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Full text of "Michelangelo in Rom, 1508-1512"

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MICHELANGELO 


IN 


ROM 

1508—1512. 


MICHELAlS^aELO 


IN  ROM 


1508  —  1512 


ANTON   SPRINGER. 


LEIPZIG 

YEELAG    VON    S.    HIEZEL 

1875. 


V 


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Das  Uebersetzungsreclit  ist  vorbehalten. 


1. 


Der  Höhepunkt  in  Michelangelo's  Leben  fällt  in 
die  letzten  Jahre  des  Pontificates  Julius  II.  Grosse 
Pläne  und  gewaltige  Entwürfe  hatten  den  Meister  auch 
in  früheren  und  späteren  Zeiten  beschäftigt.  An  das 
Hiesendenkmal  Julius  II.  legte  er  die  erste  Hand  be- 
reits 1505.  Dem  reifsten  Mannesalter  wieder  gehören 
die  grossen  Bauunternehniungen  von  San  Lorenzo  in 
Florenz  und  der  römischen  Peterskirche  an.  Yon 
dem  Papstgrabe  aber  sagte  Michelangelo  selbst,  dass 
es  ihm  statt  des  Dankes  nur  Hass  und  Schande  ge- 
bracht und  seine  ganze  Jugend  vergällt  hätte.  Und 
auch  die  Baupläne  der  späteren  Jahre  wurden  in  dürf- 
tiger, verkümmerter  Weise  verkörpert.  Eine  vollendet 
grosse  That  dagegen,  in  der  Ausführung  noch  ungleich 
grösser  als  im  ersten  Gedanken  schuf  Michelangelo  in 
den  Deckenbildern  der  Sixtinischen  Capelle,  an  welchen 
er  in  den  Jahren  1508 — 1512  arbeitete.  Hier  allein 
entfaltete  er  frei  seine  beinahe  unbegrenzt  reiche  künst- 
lerische Kraft,  nur  in  diesem  Bilderkreise  kamen  seine 
Absichten  völlig  ungehindert  zur  Geltung.  Wer  die 
Fresken  an  der  Decke  der  Sixtina  kennte  kennt  bei- 
nahe den  ganzen  Michelangelo,  wer  sie  nicht  kennt, 
besitzt  keinen  klaren  EinbKck  in  die  Natur  des  Meisters, 


und  wären  seinen  Augen  aucli  alle  plastisclien  Werke 
desselben  geläufig.  Es  ist  begreiflich,  dass  wir  einem 
Zeiträume,  der  in  Miclielangelo's  Leben  so  bedeutsam 
dastebt,  unsere  besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden 
und  jede  neue  Kunde,  die  wir  über  denselben  empfangen, 
mit  heller  Freude  begrüssen,  zumal,  da  unser  Wissen 
von  Michelangelo's  Thätigkeit  in  den  Jahren  1508 — 1512 
bis  jetzt  nicht  nur  ziemlich  dürftig,  sondern  auch  viel- 
fach in  sich  widerspruchsvoll  war. 

Kein  erwünschteres  Festg:eschenk  zur  Feier  des 
„quarto  centenario"  konnte  uns  daher  gegeben  wer- 
den, als  Michelangelo's  bis  jetzt  im  Archivio  Buonarroti 
eifersüchtig  bewachten  Briefe.  Sie  liegen,  vereinigt 
mit  jenen  im  Britischen  Museum  bewahrten,  gegen- 
wärtig in  einer  Prachtausgabe  vor  uns,  welche  den 
geschätzten  Namen  Gaetano  Milanesi  als  Herausgeber 
an  der  Stiine  trägt.  Die  Briefe  sind  nach  den  Adres- 
saten geordnet  und  in  zwei  grössere  Gruppen  geglie- 
dert. Den  „lottere  alla  famiglia",  an  den  Yater 
Lodovico,  an  die  Brüder  Buonarroto,  Giovan  Simone, 
Gismondo  und  an  den  Neffen  Lionardo  gerichtet,  folgen 
153  lottere  a  diversi.  Hätte  dem  Herausgeber  die 
Eintheilung  nach  der  Zeitfolge  behebt,  gleichviel  ob 
der  Brief  für  die  Familie  oder  für  einen  Fremden  be- 
stimmt gewesen,  so  wären  gewiss  die  Fehler  in  der 
Datirung  unterblieben,  welche  jetzt  den  Weg  des 
Forschers  namentlich  für  die  Periode  1506 — 1512 
dornig  machen  und  die  vertrauensvolle  Benutzung  der 
neu  entdeckten  Quellen  vielfach  verhindern.  Unleug- 
bar   hätten    auch    Eegister    und   Inhaltsangaben    die 


—     7     — 

Bequemliclikeit  des  Gebrauches  vermehrt.  Ihre  Ab- 
wesenheit ist  aber  noch  weniger  zu  beklagen  als  die 
Beschränkung  der  Jubelausgabe  ausschliesslich  auf  die 
von  Michelangelo  geschriebenen  Briefe.  Die  an  ihn 
gerichteten  tragen  nicht  selten  zur  Kenntniss  seines 
Lebens  und  zum  Yerständniss  seiner  Wirksamkeit  eben 
so  viel  und  noch  mehr  bei  als  die  eigenen  Episteln. 
Zum  Glücke  hat  Äurelio  Gotti  in  seiner  ebenfalls  als 
Festgabe  dargereichten  „Yita  di  Michelangelo  Buo- 
narroti  narrata  con  l'aiuto  di  nuovi  documenti"  diese 
Lücke  einigermassen  ausgefüllt  und  uns  in  den  Stand 
gesetzt,  mit  ziemlicher  Sicherheit  und  in  der  üeber- 
zeugung,  dass  das  vollständige  Material  schon  vorliegt, 
Michelangelo 's  Leben  während  der  letzten  Jahre  des 
Pontificates  Julius  IL  zu  erzählen. 


2. 

•Michelangelo  kam  in  seinen  späteren  Jahren  zu 
wiederholten  Malen  auf  seine  Stellung  zum  Papste 
Julius  IL  und  auf  seine  Thätigkeit  während  dessen 
Pontificates  zurück.  Den  Anlass  dazu  bot  ihm  die 
„Tragödie"  seines  Lebens,  das  Papstdenkmal.  Da  er 
mit  den  Erben  des  Papstes  sich  in  einen  argen  Streit 
verwickelt  sah  und  schlimme  Eeden  über  seine  Wort- 
brüchigkeit  und  Habsucht  hören  musste,  suchte  er  sich 
vor  den  Freunden  und  Gönnern  zu  rechtfertigen  und 
legte  ihnen  die  wahre  Sachlage  vor,  wie  das  alles  im 
Laufe  der  Jahre  gegen  seinen  Willen  so  gekommen  sei 


—     8     — 

und  wie  er  an  den  leidigen  Vertröstungen  und  Ver- 
schleppungen nicht  die  geringste  Schuld  trage.  Etwa 
im  J.  1542  verfasste  er  eine  Denkschrift,  welche  weit- 
läufig die  Schicksale  des  Denkmales  und  des  Künstlers 
persönliches  Verhältniss  zu  Papst  Julius  II.  schildert, 
uns  aber,  wie  es  scheint,  nur  in  einer  wenig  geschickten 
Bearbeitung  erhalten  blieb,  i)  Ungleich  wichtiger  ist 
ein  von  Michelangelo  an  Giovan  Francesco  Fattucci 
(bis  1522  cappellano  in  Santa  Maria  del  Fiore  in 
Florenz,  später  in  den  Diensten  Clemens  VII.  in  Eom) 
ungefähr  1524  gerichteter  Brief.  In  demselben  nem- 
lich  behandelt  Michelangelo  nicht  allein  den  unmittel- 
baren Gegenstand  des  Streites,  sondern  giebt  auch 
von  seinem  ganzen  Thun  und  Treiben  während  der 
Hegierung  Julius  II,  genaue  Rechenschaft.  Er  lautet 
(Milanesi  cccLxxxin)  folgendermassen:2) 

Herr  Giovan  Francesco! 

„In  Euerem  Briefe  verlangt  Ihr  Auskunft,   wie  es 

„mit  meinen  Angelegenheiten  das  Grabmal  Julius  II. 

„betreffend  wohl  stehe.  Ich  kann  Euch  nur  sagen,  dass^ 

„wenn  ich  alle  Einbussen  und  dann  die  Zinsen  zurück- 


1)  Zuerst  von  CiamiDi  1834  herausgegeben,  dann  von  Alfred 
Beumont  (Ein  Beitrag  zum  Leben  Michelangelo  Buonarotis)  über- 
setzt. G-aye  (Carteggio  II,  83)  bezweifelte  die  Aechtheit  des  Schrift- 
stückes; jedoch  mit  Unrecht.  Dasselbe  ist  vielfach  interpolirt,  die 
Nachschrift  von  einem  Dritten  redigirt,  doch  liegt  dem  Ganzen  un- 
bestreitbar ein  Originalbrief  Michelangelo's  als  Kern  zu  G-runde. 

2)  Messer  Giovanni  Francesco.  Voi  mi  ricercate  per  una  vostra 
come  stanno  le  cose  mie  con  papa  JuHo.  Jo  vi  dico  che  se  potessi 
domandar  damii  e  interessi,  piü  presto  stimerei  avere  avere,  che 
avere  a  dare. 


—     9     — 

„fordern  dürfte,  ich  viel  eher  noch  Geld  herauszu- 
„bekommen,  als  solches  herauszugeben  hätte. 

„Als  der  Papst  um  mich  nach  Florenz  sandte,  was 
„ich  glaube  im  zweiten  Jahre  seines  Pontificates  ge- 
„schah,  hatte  ich  die  Hälfte  des  Rathssaales,  nemlich 
„seine  Ausmalung  übernommen.  Dafür  hatte  ich  3000 
„Ducaten  erhalten  und  da  der  Carton  wie  ganz  Florenz 
„weiss,  bereits  fertig  war,  so  schienen  sie  mir  schon 
„halb  gewonnen.  Und  von  den  12  Aposteln,  welche 
„ich  für  Santa  Maria  del  Fiore  zu  arbeiten  hatte,  war 
„einer  angelegt,  wie  man  noch  jetzt  sehen  kann  und 
„der  grössere  Theil  der  Marmorblöcke  herbeigeschafft. 
„Dadurch,  dass  mich  Papst  Julius  von  Florenz  weg- 
„nahm,  hatte  ich  nun  nichts  von  der  einen  und  von 
„der  anderen  Arbeit. 

„Dann  als  ich  mit  dem  Papste  in  E.om  war  und 
„er  sein  Grabmal  bei  mir  bestellte,  auf  welches  für 
„tausend  Ducaten  Marmor  ging,  liess  er  sie  mir  aus- 
„zahlen  und  schickte  mich  um  die  Steine  nach  Carrara. 
„Ich  blieb  dort  acht  Monate,  liess  die  Steine  behauen 


Perclie  quando  mandö  per  me  a  Firenze,  che  credo  fussi 
el  secondo  anno  del  suo  Pontificato,  io  avevo  tolto  a  fare  la 
meta  della  sala  del  Consiglio  di  Firenze,  cioe  a  dipignere,  che 
n'avevo  tre  mila  ducati,  e  di  gia  era  fatto  el  cartone,  come  e  noto 
a  tutto  Firenze;  che  mi  parevon  mezzi  guadagnati.  E  de  dodici 
Apostoli  che  ancora  avevo  a  fare  per  Santa  Maria  del  Fiore  n'era 
bozato  uno,  come  ancora  si  vede,  e  di  giä  avevo  condotti  la  maggior 
parte  di  marmi.  E  levandomi  papa  Julio  di  qua,  non  ebbi  ne  dell' 
una  cosa  ne  dell'  altra  niente.  Dipoi  sendo  io  a  Eoma  con  detto 
papa  Julio,  e  avendomi  allogato  la  sua  sepultura,  neUa  quäle  andava 
miUe  ducati  di  marmi,  me  gli  fece  pagare  e  mandomi  a  Carrara  per 


10 


„und  brachte  sie  fast  alle  auf  den  Petersplatz;  nur 
„ein  Theil  blieb  auf  der  ßipa  zurück. 

„Nachdem  ich  die  Fracht  für  die  Marmorblöcke 
„bezahlt  hatte  und  die  für  das  Werk  empfangenen 
„Gelder  nicht  ausreichten,  stattete  ich  das  Haus,  das 
„ich  auf  dem  St.  Petersplatze  besass,  aus  meinem 
„Gelde  mit  Betten  und  Geräthe  aus,  in  der  Hoffnung 
„auf  das  Grabdenkmal  und  liess  Gehilfen  aus  Florenz 
„kommen,  von  welchen  einige  noch  am  Leben  sind, 
„um  die  Arbeit  zu  beginnen.  Auch  diese  zahlte  ich 
„vorläufig  aus  meinem  Seckel. 

„In  dieser  Zeit  änderte  Papst  Julius  seinen  Ent- 
„schluss  und  wollte  nicht,  dass  an  dem  Denkmal  weiter 
„gearbeitet  werde.  Da  ich  dieses  nicht  wusste  und 
„zu  ihm  ging,  Geld  zu  fordern,  wurde  ich  aus  dem 
„Palaste  herausgeworfen.  Ueber  diesen  Schimpf  ver- 
„liess  ich  sogleich  Rom.  Was  ich  in  meinem  Hause 
„hatte,  verdarb  und  die  Marmorblöcke,  die  ich  zuge- 
„führt  hatte,  blieben  bis  zur  Krönung  Papst  Leo's 
„auf  dem  Petersplatze  liegen.     Also  hatte  ich  da  und 


essi,  dov'  io  stetti  otto  mesi  a  fargli  bozzare,  e  coudussi  quasi  tutti  in 
sulla  piazza  di  Santo  Pietro,  e  parte  ne  rimase  a  Eipa. 

Dipoi  finito  di  pagare  i  noli  di  detti  marmi  e  mancandomi  e'  danari 
ricevuti  per  detta  opera,  forni'  la  casa  che  io  avevo  in  sulla  piazza 
di  Santo  Pietro  di  letti  e  masserizie  del  mio,  sopra  la  speranza 
della  sepultura,  e  fe'  venire  garzoni  da  Firenze,  che  ancora  n'e  vivi, 
per  lavorare;  e  detti  loro  danari  inanzi  del  mio.  —  In  questo  tempo 
papa  Juho  si  mutö  d'oppenione  e  non  la  volse  piü  fare:  e  io  non 
sapiendo  questo,  andandogh  a  domandare  danari,  fui  cacciato  di 
Camera:  e  per  questo  isdegno  mio  parti  subito  di  Roma;  e  andö  male 
ciö  che  io  avevo  in  casa;  e  e'detti  marmi  ch'io  avevo  condotti,  stettono 
insino  alla  creazione  di  papa  Leone  in  sulla  piazza  di  Santo  Pietro; 


—    11    — 

„dort  grossen  Schaden.  Unter  anderem,  was  ich  be- 
„weisen  kann,  erwähne  ich,  dass  mir  zwei  Blöcke, 
„einer  41/2  Ellen  gross,  von  der  Eipa  durch  Agostino 
„Chigi  entwendet  wurden,  die  mehr  als  50  Ducaten 
„Geld  kosten  und  die  zurückerstattet  werden  könnten, 
„da  sich  dafür  Zeugen  finden.  Doch  um  auf  die 
„Marmorsteine  zurückzukommen:  Von  dem  Zeitpunkte, 
„dass  ich  sie  holen  ging  und  in  Carrara  mich  auf- 
„hielt  bis  zu  meiner  Vertreibung  aus  dem  Palaste, 
„verstrich  mehr  als  ein  Jahr.  In  dieser  ganzen  Zeit 
„erhielt  ich  nichts  und  steckte  noch  einige  Dutzend 
„Ducaten  hinein. 

„Dann  als  Papst  Julius  das  erste  Mal  nach  Bologna 
„ging,  wurde  ich  gezwungen,  dorthin  zu  wandern  mit 
„dem  Stricke  um  den  Hals,  seine  Verzeihung  zu  er- 
„bitten.  Da  gab  er  mir  seine  Statue  in  Erz  zu 
„machen,  die  sitzend  etwa  7  Ellen  hoch  war.  Er 
„fragte  nach  den  Kosten  derselben,  und  als  ich  ihm 
„antwortete,  ich  glaubte  den  Gruss  mit  1000  Ducaten 


e  dell'  Tina  parte  e  dell'  altra  n'and.5  male  assai.  Fra  gli  altri  di 
quel  ch'io  posso  provare,  me  iie  fu  tolti  dua  pezzi  di  quatro  brazzia 
e  mezzo  l'uno  da  Ei^Da  da  Agostino  Grliigi,  che  m'erano  costi  a  me 
piü  di  cinquanta  ducati  d'oro,  e  questi  si  potrebbon  risquotere,  perche 
ci  e  testimoni.  Ma  per  tomare  a'  marmi,  dal  tempo  che  io  andai  per 
essi  e  che  io  stetti  a  Carrara,  insino  a  che  io  fui  cacciato  di  Palazo, 
v'andö  piü  d'un  anno:  del  quäl  tempo  uon  ebbi  mai  nulla,  e  messovi 
parecchi  decine  di  ducati. 

Dipoi  la  prima  volta  che  papa  Juho  andö  a  Bolognia,  mi 
fu  forza  andare  la  con  la  coreggia  al  coUo  a  chiedergH  perdo- 
nanza;  ende  lui  mi  dette  a  fare  la  figura  sua  di  bronzo,  che 
fu  alta  a  sedere  circa  a  sette  braccia.  Domandandomi  che  spesa 
la  sarebbe,   io  gli  risposi  che  credero  gittarla  con  mille  Ducati,  ma 


—     12     — 

„bestreiten  zu  können,  die  Giesskunst  sei  aber  nicht 
„meine  Sache  und  ich  könnte  mich  zu  nichts  ver- 
„pflichten,  sagte  er:  Geh,  arbeite  und  giesse  sie  so 
„oftmal  bis  sie  gelingt  und  wir  werden  dir  so  viel 
„geben,  dass  du  zufrieden  sein  wirst.  Um  es  kurz  zu 
„machen:  die  Statue  wurde  zweimal  gegossen,  und  am 
„Ende  der  2  Jahre,  die  ich  mich  dort  aufhielt,  fand 
„ich,  dass  mir  41/2  Ducaten  erübrigten.  Und  in  dieser 
„Zeit  hatte  ich  nichts  anderes,  und  alle  Auslagen  in 
„den  genannten  zwei  Jahren  bestritt  ich  von  den  1000 
„Ducaten,  von  denen  ich  sagte,  dass  ich  mit  ihnen 
„die  Gusskosten  zu  decken  hatte  und  die  mir  in 
„mehreren  Raten  von  Herrn  Antonio  Maria  da  Legniame 
„ausgezahlt  wurden. 

„Nachdem  die  Statue  an  der  Fagade  von  San 
„Petronio  aufgestellt  und  der  Papst  nach  Rom  zu- 
„rückgekehrt  war,  wollte  er  auch  jetzt  nicht,  dass  ich 
„an  dem  Grabmale  arbeite,  sondern  wies  mich  an, 
„die  Decke  der  Sixtina  auszumalen,  und  wir  kamen 
„über  die  Zahlung   von  3000  Ducaten   überein.     Der 


die  e  non  era  mia  arte  e  clie  io  non  mi  volevo  obrigare,  mi  rispose : 
,,Va,  lavora  e  gitterella  tante  volte  che  la  venga,  e  daremti  tanto 
che  tu  Sarai  contento".  Per  abreviare,  la  si  gittö  dua  volte,  e  in 
capo  di  du'  anni  ch'io  vi  stetti,  mi  trovai  avanzati  quattro  ducati  e 
mezzo.  E  di  q-uesto  tempo  non  ebbi  mai  altro;  e  le  spese  tutte 
ch'io  feci,  ne'  detti  dui  anni  furno  de'  mille  ducati  con  che  io  avevo 
ditto  che  la  ri  gitterebbe:  e'  quali  mi  furono  pagati  in  piü  volte  da 
messere  Antonio  Maria  da  Legnia(me)  bolognese. 

