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MEINE ERLEBNISSE.
VON
FERDINAND ARLT.
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MEINE
ERLEBNISSE
VON
FERDINAND ARLT.
Primum mtdici *st kumanitas.
MIT ZWEI PORTRÄTS,
IN HELIOGRAVÜRE UND LICHTDRUCK, UND DER FACSIMILE-
REPRODUCTION EINES BRIEFES.
WIESBADEN.
VERLAG VON J. F. BERGMANN.
1887.
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Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten.
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t. 41
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TESTAMENTS- CODICILL
vom /. October 1886,
..Ich erkläre^ dass das Manuscript meiner Biographie,
welches sich in meinem Schreibtisch in Verwahrung meines
Sohnes , des Dr, Ferdinand von Arit, befindet, das zur Ver-
öffentiichung giltige ist, da ich seit der Uebergabe meiner Bio-
graphie an Herrn Professor Becker in Heidelberg noch einige
Aenderungen vorgenommen habe''
Dr. Ferdinand Ritter von Ar lt.
INHALT.
Seite
Einleitung i
I. Das Elternhaus 3
n. Die Dorfschule 8
ni. Am Gymnasium 12
IV. Am Lyceum 20
V. An der Universität 25
VI. Die ersten zehn Jahre ärztlicher Thätigkeit . . 34
VIT. Meine Thätigkeit als Lehrer an der Universität 44
VIII. Verhältniss zu meiner Familie, meinen Schülern,
Freunden und Collegen 85
IX. Mein Gesundheitszustand 95
X. Letzte Lebensjahre, Krankheit und Tod. Von
Otto Becker 97
Literarische Thätigkeit und Auszeichnungen . . . .117
Nachwort. Von Otto Becker 135
Arlt's Handschrift: Facsimile-Reproduction eines Briefes 145
MILINI I;RLI:B NISSE.
rt^HHM^i^^*^^
Motto: »Alle Menschen, von welchem Stande sie auch
seien , die etwas Tugendsames oder Tugend-
ähnliches vollbracht haben, sollten, wenn sie
sich wahrhaft guter Absichten bewusst sind,
eigenhändig ihr Leben aufsetzen, jedoch nicht
eher, als bis sie das Alter von vierzig Jahren
erreicht haben.«
Goethe, Benvenuto Cellini.
Als Professor Becker, der mir ein wahrer Freund
geworden, zu Ostern 1885 mich besuchte, forderte
er mich auf, meine Biographie zu publiciren; ich würde
damit nicht nur zahlreichen Schülern ein willkommenes
Andenken bieten, sondern auch manche jüngere Kraft
zu unverdrossener Arbeit und zu muthigem Ankämpfen
gegen äussere Hindemisse anspornen.
Ich habe in der That ein sehr bewegtes Leben hinter
mir; ich habe durch wiederholtes Zusammentreffen gün-
stiger Umstände mehr erreicht, als ich je zu hoffen wagen
konnte. Nicht Ehrgeiz war es, der mich zu redlicher
Arbeit anspornte, auch nicht Streben nach Erwerb über
das zur Existenz Nothwendige: es war ein angeborener
oder schon in den ersten Lebensjahren entstandener
Drang zu steter Thätigkeit, später geregelt durch die
Personen, welche auf meine moralische Erziehung Einfluss
übten , und durch die kümmerlichen Lebensverhältnisse
meiner Jugend, welche mir den einzuschlagenden Weg
unerbittlich vorzeichneten.
Arlt, Meine Erlebnisse. I
Zu diesen, mehr von aussen gegebenen, Impulsen
trat allmälig mit dem Bewusstsein der Menschenwürde
das Pflichtgefühl, die Ueberzeugung, es sei meine Pflicht,
der Menschheit in toto zu vergelten, was sie mir erwiesen,
was ich ihr verdankte. Und als ich dann einen be-
stimmten Beruf gewählt und eine selbständige Stellung
in der Gresellschaft erlangt hatte, als es galt, mein weiteres
Fortkommen zu suchen, leitete mich der Grundsatz:
handle bei strenger Pflichterfüllung in deiner jeweiligen
Lage so, dass, wenn sich die äusseren Lebensverhältnisse
günstig zeigen, du auch befähigt und würdig befunden
werdest, in diese oder jene günstige Stellung einzutreten.
Nur in diesem Sinne kann der alte Spruch: »Suae quis-
que fortunae faber erit« vernünftig gedeutet werden.
Talent und Arbeit allein genügen nicht, jemandem
eine angesehene Stellung zu verschaffen ; es müssen auch
äussere günstige Verhältnisse dazu treten. Die günstigen
Conjuncturen sind das, was man Glück zu nennen pflegt;
die erlangte Stellung zum eigenen Frommen wie zum
Wohle Anderer zu verwerthen, dazu gehört Lust und
Kraft zur Arbeit und — Genügsamkeit. Unersättliches
Verlangen nach Auszeichnung und Besitz führt nur zu
leicht zur Unzufriedenheit mit dem Erlangten und zu,
Missgunst gegen Andere. Wer bei jedem Misserfolge,
bei jedem Tadel, der ihn trifft, eine Entschuldigung für
sich zur Hand hat, der leidet an Selbstüberschätzung oder
an Trägheit (Mangel an Energie und Ausdauer).
I.
DAS ELTERNHAUS.
Ich wurde geboren am i8. April 1812 zu Obergraupen,
einem Dorfe im Erzgebirge, an der südlichen Abdachung
des sogenannten Mückenberges. Derselbe liegt i ^12 Stunden
nördlich von dem bekannten Badeorte Te plitz und
^2 Stunde von der alten Bergstadt Graupen (am Fusse
des Gebirges), in welcher sich die Pfarrei und die Schule
befinden. Obergraupen, welches damals aus 60 — 70 Häu-
sern bestand, war fast nur von Bergleuten bewohnt, welche
den in Gängen und Klüften vorkommenden Zinnstein
abbauten, nebstdem aber, da der tägliche Lohn nicht
hinreichte, für eine Familie auch nur das Nothwendigste
beizuschaffen , etwas Feldbau (Korn, Hafer, Kraut, be-
sonders Erdäpfel) betrieben. Als Lohn für 1 1 Stunden
Arbeit im Bergwerke erhielt ein Mann des Tages 33 Kreuzer
Wiener Währung (15 Kr. W. W. = 6 Kr. Conventions-
münze = 10 Kr. östr. Whg.).
Mein Vater, der Sohn eines Revierjägers im Dienste
des Fürsten Clary, war durch seinen Stiefvater bestimmt
i*
worden, das Handwerk eines Bergschmiedes (Verfertigung
und Instandhaltung der zum Bergbaue nöthigen Eisen-
und Stahlwerkzeuge) zu ergreifen. Nachdem 1813 (vor
der Schlacht bei Kulm) sein Stiefbruder, Schmied am
Mückenberge , von französischen Plänklem erschossen
worden war, hatte er die Schmiedearbeiten des Berg-
baues allein zu besorgen. Obwohl er nebst der Schmiede-
werkstätte noch ein Wohn- und Wirthschaftshaus mit
circa 10 Joch Ackerland besass, konnte er doch für seine
Familie (ich war unter 6 Kindern das viertgeborene) nur
mit äusserster Anstrengung das zum Leben Nothwendige
erwerben. Er war ein rechtschaffener, stiller, nur seiner
Familie lebender Mann und genoss im Dorfe grosses
Vertrauen, so dass er bald zum Gemeindevorstande ge-
wählt wurde. Er war von zarter Constitution und erlag,
wie wir sehen werden, relativ zeitig (im 59. Jahre) über-
mässiger körperlicher Anstrengung,
Meine Mutter, Tochter des Bergmannes Kohlschüt-
ten, hatte einige Jahre vor ihrer Verehelichung bei Bür-
gersleuten in Graupen gedient. Sie war von kräftiger
Constitution und Jahr aus Jahr ein von 4, längstens 5 Uhr
morgens bis abends 9 Uhr und darüber, theils im Hause,
theils auf dem Felde unverdrossen thätig. Sie war von
echter Religiosität und ertrug die herben Schicksals-
schläge, welche sie später betrafen, mit wahrer Ergebung
in die Fügung Gottes. Wenn sie in recht bedrängter
Lage war, sagte sie : »Der Herr wird mir nicht mehr auf-
erlegen, als ich ertragen kann« und war wieder guten
5
Muthes. Sie war es, welche nicht nur durch ihr Beispiel,
sondern auch durch ihre strenge Zucht auf uns Kinder
den mächtigsten Einfluss übte. Sie hielt uns zu Arbeit,
Genügsamkeit, Wahrhaftigkeit und Gottesfurcht an; ihre
Mildthätigkeit gegen Arme, oft ihre Mittel überschreitend,
weckte in uns frühzeitig Mitgefühl für fremdes Elend.
Unser Elternhaus, mitten im Dorfe gelegen, war
eines der grössten daselbst, i Stock hoch, ausser den
Wohnräumen noch mit einem Kuhstalle und einer Scheuer
versehen. Aus der nach Süden gerichteten Wohn-, be-
sonders aber aus der Oberstube, übersieht man einen
grossen Theil des böhmischen Mittelgebirges (von der
Stelle, wo die Elbe dasselbe durchbricht, bis zu den
Bergen von Brüx und deren Abflachung gegen Komotau)
und die breite, von Westen nach Osten ziehende Thal-
mulde, in welcher Teplitz-Schönau liegt, während von
dem schmalen , tief einschneidenden Thale der Biela nur
Bilin sichtbar ist. Die Oberstube (damals unheizbar)
diente uns Kindern auch im Winter als Schlafstelle. Vor
dem Hause lag ein kleiner Gemüse- und Blumengarten,
weiter bergab etwas Wiesen- und Ackerland, letzteres
auch mit Kirschen- und einigen Apfelbäumen bepflanzt
(Pflaumen werden nicht mehr reif); die übrigen Felder
lagen ^/4 bis V2 Stunde entfernt.
Bei Benützung aller Arbeitskräfte — auch 4- bis
5 jährige Kinder fanden entsprechende Verwendung —
und strenger Sparsamkeit (unsere Nahrung bestand grössten-
theils in Brod, Erdäpfeln, Milch und Butter, an Sonn-
tagen mit etwas Fleisch) hatte die Familie eben ihr Aus-
kommen. Sobald ein Kind das 6. Lebensjahr vollendet
hatte, würde es bis Ende des 12. Jahres in die ^/a Stunde
entfernte Schule unten in Graupen geschickt, dabei aber
so viel als' möglich zu verschiedenen Arbeiten im Hause
und auf dem Felde (z. B. Ausgraben von Kartoffeln,
Holzverkleinern, Viehhüten u. dgl.) verwendet; Müssig-
gehen, Herumflaniren , Gesellschaft mit Cameraden auf-
suchen u. dgl. war uns gewissermassen unmöglich. An
Sonntagen wurde sehr oft der Nachmittag zum Vorlesen
einzelner Abschnitte aus einer Bibel (lutherischer Ueber-
setzung) verwendet, welche der Vater wie ein Reliquium
im Geheimen verwahrte.
Einmal, ich mochte 7 Jahre alt sein, beauftragte
mich die Mutter, auf dem Heimwege von der Schule
ein Krügel Blut mitzubringen. Das beim Schlachten
von Kälbern aufgefangene Blut wird, bevor es gerinnen
kann, mit einem Stäbchen rasch umgerührt und bildet
dann eine gleichförmige Flüssigkeit, welche nach Bei-
mengung von Semmelschnitten in einer Pfanne zu einer
Art Wurst (in der Ofenröhre) gebacken wird. Als
ich — es war an einem kalten Wintertage — gegen
Abend mit dem Kruge eines der obersten Häuser von
Graupen passirt hatte, glitt ich auf dem Glatteise aus,
und — hin war das Blut und — begossen meine neuen
kalbledernen Hosen. Da erbarmte sich des weinenden
Knaben eine Bürgersfrau, nahm mich in's Haus und
liess durch andere Schulknaben nach Hause sagen, dass
sie mich über Nacht bei sich behalten werde. Diese
Frau habe ich circa 40 Jahre später am grauen Staare
operirt und dadurch, dass sie wieder in ihrem Gebet-
buche lesen konnte (sie starb im 92. Jahre), glücklich
gemacht.
II.
DIE DORFSCHULE
Als ich eben das 8. Jahr zurückgelegt hatte, kam
eines Tages ein Stiefbruder meines Vaters, Domi-
nik Schöttner, Schullehrer zu Weisskirchlitz (bei
TepHtz) zu uns und machte den Eltern den Vorschlag,
meinen Bruder Dominik oder mich zu ihm zu geben; er
brauche einen Knaben, der ihm bei Versehung des
Messnerdienstes und als Chorsänger behülflich sein und
dabei sich selbst zugleich zum Schullehrer heranbilden
könne. Die Eltern gingen auf den Vorschlag ein, indem
sie hauptsächlich auf den zarter gebauten, zu gröberer
Arbeit minder geeigneten Bruder Dominik reflektirten.
Als aber der Vetter dann betonte, er möchte doch lieber
mich nehmen, da Dominik schon beinahe ii Jahre alt
sei, mithin sich nicht mehr so leicht abrichten lassen
werde, willigten sie endlich ein, und somit wurde ich
gegen eine massige Entschädigung für die Kost nach
Weisskirchlitz gegeben.
Wenige Monate darauf starb die seit langer Zeit
schwer kranke Tante, eine Tochter in meinem Alter
hinterlassend. Als dann der Vetter sich wieder ver-
ehelicht hatte, kamen über uns beide schwere Zeiten.
Die zweite Frau war hochfahrend, hartherzig, der Tochter
wie mir eine Stiefmutter im gewöhnlichen Sinne des
Wortes und voll Affenliebe für ihre eigenen Kinder. Ich
wurde ausser den Schulstunden zu allerhand häuslichen
Verrichtungen verwendet, namentlich zum Kinderwarten
und häufig zu Botengängen nach T e p 1 i t z. — Einmal im
Spätherbste, wo der Boden morgens bereits gefroren war,
musste ich, der noch keine Stiefel für den .Winter erhalten
hatte, barfuss — wie im Sommer durchaus — bei An-
bruch des Tages nach T e p 1 i t z laufen , Seife zu holen,
auf deren Besorgung zum W^aschtage man vergessen hatte.
Der Vetter selbst behandelte mich zwar strenge, aber
nie hart, nie ungerecht. Selbst wenn er mich strafte —
wir wurden mit einer Birkenruthe auf die vorgestreckte
Hohlhand geschlagen — vermied er es, das Ehrgefühl
abzustumpfen; nach der Strafe war er wieder aus-
gesöhnt. — Das war auch bei meinen Eltern der Fall.
Als ich an einem heissen Julinachmittage einmal von
Weisskirchlitz nach Obergraupen gekommen war,
um des anderen Tages mit Butter dorthin zurückzukehren,
gebot mir die Mutter, das Vieh (einige Kühe und Kälber)
auf die etwa ^/2 Stunde entfernte Gutweide zu treiben.
Meine Weigerung wurde mit Ruthenstreichen beantwortet.
Flennend zog ich auf den Weideplatz. Dort schlief ich
ein, und als ich bei Sonnenuntergang erwachte, hatte sich
lO
das Vieh in den angrenzenden Wald verlaufen. Erst
gegen lo Uhr nachts gelang es den herbeigerufenen
älteren Geschwistern, das Vieh wieder zustande zu bringen.
Die Eltern fanden mich durch die ausgestandene Angst
wohl hinreichend bestraft.
Als ich einige Monate über 13 Jahre alt war, sagte
der Vetter ganz unerwartet zu meinem Vater, ich eigne
mich nicht gut zu einem Schullehrer, weil ich in der
Musik keine rechten Fortschritte mache; er möge mich
lieber studiren lassen. Ob dies aus seiner Ueberzeugung
oder auf Antrieb der Tante geschehen, ist mir nicht klar
geworden. Diese Erklärung des Vetters traf meine Eltern
wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Namentlich war es
die Mutter, welche sich nicht fassen konnte. Woher
sollten die Mittel kommen, mich an dem Gymnasium zu
Leitmeritz (6 Stunden von Graupen entfernt) mit dem
Nothwendigsten zu versehen? Und doch sagte sich ihr
praktischer Sinn, ich sei der schweren körperlichen Arbeit
bereits entwöhnt, ich werde zur Erlernung eines Hand-
werkes mich nicht mehr eignen. Diese Erwägung und
der Umstand, dass der 17 Jahre alte Sohn Joseph
den Vater bereits in der Schmiede und in der Wirth-
schaft unterstützen konnte, mögen sie bewogen haben,
ihre Einwilligung zu geben. Vielleicht tauchte auch der
Wunsch auf, dass ich mich nach beendeten Studien dem
geistlichen Stande widmen möchte, denn einen anderen
Zweck des Studirens kannten die guten Eltern nicht.
Aber bald wäre das Vorhaben mit mir gescheitert.
II
Die Eltern hatten nämlich meinen um 2V2 Jahre
älteren Bruder Dominik, weil er bei seinem Austritte aus
der Graupner Schule für schwere Arbeit noch zu schwach
erschien, durch 2 Jahre in die Hauptschule zu Maria-
schein geschickt, damit er sich, bis er kräftiger wurde,
weiter ausbilde, und dieser hatte indess den Wunsch ge-
fasst, sich gleich zwei Schulcameraden den Studien zu
widmen. Während der Plan, den man mit mir vorhatte,
besprochen wurde, rückte Dominik mit seinem Wunsche
heraus und bat, gleichfalls mit nach Leitmeritz geschickt
zu werden. Als der Tag meiner Abreise kam, wollte der
Bruder wenigstens die Stadt Leitmeritz mit ansehen,
und als wir dort angekommen waren, brachte es der
Vater nicht über's Herz, ihn wieder mit nach Hause zu
nehmen. So blieben wir denn beide dort, bei einem
Buchbinder mit den zwei Cameraden meines Bruders in
einer Stube einquartirt.
III.
AM GYMNASIUM.
Leitmeritz, längs des erhöhten rechten Ufers der
Elbe (unterhalb der Einmündung der Eger in die-
selbe) an der südlichen Abdachung des Mittelgebirges
gelegen, war der Sitz eines Bischofs mit einem Alumnate,
eines Kreisamtes mit den dazu gehörenden Nebenämtern
und eines Gymnasiums mit 6 Klassen (i geistlichen,
6 weltlichen Professoren). Zwischen der schön angelegten
und reinlich gehaltenen Stadt mit grösstentheils wohl-
habenden Bewohnern und den zum Theil dicht bewal-
deten Höhen des Mittelgebirges liegen fruchtbare Felder
mit Obst- und Weingärten, mit anmuthigen kleinen Thal-
einschnitten , während einzelne Hügel einen reizenden
Fernblick auf die grosse fruchtbare Ebene jenseits der
Elbe und längs der Eger darbieten. Ueberall und immer
waren es die Reize der Natur, welche das jugendliche
Gemüth anzogen und fesselten. Leitmeritz wurde mir
das Paradies meiner Jugend. Dort , unter dem Beispiele
und erziehenden Einflüsse wahrhaft edler Menschen,
13
erwachte in mir die jugendliche Begeisterung für das
Gute, Wahre, Rechte, für das Pflichtgefühl, durch Thaten
würdig zu werden der Wohlthaten, welche mir dort
erwiesen wurden; ich nahm mir vor, mich dem geist-
lichen Stande zu widmen.
Anfangs ging es uns recht schlecht Mir mangelte
zunächst die für das Gymnasium nöthige Vorbildung,
namentlich in der Sprachlehre. Ich war nach der ersten
schriftlichen Prüfung (Uebersetzung aus dem Deutschen
in 's Lateinische) einer der schlechtesten unter 40 Schülern.
Aber der Gedanke an meine guten Eltern, und die Furcht,
zurücktreten zu müssen, spornten mich an, tüchtig zu
arbeiten; bereits zu Ostern war ich bei der Klassi-
fikation gleich meinem Bruder einer der besten. Dann
ging es ununterbrochen vorwärts; im 4. Jahre nahm ich
bereits den i. Platz ein, den ich auch bis zum Abgange
an die Universität behauptete.
Unsere materielle Lage war und blieb durch die
ersten zwei Jahre eine sehr dürftige. Wir waren zumeist
auf Suppe, Brod und Erdäpfel mit etwas Milch oder
Butter angewiesen. Da verschaffte mir ein Mitschüler,
der Sohn eines Magistratsrathes, einen Kosttag (Freitisch)
am Sonntage und dessen Mutter einen zweiten (Dienstag)
bei dem Stadtvogte Dr. Dittrich; einen drkten erhielt
ich bei einer Fleischhauerswitwe.
Gegen Ende des 2. Jahres nahm ich mich eines
Mitschülers an, eines herzensguten Jungen, dem es trotz
allen Fleisses nicht gelingen wollte ^ seine Lektionen
gehörig zu memoriren. Hatten wir z. B. 2 — 3 Seiten
Geographie zu lernen, so las er das Ganze wohl 10 mal
durch, wusste aber dann doch nicht das Gelesene her-
zusagen. Ich wies ihn nun an, zunächst nur 2 — 3 Sätze
des Aufgegebenen zu lesen und dann herzusagen, hierauf
dasselbe mit den nächstfolgenden 2 — 3 Sätzen zu thun,
und sodann beide Absätze zusammen nachzusagen u. s. w.
Auf diese Weise gelang es ihm bald, einige Seiten Wort
für Wort zu behalten. Dies und vielleicht auch meinen
anderweitigen Einfluss auf den Knaben erfuhr sein Onkel,
Joseph Günter, Professor der Kirchengeschichte und
des Kirchenrechtes am bischöflichen Alumnate. Dieser
war früher in Schlukenau Kaplan gewesen; reiche Kauf-
leute aus jener Gegend hatten ihn ersucht, ihre Söhne,
welche inLeitmeritz studiren sollten, zu sich in Quartier
und Kost zu nehmen. Unter diesen Kostknaben befand
sich, nebenbei gesagt, auch Franz Dittrich aus Nix-
dorf, später Professor der medizinischen Klinik in Er-
langen.
Professor Günter wählte nun mich (in meinem
16. Jahre) zum Mentor und Correpetitor für 3 solche
Knaben, nahm mich in seine Wohnung und Hess mir
auch Frühstück und Abendbrod verabreichen. In dieser
Stellung verblieb ich bis zu meinem Abgange nach Prag.
In den letzten beiden Jahren erhielt ich durch den Katecheten
Gau noch eine tägliche Unterrichtsstunde (bei einem
Neffen des Staatsrathes Jus tel) und im letzten Jahre noch
täglich zwei Stunden beijur. Dr. Stradal, von dem ich
15
fünf Kinder (zwischen 6 und 1 5 Jahren) zu unterrichten
hatte.
Von letzterem erhielt ich zu Ende des Jahres i2ofl.
Wiener Währung, eine fiir mich unter den damaligen
Verhältnissen grosse Summe. Diese überbrachte ich
meinem Vater mit der freudigen Aeusserung, dass wir
(der Bruder und ich) damit fiir den Anfang in Prag ge-
deckt sein werden. Er aber meinte, so lange er lebe
und arbeiten könne, wolle er an diesem Ersparnisse
nicht rühren. Als hätte er geahnt, dass die Zeit der
äussersten Noth bald kommen werde!
Auch mein Bruder hatte bald Wohlthäter gefunden
und einige Lektionen erhalten; er wurde im 4. Jahre
unserer Studien von dem nach Leitmeritz als Gym-
nasialpräfekten versetzten Pater Franz Effenberger,
dem Sohn eines Leinwebers aus Graupen, in's Quartier
genommen. Bevor dies geschah, war er an Typhus
schwer erkrankt und von dem Dr. Dittrich mit grosser
Sorgfalt behandelt worden.
Den wichtigsten Einfluss auf meine geistige Richtung
und auf meinen Charakter nahm der Gymnasialkatechet
Johann Gau, besonders durch seine sonntägigen
Exhorten (Predigten fiir uns Gymnasialschüler). Die
Quintessenz seiner Lehre war: wir sollen das Gute thun
wegen des Guten selbst , ohne Reflexion auf Lohn oder
Strafe. Er kannte, wie mir erst später klar wurde, jeden
Schüler der sechs Jahrgänge nicht nur aus der Schule,
sondern auch nach seinem häuslichen Thun und Trachten ;
i6
wir waren väterlich überwacht, ohne es zu ahnen ; er griff
in das Verhalten der Ueberwachten kaum je direkt ein,
wohl aber oft mittelbar ; z. B. wenn er wusste, diese oder
jene haben Hang zum Kartenspielen, Trinken u. dgl.,
so wählte er die Schilderung der Folgen solcher Verirrung
zum Gegenstande einer Exhorte und nahm bald offen,
bald unvermerkt Einfluss auf den Ort der Zusammenkunft
u. s. w. So war er allgemein mehr geachtet als gefürch-
tet, von den meisten geliebt, und keiner konnte ihn einer
Ungerechtigkeit oder Lieblosigkeit zeihen.
In der 5. und 6. Klasse (Humaniora genannt) war es
der im Lehramte ergraute I g n a z Hajek, dessen reiches
Wissen, dessen klassische Bildung und echte Humanität
einen bewältigenden Eindruck auf uns übte, welcher allen,
die geistig und moralisch befähigt waren, eine tüchtige
Vorbildung für die Universität beizubringen verstand.
Damals bestanden in Böhmen 19 Gymnasien mit
je 6 Klassen (Jahrgängen) und 4 Lyceen mit je 2 Klassen,
welche den Uebergang vom Gymnasium zu den Fach-
studien (Theologie, Jus, Medizin) vermittelten. In diesen
beiden Jahrgängen wurden Mathematik, Physik, die natur-
historischen Fächer, Philologie, Philosophie, Weltgeschichte
und Religionswissenschaft von eigenen Professoren vor-
getragen und semestraliter zum Gegenstande eines Examens
gemacht. Am Gymnasium bestanden für jeden Jahrgang
nebst dem Katecheten nur zwei Lehrer, einer für die
ersten vier Jahre (die Grammatikalklassen) , einer für die
Humaniora. Gegenwärtig sind alle Gymnasien, welche
17
zur Vorbereitung für die Universitätsstudien bestimmt
sind, in 8 Klassen eingetheilt, und ist die Erlaubniss, in
die Universität einzutreten, von einer strengen Prüfung
zu Ende des 8. Jahres (Maturitätsprüfung) abhängig. Jetzt
existiren schon vom ersten Jahre an für je einen oder
zwei Lehrgegenstände Fachlehrer ; die früheren Semestral-
prüfungen sollen durch zeitweilige Prüfungen während
des Semesters ersetzt werden.
Wenn ich meine Wahrnehmungen aus der früheren
Zeit mit denen seit der neueren Einrichtung vergleiche,
kann ich nicht umhin, mich für das System der Klassen-
lehrer, wenigstens in den ersten vier Jahren (Unter-
gymnasium) zu erklären. Bei dem Kinde vom lo. bis
zum 15. Jahre — leider besteht jetzt eine Sucht, die
Knaben je eher je lieber in das Gymnasium zu bringen —
sollten doch die pädagogischen Rücksichten weit mehr
ins Gewicht fallen, als die scientifischen. Das Kind soll
sich vor allem an geordnete Thätigkeit, an Lust und
Liebe zur Arbeit gewöhnen. Es soll ihm auch bei
mittlerer (Durchschnitts-)Begabung möglich sein, einige
Stunden des Tages nach eigener Wahl (Bewegung im
Freien, Spielen, Musik u. dgl.) fiir sich zu verwenden;
das Kind soll nicht gezwungen sein, zur Bewältigung
der Schulaufgaben bis tief in die Nacht hinein zu ar-
beiten. Hat ein Kind nur einen Lehrer für verschiedene
Gegenstände , so kann dieser die Fähigkeiten desselben
im Allgemeinen und nach verschiedenen Richtungen hin
leichter richtig beurtheilen und dessen Behandlung darnach
Arlt, Meine Erlebnisse. 2
i8
einrichten. Lob in dem einen, Tadel in dem anderen
Fache, von einem und demselben Lehrer ausgesprochen,
kann das Kind kaum beirren oder verletzen, eher zu An-
strengung aller seiner Kräfte aufmuntern. Anders, wenn
von dem einen Lob, von dem andern Tadel kommt;
das Kind sucht die Ursache eher ausser als in sich, und
nichts wirkt verderblicher auf die empfanglichen Gemüther,
als wirkliche oder vermeintliche Härte oder Ungerechtig-
keit. Fast jeder Fachlehrer betrachtet seinen Gegenstand
als den wichtigsten. Kinder ziehen auch leicht Vergleiche
zwischen ihren Lehrern, nicht immer zum Vortheile der
tüchtigsten, der gewissenhaftesten. Auch scheint es mir
leichter, dass ein Lehrer, wenn er dasselbe Kind durch
eine Reihe von Jahren unterrichtet, in den einzelnen
Gegenständen stufenweise fortschreite, als dass ein und
derselbe Lehrer Kindern aus verschiedenen Jahrgängen
Unterricht in seinem speziellen Fache ertheile. Die
Summe und der Umfang der Gegenstände, welche einem
Kinde in den ersten 4 Jahren des Gymnasiums bei-
zubringen sind, ist sicherlich nicht so gross, als dass sie
nicht ein einzelner Mann genügend beherrschen könnte.
