entsdiuld^en. 



141 



wenn das von fremder Hand Hinzugefügte zu der eigen- 
händigen Schilderung des Erlebten einen unverhältniss- 
mässig grossen Raum einnimmt. 

Doch habe ich mich dabei seiner eigenen Worte be- 
dient, soweit es mir seine Briefe an mich und Diktate, 
die mir seine Schwiegertochter zur Verfugung gestellt hat, 
ermöglichten. Während der ganzen Dauer seiner Krank- 
heit habe ich ausserdem von seinem Sohne, bald täglich, 
bald in grösseren Zwischenräumen, Nachricht über den 
Verlauf und alle Zwischenfälle der Krankheit erhalten. 

Ganz besonderen Dank fühle ich mich aber verpflichtet, 
Herrn Professor v. Dittel für Ueberlassung der von 
ihm geführten Krankengeschichte auszusprechen. Ich habe 
sie, wie man erkennen wird, vielfach wörtlich benutzt. 

Das Verzeichniss der literarischen Thätigkeit Arlt's 
soll zur Beurtheilung nicht allein seiner eignen Leistungen 
im engeren Sinne, sondern auch der Anregung, die er 
seinen Schülern zu geben wusste, dienen. Ich hoffe, dass 
es Augenärzten, die für das Werden des gegenwärtigen 
Zustandes der Augenheilkunde Interesse haben, will- 
kommen sein wird. 

Bei der grossen Bescheidenheit Arlt's, die sich auch 
in der Schilderung seines Lebens abspiegelt, habe ich es 
mir umsoweniger versagen wollen, ein Verzeichniss der 
Auszeichnungen und Ehrenbezeigungen hinzuzufügen, als 
er selbst ihrer kaum Erwähnung gethan hat. 

Bei Durchsicht seiner Papiere hat sich eine notariell 



142 



b^laubigte Abschrift seines Taufscheines gefunden. Nadi 
ihr ist er nicht am i8. April, sondern am 17. Apnl 1812 
geboren. Auf einem, von ihm selbst beschriebenen Katte 
ohne sonst wichtigen Inhalt, giebt er als Datum sauer 
Geburt den 19. April an. Auch das scheint mir be- 
zeichnend für die eigenthümliche Laufbahn des in Armutli 
und Dunkelheit geborenen Mannes, der an hervorragender 
Stelle eine Leuchte der Wissenschaft und Humanität ge- 
worden ist. 

Die schmerzlichen Empfindungen, welche die ausser- 
gewöhnlichen Leiden des geliebten Mannes bei allen Thcil- 
nehnocnden herv'oi^erufcn haben, werden dnrdi eimge 
ThÄl?;achen etwas gemildert, die ich noch mittheDcn imd 
iiuf die irh die Aufmerksamkeit hinlenken möchte. 

Sein Sckhn berichtet: >Es war kurz vor dem Sing- 
ihwiterhrÄnde , als mein Vater mich eines Tags nadi 
K^endeit^i Ordinaticm autForderte, ihn mit dem Angen- 
sj^irgt^l I u untersuchen ; er bemerke seit einiger Zeit eine 
VwTi^rhrunji Steiner mc^ucihc> volantes; ich möge ihm sagen, 
oh irh sie mir dtin Spie^.; nachni'eisen könne. Iri er- 
lulhc seinen Wunsr-h — Äliein wer schildert mein Eat- 
i»ei7en iii> ich auf beute AujrcE die unverfcemibapen 
- ru^hen cies he^mnendi^r; c^auer Scaares tand '. Mit ausser- 
?aei Ansr-en^uni; behe^^vcihTf »r>, Srimme und Miene imd 
jyyjre u^h kannte ühs:^iu: nirii:> Tin^irn F.r fjai^ sidi da- 
mte itiifnectai un^ schtec ^eruhur-* 

Och i^vr fuhr 3;:^teicr. m Ä^im^ir ahen Figtmde. 
4tim ^'tsjJsaÄrhcner. H.ifrair "«^isenr. Skrrlt. und ha: um 