Messo  SU  la  figura  nelle  facciata  di  San  Petronio  e  tomato  a 
Borna,  non  volse  ancora  papa  Juho  che  io  facessi  la  sepultura,  e 
missemi  a  dipignere  la  volta  di  Sisto,  e  facemo  e'  patti  tre  müa 
ducati.     E'l  disegno   primo    di    detta    opera    furono    dodici  Apostoli 


—     13     — 

„erste  Entwurf  zu  diesem  Werke  zeigte  die  12  Apostel 
„in  den  Bogenfeldern  und  im  übrigen  mit  Ornamenten 
„angefüllte  Felder,  wie  das  so  üblich  ist.  Als  ich 
„das  Werk  anfing,  schien  es  mir,  dass  es  ein  ärm- 
„liches  Ding  werden  würde  und  ich  sagte  dem  Papste, 
„wie  es  mir  vorkomme,  dass  die  Apostel  allein  einen 
„ärmlichen Eindruck  machen;  und  als  erfragte  warum? 
„antwortete  ich,  weil  sie  selbst  arm  waren.  Darauf  gab 
„er  mir  einen  neuen  Auftrag,  ich  möge  machen,  was  ich 
„wolle;  er  werde  mich  zufrieden  stellen  und  ich  solle 
„die  Decke  malen  bis  zu  den  unteren  Historienbil- 
„dern.  In  dieser  Zeit,  als  die  Decke  beinahe  fertig 
„war,  begab  sich  der  Papst  Y>deder  nach  Bologna. 
„Daher  ging  ich  zweimal  dorthin  der  Gelder  wegen, 
„die  ich  zu  empfangen  hatte.  Ich  that  nichts  und 
„verlor  diese  ganze  Zeit,  bis  er  nach  Rom  zurück- 
„kehrte.  In  Rom  wieder  angekommen  machte  ich 
„mich  daran,  die  Cartons  für  das  genannte  Werk  zu 
„zeichnen,  nemlich  für  die  Schmal-  und  Langseiten 
„rings  um  die  Capelle,  wobei  ich  immer  hofPte  Geld 


nelle  lunette,  e'l  resto  im  certo  partimento  ripieno  d'adomamenti  come 
si  usa,  Dipoi  comiaciata  detta  opera,  mi  parve  riuscissi  cosa  povera,  e 
dissi  al  Papa,  come  facendo"^i.  gli  Apostoli  soll  mi  parea  che  riuscissi 
cosa  povera.  Mi  domandö  perch.e:  io  gli  dissi,  perche  furon  poveri 
anche  loro.  Allora  mi  dette  nuova  commissione  ch'io  facessi  ciö 
cla'io  volevo,  e  che  mi  contenterebe,  e  che  io  dipignessi  insino  alle 
storie  di  sotto.  In  questo  tempi  quasi  finita  la  volta,  el  Papa  ritornö 
a  Bologna:  ond'io  v'andai  dua  volte  per  darnari  che  io  uveva  avere, 
e  non  feci  niente  e  perde'  tutto  questo  tem^DO,  finche  ritornö  a  E,oma. 
Eitomato  a  Eoma,  mi  missi  a  far  cartoni  per  detta  opera,  cioe  per 
le  teste  e  per  le  faccie  attorno  di  detta  cappella  di  Sisto;  e  sperando 


—     14     — 

„zu  bekommen  und  die  Arbeit  zu  endigen.  Da  ich 
„nichts  erreichen  konnte  und  mich  eines  Tages  gegen- 
„über  dem  Herrn  Bernardo  da  Bibbiena  und  Atalante 
„beklagte,  wie  meines  Bleibens  in  Rom  nicht  mehr 
„wäre  und  ich  in  Gottesnamen  weiter  wandern  müsste, 
„sagte  Herr  Bernardo  zu  Atalante:  er  möge  ihn 
„daran  erinnern,  er  Avolle  mir  jedenfalls  zu  meinem 
„Gelde  verhelfen.  Er  liess  mir  2000  Ducaten  (ducati 
„di  Camera)  auszahlen.  Das  sind  jene  2000.  die  mir 
„mit  jenem  ersten  Tausend  für  die  Marmorblöcke  in 
„die  Rechnung  des  Grabmales  gestellt  werden,  von 
„welchen  ich  glaubte,  dass  ich  sie  mehr  für  die  ver- 
„lorene  Zeit  bekam,  als  für  die  geleistete  Arbeit. 
„Und  von  diesem  Gelde  schenkte  ich,  da  sie  mir 
„wieder  zum  Leben  verholfen  hatten,  dem  Herrn  Ber- 
„nardo  100  und  Atalante  50  Ducaten. 

„Dann  kam  der  Tod  des  Papstes.  Im  Anfange  des 
„Pontificates  Leo  X,  da  der  Cardinal  von  Agens 
„das    Grabmal    grösser   haben   wollte,    ein    grösseres 


aver  danari  e  finire  l'opera.  Non  potetti  mai  ottenere  niente:  e  dolendomi 
un  di  con  messer  Bernardo  da  Bibbiena  e  con  Attalante,  com'  io  non 
potevo  piu  stare  a  Roma  e  che  mi  bisogniava  andar  con  Dio ;  messer 
Bernardo  disse  a  Attalante  che  gniene  ramentassi,  che  mi  voleva 
far  dare  danari  a  ogni  modo.  E  fecemi  dare  du'  mila  ducati  di 
Camera,  che  son  queUi  con  que'  primi  müle  de'  marmi  ch'e'  mi  mettono 
a  conto  della  sepultura;  e  io  stimavo  aveme  aver  piü  pel  tempo 
perduto  e  iDer  l'opere  fatte.  E  de'  detti  danari,  avendo  messer  Ber- 
nardo et  Attalante  risucitatomi,  donai  a  l'uno  cento  ducati,  all'  altro 
cinquanta. 

Dipoi  venne  la  morte  di   papa  Julio:    e  a   tempo   nel  prencipio 
di  Leone,    Aginensis   volendo   accrescere   la .  sua   sepultura,    cioe   far 


—     15     — 

„Werk  nemlicli  als  nach  der  Zeiclinimg,  die  ich  da- 
„von  anfangs  gemacht,  so  wurde  ein  neuer  Vertrag 
„geschlossen.  Da  ich  aber  nicht  wollte,  dass  die 
„empfangenen  3000  Ducaten  mit  auf  die  Rechnung 
„gesetzt  würden,  weil  mir  viel  mehr  gebühre,  sagte  mir 
„der  Cardinal,  ich  wäre  ein  Betrüger." 


Michelangelo's  Brief  wirft  auf  die  Geschichte  seiner 
beiden  Hauptwerke,  des  päpstlichen  Grabmales  und 
der  Fresken  in  der  Sixtina  ein  helles  Licht.  Er  gibt 
uns  den  Zeitpunkt  an,  in  welchem  er  nach  Rom  ge- 
rufen wurde.  Dieses  geschah  im  Winter  1504 — 1505, 
wenn  wir  ihn  bei  dem  Worte  nehmen,  nicht  vor  dem 
1.  November  1504.  Sein  Auftrag  bezog  sich  auf  das 
Grabdenkmal  des  Papstes.  Da  er  acht  Monate  in 
Carrara  blieb,  im  April  1506  bereits  aus  Rom  üoh, 
so  konnte  er  unmöglich  das  Werk  selbst  namhaft  vor- 
wärts bringen.  Die  folgenden  Jahre  aber  der  Re- 
gierung Julius  II.  wurde  er  eingeständHch  von  der 
Arbeit  an  dem  Grabmale  abgehalten,  so  dass  erst  die 
Erben  des  Papstes  1513  die  Angelegenheit  wieder  in 
Fluss  brachten.  Ein  neuer  Vertrag,  von  Milanesi 
p.  635  mitgetheilt,   wurde  abgeschlossen,    ein  genaues 


maggiore  opera  che  il  disegno  cli'io  avevo  fatto  prima,  si  fece  imo 
contratto.  E  non  volendo  io  ch'  e'  vi  mettesino  a  conto  della  sepul- 
tura  i  detti  tre  mila  ducati  cli'io  avevo  ricievuti,  mostrando  ch'io 
avevo  avere  molto  piü;  Aginensis  mi  disse,  che  io  ero  un  ciunnadore. 


—     16     — 

Modell  entworfen.  Nach  der  herrschenden  Meinung, 
die  sich  auf  Condivi  beruft,  war  dieses  Modell,  dieser 
zweite  Entwurf  einfacher,  kleiner  als  die  ursprüngliche 
Zeichnung.  Diese  Ansicht  nun  straft  Michelangelo' s 
Brief  unumwunden  Lügen.  Bei  Condivi  (cap.  xxxix) 
heisst  es:  die  Erben  trugen  ihm  einen  neuen  Entwurf 
auf  ,^parendo  loro  il  primo  disegno  impresa  troppo 
grande}^  Michelangelo  dagegen  gibt  als  Grund  des 
neuen  Contractes  den  Wunsch  der  Erben  an:  ^^accrescere 
la  sepultura,  cioe  far  maggiore  opera  che  il  disegno 
cJiHo  avevo  fatto  prima'-^.  So  steht  Behauptung  gegen 
Behauptung.  Welcher  von  beiden  die  grössere  Auto- 
rität zukomme,  darüber  kann  kein  Zweifel  herr- 
schen. Michelangelo  berichtet  über  das  Werk  zu 
einer  Zeit,  während  er  noch  an  demselben  arbeitet; 
erst  25  Jahre  später,  nachdem  das  Denkmal  in  der 
traurig  abgekürzten  und  beschnittenen  Form,  über 
welche  sich  schliesslich  die  Parteien  —  die  Erben  und 
der  Künstler  —  vereinigt  hatten,  längst  aufgestellt 
war,  hebt  Condivi's  Erzählung  an.  Sein  Irrthum  ist 
an  sich  schon  viel  wahrscheinlicher,  zumal  er  auch 
sonst  sich  keineswegs  als  ein  unbedingt  zuverlässiger 
Zeuge  offenbart  und  der  Nachweis,  dass  er  nur  die 
spätesten  reducirten  Entwürfe  vor  Augen  hatte,  mit 
ziemlicher  Sicherheit  geführt  werden  kann.  Die  wahre 
Sachlage,  wie  sich  dieselbe  nach  den  bei  Milanesi 
publicirten  Urkunden  herausstellt,  ist  folgende: 

Grleich  nach  dem  Tode  Julius  II.  gingen  die 
Testamentsexecutoren  an  die  Ausführung  des  so  lange 
schon  hinausgeschobenen  Werkes.    .Michelangelo  ver- 


—     17     — 

pflichtete  sich  zur  Vollendung  desselben  binnen  sieben 
Jahren,  gab  die  Zusage,  keine  grössere  Arbeit  bis 
dahin  zu  übernehmen,  und  legte  ein  Modell  des  Grab- 
males vor.  Als  Gegenleistung  wurden  ihm  16,500 
Ducaten  in  Gold  zugesprochen. 

Das  Grabdenkmal  sollte  nach  dem  Modell  von  1513 
sich  an  die  Mauer  anlehnen,  also  nur  drei  Fronten 
bilden,  deren  jede  zwei  Tabernakel  in  sich  schloss  und 
über  dem  ringsum  laufenden  Sockel  in  reichem  archi- 
tectonischen  Schmuck,  mit  Pfeilern,  Architraven,  Friesen 
und  Karniesen  prangte.  In  jedem  Tabernakel  befan- 
den sich  zwei  Statuen  und  ebenso  sollte  vor  jedem 
Pfeiler,  welche  das  Tabernakel  einfassten,  eine  Statue 
errichtet  werden,  also  im  Ganzen,  da  es  sechs  Taber- 
nakel und  zwölf  Pfeiler  gab,  24  Statuen  am  Unter- 
baue allein.  Derselbe  trug  den  Sarkophag  mit  der 
Figur  des  Paptes  und  vier  Statuen  in  doppelter  Lebens- 
grösse.  An  den  Seiten  des  Sarkophages  sassen  auf 
vorspringenden  Würfeln  sechs  ebenso  mächtige  Figuren. 
Im  Hintergrunde  endlich,  da,  wo  das  Grabmal  an  die 
Mauer  anstiess,  erhob  sich  noch  zuoberst  eine  kapellen- 
artige Nische  mit  5  Statuen,  welche,  weil  sie  vom 
Auge  am  weitesten  entfernt  waren,  an  Grösse  alle 
anderen  Bildsäulen  überragten.  Auch  Reliefs,  Histo- 
rien, sollten  zwischen  je  zwei  Tabernakeln  in  Marmor 
oder  in  Erz  angebracht  werden. 

Im  Gegensatze  zu  diesem  Programm  gibt  Condivi's 
Beschreibung  dem  Denkmale  die  Form  eines  voll- 
kommenen Freibaues  mit  vier  Fronten.  Man  darf 
nicht    glauben,     dass    das    Monument    dadurch    sich 


—     18     — 

mächtiger  und  gewaltiger  gestaltet  hätte.  Im  Gegen- 
theil.  Da  der  plastische  Schmuck  der  gleiche  ist 
—  die  von  Condivi  hervorgehobene  Zahl  von  40  Sta- 
tuen rechnet  man  auch  auf  dem  Entwürfe  von  1513 
zusammen  —  sich  aber  auf  4  Seiten  vertheilt,  so  muss 
der  Eindruck  viel  dürftiger  erscheinen,  als  wenn  der 
Sculpturenreichthum  sich  auf  drei  Fronten  zusammen- 
drängt. Davon  abgesehen,  baut  sich  aber  das  Denk- 
mal nach  dem  Entwurf  von  1513  ungleich  grossartiger 
und  überdiess  auch  organischer  auf.  Es  ist  zweifel- 
haft, ob  die  Rossellinische  Tribuna  in  der  Peters- 
kirche, in  welcher  nach  Condivi  das  Grabdenkmal 
aufgestellt  werden  sollte,  den  ausreichenden  Eaum 
für  einen  Freibau  gewährt  hätte ;  es  ist  dagegen  sicher, 
dass  der  (wie  frühe?)  gefasste  Entschluss,  auch  diese 
aus  der  Zeit  Nicolaus  Y.  stammende  Tribuna  oder 
Apsis  zu  Gunsten  des  Bramante'schen  Neubaues  zu 
entfernen,  auf  den  Plan  des  Grabdenkmales  grossen 
Einfluss  üben  musste. 

Das  Ergebniss  der  Untersuchung  lautet  also  ganz 
zu  Gunsten  des  Entwurfes  von  1513.  Von  allen  Ent- 
würfen, die  wir  kennen,  ist  er  entschieden  der  gross- 
artigste und  reichste.  Dieses  gilt  sowohl  in  Bezug 
auf  den  bei  Condivi  beschriebenen  Plan,  wie  auf  die 
anderen  Entwürfe,  von  welchen  die  in  ursprünglicher 
Fassung  erhaltenen  Verträge  vom  8.  Juli  1516,  vom 
29.  April  1532  und  vom  20.  August  1542  sprechen,  i) 


1)    Alle    diese    Verträge    sind    bei    Milanesi    (Contratti    artistici 
p.  635 — 715)   im   lateinischen  Originaltexte  und  in   der  itaüenischen 


—     19     — 

Während  nacli  Michelangelo' s  eigenem  Geständniss 
Papst  Julius  ursprünglich  die  Summe  von  10,000 
Ducaten  für  sein  Grabmal  bestimmte,^)  erhöhten  1513 
die  Testamentsexecutoren  dieselbe  auf  16,500  Ducaten. 
Der  Eückschluss  von  der  Höhe  der  Kosten  auf  die 
Grösse  des  Denkmales  erscheint  gewiss  nicht  unstatt- 
haft. Kommt  nun  noch  hinzu,  dass  Michelangelo  selbst 
zu  wiederholten  Malen  2)  den  nach  dem  Tode  Julius  II. 
entworfenen   Plan   als   den    grösseren   bezeichnet,    so 


Uebersetzung  abgedruckt.  Dem  ersten  imd  zweiten  Vertrage  (1513 
und  1516)  fügte  der  Künstler  eine  genaue  Beschreibung  des  Modelles 
bei,  aus  welcher  hervorgeht,  dass  der  Entwurf  von  1516  noch  immer- 
hin eine  grosse  Pracht  und  eine  Fülle  des  plastischen  Schmuckes 
entfaltete.  Die  reducirte  Form  empfängt  das  Grabmal  erst  1532. 
Nachdem  die  Auflösung  aller  früheren  Contracte  ausgesprochen  ist, 
heisst  es  in  dem  Vertrage  vom  29.  April  1532  weiter:  „Magister 
Michael  Angelus  promisit  facere  et  dare  novum  modellum  seu  de- 
signum  dicti  sepulchri  ad  sui  hbitum,  in  quo  et  illius  compositione 
ponet  et  dabit  prout  dare  promisit  idem  magister  Michael  Angelus 
sex  statuas  marmoreas  inceptas  et  nondum  perfectas,  Eome  vel 
Florentie  existentes,  hie  Eome  sua  manu  et  opere  perfectas,  nee 
non  aha  quecumque  ad  dictum  sepulchrum  parata."  Erst  im  Con- 
tracte vom  20.  August  1542  treten  Francesco  d'Urbino  (für  das 
Ornamentale)  und  Eafaelo  da  Montelupo  in  den  Vordergrund.  Von 
letzteren  rühren  her:  una  nostra  donna  con  il  putto  in  braccio,  quäle 
di  giä  in  tutto  e  finita;  una  Sibyüa,  uno  Profeta,  una  Vita  attiva  et 
una  Vita  contemplativa,  bozzate  et  quasi  finite  di  mano  di  Michel- 
agnolo.  Nur  die  Mosesstatue  ist  eine  eigenhändige  Arbeit  des 
Meisters. 

1)  Milanesi  CCCLXXXTV.  Ne'  primi  anni  di  papa  Juho  dopo 
molti  disegni  della  sua  sepultura,  uno  g-niene  piacque  sojDra  '1  quäle 
facemo  el  mercato  e  tolsila  a  fare  per  dieci  mila  ducati. 

2)  Auch  in  der  Denkschrift  vom  J.  1542  bei  Ciampi  u.  Milanesi 
(CDXXXV)  heisst  es:  „Poi  dopo  la  morte  di  Juho  Aginensis  volse 
seguitare  detta  sepultura,  ma  maggior  cosa. 

2* 


—     20     — 

kann  das  Urtheil  über  die  Bedeutung  des  Entwurfes 
vom  Jahre  1513  nicht  schwanken.  Ereilich  wird  die 
Ansicht  aufgestellt,  der  grössere  Maassstab,  von  dem 
geprochen  wird,  sei  nur  in  Bezug  auf  die  schliessliche 
reducirte  Ausführung  gemeint.  Der  Zusammenhang 
der  Sätze  beweisst  aber,  dass  der  grössere  Maass- 
stab von  dem  Entwürfe  vom  Jahre  1513  behauptet 
werde  und  zwar  behauptet  im  Verhältniss  zum  ersten 
Plane,  zur  ursprünglichen  Zeichnung.  „A  tempo  nel 
prencipio  di  leone  Aginensis  volendo  accrescere  la  sua 
sepultura,  cioe  far  maggiore  opera,  che  il  disegno 
ch'io  avevo  fatto  prima,  si  fece  uno  contratto." 

Nach  der  Feststellung  der  Thatsachen  darf  nun 
auch  ihr  Werth  für  die  Biographie  Michelangelo's  be- 
tont werden.  Die  aufsteigende  Linie  in  der  Ent- 
wickelung  des  Meisters  wird  um  mehrere  Jahre  ver- 
längert. Nach  der  bisher  gangbaren  Ansicht  feiert 
Michelangelo  seine  glänzendste  Zeit  in  dem  ersten 
Jahre  seines  römischen  Aufenthaltes.  Er  geniesst  das 
volle  Vertrauen  des  Papstes,  das  Werk,  das  er  be- 
gonnen hat,  verheisst  ihm  unsterblichen  Ruhm  und 
sagt  seiner  innersten  Natur  vollkommen  zu.  Grosse 
und  kühne  Gedanken  leben  in  seinem  Kopfe  und  wer- 
den auch  bald  im  Marmor  leben.  Aber  nur  eine 
kurze  Spanne  währt  das  Glück  wahrhaft  freien,  grossen 
Schaffens.  Schon  die  Berufung  in  die  Sixtina  er- 
scheint als  Abfall.  Die  Malerei^  zu  deren  Ausübung 
er  gezwungen  wird,  droht  ihn  von  dem  rechten  Wege 
abzulenken,  vollends  der  Plan  des  Grabdenkmales  ver- 
schleppt  sich   nicht   allein  Jahrzehnte    lang,    sondern 


—     21     — 

schrumpft  auch  mit  jedem  neuen  Vertrage  und  jedem 
neuen  Entwürfe  mehr  zusammen.  So  die  gewöhnliche 
Meinung.  Jetzt  behaupten  wir,  auf  die  Urkunden  ge- 
stützt: Nicht  der  erste  Entwurf,  —  bei  der  Kürze  der 
Zeit,  welche  Michelangelo  zunächst  dem  Werke  wid- 
men konnte,  schwerlich  zu  greifbarer  Gestalt  gediehen 
—  sondern  der  zweite,  erst  nach  dem  Tode  des 
Papstes  festgestellte,  zeigt  uns  das  Grabdenkmal  in 
seiner  mächtigsten  Form,  den  Künstler  auf  seiner 
grössten  Höhe.  Die  Malerei  in  der  Sixtina  aber  be- 
deutet keinen  Abfall,  sondern  vollendet  die  Reife  des 
Meisters  und  wirft,  da  sie  dem  Entwürfe  von  1513 
vorangeht,  auf  die  Gestalt,  welche  das  Grabdenkmal 
in  demselben  annimmt,  ihren  Schatten. 