Den Beweis dafür haben die Männer geliefert, welche
(kurz vor Einführung des neuen Systemes) zu Klassen-
lehrern ausgebildet worden waren. Nicht auf das, wie
viel man in diesem Alter lernt, kommt es an, sondern
auf die Methode zu lernen und auf die Erweckung von
Lust und Freude an geregelter Thätigkeit, an nützlicher
Beschäftigung. Von Kindern, welche zu früh (vor dem
19
12. Jahre) zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen
werden, verkümmern bekanntlich viele physisch; gewiss
bleibt auch vorzeitige und übermässige Anstrengung der
geistigen Kräfte sehr oft nicht ohne nachtheiligen Einfluss
auf deren Leistungsfähigkeit in späteren Jahren. Ich
meine, das an so manchem meiner Studiengenossen be-
obachtet zu haben.
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IV.
AM LYCEUM
V
oll Zuversicht zogen wir Brüder im Herbste 1831
nach Prag. Mit den besten Empfehlungen vom
Gymnasium aus versehen, hofften wir Lektionen, vielleicht
auch eines der zahlreichen Stipendien für unbemittelte
Studenten zu erlangen. Vergebens. Einen kleinen Erwerb
' i verschaffte ich mir dadurch , dass ich die Vorträge des
ij * Professor Exner, dessen Zutrauen ich durch Beant-
wortung einiger Fragen gewonnen hatte, nieder- und für
einen wohlhabenden Collegen abschrieb. Zu Ostern
(1832) erhielt ich endlich eine Lektion. Ich bekam einen
Knaben von 7 Jahren zu unterrichten,' welcher wenig
Deutsch verstand, während ich der czechischen Sprache
noch weniger mächtig war. Voll Freude schrieb ich
meinen Eltern, dass ich nun gegen das Acrgste ge-
borgen sei.
Dieser Brief war im Elternhause zwei Tage vor dem
Tode meines Vaters angelangt und hatte ihm noch eine
21
Freude bereitet. Eine heftige Lungenentzündung (nach
harter Feldarbeit an einem rauhen Frühlingstage) hat ihn
uns entrissen (am 28. Mai 1832). Das war ein harter
Schlag. — Und doch sollten wir noch mehr Trübsal
erleben. Unser Bruder Joseph, 25 Jahre alt, der Gehilfe
des Vaters und nun die einzige Stütze der Mutter, war
an Typhus erkrankt (zu Pfingsten) und konnte sich nicht
mehr erholen. Als ich zu Anfang der Ferien nach Hause
eilte, fand ich ihn unabwendbarem Siechthume verfallen. —
Ich hatte meine Lektion schon nach 6 Wochen verloren,
weil mein Vorgänger, wegen eines leichtsinnigen Streiches
entlassen, wieder zu Gnaden aufgenommen worden war. —
Nun hätte ich wohl die glücklich begonnene Bahn ver-
lassen müssen, wäre mir nicht das Ersparniss von Leit-
meritz zur Verfügung gestanden, und hätte nicht die gute
Mutter eine ganz ausserordentliche Energie entwickelt.
Mit Hilfe eines benachbarten Schmiedes, welcher es über-
nahm, unseren jüngsten Bruder Wenzel (damals erst
14 Jahre alt) im Handwerke zu unterweisen, führte sie
dieses und die Wirthschaft fort, und Gottes Segen, auf
den sie unerschütterlich baute, war mit ihr.
So zogen wir, der Zukunft vertrauend, wieder nach
Prag. Unsere Lage war die gleiche kümmerliche. Eines
Tages sah ich den Medicinae Studiosus Anton Jaksch,
den ich vom Gymnasium her — er war 4 Jahre vor mir —
als einen der Ausgezeichneten kannte, auf der Prager
Brücke. Ich sprach ihn an, ob er mir nicht eine
22
Lektion verschaffen könne, und nannte ihm meine
Adresse. Er konnte mir nicht helfen, aber er ersuchte
mich später, als er sich zu den Rigorosen vorbereitete,
ihm die obligaten Krankengeschichten sauber abzu-
schreiben. Das war der Anfang meiner Bekanntschaft
mit dem nachherigen Professor Jak seh, der auf meine
weitere Entwicklung einen so bedeutenden Einfluss ge-
nommen hat.
Während des Studiums der Philosophie (des Lyceums)
trat in mir eine mächtige Umwandlung (in meiner
Lebensanschauung) ein. Ich wurde inne, dass ich nicht
mehr, wie ich bisher gemeint, mit voller Ueberzeugung
mich dem Priesterstande widmen könne. Ich war in
meinem Inneren ein anderer Mensch geworden. Ich
konnte mich für gewisse Dogmen, z. B. das von der
:>allein selig machenden Kirche«, nicht mehr erwärmen;
mir widerstrebte jeder Kastengeist; warum sollte, so
erwiderte ich einem Collegen, dem Geistlichen, der aller-
dings grosse Opfer bringt, der aber dafür auch mehr
Gelegenheit zu seiner Ausbildung gehabt hat, ein grösseres
Verdienst zugeschrieben werden, als z. B. einem Schuh-
macher, der seine Pflichten in jeder Richtung nach bestem
Wissen und Gewissen erfüllt?
Da, zu Ostern 1833, trat zum ersten Male das Glück
an mich heran. Ueber Empfehlung unseres Religions-
professors, des Kreuzherrn Jacob Beer, wurde mir von
dem wohlhabenden Kaufmanne Franz Kose die Stelle
23
als Erzieher seines jüngsten Kindes, des lo jährigen
Alexander, angetragen. Der frühere Hauslehrer, der
nachher in Wien als Pädagoge rühmlichst bekannte
Hermann, hatte diese Stelle wegen Kränklichkeit ver-
lassen müssen. Mein Entschluss war bald gefasst; ich
erklärte, dass ich Mediziner werden wolle, und wurde
aufgenommen. Der ärztliche Stand war es ja, den ich
schon zu Leitmeritz in der Person des Dr. Dittrich
nächst dem geistlichen Stande am meisten achten ge-
lernt hatte. Nun aller Nahrungssorgen ledig, widmete
ich mich mit Feuereifer meinem doppelten Berufe, als
Erzieher und als Mediziner. Ich blieb beinahe 7 Jahre
in dem Hause, und mein Zögling ist, nachdem er die
Beamtencarri^re ergriffen hatte, jetzt in Prag ein wegen
seines Charakters allgemein geachteter Mann. Er hatte
seine Mutter schon in seinem 12. Jahre verloren und
war dann grösstentheils meiner Obhut und Leitung über-
lassen. Er ist mir bis in sein Greisenalter herzlich zu-
gethan geblieben.
Als ich zu den Herbstferien nach Hause kam und
der Mutter meinen Entschluss, Arzt zu werden, kund
gab, traten ihr Thränen der Wehmut in die Augen;
ihre Hoffnung, mich als Priester am Altare zu sehen,
war dahin. Doch gelang es mir, sie zu trösten; hatte
sie doch, als mein Bruder in Leitmeritz an Typhus
erkrankt war, in Dr. Dittrich den ärztlichen Stand von
einer nie geahnten edlen Seite kennen gelernt. Dass
24
auch mein Bruder dem geistlichen Stande den Rücken
kehrte und, um Jus zu studiren, nach Wien zu gehen
entschlossen war, traf sie wohl noch härter; dennoch
setzte sie ihm kein Hinderniss entgegen, gewährte ihm
vielmehr Unterstützung, so viel sie es vermochte.
V.
AN DER UNIVERSITÄT.
Das Studium der Medizin war auf fünf Jahre vertheilt,
und ohngefahr ein Jahr war zur Ablegung der
strengen Prüfungen aus der Medizin und Chirurgie nöthig.
Vorgetragen wurden: im i. Jahre Anatomie mit Secir-
übungen, Mineralogie, Zoologie und Botanik, im 2. Jahre
Chemie und Physiologie, im 3. Pharmakologie, allgemeine
Pathologie und Therapie, Veterinärkunde, im 4. und
5. Jahre medizinische und chirurgische Klinik sammt
spezieller Pathologie und Therapie, Augenheilkunde, ge-
richtliche Medizin und Staatsarzneikunde. Für Geburts-
hilfe bestanden sechswöchentliche Kurse, welche meistens
während des Rigorosenjahres genommen wurden. — Für
Physiologie, allgemeine und spezielle Pathologie, für
Pharmakologie und Rezeptirkunde war die lateinische
Sprache vorgeschrieben. Das für spezielle Pathologie
und Therapie vorgeschriebene Lehrbuch war das von
Raima nn. Für die meisten Fächer bestanden Semestral-,
26
fiir die klinischen Jahresprüfungen. Für das Doktorat
der Medizin waren 2 Rigorosa vorgeschrieben ; wer über-
dies das Doktorat der Chirurgie erlangen wollte, hatte
die chirurgische Klinik nicht durch 2, sondern durch
4 Semester zu besuchen und dann 2 besondere Rigorosa
zu bestehen; für Augenheilkunde und für Geburtshilfe
konnte man durch je eine strenge Prüfung das Diplom
eines Magisters erlangen. — Die Professoren standen
unter der Aufsicht eines Studiendirektors, welcher damals
in Prag zugleich Protomedicus des Landes war. Als
Studiendirektor unterstand dieser der Studienhofkommis-
sion in Wien, von welcher auch die Anträge zur Er-
nennung von Professoren auf Grundlage schriftlicher und
mündlicher Konkursprüfungen als 2. Instanz abhingen.
Zu der Zeit, als ich meine Studien der Medizin
durchmachte, stand diese als Wissenschaft überhaupt
noch grossentheils auf einer sehr niederen Stufe, nicht
nur an den österreichischen, sondern auch an den anderen
Universitäten. Man hielt mit einer gewissen Befangen-
heit an althergebrachten Theoremen, sammelte allenfalls
Beobachtungen, doch zumeist mit mangelhafter Kritik,
und gefiel sich in mehr weniger bestechenden Hypo-
thesen. Man getraute sich nicht, die Gesetze der Physik
auf den menschlichen Organismus anzuwenden , und die
Untersuchung an Leichen war mehr auf das Sammeln
seltener Befunde als auf die Veränderungen vor und
nach dem Tode, auf deren Zusammenhang gerichtet.
Die Wege zum Besseren, die ein Morgagni, Laennec,
27
Auenbrugger angetreten, wurden im Allgemeinen
nicht weiter verfolgt.
Da trat im Wiener Allgemeinen Krankenhause, einer
Schöpfung des unsterblichen Kaiser Joseph, ausser-
halb des Verbandes mit der an die hergebrachten Normen
gebundenen Universität, ein Mann auf, der es wagte,
seine wohlerworbenen Kenntnisse in der Mathematik und
Physik am menschlichen Körper zu verwerthen, die
Diagnostik auf die anatomischen Veränderungen zu
stützen und auch für die Therapie so viel als möglich
eine rationelle Basis zu gewinnen. Das war Joseph
V. Skoda, ein Schlosserssohn aus Pilsen, der anfangs
unbeachtete, dann vielfach angefeindete und verfolgte
Secundarius des Allgemeinen Krankenhauses. Zunächst
war es sein Freund Dr. Kolletschka*), Assistent des
Dr. Rokitansky, damaligen Prosektors im Kranken-
hause, dann auch Rokitansky selbst, welche es ermög-
lichten, das im Leben von Skoda Diagnostizirte nach
dem Tode zu controlliren und für die Diagnostik eine
verlässliche Grundlage zu schaffen. Durch den Scharf-
sinn und eisernen Fleiss Rokitansky' s erhielt in wenig
Jahren die pathologische Anatomie eine kaum geahnte
Bedeutung für die praktische Medizin überhaupt. An der
Hand dieser Wissenschaft dehnte v. Skoda seine zu-
nächst auf die Brustorgane gerichteten Studien auf den
•) Kolletschka. später zum Professor der gerichllichen Medizin
und Staatsarzneikunde ernannt, starb in Fglge einer Verletzung bei
einer Sektion 1847; sein Nachfolger wurde Dlauhy.
28
ganzen Körper aus, und seine nüchterne Forschung ge-
wann auch für die Therapie eine rationelle Basis. Er
verpönte trotz heftigen Widerspruches alles unnöthige,
nur auf Herkommen gestützte, Eingreifen in das Walten
der Natur. Der Vorwurf des Nihilismus vermochte nicht,
ihn in seinem ruhigen Beobachten und Forschen zu be-
irren*).
Bald drang der Ruf der neuen Richtung der Medizin
auch nach Prag. In den Ferien 1837 ging Hamernjk,
dann Jaksch, Assistent der medizinischen Klinik (für
Chirurgen) nach Wien, das Jahr darauf Oppolzer,
Assistent an der Klinik für Mediziner ; ihnen folgte, durch
die Berichte von Jaksch begeistert, auch der greise Pro-
fessor der Augenheilkunde, J o h a n n N. F i s c h e r. In den
letzten zwei Jahren vor meiner Promotion wurde ich durch
Jaksch ein eifriger Anhänger der neueren Richtung.
In den ersten zwei Jahren hatte ich vorzüglich Ana-
tomie (unter Bochdalek), namentlich Secirübungen mit
grossem Eifer betrieben, nebstdem Botanik und Minera-
logie (letztere auch unter Zippe im Polytechnikum); in
den übrigen Fächern war der Unterricht ein mangel-
•) V. Skoda war ein Arzt in grossem Style; er war nicht, wie
Viele meinten und noch meinen, ein Arzt bloss für Brustkranke. Seit
der Versorgung Wiens mit gesundem Trinkwasser (Hochquellen), welche
auf Anregung und unter energischer, umsichtiger und opferwilliger
Mitwirkung v. Skoda' s endlich zu Stande kam, ist der Abdominal-
typhus, hier seit langer Zeit endemisch, eine Seltenheit geworden. Er
war es auch, von dem Hebra die erste Anleitung zu einem rationellen
Studium der Hautkrankheiten erhielt.
*•
29
hafter, daher auch keine Begeisterung dafür; in den
Kliniken fesselten nur die Abendvisiten, von den Assi-
stenten Pitha und Oppolzer gehalten, und des Mor-
gens der Unterricht des Professor Fischer. Dieser,
unter meinen Professoren unstreitig der gewissenhafteste
und in seinem Fache tüchtigste, war in seinem ganzen
Wesen schlicht, bezüglich der Pflichterfüllung streng
gegen seine Schüler wie gegen sich selbst; er lehrte uns
genau untersuchen, sorgfaltig beobachten und über das
Gesehene Rechenschaft geben. Unter den Gründen,
welche ihn bestimmten, mich zu seinem Assistenten zu
designiren, war auch der, dass er mir eine gewisse An-
lage zu mechanischen Arbeiten (zum Operiren) zutraute,
weil ich die Krystallmodelle (nach Mohs) aus Gyps an-
gefertigt und saubere anatomische Präparate (von den
Kopfnerven) geliefert hatte. Nach meiner Promotion
(30. November 1839) verlangte er, dass ich vor Antritt
der Assistentenstelle erst auf einige Monate nach Wien
gehe, um mich bei v. Skoda und Rokitansky noch
weiter mit dem Geiste der neueren Richtung vertraut zu
machen; nebenbei könne ich die Klinik von Professor
Rosas (an der Universität) und von Professor Jäger
(am Josephinum) besuchen.
Zum Glücke hatte ich mir im Hause Kose so viel
erspart, dass ich nach Wien reisen und dort 3 Monate
aushalten konnte. Die Quartierfrau meines Bruders,
welcher Jus absolvirt hatte und bei der Lottobuchhaltung
praktizirte, gestattete mir, unentgeltlich bei ihm zu
30
wohnen, und in einer Garküche (in der Blutgasse) konnte
ich für 15 Kreuzer W. W. mittags essen. Die Kurse bei
Skoda, Rokitansky und Jäger kosteten je 30 Frank.
Aber Rokitansky, in dessen Wohnung ich über An-
empfehlung von Professor Fischer freundlich empfangen
und dann auch öfters eingeladen worden war, schenkte
mir das Honorar, und die Rückreise nach Prag kostete
mich nichts, weil zufällig Kaufmann Kose seinen Freund
K o 1 b nach Wien begleitet hatte und mich dann mit nach
Hause nahm. — Dem Professor Jäger muss ich nach-
rühmen, dass man bei seinen Operationskursen (und
Uebungen) mit Verständniss der Technik operiren lernen
konnte. Durch seinen Assistenten Dr. Riegler wurde
ich mit der Anwendung des Cuprum sulfuricum , das bei
Fischer nie gebraucht worden war, bekannt und zuerst
auf M ü 11 e r ' s Physiologie des Gesichtssinnes aufmerksam
gemacht.
Ich muss nun Einiges aus der fröhlichsten (?) Zeit
meiner Jugend nachholen. Als ich Mediziner im 2. Jahre
war, lernte ich die Schwester eines Mitschülers, ein bild-
schönes Mädchen von 15 Jahren, kennen. Sie war die
Tochter eines Landschullehrers und die Nichte eines
Prager Domherrn, der sie mit ihrem Bruder zur weiteren
Ausbildung in sein Haus genommen hatte. Ich nahm
mich um sie ernstlich an, verfasste für sie passende
Auszüge aus Geographie, Geschichte, Aesthetik und
arrangirte gesellige Ausflüge in die Umgebung der Stadt,
auch ein Studentenkränzchen. Aber indem sie dabei
31
auch mit Freunden und Mitschülern von mir in Berührung
trat, musste ich wahrnehmen, dass sie einem Anderen,
der das Courmachen besser verstand, vor mir den Vorzug
gab. Ich war zu stolz, eifersüchtig zu sein, und zog
mich zurück. Der schöne Bursch war flatterhaft, und
nach einigen Jahren wurde sie die Frau eines Mannes,
der sie roh behandelte. Unvergesslich bleibt mir der
Moment, als ich das schöne zarte Geschöpf, nachdem
ich bereits Assistent war und einem fremden Arzte die
Heilanstalten Prags zeigte, in einem Zimmer der
Irrenanstalt (unter den Kranken) wiedersah. Entsetzt
durch den unvermutheten Anblick eilte ich rasch davon
und — sah sie nie wieder.
Als ich in den Ferien nach dem 2. Jahre in meine
Heimat gehen wollte, hielt ich mich früher inLeitmeritz
auf, meine ehemaligen Wohlthäter zu besuchen, darunter
auch die Familie Dittrich. Diese war in tiefer Trauer.
Der einzige Sohn, ein hoffnungsvoller Jüngling von
26 Jahren, war vor Kurzem an Tuberculosis gestorben,
und die einzige Tochter hatte sich von einem schweren
Leiden kaum erholt. Inniges Mitleid fesselte mich an
das Haus, und ich blieb einige Tage dort, Mutter und
Tochter zu trösten, aufzuheitern. Erst jetzt lernte ich
die Tochter, welche früher lange nicht im Hause gewesen
war, näher kennen; erst jetzt lernte ich in ihr ein weib-
liches Wesen kennen, welches meinem Ideale einer Frau
in vielen Beziehungen entsprach, und bald tauchte in
mir der Wunsch auf, auch ihr Gelegenheit zu geben,
32
mich näher kennen zu lernen. Ich erhielt die Erlaub-
niss, mit ihr von Prag aus in Correspondenz zu treten.
Schon zu Pfingsten des nächsten Jahres, als Marie mit
einer Freundin nach Prag kam, Einkäufe zu machen,
kam es zu gegenseitiger Erklärung, dass wir einander
angehören wollen, bis^ ich einmal eine selbständige
Stellung erlangt haben würde. Der tiefbesorgte Vater,
dem die Tochter ihre Neigung zu mir nicht verhehlt
hatte, schrieb mir einen sehr ernsten Brief, gab dann
aber doch seine Einwilligung zu unserem Verhältnisse.
Und so blieb ich denn durch mehr als 5 Jahre erklärter
Bräutigam. Doch noch vor unserer Verehelichung traf
den guten Doktor noch ein harter Schlag; er erblindete
am grauen Staare. Eben als ich Augenheilkunde hörte,
wurde er von Professor Fischer operirt, mit gutem Er-
folge, doch in seinem Berufe merklich behindert. Da ich
mich während seiner Behandlung im Spitale zu Prag
seiner Pflege aufs wärmste annahm, lernte Fischer mich
näher kennen, und gelangte er überdies zur Kenntniss
meines Verhältnisses und meines Planes, mich einstens
als praktischer Arzt in Leitmeritz niederzulassen.
In dieser mir zur zweiten Heimat gewordenen Stadt
gedachte ich dem Ideale, das ich mir von dem ärztlichen
Berufe entworfen hatte, nachzustreben. An unseren ver-
schiedenen Lehrern hatten wir Studenten herausgefunden,
dass wohl gründliche Kenntnisse, noch mehr aber Huma-
nität und Pflichtgefühl, erforderlich seien, diesem Berufe
gerecht zu werden. Eine Zahl Gleichgesinnter wählte
33
den Wahlspruch: »Primum humanitas, alterum scientia«.
Die echten Jünger der Kunst gehen nicht auf den Erwerb
aus, der kommt nebenbei von selbst; ihr Ziel ist Helfen
durch Wissen und Talent und, wo diese nicht ausreichen,
durch aufrichtige Theilnahme an dem Loose der Hilfs-
bedürftigen. »Miserrima res est- medici, cui semper bene
est, quando aliis male« hatten wir in Friedrich Hof-
mann 's medicus politicus gelesen. — Zunächst musste ich
also auf weitere Ausbildung, als sie der Schulbesuch geben
konnte, bedacht sein, daher eine Anstellung im Spitale
anstreben. ÜJicse Ueberzeugung setzte ich dem Wunsche
von mir und meiner Braut entgegen, bevor ich noch die
Assistentenstelle erlangte. — Als Mediziner war ich sehr
heiter und gesellig, besonders für Musik (Gesang) ein-
genommen. Das Leben der Studenten war damals in
Prag überhaupt in sozialer Beziehung ein sehr angenehmes;
nur eine verschwindend kleine Anzahl von extrem national-
czechischer Tendenz hielt sich von unseren zumeist durch
Gesang und Scherz gewürzten Unterhaltungen (besonders
Ausflügen in die Umgebung) entfernt ; ob czechischer oder
deutscher Abkunft, darnach fragten wir nicht. So blieb
es auch bis zum Jahre 1848, das eine tiefe Kluft zwischen
den Nationen eröffnete.
Arlt, Meine Erlebnisse.
VI.
DIE ERSTEN ZEHN JAHRE ARZT-
LICHER THATIGKEIT.
^J^Lch dem Antritte der Assistentenstelle bei Professor
1 Fischer*) (am 5. April 1840J war ich zunächst
bestrebt, den Anforderungen meines Lehrers zu ent-
sprechen. Ich gewann sehr bald sein volles Vertrauen,
und schon Mitte Mai rief er mich zu einer Staaroperation
vor. Es war das eine Discissio capsulae per keratonj-xin
nach Fr. Jäger bei einem 17jährigen Mädchen. — In
Prag bestand seit Fischer 's Thätigkeit eine Stiftung, ver-
möge welcher jährlich 2 mal, am 16. Mai (dem Johannes-
feste) und anfangs Juli, je 16 arme Blinde, meistens Staar-
kranke, aufgenommen, operirt und durch circa 5 Wochen
verpflegt werden konnten. Die Nachbehandlung y^in dem
•; J.jhann Nep. Fischer, 1777 zu Runiburg j^eboren, haUe
Mcdi/in in Wien studirt und dann durch zwei Jahre unter lieer sich
besonders mit Augenheilkunde befasst. Er war i8lo nach Prag ge-
gangen, 1814 ständischer Augenarzt, 1S20 Professor der Augenheilkunde
geworden.
35
•
am Hradschin gelegenen Blindenerziehungsinstitute *), mehr
als */2 Stunde vom Krankenhause entfernt) und später
auch öfters einzelne Operationen wurden mir übertragen.
Die Gelegenheit, viel zu lernen, und das Pflichtgefühl zu
meinem Lehrer Hessen mich die Mühe nicht empfinden.
Da trat im Juli abermals ein glücklicher Zufall an
mich heran. Ein Arzt aus Berlin brachte die Instrumente
mit nach Prag, mit welchen Dieffenbach im Herbste
vorher die Schieloperation inaugurirt hatte. Alsbald
ging ich daran, diese neue Operation zu cultiviren, und
die glücklichen Erfolge, welche ich damit erreicht hatte,
verschafften mir bald einen guten Klang in der Stadt.
Ein günstiges Resultat bei der Tochter eines in der
ganzen Stadt sehr bekannten Magistratsrathes führte
mich bald in besser situirte Familien ein.
Zunächst wurde ich zu einem alten adeligen Fräu-
lein gerufen, welches seit einigen Jahren am grauen Staare
erblindet war. Die Blinde sass an einem grossen Tische
in einem Lehnsessel, als ich ihre Augen untersuchte.
Ich erklärte den Staar für geeignet zur Operation und
bezeichnete die Extraktion als die Methode, welche ich
vornehmen würde. Letzteres entschied für mich, denn
die Verwandten hatten, wie wir später sehen werden,
Furcht vor der Reklination. Es wurde beschlossen, die
Kranke solle in einem Separatzimmer des Krankenhauses
*) Die Lehrer und Haushälter in diesem Institute waren die
Eltern des jetzt zu Wien in angesehener Stellung lebenden Freiherrn
von Bezecny.
j
3^
aufgenommen und dort von mir operirt werden. Aber
wie erstaunt war ich, als ich zur Operation in das Zimmer
trat und die Kranke mit verkrüppelten Unterextremitäten
vor mir auf einem Stuhle sitzen sah. Ich hatte die
Extraktion noch nie anders als in sitzender Stellung des
Patienten vornehmen gesehen und wusste auch nicht,
dass sie jemals in anderer Lage vorgenommen worden
wäre. Wie sollte ich nun diese corpulente Person nach
vollendeter Operation zu Bette bringen? Da kam mir
der glückliche Einfall : ich bringe die Kranke erst in's
Bett und operire sie in der Lage, in der sie nachher
bleiben kann. Und das Schicksal war mir günstig; sie
wurde auf beiden Augen sehend*).
Nicht lange darauf wurde ich angegangen, den ob-
genannten Magistratsrath an Cataracta zu operiren. Der-
selbe war 2 Jahre vorher von dem ständischen Augen-
arzte Dr. Ryba auf dem linken .Auge durch Reklination
mit Erfolg operirt worden, aber bald wieder erblindet,
ich meinte damals, in Folge ungünstiger häuslicher Ver-
hältnisse. Er hatte 1 1 Kinder , und sein Loos erregte
allgemeine Theilnahme. In Erwägung der Wichtigkeit
•) Erst viele Jahre später erfuhr ich , dass man in England die
Kranken im Bette zu operiren pflegte, um auch das rechte Auge mit
der rechten Hand operiren zu können. Im Herbste 1844, wo ich den
Professor F i s c h e r während der Ferien im Krankenhause supplirte, operirte
ich einige Kranke , bei denen Glaskörperverlust in Aussicht stand , im
I^ette, und als ich dann die Professur versah, wählte ich diesen Vorgang
nach und nach für alle Fälle, und zwar nicht bloss behufs der Extraktion,
sondern auch für die Iridektomie.
37
der vorliegenden Aufgabe (der Entscheidung für meine
Zukunft) machte ich mir zur Bedingung, dass Patient in
einem Zimmer ausserhalb seiner Wohnung operirt und
durch 8 Tage mir und einer gut geschulten Wärterin
allein überlassen werde; nebstdem ersuchte ich Professor
Fischer, der Operation als Zeuge beizuwohnen. Ich
reussirte vollkommen; das Resultat war ein ganz be-
sonders günstiges und blieb es (viele Jahre) bis zu seinem
Tode. — So bekam ich bald eine hübsche Praxis und
fasste den Entschluss, mich in Prag zu etabliren. Am
6. April 1842 eilte ich nach Leitmeritz, wo indess — im
Herbste vorher — Dr. Dittrich gestorben war, und ver-
ehelichte mich (am 7. April) mit meiner Braut, die mir
erst einige Wochen später nach Prag folgen konnte. —
Nach einigen Jahren glücklicher Ehe und hinreichender
Praxis brachte ich meine Mutter dazu , uns zu besuchen.
Nun war sie mit der^Aenderung meiner Standeswahl aus-
gesöhnt, kehrte aber doch bald wieder in die Heimat
zurück, wo mittlerweile der jüngste Sohn geheiratet und
die Schmiede sammt der Wirthschaft übernommen hatte.