143 



um seinen Rath. Er fragte, was mein Vater in solchen 
Fällen zu verordnen pflege, und als ich ihm sagte, dass 
Vater von der Wirksamkeit der Jodkalisalbe überzeugt 
sei und selbe stets anwenden lasse, meinte er : Nun, seien 
Sie unbesorgt. Ihr Vater ist ein Mann. Ich werde selbst 
mit ihm sprechen. Niemand soll etwas davon erfahren, c 

»Dies geschah — und nie hat die langen Jahre hin- 
durch mein Vater auch nur mit einer Silbe mir gegen- 
über davon Erwähnung gethan, ob und was Skoda mit 
ihm gesprochen. Wohl aber sagte mir Skoda gelegent- 
lich: Ihr Vater braucht die Salbe, wovon ich mich dann 
in der Folge auch überzeugt habe.« 

»Und er hat noch im Juli 1886 Diagnosen mit dem 
Spiegel gemacht, dass ich oft darüber staunte, welch' vor- 
treffliche Sehschärfe ihm in seinem hohen Alter geblieben.« 
(Vergl. S. 96.) 

»Erst in den letzten Monaten machte die Cataracta 
Fortschritte, wie ich mich überzeugte, und im November, 
als langdauerndes Irrereden den Gedanken an ein ernstes 
Gehirnleiden nahelegte, sah ich mich veranlasst, mein 
Schweigen zu brechen und den Professoren Leidesdorf, 
Dittel und Schrötter, diesen seinen bewährten Freunden 
und Aerzten, davon Mittheilung zu machen.« 

Also vor dem Schicksal wenigstens ist Arlt durch den 
Tod bewahrt geblieben, dass er, der Meister der Ex- 
traction, selbst sich hätte operiren lassen müssen 1 

Die elfmonatlichen Leiden Arlt's, zumal der an 
Wechselfallen reiche Verlauf der zweiten Erkrankung, 



144 



haben an die Thätigkeit seiner Aerzte Anforderungen ganz 
ungewöhnlicher Art gestellt Diese wurden noch dadurch 
erhöht, dass Arlt in den letzten Monaten mit einer ge- 
radezu sehnsüchtigen Ungeduld den ärztlichen Besuchen 
entgegensah und um ihre häufige Wiederholung bat. 

Wenn nun auch die älteren Aerzte in dem Kranken 
den hervorragenden Collegen sahen, der im gegebenen 
Falle an ihnen ebenso gehandelt haben würde, und wenn 
auch die jüngeren dem hochverehrten Lehrer und Meister 
dankbaren Herzens noch grössere Opfer freudig gebracht 
haben würden, so muss den Schülern, Freimden und Ver- 
ehrern, denen es nicht vergönnt war, irgend etwas zur 
Linderung der Qualen des geliebten Mannes beizutragen, 
doch die unablässige, selbstlose, ärztliche Sorge, Pflege 
und Thätigkeit* umsomehr einen erhebenden Eindruck 
machen, als all' dieser unermüdlichen Aufopferung die Be- 
friedigung eines günstigen Erfolges nicht zu Theil werden 
konnte. 

Otto Becker. 



ARLT'S HANDSCHRIFT: 



FACSIMILE-REPRODUCTION EINES BRIEFES. 



Arlt, Meine Erlebnisse. lO 



^d.^ tf.ßu^ /^^f. 





/ 



«■».^■i « »■%'<l»^>» 





Mr Ä* 



«-«A«'«/* ., 







•'-♦^t»«» 



-/ 



/S_ - ^ 1* fci' 



■v^ 




-^ ^»^-^jA^ 




•>«• 





l -^<*i«» /v^ ^Oft'J 

'^/i/iu^^:^ . ---i~ -^r;^. •'V^ -^ >^^ 




• j^.:-:»JStTK mS 



L.\NE MEDICAL LIRRARY 



Mu