Ueber  die  allgemeine  Form  des  Grabdenkmales 
lässt  uns  der  Wortlaut  des  Vertrages  vom  J.  1513 
nicht  im  Zweifel,  keine  vollkommene  Gewissheit  gibt 
er  über  die  Gegenstände  der  plastischen  Darstellung. 
Wir  sind  auf  Vermuthungen  angewiesen  und  nehmen 
an,  dass  Michelangelo  im  Laufe  der  Zeit  wohl  die 
Zahl  der  Statuen  verringert,  aber  den  ursprünglichen 
Inhalt  derselben  nicht  verändert  habe.  Die  im  letzten 
Entwürfe  (1542)  angeführten  Statuen  sind  Fragmente, 
aus  welchen  sich  also  das  Ganze  der  Schilderung  er- 
rathen  lässt.  Nach  dem  Vertrage  vom  20.  August 
1542  wurden  dem  Eaffaelo  da  Montelupo  fünf  Statuen, 
welche  Michelangelo  bereits  angelegt  und  begonnen 
hatte,  zur  Vollendung  übergeben.  Sie  werden  genauer 
bezeichnet:  Eine  Madonna  mit  dem  Christkinde  auf 
dem  Arme,  eine  Sibylle,  ein  Prophet,  das  beschauliche 


—     22     — 

und  das  thätige  Leben.  Ausserdem  verpflichtete  sich 
Michelangelo,  die  eigenhändig  gearbeitete  Statue  des 
Moses  aufzustellen. 

Mit  der  landläufigen  Bezeichnung:  Allegorie  für 
diese  Statuen  und  für  die  ebenfalls  zum  Grabmale 
Julius  II.  gehörigen  Sclavenfiguren  im  Louvre  und  im 
Garten  Boboli  ist  es  nicht  gethan.  Michelangelo  müht 
sich  nicht  ab,  abstracte  Vorstellungen  mit  lockerem 
Fleische  zu  bekleiden  und  dünnes  Blut  in  dieselben 
zu  giessen,  so  dass  sie  äusserlich  den  Schein  persön- 
lichen Lebens  gewinnen.  Er  hat  sein  Ziel  vielmehr 
darauf  gerichtet,  ursprünglich  fest  abgegrenzte  histo- 
rische Gestalten  der  unmittelbaren  Persönlichkeit  zu 
entkleiden,  sie  zu  allgemeinen  menschlichen  Typen  zu 
erheben.  Sie  werden  von  einer  einzigen  Empfindung, 
einer  einzigen  Seelenbewegung  durchströmt,  welche 
sich  den .  ganzen  Leib  unbedingt  unterwirft,  so  dass 
er  dem  Ausdruck  jener  Empfindung  und  Seelen- 
bewegung ausschliesslich  dient.  Wir  werden  in  eine 
Welt  eingeführt,  die  anfangs  fremdartig  und  fast  be- 
drückend auf  den  Beschauer  wirkt,  deren  elementaren 
Gewalten  aber  niemand  auf  die  Dauer  widerstehen 
kann.  Ihre  Schöpfung  ist  dem  Genius  Michelangelo's 
eigenthümlich.  Fragen  wir  aber,  ob  diese  Gestalten, 
so  mächtig  bewegt,  und  aus  dem  innersten  Kerne  ihrer 
Natur  heraus  erregt,  so  herbe  und  ungeheuerlich  in 
der  Erscheinung,  dem  plastischen  Formenkreise  ur- 
sprünglich angehörten;  ob  der  Meister  dieselben  er- 
sonnen hättO;  auch  wenn  er  ausschliesslich  die  Sculptur 
gepflegt  und  geübt,    so  wird  die   Antwort  schwerlich 


—     23     — 

zustimmend  lauten.  So  sehr  wir  auch  die  Grenzen 
der  plastischen  Darstellung  für  eine  Natur  erweitern, 
wie  sie  Michelangelo  besass,  immer  werden  wir  glau- 
ben, dass  der  Künstler  erst  durch  einen  gewaltsamen 
Eingriff  den  Widerstand  der  spröden  Sculptur  über- 
wunden hat.  In  der  That  wurde  auch  Michelangelo 
der  Vorwurf  nicht  erspart,  dass  er  das  Maass  des 
plastisch  Darstellbaren  nicht  selten  überschritten  habe. 
Niemand  wird  dagegen  bestreiten,  dass  die  Malerei 
über  reichere  Mittel  verfüge,  solche  Träume  eines 
B-iesengeistes  zu  verkörpern.  Die  lebensvolle  Farbe 
verleiht  ihnen  ein  mehr  greifbares,  sinnliches  Dasein, 
sie  mildert,  indem  sie  zu  einer  auch  auf  das  Einzelne 
eingehenden  Schilderung  zwingt,  das  Schroffe  und  ge- 
stattet leise  Uebergänge  im  Ausdruck  wie  in  den 
Formen,  welche  die  sonst  abstracten  Typen  dem  indivi- 
duellen und  persönlichenWesen  nähern.  Das  Uebermäch- 
tige,  Gewaltige  empfängt  eine  menschlichere  Fassung, 
die  innerhalb  der  Grenzen  der  Plastik  vielleicht  nicht 
ganz  zulässige  Bewegtheit  der  Linien  ihr  volles  Recht. 
Lässt  sich  da  der  Schluss  abweisen,  dass  ein  solcher 
Gestaltenkreis  in  der  Kunstgattung  zuerst  ausgeführt 
wurde,  in  welcher  die  Ausführung  am  natürlichsten 
und  leichtesten  erscheint?  Wir  gewahren  ähnliche 
Figuren,  wie  sie  das  päpstliche  Grabdenkmal  nach 
dem  Programm  vom  J.  1513  schmücken  sollen,  auch 
an  der  Decke  der  Sixtinischen  CapeUe.  Die  Prophe- 
ten und  Sibyllen  begleiten  hier  die  Mittelbilder,  die 
Historien  aus  dem  alten  Testamente ;  an  sie  schliessen 
sich    dann    Gruppen    an,    welche    gewöhnlich   als    die 


—     24     — 

Vorfahren  Christi  bezeichnet  werden,  die  in  Wahr- 
heit aber  namenlos  sind,  und  zunächst  nur  dem  Drange 
des  Künstlers,  eine  Empfindung  und  Seelenstimmung 
in  energischer  Weise  zum  Ausdrucke  zu  bringen, 
ihren  Ursprung  verdanken.  Sie  gehören  demselben 
Gedankenkreise  an,  wie  das  „beschauliche  und  thätige 
Leben"  am  Grabdenkmale,  an  welchem  auch  formale 
Motive,  z.  B.  die  auf  Würfelsteinen  sitzenden  Figuren 
wiederkehren,  welche  wir  an  der  Decke  der  Sixtina 
bemerken.  Unbestreitbar  ist  die  Verwandtschaft  zwi- 
schen den  Einzelgestalten  und  Gruppen  in  der  Sixtina 
und  am  Grabmale  Julius  II.  So  fest  wurzelt  diese 
Vorliebe  für  diese  geheimnissvoll  blickenden  von  einer 
einzigen  gewaltigen  E-egung  belebten  Wesen,  dass 
Michelangelo  sie  noch  bei  einem  dritten  Werke  fest- 
hält. Die  Figuren  zu  beiden  Seiten  der  Medicäer- 
sarkophage  in  S.  Lorenzo  gehören  derselben  Ordnung 
der  Gedanken  an,  wie  die  Nebenbilder  in  der^  Sixtina 
und  der  plastische  Schmuck  des  Grabdenkmales. 
Der  Zusammenhang  der  drei  Hauptwerke  des  Meisters 
in  dieser  Beziehung  ist  unbestreitbar.  Es  entsteht 
nur  die  Frage:  wurde  die  geschilderte  Gedankenreihe 
in  Michelangelo  geweckt,  als  er  sich  mit  plastischen 
Entwürfen  beschäftigte  und  dann  erst  auf  das  male- 
rische Gebiet  übertragen,  oder  hat  er  derselben  zuerst 
in  der  Malerei  Ausdruck  geliehen  und  an  derselben 
auch  festgehalten,  als  er  seine  längere  Zeit  unter- 
brochene Thätigkeit  als  Bildhauer  wieder  fortsetzte? 
Gar  manches  spricht  zu  Gunsten  der  letzteren  Vor- 
aussetzung: Es  schmiegen  sich  die  Gestalten  viel  enger 


—     25     — 

an  den  malerisclien  als  an  den  plastischen  Stoff,  sie 
lassen  sicli  in  jenem  leichter  als  in  diesem  verkörpern, 
drängen  sich  demnach  auch  eher  dem  Maler  als  dem 
Bildhauer  auf.  Die  Malerei  in  der  Sixtina  geht  dem 
Entwürfe  zum  Grabdenkmale  vom  J.  1513  zeitlich 
voran,  war  vollendet,  ehe  Michelangelo  wieder  Hand 
an  das  plastische  Werk  legte.  Die  Yergrösserung 
desselben,  die  urkundlich  beglaubigt  ist,  bezieht  sich 
höchst  wahrscheinlich  auf  den  plastischen  Schmuck 
und  nicht  auf  den  architectonischen  Theil,  der  gewiss 
den  Künstler  zuerst  beschäftigt  hat,  und  dessen  Maasse, 
wenn  Condivi  nicht  falsch  berichtet  hat,  keineswegs 
1513  eine  Erweiterung  erfuhren,  i)  Dass  Michelangelo 
das  Werk  über  die  architectonische  Grundlage  hinaus 
in  dem  einen  Jahre,  an  welchem  er  vor  1513  daran 
arbeitete,  gefördert  hatte,  dagegen  spricht  zunächst 
schon  die  Kürze  der  Zeit,  dann  der  Umstand,  dass 
er  fast  den  halben  Zeitraum  in  Carrara  zubrachte  und 
der  Zustand  der  behauenen  Blöcke,  die  von  Agostino 
Chigi  an  sich  gerissen  und  für  andere  Zwecke  ver- 
wendet wurden.  Lässt  man  diese  Gründe  gelten,  dann 
rücken  die  Malereien  in  der  Sixtina  geradezu  in  den 
Mittelpunkt  der  Kunstthätigkeit  Michelangelo's  und 
erweisen  sich  grundlegend  und  bestimmend  auch  für 
seine  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Plastik. 


1)  Die  Maasse  des  Denkmales  nach  dem  Entwürfe  von  1513 
waren:  die  Frontseite  20  Palmen  breit  und  14  Palmen  hoch;  die 
Langseiten  bei  gleicher  Höhe  35  Palmen  breit;  nach  dem  Entwurf 
von  1516  hat  die  Fronte  „brachia  undeci  fiorentine  vel  circa"  nach 
Condivi's  Beschreibung  sollten  die  beiden  Fronten  12,  die  Langseiten 
18  Ellen  besitzen. 


26 


4. 


An  der  Hand  des  an  Fattucci  gerichteten  Briefes 
wollen  wir  nun  auch  die  Geschichte  der  Decken- 
gemälde in  der  Sixtina  kennen  lernen.  Wir  verbinden 
mit  jener  Epistel  noch  einige  andere  theils  bei  Milanesi, 
theils  bei  Gotti  abgedruckte  Schreiben. 

Eine  Episode  voll  dramatischer  Wirkung  bildet 
bekanntlich  Michelangelo 's  Elucht  aus  Rom  im  Früh- 
linge 1506.  Während  wir  bis  jetzt  nur  auf  die  Rela- 
tionen Yasari's  und  Condivi's  und  andere  im  Greisen- 
alter Michelangelo's  niedergeschriebene  Berichte  ange- 
wiesen waren,  besitzen  wir  nun  über  das  Ereigniss 
gleichzeitige  Kunde  und  diese  von  Michelangelo's  Hand. 
Am  2.  Mai  1506,  also  nur  wenige  Tage  nach  seiner 
Flucht,  richtete  er  an  Giuliano  da  San  Gallo,  den 
päpstlichen  Baumeister,  folgenden  i)  Brief: 

„Ich  habe  aus  Euerem  Briefe  ersehen,  dass  der 
„Papst  meinen  Weggang  übel  nimmt,  und  dass  Seine 
„Heiligkeit  gewillt  sei,  nach  unserer  Verabredung  zu 
„verfahren  und  dass  ich  nur  zurückkehren  und  an 
„nichts  zweifeln  solle.  Was  nun  meinen  Weggang  be- 
„trifft,   so  ist  es  wahr,    dass  ich  am  Charsamstag  den 


1)  Milanesi  CCCXLIII.  „Guliano!  Jo  ö  iuteso  per  una  vostra 
„come  '1  Papa  auto  a  male  la  mia  partita,  e  come  sua  Santita  e  per 
„dipositare  e  fare  quanto  fumo  d'accordo;  e  che  io  tomi  e  uon  dubiti 
„di  cosa  nessuna." 

,,Della  partita  mia,  egli  e  vero  che  io  udi  dire  el  Sabato  Santo 
^,al  Papa,  parlando  con  uno  goelliere  a  tavola  e  col  maestro  delle 
„ceremonie,    che  non   voleva   spendere    piü   im    baioco   ne  in   pietre 


—     27     — 

„Papst  bei  Tische  zu  einem  Goldschmiede  und  zum 
„Ceremonienmeister  sag-en  hörte:  Er  wolle  keinen 
„Pfennig  mehr  hergeben,  nicht  für  grosse  und  nicht 
„für  kleine  Steine.  Ich  wunderte  mich  darüber  nicht 
„wenig.  Doch  ehe  ich  mich  entfernte,  verlangte  ich 
„einen  Theil  der  Gelder,  deren  ich  bedurfte,  um  das 
„Werk  fortzusetzen.  Seine  Heiligkeit  beschied  mich 
„auf  den  Montag.  Und  so  kam  ich  denn  Montag,  und 
„kam  Dienstag,  Mittwoch  und  Donnerstag,  und  er 
„sah  mich  immer  und  zuletzt  am  Freitag  Morgen  wurde 
„ich  herausgeschickt,  also  weggejagt.  Und  der  mich 
„herausschickte,  sagte,  dass  er  mich  wohl  kenne,  dass 
„er  aber  dazu  den  Befehl  hätte.  Darüber,  was  ich 
„am  Sonnabend  gehört  hatte,  und  wie  ich  jetzt  die 
„Wirkungen  davon  sah,  gerieth  ich  schier  in  Yer- 
„zweiflung.  Doch  war  dieses  nicht  die  einzige  Ur- 
„sache  meines  Wegganges.  Mich  vertrieb  noch  etwas 
„anderes,  was  ich  aber  nicht  schreiben  will.     Genug 


„picole  ne  in  grosse:  ond'io  ne  j^resi  amirazioiie  assai;  pure  icanzi 
„che  io  mi  partissi,  gli  domandai  parte  del  Ibisognio  mio  per  seguire 
„l'opera.  La  sua  Santita  mi  rispose,  ch'io  tomassi  lunedi:  et  vi 
„tornai  lunedi  e  martedi  e  mercoledi  e  giovedi;  come  quella  vide. 
„Air  ultimo  el  venerdi  mattina  io  fui  mandato  fuora,  ciö  e  cacciato 
„via;  e  quel  tale  che  me  ne  mandö,  disse  che  mi  conoscieva,  ma 
„che  aveva  tal  commissione.  Ond'  io  avendo  udito  il  detto  sabato 
„le  dette  parole,  e  veggendo  poi  l'effetto,  ne  venni  in  grau  dispe- 
„razione.  Ma  questo  solo  non  fu  cagione  interamente  della  mia 
„partita;  ma  fu  pure  altra  cosa,  la  quäle  non  vogKo  scrivere;  basta 
„ch'  ella  mi  fe  pensare  s'i'  stavo  a  Roma,  che  fussi  fatta  prima  la 
„sepultm*a  mia,  che  quella  del  Papa."  Im  weiteren  Verlauf  des 
Briefes  macht  Michelangelo  den  Vorschlag,  das  Grabmal  in  Florenz 
fertig  zu  arbeiten. 


—     28     — 

„dass  ich  glauben  musste,  bliebe  ich  länger  in  Rom, 
„so  würde  eher  noch  mein  Grab  fertig,  als  das  des 
„Papstes." 

Was  war  wohl  „dieses  andere",  was  ihn  zur  Flucht 
aus  Rom  bewog?  Wir  besitzen  aus  diesen  Tagen  einen 
an  Michelangelo  gerichteten  Brief,  der  darüber  vielleicht 
Auskunft  ertheilt.  Er  rührt  von  dem  nahe  befreunde- 
ten Maurermeister  Pietro  Rosselli  her  und  ist  von  Gotti 
(I.  46)  publicirt  worden.  Diesem  Pietro  Rosselli  wer- 
den wir  noch  einmal  in  Michelangelo's  Leben  begeg- 
nen. Ihm  hatte  der  Meister  zwei  Jahre  später  die 
Bewerfung  und  Zurüstung  der  Sixtinischen  Decke  zur 
Aufnahme  der  Fresken  (die  scialbatura  e  arricciatura) 
übertragen.  Von  seinen  engen  Beziehungen  zu  Michel- 
angelo und  seiner  Ergebenheit  gibt  auch  der  Brief 
vom  10,  Mai  Zeugniss. 

Die  Vermittlung,  um  welche  Michelangelo  den 
päpstlichen  Baumeister  Griuliano  da  San  Gallo  in  seinem 
Briefe  vom  2.  Mai  angesprochen  hatte,  war  von  diesem 
in  der  That  durchgeführt  worden.  Er  hatte  den  Papst 
begütigt  und  rüstete  sich,  Michelangelo  von  Florenz 
abzuholen.  Dieses  theilte  Julius  II.  dem  Bramante 
mit,  in  Gegenwart  Rosselli's,  welche  beide  zu  dem 
Papste  beschieden  waren,  ihm  Zeichnuiigen  vorzulegen, 
lieber  den  weiteren  Erfolg  der  Unterredung  mag 
Rosselli  selbst  sprechen.  j,Bramante  antwortete  dem 
„Papste:  Heiliger  Vater,  Michelangelo  wird  nicht  zu- 


1)  „(El  Papa)  mandö  per  Bramante  e  dissegli:  El  Sangallo  va 
domatina  a  Firenze  e  rimenera  in  süe  Michelagnolo.  Bispose  Bra- 
mante al  Papa  e  disse:    Santo  Padre,    e'  non  ne  fara  nulla,  perche 


—     29     — 

„rückkehren.  Ich  kenne  ihn  gut  genug;  er  hat  mir 
„oft  gesagt,  dass  er  mit  der  Kapelle  nichts  zu  thun 
„haben  wolle  und  dass  Ihr  ihn  gerade  dort  zu  be- 
„schäftigen  gesonnen  seid;  er  aber  wolle  Euch  dienen 
„bei  dem  Grabdenkmale  und  nicht  in  der  Malerei. 
„UndBramante  sagte  femer:  Heiliger  Vater,  ich  glaube, 
„er  hat  keinen  Muth,  denn  er  hat  noch  nicht  viele  Fi- 
„guren  gemalt  und  besonders  Figuren  an  derDecke  und 
„in  der  Verkürzung.  Das  ist  aber  ein  ganz  anderes  Ding 
„als  die  Malerei  auf  ebenem  Boden.  Da  antwortete  der 
„Papst :  Wenn  er  nicht  käme,  thäte  er  mir  einen  Schimpf 
„an,  und  darum  wird  er  jedenfalls  kommen.  Nun  hielt 
„ich  aber  nicht  länger  zurück.  Ich  trat  vor  und  fuhr 
„ihn  in  Gegenwart  des  Papstes  grob  an.  Ich  sprach, 
„wie  Ihr  für  mich  gesprochen  haben  würdet,  so  dass  er 
„nicht  wusste,  was  zu  antworten  und  sich  entschuldigte. 
„Und  ich  sagte  überdiess:  Heiliger  Vater,  er  hat  nie 
„mit  Michelangelo  verkehrt  und  wenn  etwas  von  dem 
„was  er  soeben  gesagt   hat,  wahr  ist,   so  möget  Ihr 


io  öne  pratico  Michelagnolo  assai  e  ammi  detto  piü  e  piü  volte  nonue 
volere  attendere  alla  capella ;  e  che  voi  gli  volevi  dare  cotesto  carico ; 
e  clie  per  tanto  voi  non  volevi  attendere  se  non  a  la  sepoltora  e 
non  alla  pittura.  E  disse:  Padre  Santo,  io  credo  che  a  lui  non  li 
basti  l'animo  perche  lui  non  ha  fatto  troppo  di  figinre,  e  massimo  le 
figure  sono  alte  e  in  iscorcio:  ed  ene  altra  cosa  che  a  dipingere  in 
terra.  AUora  rispose  el  Papa  e  disse:  Se  lui  non  vi  ene,  e'  mi  fä 
torto,  perche  io  credo  tornerä  a  ogni  modo. 

„Allotta  io  mi  iscopersi  e  dissigh  una  villania  grandissima,  pre- 
„sente  el  Papa;  e  dissigh  quello  credo  aresti  detto  voi  per  me;  •  e 
„per  tanto  non  seppe  quello  si  rispondere,  e  parvegh  avere  mal 
„detto.  E  dissi  pure  oltre:  Santo  Padre,  lui  non  parlö  mai  a  Michel- 
„agnolo,    e   di    quello  v'  äne    detto    ora,    se   gü    e    vero,    vogho    mi 


—     30     — 

„mir  den  Kopf  abhauen  lassen,  denn  er  hat  nie  mit 
„Michelangelo  gesprochen  nnd  ich  glaube,  dass  dieser 
„jedenfalls  zurückkehren  wii'd,  sobald  es  Eurer  Heilig- 
„keit  gefällt.     Somit  endete  die  Sache." 