Sie endete ihr sorgen- und mühevolles Leben im 72. Jahre
(Mai 1845).
Ich sah aber bald ein, dass mich die augenärztliche
Praxis kaum ernähren würde, da ja nebst Prof. Fischer
auch der von den böhmischen Landständen (mit 800 fl.)
angestellte, sehr tüchtige und vielbeschäftigte Augenarzt
Dr. Ryba existirte. Ich schloss mich zunächst an meinen
Freund Jaksch, welcher als Privatarzt bereits eine grosse
38
Clientel hatte, als Privatassistent und Substitut an ; durch
ihn, später auch durch Oppolz er, erlangte ich allmälig
eine recht anständige interne Praxis, welche ich auch,
wenigstens theilweise, bis zu meinem Abgange nach Wien
behielt. Um mich zugleich für eine Anstellung im öffent-
lichen Sanitätsdienste zu qualifiziren, trat ich Ende 1842
beim Kaurimer Kreisphysikate als Praktikant ein, doch
nur für einige Jahre, da mir dieser mehr bureaukratische
Dienst durchaus nicht zusagte.
Mein Verhältniss zu Professor Fischer blieb ein
ungetrübt freundliches. Als im Frühjahre 1844 sein Assi-
stent (mein Nachfolger) binnen wenigen Tagen einer
Perityphlitis erlegen war, und der als dessen Nachfolger
designirte Dr. Hasner von Art ha ihm noch nicht genug
vorgebildet zu sein schien, übertrug mir Fischer während
der Ferien die Besorgung der mit der Klinik verbundenen
Abtheilung unter der Weisung, dem angehenden Assi-
stenten mit Rath und That beizustehen. Im Jahre 1846
war Fischer wiederholt leidend (an Nierensteinen) und
erfuhr durch Freunde in Wien, dass von Prag aus die
Idee seiner Pensionirung angeregt worden war. Darauf-
hin fasste er den Entschluss, von einem damaligen Pro-
fessorenrechte Gebrauch zu machen, sich zu seiner Er-
holung ein Jahr Urlaub zu erbitten und fiir diese Zeit
sich einen Stellvertreter zu wählen. Die Wahl fiel auf
mich. Demnach wurde ich für das Schuljahr 1846/7 mit
der Supplirung der Lehrkanzel und der damit verbun-
denen Abtheilung betraut. Hiemit fiel mir auch die
39
Besorgung der Stiftung im Hradschiner Blindeninstitute
zu, die ich dann bis zu meiner Uebersetzung nach Wien
behielt. Zu Anfang des Studienjahres 1847/8 trat Fischer
sein Lehramt wieder an, doch nur für einige Wochen;
er erlag schon am 17. Oktober 1847 seinen schweren
Leiden (starb an Urämie). Während der Krankheit und
nach dem Tode Fischers wurde ich wieder mit der
Supplirung betraut, welche ich nun bis zur Besetzung der
Lehrkanzel (September 1849) behielt.
Vom Jahre 1842 an hatte ich wohl interne, zum
Theil auch chirurgische Praxis betrieben, war aber doch
mit Vorliebe der Augenheilkunde zugethan. Erst in der
Privatpraxis erkannte ich die zahlreichen Lücken meines
Wissens und suchte sie durch sorgfältige Beobachtung,
Nachlesen und, so oft es möglich war, durch anatomische
Untersuchungen auszufüllen. Meine Lieblingsautoren für
Augenheilkunde waren: Fischer*s klinischer Unterricht
(Prag 1832), Beer's Leitfaden (Wien 1813— 1817) und
Mackenzie's praktische Abhandlung (übersetzt in W e i m a r
1832).
Mikroskopie kannten wir damals in Prag fast nur
dem Namen nach, und über Fragen der Physiologie
konnte man höchstens in Büchern einigen Aufschluss
finden. Meine Kenntnisse aus der Optik beschränkten
sich fast nur auf das, was ich aus den Vorträgen über
Physik am Lyceum gelernt hatte. Die Bestimmung der
Augengläser wurde damals von den Augenärzten all-
gemein den Optikern oder Brillenhändlern überlassen;
40
weder an der Prager noch an den Wiener Kliniken ^1840^
hatte ich eine Sammlung von Probegläsem gesehen; ich
musste im Jahre 1843 eigens nach Wien reisen, um mir
eine solche Sammlung von einem verlässlichen Optiker
^FlössT zu verschaffen. Um ein brauchbares Mittel
zur Beurtheilung der Sehkraft Sehschärfe^, deren Zu-
oder Abnahme während der Behandlung zu gewinnen,
stellte ich mir eine Sammlung von Drucksorten ver-
schiedener Grösse zusammen, welche ich nach der Höhe
der Buchstaben, in Linien gemessen, stufenweise ordnete,
wobei ich indess der Entfernung der Objekte vom Auge
nicht die nöthige Rechnung trug, indem ich meistens nur
bei der gewöhnlichen Sehweite zum Lesen (10 Zoir ur-
theilte. Dieser Vorgang von mir wird ersichtlich aus
meinem Aufsatze >über Amblyopie t in der Prager Viertel-
jahrschrift 1844, IV. B. p. 58. Eduard Jäger hat das
Verdienst, durch correcte Schriftskalen aus der Staats-
druckerei in Wien allen Aerzten ein gleiches Maass zur
Beurtheilung der Sehschärfe geliefert zu haben in seiner
Schrift über -Staar und Staaroperationen< 1S54. bis
endlich S n e 1 1 e n unter D o n d e r s Anleitung das Problem
der Sehschärfebestimmung von streng wissenschaftlichem
Standpunkte aus löste.
Nachdem ich noch als Assistent meine Erfahrungen
über die Schieloperation in den österr. mediz. Jahr-
büchern (Jänner — März 1842)*) veröffentlicht hatte, über-
*; Ich kam zu dem Schlüsse, dass man bei st&rkerer Ablenkung
die Muskeldurchschneidung auf beiden Augen machen solle.
41
nahm ich 1844 die Bearbeitung der Analekten (Bericht
über die Leistungen in der Augenheilkunde) in der
Prager medizinischen Vierteljahrschrift und Hess dann
unter der Aufschrift: »casuistische Bemerkungen über
einige Augenkrankheiten« eine Reihe eigener Arbeiten
folgen, welche zunächst die Aufmerksamkeit von Fach-
genossen auf mich lenkten*).
Im Jahre 1846 publizirte ich »die Pflege der Augen
im gesunden und kranken Zustande« (bei Borrosch et
Andr6), welche inCunier's Annales d^oculistique (T.XVII.
p. 92) als ein Muster populärer Schriften bezeichnet
wurde. Das Hauptverdienst dieser Arbeit liegt meines
Erachtens in dem Anhange: »über Augengläser«, in
welchem ich sagte: »Die Aerzte, besonders jene, welche
sich die Augenheilkunde zum besonderen Fache erwählt
haben, werden sich in Zukunft gewiss mehr Kenntnisse
über die Augengläser und deren Gebrauch aneignen und
nicht jeden, der einer Brille bedarf, kurzweg an den
ersten besten Optikus weisen. Sie werden sich mit den
nöthigen Mustergläsern von verlässlichen Optikern ver-
•) Ueber Hordeolum, über Entzündung der Drüsen an der Basis
der Wimpern, über Entzündung der Maibomschen Drüsen und über
Homhautstaphylom im II. Bande, über Amblyopie im V., Trichiasis
und Entropium im VII., Flügelfell im VIII. Bande. Später folgten:
Physiologische und pathologisch-anatomische Bemerkungen über die
Bindehaut (XII. B.), zur pathologischen Anatomie des Auges (XIV. B.),
über Trachom (XVIII. B.). Ein Artikel über *die Entstehung des
Centralkapselstaares« erschien 1845 *™ ^^' "^^ "• ^^^^^^ <ier österr.
medizin. Wochenschrift.
42
sehen, nicht nur die Frage, ob ein Glas nöthig sei,
selbst erörtern , sondern auch mit Hülfe der Mustergläser
die Brennweite des zu wählenden Glases bestimmen und
den Brillenbedürftigen mit der gehörigen Anweisung an
den Optiker wie mit einem Rezepte an den Apotheker
adressiren.« — Eine umgearbeitete Auflage erschien
1865 bei Credner in Prag. Diese bringt auch eine
Abbildung von der relativen Lage der Augen in der
Orbita, welche ich nach zahlreichen Durchschnitten hart
gefrorener Köpfe, womit ich mich in Wien durch
mehrere Jahre beschäftigt hatte , von E 1 f i n g e r anfer-
tigen Hess.
Der letzte Aufsatz in der Prager Vierteljahrschrift
(XXII. B.) lüber die Eintheilung und Benennung der
Augenentzündungen« markirte bereits den Standpunkt,
welchen ich in meiner Lehrthätigkeit eingeschlagen und
festgehalten habe ; er wurde bekanntlich von den meisten
späteren Auktoren nicht acceptirt. Ich komme noch
darauf zu sprechen.
In die Zeit meiner privatärztlichen Thätigkeit fallt
auch die Bemühung, Ohrenheilkunde zu studiren und
mich als Dozent dieses Faches zu habilitiren. Anfang
Jänner 1844 wurde mir gestattet, Ohrenkranke auf die
Abtheilungszimmer des Prof Fischer aufzunehmen und
auch das Taubstummeninstitut zu meinen Vorträgen zu
benutzen. Obwohl ich mich sehr viel mit Anfertigung
anatomischer Präparate (physiologischer und patholo-
gischer) befasst hatte, vermochte ich doch nicht, in diesem
43
Fache etwas Erwähnenswerthes zu leisten. Dennoch freue
ich mich, hier bemerken zu können, dass einer der ersten
Ohrenärzte unserer Zeit, Professor v. Tröltsch, seinen
ersten Unterricht in diesem Fache bei mir erhalten hat,
als er mich zunächst bei meinen Vorträgen über Augen-
heilkunde kennen gelernt hatte. Prag war die erste
Universität in Oesterreich, an welcher ein besonderes
Collegium über Ohrenheilkunde abgehalten wurde.
Meine Habilitation fiir pathologische Anatomie des
Auges erfolgte erst am 9. April 1847, nachdem ich eine
ansehnliche Sammlung pathologischer Präparate im All-
gemeinen Krankenhause aufgestapelt hatte. Die Fertig-
keit im Mikroskopiren mir anzueignen, dazu fehlte mir
anfangs die nöthige Anleitung, später die erforderliche
Zeit; ich habe es in diesem Fache wenigstens nie zu
selbständiger Forschung bringen können, wie hoch ich
auch deren Werth anschlug. Es gab indess zu jener
Zeit noch sehr viel fiir die makroskopische Anatomie des
Auges zu thun, z. B. über die Lage der Linse zu den
Ciliarfortsätzen , über die Existenz einer hinteren Augen-
kammer, über die relative Lage der Cornea zur Iris u. s. w.
Manches darauf Bezügliche habe ich dann, theils in
meinem Lehrbuche, theils in Graefe's Archiv, veröffentlicht.
VII.
MEINE THÄTIGKEIT ALS LEHRER
AN DER UNIVERSITÄT.
a. IN PRAG.
Rechne ich die 3 Jahre der Supplentur (Herbst 1846
bis Herbst 1849) dazu, so umfasst dieselbe einen
Zeitraum von 37 Jahren (bis Herbst 1883).
Bald nach der Einführung der naturhistorischen
Methode in dem Studium der medizinischen Wissenschaft
entwickelte sich in Prag ein überraschender Aufschwung
in allen Fächern. Die Anatomie, nach 1 1 g eine Zeitlang
von dem verdienstvollen Bochdalek supplirt, hatte in
Hyrtl einen glänzenden Vertreter gefunden, und die
Physiologie war dem talentvollen Patruban anvertraut;
die Chemie erhielt unter Redte nbac her, einem Schüler
Liebigs, eine ganz andere Richtung. In den klinischen
Fächern zogen Oppolzer, Jaksch, Pitha und
Kiwi seh bald die Aufmerksamkeit der Fachgenossen
des In- und Auslandes auf sich, während die pathologische
Anatomie, einige Zeit durch Bochdalek supplirt, dann
45
durch Rokitansky's früheren Assistenten Dlauhy
vertreten, besonders durch Dittrich, welcher dann als
Kliniker nach Erlangen berufen wurde, viele Fremde
nach Prag zog. Erst unter Dittrich und seinem aus
Zürich berufenen Nachfolger Engel (ehemaligen Assi-
stenten Rokitansky's) wurde die Mikroskopie mehr
und mehr cultivirt.
Als ich supplirte, strömten bereits zahlreiche junge
Aerzte aus aller Herren Ländern an die verjüngte gast-
freundliche Universität, sich mit den Fortschritten unserer
Wissenschaft bekannt und vertraut zu machen. Somit
fehlte es denn auch bei meinen Vorträgen, Demonstra-
tionen und Operationen nicht an wissbegierigen und streb-
samen Zuhörern aus dem Auslande. Viele jetzt rühmlichst
bekannte Aerzte, besonders Ophthalmologen, kennen mich
aus der Zeit von 1847 bis 1856 in Prag, z.B. Coccius,
Jakobson, Rothmund, Manz, Hiss, Strube,
Wecker, Moos, Bänziger. Im Herbste 1848 kam
auch der eben zum Doktor promovirte, 20 Jahre alte
Albrecht von Graefe nach Prag, besuchte unter
anderen auch meine Klinik und nahm einen Privatkurs
bei meinem Assistenten Dr. Pilz. Dass er sich in Prag
entschied, nicht das Hauptfach seines berühmten Vaters,
sondern Augenheilkunde zu seinem speziellen Studium
zu wählen, ist aus seiner Biographie (von Dr. Michaelis)
und aus Göschen's Nekrolog (deutsche Klinik Nr. 32,
August 1870) bekannt. Ich hatte ihm indess kaum mehr
Aufmerksamkeit geschenkt, als den übrigen Hospitanten.
46
Näher mit ihm bekannt wurde ich erst im Herbste 1850.
Er war von Prag nach Wien gegangen und hatte dort
nächst V. Skoda und Rokitansky besonders Fried-
rich Jäger besucht, und dann lange Zeit in Paris,
besonders bei Bernard, Sichel und Desmarres,
schliesslich in London, besonders bei Bowman, wo
er Donders kennen lernte, zugebracht. Als ich nun
meine ersten Ferien als wirklicher Professor zu einer
Reise in das Salzkammergut benutzte, traf ich ihn mit
seinem steten Begleiter Schuft (nachmals Dr. Wald au)
auf dem Schafberge , auf der Rückreise nach Wien be-
griffen. Da ich gleichfalls über Wien nach Prag zu-
rückkehren wollte, gaben wir uns ein Rendez-vous dahin,
wo er mir mehr über Paris und London mitzutheilen
versprach. Erst in Wien wurden wir näher mit einander
bekannt, und ich übergab ihm ein Manuskript :&über die
Krankheiten der Bindehaut«, welches ich mit mir
genommen hatte, um es meinem Studiengenossen und
Freunde, Dr. Gulz, emeritirtem Assistenten von Professor
Rosas, zur Beurtheilung vorzulegen.
Ich hatte nämlich in P r a g den Plan gefasst, einzelne
Kapitel der Augenheilkunde monographisch zu bearbeiten
und drucken zu lassen. Aber der in Aussicht genommene
Verleger (Crcdner) meinte, es sei besser, da ich doch
einige Kapitel bereits bearbeitet habe, nicht Mono-
graphien, sondern ein Lehrbuch in Lieferungen heraus-
zugeben, und ich, nicht ahnend die Schwierigkeiten, mit
welchen ein so weit ausgreifendes Unternehmen ver-
47
bunden sein werde, bin darauf eingegangen. Diejenigen,
welche mein Buch kennen, das in der Zeit von 185 1 bis
1856 erschienen ist, werden nun den Grund der ungleich-
artigen Abfassung der einzelnen Abschnitte begreifen,
und sie können die Schwierigkeiten, welche sich allmälig
aufthürmten , wohl ermessen, wenn sie erwägen, welch'
colossalen Umschwung zu dieser Zeit die Augenheilkunde,
besonders durch die Erfindung des Augenspiegels durch
Helmholtz (Herbst 1851), erfahren hat.
Graefe kam nach kurzem Aufenthalte in Wien 1
(Herbst 1850) zu mir nach Prag und blieb daselbst bis
Pfingsten 1851. Er cultivirte vorzugsweise Augenheil-
kunde und experimentirte unter Assistenz von Schuft
viel an Kaninchen. Nebst mir wurde er besonders mit
Jaksch befreundet, welcher seit 1842 Dozent (für Brust-
krankheiten), seit 1849 Professor der medizinischen Klinik
(nach Oppolzer) war.
Ich will nun nachtragen, wie es kam, dass ich die
Professur in Prag erhielt. Als ich zur Supplirung der
Lehrkanzel berufen wurde, dachte ich nicht an den
bleibenden Rücktritt Fischer 's; als aber Anfang 1847
Dr. Hasner sein Buch: »Entwurf einer anatomischen
Begründung der Augenkrankheiten« hatte erscheinen
lassen, wurde bald klar, dass allen Ernstes an eine
Personenänderung für diese Lehrkanzel gedacht wurde,
und dass Hasner in Aussicht genommen war.
Vier Monate nach Fischer' s Tode wurde gemäss
der damaligen Studienordnung der Concurs für die Be-
48
Setzung dieses Lehramtes ausgeschrieben. Da mir gesagt
worden war, zur Bewerbung um die Professur sei das
Magisterium ophthalmologiae wichtig, und da mich der
Studiendirektor Nadherny zu dieser Prüfung in Prag
nicht zuliess, »weil hier jetzt kein Professor der Augen-
heilkunde vorhanden sei« — was nach den Gesetzen gar
nicht nöthig war — , ging ich Mitte Jänner 1848 zur Ab-
legung dieser Prüfung nach Wien, wo mich Professor
Rosas näher kennen lernte.
Am 3. März 1848 waren es Dr. Pilz, Dr. Hasner
und ich, welche sich unter Clausur der schriftlichen Be-
antwortung der aus Wien von der Studienhofkommission
versiegelt eingelangten Fragen (Iritis, Myodesopsie) unter-
zogen. Einige Tage darauf hatte jeder der Bewerber in
Gegenwart des Professorencollegiums unter Vorsitz des
Studiendirektors eine Operation (Extraktion am Cadaver)
vorzunehmen und einen mündlichen Vortrag darüber zu
halten. Die versiegelten schriftlichen Elaborate gingen
nach Wien an die Unterrichtsbehörde, von welcher sie
Fachmännern zur Begutachtung vorgelegt wurden ; über
das Ergebniss des mündlichen Konkurses gab die Prü-
fungskommission in loco ihr Votum ab. Von 16 Votanten
hatten 14 mich I. loco gesetzt; nur der Studiendirektor
Nadherny und der greise Geburtshelfer Jungmann
hatten ein Separatvotum zu Gunsten Hasner 's ab-
gegeben. Das Urtheil über die schriftlichen Arbeiten ist
mir nicht bekannt geworden. — Dann kamen die poli-
tischen Erschütterungen Mitte März in Wien, zu Pfingsten
49
in Prag; das soziale Leben war hier höchst unerquick-
lich geworden. Professor Oppolzer gab seine Stellung
in Prag auf und folgte dem Rufe nach Leipzig.
In Wien kam das Unterrichtswesen mit fundamen-
talen Abänderungen in die Hände des Grafen Leo
Thun, eines der aufgeklärtesten Cavaliere Böhmens,
welcher mich persönlich kannte. Ein Jahr banger Er-
wartung war seit dem Konkurse verflossen, und die in
Prag circulirenden Gerüchte bezüglich der Besetzung
lauteten für mich wenig ermunternd. Da trat ganz
unerwartet wieder ein fiir mich glücklicher Zufall ein;
ich erhielt Mitte März einen vom 12. datirten Brief von
Oppolzer aus Leipzig: »Heute haben wir in der
Fakultätssitzung beschlossen, Dich als Professor nach
Leipzig zu berufen. Die Sache geht dieser Tage an
das Ministerium, von wo aus bald die Bedingungen mit
Dir verhandelt werden dürften.« Das war Balsam für
mein wundes Herz. Anerkennung vom Auslande! —
Ritterich, an Glaukoma nahezu erblindet, hatte die
herrliche Privataugenheilanstalt (mit 26 Betten), an welcher
er dozirte, mit Einwilligung der Mitbegründer dem Staate
zur Verfügung gestellt, mit dem Wunsche, dass fortan
eine systemisirte Lehrkanzel für Augenheilkunde (die
erste in Deutschland) errichtet werde. Sein Assistent war
Coccius*).
•) Näheres über die Anstalt Ritterichs findet sich in der von
Coccius 1870 herausgegebenen Erinnerungsschrift: Die Heilanstalt für
arme Augenkranke.
Arlt, Meine Erlebnisse. 4
• • •
• •• ••
• • • • •
• « • • • a
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• • • ••• ••• • • %%• ••
50
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war Augen-
heilkunde von eigentlichen Aerzten im Allgemeinen —
einige Franzosen ausgenommen — sehr wenig kultivirt
worden; die Augenkranken waren grosgentheils Kur-
pfuschern oder den von Markt zu Markt herumziehenden
Staarstechern überantwortet*). Auch später, nachdem
bereits an den Universitäten Vorträge über Augenkrank-
heiten gehalten wurden, geschah dies nur von Professoren,
deren eigentliches Fach Anatomie oder Chirurgie war.
Eine Wendung zum Besseren trat zunächst in Oester-
reich ein.
Als zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia eine
ihrer Hofdamen (Gräfin Tarouca) allmälig erblindet
war, und von den Wiener Aerzten einige die Krankheit
für schwarzen, andere für grauen (operirbaren) Staar
hielten, Hess die grosse, um das Wohl ihrer Unterthanen
mütterlich besorgte. Regentin den damals mit Recht be-
rühmten französischen Augenarzt Wenzel nach Wien
kommen und gewann ihn dann dafür, dass er einigen
talentirten jungen Aerzten in der Augenheilkunde, nament-
lich im Operiren, Unterricht ertheilte. Diese waren: der
geniale Barth, Professor der Anatomie und Physiologie,
Prochazka, der dann die gleiche Stellung in Prag
einnahm, und Hunczowsky, der später in Russland (an
Leichenvergiftung) starb.
*) Vergl. 1> a r t i s c h Ophthalmodouleia (Aiigendienst) , Dresden
IS83.
51
Barth, welcher bereits sehr schöne Injektions-
präparate anfertigte und für dieselben einen geeigneten
Zeichner suchte, fand diesen in dem Studiosus Joseph
Georg Beer (geb. 1763, gest. 1820), dem Sohne eines
subalternen Beamten, welcher sich von da an dem Stu-
dium der Medizin, dann der Augenheilkunde widmete
und bei Barth, welcher alle Frühjahre eine Anzahl
behördlich einberufener armer Staarblinder zu operiren
verpflichtet war, Assistenzdienste leistete, schliesslich aber
sich auf eigene Füsse stellte. Schon im Jahre 1792
erschienen von Beer zwei Bände »Lehre von den
Augenkrankheiten € , welche nicht nur von Kenntniss der
damaligen Literatur, sondern auch durch naturgetreue
colorirte Abbildungen von scharfer Beobachtung Zeug-
niss geben. In seinem bald darauf erschienenen »Reper-
torium« waren fast alle bis Ende 1797 erschienenen
Schriften über die Augenkrankheiten angeführt. Beer,
ein Zeitgenosse des grossen Chirurgen Richter in
Göttingen (1742 — 1812), von dem er offenbar viel
angenommen, und des am Josephinum angestellten
Adam Schmidt, verbesserte die von Daviel 1748
in Marseille erfundene Ausziehung des grauen Staares
bald in einer Weise, dass diese Methode bis auf unsere
Tage die Beer'sche, wohl auch die klassische genannt
wurde. Beer war früher Anatom, bevor er Okulist
wurde. Sein im Hörsaale der Wiener Augenklinik auf-
bewahrtes Portrait (Oelgemälde) stellt ihn auch — be-
zeichnend — mit einem Schädel in der Hand dar. Zu
4^
52
ihm, der privat dozirte, strömten bald Lernbegierige aus
ganz Europa, und die meisten der als Ophthalmologen
berühmt gewordenen Aerzte unseres Jahrhunderts ge-
hörten der Beer'schen Schule an (Benedict in Bres-
lau, Chelius in Heidelberg, Fabini in Pest,
Fischer in Prag, Flarer in Pavia, Fr. Jäger in
Wien (Schwiegersohn Beer's, später Professor amjose-
phinum), Jüngken in Berlin, Lerche in Peters-
burg, Mackenzie in Glasgow, Piringer in Graz,
Ritterich in Leipzig, Rosas in Wien (Beer's
Nachfolger), Philipp von Walther in Landshut,
Well er in Dresden). Erst im Jahre 1812 wurde Beer
zum ausserordentlichen Professor für Augenheilkunde
ernannt, und im Jahre 1818 wurde an allen Universitäten
Oesterreichs eine ordentliche Professur für Augenheilkunde
errichtet, somit der Unterricht in diesem Zweige für alle
Doktoren der Medizin obligatorisch. In analoger Weise
ist man circa 20 Jahre später mit der pathologischen
Anatomie unter Rokitansky vorgegangen*).
•) Ich habe in dem genannten, schon von Beer und Rosas be-
nutzten , Hörsaale die Portraite von diesen beiden und von Professor
Flarer vorgefunden und das des Professors Fischer dazugeftigt; es
ist mir auch gelungen, ein Bild von Adam Schmidt für diese Galerie
zu acquiriren. Lithographien von Barth, einmal den jungen Mann,
einmal den Greis darstellend, so wie von anderen berühmten Zeitgenossen
(Himly, CarlGraefe, Mackenzie etc.) verdankt die Anstalt sammt
dem Grundstocke zu einer Bibliothek, von mir dann fortgeführt, gleich-
falls dem gelehrten Professor R o s a s. Im Inventar dieser Klinik, welche
nach mir an Professor Stell wag von Carion überging, finden sich
auch kostbare Handzeichnungen von Beer, anatomische und patho-
53
Als mir Ende Juli die mich vollkommen befriedigen-
den Bedingungen des sächsischen Ministeriums bekannt
gegeben waren, und ich dieselben meinen Freunden
(Professor Jak seh, Apotheker von Helly, Irrenhaus-
direktor Riedl) kundgab, riethen mir dieselben, vor
dem definitiven Entschlüsse erst noch nach Wien zum
Grafen Thun zu gehen, um zu erfahren, welche Hoffnung
ich für Prag habe. Trotz der freundlichen Aufnahme
sagte mir der Minister doch, die Berichte von Prag
seien so beschaffen, dass er noch keinen entscheidenden
Ausspruch thun könne; ich möchte wenigstens noch
8 Tage warten, ehe ich meine Zusage an das sächsische
Ministerium abgehen lasse. (Nachträglich erfuhr ich, dass
er indess das Gutachten einiger Fachmänner über Hasner
und mich abwartete.) Als ich, nach Prag zurück-
gekehrt, mehr als 8 Tage vergebens gewartet hatte,
schrieb ich am ii. meine Zusage nach Dresden und
setzte zugleich den Grafen Thun hievon in Kenntniss.
Schon nach 3 Tagep erhielt ich von diesem den Bescheid,
er habe meine Ernennung bereits Seiner Majestät zur
Genehmigung vorgelegt, ich möchte die Verbindung mit
Dresden womöglich lös^n. Da ich mittlerweile erfahren
hatte, dass Oppolzer die Berufung nach Wien an-
genommen, entschloss ich mich, nach Dresden zu reisen,
logische Präparate, plastische Darstellungen verschiedener Krankheits-
bilder in Wachs, seltener gewordene Instrumente u. s. w. Ich habe
für die Bibliothek jährlich mehr als die Hälfte der Jahresdotation der
Klinik (231 fl. ö. W.) verwendet.
54
wo mich der Minister Beust, etwas piquirt, der ein-
gegangenen Verpflichtung enthob. Somit blieb ich in
Prag. Dekret vom ii. September 1849. Am 12. Sep-
tember hatte mir Rosas geschrieben: »Meine herzHchen
Glückwünsche zur wohlverdienten Errungenschaft mitten
im Gewühle feindlicher Umtriebe«.
Prag war damals für einen Professor der Augen-
heilkunde ein ganz besonders günstiger Boden, sich in
seiner Kunst und Wissenschaft auszubilden. In der
Metropole dieses grossen und dicht bevölkerten Landes,
welches mit Aerzten überhaupt spärlich, mit Augenärzten
ausser dem von den Landständen angestellten gar nicht
versehen war, suchten die Augenkranken der ganzen
Bevölkerung Hilfe. Der Belegraum der mit der Klinik
(von 20 Betten) verbundenen Abtheilung des Spitales
konnte, wenigstens im Sommer, bis auf 60 Betten erhöht
werden, und das Operationsinstitut am Hradschin unter-
hielt eine fortwährende Anziehungskraft für operative
Fälle. Bei der geringen räumlichen Ausdehnung der von
Festungswerken umgürteten Stadt war es leicht möglich,
auch Arme in ihren Wohnungen aufzusuchen, interessante
Fälle Jahre lang im Auge zu behalten und die Gelegen-
heit zur Autopsie wahrzunehmen. Die anatomischen
Befunde bei Myopie, bei Glaukom, bei angeborenen
Anomalien u. s. w. , so wie die Schilderung der succes-
sivcn Veränderungen bei Trachom, bei Kataracta (erst
Aufquellen, dann Abschwellen oder Verflüssigung, respek-
tive Schrumpfung der Linse), welche ich im 2. Bande
55
meiner »Krankheiten des Auges« 1853/4 publicirt habe,
bezeugen, dass ich diese Gelegenheit möglichst benützte.
Bevor es mir gelang, durch Sektionen nachzuweisen,
dass der Grad der Myopie von dem Grade der Zurück-
drängung der hinteren Wandung des Bulbus abhänge
(III. B. pag. 238), hatte ich mich durch Vergleichung der
Hornhautspiegelbilder bei myopischen und nicht myopi-
schen Augen überzeugt, dass die Myopie nicht, wie bis-
lang allgemein angenommen - worden war, von stärkerer
Wölbung der Hornhaut abhängen könne. Aus Versuchen
mit Convexspiegeln (aus Metall) von 3^/4, 3^/2 und 3^/4'"
Krümmungsradius wusste ich seit dem Jahre 1850, dass
es möglich sei, Unterschiede von ^U"^ Krümmungsradius
nach der Grösse des Spiegelbildes zu erkennen. Dass
ich zur Erklärung der Verlängerung des Bulbus, der
Ausbuchtung in der Gegend des hinteren Poles, eine
Hypothese über die damals noch unerklärte Accommo-
dation heranzog, welche später durch Helmholtz als
unhaltbar erwiesen wurde, hinderte indess nicht den Ein-
fluss, welchen der von mir gelieferte anatomische Nach-
weis der nächsten Ursache der Myopie fiir die Klärung
der Lehre von den Refraktionsanomalien durch Don-
ders (1860) erlangt hat. Ich hatte 1853 während
meines ersten Besuches bei Graefe in Berlin oft Ge-
legenheit, diesem und seinen Assistenten zu zeigen, dass
man hochgradige Verlängerung des Bulbus in der Rich-
tung der Sehachse schon an Lebenden nachweisen kann,
wenn man bei nasenwärts gerolltem Bulbus die Wölbung
56
der Sklerotika an der Schläfenseite betrachtet und mit
der normalen vergleicht*).
Die Möglichkeit, gut conservirte Bulbi (möglichst
frisch) zur anatomischen Untersuchung zu erhalten, be-
nützte ich zunächst zu der im i. Bande angedeuteten
Methode, die Form und relative Lage der einzelnen
Gebilde des Bulbus aus eigener Anschauung und richtiger
kennen zu lernen, als sie die bislang bekannten Beschrei-
bungen und Abbildungen (von Sömmering, Arnold
und Brücke) dargestellt hatten. Die »Lectures of the
Parts concerned in the Operation of the eye and on the
structure of the retina« byBowman, London 1849,
waren mir damals noch unbekannt. Die dem i. Bande
beigegebenen Abbildungen von Bulbusdurchschnitten,
welche zunächst die relative Lage der Iris zu der Linse
und zu der Cornea richtiger zur Anschauung bringen
sollten, Hessen indess rücksichtlich der künstlerischen
•) Im 3. Bande meines Lehrbuches steht auf pag. 201 , wo von
der Accommodation gesprochen wird, der Satz: »Jedes Auge hat ver-
möge seines Baues einen bestimmten Refraktionszustand, gegeben durch
die Krümmungs- und Brechungsverhältnisse seiner durchsichtigen Medien
und durch die Distanz der Netzhaut von dem Objektive (Hornhaut,
Kammerwasser und Linse)«. Wenn ich dabei die Accommodations-
theorie von Gramer und auch die von Helmholtz (A. f. O. I. b.)
nicht acceptirte , so that ich das unter dem Eindrucke des aus meinen
Bulbusdurchschnitten gefolgerten Schlusses, dass weder die Iris noch der
Ciliarkörper einen die Form der Linse verändernden Druck auf die-
selbe ausüben könne ; in der That ist erst später von Helmholtz
auf die Elastizität der Linse hingewiesen und erst hiemit die Accommo-
dation in befriedigender Weise erklärt worden.
57
Ausfuhrung zu wünschen übrig; erst in Wien gelang
es mir, in Dr. El finge r einen Künstler zu finden,
welcher eine befriedigende Zeichnung des Bulbusdurch-
schnittes zu Stande brachte (Vide A. f. O. III. b. 87).
Später erschien ein solcher Durchschnitt (in 10 maliger
Vergrösserung) separat bei Braumüller.
Der bei der Abfassung meines Lehrbuches ein-
gehaltene Vorgang, dass ich, zunächst der anatomischen
Eintheilung folgend, jedem Abschnitte die wichtigsten
anatomischen und physiologischen Bemerkungen voraus-
schickte, war damals durch meine Wahrnehmungen beim
klinischen Unterrichte geboten; er ist dann lange Zeit in
den meisten Lehrbüchern adoptirt worden. Auch die
Artikel, welche ich in jener und in späterer Zeit publi-
zirte, können als Beweise dafür gelten, dass ich vor
allem bestrebt war, mir korrekte anatomische Kenntnisse
von dem Auge und von seinen Nebenorganen zu erwerben.
Indem ich aber in zweiter Linie das Hauptgewicht auf
die Eruirung der ätiologischen Momente legte und die
Nomenclatur darnach einrichtete, entfernte ich mich be-
züglich der Terminologie und der leitenden Grundsätze
unserer Wissenschaft in mehrfacher Beziehung von der
Anschauung anderer Fachgenossen, namentlich auch von
Graefe, welcher mehr dem Vorgange von Velpeau
und Desmarres gefolgt ist. Meine Auffassung und
Darstellung der Lehre von den sogenannten spezifischen
Augenentzündungen unterschied sich indess wesentlich
von jener, welche aus der Beer'schen Schule hervor-
58
gegangen und besonders durch Jüngken und durch
Sichel, einen Schüler Fr. Jäger* s, ins Extreme aus-
gesponnen worden war.
Während meiner Lehrthätigkeit in Prag, wo die
Zahl der inscribirten Hörer in einem Semester — es war
nur I Semester obligat — zwischen 20 und 50 schwankte,
adoptirte ich grösstentheils den Vorgang meines Lehrers,
der mir als Schüler besonders zugesagt hatte. Nachdem
ich den eben aufgenommenen oder ambulatorisch vor-
gestellten Kranken besichtigt und, falls das nicht genügte,
den Grund seines Kommens (seine Beschwerden) durch
einige Fragen beiläufig ermittelt hatte, Hess ich einen oder
zwei Studenten vortreten, den Kranken besichtigen, nöthigen-
falls examiniren und das Urtheil zunächst über den Be-
fund (die Diagnosis) abgeben und begründen. Dann sorgte
ich dafür, dass jeder der Studenten das kranke Auge
selbst untersuche, bevor wir uns über das zu Erwartende
und über die Behandlung aussprachen. Ich vermied es
in der Regel, den Kranken vorher für mich zu unter-
suchen und die in meinem Geiste bereits fertige Diagnosis
vor den Schülern zu erörtern, damit die Studenten mit
mir lernen, wie sie vorzugehen haben. Erst nach diesem
Vorgange wurden Vorträge über einzelne Krankheiten
gehalten, besonders wenn ich mich bereits auf mehrere
einschlägige Fälle berufen konnte. Im weiteren Verlaufe
des Semesters wurden dann, so viel es die Zeit erlaubte,
systematische Vorträge gehalten, doch noch Vieles dem
Nachlesen überlassen. Die Stellung der Augenheilkunde
59
als eines Nebenfaches für die zur allgemein medizinischen
Praxis sich vorbereitenden Studenten machte es mir zur
Aufgabe, die kurze Lehrzeit für Augenheilkunde zunächst
dazu zu verwenden, dass die Studenten lernen konnten,
die gewöhnlichen und die eine unversäumte Hilfe erfor-
dernden Augenleiden zu erkennen und zu behandeln. Ich
musste mich also in meiner Lehrthätigkeit gewisser-
maassen auf die Anfangsgründe beschränken und zunächst
einen guten Grund zur weiteren Ausbildung zu legen
trachten. Später in Wien, wo die Zahl der Inscribirten
meistens über loo in einem Semester betrug, war dieser
Vorgang äusserst mühsam, oft nur unvollständig durch-
fuhrbar, aber doch (meines Erachtens) mehr nutzbringend,
als mehr oder weniger weit und tief angelegte Vorträge
über einen Fall, den der Student kaum von weitem sieht,
oder über ein Kapitel, wenn einschlägige Fälle fehlen.
Gegenüber meinen, auch im Operiren auszubildenden
Assistenten, welche ich mit der Literatur bekannt zu
machen suchte, befolgte ich die Vorsicht, dass ich ihnen
zunächst nur günstige Fälle zum Operiren überliess, und
dass ich sie, wenn sie während einer Operation etwa
einen Fehler begingen, nicht unterbrach, sondern erst
nachträglich belehrte, wie das hätte vermieden werden
können. Bei der Anleitung zum Operiren am Cadaver
suchte ich ihnen das Vorurtheil gegen die Verwendung
der linken Hand zu benehmen, was mir durchschnittlich
auch gelang. Während der Ferien hatten die Assistenten
bei Besorgung der Reservezimmer die schönste Gelegen-
6o
heit, selbständig zu handeln ; auch während der Schulzeit
war ich, besonders in den Reservezimmem , mehr der
Consiliarius als der ordinirende Arzt.
Einen guten Theil meiner Zeit (wöchentlich 7 — 12
Stunden) widmete ich neben dem klinischen Unter-
richte (wöchentlich 12 — 14 Stunden) der Anleitung in-
und ausländischer Aerzte zum Operiren an Cadavern (in
Swöchentlichen Privatkursen); dadurch war ich ver-
anlasst, über den technischen Theil der Operationslehre
erst mit mir selbst klar zu werden. Die Zahl der ordent-
lich Inscribirten in Prag belief sich auf 450, die der
Kursisten, welche meistens auch an der Klinik hospitirten,
auf 465.
Mit dem H e 1 m h o 1 1 z 'sehen Augenspiegel , den ich
mir noch im Herbste 1851 von Rekoss hatte kommen
lassen , wusste ich längere Zeit nicht viel anzufangen ;
erst als ich im nächstfolgenden Jahre Professor R u e t e ,
den nach mir ernannten Professor in Leipzig, und dessen
Assistenten Coccius besucht und deren Modifikationen
des Ophthalmoskops kennen gelernt hatte, lernte ich
dessen Vcrwcrthung mehr kennen und schätzen ; im Jahre
!855 benützte ich mitunter auch das Tageslicht, welches
ich durch eine kleine runde Oeffnung im Fensterladen
dos Hörsaales einfallen Hess. — Bis Anfang 1856 nahm
die Zusammen- und Darstellung des für den 2. und
3. Hand aufgespeicherten Materiales meine freie Zeit so
in Anspruch, dass ich der rasch anschwellenden Tages-
literatur nur mit Mühe folgen konnte und mehr auf das
6i
Verarbeiten des von Anderen gebotenen, mannigfaltigen
Materiales bedacht sein musste.
Von dem gewaltigen Umschwünge, welchen die Ein-
führung der naturhistorischen Forschungsmethode statt
der naturphilosophischen zunächst in der internen Medizin
herbeigeführt hatte, konnte die Augenheilkunde nicht
lange unberührt bleiben. Dieser Umschwung machte sich
bereits in den vierziger Jahren, wenn auch mehr spora-
disch, bemerkbar und trat im nächsten Dezennium, nach
Erfindung des Augenspiegels , allbewältigend hervor.
Während in Oesterreich, namentlich in Prag (Arlt,
Hasner) und in Wien (St eil wag) die pathologisch-
anatomische Richtung in bemerkenswerther Weise hervor-
trat, eröffnete in Deutschland nach Himly in Göttin-
gen — vorbereitet durch die mathematischen Arbeiten
von Gauss und Listing — Theodor Ruete (1845)
mit der Einfuhrung der physiologischen Optik eine neue
Bahn und gaben die Arbeiten von Huek, Volkmann
u. A. (Wagner 's Handwörterbuch) Zeugniss von dem
kostbaren Materiale, welches die Physiologen fiir die
Augenheilkunde geliefert hatten. Brücke's Arbeit über
das Auge (1847) g^b auf Grundlage verlässlicher mikro-
skopischer Befunde ungeahnte Aufschlüsse über den Bau
und die Funktion der Netzhaut und des Ciliarmuskels.
In kurzer Zeit war die Mikroskopie so weit vorgeschritten,
dass sie nicht nur über die physiologischen, sondern auch
über die pathologischen Gewebselemente verlässlichen
Aufschluss geben konnte, wie die Arbeiten von Heinrich
62
Müller, Kölliker, Donders, Bowman u. A. be-
zeugen. In Frankreich hatte Desmarres (Traitö des
mal. des yeux, 1847) den mehr naturphilosophischen
Standpunkt seines Lehrers, des gelehrten und um mehrere
Zweige vielverdienten Sichel, verlassen und mehr den
anatomischen (nach Velpeau) eingenommen; er hat
namentlich in operativer Beziehung (Iridektomie) neue
Wege angebahnt.
Als es dann Helmholtz gelungen war, das viel-
umworbene Problem, den Hintergrund des Auges sichtbar
zu machen, zu lösen, begann für die Erforschung nicht
nur der früher unsichtbaren Gebilde, sondern auch für
die der Hornhaut, der Iris und der Linse, so wie für die
Lehre von der Refraktion und der Accommodation eine
neue Aera. Die Untersuchungsmethode wurde eine ganz
andere. Um die Verwendbarkeit des Augenspiegels
erwarben sich besonders Ruete, Coccius und Lieb-
reich (erst bei Helmholtz, dann bei Graefe Assi-
stent), van Tright u. A. hervorragende Verdienste.
Ed. Jäger hat nicht nur durch die erste getreue Ab-
bildung des Spiegelbefundes bei Glaukom und durch
die Wahrnehmung des Arterienpulses, so wie die Er-
klärung des Schichtstaares (1854), sondern auch (etwas
später) durch die sorgfältige Cultivirung und Verwerthung
der Untersuchung im aufrechten Bilde — objektive Be-
stimmung des Refraktionszustandes — , so wie endlich
durch meisterhafte Abbildungen zahlreicher Spiegel-
befunde (Beiträge zur Pathologie des Auges und Hand-
63
atlas), sich ein unsterbliches Verdienst erworben. Graefe
war es vorbehalten, bestimmte ophthalmoskopische
Diagnosen (Cysticercus, secessio retinae, Embolie der
Centralarterie u. s. w.) festzustellen. — Ein bleibendes
Denkmal hat sich zu Ende der fünfziger Jahre Donders
gesetzt (Wahl der Brillen A. f. O. 1858, Refraktions-
anomalien, ibidem 1860). Indem er sich fragte, wie das
Auge — ohne Intervention der Accommodation — sich
gegen parallele Strahlen verhalte, ob dieselben vor, in
oder hinter der Netzhaut (je nach der Länge der Glas-
körperachse) zur Vereinigung gelangen, löste er das
Räthsel der Refraktionsanomalien wie ein mathematisches
Problem. — In die fünfziger Jahre fallen auch die
werthvollen pathologisch-mikroskopischen Untersuchungen
vonHeinrich Müller, Donders, Schweigger U.A.,
welche erst verlässlichen Aufschluss über die patho-
logischen Vorgänge im Inneren des Auges zu geben ver-
mochten.
b. IN WIEN.
Als nach dem unerwartet frühen Tode des Professor
von Rosas die Wiener Fakultät aufgefordert worden
war, behufs der Besetzung der Lehrkanzel einen Tema-
vorschlag zu erstatten, erhielt ich am 8. August 1855
vom Dekane D 1 a u h y die Anfrage, ob und unter welchen
Bedingungen ich geneigt wäre, die Stelle in Wien an-
zunehmen. Er bezeichnete neben Blöd ig, welcher
supplirte, noch Gulz, Hasner und Stellwag als die
«*
Männer, weldie in der Sitzm^ des Odkgimiis zur
SpfcUJie gebracdxt worden waren.
Wie kh mir nun überlegte, ob icii meine StcOui^
in Prag ^mit 1200 fi. C. )L Jahresgehalt, ohne Ausadit
auf Erhöhung mit der in Wien, wo mir 2500 (L in
Aussicht standen, vertauschen solle, sprachen sowohl die
Rücksicht auf meine Familie von S Kindern waren 4 am
Leben]* als ein gewisser Ehrgeiz fiir Wien, das idi nur
>x>n seinen Lichtseiten kennen gelernt hatte. Xur ein
Bedenken ^rach dagegen: ich hatte erfahren, dass man
\'on Seiten der Krankenhausdirektion mit dem Plane
Unding, fiir die Augenkrankenabtheilung , welche von
Rosas neben der Klinik unentgeltlich gefiihrt und nur
ad personam anstatt eines Primarchinu^en übernommen
worden war, ein eigenes, besoldetes Primariat zu errichten,
denmach dem klinischen Professor bloss die 2 klinischen
Krankensäle \^mit je 10 Betten' zu belassen. Daraufhin
schrieb ich dem Grafen Thun, welcher mittlerweile mit
mir in Unterhandlung getreten war. ich könne nur daim
antreten, wenn mir nebst den klinischen Zimmern noch
eine Abtheilung von drca 50 Betten und 500 fl. als
Primararzt zugewiesen würden. Ich erhielt nun zur
Antwort, dass die Zuweisung einer Abtheilung von dem
iDnisterium des Inneren abhänge, dass er die Zahl der
klinischen Betten auf 30 erhöhen, dass er mir 2500 fl.
Gehalt und 500 fl. Ouartiergeld zuweisen wolle, und dass
er gar nicht zweifle, es werde mir, bis ich einmal in
65
Wien sei, bald gelingen, die für den Unterricht erforder-
liche Anzahl von Krankenbetten zu erlangen.
Darin nun, dass ich auf diese Aussicht einging, habe
ich einen grossen Fehler begangen, einen Fehler, welcher
mir die ersten Jahre meiner Existenz in Wien zu den
schwersten meines Lebens machte und mich oft wünschen
Hess, in Prag geblieben zu sein. — Im Collegium, wo
ich alte Freunde traf (v. Skoda, Rokitansky,
Oppolzer, Hyrtl, Dlauhy), war ich gut auf-
genommen. Für die Collegen S t e 1 1 w a g und E d. J ä g e r
(Dozenten) beantragte ich bald nach meinem Eintritte
die Ernennung zu ausserordentlichen Professoren; aber
für meinen Herzenswunsch, Vermehrung des Beleg-
raumes , vermochte das Collegium nichts zu thun. Im
Jahre 1851 erhielt Professor Jäger das Primariat der
Augenkrankenabtheilung.
Im Allgemeinen Krankenhause, welches unter der
Leitung eines von dem Ministerium des Inneren an-
gestellten Direktors mit einer entsprechenden Zahl von
Primarärzten steht, sind die Kliniken gewissermaassen
nur eingemiethet ; Veränderungen in den räumlichen und
ökonomischen Verhältnissen können über Antrag der
Fakultät und unter Genehmigung des Unterrichtsministe-
riums nur von dem Ministerium des Inneren (respektive
der Krankenhausdirektion) bewilligt werden. Der Pro-
fessor kann Kranke auf seine Klinik aufnehmen, wenn
diese selbst zu ihm verlangen, oder wenn die in die Auf-
nahmskanzlei kommenden Kranken durch seinen eben
Arlt, Meine Erlebnisse. 5
66
anwesenden oder von dem joumalfiihrenden Arzte herbei-
gerufenen Assistenten dorthin dirigirt werden; von dem
alten Vorrechte der Kliniker, Kranke, die für den Unter-
richt geeignet erscheinen, bald nach ihrem Eintritte ins
Spital von irgend welcher Abtheilung auf die Klinik
transferiren zu lassen (mit deren Einwilligung), wird seit
langer Zeit aus mehrfachen Gründen, besonders aber,
weil viele der Primarärzte selbst Dozenten sind, nicht
mehr Gebrauch gemacht.
Um das zum Unterrichte nöthige Material zu ge-
winnen, verwendete ich grosse Sorgfalt auf die ambulanten
Kranken , deren Zahl von Monat zu Monat zunahm und
bald auch die disponibeln Betten füllte. Ich bemühte
mich hier wie in Prag, dafür zu sorgen, dass jeder ein-
zelne der zahlreichen Schüler jeden vorgestellten und
erörterten Fall selbst sehen und beurtheilen könne, was
natürlich sehr viel Zeit erforderte, daher ich mich
meistens nur auf rhapsodische Vorträge einlassen und
nur mitunter zusammenhängende Erörterungen einzelner
Kapitel bieten konnte. Auch hier wie in Prag war es
meine Hauptaufgabe, von Semester zu Semester angehen-
den praktischen Aerzten das Nothwendigste aus der
Augenheilkunde beizubringen. Dabei setzte ich meine
Operationskurse fiir in- und ausländische Aerzte fort, so
dass ich durchschnittlich 3^/2 Stunden in continuo auf
der Klinik und im Hörsaale beschäftigt war.
Da ich aber auch die Aufgabe hatte, Operateure
heranzubilden, und die geringe Zahl von Betten nicht mit
6j
relativ vielen Operationsfällen belegen durfte, indem
diese für den gewöhnlichen Studenten wenig Nutzen
bieten, so unternahm ich neuerdings Schritte zur Erwer-
bung eines grösseren Belcgraumes, längere Zeit fruchtlos
(immer trat mir der Spitalsdirektor hindernd entgegen),
bis mir Ende Februar 1858 Professor Hebra einen
seiner grösseren Krankensäle, neben meiner Klinik ge-
legen, zur Benutzung als Reservezimmer für die Klinik
abtrat*). Durch eine Bretterwand wurde dieser Saal in
2 Zimmer getheilt und hiemit ein Belegraum für 30 Betten
gewonnen. Die Uebelstände, welche mit der Zusammen-
drängung von 60 Kranken in 4 relativ kleine Räume —
die Betten waren meistens alle belegt — verbunden
waren, hat Dr. Otto Becker in dem 1867 erschienenen
Berichte über die Augenklinik von 1863 bis 1865 (bei
Braumüller) eingehend geschildert. Erst nachdem
Professor Stell wag aus dem aufgelassenen Josephinum
an die Universität als Ordinarius übernommen worden
*) In ähnlicher Weise waren schon früher die chirurgischen,
später auch die medizinischen Kliniken durch Reservezimmer erweitert
worden. Dazu hatte ich auch einen Sekundararzt erhalten.
Nach dem von meinem ersten Assistenten Dr. Businelli (jetzt
Professor in Rom) verfassten , in der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft
der Aerzte erschienenen Berichte über meine Klinik vom Jahre 1858
betrug die Zahl der klinisch Behandelten 385. Aus diesem Berichte
dürfte das über Iridektomie bei Homhautfisteln , den Schutzverband
und die sympathische Entzündung Gesagte besonders beachtenswerth sein.
Ein Vortrag über Enucleatio bulbi (gehalten am 7. März 1859)
erschien in der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte, 15. Jahr-
gang Nr. 10 ; auch als Separatabdruck.
5*
6S
war (1872), konnten die zu Unterrichtszwecken nöthigen
Räumlichkeiten in der Art gewonnen und adaptirt werden,
dass ich sagen konnte, meine nun auch mit 2 klinischen
Assistenten versehene Anstalt reiche hin, nicht nur den-
jenigen, welche die Ausbildung in der Augenheilkunde
für Aerzte überhaupt erlangen sollten, sondern auch für
jene, welche sich zu Augenärzten speziell ausbilden
wollten, hinreichende Gelegenheit zu bieten. Tüchtig
geschulte Assistenten übernahmen die Unterweisung in
jenen Zweigen, zu deren spezieller Cultivirung mir nicht
die nöthige Zeit übrig blieb, namentlich in der Oph-
thalmoskopie, Ophthalmo- und Perimetrie, in der Be-
stimmung der Refraktions- und Accommodationsanomalien,
in der pathologischen Anatomie und Mikroskopie und in
den Operationsübungen am Cadaver.
Vor der Einfuhrung der Lehr- und Lernfreiheit (1849)
war das Institut der Assistenten als die eigentliche Pflanz-
schule für Professoren anzusehen. Der Assistent einer
Lehrkanzel wurde über Vorschlag des Professors vom
Studiendirektor (später vom Professorencollegium) für
2 Lehrkurse ernannt, konnte durch 2 weitere Kurse
belassen werden und erhielt eine Art Stipendium (ganz
in Geld oder zum Theil in Naturalverpflegung) aus dem
Studienfonde. Seit der Einführung des Institutes der
Dozenten ist es den Assistenten wohl wie früher gestattet,
Kurse zu geben, ziehen es jedoch die meisten vor, sich
bald als Dozenten zu habilitiren, um ihre Kurse auch im
Lektionskataloge ankündigen zu dürfen und bei Erledigung
69
einer Lehrkanzel mit mehr Nachdruck als Competenten
auftreten zu können. Seit 1870 sind für einzelne Kanzeln
zwei Assistenten bewilligt, und kann auch deren Dienstzeit
auf 4 Lehrkurse (ausnahmsweise auch darüber) ausgedehnt
werden. Nebst den Assistenten können noch einige der
jüngeren Aerzte, welche sich durch Spitalpraxis (auf
eigene Kosten) weiter ausbilden wollen, eine Zeitlang als
Aspiranten (Praktikanten) an irgend einer Klinik zur
Aushilfe verwendet werden. Auf diese Weise ist es den
Professoren möglich, junge Kräfte nicht bloss aus der
eigentlichen Studienzeit, sondern auch nach derselben
näher kennen zu lernen, sich tüchtige Assistenten aus-
zuwählen und heranzuziehen.
Einen der tüchtigsten Assistenten erhielt ich 1862 an
Dr. MaxTetzer. Begabt mit einem eminenten Gedächt-
nisse und klarer Auffassung der erhaltenen Eindrücke,
hielt er zunächst als Assistent, dann als Dozent, syste
matische Vorträge über Augenheilkunde, welche, zumeist
auf meine Vorträge und Bemerkungen sich stützend , die
ge.sammte Literatur berücksichtigten und bald allgemeines
Interesse erregten. Er erlag leider Ende 1866 nach über-
mässiger Anstrengung bei Besorgung eines Verwundeten-
spitales einer Pneumonie*). Seine stenographisch nach-
geschriebenen Vorträge, von Dr. Grünfeld als »Com-
pendium der Augenheilkunde c in Druck gelegt und
*) Später habe ich noch 2 meiner Assistenten durch Tod (Tuber-
cnlosis) verloren: Friedrich Biermann aus Pressburg und Hein-
rich Czell aus Siebenbfirgen.
70
zuletzt 1874 von Dr. Bergmeister emendirt, sind nicht
nur in Wien, sondern auch anderwärts zum ersten Unter-
richte in der Augenheilkunde benutzt worden.
Auf Tetzer folgte durch die nächsten 2 Jahre
Dr. LucianRydel, welcher sich mit seinem Vorgänger
an dem von seinem Nachfolger Dr. Otto Becker ent-
worfenen und redigirten klinischen Berichte (1867 bei
Braumüller) betheiligte und bald nachher zum Professor
der Augenheilkunde in Krakau ernannt wurde.
Ganz besondere Verdienste um den klinischen Unter-
richt erwarb sich Becker, welcher im Jahre 1858 bei
mir Augenheilkunde gehört und nach seiner Promotion
während seiner Spitalspraxis eine Zeitlang an Professor
Ed. Jäger's Abtheilung (und Klinik) gedient hatte.
Nachdem er sich dann seit 1862 bei mir als Privat-
assistent verwendet hatte, cultivirte er als Assistent an
der Klinik mit seltenem Eifer die Ophthalmoskopie, die
Refraktionsanomalien und die pathologische Anatomie
mit Mikroskopie. Unter seiner Anleitung wurden durch
Dr. Heitzmann vorzügliche Abbildungen von Augen-
spiegelbefunden angefertigt, welche heute noch eine
Zierde des klinischen Hörsaales bilden; er übersetzte das
grosse Werk von Donders (On the anomalies of accom-
modation and refraction, London 1864) ins Deutsche; er
legte den Grund zu einer werthvollen Sammlung patho-
logischer, besonders mikroskopischer Präparate, welche
später von Sattler und Fuchs ansehnlich erweitert
wurde, und er regte eine Reihe jüngerer Kräfte zu
71
ähnlichen Arbeiten an, wie namentlich die Artikel von
Dr. Czerny in dem citirten klinischen Berichte (pag. 178
bis 19s) zeigen. Ausser Czerny, welcher von mir weg
erst von Oppolzer, dann von Billroth zum Assi-
stenten genommen wurde, waren von mir noch Rem-
bold und Meier hofer für die Assistenz vorbereitet
worden; erstcren nahm dann v. Skoda, letzteren Carl
Braun zum Assistenten.