Wie  ganz  anders,  einfach  und  natürlich  stellt  sich 
nach  beiden  Briefen,  jenem  Rosselli's  und  dem  an  Giu- 
liano  da  San  Gallo  gerichteten  das  Ereigniss  der  Flucht 
JMichelangelo's  aus  E-om  dar.  In  viel  späteren  Jahren 
umrankte  die  Legende  den  historischen  Kern  so  dicht, 
dass  derselbe  fast  ganz  verdeckt  blieb.  Da  liebte  man 
es,  die  Kühnheit  des  Künstlers  zu  betonen,  und  wie 
dieser  doch  eig-entUch  dem  Kirchenfürsten  ebenbürtig 
gegenüberstand,  mit  Stolz  hervorzuheben.  Wir  hören 
von  fünf  Courieren,  die  ihm  Juhus  II.  schleunigst  nach- 
sendete, und  die  ihn  merkwürdiger  Weise  aUe  fünf 
erst  jenseits  der  Grenze  in  Poggibonsi  zur  selben 
Stunde  erreichten,  und  von  drei  päpsthchen  Breven, 
welche  ihn  zur  Bückkehr  mahnten.  Sein  Gehen  oder 
Bleiben  bauscht  sich  zu  einer  Haupt-  und  Staatsaction 
auf,  bildet  den  Gegenstand  der  Verhandlungen  zwi- 
schen dem  Papste  und  dem  Gonfaloniere,  welcher  in 
Michelangelo's  Weigerimg  derEückkehr  eine  Gefahr  für 
Florenz  fürchtete.  „Wir  wollen  deinetwillen  keinen 
Elrieg  mit  dem  Papste  anfangen",  lässt  ihn  Condivi 
sagen.  Xichts  von  alledem  in  den  Briefen,  die  unter 
dem  unmittelbaren  Eindrucke  der  Ereignisse  geschrie- 
ben sind  und  allein  als  glaubwürdige  Quellen  erschei- 

„mozziate  el  capo,  che  lui  non  gli  parlö  mai  a  ZiJQchelagDolo ;  e  credo 
„clie  lui  tomerä  a  ogni  modo,  quando  la  vostra  Santitä  rorrä.  E 
„qui  fini  le  cose." 


—     31     — 

nen.  Durch  einen  Kunstgenossen  erfährt  Michelangelo 
den  Zorn  des  Papstes,  und  empfängt  die  Aufforderung 
zur  Eückkehr.  GiuKano  da  S.  Gallo  hat  die  Absicht, 
ihn  in  Florenz  abzuholen  und  nach  Rom  zurückzu- 
bringen. Die  Umstände,  welche  die  Ausführung  dieses 
Planes  vereitelten,  Michelangelo's  Aufenthalt  in  Flo- 
renz bis  zum  Spätherbst  verlängerten,  sind  nicht  be- 
kannt. Jedenfalls  verliefen  aber  die  ersten  Tage  und 
Wochen  nach  seiner  Flucht  nicht  so  dramatisch  be- 
wegt, wie  die  mythenbildende  Phantasie  vier  Jahr- 
zehnte später  sie  ausmalte. 

Nun  aber  das  Wichtigste :  Bereits  1506  bestand 
der  Plan,  die  Ausmalung  der  Decke  in  der  Sixtini- 
schen  Capelle  Michelangelo  zu  übergeben.  Bramante 
spricht  davon  in  der  Unterredung  mit  dem  Papste  als 
von  einer  bekannten  Sache  und  wird  von  Rosselli  nur 
Lügen  gestraft,  weil  er  eine  nähere  Bekanntschaft  mit 
Michelangelo  und  die  Unlust  des  Künstlers  zur  Rück- 
kehr behauptet.  Und  was  den  letzteren  Punkt  betrifft, 
so  erscheint  es  fraglich,  ob  Rosselli  nicht  besonders 
dadurch  als  Freund  Michelangelo's  in  Harnisch  ge- 
bracht wurde,  dass  Bramante  den  von  Michelangelo 
selbst  verheimhchten  Grund  seines  Wegganges  in 
schroffer  Weise  enthüllte.  Hier  finden  wir  den  feind- 
lichen Gegensatz  zwischen  Michelangelo  und  Bramante 
zum  ersten  Male  erwähnt  und  entdecken  die  Wurzel^ 
welcher  alle  späteren  Erzählungen  Condivi's  und  Ya- 
sari's  von  dem  Zwiespalte  zwischen  den  beiden  Künst- 
lern entstammen.  Wir  legen  aber  gleichzeitig  auch 
den  Finger  auf  die  Entstellungen,  welche  falsche  Pie- 


—     32     — 

tat  und  Eifersucht  der  Schüler  auf  den  Ruhm  des 
Meisters  sich  im  Laufe  späterer  Jahre  erlaubte  i).  Von 
einer  Einwirkung  Bramante's  auf  den  Papst,  um  die- 
sen von  der  Ausführung  des  Grabmales  abzubringen, 
ist  in  den  Briefen  keine  B;ede.  Und  wenn  nachmals 
behauptet  wurde,  Bramante  hätte  Michelangelo  eine 
Falle  legen  wollen,  indem  er  ihn  dem  Papste  für  die 
Malereien  in  der  Sixtina  empfahl,  so  müssen  wir  nach 
dem  Wortlaute  der  Urkunden  jetzt  sagen:  Ungeschick- 
ter und  täppischer  konnte  Bramante  die  Sache  nicht 
anfangen.  Er  will .  aus  Neid  gegen  den  Bildhauer  den 
Papst  bewegen,  dass  der  den  Künstler  in  einem  wie  er 
insgeheim  wusste,  diesem  fremden  Fache  beschäftige 
und  betont  laut  vor  dem  Papste  die  Unzulänglichkeit 
des  Mannes,  verringert  seine  Leistungskraft!  Vollends 
aus  dem  Wege  geräumt  erscheint  endlich  das  weitere 
Motiv,  welches  spätere  Schriftsteller,  Zeiten  und  Dinge 


1)  Nach  Condivi's  Bericht  (c.  XXY,  XXXIII  und  XXXVIII) 
fürchtete  Bramante  Michelangelo's  Kritik  des  Petersbaues  und  lag  in 
dieser  Furcht  das  Motiv  seiner  feindseligen  Gesinnung.  Seltsam,  dass 
er  glauben  konnte,  durch  gehässige  Beden  seinerseits  den  Gegner 
zum  Schweigen  zu  bringen.  Michelangelo  warf  ihm  vor,  dass  er  die 
Mauern  von  schlechtem  Material  herstelle  und  auch  nicht  fest  und 
sicher  genug  im  Vergleich  zu  ihrer  Höhe  und  Dicke;  sodann  dass 
er  beim  ISTiederreissen  des  alten  S.  Petersdomes  die  schönen  Säulen 
zu  Boden  geworfen  hätte,  welche  im  Scliiffe  aufgestellt  waren,  un- 
bekümmert, dass  sie  in  Stücke  gingen.  Geymüller  hat  (Zeitschr.  f. 
b.  K.  1875  S.  252)  gezeigt,  dass  der  letztere  Vorwurf  ganz  unbe- 
gründet war.  Die  Gegenüberstellung  Michelangelo's  und  Bramante's 
vor  dem  Papste  bei  Condivi  erinnert  an  die  von  Bosselli  erzählte  Scene. 
Es  mag  Condivi  vielleicht  von  dieser  gehört  und  sie  dann  nach 
seiner  Tendenz  arrangirt  haben. 


—     33     — 

verwirrend  dem  Bramante  unterschoben,  der  Wunsch, 
Rafael  an  Michelangelo's  Stelle  emporzubringen.  Im 
Jahre  1506  wussten  nur  wenige  um  Raphael,  der  in 
Florenz  weilte,  und  seine  ganze  Kraft  anspannte,  sich 
aus  der  engen  Gedanken-  und  Formenwelt  seines  Leh- 
rers und  seiner  ersten  Schule  herauszulösen.  Fest 
steht  nur  die  Thatsache:  Michelangelo  war  bereits  in 
den  ersten  Jahren  seines  römischen  Aufenthaltes  als 
Maler  der  Decke  in  der  Sixtinischen  Capelle  auser- 
sehen. 


Verfolgen  wir  nun  weiter  das  Schicksal  der  Ma- 
lereien in  der  Sixtina.  Zunächst  blieb  dieser  Plan 
eben  so  still  ruhen  wie  die  Entwürfe  zum  Grrabmale. 
Julius  II.  zog  im  August  1506  nach  dem  Norden,  um 
sich  Bologna  zu  unterwerfen.  Am  11.  November  durch- 
schritt er  triumphirend  die  ihm  nach  der  Flucht  Ben- 
tivoglio's  freiwillig  geöffneten  Thore.  Ihm  folgte  we- 
nige   Wochen    später    Michelangelo,  i)      Die   Arbeit, 


1)  Der  G-eleitbrief  Soderini's  (Gaye  II.  91)  ist  vom  27.  November 
1506  datirt,  der  erste  uns  erhaltene  Brief  Michelangelo's  scas,  Bologna 
an  seinen  Bruder  Buonarroto  trägt  das  Datum  19.  Dec.  1506.  Lange 
konnte  Michelangelo,  als  er  den  Brief  schrieb,  nicht  in  Bologna  an- 
wesend sein,  denn  er  lebt  noch  in  provisorischen  Zuständen,  schläft 
zu  vieren  in  einem  Bette  in  einer  schlechten  Stube.  Dass  der  Gron- 
faloniere  in  seinem  Greleitsbriefe  Michelangelo's  Arbeit  am  Sclilacht- 
carton  und  den  12  Apostelstatuen,  als  wäre  der  Künstler  gegenwärtig 
an  denselben  beschäftigt ,  erwähnt ,  ist  auffallend.  Hatte  .  Michel- 
angelo diese  Werke  nach  seiner  Flucht  aus  Rom  wieder  in  Angriif 
genommen?  "Wir  wissen  aus  dem  Briefe  an  Griuliano  da  S.  Gallo  von 
seinem  Vorhaben,  sich  in  Florenz  niederzulassen. 

3 


—     34     — 

welche  zu  seiner  Berufung  nach  Bologna  Anlass  ge- 
geben, statt  dass  ihm  die  Rückkehr  nach  Rom  wäre 
befohlen  worden,  begann  er  gleich  nach  seiner  An- 
kunft, Der  Papst,  veränderlich  in  seiner  Kunstliebe, 
gab  ihm  seine  Erzstatue  in  Auftrag,  die  über  dem 
Eingange  zur  Kirche  des  h.  Petronius  aufgestellt  wer- 
den sollte.  Da  Michelangelo  der  Gusstechnik  unkun- 
dig war,  so  musste  er  diesen  Theil  des  Werkes  einem 
andern  überlasseuo  Der  aus  Florenz  herbeigeholte 
Gussmeister  Bernardino  d' Antonio,  ein  Lombarde,  war 
aber  trotz  seiner  grösseren  Erfahrung  nicht  glücklicher 
in  dem  Unternehmen.  Michelangelo  hatte  am  6.  JuU  1507 
seinem  Bruder  Buonarroto  zu  melden,  der  Guss  wäre 
misslungen,  die  Statue  durch  die  „ignoranza  oder  dis- 
grazia"  Bernardino's  nur  bis  zur  Hüfte  herausgekom- 
men. So  musste  das  Werk  wiederholt  werden.  Der 
zweite  Guss  gelang  besser,  doch  verlangte  die  Reini- 
gung und  Vollendung  der  Statue  noch  so  viel  Zeit 
und  Arbeit,  dass  sie  erst  im  Februar  1508  auf  ihren 
Standort  gebracht  werden  konnte.  So  lange  verweilte 
auch  Michelangelo  auf  Befehl  des  Papstes  in  Bologna. 
Seine  Hände  waren  diese  ganzen  fünfzehn  Monate  über 
(Michelangelo  rechnet  in  Pausch  und  Bogen  2  Jahre 
von  der  Flucht  aus  Rom  bis  zur  Rückkehr  dahin) 
schwerlich  viel  mit  anderen  Dingen  beschäftigt,  als 
mit  der  Papststatue.  Tag  und  Nacht,  schreibt  er 
seinem  Bruder,  arbeite  er  an  dem  Werke,  so  dass  er 
kaum  noch  die  Mühsehgkeiten  ertrage.  Seine  Gedan- 
ken aber  hafteten  gewiss  nicht  ausschliesslich  an  der 
Gegenwart.     Die  Verbindung   mit   Rom  hält  er  auf- 


—     35     — 

reclit;  schon  im  Juli  1507  sendet  er  einen  Brief  an 
Giuliano  da  San  Gallo  und  lässt  in  den  nächsten  Mo- 
naten noch  weitere  Schi^eiben  folgen.  Im  December 
1507  bittet  er  seinen  Bruder  Buonarroto,  einen  an  den 
Cardinal  von  Pavia  gerichteten  Brief,  der  sehr  wichtig 
sei,  nach  Kom  zu  befördern  und  benutzt  die  Vermitt- 
lung des  Bruders  zu  gleichem  Zwecke  noch  im  Febraar 
1508.  Da  alle  diese  Briefe  verloren  gingen,  so  er- 
scheint jede  Yermuthung  über  ihren  Inhalt  müssig. 
Nur  den  einen  Umstand  müssen  wir  bemerken  j  dass 
es  der  Cardinal  von  Pavia  war,  mit  welchem  Michel- 
angelo im  Mai  1508  den  Vertrag  über  die  Malereien 
in  der  Sixtina  abschloss. 

Derselbe  kurze  eigenhändige  Vermerk,  aus  dem  wir 
diese  Nachricht  schöpfen,  belehrt  uns  auch  über  den 
Anfang  der  Arbeit  in  der  Sixtina  und  die  erste  Ab- 
schlagszahlung, welche  er  empfing.  Am  10.  Mai  1508 
begann  Michelangelo  das  Werk,  am  gleichen  Tage 
vnirde  ihm  das  erste  Honorar  im  Betrage  von  500  Du- 
caten  —  der  sechste  Theil  des  Gesammthonorars  über- 
wiesen. Aus  dem  Briefe  an  Fattucci  erfahren  wir  zu 
unserem  Staunen,  dass  es  sich  nach  dem  ersten  Ent- 
würfe um  ein  wesentlich  decoratives  Werk  handelte, 
der  figürliche  Theil  der  Malerei  auf  die  zwölf  Apo- 
stelbilder beschränkt  bleiben  sollte.  Man  sieht,  die 
Schilderungen  sind  so  knapp  und  kurz  als  mög- 
lich gehalten.  Was  später  die  berühmten  Teppiche 
Rafaels,  an  den  unteren  Wandtheilen  aneinander  ge- 
reiht, in  breiten  Zügen  und  in  höchst  gespannten  dra- 
matischen Tone  aus  der  Apostelgeschichte   erzählten, 


—     36     — 

das  wird  nur  flüchtig  dadurch  angedeutet,  dass  die 
einzehien  Apostel  vor  das  Auge  gebracht  werden ;  die 
Vorgeschichte  der  Erlösung  in  den  Zeiten  der  Ur- 
väter, Patriarchen  und  Propheten  fällt  ganz  aus.  Die 
Gegenüberstellung  Moses  und  Christi  auf  den  Wand- 
gemälden aus  dem  fünfzehnten  Jahrhunderte  genügte 
vorläufig,  den  Zusammenhang  zwischen  dem  alten  und 
neuen  Testamente  festzustellen  und  die  Lehre  zu  ver- 
kündigen, dass  in  den  Rettungen  des  israelitischen 
Volkes  die  Erlösung  der  Menschheit  vorbildlich  ge- 
schaut werde. 

Die  grossartige  Erweiterung  des  Bilderkreises  ist 
aus  Michelangelo's  freiem  Entschlüsse  hervorgegangen. 
Wir  bewundern  aber  nicht  minder  als  den  Schvmng 
seiner  Phantasie  und  die  Mächtigkeit  der  Formen,  den 
weisen  Verstand,  welcher  die  nachträglich  ersonnenen 
Bilder  den  bereits  geschaffenen  so  organisch  einord- 
net, dass  sie  eine  geschlossene  Einheit  bilden  und  nie- 
mand die  allmälige  Entstehung  bemerkt,  i) 


1)  Die  Vergieichung  des  an  Fattucci  gerichteten  Briefes  mit  der 
Erzählung  bei  Condivi  (c.  XXXYIII)  gestattet  uns  einen  guten 
Einblick  in  die  Quellenbenützung  Condivi's.  Michelangelo  warf  die 
Armuth  der  Apostel  als  Scherzwort  liin,  um  die  Aermhclikeit  der 
Malerei,  die  nur  die  12  Apostelbilder  bringen  sollte,  zu  schildern. 
Bei  Condivi  bekommt  das  Scherzwort  einen  moralish-enden  Beige- 
schmack. Papst  Julius  verfangt  noch,  eine  Eetouche  der  Figuren 
mit  Grold,  und  als  der  Künstler  sich  dessen  weigert,  meint  der  Papst, 
es  werde  sich  sonst  die  Malerei  ärmhch  machen.  „Die  da  aufge- 
malt sind",  antwortete  Michelangelo,  „waren  auch  ärmlich."  Offen- 
bar hatte  Condivi  von  IMichelangelo's  Aeusserung  eine  dunkle  Ahnung 
und  legte  sich  jene  so  gut  er  konnte  zurecht.  Condi\i  erfindet  nicht 
vollständig,  fasst  aber  die  Dinge  meistens  falsch  auf. 


—      37     — 

Von  dem  thätigen  Eifer,  mit  welchem  Michelangelo 
alsbald  an  das  Werk  schritt,  legen  der  Vertrag  mit 
Pietro  Rosselli  schon  am  11.  Mai  1508,  den  Kalkbe- 
wurf der  Decke  betreffend,  der  Ankauf  von  Farben 
in  Florenz  auf  seine  Rechnung  —  bei  den  Gesuaten- 
mönchen  bestellt  er  Azurfarben,  Francesco  Granacci 
oder  irgend  ein  anderer  Maler  soll  ihm  eine  Unze 
Lack  kaufen  —  und  die  Berufung  von  fünf  erfahrenen 
Gehilfen  aus  Florenz  Zeugniss  ab.  Doch  erlahmte  gar 
bald  der  Eifer  und  stockte  das  Werk.  An  seinen 
Yater  richtete  er  einen  Klagebrief  (Milanesi  x.),  in 
welchem  es  heisst:  „Auch  ich  habe  den  Kopf  ganz 
„voll.  Denn  es  ist  schon  ein  Jahr  her,  dass  ich  vom 
„Papst  auch  nicht  einen  Groschen  erhalten  habe  und 
„fordere  auch  nichts,  weil  meine  Arbeit  nicht  so  weit 
vorangeht,  dass  sie  Bezahlung  zu  verdienen  scheint; 
„daran  trägt  die  Schwierigkeit  der  Arbeit  die  Schuld 
„und  dann  dass  sie  nicht  mein  Beruf  ist.  So  verliere 
„ich  nur  meine  Zeit  ohne  Nutzen.  Gott  helfe  mir."i) 
Der  Brief  ist  vom  27.  Januar  datirt;  als  das  Jahr 
wird  1509  vermuthet.  Damit  stimmt  nun  freilich  nicht, 
dass  Michelangelo  sich  beklagt,  bereits  ein  Jahr  lang 
vom  Papste  ohne  Bezahlung  gelassen  zu  sein,  da  er 
erst  vor  sieben  Monaten  500  Ducaten  empfing.    Auf 


1)  „lo  ancora  sono  in  fantasia  grande,  perche  e  gia  uno  anno 
clie  io  non  ö  avuto  uno  grosso  da  questo  Pal^a,  e  none  chiego, 
perche  el  lavoro  mio  non  va  inanzi  i'  modo  che  a  me  ne  paia  meritare. 
E  questa  e  la  difficolta  del  lavoro  e  ancora  el  non  esser  mia  pro- 
fessione.     E  pur  perdo  el  tempo  mio  sanza  frutto.    Idio  m'  ainti." 


—     38    — 

der  anderen  Seite  kann  aber  nicht  füglich  ein  späte- 
res Jahr  angenommen  werden.  Es  ist  nicht  unmög- 
lich, dass  Michelangelo  seine  eigene  Geldnoth  über- 
trieb, um  den  steten  Geldforderungen  seiner  Familie 
auszuweichen,  seine  Behauptung  also  nicht  wörtlich 
genommen  zu  werden  braucht.  Wir  begreifen  den 
langsamen  Fortgang  der  Arbeit  und  finden  eine  aus- 
reichende Erklärung  dafür  in  der  Erweiterung  des 
Bilderkreises,  in  der  Entzweiung  Michelangelo's  mit 
seinen  florentiner  Gehülfen  ^)  und  der  nur  langsamen 
technischen  Einübung  des  Meisters.  Um  so  wunder- 
barer erscheint  die  Vollendung  des  "Werkes  in  der  ge- 
wöhnlich angegebenen  kurzen  Frist  von  zwanzig  Mona- 
ten, die  auf  einen  noch  kleineren  Zeitraum  zusammen- 
schmilzt, wenn  man  trotz  dem  späten  Anfange  des 
Werkes  —  im  Januar  1509  war  er  noch  kaum  nen- 
nenswerth  —  den  Schluss  desselben  bereits  auf  den 
Allerheiligentag  1509  ansetzt. 

In  Michelangelo's  Briefen  wird  die  Malerei  in  der 
Sixtina  noch  öfter  erwähnt.  Ein  leider  undatirter 
Brief  an  seinen  Yater  (Milanesi  xii)  enthält  folgende 
Stelle:  „Ich  werde  dorthin  (nach  Florenz)  jedenfalls 
„kommen,    sobald    ich    hier   meine   Malerei  vollendet 


1)  Diese  Entzweiung  wird  durch  den  Brief  Michelangelo's  an 
seinen  Bruder  Buonarroto  v.  27.  Januar  1509  (Milanesi  X)  urkund- 
lich erhärtet,  wenigstens  in  Bezug  auf  einen  der  fünf  Grehilfen, 
welche  er  angenommen  hatte,  den  Jacopo  detto  1'  Indaco,  einen 
Schüler  Domenico  Ghirlandajo's,  über  dessen  persönliche  Beziehungen 
zu  Michelangelo  Näheres  bei  Vasari  (ed.  Lemonnier  VI.  133)  nach- 
gelesen werden  kann.  Auch  Vasari  weiss  von  einer  Entzweiung, 
legt  ihr  aber  einen  verunglückten  Spass  als  Grund  unter. 


—     39     — 

„habe,  was  in  zwei  bis  drei  Monaten  geschehen  wird."i) 
Ebenfalls  einem  nndatirten  Briefe  (Milanesi  xrrr),  der 
aber  bald  nach  dem  soeben  erwähnten  geschrieben 
sein  muss ,  entlehnen  wir  fast  gleichlautende  Worte : 
„Ich  denke  hier  in  zwei  Monaten  fertig  zu  sein  und 
gehe  dann  dorthin."  2)  In  einem  dritten,  leider  auch 
undatirten  Briefe  (Milanesi  xv)  kündigt  er  dem  Va- 
ter die  Vollendung  der  Arbeit  an.  „Ich  habe  die 
Capelle  vollendet,  welche  ich  gemalt  habe  und  der 
Papst  war  sehr  zufrieden.  Andere  Dinge  gelingen 
mir  nicht  so  gut  als  ich  hoffte.  Ich  klage  die  Zeit- 
läufte an,  die  unserer  Kunst  gar  abhold  sind.  Diese 
Allerheiligen  werde  ich  nicht  dorthin  kommen,  weil 
ich  nicht  habe,  was  ich  brauche,  um  das  zu  schaffen, 
was  ich  schaffen  will.  Auch  ist  noch  nicht  Zeit 
dazu."  3) 

Alle  diese  Briefe  verlegt  Milanesi  in  das  Jahr  1509 
und  thut  dasselbe  auch  mit  dem  folgenden  (Milanesi 
Lxxxi)  an  den  Bruder  Buonarroto  gerichteten  Schreiben, 
in  welchem  es  in  Bezug  auf  die  Deckenbilder  in  der  Six- 
tina  heisst:  „Ich  befinde  mich  wie  gevv^öhnlich ;  werde 


1)  „lo  veno  Costa  a  ogni  modo  come  ö  finito  qua  la  mia  pittura, 
che  sara  infra  dua  o  tre  mesi." 

2)  lo  stimo  aver  finito  qua  iufra  dua  mesi  e  poi  verrö  o  tornerö 
Costa."  Die  von  Michelangelo  aufgestellte  Alternative  des  „Kommens 
oder  Zurückkehrens"  nach  Florenz  ist  nicht  klar. 

3)  „lo  ö  finita  la  capella  che  io  dipignievo:  el  Pape  resta  assai 
ben  sodisfatto:  e  l'altre  cose  non  mi  riescono  a  me  come  stimavo; 
incolpone  e'  tempi  che  sono  molto  contrari  aU'  arte  nostra.  Io  non 
verrö  costä  questo  Ogni  Santi,  perche  non  ö  quello  che  bisognia  a 
far  quello  che  vogUo  fare  e  ancora  non  e  tempo  da  ciö." 


—     40     — 

meine  Malerei  zu  Ende  nächster  Woche  vollendet  haben, 
nemlich  den  Theil,  den  ich  angefangen;  und  sobald  ich 
sie  enthüllt  habe,  denke  ich  Geld  zu  bekommen  und 
werde  mich  beeilen,  einen  Urlaub  von  einem  Monat 
für  dort  zu  erhalten."  i)  Die  einzige  Zahlung  nach 
der  ersten  am  10.  Mai  1508  geleisteten,  von  welcher 
Michelangelo  seitdem  Kunde  gibt,  fällt  aber  erst  in 
den  Herbst  1510.  In  einem  ausnahmsweise  datirten 
Briefe  vom  26.  October  1510  (Milanesi  lxxxii)  mel- 
det er  seinem  Bruder  :  „Ich  erhielt  gestern  500  Du- 
caten  vom  Datarius  des  Paptes."  2)  Kein  Zweifel, 
dass  diese  Anzahlung  sich  auf  Michelangelo's  Arbeit 
in  der  Sixtina  bezieht.  Mit  Sehnsucht  hatte  sie  der 
Künstler  erwartet.  Denn  er  befand  sich  in  diesen 
Herbsttagen  1510  abermals  in  einer  schlimmen  Lage. 
Julius  II.  hatte  bereits  im  August  Eom  verlassen,  um 
seinen  grossen  Plan  in  das  Werk  zu  setzen,  die  Fran- 
zosen aus  Italien  zu  verjagen,  dieses  zu  befreien.  Er 
befand  sich  abermals  in  Bologna,  der  arme  Michel- 
angelo aber  war  in  Born  ohne  Geld  und  ohne  Anwei- 
sungen zurückgeblieben.  Bitter  beklagte  er  in  zwei 
Briefen  (Milanesi  xx  und  xxi)  vom  5.  und  7.  Sep- 
tember 1510  an  seinen  Yater  seine  Lage.  „Ich  habe 
„beim  Papste  noch  500  Ducaten  zu  Gute  und   eben 


•  1)  „lo  mi  sto  qua  all'  usato  e  arö  finita  la  mia  pittura  per  tutta 
quest'  altra  settimana,  ciö  e  la  parte  che  io  cominciai;  e  com'  io  l'ö 
scoperta,  credo  che  io  arö  danari  e  ancora  m'ingiegnierö  d'aver 
licenza  per  costa  per  un  mese." 

2)  jjio  ebbi  ieri  cinque  ciento  ducati  d'oro  di  camera  dal  Datario 
del  Papa." 


—     41     — 

„soviel  muss  er  mir  geben,  um  das  Gerüste  aiifzu- 
„zuschlagen  und  die  andere  Hälfte  meiner  Arbeit  fort- 
„  zusetzen.  Nun  ist  er  abgereist  und  hat  keinen  Auf- 
„trag  zurückgelassen."!)  Aus  dem  Briefe  vom  26.  Octo- 
ber  haben  wir  ersehen,  dass  seine  Geldnoth  bald  ein 
Ende  erreichte,  und  ihm  vom  Datarius  500  Ducaten 
ausbezahlt  wurden.  Doch  fand  es  Michelangelo,  wie 
der  Brief  an  Fattacci  beweist,  angemessen,  sich  selbst 
nach  Bologna  zu  begeben  und  die  weiteren  Geldfor- 
derungen persönlich  zu  betreiben.  Die  Dauer  seines 
Aufenthaltes  in  Bologna  lässt  sich  nicht  genau  be- 
stimmen; lange  kann  er  nicht  gewährt  haben,  da  er 
am  15.  Januar  1511  bereits  wieder  aus  Bom  an  seinen 
Bruder  (Milanesi  lxxxv)  schreibt.  Nach  seiner  Bück- 
kehr ging  Michelangelo,  wie  wir  aus  dem  Briefe  an 
Fattucci  weiter  erfahren,  daran,  Cartons  für  die  Ma- 
lerei in  der  Sixtina  zu  schaffen.  Für  welchen  Baum 
in  der  Capelle?  „Die  Wölbung  war  beinahe  fertig;" 
die  Cartons  können  also  nicht  für  dieselbe  bestimmt 
gewesen  sein.  Michelangelo  hebt  jeden  Zweifel,  indem 
er  hinzufügt,  „nemlich  für  die  Schmalseiten  und  Lang- 
seiten rings  um  die  Capelle."  Yasari  scheint  die  nä- 
here Erläuterung  dazu  zu  geben.  Er  versichert,  dass 
Papst  Julius   die  Wandbilder  herunterschlagen  lassen 


1)  „Aviso vi  come  io  resto  avere  qua  dal  Papa  ducati  Cinquecento 
guadagnati  e  altrettanta  me  ne  doveva  dare  per  fare  el  ponte  e 
seguitare  l'altra  parte  dell'  opera  mia.  E  lui  s'e  partito  di  qua  ie 
non  m'a  lasciato  ordine  nessuno."  Michelangelo  hat  Lust  zu  einer 
Heise  nach  Florenz,  fürchtet  aber,  wenn  er  Kom  ohne  Erlaubniss 
des  Papstes  verlässt,  die  Ungnade  desselben. 


—     42     — 

wollte,  welche  frühere  Meister  zur  Zeit  des  Papstes 
Sixtus  gemalt  und  erzählt  an  einer  anderen  Stelle, 
Michelangelo  habe  die  Entwürfe  und  Zeichnungen  für 
das  jüngste  Gericht  schon  viele  Jahre  vorher  gefertigt,  i) 
"Was  die  letzten  Worte  bedeuten,  erfahren  wir  wieder 
besser  aus  Condivi  (cap.Li).  Michelangelo  hat  den  Carton 
zu  dem  jüngsten  Gerichte,  welches  Werk  er  erst  unter 
Paul  III.  1541  ausführte,  bereits  unter  'Clemens  VII. 
gezeichnet.  Diese  Entwürfe  haben  also  mit  der  Fort- 
setzung der  Malerei  in  der  Sixtina  1511  nichts  zu 
schaffen,  zumal  die  letztere  als  „ringsum"  gehend  be- 
schrieben wird.  Dem  bekannten  durchfahrenden  Sinne 
des  Papstes  hätte  es  an  sich  keine  üeberwindung  ge- 
kostet, ältere  Bilder  zu  Gunsten  neuer  ihm  mehr  zu- 
sagender von  der  Mauer  herunterschlagen  zu  lassen. 
In  den  Stanzen  wurde  ja  in  dieser  Weise  vorgegangen. 
Da  aber  die  älteren  Wandbilder  bis  zu  dieser  Stunde 
sich  erhalten  haben,  so  liegt  nichts  näher,  als  der 
Schluss,  dass  der  Papst  seine  Absicht  aufgab,  Michel- 
angelo seine  Arbeit  schon  im  Herbste  1510  abschloss,. 
kein  weiteres  Bild  mehr  in  Angriff  nahm.  So  nahe- 
liegend, eben  so  falsch  wären  aber  diese  Schlüsse.  Wir 
besitzen  aus  dem  Jahre  1512  mehrere  sicher  datirte 
Briefe  —  der  Adressat,  Michelangelo 's  Bruder,  merkte 


1)  Vasari  ed.  Lemonnier  XII.  p.  189.  „Volse  il  papa  che  si 
guastassi  le  facciate  che  avevano  giä  dipinto  al  tempo  di  Sisto  i 
maestri  innanzi  di  kii."  Die  Summe  von  15,000  Ducaten,  die  Yasari 
als  Honorar  angibt,  wird  in  dieser  Höhe  nirgends  sonst  genannt. 
Wahrscheinlich  hegt  eine  Verwechslung  mit  dem  Grabdenkmale  zu 
G-runde. 


—     43     — 

den  Empfangstag  auf  denselben  an  —  aus  welchen 
hervorgeht,  dass  Michelangelo  noch  im  Herbste  1512 
in  der  Sixtina  thätig  war. 

Am  24.  Juli  1512  kündigt  er  seinen  Besuch  in 
Florenz  an  (Milanesi  lxxxvii)  und  fügt  hinzu:  „Ich 
plage  mich  mehr  als  sich  jemals  ein  Mensch  geplagt 
hat,  bin  auch  leidend,  doch  habe  ich  Geduld,  um  nur 
zu  dem  erwünschten  Ende  zu  kommen."  i) 

Deutlicher  spricht  sich  Michelangelo  in  dem  Briefe 
vom  21.  August  (Milanesi  lxxxix)  aus:  „Ich  kann 
„nicht  kommen,  bis  ich  mein  Werk  vollendet  habe, 
„was,  wie  ich  glaube,  am  Ende  September  geschehen 
„dürfte,  aber  es  ist  ein  so  grosses  Stück  Arbeit,  dass 
„ich  den  Schluss  nicht  auf  vierzehn  Tage  vorher  be- 
„zeichnen  kann.  Jedenfalls  komme  ich  vor  Aller- 
„heiligen,  wenn  ich  nicht  bis  dahin  gestorben  bin. "2) 
Die  Zusage ,  zu  Allerheiligen  nach  Florenz  sich  auf- 
zumachen, wiederholt  er  in  dem  Briefe  vom  18.  Sep- 
tember (Milanesi  xci),  doch  ist  auch  jetzt  das  Werk 
noch  nicht  vollendet. 3)  „Ich  habe  keinen  Groschen  und 
„bin  bloss  und  nackt,  denn  ich  kann  den  Rest  der 
„Gelder  nicht  bekommen,  bis  ich  die  Arbeit  zu  Ende 


1)  „lo  stento  piü  che  uomo  che  fussi  mai;  mal  sano  e  con 
grandissima  fatica;  e  pure  ö  pazienza  per  venire  al  fine  desiderato." 

2)  „Del  mio  tornare  costa,  io  non  posso  tornare,  se  io  non  finisco 
l'opera,  la  quäle  stimo  ÖBire  per  tutto  settembre;  vero  e  che  e  si 
gran  lavoro,  che  io  non  mi  so  aporre  a  quindici  di.  Basta  che 
nanzi  Ognisanti  sarö  costa  a  ogni  modo,  se  io  non  muöio  in  questo 
mezo." 

3)  „Non  ö  un  grosso  e  sono  si  puö  dire  scalzo  e  gnudo  e  non 
posso  avere  el  mio  resto,  se  io  non  ö  finita  l'opera." 


—        4:4:         — 

„geführt."  Dass  er  sein  Vorhaben  nicht  ausführen 
konnte,  die  Reise  nach  Florenz  unterliess,  sagt  uns 
der  an  den  Vater  gerichtete  Brief,  welchen  Milanesi 
(xv)  in  das  Jahr  1509  setzt,  der  aber  folgerichtig 
in  den  October  1512  eingestellt  werden  muss. 

Erst  gegen  Allerheiligen  1512  wurden  demnach  die 
Malereien  in  derSixtina  abgeschlossen,  die  auf  den  „teste 
e  faccie"  beabsichtigten  Bilder  ebenfalls  noch  ausgeführt. 
Condivi  nennt  in  seiner  Beschreibung  der  Sixtinischen 
Decke  (cap.  xxxiv)  den  Propheten  Jonas  „posto 
nella  testa  delle  volta."  Vasari  spricht  von  der  Glie- 
derung der  Seiten  der  Decke  durch  Tragsteine  „sei 
per  banda  e  uno  nel  mezzo  delle  facce  de  pie  e  de 
capo",  auf  welchen  die  Propheten  und  Sibyllen  ange- 
bracht sind.  1)  Diese  Angaben  klären  uns  über  die 
räumliche  Anordnung  der  Bilder  an  den  Schmal-  und 
Langseiten  rings  um  die  Capelle  auf.  Michelangelo 
versteht  unter  denselben  die  Gruppen  und  Einzelfigu- 
ren, zunächst  die  Propheten  und  Sibyllen,  welche  die 
Mittelbilder  begleiten,  theilweise  bis  an  die  Fenster 
herabreichen  und  in  der  That  schon  zu  den  Seiten  der 
Capelle  gerechnet  werden  können.  Die  Gemälde  am 
Gewölbe  schränkt  er  in  seinen  Briefen  auf  die  neun 
Mittelbilder  ein,  welche  dem  Auge  horizontal  gespannt 
erscheinen  und  allerdings  in  einem  räumlichen  Gegen- 
satze zu  den  vertical  gedachten  Seitengruppen  und 
Seitenfiguren  stehen. 


1)  Yasari  ed.  Lemonnie  XII.  193. 


—     45     — 

Die  Briefe  Michelangelo 's,  die  einzige  mit  den  Er- 
eignissen gleichzeitige  Quelle,  führen  zu  folgenden 
Kesultaten.  Nirgend  ist  von  der  Vollendung  der  Bilder 
in  der  Sixtina  im  Herhste  1509,  von  ihrer  Enthüllung 
am  Tage  [AUerheihgen  1509  die  Bede.  Der  letztere 
Tag  '.wird  wohl  erwähnt,  und  in  seine  Nähe  fällt  auch 
die  Vollendung  des  Werkes,  aber  erst  1512.  Es  er- 
gibt sich  ferner,  dass  bis  zum  Beginn  des  Jahres  1509 
die  Malerei  in  der  Sixtina  keinen  erheblichen  Fort- 
schritt gemacht  hatte,  dass  im  Herbste  1510  die  Wöl- 
bung, d.  h.  die  Mittelbilder  beinahe  fertig  gemalt  waren^ 
dass  nach  der  Bückkehr  Michelangelo 's  aus  Bo- 
logna im  Winter  1510 — 11  auch  die  seitlichen  Bilder 
in  Angriff  genommen  wurden,  und  endlich,  dass  das 
ganze  Werk  erst  im  October  1512  den  Abschluss  fand. 
Alle  Angaben  Condivi's  und  Vasari's,  die  diesen  durch 
Michelangelo' s  Briefe  festgestellten  Thatsachen  wider- 
sprechen, müssen  als  Irrthümer  zurückgewiesen  wer- 
den. Sie  fanden  leider  nur  zu  lange  unbedingten 
Glauben. 

6. 

Die  Deckenbilder  der  Sixtina  wurden  zur  hohen 
Schule  für  Bafael.  So  lautet  das  allgemeine  ürtheil, 
das  sich  auf  die  Aussprüche  Michelangelo's  und  seiner 
Zeitgenossen  stützt.  „Was  Bafael  von  der  Kunst 
wusste,  wusste  er  durch  mich",  heisst  es  in  der  oft 
citirten  Denkschrift   vom  J.   1542,  i)   die  wir  freilich 


1)  „(Eaffaelo)  ciö  che  aveva  dell'  arte,  l'aveva  da  me." 


—     46     — 

nicht  mehr  in  der  ursprünglichen  Form  besitzen.  In 
derselben  Tonart  spielen  natürlich  Condivi  und  Ya- 
sari  auf.  „Kafael,  der  mit  der  grössten  Leichtigkeit 
fremde  Manieren  annahm,  änderte,  sobald  er  die  Bilder 
gesehen  hatte,  die  seinige."  i)  Glaubwürdig  erschienen 
diese  Aeusserungen  allen,  die  bisher  das  Yerhältniss 
der  beiden  Meister  zu  einander  erörtert  haben,  ob- 
gleich bei  scharfem  Zusehen  die  Verwandtschaft  und 
Oleichartigkeit  sich  darauf  einschränkt,  dass  Rafael 
auch  einmal  Propheten  und  Sibyllen  darstellt.  In  dem 
Farbenauftrag  und  den  Grrundlagen  des  Colorits,  in 
der  Zeichnung  der  Gewänder,  in  dem  Ausdruck  der 
Köpfe,  in  der  "Wahl  der  Typen  wird  man  schwerlich 
das  unmittelbare  Vorbild  Michelangelo's  entdecken. 
Wie  sollte  man  sich  aber  dem  Glauben  an  die  Rich- 
tigkeit jener  Behauptungen  entziehen,  da  man  für  sie 
das  Zeugniss  Papst  Julius  II.  und  ein  Schriftstück 
von  ganz  anderem  Gewichte  anrufen  kann,  als  die  viel- 
leicht durch  Eifersucht  und  falsche  Pietät  gefärbten 
Sätze  Condivi's  und  Vasari's? 

Das  Gerede  von  E-afaePs  Abhängigkeit  geht  wesent- 
lich auf  den  Brief  zurück,  welchen  Sebastian  del  Piombo, 
der  bekannte  aus  Venedig  nach  Rom  zugewanderte 
Maler  an  Michelangelo  gerichtet  hatte,  und  der  zuerst 
in  Gaye's  Carteggio  (ii.  487)  unter  dem  Titel:  Giuho  IL, 


1)  „Baffaelo,  che  era  molto  eccellente  in  imitare,  vistola  (nem- 
lich.  die  Decke  in  der  Sixtina)  mutö  subito  maniera  e  fece  a  un 
tratto,  per  mostrar  la  virtü  sua,  i  Profeti  e  le  Sibylle  deU'  opera 
della  Pace."     Vasari  a.  a.  0.  p.  191. 


Raffaelo,  Michelangelo  publicirt  wurde.  Er  führt  da- 
selbst das  Datum:  Rom  15.  October  1512.  An  die- 
sem Datum  wurde  unverbrüchlich  festgehalten ,  aus 
demselben  weitgehende  Schlüsse  gezogen.  Es  ist  rich- 
tig: ein  Urtheil  über  Rafael  von  Julius  II.  gefällt,  zu 
einer  Zeit  verbreitet,  in  welcher  der  Künstler  noch 
lebte,  sich  vertheidigen,  den  Irrthum  aufdecken  konnte, 
besitzt  ein  nicht  geringes  Ansehen.  Dieses  Ansehen 
ist  aber  durchaus  erborgt.  Mit  aller  Schärfe  und 
Sicherheit,  welche  in  historischen  Dingen  überhaupt  zu 
erreichen  ist,  kann  bewiesen  werden,  dass  der  Brief 
Sebastian  del  Piombo's  nicht  zu  Lebzeiten  E,afael's, 
sondern  erst  nach  seinem  Tode,  nicht  im  Jahre  1512, 
sondern  im  Jahre  1520  geschrieben  wurde. 