Später, nachdem noch Dr. August Ritter von
Reuss, welcher nach Ed. Jäger's Tode (1884) mit
der Supplirung der Lehrkanzel betraut wurde, und
Dr. Wilhelm Schulek, welcher die Professur in Pest
erhielt, durch je 2 Jahre bei mir Assistenten gewesen
waren, machte ich jedem Competenten um die Assistenten-
stelle die Bedingung, dass er erst ein Jahr als Operations-
zögling an einer chirurgischen Klinik gedient und sich
auch im Mikroskopiren gut eingeübt habe.
Dr. Hubert Sattler, jetzt Professor in Erlangen,
war durch 4 Jahre, Dr. Ernest Fuchs, erst in Lüttich,
jetzt in Wien (an der Jäger 'sehen Klinik) Professor,
war durch 5 Jahre bei mir Assistent. Mein Sohn war
1V2, Dr. Bergmeister, Dr. Kerschbaumer und
Dr. Denk waren je 2 Jahre, Dr. Dimmer durch 3,
Dr. Herz durch i Jahr vor meinem Rücktritt vom
Lehramte bei mir Assistenten.
Im Februar 1857 schrieb mir Graefe über seine
vorläufigen Erfolge der Iridektomie bei Glaukom. Gleich
zu Ostern reiste ich nach Berlin, mich durch den
72
Augenschein davon zu überzeugen. Das war die grösste
Ueberraschung , die ich in meiner ärztlichen Laufbahn
erlebt habe. Ich wurde sofort ein eifriger Anhänger und
Vertheidiger der neuen Lehre. Zehn Jahre später, nach-
dem ich die Wohlthat dieser Erfindung an vielen Kranken
erprobt hatte, kam ich in die Lage, dieselbe bei meiner
eigenen Frau (am linken Auge) anzuwenden und bis zu
ihrem Tode (21. Jänner 1876) bewährt zu finden.
In B e r 1 i n hatte ich damals auch die Freude, meinen
alten Freund Di tt rieh (von Erlangen) wiederzusehen
und den liebenswürdigen Heinrich Müller (von W ü r z -
bürg) persönlich kennen zu lernen.
Auf dem Ophthalmologencongresse zu Brüssel
(Herbst 1857), zu welchem ich von der Regierung ge-
schickt worden war, kamen wichtige Themata zur Be-
sprechung (die Ophthalmia militaris, die Accommodation,
das Glaukom) und ergab sich, leider nur zu flüchtig,
Gelegenheit , mit her\'orragenden Fachgenossen näher
bekannt zu werden, auch mit Donders, welcher mich
1856 bei seiner Durchreise zur Wiener Naturforscher-
versammlung auf einige Stunden in Prag aufgesucht hatte.
Auf dem 2. Ophthalmologencongresse (1862 zu
Paris), zu welchem Gulz mit mir delegirt war, wurde
für die nächste Versammlung Wien designirt. Wir
hatten dann, als das Frühjahr 1866 heran kam, alles
vorbereitet, obwohl Professor St eil wag und Ed. Jäger
den Eintritt in das Comit6 abgelehnt hatten; Professor
Fr. Jäger erklärte sich bereit, den Vorsitz zu über-
73
nehmen; aber der Krieg mit Preussen machte unseren
schönen Plan zu nichte ; erst i Jahr darauf gab die grosse
Ausstellung in Paris Anlass zur Zusammenkunft zahl-
reicher Collegen daselbst. Hier bildete bereits die
Graefe*sche modifizirte Linearextraktion das Haupt-
thema der Besprechung; auch über die Exstirpation der
Thränendrüse wurde viel discutirt. — Von den Versamm-
lungen deutscher Naturforscher habe ich mich nur an
den zu Karlsbad, zu Innsbruck und zu Salzburg
abgehaltenen betheiligt.
Meine schriftstellerische Thätigkeit war in Wien,
wie nach dem Gesagten wohl erklärlich ist, längere Zeit
eine relativ geringe, zumal in den ersten Jahren. Ich
war durch die Beschäftigung im Spitale, durch zahlreiche
Rigorosen und durch privatärztliche Thätigkeit so in
Anspruch genommen, dass ich die freien Stunden zur
Erholung bedurfte. Es gehörte von Jugend auf zu
meinen Eigenthümlichkeiten , dass ich, wenn ich nicht
7 — 8 Stunden geschlafen hatte, zu keiner ordentlichen
Arbeit fähig war. Bedauern muss ich, dass ich bei dem
reichlichen und mannigfaltigen Beobachtungsmateriale,
das mir später zu Gebote stand, meine Wahrnehmungen
an Kranken und Operirten nicht regelmässig zu Papier
brachte ; so ist mir vieles zur Publication Interessante nur
der Hauptsache nach, aber nicht mit den nöthigen Einzel-
heiten im Gedächtnisse geblieben. Mein Gedächtniss, welches
bereits während der übermässigen Anstrengung in den
letzten Jahren des Gymnasiums merklich gelitten hatte,
74
war nicht mehr so getreu, als ich mir um diese Zeit
noch zugemuthet hatte. Hiezu kam noch, dass bei dem
Aufschwünge, welchen die Augenheilkunde in dieser Zeit
erfuhr, besonders durch Graefe*s Anregung, eine Menge
neuer Gesichtspunkte auftauchte, welche durchgeprüft
werden mussten (die Lehre von den Muskellähmungen,
die verschiedenen Modifikationen der Staaroperation,
die ausgebreitete Verwendung der Iridektomie u. s. w.).
Dazu war begreiflicher Weise meist eine jahrelange
Prüfung nöthig, bevor man selbständig darüber ein Urtheil
gewinnen und abgeben konnte.
Bald nachdem Graefe sich in Berlin etablirt
(1852) und in ähnlicher Weise wie Sichel und Des-
marres eine Privatheilanstalt errichtet hatte, fasste er den
Entschluss, eine eigene Zeitschrift unter dem Titel:
:? Archiv für Ophthalmologie! herauszugeben und lud
dann Donders und mich ein, in die Redaktion ein-
zutreten. Ich schrieb für diese Zeitschrift zunächst »ana-
tomische, physiologische und pathologische Bemerkungen
über den Thränenschlauch« (I. b. 135) noch in Prag,
welchen ich in Wien meine Ansichten ȟber die Be-
handlung der Krankheiten« dieses Organes (XIV. c. 267)
folgen Hess. Der oben citirte Artikel über die Iris und
den Ciliarkörper fiel in das Jahr 1857, der über den
Ringmuskel der Augenlider (IX. a. 64) in das Jahr 1862.
Ein Aufsatz »zur Lehre vom Hornhautabszesse« (XVI. i)
erschien erst nach Graefe 's Tode (20. Juli 1870),
worauf wir, Donders und ich, zu Ostern 1871 uns in
75
Berlin einigten, Professor Leber zum Eintritte in die
Redaktion einzuladen.
Eine intensivere literarische Thätigkeit nahm ich erst
bei der Herausgabe des Handbuches der Augenheilkunde
von Graefe-Saemisch wieder auf, für welches ich die
Operationslehre (1874 erschienen) abfasste. Im Jahre
1875 erschien von mir eine kurze Abhandlung über die
Verletzungen des Auges (mit besonderer Rücksicht auf
deren gerichtsärztliche Würdigung), welche ich früher in
der Wiener medizinischen Wochenschrift publizirt hatte,
1876 eine ähnliche über die Ursachen und die Entstehung
der Kurzsichtigkeit, beide bei Brau mü Her. In einem
Vortrage: »zur Aetiologie und Therapie der Bindehaut-
blennorrhoe« am 7. April 1875 (im Vereine der Aerzte
Niederösterreichs — Separatabdruck bei Praetorius) —
setzte ich auseinander, wie und warum ich meine schon
in der Prager Vierteljahrschrift ausgesprochenen Ansichten
über Blennorrhoe und Trachom allmälig in Wien ge-
ändert habe. Denselben Standpunkt zu den Krankheiten
der Bindehaut habe ich dann in der 1881 erschienenen
»klinischen Darstellung der Krankheiten des Auges« (bei
Braumüller) eingenommen. Da letztere dieselben
Kapitel (Krankheiten der Binde- und Hornhaut, der Iris
und des Ciliarkörpers) behandelt, welche 30 Jahre früher
in meinem Lehrbuche besprochen worden waren, gestattet
wenigstens dieser Theil einen Vergleich und ein Urtheil,
wiefern ich stehen geblieben, wiefern ich fortgeschritten
bin, wieweit ich meine Ansichten beibehalten oder ge-
76
ändert habe. Nicht nur die Auffassung der verschiedenen
Krankheitsprozesse, auch die Vereinfachung der Therapie
gibt dem Leser zahlreiche Anhaltspunkte zu Vergleichen
zwischen einst und jetzt. Von besonderem Interesse
dürfte ein Vergleich dessen sein, was ich 1853 und 1884
über Glaukom (»Zur Lehre vom Glaukome, Brau-
müller) publizirt habe. Meine jüngsten Arbeiten sind:
»Winke zur Staaroperation« (Graefe's Archiv XXXI. 3.)
und »Verwendung der Reisinger'schen Hakenpincettec
ibid. 4.
Mitte der fünfziger Jahre zog die Reformation der
Augenheilkunde auch die Therapie, insbesondere die
Operationslehre, in ihr Gebiet, zunächst und zumeist
durch Graefe. Nachdem dieser bereits 1854 in seinem
berühmten Artikel über Diphtheritis und Blennorrhoe
der Conjunctiva dargethan, dass bei der Anwendung des
längst in die Praxis eingeführten Argentum nitricum vor-
zugsweise die jeweiligen anatomischen Veränderungen
der Bindehaut und die durch seine Applikation hervor-
gerufenen Erscheinungen (die Reaktion) zu berücksichtigen
sind, eröffnete er auch für die Behandlung der Iritis eine
neue Bahn durch den Nachweis, dass es zumeist die
Folgen einer vorhergegangenen Entzündung sind (zahl-
reiche, durch Mydriatica nicht lösbare, daher besonders
breite, hintere Synechien), welche Rezidive der Iritis
(Iridokyklitis) verursachen , dass es der Pupillarabschluss
ist, welcher zahlreiche Augen nach Iritis ruinirt, und dass
die Iridektomie im Stande ist, diese Folgen der Iritis zu
71
beheben, respektive unschädlich zu machen (A. f. O.
IL 2. 1856).
Die grösste therapeutische Leistung unseres Jahr-
hunderts bildet (in der Augenheilkunde) unstreitig die
Heilung des Glaukoms durch die Iridektomie von
Graefe, 1857. Hatte auch Ed. Jäger bereits 1854
die erste getreue Abbildung eines glaukomatösen Auges
nach dem Spiegelbefunde gebracht, so waren dadurch
wohl die älteren Ansichten über die Veränderungen in
glaukomatösen Augen widerlegt, aber es fehlte noch
immer das Verständniss des Vorganges, durch welchen
die Erblindung zu Stande kommt. G r a e f e ' s unermüdetem
Forschen und seiner scharfsinnigen Deduktion aus vor-
liegenden Thatsachen der Beobachtung, unterstützt durch
Adolf Weber und Heinrich Müller, gelang es,
erst den Nachweis zu liefern, dass die Erblindung bei
Glaukom durch Steigerung des intraoculären Druckes auf
den Sehnerven, respektive auf die Sehnervenpapille , er-
folge, und dann aus den Erfolgen, welche die wieder-
holte Punktion der Hornhaut und die Iridektomie nach
Iritis geboten hatten, in dieser letzteren das Mittel zu
finden, den bisher unheilbaren Prozess zu beseitigen oder
doch zu sistiren. Ist auch das Wesen des Glaukoms
nach seiner Entstehungsweise noch nicht genügend er-
kannt, und lässt sich auch die von G r a e f e als allgemein
supponirte Drucksteigerung in einzelnen Fällen nicht
unzweifelhaft nachweisen: so viel steht fest, dass die
Iridektomie, rechtzeitig (nicht zu spät) und richtig aus-
78
geführt, die Erhaltung des Sehvermögens dauernd sichert.
Die Thatsache, dass die Iridektomie auch bei einer
grossen Reihe von Erkrankungen nützt, welche zuver-
lässig nicht von Erkrankung des Sehnerven ausgehen
und nur unter deutlich nachweisbarer Drucksteigerung zu
Erblindung führen, wie manche Keratektasien*), Pupillar-
abschluss, Linsenquellung, und dass die Erblindung hier
in analoger Weise wie bei Glaukom, namentlich mit
Einschränkung des Gesichtsfeldes (meistens von der
Nasenseite her) vor sich geht, spricht deutlich zu Gunsten
der Graefe' sehen Auffassung des glaukomatösen Pro-
zesses.
Als Vorstand eines grossen Institutes und als Lehrer,
welcher seine Schüler mit dem jeweiligen Stande der
Wissenschaft und Kunst bekannt machen soll, musste
ich auch die zahlreichen, zu dieser Zeit auftauchenden
*) Im 3. Bande meines Lehrbuches (1856) hatte ich auf pag. 18
geschrieben : »Ich verfolge seit Jahren die Thatsache der Beobachtung,
dass Augen mit etwas ektatischen Hornhautnarben bei reiner und etwas
weiterer Pupille und ohne besondere Zufölle allmälig erblinden und
sich dann abnorm gespannt anfühlen. War ich schon vor Anwendung
des Augenspiegels zu dem Wahrscheinlichkeitsschi usse gekommen, dass
hier die Erblindung nicht von Entzündung der Netz- oder Aderhaut
ausgehe, so hat mich eine möglichst sorgfaltige Untersuchung mit
diesem Instrumente in einigen mir jüngst vorgekommenen Fällen um
so mehr in der Annahme bestärkt , dass hier die Netzhautfunktion nur
durch Druck von seröser Ausschwitzung im Glaskörper vernichtet
werde <r. Dass es auch in solchen Fällen zu Einschränkung des Ge-
sichtsfeldes und zu Exkavation der Papille wie bei Glaucoma komme,
wurde später von Graefe, der meine Beobachtung kannte, nach-
gewiesen.
79
Modifikationen der Staaroperation an meiner Klinik vor-
nehmen, so weit es die Rücksicht auf die mir anvertrauten
Kranken gestattete ; ich war jedoch da , wo es sich um
die Vornahme eines neuen Operationsverfahrens handelte,
durchschnittlich sehr zaghaft, wenigstens wenn nicht
triftige Gründe dazu einluden. Erst nach längerem
Zögern entschloss ich mich (zu Ostern 1866), die
Graefe'sche modifizirte Linearextraktion und ein Jahr
später die Extraktion nach A. Weber vorzunehmen.
Bei dem Umstände, dass mir nach der Beer 'sehen
Extraktion noch immer mindestens 5*^/0 durch Vereiterung
der Hornhaut verloren gingen, bestimmte mich der von
Graefe ausgesprochene Satz: »eine Homhaut^vunde,
welche zum Austreten des Staares leicht aufklappt, ist
hiezu auch nach der Operation sehr disponirt«, die lineare
Form des Schnittes zu adoptiren und somit auch die
Iridektomie mit in Kauf zu nehmen. Von den beiden
Methoden, welche diesem Prinzipe entsprachen, und
welche ich zunächst nur zum Durchprüfen fiir eine Zeit
angenommen hatte, behielt ich dann die Graefe 'sehe
mit einigen allmälig vorgenommenen, für zweckmässig
erkannten, Abänderungen bei. Die zahlreichen, von
Anderen (Lebrun, Critchett, Waldau, Lieb-
reich, Jacobson, Wecker u. A.) vorgeschlagenen
Modifikationen habe ich nicht geprüft. Ob die in jüngster
Zeit eingeführte antiseptische Behandlung vor und nach
der Operation im Stande sein werde, bei Wiederauf-
nahme des Bogenschnittes (ohne Iridektomie) für die
So
Extraktion, auch in jenen Fällen, in welchen der Operirte
die nöthige Ruhe nicht einhält ^nicht einhalten kann), die
Vereiterung der Hornhaut zu verhüten, darüber Auf-
schluss zu erhalten, habe ich noch nicht hinreichende
Gelegenheit gehabt. — Seit der Entdeckung der anästhe-
sirenden Wirkung des Cocains auf die Binde- und
Hornhaut durch Carl Koller, Secundararzt des All-
gemeinen Krankenhauses in Wien (im Sommer 1884),
ist die Ausfuhrung der Extraktion an Lebenden nahezu
so sicher geworden, wie an Cadavem; im Verein mit
einer dem Auge angepassten Antiseptik ist also die
Prognosis für die Staarextraktion in Zukunft ungleich
günstiger als bisher zu stellen.
Wesentliche Fortschritte in der Therapie, insbeson-
dere in dem dankbarsten Theile derselben, in der Pro-
phylaxis oder, wenn man will, in der Aetiologie, wurden
der Augenheilkunde durch die Vervollkommnung der
Mikroskopie und durch die Experimente an Thieren zu-
geführt.
Wohl hatte die Beobachtung von Semmel weiss
im Wiener Gebärhause zu Anfang der fünfziger Jahre
die Aufmerksamkeit auf die Gefährlichkeit des Eindringens
septischer Stoffe in den Körper gelenkt, aber erst durch
L i s t e r gelangte die Antiseptik zu allgemeiner Würdigung,
und erst in den siebziger Jahren erhielt die Lehre von
den Infektionskrankheiten durch den mikroskopischen
Nachweis der Mikrobien Klärung und sichere Begründung.
Als ich über die Krankheiten der Bindehaut schrieb
8i
(185 1), galt es bezüglich der Blennorrhoe der Neu-
geborenen und der Erwachsenen vorerst, zu zeigen, dass
Infektion durch Uebertragung krankhaften Sekretes von
den Genitalien oder von einem Auge die einzig sicher
gestellte Ursache der Blennorrhoe sei, dass alle anderen
angeblichen Ursachen negirt oder doch als zweifelhaft
angesehen werden müssen. Damals war ich noch der
Meinung, dass das im Civile vorkommende Trachom von
der besonders bei dem Militär vorkommenden Augen-
entzündung verschieden sei. Seit ich mich aber in W i e n
von der Identität beider überzeugt und für beide zur
Bezeichnung jder Uebertragbarkeit den Namen »chronische
Blennorrhoe! gewählt habe, dauerte es nicht lange, bis
nicht nur der Gonococcus (Neisser) fiir die Blen-
norrhoe, sondern auch das Vorhandensein von Mikro-
kokken bei Trachom (Sattler), sowie das Hervorgehen
von Trachom aus Blenn. neonatorum (in einigen Fällen),
nachgewiesen wurde. Die Resultate, welche durch das
Verfahren von Cred6 (1879) behufs Verhütung des Auf-
tretens der Blenn. neonatorum erzielt worden, sind ein
Triumph der ätiologischen Studien.
Dass auch der eigentlichen Diphtheritis Pilzbildung
zu Grunde liegt, ist unzweifelhaft. Bezüglich der Horn-
haut hat Hörn er schon 1871 auf die infektiöse Natur
des aus dem erkrankten Thränenschlauche stammenden
Sekretes bei Verwundung der Hornhaut aufmerksam ge-
macht, und hat sich bei Ulcus serpens und Ulcus rodens
nur die antiseptische Behandlung, vorzugsweise das
Arlt, Meine Erlebnitse. 6
82
Ferrum candens (M a r t i n a c h e , Sattler), als verlässlich
bewährt.
Ob das antiseptische Verfahren, den besonderen Ver-
hältnissen am Auge angepasst, auch bei den Operationen
am Bulbus, speziell bei der Extraktion, einen wesent-
lichen Nutzen bringen werde, kann nur durch weitere
Prüfung (in grossen Zahlen) entschieden werden. Meines
Erachtens genügt in Fällen, in welchen keine Erkrankung
am Auge oder anderswo am Körper vorliegt, welche
Verdacht auf nachfolgende Wundinfektion erregt, strenge
Reinlichkeit bezüglich der Hände, der Instrumente, der
Verbandstücke und der Zimmerluft, die Anwendung anti-
septischer Mittel entbehrlich zu machen.
Ich habe unter meinen Augen eine grosse Menge von
verschiedenen Arzneimitteln, Behandlungsmethoden, Ope-
rationsverfahren u. s. w. vorüberziehen sehen, welche —
gleich Irrlichtern — bald wieder vom Schauplatze ver-
schwunden sind.
Diese kurzen Andeutungen mögen genügen, zu zeigen,
dass ich in einer sehr bewegten Zeit der medizinischen
Wissenschaft gelebt habe. Es war mir vergönnt, mit
einer grossen Zahl der Begründer der besseren Richtung
in der Medizin, namentlich in der Augenheilkunde, in
persönlichen Verkehr zu treten.
VIII.
VERHÄLTNISS ZU MEINER FAMILIE,
MEINEN SCHÜLERN, FREUNDEN
UND COLLEGEN.
ZU Ende des Jahres 1858 starb mir ein hoffnungs-
voller Knabe von 11 Jahren an Scharlach, durch
welche Krankheit ich schon in Prag (1854) zwei Kinder
verloren hatte. Mein ältester Sohn (geb. 28. Dez. 1842)
wandte sich dem Studium der Medizin zu und entschied sich,
nachdem er durch 1^/2 Jahre an meiner Klinik gedient
hatte, für Augenheilkunde, doch ohne Neigung zum
Lehrfache. In glücklicher Ehe lebt er hier als Augen-
arzt. Der jüngste (geb. 27. Nov. 1853) widmete sich
dem Studium der Oekonomie, und meine Tochter ist seit
1873 die Frau des jetzt beim Landesvertheidigungs-
ministerium hier angestellten Hauptmannes Sind 1. Nach-
dem ich am 21. Jänner 1876 meine gute Frau durch
eine Lungenentzündung (die 4. während unserer Ehe)
verloren habe, ist es ein Glück für mich, dass meine
84
Tochter mit ihrer Familie bei mir wohnen und mich der
häuslichen Sorgen entheben kann.
Mein älterer Bruder (geb. 4. Aug. 1809), in mancher
Beziehung von jeher ein Sonderling, wohnte, da er als
subalterner Beamter ledig geblieben war, seit meinem
Domizil zu Wien bei mir; arge Täuschungen, welche
er in Folge übermässiger Gutmüthigkeit und mangelnder
Klugheit in den letzten Jahren durch vermeintliche
Freunde erfahren, hatten ihn in letzter Zeit um seinen
Verstand gebracht. Er starb am 29. August 1885.
Erfreulich dagegen, ja für mich erhebend, war das
Verhältniss zu meinem jüngeren Bruder. Er lebte im
Elternhause durch mehr als 20 Jahre in glücklicher, doch
kinderloser Ehe, hatte sein gutes Auskommen und wurde
schon in jungen Jahren zum Gemeindevorstande gewählt.
Ich besuchte ihn seit 1858 alljährlich in den Herbstferien
auf 14 Tage, einmal auch mit Rokitansky und seiner
Frau von Teplitz aus in Begleitung von Dr. Höring,
Hofrath Löschner und Professor Zippe.
Wir beriethen uns durch einige Jahre, wie dem mit der
Abnahme des Zinnbergbaues hereinbrechenden Verfalle
der Gemeinde in moralischer wie in materieller Beziehung
entgegen gearbeitet werden könne. Da kam uns ein
günstiger Umstand zu Hilfe. Die Gemeinde besass neben
35 Joch Wald noch 20 Joch Weidegrund, welcher keinen
anderen Nutzen brachte, als dass die Leute ihr Vieh
dorthin auf die Weide treiben, eigentlich nur der frischen
Luft aussetzen konnten, denn Futter war dort wenig zu
85
finden. Mein Bruder, welcher den kurz vorher dort be-
schäftigten Katastralbeamten beim Feldmessen zugesehen
hatte, nahm nun, nachdem wir die Gemeinde für unseren
Plan gewonnen hatten, die Vermessung und Eintheilung
der Hutweide in Parzellen vor, und diese wurden dann,
anfangs gegen niedrige, später gegen höhere Pachtzinse
an einzelne Hausbesitzer zur Urbarmachung und Be-
nützung für Feldbau überlassen. Hiemit war nicht nur
den Insassen eine neue Erwerbsquelle eröflfnet, sondern
auch die erste Bedingung zu dem uns noch mehr am
Herzen gelegenen Vorhaben erfüllt, nämlich zur Errich-
tung und Unterhaltung einer eigenen Schule in Ober-
graupen. Sobald wir einen jährlichen Pachtzins von
300 — 400 fl. erwarten durften, um einen eigenen Lehrer
besolden zu können, mittelte mein Bruder eine geeignete
Baustelle mitten im Dorfe (durch Umtausch gegen Ge-
meindegrund) aus, und entwarf ich den Plan für das Schul-
haus, welches sodann auf meine Kosten erbaut wurde.
Als aber bald darauf — nach Einführung der achtjährigen
Schulpflicht — das Haus durch Zubau erweitert werden
musste, was die Kosten auf mehr als 6000 fl. erhöhte,
entfiel nach dem neuen Schulgesetze die Verpflichtung,
die Schule auf Kosten der Ortsgemeinde allein zu erhalten,
und diese kann fortan den jährlichen Pachtzins zur Be-
streitung der Gemeindeauslagen (auch zur Unterhaltung
eines Pfründnerhauses) verwenden. Die durchaus zweck-
mässig gebaute und eingerichtete Schule (für 120 — 140
Kinder) ist dem armen Dorfe eine wahre Wohlthat
S6
geworden, und ich freue mich jedesmal, wenn ich sie
wiedersehe. Aber auch meinem Bruder hat sie für sein
gemeinnütziges , aufopferndes Wirken Segen gebracht.
Nach dem Tode seiner Frau heiratete er — nicht ohne
meine Zustimmung — ein junges braves Mädchen und
wurde in wenig Jahren Vater von 5 Kindern. Leider
starb auch diese Frau schon nach 9 Jahren. Nun ist es
für ihn eine Wohlthat, seine Kinder im Orte selbst in
die Schule schicken zu können.
So oft ich meine Heimat besuchte, kamen natürlich
auch Kranke, besonders Augenleidende, mich um Rath
und Hilfe zu bitten. Das war für mich, fiir meine dort
gesuchte Erholung, störend, unbequem. Ich half mir
dann damit, dass ich einige Tage und Stunden festsetzte,
an welchen ich entweder in Graupen (im Bezirksspitale)
oder in Teplitz, wo ich bei meinem Freunde Höring
abstieg, ordinirte. Bald kam es dahin, dass ich mich
auch zur Vornahme von Operationen in Graupen oder
in Teplitz entschloss. Ich habe seit 1859 alljährlich
15— 2oStaaroperationen dort vorgenommen, durchschnitt-
lich mit besserem Erfolge, als in dem meist überfüllten
Krankenhause zu Wien. Die Leute brachten mir unbe-
dingtes Vertrauen und Folgsamkeit entgegen, und die
Aerzte (Baumeister, Müller, Reichl, Zonasch)
unterstützten mich redlich in der Nachbehandlung.
Mit meinem Freunde Gulz, einer durchaus edel
angelegten Natur, bin ich bis zu seinem Tode in innigem
Verkehre geblieben. Mit ihm machte ich auch eine der
87
angenehmsten Reisen : über Heidelberg und Heiden,
wo Graefe weilte, nach Chur, St. Moriz, durch
das Engadin nach Finsterminz, und durch das Vintsch-
gauthal nach Meran und Botzen, schliesslich über
den Brenner, wo eben die Eisenbahn gebaut wurde,
nach Innsbruck und Salzburg.
Der gute Oppolzer starb leider gleichfalls im
vollen Mannesalter ; mir wurde die schmerzliche Aufgabe,
am Grabe ihm Worte des Dankes und der Anerkennung
seiner Verdienste nachzurufen.
Mit V. Skoda trat ich erst in den letzten 1 5 Jahren
vor seinem Tode in mehr freundschaftlichen Umgang.
Ihm verdanke ich viele frohe Stunden in Gesellschaft
mit einem ausgewählten Kreise von Freunden. Ernst in
der Wissenschaft, meist trocken und kurz gefasst im ge-
wöhnlichen Verkehre, barg er ein warm fühlendes Herz
in seinem Busen, und im traulichen Kreise der Freunde
entschlüpften seinem Munde nicht selten die treffend«
sten Bemerkungen und Scherze. Er, der als armer
Student in Wien manchmal den Hunger mit gequellten
Erbsen gestillt hatte, war unter Beibehaltung einer
relativ einfachen Lebensweise zu einem ansehnlichen Ver-
mögen gelangt, übte aber, jetzt darf man es schon sagen,
mehr Wohlthaten im Stillen, als die Mitwelt ahnte.