Die  Wiedergabe  seines  Wortlautes  erscheint  nicht 
überflüssig.  Er  ist  nach  der  trefflichen  Uebersetzung 
Guhl's  (Künstlerbriefe  I.  316)  folgender: 

„Mein  liebster  Gevatter!  Wundert  Euch  nicht,  dass 
„ich  Euch  seit  vielen  Tagen  nicht  geschrieben,  noch 
„auf  Euren  letzten  Brief  geantwortet  habe.  Denn  ich 
„bin  viele  Tage  im  Palaste  gewesen,  um  S.  Heil,  un- 
„seren  Herrn  zu  sprechen  und  niemals  habe  ich  jene 
„Audienz  erhalten  können,  die  ich  mir  wünschte." 

„Endlich  habe  ich  ihn  denn  gesprochen  und  S.  Heil, 
„hat  mir  ein  so  günstiges  Gehör  geliehen,  dass  er  alle, 
„die  im  Zimmer  zugegen  waren,  wegschickte  und  ich 
„mit  unserem  Herrn  und  einem  Kammerdiener,  auf 
„den  ich  mich  verlassen  kann,  allein  blieb  und  ihm 
„also  meine  Sache  ruhig  vortragen  konnte." 


—     48     — 

„Und  er  hörte  micli  mit  Wohlwollen  an;  denn  ich 
„stellte  S.  Heil,  mich  zugleich  mit  Euch  zu  jeder  Art 
„Dienst  und  wie  es  ihm  gut  dünken  würde,  zu  Gebote 
„und  fragte  nach  den  Gegenständen  und  den  Maassen 
„und  allem  Uebrigen.  S.  Heil,  erwiderte  mir  folgendes : 
„Bastiano,  Juan  delF  Aquila  hat  mir  gesagt,  dass  in 
„dem  unteren  Saale  (sala  d'abasso)  sich  nichts  Gutes 
„machen  lässt  wegen  der  Wölbung,  die  sie  gemacht 
„haben,  indem  da,  wo  die  Wölbung  ausläuft,  gewisse 
„Lunetten  entstehen,  die  fast  bis  zur  Mitte  der  Fläche 
„gehen,  auf  welche  die  Bilder  kommen  sollen." 

„Und  dann  sind  auch  die  Thüren  da,  die  nach  den 
„Zimmern  des  Monsignor  de'  Medici  führen.  So  dass 
„es^also  nicht  angehe,  ein  Bild  für  je  eine  Wand  zu 
„machen,  wie  es  eigentlich  sein  müsste;  wohl  aber 
„würde  sich  für  je  eine  Lunette  ein  Bild  machen  las- 
„sen,  denn  diese  sind  je  18  und  20  Palmen  breit  und 
„man  kann  ihnen  die  erforderliche  Höhe  geben.  In- 
„dess  würden  in  einem  so  grossen  Gemach  jeneFigu- 
„ren.  zu  klein  erscheinen.  Und  noch  sagte  mir  S.Heil., 
„dass  jener  Saal  sehr  zugänglich  sei.  Und  alle  diese 
„Reden  kommen  von  Juan  Baptista  dell'  Aquila  her 
„und  von  anderen  Personen,  die  mich  lieber  nicht  in 
„diesem  Palaste  sehen  möchten." 

„Aber,  Gevatter!  auf  Treue  und  Glauben  und  unter 
„uns  gesagt;  wie  ich  von  gewissen  Personen  im  Palast 
„angesehen  werde,  so  müsste  es  scheinen,  als  ob  ich 
„der  Teufel  selbst  wäre  oder  als  ob  ich  diesen  ganzen 
„Palast  verschlingen  sollte.  Aber  Gott  sei  Dank,  ich 
„habe  noch  einige  Freunde  und  zuletzt  werden  sie  sich 


—     49     — 

„von  allem  überzeugen.  Darnach  sagte  mir  unser 
„Herr:  Bastiane,  auf  mein  Gewissen,  mir  gefällt  das 
„nicht,  was  jene  machen,  noch  hat  es  irgend  jemand 
„gefallen,  der  das  Werk  gesehen  hat.  In  Zeit  von 
„vier  bis  fünf  Tagen  will  ich  mir  die  Arbeit  ansehen 
„und  wenn  sie  nichts  besseres  machen  als  das,  mit 
„dem  sie  angefangen,  so  will  ich,  dass  sie  nicht  weiter 
„daran  arbeiten  sollen.  Ich  werde  ihnen  irgend  etwas 
„anderes  zu  thun  geben,  und  das,  was  sie  gemacht 
„haben,  herunterschlagen  lassen  und  ich  werde  dann 
„jenen  ganzen  Saal  Euch  geben,  denn  ich  habe  die  Ab- 
„ sieht,  ein  schönes  Werk  zu  machen,  oder  ich  lasse 
„ihn  mit  Damastmustern  ausmalen." 

„Ich  antwortete  ihm,  dass  ich  mir  mit  Eurer  Hülfe 
„Wunderdinge  zu  machen  getraute,  worauf  er  antwor- 
„tete :  Daran  zweifle  ich  nicht,  denn  Ihr  alle  habt  von 
„ihm  gelernt.  Und  auf  Treu  und  Glauben  und  unter 
„uns  gesagt:  S.  Heil,  sagte  mir  ferner :  Betrachte  doch 
„die  Werke  Rafael's,  wie  er  die  Werke  Michelangelo's 
„gesehen,  hat  er  plötzlich  die  Weise  des  Perugino  ver- 
„lassen  und  sich,  soviel  er  konnte,  der  des  Michel- 
„angelo  genähert.  Der  aber  ist  ja  fürchterlich,  wie  du 
„selbst  siehst  und  es  lässt  sich  gar  nicht  mit  ihm  um- 
„gehen. ^)  Worauf  ich  S.  Heil,  erwiderte,  dass  Eure 
„Furchtbarkeit  keinem  Menschen  Schaden  thäte  und 
„dass  Ihr  nur  so  schrecklich  erscheint  aus  Liebe  zu  der 


1)  „Gruarda  l'opere  cli  Eafaelo  che  come  ^dde  le  opere  di  Michel- 
agnolo  subito  lassö  la  maniera  del  Perosino  et  quanto  piü  poteva 
si  accostava  a  quella  di  Michelagnolo ;  ma  e  terribile,  come  tu  vedi, 
non  si  pol  praticliar  con  lui." 

4 


—     50     — 

„Wichtigkeit  des  grossen  Werkes,  das  Ihr  vorhättet  und 
„noch  Manches  andere,  was  mitzutheilen  nicht  nöthig 
„ist,  indem  es  von  keinem  grossen  Gewichte  war." 

„Ich  habe  nun  diese  vier  Tage  gewartet,  und  habe 
„mich  erkundigt,  ob  S=  Heil,  die  Arbeit  besucht  hat. 
„Ich  höre  ja  und  dass  man  noch  nichts  sehen  und 
„beurtheilen  könne,  ehe  nicht  gewisse  Hauptfiguren, 
„die  angefangen  und  halb  fertig  sind,  ganz  vollendet 
„wären,  und  dass  je  weiter  jene  fortschritten,  es  dem 
„Papste  um  so  mehr  missfiele.  Doch  will  er  jenen 
„jungen  Leuten  zu  gefallen  noch  vierzehn  Tage  oder 
„drei  Wochen  warten,  bis  sie  jene  Figuren  vollendet 
„haben.  Und  dies  ist  Alles,  was  hier  vorgefallen  ist, 
„seitdem  ich  Euch  nicht  geschrieben  habe." 

Die  Aechtheit  des  Briefes,  dessen  Original  sich  im 
Archivio  Buonarroti  befindet,  ist  unanfechtbar.  Dass 
er  aber  im  Jahre  1512  geschrieben  worden  wäre, 
machen  viele  Grründe  nicht  bloss  in  hohem  Grade  un- 
wahrscheinlich,  sondern  geradezu  unmöglich.  Kann 
man  annehmen,  dass  Sebastian  del  Piombo  schon  so 
frühzeitig  in  eine  ausgesprochen  feindselige  Stellung 
Itafael  gegenüber,  in  eine  so  nahe  Beziehung  zu  Michel- 
angelo getreten  sei?  Yasari  erzählt  uns,  dass  der  vene- 
tianische  Maler  durch  Agostino  Chigi  nach  Bom 
gelockt  wurde  und  seine  ersten  Kunstproben  in  der 
Farnesina  ablegtCo  Das  muss  ungefähr  in  der  Zeit  ge- 
wesen sein,  in  welcher  der  Brief  an  Michelangelo  an- 
geblich verfasst  ist.  Sebastian  befand  sich  in  einem 
Rafael  befreundeten  Kreise  und  daher  schwerlich  in 
der  Stimmung  j  wie  sie  der  Brief  voraussetzt. 


—     51     — 

Sebastian  begrüsst  Micbelangelo  als  seinen  lieben 
Gevatter.  Gevatter  stand  aber  Michelangelo  bei  Se- 
bastians Kinde  erst  im  Jahre  1519.  i) 

Der  Pfipst  spricht  in  dem  Briefe  von  „zoveni", 
von  jungen  Leuten,  die  im  vaticanischen  Palaste  mit 
Malereien  beschäftigt  sind.  Solche  kann  man  daselbst 
1512  nicht  nachweisen.  Sind  darunter,  wie  nicht  be- 
zweifelt werden  kann,  Schüler  Rafaels  gemeint,  so 
muss  schon  aus  diesem  Grunde  ein  späteres  Jahr  an- 
gesetzt werden;  denn  1512  gab  es  noch  keine  selb- 
ständig thätigen  Schüler  Rafaels. 

Die  „sala  dabasso",  um  welche  es  sich  handelt,  ist 
der  grosse  Saal  im  Appartamento  Borgia,  welcher  erst 
unter  Leo  X.  von  Perino  del  Yaga  und  Giovanni 
da  Udine  mit  Deckenbildern  (sieben  Planeten)  ge- 
schmückt wurde.  Dieser  E-aum  steht,  wie  der  Papst 
in  Sebastiano's  Brief  sich  äussert,  mit  den  Kammern 
des  Monsignor  de'  Medici  in  Verbindung.  Spielt  die 
Unterredung  Sebastiano's  mit  dem  Papste  im  Jahre 
1512,  so  war  unter  dem  Monsignor  de'  Medici  der  spä- 
tere Papst  Leo  X.  zu  verstehen.  Dieser  residirte  vor 
seiner  Thronbesteigung  niemals  im  vaticanischen  Pa- 
laste, sondern  im  Pal.  Madama^),  wohl  aber  hatte 
unter  dem'  Pontificate  Leo's  der  Cardinal  Giulio  de' 
Medici  hier  seine  Wohnung. 

Sebastian  legt  dem  Papste  das  geflügelte  Wort 
„terribile",  auf  Michelangelo  angewendet,  in  den  Mund. 


i)  Vgl.  Brief  an  Michelangelo  vom   29.  Dec.   1519  bei  Bottari 
(Eacc.  VIII.  42),  wo  er  nur  falsch  datirt  ist. 

2)  Nach  gütiger  Mittheilung  des  Herrn  von  Eeumont. 

4* 


—     52     — 

Von  Julius  II.  ausgesprochen  bleibt  dieses  Urtbeil  un- 
verständlich. Denn  nicht  Michelangelo,  sondern  der 
Papst  hatte  sich  als  „terribile"  erwiesen,  und  den  Ver- 
kehr beschwerlich  gestaltet.  Sein  Wille  allein  galt. 
Von  einem  starken  Widerspruche  Michelangelo's  ist 
weder  in  den  Urkunden  noch  in  den  Briefen  die  Rede. 
Die  von  Vasari  mitgetheilten  Anecdoten  sind  offenbar 
später  erfunden  worden,  um  den  in  Künstlerkreisen 
umlaufenden  Beinamen  an  Exempeln  zu  erhärten  und 
da  passte  der  stahlharte  Julius  II.  als  Folie  besser 
als  der  weichliche,  vornehme,  verzogene  Leo  X.  Nach 
der  heimlichen  Flucht  aus  Rom  1506  wagt  sich  Michel- 
angelo nicht  in  die  Nähe  des  Papstes;  er  sei  der- 
massen  in  Schrecken  gesetzt,  schreibt  Soderini  von 
ihm,  dass  es  besonderer  Mittel  bedürfen  werde,  um 
ihm  Muth  einzuflössen.  Und  auf  dem  Wege  nach  Bo- 
logna fühlte  er  den  Strick  um  den  Hals.  Später  als 
er  weder  Geld  empfängt,  noch  auch  die  Erlaubniss, 
das  Grabdenkmal  fortzusetzen,  beklagt  er  sich  wohl 
gegen  andere,  dass  er  aber  auch  dem  Papste  gegen- 
über schroff  aufgetreten  sei,  davon  verlautet  keine 
Kunde.  Ganz  anders  stand  Michelangelo  zu  Leo  X. 
Auch  Papst  Leo  hielt  den  Künstler  von  seiner  Haupt- 
aufgabe beharrlich  zurück,  liess  ihn  nicht  das  Grab- 
denkmal Julius  IL  fortsetzen^^ndern  beschäftigte  ihn 
mit  Plänen  für  die  Fagade  von  S.  Lorenzo,  wobei  für 
Michelangelo  nichts  herauskam  als  eine  mehrjährige 
Plage  in  den  Steinbrüchen  von  Serravezza,  um  passende 
Marmorblöcke  zu  gewinnen.  Schwer  empfand  Michel- 
angelo die  Unterbrechung   seines  Berufes.     Diesesmal 


—     53     — 

macht  er  seinen  Zorn  nicht  in  halblauten  Klagen  kund, 
er  überhäuft  den  Papst  mit  Vorwürfen,  verhandelt 
mit  ihm  auf  dem  Fusse  gleichberechtigter  Macht, 
stellt  ihm  geradezu  ein  Ultimatum.  Wer  das  (nicht 
an  Sebastian  del  Piombo  gerichtete)  Schreiben, 
welches  Äiichelangelo  in  den  ersten  Wochen  (vor  dem 
10.  März)  1520  ^  verfasste  und  an  einen  einflussrei- 
chen Hofbeamten  nach  Rom  sandte,  bei  Milanesi 
(cccLxxxiv)  durchliest,  zweifelt  keinen  Augenblick, 
dass  Leo  X,,  nachdem  er  von  demselben  Kenntniss 
genommen,  ausrufen  konnte:  „ma  e  terribile,  non  si 
pol  pratichar  con  lui."  Es  war  bei  diesem  Anlasse, 
dass  Sebastian  den  Papst  bei  Michelangelo  2)  zu  ent- 
schuldigen suchte,  dessen  gute  G-esinnung  hervorhob 
und  das  geflügelte  Wort  des  Papstes  erläuterte :  Ihr 
macht,  dass  Euch  alle  Welt  fürchtet,  sogar  der  Papst. 
„Ma  fate  paura  a  ognuno,  insino  a'  Papi." 

Die  einzelnen  gegen  das  Briefdatum  1512  ange- 
führten Gründe  wiegen  verschieden  schwer,  alle  zu- 
sammen aber  doch  genug,  um  die  Glaubwürdigkeit  des- 
selben zu  erschüttern.  Das  Entscheidende  aber  in  der 
Sache  ist,  dass  Michelangelo  im  October  1512  ruhig 
in  Rom  lebte,  also  nicht  aus  Rom  an  ihn  gerichtete 
Briefe  empfangen  konnte.  Im  Herbste  1512  hatten 
die  Florentiner  Optimaten  die  Hückberufung  der  Me- 


1)  Am  10.  März  1520  wurde  der  Vertrag-,  welcher  den  Künstler 
an  den  Bau  von  S.  Lorenzo  band,  gelöst  und  er  von  allen  weiteren 
Verpflichtungen  und  auch  von  der  Kechnungsablage  befreit.  Milanesi 
p.  581. 

2)  Das  Brieffragment  ist  bei  Gotti  I.  190  abgedruckt. 


—    54    — 

dici  erzwungen,  die  Verfassung  gestürzt,  ein  Gewalt- 
regiment  eingeführt.  Unter  den  Kriegsstürmen,  welche 
den  toskanischen  Boden  bewegten,  hatten  auch  Michel- 
angelo's  Angehörige  zu  leiden,  der  Yater  verlor  sogar 
das  kleine  Amt,  das  er  bekleidet.  Mit  sorglichem 
Blicke  verfolgte  Michelangelo  in  Rom  die  Ereignisse 
in  seiner  Vaterstadt.  Auf  die  erste  Nachricht  hin 
gibt  er  den  Eath,  es  zu  machen  wie  bei  dem  Aus- 
bruche der  Pest:  alles  im  Stiche  lassen  und  fliehen. 
Später  beruhigt  er  sich  etwas.  Die  Flucht  sei  nicht 
nöthig,  doch  warnt  er  vor  unvorsichtigen  Gesprächen 
und  politischen  Aeusserungen.  „Kümmert  Euch  nur 
um  Eure  eigenen  Angelegenheiten!"  Was  diese  be- 
trifft, so  mahnt  er  zur  Geduld  und  vertröstet  auf  Gottes 
E-athschläge ;  doch  will  er  mit  Giuliano  de'  Medici  wegen 
des  seinem  Vater  entzogenen  Amtes  reden  und  weist, 
um  der  Noth  vorzubeugen,  dem  Vater  eine  Geldsumme 
an.  Gerade  in  diesen  Herbstwochen  steht  er,  wie  die 
bei  Milanesi  abgedruckten  Briefe  zeigen,  in  regem 
Verkehr  mit  seiner  Familie.  Dass  ihn  die  öffentlichen 
Zustände  in  Florenz  nicht  zum  Besuche  reizten,  kann 
aus  den  angeführten  Briefstellen  entnommen  werden. 
Und  wenn  er  auch  (vor  dem  Ausbruche  der  florentiner 
Revolution)  das  Versprechen  gegeben  hatte,  vor  Aller- 
heiligen nach  Florenz  zu  kommen,  so  gab  er  doch 
später  den  Plan  auf.  Ein  bei  Milanesi  allerdings  falsch 
datirter  Brief  (xv)  sagt  unumwunden.  „Diese  Aller- 
heiligen komme  ich  nicht  nach  Florenz."  Damit  ist 
der  herkömmlichen  Datirung  des  Briefes  Sebastian  del 
Piombo's:  1512  jede  Stütze  geraubt. 


—     55     — 

Bei  der  Prüfung  des  Briefes  musste  es  überhaupt  auf- 
fallend erscheinen,  dass  der  Gegensatz  zwischen  den  An- 
hängern Michelangelo's  und  Bafael's  schon  in  so  früher 
Zeit  feste  Formen  angenommen  und  zu  geschlossener 
Parteiung  geführt  hätte.  Vielleicht  fühlte  sich  Michel-' 
angelo  schon  damals  dem  jüngeren  Künstler  entfrem- 
det. Hatte  er  doch,  eigentlich  so  lange  er  lebte,  stets 
unter  dem  leidigen  Künstlerstreite  gelitten,  sich  über 
die  Genossen  zu  beklagen  Ursache  gehabt  und  selbst 
auch  zu  Klagen  Anlass  gegeben.  Schwerlich  aber  war 
es  schon  1512  zwischen  ihm  und  Bafael  zu  einem 
offenen  Kampfe  gekommen,  welchen  die  Schüler  fort- 
zusetzen und  zu  steigern  sich  verpflichtet  wähnten. 

Bereits  in  Bologna,  während  er  an  der  Erzstatue 
des  Papstes  arbeitete,  trennte  sich  Michelangelo  von 
seinen  Gehilfen  in  Unfrieden.  Die  Briefe  an  Yater 
und  Bruder  aus  dem  Anfang  1507  sind  voll  von  die- 
sen Werkstattgeschichten,  die  natürlich  nur  wegen 
Michelangelo's  Persönlichkeit  unser  Interesse  erregen. 
Sonst  Hesse  uns  das  Treiben  des  Lapo  d' Antonio  di 
Lapo  und  des  Ludovico  di  Guglielmo  del  Buono,  — 
so  hiessen  die  beiden  von  Michelangelo  weggejagten 
Gesellen  —  vollständig  gleichgiltig.  Auch  mit  dem 
Giesser  der  Papststatue,  mit  Meister  Bernardino  d' An- 
tonio unterhielt  er  keine  warme  Freundschaft.  In 
Eom  sodann,  wohin  er  mehrere  Maler  aus  Florenz 
berufen  hatte,  um  ihm  bei  den  Deckenbildern  in  der 
Sixtina  beizustehen,  brach  abermals  schon  nach  kurzer 
Zeit  Streit  und  Zank  aus.  Der  Maler  Indaco  kehrte 
im  Anfang  1509  nach  Florenz  zurück,  hier,  wie  Michel- 


—     56     — 

angelo  (Milanesi  x)  fürchtet,  arge  Dinge  über  die  ihm 
widerfahrene  Behandlung  verbreitend.  Ob  er  gerech- 
ten Grund  zur  Klage  hatte,  können  wir  nicht  mehr 
entscheiden.  In  einem  andern  Falle  erblicken  wir  in 
Michelangelo  das  Opfer  leichtgläubiger  Gutmüthigkeit 
und  begreifen,  dass  allmälig  finsteres  Misstrauen  in 
seiner  Brust  sich  festsetzen  musste.  Luca  Signorelli 
gewann  sein  Ohr  durch  das  Vorgeben,  er  sei  ein 
Opfer  der  politischen  Parteiung,  die  Anhänglichkeit 
an  die  Medici  habe  sein  Leben  in  Florenz  in  Gefahr 
gebracht  und  nachdem  er  bei  Michelangelo  (1513)  eine 
stattliche  Anleihe  aufgenommen,  verschwindet  er  nicht 
allein  aus  der  Stadt,  sondern  behauptet  auch,  zur 
Rückzahlung  gemahnt,  lügenhaft,  dieselbe  schon  gelei- 
stet zu  haben.  Unfasslich  ist  uns  nur,  dass  dieser 
„grandissimo  ribaldo"  Luca  Signorelli  hiess,  schwer 
fällt  es  uns  mit  dieser  Anklage  zusammenzureimen, 
was  wir  sonst  von  dem  nächsten  Geistesverwandten 
Michelangelo' s  wissen,  und  den  gerühmten  Eigenschaf- 
ten des  Mannes,  seiner  „reinen  Gesinnung",  seinem 
edlen  Wohlwollen  auch  den  Zug "  gemeiner  Betrug- 
sncht  anzufügen.  Und  doch  kann  unter  dem  „maestro 
Luca  da  Cortona,pittore"  niemand  anderer  gemeint 
sein,  als  der  Schöpfer  des  jüngsten  Gerichtes  in  der 
Cathedrale  zu  Orvieto.  i)  In  der  Eeihe  der  Gegner 
Michelangelo's  finden  wir  sodann  den  Bildhauer  Ja- 
copo    Sansovino.     Bei  dem    Baue    der    Fagade    von 


1)   Die  Klag-schrift  gegen  Luca  Signorelli  ist  bei   Gotti   II.  53 
abgedraekt. 


—     57     — 

S.  Lorenzo,  wie  er  meint  durch  Michelangelo's  Scliuld, 
übergangen,  überschüttete  er  denselben  mit  Schmähun- 
gen, die  an  die  berühmten  Invectiven  der  alten  Hu- 
manisten erinnern  und  wie  diese  auch  nicht  auf  eine 
genaue  Wage  gelegt  werden  dürfen,  i) 

ISTach  den  von  Condivi  und  Yasari  gesammelten 
Atelieranecdoten  müsste  der  Ausbruch  der  Feindselig- 
keiten zwischen  Michelangelo  und  Rafael  gleich  nach 
Ankunft  des  letzteren  in  E,om  begonnen  haben.  Die 
Wahrscheinlichkeit  spricht  nicht  dafür.  lieber  zwei 
Dinge  führte  Michelangelo  zu  Lebzeiten  Julius  II.  die 
schärfste  Klage :  dass  er  von  der  Arbeit  am  Grrabdenk- 
male  abgezogen  wurde  und  dass  er  für  sein^  Arbeiten 
kein  Geld  empfing.  Weder  auf  das  eine  noch  auf  das 
andere  übte  nachweissbar  ßafael  irgend  welchen  Ein- 
fluss.  Dagegen  mochte  sich  der  ältere  Meister  wäh- 
rend dem  Pontificate  Leo  X.  gegen  den  jüngeren 
Genossen  zurückgesetzt  fühlen.  Gegenüber  der  Fülle 
von  Werken,  welche  Rafael  von  1513  bis  1520  in 
das  Leben  ruft,  welche  Schöpfungsacte  lassen  sich 
in  der  gleichen  Zeit  von  Michelangelo  verzeichnen? 
Er  ist  gezwungen,  den  Staub  der  Steinbrüche  zu 
athmen  und  sich  mit  Vorbereitungen  zu  Arbeiten 
abzuplagen,  die  niemals  durchgeführt  werden.  Und 
wenn  auch  die  eigene  Eifersucht  geschväegen  hätte, 
so  konnte  er  doch  nicht  verwehren,  dass  ihm  die 
Freunde   ähnliche  Gedanken    zuflüsterten,   ihn  in  der 


1)   Gotti  I.  136.     „Ogn'  ora   dite  no    e  si,    come   vi   venga  bene 
e  utile." 


58 


schlimmsten  Weise  gegen  Rafael  verhetzten.  In  wel- 
chem Umfange  das  geschah,  ersehen  wir  erst  jetzt  voll- 
kommen aus  den  von  Gotti  mitgetheilten  Briefen.  Se- 
bastian del  Piombo  und  Leonardo  di  Compagno,  ein 
Florentiner,  der  in  Rom  als  Sattler  in  Banco  di  Bor- 
gherini ansässig  war  und  in  regem  Verkehr  mit  Michel- 
angelo stand,  scheinen  insbesondere  die  Ohrenbläserei 
als  Geschäft  zu  betreiben.  Sie  senden  keinen  Brief  ab, 
welcher  nicht  einen  Nadelstich  gegen  Eafael  enthielte 
oder  in  welchem  sie  sich  nicht  schadenfroh  über  den 
vermeintlichen  Niedergang  des  Bafaelischen  Sterns  äus- 
serten. „Aufgepasst!"  rief  Leonardo  (22.  Nov.  1516) 
Michelangelo  zu.  „Eafael  hat  das  Thonmodell  zu  einer 
Kinderfigur  für  Pietro  d'Ancona  gemacht  und  dieser 
beinahe  in  Marmor  vollendet.  Die  Leute  sagen,  das 
Ding  sei  gut  ausgefallen."  i)  Offenbar  soll  Eafael  ver- 
dächtigt werden,  als  wolle  er  mit  Michelangelo  auf 
dessen  eigenstem  Boden  wetteifernd  kämpfen.  „Der 
Fürst  der  Synagoge",  heisst  er  im  Briefe  (2.  Juli  1518) 
Sebastiano's.  „Schade,  dass  Ihr  die  beiden  nach  Frank- 
reich gesendeten  Bilder  des  Fürsten  der  Synagoge 
nicht  gesehen  habt.    Ich  sage  nichts  anderes  als  dass 


1)  „A  fatto  un  modello  di  tera  a  Pietro  d'  Ancona  d'  un  putino, 
e  lui  l'a  presso  che  finito  di  marmo,  e  dichono  sta  asai  bene;  sievi 
aviso."  Gotti  II.  59.  Unter  dem  puttino  dürfte  wohl  der  todte 
Knabe  auf  dem  Delphin  gemeint  sein,  welche  Marmorfigur  die 
Eremitage  in  S.  Petersburg  besitzt.  In  diesem  Falle  wäre  der  An- 
theil  Eafaels  genau  festgestellt;  er  machte  das  ThonmodeU,  der  sonst 
unbekannte  Pietro  d'  Ancona  führte  das  Modell  in  Marmor  aus. 


—     59     — 

die  Figuren  alle  im  Eauche  gesteckt  zu  haben  schei- 
nen." 1) 

Der  arme  ßafael.  Auch  was  er  sonst  malt,  ge- 
winnt nicht  den  Beifall  des  buonarrotischen  Kreises; 
die  Leistungen  Sebastiano's  werden  dagegen  in  den 
Himmel  erhoben.  Leonardo  Sellaio  schreibt  (1.  Ja- 
nuar 1518):  „Bastiane  hat  sein  Bild  (Auferweckung 
des  Lazarus)  beinahe  vollendet.  Es  ist  ihm  so  gut 
gelungen,  dass  alle  Kenner  ihn  weit  über  Bafael  stel- 
len. Die  Deckenbilder  des  Agostino  Chigi  (in  der  Far- 
nesina) wurden  aufgedeckt,  für  einen  grossen  Meister 
eine  schlechte  Arbeit,  viel  schlechter  als  die  letzte 
Stanze  (der  Burgbrand)  im  Palaste,  so  dass  Bastiano 
nichts  fürchtet."  2)  Sebastiano  ist  derselben  Ansicht. 
Als  sein  Bild  fertig  war  und  ausgestellt  wurde,  fand  es, 
wie  er  versichert^  allgemeinen  Beifall.  Er  selbst  ur- 
theilt  (29.  December  1519)  darüber  so :  „Ich  glaube, 
meine  Tafel  ist  besser  gezeichnet  als  das  Tapetenzeug, 


1)  „Duöl  mi  nel  animo  non  sette  stato  in  Eoma  a  veder  dua 
quadri,  die  son  iti  in  Franza  del  Principe  dela  Sinagoga,  che  credo 
non  vi  possete  imaginär  cosa  piü  contraria  a  la  opinion  vostra,  de 
quello  havaresti  visto  in  sitml  opera.  lo  non  vi  dirö  altro,  che 
pareno  figure  che  siano  state  al  fumo.  Qotti  II.  56.  Es  sind 
Eafaels  grosse  h.  Familie  (im  Louvre)  und  die  h.  Margaretha  (eben- 
dort)  gemeint. 

2)  Gotti  II.  56.  „Bastiano  ä  presso  e  finito  e  riesce  di  modo 
che  quanti  intendenti  ci  sono,  lo  mettono  di  grandissima  lunga  sopra 
a  Eafaello.  E  scoperta  la  volta  d'  Agostino  G-hisi:  chosa  vituperösa 
a  un  gran  maestro:  pegio  che  1' ultima  stanza  di  palazzo  asai;  di 
modo  che  Bastiano  non  teme  di  niente." 


—     60     — 

das  aus  Flandern  gekommen."  i)  Unter  dem  Tapeten- 
zeug müssen  die  nacli  den  Rafaelschen  Cartons  ge- 
wirkten Teppiche  verstanden  werden. 

So  lange  Eafael  lebte,  blieben  natürlich  alle  Ver- 
suche, ihn  von  der  Arbeit  zu  verdrängen,  erfolglos. 
Nach  seinem  Tode  hätten  aber  die  Schüler  Michel- 
angelo's  sich  gern  in  die  Hinterlassenschaft  getheilt. 
Sie  suchten  die  besten  Aufträge  an  sich  zu  reissen 
und  hofften  insbesondere,  dass  nicht  den  bisher  bevor- 
zugten Jüngern  Rafaels,  sondern  ihnen  die  Fortsetzung 
der  vaticanischen  Arbeiten  werde  überwiesen  werden. 
Michelangelo' s  Theilnahme  dafür  zu  gewinnen ,  wurde 
ihnen  nicht  schwer.  In  einem  Briefe  an  den  Cardinal 
Bernardo  Dovizi  (Juni  1520)  empfahl  er  dringend  den 
Sebastian  del  Piombo.  Der  Ton  des  Briefes  (Milanesi 
cccLxxin)  soll  scherzhaft  sein,  klingt  aber  in  "Wahr- 
heit bitter  ironisch  und  zeigt  nur  allzudeutlich,  wie 
wenig  Michelangelo  seine  vermeintliche  Zurücksetzung 
verschmerzte.  Nicht  als  Freund  oder  Diener  erbittet 
er  die  Vermittlung  des  Cardinais,  denn  er  sei  unwür- 
dig, das  eine  oder  das  andere  zu  heissen.  Aber  ge- 
radeso wie  Zwiebeln  der  Abwechslung  halber  gut 
schmecken,  wenn  man  Kapaunen  satt  bekommen  hat, 
so  mag  auch  manchmal  ein  Dienst,  der  einem  armen 
Teufel  oder  Narren  erwiesen  wird,  nicht  unangenehm 


1)  Gotti  I.  126:  „Credo  che  la  mia  tavola  sia  meglio  disegnafca 
che  non  sono  i  panni  ed  arazzi  che  sono  veautd  da  Fiandra."  Der 
Brief  war  schon  früher  von  Bottari  (Eacc.  VIII.  42)  publicirt  worden. 


—   öl   — 

sein.  1)  Sebastian  selbst  überreichte  den  Brief  dem 
Cardinal  y  dessen  Antwort  jedocb  den  Wünschen  des 
Bittstellers  nicht  vollständig  entsprach.  Zwei  Säle 
harrten  noch  zur  Zeit  des  Todes  Eafaels  des  maleri- 
schen Schmuckes.  Beide  führten  den  Namen  sala 
de'  Pontifici,  lagen  übereinander  und  wurden  als  sala 
da  basso  und  sala  di  sopra  von  einander  unterschie- 
den. Heute  führen  sie  den  Namen:  sala  Borgia  und 
sala  di  Constantino.  Die  Arbeiten  in  letzterer  nun, 
erzählte  der  Cardinal,  wären  bereits  vergeben.  „Der 
„Papst  hatte  sie  den  Gehilfen  Rafaels  überwiesen  und 
„diese  zur  Probe  eine  Figur  in  Oel  auf  die  Mauer 
„gemalt  so  schön,  dass  kein  Mensch  mehr  die  von 
„Eafael  selbst  gemalten  Kammern  ansehen  wird.  Dieser 
„Saal  wird  alle  Welt  erstaunen  machen  und  das  präch- 
„tigste  werden,  was  seit  dem  Alterthum  bis  jetzt  in 
„der  Malerei  geleistet  wurde."  2)  Sonach  blieb  nur 
die  „sala  da  basso"  noch  übrig.  Und  in  der  That  wurde 
dieselbe    auch  Sebastiane  zur  Bemalung  angetragen. 


1)  „lo  prego  la  vostra  Beverendissima  Signoria,  non  come  amico 
o  servo,  perche  io  non  merito  esser  ne  l'uno  ne  Taltifo:  ma  come 
omo  vile,  povero  e  matto,  clie  facci  che  Bastiano  Veneziano  pittore 
abi,  poi  ch'e  morto  Eaffaelo,  qualche  parte  de'  lavori  di  Palazzo." 

2)  „Lui  (il  Cardinale)  mi  disse,  che  '1  Paj)a  haueva  dato  la  Sala 
de  Pontifici  a  li  garzoni  di  EaiDhaello  e  costoro  hauea  facto  una 
mostra  de  une  figura  a  oho  in  muro  ch'era  una  beUa  cosa,  de  sorta 
che  persona  alcuna  non  guarderia  le  camere  che  ha  facto  Eaphaello ; 
che  questa  salla  stupefaria  ognicosa  et  che  non  sara  la  piü  bella 
opera  facta  da  h  antichi  in  qua  de  pictura.  Milanesi  p.  413.  Dar- 
nach rührt  der  Versuch,  im  Constantinssaal  auf  die  Mauer  mit  Oel 
zu  malen,  nicht  von  Eaphael,  sondern  von  seinen  Schülern  her. 


—     62     — 

Er  weigerte  sich  zunächst  darauf  einzugehen.  Ent- 
rüstet sagte  er  dem  Unterhändler,  er  sei  nicht  schlech- 
ter als  die  Gehilfen  Rafaels  und  wolle  nicht  einen 
Keller  malen,  während  man  jenen  die  Goldgemächer 
überlasse."  ^  Dem  Papste  gegenüber  trat  Sebastiane 
nicht  so  schroff  auf,  wohl  aber  hatten  seine  und  Michel- 
angelo's  Freunde  den  ersteren  dahin  gebracht,  dass 
dieser,  der  nur  für  Rafaels  Gehilfen  entschieden  hatte 
des  lieben  Friedens  willen,  nun  selbst  den  unteren 
Saal  für  wenig  passend  erklärte  und  sich  geneigt  zeigte, 
den  oberen,  den  Constantinssaal,  dem  Sebastiane  zu  über- 
lassen, insbesondere,  wenn  Michelangelo  selbst  sich 
an  der  Arbeit  betheiligen  würde.  Von  der  Unter- 
redung mit  dem  Papste,  in  welcher  darüber  verhan- 
delt wurde,  berichtet  der  bis  jetzt  fälschlich  in  das 
Jahr  1512  versetzte  Brief.  Das  richtige  Datum  ist 
der  15.  October  1520.  So  erst  bekommt  er  volle 
Klarheit,  so  allein  auch  die  wahre  Bedeutung. 

Nun  versteht  man,  was  es  heisst:  der  Papst  sei 
unzufrieden  mit  dem  was  die  garzoni  angefangen  haben, 
und  habe  Lust  alles  herunterschlagen  zu  lassen.  Nun 
begreift  man,  wie  Sebastiane  antworten  konnte:  Mit 
Michelangelo's  Hilfe  getraue  er  sich  AVunderdinge  zu 
machen.  In  das  Jahr  1512  gestellt  enthält  der  Brief 
Sebastiano's  nur  Unsinn ;  im  Zusammenhange  dagegen 
mit  dem  Schreiben,  welches  Sebastiane  am  3.  Juli 
1520  an  Michelangelo  richtete  und  dem  folgenden  vom 
27.  October  1520   gelesen  und  zwischen  diese  beiden 


1)  Gotti  I.  137, 


gelegt,  wird  er  frei  von  allen  inneren  Widersprüclien. 
Die  Kunde,  die  er  giebt,  ist  wohl  auch  dann  neu,  ^ie 
steht  aber  im  Einklänge  mit  allen  anderen  authen- 
tischen Nachrichten. 

Nachdem  der  Papst  dafür  gewonnen  war,  den  Schü- 
lern ßafaels  den  Abschied  zu  geben  und  die  Aus- 
malung des  Constantinsaales  Michelangelo  und  dessen 
Genossen  zu  übergeben,  setzte  Sebastiano  alles  daran, 
den  Meister  zur  Theilnahme  zu  bewegen.  „Es  kann 
keinen  ehrenvolleren  Auftrag  in  der  Welt  geben," 
schreibt  er  ihm  am  27.  October  1520.  „Das  wäre 
eine  prächtige  Gelegenheit,  sich  für  alle  erlittenen  Un- 
bilden zu  rächen  und  die  Schwätzer  zum  Schweigen 
zu  bringen.  Die  schönsten  Geschichten  lassen  sich 
in  dem  Saale  malen.  Da  ist  zuerst  die  Geschichte 
von  Constantin  dem  Grossen,  dem  ein  feuriges  Kreuz 
in  den  Lüften  erscheint,  dass  er  in  diesem  Zeichen 
siegen  werde  und  wie  er  einen  König  erschlägt;  dann 
an  der  grösseren  Wand  eine  Schlacht,  ein  Waffen- 
gang und  auf  der  anderen  Seite  die  Schilderung,  wie 
dem  Kaiser  Gefangene  vorgeführt  werden.  Endlich 
an  der  letzten  Wand  die  Vorbereitung  zum  Blutbade 
der  Kinder,  wobei  die  Mütter  und  die  Kinder  und 
die  Schergen,  welche  die  Kinder  tödten  sollen,  um 
dem  Kaiser  das  Bad  zu  bereiten,  auftreten.  Yon 
diesen  Geschichten,  sagte  mir  der  Papst,  hätten  die 
Schüler  Zeichnungen  von  Eafaels  Hand.  Mir  scheint, 
nachdem  ich  die  Geschichten  gelesen  habe,  dass  man 
nichts  besseres  machen  und  auswählen  könne.  Wenn 
man    es    kann,    so  thut  es,    denn   was   Ihr    bestimmt^ 


—     64     — 

soll  geschehen.  Und  ich  bitte  Euch,  Gevatter,  um 
der  Liebe  willen,  die  zwischen  uns  herrscht,  seid  so 
gut  und  antwortet  mir,  damit  ich  weiss,  was  ich  zu 
thun  habe.  Ich  werde  von  allen  gescholten,  besonders 
vom  Papste,  weil  ich  ihnen  nichts  zu  antworten  weiss. 
Es  gilt  doch  Euere  Ehre  ebensogut  wie  meine."  i) 

Die  Antwort  Michelangelo's,  falls  überhaupt  eine 
Antwort  von  dem  einsam  grollenden  Achilles  kam, 
lautete  offenbar  ablehnend.  Die  Schüler  Rafaels  wur- 
den aus  dem  Constantinssaale  nicht  vertrieben,  son- 
dern blieben  mit  der  Ausmalung  desselben  betraut. 
Doch  haben  sie  das  von  Sebastiano  mitgetheilte  Pro- 
gramm theilweise  verändert.  Das  ist  nicht  die  einzige 
überraschende  Kunde,  die  wir  aus  Sebastiano's  Briefen 
schöpfen.  Bisher  wurde  angenommen ,  Bafael  von 
Bramante  angestachelt,  hätte  gern  Michelangelo's 
Arbeit  an  sich  gerissen  und  sich  um  die  Fortsetzung 
der  von  Michelangelo  begonnenen  Malerei  in  der  Six- 
tina  eifrig  beworben.     Von   diesen  Schritten  Eafaels 


1)  Qotti  I.  138.  „Non  e  nel  mondo  la  piü  onorevole  impresa 
di  questa;  qui  ve  vendicate  de  tutte  le  ingiurie  v'  e  state  fatte  et 
farete  tacere  le  cicale  che  non  gridarano  piü,  perche  in  questa 
stancia  e'  v'  a  le  piü  belle  istorie  che  si  possi  depegne."  JSTach  Auf- 
zählung des  Inhaltes  der  Wandbilder  fährt  er  fort:  „Queste  istorie, 
me  disse  el  Papa,  che  le  voleano  et  che  costoro  aveano  e'  disegni  de 
mano  de  Baifaello.  Et  io  li  resposi  quello  vi  scrissi  ne  l'altra.  A 
me  pare  che  per  letione  de  estorie  non  si  posso  far  meglio,  ne" 
elegere  megho;  si  che,  fate  voi:  tanto  quanto  ordinarete  sare  ser- 
vito.  Et  pregovi,  compar  mio,  per  Tamore  e  tra  nui,  degnatevi  a 
rispondermi,  a  ciö  sappi  quello  io  abbi  a  fare;  perche  io  sono 
vituperato  con  tutti  costoro,  massime  col  papa,  perche  io  non  so  che 
responderhj  perche  li  va  cossi  l'onore  vostro  come  el  mio." 