Es sei mir gestattet, was nur Wenigen bekannt ist
und vielleicht auch anderweitig nicht bekannt gegeben
werden dürfte, hier kurz anzugeben, in welcher Weise
V. Skoda zum Studium der Medizin gelangte. Sein
88
um 4 Jahre älterer Bruder Franz (jetzt 84 Jahre) war,
ich weiss nicht genau wie, nach Wien gekommen,
wo er Medizin studirte. Er war öfters in das Haus des
Fabrikanten Bischof eingeladen worden. Als nun die
Frau Bischof, welche auf Anrathen der Aerzte die
Cur in Karlsbad gebrauchen sollte, ihn um die beste
Route dorthin frug und erfuhr, dass sie auch über
Pilsen reisen könne, entschloss sie sich, Franzens
Eltern daselbst aufzusuchen. Dort ruhte sie einen Tag
aus und sah unter andern auch Franzens Bruder
Joseph, welcher eben das Gymnasium und Lyceum
absolvirt hatte. Er muss auf sie einen sehr günstigen
Eindruck gemacht haben; sie frug, was er werden wolle.
Die Eltern sagten, er wolle ebenfalls nach Wien gehen,
um Medizin zu studiren, aber es fehlen die Mittel dazu.
»Nun, wenn's weiter nichts ist, kommen Sie nur nach
Wien; wir werden schon Mittel und Wege finden, Sie
durchzubringen, c Und so geschah es. Die verständige
Frau hielt ihr Wort, wohl kaum ahnend, welch* grossen
Dienst sie durch ihre humane Handlung der Wissenschaft
und leidenden Menschheit erweisen werde. — Die edle
Frau und ihr Mann waren todt, das von dem Sohne
fortgeführte Geschäft war ins Stocken gerathen, als
V. Skoda bereits berühmt und wohlhabend geworden
war. Da nahm sich v. Skoda des durch einen Wechsel
bedrängten Sohnes mit einer hohen Summe in einer so
zarten Weise an, dass ich das mit Worten würdig zu
schildern gar nicht unternehme. — Als ich dann an
89
seinem Grabe sprechen sollte, übermannte mich die
Rührung so, dass ich abbrechen musste. Das war ein
grosser Geist, ein edles HerzI
Von meinen intimen Freunden aus früheren Jahren
ist mir nur der wackere Jaksch noch am Leben ge-
blieben; meine Uebersetzung nach Wien hat uns räum-
lich getrennt; nur in den Herbstferien besuche ich ihn
auf seiner Besitzung (früher Lasko bei Pfibram, jetzt
Lohowa bei Pilsen). Mit ihm und Dittrich, der
in Erlangen tödtlich erkrankte, habe ich, bevor ich
Professor wurde, manche trübe Stunde, dann aber auch
viele frohe Tage verlebt. Auch Dittrich hat, bevor
er nach Erlangen berufen wurde, in Prag schwere
Kämpfe durchzumachen gehabt.
Was meine näheren Collegen (Fachgenossen) in
Wien betrifft, so habe ich mit Stell wag wohl in
gutem Einvernehmen gelebt, doch kam es zwischen uns
nie zu einem wärmeren Verhältnisse. Eduard Jäger
war gegen mich wie gegen Graefe und Donders und
manch' andern Collegen verbittert. Er hatte nach seiner
verdienstvollen Arbeit ȟber Staar und Staaroperationenc
offenbar darauf gerechnet, dass er die durch Rosas'
Tod erledigte Lehrkanzel erhalten werde, um so mehr,
als er mit seinem Vater an dem Grafen Thun eine
glückliche Operation ausgeführt hatte (Ausziehung eines
Zündhütchenfragmentes aus der vorderen Kammer mit
Excision eines Stückchens Iris). Ich schliesse dies aus
dem Umstände, dass mir Graf Thun nach meiner
90
Ernennung für Wien bedeuten Hess, ich möge trachten,
mit Jäger in gutem Einvernehmen zu bleiben. Ich habe
demgemäss nicht nur auf seine Ernennung zum ausser-
ordentlichen Professor, sondern auch, einige Jahre später,
auf Gewährung eines Gehaltes von 1500 fl. (als ausser-
ordentlicher Professor) angetragen. Da er als Primarius
1800 fl. Gehalt und freie Wohnung hatte, waren seine
fixen Bezüge kaum geringer als die meinen. Aber das
genügte nicht, ihn mit seiner Stellung als Vorstand einer
grossen Abtheilung (mit 80 Betten) und der damit ver-
bundenen Klinik zufrieden zu machen. Dass er seit
seiner Promotion (1844) durch eine Reihe von Jahren
wenig für seine Ausbildung in der Medizin überhaupt
gethan hatte, und dass ich bereits eine Professur inne
hatte, bevor er an die Bewerbung um eine solche denken
konnte, das scheint er sich nie zu Gemüthe gefuhrt zu
haben; er dachte nur an seine späteren, nach mancher
Richtung ausgezeichneten und auch allgemein anerkannten
Leistungen. — So blieb ich denn, was collegialen wissen-
schaftlichen Ideenaustausch betrifft, ausser Gulz, fast nur
auf meine Assistenten beschränkt.
Um so mehr freute ich mich auf die jährliche Zu-
sammenkunft mit Fachgenossen in Heidelberg, von
Graefe zuerst nur fiir einen kleinen Kreis von Freunden
veranstaltet, später zu einer grösseren Gesellschaft um-
gewandelt. In diesem reizenden Winkel am Neckar
lernte ich auch Donders näher kennen, später Bow-
man, Critchett, Agnew, Homer, Pagenstecher
91
u. A. Von dort aus unternahm ich 1859 mit Graefe
und Donders eine entzückend schöne Reise in die
Schweiz, erst durch das Berner Oberland, dann über die
Gemmi und Bad Leu k nach Chamo u nix, endlich über
Genf und Neuchatel nach Ölten, wo wir uns trenn-
ten. Graefe kannte keine Strapazen. Wer hätte damals
geahnt, dass der wackere Bergsteiger einem Lungenleiden
und so bald erliegen werde!
Nach dem Tode Hebra's wurde ich (1880) von der
k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, in welcher ich
wiederholt Vorträge gehalten hatte, zu ihrem Präsidenten
gewählt.
Die grösste Auszeichnung, das freudigste, erhebendste
Fest für mich, war die Feier meines 70. Geburtstags-
festes durch meine ehemaligen Assistenten und Schüler.
Viele waren aus weiter Ferne gekommen, mich zu be-
glückwünschen. Ein Album, von Stork mit einer
kunstvollen Enveloppe versehen, enthielt an 200 Photo-
graphien von meinen ehemaligen Schülern, mir und
meinen Kindern ein theueres Andenken. Schon vor
Jahren hatte ich einem Freunde geschrieben: »Nicht die
momentane Begeisterung — die mit den Jahren steigende
Anerkennung ist dem Lehrer der Maassstab fiir sein
Wirken c.
Wenige Wochen nach dieser Feier eilte ich nach
Berlin zur feierlichen Enthüllung des am Eck der
Louisen- und Schumannstrasse errichteten Standbildes
von Graefe, zu welcher nebst Donders zahlreiche
92
Schüler und Verehrer des uns leider zu früh Entrissenen
herbeigeströmt waren. In der Rede, welche ich als
Senior vor der Statue zu halten die Ehre hatte, hob ich
unter anderem auch hervor, dass Graefe für die Errich-
tung eigener ophthalmologischer Lehrkanzeln von staats-
wegen in dem nun geeinigten Deutschland eigentlich die
Bahn gebrochen hat.
IX.
MEIN GESUNDHEITSZUSTAND.
Eine schwere körperliche Krankheit hat mich nie
befallen. Selbst die gewöhnlichen Kinderkrank-
heiten haben mich, nachdem ich geimpft war, nicht
heimgesucht. Nur im lO. oder ii. Jahre war ich einmal
an einer fieberhaften Krankheit in Weisskirchlitz
bettlägerig, so dass ein Arzt aus Teplitz zu Rathe ge-
zogen wurde; ich erinnere mich nur, dass ich grossen
Durst, heftiges Seitenstechen und Husten hatte. — Erst
gegen Ostern 1849, als durch gedrückte Gemüths-
stimmung meine Widerstandskraft sehr geschwächt sein
mochte, erkrankte ich wieder, und zwar an einer heftigen
Hals- und Mittelohrentzündung, in Folge deren es zum
Durchbruche des linken Trommelfelles kam.
Später, als ich im August vor meiner Uebersiedlung
nach Wien meine Abschiedsvisiten (zum Theil in ent-
fernten Landhäusern) machte, gerieth mir bei einer
ungeschickten Bewegung im offenen Wagen glühende
Cigarrenasche in das linke Auge. Ich muss hier bemerken,
94
dass ich mir das Rauchen erst zu der Zeit, in der ich
der Hausordination des Dr. Jaksch beiwohnte, während
der gemeinschaftlichen Rast nach der Ordinationsstunde
angewöhnt hatte. Um die wunde Stelle an der Horn-
haut rasch zur Heilung zu bringen, verklebte ich die
Lidspalte mit Streifen englischen Pflasters, wie das damals
nach der Extraktion üblich war, und legte darüber eine
Binde an. Da ich aber bemerkt hatte, dass die sich
vom Rande her einrollenden Pflasterstreifen mich drück-
ten und beunruhigten, entfernte ich dieselben schon nach
einigen Stunden und beschränkte mich auf einen Ver-
band, welcher den Lidschlag hemmte. Diese Wahr-
nehmung bestimmte mich dann in Wien, den alt-
hergebrachten Verband nach der Extraktion aufzugeben,
die Augengrube mit Charpie auszupolstern, und diese
mittelst zollbreiter Leinwandstreifen, welche an beiden
Enden mit Heftpflaster bestrichen waren, an die Augen
angeschmiegt zu erhalten; zwei Jahre später führte ich
über diesen Verband noch einen Monoculus aus weichem
Flanell, und in den letzten Jahren Hess ich auch meistens
die manchmal Ekzem erregenden Heftpflasterstreifen
weg. Auf diese Art ist mein Schutzverband entstanden j
den Graefe 'sehen Druck- und Schnürverband habe ich
nur dann verwendet, wenn ich nicht sowohl die Lider
immobil machen, als vielmehr einen Druck auf das Auge
(wie bei Orchitis auf den Testikel) ausüben wollte.
Im Jahre 1859 erkrankte ich, sei es in Folge
physischer Anstrengung, sei es wegen deprimirender
95
Gemüthsaffekte an Magenkatarrh und Schlaflosigkeit. In
desperater Stimmung eilte ich gleich nach Schluss des
Sommersemesters zu meinem lieben Graefe nach
Berlin, mich zu zerstreuen. Dieser bemerkte mein
Leiden sehr bald und rieth mir, zunächst das Rauchen
und das Biertrinken, obwohl ich darin nie unmässig
gewesen war, aufzugeben und, da er vorläufig noch an
Berlin gebunden war, vor unserer beabsichtigten
Schweizerreise indess erst nach Misdroy an der Ostsee
zu gehen.
Dort fand ich bald angenehme Gesellschaft (Dr.
Oswald aus Berlin, Spediteur Arlt aus Stettin)
und erholte mich rasch; dann ging's fort nach Heidel-
berg und in die Schweiz. Ich bin dann noch einmal
(1867) mit meiner Frau und den jüngeren zwei Kindern
auf einige Wochen nach diesem stillen Seebade gegangen.
Anfang März 1862 durch meinen Freund Bret-
tauer, der 1857 mein Schüler gewesen, zu einer Con-
sultation nach Tri est gerufen, erkrankte ich daselbst
an einem heftigen Gesichtserysipel. Ich war kurz nach
der Abfahrt von Wien, in einen Pelz gehüllt, eingeschlafen
und hatte, als ich erwachte und sehen wollte, wo wir
seien — wir hatten eben den Semmering passirt — den
Kopf durch das geöffnete Fenster hinausgesteckt; ein
kalter Luftstrom traf meinen Kopf (von der rechten
Seite) ; bald darauf bekam ich Frost, dann Abgeschlagen-
heit und Unruhe. Als ich des Morgens in Triest an-
langte, erschrak Brettauer über mein Aussehen. Bald
96
war es klar, dass sich an der rechten Hälfte des Kopfes
ein Rothlauf entwickle. In dem Eltemhause von B ret-
tau er fand ich die liebevollste Pflege; nach 4 Tagen
konnte ich zu meiner geängsteten Familie zurückkehren.
Seitdem habe ich keine ernstliche Gesundheitsstörung
erfahren und auch die Inklination zu Bronchialkatarrhen
verloren; ich meine, dass hiezu auch kalte Waschungen
des ganzen Körpers (2 — 3 mal in der Woche) viel bei-
getragen haben.
Meine Sehkraft entspricht im Ganzen so ziemlich
meinem Alter; mit Convex 4 Dioptrien bewaffnet ge-
statten mir auch die Augen noch, delikate Operationen
vorzunehmen; nur bei feineren ophthalmoskopischen Unter-
suchungen muss ich oft an die Controle durch meinen
Sohn appelliren, um sicher zu sein, ob ich recht gesehen
habe.
Wien Ende Dezember 1885.
D. ARLT.
X.
ARLT'S LETZTE LEBENSJAHRE,
KRANKHEIT UND TOD.
VON
OTTO BECKER.
Gegen Ende des Sommersemesters 1881 machte Arlt
dem Unterrichtsministerium die Anzeige, dass er
am 18. April des nächsten Jahres sein 70. Lebensjahr
vollenden werde, mithin seine Professur niederzulegen
habe.
Das Ministerium antwortete mit der ihm gesetzlich
zustehenden Aufforderung, er möge bei seiner geistigen
Frische und ungeschwächten körperlichen Rüstigkeit sein
Lehramt noch ein Jahr weiterführen. Nach Berathung
mit Freunden erklärte Arlt sich dazu bereit. Somit war
es entschieden, dass er erst mit dem Schluss des Sommer-
semesters 1883 seine öffentliche Thätigkeit beenden sollte.
Im April 1882 überraschten ihn zahlreiche Schüler
und Freunde, indem sie zur Feier seines 70. Geburtstages,
Arlt, Meine Erlebnisse. 7
^ •
98
zum Theil aus weiter Ferne, herbeieilten. Sie wollten
noch einmal für einige Tage sich zu seinen Füssen auf
die Schulbank setzen, ihm und der Oeffentlichkeit zum
Zeichen, wie hoch sie das Glück schätzten, sich als seine
Schüler betrachten zu dürfen.
Wie er diese Huldigung aufTasste, sagen seine schönen
Worte:
»Nicht die momentane Begeisterung — , die mit den
Jahren steigende Anerkennung ist dem Lehrer der Maass-
stab seines Wirkens c.
Am 6. Juli 1883 nahm Arlt Abschied von seiner
Klinik. In dem festlich geschmückten Hörsaal wurde ihm
von seinen Schülern in Gegenwart eines grossen Theiles
des medizinischen Professorencollegiums eine künstlerisch
ausgestattete Adresse überreicht.
Aus den Worten, mit denen er dankte, klang wieder
die hohe Genugthuung hervor, sich als anerkannten
Meister einer angesehenen und ausgebreiteten Schule be-
trachten zu dürfen. Und mit Recht! Selbst persönliche
Gegner haben es öffentlich ausgesprochen, dass in ge-
wissem Sinne sich alle jetzt lebenden Augenärzte als seine
Schüler zu betrachten haben.
So empfänglich auch Arlt für alle diese Beweise von
Anerkennung, Verehrung und Liebe war, so konnten sie
doch den Ausbruch einer tiefen geistigen Verstimmung
nicht verhindern, der er bis zu seinem Ende nur vorüber-
gehend Herr wurde.
Dieser Verstimmung lagen offenbar ganz verschiedene
99
Ursachen zu Grunde, deren er selbst sich zum Theil wohl
nicht bewusst geworden ist.
Aus der eigenen Schilderung seines Lebens geht her-
vor, dass er die hohe Stellung in der Wissenschaft, in
der Lehre und in der Praxis nur durch rücksichtslose
Ausbildung derjenigen Eigenschaften erreicht hat, welche
in directer Weise sein ärztliches Wissen und Können zu
fördern im Stande gewesen sind. Eine gewisse Einseitig-
keit und enge Begrenzung seiner geistigen Interessen ist
die Folge davon gewesen.
Ausser den Pflichten seiner amtlichen Stellung waren
es die Interessen des ärztlichen Standes, fiir die einzu-
treten er jeden Augenblick bereit war, waren es die Be-
drängnisse armer Studenten, denen er seine Zeit, seine
Mühe, seine Mittel, als wäre das ganz selbstverständlich,
bis an die Grenze des Möglichen widmete.
Beobachten und sich über das Beobachtete aus-
sprechen, es Andern, Schülern und Collegen, mittheilen,
durch die Lehre sich selber zur Klarheit zwingen: damit
ist erschöpft, was ihm neben seiner Familie, dem sehr
entwickelten Gefühl für Freundschaft und dem Wohl-
thätigkeitssinn, den er in so grossartiger Weise bewährte
und von dem er in so bescheidener Weise spricht, das
Leben werth machte.
Beobachten und Lehren : eines war für ihn ohne das
andere nicht vorhanden.
Nun die Gelegenheit zu mündlicher Lehre weggefallen
war, war er allein auf schriftliche Mittheilung angewiesen,
7*
lOO
In erhöhter literarischer Thätigkeit suchte er Ersatz. Man
will aber an ihren Erzeugnissen eine gegen früher ver-
minderte Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit des Aus-
druckes wahrgenommen haben und führt dies, wohl nicht
mit Unrecht, auf das Fehlen des gewohnten täglichen
Vortrags zurück.
A r 1 1 ' s klarer Selbstkritik blieb dies nicht verborgen.
Die Schilderung seiner Erlebnisse giebt aber auch
Aufschluss, wie neben der engen Begrenzung seiner geisti-
gen Interessen sein wahrhaft edler und in seiner Einfach-
heit grosser Charakter sich entwickelt hat.
Ein berühmter College schrieb nach seinem Tode :
»Für A r 1 1 hatte ich, so diametral sich unsere Naturen
in Vielem gegenüberstanden, immer eine grosse Ver-
ehrung und Sympathie. Das einfach Wahre im Denken
und Handeln ist immer etwas Schönes, Grosses, etwas
Imponirendes in dem künstlichen Bau unserer modernen
Gesellschaft. €
So lange Arlt in seiner hervorragenden Stellung an
der Würde seines Amtes einen Halt hatte, ging er an
diesen künstlichen Verhältnissen achtlos vorüber. Den
Pensionär beängstigten und bedrückten sie, und verwirrten
und trübten wohl auch nicht selten die Klarheit seines
Blickes und Urtheils.
Allerdings machten sich die veränderten äusseren
Verhältnisse schon fühlbar, ehe sie noch thatsächlich ein-
getreten waren.
Gerade weil in Arlt das Bewusstsein, an der Spitze
lOI
einer grossen Schule zu stehen, sein ganzes Sein be-
herrschte, war der ohnehin verständliche und berechtigte
Wunsch, einen Fachgenossen seiner Schule zum unmittel-
baren Nachfolger oder wenigstens für später als Nachfolger
in sicherer Aussicht zu haben, bei ihm zu einem heissen
Verlangen geworden. Er betrachtete es geradezu als
Ehrensache, dass die noch zu Zeiten seiner Amtsführung,
und zwar gerade auf seine Veranlassung hin, in Fluss
gerathene Besetzungsfrage in seinem Sinne erledigt werde.
Als sich da nun auch andere Wünsche und Be-
strebungen, von den seinigen abweichende Auffassungen
und Einflüsse geltend machten, wurde es Arlt schwer,
Personen und Sachen ruhig und objectiv zu beurtheilen.
Ueberall sah er persönliche Gegnerschaften, Anfeindungen,
Nichtworthalten, Unzuverlässigkeit, Zurücksetzung u. s. w.
Dazwischen blieb es auch nicht aus, dass er sich selbst
anklagte, er habe dies oder das ungeschickt angefasst, er
sei kein Diplomat ; aber, heisst es dann wieder, er könne
keine Schritte thun, die er an anderen tadele.
Vertrauliche Briefe aus den letzten Jahren geben ein
herzergreifendes Bild von der unklaren, verbitterten und
traurigen Seelenstimmung, in der er lebte.
»Wenn Sie heute hier wärenc, schreibt er am 15. April
1883, »träfen Sie mich in einer andern Stimmung als vor
einem Jahre, wo von meinen Freunden und Schülern einer
nach dem andern kam, mein Geburtsfest zu feiern, und
ich mit stolzer Befriedigung auf meinen Lebenslauf zu-
rückblicken könnte. Heute bin ich kleinlaut . . .«
I02
Und drei Wochen später (4. Mai) : »Ich danke Ihnen
für Ihre innige Theilnahme an meinem Leiden. Leider
kann ich Ihnen nichts besseres melden, nur schlimmeresc
A r 1 1 berichtet dann über den Tod von zwei langjährigen
Freunden und fährt fort: »Sie sehen lauter deprimirende
Eindrücke. Aber diese sowie manches andere würde mir
doch meine Fassung nicht rauben. Denn die Behandlung,
welche ich durch meine Collegen erfahre, macht mich
befangen, benimmt mir die Gewissheit, dass ich die Sach-
lage richtig beurtheile, dass ich das Richtige spreche und
thue.«
So geht es den ganzen Sommer, bis er, als die Be-
setzungsfrage, wenn auch nicht in seinem Sinne, ent-
schieden war, schreiben konnte (15. Okt. 1883): »Endlich
habe ich die nöthige Ruhe wieder erlangt, Ihnen über
meine Erlebnisse seit meinem letzten Briefe zu schreiben.«
Ihm weniger nahe stehende Personen, denen er nicht
so rückhaltslos offen schreiben konnte, rühmen dagegen
den edlen, würdevollen Ton seiner Briefe aus dieser Zeit.
Nach Niederlegung seines Amtes kam dann der Mangel
an Beschäftigung hinzu. Mag sein, dass der Zudrang zu
seiner Sprechstunde abgenommen hatte. Jedenfalls über-
schätzte er die Abnahme und empfand sie schwerer, als
sie war. Die Zeit, welche durch die Praxis ausgefüllt
werden sollte, war eben durch den Wegfall der klinischen
Thätigkeit eine längere geworden.
»In Wien selbst habe ich fast gar nichts zu thun,
nur von ferne sucht man mich auf. Man sagt, ich
103
habe mich von der Praxis ganz zurückgezogen.« (25. Juni
1885.)
Dagegen kommt gelegentlich auch wieder ein Brief,
in dem es (17. November 1885) heisst: »Wir sind alle
wohlauf, und ich habe noch immer hübsch zu thun.
Meine freie Zeit fülle ich mit Nachlesen der Tageslitera-
tur aus.«
Diese trübe Stimmung sollte nur zu bald auch durch
körperliche Leiden gesteigert und befestigt werden. Oder
war sie etwa durch unbemerkt gebliebene oder nicht ge-
nug beachtete Vorgänge in dem alternden Organismus
schon zum Theil bedingt?
Im Mai 1885 konnte Arlt noch schreiben: »Ein
schweres körperliches Leiden hat mich nie befallen«. Am
19. April 1886 hatte er das Unglück, sich beim Heraus-
springen aus der Pferdebahn einen Bruch des linken Ober-
armes zuzuziehen. Er selbst erzählt den Vorgang in
einem Brief vom 24. April :
»Vielen Dank für Ihr Schreiben I — Aus diesen
Zeilen erschliessen Sie wohl, dass es der linke Arm ist,
dessen Gelenkkopf (innerhalb der Kapsel, ziemlich quer,
ohne Splitter) gebrochen wurde. Im Gefühle voller Ge-
sundheit und Kraft beging ich Montag nach 9 Uhr die
Dummheit, von einem Tramwaywagen in der Aiserstrasse
(während der Fahrt) abzuspringen, was ich wohl schon
hundertmal gethan hatte. Es scheint, dass ich diesmal
den Pflasterstein, auf den ich springen wollte, zu nahe
genommen hatte, so dass mich die Flugkraft noch weiter
104
trieb. Ich fiel vorwärts, erst auf das rechte Knie, das
mit einer Aufschürfung davon kam, dann aber links (ob
auf die Hand oder den Ellbogen?), und bekam in der
Schulter einen starken Schmerz. Ich ging nun durch die
Pelikangasse in die Anstalt von Dr. Low, wo ich drei
Kranke zu besuchen hatte. Nach der Visite bestimmte
mich der Secundärarzt Dr. Sonnenfeld, dem meine Blässe
auffiel, in sein Zimmer zu gehen. Der Versuch, den Arm
zu heben, war schmerzhaft; beim Betasten des Schulter-
gelenkes bemerkte der Doktor und der dann herbei-
gerufene Dr. Low Crepitation. Es war 9*/« Uhr. Der
nun aus dem Spitale geholte Professor Dittel richtete
den Bruch (unter massigen Schmerzen) ein und fixirte den
Arm mittelst Wasserglas- Verbandes an den Stumpf. In
dieser Stellung muss ich nun den Arm ruhig lassen. Ich
bekam weder Fieber, noch erhebliche Schmerzen; das
lästigste ist die Verurtheilung zum Nichtsthun und vor-
läufig zum Zimmerarrest. Schlimmer aber als das drückt
mich der Umstand, dass ich, in dem Vorsatze, vom 21. bis
27. in Graupen zuzubringen, mehrere Operationskandi-
daten auf die ersten Tage nach Ostern hierher bestellt
hatte .... Dass ich, wenn alles gut geht, vor sechs
Wochen keine operative Thätigkeit werde aufnehmen
können, ist, wie nach allen solchen Brüchen, sicher, c*)
*) Dr. Low fügt einem im wesentlichen übereinstimmenden Be-
richte hinzu: »Als Charakteristikum für Ar! t kann ich Ihnen mittheilen,
dass ich in der Zwischenzeit bis von Dittel kam, nicht bei ihm bleiben
105
Ach I Nicht nur die gefiirchteten sechs Wochen sollte
die operative Unthätigkeit dauern; die heilbringenden,
kunstgeübten Hände Arlt's waren für immer zur Ruhe
verdammt.
Ich berichte wieder mit Arlt's eigenen Worten vom
2. Juli 1886:
»Als ich Ihnen meinen Unfall vom 19. April anzeigte,
ahnte ich nicht, welche schweren Leiden mir bevor-
standen. Ich bin nun so weit hergestellt, dass die Callus-
bildung ohne Störung erfolgt und die Beweglichkeit des
Armes hergestellt ist, obwohl die Muskelschwäche noch
in hohem Grade andauert. Aber das ist nicht die Haupt-
sache meines Leidens. Ich leide seit den ersten Tagen
meines Unglückes an Schlaflosigkeit und seit Anfang Mai
auch an einem äusserst lästigen Ohrensausen (nach Po-
litzer 's Anschauung: Katarrh des Mittelohres). Wie das
gekommen ist? Da muss ich weit ausholen, so ungern
ich es auch thue. Ihnen bin ich es schuldig. Mein Ge-
müth, durch vorausgegangene Schicksalsschläge erschüttert,
ist durch meinen Fall vom 19. mehr als ich dachte, er-
griffen worden.«
Es folgen nun ausführliche Mittheilungen über ein
durfte, sondern einen 4. Kranken verbinden musste, der auf die Visite
sonst hätte warten müssen. Auch duldete Hofrath v o n A r 1 1 nicht, dass
ich ihn nach Hause begleitete, sondern ich musste einen Patienten, dem
Professor Arlt versprochen hatte, er werde am Vormittag hinkommen,
im Hotel Erzherzog Carl statt seiner aufsuchen und den Grund des
Nichterscheinens Arlt's angeben <.
io6
schweres Leiden, welches seinen jüngeren Sohn seit länger
als einem Jahre wiederholt heimgesucht hatte.
Dann spricht er von Reiseplänen mit dem Sohne
und fährt fort:
»Nach Heidelberg werde ich dieses Jahr wohl nicht
kommen. f »Ob ich je wieder gesund werde? Ich kann
keine ernste Lektüre vornehmen, selbst das Zeitunglesen
halte ich nicht lange aus. Es ist mir immer, als ob
es mir die Ohren auswärts drängte, als ob etwas
Schweres auf meinem Gehirn lastete ; ich muss mich
immer erst besinnen, ob das, was ich beginne, richtig
sei. Seit Mitte Mai schlafe ich nur mit Nachhilfe von
Chloralhydrat. Wäre mein Kopf frei und hätte ich einen
erquickenden Schlaf, so wäre ich ganz gesund ; ich könnte
wieder arbeiten. Zürnen Sie mir nicht, dass ich Ihnen so
lange nicht geschrieben habe. Sie können es wohl an
diesem Briefe merken, dass ich mich sehr verändert
habe.« »Bis zum Ende meines 74. Jahres war ich ein
glücklicher Mensch. Das Schicksal meines Sohnes hat
mich geknickt; meine Dummheit am 19. April hat mich
elend — weil arbeitsunfähig — , wenigstens für längere
Zeit, gemacht.«
Ich beantwortete diesen Brief sogleich mit der drin-
genden Bitte, den gewohnten jährlichen Besuch in Heidel-
berg, der ihm immer so wohlgethan, nicht nur nicht auf-
zugeben, vielmehr diesmal früher zu kommen und auch
das Heidelberger Jubiläum mitzumachen.