—    65     — 

und  Bramante's  schweigen  die  Urkunden  vollständig. 
Dagegen  erfahren  wir,  dass  Michelangelo  nach  Rafaels 
Tode  hart  angegangen  wurde,  die  Schüler  des  letzteren 
zu  verdrängen  und  an  ihrer  Stelle  die  Malerei  in  den 
vaticanischen  Stanzen  zu  vollenden.  Ist  nicht  aus 
dieser  Thatsache  mit  Verwechslung  der  handelnden 
Personen  die  von  Condivi  und  Yasari  erzählte  Legende 
entstanden?  Unmöglich  wäre  es  nicht,  da  wir  wissen, 
in  welchem  Grade  die  mythenbildende  Phantasie  schon 
in  Condivi's  und  Yasari's  Zeitalter  wirksam  war.  Und 
wäre  es  nur  ste.ts  bei  der  blossen  Erweiterung  des 
historischen  Kerns  geblieben.  Gar  häufig  werden  aber 
die  Ereignisse  im  parteiischen  Tone  erzählt  und  in 
tendenziösem  Sinne  geförbt.  Man  empfängt  ungefähr 
denselben  Eindruck,  welchen  die  Schilderung  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Goethe  und  Schiller  aus  dem 
Kotzebue  —  Schlegelschen  Kreise  hervorruft. 

Das  Studium  der  Briefe  Michelangelo's  hat  unser 
Wissen  von  diesem  Meister  in  überraschender  Weise 
vermehrt  und  geläutert.  Aber  wenn  wir  auch  diesen 
Gewinn  nicht  erworben  hätten,  wenn  ihr  Studium  nur 
die  Folge  hätte,  dass  es  die  namentlich  Condivi  ent- 
gegengetragene Vertrauensseligkeit  in  engere  Schranken 
bannte,  so  wäre  dasselbe  fruchtbar  gewesen  und  müsste 
uns  zum  Danke  für  die  endliche  Ausgabe  der  Briefe 
verpflichten. 


ANHANG. 


Die  Zeitordnung  der  Briefe  Michelangelo'». 
(1506—1512.) 

Die  Frage,  nach  der  richtigen  Zeitfolge  der  Briefe  Michel- 
angelo's  wurde  in  der  vorhergehenden  Abhandlung  zu  wieder- 
holten Malen  angeregt  und  erörtert.  Es  zeigte  sich  die 
Nothwendigkeit,  die  überheferten  oder  angenommenen  Brief- 
daten in  mehreren  Fällen  zu  ändern;  es  wurde  die  von 
Milanesi  in  seiner  Ausgabe  der  „Letter e  di  Michelagnolo 
Buonarroti'^  behebte  Ordnung  öfter  bestritten.  Die  Un- 
sicherheit und  das  schwankende  "Wesen  in  der  Chronologie 
der  Briefe  Michelangelo's  erklärt  sich  nur  gar  zu  gut  aus 
der  Gewohnheit  Michelangelo's,  seine  Briefe  ausnahmsweise 
zu  datiren,  so  dass  aus  ihrem  Inhalte  allein  die  Zeit  der 
Absendung  errathen  werden  kann.  Auch  der  Umstand,  dass 
Michelangelo  das  Jahr  nach  Florentiner  Sitte  mit  dem  25.  März 
beginnen  lässt,  erschwert  die  Datirung,  da  es  keineswegs 
als  ausgemacht  gelten  darf,  dass  Michelangelo  sich  un- 
wandelbar an  die  Florentiner  Zeitrechnung  hielt.  Ein- 
mal, das  lässt  sich  beweisen,  wich  er  von  derselben  ab, 
nahm  die  römische  Zeitrechnung  an.  "Was  er  einmal  that, 
hat  er  dieses  nicht  öfter  wiederholt?  Es  erscheint  aus  diesen 


Grründen  begreiflich,  dass  Milanesi  nicht  immer  und  gleich 
das  richtige  traf,  es  muss  vielmehr  unsere  Bewunderung  er- 
regen und  verdient  volle  Anerkennung,  dass  in  so  vielen 
Fällen  sein  Scharfsinn  sofort  das  wahre  Datum  erkannte. 
Auch  das  muss  hervorgehoben  werden,  dass  die  meisten  und 
grössten  Irrthümer  nicht  in  den  Briefen  nachweisbar  sind, 
welche  im  Florentiner  Archivio  Buonarroti  bewahrt  und  von 
Milanesi  zuerst  publicirt  werden,  sondern  in  jenen  Schrift- 
stücken, welche  vor  einiger  Zeit  nach  London  in  das  britische 
Museum  gekommen  sind. 

Folgende  Briefe  heischen  nach  unserer  Ueberzeugung  eine 
Aenderung  des  Datums: 

Milan.  Nr.  III.  An  den  Vater  Lodovico  aus  Bom  ge- 
richtet und  31.  Januar  1507  datirt.     (Brit.  Museum). 

Das  Datum  ist  falsch  und  muss  31.  Januar  1506  lauten. 
Zu  dieser  Correctur  hätte  die  einfache  historische  Erwägung 
führen  müssen,  dass  Michelangelo  im  Januar  1507  sich  gar 
nicht  in  Rom,  sondern  in  Bologna  befand.  Greradezu  komisch 
wirkt  es,  am  Fusse  dieses  Briefes  ausnahmsweise  die  ge- 
naue Datirung  von  Michelangelo's  Hand  zu  lesen:  „a  di 
trentuno  di  gennaio  mille  cinque  cento  sei."  Natürhch 
glaubte  man  diese  Angabe  in  die  Flor entinis che  Zeitrech- 
nung umsetzen  zu  müssen  und  verbesserte  die  Jahreszahl. 
Der  launige  Zufall  wollte  aber,  dass  Michelangelo  die  rö- 
mische Zeitrechnung  gebrauchte. 

Die  Prüfung  des  Inhaltes  bestätigt  die  Annahme,  dass 
der  Brief  bereits  1506  geschrieben  sei.  Michelangelo  ist 
offenbar  kurz  vorher  (aus  Carrara)  in  Bom  angekommen, 
erwartet  mit  Sehnsucht  die  Marmorblöcke,  welche  er  in 
Oarrara  für  das  Grrabdenkmal  des  Papstes  Julius  XI.  hat 
brechen  lassen  und  ist  noch  voll  guter  Hoffnungen  zu  dem 
raschen     Grelingen     des    Werkes.      „Ancora    non    ö    potuto 

5* 


—     68    — 

cominciare  a  far  niente  e  pure  do  parole  al  Papa  e  tengolo 
in  buona  speranza,  perclie  e'  non  si  crucci  meco,  sperando 
che  '1  tempo  s'acconci  ch'  io  cominci  presto  a  lavorare." 
So  konnte  er  nur  im  ersten  Jahre  seines  römischen  Aufent- 
haltes schreiben.  Dass  Michelangelo  erst  kurz  vorher  in 
E;om  sich  niedergelassen  hatte,  zeigt  auch  die  Bitte,  ihm 
die  in  Florenz  zurückgelassenen  Zeichnungen  durch  einen 
Fuhrmann  zu  senden,  eine  Küste  sicher  aufheben  und  ein 
Marmorbild  der  Madonna  vorläufig  niemand  zu  zeigen. 

Die  aus  dem  Briefe  vom  Januar  1506  sprechende  Sorge  um 
die  Sicherheit  seiner  Habe  und  seiner  Zeichnungen  wird 
noch  in  einem  anderen  Briefe  laut,  den  wir  aus  diesem 
Grrunde  in  die  gleiche  Zeit  versetzen  möchten: 

Milan.  Nr.  XXIII,  An  den  Täter  Lodovico  aus  Rom  ge- 
richtet und  3.  Od.  1510  datirt.    (Brit.  Museum.) 

Das  Monatsdatum  ist  richtig.  Der  nächstfolgende  Brief 
Nr.  XXiy,  welcher  den  gleichen  Gregenstand  (Sendung  einer 
Greldsumme  durch  das  Bankhaus  Altoviti)  behandelt,  trägt 
die  Unterschrift  „a  di  undici  d'ottobre".  Das  Jahresdatum 
dagegen  muss  verworfen  werden.  Der  Brief  fängt  an:  io 
andai  martedi  parlare  al  Papa.  Der  Papst  befand  sich 
aber  im  October  1510  nicht  in  Bom,  sondern  seit  Anfang 
September  auf  dem  Wege  nach  Bologna,  wo  er  den  ganzen 
Herbst  und  Winter  verweilte.  Ein  fernerer  Grrund  das 
Jahresdatum  zurückzuweisen  hegt  in  der  daselbst  gegebenen 
Nachricht,  er  habe  vom  Papste  400  Ducaten  empfangen. 
Nun  sagt  aber  Michelangelo  in  einem  eigenhändig  datirten 
Briefe  vom  26.  October  1510  (Milanesi  LXXXII)  aus,  er  habe 
vom  Datarius  die  Summe  von  500  Ducaten  erhalten.  Dass 
er  im  Herbste  1510  zweimal  nacheinander  in  seinen  Greld- 
forderungen  wäre  befriedigt  worden,  widerspricht  allen  an- 
deren Nachrichten,  die  wir  aus  dieser  Zeit  besitzen. 


—     69     — 

Ein  Resultat  steht  fest:  Der  Brief  rührt  nicht  aus  dem 
Jahre  1510  her;  in  welches  Jahr  wir  ihn  zu  verlegen  hätten, 
dazu  giebt  uns  vielleicht  der  letzte  Satz  einen  Fingerzeig. 
„lo  vi  scrissi  che  le  mie  cose  o  disegni  o  altro  non  fussino 
toche  da  nessuno.  Non  me  ne  avete  risposto  niente.  Par 
che  voi  non  legiate  le  mie  lettere.  Pregate  Idio,  che  io 
abi  onore  qua  e  che  io  contenti  el  Papa,  perche  spero  se 
lo  contento,  averö  qualche  bene  da  lui:  e  ancora  pregate 
Dio  per  lui."  In  diesen  Worten  klingt  die  Stimmung  an, 
in  welcher  er  sich  naturgemäss  am  Anfange  seines  römi- 
schen Aufenthaltes,  in  den  Tagen  ungetrübter  HoflPtiungen 
befand;  er  bewegt  sich  in  demselben  Gredankenkreise  wie 
in  dem  Briefe  vom  31.  Januar  1506.  Es  liegt  nahe,  auch 
ihn  in  die  erste  Zeit  seines  römischen  Lebens,  in  eine  noch 
frühere  Periode,  als  den  Januarbrief  zu  verlegen:  in  den 
October  1505. 

Milan.  Nr.  V.  An  den  Vater  Lodovico  aus  Born  gerichtet 
und  Juni  1508  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Bedenken  gegen  das  angenommene  Datum  regt  folgende 
Stelle  im  Briefe  an:  „Io  attendo  a  lavorare  quanto  posso. 
Non  ö  avuto  danari  giä  tredici  mesi  fa  dal  Papa."  Nun 
hat  aber  Michelangelo,  wie  aus  seinen  Kicordi  (Milanesi 
p.  563)  ersichthch,  am  10.  Mai  1508  die  Summe  von  500 
Ducaten  vom  Papste  empfangen.  Ein  Irrthum  des  Schrei- 
bers, eine  Yerrechnimg  um  volle  zwölf  Monate  ist  kaum 
denkbar;  somit  bliebe  nichts  anderes  übrig,  als  den  Brief 
jünger  (Herbst  1509?)  zu  datiren. 

Milan.  Nr.  IX.  An  den  Vater  Lodovico  aus  Born  gerichtet 
und  5.  November  1508  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Das  Monatsdatum  steht  von  Michelangelo 's  Hand  unter 
dem  Briefe:   a  di  cinque  di  novembre.     Gregen  das  Jahres- 


—     70     — 

datum  werden  Bedenken  laut.  Michelangelo  bittet,  ihm  einen 
Jungen,  der  die  Hausarbeit  verrichtet,  später  die  Kunst 
erlernen  könnte,  aus  Florenz  zu  senden.  Denn  in  Rom 
„non  si  trova  se  non  tristi."  lieber  den  Ausgang  dieses 
Greschäftes  belehrt  uns  der  Brief  Nr.  XYIII.  Der  Junge 
ist  in  Kom  angekommen,  aber  nicht  genug,  dass  Michel- 
angel5  dem  Fuhrmann,  der  ihn  gebracht,  einen  hohen  Lohn 
zahlen  musste,  zeigte  sich  auch  der  Junge  zur  Arbeit  un- 
fähig. Michelangelo  sendet  ihn  daher  wieder  zurück.  Dieser 
^rief  trägt  bei  Milanesi  das  Datum  Januar  1510.  Man 
kann  nicht  füglich  annehmen,  dass  über  ein  Jahr  verging, 
bis  der  gesuchte  Junge  in  Florenz  gefunden  wurde.  Im 
anderen  Falle  muss  man  die  Daten  beider  Briefe  näher  an 
einanderrücken.  In  welcher  Hichtung,  ob  die  Zeitangabe  in 
dem  einen  oder  in  dem  anderen  die  richtige  sei,  können 
wir,  da  uns  der  Inhalt  keine  weitere  Handhabe  bietet,  nicht 
entscheiden. 

Milan.  Nr.  XII.  An  den  Vater  Loiovico  aus  Rom  ge- 
richtet;  nur  mit  der  Jahreszahl  1509  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Die  Zeitbestimmung  des  Briefes  hängt  von  dem  IJrtheile 
ab,  welches  man  von  Condivi's  Grlaubwürdigkeit  hegt.  "Wer 
die  Meinung  mit  Condivi  theilt,  dass  Michelangelo  die 
Deckenbilder  in  der  Sixtina  in  20  Monaten,  also  schon  im 
Herbste  1509,  vollendet  habe,  wird  diesen  Brief  in  das 
Jahr  1509  setzen.  Denn  am  Schlüsse  desselben  heisst  es: 
lo  verrö  costä  a  ogni  modo  come  ö  finito  qua  la  mia 
pittura,  che  sarä  infra  duo  ö  tre  mesi.  Wer  dagegen  die 
Ueberzeuguug  gewonnen  hat,  dass  Condivi's  Angaben  den 
wirklichen  Thatsachen  widersprechen  und  den  Schluss  der 
Malereien  in  den  Herbst  des  Jahres  1512  setzt,  wird  auch 
diesen  Brief  erst  im  Jahre  1512  geschrieben  annehmen. 
Zur  Bekräftigung  der  letzteren  Ansicht  dient  noch  folgendes. 


—     71     — 

Wir  besitzen  aus  dem  Jahre  1512  eine  Reihe  sicher  datirter 
Briefe.  Sie  sind  an  den  Bruder  Buonarroto  gerichtet, 
welcher  die  löbhche  Gewohnheit  besass,  den  Empfangstag 
der  Briefe  eigenhändig  zu  vermerken  und  bei  Milanesi 
Nr.  LXXXVII  bis  XC  abgedruckt.  In  denselben  werden 
dieselben  Gregenstände  behandelt  wde  in  Nr.  XII.  Es  wird 
die  nahe  Beendigung  der  Malerei  in  der  Sixtina  ange- 
kündigt, die  Möghchkeit  baldiger  Abreise  nach  Florenz  in 
Aussicht  gestellt,  über  die  Vortheile  und  Nachtheüe  des 
Ankaufes  eines  gewissen  Grrundstückes  gesprochen.^)  Aus 
denselben  Gründen  muss  auch  das  Datum  des  nächstfolgen- 
den Briefes  Nr.  XIII  aus  dem  Jahre  1509  in  das  Jahr  1512 
umgeschrieben  werden. 

Milan.  Nr.XY.  An  den  Vater  Lodovico  aus  Rom  gerichtet 
und  Octoher  1509  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Die  Hauptstelle  in  diesem  Briefe  ist  die  Mittheilung, 
dass  die  Eresken  in  der  Sixtina  zum  Abschlüsse  gekommen 
sind  und  die  Zufriedenheit  des  Papstes  gewonnen  haben. 
Der  Besuch  in  Elorenz  zu  Allerheihgen  wird  abgesagt,  über 
die  geringe  Gunst,  welche  „unsere  Kunst"  erfährt,  Klage 
geführt.  Unter  „arte  nostra"  versteht  Michelangelo  wohl 
die  Sculptur.  Der  ganze  Inhalt  weist  auf  den  Herbst  1512 
hin  und  lässt  ihn  in  die  Reihenfolge  nach  Nr.  XXXYI 
verlegen. 

Milan.  Nr.  XVII.  An  den  Vater  Lodovico  aus  Rom  ge- 
richtet und  5.  Januar  1510  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Tag  und  Monat  stehen  von  Michelangelo 's  Hand  im 
Briefe,  die  Jahreszahl  ist  gerathen.  Mit  diesem  Briefe  steht 
der  an  den  Bruder  Buonarroto  gerichtete  Nr.  LXXXV  im 


1)  Vgl.  auch  die  Briefe  Nr.  XXVTH  u.  XXIX  aus  dem  J.  1512. 


—     72     — 

unmittelbaren  Zusammenhange.  Bruder  Buonarroto  will 
heiraten,  um  seine  materielle  Lage  zu  verbessern.  Die  bei- 
den Briefe  Michelangelo 's  enthüllen  uns  nun  seine  Gredanken 
über  den  Heiratsplan,  seine  Mahnung,  sich  nicht  zu  über- 
eilen. Nur  der  eine  Brief  ist  aber  sicher  datirt,  nämlich 
der  an  den  Bruder  gerichtete.  Auf  diesem  hat  Michelangelo 
den  Tag  der  Absendung:  „a  di  dieci  di  genaio",  der 
Bruder  den  Tag  des  Empfanges:  „1510  da  Eoma;  a  di  15  di 
gennaio  ricevuta"  vermerkt.  Da  sich  Buonarroto  an  die 
florentinische  Zeitrechnung  hält,  so  lautet  das  umgesetzte 
Datum:  10.  Januar  1511,  und  so  hat  auch  Milanesi  den  aus 
dem  Archivio  Buonarroti  geschöpften  Brief  datirt.  Dann 
muss  aber  auch  der  Brief  Nr.  XVII  diesem  Datum  folgen. 
Jeden  Brief  einem  anderen  Jahre  zutheilen,  erscheint  un- 
statthaft. 

Milan.  Nr,  LXXXIV.  An  Buonarroto  di  Lodovico  aus 
Born  gerichtet  und  11.  Ja^iuar  1511  datirt.  (Brit.  Museum.) 

Diesem  Briefe  lässt  Milanesi  einen  vom  Tage  vorher, 
den  10.  Januar  1511,  datirten  Nr.  LXXXV.  folgen.  Das 
Datum  des  letzteren  ist  durch  die  Bescheinigung  des  Em- 
pfanges sichergestellt.  Es  kann  auffallen,  dass  Michelangelo 
seinem  Bruder  an  zwei  unmittelbar  auf  einander  folgenden 
Tagen  schreibt  und  in  dem  am  11.  Januar  gesendeten  auch 
nicht  mit  einer  Silbe  auf  den  24  Stunden  vorher  abge- 
schickten Bezug  nimmt.  Doch  entscheidend  für  die  Zeit- 
frage ist  folgendes.  Der  Eingang  des  Briefes  vom  10.  Januar 
lautet:  lo  ebi  piü  giomi  fä  una  tua  lettera,  per  la  quäle  ö 
inteso  l'animo  tuo  apunto  etc.  Das  setzt  jedenfalls  voraus, 
dass  Michelangelo  sich  mehrere  Tage  bereits  in  Bom  be- 
fand. Am  folgenden  Tage,  den  11.  Januar  aber  schreibt 
Michelangelo:  „lo  gunsi  qua  martedi  sera  a  salvamento, 
Idio  grazia."    Mit  dieser  Nachricht  hätte  doch  Michelangelo 


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den  Brief  vom  Tage  vorher  beginnen  müssen.  Es  erscheint 
daher  rathsam,  den  Brief  vom  11.  Januar  anders  zu  datiren. 
Als  Wegweiser  dient  uns  der  Schlusssatz,  der  ausser  einem 
Grrusse  an  den  Gronfaloniere  die  Mahnung  enthält:  Tieni 
serrato  il  cassone,  che  e'  mie'  panni  non  sieno  rubati  come 
a  Grismondo.  Aehnhche  Sorgen  um  seine  in  Florenz  zu- 
rückgelassene Habe  sprechen  die  Briefe  aus  dem  Jahre 
1506  aus  und  so  gehen  wir  vielleicht  nicht  irre,  wenn  wir 
auch  dieses  Schreiben  in  den  Anfang  des  römischen  Lebens 
Michelangelo 's  versetzen. 


Druck  von  W.  Drugulin  in  Leipzig. 


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