Statt einer Antwort von seiner Hand brachten die
107
Zeitungen die Nachricht von der schweren Erkrankung
Arlt's in Johannisbad, wohin er in Begleitung seines jün-
geren Sohnes gereist war, um die Bäder zu gebrauchen.
Er selbst hat später darüber in einem Dictat an seine
Schwiegertochter berichtet :
»Seit meinem Armbruch im April litt ich an Schlaf-
losigkeit, vermuthlich weil ich gegen meine Gewohnheit
nicht auf der linken Seite liegen durfte, weshalb ich mit
meinem Sohne Wilhelm nach Johannisbad bei Trautenau
reiste. Am Abend der Ankunft (29. Juli) machten wir
noch einen Spaziergang. Es gefiel mir da sehr gut, und
ich schlief zum ersten Mal seit langer Zeit ohne Schlaf-
mittel, c
»Als ich des Morgens aus dem etwas hohen Bette
stieg, fühlte ich plötzlich einen so heftigen Schmerz im
linken Bein, dass ich kaum aufzutreten vermochte. Trotz-
dem nahm ich ein Bad. Der Schmerz verlor sich nicht ;
doch denkt Euch meinen Schreck, als ich beim Ankleiden
zwei Zehen kreideweiss und gefühllos finde I Trotzdem
kleidete ich mich an. Der anwesende Dr. Franke fand den
Zustand bedenklich und liess den Chirurgen Dr. Schrei-
ber holen. €
»Wenn der nun recht gehabt hätte, so wäre es aller-
dings um mich geschehen gewesen. Er hatte es nämlich
für Embolie erklärt. Da wäre nun das Los des armen
Dr. J u r i e (der kurz vorher an Embolie gestorben war)
auch das meinige gewesen. Später besuchte mich auch
Dr. P a u e r. Letzterer erklärte es für eine Thrombose und
io8
schickte mich sofort nach Wien. Was ich auf dieser
Fahrt ausgestanden, werde ich mein Lebtag nicht ver-
gessen. Ich sass aufrecht und hielt das Bein mit beiden
Händen unter dem Knie.«
Nach qualvoller neunstündiger Bahnfahrt kam Arlt
am 3 iten Mittags in Wien an. Dr. Allmayer, der ihn
mit Dittel schon an dem Armbruch behandelt hatte, fand
»den Fuss bis zur Grenze der Metacarpo-phalangeal-
gelenke ganz blass, den anderen Theil des Beines bis
zum Knie ganz blau und geschwollen. An der Grenze
zwischen mittlerem und oberem Drittel des Unterschenkels
die livide Färbung am stärksten und dort auch die heftig»
sten Schmerzen, mit und ohne Berührung.« Dr. Allmayer
zog erst Weinlechner, dann Bill rot h hinzu. Kalte Um-
schläge minderten anfangs die Schmerzen, kurze Zeit
wurden warme Kamillenumschläge versucht und dann, als
sich, wie vorauszusehen, Gangrän des Fusses und Unter-
schenkels eingestellt hatte, mit Gypstheer verbunden.
Noch am 31. Juli Nachmittags wurde Arlt in sein
Landhaus nach Pötzleindorf gebracht, wo er im Kreise
seiner Familie die aufopferndste Pflege fand.
Unausgesetzte, besonders des Nachts unerträgliche
Schmerzen machten den Zustand um so qualvoller, als
Arlt nur schwer und erst auf vieles Zureden sich ent-
schloss, grössere Dosen Chloralhydrat zu nehmen und
ausreichende Morphiuminjectionen machen zu lassen.
Man wartete, dass sich die Gangrän begrenze, um
die Amputation vorzunehmen.
109
Am 6. September übernahm Professor v. D i ttel , von
seiner Reise zurückgekehrt, die Leitung der Behandlung.
Durch die grosse psychische Aufgeregtheit, den intermit-
tirenden Puls, die vollständige Schlaflosigkeit, vor allem
aber durch den Geruch, welchen die Gangrän verbreitete,
fand er sich bewogen, am lO. S. die Amputation des
Unterschenkels in den nekrotischen Knochen vorzunehmen.
So schwer sich Arlt an den Gedanken hatte gewöhnen
können, dass Gangrän eingetreten sei, so stoisch benahm
er sich jetzt. Als die Knochen durchsägt waren, rief er
dem Freunde scherzweise zu: »Sehen Sie nur, dass Sie
jetzt in drei Minuten fertig sind« I
Die Operation war vollkommen schmerzlos und un-
blutig. Der Wadenlappen granulirte. Doch mussten fast
täglich kleine gangränöse Randpartien abgetragen werden.
Die ersten Tage nach der Operation brachten dem
Patienten eine wesentliche Erleichterung. Dann aber
traten wieder Schmerzen ein, gegen welche sich alle Nar-
kotika, selbst in grösseren Dosen, erfolglos erwiesen.
Trotzdem nahmen die Kräfte zu.
Am 21. September wurde Arlt mit Unterstützung
von Dr. Allmayer nach Wien in seine Wohnung über-
geführt. Am 23. September wurde die Fibuladu, eben-
falls ohne Narkose und schmerzlos, ausgelöst.
Der Allgemeinzustand verschlechterte sich von da an
wieder. Ein Gefühl grosser Schwäche mit starkem Zittern
trat zu den, besonders bei Bewegungen, die sich auch dem
Kniegelenk mittheilten, heftigen Schmerzen hinzu. Dabei
HO
war A r 1 1 oft kleinmüthig, fast verzweifelt. Trotz mancher
dagegen sprechender Bedenken entschloss sich Professor
D i 1 1 e 1 nach zustimmender Consultation mit Professor A 1-
bert zur Amputation des Oberschenkels im untern Drittel.
Dieselbe wurde in einem vorher desinficirten Zimmer von
Arlt*s Wohnung am i. October, Vormittags 9 Uhr, unter
Assistenz von Dr. Allmayer und einiger anderer jungen
Aerzte ausgeführt. Es wurde ein oberer etwas nach aussen
gerichteter kürzerer Lappen und ein längerer Lappen nach
unten innen angelegt. Die Art. und Ven. femoralis waren
vollkommen verstopft, so dass sie nicht bluteten. Die
kleineren Aeste der Aa. circumflexa, glutaea, ischiadica
dagegen spritzten*).
*) Arlt hatte sich willig in die Vornahme der Amputation gefügt.
Am frühen Morgen des i. October traf er noch Bestimmungen wegen
seiner Biographie und dictirte das als Vorwort abgedruckte Codicill.
Auch hatte er selbst angeordnet, dass das amputirte Knie sogleich
in das Pathologisch- Anatomische Institut gebracht würde. Herr Professor
Kund rat hat die Freundlichkeit gehabt , mir das Präparat zu zeigen und
mir über den Befund eine schriftliche Mittheilung zu machen.
Danach hat Arlt an einem spindelförmigen Aneurysma der Art.
Poplitea gelitten , welches bei allmähligem Wachsthum durch Compres-
sion der Vena popIitea deren Thrombosirung und Verödung veranlasst
hatte. Unter den so erschwerten Circulationsverhältnissen ist es dann
durch die schwächenden Momente, welchen Arlt durch seinen Sturz und
dessen physische und psychische Folgen , sowie durch den Kummer
wegen der Krankheit seines Sohnes unterworfen war, zur schichtweisen
Thrombosirung des Aneurysma und während der starken Streckung des
Beines beim Heraussteigen aus dem hohen Bett in J o h a n n i s b ad zu einem
plötzlichen Verschluss und damit zur vollständigen Unterbrechung der
Circulation unterhalb des Knies, sowie zur Gangrän gekommen.
Durch diesen unerwarteten Befund wurde die Aufmerksamkeit der
Umgebung, der ärztlichen sowohl wie seiner Familie, auf Erlebnisse ge-
lenkt, welche der Kranke vom Anfang seiner Erkrankung an als in Be-
III
Als Arlt aus der Narkose, wegen welcher er grosse
Besorgniss gehegt hatte, erwachte, fühlte er sich »wie neu
geborene, hatte keine Schmerzen und schlief dann 2^/a Stun-
den. Dieses Wohlbefinden hielt auch den folgenden Tag
noch an, »Er ist ohne Schmerz, munter und zufrieden,
isst, nimmt Madeira, liest die Zeitung. Kein Fieber,
Temp. 37®.« Vom 3. October an veränderte sich der
Zustand. Obwohl die Temperatur nicht stieg, und an der
Wunde kein beunruhigendes Symptom auftrat, verlor sich
der Appetit, stellten sich heftiger Durst, dann Verdauungs-
beschwerden ein. Auf einen mehrtägigen schlummer-
süchtigen Zustand folgte ein Stadium grosser psychischer
Erregtheit mit zeitweisen Delirien und Todesahnungen.
In den Delirien riss er sich wiederholt den Verband,
Ziehung zu ihr stehend bezeichnet hatte. Aufgefordert, darüber im Zu-
sammenhang zu berichten, dictirte er jetzt:
»Ich muss vorausschicken, dass ich ein Landhaus inPötzleinsdorf
besitze. Den dazu gehörigen Weingarten bearbeite ich zum Theil selbst.
Es ist mir dies eine Zerstreuung, wenn ich den ganzen Tag ordinirt habe.
Es war nun vor etwa 5 bis 6 Jahren, dass ich, als ich mich dabei btlckte,
einen heftigen Schmerz im linken Bein in der Wadengegeud verspürte.
Ich blieb zwei Stunden im oberen Lusthause sitzen, weil ich nicht gehen
konnte. Ich vermuthete eine Zerrung. Der Schmerz verlor sich wieder.
Im Verlaufe der sechs Jahre mag sich das plötzliche Auftreten von
Schmerz im linken Bein etwa vier bis sechs Mal wiederholt haben. Vor
zwei Jahren kam derselbe besonders heftig wieder und quälte mich durch
mehrere Wochen. Im März band ich im Weingarten Ribiselslöcke (Jo-
hannisbeerstauden) an , wobei das Hauptkörpergewicht mehr auf dem
linken Fusse ruhte. Plötzlich empfand ich einen Schmerz, der so heftig
wurde, dass ich mich im Lusthause niedersetzen musste.«
Bezüglich des der Bildung des Aneurysma zu Grunde liegenden
Leidens gewinnt nun auch eine gewisse Bedeutung, was Arlt Seite 84
über die Erkrankung seines älteren Bruders mittheilt.
112
jedoch ohne Nachtheil für den Stumpf, ab ; am 8. October
nahm er Abschied von seinen Aerzten und seiner Familie
und verlangte den Geistlichen. Für die Nacht erwartete
man das Ende.
Das Gefiirchtete trat jedoch nicht ein. Drei volle
Tage blieb der Zustand unverändert. Da erwachte er
(ii. October) unerwartet nach mehrstündigem Schlaf ge-
stärkt und ruhig, mit dem Gefühl wirklich geschlafen zu
haben. »Er spricht klar und zusammenhängend, erinnert
sich der Begebenheiten der letzten Tage, setzt die Brille
auf und dictirt wieder einige Veränderungen an seiner
Biographie.«
Doch war dies nur ein vorübergehendes Erwachen.
Schon am folgenden Tage traten wieder stürmische, tob-
suchtartige Delirien auf. »Es macht oder steigert zeit-
weise vielmehr den Eindruck einer schweren * Gehirn-
erkrankung, die vielleicht schon am 19. April mit dem Hu-
merusbruch und der Agrypnie begonnen hat« (Schrötter,
Leidesdorf). Da alle Narkotica versagten, stand man
(Bamberger 16. October) von jeder Medication ab. Ohne
wesentliche Aenderung in dem Zustande ging es so fort
bis zum 25. October. »Auf ruhigen Schlaf folgt länger
dauernde Klarheit des Bewusstseins, Theilnahme an der
Umgebung. Er spielt mit seinen Enkeln, ordnet (26.)
geschäftliche Angelegenheiten«.
Noch einmal tritt am 5. November eine Verschlimme-
rung des psychischen Zustandes auf, die bis zum 12. an-
hält. Von da an beginnt eine Periode des Wohlbefindens,
113
die alle Freunde des Kranken mit der Hoffnung einer
baldigen, vollständigen Genesung erfüllte. Das Bewusst-
sein ist klar, er liest viel und empfangt gerne Besuche.
Das Allgemeinbefinden ist vortrefflich. Am 15. werden
die ersten Gehversuche gemacht, bei denen er sich kräftig
mit beiden Händen und auf dem gesunden Fuss aufstützt.
Der ersten Ausfahrt am 16. folgen solche von nun an
täglich. Es wird alles Ernstes daran gedacht, einen künst-
lichen Fuss anfertigen zu lassen. Das Gerücht greift den
Thatsachen vor. Man schrieb mir, Arlt ordinire wieder
und fahre zu Consultationen.
Schon Ende November aber treten hin und wieder
den Schlaf störende Schmerzen im Stumpf auf. Im
December nehmen sie an Häufigkeit und Stärke zu. Nar-
kotica, Fomentationen und die Anwendung Leiter 'scher
Kühlapparate helfen nicht. So geht das Jahr 1886 zu
Ende. Das neue Jahr bringt nur Verschlimmerung. Die
Schmerzen werden unerträglich. Die stärksten Dosen
Morphium massigen sie kaum auf wenige Stunden.
Dabei bleibt bei gutem Appetit der Kräftezustand
noch immer befriedigend. Die täglichen Ausfahrten werden
nicht ausgesetzt. Das Interesse für alle Vorkommnisse
nicht nur in der Familie, sondern auch in der Stadt und
der Welt wird durch fleissiges Zeitungslesen wach erhalten.
Die Antwort auf die zahlreichen Briefe und Anfragen formu-
lirt er selbst. Vom 25. November liegt ein eigenhändiger
Brief vor mir, dessen Schrift die schwere Erkrankung nicht
ahnen lässt. Um Neujahr heisst es in einem Briefe seines
Arlt, Meine Erlebnisse. 8
114
Sohnes: »Vater hofft in den nächsten Tagen Ihnen selbst
schreiben zu dürfen«. Die aus den weitesten und höch-
sten Kreisen unausgesetzt kommenden Beweise von Theil-
nahme nimmt der Dulder mit dankbarer Freude entgegen.
Sein lebhaftes Freundschaftsgefühl Hess ihn den Tod des
20 Jahre jüngeren H o r n e r und des Freundessohnes, des
Astronomen Oppolzer,auf das schmerzlichste empfinden.
Ueber die Ursachen der Schmerzen in dem Ampu-
tationsstumpf konnte man nicht zur Klarheit kommen.
Man dachte an Osteophytenbildung, an Neurome und
anderes. Die Lage der befreundeten Collegen war eine
peinliche. »Dem alten Manne trotz allem Zergrübeln in
meinem Gehirn nicht helfen zu können, hat mir oft trübe
Stunden gemacht,! schrieb der eine.
Ende Januar entschloss man sich, den Versuch zu
machen, durch Resection des N. ischiadicus die Schmerzen
zu beseitigen. B illroth führte die Operation am 27. Januar
unter Assistenz von D i 1 1 e 1 aus. Sie brachte leider keine
Linderung. Die Schmerzen steigerten sich vielmehr noch
am Abend der Operation. Es trat Fieber mit zeitweiligen
Delirien ein, die nach einigen Tagen häufiger und heftiger
wurden; ein Zustand, wie nach der Amputation. Das
Fieber war gering, aber der Appetit, wohl zum Theil durch
die häufig nothwendigen Morphiuminjectionen, verloren,
die Stimmung sehr gedrückt. Er sehnt den Tod herbei.
Mit aufgehobenen Händen fleht er seine Aerzte an:
»Lassen Sie mich sterben!«
Obwohl mit der Heilung der Wunde Mitte Februar
IIS
die Schmerzen nachliessen und auch im Allgemeinbefinden
eine Besserung eintrat, die Temperatur sogar subnormal
wurde, blieb die Schwäche die gleiche. Und als Ende des
Monats sich wieder Fieber einstellte, constatirte Dräsche
eine hypostatische Pneumonie, die in kurzer Zeit den
fürchterlichen Leiden ein Ende machte. Am 7. März um
2 Uhr Nachmittags hat FerdinandArltdie Augen für
immer geschlossen.
Die Trauer um den Verstorbenen gab sich in Wien
in weiten Kreisen und auch äusserlich durch Aushängen
der Trauerfahne am Universitätsgebäude und am Allge-
meinen Krankenhause kund.
Das Begräbniss fand am 9. März unter grosser Be-
theiligung von Leidtragenden statt. Seine irdische Hülle
ruht auf dem Centralfriedhof in Wien.
8*
LITERARISCHE THÄTIGKEIT
UND
AUSZEICHNUNGEN.
ARLT'S LITERARISCHE THÄTIGKEIT,
(Die von ihm veranlassten Arbeiten seiner Schüler sind mit einem
Stern bezeichnet.)
1839. Dissertatio inaug. med. sistens Historias Amauroseos
e vitiis organicis cerebri quatuor adnexis similibus,
quotquot innotuere, autorum variorum observationi-
bus etc. etc. in theses adnexas disputabitur in
magna aula Carolina die 27. Nov. 1839 ^ora. 12
matut. Carolus Ferdinandus Arlt Bohemus Supero-
gru pnensis. P r a g a e.
1842. Beiträge zur Lehre vom Schielen und dessen Heilung
durch den Muskelschnitt von Dr. C. F. Arlt,
Assistent an der Augenklinik der Prager Hoch-
schule. — Mediz. Jahrbücher des österr. Staates
XXXVIII. S. 83—98, 196—226, 324—337.
1844. Aphoristische Bemerkungen über einige Augenkrank-
heiten: I. Das Gerstenkorn. — 2. Entzündung der
Drüsen an der Basis der Cilien. — 3. Die Ent-
zündung der Meibom'schen Drüsen. — 4. Das
Hornhautstaphylom. — 5. Amblyopie. — Prag,
med. Viertelj. Jahrg. 1844. 2. S. 76 — 87; 4. S. 58
bis 70.
I20
i845- 2^^ Nosogenie der Katarakta capsularis centralis
und der Katarakta pyramidalis. — Oesterr. Wochen-
schr. Nr. lo und ii.
1845. Ueber Trichiasis und Entropium. — Prag. med.
Viertelj. Jahrg. 1845. 3. S. 46 — 55. (Modif. der
Jaesche' sehen Entropiura-Operation.)
1845. ^"^ Nosographie und Nosogenie des Flügelfells.
(Mit 8 Krankengeschichten.) — Prag. med. Viertelj.
Jahrg. 1845. 4. S. 73—92-
1846. Die Anstalten für Blinde und Augenkranke in Prag.
Historische Skizze von C. F. Arlt, med. und chir.
Dt., ehemaligem Assistenten der Augenklinik in
Prag , und ausserordentlichem Dozenten der Ohren-
heilkunde an der k. k. Ferdinands - Universität.
(Mit einem Bilde von Joh. Nep. Fischer.) —
Der Ertrag dieser aus dem Taschenbuch »Libussac
für 1846 besonders abgedruckten Schrift ist zur
Gründung eines Stiftungsplatzes in der Versorgungs-
und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in
Böhmen bestimmt. Prag 1846. Gedr. im Art.-
typogr. Institute von C. W. Med an u. C.
1846. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken
Zustande, nebst einem Anhange über Augengläser,
allgemein fasslich dargestellt von Dr. Arlt. —
Der Reinertrag dieser Schrift ist für die Blinden-
erziehungs- und die Blindenversorgungs - Anstalt in
Prag bestimmt. Prag 1846. Gedruckt auf Kosten
des Verfassers, und zu haben in allen Buchhand-
lungen.
1846. Physiologische und pathologisch - anatomische Be-
merkungen über die Bindehaut. Prag. med. Viertelj.
Jahrg. 1846. 4. S. 70 — 79. (Beschreibt die heute
*
121
Dermoide genannten Geschwülste als Warzen der
Conjunctiva, den sogenannten Frühlingskatarrh , die
Folgen von im Conjunctivalsack vergessenen Krebs-
augen.)
1847. Zur pathologischen Anatomie des Auges. (Mit einer
kolorirten Stein tafel.) Prag. med. Viertel]. Jahrg.
1847. '• S. 44 — 61. — (Verknöcherung der Cho-
rioidea sei nur Verkalkung. Befund eines glaukom.
Auges. Scleralstaphylome. 4 Sectionsbefunde.)
1848. Aufsatz über Trachom. (Aspritudo conjunctivae.)
Von Dr. A r 1 1 , suppl. Professor der Augenheilkunde.
Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1848. 2. S. 41 — 68.
1849. Ueber die Eintheilung und Benennung der Augen-
entzündungen. Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1849. 2.
S. I — 25.
1850. Die Krankheiten des Auges für praktische Aerzte
I. Bd. 1850. II. Bd. 1853. III. Bd. 1856. Prag.
F. A. Credner und Kleinbub. — (In 5 unver-
änderten Abdrücken erschienen.)
1853. Construction eines für ärztliche Zwecke brauchbaren
Orthoskops (Czermak) von Professor Arlt. Prag,
med. Viertelj. Jahrg. 1853. 2. S. 141.
1854. Professor Arlt's Methode, das Symblepharon zu
heilen. Beschreibung von Dr. Kittel, Assistent
der Augenklinik. Prag. med. Viertelj. Jahrg. 1854. i.
S. 161 — 168.
1854. Ueber die Accommodation. Nach einem Vortrage
des k. k. Professors der Augenheilkunde des med.
Dr. Arlt, in der Plenarversammlung der med.
Fakultät am 29. Mai 1854. Prag. Monatsschr. für
theor. und prakt. Homöopathie. 2. Jahrg. Nr. VI.
122
i8s4- Myopischer Bau des Bulbus. Vortrag von Professor
Arlt im Prag. Doctorencollegium. Dr. Altschul's
Monatsschr. Prag. 1854. Juniheft.
1855. Ueber den Thränenschlauch. Anatom., physiolog.
und pathol. Bemerkungen. Arch. f. Ophth. I. 2.
S. 135 — 160.
1856. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken
Zustande. Zweite unveränderte (Titel-)Ausgabe.
Prag. Credner,
* 1856. Klinik für Augenkranke des Prof. Arlt. (Eigenthüm-
liche Art von Blepharospasmus, Bindehautblennorrhoe,
Glaucoma.) Cataracta nigra. Lineare Extraktion.
Aphakie. Hemeralopie. Iritis. Blennorrhoe des
Thränensackes. Trachoma. Flügelfell. Retinitis.
Kopiopie. Vorderer Ccntralkapselstaar. Blephara-
denitis ciliaris. Vollkommen flüssiger Staar. Kurz-
sichtigkeit. Staphyloma. Lähmung der Muskeln, die
vom Nervus oculomotorius versorgt werden. Pro-
lapsus iridis, Hypopyum und Unguis. Amblyopie.
Homhautvereiterung nach Variola. Ueber den vor-
deren Kapselstaar. — Allg. Wien. med. Ztg. S. 30,
34, 38, 42, 46, 53, 59, 62, 67, 70.
1857. Vortrag über Staphylom von Professor Arlt. —
Wochenbl. der k. k. Gesellschaft der Wien. Aerzte.
Nr. 12.
1857. Ueber die Heilung des Glaukom durch Iridektomie
nach Dr. A. von Graefe. Vortrag in der Ges.
der Aerzte in Wien 20. April. — Wochenbl. der
k. k. Ges. der Wien. Aerzte, S. 22, 26, 173, 305.
* 1857. Klinik für Augenkranke des Professors Arlt. —
Hornhaulstaphylom des rechten, Schwund der
123
Cornea des linken Auges nach Blennorrhoe der
Bindehaut. Blennorrhoea neonatorum. Symblepharon.
Lähmung der vom N. oculomotorius versorgten
Muskeln eines amblyopischen Auges. Buphthalmus.
Cataracta nuclearis nach Convulsionen. Staphyloma
posticum. — Allg. Wien. med. Zeitung, S. 8, 14,
20, 40, 58, 94, 120.
*i857. Professor Arlt*s Ambulatorium für Augenkranke.
Von Dr. A. Voytits. — Allg. Wien. med. Zeitung,
S. 195, 199, 207, 211, 215.
1857. Ueber die Behandlung der Bindehautentzündung der
Neugeborenen. Jahrb. für Kinderheilkunde. Wien.
I. Heft. S. 21 — 44.
1857. Zur Anatomie des Auges. Arch. für Ophth. III, 2.
S. 87 — 120. (Behandelt Form und Lage des Corpus
ciliare und der Iris.)
1858. Ueber angeborenen Mangel der Augen bei einem
9 Monate alten Kinde, mit Sectionsbericht vom
Oberarzt Dr. Wallmann. — Zeitschr. d. Gesellsch.
d. Aerzte. S. 445. Sitzungsbericht vom 11. Juni.
1858. Freier Vortrag über die Anwendung des Druck-
verbandes bei Augenentzündungen. Demonstration
des Lieb reich 'sehen Augenspiegels. — Vor-
stellung eines mit Erfolg nach einer neuen Methode
an Ectropium mit Substanzverlust operirten Eisen-
bahnarbeiteis. — Zeitschr. der Gesellsch. der Wien.
Aerzte, S. 159, 223 und 804.
*i859. Bericht über die .im Studienjahre 1858 auf der
Wiener Augenklinik des Professors Arlt behandelten
Kranken. Bearbeitet von Dr. Businelli, —
124
Zeitschr. der Gesellsch. der Wien. Aerzte, S. 6, 24
und 475.
* 1859. Ueber Entzündung des episcleralen Bindegewebes
(der Tunica vaginalis). — Aus dem Ambulatorium
von Professor A r 1 1 mitgetheilt von Dr. Rembold. —
Allg. Wien. med. Zeitung, Nr. 15.
1859. Ueber fehlerhafte Stellung der Thränenpunkte. —
Allg. Wien. med. Zeitung, S. 106.
*i859. Conjunctivitis scrofulosa, Hornhautfistel, Pupillen-
sperre, Iridektomie bei Glaukom. — Bericht von
der Ar It' sehen Klinik von Dr. Businelli. —
Zeitschr. der k. k. Gesellsch. der Wien. Aerzte,
Nr. 2.
* 1859. Aus der Klinik für Augenkranke des Professor Arlt,
mitgetheilt von Dr. Businelli. — Oesterr. Zeitschr.
für prakt. Heilkunde. — Dacryoadenitis acuta S. 675.
Kapsellinsenstaar und divergirendes Schielen. Ex-
traktion der ganzen Kapsel sammt der Linse, Hei-
lung des Schielens durch prismatische Gläser.
S. 559.
1860. Professor Arlt demonstrirt neue Augeninstrumente
(Löffel von Schuft und Staarmesser von Weiss). —
Wochenbl. der Zeitschr. der k. k. Gesellsch. der
Wien. Aerzte. 1861. Nr. 6.
* 1860. Aus der Augenklinik des Professor Arlt in Wien.
Zwei Fälle von Amaurose mit temporärer Schwel-
lung und Vorwölbung der Sehnervenscheibe. Beob-
achtet vom emeritirten Assistenten Dr. Businelli. —
Wiener med. Wochenschr. (Beilage Spitalzeitung.)
Bd. X. S. 251, 267, 283. Anm.: Nach münd-
*
125
lieber Mittheilung des Professor Arlt, welche mir
erst nach Beendigung dieses Aufsatzes zukam, hat
Professor von Graefe bei der Versammlung einiger
Ophthalmologen zu Heidelberg am 4. Sept. 1859
über die in Rede stehende hügelförmige Vorragung
der Sehnervenscheibe und ihre Beziehung zu Gehim-
krankheiten gesprochen. B u s i n e 1 1 i.
(Businelli's Untersuchungen datiren vom 14.
Oct 1858 und 28. März 1859.)
1860. Ulcus corneae cum Hypopyo, Punction, Heilung.
Aus der Augenklinik des Professor Arlt, mitgetheilt
von Dr. Max Tetzer. — Wiener Medizinalhalle,
S. 36.
* 1861. Bericht über die auf der Wiener Augenklinik des
Professor Arlt im Studienjahre 1859 behandelten
Kranken. Bearbeitet von Dr. Businelli. —
Oesterr. Zeitschr. für prakt. Heilkunde, Nr. i — 13.
*i86i. Aus dem Ambulatorium der Klinik des Professor
Arlt. Von Dr. Max Tetzer: i. Diplopia.
2. Pan Ophthalmitis. — Allg. Wiener med. Zeitung,
S. 429.
1862. 3. Contusio palp. sup. sin; Hyphaema traumat;
Commotio cerebri. — Ibid. S. 44, 55, 63. —
4. Acutes Glaukom. — Ibid. S. 192, 210, 229,
258, 282.
*i862. Ueber Cataracta. Von Dr. Max Tetzer mit
Ergänzungen von Professor Arlt. — A. Wien. men.
Zeitung, S. 2, 16, 23, 24.
.*i862. Professor Arlt 's öffentliche Vorträge. — Ueber
Krankheiten der Thränenorgane. — Wien. med.
126
Wochenschr. XII. Spitalszeitung, S. 265, 298, 315,
323, 337, 347, 363, 371, 385» 393-
1862. Ueber Orbitalabscess mit Exophthalmus. Ueber den
N. drbicularis palpebrarum. — Wochenbl. der
Zeitschr. der Gesellsch. der Aerzte, S. 126 und 143.
* 1862. Bericht über die auf der Augenklinik des Professor
Arlt in den Studienjahren 1860 und 1861 behan-
delten Kranken. Bearbeitet von Dr. R. Koller. —
Wien. Medizinalhalle, S. 17, 57 und 323.
1863. Ueber den Ringmuskel der Augenlider. Mit 2 Tafeln.
Arch. für Ophth. IX, i, S. 64 — 98.
1863. Ophthalmia catarrhalis epidemica, beobachtet im
Oct. und Nov. 1861. — Wochenbl. der Zeitschr.
der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. i.
1863. Demonstration eines Kindes mit Anophthalmus
congenitus duplex. Sitz.bericht vom 23. Oct. 1863.
Ibidem. Nr. 43.
1863. Augendurchschnitt von Arlt und Elfin ger. Zeit-
schr. der Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. 160. —
Auch unter dem Titel: Horizontaler Durchschnitt
des menschlichen Auges. Gez. von Dr. C. Elfin-
ger 1862. Wien. W. Braumüller. 1875.
1863. Vortrag über Glaukom und Iridektomie. — Zeitschr.
der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien, S. 207.
1864. Ueber Acne rosacea und Lupus. — Sitz.bericht der
Ophth. Gesellschaft, S. 35. — Klin. Monatsbl. 11.
S. 329.
1864. Verkalkte Linse. Glaskörperblutung. — Sitz.bericht
der Ophth. Gesellschaft, S. 70. — Klin. Monatsbl.
II. 364.
127
1864. Vorführung eines Kranken mit scrophulöser Ver-
schwärung der seitlichen Halsgegend, Zerstörung des
Felsenbeins und dem Vorhandensein einer in der
Gegend des Proc. mastoideus gelegenen, mit dem
mittleren Ohre communicirenden Oeflfnung. — Zeit-
schr. der k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien,
S. 466.
1865. Zum Mechanismus der Thränenleitung. — Wien,
med. Wochenschr. S. 81.
1865. Die Pflege der Augen im gesunden und kranken
Zustande nebst einem Anhange über Augengläser.
Mit I Tafel in Farbendruck. Dritte umgearbeitete
Ausgabe. Prag. C. A. Credner.
1865. lieber Anophthalmus. — Wochenbl. der Zeitschr. der
k. k. Gesellsch. der Aerzte zu Wien. Nr. 49.
(Sitz.bericht vom 17. Nov. 1865.)
1866. Entwurf einer Norm für die zur Erlangung des
Doctorgrades an der med. Fakultät abzulegenden
Rigorosen. — Oesterr. Zeitschr. für prakt. Med.,
S. 720, 853, 890, 907, 932.
1866. Ueber von Graefe's rektificirte Linearextraktion.
Sitz.bericht der k. k. Gesellsch. der Aerzte 27. April.
Wochenblatt S. 273. — Wien. med. Wochenschr.
S. 605. — Oesterr. Zeitschr. für prakt. Med.
S. 386. — Wien. Medizinalhalle, S. 488.
* 1866. Mittheilungen aus der Klinik des Professor Arlt
von Dr. O. Becker und Dr. L. Rydel. —
I, Inflammatio tunicae vaginalis bulbi. — 2. Em-
pyem der Lider in Folge von Trauma; Heilung. —
Wien. med. Wochenschr. S. 1036, 1050, 1227.
128
*i867. Bericht über die Augenklinik der Wien. Universität
1 863 — 1 865 . Unter Mitwirkung des Professor F. A r 1 1
herausgegeben von Dr. MaxTetzer, Dr. L. R y d e 1
und Dr. O. Becker. — Med. Jahrb. Bd. XIII
und XIV. — Separatabdruck bei W. Brau mül 1er
1867.
1867. Ueber Retinitis nyctalopica. Siehe vorst. Bericht.
1867. Ein Fall von Cysticercus cellulosae im Innern des
Bulbus, Entfernung desselben durch die Operation.
Sitz.bericht vom 28. Juni 1867. — Anzeig, der k. k.
Gesellsch. der Aerzte, S. 252; Allg. Wien. med.
Zeitung, S. 223; Oesterr. Zeitschr, für prakt. Med.,
S. 593-
*^i867. Otto Becker. — Exposd des rdsultats statistiques
de Textraction lindaire modifide (procddd de M. de
Graefe) obtenus dans la clinique de M. Ar lt. —
Compte-Rendu du Congres periodique international
d* Ophthalmologie k Paris 12, 13 et 14 Aoüt 1867.
Paris. J. B. Bailli^re. 1868.
1868. Professor Arlt legt eine neue Art von Schutzbrillen
(C o h n ' s Glimmerbrillen) in der Sitzung der Ge-
sellsch. der Aerzte (13. März 1868) vor. — Oesterr.
Zeitschr. für prakt. Med., S. 258.
1868. Zur Behandlung der Thränenschlauchkrankheiten.
Hierzu Tafel IV. Archiv für Ophth. XIV, 3,
S. 267 — 284.
1869. Zur Militär- Sanitäts-Reform. — Wien. med. Wochen-
schr., S. 447.
1870. Zur Lehre vom Homhautabscesse. — Arch. für
Ophth. XVI, I, S. 1—26.
129
1871. Vorstellung eines Kranken mit Herpes Zoster trigem.
(Ramil). Discussion über Glaukom. — Anzeig, der
k. k. Gesellsch, der Aerzte, S. 801. — Oesterr.
Zeitschr. für prakt. Med., S. 801.
1873. lieber sympathische Augenentzündung. — Wien,
med. Wochenschr. , S. 97, 121, 145. — Separat
erschienen und übersetzt von V. F. Alexander
in The Medical Press and Circular. London.
Juli 1873.
1874. lieber Scleralruptur. — Klin. Monatsbl., S. 382.
1874. Operationslehre. — Handbuch für Augenh. von
A. Graefe und Sae misch. Bd. III, 2. Leipzig.
VV. Engel mann.
1875. lieber die Verletzungen des Auges in gerichtsärzt-
licher Beziehung. — Wien. med. Wochenschr.
Nr. 10—34. — (Uebersetzungen : i. Des blessures
de l'oeil au point de vue pratique et mddico-ldgal
par le Dr. F. de Arlt, trad. par le Dr. P. Halten-
hoff de Gendve. Paris. Germer Bailli^re et C.
1877. — 2. Injuries of the eye and their medico-
legal aspect byFerd. vonArlt, transl. by C h a s.
S. Turnbull, M. D. Philadelphia. — Claxton,
Remsen and Ha ff eisin ger. 1878. — 3. De
las Heridas del ojo bajo el punto de vista präctico
y mÄiico-legal por el Dr. F. de Arlt, vertida al
castellano por el Dr. Rodolfo del Castillo Guar-
tiellerz. Barcelona. Jos^Arivet. 1879.)
1875. Zur Lehre vom Glaukom. — Allg. Wien, med,
Zeitung, S. 444, 451.
1875. Discussion über Glaukom und Iridektomie von
Dr. Schnabel und Professor A r 1 1. — Sitz.bericht
Arlt, Meine Erlebnisse. 9
I30
der k. k. Gesellsch. der Aerzte vom 12. und
19. Nov. — Wien. Medizinalh., S. 1134 und 1203.
1875. Zur Aetiologie und Therapie der Bindehautblennor-
rhoe. — Vortrag, gehalten am 7. April 1875 '°
der Section Wien des Vereins der Aerzte in Nieder-
Österreich. — Mittheihingen des Vereins der Aerzte
in Niederösterreich, Nr. i — 5. — AUgem. Wien,
med. Zeitung, S. 129, 134, 145, 161, 173, 180,
198, 441, 451.
1876. Ueber die Ursachen und die Entstehung der Kurz-
sichtigkeit. Mit 2 Tafeln. Wien. W. Braumüller.
1876. Blepharoraphia medialis. (Hebung des herab-
gesunkenen unteren Lides.) Wien. med. Wochenschr.,
s. 975.
1879. Zur Aetiologie der Keratitis. — Wien. med. Wochen-
schr., Nr. 7 — II. Separat erschienen im Selbst-
verlag des Verfassers.
1881. I. Ankyloblepharon (peculiare). — 2. Spontane
Berstung der vorderen Kapsel einer kataraktösen
Linse. — Sitz.berichte derOphth. Gesellsch., S. 130.
1881. Klinische Darstellung der Krankheiten des Auges,
zunächst der Binde-, Hörn- und Lederhaut, dann
der Iris und des Ciliarkörpers. Mit einer xylogr.
Tafel. Wien. W. Braumüller. — (Uebersetzung :
Clinical Studies on Diseases of the Eye including
those of the Conjunctiva, Cornea, Sclerotica, Iris
and Ciliary Body by Dr. F. Ritter von Arlt,
transl. by Syman Ware, M. D. Philadelphia.
Blakiston, Son & C. 1885.)
131
i882. Kurzer Bericht über eine als Nachtrag mitgetheilte
Abhandlung von Tamamschef, Trichiasisoperation
betr. — Sitz.berichte der Ophth. Gesellsch., S. 123.
1884. Zur Lehre vom Glaukom. Mit 6 Tafeln und
12 Abbildungen im Texte. Wien. W. Brau-
müller.
1885. lieber die Entwicklung des Mikrophthalmus und
Anophthalmus congenitus. — Discussion. — An-
zeiger der k. k. Gesellsch. der Aerzte, Nr. 17,
12. Febr.
1885. Winke zur Staaroperation. — Archiv für Ophth.
XXXI, 3, S. 1-38.
1885. Verwendung der Rei singe r 'sehen Hakenpinzette
bei der Kataraktoperation. — Archiv für Ophth.
XXXI, 4, S. 285 — 294.
9*
ERNENNUNGEN UND AUSZEICHNUNGEN.
1839. 30. Nov.
1840. 5. April.
— 7. Mai.
184T. 18. Juli.
— 3. Dec.
1842. 22. Nov.
1843 — 1848.
— 12. Octob.
1844 — 1849.
1845. 15. Sept.
1846. 7. Octob.
1847. 7. April.
1848. 16. Jänner.
1849. 22. Jänner.
IG. Aug.
— II. Sept.
1850. 27. April.
Promotion zum Dr. med. et chir. Prag.
Assistent der Lehrkanzel für Augenheil-
kunde.
Secundarius der Abtheilung für Augen-
kranke.
Primarius der Abtheilung für Augenkranke.
Supplirung der Abtheilung für Augen-
kranke.
Konceptspraktikant beim Kaurizimer
Kreisarat, Prag, bis 7. Aug. 1845.
Arzt der Erziehungsanstalt für jugendliche
Gesetzübertreter und des Vereins zum
Wohle entlassener Züchtlinge.
Dozent für Ohrenheilkunde.
Referent für Ophth. der Prag. Vierteljahrs-
schrift.
Bürger von Prag.
Supplirung der ophth. Lehrkanzel.
Docent für pathol. Anatomie des Auges.
Magister der Augenheilkunde in Wien.
Professor extraordinarius.
Berufung nach Leiprig.
Ernennung zum ordentl. Professor der
Augenheilkunde in Prag.
Stadtverordneter. 27. Sept. Stadtrath für
die Neustadt, Prag.
133
i855- April. Mitherausgeber des Archivs für Ophthal-
mologie.
1856. IG. Juni. Ernennung zum ordentl. Prof. der Augen-
heilkunde in Wien.
1863. IG. Jänner. Ehrenbürger der Stadt Graupen.
1867. 12. Jänner. Mitglied des Unterrichtsrathes, Wien.
1868. 7. April. Ehrenbürger von Hall in Oberösterreich.
— 29. Aug. Mitglied des Comitd für Militärsanitäts-
reformen.
i88g. 12. Nov. Präsident der Gesellschaft der Wiener
Aerzte.
1883. I. Oct. In Pension getreten.
1886. 2. April. Ehrenpräsident der Gesellschaft der Wiener
Aerzte.
Arlt war Mitglied (M.), correspondirendes Mitglied
(C. M.), Ehrenmitglied (E. M.) folgender Gesellschaften und
V^ereine:
1843. Teiner Hilfsverein, M., Prag; 1844. Verein zum
Wohle hilfsbedürftiger Kinder, M., Prag; Erziehungs- und
Heil-Institut für arme Blinde und Augenkranke, E. M., Prag ;
1847. ^- ^' Gesellschaft der Wiener Aerzte, C. M., 1856. M. ;
1849. Verein deutscher Aerzte in Paris, C. M., 1854. E. M. ;
Mediz. Gesellschaft in Leipzig, M. ; 1851. Physikalisch-medizin.
Gesellschaft in Erlangen, M. ; Aerztlicher Verein in München,
C. M. ; 1852. Gesellschaft der Aerzte in Odessa, C. M. ;
1856. k. k. priv. Scharfschützenkorps in Prag, Ehrenhaupt-
mann; 1856. Wiener med. Facultät, M.; 1857. Medizinischer
Unterstützungsverein in Wien, E. M. ; 1858. Zoolog.-botan.
Verein in Wien, M. ; 1862. Verein der Aerzte in Kiew, E. M.;
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden, E. M. ;
1865. k. Russische Universität zu Moskau, E. M.; Wiener
Wohlthätigkeits - Verein , M. ; 1867. Pathological Society of
St Louis, U. S., E. M. ; 1868. Aerztlicher Verein in Pesth,
M. ; Prager Dombauverein, M.; 1869. Verein zur Unter-
'34
stutzung armer erwachsener Blinden in Wien, M.; Akadero.
Gesangverein in Wien, E. M.; 1870. Militär -Veteranen verein
der Bergstadt Graupen , E. M. ; Verein der Aerzte in der
Bukowina, E. M. ; Scharfschützenkorps der Bergstadt Graupen,
E. M. ; 1872. Leopoldstädter Kinderspitalsverein in Wien, M.;
1876. Mitglied der Stipendienkommission der Universität
Wien, M.; 1877. Wiener akademische Lesehalle, E. M.; 1882.
Gisela -Verein in Wien, E. M.; Gesellschaft der Krakauer
Aerzte, E. M. ; Allgemeiner österr. Apotheker -Verein, E. M.;
Socidt^ de Chirurgie de Paris, auswärtig. M.
1865. 7. Aug. Caballero de la örden Imperiale de
Guadelupe.
1870. 18. Mai. Ritter der Eisernen Krone IIL Klasse. —
24. Oct. Erhebung in den erblichen Ritter-
stand des österreichischen Staates.
1877. 14. Nov. Titel und Charakter eines Hofrathes.
1881. 27. Jan. Comthur des Königl. Bayerischen Ver-
dienstordens vom heiig. Michael.
1883. 27. Febr. Comthur des Franz Josephs - Ordens mit
dem Stern.
— 1 8. März. Ehrenzeichen der Gesellschaft vom rothen
Kreuze zu St. Petersburg.
1884. 2. Aug. Persischer Sonnen- und Löwenorden
UL Cl.
NACHWORT.
VON
OTTO BECKER.
NACHWORT.
Als ich um Ostern 1885 zu einem Besuche bei Arlt
nach Wien fuhr, hatte ich unterwegs die eben in
deutscher Ausgabe erschienene Autobiographie von Ma-
rion Sims gelesen. Der Genuss, den mir das Buch be-
reitet hatte, ward Veranlassung, Arlt den Wunsch aus-
zusprechen, welchem dieses Buch seine Entstehung ver-
dankt. Nicht wenig erstaunt war ich, als ich schon nach
wenigen Wochen (25. Mai) ein sauber geschriebenes Manu-
script erhielt, in welchem Arlt seine Erlebnisse geschildert
hatte. »Heute sende ich Ihnen das Manuscript meiner
Biographiec, schrieb er dazu, »prüfen Sie, ob es sich zur
Veröffentlichung durch den Druck eignet. Gehen Sie
nur streng zu Werke, streichen Sie, was unpassend er-
scheint, und machen Sie mich auf Mängel und Lücken
aufmerksame.
Dies ward Veranlassung zu einem regen Briefwechsel.
Es war schwer, Arlt dahin zu bringen, manche Stellen
zu unterdrücken, welche die Befürchtung erregen mussten,
dass sie, wie sein Charakter ohnehin von Vielen nicht
138
verstanden worden ist, leicht dazu gefuhrt haben würden,
falschen Urtheilen als Bestätigung zu dienen.
Endlich gelang es, ihn zu folgender Erklärung zu
bringen: »Ich werde Ihre Winke benutzen, soweit ich es
vermag; ich will Ihnen folgen, wie ungern ich auch etwas
streiche, was die Motive meiner Handlungsweise betrifft, c
(25. Juni 1885).
Weniger nachgiebig zeigte sich Arlt bezüglich einiger
polemischer Stellen, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht,
ihm eine Menge Verdriesslichkeiten zugezogen haben
würden. Da hielt ich es für meine Pflicht, ihn zu be-
wegen, von der ursprünglich in Aussicht genommenen
Veröffentlichung seiner Biographie während seines Lebens
Abstand zu nehmen. Er gab auch dazu schliesslich seine
Einwilligung mit dem Hinzufügen, dass er mich und seine
Schwiegertochter, Marie von Arlt, geb. von Hönigsberg,
mit der Herausgabe seiner Biographie beauftrage.
Aus der mitgetheilten Geschichte seiner letzten
Krankheit geht hervor, dass er sich immer und immer
wieder, selbst im Angesicht des Todes, mit Aenderungen
an der Biographie beschäfligte ; sie nahm zeitweise fast
sein ganzes Interesse in Anspruch.
Nach seinem Tode fanden sich von der Lebens-
beschreibung drei Manuscripte vor. Der ursprüngliche
Entwurf vom 25. Mai 1885 und die beiden Exemplare,
deren Arlt in dem Testamentskodicill vom i. October
erwähnt. Selbstverständlich haben wir das darin bezeich-
nete Manuscript der Ausgabe zu Grunde gelegt. Natur-
139
gemäss hat mir Frau von Arlt im Wesentlichen die
Bestimmungen über die Art der Herausgabe überlassen,
und trage ich daher allein die volle Verantwortung dafür.
Um manchen Ausstellungen, die dem Buche, wie es jetzt
vorliegt, nicht erspart bleiben werden, im Voraus zu be-
gegnen, sei es mir erlaubt, mich über die Grundsätze, die
mich bei der Herausgabe geleitet haben, an dieser Stelle
auszusprechen.
Bei Uebersendung des ersten Manuscripts (Mai 1885)
schrieb Arlt: »falls Sie es überhaupt für die Publikation
geeignet finden, wäre ich gesonnen, es bei Bergmann in
Wiesbaden erscheinen zu lassen, was meinen Sie dazu?«
Bei einer persönlichen Zusammenkunft im September 1885,
als noch beabsichtigt war, die Biographie in demselben
Jahre zu veröffentlichen, einigten sich Herr Bergmann und
Arlt über die Bedingungen der Herausgabe. Obgleich
dieselbe dann verschoben wurde, so glaubte ich mich
doch nicht berechtigt, nach A r 1 1 ' s Tode einen anderen
Verleger zu wählen. Ich erwähne dies, da es auffallen
könnte, dass Arlt seine Biographie nicht bei seinem Ver-
leger in Wien hat erscheinen lassen.
In welcher Weise Herr Bergmann das Andenken des
Verstorbenen zu ehren gewusst hat, zeigt die glänzende
Ausstattung des Werkes.
Das dem Titel voranstehende Porträt ist, Arlt's
eignem Wunsche zufolge, nach der zu seinem 70. Geburts-
tage von Lö wy angefertigten Photographie von demselben
in Lichtdruck ausgeführt. Wir haben dann, um den so
rh a r a ktc! "wt wi hf ii Koof Arlt's im P)re£ Z3
öl dem Ateiäa-Yv^cHänfstaeBgl b M "rprhcD asaagefohrte
ia Heiac ^cA ' « j:
cerB£(c3ia=kcr Bitterlich &r <äe Pesther At^cn-
kümk asf VcnsIssKiag tgo Professor Schaleck mo-
deülirt hat.
Toa Professor Leber, an öen er g aichtet ist, fincmHl-
hdist z:ir \ ex fug u^ gestellt.
Bd der Wiedergabe des Sfaasscr^iCs habe ich es mir
PÜklil gemacht, da kr oe Be!;irtlici£aiig eiocr hervor*
* —
gevrmen K<y3DCDL an oeasse.Den. m
und stfistisrher Hinsscht. srjuA eicht die kleinste Acndenn^
Torzunehmen. Dagegen wfrd oaan. vie ich hoSc^ das Fehlen
der polemischen Stellen, weiche micfa \^eraii2asst haben,
die Herausgabe der Biographie während Arlt's Lebzeiten
zu verhindem. nicht ^-enmssen.
Den ebenen Aufr<*irhn;ingen Arlt*s habe ich ein
Kantet über seine letzten Lebensjahre, seine Krankheit
und seinen Tod hinzi^efugt.
Die seit seinem Tode \'er6ossene Zeit ist zu kurz,
als dass ich mich \'on dem übenrält^enden Eindnidc hatte
freimachen können . den die Leiden der letzten Jahre im
Gegensatz zu den Worten, mit denen er das Schliwskapitd
seiner Biographie begonnen hat: >Eine schwere körper-
liche Krankheit hat mich nie befallene, auf mich gemacht
haben. Dies mag zum Tbeil wenigstens entsdiuld^en.
141
wenn das von fremder Hand Hinzugefügte zu der eigen-
händigen Schilderung des Erlebten einen unverhältniss-
mässig grossen Raum einnimmt.
Doch habe ich mich dabei seiner eigenen Worte be-
dient, soweit es mir seine Briefe an mich und Diktate,
die mir seine Schwiegertochter zur Verfugung gestellt hat,
ermöglichten. Während der ganzen Dauer seiner Krank-
heit habe ich ausserdem von seinem Sohne, bald täglich,
bald in grösseren Zwischenräumen, Nachricht über den
Verlauf und alle Zwischenfälle der Krankheit erhalten.
Ganz besonderen Dank fühle ich mich aber verpflichtet,
Herrn Professor v. Dittel für Ueberlassung der von
ihm geführten Krankengeschichte auszusprechen. Ich habe
sie, wie man erkennen wird, vielfach wörtlich benutzt.
Das Verzeichniss der literarischen Thätigkeit Arlt's
soll zur Beurtheilung nicht allein seiner eignen Leistungen
im engeren Sinne, sondern auch der Anregung, die er
seinen Schülern zu geben wusste, dienen. Ich hoffe, dass
es Augenärzten, die für das Werden des gegenwärtigen
Zustandes der Augenheilkunde Interesse haben, will-
kommen sein wird.
Bei der grossen Bescheidenheit Arlt's, die sich auch
in der Schilderung seines Lebens abspiegelt, habe ich es
mir umsoweniger versagen wollen, ein Verzeichniss der
Auszeichnungen und Ehrenbezeigungen hinzuzufügen, als
er selbst ihrer kaum Erwähnung gethan hat.
Bei Durchsicht seiner Papiere hat sich eine notariell
142
b^laubigte Abschrift seines Taufscheines gefunden. Nadi
ihr ist er nicht am i8. April, sondern am 17. Apnl 1812
geboren. Auf einem, von ihm selbst beschriebenen Katte
ohne sonst wichtigen Inhalt, giebt er als Datum sauer
Geburt den 19. April an. Auch das scheint mir be-
zeichnend für die eigenthümliche Laufbahn des in Armutli
und Dunkelheit geborenen Mannes, der an hervorragender
Stelle eine Leuchte der Wissenschaft und Humanität ge-
worden ist.
Die schmerzlichen Empfindungen, welche die ausser-
gewöhnlichen Leiden des geliebten Mannes bei allen Thcil-
nehnocnden herv'oi^erufcn haben, werden dnrdi eimge
ThÄl?;achen etwas gemildert, die ich noch mittheDcn imd
iiuf die irh die Aufmerksamkeit hinlenken möchte.
Sein Sckhn berichtet: >Es war kurz vor dem Sing-
ihwiterhrÄnde , als mein Vater mich eines Tags nadi
K^endeit^i Ordinaticm autForderte, ihn mit dem Angen-
sj^irgt^l I u untersuchen ; er bemerke seit einiger Zeit eine
VwTi^rhrunji Steiner mc^ucihc> volantes; ich möge ihm sagen,
oh irh sie mir dtin Spie^.; nachni'eisen könne. Iri er-
lulhc seinen Wunsr-h — Äliein wer schildert mein Eat-
i»ei7en iii> ich auf beute AujrcE die unverfcemibapen
- ru^hen cies he^mnendi^r; c^auer Scaares tand '. Mit ausser-
?aei Ansr-en^uni; behe^^vcihTf »r>, Srimme und Miene imd
jyyjre u^h kannte ühs:^iu: nirii:> Tin^irn F.r fjai^ sidi da-
mte itiifnectai un^ schtec ^eruhur-*
Och i^vr fuhr 3;:^teicr. m Ä^im^ir ahen Figtmde.
4tim ^'tsjJsaÄrhcner. H.ifrair "«^isenr. Skrrlt. und ha: um
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um seinen Rath. Er fragte, was mein Vater in solchen
Fällen zu verordnen pflege, und als ich ihm sagte, dass
Vater von der Wirksamkeit der Jodkalisalbe überzeugt
sei und selbe stets anwenden lasse, meinte er : Nun, seien
Sie unbesorgt. Ihr Vater ist ein Mann. Ich werde selbst
mit ihm sprechen. Niemand soll etwas davon erfahren, c
»Dies geschah — und nie hat die langen Jahre hin-
durch mein Vater auch nur mit einer Silbe mir gegen-
über davon Erwähnung gethan, ob und was Skoda mit
ihm gesprochen. Wohl aber sagte mir Skoda gelegent-
lich: Ihr Vater braucht die Salbe, wovon ich mich dann
in der Folge auch überzeugt habe.«
»Und er hat noch im Juli 1886 Diagnosen mit dem
Spiegel gemacht, dass ich oft darüber staunte, welch' vor-
treffliche Sehschärfe ihm in seinem hohen Alter geblieben.«
(Vergl. S. 96.)
»Erst in den letzten Monaten machte die Cataracta
Fortschritte, wie ich mich überzeugte, und im November,
als langdauerndes Irrereden den Gedanken an ein ernstes
Gehirnleiden nahelegte, sah ich mich veranlasst, mein
Schweigen zu brechen und den Professoren Leidesdorf,
Dittel und Schrötter, diesen seinen bewährten Freunden
und Aerzten, davon Mittheilung zu machen.«
Also vor dem Schicksal wenigstens ist Arlt durch den
Tod bewahrt geblieben, dass er, der Meister der Ex-
traction, selbst sich hätte operiren lassen müssen 1
Die elfmonatlichen Leiden Arlt's, zumal der an
Wechselfallen reiche Verlauf der zweiten Erkrankung,
144
haben an die Thätigkeit seiner Aerzte Anforderungen ganz
ungewöhnlicher Art gestellt Diese wurden noch dadurch
erhöht, dass Arlt in den letzten Monaten mit einer ge-
radezu sehnsüchtigen Ungeduld den ärztlichen Besuchen
entgegensah und um ihre häufige Wiederholung bat.
Wenn nun auch die älteren Aerzte in dem Kranken
den hervorragenden Collegen sahen, der im gegebenen
Falle an ihnen ebenso gehandelt haben würde, und wenn
auch die jüngeren dem hochverehrten Lehrer und Meister
dankbaren Herzens noch grössere Opfer freudig gebracht
haben würden, so muss den Schülern, Freimden und Ver-
ehrern, denen es nicht vergönnt war, irgend etwas zur
Linderung der Qualen des geliebten Mannes beizutragen,
doch die unablässige, selbstlose, ärztliche Sorge, Pflege
und Thätigkeit* umsomehr einen erhebenden Eindruck
machen, als all' dieser unermüdlichen Aufopferung die Be-
friedigung eines günstigen Erfolges nicht zu Theil werden
konnte.
Otto Becker.
ARLT'S HANDSCHRIFT:
FACSIMILE-REPRODUCTION EINES BRIEFES.
Arlt, Meine Erlebnisse. lO
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